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German Pages 656 [660] Year 2021
Francesco Di Palma Trouble for Moscow?
Francesco Di Palma
Trouble for Moscow?
Der Eurokommunismus und die Beziehungen der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) mit den kommunistischen Parteien Frankreichs (PCF) und Italiens (PCI) 1968-1990
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung.
ISBN 978-3-11-074815-4 e-ISBN (PDF) 978-3-11-074826-0 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-074831-4 Library of Congress Control Number: 2021945881 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbandabbildung: ADN-ZB Mittelstädt 21.4.86 Berlin: XI. SED-Parteitag, Erich Honecker am Rednerpult, im Hintergrund stilisierte Porträts von Marx, Engels und Lenin, Bundesarchiv, Bild 183-1986-0421-035, Fotograf: Rainer Mittelstädt. Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Vorwort / Danksagung Die Geschichte der DDR ist auch eine Geschichte der Dummheit, der Inkompetenz von Personen. Dass man in der SED von den Personen, die diese Partei vertreten oder verkörpern, so völlig abgesehen hat, erinnert mich an Graham Green, ‚Die Macht und die Herrlichkeitʻ, den Roman über den saufenden Priester in Mexico […], immer betrunken, verkommen und asozial, aber er bleibt der Priester und verkörpert die Kirche. So sah ich damals auch die Funktionäre, sonst wäre es gar nicht möglich gewesen, mit den Leuten umzugehen. Viele waren primitiv, dumm, brutal, verkommen, gierig nach bürgerlichem Standard, überfordert alle.¹
Über dreißig Jahre nach der Auflösung des ostdeutschen Staates scheint es beinah unvermeidbar, nicht minder energisch in das hier zitierte Urteil Heiner Müllers, des womöglich wichtigsten und einflussreichsten Intellektuellen der DDR, einzustimmen. Und dennoch, trotz aller vermeintlichen kulturellen, politisch-moralischen, und nicht zuletzt wirtschaftlichen Überlegenheit des Westens, trifft Müllers Anprangerung genau ins Schwarze: Auf Personen kommt es nach wie vor an, wenn man bestrebt ist, die Geschichte der SED/DDR zu beschreiben, umso mehr, wenn – wie im Folgenden – deren Verbindungen zu nicht sozialistischen Ländern den Hauptuntersuchungsgegenstand darstellen. Viele der einschlägigen Akteure waren mir vor 2010, als ich eine internationale Konferenz über die Außenverbindungen der SED/DDR zu den „Bruderparteien“ Süd- und Westeuropas in der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SEDDiktatur in Berlin mit organisieren und leiten durfte, noch völlig unbekannt. Die Gespräche mit den Teilnehmenden bestärkten mich darin, den noch offenen Fragestellungen auf den Grund zu gehen. Der Co-Organisator jener Tagung, Prof. Dr. Arnd Bauerkämper, half mir maßgeblich dabei, den Blick auf Forschungskoordinaten der Verflechtungsgeschichte zu schärfen. Ihm bin ich dafür ebenso wie für die langjährige Zusammenarbeit zu besonderem Dank verpflichtet. Die Forschungsarbeiten zur vorliegenden Studie begannen am Friedrich Meinecke Institut der Freien Universität Berlin und wurden u. a. durch eine generöse Förderung der Fritz Thyssen Stiftung – welche die Entstehung dieses Buchs ebenso ermöglicht hat – unterstützt. Die Fertigstellung der Monografie verdanke ich Prof. Dr.Wolfgang Mueller, unter dessen Federführung die Arbeit als Habilitationsschrift an der Universität Wien eingereicht und Ende November 2020 von deren historisch-kulturwissenschaftlicher Fakultät angenommen wurde. Den Mitgliedern der Jury, den Professor*innen Peter Becker, Johanna Gehmacher, Alojz Ivanišević, Kerstin Susanne Jobst, Claudia Kraft, Oliver Rothkolb und Heiner Müller, Krieg ohne Schlacht. Leben in zwei Diktaturen, Köln 1992, S. 232. https://doi.org/10.1515/9783110748260-001
VI
Vorwort / Danksagung
Philipp Ther – vor denen ich im Januar 2021 mit einem Vortrag meine Habilitation abgeschlossen habe – sowie den Gutachter*innen, Prof. Dr. Mario Keßler, Prof. Dr. Sara Lorenzini und Prof. Dr. Barbara Stelzl-Marx, möchte ich für alle Anregungen und Kritik ebenso meinen Dank aussprechen. Die vielen Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen haben der Genese der Studie bedeutende Impulse gegeben: u. a. Prof. Dr. Stefan Berger, Prof. Dr. Patrizia Dogliani, Prof. Dr. Mark Kramer, Prof. Dr. Ulrich Pfeil, Prof. Dr. Silvio Pons und Prof. Dr. Hermann Wentker bin ich dafür sehr verbunden. Darüber hinaus kamen der Arbeit die wertvollen und akribischen Lektoratshinweise von Andrea Enders und Jan-Pieter Forßmann sehr zugute. Ihnen sowie allen fernen und nahen, hier nicht namentlich zu nennenden Freunden und Freundinnen, die in der letzten Dekade zu deren Genese beigetragen haben, schulde ich deshalb besondere Dankbarkeit. Meinen Eltern, die mich unaufhaltsam fordern und in jeglicher Hinsicht fördern, ist dieses Buch gewidmet. Nicht zuletzt sei meiner Frau, die mich mit sanfter Hand und ruhiger Entschlossenheit, mit schallender Liebe und unermüdlichem Beistand auch in schwierigen Zeiten unterstützt und erleuchtet hat, liebsten Dank ausgesprochen. Ohne Dich wäre dieses Buch nicht entstanden. Berlin, Oktober 2021
Francesco Di Palma
Abkürzungsverzeichnis ADN AFP AMF ARCI BR BStU
Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst Agence France Presse Association des Maires de France Associazione Ricreativa e Culturale Italiana Brigate Rosse Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik CDU Christlich Demokratische Union Deutschlands CERES Centre d’études, de recherches et d’éducation socialiste CeSPI Centro Studi Politica Internazionale CSU Christlich-Soziale Union in Bayern DAFRIG Deutsch-Afrikanische Gesellschaft DAG Deutsch-Arabische Gesellschaft DC Democrazia Cristiana DEFA Deutsche Film AG DENOG Deutsch-Nordische Gesellschaft Deufra Deutsch-Französische Gesellschaft DEU-LAG Deutsch-Lateinamerikanische Gesellschaft DEUSASIG Deutsch-Südostasiatische Gesellschaft DGB Deutscher Gewerkschaftsbund DIG Deutsch-Italienische Gesellschaft DKP Deutsche Kommunistische Partei EFA Échanges Franco-Allemands EG Europäische Union EGB Europäischer Gewerkschaftsbund EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung FDGB Freier Deutscher Gewerkschaftsbund FGCI Federazione Giovanile Comunista Italiana FGDS Fédération de la Gauche Démocrate et Socialiste FIAT Fabbrica Italiana Automobili Torino FILEF Federazione italiana dei lavoratori emigrati e famiglie FLN Nationale Befreiungsfront Algerien FMVJ Weltföderation der Partnerstädte FRELIMO Mosambikanische Befreiungsfront G7 Gruppe der Sieben GfkVA Gesellschaft für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland GO Grundorganisation HSKA Hessische Stiftung zur Erforschung von Konflikten und Frieden IPG Interparlamentarische Gruppe ISER Institut d’Études et des Recherches KfA Kammer für Außenhandel KI Kommunistische Internationale https://doi.org/10.1515/9783110748260-002
VIII
KKE KMEA Ko-Ko KPB/PCB KPD KPdSU KSZE MAW MFA MfAA MfS MJC NATO ND NÖS NSDAP OIRT PB PCCh PCE PCF PCI PCP PDS PDS PLI PRI PS PSDI PSI PSIUP PSU PVAP RBI RGW SALT SAPMO SDI SED SFIO SI SKP SPD SPK STAL UDR UNESCO
Abkürzungsverzeichnis
Kommounistikó Kómma Elládas / Kommunistische Partei Griechenlands Konferenz über militärische Entspannung und Abrüstung in Europa Kommerzielle Koordinierung Kommunistische Partij van België / Parti Communiste de Belgique Kommunistische Partei Deutschlands Kommunistische Partei der Sowjetunion Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Ministerium für Außenwirtschaft Movimento das Forças Armadas / Bewegung der Streitkräfte (Portugal) Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten Ministerium für Staatssicherheit Mouvement des Jeunes Communistes Nordatlantikpakt-Organisation Neues Deutschland Neues Ökonomisches System Nationalsozialistische Partei Deutschlands Organisation Internationale de Radiodiffusion et de Télévision Politbüro Kommunistische Partei Chiles Partido Comunista de España Parti Communiste Français Partito Comunista Italiano Partido Comunista Português Partei des Demokratischen Sozialismus Partito Democratico della Sinistra Partito Liberale Italiano Partito Repubblicano Italiano Parti Socialiste Partito Socialista Democratico Italiano Partito Socialista Italiano Partito Socialista di Unitá Proletaria Parti Socialiste Unifié Polnische Vereinigte Arbeiterpartei Radio Berlin International Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe Strategic Arms Limitation Talks Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR Strategic Defense Initiative Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Section française de l’Internationale ouvrière Sozialistische Internationale Suomen Kommunistinen Puolue / Kommunistische Partei Finnlands Sozialdemokratische Partei Deutschlands Staatliche Plankommission Staatliche Auflagen Union pour la Nouvelle République Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur
Abkürzungsverzeichnis
UNO USA V VEB WBDJ WGB ZK
Vereinte Nationen United States of America Vänsterpartiet / Schwedische Linkspartei Vertriebseigene Betriebe Weltbund der Demokratischen Jugend Weltgewerkschaftsbund Zentralkomitee
IX
Inhalt Einleitung
1
Kapitel 1 Der „Prager Frühling“ und die Erschütterung der kommunistischen Welt 39 (1968 – 1970) 39 „Prager Frühling“ zwischen Ost und West . Die DDR und Europa: Anerkennung und Spielräume 40 . Der PCI am Vorabend der Niederschlagung des „Prager 43 Frühlings“ . Die Weltkonferenz der Kommunistischen Parteien (1966 – 1968) 47 Der PCF am Vorabend der Niederschlagung des „Prager 60 Frühlings“ . Französische Innenpolitik gegen Ende der sechziger Jahre 61 . Gespräche mit Sozialdemokraten und Sozialisten 63 . Französische Kommunisten vor den Herausforderungen des „schrecklichen Jahrs“ 1968 67 70 . Loyalität zur Sowjetunion Die SED am Vorabend der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ 76 . Außenpolitische Steuerungsstrukturen der SED in den sechziger 78 Jahren 84 . Anerkennungspolitik in den sechziger Jahren Dreiecksbeziehungen bis 1970 87 . Zwischen Kritik und Annäherung – SED und PCI 87 94 . Zur „Logik der Blöcke“ – SED und PCF . SED, PCI und PCF vor der Herausforderung des „Prager Frühlings“ 97 109 „Normalisierung“ und Verhärtung 1969 – 1970 125 Zwischenfazit
XII
Inhalt
Kapitel 2 Dreiecksbeziehungen im Lichte des aufkommenden Eurokommunismus (1971 – 1975) 131 131 Die SED vor der Anerkennungsfrage . Die internationale Ausgangslage 131 . Die SED innenpolitisch sowie im „internationalen 132 Konzert“ Der PCI vor dem Machtwechsel 135 140 Dreiecksbeziehungen Anfang der siebziger Jahre Anerkennung und Spielräume 150 . Feindseliges Westeuropa? SED und PCF 150 155 . Ost- und Westpolitik von SED und PCI Die SED und der Eurokommunismus des PCI und des PCF 162 . Der PCF und die Linksunion 162 165 . Der PCI und die „Frage des Weges zur Macht“ . Differenzierung und opportunistische Annäherung: die SED und 166 der westeuropäische Kommunismus Die SED und der Reformkommunismus 178 Die Beziehungen zwischen dem PCF und der SED auf translokaler sowie auf Parteivorstandsebene 193 Die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) und ihre Auswirkungen auf die 200 Dreiecksbeziehungen . Dreiecksbeziehungen im Lichte der KSZE-Vorbereitung 202 . Bilaterale Beziehungen vor einem plötzlichen Kurswechsel: PCI und PCF Mitte der siebziger Jahre 210 Zwischenfazit 222 Kapitel 3 „Neuer Internationalismus“ und Opportunismus. Die SED, der PCF und der PCI 227 in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre (1976 – 1980) Frankreich und die DDR 227 235 Italien und die DDR Der PCI und der PCF in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre 246 . Die Ost-Berliner Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas 1976 248 . Unmittelbare Auswirkungen der Konferenz 251 Dreiecksbeziehungen in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre 254
Inhalt
. . . . . .
XIII
„Neuer Internationalismus“ statt „proletarischer Solidarität“ 274 Dreiecksbeziehungen im Schatten der KSZE-Nachfolgekonferenz in 275 Belgrad 1977 Der „Fall Moro“ und die SED 295 298 Exkurs: Beziehungen auf Gewerkschaftsebene Der PCF zwischen Loyalität zu Moskau und forcierter 311 Erneuerung 313 Der PCF am Ende der siebziger Jahre Ideologisch-politischer Hintergrund: zur Rolle des „Etatismus“ 315 317 SED, PCF und PCI nach dem Bruch der Linksunion Zwischen Détente und Wiederverschärfung des Kalten Krieges 321 335 PCI, PCF und die Sozialdemokratie Die außenpolitischen Steuerungsstrukturen der SED 338 346 Zwischenfazit
Kapitel 4 Ernüchterte Dreiecksbeziehungen im Zeichen des späten Kalten Krieges 349 (1981 – 1985) 349 Der „zweite Kalte Krieg“ und die Ost-West-Beziehungen Dreiecksbeziehungen im Schatten der Wiederaufrüstung 354 . Zu den trilateralen Beziehungen zwischen dem PCI, dem PS und 367 der SPD . Die SED und die Beziehungen zum PCI und PCF im Schatten technischer und ökonomischer Schwierigkeiten 370 . Die Grundorganisation der SED in Rom zwischen finanzieller Not und gegenseitiger politischer Schuldzuweisung 378 392 Der „Fall Seine-Saint-Denis“ Bilaterale Beziehungen zwischen SED und PCF auf dem Tiefstand 394 398 Die Botschaft der DDR in Paris . Rechtliche Unstimmigkeiten bei der außenpolitischen Arbeit in Frankreich 402 . Die „richtungsweisende“ Vereinbarung für die Arbeit der Pariser Botschaft in den achtziger Jahren 405
XIV
.
. . . . . . . . . .
Inhalt
Frankreich und die DDR Mitte der achtziger Jahre 406 Der Besuch von Premierminister Laurent Fabius in Ost-Berlin zwischen propagandistischer Rhetorik und wirtschaftlichem Pragmatismus 408 Das Frankreichbild der SED 412 416 Der Italien-Kredit an die DDR 1979 – ein Rückblick 417 Die kurzen achtziger Jahre der DDR Der PCF in der ersten Hälfte der achtziger Jahre 425 431 Zwischen Identitätskrise und Wahldebakel Regierungsverantwortung und Europa-Wahl im Zeichen des allmählichen Untergangs (1981 – 1984) 432 437 Der PCI in der ersten Hälfte der achtziger Jahre Außenpolitik und die „neue alte“ Rolle als Oppositionspartei 439 443 Der Tod Berlinguers und die Krise des PCI Die Rolle von Städtepartnerschaften für das trilaterale 445 Verhältnis DDR-Frankreich 446 DDR-Italien 464 Fazit: Städtepartnerschaften als Austauschplattform und 476 „Trugbild“ 478 Kulturelle Beziehungen Italien-DDR 478 Frankreich-DDR 492 507 Zwischenfazit
Kapitel 5 Die Perestroika und der Zusammenbruch der Kommunismen (1985 – 1990) 511 511 Perestroika als Zäsur und Möglichkeit: die „Idee Europa“ Der PCF zwischen Perestroika und Untergang 515 Der PCI in der „Nach-Berlinguer-Ära“ 524 534 Die SED in der Ära von Perestroika und Glasnost . Die internationale Zusammenarbeit 544 . Das Dreiecksverhältnis SED-PCF-PCI im Zeichen des Niedergangs 552 (1986 – 1990) . Ausblick 560 Zwischenfazit 565 Fazit: Pragmatischer Ost-West-Kommunismus
569
Inhalt
Quellen und Literatur 588 I Zeitzeugeninterviews II Ungedruckte Quellen III Gedruckte Quellen IV Literatur 595 Index
630
588 588 594
XV
Einleitung 1 Problemstellung und analytischer Rahmen „Les communistes, quant à eux, nʼont ni organisation europèenne, ni discipline internationale, ni parti dominant. Des idées communes les animent au niveau de la CEE, sʼagissant des intérêts des travailleurs, des libertés, de la coopération et de la paix.“¹ So kommentierte Jacques Denis, hochrangiger und mit außenpolitischen Aufgaben betrauter Funktionär des PCF, die Rolle und Bedeutung der (west‐)europäischen Kommunisten Ende der siebziger Jahre. Mit idées communes hob er offensichtlich auf den damals in seinem Zenit stehenden Eurokommunismus ab, jene reformistische Lehre, an der die Geschlossenheit des Sozialismus diesseits des „Eisernen Vorhangs“ paradoxerweise zerbrechen sollte. Herrschte demgemäß tatsächlich ideologische Einigkeit unter den kommunistischen Parteien Europas? Galt eine solche Übereinstimmung auch über die Blöcke hinweg oder dienten die Worte Denisʼ ausschließlich propagandistischen Zwecken? Rund drei Dekaden nach dem Zusammenbruch der ehemaligen Sowjetunion beabsichtigt die vorliegende Arbeit, Möglichkeiten und Grenzen des Dialogs bzw. der gegenseitigen Einflussnahme zwischen west- und osteuropäischem Kommunismus herauszustellen und zu bewerten. Dass dabei sowohl die beiden wichtigsten westeuropäischen „Bruderparteien“, der Partito Comunista Italiano (PCI) und der Parti Communiste Français (PCF), als auch der östliche „Musterknabe“, die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED), in den Blick geraten, drängt sich geradezu auf. Eine solche Konzeption der Studie ist mit der strategischen Bedeutung, aber auch mit der politischen und ideologischen Entwicklung der drei Parteien zu begründen, deren Politik in vielerlei Hinsicht als exemplarisch für die späte Phase des Kommunismus angesehen werden kann. In beiden hier untersuchten westeuropäischen Ländern, Italien und Frankreich, erreichten die sozialen Proteste und Konflikte um das Jahr 1968 erstmals eine unerwartete Schärfe. Die Auseinandersetzungen zeigten vor allem, dass ein immer größer werdender Teil der Gesellschaft grundsätzlich unzufrieden mit den von den jeweiligen Regierungen verfolgten Kursrichtungen war. Gefordert wurden
„Die Kommunisten haben, was sie anbelangt, weder europäische Organisationen, noch eine internationale Disziplin, geschweige denn eine führende Bezugspartei. Getragen werden sie von gemeinsamen Ideen auf der Ebene der EWG, so bezüglich der Interessen der Arbeitnehmer, der Freiheiten, der Zusammenarbeit und des Friedens [Übers. durch den Autor].“ Zit. Jacques Denis, interviewt von Heinz Timmermann, in: Archives du Parti communiste français (fortan APCF), Polex, 261 J KKK J (Dossier), Réponses à l’interview de Timmermann, Oktober 1977, hier S. 35. https://doi.org/10.1515/9783110748260-003
2
Einleitung
eine rasche soziokulturelle Modernisierung sowie eine entsprechende Anpassung der politischen Institutionen und Verfahren. Die kommunistischen Parteien Westeuropas griffen diese Protestbewegungen oft nur plakativ auf, boten dabei aber immerhin – so in Italien und Frankreich – eine wichtige Diskussionsplattform. Schnell wurde jedoch klar, dass auch die traditionellen Vertreter der Arbeiterbewegung – sowohl die sozialistischen „Bruderparteien“ als auch die gewerkschaftlichen wie zivilgesellschaftlichen Organisationen – dem Druck zur Modernisierung nicht standhalten konnten, da ihnen adäquate Lösungsvorschläge fehlten. Die Notwendigkeit einer grundlegenden ideologischen Neuorientierung und politischen Reform drängte sich somit auch im kommunistischen Milieu auf. Dies war die Geburtsstunde des Eurokommunismus, dessen Erörterung im Folgenden einen wichtigen Stellenwert einnehmen soll. Es handelte sich dabei um ein Konzept des „dritten Weges“ zwischen westlicher Sozialdemokratie und östlichem Marxismus-Leninismus, das meistens unter Federführung des Vorsitzenden des PCI, Enrico Berlinguer, entwickelt und vorangetrieben wurde. Seinerzeit ist viel darüber diskutiert bzw. geschrieben worden, ob und inwieweit der Eurokommunismus als ideologische und soziokulturelle Initiative zu betrachten sei, die den westlichen Parteikommunismus hätte reformieren und neu ausrichten können, insbesondere angesichts des ab 1968 an Ausstrahlungskraft einbüßenden Sowjetkommunismus, was den Kommunismus des Westens möglicherweise vor seinem Untergang bewahrt hätte – oder ob er nicht vielmehr als dessen „Sargnagel“ aufzufassen sei.² Diese Diskussion kann hier nicht ausführlicher nachgezeichnet werden, denn sie ist nicht Gegenstand dieser Studie. Dennoch stellt der Eurokommunismus für die im Folgenden behandelten Themenkomplexe und insbesondere für die Entwickung der beiden westeuropäischen kommunistischen Parteien PCF und PCI einen bedeutenden Hintergrund dar. Der Haupttitel dieser Monografie, „Trouble for Moscow?“, geht auf den von Edward Crankshaw verfassten, am 12.02.1978 in der New York Times erschienenen Artikel „Europe’s Reds: Trouble for Moscow“ zurück. Abgehoben wird darin auf die damals beträchtliche Wählerstärke und vermeintlich zunehmende politische Verselbstständigung einiger westeuropäischer kommunistischer Parteien gegenüber der sowjetischen „Mutterpartei“. Diese hatte in den 1970er Jahren mit großer Sorge die Zusammenarbeit führender „eurokommunistischer“ Politiker verfolgt, die im März 1977 ihren vorläufigen Höhepunkt in der Madrider Tagung von PCI, Hierüber u. a. Fernando Claudin, Die Krise der kommunistischen Bewegung, Berlin 1978; Karin Priester, Hat der Eurokommunismus eine Zukunft?, München 1982; Günter Trautmann, Eurokommunismus – Ein „dritter Weg“ europäischer Arbeiterparteien, in: Archiv für Sozialgeschichte, Bd. XXVI, Bonn 1986, S. 602– 628.
1 Problemstellung und analytischer Rahmen
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PCF und der Kommunistischen Partei Spaniens (PCE) erreichen sollte. Die KPdSU stufte das Meeting als ernste Gefahr ein, denn es handle sich darum, „als Ergebnis des Treffens eine Plattform des sogenannten Eurokommunismus zu beschließen und sie im Namen der drei Parteien zu verkünden.“ Diese Plattform, so hieß es darüber hinaus, sei „von einer unobjektiven Kritik an den Ländern des Sozialismus durchdrungen […]“, worauf die klare Feststellung sowie die Aufforderung an die „Bruderparteien“ folgte: „Wir würden es für wichtig halten, derartigen Plänen entgegenzuwirken […].“³ Der Gipfel endete tatsächlich in der Veröffentlichung einer gemeinsamen Erklärung der Generalsekretäre Enrico Berlinguer (PCI), Georges Marchais (PCF) und Santiago Carrillo (PCE), die u. a. die zentralen Ziele des Pluralismus, der Unabhängigkeit der Presse und der Respektierung des allgemeinen Wahlrechts, der Denk- und Meinungsfreiheit zum Inhalt hatte. Ob und inwieweit diese Gefahr gebannt werden konnte, soll in den folgenden Kapiteln erörtert werden. Die Krise des Jahres 1968, die den Beginn der Untersuchung markiert, legte die Perspektivlosigkeit des westlichen Parteikommunismus radikal offen. Sowohl im PCF als auch im PCI regte sich daher das Bedürfnis, neue Wege zu suchen, die eigene Rolle innerhalb der Gesellschaft zu hinterfragen und die spezifischen politischen Ziele einer umfassenden Revision zu unterziehen. Im Zuge dieses Prozesses, der sich über die siebziger und achtziger Jahre erstreckte, suchten die Führungsgremien des PCF und PCI den Kontakt zu SED-Politikern und anderen politischen wie „zivilgesellschaftlichen“ Akteuren in der DDR. Die Rekonstruktion dieser Verbindungen sowie ihre Tragweite, Zweckmäßigkeit und Auswirkungen auf die involvierten Teilnehmer bilden das Hauptziel dieser Arbeit. Dabei verlief die Kommunikation zwischen Ost und West nicht selten über unterschiedliche Kanäle und bediente sich der Vermittlung durch Dritte, weshalb in diesem Zusammenhang auch die Rolle der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) sowie des Parti Socialiste (PS) Frankreichs zu beleuchten sein wird. In den ersten Jahren nach der Jahrtausendwende wurde von vielen Seiten kritisch angemerkt, dass die DDR-Forschung nach einem furiosen Start bereits stagniere bzw. dass sie zu selbstreferentiell und isoliert betrieben werde.⁴ Daraus
Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (fortan SAPMO-BArch), DY/30/IV B 2/20/188, Ohne Titel (Streng vertraulich vom ZK der KPdSU an die SED), über Büro Markowski, Berlin 14.02.1977, S. 2. Hierzu u. a. die Kritik von Jürgen Kocka, Bilanz und Perspektiven der DDR-Forschung. Hermann Weber zum 75. Geburtstag, in: Deutschland Archiv 36 (2003), S. 764– 769, hier insbesondere S. 768; Thomas Lindenberger, Havarie. Die sozialistische Betriebsgemeinschaft im Ausnahmezustand, in:
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Einleitung
entstand eine rege Kontroverse, die sich mit verschiedenen Problemen und Aspekten befasste, so etwa mit den jeweiligen Inhalten und Konzepten der einschlägigen Forschung sowie mit deren Perspektiven und Untersuchungsansätzen.⁵ Trotz einer Vielzahl von Anregungen und konzeptionellen Überlegungen, die für einen transnationalen Ansatz bei der Aufarbeitung und Ausleuchtung der SED-Geschichte plädierten, wurde der ostdeutsche Staat dennoch weiterhin vor allem isoliert betrachtet. Jüngere wissenschaftliche Untersuchungen versuchen diese Verengung zu überwinden. So sind u. a. Vergleiche mit anderen „real sozialistischen“ Staaten und Gesellschaften vorgenommen worden, die sich jedoch überwiegend auf Protestbewegungen sowie auf die Gründe und Hintergründe für den Zusammenbruch der staatssozialistischen Diktaturen in den achtziger Jahren konzentrieren.⁶ Die vorliegende Untersuchung ist nicht als traditionelle Geschichte der internationalen Beziehungen der SED bzw. der DDR zu Italien und zu Frankreich in der Spätphase des Kalten Krieges konzipiert. Sie soll vielmehr dazu dienen, das breite Spektrum der zu diesem Thema erschienenen Abhandlungen durch einen umfassenden Blick auf mannigfaltige Wechselbeziehungen und -wirkungen zu bereichern, mittels Darstellung und Analyse der Interaktionen zwischen der SED und den beiden einflussreichsten kommunistischen Parteien Westeuropas, dem PCI und dem PCF.⁷ Im Gegensatz zu den bereits veröffentlichten Studien, die sich vor allem den jeweils bilateralen Verbindungen widmen, also von SED und PCI oder SED und PCF – seltener von PCF und PCI – , wird hier das Beziehungsgeflecht im trilateralen Rahmen ausgeleuchtet und kritisch nachgezeichnet. Innovativ ist dabei nicht nur der analytische und methodologische Ansatz der Untersuchung, Thomas Lindenberger u. Martin Sabrow (Hg.), German Zeitgeschichte. Konturen eines Forschungsfeldes, Göttingen 2016, S. 242– 264. Dazu u. a. Henrik Bispinck / Dierk Hoffmann / Michael Schwartz / Peter Skyba / Matthias Uhl / Hermann Wentker, DDR-Forschung in der Krise? Defizite und Zukunftschancen – Eine Entgegnung auf Jürgen Kocka, in: Deutschland Archiv 36 (2003), S. 1021– 1026; Ulrich Mählert u. Manfred Wilke, Die DDR-Forschung – ein Auslaufmodell? Die Auseinadersetzung mit der SED-Diktatur seit 1989, in: Deutschland Archiv 37 (2004), S. 465 – 474; Thomas Lindenberger u. Martin Sabrow, Zwischen Verinselung und Europäisierung: Die Zukunft der DDR-Geschichte, in: Deutschland Archiv 37 (2004), S. 123 – 127. Siehe hierzu u. a. David Doellinger, Turning Prayers Into Protests: Religious-Based Activism and Its Challenge to State Power in Socialist Slovakia and East Germany, New York 2013; Alexander von Plato, Opposition als Lebensform: Dissidenz in der DDR, der ČSSR und in Polen, Berlin 2013; György Dalos, Der Vorhang geht auf: das Ende der Diktaturen in Osteuropa, Bonn 2009. In der Studie wird am männlichen Genus für die Parteiakronyme PCI und PCF festgehalten, wie es auch in der einschlägigen deutschsprachigen Forschung immer öfter der Fall ist. Maßgeblich für diese Festlegung ist die Orientierung an den Parteibezeichnungen in der Originalsprache, „il PCI“ bzw. „le PCF“.
2 Stand der Forschung
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der das trilaterale Verhältnis in den Vordergrund rückt. Hinzu kommt die Konzentration auf die Geschichte der Parteien unter Einbeziehung aller zivilgesellschaftlichen und kulturellen Einflüsse und Querverbindungen sowie, im Falle der Staatspartei SED, aller handels- und versorgungstechnischen Belange. Die vorliegende Studie setzt sich dabei deutlich vom normativen Diktat des analytisch-empirischen Forschungsansatzes der klassischen Parteiengeschichte ab, der die Forschung lange dominiert hat und zu Verallgemeinerungen und theoretischen Forcierungen führte.⁸ Dies hing einerseits mit den allgemeinen Rahmenbedingungen einer politisch und gesellschaftlich bipolaren Welt zusammen, andererseits mit dem daraus resultierenden engen Korsett an Kategorisierungen, Funktionszuweisungen und Begriffserklärungen, wodurch den Parteien der spezifisch kulturelle und soziale Gehalt ihrer Interessenpolitik abgesprochen und die Vielfalt ihrer jeweiligen nationalen und lokalen Merkmale schlichtweg negiert wurde. Dies hat sich in den letzten zwei Dekaden stark gewandelt. Mittlerweile hat man sich übereinstimmend auf unterschiedliche Handlungsfelder der Parteien geeinigt. In jüngster Zeit hebt die historische Forschung insbesondere die Sphäre der rational choice bei der Auswahl und Durchsetzung politischer Profile von Parteien hervor, d. h. die Bedeutung der Vermittlung von politisch-kulturellen Inhalten gegenüber dem reinen Streben nach politischen Ämtern. Vielmehr wird beabsichtigt, mittels gezielter Zugriffe die Rolle der agency bzw. der „Performanz“ im Hinblick auf die Gestaltung und Steuerung außenpolitischer Aktivitäten, sowohl internationaler als auch transnationaler Natur, auszuleuchten.⁹
2 Stand der Forschung Die Geschichte der beiden wichtigsten westeuropäischen kommunistischen Parteien, PCI und PCF, ist in zahlreichen Einzelstudien rekonstruiert worden. Auch vergleichende Untersuchungen zu beiden Parteien liegen vor.¹⁰ Eine systemati Zu diesen Zusammenhängen siehe u. a.Wolfgang C. Müller u. Kaare Strom, Political Parties and Hard Choice, in: Wolfgang C. Müller u. Kaare Strom (Hg.), Policy, Office or Votes? How Political Parties in Westen Europe Make Hard Decisions, Cambridge 1999, S. 1– 35; Steven B. Wollinetz, Beyond the Catch-All Party: Approaches to the Study of Parties and Party Organization, in: Richard Gunther / José Ramón Montero / Juan L. Linz (Hg.), Political Parties: Old Concepts and New Challenges, Oxford 2002, S. 136 – 165; Thomas Saalfeld, Parteien und Wahlen, Baden-Baden 2007. Auf die Begriffe „Performanz“ und agency wird im Unterkapitel „Theoretischer Ansatz, Methoden und Quellen“ ausführlich eingegangen. Siehe u. a. Marco Di Maggio, Les intellectuels et la stratégie comuniste, Paris 2013; Marco Di Maggio, PCI, PCF et la notion de „centre“. Enjeux stratégiques et questions identitaires des PC de l’Europe occidentale, in: Cahiers d’histoire. Revue d’histoire critique, 112– 113, 2010, S. 25 – 44;
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Einleitung
sche Analyse der politischen Beziehungen beider Parteien zur SED fehlt jedoch bisher. Diese Lücke soll mit vorliegender Studie geschlossen werden. Außerdem befassen sich die bereits vorhandenen Forschungsbeiträge über die bilateralen Beziehungen (PCI-SED und PCF-SED) lediglich mit der offiziellen, auf der Ebene der Regierungen betriebenen Politik der Parteien. Sie haben sich dabei auf den kulturellen und wirtschaftlichen Austausch und die ersten Jahrzehnte nach 1945 konzentriert.¹¹ Cyrille Guiat, The French and Italian Communist Parties: Comrades and Culture, London 2003, worin jedoch lediglich zwei lokale Fallstudien analysiert werden, Reggio Emilia und Ivry-surSeine; Marc Lazar, Les Partis communistes français et italien de la Libération à nos jours, Paris 1992; ferner auch Sante Cruciani, Histoire d’une rencontre manquée: PCF et PCI face au défi de la construction communautaire (1947 – 1964), in: Cahiers d’histoire. Revue d’histoire critique 112/113, 2010, S. 57– 76; Donald Blackmer u. Sidney Tarrow (Hg.), Communism in Italy and France, Princeton 1975. Vgl. Hans-Jürgen Fink, Die DDR und der Westen. Probleme und Interessen, in: Deutschland Archiv 12 (1979) 3, S. 290 – 302; Johannes Kuppe, Die DDR und der Westen. Die Beziehungen zu den drei Westmächten, in: Deutschland Archiv 12 (1979) 12, S. 1299 – 1311; Hans-Adolf Jacobsen (Hg.), Drei Jahrzehnte Außenpolitik der DDR. Bestimmungsfaktoren, Instrumente, Aktionsfelder, München/Wien 1980; Hans-Joachim Veen u. Peter R. Weilemann (Hg.), Die Westpolitik der DDR. Beziehungen der DDR zu ausgewählten westlichen Industriestaaten in den 70er und 80er Jahren, Melle 1989; Ulrich Pfeil (Hg.), La RDA et l’Occident 1949 – 1990, Asnières 2000; Johannes Lill, Völkerfreundschaft im Kalten Krieg? Die politischen, kulturellen und ökonomischen Beziehungen der DDR zu Italien 1949 – 1973, Frankfurt a. M. 2001; Charis Pöthig, Italien und die DDR: die politischen, ökonomischen und kulturellen Beziehungen von 1949 bis 1980, Frankfurt a. M. 2000. In diesen Studien kommt der Analyse der politischen Zusammenarbeit und der Kontraste zwischen der PCI und der SED jeweils bis 1973 und 1979 – 80 nur eine marginale Bedeutung zu. Außerdem: Magda Martini, La cultura all’ombra del muro. Relazioni culturali tra Italia e DDR (1949 – 1989), Bologna 2007 und Marco Paolino, Intellettuali e politica nel periodo della „Guerra Fredda“: i rapporti culturali fra il Partito Comunista Italiano e la Repubblica Democratica Tedesca, in: Sandro Rogari (Hg.), Partiti e movimenti politici fra Otto e Novecento. Studi in onore di Luigi Lotti, Florenz 2004, S. 999 – 1018. Hier wird ausschließlich der kulturelle Austausch dargestellt. Einen weiteren besonders wichtigen Themenkomplex bildet die Erforschung der Integrationspolitik der kommunistischen Parteien Europas, auf welchen die vorliegende Arbeit ebenso gebührenden Bezug nimmt. Hierzu siehe Klaus-Peter Schmidt, Die Europäische Gemeinschaft aus Sicht der DDR, Hamburg 1991; José Gotovitch / Pascal Delwit / Jean-Michel de Waele, L’Europe des communistes, Brüssel 1992; Mauro Maggiorani, LʼEuropa degli altri. Comunisti italiani e integrazione europea: 1957 – 1969, Rom 1998; Linda Risso, Against Rearmament or Against Integration? The PCI and PCF’s Opposition to the European Defence Community and the Western European Union, in: Journal of European Integration History (JEIH) 13:2, 2007, S. 11– 31; Maude Bracke, From the Atlantic to the Urals? Italian and French communism and the question of Europe, 1956 – 1973, in: Journal of European Integration History (JEIH) 13:2, 2007, S. 33 – 53; A.S. Namazova / B. Emmerson (Hg.), Istorija Evropejskoj integracii 1945 – 1994, Moskau 1995; Vladislav Zubok, The Soviet Union and European Integration from Stalin to Gorbachev, in: JEIH 2:1, 1996, S. 85 – 98; Jana Wüstenhagen, Blick durch den Vorhang. Die SBZ/DDR und die Integration Westeuropas (1946 – 1972), Baden-Baden
2 Stand der Forschung
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Demgegenüber fehlt besonders für die Zeit zwischen 1968 und 1989 eine einschlägige Arbeit, welche der Reichweite der Diskussionen über die marxistisch-leninistischen Theorien sowie über Möglichkeiten einer Zusammenarbeit auch mit nicht-kommunistischen Organisationen bis zum Fall der Berliner Mauer Rechnung trägt. Dies soll hier durch die Analyse der trilateralen Verflechtungen und im Hinblick auf die Entwicklung der jeweiligen politisch-programmatischen Ziele der drei Parteien geleistet werden. Zu den in der Historiografie nur unzureichend untersuchten Berührungspunkten zählen auch Einmischungs- und Infiltrierungsversuche¹² sowie deren Ausmaß, Folgen und Akteure. Bisher wurde generell angenommen, dass der PCI und der PCF bis Anfang der siebziger Jahre insgesamt eher ähnliche Merkmale aufwiesen,¹³ zumal beide jenseits des „Eisernen Vorhangs“ und in einem demokratisch-parlamentarischen Umfeld agierten. Diese Annahme greift bei genauerem Hinsehen aber zu kurz, wie hier gezeigt werden soll. Außerdem trägt die Gegenüberstellung von PCI, PCF und SED auch
2001; Mikhail Narinski, La construction européenne vue par l’URSS de 1948 à 1953, in: Saki Dockrill u. a. (Hg.), L’Europe de l’Est et de l’Ouest dans la Guerre froide 1948 – 1953, Paris 2002, S. 61– 72; Viktor Zaslavsky, L’atteggiamento sovietico verso l’integrazione europea, in: Piero Craveri u. Gaetano Quagliariello (Hg.), Atlantismo ed Europeismo, Soveria Mannelli 2003, S. 51– 70; MariePierre Rey, Le retour à l’Europe? Les décideurs soviétiques face à l’intégration ouest-européenne, 1957 – 1991, in: JEIH 11:1, 2005, S. 7– 27; Carl A. Krethlow, Wirtschaftskrieg und Monopolkapital. Das Bild der europäischen Gemeinschaft in der sowjetischen Presse 1979 bis 1985, Bern 2006; Wolfgang Mueller, Die UdSSR und die europäische Integration, in: Michael Gehler (Hg.), Vom gemeinsamen Markt zur europäischen Unionsbildung, Wien 2009, S. 617– 662; Suvi Kansikas, Trade Blocs and the Cold War: The CMEA and the EC Challenge 1969 – 1976, Diss., Helsinki 2012; Angela Romano u. Federico Romero (Hg.), European Socialist Regimes Facing Globalisation and European Co-operation, European Review of History 21:2, 2014; Piotr M. Kosicki, The Soviet Bloc’s Answer to European Integration: Catholic Anti-Germanism and the Polish Project of a ‘Catholic-Socialist’ International, in: Contemporary European History 24:1, 2015, S. 1– 36; José M. Faraldo / Paulina Gulińska-Jurgiel / Christian Domnitz (Hg.), Europa im Ostblock. Vorstellungen und Diskurse (1945 – 1991). Europe in the Eastern Bloc. Imaginations and Discourses (1945 – 1991), Köln – Weimar – Wien 2008; darin insbesondere José M. Faraldo, Die Hüterin der europäischen Zivilisation: Kommunistische Europa-Konzeptionen am Vorabend des Kalten Krieges, S. 91– 109 sowie Jan C. Behrends, Völkerfreundschaft und Amerikafeindschaft: Ilja Ehrenburgs Publizistik und das Europabild des Stalinismus, S. 125 – 144; György Péteri, Imagining the West in Eastern Europe and the Soviet Union, Pittsburgh 2010; Angela Romano, Untying Cold War Knots: The EEC and Eastern Europe in the Long 1970s, in: Cold War History 10:1, 2013, S. 1– 21. Vgl. Bruno Schoch, Die internationale Politik der italienischen Kommunisten, Frankfurt a. M. 1988, S. 234– 235. Vgl. Guiat, The French; Roger Bourderon u. a., Le PCF, étapes et problèmes, 1920 – 1972, Paris 1981; Danièle Tartakowsky, Une histoire du PCF, Paris 1982; Roger Martelli, Communisme français. Histoire sincere du PCF, 1920 – 1984, Paris 1984; Stéphane Courtois u. Roger Martelli, Où en est l’histoire du PCF?, in: Le Débat, September 1984, S. 149 – 177.
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methodologisch zum besseren Verständnis der Außenpolitik der ostdeutschen Staatspartei bei. Ihre Entwicklung war nämlich in Teilen durch Einflüsse aus Westeuropa gekennzeichnet, insbesondere durch den Dialog mit den kommunistischen Organisationen Italiens und Frankreichs sowie mit sozialistischen und sozialdemokratischen Kräften, was in der Historiografie bislang nur selten Beachtung fand.¹⁴ Der Begriff Eurokommunismus, an dem sich die Geister in den beiden Parteien der siebziger Jahre schieden, nimmt eine Schlüsselrolle ein. Von zentraler Bedeutung ist die noch weitgehend unerforschte Frage, wie sich die SED zu dieser Entwicklung verhielt und ob bzw. inwieweit Impulse aus dem „demokratischen“ Kommunismus besonders im Verlauf der achtziger Jahre auch in Ostdeutschland auf Resonanz stießen. All dies wird hier in Rechnung gestellt und erläutert, indem der auf verschiedenen Ebenen stattfindende trilaterale Austausch über theoretische Ansätze und politische Strategien nachgezeichnet wird.
3 Zeitraum, Fragestellungen und Ziele Die Arbeit bezieht sich auf den Zeitraum von 1968 bis zum Zusammenbruch des Kommunismus 1989/90. Die unmittelbare Vorgeschichte wird anhand der veröffentlichten Literatur einbezogen. Der relativ lange Untersuchungszeitraum wird gewählt, um den Wandel nachzuvollziehen, der zunächst zu einer weitgehenden Stabilisierung, anschließend jedoch zur schleichenden Erosion und schließlich zum schlagartigen Zerfall der drei kommunistischen Parteien¹⁵ und des staatssozialistischen Regimes in der DDR führte. Als Kernzeitraum des späten Staatssozialismus, der unmittelbar nach dem nachhaltig prägenden Jahr 1968 einsetzte und im Zentrum der Untersuchung steht, wird vor allem die „Ära Honecker-Marchais-Berlinguer“ (1971– 1989) untersucht, die durch wichtige Annäherungen und folgenschwere Blockaden gekennzeichnet
Lediglich die Beziehungen der SED zu Moskau und zu anderen Ostblockstaaten wurden ausfühlich untersucht. Ansätze zu einer „Transblock-Analyse“ finden sich u. a. in: Benno-Eide Siebs, Die Außenpolitik der DDR 1976 – 1989. Strategien und Grenzen, Paderborn 1999; Hermann Wentker, Außenpolitik in engen Grenzen: die DDR im internationalen System 1949 – 1989, München 2007; Ulrich Pfeil, Die anderen deutsch-französischen Beziehungen. Die DDR und Frankreich 1949 – 1990, Köln 2004; Hans-Adolf Jacobsen (Hg.), Drei Jahrzehnte Außenpolitik der DDR; Bestimmungsfaktoren, Instrumente, Aktionsfelder, München Wien Oldenburg 1979. Der PCF besteht zwar weiter, seine Mitgliederzahl und Wähleranteile sind jedoch seit 1989/90 erheblich geschrumpft. Bei den Parlamentswahlen 1988 konnte die Partei noch rund 11 %, 2017 nur 2,72 % der Stimmen auf sich vereinigen.
3 Zeitraum, Fragestellungen und Ziele
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war. Dabei soll das asymmetrische Verhältnis zwischen der Staatspartei SED und den in parlamentarischen Demokratien agierenden kommunistischen Parteien Frankreichs und Italiens im Kontext national und international bedeutsamer Ereignisse beleuchtet werden. Dazu gehören die Krisen in der Tschechoslowakei, in Polen und Afghanistan sowie der italienische „historische Kompromiss“ (compromesso storico) und der „deutsch-deutsche Dialog“. Das Augenmerk wird dabei auf die Auswirkungen dieser Ereignisse auf die Politik der kommunistischen Parteien und die Entscheidungen ihrer führenden Kader gerichtet. Die Untersuchung verfolgt zwei Hauptziele: Erstens werden die Außenbeziehungen der SED zu den beiden wichtigsten westeuropäischen kommunistischen Parteien nachgezeichnet. Diese – so die These – folgten eher machtpolitischem Kalkül denn der propagandistisch überhöhten sozialistischen Solidarität. Zweitens wird aufgezeigt, dass die Prozesse des Policy-Making¹⁶ im außenpolitischen Rahmen maßgeblich von Akteuren beeinflusst wurden, die dem ZK untergeordnet waren. Im Hinblick auf das Verhältnis der drei Parteien sind zunächst die gegenseitigen Wahrnehmungen zu rekonstruieren, auf denen die Interaktionen jeweils basierten. Darüber hinaus soll erörtert werden, welche Kontakte angebahnt und inwieweit auf einzelnen Politikfeldern Transfers vollzogen wurden. Schließlich ist zu analysieren, ob und auf welchen Ebenen sich punktuelle Übernahmen möglicherweise zu langfristig wirksamen wechselseitigen Beziehungen oder sogar zu symmetrischen oder asymmetrischen Verflechtungen verdichteten. Nicht zuletzt erforscht die vorliegende Studie die Folgen dieser unterschiedlichen und komplexen Prozesse für die Entwicklung der offiziellen Beziehungen auf Führungsebene einerseits und der informellen Netzwerke zwischen den Parteien andererseits. Die Unterschiede zwischen PCI und PCF mit Bezug auf den Eurokommunismus werden detailliert herausgearbeitet und im Kontext der bipolaren Weltordnung analysiert. Außerdem gilt es zu erklären, wie sich die SED zu dieser Entwicklung stellte und inwiefern Impulse aus der im Eurokommunismus ent Unter Policy-Making versteht man in der neueren und neuesten Politikwissenschaft das pragmatische (politische) und theoretische Gründgerust der Politikgestaltung. Dabei werden sowohl Beweggründe als auch Ideen und Überzeugungen als Faktoren zur Erklärung politischer Prozesse erfasst und berücksichtigt. Zentral für das hier vorgestellte Konzept ist der „lerntheoretische Ansatz“. Dem liegt die Überlegung zugrunde, wonach „politische Lernprozesse als Rückkoppelungsprozesse [zu deuten sind], bei denen politische Systeme auf von außen zugeführte Daten reagieren.“ Nils C. Bandelow, Lerntheoretische Ansätze in der Policy-Forschung, in: Matthias L. Maier / Frank Nullmeier / Tanja Pritzlaff (Hg.), Politik als Lernprozess?, Opladen 2003, S. 98 – 121, hier S. 99. Zum Begriff des Policy-Making, grundsätzlich Dieter Nohlen u. Rainer-Olaf Schultze (Hg.), Lexikon der Politikwissenschaft. Theorien, Methoden, Begriffe, München 2005 (Bd. 2).
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wickelten Konzeption eines nicht-dogmatischen Kommunismus auch in ihren Reihen bzw. in ihrem Hegemoniebereich rezipiert und interpretiert wurden. Auch wird systematisch untersucht, über welche Kanäle und zum Teil untergeordnete, lokale Organisationen dies geschah bzw. ob diese in diesem Zusammenhang auch semiautonom agieren konnten.¹⁷ Ein weiteres Forschungsfeld der vorliegenden Studie bildet die Arbeitsweise und Position des außenpolitischen Ressorts der SED¹⁸ als Exekutivorgan der Parteiführung und faktisch zuarbeitendes Organ der Regierungszentrale. Hier geht es um die Gestaltung der „Westpolitik“ mit besonderer Berücksichtigung der Italien- und Frankreichpolitik. Im Zentrum steht dabei die Frage, inwieweit den außenpolitischen Steuerungsstrukturen eine eigenständige Rolle als Policy-Akteur zwischen Politbüro und Gesellschaft zukam. Wie arbeitete man im Spannungsfeld von totalitärer Herrschaftspraxis und Überdehnung der Steuerungsfähigkeiten im meistens – Ausnahmen bildeten die weniger machtnahen Bereiche – „entdifferenzierten“¹⁹ politischen System der DDR? Einerseits sollen hierbei die systemtypische Grundstruktur der mit außenpolitischen Aufgaben betrauten Abteilungen mit ihren Querschnittsfunktionen – vor allem Instrukteursprinzip, Parteiinformationen und politische Bildung – und deren Wirkung auf Entscheidungsprozesse im historischen Wandel analysiert werden. Andererseits ist anhand von Fallstudien die Funktion der Fachabteilungen als Scharnierstellen für die Beratung und Entscheidungsvorbereitung der zuständigen ZKSekretäre bzw. des Politbüros sowie die Vorbereitung, Um- und Durchsetzung von entsprechenden Beschlüssen gegenüber den nachgeordneten staatlichen und Siehe hierzu Di Palma, Francesco, Die SED, der PCI und der Eurokommunismus (1968 – 1989). Akteure, Netzwerke, Deutungen, in: Bauerkämper, Arnd u. Di Palma, Francesco (Hg.), Bruderparteien jenseits des Eisernen Vorhangs. Die Beziehungen der SED zu den kommunistischen Parteien West- und Südeuropas (1968 – 1989), Berlin 2011, S. 149 – 167, hier S. 160 – 161. Erfasst werden dabei sowohl die Abteilung für Internationale Verbindungen beim ZK als auch das MfAA, wobei ersterer Vorrang gewährt werden muss, da sie die Außenbeziehungen zu den „Bruderparteien“ maßgeblich steuerte. Darüber hinaus kommen transnationale Bereiche in den Blick, so insbesondere Städtepartnerschaften und Freundschaftsgesellschaften. Hierzu u. a. Andrew I. Port, Die Rätselhafte Stabilität der DDR. Arbeit und Alltag im sozialistischen Deutschland, Berlin 2010; Ronald Gebauer, War die DDR eine entdifferenzierte Gesellschaft?: Ergebnisse einer Ereignisanalyse auf Basis der Daten des Zentralen Kaderdatenspeichers des Ministerrates der DDR, in: Historical Social Research, 28 (2003) 1/2, S. 216 – 246; Heinrich Best, Platzierungslogiken und Rekrutierungsregime von DDR-Funktionseliten: Ergebnisse einer Korrespondenzanalyse, in: Heinrich Best u. Roland Gebauer, (Dys)funktionale Differenzierung? Rekrutierungsmuster und Karriereverläufe von DDR-Funktionseliten, Jena 2002, S. 21– 32; Sabine Lorenz, Kommunaler Elitenwandel: Rekrutierung, Zusammensetzung und Qualifikationsprofil des lokalen administrativen Führungspersonals in Ostdeutschland, in: Stefan Hornbostel (Hg.), Sozialistische Eliten. Horizontale und vertikale Differenzierungsmuster in der DDR, Opladen 1999, S. 85 – 103.
3 Zeitraum, Fragestellungen und Ziele
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gesellschaftlichen Bereichen herauszuarbeiten. Dabei geht es um die Klärung der zentralen Fragestellung, wie sich die außenpolitischen Steuerungsinstanzen der SED gegenüber dem ihnen formell übergeordneten ZK verhielten und welche Kriterien ihren Umgang mit den westeuropäischen „Bruderparteien“ bestimmten: ‒ Konnten diese Institutionen oder zumindest einzelne ihrer Akteure gelegentlich auch eigenständig agieren und wenn ja, wie? ‒ In welchem Ausmaß und inwiefern folgten sie der „Linie“ der Parteiführung? ‒ Wichen sie dabei mitunter von einer „real sozialistischen“ Politik ab, um propagandistische und politische Ziele durchzusetzen? ‒ Welche Akteure bzw. Eliten waren dabei beteiligt und besonders einflussreich? Analysiert werden sollen so die Funktionsprinzipien und die Handlungsmacht der Abteilung für Internationale Verbindungen. Untersucht wird zudem ihr Verhältnis zu den sektoralen und territorialen Bürokratien und Institutionen, wie etwa zu den jeweiligen Botschaften in Rom und Paris oder zur Liga für Völkerfreundschaft beim ZK der SED, im Hinblick auf Entscheidungsprozesse, Prioritätskriterien und mögliche Konfliktfelder. Die Studie nimmt somit Bezug auf die Diskussion über die Bedeutung von gesellschaftlichen Steuerungsdefiziten des kommunistischen Systems infolge seiner funktionalen Entdifferenzierung und der weitgehenden Beseitigung von autonomen Subsystemen²⁰ mit eigenen Rationalitätskriterien.²¹
Rainer M. Lepsius, Die Institutionenordnung als Rahmenbedingung der Sozialgeschichte der DDR, in: Hartmut Kaelble / Jürgen Kocka / Hartmut Zwahr (Hg.), Sozialgeschichte der DDR, Stuttgart 1994, S. 17– 30. Entscheidungsabläufe und die Formulierung politischer Konzepte in der Parteiführung sind ein seit langem untersuchtes Feld der Kommunismusforschung. Sie haben unter den Bedingungen der hermetischen Abschottung der Innenwelt des Parteiapparates als Frage nach möglichen Fraktionen von „Hardlinern“ und „Softlinern“ bzw. „Modernisierern“ und „Traditionalisten“ in den Spitzengremien lange eine hohe Aufmerksamkeit genossen, auch im Journalismus. Schon seit den sechziger Jahren sind zudem – freilich auf denkbar schmaler Quellenbasis – institutionenanalytische Zugriffe erprobt worden, die nach der Wirkungsmacht unterschiedlicher Interessengruppen in an sich monolithisch strukturierten Systemen fragten. Das Hauptaugenmerk lag dabei auf dem Einfluss des sogenannten militärisch-industriellen Komplexes in den wirtschafts- und sicherheitspolitischen Entscheidungsnetzwerken der Sowjetunion. Nach Öffnung der Archive im einstmals kommunistischen Machtbereich haben sich die Problemstellungen und Befunde erheblich diversifiziert, wie die vorliegende Studie schon im Ansatz zeigt. Hierzu u. a. Silvio Pons / Juliane Fürst / Mark Selden, The Cambridge history of communism. Volume 3, Endgames? Late communism in global perspective, 1968 to the present, Cambridge 2017; H. Gordon Skilling u. Franklyn Griffith (Hg.), Pressure Groups in der Sowjetunion, Wien 1974; Egbert Jahn, Die Rolle des Rüstungskomplexes in der Sowjetgesellschaft, in: Dieter S. Lutz (Hg.), Die Rüstung der Sowjetunion. Rüstungsdynamik und bürokratische Strukturen, Baden-Baden 1979, S. 163 – 188;
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Insgesamt wird schließlich eine umfassende, zugleich problemorientierte und -fokussierte Untersuchung über Verlauf und Wandel der Beziehungen zwischen SED, PCI und PCF und zu deren Stellenwert für die drei Parteien vorgelegt. Dabei werden parteiinterne Entscheidungen zu den jeweiligen Querverbindungen und externe Einflüsse – vor allem vonseiten der KPdSU – auf Basis bisher nicht genutzter Quellen und neuer Aktenfunde nachvollzogen und erklärt. Letztlich zielt die Analyse damit auf eine Rekonstruktion grenzüberschreitender Transfers und Verflechtungen, zugleich aber auch auf die Identifizierung und Erklärung wechselseitiger Abgrenzungen und Konflikte zwischen den Parteien. Dabei muss in zeitlicher Hinsicht zwischen unterschiedlichen Phasen differenziert werden, so dass ein chronologisches Vorgehen mit jeweils zugeordneten Fragestellungen möglich wird.
Phasen, Probleme und Fragestellungen Die Studie befasst sich mit einer ersten Phase (1968 – 1970), die durch die Erschütterung der kommunistischen Welt im „schrecklichen Jahr“ 1968²² gekennzeichnet ist und den Beginn des Untersuchungszeitraums markiert. In dieser Phase wurde das zuvor auch in den westeuropäischen kommunistischen Parteien oft idealisierte „Modell Sowjetunion“ zusehends in Frage gestellt, so dass es zu einer sukzessiven Distanzierung und Entfremdung der westeuropäischen Kommunisten – die ansatzweise bereits 1956 eingesetzt hatte – gegenüber der KPdSU kam.²³ Wie die Reaktionen auf die Niederschlagung des „Prager Frühlings“ zeigten, fiel diese partielle Verselbstständigung der kommunistischen Parteien in Italien und Frankreich sehr unterschiedlich aus. Während der PCI den militärischen Einsatz der sowjetischen Streitkräfte in der Tschechoslowakei scharf verurteilte, kehrte der PCF nach einer kurzen Phase der Kritik zu einer konzilianten Haltung gegenüber den Moskauer Machthabern zurück. In der SED unterblieb eine Distanzierung sogar weitestgehend. Vor diesem Hintergrund ist zu analysieren, inwieweit sich der ab 1968 einsetzende Umbruch innerhalb der kommu-
David Holloway, Technologie und politische Entscheidungsgewalt in der sowjetischen Rüstungspolitik, in: Lutz, Rüstung, S. 189 – 229; Vernon V. Aspaturian, Gibt es einen militärisch-industriellen Komplex in der Sowjetunion?, in: Lutz, Rüstung, S. 231– 272. In Anlehnung an die gängige Bezeichnung des „anderen“ schrecklichen Jahres 1956. Vgl. Ingrid Gilcher-Holtey, Die 68er Bewegung: Deutschland, Westeuropa, USA, München 2001 und Peter Borowsky, Deutschland: 1963 – 1969, Hannover 1983. Vgl. Arnd Bauerkämper u. Francesco Di Palma (Hg.), Bruderparteien jenseits des Eisernen Vorhangs. Die Beziehungen der SED zu den kommunistischen Parteien West- und Südeuropas (1968 bis 1989), Berlin 2011.
3 Zeitraum, Fragestellungen und Ziele
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nistischen Weltgemeinschaft in der Auseinandersetzung mit Fragen der internationalen Politik und Sicherheit auf multilateraler Ebene niederschlug. Dazu werden folgende Fragen zu behandeln sein: ‒ Wie nahm die SED den PCI und PCF am Vorabend der kommunistischen Repression in Prag 1968 wahr? ‒ Inwiefern änderte sich diese Perzeption, als der PCF nach anfänglicher Kritik an der Gewaltanwendung auf eine gegenüber Moskau konforme Linie einschwenkte, der PCI aber als größte westeuropäische kommunistische Partei an seinem Einspruch festhielt?²⁴ ‒ Wie wurde der Schulterschluss der SED mit der KPdSU – jenseits der offiziellen Stellungnahmen der Vorstände – auf den unteren Ebenen der westeuropäischen kommunistischen Parteien wahrgenommen und diskutiert, also in den untergeordneten Abteilungen und in den regionalen bzw. lokalen Organisationen? Zudem ist zu klären, ob, wie viel und auf welche Weise die ostdeutsche Staatspartei politischen oder propagandistischen Druck auf die Führungen des PCI und PCF hinsichtlich der Bewertung der Reformpolitik Alexander Dubčeks und der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ ausübte. Ein Versuch der SED, den PCI in dieser Hinsicht zu infiltrieren, ist bereits bekannt: Im September 1968 initiierten die Ost-Berliner Machthaber eine „Briefaktion an untergeordnete Funktionäre“²⁵ der „Bruderpartei“. In „aufklärenden“ Broschüren, die in italienischer Sprache verfasst waren und zahlreiche Sektionen des PCI erreichten, wurde der militärische Einmarsch der kommunistischen Verbündeten in Prag mit der Gefahr einer „Degeneration“ des tschechoslowakischen Kommunismus gerechtfertigt. Diese Propagandakampagne, die vom Vorstand des PCI umgehend heruntergespielt wurde, trug zweifellos dazu bei, die bei den unteren „Kadern“ vorhandenen Ressentiments gegenüber der Sowjetunion und dem „Ostblock“ zu verstärken.²⁶ Ähnliche Einmischungsversuche seitens der SED ereigneten sich während der siebziger Jahre, in Abgrenzung vom „historischen Kompromiss“ des PCI oder von
Vgl. Pfeil, Die anderen deutsch-französischen Beziehungen, S. 264– 265; Francesco Di Palma, Die SED, die kommunistische Partei Frankreichs (PCF) und die kommunistische Partei Italiens (PCI) von 1968 bis in die achtziger Jahre – ein kritischer Einblick in das Dreieckverhältnis in: Deutschland Archiv, 43 (2010), Nr. 1, S. 80 – 89; Jacques Fauvet, Histoire du Parti communiste français, Paris 1977; Aldo Agosti, Storia del Partito Comunista Italiano 1921 – 1991, Rom 1999. Zit. in: Schoch, Politik, S. 234. Zur Bedeutung des „Kadernomenklatursystems“ siehe u. a. Wolfram Adolphi, Kaderpartei. Skizze für ein HKWM-Stichwort, in: Utopie Kreativ, 193 (2006), S. 982– 994; Gerd Meyer, Die DDRMachtelite in der Ära Honecker, Tübingen 1991.
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der (vorläufigen) „eurokommunistischen“ Politik des PCF.²⁷ Bislang ist nicht bekannt, ob es eine solche Propagandaaktion 1968 auch in Frankreich gab bzw. ob der PCF über die Intervention der SED-Führung in Italien unterrichtet war. In dieser Arbeit wird ausführlich geklärt, ob und inwiefern grundlegende Motive für die später immer deutlicher hervortretenden Differenzen zwischen PCF und PCI möglicherweise schon 1968/69 eine Rolle spielten. Vor diesem Hintergrund war in der zweiten Phase (1971– 1976) der Generationenwechsel einschneidend, der sich in den frühen siebziger Jahren beim PCI, PCF und in der SED vollzog.²⁸ Mit der „Ära Honecker“²⁹ setzte in den Beziehungen der ostdeutschen Staatspartei zu den westeuropäischen kommunistischen Parteien ein Prozess ein, der bis in die achtziger Jahre reichte und offenbar die allmähliche Abwendung der französischen Kommunisten vom Eurokommunismus Ende der siebziger Jahre bewirkte. In diesem Zusammenhang wird untersucht, wie das von der SED-Führung seit der ersten Hälfte der siebziger Jahre vorrangig proklamierte Ziel der „sozialistischen Integration“³⁰ und der internationalen, diplomatisch-politischen Anerkennung beim PCF und PCI aufgenommen und bewertet wurde. Zu klären ist, ob und inwiefern die Intensivierung der Beziehungen der DDR zur Bundesrepublik und im Allgemeinen zu den westeuropäischen Staaten bis 1976 – in diesem Jahr fand in Ost-Berlin die Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas statt –³¹ mit einer opportunistischen Öffnung vor allem gegenüber dem PCI einherging. Darauf deutet nämlich der unterschiedliche Umgang der SED-Führung mit den beiden führenden „eurokommunistischen“ Parteien in den siebziger Jahren hin. Während ihr der PCF als nationalistisch eingestellt und zu sehr auf die Innenpolitik fokussiert galt, wurde SAPMO-Barch, Büro Hermann Axen, DY/30/IV B 2/20/59, Information Nr. 20/76 für das Politbüro: Teilnahme einer Delegation des ZK der SED am 40. Parteitag der Italienischen Sozialistischen Partei (3. bis 7. März 1976) in Rom, Berlin 15.03.1976; SAPMO-Barch, Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/188, Bericht über den Besuch einer Delegation des ZK der SED vom 17. bis 21. Januar 1977 in Frankreich, Berlin 24.01.1977. Vgl. Monika Kaiser, Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker. Funktionsmechanismen der SEDDiktatur in Konfliktsituationen 1962 – 1972, Berlin 1998; Hermann Weber, Die SED nach Ulbricht, Hannover 1974; Gerhard Schürer, Gewagt und verloren. Eine deutsche Biographie, Frankfurt (Oder) 1996; Helmut Müller, Wendejahre 1949 – 1989, Berlin 1999. Vgl. Dietrich Staritz, Geschichte der DDR 1949 – 1985, Frankfurt a. M. 1985, S. 198 – 203; Kaiser, Machtwechsel; Hermann Weber, Die DDR 1945 – 1986, München 1988; Norbert F. Pötzl, Erich Honecker. Eine deutsche Biographie, Stuttgart 2002. Oder „sozialistischer Internationalismus“. Vgl. Richard Bessel u. Ralph Jessen (Hg.), Die Grenzen der Diktatur. Staat und Gesellschaft in der DDR, Göttingen 1996. Francesco Di Palma, Mittler zwischen den Blöcken? Der PCI, der PCF und die Ost-Berliner Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas 1976, in: Deutschland Archiv, erschienen online am 1. 3. 2017 (zuletzt abgerufen am 19.07. 2021).
3 Zeitraum, Fragestellungen und Ziele
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die italienische Partei von den führenden Funktionären in Ost-Berlin als besonders einflussreich und daher attraktiver wahrgenommen. Trotz aller offenkundigen ideologischen Divergenzen konnte und sollte der PCI damit aus Sicht der SEDFührung für ihre eigenen politischen Ziele eingespannt werden.³² Hiermit wird unmittelbar die Haltung der SED zum Eurokommunismus berührt, den Enrico Berlinguer und zumindest teilweise Mitte der siebziger Jahre auch Georges Marchais nachdrücklich vertraten. In den späten siebziger und frühen achtziger Jahren verfolgten die italienischen und französischen Kommunisten zudem mit Interesse die Entwicklung der im NATO-Raum entstehenden Friedensbewegung. Nicht von ungefähr kam daher der in der Zeitschrift Le Monde geprägte Begriff des „NATO-Kommunismus“ auf, der vor allem auf die Bemühungen von Enrico Berlinguer und Jean Kanapa um Entspannung zielte.³³ Der tatsächliche Stellenwert der Sicherheitspolitik für die Außenbeziehungen der SED und für deren innenparteiliche theoretische Diskussion wird in der vorliegenden Arbeit zunächst systematisch ausgelotet, insbesondere mit Blick auf die zweite Hälfte der siebziger Jahre, als sich die ostdeutsche Partei in verstärktem Maße um die internationale Kooperation mit westlichen Partnern bemühte.³⁴ Dazu ist die Rezeption des Eurokommunismus in den unterschiedlichen Gruppen der untersuchten kommunistischen Parteien zu konturieren, sowohl auf Vorstandsebene als auch durch die Zuarbeiter und auf lokaler Ebene. Die in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre deutlich hervortretenden politischen Unterschiede zwischen dem PCI und dem PCF werden in der Arbeit dann ebenfalls systematisch darzulegen sein. Nach dem Scheitern des „historischen Kompromisses“ in Italien und dem abrupten Ende der „Linksunion“ in Frankreich³⁵ sahen sich die Führungen beider
Vgl. Di Palma, Die SED, die kommunistische Partei Frankreichs (PCF) und die kommunistische Partei Italiens (PCI). Jean Kanapa (1921– 1978), Verantwortlicher für die „Außenbeziehungen“ des PCF, war auch Befürworter einer allgemeinen Europapolitik und setzte sich für die Emanzipation seiner Partei von den Vorgaben Moskaus ein. Trotz breiter innerparteilicher Akzeptanz war seinen Bemühungen kein Erfolg beschieden. Sein plötzlicher Tod 1978 sollte dem von ihm angestoßenen Kurs der politischen Verselbstständigung Einhalt gebieten.Vgl. dazu Dominique Andolfatto, PCF: de la mutation à la liquidation, Monaco 2005, S. 34– 40. Ost-Berliner Konferenz der kommunistischen Parteien Europas 1976, Tod von Jean Kanapa 1978 und Austritt des PCF aus der „Linksfront“ in Frankreich 1977. Die letzten beiden Ereignisse leiteten die abrupte Abkehr des PCF von der bisherigen Tendenz der Öffnung und Zusammenarbeit mit den anderen kommunistischen Parteien Westeuropas ein. Die Linksunion war ein Anfang 1972 vollzogener programmatischer und strategischer Schulterschluss zwischen dem PS Frankreichs und dem PCF Im September. 1977 beschloss der Vorstand des PCF, aus der Allianz auszutreten, überwiegend infolge politischer Divergenzen mit den Sozialisten, welche die kommunistische Aufforderung nach verstärkten Nationalisierungen
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Parteien gleichsam gezwungen, neue Wege zu gehen – auch im Umgang mit ihrer Wählerschaft.³⁶ Trotz ähnlicher Reformrhetorik und der Betonung einer „grenzüberschreitenden“ polyzentrischen Strategie entwickelten sich PCI und PCF in der dritten Phase (1977– 1980/81) stark auseinander. Sie betrieben ab Anfang der achtziger Jahre erneut systematisch Oppositionspolitik im eigenen Lande. Dabei vollzog der PCI unter seinem Vorsitzenden Berlinguer eine Öffnung gegenüber der internationalen Politik, während der PCF-Vorstand unter Marchais die herkömmliche Sowjettreue seiner Kernanhängerschaft stärkte, wofür er u. a. von den Intellektuellen in der Partei Kritik und Häme einstecken musste.³⁷ Die Rahmenbedingungen und Gründe für diese Divergenz im „eurokommunistischen“ Raum, die 1977/78 einsetzte, werden in dieser Studie nachgezeichnet und erklärt. Natürlich müssen die Auswirkungen dieses Wandels auch in den Kontext der innenpolitischen Herausforderungen eingeordnet werden, mit denen die kommunistischen Parteien Italiens und Frankreichs konfrontiert waren. Die Untersuchung berücksichtigt deshalb auch die nationalen Bündnisstrategien, insbesondere den bereits erwähnten „historischen Kompromiss“ in Italien und die „Linksunion“ in Frankreich.³⁸ Interessant ist vor allem die Zeit der Regierungsbeteiligung des PCF und der Regierungsunterstützung durch den PCI (1972– 1977/ 78) bzw. deren Wahrnehmung durch SED-Funktionäre und andere DDR-Vertreter. Untersucht werden soll auch die Reaktion des PCI auf den überraschenden Austritt des PCF aus dem von ihm selbst mitgegründeten Linksbündnins (1977). Dabei ist zu prüfen, ob die SED diese für die französische Organisation grundlegende Entscheidung auf irgendeine Weise beeinflusst hat.³⁹ Es existieren Hin-
von wichtigen Industriezweigen missbilligten. Hierzu ausführlich: Stéphane Courtois u. Marc Lazar, Histoire du Parti Communiste Français, Paris 1995, S. 147– 148. Ausführlich dazu und aus einer vergleichenden Perspektive (PCI-PCF) u. a. Peter Lange, Attivismo, ruoli e comunicazione politica: il caso del PCI, in: Aris Accornero / Renato Mannheimer / Chiara Sebastiani (Hg.), L’identitá comunista. I militanti, le strutture, la cultura del PCI, Rom 1983, S. 299 – 336; Claude Pennetier u. Bernard Pudal (Hg.), Le sujet communiste. Identités militantes et laboratoires du „moi“, Rennes 2014; Emmanuel Bellanger u. Julian Mischi (Hg.), Les territoires du communisme. Elus locaux, politiques publiques et sociabilités militantes, Paris 2013; Courtois u. Lazar, Histoire. Vgl. Manfred Steinkühler, Eurokommunismus im Widerspruch. Analyse und Dokumentation, Köln 1977, S. 126 – 136. Nach Jean Elleinstein zeichnete sich die PCF-Politik nach dem Treffen von Berlinguer und Marchais im Oktober 1978 durch „Vereisung, Abschließung und Blockierung“ aus. Jean Elleinstein, Une certaine Idee du Communisme, Paris 1979, S. 114. Vgl. Strübel, Wege, S. 155. Die französische Historiografie stimmt darin überein, dass der PCF-Vorstand den Bruch mit der Union völlig eigenmächtig beschloss, d. h. ohne Druck Moskaus. Belege für eine diesbezüg-
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weise, dass die ostdeutsche Staatspartei zu diesem Politikwechsel und zu der gleichzeitig vom PCF angekündigten Ablehnung der EWG-Erweiterung zumindest beigetragen hat.⁴⁰ Die Untersuchung dieser Frage liefert Erkenntnisse zur Rolle der SED als eigennützig handelnde und Einfluss nehmende Kraft zwischen Ostund Westkommunismus. Ebenso dient sie dazu, den ab den späten siebziger Jahren allmählich schwindenden Einfluss Moskaus zu erklären. Die offiziellen Beziehungen zwischen SED und PCI litten jedenfalls nicht nur unter den erheblichen Meinungsverschiedenheiten bezüglich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Kommunisten in Europa und über das durch den PCF verschuldete⁴¹ Scheitern der Linksunion, sondern ab den späten siebziger Jahren auch an der allmählichen „Verhärtung“ der Strategie Honeckers, die man zutreffend als „ergebene Politik“⁴² gegenüber der KPdSU bezeichnet hat. Doch trotz aller ideologischen Differenzen und Reibungen zwischen der KPdSU und den „eurokommunistischen“ Parteien brach die SED-Führung den Kontakt zu den italienischen Kommunisten nicht ab, auch nicht angesichts der weltpolitischen Krisen in Afghanistan und Polen, deren Auswirkungen auf die drei Parteien systematisch behandelt werden. Vielmehr sprachen sich die Ost-Berliner Machthaber – im Gegensatz zur KPdSU – für eine Vertiefung der Beziehungen zum PCI aus.⁴³ Den Spitzenfunktionären der SED war zu dieser Zeit besonders daran gelegen, trotz ideologischer Meinungsverschiedenheiten mit den westeuropäischen „Bruderparteien“, über den PCI die eigenen wirtschaftlichen und diplomatischen Interessen im Kreis der Sozialistischen Internationale und der europäischen Friedensbewegung geltend zu machen.⁴⁴ Dieser Balanceakt, der in der Respektierung des Moskauer Machtanspruchs bei gleichzeitiger Erschließung von wenngleich oft nur geringen eigenen Spielräumen auf internationaler Ebene be-
liche Diskussion mit der SED fehlen.Vgl. u. a. Frédéric Charpier, Les R.G. et le Parti communiste. Un combat sans merci dans la guerre froide, Paris 2000; Philippe Robrieux, Histoire intérieure du parti communiste, Paris 1982. Vgl. SAPMO-BArch, Abt. Int. Verb., DY/30/IV B 2/20/188, Gesprächsvermerk FKP–SED, Berlin, 28.10.1977; vgl. SAPMO-BArch, Abt. Int. Verb., DY/30/IV B 2/20/188, Gespräch zwischen dem Generalsekretär des ZK der SED, Erich Honecker, und dem Generalsekretär der FKP, Georges Marchais, am 28. 12. 1978 im Gästehaus der SED in Bad Saarow, Berlin, 29.12.1978. Vgl. Udo Kempf, Der Bruch der französischen Linksunion, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 3 (1978), S. 342– 358. Siebs, Außenpolitik, S. 140 – 141. Vgl. Di Palma, Die SED, der PCI und der Eurokommunismus, S. 159 – 160. APCI, Sez. Estero, Mikrofilm 8110, Relazione della delegazione del PCI (Cervetti, Cacciapuoti, Mechini) al X. Congresso della SED, Berlin, 10. bis 16.4.1981, S. 6 – 7; APCI, Sez. Estero, Mikrofilm 8112, Verbale dei colloqui tra delegazioni della SED e del PCI, Rom, 11.11.1981, S. 5.
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stand, zog sich in den späten siebziger Jahren wie ein roter Faden durch die westeuropäische Politik der SED.⁴⁵ Er soll anhand des Spannungsverhältnisses von ideologisch-programmatischer Abgrenzung der Staatspartei der DDR gegenüber PCI und PCF auf der einen Seite und ihrer pragmatischen Kooperation mit beiden „Bruderparteien“ auf der anderen Seite nachgezeichnet und erklärt werden. Dieses Spannungsverhältnis setzte sich auch während der vierten Phase (1981– 1985) fort. Der PCF war in den achtziger Jahren innerparteilich mit einem beachtlichen Konsensverlust konfrontiert und geriet sogar bei seiner traditionellen Anhängerschaft in Misskredit,⁴⁶ zumal die Führung die Programmatik und Strukturen der Partei nur zögernd erneuerte. Demgegenüber zeigten sich Funktionäre der SED und ihre Zuarbeiter zumindest teilweise bereit, aus den Verbindungen mit nicht sozialistischen Partnern Vorteile zu ziehen. Dabei sollte die „Strategie der bewahrenden Außenpolitik“ (1981) der DDR einen größeren wirtschaftlichen Handlungsspielraum und eine höhere politische Eigenständigkeit im Ostblock garantieren. Kernelement dieser Option war die Aufrechterhaltung der „friedlichen Koexistenz“ auch mit den westeuropäischen Demokratien. Dies implizierte einen intensivierten politischen und wirtschaftlichen Austausch sowohl mit deren Regierungen als auch mit zivilgesellschaftlichen Vertretern. Als Motivation hierfür darf machtpolitisches Kalkül angenommen werden.⁴⁷ Wie sich die Parteien im letzten Jahrzehnt vor dem Mauerfall im Lichte nationaler und internationaler Ereignisse organisierten – erinnert sei hier an den Tod Berlinguers 1984 oder den Amtsantritt Gorbatschows 1985 – erfährt in der Auf die Möglichkeit einer souveränen „Interdependenz“ im Verhältnis der DDR mit der Sowjetunion statt einer durchweg unkritischen Abhängigkeit des ostdeutschen Staates ist mehrmals hingewiesen worden. Hierzu u. a. Ludolf Herbst, Abhängigkeit oder Interdependenz? (Kommentar), in: Jürgen Kocka u. Martin Sabrow (Hg.), Die DDR als Geschichte. Fragen, Hypothesen, Perspektiven, Berlin 1994, hier S. 186 – 190. Die Wahlergebnisse des PCF sanken zwischen 1978 (20,7 %) und 1984 (11,1 Prozent) drastisch. Dafür verantwortlich waren u. a. die „unpopuläre“ Entscheidung, den Bruch mit der Linksunion zu vollziehen, und eine Reihe von Skandalen, die den Ruf der Partei als stärkste Interessenvertretung der Arbeiterschaft beschädigten. Es sei hier nur an die bekanntesten Ereignisse erinnert, wie die mit rassistischem Hintergrund behafteten Vorfälle in Vitry (1980) und Montigny (1981) oder die ausbleibende Intervention bei der Massenentlassung in einem Renault-Werk in Billancourt (1986). Vgl. Courtois u. Lazar, Histoire, S. 127– 166. Vgl. zur „bewahrenden Strategie“ Siebs, Außenpolitik, S. 220. Zur sicherheitspolitischen Dimension der neuen Strategie der SED: Walter Süß, Größere Eigenständigkeit im Dienste des Status Quo. Die DDR und ihre Blockführungsmacht, in: Gert-Joachim Glaeßner (Hg.), Die DDR in der Ära Honecker, Opladen 1988, S. 186 – 213; Helga Haftendorn u. Lothar Winkler, Die Sicherheitspolitik der beiden deutschen Staaten, in: Werner Weidenfeld (Hg.), Deutschland-Handbuch: eine doppelte Bilanz 1949 – 1989, München 1989, S. 613.
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Studie besonderes Augenmerk. Es wird untersucht, wie sich diese Entwicklung in den jeweiligen Strategien der Parteien niederschlug, insbesondere in den Konzeptionen der SED-Führung und deren Zuarbeiter. Dazu werden zum einen die Reaktionen auf Gorbatschows Perestroika behandelt, von der sich die Ost-Berliner Machthaber zunehmend explizit distanzierten. Zum anderen wird danach gefragt, wie genau die Formen und Inhalte der Einflussnahme durch diejenigen Organisationen aussahen, die im Namen der SED mit den „Bruderparteien“ zusammenarbeiteten und der Staatspartei angegliedert waren: ‒ Wie vollzog sich ihre Koordination? ‒ Bestanden auf der Arbeitsebene im Verhältnis zum PCI bzw. PCF Weisungsoder Konsultationsstrukturen? Diese Fragen werden sowohl für konfliktträchtige Konstellationen als auch für den Fall der einfachen Übernahme staatssozialistischer Reforminitiativen geklärt. Einbezogen werden auch Vorschläge oder Konsultationen in die umgekehrte Richtung, d. h. von den PCF- und PCI-Verbänden an die der SED nahestehenden Organisationen. Besondere Aufmerksamkeit verdient schließlich die fünfte Phase (1986 – 1989/ 90), in der die Auseinandersetzungen zwischen SED und KPdSU auf der Ebene der Parteiführungen eskalierten.⁴⁸ Der in diesen Jahren einsetzende innerparteiliche Desillusionierungsprozess in der SED ist in der Historiografie erst umrissen worden. Er muss deshalb in der vorliegenden Untersuchung rekonstruiert werden, soweit die für diesen Zeitabschnitt relevante Quellenlage dies zulässt. Wichtig ist dabei, Reformüberlegungen und -strömungen innerhalb und außerhalb der ostdeutschen Staatspartei im Umgang mit dem PCI und PCF bis zum Umbruch 1989/90 nachzugehen.⁴⁹
Daniel Küchenmeister u. Gerd-Rüdiger Stephan (Hg.), Honecker – Gorbatschow. Vieraugengespräche, Berlin 1993. Vgl. Andreas Malycha, War die Partei reformfähig? Chancen und Scheitern von Reformansätzen in der Staatspartei, in: Hermann Wentker u. Jens Gieseke (Hg.), Die Geschichte der SED. Eine Bestandsaufnahme, Berlin 2011, S. 157– 159; André Brie, Ich tauche nicht ab. Selbstzeugnisse und Reflexionen, Berlin 1996; Lutz Kirschner, Gesellschaftskonzeptionelle Vorstellungen der SED-Reformer in den 80er Jahren, in: Heinz Timmermann (Hg.), Die DDR in Deutschland: ein Rückblick auf 50 Jahre, Berlin 2001, S. 477– 493; Andreas Malycha u. Peter Jochen Winters, Geschichte der SED: von der Gründung bis zur Linkspartei, Bonn 2009; Matthias Wagner, Ab morgen bist du Direktor. Das System der Nomenklatur in der DDR, Berlin 1998; Rainer Land u. Ralf Possekel, Fremde Welten. Die gegensätzliche Deutung der DDR durch die SED-Reformer und Bürgerbewegung in den 80er Jahren, Berlin 1998; Rainer Land u. Ralf Possekel, Namenlose Stimmen waren uns voraus. Politische Diskurse von Intellektuellen aus der DDR, Bochum 1994; Gerd-Rüdiger Stephan, SEDinterne Auseinandersetzungen und Disziplinierung in der Ära Honecker. Überlegungen zum Ver-
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4 Untersuchungsdimensionen Zunächst werden im ersten Kapitel die späten sechziger Jahre, vornehmlich das Jahr 1968 mit seinen grundlegenden, nachhaltigen Auswirkungen, beleuchtet und anschließend wird im zweiten Kapitel die Ära des Generationenwechsels und aufkommenden Eurokommunismus zwischen 1971 und 1976 untersucht. Im dritten Kapitel (1977– 1980/81) wird insbesondere die Westeuropapolitik der SED vor dem Hintergrund der Krisen in Afghanistan und Polen dargestellt. Dabei nimmt das Verhältnis der ostdeutschen Staatspartei zu den beiden führenden „eurokommunistischen“ Parteien Westeuropas und zum Europaparlament, vor allem zu den dort vertretenen sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien, einen übergeordneten Stellenwert ein. Das vierte Kapitel (1981– 1985) behandelt das „Ende des Eurokommunismus“, welches die jeweiligen bilateralen Beziehungen nachhaltig prägte. Vor diesem Hintergrund werden abschließend die späten achtziger Jahre analysiert, die durch abrupte Annäherungen, Blockaden und ein allmähliches Schwinden der Moskauer Vorherrschaft gekennzeichnet waren. Die Einflussnahme der KPdSU auf die jeweiligen bilateralen Beziehungen gehört zu den wichtigen Variablen der Studie: Dazu wird das Schriftgut der zu untersuchenden Parteien heranzuziehen sein, u. a. programmatische Stellungnahmen, Korrespondenz und Berichte, unter denen sich auch Erwähnungen sowjetischer Interventionen finden. Im Mittelpunkt der Studie steht die Erforschung von inhaltlichen Aspekten der Außenpolitik bzw. der Gestaltung von Außenbeziehungen sowohl direkt durch die SED als auch durch ihr nahestehende Verbände und Organisationen. Besonderes Augenmerk gilt der Untersuchung des Policy-Making in der DDR im Rahmen der Interaktionen mit italienischen und französischen Ansprechpartnern der jeweiligen kommunistischen Parteien. Damit wird auf eine spezifische Politikfeldanalyse abgehoben, die der „Frage nach den Gegenständen, Zielen und Wirkungen polit. [politischer], i. d. R. staatlicher Aktivitäten“ nachgeht.⁵⁰ Der politische Prozess zur Lenkung und Steuerung eines spezifischen Tätigkeitsfeldes ist hierbei als Problemverarbeitung zu betrachten. Deshalb gilt es zu analysieren, wie, warum, unter welchen Voraussetzungen und beinflusst durch welche Fak-
hältnis zwischen totalitär verfasster Herrschaft und den Spielräumen innerparteilichen Diskussionen um das SED-Gesellschaftskonzept, in: Heinz Timmermann (Hg.), Die DDR – Politik und Ideologie als Instrument, Berlin 1999, S. 557– 578. Nohlen u. Schultze, Lexikon, hier S. 706.
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toren politische Akteure spezifische Entscheidungen trafen.⁵¹ Dies gilt in besonderem Maße für die außenpolitischen staatlichen DDR-Ressorts und SED-Abteilungen. Die herrschende Asymmetrie zwischen der SED als Staatspartei einerseits sowie dem PCF und dem PCI als Oppositions- und Regierungsparteien in demokratischen Ländern andererseits ist offenkundig. Um diesem Hindernis in konzeptioneller Hinsicht beizukommen, wird die dominierende ostdeutsche Staatspartei analytisch als Ausgangs- und Bezugseinheit der selektiven Wahrnehmungen und Interaktionen aufgefasst. Darüber hinaus sollen die sich aus der Stellung der SED als Staatspartei ergebenden Bemühungen der Ost-Berliner Machthaber, ihre französischen bzw. italienischen „Bruderparteien“ zu infiltrieren oder sogar direkt zu kontrollieren – etwa durch finanzielle Subventionen für jeweils loyale Gruppen oder Einmischungskampagnen – besonders eingehend untersucht werden. Die Analyse der horizontalen Beziehungen zwischen den kommunistischen Parteien berücksichtigt vornehmlich die jeweiligen Zentralkomitees. Der PCI und der PCF wurden für die Studie gewählt, weil die SED im Hinblick auf ihre Beziehungen zu den beiden mitgliederstärksten, einflussreichen („euro-“)kommunistischen Parteien West- und Südeuropas vertiefend analysiert werden soll. Zudem wiesen die kommunistischen Parteien Italiens und Frankreichs über die Ost-West-Konfrontation hinweg ein unterschiedliches, wenngleich in zeitlicher Hinsicht jeweils variierendes Verhältnis zu den hegemonialen kommunistischen Machthabern der Sowjetunion auf. Die Rolle der KPdSU bei der Gestaltung der Beziehungen über den Eisernen Vorhang hinweg wurde damit zumindest indirekt und exemplarisch auf der Grundlage der Überlieferung der beiden kommunistischen Parteien berücksichtigt. Einige relevante, bis dato noch nie erschlossene Unterlagen aus dem Russischen Staatsarchiv für neueste Geschichte (RGANI) in Moskau, das die Akten der KPdSU ab Anfang der 1950er Jahre aufbewahrt, konnten allerdings ebenso ausgewertet werden.⁵² Die Studie bezieht außerdem kommunistische und nicht-kommunistische Diskurse etwa über die Dritte Welt oder Menschenrechte über Sekundärquellen
Dazu weiterführend Winand Gellner u. Eva-Maria Hammer, Policyforschung, München 2010; Frank Janning u. Katrin Toens (Hg.), Die Zukunft der Policy-Forschung. Theorien, Methoden, Anwendungen, Wiesbaden 2008. Der Verfasser dankt Prof. Wolfgang Mueller, Universität Wien, für das Zurverfügungstellen einiger relevanter Dokumente in deutscher Übersetzung. Es sei an dieser Stelle an eine Quellenedition über den Eurokommunismus („Schlüsseltexte zum Eurokommunismus“) hingewiesen, die der Autor der vorliegenden Monografie zusammen mit Wolfgang Mueller, Walther Bernecker, Maximilian Graf und Jean-Numa Ducange herausgibt und 2022 erscheinen soll. Darin werden erstmalig ins Deutsche übersetzte sowjetische Originalquellen aus der Breschnew-Ära publiziert.
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mit ein.⁵³ Deren Bedeutung für die Entwicklung des trilateralen Beziehungsgeflechts ist alles in allem geringfügig. Einflüsse des „iberischen“ Kommunismus auf die ideologische Entwicklung von PCF und PCI werden im Rahmen des Eurokommunismus erörtert. Die Auseinandersetzung der SED mit dem PCI und dem PCF etwa im Rahmen von politisch-ökonomischen Integrationsprozessen in den westeuropäischen supranationalen Organen (EWG, EG etc.) wird ausführlich nachvollzogen. Die Wahl der SED als strategisch unerlässlicher Bezugs- und Kontaktpartner für die beiden international bedeutendsten westeuropäischen kommunistischen Parteien ist zum einen in ihrer Sonderstellung als „Vorposten“ der Staatengemeinschaft des Warschauer Paktes an der Nahtstelle des Kalten Krieges und als „Sprachrohr“ von Moskauer Vorgaben im Herzen Europas begründet. Zum anderen ergibt sich diese Fokussierung aus ihrer Rolle als mittelnder Akteur in dem – im Allgemeinen ungleichen – Dialog zwischen Regierungen und kommunistischen Parteien über die Blockgrenzen im Kalten Krieg hinweg, so besonders nach 1968, als die direkten Beziehungen zwischen der KPdSU und führenden westeuropäischen kommunistischen Parteien z.T. erheblich beschädigt waren.⁵⁴ Ungleich ist auch die Einbettung der Parteien in die jeweiligen politischen Systeme und Institutionenordnungen.⁵⁵ So konnte die Abteilung „Befreundete Parteien“ der SED, die formell dem Politbüro unterstand, die Politik der weitgehend entmachteten „Blockparteien“ nahezu vollständig kontrollieren. Demgegenüber waren der PCI und der PCF mit ihren entsprechenden Abteilungen und Parteiorganisationen auf den Austausch mit den Parteien im eigenen Land angewiesen, um jeweils ihren Einfluss auf die Innenpolitik ihrer Länder zu erhöhen. Damit mussten sie ihre eigene politische Strategie an die vorherrschenden Bedingungen politischen Handelns in den parlamentarischen Demokratien Italiens bzw. Frankreichs anpassen. Jedoch eröffneten sich auch in den stark hierarchisierten Strukturen der SED partielle Spielräume. So war die Abteilung für Inter Hierzu siehe u. a. Sara Lorenzini, Global Development. A Cold War History, Princeton / Oxford 2019, darin insb. S. 50 – 67; 107– 123. Hierzu vgl. Di Palma, Die SED, der PCI und der Eurokommunismus, in: Bauerkämper u. Di Palma (Hg.), Bruderparteien, S. 158 – 163. Hierzu siehe u. a. Franco Andreucci, Falce e martello. Identità e linguaggi dei comunisti italiani fra stalinismo e guerra fredda, Bologna 2005; Gianfranco Are, Radiografia di un partito. Il PCI negli anni ’70: struttura ed evoluzione, Mailand 1980; Giuseppe Bedeschi, La Prima Repubblica 1946 – 1993: storia di una democrazia difficile, Soveria Mannelli 2013; David Bell u. Byron Criddle, The Decline of the French Communist Party, in: British Journal of Political Science, Nr. 19, Oktober 1989, S. 515 – 536; Bellanger u. Mischi (Hg.), Les territoires du communisme; Serge Berstein, La France de l’expansion (1): La République gaullienne: 1958 – 1969, Paris 1989.
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nationale Verbindungen zwar formal dem Politbüro untergeordnet, sie bereitete für dieses aber Beschlüsse zu außenpolitischen Fragen vor und konnte damit Entscheidungen beeinflussen. Insgesamt bestimmten die leitenden „Kader“ der SED in der DDR – im Unterschied zum PCI und PCF in Italien und Frankreich – eindeutig die Politik der Staatsführung. Allerdings agierten sie dabei als herausragende Repräsentanten einer kommunistischen Partei mit Zielen und auf Tätigkeitsfeldern, die sich gelegentlich durchaus von der Staatspolitik und auch von den Moskauer Vorgaben abhoben.⁵⁶ Dies wird im Zuge der Gestaltung von Außenbeziehungen zu einflussreichen westeuropäischen Partnern in den siebziger und achtziger Jahren besonders deutlich. In dieser Phase beruhten die Prozesse des Policy-Making in verstärktem Maße auf persönlichen, informellen Arrangements unter ZK-Zuarbeitern.⁵⁷ Damit wird der Stellenwert der Vorgaben „von oben“ keineswegs in Abrede gestellt. Vielmehr soll hier betont werden, dass auch die jeweiligen Handlungs- und Entscheidungsmechanismen untergeordneter Parteiorgane der SED mit ihrer Eigendynamik dargestellt und erklärt werden müssen. Bei der Untersuchung der vertikalen Prozesse wechselseitiger Wahrnehmung und Beeinflussung ist mit Blick auf die Hierarchie der SED zwischen gleichrangigen Parteistrukturen (z. B. jeweils dem Politbüro und den ZK-Abteilungen) oder dem ZK und den jeweiligen Zuarbeitern in ihren Büros sowie den nachgeordneten Abteilungen zu unterscheiden. Die Analyse der vertikalen Interaktionen eröffnet vor allem aufschlussreiche Einsichten in die Beziehungen und Verflechtungen zwischen der SED, dem PCI und dem PCF. Denn dadurch werden nicht nur interne Prozesse in den kommunistischen Parteien, sondern auch die jeweils unter den Parteien ausgebildeten Strukturen einbezogen. Dafür sind gezielte Fallstudien vorgesehen. So werden die Bezirksleitungen bzw. die Kreisleitungen der Berliner SED und des Bezirks Potsdam sowie die „roten Gürtel“ um Paris und Rom detailliert beleuchtet. Zu den Untersuchungsgegenständen zählen auch die kommunistisch orientierten Gewerkschaften Freier Deutscher Gewerkschafts-
Berstein, La France, S. 163 – 166. Ferner hierzu die Ergebnisse der Sektion „Clan-Strukturen und Policy-Akteure. Die Machtzentralen der staatssozialistischen Parteien zwischen Poststalinismus und Perestroika“ auf dem 48. Deutschen Historikertag in Berlin am 1. Oktober 2010, die auf Spielräume auf u. a. außenpolitischen Tätigkeitsfeldern im sonst stark hierarchisch reglementierten staatssozialistischen Machtgeflecht abhoben. Dazu vgl. http://hsozkult.geschichte.hu-ber lin.de/tagungsberichte/id=3359 (zuletzt abgerufen am 19.07. 2021). Hierzu grundsätzlich Thomas Lindenberger, Die Diktatur der Grenzen. Zur Einleitung, in: Thomas Lindenberger. (Hg.), Herrschaft und Eigen-Sinn in der Diktatur. Studien zur Gesellschaftsgeschichte der DDR, Köln / Weimar / Wien 1999, hier S. 19 – 26; Manfred Uschner, Die zweite Etage. Funktionsweise eines Machtapparates, Berlin 1993; Hornbostel (Hg.), Sozialistische Eliten.
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bund (FDGB) der DDR, Frankreichs Confédération Générale du Travail (CGT) und die italienische Confederazione Generale Italiana del Lavoro (CGIL) ebenso wie Freundschafts- und Frauenorganisationen, etwa die „Liga für Völkerfreundschaft“, die Associazione Italia-RDT, die Échanges Franco-Allemands (EFA) und ausgewählte Städtepartnerschaften. Nicht zuletzt zeichnet diese Studie den Einfluss gemeinsamer Arbeitsgruppen und informeller Netzwerke – wie etwa der „Gemischten Kommission PCF-PCI“ – auf die wechselseitigen Beziehungen nach. Sie bezieht so jeweils den lokalen, nationalen und transnationalen Kontext ein, worüber in der einschlägigen Forschung jüngst intensiv debattiert worden ist.⁵⁸ Der PCF und der PCI, die in den großen Industriestädten traditionell stark vertreten waren, stellten dort auch mehrere Bürgermeister. Diese nahmen ab den späten fünfziger Jahren Kontakt zu ostdeutschen Städten auf, überwiegend im Rahmen der vom PCF gegründeten Association France-RDA (ehemals Échanges Franco-Allemands) sowie der vom PCI geschaffenen Associazione Italia-RDT, was mehrfach zu offiziellen Partnerschaften führte. Die Statuten der genannten Organisationen ließen keinen Zweifel am ursprünglich kulturellen Charakter der partnerschaftlichen Beziehungen, die in den fünfziger und sechziger Jahren kaum von den kommunistischen Parteien geprägt waren. Einschneidende Ereignisse wie die Krisenjahre 1968 (Niederschlagung des „Prager Frühlings“) und 1979/81 (sowjetische Intervention in Afghanistan; Krise in Polen) veranlassten die Leiter der Verbände jedoch wiederholt, offen Stellung zu beziehen und die verstreuten Außenstellen auf die jeweilige politische Linie einzuschwören. In Frankreich verstärkte sich ab den frühen siebziger Jahren der Einfluss des PCF auf die Association France-RDA, die mittlerweile die bedeutendste kulturelle Organisation im Bereich der ostdeutsch-französischen Austauschprogramme war, durch die Ernennung von Jean-Pierre Brard zum Sekretär der Organisation in der Region Seine-Saint-Denis.⁵⁹ Eine ähnliche Entwicklung vollzog sich in Italien, wo die PCI-Abgeordnete Tullia Carettoni Romagnoli zur Leiterin der Associazione Italia-RDT ernannt wurde. Eine augenfällige Besonderheit der durch die Vereine lokal gesteuerten Beziehungen zu ostdeutschen Städten war deren gesellschaftliche Ausrichtung. Unbeschadet der politischen Kontrolle von oben wurden sie auch in Phasen
Hierzu vgl. Bauerkämper u. Di Palma (Hg.), Bruderparteien, darin insbesondere die Einleitung sowie die Beiträge von Di Palma, Die SED, der PCI und der Eurokommunismus, S. 149 – 166 und von Hermann Wentker, Außenpolitik oder transnationale Beziehungen? Funktion und Einordnung der Parteibeziehungen der SED, S. 29 – 47; ferner Sandrine Kott u. Emmanuel Droit (Hg.), Die ostdeutsche Gesellschaft. Eine transnationale Perspektive, Berlin 2006. PCF-Mitglied und stellvertretender Bürgermeister von Montreuil, der befragt werden konnte; APCF, Association France-RDA, 38 J 4.
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aufrechterhalten, in denen das Verhältnis zwischen SED, PCF und PCI auf höchster Ebene gestört war. So unterhielt im Großraum Paris u. a. die Stadt Bobigny eine Partnerschaft mit Potsdam, Montreuil mit Cottbus, Aubervilliers mit Rudolstadt, Bagnolet mit Oranienburg und Paris mit Ost-Berlin (20. Arrondissement von Paris mit Berlin-Lichtenberg). Auf italienischer Seite verfügte u. a. Mailand über institutionalisierte Kontakte zu Leipzig, Florenz zu Dresden und Livorno zu Rostock.⁶⁰ Generell ist hervorzuheben, dass nicht nur Parteimitglieder in diesen Partnerschaften aktiv waren. Zudem kontrollierten die regionalen und lokalen Parteileitungen die partnerschaftlichen Aktivitäten auf der lokalen Ebene allenfalls sporadisch – wobei selbstredend zwischen der SED als Staatspartei, dem PCI und dem PCF unterschieden werden muss.⁶¹ Die größere Unabhängigkeit ermöglichte den jeweiligen Akteuren, die soziokulturelle, transgesellschaftliche⁶² Ausrichtung Vor diesem Hintergrund wird in der Studie der Frage nachgegangen, worin genau die Beziehungen zwischen französischen und italienischen, jeweils durch den PCF bzw. den PCI regierten Städten und der „real sozialistischen“ DDR bestanden und inwiefern diese als eine Ausnahme im oben skizzierten Verhältnis zwischen den kommunistischen Parteien betrachtet werden können. Ein genaues Augenmerk dazu gilt den Partnerschaften zwischen Bobigny und Potsdam, Montreuil und Cottbus, Aubervilliers und Rudolstadt, Florenz und Dresden sowie zwischen Livorno und Rostock. Unerklärlicherweise ist der Aktenbestand zur Partnerschaft zwischen Mailand und Leipzig bei der Fondazione ISEC (Istituto per la Storia contemporanea) in Mailand unauffindbar. Interview des Bearbeiters mit Jean-Pierre Brard, am 15. 3. 2013 in Montreuil; APCF, Association France-RDA, 38 J 4, 9. Congrès de l’association France-RDA, Departement Seine-Saint-Denis, 13 – 14.10.1984 Dugny. Die jüngste vergleichende Geschichtswissenschaft geht davon aus, dass Gesellschaften und Kulturen miteinander interagieren, d. h. in gewisser Hinsicht hybride und „entgrenzt“ sind. So bestehen zwischen den einzelnen „Gesellschaften“ bzw. „Kulturen“ – aufgrund historischer Austausch-, Einfluss- und Rezeptionsmechanismen – bei aller relativen Abgrenzbarkeit und Unterscheidbarkeit gewisse Parallelismen. Diese Ähnlichkeiten bzw. ähnlichen Prozesse in verschiedenen Gesellschaften und Kulturen werden durch die Forschung als Teile eines übergeordneten transnationalen, transgesellschaftlichen und transkulturellen Zusammenhanges betrachtet. Zu den zentralen Begriffen transnational, translokal bzw. transgesellschaftlich, über welche in jüngster Zeit rege diskutiert wird, siehe u. a.: Robert Hettlage u. Hans-Peter Müller (Hg.), Die europäische Gesellschaft, Konstanz 2006, darin insbesondere Kapitel III, „Europa als transgesellschaftlicher Prozess“, S. 131– 271; Petra Deger u. Robert Hettlage (Hg.), Der europäische Raum. Die Konstruktion europäischer Grenzen, Wiesbaden 2007; Melanie Hühn (Hg.), Transkulturalität, Transnationalität, Transstaatlichkeit, Translokalität: theoretische und empirische Begriffsbestimmungen, Frankfurt (Oder) 2010; Jürgen Osterhammel, Transnationale Gesellschaftsgeschichte: Erweiterung oder Alternative, in: Geschichte und Gesellschaft (2001) 27, S. 464– 479; Sebastian Conrad, Doppelte Marginalisierung. Plädoyer für eine transnationale Perspektive auf die deutsche Geschichte, in: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), S. 145 – 169; Sebastian Conrad u. Jürgen Osterhammel, Einleitung, in: Sebastian Conrad u. Jürgen Osterhammel (Hg.), Deutschland in der Welt 1871 – 1914, Göttingen 2004, S. 7– 27, bes. S. 14– 16.
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der Partnerschaften auch mitten im Kalten Krieg aufrechtzuerhalten. Die sozialen Verbindungen über die Grenzen hinweg konnten sich oft den politischen Zwängen entziehen, weil sie eine eigene Kultur hervorbrachten.⁶³ Der Austausch über spezifische Themen wie Erziehung, Tourismus, Sport und Gesundheitswesen gewährleistete eine gewisse Distanz zur Politik der Eliten. Auch trug er dazu bei, im Hinblick auf die anvisierten gemeinsamen Aufgaben – nämlich den „Kampf um den Frieden“ und für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Bürger⁶⁴ – einen „Raum des Vertrauens“ zu etablieren, bei dem meistens informelle⁶⁵ Praktiken und Repräsentationen sozial und nicht vorwiegend ideologisch grundiert waren.⁶⁶
Hierzu u. a. Hillard Thiessen u. Christian Windler (Hg.), Akteure und Außenbeziehungen. Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel, Köln 2010; Margrit Pernau, Transnationale Geschichte, Göttingen 2011, darin insbesondere S. 36 – 74; vgl. auch Bauerkämper u. Di Palma (Hg.), Bruderparteien, hier die Einleitung S. 7– 26. Archives Hôtel de Ville de Bobigny, W899, Jumelage Bobigny-Potsdam; Archives Mairie Montreuil, Jumelage Montreuil-Cottbus (ohne Signatur); Archives Mairie Aubervilliers, Jumelage Aubervilliers-Rudolstadt (ohne Signatur); Archivio Storico della città di Firenze, Gemellaggio Firenze-Dresda, Busta 302; Gemellaggio Livorno-Rostock, Busta 305. Der hier angewandte Ansatz nimmt seinen Ausgang von der These, wonach die Strukturen einer Gesellschaft – selbst wenn von oben streng reglementiert und überwacht – durch Zutun aller Beteiligter, sowohl Herrschender als auch Beherrschter, von „Macht“ durchsetzt sind. Macht wird somit als Ausdruck einer sozialen Interaktion aufgefasst, zu dem alle ihren Beitrag leisten, so auch wenn sie lediglich „zustimmen und gehorchen.“ Hierzu grundsätzlich, Michel Foucault, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt a. M. 1976; Thomas Schäfer, Reflektierte Vernunft. Michel Foucaults Projekt einer antitotalitären Macht und Wahrheitskritik, Frankfurt a. M. 1995; Ulrich Bröckling, Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform, Frankfurt a. M. 2007. Den Konzepten des „Eigensinns“ und der „Performanz“ folgend wird „das Politische“ als socially constructed aufgefasst. Dabei wird Politik als autonomer Bereich der Entscheidungen von Eliten, Staatsmännern bzw. des diplomatischen Handelns auf höchster Ebene relativiert. Im Gegensatz dazu, so die These, bestimmen und definieren spezifische Akteure in einem geschlossenen Interaktionsradius Ziele und (Verhaltens‐)Normen ihrer Kontakte bzw. ihres Tuns selbstständig. Siehe über das – in diesem Zusammenhang auf Alf Lüdtke zurückgehende – Konzept „Eigensinn“ Thomas Lindenberger, Eigen-Sinn, Herrschaft und kein Widerstand, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 02.09. 2014. Demnach bedingen u. a. soziales Handeln und kulturelle Faktoren die Grenze zwischen dem Politischen und dem Nichtpolitischen, wobei die Spannung zwischen Arbeitsalltag, bestehender Herrschaftspraxis und „mißmutiger Loyalität“ (Alf Lüdtke, zit. nach Thomas Lindenberger, in: Lindenberger, Eigen-Sinn, Herrschaft und kein Widerstand, S. 9) unmittelbar berührt ist. Zu „Performanz“ siehe u. a. Christoph Wulf / Michael Göhlich / Jörg Zirfas, Sprache, Macht und Handeln – Aspekte des Performativen, in: Christoph Wulf / Michael Göhlich / Jörg Zirfas (Hg.), Grundlagen des Performativen: eine Einführung in die Zusammenhänge von Sprache, Macht und Handeln, Weinheim 2001, S. 9 – 24, hier S. 12.; über die „soziale Konstruktion des Politischen“ siehe u. a. Alexander Wendt, Social Theory of International
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5 Theoretischer Ansatz, Methoden und Quellen Die Untersuchung basiert auf einem beziehungs- und transfergeschichtlichen Ansatz. Die internationale politische Entwicklung der drei hier berücksichtigten Länder – DDR, Frankreich und Italien – wird zur Beleuchtung des trilateralen Beziehungsgeflechts zwischen der SED, dem PCF und dem PCI thematisiert. Durch die empirische Analyse von Korrespondenzen, Partei- und Stimmungsberichten wird deutlich gemacht, inwieweit die grenzüberschreitenden Beziehungen zwischen den Parteien über wechselseitige Wahrnehmungen hinaus signifikante Transfers nach sich zogen und Lernprozesse ins Rollen brachten. Vor diesem Hintergrund zeichnet die Studie zur Erklärung der jeweiligen Konstellationen die komplexen Vermittlungen und Rückkopplungen zwischen der SED und den kommunistischen Parteien Frankreichs und Italiens nach. Um die Auswirkungen der untersuchten Rezeptions- und Austauschprozesse zu erfassen, werden die Befunde auch vergleichend eingeordnet und interpretiert. Für die Analyse der Kontakte und der daran beteiligten Akteure kommen Untersuchungsansätze zur Anwendung, über die in den letzten Jahren eine intensive methodologisch-theoretische Diskussion geführt wurde.⁶⁷ Zu diesem Zweck werden beziehungs- und verflechtungsgeschichtliche Untersuchungsansätze jeweils mit der historisch-komparativen Methode kombiniert.⁶⁸ Diese Verbindung ist für die Untersuchung, die sowohl eine Makrostudie
Politics, Cambridge 1999; Alexander Wendt / Mathias Albert / Lars-Erik Cederman (Hg.), New systems theories of world politics, Basingstoke 2010; Thomas Risse-Kappen, Introduction, in: Thomas Risse-Kappen (Hg.), Bringing Transnational Actors Back, in: Non-State Actors, Domestic Structures and International Institutions, Cambridge 1995, S. 3 – 33. Dazu grundsätzlich: Jürgen Osterhammel, Transnationale Gesellschaftsgeschichte: Erweiterung oder Alternative, in: Geschichte und Gesellschaft 27, 2001, S. 464– 479; Sebastian Conrad, Doppelte Marginalisierung. Plädoyer für eine transnationale Perspektive auf die deutsche Geschichte, in: Geschichte und Gesellschaft 28, 2002, S. 145 – 169; Sebastian Conrad u. Jürgen Osterhammel, Einleitung, in: Sebastian Conrad u. Jürgen Osterhammel (Hg.), Deutschland in der Welt 1871 – 1914, Göttingen 2004, S. 7– 27, bes. S. 14– 16; Philipp Ther, Beyond the Nation: The Relational Basis of a Comparative History of Germany and Europe, in: Central European History 36, 2003, S. 45 – 73. Ferner der Untersuchungsansatz der histoire croisée von Michael Werner u. Bénédicte Zimmermann, Vergleich, Transfer, Verflechtung. Der Ansatz der histoire croisée und die Herausforderung des Transnationalen, in: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), S. 707– 736. Dazu u. a. Hartmut Kaelble u. Jürgen Schriewer (Hg.), Vergleich und Transfer. Komparatistik in den Sozial-, Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt a. M. 2003; Hannes Siegrist, Perspektiven der vergleichenden Geschichtswissenschaft, in: Hartmut Kaelble u. Jürgen Schriewer (Hg.), Diskurse und Entwicklungspfade. Der Gesellschaftsvergleich in den Geschichts- und Sozialwissenschaften, Frankfurt a. M. 1999, S. 305 – 339; Heinz-Gerhard Haupt u. Jürgen Kocka (Hg.), Geschichte und Vergleich, Frankfurt a. M. 1996; Johannes Paulmann, Internationaler Vergleich und
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(Parteivorstände) als auch Meso- oder Mikrostudien (lokale Ebene und zivilgesellschaftliche Bereiche) einschließt, in heuristischer Hinsicht fruchtbar. Politische Ziele, Denkweisen, Entscheidungsabläufe und Maßnahmen können auf diese Weise einerseits synchron miteinander verglichen, andererseits diachron im Hinblick auf grenzüberschreitende Transfers nachvollzogen werden.⁶⁹ Als für diese Untersuchung besonders relevant stellt sich dabei der Begriff der connectivity bzw. connected history ⁷⁰ heraus, welcher auf die „enge Verwobenheit“⁷¹ der zu analysierenden Objekte abhebt. Eine solche starke Verzahnung legt einen verflechtungsgeschichtlichen Zugriff nahe, der sich dem engen Rahmen der nationalhistorischen Geschichtsschreibung entzieht. Damit ist der Bereich des „Transnationalen“ unmittelbar berührt, in dem sich die vorliegende Studie in konzeptioneller Hinsicht bewegt. Das Konzept der Transnationalität findet inzwischen oft auch in der SED- bzw. Kommunismusforschung Anwendung. Kritisch angemerkt wurde jedoch bereits, dass weiterhin zu prüfen sei, ob und inwieweit sich der Begriff für Untersuchungen eignet, die primär oder teilweise auf Akteure der staatssozialistischen Regimes Bezug nehmen.⁷² Der Terminus erlebte in Deutschland Ende der sechziger Jahre durch den Politologen Karl Kaiser eine vorläufige Renaissance.⁷³ Er zielte damit darauf ab, neben den staatlichen auch die gesellschaftlichen Agenten in den politischen Prozessen zu berücksichtigen.⁷⁴ Nach der von Werner Link
interkultureller Transfer: zwei Forschungsansätze zur europäischen Geschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts, in: Historische Zeitschrift 267 (1998), S. 649 – 685; Jürgen Hartmann, Vergleichende Politikwissenschaft, Frankfurt a. M. 1995. Hierzu grundsätzlich Hartmut Kaelble, Die interdisziplinären Debatten über Vergleich und Transfer, in: Kaelble u. Schriewer, Vergleich, S. 469 – 493. Der forschungsleitende Begriff der connected history geht vorwiegend auf die Bemühungen einer Gruppe von an der École des Hautes Études en Science Sociales (EHESS) in Paris arbeitenden Historiker und Politikwissenschaftler zurück, welche ihn Ende der 1990er Jahre prägten. Siehe hierzu u. a. Serge Gruzinski, La pensée métisse, Paris 1999; ferner Pernau, Transnationale Geschichte, S. 37– 38. Pernau, Transnationale Geschichte, S. 37. Vgl. Hermann Wentker, Außenpolitik oder transnationale Beziehungen? Funktion und Einordnung der Parteibeziehungen der SED, in: Bauerkämper u. Di Palma (Hg.), Bruderparteien, S. 29 – 47. Der Terminus wurde bereits Anfang der 1860er Jahre durch den deutschen Linguisten Georg Curtius geprägt und Anfang des 19. Jahrhunderts auch in den USA vom Journalisten Randolph Bourne erstmalig gebraucht. Hierzu Pierre-Yves Saunier, Transnational, in: Pierre-Yves Saunier u. Akira Iriye (Hg.), The Pelgrave Dictionary of Transnational History, Houndmills 2009, S. 1047– 1055, hier S. 1047– 1048. Vgl. Karl Kaiser, Transnationale Politik. Zu einer Theorie multinationaler Politik, in: Ernst-Otto Czempiel (Hg.), Die anachronistische Souveränität. Zum Verhältnis von Innen- und Außenpolitik (Politische Vierteljahresschrift, Sonderheft 1), Opladen 1969, S. 80 – 109; ferner auch Robert O.
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formulierten, sich grundsätzlich aber auf die Ausführungen Karl Kaisers stützenden Definition⁷⁵ sind transnationale Beziehungen Außenbeziehungen und Außenaktivitäten, an denen mindestens ein „gesellschaftlicher Akteur“ beteiligt ist. Dies scheint unmittelbar nachvollziehbar, wirft jedoch zugleich Verständnisfragen auf: Was ist genau unter solchen „gesellschaftlichen Akteuren“ zu verstehen? Sind diese klar von „staatlichen Akteuren“ zu unterscheiden, vor allem in einer bekanntlich „durchherrschten“ Gesellschaft wie der DDR? Auf den ersten Blick eignet sich die DDR nicht als Gegenstand eines transnationalen Untersuchungsansatzes, da in ihr staatliche Behörden, ihre Steuerungsstrukturen und die diesen nahestehenden gesellschaftlichen Organisationen eng miteinander, auch personell, verwoben, waren und durch die Staatspartei fast nahtlos kontrolliert wurden. Oft etablierten sich jedoch Entscheidungsmechanismen in einzelnen Sektoren, wie z. B. in den verschiedenen SED-Auslandsabteilungen, in Form von tagtäglichen Arrangements, bei denen zweifelsohne auch nicht-institutionalisierte Akteure über den „Eisernen Vorhang“ hinaus eine Rolle spielten. Die neuere einschlägige Forschung hebt auf diese „Akteurszentriertheit“ ab und legt dabei die These zugrunde, dass sogar Staaten unter spezifischen Bedingungen als soziale Agenten aufgefasst werden können.⁷⁶ Der außenpolitische Bereich eines jeweiligen Staates eigne sich besonders hierfür, denn er bewege sich im locker reglementierten supranationalen Raum, der sich, so die Annahme, wiederum „anarchisch“ ausnehme.⁷⁷ Er beruhe auf personell eingefädelten, sozial arrangierten Netzwerken und Strukturen, welche sich der politischen Kontrolle
Keohane u. Joseph S. Nye (Hg.), Transnational Relations and World Politics, in: International Organization 25 (1971), S. 329 – 349. Dazu siehe Wentker, Außenpolitik oder transnationale Beziehungen?, hier S. 33. Vgl. u. a. Wendt, Social Theory, S. 209 – 201. Alexander Wendt, The State as person in International Theory, In: Rewiev of International Studies 30 (2), 2005, S. 289 – 316. Alexander Wendt u. Daniel Friedheim, Hierarchy under Anarchy: Informal Empire and the East German State, in: International Organization 49 (1995), S. 689 – 722; Thomas Biersteker u. Cynthia Weber (Hg.), State Sovereignty as Social Construct, Cambridge 1996; Andreas Hasenclever / Peter Mayer / Volker Rittberger, Theories of international Regimes, Cambridge 1997. Zur „Anarchie“ als treibendem Faktor der internationalen Beziehungen grundsätzlich,Wendt, Social Theory, S. 249 – 310; Alexander Wendt, Anarchy is what States Make of it: The social construction of power politics, in: International Organisation 46 (1992), S. 391– 425. Jennifer Mitzen, Managing Anarchy: The emergence and consolidation of the international public sphere, Chicago 2000; Helen Milner, The assumption of anarchy in international relations theory, in: Review of International Studies 17 (1991), S. 67– 85.
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„von oben“ zumindest partiell entziehen und nach der Formel der Governance without Government funktionieren.⁷⁸ Der Mahnruf Jürgen Kockas, der 2003 die an der DDR interessierte historiographische Zunft aufforderte, doch „über den Tellerrand“ zu blicken, wurde von den einen als willkommener Impuls begrüßt, während andere fürchteten, die einschlägige Forschung könne dadurch ihre Eigenständigkeit verlieren. Der aus der Politikwissenschaft stammende Trend hin zu einer Fokussierung auf Akteure kommt freilich nur bedingt bei Historikern, hier spezifisch Zeithistorikern, zur Geltung. Deren Anspruch einer „über den Tellerrand“ hinauswachsenden DDRForschung muss oft an einem zu engen Korsett der Interpretationen und nicht zuletzt der anzuwendenden und zu fördernden Untersuchungsmethoden scheitern. So ist dem Politologen Eckard Jesse zuzustimmen, wenn er lapidar feststellt: „Was bei der heutigen DDR-Forschung auffällt: Sie ist fest in der Hand von Zeithistorikern.“⁷⁹ Die dafür ins Feld geführte Begründung, für viele Politikwissenschaftler hätte das Ende der DDR auch den Untergang der politikwissenschaftlichen DDR-Forschung bedeutet, ist sicherlich suggestiv; sie greift aber eindeutig zu kurz. Die britische DDR-Expertin Mary Fulbrook hat jüngst auf offenbar in der deutschen Geschichtswissenschaft grassierende Missverständnisse in Bezug auf die DDR-Forschung hingewiesen. Sie sperrt sich gegen eine eindimensionale Interpretation des SED-Staates und warnt das deutsche zeithistorische „Establishment“ davor, ein zu starres oder gar einzig gültiges DDR-Bild ausmalen und verbreiten zu wollen: Doch trotz ausgefeilter Methoden und vielen Forschungsanstrengungen sind wir weit davon entfernt, die sich verändernden Mentalitäten, Emotionen und Lebensstile bzw. -entwürfe in den vier Jahrzehnten der DDR auf überzeugende Weise, noch dazu theoretisch untersetzt, beschreiben und erklären zu können. Die vielen, häufig allzu detailverarbeiteten Studien, sei es zu den Institutionen von Partei und Staat, zur politischen Repression oder auch nur zum Wohnungsaufbauprogramm, müssen durch Forschungen ergänzt werden, die analysieren,
Diese Praxis ist jüngst auch in den sonst für rigide durchorganisiert, strikt kontrolliert gehaltenen diplomatischen Beziehungen der neuzeitlichen Staaten nachgewiesen worden, was erneut den sozialen Charakter des Politischen unterstreicht. Vgl. Hillard Thiessen u. Christian Windler (Hg.), Akteure und Außenbeziehungen. Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel, Köln 2010. Vgl. dazu Überlegungen und Diskussionen zur konzeptionellen Weiterentwicklung der Politikgeschichte seit den neunziger Jahren. Sie haben die soziale und kulturelle Dimension politischen Handelns betont. Dabei sind Prozesse der Definition, Kommunikation und Interaktion ebenso akzentuiert worden wie Formen der Wahrnehmung, Repräsentation, symbolischen Inszenierung und Sinngebung. Das Politische ist damit als gesellschaftliche Handlungspraktiken und kulturelle Vorstellungen spezifischer Akteure aufgefasst worden. Eckard Jesse, Die DDR als Chance? Die DDR als Chance, in: Mählert, Ulrich (Hg.), Die DDR als Chance. Neue Perspektiven auf ein altes Thema, Berlin 2016, S. 121– 130, hier S. 123.
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wie die große Mehrheit der Bevölkerung im Verlauf des ein halbes Jahrhunderts währenden Wandels der Generationen und ihrer Rahmenbedingungen dachte und warum sie wie handelte.⁸⁰
Dieser Sicht ist gänzlich zuzustimmen, wenn man nicht weiterhin Forschungen betreiben möchte, die nur eine Bestätigung dessen ans Licht zu befördern beabsichtigen, was man ohnehin schon weiß und kennt, dass nämlich die DDR eine Diktatur bzw. ein Unrechtsstaat gewesen ist; wenn es tatsächlich zutrifft, dass der „Unterschied zwischen der Politikwissenschaft und der Geschichtswissenschaft schließlich nicht in einer temporalen Differenz [besteht]. (Zeit‐)Historiker beleuchten vielmehr, individualisierend vorgehend, stärker Ereignisketten, Politikwissenschaftler hingegen spüren mehr strukturellen Bedingtheiten nach“⁸¹. Daher scheint es zumindest angebracht, Versuche zu unternehmen, beide Disziplinen und die von ihnen propagierten Lesarten eines Forschungskomplexes enger aneinander zu binden und miteinander zu verknüpfen. Vor diesem Hintergrund muss sich die einschlägige Forschung stärker mit der Perzeption von Diskursen auseinandersetzen, wie sie im In- und Ausland stattgefunden haben, z. B. über eine Alternative zum Regime oder zum „realexistierenden Sozialismus“, kurz: Sie hat die damaligen Diskussionen über den „dritten Weg“ ernst zu nehmen. Nur so kann sie der transnationalen (oder supranationalen) Zirkulation von Ideen, Wertvorstellungen und sozialem Kapital, die sich trotz der bipolaren Teilung der Welt zutrug, gerecht werden und sie präzise bewerten und einordnen. Damit scheint aber der „Streit“ über die Brauchbarkeit von transnationalen Ansätzen bzw. darüber, ob diese als methodologischer Zugang auf die SED bzw. auf die komparative Kommunismusforschung anwendbar sind, noch nicht beigelegt. Kaisers Ausführungen, die methodologisch und analytisch der Erforschung westeuropäischer Organisationen und Institutionen im Kalten Krieg galten, greifen für eine Analyse der SED-Geschichte letztendlich zu kurz. Die neueste Historiografie zur DDR hat deshalb den transnationalen Ansatz aufgenommen und außerdem Zugriffe gewählt, die eine Analyse von informellen, biografischen und personalen Netzwerken mit ihrem sozialen Gehalt⁸² überhaupt erst ermög-
Mary Fulbrook, Die fehlende Mitte. Die DDR als postnazistischer Staat, in: Mählert, Die DDR als Chance, S. 89 – 97, hier S. 96 – 97; ferner Andrew I. Port, The Banalities of East German Historiography, in: Andrew I. Port u. Mary Fulbrook (Hg.), Becoming East Germans: Socialist Structures and Sensibilities after Hitler, New York 2013, S. 1– 30. Jesse, Die DDR als Chance?, S. 124; ferner auch Alexander Gallus, Über das Verhältnis von Geschichts- und Politikwissenschaft, in: APuZ, 1– 3/2012, S. 39 – 45. Zum an Pierre Bourdieu angelehnten Konzept von „sozialem Kapital“ und zu seiner Relevanz für die Netzwerk-Forschung: Pierre Bourdieu, Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales
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lichen. Diese Zugriffe helfen gleichzeitig, wichtige Fragestellungen, wie die der Handlungskoordination zwischen leitenden Gremien und angrenzenden Strukturen und „Kadern“, zu behandeln und der hohen Komplexität der SED-Herrschaftsstruktur mit mehreren, voneinander relativ unabhängigen mittleren und unteren Abteilungen gerecht zu werden. Vor allem aber weist die hier angedeutete Vielfalt bei der Bildung und Aufrechterhaltung von Machtverbindungen (Personen, Gruppen, Institutionen) auf eine eher problematische Begriffsbildung hin. Rüdiger Bergien hebt in diesem Zusammenhang pointiert hervor, „dass die Metapher ‚Apparat‘ eine Analogie von Organisation (bzw. Verwaltung) und Maschine als gedanklichen Ausgangspunkt hat, dass sie im kommunistischen Offizialdiskurs Ausdruck eines ‚prononcierten technokratischen Steuerungsoptimismus‘ war und als solche selbst vorab zu hinterfragen ist“.⁸³ Er und andere⁸⁴ plädieren deshalb dafür, auf die Verwendung des inkriminierten Begriffs aus einem vornehmlichen Grund konsequent zu verzichten: Er blende die tatsächliche Vielschichtigkeit und Vielgestaltigkeit von Entscheidungsmechanismen und ihren Trägern in sonst traditionell für monolithisch „durchherrscht“ gehaltenen kommunistischen Parteien aus. Dazu ist der Ansatz der socio-histoire einschlägig, der akteursorientiert die Trennung zwischen Staat und Gesellschaft zu überwinden sucht und staatliche Institutionen als Bestandteil der Gesellschaft betrachtet,⁸⁵ oder Untersuchungsansätze, die auf performance abheben.⁸⁶
Kapital, in: Reinhard Kreckel (Hg.), Soziale Welt, Sonderband 2: Soziale Ungleichheiten, Göttingen 1983, S. 183 – 198. Rüdiger Bergien, Im „Generalstab der Partei“. Organisationskultur und Herrschaftspraxis in der SED-Zentrale (1946 – 1989), Berlin 2017, hier S. 18. Hierzu u. a. Stephan Merl, Politische Kommunikation in der Diktatur. Deutschland und die Sowjetunion im Vergleich, Göttingen 2012, hier S. 10 – 15; Martin Sabrow, Sozialismus als Sinnwelt. Diktatorische Herrschaft in kulturhistorischer Perspektive, in: Potsdamer Bulletin für Zeithistorische Studien 40/41 (2007), S. 9 – 23. Vgl. Sandrine Kott u. Emmanuel Droit (Hg.), Die ostdeutsche Gesellschaft. Eine transnationale Perspektive, Berlin 2006. In Bezug auf die DDR-Geschichte sei auf das im Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam abgeschlossene Projekt „Der „Apparat“ des Zentralkomitees als Regierungszentrum der DDR. Politik- und Gesellschaftssteuerung als Problem des Staatssozialismus (1963 – 1989)“ hingewiesen. Vgl. hierzu Bergien, Im „Generalstab der Partei“. Ferner zum „performativen Ansatz“, Rüdiger Bergien, Activating the ‚Apparatchik.ʼ Brigade Deployment in the SED Central Committee and the Performative Power of Communist Party Rule, in: Journal of Contemporary History, October 2012, vol. 47 (4), S. 793 – 811; Jürgen Matschukat u. Steffen Patzold (Hg.), Geschichtswissenschaft und „performative turn“: Ritual, Inszenierung und Performanz vom Mittelater bis zur Neuzeit, Köln 2003. Darin wird argumentiert, dass auch innerhalb des vorwiegend staatlichen Bereichs bedeutende Akteure wirkten, deren Kultur eher gesellschaftlich geprägt war als „nationalpolitisch“
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Die Studie bezieht deshalb als Leitbegriffe „Eigen-Sinn“ und „Performanz“ ⁸⁷ ein. Mit „Eigen-Sinn“ wird auf den übergeordneten Begriff „Herrschaft“ abgehoben, der – so die These – als asymmetrisches Machtverhältnis zu fassen ist, gleichzeitig aber auch als Ergebnis einer wechselseitigen Interaktion zwischen Herrschenden und Beherrschten. Auf diese können auch untergeordnete Akteure durch eigensinniges Verhalten Einfluss nehmen.⁸⁸ Dem Begriff „Performanz“ liegt die forschungsleitende These zugrunde, dass „Bedeutung“ und „Sinn“ – in Bezug auf die vorliegende Untersuchung etwa die führende Rolle der Partei – nicht per se gegeben sind, sondern erst konstruiert werden müssen und nur dann bestehen bleiben, wenn man sie ständig reproduziert, etwa durch symbolische Praktiken wie Repräsentationen und Inszenierungen.⁸⁹ Nach diesen Konzepten wird „das Politische“ als socially constructed aufgefasst,⁹⁰ anstatt von einer weitgehend autonomen Sphäre der Politik als Schauplatz von Entscheidungen „großer“ Parteipolitiker bzw. Staatsmänner und diplomatischen Handelns auszugehen. Diesem Untersuchungsansatz der Neuen Politikgeschichte folgend, definieren, übermitteln und repräsentieren spezifische Akteure Politik. Die Grenze zwischen dem Politischen und dem Nichtpolitischen ist somit durch soziales Handeln sowie kulturelle Faktoren bedingt.⁹¹
und deren Beziehungen durchaus auch als transnational betrachtet werden dürfen, sofern sie ins Ausland reichten. Zum Begriff von politischer Kultur vgl. Gerhard Besier, Die Partei als Kirche – der Fall DDR. Religion – Totalitarismus – „Politische Religion“, in: Klaus Hildebrand (Hg.), Zwischen Politik und Religion. Studien zur Entstehung, Existenz und Wirkung des Totalitarismus, München 2003, S. 113 – 138; Manfred Hildermeier, Kommunismus und Stalinismus: „Säkularisierte Religion“ oder totalitäre Ideologie?, in: Hildebrand, Zwischen Politik und Religion, S. 91– 111. Hierzu grundsätzlich Lindenberger, Herrschaft und Eigen-Sinn, S. 19 – 26; Martin Sabrow, Das Charisma des Kommunismus. Überlegungen zur Anwendung des Weberschen Herrschaftstypus auf die DDR, in: Martin Sabrow (Hg.), ZeitRäume. Potsdamer Almanach des Zentrums für Zeithistorische Forschung 2006, Berlin 2007, S. 162– 174; Vgl. Peter Hübner (Hg.), Eliten im Sozialismus, Köln 1999; Heinrich Best u. Ronald Gebauer (Hg.), (Dys)funktionale Differenzierung? Rekrutierungsmuster und Karriereverläufe der DDR-Funktionseliten, (SFB 580 Mitteilungen 3), Jena 2002; Frank Ettrich u. Richard Utz, Zwischen „Prominenz“ und „Nomenklatura“: Überlegungen zu neuerer Eliten-Literatur, in: Berliner Journal für Soziologie 3/2002, S. 389 – 403. Vgl. Lindenberger, Herrschaft und Eigen-Sinn, S. 19 – 26. Vgl. Wulf / Göhlich / Zirfas, Sprache, Macht und Handeln, S. 9 – 24, hier S. 12. Hierzu grundsätzlich Wendt, Social Theory. Hierzu grundsätzlich Ute Frevert u. Heinz-Gerhart Haupt (Hg.), Neue Politikgeschichte. Perspektiven einer historischen Politikforschung, Frankfurt a. M. 2005; Birgit Schwelling (Hg.), Politikwissenschaft als Kulturwissenschaft. Theorien, Methoden, Problemstellungen, Wiesbaden 2004; Ute Frevert, Neue Politikgeschichte, in: Joachim Eibach / Günther Lottes (Hg.), Kompass der Geschichtswissenschaft, Göttingen 2002, S. 152– 164.
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Dies hat in der jüngsten Vergangenheit zu weitreichenden Schlussfolgerungen geführt, welche die klassische Dichotomie „staatlich/nichtstaatlich“ als Grundvoraussetzung zur Definition des Transnationalen – wie oben dargestellt – geradezu in Zweifel gezogen haben. So merkt Pernau an: „Transnational bezieht sich zum einen auf die Untersuchung von Geschichte, die sich nicht in nationalen Grenzen erfassen lässt, […]. Zum anderen aber […] geht es darum, durch transnationale Geschichte die Selbstverständlichkeit der Kategorie Nation selbst infrage zu stellen.“⁹² Besonders zutreffend scheint dies für die Untersuchungskonstellation dieser Studie, bei der das transnationale Verständnis geboten ist. Zum einen, weil die an den hier ausgeleuchteten trilateralen Beziehungen Beteiligten meistens keine nationalen Interessen vertraten – zumindest PCI und PCF keineswegs. Zum anderen, weil sie – SED-Repräsentanten eingeschlossen – auf einer Ebene interagierten, auf der neben der eigenen Entscheidungsgewalt, mehr oder weniger beeinflusst und beeinflussbar durch Vorgaben von oben, auch Eigendynamik und Kontingenz eine Rolle spielten.⁹³ Dabei sind auch Opportunismus und „Anarchie“⁹⁴ in Rechnung zu stellen. Diese gleichsam treibenden Faktoren in der Ausrichtung der trilateralen Beziehungen erweisen sich als äußerst brauchbare Kategorien zur Erfassung der hier dargestellten mannigfaltigen Kontakte. Sie ermöglichen die kritische Einordnung und Erklärung von Transfer- und Austauschprozessen vor dem Hintergrund historischer Zäsuren und „Blockaden“ im Ost-West-Dialog. Gleichzeitig erleichtern sie die pointierte Nachzeichnung einer abseits von der internationalen, diplomatischen Politik der Vorstände und gleichrangiger Sektoren bestehenden „Subkultur“ an Ideen, Räumen, Menschen und Kulturbegegnungen. Die Analyse von informellen, biografischen und personalen Netzwerken bedient sich darüber hinaus neuerer sozial- und kulturhistorischer Untersuchungsansätze, bezieht sich aber auch auf wichtige Fragestellungen wie die Handlungskoordination der Untersuchungsobjekte und ihrer jeweiligen Organisationen, z. B. der Freundschaftsverbände, Städtepartnerschaften, Frauenorganisationen oder kommunistisch orientierten Gewerkschaften, ferner auf deren
Pernau, Transnationale Geschichte, S. 18 – 19. Über diesen Zusammenhang und aus globaler Perspektive siehe Leila Tarazi Fawaz / Christopher A. Bayly / Robert Ilbert (Hg.), Modernity and Culture. From the Mediterranean to the Indian Ocean, New York 2002, darin insbesondere die Einleitung „The Connected World of Empires“ Pernau, Transnationale Geschichte, S. 41. Wendt u. Friedheim, Hierarchy under Anarchy; Wendt, Anarchy is what States Make of it, hier S. 406 – 409; Milner, The Assumption of Anarchy, hier S. 77– 78.
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politischen Stil und ihre Repräsentationsformen.⁹⁵ Ein solcher Akteurs- und Handlungsbezug wird aufgegriffen, um die konkreten Interaktionen zwischen Spitzenfunktionären, mittleren „Kadern“ und Funktionären lokaler Organisationen der SED mit ihren „Bruderparteien“ zu erfassen und zu rekonstruieren.⁹⁶ Die Studie beruht dementsprechend einerseits auf einer Auswertung der Unterlagen des Politbüros und „ZK-Apparats“ der SED, der Vorstände des PCI und PCF aus den zentralen Parteiarchiven sowie auf Berichten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Diese Bestände stellen für die Rekonstruktion der wechselseitigen Beziehungen und ihres Wandels die entscheidende Grundlage dar. Darüber hinaus konnten konkrete Entscheidungsabläufe anhand des Schriftwechsels von mit außenpolitischen Fragen betrauten Abteilungen nachvollzogen werden. Für die Fallstudien wurden zudem die analogen Bestände der jeweiligen Ministerien, Arbeitsgruppen und einschlägigen Behörden auf regionaler und lokaler Ebene herangezogen. Eine weitere Quelle bilden die veröffentlichten Erlebnisberichte und autobiografischen Erinnerungen von Mitarbeitern des „ZKApparats“ und der Parteivorstände sowie anderer Partei- und Staatsfunktionäre.⁹⁷ Zur vertieften Behandlung der Fragestellungen wurden auch Ego-Quellen wie Stimmungsberichte, Tagebücher und Zeitzeugeninterviews ausgewertet. Aus
Zur Bedeutung der Netzwerke als Agenturen der „Vergesellschaftung“ und „Vergemeinschaftung“ siehe Nohlen u. Schultze, Lexikon, S. 676 – 679; Mark E.J. Newman / Albert-Lászlo Barabási / Duncan Watts (Hg.), The Structure and Dynamics of Networks, Princeton N.J. / Oxford 2006. Zum Konzept von politischer Repräsentation und politischem Stil: Giuseppe Duso, Die moderne politische Repräsentation: Entstehung und Krise des Begriffs, Berlin 2006; Heinrich Bußhoff, Politische Repräsentation: Repräsentativität als Bedingung und Norm von Politik, BadenBaden 2006. Zu der Netzwerk-Forschung der DDR: Martin Kohli, Die DDR als Arbeitsgesellschaft? Arbeit, Lebenslauf und soziale Differenzierung, in: Hartmut Kaelble / Jürgen Kocka / Hartmut Zwahr (Hg.), Sozialgeschichte der DDR, Stuttgart 1994, S. 31– 61; Peter Hübner, Betriebe als Träger der Sozialpolitik, betriebliche Sozialpolitik, in: Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, hg.v. Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung und Bundesarchiv, Baden-Baden 2001, S. 920 – 943; Arnd Bauerkämper, Lokale Netzwerke und Betriebe in der DDR, in: Annette Schuhmann (Hg.), Vernetzte Improvisationen. Gesellschaftliche Subsysteme in Ostmitteleuropa und in der DDR, Köln 2008, S. 179 – 191; Michael Schetsche u. Kai Lehmann (Hg.), Netzwerker-Perspektiven, Regensburg 2003. Dazu grundsätzlich: Eckart Conze, Zwischen Staatenwelt und Gesellschaftswelt. Die gesellschaftliche Dimension in der Internationalen Geschichte, in: Winfried Loth u. Jürgen Osterhammel (Hg.), Internationale Geschichte. Themen – Ergebnisse – Aussichten, München 2000, S. 117– 140; Matthias Middell, Kulturtransfer und Historische Komparatistik – Thesen zu ihrem Verhältnis, in: Comparativ 10, 2000, S. 7– 41. Zur kulturgeschichtlichen Diskussion: Cécile Rol, Soziologie als Möglichkeit: 100 Jahre Georg Simmels Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung, Wiesbaden 2009. Hier ist besonders hervorzuheben Hans Modrow, Das Große Haus von Außen, Berlin 1996.
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dieser Binnenperspektive lassen sich zusätzliche Deutungsmuster rekonstruieren. Vor allem aber vermitteln diese Quellen Einblick in die Parteimilieus, in die Bildung von Meinungsfraktionen und in die wechselseitige Rezeption. Neben der hermeneutischen klassischen Analyse der Quellen aus den Parteibeständen und den Massenorganisationen erweist sich die Nutzung lebensgeschichtlicher und themenzentrierter Interviews⁹⁸ und anderer Ego-Quellen sowie der umfangreichen Erinnerungsliteratur als besonders nützlich. Eine solche Kombination erscheint gleichsam notwendig, um die Einseitigkeit und Ritualität der schriftlichen Überlieferung der Parteiarchive durch die Rekonstruktion der dort im Allgemeinen ausgeblendeten, subjektiven Wahrnehmungen auszugleichen. Insgesamt fußt die Untersuchung auf einer Auswertung umfangreicher archivalischer und publizierter Quellen. Sie kombiniert analytische Zugriffe, die sich hinsichtlich der Untersuchungsebenen (Parteispitze, intermediäre Ebene, Parteibasis, Bevölkerung), der Untersuchungsmethoden (klassische Texthermeneutik, statistische Analysen, Oral History) und der verwendeten Quellen (Schriftgut der Parteigliederungen, Erinnerungsberichte, Interviews) unterscheiden, aber auch ergänzen. Mit der Überführung des Parteischriftguts in die öffentliche Archivverwaltung waren die Voraussetzungen für die Nutzung der vorhandenen Bestände gegeben. Bei der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR (SAPMO) in Berlin wurden sämtliche Unterlagen aus der Sektion Internationale Beziehungen der SED und insbesondere die Dokumente aus dem Büro Erich Honeckers
Interviews hochrangiger Politiker und Vertreter der jeweiligen Länder stellten eine wichtige Quelle dar, wenngleich deren Ertrag für die hiesigen Zusammenhänge nicht überbewertet werden soll. Dabei soll berücksichtigt werden, dass die bei den Gesprächen geäußerten Ausführungen lediglich die jeweils persönliche Sicht der Sachverhalte widerspiegelt. Auch soll in Rechnung gestellt werden, dass einige der Befragten zum Zeitpunkt der Interviews hochbetagt waren und sich oft nicht mehr an Details und Hintergründe erinnern konnten. Einige andere dürfen hier auf ihren Wunsch hin nicht erwähnt werden. Interviewt werden konnten u. a. Antonio Rubbi, hochrangiger PCI-Funktionär und Außenminister im „Schattenkabinett“ seit der zweiten Hälfte der siebziger Jahre bis zum Zusammenbruch seiner Partei; Michele Ingenito, „Mittelbau-Vertreter“ des PCI sowie in den siebziger und achtziger Jahren Auslandskorrespondent in Ost-Berlin, und Jean-Pierre Brard, langjähriger Bürgermeister von Montreuil sowie einflussreicher PCI-Politiker im Großraum Paris. Zur weiteren Arrondierung der „mündlichen“ Quellen wurden auch veröffentlichte Stellungnahmen und Memoiren von einflussreichen Politikern analysiert, so u. a.: Georges Marchais, Démocratie, Paris 1990; Enrico Berlinguer, I discorsi parlamentari (1968 – 1984), Rom 2001 (hg. von Maria Luisa Righi); Frank-Joachim Herrmann, Der Sekretär des Generalsekretärs. Honeckers persönlicher Mitarbeiter über seinen Chef. Ein Gespräch mit Brigitte Zimmermann und Reiner Oschmann, Berlin 1996; Markus Wolf, Die Kunst der Verstellung. Dokumente, Gespräche, Interviews, Berlin 1998; Brigitte Zimmermann u. Hans-Dieter Schutt (Hg.), OhnMacht. DDR-Funktionäre sagen aus, Berlin 1992.
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und Hermann Axens, Leiter der Abteilung Internationale Beziehungen beim ZK der SED, eingesehen. Am Istituto Gramsci in Rom verdienten die Sezione Estero (Abteilung Ausland) des PCI und die Akten der Movimento Operaio Internazionale (Internationale Arbeiterbewegung) besondere Aufmerksamkeit. Daraus konnte ein differenziertes Bild der politischen Entwicklung des PCI ab Ende der sechziger Jahre bis 1984/85 gewonnen werden, die durch die nachhaltig prägenden Ereignisse des Jahres 1968 angestoßen worden war. Von besonderer Bedeutung für die italienische Partei waren die sich ab Mitte der sechziger Jahre – wohl schon seit dem Tod des langjährigen Vorsitzenden Palmiro Togliattis 1964 – abzeichnende Ausrichtung auf einen erneuerten Internationalismus und die später stark zum Vorschein kommende Konzentration auf die Forderung nach sicherheitspolitischen Maßnahmen, für deren Realisierung sich die Zusammenarbeit mit sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien Europas anbot. In den Archives Départementales de la Seine-Saint-Denis in Bobigny bei Paris konnten zahlreiche, sehr umfangreiche Archivalien ausgewertet werden. Abgesehen von mehreren Periodika aus der Zeit zwischen 1968 und 1991, galt die Aufmerksamkeit insbesondere verschiedenen Nachlässen von Vorstandsmitgliedern des PCF wie Paul Laurent und Gaston Plissonnier, die dem Büro Außenbeziehungen der Partei vorstanden, sowie den Fonds Section de politique extérieure (317 J 10 bis 317 J 19) und Direction Comité central (261 J 2/44 bis 261 J 2/65).⁹⁹ Themenrelevante Dokumente aus der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) wurden ebenso geprüft. Die Untersuchung dieser Bestände trug zur Klärung der Kommunikation zwischen „Zentrum“ und „Peripherie“ der SED bei. Auch wurden so Erkenntnisse über die Kontrolle von Botschaften, Vertretungen und der in der DDR lebenden ausländischen Mitarbeiter westlicher Nachrichtendiente gewonnen. Der Fokus lag dabei auf zwei Beständen: der MfS-Hauptabteilung II (Spionageabwehr) und der MfS-Operative Hauptabteilung. Mit den jeweils französischen und italienischen Dokumenten zu den Städtepartnerschaften und Freundschaftsgesellschaften konnten freilich nicht alle entsprechenden deutschen Akten¹⁰⁰ abgeglichen werden.¹⁰¹ Insgesamt we-
Alle in der vorliegenden Arbeit zitierten Quellenübersetzungen sind vom Verfasser vorgenommen worden. Im SAPMO-BArch u. a. der Fonds DZ 20, Ministerrat der DDR, im Landesarchiv Berlin vor allem die Fonds Bezirksleitung Berlin der SED (C-Rep. 902– 02) und Nachlässe und Personenfonds (C-Rep. 902– 02– 03) und im Brandenburgischen Landeshauptarchiv in Potsdam (BLHA) die Fonds Bezirksparteiarchiv Potsdam und Bezirksparteiarchiv Cottbus.
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nig ertragreich für die hier verfolgten Fragestellungen erwies sich außerdem die Auswertung der einschlägigen Fonds zur Gewerkschaftsarbeit, zu den Beziehungen und Verflechtungen im Bereich der Jugend- und Frauenorganisationen, der Liga für Völkerfreundschaft sowie der parlamentarischen Gruppen. Abgesehen von den Archivalien zu den gemischten parlamentarischen Gruppen, die sowohl in Frankreich als auch in Italien nicht mehr auffindbar sind,¹⁰² wurden die Unterlagen aller oben genannten Unterverbände ausführlich untersucht.¹⁰³
Dies lag schließlich daran, dass auch in diesem Fall einschlägige Dokumente im Ausland oft nicht mehr auffindbar oder schlichtweg vernichtet worden waren. Da einschlägiges Material in Frankreich und in Italien nicht mehr auffindbar ist, kam es insbesondere auf die Analyse von Quellen im SAPMO-BArch an, dort vor allem auf die Fonds DA 1, Volkskammer der DDR und Deutschen Volksrat. So u. a. die Fonds PCF et les femmes, APCF; Archivio federazione femminile, APCI; Convegni, conferenze, seminari, beim Archivio storico della CGIL, Roma; Organizzazione giovanile FGCI, APCI; Congrès, beim Institut Cgt d’Histoire Sociale, Paris; Liga für Völkerfreundschaft (DY 13), SAPMO-Barch, Berlin.
Kapitel 1 Der „Prager Frühling“ und die Erschütterung der kommunistischen Welt (1968 – 1970) 1 „Prager Frühling“ zwischen Ost und West Als Bürger der DDR – eines Staates, in dem wir unter Androhung von Haft keine Möglichkeit haben, unsere wahre Meinung über politische Ereignisse öffentlich kundzutun – möchten wir – einige Arbeiter, Angehörige der Intelligenz und Schriftsteller – heute einige unserer Gedanken schriftlich niederlegen und in die Welt hinausschicken in der Hoffnung, daß sie außerhalb der Grenzen der DDR offene Ohren und mehr Verständnis finden. […] Dazu einige Fragen an Sie, Herr Ulbricht: 1) warum hat man nicht während der Machtausübung des Präsidenten Novotny sozialistische Hilfe geleistet, als dort die grundlegendsten Menschenrechte mit Militärstiefeln zertreten wurden; oder sind diese Methoden in anderen sozialistischen Ländern heute noch üblich? 2) warum hat man in der DDR die Bürger, die sich gegen eine derartige nächtliche militärische Brüderhilfe aussprachen, sofort inhaftiert (wie die Studenten Brasch, Weigel und Havemann)? 3) warum hat man bei uns in der Presse nicht den Brief Prof. K. Hagers an die Genossen in der CSSR nicht veröffentlicht? 4) warum wurde in der DDR der Vertrieb der Prager Volkszeitung gerade zu dem Zeitpunkt gänzlich eingestellt, als diese mit der Veröffentlichung von Eugen Loebls Tatsachenbericht über die Folterungen in sozialistischen Haftanstalten von Kommunisten durch Bestien, welche sich auch Kommunisten nannten, berichtete (Ende Mai 1968)? 5) warum gibt es in der DDR keinen freien Zeitungsvertrieb der deutschsprachigen Presseerzeugnisse sozialistischer Länder und der Druckerzeugnisse (in Dt.) kommunistischer Parteien? 6) warum hat ein sozialistischer Staat wie die DDR nötig, sich mit Stacheldraht und Mauern nach allen Seiten abzuriegeln […]? […] Wir appellieren an die Führer der kommunistischen Parteien Italiens, Frankreichs, Österreichs, der Schweiz, der CSSR, Jugoslawiens, Rumäniens und Schwedens: Setzt euch auf der Weltkonferenz im Juni in Moskau für demokratische Verhältnisse in den sozialistischen Ländern ein!¹
Das lange Zitat stammt aus der Petition eines unbekannten Dissidenten und DDRBürgers, der sich im April 1969 in Italien aufhielt und von dort aus die kommunistischen Parteien Westeuropas zur Aktion gegen den undemokratischen ostdeutschen Staat zu bewegen versuchte. Die DDR sei ein „unmenschliches“ Land. Die SED herrsche mit Gewalt und habe keinen Respekt vor Menschenrechten. Das Dokument befindet sich im Parteiarchiv des PCI in Rom, so wie viele weitere dieser Art; von einer offiziellen Stellungnahme der italienischen Kommunisten fehlt jedoch jede Spur. Der PCI bemühte sich seit der Niederschlagung des „Prager
Archivio del PCI, Istituto Gramsci Roma (fortan APCI), Sezione Estero, Microfilm 0308, Petition an das Gewissen, ohne Datum und ohne Unterschriften, wohl April 1969. https://doi.org/10.1515/9783110748260-004
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Kapitel 1: Die Erschütterung der kommunistischen Welt
Frühlings“ im August 1968 um diplomatische Schadenbegrenzung, bei der nicht nur die eigenen, sondern auch die politischen Interessen der westdeutschen SPD neben denen der SED berücksichtigt werden mussten. Am 30. Januar 1968 weilte eine hochrangige Delegation der SPD unter der Leitung von Egon Bahr und Leo Bauer in Rom.² Hauptthema der Konsultationen mit dem PCI war die Außenpolitik der DDR bzw. die Reaktion und Strategie der Bonner Regierung ihr gegenüber. Hervorgegangen waren die taktischen Beziehungen zwischen den Italienern und den Westdeutschen insbesondere aus dem Bemühen des damaligen Generalsekretärs des PCI Luigi Longo und seines Vizesekretärs Enrico Berlinguer.
1.1 Die DDR und Europa: Anerkennung und Spielräume Mit der äußerst umstrittenen Niederschlagung des „Prager Frühlings“ durch die Truppen des „Warschauer Paktes“ im August 1968 erfuhren die Ost-West-Beziehungen eine unerwartete Belastung. Die Angst vor einer verheerenden Eskalation oder weiteren Verschärfung der ideologischen und materiellen Rivalität zwischen den beiden Weltmächten USA und Sowjetunion sollte diese dennoch bald zu milderen Tönen und Entscheidungen veranlassen. Die Kuba-Krise Anfang der sechziger Jahre hatte eindeutig vor Augen geführt, dass die Gefahr einer „sicheren, gegenseitigen Zerstörung“³ durchaus im Bereich des Möglichen lag: Sie musste mit allen Mitteln gebannt werden. So wuchs das Interesse an sicherheitspolitischen Konzepten, die der Entspannung dienen sollten. Dies betraf natürlich auch das geteilte Europa und in erster Instanz das ebenso geteilte Deutschland. Seit Ende der sechziger Jahre intensivierte man deshalb – wohl auf Betreiben der UdSSR – die multilateralen Bemühungen zur Einberufung einer Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE).⁴ Hiermit verbanden mehrere Ostblock-Länder wie Polen und Rumänien die Hoffnung auf Klärung noch offener Fragen. Dabei ging es meistens um die Normalisierung ihres Status bzw. um die volle Anerkennung ihrer Souveränität durch westeuropäische
APCI, Fondo Berlinguer (Nachlass), Movimento operaio internazionale, Fascicolo 44, Incontro dei compagni Galluzzi e Segre con una delegazione della SPD composta da Egon Bahr, ambasciatore capo dell’Ufficio pianificazione del Ministero degli Esteri della RFT e da Leo Bauer, 30.1.1968 Rom. „Mutual Assured Destruction (MAD)“; vgl. hierzu u. a. Svetlana Savranskaya u. William Taubman, Soviet foreign policy, in: Melvyn P. Leffler u. Odd Arne Westad (Hg.), The Cambridge History of the Cold War, Vol. 2, New York 2010, S. 134– 157. Vgl. Anja Hanisch, Die DDR im KSZE-Prozess 1972 – 1985: zwischen Ostabhängigkeit, Westabgrenzung und Ausreisebewegung, München 2012; ferner auch Matthias Peter, Die Bundesrepublik im KSZE-Prozess 1975 – 1983. Die Umkehrung der Diplomatie, Berlin 2015, hier S. 67– 87.
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Staaten und die jeweiligen internationalen Institutionen.⁵ Das Streben der sozialistischen Länder nach mehr Eigenständigkeit auch im internationalen Rahmen zeigte zumindest schon symbolisch, dass die Moskauer Vormundschaft allmählich an Kraft einzubüßen begann. Die Balance zwischen der Respektierung der sowjetischen Suprematie und der Suche nach eigenen Spielräumen sollte die Außenpolitik der DDR in den letzten zwei Dekaden vor dem Mauerfall bestimmen, auch in Fragen der ideologischen Ausrichtung und Deutung. Mit dem Grundlagenvertrag 1972/73, welcher der DDR die volle Souveränität einbrachte, erhöhte sich der Druck auf die Ost-Berliner Machthaber sowie den neuen Generalsekretär Erich Honecker zusehends, selbstständig nach politisch verwertbaren und wirtschaftlich lukrativen Verbindungen im Ausland zu suchen. Im Gegenzug wuchs auch die Bereitschaft von ausländischen Partnern, direkte Beziehungen zur DDR aufzunehmen. Dabei spielten bei der SED mehrere Interessen eine entscheidende Rolle. Ganz klar gehörte dazu die Stabilisierung der inneren Lage durch eine aktive und effiziente Auslandsarbeit, die sich ebenfalls propagandistisch hervorragend nutzen ließ. Mitte der siebziger Jahre hatte die ostdeutsche Staatspartei ihre Macht konsolidiert und die Akzeptanz der DDR in der eigenen Bevölkerung ihren Höhepunkt erreicht. Zwar wirkte sich dies nur geringfügig auf die „EuropaVisionen“ der SED aus – diese folgten im Großen und Ganzen weiterhin den allgemeinen Vorgaben aus Moskau –, begünstigte jedoch eine genuin interessengesteuerte, strategische Gestaltung von jeweils bilateralen (West‐)Verbindungen zu einflussreichen Ländern und politischen Akteuren in Europa. Die Darstellung der SED-Politik gegenüber dem westeuropäischen Reformkommunismus wird dies exemplarisch zeigen.
Die SED und der westeuropäische Kommunismus Auch wenn die generelle Loyalität der SED zur KPdSU nie zur Debatte stand – zumindest bis zur Zeit der Perestroika –, erscheint es für den hier untersuchten Zusammenhang sinnvoll, die Möglichkeiten und Grenzen des Austauschs und der Verflechtung ostdeutscher Akteure mit westeuropäischen Partnern zunächst skizzenhaft darzustellen. Dabei ist eine Darlegung der Interpretation des Eurokommunismus durch die SED und ihres Umgangs mit ihm unvermeidlich.⁶
Hanisch, Die DDR im KSZE-Prozess, S. 28 – 29. Vgl. hierzu Francesco Di Palma, Der Eurokommunismus und seine Rezeption durch die SED (1968 – 1976). Einige theoretische Bemerkungen, in: Jahrbuch für Kommunismusforschung 2012, hg. von der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Berlin 2012, S. 233 – 248. Ferner Nikolas Dörr, Die Beziehungen zwischen der SED und den kommunistischen Parteien West- und Südeuropas.
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Kapitel 1: Die Erschütterung der kommunistischen Welt
Bis zur Niederschlagung des „Prager Frühlings“ unterhielt die SED ein im Sinne des „proletarischen Internationalismus“ gestaltetes Verhältnis zu ihren westeuropäischen „Bruderparteien“. Der Bruch des Jahres 1968 sollte dies mit einem Schlag ändern. Mit einer Verurteilung der Gewaltanwendung in Prag durch die Truppen des „Warschauer Paktes“ verbanden u. a. italienische, französische und spanische Kommunisten die Hoffnung auf Realisierung eines „sozialistischen Internationalismus“ jenseits sowjetischer Bevormundung. Die Forderung nach „Polyzentrismus“, die dabei mitschwang, war an sich nichts Neues. Palmiro Togliatti, der ehemalige PCI-Generalsekretär, hatte dafür bereits in den fünfziger Jahren, d. h. in der ersten Phase der Entstalinisierung, plädiert, allerdings ohne nennenswerte Ergebnisse in Moskau zu erzielen.⁷ Im Gegenteil bestätigte der XX. Parteitag der KPdSU 1956 das „Dogma der bipolaren Weltordnung“, das bis zur Ära Gorbatschows gültig bleiben sollte. Dies erschwerte für die Ostblock-Länder die Aufnahme von eigenständigen Beziehungen in Richtung Westen und ging mit der Annahme einher, dass Osteuropa im Allgemeinen das bessere, ja das einzig freiheitsbewahrende Europa sei.⁸ Indessen bestanden zwischen den westeuropäischen „Bruderparteien“ gleichwohl beachtliche ideologische und politische Differenzen, wie ihre jeweilige Positionierung zu den 1968er-Ereignissen zeigte. Der PCF kritisierte beispielweise die Besetzung der Tschechoslowakei prompt, milderte sie aber im Laufe desselben Jahres allmählich ab.⁹ Der PCI und der Partido Comunista de España (PCE), um nur zwei zu nennen, hielten an ihrer grundsätzlichen Ablehnung des Vorgehens in Prag fest, was ihre Politik zur KPdSU nachhaltig und bis zum Mauerfall stark beeinflusste.¹⁰ Der differenzierende Umgang der SED mit den Handlungsfelder, Akteure und Probleme, in: Bauerkämper u. Di Palma (Hg.), Bruderparteien, S. 48 – 65. Vgl. Carlo Spagnolo, Sul memoriale di Yalta: Togliatti e la crisi del movimento comunista internazionale (1956 – 1964), Rom 2007; Giovanni Vacca, Gramsci e Togliatti, Rom 1991, hier S. 128 – 129. Vgl. hierzu José M. Faraldo / Paulina Gulinska-Jurgiel / Christian Domnitz (Hg.), Europa im Ostblock: Vorstellungen und Diskurse (1945 – 1991), Köln 2008. Vgl. dazu grundsätzlich Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen. Ulrich Pfeil, Sozialismus in den Farben Frankreichs. SED, PCF und „Prager Frühling“, in: Deutschland Archiv 34/ 2 (2001), S. 235 – 245; ferner Michel Naudy, PCF. Le suicide, Paris 1986, hier S. 9 – 57. Hierzu vgl. u. a. Francesco Di Palma, Die SED, die kommunistische Partei Frankreichs (PCF) und die kommunistische Partei Italiens (PCI) von 1968 bis in die achtziger Jahre – ein kritischer Einblick in das Dreieckverhältnis (fortan: SED, PCF und PCI), in: Deutschland Archiv, 43/1 (2010), S. 80 – 89; zur PCE u. a. Andreas Baumer, Kommunismus in Spanien. Die Partido Comunista de España – Widerstand, Krise und Anpassung (1970 – 2006), Baden-Baden 2008; ferner Andreas Baumer, Camaradas? Die Beziehungen zur SED im Kontext der Debatte um das Verhältnis zum Staatssozialismus innerhalb der Partido Comunista de España 1968 – 1989, in: Bauerkämper u. Di Palma (Hg.), Bruderparteien, S. 187– 209, hier S. 189 – 191.
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einflussreichsten kommunistischen Parteien Westeuropas in den siebziger Jahren, dem PCI und dem PCF, folgte zweierlei Prinzipien: einerseits der jeweiligen ideologischen Nähe des Ansprechpartners, andererseits dessen Nutzbarkeit im internationalen Rahmen. Es zeugt eindeutig von einer gewissen Flexibilität der Ost-Berliner Machtriege, auch im organisatorischen Sinne, wenn man bedenkt, dass die Beziehungen der SED zu den italienischen Genossen nie abgebrochen wurden, obgleich Letztere als die gegenüber dem Ostblock kritischsten Stimmen im europäischen kommunistischen Lager galten. Sogar die Beziehungen zur westdeutschen Sozialdemokratie (SPD) wurden ab Ende der sechziger Jahre systematisch intensiviert. Die Öffnung gegenüber dem Westen war für die SED regelrecht überlebenswichtig. Primäres Ziel dabei war die Konsolidierung ihrer eigenen, souveränen Position im internationalen Raum. Darüber hinaus beabsichtigten Honecker und seine Mitarbeiter, sich Handlungsspielräume zu erarbeiten, von denen die DDR nachhaltig profitieren würde. Dazu boten sich insbesondere der PCI und der PCF an, die national über ein beträchtliches Wählerreservoir verfügten und seit 1973 auch im Europaparlament vertreten waren.¹¹ Der VIII. Parteitag der SED 1971 hatte deshalb neue Töne angeschlagen, indem ein entsprechend angepasstes außenpolitisches Konzept vorgelegt wurde.¹² Auf dieser Grundlage beruhten mehrere bilaterale Beschlüsse mit westlichen Partnern, sowohl auf Regierungsebene als auch im Bereich von Städtepartnerschaften und Parteiverbindungen.
1.2 Der PCI am Vorabend der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ In den sechziger Jahren, während der letzten Dekade der politischen und charismatischen Führung Luigi Longos (1900 – 1980), öffnete sich der PCI einer neuen Form des Internationalismus. Mehrere interne und externe Faktoren spielten dabei eine wichtige Rolle. Die mediale und soziale Mobilisierung während der Zeit des Vietnamkriegs, die der PCI zu seinen eigenen Gunsten und gegen den „US-Imperialismus“ zu nutzen suchte, war dabei maßgeblich.¹³ Die allgemeine revisionistische Wende des PCI war jedoch bereits viel früher angestoßen worden und u. a. auf Palmiro Togliatti zurückzuführen, der ab den
SAPMO-BArch, DY/30/IV B 2/20/189, Information Nr. 3/74 für das Politbüro, Haltung der FKP und der IKP zur Frage des Weges zur Macht, Berlin 10.01.1974. Die erste Fraktion setzte sich aus acht italienischen, drei französischen Abgeordneten und einem Vertreter der Sozialistischen Volkspartei Dänemarks zusammen. Vgl. Wentker, Außenpolitik, S. 320 – 376; ferner Siebs, Außenpolitik, S. 61– 76. Vgl. Alexander Höbel, Il PCI di Longo (1964 – 1969), Neapel 2010.
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fünfziger Jahren damit begonnen hatte, für einen Sozialismus als „Prozess“, eher denn als historisch unabwendbares Ziel, zu plädieren.¹⁴ Longo übernahm diese Lehre und propagierte mit großem Nachdruck ein neues Parteiverständnis. Die öffentliche Verdammung des Vietnamkriegs und die Kampagnen für eine kompromisslose Anerkennung der Volksrepublik China und der DDR stellten nur einige der außenpolitischen Schwerpunkte der Partei in jenen Jahren dar. Damit einher gingen die allmähliche Aufgabe der traditionellen Skepsis gegenüber der EWG, die Unterstützung der Ostpolitik Willy Brandts und die intensive Beteiligung an Projekten zur globalen Abrüstung.¹⁵ Auf dem XI. Parteitag im Januar 1966 wurden Zielsetzungen anvisiert, die grundlegend für die Politik des PCI bis zum Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus sein würden: Ein neuer, konzilianter Umgang mit der Sozialdemokratie, die Bestrebung zur Überwindung der „Logik der Blöcke“ und das Bemühen, ein sicheres, auf Arbeit gründendes Europa zu gestalten, waren nur einige der Hauptpunkte.¹⁶ Der PCI durchlief in den sechziger Jahren tiefgreifende Veränderungen, die zunächst mit seinem internationalen „Aufstieg“ zu begründen sind. In diesem Zusammenhang fiel die strategische Rolle Italiens an der Nahtstelle zwischen Ostund Westeuropa, zwischen NATO-Bündnis und der „real sozialistischen Welt“ zweifelsohne ins Gewicht. Die Partei profilierte sich ab Mitte des Jahrzehnts in verstärktem Maße als Mittler zwischen den Blöcken. Sie schwang sich zum Verfechter von Dialog, Kooperation und Fortschritt mitten in den konfligierenden Einflussbereichen der Supermächte auf.¹⁷ Ihre Motivation beruhte zum einen auf der Grundüberzeugung, dass sich die Partei, für eine supranationale, gesamteuropäische Integration einzusetzen habe. Gleichzeitig verfolgte sie damit das ehrgeizige Vorhaben, ein neues Europa zu schaffen, auf halbem Wege zwischen dem „messianischen Kommunismus“ Sowjetrusslands und dem „kapitalistischen Imperialismus“ der USA.¹⁸
Höbel, PCI S. 407– 408; Giovanni Vacca, Gramsci e Togliatti, Rom 1991. Sergio Segre, Luigi Longo nell’Europa della guerra fredda e della distensione, in: Luigi Longo. La politica e l’azione, Rom 1992; ferner Carlo Masala, Italia und Germania: die deutsch-italienischen Beziehungen 1963 – 1969, Köln 1998. Höbel, PCI, S. 408 – 409. Giuseppe Mammarella, Il Partito Comunista Italiano 1945 – 1975 – dalla liberazione al compromesso storico, Florenz 1976. Hierzu siehe u. a. Aldo Agosti, Storia del Partito Comunista Italiano: 1921 – 1991, Rom 1999, S. 98 – 99; Carlo Galluzzi, La svolta. Gli anni cruciali del Partito Comunista Italiano, Mailand 1983; Antonio Rubbi, Il mondo di Berlinguer, Rom 1994; Roberto Gualtieri (Hg.), Il Pci nell’Italia repubblicana 1943 – 1991, Rom 2001; Mauro Maggiorani u. Paolo Ferrari (Hg.), L’Europa da Togliatti a Berlinguer: testimonianze e documenti 1945 – 1984, Bologna 2005.
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Über diese Themen tauschten sich die italienischen Kommunisten rege mit weiteren „Genossen“ aus Westeuropa aus, insbesondere mit den französischen. Das enge Verhältnis zwischen beiden kommunistischen Parteien ist mit vielen Faktoren begründet worden, von der regionalen Nähe über eine ähnliche, interne Struktur bis hin zu gemeinsamen Zielen. All das habe parallele Entwicklungsmuster begünstigt, die durchaus auch durch personelle Verflechtungen verstärkt worden seien.¹⁹ In einem hochrangigen Treffen mit dem PCF im Mai 1966 brachte die PCI-Delegation, durch Longo geleitet, gegenüber dem französischen Generalsekretär Waldeck Rochet sicherheitspolitische Belange zur Sprache.²⁰ So ging es vor allem darum, ein neues, den sich rapide wandelnden Zeiten angepasstes Sicherheitskonzept zu erarbeiten und zu verbreiten. Die Italiener bestanden auf der Notwendigkeit eines politischen Systems, das den europäischen Bürgern mehr Eigenständigkeit verleihen sollte. Konkret übten sie harsche Kritik an der oben genannten „Logik der Blöcke“, in der sie die Welt gefangen sahen. Stattdessen plädierten sie für ein Modell, das „die gemeinsame Sicherheit den partikularistischen Zielen der Supermächte voranstellen“²¹ möge. Hiermit stellten sie die Weichen für eine generelle Neubewertung der europäischen supranationalen Institutionen – ein Punkt, in dem ausgerechnet der PCF und der PCI wenige Jahre später unterschiedliche Positionen einnehmen sollten. Diesem Wandel inhärent waren Überlegungen zur künftigen Rolle der Partei sowie zu „neuen Tendenzen des internationalen Lebens.“²² Die Italiener betonten während des Treffens die Notwendigkeit einer umfangreichen Konferenz der europäischen kommunistischen Parteien, auf der dringende Probleme und Aspekte wie die gemeinsame Sicherheit bzw. die Unterstützung von Befreiungsbestrebungen seitens der südamerikanischen „Genossen“ auf der Agenda stehen sollten.²³ Als erste Etappe auf dem Weg hin zu einer groß angelegten Konferenz kann der Gipfel der westeuropäischen kommunistischen Parteien im Mai 1966 in Wien angesehen werden.²⁴ Die Tagung war allerdings strikt theoretisch ausgerichtet und konnte keine Erneuerungsimpulse geben. Die PCI-Abordnung, u. a. von Carlo Galluzzi geleitet, steuerte in Wien einen Redebeitrag zur Funktion des Kapitals und dessen hoher Konzentration sowohl in Italien als auch im Rest des Kontinents
Interview des Autors mit Antonio Rubbi, Rom 30.07. 2013. Vgl. auch Höbel, PCI, S. 409. APCI, Sezione Estero, Francia, Microfilm 536, S. 1856 – 1857. So Longo, in: APCI, Sezione Estero, Francia, Microfilm 536, S. 1920. APCI, Sezione Estero, Francia, Microfilm 536, S. 1920 – 1923. Vgl. Höbel, PCI, S. 410.
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bei.²⁵ Diese Situation zwinge die kommunistischen Parteien und die am Fortschritt interessierten Kräfte regelrecht dazu, dringend Schritte zur Durchkreuzung der monopolistischen Übermacht des Kapitals zu unternehmen. Nur ein weltweit konzertiertes, vorab in allen Details vorbereitetes Zusammengehen linker Akteure habe daher reale Erfolgsaussichten. Hier klangen immerhin jene Aspekte an, welche konstitutiv für die Außenpolitik des PCI in den zwei hier zu behandelnden Dekaden sein sollten: Die italienische Partei wollte aktiv an der Gestaltung einer breiten antikapitalistischen und antiimperialistischen Front mitwirken, in die sowohl kommunistische als auch sozialistische und sozialdemokratische Gruppierungen aus Ost und West integriert werden konnten.²⁶
Der Dialog mit dem Staatssozialismus Ende der sechziger Jahre Die kommunistische Welt war in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre durch sich steigernde Ressentiments und Unruhen erschüttert worden. Es sei hier lediglich an den „Fall Ranković“ in Jugoslawien erinnert, an die allmähliche Abwendung von Ceaușescus Rumänien von der Sowjetunion oder an den wiederkehrenden Streitpunkt China.²⁷ Die maoistische „Kulturrevolution“ in China ließ die ganze Welt aufhorchen und versetzte Sowjetrussland in Panik.²⁸ Die sowjetischen Befürchtungen galten der Attraktivität eines kulturellen und politischen Modells, das die leitende Funktion der KPdSU stark in Frage stellte und als Ziel die Errichtung einer von Moskau weitestgehend unabhängigen kommunistischen Achse hatte. Alle kommunistischen Parteien der Welt sahen sich berufen, hierzu Position zu beziehen. Der PCI kritisierte, wenngleich nicht so vehement wie die russische „Mutterpartei“, die Politik Maos kompromisslos. Italienische Beobachter bezeichneten die Überzeugungen der chinesischen Theoretiker als zu radikal und nach innen gerichtet. Die Möglichkeit eines Schismas im kommunistischen Lager, insbesondere in Asien, betrachteten sie – auch unter Berücksichtigung des zu jener Zeit noch APCI, Sezione estero, Microfilm 537, Informazione sull’incontro dei Partiti comunisti dell’Europa occidentale (Vienna, 9 – 11 Maggio 1966), S. 1044– 1048. Vgl. Luigi Longo, I tre fronti della lotta antimperialista, in: Rinascita, 24.11.1967. Alexandar Ranković war ein hochrangiger Politiker, Mitglied der Kommunistischen Partei, von 1946 bis 1953 Innenminister Jugoslawiens und Chef des Geheimdienstes, bis er 1966 aus politischen Gründen – er hatte gegen die Erweiterung von Autonomierechten für die ethnischen Minderheiten im Land plädiert – von seinem Amt abgesetzt wurde, ein Fall, der insbesondere im „real sozialistischen“ Bereich für Furore sorgte. Hierzu ausführlich Hilde Katrine Haug, Creating a socialist Yugoslavia: Tito, communist leadership and the national question, London 2010. Über die Kulturrevolution in China siehe Joseph W. Esherick / Paul G. Pickowicz / Andrew George Walder (Hg.), The Chinese cultural revolution as history, Stanford 2006.
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wütenden Vietnamkriegs – als äußerst gefährlich für die Friedensbemühungen in der Region und weltweit.²⁹ Aufgrund der Meinungsverschiedenheiten über das entschiedene Vorgehen der Staatspartei in China verschlechterten sich die Beziehungen zwischen dem PCI und den asiatischen „Genossen“ rapide. Auch diplomatische Entgleisungen konnten nicht immer vermieden werden. Im Dezember 1966 beispielsweise verweigerten die Chinesen einer sich auf dem Weg nach Vietnam befindenden PCIDelegation die Durchreise und den Empfang durch die einheimische kommunistische Partei in Peking.³⁰ Daraufhin machten die Italiener Station in Moskau, wo sie in Hinblick auf Mao mit dem sowjetischen Gegenpart absolute Übereinstimmung erzielen konnten.³¹ Bei einem weiteren Thema, namentlich dem Umgang der Sowjetunion mit Dissidenten und im Allgemeinen mit Intellektuellen, das von Luigi Longo persönlich angesprochen wurde, schieden sich die Geister jedoch deutlich, wenngleich die Kritik der PCI-Vertreter milde ausgefallen war.
1.3 Die Weltkonferenz der Kommunistischen Parteien (1966 – 1968) Die Debatte um Meinungsfreiheit in den „real sozialistischen“ Ländern wurde ab Sommer 1966 mit neuer Brisanz entfacht, als früher im Jahr politische Prozesse gegen die sowjetischen regimekritischen Schriftsteller Andrei Sinjawski und Juli Daniel abgehalten und die Angeklagten zu mehreren Jahren Haft verurteilt worden waren.³² Schwierig gestalteten sich zu diesem Zeitpunkt außerdem die Beziehungen des PCI zur SED, nachdem der „Fall Havemann“ die Öffentlichkeit Europas erschüttert hatte. Die Spannungen zwischen der ostdeutschen Staatspartei und dem PCI verschäften sich so rasch, dass mehrere PCI-Entsandte in der DDR, darunter Journalisten und Techniker, von den Ost-Berliner Machthabern zu personae non gratae erklärt wurden.³³
Zu den Entwicklungen in China erschien eine lange Reihe an Parteiveröffentlichungen, insbesondere im theoretischen Parteiorgan „Rinascita“. Vgl. Emilio Sarzi Amadè, Le dieci accuse del Comitato di Pechino, in: Rinascita, 23.07.1966; Enrico Berlinguer, Noi e la Cina, in: Rinascita, 13.01. 1967; Renato Sandri, La politica di coesistenza dell’URSS e gli attacchi cinesi, Beitrag auf dem Seminar: Questioni attuali del movimento comunista internazionale, 17– 22.10.1966, in: APCI, Sezioni di lavoro, Microfilm 531, S. 527– 537; Giorgio Napolitano, Note sui problemi attuali del movimento comunista internazionale, in: APCI, Sezioni di lavoro, Microfilm 531, S. 538 – 552. APCI, Sezione estero, Microfilm 537, S. 999; ferner auch Höbel, PCI, S. 414– 415. Höbel, PCI, 414– 415. Zu Sinjawski und den Schauprozessen siehe Eugenie Markesinis, Andrei Siniavskii: a hero of his time?, Brighton 2013. APCI, Sezione estero, RDT, Microfilm 536, S. 2140 – 2141.
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Kapitel 1: Die Erschütterung der kommunistischen Welt
Anlass für weitere Reibereien bot die Teilnahme von Lombardo Radice, einem der einflussreichsten Theoretiker des PCI, Ende 1966 an einer Fernsehsendung in der Bundesrepublik. Thema der Debatte war der Dialog zwischen der SPD und der SED. Dort verwies Radice mehrmals auf die „sektiererische Politik“ der SED, welche die vorsichtige Öffnung der SPD nach Osten hin bzw. ihre Suche nach einem konstruktiven Austausch stark einschüchtere. SED-Beobachter goutierten solche Ausführungen keineswegs. Da dem PCI jedoch daran gelegen war, das relativ gute Verhältnis zur SED nicht in Gefahr zu bringen, versuchte er, diplomatisch Einfluss auf Ost-Berlin auszuüben: Radice sei vorsätzlich zu einer SEDkritischen Sendung eingeladen worden und seine Stellungnahmen seien im Sinne einer antikommunistischen Hetze manipuliert worden.³⁴ Die latenten Meinungsverschiedenheiten über gewichtige Belange ließen im kommunistischen Lager die Notwendigkeit einer ausführlichen Aussprache deutlich hervortreten. Auf einer adäquaten Weltkonferenz sollten einerseits die Differenzen über den Umgang mit Dissidenten bzw. über die allgemeine Presseund Meinungsfreiheit, andererseits die Streitigkeiten über Mao und seine „Kulturrevolution“ in China offiziell erörtert werden. Dem PCI ging es vorwiegend darum, durch eine groß angelegte Tagung die „Einheit in der Vielfalt“ des Sozialismus aufrechtzuerhalten und tiefgreifende Brüche oder gar Schismen abzuwenden.³⁵ Trotz aller Entschlossenheit in den Reihen des PCI stellte die konzeptionelle und praktische Vorbereitung einer solchen Weltkonferenz der kommunistischen Parteien alles andere als eine einfache Aufgabe für die italienische Parteiführung dar. Bi- oder multilateraler Austausch auf jeder Ebene, so Longo, auch anlässlich der tatsächlichen Planung einer solchen Konferenz, sei ganz im Sinne des „sozialistischen Internationalismus“: Er zementiere das kommunistische Lager und mache es widerstandsfähiger gegen Attacken von außen.³⁶ Ein so gewichtiges Zusammentreffen müsse aber möglichst akribisch vorbereitet werden, um allerlei Schwierigkeiten und Ungereimtheiten zu verhindern. Schließlich habe man nicht nur Einheit und Geschlossenheit zu fördern, sondern sie ebenso nach außen zu demonstrieren. Die Weltkonferenz sei durchaus auch als mediale Schaubühne zu verstehen und diene der Erneuerung und Modernisierung im linken Spektrum.³⁷
APCI, Sezione estero, RDT, Microfilm 536, S. 2140 – 2141, S. 2197– 2204. APCI, Sezione estero, Microfilm 537, S. 1077– 1078. Dies betonte Luigi Longo auf dem XVIII. Parteitag des PCF (4.-8.5.1967 in Levallois-Perret). APCI, Sezione estero, Microfilm 546, Posizioni prese al XVIII. congresso del PCF sulla conferenza; ferner APCI, Organi di direzione, Microfilm 530, S. 560 – 561. Posizioni prese, S. 602– 603.
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Hinsichtlich des von Longo skizzierten Vorgehens herrschte auf supranationaler Ebene keinerlei Übereinstimmung. Die kommunistische Gemeinschaft zeigte sich gespalten: Die KPdSU und der moskauloyale PCF waren für eine rasche Einberufung; dagegen die Italiener, wie gesehen, zusammen u. a. mit den polnischen und tschechoslowakischen „Genossen“, für eine gründliche Vorplanung; andere schließlich, wie die Jugoslawen und die Rumänen, bezogen keine präzise Stellung. Für den PCI stand fest, dass die Konferenz stattfinden müsse. Die Entwicklungen in China sowie der Vietnamkrieg seien dringendst zu debattierende Themen; Verzögerungen würden dem Sozialismus nur noch schaden. Alle kommunistischen Parteien stimmten dennoch darin überein, dass die Zeit reif sei für eine umfassende Zusammenkunft. Bei einem Treffen in Moskau im Frühjahr 1967 erläuterte Longo dem „Genossen“ Breschnew die Position des PCI, dass die Konferenz unumgänglich sei bzw. dass man nicht auf ein „Versöhnungszeichen“ von Mao warten dürfe – kurzum: Die Konferenz habe auch ohne die Teilnahme der KP China stattzufinden. Breschnew zeigte sich einverstanden, ließ aber verlauten, er glaube nicht daran, dass sie noch 1967 anberaumt werden könne. Doch neue Impulse zu einer schnellen Einberufung ließen nicht lange auf sich warten. Für die europäische Linke gewann Ende der sechziger Jahre der Themenkomplex der europäischen Sicherheit erneut an Dringlichkeit. Tatsächlich war das Interesse an einer kollektiven Sicherheitspolitik schon längst Bestandteil öffentlicher Debatten und Unterredungen von hochrangigen Politikern in Ost und West. Die „real sozialistische“ Gemeinschaft beanspruchte ja im herkömmlichen pazifistischen Duktus die Urheberschaft aller sicherheitspolitischen Bemühungen in Europa und hatte bereits mehrfach zur Aktion aufgerufen, wenn auch vergeblich.³⁸ Die Initiative ergriffen schließlich französische und polnische „Genossen“ Ende 1966.
In seinem Referat zur internationalen Beratung des Münchner Arbeitskreises für europäische Sicherheit (1972) gab Harald Lange, Mitarbeiter des sicherheitspolitischen Gremiums der DDR und Mitglied der Volkskammer, in der Retrospektive zu bedenken, dass alle Integrationsbemühungen der europäischen Staaten am widerwilligen Verhalten der Bundesrepublik (sic!) zu scheitern drohten. Zwar sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Staatenkonferenz zur Erörterung der europäischen Sicherheit, „wie sie seit 1966 von den Mitgliedern der sozialistischen Gemeinschaft vorgeschlagen wird, und die 1969 noch in weiter Ferne zu liegen schien“, zur Möglichkeit geworden; dennoch seien in der Bundesrepublik, so Lange weiter, Stimmen und Machtkreise am Werke, welche der Debatte feindlich gegenüberstünden. SAPMO-BArch, DDR-Komitee für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit, DZ/22/7, Referat für die internationale Beratung des „Münchner Arbeitskreises Europäische Sicherheit“, 24. 3.1972, hier S. 1.
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Auf dem Weg zur Konferenz über die europäische Sicherheit in Karlsbad 1967 Die stärkere Beachtung des sicherheitspolitischen Schwerpunkts kam dem PCI besonders gelegen. Der Vorstand und die Haupttheoretiker der Partei sahen darin die Chance der kommunistischen Parteien und ganz allgemein der Regierungen (West‐)Europas, sich von der kapitalistischen Übermacht der USA zu lösen, indem ein kontinentales, nachhaltiges Sicherheitsnetz auf die Beine gestellt wurde.³⁹ Dem lag die Überzeugung zugrunde, dass US-amerikanische Firmen in Europa durch ihre Investitions- und Lohnpolitik einen beträchtlichen Einfluss auf die Sozial- und Verteidigungspolitik der europäischen Länder nähmen. Es sei daher dringend notwendig, ihnen endgültig das Handwerk zu legen, um damit eine volle, über den „Eisernen Vorhang“ hinausreichende Integration zu ermöglichen.⁴⁰ Die Auseinandersetzung mit sowohl intern kommunistischen Belangen als auch mit Aspekten der gesamteuropäischen Tagespolitik wurde so, wiewohl kein Novum in der Geschichte des PCI, zu einem wichtigen Bestandteil seiner theoretischen und politischen Tätigkeit und stellte die Weichen für die Erarbeitung des sogenannten Eurokommunismus Anfang der siebziger Jahre.⁴¹ So ist es kaum verwunderlich, dass sich die Italiener dafür einsetzten, die Konferenz möglichst breit anzulegen. Ihnen schwebte eine Ausdehnung auf sozialistische, sozialdemokratische und sonstige, an „Fortschritt und Zusammenarbeit“ interessierte Kräfte vor. Diesen sollte zumindest die Möglichkeit gewährt sein, als Beobachter teilzunehmen. Über Umfang, Inhalt und Dauer der Konferenz wurde in den PCI-Reihen bis in die niedrigeren Parteiorganisationen hinein lange diskutiert. Auch in den anderen kommunistischen Parteien herrschte Aufbruchstimmung. Die meisten westeuropäischen „Genossen“ sprachen sich dafür aus, die Tagung in einer Großstadt Westeuropas stattfinden zu lassen. Dies würde auch symbolisch ein Zeichen setzen, dass der Kommunismus Integration wolle und ein Hauptverfechter von Frieden und Solidarität sei. Hingegen plädierten die „real sozialistischen“ Ansprechpartner für eine osteuropäische Kleinstadt als Austra-
Vgl. Höbel, PCI, S. 422. APCI, Sezione estero, Incontri internazionali, Microfilm 537; ferner siehe Francesco Di Palma u. Wolfgang Mueller (Hg.), Kommunismus und Europa. Vorstellungen und Politik europäischer kommunistischer Parteien im Kalten Krieg, Paderborn 2016. Hierzu u. a. Silvio Pons, Berlinguer e la fine del comunismo, Turin 2006; Paolo Ferrari, In cammino verso Occidente. Berlinguer, il Pci e la comunità europea negli anni ’70, Bologna 2007; Francesco Barbagallo u. Albertina Vittoria (Hg.), Enrico Berlinguer, la politica italiana e la crisi mondiale, Rom 2007; Paolo Borruso, Il Pci e l’Africa indipendente. Apogeo e crisi di un’utopia socialista (1956 – 1989), Firenze 2009; Valentine Lomellini, L’appuntamento mancato. La sinistra italiana e il dissenso nei regimi comunisti (1968 – 1989), Florenz 2010.
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gungsort: Schließlich solle die Konferenz zunächst der Konsolidierung der „kommunistischen Großfamilie“ dienen und daher ausschließlich kommunistischen und Arbeiterparteien vorbehalten sein.⁴² Trotz aller ehrgeizigen Pläne der westeuropäischen kommunistischen Parteien für eine große, auch symbolisch West und Ost näherbringende Versammlung, einigte man sich schließlich auf die tschechoslowakische Grenzstadt Karlsbad (Karlovy Vary). Im PCI herrschte starker Missmut. Doch nicht allein der Beschluss zum Tagungsort sorgte für Unzufriedenheit unter den italienischen „Genossen“, sondern hauptsächlich der Mangel an Austausch und Synergien mit den „Bruderparteien“.⁴³ Der Unmut der Italiener hatte freilich tiefere, ideologische Gründe. Im Parteiorgan kommentierten führende Akteure des PCI die missliche Lage Europas als ein Produkt der Resignation der Massen gegenüber der unbegrenzten „Macht des Kapitals“. Vor diesem Hintergrund biete die Erörterung von sicherheitspolitischen Konzepten die Möglichkeit der Bildung eines breiten Konsenses über begehbare Wege aus der Krise, die vorrangig eine soziale und ideologische mehr denn eine ökonomische Krise sei. Die Abhängigkeit von den USA bzw. die Unterordnung unter die „imperialistische Politik des Kapitals“ habe alle Völker Westeuropas fest im Griff. In dieser Situation sei die Mobilisierung und die Erziehung der Massen zur Aktion für Frieden und sozialen Fortschritt undenkbar ohne einen Zusammenschluss heterogener Kräfte aus dem linken und christdemokratischen Spektrum. Die Gewährung der kontinentalen Sicherheit sei deshalb nicht mit Waffen, sondern mit politischen und sozialen Initiativen von unten zu bewerkstelligen und setze ein Zusammengehen aller demokratischen Kräfte voraus.⁴⁴
Die Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien in Karlsbad aus Sicht des PCI Vom 24. bis 26. April 1967 berieten sich die kommunistischen und Arbeiterparteien Europas vorwiegend über das Thema der kontinentalen Sicherheit im tschechoslowakischen Karlovy Vary. Die dringende Notwendigkeit einer Über-
APCI, Movimento operaio internazionale, Fasc. 44, Posizione del PCI su alcuni problemi della politica europea (schema dell’esposizione fatta nell’incontro con la delegazione del SPD), Rom 29 – 30.11.1967. APCI, Direzione (1967), 10 – 11.03. Hierzu u. a. Carlo Galluzzi, L’unità e l’autonomia, in: Rinascita, 4. 8.1967; Carlo Galluzzi, I comunisti d’Europa, in: Rinascita, 10. 3.1967; Pietro Ingrao, Non basta l’azione della diplomazia, in: Rinascita, 31.3.1967; Ugo Pecchioli, L’azione dei comunisti per la sicurezza europea, in: Rinascita, 17. 3.1967.
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windung der „Blöcke-Mentalität“ wurde dort erneut mit Nachdruck propagiert, und zwar nicht nur von denjenigen, die traditionell eine Zusammenarbeit der kommunistischen Parteien mit ideologisch nahen oder zumindest kompatiblen Partnern befürworteten, wie etwa der PCI und der PCE; Breschnew selbst redete der Zusammenarbeit und Integration das Wort. Eine Annäherung an sozialdemokratische, sozialistische uns christdemokratische Organisationen sowie eine engere Kooperation mit den Gewerkschaften in Westeuropa werde den Aufbau einer friedvollen und sicheren Gesellschaft sowohl im Westen als auch im Osten des Kontinents vereinfachen und beschleunigen. Dem sowjetischen Generalsekretär schlossen sich, mit ähnlichen Grundthesen, die polnischen, ungarischen und französischen „Genossen“ an.⁴⁵ Die gemeinsame Aktion zur Sicherung des Friedens wurde so zu einem Leitmotiv auf der Konferenz. Der erste Schritt dahin sei die aktive Zusammenarbeit mit politischen Partnern, die sich für mehr Eigenständigkeit und mehr Spielraum in der sonst vom „Kapital“ dominierten Welt engagieren wollten. Die Spitze gegen die USA und ihr „kriegerisches Gebaren“ war hier kaum übersehbar. Die pazifistische Grundeinstellung der Kommunisten wurde dagegen in Karlovy Vary nach außen hin ausdrücklich demonstriert und ist im Schlussdokument genauso zu finden wie im Appell an die Massen zur Mitgestaltung der Politik und zur Festigung der „pazifischen Koexistenz“ – eine Parole, die Longo der „Aggressivität des Imperialismus“ entgegensetzte.⁴⁶ Konkret forderten die Kommunisten eine umfassende Abrüstung, insbesondere des atomaren Arsenals und eine Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten⁴⁷ – was die endgültige Anerkennung der ostdeutschen bzw. der Innengrenze voraussetzte. Sie stellten die Organisation einer verbindlichen Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Aussicht, die allerdings erst Jahre später in Helsinki stattfinden sollte. Der PCI, eine der treibenden Kräfte bei den Gesprächen über Frieden, ging gestärkt aus den Verhandlungen in Karlovy Vary hervor. Schon während des Kongresses stieg sein Ansehen zusehends und er konnte sich endgültig als Hauptvermittler zwischen Ost und West, aber auch zwischen kommunistischen und nicht kommunistischen Kräften profilieren. Es war deshalb sicherlich kein Zufall, dass Longo die Aufgabe zufiel, die Abschlussrede der Konferenz zu halten. Darin unterstrich er die
Zu der Konferenz in Karlovy Vary siehe das umfangreiche Dossier in: APCI, Sezione estero, Microfilm 546, Documentazione sulla Conferenza di Karlovy Vary, S. 1436 – 1494. APCI, Sezione estero, Microfilm 546, Luigi Longo, discorso a Karlovy Vary, S. 1193. Siehe hierzu Francesco Di Palma, Europa als transnationales „Konstrukt“? Europapolitik und Europavorstellungen bei der SED (1945 – 1989), in: Di Palma u. Mueller (Hg.), Kommunismus und Europa, S. 52– 70.
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wichtigste Aufgabe aller kommunistischen Parteien, nämlich das Streben nach Dialog mit anderen politischen und zivilgesellschaftlichen Akteuren. Denn, so Longo, das Reden und Planen von Frieden sei nicht Monopol des Sozialismus.⁴⁸ Auf die strategische Bedeutung der beiden deutschen Staaten für die kommunistischen Parteien aus Ost und West ist oben bereits kurz hingewiesen worden. Schon vor diesem Hintergrund liegt es nahe davon auszugehen, dass der PCI der Intensivierung seiner Beziehungen zur SED einen hohen Stellenwert beimaß. Unumgänglicher Gesprächspartner wiederum in der Bundesrepublik schien den Italienern die SPD zu sein, mit der sich zu Ende der sechziger Jahre bilaterale Verbindungen verdichtet hatten. Den Kreis schloss der PCF, mit dem die Italiener aus einer Vielzahl von Gründen, die später noch ausführlich erörtert werden sollen, einen besonderen Umgang pflegten. Auf der europäischen Ebene stellten diese Genannten die wichtigsten „Anlaufstellen“ für den PCI dar. Abgesehen von den beiden deutsch-deutschen Akteuren war der PCF zentral für den Zugang zu den Sozialisten Frankreichs und nach wie vor ein bedeutender Partner im Mittelmeerraum und in der „Dritten Welt“. Im Rahmen einer ersten Bilanz über das zehnjährige Bestehen der EWG, die in den PCI-Reihen durchweg schlecht ausfiel, nahmen die italienischen Kommunisten Sondierungsgespräche mit ihrem französischen Gegenpart auf. Die „Genossen“ trafen Ende 1967 in Paris zusammen und diskutierten vorwiegend die Einberufung einer Konferenz bzw. die Etablierung einer gemischten Arbeitsgruppe über den Mittelmeerraum.⁴⁹ Generell wurde hervorgehoben, dass die supranationalen Institutionen Westeuropas demokratischer gestaltet werden müssten, indem den jeweiligen Mitgliedern bzw. ihren Bürgern uneingeschränktes Mitspracherecht zu gewähren sei. Dies könne schließlich mehr Eigenständigkeit von den USA und die freie Gestaltung einer weltweiten Friedenspolitik ermöglichen.⁵⁰
Der Dialog mit der SPD Die Tuchfühlung mit der SPD und mit anderen nicht kommunistischen Kräften in Europa war kein PCI-spezifisches Ansinnen. Sie muss im Kontext einer generellen Öffnung des westeuropäischen Kommunismus gegenüber kompatiblen Partnern
APCI, Sezione estero, Microfilm 546, Luigi Longo, S. 1193. APCI, Sezione estero, Microfilm 0545, Nota sul viaggio dei compagni Galluzzi, Segre a Parigi, Bruxelles e Berlino Est dall’11/12 al 18/12/1967, S. 1678 – 1681. APCI, Sezione estero, Microfilm 0545, Nota sul viaggio dei compagni Galluzzi, S. 1678 – 1681.
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gesehen werden, wie sie bereits u. a. in Frankreich und Finnland stattgefunden hatte.⁵¹ 1968 forderte Leo Bauer (SPD) den PCI auf, als „Botschafter“ des demokratischen Pluralismus nicht nur beim PCF, sondern auch bei der SED in Ost-Berlin vorstellig zu werden. Diese Bemühungen mündeten in die Intensivierung eines „Dreieckverhältnisses“ zwischen PCI, SPD und SED und stellten die Weichen für die Realisierung der „Ostpolitik“ Brandts, die nach Heinz Timmermann in Rom begann.⁵² Im September 1967 begab sich der Leiter des Auslandsressorts des Parteiorgans lʼUnità, Alberto Jacoviello, nach Bonn und hielt dort Unterredungen mit dem Chefredakteur der Presseabteilung der SPD, Günter Markscheffel, sowie mit dem damaligen Chefredakteur des Magazins Stern, Leo Bauer. Dieser arrangierte auf Veranlassung Willy Brandts Sondierungsgespräche in Rom mit Luigi Longo, dem Sekretär des PCI, und mit Sergio Segre, Mitglied des PCI-Vorstands. Zwei Monate später, im Dezember 1967, begaben sich Segre und Carlo Galluzzi über Bonn nach Ost-Berlin. Im Februar des darauffolgenden Jahres verweilte eine SED-Delegation unter der Leitung von Paul Verner zwölf Tage in Rom. Im März 1968 kamen Segre und Galluzzi mit Egon Bahr in München zusammen. Die Gespräche zielten auf eine Entspannung des Ost-West-Verhältnisses sowie auf eine Annäherung der beiden deutschen Staaten ab. Dabei soll der PCI außerdem, ganz im Sinne der SED-Führung, für die Aufhebung des KPD-Verbots in der Bundesrepublik plädiert haben.⁵³ Allerdings waren Aufnahme und Intensivierung der Beziehungen zur SPD alles andere als einfach oder gar selbstverständlich gewesen. Seit Ende 1966 waren die deutschen Sozialdemokraten Mitglieder der Großen Koalition mit der CDU/CSU im Kabinett von Kurt Georg Kiesinger. Der Bundeskanzler war bei den italienischen Kommunisten nicht gern gesehen, aufgrund seiner Vergangenheit in den Reihen der NSDAP sogar äußerst unbeliebt. Die Hindernisse waren aber nicht nur personaler Natur. Die bundesrepublikanische Regierung weigerte sich noch Ende der sechziger Jahre, für die Kommunisten Europas als unabdingbar geltende
Vgl. u. a. Nikolas Dörr, Kommunismus im Wandel. Die kommunistischen Parteien Frankreichs, Finnlands und Italiens im Zuge des Eurokommunismus, Nr. 31 der Schriftenreihe „Arbeitspapiere des Instituts für Internationale Politik und Regionalstudien“, Berlin 2006. Heinz Timmermann, Im Vorfeld der neuen Ostpolitik. Der Dialog zwischen italienischen Kommunisten und deutschen Soziademokraten 1967/ 1968, in: Osteuropa, 6 (1971), S. 388 – 399. Vgl. Gli incontri PCI-SPD aiutarono la Ostpolitik, in: l’Unità, 11.05.1971; La Ostpolitik è cominciata a Roma, in: Paese sera, 11.05.1971; APCI, Sezione estero, Microfilm 0162, I colloqui preliminari col PCI, 12.10.1971; APCI, Fondo Berlinguer, Sezione Movimento Operaio internazionale (Sez. Mov. Op. Int.), 44, Incontro dei compagni Galluzzi e Segre con una delegazione della SPD composta da Egon Bahr e Leo Bauer, 30.01.1968.
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Prinzipien anzuerkennen, etwa die Respektierung der Oder-Neiße-Linie oder die Souveränität des ostdeutschen Staates.⁵⁴ Die deutsche Große Koalition war sogar auf der Konferenz in Karlovy Vary ein wichtiges Thema gewesen. Diskutiert wurde ihr politischer Gehalt bzw. welche Formen der Zusammenarbeit mit ihr – wenn überhaupt – für die Kommunisten in Frage kämen. Der PCI teilte alle Bedenken bezüglich der demokratischen Ausrichtung der westdeutschen Regierung: Insbesondere der strenge Umgang mit der einheimischen kommunistischen Partei und das Fortbestehen „annexionistischer“ Tendenzen gegenüber der DDR sorgten bei den Italienern für tiefes Unbehagen.⁵⁵ Wie bereits angedeutet, hatte Leo Bauer den Kontakt zum PCI gefestigt. Die Kontaktaufnahme ging jedoch auf informelle Verbindungen über zwei Journalisten zurück: Romolo Caccavale und Alberto Jacoviello, beide beim Presseorgan l’Unità tätig.⁵⁶ In einem Brief an Longo hatte daraufhin Brandt selber eine Normalisierung der Beziehungen zwischen der SPD und den Italienern in Aussicht gestellt.⁵⁷ Darin hob er hervor, er habe seinen Freund Leo Bauer gebeten, während seines Aufenthalts in Rom das Gespräch fortzuführen, das einen knappen Monat zuvor Markscheffel und die italienischen Redakteure in Bonn begonnen hatten.⁵⁸ Die Bemühungen Brandts zeitigten umgehend Früchte. Ende November 1967 fand eine lange Besprechung zwischen dem PCI und der SPD in Rom statt.⁵⁹ Die Zusammenkunft war hochrangig besetzt: Berlinguer, Galluzzi und Segre für den PCI, für die SPD Bauer, Egon Franke, Mitglied des Präsidiums, und Fried Wesemann, Direktor der Presseabteilung der Partei. Auf italienischer Seite war auch Luciano Lama zugegen, der langjährige Chef der CGIL, des größten Gewerkschaftsbunds Italiens, denn die Gespräche streiften am Rande auch gewerkschaftliche Belange bzw. hatten die Beziehungen zwischen der CGIL, dem deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und der französischen CGT zum Inhalt. Im Vordergrund des Zusammentreffens in Rom stand der Vorschlag Brandts, multilaterale Abkommen mit Polen über einen endgültigen Verzicht auf Gewaltanwendung zu treffen. Wenn den Alliierten dies gelänge, stünde auch für die Bundesrepublik der Anerkennung der Oder-Neiße-Linie nichts mehr im Wege. Anders sei es jedoch um die Anerkennung des ostdeutschen Staats bestellt: Um des
Vgl. Höbel, PCI, S. 430 – 431. Siehe Sergio Segre, I cento giorni di Kiesinger-Brandt, in: Rinascita, 31.03.1967. Vgl. hierzu Di Palma, SED, PCF und PCI; Di Palma, Die SED, der PCI und der Eurokommunismus, in: Bauerkämper u. Di Palma (Hg.), Bruderparteien, 149 – 167. APCI, Sezione estero, Microfilm 58, Lettera di Brandt a Longo, 26.10.1967. APCI, Sezione estero, Microfilm 58, Lettera di Brandt a Longo, 26.10.1967, S. 1. APCI, Sezione estero, Microfilm 58, Relazione sugli incontri tra il PCI e il Partito socialdemocratico tedesco, 29 – 30.11.1967.
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Friedens willen, so die SPD-Delegation, müsse man darauf hinarbeiten; aber die Bundesrepublik sei auf nicht absehbare Zeit noch nicht dazu bereit, die DDR als „Ausland“ zu betrachten. Die Sozialdemokraten seien allerdings zuversichtlich, dass diesbezüglich bereits einiges in Bewegung gekommen sei. Die Korrespondenz zwischen Kiesinger und Willi Stoph, dem Vorsitzenden des Ministerrats der DDR, sei ein beredtes Zeichen dafür, wenn man bedenke, dass bis dahin alle Briefe aus Bonn an Ost-Berlin ungeöffnet an den Absender zurückgeschickt worden waren.⁶⁰ Die SPD, so bekräftigte Bauer, wolle ihren Beitrag zur Überwindung der Blöcke leisten, bestehe aber auf der Wichtigkeit der NATO für Westeuropa. Sie sei darüber hinaus für eine allmähliche Erweiterung der EWG, sowohl im Westen als auch im Osten, und bedauere das Verbot der KPD durch das Bundesverfassungsgericht, das aber vielmehr als Ansporn angesehen werden solle, künftig eine KP Deutschlands zu gründen, die sich in der Legalität bewege.⁶¹ Brandt habe außerdem nichts gegen die Gründung von DDR-Handelsvertretungen in der Bundesrepublik einzuwenden und sich persönlich dafür eingesetzt, dass die Praxis des Travel Board in West-Berlin, die de facto eine politische Kontrolle des Reiseverkehrs aus der DDR durch die westlichen Besatzungsmächte bedeutete, bald abgeschafft werde. So könnten die Reisen von DDR-Bürgern in die Bundesrepublik und in den Westen durch ein Visum auf DDR-Pässen abgewickelt werden. Bauer ging schließlich so weit anzumerken, dass Brandt während des „Sechstagekrieges“ seine Hoffnung zum Ausdruck gebracht hatte, die arabischen Länder würden mit einem Schlag die DDR anerkennen und damit die Hallstein-Doktrin hinfällig machen.⁶² Der PCI betrachtete die Stabilisierung von guten partnerschaftlichen Beziehungen mit der SPD als einen fundamentalen Schritt auf dem Weg hin zu einer integrationistischen Politik mitten im geteilten Europa. Es ging für die italienischen „Genossen“ dabei nicht nur um den Frieden und die Zusammenarbeit auf dem Kontinent, sondern auch um eine radikale Kursänderung in ihrer eigenen Strategie und um eine Anpassung ihrer ideologischen Identität an die westeuropäische Gesellschaft, die tief greifende Umwälzungen durchlief. Jacoviello, einer der Initiatoren der Gespräche, spürte die historische Bedeutung der Annä-
APCI, Sezione estero, Microfilm 58, Relazione sugli incontri, 29 – 30.11.1967, S. 2. APCI, Sezione estero, Microfilm 58, Relazione sugli incontri, S. 2– 3. APCI, Sezione estero, Microfilm 58, Relazione sugli incontri, S. 3. Zu den Westalliierten in WestBerlin siehe Friedrich Jeschonnek / Dieter Riedel / William Durie (Hg.), Alliierte in Berlin: 1945 – 1994. Ein Handbuch zur Geschichte der militärischen Präsenz der Westmächte, Berlin 2007.
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herung: „Zum ersten Mal seit dem zweiten Weltkrieg kommen die zwei größten Parteien der europäischen Linken zusammen.“⁶³ Die Zusammenkunft der beiden Organisationen wurde von den „Bruderparteien“ aufmerksam verfolgt. Der PCI informierte u. a. die SED, die DKP und den PCF über Verlauf und Inhalte der Unterrredung. Als einen Durchbruch oder gar Erfolg internationaler Politik mochte jedoch keiner das Treffen werten, im Gegenteil: Die beiden deutschen kommunistischen Parteien registrierten zwar einen leichten Richtungswechsel bei der SPD, stempelten ihre Politik aber nach wie vor als „imperialistisch“ und irreführend ab.⁶⁴ Eines stand aber zu diesem Zeitpunkt schon fest: Der PCI wurde nach den Gesprächen in Rom als Garant und Mittler zwischen Ost und West anerkannt, ja sogar in dieser Funktion erwünscht und für notwendig erachtet. Der SPD-Vorstand zeigte sich regelrecht angewiesen auf die Unterhändlerrolle des PCI und suchte seitdem regelmäßig und oft den Kontakt zu ihm. Zwischen Ende 1967 und Ende 1968 trafen hochrangige Delegationen von PCI und SPD noch mehrmals zusammen. Es waren Zeiten großer Spannungen: In Vietnam verschärften sich die Gefechte, im Nahen Osten versuchte die westliche Diplomatie, die „pulverfassartige“ Lage nach dem „Sechstagekrieg“ zu beruhigen. Kurz vor dem ersten Treffen Ende November war im theoretischen Blatt Rinascita ein Editorial von Luigi Longo zum Essay von Le Duan über die „glorreiche Oktoberrevolution“ bzw. über die Aufgaben des Sozialismus im Kampf gegen den „kapitalistischen Imperialismus“ erschienen, in dem er wichtige, seiner Meinung nach durchaus brauchbare Aspekte von Le Duans Ansichten und Forderungen hervorhob.⁶⁵ Diese Veröffentlichung hatte im Vorfeld der für November 1967 geplanten Verabredung breite Kreise der SPD verunsichert und überrascht, da Le Duans radikale Positionen bekanntlich äußerst umstritten waren. In diesem Klima fand schließlich das erste Treffen statt. Der PCI war noch gewillt, auf seinen traditionellen Überzeugungen zu beharren und Kompromisse zu vermeiden. Die Partei, hieß es, habe sich immer für den Frieden eingesetzt und engagiere sich für Demokratie und Sozialismus. Au-
APCI, Sezione estero, Microfilm 545, Appunto per Longo, S. 1806. APCI, Sezione estero, Microfilm 0545, Nota sul viaggio dei compagni Galluzzi, Segre a Parigi, Bruxelles e Berlino Est dall’11/12 al 18/12/1967, S. 1678 – 1681. Le Duan war einer der Gründungsmitglieder der kommunistischen Partei Indochinas und wurde nach dem Tod Ho Chi Mins 1969 Generalsekretär der kommunistischen Partei Vietnams. Luigi Longo, I tre fronti della lotta antiimperialista, introduzione al saggio di Le Duan „Avanti sotto la gloriosa bandiera della Rivoluzione d’ottobre“, apparso presso le edizioni in lingue estere di Hanoi per il 50. Anniversario della riv. d’ottobre, in: Rinascita, (46), 24.11.1967.
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ßerdem sei sie sehr besorgt über die Lage in Vietnam und im Allgemeinen im Südosten Asiens. Sie missbillige die US-Politik gegenüber China, Korea, im Nahen Osten und im Mittelmeerraum.⁶⁶ Vor dem Hintergrund des erneut eskalierenden Wettrüstens der beiden Supermächte war der PCI also bestrebt, im Herzen des geteilten Kontinents einflussreiche Weggefährten für sich einzunehmen und mit ihnen den politischen, sozialen und auch medialen Kampf gegen Ausbeutung, Gewalt und Ungerechtigkeit auszutragen. Dabei sparte man durchaus nicht an Kritik gegenüber den Mächten des Westens: So sei es für den PCI unfassbar, dass drei unter den größten und wichtigsten Ländern Westeuropas, nämlich Großbritannien, die Bundesrepublik und Italien, nichts unternommen hätten, um sich von der aggressiven Strategie der USA in Vietnam zu distanzieren und die umgehende Einstellung der Bombardements zu erreichen.⁶⁷ Die USA und ihre Verbündeten hätten die gesamte Welt in die Spirale des Kalten Krieges gestürzt und würden nun allmählich begreifen, dass ihre Politik nicht imstande sei, die erhofften Früchte zu zeitigen. Demnach wären hochgerüstete militärische Stützpunkte mitten in Europa an der Tagesordnung; immer mehr Länder hätten Zugriff auf atomare Bewaffnung und westeuropäische Nationen würden die Unverletzlichkeit von Grenzen – ein Eckpfeiler des Völkerrechts und Garant für Frieden – schlichtweg ignorieren, was „revanchistischen“ und „faschistischen“ Kreisen neuen Aufschwung verleihe.⁶⁸ Dies seien gravierende Schieflagen, die in einem konstruktiven Austausch mit der SPD diskutiert werden müssten. PCI-Vorstandsleute konnten sich offenbar nicht erklären, wie die Sozialdemokraten in Bonn solche Rahmenbedingungen zu ertragen in der Lage waren bzw. welche Überlegungen sie dazu verleiteten. War es schieres Kalkül? Konnte der PCI der SPD vertrauen? Ein tief verwurzeltes Misstrauen wohnte den Italienern inne. Sie waren jedoch bestrebt, sich im Sinne des neuerdings eingeschlagenen Kurses neu aufzustellen und alternative Wege, insbesondere in der Außenpolitik, zu gehen. Der Dialog mit der SPD schien trotz aller Differenzen unumgänglich. Ende Januar 1968 kamen deshalb zwei hochrangige Delegationen erneut zusammen. In München empfingen Leo Bauer und erstmalig Egon Bahr, engster Mitarbeiter Willy Brandts und
APCI, Fond Berlinguer, Movimento operaio internazionale, Fasc. 44, Posizione del PCI su alcuni problemi della politica europea (schema dell’esposizione fatta nell’incontro con la delegazione del SPD), Rom 29 – 30.11.1967. APCI, Fond Berlinguer, Movimento operaio internazionale, Fasc. 44, Posizione del PCI su alcuni problemi della politica europea (schema dell’esposizione fatta nell’incontro con la delegazione del SPD), Rom 29 – 30.11.1967, S. 4. APCI, Fond Berlinguer, Movimento operaio internazionale, Fasc. 44, Posizione del PCI su alcuni problemi, S 5.
1 „Prager Frühling“ zwischen Ost und West
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einer der Haupttheoretiker der Ostpolitik, die italienische Abordnung.⁶⁹ Die Sozialdemokraten machten keinen Hehl daraus, dass sie sich viel von der Aufrechterhaltung der Beziehungen zum PCI versprachen und gewillt waren, diese schrittweise auszudehnen. Es sei erfreulich, so Bahr, dass selbst in den Reihen der CDU konstruktive Debatten bezüglich einer anzupassenden Außenpolitik stattfänden, wobei es den Anschein habe, dass die Christdemokraten auf eine SPDähnliche Position einlenken würden.⁷⁰ Bahr informierte den PCI, dass die Bundesregierung und die UdSSR einvernehmlich auf ein Gewaltverzichtabkommen hinarbeiteten. Die Sowjets hatten als Bedingung dafür gefordert, dass Bonn eine ähnliche Resolution auch bilateral mit der DDR treffe. Dies sei, so Bahr weiter, zwar nicht annähernd so wichtig wie eine Einigung mit der Sowjetunion, zumal die Bundesrepublik die DDR ja nicht anerkenne, es habe jedoch eine hohe symbolische Relevanz. Die SPD sei völlig dafür und habe bereits bei der SED diesbezüglich vorgefühlt, leider ohne nennenswerte Ergebnisse.⁷¹ Daraus schließe er, dass die Ost-Berliner unverändert kein Interesse an einem Dialog hätten. Darüber hinaus sei die SPD davon überzeugt, dass die Anerkennung der DDR durch die Bonner Regierung schwerwiegende Folgen haben würde: Die SED-Machthaber würden sich dadurch in ihrer Strategie der Abschottung nur bestärkt fühlen und jegliche Öffnung meiden.⁷² Die Differenzen über die Außenpolitik blieben auch in den darauffolgenden Monaten bestehen, hinderten die beiden Parteien aber nicht an weiteren Zusammenkünften. Auch mit der SED blieben die Beziehungen des PCI intakt, als sowohl die Ostdeutschen als auch die SPD Anfang 1968 ihre Grundpositionen leicht zu ändern schienen. Zeitgenössische Beobachter registrierten die Wandlung umgehend: Beide Parteien zeigten sich flexibler; die SPD wolle die deutschdeutsche Grenze doch anerkennen und die SED sei um einen Dialog mit Sozialisten und Christdemokraten für den Frieden auf dem europäischen Kontinent bemüht.⁷³
APCI, Fond Berlinguer, Movimento operaio internazionale, Fasc. 44, Incontro dei compagni Galluzzi e Segre con una delegazione della SPD composta da Egon Bahr, ambasciatore capo dell’Ufficio pianificazione del Ministero degli Esteri della RFT e da Leo Bauer, 30.1.1968. APCI, Fond Berlinguer, Movimento operaio internazionale, Fasc. 44, Incontro dei compagni Galluzzi e Segre con una delegazione della SPD 30.1.1968, S. 2. APCI, Fond Berlinguer, Movimento operaio internazionale, Fasc. 44, Incontro dei compagni Galluzzi e Segre con una delegazione della SPD, S. 3. APCI, Fond Berlinguer, Movimento operaio internazionale, Fasc. 44, Incontro dei compagni Galluzzi e Segre con una delegazione della SPD, 30.1.1968, S. 5. Timmermann, Im Vorfeld; Sergio Segre, La corsa a tappe di Willy Brandt, in: Rinascita, 29.03. 1968; Qualcosa di nuovo nella Ostpolitik?, in: Rinascita, 22.03.1968.
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Die Annäherung zwischen dem PCI und der SPD, bezeichnend für die politische und ideologische Entwicklung beider Organisationen am Ende der sechziger Jahre, wurde zu jenem Zeitpunkt von den bürgerlichen Kräften Europas als ein regelrechter Skandal empfunden.⁷⁴ Sie befürchteten, dass die westdeutsche Große Koalition als inspirierendes Beispiel in anderen europäischen Ländern wirken könne, insbesondere in jenen mit großen und einflussreichen kommunistischen Parteien wie etwa in Italien oder Frankreich. Gegenüber dieser hysterischen Gegenpropaganda vertrat der PCI unverändert die Grundeinschätzung, dass die internationalen Geschehnisse als ein klares Zeichen dafür zu deuten seien, dass die europäische Linke, trotz aller Meinungsverschiedenheiten und nationaler Besonderheiten, eindeutig nach Einheit strebe.⁷⁵
2 Der PCF am Vorabend der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ Mit dem Abschluss des Élysée-Vertrags am 16. Januar 1963, den Konrad Adenauer die Basis „für eine antisowjetische Bastion“⁷⁶ nannte, sah sich der PCF in seiner Europa-skeptischen, dezidiert antikapitalistischen Politik um ein Vielfaches bestärkt. Auch SED-Kommentatoren registrierten den Schulterschluss zwischen den beiden mächtigsten Ländern Westeuropas prompt als unmissverständlichen Beweis dafür, dass das „Kapital“ seine Kräfte gegen den Frieden und den sozialen Fortschritt zu bündeln im Begriff sei.⁷⁷ Sowohl das Neue Deutschland (ND) als auch lʼHumanité, die Presseorgane von SED und PCF, karikierten den deutschen Kanzler als Hauptträger des deutschen „Militarismus“ und „Revanchismus“, Charles de Gaulle hingegen als „Handlanger“ bei der Verwirklichung der „imperialistischen Ziele“ des östlichen Nachbarn.⁷⁸ Daraufhin initiierte die SED eine Propagandaoffensive gegen die „Vertreter des Großkapitals“, bei der auch der PCF seine Unterstützung anbot.⁷⁹ Die Kampagne lief wohl auf eine verstärkte Zusammenarbeit bei den Bemühungen um die
Vgl. Höbel, PCI, S. 435; Pons, Berlinguer, S. 6 – 7. Vgl. Giorgio Napolitano, L’Unità della sinistra avanza in Europa, in: Rinascita, 3.05.1968. Hier nach Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen. S. 102. Vgl. dazu Gilbert Ziebura, Die deutsch-französischen Beziehungen seit 1945: Mythen und Realitäten, Stuttgart 1997 und Ulrich Lappenküper, Die deutsch-französischen Beziehungen 1949 – 1963. Von der „Erbfeindschaft“ zur „Entente élémentaire“, München 2001. Vgl. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 102– 103. Neues Deutschland (fortan ND), 26.01.1963; 27.01.1963. APCF, Réunion du bureau politique du 7/2/1963.
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Anerkennung der DDR hinaus, doch ihr war zunächst kaum messbarer Erfolg beschieden. Die allgemein feindliche Einstellung der „real sozialistischen“ Staaten gegenüber der Bundesrepublik und seit 1963 in verstärktem Maße auch gegenüber Frankreich wirkte sich ganz offenkundig auf die Politik des PCF aus und prägte dessen Umgang mit der französischen Gesellschaft bzw. ihrer öffentlichen Meinung. Der dominierende Gaullismus und das politische System Frankreichs einerseits und die traditionelle Loyalität gegenüber der Sowjetunion andererseits⁸⁰ stellten die Koordinaten dar, an denen sich das Handeln der französischen Kommunisten ausrichtete.
2.1 Französische Innenpolitik gegen Ende der sechziger Jahre Der PCF war noch Mitte/Ende der sechziger Jahre eine verhältnismäßig große Partei, die einen nicht zu unterschätzenden inländischen Einfluss ausüben konnte. 1967 vereinigten die Kommunisten in Frankreich über fünf Millionen Wählerstimmen auf sich.⁸¹ Dennoch hatte sich seit 1965 eine allmähliche Verschiebung der Wählergunst im linken politischen Spektrum hin zur Section Française de l’Internationale Ouvrière (SFIO) bzw. ab 1969 dann zum Parti Socialiste (PS) um François Mitterrand vollzogen.⁸² Letzterer war 1965 Präsident der neu gegründeten Fédération de la Gauche Démocrate et Socialiste (FGDS) geworden, eines Sammelbeckens für alle (nicht kommunistischen) sozialistischen und sozialdemokratischen Kräfte des Landes⁸³, insbesondere als Vorreiterorganisation der erwähnten PS. In der FGDS kamen somit die SFIO unter der Leitung von Guy Mollet, die Radikalen und weitere kleinere Gruppierungen zusammen, die gemeinsam ein mächtiges Bollwerk gegen den PCF darstellten. Ihr Einfluss wuchs stetig, auch aufgrund der zielstrebigen Führung François Mitterrands, der im
Vgl. Stéphane Courtois u. Marc Lazar (Hg.), 50 ans d’une passion française: De Gaulle et le communistes, Paris 1991; Marc Lazar, Le communisme. Une passion française, Paris 2005; Marc Lazar, „Forte et fragile, immutable et changeante“…La culture politique communiste, in: Serge Berstein (Hg.), Les cultures politiques en France, Paris 2003, S. 241– 245; Philippe Robrieux, Histoire intérieure du Parti Communiste. 1945 – 1972: De la libération à l’avènement de Georges Marchais, Paris 1981. Dies entsprach 22,51 %. APCF, 307 J 1. Vgl. Robrieux, Histoire; Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen. Berstein, La République gaullienne, Paris 1989, S. 291.
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September 1966 seine Kandidatur für das Amt des Staatspräsidenten bekanntgab.⁸⁴ Ende 1965 hatte Mitterrand selber eine vorsichtige Kontaktaufnahme mit dem PCF-Vorstand veranlasst, auch um vorzufühlen, ob die „Genossen“ seine präsidentiellen Absichten unterstützen würden. Waldeck Rochet, Generalsekretär des PCF, warf dem Sozialisten vor, er habe in seiner Wahlkampagne zu viel über Europa gesprochen, was ein großer Fehler gewesen sei.⁸⁵ Die eindeutig interessengeleitete Annäherung der FGDS an den PCF wurde daher von der Europa-Skepsis der Kommunisten überschattet, ein Umstand, der die Beziehungen zwischen beiden Organisationen auch in den folgenden Dekaden prägen sollte. Mitterrand ließ sich von der Anmerkung Rochets nicht aus der Fassung bringen.⁸⁶ Er beschränkte sich im Gegenteil darauf, sie zur Kenntnis zu nehmen, beharrte aber auf der Richtigkeit der Politik seiner Partei.⁸⁷ In einer hochrangigen Zusammenkunft des PCF mit den wichtigsten Persönlichkeiten der FGDS – darunter neben Mitterrand René Billères und Guy Mollet – im folgenden Dezember, gab Rochet zu bedenken, dass sich die Lage geändert habe, seitdem de Gaulle eine neue Phase der „Ostpolitik“ eingeleitet habe, die zweifelsohne auf eine Verbesserung der Beziehungen Frankreichs zu den „real sozialistischen“ Staaten hoffen ließe.⁸⁸ Dies solle aber nicht dazu verleiten zu glauben, dass der PCF de Gaulles Strategie billige oder gar unterstütze: „Nous lisons, parfois, dans certaines journaux, que les communistes puorraient etre amenés a menager le pouvoir gaulliste pour des raisons de politique exterieure.“⁸⁹ Rochet verwehrte sich dezidiert gegen eine solche Deutung. Der PCF sei nach wie vor strikt gegen die Logik der Force de Frappe in Frankreich und befürworte eine rasche Deeskalation der kriegerischen Propaganda im NATO-Raum, mit einer sukzessiven Abrüstung. Außerdem ließ Paul Laurent, Mitglied des Politbüros, verlauten, dass der PCF unvermindertes Interesse an einem einheitlichen Programm mit den anderen Kräften des linken Lagers hege. Den Kommunisten schwebte bereits Ende 1966 eine Linke Union vor, die aber auf die Unentschlossenheit Mitterrands stieß. Dieser konnte sich auf ein Bündnis noch nicht einlassen, da dies aus seiner Sicht große organisatorische Schwierigkeiten barg. Es sei
APCF, 307 J 63, Information du camerade Waldeck Rochet au CC de Saint Ouen, 4.1.1966. APCF, 307 J 63, Information du camerade Waldeck Rochet, S. 1– 2. „Il glissait“. APCF, 307 J 63, Information du camerade Waldeck Rochet, S. 1. APCF, 307 J 63, Information du camerade Waldeck Rochet, S. 1. Hierzu Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 106 – 110; Reiner Marcowitz, Option für Paris? Unionsparteien, SPD und Charles de Gaulle, 1958 bis 1969, München 1992. APCF, 307 J 64, Rencontre au siège de la FGDS, entre le PCF et le FGDS, 13.12.1966, S. 1.
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unmöglich, so Mitterrand, heute das zu tun, was der Linken im Lande 1936 gelang.⁹⁰ Der strategische Schulterschluss mit dem PCF wurde dann allerdings kurze Zeit später, Ende Dezember 1966, doch vollzogen. Er sah eine konzertierte Innenpolitik vor, insbesondere im Sinne der Kandidatur Mitterrands um den wichtigsten politischen Posten im Land. Das opportunistische Zusammengehen konnte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der ideologische Graben zwischen beiden Fronten weiterhin beträchtlich auseinanderklaffte. Im Juni 1967 traten zwei Delegationen erneut zusammen. Die nach außen demonstrierte Übereinstimmung ließ sich im bilateralen Rahmen kaum aufrechterhalten. Tiefe Divergenzen bezüglich der Außenpolitik und der bevorstehenden Kantonalwahlen brachten die Gespräche an den Rand des Kollapses und drohten somit, das Zusammenarbeitsabkommen hinfällig zu machen.⁹¹ Noch kurz vor der Unterzeichnung des Paktes mit der FGDS im Mai 1966 hatten die Kommunisten anlässlich eines Gipfeltreffens mit ihren italienischen „Genossen“ in Sanremo darauf aufmerksam gemacht, dass ihre Partei dezidiert gegen die „diktaturähnliche“ Macht de Gaulles opponiere. Sie befürworte jedoch seinen Beschluss, Frankreich aus dem NATO-Bündnis herauszulösen bzw. die USMilitärbasen im Lande schließen lassen zu wollen.⁹² Außerdem bekräftigten die Franzosen ihre Europa-Skepsis: Die EWG sei nur ein Instrument in den Händen des Großkapitals und nütze daher ausschließlich den mächtigsten Ländern Westeuropas, insbesondere der Bundesrepublik.⁹³
2.2 Gespräche mit Sozialdemokraten und Sozialisten Die Sozialisten Westeuropas, insbesondere jene der EWG-Länder, debattierten in verstärktem Maße seit den fünfziger Jahren über Themen wie Supranationalität bzw. Integration oder den Prozess der Demokratisierung von transnationalen Organen. Die politischen Überzeugungen gingen dabei oft weit auseinander, so auch bei den Sozialisten Frankreichs und der Bundesrepublik, deren Ansichten bezüglich der EWG stark voneinander abwichen. War die SFIO um Guy Mollet im Allgemeinen für eine sukzessive Stärkung der europäischen Strukturen, so pochte die SPD um Kurt Schumacher auf die Besonderheit des jeweils spezifisch natio APCF, 307 J 64, Rencontre au siège de la FGDS, S. 2. APCF, 307 J 66, Rencontre du 15 Juin 1967 au siège du PCF, entre les délégations du FGDS et le PCF. APCF, 307 J 103, Rencontre avec le PCI à Sanremo, 3 – 4. 5.1966. APCF, 307 J 103, Rencontre avec le PCI à Sanremo, 3 – 4. 5.1966, S. 1.
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nalen Weges der Parteien und bekundete Skepsis gegenüber dem Ziel der europäischen Integration.⁹⁴ Eine Aufwertung der Beziehungen zwischen beiden Lagern fand erst nach dem historischen SPD-Parteitag in Bad Godesberg 1959 statt, infolgedessen sich die deutschen Sozialdemokraten zu einer „catch-all“-Partei entwickelten und sich die Kernprinzipien der NATO und der EWG zu eigen machten.⁹⁵ Doch trotz aller Annäherung blieben die Parteiverbindungen von gegenseitigem Argwohn gekennzeichnet. Die SFIO hielt der SPD – erst recht nach der Verabschiedung des Godesberger Programms – politisch-ideologische Instabilität vor. Die Deutschen hingegen unterstellten ihren französischen Kollegen reines Taktieren, seitdem sie sich 1962 auf ein Wahlbündnis mit dem verhassten PCF eingelassen hatten.⁹⁶ Dem konfliktgeladenen Verhältnis zwischen den beiden sozialdemokratischen Organisationen schenkten SED-Kommentatoren große Aufmerksamkeit; sie waren darauf bedacht, daraus die Überlegenheit ihrer marxistisch-leninistischen Grundpositionen herauszuarbeiten und die skizzierten Zerwürfnisse medial für ihre eigenen Zwecke auszunutzen.⁹⁷ Sogar über die Unterzeichnung des ÉlyséeVertrags Anfang 1963 herrschte bei den Sozialisten bzw. Sozialdemokraten keine Übereinstimmung: Die Franzosen waren strikt gegen die dort genannten Vereinbarungen, die, so Mollet, keineswegs dem Projekt Europa dienen würden; die Deutschen begrüßten dagegen die Festigung der strategischen Zusammenarbeit beider Länder.⁹⁸ Besonderen Zündstoff lieferte indes die Moskau-Reise von Guy Mollet Ende 1963, die von bürgerlichen Medien als inakzeptabel und besorgniserregend apostrophiert wurde. In Wahrheit war sie schon längst geplant, und die dort geführten Gespräche verliefen alles andere als harmonisch.⁹⁹ Dies gab der SPD den
Hierzu Thierry Hohl (Hg.), Les socialistes français et l’Europe, Dijon 2008; Sylvie Guillaime, Guy Mollet et l’Allemagne, in: Bernard Menager u. a. (Hg.), Guy Mollet: un camerade en République, Lille 1987, S. 481– 497. Vgl. u. a. Dieter Dowe (Hg.), Sozialdemokratie und Nation in Geschichte und Gegenwart, Bonn 1990; Dieter Dowe (Hg.), Kurt Schumacher und der „Neubau“ der deutschen Sozialdemokratie nach 1945, Bonn 1996; Francesco Di Palma, Liberaler Sozialismus in Deutschland und in Italien im Vergleich. Das Beispiel Sopade und Giustizia & Libertà, Berlin 2010; Georges-Henri Sotou, L’alliance incertaine: les rapports politico-stratégiques franco-allemands 1954 – 1996, Paris 1997, S. 50 – 51 Hierzu Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 131. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 131– 133. Vgl. Dowe, Sozialdemokratie, S. 23 – 27; Sotou, L’alliance, S. 53 – 58; Beatrix Bouvier, Französische Sozialisten und deutsche Sozialdemokratie im Vergleich, in: Louis Dupeux u. a. (Hg.), Eliten in Deutschland und Frankreich im 19. und 20. Jahrhundert, München 1996, S. 93 – 108. Vgl. Bouvier, Französische Sozialisten, S. 100.
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Vorwand, um die französischen „Genossen“ vor der medialen Diffamierung in Schutz zu nehmen und somit die Beziehungen in ruhigere Bahnen zu lenken. Wenige Monate später konnten SFIO und SPD anlässlich einer Zusammenkunft in Bonn ihr trotz aller Meinungsverschiedenheiten weiterhin bestehendes, nach außen demonstriertes Zusammengehen bekräftigen.¹⁰⁰ Überschattet wurden die Drei- und Viereckbeziehungen zwischen SFIO, SPD, SED und PCF dann von den Anerkennungsbemühungen der DDR, die damals das Hauptziel der Außenpolitik des ostdeutschen Staates darstellten. Dem sozialistischen Grundprinzip der „Einheit in der Vielfalt“ bzw. der „internationalistischen Solidarität“ wirkte schlichtweg die Tatsache entgegen, dass bei den oben zitierten Organisationen nationale Parolen und Ansichten dennoch weiterhin einen entscheidenden Stellenwert einnahmen. Sprach sich etwa die SPD Ende der sechziger Jahre nach ihrem Eintritt in die Regierung der Großen Koalition gegen die Anerkennung der DDR bzw. für den Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik aus, so erblickte die SFIO in der deutsch-deutschen Teilung eine Garantie für die Aufrechterhaltung des Friedens in Europa.¹⁰¹ Die SED, dem PCF gleich, sah darin ex negativo die Chance für eine konstruktive Kontaktintensivierung. Beide Parteien waren bemüht, aus den außenpolitischen Differenzen der sozialdemokratischen Parteien Kapital für die eigenen Zwecke zu schlagen.¹⁰² Die Spannungen innerhalb der Sozialistischen Internationale (SI)¹⁰³ waren für die SED ein willkommener Anknüpfungspunkt. Die Taktik, Mitglieder der SI gegeneinander auszuspielen oder gar eine Spaltung der SI herbeizuführen, zielte darauf ab, einerseits die Organisation an sich zu schwächen und andererseits Druck auf die aus den Augen der SED ultrakonservative Bonner Regierung (Hallstein-Doktrin) auszuüben. Die Beziehungskonstellation änderte sich grundsätzlich mit dem Eintritt der SPD in die Große Koalition Ende 1966. Mit Brandt als Regierungsmitglied wurde die Debatte um die volle Souveränität bzw. Anerkennung der DDR komplizierter; der Kern der CDU hatte ja noch nicht von der Alleinvertretungslogik abgelassen, was den Sozialdemokraten bei ihren Verbindungen zu sozialistischen und kommunistischen Parteien große Schwierigkeiten bereitete.¹⁰⁴ Nicht nur die SED, sondern auch der PCF, der sich seit nunmehr vier Jahren in einem Wahlbündnis
Vgl. Gespräch mit der SFIO, in: Vorwärts, 27.05.1964. Vgl. Dowe, Sozialdemokratie, S. 26. SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/2/909, Plan zur Entwicklung der Beziehungen zu den sozialdemokratischen Parteien in den kapitalistischen Ländern Europas vom 10. 12. 1963; Anlage Nr. 5 zum Protokoll Nr. 44/63 der Sitzung des Politbüros des ZK der SED, 10.12.1963. Michel Dreyfus, L’Europe des Socialistes, Bruxelles 1991. Vgl. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 138.
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mit der SFIO befand, kritisierten die Große Koalition vehement als Instrument in den Händen des „Großkapitals“. Vor diesem Hintergrund sah sich die SPD genötigt, sich in Schadenbegrenzung zu üben, um einerseits ihre Koalitionäre und die von ihnen kontrollierten Medien nicht zu verprellen und andererseits ihre „Genossen“ im westeuropäischen Raum nicht vor den Kopf zu stoßen.¹⁰⁵ Unter Zugzwang gerieten die deutschen Sozialdemokraten als die französischen Sozialisten – nun unter der Führung Mitterrands – 1966 offiziell die Anerkennung der DDR zu einer Hauptforderung ihrer Außenpolitik erhoben. Tatsächlich verbarg sich dahinter rein innenpolitisches Kalkül: Das Einlenken in puncto DDR war ein sorgfältig überdachtes Zugeständnis auf dem Weg zu einer Allianz mit den Kommunisten Frankreichs. Doch trotz aller beiderseitigen Bemühungen in dieser Richtung hatte noch kein direkter Kontakt zwischen der französischen PS und den Ost-Berlinern stattgefunden. Erst 1970 sollte es dazu kommen.¹⁰⁶ Demgegenüber lief der Austausch zwischen PCF und PS auf vollen Touren. Gemeinsame Arbeitsgruppen wurden ins Leben gerufen – geleitet von Jean Kanapa (PCF) und Claude Fuzier (SFIO) –, welche die politische Zusammenarbeit koordinieren sollten.¹⁰⁷ Der Dialog zwischen PCF und anderen Mitgliedern der FGDS war dagegen von Vorbehalten und Blockaden ideologischer Natur belastet; er verlief Ende der sechziger Jahre alles andere als reibungslos. In einem Bericht an das ZK des PCF erstellte Rochet Anfang 1968 einen Überblick über die strittigen Punkte. Die wohl auffälligste Differenz bestehe in der Frage der NATO-Zugehörigkeit Frankreichs: Die Parti Radical-Socialiste habe sich unmissverständlich dafür ausgesprochen; die Kommunisten aber wehrten sich gegen „die Unterordnung Frankreichs unter den militärischen Pakt mit den USA.“¹⁰⁸ Außerdem seien die Kommunisten gegen die Ausdehnung des supranationalen Machtgefüges der EWG, denn so werde das Land seine Autonomie endgültig verlieren bzw. an Dritte abtreten, die nicht in die Besonderheiten der politischen Kultur Frankreichs eingeweiht seien.¹⁰⁹
Dowe, Sozialdemokratie. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 139 – 140. APCF, 307 J 67, Propositions pour la poursuite du dialogue doctrinal avec la SFIO, 26. 2.1968. APCI, 307 J 3, Rapport de Waldeck Rochet au CC, 24. 2.1968. APCI, 307 J 3, Rapport de Waldeck Rochet, S. 1.
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2.3 Französische Kommunisten vor den Herausforderungen des „schrecklichen Jahrs“ 1968 In einer Berichterstattung an das ZK des PCF ließ Waldeck Rochet verlauten: „Nous partons de la thèse quʼil appartient à chaque parti communiste de déterminer sa propre politique en fonction de la situation et des conditions concrètes du pays concerné.“¹¹⁰ Sinngemäß: Jede kommunistische Partei solle ihren spezifisch nationalen Weg gehen. Eine erstaunliche Stellungnahme, wenn man der späteren politischen Entwicklung des französischen Kommunismus Rechnung trägt; eine jedoch, die sich in Übereinstimmung mit den neuesten Umbrüchen befand, welche die französische Regierung herbeigeführt hatte. Der stark nationale Charakter der Politik de Gaulles war auf beträchtlichen Widerhall in der Gesellschaft gestoßen, hatte die Gemüter zwischen enthusiastischem Konsens und enttäuschtem Dissens erhitzt und die Parteien der Opposition zur Anpassung gezwungen. Der erste Schritt in dieser Richtung wurde im März 1966 vollzogen, als Frankreich aus dem NATO-Bündnis austrat. Nur wenige Monate später, im August, hielt de Gaulle eine berühmt gewordene Rede in Phnom Penh, in der er die USamerikanische Weltstrategie als verfehlt, inakzeptabel und imperialistisch bezeichnete.¹¹¹ Die Spannung war in ganz Frankreich spürbar. Den Massendemonstrationen gegen die erwähnte US-Politik, insbesondere gegen die Gräueltaten in Vietnam, standen die Proteste der Arbeiter und Arbeitsuchenden gegenüber, welche die Straßen der Großstädte füllten und gegen die Regierung gerichtet waren. Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg riefen alle großen Gewerkschaften des Landes zusammen zum Streik auf: die kommunististische Confédération Générale du Travail (CGT), die sozialistische Confédération Française Démocratique du Travail (CFDT), die radikal-kommunistische Force Ouvrière (FO) und die autonome Fédération de l’Éducation Nationale (FEN).¹¹² Im Februar 1968 folgte eine gemeinsame Erklärung von FGDS und PCF, welche die Weichen für die Schaffung der Union de la Gauche (Linksunion) 1972 stellte. Im Mai desselben Jahres erschütterten die organisierten Proteste der Studenten im Quartier Latin ganz Paris; sie hatten massive Krawalle und schwere Zusammenstöße mit der lokalen Polizei zur Folge. Von dort verbreiteten sich die Unruhen im ganzen Land und hielten die Öffentlichkeit wochenlang in Atem. Die Reaktion des PCF auf diese tiefgreifenden, historischen Ausschreitungen war
APCF, Polex, 307 J 3, Rapport de Waldeck Rochet au CC à La Courneuve, 18.4.1968. Vgl. Robrieux, Histoire, S. 616 – 617. Robrieux, Histoire, S. 616.
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unentschieden: Die offizielle Linie der Partei, die dem Beschluss des Vorstands folgte, prangerte die Tumulte an. Der PCF zeigte sich tief gespalten. Interne Debatten spiegelten die Tragweite der beobachteten Demonstrationen wider. Gewerkschaften, Studenten und Intellektuelle schienen sich zu einer kompakten Front vereinigt zu haben und waren gewillt, den übermächtigen Gaullismus zu Fall zu bringen.¹¹³ Die Ressentiments der Protestierenden galten der ultrakonservativen Regierung der Fünften Republik, die von de Gaulle als Staatspräsidenten und Georges Pompidou als Premierminister getragen wurde. Der Funke der Revolte, von den Studenten der Sorbonne entzündet, sprang umgehend auf die Arbeiterbewegung über. Für den 13. Mai wurde ein Generalstreik angekündigt. Symptomatisch für die Verwirrung des gesamten kommunistischen Spektrums war, dass ausgerechnet die CGT, die traditionell kommunistische Gewerkschaft, nicht zu den Initiatoren der Manifestationen zählte. Sie teilte den Verdacht des PCF-Vorstandes, die Proteste seien von rechten Kreisen organisiert worden und dienten nur der Zersetzung der Linken.¹¹⁴ Die lokale Polizei schlug die Revolten mit Härte nieder, was breite öffentliche Empörung nach sich zog. Dies veranlasste die Regierung schließlich zum Einlenken: Mit dem Abzug der Sicherheitskräfte wollte sie Kompromissbereitschaft zeigen. Doch dies hielt die Studenten nicht davon ab, die Sorbonne prompt wieder zu besetzen. Ähnliche Rebellionen fanden in anderen westlichen Ländern statt, darunter in Italien, Deutschland, in den USA oder in Mexiko, und sie waren gegen den Obrigkeitsstaat und dessen autokratische Politik gerichtet. Insbesondere im europäischen Raum zählte zudem die Solidarität mit den Reformversuchen des „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ eines Alexander Dubček (Tschechoslowakei) zu den Beweggründen.¹¹⁵ Die Reaktion der Arbeiterschaft ließ nicht lange auf sich warten: Am 14. Mai begann sie zu streiken und Unternehmen zu besetzen. Schnell dehnten sich die Aktionen zu den größten Protesten in der Geschichte der Republik aus. Der PCF und die CGT setzten sich für eine schnelle Beendigung
Über die Pariser Mai-Unruhen u. a. Julian Jackson (Hg.), May 68: Rethinking France’s Last Revolution, Basingstoke 2011; Xavier Vigna (Hg.), Mai-Juin 1968: huit semaines qui ébranlèrent la France, Dijon 2010; Ingrid Gilcher-Holtey (Hg.), 1968 – Vom Ereignis zum Gegenstand der Geschichtswissenschaft, Göttingen 1998. Gérard Emmanuel da Silva, Histoire de la CGT-FO et de son Union départementale de Paris: 1895 – 2009, Paris 2010; Wolfgang Stetter, Gewerkschaftsapparat und Arbeiterinteressen: die Politik der C.G.T. im Mai 1968, Frankfurt a. M. 1992. Vgl. u. a. Gerd Koenen, Das rote Jahrzehnt: unsere kleine deutsche Kulturrevolution 1967 – 1977, Frankfurt a. M. 2011; Stefan Karner (Hg.), Prager Frühling: Das internationale Krisenjahr 1968, Köln 2008.
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der Unruhen ein, was für Unmut und Spott unter den Arbeitern sorgte. Letztere fühlten sich allein gelassen, missverstanden, ja sogar von der Mehrheit „ihrer“ Partei verraten. Die Wende leitete schließlich de Gaulle selbst ein, indem er, unter Androhung der Verhängung des Ausnahmezustandes, die Arbeiter zur Vernunft aufrief; wohl aus Angst, dass die Lage in ein totales Chaos ausarten könne. In einer Radioansprache kündigte er am 30. Mai Neuwahlen für Ende Juni an. Am selben Tag zog eine gegen die Linken gerichtete Gegendemonstration durch die Straßen von Paris: Die Konservativen verurteilten dort die Protestwelle und forderten die Rückkehr zur Normalität. Die Entschlossenheit der Gegendemonstranten zeigte rasch Wirkung. Schon am darauffolgenden Tag fingen die Arbeiter mit ihrem „Rückzug“ an; bis Mitte Juni waren die letzten besetzten Fabriken geräumt und der Sieg der Gaullisten in diesem politischen Tauziehen schien besiegelt.¹¹⁶ Die politischen Folgen für den PCF waren verheerend, das ZK intern zerrüttet. Auf der einen Seite standen diejenigen, die das Scheitern der Revolte als eine verpasste Chance ansahen und dem Vorstand vorhielten, zu wenig zur ideologischen Erneuerung beigesteuert zu haben. Auf der anderen Seite waren diejenigen, die sich durch den Ausgang der Ausschreitungen bestätigt sahen, als Retter des genuinen, unverfälschten Gauchismus. ¹¹⁷ Von „falschen Gauchisten“, vor denen die Partei ihre Anhängerschaft und die Arbeiterschaft hatte retten wollen, sprach in diesem letzteren Sinne Rochet in seiner Schlussrede auf einem Parteitag in Nanterre im Juli desselben Jahres. Auf die Frage von Roger Garaudy, Mitglied des ZK und einer der einflussreichsten Intellektuellen im kommunistischen Lager, warum der PCF sich nicht dem Aufruhr angeschlossen habe, um die antikonservative Front in ihrem Kampf anzuführen, erklärte der Generalsekretär, dass der Vorstand Gründe hätte zu behaupten, dass die studentische Bewegung zugunsten der „Bourgeoisie“ agierte.¹¹⁸ Die Partei und auch die CGT, unterstrich er ferner, hätten durchaus auf der Seite der streikenden Arbeiter gestanden; Garaudy unterlaufe der Fehler, die Intellektuellen (d. h. nicht zuletzt die Studenten) mit der Masse der Arbeiter zu identifizieren. Die Intellektuellen seien zwar wichtig, aber eben keine Arbeiter.¹¹⁹ Die Gründe für das Debakel des Aufstands im Mai-Juni, so Rochet weiter, müsse man woanders suchen. Die Zerrissenheit des linken Spektrums sei dafür verantwortlich zu machen, das Verhalten der Studenten habe dies unmissver-
Vgl. Vigna, Mai-Juin 1968, S. 310 – 311. Robrieux, Histoire, S. 617– 618. APCF, Polex, 307 J 3, Rochet, Discours de clôture, 9.7.1968. APCF, Polex, 307 J 3, Rochet, Discours, S. 1.
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ständlich gezeigt. Der PCF habe gegen „lʼaventurisme“ (das Abenteuertum) der sogenannten Gauchisten vorzugehen, um gegen de Gaulle und seine Handlanger gewappnet zu sein.¹²⁰ Diese Ansicht teilend fügte Benoît Frachon, Präsident der CGT, hinzu, dass die Geschichte eindeutig gezeigt habe, dass der „Klassenkampf“, selbst im Spätkapitalismus, noch nicht überwunden sei.¹²¹ Die angekündigten Wahlen am 23. Juni brachten schlussendlich einen haushohen Sieg der Gaullisten, die ihre Sitze in der Assemblée Nationale von 358 auf 487 verbessern konnten. Für den PCF markierte das Jahr 1968 den Anfang eines allmählichen, unaufhaltsamen Untergangs.
2.4 Loyalität zur Sowjetunion In einer Rede vor dem ZK unmittelbar vor der militärischen Intervention in Prag durch die Truppen des Warschauer Vertrags erklärte Rochet, es sei die feste Überzeugung des Vorstands, dass die aktuelle Situation in der Tschechoslowakei nicht im Geringsten der in Ungarn 1956 ähnele. Es wäre aber eine Katastrophe, wenn Prag in die Hände der „Imperialisten“ fiele. Dies solle man um jeden Preis verhindern. Gleichzeitig sei aber darauf aufmerksam zu machen, dass etwa eine Invasion durch russische Streitkräfte und ihre Verbündeten einer weiteren Katastrophe gleichkäme, denn dadurch würden die Anziehungs- und wohl auch die Einflusskraft der Sowjetunion deutlich vermindert.¹²² De facto galt die Sorge des engsten Kreises um Waldeck Rochet eher einem potentiellen Imageschaden für die KPdSU als der Gewaltanwendung in der Tschechoslowakei, mit allen damit verbundenen, verheerenden Konsequenzen. Es ging dabei aber nicht nur um die Sowjetunion selber, sondern auch um die Stabilität in den eigenen Reihen. Der PCF hatte nämlich bereits seit den dreißiger Jahren kompromisslos auf einen prosowjetischen Kurs gesetzt.¹²³ Auch im Dialog mit westeuropäischen „Bruderparteien“ machten hochrangige PCF-Vertreter nie einen Hehl aus ihrem unerschütterlichen Prosowjetismus. Anlässlich einer Tagung der Mittelmeerländer im April 1968 in Rom, an der auch etliche westeuropäische sozialistische und kommunistische Parteien teilnahmen – darunter der PCI und der PCF –, wiesen italienische Sozialisten der Split-
APCF, 307 J 3, Rapport de Rochet au CC, Champigny, 5 – 6.12.1968. APCF, 307 J 3, Rapport de Rochet au CC, S. 1. APCF, 307 J 3, Rapport de Rochet au CC, S.1 . Marc Lazar redet von einer „sowjetischen Leidenschaft“ (la passion soviétique) des PCF, in: Lazar, Le communisme, S. 27– 61.
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terpartei Partito Socialista di Unità Proletaria (PSIUP)¹²⁴ auf die Gefahr hin, dass das Mittelmeer ein US-Meer werde, wozu auch die „imperialistische“ Politik Israels beitrage.¹²⁵ Die Einquartierung der sechsten US-amerikanischen Flotte in Gaeta, an der Küste auf halbem Wege zwischen Rom und Neapel, sei ein eindeutiges Zeichen in dieser Richtung. Vor diesem Hintergrund stelle die Dislozierung einer sowjetischen Marineeinheit im Mittelmeer, die als Gegenmaßnahme zur Eindämmung des „aggressiven Gebarens“ der US zu werten sei, doch eine Garantie für die Aufrechterhaltung des Weltfriedens dar.¹²⁶ Giancarlo Pajetta, einer der PCI-Vertreter, schloss sich der harschen Kritik an der NATO an und rief zum Kampf gegen jeglichen Imperialismus und zur Befreiung der Kolonien auf.¹²⁷ Der Redner des PCF, der Abgeordnete François Billoux, gab zu bedenken, dass seine Partei die Möglichkeit der Etablierung eines supranationalen Organs zum Kampf gegen den Monopolkapitalismus noch nicht ausführlich debattiert habe. Er griff die USA und de Gaulle scharf an: Erstere, weil sie Militärbasen in Frankreich besaßen, welche die Kommunisten als illegal ansahen; Letzteren, weil er sich trotz allen antiamerikanischen Parolen und aller pronationalistischen Propaganda doch an NATO-Positionen orientiere. Kein Wort fiel über die damals aktuellen Menschenrechts- und Meinungsfreiheitsverletzungen in der UdSSR und im „real sozialistischen“ Raum.¹²⁸ Keine andere kommunistische Partei Westeuropas war seit ihrer Gründung bis zum Kollaps des „realen Sozialismus“ 1989 – 91 mit der Sowjetunion so eng verbunden und von ihr abhängig wie der PCF, abgesehen von nur wenigen, kurzzeitigen „Abweichungen“.¹²⁹ Auch außerhalb seiner Reihen war es allgemein bekannt, dass sich die Partei fast reibungslos mit der KPdSU identifizierte, was den französischen „Genossen“ Misstrauen und den spöttischen Beinamen „ausländische Partei“ (parti de lʼétranger) einbrachte. Dies war keine einfache Ausgangsposition, noch dazu in einem Land wie Frankreich, das stark nationalistisch geprägt war.¹³⁰
Die Partei bestand von 1964 bis 1972, als die Mehrheit ihrer Mitglieder dem PCI beitrat. Hierzu Aldo Agosti, Il partito provvisorio: storia del PSIUP nel lungo Sessantotto italiano, Rom 2013. APCF, Polex, 261 J 7/97, Conférence méditerranéenne (1968). Rede von Tullio Vecchietti, Generalsekretär der PSIUP. APCF, Polex, 261 J 7/97, Conférence méditerranéenne (1968). APCF, Polex, 261 J 7/97, Conférence méditerranéenne (1968), S. 2. Billoux in seiner Rede in Rom, APCF, Polex, 261 J 7/97, Conférence méditerranéenne (1968). Rede von Tullio Vecchietti, Generalsekretär der PSIUP, S. 2– 3. Lazar, Le communisme, S. 27– 28. Hierzu vgl. Jacques Duclos, Être stalinien, in: Cahiers du communisme, Juni 1952.
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Die Kommunistische Internationale (KI) hatte bis zu ihrer 1943 durch Stalin persönlich herbeigeführten Auflösung die Außenpolitik des PCF nicht nur inspiriert, sondern sogar gestaltet – und zwar direkt vor Ort. Hochrangige Funktionäre der KI waren über längere Zeitabschnitte hinweg bei PCF-Politikern in Frankreich untergebracht, von wo aus sie die Strategie der Partei besser studieren und lenken konnten.¹³¹ Über die lange Zeitspanne seit seiner Gründung 1920 bis zum Wegfall der sowjetischen Hegemonie im weltweiten kommunistischen Lager 1991 sah sich der PCF immer wieder dazu genötigt, das schwierige Gleichgewicht zwischen pronationaler Innenpolitik und außenpolitischer Loyalität gegenüber Moskau zu halten. Dies forderte oft einen Spagat, bei dem gelegentlich Meinungsverschiedenheiten und offene Widersprüche ans Licht traten. Zwistigkeiten über politische Belange waren aber nie von Dauer und wurden regelmäßig beigelegt. Oft spielten dabei auch großzügige finanzielle Zuwendungen aus Moskau eine entscheidende Rolle.¹³² Die kultusartig eingeübte, prostalinistische Loyalität wurde sogar nach der Geheimrede Nikita Chruschtschows von 1956 nicht aufgegeben. Der Stalinismus, zusammen mit dem Mythos des Antifaschismus,¹³³ bildete ein wichtiges Fundament für den inneren Zusammenhalt der Partei. Persönliche Verbindungen trugen unweigerlich auch zur besonderen Nähe zwischen KPdSU und PCF bei. Maurice Thorez und sein Nachfolger ab 1964,Waldeck Rochet, teilten einen ähnlichen sozialen und parteipolitischen Hintergrund, waren fast gleichaltrig und hatten beide Weltkriege bewusst erlebt.¹³⁴ Zu einem schweren Schlagabtausch zwischen den beiden Parteien kam es erst 1968, infolge der Niederschlagung des „Prager Frühlings“. Am 21. August 1968 ließ der Pariser Vorstand seine Enttäuschung und Missbilligung verlauten. Der Beschluss überraschte vor allem die traditionellen Anhänger der Partei und löste hitzige Diskussionen über die Vorbildfunktion der KPdSU aus. Die Erörterung dieser zentralen Frage fand auf jeder Parteiebene statt, vom Vorstand bis hin zu den lokalen Vertretungen oder den kommunistischen Betriebsräten, und hatte
Vgl. Mikhail Narinsky u. Jürgen Rojahn (Hg.), Centre and Periphery. The History of the Comintern in the Light of New Documents, Amsterdam 1996; Annie Kriegel u. Stéphane Courtois, Eugen Fried. Le grand secret du PCF, Paris 1997; Alexander Dallin u. F.I. Firsov, Dimitrov und Stalin 1934 – 1943. Letters from the Soviet Archives, New Haven/London 2000. Hierzu siehe Victor Loupan u. Pierre Lorrain, L’Argent de Moscou: l’histoire la plus secrète du PCF, Paris 1994. Siehe Ulrich Pfeil, Der Mythos von den „Bruderparteien“. Die Beziehungen zwischen der SED und der Parti Communiste Français in den siebziger Jahren, in: Bauerkämper u. Di Palma (Hg.), Bruderparteien, S. 69 – 84, hier S. 70 – 75; ferner auch Christian Wenkel, Auf der Suche nach einem „anderen Deutschland“: das Verhältnis Frankreichs zur DDR im Spannungsfeld von Perzeption und Diplomatie, München 2014. Hierzu u. a. Jean Vigreux, Waldeck Rochet. Une biographie politique, Paris 2000.
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verheerende Konsequenzen. Auf dem Spiel stand nichts Geringeres als die Zukunft der Partei: Würde sie sich neu orientieren und „europäischer“ aufstellen oder würde der prosowjetische Kurs beibehalten werden? Pauschal kann festgehalten werden, dass die erste Option von den Intellektuellen und Studenten verfochten wurde, die zweite von der alten Garde an Funktionären und von der Mehrheit der Arbeiter. Unter dem Druck der noch mächtigen alten Riege der Partei – ebenso wie durch die direkte Einflussnahme von Emissären der KPdSU – musste der Vorstand seine anfängliche Kritik zurücknehmen und seine Anhänger wieder „auf Linie“ bringen. Innerhalb von wenigen Monaten, noch vor Ende des Jahres, wurden alle Differenzen beiseitegeschoben und die althergebrachte Harmonie nach außen demonstriert. In Wahrheit forderte dieser Zickzackkurs des Vorstands hohe Verluste. Die Partei drohte an Konflikten zu zerbrechen, die zwar schon lange im Hintergrund schwelten, jedoch noch nie so offen zutage getreten waren.
Jeannette Veermeersch und Roger Garaudy Das Jahr 1968 hatte interne Rivalitäten, ideologische Unstimmigkeiten und Fragen der Modernisierung offengelegt und eine Krise ausgelöst, die einige prominente Opfer forderte. Nur wenige Monate nach dem militärischen Eingriff in Prag brachte Jeannette Vermeersch, die Witwe des langjährigen Generalsekretärs Maurice Thorez und ZK-Mitglied, all ihre Entrüstung über die „ungünstige“ Führung der Partei während der Mai-Krise und später anlässlich der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ zum Ausdruck. Ihrer Auffassung nach habe der PCF in jener Phase an seinen marxistisch-leninistischen Grundfesten gezweifelt, was schließlich zu Verunsicherung und Chaos geführt habe. Ende Oktober 1968 trat Vermeersch aus der Partei aus.¹³⁵ Etwas anders verhielt es sich mit Roger Garaudy, ebenso ZK-Mitglied und einer der wichtigsten Exponenten des Intellektuellenmilieus in der Partei. Die Nachwirkungen des „schrecklichen Jahres“ waren zwei Jahre später – und weit darüber hinaus – immer noch zu spüren. Im Sommer 1970 beriet sich das ZK über ein älteres Vorkommnis, das Garaudy wieder aufgerollt hatte: die „Affäre MartyTillon“. 1952, mitten in der stalinistischen „Säuberungsära“, hatte der Vorstand André Marty und Charles Tillon, beides ZK-Mitglieder, der Verschwörung bezichtigt, da sie sich ohne Erlaubnis der Partei bzw. des Generalssekretärs Thorez, der sich zu diesem Zeitpunkt in Moskau aufhielt, vermeintlich zu Geheimgesprächen getroffen hatten. Die Strafe dafür war der Parteiausschluss gewesen.
APCF, 307 J 3, Séance du CC, 21.10.1968.
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Tillon war zwar 1957 rehabilitiert worden, wurde jedoch 1968 infolge seiner harschen Kritik am Umgang Moskaus mit den Prager Reformversuchen erneut aus der Partei ausgeschlossen. Dies nahm Garaudy zum Anlass, um die ebenso antidemokratische wie rückständige, weiterhin stalinistische Parteidisziplin öffentlich anzugreifen, was ihm zwei Jahre später ebenfalls den Bruch mit dem PCF durch Ausschluss einbrachte.¹³⁶
Georges Marchais 1969 erfolgte ein wichtiger Führungswechsel beim PCF: Dem betagten und kranken Waldeck Rochet folgte Georges Marchais nach. Diese Ablösung ist für die vorliegende Studie von besonderer Bedeutung, da sie vorwiegend die Generation Honecker-Berlinguer-Marchais behandelt, deren führende Akteure ungefähr zur gleichen Zeit an die Macht kamen. Die „Inthronisierung“ Marchaisʼ wäre ohne sowjetische Einmischung nie möglich gewesen. Der stark angeschlagene Rochet musste gleichwertig ersetzt werden; vor allem wollte die „Mutterpartei“ KPdSU auf jemanden setzen, der – insbesondere nach den schwierigen Entwicklungen seit 1968 – gleichzeitig Flexibilität und Loyalität an den Tag legen konnte. Passenden Anlass bot die Moskauer Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien, die im Juni 1969 ausgerechnet in der sowjetischen Hauptstadt stattfand. Waldeck Rochet, bereits stark angeschlagen, erkrankte plötzlich und musste an einer Niere notoperiert werden. Sein Begleiter Marchais, der in den höchsten Kreisen des Weltkommunismus kaum bekannt war, wurde de facto durch die KPdSU ins Amt gehoben. Die Konferenz war für die Sowjets eine wichtige Bühne, auf der die umstrittene „Prager Lösung“ ex post gerechtfertigt und schnell ad acta gelegt werden sollte. Dafür waren ausgewählte Redebeiträge für die Pressekonferenzen bestimmt worden, welche die Einheit der kommunistischen Gemeinschaft nach außen propagieren sollten. Sie sollten gleichzeitig im Sinne der zuvor verkündeten Breschnew-Doktrin¹³⁷ argumentieren, welche die „beschränkte Souveränität real
„Pourquoi Marchais et son groupe se refusent-ils à prendre officiellement position contre les crimes de la normalisation en Tchécoslovaquie (comme le fait, par exemple, le PCI), alors qu’au temps de Waldeck Rochet le Parti avait pris officiellement position contre l’intervention soviétique?“, so Garaudy 1970, in : APCF, 261 J 6/5, Affaire Charles Tillon, Déclaration de Roger Garaudy, 21.7.1970. Ferner, und grundsätzlich zur stalinistischen Säuberungswelle: Stéphane Courtois u. a., Le livre noir du communisme, Paris 1997. Vgl. u. a. Wilfried Loth, Overcoming the Cold War: A History of Détente, 1950 – 1991, Basingstoke 2001; Thomas Crump, Brezhnev and the Decline of the Soviet Union, London 2014;
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sozialistischer“ Staaten postulierte bzw. das Recht der kommunistischen Gemeinschaft herausstrich, dort einzugreifen, wo der Sozialismus bedroht sei. Die „Ehre“ fiel nur drei Rednern zu: János Kádár, Generalsekretär der KP Ungarns, Gustáv Husák, Generalsekretär der tschechoslowakischen KP, dem sogenannten „Normalisierer“, und eben Georges Marchais.¹³⁸ Die Wahl der drei Männer war nicht zufällig. Die beiden „real sozialistischen“ Führer waren für ihre unerschütterliche prosowjetische Loyalität bekannt. Ein Vertreter des westeuropäischen Kommunismus passte jedoch besonders gut ins neue Konzept der Moskauer Machthaber, die darauf bedacht waren, eine neue Ära im weltpolitischen Sozialismus zu verkünden und alle Konflikte diesseits und jenseits des „Eisernen Vorhangs“ mit einem Schlag verstummen zu lassen. Die Epoche der grenzenlosen ideologischen Konfrontation mit der gegnerischen Supermacht im späten Kalten Krieg hatte eingesetzt. Die „Karte Marchais“¹³⁹ diente auch als Warnzeichen gegen alle Reformversuche im sozialistischen Lager und war im europäischen Raum insbesondere an den PCI und die KP Spaniens mit ihren Vorhaben eines demokratischen Kommunismus adressiert.¹⁴⁰ Der Aufstieg Marchaisʼ war innerhalb der Partei nicht unumstritten. Seine Vergangenheit¹⁴¹ – er war während der deutschen Besetzung Frankreichs im Zweiten Weltkrieg als Mechaniker beim Flugzeughersteller Messerschmitt in Augsburg tätig und somit nicht an der Résistance beteiligt gewesen – belastete ihn beträchtlich. Hochrangige Parteifunktionäre wünschten sich einen anderen „Genossen“ als neuen Generalsekretär, beispielsweise Jacques Duclos, der 1969 als Kandidat des PCF bei der Präsidentschaftswahl antrat. Sie mussten sich aber der sowjetischen Forderung fügen.¹⁴² Am 4. Februar 1970, auf dem XIX. Parteitag in Gennevilliers, wurde Georges Marchais offiziell zum Generalsekretär des PCF ernannt.
Matthew J. Ouimet, The Rise and Fall of the Brezhnev Doctrine in Soviet Foreign Policy, Chapel Hill 2003. Vgl. L’Humanité, 11.06.1969 und 14.06.1969. „Les Russes jouent Georges Marchais.“, so Robrieux, Histoire, S. 647. Robrieux, Histoire, S. 648 – 649. Hierzu ausführlich Robrieux, Histoire, S. 653 – 678. Gaston Plissonnier, ZK-Mitglied und Hauptverantwortlicher der Partei für Kaderfragen, kommentierte: „Et puis, les camerades soviétiques suggèrent que ce soit Georges Marchais qu’il connaissent bien, et qui est bien connu dans le mouvement communiste international.“ Zit. in: Robrieux, Histoire, S. 650. Hinzu kam, dass Duclos zu dem Zeitpunkt bereits 74 Jahre alt war.
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3 Die SED am Vorabend der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ Wie Stefan Wolle zu Recht hervorgehoben hat, war die Zeitspanne zwischen dem Mauerbau 1961 und dem „Prager Frühling“ eine Periode der starken Umstrukturierung und der forcierten Modernisierung, an deren Ende dennoch „alles beim Alten blieb“.¹⁴³ Die Reformbereitschaft in der Ära Ulbricht hatte in der ersten Hälfte der sechziger Jahre ihren Gipfel erreicht und erste Früchte gezeitigt. Wissenschaft und Forschung waren stark vorangetrieben, Technik und Wirtschaft regelrecht „umgekrempelt“ und durch neue Investitionen gefördert worden.¹⁴⁴ Besonders im wirtschaftlichen Bereich sollten die Erneuerungen dazu dienen, Konsum und Produktion rationaler und gezielter vorauszusehen und zu planen, um somit „Tonnenideologie“ und Verschwendungen zu vermeiden.¹⁴⁵ Das gewagte Projekt brachte jedoch nur minimale Erfolge ein und kam die DDRKassen teuer zu stehen – der bereits beträchtliche nationale Schuldenberg konnte nur noch wachsen. Die Umstellung auf das Neue Ökonomische System (NÖS) dauerte einige Jahre. Diese Zeit, wurde gebraucht, um die bis dahin stalinistisch und somit „überzentral“ denkenden Arbeitskräfte entsprechend auszubilden. Auf kurze Sicht war dies auch nicht ganz erfolglos. Das Hauptproblem aber, das dauerhaft befürchtet und in seinen Ansätzen sofort erkannte wurde, lag in der neuen „Kaderpolitik“, die eine solche politisch-ökonomische Umwälzung erforderlich gemacht hatte. Das Neue musste erst erlernt werden, etwa das persönliche Engagement und die nun mehr geforderte Eigenständigkeit gegenüber dem Betrieb und seiner Führung, ferner die Einführung von „Boni“ zur Leistungsankurbelung. Der SED-Vorstand organisierte ein umfassendes Netz an Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Parteifunktionäre. Waren ältere Kader den neuen Herausforderungen nicht gewachsen, wurden sie in weniger anspruchsvolle Positionen versetzt und durch jüngere Kollegen ersetzt, die einen völlig anderen
Stefan Wolle, Der Traum von der Revolte. Die DDR 1968, Berlin 2008, hier S. 18. Vgl. das mittlerweile etwas veraltete, dennoch weiterhin lehrreiche Standardwerk von Dietrich Staritz, Geschichte der DDR (1949 – 1985), Frankfurt a. M. 1985, zu den sechziger Jahren S. 139 – 197; ferner Klaus Schröder, Der SED-Staat: Geschichte und Strukturen der DDR 1949 – 1990, Köln 2013. Hierzu grundsätzlich André Steiner, Die DDR-Wirtschaftsreform der sechziger Jahre: Konflikt zwischen Effizienz und Machtkalkül, Berlin 1999; André Steiner, Von Plan zu Plan: eine Wirtschaftsgeschichte der DDR, München 2004.
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Hintergrund hatten. Oft handelte es sich dabei um Wirtschaftsexperten mit passender universitärer Schulung.¹⁴⁶ Dies bereitete der Parteizentrale mit ihrem unverminderten, exklusiven Führungsanspruch große Schwierigkeiten. Denn Erneuerung und Modernisierung waren zwar durchaus erwünscht, nicht aber allzu große Selbstständigkeit oder gar „kapitalistisches“ Denken.¹⁴⁷ Auffangen ließ sich das Problem eines übersteigerten Eigensinns nur durch Kontrolle „von oben“ durch die Partei selber, wofür ad hoc entsprechende Strukturen eingerichtet wurden. So gründete die SED sogenannte Werksleitungen auf Betriebsebene, denen die Aufgabe zufiel, über die harmonische Umsetzung der neuen Produktionsprinzipien bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des Primats der Partei zu wachen. Dies war keine einfache Aufgabe, vor allem eine, die genauso neu erlernt werden musste.¹⁴⁸ Die Kontrollinstanzen mussten ein mindestens vergleichbares Wissensniveau besitzen wie die Mitarbeiter, was exorbitante Kosten verursachte und die Verwundbarkeit des neuen Systems offenlegte.¹⁴⁹ Die kühne Politik Ulbrichts, der nach wie vor von der Vorstellung beflügelt war, die Bundesrepublik hinsichtlich Produktivität und wirtschaftlicher Leistung binnen kurzer Zeit einzuholen und zu überholen, war sowohl in der eigenen Partei als auch in der KPdSU nicht unumstritten.¹⁵⁰ Seiner Überzeugung nach konnte es nicht darum gehen, den Westen mit seinen eigenen ökonomischen „Waffen“ zu schlagen, sondern vielmehr war ein System zu entwickeln, das die marxistischleninistischen Grundprinzipien mit neuer Effizienz in Technik, Technologie und vor allem Wissenschaft zur Geltung brachte. Kurzum: Er wollte ein rein „real sozialistisches“ System. Doch dies überzeugte weder seine SED-„Genossen“ noch diejenigen in Moskau. Erstere waren von einer alleinigen Konzentration auf Wirtschaft und Leistung nur wenig beeindruckt und befürchteten einen dramatischen Legitimitätsverlust der Partei; Letztere versprachen sich kaum etwas von den durch Ulbricht in Aussicht gestellten neuen Produktionsmethoden und waren weitaus mehr an einem stabilen Warenhandel und -austausch im Rahmen des
Vgl. u. a. Staritz, Geschichte, S. 157– 158; Thomas Ammer, Strukturen der Macht – Die Funktionäre im SED-Staat, in: Jürgen Weber (Hg.), Der SED-Staat. Neues über eine vergangene Diktatur, München 1994, S. 199 – 232. Vgl. Steiner, Die DDR-Wirtschaftsreform, S. 301– 345. Vgl. Heike Amos, Politik und Organisation der SED-Zentrale 1949 – 1963: Struktur und Arbeitsweise von Politbüro, Sekretariat, Zentralkomitee und ZK-Apparat, Münster 2003. Vgl. Staritz, Geschichte, S. 158. Dierk Hoffmann, Die DDR unter Ulbricht: gewaltsame Neuordnung und gescheiterte Modernisierung, Zürich 2003.
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Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) interessiert, selbstverständlich unter russischer Vorherrschaft.¹⁵¹ Auf dem VII. SED-Parteitag 1967 wurde das Ziel eines „entwickelten, gesellschaftlichen Systems des Sozialismus“ propagiert, gleichsam der Gipfel des Ulbrichtschen Übermuts. Denn nun, wie er selbst zu bedenken gab, müsse sich die DDR-Gesellschaft erst in ihren Grundfesten verändern, bevor der „Sozialismus“ seine Wurzeln schlagen könne. Ein Sozialismus, der in Ostdeutschland auf „eigener Grundlage“ gedeihe.¹⁵²
3.1 Außenpolitische Steuerungsstrukturen der SED in den sechziger Jahren Gründung und Außenpolitik Die übertriebenen innenpolitischen Erwartungen Ulbrichts an die DDR-Gesellschaft und an die eigene Partei standen in schroffem Gegensatz zum außenpolitischen Spielraum des ostdeutschen Staats, der im Laufe der sechziger Jahre aufgrund einer Reihe von Faktoren deutlich eingeengt wurde.¹⁵³ Bis in die fünfziger Jahre hinein verfügte die SED über keinerlei außenpolitischen „Apparat“. Die DDR stellte de facto einen Satelliten der übermächtigen Sowjetunion dar: Sie war vollumfänglich mehr auf deren Anerkennung bzw. politische und finanzielle Unterstützung angewiesen,¹⁵⁴ die souveräne Aufnahme und Kultivierung von Außenbeziehungen somit unmöglich. Dies änderte sich offiziell erst im Herbst 1952, als eine spezifisch damit betraute Abteilung aus der Taufe gehoben wurde.¹⁵⁵ In der Tat existierte bereits vor der Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 ein Ressort, das sich mit außenpolitischen Fragen befasste – letztlich hatte am selben Tag auch das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten (MfAA) unter der Leitung Georg Dertingers seine inhaltliche Arbeit aufgenommen. Seine Funktionen waren dennoch in dieser frühen Phase stark begrenzt: Personalmangel und -kompetenz verhinderten ein eigenständiges Vgl. Ralf Ahrens, Gegenseitige Wirtschaftshilfe? Die DDR im RGW. Strukturen und handelspolitische Strategien 1963 – 1976, Köln 2000. Referat Ulbrichts in: Protokoll der Verhandlungen des VII. Parteitags der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, 17. bis 22. April 1967, Bd. I, Berlin 1967. Vgl. Hermann Wentker, Außenpolitik in engen Grenzen: die DDR im internationalen System 1949 – 1989, München 2007, S. 191– 195. Vgl. Wentker, Außenpolitik, S. 27– 28. Im November war per Politbürobeschluss eine Partei-Division mit außenpolitischen Aufgaben ins Leben gerufen worden. Vgl. Heike Amos, Politik und Organisation der SED-Zentrale 1949 – 1963: Struktur und Arbeitsweise von Politbüro, Sekretariat, Zentralkomitee und ZK-Apparat, Münster 2003, S. 166 – 167.
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Agieren, weshalb Direktiven aus Moskau oft schlichtweg befolgt werden mussten.¹⁵⁶ Die SED zielte in den ersten Jahren seit Gründung der DDR vorwiegend darauf ab, den neugeborenen Staat mit politischer und kultureller Berechtigung zu versehen. Dabei berief sie sich auf die von der deutschen Arbeiterklasse geleistete „historische Mission gegen den Imperialismus“ und den „Faschismus“, unmittelbar vor und während des Zweiten Weltkrieges.¹⁵⁷ Hieraus leiteten hochrangige SED-Vertreter wie etwa Otto Grotewohl¹⁵⁸ einen Alleinvertretungsanspruch des ostdeutschen Staates ab: Die DDR sei Garant aller Deutschen, die in einer Demokratie zu leben wünschten und an Freiheit und Fortschritt glaubten. Vorsätzliche Unterordnung unter die Hegemonialmacht UdSSR auf der einen Seite, kompromisslose Ablehnung des „Westimperialismus“, insbesondere des westdeutschen, auf der anderen – dies waren die Hauptkoordinaten zur Herausbildung der eigenen Legitimität. Beide Faktoren prägten die Haltung der SED zum europäischen Kontinent sinnbildend. Die Außenpolitik der DDR, die an der Nahtstelle zwischen Ost und West und gleichzeitig im Herzen des Kalten Krieges zu operieren hatte, war über vier Jahrzehnte hinweg bis zu ihrem Ende vor allem ein Produkt der Balance zwischen macht- und ideologiegeleitetem Moskau-Gehorsam einerseits und opportunistischer Öffnung gegenüber Westeuropa andererseits. Die Aufrechterhaltung dieses Gleichgewichts sicherte de facto den Spielraum, innerhalb dessen sich die junge, legitimationsbedürftige Republik bewegte. Nichtsdestoweniger blieb der Primat der UdSSR unangefochten.¹⁵⁹ Dafür verantwortlich waren einerseits eben machtpolitische und ideologische Gründe – schließlich verkörperte die aus dem Zweiten Weltkrieg als Sieger hervorgegangene UdSSR das sozialistische Vorbild schlechthin –, zum anderen die systemischpolitische, aber auch wirtschaftliche Schwäche Ostdeutschlands. Auch wenn die DDR besonders in der ersten Phase ihres Bestehens also unverhältnismäßig stark von der UdSSR abhängig war, hinderte dies (ost‐)deutsche Politiker aber nicht daran, auf die eifrige Erlangung gänzlich selbstständiger, staatlich-souveräner
Vgl. Politisches Archiv im Auswärtigen Amt, Bestand MfAA (fortan MfAA), PA / AA, A 15456, Besprechung mit den Missionschefs, 20.12.1949. Ferner Michael Lemke, Die Außenpolitik der DDR 1949 – 1972. Grundlagen, Prinzipien und Handlungsspielräume, in: Anne Kwaschik u. Ulrich Pfeil (Hg.), Die DDR in den deutsch-französischen Beziehungen, Brüssel 2013, S. 35 – 55, hier 38 – 39; Ingrid Muth, Die DDR-Außenpolitik 1949 – 1972. Inhalte, Strukturen, Mechanismen, Berlin 2000. Vgl. Lemke, Außenpolitik, S. 38 – 39. SAPMO-BArch, NY 4036/768, Bl. 2, Disposition der Regierungserklärung Grotewohls, 9.9.1949. Vgl. Lemke, Außenpolitik, S. 42– 43.
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Handlungsmöglichkeiten hinzuarbeiten, was oft keineswegs dem Wunsch der sowjetischen Statthalter entsprach.¹⁶⁰
Die fünfziger Jahre zwischen politischer Loyalität und wirtschaftlichem Wachstum Die Regierung Grotewohl zeigte sich an der Aufnahme von Beziehungen mit dem Westen, zunächst rein wirtschaftlicher Natur, sehr interessiert. Hauptbedingung hierfür war die Konsolidierung von Institutionen und Strukturen innerhalb der Partei. So wurden 1953 die Außenpolitische Kommission beim Politbüro und die Abteilung für Internationale Verbindungen des ZK der SED gegründet.¹⁶¹ Der somit in die Wege geleitete Ausbau der außenpolitischen Aktivität des ostdeutschen Staates war allerdings von erheblichen Schwierigkeiten bezüglich der Rekrutierung von fachlich kompetenten Mitarbeitern begleitet.¹⁶² Der Eintritt der Bundesrepublik in die NATO und die Verkündung der „Zwei-Staaten-Theorie“ durch die Sowjetunion 1955 bereiteten dem ehrgeizigen Alleinvertretungsanspruch der DDR in der ersten Phase ihres Bestehens ein jähes Ende; ebenso stellte die Anerkennung der Souveränität des deutschen Nachbarn die DDR vor neue Herausforderungen. Es galt nun, die DDR-nationale Identität konsequent zu fördern, und zwar in Absetzung von der gesamtdeutschen, die während der fünfziger Jahre noch in den Köpfen der ostdeutschen Bevölkerung stark verankert war. ¹⁶³ Zu den Gründen für die Suche nach mehr Eigenständigkeit zählte darüber hinaus die eher schlechte Konjunktur im Rahmen des RGW Anfang der fünfziger Jahre. Sie hatte eine noch größere Abhängigkeit von der UdSSR zur Folge, aus der die Ost-Berliner Machthaber nun einen Ausweg suchten. Die politische Anerkennung, so das Kalkül, würde mit der Sicherung einträglicher Geschäfte mit dem Ausland einhergehen. Zu diesem Zweck hatte die SED schon erste Kontakte mit verschiedenen außereuropäischen „Schwellenländern“, u. a. mit dem Sudan und mit Syrien, geknüpft.¹⁶⁴ Mit der Verkündung der Hallstein-Doktrin durch die Bundesrepublik 1955 erweiterte sich dann das Spektrum der internationalen Verbindungen der SED eher unerwartet. Die Doktrin war in mehreren westeuro-
MfAA, PA / AA, A 15550, Schreiben des Botschafters Appelt an Staatssekretär Ackermann, 3.10.1950; vgl. Wentker, Außenpolitik, S. 49 – 50. Vgl. Muth, DDR-Außenpolitik, S. 59 – 63. Vgl. Jana Wüstenhagen, „Blick durch den Vorhang“: die SBZ/DDR und die Integration Westeuropas (1946 – 1972), Baden-Baden 2001, S. 95 – 105; ferner, Lemke, Außenpolitik, S. 47. Es sei hierbei auf den Aufstand des 17. Juni 1953 hingewiesen. Hierzu u. a. Ilko-Sascha Kowalczuk, 17. Juni 1953: Geschichte eines Aufstands, Bonn 2013. Vgl. Lemke, Außenpolitik, S. 48.
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päischen Ländern abgelehnt worden, darunter u. a. in Italien und Frankreich, die beide über besonders einflussreiche kommunistische Parteien verfügten. Dort konnte sich das Streben der DDR-Regierung nach Anerkennung einer beachtlichen medialen und gesellschaftlichen Zustimmung erfreuen.¹⁶⁵ Hiervon nahm die UdSSR durchaus nicht unerfreut Notiz. Im Zuge der Eingliederung der DDR in den Warschauer Pakt 1955 setzte die KPdSU nämlich in verstärktem Maße auf die strategische Bedeutung der „Westarbeit“ der SED. Der SED wiederum stand hierdurch nun die formale Anerkennung als gleichberechtigter Partner im Ostblock offen, was ihre Selbstachtung rasch verbessern und neue außenpolitische Optionen eröffnen konnte.¹⁶⁶ Die SED erwies sich außerdem noch vor dem ungarischen Aufstand 1956 gegenüber dem „großen Bruder“ als besonders loyaler und zuverlässiger (Junior‐)Partner. Dieser Umstand fand offiziellen Niederschlag in einer erstmaligen vertraglichen Verankerung der Beziehungen zwischen der UdSSR und der DDR im September 1955.¹⁶⁷ Neben der Einbeziehung in das Warschauer Bündnis stellte dies einen weiteren wichtigen Schritt zur Normalisierung der SED-Verbindungen zu Moskau dar. Vor allem bescherte es der SED mehr Eigenverantwortung und einen breiteren Spielraum, den sie für ihre Bestrebungen zur Anerkennung der DDR nutzte.¹⁶⁸ Die Wirtschaft des ostdeutschen Staates konnte von der Erschließung und Konsolidierung lukrativer Industriezweige (Elektro-, Computertechnik usw.) im Laufe der fünfziger Jahre besonders stark profitieren.¹⁶⁹ Das führte zu einem beachtlichen Wachstum – zumindest im Vergleich mit den anderen „real sozialistischen“ Ländern. Die Moskauer Machthaber waren davon sehr beeindruckt: Sie gelangten sogar zu der Überzeugung, dass es förderlich sei, die DDR zur „Speerspitze“ des realen Sozialismus im Herzen Europas aufzurüsten. Im Zentrum ihrer Vision stand das Ansinnen, der DDR im wirtschaftlichen Wettrennen mit der Bundesrepublik mit allen Mitteln zu einem rundweg beeindruckenden Sieg zu
Hierzu insbesondere Bauerkämper u. Di Palma (Hg.), Bruderparteien, darin die Einleitung, S. 7– 26; ferner, Heike Amos, Die Westpolitik der SED 1948/49 – 1961: „Arbeit nach Westdeutschland“ durch die Nationale Front, das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten und das Ministerium für Staatssicherheit, Berlin 1999. Hierzu u. a. Ingrid Muth, Die Rolle der Strukturen, Mechanismen und Inhalte der Außenpolitik im Herrschaftssystem der DDR in der Periode von 1949 bis 1989, in: Berichte des Forschungsinstitutes der Internationalen wissenschaftlichen Vereinigung Weltwirtschaft und Weltpolitik 53/ 1994, S. 28 – 39; Wüstenhagen, „Blick“. Vgl. Schröder, SED-Staat, S. 131– 143. Vgl. Ilko-Sascha Kowalczuk, Das bewegte Jahrzehnt: Geschichte der DDR von 1949 bis 1961, Bonn 2003, S. 5 – 21. Hierzu u. a. Arnd Bauerkämper, Die Sozialgeschichte der DDR, München 2005, hier S. 73 – 95.
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verhelfen. Einen Bankrott könne und dürfe man sich nicht leisten, hieß es, nicht gegenüber der Bundesrepublik und nicht gegenüber Westeuropa im Allgemeinen. „Wenn der Sozialismus in der DDR nicht siegt, wenn der Kommunismus sich nicht hier als überlegen und lebensfähig erweist, dann haben wir nicht gesiegt“, so KPdSU-Politbüromitglied Anastas Mikojan, u. a. für Außenhandel zuständig, im Gespräch mit Bruno Leuschner, u. a. SED-Vorsitzender der staatlichen Plankommission 1961.¹⁷⁰
Die Ernüchterung der sechziger Jahre – politische und wirtschaftliche Krise(n) Jene fast „euphorische“, auf jeden Fall aber erfolgreiche Phase für die SED und die DDR, in der sich erstere in ihren politischen Visionen von oben (UdSSR) und von außerhalb (internationale Verbindungen) bestätigt und unterstützt sah und letztere im sozial-wirtschaftlichen Aufbruch begriffen war, sollte ein jähes Ende finden. Die sogenannte zweite Berlinkrise (1958 – 1962/63) und der Mauerbau 1961 verringerten rasch alle möglichen Spielräume für die SED.¹⁷¹ Die Verschärfung des Kalten Krieges Anfang der sechziger Jahre wirkte sich restriktiv auf die Chancen der DDR aus, international souverän zu agieren. Die Fokussierung der außenpolitischen Bemühungen Ost-Berlins auf das Hauptziel der Anerkennung der DDR um jeden Preis brachte in dieser schwierigen Situation dagegen einigen Vorteil: Ostdeutsche Politiker konnten dadurch dennoch ihr Interesse gezielt auf ausgewählte Ansprechpartner richten, auch im nicht sozialistischen Europa.¹⁷² Dabei galt das Augenmerk der SED insbesondere Frankreich und Italien bzw. deren kommunistischen Parteien PCF und PCI,¹⁷³ die in der Lage waren, sowohl intern als auch international einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auszuüben. Die ostdeutsche Staatspartei veranlasste in beiden Ländern bereits ab Ende der fünfziger Jahre die Einrichtung von Kulturzentren, Freundschaftsgesellschaften und Städtepartnerschaften, die ab den siebziger Jahren eine bedeutende diplomatische und politische Rolle spielen konnten – noch vor der Etablierung offi-
SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/2/766, Niederschrift über die wichtigsten Gedanken, die Genosse Mikojan in einem Gespräch mit Genossen Leuschner im kleinsten Kreis äußerte, Anlage 2, 6.6.1961. Vgl. dazu Lemke, Außenpolitik, S. 50 – 51. Vgl. Michael Lemke, Die Berlinkrise 1958 bis 1963. Interessen und Handlungsspielräume der SED im West-Ost-Konflikt, Berlin 1995. Vgl. Bauerkämper u. Di Palma (Hg.), Bruderparteien, S. 7– 15. Zu den Beziehungen der SED zum PCF, Francesco Di Palma, PCF und SED im späten Kalten Krieg: ein translokales Beziehungsgeflecht?, in: Kwaschik u. Pfeil, DDR, S. 275 – 288; zur SED und zum PCI Di Palma, Die SED, der PCI und der Eurokommunismus, in: Bauerkämper u. Di Palma (Hg.), Bruderparteien, S. 149 – 167.
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zieller DDR-Vertretungen im Ausland.¹⁷⁴ All dies war zwar nicht genug, um einen Durchbruch in puncto Anerkennung zu erzielen, der rege und regelmäßige Austausch mit den europäischen Partnern trug aber im Laufe der sechziger Jahre unverkennbar zu einer allgemeinen technischen und personellen Verbesserung des außenpolitischen Ressorts der SED sowie zu dessen zunehmender Kompetenz und Flexibilität bei.¹⁷⁵ Doch so sehr die SED an der Aufrechterhaltung und Ausweitung ihrer Verbindungen zum westlichen Ausland auch interessiert war, blieben für sie die (west‐)europäischen, supranationalen Institutionen, wie die EWG, bis hinein in die siebziger Jahre eher von marginaler Bedeutung. Wenngleich um einiges zurückgeschraubt, blieb der sowjetische Kontroll- und Führungsanspruch gegenüber der DDR weiterhin bestehen und wurde namentlich über die russische Botschaft in Ost-Berlin zur Geltung gebracht.¹⁷⁶ Hinsichtlich der eigenen Außendarstellung war die SED immerhin bereits seit 1950 gut aufgestellt. In der Abteilung für Agitation und Propaganda war ein ad hoc gegründeter Sektor dafür zuständig. Seine Hauptaufgabe bestand in der positiven Darstellung und Propagierung des Sozialismus nach außen. Aufs Engste verflochten war er mit ähnlichen informatorischen Dienststellen, z. B. mit dem MfAA oder (seit 1963) mit der Agitationskommission des PB. Wichtiger noch war allerdings seine Komandofunktion gegenüber anderen, untergeordneten „Apparaten“ wie etwa der Liga für Völkerfreundschaft oder den Freundschaftsgesellschaften. Der Sektor wurde von 1966 bis zum Mauerfall 1989 von Manfred Feist, dem Bruder Margot Honeckers, geleitet. Als Sekretär fungierte u. a. Hermann Axen.¹⁷⁷ Mit Blick auf die außenpolitische „Öffentlichkeitsarbeit“ der SED ist außerdem darauf hinzuweisen, dass im Januar 1963 die Deutsch-Italienische Gesellschaft gegründet wurde. Aufgabe der Gesellschaft war ihrem Statut zufolge die Vermittlung eines „wahrheitsgetreuen Bildes von den friedlichen Bestrebungen der DDR und ihrer wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung“ in Italien.¹⁷⁸ Im selben Jahr wurde die parlamentarische Freundschaftsgruppe Italien-DDR ins Leben gerufen, ab 1968 von Senator Franco Antonicelli geleitet.¹⁷⁹ Dies muss im Kontext einer beträchtlichen Erweiterung der außenpolitischen Präsenz der SED im Allgemeinen betrachtet
Vgl. Di Palma, PCF und SED, hier S. 281– 283. Vgl. Lemke, Außenpolitik, S. 53. Vgl. Wentker, Außenpolitik, S. 191. SAPMO-BArch, DY 30/ IV A 2/21/ 1 bis 21, 1963 – 1971. SAPMO-BArch, DY/13/2565, Statut der deutsch-italienischen Gesellschaft in der DDR. Antonicelli wurde 1968 als Parteiloser in der gemeinsamen Liste vom PCI und PSIUP zum Senator gewählt. Siehe SAPMO-BArch, DY/13/2565, Statut der deutsch-italienischen Gesellschaft in der DDR.
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werden, die Hand in Hand mit ihrem Legitimitätsgewinn und den Souveränitätsbestrebungen ging.
Die Abteilung für internationale Verbindungen Die internationale Arbeit der SED wurde zunächst – bereits seit 1947 in der SBZ – durch das Büro für internationale Zusammenarbeit geleitet und gesteuert. Dieses wurde bei der Gründung des ostdeutschen Staats 1949 und mit dessen außenpolitischer Abteilung fusioniert und in „Abteilung für internationale Verbindungen“ umbenannt.¹⁸⁰ Im Laufe der sechziger Jahre wurden die Aufgaben und Tätigkeitsfelder dieser Abteilung erheblich erweitert, Grund dafür war vor allem die Anerkennungskampagne der DDR. So professionalisierte sich die Abteilung zusehends; einzelne – meistens sozialistische – Länder oder Ländergruppen wurden von fachkundigem Personal bearbeitet. Den Mitarbeitern fielen verschiedene Funktionen zu, von der Organisation von Zusammenkünften mit ausländischen Politikern, der Fertigstellung von Berichten für die übergeordneten Gremien bis hin zur Leitung und teilweise Kontrolle der Grundorganisationen (GO) der SED im Ausland. Darüber hinaus war die Abteilung für internationale Verbindungen mit der wichtigen Kompetenz betraut, außenpolitische Beschlüsse des PB vorzubereiten oder vorzuschlagen. Auch war er mit deren Umsetzung beauftragt, die i. d. R. rangniedrigere Instanzen – wie das Solidaritätskomitee oder die Liga für Menschenrechte – übernahmen. Peter Florin, Mitglied des ZK, war lange Zeit Leiter der Abteilung. Ihm folgte ab 1966 und bis Ende der siebziger Jahre Paul Markowski.
3.2 Anerkennungspolitik in den sechziger Jahren Den Bemühungen der SED um die Anerkennung der DDR in der westlichen Welt war in den sechziger Jahren nur mäßiger Erfolg beschieden. Sie scheiterten einerseits an tiefen ideologischen Diskrepanzen, andererseits an der stets wachsenden Bedeutung der Bundesrepublik als weltweite Wirtschaftsmacht und Aushängeschild des Westens an der Grenze zum Ostblock.¹⁸¹ Die Hallstein-Doktrin tat ihr Übriges dazu: Länder, die einer Anerkennung der DDR gegenüber
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY 30/ IV 2/20/ 1 bis 436, 1947– 1964. Vgl. Wentker, Außenpolitik, S. 300 – 301; Heiner Timmermann (Hg.), Die DDR in Europa – zwischen Isolation und Öffnung, Münster 2005; ferner auch Siegfried Bock (Hg.), DDR-Außenpolitik: ein Überblick, Berlin 2010.
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grundsätzlich nicht abgeneigt waren, wurden durch sie vom entscheidenden Schritt abgehalten. Die westlichen kapitalistischen Staaten bildeten jedoch keinen monolithischen Block und verfolgten eine Politik, die ihren eigenen nationalen Bedürfnissen unter Beachtung der jeweiligen Bündnisstrategien entsprach. Dies traf insbesondere für die nordeuropäischen Länder zu, auch wegen ihrer geographischen Nähe zum ostdeutschen Staat.¹⁸² Dänemark sah sich beispielsweise dazu genötigt, Kontakte mit der DDR aufzunehmen, um technische Aspekte hinsichtlich der Seegrenze zu regeln, was allerdings zu einiger Ratlosigkeit führte. Denn die dänische Regierung zeigte sich gegenüber der Frage stark verunsichert, ob die formellen Verbindungen zum südöstlichen Nachbarn mit einer offiziellen Anerkennung gleichzusetzen seien. Öffentlich bemühten sich hochrangige Politiker jedenfalls stets um ein Dementi, wie es auch vom dänischen Außenminister 1967 noch einmal unmissverständlich bekräftigt wurde.¹⁸³ Ähnlich verhielt es sich mit dem damals noch bündnislosen Schweden. Das Land, das einen EWG-Beitritt ins Auge gefasst hatte, wollte eine „zu freundliche“ Außenpolitik gegenüber der DDR vermeiden, um die Bundesregierung nicht vor den Kopf zu stoßen.¹⁸⁴ Anders war es um die Beziehungen mit Finnland bestellt, das mit seinem Ministerpräsidenten Urho Kekkonen einen entschlossenen Verfechter der Neutralitätspolitik an der Staatsspitze hatte. Um Bonn nicht zu verärgern, versuchte dieser, beide deutschen Seiten zufriedenzustellen, auch entgegen den behutsamen Avancen Chruschtschows.¹⁸⁵ In Wahrheit jedoch hatten die finnischen Unterhändler dem sowjetischen Machthaber ein kühnes Tauschgeschäft vorgeschlagen: die Anerkennung gegen einen territorialen Zugewinn an der Grenze zu Russland. Der Kreml ließ sich darauf nicht ein und mahnte nach wie vor zu diplomatischer Vorsicht.¹⁸⁶ Die DDR konnte deshalb mit Finnland lediglich kleinere Erfolge im Bereich der Handels- und Kulturbeziehungen verbuchen.
Vgl. u. a. Jan Hecker-Stampehl (Hg.), Nordeuropa und die beiden deutschen Staaten 1949 – 1989: Aspekte einer Beziehungsgeschichte im Zeichen des Kalten Krieges, Leipzig 2007; Alexander Muschik, Die beiden deutschen Staaten und das neutrale Schweden: eine Dreiecksbeziehung im Schatten der offenen Deutschlandfrage 1949 – 1972, Münster 2005; Robert Bohn / Jürgen Elvert / Karl-Christian Lammers (Hg.), Deutsch-skandinavische Beziehungen nach 1945, Stuttgart 2000. Karl-Christian Lammers, Das Deutschlandbild in Dänemark und die Entwicklung der politischen Beziehungen zu den beiden deutschen Staaten, in: Bohn / Elvert / Lammers (Hg.), Deutschskandinavische Beziehungen, S. 57– 66. Vgl. Muschik, Die beiden deutschen Staaten und das neutrale Schweden. Vgl. Manfred Menger, Zu den Beziehungen zwischen der DDR und Finnland in den 60er Jahren, in: Eero Kuparinen (Hg.), Am Rande der Ostsee: Aufsätze vom IV. Symposium deutscher und finnischer Historiker in Turku, 4. – 7. September 1996, Turku 1998, S. 345 – 359. Vgl. Menger, Zu den Beziehungen zwischen der DDR und Finnland, S. 348.
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Im südeuropäischen Osten hatte die SED vor allem das NATO-Mitglied Griechenland ins Visier genommen, und zwar aus zweierlei Gründen: zum einen, weil sich der Staat seit der infolge des Zürcher und Londoner Abkommens diktierten zypriotischen Unabhängigkeit 1960 in einer „prekären“ Lage im NATORaum befand; zum anderen, weil er unter massiven wirtschaftlichen Schwierigkeiten litt.¹⁸⁷ De facto bestanden bereits seit 1953 halboffizielle ökonomische Beziehungen zwischen beiden Staaten, in Form eines Handelsabkommens, das im Sinne der sowjetischen Destabilisierungsversuche an jener schwachen NATOFlanke unterzeichnet worden war. Dabei hatte sich die SED auf die unverminderte Unterstützung der Kommounistikó Kómma Elládas (KKE) verlassen können, mit der sie bereits seit dem griechischen Bürgerkrieg enge Kontakte pflegte.¹⁸⁸ Durch die tatkräftige Unterstützung der Sowjetunion gelang es der DDR 1964, ein ähnliches Abkommen mit Zypern sowie zusätzlich die Eröffnung einer offiziellen Kammervertretung in der zypriotischen Hauptstadt Nikosia zu vereinbaren, was spürbare Verärgerung in der Bundesrepublik hervorrief.¹⁸⁹ Der westdeutsche Staat forderte Zypern daraufhin auf, konsequenterweise diplomatische Beziehungen auch mit ihm aufzunehmen, eine Forderung, der nicht stattgegeben wurde. Die zypriotischen Staatslenker wollten die Bonner Regierung aber nicht zusätzlich irritieren und ließen verlauten, dies sei auch aus dem Grunde nicht möglich, weil sich dadurch Separatisten im eigenen Lande zu aufrührerischen Aktionen legitimiert fühlen könnten.¹⁹⁰ Die Erfolgsaussichten der SED in den Niederlanden schienen dagegen von vorneherein eher trübe. Dort verfügten die Ost-Berliner „Genossen“ nur über wenige, kaum einflussreiche Kontakte, darunter beispielsweise zu der kleinen Communistische Partij van Nederland (CPN), mit der ab 1963 massive ideologische Differenzen zutage traten.¹⁹¹ Auch in Belgien versuchten SED-Politiker während der hier behandelten Dekade durch mehrere Vorstöße, die Brüsseler Regierung zu einer Kursänderung zu bewegen, letztendlich aber erfolglos. Die bilateralen Beziehungen gestalteten sich dennoch zunächst entspannt und im DDR-Sinne
Vgl. Andreas Stergiou, Kommunistische Realpolitik. Das bizarre Verhältnis der SED zur Kommounistikó Kómma Elládas, in: Bauerkämper u. Di Palma (Hg.), Bruderparteien, S. 226 – 241. Andreas Stergiou, Im Spagat zwischen Solidarität und Realpolitik: die Beziehungen der DDR und Griechenland und das Verhältnis der SED zur KKE, Mannheim 2001. Vgl. Wentker, Außenpolitik, S. 305. Vgl. Stergiou, Im Spagat, S. 119 – 120. Vgl. Jacco Pekelder, „Erken die DDR nu“! Die Niederlande und die Kampagne zur Anerkennung der DDR 1960 – 1973, in: Heiner Timmermann (Hg.), Die DDR – Erinnerung an einen untergegangenen Staat, Berlin 1999, S. 561– 574.
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positiv, verfügten die Ostdeutschen doch über sehr gute Kontakte zur Kommunistische Partij van België / Parti Communiste de Belgique (KPB/PCB) und zum damaligen belgischen Außenminister, dem Sozialdemokraten Paul-Henri Spaak. Darüber hinaus gelang es SED-Vertretern, mehrere Zusammentreffen mit hochrangigen Politikern aus dem westeuropäischen Land zu organisieren, darunter auch ein Geheimtreffen der Wirtschaftsspitzen beider Staaten Ende 1964. Dies wurde in der DDR als ein Durchbruch auf dem Weg zur Anerkennung gefeiert.¹⁹² Zu einer Institutionalisierung der diplomatischen Beziehungen, wie sie von der DDR gefordert wurde, kam es jedoch u. a. aufgrund der Abwahl der sozialdemokratischen Regierungskoalition um Spaak 1966 nicht.¹⁹³ Mit der Ankündigung der „Ulbricht-Doktrin“ 1967, die als Gegenstück zur Hallstein-Doktrin konzipiert war und besagte, dass alle Ostblock-Länder, die Beziehungen zur Bundesrepublik aufnehmen wollten, vorab die DDR anerkennen müssten, war de facto schließlich aller Anspruch auf eine Alleinvertretung der (deutsch‐)deutschen Nation dahin. Im bipolaren Weltsystem des späten Kalten Krieges gefangen und als Aushängeschild der UdSSR an der Nahtstelle zwischen Ost und West konnte sich die DDR also alles in allem nicht über den Status eines strategischen Objekts in den Händen des „großen Bruders“ hinausentwickeln – vor allem nicht vor der politischen und diplomatischen Anerkennung 1972. Sie war jedoch zumindest in der Lage, teilweise souverän bilaterale Verbindungen zu initiieren, in deren Rahmen sie in Berührung mit verschiedenen westlichen Akteuren kam.
4 Dreiecksbeziehungen bis 1970 4.1 Zwischen Kritik und Annäherung – SED und PCI Bis 1956 entwickelten sich die Beziehungen zwischen der SED und dem PCI sporadisch, mehr nach Logik der „Aufwartung“ als geleitet durch gegenseitiges Interesse.¹⁹⁴ Dies war einerseits damit zu begründen, dass die Ostdeutschen bis Mitte der fünfziger Jahre – wie oben dargestellt – kaum eine eigenständige Außenpolitik führen konnten. Andererseits lag dies an einem allgemeinen Mangel an
Siehe Carel Horstmeier, Die DDR und Belgien (1949 – 1972), in: Ulrich Pfeil (Hg.), Die DDR und der Westen: transnationale Beziehungen 1949 – 1989, Berlin 2001, S. 309 – 328. Vgl. Wentker, Außenpolitik, S. 306. Vgl. Johannes Lill, Völkerfreundschaft im Kalten Krieg? Die politischen, kulturellen und ökonomischen Beziehungen der DDR zu Italien 1949 – 1973, Frankfurt a. M. 2001, hier S. 175 – 176.
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Kenntnissen auf sprachlicher, kultureller oder auch ideologischer Ebene über den Ansprechpartner. Beide Faktoren waren zudem stark miteinander verzahnt. Bereits ab 1956/57 änderte sich die Lage rasch, so zumindest im Bereich der Handelsverbindungen. Der PCI kontrollierte schon seit Ende der vierziger Jahre mehrere Firmen, die meistens Import-Export-Geschäfte abwickelten und über deren Gewinne die Partei teilweise verfügte.¹⁹⁵ Auf diplomatischem Terrain litten die Beziehungen weiterhin unter der heiklen Frage der internationalen DDR-Anerkennung. Oft scheiterte die Einreise italienischer „Genossen“ in die DDR daran, dass das zuständige Polizeipräsidium ihre Pässe nicht mehr – oder nicht rechtzeitig – freigeben wollte. Auch in die umgekehrte Richtung wurden Zusammenkünfte oft verhindert und in beiden Fällen lag das an den italienischen Behörden.¹⁹⁶ Zu ersten ernsten Schwierigkeiten kam es mit dem Aufkommen von ideologischen Divergenzen. Das Jahr 1956 mit der Geheimrede Chruschtschows und den Aufständen in Ungarn und Polen ließ diese noch größer erscheinen, und dies prägte die Beziehungen zwischen beiden Parteien nachhaltig. Vor allem aber stellte der neue Kurs des PCI, den Palmiro Togliatti mit seiner polyzentristischen Umorientierung eingeläutet hatte, ein Hindernis bei der Entwicklung von „normalen“ Verbindungen zwischen italienischen und „real sozialistischen Genossen“ dar. Unmittelbar nach Bekanntgabe der Geheimrede gewährte der italienische Generalsekretär Togliatti der marxistischen Literaturzeitschrift Nuovi Argomenti ein mittlerweile berühmt gewordenes Interview, in dem er insbesondere die „bürokratische Entartung“ der KPdSU, auch nach dem Ableben Stalins, scharf anprangerte.¹⁹⁷ Die Ankündigung der polyzentristischen Orientierung auf dem VIII. Parteitag des PCI im Dezember desselben Jahres brachte die Beziehungen zwischen den italienischen Kommunisten und ihren östlichen „Bruderparteien“ auf einen zeitweiligen Tiefstand.¹⁹⁸ Togliattis Forderung war in ihrer Umsetzung politisch hoch riskant. Bestritten wurden darin die vermeintliche Überlegenheit des „realen Sozialismus“ und vor allem die Vorbildfunktion und die Führungsrolle der sowjetischen kommunistischen Partei. Der jeweils nationale Weg zur Bildung einer kommunistischen Gesellschaft sei unmissverständlich anzuerkennen. Jede Nati-
Lill, Völkerfreundschaft, S. 176 – 177; vgl. auch: I soldi del PCI, in: L’Unità, 11.04.1976; Valerio Riva, Oro da Mosca. I finanziamenti sovietici al PCI dalla Rivoluzione d’ottobre al crollo dell’URSS, Mailand 1999. Vgl. Lill, Völkerfreundschaft, S. 177– 178. Intervista a Palmiro Togliatti, in: Nuovi Argomenti, Nr. 20, Mai-Juni 1956. Vgl. Bruno Schoch, Die internationale Politik der italienischen Kommunisten, Frankfurt a. M. 1988, hier S. 119 – 120.
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on sei anders geprägt und solle ihren eigenen Weg zum Sozialismus finden und verfolgen.¹⁹⁹ Dies zog auch erhebliche praktische Konsequenzen mit Blick auf Kommunikation und Austausch im kommunistischen Milieu nach sich.Waren alle Verbindungen bis dahin von einem übergeordneten Zentrum, aus Moskau, kontrolliert und gesteuert worden, so zeigte sich dieser Anspruch nun hinfällig und obsolet: Bilaterale Beziehungen wurden automatisch aufgewertet und nahmen an Bedeutung zu. Dies traf jedoch nicht für die SED zu, die Ende der fünfziger und bis hinein in die sechziger Jahre noch sehr stark von Moskau abhängig und äußerst skeptisch gegenüber jeglichem kommunistischen Reformismus eingestellt war. Dies hinderte sie aber nicht daran, vorsichtig nach neuen Kooperationsformen zu suchen. Im Rahmen einer forcierten Professionalisierung des Sektors Internationale Verbindungen erfuhr die gleichnamige Abteilung der SED 1965 grundlegende Änderungen. Bestimmte Referate und Ländergruppierungen wurden zusammengeschlossen und der Leitung von fachmännischem Personal unterstellt.²⁰⁰ Auch wurden die Verbindungen auf lokaler Ebene verstärkt. Ein Jahr zuvor, 1964, waren vier neue Städtepartnerschaften ins Leben gerufen worden: Potsdam-Rouen, Potsdam-Modena, Brandenburg-Ivry-sur-Seine und Brandenburg-Piombino.²⁰¹ Trotz einer zaghaften Öffnung der SED dem Westen gegenüber gestaltete sich ihr Verhältnis zum PCI aber noch Ende der sechziger Jahre ambivalent und war von Skepsis und inneren Blockaden geprägt. Dies traf insbesondere im ideologischen Bereich zu. SED-Beobachter schenkten den italienischen „Genossen“ trotz aller Divergenzen große Aufmerksamkeit und verfolgten deren theoretische Entwicklung sorgfältig. Das Politbüro der ostdeutschen Partei war stets informiert über jegliche Akzentverschiebung im italienischen Kommunismus, um so mögliche Spielräume zu entdecken und zu nutzen. Luigi Longo hatte im Sommer 1966 dem westdeutschen Magazin Der Spiegel ein ausführliches Interview gewährt. Darin gab er unmissverständlich zu bedenken, dass der Marxismus-Leninismus überholt sei und durch neue Impulse belebt werden müsse. Das Interview trug den losungsartigen Titel „Der alte Kommunismus stirbt“. Der PCI gehe seinen
Zur Polyzentrismus-These vgl. u. a. Giuseppe Mammarella, Il Partito Comunista Italiano 1945 – 1975 – dalla liberazione al compromesso storico, Firenze 1976; Elena Aga-Rossi u. Victor Zaslavsky, Togliatti e Stalin. Il PCI e la politica estera staliniana negli archivi di Mosca, Bologna 1997; Marcello Flores u. Nicola Gallerano, Sul PCI. Un’interpretazione storica, Bologna 1992; Luciano Barca, Cronache dall’interno del vertice del PCI, Soveria Mannelli 2005; Donald L.M. Blackmer u. Sidney Tarrow (Hg.), Communism in Italy and France, Princeton 1975. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY 30/ IV B 2/20/ 1 bis 666, 1964– 1981. SAPMO-BArch, Deutscher Tag und Gemeindetag, DZ/4/99.
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eigenen Weg und proklamiere einen neuen, liberalen Kommunismus.²⁰² Diese Spitze richtete sich unverkennbar an die Adresse der Machthaber in Ost-Berlin. Doch so unüberbrückbar die ideologische Kluft auch schien, den beiden Kontrahenten war sehr an einer reibungslosen ökonomischen Zusammenarbeit gelegen. Der PCI teilte im Frühjahr 1966 den Ostdeutschen seinen Beschluss mit, den „Genossen“ Anelito Barontini, ZK-Mitglied und Leiter der zentralen Verwaltungsstelle der Partei, mit der wichtigen Aufgabe betraut zu haben, Fragen der potentiellen Ausdehnung der Handelsbeziehungen mit der DDR vor Ort zu besprechen. Barontini begab sich am 20. März 1966 im Auftrag Luigi Longos nach Ost-Berlin. Den Ausschlag für die Mission hatte wohl die hohe Anzahl an Anfragen bedeutender Händler und Unternehmer gegeben, ob der PCI zwischen der DDR und Italien vermitteln könne.²⁰³ Sowohl die Italiener als auch Ost-Berlin witterten lukrative Geschäfte: Für Erstere ging es vorwiegend um Einnahmen; Letztere versprachen sich im Sinne der Anerkennungskampagne propagandistische Vorteile davon, wenn auch die italienische Regierung der Normalisierung und Normierung der diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern zustimmen würde. In diesem Kontext ist auch die Gründung der parlamentarischen Freundschaftsgruppe DDR-Italien zu betrachten. Diese wurde am 29. September 1966 unter der folgenden spezifischen Maßgabe ins Leben gerufen: „Besonderer Wert soll auf Mitglieder der Regierungspartei DC, auf Parlamentarier der Sozialistischen Partei sowie auf Parlamentarier, die im ital. Wirtschafts- und Kulturleben einflussreiche Stellen einnehmen, gelegt werden […].“²⁰⁴ Die außenpolitische Zielsetzung der SED war klar umrissen: Sie war eindeutig darauf angelegt, mit denjenigen Ansprechpartnern in Kontakt zu treten, die einflussreich genug waren, ihr Vorteile zu verschaffen. Dies war der Fall bei der Democrazia Cristiana (DC) – stärkster und regierender Partei Italiens bzw. loyalem Verbündeten der USA – und bei dem Partito Socialista Italiano (PSI), der in der SI vertreten war und im Notfall als Puffer gegen den renitenten PCI eingesetzt werden konnte. Gegen Ende der sechziger Jahre begann sich die Richtschnur des politischen Gebarens der SED gegenüber Italien und seinen wichtigsten Parteien deutlicher denn je abzu-
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/11539, Information Nr. 63/66 für das Politbüro, Spiegel-Interview des Genossen Luigi Longo vom 29. 8. 1966. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV A 2/6.10 301, SED-Hausmitteilung, 18. 3.1966. SAPMO-BArch, Volkskammer, DA/1/12451, Parlamentarische Freundschaftsgruppen, Beschluss der konstituierenden Versammlung der parl. Freundschaftsgruppe DDR-Italien am 29. 9. 1966 im Hause der Volkskammer.
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zeichnen: Opportunismus im Dienst staatspolitischer Zielsetzungen; Nützlichkeitserwägung vor ideologischer Geradlinigkeit. Die Kommunalpolitik im ostdeutschen Staat spiegelte dieses Vorteilsdenken in exemplarischer Weise wider. Die SED verwendete alle lokalen Verbindungen, so auch die Städtepartnerschaften, um insbesondere im kapitalistischen Ausland und in jungen Nationalstaaten ihre Präsenz zu zeigen und um „alle Möglichkeiten und Mittel zur Darstellung der DDR, unserer Entwicklung in den Städten und Gemeinden durch den sozialistischen Aufbau, zu nutzen.“²⁰⁵ Gleichzeitig setzte sie alles daran, die DDR als modernen und ökonomisch robusten sowie wettbewerbsfähigen Staat darzustellen, vorzugsweise im westeuropäischen Kontext. So bewarb sie voller Eifer die ostdeutschen Errungenschaften auf der Mailänder Messe 1967. Dort nutzten SED-„Genossen“ jede Chance, um für eine Aufhebung von Zollhindernissen zu plädieren.²⁰⁶ Mit gebündelten Kräften arbeitete die SED-Leitung an verschiedenen Fronten auf das Hauptziel der internationalen Anerkennung der DDR hin, so auch im Bereich des deutschen Städte- und Gemeindetags und der Freundschaftsgruppe DDR-Italien, Foren, die sie als eigene Werbeplattform verstand und benutzte. Anlässlich des Vierten Kolloquiums europäischer Bürgermeister und Kommunalpolitiker im Mai 1968 in Dresden wurde die strategische Bedeutung Italiens und Frankreichs in aller Klarheit hervorgehoben. Präsident der Weltföderation der Partnerstädte (FMVJ) war nämlich Giorgio La Pira, Christdemokrat, ehemaliger Bürgermeister von Florenz und Geistlicher (Ende der achtziger Jahre wurde er von Papst Johannes Paul II. seliggesprochen); sein Generalbevollmächtigter war der Franzose Jean-Marie Bressand, Résistance-Held, Gründer und Vizepräsident der FMVJ. Das Kolloquium sollte genutzt werden, „um die Ideen der Schaffung eines einheitlichen Europas zu propagieren […]. Seitens der DDR war auf die parteiliche Darstellung der Vorzüge der sozialistischen Gesellschaftsordnung weitgehend zu verzichten, um keine Polemik über die verschiedenen Gesellschaftssysteme hervorzurufen.“²⁰⁷ Der Austausch auf parlamentarischer Ebene war den Italienern jedoch nicht immer eine Priorität, was die eher marginale Bedeutung einer solchen Zusammenarbeit für die westeuropäischen Abgeordneten unter Beweis stellt. Hatten sich die parlamentarischen Kontakte bis Mitte 1967 relativ gut und regelmäßig
SAPMO-BArch, Deutscher Tag und Gemeindetag, DZ/4/99, Arbeitsprogramm der Bezirksgruppe Potsdam für das 2. Halbjahr 1967, S. 5. Vgl. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV A 2/6.10 113. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV A 2/20 94, Analyse über das 4. Kolloquium europäischer Bürgermeister und Kommunalpolitiker vom 14. bis 17. 5. 1968 in Dresden, hier S. 1.
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entwickelt, so kamen sie bereits ab der zweiten Jahreshälfte und bis hinein ins Folgejahr – wohl wegen der Vorbereitung der politischen Parteien Italiens auf die Parlamentswahlen 1968 – zum Erliegen. Die Differenzen über den Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in Prag am 21. August 1968 schadeten den Verbindungen massiv. Daher wurde die Entsendung von Delegationen zur Leipziger Herbstmesse 1968 und zu den Feierlichkeiten anlässlich des 19. Jahrestags der DDR, wie sie noch Ende 1967 mit der Leitung der italienischen Freundschaftsgruppe festgelegt worden war, von italienischer Seite abgesagt. Auch erfolgte nach den Prager Vorkommnissen im italienischen Gremium eine personelle Restrukturierung, im Allgemeinen hin zu einer Neubesetzung durch Repräsentanten, die überwiegend aus dem linken politischen Spektrum stammten²⁰⁸ – gleichsam als Reaktion der bürgerlichen Kräfte auf die Gewaltanwendung in der Tschechoslowakei. Der Sozialdemokrat Beniamino Finocchiaro (PSI) schied als Vorsitzender aus; ersetzt wurde er durch den unabhängigen, dem PCI nahestehenden Senator Franco Antonicelli. Stellvertreter wurden der Radikalsozialist Giuseppe Di Prisco (PSIUP) und der Kommunist Luigi Polano (PCI). Der PCI stellte durch Rosa Spina auch die Sekretärin der Leitung.²⁰⁹ Der Arbeitsplan der Interparlamentarischen Gruppe (IPG) der DDR folgte den außenpolitischen Maximen der SED und sollte dazu dienen, „Freundschaft und Zusammenarbeit mit den Völkern und Staaten der sozialistischen Gemeinschaft [zu festigen]; sie fördert die Verständigung und die Entwicklung von Beziehungen zu den kapitalistischen Ländern.“²¹⁰ Der Wunsch nach mehr Anteilnahme am internationalen Geschehen bzw. nach Erweiterung des eigenen Spielraums hatte die SED bereits 1955 dazu bewogen, die IPG ins Leben zu rufen, damals unter dem Vorsitz des „Genossen“ Wilhelm Koenen. 1970 folgte die Antragstellung auf volle Mitgliedschaft im Dachverband Interparlamentarische Union (IPU).²¹¹ Im Bereich der außenpolitischen Verbindungen zu bedeutenden politischen Parteien machten sich in der Zeit unmittelbar vor den Prager Unruhen des Sommers 1968 Skepsis und Ratlosigkeit breit. Im Dreiecksverhältnis zur SPD und zum PCI reagierte die ostdeutsche Staatspartei besonders empfindlich, war sie doch darauf bedacht, bei aller vorsichtigen Öffnung den „großen Bruder“ in Moskau nicht zu brüskieren. Aus einer Information der Abteilung Internationale Verbindungen für das Politbüro vom April 1968 geht hervor, dass die SED extrem ver-
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DA/1/12454, Information über die Arbeit der Parlamentarischen Freundschaftsgruppe DDR-Italien, 8. 5.1969. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DA/1/12454, Information, S. 2. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV A 2/20 92, Arbeitsplan der Interparlamentarischen Gruppe (IPG) der DDR für 1968, S. 1. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IVA 2/20 92, Arbeitsplan, S. 2.
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ärgert auf das Bekanntwerden der Kontakte zwischen den beiden Ansprechpartnern reagierte. Ihrer Deutung nach verfolgte die SPD das Ziel: (…) in der CSSR und in anderen sozialistischen Ländern die Illusionen über die sogenannte neue Ostpolitik und die Rolle der SPD-Minister bei ihrer Konzipierung und Realisierung zu vergrößern, die DDR als Störenfried in Europa hinzustellen, einen Keil zwischen die SED und die IKP zu treiben und die demokratische Öffentlichkeit in der Bundesrepublik über die reaktionären Ziele des westdeutschen Imperialismus nach innen und außen zu täuschen.²¹²
In dieser Hinsicht beharrte Ost-Berlin auf seiner traditionellen, defensiven Grundhaltung, die von der Überzeugung herrührte, dass die SPD als „Agent des westdeutschen Imperialismus“ tätig sei und man ihr daher keineswegs trauen könne. Aus dieser Perspektive wurde auch die Rolle des PCI durchaus kritisch gedeutet. Aus einer Stellungnahme von Luigi Longo in der Unità vom 5. April 1968, in der dieser auf die Bedeutung des Gipfels in Karlsbad als Ansporn zum Dialog auch mit sozialistischen und sozialdemokratischen Organisationen rekurriert hatte²¹³, schlussfolgerten die SED-Beobachter, dass die italienischen „Genossen“ die Gefährlichkeit der Bundesrepublik wohl unterschätzt hätten: „Die faktische Gleichsetzung der SPD mit anderen sozialdemokratischen Parteien in Europa zeugt von einem nichtklassenmäßigen Herangehen der IKP [Italienische Kommunistische Partei]. Die Ursache dafür besteht in der maßlosen Unterschätzung der Gefährlichkeit des westdeutschen Imperialismus.“²¹⁴ Schließlich stelle die Kontaktaufnahme des PCI mit der SPD, ohne vorherige Besprechung mit der SED und der KPD, faktisch eine Einmischung in die Angelegenheiten der ost- und der westdeutschen „Bruderparteien“ dar.²¹⁵
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV A 2/20 1001, Information über Kontakte zwischen der IKP und der SPD, Berlin 19.4.1968. Hier merkte Longo an: „Was uns zu diesen Begegnungen und auch zu den Informationsgesprächen mit den sozialdemokratischen Parteien, ungeachtet der tiefgreifenden politischen und ideologischen Differenzen, die uns von ihnen trennen, bewogen hat, war die übrigens auch in der Erklärung europäischer kommunistischer Parteien in Karlovy Vary enthaltene Überzeugung, daß der gegenwärtig historische Augenblick Kühnheit und Initiative verlangt.“ In: SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV A 2/20 1001, Information über Kontakte, S. 4. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV A 2/20 1001, Information über Kontakte, S. 6. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV A 2/20 1001, Information über Kontakte, S. 7.
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4.2 Zur „Logik der Blöcke“ – SED und PCF In einer Sitzung der Außenpolitischen Kommission beim Politbüro der SED einigten sich die Teilnehmer im Winter 1968 darauf, spezifische Modelle für die Werbearbeit in kapitalistischen Ländern zu entwickeln. Die Vorlage sei vorwiegend durch das MfAA und in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Außenwirtschaft (MAW) und der Staatlichen Plankommission (SPK) zu überarbeiten.²¹⁶ Verantwortlich für Frankreich waren die „Genossen“ Otto Winzer, ZK-Mitglied und Minister für Auswärtige Angelegenheiten der DDR, Horst Sölle, ebenso ZK-Mitglied und Minister für Außenhandel und innerdeutschen Handel, Horst Brasch, damaliger Minister für Kultur, Hugo Meiser, Stellvertreter des Vorsitzenden der Plankommission und Manfred Feist, Leiter der Abteilung Auslandsinformation.²¹⁷ Ein Blick auf die personelle Zusammensetzung der Frankreich-Beauftragten genügt, um die anvisierte politische Stoßrichtung der SED gegenüber dem westlichen Land Ende der sechziger Jahre zu erfassen. Priorität hatte die Konzentration der Zusammenarbeit auf wirtschaftliche Ziele. Deren Realisierung war aufs Engste mit einer intensiven Kampagne um die Anerkennung der DDR verschränkt, die ab Sommer 1968 auf vollen Touren laufen sollte. De facto hatte der SED-Vorstand bereits 1967 sein außenpolitisches Hauptziel grundlegend verändert, auch wegen der allgemeinen Verhärtung der Beziehungen zum westdeutschen Nachbarstaat. Mit dem Amtsantritt des Kabinetts Kiesinger Ende 1966, in dem Franz Josef Strauß als Minister für Finanzen fungierte, sah sich der ostdeutsche Staat dazu genötigt, seine deutsch-deutsche Politik neu auszurichten, hin zu einer stärkeren Abgrenzung von der Bundesrepublik. Die Ankündigung Kiesingers, er wolle das Verhältnis zwischen beiden deutschen Staaten „entkrampfen“, ließ in der DDR die Alarmglocken läuten. Die SED-Spitze sah sich an die Folgen einer ähnlichen Öffnung im Jahr 1955 erinnert, als die Bundesrepublik – nach Aufnahme von diplomatischen Beziehungen mit der Sowjetunion – die Hallstein-Doktrin propagiert hatte.²¹⁸ Als Reaktion wurde beschlossen, alle Bemühungen zur diplomatischen Anerkennung der DDR zu intensivieren und die gesamte Auslandspolitik diesem obersten Ziel unterzuordnen. Das Sekretariat des ZK der SED gab diese Ent-
SAPMO-BArch, Außenpolitische Kommission, DY/30/IV 2/2.115, Protokoll der 7. Sitzung vom 11. 01. 1968 (Berlin 15. 01. 1968). SAPMO-BArch, Außenpolitische Kommission, DY/30/IV 2/2.115 17, Arbeitsplan der Außenpolitischen Kommission / 1. Halbjahr 1968 (Berlin 16. 01. 1968). Carel Horstmeier, Ostdeutsche Ohnmacht und widerwillige Hilfe durch Bruderstaaten. Die Anerkennungspolitik der DDR 1949 – 1973, in: Timmermann, Die DDR in Europa, S. 69 – 87, hier S. 80.
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scheidung unmittelbar nach Berufung des Kabinetts Kiesinger bekannt und schwor alle Zuarbeiter der Partei darauf ein, insbesondere die Liga für Völkerfreundschaft, der die jeweiligen Freundschaftsgesellschaften unterstanden.²¹⁹ Deren konzertierte Aktivitäten führten zur Organisation und Einberufung einer großen Konferenz mit dem Titel „Die Bedeutung der Anerkennung der DDR für die Sicherheit Europas“²²⁰, die im Juni 1968 in Helsinki stattfand und an der mehrere westeuropäische Vertreter teilnahmen. Vor diesem Hintergrund veranlassten die Organisatoren im Frühjahr 1969, nachdem nach der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ wieder Ruhe eingekehrt war, die Gründung eines ständigen internationalen Komitees für die Anerkennung der DDR, das gesamteuropäisch wirkte und sich seitdem „Helsinki-Komitee“ nannte.²²¹ Die daraus entstehenden Anerkennungskomitees in Europa boten der DDR den Vorteil, eine höhere Präsenz in der Öffentlichkeit und entsprechend mehr Solidarität für ihr Hauptziel zu erlangen. Noch dazu waren sie besonders wirksam und salonfähig, da sie – anders als die Freundschaftsgesellschaften, die dazu angehalten waren, auch die spezifischen Vorzüge des realen Sozialismus zu bewerben – allein auf das außenpolitische Programm hinarbeiteten und somit ein breites Spektrum an Sympathisanten für sich einnehmen konnten.²²² Erste Ergebnisse ließen nicht lange auf sich warten: Anfang 1969 wurden das schwedische, das italienische und das interafrikanische Komitee gegründet.²²³ Ein Freundschaftsabkommen zwischen Paris und Ost-Berlin bestand bereits seit 1964.²²⁴ Das daraus hervorgegangene Komitee von Paris verweilte mehrfach in der ostdeutschen Hauptstadt, darunter im Dezember 1968, um den Arbeitsplan für das darauffolgende Jahr aufzustellen. Die französische Gesellschaft war durch den PCF dominiert. René Thoirain, Résistance-Held und Gewerkschafter (CGT), zudem Vorstandsmitglied der GO des PCF in Paris, spielte dort eine wichtige Leitungsrolle. Für die ostdeutsche Seite waren u. a. der Stadtrat und stellvertretende Oberbürgermeister von Ost-Berlin, Alexander Mallick, und der erste Se-
Horstmeier, Ostdeutsche Ohnmacht, S. 82– 83. SAPMO-BArch, DDR-Komitee für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit, DZ/23/248, Konferenzmaterialien, „Die Bedeutung der DDR für die Sicherheit Europas (1968)“. SAPMO-BArch, Liga für Völkerfreundschaft, DY/13/2586, Konzeption für die Arbeitsweise, Rolle und Funktion des Internationalen ständigen Komitees, 29.08.1968; ferner auch DY/13/2584, Argumentations- und Dokumentationsbroschüre für die DDR-Anerkennungsbewegung in Europa, herausgegeben vom Ständigen Internationalen Komitee der Konferenz von Helsinki, 1970. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV A2/2.028/111, SED Hausmitteilung an Norden, 30.01.1967; vgl. auch Horstmeier, Ostdeutsche Ohnmacht, S. 83 – 84. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/J IV 2/2 A/1556, Übersicht über die im nichtsozialistischen Ausland bestehenden Freundschaftsgesellschaften, 25.10.1971. APCF, France-RDA, 38 J 1, Traité d’amitié Paris Berlin-Est, 7.10.1964.
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kretär der SED-Kreisleitung Berlin-Mitte, Ditmar Danelius, zuständig.²²⁵ Auch bei der Freundschaftsgesellschaft Echanges Franco-Allemands waren PCF- und CGTMitglieder in der deutlichen Überzahl.²²⁶ Der PCF hatte während der sechziger Jahre einen neuen Stimmenzuwachs erlebt, auch in Bezug auf die Mitgliederzahl konnte die Partei zwischen Anfang und Ende der Dekade leicht wachsen. Sie präsentierte sich wie eine traditionelle Arbeiter- und Kaderpartei, die jedoch kulturell weit über das Arbeitermilieu hinaus großen Einfluss auf die französische Gesellschaft auszuüben vermochte.²²⁷ Insbesondere im lokalen Bereich waren Vertreter der Arbeiterklasse stark überrepräsentiert. Die Entwicklung der sozialen Zusammensetzung der GO des PCF im Großraum Paris in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre verdeutlicht das exemplarisch.²²⁸ Auf der außenpolitischen Ebene standen die Verbindungen zwischen dem PCF und der SED auf dünnem Eis, ungeachtet der philostalinistischen Grundeinstellung der Franzosen und der sonst so gepriesenen Solidarität unter ideologisch affinen „Bruderparteien“. Zunächst hatten die Ostdeutschen Anfang 1968 den Beschluss ihrer westeuropäischen „Genossen“ begrüßt, eine gemeinsame Plattform mit der Fédération de la Gauche Démocrate et Socialiste (FGDS) zu gründen, die sich zum Ziel setzte, ein Bündnis der gesamten Linken sowie die Ablösung des gaullistischen Regimes herbeizuführen.²²⁹ Die Lage schlug nach dem Einmarsch der fünf sozialistischen Staaten in Prag am 21. August 1968 plötzlich um, wie die Abteilung für Internationale Verbindungen prompt registrierte.²³⁰ In einer Vorlage für das Politbüro machte die Abteilung darauf aufmerksam, dass sich eine Reihe von kommunistischen Parteien, wie der PCI und die KP Rumäniens, eine „revisionistische Strategie“ angeeignet und anlässlich
APCF, France-RDA, 38 J 1. APCF, France-RDA, 38 J 1. Zwischen 1963 und 1970 stieg die Mitgliederzahl des PCF von rund 400.000 auf 460.000. Siehe Roger Martelli, Prendre sa carte. Données nouvelles sur les effectifs du PCF, herausgegeben von der Fondation Gabriel Péri, Paris 2010, hier S. 45. Bei der Wahl des Comité Fédéral Ende 1966 stammten 43 von 69 Funktionären aus dem Arbeitermilieu; im Bureau Fédéral saßen sogar 14 Arbeiter bei insgesamt 18 Mitgliedern. 1969 waren es jeweils 61 von 72 und 15 von 18 Mitgliedern Arbeiter. Dieses Verhältnis blieb konstant, so bei der Wahl vom 1. 2.1970, 3.12.1972 und 20.10.1974. Siehe APCF, 261 J 21/88. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV A 2/20 997, Aktionsabkommen zwischen der FKP und der Föderation der Demokratischen und Sozialistischen Linken (FGDS) vom 23. 2. 1968, S. 1. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/12616,Vorlage für das PB, Zur internationalen Lage und zur Situation in der kommunistischen Weltbewegung nach den Maßnahmen der fünf sozialistischen Staaten vom 21. 8. 1968.
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des für die SED notwendigen Eingriffs in Prag „eine klein-bürgerlich-nationalistische Haltung“ eingenommen hätten.²³¹ Andere, so weiter im Dokument, wie der PCF, hätten sich von ihren traditionellen Grundeinstellungen distanziert und antisowjetische Positionen bezogen. Noch weiter geschürt worden war die Entrüstung der Ost-Berliner über die von ihnen kritisierte politische Umorientierung der genannten „Bruderparteien“ infolge einer Stellungnahme Longos, der vor der zu beseitigenden, selbst für sozialistische Staaten verheerenden „Logik der Blöcke“ warnte und für eine demokratische Erneuerung plädierte.²³² Wie sehr diese Logik der Blöcke auch den PCF-Vorstand gefangen hielt und ideologisch gefährdete, beschrieb Roger Garaudy in einem Brief an Waldeck Rochet, in dem er dessen attentistische Politik anlässlich der Mai-Juni-Unruhen als tragisch bezeichnete. Der somit verursachte Bruch zwischen den Intellektuellen, den Studenten und der Partei habe gezeigt, wie wenig lern- und erneuerungsfähig der PCF sei und werde für ihn erschütternde Konsequenzen haben.²³³ Wie prophetisch seine Worte waren, sollte sich nur wenige Monate später mit aller Deutlichkeit zeigen.
4.3 SED, PCI und PCF vor der Herausforderung des „Prager Frühlings“ Alle Reformversuche jenseits und erst recht diejenigen innerhalb des Ostblocks waren nach Überzeugung der SED-Führung kompromisslos zu bekämpfen. Der „reformierte Kommunismus“, den Alexander Dubček zu entwickeln und etablieren versuchte, gehörte selbstverständlich dazu.²³⁴ Es spielten dabei für die SED nicht nur ideologische Überlegungen eine wichtige Rolle; in der Tat fielen auch politische Erwägungen ins Gewicht. Ein Abdriften des südöstlichen Nachbarn aus dem Warschauer Pakt hätte verheerende Konsequenzen für die DDR gehabt, sowohl innenpolitisch als auch international. Ulbricht befürchtete einerseits, dass reformistischer Eifer auf die DDR übergreifen könnte, und ande-
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/12616,Vorlage für das PB, Zur internationalen Lage, S. 12. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/12616,Vorlage für das PB, Zur internationalen Lage, S 15. APCF, France-RDA, 307 J 58, Lettre au camarade Waldeck Rochet, 26.05.1968. So Garaudy: „En tentant, au départ, de freiner cet élan exceptionnel, la Direction a coupé le Parti d’une grande force de rénovation socialiste […]. La cassure entre les communistes et la masse des étudiants et des intellectuels aurait des conséquences tragiques.“ Hierzu Lutz Prieß u. a., Die SED und der „Prager Frühling“ 1968: Politik gegen einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“, Berlin 1996.
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rerseits, dass ein Erfolg der Sozialisten „mit menschlichem Antlitz“ der von OstBerlin angeprangerten Ostpolitik Brandts neuen Aufschwung verleihen könnte.²³⁵ Die SED sah sich demnach mit einer erheblichen Herausforderung konfrontiert. Als Aushängeschild der Sowjetunion, gleichsam des gesamten „realen Sozialismus“ an der Grenze zwischen Ost und West, war ihr besonders daran gelegen, die „Bruderparteien“ sowohl im sozialistischen als auch im kapitalistischen Ausland zu Vorsicht und Loyalität zu ermahnen. Sowohl der PCF als auch der PCI hatten die ideologische Entwicklung des „Prager Frühlings“ mit großer Aufmerksamkeit verfolgt, aber von zwei verschiedenen Ausgangspositionen. Der PCI war im Erstarken begriffen; demgegenüber zeigte sich der PCF gespalten und durch die zermürbenden Mai-Juni-Unruhen insgesamt erheblich geschwächt, wie das mäßige Resultat bei den Wahlen Ende Juni 1968, bei denen er knappe 20 % der Stimmen auf sich vereinigen konnten, eindeutig zeigte.²³⁶ Am 14. Juli 1968 flog Waldeck Rochet nach Moskau, um die schwierige Lage mit der KPdSU-Spitze zu besprechen. Doch zeigten die Moskauer nur wenig Interesse an Dialog bzw. Schlichtung und stellten den PCF vor vollendete Tatsachen: In dem „Warschauer Brief“ seien alle Gründe aufgeführt, weshalb die „sozialistische Gemeinschaft“ die umstrittenen Entwicklungen in Prag allgemein für gefährlich halte. Diese habe entsprechende Empfehlungen zur dringend notwendigen Berichtigung von Fehlern formuliert. Der Text, der einer eklatanten Einmischung in Angelegenheiten eines souveränen Staates gleichkam, wurde erwartungsgemäß von den tschechoslowakischen Behörden abgelehnt. Ihnen schloss sich auch der PCF-Vorstand an, der dadurch seinen einstweiligen Widerspruch gegen das Gebaren des Warschauer Pakts, besonders der Sowjetunion, demonstrierte.²³⁷ Wie fragil eine solche Opposition jedoch war, zeigte sich schon fünf Tage später, als Rochet seine Reise nach Prag fortsetzte, um mit Dubček persönlich zu beraten. In einem langen Gespräch mit dem tschechoslowakischen „Genossen“ brachte Rochet all seine Besorgnis über die sich anbahnenden Divergenzen mit den anderen Mitgliedern des Warschauer Pakts zum Ausdruck und wies darauf hin, dass ein möglicher „Rechtsschwenk“ in Prag schwerwiegende Folgen für den gesamten Ostblock haben würde. Darüber hinaus warnte er vor der unmittelba-
Vgl. Prieß u. a., Die SED, ferner Lutz Prieß u. Manfred Wilke, Die DDR und die Besetzung der Tschechoslowakei am 21. August 1968, in: APuZ, B 36/1992, S. 26 – 34. Zum PCI: Schoch, Die internationale Politik, S. 225 – 254; zum PCF: Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 253 – 268. Vgl. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 255 – 256; ferner auch Ernst Weisenfeld, Geschichte Frankreichs seit 1945: von de Gaulle bis zur Gegenwart, München 1997.
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ren Gefahr, dass dadurch das „Bonner Deutschland“ oder sogar die USA in die Tschechoslowakei Einzug halten und den Kommunismus untergraben könnten.²³⁸ Dubček reagierte mit Entrüstung auf die Einlassungen Rochets. Es sei festzustellen, monierte er spöttisch, dass die Franzosen nun als Botschafter der UdSSR aufträten. Er fügte aber hinzu, dass er keinen Bruch mit den Sowjets wolle und sogar einige ihrer Befürchtungen teile, z. B. in Bezug auf die politische Tätigkeit des Klubs 231. Dieser sei ein Zusammenschluss von Persönlichkeiten, die sich für die Befreiung politischer Gefangener einsetzten. Einige von ihnen seien Aufrührer, konzedierte er, die darauf hinarbeiteten, den Staat und die Legalität zu zersetzen. Einige andere jedoch seien ehrenhafte Menschen, die ihre Arbeit mit bestem Gewissen verrichtet hätten.²³⁹ Außerdem machte er darauf aufmerksam, dass auch innerhalb seiner Partei große Auseinandersetzungen im Gange seien. Eine der härtesten werde über die Frage der geheimen Abstimmung geführt, welche die jüngere Garde befürworte, im Gegensatz zur Position älterer „Genossen“. Rochet warnte zum Schluss nur noch davor, dass der anvisierte Demokratisierungsprozess Rebellen und Intriganten „in die Hände spielen könne.“²⁴⁰ Noch kurz vor Antritt der Prager Reise des französischen Generalsekretärs hatten sowjetische „Genossen“ in Moskau Rochet die Gründe für ihr allgemeines Misstrauen gegenüber Dubček verdeutlicht, was durchaus – wie eben dargelegt – Wirkung erzielte. Zwei Stenogramme über die Gespräche zwischen Rochet und Michail Suslow bzw. zwischen Ersterem und Breschnew geben Aufschluss darüber. Die „antisozialistischen Kräfte“ in der Tschechoslowakei, so Suslow, gewännen allmählich die Oberhand; sie kontrollierten mittlerweile die Massenmedien, einschließlich der meistgelesenen Zeitschrift Rudé právo. Dubček sei praktisch entmachtet. Dennoch, fügte er hinzu, sei die Situation hier ganz anders als vergleichsweise in Ungarn 1956. Dort seien die rebellischen Kräfte „auffällig“ in Erscheinung getreten; in der Tschechoslowakei sei die Entwicklung, das Erstarken der Gegenkräfte, vager, langsamer, somit aber nicht weniger besorgniserregend, ganz im Gegenteil. Rochet beschränkte sich darauf, von militärischen Aktionen abzuraten, denn sie seien letztlich „schwierig zu rechtfertigen.“²⁴¹ Breschnew gab in seiner Unterredung mit dem französischen „Genossen“ ein kurioses psychologisches Porträt Dubčeks ab. Dieser sei viel zu konziliant, immer mit seinen Ansprechpartnern einverstanden, er stelle schlichtweg ein Enigma dar.
APCF, Archives du Secrétariat, 264 J 14, Notes sur l’entretien entre Waldeck Rochet et A. Dubcek à Prague, 19.7.1968. Dubček in: APCF, Archives du Secrétariat, 264 J 14, Notes sur l’entretien. APCF, Archives du Secrétariat, 264 J 14, Notes sur l’entretien. APCF, Archives du Secrétariat, 264 J 14, Sténogramme de l’entretien entre W. Rochet et Mikhail Souslov, 15.7.1968
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Außerdem, so der russische Generalsekretär weiter, habe Dubček von Oktober bis Januar reihenweise all seine einstigen Mitarbeiter abgesetzt und durch neue ersetzt, die politisch suspekt seien. Er sei schließlich zu jung, „erfahrungs-“ und „intelligenzjung“, in hohem Grade (terriblement) nervös, er weine gleichsam beim Sprechen und doch seien alle für ihn, sowohl aus dem linken als auch aus dem rechten Spektrum der Partei: „Das ist ihm alles zu Kopf gestiegen [sic]“.²⁴²
PCI und „Prager Frühling“ Die Italiener hatten mit großer Hoffnung die Entwicklung des Prager Sozialismus beobachtet und wurden von den Ereignissen am 21. August regelrecht überrollt. Die Mehrheit der Partei protestierte – anders als bei den französischen „Genossen“ – vehement gegen die militärische Invasion der fünf sozialistischen Länder und forderte einen umgehenden Abzug der Truppen aus der Tschechoslowakei. Armando Cossutta, Mitglied des Vorstandes des PCI, hatte im September die Gründe für die entrüstete Reaktion seiner Partei in Moskau vortragen können. Er wies u. a. darauf hin, dass es nicht ratsam sei, in naher Zukunft eine Konferenz der kommunistischen Parteien einzuberufen, weil diese schnell in eine Debatte über die tschechoslowakische Krise ausarten würde.²⁴³ Die harsche Kritik am Vorgehen des Warschauer Pakts gegen den durch Dubček initiierten Demokratisierungsprozess rief eine entsprechend harte Reaktion der SED hervor. Der PCI wurde zur Zielscheibe propagandistischer Tiraden. Hermann Axen, seit Ende der sechziger Jahre eine der außenpolitisch einflussreichsten Persönlichkeiten in den Reihen der ostdeutschen Staatspartei, verfasste im November desselben Jahres im SED-Organ Einheit einen Artikel mit dem Titel „Proletarischer Internationalismus in unserer Zeit“. Darin brachte er all seine Besorgnis über ein Abgleiten des PCI in den Revisionismus zum Ausdruck. Die italienische Partei habe sich bereits seit Ende der fünfziger Jahre allmählich und nun, seit dem Sommer 1968, in verstärktem Maße von den Lehren und Zielen des Marxismus-Leninismus abgewandt. Mit seiner polyzentristischen Doktrin
APCF, Archives du Secrétariat, 264 J 14, Sténogramme de l’entretien. Russisches Staatsarchiv für neueste Geschichte (fortan RGANI), Gedächtnisstütze für das Gespräch des Sekretärs des Zentralkomitees der KPdSU Michail A. Suslow mit dem Mitglied des Vorstandes der Kommunistischen Partei Italiens Armando Cossutta über die Ereignisse in der Tschechoslowakei vom September 1968, f. 81, op. 1, d. 310, S. 4– 7, hier S. 5. Longo hatte sich Ende August ähnlich darüber geäußert. Vgl. La relazione di Longo al CC e alla CCC, in: L’Unità, 28.8. 1968, S. 1– 5.
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stelle der PCI die Vorbildfunktion der Sowjetunion in Frage und leiste somit dem kapitalistischen Imperialismus Vorschub.²⁴⁴ Die erzürnte Reaktion der italienischen Seite folgte prompt, und zwar von höchster Stelle. Enrico Berlinguer hatte die regelmäßig an die Adresse seiner Partei gerichteten Attacken durch die SED genau verfolgt und formulierte Ende Oktober 1968 eine kurze, jedoch klare Antwort. In einem in der Rinascita veröffentlichten Artikel über die Unterschiede der kommunistischen Parteien sowie über die Bedeutung der Autonomie im sozialistischen Lager erinnerte Berlinguer an einen Eckpfeiler der Leninschen Lehre, nämlich die Unverletzlichkeit der nationalen Souveränität, die Lenin auf die Losung „Einheit in der Vielfalt“ gebracht habe.²⁴⁵ Das ideologische Scharmützel zwischen der SED und dem PCI fand selbst in westeuropäischen bürgerlichen Medien, wie etwa in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), in der Welt oder in der Zeitschrift Le Monde, beträchtlichen Widerhall. Die Rede war von einem hartnäckigen Widerstand der Italiener gegen den dogmatischen Führungsanspruch der Sowjetunion und gegen den realen Sozialismus im Allgemeinen. Mehr als für die einzelnen Details des theoretischen Geplänkels interessierten sich westeuropäische Beobachter eindeutig für die Tatsache, dass der PCI nach der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ noch stärker und selbstsicherer auftrat und sich als ernstzunehmende, zu parlamentarisch-demokratischen Werten bekennende politische Kraft profilierte.²⁴⁶ In den folgenden Wochen holte die SED zur erneuten Gegenattacke aus, diesmal mit einer Sabotage-Aktion. In ganz Italien wurde ein in italienischer Sprache anonym verfasstes Pamphlet in Umlauf gebracht, das den Einmarsch in die Tschechoslowakei rechtfertigte und gleichzeitig einen angeblichen „ideologischen Verfall“ des PCI-Vorstands anprangerte, der umgehend bekämpft werden müsse. Auf diese Weise wurde direkter Druck auf die Parteimitglieder ausgeübt, sich gegen die Parteileitung aufzulehnen. Rangniedrigere Funktionäre erhielten Briefe, die dem Pamphlet inhaltlich stark ähnelten. Bis heute ist nicht vollständig geklärt, wer hinter diesen Aktionen tatsächlich stand. Einiges lässt aber den Schluss zu, dass es sich de facto um den SED-Vorstand handelte. Fest steht je-
Hermann Axen, Proletarischer Internationalismus in unserer Zeit, in: Einheit 12 (1968) 10, S. 1201– 1219. Enrico Berlinguer, Autonomia e diversità: condizioni per un effettivo internazionalismo, in: Rinascita, 25.10.1968, S. 5 – 7. Vgl. Lill, Völkerfreundschaft, S. 222– 223; ferner Helmut König, Bologna und das rote Konzil, in: Osteuropa 19 (1969) 7, S. 477– 492.
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denfalls, dass die Drucksachen aus Dresden stammten, nämlich aus dem Verlag Zeit im Bild, der sonst die außenpolitische Propaganda der SED abwickelte.²⁴⁷ Höchstwahrscheinlich stammte der Text, der stilistisch an den oben erwähnten Artikel von Hermann Axen angelehnt war, zumindest teilweise von ihm selber. Der Autor warnte darin die Parteibasis davor, sich von den „verweichlichten und verbürgerlichten“ PCI-Machthabern irreführen zu lassen. Sie seien völlig verblendet, hätten den marxistisch-leninistischen Lehren endgültig abgeschworen und agierten nun im Dienste der „Klerikalbourgeoisie“ und des „USImperialismus“.²⁴⁸ Die umgehend als subversiv und aus dem Ausland stammend enthüllte Hetzschrift rief in der italienischen Partei Entrüstung und Skepsis hervor. Der Vorfall trug zu einer weiteren Vertiefung der Gräben bei, die sich zwischen dem PCI und dem Ostblock durch die Opposition gegen die Intervention in Prag aufgetan hatten. Der XII. PCI-Parteitag im Februar 1969 in Bologna stellte das unmissverständlich unter Beweis. Dort wurde die Niederschlagung des „Prager Frühlings“ erneut scharf verurteilt und die Breschnew-Doktrin abgelehnt.²⁴⁹ Vor diesem Hintergrund sah sich die SED genötigt, ihre Strategie gegenüber dem rasch erstarkenden, ideologisch abtrünnigen PCI zu überdenken. Die ideologischen Diskrepanzen galten als unüberbrückbar, aber die Ostdeutschen brauchten den PCI sowohl für ihre Kampagne zur Erlangung der Anerkennung als auch für den Dialog mit der westdeutschen SPD. Wie verhärtet jedoch die Beziehungen zwischen den Ostdeutschen und den Italienern waren, zeigte sich ganz deutlich im Dezember 1968 anlässlich des Parteitags der PSIUP, einer kleinen Splitterpartei, die sich 1964 aus dem linken Flügel des PCI formiert hatte. Die SED hatte zu dem Parteitag überraschenderweise eine hochkarätige Delegation ent-
Vgl. Lill, Völkerfreundschaft, S. 224– 225. APCI, Fondo Lombardo Radice, busta Cecoslovacchia; ferner Lill, Völkerfreundschaft, S. 224. Vgl. König, Bologna, S. 485 – 486; ferner auch Francesco Di Palma, Die SED vor der Herausforderung des „Prager Frühlings“ – eine transnationale Betrachtung, in: Deutschland Archiv, erschienen online am 3. Juli 2018 (zuletzt abgerufen am 19.07. 2021). Der Vollständigkeit halber muss erwähnt werden, dass in der Parteibasis des PCI mehrfach auch Verständnis und Solidarität für die von der KPdSU initiierte militärische Intervention in der Tschechoslovakei artikuliert wurden. Auch auf Vorstandsebene machten sich vereinzelte Meinungsverschiedenheiten bemerkbar. Substantielle Kritik am mehrheitlichen Kurs stammte aus der Gruppe um die Zeitschrift „Il Manifesto“, deren Hauptfiguren – u. a. Rossana Rossanda, Luciana Castellina und Luciano Magri – Generalsekretär Longo und seinem Vizesekretär Berlinguer vorrechneten, durch reformorientiertes Denken befremdend auf die traditionelle Parteigefolgschaft, so insbesondere die Arbeiterklasse, einzuwirken. Infolge des ideologischen Streits wurden die „Abtrünnigen“ gezwungen, aus der Partei auszutreten. Hierzu u. a. Sergio Dalmasso, Il caso „Manifesto“ e il PCI degli anni ʼ60, Turin 1989.
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sandt, die von Albert Norden geleitet wurde. Sie sollte stabile Verbindungen zu der proletarischen Partei aufbauen, von der man hoffte, dass sie in unmittelbarer Zukunft immer mehr unzufriedene, zum linksradikalen Spektrum des PCI gehörende Kräfte in ihre Reihen aufnehmen würde. ²⁵⁰ Die PSIUP hatte zuvor den Einmarsch in Prag mit verständnisvoller Duldung kommentiert und war in der Mehrheit loyal gegenüber Moskau. Zu einem weiteren Zwischenfall zwischen den Kommunisten Italiens und der SED kam es im Frühjahr 1969, als eine Delegation der deutschen Staatspartei nach Italien reiste und das L’Unità-Fest des PCI besuchte.²⁵¹ Albert Norden, auch diesmal Delegationsleiter, hatte das Parteifest in Bologna besucht und dort eine Unterredung mit Vertretern des PCF und des PCI geführt. Das ND berichtete daraufhin, alle Gesprächsteilnehmer hätten einvernehmlich gegen die „schlechte Politik“ der Bundesrepublik gewettert.²⁵² Da dies aber schlicht nicht der Wahrheit entsprochen habe, schickte Armando Cossutta im Namen des PCI am 24. Februar 1969 ein Kommuniqué an die SED, in dem er um umgehende Revision des Wortlauts in dem ostdeutschen Presseorgan ersuchte. Der Text, so Cossutta, führe den Leser aufs Glatteis: Dieser werde fälschlicherweise im Glauben gelassen, die drei Parteien hätten in Bologna eine gemeinsame Stellungnahme abgegeben.²⁵³
PCF und „Prager Frühling“ Die Reaktion des PCF auf die Niederschlagung des „Prager Frühlings“ war vorwiegend von zwei konträren Faktoren bestimmt: vom Drang nach Erneuerung und Verselbstständigung, dem insbesondere die Intellektuellen der Partei folgten; und vom herkömmlichen, auf fast allen Parteiebenen und in der Anhängerschaft stark verankerten Sowjetismus. Noch am selben Tag des Einmarsches in Prag erhielt der PCF-Vorstand ein Kommuniqué von der KPdSU, in dem die sowjetische Staatspartei einen Hilferuf durch das ZK der tschechoslowakischen KP an die Staaten des Warschauer Pakts dokumentierte. Der stalinistische Flügel des Prager ZK um Vasiľ Biľak hatte in einem „Einladungsbrief“ seine osteuropäischen Verbündeten um Unterstützung gebeten, um die erstarkenden antisozialistischen Kräfte im Lande zu entmach-
SAPMO-BArch, Politbüro, DY 30/J/IV 2/2 A-1384, Arbeitsprotokoll der Sitzung vom 7. 1. 1969. Johannes Lill weist darauf hin, dass die unangenehme Angelegenheit in den SED-Parteiakten nicht dokumentiert wurde, dafür jedoch in den PCI-Archivalien in Rom. Vgl. Lill, Völkerfreundschaft, S. 227– 228. ND, 16.02.1969. APCI, Sezione Estero, Microfilm 0308.
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ten.²⁵⁴ Darauf reagierten die Franzosen zunächst geschlossen mit einer dezidierten Kritik der Gewaltanwendung durch die sozialistischen Streitkräfte. Etwa zwei Wochen später sandten sie ein Telegramm nach Moskau, in dem sie ihre bereits ausgesprochene Missbilligung beteuerten und ihr erneut Nachdruck verliehen.²⁵⁵ In Wahrheit beweisen etliche Parteiarchivalien, dass der Beschluss des ZK des PCF, eine ablehnende Haltung anzunehmen, keineswegs auf einhellige Zustimmung in der Partei stieß. Die Ereignisse in Prag entfachten eine rege Diskussion auf jeder Rangebene. Henri Fiszbin, der Chef der GO des PCF im Großraum Paris, berichtete auf der Sitzung des Politbüros vom 22. August 1968 über die Reaktion der rangniedrigeren Kader. In der Region Paris sei die Entscheidung des Vorstands zwar verstanden, nicht aber kompromisslos akzeptiert worden. Die Bezirkssekretariate meldeten eine aufgebrachte Stimmung. Parteimitglieder fragten, warum sich die Leitung so schnell zu einer Missbilligung entschlossen habe.²⁵⁶ Selbst Mitglieder des Politbüros teilten die Skepsis der Anhängerschaft. Das Département Haut-Rhin bat den Vorstand um eine stichhaltige Begründung, warum er so rasch agiert habe. Mehrere Anwesende äußerten sich besorgt darüber, dass man sich damit nun dem von bürgerlichen Kräften gespielten „antisowjetischen Konzert“ anschließe.²⁵⁷ Generell wurde der Vorstand gebeten, seine genauen Überlegungen zu dem umstrittenen Beschluss darzulegen, ohne dabei „ unsere besondere Bindung an die SU“ aus den Augen zu verlieren.²⁵⁸ Aber sowohl Rochet als auch Jean Kanapa, ZK-Mitglied und einer der ideologisch einflussreichsten Vorkämpfer der Partei, zeigten sich unnachgiebig. Die Situation in der Tschechoslowakei sei nur schwer zu entschlüsseln; das Dilemma bestünde darin, einerseits auf einer Verurteilung der Souveränitätsverletzung durch den Warschauer Parkt zu beharren, andererseits aber die historischen Bande zu den „Bruderparteien“ im Osten, insbesondere zur KPdSU, aufrechtzuerhalten und konterrevolutionäre, antisowjetische Tendenzen abzuwehren. Zu diesem Zweck zog der PCF die Einberufung einer internationalen Konferenz der kommunistischen Parteien zum Thema „Die Entwicklung in der Tschechoslowakei“ in Erwägung. Mehrere Funktionäre, vor allem aus dem Ostblock, lehnten
APCF, Archives du Secrétariat, 264 J 14, Communication du PCUS a G. Plissonnier, 21.8.1968. APCF, Archives du Secrétariat, 264 J 14, Communication au PCUS, 2.9.1968. APCF, Archives du Secrétariat, 264 J 14, Séance du Politburo, 22.08.1968. Unter Pariser Kadern kam die Frage auf: „Pourquoi condemner si vite?“. „Alors on va nous aussi rentrer dans le concert antisoviétique?“, in: APCF, Archives du Secrétariat, 264 J 14, Séance du Politburo, 22.08.1968. Michel Simon: „Préciser le fond de notre lutte. Nos raisons d’attachement à l’URSS demeurent.“, in: APCF, Archives du Secrétariat, 264 J 14, Séance du Politburo, 22.08.1968.
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diesen Vorschlag aber ab mit der Begründung, die Ziele einer solchen Konferenz seien zu vage formuliert.²⁵⁹ Die Diskussion über die Prager Ereignisse dominierte mittlerweile auch auf lokaler Parteiebene die Tagesordnung. Das PCF-Bezirkssekretariat Seine-SaintDenis, eines der mitgliederstärksten Bezirkssekretariate, setzte sich bis Ende des Jahres 1968 anhaltend mit dem Thema auseinander. Grundsätzlich zeigte sich dort Solidarität und Verständnis für den Widerstand der Partei. Es handelte sich aber lediglich um eine sehr knappe Mehrheit, die sich eher aus Disziplin denn aus Überzeugung dazu durchgerungen hatte, die Linie des Vorstands zu dulden. Größere Unsicherheit war in den Unterbezirken Saint-Denis-Nord, Aubervilliers, Montreuil sud, Bagnolet nord und Sevran zu verzeichnen. In Pantin-Noisy stimmten nur drei von den 23 wahlberechtigten Genossen dem Vorgehen der Parteileitung zu. Auch in Gagny-Le Raincy mochte die Mehrheit der Mitglieder die Ablehnung nicht nachvollziehen.²⁶⁰ So stand die Führung des PCF von zweierlei Seiten unter enormem Druck: durch die eigene Parteibasis und durch die KPdSU. Die zuerst gefällte, umstrittene Entscheidung musste einer Revision unterzogen werden. Bereits am 2. Oktober 1968 schien sich die Gesinnung innerhalb des Vorstands zumindest teilweise gewandelt zu haben. In einem Kommuniqué an die KPdSU ließ die Partei ihr Beharren auf dem Beschluss verlauten, sprach sich aber für die Notwendigkeit von bi- und multilateralen Gesprächen zur Klärung der Sachlage aus.²⁶¹ Kurze Zeit später schickte die KPdSU eine Erklärung an den PCF, in der sie erneut und detailliert die Gründe für die Intervention nannte. „Konterrevolutionäre“ seien in Prag und in der Tschechoslowakei sehr aktiv und kurz davor gewesen, die Macht an sich zu reißen. Eine antisozialistische Hochburg sei die KarlsUniversität, verantwortlich dafür seien insbesondere die dort tätigen Professoren Václav Černý und Jan Procházka. Diese pflegten Kontakte zur antisowjetischen Emigration in Paris, zum vermeintlichen amerikanischen Doppelagenten Pavel Tigrid²⁶² und zu westdeutschen Geheimdiensten.²⁶³ Zu einer ernsthaften Auseinandersetzung oder gar zu einem Bruch zwischen den französischen und sowjetischen „Genossen“ kam es aber nie. Letztere hatten sich in den Monaten nach der
APCF, Archives du Secrétariat, 264 J 14, Séance du Politburo. APCF, Seine Saint-Denis, 261 J 27/98, Fédération Seine-Saint-Denis: Discussion sur l’intervention militaire à Prague, 14.10.1968. APCF, Polex, 307 J 134, Relations entre le PCF et le PCUS, Communication au CC du PCUS, 2.10.1968. Pavel Tigrid (1913 – 2003), Exil-Journalist und Redakteur der Zeitschrift Témoignage. 1967 wurde er für seine „antitschechoslowakische“ Tätigkeit in Abwesenheit verurteilt. APCF, Archives du Secrétariat, 264 J 14, Information du PCUS au PCF, 24.10.1968.
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militärischen Besatzung der Tschechoslowakei darum bemüht, die Wogen zu glätten und eine „Wiederannäherung“ an den PCF vorzubereiten. Diese wurde de facto Anfang November besiegelt, genau zwei Monate nach dem französischen Widerspruch gegen die Prager Geschehnisse. Zwischen dem 4. und dem 11. November 1968 hielt sich eine hochrangige PCFDelegation, bestehend aus Rochet, Marchais, Kanapa, Jacques Duclos und Raymond Guyot, in Moskau auf. ZK-Mitglieder der KPdSU, darunter u. a. Breschnew höchstpersönlich und Boris Ponomarjow, nahmen sie in Empfang. Zunächst tauschten sich die „Genossen“ über die Lage in Vietnam aus, prangerten übereinstimmend die „US-imperialistische Politik“ an und brachten all ihre Solidarität für die Sache der arabischen Länder in der Palästina-Frage zum Ausdruck. Schließlich wurde auch das Thema Tschechoslowakei angesprochen. Einvernehmen schien ungezwungen einzukehren: Alle Meinungsverschiedenheiten wurden mit einem Schlag beigelegt.²⁶⁴ Auch diskutiert wurden die Vorbereitungsmaßnahmen für eine internationale Konferenz der kommunistischen Parteien Europas zu den internationalen Ereignissen. Beide Seiten zeigten sich besorgt über die Position des PCI, der angekündigt hatte, einem solchen Vorhaben so lange nicht zustimmen zu wollen, bis die militärischen Besatzungskräfte vollständig aus der Tschechoslowakei abgezogen seien.²⁶⁵ Ähnlich vermerkt ist das Zusammentreffen der Delegationen in Moskau im Archiv des Sekretariats des Politbüros des PCF. Dort wird außerdem auf den Inhalt des Redebeitrags von Rochet hingewiesen. Der Generalsekretär hatte im üblichen Duktus die antiimperialistische Politik der Sowjetunion gepriesen und ihr Vorgehen gegen die USA und die Bundesrepublik, die ihren Einfluss nun auch in Israel erheblich erhöhen würden. Schließlich lobte er die KPdSU für ihre unveränderte Vorbildfunktion und unterstrich die besondere Bindung zwischen seiner eigenen und der sowjetischen „Bruderpartei“.²⁶⁶ Das PCI-Presseorgan kommentierte die Nachricht von der „Moskauer Wende“ der westeuropäischen „Bruderpartei“ mit Bestürzung.²⁶⁷ Ähnlich „überrumpelt“ zeigten sich sogar die bürgerlichen Zeitungen, die den PCF als eine „janusköpfige Partei“ bezeichneten. Der römische Messaggero beispielsweise titelte am 8. Ok-
APCF, Polex, 307 J 134, Relations entre le PCF et le PCUS, Rencontre PCF-PCUS, 4– 5.11.1968. APCF, Polex, 307 J 134, Relations entre le PCF et le PCUS, Rencontre PCF-PCUS, 4– 5.11.1968. APCF, Archives du Secrétariat, 264 J 14, Délégation du PCF à Moscou. Discours de Rochet, 4.11. 1968. So Rochet: „Par conséquent, sans dissimuler le fait que des divergences sont apparues, entre nous, à propos de la Tchécoslovaquie, notre délégation croit que le mieux serait de mettre l’accent sur la lutte commune pour des objectifs communs à nos deux Partis et a tout le mouvement communiste international […].“ L’Unità, 7.9.1968. Darin wird von einer radikalen Kehrtwende des PCF gesprochen.
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tober 1968: „Die französische KP verteidigt Prag, greift aber Moskau nicht an – eine doppelgesichtige Partei“.²⁶⁸ Ende Oktober traf eine Delegation des PCI mit PCF-Vertretern in Paris zusammen. Auf der Tagesordnung standen der für Aufsehen sorgende Parteiaustritt von Jeannette Vermeersch und das Thema Prag. Kanapa gab den Italienern in Bezug auf Vermeersch vertraulich zu verstehen, dass auf die „Genossin“ „Einfluss von außen“ ausgeübt worden sei. Der PCF-Kritiker Garaudy, der die Passivität der Partei während der Mai-Unruhen heftig angeprangert hatte, sei nun rehabilitiert. Diese Stellungnahme verblüfft aus der heutigen Rückschau, wenn man bedenkt, dass Garaudy nur knapp ein Jahr später aus der Partei ausgeschlossen werden sollte. „Viele der Sachen, die er sagte – so Kanapa – teilen wir auch; der Fehler war, diese öffentlich auszusprechen.“²⁶⁹ Bei den EFA scheint die Intervention in Prag weniger Eindruck hinterlassen zu haben. Die Präsidenten, u. a. Jean-Pierre Bloch, Résistance-Held und SFIOMitglied, der Senator Raymond Bossus, Marcel Manesse, CGT-Sekretär für den Großraum Paris, und René Thoirain, Generalsekretär der Freundschaftsgesellschaft, ließen ein Rundschreiben mit besonderen Vorgaben zirkulieren. Der Vorstand stellte darin klar, dass die Anerkennung der DDR das höchste Ziel der Gesellschaft sei und auch nach den Prager Unruhen bleibe. Dieses Ziel sei auch unabhängig von der Politik der SED: „man kann doch gleichzeitig die Intervention in Prag anprangern, das Ziel bleibt aber [sic]. Ein weiteres Ziel ist die Normalisierung der Beziehungen zwischen beiden Ländern.“²⁷⁰ Im Gegensatz zu den Kontakten zwischen dem PCI und der SED, die vor dem Hintergrund der als unüberbrückbar anmutenden Differenzen beim Thema Tschechoslowakei zunächst eingefroren waren, schien also zwischen den französischen und ostdeutschen „Genossen“ allmählich wieder Ruhe eingekehrt zu sein. Dies war auch hinsichtlich der Beziehungen auf Ebene der Gewerkschaften der Fall.²⁷¹ Der FDGB wurde während der tschechoslowakischen Krise von der SED als Mittel zur Einflussnahme und Propaganda eingesetzt. Da die Kanäle zu den italienischen Kommunisten zunächst versperrt waren, konzentrierte der ostdeutsche Gewerkschaftsbund seine Tätigkeit auf Frankreich und die CGT. Letztere hatte
Il Messaggero, Il PC francese difende Praga ma non attacca Mosca – un partito bifronte, 8.10. 1968. APCI, Sezione estero, Microfilm 0552, Colloquio coi dirigenti del PCF (Guyot e Kanapa), Parigi 24.10.1968. APCF, France-RDA, 38 J 2, Echanges Franco Allemands, Pour information aux comites, Paris 6.9.1968 Vgl. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 258 – 261.
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zwar im September auf einer gemeinsamen Kundgebung mit der italienischen CGIL in Rom die Niederschlagung des „Prager Frühlings“ kompromisslos verurteilt, aber hatte dennoch zu keiner Zeit ihre Kontakte zu den „real sozialistischen Genossen“ und Verbänden abgebrochen.²⁷² Der FDGB versuchte vor diesem Hintergrund, lokale GO und Leitungsgremien der CGT gegeneinander auszuspielen und an Einfluss zu gewinnen. Ähnlich wie in Italien (s.o.) initiierten die Ostdeutschen eine Sabotage-Aktion in großem Umfang. Nach dem 21. August verschickten sie subversive Briefe und Broschüren an PCF-Mitglieder und dem PCF nahestehende Personen. Diese enthielten rein ideologische Belehrungen zur Prager Krise und riefen unverhohlen zur Auflehnung gegen die „verweichlichte“ Gewerkschafts- und Parteiführung auf.²⁷³ Die empörte Reaktion sowohl der Gewerkschafts- als auch Parteileitung ließ nicht lange auf sich warten. Die Störaktion der SED wurde als inakzeptable Einmischung in innere Angelegenheiten verurteilt und blieb nicht ohne Konsequenzen. Sowohl die Beziehungen zwischen den Gewerkschaften als auch zwischen den Parteien nahmen großen Schaden und kühlten sich merklich ab. Zu einem wirklichen Bruch kam es jedoch nicht. Beide Seiten waren zu sehr darum bemüht, vor allem nach der „Moskauer Wende“ der Partei von Anfang November 1968, ihre traditionelle Verbundenheit nach außen zu demonstrieren.²⁷⁴ Insgesamt konnte die SED-Leitung ihre ideologische Aufgabe am Ende doch als erfüllt betrachten, abtrünnige „Bruderparteien“ wieder auf Linie zu bringen oder zumindest zu destabilisieren, jedenfalls mit Blick auf die französischen „Genossen“: Der PCF hatte seinen anfänglichen Widerspruch gegen die militärische Unterdrückung des „Kommunismus mit menschlichem Antlitz“ aufgegeben und wieder eine prosowjetische Position eingenommen. Die Ost-Berliner konnten in den unmittelbar darauffolgenden Monaten zu ihrer Genugtuung feststellen, dass die „revisionistischen Kräfte“ innerhalb des PCF – insbesondere ihre wichtigste Stimme, Roger Garaudy – nach und nach an Einfluss verloren. Der PCF war somit wieder auf Linie. Seinem ZK gehörten zwar noch UdSSRskeptische Persönlichkeiten an, der Vorstand zeigte sich aber bemüht, alle Differenzen mit „real sozialistischen“ Partnern abzumildern. Die Konflikte des Jahres 1968 hatten dennoch deutlich gezeigt, wie es tatsächlich um die vermeintliche
Hierzu auch Alexandre Bibert, Schadensbegrenzung oder begrenzter Schaden? Die Beziehungen zwischen dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund und der Confédération générale infolge der Niederschlagung des „Prager Frühlings“, in: Bauerkämper u. Di Palma (Hg.), Bruderparteien, S. 85 – 101. SAPMO-BArch, DY 34/8210; ferner auch Bibert, Schadensbegrenzung, S. 93 – 94; und Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 258. Vgl. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 260.
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ideologische Überlegenheit des Marxismus-Leninismus gegenüber revisionistischen Tendenzen stand. In den darauffolgenden Jahren sollte sich das noch klarer herausstellen.
5 „Normalisierung“ und Verhärtung 1969 – 1970 In einem streng vertraulichen Bericht der Abteilung für Internationale Verbindungen vom Frühjahr 1969 wurde die Tätigkeit der Außenpolitischen Kommission in den ersten anderthalb Jahren ihres Bestehens kritisch eingeschätzt. Die Aufmerksamkeit der prüfenden Organe galt insbesondere ihrer nach Westeuropa ausgerichteten Arbeit. Die Abteilung habe mehrere Probleme behandelt, sich mit Themenkomplexen auseinandergesetzt und „eine Sitzung mit den Auslandsvertretungen der DDR in Europa […] durchgeführt.“²⁷⁵ Auch habe sie mehrere Vorlagen für das Politbüro, das Sekretariat und das Präsidium des Ministerrates vorbereitet und präsentiert. Die Kommission habe schließlich sehr gründlich gewirkt, jedoch zu wenig „andere Bereiche berücksichtigt“.²⁷⁶ Sie wurde demzufolge dazu angewiesen, künftig ihre Arbeitsweise in engerem Schulterschluss mit dem MfAA zu koordinieren. Der bürokratischen Sprache war die Intention der SED-Spitze zu entnehmen, künftig alle außenpolitische Arbeit stärker durch die dazu befugten, übergeordneten Gremien zu kontrollieren. Im Kontext des Prozesses der „Normalisierung“ – unmittelbar nach der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ – muss dies als eine von den Ost-Berliner Machthabern als notwendig erachtete Maßnahme zur Eindämmung und Vorbeugung von potentiell oppositionellem Verhalten gedeutet werden. Außerdem spielte dabei zum einen die Ausweitung der Anerkennungskampagne eine Rolle, die de facto die Außenpolitik der SED inhaltlich dominierte und bestimmte, und zum anderen die Erkenntnis, dass Fehler und Mängel bei den Zuarbeitern des ZK doch tatsächlich an der Tagesordnung waren Dies zeigte auch ein Prüfungsbericht der zentralen Revisionskommission vom September 1969, welcher die Arbeit der Abteilung für Internationalen Verbindungen unter die Lupe nahm. Die betrachtete Zeitspanne von ungefähr einem Jahr war zwar relativ gering; die im Text genannten Mängel und Defizite wiesen aber weit über den Zeitraum hinaus und auf beträchtliche strukturelle und kommu SAPMO-BArch, Außenpolitische Kommission beim Politbüro, DY/30/IV 2/2.115 10, Einschätzung der bisherigen Tätigkeit der Außenpolitischen Kommission und Schlussfolgerungen für die weitere Arbeit (Streng vertraulich – Berlin 28. 01. 1969), hier S. 1. SAPMO-BArch, Außenpolitische Kommission beim Politbüro, DY/30/IV 2/2.115 10, Einschätzung der bisherigen Tätigkeit, S. 3.
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nikative Fehler hin. „Genosse“ Kurt Herholz, ehemaliger Dozent an SED-Parteischulen und wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Institut für Marxismus-Leninismus, leitete die Kommission. Er wurde unterstützt von Ernst Melis, u. a. ehemaliger Redakteur bei dem theoretischen Presseorgan Einheit und führendes Mitglied des Komitees der antifaschistischen Widerstandskämpfer der DDR, sowie von Hildegard Gurgeit,²⁷⁷ langjähriges Mitglied der Zentralen Revisionskommission. Schwerpunktmäßig überprüfte die Kommission verschiedene Bereiche und Kompetenzen der Abteilung, etwa nach folgender Auflistung: „1) Organisation der Leitungstätigkeit in der Abteilung; 2) Organisation der Kaderarbeit; 3) Organisation der Arbeit gegenüber der Parteiorganisation im Ausland […]“ usw.²⁷⁸ Der Leiter der auf dem Prüfstand stehenden Abteilung, Paul Markowski, und seine Mitarbeiter waren bei der Berichterstattung der Kommission anwesend. Gegen die Arbeitsweise des Sektors hatte die Expertengruppe nichts einzuwenden, wie das folgende Zitat belegt. Die Arbeit innerhalb der Abteilung, die Zusammenarbeit einzelner ihrer Sektoren und Bereiche, wie von Ländersektoren und wissenschaftlicher Arbeitsgruppe, von Mitarbeitern eines Territorialsektors und dem Sektor Betreuung u. a., ist zweckmäßig organisiert. […]. Der Abteilungsleiter berät wöchentlich, meist zu Beginn, mit den leitenden Genossen die Aufgaben der Abt., kontrolliert die Erfüllung bzw. den Stand wichtiger Arbeiten und veranlasst Maßnahmen […]. Der Abteilungsleiter und seine Stellvertreter stützen sich in ihrer Arbeit auf eine Reihe von älteren Genossen, die infolge Alter oder aus gesundheitlichen Gründen aus der hauptamtlichen operativen Arbeit ausgeschieden sind. Die Mitarbeiter der wiss. Arbeitsgruppe, die dem Abteilungsleiter unmittelbar unterstellt ist, […] stützen sich ihrerseits auf weitere ehrenamtliche Spezialisten, z. B. auf Aspiranten und andere wiss. Mitarbeiter des Instituts für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED […].²⁷⁹
Ernstzunehmende Probleme seien allerdings im Sektor „Kapitalistische Länder“ erkennbar, insbesondere im Bereich der Information und Propaganda, da es an aussagekräftigen Resultaten und Fachpersonal mangele.²⁸⁰ Dies war ein ernüchterndes Fazit, das die Schwächen des außenpolitischen Ressorts aufdeckte. Außerdem machte es deutlich, dass Entscheidungen im geprüften Sektor nicht etwa auf Grundlage von Expertise und Fachkenntnis getroffen wurden, sondern dass dort lediglich Richtlinien „von oben“ gehorsam befolgt wurden. Diese
SAPMO-BArch, Nachlass Hildegard Gurgeit, NY 4589. SAPMO-BArch, Zentrale Revisionskommission, DY/30/IV A 3 12, Bericht über die Prüfung in der Abt. Int. Verb. des ZK der SED, Berlin 18.9.1969, hier S. 1. SAPMO-BArch, Zentrale Revisionskommission, DY/30/IV A 3 12, Bericht über die Prüfung, S. 2– 7. SAPMO-BArch, Zentrale Revisionskommission, DY/30/IV A 3 12, Bericht über die Prüfung, S. 7.
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Schlussfolgerung konnte nicht ohne Konsequenzen bleiben, denn die unkritische Ergebenheit gegenüber übergeordneten Instanzen und die herrschende Disziplinmentalität würde dazu führen, dass die ausführenden Mitarbeiter und ihre Vorgesetzten im Ausland Inhalte und Form der Vorgaben aus der Schaltstelle in Ost-Berlin nicht mehr überprüften. Die Koordinierung der Kaderarbeit sei zwar gegeben und die Vermittlung der politisch-ideologischen Leitlinien der durch die im Berliner Verlag erscheinende Zeitschrift Horizont gesichert, allerdings bliebe insgesamt zu undeutlich, welche die jeweilige „Verantwortlichkeit“ der einzelnen Mitarbeiter sei: „Die Verantwortlichkeit der Mitarbeiter der Abt. für die Arbeit mit den Nomenklaturkadern ist zwar festgelegt, es gibt jedoch Unklarheiten, worin diese Verantwortung besteht. Es wird auch zu wenig kontrolliert, wie die Mitarbeiter dieser Verantwortung gerecht werden.“²⁸¹ Der Prüfungsbericht monierte außerdem Probleme hinsichtlich der externen und internen Kommunikation wie z. B. erhebliche Zeitverzögerungen beim Reagieren auf neu eintretende Umstände sowie „politisch-ideologische und parteierzieherische“ Schwierigkeiten, die durch eine nicht zufriedenstellende Information der Abteilungsleiter verursacht würden, die dadurch wiederum einen passiven Eindruck machten.²⁸² Dem Anschein nach rief die Revisionskommission also in ihrem Bericht zu mehr Initiative und Spielraum auf, doch das darf über ihr wirkliches Ziel nicht hinwegtäuschen. Sie warnte im Gegenteil vor den Gefahren einer zu umfassenden Dezentralisierung, die mit der zunehmenden politischökonomischen Tätigkeit mehrerer Organe der DDR im Ausland einhergehe.²⁸³ Daraus resultiere ein Mangel an Informationen, unter dem auch die Zusammenarbeit von Parteiorganisationen leide. „Eine einheitliche Ordnung oder Statut für Delegierungen in das Ausland besteht zurzeit noch nicht.“²⁸⁴ Verantwortlich für die im Bericht herausgestellten Defizite im außenpolitischen „Apparat“, insbesondere in den untergeordneten Ressorts, war die zunehmende Verengung der SED-Außenpolitik auf zwei eng miteinander verzahnte Bereiche: Wirtschaftspolitik und Werbung um die Anerkennung der DDR. Dies lässt sich aus einem Brief von Rolf Sieber, dem Vorsitzenden der Interparlamen-
SAPMO-BArch, Zentrale Revisionskommission, DY/30/IV A 3 12, Bericht über die Prüfung, S. 12. SAPMO-BArch, Zentrale Revisionskommission, DY/30/IV A 3 12, Bericht über die Prüfung, S. 14. Gemeint waren hier insbesondere in der Wirtschaft tätige Organe wie „Niederlassungen der Spezialbetriebe, Kundendienst und Handelsorganisationen“. SAPMO-BArch, Zentrale Revisionskommission, DY/30/IV A 3 12, Bericht über die Prüfung, S. 15. SAPMO-BArch, Zentrale Revisionskommission, DY/30/IV A 3 12, Bericht über die Prüfung, S. 15.
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tarischen Gruppe (IPG) der DDR, an seinen italienischen Kollegen, den Senator Franco Antonicelli, deutlich herauslesen. Sieber machte darauf aufmerksam, dass die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern stark förderungsbedürftig sei. Dies werde allerdings durch mehrere Faktoren gehemmt. So wirke sich einerseits das Fehlen von zwischenstaatlichen Handelsabkommen und andererseits die nicht erreichte Gleichstellung der DDR mit anderen sozialistischen Ländern bei der Aushandlung von Zahlungsweisen negativ aus. Das Hauptproblem sei folglich, dass zwischen der DDR und Italien weiterhin keine staatlichen Beziehungen bestünden.²⁸⁵ Sieber bat schließlich den Senator darum, sich für die Beseitigung der genannten Hemmnisse einzusetzen. Mit Blick auf Italien begann die SED-Führung unmittelbar nach der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ eine recht ambivalente Politik zu betreiben: Sie gab sich selbstsicher, sogar überheblich gegenüber der renitenten „Bruderpartei“ PCI, konnte sie doch ihrer Auffassung nach auf einen eindeutigen Sieg der „marxistisch-leninistischen Kräfte“ im Kampf gegen den tschechoslowakischen „Revisionismus“ zurückblicken; im Umgang mit bürgerlichen Kräften und Regierungsverantwortlichen kehrte sie ihre demütige Seite hervor, wenn sie sich Vorteile davon versprach. Den PCI erreichten nach 1968 immer mehr Briefe von ostdeutschen Dissidenten, welche die „schwierige“ Lage in der DDR beklagten. Zu ihren Vorwürfen, wonach die SED diktatorial herrsche und regelmäßig Menschenrechte verletze,²⁸⁶ bezog die italienische Partei nie öffentlich Stellung. SED-Funktionäre waren über diese Briefe informiert und fürchteten eine Einmischung durch den PCI. Dies hatte eine erhöhte Überwachung von in der DDR lebenden und wirkenden italienischen PCI-Mitgliedern zur Folge. Angelo Sarto, PCI-Funktionär und Koordinator der bilateralen Beziehungen in der DDR, berichtete von einem Zwischenfall, der sich im Sommer 1969 im Gebäude des Radios Berlin International (RBI) zugetragen hatte. Der „Genosse“ Maugeri war von SED-Beobachtern der Doppelagenttätigkeit bezichtigt worden. Maugeri habe sich abschätzig über das Gastland geäußert, Diversion und Apologie des Kapitalismus betrieben, sich schließlich im Rahmen seiner redaktionellen Tätigkeit mit „anarkoidem“ Verhalten bemerkbar gemacht.²⁸⁷ Auch habe er sich – so die Unterstellung weiter – mehrmals unerlaubt nach West-Berlin begeben, wo er das Gerücht verbreitet habe, in der DDR drohten Dissidenten SAPMO-BArch, DA/1/12455, Brief an Dr. Franco Antonicelli, Senato della Repubblica, von Prof. Rolf Sieber, Vorsitzender der IPG der DDR, 26. 5.1969. APCI, Sezione Estero, Microfilm 0308, Petition an das Gewissen, ohne Datum und ohne Unterschriften, wohl April 1969. APCI, Sezione Estero, Microfilm 0308, Nota per Cossutta da Angelo Sarto, 28.7.1969.
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Zwangsarbeit und Konzentrationslager. Deshalb sollte er, schärfte die SED den italienischen Kommunisten ein, von der Partei nicht mehr unterstützt werden.²⁸⁸ Eine weitere, ähnliche Begebenheit verdeutlicht das aggressive Vorgehen der Ostdeutschen im Umgang mit italienischen kommunistischen Journalisten. Nino Grazzani, PCI-Redakteur beim RBI, meldete den Vorfall direkt seinen Vorgesetzten in Rom. Er wurde im Oktober 1969 von einem gewissen Herrn Bransch (oder Brasch [so im Text]) kontaktiert, der sich als Mitarbeiter beim Presseamt des Ministerrates der DDR ausgab. Dieser wolle mit Grazzani gemeinsam an einem Text arbeiten, den der Italiener daraufhin in seinem Heimatland verbreiten solle. Der Entwurf enthalte Informationsmaterial über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Italien sowie über die aufrührerische Tätigkeit von griechischen Offizieren im Exil. Bransch fügte hinzu, Grazzani solle mit niemandem darüber sprechen, geschweige denn mit Parteigenossen. Irritiert über den Ton des Gesprächs, verbat sich Grazzani weitere Einmischungen. Als sich der geheimnisvolle Herr Bransch einen Monat später erneut meldete, war dem Italiener klar, dass sich dahinter ein Stasi-Spitzel verbarg, der über diesen Kanal subversive SED-Propaganda nach Italien schmuggeln lassen wollte.²⁸⁹ Diese von großem Misstrauen und Spannungen zeugenden Vorfälle standen in krassem Widerspruch zu der von der SED nach außen demonstrierten Harmonie in den Beziehungen zu den Italienern. So wurde etwa Dino Pelliccia, Leitungsmitglied des Sektors Emigration des PCI, 1969 zu den Feierlichkeiten zum 20. Gründungstag der DDR eingeladen und am Rande der Zeremonie von Paul Verner, Mitglied des Politbüros der SED, und von Hermann Axen zu einem warmherzigen Gespräch empfangen.²⁹⁰ Die SED, so Pelliccia danach in seinem Bericht, interessiere sich jetzt wirklich für den PCI, und zwar nicht nur im Rahmen ihres Hauptanliegens, der Anerkennung der DDR. Über die Bundesrepublik habe Verner in dem Gespräch gesagt, dass die neue Regierung mit der Großen Koalition einen großen Schritt nach vorne im Hinblick auf die Anerkennungsfrage getan hätte. Besorgniserregend sei nach wie vor die zerstörerische Kraft der CDU.²⁹¹ Unterdessen verspürte die SED international bezüglich ihres Hauptziels generell Aufwind, hatte sich doch auch die internationale Gemeinschaft positiv über die politische und diplomatische Anerkennung der DDR ausgesprochen. Ende
APCI, Sezione Estero, Microfilm 0308, Nota per Cossutta. APCI, Sezione Estero, Microfilm 0308, Nota all’ufficio Segreteria, di Nino Grazzani, 18.12. 1969. APCI, Sezione Estero, Microfilm 0308, Nota alla segreteria sulla visita di delegazione PCI al XX. della fondazione della DDR, 17.10.1969. APCI, Sezione Estero, Microfilm 0308, Nota alla segreteria sulla visita di delegazione PCI.
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1969 tagte ein Gremium zur Vorbereitung der KSZE in Wien; beraten wurde über „gegenwärtige territoriale Realitäten in Europa“. An der Tagung nahmen u. a. Delegationen des PCF und des PCI teil, geleitet jeweils durch Jacques Denis und Carlo Alberto Galluzzi. Stellan Arvidson, der langjährige Vorsitzende der Freundschaftsgesellschaft Schweden-DDR²⁹² und Präsident des Ständigen Internationalen Komitees für die Anerkennung der DDR, machte darauf aufmerksam, dass „die völkerrechtlich verbindliche Anerkennung der Existenz von zwei souveränen deutschen Staaten sowie der in Europa existierenden Grenzen Ausgangspunkt für die Schaffung einer dauerhaften Friedensordnung in Europa […]“²⁹³ sei. An deren bisherigen Scheitern sei vorwiegend die Bundesrepublik schuld, die nach wie vor territoriale Ansprüche erhebe und zu diesem Zweck die Hallstein-Doktrin verkündet habe, welche de facto besage, „daß eine militärische Aktion durch die Bundesrepublik gegen die DDR als eine polizeiliche Aktion, als eine innerdeutsche Angelegenheit betrachtet werden würde, mit der kein Außenstehender etwas zu tun hätte und die keinerlei Sanktionen oder Eingriffe veranlassen könnte.“²⁹⁴ Die Doktrin habe sich nicht nur als „wertlos“ erwiesen, sondern stelle eine Gefahr für die gesamteuropäische Sicherheit dar.²⁹⁵ Es ist unverkennbar, dass sich die SED in ihrem Umgang mit dem PCI von klaren Interessen leiten ließ. Vor diesem Hintergrund kann der These Lills, wonach die Parteibeziehungen zwischen Ostdeutschen und Italienern von Mitte 1969 bis 1971 „fast vollständig unterbrochen“ blieben,²⁹⁶ nur teilweise zugestimmt werden. Der Delegationsaustausch wurde freilich auf ein Minimum reduziert, waren beide Parteien doch jeweils in eigene Großprojekte völlig eingespannt. Die SED kämpfte dennoch weiterhin an mehreren Fronten um die Anerkennung und hatte innenpolitisch äußerst notwendige Reformen und Erneuerungsmaßnahmen zu bewältigen. Auch war sie bemüht, trotz aller ideologischen Differenzen und gegenseitigem Argwohn, die Verbindungen zur Bundesrepublik in neue, ruhigere
Vgl. Nils Abraham, Die politische Auslandsarbeit der DDR in Schweden: zur Public Diplomacy der DDR gegenüber Schweden nach der diplomatischen Anerkennung (1972 – 1989), Berlin 2007, hier S. 345. SAPMO-BArch, DZ/22/35, Konferenz über Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit, Wien 29.11– 1.12.1969, S. 1. SAPMO-BArch, DZ/22/35, Konferenz über Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit, S. 2. So Arvidson, SAPMO-BArch, DZ/22/35, Konferenz über Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit, S 3 – 4. Lill, Völkerfreundschaft, S. 228.
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Bahnen zu lenken. Die beiden Zusammenkünfte mit Brandt in Erfurt und Kassel 1970 stellten ein unmissverständliches Zeichen in diese Richtung dar.²⁹⁷ Auch im PCI hatte der interne Druck, außenpolitisch mehr Präsenz zu zeigen, Ende der sechziger Jahre deutlich zugenommen und die Partei verstärkte ihre Bemühungen, sich international neu aufzustellen. Im Frühjahr 1969 durften kommunistische und sozialistische Abgeordnete erstmalig an einer Anhörung im europäischen Parlament in Straßburg teilnehmen. Diskutiert wurde die Zulassung einer kommunistischen Fraktion im europäischen Parlament, welche bis dahin durch die „bürgerlichen Kräfte“ verhindert worden war. Die italienischen Delegierten, angeführt von Giorgio Amendola, hatten in Straßburg vorsprechen und ihr europäisches politisches Programm vorstellen dürfen. Wie gewöhnlich hatten sie für die Überwindung der Blöcke, für die europäische Einheit ohne Unterscheidung der Länder mit kapitalistischen von Ländern mit nichtkapitalistischen Gesellschaftsordnungen sowie für die Befreiung Europas vom Joch der USA plädiert. Daraufhin fragten Alain Poher, der Präsident des französischen Senats, und Jean Rey, Präsident der EG-Kommission, nach, wie die Kommunisten diese Ziele denn zu realisieren gedächten bzw. wie sie sich verwirklichen ließen, woraufhin Amendola in einer Note an die Partei anmerkte, dass der PCI diesbezüglich noch viel zu arbeiten habe.²⁹⁸ Die Begebenheit machte deutlich, dass es zu diesem Zeitpunkt für den PCI außenpolitisch nicht nur darum ging, wie die Forderung nach mehr Demokratie und Transparenz mehr zur Geltung gebracht werden konnte, sondern auch um die Frage, ob und wie die Partei ihre traditionelle Ablehnung des NATO-Bündnisses aufgeben und sich in westeuropäische Institutionen einfügen wollte. Trotz anderweitiger Verpflichtungen und innenpolitischer Aufgaben war der SED-Führung wiederum daran gelegen, die bilateralen Parteibeziehungen zum PCI aufrechtzuerhalten. Zu diesem Zweck wurde u. a. die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) in der Bundesrepublik eingespannt: Sie sollte beim PCI vorstellig werden und ihm Zusammenarbeit anbieten. Der Direktive folgten bald auch Taten. Im Juni 1970 besuchte eine Delegation der italienischen Partei Westdeutschland; Stationen waren u. a. Dortmund, Düsseldorf und Köln. Hier traf der Delegationsleiter, Angelo Sarto, mit dem Sekretär der DKP-Vertretung in Nordrhein-Westfalen zusammen. Auf der Tagesordnung stand u. a. der Besuch der großen Ford-Fabrik, in der rund 2.700 italienische Arbeiter tätig waren. In Düs Vgl. u. a. Staritz, Geschichte, S. 192– 196; Arnd Bauerkämper / Martin Sabrow /Bernd Stöver (Hg.), Doppelte Zeitgeschichte: deutsch-deutsche Beziehungen 1945 – 1990, Bonn 1998, darin insbesondere: Manfred Görtemaker, Die Ursprünge der „neuen Ostpolitik“ Willy Brandts, S. 44– 57. APCI, Sezione estero, Microfilm 0308, Nota per la segreteria di Giorgio Amendola, 20. 3. 1969, su prima apparizione di deputati comunisti-socialisti al Parlamento europero di Strasburgo.
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seldorf traf Sarto auf Herbert Mies, den Generalsekretär der DKP, sowie auf Heinz Schröder, Mitglied des Politbüros (PB). Die DKP, so Sarto bei dem Treffen, sei dem PCI sehr behilflich und mache sich im Betriebsrat bei Ford für die Interessen der italienischen Migranten stark. Mies und Schröder äußerten bei der Zusammenkunft ihr genuines Interesse am „proletarischen Kampf“ des PCI in Italien und baten Sarto, einen Artikel für das DKP-Presseorgan Unsere Zeitung zu verfassen. Außerdem brachten sie ihr Bedauern darüber zum Ausdruck, dass PCI und DKP noch kein Abkommen über eine gemeinsame Emigrantenpolitik verabschiedet hätten.²⁹⁹ Im Mai und Juni 1970 strahlte der Deutsche Freiheitssender 904 der DKP – ein Geheimsender der SED – vier Sendungen auf italienischer Sprache zur Unterstützung der Wahlkampagne des PCI aus.³⁰⁰ In einer offiziellen Zusammenkunft höherer Kader im darauffolgenden Oktober in Düsseldorf (teil nahmen u. a. Werner Zichler vom Wirtschaftsbüro, Hugo Machelet, Mitglied im PB der DKP und Parteisekretär in Baden-Württemberg sowie für den PCI ZK-Mitglieder Arturo Colombi und Lina Fibbi) verliehen die PCI-Vertreter dem Wunsch ihres ZK Nachdruck, bald die bilateralen Beziehungen zur DKP zu „institutionalisieren“.³⁰¹ Der SED passte dies sehr gut in den Plan: Die „Institutionalisierung“ der Verbindungen ihres Sprachrohrs in der Bundesrepublik, der DKP, mit einem so bedeutenden westeuropäischen Partner wie dem PCI ließ sich bestens in den Dienst ihrer Anerkennungspolitik stellen. Es mag folglich nicht verwundern, dass der PCI und die DKP nach 1972 kaum noch zusammenkamen. Ulbricht höchstpersönlich lobte im Januar 1970 in einem Brief an seinen italienischen Amtskollegen Longo die vermeintliche „Normalisierung“ des PCI, die nun seit dem „Prager Frühling“ endlich eingetreten sei. Die italienische Partei habe sehr viel im Namen des „Antiimperialismus“ unternommen und mache sich nun stark für die Anerkennung der DDR in Europa. Dies, so Ulbricht weiter, belegten auch die Gespräche, die der PCI im Jahr 1969 mit Regierungsexponenten der Bundesrepublik geführt habe.³⁰² In der Tat hatten SED-Beobachter den Austausch des PCI mit westdeutschen Politikern äußerst positiv bewertet und Vorgesetzten empfohlen, darauf aufzubauen. Erfreulich empfanden sie die ideologische Einordnung der Ostpolitik
APCI, Sezione Estero, Microfilm 071, Comunicato di Angelo Sarto all’Ufficio di Segreteria del PCI, 12.6.1970. APCI, Sezione Estero, Microfilm 071, Informazione: Appoggio dato alla campagna elettorale del PCI da parte della Emittente libera tedesca 904 (DKP), 12.6.1970. APCI, Sezione Estero, Microfilm 071, Nota su incontro con compagni del DKP, 06.10.1970. APCI, Sezione Estero, Microfilm 071, Lettera di Ulbricht a Longo, 23.01.1970.
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Brandts durch die Italiener und seiner Strategie zur Aufnahme von Beziehungen mit der UdSSR 1970. Der PCI hatte diese folgendermaßen bewertet: „Die Initiative Brandts hat – obgleich im Rahmen einer neu bestätigten atlantischen Solidarität – den Immobilismus durchbrochen, zu dem Deutschland infolge der absoluten Unterwürfigkeit unter die USA gezwungen war und wird auch andere Länder Westeuropas auf einen Kurs der Bewegung drängen, wenn sie sich nicht in der Verteidigung von Positionen isoliert befinden wollen, die heute immer mehr in Widerspruch zur Wirklichkeit geraten.“³⁰³
1970 bezeichnete die SED-Führung ihre Verbindungen zum PCI als „gut“. Diese wurden systematisch für allerlei Zwecke genutzt. Zustande gekommen war u. a. der Abschluss eines wichtigen langfristigen Abkommens zwischen den Handelskammern beider Länder.³⁰⁴ Auch persönliche, informelle Beziehungen spielten für die Aufrechterhaltung guter Parteibeziehungen eine maßgebliche Rolle. Neben dem oben erwähnten Kontakt zwischen Ulbricht und Longo zählte dazu auch die Verbindung zwischen Alfred Kurella und Luigi Longo, die sich beide als junge Männer in der kommunistischen Jugendinternationale kennengelernt hatten. Kurella, der in der DDR zwar nie einen wichtigen politischen Posten bekleiden konnte, war nichtsdestoweniger ein einflussreicher Kulturfunktionär und Abgeordneter der Volkskammer. Er hatte mehrere Führungsämter inne, u. a. in der ideologischen Kommission des Politbüros, in der Akademie der Künste der DDR und im Kulturbund. Sein Austausch mit dem italienischen Generalsekretär, der freilich nicht überbewertet werden sollte, blieb auch zu Zeiten höchster Anspannung zwischen Ost-Berlin und Rom konstant und ist von der einschlägigen Forschung nie genügend beachtet worden. In einem Brief Kurellas an Longo Anfang Januar 1970 – beide führten auch in der Zeit reduzierter offizieller bilateraler Beziehungen eine rege Korrespondenz – brachte Kurella seinen Wunsch zum Ausdruck, nach Italien zu kommen, um Recherchen für seine Autobiographie durchzuführen. Er hatte sich nämlich zwischen 1919 und 1924 als Vertreter des russischen kommunistischen Jugendverbandes sehr oft auf der Halbinsel aufgehalten und dort wichtige Kontakte
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV A 2/20 1001, Information 121/70 für die Mitglieder und Kandidaten des PB, Berlin 16. 10. 1970: Einschätzung des Vertrages zwischen der UdSSR und der Bundesrepublik vom 12. 8. 1970 durch die IKP. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV A 2/6.10 301, Abschlußbericht über die Verhandlungen zum Abschluß eines neuen langfristigen Abommens zw. der Kammer für Außenhandel der DDR und dem Istituto Nazionale per il Commercio und der Warenlisten für das Jahr 1970, hier S. 1.
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knüpfen können. Den Brief unterschrieb er mit „Alfred Kurella (il tricheco)“, auf Deutsch: „das Walross“.³⁰⁵ Auch über den journalistischen Außendienst des PCI in Ost-Berlin konnten informelle Verbindungen gepflegt werden.³⁰⁶ Michele Ingenito leitete Anfang der siebziger Jahre verschiedenartige Zusammenkünfte in die Wege und wohnte einigen davon persönlich bei. Er war mehrfach im ostdeutschen Nachrichtendienst (Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst – ADN) zu Gast,³⁰⁷ wo er auch politische Kontakte knüpfte und vermittelte. Solche Kontakte reichten von einfachen Gesuchen um gegenseitige Hilfe bei der Abwicklung von bürokratischen Angelegenheiten³⁰⁸ über Aufforderungen um kurzzeitige Beurlaubung von italienischen „Vertragsarbeitern“ in der DDR – damit diese zu den Wahlen nach Italien reisen konnten –³⁰⁹ bis hin zur Organisation von Zusammenkünften (i. d. R.) rangniedrigerer Parteifunktionäre oder zur Einladung zu wissenschaftlichen Konferenzen. Im Mai 1970 kam es zu einem solchen Zusammentreffen in Ost-Berlin. Die „Genossen“ Paolo Bufalini, ein wichtiger außenpolitischer Vertreter des PCI, und Dino Pelliccia leiteten die italienische Delegation. Im Vordergrund stand nach wie vor die Frage nach der Zusammenarbeit zur Anerkennung der DDR. Hermann Axen plädierte für die ostdeutsche Seite für eine umgehende Etablierung von staatlichen Handelseinrichtungen und wies auf das Vorbild der Agenturen der Bundesrepublik in West-Berlin hin. Diese, so Axen, unterhielten gleichsam offi-
APCI, Sezione estero, Busta 801, fasc. 225, Lettera di Alfred Kurella a Luigi Longo, 30.01.1970. Zu dieser Erkenntnis verhalfen mir mehrere Interviews mit ehemaligen PCI-Funktionären, die ich in Italien durchführen konnte. Als besonders aufschlussreich erwiesen sich diejenigen mit Michele Ingenito, in den sechziger und siebziger Jahren Koordinator der Pressearbeit des PCI in Ost-Berlin, und mit Antonio Rubbi, ranghohem PCI-Politiker, ZK-Mitglied und langjährig als die „außenpolitische Eminenz“ der italienischen Partei angesehen. Beide Interviews, für welche ich den beiden Herren zu Dank verpflichtet bin, fanden im Juli 2013 in Rom statt. APCI, Sezione estero, Busta 801, fasc. 225, Nota per la segreteria di Michele Ingenito, 23.01. 1970. Der Genosse Mazzino Montinari beispielweise, ab 1961 in Weimar an der „Nationalen Forschungs- und Gedenkstätte der klassischen deutschen Literatur“ am Nietzsche-Nachlass tätig, ersuchte den PCI um Hilfe, um mit seiner (ostdeutschen) Familie wieder nach Italien zurückzukehren. Die SED-Seite genehmigte die Ausreise – auch auf Druck der PCI-Außenstellen hin –, ließ aber die Frage der Staatsbürgerschaft der Kinder bzw. die der Entlassung von Frau Montinari, einer DDR-Bürgerin, aus der ostdeutschen Staatsbürgerschaft weiterhin offen. APCI, Sezione estero, Busta 801, fasc. 225, Compagno Mazzino Montinari, 7.01.1970. APCI, Sezione estero, Busta 801, fasc. 225, Lettera di Cossutta al CC della SED, 15.05.1970.
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zielle Beziehungen zur DDR.³¹⁰ Der PCI war zu jener Zeit durch die Propagandaarbeit zu den bevorstehenden Munizipalwahlen jedoch so stark absorbiert, dass ein intensives außenpolitisches Engagement für die Anerkennung der DDR ausgeschlossen schien. Die SED warb aber weiterhin darum, insbesondere nach dem Wahlerfolg der Italiener wenige Wochen später. So ließ sie Luigi Longo Anfang Juni durch Kurt Schnell, den Leiter der DDR-Vertretung für Außenhandel mit Italien, einen Gratulationsbrief zukommen.³¹¹ Auch wurden die gemeinsamen ideologischen Wurzeln beider Parteien bzw. ihr einstiger gemeinsamer Kampf gegen den Faschismus in Europa durch SED-Funktionäre in Italien in „Szene gesetzt“ und überhöht, um damit die Basis für eine kontinuierliche (und für die SED äußerst notwendige) Zusammenarbeit auch in Zeiten auffälliger Meinungsverschiedenheiten abzusichern. So zeichnete die DDR Ende September italienische Antifaschisten (partigiani) im Gedenken an den gemeinsamen Widerstand der Brigaden Garibaldi und Thälmann im Spanischen Bürgerkrieg mit HansBeimler-Medaillen aus. Die Unità widmete der Auszeichnung eine vollständige Seite ihrer Ausgabe.³¹² Schienen die Ostdeutschen also auf bilateraler Ebene durchaus zu Toleranz und Kompromissbereitschaft aufgelegt, zeigten sie den Italienern auf Veranstaltungen, an denen auch „real sozialistische“ Vertreter teilnahmen, die kalte Schulter. Dies war der Fall bei einer wissenschaftlichen Konferenz in Ost-Berlin mit dem Titel „Die leitende Rolle der kommunistischen Parteien bei der Schaffung von Sozialismus und Kommunismus“. Gastone Gensini, leitende Persönlichkeit im Sektor der PCI-Parteischulen, erstattete danach ernüchtert Bericht. Die Konferenz, so Gensini, habe ein niedrigstes wissenschaftliches Niveau aufgewiesen und lediglich dem Zweck gedient, die sozialen und wirtschaftlichen Errungenschaften der SED einem internationalen Publikum gegenüber zu präsentieren.³¹³ Alle seien ihm mit Kälte begegnet, rekonstruierte Gensini weiter, insbesondere nachdem er seine Entrüstung über die stark verfälschenden Kommentare seiner osteuropäischen Kollegen über die Ereignisse in der Tschechoslowakei ausgesprochen hatte. Abschließend merkte er an, der ostdeutsche Staat sei hochentwickelt, leide aber an den typischen sozialen Problemen, mit denen auch „kapitalistische Staaten“ konfrontiert seien.³¹⁴
APCI, Sezione estero, Busta 801, fasc. 225, Proposte della SED per il miglioramento dei rapporti tra l’Italia e la RDT e tra i due partiti presentate alla delegazione diretta dal compagno. Bufalini (di Dino Pelliccia), 5.05.1970. APCI, Sezione estero, Microfilm 071, Lettera di Kurt Schnell a Longo, 11.06.1970. L’Unità, Decorazioni della RDT ad antifascisti italiani a Roma, 24.09.1970. APCI, Sezione estero, Busta 801, fasc. 225, Nota all’ufficio segreteria, di G. Gensini, 30.6.1970. APCI, Sezione estero, Busta 801, fasc. 225, Nota all’ufficio segreteria, S. 2.
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Die SED versuchte derweil aus allen möglichen internationalen Verbindungen Kapital für ihre Bestrebungen zur Anerkennung der DDR zu schlagen. Eine interne Mitteilung von Dino Pelliccia an Berlinguer machte auf den Besuch einer SED-Delegation bei der Communist Party of Great Britain (CPGB) im Sommer 1970 aufmerksam. Die Ostdeutschen waren von John Gollan, dem Generalsekretär der CPGB, persönlich eingeladen worden und reisten unter Leitung von Kurt Seibt, dem Vorsitzenden der Zentralen Revisionskommission der SED. Als überraschend empfanden die Italiener, dass beide Seiten zum Schluss ein gemeinsames Kommuniqué abgegeben hatten. Zwar enthielt es nur die allgemein üblichen Floskeln³¹⁵, aber die symbolische Bedeutung der Veröffentlichung an sich versetzte den PCI in Erstaunen. Es war die konsequente Durchhaltementalität der SED, bei denkbar schlechten Rahmenbedingungen für ihre Anerkennungskampagne einzustehen, die den Italienern am meisten imponierte. Auch gegenüber dem PCF waren die Ostdeutschen nach der Prager Krise durchaus aktiv, vor allem im wirtschaftlichen und handelstechnischen Bereich. Die SED bemühte sich, ihre Kontakte zu französischen Abgeordneten der Nationalversammlung zu intensivieren. Dies sollte über den außenpolitischen Ausschuss der Volkskammer der DDR laufen, der bereits Beziehungen zum französischen Gegenpart unterhielt.³¹⁶ Dem Ausbau der Verbindungen sollte durch eine Aufwertung personeller Kompetenzen und Befugnisse zusätzlich nachgeholfen werden. In einem Gespräch mit Fachorganen des ZK des PCF im September 1970 machten die ostdeutschen „Genossen“ diese Absicht deutlich: Gerhard Schramm ist seit 1967 Leiter der Auslandsvertretung der DDR in Frankreich […]. Die Verleihung des diplomatischen Ranges eines ‚außerordentlicher Gesandter und Bevollmächtigter Minister‘, an ihn, trägt wesentlich zur Erhöhung der Autorität und der Verstärkung der politischen Wirksamkeit des Genossen Schramm gegenüber der französischen Regierung und dem diplomatischen Korps in Frankreich bei.³¹⁷
Im gemeinsam von SED und CPGB veröffentlichten Kommuniqué war zu lesen: „Starker Widerspruch gegen Imperialismus und Monopolkapital. Mehr Aufmerksamkeit auf Vorschläge seitens der Ost-Länder bezüglich ihrer Idee einer Konferenz aller europäischen Regierungen über Sicherheit und Zusammenarbeit in unserem Kontinent.“: APCI, Sezione estero, Busta 801, fasc. 225, Nota per Berlinguer (di Dino Pelliccia), 28.7.1970. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV 2/2.115 11, Plan der außenpolitischen Maßnahmen im IV. Quartal 1970 (Minister für Auswärtige Angelegenheiten), Berlin 8.10.1970. SAPMO-BArch, Handel, Versorgung und Außenhandel, DY/30/IV A 2/6.10 298, Entsendung einer Delegation des ZK der SED zu Gesprächen mit Fachorganen des ZK der FKP im September nach Paris, Berlin 18.8.1970.
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Verhandlungen mit der Vertretung des internationalen Radiosenders Organisation Internationale de Radiodiffusion et de Télévision (OIRT) in Paris führten zur Ernennung einer ständigen Korrespondentin des Rundfunks der DDR in Frankreich: Gerda Lorenzi, die Gattin des Sekretärs des kommunistischen Jugendverbandes Frankreichs, Leo Lorenzi.³¹⁸ Überdies sicherte sich die SED für das ND die Zusammenarbeit mit Pierre Durand, Redakteur der Humanité. ³¹⁹ Im Zusammenhang mit diesem generellen Ausbau der außenpolitischen Tätigkeit der SED in Frankreich muss der Beschluss zur Gründung einer „Arbeitsgruppe Frankreich“ im Oktober 1970 gesehen werden, die vor allem auf Betreiben von Hermann Axen zustande kam. Die Arbeitsgruppe sollte alle politischen und wirtschaftlichen Aktivitäten im bilateralen Verhältnis koordinieren³²⁰, ihr gehörten u. a. Axen selber, Albert Norden, Egon Winkelmann, Rudi Hellmann (Sportfunktionär) und Hans-Joachim Kobert von der Abteilung Auslandsinformation beim ZK an. Der Gründungsmaßnahme war eine Direktive der Abteilung Handel, Versorgung und Außenhandel vorausgegangen, welche das Hauptziel der Arbeitsgruppe festlegte, nämlich das Volumen der Wirtschaftsbeziehungen bis 1974 zu verdoppeln.³²¹ Das Handelsabkommen zwischen beiden Ländern wurde im Dezember 1970 von Roger Gorse, dem Generaldirektor vom Centre National du Commerce Extérieur, und Herbert Meyer, dem Generalsekretär des Amtes für Außenwirtschaftsbeziehungen der DDR, unterzeichnet. Auch wurden alle ZK-Zuarbeiter, besonders diejenigen im außenpolitischen Sektor, dazu angehalten, ihre Bemühungen zur Förderung der DDR im Ausland zu intensivieren. Ähnliche Ermunterungen kamen oft auch „von unten“, wie ein Brief des Sekretärs der parlamentarischen Freundschaftsgruppe DDR-Italien, Paul Schober, an den Präsidenten der Gesellschaft, Prof. Gerhard Reintanz belegt. Darin bemerkte Schober, dass seine Ansprechpartner in Italien bedauert hätten, dass die vielen Möglichkeiten in Italien, Austausch und Beeiflussung zu betreiben, vonseiten der Vertreter der DDR ungenügend genutzt würden.³²²
SAPMO-BArch, Büro Bruno Lamberz, DY/30/IV 2/2.033 79. SAPMO-BArch, Büro Bruno Lamberz, DY/30/IV 2/2.033 79. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/11524, Zusammensetzung der Arbeitsgruppe Frankreich. SAPMO-BArch, Handel,Versorgung und Außenhandel, DY/30/IV A 2/6.10 298, Konzeption zur Weiterentwicklung der Wirtschaftsbeziehungen und die Möglichkeiten der ökonomischen und wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit mit Frankreich, 1970. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/13/2003, Brief vom Sekretär der Parlamentarischen Freundschaftsgruppe DDR-Italien Schober an den Präsidenten, Prof. Reintanz, Berlin 4.11.1970
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Der Impuls – freilich nicht der einzige dieser Art von untergeordneten Stellen – blieb nicht ohne Wirkung. Der gesamte außenpolitische Sektor wurde noch stärker in die Werbekampagne zur Anerkennung der DDR eingespannt. Dies zeigen die vermehrten Aktivitäten zur Pflege von bilateralen Verbindungen auf lokaler und regionaler Ebene, die auch in Zeiten größter politischer Anspannung zwischen den Staaten relativ unbeschwert davon aufrechterhalten werden konnten. Im Bezirk Potsdam, der partnerschaftlich mit dem Département Seine SaintDenis verbunden war, nahm die Vorbereitung der „Woche der völkerrechtlichen Anerkennung der DDR“, die zwischen dem 2. und dem 8. Mai in verschiedenen französischen Städten stattfinden sollte, einen wichtigen Stellenwert ein. Die EFA hatte zu diesem Zweck im Frühjahr eine Zusammenkunft mit dem damaligen französischen Außenminister Maurice Schumann arrangiert, um Ergebnisse des Austausches mit der DDR vorzustellen und auf höchster Ebene für deren Anerkennung zu plädieren. Bereits seit Mitte der sechziger Jahre hatte die SED ihre GO im Ausland, vor allem in strategisch relevanten Ländern, auf das gemeinsame Ringen um die Anerkennung der DDR eingeschworen. Im Rahmen der 1957 ins Leben gerufenen Weltföderation der Partnerstädte, deren Gründung vorwiegend auf französisches Bemühen zurückzuführen war, etablierte die DDR auf lokaler und regionaler Ebene Verbindungen mit westeuropäischen Staaten.³²³ Da diese ausländischen Netzwerke, die im Westen eng mit den jeweiligen Freundschaftsgesellschaften abgestimmt waren,³²⁴ sich fast ausschließlich in kommunistischer Hand befanden, implizierte die Partnerschaft oft eine Zusammenarbeit mit „andersdenkenden“, teilweise „eurokommunistischen Genossen“. Mit der Gründung von Freundschaftsgesellschaften wie beispielweise der Association France-RDA und der Associazione Italia-RDT wurden jedenfalls die Beziehungen zwischen den drei Staaten de facto schon vor der Anerkennung der DDR institutionalisiert. Diese Freundschaftsgesellschaften, die oft Zielscheibe von Infiltrierungsversuchen seitens der SED wurden,³²⁵ gaben sich eigenständige Statute, die den kulturellen Charakter der Zusammenarbeit formell unterstrichen. Gleichwohl wurden sie von beiden Seiten regelmäßig politisch instrumentalisiert. Während die SED versuchte, ihren Einfluss auszuweiten, nutzten die westeuropäischen Kommunisten die Anerkennungskampagne der DDR, die sie mittrugen, oft zu Propagandazwe-
Vgl. Di Palma, PCF und SED, S. 281– 282. Vgl. zu den Verbindungen zu Frankreich Gilbert Badia, L’association France-RDA, in: Pfeil (Hg.), La RDA et l’Occident, S. 453 – 464. APCI, Sezione Estero, Busta 326, Fascicolo 116, Associazioni di amicizia, (1976).
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cken für ihre eigenen Parteien. Die Unterstützung des ostdeutschen Anspruchs ließ sich hervorragend als demokratisches und die Menschenrechte unterstützendes Bekenntnis in Abgrenzung zum „aggressiven Imperialismus“ der USA und der Bundesrepublik präsentieren.³²⁶
PCI und PCF vor „Emigrationsfragen“ Auch zwischen den beiden westeuropäischen Parteien entspannte sich die Lage wieder nach den Differenzen im Jahr 1968. Wie hier dargestellt, hatte ja der PCF nach einer anfänglichen Kritik am sowjetischen Vorgehen in der Tschechoslowakei die militärische Niederschlagung de facto gebilligt und war somit von der Position der Italiener abgerückt. Doch mit der Zeit rückten andere Themen und gemeinsame Interessen wieder in den Vordergrund. Im Frühjahr 1970 stand die Frage der Emigrationspolitik hoch oben auf der Tagesordnung. In Frankreich lebten nämlich etwa 500.000 italienische Emigranten mit ihren Familien – vorwiegend Arbeiter, die in Fabriken eingesetzt und meistens „links“ sozialisiert waren. Um diese beträchtliche Zahl potentieller Wähler wollte der PCI werben. Im März verwendete sich deshalb Nicola Gallo, der PCI-Beauftragte für Emigrationsfragen, in Paris für die Anerkennung der Federazione italiana dei lavoratori emigrati e famiglie (FILEF), einer Arbeiterföderation italienischer Emigranten und ihrer Familien, durch den PCF. Dem PCI ging es darum, einen Dachverband anerkannt zu wissen, über den sich die (durchaus auch propagandistische) Koordinierungsarbeit im Emigrantenmilieu einfacher gestalten ließ. Die französischen „Genossen“ unterstützten das Vorhaben, Massenorganisationen für italienische Emigranten ins Leben zu rufen, stießen sich jedoch am Modell der FILEF, die eine Leitung und Steuerung von zentraler Stelle in Italien aus vorsah.³²⁷ Der PCF schlug stattdessen vor, dass emigrierte italienische Arbeiter mit französischer Staatsbürgerschaft die Kontrolle übernähmen. Dies ließe sich gut mit den französischen verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbaren.³²⁸ Dem PCI war es an der Emigrantenpolitik sehr gelegen: Das italienische Parteibüro verkündete, Extramittel über 1 Mio. Lire für die Verbreitung der Zeitschrift LʼEmigrante bereitzustellen und sich künftig mehr auf Frankreich konzentrieren zu wollen.³²⁹ Das Thema war der italienischen Partei so wichtig, dass es sogar in einem Gra-
APCI, Sezione Estero, Busta 326, Fascicolo 116, Associazioni di amicizia, S. 2. APCI, Sezione Estero, Microfilm 071, Nota sull’incontro coi compagni del PCF, 20. 3.1970, Parigi, Nicola Gallo. APCI, Sezione Estero, Microfilm 071, Nota sull’incontro coi compagni del PCF, S. 2. APCI, Sezione Estero, Microfilm 071, Nota sull’incontro coi compagni del PCF, S. 3.
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tulationstelegramm zum 50. Jahrestag der Gründung des PCF Erwähnung fand. Darin bat die italienische Partei ihren französischen Ansprechpartner, den Emigranten im ganzen Land weiterhin „unter die Arme zu greifen.“³³⁰ In verschiedenen politischen Grundfragen differierten die beiden größten westeuropäischen kommunistischen Parteien jedoch zusehends. Diese Differenzen sollten in den folgenden Dekaden noch zunehmen. Der PCI verfolgte die ideologische Entwicklung der Franzosen aufmerksam. Auf einer Tagung des PCF im Juni 1970 waren auch PCI-Delegierte zugegen. Marchais hielt dort die Schlussrede. Er ging dabei sehr hart mit der Außenpolitik der USA und mit der Strategie der Regierung Pompidou-Chaban-Delmas ins Gericht: Die französische Bourgeoisie sei schwach und hätte deswegen den Schulterschluss mit den amerikanischen Imperialisten gesucht und gefunden.³³¹ Marchais fragte emphatisch: „Quelle doit être la politique extérieure de la France? Il est clair que politique intérieure et politique extérieure sont indissociables?“³³² Die Antwort lautete: Man brauche eine Politik der Freiheit, der Demokratie und des Friedens. Nach dem kurzen „rebellischen“ Intermezzo während der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ hatte sich der PCF also auf eine eher traditionelle, stark antibürgerliche und antiamerikanische Position zurückgezogen. In Abgrenzung zu den französischen Sozialisten sagte Marchais, es bestehe ein großer Unterschied zwischen den Kommunisten und den Sozialisten in puncto supranationale Bündnisse: Erstere seien dezidiert gegen die NATO und die EWG sowie der Ansicht, dass auch der Warschauer Pakt schrittweise aufgelöst werden müsse; Letztere seien zu stark von den bürgerlichen Machteliten abhängig und lehnten deshalb die genannten Bündnisse nicht offen genug ab.³³³ Auf einem bilateralen Treffen nur wenige Wochen später beschränkten sich beide Parteien (PCF und PCI) darauf, im Schlusskommuniqué, wie üblich, den gemeinsamen Kampf gegen Ausbeutung und das Großkapital sowie ihre Solidarität mit den um Freiheit ringenden Völkern im Nahen Osten zu beschwören.³³⁴
APCI, Sezione Estero, Microfilm 071, Al CC del PCF (trasmesso a Parigi e pubblicato nell’Unità 29. 12. 1970. APCI, Sezione Estero, Microfilm 071, Allocution de clôture des journées d’études (20/21. 6. 1970), Une politique français de paix, d’Independence nationale et de coopération internationale, G. Marchais. APCI, Sezione Estero, Microfilm 071, Allocution de clôture des journées d’études (20/21. 6. 1970), S. 1. APCI, Sezione Estero, Microfilm 071, Allocution de clôture des journées d’études (20/21. 6. 1970), S. 2. APCI, Sezione Estero, Microfilm 071, Busta 801, fasc. 223 – 24 (Francia), Riservato: Incontro PCF-PCI, Roma 25 – 26. 6. 1970.
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Zwischenfazit In diesem Kapitel hat sich die vorliegende Arbeit mit der ersten Phase der Beziehungen von 1968 bis 1970 sowie mit ihrer unmittelbaren Vorgeschichte beschäftigt. Die Analyse dieses Zeitraums diente vorwiegend der Rekonstruktion der trilateralen Beziehungen vor dem Hintergrund des Umbruchjahrs 1968 und seinen Folgen. Die daraus entstehenden internen Erschütterungen und Debatten, die sich in der SED sowohl auf der Leitungs- als auch niedrigeren Kaderebene ereigneten und entwickelten und die sich in entsprechenden außenpolitischen Direktiven niederschlugen, wurden ebenso analysiert. Die Niederschlagung des „Prager Frühlings“ durch die Mächte des Warschauer Pakts kritisierte der PCF zunächst entschieden. Es dauerte jedoch nicht lange, bis die Führung der französischen Kommunisten wieder auf eine Position zurückfiel, die der sowjetischen Politik grundsätzlich entsprach. Das Einschwenken der Partei auf einen prosowjetischen Kurs kann vor allem mit der dogmatischen Interpretation des Stalinismus durch den Pariser Parteivorstand begründet werden. Schon Ende 1968 waren die französischen Komunisten wieder „auf Linie“ und entschlossene Widersacher der französischen Regierung, womit sie in Moskau nicht immer auf Verständnis trafen. Sogar der sowjetische Parteiund Staatschef Leonid Breschnew schlug in seinen Äußerungen eher mildere Töne an und regte an, die Rolle Frankreichs in Europa zu stärken, um dadurch dem Einfluss der USA auf dem Alten Kontinent Einhalt zu gebieten.³³⁵ Die Untersuchung insbesondere der Dokumente aus dem Nachlass Waldeck Rochets, des Generalsekretärs des PCF von 1964 bis 1972, ergab, dass die offenkundige Starrheit des PCF auch internen Differenzen und Konflikten geschuldet war. So konnte eindeutig nachvollzogen werden, dass die vorübergehende Kritik der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ durch den PCF-Vorstand auf lokaler Ebene kaum verstanden und nicht akzeptiert wurde. Offener Widerspruch trat beispielsweise in den Parteigremien im Pariser Bezirk und in der Region HautRhin, zwei der bedeutendsten Unterorganisationen des PCF, zutage.³³⁶ Dieser Gegenwind „von unten“ trug dazu bei, dass die Parteispitze ihre anfängliche Kritik an der sowjetischen Intervention in der Tschechoslowakei rasch revidieren musste. Ebenfalls rekonstruiert werden konnte, wie der PCF sich ab Mitte der sechziger Jahre – und besonders rund um das Jahr 1968 – intern, aber auch interna-
APCF, Fonds Direction Comité central, Bericht von Marchais über Gipfel KPdSU-PCF (4 – 5. 11. 1968) vom 5.12.1968, Heft 261 J 2/44. APCF, Fonds Direction Comité central, Tagung des ZK, 22. 8.1968.
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tional positionierte. Der italienische PCI stand hingegen annähernd geschlossen hinter der vom Vorstand propagierten scharfen Kritik an der Niederschlagung des „Prager Frühlings“. In dieser Zeit nahm die Strategie des compromesso storico allmählich Gestalt an, mit der sich der PCI einer weitestgehend „blockneutralen“ Position zuwandte und über die Kluft des Kalten Krieges hinweg den Dialog suchte: im eigenen Land mit den Christdemokraten (Democrazia Cristiana) und international mit allen – zumindest offiziell – an Frieden und sozialem Fortschritt interessierten Kräften. In diese Strategie fügte sich auch die erstmalige Kontaktaufnahme des PCI mit der westdeutschen Sozialdemokratie im Jahr 1967 ein. Wie hier ausführlich dargestellt, gingen diese Kontakte besonders auf das Engagement Luigi Longos und des Parteivorsitzenden Enrico Berlinguer, aber auch auf die Mitwirkung Leo Bauers (SPD) zurück.³³⁷ Dabei berücksichtigten die Italiener zugleich den Wunsch Walter Ulbrichts, über informelle Wege sozialdemokratische Kreise in der Bundesrepublik zu erreichen. Mit ihnen sollte über mögliche Formen der finanziellen Zusammenarbeit diskutiert werden.³³⁸ So konnte sich die italienische Partei bereits vor der Prager Reformpolitik und deren Unterdrückung als selbstständige, vermittelnde Instanz zwischen den Blöcken profilieren, die im eigenen Land über ein beachtliches Wählerreservoir verfügte und international an verschiedenen Stellen einflussreiche Netzwerke nutzte (so etwa zur deutschen SPD und zu den Sozialisten Frankreichs). Dies verlieh dem PCI politische Respektabilität, sowohl bei den westeuropäischen Demokratien, die Staatssozialismus jeglicher Färbung ablehnten, als auch in Osteuropa. Der PCI fuhr in den sechziger Jahren bei italienischen Wahlen große Erfolge ein, die nicht zuletzt mit der internationalen Ausrichtung seiner Politik begründet werden können. Die exponierte Lage Italiens an der Nahtstelle zwischen Ost und West, zwischen dem NATO-Bündnis und der „real sozialistischen“ Welt, spielte dabei unweigerlich eine Rolle. Vor diesem Hintergrund konnte sich die Partei in verstärktem Maße ab Mitte der Dekade als Mittler zwischen den Blöcken präsentieren und bewähren. Sie profilierte sich als Förderer des Dialogs an der Grenze der konfligierenden Hegemonialbereiche der Supermächte. Dieser Politik lagen zwei Beweggründe zugrunde: ‒ zum einen die Ansicht, dass sich die Partei – vom Vorstand ohnehin als überholte bzw. zu überwindende Institution betrachtet – für eine transnationale, gesamteuropäische Integration einsetzen solle; APCI, Fondo Comitato Centrale, Microfilm 058, Relazione sugli incontri tra il PCI e il partito socialdemocratico tedesco (1967). APCI, Fondo Comitato Centrale, Microfilm 058, Lettera di Luigi Longo a Walter Ulbricht, 9. 5. 1967. Es wird darin nicht spezifisch erklärt, um welche Geschäfte es sich handelt, sondern im Allgemeinen auf eine finanzielle Zusammenarbeit hingewiesen.
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zum anderen das Vorhaben, ein neues Europa zu schaffen, das sich auf „halbem Wege“ zwischen dem Kommunismus der Sowjetunion und dem „parlamentarischen Kapitalismus“ der USA positionieren sollte.³³⁹
Das oft spannungsgeladene, aber enge Verhältnis zwischen PCF und PCI, das sowohl theoretische als auch politisch-praktische Schnittmengen umfasste, ist hier ebenso ausführlich dargestellt worden. Die bilateralen Verflechtungen wurden durch mehrere Faktoren begünstigt, darunter vor allem die geographische Nähe³⁴⁰, eine gemeinsame „antifaschistische Kultur“, ähnliche Zielsetzungen und nicht zuletzt zahlreiche persönliche Verbindungen.³⁴¹ Für die kommunistische Gemeinschaft insgesamt brachten die sechziger Jahren heftige Erschütterungen: Der immer wiederkehrende ideologische „Streit“ mit der Volksrepublik China und die allmähliche Loslösung Rumäniens unter Nicolae Ceaușescu vom sowjetischen Kurs ließen die Brüchigkeit des Ostblocks klar und deutlich hervortreten. Insbesondere die maoistische „Kulturrevolution“ in China versetzte die europäische Öffentlichkeit in Alarmbereitschaft und die Sowjetunion unter Druck. Die Führungsrolle der KPdSU als Motor und Impulsgeber des weltweiten Kommunismus wurde damit offen in Frage gestellt.Vorstöße zu einer Überwindung der Spaltung des kommunistischen „Lagers“ wurden im April 1967 auf der Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas im tschechoslowakischen Karlovy Vary gewagt. Sicherheitspolitische Belange standen dabei im Vordergrund, vor allem bei den Anhängern des „Eurokommunismus“, allen voran beim PCI und bei der KP Spaniens. Die kommunistische Gemeinschaft konnte sich im Schlusskommuniqué auf ein Plädoyer für weitgehende Abrüstung und Normalisierung der deutsch-deutschen Beziehungen einigen, besonders mit Blick auf noch offene und umstrittene territoriale Fragen. Den italienischen Kommunisten wurde von Beginn der Tagung an eine vermittelnde Rolle zuteil, die sie gerne annahmen. Sie stellten diese konsequent in den Dienst der Verstärkung bi- und multilateraler Verbindungen zwischen den zwei deutschen Staaten. Auf die Brückenkopffunktion des PCI zwischen der SPD und der SED in jenen Jahren ist ebenso ausführlich eingegangen worden.
Hierzu siehe u. a. Aldo Agosti, Storia del Partito Comunista Italiano: 1921 – 1991, Rom 1999, S. 98 – 99; Carlo Galluzzi, La svolta. Gli anni cruciali del Partito Comunista Italiano, Mailand 1983; Antonio Rubbi, Il mondo di Berlinguer, Rom 1994; Roberto Gualtieri (Hg.), Il Pci nell’Italia repubblicana 1943 – 1991, Rom 2001; Mauro Maggiorani u. Paolo Ferrari (Hg.), L’Europa da Togliatti a Berlinguer: testimonianze e documenti 1945 – 1984, Bologna 2005. Diese ermöglichte u. a. eine starke italienische Emigration in Richtung Frankreich während der sechziger und siebziger Jahre. Interview des Autors mit Antonio Rubbi, Rom 30.07. 2013.
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Beinahe konträr dazu verlief die Entwicklung des PCF in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre. Trotz der Wahlerfolge – 1967 vereinigte die Partei rund fünf Millionen Stimmen auf sich (rund 22 %) – machte sich im französischen linken Milieu eine Machtverschiebung zugunsten der SFIO, später des PS, bemerkbar, infolge derer die traditionelle kommunistische Anhängerschaft sich allmählich von der Politik des Pariser Vorstandes zu distanzieren begann. Dies verschärfte die Konkurrenz mit den gemäßigt linken Organisationen und insbesondere mit der Sozialdemokratie um François Mitterrand, der die Parteiführung mit einer aggressiven Strategie beizukommen suchte. Dazu bot sich eine Zusammenarbeit mit der SED an; diese wollte nämlich ebenso aus den Schwächen der europäischen Sozialdemokratien Kapital schlagen und nahm etwaige Meinungsverschiedenheiten im Kreise der SI als Vorwand für propagandistische Attacken.³⁴² Die fehlende Bereitschaft des PCF zum Dialog mit gleichgesinnten Kräften in Frankreich war jedoch nur ein Symptom tief wurzelnder Schwierigkeiten und Fehlentwicklungen innerhalb der Partei, deren ganze Brisanz sich 1968 während der Mai-Unruhen bzw. der gesellschaftlichen und politischen Proteste zeigen sollten. Rochet und seine Anhänger schienen der schwierigen Situation im Lande zu keinem Zeitpunkt Herr zu sein. Denn der PCF reagierte unentschlossen auf die Proteste und verpasste somit die Chance, sich als moralischer und politischer Fürsprecher der „Aufständischen“ an die Spitze der Bewegung zu setzen. Etliche Studenten und Intellektuelle fühlten sich vom PCF im Stich gelassen. Die hier präsentierten Untersuchungen haben das Bild einer zerrissenen Partei ergeben. Nicht nur der Vorstand war gespalten: Divergenzen und Meinungsverschiedenheiten lähmten den PCF sowohl auf höchster als auch auf lokaler Ebene, ein Umstand, der schlussendlich den Gaullisten in die Hände spielte. Die Rechtfertigungsversuche Rochets legten einen kaum zu übersehenden Mangel an kritischer Selbsteinschätzung an den Tag: Für das Debakel sei nicht etwa, wie bereits Kritiker aus den eigenen Reihen betonten, das Beharren des PCF auf einer veralteten und den Anforderungen der Zeit nicht mehr entsprechenden Politik verantwortlich, sondern die „Abenteuerlichkeit“ der linken Gruppen. Trotz all dieser Auseinandersetzungen konnte der innere Zusammenhalt der Partei aufrechterhalten werden. Die traditionelle Orientierung an Moskau spielte hierbei eine regulierende Rolle; darüber hinaus festigten zahlreiche persönliche Verbindungen das Band zwischen dem PCF und der KPdSU. Erst im Jahr 1968,
SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/2/909, Plan zur Entwicklung der Beziehungen zu den sozialdemokratischen Parteien in den kapitalistischen Ländern Europas vom 10. 12. 1963; Anlage Nr. 5 zum Protokoll Nr. 44/63 der Sitzung des Politbüros des ZK der SED, 10.12.1963.
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infolge der durch die Sowjetunion organisierten und von ihr angeführten Niederschlagung des „Prager Frühlings“, offenbarten sich Risse in diesem Verhältnis, die zunächst beinahe zum Bruch führten. Der anfängliche Beschluss des PCFVorstands, der die militärische Invasion in der Tschechoslowakei missbilligte, entfachte heftige Diskussionen in der Partei darüber, ob durch dieses Ereignis die Vorbildfunktion der UdSSR nicht endgültig erledigt sei. Doch konnte sich diesbezüglich keine klare Mehrheit bilden. Im Allgemeinen kann festgehalten werden, dass die Diskussionen über die Geschehnisse in Prag eher zu einer Vertiefung von schon vorhandenen internen Differenzen beitrugen, anstatt die Beziehungen zu Moskau weiter zu belasten. Intellektuelle und Studenten pochten auf einen Neubeginn bzw. auf eine Neupositionierung, während die ältere Machtriege und die Mehrheit der Arbeiter auf dem prosowjetischen Kurs beharrten. Letztere konnten sich schließlich durchsetzen; es gelang dem Vorstand um Georges Marchais, die Partei trotz aller Kritik noch vor Ende des Jahres 1968 wieder „auf Linie“ zu bringen.
Kapitel 2 Dreiecksbeziehungen im Lichte des aufkommenden Eurokommunismus (1971 – 1975) 1 Die SED vor der Anerkennungsfrage 1.1 Die internationale Ausgangslage Der Stellenplan-Vorschlag von 1971 nennt die Zuständigkeit von zwei gesonderten Abteilungen: 1) Abteilung Kulturelle Fragen Westdeutschland und West-Berlin; 2) Abteilung Kulturelle Beziehungen; 3) Sektor UdSSR und asiatische Volksrepubliken; 4) Sektor europäische sozialistische Länder; 5) Sektor Entwicklungsländer; 6) Sektor Kapitalistische Industriestaaten; 7) Sektor Internationale Organisationen; 8) Fachgebiet Finanzen; 9) Reisestelle. Für das Jahr 1971 ist für den Bereich Kulturelle Beziehungen eine Gesamtzahl von 29 Mitarbeitern angegeben (bei 420 Mitarbeitern des Ministeriums insgesamt).¹
Pünktlich zum Frühjahr 1971 gab die Abteilung Internationale Verbindungen die oben zitierte Reform bekannt, die zu einer besseren Koordinierung der Auslandsarbeit beitragen sollte. International konnten erste Anzeichen einer allmählichen Détente vermerkt werden, hatten die Supermächte doch bereits Ende 1966 Gespräche über die Reduzierung ihres atomaren Arsenals (SALT) aufgenommen und 1968 den Vertrag über die Nicht-Verbreitung von Kernwaffen abgeschlossen.² Die Rahmenbedingungen für eine Abrüstung und für eine weltweite Deeskalation im Kalten Krieg schienen also günstig. Dennoch: „der Kalte Krieg blieb ein Krieg,“³ seine Mittel passten sich nur dem „Zeitgeist“ an, d. h. sie fügten sich den Forderungen des im Westen aufkommenden Pazifismus. Den Ausschlag für die Entspannung gaben letztlich pragmatische Motive. Im Osten (UdSSR) waren es vorwiegend wirtschaftliche Überlegungen, die ins Gewicht fielen. Nachdem die Rüstungsparität mit dem Westen vertraglich erreicht worden war, war der UdSSR daran gelegen, dieses Gleichgewicht aufrechtzuerhalten, um es in Fragen des Imports wichtiger, einfuhrbeschränkter Produkte als Druck- und Verhandlungsmittel einsetzen zu können. Auch stellte die Befürchtung, vom Nachbarn im äußersten Osten überholt zu werden, für die Sowjetunion einen Ansporn zum Handeln dar. Die Suche des Westens nach einem Dialog mit
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY 30/ IV A 2/20/ 1 bis 1197, 1959 – 1971. Vgl. u. a. Bernd Stöver, Der Kalte Krieg 1947 – 1991. Geschichte eines radikalen Zeitalters, München 2007, S. 395 – 400; Werner Link, Der Ost-West-Konflikt, Stuttgart 1988. Stöver, Der Kalte Krieg, S. 396. https://doi.org/10.1515/9783110748260-005
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China bereitete Moskau Kopfzerbrechen und nährte die Angst, Peking könne im weltkommunistischen Wettstreit die Führung übernehmen.⁴ Im Westen kamen ebenfalls mehrere Gründe zum Tragen, um allmählich auf einen Kurs der Verständigung einzuschwenken. Da waren zunächst die gesellschaftlichen Spannungen infolge der sich mehrenden Proteste gegen den Vietnamkrieg, welche die Öffentlichkeit auch im europäischen Raum zusehends beeinflussten. Aber auch rein ökonomische und technische Gründe sind zu nennen: Die Kosten zur Aufrechterhaltung eines weltweit einsatzbereiten Arsenals an Waffen waren nämlich beträchtlich.⁵ Auch wurde der komplizierte rechtliche Status Berlins Thema von Diskussionen zwischen den Supermächten. 1969 tat Präsident Richard Nixon deshalb die Bereitschaft der USA zu einer Entschärfung des Konflikts kund. Nixon besuchte im Frühjahr desselben Jahres die geteilte Stadt und brachte die Intention der Vereinigten Staaten zum Ausdruck, eine entscheidende, friedliche Wende in der angespannten Lage der Berlin-Frage herbeiführen zu wollen.⁶ Dies ermöglichte auch zwischen den beiden deutschen Staaten eine vorläufige „Entkrampfung“, die von Ulbricht als eine qualitative Aufwertung der DDR durch die Bundesrepublik gedeutet wurde.⁷
1.2 Die SED innenpolitisch sowie im „internationalen Konzert“ Der SED-Generalsekretär vertraute darauf, dass die DDR von den Tendenzen zur Entspannung stark profitieren würde. Seine Deutung beruhte u. a. auf einer positiven Einschätzung der neuen SPD-FDP-Regierung in Bonn, die – so Ulbrichts Überzeugung – der Frage der DDR-Anerkennung bzw. der Intensivierung und Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den beiden deutschen Staaten generell wohlwollend gegenüberstünde.⁸ Außerdem versprach sich Ulbricht vom Bonner Machtwechsel lukrative Geschäfte für den ostdeutschen Staat und rief seine engsten Mitarbeiter dazu auf, entsprechend aktiv zu werden. Im Politbüro traf seine Beurteilung der Lage jedoch nicht auf einhellige Akzeptanz. Honecker
Stöver, Der Kalte Krieg, S. 397. Vgl. Hans-Adolf Jacobsen / Wolfgang Mallmann / Christian Meier (Hg.), Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Analyse und Dokumentation, Köln 1973; ferner auch Hanisch, Die DDR im KSZE-Prozess. Hierzu ausführlich Michael Lemke (Hg.), Schaufenster der Systemkonkurrenz: die Region BerlinBrandenburg im Kalten Krieg, Köln 2006. Vgl. Monika Kaiser, Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker: Funktionsmechanismen der SEDDiktatur in Konfliktsituationen 1962 bis 1972, Berlin 1997. Vgl. u. a. Wentker, Außenpolitik, S. 322– 323; Kaiser, Machtwechsel, S. 330 – 331.
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fand Ulbrichts Einschätzung einer der DDR besonders gewogenen, westdeutschen Regierung nicht glaubhaft und verwies darauf, dass sich das „Duo Brandt-Scheel“ in den Fußstapfen der Vorgängerregierung bewege.⁹ Die neuen westdeutschen Machthaber seien nach wie vor Agenten des Monopolkapitals und versuchten mit ihren Kooperationsavancen gegenüber der SED, die DDR zu destabilisieren und zu unterhöhlen.¹⁰ Honeckers Sichtweise konnte sich letztendlich durchsetzen. Auch die Sowjets wollten lieber Klarheit als Umsicht – wie von Ulbricht vorgeschlagen – walten lassen bei den Verhandlungen mit der Bundesrepublik über eine Gleichberechtigung und völkerrechtliche Anerkennung der DDR. Die bereits laufenden Gespräche zwischen den beiden deutschen Staaten über einen vertraglichen Gewaltverzicht, im Rahmen derer Ulbricht die erwähnte Besonnenheit an den Tag legen wollte, mussten neu aufgerollt werden. Die vom Außenministerium der SED erarbeitete Vorlage zu einem Vertragsentwurf, in dem die Frage der Anerkennung der DDR nicht als Hauptziel, sondern eher als Resultat von bilateralen Beziehungen sowie als Ergebnis eines Verhandlungsprozesses mit der Bundesrepublik genannt wurde, stellte die KPdSU nicht zufrieden.¹¹ Breschnew ging es dabei um viel mehr als nur um die Anerkennung der DDR: Er war darauf bedacht, die Architekten der „neuen Ostpolitik“ in Bonn langfristig zu bi- und multilateralen Projekten mit dem Ostblock zu verpflichten, und dabei war Einigkeit unter den „real sozialistischen“ Staaten oberstes Gebot. Kurzum: Die allgemeine Haltung der sozialistischen Länder gegenüber dem westdeutschen Staat, auch angesichts des SED-Verlangens nach mehr Spielraum, sollte vorweg koordiniert und festgelegt werden.¹² Den Beratungen mit der KPdSU folgend, musste also die Vertragsvorlage revidiert werden. Die neue Version wurde schließlich den Bonner Institutionen übergeben. Brandts Reaktion kam prompt. Er ließ verlauten, dass die Bundesrepublik zu deutsch-deutschen Gesprächen zwar zur Verfügung stehe; die Forderung nach einer völkerrechtlichen Anerkennung der DDR dürfe jedoch erst am Ende, nicht
Vgl. Kaiser, Machtwechsel, S. 460 – 461. Kaiser, Machtwechsel, S. 460 – 461; vgl. auch Wenkter, Außenpolitik, S. 322. Entwurf eines Vertrages zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland, in: Dokumente zur Deutschlandpolitik (fortan DzD), hrsg. vom Bundesministerium des Innern und vom Bundesarchiv, VI. 1, 18.11.1969, S. 61– 64. Bericht Ulbrichts für die Sitzung der SED-Fühung mit der KPdSU-Führung, in: DzD, VI. 1, 2.12. 1969, S. 91.
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gleich am Anfang von Verhandlungen stehen.¹³ Vor diesem Hintergrund schlug er eine Zusammenkunft auf höchster Ebene vor, damit zentrale Fragen der innerdeutschen Politik erörtert werden könnten. Beide Seiten einigten sich auf ein Gipfeltreffen in Erfurt am 19. März 1970, bei dem Brandt und der DDR-Ministerpräsident zusammenkommen sollten.¹⁴ Dem Treffen, das eher symbolische Bedeutung hatte, aber einen beträchtlichen medialen Widerhall fand,¹⁵ folgte im Mai in Kassel ein zweites. Die Gespräche waren nicht besonders erfolgreich, beharrten doch beide Seiten auf ihrer Grundvision eines geteilten Deutschlands, wobei die Bundesrepublik auf das langfristige Ziel einer Wiedervereinigung nicht verzichten wollte. Schließlich einigten sie sich darauf, die Ergebnisse der offiziellen Verhandlungen zwischen Bonn und Moskau abzuwarten, die Ende 1969 aufgenommen worden waren. Diese bilateralen Unterredungen zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion mündeten in die Unterzeichnung des sogenannten Moskauer Vertrags am 12. August 1970. Darin verpflichteten sich die Unterhändler, auf den Gewaltverzicht zu bestehen und gemeinsam für Frieden zu werben.Voraussetzung hierzu war die Anerkennung des bestehenden völkerrechtlichen Status quo, d. h. die Respektierung aller Grenzen im europäischen Raum. Im Vordergrund standen dabei im Vertrag die Oder-Neiße-Linie als unantastbare Westgrenze Polens sowie die innerdeutsche Grenze, die als unverletzlich erklärt wurde.¹⁶ Auf Ulbrichts Forderung nach einem allmählichen Aufbau der deutschdeutschen Beziehungen und nach intensiver wirtschaftlicher Zusammenarbeit mit dem westlichen Nachbarland ging die sowjetische Seite nicht ein. In seinen außenpolitischen Überzeugungen nicht unumstritten, geriet der betagte und gesundheitlich angeschlagene Generalsekretär auch innenpolitisch zunehmend unter Druck. Der Unmut ihm gegenüber griff rasch um sich; bestehende interne Rivalitäten verschärften sich dadurch oder wurden neu geschürt. Auf einer ZK-Tagung Ende
Zehn Jahre Deutschlandpolitik. Die Entwicklung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik 1969 – 1979, hg. vom Bundesministerium für Innerdeutsche Beziehungen, Bonn 1980, hier S. 121. Hierzu DzD, VI. 1, Stenographische Niederschrift des Gesprächs Ulbrichts mit Gromyko, 24.02. 1970, S. 293 – 324; ferner auch Detlef Nakath, Erfurt und Kassel: zu den Gesprächen zwischen dem Bundeskanzler Willy Brandt und dem DDR-Ministerpräsidenten Willi Stoph im Frühjahr 1970. Vorbereitungen, Verlauf, Ergebnisse, Berlin 1995. Nakath, Erfurt und Kassel, S. 23. Hierzu u. a.Werner Link, Die Entstehung des Moskauer Vertrags im Lichte neuer Archivalien, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte (VfZ), 49 (2001), S. 295 – 315.
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1970 wurde das Unverständnis gegenüber der Strategie Ulbrichts seitens sämtlicher hochrangiger Kollegen besonders sichtbar. Der Parteichef habe die Möglichkeiten der DDR überschätzt und die strukturelle Erneuerung auf Kosten „der planmäßigen proportionalen Entwicklung“ vorangebracht.¹⁷ Zum Jahresende waren für Ulbricht die Würfel gefallen: Die Ost-Berliner Machthaber duldeten kein weiteres Experimentieren auf dem Feld der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Letztlich ging es der führenden Riege darum, den Vorrang der Politik über die Wirtschaft bzw. der SED als Staatspartei über angeblich liberale Tendenzen mit erneuter Kraft zu inszenieren und zu besiegeln. Zu diesem Zweck musste der Generalsekretär in die Schranken gewiesen, ja notfalls sogar „geopfert“ werden.¹⁸ Anlässlich des XXIV. Parteitags der KPdSU in Moskau Ende März 1970, an dem auch Ulbricht teilnahm, soll die Entscheidung getroffen worden sein, den 78Jährigen abzusetzen und Honecker als seinen Nachfolger zu bestimmen.¹⁹
2 Der PCI vor dem Machtwechsel Auch die italienische kommunistische Partei sah sich Anfang der siebziger Jahre vor einer wichtigen Weichenstellung. Der betagte und gesundheitlich angeschlagene Luigi Longo hatte bereits mehrfach signalisiert, dass er das höchste Parteiamt nicht mehr lange innezuhaben gedachte. Als Nachfolger brachte sich der international bekannte Enrico Berlinguer in Stellung. Zunächst als Chef der PCI-Jugendorganisation (Federazione Giovanile Comunista Italiana, FGCI) und später des Weltbunds der Demokratischen Jugend (WBDJ), hatte Berlinguer u. a. im Ausland beträchtliche Erfahrung sammeln und einflussreiche Persönlichkeiten kennenlernen können, die ihm im Laufe seiner politischen Karriere behilflich waren. Gesprächspartnern fielen seine „Weitsicht“ und scharfe Intelligenz auf – Qualitäten, die die Sowjets bei Berlinguer bereits in den sechziger Jahren bemerkt hatten, als dieser Longo mehrmals auf Reisen nach Russland begleitete. In internen Berichten warnten sie vor den Gefahren, die daraus erwachsen könnten. Wie Silvio Pons anmerkt, hatten Boris Ponomarjow und andere hochrangige KPdSU-Mitarbeiter schon früh erkannt, dass Berlinguer
Ernst Diehl u. a. (Autorenkollektiv), Geschichte der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands: Abriss, Berlin 1978, hier S. 545; ferner auch Andreas Malycha u. Peter Jochen Winters, Geschichte der SED: von der Gründung bis zur Linkspartei, Bonn 2009. Vgl. Staritz, Geschichte, S. 195. „Die Jahre fordern ihr Recht […]. Ich erachte daher die Zeit für gekommen, diese Funktion in jüngere Hände zu geben, und schlage vor, Genossen Erich Honecker zum Ersten Sekretär des Zentralkomitees zu wählen.“ So Ulbricht, in: ND, 10.12.1970.
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kaum „beeinflussbar“ war. Er sei zwar ein aufmerksamer Ansprechpartner, aber keiner, der sich bevormunden ließe. Außerdem habe er sich gerade durch die „Lektion“ der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ dezidiert dem Weg der Reformen und der parlamentarischen Demokratie zugewandt und sei somit gleichsam in die Fußstapfen Togliattis getreten.²⁰ Die Figur Berlinguers, die für die in dieser Studie dargelegten Gegenstände von erheblicher Relevanz ist, soll hier bar jeglicher Verklärung behandelt werden. Das Charisma seiner langjährigen Führung hat in Italien eine an religiöse Verehrung grenzende Bewunderung seiner Person erzeugt, von der sich das historische Urteil nicht irreführen lassen darf.²¹ Gleichwohl soll an der Bedeutung seiner politischen Visionen festgehalten werden, denn diese waren konstitutiv für die weitere ideologische Entwicklung des PCI, insbesondere im gesamteuropäischen Rahmen. Franco De Felice hat zu Recht angemerkt, dass die starke außenpolitische Ausrichtung des PCI ab 1968, die sich ab Anfang der siebziger Jahre und später mit dem Aufkommen des Eurokommunismus noch verstärken sollte, aufs Engste mit der Überzeugung Berlinguers verknüpft war, dass der „verstockte“ MarxismusLeninismus sowie insgesamt der noch dominierende Sowjetismus eine zu beseitigende Last für alle kommunistischen Parteien des Kontinents darstellten. Für Berlinguer war klar, dass mit dem Entspannungsprozess auf internationaler Ebene eine Befreiung aus der Abhängigkeit von Moskau einherzugehen hatte. Auf innenpolitischer Ebene wollte er ein Pendant zu dieser Entspannungspolitik schaffen, was auf eine Toleranz der parlamentarischen Demokratie bzw. auf die Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit „bürgerlichen Kräften“ hinauslief.²² Dies war keine unbedeutende Schlussfolgerung – dass nämlich nationale und internationale Politik ineinandergreifen und sich gegenseitig bedingen, so auch unabhängig herrschender bündnispolitischer Verpflichtungen – und stellte eine ideologische Überwindung der Polyzentrismus-These Togliattis dar. Dieser hatte letztlich auf einen spezifisch nationalen Charakter jedes Kommunismus
Silvio Pons, Enrico Berlinguer e la fine del comunismo, Turin 2006, hier S. 19. Hierzu u. a. Francesco Barbagallo, Enrico Berlinguer, Rom 2006; Barca, Cronache, Bd. II (Con Berlinguer); Pietro Folena, I ragazzi di Berlinguer: viaggio nella cultura politica di una generazione, Mailand 1997; Chiara Valentini, Berlinguer, Mailand 1990; Giuseppe Fiori, Vita di Enrico Berlinguer, Rom 1989; nicht zuletzt soll hier auch auf den Film von Giuseppe Bertolucci mit Roberto Benigni als Hauptfigur, Berlinguer ti voglio bene (Berlinguer, ich habe dich lieb), von 1977 hingewiesen werden. Franco De Felice, Nazione e crisi: le linee di frattura, in: Storia dell’Italia repubblicana, III/I: L’Italia nella crisi mondiale. L’ultimo ventennio, Turin 1996, S. 50 – 51; auch Pons, Enrico Berlinguer, S. 19 – 20.
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verwiesen und somit dessen grenzüberschreitende Dimension sowie Funktion in Abrede gestellt. Berlinguer hingegen glaubte an die führende Rolle des Kommunismus, insbesondere des westeuropäischen, im Demokratisierungsprozess europäischer Institutionen, Parteien und nicht zuletzt der Gesellschaften.²³
Enrico Berlinguer und der PCI Anfang der siebziger Jahre Ab Ende 1969 verpflichteten sich die Supermächte zu einer graduellen Abrüstung – auf die ersten SALT-Verhandlungen ist bereits verwiesen worden. Insgesamt wurden mehrere SALT-Erweiterungen unterzeichnet, die Zeitplan und Umfang der zu begrenzenden Waffen festlegten.²⁴ Der Grundlagenvertrag zwischen den beiden deutschen Staaten muss in den Zusammenhang dieses Trends hin zur Entspannung eingeordnet werden. Seine Bedeutung reichte weit über die deutsch-deutsche Frage hinaus, regulierte er doch jeweils auch die West- und Ostgrenze der Blöcke. Vor diesem Hintergrund schien es Berlinguer und dem PCIVorstand folgerichtig, die schwierige Phase des Jahres 1968 mit all seinen nachhaltigen Auswirkungen für beendet zu erklären und sich mit dem neuen internationalen Status quo auseinanderzusetzen. Der PCI befand sich zu diesem Zeitpunkt an einem wichtigen Wendepunkt. Nachdem die Entspannung zwischen den Supermächten den ideologischen Primat der KPdSU etwas aufgeweicht hatte, schien es der Spitze der PCI zum ersten Mal in der Geschichte möglich, als Partei selbstständig und auf dem Wählerzuwachs aufbauend die eigene politische Zukunft richtungsweisend zu gestalten.²⁵ Im September 1971 hatte Luigi Longo im Gespräch mit Breschnew zu verstehen gegeben, dass sich der PCI „an der einen oder anderen Handlung“, welche die Regierung unternimmt, beteiligen müsse, um Einfluss ausüben zu können.²⁶ Schon vor dem XIII. PCI-Parteitag in Mailand 1972, auf dem Berlinguer zum Generalsekretär gewählt werden sollte, nahm die politische Wende genauere
Über die Politik Berlinguers vgl. u. a., Adriano Guerra, La solitudine di Berlinguer: governo, etica e politica. Dal „no“ a Mosca alla „questione morale“, Rom 2009; Maggiorani u. Ferrari, L’Europa; Ferrari, In cammino verso Occidente; ferner auch Harald Neubert, Linie Gramsci – Togliatti – Longo – Berlinguer: Erneuerung oder Revisionismus in der kommunistischen Bewegung?, Hamburg 2009. Hierzu u. a.Wilfried Loth (Hg.), The Making of Détente: Eastern and Western Europe in the Cold War, 1965 – 1975, London 2008. Vgl. Pons, Enrico Berlinguer, S. 21– 22. RGANI, Aufzeichnung des Gesprächs des Generalsekretärs der KPdSU Leonid I. Breshnew und des Sekretärs des Zentralkomitees der KPdSU Michail A. Suslow mit dem Generalsekretär der Kommunistischen Partei Italiens Luigi Longo vom 7. September 1971, f. 80, op. 1, d. 643, l. 6, S. 12– 13; 22– 24; 27– 28; 32– 38, hier S. 27.
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Gestalt an. Den entscheidenden Impuls dazu gab Berlinguer selbst, als er Ende September 1971 bei einer ZK-Sitzung erstmalig von der Notwendigkeit sprach, die „unkritische Zurückweisung“ der parlamentarischen Demokratie und all ihrer Institutionen zu revidieren.²⁷ Seine Überlegungen standen unter dem Eindruck des bereits seit Jahren schwankenden, nun kurz vor dem Zusammenbruch stehenden Bretton-Woods-Systems. Die Krise des Großkapitals, insbesondere des stark zentralisierten, übertrug er auf die Ebene der Politik. Berlinguers Botschaft war unmissverständlich: Der PCI sollte sich zu einem die Demokratie fördernden Mittler im Diskurs zwischen Ost und West entwickeln. Der „Logik der Blöcke“, die nun obsolet geworden war, stellte er so eine den modernen Bedürfnissen der Gesellschaft Rechnung tragende, brauchbare Alternative gegenüber. Für die Überzeugungsarbeit innerhalb des PCI war er auf Dialog bzw. auf das Schmieden von Allianzen angewiesen. Für beides bedurfte es geeigneter Persönlichkeiten. Eine solche Persönlichkeit war Giorgio Amendola, der seit 1969 die PCI-Delegation im Europäischen Parlament leitete. Er war Befürworter einer graduellen Erweiterung der EWG und setzte sich, im Sinne der PCI-Position, für die kompromisslose Anerkennung der DDR ein. Eine ebenfalls wichtige Figur für das Vorantreiben einer demokratischen, auf Dialog und Austausch abzielenden Außenpolitik des PCI war der von Berlinguer 1970 dafür berufene Sergio Segre.²⁸ Aus einer Reportage von Luciano Barca, der Berlinguer nahestand, erfahren wir, dass bei der Wahl Segres durchaus pragmatische Motive ins Gewicht fielen. Der neue Generalsekretär schätzte und brauchte Segres Verbindungen zur westdeutschen Sozialdemokratie²⁹ und zum PCF.³⁰ Die Unterhaltung von guten Beziehungen zu den französischen „Genossen“ wurde von nun an zu einem Eckpfeiler der Außenpolitik des PCI. Dies war nach den im Endergebnis klar voneinander abweichenden Positionen des PCI und PCF zur Niederschlagung des „Prager Frühlings“ keine Selbstverständlichkeit. Dennoch stellten die Franzosen einen wichtigen Partner dar: Sie verfügten über eine beträchtliche elektorale Gefolgschaft und Querverbindungen zu sozialistischen und sozialdemokratischen Kräften im ganzen Land. Die beiden Parteien trafen Ende 1971 in Paris zu Gesprächen zusammen. Generalsekretär Marchais empfing seine Gäste und hielt eine lange Rede, welche die innenpolitische Entwicklung in Frankreich zum Thema hatte. De Gaulle, so
APCI, Direzione, Microfilm 017, Verbali, S. 1559. Barca, Cronache, Bd. II, Con Berlinguer, S. 493. Hierzu Raffaele D’Agata, Il contesto europeo della distensione internazionale, in: Agostino Giovagnoli u. Silvio Pons (Hg.), L’Italia repubblicana nella crisi degli anni settanta. Tra guerra fredda e distensione, Soveria Mannelli 2003, S. 299 – 330. Barca, Cronache, Bd. II, Con Berlinguer, S. 493.
2 Der PCI vor dem Machtwechsel
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Marchais, begünstige das Großkapital augenscheinlich und habe ihm beachtliche Staatsanleihen gewährt. Die Lage im Land sei derweil besorgniserregend: Die Arbeitslosenzahl steige unaufhaltsam und habe im September 1971 um 600.000 über der Zahl von 1968 gelegen.³¹ Marchais machte darauf aufmerksam, dass seine Partei keine Beziehungen zum Parti Socialiste Unifié (PSU) pflege, doch dass es dessen Mitgründer Gilles Martinet sehr „interessant“ fände und gewillt sei, mit allen radikal sozialistischen Kräften zusammenzuarbeiten. Im Verhältnis zum PS, merkte er an, herrsche Unsicherheit und gegenseitiger Argwohn. Der rechte Flügel sei innerhalb des PS zu einflussreich, was das Verhältnis zu den Kommunisten beeinträchtige. Der Generalsekretär äußerte außerdem die Einschätzung, dass Mitterrand eine Kooperation mit dem PCF nicht wirklich wolle bzw. lediglich um seiner Präsidentschaftswahlambitionen willen auf dessen Unterstützung aus sei. Der PCF, so Marchais, setze aber nicht auf kurzfristige strategische Ziele, sondern arbeite auf die Errichtung einer stabilen linken „Volksfront“ hin.³² Tatsächlich war sich Marchais wohl bewusst, dass seine Partei spätestens seit 1968 mit einer ideologischen und politischen Krise zu kämpfen hatte. Seine Beteuerung gegenüber den Italienern, der „Fall Garaudy“ sei intern aufgearbeitet worden,³³ war offensichtlich gelogen. Insgesamt erweckten der Ton und der Inhalt der Gespräche bei den Italienern einen ambivalenten Eindruck. Die französischen „Genossen“ gaben sich rebellisch und selbstsicher; Marchais musste aber einräumen, dass der PCF nur sehr langsam wuchs und dass der Einfluss der Gewerkschaften in den Fabriken im Allgemeinen schwinde. Auch die kompromisslose Zurückweisung des Maoismus durch die Franzosen – „der Maoismus ist so schlecht wie die Politik Washingtons“³⁴ – sorgte bei den Italienern für Unmut. Zwar beäugten auch sie Maos intransigenten Regierungsstil mit Skepsis, waren aber nicht bereit, ihn pauschal abzulehnen. Die programmatischen Differenzen zwischen dem PCI und dem PCF wurden Anfang der siebziger Jahre zusehends größer und deutlicher. SED-Beobachter verfolgten dies aufmerksam, war die SED doch darauf bedacht, die Integrität des westeuropäischen Kommunismus herauszufordern, um aus dessen Schwäche Profit zu schlagen und ihre eigene Legitimität zu unterfüttern. Ein Bericht der Abteilung Internationale Verbindungen über die Konferenz des Studienzentrums für Internationale Politik des PCI (CeSPI – CentroStudiPoliticaInternazionale) zeichnete die theoretische Entwicklung der italienischen Partei in jenen Jahren nach. Das besondere Interesse der SED, die zu diesem Zeitpunkt all ihre Kräfte auf
APCI, Sezione Estero, Microfilm 0162, Nota incontro PCI-PCF, Parigi 16 – 17.11.1971. APCI, Sezione Estero, Microfilm 0162, Nota incontro PCI-PCF, S. 2. APCI, Sezione Estero, Microfilm 0162, Nota incontro PCI-PCF, S. 2– 3. APCI, Sezione Estero, Microfilm 0162, Nota incontro PCI-PCF, S. 3.
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die internationale Anerkennungskampagne der DDR verwandte, galt dabei der Außenpolitik der rasch im Erstarken begriffenen italienischen Partei. Die Konferenz mit dem Titel „Die Italienischen Kommunisten und Europa“ fand Ende 1971 in Rom statt; Hauptreferent des PCI war Giorgio Amendola. Amendola unterzog in seinen Ausführungen Westeuropa und die EWG einer schonungslosen Kritik.³⁵ Die italienischen Kommunisten hätten zwar ihren traditionellen Widerspruch gegen die supranationalen Institutionen aufgegeben, empfänden diese aber weiterhin als zu wenig transparent und in ihrer Arbeitsweise nur bedingt „demokratisch“. Sei seien nicht mehr gegen die Römischen Verträge von 1957 und hätten vor, eine demokratische Umwälzung der EWG zu verwirklichen.³⁶ In diesem Sinne äußerte Amendola auf der Konferenz die Intention der Partei, zur Schaffung eines europäischen Parlaments beitragen zu wollen, welches, mit demokratischen Machtmitteln versehen, die Volkssouveränität repräsentieren könne.³⁷
3 Dreiecksbeziehungen Anfang der siebziger Jahre PCI-PCF Die beiden westeuropäischen Parteien übten sich in einmütiger Harmonie: Delegationen wurden ausgetauscht und die bilateralen Beziehungen intensiviert. Der PCI bewegte sich damit ganz auf der von Berlinguer vorgegebenen Linie, dem PCF außenpolitisch besondere Bedeutung zuzumessen. Am 25./26. Juni 1970 und am 16./17. November 1971 kamen die Parteivorstände jeweils zu einer ausführlichen Unterredung in Rom bzw. Paris zusammen.³⁸ Auch die Verbindungen zwischen den jeweiligen Frauenorganisationen wurden verstärkt. Italienische „Genossinnen“ nahmen Ende 1971 an einer Tagung der PCFBezirkssekretärinnen mit dem Titel „PCF und die Frauen“ (PCF et les femmes) teil.³⁹ Die Organisatorinnen, darunter Mireille Bertrand, ZK- und Politbüromitglied, und Lydie Périllaud, Exponentin des PCF-Bezirkssekretariats Seine Saint
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IVA 2/20 1002, Bericht über die Konferenz des Studienzentrums für ökonomische Politik der IKP (CESPE) „Die Italienischen Kommunisten und Europa“, Rom 23. – 25.11.1971. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IVA 2/20 1002, Bericht über die Konferenz des Studienzentrums für ökonomische Politik der IKP (CESPE), S. 2. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IVA 2/20 1002, Bericht über die Konferenz des Studienzentrums für ökonomische Politik der IKP (CESPE), S. 2. APCF, Polex, 261 J 7/43, Rencontres PCF-PCI. APCF, 261 J 9, Boite 6, Reunion des responsables federales, 16 – 17.10.1971.
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Denis, übten harsche Kritik an de Gaulle, der Frauen „auf Hitlers drei Ks“ Küche, Kinder und Kirche reduzieren zu wollen scheine.⁴⁰ Dies zeige sich am schwindenden Engagement von Frauen in zivilgesellschaftlichen Projekten und in der Politik, was dazu führe, dass sie immer weniger wichtige Posten besetzten. Der PCF versuchte gegen diesen Trend anzukämpfen, indem er „Genossinnen“ mit ideologischer Propagandaarbeit in Großfirmen und Fabriken betraute. Dort, wo „sich das Großkapital am hartnäckigsten zur Wehr setzt und die Arbeiter unter konstantem Druck hält“, sei gezielte Aufklärungsarbeit am notwendigsten.⁴¹ Doch obwohl die Wiederannäherung zwischen italienischen und französischen Kommunisten den theoretischen Richtlinien des neuen PCI-Generalsekretärs entsprach, war es augenfällig, dass tatsächlich eine immer tiefer werdende ideologische Kluft die Parteien trennte. Der PCI befand sich auf dem Weg zu einer weitgehenden Autonomie von Moskau; der PCF war im Begriff, seine traditionelle Gefolgschaft gegenüber der KPdSU auch propagandistisch neu aufzuwerten. Dies wurde im Frühjahr 1971 besonders deutlich, als die Humanité das Gipfeltreffen zwischen den französischen und sowjetischen „Genossen“ von Anfang März in Moskau als „Meilenstein“ zur Gestaltung neuer freundschaftlicher und noch fruchtbarerer Beziehungen zwischen beiden Parteien überschwänglich feierte.⁴² Auch hinsichtlich der Europapolitik waren die Meinungsverschiedenheiten trotz propagierter Harmonie kaum zu kaschieren. Auf einer Tagung der Bereichsleiter für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Paris traten die Diskrepanzen offen zutage. Die Selbstständigkeitsbestrebungen der Italiener stießen auf die konservative Politik des PCF, vornehmlich in der Landwirtschaft. Fernand Clavaud, ZK-Mitglied und Leiter der Abteilung für landwirtschaftliche Fragen des PCF sowie Chefredakteur des Fachmagazins La Terre, brachte das Ansinnen seines Vorstands zum Ausdruck, die französische Binnenwirtschaft gegen externe Angriffe stärken zu wollen. Daraus schloss Gerardo Chiaromonte, der eine führende Rolle im Sektor Wirtschaft und Sozialpolitik beim PCI innehatte, dass die Franzosen äußerst protektionistisch vorgehen würden und somit die potentiellen
APCF, 261 J 9, Boite 6, Reunion des responsables federales, S. 1. APCF, 261 J 9, Boite 6, Reunion des responsables federales, S. 2. Im Allgemeinen über (kommunistische) Frauen und Frauenpolitik in den drei hier untersuchten Ländern, u. a.: Anna Kaminsky, Frauen in der DDR, Berlin 2016; Maud Bracke, La nuova politica delle donne. Il femminismo in Italia 1968 – 1983, Rom 2019, hier insbesondere S. 79 – 216; Sylvie Chaperon u. Florence Rochefort, Féminismes et marxisme, des liens conflictuels, in: Jean-Numa Ducange u. Antony Burlaud (Hg.), Marx, une passion française, Paris 2018, S. 275 – 286. APCF, Polex, 264 J 17, Boite 2, Dossier 1, Rencontre PCF-PCUS à Moscou, 1.-3.07.1971.
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Vorteile eines regulierten gesamteuropäischen Marktes völlig außer Acht ließen.⁴³ Die Italiener, so Chiaromonte, engagierten sich mit voller Kraft und Überzeugung für eine tiefe Transformation des wirtschaftlichen und sozialen Aspekts landwirtschaftlicher Produktivität und Produktionsstrategien. Dies setze ein konzertiertes Zusammengehen der EWG-Länder voraus.⁴⁴ Der PCF verfolgte eine zweigleisige Strategie: Zum einen steuerte er auf eine Erhöhung der Zusammenarbeit in Westeuropa zu, zum anderen war er stets darauf bedacht, den „großen Bruder“ im Osten nicht zu irritieren. In der Humanité vom 18. Januar 1971 nahm die Partei dezidiert Stellung gegen Gewalt und Gewaltanwendung auch im politischen Sinne. Dabei reagierte sie auf ein Kommuniqué der sogenannten „normalisierten Führung“ der tschechoslowakischen kommunistischen Partei, die ex post die militärische „Rettung“ vom August 1968 rechtfertigte. Dubček, Oldřich Černík und andere, so war darin zu lesen, hätten doppelzüngig und gegen die Interessen der Nation agiert.⁴⁵ Vor diesem Hintergrund ließ der PCF-Vorstand verlauten, dass die französischen „Genossen“ fest an die Prinzipien des „proletarischen Internationalismus“ glaubten und die Auffassung teilten, wonach jedes Land frei und souverän über sein eigenes Schicksal zu entscheiden habe.⁴⁶ In diesem Duktus äußerte sich die Partei auch zur maoistischen Lehre, die sich damals in Europa, insbesondere in intellektuellen Milieus, großer Beliebtheit zu erfreuen schien. In einer Nachricht von Anfang Juli 1971 an das ZK der KP Chinas anlässlich ihres 50. Gründungstags ließ der PCF verlauten, dass die gewünschte Zusammenarbeit zwischen den Parteien an den auffälligen ideologischen Divergenzen, welche sie in wichtigen Fragen trennten, zu scheitern drohe. Die Humanité schrieb, dass das „sektiererische“ Vorgehen der Chinesen den gemeinsamen Kampf gegen den „Imperialismus“ unmöglich gemacht habe.⁴⁷
APCI, Sezione Estero, Microfilm 0162, Nota sull’incontro con i compagni del PCF sui problemi del MEC agricolo, di Gerardo Chiaromonte. APCI, Sezione Estero, Microfilm 0162, Nota sull’incontro con i compagni del PCF sui problemi del MEC agricolo, S 1. Die Protagonisten des Prager Frühlings „pratiquaient une politique à double face.“ In: L’Humanité, 18.01.1971. L’Humanité, 18.01.1971. Message du BP du Parti Communiste Français au CC du Parti communiste chinois à l’occasion de son 50e anniversaire, in: L’Humanité, 01.07.1971. Darin hieß es: „Depuis lors, des divergences profondes ont surgi entre nous. Elles portent un grave préjudice à notre cause commune, au mouvement communiste et anti-impérialiste. Le refus de mener l’action unie contre l’impérialisme, au nom de positions particulières, fait obstacle à des succès plus grands et plus rapides de lutte des travailleurs et des peuples du monde […].“
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PCI-SED Die SED stand 1971 kurz vor dem großen Durchbruch in ihrer außenpolitischen Tätigkeit. Endlich schien sich das Blatt zugunsten der internationalen Anerkennung gewendet zu haben, was die ostdeutsche Partei mit größerem „Selbstbewusstsein“ erfüllte.⁴⁸ Dies schlug sich unweigerlich auch in den Verbindungen zu den italienischen „Genossen“ nieder und läutete eine neue Phase bilateraler Beziehungen ein. Die Interpretation, dass diese Entwicklung auf das politische Konto Honeckers gehe,⁴⁹ ist dabei nicht nur weit überzogen, sondern entbehrt sogar jeglicher Grundlage. Die „Avancen“ der SED an die Adresse des PCI hatten bereits Ende der sechziger Jahre begonnen und wurden im Laufe der siebziger Jahre, wie im Folgenden gezeigt werden soll, weiter intensiviert. Dabei folgte die SED einer interessengeleiteten, janusköpfigen Strategie: Sie hatte die Absicht, einerseits alle ideologischen Abweichungen der Italiener, insbesondere den späteren Eurokommunismus, vehement zurückzuweisen und andererseits Formen und Möglichkeiten einer Zusammenarbeit auf wirtschaftlicher, politischer und technologischer Ebene vorzufühlen und umzusetzen. Vor diesem Hintergrund verwundert es kaum, dass zwischen 1971 und 1972 acht SED-Delegationen nach Italien reisten und mit Vertretern des PCI zusammenkamen.⁵⁰ Eine italienische parlamentarische Delegation hielt sich auf Ein-
Vgl. Lill, Völkerfreundschaft, S. 231. Dies suggeriert, freilich ohne Beweise, Johannes Lill: „Überhaupt scheint das in den siebziger Jahren relativ entspannte Verhältnis zwischen PCI und SED eng mit der Person Honeckers zusammenzuhängen. Vielleicht suchte dieser gerade in den entspannten Beziehungen zu westeuropäischen kommunistischen Parteien ein Gegengewicht zur weiterhin engen Abhängigkeit von Moskau. Wenn Honeckers Äußerungen, die er 1973 gegenüber Berlinguer gemacht hatte, ernst gemeint waren, dann wollte er nicht ausschließen, dass auch ein Weg zum Sozialismus denkbar wäre, der nicht auf Zwang und Diktatur des Proletariats, sondern auf politischem Konsens aufbaute. Und wenn es stimmt, dass der ostdeutsche Staats- und Parteichef gegen Mitte der siebziger Jahre tatsächlich eine Liberalisierung im eigenen Land befürwortet hätte, so war diese in ganz besonderem Maße vom Erfolg der westlichen kommunistischen Parteien in ihren Ländern abhängig.“ In: Lill, Völkerfreundschaft, S. 233. Honecker war zweifelsohne äußerst einflussreich bei der Gestaltung der außenpolitischen Verbindungen der SED. Behauptungen jedoch, dass er vom „demokratischen Kommunismus“ westeuropäischer KPs angetan gewesen sei, sind freilich nicht beweisbar und widersprechen der politischen Linie der SED in den siebziger Jahren. Die ostdeutsche Partei „hofierte“ zwar den international wohl sehr einflussreichen PCI, doch aus reinem Opportunismus, nicht etwa aus ideologischer Übereinstimmung. Den Eurokommunismus beispielsweise wies sie mit aller Kraft stets zurück. Dazu Francesco Di Palma, Eurocommunism and the SED: A Contradictory Relationship, in: Journal of European Integration History, 20:2, 2014, S. 219 – 231. APCI, Sezione Estero, Microfilm 043, Delegazioni della SED venute in Italia negli anni 1971 – 72: 21. 3.1971 Günter Kleiber (PB Kandidat); 23 – 25.11.1971 Herbert Höber (Direktor Institut Politik- und
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ladung des Parlaments der DDR Mitte Mai 1971 in Ostdeutschland auf. Unter den Delegierten war auch Roberto Marmugi, eine der leitenden Persönlichkeiten des PCI-Bezirkssekretariats Florenz und ZK-Mitglied. Ebenso waren Studienreisen an der Tagesordnung. Anfang Juli desselben Jahres wurde eine große Abordnung von SED-Funktionären in Italien von PCI-Parteischulen empfangen. Es folgten Gespräche mit hochrangigen PCI-Politikern, darunter mit Giorgio Napolitano und Giancarlo Pajetta. Die Ostdeutschen fragten dabei die italienischen Gesprächspartner ausführlich über die Produktionsverhältnisse in Italien sowie über die Verwaltung von durch den PCI regierten Städten und Massenorganisationen aus. Beim Besuch von Cooperative (Vertriebseigene Betriebe, VEB) wollten sie über die Höhe der Löhne informiert werden und zeigten sich darüber überrascht, dass etwa der Direktor eines VEBs entsprechend viel verdient, je nachdem wie viel der Betrieb tatsächlich produziert.⁵¹ Mit der Koordinierung der Italien-Arbeit war Klaus Mehlitz, Mitarbeiter der Abteilung Internationale Verbindungen der SED, beauftragt, der in den siebziger Jahren oft an den Delegationsreisen teilnahm. Er war seinen Vorgesetzten äußert ergeben und machte Zeitzeugen gegenüber einen sehr pedantischen, ideologisch „strammen“ Eindruck.⁵² Querverbindungen zur SED bestanden auch, wie oben ausgeführt, über deren westdeutsches „Sprachrohr“, die DKP. Nach einer kurzen, intensiven Phase zwischen 1969/70 und Mitte 1971 verloren diese aber schon bald wieder an Bedeutung. Eine PCI-Abordnung wohnte Ende November 1971 dem Parteitag der DKP in Düsseldorf bei. Gastone Gensini, einer der wichtigsten Referenten für die Parteischulen des PCI,⁵³ berichtete darüber: „Die Partei konzenWirtschaftswissenschaft) und Klaus Mehlitz (Abt. Int. Verb.); 24.11.1971 Kurt Seibt (Präsident zentrale Revisionskomm) und Otto Funke (ZK); 23.7.1972 Joachim Herrmann (ZK und Direktor vom ND) und Joachim Böhme (Abt. Int. Verb); 26.9.-3.10.1972 Paul Schober und Andere (auf der Festa dell’Unità); 1.10.1972 Rolf Sieber (Leiter interparlament. Gruppe); 19.10.1972 Anna Wolf; 13.11.1972 Helene Berg (ZK) und Klaus Mehlitz. APCI, Sezione Estero, Microfilm 0162, Breve informazione sul soggiorno della delegazione della SED in Italia (1 – 22. 7. 1971). Diese Information verdankt der Verfasser Herrn Antonio Rubbi, einem ehemaligen ZK-Mitglied des PCI, der zu den führenden Köpfen der Partei im außenpolitischen Bereich gezählt hatte und 2013 in Rom interviewt werden konnte. Auch seine Aussage über Klaus Mehlitz lässt den Schluss zu, dass es bei den Direktverbindungen zwischen beiden Parteien eher um „Geschäfte“ als um ideologische Gespräche ging. Er begleitete u. a. Peter Florin, DDR-Vizeaußenminister, während seiner Italienreise im Sommer 1971: APCI, Sezione Estero, Microfilm 0162, Delegazione della SED (Peter Florin, vice ministro degli esteri e Klaus Mehlitz, Abt. Intern. Verbindungen) a Modena, di Luciano Guerzoni, 16 – 18.8.1971. Gastone Gensini war Chef des Sektors Parteischulen und des Archivs des PCI. Seine Vorgehensweise bei der ideologischen Ausbildung in Fabriken und im Allgemeinen im „proletarischen“ Milieu erfolgte in Abstimmung mit Giancarlo Pajetta, Chef des Sektors Fabriken und bedeutender
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triert sich penibel und übertrieben auf die Außenpolitik der UdSSR und auf das Ziel der Anerkennung der DDR! Daher kommt sie den Massen in der Bundesrepublik zu wenig ‚national‘ sowie zu wenig aufmerksam für Themen wie Gewerkschaftspolitik, Europa usw. vor.“⁵⁴ Der PCI war Anfang der siebziger Jahre im beträchtlichen und raschen Wachstum begriffen. Die Revisionskommission beim ZK des PCI ging von rund 100.000 Parteieintritten jährlich aus, was die Italiener vor neue Aufgaben und Herausforderungen stellte, sowohl intern als auch außenpolitisch.⁵⁵ Durch den Machtzuwachs und die Selbstständigkeitsbemühungen gegenüber Moskau konnten die Italiener auf freien Spielraum bei der Gestaltung ihrer Außenbeziehungen bauen und auf ein höheres Ansehen bei westeuropäischen, auch nicht kommunistischen Partnern vertrauen. Auch im Sektor der Parteijugend war der PCI gewillt, seinem neuen Profil gerecht zu werden. Angelo Oliva, PCI-Funktionär und Präsident des WBDJ, war Initiator der Jugendkonferenz über Sicherheit in Europa, die vom 2. bis 5. Dezember 1971 in Florenz tagte und an der auch eine SED- und eine KPdSU-Delegation teilnahmen.⁵⁶ Ihr war ein gemeinsames Kommuniqué der Jugendorganisationen von PCI (FGCI) und DC (Gioventù Aclista) sowie der Jugendbewegung der PSIUP vorausgegangen, in dem sich die Schirmherren dazu verpflichteten, binnen eines Jahres eine Konferenz über dieses wichtige Thema anzuberaumen.⁵⁷ Obgleich seit 1968 stark angeschlagen, war der PCI bestrebt, gute Beziehungen zu „real sozialistischen Bruderparteien“ und insbesondere zur KPdSU aufrechtzuerhalten. Dies war trotz des ideologischen Grabens paradoxerweise ausgerechnet auf der Ebene des Austauschs über theoretische Fragen möglich. Mehrere PCI-Funktionäre konnten zwischen Oktober 1971 und Februar 1972 an einem internationalen Kurs im Moskauer Institut für Geschichts- und Gesellschaftswissenschaften teilnehmen. Sie berichteten von einer entspannten Atmosphäre: Es wurden Seminare abgehalten über die Rolle der Mittelschichten bei der Realisierung des „Sozialismus“, über politische Ökonomie, über das Verhältnis der Partei zu den Intellektuellen bzw. über Philosophie und Geschichte der
außenpolitischer Funktionär der Partei. Dies stellt unter Beweis, wie verflochten die Bereiche der Ideologie und der Außenpolitik bei der italienischen KP tatsächlich waren. APCI, Sezione Estero, Microfilm 0159, Nota all’ufficio segreteria / alla commissione di massa, per l’ufficio fabbriche Pajetta, per la sezione scuole di partito Gastone Gensini, 23.11.1971. APCI, Sezione Estero, Microfilm 0162, Relazione di Gastone Gensini sul congresso del Partito comunista tedesco (DKP), dal 25 al 28. 11. 1971 a Düsseldorf, S. 1– 2. L’impegno del PCI per l’orientamento ideale e politico, in: L’Unità, 16.12.1971. 350 Delegati alla conferenza giovanile sulla sicurezza in Europa, in: L’Unità, 16.11.1971. APCI, Microfilm 0163, Comunicato unitario, 28.06.1971.
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KPdSU; schließlich wurde auch die Praxis „geübt“, u. a. in Novosibirsk, wo die Besucher den Alltag in verschiedenen Fabriken erleben konnten.⁵⁸ Das Interesse des PCI an der Entwicklung und den Errungenschaften der „real sozialistischen“ Gesellschaften war authentisch. Arturo Colombi, der langjährige Leiter der Revisionskommission beim ZK des PCI, beschrieb im Oktober 1971 in einem langen Bericht seine DDR-Erfahrung. In seinen Augen sei das höchte Verdienst der SED es gewesen, den Hauptfehler anderer „real sozialistischer“ Länder vermieden zu haben: Kleine und mittelgroße Industrien, das Handwerk usw. seien nämlich nicht verstaatlicht worden. Dies habe der DDR eine rasche industrielle Entwicklung und Reichtum beschert.⁵⁹ Dieser persönlichen Einschätzung schloss sich ein Dossier an, das die PCI-Abteilung „Ausland-DDR“ Ende 1971 veröffentlichte, und in dem auf die Sonderstellung des ostdeutschen Staates innerhalb des Ostblocks aufmerksam gemacht wurde. In der DDR, so heißt es in der Studie, hätten die Blockparteien, wenngleich weitestgehend entmachtet, doch für „etwas demokratischere Verhältnisse“ – im Vergleich zu den übrigen „real sozialistischen“ Nationen – gesorgt. So bestünden dort nach wie vor „etwa 3.638 private Unternehmen und rund 5.600 gemischte […]. Auch ist die Autonomie bei der Gestaltung von Handelsbeziehungen bzw. der Handelspolitik verhältnismäßig hoch, vor allem im Bereich der Ausfuhrtätigkeit […]. Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß auch private Unternehmen staatliche Zuschüsse und Prämien bekommen.“⁶⁰ Im Gegensatz zur relativen Offenheit des PCI stand die Außenpolitik der SED weiterhin ganz im Zeichen der Anerkennungskampagne. Zu dem Initiativkomitee Italien-DDR, das Andrea Gaggero, zentrale Figur der italienischen Friedensbewegung und dem PCI nahestehend, Mitte 1971 gegründet hatte und das vornehmlich auf das Ziel der Anerkennung hinarbeitete, bemerkten SED-Kommentatoren lapidar: „Das Komitee übt Einfluß aus, um die ital. Regierung in Richtung Herstellung diplomatischer Beziehungen mit der DDR zu drängen.“⁶¹
APCI, Microfilm 051, Corso internazionale che si è svolto a Mosca presso l’istituto di scienze storiche e sociali dal 27. 10. 1971 al 9. 2. 1972, Modena 19. 2.1972. APCI, Sezione Estero, Microfilm 058, Nota su viaggio in RDT (Ottobre 1971), von Arturo Colombi. APCI, Sezione Estero, 219, Fasc. 265, Sez. Esteri – Documentazione, La Repubblica democratica tedesca (1971), S. 1– 2. SAPMO-BArch, Volkskammer – Parlamentarische Freundschaftsgruppen, DY/1/12919, Initiativkomitee Italien-DDR, S. 1.
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SED-PCF Auch gegenüber Frankreich setzte die SED auf Erweiterung ihrer Einflusssphäre, wiederum im Rahmen der Anerkennungspolitik. Gerhard Schramm, damaliger Leiter der Vertretung der Kammer für Außenhandel (KfA) der DDR in Paris und später einflussreicher Außenpolitiker mit Schwerpunkt Westeuropa, berichtete im Mai 1971 von einem Gespräch mit dem gaullistischen UDR-Abgeordneten Georges Gorse, Staatssekretär für Auswärtige Angelegenheiten. Auch in diesem Fall war die Einschätzung knapp und zweckorientiert: „Es muß eingeschätzt werden, daß Gorse nach wie vor als echter und einflußreicher Verbündeter im Bemühen um die Normalisierung der Beziehungen zwischen der DDR und Frankreich betrachtet werden kann.“⁶² Auffällig ist, dass die SED bei ihrem Versuch, sich in Frankreich Vorteile zu verschaffen, kaum oder nur sporadisch auf den PCF zurückgriff; dem PCI hingegen kam im Rahmen der Verbindungen zu Italien sowie zu weiteren „hilfreichen“ internationalen Partnern eine wichtige Vermittlerrolle zu. Dieser Tatbestand lässt sich wohl nicht ideologisch erklären – die Franzosen galten nach wie vor als loyale prosowjetische „Genossen“ und die Italiener als „renitente Rebellen“, die Reformen im europäischen Kommunismus befürworteten – sondern lediglich pragmatisch-politisch: Die SED verfolgte das Ziel, sich in dem von der UdSSR abgesteckten außenpolitischen Rahmen partielle, eigennützige Spielräume zu erarbeiten. Auf einer vom Initiativkreis „Europäische Sicherheitskonferenz“ der Bundesrepublik organisierten Tagung in Bad Godesberg hielt Stefan Doernberg, Geschichtsprofessor und Generalsekretär des DDR-Komitees für Europäische Sicherheit, einen entsprechenden Redebeitrag.⁶³ Er lobte darin das vierseitige Abkommen über den rechtlichen Status Berlins. Einsicht, selbst bei schwierigen Fragen wie dieser, beweise, dass es doch möglich sei, mit diplomatischen Mitteln Probleme zu lösen. Anschließend ging Doernberg zum Thema der Europa-Konzeptionen „real sozialistischer“ Staaten über, welches aufs Engste mit dem Streben nach Souveränität der DDR zusammenhänge. Die Europa-Konzeption der sozialistischen Staaten, so Doernberg, beruhe auf der Anerkennung des territorialen Status quo durch alle europäischen Staaten. Die Normalisierung deren Beziehungen untereinander – insbesondere zwischen der DDR und der
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV 2/2.035 95, Vermerk über ein Gespräch des Genossen Gerhard Schramm mit dem UDR-Abgeordneten Goerges Gorse (Staatssekretär für Auswärtige Angelegenheiten) am 5. Mai 1971, Paris. SAPMO-BArch, DDR-Komitee für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit, DZ/22/37, Beitrag für die Konferenz in Bad Godesberg am 25. 9. 1971.
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Bundesrepublik – sei das höchste Gebot.⁶⁴ Zum Schluss gab er zudem zu bedenken, dass es doch an „gewissen NATO-Kreisen“ liege, wenn die Einberufung einer umfangreichen und verbindlichen Konferenz über so wichtige Fragen noch nicht geschehen sei.⁶⁵ Mit Blick auf Westdeutschland nutzte die SED-Führung die vielfältigen Verbindungen zu Frankreich Anfang der siebziger Jahre auf höchst zwiespältige Weise. Einerseits war sie auf eine gewisse Kooperation mit der Bundesrepublik angewiesen, wenn sie ihre Forderungen anerkannt wissen wollte; andererseits ließ sie sich keine Chance entgehen, den westdeutschen Staat, seine Regierung und insbesondere Exponenten der SPD zu diskreditieren. Ein Gesprächsvermerk zu einer Begegnung des Präsidenten der Volkskammer der DDR Gerald Götting mit Jean de Broglie, dem Präsidenten der außenpolitischen Kommission der französischen Nationalversammlung, am Rande des Besuchs einer französischen Delegation in der DDR Ende September 1971 scheint diese Strategie geradezu zu bestätigen. Götting lobte ausdrücklich die diplomatische Arbeit de Gaulles, der bei der Frage der Anerkennung der Oder-Neiße-Linie weit vorgestoßen sei, „obwohl er ein enges persönliches Verhältnis zu Adenauer hatte.“⁶⁶ Worauf de Broglie spöttisch erwiderte, dass man sich bei Brandt schon fragen müsste, „ob er als Bundeskanzler oder als Vertreter der USA spreche. In Sachen West-Berlin vertritt er stets die Interessen der USA.“⁶⁷ Jedenfalls konnte sich die SED-Führung von der Intensivierung ihrer Beziehungen zu wichtigen Schaltstellen in Frankreich bessere Rahmenbedingungen für das Ziel der Anerkennung versprechen. So versuchte sie auch Kontakte zum französischen PS zu knüpfen, hatte sich doch Mitterrand, nachdem er auf dem Parteitag in Epinay zum ersten Parteisekretär gewählt worden war, einer Annäherung gegenüber betont offen gezeigt.⁶⁸ Der Absicht folgten sehr bald Taten: Im Frühjahr 1972 trafen der PS-Generalsekretär Claude Estier und Hermann Axen zu
SAPMO-BArch, DDR-Komitee für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit, DZ/22/37, Beitrag für die Konferenz in Bad Godesberg, S. 4– 6. SAPMO-BArch, DDR-Komitee für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit, DZ/22/37, Beitrag für die Konferenz in Bad Godesberg, S. 6. SAPMO-BArch, Volkskammer – Parlamentarische Freundschaftsgruppen, DY/1/12917, Gesprächsvermerk: Der Präsident der Volkskammer der DDR, Herr Gerald Götting, empfing am Di., 28. 9. 1971, eine Delegation der Außenpolitischen Kommission der franzö. Nationalversammlung zu einem Gespräch im Gebäude des Staatsrates der DDR. SAPMO-BArch, Volkskammer – Parlamentarische Freundschaftsgruppen, DY/1/12917, Gesprächsvermerk: Der Präsident der Volkskammer der DDR, Herr Gerald Götting, empfing am Di., 28. 9. 1971, eine Delegation der Außenpolitischen Kommission der franzö. Nationalversammlung, S. 1. Léon Feix, ZK- und PB-Mitglied des PCF, wohnte dem Gespräch bei, intervenierte aber kaum. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, hier S. 141– 142.
3 Dreiecksbeziehungen Anfang der siebziger Jahre
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Gesprächen zusammen. Der PS-Vertreter stellte vorab klar, dass die französische Partei kompromisslos die Aufnahme von diplomatischen Beziehungen zur DDR befürworte und sich weiterhin dahingehend engagieren würde. Dies kam freilich nicht überraschend, denn der PS hatte auf dem grundlegenden Parteitag in Epinay beschlossen, sein Profil zu erweitern bzw. sämtliche Optionen einer konstruktiven Zusammenarbeit mit kommunistischen Kräften möglichst zu nutzen.⁶⁹ Vor diesem Hintergrund geriet die westdeutsche „Schwesterpartei“ des PS, die SPD, unmittelbar unter Zugzwang. Die Westdeutschen, die mit Brandt den Bundeskanzler stellten, sahen sich beinahe schon dazu gezwungen, ebenfalls intensivere Beziehungen zum französischen PS und zur SED zu pflegen, wenn diese auch ausschließlich von Opportunismus und nicht etwa von ideologischer Übereinstimmung diktiert waren.⁷⁰ Im Allgemeinen beruhten die eigennützigen Interessen der SED gegenüber Frankreich indes auf ökonomisch-politischen Erwägungen bzw. auf der Realisierung des jeweils aktuellen Export- und Importplans. So berichtete die SEDAuslandsvertretung in Frankreich Mitte 1971, dass die Entwicklung der französischen Wirtschaft durchaus gute Voraussetzungen für die Umsetzung dieses Plans biete. Rein wirtschaftlich-spekulatives Kalkül bestimmte den Ton der Berichterstattung. Die Verfasser scheuten nicht vor gewagten Markteinschätzungen zurück und stellten in Aussicht, dass ein Zuwachs von Kapitaleinnahmen in Frankreich letztlich auch der DDR zugutekommen könnte: „Darüber hinaus sind die vorbereitenden Maßnahmen zur Aufnahme von Großbritannien in die EWG zu verfolgen, da sich dadurch auch die Einfuhr amerikanischer Waren nach Frankreich weiter erhöhen dürfte.“⁷¹ Auch stellten sie zum Schluss mahnend fest, dass das „Kollektiv“ der DDR-Bürger im ausländischen Staat seine Staatsplanaufgabe nicht erfüllen konnte.⁷² Von ganz ähnlichen Bemühungen zugunsten einer ökonomischen Annäherung war die Vorgehensweise Gerhard Beils, Minister für Außenhandel der DDR, gekennzeichnet, als er am Rande der Leipziger Messe Ende 1971 eine Unterredung mit Herrn Hullo, Generaldirektor im Ministerium für Wirtschaft und Finanzen der
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY 30/IV 2/2.035/96, Ergebnis des Gespräches mit dem stellvertretenden Generalsekretär der Sozialistischen Partei, Claude Estier, vom Februar 1972. Vgl. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 142. SAPMO-BArch, Handel, Versorgung und Außenhandel, DY/30/IV A 2/6.10 298, Auslandsvertretung Frankreich: Monatsinformation 1971. SAPMO-BArch, Handel, Versorgung und Außenhandel, DY/30/IV A 2/6.10 298, Auslandsvertretung Frankreich: Monatsinformation 1971, S. 2.
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französischen Republik, hielt.⁷³ Beil drängte in dem Gespräch darauf, dass aus dem französischen Wirtschaftsbüro in Berlin doch nun endlich eine offizielle Handelsvertretung werden möge. Hullo beruhigte seinen Ansprechpartner und beteuerte, dass sich die Lage allmählich zum Vorteil der ostdeutschen Forderungen wandele. Auch sei es im Interesse seiner Heimat, die Beziehungen zur DDR ähnlich wie Frankreichs Verbindungen zu anderen sozialistischen Ländern zu gestalten.⁷⁴
4 Anerkennung und Spielräume 4.1 Feindseliges Westeuropa? SED und PCF Die Bildung des Europas der Zehn – dessen eigentliche Perspektiven durch die Veröffentlichung des Mansholt-Plans erhellt wurden – ist ein Versuch, innerhalb Kleineuropas eine Verteidigungshandhabe für die größten kapitalistischen Firmen zu schaffen, die die Wirtschaft, das Währungssystem, die Diplomatie, die Verteidigung umfassen soll. All das im Rahmen einer Konföderation, wie sie Pompidou vorschwebt.⁷⁵
Mit diesen Worten machte Gaston Plissonnier die skeptische Haltung seiner Partei gegenüber dem westeuropäischen Projekt erneut klar deutlich. Der oben genannte Plan würde den Kontinent in ein übernationales, von den USA dominiertes Gefüge integrieren und katastrophale Folgen für die „Arbeiterklasse“, das Volk und die Nation haben.⁷⁶ Wie konsequent die französischen Kommunisten an ihrer europafeindlichen Einstellung festhielten, zeigte ein Diskussionsbeitrag des Generalsekretärs Marchais Mitte Mai 1972 im Kontext eines ad hoc durchgeführten nationalen Referendums zur Frage der EWG-Norderweiterung. Das dort erreichte,
SAPMO-BArch, Handel, Versorgung und Außenhandel, DY/30/IV A 2/6.10 298, Regierungskommission Leipziger Messen: Gespräch zw. dem Staatssekretär Gen. Dr. Beil, mit dem Generaldirektor im Ministerium für Wirtschaft und Finanzen der französischen Republik, Herrn Hullo, Leipzig 11. 9. 1971. SAPMO-BArch, Handel, Versorgung und Außenhandel, DY/30/IV A 2/6.10 298, Regierungskommission Leipziger Messen: Gespräch zw. dem Staatssekretär Gen. Dr. Beil, mit dem Generaldirektor im Ministerium für Wirtschaft und Finanzen der französischen Republik, Herrn Hullo, Leipzig 11. 9. 1971, S. 1. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/190, Übersetzung aus „L’Humanité“ vom 17. 05. 1972, Gaston Plissonnier: Die gesamte Partei in eine umfassende politische Massenaktivität einbeziehen. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/190, Übersetzung aus „L’Humanité“ vom 17. 05. 1972, S. 1.
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lediglich sehr knappe „Ja“ zur Erweiterung feierten die Europaskeptiker der Partei als regelrechten Erfolg und Bestätigung ihres politischen Kurses. Das Ergebnis des Referendums setzte der PCF propagandistisch auch gegen den PS ein, mit dem bereits seit geraumer Zeit Verhandlungen zur Schaffung einer einheitlichen Front bestanden. Gegenüber dem wenig versöhnlichen Standpunkt Mitterrands, wonach die Einheit der Sozialisten bzw. aller linken Kräfte nur unter der Bedingung zu erreichen sei, dass es „uns wie den anderen sozialistischen Parteien der westlichen Länder gelingen [muss], die Kommunistische Partei unter unserer Herrschaft zu halten“⁷⁷, zeigte der PCF-Vorstand zwar all seine Empörung, blieb aber dialogbereit. Marchais wies auf die dringende Notwendigkeit einer offenen Aussprache über solche Fragen mit dem PS hin; sonst sähe er keine Chance für einen Zusammenschluss mit der sozialistischen Partei. Dem PCF gehe es nicht, so Marchais, „um jeden Preis“ darum, Ministerposten zu bekommen, sondern letztlich darum, im Schulterschluss mit dem PS Teil einer in ihren Zielen klar definierten Regierung zu werden, die den „Kampf der demokratischen, nationalen Arbeitskräfte gegen das Regime auszubauen, zu mobilisieren und zu festigen“⁷⁸ versuche. Die DDR wiederum konnte aus dem „misslungenen Erfolg“ des oben erwähnten Referendums unmittelbar Profit schlagen. In der französischen Öffentlichkeit waren während der vorangegangenen zwei Dekaden seit Gründung der DDR die Vorurteile gegen den ostdeutschen Staat sukzessive geschwunden, und sie schien nun dem Ziel der Anerkennung im Allgemeinen gewogen zu sein. Dies war zweifelsohne auch ein Resultat der guten Vernetzung der SED in Frankreich, sowohl im politischen als auch im zivilgesellschaftlichen Bereich. Der PCF wies eine unverminderte Bereitschaft auf, mit Forderungen und offener Unterstützung für die Sache der DDR zu kämpfen. Sein Einfluss auf die französischen Machteliten war jedoch gering. Bilaterale Zusammenkünfte wurden demzufolge immer seltener, und alle Bemühungen des PCF, die SED auf internationaler Bühne aufzuwerten, um für die Frage der Anerkennung zu werben, wurden aus ostdeutscher Sicht letztendlich kaum gewürdigt. Im Sommer 1972 hatte der PCF zum Beispiel große Mühe auf die Einberufung und Organisation einer Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien des kapitalistischen Europas zum Thema „Vietnam“ verwendet. Im Vorfeld traf die Initiative der
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/190, Diskussionbeitrag Georges Marchais, ZK-Tagung – Paris, 16. bis 18. Mai 1972, S. 7. Zur Politik der französischen PS gegenüber Europa und dem PCF vgl. ferner Christian Krell, Sozialdemokratie und Europa: die Europapolitik von SPD, Labour Party und Parti Socialiste, Wiesbaden 2009. Krell, Sozialdemokratie und Europa, S. 10.
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Franzosen auf breite Skepsis: Der PCI und die KP Großbritanniens sprachen sich dezidiert dagegen aus und plädierten für eine langfristige Anberaumung, der gezielte bilaterale Gespräche vorausgehen sollten.⁷⁹ Auch inhaltlich gingen die Tendenzen auseinander. Das spezifisch gewählte Thema konnte nicht über die Wahrscheinlichkeit hinwegtäuschen, dass grundlegende ideologische und politische Differenzen zwischen den westeuropäischen Parteien, insbesondere bezüglich der EWG, ihres Bestehens, ihrer Arbeitsweise und ihrer Erweiterung, die Veranstaltung verkomplizieren würden. Doch letztlich einigten sich die Teilnehmer auf einen Kompromiss, und die Konferenz fand Ende Juli 1972 in Paris statt. Ihr wohnten auch SED-Vertreter bei: Albert Norden, Harry Ott und Walter Brunner, alle von der Abteilung Internationale Verbindungen. Für den PCI nahmen Enrico Berlinguer, Angelo Oliva und Domenico Ceravolo teil. Die Botschaft der Tagung war unmissverständlich und wurde genauso propagiert: Alle Anwesenden übten schärfste Kritik am aggressiven Vorgehen der USA in Vietnam und formulierten einen Appell zur umgehenden Beendigung des „Genozids“ im südostasiatischen Lande.⁸⁰ Entgegen aller Hoffnung des PCF fand die Konferenz nur mäßigen Widerhall. Aus dem Blickwinkel der SED hatte sich der außenpolitische Schwerpunkt in Frankreich bereits seit Ende der sechziger Jahre in Richtung der traditionellen Machteliten verschoben, trotz aller tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten. So bemühte sich Ost-Berlin ab 1969 verstärkt um gute Verbindungen zur französischen gaullistischen Regierungspartei UDR.⁸¹ Um die denkbar tiefen ideologischen Gräben zu überwinden, bedurfte es vor allem opportunistischer Überlegungen. Der SED-Vorstand baute eigennützig auf die stärkste französische Partei und „hofierte“ insbesondere deren einflussreichen linken Flügel (Linksgaullisten um Jacques Chaban-Delmas, Philippe Séguin, Louis Vallon u. a.).⁸² Die Linksgaullisten wiederum hatten die politische Notwendigkeit erkannt, wieder Fühlung mit den „real sozialistischen“ Ländern zu suchen und waren sich einig, die SED bei ihrer Hauptforderung unterstützen zu wollen. Auch dies erwuchs aus der nicht selbstlosen Überzeugung, dass ein geteiltes Deutschland ihrer eigenen außenpolitischen Vorstellung entspreche.
APCF, Polex, 261 J 7/99, Contacts pour la préparation d’une conférence des partis communistes de l’Europe capitaliste, Juli 1972. APCF, Polex, 261 J 7/99, Conference des Partis communistes et ouvriers d’Europe sur le Vietnam, Paris 27.7.1972. Vgl. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 151– 152. Hierzu Jörg Requate, Frankreich seit 1945, Göttingen 2011, S. 174– 178.
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Über Georges Gorse, der in vielerlei Beziehungen seine Sympathie gegenüber der DDR offenbart hatte, hatte die SED noch tiefer in die UDR-Elite eindringen und für ihre Ziele werben können.⁸³ Über Gorse kam auch eine Verbindung zum französischen Außenminister Maurice Schumann zustande, der nur wenig später eine Unterredung mit Hermann Axen anberaumte. Der Inhalt des Gesprächs von Ende Juni 1970, das zunächst geheim gehalten werden musste, war auf französischer Seite von allgemeiner Skepsis gegenüber Brandts Ostpolitik bestimmt und überschattet. Denn die Haltung der gaullistischen Regierungspartei mit Blick auf Bonn und seine Außenpolitik war keineswegs einheitlich. Ausschlaggebend dafür waren interne Rivalitäten und die Befürchtung, die Bundesrepublik könne im Schulterschluss mit der Sowjetunion ihren Einfluss im Ostblock zuungunsten Frankreichs erweitern.⁸⁴ Schlussendlich konnte Axen bei der Unterredung weder einen Durchbruch erzielen noch dem Minister das Versprechen abringen, Frankreich werde mit der DDR offizielle diplomatische Beziehungen aufnehmen. Bei allem Argwohn gegenüber dem östlichen Nachbarland, der Ostpolitik Brandts und trotz aller Befürchtungen, außenpolitisch von der Bundesrepublik überholt zu werden und sich schlimmstenfalls künftig ihren Vorstellungen fügen zu müssen, konnte die gaullistische Regierung nicht umhin zu konstatieren, dass die Beachtung und Respektierung der Strategie der westdeutschen Republik „Bestandteil der allgemeinen Entspannungspolitik [sei], die [Frankreich] unterstützen wollte.“⁸⁵ Doch blieb die von Widersachern als exzessiv bezeichnete Zurückhaltung der französischen Regierung nicht ohne Kritik. Gorse, der vormals wohl bedeutendste Kontakt für die SED in Frankreich, versuchte sogar medial den Blick der Öffentlichkeit für die Position der DDR zu schärfen und klagte über die gaullistische Mitverantwortung am Scheitern der ostdeutschen Bemühungen.⁸⁶ Die SED nahm umgehend Bezug darauf und intensivierte ihren Druck auf die französische Regierung. Sie forderte ein offizielles Treffen der beiden Außenminister und ersuchte nochmals direkt bei Pompidou um die Aufnahme von diplomatischen Beziehungen mit der DDR.⁸⁷
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV 2/2.035 95, Vermerk über ein Gespräch des Genossen Gerhard Schramm mit dem UDR-Abgeordneten Goerges Gorse (Staatssekretär für Auswärtige Angelegenheiten) am 5. Mai 1971, Paris. Vgl. u. a. Requate, Frankreich, S. 174– 175; Ziebura, Die deutsch-französischen Beziehungen, S. 242– 243. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 154. Georges Gorse, La RDA vaut-elle une messe?, in: Le Monde, 24.02.1971. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 156.
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Der französische Präsident gab dem Druck nicht nach, sieht man von wenigen Zugeständnissen in Form von politischen Zusammenkünften zwischen Delegationen beider Länder ab. Diese dienten allerdings eher dem Zweck, die Kritiker in den eigenen Reihen zu beschwichtigen. So fanden zwischen Sommer und Herbst 1971 disparate Begegnungen auf der Ebene der parlamentarischen Verbindungen statt.⁸⁸ Die Lage änderte sich grundlegend mit der Unterzeichnung des Viermächteabkommens über Berlin durch die Besatzungsmächte. Durch das Abkommen wurde de facto der außerordentliche Status der bundesrepublikanischen Präsenz in Berlin verankert und die Vorrangstellung der Siegermächte, insbesondere der Westalliierten im West-Berliner Raum, festgelegt. Trotz aller Ungenauigkeiten und weiter bestehenden Unstimmigkeiten zwischen den Besatzern zu rechtlichen und territorialen Ansprüchen, stellte der erfolgreiche Abschluss des Vertrags einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Normalisierung und Stabilisierung des Status quo der geteilten Stadt dar.⁸⁹ Vor diesem Hintergrund unternahm die SED-Führung einen erneuten Vorstoß in Richtung Anerkennung, stieß damit jedoch auf taube Ohren, denn die französische Seite wollte die Umsetzung der Viermächteverträge nicht beeinträchtigen. Zur Bedingung für die Aufnahme offizieller Verbindungen machten die Franzosen die Regulierung der deutsch-deutschen Beziehungen kraft eines entsprechenden Grundlagenabkommens.⁹⁰ Dennoch: Nach und nach verhallte der Argwohn, und selbst bei hochrangigen französischen Politikern konnte sich die Überzeugung durchsetzen, dass die Regierung nun endlich dem ostdeutschen Verlangen nach Souveränität stattgeben sollte.Vor dem Hintergrund des deutsch-deutschen Grundlagenvertrags, der Ende Dezember 1972 in Ost-Berlin von DDR-Staatssekretär Michael Kohl und Bundesrepublik-Staatssekretär Egon Bahr unterzeichnet worden war, leiteten Frankreich und die DDR im Januar 1973 die Verhandlungen über ein entsprechendes bilaterales Abkommen in die Wege. Schließlich einigten sich beide Seiten am 9. Februar 1973 auf einen Vertragstext, der noch am selben Tag unterzeichnet wurde und somit de facto und de jure die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen
Vgl. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY 30/J IV 2/3 A/2040, Reise der Delegation der DDR-Volkskammer nach Frankreich (1.-7. 6. 1971). Dazu u. a. Peter Bender, Deutschlands Wiederkehr: eine ungeteilte Nachkriegsgeschichte 1945 – 1990, Stuttgart 2007; Andreas Wilkens, Der unstete Nachbar: Frankreich, die deutsche Ostpolitik und die Berliner Vier-Mächte-Verhandlungen 1969 – 1974, München 1990. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 158.
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der DDR und Frankreich implizierte.⁹¹ Nicht ohne Verzögerung reagierte die französische Regierung allerdings auf die Forderung der SED, rasch den Austausch von Botschaftern einzuleiten. Auch über die offizielle Bezeichnung der französischen Vertretung in Ost-Berlin stritten sich beide Seiten kurzzeitig, bevor die Ostdeutschen schließlich einlenkten: Sie trug von Anfang an den Namen „Französische Botschaft bei der DDR“, nicht schlichtweg „Französische Botschaft der DDR“. Dies war zum einen damit zu begründen, dass der Grundlagenvertrag erst Ende Juni 1973 in Kraft trat, zum anderen mit der Intention Frankreichs, dem Verhandlungspartner seine übergeordnete Stellung als Siegermacht zu signalisieren.⁹² Am 26. März 1974 wurde Ernst Scholz, ehemaliger antifaschistischer Widerstandskämpfer, der während des Zweiten Weltkrieges auch Beziehungen zum PCF gepflegt hatte, als Botschafter der DDR in Frankreich von Staatspräsident Pompidou im Élysée-Palast empfangen.⁹³
4.2 Ost- und Westpolitik von SED und PCI Im Frühjahr 1972 traf eine PCI-Delegation, bestehend aus Giancarlo Pajetta, Armando Cossutta und Umberto Cardia, mit KPdSU- und SED-Abordnungen in Moskau und Ost-Berlin zusammen. In den Gesprächen, die sich durch eine überaus formal gehaltene, geradezu protokollarische Atmosphäre auszeichneten, ging es vornehmlich um die internationale Politik. Pajetta wies die sowjetischen „Genossen“ auf die günstige Lage hin, in der sich nun der PCI befände und die ausschlaggebend für sein schnelles Erstarken seien. Suslow brachte das Missfallen der KPdSU bezüglich der vermeintlichen Rehabilitierung des Maoismus durch den PCI zum Ausdruck und fügte dem hinzu, dass die Kritik an der Sowjetunion, sie lasse keine Demokratie walten, absurd und falsch sei: Die UdSSR
Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/2 A/1661, Arbeitsprotokoll Nr. 6/73 der Sitzung des Politbüros des ZK der SED, 13.02.1973. Vgl. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 160.Wahrscheinlich fiel bei der Wahl der Bezeichnung für die französische Botschaft in Ost-Berlin auch die Überlegung ins Gewicht, dass die Bundesrepublik, ungeachtet der Ratifizierung des Grundlagenvertrags, die DDR zwar staatsrechtlich, nie aber völkerrechtlich anerkannte, was gegen das im Grundgesetz vorgesehene Wiedervereinigungsgebot verstoßen hätte. Siehe auch Lutz Haarmann, Teilung anerkannt, Einheit passé? Status-quo-oppositionelle Kräfte in der Bundesrepublik Deutschland vom Grundlagenvertrag bis zur friedlichen Revolution, Berlin 2013. Vgl. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 160.
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freue sich über „eine große Demokratie, bloß keine bürgerliche.“⁹⁴ In Wahrheit wollten russische „Genossen“ auf die Italiener dahingehend einwirken, dass diese wiederum Einfluss auf die französischen „Genossen“ nehmen würden: „Der PCI“, so Suslow, „täte gut daran, den PCF mehr zu beeinflussen. Wenn möglich, sollte dies über die französischen Gewerkschaften vonstattengehen.“⁹⁵ Es verwundert kaum, dass bei dem unmittelbar folgenden Zwischenstopp in Ost-Berlin die SED-„Genossen“ ebenfalls auf den PCF zu sprechen kamen. Kurt Hager, Hermann Axen und Paul Markowski nahmen die Italiener in Empfang. Letztere hoben die guten Beziehungen zum PCF („so gut wie noch nie“) hervor und beteuerten, sie seien in der Regel immer bereit, mit jedem zu reden.⁹⁶ Axen beschränkte sich darauf, die Bundesrepublik und Brandt harsch zu kritisieren: Der Bundeskanzler sei „Agent des Monopolkapitals und des Militarismus.“⁹⁷ Eigentlich bestanden kaum ideologische Schnittmengen zwischen der italienischen KP und „real sozialistischen“ Parteien, umso weniger mit der SED, die zu jener Zeit ihre Außenpolitik fast ausschließlich auf die Realisierung ihres nationalen Hauptziels konzentrierte, während der PCI sich international neu aufzustellen und Fühlung mit sozialistischen und sozialdemokratischen Organisationen aufzunehmen versuchte. Dennoch schätzte die ostdeutsche Staatspartei die Beziehungen zu den Italienern als besonders zufriedenstellend und stark ausbaufähig ein.⁹⁸ Der Plan für die Zusammenarbeit zwischen beiden Parteien für das Jahr 1972/73 sah eine beachtliche Verstärkung der direkten bilateralen Verbindungen vor. Hermann Axen und Giancarlo Pajetta, die Unterzeichner des gemeinsamen Arbeitsplans, verpflichteten die Parteien allein im Jahr 1972 zur Entsendung von vier Parteidelegationen und fünf Studiendelegationen sowie zur Abhaltung von Konferenzen und Symposien, die vornehmlich für das Ziel der Anerkennung der DDR werben sollten.⁹⁹ Außerdem wurde eine Zusammenarbeit in Aussicht gestellt zwischen dem der Partei nahestehenden Dietz Verlag und dem italienischen Verlag Editori Riuniti sowie zwischen dem 1963 gegründeten PCI-
APCI, Comitato Centrale, Microfilm 032, Resoconto dei colloqui tenuti dalla delegazione del PCI (Pajetta, Cossutta, Cardia) con le delegazioni del PCUS e del SED, a Mosca e a Berlino nei giorni dal 3 al 7. 1. 1972, S. 2. APCI, Comitato Centrale, Microfilm 032, Resoconto, S. 2. APCI, Comitato Centrale, Microfilm 032, Resoconto, S. 3. APCI, Comitato Centrale, Microfilm 032, Resoconto, S. 3. APCI, Sezione Estero, Microfilm 053, Breve nota informativa su incontri con SED, di Michele Ingenito, 20 – 28.1.1972. APCI, Sezione Estero, Microfilm 053, Protocollo di collaborazione tra il PCI e il SED per il 1972 – 73.
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eigenen Filmverleih Unitelefilm, der propagandistisches Videomaterial sammelte und dessen Präsident Giorgio Napolitano war, und dem DDR-Fernsehen.¹⁰⁰ Nichtsdestoweniger führten solche bilateralen Verbindungen keineswegs zum weiteren Ausbau der Parteibeziehungen.¹⁰¹ Die SED war anderweitig zu stark eingespannt, als dass sie sich konsequent für eine Intensivierung der Beziehungen hätte einsetzen können. Außerdem wurde der ideologische Graben zwischen ihr und den südeuropäischen Kommunisten immer tiefer, geradezu unüberbrückbar. Dennoch waren die Ostdeutschen immer wieder von der Vermittlungshilfe der italienischen „Genossen“ abhängig, wenn sie an einflussreiche Persönlichkeiten in Italien gelangen wollten. Anders als in Frankreich, wo sie viele direkte Kontakte zur Regierungspartei UDR (Linksgaullisten) unterhielten, waren sie auf der Halbinsel regelrecht auf die Unterstützung durch den PCI angewiesen, was sie mehr oder weniger zähneknirschend in Kauf nahmen. Die mediale Darstellung der Verhandlungen zwischen PCI, SPD und SED, die schon zwei Jahre zurücklagen und von Presse und Funk in Italien als großer Verdienst des PCI gefeiert worden waren, waren den bilateralen Beziehungen abträglich.Von einem „Anfang der Ostpolitik Brandts in Rom“ war sogar die Rede. Sowohl sozialistische als auch bürgerliche Zeitschriften attestierten den italienischen Kommunisten den weithin für unmöglich gehaltenen Coup, Westdeutsche und Ostdeutsche an einen Tisch gebracht zu haben. Die Unità titelte: „Die Begegnungen PCI-SPD nützten der Ostpolitik“. Sie verwies dabei auf die Studie von Heinz Timmermann, der die Annäherung zwischen PCI und SPD Ende der sechziger Jahre nachgezeichnet hatte. Timmermann habe darauf aufmerksam gemacht, dass die Sozialdemokraten nicht „von Null“ hatten anfangen müssen, als sie ihre Öffnung gen Osten verkündeten, da der PCI bereits wichtige Vorarbeit geleistet gehabt hätte.¹⁰² Die bürgerlichen Zeitungen Paese Sera und Corriere della Sera urteilten knapp: „Die Ostpolitik hat in Rom begonnen“ und „Die Ostpolitik in den Botteghe Oscure“.¹⁰³ Ihnen schloss sich die Zeitschrift Il Resto del Carlino mit der etwas vorsichtigeren Überschrift an: „War der PCI Vermittler zwischen Brandt und Moskau?“¹⁰⁴ Trotz allem Enthusiasmus über die vermeintliche diplomatische Glanzleistung der italienischen Kommunisten muss festgehalten werden, dass die Wahrheit sprichwörtlich in der Mitte zu verorten ist. Die Ostpolitik Brandts war in
APCI, Sezione Estero, Microfilm 053, Protocollo di collaborazione. Vgl. Lill, Völkerfreundschaft, S. 427– 428. L’Unità, Gli incontri PCI-SPD aiutarono l’Ostpolitik, 11.05.1971. Paese Sera, La Ostpolitik è cominciata a Roma, 11.05.1971; Corriere della Sera, La Ostpolitik alle Botteghe Oscure, 28.09.1971. Die Botteghe Oscure war der Parteisitz des PCI in Rom. Il Resto del Carlino, Il PCI fu mediatore fra Brandt e Mosca?, 13.10.1971.
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keinerlei Hinsicht durch den PCI geprägt worden; noch hatten Brandt und seine Mitarbeiter Rücksicht auf die Möglichkeit genommen, dass die KP Italiens binnen so kurzer Zeit ein international bedeutender Akteur werden würde, den man in diplomatische Verhandlungen besser einzubinden hatte. Darüber hinaus differierten die ideologischen Überzeugungen der beiden Parteien Ende der sechziger Jahre noch in vielerlei Aspekten. Gleichwohl wäre es genauso verfehlt zu behaupten, dass der PCI in seiner vermittelnden Rolle gar keinen Einfluss, zumindest nicht auf die Reaktionen der beiden deutschen Kontrahenten aufeinander, nehmen konnte.¹⁰⁵ Dies scheint umso plausibler, wenn man dem nicht unbedeutenden Umstand Rechnung trägt, dass beide deutschen Seiten, die SPD und die SED, aufgrund der parallel existierenden Hallstein- und Ulbricht-Doktrin nicht nur keine bilateralen Kontakte unterhalten durften, sondern auch kaum Informationen über das jeweils andere Land beziehen konnten. Die Ostpolitik Brandts bzw. die Westpolitik der SED hatten sicherlich nicht in Rom begonnen. Der PCI stellte aber in seiner Funktion als Informant und Vermittler zweifelsohne eine wichtige Austauschplattform dar, über die zumindest Informationen weitergegeben werden konnten. Genutzt wurde dies sowohl von der SPD als auch von der SED sowie der KPdSU.¹⁰⁶ Dass die italienische KP eine darüber hinausweisende Rolle hätte spielen können, war jedoch illusorisch, dessen waren sich sowohl die Italiener als auch die anderen Gesprächsteilnehmer wohl bewusst. Keiner der Unterhändler wertete die ad hoc eingefädelten trilateralen Kontakte so hoch zu behaupten, dass sie ohne Zutun der Supermächte zu einem Durchbruch in den komplizierten Ost-West-Beziehungen hätten führen können. Insgesamt bemühte sich die SED stets darum, die italienischen Kommunisten „bei Laune zu halten“, da sie diese ja weiterhin für ihre Bestrebungen nach Anerkennung einspannen wollte. Der Weg zu diesem Ziel gestaltete sich allerdings in Italien ebenso steinig wie in Frankreich. Obgleich sich der PCI konstant und seit Jahren für die Souveränität der DDR verwendete und die italienische Öffentlichkeit diesbezüglich erfolgreich hatte sensibilisieren können, kam es im Endeffekt darauf an, auf die italienischen Regierungskreise einzuwirken. Diese verhielten sich jedoch, den französischen gleich, äußerst vorsichtig und waren darauf bedacht, keine voreiligen Entscheidungen zu treffen, welche die Bonner Regierung hätten irritieren können.¹⁰⁷ Schoch, Die internationale Politik, S. 348 – 349. Ferner auch Michael Strübel, Neue Wege der italienischen Kommunisten. Zur Außen- und Sicherheitspolitik der KPI 1973 – 1981, Baden-Baden 1982, S. 237– 256. Über den Rückschluss, die italienische Regierung habe umsichtig agiert, um andere EWGLänder nicht zu destabilisieren, siehe den Bericht vom CDU-Abgeordneten Kurt Birrenbach, der
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Die SED versuchte trotz mehrerer Rückschläge, bei den Verhandlungen mit einflussreichen italienischen Ansprechpartnern kontinuierlich diplomatischen Druck auszuüben, und zwar bis zur Anerkennung über verschiedene Kanäle. Sie bemühte sich seit Ende der sechziger Jahre um die Etablierung einer offiziellen Vertretung der italienischen Kammer für Außenhandel in der DDR. Eine solche hätte zur Folge gehabt, dass Rom geregelte wirtschaftliche Beziehungen mit OstBerlin hätte unterhalten müssen. Mehrere Initiativen zu diesem Zweck, die über einen längeren Zeitraum hinweg disparat angestoßen und auch von prestigeträchtigen italienischen Unternehmen wie FIAT oder Montedison konzipiert wurden, trugen aber letztlich keine nennenswerten Früchte.¹⁰⁸ Ausschlaggebend für ihr Scheitern war, dass übergeordnete italienische Regierungsstellen die schon weit ausgereiften Pläne regelmäßig durchkreuzten.¹⁰⁹ Auch die Verbindungen auf interparlamentarischer Ebene, die weit vorangeschritten waren und die Beziehungen der Freundschaftsgesellschaften miteinbezogen, konnten nicht den erhofften Durchbruch erbringen. Anfragen, die auf Lockerung der Vorbehalte gegenüber der DDR zielten und aus diesen Kreisen an die Adresse des italienischen Außenhandelsministeriums gerichtet wurden, erfuhren mehrfach von höchster Stelle einen abschlägigen Bescheid. Begründet wurde die Ablehnung mit der Überzeugung der italienischen Regierung, ein solcher Schritt schade den innerdeutschen Beziehungen.¹¹⁰ Trotz aller enttäuschenden Zurückweisungen hielt die SED den Druck auf die italienischen Machtstellen aufrecht. Dies rührte u. a. von der Überzeugung, dass nach dem Moskauer Vertrag 1970 und der Anerkennung einiger „real sozialistischer“ Staaten Ende der sechziger Jahre durch Bonn¹¹¹ die westdeutsche Regie-
mit der Aufgabe betraut worden war, die Meinungen in Bezug auf die Akzeptanz des Moskauer Vertrags im westeuropäischen Raum zu sondieren: Kurt Birrenbach, Meine Sondermissionen. Rückblick auf zwei Jahrzehnte bundesdeutscher Außenpolitik, Düsseldorf 1984. Vgl. ferner Lill, Völkerfreundschaft, S. 432– 433, und Charis Pöthig, Italien und die DDR: die politischen, ökonomischen und kulturellen Beziehungen von 1949 bis 1980, Frankfurt a. M. 2000, S. 329 – 335. Hierzu vgl. u. a. Bundesarchiv Berlin (fortan BAB), Ministerium für Außenhandel, DL 2– 2404, Hinweise für die Gespräche des Gen. Arndt Schönherr mit Vertretern des italienischen Außenministeriums, des ICE und anderen italienischen Dienststellen über die Einrichtung einer ständigen ICE-Vertretung in der Hauptstadt der DDR, 29.11.1967. Vgl. Lill, Völkerfreundschaft, S. 434– 435. Die Antwort vom italienischen Außenhandelminister Mario Zagari lautete sinngemäß: „Obwohl es sich für die Initiative geäußert hat, hat das Außenministerium jedoch empfohlen, die Realisierung derselben im Moment aufzuschieben, auf Grund des Einflusses, den sie auf die innerdeutschen Beziehungen haben könnte.“, in: BAB, Ministerium für Außenhandel, DL 2– 2404. 1967 Rumänien; 1968 an der Sowjetunion gescheiterter Versuch, mit Ungarn und Bulgarien diplomatische Beziehungen aufzunehmen.
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rung sicher bald einlenken würde, und mit ihr alle anderen westeuropäischen Staaten. Darüber hinaus bot die Annäherung Bonns an den Ostblock, die 1967 mit dem offiziellen Botschafteraustausch mit Rumänien einen vorläufigen Höhepunkt erreicht hatte, der SED einen willkommenen Argumentationsansatz, hatte doch die Bundesrepublik dadurch de facto gegen die Hallstein-Doktrin verstoßen, nämlich indem sie ein Land anerkannt hatte, das Beziehungen zur DDR unterhielt. Ähnliche Argumente führten Aktivisten in Italien ins Feld, um die öffentliche Sphäre zugunsten des DDR-Anliegens zu sensibilisieren. Solche Propagandaarbeit war erfolgreich und muss den Bemühungen des PCI zugeschrieben werden. In diesen Kontext sind sowohl die Gründung des Comitato permanente per il riconoscimento della RDT (Ständiges Komitee für die Anerkennung der DDR in Italien) als auch des Centro Thomas Mann einzuordnen sowie der parlamentarischen Freundschaftsgruppe DDR-Italien, Initiativen, die allesamt auf das Engagement linkssozialistischer und kommunistischer Persönlichkeiten wie Rosa Spina, Tullia Carettoni Romagnoli oder Luigi Polano zurückzuführen sind. Die Mailänder Freundschaftsgesellschaft DDR-Italien beispielsweise machte sich in hohem Maße ab 1972, d. h. im Vorfeld der Verhandlungen zum Grundlagenvertrag und besonders in deren Schlussphase, für die Anerkennung des ostdeutschen Staates stark. Ihr Präsident, PCI-Mitglied Lauro Casadio, verkündete im Oktober desselben Jahres die Anberaumung einer „DDR-Woche“ in Mailand.¹¹² Rolf Sieber,Vorsitzender der Interparlamentarischen Gruppe der DDR, ließ Enrico Berlinguer ein Lob- und Danktelegramm für alle Unterstützung durch seine Partei zukommen und drückte darin seine Zuversicht aus, dass die SED dem Ziel nun endlich nahe sei.¹¹³ Auch die städtepartnerschaftlichen Verbindungen wurden 1972 um ein Vielfaches intensiviert und in den Dienst der völkerrechtlichen Anerkennung gestellt.¹¹⁴ In der Tat war die Zeit reif für den langersehnten Durchbruch. In einem Redebeitrag auf dem Münchner Arbeitskreis für Europäische Sicherheit im März 1972 arbeitete Harald Lange, Mitarbeiter des Ständigen Komitees für Europäische Sicherheit der DDR, in Anknüpfung an die instabile Lage in Europa und die vermeintliche Mitverantwortung der Bundesrepublik hierfür, die Gründe für die bisher ausgebliebene Anerkennung der DDR heraus:
APCI, Sezione Estero, Microfilm 053, Associazione milanese per l’amicizia Italia-DDR, 23.10. 1972. APCI, Sezione Estero, Microfilm 053, Rolf Sieber a Berlinguer, 30.10.1972. Siehe u. a. SAPMO-BArch, Deutscher Tag und Gemeindetag, DZ/4/246, Beschluß über die Aufgaben bei der weiteren Entwicklung der internationalen Arbeit auf staatlichem und gesellschaftlichem Gebiet in der Stadt Zittau, Zittau 13.9.1972.
4 Anerkennung und Spielräume
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Eine Staatenkonferenz für europäische Sicherheit – wie sie seit 1966 von den Staaten der sozialistischen Gemeinschaft vorgeschlagen wird, und die 1969 noch in weiter Ferne zu liegen schien, ist nunmehr zur realen Möglichkeit geworden […]. In der BRD gibt es gegenwärtig wieder – im Zusammenhang mit den Debatten um die Ratifizierung der Verträge mit der UdSSR und Polen – Diskussionen über das Nichtwahrnehmen günstiger Verhandlungschancen in der Vergangenheit […]. Am Verlauf und an den Ergebnissen der Tagungen der Staaten des Warschauer Vertrages in Bukarest (1966), Budapest (1969), in Berlin (1970) und in Prag (1972) hat die Regierung der DDR aktiven Anteil gehabt. Die DDR steht fest zu den Prinzipien der Prager Deklaration über Frieden, Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa […]. Natürlich ist hierfür die Ratifizierung der Verträge der BRD mit der UdSSR und mit Polen von allergrößter Bedeutung […]. Wir sind nicht der Meinung, daß die Ratifizierung eine ausschließlich innere Angelegenheit der BRD sei. Unseres Erachtens sollte in der Öffentlichkeit aller europäischen Länder entschieden darauf verwiesen werden, daß eine Torpedierung der Verträge zwischen der BRD und der UdSSR sowie der VR Polen auf eine weitere Verzögerung der gesamteuropäischen Konferenz hinausläuft und damit darauf gerichtet ist, den Prozeß der Entspannung in Europa wieder zunichte zu machen […]. Natürlich wäre uns lieber und wir sehen es eigentlich als eine Selbstverständlichkeit an, daß die DDR als voll anerkanntes Mitglied der Staatenwelt handeln kann […]. In der DDR gibt es keine Kräfte, die ein sozial oder politisch motiviertes Eigeninteresse haben, das sich gegen Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa richtet (sic).¹¹⁵
Der Seitenhieb gegen die Bundesrepublik nur wenige Monate vor Unterzeichnung des Grundlagenvertrags war unübersehbar. Noch im Vorfeld von dessen Ratifizierung wurde die völkerrechtliche Anerkennung der DDR im italienischen Parlament zur Debatte gestellt. Die positive Resonanz öffnete die Türen zu vorläufigen Verhandlungen zwischen der italienischen und der ostdeutschen Regierung.¹¹⁶ Schließlich einigten sich beide Seiten auf einen Vertragstext, der die Herstellung diplomatischer Beziehungen zwischen Italien und der DDR regulierte. Somit war die Apenninhalbinsel in puncto Anerkennung sowohl Frankreich als auch Großbritannien um einige Tage zuvorgekommen. Der ehemalige DDR-Kultusminister Klaus Gysi wurde zum Botschafter in Rom bestellt. Seine Berufung war nicht ganz unumstritten und folgte einer von Honecker geforderten internen Maßregelung, nach der „Unliebsame“ in den Auslandseinsatz beordert wurden.¹¹⁷ Italienischer Botschafter in der DDR wurde
SAPMO-BArch, DDR-Komitee für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit, DZ/22/37, Referat für die internationale Beratung des „Münchner Arbeitskreises Europäische Sicherheit“, 24. 3. 1972. Vgl. LʼUnità, 12.12.1972. Ferner auch Lill, Völkerfreundschaft, S. 451. Siehe den Artikel von Rolf Michaelis in der FAZ, 2.02.1973. Darin suggeriert der Verfasser, dass Honecker auf den „liberalen“ Stil Gysis im Kulturministerium aufmerksam geworden sei und daraufhin seine Abberufung und Substitution durch den vertrauten Hans-Joachim Hoffmann in die Wege geleitet haben soll.
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Enrico Aillaud, der zuvor bereits erhebliche diplomatische Erfahrung im Ostblock hatte sammeln können.
5 Die SED und der Eurokommunismus des PCI und des PCF 5.1 Der PCF und die Linksunion SED-Beobachter waren der festen Überzeugung, dass der knappe Sieg der Befürworter einer graduellen Erweiterung der EWG bei dem Referendum vom April 1972 in Frankreich¹¹⁸ einem propagandistischen Erfolg des Marxismus-Leninismus und einer Bestätigung ihrer außenpolitischen Strategie gleichkäme. Eine solche Einschätzung beruhte auf der Analyse der ideologischen Entwicklung des PCF durch ostdeutsche „Genossen“, der die Ergebnisse des XX. PCF-Parteitags vom 13. bis 17. Dezember 1972 in Saint-Ouen zugrunde lagen. In der Untersuchung hieß es, der PCF sei von der im Marxismus-Leninismus traditionellen Interpretation der Partei als „Speerspitze“ im Zuge der „Verwirklichung der Volkseinheit“ nicht abgewichen und bei seinen Bemühungen, eine breite sozialistische und kommunistische Front gegen das „Großkapital“ ins Leben zu rufen, von dem Prinzip geleitet, dass er trotz aller gesellschaftlichen und politischen Verwerfungen weiterhin die „treibende Kraft bei der Herstellung der Volkseinheit“¹¹⁹ bleibe. Diese Einschätzung war durchaus überraschend, wenn man der Tatsache gewärtig ist, dass die Linksunion bereits Anfang Juli 1972 ratifiziert worden war. Das Zusammengehen von PCF und PS erforderte von der SED in der Tat einen ideologischen Spagat, hatte sie doch bis dahin alle westeuropäischen sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien – allen voran die SPD – generell und unverhohlen als „abtrünnige Doppelagenten“ im Dienst des „amerikanischen Imperialismus“ bezeichnet. Die Einschätzung des gemeinsamen Programms von PCF und PS vom 9. Juli 1972 hielt deshalb an der Einordnung der französischen Kommunisten als Vertreter des Marxismus-Leninismus fest, räumte aber ein, dass die Pariser „Genossen“ – gewiss auch bedingt durch den politischen Druck,
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/189, Information Nr. 72/72 für das Politbüro, Erste Einschätzung des Gemeinsamen Regierungsprogramms der FKP und der FSP, Berlin 10.07.1972, S. 3. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/187, Information (Institut für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED, Lehrstuhl Internationale Arbeiterbewegung, Berlin 27. 11. 1972) – Einschätzung der Dokumente der Französischen Kommunistischen Partei zur Vorbereitung des XX. Parteitages (28/29 September 1972), S 5.
5 Die SED und der Eurokommunismus des PCI und des PCF
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der den „Endspurt“ der Anerkennungskampagne begleitete – erhebliche Zugeständnisse an ihre neuen Verbündeten gemacht hätten, die sich künftig als gefährlich erweisen könnten: Die FKP musste ihrerseits ein wesentliches Zugeständnis in Bezug auf die Zugehörigkeit zur NATO machen: In der ‚gemeinsamen Bilanz‘ vertrat sie den Standpunkt: ‚Die FKP spricht sich für den Austritt Frankreichs aus dem Atlantikpakt aus.‘ Im gemeinsamen Regierungsprogramm der FKP und SP wird festgestellt: ‚Die sich aus der Zugehörigkeit zur NATO ergebenden Probleme werden in diesem Sinne (d. h. im Prozess der gleichzeitigen Auflösung der NATO und des Warschauer Vertrages) gelöst.‘ Gegenüber der klaren Forderung nach ‚Anerkennung der Deutschen Demokratischen Republik‘ im FKP-Programm stellte die Forderung im gemeinsamen Programm FKP-SP einen Rückschritt dar […]. In dieser Frage zeigt sich besonders deutlich, daß von Seiten der SPD-Führung der BRD auf die Führung der SP um Mitterrand ein großer Druck ausgeübt wurde, so daß sie selbst von der in ihrem Programm enthaltenen Forderung zurückgewichen ist.¹²⁰
Im Urteil der Ostdeutschen, der PCF habe der Partei um Mitterrand zu viel konzediert, spiegelte sich eine Tendenz, die sich innerhalb kurzer Zeit und in besonderem Maße nach der erreichten Anerkennung bei der SED verfestigen sollte: Allmählich einigten sich die Machthaber in Ost-Berlin auf die Sichtweise, die Pariser „Genossen“ seien den Sozialisten gegenüber „verfügbar“ und politisch zu schwach, um sich international zu behaupten bzw. intern der PS die Stirn zu bieten. Der Legitimierungsdrang der SED gipfelte schließlich in der Anerkennung, die im Jahr 1973 von etlichen Ländern ratifiziert wurde. Die Anerkennung erhöhte auch das Maß an Selbstbestimmtheit, mit der die DDR im Rahmen der von Moskau vorgegebenen Außenpolitik bilaterale Verbindungen gestalten konnte. Die Bereitschaft zu Flexibilität und Entgegenkommen, die bei der SED in den vorangegangenen Jahren vor allem hinsichtlich des Umgangs mit potentiell einflussreichen Akteuren charakteristisch gewesen war, wich nun einem gezielten Pragmatismus, den selbst ideologisch kompatible Ansprechpartner bald zu spüren bekamen. Die gesteigerte Selbsteinschätzung ging auch mit dem als Neuanfang empfundenen Amtsantritt Erich Honeckers einher, der nach dem Tod Ulbrichts im Sommer 1973 medial und propagandistisch überhöht wurde.¹²¹ Im Mai 1973 war eine Delegation des PCF unter der Leitung von Gaston Plissonnier in Ost-Berlin. Bei dem zweitägigen Besuch traten einige unterschiedliche Auffassungen zutage, vor allem bezüglich der neuen Außenpolitik der DDR, die, SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV 2/2.035 92, Einschätzung des gemeinsamen Programms von FKP und Sozialistischer Partei (kein Datum, wohl Sommer 1972), S. 9 – 15. Vgl. u. a. Kaiser, Machtwechsel, S. 330 – 348.
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so die Franzosen, Inkongruenzen aufweise.¹²² Für Furore hatte etwa der Beschluss der SED-Regierung gesorgt, im Januar 1973 diplomatische Beziehungen zu Franco-Spanien aufzunehmen, was insbesondere im sozialistischen und kommunistischen Lager Unmut und Verwunderung ausgelöst hatte.¹²³ Der Eintrag über den diesbezüglichen Protest des PCF im SED-Protokoll belegt jedoch, dass sich die Entrüstung in Grenzen hielt: „Die KP Spaniens wird von der FKP als eine starke und einflußreiche Partei eingeschätzt, die Gewicht in der internationalen Bewegung besitzt.“¹²⁴ Die konziliante Haltung der französischen Gäste zeigte sich auch an der darauf folgenden Präzisierung Plissonniers, als dieser unterstrich, „daß die FKP ihren Standpunkt zur Hilfsaktion der sozialistischen Länder gegenüber der CSSR im Jahre 1968 nicht geändert hat und auch nicht ändern wird.“¹²⁵ Die Reaktion der italienischen „Genossen“ hätte indes kaum unterschiedlicher ausfallen können. Aus einer streng vertraulichen Kommunikation des PCI an den neuen ostdeutschen Botschafter in Rom, Klaus Gysi, geht hervor, dass die Italiener den Beschluss der SED mit Blick auf Spanien heftig kritisierten. Sehr bezeichnend war zudem die Tatsache, dass sogar Gysi diese Meinung unmissverständlich teilte und unaufgefordert nachtrug, „daß die Entscheidung selbst im ZK auf scharfen Protest traf.“¹²⁶ Die Akzentverschiebung im westeuropäischen Kommunismus in Richtung einer allgemeinen ideologischen Suprematie der italienischen KP war paradoxerweise mit dem Eintritt des PCF in die Koalition mit dem PS, was ihm zweifelsohne mehr Macht und Verantwortung einbringen sollte, noch deutlicher geworden. Darauf bauend orientierte sich die SED-Führung zusehends an den italienischen Kommunisten, um über sie schon bestehende Verbindungen zum Westen zu festigen und neue Kontakte zu knüpfen.
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/187, Bericht (Abteilung Internationale Verbindungen der SED, Berlin 14. 05. 1973) – Aufenthalt der Delegation des Zentralkomitees der Französischen Kommunistischen Partei unter Leitung von Genossen Gaston Plissonnier, vom 2. Bis 4. Mai 1973 in der DDR, S. 4. Hierzu vgl. Baumer, Kommunismus; ferner Baumer, Camaradas?, hier S. 189 – 191; Tim Haberstroh, Die DDR und das Franco-Regime: Außenpolitik zwischen Ideologie und Pragmatismus, Schkeuditz 2011. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/187, Bericht (Abteilung Internationale Verbindungen der SED, Berlin 14. 05. 1973), S. 6. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/187, Bericht, S. 7. APCI, Sezione Estero, Microfilm 043, Riservato, Comunicazione di Klaus Gysi con PCI su inizio di rapporti diplomatici tra la RDT e la Spagna, 31. 3.1973.
5 Die SED und der Eurokommunismus des PCI und des PCF
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5.2 Der PCI und die „Frage des Weges zur Macht“ Im Mai 1973 trafen Georges Marchais und Enrico Berlinguer in Rom zusammen. Auf der Tagesordnung stand die Erörterung einer neuen gemeinsamen Strategie auf außenpolitischer Ebene. Das Treffen hatte einen eher propagandistischen Zweck und zielte darauf ab, die Bereitschaft beider Parteien zu signalisieren, konzertierte Initiativen auch mit sozialistischen, sozialdemokratischen sowie katholischen Kräften zu prüfen, die zur Besserstellung der „Arbeiterklasse“ und der europäischen „Volksmassen“ beitragen sollten.¹²⁷ Eine bei den „Volksmassen“ möglichst konsensfähige Außenpolitik stellte für die Italiener einen wichtigen Baustein auf dem Weg zur Herstellung einer demokratischen nationalen Identität dar. Diese Schlussfolgerung, dass die internationale – oder supranationale – und die nationale Dimension der Politik zwei Seiten derselben Medaille seien, prägte die politische Entwicklung des PCI Anfang der siebziger Jahre. Mit einer solchen ideologischen Verknüpfung von „Außen“ und „Innen“ ging die Überzeugung einher, dass die vom Kalten Krieg oktroyierte Teilung der Welt in Hegemonialbereiche nun obsolet und endgültig zu beseitigen sei. Als Reaktion hierauf entstand der Eurokommunismus, eine Lehre, die über keine einheitliche Vision verfügte, aber das politische Handeln einer Generation von westeuropäischen Kommunisten zu inspirieren vermochte, die für die Überwindung der „Logik der Blöcke“ und für „Entspannung“ plädierten.¹²⁸ Mit den Worten von Sergio Segre: [Für uns] ist die internationale Politik vielmehr ein besonders wichtiger Aspekt auf dem Weg zur Einheit und hat uns auch große Befriedigung gegeben. Der vom Institut für internationale Angelegenheiten veranstaltete Kongreß über Europa hat gezeigt, daß ein Zusammengehen der wichtigsten Strömungen in unserem Land bei Fragen der internationalen Politik möglich ist. In Italien bestehen bereits die Voraussetzungen, um eine Außenpolitik der nationalen Einheit zu betreiben, mit der sich fast alle Italiener identifizieren.¹²⁹
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/187, Bericht (Abt. Internationale Verbindungen der SED, Berlin 15. 05. 1973) – Treffen der Generalsekretäre der Französischen Kommunistischen Partei, Georges Marchais, und der Italienischen Kommunistischen Partei, Enrico Berlinguer, am 8. Und 9. Mai 1973 in Rom. Hierzu vgl. Pons, Berlinguer, S. 23 – 29; Leopoldo Nuti (Hg.), The Crisis of Détente in Europe. From Helsinki to Gorbachev, 1975 – 1985, London 2009; darin auch Laura Fasanaro, Eurocommunism: An East German Perspective, S. 244– 255; Mary Elise Sarotte, Dealing with the Devil: East Germany, Détente and Ostpolitik 1969 – 1973, Chapel Hill 2001. Sergio Segre, in: L’Espresso, 9.12.1973. Die Übersetzung der Passage findet sich in: SAPMOBArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/189, Information Nr. 3/74 für das Politbüro, Haltung der FKP und der IKP zur Frage des Weges zur Macht, Berlin 10. 01. 1974: (Übers. aus dem „L’Espresso“ vom 9. 12. 1973), S. 1.
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Auch SED-Beobachter der Abteilung Internationale Verbindungen reagierten auf die wachsende Differenzierung im westeuropäischen Kommunismus und machten mehrere Faktoren dafür verantwortlich. Nachdem der PCI und der PCF noch in den vierziger und fünfziger Jahren erhebliche Gemeinsamkeiten aufgewiesen hätten, zeichneten sich im Laufe der ausgehenden fünfziger Jahre jene Unterschiede ab, die ihre Entwicklung seitdem kennzeichneten: „Die noch immer in der Mehrzahl aus Arbeitern bestehende FKP blieb eng mit der Sowjetunion verbunden, während die Italiener einen nationalen Weg zum Sozialismus betonten und die Partei für große Teile des Kleinbürgertums und des Mittelstands öffneten.“¹³⁰ Die Analyse der SED beruhte auf der Einschätzung eines gemeinsamen Interviews der Leiter der Auslandsabteilungen des PCI und des PCF, Sergio Segre bzw. Joseph Sanguedolce. Letzterer hob die fundamentale Bedeutung des Programms der Linksunion hervor, welches die Verstaatlichung von Großunternehmen und Banken vorsähe. Auch sei ein starkes Zusammengehen der Linken in Frankreich unabdingbar, wolle man gegen den herrschenden Gaullismus eine attraktive Alternative darbieten. Der Franzose unterstrich anschließend, dass die aktuelle Allianzform nicht im Geringsten dem Linksbündnis aus dem Jahre 1936 ähnele. Damals habe man sich ausschließlich auf Formen, nicht aber auf Inhalte einigen können.¹³¹ Die Auseinandersetzung mit den Entwicklungen im französischen Kommunismus ging Hand in Hand mit den Herausforderungen, vor die sich die SED nach der erfolgreichen Anerkennungskampagne und angesichts des Anbruchs einer neuen politischen Phase in Paris und Bonn gestellt sah. Der französische Präsident Valéry Giscard dʼEstaing und Bundeskanzler Helmut Schmidt hatten im Mai 1974 fast zeitgleich ihre Ämter angetreten.
5.3 Differenzierung und opportunistische Annäherung: die SED und der westeuropäische Kommunismus Mehrfach ist auf die Bedeutung der Persönlichkeit Erich Honeckers für die Entwicklung der außenpolitischen Strategie der SED hingewiesen worden.¹³² In der Tat vollzog sich nach dem Amtsantritt Honeckers wieder eine Konsolidierung des
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20 58, Info Nr. 3/74 für das Politbüro, Haltung der FKP und der IKP zur Frage des Weges zur Macht, Berlin 10.1.1974. Sanguedolce, in: SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20 58, Info Nr. 3/74 für das Politbüro, S. 6. Vgl. u. a. Wentker, Außenpolitik, S. 371; Siebs, Außenpolitik, S. 61– 63; ferner auch Joachim Scholtyseck, Die Außenpolitik der DDR, München 2003.
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Politischen – und somit der Staatspartei – gegenüber den wirtschaftlichen und technologischen Erneuerungstendenzen, die nicht zuletzt sein Vorgänger initiiert hatte. Honecker verhalf gleichsam der SED zu ihrer früheren Autorität zurück, wohl auf Betreiben der KPdSU, die nun seit dem Grundlagenvertrag die DDR auch als propagandistisches Aushängeschild des Ostblocks an der Nahtstelle zwischen Ost und West zu präsentieren gedachte und hierfür einen besonders loyalen Generalsekretär in Ost-Berlin benötigte. Die Ausdehnung der Machtbereiche und spezifischen Zuständigkeiten des Generalsekretärs der SED wurde nicht nur durch die KPdSU gefördert; sie wurde sogar in der offiziellen „Arbeitsverteilung für die Mitglieder und Kandidaten des Politbüros“ festgehalten. Honecker vereinte in seiner Person folgende Funktionen und Befugnisse: Generalsekretär des ZK der SED, Vorsitzender des Staatsrats der DDR,Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates,Verantwortlicher für Fragen der Innen- und Außenpolitik, Vorsitzender der Abteilung für Kaderfragen des ZK sowie der Abteilung Verkehr des ZK.¹³³ Der neue Generalsekretär des ZK war zwar auf außenpolitischem Terrain wenig erfahren, hatte aber in seiner Rolle als FDJ-Vorsitzender internationale Kontakte sammeln und wichtige Persönlichkeiten kennenlernen können. Marchais und Berlinguer kannte er persönlich, noch bevor diese – ebenso wie er – Anfang der siebziger Jahre in der Parteihierarchie aufstiegen. Auch wusste er die internationale Bühne zu nutzen, um mit gezieltem Auftreten innenpolitische Schieflagen zu überdecken und die DDR als selbstbewusstes, unabhängiges, friedvolles und friedliebendes Land zu stilisieren.¹³⁴ Dies gelang ihm, da er sich im supranationalen Raum besonders „frei“ und unzensiert fühlte.¹³⁵ Zudem hatte er begriffen, dass die DDR, besonders nach dem erfolgreichen Abschluss der Anerkennungsphase, aktiv Chancen ergreifen musste, um sich im internationalen Wettbewerb über die traditionelle ideologische Abhängigkeit und materielle Versorgung vonseiten der UdSSR hinaus zu konsolidieren und zu entwickeln. Ab 1973 traten somit auch die Beziehungen zwischen der SED und den westeuropäischen „Bruderparteien“, allen voran zu den beiden mitglieder-
Vgl. Hans Modrow u. Arnold Otfried, Das große Haus. Struktur und Funktionsweise des Zentralkomitees der SED, in: Hans Modrow (Hg.), Das große Haus. Insider berichten aus dem ZK der SED, Berlin 1994, S. 32; ferner auch Wentker, Außenpolitik, S. 371. Siebs, Außenpolitik, S. 62– 63; ferner auch Herbert Pötzl, Erich Honecker: eine deutsche Biographie, Stuttgart 2002, S. 140 – 148. Günter Sieber, Leiter der Abteilung Internationale Verbindungen, über Honecker, zit. nach Wentker, Außenpolitik, S. 372. Über die konzeptionelle Interpretation des supranationalen Raums als Hort der Anarchie siehe insbesondere Wendt, Social Theory; Wendt u. Friedheim, Hierarchy Under Anarchy.
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stärksten und einflussreichsten, zu PCI und PCF, in eine völlig neue Phase. Mit dem Einsetzen einer weltweit spürbaren Deeskalation zwischen den beiden Supermächten, die zu Abrüstung und Friedensbemühungen tendierte, geriet die DDR unter Zugzwang. Auch von ihr wurde Engagement erwartet, umso mehr, da sie sich seit jeher in Abgrenzung zum „anderen Deutschland“ als „Land des Friedens“ präsentiert hatte. Dies bedeutete nolens volens, dass der internationalen Aufwertung, die sie durch die Anerkennung ihrer staatlichen Souveränität erlangt hatte, auch Taten zu folgen hatten. Nicht nur wirtschaftliche, sondern auch soziale und politische Interessen erforderten dies, wenn der ostdeutsche Staat den ideologischen und symbolischen Wettkampf mit der Bundesrepublik weiterhin ausfechten wollte. Angesichts der Etablierung eines privilegierten Verhältnisses zwischen Paris und Bonn mit dem „Duo Giscard-Schmidt“,¹³⁶ das die Geschicke der siebziger Jahre in Westeuropa bestimmen sollte, sah sich die DDR dazu angehalten, zur Absicherung ihrer internationalen Stellung ihre Beziehungen zu den westlichen kapitalistischen Ländern zu intensivieren und neu zu gestalten. Auf Seiten des PCI koordinierte ab 1973 Angelo Sarto auf Beschluss des Sekretariats des ZK die Beziehungen des PCI zur SED. Unter ihm konnte insbesondere die wirtschaftliche Zusammenarbeit aufblühen.¹³⁷ Die Italiener machten keinen Hehl daraus, dass sie die Kooperation mit der SED besonders schätzten, umso mehr nach der Anerkennung der DDR. Sie sahen darin die Möglichkeit, die bilateralen Beziehungen im Sinne einer neuen Solidarität auszubauen. Dies unterstrich Armando Cossutta bei einem Besuch in Ost-Berlin im Herbst 1973. Er hob hervor, dass nach den Verwerfungen der vorangegangenen Jahre alle bi- und multilateralen Verbindungen trotz aller Differenzen neu justiert werden müssten.¹³⁸ Zum Schluss resümierte er, dass die Linie der internationalen Politik des PCI schon immer zwei Bezugspunkte hatte: Das sind Moskau und Paris.¹³⁹
Hierzu vgl. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 436 – 437; ferner auch Michèle Weinachter, Le rôle de la RDA dans la politique allemande de Valéry Giscard d’Estaing 1974 – 1981, in: Pfeil (Hg.), La RDA et l’Occident, S. 379 – 386. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/57, Information Nr. 27/73 für das Sekretatiat des ZK, Beauftragter der IKP bei der SED, Berlin 11.04.1973. Bezüglich der wirtschaftlichen Kooperation zwischen PCI und SED in den achtziger Jahren besteht der Verdacht der gegenseitigen Korruption. Die Hintergründe sind bis heute nicht vollständig geklärt. Siehe Corriere della Sera, 22.03.1994, Rispunta la Stasi connection; 28.10.1994, Due conti svizzeri dagli archivi Ddr. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/57, Information für das Politbüro, Gespräch des Mitglieds des Politbüros und Sekretär des ZK, Genossen Hermann Axen, mit dem Mitglied des Politbüros und Sekretariats des ZK der IKP, Genossen Armando Cossutta, am 1. 11. 1973 im Hause des ZK, Berlin 12.11.1973, S. 7.
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Aus der Vereinbarung zum Arbeitsplan zwischen dem PCF und der SED für das Jahr 1973 ging eine Intensivierung der Beziehungen hervor, zumindest auf dem Papier. So seien die Verbindungen zwischen den Bezirksleitungen der SED von Berlin, Halle und Dresden mit den Föderationen des PCF von Paris, Nord und Bas-Rhin/Haut-Rhin weiterzuführen und an Studiendelegationen jeweils eine auszutauschen. Die Zusammenarbeit der Parteiverlage Dietz und Éditions Sociales seien zu verstärken.¹⁴⁰ Der Gründung der deutsch-italienischen Gesellschaft im Juni 1973 in Livorno wohnte eine hochrangige SED-Delegation bei.¹⁴¹ Die Begegnung war insofern von Bedeutung, da der PCI durch Segre Manfred Feist am Rande der Veranstaltung um ein vertrauliches Gespräch bat. Dessen Inhalt kreiste um die Absicht der Italiener, die SED in die Bündnispolitik des PCI in denjenigen Regionen einzuspannen, wo der Einfluss der Christdemokraten (DC) am stärksten war.¹⁴² Im Laufe der siebziger Jahre ersuchte der PCI die SED gelegentlich um politische Unterstützung, vor allem dort, wo die Verflechtungen im Bereich der Freundschaftsgesellschaften oder durch persönliche Arrangements besonders stabil waren. So unterhielt etwa der Vorsitzende der Freundschaftsgruppe DDR-Italien, Prof. Max Seydewitz, enge Kontakte zur italienischen Seite. Er pflegte eine rege Korrespondenz insbesondere zur kommunistischen Senatorin Tullia Carrettoni.¹⁴³ Ähnlich verhielt es sich mit den Beziehungen zu Frankreich. Aus verschiedenen Archiveinträgen des Jahres 1973 geht hervor, dass die Ost-Berliner Machthaber aktiv Druck auf wichtige Schaltstellen in Frankreich auszuüben versuchten, um die Verbindungen zu intensivieren. Ins Visier genommen wurden insbesondere Robert Wolter, Chef de Section beim Bureau du Groupe Interparlamentaire de
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/57, Information für das Politbüro, S. 9. SAPMO-BArch, Büro Hager, IV B 2/2.024/139, Vereinbarung über die Zusammenarbeit zwischen der SED und der FKP für das Jahr 1973, S. 2– 3. SAPMO-BArch, Außenpolitische Kommission beim PB, DY/13/2565, Gründung der DeutschItal. Gesellschaft in Livorno, 9.-17.6.1973. Die DDR-Delegation bestand aus: Manfred Feist, ZKKandidat und Mitglied des Präsidiums der Liga für Völkerfreundschaft, Gerd Delenschke, Volkskammerabgeordneter und Vizepräsident der Deutsch-Italienischen Gesellschaft, Harald Bühl, Sekretär des Bundesvorstandes des FGDB und Ilona Stadtmüller,Volkskammerabgeordnete und Mitglied der FDJ-Fraktion. SAPMO-BArch, Außenpolitische Kommission beim PB, DY/13/2565, Gründung der DeutschItal. Gesellschaft in Livorno, 9.-17.6.1973. SAPMO-BArch, Volkskammer – Parlamentarische Freundschaftsgruppen, DY/1/12919, Brief von Prof. Max Seydewitz (Vorsitzender der FG DDR-Italien) an Gen. Prof. Dr. Sieber, Interparlamentarische Gruppe der DDR, Dresden 18. 5.1973.
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la RDA, und der Chef de Division Claude Debedel sowie André Colin, Präsident der Kommission für Auswärtige Angelegenheiten.¹⁴⁴ Eine geregelte Aufrechterhaltung und Konsolidierung der Verbindungen im interparlamentarischen Rahmen betrachtete die SED als zentral für die Einhaltung von bilateralen Abkommen, vor allem auf Ebene der Wirtschaft sowie in kulturellen und sozialen Bildungsangelegenheiten.¹⁴⁵ Oft wurde der Druck der ostdeutschen „Genossen“ in diese Richtung so stark, dass die französischen Partner sie in die Schranken weisen mussten. So kam es bei einem Gespräch der Freundschaftsgruppe DDR-Frankreich der Volkskammer mit einer Delegation der französischen Nationalversammlung im November 1973 sogar zum Streit. Auf die ostdeutsche Beharrlichkeit, dass Verträge und Vereinbarungen zwischen beiden Staaten eingehalten würden, reagierte Roger Fossé, Leiter der französischen Delegation, pikiert und erwiderte, dass es darauf hinzuweisen sei, dass im französischen Parlament keine Identität zwischen der IPG und der Freundschaftsgruppe bestehe (sic).¹⁴⁶ Die von Berlinguer empfohlene Wiederaufwertung der bilateralen Beziehungen zum PCF ging mit einer ausführlichen Auseinandersetzung mit der ideologischen und politischen Entwicklung seit den Mai-Unruhen sowie mit der für den PCI enttäuschenden Haltung des französischen Vorstands hinsichtlich der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ von 1968 einher. Lina Fibbi hielt sich deshalb im Frühjahr 1973 in Frankreich auf und war damit betraut, Daten und Fakten über den PCF zu sammeln. Hinsichtlich der Zusammenarbeit zwischen Partei und Gewerkschaften wertete sie die Beziehungen des PCF zur CGT als zufriedenstellend. Gestützt auf den Inhalt eines Artikels aus der Humanité, der diesen Trend unterstrich,¹⁴⁷ führte Fibbi aus, dass ein großer Unterschied zur Situation um das Jahr 1968 bestünde.¹⁴⁸ Dem PCF sei es gelungen, die damals fehlende oder gestörte Verbindung zwischen der Studentenschaft und den Fabrikarbeitern herzustellen. Dieses ideelle Zusammengehen
SAPMO-BArch, Volkskammer – Parlamentarische Freundschaftsgruppen, DY/1/12917, Konzeption für die Vorbereitung und das Auftreten der DDR-Delegation auf der franzö. Nationalkonferenz am 17. und 18. 11. 1973 in Paris. Vgl. SAPMO-BArch, Volkskammer – Parlamentarische Freundschaftsgruppen, DY/1/12917, Vorschläge zur Entwicklung der parlamentarischen Beziehungen DDR-Frankreich (Ende 1973). Vgl. SAPMO-BArch, Volkskammer – Parlamentarische Freundschaftsgruppen, DY/1/12917, Notizen über ein Gespräch der Freundschaftsgruppe DDR-Frankreich der Volkskammer mit einer Delegation der französischen Nationalversammlung am 7. 11. 1973 in Berlin. LʼHumanité, 5.04.1973. APCI, Sezione Estero, Microfilm 046, Nota Fibbi „Breve nota sulla situazione post elettorale in Francia“, 6.4.1973.
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fände u. a. Ausdruck im vollzogenen Schulterschluss zwischen den beiden größten Gewerkschaften, der CGT und der Confédération Française Démocratique du Travail (CFDT). Zudem wies Fibbi darauf hin, dass allem Anschein nach auch innerhalb des PCF ein „Lernprozess“ begonnen habe: Marchais habe sich zu den Fehlern und Fehlentwicklungen der Partei bekannt und fordere einen offenen Umgang damit, um Erneuerung und Konsolidierung voranzubringen.¹⁴⁹ Am Rande ihrer Einschätzung suggerierte Fibbi, dass der PS um Mitterrand am meisten von dem 1972 ratifizierten Schulterschluss mit dem PCF profitiert habe. Ersterem würden letztlich jene Wählerkreise zuströmen, die von den Gaullisten zwar enttäuscht, aber noch nicht für einen so drastischen „Lagerwechsel“ bereit seien, als dass sie zum Kommunismus überliefen.¹⁵⁰ In der Tat hatte der PCF nach dem erfolgreichen Abschluss der Linksunion 1972 erkannt, dass er sich vor allem außenpolitisch neu aufstellen musste, um sich im Bündnis mit den Sozialisten als gleichberechtigter Partner behaupten zu können. Jean Kanapa unterstrich diesen Zusammengang gegenüber Angelo Oliva bei einem Treffen im Oktober 1973. Der Cheftheoretiker des PCF machte keinen Hehl daraus, dass sich die französischen Kommunisten in der vorangegangenen Dekade im außenpolitischen Bereich zu wenig bewegt hätten.¹⁵¹ Um dies zu ändern, informierte er sich über spezifische Verbindungen des PCI zu den jeweiligen kommunistischen und sozialdemokratischen Parteien Europas und bat um Vermittlung bei der Kontaktaufnahme zu ausgewählten „Bruderparteien“. Jacques Denis, der bei der Begegnung ebenso zugegen war, lobte die inklusive Politik des PCI und zeigte sich verärgert darüber, dass: „während beispielsweise Christdemokraten und Sozialisten in Europa zusammen Regierungen bilden, um gemeinsame Positionen auszuarbeiten, wir französische Kommunisten nach wie vor davor zurück scheuen.“¹⁵² Das harte Urteil über die noch sehr junge Linksunion, welche der PS – so Lina Fibbis Einschätzung – lediglich für Wahlzwecke ausgenutzt haben soll, fand sogar bei Marchais Anklang, zumindest was die Problematik der Gewinnung neuer Wähler für die Kommunisten betraf. Der Generalsekretär des PCF kommentierte in einer großen Rede vor dem ZK die Ergebnisse der Wahlen vom März 1973. Die Koalition mit dem PS, so Marchais, habe zwar durchaus gefruchtet. Mit 46,8 % der Stimmen konnte das Bündnis 173 Abgeordnete ins Parlament ent-
S. 1.
APCI, Sezione Estero, Microfilm 046, Nota Fibbi, S. 2. APCI, Sezione Estero, Microfilm 046, Nota Fibbi, S. 3. APCI, Sezione Estero, Microfilm 046, Nota di Angelo Oliva sul viaggio a Parigi (9 – 10. 4. 1973), Jacques Denis in: APCI, Sezione Estero, Microfilm 046, Nota di Angelo Oliva, S. 2.
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senden und somit seinen Einfluss auf die nationale Politik deutlich erhöhen. Jedoch, trug er nach, sei es vor allem der PS, der als großer Sieger aus den Wahlen hervorgegangen sei, was auch die Bourgeoisie mit Wohlwollen zur Kenntnis nehme, mit der die Sozialisten schließlich getarnt kooperierten. Denn hinter dem PS-Wahlslogan „Die Linke ausgleichen!“ (Il faut equilibrer la Gauche!) verberge sich in Wirklichkeit sein Vorhaben, dem PCF Wähler abzugraben (sic).¹⁵³ Denis ging sogar noch weiter und behauptete, dass es zu Verflechtungen zwischen dem PS und antikommunistischen Kreisen gekommen sei.¹⁵⁴ Seine Analyse der Entwicklung in Frankreich und der Kommentar zur Linksunion bedienten das traditionelle Klischee von der Rivalität zwischen Sozialisten bzw. Sozialdemokraten und Kommunisten, das nicht nur in Frankreich, sondern in ganz im Westeuropa bereits seit der Zwischenkriegszeit verbreitet war. Darin hallte auch der einst im kommunistischen Milieu verbreitete Mahnruf gegen den „Sozialfaschismus“ bzw. gegen die angebliche Korruption „revisionistischer Kräfte“ innerhalb des linken Spektrums nach. Vor diesem Hintergrund vollzog sich im Juni 1973 die erstmalige Entsendung von PCF-Mitgliedern nach Brüssel: Gustave Ansart, Gérard Bordu und Marcel Lemoine zogen ins Europaparlament ein, Emile Roger, Paul Cermolacce und Gerard De Pietri in den Europäischen Rat.¹⁵⁵ Die bürgerliche Zeitung Le Monde berichtete ausführlich über das Ereignis, das in Frankreich für ein erhebliches Echo sorgte. Am 13. Juni titelte sie: „Ein Sieg der fortschrittlichen Kräfte, eine Niederlage für den Geist des Kalten Krieges.“¹⁵⁶ Nur wenige Tage später hielten sich Bordu und Ansart in Rom auf, um mit Amendola eine gemeinsame europäische Strategie abzusprechen.¹⁵⁷ Der Zusammenkunft waren mehrere Begegnungen vorausgegangen, bei denen immer tiefere Divergenzen zwischen dem PCI und dem PCF zutage traten. So etwa während des Besuchs einer PCI-Delegation aus Wirtschaftsexperten in Paris auf Einladung der französischen „Genossen“ im Mai desselben Jahres. Eugenio Peggio und Napoleone Colajanni wurden von Paul Boccara empfangen.¹⁵⁸ Im Vordergrund der Gespräche stand die weltweite Währungskrise, die seit dem allmählichen
APCI, Sezione Estero, Microfilm 046, Riassunto dell’informazione di Marchais sulla situazione politica interna francese. APCI, Sezione Estero, Microfilm 046, Riassunto. APCI, Sezione Estero, Microfilm 046, Dichiarazione del Gruppo comunista francese all’Assemblea nazionale a proposito della nomina die comunisti all’Assemblea di Strasburgo e al consiglio d’Europa, 20.06.1973. Le Monde, Un succes des forces de progres, un recul de l’esprit de guerre froide, 13.06.1973. APCI, Sezione Estero, Microfilm 046, Nota per segreteria, 22.6.1973. APCI, Sezione Estero, Microfilm 043, Incontro col PCF sulla crisi monetaria, 24. 3.1973 in Paris.
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Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems den westlichen kapitalistischen Ländern weiterhin stark zusetzte. Der PCF zeigte sich über alle Maße empört und besorgt über die ökonomische Lage. Die französischen „Genossen“ malten sich eine katastrophale Situation aus und beschworen, das „Ende“ sei nah und könne bald Frankreich treffen. Sie forderten als Gegenmaßnahme eine umfassende Nationalisierung von Privatmonopolen und die umgehende Auflösung der EWG, die in ihrer aktuellen Struktur Marktturbulenzen und den üblichen Schwankungen des Kapitals wehrlos ausgeliefert sei.¹⁵⁹ Der PCI hingegen bekräftigte sein Engagement zugunsten einer Demokratisierung europäischer Organe und sprach sich für eine Vergrößerung des europäischen Binnenmarkts, für die 32 aller EWGMitglieder sowie für eine Revision bzw. Erneuerung aller supranationalen Institutionen aus. Dies setze natürlich, so die Italiener, massive Investitionen u. a. in Landwirtschaft, Bildung und Forschung voraus. Zum Schluss erklärten sie, warum der PCI eine Zersetzung der EWG ablehne: Dies rühre von der einfachen Überzeugung her, dass der Wegfall einer zentralen westeuropäischen Leitinstanz die Macht der USA lediglich erhöhen würde.¹⁶⁰ Die Differenzen über die Machtstellung des „Kapitals“ bzw. über eine wirksame Strategie, ihr zu begegnen, nahmen in den darauffolgenden Jahren stetig zu – trotz kurzzeitiger, vorwiegend propagandistisch motivierter Zusammenschlüsse. Konstitutiv für den sich ausdehnenden ideologischen Graben zwischen den beiden wichtigsten westeuropäischen kommunistischen Parteien waren, außer sehr unterschiedlichen Ausgangslagen, die Erfahrungen des Jahres 1968. Berlinguer, zu diesem Zeitpunkt noch ganz der polyzentrischen Lehre verpflichtet, hatte die italienische Partei seit seinem Amtsantritt auf dem XIII. Parteitag des PCI 1972 stramm auf zwei Hauptlinien eingeschworen: auf den sogenannten compromesso storico und auf einen konsequenten, nicht aber unkritischen Antikapitalismus. Aus dem ersten Punkt folgerte er die Einsicht in die gleichsam unvermeidliche Zusammenarbeit (oder zumindest in den Austausch) mit ideologisch fremden Kräften, d. h. zunächst mit sozialdemokratischen, unter günstigen Umständen auch katholisch-konservativen Kreisen; auf dem zweiten beruhte der Impuls zu einer Synthese beider Weltsysteme, des kapitalistischen und des sozialistischen, worauf der PCI hinarbeiten wollte.¹⁶¹
APCI, Sezione Estero, Microfilm 043, Incontro col PCF, S. 1. APCI, Sezione Estero, Microfilm 043, Incontro col PCF, S. 2. Vgl. hierzu u. a. Schoch, Die internationale Politik, S. 273 – 277; für die ideologische Ausrichtung des PCI in den siebziger Jahren richtungsweisend: Giuliano Procacci, Il partito nell’Unione Sovietica 1917 – 1945, Bari 1974; Paolo Spriano, Le riflessioni dei comunisti sul „socialismo reale“, in deutscher Übersetzung in: Elmar Altvater u. a. (Hg.), Erneuerung der Politik. Demokratie, Massenpartei, Staat, Hamburg 1982, S. 72– 90.
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An die Losung des compromesso storico knüpfte der PCI die Notwendigkeit einer aktiven Entspannungpolitik, an deren Ende eine „Lockerung“ der verhärteten Fronten stehen sollte. Zunächst galt es dabei, sich von der Logik der sowjetischen Suprematie zu lösen, was der PCI im Laufe der sechziger Jahre allmählich und im Jahr 1968 endgültig vollzog. Das Streben nach Entspannung ging mit der Suche nach einer eigenen Identität einher, bei der dem Dialog mit „Andersdenkenden“ große Bedeutung beigemessen wurde. Es verwundert deshalb kaum, dass Aldo Moro, einer der führenden Persönlichkeiten der DC, dieser ideologischen Offenheit Tribut zollte und Formen einer potentiellen Zusammenarbeit mit dem PCI nicht a priori ausschloss, da sich die Kommunisten als zuverlässige, der Demokratie verpflichtete Partner erwiesen hätten.¹⁶² Die Niederschlagung des „Prager Frühlings“ wertete der PCI als Beleg dafür, dass die Teilung der Welt in Hegemonialbereiche keinen Spielraum für zukunftsträchtige Lösungen biete. Das Jahr 1968 markierte deshalb den Anfangspunkt einer neuen Ära bezüglich der Außenpolitik der Partei, die sich durch ein erhöhtes internationales Engagement auszeichnete. Sowohl die innen- als auch außenpolitische Tätigkeit des PCI stand fortan unter dem Zeichen der Entspannung, der internationalen Präsenz und des Bemühens um eine Überwindung der „Blocklogik“.¹⁶³ Dieser Ausrichtung verlieh der PCI umgehend Nachdruck, indem er als erste kommunistische Partei 1969 eine Fraktion ins Europäische Parlament entsandte.¹⁶⁴ Die enge Verknüpfung der von Berlinguer gesteckten Ziele der eigenen politschen Integration einerseits sowie der Politik der Entspannung andererseits erfolgte aber erst später und ging erneut auf den Parteichef zurück. Auf dem XII. Parteitag 1969 hatte der noch amtierende Generalsekretär Luigi Longo nach wie vor die althergebrachte Losung „NATO raus aus Italien, Italien raus aus der NATO!“ propagiert. Wenngleich seine Forderung – er hatte sie durch die Erklärung abgemildert, dass er sich keine Stärkung des Ostblocks zuungunsten der NATO wünsche, sondern vielmehr eine vollständige Neustrukturierung der Sicherheitspolitik Europas – erste Ansatzpunkte für die spätere sicherheitspolitische Entwicklung der Partei vorwegnahm, blieb die Opposition gegen das von den USA geführte Verteidigungsbündnis doch unverkennbar.¹⁶⁵ Der Umbruch vollzog sich erst, als Berlinguer verkündete, die Logik der „Wahl des Lagers“ hinter sich
Siehe das Interview Eugenio Scalfaris mit Aldo Moro, in: La Repubblica, 14.10.1978. Vgl. hierzu u. a. Sergio Segre, Il ruolo dell’Italia fra il „concerto“ dei due Grandi e le spinte verso il policentrismo, in: Rinascita, 30.10.1970; ferner auch Heinz Timmermann, Westeuropas Kommunisten und die Politik der Entspannung, Köln 1975. Vgl. Schoch, Die internationale Politik, S. 275 – 276. Luigi Longo auf dem XII. Parteitag des PCI 1972 in Bologna, nach Enrico Berlinguer, Für eine demokratische Wende: Ausgewählte Reden und Schriften 1969 – 1974, Berlin 1975, hier S. 175.
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zu lassen und an den Rahmenbedingungen des bestehenden Status quo arbeiten zu wollen. So gesehen hatte der PCI seine frühere Ablehnung des „NATO-Blocks“ mit dessen strategischer Duldung im Sinne einer aktiven Politik zur Überwindung aller bestehenden Lager ausgetauscht. Dem lag die Überzeugung zugrunde, dass der PCI keine Strategie verfolgen sollte, die nicht primär seinen Interessen entsprach. Er sollte den „italienischen Weg zum Sozialismus“ beschreiten und sich nicht unkritisch von externen Einflüssen und reinem Loyalitätsdenken irreführen lassen.¹⁶⁶ Diese Lehre aus den Ereignissen des Jahres 1968 strahlte noch weit bis in die siebziger Jahre hinein aus und schien sich mit dem Militärputsch Pinochets in Chile 1973 wieder zu bewahrheiten. Führende PCI-Theoretiker spannten in mehreren Schriften den Bogen von Prag nach Santiago und begründeten ihre dezidierte Ablehnung der „Lagerlogik“ mit der offensichtlichen Ohnmacht militärischer Wehrbündnisse und Interventionen bei der Lösung von politischen und sozialen Problemen.¹⁶⁷ Vor diesem Hintergrund gestaltete sich die Zusammenarbeit von PCF und PCI im europäischen Parlament ausgesprochen schwierig. In einer Note an das Sekretariat der Partei, die mit der reichlich euphemistischen Überschrift „Einige Divergenzen zwischen uns und dem PCF in puncto EWG“ versehen war, beschrieb Giancarlo Pajetta sein Gespräch mit Bordu vom November 1974. Er listete darin strittige Punkte auf, die er als besonders relevant empfand. Der PCF lehne die Supranationalität ab, sei gegen das allgemeine Wahlrecht zum europäischen Parlament sowie gegen eine europäisch einheitliche Politik.¹⁶⁸ Paul Laurent übte sich während einer späteren Begegnung, bei der beide Seiten die unüberbrückbaren Meinungsverschiedenheiten nunmehr unausweichlich zur Kenntnis nehmen mussten, in vorsichtiger Schadenbegrenzung, als er versicherte, dass seine Partei nicht schlichtweg gegen die EWG sei, sondern vielmehr für deren Demokratisierung kämpfen wolle.¹⁶⁹ Auf die Italiener konnte diese Einlassung Laurents kaum Eindruck machen, wetterte der PCF doch auch medial scharf gegen die EWG und die sie angeblich mittragende Achse ParisBonn. In einem Artikel in der Humanité griff Charles Fiterman die Strategie der SPD scharf an. Der Besuch Brandts in Paris sei ein Zeichen dafür, dass Bonn das
Vgl. Schoch, Die internationale Politik, S. 277– 278. Vgl. Timmermann, Westeuropas Kommunisten, S. 30 – 31; Dieter S. Lutz (Hg.), Eurokommunismus und NATO: Zukunftsprobleme europäischer Sicherheit, Bonn 1979; Berlinguer, Für eine demokratische Wende, S. 365 – 366. APCI, Sezione Estero, Microfilm 084, Nota di Pajetta su „Alcune divergenze di posizione tra noi e il PCF sulle questioni della CEE“, 24.11.1974. APCI, Sezione Estero, Microfilm 084, Nota incontro PCI-PCF sui problemi della CEE, 29.11. 1974.
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Zusammengehen mit Giscard brauche und offensiv suche. Auf die Feststellung des SPD-Chefs, dass die deutschen Sozialdemokraten sich allerlei Allianzen mit den Kommunisten versagen würden, erwiderte er, dass die Arbeiterschaft, von den Sozialisten offenbar im Stich gelassen, weiterhin auf den Kommunismus des PCF vertrauen könne.¹⁷⁰ Denselben Duktus pflegend, war einen Tag zuvor, ebenfalls in der Humanité, ein Artikel des einflussreichen Theoretikers Gérard Streiff erschienen, mit dem Titel „Das allgemeine Wahlrecht zum Europaparlament. Auf der Suche nach einem demokratischen Alibi“.¹⁷¹ Die Aufnahme von Beziehungen zwischen PCI und PS steigerte die tief verwurzelte Skepsis der französischen Kommunisten gegenüber sozialdemokratischen Kräften um ein Vielfaches, sogar gegenüber denjenigen, mit denen sie selbst ein Bündnis eingegangen waren: Sie fühlten sich umgangen und nicht als gleichberechtigte Partner akzeptiert. Seit 1973 hatten die Partei um Mitterrand und der PCI tatsächlich ihre bilateralen Verbindungen intensiviert. Robert Pontillon, Mitterrands Vertrauter und einflussreicher Außenpolitiker im PS, hatte im September 1973 auf Einladung des PCI an einem beratenden „Runden Tisch“ am Rande der Festa de l’Unità in Mailand teilnehmen können. In der daran anschließenden Korrespondenz zwischen ihm und Berlinguer beschwor Pontillon das wachsende Interesse seiner Partei sowie Mitterrands persönlich an einer Verstärkung des bilateralen Austausches.¹⁷² Bereits Anfang 1973 waren Delegationen beider Parteien anlässlich einer Tagung der Sozialistischen Internationale in Paris zusammenkommen. Beraten wurde insbesondere über die damals aktuellen Krisenherde: Vietnam und Nahen Osten. Hinsichtlich Vietnams konnte kein einhelliger Beschluss herbeigeführt werden, wohl aufgrund der ablehnenden Haltung Mitterrands, der sich gegen eine kompromisslose Kritik der US-Strategie in der Region sperrte. Ihm schloss sich die israelische Ministerpräsidentin Golda Meir an, die ein gemeinsames Kommuniqué ebenfalls ablehnte. Der PCI, vertreten durch Lina Fibbi, war damit zwar nicht einverstanden, konnte sein Veto aber nicht geltend machen.¹⁷³ Die offenkundige
L’Humanité, Non, Monsieur Willy Brandt!, 26.11.1974. Brandt: „Nous, les sociaux-démocrates allemands, nous refuserions toute alliance avec le Parti communiste“; Fiterman: „Le printemps 1974 fait naitre un immense espoir. Il ne faut pas qu’il soit deçu. Pour cela, les travailleurs peuvent compter sur le PCF.“ L’Humanité, L’election du Parlament européen au suffrage universal. À la recherche d’un alibi democratique, 25.11.1974. Korrespondenz Pontillon-Berlinguer, in APCI, Fondo Berlinguer, Microfilm 048, hier 21.9. 1973; 27.09.1973. APCI, Sezione Estero, Microfilm 043, Informazione sulla riunione dell’Internazionale Socialista tenutasi a Parigi nei giorni 13 e 14. 1. 1973.
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Duldung der US-amerikanischen Politik im asiatischen Südosten, die vom PS aktiv mitgetragen wurde, deuteten die französischen Kommunisten als einen weiteren Beleg für die Janusköpfigkeit der Partei um Mitterrand. Trotz mannigfaltiger Differenzen beschworen der PCF und der PCI bei mehreren bilateralen Begegnungen und Unterredungen ihre Absicht, auf verschiedenen Tätigkeitsfeldern gemeinsam zu wirken. Während eines Gipfels in Bologna im Mai 1973 verkündete Berlinguer vor der Menge auf der Piazza Maggiore den gemeinsamen Kampf gegen den kriselnden Kapitalismus und stellte mehr Dialog und verstärkte Zusammenarbeit in Aussicht.¹⁷⁴ In der Tat intensivierten sich die bilateralen Beziehungen deutlich, wenn auch nicht in entscheidenden Bereichen. Aus der Präsidentschaftswahl im Mai 1974, bei der Mitterrand in der ersten Runde den künftigen Präsidenten Giscard d‘Estaing weit hinter sich lassen konnte, ging der Sozialist trotz der darauffolgenden Niederlage in der Stichwahl als große Überraschung hervor. Das unverhofft gute Ergebnis im zweiten Wahlgang – immerhin 49,19 % – führte zwangsläufig zu einer beträchtlichen Umschichtung in der Linksunion, in der bis zu jenem Zeitpunkt der PCF die stärkste Kraft dargestellt hatte. 75 % der Arbeiter hätten ihre Stimme Mitterrand gegeben, gab Jacques Denis gegenüber seinen italienischen „Genossen“ zu bedenken. Von nun an solle der PCF seine Arbeit darauf auslegen, den numerischen und moralischen Ausgleich im linken Spektrum zu erzielen, vor allem unter den Wählern in den Fabriken, wo er am meisten eingebüßt habe.¹⁷⁵ Wie zerrüttet der PCF war, zeigt exemplarisch seine Reaktion auf die Nachricht, dass der sowjetische Botschafter mit Giscard dʼEstaing zusammengetroffen war, ohne die französischen Kommunisten im Voraus darüber zu informieren. Plissonnier schrieb an Konstantin Tschernenko, Leiter der Abteilung des Zentralkomitees der KPdSU, der PCF sei sehr verärgert darüber, mit Verspätung erfahren zu haben, dass diese hochrangige Zusammenkunft stattgefunden hatte. Giscard d’Estaing sei Finanzminister und Kandidat für den Posten des Präsidenten der Republik; dies schade nicht nur dem PCF-Kandidaten („inopportune et regrettable“), sondern auch dem Ruf des PCF bzw. der Politik der KPdSU im Westen. Die Presse habe das Treffen sofort registriert und als Zeichen interpretiert, die UdSSR verfolge eine neue Politik des Kompromisses in Westeuropa, im Zeichen des „Atlantismus“ und gegen die Bemühungen und Bekenntnisse des PCF.¹⁷⁶
L’Unità, Il discorso di Berlinguer, 13.05.1973. APCI, Sezione Estero, Microfilm 078, Incontro PCI (Sergio Segre, Lina Fibbi, Angelo Oliva)-PCF (Paul Laurent, Jean Kanapa, Jacques Denis) a Roma, 14.6.1974. APCF, Polex, 264 J 17, Boite 2, Dossier 1, G. Plissonnier à Gen. Tchervonenko, 8.5.1974
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Kapitel 2: Dreiecksbeziehungen zur Zeit des Eurokommunismus
Das einen Monat später an Marchais zugestellte Kommuniqué der KPdSU, in dem die sowjetische Partei ihre Zufriedenheit über die Ernennung Giscard d’Estaings zum Präsidenten der Republik und ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit zum Ausdruck brachte, wurde von den französischen Kommunisten als regelrechter Affront gewertet.¹⁷⁷
6 Die SED und der Reformkommunismus Die Bezeichnung Eurokommunismus galt lange Zeit als so uneindeutig, dass mehrere westeuropäische kommunistische Parteien die Doktrin zunächst zurückwiesen oder als Erfindung von Journalisten herabsetzten. De facto konnte eine homogene, ideologisch geschlossene Gemeinschaft von in Europa agierenden „eurokommunistischen“ Parteien nie gebildet werden. Wie ihre osteuropäischen Verbündeten lehnte auch die SED den Eurokommunismus seit seiner Entstehung und bis zum Kollaps des „realen Sozialismus“ 1989/90 kompromisslos ab. Ideologisch zeigten sich die Dritte-Weg-Lehre und der Marxismus-Leninismus völlig inkompatibel. Kann deshalb von einer Rezeption des Eurokommunismus durch die SED überhaupt die Rede sein? Fanden konstruktive Auseinandersetzungen bzw. ein regelmäßiger Austausch zwischen „eurokommunistischen“ Akteuren und SED-Vertretern statt und wenn ja, in welchem Rahmen? Zur Beantwortung dieser Fragen soll die folgende Darstellung der SED-Außenpolitik im Verhältnis zum westeuropäischen Sozialismus maßgeblich beitragen. Fest steht, dass zumindest reformkommunistische Ansätze jeglicher Couleur in der SED weder Widerhall noch Ausbreitung finden konnten. Auch konnte keiner dieser Ansätze die traditionellen Handlungs- und Steuerungskoordinaten der komplexen SED-Organisation wirksam beeinflussen. Ungeachtet dessen pflegte die SED vielfältige wirtschaftliche und politisch-strategische Beziehungen zu Vertretern des Eurokommunismus. Trotz offensichtlicher ideologischer Differenzen war sie auf die Zusammenarbeit mit Andersdenkenden angewiesen, insbesondere nach der diplomatischen Anerkennung der DDR Anfang der siebziger Jahre.
Zum Eurokommunismus Der Terminus Eurokommunismus wurde durch den jugoslawischen Journalisten Frane Barbieri geprägt und erschien erstmals in einer Ausgabe der Mailänder
APCF, Polex, 264 J 17, Boite 2, Dossier 1, Communiqué du PCUS à G. Marchais, 13.06.1974.
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Zeitung Il Giornale Nuovo im Juni 1975.¹⁷⁸ Damit wollte Barbieri die Praxis einiger westeuropäischer kommunistischer Parteien beschreiben, die in seinen Augen im Begriff waren, sich ideologisch und politisch von Moskau abzusetzen.¹⁷⁹ Die Bezeichnung war nicht unumstritten. Einerseits, so ihre Kritiker, weise das Präfix „Euro“ auf eine kontinentale Festlegung hin und lasse damit mehrere außereuropäische KPs mit durchaus ähnlichen Tendenzen völlig außer Acht.¹⁸⁰ Andererseits sei die Singularform irreführend und evoziere ein Moskau entgegengesetztes, innereuropäisches kommunistisches Zentrum mit Führungsfunktion, was der Realität und dem Fundament des Eurokommunismus nicht entspreche, nämlich der Beschreitung eines jeweils nationalen Wegs zum Kommunismus, den die wohl wichtigsten Vertreter „eurokommunistischer“ Ansätze Enrico Berlinguer (PCI), Santiago Carrillo (PCE) und Georges Marchais (PCF) gleichwohl wiederholt betonten.¹⁸¹
Zur Auseinandersetzung der SED mit dem Reformkommunismus (1968 – 1973) Die Turbulenzen des Jahres 1968 wirkten sich nachhaltig auf die Geschichte des internationalen Kommunismus aus. Sie enthüllten programmatische und theo-
Frane Barbieri, Le scadenze di Brezhnev, in: Il Giornale Nuovo, 26.06.1975.Vgl. das Gespräch mit Frane Barbieri in: Manfred Steinkühler (Hg.), Eurokommunismus im Widerspruch. Analyse und Dokumentation, Köln 1977, S. 389 – 392. Ferner zum Eurokommunismus siehe: Valentine Lomellini, A Window of Opportunity? Eurocommunism(s) and Détente, in: Elena Calandri/Daniele Cavaglia/Antonio Varsori (Hg.), Détente in Cold War Europe: Politics and Diplomacy in the Mediterranean and the Middle East, London 2017, S. 89 – 101.Victor Strazzeri, Forging Socialism Through Democracy: A Critical Review Essay of Literature on Eurocommunism, in: Twentieth Century Communism 17, 2019, S. 26 – 66; Irina Kazarina, Die KPdSU und der „Eurokommunismus“, in: Michael Borchard u. a. (Hg.), Entspannung im Kalten Krieg: Der Weg zum Moskauer Vertrag und zur KSZE, Graz 2020, S. 287– 304, zum Eurokommunismus S. 298 – 304. Vgl. Nikolas Dörr, Wandel des Kommunismus in Westeuropa. Eine Analyse der innerparteilichen Entwicklungen in den kommunistischen Parteien Frankreichs, Finnlands und Italiens im Zuge des Eurokommunismus, Berlin 2006, S. 10 – 19; Nikolas Dörr, Eurokommunismus als Teil der historischen Kommunismusforschung,Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 06.01. 2014; Ioannis Balampanidis, Eurocommunism. From the Communist to the Radical European Left, London / New York 2019, insbesondere das Kapitel „Variations of Eurokommunism: 1973 – 1979“. Vgl. François Bondy, Eurokommunismus – das Wort und die Sache, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, 31 (1977) 11, S. 1030 – 1033; ferner Karin Priester, Hat der Eurokommunismus eine Zukunft? Perspektiven und Grenzen des Systemwandels in Europa, München 1982 sowie Wolfgang Leonhard, Eurokommunismus. Herausforderung für Ost und West, München 1980. Vgl. Di Palma, Die SED, die Partito Comunista Italiano und der Eurokommunismus; Di Palma, Der Eurokommunismus und seine Rezeption durch die SED.
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Kapitel 2: Dreiecksbeziehungen zur Zeit des Eurokommunismus
retische Differenzen im weltweiten, insbesondere aber im europäischen Kommunismus und trieben sie auf die Spitze. In vielen Parteien setzte ein Prozess der ideologischen „Abnabelung“ vom Moskauer Alleinvertretungsanspruch ein, der Mitte der siebziger Jahre seinen vorläufigen Höhepunkt erreichen sollte. Die SED hatte bis zur Niederschlagung des „Prager Frühlings“ relativ stabile Beziehungen zu westeuropäischen „Bruderparteien“ unterhalten. Natürlich gab es auch vorher schon Meinungsverschiedenheiten. PCI-Generalsekretär Palmiro Togliatti hatte über ein Jahrzehnt zuvor die umstrittene Polyzentrismus-These aufgestellt und „Genossen“ aus aller Welt regelrecht damit erschreckt, dass er die klassische kommunistische Weltsicht in Frage gestellt und für „Einheit in der Vielfalt“ bzw. für einen jeweils nationalen Weg zum Sozialismus¹⁸² plädiert hatte. Sein Gesuch wurde auf dem XX. Parteitag der KPdSU erwartungsgemäß abgeschmettert und durch die osteuropäische kommunistische Gemeinschaft scharf kritisiert. Die kompromisslos bestätigte und erneut propagierte bipolare Weltordnung blieb somit lange Zeit noch unangetastet.¹⁸³ Dies zeigte sich anlässlich der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ im August 1968 relativ deutlich. Der PCF prangerte beispielweise vorübergehend die Besetzung der Tschechoslowakei durch Truppen des Warschauer Paktes an, begab sich aber nur Monate später wieder „auf Linie“.¹⁸⁴ Der PCI und die KP Spaniens (PCE) – Letztere befand sich im Exil – verhielten sich konträr dazu: Sie nahmen an der Gewaltanwendung in der Tschechoslowakei öffentlich Anstoß und kritisierten das Vorgehen aufs Schärfste.¹⁸⁵ Weitere, partiell reformkommunistische Parteien wie diejenige Großbritanniens (CPGB) und Griechenlands (KKE, im rumänischen Exil) reagierten zwiespältig. Sie duldeten zwar offiziell den Vorstoß in der Tschechoslowakei, wurden aber zur Schaubühne hitziger Diskussionen. Diese hatten zur Konsequenz, dass der Graben zwischen Konservativen (auch „Traditionalisten“ genannt) und Erneuerern (auch „Gramscianer“ genannt) nur noch markanter wurde.¹⁸⁶
Vgl. hierzu Spagnolo, Sul memoriale di Yalta; Aldo Agosti, Togliatti negli anni del Comintern: (1926 – 1943); documenti inediti dagli archivi russi, Rom 2000. Spagnolo, Yalta. Vgl. Michel Naudy, PCF. Le suicide, Paris 1986, hier S. 9 – 57. Ferner Ulrich Pfeil, Sozialismus in den Farben Frankreichs. SED, PCF und „Prager Frühling“, in: Deutschland Archiv 34 (2001) 2, S. 235 – 245. Vgl. Francesco Di Palma, Die SED, die kommunistische Partei Frankreichs (PCF) und die kommunistische Partei Italiens (PCI); zum PCE grundsätzlich Andreas Baumer, Kommunismus; ferner Baumer, Camaradas?, in: Bauerkämper u. Di Palma (Hg.), Bruderparteien. Zur CPGB vgl. Geoff Andrews, Endgames and New Times. The Final Years of British Communism 1964 – 1991, London 2004, Kap. 5; zur KKE vgl. Andreas Stergiou, Im Spagat zwischen
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Das Aufkommen des Eurokommunismus in den frühen siebziger Jahren veränderte die europäische kommunistische Gemeinschaft zusehends, obgleich nicht jede KP Westeuropas von ihm erfasst oder grundlegend beeinflusst wurde. Die traditionell moskautreue finnische KP (SKP, Suomen Kommunistinen Puolue), die stalinistische portugiesische KP (PCP, Partido Comunista Português) sowie das westliche Sprachrohr der SED, die westdeutsche KP (DKP), konnten sich beispielsweise nie dafür erwärmen. Der PCF hingegen „liebäugelte“, wenn auch meist aus wahlopportunistischen Gründen, mit dem Reformkommunismus, löste sich aber nie vollständig von der Moskauer Bevormundung.¹⁸⁷ Die Eckpfeiler des Eurokommunismus stellten, wie eingangs erwähnt, vorwiegend die KP Italiens und die KP Spaniens dar, ferner auch die verhältnismäßig kleine schwedische KP, die Vänsterpartiet (V)¹⁸⁸. Eine Annäherung an westeuropäische Partner war für die SED dennoch lebenswichtig. Nur so konnte Ost-Berlin die im Laufe der siebziger Jahre in allen europäischen Staaten und in den USA erreichte diplomatische Anerkennung der DDR nachhaltig absichern.¹⁸⁹ Die SED-Führung setzte sich deshalb gezielt dafür ein, wirksame Beziehungen zu „Bruderparteien“ im Westen – auch zu den „eurokommunistischen“ – einzufädeln. Als besonders aussichtsreich galt den OstBerliner Machthabern die Zusammenarbeit mit dem PCI, dem PCF und dem PCE. Erstgenannte waren in ihren Ländern stark vertreten, der PCE in Spanien wieder ab 1977, und sie konnten deshalb als nützliche Kontaktplattformen zu sozialistischen bzw. sozialdemokratischen Ansprechpartnern¹⁹⁰ sowie zu mächtigen Lobbygruppen im Europaparlament genutzt werden. Dort hatte sich am 16. Oktober 1973 erstmalig eine Fraktion kommunistischer Abgeordneter gebildet, der zunächst italienische, französische und ein dänischer Politiker vorstanden.¹⁹¹ Die eigenwilligen italienischen und spanischen Kommunisten wurden derweil oft den eher konformen französischen Kollegen vorgezogen. Unabhängig von der „eurokommunistischen“ Grundausrichtung des jeweiligen Ansprechpartners wählte
Solidarität und Realpolitik: die Beziehungen zwischen der DDR und Griechenland und das Verhältnis der SED zur KKE, Mannheim 2001. Vgl. Pfeil, Sozialismus; Di Palma, SED, PCF und PCI. Hierzu siehe Charlotta Brylla, Die schwedische kommunistische Partei und der Eurokommunismus, in: Jahrbuch für historische Kommunismusforschung (2010), S. 81– 91. Hierzu ausführlich Wentker, Außenpolitik. Vgl. Di Palma, SED, PCF und PCI, S. 85 – 89. SAPMO-BArch, DY/30/IV B 2/20/189, Information Nr. 3/74 für das Politbüro, Haltung der FKP und der IKP zur Frage des Weges zur Macht, Berlin 10.01.1974. Die ursprüngliche Fraktion bestand aus acht italienischen Abgeordneten, drei französischen und einem Vertreter der Sozialistischen Volkspartei Dänemarks.
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die SED ihre Weggenossen im Westen gemäß der politischen Lage.¹⁹² Das auf dem VIII. Parteitag der SED 1971 präsentierte neue außenpolitische Konzept war diesbezüglich ausschlaggebend. Das Programm stand nach der Überwindung der durch den „Prager Frühling“ ausgelösten internationalen Krise¹⁹³ sinnbildlich für eine erhöhte Kommunikationsbereitschaft, so auch gegenüber Andersdenkenden. Vor diesem Hintergrund wurden Kontakte wieder geknüpft und alte, den Austausch hemmende Meinungsverschiedenheiten zunächst auf Eis gelegt.
Der Eurokommunismus und die SED (1973 – 1976) Der Eurokommunismus kann als Versuch gewertet werden, Demokratie und Sozialismus zu vereinen und dem kommunistischen Verständnis vom rein instrumentellen Charakter der bürgerlichen Demokratie entgegenzutreten. Dieses Spezifikum sollte künftig die Beziehungen des PCI zu „real sozialistischen“ Parteien erheblich belasten und demzufolge auch sein Verhältnis zur SED erschweren. Die Kommunistische Partei Italiens gehörte zweifelsohne zu denjenigen Parteien Europas der Nachkriegszeit, deren Geschichte ab 1946 am auffälligsten durch ein Streben nach politischer wie sozialer Befriedung und nicht zuletzt nach Entspannung und Kooperation zwischen den Blöcken charakterisiert war. Wegen der von ihr entscheidend mitgestalteten und angeführten Resistenza und dank der überaus bedeutenden Rolle, die sie nach dem Zweiten Weltkrieg bei der Etablierung der Republik spielte, stieg sie bis Ende der vierziger Jahre zur größten Massenpartei Italiens überhaupt auf (die Mitgliederzahl lag damals bei 2,3 Mio Einheiten) und stand aufgrund ihrer undogmatischen Tradition auf halbem Wege zwischen „amerikanischem Kapitalismus“ und „sowjetischem Realsozialismus.“ Diese Ausgangsposition ermöglichte es ihr, über die sonst für alle kommunistischen Parteien geltenden ideologischen Zwänge hinweg zu agieren und eine eigenständige Rolle als Vermittler zwischen Ost und West, aber auch zwischen affinen politischen Parteien, etwa zwischen kommunistischen und sozialistischen
Siehe hierzu Hans-Adolf Jacobsen (Hg.), Drei Jahrzehnte Außenpolitik der DDR; Bestimmungsfaktoren, Instrumente, Aktionsfelder, München 1979. Vgl. auch Michael Spakler, Einige ökonomische Bestimmungsfaktoren der DDR-Außenpolitik unter Ulbricht und Honecker. 1961 – 1973, Mannheim 1978. Über die Reaktion westeuropäischer KPs auf die Niederschlagung des „Prager Frühlings“ siehe Maud Bracke, Which Socialism, Whose Détente. West European Communism and the Czechoslovak crisis 1968, Budapest / New York 2007.
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oder sozialdemokratischen, einzunehmen. Enrico Berlinguer, Sekretär des PCI und einer der einflussreichsten „eurokommunistischen“ Theoretiker, betrachtete den Eurokommunismus als Versuch, einen Weg zum sozialistischen Umbau des Westens zu eröffnen.¹⁹⁴ Bedeutendste Verfechter eines solchen „dritten Weges“ waren der PCI, der PCE um seinen charismatischen Vorsitzenden Santiago Carrillo, der damals noch aus der Illegalität heraus agierte, und – trotz erheblicher ideologischer Vorbehalte – der PCF.¹⁹⁵ SED-Kommentatoren interpretierten die Allianz des PCF mit den Sozialisten Frankreichs, die zur Errichtung einer „Linksunion“ führte und der 1972 ein gemeinsames Regierungsprogramm folgte, als Beweis für eine Rückkehr zur „Normalität“ der französischen Partei. Denn der PCF verpflichte sich dadurch dem „wahrsten marxistisch-leninistischen Sinne“, zumal er bei den strategischen Gesprächen mit den Sozialisten das vorrangige Ziel der „Wahrung des Klasseninteresses der Arbeiterklasse“ verfolgte.¹⁹⁶ Auch würden sich PCI und PCF eindeutig unterscheiden: Während Letzterer in der Mehrzahl aus Arbeitern bestehe und der Sowjetunion die Treue halte, unterstrichen die Italiener den jeweils „nationalen Weg zum Sozialismus“ und machten somit ihre Partei für weite Teile des Kleinbürgertums und des Mittelstands empfänglich.¹⁹⁷ Dennoch liefen die bilateralen Beziehungen zwischen dem PCI und der SED auf vollen Touren, insbesondere über die Parteischulen, wie Michele Brambilla, Leiter der PCI-Parteischule in Como, mehrfach bestätigte.¹⁹⁸ Auch die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern wurden ab 1970 so nachhaltig intensiviert, dass bei der DDR-Botschaft in Italien erstmals ein ständiger Handelsrat unter der Leitung von Erich Telschow ernannt wurde.¹⁹⁹ In diesem Zusammenhang konnte die DKP zumindest zeitweilig eine Rolle als Verbin-
SAPMO-Barch, Büro Hermann Axen, DY/30/IV B 2/20/61, Information für das Politbüro. Tagungen des ZK und der Zentralen Kommission der IKP vom 2. bis 5. Juli 1979 und am 10. 07. 1979, Berlin 13.07.1979. Vgl. Naudy, PCF. Le suicide, hier S. 9 – 57. SAPMO-Barch, Büro Hermann Axen, DY/30/IV 2/2.035/92, Einschätzung des gemeinsamen Programms von FKP und Sozialistischer Partei (ohne Datum), S. 9. SAPMO-Barch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/189, Information Nr. 3/74 für das Politbüro, Haltung der FKP und der IKP zur Frage des Weges zur Macht, Berlin 10.01.1974. SAPMO-Barch, Büro Bruno Lamberz, DY/30/IV 2/2.033 80, Beziehungen PCI-SED. Vgl. SAPMO-Barch, Büro Bruno Lamberz, DY/30/IV 2/2.033 80, Beziehungen PCI-SED. Außerdem, zu den wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Italien und der DDR, Lill, Völkerfreundschaft.
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dungsglied zwischen den beiden Parteien spielen. Seit 1973 nahmen nämlich Vertreter des PCI regelmäßig an DKP-Parteitagen teil, bei denen mehrere vertrauliche Gespräche mit SED-Beobachtern geführt wurden.²⁰⁰ Für die SED, die auf größere Eigenständigkeit von Moskau und auf Erhöhung ihres internationalen Einflusses bedacht war, galt der PCI als geeigneter und angesehener Partner im „eurokommunistischen“ Milieu; dagegen wurde der PCF, die zweitgrößte kommunistische Partei Westeuropas, regelmäßig heftig kritisiert und in der politischen Debatte allmählich in die Isolation gedrängt.²⁰¹ Der gemäßigte Flügel des PCF hatte sich nach der „Prager Krise“ zum Eurokommunismus bekannt und mit Jean Kanapa einen seiner wichtigsten Theoretiker gestellt. Das strategische Bündnis mit den Sozialisten Frankreichs, das von 1972 bis 1977 andauerte, nötigte dem PCF ideologische Zugeständnisse ab. Auf dem XXII. Kongress der französischen Kommunisten 1976 erfolgte die historische Wende: Das Ziel der proletarischen Diktatur wurde aus dem Parteiprogramm gestrichen. An der traditionell loyalen Haltung des PCF gegenüber den sowjetischen und philosowjetischen Statthaltern änderte dies allerdings wenig. Gleich unmittelbar nach dem Bruch mit den Sozialisten im Jahr 1977, der das Ende der Linksunion einleitete, bemühte sich die moskautreue Parteimehrheit des PCF um eine Abkehr vom sogenannten „demokratischen Kommunismus“ und setzte dazu an, diesen durch Schmähschriften und propagandistische Tiraden als verstockte, unzeitgemäße und nicht zuletzt sogar subversive Theorie zu bekämpfen.²⁰² Jean Kanapa hatte zwar in einem seiner letzten Vorträge im Maison des Sciences de l’Homme in Paris 1977 noch zu bedenken gegeben, dass der Eurokommunismus keine beliebige Variante der Sozialdemokratie sei; er stelle vielmehr den einzig möglichen Weg des modernen Kommunismus dar, nämlich den demokratischen und gleichzeitig revolutionären.²⁰³ Doch seine Ausführungen blieben unter den französischen Kommunisten ohne Folgen. Die Abteilung für Internationale Verbindungen folgerte hieraus 1977, dass die genannte Doktrin dem PCF „fremd“ sei
Vgl. APCI, Sez. Estero, Germ. RFT 1973, Heft 219, Fasz. 268, Kommuniqué der DKP an den PCI von Karl Heinz Schröder, 6.6.1973; Kommuniqué der DKP an den PCI von Karl Heinz Schröder, 15.12. 1973. Vgl. Di Palma, SED, PCF und PCI, S. 84– 85. Bezeichnend dafür war die Pressekonferenz von Georges Marchais anläßlich seines Besuchs in Lissabon. APCI, Sez. Estero, Mikrofilm 0507, Traduzione dall’Humanité del passaggio delle dichiarazioni di Georges Marchais sull’Eurocomunismo, (ohne Datum) 1980. Marchais meinte hier: „L’Eurocomunismo? La forma passata di moda […] l’Eurocomunismo è un abito troppo stretto.“ S. 2. APCF, Fonds Jean Kanapa, Heft 317 J 19, Discours de Jean Kanapa à la Maison des Sciences de l’Homme in Paris, 28.11.1977.
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und daher von der Partei nicht aufgegriffen werde. Demnach sei auch ein „besonderes Bündnis“ zwischen dem PCF und dem PCI völlig absurd.²⁰⁴ Die „eurokommunistische Achse“ Rom-Paris hatte in der Tat bereits seit 1975 zu bröckeln begonnen. Grund dafür war die grundsätzliche Opposition des PCF gegen die Politik der SI und insbesondere der SPD, die, wie es hieß, „sich offen in französische Angelegenheiten“ einmische und Willy Brandt nach Paris geschickt habe, um den französischen Sozialisten einzuschärfen, Giscard d’Estaing zu unterstützen.²⁰⁵ Unstimmigkeit herrschte auch hinsichtlich der ideologischen Basis aller kommunistischen und Arbeiterparteien. Dies überlagerte die Konsultationen zwischen italienischen sowie französischen und deutschen Kommunisten im Rahmen der inhaltlichen Vorbereitung der Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas, die 1976 in Ost-Berlin stattfinden sollte. Die italienischen Gastgeber – die Vorgespräche fanden in Rom statt – unterstrichen, dass jede kommunistische Partei mit einer eigenen Programmatik vorgesehen sein müsse und dass auch die sozialdemokratischen Parteien eine ernstzunehmende Stimme innerhalb der europäischen Arbeiterbewegung darstellten.²⁰⁶ Die französischen „Genossen“ sperrten sich vehement gegen diese Sichtweise der Italiener und verliehen ihrem Widerspruch in einem streng vertraulichen Telegramm Gaston Plissonniers, Mitglied des Politbüros des PCF und Mitverantwortlicher in der Abteilung Außenpolitik, an Hermann Axen Ausdruck. Darin betonte Plissonnier, dass seine Partei fest zu den Grundpositionen des Marxismus-Leninismus stehe und niemals eine Politik wie diejenige des PCI und des PCE zulassen werde. Darüber hinaus, „wolle er mir sagen“, so Hermann Axen, „[…] natürlich seien Solschenizyn, Sacharow und die anderen von imperialistischen Diensten gekauft.“²⁰⁷ Ungeachtet dessen verfolgte der PCF zwischen 1975 und 1977 eine extrem zweigleisige Politik. Beschworen PCF-Politiker einerseits bei jeder Gelegenheit ihre traditionelle Treue gegenüber dem Ostblock, so nutzten sie andererseits mehrfach die Gelegenheit, um vielfältige Kritik an der Außenpolitik der Sowjetunion zu äußern. Dies blieb nicht unbemerkt. SED-Beobachter gaben prompt
SAPMO-Barch, Int. Verb., DY/30/IV B 2/20/188, Bericht über den Besuch einer Delegation des ZK der SED vom 17. bis 21. Januar 1977 in Frankreich, Berlin 24.01.1977. SAPMO-Barch, Int. Verb., DY/30/IV B 2/20/187, Vermerk über Aussprache zwischen Genossen Erich Honecker und Genossen Georges Marchais am 1. November 1975, Berlin 4.11.1975, hier S. 5. SAPMO-Barch, Int. Verb., DY/30/IV B 2/20/508, Bericht über die Konsultation des Genossen Paul Markowski, Mitglied der ZK und Leiter der Abteilung Internationale Verbindungen, mit Vertretern des ZK der Italienischen Kommunistischen Partei am 19. und 20. Mai in Rom, S. 4– 6. SAPMO-Barch, Büro Hermann Axen, DY/30/IV 2/2.035 92, Telegramm Absender: Paris Empfänger: Hermann Axen 29. 12. 1975, S. 1.
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zu Protokoll, dass die Franzosen ihre Zusammenarbeit mit dem PCI und dem PCE augenscheinlich verstärkt hätten. Damit sei es durchaus in Betracht zu ziehen, dass sie, ähnlich wie die anderen kommunistischen Parteien Westeuropas, künftig „gleichfalls auf antisowjetischen und revisionistischen Positionen stehen […]“²⁰⁸. Dies schien sich nur kurze Zeit später zu bewahrheiten. Der 1974 von antisowjetischen und antikommunistischen Kräften Frankreichs zur Verteidigung des sowjetischen Dissidenten und international namhaften Mathematikers Leonid Pljutsch – der vom KGB inhaftiert und mit hohen Dosen an Psychofarmaka „behandelt“ wurde – ins Leben gerufene Mathematiker-Ausschuss setzte für den 21. Oktober 1976 in Paris ein Treffen an zum Thema „Freiheit für die durch Sowjetrussland eingekerkerten Mathematiker Bukowski, Gluzman, Muller, Massera, Aria und Espinosa“. Der PCF billigte nach anfänglicher Ablehnung die Zusammenkunft und beteiligte sich mit einer hochrangigen Vertretung daran.²⁰⁹ Auch zu anderen internationalen Vorfällen bezog der PCF Position: Louis Corvalán, vormals Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chile und seit dem Putsch Pinochets inhaftiert, war gegen den einkekerkerten sowjetischen Dissidenten Wladimir Bukowski ausgetauscht worden (mehr dazu im Kapitel 3). Der PCF ließ eine dezidierte Absage an den „unakzeptablen Tausch und Handel zwischen einem sozialistischen Staat und einem faschistischen Regime“ verlauten.²¹⁰ Die Konfliktbereitschaft des PCF gegenüber der SED und der KPdSU war maßgeblich auf den von ihr zeitweise im eigenen Lande – wohl gegenüber den Sozialdemokraten – errungenen machtpolitischen Einfluss zurückzuführen. Dies fand seinen Höhepunkt durch den Erfolg bei den Kommunalwahlen 1977, um nur wenige Monate später, infolge der Auflösung der Koalition mit der Partei Mitterrands, abrupt einzubrechen.²¹¹
SAPMO-Barch, Büro Hermann Axen, DY/30/IV B 2/20/188, Haltung der FKP zur SU, Paris 27.04.1976, S. 3. Die Delegation stand unter der Leitung von Pierre Juquin, Mitglied des ZK. Ihr gehörten weiter an: Aimé Halbeher, Kandidat des ZK, und Jean Elleinstein, stellvertretender Leiter des PCFInstituts „Zentrum für marxistische Studien und Forschungen“. SAPMO-Barch, Büro Hermann Axen, DY/30/IV B 2/20/188, Information Nr. 75/76 für das Politbüro des ZK, Teilnahme offizieller Vertreter des ZK der FKP an dem antisowjetischen Meeting zur „Verteidigung eingekerkerter Mathematiker“ am 21. Oktober 1976 in Paris, Berlin 1.11.1976. Der Vorfall wurde durch den PCF so konsequent kritisiert, dass dieser die für die letzte Dezemberdekade 1976 in Berlin anberaumten Konsultationen über die Zusammenarbeit mit der SED und der KPdSU bis auf Weiteres absagte. SAPMO-Barch, Büro Hermann Axen, DY/30/IV B 2/ 20/188, Information für Genossen Honecker und Genossen Axen, Berlin 24.12.1976. Vgl. SAPMO-Barch, Int.Verb., DY/30/IV B 2/20/188, Gesprächsvermerk FKP-SED Berlin, 28.10. 1977.
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Das Interesse der SED am Eurokommunismus war von Anfang eher taktischer Natur. Ein detailliertes, im Laufe der siebziger Jahre von der SED-Abteilung für Internationale Verbindungen regelmäßig aktualisiertes Dossier über dessen geschichtliche und ideologische Entwicklung ist ein beredter Beleg dafür.²¹² Der Eurokommunismus war demnach als der Versuch einiger westeuropäischer KPs zu deuten, zwischen sowjetischem „Realsozialismus“ und der Sozialdemokratie eine theoretische und programmatische Grundlage zu schaffen, die den jeweils nationalen Wegen der kommunistischen Parteien gerecht wurde und als Alternative zu der bürgerlichen Demokratie der westlichen Welt gelten konnte. In den Vordergrund rücke dabei nicht etwa, wie sonst früher praktiziert, der entschlossene Widerspruch gegen den bürgerlichen Parlamentarismus, sondern die Orientierung auf außen- und innenpolitische Konzepte und Programme, durch die der Kommunismus „attraktiver“ für immer breitere gesellschaftliche Schichten und schließlich regierungs- und koalitionsfähig gestaltet werden könne.²¹³ Der „dritte Weg“ war nach SED-Kommentatoren als Projekt zu betrachten, den Sozialismus Westeuropas umzubauen, und zwar so, dass durch das Bemühen der Arbeiterbewegung, die zyklischen Krisen des Kapitalismus aufzufangen, eine praktizierbare Alternative zu „Realsozialismus“ und Sozialdemokratie entwickelt werden könne.²¹⁴ Das Vorhaben, das vorwiegend durch Enrico Berlinguer, Santiago Carrillo und Georges Marchais getragen wurde, nahm schließlich auf dem Parteitag der westeuropäischen kommunistischen Parteien im Frühjahr 1974 in Brüssel Gestalt an.²¹⁵ Die „eurokommunistische Front“ war dennoch alles andere als kompakt: Sie bestach eher durch auffällige Meinungsverschiedenheiten und Unterschiede politischer Natur. Der Schulterschluss zwischen dem PCF- und dem PCI-Vorstand, den (vermeintlich) frühen treibenden Kräfte des Eurokommunismus, begann de facto bereits ein Jahr nach der Brüsseler Tagung wieder zu bröseln, während der PCE erst 1977 in Spanien wieder legalisiert wurde und bis dahin nur einen begrenzten Einfluss auf die internationale Politik ausüben konnte. Die extreme Heterogenität innerhalb der „eurokommunistischen Gemeinschaft“ deuteten SED-Beobachter als ein Zeichen ihrer strukturellen Schwäche. Dennoch
SAPMO-BArch, DY/30/IV B 2/20/170. Vgl. dazu Annie Kriegel, Eurocommunism: A New Kind of Communism?, Stanford 1978; Dieter Oberndörfer, Einführung: Die sozialistischen und kommunistischen Parteien Frankreichs, Italiens, Spaniens und Griechenlands, in: Dieter Oberndörfer (Hg.), Sozialistische und kommunistische Parteien in Westeuropa. Bd. 1: Südländer, Opladen 1978, S. 7– 34, hier S. 11. SAPMO-Barch, Büro Hermann Axen, DY/30/IV B 2/20/61, Information für das Politbüro, Tagungen des ZK und der Zentralen Kommission der IKP vom 2. bis 5. Juli 1979 und am 10. 07. 1979, Berlin 13.07.1979. Vgl. Pons, Berlinguer, S. 21– 161.
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schenkten sie jeder Akzentverschiebung im Eurokommunismus große Aufmerksamkeit, um damit den jeweils für ihre eigenen Ziele nützlichsten Ansprechpartner auswählen zu können. So kamen sie auch zu dem Schluss, dass der Eurokommunismus spätestens um die Mitte der siebziger Jahre durch den PCI dominiert wurde. Nur unter dessen Einfluss habe sich der PCF dazu durchringen können, das fundamentale Prinzip aus seinem Manifest zu streichen, dass „der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus ein revolutionärer Sprung ist […]“.²¹⁶ Maßgeblich dafür waren ihrer Meinung nach außerdem Spannungen innerhalb der Linksunion mit den Sozialisten Frankreichs, wobei Letztere über zunehmenden politischen Einfluss verfügten.²¹⁷ Daraus schlussfolgerte die SEDFührung, dass die Annäherung zwischen dem PCI und dem PCF lediglich mit der systemischen Schwäche der Franzosen zu begründen sei, denen sie einen ideologischen „Glauben“ an den „reformistischen und auch utopischen Gehalt“ des Eurokommunismus aberkannten.²¹⁸ Ursächlich für die interne Uneinigkeit der „eurokommunistischen“ Front sei darüber hinaus einerseits die Absage des PCF an die SI und besonders dessen Ablehnung der die Internationale dominierenden Politik der SPD²¹⁹, andererseits die unzureichende Übereinstimmung mit dem PCI in wichtigen theoretischen Fragen, wie etwa die nach der Existenz eines vermeintlich einzigen ideologischen Ursprungs des Sozialismus.²²⁰ Das „eurokommunistische Bekenntnis“ des PCF betrachtete die SED demnach schon früh als inkonsequent, wenn nicht sogar als völlig unglaubwürdig. Der PCF, so die Ost-Berliner, sei eine marxistisch-leninistische Partei geblieben,²²¹ die der Bewahrung einer genuinen Klassenpolitik vorbehaltlos verpflichtet sei. Die Zustimmung zum Eurokommunismus entbehre damit jeglicher Grundlage.²²² Die italienischen Kommunisten arbeiteten hingegen
SAPMO-Barch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/187, Einschätzung der Gemeinsamen Erklärung der FKP und der IKP vom 17. 11. 1975, S. 6. SAPMO-Barch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/187, Einschätzung der Gemeinsamen Erklärung, S. 7. SAPMO-Barch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/187, Einschätzung der Gemeinsamen Erklärung, S. 8. SAPMO-Barch, Int. Verb., DY/30/IV B 2/20/187, Vermerk über Aussprache zwischen Genossen Erich Honecker und Genossen Georges Marchais am 1. November 1975, Berlin 4.11.1975, hier S. 5. SAPMO-Barch, Int. Verb., DY/30/IV B 2/20/508, Bericht über die Konsultation des Genossen Paul Markowski, Mitglied der ZK und Leiter der Abteilung Internationale Verbindungen, mit Vertretern des ZK der Italienischen Kommunistischen Partei am 19. und 20. Mai in Rom, S. 4– 6. SAPMO-BArch, Büro Hermann Axen, DY/30/IV 2/2.035/92, Einschätzung des gemeinsamen Programms von FKP und Sozialistischer Partei (ohne Datum), S. 9. SAPMO-BArch, Int.Verb., DY/30/IV B 2/20/189, Information Nr. 3/74 für das Politbüro, Haltung der FKP und der IKP zur Frage des Weges zur Macht, Berlin, 10.1.1974.
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kompromisslos darauf hin, den Dialog mit ideologisch nahen Kräften zu suchen und hätten ihre „Blicke auf Europa, auf das kapitalistische Westeuropa gerichtet. In diesen Ländern trifft man auf einige gemeinsame grundlegende Bedingungen im Kampf für Demokratie und Sozialismus.“²²³ Die Italiener ließen sich von der Fragestellung leiten: „Weshalb sollte ein anderer als der sozialdemokratische und sowjetische und der in anderen sozialistischen Ländern praktizierte Weg nicht möglich sein?“²²⁴ Hiergegen opponierte die SED-Führung vehement und wertete die unter dem Begriff Eurokommunismus betriebene Kampagne als ein Versuch des „Imperialismus“, die Einheit der kommunistischen Bewegung zu schwächen und zu spalten bzw. die Bruderparteien gegen die KPdSU aufzubringen.²²⁵ Aus dem „konformen“ PCF konnte aus SED-Sicht kein praktischer Nutzen hervorgehen, umso weniger als die französischen Kommunisten 1977 aus der Linksunion und damit aus der Regierungsverantwortung ausschieden.²²⁶ Der PCI übte hingegen einen beachtlichen sowohl internen als auch außenpolitischen Einfluss aus, was seine Handlungsfähigkeit auch im Umfeld der deutschen SPD oder der SI stärkte. Der Machtzuwachs der italienischen „Bruderpartei“ war nicht zu verkennen, die gezielte Kontaktintensivierung mit ihr schien der SED geboten. Diese Schlussfolgerung fügte sich ganz in das SED-Konzept der „internationalen Präsenz“ ein, welches die Außenpolitik der DDR während der gesamten 1970er Jahre prägen sollte. Außerdem vermag diese Grundausrichtung zu erklären, weshalb die SED, anders als die „Mutterpartei“ KPdSU, den Eurokommunismus zwar missbilligte, ihn jedoch nie offensiv bekämpfte. Für sie war die Politik der „eurokommunistischen“ Vertreter und der westeuropäischen Kommunisten im Allgemeinen sowohl bei inneren als auch äußeren Angelegenheiten von zu großer Bedeutung. Das Beispiel PCE ist in diesem Zusammenhang erneut bezeichnend. Nachdem die SED im Frühjahr 1973 den PCE durch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit dem franquistischen Spanien regelrecht vor den Kopf gestoßen hatte, kam es in den darauffolgenden Monaten zu disparaten Versöhnungsversuchen. Eine Delegation des PCE traf im Dezember 1974 in Ost-Berlin ein, um noch bestehende Konflikte aus dem Weg zu räumen. Indes hatte sich die politische Lage
SAPMO-BArch, Int.Verb., DY/30/IV B 2/20/60, Information Nr. 90/1978 für das Politbüro, Rede des Gen. der IKP, Enrico Berlinguer, auf der Kundgebung zum Abschluss des Pressefestes der „L’Unità“ in Genua am 17. 09. 1978, Berlin 27.09.1978, S. 20. SAPMO-BArch, Int.Verb., DY/30/IV B 2/20/60, Information Nr. 90/1978 für das Politbüro, S. 19. SAPMO-BArch, Int.Verb., DY/30/IV B 2/20/60, Zum Eurokommunismus, 1975 (Ohne Signatur), S. 2. Vgl. Di Palma, SED, PCF und PCI, S. 85; ferner und grundsätzlich zu den Beziehungen zwischen SED und PCF Ulrich Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen.
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in Spanien drastisch verändert, was auch die Einstellung der SED gegenüber dem PCE deutlich beeinflusste: Angesichts der Schwäche des Franco-Regimes schien es angebracht zu vermuten, dass dem PCE in naher Zukunft eine führende Rolle beim Wiederaufbau der Republik zufallen würde. Honecker war zuversichtlich, dass Santiago Carrillo bald an der Spitze einer mächtigen westeuropäischen KP in einem vom Faschismus befreiten Land stehen könne.²²⁷ Vor diesem Hintergrund erachteten es die Gastgeber für sinnvoll, alle noch bestehenden politischen Differenzen abzumildern und stattdessen die traditionelle Verbundenheit zu propagieren, die, wie es hieß, auf die Zeit der Zusammenarbeit in den Internationalen Brigaden zurückging.²²⁸ In einer gemeinsamen Erklärung, die Enrico Berlinguer und Santiago Carrillo am 11. Juli 1975, also nur wenige Monate später, in der italienischen Hafenstadt Livorno, in der 1921 der PCI gegründet worden war, abgaben, beschworen die beiden die Grundlagen des „Kommunismus der Zukunft“, die sie in ihren jeweiligen Ländern und im Ausland fördern wollten: Parlamentarismus, Freiheit, Streben nach Reformen und Pluralismus waren die zentralen Losungen, die von nun an auch den Eurokommunismus leiten sollten.²²⁹ Nichtsdestoweniger blieben die Meinungsverschiedenheiten in der „eurokommunistischen Gemeinschaft“ auffällig und vertieften sich rasch, so insbesondere in Fragen der internationalen Politik. Bereits seit 1975 herrschte beispielsweise Uneinigkeit über den Beitritt Spaniens zur EWG. Während sich PCI und PCE konsequent dafür aussprachen, legte der PCF ausdrücklich ein Veto dagegen ein. Der einst sowohl politisch als auch symbolisch bestehenden, dreiköpfigen „eurokommunistischen Führung“ versetzte dieser Widerspruch einen schweren Schlag.²³⁰ Ende Mai 1976 fand der IX. Parteitag der SED statt, der mit der Losung „Alles mit dem Volk und alles für das Volk“ den inneren Zusammenhalt des „real existierenden“ Sozialismus zelebrieren sollte und gleichzeitig vor einer ideologischen Verwässerung – zu beobachten etwa bei westeuropäischen KPs, die sich dem „bürgerlichen Parlamentarismus“ verschrieben hatten – zu warnen suchte.²³¹ Die Politik der SED, insbesondere ihre Außenpolitik, stand zu diesem Zeitpunkt trotz aller inszenierten Kontinuität vor einem Richtungswechsel, der nur wenige Wo-
Vgl. Baumer, Kommunismus, S. 171– 173. Vgl. Baumer, Kommunismus, S. 114– 129. Gemeinsame Erklärung der IKP und SpKP/1975, in: Steinkühler, Eurokommunismus, S. 272– 273. Vgl. SAPMO-Barch, Int.Verb., DY/30/IV B 2/20/50, Tagung des ZK der Kommunistischen Partei Spaniens vom 28. bis 30. Juli 1976 in Rom, Berlin 11.08.1976. Vgl. Stefan Wolle, Die heile Welt der Diktatur. Alltag und Herrschaft in der DDR 1971 – 1989, Berlin 1998, S. 46 – 49.
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chen später vollzogen werden sollte. Dies manifestierte sich auf der Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas, die am 29. und 30. Juni 1976 in Ost-Berlin tagte. Die Konferenz sollte einerseits die Geschlossenheit des weltweiten Kommunismus unter Beweis stellen und Moskau als Führungszentrum mit aller Deutlichkeit bestätigen. Andererseits trugen alle Gespräche und die Vorträge der jeweiligen Parteifunktionäre, ungeachtet der beschriebenen Differenzen zwischen ost- und westeuropäischen „Bruderparteien“ vor und während der Tagung, zur Entspannung bei, selbst in Bezug auf den Eurokommunismus. Das zeigte etwa die Formulierung über die gleiche ideologische Basis aller kommunistischen und Arbeiterparteien und über die Einheit der kommunistischen Weltbewegung.²³² Außerdem wurden alle Reden, auch von Eurokommunisten,²³³ ohne Zensur im ND abgedruckt. Heinz Timmermann merkt zu Recht an, dass dies so aufgefasst werden konnte, dass die SED ihre offizielle Politik gegenüber der Lehre vom „dritten Weg“ und gegenüber den westeuropäischen „Genossen“ im Allgemeinen überdacht und ihre eigene Strategie angepasst hatte.Wichtigstes Ziel sei dabei gewesen, gute Beziehungen sogar zu „moskaukritischen“ Partnern im Westen aufrechtzuerhalten und insbesondere zu denjenigen, die national und international politisch einflussreich waren oder werden konnten.²³⁴
SED-Zwischenbilanz zum Eurokommunismus Die SED-Führung wies sämtliche „Eurokommunismen“ und alle anderen reformkommunistischen Erscheinungen jenseits und diesseits des „Eisernen Vorhangs“ bis zum Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus kompromisslos und ohne Umschweife zurück. Sie interpretierte den Eurokommunismus als ein revisionistisches, das Weiterbestehen der kommunistischen Staatengemeinschaft und die revolutionären Bestrebungen kommunistischer Parteien in den demokratischen Ländern gefährdendes System, das in seinen extremen Forderungen ja sogar dem „amerikanischen Imperialismus“ in vielerlei Hinsicht gleichkäme. Dies hielt sie nicht davon ab, auch unmittelbar nach der schwierigen Phase nach der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ rege Beziehungen zu
SAPMO-Barch, Int. Verb., DY/30/IV B 2/20/508, Bericht über eine Konsultation des Genossen Paul Markowski, Mitglied des ZK und Leiter der Abteilung Internationale Verbindungen, mit Vertretern des ZK der Italienischen Kommunistischen Partei am 19. und 20. Juni 1975 in Rom, S. 3. Vgl. Santiago Carrillo, Rede des Genossen Santiago Carrillo, und Enrico Berlinguer, Rede des Genossen Enrico Berlinguer, in: Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas. Dokumente und Reden, Berlin 1976, S. 119 – 127; S. 223 – 233. Heinz Timmermann, Ost-Berlins Beziehungen zu Jugoslawien und „Eurokommunisten“ (fortan Ost-Berlin), in: Deutschland Archiv 9/1977, S. 949 – 965.
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Kapitel 2: Dreiecksbeziehungen zur Zeit des Eurokommunismus
ideologisch abweichenden „Bruderparteien“ an der westlichen Grenze des „Vorhangs“ zu pflegen. Diese Kontakte zeichneten sich durch ihren instabilen Charakter aus: Mal gestalteten sie sich reibungslos, mal ereilten sie Blockaden und Verhärtungen, die danach wieder in Annäherungen umschlugen. Sie trotzten dennoch allen politischen und ideologischen Schwierigkeiten des späten Kalten Krieges. Eine in ihren Reihen geschlossene NATO-Zone war nämlich auch im Interesse der SED, deren politische Souveränität freilich sowohl stark von der Sowjetunion als auch von Westdeutschland und dem restlichen Westeuropa abhängig war. Die Verbindung zu den „eurokommunistischen“ Parteien war der SED so wichtig, dass sie um ihrer Aufrechterhaltung willen sogar der „Mutterpartei“ KPdSU zu widersprechen bereit war. Hierzu gab der in der Einleitung dieser Studie bereits tematisierte „eurokommunistische Gipfel“ von PCE, PCI und PCF 1977 in Madrid Anlass. Der Aufforderung der „Mutterpartei“, eurokommunistischen Plänen „entgegenzuwirken“²³⁵ leistete die SED dennoch kaum Folge, sieht man von den gewöhnlichen propagandistischen Tiraden gegen den Eurokommunismus ab. Auch war sie nicht bereit, aufgrund der Veröffentlichung des Buches von Santiago Carrillo „Eurokommunismus und Staat“, das den Eurokommunismus theoretisch und programmatisch unterfütterte und in der Sowjetunion zum Gegenstand schärfster Kritik wurde, die Beziehungen zu dessen Theoretikern auf Eis zu legen. Außerdem war es wohl auch die SED-Führung, die auf der Tagung der ZK-Sekretäre der osteuropäischen Parteien im Frühjahr 1977 die Pläne für eine politische und propagandistische Großoffensive gegen die unliebsamen „Eurokommunisten“ vereitelte.²³⁶ Die SED-Politik blieb gegenüber dem westeuropäischen Kommunismus in ihren Grundzügen dennoch zweigleisig und weitestgehend durch Eigennutz bestimmt. Dass die KPdSU, welche die potenziell aufrührerische Sprengkraft des Eurokommunismus stets mit Argwohn betrachtete, die Rahmenbedingungen dieser Strategie durch ihre eigene Außenpolitik eingrenzte, liegt auf Hand. Denn die Ost-Berliner Machthaber befanden sich auf einer geopolitisch äußerst sensiblen Position, bei der sie situationsbedingt mal nach mehr eigenständigem Freiraum, mal nach Unterstützung durch die „Mutterpartei“ suchten. Symptomatisch für diesen Zickzackkurs war die Reaktion auf zwei Kundgebungen in den Jahren 1977 und 1978. Ende Mai 1978 hatten Berlinguer und Carrillo in Barcelona auf die Bedeutung des Eurokommunismus aufmerksam gemacht. Berlinguer
SAPMO-BArch, DY/30/IV B 2/20/188, Ohne Titel (Streng vertraulich vom ZK der KPdSU an die SED), über Büro Markowski, Berlin 14.02.1977, S. 2. Siehe Timmermann, Ost-Berlin, S. 963.
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unterstrich die einzigartige Mission der neuen Doktrin, die „durch die Entwicklung des historischen Prozesses in Europa und der Welt aufgezwungen wird.“ Der Spanier versicherte, dass der Eurokommunismus „einen breiten Weg und die ganze Zukunft vor sich hat.“²³⁷ Früher, im Juni 1977, hatte Berlinguer außerdem angemerkt, dass das Hauptziel des Eurokommunismus das „Wachsen einer neuen Funktion Europas“ sei, wodurch die „befreite Arbeiterbewegung Protagonist wird.“²³⁸ Die SED wies diese Stellungnahmen, die de facto dem „proletarischen Internationalismus“ widersprachen, zwar weit von sich, sah dies aber nie als Hindernis gegen die Beibehaltung gesamteuropäischer Beziehungen an, etwa im Rahmen des Europaparlaments oder sogar in der Sozialistischen Internationale. Der PCI, zu jenem Zeitpunkt die treibende „eurokommunistische“ Kraft, agierte dabei oft als Mittler.
7 Die Beziehungen zwischen dem PCF und der SED auf translokaler sowie auf Parteivorstandsebene Die zentrale Revisionskommission beim ZK der SED galt als eines der mächtigsten Leitungsorgane der Partei. Ihre Mitarbeiter waren mit einer fundamentalen Funktion betraut: Sie führten Kontrollen durch und konnten somit direkten Einfluss auf die politische Ausrichtung des Vorstands in verschiedenen Fragen wie in der Außenpolitik nehmen.²³⁹ Den SED-Grundorganisationen (GOen) im Ausland war in den späten sechziger und den frühen siebziger Jahren die Direktive zugetragen worden, auf die diplomatische Anerkennung der DDR hinzuarbeiten. Davon versprachen sich die Ost-Berliner Machthaber größere Aufmerksamkeit auf der politischen wie wirtschaftlichen Ebene. Auf dem Weg zu diesem Ziel stießen die GOen der SED in Paris und in Frankreich dennoch sehr schnell an ihre Grenzen, was, wie aus dem Folgenden hervorgeht, auf unzureichende Kommunikationsstrukturen innerhalb der Parteimaschinerie zurückgeführt werden kann.
SAPMO-BArch, DY/30/IV B 2/20/60, Information 55/1978 für das Politbüro, Rede des Generalsekretärs der italienischen Kommunistischen Partei, Enrico Berlinguer, auf einer Kundgebung in Barcelona am 28. Mai 1978 mit dem Generalsekretär der SKP, Santiago Carrillo und dem Sekretär der Sozialistischen Einheitspartei Kataloniens, Antonio Gutierrez Diaz, am 29. Mai 1978, Berlin 21.6. 1978, hier S. 4. SAPMO-BArch, DY/30/IV B 2/20/60, Information 79/1977 für das Politbüro, Rede und Interview des Generalsekretärs der IKP, Enrico Berlinguer, Quelle LʼUnità vom 19./20. Juni 1977, Berlin 28.06.1978, S. 1. Vgl. u. a. Wentker, Außenpolitik; Scholtysek, Außenpolitik der DDR.
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Am 28. Juli 1969 begann eine für diesen Zusammenhang exemplarische Prüfung der Revisionskommission der SED. Es kam zu einer ersten gemeinsamen „Aussprache der Genossen“ der Prüfgruppe mit dem Leiter der Abteilung für Internationale Verbindungen Paul Markowski. Zu Protokoll wurde gegeben: Die Verantwortlichkeit der Mitarbeiter der Abteilung für die Arbeit mit den Nomenklaturkadern ist zwar festgelegt, es gibt jedoch Unklarheiten, worin diese Verantwortung besteht. Es wird auch zu wenig kontrolliert, wie die Mitarbeiter dieser Verantwortung gerecht werden […] Das System der Verbindung zu den Parteisekretären der Auslandsvertretung reicht offensichtlich nicht aus, so daß mitunter erhebliche Zeitverzögerungen auftreten […] Die sich entwickelnde politisch-ökonomische Tätigkeit vieler Organe der DDR im Ausland (Niederlassungen der Spezialbetriebe, Kundendienst, Handelsorganisation u. a.) ist Ursache für eine von der Abteilung mit Aufmerksamkeit verfolgte Dezentralisierung bei Delegierungen und Weitergabe von Weisungen. Daraus resultiert von Fall zu Fall eine mangelhafte Information und auch Zusammenarbeit von Parteiorganisationen mit nachteiligen Auswirkungen auf das Parteileben. Eine einheitliche Ordnung oder Statut für Delegierungen in das Ausland besteht zur Zeit noch nicht.²⁴⁰
Die vernichtend negative Bewertung listete noch weitere Mängel auf, von fehlendem Material in den Auslandsfilialen bis hin zu nicht ausreichend ausgebildetem Personal. Kritik kam zudem nicht nur von den Kontrollinstanzen, sondern auch von innen. So berichteten „Genossen“ der GO der SED in Paris 1981, dass die Tätigkeit der Arbeitsgruppen im Ausland nur „sporadisch“ von der DDR aus organisiert sei und gleichsam „als ein notwendiges Übel“ betrachtet werde.²⁴¹ Dies bringe letztendlich mit sich, dass die Glaubwürdigkeit der Partei und der DDR im Ausland „auf bestimmte Grenzen stößt.“²⁴² Erhebliche Schwierigkeiten kennzeichneten die Arbeit der SED in Frankreich. Die Turbulenzen des Jahres 1968, das anschließende Aufkommen der „eurokommunistischen“ Lehre vom „dritten Weg“ während der siebziger Jahre²⁴³ sowie schließlich die achtziger Jahre mit den Reformversuchen in der kommunistischen Welt setzten den Beziehungen zwischen der SED und dem PCF sehr zu. Wie sich dieses Verhältnis im späten Kalten Krieg entwickelte bzw. auf welcher Ebene die Parteibeziehungen meistens stattfanden, soll im Folgenden nachgezeichnet werden. Darüber hinaus wird beleuchtet, wie Netzwerke und Seilschaf-
SAPMO-BArch, Zentrale Revisionskommission, DY/30/IV A 3 12, Bericht über die Prüfung in der Abt. Int. Verb. des ZK der SED, Berlin 18.9.1969, S. 14 f. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/14379, Protokoll über die Parteileitungssitzung am 5. 2. 1981, Paris 9. 2.1981, S. 1. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/14379, Protokoll über die Parteileitungssitzung, S. 1. Siehe Dörr, Die Beziehungen, S. 48 – 67.
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ten auf oft nicht hierarchisch geordnetem Terrain das außenpolitische Parteileben im kommunistischen Lager bestimmten und über das geopolitisch erwungene „Grenzdenken“²⁴⁴ hinweg funktionierten. Besonderes Augenmerk verdienen einerseits die offiziellen, auf der Ebene der Vorstände unterhaltenen Beziehungen, aber auch regional verankerte Initiativen, speziell diejenigen im Großraum Paris, die Einblicke in das transnationale und -lokale Verhältnis zwischen SED und PCF bzw. zwischen ihnen nahestehenden Organisationen ermöglichen. Die GOen der SED in Frankreich setzten sich Anfang der achtziger Jahre aus ca. 140 Mitgliedern zusammen, von denen rund 130 Mitarbeiter in der Pariser Botschaft tätig waren.²⁴⁵ Hierbei wird oft übersehen, wie bescheiden diese Zahl tatsächlich war. Wenn man sich vor Augen führt, dass die genannten Mitglieder die gesamte politische Arbeit in Frankreich zu bewältigen hatten, liegt es auf der Hand, dass die SED-Vertreter im ausländischen Dienst mit ihren Aufgaben wohl überfordert waren. Die Maßgabe, dass „unter Einbeziehung eines breiten Kreises von Genossen […] mehr mit den Gruppenorganisatoren, mit Arbeitsgruppen und Parteiaufträgen gearbeitet werden […]“²⁴⁶ sollte, lässt darauf schließen, dass der Grossteil der Beziehungen zwischen dem kommunistischen Frankreich und der DDR über lokale und regionale Kanäle abgewickelt wurde. Die daran beteiligten Akteure, etwa im Falle von Städtepartnerschaften, agierten dabei in Übereinstimmung mit eigens verfassten Statuten und personalen Arrangements. Diese besaßen gleich den allgemeinen Vorgaben „von oben“ verbindliche Natur.²⁴⁷ Die Kontrollinstanz bei der Staatspartei SED sah sich weder technisch noch fachlich imstande, die komplexen Austauschflüsse zu erfassen und übernahm in außenpolitischen Angelegenheiten die Funktion eines präventiven Aufsichtsorgans. Damit konnte lediglich das Erreichen allgemeiner Ziele gesichert werden, die meistens auf lukrative Devisengeschäfte für die marode DDR-Wirtschaft hinausliefen.²⁴⁸
Hierzu siehe u. a. Stephan Günzel (Hg.), Raum: ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2010. Und eine kleine Gruppe von insgesamt zehn Funktionären in Amiens. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/14920, Hinweise zur Arbeit der Parteiorganisation der SED der Botschaft der DDR in der Republik Frankreich, Berlin 1. 2.1982, S. 2– 3. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/14920, Hinweise zur Arbeit, S. 3. Hierzu Schuhmann (Hg.), Vernetzte Improvisationen. Der Inhalt der sogenannten „Kampfprogramme“ der Grundorganisation der SED in Frankreich, welche sich über die drei Jahrzehnte 1968 – 89 im Ton kaum veränderten, kann folgendermaßen umrissen werden: „Ausgehend von der Schlüsselrolle des Volkswirtschaftsplanes ist der Kampf um hohe Leistungen bei der termin-, vertrags- und qualitätsgerechten Realisierung der Planaufgaben und ihre gezielte Überbietung objektkonkret zu führen […] Das erfordert die kon-
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Die zivilgesellschaftlichen Verbindungen über die Grenze hinweg konnten derweil auf einer ganz eigenen Ebene geknüpft werden und sich somit vielen politischen Zwängen entziehen.²⁴⁹ Der Austausch über Themen wie Sport, Erziehung, Tourismus oder Gesundheitswesen ermöglichte eine gewisse Distanz zur Politik der Eliten und trug dazu bei, im Rahmen der einvernehmlich gestellten Aufgaben, nämlich des „Kampfes“ für Frieden und für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Bürger, einen „Raum des Vertrauens“ zu bilden, innerhalb dessen Praktiken und Repräsentationen sozial und nicht vorwiegend ideologisch institutionalisiert und konstruiert werden konnten.²⁵⁰ Hatten die bilateralen Beziehungen bis 1968 weitgehend unbelastet gepflegt werden können, so versetzte ihnen die Niederschlagung des „Prager Frühlings“ im August 1968 einen schweren Schlag.²⁵¹ Der PCF bemühte sich zunächst um eine kompromisslose Kritik der militärischen Intervention in Prag, revidierte jedoch seine Position nur drei Monate später, im November desselben Jahres.²⁵² Dieses Umschwenken betrachtete die SED als politisch vernünftig: Die französischen „Genossen“ seien wieder „auf Linie“ und, wie immer, auf das Wohl der Arbeiterklasse bedacht.²⁵³
sequente Sicherung der Vertragsbindung des Exportplanes mit Lieferanteilen von 25 % je Quartal […]“. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/14297, Kampfprogramm der GO der SED der Botschaft der DDR für 1985, S. 1. Hierzu Thiessen u. Windler (Hg.), Akteure und Außenbeziehungen, hier S. 128 – 129; Pernau, Transnationale Geschichte. Vgl. auch Bauerkämper u. Di Palma (Hg.), Bruderparteien, hier die Einleitung, S. 7– 26. Diese Verbindungen, die man auf Anhieb als transnational betrachten könnte, heben sich de facto von der traditionellen Kategorisierung des Nationalstaats ab, denn sie wurden trotz nationaler und eben auch transnationaler, in diesem Falle ideologischer Gegensätzlichkeiten gepflegt: Sie können somit als „translokal“ bezeichnet werden. Vgl. hierzu Ulrike Freitag: „Sofern ‚Transnationalismusʼ die Raumkategorien der Akteur/innen selbst überhaupt einbezieht, hat der Begriff aber die Tendenz, die Existenz von Nationalstaaten vorauszusetzen beziehungsweise die Sichtweisen nationaler Eliten zu privilegieren. ‚Translokalitätʼ hebt dagegen stärker auf die Vielfalt der räumlichen Ordnungen sowie die unterschiedlichen Raumwahrnehmungen der Akteure ab. Diese sind nicht (allein) von nationalen Grenzen und Territorien, sondern von den Wegen und Lokalitäten geprägt, auf bzw. zwischen denen sie sich bewegen.“ Ulrike Freitag, Translokalität als ein Zugang zur Geschichte globaler Verflechtungen, in: H-Soz-u-Kult, 10.06. 2005, http://hsozkult.ge schichte.hu-berlin.de/forum/2005-06-001 (zuletzt abgerufen am 19.07. 2021). Vgl. ferner Osterhammel, Transnationale Gesellschaftsgeschichte, S. 464– 479; Conrad, Doppelte Marginalisierung, S. 145 – 169. APCF, Fonds Waldeck Rochet, Rapport de Rochet au CC, Champigny, 5 – 6.12.1968. APCF, Fonds Waldeck Rochet, 307 J 134, Entretien à Moscou 4– 5.11.1968. SAPMO-Barch, Büro Hermann Axen, DY/30/IV 2/2.035/92, Einschätzung des gemeinsamen Programms von FKP und Sozialistischer Partei (ohne Datum), S. 9.
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Die ostdeutschen Machthaber begrüßten die Gründung der Linksunion, in welcher der PCF 1972 mit dem PS zusammenging, ebenfalls. Sie stelle einen bedeutenden Schritt auf dem Weg zur Konsolidierung sozialistischen Gedankenguts im westeuropäischen Land dar.²⁵⁴ Demnach, so SED-Beobachter, sei auch die Tuchfühlung des PCF mit der abweichenden Doktrin des Eurokommunismus Anfang der siebziger Jahre nicht überzubewerten.²⁵⁵ Die Europapolitik des PCF sei weiterhin ein beredter Beweis für die „klassenmäßige“ Haltung des PCF und für seine besondere Verbindung zum Realsozialismus. Dies habe sich etwa auch darin geäußert, dass der PCF-Vorstand nur wenige Tage vor dem französischen Referendum zum Eintritt in die EWG im Mai 1972 letztere als „kapitalistisches Instrument in den Händen westeuropäischer Großfirmen“ bezeichnet habe. Die erzielte knappe Mehrheit zugunsten des Beitritts interpretierte die SED als einen propagandistischen Sieg ihres westeuropäischen Verbündeten.²⁵⁶ Nach der diplomatischen Anerkennung der DDR Anfang der siebziger Jahre geriet der PCF dennoch auf der Agenda der SED allmählich in den Hintergrund. Die Ostdeutschen hielten ihren französischen „Genossen“ vor, die „positiven Aspekte“ der Regierung Giscard d‘Estaing nicht erkannt zu haben.²⁵⁷ Außerdem kritisierten sie die Unfähigkeit des PCF, die auf die Innenpolitik beschränkte Vision seines Vorstandes zu überwinden. Dies habe der internationalen Reputation des PCF geschadet und seine Vorrangstellung im westeuropäischen kommunistischen Raum – zugunsten des PCI – gefährdet. Dadurch begebe er sich schlichtweg in die politische Isolation.²⁵⁸ In der Tat hatte sich der PCF sogar während des Bestehens der Linksunion von 1972 bis 1977 eine kritische Position gegenüber dem Ostblock, insbesondere zur KPdSU, angeeignet, was seine Beziehungen zur SED zusehends in Mitleidenschaft zog. Die daraus entstandenen Meinungsverschiedenheiten, die mit der Auflösung der Linksunion 1977 allmählich überwunden werden sollten, fanden ihren vorläufigen Höhepunkt bei einer Tagung des ZK des PCF 1977, als Georges Marchais
SAPMO-Barch, Büro Hermann Axen, DY/30/IV 2/2.035/92, Einschätzung, S. 19 – 20. Vgl. Di Palma, Die SED, S. 83 – 84. Vgl. SAPMO-Barch, Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/190, Übersetzung aus „L’Humanité“ vom 17. 05. 1972 – Gaston Plissonnier, Die gesamte Partei in eine umfassende politische Massenaktivität einbeziehen, und Diskussionbeitrag Georges Marchais, ZK-Tagung – Paris, 16. bis 18. Mai 1972. SAPMO-Barch, Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/490, Die Haltung einiger Bruderparteien zu bestimmten Grundfragen der gegenwärtigen Lage und des Kampfes in Europa, (ohne Datum, wohl 1975), S. 40. SAPMO-Barch, Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/191, Bericht über den XXI. Parteitag der Französischen Kommunistischen Partei vom 4. bis 8. Februar 1976 in Paris/Saint-Ouen, Berlin 12.02.1976, S. 22.
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zu Protokoll gab: „Les soviétiques n’acceptent pas encore que nous utilisions notre propre indépendence à la fois pour notre propre politique et pour dire ce que nous avons à dire. Et bien, il faut qu’ils se fassent une raison, cette indépendence, nous l’utiliserons et nous la céderons pas là-dessus.“²⁵⁹ Wie bereits angedeutet, ließ die Rückkehr des PCF auf eine „klassenmäßige“, sowjetfreundliche Linie aber nicht lange auf sich warten. Ausdruck fand der Kurswechsel u. a. in der Kritik der Politik der Bundesrepublik und der deutschen Sozialdemokratie, was gleichzeitig eine Absage an den Reformkommunismus der italienischen „Genossen“ darstellte.²⁶⁰ Ein weiteres Indiz war die – wenn auch mit Zähneknirschen – durch den Vorstand ausgesprochene Befürwortung der sowjetischen Intervention in Afghanistan, die die Partei intern nachhaltig zerrütten sollte.²⁶¹ Die SED reagierte umgehend. Sie urteilte positiv über die konziliante Haltung des PCF zu den Ereignissen in Afghanistan, verknüpfte dies aber mit einer Verurteilung seines schwachen internationalen Engagements. Der PCF laufe dadurch Gefahr, wichtige aktuelle Themen wie die Friedenspolitik unberücksichtigt zu lassen, seine eigene Isolation zu vergrößern und seine traditionelle Anhängerschaft zu irritieren.²⁶² Er verstoße schließlich offen gegen die Prinzipien des proletarischen Internationalismus²⁶³, der von der SED Ende der siebziger Jahre zur Grundlage des eigenen internationalen Kurses erklärt worden war. Die politischen Differenzen mit dem PCF zu Beginn der achtziger Jahre schienen unauflösbar. Die französische Partei hatte es mit einer der schwersten
APCF, Polex, 264 J 17, Boite 2, Dossier 1, Transcription de la réunion du CC (31.3 – 3. 4. 1977), S. 3. Ferner auch APCF, Fonds Jean Kanapa, 317 J 13, Correspondence PCF-PCUS. Dabei handelt es sich um eine regelmäßig aktualisierte Korrespondenz zwischen den Leitungen des PCF und der KPdSU. Hierzu besonders relevant ist ein Eintrag vom 28. Oktober 1977, in dem die Divergenzen zwischen beiden Parteien thematisiert werden. Georges Marchais hatte in der Tat bei mehreren Reden im Pariser Saal „Mutualité“ 1975 und 1976 die Politik der KPdSU offen kritisiert.Vgl. dazu Le Monde, 26.9.1975, https://www.lemonde.fr/archives/article/1975/09/26/m-marchais-juge-tres-in suffisante-la-reflexion-de-m-mitterrand-sur-les-libertes_2591959_1819218.html (zuletzt abgerufen am 25.10. 2021). APCF, Polex, 264 J 17, Boite 2, Dossier 1, Discours Marchais: Note sur quelques questions d’actualitè, 2.1.1980, S. 1. APCF, Polex, 264 J 17, Boite 2, Dossier 1, Discours Marchais, S. 1. SAPMO-Barch, Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/189, Einschätzung der Haltung der FKP zu internationalen Fragen, 1980, S. 6 – 7. SAPMO-Barch, Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/189, Einschätzung der Haltung der FKP, S. 6 – 7. Vgl. Di Palma, Die SED, S. 85.
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Identitäts- und Wählerkrisen ihrer Geschichte zu tun.²⁶⁴ Damit konfrontiert, ging sie 1981 anlässlich einer ZK-Sitzung im Juni zur Selbstkritik über. Es hieß, die Partei habe offensichtlich nicht mit dem erforderlichen Ernst die Lehren des XX. Parteitags der KPdSU rezipiert und viel zu spät mit der notwendigen personellen und ideologischen Erneuerung begonnen.²⁶⁵ In Anbetracht der tiefen Spannungen zwischen dem Vorstand und der Basis blieb die erwähnte Modernisierung allerdings auch in den darauffolgenden Jahren aus. Über die Beteiligung des PCF an der Regierung Mitterrand, welche die Kommunisten seit 1981 mitgestalteten, herrschten ebenfalls eklatante Differenzen. Insbesondere die Basis artikulierte Kritik am Engagement der Partei in einer Regierung, durch welche die Starrheit der Kommunisten und die Entfremdung der Arbeiter gemeinhin nur weiter verfestigt werde.²⁶⁶ Die beschriebenen Entwicklungen verdeutlichen, dass die Beziehungen zwischen der SED und dem PCF während der achtziger Jahre eher durch bemühte Toleranz denn „proletarische Brüderlichkeit“ geprägt waren. Beide Parteien waren mit tiefgreifenden Veränderungen und Problemen in den eigenen Reihen beschäftigt. Die SED als Staatspartei verfügte freilich über weit größere Ressourcen; der PCF dagegen präsentierte sich als eine rasch schrumpfende, durch interne Konflikte gebeutelte Massenpartei, die an die Regeln der Regierungskoalitionen und des parlamentarischen Kampfes gebunden war. Das bilaterale Verhältnis sollte sich darüber hinaus durch „diplomatische“ Konflikte weiter verschlechtern. 1985 beispielsweise unterstellte der PCF der SED, die Politik der Regierung Mitterrand völlig missverstanden zu haben und durch ihre Zusammenarbeit mit der SPD und den italienischen Kommunisten dem amerikanischen Imperialismus in die Hände zu spielen.²⁶⁷ Dieser Vorwurf wog schwer und beeinflusste die bereits beschädigten Beziehungen auf Vorstandsebene durchweg negativ. Das Verhältnis blieb bis zum Mauerfall eher kühl.²⁶⁸
Vgl. Courtois u. Lazar, Histoire, hier S. 392. Ferner Andolfatto, PCF, hier S. 82– 83; Claude Pennetier u. Bernard Pudal, Autobiographies, autocritiques, aveux dans le monde communiste, Paris 2002. APCF, Archives Paul Laurent, Boite 22, Réunion du CC, S. 2. APCF, Archives Paul Laurent, 261 J 27/98, Rapport par Raymond Gosselet au CC, 10.7.1984, S. 4. SAPMO-Barch, Büro Hermann Axen, DY/30/IV 2/2.035/94, Information von Hermann Axen an Erich Honecker, Berlin 17.06.1985. Vgl. SAPMO-Barch, Büro Hermann Axen, DY/30/IV 2/2.035/94, Vermerk über das Gespräch zwischen Hermann Axen mit Maxime Gremetz am 14. Juni 1985 in Berlin, Berlin 17.06.1985.
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Kapitel 2: Dreiecksbeziehungen zur Zeit des Eurokommunismus
8 Die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) und ihre Auswirkungen auf die Dreiecksbeziehungen Die Vorgeschichte zur Etablierung der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) und später ihre Austragung stellen wichtige Etappen auf dem Weg zur Entspannung im späten Kalten Krieg dar.²⁶⁹ Auch für die hier untersuchten Länder und insbesondere für deren kommunistische Parteien – allen voran für die DDR bzw. die SED – stellten die Bemühungen um die Organisation der Konferenz auch symbolisch einen Faktor dar, auf den sowohl „real sozialistische“ als auch westeuropäische kommunistische Parteien zu reagieren hatten. Es ging den beteiligten Akteuren dabei insbesondere um die Erörterung einer neuen Form der friedlichen Koexistenz auf dem Kontinent, welche die Frage nach der Kompatibilität heterogener Interpretationen des Sozialismus unmittelbar miteinschloss. Die zahlreichen bi- und multilateralen Treffen, die der Anberaumung der Tagung vorausgingen, dienten außerdem dem Ausgleich von diplomatischen Schieflagen und in mehreren Fällen der Überwindung von Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf jeweils brisante nationale Interessen.²⁷⁰ Etliche Länder, vornehmlich des Ostblocks, verknüpften ihr Engagement für die Konferenz mit Debatten über ihre staatliche Souveränität, so beispielsweise die Volksrepublik Polen mit der DDR, Letztere mit der Bundesrepublik.²⁷¹ Die Verhandlungen über ein mögliches verbindliches Treffen hatten bereits in den fünfziger Jahren begonnen, als die KPdSU durch Wjatscheslaw Molotow ein entsprechendes Konzept hatte erarbeiten lassen.²⁷² Freilich galten alle Bemühungen seitens der UdSSR der Konsolidierung ihrer Vorherrschaft im Ostblock und trugen dazu bei, dass die Sicherheitspolitik auch in den Blickpunkt bedeutender westeuropäischer Länder geriet. 1964 gelang es dem polnischen Außenminister Adam Rapacki bei einer UN-Vollversammlung mit einem eigenen Konzept die Aufmerksamkeit seiner Kollegen auf die Bedeutung und Notwendigkeit einer Konferenz über Sicherheit
Vgl. Hanisch, DDR im KSZE-Prozess, S. 27– 28. Hanisch, DDR im KSZE-Prozess, S. 28 – 29. Vgl. Friedrich Karl Schramm / Wolfram-Georg Riggert / Alois Friedel (Hg.), Sicherheitskonferenz in Europa. Dokumentation 1954 – 1972. Die Bemühungen um Entspannung und Annäherung im politischen, militärischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlich-technologischen und kulturellen Bereich, Frankfurt a. M. 1972, hier S. 360 – 361. Schramm / Riggert / Friedel (Hg.), Sicherheitskonferenz, S. 363; ferner auch Hanisch, DDR im KSZE-Prozess, S. 28 – 29.
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und Zusammenarbeit zu lenken.²⁷³ Diesen Vorschlag Rapackis griffen sowjetische Diplomaten zwei Jahre später auf einem Treffen in Bukarest (Bukarester Deklaration) wieder auf. Dabei stellten sie Bedingungen zur Einberufung einer verbindlichen Besprechung, darunter die Anerkennung des geopolitischen Status quo in Europa – vor allem der deutsch-deutschen Grenze.²⁷⁴ Die osteuropäischen Vorhaben einer internationalen Konferenz zur Wahrung des europäischen Friedens trafen im Westen jedoch zunächst auf taube Ohren, denn sie enthielten zugleich unverhohlen Angriffe gegen die politische und diplomatische Ausrichtung verschiedener westeuropäischer Länder, allen voran der Bundesrepublik. Ihnen wurde vorgehalten, mit ihrem „imperialistischen Gebaren“ zu wenig zur allgemeinen Entspannung beizutragen. Die Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas im tschechoslowakischen Karlovy Vary 1967 konnte in dieser Hinsicht jedoch selbst keinen Durchbruch erzielen. Sogar im kommunistischen Lager gingen die Meinungen stark auseinander, verbanden die jeweiligen Redner, sowohl aus dem Westen als auch aus dem Osten, doch nach wie vor kontinentale sicherheitspolitische Belange mit ihren eigenen nationalen Interessen. Der militärische Einmarsch in Prag im August des darauffolgenden Jahres durch die Truppen des Warschauer Pakts konnte den Argwohn des Westens gegenüber den östlichen Verheißungen bezüglich Sicherheit und nationaler Unverletzlichkeit letztlich nur noch erhöhen.²⁷⁵ Der diplomatische Austausch und die Annäherung zwischen Ost und West hatten in den siebziger Jahren dann deutlich an Fahrt gewonnen. Die Einsicht, dass nun endlich Maßnahmen getroffen werden mussten, um die bi- und multilateralen Beziehungen über den „Eisernen Vorhang“ hinweg zu normalisieren, wurde von allen Regierungen des Kontinents geteilt. Daraus erwuchs die Überzeugung, dass ein hochrangiges Treffen von Vertretern europäischer Staaten zur Klärung gewichtiger politischer und menschenrechtlicher Fragen ohnehin erforderlich war. Dies gab letztlich den Ausschlag für die Wiederaufnahme von multilateralen Gesprächen zur Vorbereitung eines angemessenen Kolloquiums, in die sich auch die DDR einbringen konnte.
Schramm / Riggert / Friedel (Hg.), Sicherheitskonferenz, S. 415 – 416. Vgl. Hanisch, DDR im KSZE-Prozess, S. 29 – 30. Vgl. u. a. Douglas Selvage, The Warsaw Pact and the European Security Conference, 1964 – 69: Sovereignty, Hegemony, and the German Question, in: Andreas Wenger / Vojtech Mastny / Christian Nuenlist (Hg.), Origins of the European Security System: The Helsinki Process Revisited, 1965 – 75, London 2008, S. 85 – 106.
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Kapitel 2: Dreiecksbeziehungen zur Zeit des Eurokommunismus
8.1 Dreiecksbeziehungen im Lichte der KSZE-Vorbereitung Im Vorfeld der Austragung der KSZE erlebten die Dreiecksbeziehungen zwischen SED, PCI und PCF einen signifikanten Wandel, der vornehmlich mit der jeweiligen Machtposition der beiden westeuropäischen kommunistischen Parteien zu begründen war. Die SED war auf die Unterstützung sowohl des PCI als auch des PCF angewiesen, da beide nach wie vor wichtige Plattformen für die Aufnahme bzw. Aufrechterhaltung von nützlichen Kontakten zu Regierungsstellen in Italien und Frankreich darstellten. Das politische Gewicht des PCF war seit Anfang der siebziger Jahre durch seine Teilnahme am strategischen Bündnis mit dem rasch erstarkenden PS stetig gewachsen. Der Zusammenschluss mit den Sozialisten um Mitterrand bescherte den Kommunisten Frankreichs eine deutliche Machtzunahme, er trug aber gleichzeitig zu einem markanten Stimmenverlust in seiner traditionellen Wählerschaft bei, die den PCF seinen traditionellen Primat im linken Spektrum kostete. De facto hatte sich der PCF während des Bestehens der Linksunion von 1972 bis 1977 und anläßlich des Schulterschlusses mit dem PS zur Bildung einer Regierungskoalition von 1981 bis 1984 eine kritische Position gegenüber dem Ostblock, insbesondere zu der „Mutterpartei“ KPdSU, angeeignet. Dies hatte den Beziehungen zur SED erheblich geschadet. Die Spannungen, die sich nach dem Ende der Linksunion 1977 wieder auflösen sollten, erreichten ihren Höhepunkt 1977 bei einer Tagung des ZK des PCF, als sich Georges Marchais unmissverständlich die Einmischung der KPdSU in französische Parteiangelegenheiten verbat.²⁷⁶ Ein Jahr zuvor war vom PCF auf dem XXII. Parteitag in Saint-Denis der historische Beschluss gefasst worden, das Hauptziel der Etablierung einer sozialistischen Gesellschaft bzw. einer „Diktatur des Proletariats“ aus dem Programm zu streichen.Vor diesem Hintergrund erachtete die SED es für sinnvoll, die Akzentverschiebungen im westeuropäischen Kommunismus genauer zu beobachten. Auf solchen Einschätzungen beruhte nämlich ihre außenpolitische Strategie, die den politischen Gegebenheiten im Ausland kontinuierlich angepasst werden musste. Besonderes Augenmerk galt folglich der kulturellen Entwicklung des Eurokommunismus entlang der Achse Paris-Rom. SED-Beobachter der Abteilung für Internationale Verbindungen gaben 1975 zu Protokoll, dass die Haltungen des PCF und des PCI zur Europapolitik – so zur Rolle der NATO und zur Zusammenarbeit auf dem Kontinent – verblüffend ähn-
APCF, Polex, 264 J 17, Boite 2, Dossier 1, Transcription de la réunion du CC (31.3 – 3.4.1977), S. 3.
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lich seien. Berlinguer, so die Analyse der SED, stufe das NATO-Bündnis als „imperialistisch“ ein.²⁷⁷ Diese Grundeinschätzung lade nach Auffassung des Italieners zu neuen Lösungsansätzen hinsichtlich sicherheitspolitischer Fragen auf biund multilateraler Ebene ein. Die Überwindung der Blöcke sei somit nur dann möglich, wenn „der Entspannungsprozess auf politischem und miltärischem Gebiet und die Intensivierung der ökonomischen, wissenschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit voranschreiten.“²⁷⁸ Besonders nachvollziehbar fanden die Ost-Berliner die Sorge Berlinguers, dass der durch das Erstarken des konservativen CSU-Flügels unter Franz Josef Strauß verursachte „Rechtsruck“ in der Bundesrepublik die in seinen Augen sinnvolle und ausbaufähige Ostpolitik Brandts beeinträchtigen könne.²⁷⁹ Der PCF bescheinige dem Ostblock das Verdienst, Urheber und konsequenter Verfechter einer Entspannungspolitik zu sein, von der ganz Europa profitiere. Wenngleich die Franzosen auf die positiven Aspekte des von der KPdSU diktierten sicherheitspolitischen Denkens hinwiesen und für eine Stärkung der Kooperation zwischen Ost und West einträten – hob der SED-Funktionär hervor –, so würden sie den positiven Aspekten der Außenpolitik Giscard dʼEstaings zu wenig Aufmerksamkeit schenken, darunter dessen Bereitschaft zum Aufbau einer langfristigen wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Ländern.²⁸⁰ Minimale Divergenzen zwischen den beiden westeuropäischen Parteien wurden von der SED dennoch vermerkt. Bezugnehmend auf ein in Le Monde veröffentlichtes Interview mit Georges Marchais, hoben die Ostdeutschen beispielsweise auf die bestehenden Meinungsverschiedenheiten über die politische Entwicklung in Portugal nach der „Nelkenrevolution“ ab. Berlinguer hatte sich im Vorfeld kritisch über die „Institutionalisierung der Bewegung der Streitkräfte in Portugal (Movimento das Forças Armadas, MFA)“ geäußert. Auch hatte er Zweifel am Verbot von Parteien, u. a. der Christlich-Demokratischen Partei, angebracht.²⁸¹
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/490, Die Haltung einiger Bruderparteien zu bestimmten Grundfragen der gegenwärtigen Lage und des Kampfes in Europa, Italienische Kommunistische Partei, ohne Datum und Signatur (1975). SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/490, Die Haltung einiger Bruderparteien, S. 2– 3. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/490, Die Haltung einiger Bruderparteien, S. 4– 5. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/490, Die Haltung einiger Bruderparteien, S. 40. L’Humanité, 9.4.1975.
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Marchais blieb in seinen Äußerungen eher neutral und verbat sich eine jegliche Einmischung in Angelegenheiten eines souveränen Staates.²⁸² Im November 1975 gaben PCF und PCI, nach langer konzeptioneller Vorbereitung, ein gemeinsames Kommuniqué ab, das zunächst als richtungsweisendes „eurokommunistisches Manifest“ galt und eine Programmatik für ähnlich Gesinnte darstellte. Das Kommuniqué fand sowohl in Italien als auch in Frankreich beträchtlichen medialen Widerhall; auch die SED zollte ihm gebührende Aufmerksamkeit. Marchais bezeichnete die gemeinsame Erklärung als „beispielloses historisches Dokument.“ Die darin entworfene und mit demokratischen Mitteln zu realisierende Sozialismuskonzeption gründete sich auf Pluralismus bzw. Parlamentarismus und sprach somit dem „demokratischen Sozialismus“ das Wort. Kompromisslösungen bei etlichen wichtigen Fragen verliehen dem Text seinen ohnedies einmaligen Charakter. Im Allgemeinen bescheinigten die Ost-Berliner dem Dokument Realitätsferne und einen schwelenden Antisowjetismus, der vorrangig auf den negativen Einfluss der Italiener auf den PCF zurückzuführen sei.²⁸³ Der SED-Führung erschien der „eurokommunistische“ Text illusorisch. Das darin zum Ausdruck gebrachte Ansinnen beider Parteien, zur Demokratisierung der Nation und darüber hinaus des gesamten Kontinents beitragen zu wollen, sei utopisch und unterschätze schlichtweg die Gefahren, die aus den „reaktionären Machtkreisen“ hervorgingen, „als ob es ein Hinüberwachsen von der bürgerlichen in die sozialistische Demokratie in Form einer linearen Entwicklung ohne revolutionären qualitativen Sprung gäbe.“²⁸⁴ Für die „Indienstnahme“ des französischen durch den italienischen Kommunismus im Zeichen des sogenannten Eurokommunismus spräche auch die Tatsache, dass, so die SED-Beobachter, die für den PCI typischen revisionistischen Ansichten nun auch beim PCF Anklang fänden. Das Umschwenken der französischen Kommunisten auf solche „konterrevolutionären Positionen“ erklärte sich die SED einerseits mit dem schädlichen Einfluss des PCI, andererseits mit der komplizierten innenpolitischen Lage in Frankreich, vor allem mit dem Erstarken des PS innerhalb der Linksunion: „Die politisch-ideologische Annäherung beider Parteien beruht auf einer Sozialismuskonzeption, die mit ihrem pluralistischen, reformistischen und auch utopi-
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/187, Information Nr. 31/75 für das Politbüro über Fernsehinterview des Generalsekretärs der FKP, Georges Marchais, hier S. 2. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20 107, Einschätzung der Gemeinsamen Erklärung der FKP und der IKP vom 17. 11. 1975, Anlage, hier S. 3 – 5. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20 107, Einschätzung, S. 2.
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schen Gehalt faktisch dem realen Sozialismus in der SU, in der DDR und den anderen Bruderparteien gegenübergestellt wird.“²⁸⁵ Insgesamt zeichnete sich die Analyse der SED durch Einseitigkeit und Undifferenziertheit aus. Die Ostdeutschen ließen sich weniger von ideologischen denn opportunistisch-politischen Beweggründen leiten, wenn sie einerseits, wie oben ausgeführt, den PCF zu mehr internationalem Engagement und höherer Bereitschaft anregten, Formen der Zusammenarbeit mit Andersdenkenden (wie Giscard d‘Estaing) zu überprüfen, andererseits aber davor warnten, nicht dem reformistischen und revisionistischen Drang der italienischen Kommunisten zu verfallen. Jeweils einzeln betrachtet, waren die Ost-Berliner durchaus an einer Intensivierung ihrer Kontakte zu den beiden größten westeuropäischen kommunistischen Parteien interessiert; der Bildung und Konsolidierung eines internationalen kommunistischen Zentrums im Westen allerdings, das die Vormachtstellung Moskaus und des gesamten marxistisch-leninistischen Lagers hätte untergraben können, wollten sie mit allen Mitteln entgegenwirken. Ideologisch durfte weder eine Übereinstimmung noch eine Annäherung zwischen den Fronten gesucht oder erzielt werden, politische Vereinbarungen auf jeweils bilateraler Ebene stellte die SED aber nach wie vor in Aussicht. Die multilateralen Vorbereitungsgespräche für die KSZE wurden ab 1972 kontinuierlich intensiviert und fanden in der Regel in der finnischen Haupstadt Helsinki statt. Ende 1972 hatten die Teilnehmerstaaten ihre Grundsatzforderungen entworfen und präsentiert. Die ostdeutsche Delegation wurde vom Leiter der Abteilung Grundsatzfragen/Planung im MfAA, Siegfried Bock, geleitet.²⁸⁶ Nach der Erörterung verschiedener Erklärungen, in denen vor allem westeuropäische Staaten auf die Bedeutung eines freien Austauschs von Ideen, Informationen und kulturellen Erzeugnissen verwiesen, traten die Differenzen zwischen den Vertretern des Ostblocks und des Westens klar zutage. Die sowjetischen „Genossen“ zeigten sich nicht gewillt, Konzessionen bezüglich der erwähnten Meinungs- und Informationsfreiheit zu gewähren und wollten die Vorgespräche zunächst auf die Festlegung von sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen wie der Nichtanwendung von Gewalt, Unverletztlichkeit bestehender Grenzen und Achtung der nationalen Souveränität beschränken.²⁸⁷ Die alleinige Tatsache, dass die DDR am Verhandlungstisch zugegen sein durfte, werteten die SED-Machthaber als einen Sieg bzw. als Bestätigung, dass
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20 107, Einschätzung, S. 8. Vgl. Hanisch, DDR im KSZE-Prozess, S. 50 – 51. Hanisch, DDR im KSZE-Prozess, S. 51.
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ihre Anerkennung nun auch im internationalen Konzert vollzogen war. Wie Anja Hanisch zu Recht hervorhebt, war der Handlungsspielraum der ostdeutschen Partei sowohl in den vorbereitenden Gesprächen als auch während der Verhandlungen 1975 in Helsinki und der Konzipierung von verbindlichen Erklärungen trotz allen Jubels über die „völlige Gleichberechtigung“ der DDR jedoch äußerst gering.²⁸⁸ Ohne Absprache mit der UdSSR durften die SED-Entsandten de facto nichts entscheiden, geschweige denn eigene Initiativen ergreifen. Die unterbreiteten Grundsatzvorschläge zu Fragen wie Reisen, Eheschließung und eben freier Zugang zu Informationen (Korb III) blieben nach wie vor für den gesamten Ostblock problematisch – besonders für die DDR, deren völkerrechtliche Basis trotz der formal erreichten Anerkennung sehr fragil schien. Um Widersprüche zu vermeiden, einigten sich die Vertreter der „real sozialistischen“ Länder darauf, den Vorschlägen aus Korb III erst dann zuzustimmen, wenn jeder darin einzeln genannte Punkt an weitere Prinzipien gebunden würde wie z. B. „souveräne Gleichheit“ oder „Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten“, die in einer Präambel untergebracht werden müssten.²⁸⁹ Damit zielte der Ostblock darauf ab, dass die Überprüfung der Einhaltung der vom Westen geforderten persönlichen Freiheiten im europäischen Rahmen vor allem den jeweils nationalstaatlichen Institutionen obliegen sollte. Einen Rückschlag für die DDR-Delegation stellte die Vorvereinbarung zwischen Vertretern der USA und der UdSSR dar, dem Prinzip der nationalen Souveränität eine Zusatzerklärung hinzufügen, in der die „friedliche Änderung von Grenzen“, d. h. im Rahmen des geltenden Völkerrechts und ohne Anwendung von Gewalt, als Möglichkeit erwähnt werden sollte.²⁹⁰ Den konzeptionellen Vorbereitungen zur KSZE waren mehrere bi- und multilaterale Zusammenkünfte zwischen der SED, dem PCF und dem PCI vorgelagert, bei denen die Gestaltung der jeweils gegenseitigen Beziehungen und ab Frühjahr 1975 auch die Organisation der Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien in Ost-Berlin 1976 zur Debatte standen. Besonders augenfällig war ab Mitte der siebziger Jahre das Missfallen der KPdSU über die Vorgehensweise des PCF, der sich als Mitglied der Linksunion häufig „Ausfälle“ gegen den Ostblock erlaubte. Die KPdSU warnte deshalb die SED mehmals davor, der „reformistischen
Hanisch, DDR im KSZE-Prozess, S. 52– 53. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/J IV 2/2/1486, Schlußfolgerungen für das weitere Auftreten der Delegation der DDR, Bl. 55 – 56. Vgl. Luigi Vittorio Ferraris (Hg.), Report on a negotiation. Helsinki, Geneva, Helsinki 1972 – 1975, Alphen an den Rjin 1979, S. 49 – 50.
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Propaganda“ der Pariser „Genossen“ zu verfallen und ersuchte sie oft um Hilfe für entsprechende Gegenmaßnahmen.²⁹¹ Der Hinweis der Moskauer „Genossen“ blieb in Ost-Berlin nicht ohne Folgen. In der Tat erlebten die bilateralen Beziehungen zwischen der SED und dem PCF eine Abkühlung, die parallel zur allgemeinen Verlagerung der außenpolitischen Interessen Ost-Berlins verlief. In einem Dossier über die Haltung der „Bruderparteien“ zu der für Juni 1976 angesetzten Berliner Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas ließen SED-Kommentatoren keinen Zweifel darüber aufkommen, dass der PCF seinen politischen Kurs massiv geändert habe. Man bedauerte vor allem, dass der Pariser Vorstand „es freilich vermied, aktiv an der politischen Auseinandersetzung mit den von den Prinzipien des MarxismusLeninismus abweichenden Positionen der IKP, des BdKJ und der KP Spaniens teilzunehmen.“²⁹² Außerdem wurde die Vorbereitungsarbeit des PCF äußerst negativ bewertet: Er habe sich lediglich dafür eingesetzt, dass der gemeinsamen Erklärung der kommunistischen Parteien eine Präambel vorangestellt werde, die das Konferenzthema auf die weitere Konsolidierung der friedlichen Koexistenz begrenze.²⁹³ Auf die aktive Mitarbeit des PCF bei der Vorbereitung der großen Konferenz in Ost-Berlin wollte die SED dennoch nicht verzichten. Vor allem war sie darauf bedacht, die Franzosen auch propagandistisch in die weitere Arbeit einzuspannen. Bei den Überlegungen zur Konsultation mit den französischen „Genossen“ stand die „Notwendigkeit, [sie] von der Richtigkeit eines prinzipiellen, aber zugleich flexiblen Vorgehens zu überzeugen“²⁹⁴ im Vordergrund. Der Vorentwurf für das Schlusskommuniqué sei sinnvoll, so die Kommentatoren, und entspreche der realen Situation im kommunistischen Lager Europas. Er sei von verschiedenen Parteien, darunter auch von in der Regel „kritischen“ Parteien wie dem PCI, dem BdKJ (Jugoslawien), der RKP (Schweden) und dem PCE (Spanien) angenommen worden, die sich fruchtbare Ergebnisse von den Verhandlungen versprächen.²⁹⁵
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/188, Ohne Titel (Streng vertraulich), vom ZK der KPdSU an die SED, (an das Büro Markowski 5.01.1976). SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/189, Dossier über die Haltung der Bruderparteien zur Berliner Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas – Französische Kommunistische Partei, ohne Datum und Signatur (wohl 1975). SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/189, Dossier über die Haltung der Bruderparteien, S. 3. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/508, Überlegungen für die Konsultation mit der Französischen Kommunistischen Partei, 3.06.1975, hier S. 1. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/508, Überlegungen, S. 6.
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In Wahrheit traf der Vorentwurf wiederum bei den Italienern auf eine ambivalente Rezeption. Insgesamt löste der Text wenig Begeisterung aus, der römische Vorstand war jedoch gewillt, weiterhin an der Vorbereitung zur Ost-Berliner Konferenz mitzuwirken und zu einem möglichst konstruktiven Gedankenaustausch beizutragen. Aus einem Bericht über diesbezügliche Konsultationen zwischen SED und PCI geht hervor, dass sich die Italiener trotz massiver ideologischer Vorbehalte weiterhin aktiv beteiligen wollten.²⁹⁶ Giancarlo Pajetta machte dabei wiederholt darauf aufmerksam, dass die Teilnehmer der Konferenz sich der erstarkenden Sozialdemokratie in Europa nicht mehr verschließen dürften. Vor dem Hintergrund des bevorstehenden Gipfeltreffens der KSZE in Helsinki, das im August stattfinden und bei dem trotz aller Differenzen doch Einigkeit in grundsätzlichen Fragen der Zusammenarbeit und des Zusammenlebens in Europa demonstriert werden sollte, gab der Italiener zu bedenken, es sei an der Zeit, dass die kommunistischen Parteien die Sozialdemokraten als „vorrangige Kraft“ der Arbeiterbewegung in Westeuropa anerkannten und keinen Dialog mit diesen scheuten.²⁹⁷ Die Politik des PCF gegenüber dem Ostblock und Ost-Berlin gestaltete sich hingegen unbeständig. Nur wenige Monate nach Unterzeichung der Schlussakte von Helsinki, die als wichtiges Ergebnis von multilateralen Bemühungen um Entspannung und Abrüstung zu betrachten war, wurde der PCF bei der SED vorstellig mit der Bitte um Berichtigung von Missverständnissen der Vergangenheit und um Vermittlung bei der KPdSU. In einem Telegramm des PCF an Hermann Axen ist die genaue Abfolge der Ereignisse detailliert beschrieben: Gaston Plissonnier kam auf seinen Wunsch am 23.12. abends zu mir […]. Doch wisse (Plissonnier), daß wir fest auf Grundpositionen Marxismus/Leninismus, Solidarität mit Bruderparteien, unbedingter Treue zur KPdSU und UdSSR bestehen[…], und – das sagte er mit Nachdruck – in Grundpositionen der FKP werde es keinerlei Wechsel geben. Niemals werde FKP eine Politik zulassen wie IKP und KPSp […].“²⁹⁸
Axen informierte die KPdSU umgehend über die Beschwörungen Plissonniers, die in Moskau enthusiastisch begrüßt wurden. In einem Brief an das Politbüro des
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/508, Bericht über eine Konsultation des Genossen Paul Markowski, Mitglied des ZK und Leiter der Abteilung Internationale Verbindungen, mit Vertretern des ZK der Italienischen Kommunistischen Partei am 19. und 20. Juni 1975 in Rom, hier S. 3 – 4. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/508, Bericht über eine Konsultation, S. 5 – 6. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV 2/2.035 92, Telegramm Absender: Paris Empfänger: Hermann Axen 29. 12. 1975, hier S. 1.
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PCF erklärten die Moskauer, dass die allgemein in mehreren westeuropäischen Ländern aufkommende „antisowjetische Hetze“ Grund zu Besorgnis gäbe. Vor allem sei der UdSSR oft und fälschlicherweise unterstellt worden, dass sie Menschenrechte und Demokratie nicht respektieren würde. Schließlich brachten die „Genossen“ ihre Dankbarkeit darüber zum Ausdruck, dass die westliche „Bruderpartei“ mehrmals Stellung dagegen bezogen und die Vorzüge der sozialistischen Demokratie gegenüber der bürgerlichen aufgezeigt habe.²⁹⁹ Die Schlussakte von Helsinki vom August 1975 war der SED trotz aller feierlichen Propaganda ein Dorn im Auge. Der ungekürzte Originaltext der Akte wurde im ND abgedruckt,³⁰⁰ was auch im Ausland auf Überraschung stieß.³⁰¹ Bedenken zu umstrittenen Passagen hatte die Delegation der SED, die an den Vorbereitungsgesprächen teilgenommen hatte, bereits geäußert und intern zur Diskussion gebracht. Allerlei Prinzipien zu Menschenrechten, die sowohl im Korb I der Erklärungen als auch im Korb III enthalten waren, stellten für die Ost-Berliner Machthaber eine Herausforderung dar. Als besonders problematisch wurde das Schlagwort „Freizügigkeit“ empfunden, das in etliche in der Schlussakte formulierte Bestimmungen trotz der Missbilligung der SED doch aufgenommen worden war.³⁰² Das vom SED-Vorstand befürchtete mobilisierende Potential der Hinweise auf freien Austausch von Informationen und Wissen veranlasste Honecker bereits ab 1973 dazu, Parteifunktionäre jeden Ranges zu besonderer Umsicht und Wachsamkeit im Umgang mit ausländischen Akteuren (insbesondere aus der Bundesrepublik) aufzufordern. Es bestünde nämlich die Gefahr, dass infolge der Neuregelung die Grenzen der DDR „aufgeweicht“ und Infiltrierungen ausgesetzt würden.³⁰³ Die DDR, so der Erste Generalsekretär weiter, wolle sich der neuen Realität nicht verschließen und sei an der Ausweitung von nützlichen Kontakten auf jeder Ebene interessiert.³⁰⁴ Dies dürfe aber der Achtung der nationalen Inte-
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV 2/2.035 92, Telegramm Absender, S. 2. ND, 2./3.08.1975. Vgl. Wentker, Außenpolitik, S. 447– 448. Vgl. Hanisch, DDR im KSZE-Prozess, S. 90 – 91. SAPMO-BArch, Büro Honecker, DY/30/2147, Ausführungen des Ersten Sekretärs der SED, Genossen Erich Honecker, auf der Beratung des Sekretariats des Zentralkomitees der SED mit den 1. Sekretären der Bezirksleitungen am 31. 01. 1973. SAPMO-BArch, DDR-Komitee für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit, DZ/22/100 Reihe 82, Erklärung des DDR-Komitees 14. 8. 1975. Darin ist u. a. zu lesen: „Wir sehen in der Schlussakte von Helsinki die umfassendste Vereinbarung über zwischenstaatliche Beziehungen entsprechend den Prinzipien der friedlichen Koexistenz zwischen Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung. Besondere Bedeutung messen wir den im Schlußdokument formulierten 10
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grität und Souveränität keinen Abbruch tun, womit nicht zuletzt auf eine etwaige Gefährdung der inneren Stabilität durch den Missbrauch von Transitwegen angespielt wurde.³⁰⁵ Besorgt zeigte sich die Partei besonders hinsichtlich einer möglichen Welle von Ausreiseanträgen,³⁰⁶ sowohl aus der breiten Bevölkerung als auch durch Parteimitglieder, die zugunsten des besseren Austauschs mit dem Ausland auf ein solches Recht hätten Bezug nehmen können.³⁰⁷
8.2 Bilaterale Beziehungen vor einem plötzlichen Kurswechsel: PCI und PCF Mitte der siebziger Jahre Die Beziehungen zwischen PCI und PCF begannen Mitte der siebziger Jahre trotz aller formalen Versuche, die Zusammenarbeit im politisch-propagandistischen Sinne aufrechtzuerhalten, an Intensität und Bedeutung abzunehmen. Dies war auf verschiedene Gründe zurückzuführen: Einerseits entsprach der Kurs des PCI, der stark auf internationale Präsenz setzte, den Zielen des PCF nicht im Geringsten; andererseits wirkte sich die schwelende „Moskauhörigkeit“ der Pariser Führung insgesamt ungünstig auf die Verbindungen zu den Italienern aus. Wie sehr sich die Italiener den Internationalismus zu eigen gemacht hatten, zeigt sich anschaulich an ihrem Umgang mit den sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien Westeuropas. Sie pflegten rege Beziehungen zu allen demokratisch gesinnten Gruppierungen und versuchten, ihre politischen Kontrahenten im außerparlamentarischen Wettbewerb auszustechen, so etwa durch Propaganda und zivilgesellschaftliches Engagement zur allgemeinen Besserstellung aller Arbeiter. Mit Blick auf Frankreich war sich der PCI wohl darüber im Klaren, dass die Linksunion gleichsam naturgemäß auf eine Vorrangstellung des PS gegenüber dem PCF hinauslaufen würde. Tatsächlich bestätigte die Entwicklung im Laufe der siebziger Jahre diese Prognose: Das Verhältnis zwischen beiden Parteien der französischen Linken verschlechterte sich zusehends. Trotz aller Beschwörungen vonseiten der PS-Führung, auch gegenüber italienischen „Genossen“, dass Mitterrand und seine Weggefährten sich den Koalitionsver-
politischen Grundprinzipien des Verhaltens von Staaten untereinander zu […]. Diese Prinzipien müssen die Grundlage für die Errichtung eines stabilen Gebäudes des europäischen Friedens bilden.“ SAPMO-BArch, DDR-Komitee für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit, DZ/22/100 Reihe 82, Erklärung des DDR-Komitees. Siehe hierzu auch Peter Steglich u. Günter Leuschner, KSZE – Fossil oder Hoffnung, Berlin 1996, S. 53 – 54. Vgl. Hanisch, DDR im KSZE-Prozess, S. 100.
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pflichtungen gegenüber „loyal“ verhalten wollten, brachen zwischen PS und PCF wiederholt Streitigkeiten aus. Bei einem Treffen im Mai 1975 in Paris betonte Mitterrand gegenüber einer italienischen PCI-Delegation, dass es naheliegend sei, dass sich seine Partei und der PCF trotz der strategischen Allianz zu Konkurrenten entwickelten. In ihrem politischen Kampf gehe es nämlich um den Primat innerhalb der Arbeiterbewegung und darüber hinaus bei den „Massen“ der Arbeitnehmer in Frankreich. Gleichwohl, fügte er hinzu, wünsche sich der PS keinen offenen „Krieg“, weder mit der Führung noch mit der Anhängerschaft des PCF.³⁰⁸ Frühere Bestrebungen von PCI und PCF, wie etwa das vereinbarte gemeinsame Vorgehen gegen die „imperialistischen Kräfte“ Europas und die engere Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Sozialpolitik, fanden in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre kaum mehr praktische Umsetzung. Ausschlaggebend hierfür waren in erster Linie politische Differenzen. Unstimmigkeiten im konzeptionellen Rahmen hatten bereits länger bestanden, sie zählten gleichsam zu den konstitutiven Unterscheidungsmerkmalen der Parteien, von denen beide lediglich aus strategischen Gründen absahen, um ein protokollarisches Zusammengehen vereinbaren zu können. Kurzum: Die in gemeinsamen Erklärungen und Verlautbarungen zur Schau gestellte Einigkeit konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die vorhandenen theoretischen und ideologischen Unterschiede wohl unüberbrückbar waren. Im September 1975 trafen Vertreter von PCI und PCF in Paris zusammen. Zur Debatte stand eigentlich der weitere Ausbau der bilateralen Beziehungen; in den Vordergrund der Gespräche rückten dann allerdings andere brisante Themen wie das Verhältnis zum NATO-Bündnis und die europäische Strategie des westeuropäischen Kommunismus. Die Beteiligten machten gleich zu Beginn keinen Hehl daraus, dass zwischen ihnen tiefgreifende Divergenzen hinsichtlich diverser Probleme bestünden. Was die „Nelkenrevolution“ 1974 in Portugal anbelangte, vertraten die Franzosen die Ansicht, dass die portugiesischen „Genossen“ verfrüht zum „Sozialismus“ aufgerufen hätten. Bis zum vereitelten Putschversuch General Spinolas im März 1975, der beabsichtigt hatte, konservativen Kräften zurück an die Macht zu verhelfen, wären „die Sachen noch in den rechten Bahnen verlaufen“; General de Carvalho, einer der Anführer der Revolution, und Mario Soares von der sozialistischen Partei hätten das Land nach dem Ende der Diktatur ins Chaos gestürzt.³⁰⁹ Eine solche „Polemik um jeden Preis“ interpretierten die APCI, Archivio Berlinguer, Sez. Mov. Op. Int., 135, Bozza dettata da Cervetti, 9.05.1975, hier S. 2– 3. APCI, Archivio Berlinguer, Sez. Mov. Op. Int., 129, Informazione sull’incontro di Parigi (29. 09. 1975), Rom 9.10.1975, hier S. 4.
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Italiener dahingehend, dass die Pariser „Genossen“ neue politische Positionen benötigten bzw. sich zurechtzulegen wünschten, um sich vom PS abzuheben. Ein wesentlich schärferes Profil schien dem PCF besonders wichtig, war die Partei doch mit einer zunehmenden Identitäts- und Wählerkrise konfrontiert. Vor allem aber schien sie aus Sicht der italienischen Kommunisten darauf bedacht zu verdeutlichen, dass sie sich nicht mit der Rolle des „Steigbügelhalters“ in der Linksunion begnügen wollte und bereit war, der erstarkenden Partei Mitterrands die Stirn zu bieten.³¹⁰ In diesen Kontext, so schätzten die Italiener, sei auch ihre Opposition gegen die Tendenz etlicher „real sozialistischer“ Staaten einzuordnen, eine Politik der Entspannung gegenüber Frankreich mit seiner bürgerlichen Regierung betreiben zu wollen. Der PCF betrachtete es als einen groben Fehler, den „hohlen“ Verheißungen Giscard d‘Estaings zu verfallen, der in Wahrheit lediglich bestrebt sei, den Interessen des Großkapitals und der USA zu entsprechen.³¹¹ Die Italiener waren überzeugt, der PCF tappe somit in eine Falle: Er wolle weder als Agent der KPdSU in Westeuropa angesehen werden noch seine traditionelle Opposition gegen die konservativen Kräfte des Landes aufgeben, mit der sich seine Anhängerschaft seit jeher identifizierte. Im Vorfeld der Ost-Berliner Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas habe der PCF deshalb vorgeschlagen, dass sich ein gemeinsames Dokument der Konferenz nicht nur auf einen Aufruf zu mehr Zusammenarbeit beschränken dürfe, sondern weiterhin die Beteiligten zum „Klassenkampf, gegen den Imperialismus und für die Demokratie“ verpflichten solle.³¹² Weitere Probleme überschatteten die bilateralen Beziehungen Mitte der siebziger Jahre. Diese waren u. a. auf die jeweils innenpolitischen Entwicklungen zurückzuführen, die äußerst unterschiedlich ausfielen. Der Machtzuwachs des PS setzte dem PCF augenscheinlich zu und belastete das Selbstvertrauen der Pariser „Genossen“, die sonst das linke Spektrum im Alleingang zu führen gewohnt waren. Hingegen gelang es dem PS bei den Départementswahlen 1976 erstmalig, dem PCF den Rang abzulaufen. Mit 26,2 % gegen 21,8 % der Stimmen war er zur stärksten Kraft der Linksunion aufgestiegen.³¹³ Diametral entgegengesetzt war es um den PCI in Italien bestellt. Nach dem vorzeitigen Ende der Regierung Moro-La Malfa im Juni 1975, verursacht durch den Rücktritt der Sozialisten, war es Ersterem gelungen, eine transitorische, durch die DC dominierte Regierungskoalition an die Macht zu bringen. Die Rahmenbedin-
APCI, Archivio Berlinguer, Sez. Mov. Op. Int., 129, Informazione, S. 5 – 6. APCI, Archivio Berlinguer, Sez. Mov. Op. Int., 129, Informazione, S. 5 – 6. APCI, Archivio Berlinguer, Sez. Mov. Op. Int., 129, Informazione, S. 7. Vgl. Lazar, Le communisme, S. 189 – 190.
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gungen, unter denen diese sich zu arbeiten anschickte, waren denkbar schlecht: Die Wirtschaftskrise griff um sich, die Arbeitslosenquote stieg rasch und das Land war von der Lockheed-Affäre, in die selbst Staatspräsident Giovanni Leone verstrickt gewesen sein soll, erschüttert.³¹⁴ Der PCI hatte auf dem XIV. Parteitag im März 1975 in Rom aufgrund seines steten Zuwachses und als Antwort auf interne Forderungen nach Modernisierung wichtige Reformen in die Wege geleitet: Das Politbüro wurde abgeschafft, das Zentralkomitee „verschlankt“ und dadurch effizienter gestaltet. Die Veränderungen liefen auf einen eindeutigen Machtzuwachs für Generalsekretär Berlinguer hinaus, der dadurch schneller in die Entscheidungsprozesse der Partei eingreifen konnte.³¹⁵ Der chaotische Zustand, der aus dem Lockheed-Skandal erwachsen war, ließ Neuwahlen erforderlich erscheinen. Diese wurden für Juni 1976 angesetzt und von vornherein zu einem Ereignis „epochaler Tragweite“ sowohl für Italien als auch für die gesamte westliche Welt stilisiert.³¹⁶ De facto verhalfen die starke mediale Polarisierung und Überhöhung der gesamten Wahlen dem PCI zu einem weiteren Wählerzuwachs auf 34,4 % der Stimmen. Zum Sieg reichte es dennoch nicht. Die von der DC daraufhin gebildete und von Giulio Andreotti geführte Regierung konnte sich aber weder über den PCI hinwegsetzen noch sich einer Kooperation mit den italienischen Kommunisten entziehen, wenngleich diese nicht an der Regierung beteiligt waren. Der PCI stellte somit Mitte der siebziger Jahre eine etablierte Macht dar, mit der sowohl die traditionell stärkste Partei Italiens, die DC, als auch weitere europäische Akteure zu rechnen hatten. Der PCF hingegen befand sich in einer politischen und strategischen Krise, die sich in der darauffolgenden Dekade schließlich noch vertiefte. Ressentiments, Argwohn und nicht zuletzt sogar Neid gegenüber den italienischen „Genossen“ mussten bei der weiteren Gestaltung der bilateralen Verbindungen unweigerlich ins Gewicht fallen. In einer mit dem Prädikat „dringend“ versehenen Note aus Paris an das Sekretariat des PCI verwiesen italienische Entsandte auf einen regelrechten verbalen Ausfall Jean Kanapas an die Adresse der italienischen Kommunisten:
Vgl. u. a. Schoch, Die internationale Politik, S. 291– 292. Vgl. u. a. Piero Ignazi u. Colette Ysmal (Hg.), The Organisation of political Parties in Southern Europe, Westport 1998, hier S. 103 – 114; Fulco Lanchester, I delegati ai congressi nazionali, in: Massimo Ilardi u. Aris Accornero (Hg.), Il Partito Comunista Italiano. Storia e struttura dell’organizzazione 1921 – 1979, Mailand 1982, S. 619 – 672; Chiara Sebastiani, Organi dirigenti nazionali: Composizione, Meccanismi di Formazione e di Evoluzione 1945 – 1979, in: Ilardi u. Accornero, Il Partito Comunista Italiano, S. 387– 444; Massimo Ilardi u. Aris Accornero, Il Ceto politico del Compromesso Storico, in: Laboratorio Politico, 2– 3, 1982, S. 211– 240. Schoch, Die internationale Politik, S. 291– 292.
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Jean Kanapa wettert gegen den PCI. Die Partei beharre auf der Aufrechterhaltung des status quo, was de facto die Aufgabe jeglicher revolutionären Strategie bedeute. Compromesso storico definiert er reformistisch und fügt hinzu, der PCI sei nunmehr integrierter Bestandteil der NATO und nicht mehr auf klassenmäßigen Positionen. PCI-Genossen, die der Rede Kanapas beiwohnten, waren regelrecht verdutzt. Sie meinten, Kanapas Bericht sei provokatorisch und unehrlich. Diese Stellungnahme habe wohl noch nicht die Basis der Partei erreicht, es habe aber den Anschein, als bereite der PCF dies vor.Vor diesem Hintergrund, wozu ein Treffen Marchais-Berlinguer? Pancaldi begründet solch überraschende Rede Kanapas mit der zunehmenden Schwäche des PCF, der, durch das Erstarken der PS irritiert und intern (auch im Vorstand) gespalten, erneut in die Defensive geht und nicht davor zurückschreckt, auf das Mittel der Verleumdung zurückzugreifen.³¹⁷
Es war die feste Überzeugung der Italiener, dass die Pariser „Genossen“ den Überblick verloren und, in internen Rivalitäten verfangen, die Chance verpasst hätten, ihre Partei ideologisch und personell zu erneuern. Der PCF schotte sich allmählich ab und verabscheue jegliche internationale Zusammenarbeit, konstatierte Enzo Baldassi, PCI-Abgeordneter und Funktionär im Bereich der Städtepartnerschaften. Dies erkläre auch die Entscheidung des PCF, so Baldassi, nicht länger mit der FMVJ zu kooperieren, solange sich der Sozialist Jean-Marie Bressand dort an der Führung halte. Der „Genosse“ wies vergleichend darauf hin, dass sogar die DDR und die UdSSR, obgleich sie das Handeln Bressands oft ähnlich kritisierten, weiterhin an den Aktivitäten der FMVJ beteiligt seien.³¹⁸ Bürgerliche Zeitungen in Italien vermerkten den „kompletten Bruch“ in den Beziehungen zwischen den beiden kommunistischen Parteien und beriefen sich dabei auf die Erklärung Marchaisʼ, dass der PCF einen Schulterschluss mit Christdemokraten, wie ihn der PCI angeblich im Schilde führe, niemals billigen würde.³¹⁹ Gleichzeitig scheute der PCF offenbar nicht davor zurück, die Italiener zum positiven Ergebnis bei den Kommunalwahlen im Juni 1975 zu beglückwünschen.³²⁰ Auch der „Solidaritätsaufruf“ von Mario Soares, dem Generalsekretär des PS Portugals, der den PCI, den PCF, den PCE und den PCP zu einem strate-
APCI, Sezione Estero, Microfilm 206, Riservato, Nota alla direzione, di Pancaldi, da Parigi 5. 5. 1975, S. 3. APCI, Sezione Estero, Microfilm 206, Nota alla segreteria, di Enzo Baldassi, 13. 5.1975. Mehrere Artikel in bürgerlichen italienischen Zeitungen beriefen sich auf ein Interview mit Marchais im französischen Fernsehen, darunter: Che cosa ha detto Marchais, in: Europeo, 16.5. 1975. Darin wird der französische Generalsekretär wörtlich zitiert: „Der PCI hat vor, eine Allianz mit den Christdemokraten einzugehen, wir nicht. Ich werde eine solche Strategie wie die des PCI nie zulassen.“ Messaggio di Marchais a Berlinguer, in: L’Unità, 19.6.1975. Dem schloss sich auch Erich Honecker an, in: L’Unità, 18.5.1975.
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gischen Zusammenkommen eingeladen hatte, scheiterte an den immer eindeutiger zutage tretenden Divergenzen im „eurokommunistischen Raum“.³²¹ Aus Paris überschlugen sich indes die Berichte italienischer „Genossen“ an die Parteiführung in Rom, wonach der PCF einem Kollaps nahestand. Augusto Pancaldi, Korrespondent der Unità, schrieb Ende Juni 1975, dass die Pariser Leitung gespalten, frustriert und verbittert erscheine, wofür mehrere Gründe auszumachen seien.³²² Schwer wiege zum einen der komplizierte Umgang mit dem Verbündeten, dem PS. Dieser weigere sich oft, gemeinsame Kampagnen und Demonstrationen zu veranstalten, da er die meisten theoretischen Positionen und Stellungnahmen des PCF zu nationalen und internationalen Ereignissen schlichtweg nicht teile.³²³ Auch zum PCI, merkte Pancaldi ferner an, pflege der PCF ein gespaltenes Verhältnis: Seine Führung habe den compromesso storico nie begriffen und sei daher der Meinung, dass Berlinguer und sein Vorstand den Christdemokraten Vorzug gewähren und die portugiesische Arbeiterrevolution torpedieren wollten. Vor diesem Hintergrund – soviel stand in Rom fest – projiziere der PCF seine Frustration unkritisch auf den PCI, denn er entbehre der Kraft, seine internen Schwierigkeiten ausführlich zu analysieren. Marchais selber weiche der Auseinandersetzung mit wichtigen aktuellen Themen aus und bagatellisiere auffällige Missstände und Missverständnisse zwischen der Führung und der Parteibasis.³²⁴ Sein schwaches Abschneiden bei Wahlen und die Verschärfung der Wirtschaftskrise in Europa rechneten italienische Analysten zu den wichtigsten Gründen für den weiteren „Linksschwenk“ des PCF. Die Überzeugung, dass der Kapitalismus angesichts der ungünstigen Konjunktur ausgedient hätte, habe die Partei zu „orthodoxen“ und somit stark dogmatischen Positionen gedrängt. Gleichzeitig habe dies ihren Weg in die Isolation geebnet und die Weichen gestellt für den Aufschwung des PS. Von der Schwäche des PCF könne nämlich der PS um Mitterrand am meisten profitieren: Die Unbeweglichkeit und wachsende Radikalität
Il PCI su una proposta di Mario Soares, in: L’Unità, 23. 8.1975. APCI, Sezione Estero, Microfilm 207, Riservato, Nota a Segre e Oliva, di Augusto Pancaldi da Parigi, 30.6.1975. APCI, Sezione Estero, Microfilm 207, Riservato, Nota a Segre e Oliva, S. 4. APCI, Sezione Estero, Microfilm 207, Riservato, Nota a Segre e Oliva, S. 5. Pancaldi greift als Beispiel die Haltung der Partei zu Portugal und zur Entwicklung der „Nelkenrevolution“ dort auf: „Marchais antwortet auf die Frage eines Journalisten von Le Monde bezüglich des PCI und Portugal mit den Worten: Das ist esprit de boutique.“ Dies fanden selbst seine Parteifreunde grob und krank. „Marchais ist krank, sagten sie […], sie deuten auf den Herzanfall hin, den er neulich erlitt. Dies beeinflusst auch den PCF, negativ.“
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der französischen Kommunisten hätten selbst die langjährigen, traditionellen PCF-Wähler zum Umdenken bewogen.³²⁵ Missmut war indes auch in den Fabriken ausgebrochen: Eine Fraktion von Arbeitern hatte sich aus Sorge vor einer potentiellen ideologischen „Verwässerung“ geweigert, gemeinsame Aktionen mit den Sozialisten durchzuführen. Animiert wurden sie durch Roland Leroy, Leiter der Humanité und Abgeordneter für Seine-Maritime, der sich stets skeptisch zur Linksunion geäußert hatte, sowie durch seine Anhänger. Die Rivalität zwischen Leroy und Marchais war kein Geheimnis: Ersterer befürwortete nämlich im Gegensatz zu Marchais eine kritische Differenzierung im linken Spektrum und schlimmstenfalls den Austritt des PCF aus der Linksunion. Pancaldi berichtete, dass unter den Mitarbeitern der Humanité die Überzeugung kursiere: „Wenn wir dieselbe revisionistische Politik betrieben wie der PCI, würden wir auch so viele Stimmen erhalten. Aber den Preis wird der PCF nie zahlen!“³²⁶ Die Situation innerhalb der Partei, so Pancaldi, sei sehr angespannt – dem PCF drohe die endgültige Spaltung in Gemäßigte und Orthodoxe.³²⁷ Der Spielraum des PCF innerhalb der Linksunion sollte sich zwischen 1975 und 1977 zunehmend verengen, bis die Partei letztlich aus dem Bündnis austrat. Die Funktionäre um Marchais brachten wiederholt ihre Befürchtung zum Ausdruck, von den politischen Mitstreitern der Union nicht völlig akzeptiert und regelrecht umgangen zu werden. Am 19. Juni 1975 kamen die Vertreter der Koalition zu einem Gipfel zusammen. Diskutiert wurde viel „Neues“, wie Marchais in einer Rede im ZK herausstellte, u. a. die sogenannte „Profitpolitik“ der Regierung Giscard d‘Estaing, welche die Interessen der Arbeiter unberücksichtigt lasse.³²⁸ Mitterrand, so Marchais, habe alle vereinbarten Verpflichtungen außer Acht gelassen und treibe eine gegen die Einheit der Linksparteien gerichtete Politik. Verbitterung äußerte er über den Versuch von Robert Fabre, Chef der Radikalsozialisten, gegen geltende Absprachen in der Union Fühlung zur Regierung zu suchen, um eine mögliche Vereinbarung bezüglich wirtschaftlicher Ziele herbeizuführen.³²⁹ Nur wenige Tage nach Marchais’ Rede vor dem ZK erschien im Nouvel Observateur ein Artikel über einen vermeintlichen Schulterschluss des PCI mit dem
APCI, Sezione Estero, Microfilm 207, Riservato, Nota a Segre e Oliva, di Augusto Pancaldi da Parigi, 30.6.1975, S. 6. APCI, Sezione Estero, Microfilm 207, Riservato, Nota a Segre e Oliva, S. 6. APCI, Sezione Estero, Microfilm 207, Riservato, Nota a Segre e Oliva, S. 7– 8. APCI, Sezione Estero, Microfilm 208, L’allocution de Georges Marchais au comité central des 17 et 18 septembre 1975, in: L’Humanité, 19.9.1975. APCI, Sezione Estero, Microfilm 208, L’allocution de Georges Marchais, S. 2.
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PS Frankreichs. In der PCF-Führung sorgte der Text für Unmut. Die von André Gorz herausgegebene linksintellektuelle Zeitschrift hatte einen Ausschnitt aus einer Erklärung von Claude Estier, einem der einflussreichsten PS-Politiker und Vertrauter Mitterrands, publiziert, nach der die ideologisch-politische Übereinstimmung zwischen seiner Partei und den Kommunisten Italiens beinahe absolut sei.³³⁰ Bei einer Zusammenkunft mit dem PCF in Paris Ende Juni stellten die Italiener dann fest, dass die Pariser „Genossen“ innenpolitisch zunehmend unter Druck stünden und sich außenpolitisch neu aufstellen müssten, um sich dadurch ein „Ventil“ zu verschaffen. Sie seien erneut am Dialog interessiert und gewillt, bestehende Meinungsverschiedenheiten zu überwinden. Die italienischen Kommentatoren verwiesen dabei auf den „aufdringlichen“ Charakter der Gespräche, bei denen sie den Eindruck gewonnen hatten, es handle sich um einen regelrechten Hilferuf der Franzosen an die Adresse des PCI. Die „großen theoretischen Themen“ wie Pluralismus, Demokratie im Aufbau des Sozialismus und Freiheit seien wieder zur Sprache gekommen, sämtlich Aspekte, die unmittelbar nach den 1968er Unruhen beim PCF in Vergessenheit geraten oder von der Parteiführung für „unbequem“ befunden worden waren.³³¹ Dem Treffen in Paris kam trotz aller Schwierigkeiten, die aus ideologischen Gegensätzen erwuchsen, eine besondere Bedeutung zu. Es trug nämlich dazu bei, den Weg zu ebnen für eine Neuauflage des Eurokommunismus, die mit einem – oben bereits thematisierten – von beiden Parteien gemeinsam formulierten Kommuniqué öffentlich bekräftigt wurde: Am 15. und 16. November 1975 publizierten PCI und PCF das viel beachtete³³² Dokument.³³³ Lobgesänge überschlugen
Berlinguer et le PS, in: Le Nouvel Observateur, 22.9.1975. Darin enthalten war die Aussage Estiers: „Nos deux partis ont une similitude d’analyses qui est presque générale.“ APCI, Sezione Estero, Microfilm 208, Informazione sull’incontro di Parigi, 9.10.1975, (Treffen am 29.9.1975). „Communists of Italy and France revise their stand on Europe“ titelte die Times am 19.11. 1975; „Popular Front: New version?“, in: Herald Tribune, 19.11.1975; „Democracy vow made by French, Italian Reds“ von Alvin Shuster in: Herald Tribune u. New York Times (Titelseite), 18.11. 1975. Darin ist zu lesen: „In einer ungewöhnlichen gemeinsamen Erklärung verständigten sich die beiden wichtigsten westeuropäischen kommunistischen Parteien darauf, dass der Weg zur Macht ausschließlich durch die demokratischen Systeme ihrer Staaten führt.“; „I comunisti italiani e francesi indicano il modello di socialismo per l’Occidente“, in: Corriere della sera, 18.11.1975; „Documento comune Berlinguer-Marchais si pronuncia a favore di „tutte le libertà“ – Democrazia totalitaria“, von Indro Montanelli, in: Il Giornale, 18.11.1975; „Marchais und Berlinguer. I due furbi“, von Nino Tripodi, in: Il Secolo d’Italia, 18.11.1975. Man liest: „Marchais und Berlinguer haben verstanden, dass der Kommunismus auf der ganzen Welt die sogenannte sozialistische Transformation nur durch „dishumanes“ Leid und Blut herbeigeführt hat. Dann muss man eben
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sich, es war von einem unvergleichlichen Durchbruch die Rede. Sowohl linksorientierte als auch bürgerliche Zeitschriften dies- und jenseits des Atlantiks hoben den historischen Charakter der Vereinbarung hervor, die angeblich dazu geeignet war, zum Vorbild für alle Massenparteien des Okzidents zu avancieren. Freilich mangelte es auch nicht an Stimmen, die den „verwegenen“ Charakter der Erklärung verurteilten und darin lediglich einen medialen Coup erblickten, der nur zur vermeintlichen Wiederbelebung des westeuropäischen Kommunismus vorgetäuscht worden war.³³⁴ So bedeutend der gemeinsame Text auch schien, darf er in der Rückschau keineswegs überbewertet werden. Die Veröffentlichung solcher Kooperationsformeln stellte ein durchaus gewöhnliches Beiwerk der politischen Praxis zwischen den kommunistischen Parteien dar. Als bezeichnend dafür kann erachtet werden, dass der PCI – was allerdings unbemerkt blieb – etwa einen Monat zuvor eine ähnliche gemeinsame Stellungnahme mit der DKP abgegeben hatte. Darin hatten sich beide Parteien u. a. zur Intensivierung ihrer Zusammenarbeit verpflichtet und ihre Solidarität mit der Arbeiterbewegung im gebeutelten Portugal zum Ausdruck gebracht.³³⁵ Selbst tiefgehende Differenzen hatten den PCI und die DKP nicht davon abhalten können, sich auf diesen Text zu einigen. Auf dem DKPParteitag in Essen, an dem eine PCI-Delegation teilnahm, hatte die westdeutsche Parteiführung die Außenpolitik der Bundesrepublik vehement kritisiert, insbesondere die strikte Ablehnung der Schlussakte von Helsinki durch die CDU. Die SED dagegen, unterstrich die DKP, habe sich positiv dazu ausgesprochen. Auch an der SPD ließen Karl Heinz Schröder und seine Kollegen kein gutes Haar: Die deutschen Sozialdemokraten seien gespalten, vereint jedoch auf der maximalistischen „rechten“ Position Helmut Schmidts, der eine Kürzung des Budgets für
einen anderen Weg wählen, den aktuell besseren. Also, schlagfertig und durchtrieben, wie Lenin es auch meinte.“; „Berlinguer uno e trino“, in: Il Giornale d’Italia, 18.11.1975; „La déclaration commune. Toutes les libertés devront être garanties et développées“, in: Le Monde, 19.11.1975; „Kommunisten Frankreichs und Italiens für Zusammenarbeit“, in: FAZ, 20.11.1975; „Document historique signé à Rome. Objectif commun des P.C. français et italien“, in: Le Figaro (Titelseite), 17.11.1975. APCI, Sezione Estero, Microfilm 210, Accordo comune PCI-PCF, 15. – 16.11.1975. Siehe oben den Verweis auf Nino Tripodi in Il Secolo d’Italia. APCI, Sezione Estero, Microfilm 210, Comunicato congiunto fra PCI e PC tedesco (DKP), 2.10. 1975. Auf Einladung der DKP hin (Jupp Angenfort, Werner Cieslak und Karl Heinz Schröder) verweilte der PCI (Dario Valori, Lina Fibbi und Anselmo Gouthier) vom 24.-26.9.1975 in der Bundesrepublik. Die Beteiligten verwiesen auf gemeinsame Traditionen (Marx und Engels), bestanden auf Zusammenarbeit und unterstrichen ihre Solidarität mit den Arbeitern in Portugal.
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militärische Ausgaben ablehne und gleichzeitig für die Schaffung eines EWG-eigenen militärischen Verteidigungssystems werbe.³³⁶ Auch wenn es zwischen PCI und DKP nie zu einer regelmäßigen Zusammenarbeit kam, reihte sich die Verbindung mit den westdeutschen Kommunisten, die ja die „Verlängerung“ der SED im Westen darstellten, in das Bemühen des PCI um eine möglichst breite Basis an nützlichen Kontakten ein, mit denen er sich vom „schwachen Profil“³³⁷ der italienischen Außenpolitik absetzen konnte. Vor diesem Hintergrund verwundert es kaum, dass die römische Parteiführung unverhüllt die Verbindung zum französischen PS suchte, von dem sie, wie die oben zitierte Aussage Claude Estiers belegt, regelrecht hofiert wurde und mit dem sie die Kontakte intensivieren wollte. Sergio Segre konnte im Frühjahr 1975 dem wichtigen Parteitag des PS in Pau beiwohnen, der sich auf zwei Schwerpunkte konzentrierte: die weitere Gestaltung der Beziehungen zum PCF und die innere Spaltung der Partei.³³⁸ Der PS, so Segre, gebe sich stark „patriotisch“, feiere sich selbst als die Partei der arbeitenden Klasse und wolle diese Rolle keinesfalls aufgeben, geschweige denn an den PCF abgeben.³³⁹ Segre führte Gespräche mit Claude Estier sowie mit
APCI, Sezione Estero, Microfilm 210, Note sul viaggio della delegazione del PCI nella RFT, 24.27.9.1975, di Dario Valori. Hierzu vgl. u. a. Carlo Maria Santoro, La politica estera italiana: una veduta d’insieme, in: Politica internazionale 3 – 4 (1985), S. 5 – 16. Es sei hier auch an den mehrfach zitierten Satz eines hochrangigen italienischen Diplomaten erinnert, der, zur italienischen Außenpolitik befragt, gesagt haben soll: „Eine italienische Außenpolitik im eigentlichen Sinne des Wortes gibt es nicht.“ In: Theodor Wieser u. Frederic Spotts, Der Fall Italien. Dauerkrise einer schwierigen Demokratie, Frankfurt a. M 1983, hier S. 192. Zusammenfassend treffen es die Worte Schochs: „In den siebziger Jahren wurde die jahrzehntelange Entsprechung zwischen internationaler und inneritalienischer Blockbildung, auf der die Subalternität von Italiens Außenpolitik letztlich beruhte, aufgebrochen. Maßgeblich dadurch, dass die KPI, nachdem sie im vorhergegangenen Jahrzehnt bereits ihre EWG-Ablehnung revidiert hatte, unter dem Primat der Entspannung außenpolitisch umdachte und Italiens Zugehörigkeit zum Atlantischen Bündnis akzeptierte. Diese Umorientierung ist in Politik, Publizistik und Fachliteratur allzuoft lediglich als verspätete Anpassung an die schon genannten drei außenpolitischen Grundsatzentscheidungen Italiens dargestellt worden, gleichsam als die Kröte, die zu schlucken die KPI für ihre Annäherung an das Regierungslager gezwungen war. Diese Interpretation soll hier nicht rundweg bestritten werden, ist doch der Legitimationszuwachs der KPI nicht zu übersehen.“ In: Schoch, Die internationale Politik, S. 297. APCI, Sezione Estero, Microfilm 202, Riservato: Nota sul congresso del PS francese, di S. Segre 3. 2.1975. In der von Georges Sarre angeführten linken Fraktion „CERES“ der Partei kam es Mitte der siebziger Jahre zu wiederholten Spaltungen und Austritten. Meistens gingen daraus außerparlamentarische Verbände wie der MARC (Mouvement d’action et de recherche critique) hervor. APCI, Sezione Estero, Microfilm 202, Riservato: Nota sul congresso del PS francese, di S. Segre 3. 2.1975, S. 2. Segre betont: „Il PS non può riconoscere ad altri il diritto di essere il partito della classe operaia.“
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Rocard und Chèvenement vom CERES. Daraus ergaben sich wichtige Erkenntnisse über die Verschlechterung der Beziehungen zum PCF. Der PCF-Parteitag habe unter Beweis gestellt, dass die Mehrheit der Partei die Politik Marchais’ bzw. dessen Strategie der zwei Hauptphasen des politischen Handelns – zunächst diejenige der demokratischen Reformen, gefolgt von den notwendigen Schritten hin zum Sozialismus – ablehne. Auch sei die anvisierte Transformation des PCF in eine Massenpartei – „der PCF hat nicht einmal annähernd so viele Mitglieder wie wir, etwa 450.000 gegenüber 1,5 Millionen“³⁴⁰ – mit allen hierzu erforderlichen Maßnahmen wie etwa Demokratisierung der Parteistrukturen oder Verschlankung bürokratischer Strukturen, kaum denkbar. Dies bereite der Partei erhebliche Schwierigkeiten. Noch dazu seien, so Segres Bericht weiter, viele einflussreiche Kommunisten der Meinung, dass der PCF in der Linksunion dem PS zu viele Zugeständnisse mache, was zu einer ideologischen Verwässerung und Verunsicherung der Anhängerschaft führe und eine Destabilisierung der gesamten Linken nach sich ziehe.³⁴¹ Auch Laurent Salini, Mitarbeiter der Humanité, habe gefordert, dass der PCF seine Rolle als „Avantgarde der arbeitenden Klasse“ nicht aufgeben dürfe und polemisch hinzugefügt, wer mit ihm zusammenarbeiten wolle, müsse dies anerkennen und respektieren.³⁴² Aus Sicht der PCI-Führung verdächtigte der PCF den verbündeten PS trotz aller Dementis Mitterrands, (halb) geheime Sondierungsgespräche mit der Regierung Giscard d‘Estaing zu führen, um an die Macht zu gelangen.³⁴³ Dass sich der PS als unzuverlässiger Partner entpuppen würde, hatten die Pariser Kommunisten schon 1972 befürchtet, als sie sich zu der Allianz und zu einem gemeinsamen Programm durchrangen. Der PCF, so die Einschätzung des PCI, gehe jetzt offensichtlich auf Konfrontationskurs zum erstarkenden PS, den Leroy als „reformistisch, opportunistisch und nicht revolutionär“ bezeichnet hatte. Leroy erwartete vom PS außerdem einen politischen „Schwenk“ in Richtung Mitte, was u. a. auch von Georges Sarre so gesehen wurde.³⁴⁴ Wenngleich der Schulterschluss 1972 für den PCF zunächst einen allgemeinen Machtzuwachs zur Folge gehabt hatte, der seine rhetorische und politische Selbstsicherheit stärkte, so sah er sich nun in seiner Handlungsfähigkeit stark beschnitten und erkundete Wege, um
APCI, Sezione Estero, Microfilm 202, Riservato, S. 3. APCI, Sezione Estero, Microfilm 202, Riservato, S. 3. APCI, Sezione Estero, Microfilm 202, Riservato: Nota sul congresso del PS francese, di S. Segre 3. 2.1975, S. 5. APCI, Sezione Estero, Microfilm 202, Riservato: Osservazioni sulla situazione interna del PCF e sulle cause della polemica coi socialisti, Paris Januar 1975, von Pancaldi. APCI, Sezione Estero, Microfilm 202, Riservato: Osservazioni, S. 2.
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dieser Schieflage zu entkommen. Als reflexartige Reaktion ließ er sich fürs Erste auf eine noch eher zurückhaltend geführte Propagandakampagne gegen die Sozialisten ein, insbesondere in den Fabriken und Gewerkschaften. Diese zeitigte aber kaum Erfolge. Die längerfristig äußerst unbefriedigende Allianz zwischen den beiden fast schon verfeindeten Parteien beschäftigte auch die außenpolitische Abteilung des PCI. Diese legte eine vorläufige Interpretation der Entwicklungen innerhalb der französischen Linken während der ersten Hälfte der siebziger Jahre vor, die wie folgt zusammengefasst werden kann: Der PCF stecke in einer schweren Krise; die Partei habe sich nicht erneuern können und hänge nach wie vor einer veralteten Gesellschaftsvision an.³⁴⁵ Diese Einschätzung ging mit der Überzeugung einher, dass der PCF eine ideologisch „kaum versierte“ Kaderpartei mit lediglich ca. 450.000 Mitgliedern sei, die ihre Anhänger unterschwellig zu einem unkritischen Misstrauen gegenüber den Sozialisten animiere und sie gegen alle diejenigen aufbringe, die keine klassenmäßige Politik betrieben; sie sei außerdem durch ein tief verwurzeltes Denken aus der Sicht allein der Arbeiterschaft gelähmt und zutiefst „sektiererisch“ (sic).³⁴⁶ Dieser Deutungstrend fand auf der multilateralen Tagung der Berliner Arbeitsgruppe zur Vorbereitung der Konferenz von Helsinki (KSZE) im Juli 1975 seine Bestätigung. An den Verhandlungen nahmen Abordnungen von acht kommunistischen Parteien teil, darunter des PCI, des PCF, der KPdSU, der rumänischen KP sowie des Gastgebers SED.³⁴⁷ Die Diskussion über den vorgestellten Programmentwurf war, so Sergio Segre, durch Gérard Streiff (PCF) und seine Tiraden getrübt und erschwert. Der Franzose kritisierte gleich zu Beginn der Unterredungen, dass der zu erörternde Text nicht akzeptabel sei, weil man darin die gefährliche Tendenz erkenne, das „Kapital verwalten“ zu wollen (ménager l’imperialisme).³⁴⁸ Auch an den „Genossen“ aus dem Ostblock, so an SED- oder KPdSU-Mitgliedern, darunter am einflussreichen Leiter der Internationalen Abteilung des Sekretariats des ZK der KPdSU, Wadim Sagladin, ließ er kein gutes Haar. Streiff führte aus, dass die gesamte von ihm vertretene Partei äußerst besorgt darüber sei, mit Vertretern der kapitalistischen Welt „gemeinsame Sache“ zu machen bzw. sich zu leichtfertig auf Kompromisse mit ihnen einzulassen, insbesondere mit sozialdemokratischen Kräften. Gleichzeitig war Streiff nicht imstande, wie die jugoslawischen und italienischen Teilnehmer monierten, kon APCI, Sezione Estero, Microfilm 202, Riservato: Osservazioni, S. 6 – 7. APCI, Sezione Estero, Microfilm 202, Riservato: Osservazioni, S. 6 – 7. APCI, Fondo Pajetta, Fasc. 43, Nota sulla riunione del sottogruppo di lavoro di Berlino (sottogruppo di lavoro per la conf. di Helsinki, 1.-5. 7. 1975). APCI, Fondo Pajetta, Fasc. 43, Nota sulla riunione, S. 3.
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struktive Alternativen und Vorschläge zu unterbreiten, sondern beharrte lediglich auf seinem „defätistischen“ und provokatorischen Benehmen. Am Rande der offiziellen Gespräche brachten alle Anwesenden ihre eindeutige Kritik am PCFAbgesandten zum Ausdruck.³⁴⁹
Zwischenfazit Als zweite Phase hat die vorliegende Studie die Zeit von 1971 bis 1976 behandelt, jene Jahre, die durch den Generationenwechsel (Anfang der „Ära Honecker-Berlinguer-Marchais“) sowie durch die Genese und Entfaltung des Eurokommunismus gekennzeichnet waren. Die drei untersuchten Parteien sahen sich Anfang der siebziger Jahre mit einschneidenden Führungs- und Erneuerungsaufgaben konfrontiert. Die neuen Entscheidungsträger fanden eine schwierige außenpolitische Lage und innerparteiliche Konstellationen vor, die von tiefen Spannungen geprägt waren. Entgegen der Interpretation älterer Untersuchungen über die jeweiligen biund trilateralen Außenverbindungen der SED ist hier grundsätzlich gezeigt worden, dass die ostdeutsche Staatspartei durchaus differenziert mit ihren westlichen Partnern umging. So begrüßte die neue Parteiführung unter Honecker sogar die Gründung der sogenannten „Linksunion“ 1972, die in Frankreich durch die strategische Zusammenarbeit des PCF mit der Sozialistischen Partei Frankreichs (PS) entstanden war. Das SED-Politbüro lobte die Bildung der Allianz als einen wichtigen Schritt zur Konsolidierung des „Sozialismus“ in Frankreich. Daher tendierten SED-Beobachter Anfang der siebziger Jahre auch nicht dazu, die Annäherung des PCF an die Doktrin des Eurokommunismus, der sich vom Moskauer Führungsanspruch distanzierte, als drohende Gefahr überzubewerten. Die „klassenmäßige“ Haltung des PCF und dessen besondere Verbindung zum „Realsozialismus“ fänden in der dezidierten Zurückweisung der Europapolitik der italienischen „Genossen“ ihren Niederschlag.³⁵⁰ Die ostdeutsche Staatspartei war zu jener Zeit vollständig auf das Hauptziel der diplomatischen Anerkennung der DDR konzentriert. Ihre außenpolitischen Stellen – so auch die jeweiligen GOen der SED in Paris und Rom – arbeiteten unablässig auf dieses Ziel hin.Von einem politischen Austausch findet sich in den einschlägigen Archivalien jedoch keine Spur. Die Souveränität der DDR, so die APCI, Fondo Pajetta, Fasc. 43, Nota sulla riunione, S. 3. Vgl. SAPMO-Barch, Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/190, Übersetzung aus L’Humanité vom 17. 5. 1972 – Gaston Plissonnier, Die gesamte Partei in eine umfassende politische Massenaktivität einbeziehen, und Diskussionbeitrag Georges Marchais, ZK-Tagung – Paris, 16. bis 18. Mai 1972.
Zwischenfazit
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einzige Hauptdirektive aus Ost-Berlin Anfang der siebziger Jahre, sollte unbedingt erreicht werden. Die Anerkennung war aus Sicht der ostdeutschen „Genossen“ auch deshalb so wichtig, weil sie lukrative finanzielle Geschäfte mit Staaten im kapitalistischen Westeuropa zu erleichtern versprach. Ulbricht zeigte Zuversicht, dass seine DDR vom allgemeinen Entspannungsprozess in jeder Hinsicht profitieren würde. Maßgeblich hierfür war die besonders positive Einschätzung der in Bonn 1969 gebildeten Regierungskoalition aus SPD und FDP. An dieser orientierte sich sein Rat, auf eine weitere Verstärkung der bilateralen Beziehungen hinzuwirken. Ihm widersprachen mehrere hochrangige SED-Politiker (darunter Honecker) deutlich: Sie diffamierten die neuen westdeutschen „Strippenzieher“ prompt als „Doppelagenten“ im Dienste der USA. Die Ratifizierung des Moskauer Vertrags im August 1970 markierte einen Rückschlag für die Politik Ulbrichts, der damit erhoffte Spielräume in Richtung Westen beschnitten sah. Vor diesem Hintergrund verschärfte sich auch intern die gegen ihn gerichtete Kritik, die sich auf ein vermeintlich ungezügeltes „Experimentieren“ u. a. im Bereich der Wirtschaft (Neues Ökonomisches System der Planung und Leitung) bezog und letztlich unmittelbar nach dem XXIV. Parteitag der KPdSU Ende März 1970 in seine Destitution mündete. Damit war der Weg zur Macht frei für Erich Honecker. Ein ähnlicher personeller Neubeginn zeichnete sich zeitgleich beim PCI ab. Auch hier wurde der angeschlagene, langjährige Generalsekretär Luigi Longo durch den weit jüngeren, international geschätzten Enrico Berlinguer ersetzt. Diese Weichenstellung sollte sich, wie ausführlich dargelegt worden ist, nachhaltig auf die Vorstandspolitik und die Ausrichtung der Parteibeziehungen auswirken bzw. den Graben zwischen dem italienischen Kommunismus und den osteuropäischen „Bruderparteien“ vertiefen. Auch die programmatischen Unterschiede zwischen PCI und PCF traten unmittelbar nach der Machtübernahme Berlinguers klar in Erscheinung, was die SED gleichsam zwang, die Entwicklung in der westeuropäischen Linken näher und genauer zu beobachten. So konnte sie zweierlei feststellen: Der PCI beharrte auf seiner Loslösung vom Marxismus-Leninismus sowjetischer Prägung, während der PCF weiterhin das traditionale Treuebekenntnis zu den Moskauer Machthabern ablegte.³⁵¹ Derweil setzte die SED recht pragmatisch auf eine Erweiterung ihrer Einflusssphäre, sowohl in Italien als auch in Frankreich. Dabei wurde schon zu Beginn der siebziger Jahre deutlich, dass die Anbahnung von Kontakten zur Sicherung von Vorteilen in Frankreich nur sporadisch über den PCF lief, während der PCI als unumgänglicher Ansprechpartner und Mittler in Italien galt. Dieser
APCF, Polex, 264 J 17, Boite 2, Dossier 1, Rencontre PCF-PCUS à Moscou, 1.-3.7.1971.
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Umstand lässt sich kaum ideologisch, sondern lediglich „realpolitisch“ erklären. Ihre Verbindungen in beide Staaten hatte die SED-Führung nämlich weitestgehend dem Ziel der diplomatischen Anerkennung untergeordnet. Auf dem Weg zu diesem Ziel, das ein leitendes Prinzip ihrer Außenpolitik darstellte, schreckte sie sogar vor einer Kontaktaufnahme zum französischen PS oder zu konservativen Kräften nicht zurück. Dies ist wenig überraschend, da der PS unter der Leitung Mitterrands seine innenpolitischen Bestrebungen unter den Vorbehalt gestellt hatte, eine strategische Zusammenarbeit mit den Kommunisten in die Wege zu leiten, wohl mit dem Ziel, die Vorherrschaft im linken Spektrum des Landes zu erlangen. Diese grundsätzliche Weichenstellung wirkte wie ein Magnet auf die „Schwesterpartei“ jenseits des Rheins, die SPD, die damit unter Zugzwang geriet und nun auch begann, Möglichkeiten einer Annäherung an die Kommunisten, auch an die ostdeutschen, auszuloten und sogar zu realisieren. Die SED-Führung registrierte diesen Wandel umgehend und traf Maßnahmen zur Einflussnahme auf ihre Ansprechpartner in Frankreich, wo sie bereits über eine weitreichende Vernetzung verfügte. Diese umfasste die gesamte politische Landschaft der République und schloss sogar die konservative UDR ein, mit der die SED über deren linken Flügel in Berührung gekommen war. Dass die Bemühungen um Kontaktaufnahme im Wesentlichen darauf abzielten, bessere Bedingungen für die diplomatische Anerkennung der DDR insbesondere in Westeuropa zu erwirken, liegt nur allzu nahe. Die Unterzeichnung des Viermächteabkommens über Berlin verlieh dem Vorstoß der ostdeutschen Partei neuen Auftrieb; der Abschluss des deutschdeutschen Grundlagenvertrages Ende 1972 ebnete ihm endgültig den Weg. Am 9. Februar 1973 einigten sich die französische und die ostdeutsche Seite auf einen entsprechenden Vertragstext. In ähnlichem Sinne gestalteten Vertreter der SED ihre Beziehungen zu Exponenten des PCI, ungeachtet der gravierenden ideologischen Differenzen zwischen beiden Lagern. Dabei begaben sich die ostdeutschen Kommunisten allerdings in ein Abhängigkeitsverhältnis zu den Italienern, das in diesem Maß gegenüber den französischen „Genossen“ nie entstand oder erforderlich war. Setzte die SED-Führung auf eine Erweiterung ihrer nutzbringenden Kontakte nach Italien, führte kein Weg am PCI vorbei; für einen Zugang zur Regierungspartei UDR in Paris hingegen konnte sie selbstständig sorgen, u. a. durch Zuarbeit der Linksgaullisten in deren Reihen. Dennoch darf die Mittlerrolle der italienischen Kommunisten nicht überbewertet werden. Die „Westpolitik“ der SED bzw. die Ostpolitik Willy Brandts begann, entgegen der Behauptung etlicher Zeitungsartikel jener Zeit, zweifelsohne nicht in Rom. Bei einer Würdigung der Scharnierfunktion des PCI, der politischen Spielraum schuf und Mittel zur Begegnung über den „Eisernen Vorhang“ hinweg zur Verfügung stellte, darf ebensowenig über-
Zwischenfazit
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sehen werden, dass diese Funktion gleichzeitig eine von Enrico Berlinguer und seinem Vorstand erdachte Strategie zur eigenen internationalen Profilierung darstellte. Auch mit Blick auf Italien war der Weg der SED zu einem politischen Durchbruch in Bezug auf die diplomatische Anerkennung mit erheblichen Schwierigkeiten behaftet. Während die großen Industrieunternehmen des westeuropäischen Landes, darunter FIAT oder Montedison, der Annäherung an den ostdeutschen Staat eine beträchtliche Bedeutung zumaßen, durchkreuzten Regierungsstellen regelmäßig die Versuche der SED, geregelte bilaterale Beziehungen aufzubauen. Der gescheiterte Vorstoß zur Gründung einer italienischen Kammer für Außenhandel in der DDR stellt ein eindeutiges Beispiel dafür dar. Mit dem Amtsantritt Erich Honeckers 1971 änderte sich die Lage dennoch rapide. Seine Bemühungen zur Wiedererlangung des politischen und gesellschaftlichen Primats der Staatspartei, die während der Führung Ulbrichts zumindest aus Sicht des konservativen Flügels und der Moskauer „Genossen“ in eine Identitätskrise geraten war, zeitigten unmittelbar Erfolge. Auf maßgebliches Betreiben der KPdSU war es der SED ab Ende der sechziger Jahre gelungen, sich trotz aller vorhandenen Reibungspunkte bezüglich der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ als Aushängeschild des „Ostblocks“ an der Nahtstelle zwischen Ost und West zu stilisieren. Die politische und ökonomische Stabilität der DDR baute Berührungsängste unter den westeuropäischen Regierungen ab und trug dazu bei, dass die Vorbehalte gegen eine Aufnahme offizieller Verbindungen allmählich schwanden. Mit der Ernennung Honeckers zum Generalsekretär der SED 1971 und der Anerkennungswelle ab 1973 traten die trilateralen Beziehungen zwischen SED, PCI und PCF in eine neue Phase ein. Die erreichte diplomatische Souveränität brachte für die Führung der ostdeutschen Staatspartei auch Verpflichtungen mit sich. Die Forderungen der internationalen Gemeinschaft nach mehr Transparenz und aktiver Beteiligung an Friedensbemühungen wurden zu Beginn der siebziger Jahre häufiger und drängender. Vor diesem Hintergrund sah sich die Parteiführung fast dazu gezwungen, entsprechende Maßnahmen einzuleiten und ihre Außenpolitik auf eine neue Basis zu stellen. Einen besonderen Stellenwert nahmen ab diesem Zeitpunkt die politischen wie wirtschaftlichen Beziehungen zu westeuropäischen Partnern ein, insbesondere zu Frankreich und Italien. Sie reichten von Freundschaftsgesellschaften, die sich vor allem persönlicher Arrangements bedienten, bis hin zu interparlamentarischen Verbindungen, welche die SED-Führung besonders zielstrebig zur Beeinflussung des Gegenübers einsetzte. Die ad hoc ins Leben gerufenen, jeweils mit Arbeit zu Frankreich und Italien betrauten Ressorts stellen dies eindeutig unter Beweis.
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Kapitel 2: Dreiecksbeziehungen zur Zeit des Eurokommunismus
Die sich verfestigenden Unterschiede zwischen PCI und PCF sowie die Differenzen und Reibungen zwischen Letzterem und seinem „natürlichen“ Verbündeten, dem PS, wurden in dieser Studie kritisch beleuchtet und in den Kontext der trilateralen Verbindungen eingeordnet. Der gegenseitige Argwohn, der die Zusammenarbeit zwischen PCF und PS über Jahre hinweg begleitete und überschattete, ähnelte dem Konflikt zwischen den französischen und italienischen „Genossen“, der sich an verschiedenen Themen entzündete, so etwa hinsichtlich der aktiven Beteiligung am Europaparlament oder im Zuge des ideologischen Austauschs. Die erstmalige Entsendung einer kommunistischen Fraktion ins Europaparlament 1973 stellte beide Parteien vor neue Herausforderungen, denen sie nicht immer gewachsen schienen, und zwang sie zu einer Anpassung der politischen Ideologie. Zu den auffälligsten Streitpunkten zählte eine gemeinsame Politik zur Eindämmung großkapitalistischer Machterweiterung. Diese waren Gegenstand vieler bi- und multilateraler Konferenzen und Unterredungen zwischen Exponenten beider Seiten, ohne dass es zu einer Einigung darüber kam. Hierfür sind mehrere Gründe gefunden und dargestellt worden, darunter die unterschiedlichen Positionen zur Arbeits- oder Außenpolitik. Jedoch bleibt die negative Erfahrung des Jahres 1968, vor allem die weithin polarisierende Niederschlagung des „Prager Frühlings“, von zentraler Bedeutung. Sie zeigte wie in einem Brennglas all jene unterdrückten, jeweils national spezifischen Traditionen des sich in der Transition von Kalter-Kriegs- hin zur Détente-Logik befindlichen westeuropäischen Kommunismus und stellte ihn bei den aufgrund dieses historischen Einschnitts neu gearteten Gesellschaften auf die Probe. Die Ost-Berliner Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas 1976 offenbarte erneut die grundsätzlichen Differenzen zwischen PCI und PCF: über die Rolle der EWG, den Stellenwert des NATO-Bündnisses oder über die allgemeine Stoßrichtung des westeuropäischen Kommunismus. Die französischen Kommunisten versprachen sich wenig von der Tagung. Sie zeigten sich von dem geplanten Schlussdokument, das lediglich den bestehenden Status quo bestätigte, kaum überzeugt. Zu dieser Skepsis hatte auch beigetragen, dass die Vorbereitung des Dokumentes nach außen hin den Eindruck erweckt hatte, dass sich die „Bruderparteien“ aus Ost und West nur mühsam auf ein für alle zufriedenstellendes Ergebnis einigen konnten.³⁵²
APCI, Sezione Estero, Microfilm 228, Nota sull’incontro dei compagni Segre e Rubbi a Parigi il 2.4 con i compagni Kanapa, Denis e Streiff.
Kapitel 3 „Neuer Internationalismus“ und Opportunismus. Die SED, der PCF und der PCI in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre (1976 – 1980) 1 Frankreich und die DDR Die skeptische Haltung der SED gegenüber der Schlussakte von Helsinki blieb auf internationaler Ebene nicht ohne Konsequenzen. Der Besuch von Außenminister Oskar Fischer im Januar 1976 in Paris stellte dies unmittelbar unter Beweis. Hatte die Ost-Berliner Führung große Hoffnungen daran geknüpft und das Ereignis entsprechend medial überhöht, so reagierte die Pariser Regierung auf den Besuch mit diametral entgegengesetzter Zurückhaltung, war sie doch darauf bedacht, die Bundesrepublik nicht durch allzu offenen Enthusiasmus zu brüskieren.¹ Wie Pfeil hervorhebt, erklärte Giscard d‘Estaing die Skepsis seiner Regierung damit, dass die DDR den Verpflichtungen der Schlussakte von Helsinki, insbesondere den im Korb III enthaltenen Regelungen, nicht nachgekommen sei.² Auch bestand innerhalb der französischen Regierung keine Einigkeit darüber, wie man sich gegenüber den Avancen der SED am besten verhalten solle. Einerseits wollte man, wie erwähnt, die Bundesrepublik nicht vor den Kopf stoßen; andererseits legte man auf die Intensivierung oder zumindest auf die Aufrechterhaltung „normaler“ Beziehungen zu dem osteuropäischen Land durchaus Wert. Dabei brachte Paris sein Interesse an Entspannung zum Ausdruck, wozu die Einbeziehung von Ansprechpartnern aus dem Ostblock verständlicherweise notwendig war. Wenngleich die beteiligten Seiten folglich den bilateralen Verbindungen auf höchster Ebene einen besonderen Stellenwert beimaßen, waren die Ostdeutschen nicht bereit, von ihrer intransigenten Linie bezüglich der Themen „Freizügigkeit“ sowie ungehinderter Ideen- und Informationsaustausch abzugehen. Wie sehr dies die „Normalisierung“ der Beziehungen zwischen beiden Ländern belastete, zeigte sich exemplarisch Anfang Mai 1977 in Paris, wo eine Delegation des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten der Volkskammer der DDR auf Einladung der Franzosen zu Gesprächen mit hochrangigen französischen Politikern zusam-
Vgl. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 444. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 444– 445; vgl. ferner auch Ziebura, Die deutsch-französischen Beziehungen seit 1945, S. 278 – 279. https://doi.org/10.1515/9783110748260-006
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Kapitel 3: „Neuer Internationalismus“ und Opportunismus
mengetroffen war. Der ostdeutsche Delegationsleiter Hermann Axen knüpfte große Hoffnungen an das Treffen und wollte die Gelegenheit nutzen, um diplomatische und außenpolitische Ansprüche seines Landes vor den einflussreichen Gästen geltend zu machen. Letztere kamen ihm jedoch zuvor und wiesen gleich am Anfang der Diskussion darauf hin, „daß die zunehmenden Abschottungstendenzen auf DDR-Seite hinderlich für die Beziehungen zwischen beiden Ländern seien.“³ Unter „Abschottung“ subsumierten die Franzosen alle Maßnahmen der Ostdeutschen, sich dem internationalen Austausch und Dialog zu entziehen, wie etwa die geplante Einführung einer neuen umstrittenen Regelung zur Einreise von Ausländern aus dem westlichen Sektor nach Ost-Berlin, die u. a. die Beantragung eines kostenpflichtigen Visums vorsah.⁴ Zu Beginn der zweiten Hälfte der siebziger Jahre zeichneten sich die offiziellen Beziehungen zwischen beiden Ländern alles in allem durch Befangenheit und gegenseitigen Argwohn aus, was nicht zuletzt auf die vermeintliche „Zick-Zack-Politik“ der DDR zurückzuführen war.⁵
Die SED und der PCF in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre Anfang 1976 hatte der Hinweis der KPdSU⁶ auf vorgeblich „antisowjetische“ Aktivitäten einiger PCF- und PCI-Parteimitglieder die SED-Führung in Alarmbereitschaft versetzt. Der Kampf gegen den „Antisowjetismus“ stellte einen einigenden Eckpfeiler in den Beziehungen zwischen den Moskauer Machthabern und den sozialistischen Staatsparteien dar. Die SED sah sich diesbezüglich besonders in der Pflicht, wies sie doch im Vergleich zu ihren osteuropäischen „Bruderparteien“ einen weit höheren Verflechtungsgrad mit westlichen Akteuren auf. Auf die Moskauer Mutmaßungen reagierend, verfasste deshalb die Abteilung Internationale Verbindungen eine Reihe von Publikationen, die einen möglichst präzisen Überblick über die politisch-ideologische Entwicklung des PCF bieten sollte. Vor allem den als geschichtsträchtig bezeichneten Beschluss der französischen Parteiführung, das traditionelle langfristige Ziel der „Diktatur des Proletariats“ aus
Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 446. Vgl. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY 30/IV 2/2.035/97, Hermann Axen an Erich Honecker, 1.04.1977. In derselben Akte findet sich auch:Vorlage für das Politbüro des ZK der SED von Hermann Axen. Betreff: Bericht über den Aufenthalt einer Delegation des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten der Volkskammer der DDR vom 2.-6. 05. 1977 in Frankreich. Jacques Chirac an Axen, nach Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 446. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/188, Ohne Titel (Streng vertraulich), vom ZK der KPdSU an die SED (an das Büro Markowski 5. 01. 1976).
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dem Parteiprogramm zu streichen und verstärkte Zusammenarbeit mit den abtrünnigen italienischen Kommunisten zu suchen, die nunmehr als unwiederbringlich verloren galten, unterzogen SED-Kommentatoren einer detaillierten Analyse. Der PCF habe bereits seit 1968 dem Druck der konservativen Kräfte und der von ihnen geförderten antisowjetischen Kampagne allmählich nachgegeben, hieß es in einem einschlägigen Lagebericht vom April 1976.⁷ Diesem Kurs sei die Parteiführung allein aus opportunistischen Gründen verfallen. Sie habe nämlich befürchtet, „bei einer konsequenten Verteidigung der Politik der SU potentielle Wähler zu verlieren, die unter dem Einfluß des Antisowjetismus stehen.“⁸ Darüber hinaus trage sie die Schuld daran, dass „im Klassenkampf erprobte Genossen“, die der UdSSR nahestanden, aus der Parteiverantwortung ausschieden.⁹ In der Folge sei die Pariser Leitung verstärkt unter den Einfluss reformistischer Kräfte des westeuropäischen Kommunismus geraten, wie etwa des PCI und der KP Spaniens, unter deren Eindruck man marxistisch-leninistische Positionen aufgegeben habe.¹⁰ Vor diesem Hintergrund hatte die SED bereits große Hoffnungen an den XXI. Parteitag des PCF im Februar 1976 in Paris/Saint-Ouen geknüpft. Sie hatte sich eine endgültige Überwindung der systematischen Fehler versprochen, welche die Pariser „Genossen“ in die Isolation und in den Sog „revisionistischer“ Tendenzen zu treiben drohten. Wider Erwarten bestätigte der Kongress jedoch erneut ausgerechnet die Öffnung des französischen Kommunismus gegenüber den demokratischen Visionen „eurokommunistischer“ Politiker.¹¹ Zur Erklärung der aus ostdeutscher Sicht enttäuschenden Ergebnisse des Parteitags und seiner Beschlüsse gelangten die Kommentatoren teilweise zu überraschenden Auslegungen. Zum einen hätten die Pariser Kommunisten die Vorteile der Politik Giscard d‘Estaings¹² nicht rechtzeitig erkannt und durch ihre
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/188, Ohne Titel (Haltung der FKP zur SU, Paris 27. 4. 1976 Je/Schu/mas, hier S. 2. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/188, Ohne Titel, S. 2. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/188, Ohne Titel, S. 3. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/188, Ohne Titel, S 4. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/191, Bericht über den XXI. Parteitag der Französischen Kommunistischen Partei vom 4. bis 8. Februar 1976 in Paris/SaintOuen, Berlin 12.02.1976, hier S. 1. „So wurde nicht darauf eingegangen, daß es das Regime Giscard d’Estaing verstanden hat, die sozialen Auseinandersetzungen trotz Krise in Grenzen zu halten und die Zuspitzung der Klassenkämpfe durch Maßnahmen zur Bekämpfung der Inflation und der Arbeitslosigkeit sowie durch lohnpolitische und soziale Zugeständnisse einzudämmen.“ in: SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/191, Bericht über den XXI. Parteitag, S. 4.
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dezidiert ablehnende Haltung breite Teile ihrer Anhängerschaft regelrecht verdrossen. Zum anderen seien sie einer „Überbetonung“ ihrer nationalen Ausrichtung anheimgefallen, die in schroffem Gegensatz zum allgemeinen europäischen Trend hin zu Transnationalität bzw. Transfer von Wissen und Kultur stünde. Der versteckte Hinweis auf die Schlussakte von Helsinki und ihre Forderungen zum freien Meinungs- und Informationsaustausch war unmissverständlich.¹³ Die Analyse durch die SED blieb im Ton sehr hart und ließ sogar an den traditionellen „antiimperialistischen“ Vorsätzen des PCF kein gutes Haar. Auch diesbezüglich hätten sich die Beteiligten des Kongresses zu vage geäußert. Sie hätten nämlich lediglich die Bereitschaft kundgetan, gegen den westdeutschen Imperialismus und das Europaparlament vorgehen und den Prozess der Entspannung weiterhin unterstützen zu wollen. Die Überbetonung des Nationalen begründete die SED schlichtweg mit der politischen und ideologischen Schwäche des PCF. Die bereits bestehende Krise wolle die Partei offenbar durch „Verzicht auf bestimmte klassenmäßige und internationalistische Positionen“ auffangen,¹⁴ was jedoch nicht näher erläutert wurde. Die kritische Haltung der SED gegenüber dem PCF und dessen Grundsatzentscheidungen des XXI. Parteitags kann nicht weiter verwundern.¹⁵ Gerade ab Mitte der siebziger Jahre und in verstärktem Maße nach der Verabschiedung der Schlussakte von Helsinki hatte sich der Spielraum der DDR im ideologischen Sinne erheblich verringert. Gegenüber den supranationalen und demokratisierenden Tendenzen aus dem Westen, die auch bedeutende kommunistische Parteien erfasst hatten, zeigte Ost-Berlin wenig Wohlwollen. Im Gegenteil, die Parteiführung setzte auf Abgrenzung, wie die Hauptlosung des IX. Parteitags der SED kompromisslos betonte: Mit dem Slogan „Alles mit dem Volk und alles für das Volk“ wollten die ostdeutschen Machthaber Geschlossenheit demonstrieren und sich gleichzeitig jedwede Einmischung von außen verbitten.¹⁶ Der Verweis auf den „Eurokommunismus gewisser südeuropäischer Bruderparteien“, mit dem nun
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/191, Bericht über den XXI. Parteitag der Französischen Kommunistischen Partei vom 4. bis 8. Februar 1976 in Paris/SaintOuen, Berlin 12.02.1976, S. 5 – 22. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/191, Bericht über den XXI. Parteitag, S. 28. Auch innerhalb des PCF herrschte keine Einigkeit über die programmatische Entwicklung der Partei. Einer der Chefideologen, Louis Althusser, hatte sich gegen die Streichung des Ziels der „Diktatur des Proletariats“ ausgesprochen. Siehe u. a. L’Unità, 26.4.1976, „Parigi: dibattito sulla question comunista“. Marchais reagierte wie folgt auf die Kritik Althussers: „Und was soll man machen? Für die Einheitspartei werben? So würde man nur in die Hände der Bourgeoisie spielen. Der Marxismus ist kein Dogma, ist eine Anleitung.“ Vgl. Hermann Weber, Die DDR 1945 – 1990, München 2012, hier S. 299 – 301.
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auch der traditionell stalinistische PCF zu liebäugeln schien, war dabei unmissverständlich. Durch die Abwendung vom Marxismus-Leninismus, hieß es, sei die Gefahr gegeben, dass Prinzipien des „Reformismus und Opportunismus“ in den westeuropäischen „Bruderparteien“ weiter an Boden gewännen.¹⁷ Von der Schwäche des PCF profitierte letztlich der PS um Mitterrand, dessen waren sich SED-Beobachter sicher. Dies zeige sich nicht nur am Stimmenanteil des PCF, der seit Anfang der siebziger Jahre konstant gesunken sei, sondern auch an der programmatischen Ausrichtung des PS. In diesem Zusammenhang wiesen die Ostdeutschen auf ein Interview hin, das Mitterrand anlässlich einer Tagung der SI 1972 in Wien gewährt hatte. Der Wortlaut lasse keine Zweifel zu: Seine Partei, so Mitterrand, habe sich nur aus einem Grund auf das Programm der Volksunion eingelassen, nämlich „weil [sie] damit den Kommunisten zwei Millionen Stimmen abnehmen konnte.“¹⁸ Marchais habe diesen Hintergrund bis 1974 verschwiegen, sich später vehement dagegen gesperrt und sei „jetzt, bei einiger kritischer Distanz, sogar offenbar zu prinzipiellen Konzessionen bereit.“¹⁹ Einer solchen Interpretation pflichtete auch die bürgerliche Presse in der Bundesrepublik bei. Karl Puhlmann bezeichnete im Tagesspiegel die Streichung des Ziels der „Diktatur des Proletariats“ aus dem Programm des PCF als „Abschied vom Wortgespenst der Arbeiterdiktatur“.²⁰ Doch der Artikel enthielt deshalb keineswegs Lobreden auf den französischen Kommunismus, im Gegenteil. Puhlmann verwies auf Kommentare französischer Historiker, die zu dem Schluss gekommen seien, dass Marchais seine Partei „nach dem rumänischen Muster“ führe: Innenpolitisch streng und diszipliniert, außenpolitisch extrem nationalistisch.²¹ Diese Politik komme einer Absage an Europa gleich, denn Frankreich habe keine gemeinsame Staatsgrenze mit Russland, sondern mit Deutschland. Hinter den freiheitlichen Vorzeichen verstecke sich schlussendlich doch das traditionelle Gesicht des PCF: Allerlei geübte Kritik an der Sowjetunion sei lediglich Fassade, und Moskau wisse genau, dass es sich der „bedingungslosen Unterstützung“ durch den PCF erfreuen könne.²²
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/191, Bericht über den XXI. Parteitag, hier S. 26. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/191, Erste Bemerkungen zum XXI. Parteitag der FKP, ohne Datum und Signatur, hier S. 4. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/191, Erste Bemerkungen, S. 5. Abschied vom Wortgespenst der Arbeiterdiktatur, in: Der Tagesspiegel, 7.02.1976. Abschied vom Wortgespenst der Arbeiterdiktatur, in: Der Tagesspiegel, 7.02.1976. Abschied vom Wortgespenst der Arbeiterdiktatur, in: Der Tagesspiegel, 7.02.1976.
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Die französische Parteiführung hielt jedoch an ihrer kompromisslosen Strategie fest und ließ dies sowohl die SED als auch die KPdSU spüren. Im März hatte Kanapa die sowjetische Staatspartei und Honecker persönlich einer harschen Kritik unterzogen. In einem Interview für die France Nouvelle zum Thema „Les communistes français et l’internationalisme prolétarien“ wies er auf die „Doppelzüngigkeit“ der osteuropäischen Propaganda hin. Es sei unerhört, so Kanapa, von einem einzigen Weg zum Marxismus-Leninismus zu reden, und außerdem unverständlich, wie die UdSSR die Außenpolitik Giscard d‘Estaings, die der PCF ablehne, einfach loben könne. Das habe nichts mit „proletarischer Solidarität“ zu tun. Der Sozialismus in Frankreich, merkte er zum Schluss an, sei eben nur französisch, nicht etwa sowjetisch oder deutsch.²³ Für Ende Oktober 1976 hatte der PCF ein Treffen zum Thema „Verteidigung eingekerkerter Mathematiker“ anberaumt. Einbezogen wurden dabei auch sowjetische Dissidenten, die ihres Landes verwiesen worden waren. Dies verlieh der Zusammenkunft hohe Brisanz: Das Thema der Menschenrechte bzw. ihrer Missachtung und die Förderung der Meinungsfreiheit standen hier im Vordergrund. In einer knappen Information an das ZK bezeichnete die Abteilung Internationale Verbindungen der SED die Zusammenkunft als einen Affront gegen den gesamten Ostblock. Die „Verteidigung“ – die SED-Kommentatoren setzten das Wort ironisch in Anführungszeichen – sei zunächst für den dissidenten Mathematiker Leonid Pljutsch einberufen und anschließend erweitert worden.²⁴ Anfänglich sei der PCF selbst sogar noch skeptisch gewesen, doch dann habe er die Kundgebung „nicht nur gebilligt, sondern sie [die FKP] war auch erstmals offiziell mit einer Delegation des ZK vertreten.“²⁵ Intervista di Kanapa sulle vie nazionali e l’internazionalismo, in: L’Unità, 27.03.1976, nach „Les communistes français et l’internationalisme prolétarien“. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/188, Information Nr. 75/76 für das Politbüro des ZK, Teilnahme offizieller Vertreter des ZK der FKP an dem antisowjetischen Meeting zur „Verteidigung eingekerkerter Mathematiker“ am 21. Oktober 1976 in Paris, Berlin 1.11.1976. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/188, Information Nr. 75/76 für das Politbüro des ZK. Der PCF-Delegation gehörten Pierre Juquin, Mitglied des ZK, Aimé Halbeher, Kandidat des ZK, und Jean Elleinstein, stellvertretender Leiter des Instituts „Zentrum für marxistische Studien und Forschungen“ (C.E.R.M), an. Gegen eine ernst gemeinte Verselbstständigung des PCF gegenüber der SU spricht freilich ein Brief von Leonid Pljutsch selber, der bei der französischen Partei am 24. 2.1977 eintraf. Darin bezichtigte er die Franzosen des Opportunismus, den sie u. a. dadurch unter Beweis gestellt hätten, indem das Ziel der Diktatur des Proletariats aus dem Parteiprogramm gestrichen worden war. Gleichwohl hielt er dem PCF vor, keine klare Haltung gegenüber Moskau und der KPdSU bezogen zu haben. Dazu siehe APCF, Fonds Jean Kanapa, 317 J 13, Lettre de Leonid Pljutsch au CC, 24.02.1977. Ferner auch Michael Scott Christofferson, French Intellectuals against the Left, New York 2004, hier S. 113 – 155.
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Am 18. Dezember 1976 wurde Louis Corvalán, ehemaliger Generalsekretär der chilenischen kommunistischen Partei (PCCh), der seit der Machtübernahme durch Pinochet inhaftiert gewesen war, in Zürich gegen den sowjetischen Dissidenten Wladimir Bukowski ausgetauscht. Die Verurteilung des Tauschgeschäfts durch die französischen Kommunisten war vehement und so konsequent, dass der PCF die für die letzte Dezemberdekade geplanten Gespräche über die Zusammenarbeit mit der KPdSU und der SED kurzfristig absagte, wie von höchster Stelle berichtet wurde.²⁶ Die Einsicht über tiefgreifende Differenzen blieb bis zum Frühjahr 1977 bestehen, als die KPdSU ihr Bedauern zum Ausdruck brachte, dass der PCF gemeinsam mit dem PCI und der KP Spaniens im Begriff sei, eine „reformistische Plattform“ auf die Beine zu stellen. Gemeint war das trilaterale Treffen der genannten Parteien früher im selben Jahr in Madrid, das dem Vorhaben eines „eurokommunistischen“ Zusammengehens, zumindest im außenpolitischen Rahmen, neuen Aufschwung verlieh. Die Moskauer „Genossen“ standen diesem Ansinnen sehr besorgt gegenüber und warnten die Franzosen vor einer „Entkernung“ ihres ideologischen Gedankenguts.²⁷ Die Einmischung der KPdSU in die inneren Angelegenheiten des PCF weitete sich zu einer regelrechten propagandistischen Kampagne aus. Die Sowjets ließen nichts unversucht, um den sonst loyalen PCF von „revisionistischen Einflüssen“, etwa aus Italien oder Spanien, abzuschirmen. Das ZK des PCF widmete dem Thema eine volle Sitzung, wohl als Reaktion auf einen „aggressiven“ Schmähbrief aus Moskau. Darin unterstellten die Sowjets, dass der PCF sich ohnehin grundlegend verändert und eine völlig „neue Politik“ eingeschlagen habe. Diese stünde im Zeichen des Antisowjetismus einiger seiner Mitglieder, die Kritik übten an vermeintlich fehlender Demokratie und angeblichen regelmäßigen Menschenrechtsverletzungen auf sowjetischem Boden.²⁸ In seinem Redebeitrag betonte Kanapa, Zeiten würden sich ändern, und der PCF versuche nun, sich endlich vom langen Arm der KPdSU zu befreien, wogegen sich die Russen mit allen Mitteln sträubten: „Le PCUS, comme on voit, mène cette lutte avec les pires moyens.“²⁹ Für Furore hatte außerdem der Vorstoß der KPdSU gesorgt, Teile des PCFVorstands durch Prämien und Gefälligkeiten für sich einzunehmen. Davon ver-
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/188, Information für Genossen Honecker und Genossen Axen, Berlin 24.12.1976. APCF, 264 J 17, Boite 2, Dossier 1, Communication verbale du PCUS, 14. 2.1977. Darin monierte die KPdSU nachdrücklich: „Nous espérons que le PCF trouvera le moyen d’éviter cela et les conséquences qui en découlent.“ APCF, 264 J 17, Boite 2, Dossier 1, Transcription de la séance du CC, 31.3 – 1.-3.4.1977. Kanapa in: APCF, 264 J 17, Boite 2, Dossier 1, Transcription de la séance du CC.
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sprachen sich die Russen, dass die Angesprochenen einen „korrigierenden“ Einfluss auf Marchais und seine engsten Mitarbeiter nehmen könnten. Zur Demaskierung und Verurteilung dieser Taktik verlas Marchais selbst während der Sitzung einen Brief von Georges Séguy, Résistance-Held, ZK-Mitglied und Generalsekretär der CGT, der die sowjetischen Avancen aufdeckte. Dieser war selbst von der KPdSU angesprochen worden: Am selben Tag, als der oben erwähnte Schmähbrief der KPdSU beim PCF eintraf, beschloss das ZK der KPdSU, ihn mit dem „Orden der Oktoberrevolution“ auszuzeichnen. Séguy bezeichnete diese Entscheidung als einen krassen Affront (sic), denn dadurch werde signalisiert, dass er, anders als „einige andere Politiker des PCF“, sich der „abtrünnigen“ Linie der Parteiführung nicht gebeugt habe, sondern weiterhin „treu und loyal“ gegenüber der Sowjetunion handle. Nähme er den Preis an, so schrieb Séguy weiter in dem Brief, würde dies bedeuten, dass er die Partei missbillige und anerkenne, dass innerhalb dieser verschiedene, voneinander abweichende politische Linien existierten. Aus diesem Grund lehne er den Preis mit allem Nachdruck ab.³⁰ Nach Darlegung dieses denkwürdigen Falls pflichtete Marchais des Weiteren Kanapa in einem entscheidenden Punkt bei: Die Partei ändere sich rasch. Auch deshalb müsse sie etwaige Anfeindungen, die ihre Geschlossenheit in Gefahr zu bringen beabsichtigten – stammten sie auch von bedeutungslosen Stimmen –, kompromisslos zurückweisen.³¹ Der Konflikt mit den Sowjets setzte sich ins Jahr 1977 hinein fort, wenngleich beide Seiten ihre Bereitschaft signalisierten, die bilateralen Beziehungen auf neue Grundlagen zu stellen, die der jeweils internen sowie der internationalen politischen Entwicklung Rechnung tragen sollten. Im November trafen schließlich Delegationen beider Parteien anlässlich des 60. Jahrestages der „Oktoberrevolution“ in Moskau zusammen. Paul Laurent übermittelte seinen sowjetischen Kollegen die Ansicht der Pariser Führung, wonach die „Realität der Tatsachen“ eine grundlegende Umwertung der Beziehungen zwischen PCF und KPdSU erforderlich und wünschenswert erscheinen lasse.³² Letztere drückte bei dem Zusammentreffen ihr Befremden über den Beschluss des französischen Vorstands aus, „nun plötzlich“ der Atomstreitkraft Frankreichs konziliant gegenüberzustehen. Laurent antwortete, dass diese Entscheidung aus tagespolitischen strategischen Überlegungen erwachsen sei und verbat sich zum Schluss erneut jegliche Einmischung von außen. „Der PCF“, sagte er, „schickt keine Briefe an die KPdSU am Vorabend einer ZK-Tagung, um einen
APCF, 264 J 17, Boite 2, Dossier 1, Transcription de la séance du CC, 31.3 – 1.-3.4.1977, S. 3. Marchais in: APCF, 264 J 17, Boite 2, Dossier 1, Transcription de la séance du CC, S. 4. APCF, 264 J 17, Boite 2, Dossier 1, Entretien PCF-PCUS à Moscou, 5.11.1977.
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Keil zwischen die ZK-Mitglieder zu treiben bzw. um sie gegeneinander auszuspielen.“³³ Indessen traf aber der harte Konfrontationskurs gegenüber der KPdSU und gegenüber Partnern aus dem Ostblock nicht bei allen Parteimitgliedern auf Zustimmung. Kritische Stimmen waren beispielsweise aus dem bedeutenden PCFBezirkssekretariat Seine Saint-Denis zu vernehmen. Sie warnten vor einer eilfertigen Kritik an der sowjetischen Außenpolitik und brachten die Befürchtung zum Ausdruck, dass die Partei die Lage und die Probleme, die unmittelbar bevorstünden, schlichtweg unterschätze.³⁴ Die SED-Führung wiederum verlor mit solchen Debatten nicht viel Zeit. Auch konnte sie das inquisitorische Gebaren des „großen Bruders“ nicht in Abrede stellen. Nützliche Verhandlungen auf multilateraler Ebene ließen sich nur schwer einfädeln, vor allem wenn die sowjetische Großmacht involviert war. Der Spielraum für das außenpolitische Agieren der SED, die nun auch im wirtschaftlichen Bereich zunehmend unter Druck geraten war, war denkbar begrenzt: Es galt, Loyalität gegenüber Moskau, eine Eindämmung interner Erneuerungstendenzen und die fundamental wichtige Aufrechterhaltung von weiterführenden Beziehungen auch zu andersdenkenden Ansprechpartnern im Westen miteinander zu vereinen.³⁵
2 Italien und die DDR Auf dem Weg zur Einberufung der KSZE spielte Italien eine durchaus bedeutende Rolle. Nachdem die Sowjets bereits ab Mitte der fünfziger Jahre Forderungen nach einer gesamteuropäischen Sicherheitskonferenz erhoben hatten, konkretisierten sie diese schließlich unter Breschnew ab 1964. Die italienische Regierung profilierte sich dabei als aufmerksamer und durchaus interessierter Ansprechpartner in Westeuropa, was zu jener Zeit keine Selbstverständlichkeit war. Dies war zum einen damit zu erklären, dass es auch innerhalb der DC zu einem Machtzuwachs linksorientierter Gruppierungen gekommen war³⁶, und zum anderen damit, dass
Laurent in: APCF, 264 J 17, Boite 2, Dossier 1, Transcription de la séance du CC. APCF, 261 J 27/98, Seine Saint-Denis, Note de Jean Garcia au secretariat du CC, 25.10.1977. Vgl. Der Spiegel, 24.05.1976, DDR, vager Ausblick. Mit dem Parteitag 1964 hatte ein leichter Machtzuwachs des linken Flügels der DC eingesetzt. Hierzu u. a. Luciano Radi, La DC da De Gasperi a Fanfani, Soveria Mannelli 2005, S. 156 – 160; Agostino Giovagnoli, Il Partito italiano: la Democrazia Cristiana dal 1942 al 1994, Rom 1996. Über die DC im frühen Kalten Krieg vgl. zudem Vera Capperucci, Il partito dei cattolici: dall’Italia degasperiana alle correnti democristiane, Soveria Mannelli 2010.
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Italien mit dem PCI die wichtigste und einflussreichste kommunistische Partei Westeuropas aufweisen konnte, die in der Gestaltung der Beziehungen zu den staatssozialistischen Ländern stets als Mittler agierte. Was die Beziehungen zur DDR betraf, war die italienische Regierung lediglich aus ökonomischen Gründen an ihrer Aufrechterhaltung interessiert. Dies war spätestens anlässlich der Konferenz von Karlovy Vary 1967 deutlich geworden, als das südeuropäische Land die Forderung der Ostblock-Staaten nach Einberufung einer Konferenz über Sicherheit unterstützte.³⁷ Außerdem hatte sich Italien indirekt zum Garanten sowjetischer Ansprüche und Aufforderungen im NATO-Rat entwickelt, in dem sein Außenminister, der Sozialdemokrat Pietro Nenni, einen erheblichen Einfluss auszuüben vermochte. Abgesehen davon muss jedoch betont werden, dass die DDR in der italienischen Öffentlichkeit weiterhin auf starke Vorbehalte stieß und die italienische Regierung deshalb nur wenig Interesse an bilateralen Treffen hegte.³⁸
SED und PCI in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre Im Gegensatz zu den Beziehungen auf Regierungsebene liefen die Verbindungen zwischen den beiden kommunistischen Parteien, dem PCI und der SED, auch in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre auf Hochtouren. Der Plan zur offiziellen Zusammenarbeit für die Jahre 1976/77 sah u. a. die Entsendung zweier Delegationen von lokalen Föderationen des PCI in die DDR vor, um dort die Arbeit der Bezirksorganisationen kennenzulernen; des Weiteren die Reise von jeweils einer Delegation von PCI-„Genossinnen“ in die DDR, zum Studium der Rolle sowie der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Frau in der DDR, ferner zur Besprechung der Haushaltsführung.³⁹ Die Gestaltung dieser bilateralen Beziehungen trotzte einem Klima allgemeiner Anspannung zwischen den Fronten, das nicht nur west- und osteuropäische Regierungen trennte, sondern auch die jeweiligen kommunistischen Parteien untereinander. Auf dem DKP-Parteitag in Bonn im Frühjahr 1976 hatte sich
Hierzu u. a. Hartmut Ullrich, Italien: Die Konferenz als Spielmaterial tumultuarischer Innenpolitik, in: Hans-Peter Schwarz u. Helga Haftendorn (Hg.), Europäische Sicherheitskonferenz, Opladen 1970, S. 55 – 73. Vgl. Pöthig, Italien und die DDR, S. 346 – 347. APCI, Sezione Estero, Microfilm 228, Progetto d’intesa sulla collaborazione SED-PCI per gli anni 1976 – 77. Die Vereinbarung sah außerdem vor, folgende regionalen Verbindungen fortzusetzen: Leipzig-Mailand; Dresden-Florenz; Rostock-Livorno. Presseorgane (ND und L’Unità) sollten die Zusammenarbeit vertiefen, indem sie „permanente“ und direkte Mitarbeit untereinander koordinierten.
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beispielsweise die PCI-Vertretung heftige Kritik gefallen lassen müssen, da die westdeutschen „Genossen“ die Kontaktaufnahme und -intensivierung des PCI zur SPD verurteilten.⁴⁰ Ende April war die PCI-Parteiführung zudem in einer Sendung von Radio Prag angegriffen worden: Die italienischen „Genossen“ wurden darin der Hilfestellung für einen Dissidenten und ehemaligen Exponenten des „Prager Frühlings“ bezichtigt, Zdeněk Mlynář, welcher Autor zahlreicher „revisionistischer“ Aufsätze und Instrument der amerikanischen Geheimdienste sei.⁴¹ Empört zeigte sich die tschechoslowakische KP außerdem darüber, dass der PCI, anders als alle anderen teilnehmenden Parteien, nur einen „einfachen Beobachter“ und keine hochrangige Persönlichkeit auf ihren eigenen Parteitag geschickt hätte.⁴² Der Vorfall fand nur wenige Tage vor einem medial besonders wichtigen Ereignis statt: Ende April empfing Berlinguer in Rom Viviana Corvalán, Tochter von Luis Corvalán, dem ehemaligen Generalsekretär der KP Chiles, der nun von der KPdSU gegen einen anderen Dissidenten ausgetauscht worden war.⁴³ Der PCI nutzte die Gelegenheit, um sich als friedliebende Organisation zu präsentieren und die traditionellen Gemeinsamkeiten aller kommunistischen Parteien zu beschwören, die diese verpflichte, gegen den chilenischen Faschismus geschlossen und entschlossen vorzugehen.⁴⁴ Pöthigs Aussage, wonach die Dokumentation im SED-Parteiarchiv zum bilateralen Austausch in den siebziger Jahren „sehr lückenhaft“ ist,⁴⁵ greift zu kurz. Dementgegen muss festgehalten werden, dass das zunehmende Interesse der SED-Führung an der Entwicklung des weitestgehend durch die italienischen „Genossen“ bestimmten Eurokommunismus zu einer Fülle an Analysen und Berichten geführt hat, die im Laufe der siebziger Jahre regelmäßig vertieft und erweitert wurden und letztlich allesamt Eingang ins Archiv gefunden haben.⁴⁶ Die gegenseitige Beachtung zeigt sich auch rückblickend und exemplarisch an mehreren Stellen. Im Februar 1976 war in der DDR beispielsweise eine umfangreiche Sammlung an Werken Enrico Berlinguers im Dietz-Verlag erschienen. Die Veröffentlichung enthielt Schriften zur Ideologie, darunter zum Eurokommunismus, und Interviews des italienischen Generalsekretärs. Sie trug den Titel „Für
APCI, Sezione Estero, Microfilm 228, Nota di Michele Ingenito (25. 3. 1976) sul congresso del DKP, 19 – 21. 3. 1976 a Bonn. APCI, Sezione Estero, Microfilm 228, L’Unità 24. 4. 1976, „Attacco di radio Praga all‘“Unità“. APCI, Sezione Estero, Microfilm 228, L’Unità 24. 4. 1976. APCI, Sezione Estero, Microfilm 228, Nota alla segreteria 30. 4. 1976. APCI, Sezione Estero, Microfilm 228, Nota alla segreteria, S. 1. Pöthig, Italien und die DDR, S. 360. Siehe u. a. SAPMO-BArch, DY/30/IV B 2/20/170; DY/30/IV B 2/20/56; DY/30/IV B 2/20/50; DY/30/ IV A 2/20 1097.
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eine demokratische Wende“.⁴⁷ Die italienische Seite zeigte ihrerseits ein theoretisch wie pragmatisch begründetes Bedürfnis nach einem genaueren Verständnis der DDR, ihrer Gesellschaft und ihrer ökonomischen Grundlagen.⁴⁸ Verschiedene Berichte von PCI-Vertretern in der DDR zeugen hiervon.⁴⁹ Freilich erfuhren die bilateralen Beziehungen auch Schwankungen, die in der Regel mit besonderen internationalen Ereignissen zusammenfielen. Dies führte jedoch zu keinem nennenswerten Bruch und konnte den Austausch sowohl auf höchster Parteiebene als auch im Bereich der lokalen Verbindungen nie grundsätzlich gefährden. Der „Fall Biermann“ immerhin sorgte erwartungsgemäß für einen kurzzeitigen Gegensatz zwischen beiden Parteien, der sich in der überlieferten Korrespondenz zwischen Berlinguer und Honecker widerspiegelt. In einem Brief an den italienischen Generalsekretär beanstandete Honecker: Zu meinem Erstaunen muß ich aus einer mir heute vorgelegten Meldung entnehmen, daß Du in einer Sendung des italienischen Fernsehens ernsthaft den Standpunkt vertreten hast, daß Herr Wolf Biermann mit einer List aus einem Lande ausgebürgert wurde, das sich zu den sozialistischen Idealen bekennt […]. 1953 kam er von Hamburg in die DDR, da ihm der Arbeiter-und-Bauern-Staat die Möglichkeit gab, hier zu studieren. Diese aus humanitären Gründen getroffene Geste der DDR hat er schmählich mißbraucht. Durch sein Auftreten in Köln hat er sich selbst den Boden für einen weiteren Aufenthalt in der DDR entzogen.⁵⁰
Die Reaktion Berlinguers ließ nicht lange auf sich warten. Es spiele keine Rolle, so der Italiener, ob Biermann DDR-Bürger sei oder nicht. Was den PCI zu der erwähnten Stellungnahme bewogen habe, sei die unerschütterliche Überzeugung, dass Kunstformen und politische Meinungen, welcher Natur auch immer, nicht bestraft werden dürften.⁵¹ Außerdem, fügte er hinzu, hätte die strenge Maßrege-
APCI, Sezione Estero, Microfilm 211, Raccolta di scritti di Berlinguer nella RDT, 20. 2.1976. Die Publikation enthielt ein Vorwort von Siegfried Beier. „Die DDR blickt auf fünf erfolgreiche Jahre zurück, seit dem Grundlagenvertrag und der internationalen Anerkennung. Der Staat ist nun, wie aus der Konferenz in Helsinki 1975 hervorging, ein fundamentales ‚Instrumentʼ zur Aufrechterhaltung von Frieden und Sicherheit in Europa.“ L’Unità, Il quinquennio dell’affermazione internazionale della RDT, 12.05.1976. Exemplarisch hierzu der Bericht von Antonio Mola, PCI-Delegationsleiter bei den Fabriken im Raum Magdeburg, der den Aufenthalt in der DDR, „einem hochindustrialisiertes Land“, als sehr angenehm empfand. APCI, Sezione Estero, Busta 416, Fasc. 57, Nota di Antonio Mola a segreteria, Dezember 1976. APCI, Sezione Estero, Microfilm 281, Lettera di Honecker a Berlinguer, 30.11.1976. APCI, Sezione Estero, Microfilm 281, Lettera di Berlinguer a Honecker, 15.12.1976. So Berlinguer: „Le espressioni artistische e le opininioni politiche non possono dar luogo a misure amministrative.“ Der kompromisslosen Verurteilung der Ausbürgerung Biermanns hatte sich auch das
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lung Biermanns der westeuropäischen Presse einen willkommenen Anlass geboten, um erneut auf die Missachtung von Menschenrechten in der DDR und allgemein im Ostblock hinzuweisen.⁵² Dabei hatte Honecker persönlich mit einem Brief an den Kongress der SI in Genf Ende November 1976 versucht, die Wogen zu glätten und zur Entspannung zwischen ost- und westeuropäischem Kommunismus beizutragen. Die SED-Delegation vor Ort, von Egon Winkelmann und Joachim Böhm geleitet, übermittelte Brandt das Schreiben ihres Generalsekretärs. Der Text nahm zunächst Bezug auf die im vorangegangenen Juni in Ost-Berlin stattgefundene und für Honecker erfolgreiche Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas und brachte den Wunsch der SED-Elite zum Ausdruck, alle Hindernisse gegen die gemeinsame Arbeit mit sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien aus dem Weg zu räumen, die letztlich den Kampf gegen „reaktionäre Kräfte“ erschwerten. Die SED, so Honecker zum Schluss, setze sich für einen konstruktiven Dialog mit allen demokratischen, am Friedenserhalt interessierten Partnern ein.⁵³ Die Parteibeziehungen zum PCI konnten sogar zu Zeiten größerer Anspannung weiter ausgebaut werden. Dies galt vor allem für die translokalen Verflechtungen, etwa auf Ebene der Bezirksleitungen.⁵⁴ Auch im Bereich der theoretisch-wissenschaftlichen Kooperation konnten die bilateralen Verbindungen deutlich intensiviert werden, ungeachtet der eklatanten Differenzen über den Eurokommunismus. Offiziell vereinbart wurde u. a. eine Zusammenarbeit zwischen dem Istituto Gramsci sowie dem CeSPI mit dem Institut für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED und dem Institut für Marxismus-Leninismus. Hinzu kam die Kooperation verschiedener Parteischulen, darunter der Parteihochschule „Karl Marx“ mit der italienischen Scuola delle Frattocchie. ⁵⁵ Das politische und wirtschaftliche Potential des PCI, von dem die SED profitieren wollte, schien in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre weiter anzuwachsen. Neben der äußerst positiven Wählerentwicklung konnten die Italiener international ihren Ruf als „demokratische Kommunisten“ konsolidieren. Dies bestätigte die französische liberale Zeitung Le Point, die 1976 Enrico Berlinguer als Mann des Jahres feierte: „Er und die italienischen Kommunisten legen eine Politik vor, die richtungsweisend ist und Vorbildfunktion für alle Kommunismen West-
italienische Kulturzentrum Thomas Mann angeschlossen. Siehe L’Unità, Italia-RDT e il Thomas Mann protestano per Biermann, 7.12.1976. APCI, Sezione Estero, Microfilm 281, Lettera di Berlinguer a Honecker, 15.12.1976. APCI, Sezione Estero, Microfilm 281, Lettera di Erich Honecker al congresso dell’Internazionale socialista di Ginevra, 26.11.1976. Der Wortlaut wurde auch im ND (27.11.1976) abgedruckt. Vgl. Pöthig, Italien und die DDR, S. 360 – 361. Vgl. SAPMO-BArch, DY/13/2568.
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europas hat. Diese entwickele sich in entgegengesetzter Richtung zu den Sozialdemokratien des nördlichen und protestantischen Europas.“⁵⁶ In einer Zeit, in welcher der Eurokommunismus sowohl politisch als auch wissenschaftlich große Aufmerksamkeit auf sich lenkte,⁵⁷ war die Gestaltung und Aufrechterhaltung „normaler“ Beziehungen mit der SED allerdings keine Selbstverständlichkeit und musste viele Rückschläge verkraften. So passte es der ostdeutschen Parteiführung natürlich nicht, dass der kürzlich ausgebürgerte Biermann auf Einladung des PCI Ende 1976 nach Rom reiste, wo er eine Woche lang Vorträge hielt und Konzerte gab.⁵⁸ Freilich stellten die Verbindungen zwischen dem PCI und der SED lediglich einen wechselseitigen Austausch an Informationen und Erfahrungen dar, eine ernstzunehmende Debatte in ideologischen Fragen war gleichsam unmöglich und verpönt. Der theoretische Standpunkt der Ost-Berliner Staatspartei war ehern und ließ keine „Vermengungen“ zu. Die erwähnte Verstärkung der Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Sozialwissenschaften kann nicht auf eine ideologische Öffnung der SED zurückgeführt werden.Vielmehr zielte sie darauf ab, den „Anderen“ besser zu verstehen, um mögliche, durch ihn drohende Gefahren effektiver abwenden zu können. Dies zeigt u. a. der Beschluss beider Seiten, die gemeinsame Filmproduktion auszubauen. Im April 1976 war in dieser Hinsicht vereinbart worden, dass die DEFA und die italienische FILMALPHA ihre Kooperation verstärken sollten.⁵⁹
Lokale Verbindungen und Freundschaftsgesellschaften Auch auf lokaler Ebene konnten die Verbindungen ausgedehnt werden. Die bestehenden Städtepartnerschaften sahen oft eine Dreiecksdimension vor: Die Stadtverwaltung von Scandicci in der Toskana beispielsweise unterhielt Beziehungen zu Frankfurt/Oder und zum russischen Dgerginskj. Den Höhepunkt dieser
L’Unità, Berlinguer uomo dell’anno per „Le Point“, 27.12.1976. Das Wochenmagazin Le Point wurde zu diesem Zeitpunkt vom liberalen Politiker und Essayisten Jean-Jacques Servan-Schreiber herausgegeben. U. a. eine Konferenz in Köln mit dem Thema „Eurokommunismus, eine Gefahr oder eine Chance für den Westen?“. Daran nahmen Horst Ehmke (SPD), Alois Mertes (CDU), Pierre Juquin (PCF) und Segre für den PCI teil. Vgl. L’Unità, Dibattito a Colonia PCI-PCF-SPD-CDU, 25.11.1976. L’Unità, Biermann giunto ieri a Roma, 12.12.1976. Begleitet wurde er von Nina Hagen. APCI, Sezione Estero, Microfilm 281, Brief von Honecker an Berlinguer, April 1976. Der erste zusammen produzierte Film war „Der Reichstagsbrand“, mit Giuliano Montaldo als Regisseur. Die SED und Prof. Albert Wilkening, Direktor des VEB DEFA-Studios für Spielfilme, begrüßten das sehr.
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Zusammenarbeit markierte eine vom 23. bis 28. April 1975 in Italien abgehaltene Zeremonie anlässlich der 30. Jahresfeier des Sieges über den Nationalsozialismus und Faschismus.⁶⁰ Ebenfalls im Rahmen des Erfahrungsaustausches gingen italienische „Genossen“ häufig auf Anfragen der SED-Funktionäre ein, Gastdozenten in die DDR zu entsenden, die dort zu verschiedenen Themen vortragen sollten. Angesichts des raschen Erstarkens des PCI in Italien interessierte sich die SED besonders für die „gegenwärtige politische und soziale Lage in Italien“ und den „Kampf der KPI um die Verwirklichung der Beschlüsse ihres XIV. Parteitages […]“.⁶¹ Auch hatte sich die SED-Führung fachliche Unterstützung bei den Italienern erbeten zur Zusammenstellung und Herausgabe der Marx-Engels-Gesamtausgabe. Es handelte sich dabei um ein Mammutwerk, an dem verschiedene Experten beteiligt waren, für Italien u. a. Ugo Piacentini, Dozent an der HumboldtUniversität, und Beatrice de Gerloni.⁶² Sowohl italienische als auch ostdeutsche „Genossen“ beurteilten die Zusammenarbeit auf dieser Ebene positiv.⁶³ Von besonderem Interesse ist die angesprochene Funktion der Freundschaftsgesellschaften als politisches und propagandistisches Instrument sowohl für die italienische KP als auch für die ostdeutsche Staatspartei bzw. als Speerspitze zur Durchdringung und Beeinflussung des jeweiligen Gegenübers. Während dies in Bezug auf die SED-Führung als naheliegend einleuchtet, wird bei einer genaueren Betrachtung des Weiteren deutlich, dass diese Gesellschaften auch vom PCI für politische Manöver genutzt worden sind. So zeigen etliche Dokumente, dass die Leitung der italienischen Freundschaftsgesellschaften, insbesondere derjenigen, die mit Ostblock-Ländern kooperierten, als extrem attraktive Position galt, was oft zu offenen Rivalitäten mit anderen bedeutenden Parteien führte.Wer sich dabei letztlich durchsetzen konnte, entschieden auch die Partnerländer: „Was wir zurzeit mit Besorgnis beobachten, ist, daß immer mehr Vertreter des PSI [Sozialistische Partei Italiens] leitende Mitglieder in den Organisationen werden wollen. Dies fordern auch die ‚real sozialistischen‘ Staaten, welche sehr interessiert an direkten Beziehungen zum PSI als Regierungspartei
APCI, Sezione Estero, Busta 322, Fasc 62, Comune di Scandicci, Brief von Orazio Barbieri, sindaco, an Fritz Krause, Oberbürgermeister Frankfurt/Oder, 7.1.1976. APCI, Sezione Estero, Busta 322, Fasc 62, Brief SED an PCI, 29.1.1975. APCI, Sezione Estero, Busta 322, Fasc 62, Brief Institut für Marxismus Leninismus (Prof. Günter Heyden, Direktor) an PCI, 22.4.1975. Die Freundschaftsgesellschaft Italien-DDR wurde von italienischer Seite besonders gelobt. Diese bringe innovative Initiativen und leide nicht am Verlauf der Beziehungen zur SED.Vg. APCI, Sezione Estero, Busta 326, Fasc 116, Associazioni di amicizia, (1976).
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sind. Daher müssen wir dranbleiben und verhindern, daß wir unseren Einfluss verlieren.“⁶⁴ Ein interner Bericht über die Freundschaftsgesellschaft DDR-Italien gibt Aufschluss über den Stand der Beziehungen gegen Mitte der siebziger Jahre. Der Generalsekretär der italienischen Seite, Senator Riccardo Romano (PCI), erklärte seiner Partei, dass alle Aktivitäten der Gesellschaft in enger Abstimmung mit der Liga für Völkerfreundschaft koordiniert würden. Anschließend müssten die Entscheidungen von der Verbandsführung angenommen werden, was jedoch reine Formsache sei.⁶⁵ 1976 begannen Italiener und Ostdeutsche mit den Vorbereitungen zum zweiten Kongress der Gesellschaft und der Auswahl eines passenden Austragungsortes. Die Entscheidung fiel aus einer Reihe von Gründen auf Livorno in der Toskana: Die Stadt trug für den PCI einen wichtigen symbolischen Charakter, denn dort war 1921 die Partei gegründet worden; ebenso geeignet war die Toskana, da sich hier die meisten Städtepartnerschaften mit der DDR konzentrierten. Außerdem war die Partei in der Region eine feste politische Größe und konnte in fast allen Großstädten, darunter auch Livorno, den Bürgermeister stellen. Das Thema des Kongresses sollte lauten „Entwicklung der friedlichen Koexistenz und der Zusammenarbeit zwischen Italien und der DDR nach der Konferenz von Helsinki“ – ein Schwerpunkt, den Generalsekretär Berlinguer auf dem XIV. PCI-Parteitag verkündet hatte. Um die Organisation der Zusammenkunft sollten sich vor allem die Basisverbände kümmern. Anvisiert wurde zudem die Modifizierung einiger Regelungen im partnerschaftlichen Statut wie die Abschaffung des „nutzlosen“ nationalen Rats, die Reduzierung der Anzahl der Vorstandsmitglieder sowie die Schaffung eines Sekretariats.⁶⁶ Die Zusammenarbeit der Liga für Völkerfreundschaft der SED mit westeuropäischen Partnern diente selbstredend vorwiegend propagandistischen Zwecken und zielte u. a. darauf ab, mit einem breiten Netz an lokalen und regionalen Verflechtungen potentielle „gegnerische“ Tätigkeiten im Keim zu ersticken. Die Koordination ihrer Aktivitäten aus dem bürokratischen und administrativen Dickicht des außenpolitischen Ressorts der ostdeutschen Staatspartei war jedoch keine einfache Angelegenheit. Es trafen dabei mitunter unterschiedliche Zielsetzungen und Interessen von in der Machthierarchie nicht gleichberechtigt gegenüberstehenden Persönlichkeiten aufeinander. Diesen Hintergrund beleuchtet ein interner Bericht der Abteilung Handel, Versorgung und Außenhandel beim ZK der SED aus dem Jahr 1985, der im Rückblick die Tätigkeit der Liga für Völker APCI, Sezione Estero, Busta 326, Fasc 116, Associazioni di amicizia, (1976). APCI, Sezione Estero, Busta 365, Fasc 112, Associazione Italia-RDT, nota riservata alla sez. est. del PCI, 10. 2. 1976, del segretario generale Sen. Riccardo Romano. APCI, Sezione Estero, Busta 365, Fasc 112, Associazione Italia-RDT, nota riservata, S. 2.
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freundschaft überprüfte und beurteilte. Darin wurde in schroffem Ton darauf aufmerksam gemacht, dass schwerwiegende Versäumnisse vorlägen, welche es umgehend zu beseitigen gelte. Die statutenmäßigen Zielsetzungen der Liga seien nämlich: „kommunale Beziehungen auf die Stärkung der Freundschaftsbewegung zu orientieren“; „den Bezirkskomitees eine systematische, länderspezifische inhaltliche Orientierung für ihr auslandsinformatorisches Wirken und konstruktive Unterstützung bei ihrer Umsetzung“ zu gewähren; die „Ausarbeitung langfristiger länderbezogener Maßnahmen für die Entwicklung der kommunalen Beziehungen und Festlegung der Aufgaben für die Beziehungen zu wichtigen Großstädten und industriellen Ballungsgebieten“; „Beobachtung der Aktivitäten der Bundesrepublik auf dem Gebiet der Arbeit mit Städtepartnerschaften“ ⁶⁷. All dies sei aber oft verfehlt worden. Dafür wurden mehrere Gründe genannt, darunter der wichtigste: Es sollte darauf geachtet werden, daß die Leitungsbeziehungen zwischen dem Generalsekretär der Liga und den Bezirkskomitees nicht durch Direktkontakte von Mitarbeitern der Liga zu den Räten der DDR-Partnerstädte bzw. den Bezirkskomitees unterlaufen werden [sic] […]. Es ist zu prüfen, ob für die praktische Erledigung von Aufgaben der Zusammenarbeit des Generalsekretärs mit den Bezirkskomitees und für die Bearbeitung der übergreifenden Aufgaben der kommunalen Beziehungen beim Generalsekretär ein spezieller Arbeitsbereich geschaffen werden sollte.“⁶⁸
Beziehungen auf Parteiebene Die offiziellen Beziehungen auf höchster Parteiebene waren stets von ideologischen Meinungsverschiedenheiten überschattet. Diese konnten auch in Phasen weitgehender Harmonie nicht überwunden werden, was jedoch beide Vorstände in Kauf zu nehmen gelernt hatten. Ungeachtet der deklamatorischen Äußerungen der SED, die den Eurokommunismus des PCI einer fortwährenden Kritik unterzog, gestalteten sich die Verbindungen zwischen italienischen und ostdeutschen „Genossen“ mannigfaltig. Für Unmut auf der internationalen Ebene hatten im Sommer 1976 die Enthüllungen der Medien über die sogenannte „Siebener-Konferenz“ auf Puerto Rico gesorgt. Dort waren Vertreter der sieben größten westlichen Wirtschaftsmächte – der USA, Kanadas, Japans, Großbritanniens, Frankreichs, Italiens und der Bun-
SAPMO-BArch, Abteilung Handel, Versorgung und Außenhandel, DY/13/2933, Abteilung VIII: Konzeptionen und Einschätzungen der kommunalen Auslandsbeziehungen 1978/86, einschließlich Übergabeunterlagen des MfAA an Liga 1983, (1985), hier S. 4. SAPMO-BArch, Abteilung Handel, Versorgung und Außenhandel, DY/13/2933, Abteilung VIII: Konzeptionen und Einschätzungen, S. 5.
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desrepublik – zu Finanzgesprächen zusammengekommen.⁶⁹ Kanzler Helmut Schmidt soll auf Puerto Rico gegenüber anderen Staatschefs bis dahin geheim gehaltene Abkommen offengelegt haben, wonach die Sieben Finanzierungen an Italien umgehend gestoppt hätten, wenn dort die Kommunisten an die Macht gekommen wären. In die öffentliche Debatte brachte sich schließlich auch der ehemalige Kanzler Brandt mit einem kompromisslosen Dementi ein. Die Kontroverse war jedoch bereits entflammt und erfasste rasch die gesamte europäische Linke. Pierre Mauroy, einflussreicher Politiker des französischen PS und enger Vertrauter Mitterrands, verurteilte die Abkommen aufs Äußerste und merkte an, dass dies, wenn es tatsächlich stimmte, einer unannehmbaren Neuauflage „westlicher Kolonisierung“ gleichkäme, die unbedingt verhindert werden müsste.⁷⁰ Die FAZ zeigte dafür wenig Verständnis und mahnte: „Was wäre ein Italien in den Händen des Kommunismus? Berlinguer hin oder her, der Kommunismus, mit seiner fast religiösen Virulenz und den vagen Strategien, bleibt nach wie vor eine Gefahr für die freie Welt.“⁷¹ Der Angriff auf den europäischen Kommunismus dies- und jenseits des Eisernen Vorhangs war unmissverständlich, ließ aber sowohl den PCI als auch die SED relativ unbekümmert. Auf dem XIV. PCI-Parteitag 1975 in Rom hatte Generalsekretär Enrico Berlinguer dafür plädiert, dass Europa seine Rolle als eigenständige Gemeinschaft gegenüber den USA und der Sowjetunion endlich wahrnehmen und ausbauen solle.⁷² Dem Kontinent komme die wichtige Aufgabe zu, zwischen den beiden Supermächten zu vermitteln und sich als „dritter Pol“ im weltpolitischen System zu etablieren. Darin offenbarte sich eine beträchtliche Differenz zwischen den italienischen und den französischen Kommunisten. Letztere standen der Europäischen Gemeinschaft (EG) äußerst skeptisch gegenüber, wenngleich sie sich aufgrund von bündnispolitischen Verpflichtungen in der Linksunion zu gewissen Konzessionen bereit erklärt hatten.⁷³ Zum direkten Zusammentreffen auf Parteiebene zwischen PCI und SED kam es auf der Ost-Berliner Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien
Vgl. Des Kanzlers Wirtschafts-Gipfel, in: Die Zeit, 2.07.1976. L’Unità, Brandt interviene nella polemica sulle dichiarazioni del cancelliere, 23.07.1976. Artikel in der FAZ, zit. in L’Unità, Brandt interviene, 23.07.1976. Vgl. Archiv der sozialen Demokratie in der Friedrich-Ebert-Stiftung Bonn (fortan AdsD), Nachlass Günter Markscheffel, Nr. 22, Bericht vom 14. Kongress des PCI in Rom vom 18. – 23. März 1975 von Günter Markscheffel, S. 2. Hierzu vgl. u. a. Nikolas Dörr, François Mitterrand und der PCF – Die Folgen der rééquilibrage de la gauche für den Parti Communiste Français, in: Mitteilungen des Instituts für deutsches und internationales Parteienrecht und Parteienforschung Düsseldorf (PRuF) 1 (2011), S. 44; Ferrari, In cammino verso Occidente, S. 256.
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Europas. Danach wurde Berlinguer vom ostdeutschen Staatsfernsehen interviewt, der Wortlaut des Gesprächs gänzlich im ND abgedruckt.⁷⁴ Ende September war eine hochrangige PCI-Delegation zu Beratungen in der DDR.⁷⁵ Der Ertrag der OstBerliner Konferenz, auf den an anderer Stelle im Text noch ausführlich eingegangen werden soll, fiel deutlich geringer aus, als es die von den italienischen Medien verbreiteten enthusiastischen Berichte vermuten ließen. Giuseppe Boffa schrieb in der Unità von einem „weltweiten Echo über die Ost-Berliner Neuheit“, erklärte aber nicht im Detail, um welche „Neuheit“ es sich genau handeln sollte. Zur Untermauerung der Bedeutung der Konferenz verwies er darauf, dass sogar die New York Post dem Thema einen Leitartikel gewidmet habe.⁷⁶ Allem Anschein zum Trotz hielten die Ostdeutschen weiterhin an einer grundsätzlichen Ablehnung der Politik der italienischen Kommunisten fest. Ihre unerschütterliche Kritik galt sowohl der außenpolitischen Ausrichtung des PCI, betrieben unter dem Schlagwort Eurokommunismus, als auch seiner innenpolitischen Strategie. Dabei sperrten sich SED-Kommentatoren insbesondere gegen die Idee des „historischen Kompromisses“ bzw. gegen einen möglichen Zusammenschluss mit bürgerlichen (allen voran christdemokratischen) Kräften.⁷⁷ Die konziliante Haltung des PCI gegenüber der „Einparteienregierung“ der DC, mit Aldo Moro an ihrer Spitze, bestätige „grundsätzlich die nicht klassenmäßige Einschätzung des italienischen staatsmonopolistischen Herrschaftssystems und des Charakters des italienischen Staates.“⁷⁸ Mit ähnlicher Argumentation wiesen die Ost-Berliner auf die Gefahr einer „Kontamination“ kommunistischen und ganz allgemein „klassenkampfmäßigen“ Gedankenguts hin, die aus strategischen Allianzen mit der DC zur Regierungsbildung bzw. durch deren Duldung erwachse. Darin waren sich die meisten „real sozialistischen“ Staaten einig, allen voran die
APCI, Sezione Estero, Microfilm 241, Intervista Berlinguer alla TV della DDR, 7.07.1976. APCI, Sezione Estero, Microfilm 243, Delegazione del PCI nella RDT 20.-27. 09. 1976. L’Unità, L’eco mondiale delle novità di Berlino, 3.07.1976; ferner APCI, Sezione Estero, Microfilm 240. Vgl. u. a. Heinz Timmermann, Zur innenpolitischen Strategie der PCI. Dimensionen und Perspektiven des „Historischen Kompromisses“, in: Adolf Kimmel (Hg.), Eurokommunismus: die kommunistischen Parteien Frankreichs, Italiens, Spaniens und Portugals, Köln 1977, S. 143 – 169; Adolf Kimmel, Der „historische Kompromiß“ – Aspekte und Perspektiven. Italiens Kommunisten nach den Wahlen vom Juni 1975, Köln 1975. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/59, Information Nr. 18/76 für das Politbüro, Haltung der IKP zur Regierungskrise und zur Bildung der christlichdemokratischen Einparteieinregierung Moro, Berlin 3.03.1976, hier S. 7.
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UdSSR.⁷⁹ Sogar die Beteuerungen von Francesco De Martino, dem Generalsekretär des PSI, der auf dem 40. Parteitag seiner Partei gegenüber SED-Beobachtern versichert hatte, dass der „compromesso storico gewissermaßen das System zu stabilisieren scheint“⁸⁰, konnten die SED nicht von dessen Nutzen überzeugen. Weiteren Stoff für Konflikte lieferte das Arbeitsprotokoll einer Tagung des ZK der KP Spaniens, die vom 28. bis 30. Juli in Rom stattgefunden hatte. Carrillo leitete die Debatte, an der auch Longo und Berlinguer teilnahmen, über die außenpolitische Strategie der Partei. Deren Hauptziele – u. a. Befürwortung des EWG- und NATO-Beitritts für Spanien bzw. Aufrechterhaltung der amerikanischen Militärbasen im Lande – wies die SED entschieden zurück.⁸¹
3 Der PCI und der PCF in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre Mit dem Vorhaben einer engeren Zusammenarbeit, die in die Publikation einer gemeinsamen Grundsatzerklärung münden sollte, befassten sich PCI und PCF bereits seit 1975 intensiv. Nach den Treffen vom 29. September 1975 in Paris und vom 15. November desselben Jahres in Rom hatten die Parteien bereits eine erste Erklärung herausgegeben, in der sie die angespannte Wirtschaftskonjunktur in Europa und der Welt beklagten und das gemeinsame Ziel zum Ausdruck brachten, gegen die Kapitalmonopole mittels einer konsequenten Erweiterung „ihrer politischen Horizonte“ angehen zu wollen. Gemeint war damit, in Übereinstimmung mit den Ergebnissen des Gipfels der kommunistischen Parteien der kapitalistischen Länder Europas, der im Januar 1974 in Brüssel getagt hatte: die Verbreiterung und Konsolidierung der Demokratie; eine Förderung des Pluralismus und der staatlichen Dezentralisierung; die Kontaktaufnahme und -intensivierung zu bzw. mit anderen demokratischen Kräften.⁸²
Hierzu u. a. Richard Löwenthal, Moscow and the Eurocommunists, in: Problems of Communism XXII: 4 (Juli-August 1978), S. 38 – 49; Claudio Terzi, L’URSS e l’eurocomunismo, in: Il Mulino 27, Nr. 257 (Mai-Juni 1978), S. 391– 407. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/59, Information Nr. 20/76 für das Politbüro, Teilnahme einer Delegation des ZK der SED am 40. Parteitag der Ital. Sozialistischen Partei (3. – 7. März 1976) in Rom, Berlin 15.03.1976. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/50, Information Nr. 53/1976 für das Politbüro, Tagung des ZK der Kommunistischen Partei Spaniens vom 28. bis 30. Juli 1976 in Rom, Berlin 11.08.1976. APCF, Polex, 317 J 15, Projet déclaration commune PCF-PCI, von Charles Fiterman, 29.09.1976.
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Am 3. Juni 1976 kamen dann hochrangige Delegationen der beiden Parteien erneut in Paris zusammen, um über die letzten Details der gemeinsamen Grundsatzerklärung zu beraten. Einen Tag später feierten die jeweiligen Presseorgane den Schritt als einen historischen Vorstoß zu mehr Eigenständigkeit von den Supermächten sowie zu wachsendem Spielraum und Einfluss auf dem Kontinent. Die Humanité titelte frohlockend „Historique!“⁸³ und wies dabei auf die schwierigen Rahmenbedingungen hin, unter denen die Vereinbarung abgeschlossen worden war. Der Text enthielt in Wahrheit nichts Neues: vom Aufruf zum Kampf gegen die Monopole über das Lob für die Arbeit der Linksunion, die gute Ergebnisse erbracht hätte, bis zu einer Kritik an der Regierung Giscard d‘Estaing. Berlinguer warnte alle Vertreter der Linken vor zu groben Sichtweisen und einer Unterbewertung des Gegners: Das „Kapital“ und seine Emissäre entwickelten sich nämlich unaufhaltsam und hätten Lehren aus der „faschistischen Erfahrung“ der Vergangenheit gezogen. Sie seien „hartnäckig“ und besonders resistent. Dagegen helfe nur ein geschlossenes, jedoch stark diversifiziertes Vorgehen, das den jeweiligen nationalen und lokalen Unterschieden Rechnung trüge: Dies sei das höchste Gebot des Eurokommunismus.⁸⁴ Marchais schloss sich ihm an und verwies auf die politischen und historischen Ähnlichkeiten beider Länder, auf deren Basis das strategische Zusammengehen gewissermaßen „einfacher“ sei.⁸⁵ Trotz aller gefeierten Harmonie und vermeintlich hervorstechender Ähnlichkeiten, zeichneten sich die Beziehungen zwischen PCF und PCI in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre durch Instabilität und gegenseitigen Argwohn aus: Auf Annäherungen, oft opportunistischer Natur, folgten Blockaden und Verhärtungen, die nicht zuletzt auf interne Flügelkämpfe zurückzuführen waren. Der PCI hatte vor allem die theoretische Ausrichtung des XXII. Parteitags der französischen Kommunisten im Februar 1976 mit großer Aufmerksamkeit und Hoffnung mitverfolgt. Die Verheißung einer bevorstehenden ideologisch-politischen Umorientierung traf allerdings bei vielen italienischen Beobachtern auf eher nüchterne Kommentare über die Schwäche des PCF, der in einer ungünstigen Linksunion verfangen sei, in der er lediglich eine untergeordnete Rolle spielen
L’Humanité, Titelseite, 4.06.1976. Auf der Seite sind knappe Deklarationen beider Generalsekretäre untergebracht. Berlinguer: „En Italie aussi bien qu’en France, il ne saurait y avoir de progrés, de rénovation effective, sans que les communistes partecipent directement à la direction politique de la société et de l’État.“; Marchais: „Communistes français et italiens lèvent haut, le drapeau de la liberté et de la décratie. Ils défendent ensemble le droit de chaque peuple de décider souverainement de son régime politique et social.“; L’Unità, Titelseite, 4.06.1976. APCF, Polex, 317 J 15, Réunion PCF-PCI, 3.06.1976. APCF, Polex, 317 J 15, Réunion PCF-PCI, S. 3.
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könne. Augusto Pancaldi, Korrespondent der Unità in Paris, beurteilte den Parteitag dagegen im Allgemeinen positiv. Dieser sei nicht nur „Bürokratie und Rhetorik“, sondern läute eine Phase des Neudenkens bzw. des sich Neupositionierens ein.⁸⁶ Der Verweis Pancaldis auf die 1968 bereits angekündigten, aber bis dato nicht umgesetzten Ziele, ließ auf eine Fehlentwicklung schließen, die der PCI aber nicht überbewerten wollte. Wichtig sei, so Pancaldi, auf die offenkundige Bereitschaft des PCF aufmerksam zu machen, sich in Frage zu stellen und nach neuen Wegen aus der Sinnkrise zu suchen. Die bürgerliche Presse in Frankreich schenkte dem Wandel des PCF dennoch wenig Glauben. Der Figaro argumentierte, die Kommunisten um Marchais hätten auf dem jüngsten Parteitag zwar äußerlich einen regelrechten „demokratischen Schwenk“ vollzogen, zweifelte aber stark, ob sich der traditionell stalinistische PCF tatsächlich daran halten werde.⁸⁷ Derweil hatte die KPdSU von höchster Stelle aus die proklamierte Abwendung des PCF vom Marxismus-Leninismus mit harscher Kritik verurteilt. Angeprangert wurde besonders der auf dem genannten Parteitag beschlossene Verzicht auf die Klausel der „Diktatur des Proletariats“. Juri Andropow, damals ZK-Mitglied und Chef des mächtigen sowjetischen Geheimdienstes KGB, rezipierte die neuen Leitlinien des PCF mit Skepsis und betonte spöttisch: „Der Sieg des Sozialismus und sein Einmünden in die kommunistische Gesellschaft seien ohne die Entwicklung der Demokratie undenkbar. Lenin habe die Diktatur des Proletariats nicht in einen Gegensatz zur Demokratie gestellt, sondern zur Diktatur der Bourgeoisie, die von der Herrschaft des Kapitals nicht zu trennen sei […].“⁸⁸
3.1 Die Ost-Berliner Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas 1976 Im Vorfeld der Ost-Berliner Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas waren die grundsätzlichen Differenzen zwischen PCI und PCF erneut zutage getreten. Die Franzosen versprachen sich insgesamt wenig von der Konferenz und hielten nichts von einem geplanten gemeinsamen Schlussdokument,
APCI, Sezione Estero, Microfilm 212, Le nuove tesi del partito comunista francese. I Comunisti francesi alla vigilia del XXII congresso, di Augusto Pancaldi, 24.1.1976. Le Figaro, Le PC pour un „compromis“ continental: l‘„eurocomunisme“ (von Robert Lacontre), 16.02.1976 : „Si le PCI incite les communistes européens à se plonger dans l’Europe pour la transformer dans le sens démocratique, il ne peut pas être sceptique à l’égard du virage un peu trop voyant du PCF, qui a toujours été l’un des plus staliniens.“ Die Welt, KGB-Chef Andropow kritisiert die französischen Kommunisten, 24.04.1976.
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das lediglich den bestehenden Status quo bestätige und dessen Vorbereitung nach außen hin nur den Eindruck erwecke, dass „Bruderparteien“ aus Ost und West mit verkrampften Verhandlungen beschäftigt seien, um ein für alle zufriedenstellendes Ergebnis zu erzielen.⁸⁹ In der Tat fürchtete man im linken Spektrum Europas, dass die Konferenz den Graben zwischen „eurokommunistischen“ und „real sozialistischen“ Kräften nur noch weiter vertiefen bzw. dass dadurch die ohnehin kaum mehr zu verbergende Uneinigkeit des europäischen Kommunismus offen ans Licht kommen und die gemeinsame Front erheblichen Schaden erleiden würde.⁹⁰ Die westlichen Regierungen verfolgten die Vorbereitungen zur Konferenz mit großem Interesse und bisweilen sogar Besorgnis. Mitterrand kritisierte in einem Interview für das amerikanische Nachrichtenmagazin Newsweek eine Aussage der amerikanischen Regierung, wonach die USA Europa „nicht mehr verteidigen“ würden, wenn die Kommunisten an die Macht kämen. Der Franzose beklagte, die USA nutzten die NATO aus, um sich in nationale Angelegenheiten einzumischen, und scheuten dabei nicht mit Drohungen zurück. Er denke aber nicht, dass die USA ihr Verteidigungssystem („parapluie nucléaire“) je abziehen würden. Mitterand machte schließlich darauf aufmerksam, dass die von den „bürgerlichen Machthabern“ geförderte Frontstellung gegen die europäische Linke und die ad hoc heraufbeschworene Panikstimmung angesichts des vermeintlichen kommunistischen Schreckgespensts jeglicher Grundlage entbehrten. In diesem Sinne rede beispielsweise Hans-Dietrich Genscher, Außenminister der Bundesrepublik, von einer „akuten Gefahr“, die aus der „roten Union“ in Frankreich (PS-PCF) und der „schwarzen“ in Westeuropa (PCI-DC) hervorzugehen drohe.⁹¹ Jean Kanapa brachte sich persönlich in die Debatte ein und verlieh der Kritik des PCF-Vorstands an der Ost-Berliner Konferenz neue Nahrung, indem er suggerierte, dass ein schwerer Druck auf den kommunistischen Parteien laste, einen gemeinsamen Schlusstext zu erarbeiten, der alle zufriedenstelle. Dies würde beispielsweise bedeuten, das Gebot der „friedlichen Koexistenz“ akzeptieren zu müssen, was die Herren „Kissinger, Schmidt und Giscard d’Estaing“ einfach mit der „Aufrechterhaltung bestehender politischer und sozialer Verhältnisse“ übersetzen würden. Damit aber wären die Rahmenbedingungen gegeben, um die
APCI, Sezione Estero, Microfilm 228, Nota sull’incontro dei compagni Segre e Rubbi a Parigi il 2.4 con i compagni Kanapa, Denis e Streiff. Vgl. u. a. Heinz Timmermann, Die Konferenz der europäischen Kommunisten in Ost-Berlin, Köln 1976; Heinz Timmermann, Moskau und der europäische Kommunismus nach der Gipfelkonferenz von Ost-Berlin, Köln 1977. APCI, Sezione Estero, Microfilm 228, Intervista di Mitterrand a Newsweek, wiederabgedruckt in L’Unità 23. 3.1976: „I socialisti francesi accentuano la polemica contro le ingerenze USA.“
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europäische Arbeiterbewegung bei ihrem Kampf gegen den Imperialismus zu blockieren.⁹² In der Tat nötigte die Vorbereitung der Konferenz den Teilnehmern einen erheblichen ideologischen Spagat ab. Gestritten wurde über Inhalte und Begriffe. Ideologische Kontroversen mussten gemieden und eine Sprache gewählt werden, die von „Solidarität“ und „Internationalismus“ zeugte. Letztlich ging es dabei um Einzelheiten und Feinheiten, aber auch um den propagandistischen Erfolg des Schlussdokuments. Aus diesem Grund zeigten sich ebenso die SED als Hauptorganisator und Gastgeber wie auch der PCI als wichtigster Vertreter des westeuropäischen Kommunismus als besonders kooperativ und kompromissbereit. Ideologieüberladene Begrifflichkeiten wie „proletarischer Internationalismus“ wurden nicht mehr verwendet; an ihre Stelle traten neutrale Formulierungen wie „freiwillige Zusammenarbeit und Solidarität.“ Außerdem wurden diffamierende Ausführungen über die EWG und westliche Mächte im Allgemeinen nicht aufgenommen.⁹³ Alle Redebeiträge der jeweiligen Teilnehmer – auch die kritischsten Texte, darunter die von Berlinguer und Marchais – wurden ohne Abstriche im ND abgedruckt.⁹⁴ Während des Konferenzverlaufs wurden ausgerechnet die beiden westeuropäischen Gästedelegationen vom ostdeutschen Geheimdienst mit besonderer Aufmerksamkeit beobachtet. Im Rahmen der „Aktion Zukunft“ zur Sicherung der Beratungen hatten besorgniserregende Informationen das MfS erreicht: Inoffiziell wurde bekannt, daß der amerikanische Geheimdienst starkes Interesse an Informationen über die Haltung und Stellung der IKP und der FKP zum Konferenzverlauf und über das Verhältnis beider Parteien zur KPdSU und zur SED hat. Weiterhin ist er an Informationen über die Existenz von Auffassungen in der DDR über einen eigenen Weg zum Sozialismus, an Einschätzungen über Personen, die ein Lossagen der DDR von der UdSSR anstreben und über das Vorhandensein negativer und feindlicher Kräfte in der DDR interessiert […].“⁹⁵
L’Humanité, Ou en est la préparation de la conférence de Berlin? (Interview avec Jean Kanapa), 12.05.1976. Vgl. Timmermann, Die Konferenz, S. 125 – 126. Rede des Genossen Enrico Berlinguer, Generalsekretär der Italienischen Kommunistischen Partei, in: Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas. Berlin, 29. und 30. Juni 1976, S. 223 – 232; vgl. auch Courtois u. Lazar, Histoire, hier S. 367. BStU, Archiv Zentralstelle (fortan MfS), MfS – ZOS, 3513, Bericht über die politisch-operative Lage im Zusammenhang mit der Aktion „Zukunft“ zur Sicherung der Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas, 30.06.1976, hier S. 21.
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Auch ließ das MfS der „Stimmung“ in der DDR-Bevölkerung während der Konferenz nachspüren, um mögliche Rebellionen im Keim zu ersticken bzw. die Akzeptanz der Regierung zu überprüfen. Zunächst wurden ein hohes Interesse und rege Aufmerksamkeit „in allen Bevölkerungsschichten“ festgestellt.⁹⁶ Die MfSBeobachter gingen von einer unverminderten Zustimmung aus und verzeichneten zudem „Genugtuung“ über die erfolgreiche Organisation und Austragung der Konferenz im ostdeutschen Staat. Nachdrücklich und geradezu redundant wurde die Rolle der KPdSU sowohl für das Zustandekommen der Tagung als auch den Zusammenhalt des weltweiten kommunistischen Lagers hervorgehoben.⁹⁷ Die UdSSR besäße nicht nur die nötige Erfahrung, um alle „Bruderparteien“ zu führen, sondern auch die dazu erforderliche „hohe moralische Größe.“ Diese habe sich auf der Konferenz insbesondere dadurch gezeigt, dass die sowjetische Vertretung nicht etwaige Konflikte in den Mittelpunkt gestellt habe, sondern darum bemüht gewesen sei, die Einheit des weltweiten Kommunismus zu festigen und „dem Feind keine Angriffsflächen zu bieten.“⁹⁸ Negativ eingeschätzt wurden hingegen die Redebeiträge der rumänischen und österreichischen Teilnehmer: Diese hätten den angeblich „nicht bestehenden Führungsanspruch“ der Sowjetunion betont, die eigene Unabhängigkeit sowie die allgemeine Ablehnung eines „Leitzentrums“. Hierfür fand das MfS eine knappe und bissige Erklärung: Die Rumänen gehörten bekanntlich zu den „Abweichlern“ und diskreditierten sich durch eine „peinliche“ pronationale Art; die Österreicher seien schlichtweg „Maoisten.“⁹⁹ Überraschenderweise fand der Redeinhalt der „eurokommunistischen“ Vertreter bei den Beanstandungen keine Erwähnung. ¹⁰⁰
3.2 Unmittelbare Auswirkungen der Konferenz Die Auswirkungen und Ergebnisse der Konferenz wurden sehr unterschiedlich eingeschätzt. Die Bundesregierung feierte die Tagung als Bestätigung des allmählichen Machtverlusts der KPdSU in Westeuropa, wo sich Parteien wie der PCI, der PCF und die KP Spaniens zunehmend von der UdSSR distanzierten. Andere Länder wie Schweden und Großbritannien maßen den vermeintlichen Akzent-
MfS – ZOS, 3513, Reaktion der Bevölkerung der DDR zur Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas, (kein Datum). MfS – ZOS, 3513, Reaktion der Bevölkerung der DDR, S. 42. MfS – ZOS, 3513, Reaktion der Bevölkerung der DDR, S. 43. MfS – ZOS, 3513, Reaktion der Bevölkerung der DDR, S. 43 – 44. MfS – ZOS, 3513, Reaktion der Bevölkerung der DDR, S. 44– 45.
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verschiebungen und Abweichungen in den Deklarationen der „Eurokommunisten“ nur geringe Bedeutung bei und bestanden darauf, sogar die eben genannten Parteien als unvermindert „moskauhörig“ zu bezeichnen.¹⁰¹ Vor diesem Hintergrund muss die erneute Wortmeldung Kanapas über die Rolle des PCF mit der dabei manifestierten Haltung zur NATO unmittelbar vor Beginn des Ost-Berliner Gipfels als taktische Schadensbegrenzung betrachtet werden. Kanapa versicherte, dass seine Partei nicht auf einer Revision des atlantischen Paktes bestünde, selbst dann nicht, wenn sie die Regierungsverantwortung übernehmen würde, „es sei denn, die USA selbst würden eine Berichtigung in Angriff nehmen.“¹⁰² Der PCF, fügte er hinzu, begrüße jedoch ohnehin eine solche Anpassung, denn die Strukturen und Ziele des Bündnisses seien obsolet und realitätsfern.¹⁰³ Nur wenige Wochen zuvor hatte Berlinguer in Paris (Porte de Pantin) auf Einladung des PCF einen Vortrag gehalten. Er begrüßte darin den Schulterschluss der beiden größten kommunistischen Parteien Westeuropas und wies darauf hin, dass diese Allianz besonders aktuell und notwendig sei. Mit Bezug auf den 24. Bundesparteitag der CDU, der vom 24. bis 26. Juni 1976 in Hannover getagt hatte und an dem hochrangige Persönlichkeiten wie Margaret Thatcher, Jean Lecanuet und Amintore Fanfani teilgenommen hatten, warnte Berlinguer die Zuhörerschaft vor Illusionen. Die dort versammelten Persönlichkeiten, die sogenannten „Meister des Antikommunismus“, würden alles in ihrer Macht Stehende unternehmen, um das Fortschreiten kommunistischer Kräfte in Europa einzudämmen. Der „Ultrakonservativismus“ sei durchaus lebendig und wähle u. a. den PCF und den PCI als Zielscheiben seiner Angriffe, weshalb ein strategisches Zusammengehen der internationalen Arbeiterbewegung und ihrer Vertreter vonnöten sei.¹⁰⁴ Schließlich hätten sowohl der PCF als auch der PCI positive Ergebnisse erzielt;¹⁰⁵ es gelte jedoch auch weiterhin die Kräfte zu bündeln, um sich der konsolidierten bürgerlichen Front entgegen zu stemmen.
Hierzu u. a. Timmermann, Die Konferenz; ferner auch Pöthig, Italien und die DDR, S. 383 – 384. L’Unità, Il PCF non chiederà di rivedere la NATO, 28.06.1976. L’Unità, Il PCF non chiederà. APCI, Sezione Estero, Microfilm 239, Discorso Berlinguer Parigi, Porte de Pantin 3.6.1976. Dabei hob er insbesondere den Sieg beim Volksentscheid 1974 über die Legalisierung der Abtreibung in Italien hervor, wofür sich der PCI starkgemacht hatte. Dies wertete Berlinguer als Zeichen dafür, dass der Laizismus in der Gesellschaft allmählich an Boden gewinne. Vgl. APCI, Sezione Estero, Microfilm 239, Discorso Berlinguer Parigi, Porte de Pantin 3.6.1976, S. 2– 3.
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Internationale Politik Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang ein streng vertraulicher Eintrag im Archiv des PCI von Mitte November desselben Jahres. Sergio Segre beschrieb darin den Inhalt eines Gesprächs, das er mit dem italienischen Botschafter in Frankreich, Francesco Malfatti di Montetretto, geführt hatte. Es ging dabei vornehmlich um die Reise von Giscard dʼEstaing nach Italien, bei der dieser den Ministerpräsidenten Giulio Andreotti und den Staatspräsidenten Giovanni Leone treffen sollte. Malfatti griff die Kritik Giscard d‘Estaings auf, es sei „unpolitisch“, dass Italien mit Antonio Giolitti und Lorenzo Natali zwei Kommissare in der EWG (CEE) haben wolle. Der Botschafter fügte hinzu, das Außenministerium „funktioniert immer schlechter“ („funziona sempre peggio“) und er hoffe, bald zum Generalsekretär des Außenministeriums (Segretario Generale delle Ambasciate) ernannt zu werden. Wenn dies soweit wäre, benötige er die Unterstützung des PCI, um das Ministerium zu reformieren, die italienische „Präsenz“ im Ausland zu verstärken und ein neues Verhältnis zwischen Parlament und Ministerium zu schaffen (sic).¹⁰⁶ Bei einem früheren Treffen in Paris hatte Malfatti PCI-Genossen von geheimen Verhandlungen der italienischen Regierung berichtet. Aldo Moro und Außenminister Mariano Rumor hätten sich in Bonn dafür verwendet, angesichts der „desaströsen“ Finanzlage Italiens eine Geldanleihe zu erhalten. Das Gesuch war abgelehnt worden. Auch der französische Außenminister Jean Sauvagnargues habe sich sehr despektierlich über Rumor geäußert und suggeriert, der Italiener wisse nicht, worüber er rede. Außerdem gab Sauvagnargues zu verstehen, Italien bräuchte dringend eine neue Führungsriege, wenn es tatsächlich seine Krise überwinden wolle.¹⁰⁷ Die PCI-Führung fasste die Berichte des Botschafters als weiteren Ansporn auf, an ihrer politischen Linie festzuhalten, welche der Partei in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre einen beträchtlichen Stimmenzuwachs bescheren sollte. Das Jahr 1977 brachte dann die „historische“ Wende: Die DC und die Kommunisten Italiens einigten sich auf ein allgemeines Abkommen zu einer „Politik des NichtMisstrauens“ und hauchten somit dem bis dahin nur theoretisch skizzierten compromesso storico Leben ein.¹⁰⁸ Ende 1976 diskutierten Bettino Craxi, neuer Generalsekretär des italienischen PSI, und Mitterrand in Paris ausgiebig über die neuesten Entwicklungen in Italien APCI, Sezione Estero, Busta 361, Fasc. 48, Nota per Berlinguer e Pajetta (riservato), di Segre 15.11.1976. APCI, Sezione Estero, Busta 361, Fasc. 48, Nota riservata per Berlinguer, di Segre 26.5.1976. Vgl. u. a. Massimo De Minicis, The red threat: la modernizzazione e il Partito Comunista in Italia (1970 – 1974), Rom 2012.
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und Europa. Craxi bekräftigte die feste Überzeugung seiner Partei, nie Kompromisse mit der regierenden DC schließen zu wollen. Er sei zwar von der Strategie Mitterrands sehr angetan und das Projekt der Linksunion bzw. ihr Vorhaben, die gesamte Linke im Kampf gegen „Ausbeuterei“ und „Konservatismus“ zu vereinen, erachtete er als konstruktiv. Außerdem aber ergänzte er noch am Rande, er sei empört darüber, dass man ihn „il tedesco“ (den Deutschen) nenne, denn er pflege kaum Kontakte zur deutschen Sozialdemokratie. Aus SPD-Kreisen verlautete hingegen, er habe deutschen „Genossen“ genau dasselbe über seine Beziehungen zum französischen PS eröffnet. In einem Punkt herrschte jedoch Einigkeit: Craxi und Mitterrand unterstützten die Kandidatur Willy Brandts zum Präsidenten der Sozialistischen Internationale gegenüber Olof Palme.¹⁰⁹
4 Dreiecksbeziehungen in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre Nach dem Wahlsieg des PS bei den Kommunalwahlen Ende März 1977, der den Sozialisten endgültig die stärkste Position im linken Spektrum sicherte, beschlossen Marchais und seine Vertrauten im ZK, aus der Linksunion auszutreten. Offiziell wurde dieser Schritt damit begründet, dass sich der PS zunehmend nach rechts orientiere und sich reformistisches wie „revisionistisches“ Gedankengut anverwandle, das mit den Vorstellungen und Überzeugungen des PCF nicht mehr vereinbar sei.¹¹⁰ Der PCF selbst hatte bei den Wahlen sehr gut abgeschnitten, insbesondere in den Großstädten, darunter Paris, wo der PCF-Kandidat Henry Fiszbin im ersten Gang weit vor Jacques Chirac und seiner Koalition gelegen hatte.¹¹¹ Gerade dieser unerwartete Erfolg der Kommunisten drängte den PS um Mitterrand in die Defensive und veranlasste ihn zur Abgrenzung von seinem Verbündeten. Diese Sichtweise bestätigen auch interne Berichte. In einem Interview für die Unità beteuerte Marchais, dass die jüngsten Wahlen die Bedeutung des PCF in der französischen Gesellschaft mit Nachdruck unter Beweis gestellt hätten. Premierminister Raymond Barre habe ebenfalls bestätigt, dass der PCF als Hauptnutznießer aus dem Wahlgang hervorgehe.¹¹² In dem Gespräch deutete Marchais auch einen politischen Richtungswechsel beim
APCI, Sezione Estero, Busta 361, Fasc. 48, Nota di Pancaldi per Segre, (1976); ferner Gennaro Acquaviva u. Marco Gervasoni (Hg.), Socialisti e comunisti negli anni di Craxi, Venedig 2011. Vgl. hierzu u. a. Courtois u. Lazar, Histoire, hier S. 411– 412. Courtois u. Lazar, Histoire, hier S. 411– 412. L’Unità, Intervista con Marchais. La lotta dei comunisti francesi per una svolta democratica, 30.04.1977.
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PCF an, der ein Umdenken bezüglich supranationaler Institutionen in Europa betreffe. Der Forderung nach einer Direktwahl zum Europaparlament würden sich die französischen Kommunisten nicht mehr entgegenstemmen, auch wenn der PCF dieses Parlament selbst momentan noch missbillige.¹¹³ Bei einem Besuch in Ost-Berlin ließ Gaston Plissonnier keine Zweifel darüber aufkommen, wer noch als einzige Kraft in Frankreich die Interessen der Werktätigen vertrete und schütze: der PCF nämlich. Mitterrand sei hingegen dem Druck der „Großbourgeoisie“ verfallen, wodurch die „rechten Kräfte“ innerhalb seiner Partei massiv an Einfluss gewonnen hätten.¹¹⁴ In seinen Ausführungen ging Plissonnier auf die opportunistische Taktik des PS ein, die für das Scheitern einer wahren klassenmäßigen Politik verantwortlich sei. Auch wolle er den Beschluss des PCF, auf dem Erhalt der französischen Atomstreitkraft zu beharren, ins rechte Licht rücken. Die „Forderung der FKP nach Aufrechterhaltung der Atomstreitmacht muß von den sozialistischen Ländern richtig verstanden werden.“¹¹⁵ Sie würde nämlich den Prinzipien der „friedlichen Koexistenz“ nicht zuwiderlaufen und beruhe auf der Annahme, dass Frankreich ohne Atomschlagkraft aufgrund der Unterentwicklung der Landstreitkräfte „keine Verteidigungsmöglichkeit mehr hat.“ Gleichzeitig sei die Aufrechterhaltung der „nationalen“ Atomwaffe mit der Forderung verknüpft, sie „nicht der NATO oder der Bundesrepublik auszuliefern“¹¹⁶, wofür sich wiederum Mitterrand einsetze. Daher pochte Plissonnier darauf, dass diese Haltung seiner Partei den Interessen der sozialistischen Länder diene.¹¹⁷ Hermann Axen erwiderte darauf, dass die SED eine Fortsetzung und Weiterentwicklung der Beziehungen zum PCF anstrebe. Was allerdings die Innenpolitik anbelange, fügte er lakonisch hinzu, so mische sich die SED nicht ein.¹¹⁸ Diese Stellungnahme entsprach nicht ganz der Wahrheit. Tatsächlich hatte die Beendigung der Linksunion zu einer Wiederannäherung des PCF an den Ostblock bzw. zu einer Intensivierung bilateraler Verbindungen zu Ost-Berlin geführt, wenngleich mit rein protokollarischer Bedeutung. Der Bruch des strategischen Paktes L’Unità, Intervista con Marchais. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/188, Gesprächsvermerk FKP-SED, Berlin, 28.10.1977. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/188, Gesprächsvermerk FKP-SED, S. 4. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/188, Gesprächsvermerk FKP-SED, S. 4 SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/188, Gesprächsvermerk FKP-SED, S. 4 Axen in SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/188, Gesprächsvermerk FKP-SED, S. 8.
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mit Mitterrand und seinen Vertrauten missfiel nämlich sowohl der SED als auch der KPdSU. Kurz vor Austritt des PCF aus dem Bündnis unternahm die sowjetische Staatspartei sogar Versuche, über die SP Belgiens bzw. einen ihrer wichtigsten Exponenten, André Cools, Einfluss auf den französischen PS zu nehmen, damit sich dieser konziliant gegenüber dem PCF verhalte. Kurzum: Die KPdSU setzte sich energisch dafür ein, einem Scheitern der Linksunion vorzubeugen.¹¹⁹ Das Verhältnis der SED zum PCF nach seinem Austritt gestaltete sich eher kühl. Die Ost-Berliner begrüßten zwar die erneute Kontaktaufnahme, ließen aber keine Gelegenheit aus, um angebliche Diffamierungen vonseiten der Franzosen gegenüber der SU und der DDR zu beklagen.¹²⁰ Die Grundorganisation der SED in Paris wurde regelmäßig über solche Verleumdungen informiert und dazu angehalten, diese mit Nachdruck zurückzuweisen. Ende 1977 hatte Axen persönlich Botschafter Werner Fleck angewiesen, „tiefes Befremden über Veröffentlichungen in LʼHumanité zur DDR vorzutragen.“¹²¹ Unter Generalverdacht standen zunächst zwei dort erschienene Artikel: „Noch ein Schriftsteller, der emigriert ist“ von Bernard Umbrecht (13.12.1977) und „DDR und Kultur: Motive für Beunruhigung“ von Claude Prevost (16.12.1977). Beide besäßen „ein und denselben negativen Inhalt: die Kritik angeblicher Fehler der Kulturpolitik der SED.“¹²² Wie sehr der PCF-Vorstand an seine hervorstechende Rolle als Vorreiter linker Kräfte glaubte, bestätigte dessen ZK-Sitzung im Mai 1977. Bezug nehmend auf einen Artikel in der Humanité vom vorangegangenen April,¹²³ in dem die Notwendigkeit einer „Aktualisierung“ des gemeinsamen Programms mit dem PS betont wurde, stimmte die Parteiführung darin überein, dass partielle Anpassungen der Strategie dringend notwendig seien, nicht nur um einen Wahlsieg, diesmal auf nationaler Ebene, zu erzielen, sondern auch um der parteiinternen Eintracht willen.¹²⁴ In einem späteren Beitrag im Presseorgan setzte sich Marchais für den Verbleib in der Linksunion, auch entgegen allen anderen Verbündeten.¹²⁵ Tatsächlich erhöhte der PCF den Druck auf den PS, Gespräche über eventuelle,
L’Aurore, Une intervention du Kremlin?, 9.11.1977. Axen unterstrich gegenüber Plissonnier, dass die SED „auf die Dauer nicht zu Verleumdungen unserer Partei und unserer Politik schweigen kann.“ SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/188, Gesprächsvermerk FKP-SED, hier S. 8. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/188, Vordringend von Hermann Axen an Genossen Fleck in Paris, Berlin 23.12.1977; vgl. auch Pfeil, Der Mythos von den „Bruderparteien“, S. 78. SAPMO-BArch, Vordringend von Hermann Axen an Genossen Fleck in Paris. L’Humanité, Actualiser le Programme commun pour gagner, 4.04.1977. APCF, Archives de direction Comité Central, 261 J 2/52– 52, Rapport au CC, 11.05.1977. „Même si le PS et le MRG prenaient la décision de rompre, nous, nous continuerons le combat pour l’union […].“ Marchais in: L’Humanité, Nous, rompre? Jamais, jamais!, 24.09.1977.
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vom PCF als unabdingbar betrachtete Änderungen aufzunehmen, um die Allianz zu retten bzw. auf neue, tragfähige Grundlagen zu stellen. Alle diese Versuche seitens der Kommunisten schlugen jedoch fehl, wie von ihnen mehrfach beklagt wurde. Der PS habe sich nicht einmal dazu bereit erklärt, auf die Anregungen auch nur einzugehen, sondern alle Änderungsvorschläge schlichtweg verweigert. Ein solches Taktieren der Sozialisten belege deren endgültiges Einschwenken auf reformistische, der Regierung ähnliche Grundpositionen.¹²⁶
Der PCI und der PS Der PCI schenkte der politischen Entwicklung der französischen Linksunion bzw. der Partei um den künftigen Staatspräsidenten Mitterrand große Aufmerksamkeit. Auf dem Parteitag des PS in Nantes vom 17. bis 18. Juni 1977, dem die Unità eine ausführliche Analyse widmete, waren auch Vertreter des PCI zugegen. Es war kein Zufall, dass bereits mit dem Titel „Der französische PS auf der Suche nach innerem Zusammenhalt in Nantes“ der Akzent auf die interne Eintracht der Partei nach dem Ausscheiden des PCF aus der Union gelegt wurde. De facto drohten hauptsächlich im linken Spektrum der Partei (CERES) Flügelkämpfe auszubrechen. Mitterrand nahm an der Eröffnung des Kongresses nicht teil: Damit wollte er der Unterstellung entgegenwirken, nach „Ausschaltung“ der Kommunisten den PS nun „diktatorisch“ führen zu wollen. Offiziell hieß es, er wolle die bereits entflammten Animositäten nicht zusätzlich durch seine Präsenz schüren.¹²⁷ Pierre Mauroy, der künftige Premierminister, hielt die Eröffnungsansprache. Er lobte darin den raschen Zuwachs der Partei und nannte diesen, etwas ungeschickt, ein „gaullistisches Phänomen.“¹²⁸ Der PS zählte zu diesem Zeitpunkt 160.000 Mitglieder und war laut Mauroy stärkste politische Kraft in Frankreich. Seit dem Parteitag in Épinay 1971, dem Parteitag der „Neugeburt“, habe die Partei riesige Fortschritte gemacht. Am Nachmittag traf auch Mitterrand ein: Er habe sich gegen seine Rivalen zu behaupten gehabt, meinten die Journalisten der Unità später. Für den PCF nahm Fitermann als Beobachter an dem Parteitag teil, für den PCI Adalberto Minucci. Die Versuche einer dauerhaften Schlichtung mit dem CERES, der seine semiautonomen Strukturen aufrechtzuerhalten bestrebt war, gestalteten sich besonders schwierig. Wie Minucci vermerkte, standen dabei die ideologische Stoßrichtung der Partei auf dem Prüfstand, deren Verhältnis zur „Masse“ der Wähler
L’Humanité, Le PS tel qu’il est, 7.10.1977. L’Unità, Il PS francese a Nantes ricerca la sua coesione, 18.06.1977. APCI, Sezione Estero, Microfilm 298, Congresso del PS francese a Nantes, hier S. 2.
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sowie der Umgang mit dem PCF und dem gemeinsamen Programm. Der CERES um Georges Sarre und Jean-Pierre Chevènement fordere eine umfangreiche Nationalisierung im Industriesektor und wolle wissen, wie die Parteiführung dazu stehe: „Und dies muß alles Mitterrand beantworten, der sich jedoch als jemand gibt, der gern die Macht innehat, damit kokettiert und sich über alles andere stellen will […].“¹²⁹ Mitterrand verkündete in der Schlussrede: „Der PS positioniert sich ideologisch zwischen PCF und PCI. Ersterer hängt noch einem traditionellen, aus dem 19. Jahrhundert tradierten Selbstverständnis als Klassenpartei an; Letzterer setzt auf eine interklassistische Politik.“¹³⁰ Die Absage an den ehemaligen kommunistischen Verbündeten war unmissverständlich. Mitterand reagierte damit nicht zuletzt auf die wachsende soziale Unzufriedenheit im Land und den hohen Druck, der auf seiner Partei lastete, eine „massentaugliche“ Politik zu betreiben. Er genoss die Macht und wollte sich durch Ränkespiele und Zwistigkeiten „von links“ nicht aufhalten lassen.¹³¹ Die „Wählermassen“ ließen sich nun eher mit Öffnung und Dialog, mit einem plausiblen Bekenntnis zu Europa und seinen supranationalen Institutionen „erobern“ denn mit einem protektionistischen und ultranationalistischen Politikstil, womit Mitterrand den PCF identifizierte. Auch in Italien verengte sich der Spielraum des PCI erheblich, als Bettino Craxi 1976 zum Vorsitzenden des Partito Socialista Italiano (PSI) ernannt wurde. Der neue Generalsekretär hatte den PCI und seine Netzwerke einer genauen Analyse unterziehen lassen und den besonderen Wert seiner Kontakte zu einflussreichen nicht kommunistischen, aber aus dem linken Spektrum stammenden Politikern in Westeuropa wie Olof Palme, Bruno Kreisky, François Mitterrand und Willy Brandt erkannt. An der Spitze des PSI angelangt, setzte Craxi alles daran, den Kommunisten den Rang abzulaufen. Als Vizepräsident der Sozialistischen Internationale setzte er sich intensiv dafür ein, dass die sozialdemokratischen Parteiführer Westeuropas seine Partei gegenüber dem PCI als Gesprächspartner vorzögen.¹³² Mit der Ratifizierung des Vertrags von Osimo 1977, der alle territorialen Dispute zwischen Italien und Jugoslawien um Triest beilegte, konnte die italienische Regierung auch in der Sowjetunion Lob und Hochachtung ernten. Sie wurde
APCI, Sezione Estero, Microfilm 298, Congresso del PS francese a Nantes, S. 3. Mitterrand in: APCI, Sezione Estero, Microfilm 298, Congresso del PS francese a Nantes: „Il PS sta per me tra il PCF e il PCI, tra una concezione ottocentesca del partito della classe operaia e un partito interclassista.“ Hierzu u. a. Philip Short, Mitterrand: A Study in Ambiguity, London 2013. Willy-Brandt-Archiv im AdsD, A 11.15, 10, Aufzeichnungen über das Gespräch zwischen Willy Brandt und Bettino Craxi am 18. September in Heilbronn, 23.09.1976, S. 1.
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damit „über Nacht“ zum Vorbild im westeuropäischen Raum und diente anderen Regierungen als Ansporn zu eigenen, entspannungspolitischen Aktivitäten. Freilich hätte der Coup nie stattfinden können, wenn nicht vorab das Kriegsbeil zwischen DC und PCI begraben worden wäre. Hierdurch wurde der PCI gleichsam zwangsläufig dazu gebracht, „die besondere Rolle Italiens und Westeuropas für den Entspannungsprozess und für eine kooperative Politik, sei es mit den sozialistischen Staaten, sei es mit den Entwicklungsländern“, anzuerkennen¹³³ Dies hatte erhebliche Auswirkungen auf die Außenpolitik des PCI bzw. auf seinen Ruf in Europa und darüber hinaus als feste demokratische Kraft. Breschnew höchtspersönlich ließ anlässlich des Staatsbesuchs des italienischen Außenministers Forlani in Moskau 1977 verlauten, dass der PCI ein „ernsthafter und konstruktiver Gesprächspartner“ geworden sei, was den bilateralen Beziehungen zwischen beiden Ländern zugutekomme.¹³⁴ Ob dabei der Einfluss der italienischen Kommunisten ausschlaggebend war oder ob es sich doch nur um eine politische „Masche“ der Regierung handelte, dem PCI wohldosierte Zugeständnisse zu machen, um ihn gefügig zu halten, sei hier dahingestellt.¹³⁵ Tatsächlich hatte Breschnew anlässlich eines Besuchs von Enrico Berlinguer in Moskau im November 1977 ganz andere Töne angeschlagen. Der KPdSU-Generalsekretär forderte Berlinguer auf, eine weniger blockneutrale Position einzunehmen und sich offen gegen das Verbleiben Italiens in der NATO auszusprechen, worauf der Italiener Folgendes erwiderte: „Die Kommunistische Partei Italiens versucht, den Druck auf die Regierung aufrechtzuerhalten, obwohl wir es nicht für ratsam halten, bestimmte Probleme der Bündnisse zu berühren, in denen unser Land vertreten ist.“¹³⁶
Schoch, Die internationale Politik, S. 301. Leonid Breschnew zit. nach Schoch, Die internationale Politik, S 301. Hierzu vgl. u. a. Piero Pieralli, Il PCI e la politica estera dell’Italia (1975 – 1985), Florenz 1985. Schoch verweist darauf, dass es Aldo Moros Strategie war, „die KPI möglichst lange an der Schwelle zur Macht zu halten, damit sie sich dort verschleiße, wie seine beiden Argumente bezeugten: Eine programmatisch festgelegte Übereinkunft auch in außenpolitischer Hinsicht wäre der amerikanischen Administration nur schwer zu erklären; außerdem verstünde dann niemand mehr, warum man nicht sogleich eine Regierung der ‚nationalen Einheit‘ bilde, sprich die KPI regulär an der Regierung beteilige.“ Schoch, Die internationale Politik, hier S. 298 – 299. RGANI, Niederschrift des Gespräches des Generalsekretärs der KPdSU Leonid I. Breshnew mit dem Generalsekretär der Kommunistischen Partei Italiens Enrico Berlinguer vom 3. November 1977, f. 80, op. 1, d. 645, S. 47– 57, hier S. 52. Eine ähnliche Aufforderung Breschnews lehnte Berlinguer bei mindestens zwei weiteren Anlässen 1978 und 1979 ab. Vgl. RGANI, Gedächtnisstütze für das Gespräch des Generalsekretärs der KPdSU Leonid I. Breshnew für das Gespräch mit dem Generalsekretär der Kommunistischen Partei Italiens Enrico Berlinguer am 9. Oktober 1978, f. 81, op. 1, d. 312, S. 42– 49; und RGANI, Niederschrift des Gespräches des Generalsekretärs der KPdSU Leonid I.
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Der späte Eurokommunismus Die Suche nach einer geeigneten Strategie zum Umgang mit nicht kommunistischen Kräften beschäftigte PCF und PCI in verstärktem Maße seit 1977, einem Jahr, in dem beide Parteien wichtige Veränderungen erlebten: Der PCI hatte seine traditionelle Ablehnung gegenüber einer Zusammenarbeit mit bürgerlichen Regierungen aufgegeben; der PCF war aus der Linksunion ausgetreten und stand nun vor einem Neuanfang. Mitte Mai 1977 trafen die italienischen „Genossen“ mit ihren französischen Kollegen in Rom zusammen. Zur Debatte standen die Beziehungen zu Kräften aus dem katholischen Spektrum, zu der die Italiener ihre neuesten Erfahrungen im Rahmen des compromesso storico bzw. der „Politik des Nicht-Misstrauens“ erläutern konnten.¹³⁷ Zwei Tage später nahm eine SED-Delegation in Rom an den Feierlichkeiten zum 40. Todestag von Antonio Gramsci teil¹³⁸, und einen Monat später besuchte Cervetti eine SED-Vertretung, durch Axen geleitet, in Ost-Berlin.¹³⁹ Die Zusammenkünfte fanden in einer Zeit statt, in welcher der Eurokommunismus erneut zu einem zentralen Gegenstand in Politik und Forschung geworden war. Dies lag zum einen an der verbesserten Rezeption des Themas,¹⁴⁰ zum anderen durchaus am Prestige seines Hauptvertreters, des PCI. Für dessen Strategie einer Erschließung neuer Formen der Zusammenarbeit mit den Christdemokraten Italiens begannen sich nun auch bürgerliche Kreise ernsthaft zu interessieren. In West-Berlin hatte die Technische Universität im Juni 1977 eine Veranstaltung über den Eurokommunismus angeboten, die von rund 1.500 Menschen besucht wurde.¹⁴¹ Auch Vertreter der Sozialistischen Einheitspartei West-Berlins (SEW) nahmen teil.¹⁴² Initiatoren waren die Professoren Renate Genth und Elmar Altvater. Die Unità frohlockte über die Bedeutung der Konferenz, welche u. a. die besondere Rolle des PCI als Verfechter und Garant für Entspannung und Demo-
Breshnew mit dem Generalsekretär der Kommunistischen Partei Italiens Enrico Berlinguer vom 5. September 1979, f. 80, op. 1, d. 646, S. 14– 31. APCI, Sezione Estero, Microfilm 298, Colloqui fra PCF e PCI sui rapporti con i cattolici, 15.05. 1977. Die Delegation des PCF bestand aus Maxime Gremetz, André Moine, Claude Lefort und „Genossin“ Monique Houssin. Es folgten auch Unterredungen mit Vertretern der DC bzw. der der ACLI (Associazioni cattoliche lavoratori italiani). L’Unità, Delegazione della SED ospite del PC, 17.05.1977. Der SED-Delegation gehörten u. a. Egon Winkelmann, Alfred Marter und Klaus Mehlitz an. L’Unità, Cordiale incontro fra Cervetti e Axen a Berlino, 17.06.1977. Vgl. Steinkühler, Eurokommunismus. L’Unità, Dialogo sul PCI a Berlino Ovest, 25.06.1977. Mit der SEW unterhielt der PCI regelmäßig Kontakt. Nicht zuletzt hatten PCI-Vertreter den jüngsten Parteitag der SEW mitverfolgt. Vgl. APCI, Sezione Estero, Microfilm 297, Delegazione del PCI al congresso della SEW, 15.-17.04.1977.
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kratie im internationalen Rahmen unterstrich. Als weiteren Beweis für die zunehmende Relevanz des italienischen Kommunismus wertete das Presseorgan zudem die „historische Wende“ in den Beziehungen zwischen dem PCI und den englischen „Genossen“ (Labour). Diese hatten bis zu diesem Zeitpunkt jeglichen Kontakt zu den Italienern abgelehnt und ihre Entscheidung nur angesichts des „demokratischen Grundgehalts“¹⁴³ des PCI-Programms revidiert. Trotz allen Wirbels um den Eurokommunismus hielt die SED-Führung indes generell an ihrer Ablehnung nicht nur dessen Inhalts, sondern auch des Begriffs fest. In einem Interview mit Erich Honecker, ursprünglich für die Saarbrücker Zeitung, danach aber ohne Abstriche im ND abgedruckt, wurde der Generalsekretär nach einer Analyse des „eurokommunistischen Phänomens“ gefragt. Honecker bezeichnete zunächst den Terminus Eurokommunismus als irreführend, da das Agieren der Parteien, die sich dazu bekannten, weitestgehend durch lokale und nationale Bedingungen, unter denen diese handelten, beeinflusst und bestimmt würde. Er wünschte ihnen jedoch weiterhin viel Erfolg und fügte hinzu: „Natürlich wissen wir, daß es national spezifische Wege zum Sozialismus gibt“ bzw., dass PCF und PCI diese verfolgten, in den „jeweiligen französischen und italienischen Farben“.¹⁴⁴ Trotz aller inszenierten Harmonie blieb der Eurokommunismus den „real sozialistischen“ Staaten ein Dorn im Auge. Die Nachrichtenagentur Reuters meldete schon Ende 1976 eine erhöhte Wachsamkeit der Ostblockstaaten im Umgang mit der unerwünschten Doktrin. In Sofia berieten im Dezember desselben Jahres führende kommunistische Ideologen des Warschauer Paktes, allen voran der Sowjetrusse Michail Suslow, über die Vorbereitung einer „Großoffensive“ gegen den „sogenannten Eurokommunismus“. „Nach Ansicht politischer Beobachter“, hieß es dabei, „sind besonders die Führungsspitzen der DDR und der Tschechoslowakei besorgt über ein mögliches Eindringen freiheitlicher Einstellungen in ihre Staaten […].“¹⁴⁵ Sowjetische Spitzenpolitiker ließen keinen Zweifel daran aufkommen, dass der „dritte Weg“ nicht praktizierbar sei. Außerdem lasse sich aus dem Gehalt des Eurokommunismus und seiner Hauptorientierung schließen, dass er eine „bourgeoise Mystifikation“, ja gar eine „koordinierte Unterminierungskampagne
L’Unità, I laburisti inglesi stabiliranno rapporti col PCI, 18.05.1977. L’Unità, Intervista di Honecker sui principali temi della politica estera, 25.02.1977. Reuter, Ostblock-Staaten starten Offensive gegen Euro-Kommunismus, 17.12.1976; vgl. auch MfS – ZAIG, 11015.
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gegen die Bruderparteien“ darstellte, die wiederum Bestandteil einer „globalen Gesamtstrategie des Imperialismus“ sei.¹⁴⁶
Das „Unità-Pressefest“ in Neapel 1976 In diesem generell angespannten Klima innerhalb des kommunistischen Lagers konnten sogar kleine Konflikte unverhältnismäßig hochkochen. So trug es sich auf dem Unità-Pressefest im September 1976 in Neapel zu, dass eingeladene sowjetische Gäste, offenbar irritiert von der im zentralen Pavillon stattfindenden Darstellung „eurokommunistischer Prinzipien“, damit begannen, kritische Schriften zu verteilen. Dazu gehörte auch ein polemisches Buch gegen den französischen Ex-Kommunisten Roger Garaudy und eine Art „Katechismus“¹⁴⁷, der die „Diktatur des Proletariats gegen revisionistische Tendenzen“ in Schutz nahm. Die PCI-Organisatoren und Sympathisanten empfanden den Vorstoß als Provokation und forderten die sowjetischen „Genossen“ auf, die Propagandaaktion umgehend zu beenden. Der Streit wurde vor Ort zwar schnell beigelegt, zog jedoch weitere aufschlussreiche Auswirkungen nach sich. Aus Protest gegen das Vorgehen der Italiener bzw. aus Solidarität mit den sowjetischen Gästen verkündete die tschechoslowakische KP, 1976 keine Vertretung mehr auf PCI-Parteifestivals zu entsenden, obgleich die Italiener gerade erst selbst mit einer Delegation auf einem Fest der tschechoslowakischen KP zu Gast gewesen waren. Zur weiteren Begründung präzisierte die Prager Parteiführung: „Die CSSR hatte jüngst Stellungnahmen der IKP zum Einmarsch der Truppen des Warschauer Vertrags 1968 als Einmischung in die inneren Angelegenheiten der CSSR und Verstoß gegen die Abmachungen von Helsinki und Ost-Berlin verurteilt […].“¹⁴⁸ Angesichts des schwierigen Umgangs der Ostblockstaaten mit der Abschlussakte von Helsinki verwundert es allerdings, dass sich ausgerechnet die tschechoslowakische KP in dieser Angelegenheit direkt auf Korb III der KSZEResolutionen berief.
Am 11.11.1977 tagte in Moskau eine vom sowjetischen Chefideologen Michail Suslow einberufene, wissenschaftlich-theoretische Konferenz über den Eurokommunismus und seine „Auswüchse“. Die wiedergegebenen Aussagen stammen von Boris Ponomarjow. Süddeutsche Zeitung, Kreml attackiert Eurokommunismus, 12.11.1977. Frankfurter Rundschau, KPI zensiert Moskauer Gäste, 9.09.1976. Frankfurter Rundschau, KPI zensiert Moskauer Gäste, 9.09.1976.
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Berufsverbote und Menschenrechte Aus der Zusammenarbeit zwischen PCF und PCI war indes eine gemischte Kommission hervorgegangen, die über weitere Kooperationsmöglichkeiten beraten sollte.¹⁴⁹ Der PCF legte seine Mitglieder der Arbeitsgruppe wie folgt fest: Jean Kanapa, Jacques Denis, Sylvain Dreyfuss (Wirtschaft, Europaparlament), Pierre Laroche (Intellektueller), Gérard Streiff und André Souquière. Für den PCI nahmen teil: Aldo Tortorella, Carla Barbarella (Landwirtschaft), Lina Fibbi, Loris Gallico (Wirtschaft) und Roberto Viezzi (Europaparlament).¹⁵⁰ Die Kommission sollte u. a. über das Problem der Berufsverbote in der Bundesrepublik, die infolge des „Radikalenerlasses“ verhängt worden waren, bzw. über die Aufhebung des 1956 erfolgten Verbots der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) diskutieren. Diesbezüglich berichtete Lombardo Radice von einer Reise nach Westdeutschland, anlässlich derer er mehr über Hintergründe und Perspektiven bezüglich der Berufsverbote, die Anhänger des Kommunismus im dortigen Staatsdienst betrafen, erfahren konnte. Dabei wies er besonders auf Spannungen innerhalb der SPD hin, die sich hinsichtlich des Themas gespalten zeige. Der Umgang mit der Verbotspraxis in der Bundesrepublik wirke sich auch auf die Beziehungen zwischen SPD und PCI aus. Nur noch eine Minderheit in der deutschen Sozialdemokratie sei für eine Revision des Gesetzes, wohl aus Angst, sonst den rechten Flügel um Helmut Schmidt zu verprellen.¹⁵¹ Die 1968 gegründete DKP sei indes zwar legal, aber Strauß drohe regelmäßig damit, ihr ebenfalls das Handwerk zu legen. Radice fasste lapidar zusammen: „Zwischen der DKP, doch wieder legal aber stark bedroht […], und den Sozialdemokraten liegen Welten.“¹⁵² In dieser angespannten Atmosphäre kam es zu einer generellen „Mobilmachung“ intellektueller Kreise innerhalb des PCF und des PCI zum Schutz zivilgesellschaftlicher Grundrechte, die ihren Höhepunkt in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre erreichte. Die DKP versuchte im Herbst 1977 mit einem propagandistischen Vorstoß, möglichst viele „Genossen“ in Europa für ihre Kampagne zur Aufhebung restriktiver Gesetze bezüglich der Meinungsfreiheit auf dem gesamten Gebiet der Bundesrepublik einzunehmen. Ein entsprechender Brief erreichte den PCI im Oktober 1977. Darin riefen die bundesrepublikanischen Kom-
L’Unità, Prima riunione a Parigi della commissione mista PCI-PCF, 11.10.1977. APCI, Sezione Estero, Microfilm 304, Nota per segreteria, 21.9.1977. Dies obwohl Helmut Schmidt 1976 als Bundeskanzler (in einer Regierungskoalition mit der FDP) den sogenannten Radikalenerlass von 1972 offiziell ausgehebelt hatte. Seitdem entschied jedes Bundesland eigenständig über die Einstellung von Beamten. Vgl. hierzu Dominik Rigoll, Staatsschutz in Westdeutschland: von der Entnazifizierung zur Extremistenabwehr, Göttingen 2013. L’Unità, Note di viaggio nella RFT. Germania alla prova, di Lombardo Radice, 13.10.1977.
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munisten die Italiener zur Mitarbeit bei der Einrichtung eines „Russell-Tribunals“ auf, das die Achtung der Menschenrechte im westdeutschen Staat überwachen sollte. Lombardo Radice war einer der ersten Unterzeichner der Petition. Die Parteiführung ließ verlauten, es solle aus politisch-strategischen Gründen noch überlegt werden, wie sich der Vorstand zu positionieren habe. Dadurch wurde die Entscheidung de facto aufgeschoben.¹⁵³ Nach der „Todesnacht von Stammheim“¹⁵⁴ vergrößerte sich die Liste der Unterzeichner rapide.¹⁵⁵
Eurokommunismus als „Mode“ und Modell Vor diesem Hintergrund der öffentlichen Debatte um die Garantie von Grundrechten in der Bundesrepublik intensivierten sich kurzzeitig auch die Kontakte zwischen PCF und PCI, die im Dezember desselben Jahres wieder ein gemeinsames Kommuniqué veröffentlichten. Darin brachten sie die Intention beider Parteien zum Ausdruck, die Verbindungen zu nicht kommunistischen Kräften, insbesondere zu christdemokratischen, zu erweitern.¹⁵⁶ Initiativen wie diese trugen dazu bei, dass immer mehr „bürgerliche Kreise“, sogar aus der Wirtschaft, den „eurokommunistischen“ Tendenzen besonderes Augenmerk schenkten. Im Dezember 1977 fand in Frankfurt am Main eine große Konferenz statt, zu der deutsche Ökonomen und Vertreter der Industriebranche eingeladen hatten. Das italienische Presseorgan L‘Unità titelte: „Deutsche Manager erörtern den Eurokommunismus“.¹⁵⁷ Unter den Teilnehmern waren Dario Valori für den PCI, Jacques Denis für den PCF und Ramon Tamames für die KP Spaniens. Jochen Steffen, Vertreter des linken Flügels der SPD, merkte an, dass der Eurokommunismus keine Taktik, sondern eine Strategie darstelle. Er fügte hinzu, er sei sehr skeptisch bezüglich dessen Hauptziel (bzw. seiner Umsetzung), welches die Aufhebung des Widerspruchs zwischen „sozialer Produktion“ und „Privateigentum“ zu sein scheine. Dass die „Eurokommunisten“ an den herrschenden Arbeitsverhältnissen (Umgang mit den Gewerkschaften, sozial gerechter Verteilung
APCI, Sezione Estero, Microfilm 304, Nota per segreteria, 21.10.1977. In der Nacht zum 18. Oktober 1977, der sogenannten „Todesnacht von Stammheim“, starben einige der inhaftierten Anführer der terroristischen Vereinigung Rote Armee Fraktion (RAF), darunter Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe, in ihren Gefängniszellen der JVA Stuttgart durch Suizid. L’Unità, Impegno in Italia per i diritti civili nella RFT, 30.10.1977. APCI, Sezione Estero, Microfilm 310, Communiqué commun du PCF-PCI, Paris 14.12.1977. Darin heißt es: „Elles confirment leur volonté commune de développer les contacts et les initiatives avec le monde catholique et chrétien.“ L’Unità, I managers tedeschi discutono l’eurocomunismo, 6.12.1977.
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der Produktion usw.) rütteln wollten, stelle nun kein Geheimnis mehr dar, weshalb sich schließlich auch Ökonomen in verstärktem Maße dem Studium ihrer wirtschaftlichen Forderungen verschrieben.¹⁵⁸ Weiter vertieft wurden diese Fragestellungen auf dem gesellschaftspolitischen Seminar „Eurokommunismus. Eine eigenständige politische Bewegung?“ im Herbst 1977 auf Schloss Pichlarn in der Steiermark, an dem auch namhafte Politikwissenschaftler teilnahmen.¹⁵⁹ Die Teilnehmer konzentrierten sich in ihren Beiträgen sowohl auf Haltungen als auch auf Akteure des Eurokommunismus, in diesem Fall auf den PCI, den PCF und die KP Spaniens. Entgegen der oben angeführten Analyse Honeckers befand Heinz Timmermann den Begriff Eurokommunismus alles in allem für zutreffend. Korrekt sei er, weil er eine Emanzipationsbestrebung genannter Parteien von Moskau impliziere. Der Begriff ist jedoch nicht korrekt, sofern er eine einheitliche Strategie und Taktik oder gar die Absicht von KPI, KPF und der KPS unterstellt, ein neues eurokommunistisches Zentrum der kommunistischen Bewegung in Westeuropa zu schaffen […]. Von den bürgerlichen Parteien unterscheiden sich die Eurokommunisten nach wie vor u. a. dadurch, daß sie die politische Demokratie solange für unvollkommen und ungesichert halten, wie diese nicht ihre Ergänzung findet in der ökonomischen Demokratie. Dabei sieht das Programm der KPF die Vergesellschaftung der industriellen Schlüsselbereiche vor, während sich die KPI und KPS mit einer aktiven Strukturpolitik insbesondere über den schon heute umfangreichen öffentlichen Wirtschaftssektors begnügen wollen […].¹⁶⁰
Öffentliche Stellungnahmen hätten gezeigt, so Timmermann weiter, dass die „Eurokommunisten“ nicht länger bereit seien, den traditionellen, sowjetisch geprägten „proletarischen Internationalismus“ zu akzeptieren. Durch diesen sei der KPdSU nämlich im Weltkommunismus ein ideologisch-politischer Führungsanspruch zugewachsen, über den Interessen der sowjetischen Staatsräson mit internationaler Politik verbunden und vermengt worden seien. Allerdings zeige der Eurokommunismus auffällige Schwächen, darunter gerade seine Einschätzung der Sowjetunion, die zu „unkritisch“ und dadurch unscharf bleibe.¹⁶¹ Die ablehnende Haltung Moskaus gegenüber Carrillo und seiner Partei habe deutlich gemacht, dass der Eurokommunismus für die Sowjetführung eine ernstzunehmende politische Gefahr darstelle. Die KPdSU sei jedoch an einem
Jochen Steffen in L’Unità, I managers tedeschi discutono l’eurocomunismo, 6.12.1977, S. 2. APCI, Sezione Estero, Busta 422, Fasc 117 (doc. Segre), Gesellschaftspolitisches Seminar „Eurokommunismus. Eine eigenständige politische Bewegung?“, (29.9. – 1.10.1977, Schloss Pichlarn/Steiermark). Timmermann, Moskau und der europäische Kommunismus, S. 2– 4. Timmermann, Moskau und der europäische Kommunismus, S. 3.
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endgültigen Bruch mit den „Eurokommunisten“ gar nicht interessiert: zu wichtig schätze sie diese als Verhandlungspartner im Ost-West-Verhältnis ein. Außerdem verspreche sich Moskau von einer Zusammenarbeit mit den „Reformisten“ beträchtliche Vorteile, namentlich die Erweiterung seines Einflusses in Westeuropa. Im Westen, führte Timmermann daraufhin aus, verhalte es sich ähnlich. Politiker und Intellektuelle sähen bei den „Eurokommunisten“ sowohl Gefahren als auch Chancen. Deren Vorgehensweise würde von manchen „als raffiniert eingefädeltes Täuschungsmanöver zur Eroberung der Macht“ erachtet, von anderen dagegen „als langfristig angelegte Strategie zum Aufbau einer demokratisch-sozialistischen Gesellschaft.“¹⁶² Timmermanns Ausführungen zu den „Eurokommunismen“ Westeuropas waren durchaus differenziert: Während der PCI und der PCE (KP Spaniens) keine Absicht hegten, das traditionelle Demokratieverständnis der westlichen Gemeinschaft in seinen Grundfesten zu modifizieren und „der sowjetischen Machtpolitik verstärkt Einflusschancen einzuräumen“, warte insbesondere die außenpolitische Linie des PCF mit gaullistischen Tendenzen auf.¹⁶³ Manfred Spieker, westdeutscher Christdemokrat und Beobachter des Heiligen Stuhls, vertrat eine demgegenüber geradezu diametrale Einschätzung: In seinen Augen war der Eurokommunismus in Wahrheit ein gegen die Demokratie gerichtetes „trojanisches Pferd.“¹⁶⁴ Die stark voneinander abweichenden Einschätzungen zum Eurokommunismus machen deutlich, dass die Lehre des „dritten Weges“ nicht nur theoretisch schwer fassbar war – schließlich wiesen ihre Hauptvertreter einen auffällig heterogenen Charakter auf –, sondern für viele auch politisch eher „unbequem“. So stand etwa die Analyse Spiekers exemplarisch für eine generelle Ablehnung aller „Kommunismen“ durch den Heiligen Stuhl, waren sie auch mit Demokratie und dem Bekenntnis zu zivilgesellschaftlichen Prinzipien vermengt.¹⁶⁵ Bezeichnend für das „eurokommunistische“ Zeitalter war jedoch der rege Austausch über das Thema, der seinen Höhepunkt in den ausgehenden siebziger Jahren erreichte. So veranstaltete etwa das Management-Institut Hohenstein ein Seminar mit dem Titel „Eurokommunismus, die politische und wirtschaftliche
Timmermann, Moskau und der europäische Kommunismus, S. 6. Timmermann, Moskau und der europäische Kommunismus, S. 5. Timmermann, Moskau und der europäische Kommunismus, S. 7. Ähnlich urteilte die USamerikanische Central Intelligence Agency (CIA) über den Eurokommunismus, wie Nikolas Dörr pointiert gezeigt hat: Nikolas Dörr, Die Rote Gefahr. Der italienische Eurokommunismus als sicherheitspolitische Herausforderung für die USA und Westdeutschland 1969 – 1979, Köln 2017, hier insbesondere S. 131– 184. Hierzu Roland Cerny-Werner, Vatikanische Ostpolitik und die DDR, Göttingen 2011.
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Zukunft Europas?“ in Frankfurt a. M.¹⁶⁶ Und in Nanterre führte die Universität auf einem internationalen Kongress das Aufkommen und die Entwicklung des Eurokommunismus auf den Einfluss Antonio Gramscis zurück.¹⁶⁷ Die Debatten über den Eurokommunismus fielen mit einer Phase tiefer Konfrontation zwischen dem PCF und dem Ostblock zusammen, wenngleich sich die Verbindungen auf bi- und multilateraler Ebene seit dem Austritt der Franzosen aus der Linksunion, wie gesehen, etwas normalisiert hatten. So teilte Marchais dem PCI im Herbst 1977 persönlich mit, dass keine PCF-Delegation zu den Feierlichkeiten anlässlich des 60. Jahrestags der Oktoberrevolution nach Moskau entsandt würde, da „die Lage schwer und angespannt sei.“¹⁶⁸ Hauptstreitpunkt stellte die Position des PCF zur Atomstreitkraft bzw. im Allgemeinen zur atomaren Aufrüstung dar. Die SED-Führung zeigte sich empört über die Politik der Pariser „Genossen“ und merkte an, „daß der Kampf der FKP gegen die Atomaufrüstung objektiv durch ihre nationalistischen Positionen in Fragen der französischen Atombewaffnung belastet und erschwert wird, indem sie ihre langjährige ablehnende Haltung zur französischen Atomstreitmacht (force de frappe) im Mai 1977 offiziell aufgab und seitdem für deren Erhalt und Ausbau eintritt.“¹⁶⁹ Dies lieferte der traditionell negativen Haltung der OstblockLänder, insbesondere der SED-Machthaber, gegenüber dem Eurokommunismus neue Anknüpfungspunkte. Ost-Berlin wertete die unter dem Schlagwort Eurokommunismus geführte Kampagne als eine zeitgenössische Hauptrichtung der Versuche des „Imperialismus“, die Einheit der kommunistischen Gemeinschaft und der revolutionären Kräfte zu untergraben und zu spalten.¹⁷⁰ Die ostdeutschen Machthaber gingen davon aus, dass die „eurokommunistische Front“ das Ziel einer demokratischen Wende Europas lediglich als Vorwand verwende, in Wahrheit aber darauf abziele, die „real sozialistische“ Gemeinschaft zu destabi-
APCI, Sezione Estero, Busta 416, Fasc. 58,Vorankündigung, Management Institut Hohenstein, Seminar „Eurokommunismus, die politische und wirtschaftliche Zukunft Europas?“, 29. – 30.11.1977. Unter den Teilnehmern waren Sergio Segre, Rainer Barzel (CDU), Peter Scholl-Latour (ZDF-Korrespondent) und Jochen Steffen (SPD). APCI, Sezione Estero, Busta 416, Fasc. 56, Università Nanterre organizza congresso internazionale „Gramsci, la France et l’eurocommunisme“, 15 – 16.12.1977. Es nahmen u. a. Annie Kriegel (PCF), Louis Althusser (PCF), Rossana Rossanda (PCI) und Jean Elleinstein (PCF) daran teil. APCI, Sezione Estero, Busta 416, Fasc. 56, Nota viaggio a Parigi 28 – 30. 9. 1977, di Piero Pieralli. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/189, (Ohne Titel). SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/189, Zum Eurokommunismus, 14.09.1977.
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lisieren und ihre Mitglieder gegen die KPdSU aufzubringen.¹⁷¹ Daher bekenne sich die SED zu ihrer Aufgabe, die Abtrünnigen (allen voran PCI, PCF und PCE) Lügen zu strafen. Der Marxismus-Leninismus und der neue demokratische Kommunismus des Westens schienen trotz aller Versuche, Differenzen hinsichtlich der propagandistischen Funktionalität und ideologischen Entwicklung abzumildern, einfach nicht vereinbar. Auf einer Kundgebung in Brescia im Juni 1977 hatte Berlinguer diesen unüberbrückbaren Graben zwischen den beiden Konzeptionen des Sozialismus aufgegriffen und darauf hingewiesen, dass der sogenannte Eurokommunismus das politische Handeln mit der Hoffnung verknüpfe, das „Wachsen einer neuen Funktion Europas“ zu fördern – nämlich eines Europas, in dem eine geschlossene und von alten Schemata befreite Arbeiterbewegung, die für lange Zeit unter dem Joch herrschender Gruppen gestanden hätte, Protagonist der politischen Entwicklung würde.¹⁷²
Dreiecksbeziehungen im Schatten der Dissidentenfrage Die DDR-Bürger und Studenten Heiko und Sabine P. schickten im Mai 1977 einen Protestbrief an den PCI. Beide seien aufgrund „individualistischer oppositioneller Haltung“ exmatrikuliert worden. Sie wandten sich nun an die italienischen Kommunisten mit der Bitte, diese mögen bei der SED vorstellig werden. Der Wunsch der Studenten war dabei in erster Linie nicht die Revision des Urteils, sondern die Achtung der Schlussakte von Helsinki, zu der sich auch die OstBerliner Machthaber bekannt hätten: „In Anbetracht der Achtung und des Gewichts, den die Stimme eurer Partei in der Welt genießt, bitten wir euch zu unseren Gunsten bei der Regierung der DDR vorzusprechen.“¹⁷³ Ein ähnlicher Hilfeaufruf hatte einen Monat zuvor das „eurokommunistische“ Dreigestirn aus PCF, PCI und PCE erreicht. Fünf ehemalige DDR-Bürger berichteten Marchais, Berlinguer und Carrillo von ihrer Erfahrung mit dem SED-Regime. Nach ihrer Flucht
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/189, Zum Eurokommunismus, 14.09.1977, S. 3. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/60, Information 79/ 1977 für das Politbüro, Rede und Interview des Generalsekretärs der IKP, Enrico Berlinguer, Quelle L’Unità vom 19./20. Juni 1977, Berlin 28.06.1978. APCI, Sezione Estero, Busta 416, Fasc 57, Brief von Heiko und Sabine Petermann an den PCI, 5.5.1977.
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in den Westen hätten sie keine Informationen mehr über ihre zurückgelassenen Kinder und baten die westeuropäischen Kommunisten um Vermittlung.¹⁷⁴ Im Archivgut des PCF und des PCI lässt sich kein Hinweis auf eine diesbezügliche offizielle Stellungnahme der Parteien finden. Dies verwundert kaum, waren ja beide Vorstände darauf bedacht, die lange erfochtenen „normalen“ Beziehungen zu „real sozialistischen“ Partnern nicht durch Einmischung in deren Belange zu gefährden. Es lag jedoch nahe, dass die Hilferufe tiefes Bedauern und Befremden auslösten. In der Tat gestalteten sich die Beziehungen im jeweils bilateralen Rahmen schwierig und wuchsen nicht über die formalen protokollarischen Formeln hinaus. Die Aufrechterhaltung von Kontakten diente ausschließlich opportunistischen Zwecken: Den westeuropäischen „Bruderparteien“ lag an einer strategischen Zusammenarbeit, wobei Ost-Berlin eher als Vorposten Moskaus betrachtet wurde; die SED orientierte ihre außenpolitische Tätigkeit in Richtung Westen vornehmlich auf Gewinn und lukrative Geschäfte. Unterredungen mit ostdeutschen „Genossen“ in Rom im Mai 1977 führten der Delegation des PCI erneut vor Augen, wie viel Wert die SED-Spitzenfunktionäre auf die „Wahl des Lagers“ legten bzw. wie sehr dies ihre außenpolitischen Äußerungen bestimmte. Obwohl die DDR zu diesem Zeitpunkt in einer schweren Wirtschaftskrise steckte, lenkten Egon Winkelmann und Klaus Gysi die Aufmerksamkeit ihrer Gäste auf die „Errungenschaften“ des ostdeutschen Staates. Die Preise hätten sich in den letzten 30 Jahren niedrig gehalten und kaum verändert, die Produktion steige beständig und man leiste viel „Soziales“. Die Gründung von Schulen und der Bau neuer Wohnviertel in Städten und Gemeinden fanden ebenso Erwähnung.¹⁷⁵ Schließlich gingen sie zu den Themen über, die sie am meisten beunruhigten und beschäftigten: „Philoimperialismus“ und „Antisowjetismus“ verbanden sie monokausal mit der Politik der Bundesrepublik und der USA. Ähnlich positioniere sich die SPD, die nun erneut zur Wiedervereinigung aufrufe. Die SED, so die „Genossen“, sperre sich gegen jegliche Einmischung in Angelegenheiten anderer Länder und erkenne den „nationalen Weg zum Sozialismus“ an.¹⁷⁶ Giancarlo Pajetta versuchte den Ton zu entschärfen und schlug vor, man solle sich doch davor hüten, sich „an propagandistischen Formeln festzukrallen“. Zum Abschluss erinnerte er daran, dass der PCI sich seit jeher für die
APCI, Sezione Estero, Busta 405, Fasc. 169, Offener Protestbrief an Marchais, Berlinguer und Carrillo, Berlin 15.4.1977. Signiert war der Brief von Gabriele Yonan, Ilse und Dieter Schütze, Marion Hamer, Friedlinde Kupka sowie Bärbel und Otto Grübel. APCI, Sezione Estero, Busta 416, Fasc 57, Incontro con delegazione SED, 16. 5.1977. Der SEDDelegation gehörten außerdem Alfred Marter, Klaus Mehlitz und Werner Felfe an. APCI, Sezione Estero, Busta 416, Fasc 57, Incontro con delegazione SED.
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Überwindung der Blöcke engagiere und sich jegliche Vorschriften verbiete, in welche Richtung sie auch formuliert würden.¹⁷⁷
Der „Fall Lombardo Radice“ Der Fall des Lucio Lombardo Radice, angesehenen Mathematikers und Mitglieds des ZK des PCI,¹⁷⁸ war aus Sicht der SED aufs Engste verknüpft mit der Auseinandersetzung um einige prominente DDR-Dissidenten, darunter insbesondere Wolf Biermann und Robert Havemann. Nach der Ausbürgerung Biermanns Ende 1976 reagierte Havemann bekanntlich mit einem öffentlichen Appell an Honecker, den Beschluss zurückzunehmen. Der Appell erschien am 22. November in Form eines Artikels im westdeutschen Spiegel und sorgte auf beiden Seiten des „Eisernen Vorhangs“ umgehend für Furore. Lombardo Radice verweilte zu dieser Zeit oft in der Bundesreblik, wo er mehrere Bekanntschaften hatte schließen können, u. a. mit verschiedenen, vom MfS als Dissidenten oder als „negativ-feindlich“ eingestuften Persönlichkeiten wie Rudi Dutschke, Ernest Mandel, Jiří Pelikán, Stephan Hermlin und Manfred Wilke.¹⁷⁹ Insbesondere seine Verbindungen zu Havemann beobachtete die Stasi mit großer Aufmerksamkeit und Besorgnis, weshalb Lombardo Radice ab Anfang 1977 unter ständiger Beobachtung stand.¹⁸⁰ Die MfS-Mitarbeiter verdächtigten den Italiener, in mehreren Fällen dem unter Hausarrest stehenden Havemann als Mittler die Publikation regimekritischer Texte ermöglicht zu haben. Zur Veröffentlichung eines Aufsatzes Havemanns im Spiegel im Juni 1977 notierte das MfS: Die BRD-Zeitschrift Der Spiegel, Nr. 24 vom 6.6.1977 veröffentlichte einen Auszug aus einem Aufsatz von Robert Havemann, der in der Juni-Ausgabe der IKP-Zeitschrift Studi storici unter der Überschrift Diktatur der Demokratie veröffentlicht wurde. Inoffiziell ist dazu bekanntgeworden: Havemann hat über einen Mittelsmann in der Hauptstadt der DDR, Berlin, diesen Aufsatz vermutlich im April 1977 dem in der DDR akkreditierten Journalisten des Spiegels, S., zukommen lassen, der ihn nach Italien weiterleitete. Das Mitglied des ZK der IKP, LombardoRadice, persönlicher Kontakt von Havemann, besorgte die Veröffentlichung.¹⁸¹
Pajetta in APCI, Sezione Estero, Busta 416, Fasc 57, Incontro con delegazione SED. Zu Lombardo Radice vgl. u. a. Thomas Kroll, Demokratie und Stalinismus im politischen Glauben der kommunistischen Intellektuellen Italiens während des Kalten Krieges (1945 – 1956), in: Petra Terhoeven (Hg.), Italien, Blicke. Neue Perspektiven der italienischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Göttingen 2010, S. 159 – 184, hier S. 160 – 161. MfS – AU, 145/90 5, Information zu negativ-feindlichen Aktivitäten der Person Wilke, Manfred, Berlin 23.05.1978. MfS – AU, 145/90 5, Vermerk zu Lombardo-Radice, Lucio, Berlin 24.02.1977. MfS – AU, 145/90 5, Zur Veröffentlichung eines Aufsatzes von Robert Havemann im „Spiegel“, 9.06.1977, hier S. 229.
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Der Verdacht einer gleichsam geregelten, offiziellen Unterstützung der „feindlichen“ Aktivitäten Havemanns durch den PCI verdichtete sich weiter, als ermittelt werden konnte, dass Havemann auch andere direkte Verbindungen zur italienischen Partei unterhielt. Der Theaterdramaturg Claudio Guidi, Mitglied des PCI, soll sich etwa mehrmals heimlich mit dem Ostdeutschen getroffen haben. Für die angenommene „Verschwörung“ der italienischen KP mit oppositionellen Kräften der DDR konnte das MfS zwar nie Beweise finden, aber die Figur Lombardo Radices geriet immer wieder ins Visier der Ermittler.¹⁸² Dem MfS zufolge gehörte der PCI-Funktionär zum engsten Kreis der Beziehungen Havemanns während dessen Freiheitsentzugs und soll eine zentrale Rolle in dem Netzwerk gespielt haben, das Havemann illegal die Publikation von Interviews und Aufsätzen in westlichen Medien ermöglichte. Im Stasi-Jargon galt Lombardo Radice als „Revisionist“ und „Eurokommunist“, und er wurde als gefährlich eingestuft.¹⁸³ Mit anderen Dissidenten habe er an „subversiven Aktivitäten“ mitgewirkt, die darauf abzielten, „feindliche Absichten gegen die DDR in der BRD und im kapitalistischen Ausland zu koordinieren und zu intensivieren.“¹⁸⁴ Der „Fall Havemann“ wurde tatsächlich im PCI-Vorstand rege diskutiert, wie ein Interview Lombardo Radices für den Spiegel belegt.¹⁸⁵ Darin berichtet der Italiener von seiner Freundschaft mit dem ostdeutschen Dissidenten, den er im Rahmen gemeinsamer wissenschaftlicher Arbeiten bereits in den sechziger Jahren kennengelernt habe. Der Austausch zwischen den beiden habe sowohl auf wissenschaftlicher als auch persönlicher Ebene bald regelmäßig stattgefunden, weshalb der Italiener mehrmals in die DDR habe einreisen dürfen. Lombardo Radice betonte in dem Interview, dass er sich in der DDR ausschließlich in seiner Funktion als Wissenschaftler aufgehalten habe und nicht als Botschafter seiner Partei, was ihm die ostdeutschen Institutionen aber von vornherein nicht geglaubt hätten. Besuche in Richtung Italien seien nicht möglich gewesen. Havemann wäre zwar sehr gern nach Italien gereist, „aber er wünscht die absolute Zusicherung der DDR-Behörde, daß er zurückkommen und kein zweiter Fall Biermann stattfinden kann. Da er kein Feind der DDR ist, wäre es sehr gut für die DDR-Entwicklung,
MfS – AU, 145/90 5, Information über ein beabsichtigtes Zusammentreffen von Robert Havemann mit einem italienischen Bürger am 14. 10. 1977, Berlin 13.10.1977, hier S. 297. MfS – AU, 145/90 5, Information zu negativ-feindlichen Aktivitäten der Person Wilke, hier S. 371– 372. MfS – AU, 145/90 5, Information zu negativ-feindlichen Aktivitäten der Person Wilke, hier S. 371– 372, S. 372. Der Spiegel, „Havemann ist ein treuer Kommunist“. Spiegel-Interview mit dem italienischen KP-Politiker Lombardo-Radice über seinen Havemann-Besuch, 28.02.1977.
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wenn Havemann bei uns über kulturelle Fragen, über Fragen des Marxismus diskutieren könnte. Und es wäre wichtig für die Sache der Entspannung.“¹⁸⁶ Auch erläuterte Lombardo Radice, dass der gesamte Vorfall sogar auf höchster Parteiebene bilateral erörtert worden sei. Wie es für die italienischen Kommunisten üblich sei, hätten sie den Umgang der DDR-Institutionen mit dem Fall entsprechend kritisiert. Weitere drastische Konsequenzen habe die Parteiführung in Rom daraus aber nicht ziehen können und wollen, und zwar aus demselben Grund, aus dem sie 1956 in der Ungarn-Krise, 1968 angesichts der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ oder 1979 nach dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan nicht zu dem Schluss gekommen sei, den sozialistischen Ländern endgültig den Rücken zu kehren. „Wir üben Kritik, aber wir wünschen keinen Bruch […]“, präzisierte Lombardo Radice diesbezüglich.¹⁸⁷ Er unterstrich, dass für den PCI das Humanitäre und Solidarische, vor allem aber der Respekt vor der Integrität des Individuums vor allem Parteilichen rangiere, weshalb die Italiener den Zorn und die Feindlichkeit der SED schließlich in Kauf nähmen.¹⁸⁸
Der „Fall Hammer“ Im Frühjahr 1978 erschien im Pariser Journal Le Monde ein Interview mit Robert Havemann, das aus Sicht der SED-Führung diffamatorische Aussagen über die DDR und ihren Umgang mit Menschenrechten verbreitete. Das MfS berichtete: Neben den bereits aus zurückliegender Zeit bekannten und von Havemann erneut aufgestellten Lügen und Verleumdungen ist vom weiteren Inhalt des Interviews die – auch von der Westpresse hochgespielte – lügnerische Behauptung zu erwähnen, wonach Arbeiterinnen des Narva-Werkes in Berlin im Gefolge der Generalisierung der Intershops einen Streik begonnen hätten. In Wirklichkeit hat es weder eine Arbeitsniederlegung noch eine Androhung oder in diese Richtung zielende Erscheinungen gegeben.¹⁸⁹
Der Spiegel, „Havemann ist ein treuer Kommunist“, S. 41. Der Spiegel, „Havemann ist ein treuer Kommunist“, S. 41. „Spiegel: Fürchten Sie nicht, daß die SED einen unfreundlichen Akt darin sieht, wenn ein bekanntes ZK-Mitglied der KPI nach Ost-Berlin kommt und dort nicht das SED-Zentralkomitee, wohl aber den aus der SED ausgeschlossenen Robert Havemann besucht? Lombardo Radice: Ich bin prinzipiell gegen bürokratische Verfahren. Wenn ein Wissenschaftler oder ein Genosse aus dem Ausland nach Italien kommt, so wäre es ganz lächerlich, wenn er bei der Führung der KPI die Genehmigung einholen müsste, Professor Lombardo Radice zu besuchen. Meine Mission war keine offiziell politische Mission. Es war ein Besuch von Kollege zu Kollege, von Freund zu Freund, auch von Genosse zu Genosse. Das ist alles normal.“ Der Spiegel, „Havemann ist ein treuer Kommunist“, S. 42. MfS – AU, 145/90 5, Information über einige wesentliche Gesichtspunkte im Zusammenhang mit dem Interview der Pariser „Le Monde“ mit Havemann, hier S. 342.
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Das MfS ließ über das Zustandekommen der Publikation umgehend Ermittlungen anstellen, die zu dem Ergebnis führten, dass ein den Behörden bekannter Mittler den Text aus der DDR ins Ausland geschafft hätte. Es soll sich dabei um Jean-Pierre Hammer gehandelt haben, einen angesehenen französischen Germanisten, der im Rahmen seiner wissenschaftlichen Tätigkeit schon oft den ostdeutschen Staat besucht hatte. Hammer war gleichzeitig Mitglied der Gesellschaft Frankreich-DDR und in diesem Zusammenhang in der Vergangenheit offiziell von höherer Stelle in die DDR eingeladen worden. Der einschlägigen Stasi-Akte ist außerdem zu entnehmen, dass Hammer Ende 1975 von der Liga für Völkerfreundschaft sowie Ende 1977 von der Humboldt-Universität Berlin und der Martin-Luther-Universität Halle Einladungen erhalten hatte.¹⁹⁰ Den Recherchen des MfS zufolge soll Hammer in dem untersuchten Fall allerdings nicht nur der „Schmuggler“ des Textes gewesen sein, sondern auch der Interviewer. Während seines Aufenthalts in der DDR Ende 1977 soll es zu „einer dreistündigen Begegnung“ mit Havemann in Berlin gekommen sein. Die Berichte des MfS rekonstruierten die Hintergründe: Bereits seit Ende der sechziger Jahre habe Hammer Kontakte zu „feindlichen“ Persönlichkeiten wie Biermann, Stephan Hermlin und Eva-Maria Hagen unterhalten. Das MfS hielt weiterhin fest, dass er im Wesentlichen mit Havemann übereinstimme und ihm helfen wolle, aus der Isolierung herauszubrechen.¹⁹¹ Im Zuge des Vorfalls wurde Hammer schließlich inoffiziell zur Persona non grata erklärt, eine Einreisegenehmigung ihm sodann aus politischen Gründen verwehrt.¹⁹² In weiterreichender Konsequenz gerieten durch den Fall allerlei Verbindungen zu westeuropäischen Ländern, beispielsweise im Bereich kultureller Austauschinstitutionen, sowohl auf nationaler als auch auf lokaler Ebene unter Generalverdacht, Plattformen für revisionistische Tendenzen zu sein. Vorbeugende Repression war zwar aufgrund der Fülle an Beziehungen bzw. wegen der zu befürchtenden negativen Auswirkungen in der Öffentlichkeit nicht möglich, aber eine erhöhte Wachsamkeit „von oben“ schien den Ostdeutschen durchaus geboten und wurde erwartet.¹⁹³
MfS – AU, 145/90 5, Information über einige wesentliche Gesichtspunkte, S. 343. MfS – AU, 145/90 5, Information über einige wesentliche Gesichtspunkte, S. 344. ND, Vom Ehrengast zur Persona non grata. Der französische Germanist und Künstler Jean Pierre Hammer über seine Erlebnisse in der DDR, 26.05. 2011. Darin erinnert Hammer: „Ich hatte nach 1978 zwar kein offizielles Einreiseverbot, aber Robert hat mir den guten Rat gegeben, von nun an nicht mehr in die DDR zu kommen. 1990 habe ich in den Akten die Notiz gefunden, dass alle möglichen Schritte unternommen wurden, damit ich nicht mehr in die DDR einreisen kann.“ An dieser Stelle sei an den „Fall Corghi“ erinnert. Benito Corghi, PCI-Mitglied, arbeitete als LKW-Fahrer für die Firma Ara, die den Transport von Lebensmitteln aus der DDR nach Italien
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5 „Neuer Internationalismus“ statt „proletarischer Solidarität“ Die zweite Hälfte der siebziger Jahre war durch rapide und besonders nachhaltige Veränderungen in der kommunistischen Gemeinschaft gekennzeichnet. Insbesondere für die westeuropäischen „Bruderparteien“ hatte die althergebrachte, inspirierende Formel der „Einheit in der Vielfalt“ mit ihrer richtungsweisenden Tendenz für den späteren Eurokommunismus allmählich begonnen, an Überzeugungs- und Integrationskraft einzubüßen. Das Scheitern der Linksunion in Frankreich und die Ankündigung einer „Politik des Nicht-Misstrauens“ in Italien, die den PCI bis kurz vor eine Regierungsbeteiligung brachte, stellte die „Genossen“ in Paris und Rom vor neue Aufgaben. Neu zu definieren und zu gestalten war vor allem das Verhältnis zu Moskau, das – bei aller Kritik – für breite Teile der kommunistischen Anhängerschaft unverändert identitätsstiftend blieb. Vor diesem Hintergrund leuchtete den Führungen der kommunistischen Parteien Westeuropas unmittelbar ein, dass der Drang nach Erneuerung und Demokratisierung sozialer, politischer und nicht zuletzt auch wirtschaftlicher Prozesse nicht lediglich freie Gruppen apolitischer Bürger erfasst hatte, die jenseits allen Blockdenkens agierten – soweit es solche denn überhaupt gab –, sondern mit Wucht auch in ihren eigenen Reihen angekommen war und dort nach entsprechenden Korrekturen verlangte. Keines der existierenden Modelle konnte die nach Aufbruch Strebenden wirklich überzeugen: weder die westeuropäischen Sozialdemokratien, denen trotz aller Erfolge auch mangelnder kritischer Sinn vorgehalten wurde, noch der unerschütterliche Marxismus-Leninismus, der gerade in dieser Übergangsphase keine allgemeingültigen und brauchbaren Rezepte vorzulegen imstande schien. Vor diesem Hintergrund entwickelte sich aus bereits bestehendem Gedankengut wie etwa den Lehren Gramscis oder Togliattis der Eurokommunismus. Er nahm nach der Erschütterung des Jahres 1968 allmählich Gestalt an und kam insbesondere in Italien, begünstigt durch die beträchtliche Stärke des PCI, zur vollen Entfaltung. Der ihm eigene Zugriff auf Werte wie Demokratie, Dezentralisierung oder Internationalismus – der freilich im Laufe seiner Existenz, wie beschrieben, von Medien verschiedener Färbung höchst unterschiedlich gedeutet wurde – galt dem PCI als Ventil und gleichzeitig als stabiler Angelpunkt, durch abwickelte. Am 5. August 1976 passierte er den Grenzübergang Rudolphstein/Hirschberg an der Bundesautobahn 9 mit seinem Fahrzeug in Richtung Bundesrepublik. Bei dem Versuch, zu Fuß über die Grenze zurückzulaufen, um Papiere zu holen, die er bei den üblichen Kontrollen an der deutsch-deutschen Grenze vergessen hatte, wurde er von einem DDR-Grenzposten angeschossen und tödlich verletzt.
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den sich die Einheit der Partei trotz durchaus aktiver gegnerischer Stimmen herstellen ließ. Stichworte wie compromesso storico oder „Politik des NichtMisstrauens“ erfreuten sich jedoch selbst im ZK des PCI keineswegs immer einhelliger Zustimmung: Parteifunktionären wie Armando Cossutta oder Pietro Ingrao passte der neue Internationalismus à la Berlinguer ganz und gar nicht; sie mussten sich aber seinem überragenden Zuspruch beugen und machten schließlich mit. Ähnlich verhielt es sich mit dem Eurokommunismus und dem PCF: Die französische Partei wurde von ihrem starkem italienischen „Bruder“ mehr oder weniger mitgezogen und gab sich „eurokommunistisch“, obwohl weder der Vorstand noch breite Teile der Basis von der Forderung nach Autonomie und Erneuerung wirklich angetan waren.
5.1 Dreiecksbeziehungen im Schatten der KSZE-Nachfolgekonferenz in Belgrad 1977 Die SED verfolgte bereits ab Anfang der siebziger Jahre mit großer Aufmerksamkeit die Verhandlungen des West-Berliner „Politischen Clubs“ (Arbeitskreis für Europäische Zusammenarbeit). Dabei handelte es sich um einen Kreis mit sehr heterogenem Profil, an dem u. a. linke Intellektuelle und auch Dissidenten teilnahmen. Aus den Sitzungsprotokollen erhofften sich die Ost-Berliner Informationen über politische und soziale Abläufe im Westen.¹⁹⁴ Einem Bericht über die Jahrestagung des Politischen Clubs vom Juni 1977 entnahmen SED-Beobachter den Hinweis, dass der PCF wohl den Austritt Frankreichs aus der NATO wünsche, ihm aber aus bündnispolitischen Gründen – Zusammengehen mit dem PS – nicht nachkommen könne.¹⁹⁵
Der Politische Club (Arbeitskreis für Europ. Zusammenarbeit e.V.,West-Berlin Projektgruppe) war in Fachreferate unterteilt. Projektgruppe 1: Politische Zusammenarbeit und Integration in Westeuropa; PG 2: Zur Entwicklung von Stabilität, Sicherheitspolitischem Gleichgewicht und Abrüstung in Europa; PG 2b: Strukturen der Sicherheit in Europa; PG 3: Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen in Europa; PG 4– 5: Entwicklung der Beziehungen zw. Ost- und Westeuropa; PG 5: Europ. Interessenbilanz; PG 6: Wirtschaftliche Stabilität, Umwelt; PG 7: Gesellschaftliche Zusammenarbeit; PG 8: Zielvorstellungen für die Zukunft Europas; PG 9: Entwicklung Beziehungen Europa-USA. Vgl. SAPMO-BArch, DDR-Komitee für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit, DZ/22/67 Reihe 51, Politischer Club. SAPMO-BArch, DDR-Komitee für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit, DZ/22/79 Reihe 82, Bericht über die Jahrestagung des Politischen Clubs vom 3 – 6. 3. 1977, S. 47 f.
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Ende 1977 reiste eine parlamentarische Delegation der SED auf Einladung der Freundschaftsgruppe Frankreich-DDR nach Frankreich.¹⁹⁶ Die Deutschen führten Gespräche mit hochrangigen französischen Politikern, darunter mit Edgar Faure (Präsident der Nationalversammlung), Maurice Couve de Murville (Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses der Nationalversammlung), Andre Bord (Staatssekretär beim Premierminister für Verbindung zum Parlament) und Roger Fossé (Vorsitzender der Freundschaftsges. Frankreich-DDR der Nationalversammlung). Hauptsächlich warben die Ostdeutschen während ihres Besuchs für eine Intensivierung der bilateralen Verbindungen, die sich ihrer Auffassung nach „ungleichmäßig entwickeln“, wodurch „die politischen Beziehungen im beiderseitigen Interesse hinter den heutigen Möglichkeiten und Notwendigkeiten zurückbleiben […].“¹⁹⁷ Der Abordnung gelang es, ihre guten Beziehungen zu Roger Fossé spielen zu lassen, der schließlich Faure dazu aufforderte, sich für einen baldigen Abschluss des Konsularvertrages sowie für die Anerkennung der Staatsbürgerschaft der DDR zu verwenden.¹⁹⁸ Davon versprachen sich die OstBerliner eine weitere Ankurbelung des Warenaustausches zwischen beiden Ländern, der seit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen konstant zugenommen hatte. Ziel war eine Verdreifachung des Volumens bis 1980.¹⁹⁹ Frankreich nahm für die DDR eine besondere Stellung ein, verstärkt nach dem Zusammenbruch der Union de la Gauche im September 1977. Nach deren Beendigung hatte sich nämlich eine Wiederannäherung des PCF an die SED vollzogen, die von der Pariser Parteileitung auch zur eigennützigen Propaganda im Rahmen der bevorstehenden Parlamentswahlen vom März 1978 verwendet wurde. Auf diese Weise beabsichtigte sie, sich von der Politik Mitterrands abzuheben und
SAPMO-BArch, DDR-Komitee für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit, DY/1/13031, Delegation der Parl. Freundschaftsgruppe DDR-Frankreich der Volkskammer in die Franzö. Republik, 24.-31. 10. 1977. Der deutschen Abordnung gehörten an: der Abgeordnete Hans Seigewasser, auch Vorsitzender der Freundschaftsgruppe; Abgeordneter Gerolf Wetzel (DBD); Abgeordneter Prof. Gertrud Sasse (LDPD); Abgeordneter Dr. Joachim Schultz (NDPD) und Robert Wolter (Sektorenleiter im Sekretariat der Volkskammer). Hans Seigewasser in: SAPMO-BArch, DDR-Komitee für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit, DY/1/13031, Delegation der Parl. Freundschaftsgruppe DDR-Frankreich, S. 3. SAPMO-BArch, DDR-Komitee für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit, DY/1/13031, Delegation der Parl. Freundschaftsgruppe DDR-Frankreich, S. 3. „Der Warenaustausch erreicht 1976 2,5 Mrd. Franc (1,17 Mrd.VM), d. h. er verdoppelte sich seit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Die gemischte Regierungskommission orientiert auf eine Verdreifachung bis 1980, die Entwicklung der Zusammenarbeit auf Drittmärkten und auf verstärkte Kompensationsgeschäfte.“ In: SAPMO-BArch, DDR-Komitee für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit, DY/1/13031, Delegation der Parl. Freundschaftsgruppe DDR-Frankreich, S 4.
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durch eine Wiederbelebung der bi- und multilateralen Beziehungen zum Ostblock ihre traditionelle Anhängerschaft in Krisenzeiten an sich zu binden.²⁰⁰ Der SED-Führung wiederum war an einer Tuchfühlung mit einflussreichen westlichen Partnern aus einer Reihe von Gründen gelegen: Zum einen (und vor allem) war sie daran interessiert, finanziell einträgliche Geschäfte abzuschließen; zum anderen wollte sie den ostdeutschen Staat als friedliebendes und -förderndes Land inszenieren, um so jedweder Kritik bezüglich einer Missachtung der Schlussakte von Helsinki den Wind aus den Segeln zu nehmen. Nichts anderes als dieser besondere Zweck stand letztendlich hinter der Einrichtung des DDR-Komitees für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit: Für das Vorhaben wurde ein Großaufgebot an Zuarbeitern eingespannt, darunter die wissenschaftlichen Mitarbeiter des Instituts für Internationale Beziehungen Potsdam-Babelsberg und des Instituts für Internationale Politik und Wirtschaft unter Vorsitz des Direktors Prof. Dr. Gerhard Hahn. Hinzu kamen die Sektion RGW beim Ministerrat der DDR, das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, das Ministerium für Außenhandel und die Hochschule für Ökonomie. Es verwundert kaum, dass die ostdeutsche Staatspartei so viel Kraft und Ressourcen auf das Projekt verwendete.²⁰¹ Als die Forderung der westlichen Öffentlichkeit und der DDR-Bevölkerung nach Respektierung der Schlussakte von Helsinki immer dringender wurde, war das SED-Regime unter Zugzwang geraten. Die Dissidentenfrage und das Problem der Reisefreiheit bereiteten ihr Kopfzerbrechen. Außerdem hatte sich die Nachsicht der Bundesrepublik gegenüber internationalen und humanitären Versäumnissen des östlichen Nachbarlandes erheblich verringert, insbesondere seit Bildung der Regierungskoalition SPD-FDP mit Helmut Schmidt als Bundeskanzler.²⁰² Zur Beseitigung dieser Schieflage sah sich die SED darauf verwiesen, nach Möglichkeit einer auch propagandistisch wirkungsvollen Zusammenarbeit mit anderen westlichen Akteuren vorzufühlen. Vorab tauschte sie sich intensiv mit anderen Ostblockstaaten aus, so beispielsweise über das Thema „Probleme der Formierung eines neuen Systems der internationalen Wirtschaftsbeziehungen“, das im Rahmen einer multilateralen Problemdiskussion mit Wissenschaftlern aus verschiedenen sozialistischen
Hierzu vgl. L’Humanité, Discussion PCF-Parti Socialiste unifié de RDA, 18.10.1978. SAPMO-BArch, DDR-Komitee für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit, DZ/22/60 Reihe 82, Bericht Arbeitsgruppe 2 – „Die Perspektiven für eine Entspannung in Europa“, 14. 3.1976, S. 1– 6. Hierzu vgl. Oliver Bange, „The Greatest Happiness of the Greatest Number…“. The FRG and the GDR and the Belgrade CSCE Conference (1977 – 1978), in: Vladimir Bilandžic u. Dittmar Dahlmann (Hg.), From Helsinki to Belgrade. The First CSCE Follow-up Meeting and the Crisis of Détente, Göttingen 2012, S. 225 – 254, hier besonders S. 226 – 231.
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Ländern erörtert wurde (Projekt „Stern“).²⁰³ Den Anstoß dazu hatte die KPdSU im Frühjahr 1976 gegeben, als sie die „Bruderparteien“ zur Diskussion über „Probleme der gegenseitigen Beziehungen zwischen den Ländern der sozialistischen Gemeinschaft und den Staaten Westeuropas in den 70er Jahren“ anregte.²⁰⁴ Mit Polen, Ungarn, Bulgarien, der Tschechoslowakei und der UdSSR war die DDR außerdem in das Projekt „Moment“ involviert, das die Erforschung von „neue[n] Fragen in der Politik der USA gegenüber den osteuropäischen sozialistischen Ländern“ zum Gegenstand hatte.²⁰⁵ Helmut Schmidt und die Bundesrepublik hatten in der Phase nach der Schlussakte von Helsinki darauf hingewirkt, die Beziehungen zur DDR im Sinne einer verstärkten wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu intensivieren. Dabei stellte der Warenaustausch einen Schwerpunkt dar, der offenbar ohne ideologische Bedenken abgewickelt werden konnte.²⁰⁶ Honecker und die anderen Machthaber in Ost-Berlin sahen sich dadurch außerdem in ihrer Selbstständigkeit bestätigt und ergriffen die Chance, um ihren Spielraum zu erweitern. Die Öffnung für handelspolitische Geschäfte mit Westdeutschland entpuppte sich aber bald als zweischneidiges Schwert. Mit der Verpflichtung zur Absichtserklärung von Helsinki war eine neue Welle an Ausreisegesuchen losgetreten worden, die der SED schwer zusetzte.²⁰⁷ Besonders schwierig gestaltete sich der propagandistische Umgang mit Blick auf diejenigen Ausreisewilligen unter den DDR-Bürgern, die ihre Heimat aus einer „orthodox-marxistischen“ Lesart heraus kritisierten und ihr
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY 30/11945, Vorlage für das Sekretariat des ZK: Teilnahme der SED an der Ausarbeitung einer internen Studie zum Thema „Probleme der Formierung eines neuen Systems der internationalen Wirtschaftsbeziehungen“ im Rahmen einer multilateralen Problemdiskussion von Wissenschaftlern der UdSSR, der VR Bulgarien, der CSSR, der DDR, der Mongolischen VR, der VR Polen, der Ungarischen VR (Projekt „Stern“), 31.8. 1976. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY 30/11945, Vorlage für das Sekretariat des ZK. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY 30/11951, Vorlage Beratung zwischen Moment I und II-III: Erste Vorlage über interne Beratung von Vertretern der Bruderparteien und der außenpolitischen Institute Bulgariens, der DDR, Polens, Ungarns, der Tschechoslowakei und der UdSSR über neue Fragen in der Politik der USA gegenüber den osteuropäischen sozialistischen Ländern, 21.-23.4.1976 in Budapest. Vgl. Bange, „The greatest Happiness of the Greatest Number…“, S. 227– 228.; ferner auch Bange, Keeping Détente alive, in: Nuti, The Crisis of Détente in Europe, S. 230 – 243. Zwischen der Ratifizierung der Schlussakte von Helsinki und der Nachfolgekonferenz in Belgrad 1977 stiegen die Übersiedlungsersuche von DDR-Bürgern um ein Vielfaches auf etwa 60.000 pro Jahr. Hierzu siehe Klaus Wiegrefe, Das Zerwürfnis. Helmut Schmidt, Jimmy Carter und die Krise der deutsch-amerikanischen Beziehungen, Berlin 2005, hier S. 140; ferner Kristina Spohr, The Global Chancellor. Helmut Schmidt and the Reshaping of the International Order, Oxford 2016.
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unter solchem Protest den Rücken zu kehren wünschten. Ideologisch boten sie keine Angriffsfläche – Schlagworte wie „bürgerlich“ oder „imperialistisch“ liefen bei ihnen ins Leere –, was die Obrigkeiten in Erklärungsnöte gegenüber westlichen Medien und Politikern brachte.²⁰⁸ Vor diesem Hintergrund unter beträchtlichen Druck geraten, tendierten die Ost-Berliner Machthaber dazu, die Bonner Regierung pauschal als „Strippenzieher“ sicherheitspolitischer Projekte in Westeuropa zu diffamieren, der darauf abzielte, die Ostblockstaaten, allen voran den Nachbarn DDR, in die Enge zu treiben, um daraus Kapital zu schlagen. In diesem Klima begannen die Verhandlungen der KSZE-Nachfolgekonferenz in Belgrad, die mit Unterbrechungen von Juni 1977 bis Februar 1978 tagte. Die SED-Führung hatte in der Tat viel zu verlieren, vor allem in Bezug auf die Gestaltung und Aufrechterhaltung nützlicher Beziehungen mit Partnern in demokratischen Ländern. Ihr Beitrag zur Konferenz blieb jedoch gering, so dominant fiel das Auftreten der Sowjetunion aus.²⁰⁹ Die Gespräche auf höchster Ebene zwischen der amerikanischen, französischen, westdeutschen und russischen Delegation zeichneten sich kurzzeitig durch Annäherung und Übereinstimmungen aus. Schlussendlich siegte aber der Argwohn, war doch keine Seite zu irgendwelchen grundlegenden Konzessionen bereit.²¹⁰ Sowohl Helmut Schmidt als auch Erich Honecker mussten feststellen, dass die „Logik der Blöcke“ noch stark verwurzelt war und dass sich US-Präsident Jimmy Carter ebenso wie KPdSU-Generalsekretär Leonid Breschnew vom traditionellen Hegemoniedenken leiten ließen. Beide deutschen Staaten teilten das Interesse an einer Fortsetzung bi- und multilateraler Unterredungen über sicherheitspolitische Belange, von denen sie sich eine Normalisierung ihrer Beziehungen sowie des Ausreiseflusses an der deutsch-deutschen Grenze erhofften. Die Verhärtung der amerikanisch-sowjetischen Front Ende der siebziger Jahre, für
Vgl. Eckart Jesse, DDR. Die intellektuelle Formierung der Opposition seit den 1970er Jahren, in: Hans-Joachim Veen (Hg.), Wechselwirkungen Ost-West – Dissidenz, Opposition und Zivilgesellschaft 1975 – 1989, Köln 2007, S. 65 – 77. Hierzu siehe Bange, „The greatest Happiness of the Greatest Number…“, S. 250; ferner auch Eugeniusz Guz u. Achim Weseloh (Hg.), KSZE Belgrad – Das erste Folgetreffen der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, Bonn 1978. Am 17. Januar kam es zum Eklat, als der sowjetische Vertreter Juli Woronzov einen Vorschlag für das Schlussdokument unterbreitete: Der Text war „virtually empty“ (Bange, S. 248). Damit wollte die SU ihren Unmut über die Verhandlungen und die anvisierten gemeinsamen Kommuniqués mit aller Deutlichkeit demonstrieren. Schließlich konnte die französische Delegation im Alleingang die Tagung „retten“, indem sie einen Monat später, am 17. Februar, den sowjetischen Unterhändlern einen revidierten Text zukommen ließ. Vgl. Bange, „The greatest Happiness of the Greatest Number…“, S. 247– 254.
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die die Belgrader Konferenz ein beredtes Beispiel darstellte, drohte dem Entspannungsprozess jedoch Einhalt zu gebieten.²¹¹ Im April 1978 tagte das ZK des PCF in Paris. Marchais ließ in seiner Ansprache keinen Zweifel darüber aufkommen, dass das bedauerliche abrupte Ende der Linksunion am „Rechtsschwenk“ des PS um Mitterrand gelegen habe. Das primäre Ziel des PCF müsse aber sein (und bleiben), eine geschlossene Linksfront zu bilden und sie vorab in ihren Grundlagen besser vorzubereiten.²¹² Weitere Aufgaben der Partei müssten die Stärkung der Demokratie, den Kampf gegen die grassierende Arbeitslosigkeit und den Einsatz für einen „demokratischen Zentralismus“ umfassen.²¹³ Die vagen Direktiven des Generalsekretärs zeugten von der allgemeinen Orientierungslosigkeit der Partei. Sie ähnelten eher propagandistischen Losungen denn konkreten Zielvorgaben zur Überwindung der ideologischen und politischen Krise. Beharrt wurde auf einer monokausalen Kritik der Politik der französischen Regierung, die der Dynamik des Kapitals fröne und zum Instrument des US-amerikanischen „Imperialismus“ verkommen sei. Dem PCF würde deshalb die moralische Pflicht zuteil, die „Masse“ aufzuklären und gegen die Hegemonie insbesondere der Bundesrepublik in Europa zu mobilisieren. „Nous ouvrons une perspective“, ließ Fiterman in der Humanité verlauten, und diese sei, die Union wiederzubeleben.²¹⁴ Die Eindimensionalität der politischen Strategie des PCF, die auf einer Ablehnung von allem Unbekanntem, ja Neuem beruhte, ließ weder Platz für Erneuerung noch für eine ehrliche Auseinandersetzung mit Fehlern der Vergangenheit oder gar für einen konstruktiven Austausch mit der Basis. Sogar die Sprache verriet nun verstärkt den Einfluss des Marxismus-Leninismus, dem sich die Partei abermals ergeben zu haben schien. Hatten die italienischen Kommunisten seit der Ost-Berliner Konferenz 1976 entschieden auf den „Neuen Internationalismus“ gesetzt, so verfehlte der PCF den Neuanfang und zog die bequemere
„The texture of relations as brought out of by Belgrade and beyond was clearly no longer a solid bloc-to-bloc affair, but constituted an increasingly complicated web of varying regional, national, ethnic, economic, cultural and security interests. This constitutes a significant difference to and advance on the Cold War era of the 1950s, which even the deterioration in superpower relations between 1979 and 1981 and the advent of Reaganite rhetoric and politics in the early 1980s would not reverse.“ Bange, „The greatest Happiness of the Greatest Number…“, S. 254. APCF, Archives de direction Comité Central, 261 J 2/54– 55, Rapport au CC, Georges Marchais, 26.04.1978. APCF, Archives de direction Comité Central, 261 J 2/54– 55, Rapport au CC, Georges Marchais, S. 2. L’Humanité, Nous ouvrons une perspective (von Charles Fiterman), 29.09.1978.
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Übereinstimmung mit den „real sozialistischen Bruderparteien“ Moskauer Prägung vor. Dabei gilt es zu bedenken, dass im kommunistischen Lager keineswegs eine Einheit von Meinungen herrschte: Länder wie Jugoslawien und Rumänien, und selbstverständlich auch die „eurokommunistischen“ Parteien Italiens und Spaniens, protestierten beispielsweise energisch gegen die Deutung des Schlussdokuments der Ost-Berliner Konferenz durch die KPdSU und ihre Chefideologen. Letztgenannte interpretierten den Text als eine Bestätigung der Einheit des Weltkommunismus mit Moskau an der Spitze.²¹⁵ Vor diesem Hintergrund muss die Stippvisite Berlinguers in Paris im Oktober 1978 lediglich als Aufwartung gesehen werden. Er und Marchais bestätigten dort die Aktualität des gemeinsamen Kommuniqués vom November 1975 und stimmten der Veröffentlichung eines Nachfolgedokuments zu.²¹⁶ Sowohl Carrillo als auch Berlinguer, also die Hauptvertreter des Eurokommunismus, hatten in Interviews und öffentlichen Reden auf die Notwendigkeit eines Neuanfangs im europäischen Kommunismus hingewiesen. Dieser sei unumgänglich, weil die „imperialistische“ Rolle und Funktion der Sowjetunion als Verbreiter und Verteidiger des Sozialismus in aller Welt erschöpft sei.²¹⁷ Fördere der „Proletarische Internationalismus“ die Beziehungen der „Bruderparteien“ innerhalb eines kompakten, von Moskau „überwachten“ und gesteuerten Gefüges, so impliziere der „Neue Internationalismus“ eine kritische Öffnung zu heterogenen Ansprechpartnern, wobei Westeuropa selbstredend eine hervorgehobene Stellung einnehmen müsse. Die Wiederannäherung des PCF an die KPdSU und teilweise auch an die SED²¹⁸ war mit Ängsten, aber auch mit Hoffnungen verbunden. Zunächst war da die Angst, nach dem Austritt aus der Linksunion auch noch die traditionell stalinistische Stammwählerschaft zu verlieren. Auf der anderen Seite wog die Hoffnung, dass der Schulterschluss mit dem mächtigen östlichen „Bruder“ Wege aus der Krise eröffnen möge. Der Gegensatz zum übrigen „eurokommunistischen“ Lager hätte größer kaum sein können: Carrillo, die wohl kritischste Stimme im
Vgl. Giancarlo Pajetta, La lunga marcia dell’internazionalismo (intervista di Ottavio Cecchi), Rom 1978, hier S. 166. APCI, Sezione Estero, Busta 465, Fasc. 112, Incontro PCI-PCF, 5. 10. 1978, Paris. Vgl. Enrico Berlinguer, Georges Marchais, Santiago Carrillo, La via europea al socialismo, Rom 1976, hier jeweils Berlinguer, S. 75, und Carrillo, S. 102– 103. Am 12.-21.4.1978 fand in Potsdam ein Symposium statt, an dem etliche PCF-Mitglieder teilnahmen und das unterteilt war in: ein Seminar über die Entwicklung der DDR, geleitet von Prof. Dr. Hans Henseke, Hochschule „Karl Liebknecht“ Potsdam; ein Seminar über die Außenpolitik der DDR, geleitet von Dr. Ernst Scholz, Präsident der Gesellschaft DDR-Frankreich, Botschafter a.D. der DDR in Frankreich. Vgl. APCF, Polex, 38 J 10.
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„eurokommunistischen Spektrum“, nahm in einem Interview für die Dernières Nouvelles dʼAlsace kein Blatt vor den Mund, als er betonte, dass in der UdSSR kein Sozialismus, sondern nach wie vor der Zarismus herrsche.²¹⁹
Die SED und der PCF Die bilaterale Vereinbarung über die Zusammenarbeit zwischen SED und PCF sah für das Jahr 1978 die Entsendung mehrerer französischer Abordnungen vor, darunter eine Studiendelegation zu Fragen der Kommunalpolitik und eine Delegation gewählter Vertreter des PCF (April/Mai 1978), eine Studiendelegation zu Fragen der Agitations- und Propagandaarbeit des PCF (Juni/Juli 1978) sowie eine zu Fragen der Arbeit der Parteiorganisation in den Betrieben und Wohngebieten (Oktober/November 1978).²²⁰ Auch auf höchster Ebene wurden die Parteiverbindungen verstärkt. So hielt sich eine SED-Delegation im Juni 1978 zu Beratungen mit dem französischen Vorstand in Paris auf. Zur Debatte standen die Erweiterung der EWG sowie der Umgang des PCF mit der Bonner Regierung: Im Abschlussgespräch ging Jacques Denis auf Fragen der internationalen Politik der FKP ein. […]. Die FKP befürwortet die EWG und die Direktwahlen zum Europaparlament, weil nur so, d. h. durch die aktive Einwirkung der Kommunisten die Möglichkeit besteht, die EWG zu demokratisieren […]. Die neun Kommunistischen Parteien der EWG-Mitgliedsländer haben sich auf Initiative der DKP schon das erste Mal beraten, um eine konzertierte Aktion festzulegen. Ende Juni wird in Luxemburg eine weitere Beratung durchgeführt, um bis Ende des Jahres eine gemeinsame Plattform zu erarbeiten, die es ermöglicht, eine gemeinsame Politik bei Beachtung der nationalen Politik durchzuführen […]. Genosse Denis betonte, daß die FKP ‚entschieden gegen die Erweiterung der EWG durch Griechenland, Portugal und Spanien sich ausspreche wirdʼ. Die FKP kann auf keinen Fall zustimmen‚ wenn sie nicht zum Ruin des landwirtschaftlichen und südlichen Frankreich beitragen will.²²¹
Carrillo in: Dernières Nouvelles d’Alsace, 2.10.1977. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/188, Vereinbarung über die Zusammenarbeit zwischen der SED und der FKP in den Jahren 1978 und 1979, hier S. 1; vgl. ferner auch SAPMO-BArch,Volkskammer – Parlamentarische Freundschaftsgruppen, DA/1/13069, Besuch des Leiters der Abt. Intern. Beziehungen der Nationalversammlung der Franzö. Republik, Sekretär der Freundschaftsgruppe Frankreich-DDR in der Nationalversammlung, Herrn Claude Debedel, in der DDR, 16. – 24. 2.1978. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/188, Information für das Politbüro des ZK der SED über den Aufenthalt einer Delegation des ZK der SED vom 12. bis 16. Juni 1978 in Frankreich, Berlin 19.06.1978, S. 10 – 11.
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Die konträre Haltung zu den europäischen Institutionen war bezeichnend für die erneute Rückwärtsgewandheit des französischen Kommunismus. Denis bekräftigte zwar, dass der PCF für deren Erhalt sei. Er brachte aber zugleich die Skepsis seiner Partei zum Ausdruck, eine Erweiterung in Richtung Südeuropa könne die Landwirtschaft Frankreichs stark in Mitleidenschaft ziehen. Bei einem späteren Zusammentreffen in der DDR ging Marchais auf die internationale politische Lage ein und zeigte sich gegenüber dem ostdeutschen Gastgeber zutiefst besorgt über das vermeintlich antidemokratische Abdriften der Bonner Regierung, in dessen Bann auch Frankreich gezogen würde.²²² Auf die Sorge Marchaisʼ ging Gastgeber Honecker mit Gelassenheit ein, als wolle er dem einst „verlorenen“ und nun wieder „heimgekehrten“ Bruder imponieren. Die USA und die Bundesrepublik, so der ostdeutsche Generalsekretär, seien insbesondere in dieser historischen Phase darauf bedacht, Stärke zu demonstrieren. Dadurch beabsichtigten sie, Druck auf die Weltöffentlichkeit auszuüben, „um ihr forciertes Wettrüsten zu begründen […]. Das ist psychologische Kriegsvorbereitung.“²²³ Marchais stimmte vorbehaltlos mit der Einschätzung überein. Was die Sowjetunion und die anderen Länder der sozialistischen Gemeinschaft in dieser Hinsicht unternähmen, sei richtig: Es solle versucht werden, sofern als breit konzertierte Aktion geplant, die westliche Öffentlichkeit gegen propagandistische Angriffe zu immunisieren. Schließlich sei evident, so Marchais weiter, dass der PCF „den Schlag gegen die Bundesrepublik führen“ müsse.²²⁴ Dem Gehalt solcher Äußerungen nach hatte die außenpolitische Strategie des PCF damit die Orientierung an den „eurokommunistischen Bruderparteien“ verlassen und war zum „Proletarischen Internationalismus“ zurückgekehrt, der in der Bundesrepublik und insbesondere der westdeutschen Sozialdemokratie seinen europäischen Hauptgegner sah. Bezeichnend für Marchaisʼ Sichtweise war der Hinweis darauf, dass es aus historischen und pragmatischen Gründen dem PCF zuteilwerde, zum entscheidenden Schlag gegen Westdeutschland auszuholen. Darin verquickte sich die eigene Absage an den wenngleich nur kurzen „eurokommunistischen Flirt“ mit der Einsicht, dass die Allianz mit dem franzö-
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/188, Vermerk über das Gespräch zwischen dem Generalsekretär des ZK der SED, Erich Honecker, und dem Generalsekretär der FKP, Georges Marchais am 28. Dezember 1978 im Gästehaus der SED in Bad Saarow von 10.00 bis 15.00 Uhr, Berlin 29.12.1978, S. 9 – 15. Honecker in SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/188, Vermerk über das Gespräch, Berlin 29.12.1978, S. 16. Marchais in SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/188, Vermerk über das Gespräch, Berlin 29.12.1978, S. 18.
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sischen PS zu folgenschweren ideologischen Auswüchsen im nationalen linken Spektrum geführt hatte, die es nun zu korrigieren galt.²²⁵
Die SED und der PCI Mit der Rückkehr des PCF zur „Normalität“ konzentrierte die SED-Führung ihr Augenmerk auf die verbleibenden „eurokommunistischen Zentren“ Madrid und Rom. Dabei bestand allerdings in Ost-Berlin kein Zweifel daran, dass Berlinguer und sein Vorstand als die Zugpferde der Lehre vom „dritten Weg“ zu betrachten waren.²²⁶ Im Frühjahr 1978 hatte der PCI ein mittelfristiges Programm entworfen und veröffentlicht, das u. a. auf eine weitere Verschlankung der Parteistrukturen abzielte und den politischen Rahmen für die künftige Entwicklung absteckte. SED-Beobachter verfolgten und kommentierten das Vorhaben sehr aufmerksam. Ihr Fazit fiel ernüchternd aus. Im ersten Teil des Entwurfs, der einen Bogen vom Erneuerungsprozess hin zur Forderung nach höheren Investitionen in Arbeit, Bildung und Kultur spannte, vermissten die Ost-Berliner einen Hinweis auf den angeblich unumgänglichen Klassenkampf. Durch diese Auslassung bleibe nämlich die Rolle der kapitalistischen Produktionsverhältnisse und die objektive Notwendigkeit radikaler Veränderungen der Gesellschaft weitgehend außer Acht, welche doch die Voraussetzung zur Umsetzung jeglicher Neuerungen im Interesse der Arbeiterklasse und der Werktätigen seien.²²⁷ Dies zeige, dass der PCI der Illusion nachhänge, dass sich das „Monopolkapital“ etwa durch eine Demokratisierung der gesellschaftlichen Lebens- und Produktionsverhältnisse bändigen lasse. Die Stichworte „Marktwirtschaft“ und „Unternehmertum“, sofern diese überhaupt mit einer Demokratie zu vereinbaren seien, führten die italienische kommunistische Partei auf den Holzweg, darin stimmten die SED-Kommentato-
Passend dazu verweilte Mitte Dezember 1978 eine Studiendelegation des ZK des PCF „zu Fragen der Kulturpolitik“ in Ost-Berlin. SAPMO-BArch, Büro Hager, IV B2/2.024/131, Informationen über den Besuch einer Studiendelegation des ZK der FKP zu Fragen der Kulturpolitik der SED vom 13. bis zum 19. 12. 1978. Der französischen Delegation gehörten Lucien Marest, Leiter der Sektion für kulturelle Fragen des ZK der FKP, und Jack Ralite, Abgeordneter der FKP in der französischen Nationalversammlung sowie stellvertretender Bürgermeister von Aubervilliers, an. Auch das Ministerium für Staatssicherheit der DDR wurde für die „Überprüfung“ des Eurokommunismus, seiner Hauptakteure und Entwicklung eingespannt. Davon zeugt ein über 400 Seiten starkes Dossier über das Thema, vgl. MfS – ZAIG, 10952. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/60, Information Nr. 4/78 für die Mitglieder und Kandidaten des Politbüros über Entwurf des mittelfristigen Programms der Italienischen KP, Berlin, 13.01.1978, S. 5.
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ren überein.²²⁸ Auch die außenpolitische Strategie der Italiener wurde einer ausführlichen Analyse unterzogen: Es wird eingeschätzt, daß das System der internationalen Beziehungen eine Übergangskrise durchlebt, für die Menschheit die Gefahren einer Katastrophe andauern, die durch das Wettrüsten ständig weiter verstärkt wird […]. Daran schließt sich die Bekräftigung der IKPKonzeption vom demokratischen Weg zum Sozialismus mit den bekannten PluralismusVorstellungen an […]. Daraus wird die bekannte Position der IKP zur NATO abgeleitet, wonach eine einseitige Änderung der Kräfteverhältnisse der Entspannung, der Unabhängigkeit der Völker und dem Sieg ihrer Befreiungskämpfe schade und gefährliche Spannungen schaffe […]. Deshalb habe der Terminus Eurokommunismus keinen Sinn, wenn man darunter ein neues Führungszentrum oder ein neues internationales oder supranationales Organisationszentrum einiger kommunistischer Parteien Westeuropas verstehen würde; denn ein solches Zentrum existiert nicht, noch schlagen wir vor, es zu bilden.²²⁹
In der Tat stellte der Begriff Eurokommunismus für den „Neuen Internationalismus“ des PCI eine willkommene Möglichkeit dar, um Ähnlichkeiten mit anderen westeuropäischen kommunistischen Parteien eigens zu betonen. Der vage Charakter des Präfixes „Euro“ schien den Italienern besonders brauchbar, denn dadurch würden etwaige Fixierungen auf Führungszentren außerhalb der UdSSR schlichtweg vermieden. Doch nicht nur gegenüber dem Ostblock bewährte sich der Begriff aus ihrer Perspektive, sondern auch gegenüber westeuropäischen Partnern, die womöglich empfindlich auf eine geographische Festlegung hätten reagieren können.²³⁰ Dabei trugen die Italiener vornehmlich ihren französischen „Genossen“ gegenüber Rechnung. Davon konnten sich die Ostdeutschen persönlich im Frühjahr 1978 überzeugen, als eine hochrangige Abordnung aus Rom in der DDR zu Gesprächen eintraf.²³¹ Carlo Pajetta und Sergio Segre leiteten die italienische Delegation, die von
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/60, Information Nr. 4/78, S. 7. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/60, Information 13/ 1978 für das Politbüro über die Tagung des ZK der IKP vom 26. bis 28. Januar 1978 in Rom, Berlin, 6.02.1978, S. 8 – 10. Hierzu liegt eine Fülle an Literatur vor, u. a. Aldo Rizzo, La frontiera dell’eurocomunismo, Rom 1975, S. 75 – 76. Darin geht der Autor ausführlich auf die Differenzierungsmerkmale der Außenpolitik des PCI Mitte der siebziger Jahre ein. Vgl. zudem Enrico Berlinguer, La politica internazionale dei comunisti italiani, Rom 1976. Der Band gilt als Standardwerk über den Eurokommunismus bzw. über dessen Überwindung durch den PCI. Vgl. ferner auch Ernest Mandel, Kritik des Eurokommunismus, Berlin 1978. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/60, Information 18/ 1978 für das Politbüro, Konsultation mit der italienischen Kommunistischen Partei am 9. Und 10. Februar in Berlin, Berlin 16.02.1978.
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Honecker höchstpersönlich empfangen wurde. Diskutiert wurde ausgiebig über die US-amerikanische Außenpolitik, was als Überleitung zur Erörterung innenpolitischer Fragen diente, wie etwa der Umgang mit der Regierungspartei DC in Italien. Die Gespräche machten deutlich, dass der PCI kaum noch Wert auf ein geschlossenes öffentliches Auftreten der kommunistischen Parteien legte, da er diese, im Gegensatz zu den Gastgebern, nicht als eine ideologisch homogene Gemeinschaft empfand, die auf ein gemeinsames, immer geltendes (und bestenfalls von Moskau bestimmtes) Ziel hinarbeitete. Die Italiener plädierten eher für „internationale und regionale Aktionen.“²³² Die Politik des PCI bezeichneten die Ost-Berliner als einen friedlichen, demokratischen Weg zur Errichtung einer sozialistischen Gemeinschaft. Aus diesem Grund setze sich der PCI intensiv dafür ein, die der parlamentarischen Demokratie inhärenten Fehlentwicklungen mittels Reformen zu korrigieren. Daraus entstünden aber auch schwerwiegende Probleme: Das Zusammengehen mit bürgerlichen Kräften, ja bereits deren Duldung, fordere nämlich Kompromisse, unter denen die Identität einer Partei, insbesondere einer kommunistischen, die zugleich in einer liberalen und marktwirtschaftlichen Gesellschaft zu agieren habe, stark leiden müsse. Mit Besorgnis wiesen die Gastgeber darauf hin, dass sich die Kommunisten Italiens im Rahmen des herrschenden compromesso storico zu einer von der DC diktierten „Austeritätspolitik“ hätten hinreißen lassen, die äußerst negative Auswirkungen auf die Arbeiterschaft zeitige. Seit Einführung von Sparmaßnahmen in Italien durch die Regierung Andreotti sei die Arbeitslosigkeit gestiegen, die Kaufkraft der mittleren und unteren Schichten habe eingebüßt und die Ausfuhrquoten seien rasch zurückgegangen. Insgesamt, so die SED, gerate die „soziale Gerechtigkeit“ ins Hintertreffen.²³³ Honecker gab sich sichtlich „überlegen“ und kommentierte aus marxistisch-leninistischer Perspektive national-interne Angelegenheiten Italiens, über die er in Wahrheit nur spärlich informiert war. Pajetta lenkte schließlich das Gespräch auf internationale Angelegenheiten und die Europapolitik. In einem zuvor gewährten Interview, so meinten die ostdeutschen Kommunisten, habe US-Präsident Carter den „Machtanspruch“ der USA bei der Ernennung von Ministern und ganz allgemein von Machthabern in Westeuropa unterstrichen. Dies sei ein unmissverständliches Zeichen dafür, so Honecker, dass die Amerikaner „den Vormarsch der progressiven Kräfte“ vorsätzlich zu verhindern SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/60, Information 18/ 1978 für das Politbüro, S. 2. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/60, Information 18/ 1978 für das Politbüro, S. 3 – 4.
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suchten. Er wolle wissen, wie sich der PCI zu solchen Äußerungen stelle bzw. wie er sich vor diesem Hintergrund überhaupt an einer Regierung beteiligen könne. Pajetta wies alle Anschuldigungen zurück, wonach der PCI die Arbeiterbewegung verraten habe und danach trachte, mit reformistischen Kreisen an die Macht zu gelangen. Ganz im Gegenteil: Der PCI beharre darauf, dass Europa nicht zum „Brückenkopf der USA“ werden solle. Dafür müsse man neue Wege gehen, beispielsweise unter Einbeziehung von anders gelagerten Kräften wie den Christdemokraten.²³⁴ Schwierigkeiten, so führte Pajetta aus, herrschten zudem im westeuropäischen kommunistischen Lager. Er berichtete detailliert über die bilateralen Beziehungen zum PCF. Insbesondere die Zusammenarbeit im Europäischen Parlament gestalte sich letztens schwierig. Es bestünden grundlegende Differenzen mit den kommunistischen Verbündeten der Fraktion über verschiedene wichtige Themen. Kopfzerbrechen bereitete den Italienern insbesondere die Diskussion über die Direktwahl zum Europaparlament.²³⁵ Der PCI fordere von seinen Fraktionskollegen einen einheitlichen Umgang mit der Frage des demokratischen, möglichst breit aufgefassten Mitbestimmungsrechts, wozu sich aber kein Einvernehmen erzielen ließe. Der PCF stimme grundsätzlich der Direktwahl zu, wehre sich aber aus Gründen der Propaganda, u. a. aus Protest gegen die offen proeuropäische Politik Mitterrands, dagegen. Innerhalb der kommunistischen Abgeordnetengruppe herrsche also keine Einigkeit. Sergio Segre fügte hinzu, dass der PCI alles in seiner Macht stehende unternehme „für die Gestaltung guter Beziehungen mit der FKP“; dies werde aber von strategischen Erwägungen der Franzosen beeinträchtigt, die augenscheinlich in einer ideologischen Krise verfangen seien.²³⁶ Ein Beleg dafür sei die Tatsache, dass sich ihr politisches Vorgehen lediglich aus dem Konflikt zum PS ableite. Anstatt eine eigene Strategie zu verfolgen, gestalte der PCF seine Politik gleichsam ex negativo und ausschließlich als Reaktion auf das Erstarken der Partei um Mitterrand: „Besonders in der Zeit der Wahl wollen wir vermeiden, daß Differenzen von anderen ausgenutzt werden. Wir haben gute Beziehungen zur FKP,
Pajetta in SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/60, Information 18/1978, S. 3 – 5. Hierzu vgl. u. a. Karl-Hermann Buck, Die Haltung von KPI und KPF gegenüber Direktwahlen und Funktionen des Europa-Parlaments, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, Nr. 2/1976, S. 209 – 219; Yves Santamaria, Histoire du Parti Communiste Français, Paris 1999, S. 88 – 89; Maggiorani u. Ferrari, L’Europa, S. 172– 173. Segre in: SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/60, Information 18/1978 für das Politbüro, S. 8.
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unterstützen aber nicht ihre Kampagne gegen die SP.“²³⁷ Axen gab daraufhin zu verstehen, dass die SED in dieser Angelegenheit ähnlich denke. Die Parteiführung wolle sich aber nicht in Angelegenheiten einmischen, die ihr nicht zustünden. „Die SED“, ließ er abschließend verlauten, „unterstützt entsprechend ihrer Grundhaltung den Kampf der FKP.“²³⁸ Die angesprochenen Diskrepanzen in der „eurokommunistischen“ Gemeinschaft nahmen allmählich zu. Aus der engeren pronationalen Perspektive heraus konnte der PCF trotz gemeinsamer Kundgebungen und Kommuniqués mit dem PCI kaum noch den „eurokommunistischen“ Geboten der Autonomie und Öffnung gerecht werden. Diese Akzentverschiebung, aus der die SED zunächst Nutzen zu ziehen trachtete, wurde von ihren Beobachtern aufmerksam nachvollzogen. Die Desavouierung der westeuropäischen kommunistischen Achse Paris-Rom beabsichtigte die SED-Führung als ideologischen Sieg über Reformversuche und angebliche Demokratisierung zu inszenieren. Spätestens im Oktober 1978 schien den ostdeutschen Kommentatoren der Bruch zwischen PCF und PCI evident, ungeachtet aller bilateralen Zusammenarbeit. Anlässlich eines Besuchs in Paris Anfang Oktober 1978 hatte Berlinguer das ideelle Bündnis mit dem PCF erneuert. Im gemeinsamen Kommuniqué hatten beide Generalsekretäre ihre Parteien zum unverminderten Kampf gegen das „Großkapital“ verpflichtet. Jedoch, so hieß es in einer einschlägigen Information für das PB der SED, sei ersichtlich, dass „Fragen des Kampfes beider Parteien unter den gegenwärtigen Bedingungen ihrer Länder, der Vorbereitung der Wahlen zum ‚Europaparlament‘ und der Entspannung und Abrüstung im Mittelpunkt standen.“²³⁹ Damit gemeint waren in erster Linie Meinungsverschiedenheiten zu besonderen Aspekten der EG-Politik, die man noch nicht hatte überwinden können. Nichtsdestoweniger einigten sich die führenden Funktionäre von PCI und PCF darauf, mit einer eher vagen Formulierung, die Einheit „der demokratischen und Linkskräfte [zu] verstärken.“²⁴⁰ Die „eurokommunistische Bedrohung“ schien aus Sicht der SED trotz des Abdriftens des PCF jedoch weiter zu bestehen, zumal sie durch das Zutun der
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/60, Information 18/ 1978 für das Politbüro, S. 16. Axen in: SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/60, Information 18/1978 für das Politbüro, S. 23. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/60, Information Nr. 112/1978 für das Politbüro des ZK, Reise des Gen. der IKP, Enrico Berlinguer, nach Paris, Moskau und Belgrad vom 4. bis 11. 10. 1978, Berlin 20.11.1978. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/60, Information Nr. 112/1978, S. 4.
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spanischen Kommunisten erneut Auftrieb erlangte. Am 28. Mai sprachen Berlinguer und Carrillo auf einer gemeinsamen Kundgebung in Barcelona. Den beiden schloss sich auch der Generalsekretär der Sozialistischen Einheitspartei Kataloniens, Antonio Gutierrez Diaz, an. Das Wort Eurokommunismus, undifferenziert als Engagement zur Stabilisierung und Verstetigung von demokratischen Prinzipien aufgefasst, fiel dort mehrmals: Genosse Berlinguer unterstrich desweiteren, daß diese Entscheidung nicht taktischer Art, sondern von grundlegender Bedeutung sei, weil sie uns durch die Entwicklung des historischen Prozesses in Europa und der Welt aufgezwungen wird. Unsere Entscheidung ist zu gleicher Zeit eine Klassen- und eine demokratische Entscheidung, und sie ist national und internationalistisch […]. Santiago Carrillo stellte fest, daß das erneute Zusammentreffen mit Enrico Berlinguer und die Entwicklung in Spanien Ausdruck für die Lebensfähigkeit des Eurokommunismus sind. Heute ist nicht nur Italien eine eurokommunistische Plattform, sondern auch Spanien, das sehr wichtige Fortschritte in der politischen und ideologischen Ausarbeitung gemacht hat. Der Weg ist nicht ohne Hindernisse, aber wir glauben, daß der Eurokommunismus einen breiten Weg und die ganze Zukunft vor sich hat.²⁴¹
So sehr die SED und generell der Ostblock, allen voran die KPdSU, die zwar noch nicht offiziell abgeschlossene, politisch jedoch evident erscheinende Abkehr des PCF vom reformistischen Eifer des westeuropäischen Kommunismus als Genugtuung empfanden, umso misstrauischer betrachteten sie die „Reihenschließung“ des PCI und der KP Spaniens, zumal sich jeweils beide, anders als der PCF, national im Aufwind befanden. Der Verweis auf Unterstützung durch eine schwächelnde Partei, wenngleich eine so prestigereiche wie der PCF, ließ sich nur bedingt in die eigene politische Propaganda einbeziehen. Die Abteilung Internationale Verbindungen der SED analysierte die Sitzung des ZK des PCI vom Juli 1978, in der die Aktualität des Eurokommunismus als politischer Strategie mehrfach begründet wurde.²⁴² Kommentatoren wiesen auf die wohl „prononcierteste“ Stimme hin: Sergio Segre habe in seinem Beitrag die Bedeutung und Notwendigkeit eines neuen, pluralistischen Internationalismus unterstrichen. Seine Stellungnahme basiere auf der Ansicht, dass im Weltkom-
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/60, Information 55/ 1978 für das Politbüro, Rede des Generalsekretärs der italienischen Kommunistischen Partei, Enrico Berlinguer, auf einer Kundgebung in Barcelona am 28. Mai 1978 mit dem Generalsekretär der SKP, Santiago Carrillo und dem Sekretär der Sozialistischen Einheitspartei Kataloniens, Antonio Gutierrez Diaz, am 29. Mai 1978, Berlin 21.06.1978, S. 3 – 5. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/60, Information 72/ 1978 für das Politbüro, Tagung des Zentralkomitees und der zentralen Kontrollkommission der IKP vom 24. bis 26. Juli 1978, Berlin 10.08.1978.
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munismus insbesondere während der letzten Dekade durch das Schwinden der Leitbildfunktion der Sowjetunion ein ideologisches Vakuum entstanden sei. Der „Beitrag aus dem Osten“ für den o.g. Typ des Internationalismus werde immer unbedeutender. Die Herausforderung des Eurokommunismus bestehe darin, einen Prozess sozialer Entwicklungen voranzubringen, der in Europa und in der Welt die Weichen für eine echte Demokratisierung stelle.²⁴³ Dieser „dritte Weg“ war und blieb der SED-Führung unbequem. Natürlich stimmte sie mit der theoretischen Argumentation ohnehin nicht überein, aber sie hatte auch kein Interesse daran, missionarisch auf westliche „Bruderparteien“ einzugehen und diese erneut zum Marxismus-Leninismus zu bekehren. Viel größere Sorge bereiteten ihr die politischen Konsequenzen, die aus einem Erfolg westeuropäischer Prinzipien (u. a. der Unterordnung unter die NATO und des Engagements in supranationalen Organen) herzurühren drohten und mit denen die „Eurokommunisten“ nun übereinzustimmen schienen. Es ging der SED folglich überwiegend um den eigenen Spielraum bzw. um die eigene Verhandlungsposition gegenüber einem im Moment besonders einflussreichen westeuropäischen Partner: dem PCI. Für die SED schienen sich Ende der siebziger Jahre jedoch die Anzeichen zu verdichten, dass sich die mit Abstand stärkste kommunistische Partei Europas, nämlich die italienische, auf eine Linie mit den traditionellen Sozialdemokratien begebe. Ein einigendes Zusammengehen mit der deutschen SPD betrachteten die Ostdeutschen als ein um jeden Preis zu vermeidendes Übel, für das sie jedoch eine Reihe von beunruhigenden Anhaltspunkten erblickten. So assoziierten die SED-Machthaber die Bemühungen der Italiener bezüglich des „Wachsens einer neuen Funktion“²⁴⁴ Europas mit einer zunehmenden Orientierung des PCI an „revisionistischen“, SPD-nahen Positionen. Dies sahen sie auch durch den Umstand bestätigt, dass beide Parteien ihre direkten bilateralen Verbindungen zueinander verstärkt hätten. Der Eurokommunismus, so interpretierten es die Ostdeutschen, beziehe somit auch sozialdemokratische Elemente ein und streife allmählich die Tarnkappe des vermeintlich „dritten Weges“ ab, um sich den traditionellen „Revisionismus“ etwa der Sozialistischen Internationale anzuverwandeln.²⁴⁵
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/60, Information 72/ 1978, S. 9 – 10. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/60, Information 79/ 1977 für das Politbüro, Rede und Interview des Generalsekretärs der IKP, Enrico Berlinguer, Quelle L’Unità vom 19./20. Juni 1977, Berlin 28.06.1978. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/60, Information 79/ 1977, S. 6.
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Analog zu seiner Kritik an der bisherigen marxistisch-leninistischen Strategie verkündete Berlinguer auf einer Kundgebung anlässlich des Unità-Pressefestes in Genua im September eine theoretische Erklärung zu der Frage, ob es tatsächlich neue, realisierbare Wege zum Sozialismus gäbe: Wir antworten, indem wir die Fragestellung umkehren. Weshalb sollte ein anderer als der sozialdemokratische und sowjetische und der in anderen sozialistischen Ländern praktizierte Weg nicht möglich sein? […] Von Italien aus haben wir unsere Blicke auf Europa, auf das kapitalistische Westeuropa gerichtet. In diesen Ländern trifft man auf einige gemeinsame grundlegende Bedingungen im Kampf für Demokratie und Sozialismus […]. Das Nahziel ist die Schaffung eines demokratischen, friedlichen Europas der Werktätigen […]. Man hat von Eurokommunismus gesprochen. In Wirklichkeit handelt es sich um Orientierungen und Konzeptionen einiger kommunistischer Parteien Westeuropas, welche die genannten gemeinsamen Merkmale und Ziele aufweisen.²⁴⁶
Aus Sicht der SED-Führung stellte dies einen weiteren Beleg für den „Rechtsschwenk“ des PCI dar. Da ein potentielles Abdriften zum „Reformismus“ nicht ohne praktische Konsequenzen für das bilaterale Beziehungsgefüge bleiben konnte, hieß es, man solle höchste ideologische Wachsamkeit walten lassen. Daraufhin wurden Zeitschriften, Magazine und Parteiveröffentlichungen der Italiener von ostdeutschen Beobachtern regelrecht durchforstet: Minutiös wurde jede auch noch so geringe Verschiebung in Ton und Praxis registriert. Besondere Aufmerksamkeit erregte ein Artikel Giuseppe Boffas, dem Theoretiker des PCI und Vertreter seines Intellektuellenflügels. Seine Ausführungen bezogen auch tagespolitische Themen wie beispielsweise den Austausch mit der SPD mit ein und wurden in der Unità abgedruckt, nicht etwa im theoretischen Blatt Rinascita, was von einer allgemeinen, auch „populären“ und besonders breiten Rezeption des Themas zeugte. Zu Beginn betonte Boffa, dass die vom PCI stark propagierte Überwindung der Blöcke unmittelbar Auswirkungen auf die Regimes in Osteuropa haben würde. Ein Umbruch in der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Struktur erfordere eine weitgreifende Entwicklung in den Mitgliedsstaaten des Warschauer Vertrags. In diesem Zusammenhang habe Boffa mit Genugtuung feststellen können, dass sich auch die SPD in „diese Richtung bewegt und sie [die SPD-Politiker] zu analogen Schlussfolgerungen gelangt sind.“²⁴⁷ Die Partei um SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/60, Information Nr. 90/1978 für das Politbüro, Rede des Gen. der IKP, Enrico Berlinguer, auf der Kundgebung zum Abschluss des Pressefestes der „L’Unità“ in Genua am 17. 09. 1978, Berlin 27.09.1978, S. 19 – 20. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/60, Information 99/ 1978 für das Politbüro, Artikel von G. Boffa „Die beiden Deutschlands – Perspektiven der Entspannung und der europäischen Arbeiterbewegung“ im Organ der IKP, L’Unità vom 2. Oktober 1978, Berlin 19.10.1978.
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Kanzler Schmidt erweise „Respekt und Aufmerksamkeit“ gegenüber der politischen Strategie des PCI, „was nicht erst seit heute in der deutschen Sozialdemokratie festzustellen ist.“²⁴⁸ Aus Angst vor einem zu engen und direkten Kontakt mit „eurokommunistischen“ Vertretern ließ die SED-Führung die Tagesordnungen von Begegnungen und Austauschveranstaltungen mit italienischen PCI-Vertretern entsprechend verändern. Hierüber klagte Renzo Imbeni in einer Notiz für den Vorstand im September 1978. Die von ihm geleitete PCI-Delegation habe in der DDR kaum Chancen gehabt, mit Bürgern direkt ins Gespräch zu kommen, und das Programm sei insgesamt zu „karg“ und „oberflächlich“ gewesen.²⁴⁹ Als weitere Bestätigung eines Kurswechsels im „eurokommunistischen“ Lager betrachtete die SED die Annäherung zwischen dem PCI und der KP Spaniens, die nun, nach dem ideellen Ausscheiden des PCF, ein fester Verbündeter der Italiener zu werden schien. Im Mundo Obrero war im Juli ein Interview mit Manuel Azcarate, Mitglied des ZK der Kommunistischen Partei Spaniens, erschienen, in dem er die Gründe für die Frontverhärtung mit dem PCF veranschaulichte. Aus der Analyse der Gegensätzlichkeit bezüglich der Europapolitik heraus hielt Azcarate fest, dass sich die Franzosen politisch stark gewandelt hätten und die Bezeichnung „eurokommunistisch“ nicht mehr verdienten.²⁵⁰ Einer knappen, handgeschriebenen Notiz Berlinguers vom Oktober 1978 ist die Strategie des PCI-Vorstands zum PCF Ende der siebziger Jahre exemplarisch zu entnehmen. Darin heißt es: „[…] Seit 1970 wurde der Zusammenhang zwischen Krise und Veränderungsdrang nicht immer begriffen […] Der PCF weist zehn Jahre Verzug auf.“²⁵¹ Das Bekenntnis zu einem vermeintlichen demokratischen Kommunismus wurde jedoch sogar dem PCI von verschiedenen Seiten streitig gemacht. Horst Ehmke, Mitglied im SPD-Vorstand, brachte beispielsweise in einem Text über die Lehre des „dritten Weges“ seine Skepsis über die Gültigkeit und Brauchbarkeit des Eurokommunismus zum Ausdruck: Wie gestalte sich denn das Verhältnis zur Sowjetunion bei den sogenannten „eurokommunistischen“ Parteien? Darauf hätten etwa der PCI oder die KP Spaniens, ganz zu schweigen vom PCF, in dem die stalinistische Komponente nach wie vor besonders einflussreich
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/60, Information 99/ 1978, S. 4. APCI, Sezione Estero, Busta 465, Fasc. 113, Nota di Renzo Imbeni, 20.9.1978. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/50, Information Nr. 67/1978 für das Politbüro, Interview von M. Azcarate, Mitglied des Exekutivkomitees der KP Spaniens, zu Fragen der internationalen Politik der KP Spaniens (Quelle: „Mundo Obrero“ 6. bis 12. Juli 1978), Berlin 31.07.1978. APCI, Arch. Berlinguer, Sez. Mov. Op. Int., 157, Appunti Berlinguer, Paris 5.10.1978.
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sei, nur vage Antworten gegeben.²⁵² Ehmke ging von der einfachen Annahme aus, dass auch weitgehend „emanzipierte“ kommunistische Parteien wie der PCI bei allem Erneuerungsimpuls auch ihrer jeweils eigenen, von der KPdSU geprägten Vergangenheit bzw. dem biografischen Hintergrund vieler ihrer Mitglieder Rechnung tragen müssten.Wie sich diese „Erblast“ auf neue Strategien auswirke, dazu wüsste Ehmke keine erfolgversprechende Lösung zu finden, weshalb er ipso facto die demokratische Entwicklung dieser Parteien in Abrede stelle. Es ist bezeichnend, dass in dieser Kritik auch die strukturelle Organisation kommunistischer Parteien Erwähnung fand. Wie solle man, hieß es, deren Bekenntnis zu Pluralität und Zivilgesellschaft als glaubhaft erachten, wenn sie weiterhin an einer zentralistischen Machtausübung festhielten?²⁵³ Ausgerechnet dieser Aspekt nahm in den Diskussionen des PCI im Jahr 1978 einen besonderen Stellenwert ein. Das Thema der demokratischen Umwandlung der Parteistrukturen wurde so intensiv erörtert, dass es zu einem der Schwerpunkte des bevorstehenden XV. Parteitags der italienischen Kommunisten wurde, der im Frühjahr 1979 in Rom stattfinden sollte. Das ZK berief eine ad hoc ernannte Kommission ein, zum Studium von Möglichkeiten und Lösungen zur Verschlankung des „Parteiapparats“.²⁵⁴ Dabei ging es vornehmlich um „Erneuerung“: Die Mehrheit der ZK-Mitglieder war der Ansicht, dass das Parteistatut obsolet geworden war, und regte eine umfassende Revision an. Die innere Struktur der Partei sei „unbeweglich“ und es komme zu „lästigen Überlappungen“, so etwa zwischen der Parteiebene und der parlamentarischen Fraktion. Beide Bereiche, so hieß es im Abschlussbericht, sollten besser getrennt voneinander geführt werden. Man solle auch separate Entscheidungsmechanismen einführen. Eine solche Trennung dürfe aber keineswegs die interne Geschlossenheit gefährden; vielmehr sei ein „Spagat zwischen traditionellem demokratischen Zentralismus und Modernisierung“ anzustreben. Die jüngste Wahl (Kommunalwahlen vom Mai 1978) habe mit den für den PCI bescheidenen Ergebnissen gezeigt, dass man Politik nicht ausschließlich „von oben“ machen dürfe. Die Basis – auch der Kulturverband Associazione Ricreativa e Culturale Italiana (ARCI) und die Gewerkschaften, vorrangig die CGIL – müssten verstärkt zur Kooperation animiert werden: „Oft wendet man sich ja an die nationale Leitung, manchmal an die jeweilige regionale Leitung, und keiner weiß
APCI, Sezione Estero, Microfilm 317, Testo di Horst Ehmke „La politica di distensione come fattore di movimento politico e sociale all’interno dei blocchi.“ APCI, Sezione Estero, Microfilm 317, Testo di Horst Ehmke, S. 2. APCI, Fondo Comitato Centrale, Busta 469, Fasc. 1, Commissione nominata dal CC „Per le strutture organizzative e per lo statuto del partito“, in preparazione del XV congresso nazionale, 20.9.1978.
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genau, wer die Entscheidungen treffen soll. So entscheidet man immer nur von oben. Das ist falsch. Man soll das Statut neu schreiben und den Unterkadern Mitbestimmungsmöglichkeiten erleichtern.“²⁵⁵ Durch seine Entscheidung für den „Pluralismus“ fühlte sich der PCI verpflichtet, den Austausch mit der Gesellschaft reger zu gestalten und auch an soziale Schichten zu appellieren, die nicht traditionell im kommunistischen Lager beheimatet waren. „Mehr Kommunikation!“ und „Mehr Demokratie!“ lauteten die häufigsten Devisen.²⁵⁶ Dass damit außerdem nicht nur Italien, sondern explizit die europäische Gesellschaft insgesamt gemeint war, wurde aus dem Leitprinzip des „Neuen Internationalismus“ deutlich, wonach der PCI sich vornehmlich auf den gesamten Kontinent – aufgefasst als gleichberechtigter Brückenkopf zwischen den beiden Supermächten – als seinen Aktionsradius konzentrieren sollte. Als unmittelbare Konsequenz dieser Richtungsvorgabe und zur Bestätigung des neuen Kurses trat die kommunistische CGIL 1978 sogar aus dem Weltgewerkschaftsbund (WGB) aus und verblieb lediglich im europäischen Verband EGB (Europäischer Gewerkschaftsbund).²⁵⁷ Unter den wichtigsten Beschlussvorschlägen der Kommission stach die Forderung nach einer beträchtlichen Entbürokratisierung der Partei hervor, die auf dem XV. Parteitag (1979) auch umgesetzt wurde. Beim V. Parteitag (1946) hatte das ZK 57 Mitglieder und 13 Kandidaten gezählt, die Direzione (nationale Leitung) 16 Mitglieder und 6 Kandidaten sowie das Sekretariat 5 Mitglieder (nach 1946: 7). Die Besetzung all dieser Posten wurde damals noch durch geheime Wahlen bestimmt. Seit dem VI. Parteitag (1948) waren die Leitungsstrukturen dann kontinuierlich ausgebaut worden: 110 ZK-Mitglieder, dafür aber zählte die Direzione nur 17. So änderte sich auch das Verhältnis zwischen dem ZK und der Direzione. Zwischen dem XI. (1966) und XIII. (1972) Parteitag zählte man zwischen 171 bis 190 ZK-Mitglieder (auch durch das Hinzukommen des PSIUP ab 1972); die Direzione zählte etwa 30, das Sekretariat blieb bei 7, das PB erreichte 17. Die wichtigste Erneuerung des XIV. Parteitags (1975) stellte wohl der Beschluss dar, das PB aufzulösen. Außerdem wurden weitere Mitgliederzahlen leicht verringert: das ZK kam nun auf 177, die Direzione auf 33, das Sekretariat auf 9. Mit diesen Korrekturen zielte die Parteileitung vor allem darauf ab, den Vorbehalten und dem Argwohn „bürgerlicher“ Kräfte im italienischen Parlament entgegenzutreten. Diese warfen den Kommunisten vor, trotz aller Bekenntnisse zur Demokratie intern immer noch „stalinistisch“ organisiert zu sein. Zweifels Genosse Quercioli in APCI, Fondo Comitato Centrale, Busta 469, Fasc. 1, Commissione nominata dal CC, S. 3. APCI, Fondo Comitato Centrale, Busta 469, Fasc. 1, Commissione nominata dal CC, S. 3 Vgl. Schoch, Die internationale Politik, S. 317– 318
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ohne spielte auch die Erfahrung des „roten Terrors“ in Italien, der seinen Höhepunkt mit der Ermordung Aldo Moros im Mai 1978 erreichte,²⁵⁸ eine besondere Rolle für die politische Entwicklung des PCI.²⁵⁹ Die strukturelle Neuordnung entsprach der Absicht des Vorstands, die gesamte kommunistische Bewegung, die sich weitestgehend mit dem PCI identifizierte, gegen Bezichtigungen einer ideellen Übereinstimmung mit den Terroristen der Brigate Rosse politisch und strategisch abzuschirmen. Daraus resultierte auch die äußerste Vorsicht im Umgang mit dem Mord an Moro, in dessen Folge die italienischen staatlichen Institutionen massiv unter Druck gerieten, u. a. aufgrund der durch die Medien vermittelten Wahrnehmung, sie hätten zu wenig für die Befreiung der Geisel unternommen.²⁶⁰ Die dadurch entfesselte Regierungskrise führte zur Auflösung des Kabinetts Andreotti im Juni 1979 und zur Ausschreibung vorgezogener Wahlen. Wie empfindlich das gesamte linke Lager, auch über die italienischen Grenzen hinaus, auf die Ermordung Moros reagierte, zeigt exemplarisch ein Zwischenfall, in den Bettino Craxi verwickelt war: Die Unità berichtete im September 1978 über einen Fauxpas des PSI-Generalsekretärs, dem vorgeworfen wurde, sich bei einer Tagung der SI diffamatorisch geäußert zu haben. Craxi habe mit Bezug auf die Ermordung des christdemokratischen Politikers erklärt, dass dabei „jemand blutdurstig gewesen sei“ bzw. dass der Tod Moros nun diese „Hämorrhagie beenden solle.“²⁶¹ Der anwesende Mitterrand verurteilte Craxis’ Stellungnahme aufs Äußerste und konstatierte, der Italiener habe der DC Grausames unterstellt.²⁶²
5.2 Der „Fall Moro“ und die SED Den chaotischen Zustand in Italien nach der Ermordung Moros ließ der SEDVorstand vor Ort durch den Einsatz von Informanten akribisch beobachten. Angesichts der außerordentlichen gesellschaftlichen und politischen Anspannung
Vgl. hierzu u. a. Corrado Belci, 1978: Moro, la DC, il terrorismo, Brescia 2006; Vittorio V. Alberti (Hg.), La DC e il terrorismo nell’Italia degli anni di piombo: vittime, storia, documenti, testimonianze, Soveria Mannelli 2008; ferner auch Petra Terhoeven, Deutscher Herbst in Europa: der Linksterrorismus der siebziger Jahre als transnationales Phänomen, München 2014. Vgl. Tobias Hof, Staat und Terrorismus in Italien: 1969 – 1982, München 2011. Einzige Ausnahme stellte der Generalsekretär der PSI, Bettino Craxi, dar, der sich für eine Vermittlung mit den Terroristen zur Befreiung Aldo Moros eingesetzt hatte. Vgl. Acquaviva u. Gervasoni, Socialisti e comunisti, hier S. 234– 235. L’Unità, Rivelazioni di Mitterrand sul PSI e la vicenda Moro, 12.09.1978. Mitterrand in L’Unità, Rivelazioni di Mitterrand sul PSI e la vicenda Moro, 12.09.1978.
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war deren Auffassung nach die Mobilisierung linker Kräfte zu Protestaktionen gegen die christdemokratische Regierung durchaus möglich. Ein Bericht der Hauptabteilung XX des MfS gibt hierüber Aufschluss: ‚Gerhard‘ befand sich Anfang April dieses Jahres im Auftrage seiner Dienststelle in Italien und hatte ein Gespräch mit dem römischen Korrespondenten S. Nach seiner Einschätzung befinde sich Italien in der tiefsten Krise seit dem II Weltkrieg. Zurzeit herrsche wegen der Moro-Affäre ein belagerungsähnlicher Zustand in Italien […]. Noch hielten sich die Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik und die Angst vor der Machtübernahme durch die Kommunisten die Waage. Die KPI gehe – um damit den Antikommunismus zu entkräften, in Wirklichkeit aber um vor ihm zurückzuweichen – immer noch weitere Schritte zur Umwandlung der Partei in eine sozialdemokratische Organisation westdeutscher Prägung […]. Zum Verzicht auf die Propagierung einer eigenen Theorie sei die systematische Entfernung von Arbeitern aus dem Parteiapparat, zumindest aus Führungspositionen bis zur unteren Ebene gekommen […].²⁶³
Die Funktion des PCI in innenpolitischen Angelegenheiten wurde ambivalent beurteilt. Einerseits verknüpften die Ostdeutschen große Hoffnungen mit der Aussicht auf eine Machtübernahme durch die Kommunisten; andererseits beurteilten sie den PCI als zu fügsam und nicht in der Lage, sich gegen den enormen antikommunistischen Druck von außen zu stemmen. So verwundert es kaum, dass auf der „Weltkonferenz der Kommunisten“ in Sofia, an der 73 Länder teilnahmen, die Aktualität und Gültigkeit des „realen Sozialismus“ mit erneuerter, geballter Kraft proklamiert wurde. Dies hob zumindest das ND hervor: In einem Artikel vom Januar 1979 wurde der reale Sozialismus zum „bestimmenden Faktor“ im Weltkommunismus erklärt, das Bemühen um den Kampf gegen die „imperialistische Hetze“ kompromisslos bekräftigt.²⁶⁴
Die ideologische Entwicklung des PCI Ende der siebziger Jahre und der „Bruch“ im Eurokommunismus Die zunehmende Orientierung des PCI an Westeuropa wurde von den Parteiführern als ideologisch unumgängliche Etappe auf dem Weg zur Bildung eines gleichberechtigten „Blocks Europa“ betrachtet, dessen Hauptaufgabe die Vermittlung zwischen den Supermächten und die Erarbeitung eines modernen Sozialismus sei. In den letzten Jahren der Dekade konkretisierte sich diese Annäherung an Westeuropa durch eine weitere Intensivierung der Kontakte zu sozialistischen und sozialdemokratischen Kräften, mit denen der PCI bündnis-
MfS, HA XX, 22543, Bericht über einen Treff mit „Gerhard“ am 10. 04. 1978, S. 1– 2. ND, Ein Weltforum der Kommunisten, 6.01.1979; vgl. ferner auch MfS – ZAIG, 11016.
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politische Allianzen zu schließen beabsichtigte. Indes gingen die Formen des Austauschs mit „real sozialistischen“ Parteien numerisch auffällig zurück, und sie zeitigten zudem im ideologischen Sinne kaum noch irgendwelche Fortschritte oder Annäherungen, auch was den Kontakt zur SED betraf.²⁶⁵ Der XV. Parteitag (1979) bekräftigte den „westeuropäischen Kurs“ des PCI und führte auch aller Welt vor Augen, wie weit die Positionen der Italiener von denjenigen der sozialistischen Staaten abwichen. War bis dahin der Akzent auf verschiedenartige Rahmenbedingungen bzw. auf spezifisch nationale Wege zum Sozialismus gesetzt worden, so schlossen nun die Chefideologen des PCI in ihre Argumentationen weitere Aspekte mit ein und offenbarten somit ihre grundlegende Differenz: Das prinzipielle Verständnis vom Marxismus habe sich gewandelt, wozu nicht nur pragmatisch-materielle Motive, sondern auch politische und kulturelle Faktoren beigetragen hätten.²⁶⁶ Der Bruch mit den staatssozialistischen Ländern und deren Gesellschaftsformen sei evident; darüber dürfe man sich nicht (mehr) im Namen einer doch anerkannten gemeinsamen Vergangenheit oder unter Bezugnahme auf „imperialistische“ Angriffe des Kapitals hinwegtäuschen. Es solle, ganz im Gegenteil, entsprechend gehandelt werden, gerade weil man an Werte wie Fortschritt und Freiheit glaube.²⁶⁷ Den Worten folgten dann wirklich auch Taten: Der PCI prangerte Anfang 1980 den Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan vehement an, anders als der PCF, der die KPdSU dabei unterstützte.²⁶⁸ Im Europaparlament bauten die Italiener ihre Zusammenarbeit mit sozialistischen und sozialdemokratischen Kräften aus; im Einvernehmen mit diesen pochten sie schließlich auf den prompten Abzug sowjetischer Truppen aus den besetzten Gebieten, im Gegensatz zum konzilianten PCF. Beim PCI bahnte sich somit eine neue ideologische Entwicklungsphase an, die durch eine vollständige Öffnung gegenüber dem liberalen und demokratischen Westeuropa gekennzeichnet war. In diesem Stadium sollte es möglich werden „und auch bereits vorgekommen sein, daß eine kommunistische Partei
Hierzu vgl. Schoch, Die internationale Politik, S. 318 – 319; ferner auch Giuseppe Are, Radiografia di un partito. Il PCI negli anni ’70, Mailand 1980, hier S. 175 – 219. APCI, Comitato Centrale, Microfilm 048, Discorso di Berlinguer al CC, 26.01.1978. APCI, Comitato Centrale, Microfilm 048, Discorso di Berlinguer al CC. Auch war die KPdSU erfreut gewesen, festzustellen, dass der PCF fest an seiner Anprangerung der NATO festhielt, nicht zuletzt aufgrund des umstrittenen NATO-Doppelbeschlusses vom Dezember 1979. Siehe hierzu RGANI, Gedächtnisstütze für das Gespräch des Generalsekretärs der KPdSU Leonid I. Breshnew mit dem Generalsekretär des PCF Georges Marchais am 11 Januar 1980, f. 81, op. 1, d. 387, S. 39 – 50.
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sich einer nichtkommunistischen Partei, Bewegung oder Regierung verwandter“ fühlte „als einer anderen kommunistischen.“²⁶⁹
6 Exkurs: Beziehungen auf Gewerkschaftsebene Italien und DDR Die mit dem PCI verbundene Massengewerkschaft CGIL konnte auf eine lange Geschichte direkter bilateraler Beziehungen zu ihrem ostdeutschen Pendant, dem FDGB, zurückblicken. Anfang der sechziger Jahre erlebten diese Verbindungen eine regelrechte Blütezeit, denn sie profitierten tatsächlich vom zustandegekommenen Format einer Mitte-Links-Regierung (centro-sinistra ²⁷⁰), das für die nächsten zwei Jahrzehnte in Italien vorherrschend sein sollte. Vor diesem Hintergrund erschlossen sich den Vertretern beider Gewerkschaften vielfältige Formen der Kooperation. Sie standen auf der Grundlage offizieller Abkommen, von denen eines bereits im Sommer 1959 unterzeichnet worden war: Es sah eine mannigfaltige Zusammenarbeit vor, von einer konzertierten wirtschaftspolitischen Strategie über Konzepte zur propagandistischen Beeinflussung des gewerkschaftlichen Sektors bis hin zu Programmen zur Rekrutierung neuer Arbeitskräfte.²⁷¹ Doch bereits ab Mitte der sechziger Jahre begannen sich dieselben Schwierigkeiten abzuzeichnen, die auch im Bereich der Parteibeziehungen aufgetreten waren. Es handelte sich meist um theoretisch-ideologische Differenzen, die im Laufe der 1960er Dekade aufgrund der internationalen Entwicklungen im Weltkommunismus an Schärfe zugenommen hatten. Eklatante Meinungsverschiedenheiten rührten zweifellos auch von den unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen her, in welchen CGIL und FDGB agierten bzw. von ihrem jeweiligen Verständnis ihres Verhältnisses zur Bezugspartei. So ließ sich ein für den ostdeutschen Partner zentrales Konzept wie die Funktion der Gewerkschaft als „Transmissionsriemen“ nur schwer für Italien übernehmen, denn es setzte eine eindeutige Unterordnung des jeweiligen Sektors unter die Partei voraus. War dies in der DDR möglich und im Rahmen der SED-Diktatur sogar erforderlich, so stieß es bei den italienischen Kommunisten und Sozialisten, die an die Rahmenbe-
Enrico Berlinguer, Rede auf dem XV. Parteitag, nach: Schoch, Die internationale Politik, S. 319. Hierzu siehe Massimiliano Marzillo, L’opposizione bloccata: PCI e centro-sinistra, 1960 – 1968, Soveria Mannelli 2012. SAPMO-BArch, Bestand FDGB, DY 34/8218; 8220.
6 Exkurs: Beziehungen auf Gewerkschaftsebene
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dingungen der politischen Arbeit in einer parlamentarischen Demokratie gewöhnt waren, auf Kritik und Zurückweisung.²⁷² Auf die Unabhängigkeit der Gewerkschaften von der Politik der Parteien pochend, taten sich rasch weitere Differenzen zwischen CGIL und FDGB auf. Die selbstbewusste Grundhaltung der italienischen Spitze konnte in der Tat bei jedem beliebigen Disput im europäischen Kommunismus zutage treten und lief auf eine latente Kritik an der hegemonialen Politik der SED-Führung hinaus, der ein fehlendes Gespür für Demokratie sowie für die Bedürfnisse der Arbeiterbewegung vorgeworfen wurde. Daraufhin machte sich ab Mitte der sechziger Jahre ein allgemeiner Rückgang der bilateralen Beziehungen bemerkbar, dem auch vorübergehende Phasen intensiver Übereinstimmung keinen wirksamen Einhalt gebieten konnten. Eine solche Phase enger Übereinstimmung erfuhren die Gewerkschaftsbeziehungen 1964 am Rande der ost-westdeutschen Propagandaschlacht. Die CGILFührung mit ihrem langjährigen Vorsitzenden Luciano Lama hatte Anfang der sechziger Jahre einer strategischen Annäherung an den westdeutschen Gewerkschaftsbund (DGB) zugestimmt. Dadurch wollte sie ihrem demokratischen Profil in der Öffentlichkeit neuen Glanz verleihen und sich offiziell mit einem durchaus einflussreichen Partner um die Geschicke von über 250.000 italienischen „Gastarbeitern“ in der Bundesrepublik kümmern.²⁷³ Der Vorstoß schlug jedoch fehl: Der westdeutsche Dachverband versagte sich einer Kooperation mit dem linksgerichteten italienischen Gegenpart und gab einer engen Zusammenarbeit mit der christdemokratischen CISL den Vorzug.²⁷⁴ Spitzenfunktionäre des FDGB erblickten darin die Möglichkeit zu einer für ihre eigenen Ziele politisch höchst interessanten und propagandistisch nützlichen Intervention. Angeregt wurde eine gemeinsame Aktion mit den italienischen Kollegen, die nicht zuletzt darauf abzielen sollte, das Agieren der westdeutschen Gewerkschaft, d. h. ihren ideologisch bedingten Verzicht auf Unterstützung durch sozialistische oder kommunistische Vertreter, kritisch aufzudecken und in Verruf zu bringen. Es fanden diverse Beratungen zu einem solch konzertierten Vorgehen statt, u. a. im September 1964 in Ost-Berlin, welche die Entschlossenheit beider Seiten unter Beweis stellten.²⁷⁵ Aus den Gesprächen gingen die exakten
Vgl. Pöthig, Italien und die DDR, S. 320 – 321. Hierzu pointiert Roberto Sala, Fremde Worte: Medien für „Gastarbeiter“ in der Bundesrepublik im Spannungsfeld von Außen- und Sozialpolitik, Paderborn 2011; Roberto Sala u. Giovanna Massariello Merzagora, Radio Colonia: emigrati italiani scrivono alla radio, Turin 2008. Vgl. Carlo Masala, Italia und Germania: die deutsch-italienischen Beziehungen 1963 – 1969, Köln 1998, S. 88 – 90. Masala, Italia und Germania, S. 90; vgl. ferner auch Pöthig, Italien und die DDR, S. 321– 322.
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Forderungen hervor, die an die Bundesrepublik gestellt werden sollten: Im Vordergrund standen der Schutz und die Ausweitung der Rechte der Einwanderer sowie ihre rechtliche „Normalisierung“ im Gastland, was u. a. den Anspruch auf eine gerechte Entlohnung (d. h. Gleichstellung mit deutschen Kollegen) und ein erweitertes Mitspracherecht sowohl gesellschaftlich (also durch das allgemeine Wahlrecht) als auch innerhalb der jeweiligen Betriebsräte erbringen sollte.²⁷⁶ Die gemeinsamen Bestrebungen zur Diskreditierung der Bundesrepublik bzw. ihres Vorgehens auf dem Felde der Arbeitspolitik fanden jedoch schnell ein Ende. Vorausschauend rang sich die CGIL am Ende dann doch dazu durch, dass der propagandistische Rekurs auf das Feindbild der undurchlässigen und harten westdeutschen Behörden wenig sinnvoll, da nicht sonderlich überzeugend war. Das Zusammengehen der CGIL mit der SED verunsicherte außerdem eher die mehrheitlich ohnehin linksgerichteten italienischen Gastarbeiter in Westdeutschland und machte sie für antikommunistische Parolen besonders empfänglich.²⁷⁷ Darüber hinaus fielen bedeutende theoretische Divergenzen ins Gewicht: Das im Januar 1963 in der DDR eingeführte Neue Ökonomische System (NÖS), das eine partielle Deregulierung des Arbeitsmarktes und eine höhere Eigenständigkeit der Produktionsbetriebe vorsah, missfiel den italienischen CGILFunktionären, weil dabei der traditionelle tarifliche Kampf der Gewerkschaften durch das Element der willkürlichen und individuellen Leistungsentlohnung ausgehebelt würde. Paradoxerweise hielt somit die CGIL dem FDGB Neoliberalismus vor, während sie gleichzeitig die strategische Entwicklung des DGB, der eine konsequente sektorenspezifische Tarifpolitik zu verfolgen schien, lobte. Die anfängliche Aktionseinheit zwischen CGIL und FDGB war damit definitiv vom Tisch. Nun artikulierten auch die Ostdeutschen ihre Bedenken gegenüber der Herangehensweise der Italiener, die angeblich danach strebten, lediglich die wirtschaftlichen Interessen der Arbeiter zu vertreten.²⁷⁸ Zu einem endgültigen Bruch in den Beziehungen kam es trotz dieser gegenseitigen Angriffe aber nicht. Die ostdeutsche Seite versuchte vielmehr ihre Kontakte zur CGIL, die in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre völlig der Anerkennungspolitik untergeordnet wurden, noch stärker zu politisieren. Tatsächlich setzte sich der italienische Gegenpart auch für das diplomatische Hauptziel der SED ein; allerdings ließ er sich nie auf die offenen Verleumdungen ostdeutscher Funktionäre gegenüber der
Vgl. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY 30/IV 2/20/254. Vgl. Masala, Italia und Germania, S. 96; Sala, Fremde Worte, S. 115 – 116. Vgl. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY 34/8220, Streng vertrauliche Information zu Fragen der internationalen Politik des Allgemeinen Italienischen Gewerkschaftsbundes (CGIL), 10.04.1962.
6 Exkurs: Beziehungen auf Gewerkschaftsebene
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Bundesrepublik ein, die Westdeutschland bei jeder passenden Gelegenheit zum Hort des Imperialismus und des Chauvinismus stilisierten.²⁷⁹ Ausgesprochen destruktiv sollte sich jedoch kurze Zeit später die Niederschlagung des „Prager Frühlings“ auf die bilateralen gewerkschaftlichen Verbindungen auswirken. Während die DDR die im westdeutschen Jargon als „Konterrevolution“ gedeutete militärische Invasion der Truppen des Warschauer Paktes vom August 1968 in die Tschechoslowakei kompromisslos unterstützte, stuften die Spitzen von PCI und CGIL den Einmarsch bekanntlich als inakzeptable Einmischung in fremde Angelegenheiten und als gravierende, unentschuldbare Gewaltanwendung ein. Die unüberbrückbaren Differenzen hierüber sollten weit über das Jahr 1968 hinausreichen und die gewerkschaftlichen Beziehungen bis zum Fall der Mauer und zum Zusammenbruch der „real sozialistischen“ Diktaturen belasten. Für weiteres Konfliktpotential sorgten Diskussionen innerhalb der CGIL bezüglich ihres möglichen Beitritts zum Weltgewerkschaftsbund (WGB). Der SEDFührung war an einem Beitritt der Italiener sehr gelegen, denn die „real sozialistischen“ Länder waren im Weltverband sehr stark vertreten und konnten somit erheblichen Einfluss auf die restlichen Mitglieder ausüben. Die italienische Gewerkschaft hing jedoch ebenso wie der PCI einer weitgehend auf dem Prinzip der Autonomie beruhenden Position an und machte sich eher für einen allgemeinen Verselbstständigungsprozess sozialistischer und kommunistischer Kräfte gegenüber der bipolaren Logik der Blöcke stark. Vor diesem Hintergrund bejahte sie zwar den Eintritt in den WGB, legte sich aber ausschließlich auf einen Assoziiertenstatus fest, der ihr in der Tat mehr Spielraum gewährte.²⁸⁰ Als die CGIL dann ein Jahr später dem von der SPD dominierten Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) beitrat, schienen die Grundlagen für eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen CGIL und FDGB gänzlich hinfällig. Aus ostdeutscher Sicht konzentrierte sich die „Beziehungspflege“ zu den italienischen Gewerkschaften vornehmlich auf ein Ziel: die Konsolidierung bestehender Kontakte mit Aussicht auf Profitmaximierung, d. h. die Verschaffung eigennütziger Vorteile im propagandistischen, politischen und nicht zuletzt materiellen Sinne. Die Vereinigung der drei wichtigsten italienischen Gewerkschaften CGIL, CISL und UIL, die 1972 erfolgt war,²⁸¹ hatte die Aufrechterhaltung des
SAPMO-BArch, Bestand FDGB, DY 34/8221, Abschlussbericht über die Betreuung der Gewerkschaftsdelegation aus Mailand, März 1968. Siehe Lorenzo Bertuccelli / Adolfo Pepe / Maria Luisa Righi, Il sindacato nella società industriale, Rom 2008, S. 103 – 104. Vgl. Adolfo Pepe / Pasquale Iuso / Simone Misiani, La CGIL e la costruzione della democrazia, Rom 2001, hier S. 378 – 380.
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jeweils bilateralen Dialogs mit dem FDGB zunächst gefördert und auch rein logistisch vereinfacht. Ebenso wie im parteipolitischen Bereich kam es dennoch auch auf Gewerkschaftsebene häufig zu Blockaden und Verhärtungen, die in manchen Fällen sogar zu einer zeitweisen Einfrierung der Beziehungen führten. Dies war z. B. 1979 der Fall, als die Sowjetunion in Afghanistan einmarschierte. Auch die Krise in Polen wirkte sich erwartungsgemäß negativ auf das Beziehungsgefüge aus. Dass in der italienischen Gewerkschaftsföderation die kommunistische CGIL eine Vorrangposition innehatte, konnte daran nichts ändern, zumal deren Generalsekretär Luciano Lama sich unverhohlen als Sozialdemokrat präsentierte und die SPD über alle Maßen lobte.²⁸² Als die allgemeine Konformität des italienischen gewerkschaftlichen „Dreigestirns“ mit der Linie der westeuropäischen Demokratien ab Ende der siebziger Jahre deutlich zutage trat, geriet die FDGB-Führung unter Zugzwang. Ihr hartnäckiges und oft prätentiöses Festhalten an der eigenen prosowjetischen Position, die ihr keinerlei Abweichung von orthodoxen Schemata erlaubte, setzte sie nun unter Druck, im Austausch mit Andersdenkenden der Verteidigung und positiven Darstellung eigener Leistungen mehr Gewicht einzuräumen. So ist auch zu erklären, dass der objektive Gehalt der Berichterstattung über entsprechende Begegnungen häufig in Mitleidenschaft gezogen wurde. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die ostdeutsche Gewerkschaftspolitik gegenüber dem PCI und der CGIL in den achtziger Jahren keine Veränderungen erfuhr.²⁸³ Das Taktieren und bewusste Ausweichen in Grundfragen der internationalen Politik bzw. der Versuch, Aussagen von Gegnern zu manipulieren, entsprach grundlegenden orthodox-ideologischen, zugleich aber auch realitätsverzerrenden Vorgaben; eine Praxis, die sich wie ein roter Faden durch die Gestaltung der Außenbeziehungen zu den italienischen Kommunisten zog.
Die Städtepartnerschaft Leipzig-Mailand Der partnerschaftlichen Verbindung der Stadt Leipzig mit der norditalienischen Großstadt Mailand, Hauptstadt der Region Lombardei, maß die SED-Führung eine bedeutende strategische Funktion zu. Mailand zählte zu den einflussreichsten Zentren Italiens, sowohl politisch als auch vor allem wirtschaftlich. Als Sitz der inländischen Börse galt es auch international als wichtiger Handelsplatz. Die
Pepe / Iuso / Misiani, La CGIL, S. 385. Archivio Confederazione Generale Italiana del Lavoro, Rom (fortan ACGIL), Bestand 01: Archivio Confederale: 2; 5 (1968 – 1980).
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SED-Führung hatte dort bereits eigene Einrichtungen geschaffen, so etwa eine Handelsvertretung und das Generalkonsulat. Zu Beginn der achtziger Jahre suchte die ostdeutsche Staatspartei durch angegliederte Nebenorganisationen wie etwa die Gewerkschaft FDGB regelmäßig Kontakt zu führenden italienischen Politikern und Gewerkschaftern. Dahinter stand die Überzeugung, dass der bilaterale Austausch und Diskussionen auf niedrigerer Ebene von den großen Differenzen der internationalen Politik bezüglich Ideologie und Praxis nicht unmittelbar berührt würden. Dies war jedoch nur bedingt der Fall, wie eine Unterredung zwischen Funktionären des FDGB und der CGIL im Juni 1980 zeigen sollte. Entsprechend einem Beschluss des Sekretariats des FDGB-Bundesvorstands vom Frühjahr 1980 und der Arbeitsvereinbarung zwischen dem Sekretariat des Bezirksvorstands Leipzig und dem Vorstand der CGIL der Region Lombardei hielten sich zwei ostdeutsche Gewerkschafter als Gäste der italienischen Schwesterorganisation bzw. der sogenannten Arbeitskammer (Camera del Lavoro) der Provinz Mailand in der italienischen Stadt auf.²⁸⁴ Relevant an diesem Besuch scheint vor allem, abgesehen von seiner ganz allgemeinen Bedeutung für die Aufrechterhaltung der Zusammenarbeit im Bereich der linksgerichteten Gewerkschaften, die Diskussion über einen von den ostdeutschen Gästen referierten Vortrag mit dem Titel „Rolle und Aufgaben des FDGB in der sozialistischen DDR“. Darin ging es vornehmlich um die Darstellung der geschichtlichen Entwicklung der DDR und ihrer Gewerkschaft „unter den Bedingungen der Klassenauseinandersetzung mit dem BRD-Imperialismus und die dabei für die DDR eingetretenen Verluste.“²⁸⁵ Vorgestellt wurden außerdem die sozialen Errungenschaften auf der Ebene der Arbeitsbedingungen: die rechtliche Stellung des FDGB; die von ihm geförderte Politik des Wachstums, basierend auf Stabilität und Vollbeschäftigung; die Gleichberechtigung der Frau; der Leistungszuwachs der Volkswirtschaft der DDR.²⁸⁶ Die italienischen Gastgeber begannen nach dem Vortrag eine rege Debatte, die sich um wirtschafts- und sozialpolitische Hauptfragen drehte.²⁸⁷ Die Fragen und Kommentare zum Vortrag von italienischer Seite standen nicht zuletzt unter dem Eindruck der zuvor stattgefundenen Wahlen, bei denen die italienische Linke eher mäßig abgeschnitten hatte. Der PSI war als gestärkte
MfAA, ZR 1210/87, Bericht über den Lektoreneinsatz des FDGB Bezirksvorstandes Leipzig in der Zeit vom 9. – 16. 06. 1980 in der Lombardei/Italien, Leipzig 24.06.1980. Es handelte sich dabei um Günter Blume, Mitglied des FDGB und Vorsitzender des FGDB Oschatz, und Ingrid Mußlick, politische Mitarbeiterin des FDGB, Abteilung Internationale Verbindungen. MfAA, ZR 1210/87, Bericht über den Lektoreneinsatz, S. 3. MfAA, ZR 1210/87, Bericht über den Lektoreneinsatz, S. 3 – 4. MfAA, ZR 1210/87, Bericht über den Lektoreneinsatz, S. 4– 5.
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Kraft daraus hervorgegangen, während der PCI gegenüber früheren Wahlen mehr als 5 % der Gesamtstimmen eingebüßt hatte. Bei der Bewertung des Wahlergebnisses gingen die Meinungen weit auseinander. Plädierten die leitenden Kader des PCI dafür, den Rückgang im Stimmenanteil nicht zu überbewerten, so warnten die Basisfunktionäre vor konzeptionellen Mißverständnissen in der politischen Linie des Vorstands.²⁸⁸ Diese Deutung der ostdeutschen Vertreter, insbesondere in Bezug auf die politische Sicht der linksgerichteten Gewerkschaft CGIL und ihrer Basis, ist problematisch. In italienischen Archiven fehlen zwar entsprechende Belege, die eine kritische Gegenüberstellung ermöglichen würden.²⁸⁹ Aber angesichts der allgemeinen „Wende“ hin zu einer eher sozialdemokratischen Politik, die der CGIL-Generalsekretär Luciano Lama bereits Ende der siebziger Jahre konsequent initiiert und gefördert hatte und durch die er ursprünglich sogar in Kontrast zur Führung des PCI geraten war, während die Gewerkschaftsbasis die neue Orientierung mehrheitlich hinnahm,²⁹⁰ erscheint die hier wiedergegebene Berichterstattung wenig glaubhaft. Es gab keine grundsätzlichen Differenzen zwischen PCI und CGIL zu dieser Zeit. Die Praxis der absichtlichen „Verdrehung“ und „Beschönigung“ von Stellungnahmen und Wortlauten Andersdenkender durch SED-Funktionäre stellte hingegen keine Seltenheit dar und wurde ab Anfang der achtziger Jahre aufgrund der sich verschärfenden, sowohl innen- als auch außenpolitischen Schwierigkeiten der DDR immer häufiger praktiziert. Dieser Verdacht erhärtet sich erneut am Ende des Berichts, wenn den italienischen Ansprechpartnern untergeschoben wurde, dass sie die Distanzierung der kommunistischen Partei von den Theorien des Marxismus-Leninismus bereuten oder nicht nachzuvollziehen in der Lage seien: Italienische Kollegen und Genossen, die das vertrauliche Gespräch mit uns suchten, bezeichneten solche Fragen als ehrlich und bewußt gestellt, um einerseits das Informationsdefizit in Bezug auf Einschätzungen und Positionen der Bruderorganisationen in den sozialistischen Ländern zu den brennenden internationalen Fragen zu komprimieren, und andererseits aus Zweifeln zu der außenpolitischen Linie der IKP und CGIL resultierend, welche immer mehr von den marxistisch-leninistischen Grundpositionen und Einschätzungen der Lage abgehen.²⁹¹
MfAA, ZR 1210/87, Bericht über den Lektoreneinsatz, S. 7. Die Information stammt von der Fondazione ISEC (Institut für zeithistorische Forschung) bei Mailand, welche auch die lokalen Archive des PCI beherbergt. Die Akten zur Städtepartnerschaft bzw. zur gewerkschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der Region Lombardei und Leipzig fehlen völlig. Vgl. Bertuccelli / Pepe / Righi, Il sindacato, S. 379 – 383. Bertuccelli / Pepe / Righi, Il sindacato, S. 8 – 9.
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Besuch einer Delegation des FGDB Erfurt in Italien 1980 Auf Einladung der Föderation der drei italienischen Gewerkschaften der Provinz Bolzano (Bozen) weilte eine Delegation des FDGB Erfurt im Juni 1980 in Italien.²⁹² Sie hatte die Möglichkeit, sowohl in Bolzano als auch in der Region Venetien mit Funktionären der Gewerkschaften CGIL, Confederazione italiana sindacati lavoratori (CISL) und Unione Italiana del Lavoro (UIL) sowie mit Politikern von PCI und PSI zusammenzutreffen und Gespräche zu führen. Der Abschlussbericht begann mit der Feststellung, dass der Aufenthalt in Italien als besonders erfolgreich einzuschätzen sei. Die Ergebnisse hätten bestätigt, dass es möglich und notwendig sei, derartige „unmittelbare Kontakte“ auf niedriger und mittlerer Ebene weiterhin zu nutzen und auszubauen.²⁹³ Als besonders wichtig erachteten die Berichterstatter drei Aspekte: Erstens habe der Aufenthalt der „prinzipielle[n] und praxisnahe[n] Propagierung der Vorzüge des realen Sozialismus und seiner Demokratie in der DDR“ gedient; zweitens sei die außenpolitische Strategie der SED in ihrer Übereinstimmung mit den Interessen der gesamten kommunistischen Weltbewegung erläutert sowie „konstruktive“ Aufklärungsarbeit gegen antikommunistische und antisowjetische Hetze geleistet worden; drittens habe man ein tieferes Verständnis der innerpolitischen Lage Italiens gewinnen können.²⁹⁴ Zumindest zweifelhaft scheint die Präzisierung zum zweiten Ergebnis, nämlich zur Erörterung der Außenpolitik der DDR und der kommunistischen Weltgemeinschaft, die im Text breiten Umfang einnimmt und u. a. lautet: Im Ergebnis der Arbeit der FDGB-Delegation konnten antikommunistische und antisowjetische Meinungen und Vorbehalte bei Gewerkschaftsfunktionären, insbesondere zu den Ursachen der Verschärfung der internationalen Lage zurückgedrängt werden und es wurde ihr Bekenntnis zum proletarischen Internationalismus im Sinne klassenmäßiger Einstellung zur Sowjetunion und zur sozialistischen Staatengemeinschaft gestärkt.²⁹⁵
Trotz aller nur vorhandenen Vorstellungskraft erscheint es sehr fragwürdig, dass der Erfurter Delegation in nur wenigen Tagen gelungen sein soll, was die KPdSU seit Jahrzehnten zu erreichen versuchte, nämlich die „Bekehrung“ der abtrünnigen „Eurokommunisten“ zum Marxismus-Leninismus. Unglaubwürdig erscheint
MFAA, ZR 1210/87, Bezirksvorstand FDGB Erfurt, Sekretariatsinformation über den Aufenthalt einer Delegation des Bezirksvorstands des FDGB Erfurt in Italien, Erfurt 2.07.1980. Die Delegation wurde vom Vorsitzenden des FDGB Erfurt, Karl Kuron, geleitet. MFAA, ZR 1210/87, Bezirksvorstand FDGB Erfurt, Sekretariatsinformation über den Aufenthalt einer Delegation des Bezirksvorstands des FDGB Erfurt in Italien, Erfurt 2.07.1980, S. 2. MFAA, ZR 1210/87, Bezirksvorstand FDGB Erfurt, Sekretariatsinformation, S. 2– 3. MFAA, ZR 1210/87, Bezirksvorstand FDGB Erfurt, Sekretariatsinformation, S. 3.
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darüber hinaus, dass eine solche Übereinstimmung mit SED-Vertretern ausgerechnet in Kreisen italienischer Gewerkschaften erzielt worden sein soll – zumal es sich hier vornehmlich um die CGIL handelte, bei der absolut kein „Ohr“ für kommunistisches Gedankengut sowjetischer Prägung offen war. Dennoch: Die SED-Beobachter wiesen des Weiteren im selben Duktus darauf hin, dass die Gespräche mit den Italienern Klarheit über die Rolle des „bundesdeutschen Imperialismus“ und die „entgegengesetzte historische Position“ der DDR als erstem sozialistischen Staat auf deutschem Boden geschaffen hätten.²⁹⁶ Der gesamte Text ist mit stark propagandistischen Begriffen durchsetzt, was die berechtigte Frage aufwirft, für wen eine solche Propaganda letztlich gedacht war. Ganz offensichtlich gehörte es zur Praxis und Routine der ostdeutschen Berichterstattung, Resümees von Gesprächen und Begegnungen mit Andersdenkenden durch rhetorische Mittel zu überhöhen. Dass dabei auch persönliche Hintergründe und Interessen eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt haben können, soll hier nicht ausgeschlossen werden. Die im SED-System stets prekär gehaltene Lage niederer Funktionäre, vor allem im lokalen Bereich, wirkte wie ein regelrechter Ansporn zur groben Übertreibung eigener politisch-propagandistischer Leistungen, denn nicht selten hing von Letzteren der Verlauf von Karrieren im staatlich institutionalisierten Rahmen ab.²⁹⁷ Zuletzt wurde in dem Bericht die Empfehlung ausgesprochen, die gewerkschaftlichen Beziehungen weiterhin auszubauen, da auf dieser Ebene angeblich hohe Einflussmöglichkeiten bestünden. Daraus ließe sich schlussfolgern, dass sich insbesondere die unteren und mittleren Kader der drei italienischen Gewerkschaften, einschließlich also der christlichen CISL und der gemäßigt sozialdemokratischen UIL, „für eine noch konkretere Sozialismuspropaganda“ eigneten.²⁹⁸
MFAA, ZR 1210/87, Bezirksvorstand FDGB Erfurt, Sekretariatsinformation, S. 4. Thomas Ammer, Strukturen der Macht – Die Funktionäre im SED-Staat, in: Jürgen Weber (Hg.), Der SED-Staat. Neues über eine vergangene Diktatur, München 1994, S. 199 – 232; Wolfram Adolphi, Kaderpartei. Skizze für ein HKWM-Stichwort, in: Utopie Kreativ 193 (2006), S. 982– 994; vgl. auch Gerd-Rüdiger Stephan, SED-interne Auseinandersetzungen und Disziplinierung in der Ära Honecker. Überlegungen zum Verhältnis zwischen totalitär verfasster Herrschaft und den Spielräumen innerparteilicher Diskussionen um das SED-Gesellschaftskonzept, in: Heinz Timmermann (Hg.), Die DDR – Politik und Ideologie als Instrument, Berlin 1999, S. 557– 578 sowie Hornbostel (Hg.), Sozialistische Elitenund Heinrich Best / Ronald Gebauer (Hg.), (Dys)funktionale Differenzierung? Rekrutierungsmuster und Karriereverläufe der DDR-Funktionseliten, (SFB 580 Mitteilungen 3), Jena 2002. MFAA, ZR 1210/87, Bezirksvorstand FDGB Erfurt, Sekretariatsinformation, Erfurt 2.07.1980, S. 5.
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Beziehungen des FDGB zur CGIL und zur UIL: zwischen Autonomie und Protest CGIL Im Frühjahr 1981 traf Giancarlo Meroni, PCI-Mitglied und hochrangiger Funktionär der CGIL, in der DDR-Botschaft in Rom mit einer Delegation der SED zusammen.²⁹⁹ Ziel der Unterredung war die Erörterung aktueller Fragen der internationalen Politik der Gewerkschaftszentralen bzw. der strategischen Schwierigkeiten innerhalb der Gewerkschaftsföderation CGIL-CISL-UIL. Im Vordergrund standen einerseits die Gestaltung von bilateralen Beziehungen zwischen der CGIL und ostdeutschen Partnern sowie andererseits die Regelung solcher internationalen Verbindungen im Rahmen des trilateralen Föderationspaktes. Zu Beginn informierte die Botschaft Meroni darüber, dass der Bundesvorstand des FGDB dem UIL-Generalsekretär Giorgio Benvenuto jüngst eine offizielle Einladung unterbreitet habe für den Besuch einer Delegation. Der Italiener erklärte sodann, dass sich die in der Föderation vertraglich vereinbarte Praxis nicht bewährt habe, wonach außenpolitische Aktivitäten im Einvernehmen mit allen Verbündeten im Voraus besprochen und ratifiziert werden sollen. Vor allem die UIL habe dieser Regelung mehrfach zuwidergehandelt und ihre Beziehungen zu sozialistischen Ländern eigenmächtig gepflegt und erheblich ausgeweitet. Dies habe wiederum zur Konsequenz gehabt, dass die Kontakte der CGIL zu osteuropäischen Staaten an Intensität verloren hätten, was in ihren Reihen zu einem Prozess des „Überdenkens“ geführt habe.³⁰⁰ Im Ergebnis sei die CGIL-Führung zu der festen Überzeugung gekommen, eine Wiederaufnahme der eigenständigen Beziehungen verstärkt fördern zu wollen, sowohl zu den ostdeutschen als auch den sowjetischen Kollegen,³⁰¹ die aufgrund der Differenzen über Afghanistan und Polen vorübergehend eingefroren worden waren. De facto galt das Interesse der italienischen Gewerkschaft der Aufrechterhaltung und Intensivierung des Austauschs mit einer möglichst breiten Palette an Ansprechpartnern, darunter auch mit solchen, die von SED und KPdSU als „unliebsam“ betrachtet wurden. In diesem Sinne hatte sich im Januar desselben
MFAA, ZR 1210/87, Botschaft Rom, Vermerk über ein Gespräch mit Giancarlo Meroni (PCI), Leiter der Abteilung IV der CGIL, am 18. 02. 1981, Rom 19.02.1981. MFAA, ZR 1210/87, Botschaft Rom, Vermerk über ein Gespräch mit Giancarlo Meroni (PCI), Leiter der Abteilung IV der CGIL, am 18. 02. 1981, Rom 19.02.1981, S. 1. In diesem Sinne wurde eine Delegation des FDGB zum CGIL-Kongress im November 1981, eine weitere vom Bundesvorstand des FDGB für 1982 eingeladen. Eine italienische Abordnung nahm an den Festveranstaltungen des 1. Mai in der DDR teil. Im Dezember 1980 weilte eine sowjetische Delegation auf Einladung der CGIL in Rom, eine Studiendelegation im Februar 1981. MFAA, ZR 1210/87, Botschaft Rom, Vermerk über ein Gespräch mit Giancarlo Meroni (PCI), S. 2.
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Jahres bereits eine Solidarność-Abordnung in Italien aufgehalten, später im Jahr sollte noch eine chinesische Delegation empfangen werden.³⁰² Intern, so berichtete Meroni weiter, sei die italienische Gewerkschaftsföderation mit erheblichen Problemen konfrontiert, die von Meinungsverschiedenheiten bezüglich der internen Machtverteilung und -ausübung herrührten. Zu den wichtigsten Eckpunkten dieser Auseinandersetzung zählten zum einen die Frage der paritätischen Besetzung der Organe der Föderation CGIL-CISL-UIL, zum anderen das Prinzip der Unvereinbarkeit von Gewerkschafts- und Parteifunktionen.³⁰³ Zu beiden Streitpunkten hatte PCI-Generalsekretär Berlinguer nur wenige Tage zuvor, am 15. Februar, auf der FIAT-Konferenz Stellung bezogen. Grundsätzlich hatte er sich gegen eine strikte Einhaltung beider Konzepte ausgesprochen, welche, so Berlinguer, wenn befolgt, die Flexibilität aller operierenden Gewerkschaftsgremien sowie die Koordinierungsarbeit mit den ihnen jeweils zugeordneten Parteien deutlich erschweren würden.³⁰⁴ Dem stimmte die Führung der CGIL weitestgehend zu, wenn sie sich auch bis dahin dazu gezwungen gesehen hatte, die umstrittenen Prinzipien zu respektieren, um einen Bruch mit ihren Verbündeten zu vermeiden.
UIL Wenige Monate später, im September 1981, sprach Luigino Scricciolo, Leiter der internationalen Abteilung der UIL, in der DDR-Botschaft in Rom vor. Das Treffen fand im Rahmen der regelmäßigen Kontakte der ostdeutschen Institution mit führenden Funktionären der italienischen Gewerkschaften statt, hieß es nur trocken im entsprechenden Bericht.³⁰⁵ In Wahrheit diente das Gespräch der Erörterung eines für den FGDB unangenehmen Vorfalls: Die UIL-Führung hatte wenige Tage zuvor einen längst vereinbarten und für Ende August geplanten Besuch in die DDR abrupt abgesagt.³⁰⁶ Als Grund dafür hatte sie in einer schriftlichen Stellungnahme Probleme im Rahmen ihrer Tätigkeit im EGB (Europäischen Gewerkschaftsbund) angeführt. Kurz zuvor war bekannt geworden, dass
MFAA, ZR 1210/87, Botschaft Rom, Vermerk über ein Gespräch mit Giancarlo Meroni (PCI), S. 2. MFAA, ZR 1210/87, Botschaft Rom, Vermerk über ein Gespräch mit Giancarlo Meroni (PCI), S. 3. MFAA, ZR 1210/87, Botschaft Rom, Vermerk über ein Gespräch mit Giancarlo Meroni (PCI), vgl. APCI, Fondo Berlinguer (Nachlass), Fasc. 173. MFAA, ZR 1210/87, Botschaft Rom, Vermerk über das Gespräch mit Luigino Scricciolo, Leiter der Internationalen Abteilung der UIL, am 3.09.1981, Rom 4.09.1981. MFAA, ZR 1210/87, Botschaft Rom, Vermerk über das Gespräch mit Luigino Scricciolo, S. 1.
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Giorgio Benvenuto, Generalsekretär der UIL, stellvertretender Vorsitzender des europäischen Dachverbands werden sollte, was letztlich zu einer Überschneidung von Verpflichtungen und Terminen geführt hätte.³⁰⁷ Im Verlauf des Gesprächs wurde zumindest indirekt ein weiterer hinderlicher Grund genannt, der in Scricciolos Ausführungen jedoch nur andeutungsweise auftauchte. Im Monat des ursprünglich geplanten DDR-Besuchs sollte nämlich eine hochrangige Delegation der Föderation CGIL-CISL-UIL am SolidarnośćKongress in Danzig teilnehmen, zu der auch die jeweiligen Generalsekretäre gehören sollten.³⁰⁸ Scricciolo betonte natürlich, dass „ein Zusammenhang zwischen der Absage der UIL hinsichtlich der Gespräche mit dem FDGB Ende August und der nunmehrigen Teilnahme einer UIL-Delegation unter Führung Benvenutos am Solidarność-Kongress Anfang 1980 nicht bestehe.“³⁰⁹ Allerdings hatte er vorausgeschickt, dass die Übernahme des Postens des stellvertretenden Vorsitzenden des EGB durch Benvenuto diesen auch verstärkt für Aktivitäten und Verantwortlichkeiten gegenüber westeuropäischen Gewerkschaften in Anspruch nehme. Trotz der weiteren Beteuerungen des Italieners, dass die Teilnahme der vereinten Gewerkschaftsführungen an der Solidarność-Versammlung den politischen Dialog und den Austausch mit Vertretern der sozialistischen Länder keinswegs schmälern würde, konnten die Mitarbeiter der Botschaft ihre Entrüstung kaum verbergen. Sie nahmen letztendlich doch Anstoß daran, dass die italienischen Gewerkschaften, allen voran die CGIL, „in der gegenwärtigen Phase die politische, moralische und sogar materielle [im Text hervorgehoben] Unterstützung von Solidarność massiv fortführen.“³¹⁰
Frankreich und DDR Die CGT und der FDGB waren bereits seit 1950 durch ein gemeinsames „Kampfabkommen“ formell miteinander verbunden.³¹¹ In dem Abkommen hatten beide
MFAA, ZR 1210/87, Botschaft Rom, Vermerk über das Gespräch mit Luigino Scricciolo, S. 1– 2. Für die CGIL der Generalsekretär Luciano Lama und der Sekretär Enzo Ceremigna; für die CISL der Generalsekretär Pierre Carniti und der Leiter der internationalen Abteilung, Emilio Gabaglio; für die UIL der Generalsekretär Giorgio Benvenuto und Luigino Scricciolo. MFAA, ZR 1210/ 87, Botschaft Rom, Vermerk über das Gespräch mit Luigino Scricciolo, S. 2. MFAA, ZR 1210/87, Botschaft Rom, Vermerk über das Gespräch mit Luigino Scricciolo, S. 2. MFAA, ZR 1210/87, Botschaft Rom, Vermerk über das Gespräch mit Luigino Scricciolo, S. 3. Hierzu Bibert, Schadensbegrenzung, hier S. 86; ferner auch Stefan Paul Werum, Gewerkschaftlicher Niedergang im sozialistischen Aufbau. Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund 1945 bis 1953, Göttingen 2005; Klaus Helf, Von der Interessenvertretung zur Transmission. Die Wandlung des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) (1945 – 1950), in: Hermann Weber (Hg.), Parteiensystem zwischen Demokratie und Volksdemokratie. Dokumente und Materialien zum Funktions-
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ihre Verpflichtung ausgedrückt, für Frieden und Fortschritt in Europa handeln zu wollen. Ab Anfang der sechziger Jahre hatte die SED, welche die Gewerkschaft dominierte, diese Verbundenheit jedoch ganz in den Dienst ihrer Anerkennungskampagne gestellt und somit die bilateralen Beziehungen zur CGT erheblich instrumentalisiert. Die Niederschlagung des „Prager Frühlings“ bewirkte zwar keinen Bruch zwischen beiden Organisationen; sie förderte jedoch grundlegende Meinungsverschiedenheiten zutage, die aus Sicht der FDGB-Führung auf eine „unterschiedliche Einschätzung der Gefahr der Konterrevolutionen“³¹² zurückzuführen waren. Diese Differenzen wurden jedoch schnell wieder vertuscht, spätestens nachdem die Parteiführung des PCF ihre anfängliche Kritik an der militärischen Intervention in der Tschechoslowakei revidiert hatte. So konnten die Turbulenzen des Jahres 1968 dem üblichen Delegationsaustausch keinen Abbruch tun.³¹³ In den folgenden Jahren bemühten sich beide Seiten um eine Intensivierung des bilateralen Austausches, was in der ersten Hälfte der siebziger Jahre de facto erreicht werden konnte. Die ostdeutschen Funktionäre bemühten sich dabei, direkten Einfluss auf die ideologische Entwicklung der CGT zu nehmen, indem sie u. a. prosowjetische Ansichten und deren Verfechter unterstützten.³¹⁴ Die Lage änderte sich allerdings in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre, als sich die französische Gewerkschaftsspitze der kritischen Haltung der Parteiführung gegenüber dem Ostblock anschloss und u. a. die umstrittene Ausbürgerung Wolf Biermanns Ende 1976 zum Anlass nahm, ihrer konträren Position erneut offiziell Nachdruck zu verleihen.³¹⁵ Vor diesem Hintergrund sah sich die SED-Führung dazu veranlasst, gegen antikommunistische und antisowjetische Verleumdungen vorzugehen; ihre im Ausland agierenden Mitarbeiter und Funktionäre stellte sie auf einen entsprechenden propagandistischen Kampf ein.³¹⁶ Das ideologische Ringen in den Fabriken war aus Sicht der SED-Spitzenfunktionäre durch den PCF verstärkt worden, war dieser doch darauf bedacht, sich den Primat in der Arbeiterbewegung zurückzuerobern. Werner Jarowinski merkte diesbezüglich an, dass die Partei in noch stärkerem Maße ihre Arbeit nach
wandel der Parteien und Massenorganisationen in der SBZ/DDR 1945 – 1950, Köln 1982, S. 339 – 386. Zit. Nach Bibert, Schadensbegrenzung, S. 88; vgl. auch Archiv der CGT, Institut dʼHistoire Sociale – Confédération générale du travail, Paris (fortan ACGT), Bestand: Europe: 5 CFD 123 – 125 (RDA; RFA). Vgl. Bibert, Schadensbegrenzung, S. 90. Vgl. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 258 – 261. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 457. SAPMO-BArch, DY 34/13110, Vorlagen und Konzeptionen für Reisen nach Frankreich 1976/77.
7 Der PCF zwischen Loyalität zu Moskau und forcierter Erneuerung
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innen richtet.³¹⁷ Der PCF sei zunehmend damit beschäftigt, der komplizierten Lage der Linksunion Herr zu werden und das „revisionistische Abdriften“ einiger seiner Mitglieder und Fraktionen zu korrigieren. Infolgedessen, so Jarowinski, habe sich beim PCF jüngst die Tendenz einer Hinwendung zu den Betrieben offenbart. Diese seien nämlich die wichtigsten „Zellen“ im politischen Leben, um die es zu kämpfen gelte. Auch die Gewerkschaften als traditioneller „Transmissionsriemen“ seien wieder verstärkt in den Fokus gerückt. Für diese Rückbesinnung führte Jarowinski neben den pragmatischen auch ideologische Gründe an: Der Eurokommunismus, resümierte er lapidar, sei dem PCF „fremd“ und fände in Paris keinen Widerhall. Zu unterschiedlich seien die sogenannten „eurokommunistischen Parteien“, was sie an einem einheitlichen Zusammengehen letztendlich hindere.³¹⁸
7 Der PCF zwischen Loyalität zu Moskau und forcierter Erneuerung Nach dem abrupten Zusammenbruch der Linksunion im September 1977 sah sich die Führung des PCF mit neuen dringenden Aufgaben konfrontiert. Vor allem galt es, den rapiden Abwärtstrend in der Wählergunst aufzuhalten; eine Erneuerung oder wenigstens eine Anpassung der politischen Strategie war vonnöten. Nach 1968 hatte der Vorstand Maßnahmen ergriffen, um der politischen und zum Teil auch gesellschaftlichen Isolation entgegenzuwirken, in die sich die Partei mit umstrittenen Entscheidungen, insbesondere hinsichtlich der Mai-Unruhen und der militärischen Intervention in Prag im Sommer 1968, hineinmanövriert hatte. In diesen Zusammenhang ist die Annäherung des PCF an den Anfang der siebziger Jahre in Wahlen noch weit unterlegenen PS einzuordnen, mit dem schließlich ein gemeinsames Programms erarbeitet wurde.³¹⁹ Der Allianz lagen wichtige politische Schwerpunkte zugrunde: eine in Aussicht gestellte Teilverstaatlichung etlicher Industriezweige – die Kommunisten plädierten zunächst für die vollständige Überführung unter staatliche Kontrolle –, eine
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/188, Bericht über den Besuch einer Delegation des ZK der SED vom 17. Bis 21. Januar 1977 in Frankreich (von Werner Jarowinski), Berlin 24.01.1977, hier S. 3. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/188, Bericht über den Besuch einer Delegation des ZK der SED vom 17. Bis 21. Januar 1977 in Frankreich, S. 8 – 9. Vgl. u. a. Marcus Obrecht, Die Parti communiste français (PCF), in: Sabine Ruß u. a. (Hg.), Parteien in Frankreich. Kontinuität und Wandel in der V. Republik, Opladen 2000, S. 221– 242, hier S. 224– 225.
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Kapitel 3: „Neuer Internationalismus“ und Opportunismus
schrittweise Entbürokratisierung der Staatsverwaltung sowie die programmatische „Vorbereitung“ der Gesellschaft auf den demokratischen Sozialismus. Der Schulterschluss mit den Sozialisten um Mitterrand, der seinerseits dem radikalen Flügel in seiner Partei, dem CERES, die Spitze hatte nehmen können, forderte dem PCF auch ideologische Kompromisse ab. Die Wahlallianz ging mit der Forderung einher, der PCF solle den Hemmschuh seines hergebrachten Antikonstitutionalismus abstreifen und die parlamentarische Demokratie bejahen. Von den französischen Kommunisten wurde eine schwierige Anpassung verlangt, die zu einer etappenweisen Umwandlung der Partei führte, zumindest programmatisch. Seinen Höhepunkt erreichte dieser Prozess 1976, als das bis dahin als unantastbar geltende, zum Bestandteil des Parteiprogramms gehörende Ziel der „Diktatur des Proletariats“ für hinfällig erklärt wurde. Auch strukturell wurde ab 1968 eifrig gearbeitet. Der Vorstand hatte aus den Turbulenzen jenes Jahres die Lehre gezogen, dass die traditionelle Ausrichtung auf Fabrikarbeiter bzw. eine Fixierung auf eine reine Arbeiterideologie zu überwinden war. So wurden weitere, meistens sozial benachbarte Gesellschaftsschichten wie Angestellte, Handwerker und Techniker ins Visier genommen.³²⁰ Die breitere Aufstellung zeitigte zunächst Früchte: Die Allianz erzielte bei den Parlamentswahlen 1973 ein sehr gutes Ergebnis. Allerdings entfiel der Zuwachs an Wählerstimmen hauptsächlich auf die Verbündeten, allen voran auf den PS.³²¹ Die innenpolitische Erneuerung fand ihre Entsprechung in einem außenpolitischen Kurswechsel, der unter dem Schlagwort Eurokommunismus vorangetrieben wurde. In diesem Rahmen intensivierte der PCF seine Verbindungen zum PCI und zu weiteren sozialistischen bzw. sozialdemokratischen Parteien Westeuropas. Die Partei engagierte sich im supranationalen Bereich, etwa im Europäischen Parlament, wo sie Teil der kommunistischen Fraktion wurde. So konnte sie zunächst partiell seine konstitutiv ablehnende Position zum NATO-Bündnis und der EWG abmildern. Als es im Oktober 1977 jedoch zum Bruch kam mit den rasch erstarkten Sozialisten um den Präsidentschaftskandidaten Mitterrand, bekam der PCF die Folgen seines programmatisch wie ideologisch schwachen Profils voll zu spüren. Bei den Parlamentswahlen 1978 erlebten die Kommunisten ein hartes Debakel: Im ersten Wahlgang konnten die Sozialisten knapp über 26 % der Stimmen auf sich
Den sogenannten aggiornamento (Erneurung) brachte zunächst Generalsekretär Waldeck Rochet voran, ab 1965.Vgl. Jean Vigreux, Le Parti communiste à l’heure de l’union de la gauche, in: Danielle Tartakowsky u. Alain Bergounioux (Hg.), L’union sans l’unité. Le programm commun de la gauche 1963 – 1978, Rennes 2012, S. 45 – 56; ferner Courtois u. Lazar, Histoire, hier S. 354– 355. Vgl. Obrecht, Die Parti communiste français, S. 224.
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vereinigen, rund 6 % mehr als der PCF, der damit in eine Sinnkrise geriet.³²² Zur Erklärung dieses Wahlergebnisses fallen mehrere Faktoren ins Gewicht, die aufs Engste miteinander verwoben waren. Zum einen sind die kulturellen Implikationen zu erwähnen: Nur mit beträchtlicher Verspätung im Vergleich zu anderen kommunistischen und sozialdemokratischen Kräften Westeuropas hatte sich der PCF besonders polarisierenden Themen wie Umweltschutz oder Frauenemanzipation zugewandt. Innerparteilich war die im Laufe der sechziger Jahre begonnene strukturelle Erneuerung nicht über erste Ansätze hinausgekommen: de facto hatte sich nichts am stark zentralistisch geprägten Parteigefüge geändert. Dass die Parteibasis fast unverändert überwiegend prosowjetisch eingestellt war, hatte sowohl einer politischen Öffnung im „eurokommunistischen“ Sinne als auch einer strukturellen Verschlankung im Wege gestanden. Aufgrund dieser starken Bindung an den sowjetischen „Bruder“ schien es dem PCF gegen Ende der siebziger Jahre folgerichtig, seine Beziehungen zum PCI und zur KP Spaniens, die in der zweiten Hälfte der Dekade zu den Hauptverfechtern des „dritten Weges“ zählten, etwas abkühlen zu lassen. Mit seiner Identitätskrise ringend und nach Möglichkeiten der politischen Profilierung suchend, erschien es dem PCF-Vorstand sinnvoll, die Orientierung an Moskau wiederaufzunehmen. Das von Marchais propagierte Verständnis für den Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan 1979 und später für die Verhängung des Kriegsrechts durch Jaruzelski in Polen 1982 zeigte mit aller Deutlichkeit, dass sich der PCF wieder auf die „Moskauer Linie“ begeben hatte.
7.1 Der PCF am Ende der siebziger Jahre Noch im März 1977 waren aus den Kommunalwahlen alle Parteien der Linksunion gestärkt hervorgegangen. Der PCF hatte in 22 Städten mit mehr als 30.000 Einwohnern gewonnen und konnte somit dort die Bürgermeister stellen; der PS in 33.³²³ Darauf aufbauend forderte die kommunistische Parteileitung von der Allianz eine Erneuerung des geltenden Paktes. Zu den Forderungen des PCF zählten u. a. eine breiter angelegte Verstaatlichung von Schlüsselindustrien und eine stärkere Kontrolle öffentlicher Unternehmen. Die Verhandlungen über diese Themen gestalteten sich allerdings von Anfang an schwierig. Marchais zeigte Vgl. Courtois u. Lazar, Histoire, hier S. 370; Frédéric Salmon, La cartographie électorale du PCF depuis 1978, in: Stéphane Courtois (Hg.), Communisme en France. De la révolution documentaire au renouveau historiographique, Paris 2007, S. 207– 223, hier S. 213 – 215. Vgl.Vigreux, Le Parti communiste, in: Tartakowsky u. Bergounioux (Hg.), L’union sans l’unité, S. 54; ferner Courtois u. Lazar, Histoire, S. 357.
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sich irritiert von der „Selbstgefälligkeit“ des PS und Mitterrand persönlich³²⁴ und stellte deshalb eigenmächtig am 9. September vor dem ZK einen möglichen Bruch in Aussicht. Dieser wurde de facto nur wenige Wochen später vom ZK ratifiziert. Auf einer außerordentlichen ZK-Sitzung Anfang Oktober gab der Generalsekretär zu Protokoll, dass der PCF nicht mehr gewillt sei, den Sozialisten Zugeständnisse zu machen.³²⁵ Damit nahm eine politisch-ideologische Krise ihren Ausgang, die durch ein weiteres, für die Partei besonders schmerzhaftes Ereignis verschärft wurde: Jean Kanapa, der wohl profilierteste Theoretiker des PCF, auf dessen Konto u. a. die Öffnung gegenüber „eurokommunistischen“ Prinzipien ging, verstarb nach langer Krankheit im September 1978. Bereits ab Mai desselben Jahres hatte er schon nicht mehr aktiv am Parteileben mitwirken können.³²⁶ Ihm war es bis dahin gelungen, den weit auseinanderstrebenden Tendenzen innerhalb der Partei – darunter auch potentiellen „Brandherden“ und Flügelkämpfen – weitgehend die Spitze zu nehmen und die Weichen für eine dringend notwendige Modernisierung zu stellen, aber: „Avec la disparition de Jean Kanapa, on assiste, semble-t-il, à un retour en arriere“, konstatiert Vigreux zu Recht.³²⁷ Der Krise und insbesondere dem erlittenen Identitätsverlust beabsichtigte der Vorstand mit einer Rückbesinnung auf „Tradition“ entgegenzuwirken, was in eine erneute Orientierung an der internationalen Politik der KPdSU mündete. Fehler wurden weder anerkannt noch analysiert, sondern dem PS und seiner „Effekthascherei“ zugeschoben. Die einschlägige Historiografie beschreibt dieses Einschwenken auf eine prosowjetische Position bzw. die Aufgabe alles „Eurokommunistischen“, wozu auch das Ende der politischen Zusammenarbeit mit den italienischen Kommunisten zählte, sinnbildlich als Beginn einer „Eiszeit“ für den PCF,³²⁸ die ihren Höhepunkt in den 1980er Jahren erreichen sollte.
„Georges Marchais s’inquiète toutefois de l’engouement qui existe pour François Mitterrand et le PS […]. Georges Marchais se braque sur les exigences communistes initiales de réactualisation et décide seul de la rupture du programme commun.“ Zit. nach Vigreux, Le Parti communiste, S. 55. „[…] Le PCF ne doit plus faire aucune concessions aux socialistes.“ Marchais in: Vigreux, Le Parti communiste, in: Tartakowsky u. Bergounioux (Hg.), L’union sans l’unité , S. 55. Vgl. seine Biographie von Gérard Streiff, Jean Kanapa. 1921 – 1978. Une singulière histoire du PCF, Paris 2002. Vigreux, Le Parti communiste, in: Tartakowsky u. Bergounioux (Hg.), L’union sans l’unité, S. 55. Vigreux spricht von „glaciation“ in Bezug auf die „Rückentwicklung“ des PCF Ende der siebziger Jahre, in: Vigreux, Le Parti communiste, in: Tartakowsky u. Bergounioux (Hg.), L’union sans l’unité, S. 55. Vgl. ferner u. a. Marc Lazar, Le communisme; Jean Vigreux u. Serge Wolikow (Hg.), Cultures communistes au XX. siècle. Entre guerre et modernité, Paris 2003.
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7.2 Ideologisch-politischer Hintergrund: zur Rolle des „Etatismus“ Das Zustandekommen der Linksunion bzw. die Bereitschaft des PCF zu einer Allianz mit anderen linken Kräften gründete auf einem ideologischen Kompromiss. Die Billigung des programmatischen Zusammengehens mit Kräften, die der parlamentarischen Demokratie zugehörig waren, schloss das Bekenntnis zum Konstitutionalismus bzw. zum Etatismus ein. Dies war für die französischen Kommunisten historisch besehen keine Selbstverständlichkeit.³²⁹ Bis in die sechziger Jahre war die Haltung des PCF zum Staat und all seinen Einrichtungen, auch aufgrund der besonderen Verbundenheit zur Sowjetunion bzw. der offiziell stets propagierten Position einer traditionell stalinistischen und zugleich im Westen agierenden Partei, klar und deutlich: Der Staat, Ausbund der Bourgeoisie, gehörte schlichtweg vernichtet.³³⁰ Während der sechziger Jahre vollzog sich diesbezüglich bei den französischen Kommunisten allmählich ein Umdenken, das in eine partielle Revision der Staatskritik mündete. Dies fußte aber nicht etwa auf einer höheren Wertschätzung des Staates per se, sondern vielmehr auf der Erkenntnis, dass die Kontrolle staatlicher Organe nützlich sein könne zur Weichenstellung für die anvisierte sozialistische Gesellschaft. Diese Logik führte zu der Annahme, dass die Bildung einer breiten Linksfront nach Wahlerfolgen eine wichtige Bedingung für die künftige Machtübernahme darstellte.³³¹ Dieses Einschwenken auf „etatistische“ Positionen, wenngleich nur um des strategischen Zwecks willen, bereitete dem PCF um das Jahr 1968 zunächst große Schwierigkeiten. Dessen Versäumnis, sich an die Spitze der Proteste von Studenten und Intellektuellen, die ausgerechnet gegen die von der Partei selbst als äußerst konservativ empfundene Staatsmacht gerichtet waren, zu stellen, ließ den Graben zwischen der Parteileitung und den radikaleren, dem PCF zugehörigen Kreisen weiterwachsen. So galt für trotzkistische oder maoistische Gruppierungen der PCF seitdem als diskreditiert und „staatsfreundlich“.³³² Wie Lazar hervorhebt, trafen bei der Erarbeitung des gemeinsamen Programms der Linksunion eigentlich zwei im Grunde gegensätzliche politische Kulturen aufeinander:
Hierzu Marc Lazar, La gauche et l’État: le „moment programme commun“, 1973 – 1978, in: Tartakowsky u. Bergounioux, L’union sans l’unité, S. 109 – 118. Siehe Lazar, La gauche et l’État, in: Tartakowsky u. Bergounioux, L’union sans l’unité, S. 111. Hierzu u. a. François Hincker, Rapport à l’État et alliances: la stratéie des PC d’Europe de l’Ouest, in: Communisme, Nr. 17, 1988, S. 21– 29; Annie Kriegel, Les Communistes français dans leur premier demi-siècle. 1920 – 1970, Paris 1985. Lazar, La gauche et l’État, in: Tartakowsky u. Alain Bergounioux, L’union sans l’unité, S. 113.
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die sozialistische (sozialdemokratische) des PS und die kommunistische des PCF, deren Unterschiede an der jeweiligen Haltung zum Staat besonders ersichtlich gemacht werden können. Etwas zugespitzt kann festgestellt werden, dass der PS den parlamentarischen bzw. den Wahlerfolg als Ziel betrachtete, während der PCF ihn lediglich als erste zu duldende Etappe auf dem Weg zur Etablierung des sozialistischen Staates deutete. Das Ergebnis war trotz aller Meinungsverschiedenheiten eine allgemeine „Auferlegung einer etatistischen Kultur“, bei der letztlich der PCF wichtige Elemente seiner politischen und ideologischen Identität für das Gelingen des gemeinsamen Projekts zumindest vorerst opfern musste.³³³ Die Konsequenzen waren mannigfaltig und prägten die Entwicklung des französischen Kommunismus in den achtziger Jahren nachhaltig. Auch stimmen Historiker bei der Analyse der Linksunion damit überein, dass sich der PS von Anbeginn der Verhandlungen mit dem PCF 1972 und sogar noch davor vor allem von opportunistischen Überlegungen leiten ließ. Zwei deutlich auseinandergehende Strömungen innerhalb des PS wurden dabei identifiziert: eine auf Inklusion und konstruktive Zusammenarbeit setzende und eine, u. a. von Mitterrand vertretene, die auf „kalte“ und lediglich zum Zweck des Machterhalts und -ausbaus Beziehungen setzte.³³⁴ Die letztgenannte Einstellung fand sich sowohl bei Sozialisten als auch bei Kommunisten, wenn auch aus zwei wie beschrieben antipodischen Blickwinkeln. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der PCF unter dem Druck der Allianzverpflichtungen bzw. der schlechteren Wahlergebnisse gegenüber dem PS zu einer etatistischen Politik verleitet wurde. Dem muss hinzugefügt werden, dass breit angelegte Verstaatlichungen im Industriesektor oder Selbstverwaltung sogar dem PS bis Ende der sechziger Jahre keine fremden Begriffe waren.³³⁵ Dies änderte sich jedoch rasch, als die konjunkturelle Schwäche im Land ab Mitte der siebziger Jahre die Sozialdemokraten dazu veranlasste, ihre sozialökonomische Strategie von Grund auf zu revidieren. Mit der Verkündung der Austeritätspolitik und ihrer Umsetzung ab 1981 nach der Ernennung Mitterrands zum Staatspräsidenten wandelte sich auch das Verständnis vom Staat unter den Sozialisten: Wurde er bis dahin als Mittel zur Erneuerung betrachtet, diente er nun dem Erhalt des Status quo im stark reformistischen Sinne. Dies führte im mitregierenden PCF zu mangelnder Offenheit gegenüber modernisierenden Impulsen, ideologischer Unbe-
„Reste à comprendre précisément comment se réalise ce que j’appelle l’imposition d’une culture étatique.“ Lazar, La gauche et l’État, in: Tartakowsky u. Alain Bergounioux, L’union sans l’unité, S. 113. Alain Bergounioux u. Gérard Grunberg, L’Ambition et le remords. Les socialistes français et le pouvoir (1905 – 2005), Paris 2005, hier S. 262. Lazar, La gauche et l’État, in: Tartakowsky u. Alain Bergounioux, L’union sans l’unité, S. 115.
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weglichkeit und förderte nicht zuletzt weiterhin den Gegensatz zu den Intellektuellenkreisen, die sich allmählich von der Partei abwandten und sie mit harscher Kritik überzogen.³³⁶
8 SED, PCF und PCI nach dem Bruch der Linksunion In einem Kommuniqué der KPdSU an den PCF vom Oktober 1979 appellierten die Sowjets an den Verstand und die Vernunft der Pariser „Genossen“. Sie brachten ihre Besorgnis über die Pläne der NATO zum Ausdruck, Raketen in Mitteleuropa zu dislozieren. Wenn es dazu käme, so hieß es im Kommuniqué, sähe sich die Sowjetunion dazu gezwungen, Gegenmaßnamen einzuleiten, um dem Ungleichgewicht vorzubeugen. So sei es Aufgabe der sozialistischen Länder und der „Bruderparteien“, für den Frieden zu arbeiten. Das Dokument zeigt, dass der PCF zu diesem Zeitpunkt ganz und gar in „antiimperialistische“ Manöver eingespannt und als gleichberechtigter Partner in der sozialistischen Gemeinschaft gehandelt wurde.³³⁷ Nach dem Bruch der Linksunion 1977 war die Wiederannäherung des PCF an den Ostblock und die KPdSU offensichtlich. Auf der Suche nach Identität und politischem Sinn des Handelns sowie angesichts einer rasch schwindenden Wählergunst lag die Wiederausrichtung auf die Politik der UdSSR nahe. Auch die propagandistische Rhetorik gegen den PS, dem die Hauptverantwortung für das abrupte Ende der Allianz zugewiesen wurde, wurde im Unterton entsprechend angepasst. Gérard Streiff weitete die Kritik auf das gesamte sozialdemokratische Lager Westeuropas aus. In einem Artikel für die France Nouvelle griff er die SI an, die angeblich zu einem Mittel des Kapitalismus und US-amerikanischen Imperialismus verkommen sei, weil sie durch die SPD und den PS dominiert werde. Die SI habe sich, hieß es weiter, der europäischen „Großbourgeoisie“ geopfert und bediene sich deren Unterstützung, um die Arbeiterbewegung inklusive der kommunistischen Parteien und der Gewerkschaften vor ihren Karren zu spannen.³³⁸ Sogar konservative Kräfte teilten die Ansicht der Kommunisten, wonach der PS
Hierüber u. a. Christine Buci-Glucksmann, Gramsci et l’État, Paris 1975; Nicos Poulantzas, La Crise de l’État, Paris 1976; Étienne Balibar, Sur la dictature du prolétariat, Paris 1976. APCF, Polex, 264 J 17, Boite 2, Dossier 1, Communiqué du PCUS au PCF, Oktober 1979. „Tout montre qu’elle [die Sozialdemokratie] demeure pour la bourgeoisie européenne le meilleur recours pour imposer au mouvement ouvrier sa politique d’adaptation à la crise […].“ Gérard Streiff, La social-démocracie sanctionée, in: France Nouvelle, 29.09.1979.
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sich absichtlich der Zusammenarbeit bedient habe, um sich ihrer nach getaner Arbeit anschließend zu entledigen.³³⁹ Vor den utilitaristischen „Kniffen“ der kontinentalen Sozialdemokratie wollte der PCF auch den PCI ausdrücklich warnen. In einem Brief vom Januar 1979 an Berlinguer verwies Marchais auf die Gefahr einer ideologischen Abschwächung der kommunistischen Parteien, wenn sich diese auf Formen der erweiterten Zusammenarbeit und des Austauschs mit sozialdemokratischen Parteien einließen.³⁴⁰ Der Franzose rief die italienischen „Genossen“ zu erhöhter Wachsamkeit auf, denn es sei offensichtlich, dass beispielsweise der PS ausschließlich darauf bedacht sei, den Graben zwischen sich und kommunistischen Vertretern zu vertiefen und propagandistisch auszunutzen.³⁴¹ Die Übereinkunft von Mitterrand und Segre in Paris einen Monat später konnte der PCF-Führung folglich kaum gefallen,³⁴² ging letztere ja davon aus, dass der PCI nicht ganz unempfänglich für „revisionistische“ Ideen war. Dass der PCI eine gewisse Affinität zu angeblich revisionistischem und reformistischem Gedankengut aufwies, hielten die Ost-Berliner Machthaber mittlerweile für gesichert. Trotz der medial inszenierten Harmonie mit dem PCI³⁴³ stimmten SED-Beobachter darin überein, dass sich die italienischen Kommunisten nun endgültig vom Marxismus-Leninismus abgewandt hätten und dass deshalb Korrekturen in der eigenen bilateralen Strategie erforderlich seien. Gespräche in Ost-Berlin Anfang Februar 1979 bestätigten die tiefgehenden Meinungsverschiedenheiten. Die Italiener bestanden auf ihrer Interpretation des „dritten Weges“ und nahmen dessen Lehre als inspirierende Quelle für ihr politisches Handeln in Anspruch. Dies bezeichnete die SED als „defensiv“ und irreführend, denn so etwas wie einen dritten Weg gebe es überhaupt nicht.³⁴⁴
„Leur ambition d’alors: gagner en abandonnant le programme commun, affaiblir le parti communiste […].“ So Giscard d’Estaing in: APCF, Archives Paul Laurent, Boite 23, Ce qui manque à l’Union, Oktober 1979. APCI, Sezione estero, Microfilm 400, Lettera di Marchais a Berlinguer, 5.01.1979. APCI, Sezione estero, Microfilm 400, Lettera di Marchais a Berlinguer. L’Unità, Cordiale colloquio tra Segre e Mitterrand ieri a Parigi, 20.02.1979. L’Unità, Cordiale incontro a Berlino fra Honecker e G.C.Pajetta, 9. 2.1979. Dort sprachen sich die Beteiligten „floskelhaft“ für die Intensivierung der bilateralen Verbindungen aus. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/61, Information für das Politbüro des ZK der SED Nr. 23/79, Gespräche mit Giancarlo Pajetta, Mitglied der Nationalen Leitung und des Sekretariats des ZK der IKP (6 – 9. 02. 1979), Berlin 13.02.1979. „Genosse Pajetta hat in den Gesprächen die bekannten Sonderpositionen der IKP dargelegt. Er trat allgemein defensiv auf (‚dritter wegʼ), war von der Darlegung des Standpunktes der SED beeindruckt (Rolle der sozialistischen Demokratie) und zeigte bei der Behandlung einiger Fragen Unsicherheit (NATO, China) […].“ Vgl. S. 4.
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Ähnlich skeptisch zeigten sich die Ostdeutschen bezüglich des Thesenentwurfs für den XV. Parteitag des PCI 1979 in Rom. Der PCI-Vorstand unterschätze maßlos die „antikommunistische Umarmungstaktik“ maßgeblicher Kräfte der DC und der „Monopolbourgeoisie“ – wogegen sich sowohl an der Partei- als auch an der Gewerkschaftsbasis Unzufriedenheit ausbreite. Außerdem halte er weiterhin an einem „illusorischen“ dritten Weg fest.³⁴⁵ Zum „dritten Weg“ äußerte sich im Sommer der italienische Generalsekretär persönlich. In einer programmatischen Rede vor dem ZK und vor den Vertretern der zentralen Kontrollkommission der Partei bestätigte Berlinguer die Gültigkeit und Brauchbarkeit des umstrittenen Begriffs. Den Eurokommunismus beschrieb er als Versuch, einen Weg zur sozialistischen Umgestaltung des Westens zu erschließen, als ein Bemühen der Arbeiterbewegung um eine Lösung der Krise des Kapitalismus. Damit habe sich eine Alternative entwickelt, die verschieden sei von der im Laufe der Geschichte in den sozialistischen Ländern umgesetzten Form und die sich ebenso von der soziademokratischen Politik unterscheide.³⁴⁶ Vom 9. bis zum 13. Mai 1979 fand der XXIII. Parteitag des PCF in Saint-Ouen statt. Der Kongress stand im Zeichen der ideologisch-politischen Krise, die sich seit dem Ende der Linksunion noch verschärft hatte. Auch mit den Gewerkschaften, besonders mit der traditionell kommunistischen CGT, gestaltete sich die Zusammenarbeit eher schwierig. Der Schwäche der Partei wollten CGT-Funktionäre mit einer resoluten Strategie entgegensteuern: Dazu zählten u. a. aggressive Tarifverhandlungen und keine Duldung fremder Einmischung, auch nicht durch Parteien. Der PCI hielt die Lage für besonders besorgniserregend. Der PCF sei in sich zerrissen, interne Fronten zwischen den Flügeln verhärteten sich und die Parteileitung habe eine konservative Politikrichtung eingeschlagen: Sie lehne grundsätzlich die EWG und deren Erweiterung ab.³⁴⁷ „Real sozialistische“ Politiker dagegen begrüßten die Rückkehr des PCF zu marxistisch-leninistischen Positionen ausdrücklich. Kurt Hager und Boris Ponomarjow konstatierten, dass der XXIII. Parteitag des PCF positive Veränderungen gezeitigt hätte. Vor allem eine: „Rechte Opportunisten“, welche die „Klassenpo-
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/59, Information für das Politbüro Nr. 28/1979, Einschätzung des Thesenentwurfs für den XV. Parteitag der IKP (20.– 25. März 1979), Berlin 16.02.1979. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/61, Information, Tagungen des ZK und der Zentralen Kontrollkommission der IKP vom 2. bis 5. Juli 1979 und am 10. 07. 1979, Berlin 13.07.1979. APCI, Sezione estero, Microfilm 410, Marchais apre a St. Ouen il XXIII Congresso del PCF.
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sition“ der Partei zu unterminieren gesucht hatten, seien zurückgewiesen worden.³⁴⁸
Italienische und französische Kommunisten vor neuen Herausforderungen Noch im Mai 1979 demonstrierten die beiden Generalsekretäre der westeuropäischen kommunistischen Parteien trotz des allmählichen Zerfalls der „eurokommunistischen Achse“ Einigkeit und Entschlossenheit im gemeinsamen Vorgehen gegen den gemeinsamen „Feind“. Mit dem Motto „Zusammen arbeiten für ein friedvolles, demokratisches und fortschrittliches Europa“ traten sie vor einer beachtlichen Menge versammelter Arbeiter im Marseiller Fußballstadion auf.³⁴⁹ Die Kundgebung diente der Mobilisierung der traditionellen Anhängerschaft am Vorabend der ersten Direktwahl zum Europaparlament³⁵⁰ und konnte trotz allem Schein nicht darüber hinwegtäuschen, dass die bestehenden ideologischen Differenzen kaum noch zu überbrücken waren. Teil derselben gemeinsamen Wahlkampfstrategie war zudem die Zusammenkunft wichtiger Vertreterinnen der Frauenorganisationen der Parteien, die Ende April in Paris über künftige Formen der Zusammenarbeit berieten.³⁵¹ Trotz des guten Ergebnisses bei der ersten Direktwahl zum Europaparlament, bei der die kommunistische Fraktion, angeführt vom Italiener Giorgio Amendola, 44 Sitze erzielen konnte (24 entfielen allein auf den PCI), kam es gleich zu Beginn zu gravierenden Meinungsverschiedenheiten. Gremetz und Segre einigten sich auf einen bezeichnenden Kompromiss: Die Italiener würden den Fraktionspräsidenten stellen, die Franzosen einen Vizepräsidenten. Außerdem wurde vereinbart, dass jede beteiligte Länderdelegation eine beratende Untergruppe zu organisieren hatte, die selbstständig die eigene Politik bestimmen sollte.³⁵²
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV 2/2.035 35, Niederschrift einer internen Beratung von Vertretern kommunistischer und Arbeiterparteien sozialistischer Länder am Mittwoch 4. 07. 1979, S. 7. Zum PCI wurde hingegen mit Enttäuschung festgestellt, dass die Partei die These vom dritten Weg zum Sozialismus bestätigt habe. Hier S. 16. L’Unità, Marchais e Berlinguer alla grande manifestazione di Marsiglia „Lavorare insieme per un’Europa di pace, di democrazia e sviluppo“, 20.05.1979. So auch die Rede Berlinguers auf der zentralen Turiner Piazza S. Carlo am 22.05.1979. Die Europawahl war für den 10. Juni angesetzt. Vgl. L’Unità, Il discorso di Marchais, 22.05.1979. APCI, Sezione estero, Microfilm 410, Incontro tra comuniste italiane e francesi, 30.04.1979. Den Delegationen gehörten u. a. an: für den PCF Giselle Moreau, Marie Terese Goutmann und Rolande Perlican; für den PCI Adriana Lodi, Erias Belardi und Eletta Bertani. APCI, Sezione estero, Microfilm 411, Nota per Berlinguer, Incontro con Gremetz, 2.07.1979.
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8.1 Zwischen Détente und Wiederverschärfung des Kalten Krieges Die scheinbare Sorglosigkeit im „internationalen Konzert“ während der zweiten Hälfte der siebziger Jahre, die mit der Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki einen vorläufigen Höhepunkt erreicht hatte, erlebte an der Schwelle zur neuen Dekade ein jähes Ende. Das Zusammenspiel verschiedener Faktoren löste eine Kettenreaktion aus, die zu einer Wiederverschärfung des Ost-West-Antagonismus führte. Im November 1979 sorgte die Besetzung der amerikanischen Botschaft in Teheran für Verwerfungen. Ziel der Einbrecher war die Auslieferung des Schahs, der sich seit Ausbruch der iranischen Revolution in amerikanischer Obhut aufhielt. Einen Monat später wurde der NATO-Doppelbeschluss unterzeichnet, der zunächst Abrüstungsverhandlungen mit der UdSSR, im Falle deren Scheitern die Dislozierung von über 500 Raketen (Pershing und Cruise) in westeuropäischen Staaten vorsah. Die Gespräche schlugen tatsächlich fehl. So wurde der zweite Schritt als Reaktion auf den beachtlichen Aufrüstungstrend der Sowjetunion gerechtfertigt. Insbesondere wurde dabei auf die Aufstellung von sowjetischen Raketen vom Typ SS-20 abgehoben, die eine unmittelbare Bedrohung für die NATO-Ostgrenze (insbesondere für die Bundesrepublik) darstellten.³⁵³ Die Spannung zwischen den Blöcken wurde um ein Weiteres durch die sowjetische Invasion Afghanistans Ende 1979 erhöht, auf die US-Präsident Jimmy Carter mit einer grundlegenden Revision seiner Außenpolitik reagierte, indem er von Bemühungen um eine Détente abrupt zu einer Politik der Stärke zurückkehrte. Die Welt war binnen weniger Monate in die Logik des Kalten Krieges zurückgefallen.
Zum PCF In einem Kommuniqué des PB vom Januar 1980 bekräftigte der PCF seine Solidarität mit der KPdSU sowie seine Unterstützung bei der militärischen Invasion Afghanistans durch sowjetische Truppen.³⁵⁴ Dem schloss sich Generalsekretär Marchais an und ergriff dabei die Chance, Giscard d‘Estaing und „seine Konservativen“ einer harschen Kritik zu unterziehen. Diese würden die Vorfälle in Afghanistan nur propagandistisch ausnutzen, um die Außenpolitik der Sowjetunion zu diffamieren. Der französische Staatspräsident habe sich mit seiner offenen Hierzu vgl. u. a. Rolf Steininger, Deutschland und die USA: vom Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart, Reinbek 2014; Jürgen Maruhn u. Manfred Wilke (Hg.), Raketenpoker um Europa: das sowjetische SS-20 Abenteuer und die Friedensbewegung, München 2001. APCF, Polex, 264 J 17, Boite 2, Dossier 1, Communiqué du PB sur la situation en Afghanistan, 4.01.1980.
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Anprangerung des sowjetischen Vorgehens unmissverständlich und endgültig auf eine Linie mit den „Imperialisten“ Carter und Schmidt begeben. Sein damit unter Beweis gestellter „Atlantismus“, der sich durch eine Stärkung der USA, die Bewaffnung Pakistans sowie die Erschließung von lukrativen Waffenexporten für Frankreich auszeichnete, stelle eine akute Gefahr für den Weltfrieden dar. Vor diesem Hintergrund seien der PCF und die CGT gleichsam dazu gezwungen, wieder eine „klassenmäßige Politik“ aufzunehmen und zu propagieren.³⁵⁵ Innenpolitisch manövrierte sich der PCF allmählich in die Isolierung, obgleich viele in der Partei die Hoffnung auf Wiederbelebung der pragmatischen Allianz mit den Sozialisten noch nicht aufgegeben hatten. Ungeachtet aller Differenzen schloss auch der PS-Vorstand die Möglichkeit eines Zusammengehens mit den Kommunisten zum Zweck eines Sieges bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen (1981) nicht vollständig aus.Vor diesem Hintergrund sorgte im Frühjahr 1980 eine Stellungnahme des PS-Senators Edgard Pisani, Mitarbeiter Mitterrands und engster Vertrauter von Michel Rocard, einem der profiliertesten Politiker der Partei, für Unmut, da sich dieser darin besonders abschätzig über die Pariser „Genossen“ äußerte und somit die potentielle Wiederaufnahme der Kontakte gefährdete. Dies wuchs sich rasch zu einer Affäre aus, welche den gesamten PS destabilisierte.³⁵⁶ Mittlerweile tobten die Proteste gegen die reformistische Politik der Regierung Giscard d‘Estaing³⁵⁷, von denen sich der PCF großen Nutzen versprach. Eine kommunistische Vertretung leitete die Protestaktionen in Carcassonne am 14. März. Unruhen in etlichen Fabriken in Rennes (21.3.) und Possy (10.5.) polarisierten die Öffentlichkeit und verliehen dem linken Spektrum im Endspurt vor den Wahlen 1981 erheblichen Auftrieb.³⁵⁸ Wem dies jedoch letzten Endes zugutekam, sollten die Ergebnisse des Urnengangs ein Jahr später mit aller Deutlichkeit zeigen.
APCF, Polex, 264 J 17, Boite 2, Dossier 1, Discours de Marchais: „Note sur quelques questions d’actualité“, 2.1.1980. APCF, Archives Paul Laurent, Boite 22, Affaire Pisani, 16.02.1980. Ferner auch Le Figaro, 16.02.1980, in dem es hieß: „Edgard Pisani, Sénateur de la Haute-Marne, parlementaire européen, membre du comité directeur de son parti, proche collaborateur du prétendant numéro un à la succession a F. Mitterrand, l’ancien ministre de l’Agriculture du général de Gaulle, rallié au PS peu après les Assises au Socialisme en 1974 […]. En déclarant au club de presse que si le candidat communiste arrivait en tête de la gauche au première tour il irait a la pèche a la ligne au second tour, Edgard Pisani, très proche de Michel Rocard, a déclenché la tempête au sein de la majorité du parti socialiste […].“ Hierzu u. a. Serge Berstein, Les années Giscard: les réformes de société, 1974 – 1981, Paris 2007. Vgl. APCF, Archives Paul Laurent, Boite 22.
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PCF und PCI „Es mangelt nicht an Propheten, die den Tod des Eurokommunismus verkünden“³⁵⁹, schrieb Gérard Streiff 1980 in einem Artikel über die Doktrin. Nichtsdestoweniger, unterstrich er weiter, sei der Eurokommunismus weiterhin lebendig und äußerst aktuell. Ob Streiffs Sichtweise der offiziellen Haltung des PCF entsprach, muss an dieser Stelle bezweifelt werden. Im Januar 1980 empfing Berlinguer Marchais zu Gesprächen in Rom. Am weitesten gingen ihre Meinungen zur sowjetischen Mission in Afghanistan auseinander, während auch Differenzen hinsichtlich der Beurteilung der sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien Westeuropas bestanden. Der Franzose billigte die militärische Intervention in dem asiatischen Land, die ihm aus sicherheitspolitischen Gründen gerechtfertigt schien. Außerdem nahm er seine Partei in Schutz, die einen wichtigen Beitrag zum Friedenserhalt bzw. gegen die Stationierung von amerikanischen Raketen auf europäischem Boden geleistet habe. Berlinguer kommentierte die Äußerungen von Marchais nur knapp und gab zu bedenken, dass die prosowjetische Politik des PCF große Probleme in sich berge, auch für die bilaterale Zusammenarbeit. Eine „unkritische“ Bevorzugung der „real sozialistischen“ Länder, wie sie der PCF gewähre, sei nicht nur außen-, sondern auch innenpolitisch wenig sinnvoll, denn man verbaue sich damit schlichtweg eine strategische Annäherung an sozialdemokratische Kräfte. Marchais weigere sich schließlich, das NATO-Bündnis und den Warschauer Pakt auf ein und dieselbe Stufe zu stellen.³⁶⁰ Aus französischer Sicht nahm die Verschärfung der Ost-West-Feindlichkeit für die künftige Ausrichtung der nationalen Politik eine übergeordnete Stellung ein. Plädierte Berlinguer für eine qualitative Aufwertung des linken Lagers in Europa, das nach seinen Worten die Rolle eines „Magneten und Mittels“ in den Händen der Supermächte abstreifen sollte, um sich zu einem selbstständigen dritten Pol zu entwickeln, beharrte Marchais auf dem Prinzip des „proletarischen Internationalismus“, aus dessen Perspektive der PS, die SPD und „alle anderen“ doch nur als Instrumente des Kapitalismus fungierten und somit zu meiden seien.³⁶¹ Wenige Tage später referierte Gaston Plissonnier im ZK-Plenum über die aktuellen politischen Entwicklungen. Sein Bericht gab klaren Aufschluss über die ideologische Orientierung des PCF Anfang der achtziger Jahre. Bezeichnend war dabei sein Angriff auf den PS, vor allem auf Mitterrand, weil dieser „dem nationalen Weg“ den Rücken gekehrt habe. Seine Abwendung vom Nationalen lasse
APCF, 261 J KKK J (Dossier), Streiff sur l’Eurocommunisme, 21.04.1980. APCI, Sezione estero, Microfilm 8002, Incontro Berlinguer-Marchais, Rom 5.01.1980. APCF, Polex, 261 J 2/56 – 57, Rencontre à Rome, 5.01.1980.
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sich an drei entscheidenden Punkten festmachen: an seiner Befürwortung der (west‐)europäischen Integration, an der Billigung der Aufstellung amerikanischer Raketen in Europa und schließlich an der Kritik des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan.³⁶² Die bürgerliche und sozialdemokratische Presse in Frankreich reagierte empört auf die Unterstellungen der Kommunisten und holte zum Gegenangriff aus. Für den Matin de Paris bestand kein Zweifel daran, dass Marchais direkt von Moskau „indoktriniert“ sei. Der Parteivorstand zeigte daraufhin Härte und beschloss, die Zeitung wegen Diffamierung zu verklagen. Marchais verteidigte und bestätigte vor dem ZK die offizielle Haltung der Partei gegenüber dem PS und fügte hinzu, es sei offensichtlich, dass Mitterrand ein Bündnis mit Giscard d‘Estaing eingegangen sei und die Arbeiterbewegung völlig aufgegeben habe.³⁶³ Die Beziehungen des PCF zum PCI waren seitdem von zunehmender Skepsis und Unverständnis gekennzeichnet. Antonio Rubbi, hochrangiger PCI-Funktionär und Außenminister im „Schattenkabinett“ seit der zweiten Hälfte der siebziger Jahre, informierte Ende Januar Berlinguer am Vorabend eines bilateralen Treffens mit einer PCF-Delegation in Rom, dass Gremetz den Inhalt der Unterredungen mit den italienischen „Genossen“, anders als sonst üblich, nicht in seinen Bericht für das ZK integriert habe, da die dabei festgestellten Meinungsverschiedenheiten zu gravierend gewesen seien. Er kommentierte schließlich spöttisch, dies sei eine typische Verhaltensweise für eine Partei älteren Typs, die in schwierigen Momenten „auf stur schalte.“³⁶⁴ Als die Delegationen der beiden Parteien schließlich Anfang Februar in Rom zusammenkamen, verzeichneten die italienischen Kommunisten auf Seiten der Franzosen eine spürbare „Überheblichkeit“. Eine Meldung für das ZK beschreibt den Vorfall wie folgt: Gremetz zeigt sich sehr selbstsicher und überheblich: Der PCF wird sicherlich die Präsidentschaftswahl gewinnen, sagt er. ‚Und wenn der sozialistische Kandidat gewinnen sollte?ʼ fragt Lina Fibbi. Gremetz: ‚Es gibt kein wenn. Das ist unmöglich und absurd! […]‛. Fortwährender Widerspruch über Afghanistan und Zusammenarbeit mit Realsozialisten […]. Gremetz: ‚Aber glaubt ihr an die Friedenspolitik der UdSSR?ʼ Rubbi: ‚Was aktuell gewichtig ist, sind nicht die Glaubensbekenntnisse, sondern die Taten!ʼ […]. PCF pikiert drüber, daß sich der PCI mit Sozialdemokraten zusammentut […]. Fibbi braust auf und während der
APCF, Polex, 261 J 2/56 – 57, Rapport de Gaston Plissonnier au CC, 21.01.1980. APCF, Polex, 261 J 2/56 – 57, Résolution du CC, 20.03.1980. APCI, Sezione estero, Microfilm 8002, Nota di Antonio Rubbi per Berlinguer su incontro Berlinguer-Marchais, Rom 28.01.1980. Rubbi abschließend: „Vecchia scuola, vecchio stile, che ritorna invariabilmente in voga nei momenti difficili.“
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Auflistung der Meinungsverschiedenheiten mit dem PCF, die Gremetz machte, gibt sie zu erkennen, die beiden Parteien seien sich in nichts einig.³⁶⁵
Der PCI beharrte auch nach dem Treffen weiterhin auf seiner Kritik an der sowjetischen Intervention in Afghanistan. In diesem Zusammenhang kündigte er an, er würde keine Delegation zur Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien nach Paris (28. – 29. April 1980) entsenden, wofür er sich eine offizielle Rüge durch die KPdSU gefallen lassen musste.³⁶⁶ Für Unmut sowohl beim PCF als auch bei der SED hatte zuvor noch die Meldung gesorgt, dass Berlinguer und Brandt in Straßburg zu einem informellen Gespräch zusammengekommen waren. Letzterer soll dem Italiener bei dieser Gelegenheit seine Hochachtung ausgedrückt und den breiten Aktionsradius des PCI gelobt haben, der bekanntlich weit über die „kommunistischen Grenzen“ hinausreiche. Er sprach sich jedoch gegen eine Formalisierung der bilateralen Beziehungen aus, denn es gäbe nach wie vor zu viele Kreise, die eine solche Annäherung nicht wünschten.³⁶⁷ Wenige Tage später traf Berlinguer auch mit Mitterrand zusammen. Letzterer klagte über den kompromisslosen Kurs der französischen Kommunisten, der einen Wahlsieg der Linken gegen Giscard d’Estaing sehr gefährde. Er versicherte aber, dass der PS trotz aller Gegensätze an der Aufrechterhaltung guter Beziehungen zum PCF interessiert sei. Weder die einschlägigen italienischen noch französischen Archivalien berichten Näheres über den weiteren Inhalt des Gesprächs. Festzuhalten ist, dass der KPdSU diese Zusammenkunft nicht gefiel. Amerigo Terenzi beschreibt die Erbitterung der Sowjets in einem Brief an Giancarlo Pajetta. Terenzi hatte Generalsekretär Berlinguer auf einer Reise nach Indien, Äthiopien und schließlich Moskau begleitet, wo die italienische Delegation von hochrangigen KPdSU-Funktionären empfangen wurde. Andrei Smirnow sei während des Treffens plötzlich aufbrausend geworden, schreibt Terenzi, und habe das jüngste Treffen Berlinguers mit Mitterrand vehement kritisiert. Dieses sei sowohl politisch als auch propagandistisch schädlich. Außerdem ähnele die Haltung des PCI zur Afghanistan-Krise den Positionen des US-Präsidenten.³⁶⁸
APCI, Sezione estero, Microfilm 8002, Nota dei compagni Antonio Rubbi e Lina Fibbi sull’incontro coi compagni del PCF Gremetz e Streiff in Paris 31. 01. 1980, Rom 4.02.1980, S. 3 – 4. APCI, Sezione estero, Microfilm 8007, Nota del compagno Cervetti sul suo viaggio a Mosca del 17. 04. 1980, Rom 19.05.1980. APCI, Sezione estero, Microfilm 8005, Nota sull’incontro Berlinguer-Brandt, 12. 03. 1980 in Strassburg, S. 6. APCI, Sezione estero, Microfilm 8005, Lettera di Amerigo Terenzi a Giancarlo Pajetta, 20. 06. 1980, S. 3.
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Der Widerspruch gegen die Intervention in Afghanistan hatte für den PCI weitreichende Konsequenzen. Vor allem hatte er mit aller Deutlichkeit vor Augen geführt, dass die Außenpolitik der UdSSR mit dem „eurokommunistischen Kurs“ der Italiener bei aller Kompromissbereitschaft nicht mehr vereinbar war. Im vorangegangenen April hatte „Genosse“ Giovanni Cervetti die Entscheidung des PCIVorstands persönlich in Moskau übermittelt, wonach der PCI nicht an der bevorstehenden Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien in Paris teilnehmen würde. Zagladin hatte die Nachricht zum Anlass genommen, die „zweigleisige“ und „diffamatorische“ Politik der italienischen Kommunisten anzuprangern.³⁶⁹
Die SED und Frankreich Der außenpolitische Spielraum der DDR hatte sich aufgrund des sich rasch verschärfenden Ost-West-Konflikts erheblich verringert. Das ostdeutsche Außenministerium fiel zurück in eine unkritische, durchweg negative Beurteilung „alles Westlichen“, wie die informatorische Aufarbeitung der Politik der französischen Regierung beispielhaft belegt. In einem von der DDR-Botschaft in Paris erstellten Dossier über die Entwicklung der Beziehungen Frankreichs zu den Ländern der sozialistischen Staatengemeinschaft wurde von den Autoren gleich vorab betont, dass dabei Züge sichtbar würden, die auf eine Konvergenz „gesamtimperialistischer“ Politik hindeuteten.³⁷⁰ Dem Wortlaut ist unverkennbar eine Überschätzung der politisch-ökonomischen Leistung der Ostblockländer, allen voran der Sowjetunion, zu entnehmen, bei gleichzeitiger Verurteilung des NATO-Bündnisses, das die Schuld am Scheitern der Entspannungspolitik trage. Im Allgemeinen ist festzustellen, dass die Kommentatoren im DDR-Außenministerium keine eindeutige Ausrichtung der französischen Außenpolitik erkennen konnten. Bei aller Kritik an ihrer atlantischen, pro-amerikanischen Haltung wurde ihr gleichzeitig eine relative Selbstständigkeit konzediert, die einen Grund zur Hoffnung darstelle. Des Weiteren wurde festgestellt, dass der Umfang des französischen Außenhandels im vorangegangenen Jahr (1979) weiter zugenommen habe.³⁷¹ Durch die
APCI, Sezione estero, Microfilm 8007, Nota del compagno Cervetti, S. 13. MFAA, ZR 2557/82, Botschaft der DDR in Frankreich, Die Entwicklung der Beziehungen Frankreichs zu den europäischen Ländern der sozialistischen Staatengemeinschaft, 15.12.1980, S. 1– 4. „Materieller Ausdruck dafür ist die Tatsache, daß der Umfang des französischen Außenhandels mit den Mitgliedsstaaten des Warschauer Vertrags 1979 weiter zugenommen hat und auf 7322,4 Mio. Dollar gestiegen ist, obwohl sich sein Anteil am Gesamtaußenhandel Frankreichs
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Zuspitzung des Konkurrenzkampfes auf dem Weltmarkt habe sich auch das Interesse der Regierung Giscard d‘Estaing an „stabilen Wirtschaftsbeziehungen zu den sozialistischen Staaten“ vergrößert. Die bilaterale Zusammenarbeit mit der Sowtjetunion stagniere allerdings, merkten die Kommentatoren an.³⁷² Im Frühjahr 1980 hatte der Präsident der französischen Nationalversammlung, Jacques Chaban-Delmas, einen Besuch in der Sowjetunion abrupt abgebrochen, und zwar aus Protest gegen das aggressive außenpolitische Gebaren des Gastlandes³⁷³. Während des restlichen Jahres kam kein weiterer Spitzenpolitiker der KPdSU mehr mit französischen Repräsentanten zusammen, mit Ausnahme des sowjetischen Außenministers Gromyko. Ähnlich verhielt es sich mit den Verbindungen zur DDR.³⁷⁴ In einem Bericht der Botschaft der DDR in Paris hieß es, Giscard d’Estaing habe in einem jüngsten Interview zwar beteuert, er sehe kein Hindernis für einen Staatsbesuch in der DDR, habe sich aber auf einen genaueren Zeitplan nicht festlegen können oder wollen.³⁷⁵ In der Tat besuchten später im Jahr 1980 zwei französische Delegationen Ostdeutschland; der von DDR-Seite erhoffte Durchbruch in den bilateralen Beziehungen konnte aufgrund der angespannten internationalen Lage jedoch nicht erzielt werden. Im April 1980 besuchte Olivier Stirn, Staatssekretär beim Minister für auswärtige Angelegenheiten der französischen Republik, die DDR. Bei dem Treffen anwesend waren u. a. Joelle Timsit, Leiterin der Unterabteilung Zentraleuropa im französischen Außenministerium, und Herbert Krolikowski, Leiter der SED-Abteilung Westeuropa. Die „freundlichen“ Gespräche kamen allerdings nicht über das Protokollarische hinaus, wie in einem dazu erstellten Bericht bemerkt
gegenüber 1975 verringert hat (1975 – 4 %; 1979 – 3,6 %) […].“ In: MFAA, ZR 2557/82, Botschaft der DDR in Frankreich, Die Entwicklung der Beziehungen Frankreichs, S. 5. „Es darf nicht übersehen werden, daß der Anteil der sozialistischen Staaten an den internationalen Wirtschafts- und Handelsbeziehungen Frankreichs so gering ist, daß Fr. unter komplizierten internationalen Bedingungen auf ihn verzichten könnte.“ MFAA, ZR 2557/82, Botschaft der DDR in Frankreich, Die Entwicklung der Beziehungen Frankreichs, S. 6. Wohl aus Protest gegen die Invasion der UdSSR in Afghanistan bzw. die Verhaftung des weltberühmten Physikers und Dissidenten Andrei Sacharov, der die militärische Intervention öffentlich kritisiert hatte. Siehe dazu: „Den USA bleiben nur Minuten“. Die Folgen von Afghanistan für Moskau, in: Der Spiegel, 4.02.1980. Stagnierte der Austausch auf Regierungsebene, so florierten die Verbindungen regelrecht auf regionaler und lokaler Ebene. Das DDR-Außenministerium verfolgte diese und ließ mehrere Dossiers über Verlauf und Inhalt der Zusammenkünfte anlegen. Insbesondere die Gesellschaft Frankreich-DDR wurde dabei ins Visier genommen. Vgl. MFAA, ZR 123/89, Kurzinfo über die Gesellschaft Frankreich-DDR (Dez 1980). MFAA, ZR 2557/82, Botschaft der DDR in Frankreich, Die Entwicklung der Beziehungen Frankreichs zu den europäischen Ländern der sozialistischen Staatengemeinschaft, S. 7.
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wurde.³⁷⁶ Auch konnte die französische Aufwartung nichts an der mittlerweile verfestigten Analyse ändern, mit der die SED die innen- und außenpolitische Stoßrichtung des westeuropäischen Landes beurteilte. Hinsichtlich der Entwicklung im französischen linken Lager war die ostdeutsche Sichtweise besonders pessimistisch. Zwar wurde dem PCF zugutegehalten, dass er weiterhin der einzige Vertreter der Arbeiterklasse sei. Mit seinen rund 700.000 Mitgliedern und einem Wähleranteil von ca. 20 % bis 25 % könne er noch einen beachtlichen Einfluss ausüben. „Eine undifferenzierte Bewertung der Sozialistischen Partei und ihrer Politik durch die FKP (ungenügende Berücksichtigung der in der SP vertretenen unterschiedlichen Strömungen sowie der vor allem in der Parteibasis vorhandenen Potenzen für den antimonopolistischen Kampf), die oft zu einer pauschalen Gleichsetzung mit den Regierungsparteien führt, behindert [jedoch] die Entwicklung der Aktionseinheit der Linkskräfte.“³⁷⁷ Außerdem seien nach wie vor Positionen des Eurokommunismus zu verzeichnen, die die ideologische Kampfkraft der Partei offensichtlich schwächten und dem Gegner Angriffsflächen böten.³⁷⁸ Gleichzeitig vermerkten die ostdeutschen Beobachter, dass der PS um Mitterrand eine pragmatische „Entwicklung nach Rechts“ vollzogen habe, wodurch er auch seinen Primat im linken Spektrum zuungunsten der Kommunisten zu behaupten in der Lage scheine. Der „Rechtskurs“ des PS zeige sich, so hieß es weiter, in einer sozialreformerischen Grundorientierung, einer verstärkten antikommunistischen Stoßrichtung sowie in einem zunehmenden Antisowjetismus. Dies verhindere schließlich langfristig Formen der politischen Kooperation mit der PCF-Führung und lasse den Sieg eines Linkskandidaten bei den Präsidentschaftswahlen unmöglich erscheinen.³⁷⁹ Im Juli desselben Jahres folgte ein Besuch durch die außenpolitische Kommission der französischen Nationalversammlung, geleitet vom Vorsitzenden Maurice Couve de Murville. Der PCF hatte als eigenen Vertreter Fernand Marin mitentsandt. Als besonders relevant sind die Ausführungen von Couve de Murville und Hermann Axen über die Lage in Afghanistan einzustufen. Beide waren sich darin einig, dass die Entwicklung in dem asiatischen Land eine innere Angelegenheit der einheimischen Bevölkerung darstelle und, so Axen, „niemand
MFAA, ZR 2557/82, Besuch des Staatssekretärs beim Minister für AA der franz. Republik, Herrn Olivier Stirn, in der DDR, 13.-14.4.1980. MFAA, ZR 2557/82, Anlage. Zur innenpolitischen Lage, S. 4. MFAA, ZR 2557/82, Anlage. Zur innenpolitischen Lage, S. 5. MFAA, ZR 2557/82, Anlage. Zur innenpolitischen Lage, S. 5.
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soll sich darin einmischen.“³⁸⁰ Der Franzose bezweifelte zwar, dass sich die Regierung Babrak Karmals nach Abzug der sowjetischen Truppen „5 Minuten“ halten könne; er schätze es aber als besonders erfreulich ein, mit dem Gesprächspartner der DDR in diesem Sachverhalt eine ungetrübte Übereinstimmung festzustellen.³⁸¹ Dass es allerdings auf französischer Seite durchaus keinen klaren Konsens darüber gab, wie in der Afghanistanfrage zu verfahren sei, schlussfolgerten die SED-Kommentatoren indes aus einem diplomatischen Zwischenfall, der sich vor Beginn der Verhandlungen hinter verschlossenen Türen ereignet hatte. Der französische Botschafter in der DDR, Henry Bayle, hatte am Gespräch nicht teilgenommen. Aus einem einschlägigen Eintrag im Archiv des MfAA geht außerdem hervor, dass sich Couve de Murville nicht sicher war, ob die Anwesenheit des Botschafters überhaupt üblich bzw. erforderlich sei. Daraus, so gaben SEDKommentatoren eilfertig zu Protokoll, konnte geschlossen werden, „daß es in dieser Frage Meinungsverschiedenheiten zwischen Couve de Murville und dem französischen Botschafter gab […].“³⁸² Politisch gesehen, ergaben sich für die DDR auf Regierungsebene schließlich kaum Möglichkeiten eines konstruktiven Austauschs mit Frankreich.³⁸³ Aus der vermeintlichen Unterordnung der französischen Regierung unter die „atlantische“ Politik der USA folgerte die SED-Führung, dass der Aktionsradius für sozialistische und kommunistische Kräfte in Frankreich zunehmend geringer würde. Eine große kommunistische Partei, die wieder auf Linie gekommen wäre, sollte aus ostdeutscher Sicht für die Sache des „realen Sozialismus“ zumindest nicht schädlich sein. Doch dieses Kalkül konnte nicht aufgehen.
MFAA, ZR 119/89, Vermerk über die Ausführungen des Vorsitzenden des Ausschusses für AA der Volkskammer der DDR, Hermann Axen, und des Vorsitzenden der Außenpolitischen Kommission der Nationalverammlung der Franz. Republik, Maurice Couve de Murville, 7.7.1980, hier S. 6. „Auf alle Fälle stimmen Frankreich und die DDR überein, daß für Afghanistan eine politische Lösung gefunden werden muss.“ In: MFAA, ZR 119/89, Vermerk über die Ausführungen des Vorsitzenden des Ausschusses für AA der Volkskammer der DDR, S. 7. MFAA, ZR 119/89, Vermerk, Nichtteilnahme des franz. Botschafters an der Visite des Vorsitzenden der Außenpol. Kommission der franz. Nationalversammlung, Couve de Murville, beim Generalsekretär des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Genossen Erich Honecker, am 9. 7. 1980, S. 1. MFAA, ZR 2552/82, Botschaft der DDR in Fr., Die Haltung Frankreichs zur politischen und militärischen Entspannung unter den Bedingungen der gegenwärtig zugespitzten Lage, Paris 21. 3. 1980.
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Die SED und der PCF SED-Beobachter gewannen immer mehr Klarheit darüber, dass sich der PCF von „eurokommunistischen“ revisionistischen Tendenzen endgültig losgesagt hatte. Die nun sowohl im innenpolitischen als auch außenpolitischen Bereich eingeschlagene Richtung deutete demnach unmissverständlich darauf hin, dass die Pariser Kommunisten zum bewährten prosowjetischen Kurs zurückgefunden hatten.³⁸⁴ Des Weiteren positiv hervorgehoben wurde die Verurteilung der „Hegemonieund Integrationspolitik“ der USA und der Bundesrepublik sowie der NATO und der EWG im Allgemeinen. Traditionelle Vorwürfe hinsichtlich der Verteidigungspolitik blieben dennoch bestehen. Der Kampf des PCF gegen die Atomaufrüstung, so wurde erläutert, werde durch seine ultranationalistische Einstellung, die sich bekanntlich u. a. durch das Beharren auf dem Konzept der force de frappe auszeichnete, erheblich erschwert. Diese Einstellung habe letzlich dazu geführt, dass die französischen Kommunisten im Mai 1977 ihre langjährige ablehnende Haltung zur Atomstreitmacht offiziell aufgegeben hätten und seitdem aktiv für deren „Erhalt und Ausbau“ einträten.³⁸⁵ Die Kritik an einer zu sehr nach innen gewandten Strategie der Franzosen, die freilich auch lobenswerte Aspekte in sich trüge – zum Beispiel die Achtung des Prinzips der Souveränität der Nationen, der Unabhängigkeit und Nichteinmischung in innere Angelegenheiten anderer Länder –, verbanden die Ostdeutschen mit einer Analyse der Bündnispolitik des PCF. Zur Verteidigung dieser Prinzipien hätten Marchais und seine Mitarbeiter weitreichende Konzessionen an das bürgerliche nationalistische Lager gemacht, die in bestimmten außenpolitischen Fragen zu schädlichen Auswirkungen und Problemen im Verhältnis zu den staatssozialistischen Ländern führen könnten.³⁸⁶ Insgesamt hielt die SED fest, dass sich zwischen dem PCF einerseits und dem PCI und der KP Spaniens andererseits, also zwischen den einstigen Hauptträgern des Eurokommunismus, bedeutende Unterschiede ausgebildet hätten, wobei sich die französische Partei nun „positiv“ von den anderen beiden abhebe.³⁸⁷
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/189, Einschätzung der Haltung der FKP zu internationalen Fragen, (1980), S. 1– 4. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/189, Einschätzung der Haltung der FKP, S. 6. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/189, Einschätzung der Haltung der FKP, S. 1– 4, S. 8. „In diesem Zusammenhang tritt sie entschieden gegen die westeuropäische Integrationspolitik, die Erweiterung der EWG und gegen die Vorherrschaftsbestrebungen des westdeutschen
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Bürgerliche Zeitungen in Frankreich berichteten von einer Spaltung innerhalb der kommunistischen Bewegung Europas. Diese ginge vornehmlich auf das Konto Marchaisʼ, der mit seiner Billigung der sowjetischen Intervention in Afghanistan, seiner Ablehnung jeglicher Suche nach einem „dritten Weg“ zwischen der Machtpolitik der USA und der Sowjetunion sowie mit seiner „Zurückweisung des Begriffs Eurolinken den Bruch mit dem eurokommunistischen Weg vollzogen [habe].“³⁸⁸ Als Zäsur bezeichnete die Zeitschrift Le Monde die bevorstehende Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas in Paris, die vom PCF und der polnischen Staatspartei einberufen worden war und an der u. a. der PCI nicht teilnehmen sollte. Der hier unter mehreren Gesichtspunkten thematisierte Zerfall der „eurokommunistischen Achse“ Rom-Paris ist schwer zu datieren; es lässt sich keine klare Zäsur, geschweige denn mehrere Zäsuren identifizieren. Als eigentliche Ursache muss vielmehr ein langjähriger Prozess angesehen werden, in dessen Verlauf PCF und PCI zu Positionen zurückfanden, die sie tatsächlich bereits vor dem Höhepunkt des Eurokommunismus vertreten hatten und die sie ideologischpolitisch grundsätzlich voneinander trennten. Die vom Journal Le Monde und anderen Zeitschriften erwähnte Spaltung im westeuropäischen Kommunismus muss vor diesem Hintergrund in gewisser Hinsicht als Rückkehr zur Normalität betrachtet werden. Verschärft wurden die offensichtlichen Differenzen zwischen PCI und PCF durch persönliche Zwistigkeiten, über welche die Pariser Kommunisten ihre ostdeutschen Kollegen regelmäßig informierten. So wurde Hermann Axen im Sommer 1980 darüber in Kenntnis gesetzt, dass Gremetz kurz zuvor ein Gespräch mit Pajetta geführt hatte, in dem Ersterer die Italiener scharf angegriffen habe. Gremetz habe die PCI-Führung vehement kritisiert: Sie besäße keine klare Klassenposition mehr und mische sich unverhohlen in die Politik anderer Parteien ein, allen voran in die des PCF: „Die IKP und die KP Spaniens sprechen in ihren Kontakten mit anderen Parteien (das haben die französischen Genossen auch von der algerischen FLN erfahren) schlecht über die FKP […]. Das weitere Abrücken von gemeinsamen Positionen in außenpolitischen Grundfragen wird immer offensichtlicher.“³⁸⁹
Imperialismus ein.“ SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/189, Einschätzung der Haltung der FKP zu internationalen Fragen, (1980), S. 1– 4, S. 9. Le Monde, 10.04.1980. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/626, Vermerk über einen Meinungsaustausch mit Genossen Gremetz, Mitglied des PB und Sekretär des ZK der FKP zu aktuellen Fragen der internationalen Entwicklung und der Beziehungen mit kommunistischen Parteien am 7./8. Juli 1980 in Paris, S. 2.
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Genauso offensichtlich wurde hier nun die Strategie des PCF: klare Opposition gegen den PCI auf der einen und Annäherung an die SED auf der anderen Seite, an deren Solidarität und Entgegenkommen nun verstärkt appeliert wurde. Dabei ging es dem PCF nicht um eine direkte Konfrontation mit den Italienern, von der er sich freilich keinerlei Gewinn versprechen konnte, sondern darum, in einer besonders kritischen Phase seiner Entwicklung durch ein ostentatives Zusammengehen mit „real sozialistischen“ Partnern wieder an Profil zu gewinnen. Utilitarismus nahm hierbei keinen geringen Stellenwert ein. Nach der Nichtteilnahme des PCI an der Pariser Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas verkündete die italienische Parteiführung, dass sie auch zur internationalen wissenschaftlichen Konferenz zum Thema „Der gemeinsame Kampf der Arbeiterbewegung und der nationalen Befreiungsbewegung gegen Imperialismus, für sozialen Fortschritt“ keine Delegation entsenden würde. Axen und Gremetz diskutierten in Paris über diese Angelegenheit und werteten die wenig kooperative Haltung des PCI als bezeichnend für seine Abkehr vom „proletarischen Internationalismus“ bzw. für dessen Orientierung auf reformistische Positionen.³⁹⁰ Nichtsdestoweniger wies Axen auf die strategische Wichtigkeit einer ausführlichen Auseinandersetzung mit der Ideologie des „Reformismus“ und dem „Sozialdemokratismus“ in Hinblick auf den sozialen Fortschritt in den Entwicklungsländern hin. „Es wäre zu begrüßen,“ schlug er zum Schluss vor, „wenn insbesondere seitens der Bruderparteien der kapitalistischen Länder in dieser Weise Stellung genommen werden könnte […]. Am ersten Beratungstag sollen, wie geplant, je ein Vertreter eines sozialistischen (KPdSU), eines kapitalistischen (FKP) und eines Entwicklungslandes (FRELIMO) sprechen.“³⁹¹
Meinungsverschiedenheiten zwischen dem PCI und dem PCF Der Aufruf der Franzosen, zurück zu „klassenmäßigen“ Positionen zu finden, fand innerhalb des PCI kaum Gehör. Im Gegenteil, eine Unterredung mit der SPDSprecherin für auswärtige Angelegenheiten, Veronika Isenberg, bestärkte die
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/626, Entwurf, Gesprächshinweise für das Treffen von Gen. Axen mit Gen. Gremetz in Paris am 7./8. 07. 1980 über die Vorbereitung der internationalen wissenschaftlichen Konferenz „Der gemeinsame Kampf der Arbeiterbewegung und der nationalen Befreiungsbewegung gegen Imperialismus, für sozialen Fortschritt.“ Es wurde wie folgt argumentiert: „Seitens der IKP wurde bemerkt, zu einer wissenschaftlichen Konferenz könne man nur Wissenschaftler und keine Vertreter der Parteiführung delegieren. Eine Entscheidung wurde bisher noch offen gelassen.“ Hier S. 5. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/626, Entwurf, Gesprächshinweise für das Treffen von Gen. Axen mit Gen. Gremetz in Paris am 7./8. 07. 1980, S. 12– 13.
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Italiener in ihrem „eurokommunistischen“ Kurs. Im Namen der westdeutschen Partei gab sie zu verstehen, dass die deutsch-deutschen bilateralen Beziehungen auf dem Tiefstand liegen würden, nicht zuletzt der polnischen Situation wegen: „Wir machen eine Phase durch, in der der Eurokommunismus wünschenswerter als je erscheint.“³⁹² Von einer ähnlichen tiefen Krise sprach auch Gremetz in Bezug auf Frankreich. Diese sei u. a. dem Egoismus und dem opportunistischen Vorgehen des PS um Mitterrand geschuldet, der die Wiederbelebung einer Linksunion zwar in Aussicht stelle, gleichzeitig aber keinen genauen Aktionsplan vorzuschlagen wisse: „Suche und Festigung der Linksunion davon abhängig, dass Zusammenarbeit mit PS ihren Ausdruck in der „Aktion“ findet. Einheit nur in der Aktion und nicht zwecks elektoraler Kompromisse. Insoweit ist Abkommen mit PS so gut wie unmöglich.“³⁹³ Auch fügte Gremetz hinzu, dass zwischen PCF und PCI nunmehr wenige Gemeinsamkeiten bestünden, die Möglichkeiten eines politischen Zusammengehens seien daher sehr gering.³⁹⁴ In der Tat schienen die ideologischen Schnittmengen zwischen den beiden Parteien völlig erschöpft. Das bereits spannungsgeladene Verhältnis zum Ostblock, als dessen Satellit die SED zumindest ideell nun auch den PCF betrachtete, verschlechterte sich für den PCI zusehends im Laufe des Jahres 1980, vor allem aufgrund seiner autonomen Position bezüglich der internationalen Krisen in Afghanistan und später in Polen. Als der PCI eine Resolution über die Lage in Polen verabschiedete, in der es hieß, die dortige Entwicklung sei für den gesamteuropäischen Entspannungsund Befriedungsprozess förderlich, reagierte die KPdSU mit Härte. In einem knappen Brief an den PCI wiesen die Sowjets die Haltung der Italiener dezidiert zurück: „Nur Wiedererrichtung des Sozialismus in Polen ist gut für Stabilität in Europa. PCI unterstützt mit ihrer Haarspalterei jene Kräfte, die gegen den realexistierenden Sozialismus sind (Wałęsa und Solidarność).“³⁹⁵ Dem schloss sich wenige Tage später Marchais an, der in einer offiziellen Meldung die für ihn enttäuschende Haltung des PCI tadelte.³⁹⁶ Innerhalb weniger Monate hatte sich beim PCF auch die Interpretation des Eurokommunismus grundlegend verändert. Der französische Generalsekretär hatte im Rahmen einer Pressekonferenz in Lissabon eine einschlägige Frage mit niederschmetternden Worten beantwortet:
APCI, Sezione estero, Microfilm 8010, Nota circa incontro Barbarella e Antonio Rubbi a Bonn con esponente della SPD-sezione esteri Veronika Isenberg, (1980), S. 2. APCI, Sezione estero, Microfilm 8011, Incontro Bufalini e Rubbi con Gremetz, Rom 14.11.1980. APCI, Sezione estero, Microfilm 8011, Incontro Bufalini e Rubbi con Gremetz, S. 5. APCI, Sezione estero, Microfilm 8012, Lettera del KPdSU al PCI, 5.12.1980, S. 1. L’Unità, Critiche di Marchais al PCI sulla Polonia, 14.12.1980.
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Der Eurokommunismus sei endgültig außer Mode bzw. er stelle „ein zu enges Kleidungsstück“ dar.³⁹⁷ Im Frühjahr 1980 hatten in Moskau zwischen KPdSU und PCF bilaterale Verhandlungen stattgefunden, nach deren Abschluss ein gemeinsames Kommuniqué demonstrieren sollte, dass in vielerlei Themen der internationalen Politik eine weitgehende Übereinstimmung hatte erzielt werden können. Unterstrichen wurde darin auch der gemeinsame Kampf gegen Monopolbildung und Kapitalismus. Einhergehend mit diesem propagandistischen Zweck erlangte die Zusammenkunft nicht zuletzt eine hohe symbolische Ausstrahlung. Für den vielerseits als „Canossagang“ empfundenen Besuch in der sowjetischen Hauptstadt musste sich Marchais in seiner Heimat heftige Kritik gefallen lassen. Die unabhängige satirische Zeitung Le canard enchâiné verwies in einer Ausgabe Ende Januar auf die Annäherung zwischen Mitterrand und Berlinguer und deutete diese als Zeichen dafür, dass der PCF im internationalen Konzert nunmehr lediglich eine untergeordnete Rolle spiele.³⁹⁸ Der Matin beschrieb die (Rück‐)Entwicklung des PCF besonders emphatisch als „Rückkehr in sein eigenes Ghetto“, die in schroffem Gegensatz zur ideologischen Breite des PCI stünde.³⁹⁹ Derweil verdichteten sich die Anzeichen, dass eine tatsächliche Annäherung oder gar ein strategisches Zusammengehen der SPD und des PCI bevorstand, was die Skepsis des PCF gegenüber den italienischen „Genossen“ nur noch weiter schürte. Giorgio Napolitano hatte diesbezüglich den Befürchtungen der französischen Kommunisten, als Konkurrent der einflussreichen „Bruderpartei“ von „rechts“ überholt zu werden, scheinbar unabsichtlich neue Nahrung gegeben. In einem Interview für das PCI-Presseorgan L’Unità beantwortete er die Frage, ob eine ungetrübte politisch-ideologische Übereinstimmung mit der SPD vorherrsche, defensiv und sagte, dass zwar leichte Abweichungen und Unterschiede hinsichtlich diverser Themen bestünden, gleichzeitig jedoch weitgehendes Einvernehmen über wichtigere Zusammenhänge festgestellt werden könne.⁴⁰⁰
APCI, Sezione estero, Microfilm 0507, Traduzione dall’Humanité del passaggio delle dichiarazioni di Georges Marchais sull’Eurocomunismo, Lisbona Conferenza Stampa, (1980). Le canard enchâiné, Mitterrand – Berlinguer. Ils s’aiment par-dessus le Marchais, 30.1.1980. Le Matin, 26.01.1980. Dort heißt es: „Puisque le PCF rentre dans son ghetto […]. Berlinguer n’aime pas les camps. Alors, contrairement à Georges Marchais, entre le camp soviétique et le camp impérialiste, il n’a pas voulu choisir […].“ Vgl. auch APCI, Sezione estero, Microfilm 440, aus Le Matin vom 26.1.1980: „PCI hat letztes Jahr auf dem 15. Parteitag den gewöhnlichen Satz ‚UdSSR, Bastion des Friedens‘ gestrichen. Eine Rakete ist eine Rakete, und der PCI ist gegen alle Gewalt, sei es von der USA oder der UdSSR […]. PCI-Mitglieder erklärten uns in Rom: ‚Vraiment, nous ne comprenons plus ce que cherche le PCF‘.“ APCI, Sezione estero, Microfilm 486, Intervista con Napolitano, (L’Unità) 26.01.1980.
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8.2 PCI, PCF und die Sozialdemokratie Vor dem beschriebenen Hintergrund gestalteten sich die direkten bilateralen Beziehungen zwischen PCI und PCF äußerst unbeständig. Angesichts der sich überschlagenden Meldungen über eine angebliche Zusammenarbeit der Italiener mit sozialdemokratischen Kräften zuungunsten der Pariser Kommunisten kam es immer wieder zu Verhärtungen und Blockaden, begleitet von kurrzeitigen Phasen der Verbesserung. Im Frühjahr 1980 war Marchais in Frankreich zur Zielscheibe einer propagandistischen Attacke seitens „bürgerlicher“ Akteure geworden. Diese hielten dem Generalsekretär ein zumindest „zweideutiges“ Verhalten während der nationalsozialistischen Besatzung Frankreichs vor. Manche wiesen sogar auf eine angebliche Kollaboration Marchaisʼ bzw. seine Duldung des fremden Regimes im eigenen Lande hin. In der Tat hatte Marchais, der eine Ausbildung als Maschinenschlosser absolviert hatte, Anfang der vierziger Jahre in Deutschland bei der Firma Messerschmitt in München gearbeitet, bevor er sich 1943 wieder nach Frankreich absetzen konnte. Über seine Aktivitäten zwischen 1943 und dem Ende des Krieges ist wenig bekannt.⁴⁰¹ Diesen Hintergrund schlachteten die Medien und die politische Rechte regelmäßig diffamatorisch aus. Einen ersten Höhepunkt erreichte die Kampagne Ende der siebziger Jahre. Berlinguer reagierte mit Entsetzen auf die Verleumdungen gegen den Franzosen und ließ umgehend ein Solidaritätstelegramm übermitteln.⁴⁰² Die Antwort Marchaisʼ ließ nicht lange auf sich warten. Er bedankte sich für die Freundschaftsbekundung und wies auf die Mitverantwortung des PS um Mitterrand hin, der an vorderster Front dieser antikommunistischen Hetze stünde.⁴⁰³ In diesem Kontext sollten die Zusammenkünfte Berlinguers mit Brandt und Mitterrand am 12. und 24. März in Straßburg bei den französischen Kommunisten für Befremden sorgen. Schließlich machte der PCF die Sozialdemokraten Europas, allen voran die SPD und den PS, für den politischen „Verrat“ an der Arbeiterklasse
Hierüber, besonders bezeichnend, Nicolas Tandler, L’impossible biographie de Georges Marchais, Paris 1980. APCI, Sezione estero, Microfilm 466, Telegramma di Berlinguer a Marchais, 14.03.1980. Darin hieß es: „Indigné pour la campagne de calomnies déchainée contre toi je t’adresse l’affectueuse solidarité des communistes italiens et la mienne personnelle.“ APCI, Sezione estero, Microfilm 466, Telegramma di Marchais a Berlinguer, 15.03.1980: „[…] Cette énorme machination anticommuniste menée par la droite et par le Parti Socialiste […].“
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Kapitel 3: „Neuer Internationalismus“ und Opportunismus
verantwortlich.⁴⁰⁴ Die Gespräche mit Mitterrand fanden in Frankreich auch medial eine große Resonanz, denn der Akzent fiel auf die Aufgabe der sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien, ein „neues Europa“ zu bilden, was die Neustrukturierung des gesamten linken Lagers implizierte. Marchais fühlte sich dabei hintergangen und tat dies offen kund.⁴⁰⁵ Die Animosität des PCF gegenüber der strategischen Annäherung des PCI an sozialdemokratische Kräfte wirkte sich auf die bilaterale Zusammenarbeit besonders negativ aus. In der Tat erlebten die Verbindungen der Italiener mit der SPD und dem PS am Anfang der Dekade einen unerwarteten Aufschwung, sowohl auf politischer als auch auf wissenschaftlich-ideologischer Ebene. Das theoretische Institut des PS, das Institut d’Etudes et de recherches (ISER), lud im Sommer 1980 den PCI zu einer Konferenz über die Zukunft des Mittelmeerraums ein.⁴⁰⁶ Die Italiener waren sich darüber im Klaren, dass eine Annahme der Einladung von den Pariser „Genossen“ als Affront aufgenommen werden würde. Nach anfänglicher Unsicherheit willigte der PCI dennoch ein, eine Delegation zu entsenden. Die Konferenz tagte Mitte September in Marseille. Für den PCI nahmen Leonardo Paggi und Maurizio Valenzi, Bürgermeister von Neapel, teil. Wie erwartet, reagierte die Führung des PCF nachhaltig verärgert; in einem Telegramm an den PCI beschwerten sich die Franzosen ausdrücklich über die italienische Beteiligung an der Konferenz.⁴⁰⁷ In der Nachricht hieß es, die französischen Medien würden die Nichtteilnahme des PCF bzw. den Schulterschluss zwischen PCI und PS propagandistisch gegen die Kommunisten verwenden, wodurch der PCF großen Schaden nähme. Zum Schluss schlug die Empörung in offene Kritik um: Der PCI wurde dazu aufgerufen, umgehend von „solchen Aktionen“ abzusehen und zu einer „klassenmäßigen“ Strategie zurückzufinden.⁴⁰⁸ Letztlich nährte der Vorfall auch die Feindseligkeit zwischen PCF und PS. Letzterer überzog die Kommunisten mit harscher Kritik und schlug dabei durchaus ungewohnte Töne an. Dem PCF wurde u. a. vorgeworfen, „gemeinsame Sa-
APCI, Sezione estero, Microfilm 466, Comunicato, 13. 3. 1980: Brandt e Berlinguer incontro a Strasburgo; Tra Berlinguer e Mitterrand cordiale incontro, 24.03.1980; vgl. auch L’Unità, 25.03. 1980. L’Unità, L’azione per rafforzare la sinistra in Europa, 26. 3.1980. APCI, Sezione estero, Microfilm 486, Lettera di Mitterrand a Berlinguer (Invito a partecipare alla conferenza per la creazione di una „Communauté Culturelle Mediterranéenne“), Paris 4.07. 1980; Lettera dell’ISER (Institut d’Etudes et de recherches), di Jean Pronteau, 3.9.1980. Der PCI beschloss, die „Genossen“ Leonardo Paggi und Maurizio Valenzi zu entsenden. APCI, Sezione estero, Microfilm 486, Telegramma del PCF al PCI, 16.10.1980. APCI, Sezione estero, Microfilm 486, Telegramma del PCF al PCI.
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che“ mit der französischen Rechten gemacht zu haben, um Mitterrand und seine Mitarbeiter bei der linken Wählerschaft zu diskreditieren.⁴⁰⁹ Die SED verfolgte die Bildung einer sozialdemokratischen-kommunistischen Front mit dem PCI an der Spitze mit weitaus weniger Feindseligkeit als der PCF. Bei aller Kritik an der ideologischen Grundlage der Zusammenarbeit versprach sich die SED von der Annäherung Vorteile für die eigene deutsch-deutsche Politik.⁴¹⁰ Mitte Januar hatte Giorgio Napolitano die Bundesrepublik besucht. Ähnlich den ostdeutschen Beobachtern konstatierten italienische Zeitungen mit Überraschung die beinahe nahtlose Übereinstimmung des PCI mit der deutschen Sozialdemokratie. Die Repubblica titelte: „Noch nie waren sich die deutsche Sozialdemokratie und die IKP so nahe gerückt wie jetzt“, präzisierte dann aber kritisch, dass eine solche Annäherung sich „unter dem äußeren, von der Versteifung der internationalen Beziehungen bewirkten Zwang“ vollzogen habe.⁴¹¹ Intern verwiesen Spitzenpolitiker des PCI auf die positiven Auswirkungen, welche die von der Partei jüngst praktizierte Öffnung gegenüber demokratischen Kräften außerhalb des kommunistischen Spektrums, insbesondere gegenüber sozialdemokratischen Akteuren, gezeitigt hätte. Hierzu nahm Berlinguer persönlich Stellung.⁴¹² SED-Kommentatoren schätzten ein, dass der Kurswechsel bei den italienischen Kommunisten von strategischem Nutzen sein könne. Sie empfahlen, nach möglichen Formen des Austauschs zu suchen und diese umgehend umzusetzen. Als besonders effektiv werteten sie die Verbindungen im Bereich der Sicher-
Vgl. Le Matin de Paris, Mitterrand: la droite et le PC sont „copains comme cochons“, 13.10. 1980. Mitterrand ließ verlauten: „[…] Ce n’est pas le capitalisme qui apprend à nager, mais que c’est le parti communiste qui le sort de l’eau.“ SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/508, Information für das Politbüro, Besuch des Mitgliedes des Sekretariats des ZK der IKP Giorgio Napolitano vom 16. bis 18. Januar 1980 in der Bundesrepublik, Berlin 1.02.1980. La Repubblica, 18.01.1980; vgl. auch SAPMO-BArch, DY/30/11541. „Ich stimme der von Cossutta und vielen anderen Genossen vorgetragenen Forderung zu, die in den vergangenen Jahren von den demokratischen Linksverwaltungen geleistete enorme Arbeit umfassend, ernsthaft und mit Stolz einzuschätzen. Das bezieht sich sowohl auf jene Regionen, Provinzen, Städte und Gemeinden, in denen sie schon lange Jahre, teilweise gar seit Jahrzehnten, aktiv sind, als auch auf jene anderen, in denen sich 1975 diese regelrechte ‚Wende‘ im Leben jener Verwaltungen vollzog und Räte gegründet wurden, die sich auf die Arbeit zwischen Kommunisten und Sozialisten stützten, häufig jedoch – und zwar auch in Großstädten – positiv (angesichts der Ergebnisse) auf die republikanische und die sozialdemokratische Partei ausgedehnt wurden.“ SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, L’iniziativa del PCI in Europa e nel mondo (Die Initiative der IKP auf europäischer und internationaler Ebene), Übers. aus: L’Unità vom 5.04. 1980.
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heitskomitees sowie auf der lokalen und regionalen Ebene, die allerdings in ihrer Arbeitsweise einer grundlegenden Überprüfung bedürften.
9 Die außenpolitischen Steuerungsstrukturen der SED Bei der Koordinierung der propagandistischen Arbeit im westlichen Ausland machten sich Anfang der achtziger Jahre, insbesondere im Bereich des ständigen internationalen Komitees für Sicherheit und Zusammenarbeit sowie der Liga für Völkerfreundschaft der DDR, erhebliche Schwierigkeiten bemerkbar, welche die Effizienz der jeweils zuständigen Abteilungen bzw. folglich die Umsetzung politischer Maßnahmen auch bei günstigen internationalen Rahmenbedingungen auffällig behinderten. Im Winter 1980 hatte der Präsident der Liga für Völkerfreundschaft, Gerald Götting, betont: „Schwerpunktmäßig soll die Generalversammlung sich mit der weiteren Aktivierung des Massenkampfes in den kapitalistischen Ländern in Europa und gegen die Pläne der NATO beschäftigen […].“ Dies sollte mit einer Intensivierung der offensiven Propaganda für die Friedenspolitik der DDR und der sozialistischen Staatengemeinschaft einhergehen.⁴¹³ Dabei wurde festgestellt, dass die erwähnten organisatorischen Probleme struktureller Natur seien bzw. dass deren Behebung ein konzertiertes Vorgehen erfordere. Das Außenministerium meldete Störungen bei der Steuerung der nationalen Freundschaftsgesellschaften (NFG) auf lokaler Ebene sowie bezüglich ihrer politischen Stoßrichtung.⁴¹⁴ Ähnlich getadelt wurden die Ergebnisse des DDR-Komitees für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit. Auch dort hätten organisatorische Fehlentwicklungen die Abteilung daran gehindert, von mannigfachen Möglichkeiten der Beeinflussung Gebrauch zu machen. In einem Bericht über die personelle Zusammensetzung und Arbeitsweise des Komitees wurden Ungereimtheiten hervorgehoben und die bestehende strukturelle Ordnung in Frage gestellt.⁴¹⁵ Es fiel negativ auf, dass die Einbeziehung der sozialistischen Länder trotz Aufrechter-
SAPMO-BArch, Liga für Völkerfreundschaft, DY/13/2909, Plan der politisch-ideologischen Maßnahmen zur Vorbereitung und Durchführung der Generalsversammlung der Liga für Völkerfreundschaft der DDR am 10. 1. 1980, S. 4. Ein Bericht von Ende 1980 über die Arbeitsweise des Regionalkomitees Sizilien der NFG erscheint hier exemplarisch. MFAA, ZR 3018/81, Botschaft Rom, Politische Abt., Information über Kontakte mit dem Regionalkomitee Sizilien der NFG am 19.-20. 11. 1980, S. 2. SAPMO-BArch, DDR-Komitee für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit, DZ/22/21, Zur Arbeit des DDR-Komitees für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit, (1980), insbesondere S. 3 – 4.
9 Die außenpolitischen Steuerungsstrukturen der SED
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haltung und Erweiterung des Komitees stark abgenommen habe. Insbesondere die Beteiligung sowjetischer Vertreter sei schwach, was wiederum für die anderen Ostblockstaaten ein Signal darstelle, dass die Mitwirkung an multilateralen sicherheitspolitischen Projekten zweitrangigen Charakter besäße.⁴¹⁶
Die SED Ende der 1970er Jahre In der ersten Hälfte der siebziger Jahre hatte die DDR einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt, der durch die vorsichtige Öffnung des Regimes im Zuge der Kampagne zur internationalen Anerkennung begünstigt worden war. In der zweiten Hälfte der Dekade nahm es damit jedoch ein jähes, gleichwohl kaum überraschendes Ende. Die konjunkturellen Schwierigkeiten wuchsen de facto auch nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu westlichen Ländern, die Wohlstandskluft zwischen dem ostdeutschen Staat und der Bundesrepublik nahm stetig zu und die wirtschaftliche Leistung der DDR sank unaufhaltsam. Aus Furcht vor einschneidenden Korrekturen, etwa im Stil einer Austeritätspolitik, die in der Bevölkerung Missmut und offenen Protest hätten schüren können, hielten die Machthaber an ihrer bisherigen Strategie fest, den ökonomischen Sektor unbekümmert und über die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit hinaus zu beanspruchen. Auch politisch war kaum Raum für eine Erneuerung. Der IX. Parteitag der SED ließ keinen Zweifel daran, dass die Orientierung am „großen Bruder“ fester Bestandteil sowohl der Innen- als auch Außenpolitik bleiben würde. Außerdem wurde die zentrale Rolle der Partei in Staat und Gesellschaft in großer Deutlichkeit unterstrichen und das althergebrachte Prinzip der „friedlichen Koexistenz“ propagiert. Von der Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki, zu der sich die SED im Einvernehmen mit der KPdSU entschlossen hatte, versprach sich die DDR eine Aufwertung ihres internationalen Profils, einhergehend mit wirtschaftlichen Vorteilen aus dem Westen, die ihr dringend nötig schienen. So gab sich das Regime nach außen hin besonders kooperativ im Hinblick auf sensible Themen wie Menschenrechte und Reisefreiheit. Im Inneren aber wurde die Bereitschaft zur Überwachung und Repression „feindlicher Kräfte“ zusehends erhöht, wie im „Falle Biermann“ anschaulich wurde.
„Die Arbeit im Internationalen Komitee und mit seinem Sekretariat gestaltet sich zur Zeit nicht zufriedenstellend. Immer mehr wirkt sich aus, daß die Komitees der sozialistischen Länder im Grunde nicht mehr durch einen ständigen Mitarbeiter vertreten sind. Genosse Silin, Vizepräsident des sowjetischen Komitees für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit, nimmt nicht mehr regelmäßig an den Tagungen des Sekretariats teil.“ SAPMO-BArch, DDR-Komitee für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit, DZ/22/21, Zur Arbeit des DDR-Komitees, S. 4.
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Die Schlussakte von Helsinki und die Repressionswelle Die Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki, insbesondere des sogenannten Korb III, bereitete den Ost-Berliner Machthabern von Anfang an Unbehagen. Verankert wurden darin die Prinzipien der Reisefreiheit und des freien Austauschs von Informationen und Meinungen sowie die Menschenrechte. Damit ging die Forderung nach einer allgemeinen Liberalisierung „menschlicher Kontakte“ einher, die für die staatssozialistischen Länder hohes Sprengpotenzial besaß.⁴¹⁷ In mehreren Anläufen versuchte das Politbüro, die Konsequenzen von Korb III unter Kontrolle zu halten, u. a. durch eine spezifische, den eigenen Rahmenbedingungen angepasste Interpretation der Schlussakte,⁴¹⁸ welche den Akzent auf die Verteidigung der territorialen Integrität des Landes vor externen Angriffen legte. Gemeint war damit die Grenze zur Bundesrepublik und zu West-Berlin, die beide als besonders sensible Objekte eingestuft wurden. Die Verpflichtung zur Öffnung in humanitären Fragen wurde somit dem Gebot der Unverletzlichkeit der Grenzen, vor allem der Innengrenze, untergeordnet. Den befürchteten und in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre tatsächlich zunehmenden Forderungen nach Ausreisegenehmigungen oder Familienzusammenführungen begegnete das Regime mit Nervosität und Härte. Existierende Überwachungsmaßnahmen wurden deutlich verschärft. Der offene Protest in Form einer Petition an die UNO von Dr. Karl-Heinz Nitschke von Ende 1976, in der die DDR mit Berufung auf die Ergebnisse der KSZE der Menschenrechtsverletzung bezichtigt worden war, hatte internationale Resonanz erzielt und die SED unmittelbar auf den Plan gerufen. Nitschke war verhaftet und später des Landes verwiesen worden. Der Zivilbevölkerung zeigte dieser Fall, dass das Regime nicht bereit war, sich von externen Einflüssen – noch weniger, wenn diese aus dem Westen stammten – einschüchtern zu lassen, und dass es konsequent gegen „staatsfeindliche Hetze“ und dergleichen vorgehen würde. Dementsprechend unter erheblichen Druck geraten, beschloss der Sicherheitsdienst, seine Wachsamkeit zu erhöhen und besonders verdächtige Sektoren präventiv bespitzeln zu lassen. Ins Visiser gerieten dabei vor allem ausländische Journalisten und einheimische Intellektuelle. Durch Sanktionen und eine strenge Zensur war man entschlossen, ihnen das Handwerk zu legen – hier beschrieben mit den Worten Stephan Heyms: Am Ende der Klara-Zetkin-Straße in Berlin […] ist das sogenannte Buero für Urheberrechte. Es hat 15 Mitarbeiter, ruhige, zum Teil sogar sympathische Menschen – und es ist das Messer an der Kehle der Schriftsteller der Republik […]. Das Recht, Verträge für Autoren zu geneh-
Vgl. u. a. Schröder, Der SED-Staat, S. 233 – 253. Schröder, Der SED-Staat, S. 233.
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migen oder zu verbieten, erhielt das Buero durch eine Verordnung mit dem schönen Titel Zur Wahrung der Urheberrechte vom damaligen Kulturminister Klaus Gysi (jetziger DDR-Botschafter in Rom), in einer Stunde, die ihm sicher innere Heiterkeit bereitete […].⁴¹⁹
Mit der Ausbürgerung Wolf Biermanns, dem Hausarrest Robert Havemanns und der Verhaftung Rudolf Bahros erreichte die Repressionswelle durch das Regime zwischen 1976 und 1979 einen vorläufigen Höhepunkt. Der SED-Staat offenbarte dabei all seine internen Widersprüche und eine auffällige Fragilität, sowohl politisch als auch gesellschaftlich.
Gesellschaft Der Widerspruch zwischen theoretisch-ideologischem Anspruchsdenken und gesellschaftlicher Realität wurde in der Ära Honecker besonders eklatant. Es schien offensichtlich, dass die SED kein Gespür für kulturelle und politische Veränderungen in der Bevölkerung zeigen und sich keine „Experimentierfreudigkeit“ leisten wollte. Die von der Partei durch Programme und Schulungen forcierte Entdifferenzierung der Bevölkerungsstrukturen, welche die Weichen stellen sollte zur orthodoxen Verwirklichung einer Gesellschaft marxistisch-leninistischer Prägung, wurde von der Mehrheit der DDR-Bürger als totalitärer Angriff auf ihre Privatsphäre aufgefasst.⁴²⁰ Ziel der Parteiführung war die Nivellierung sozialer Unterschiede, was zu einer „Annäherung der Klassen und Schichten“ sowie „zur Festigung der politisch-moralischen Einheit des Volkes“ führen sollte.⁴²¹ Die Mehrheit der Bevölkerung reagierte, wie angedeutet, mit Ablehnung, Befremden und generellem Argwohn. Der vereinnahmenden Tendenz des Staates versuchte sie mit der Schaffung von privaten Freiräumen entgegenzuwirken, die dazu dienten, den Alltag im totalitär kontrollierten System mit (Eigen‐)Sinn zu versehen bzw. individuelle Identität und relative Autonomie aufrechtzuerhalten.⁴²² Im Umkehrschluss wuchs die Distanz zwischen Partei und Zivilbevölkerung zusehends und damit die Bereitschaft Letzterer, sich offen regimekritisch zu verhalten.
FAZ, Die Frage der Zensur in der DDR. Eine Erklärung des Schriftstellers Heym, 26.04.1979. Vgl. Peter Hübner (Hg.), Eliten im Sozialismus. Beiträge zur Sozialgeschichte der DDR, Köln 1999; ferner auch Arnd Bauerkämper u. a. (Hg.), Gesellschaft ohne Eliten? Führungsgruppen in der DDR, Berlin 1997. Schröder, Der SED-Staat, S. 248. Vgl. hierzu Lindenberger, Die Diktatur der Grenzen. Zur Einleitung, S. 13 – 44.
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Politik und Wirtschaft Der Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker Anfang der siebziger Jahre bedeutete in der Quintessenz für die DDR eine Rückkehr zur strengeren Befolgung sowjetischer Vorgaben sowie die Aufgabe eigener Forderungen nach mehr Autonomie und Eigeninitiative.⁴²³ Auf dem IX. Parteitag im Mai 1976 sollte deshalb vor allem eines demonstriert werden: Einigkeit, sowohl im eigenen Lande als auch beim Solidaritätsbekenntnis zu den sozialistischen Staaten, allen voran zur UdSSR. Um dem eigenen Anspruch einer expressis verbis geforderten, erhöhten Partizipation durch Gesellschaft und rangniedrigere Parteikader gerecht zu werden, rief die SED-Führung zur allgemeinen Beteiligung an den Beschlussfassungen des Konvents auf. Dadurch sollten Offenheit und Modernität gegenüber dem breiten Publikum demonstriert werden. In Wahrheit aber stand nach wie vor – abgesehen von wenigen, kaum nennenswerten Ausnahmen – die Partei im Vordergrund, aufgefasst als Grundlage und Schutz der staatssozialistischen Gesellschaft. Ihr schrieb man die Aufgabe zu, über die planmäßige Entwicklung hin zu einer vollkommenen Form des Sozialismus zu wachen, dabei allerlei Hindernisse zu beseitigen oder ihnen sogar vorzubeugen. Durch die stetige Erhöhung der Mitgliederzahl durch zwangsmäßige Einschreibungen gelang es der Partei tatsächlich, selbst bis in unterste Ebenen von Staat und Gesellschaft Vorgaben „von oben“ durchzusetzen und ihre Umsetzung durch Zuarbeiter weitgehend unter Kontrolle zu halten. Die unaufhaltsame Professionalisierung und Perfektionierung bürokratischer Praktiken durch die Partei führte jedoch auch zu problematischen Entwicklungen. So wurden etwa die Rolle und Befugnisse des ohnehin schon mächtigen Ministeriums für Staatssicherheit in Umfang und Qualität noch weiter gestärkt, was zu Reibungen und offenen Konflikten innerhalb der Parteihierarchien führte.⁴²⁴ Während besonders einschneidender Krisen meistens wirtschaftlicher Natur wurden deshalb bisweilen sogar ZK-Funktionäre von der Stasi eigenmächtig bespitzelt, was das Verhältnis zwischen Regierung und Machtstrukturen einerseits und den Zuarbeitern andererseits in einem neuen, nicht gerade Vertrauen fördernden Licht erscheinen ließ.⁴²⁵ Angesichts wachsender ökonomischer Schwierigkeiten ergriff das Regime neue Initiativen zur Beschwichtigung der unzufriedenen Bevölkerung. Gemäß
Vgl. hierzu grundsätzlich Andreas Malycha, Die SED in der Ära Honecker. Machtstrukturen, Entscheidungsmechanismen und Konfliktfelder in der Staatspartei 1971 bis 1989, Berlin 2014. Vgl. Malycha, Die SED in der Ära Honecker, S. 260 – 285. Malycha, Die SED in der Ära Honecker, S. 280 – 285; ferner Douglas Selvage u. Walter Süß, Staatsicherheit und KSZE-Prozess. MfS zwischen SED und KGB (1972 – 1989), Göttingen 2019, hier S. 161– 232.
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dem Prinzip einer „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ war der Staat ostentativ darum bemüht, seiner Verheißung einer massiven Besserung der materiellen Lebensbedingungen auch Taten folgen zu lassen. Hatte dieser Plan aus konjunkturellen Gründen in der ersten Hälfte des Jahrzehnts nicht aufgehen können, so wurde nach dem IX. Parteitag beschlossen, mit aller Konsequenz auf das Ziel der Anhebung des Lebensstandards hinzuarbeiten. Das Vorhaben war sehr ambitioniert: Mindestlöhne wurde sukzessive erhöht, das Rentensystem modernisiert, die Familienpolitik „sozialer“ und umfassender gestaltet.⁴²⁶ Die Umsetzung dieser Pläne bedurfte großer Investitionen, welche die für das sozialpolitische Programm vorgesehenen Ressourcen binnen kürzester Zeit erschöpften. Das Regime sah sich bald gezwungen, sowohl im westlichen als auch östlichen Ausland neue Kredite aufzunehmen, was den DDR-Schuldenberg in die Höhe schnellen ließ.⁴²⁷ Hier setzten sich Honecker und seine Mitarbeiter – ganz offenbar auch gegen Ermahnungen des MfS, angesichts der Krise zu drastischeren Gegenmaßnahmen zu greifen⁴²⁸ – über die Empfehlungen von Ökonomen hinweg, vom „kostenlastigen“ Sozialprogramm abzulassen und grundlegende wirtschaftliche Reformen einzuleiten. Die unmittelbare Konsequenz war eine weitere Verschuldung, die den Staat an den Rand des Bankrotts brachte. Konfrontiert mit diesem Szenario, warnten hochrangige SED-Funktionäre explizit⁴²⁹ vor den verheerenden Folgen und baten Honecker einzulenken. Der Generalsekretär blieb aber stur und lehnte alle Vorschläge zu einer Kursänderung, die er als persönlichen Angriff auf seine Politik betrachtete, vehement ab. Ab diesem Zeitpunkt und bis zum Fall der Mauer beschränkte sich die Arbeit des Wirtschaftsressorts lediglich darauf, „die pragmatische Handhabung der Verschuldung und Sicherung der Zahlungsfähigkeit“⁴³⁰ zu gewährleisten.
Außenpolitik Die Orientierung der SED an der „Mutterpartei“ KPdSU und ihrer Weltpolitik war in den Resolutionen des IX. Parteitags ausdrücklich bestätigt worden. Für die Sowjetunion besaß die DDR eine herausragende strategische und symbolische Bedeutung, die in der zweiten Hälfte der Dekade umso aktueller wurde, als die Moskauer Machthaber mit der Verschärfung des Kalten Krieges auf ein ge-
Schröder, Der SED-Staat, S. 246. Hierzu vgl. u. a. Steiner, Von Plan zu Plan, S. 187– 190. Malycha, Die SED in der Ära Honecker, hier S. 259 – 260. U. a. ZK-Sekretär für Wirtschaft, Günter Mittag. Vgl. Steiner, Von Plan zu Plan, S. 192. Schröder, Der SED-Staat, S. 248.
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schlossenes Vorgehen des Ostblocks bzw. auf die praktische Unterstützung und Loyalität der SED angewiesen waren. Die UdSSR setzte seit dem Ende des für die USA katastrophalen Vietnamkriegs auf eine Politik der Stärke. Den Ausschlag dafür gab nicht nur das amerikanische Debakel in Vietnam, sondern auch der eigene wachsende Einfluss, insbesondere in den Entwicklungsländern und im Kontext der Befreiungsbewegungen auf dem afrikanischen Kontinent. Ausdruck dieser Politik war die Aufstellung der SS-20Mittelstreckenraketen, die eine regelrechte Wettbewerbsspirale auslöste. Als Antwort der westlichen Regierungen wurde daraufhin der sogenannte NATO-Doppelbeschluss verabschiedet, infolgedessen „Abschreckungsraketen“ der Kategorie Pershing II und Cruise disloziert wurden.⁴³¹ Zur beabsichtigten gegenseitigen Abschreckung führte dies allerdings kaum; eher zur Verschärfung militärischen Gebarens. Ende 1979 marschierten sowjetische Truppen in Afghanistan ein, um das dortige prosowjetische Regime tatkräftig zu unterstützen.⁴³²
Polen und Solidarność Wenige Monate später im Jahr 1980 kam es in der Volksrepublik Polen zu massiven Protesten gegen das dort herrschende kommunistische Regime. An der Spitze der Bewegung stand die unabhängige Gewerkschaft Solidarność. Die OstBerliner Machthaber empfanden die instabile Entwicklung im östlichen Nachbarland als direkte Bedrohung. Selbst geplagt von einer schweren politischen, wirtschaftlichen und nicht zuletzt gesellschaftlichen Krise, fürchteten sie, dass ein „freiheitlicher Funke“ auf die DDR überspringen könne.⁴³³ Eine Reform des „realen Sozialismus“ im Sinne von Lech Wałęsa hätte verheerende Auswirkungen auf den totalen Machtanspruch der SED haben können, ja womöglich sogar das Ende des eigenen Regimes bedeutet. In Ost-Berlin war man sich dieses Risikos durchaus bewusst, weswegen mit allen Mitteln versucht wurde, den Staat gegen gefährliche Einflüsse abzuschirmen und präventiv vorzusorgen. Mit einer propagandistischen Gegenoffensive beabsichtigte die SED-Führung, die Bevölkerung vor der „polnischen Gefahr“ zu warnen: Streiks seien kein Ausdruck „klassenmäßigen“ Agierens und Denkens; auch stünde es nicht dem Einzelnen, sondern nur der Partei zu, über die adäquate proletarische sowie marxistisch-leninistische
Hierüber liegt bekanntlich eine Fülle an Literatur vor. Vgl. u. a. Silvio Pons u. Federico Romero (Hg.), Reinterpreting the End of the Cold War: Issues, Interpretations, Periodizations, London 2005. Vgl. Rodric Braithwaite, Afgantsy: the Russians in Afghanistan 1979 – 1989, London 2011. Vgl. Hermann Konstantin (Hg.), Die DDR und die Solidarność: ausgewählte Aspekte einer Beziehung, Dresden 2013.
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Entwicklung des Landes zu wachen und dafür Verantwortung zu tragen.⁴³⁴ Parteiintern und gegenüber Vertretern anderer sozialistischer Staatsparteien, so auch der KPdSU, äußerten SED-Politiker tiefes Befremden über die polnische Reformbewegung, schürten Angst und beschrieben die dortige Lage als „schlimm“, sogar noch „schlimmer“ als beim „Prager Frühling.“⁴³⁵ Sogar eine militärische Lösung der polnischen Frage wurde diskutiert, entsprechende Vorbereitungen waren Ende 1980 bereits weit vorangeschritten. Honecker schien das harte Durchgreifen zu bevorzugen, da er von einer „Ansteckung“ der DDR-Bevölkerung ausging und diese im Keim zu ersticken bestrebt war.⁴³⁶ Nachdem jedoch die Sowjetunion beschlossen hatte, von jeglicher militärischen Intervention abzusehen, ließ auch die SED-Führung von diesem Gedanken ab und intensivierte stattdessen ihre Bemühungen zur Unterstützung „vertrauter Kräfte“ in Polen, die wieder Ruhe einkehren lassen sollten. Als sich allerdings sogar in der polnischen Staatspartei Polska Zjednoczona Partia Robotnicza (zu Deutsch Polnische Vereinigte Arbeiterpartei, PVAP) Anzeichen reformistischer Tendenzen zeigten, begünstigt u. a. durch den Ersten Sekretär Stanisław Kania, sah sich die SED erneut in Alarmbereitschaft versetzt.⁴³⁷ Ihre Bemühungen zur Stärkung der orthodoxen Kräfte in Polen gegenüber den revisionistischen Stimmen führten schließlich dazu, dass die KPdSU erheblichen Druck auf Stanisław Kania ausübte und dieser Ende 1981 sein Amt niederlegen musste. Ihm folgte der Moskau-loyale General Jaruzelski, der das Land mit besonders harten Maßnahmen, u. a. durch Ausrufung des Kriegsrechts, wieder unter Kontrolle brachte. Hinsichtlich der deutsch-deutschen Beziehungen hatte Honecker unterdessen Ende 1980 bei einer Rede in Gera erneut vergeblich für eine „Normalisierung“ plädiert. Erforderlich sei dafür, so der Generalsekretär, „die endgültige und vorbehaltslose völkerrechtliche Anerkennung der DDR, […] die Akzeptanz der DDRStaatsbürgerschaft, die Umwandlung der Ständigen Vertretungen in Botschaften, die Festlegung der Elbe-Grenze in der Mitte des Flusses und die Auflösung der zentralen Erfassungsstelle Salzgitter […].“⁴³⁸
Erich Honecker zit. nach Michael Kubina (Hg.), „Hart und kompromisslos durchgreifen“: die SED contra Polen 1980/81. Geheimakten der SED-Führung über die Unterdrückung der polnischen Demokratiebewegung, Berlin 1995, hier S. 166. SED-Politbüromitglied Joachim Herrmann zit. nach Kubina (Hg.), „Hart und kompromisslos durchgreifen“, S. 83. Den Wunsch äußerte er auf einem Gipfeltreffen führender Vertreter der sozialistischen Staaten am 5.12.1980 in Moskau, in: Kubina (Hg.), „Hart und kompromisslos durchgreifen“, S. 166. Hierzu vgl. auch Burkhard Olschowsky, Einvernehmen und Konflikt: das Verhältnis zwischen der DDR und der Volksrepublik Polen 1980 – 1989, Osnabrück 2005, S. 102– 105. Schröder, Der SED-Staat, S. 251.
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Kapitel 3: „Neuer Internationalismus“ und Opportunismus
Zwischenfazit Für die dritte Phase des Untersuchungszeitraums, die sich auf die Jahre 1976/77 bis 1981 erstreckt, konnte ein ausgeprägtes Überlegenheitsbewusstsein der Ost-Berliner Machthaber gegenüber den französischen „Genossen“ festgestellt werden. Dies rührte von der kritischen Position her, die der PCF in jener Zeitspanne mit Blick auf den Ostblock, insbesondere gegenüber der sowjetischen „Mutterpartei“, bezog, wodurch seine Beziehungen zur SED zusehends in Mitleidenschaft gezogen wurden.⁴³⁹ Die Opposition gegen die KPdSU und gegen Partner aus dem Ostblock im Allgemeinen war im PCF selbst nicht unumstritten.Wie hier dargelegt wurde, spielten von der einschlägigen Forschung bislang kaum wahrgenommene interne Differenzen eine maßgebliche Rolle bei der Revision der außenpolitischen Strategie. So brachte etwa das bedeutende PCF-Bezirkssekretariat Seine SaintDenis seine Missbilligung unverhohlen zum Ausdruck und warnte vor einer übereilten Kritik der Sowjetunion. Ein Kurswechsel zu einer „klassenmäßigen“, sowjetfreundlichen Politik ließ mithin nicht lange auf sich warten. Einher ging eine solche Rückbesinnung mit medialen Attacken auf die Bundesrepublik im Allgemeinen und auf die deutsche Sozialdemokratie (SPD) im Besonderen. Diese Angriffe konvergierten mit der entschlossenen Ablehnung des Reformkommunismus der italienischen „Genossen“.⁴⁴⁰ Die vom PCF-Vorstand manifestierte Billigung der sowjetischen Intervention in Afghanistan, die der Partei intern arg zusetzte, stellte eine eindeutige Bestätigung dieser plötzlichen „Schubumkehr“ dar.⁴⁴¹ Die ostdeutsche Reaktion war zwiegespalten: Einerseits begrüßte OstBerlin eindeutig die Rückkehr des PCF zur Loyalität gegenüber Moskau; andererseits verurteilte es die angeblich zu konservative außenpolitische Aktivität der französischen „Genossen“. Dem PCF drohe, so Ost-Berlin, eine ernstzunehmende Isolation in Europa.⁴⁴² Dies lief den Interessen der SED-Führung offensichtlich zuwider, denn diese setzte seit Ende der siebziger Jahre gezielt auf eine Verstärkung ihrer Präsenz im westeuropäischen Ausland. Die ostdeutsche Politik gegenüber dem PCI entsprach genau dieser Zielsetzung. Anders als in der einschlägigen Forschung bislang behauptet, liefen die Beziehungen zwischen PCI und SED, insbesondere
APCF, Polex, 264 J 17, Boite 2, Dossier 1, Transcription de la réunion du CC (31.3 – 3. 4. 1977), S. 3. APCF, Polex, 264 J 17, Boite 2, Dossier 1, Discours Marchais: Note sur quelques questions d’actualitè, 2.1.1980, S. 1. APCF, Polex, 264 J 17, Boite 2, Dossier 1, Discours Marchais, 2.1.1980, S. 1. SAPMO-Barch, Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/189, Einschätzung der Haltung der FKP zu internationalen Fragen, 1980, S. 6 – 7.
Zwischenfazit
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in translokaler Hinsicht, auf vollen Touren, sogar zu Zeiten ausgeprägter Spannungen und ideologischer Inkompatibilität. So konnte gezeigt werden, wie Freundschaftsgesellschaften von beiden Parteien als propagandistisches Mittel genutzt wurden, um das jeweilige Gegenüber gezielt zu beeinflussen bzw. zur Kooperation zu bewegen. Der abrupte Austritt des PCF aus der Linksunion nach dem Wahlsieg des PS bei den Kommunalwahlen vom März 1977 führte u. a. zu der eben erwähnten Wiederannäherung der französischen Kommunisten an den Ostblock und begünstigte die Intensivierung bilateraler Verbindungen zur SED. Wie hier rekonstruiert, überraschte der Bruch der Allianz mit Mitterrand zunächst sowohl die SED als auch die KPdSU eindeutig, ja er missfiel den beiden Parteien sogar. Letztgenannte versuchte vergeblich, den Zerfall der Allianz über Kontakte zur SP Belgiens zu verhindern. Seitdem gestalteten sich die nunmehr zwar numerisch erhöhten Beziehungen zwischen SED und PCF eher kühl, sowohl auf höchster Parteiebene als auch im Bereich der Grundorganisationen im Ausland. Hierzu trugen unverkennbar auch die ideologischen Streitigkeiten über die Rolle und den Stellenwert des Eurokommunismus bei, dem die KPs Frankreichs wie Italiens anhingen. Das Konzept des „dritten Weges“ war für die „real sozialistischen“ Staaten nach wie vor eine Provokation, weshalb sie mitunter Offensiven gegen seine Befürworter einleiteten.⁴⁴³ Vor diesem Hintergrund erwies es sich als unerlässlich, die bilateralen Verbindungen zur „Mutterpartei“ KPdSU, die für breite Teile der kommunistischen Gefolgschaft sowohl in Italien als auch in Frankreich identitätsstiftend geblieben war, auf neue Grundlagen zu stellen. Die Suche nach Alternativen endete für den PCF, wie gesehen, als jäher Rückfall ins altbewährte Muster der Konformität gegenüber Moskau. Für den PCI bedeutete das Streben nach neuartigen Beziehungen zur Sowjetunion hingegen vor allem auch eines: das proaktive Engagement zugunsten einer weiteren Demokratisierung supranationaler Vereinigungen und Organisationen wie die des Europäischen Parlaments.⁴⁴⁴ Der PCI unterstützte das Europäische Parlament als supranationale Institution wohl deshalb so, weil ihm zufolge damit ein eigenständiger „Pol“ geschaffen werden sollte, als Mittler zwischen den Supermächten. Darin unterschieden sich PCI und PCF grundsätz-
Reuter, Ostblock-Staaten starten Offensive gegen Euro-Kommunismus, 17.12.1976; vgl. auch MfS – ZAIG, 11015. Der PCI setzte sich bereits zu Beginn der 1970er Jahre für eine Direktwahl des Europäischen Parlaments ein und verlangte als einzige westeuropäische KP eine Erweiterung der Kompetenzen des Parlaments auf Kosten der nationalstaatlichen Souveränität. Auch forderten die italienischen Kommunisten ein Mitbestimmungsrecht des Europäischen Parlaments bei der Auswahl der Kommission.
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Kapitel 3: „Neuer Internationalismus“ und Opportunismus
lich. Nach Beendigung der Linksunion war der PCF nämlich ebenso rasch in seine alte ablehnende Position gegenüber der EG zurückgekehrt, die er selbst angesichts der ersten Direktwahlen zum Europäischen Parlament 1979, für die vor allem der PCI entschieden geworben hatte, verteidigte.⁴⁴⁵ Auch über den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan Ende 1979 herrschte Uneinigkeit, zumal die italienischen Kommunisten im Gegensatz zum PCF die Vorgehensweise der Sowjets scharf kritisierten. Aus einem wichtigen Gespräch zwischen Berlinguer und Marchais im Januar 1980 in Rom ging zudem hervor, dass dies nicht der einzige Gegensatz war. Der Italiener gab zu bedenken, dass das unkritische prosowjetische Bekenntnis des PCF der bilateralen Zusammenarbeit Frankreich-Italien Probleme bereite. Außerdem mache es eine strategische Annäherung an sozialdemokratische Kräfte beinahe unmöglich. Marchais verwahrte sich gegen jegliche Einmischung durch den PCI und weigerte sich schließlich, die NATO und den Warschauer Pakt gleichzusetzen.⁴⁴⁶ Der in der Historiografie oft konstatierte Zerfall der „eurokommunistischen Achse“ Rom-Paris ist nur schwer datierbar. Das vorliegende Kapitel hat gezeigt, dass es wohl sinnvoller ist, die Ursache hierfür in einem langjährigen Prozess zu sehen, während dem PCF und PCI zu Positionen (zurück‐)fanden, die sie bereits vor dem Aufkommen des Eurokommunismus vertreten hatten und die sie grundsätzlich voneinander trennten. Die im Journal Le Monde und in anderen europäischen Zeitungen festgestellte Spaltung des westeuropäischen Kommunismus kann und soll vor diesem Hintergrund in gewisser Hinsicht als „Rückkehr zur Normalität“ angesehen werden. Damit lässt sich wohl auch die Strategie des PCF erklären, Front gegen den PCI zu machen, indem beispielsweise die Reihen um die SED wieder enger geschlossen wurden. Damit hatte die französische Parteiführung zwar sicherlich nicht eine direkte Konfrontation mit den Italienern im Sinn, doch sie war darauf bedacht, der eigenen ideologisch-politischen Krise durch verstärktes Zusammengehen mit „real sozialistischen Partnern“ entgegenzuwirken und nahm dabei erhebliche Differenzen zur westeuropäischen „Bruderpartei“ in Kauf.
Auch im gewerkschaftlichen Bereich machten sich deutliche Unterschiede bemerkbar. Während die reformistisch orientierte italienische Confederazione Generale Italiana del Lavoro (CGIL) 1978 den kommunistischen Weltgewerkschaftsbund (WGB) verließ und in den sozialdemokratisch dominierten Europäischen Gewerkschaftsbund eintrat, verblieb die französische Confédération générale du travail (CGT) im von der Sowjetunion dominierten WGB. APCI, Sezione estero, Microfilm 8002, Incontro Berlinguer-Marchais, Rom 5.01.1980.
Kapitel 4 Ernüchterte Dreiecksbeziehungen im Zeichen des späten Kalten Krieges (1981 – 1985) 1 Der „zweite Kalte Krieg“ und die Ost-West-Beziehungen Die DDR und Frankreich Die neue Regierung Mitterrand vollzog unmittelbar nach ihrer Amtsübernahme eine Kehrtwende in den Beziehungen zur UdSSR sowie zum gesamten Ostblock. Wer von der ideologischen Orientierung her dachte und davon ausgegangen war, dass es zwischen einer sozialistischen Partei Westeuropas und dem „realen Sozialismus“ sowjetischer Prägung mehr Schnittmengen geben müsste als zwischen Moskau und den vorangegangenen Regierungsmannschaften Frankreichs, hatte sich gewaltig geirrt. Mitterrands Mitarbeiter übten an der Außenpolitik des Vorgängers Giscard d’Estaing scharfe Kritik. Insbesondere dessen außenpolitische Strategie gegenüber dem Ostblock werteten sie als defizitär und kontraproduktiv; sie habe die opportunistische Herangehensweise der konservativen Regierung widergespiegelt, die ausschließlich darauf bedacht gewesen sei, propagandistische Erfolge und wirtschaftlichen Nutzen für die klammen Kassen Frankreichs zu erzielen. Im Gegenzug habe es die KPdSU verstanden, die bilateralen Verbindungen geschickt auszunutzen, um ihr internationales Ansehen zu verbessern bzw. sich als friedliebendes Land zu inszenieren und gleichzeitig die Welt über ihre expansionistischen Ziele hinwegzutäuschen. So habe sie während der siebziger Jahre ihren Einfluss unter den Ländern der „Dritten Welt“ ausweiten und sich in weiten Kreisen der Öffentlichkeit des Westens als respektabler und vertrauenswürdiger Verhandlungspartner präsentieren können.¹ Der neue Staatspräsident zeigte sich dagegen zum Ende der siebziger Jahre als entschlossener Verfechter einer robusten Politik der Westmächte gegenüber der Sowjetunion – mit dem Ziel, diese von eigenmächtigen militärischen Vorstößen wie in Afghanistan abzuschrecken. Vor diesem Hintergrund begrüßte Mitterand auch die im Laufe des NATO-Doppelbeschlusses angeordnete (Wieder‐) Aufrüstung sowie die präventive Aufstellung von Raketen an neuralgischen Punkten in Mitteleuropa. Konsequent setzte er sich dafür ein, dass die bilateralen Beziehungen zur östlichen Supermacht auf neue Grundlagen gestellt würden. Vgl. Pierre Grosser, Serrer le jeu sans le fermer: l’Élysée et les relations franco-soviétiques, in: Berstein, François Mitterrand, S. 253 – 281. https://doi.org/10.1515/9783110748260-007
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Kapitel 4: Ernüchterte Dreiecksbeziehungen im späten Kalten Krieg
Dabei standen die Achtung und Wahrung der eigenen nationalen wie bündnispolitischen Interessen im Vordergrund. So verordnete er die unmittelbare Einstellung der unter Pompidou eingeführten regelmäßigen Beratungen zwischen beiden Ländern und trat energisch für eine qualitative und quantitative Aufwertung der Präsenz der NATO an ihrer östlichen Grenze ein.² Dieses äußerst entschlossene Auftreten gegenüber der Sowjetunion brachte der neuen Regierung jedoch auch Schwierigkeiten ein, so beispielsweise hinsichtlich der sowjetischen Abrüstungsforderungen in Richtung Westen. Mitterrands Unterstützung des NATO-Doppelbeschlusses nutzte die Sowjetunion kompromisslos aus, „indem sie die Einbeziehung der französischen (und britischen) Atomraketen in die Abrüstungsverhandlungen forderte.“³ Konkret schlug die UdSSR 1982 die Reduzierung ihres eigenen Raketenbestands auf französisches Niveau vor; im Gegenzug hätte der Westen seine Stationierung von Mittelstreckenraketen zurücknehmen sollen. Damit sah die französische Regierung wiederum ihren eigenen bisherigen Spielraum bedroht, beharrte sie doch wie gewöhnlich auf einer weitgehenden Autonomie bezüglich ihres Waffenpotentials. Sie lehnte folglich das Tauschgeschäft ab.⁴ Die Verschärfung des Kalten Krieges zu Beginn der achtziger Jahre brachte schließlich eine allmähliche Annäherung Mitterrands an die Bonner Republik mit sich. Ausschlaggebend dafür waren gemeinsame Interessen im Rahmen der NATO-Politik; sowohl Helmut Schmidt als auch Mitterrand schien deshalb eine Intensivierung der bilateralen Beziehungen sinnvoll und vielversprechend.⁵
Der PCF und die SED Auf dem X. Parteitag im April 1981 erneuerte die SED, wie bereits erwähnt, den Anspruch der Partei auf ihre Führungsrolle in Politik und Gesellschaft sowie die konsequente Orientierung am Vorbild der Sowjetunion ausdrücklich. Vor diesem Hintergrund wandelte sich auch die Taktik der ostdeutschen Staatsparteiführung
Vgl. Grosser, Serrer le jeu sans le fermer, S. 280 – 281. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 568. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 568; vgl. ferner auch Werner Link, Frankreichs Politik in den 80er Jahren (Nachwort), in: Michael Meimeth, Frankreichs Entspannungspolitik der 70er Jahre: Zwischen Status quo und friedlichem Wandel. Die Ära Georges Pompidou und Valéry Giscard d’Estaing, Baden-Baden 1990, S. 193 – 202. Vgl. Hélène Miard-Delacroix, Im Zeichen der europäischen Einigung: 1963 bis in die Gegenwart, Darmstadt 2011, S. 256 – 257; Hélène Miard-Delacroix, Partenaires de choix?: le chancelier Helmut Schmidt et la France (1974 – 1982), Bern 1993.
1 Der „zweite Kalte Krieg“ und die Ost-West-Beziehungen
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gegenüber Frankreich, insbesondere nach der erfolgreichen Wahlkampagne des PS, infolge derer Mitterrand zum Staatspräsidenten aufgestiegen war. Ein interner Bericht des MfAA gibt hierüber Aufschluss: Mit der Machtübernahme der linken Koalition habe sich ein auffälliges Einschwenken Frankreichs auf proatlantische Positionen vollzogen. Damit einhergehend konsolidiere sich die bereits enge strategische Zusammenarbeit der Franzosen mit der sozialdemokratisch regierten Bundesrepublik, mit der Frankreich das Ziel verfolge, „seine Großmachtambitionen“ zu wahren und möglichst reibungslos durchzusetzen.⁶ Dies sei auch der Hauptgrund, weshalb die neuen Machthaber in Paris an der Aufrechterhaltung eines „privilegierten Bündnisses“ mit den USA festhielten und mit diesen zusammen auf die Bildung eines imperialistischen Machtzentrums in Westeuropa hinarbeiteten, das sie zu steuern und zu kontrollieren beabsichtigten. Internationale Bündnisverpflichtungen Frankreichs seien folglich aufs Engste mit nationalen Zielvorstellungen verbunden, bei denen die Aufwertung des eigenen Landes im politischen und wirtschaftlichen Sinne im Vordergrund stehe: Die französische Haltung auf dem Gebiet der Abrüstung ist in Bewegung geraten, bleibt aber weiterhin widersprüchlich und inkonsequent […]. Obwohl Frankreich SALT II begrüßt, behielt es seine negative Haltung zu einer eventuellen Teilnahme am SALT-Prozess sowie zu den Wiener Verhandlungen bei […]. Der französische Imperialismus verfolgt eine intensive neokolonialistische Politik gegenüber den Entwicklungsländern […].⁷
Die Skepsis gegenüber der französischen Außenpolitik zog sich wie ein roter Faden durch die Anmerkungen und Einträge der SED-Beobachter, die oft mit Resignation auf die als unerschütterlich prowestlich geltende Einstellung Mitterrands reagierten. Anlässlich des Madrider Nachfolgetreffens über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa im Frühjahr 1981 – die Konferenz war bereits Ende 1980 in der spanischen Hauptstadt zusammengekommen – zeigte sich mit aller Deutlichkeit, wen die SED-Entsandten hinter den westlichen Versuchen verdächtigten, sämtliche Bemühungen um Abrüstung und Friedensförderung scheitern zu lassen: „Es ist nicht ausgeschlossen, daß Frankreich vor oder während des Madrider Treffens die Einberufung einer Konferenz über militärische Entspannung und Abrüstung in Europa (KMEA) durch eine unnachgiebige Haltung in der Frage eines Mandats vorerst verhindert.“⁸ Gleichzeitig gestanden die SED-Teilnehmer der französischen Delegation zu, dass sie einen Abbruch des KSZE-Prozesses zunächst habe verhindern wollen. Die prinzipiell positive Ein MfAA, ZR 3884/81, Einschätzung der Außenpolitik Frankreichs (1981), hier S. 3. MfAA, ZR 3884/81, Einschätzung der Außenpolitik Frankreichs, S. 4– 5. MfAA, ZR 2553/82, Info zur Haltung Frankreichs im Zusammenhang mit der Fortsetzung des Madrider Treffens, 19.1.1981, S. 1.
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stellung der französischen Diplomaten Jacques Martin, Marc Finaud und Jean Desazar dürfe aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass für Frankreich Erhalt und Ausbau der eigenen Machtposition in Europa und in der Welt eine übergeordnete Stellung einnähmen: Die Schlußakte von Helsinki sei als ‚Bibel der Entspannung kein schlechtes Dokument‘, man sollte aber vermeiden, in Madrid auf Vorschläge zu bestehen, die die prinzipielle Bedeutung der Schlußakte verwässern und entwerten. Frankreich sei für ‚etwas Neues‘[…]. Wenn das Madrider Treffen als politische Konferenz keine Entscheidung fällen könne, seien ‚Expertentreffen‘ dazu noch viel weniger in der Lage.⁹
Sowohl aus außenpolitischen als auch internen Gründen knüpfte die SED an das Madrider Treffen die Hoffnung, einen Durchbruch in sicherheitspolitischen Belangen zu erzielen, von dem sie direkt profitieren würde. Dass der ersehnte Erfolg ausblieb,¹⁰ nahm das MfS offensichtlich als Anlass zu erhöhter Wachsamkeit. In den Blick der Stasi geriet vor allem die „westliche Menschenrechtsdemagogie“, die als direkte Einmischung in innere Angelegenheiten souveräner Länder hinter pazifistischer Fassade verurteilt wurde. Stasi-Chef Erich Mielke rief höchstpersönlich zu besonderer Aufmerksamkeit auf und gab den Ratschlag, „mit unserer Ideologie noch stärker in die Offensive“ zu gehen, um somit alle subversiven Vorstöße des Westens im Keim zu ersticken.¹¹ Paradoxerweise wich die Interpretation der französischen Außenpolitik durch rangniedrigere Mitarbeiter der Grundorganisation der SED in der Pariser Botschaft der DDR grundlegend von der offiziellen Lesart in Ost-Berlin ab. Konträr zu dem eindeutig negativen Urteil aus dem zentralen „Parteiapparat“, inklusive seiner Zuarbeiter in wichtigen Ministerien wie MfAA oder MfS, machte sich bei den „Genossen“ im Auslandsdienst die Tendenz bemerkbar, mildere Töne anzuschlagen: Der Spielraum, der für eine solche Außenpolitik bleibt, die sich in grundsätzlichen und Detailfragen sowohl gegen den Sozialismus als auch gegen die Interessen der aggressiven Kreise des Imperialismus und ihre Konfrontationspolitik richtet, ist objektiv begrenzt. An diese Schranken stößt die französische Regierung z. B., wenn sie imperialistische Klassensolidarität, gesamtimperialistische oder spezifisch französische Interessen über die objek-
MfAA, ZR 2553/82, Info zur Haltung Frankreichs im Zusammenhang mit der Fortsetzung des Madrider Treffens, 19.1.1981, S. 2. Vgl. Die Zeit, Das KSZE-Nachfolgetreffen in der entscheidenden Phase. Der Westen zeigt die Zähne, 20.02.1981. MfS – ZAIG 4784a, Referat aus der zentralen Dienstkonferenz am 5./6. 7. 1979 zu Problemen der KD/OD, S. 1– 178, hier S. 35; ferner auch Hanisch, DDR im KSZE-Prozess, S. 297.
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tiven Erfordernisse einer auf Frieden, Entspannung und Sicherheit orientierten Politik stellt […].¹²
Das Madrider Nachfolgetreffen über europäische Sicherheit und Zusammenarbeit aus Sicht der SED Das sich bereits in der frühen Phase der Madrider Konferenz an wichtigen Verhandlungspunkten abzeichnende Scheitern führten SED-Beobachter undifferenziert auf die wenig kooperative Haltung des Westens zurück. Es seien bei den NATO-Staaten zwar Ansätze zu verzeichnen, ihre „konfrontative“ Haltung, „wie sie in Belgrad verfolgt wurde“, teilweise aufzugegeben; insbesondere bei bilateralen Treffen hätten sie ein ernsthaftes Interesse an der Fortsetzung des Entspannungsprozesses an den Tag gelegt.¹³ Als Mitglieder des NATO-Bündnisses träten einflussreiche westliche Länder jedoch ganz anders auf und redeten der imperialistischen Propaganda das Wort. Dadurch werde der notwendige Dialog zwischen beiden Seiten des „Vorhangs“, der ja durchaus auch wichtige Ergebnisse habe zeitigen können, gefährdet und die Möglichkeit eines nachhaltigen Friedens kompromittiert.¹⁴ Dem angeblich aggressiven Gebaren der westlichen Staatengemeinschaft sollte mit Propaganda und einer entschlossenen Öffentlichkeitsarbeit entgegengewirkt werden. Hierzu unterbreitete Prof. Max Schmidt, eine der führenden Persönlichkeiten in der Akademie der Wissenschaften der DDR, zwei Lösungsvorschläge: Erstens die möglichst weite Einbindung der Bevölkerung eines jeden Landes bei der Formulierung von Forderungen und Vorschlägen gegenüber den jeweiligen Regierungen; zweitens die Förderung und Verstärkung von zwischenstaatlichen Verhandlungen nach dem Muster von NGOs auf der UNO-Sondertagung zur Abrüstung. Wie verhärtet die Fronten bzw. unüberbrückbar die Positionen zwischen Ost und West indes waren, zeigt deutlich ein einschlägiger Eintrag des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik: Dem Westen kommt es auf die Verwirklichung eines Sachkonzepts an; er möchte das Forum der 35 KSZE-Teilnehmerstaaten für einen vereinbarten Beitrag zur Stabilisierung der mili-
MFAA, ZR 2550/82, Botschaft der DDR, Einige Überlegungen zu Leitlinien und aktuellen Aspekten in der französischen Außenpolitik, Paris 23.4.1981 (von Mitarbeiter Dietrich Guhl), hier S. 8. SAPMO-BArch, DDR-Komitee für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit, DZ/22/99, Madrider Konferenz der CISCE (Europ. Sicherheit und Zusamm.), 22.-28. 2.1981. SAPMO-BArch, DDR-Komitee für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit, DZ/22/99, Madrider Konferenz, S. 13.
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tärischen Situation in ganz Europa nutzen und schlägt zunächst Verhandlungen über militärisch bedeutsame, verbindliche und verifizierbare vertrauensbildende Maßnahmen (VBM) vor, die auf dem gesamten Kontinent Anwendung finden sollen.¹⁵
Dem „Osten“ wurde hingegen unterstellt, dass es ihm lediglich darum gehe, die Konferenz als Bühne für seine deklamatorischen und propagandistischen Parolen über das unklare Ziel der militärischen Entspannung auszunutzen.
2 Dreiecksbeziehungen im Schatten der Wiederaufrüstung Im Frühjahr 1981 rief der Vorstand des PCI seine Mitglieder dazu auf, über Möglichkeiten nachzudenken, die Partei hinsichtlich innerer Struktur und Entscheidungsmechanismen effizienter zu gestalten. Giorgio Napolitano, damals Leiter der Kulturabteilung des PCI, sammelte alle Vorschläge und trug in einem Interview für die Unità die wichtigsten Ergebnisse vor. Was die innenpolitische Situation in Italien betraf, nannte er drei Schwerpunkte, die der besonderen Aufmerksamkeit bedürften: die zukünftige Strategie der Partei, die Stärkung des wirtschaftlich schwachen Südens der Apenninenhalbinsel und die materielle Besserstellung der italienischen Jugend sowie die Verbesserung ihrer Zukunftsaussichten.¹⁶ In Anbetracht dringender Probleme, sowohl im italienischen als auch gesamteuropäischen Raum, so Napolitano weiter, böte sich die Sichtweise des „Neuen Internationalismus“ an, für den sich der PCI schon seit geraumer Zeit engagiere und der sich durch die demokratische, ideologiefreie Suche nach neuartigen Entwicklungswegen auszeichne. Dass sich dabei der Aktionsradius der italienischen Kommunisten vornehmlich auf Europa konzentriere, sei durch pragmatische Überlegungen bedingt.¹⁷ In seinen Ausführungen machte Napolitano keinen Hehl daraus, dass die internationalistische Konzeption des PCI mit ihrer prinzipiellen Tendenz zu Demokratisierung auf bereits Bekanntem aufbaue und insofern nicht die Neuigkeit darstelle, als welche sie in den Medien präsentiert werde. Demokratische Ver-
Aufzeichnung des Ministerialdirektors Blech. Betr. KSZE-Folgetreffen in Madrid, 19.01.1981, in: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. vom Institut für Zeitgeschichte, München 1983, S. 54– 60, hier S. 55 – 56. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/197, Übers. aus L’Unità: vom 8.01.1981, S. 8/9, I problemi del Partito nell’attuale fase politica (Die Probleme der Partei in der aktuellen politischen Phase), Rede des Genossen Napolitano. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/197, Übers. aus L’Unità: vom 8.01.1981, S. 8/9, I problemi del Partito, S. 22.
2 Dreiecksbeziehungen im Schatten der Wiederaufrüstung
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fahren seien tief verankert in der Tradition des italienischen Kommunismus. Gramscis Lehren hätten dabei zweifelsohne eine richtungsweisende Rolle gespielt und würden noch heute in entscheidenden Parteigremien nachwirken. Im „demokratischen Zentralismus“ erblicke der PCI somit eine Formel, die sich in vielerlei Gewändern zeige. Sie nehme in der italienischen Partei eine völlig andere Gestalt an als in anderen kommunistischen Parteien; sie werde ständig den Erfordernissen entsprechend interpretiert und ihnen angepasst.¹⁸ Diese Entwicklung, die Gramsci bereits vorhergesehen hätte, markiere den Höhepunkt der demokratischen Gesinnung des PCI, eine Taktik, die aus außenpolitischer Perspektive oft als Eurokommunismus bezeichnet worden sei. Dass die erwähnte Formel durchaus auch in politischen Organisationen mit unterschiedlichen Ideologien und Traditionen Anwendung finden könne, betonte Napolitano ausdrücklich. Es handle sich nämlich nicht um ein ideologisches Aushängeschild, sondern um eine Strategie, die das Agieren einer großen Massen- und Kampfpartei wie des PCI regeln solle. Die italienischen Kommunisten seien darauf bedacht, dieses demokratische Moment voll zur Geltung zu bringen und zu exportieren.¹⁹ Die Anspielung auf „Bruderparteien“, allen voran auf den PCF, war dabei unmissverständlich. Die bilateralen Beziehungen zwischen Frankreich und der DDR gestalteten sich zu Anfang der achtziger Jahre alles andere als reibungslos. An Umfang eindeutig herabgeschraubt, waren sie stärker denn je von der internationalen Politik beeinflusst. Die Verschärfung des Kalten Krieges hatte im Westen eine allgemeine Polarisierung der Öffentlichkeit zur Folge gehabt: Es hatten sich Massenbewegungen formiert, die für Frieden und Zusammenarbeit, aber auch für die Achtung der Menschenrechte und Meinungsfreiheit eintraten. In Anbetracht einer äußerst angespannten innenpolitischen Lage, sowohl in Italien als auch in Frankreich, maßen die ostdeutschen Machthaber dem Erhalt und nach Möglichkeit der Verbesserung ihrer Verbindungen zu wichtigen Partnern in diesen Ländern große Bedeutung bei. Die Umsetzung ihres Vorhabens erwies sich jedoch als durchaus kompliziert, denn die tiefe wirtschaftliche Rezession, in der die DDR steckte, verringerte ihren Spielraum erheblich. Wirtschaftliche Interessen und lukrative Geschäfte mit ausländischen Unternehmen rückten in den Vordergrund und bestimmten die Ausrichtung der außenpolitischen Agenda der SED mit Blick auf Paris und Rom. Diese Rechnung konnte aber nur zum Teil aufgehen: Mit ihrer
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/197, Übers. aus L’Unità: vom 8.01.1981, S. 8/9, I problemi del Partito, S. 30 – 31. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/197, Übers. aus L’Unità: vom 8.01.1981, S. 8/9, I problemi del Partito, S. 30 – 31.
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Kapitel 4: Ernüchterte Dreiecksbeziehungen im späten Kalten Krieg
Politik stieß die SED sowohl an die ideologisch-politischen Grenzen des späten Kalten Krieges als auch an persönliche Vorbehalte bei westlichen Politikern. Wie eingangs beschrieben hatte sich Mitterrand binnen kurzer Zeit zu einem der entschlossensten Befürworter einer harten Politik des Westens gegen den „realen Sozialismus“ entwickelt. Sein Schulterschluss, zunächst mit Helmut Schmidt und später mit Helmut Kohl, ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass die französische Regierung nicht gewillt war, die DDR privilegiert zu behandeln. Zwischen seiner Amtsübernahme und der Wahl Helmut Kohls zum Bundeskanzler am 1. Oktober 1982 durch das bekannte „konstruktive Misstrauensvotum“ hatte Mitterrand seine proatlantische Ausrichtung klar unter Beweis gestellt; der Bonner Regierungschef sollte dazu ein passendes Pendant bilden.²⁰ Ähnlich schwierig und unmittelbar von der Verschlechterung des Ost-WestDialogs belastet gestalteten sich die Beziehungen auf Regierungsebene zwischen der DDR und Italien. Der Christdemokrat Francesco Cossiga war von August 1979 bis Oktober 1980 in zwei aufeinanderfolgenden Regierungen amtierender Ministerpräsident. Auf sein Betreiben hin wurde während seines zweiten Mandats der Pentapartito („Fünferpartei“) ins Leben gerufen, eine Koalition aus den Parteien Democrazia Cristiana (DC), Partito Socialista Italiano (PSI), Partito Socialista Democratico Italiano (PSDI), Partito Repubblicano Italiano (PRI) und Partito Liberale Italiano (PLI), die zur politischen und wirtschaftlichen Stabilisierung des Landes beitragen sollte.²¹ Gleichzeitig beabsichtigte die Allianz, ein Bollwerk gegen den vermeintlich schädlichen und unberechenbaren Einfluss des PCI auf Staat und Gesellschaft zu bilden. Das Interesse der traditionell bürgerlichen Parteien an einem Austausch mit kommunistischen Vertretern oder gar Exponenten kommunistischer Staatsparteien gehörte zu Beginn der achtziger Jahre wieder der Vergangenheit an. Das „Schreckgespenst des Kommunismus“ hatte insbesondere in Italien, wo eine weit über die nationalen Grenzen hinaus bekannte und in der Wählerschaft tief verankerte kommunistische Partei agierte, an Bedeutung und Ausmaß überraschend zugenommen. Vor diesem Hintergrund gestaltete es sich auch für die SED schwierig, in Italien „Fuß zu fassen“ und Formen der Zusammenarbeit auszuloten. Dem PCI kam derweil als Mittler dennoch nach wie vor verstärkt Bedeutung zu, obgleich die Mehrheit der Vorstandsmitglieder in Rom, wie gesehen, dem orthodoxen Marxismus-Leninismus der SED längst den Rücken gekehrt hatte.
Vgl. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 570. Vgl. Francesco Barbagallo, Le classi dirigenti nella storia d’Italia, Rom 2006, S. 245 – 256; ferner auch Mauro Fotia, Il consociativismo infinito: dal centro-sinistra al Partito Democratico, Bari 2011.
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Auch auf Parteiebene wurden die Verbindungen stark heruntergefahren. Im Frühjahr 1981 reiste eine Delegation der SED auf Einladung des PCI nach Italien. Geleitet wurde sie von Herbert Häber, ZK-Mitglied und mächtiger Direktor der Westabteilung des ZK, der damit beauftragt war, tragfähige Beziehungen mit westlichen Partnern einzufädeln und auszubauen. Von ökonomisch gewinnbringenden Ergebnissen konnte aber in diesem Fall keine Rede sein, obwohl die ostdeutsche Abordnung acht Tage lang in Italien blieb und an zahlreichen Veranstaltungen der italienischen Partei teilnahm.²² Immerhin, wenige Tage später sandte Honecker im Anschluss daran dem Vorstand des PCI in Rom einen Brief: Ohne Umschweife lud der Generalsekretär „ein bis zwei Vertreter“ der italienischen Kommunisten zum bevorstehenden X. Parteitag der SED ein.²³ An dem Kongress vom 11. bis 16. April 1981 in Ost-Berlin nahmen schlussendlich drei PCI-Mitglieder teil: Gianni Cervetti, Salvatore Cacciapuoti und Rodolfo Mechini.²⁴ Der Parteitag brachte keine neuen Ergebnisse, auch in wirtschaftlicher Hinsicht konnte kein Durchbruch erzielt werden. Rein propagandistisch wurde verkündet, dass Honecker einhellig in seinem Amt als Generalsekretär bestätigt worden sei; die einzige Neuigkeit stellte der Beschluss dar, das PB von 19 auf 17 Mitglieder zu reduzieren.²⁵ Der verabschiedete Wirtschaftsplan zeichnete sich durch außergewöhnlichen Optimismus aus: Als Ziel bis 1985 wurde eine Wachstumsrate von 6 % angesetzt.²⁶ Der PCI reagierte mit Erstaunen auf diese Zahl und verwies in einschlägigen Artikeln zur Erklärung auf die Rolle besonderer Wirtschaftssektoren wie etwa der Mikroelektronik, auf denen sich die DDR besonders hervorgetan hätte.²⁷ Der knappe Austausch zwischen Italienern und Ostdeutschen am Rande des Parteitags ließ die bekannten Divergenzen wieder in Erscheinung treten und die bewährte opportunistische Taktik der SED aufscheinen: Unser Beitrag zur Krise in Afghanistan und in Polen wurde mit Widerspruch aufgenommen. Am Rande des Kongresses drückten sich die SED-Leute doppeldeutig bezüglich unserer Ausführungen aus: einerseits mit Distanz, andererseits mit Verständnis. Sie benutzten den Terminus ‚vernünftig‘. Dann private Unterredung auch mit PCF-Leuten, die den Willen
L’Unità, Delegazione della SED ospite del PCI, 17.1.1981. APCI, Sezione Estero, Microfilm 488, Lettera di Honecker al PCI, (Januar 1981). APCI, Sezione Estero, Microfilm 497, Lettera del PCI alla SED, 31.03.1981. Protokoll der X. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Berlin 1981, S. 163. Protokoll der X. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Berlin 1981, S. 163. L’Unità, La RDT pensa a una crescita annua del 6 %, 15.4.1981.
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zeigten, eine Annäherung an uns anzustreben. Unser Urteil: Dieser Wille kommt daher, daß sie große Schwierigkeiten mit ihrer Politik haben.²⁸
Der eher protokollarische, mehr symbolisch denn ehrlich gewünschte Meinungsaustausch konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die bilateralen Beziehungen, vor allem für den PCI, an Bedeutung und Qualität radikal verloren hatten. Vor dem Hintergrund einschneidender internationaler Ereignisse wie des Einmarsches sowjetischer Truppen in Afghanistan und der polnischen Krise konnte kaum noch eine Übereinstimmung erzielt werden, die sich als neue Grundlage für die Verbindungen zwischen den Parteien geeignet hätte. Den vom PCI eingeschlagenen „dritten Weg“ zwischen Sozialdemokratie und realem Sozialismus verurteilte die SED nicht nur aufs Schärfste: Sie bezweifelte erst recht, dass er überhaupt existiere. Auch das im Ostblock als axiomatisch geltende Prinzip, wonach Friede bzw. Entspannung im europäischen und weltweiten Rahmen nur durch qualitative und materielle Aufwertung der sozialistischen Staatengemeinschaft möglich sei – eine Überzeugung, die von der westlichen Gemeinschaft strikt abgelehnt wurde –, wies der PCI stets vehement zurück. Er musste sich darin ganz klar bestätigt fühlen, als Afghanistan von der Sowjetunion angegriffen wurde. Hatte noch der PCF die nur schwer zu rechtfertigende militärische Mission in dem asiatischen Land als zu verschmerzendes Übel im Namen des „historischen Fortschritts“ hingenommen, so überzogen die italienischen „Genossen“ den für sie unakzeptablen Coup dagegen mit harscher Kritik. Über solch verbale Opposition hinaus stellte der sowjetische Feldzug in Afghanistan eine Zäsur dar: An ihm wurden nicht nur die bereits bestehenden Differenzen zwischen dem östlichen Kommunismus und dem Eurokommunismus des PCI erneut sichtbar, an ihm zerbrach auch endgültig der westeuropäische Kommunismus mit seinen traditionellen Hochburgen und Allianzen. Der strappo, wie italienische Medien diesen Bruch des Jahres 1981 bezeichneten, führte beim PCI zu der Erkenntnis, dass der Ost-West-Dialog ganz neu gedacht und strukturiert werden müsse bzw. dass alle bisherigen Kontakte zu Vertretern des Warschauer Vertrags bis dahin lediglich instrumentellen Charakter besessen hätten.²⁹
APCI, Sezione Estero, Microfilm 8110, Relazione della delegazione del PCI (Cervetti, Cacciapuoti, Mechini) al X. Congresso della SED, Berlin 10 – 16 April 1981. Vgl. SAPMO-BArch, Büro Axen, DY 30/IV 2/2.035/101, Vermerk über das Gespräch zwischen dem Generalsekretär der IKP, Enrico Berlinguer, und dem Mitglied des Politbüros und Sekretär des ZK der SED, Hermann Axen, am 20.06.1980. Pöthig weist zu Recht auf folgenden Umstand hin: „Der an die Stelle des proletarischen Internationalismus getretene neue Internationalismus des
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Die Wahl Mitterrands zum Staatspräsidenten sei ein „Ergebnis, das den Erneuerungswillen des französischen Volks unter Beweis stellt.“³⁰ Mit diesen Worten begrüßte Enrico Berlinguer den Wahlsieg des französischen PS und seines Kandidaten. Wenige Tage später reiste eine Delegation des PCI zu Gesprächen mit französischen „Genossen“ nach Paris. Zur Debatte standen zwei Hauptthemen: der Wahlerfolg, infolgedessen der PCF Regierungsverantwortung übernehmen sollte, und seine Auswirkungen auf die bündnispolitische Strategie der französischen Kommunisten gegenüber dem PS um Mitterrand.³¹ Gremetz ließ zunächst verlauten: „PS stärker als PCF in der Union. Die USA wollen keine Kommunisten an der Regierung […]. Nach dem Wahlkampf könnten wir einen verstärkten Austausch anbahnen. Wir bestätigen unsere eurokommunistische Ausrichtung.“³² Das unvermittelte Einschwenken des PCF auf „eurokommunistische“ Positionen oder zumindest die Erklärung, weiterhin an einer „eurokommunistischen“ Ausrichtung festhalten zu wollen, überraschte die Italiener. Nur wenige Monate zuvor hatte der Pariser Vorstand nämlich eindeutig zu verstehen gegeben, dass der „Eurokommunimus“ sein Potential ausgeschöpft habe und in seiner Natur ambivalent und nicht praktizierbar sei.³³ Das Prestige des PCI in Westeuropa schien unaufhaltsam zu wachsen. In der Bundesrepublik konnten die italienischen Kommunisten bei zahlreichen Gelegenheiten Präsenz zeigen: Mitte Mai 1981 nahmen PCI-Vertreter am Parteitag der SEW in West-Berlin teil, bei dem Horst Schmitt als Vorsitzender bestätigt wurde.³⁴ Wenige Tage später war Sergio Segre bei einem zweitägigen Seminar zum Thema „Eurokommunismus und Europapolitik, Tendenzen und Aussichten“ in Frankfurt am Main, das von der Hessischen Stiftung zur Erforschung von Konflikten und Frieden (HSKA) organisiert und geleitet wurde. Zu den Teilnehmern zählten u. a. Karsten Voigt und Veronika Isenberg von der SPD sowie Heidi Wiezcorek-Zeul, Vizepräsidentin der EU-Kommission für Außenbeziehungen, ferner der Historiker
PCI war der Beginn des Weges zu einer ‚westlichen‛ Partei. Der Bruch mit Moskau, der sogenannte strappo im Jahre 1981, hatte zur Folge, dass sich PCI und SED weiter voneinander distanzierten. Die polnische Solidarność wurde als Bestätigung des Eurokommunismus gesehen und im Herbst 1981 formulierte der PCI die ‚Charta für Frieden und Entwicklung‘, das explizite Resumée der kritischen Analyse der sowjetischen Außenpolitik.“ Vgl. Pöthig, Italien und die DDR, S. 389. L’Unità, Berlinguer: un risultato che esprime la volontà di rinnovamento dei francesi, 11.5.1981. APCI, Sezione Estero, Microfilm 504, Incontro con i compagni del PCF, Paris 25.05.1981. APCI, Sezione Estero, Microfilm 504, Incontro con i compagni del PCF, S. 1. Vgl. APCI, Sezione Estero, Microfilm 0507 und 8002; ferner auch L’Unità, Incontro a Parigi PCIPCF, 27.5.1981. L’Unità, Concluso a Berlino Ovest il congresso della SEW, 18. 5.1981.
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Bruno Schoch, der die wichtige Rolle des Eurokommunismus und insbesondere des PCI für den Prozess der Entspannung in Europa hervorhob.³⁵ Anfang Juli desselben Jahres trafen Rubbi und Mechini wieder mit den französischen „Genossen“ Gremetz und Trugnan in Paris zusammen. Die PCFVertreter traten dabei gegenüber ihren Gästen ungewöhnlich reumütig auf und informierten sie ausführlich über die letzte Sitzung des ZK und seine Ergebnisse. Für den PCF habe eine neue Phase begonnen, unterstrich Gremetz; wenn die Partei ihre herrschende Identitätskrise erfolgreich überwinden wolle, müsse sich die neue Ära durch Selbstkritik und Objektivität auszeichnen: „Wendejahr 1956: Im Gegensatz zum PCI haben wir die Bedeutung und die Lehren des XX. Parteitags der KPdSU nicht begriffen und nur sehr spät (mit 20 Jahren Verzug) damit angefangen, einen französischen Weg zum Sozialismus auszuarbeiten.“³⁶ Der PCF verhielt sich jedoch in dieser Aufbruchphase, die ihn erstmals vor die Herausforderung einer aktiven Beteiligung an einer Regierung stellte, nicht immer eindeutig: Zeigten sich die Kommunisten in Paris einerseits kooperationswillig und selbstkritisch, so beharrten sie andererseits auf einer ausweichenden Politik gegenüber ihren italienischen Kollegen.³⁷ Als unbeständig in ihren politischen Zielen und im Umgang mit befreundeten Parteien bezeichnete auch der PS seine kommunistischen Bündnispartner. Jean Poperen, die „Nummer Zwei“ des französischen PS und ehemaliger militanter Kommunist, erläuterte einer Delegation des PCI auf einem breit angelegten Kongress in Paris die Motive der herrschenden Skepsis gegenüber dem PCF und seinem Generalsekretär Marchais. Am Rande dieses Gipfels, an dem Vertreter des PCF, des PS sowie der beiden wichtigsten Gewerkschaften des Landes CGT und CFDT beteiligt waren, betonte er zwar zunächst die Zufriedenheit seiner Partei mit der Zusammenarbeit mit den Kommunisten in der Regierung. Er gab jedoch zu verstehen, dass in vielen Kreisen gleichzeitig die Befürchtung bestehe, „daß sich trotzdem innerhalb des PCF keine Erneuerung ergibt. Frankreich darf keine Insel in Europa sein und muß integriert werden in die soziale Politik der europäischen Linken.“³⁸ Daher sei eine Inten-
APCI, Sezione Estero, Microfilm 504, Due giorni di dibattito a Francoforte – Fra SPD e PCI aperto un dialogo sulle prospettive europee. APCI, Sezione Estero, Microfilm 8109, Nota sull’incontro con il PCF (Gremetz e Trugnan, Rubbi e Mechini), Paris 1.07.1981. So weigerte sich der PCF-Vorstand beispielsweise, ihm nahestehende Journalisten auf eine Tagung der Redakteure kommunistischer Zeitschriften zu entsenden, welche für den Spätsommer 1981 in Rom geplant war, mit der Begründung, dass er „keinen Anlass für eine solche Initiative sähe.“ Vgl. APCI, Sezione Estero, Microfilm 504, Nota per Berlinguer, 25.06.1981. APCI, Sezione Estero, Microfilm 8111, Verbali di Romano Ledda dei colloqui con PCF, PS, CFDT, CGT, Paris 19 – 22 Juli 1981, S. 7.
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sivierung der Beziehungen zum PCI wünschenswert und erforderlich.³⁹ Das darauffolgende Gespräch mit Henri Krasucki, hochrangigem Funktionär der CGT und entschlossenem Befürworter einer internationalistischen Politik, bestätigte mit aller Deutlichkeit, dass die Strategie des PCF sowohl im linken parteipolitischen Lager als auch im entsprechenden gewerkschaftlichen Umfeld äußerst umstritten war.⁴⁰ Die Unterredungen mit den Pariser Kommunisten verliefen formal und konnten nicht dazu beitragen, den gegenseitigen Argwohn substantiell abzumildern, geschweige denn zu überwinden. Im Allgemeinen kann festgehalten werden, dass die beiden Fronten verhärtet waren. Über die objektiven Diskrepanzen ideologischer Natur hinaus fielen nun auch persönliche Rivalitäten und politischer Neid ins Gewicht.⁴¹ Die SED nahm die Intensivierung der bilateralen Beziehungen zwischen dem PCI und dem PS Frankreichs sowie zwischen PCI und SPD mit sichtlicher Genugtuung zur Kenntnis. Dies ging aus dem Treffen einer ostdeutschen Delegation, bestehend aus Heinz Lehmann, Helmut Schiffner (beide Abteilung Internationale Verbindungen) und Hans Voss, DDR-Botschafter in Italien, mit italienischen „Genossen“ in Rom hervor.⁴² Angesichts der Ost-West-Spannungen und der beträchtlichen Verringerung des eigenen Spielraums hatte die SED im Rahmen des X. Parteitags beschlossen, ihre Bemühungen im Bereich der propagandistischen Aktion und der Friedenspolitik zu intensivieren. Dazu sollten Kontakte zu besonders einflussreichen Ansprechpartnern geknüpft werden, auch zu solchen aus
APCI, Sezione Estero, Microfilm 8111, Verbali di Romano Ledda, S. 8. „Wir führen einen sehr harten Kampf, da die konservative Rechte den Sturz der Regierung beabsichtigt. Die CGT ist aber nicht mehr wie vor drei Jahren für eine enge Zusammenarbeit mit der Linksunion, sie ist eher für die Selbstständigkeit […].“ Krasucki in: APCI, Sezione Estero, Microfilm 8111, Verbali di Romano Ledda, S. 9. Wie sehr persönliche Einstellungen und Überzeugungen relevant waren, scheint u. a. ein Hinweis von Helmut Schmidt zu bestätigen, der sich am Rande eines Zusammentreffens von Berlinguer und Brandt in Straßburg Ende 1981 „pikiert“ über den PCF äußerte: „Schmidt zufrieden mit Treffen in der DDR mit Honecker, insbesondere Übereinstimmung in Friedens- und Abrüstungspolitik. Beziehungen zum PCI sehr gut, aber Formalisierung schwierig wegen Craxi (PSI). Mit PCF unmöglich wegen seiner bekannten Haltung der SPD gegenüber.“ In: APCI, Sezione Estero, Microfilm 8202, Nota sull’incontro Berlinguer-Brandt, Straßburg 15.12.1981, S. 2– 3. Beim Besuch von Willy Brandt in der DDR (Güstrow) hatte die SED mehrere getarnte Polizisten aufgestellt, welche Honecker beim Vorbeifahren bejubelten. Verhindert werden sollte dadurch der auffällige Zuspruch und uferlose Beifall der DDR-Bevölkerung dem Kanzler der Bundesrepublik gegenüber, wie es früher jenes Jahr in Erfurt der Fall gewesen war. APCI, Sezione Estero, Microfilm 8112, Verbale dei colloqui tra delegazioni della SED (Heinz Lehmann, Helmut Schiffner – Abteilung Außenbeziehungen; Hans Voss, DDR-Botschafter in Italien) e del PCI (Antonio Rubbi, Rodolfo Mechini, Michele Ingenito), Rom 9 – 11 November 1981; vgl. auch den Eintrag in L’Unità, Delegazione della SED incontra Berlinguer, 12.11.1981.
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der französischen Regierung, die trotz aller Gegensätzlichkeit durchaus Dialogbereitschaft zeigte.⁴³ Hermann Axen war beauftragt worden, hierzu das Terrain zu sondieren. Auf dem Parteitag des PS in Valence (23. bis 25.10.1981)⁴⁴ gelang es ihm, eine Unterredung mit Mitterrand einzufädeln, bei der er sich für die Wiederaufnahme fruchtbarer Beziehungen zwischen beiden Ländern aussprach. Dass sich die SED diesbezüglich vorrangig von pragmatischen Motiven treiben ließ und sich dabei sogar über allgemeine außenpolitische Vorgaben aus Moskau hinwegsetzte, übersahen Mitterrand und seine Mitarbeiter zunächst.⁴⁵ Die Konzentration auf die „Friedenspolitik“ sollte die letzte Dekade in der außenpolitischen Geschichte der DDR charakterisieren und die Wahl ihrer Kontakte bis zum Fall der Mauer weitgehend bestimmen. Ob dies jedoch als Zeichen für eine gewisse Autonomie gegenüber Moskau zu deuten ist, muss dahingestellt bleiben. Aus der Sicht ihrer politischen Verbindungen zu den beiden stärksten kommunistischen Parteien Westeuropas kann dies jedenfalls nicht bestätigt werden. Die oben genannten Gespräche mit der PCI-Führung in Rom zeitigten kein nennenswertes Ergebnis; übereinstimmend äußerten sich die Teilnehmer über die Bedeutung der Friedensbewegung in Europa: „SED schätzt ein, daß Friedensbewegung noch in Expansion begriffen, so wie man für die Bundesrepublik und die SPD beobachtet […]. Scharfe Kritik an Politik Reagans und im Allgemeinen der USA.“⁴⁶ Antonio Rubbi konzedierte zwar, dass die Hauptschuld an der Verschärfung der Ost-West-Krise bei den USA bzw. ihrer imperialistischen Politik liege, wies aber darauf hin, dass die UdSSR in gleichem Maße mitverantwortlich sei.⁴⁷ Dass auch die SPD an der Aufrechterhaltung guter Kontakte zum PCI sehr interessiert war, verdeutlichte Veronika Isenberg, stellvertretende Leiterin des
Vgl. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 574 f. Unter der Losung „Franzosen, der Kampf ist noch lange nicht beendet, die Rechte bleibt standhaft“ lud der PS zum Parteitag in Valence. Eine beachtliche internationale Teilnahme war zu verbuchen: Delegationen der KPdSU, der SED, des PCI, der KP Chinas und der griechischen PASOK waren u. a. zugegen. Vgl. L’Unità, Dal congresso socialista appello a continuare la battaglia unitaria – „Francesi, la lotta non è finita, la destra resiste“, 24.10.1981. „Paris unterschätzte in dieser Phase zweifellos die bestehenden Divergenzen zwischen der DDR und der Sowjetunion im Umgang mit dem Westen, so dass die Perzeption des SED-Staates weniger von ost-, sondern in erster Linie von deutschlandpolitischen Erwägungen dominiert wurde.“ Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 574. APCI, Sezione Estero, Microfilm 8112, Verbale dei colloqui tra delegazioni della SED (Heinz Lehmann, Helmut Schiffner – Abteilung Außenbeziehungen; Hans Voss, DDR-Botschafter in Italien) e del PCI (Antonio Rubbi, Rodolfo Mechini, Michele Ingenito), Rom 9 – 11 November 1981, S. 5. APCI, Sezione Estero, Microfilm 8112, Verbale dei colloqui, S. 6.
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Büros für Außenbeziehungen der westdeutschen Partei, in einer beratenden Sitzung in Rom Ende 1981. Im Mittelpunkt des Gesprächs stand zunächst ihr Bericht über das Treffen zwischen Schmidt und Honecker vom Dezember 1981, welches sie als vielversprechend beschrieb. Mit Besorgnis verfolgte die SPD jedoch die politische Entwicklung in Polen. Daher wollte Isenberg, auch im Namen ihres Parteivorstands, den PCI darum bitten, von seiner Mittlerfunktion Gebrauch zu machen und bei der KPdSU vorstellig zu werden, um eine friedliche Lösung für das krisengeschüttelte östliche Land herbeizuführen.⁴⁸ Der Appell an die Italiener war bezeichnend für die Wahrnehmung des PCI durch die SPD: Wenngleich als „geläutert“ und „demokratisch“ geltend, konnten die Sozialdemokraten das kulturell und traditionell bedingte „Schreckgespenst Kommunismus“ doch nie gänzlich abstreifen und den PCI als einen gleichberechtigten Partner behandeln. In der Tat waren wenige Tage zuvor zwei Exponenten des PCI zu Konsultationen mit der KPdSU nach Moskau gereist. Die Sowjets, hieß es im Bericht von Luciano Barca, hätten sich überraschend freundlich gezeigt und ihre Entschlossenheit bekräftigt, die angeschlagenen Beziehungen zum PCI wieder in geordnete Bahnen lenken zu wollen. Insbesondere die Friedenspolitik der Italiener sei lobend hervorgehoben worden; die Moskauer „Genossen“ hätten den Wunsch zum Ausdruck gebracht, dass andere westeuropäische Parteien dem Beispiel des PCI folgen mochten.⁴⁹
Zur Friedenspolitik Berlinguer nahm an der großen Friedensdemonstration im Bonner Hofgarten vom 10. Oktober 1981⁵⁰ teil und durfte ein Grußwort an die ca. 300.000 versammelten Zuschauer richten. Er richtete sich dabei insbesondere an die europäische Jugend sowie an alle, die gegen den Aufrüstungstrend ankämpften: An diesem großen Kampftag der Europäer für Frieden und Abrüstung übermitteln wir Euch die Freundschaft und Solidarität der italienischen Kommunisten. Gegen jegliche Logik der Gewalt […]. Diese Bewegung, an deren Spitze die Jugend steht, hat bereits ein großes Echo und einen großen Einfluß, der auch in Italien zunehmend wächst […]. Daher unser Widerstand einerseits gegen die Cruise und Pershing, andererseits gegen die SS 20, so wie wir uns
APCI, Sezione Estero, Microfilm 8201, Nota di Ingenito su incontro con dirigente della SPD, Rom 29.12.1981. APCI, Sezione Estero, Microfilm 8201, Incontri politici in Urss, Luciano Barca e Franchi, 23.12. 1981. An der Kundgebung nahmen ca. 300.000 Demonstranten teil, welche für Frieden und Abrüstung in Ost und West manifestierten. Vgl. Die Zeit, Wir gegen alle. Vor 25 Jahren demonstrierten Hunderttausende in Bonn gegen die Raketen-Nachrüstung, 10.10. 2006.
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ebenfalls gegen die Neutronenbombe zur Wehr setzen, eine Waffe, durch die die katastrophale Theorie des ‚begrenzten Nuklearkrieges‘ eingeführt wird, die schrecklichen Abenteuern auf unserem Kontinent den Weg bereiten könnte […].“⁵¹
An friedenspolitischer Front stellte der PCI weitgehende Übereinstimmung mit verschiedenen politischen Kräften der Bundesrepublik fest. Die beträchtliche Aufmerksamkeit, die dem PCI aus Westdeutschland zuteilwurde, muss in höchstem Maße seiner Sicherheitspolitik zugeschrieben werden. Dass sich der PCI vom traditionellen Leitbild des „proletarischen Internationalismus“ verabschiedet hatte und sich zu einem „Neuen Internationalismus“ bekannte, führten westliche Beobachter auf eine grundlegende Wandlung der italienischen Partei zurück, welche seit Ende der siebziger Jahre verstärkt vorangetrieben worden und nach wie vor im Gange sei.⁵² Diese Sichtweise wurde von etlichen Vertretern der SPD und bürgerlicher Parteien der Bundesrepublik⁵³ auf einem Symposium in Köln Anfang Dezember 1981 bestätigt. Das „Deutschland-Archiv“ hatte zusammen mit dem Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien Giancarlo Pajetta dazu eingeladen. Dieser wies in seinen Ausführungen auf den traditionellen Internationalismus des PCI hin, der sich von Anfang an von dem anderer kommunistischer Parteien Europas grundsätzlich unterschieden habe. Außerdem erinnerte er seine Gäste daran, dass Köln eine besondere Stellung in der Geschichte des PCI einnehme, weil dort 1931 der IV. Parteitag des PCI im Exil stattgefunden habe.⁵⁴ Nur wenige Tage später kamen Berlinguer und Brandt erneut in Brüssel zu einem Gespräch zusammen. In der langen Unterredung konzentrierten sich die beiden Politiker auf die herrschende „Weltkrise“ und die daraus resultierenden Aufgaben für die Linke. Berlinguer vertrat bezüglich der politischen Mission des Kommunismus entschieden die Ansicht, dass die erste Phase des Sozialismus, die ursprüngliche, der SPD und den sozialistischen Parteien gehört habe; darauf sei
APCI, Sezione Estero, Microfilm 507, Grußwort des Abgeordneten Enrico Berlinguer anlässlich der Demonstration und Kundgebung vom 10. 10. 1981 in Bonn, S. 1. APCI, Sezione Estero, Microfilm 507, Importanti convergenze nei colloqui di Pajetta con le forze politiche della Germania federale, 8.12.1981. Vertreten waren die SPD mit Horst Ehmke und Karsten Voigt, die FDP mit dem Abgeordneten Olaf Feldmann und die CSU mit dem Mitglied des Bundestages Franz Ludwig Schenk Graf von Stauffenberg. Vgl. APCI, Sezione Estero, Microfilm 507, Importanti convergenze. APCI, Sezione Estero, Microfilm 507, Importanti convergenze, S. 2.; vgl. APCI, Fondo Pajetta, Fasc. 26, Einleitung von Pajetta zur Konferenz am Bundesinstitut „Die internationalen Aktivitäten der PCI und die internationale Lage“, Köln 8.12.1981. Pajetta beschrieb den Anlass als besonders emotional, da er persönlich am IV. Parteitag im Exil in Köln teilgenommen hatte. Er war damals, fügte er hinzu, 20 Jahre alt und hatte bereits zwei Jahre Haft hinter sich.
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eine zweite Phase gefolgt, die kommunistische, eingeläutet durch die Oktoberrevolution, welche die Geburt aller kommunistischen Parteien der Welt erst möglich gemacht habe: „Nun durchlaufen wir die dritte Phase, die dazu genutzt werden soll, um Differenzen der Vergangenheit zu überwinden und über die Errungenschaften der ersten zwei Phasen hinauszuwachsen.“⁵⁵ SED-intern hielt sich der Enthusiasmus über die internationalistische Friedenspolitik des PCI entgegen allerlei bilateraler Beteuerungen auffallend in Grenzen. Die Ende 1981 wieder aufflammende Kritik der Italiener an der Außenpolitik der UdSSR versetzte die Mitarbeiter der Abteilung Internationale Verbindungen in höchste Alarmbereitschaft. Als besonders schwerwiegend wurde die Tatsache empfunden, dass die Italiener Versuche unternommen hätten bzw. weiterhin unternehmen würden, die Regierungspartei PS und Mitterrand für sich zu gewinnen, um eine strategische Allianz mit ihnen einzugehen, zuungunsten des PCF.⁵⁶ Anlass zu dieser Vermutung bot u. a. eine Stellungnahme Marchaisʼ zu angeblich subversiven Dokumenten des PCI, die Ende Dezember 1981 veröffentlicht worden wären und deren Inhalt darauf abgezielt hätte, den Ostblock zu diskreditieren. Auf dem XXIV. Parteitag des PCF vom 3. bis 7. Februar 1982 in Saint-Ouen ließ er verlauten, er habe sich ausführlich mit den Überzeugungen des PCI auseinandergesetzt, „indem er die auf die Diffamierung und Destabilisierung der sozialistischen Länder gerichteten Kampagnen zurückwies […].“⁵⁷ Wie zaghaft die Politik der SED der französischen Regierung gegenüber ausfiel, dokumentieren einschlägige Berichte des MfAA aus dem Jahr 1982. Im Frühjahr wurde die Leipziger Messe (14. bis 21. März 1982) traditionell von der SED als Aushängeschild der DDR veranstaltet. Dazu wurden gewöhnlich etliche hochrangige Politiker und Unternehmer eingeladen. Aus verschiedenen Gründen sagten jedoch die meisten französischen Regierungsvertreter kurzfristig ab, darunter Lionel Jospin und der Botschafter der Republik Frankreich.⁵⁸ Später im Sommer ereignete sich ein militärischer Vorfall, der dem Außenminister Oskar Fischer umgehend vertraulich zugetragen wurde: 35 „kurzzeitige Verletzungen des Luftraumes der DDR“, in der Mehrzahl durch französische Flugzeuge, seien be-
APCI, Sezione Estero, Microfilm 507, Colloquio di Brandt e Berlinguer sulla crisi mondiale, S. 1. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/11542, Info für das Politbüro. Spitzengespräche zw. der Franz. Sozialistischen Partei und der IKP vom 30. 3. 1982 in Paris, S. 3. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/11542, Info über bisherige Reaktionen von Bruderparteien sozialistischer und kapitalistischer Länder auf das Dokument der IKP vom 29. 12. 1981 und den Artikel der Prawda 23. 1. 1982, 15.02.1982. Vgl. MfAA, ZR 124/89.
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obachtet worden.⁵⁹ Der Zwischenfall zeitigte keine diplomatischen Konsequenzen, versetzte aber die Armee in Alarmbereitschaft und zeugte von einem weiterhin bestehenden gegenseitigen Argwohn. Sehr bedeutend für die SED schien des Weiteren eine ausführliche Analyse der politischen Entwicklung der Regierung Mitterrand, an der erstmals seit 1947 kommunistische Minister beteiligt waren, nach den ersten acht Monaten ihrer Berufung. In einem langen Bericht über innen- und außenpolitische Haupttendenzen der sozialistischen Regierung stellten die Kommentatoren des MfAA Schwächen und Vorzüge der neuen Pariser Entscheidungsträger heraus und schätzten die Möglichkeiten, den PCF zu beeinflussen, wie folgt ein: Die achtmonatige Amtszeit Mitterrands und der Regierung Mauroy lässt noch keine allseitige Bewertung zu […]. Die Regierungsbeteiligung der FKP, […], beeinflußt die innerpolitische Situation und die Politik der Regierung. Sie kann national und international positive Auswirkungen haben […]. Die gegenwärtige politische Linie der französischen Sozialisten zielt darauf ab, langfristig die von Mitterrand in den 70er Jahren entwickelte reformistische Gesellschaftskonzeption zu realisieren sowie die SP dauerhaft als wählerstärkste und staatstragende Partei im politischen Leben Frankreichs zu verankern. Sie stellt den Versuch dar, die kapitalistische Gesellschaftsordnung in Frankreich auf sozialreformistischem Weg insbesondere durch Stärkung, Ausdehnung und Effektivierung des staatlichen Sektors und staatliche Regulierungsmaßnahmen sowie durch den Abbau autoritärer Herrschaftsformen des Giscard-Regimes zu modifizieren […] Hinsichtlich der Regierungsbeteiligung der FKP wird das Ziel verfolgt, mit Hilfe der FKP und der Gewerkschaften den ‚sozialen Frieden‘ zu gewährleisten, die FKP in das sozialreformistische Programm der SP einzubinden, sie langfristig zu schwächen, ihren Masseneinfluß entscheidend zurückzudrängen und sie von der KPdSU und der internationalen kommunistischen Bewegung zu trennen […].⁶⁰
Auch wenn es offensichtlich erscheine, dass die französische Regierung die „Genossen“ des PCF vor ihren Karren spannen wolle, sei der DDR daran gelegen, alle Möglichkeiten der Zusammenarbeit zu nutzen, die aus direkten Verbindungen resultierten. Diese Überlegung ergebe sich aus einer gegenseitigen hohen Wertschätzung, gaben die Mitarbeiter des MfAA zu verstehen. Die neue Regierung sei nämlich bestrebt, die Beziehungen zur DDR in verstärktem Maße als Faktor der französischen Außenpolitik zu nutzen, da der ostdeutsche Staat sich zu einem
MfAA, ZR 118/89, Hoffman, Armeegeneral (Ministerium für nationale Verteidigung), an Genossen Oskar Fischer, 19.08.1982. Darin hieß es wörtlich: „Im Ergebnis der Flugbewegungen kam es zu 35 kurzzeitigen Verletzungen des Luftraumes der DDR mit einer Einflugtiefe von 100 m bis 1000 m, an denen in 33 Fällen französische Flugzeuge beteiligt waren […]. Ich bitte um Kenntnisnahme.“ MfAA, ZR 2550/82, Haupttendenzen der Innen- und Außenpolitik der neuen franz. Regierung und Schlussfolgerungen, 1.12.1982, S. 1– 2.
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besonders einflussreichen Mitglied der sozialistischen Staatengemeinschaft entwickelt habe.⁶¹ Dass diese Selbsteinschätzung der DDR als mächtiger Akteur im Rahmen des Warschauer Pakts etwas überzogen war, liegt nahe; auch konnte von einer prinzipiellen Bevorzugung der DDR oder gar einer außenpolitischen Konzentration Mitterrands und seiner Regierung auf das SED-Regime, welche die MfAA beobachtet haben wollte, keineswegs die Rede sein.
2.1 Zu den trilateralen Beziehungen zwischen dem PCI, dem PS und der SPD Mit dem Regierungsantritt Mitterrands und damit verbunden der Regierungsbeteiligung des PCF wurden die Beziehungen der französischen Kommunisten zum PCI enormen Schwankungen ausgesetzt. Generalsekretär Marchais, der sich in seinen politischen Überzeugungen durch die Beteiligung an der Staatsmacht bestätigt sah, ging zunächst auf Distanz zum italienischen Gegenpart. Die Abkühlung im bilateralen Rahmen muss allerdings auch auf eine durch den Vorstand der italienischen KP initiierte Kursänderung zurückgeführt werden, wonach der Zusammenarbeit mit sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien Priorität eingeräumt werden sollte. Im Frühjahr 1982 war eine Delegation des PCI zu Gesprächen mit Funktionären der SPD nach Bonn eingeladen worden. Einer der engsten Mitarbeiter von Helmut Schmidt, Andreas Zobel, nahm die Gäste in Empfang. Auf das Bemühen der Italiener um ein Gespräch mit Brandt reagierte Zobel beschwichtigend. Er erklärte schlussendlich, dass dies aus politischen Gründen derzeit nicht möglich sei. Zum einen gebiete die bündnispolitische Strategie der SPD Wachsamkeit in dieser Hinsicht: Die CDU um Kohl hatte im Bundestag nur wenige Tage zuvor die SPD aufs Schärfste angegriffen wegen ihres „Schmusekurses“ mit den italienischen Kommunisten. Zum anderen stelle die PCI-kritische Haltung des Generalsekretärs des PSI Bettino Craxi ein Hindernis auf dem Weg zur Formalisierung regelmäßiger Beziehungen dar.⁶² Zobel ließ die Italiener immerhin wissen, dass Brandt nach wie vor „angetan“ sei von der Politik des PCI. An die sozialistischen Parteien Italiens und Frankreichs sei vom SPD-Vorstand unterdessen Kritik gerichtet worden „wegen Korruptionsvorwürfe[n] und politischer Unbeständig-
MfAA, ZR 2550/82, Haupttendenzen der Innen- und Außenpolitik der neuen franz. Regierung, S. 3. APCI, Sezione Estero, Microfilm 8201, Nota di Soldini su suoi colloqui a Bonn con dirigenti della SPD, Rom 27.01.1982.
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keit.“⁶³ Außerdem wolle Zobel seiner Skepsis in Bezug auf die Wirtschaftsstrategie Mitterrands Ausdruck verleihen. Die Verbindungen zwischen PS und PCI schienen sich derweil reibungslos fortzuentwickeln.⁶⁴ Mitterrand und Berlinguer trafen Ende Februar 1982 in Rom zusammen.⁶⁵ Der kurzen, zeremoniellen Unterredung folgten später weitere Gespräche. Ende März begab sich Berlinguer nach Paris, um an einem bilateralen Gipfel mit dem PS teilzunehmen. Etliche Medien beider Länder feierten die Veranstaltung als wichtige Plattform für den Sozialismus der Zukunft.⁶⁶ Jean Poperen ließ verlauten, dass der PS die erste französische Partei sei, die mit Interesse und Engagement die Lehre des „dritten Weges“ für sich entdeckt und propagiert habe. Daraus ergäben sich erhebliche Schnittmengen mit dem PCI.⁶⁷ Vor der Rückreise gewährte Berlinguer der Zeitschrift Le Monde ein viel beachtetes Interview über aktuelle Perspektiven und Aufgaben der europäischen Linken. Auf die Frage, wer die Hauptadressaten einer „linken“ Politik seien, antwortete Berlinguer mit dem traditionellen Verweis auf alle demokratischen Kräfte. Diese einfache Botschaft, so der italienische Generalsekretär, habe nun, angesichts der bekannten Verschärfung ideologisch-militärischer Konflikte in aller Welt, an Brisanz und Aktualität gewonnen, weshalb ein koordiniertes Zusammengehen fried- und fortschrittsliebender Gruppen mehr denn je erforderlich sei.⁶⁸
APCI, Sezione Estero, Microfilm 8201, Nota di Soldini. Der Schulterschluss mit dem PS Frankreichs ging beim PCI einerseits mit einer allmählichen Distanzierung vom PCF einher, der eine ausführliche politische Analyse vorausgegangen war.Vgl. APCI, Sezione Estero, Microfilm 512, Il PCF alla verifica della sua linea col nuovo quadro politico, 3.02.1982. Darin wird auf die Gründe für die Krise des PCF eingegangen – der Erfolg Mitterrands sei mit dem schlechtesten Wahlergebnis der Kommunisten Frankreichs zusammengefallen, welche 1.700.000 Stimmen mit einem Schlag verloren hätten –, welche zusammenfassend auf die verspätete und teilweise noch fehlende Aufarbeitung der Lehren aus den Jahren 1956 und 1968 zurückzuführen sei. Andererseits veranlasste die weitere Abkühlung der Beziehungen mit der KPdSU den PCI dazu, sich sowohl politisch als auch ideologisch mit nicht kommunistischen Parteien aus dem linken Lager auszutauschen. Vgl. APCI, Sezione Estero, Lettera del KPdSU al CC del PCI, 6.01.1982. Der Brief stellt einen Beleg für die rapide Verschlechterung der Beziehungen zwischen KPdSU und PCI infolge der „polnischen Fakten“ dar. L’Unità, Mitterrand e Berlinguer. Un colloquio sui grandi temi europei, 28.02.1982. Dem Treffen wohnten außerdem Gilles Martinet, Pietro Longo, Valerio Zanone und Bettino Craxi bei. Berlinguer zeigte sich enthusiastisch über den Wahlsieg der Sozialisten in Frankreich und gab zu bedenken, dass auch Italien daraus politische Konsequenzen ziehen sollte. L’Unità, Oggi Berlinguer a Parigi. Il Vertice PCI-PS: vivo interesse in Francia, 29.03.1982. Jean Poperen, in: Le Monde, zit. nach L’Unità, 29.03.1982. Le Monde, Un entretien avec M. Enrico Berlinguer, 2.04.1982. Darin ist u. a. zu lesen: „Votre reference aux mouvements ouvriers d’Europe occidentale ne represente-elle pas une grande li-
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Am 24. Mai 1982 kamen Marchais und Berlinguer zu einer Unterredung zusammen, an der sich dann zeigte, wie anders sich das Verhältnis des PCI zum PCF, im Gegensatz zum PS, weiterhin gestaltete. Marchais konnte seinen Enthusiasmus über die Ernennung von PCF-Mitgliedern zu Ministern kaum unterdrücken und versicherte, dies würde einiges im Lande ändern. Beim Thema Abrüstung herrschte weitestgehende Übereinstimmung zwischen den Gesprächspartnern; Berlinguer verwies auf die große internationale Kundgebung gegen Nuklearwaffen vom 4. April im italienischen Comiso, an der ca. 100.000 Menschen teilgenommen hatten. Als das Gespräch jedoch auf die jeweilige Haltung zum Ostblock kam, machten sich unüberbrückbare Differenzen bemerkbar. Marchais bestätigte die offizielle Stellungnahme des PCF, wonach Afghanistan alles Recht gehabt habe, die UdSSR um Hilfe zu bitten, zumal zwischen beiden Ländern freundschaftliche Beziehungen herrschten. Zur Krise in Polen vertrat er die Auffassung, dass die Ausrufung des Kriegszustands durch Jaruzelski wohl ein „Blutbad“ verhindert habe und daher als hohes politisch-diplomatisches Verdienst der sozialistischen Staatengemeinschaft anzusehen sei. Berlinguers Einwand, dass Gewalt (militärische Maßnahmen) in jedem Falle inakzeptabel sei, trug nicht dazu bei, die Wogen zu glätten und den Konflikt zu mildern.⁶⁹ Demgegenüber intensivierten die Italiener ihre Verbindungen zum französischen PS nun auch im Rahmen eines gemeinsamen gesamteuropäischen Projekts namens „Eurolinke“.⁷⁰ In Paris gaben Berlinguer und Jospin Ende 1982 bewusst öffentlichkeitswirksam bekannt, dass ihre Parteien hinsichtlich mehrerer bedeutender Themen miteinander übereinstimmten und sie deshalb die Kräfte bündeln wollten. Sowohl sozial- als auch außenpolitisch sei es die Intention des PCI sowie des PS, dabei koordiniert und unter Berücksichtigung aller jeweils nationalen Voraussetzungen vorzugehen. Insofern stelle die „Eurogauche“ eine gewandelte Form des Eurokommunismus dar.⁷¹ Dass der PCF nicht dazu gerechnet wurde, sollte nicht als Zufall gedeutet werden.
mitation? B.: Mouvement ouvrier c’est un terme traditionnel. Mais il n’exclut pas les forces qui veulent participer à la perspective socialiste en Europe occidentale […] les couches moyennes, notamment les intellectuels, d’autre part, à travers les syndicats et les partis politiques, avec le secteur que nous nommons ‚les marginaux‘ […].“ L’Unità, Il comunicato sui colloqui, 26.05.1982. Hierzu vgl. die zeitgenössische Dokumentation durch Detlef Albers (Hg.), Perspektiven der Eurolinken, Frankfurt a. M. 1981; Detlef Albers (Hg.), Kapitalistische Krise und Strategien der Eurolinken. Fragen einer sozialistischen Politik in Westeuropa, Berlin 1982. L’Unità, Berlinguer-Jospin: lavoriamo insieme per il futuro della sinistra europea, 31.12.1982.
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2.2 Die SED und die Beziehungen zum PCI und PCF im Schatten technischer und ökonomischer Schwierigkeiten Die SED-Grundorganisationen im Ausland Die Steuerung der Grundorganisationen (GOen) im Ausland litt sehr unter den politisch-wirtschaftlichen Schwierigkeiten der SED zu Beginn der achtziger Jahre. Die Kommunikation zwischen den Schaltstellen in Ost-Berlin und den Zuarbeitern in Rom oder Paris war lückenhaft und wurde immer wieder unterbrochen, wofür sowohl materielle als auch organisatorische Gründe ausschlaggebend waren. Entgegen allen Beteuerungen Honeckers und seiner Entourage, dass die SED nach wie vor fest im Sattel sitze und die DDR als Vorbild marxistisch-leninistischer Staats- und Gesellschaftslehre anzusehen sei, verbreitete sich in den Grundorganisationen im Außeneinsatz das Gefühl, von den Vorgesetzten in der Heimat „vernachlässigt“, ja geradezu hintergangen zu werden. Genereller Missmut gegenüber der politischen Strategie der Parteiführung bzw. ihrer Entwicklung gewann an Boden, was von übergeordneten Instanzen verzeichnet und mit Besorgnis verfolgt wurde.⁷² Leitende Stellen in den Botschaften in Italien und Frankreich hatten die Anzeichen der Unzufriedenheit zwar früh entdeckt, gerieten jedoch beim Versuch, diesen wirksam entgegenzutreten, an ihre technisch-organisatorischen Grenzen. Mit abnehmender Qualität der Koordination zwischen ihnen und den Machthabern in Ost-Berlin wuchsen auch die Ressentiments der eigenen Kader. Als exemplarisch für diese Entwicklung können zwei Einschätzungen aus den Botschaften in Rom und Paris jeweils vom Frühjahr und Sommer 1981 betrachtet werden: Dabei verband sich die Kritik ranghoher Mitarbeiter an der immer schwächer werdenden Führung durch Ost-Berlin mit der berechtigten Befürchtung, dadurch auch intern an Zusammenhalt und Durchsetzungskraft zu verlieren. Diesen Zusammenhang hatten Hans Voß, DDR-Botschafter in Rom, und weitere Funktionäre der SED bereits im Februar bei einer Sitzung der Parteileitung in Rom angesprochen: Zur Arbeit mit den Konzernen: Die Konzernarbeit könnte durch schnelleres Reagieren DDRseitig wesentlich stimuliert werden; Genosse Seifert: Notwendig ist dabei eine Verbesserung der Sofort-Information zwischen Milano-Rom, damit durch den jeweiligen Konzern-Verantwortlichen ständig eine Kontrolle der Maßnahmen und logische Fortsetzung der Gespräche gegenüber den Konzernen möglich ist […]. Genosse Auerbach: Die Arbeit der Arbeitsgruppen
Hierauf wird im Spezifischen im Kapitel 5 eingegangen.
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ist zu sporadisch von der DDR aus angelegt; sie wird als notwendiges Übel betrachtet. Die Glaubwürdigkeit auf der italienischen Seite stößt jedoch auf bestimmte Grenzen.⁷³
Bei solchen Überlegungen stand die Umsetzung der staatlichen Auflagen (STAL) stets im Vordergrund. Propagandistische und ökonomische Ziele galten demnach als unabdingbar und gehörten folglich zu den besonders dringenden Aufgaben. Motiviert sollten die Mitarbeiter durch moralische und ideologische Motive werden, wozu die Partei genaue Vorgaben formulierte.⁷⁴ Trotz marxistisch-leninistischer Grundorientierung wurden allerdings zur Optimierung der Zusammenarbeit mit Rangniedrigeren oft auch materielle Anreize geschaffen. Die guten Erfahrungen in der „Initiativ- und Wettbewerbsbewegung“ hätten gezeigt, wie Mitarbeiter in die Lösung von Aufgaben stärker einbezogen werden könnten: „Mit Prämierungen, Auszeichnungen und Belobigungen der Besten stimulieren wir die Leistungen des gesamten Kollektivs […].“⁷⁵ Die Parteileitung war jedoch nicht nur an einer passiven, sondern auch an einer aktiven Mitarbeit ihrer Beschäftigten im Ausland interessiert. Davon versprach sie sich einerseits mehr Effizienz bei der Ausführung von Befehlen und Aufträgen und andererseits eine ideologische Einbindung der „Genossen“ sowie die Schaffung eines Zusammengehörigkeitsgefühls. Entsprechend sollten die Botschaften in Rom und Paris gegen Erosions- und Insubordinationserscheinungen vorgehen. Die Parteikollektive sollten zur selbstständigen „Ideenberatungen und Problemdiskussion“ angeregt werden; eine auf Schwerpunktaufgaben konzentrierte Koordinierung von oben sei jedoch erwünscht und unvermeidbar.⁷⁶ Die erwähnte Fokussierung auf das erfolgreiche Werben um wirtschaftliche Aufträge blieb fundamental und war allem anderen voranzustel-
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/14379, Botschaft der DDR in Italien, Protokoll über die Parteileitungssitzung am 5. 2. 1981, Rom 9. 2.1981, S. 2. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/14289, Botschaft der DDR in Paris, Information über die Arbeit mit den Kadern, Paris 17.9.1981, S. 4. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/14289, Botschaft der DDR in Paris, Information über die Arbeit, S. 5. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/14920, Sektor Parteiorganisationen im Ausland: Hinweise zur Arbeit der Parteiorganisation der SED der Botschaft der DDR in der Republik Frankreich, Berlin 1. 2.1982, S. 2. Die Parteiorganisation in Paris bestand aus 130 „Genossen“, die in 2 Abteilungsparteiorganisationen organisiert waren. Als Sekretär der GO der SED der Botschaft fungierte „Genosse“ Eckard Bibow. Eine weitere GO mit 5 „Genossen“ bestand in Amiens (Gemischte Gesellschaft des VEB Fortschritt Landmaschinen). Vgl. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/14920, Sektor Parteiorganisationen im Ausland: Hinweise zur Arbeit der Parteiorganisation der SED der Botschaft der DDR in der Republik Frankreich, Berlin 1. 2.1982, S. 1.
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len, auch den ideologischen Zielen und Überzeugungen, die etliche Kader inspirierten. Aus einem Referat des Botschafters der DDR in der französischen Republik,Werner Fleck, Ende 1982 geht dies eindeutig hervor: „Nicht mehr ‚größeres Verständnis‛ für die Mitarbeit an der Lösung der ökonomischen Aufgaben, sondern voller Einsatz für ihre bedingungslose Erfüllung wird zum Maßstab und zur Voraussetzung für das politisch erfolgreiche Wirken der Genossen und aller Mitarbeiter […].“⁷⁷ Gleichzeitig verstärkte die Parteileitung den Druck auf ihre Mitarbeiter im Ausland zur möglichst schnellen und sorgfältigen Befolgung von Direktiven aus Ost-Berlin durch explizite Bezugnahme auf die feindliche Gesinnung des Einsatzlandes.⁷⁸ Die gezielte Vermittlung eines gefahrvollen Zustands im westlichen Ausland zielte darauf ab, pragmatische Parteibeschlüsse, die oft nicht völlig verstanden oder geteilt wurden, zu rechtfertigen oder angesichts der schwierigen Rahmenbedingungen zumindest als akzeptabel erscheinen zu lassen. Die Beziehungen der SED zum PCI gestalteten sich angesichts der bekannten, vielfältigen Diskrepanzen schwierig und ohne inhaltliche Substanz. Nichtsdestoweniger waren beide Seiten an einer Fortsetzung der Verbindungen interessiert, allerdings aus unterschiedlichen Gründen. Beim PCI herrschte trotz aller ideologischer Differenzen und Meinungsverschiedenheiten in tagespolitischen Themen ein genuines Interesse an der sozialen und politischen Entwicklung der DDR. Für die SED stellte der PCI eine große und einflussreiche Partei dar, die sich zu gegebenem Anlass taktisch benutzen ließ. Die strategische Duldung des „demokratischen Kommunismus“ des PCI, welche die SED als ein zu verschmerzendes Übel betrachtete, wurde vom Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS) keineswegs befürwortet. Bereits ab Ende der siebziger Jahre bescheinigten MfS-Kommentatoren dem PCI Untreue, Unglaubwürdigkeit und nicht zuletzt politische Anmaßung. Eine Aufrechterhaltung von Kontakten zu den Italienern bezeichnete das MfS deshalb als unerwünscht bzw. als kontraproduktiv. Dennoch wurde sie aus den von der Parteileitung proklamierten pragmatischen Gründen in Kauf genommen, was die Frage
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/14920, Referat von der Parteiaktivtagung in Auswertung der 5. Tagung des ZK der SED und der Berichterstattung des Botschafters der DDR in der Französischen Republik über die Durchführung des Beschlusses des PBs über „Maßnahmen zur Verstärkung der Wahrnehmung der Außenwirtschaftsbeziehungen durch die Botschafter der DDR“ vor dem Sekretariat des ZK der SED am 1. 12. 1982, hier S. 22. Vgl. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/14920, Gemeinsame Information des Botschafters und des Parteisekretärs, (Dezember 1982), S. 2– 3.
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nach dem noch nicht endgültig geklärten, ambivalenten Verhältnis zwischen Parteiführung und Zuarbeitern, insbesondere des MfS, erneut aufwirft.⁷⁹ Aus einer Information zu einem Grundsatzschreiben der PCI-Führung von Ende 1981 wird die ablehnende Haltung des MfS ersichtlich.⁸⁰ Das ZK des PCI hatte darin allgemeine Überlegungen angestellt und Vorgaben zum Umgang mit den „polnischen Fakten“ ausgegeben. Der äußerst kritische Charakter des Kommuniqués war kaum zu übersehen; Beobachter der Stasi betrachteten es deshalb als unmissverständlichen Beweis dafür, dass sich der PCI und seine Gefolgschaft nun endgültig vom Marxismus-Leninismus verabschiedet hätten: Das […] Dokument trägt einen grundsätzlichen programmatischen Charakter. Mit diesem Dokument distanziert sich die Führung der IKP von der SU und vom realen Sozialismus, von der kommunistischen Weltbewegung und damit auch von den eigenen revolutionären Traditionen und gibt in prinzipienloser Weise Klassenpositionen der Partei auf. Die inhaltliche Hauptaussage des Dokuments besteht in der These, daß die Phase der Entwicklung des Sozialismus, die mit der Oktoberrevolution begann, nunmehr ihre Antriebskraft ebenso erschöpft habe wie seinerzeit die II. Internationale. Diese Aussage führt in der Konsequenz zur Bestreitung des sozialistischen Charakters der Staaten der sozialistischen Gemeinschaft, zur Lossagung von der kommunistischen Weltbewegung und zur Anmaßung, daß vor allem die auf einen ‚demokratischen Sozialismus‘ orientierte Arbeiterbewegung Westeuropas die Haupttriebkraft des Kampfes um gesellschaftlichen Fortschritt sein könne.⁸¹
Diese Einschätzung der italienischen Kommunisten, veranlasst durch die Maßnahmen in der Volksrepublik Polen vom 13. Dezember 1981, befand das MfS nicht nur als irreführend und grundsätzlich falsch, sondern auch für „negativer als die mancher sozialdemokratischen Parteien, bürgerlicher Regierungen [sic] und Politiker.“ Mit ihrem Gebaren und ihrer unsachlichen Analyse der Situation in Polen bzw. ihrer Ursachen richte die PCI-Parteiführung eine „Kampfansage“ an die polnische Staatspartei und unterstütze de facto die dortigen „konterrevolutionären“ Kräfte. Somit begebe sich der PCI auf Positionen der entspannungsfeindlichen Kräfte des „Imperialismus“ und schließe sich dem von diesen geführten „frontalen Angriff gegen die Staaten des realen Sozialismus“ an.⁸² Auch die im Kommuniqué des PCI artikulierte Kritik an der Breschnew-Doktrin betrachteten die ostdeutschen Beobachter als eine bewusste Verdrehung „real sozialistischer“ Praxis, die dem Ziel diene, den Ostblock in Verruf zu brin-
Vgl. Malycha, Die SED in der Ära Honecker, S. 260 – 285. MfS – HA II, Nr. 40497, Information zum Grundsatzdokument der Nationalen Leitung der Italienischen Kommunistischen Partei vom 29. 12. 1981. MfS – HA II, Nr. 40497, Information zum Grundsatzdokument, hier S. 223. MfS – HA II, Nr. 40497, Information zum Grundsatzdokument, S. 224.
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gen: „Die Kampfansage an den realen Sozialismus kommt des Weiteren in der Auffassung zu den bestehenden Blöcken zum Ausdruck. Die Forderung nach voller Autonomie der sozialistischen Länder, denen eine begrenzte Autonomie unterstellt wird, zielt objektiv auf eine Desintegration der sozialistischen Gemeinschaft und die Sprengung des Warschauer Vertragsbündnisses ab.“⁸³ Ausgerechnet aus der Kritik des PCI an der im Sinne der Breschnew-Doktrin „begrenzten Autonomie“ der sozialistischen Länder schlussfolgerten die MfSBerichterstatter die ideologische Notwendigkeit der italienischen Kommunisten, nach einem „dritten Weg“ zu suchen. Die Argumentation dazu leuchtet zwar nicht unmittelbar ein; die Beobachter rügten dennoch mit klaren Worten die Anmaßung des PCI, der Lehre vom „dritten Weg“ Allgemeingültigkeit für die kapitalistischen Länder, die Entwicklungsländer und in ihrer endgültigen Zielsetzung auch für die sozialistischen Staaten zuzusprechen.⁸⁴ Das Grundsatzdokument der italienischen Parteileitung war allerdings selbst in der eigenen Partei keineswegs unumstritten. Die darin enthaltenen Aussagen stießen insbesondere im linken Flügel des PCI sowie bei der Basis auf Unverständnis und Unbehagen, worüber das MfS bestens informiert war. Berlinguer machte unter den Ursachen für den Widerstand in den eigenen Reihen durchaus die Tatsache verantwortlich, ,,daß zahlreiche Mitglieder noch überkommenen Vorstellungen zu den Problemen des Internationalismus verhaftet sind […].“⁸⁵ Die Stasi-Beobachter hielten unterdessen fest: „Die Führung der IKP vollzieht mit diesem Dokument theoretisch, ideologisch und politisch den Bruch mit dem realen Sozialismus.“⁸⁶ Um jedoch eine öffentliche Diskussion über solche Auffassungen, welche die Taktik des Gegners nur begünstigen würde, zu vermeiden, duldete das MfS die Strategie der SED, ihre Beziehungen zum PCI im Interesse des Friedenskampfes fortzusetzen.⁸⁷ Ähnliches galt u. a.⁸⁸ auch im gewerkschaftlichen Bereich, in dem die bilateralen Beziehungen seit 1968 auf ein Minimum reduziert worden waren. Vor dem
MfS – HA II, Nr. 40497, Information zum Grundsatzdokument der Nationalen Leitung der Italienischen Kommunistischen Partei vom 29. 12. 1981, S. 225. „Hier wird deutlicher denn je, daß sich die IKP-Führung in bisher nicht gekanntem Maße einen Sendungs- und Führungsanspruch anmaßt und sich in die inneren Angelegenheiten anderer Bruderparteien und der sozialistischen Staaten einmischt.“ MfS – HA II, Nr. 40497, Information zum Grundsatzdokument, S. 225. Enrico Berlinguer zit. nach Paolo Bufalini, Euromissili, Polonia e la nostra discussione con il PCUS, Rom 1982, S. 76. MfS – HA II, Nr. 40497, Information zum Grundsatzdokument, S. 229. MfS – HA II, Nr. 40497, Information zum Grundsatzdokument, S. 230. Auch im Bereich der Frauenorganisationen erhöhte die SED den Druck auf den PCI, die bilateralen Beziehungen zwischen dem DFD (Demokratischer Frauenbund Deutschlands) und der
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Hintergrund einer umfassenden Umstrukturierung der CGIL-Führung im Frühjahr 1982, aus der das Amt des Generalsekretärs eindeutig verstärkt hervorging, ließ die Botschaft der DDR in Rom eine Anfrage an die Adresse Luciano Lamas richten, wie die italienische Gewerkschaft mit Blick auf Osteuropa vorzugehen gedenke. Michele Magno, Leiter der internationalen Abteilung der CGIL, ließ verlauten, dass die Italiener keinen Bruch mit Vertretern des Ostblocks herbeiführen wollten. Er schätze jedoch ein, dass die gegenwärtig angespannte internationale Lage Spitzenkontakte der CGIL mit den Gewerkschaften der sozialistischen Länder eindeutig erschwere.⁸⁹ Hinsichtlich seiner ideologischen Ausrichtung geriet der PCI in den Analysen und Kommentaren von SED-Beobachtern immer tiefer in Verruf, weshalb den Ostdeutschen eine Zusammenarbeit nur noch aus strategischen Gründen möglich und erstrebenswert erschien. Bezeichnend für den Umgang der SED mit dem PCI war es, die Italiener einer undifferenzierten, harschen und oft diffamierenden Kritik zu unterziehen, gleichzeitig aber die Möglichkeit eines Zusammengehens in einzelnen Fragen offenzulassen. Neben den ideologischen Differenzen erblickten die SED-Kommentatoren auch deutliche Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf die sich formierenden friedenspolitischen Bewegungen in Europa.⁹⁰ Der PCI verhindere mit seiner Konzeption des gleichen Abstandes zu den Blöcken die Mitwirkung und aktive Teilnahme seiner Mitglieder an der italienischen und europäischen Friedensbewegung, vermutlich, weil diese sich offen gegen die USA und die NATO richte. Bezeichnenderweise wurde in dem Bericht dem „Neuen Internationalismus“ des PCI, der sich des Proletarischen entledigt habe, weitgehende Duldsamkeit gegenüber „imperialistischen“ Kreisen der westlichen Welt vorgeworfen und gleichzeitig ein ausdrückliches Lob ausgesprochen für innerparteiliche Versuche „internationalistischer Kräfte“, wohl der leninistischen Minderheit zugehörig, die „nicht klassenmäßige“ Politik des Vorstands zu desavouieren.⁹¹
UDI (Unione donne italiane) auf neue Grundlagen zu stellen und zu verstärken, wohl ohne nennenswerte Ergebnisse. Vgl. MFAA, ZR 1507/83, Botschaft Rom, Vermerk über ein Gespräch des Gen. Riedel, II. Sekretär, mit Genossin Anna-Rita Piacentini, Mitglied des UDI-Sekretariats, am 4. 5. 1982. MFAA, ZR 1506/83, Botschaft Rom, Vermerk über ein Gespräch mit Michele Magno (IKP), Leiter der internationalen Abteilung der CGIL, am 8. 2.1982, S. 1. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/11542, Info für das Politbüro. Zu den aktuellen Tendenzen in der Politik der IKP, 16. 8.1982, hier S. 1. „Internationalistische Kräfte in der IKP, die seit 1980 mit steigender Auflage die Publikation ‚Interstampaʼ herausgeben, haben nunmehr mit der Schaffung von Kulturzentren dieser Zweimonatschrift in Rom und anderen italienischen Städten ihre Aktivitäten intensiviert. Aufgrund der offensichtlichen Resonanz von ‚Interstampaʼ unternahm die IKP-Führung mit dem Partei-
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Die SED spielte damit auf einen Vorfall an. Das verhältnismäßig harte Vorgehen des Vorstands gegen subversive Kräfte – z. B. im „Fall Sorini“ – stieß auch innerhalb des PCI auf Kritik.⁹² Der „Genosse“ Fausto Sorini war Exponent der leninistischen Minderheit und Widersacher der „eurokommunistischen“ Politik der Partei. Aufgrund dieser Gegensätzlichkeit bzw. seiner propagandistischen Tätigkeit gegen den Parteivorstand, die offenbar durch die KPdSU stark gefördert und finanziert wurde, wurde er 1982 aus dem PCI ausgeschlossen. Der Vorfall konnte aber an der grundsätzlichen politischen Linie der Partei nichts ändern. Aus diesem Grund befasste sich die SED intensiv mit dem durchaus einflussreichen philosowjetischen Flügel des PCI, dem u. a. Armando Cossutta und Pietro Ingrao zugehörten. Wie ostdeutsche Beobachter berichteten, hatte man im PCI nach dem „Fall Sorini“ erneut über eine angebliche konspirative Tätigkeit der KPdSU debattiert, die darauf abziele, die Partei intern zu schwächen und bedeutende Funktionäre gegen den Vorstand aufzubringen. Im linken Parteispektrum war die These einer externen Einmischung allerdings eindeutig zurückgewiesen worden. Wie SED-Beobachter meldeten, wandte „sich Cossutta gegen die Erklärungen von Enrico Berlinguer über ‚äußere Wühltätigkeit‛ und wies besonders zurück, daß es von sowjetischer Seite eine solche Einmischung gäbe.“ Er betone den imperialistischen Charakter der Politik der USA und stelle fest, dass die Sowjetunion „trotz aller Irrtümer“ die einzige Alternative zum Imperialismus darstelle.⁹³ Ost-Berlin stellte dennoch gleichzeitig fest, dass es trotz aller entrüsteten Gegenstimmen letztlich an einer tatkräftigen und geschlossenen Opposition
ausschluß des Genossen Sorini den Versuch, die internationalistischen Kräfte einzuschüchtern […]. Der Widerstand in der Partei gegen dieses Vorgehen zwang die IKP-Führung, am 4. 8.1982 einen Artikel des Koordinators des Kulturzentrums, Prof. Enzo Santarelli, in L’Unità zu veröffentlichen, in dem das Recht auf kritischen Meinungsstreit betont wurde […].“ SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/11542, Info für das Politbüro. Zu den aktuellen Tendenzen, S. 2– 3. Vgl. L’Unità, Cremona: Sospeso il compagno Fausto Sorini, 4.07.1982. Über die angebliche Mitwirkung der KPdSU an der erwähnten Propaganda siehe Joan Barth Urban, Moscow and the Italian Communist Party. From Togliatti to Berlinguer, London 1986. Darin ist zu lesen: „There is, of course, no hard proof that the Kremlin financed these publications. But the available evidence points to a Soviet connection. For one thing, the PCI authorities undertook organisational sanctions – for the first time in well over a decade – against several persons connected with Interstampa. Fausto Sorini, head of the Aurora publishing house, was accused of violating Party statuses and suspended for six months. Reportedly he had been involved in ‚factional activitiesʼ such as trips to Warsaw, contacts with East European embassies, and coordination of the cyrcles of sympathizers associated with Interstampa, all with the support of ‚external forces.ʼ“ Hier S. 328. Vgl. L’Unità 4.08.1982. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/11542, Info für das Politbüro. Gemeinsame Tagung des ZK und der zentralen Kontrollkommission der IKP am 6.-7. 10. 1982, S. 10 – 11.
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gegen Berlinguer und seine Entourage gefehlt habe. Am Schluss habe selbst Cossutta sich prinzipiell zum „dritten Weg“ bekannt, „den er als Notwendigkeit darstellte, in Westeuropa andere sozialistische Erfahrungen zu schaffen.“⁹⁴ Der Argwohn und die hohe Wachsamkeit, welche die SED bei der Beobachtung des PCI an den Tag legte, zeugten von ihrer zunehmenden „Nervosität“ und politischen Verkrampfung zu Anfang der Dekade. Obgleich es sich hinsichtlich des Tons um einen Einzelfall handelt, kann die harsche Einlassung Axens bezüglich der beiden stärksten westeuropäischen kommunistischen Parteien anlässlich eines Treffens im Juni 1982 in Sofia als exemplarisch hierfür erachtet werden. Ein streng vertraulicher Bericht legte hierüber Rechenschaft ab. Eingangs stellte Axen die Motive heraus, weshalb seine Partei „öffentlich und prinzipiell“ Stellung gegen die Führung des PCI bezogen habe. Seine Begründungen kreisten um den Vorwurf, dass die italienischen Kommunisten regelmäßig die Errungenschaften des „realen Sozialismus“, insbesondere dessen Friedenspolitik, verunglimpfen würden. Jüngstes beredtes Beispiel dafür stelle die offizielle Haltung des PCI in Bezug auf Polen dar, wobei die „Bewegung für den Frieden“ zugleich als „Bewegung gegen die Maßnahmen“ vom 13. Dezember 1981 propagiert würde. Das Scheitern des compromesso storico in Italien, d. h. der innenpolitischen Strategie des PCI, schrieb Axen der fehlerhaften Wahrnehmung der internationalen Lage durch den PCI zu; diese habe zu einer Abwendung breiter Kreise der traditionellen Anhängerschaft von der Partei geführt. Der PCI verliere gegenüber der Sozialdemokratie an Glaubwürdigkeit und Einfluss.⁹⁵ Von Bedeutung war außerdem der Verweis Axens auf eine potentielle Vorbildfunktion des PCF, auf den die Staaten des Warschauer Vertrags diesbezüglich Druck ausüben sollten. Die Ablehnung des „dritten Weges“ durch die französischen Kommunisten und deren Rückkehr zu konformeren Positionen sei extrem wichtig: Dies könne letztendlich dazu beitragen, dass die Pariser „Genossen“ von ihrer „anfänglichen Passivität“ abgingen, „in einem für uns günstigen Sinne Stellung“ bezögen und „ihren Einfluß auch auf andere Parteien in Westeuropa geltend“ machten.⁹⁶ Der Grundton der bilateralen Beratungen zwischen SED und PCI in Rom Ende 1982 ließ keinen Zweifel daran, dass ein Einverständnis auf politisch-ideologi-
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/11542, Info für das Politbüro. Gemeinsame Tagung, S. 11. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20 658, Ausführungen des Genossen Hermann Axens auf der internen Sekretärsberatung in Sofia (16. 6. 1982), Berlin 7.6. 1982 (streng vertraulich), hier S. 24. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20 658, Ausführungen des Genossen Hermann Axens, S. 25.
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scher Ebene, selbst in weniger relevanten Fragen der Außenpolitik, nicht erzielt werden konnte. Hans Modrow, damals Erster Sekretär der Bezirksleitung der SED in Dresden, wetterte gegen die „ultra-amerikanische“ Politik der neuen bundesrepublikanischen Regierung Helmut Kohl, welche der Dislozierung von Pershingund Cruise-Raketen bedenkenlos zustimme. Mit Westdeutschland habe die DDR noch etliche wichtige Punkte offen, die einer umgehenden Lösung bedürften, u. a. die uneingeschränkte Anerkennung der Nationalität für DDR-Bürger, die Festlegung der Grenzen sowie die Erhebung der diplomatischen Vertretungen auf den Rang von Botschaften.⁹⁷ Auch wies er Unterstellungen der westlichen Medien, darunter auch PCI-naher Publikationen, zurück, dass es in der DDR bisweilen an Lebensmitteln mangele, was der Bevölkerung schwer zusetze. Modrow rief Paolo Bufalini und seine Partei dazu auf, gegen solche Lügen dezidiert vorzugehen. Bufalini ließ in seiner Schlussbemerkung für den Vorstand lakonisch verlauten, dass die Ostdeutschen Modrow nur aus einem Grunde geschickt hätten: „Ziel des Gesprächs war es, uns über ihre Innenpolitik zu informieren und ihnen zu beteuern, daß sie nach wie vor unsere Freunde sind.“⁹⁸
2.3 Die Grundorganisation der SED in Rom zwischen finanzieller Not und gegenseitiger politischer Schuldzuweisung In der Tat betonte die SED die Aufrechterhaltung der Beziehungen zum PCI lediglich aus pragmatischen Gründen und unter Berücksichtigung der äußerst defizitären ökonomischen Lage des Landes, die sich direkt negativ auf den Verhandlungsspielraum und die Durchsetzungskraft der GOen in Rom niederschlug.⁹⁹ Die Botschaft in der italienischen Hauptstadt bekam die wirtschaftliche Notlage unmittelbar zu spüren, als das Ministerium für Außenhandel im Frühjahr 1983 bekanntgab, dass der Exportplan 1982 für Italien bei Weitem nicht erfüllt
APCI, Sezione Estero, Microfilm 512, Nota incontro tra Paolo Bufalini e Hans Modrow, primo segretario della sezione di Dresda e membro del CC della SED (presente l’ambasciatore della RDT in Italia Hans Voss), Rom 1.12.1982. „Scopo del colloquio era rassicurarci sulla situazione interna loro e riconfermare che sono amici nostri.“ APCI, Sezione Estero, Microfilm 512, Nota incontro tra Paolo Bufalini e Hans Modrow, S. 2. Vgl. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/14379, Beschluss der SEDGO der AV Rom vom 9. 6. 1982 über die Organisation der Parteikontrolle. Darin heißt es exemplarisch: „Methoden der Parteikontrolle: Berichterstattung über die Initiativ- und Wettbewerbsbewegung bei sparsamstem Umgang mit bzw. Einsparung finanzieller Mittel. Strikte Erfüllung Exportaufgaben.“
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worden sei. Botschafter Hans Voss wurde daraufhin von höchster Stelle aus dazu angehalten, die Arbeit der GO in Rom vornehmlich und ohne Ausnahmen auf ökonomische Ziele auszurichten. Er ließ daher verlauten, dass es „unbedingt zu sichern“ sei, „daß sich mittlere und hohe leitende Kader (z. B. Kombinatsdirektoren) bei ihrem Aufenthalt in Italien unbedingt mit dem Handelsrat in Verbindung setzen.“¹⁰⁰ Wie politisch willkürlich und konzeptlos sich allerdings die Arbeit der GO der SED in Italien ausnahm, stellen diverse Berichte aus dem zentralen Archiv des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten unter Beweis. Im März 1983 erfolgte eine Dienstbesprechung, an der u. a. der Botschafter der DDR und Klaus Mehlitz, ein Italienspezialist, teilnahmen. Festgehalten wurde, dass trotz aller ideologischer Diskrepanzen zwischen dem PCI und den „real sozialistischen“ Staatsparteien, die eine Annäherung als impraktikabel erscheinen ließen, im Rahmen der Friedenspolitik dennoch eine Möglichkeit zur Zusammenarbeit vorhanden sei. Gen. Mehlitz nahm eine umfassende Berichterstattung und Wertung des Verlaufs und der Ergebnisse des XVI. Parteitages der IKP vor […]. Zum einen demonstrierte der Parteitag die bisher größte Kluft der IKP in Bezug auf die KPdSU, die SU und die anderen Länder des realen Sozialismus. Zum anderen kam besonders im Bericht des IKP-Generalsekretärs wie auch in einer Reihe von Diskussionsbeiträgen das gewachsene Bekenntnis der IKP zum verstärkten Kampf für Frieden, Entspannung, gegen Wettrüsten und gegen die Stationierung neuer amerikanischer nuklearer Mittelstreckenraketen im WE zum Ausdruck. Damit haben sich auch die positiven Ansatzpunkte für die Verständigung und für bestimmte gemeinsame Aktionen mit der IKP verstärkt […].¹⁰¹
Dies stand in krassem Widerspruch zur Einschätzung der Tätigkeit und Aufgaben der Botschaft in Rom durch die Abteilung Westeuropa vom Dezember 1983. Darin wurde u. a. die allgemein „schlechte“ Lage beklagt, die sich „hemmend“ auf die Entwicklung der Beziehungen auswirke.¹⁰² Besonders hervorzuheben ist aber die „von oben“ ausgehende eindringliche Ermahnung zur Umsetzung und Verstär-
MFAA, ZR 1659/84, Botschaft Rom, Protokoll der zentralen Dienstbesprechung beim Gen. Botschafter am 18. 01. 1983, S. 1. MFAA, ZR 1659/84, Botschaft Rom, Protokoll der zentralen Dienstbesprechung beim Gen. Botschafter am 15. 03. 1983, S. 1. MFAA, ZR 1663/84, Abteilung Westeuropa, Einschätzung der Tätigkeit der Botschaft Rom, Berlin Dezember 1983. „Lage im Allgemeinen schlecht. Italien ist zu einem Zentrum der antisozialistischen und insbesondere antisowjetischen Kampagne geworden, die in diesem Lande seit Ende des 2. Weltkrieges bisher nicht bekannte Ausmaße angenommen hat. Hemmend auf die Entwicklung der Beziehungen wirkt auch die anhaltende innenpolitische Labilität […].“ MFAA, ZR 1663/84, Abteilung Westeuropa, Einschätzung der Tätigkeit der Botschaft Rom, Berlin Dezember 1983, S. 1.
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kung von Handelsaktivitäten durch die jeweiligen Zuarbeiter vor Ort.¹⁰³ Dass es dabei auch zu Schuldzuweisungen wegen des verfehlten Exportplans kam, verwundert wenig und deutet auf parteiinterne Zwistigkeiten und Machtkämpfe hin. In diesem Sinne ist wohl die prompte Replik des Botschafters aufzufassen, dass Defizite bei der Durchführung von Vorgaben „von oben“ nicht etwa durch fehlende Parteidisziplin oder Beteiligung verursacht würden, sondern eher dadurch, „daß Materialanforderungen bzw. die Beantwortung von Fragen/Vorschlägen in Berlin noch viel zu schleppend realisiert wurden.“¹⁰⁴ Hatte sich die Außenpolitik der SED zum Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre vor allem auf das Ziel der internationalen diplomatischen Anerkennung der DDR konzentriert, so nahm in der letzten Dekade ihrer Existenz die propagandistische Förderung der Friedensbewegung eine übergeordnete Stellung ein.¹⁰⁵ In diesem Sinne feierte die ostdeutsche Partei den Aufenthalt einer italienischen Delegation des Einheitskomitees für Abrüstung und Frieden (Comitato Unitario per il Disarmo e la Pace, CUDIP) aus Comiso – der sizilianischen Stadt, in der im April 1982 eine vielbeachtete Friedenskundgebung stattgefunden hatte – als eigenen internationalen Erfolg.¹⁰⁶
„Das gegenwärtige Niveau der Außenhandelsbeziehungen befriedigt nicht.“ So lautet die lapidare Schlussbemerkung zur Einschätzung der Arbeitsweise der Botschaft Rom. In: MFAA, ZR 1663/84, Abteilung Westeuropa, Einschätzung der Tätigkeit der Botschaft Rom, S. 1. MFAA, ZR 1663/84, Botschaft Rom, Protokoll der Zentralen Dienstbesprechung. Hierzu u. a. Thomas Klein, „Frieden und Gerechtigkeit!“: die Politisierung der unabhängigen Friedensbewegung in Ost-Berlin während der 80er Jahre, Köln 2007; Rainer Eckert u. Kornelia Lobmeier, Schwerter zu Pflugscharen: Geschichte eines Symbols, Bonn 2007. MFAA, ZR 1668/84, Bericht über Aufenthalt einer Delegation des Einheitskomitees für Abrüstung und Frieden (CUDIP) aus Comiso/Sizilien in der DDR (1.-5. 10. 1983). Der italienischen Abordnung gehörten PCI-Mitglied Giacomo Cagnes, Leiter der Delegation und Präsident des CUDIP, seine Frau Giovanna Costanzo, auch PCI-„Genossin“ und Leiterin der Frauengruppe, und Antonio Iurato, Mitglied des Präsidiums des CUDIP, an. Gleichzeitig verstärkte die SED ihre außenpolitische Ausrichtung hin zu einer Maximierung finanziell relevanter Beziehungen, dies u. a. auch in Absprache mit anderen sozialistischen Ländern. Vgl. SAPMO-BArch, DDR-Komitee für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit, DZ/22/94, Bestätigter Vorschlag, 25.4.1983: „DDR wird im Rahmen von Aktivitäten des Internationalen Rates für neue Initiativen in der Ost-WestKooperation im Mai 1984 ein internationales Symposium über die ‚wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen sozialistischen Staaten und westlichen Indurtrieländern auf dritten Märktenʼ veranstalten.“
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Der „Fall Nino Pasti“ Über den „Fall Nino Pasti“ ist bereits viel diskutiert und geschrieben worden.¹⁰⁷ Dieser war insofern von Bedeutung, da Pasti sowohl vom etablierten PCI als auch von „real sozialistischen“ Parteien als Sündenbock benutzt werden konnte. Es handelte sich um einen hochrangigen italienischen General, der in der militärischen NATO-Hierarchie der siebziger Jahre weit aufgestiegen war, bevor er sich zu einer grundsätzlichen Ablehnung der US-Aufrüstungspolitik bekannte und deshalb von seinen Funktionen entbunden wurde. 1976 nahm er das Angebot des PCI an, sich als unabhängiger Kandidat in dessen Listen für die Senatorenwahl eintragen zu lassen. Tatsächlich wurde er zum Senator gewählt und drei Jahre später nochmals im Amt bestätigt. Der PCI konnte dies gezielt als propagandistischen Erfolg seines friedenspolitischen, internationalistischen Kurses nutzen – zumindest solange sich nicht grundlegende Meinungsverschiedenheiten zwischen Pasti und dem Parteivorstand bezüglich der Ausrichtung und Steuerung der Friedensbewegung bemerkbar machten. Der ehemalige General hatte sich nämlich unmittelbar nach seiner Ernennung zum Senator für die Realisierung unabhängiger Friedenskomitees eingesetzt. Er gründete die Bewegung Movimento per la Pace e il Socialismo und arbeitete eng mit dem Komitee Lotta per la pace zusammen, für dessen gleichnamiges Periodikum er regelmäßig schrieb. Als Kommunist und Marxist engagierte sich Pasti für eine undogmatische und unvermittelte Partizipation der Bevölkerung am politischen Leben, was zu wiederholten Streitigkeiten mit dem PCI führte. Auch vor einer grundsätzlichen Kritik der Politik Berlinguers schreckte Pasti nicht zurück, was wiederum die SED für ihre eigenen propagandistischen Zwecke zu verwerten suchte. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen dem PCI und Lotta per la pace erwüchsen u. a. aus der von den italienischen Kommunisten propagierten Gleichsetzung der beiden Blöcke, so auch angesichts der Verantwortlichkeit für die wachsenden Spannungen in der Welt.¹⁰⁸ Der Fall blieb nicht ohne Konsequenzen und war bezeichnend für die späten bilateralen Beziehungen zwischen PCI und SED, die nun ausschließlich auf Schadensbegrenzung ausgerichtet waren oder sich, meistens von SED-Seite, nunmehr durch interessengeleitete Vorstöße auszeichneten. Weit signifikanter war derweil noch die Tatsache, dass sich sowohl beim PCI als auch in der SED nun offenbar eine schleichende, interne Erosion anbahnte. Gaben im ostdeutschen Fall vorwiegend ökonomische Schwierigkeiten den Ausschlag, überwogen beim Vgl. u. a. La Repubblica, Pasti, il generale che si candidò con il PCI, 23.08.1992; ND, Nino Pasti lehnt NATO-Beschluss ab, 11.05.1982; Schoch, Die internationale Politik, S. 497. SAPMO-BArch, DDR-Komitee für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit, DK/22/21, Information: Senator Nino Pasti zu Divergenzen in der italienischen Friedensbewegung, 17.1.1983, S. 1.
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PCI politische Hintergründe, wie etwa der Unmut der Basis gegenüber dem vom Vorstand initiierten Prozess der „Sozialdemokratisierung“ oder das Wiedererstarken des linken Flügels. Ende 1983 erfolgte schließlich in Ost-Berlin ein Gipfeltreffen beider Parteien, vertreten durch ihre Generalsekretäre. Dabei verpflichteten sie sich rein propagandistisch zur Zusammenarbeit im Kampf gegen Aufrüstung und für den Frieden in Europa und der Welt. Berlinguer bot Honecker an, die guten Beziehungen seiner Partei zur SPD einzusetzen, um zwischen der DDR und der Bundesrepublik zu vermitteln, insbesondere in sicherheitspolitischen Fragen. Die gemeinsame Kritik an der Dislozierung der „Eurorakete“, sowohl in Westdeutschland als auch in der DDR, wurde entsprechend hervorgehoben.¹⁰⁹ Die Aufstellung der Flugkörper wurde aus Sicht der Ostblockstaaten einzig und allein durch das militärische Gebaren der USA provoziert. Bei allen Beteuerungen Honeckers bezüglich der Unruhe in der DDR-Bevölkerung angesichts des globalen Wiederaufrüstungstrends, kam er nicht umhin einzuräumen, dass seine Regierung dem Vorhaben der UdSSR, „Abschreckungswaffen“ auf ostdeutschem Boden aufzustellen, zustimmen würde. Dies diene wohlgemerkt, so Honecker, ausschließlich der Ausbalancierung des militärischen Gleichgewichts mit den USA.¹¹⁰ Zum Schluss fügte er hinzu, dass das „willfährige“ Auftreten Helmut Kohls den Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten erheblich schade.¹¹¹
PCI, PCF und SED in den Wirren des späten Kalten Krieges Wie unbeständig die Verbindungen der sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien zu westeuropäischen kommunistischen Parteien in einer Zeit höchster politischer Anspannung auf internationaler Ebene waren, soll im Folgenden exemplarisch verdeutlicht werden. Dasselbe gilt für die kaum stabileren Beziehungen zwischen den kommunistischen Parteien untereinander. Im März 1983 hatte ein Artikel im SPD-Organ Vorwärts beim PCI für Erstaunen und Entsetzen gesorgt. Der Autor verwies darin auf die Verhärtung der Beziehungen zwischen der KPdSU und dem PCI und wies ihr die Dimension eines regelrechten Bruchs zu. Diesem Bruch mit Moskau habe aber nicht die Mehrheit des PCI zugestimmt, die, so hieß es polemisch, nach wie vor „stalinistisch“ orientiert
APCI, Archivio Berlinguer, Sezione Movimento Operaio internazionale, 185, Incontro Berlinguer-Honecker, Berlino 12.-14.12.1983 (Notizen Berlinguer handgeschrieben). Dem Treffen wohnten außerdem Antonio Rubbi, Günter Sieber und Hermann Axen bei. L’Unità, L’iniziativa sui missili. Berlinguer da Honecker, 12.12.1983. L’Unità, L’iniziativa sui missili. Berlinguer da Honecker, 12.12.1983.
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sei und von baffetti e baffoni dominiert werde¹¹². Es sei, so hieß es weiter im Vorwärts, schwer zu begreifen, wie viel dessen, was in Rom vom aufgeklärten Parteivorstand beschlossen werde, tatsächlich auch dem Wunsch der Basis entsprach: „Nicht nur die ‚Dissidenten‘ Cossutta oder Franco Rodano seien gegen Berlinguer, sondern alle baffetti e baffoni aus der Provinz […].“¹¹³ Wer von diesem propagandistischen Angriff der SPD tatsächlich getroffen werden sollte, kann nicht festgestellt werden. Die Diskreditierung des PCI als potentielle Gefahr und Hort feindlicher Kräfte, die aus dem Hintergrund im stalinistischen Sinne agierten, war allerdings symptomatisch für einen in weiten Kreisen der deutschen Sozialdemokratie noch immer bestehenden Argwohn gegenüber „allem Kommunistischen“. Nur wenige Monate später, im Herbst 1983, bekräftigte Veronika Isenberg dennoch die feste Intention ihres Parteivorstands, die Zusammenarbeit mit dem PCI zu intensivieren. Paolo Ciofi, PCI-Vertreter auf politischer Mission in der Bundesrepublik, vermerkte begeistert, dass das Interesse der SPD am PCI unverfälscht sei und zunehme.¹¹⁴ Die Verbindungen zwischen Paris und Rom gestalteten sich für den PCI ebenfalls nicht reibungslos, zumindest gegenüber dem PCF. In einem Brief an Marchais brachte Berlinguer im Juli 1983 seine unverminderte Angst vor einer Aufrüstungspirale der beiden Supermächte zum Ausdruck. Die Friedensverhandlungen in Genf seien weitgehend ergebnislos verlaufen, was Anlass zur Besorgnis darstellte.¹¹⁵ Vor diesem Hintergrund veröffentlichten PCI und PCF im Oktober ein Kommuniqué, mit dem sie ihren gemeinsamen Einsatz zur Förderung von Frieden und Enspannung propagierten.¹¹⁶ Der PCF sah sich zu jenem Zeitpunkt sowohl intern als auch bündnispolitisch, d. h. im Rahmen seiner Beteiligung an der Regierung Mitterrand, mit einer sich stetig verschärfenden Krise konfrontiert. Die Differenzen mit dem PS konnten zwar als Faustpfand für Wahlzwecke toleriert und benutzt werden; auf Dauer erzeugten sie an der Parteibasis jedoch Unmut und Unverständnis, was bisweilen in offenen Protest umschlug. Auch strategisch konnten beide Vorstände bisweilen APCI, Sezione Estero, Microfilm 502, SPD sulla polemica tra PCI e PCUS, 3.03.1983. Unter baffetti und baffoni (Schnurrbartträger) verstand der Autor abschätzig „Kommunisten der alten Garde“. In Italien wurde (und wird) Stalin im Volksmund auch baffone genannt. Vorwärts, zit. in L’Unità, I socialdemocratici tedeschi sulla polemica tra PCI e PCUS, 3.03. 1983. APCI, Sezione Estero, Microfilm 502, Nota sul viaggio in Germania federale 4 – 7. 11. 1982, di Paolo Ciofi 11.11.1982. Ergänzend hielt er fest, dass nur die DKP Kritik am PCI ausübte dafür, dass dieser nicht begreife, dass die internationale Lage kaum neuartige Merkmale aufweise, sondern im Großen und Ganzen derjenigen der zwanziger Jahre ähnele. APCI, Sezione Estero, Microfilm 559, Lettera Berlinguer a Marchais, 19.07.1983. APCI, Sezione Estero, Microfilm 559, Comunicato congiunto PCI-PCF, Rom 4.10.1983.
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nur mühsam eine pragmatische Einigung herbeiführen, wie im Falle der Kommunalwahlen am 6. und 13. März 1983. Der PCF beharrte auf seinem Vorhaben, ausscheidende, lokal verwurzelte kommunistische Bürgermeister wieder als Kandidaten zu stellen; der PS bestand dagegen auf eigenen Kandidaten.¹¹⁷ Der erreichte Kompromiss sah vor, in Städten mit über 30.000 Einwohnern der von den Sozialisten präferierten Variante zu folgen – und lief auf ein Debakel hinaus. Jacques Chirac gewann in Paris haushoch; der PCF konnte sich ausschließlich und wie prognostiziert in den traditionellen Hochburgen im Pariser Speckgürtel, darunter in Bobigny und Aubervilliers, behaupten. Die eindeutige Niederlage blieb nicht ohne Konsequenzen. Anlässlich eines Zusammentreffens mit den Bezirkssekretären des PCF machte Paul Laurent darauf aufmerksam, dass die Politik des Vorstands die Geschlossenheit und Einheit der Partei stark gefährde. Unmut verbreite sich zusehends und erfasse die unterste Basis: Etwa 80 % der Parteizellen im Pariser Großraum vermeldeten verärgert die Abwesenheit von klaren politischen Richtlinien, mit denen sie sich identifizieren könnten. Es mehrten sich somit die Stimmen derer, die beklagten, von der Leitung ausgeschlossen oder vernachlässigt zu werden.¹¹⁸ All dies ließ das ZK des PCF aufhorchen. Marchais wetterte vor versammelten ZK-Mitgliedern gegen den PS, welcher die Tradition und den „Namen“ der kommunistischen Partei für sich vereinnahmt habe – mit verheereenden Konsequenzen für den PCF.¹¹⁹ René Le Guen schloss sich ihm an und stellte fest, dass der PS den PCF schlichtweg ausnutze: Mitterrand sei auf dessen Unterstützung angewiesen, um die Mehrheit im Parlament zu behalten, teile aber in keinem Punkt seine Sozialpolitik.¹²⁰ Solche internen Querelen ließen Fragen der internationalen Politik in den Hintergrund treten. So nahm die Partei fast teilnahmslos das in den westlichen Medien stark beachtete Treffen zwischen Erich Honecker und Franz-Josef Strauß vom 24. Juli 1983 zur Kenntnis.¹²¹ Auch die direkten Verbindungen zum PCI wurden
APCF, Archives Paul Laurent, Boite 27, Élections municipales Paris 1983. APCF, Archives Paul Laurent, Boite 27, Stage national des secretaires de section, 12.-15. 5.1983. APCF, Archives de direction Comité Central, 261 J 2/58 – 59, Discours de Marchais au CC, 18.03.1983. APCF, Archives de direction Comité Central, 261 J 2/58 – 59, Discours de Le Guen au CC, 18.03. 1983. Ergänzend und zweideutig zum Verhältnis zum PS zitierte er zum Schluss Chateaubriand: „Il ferait beau, après avoir chassé trois rois avec des barricades pour la liberté de la presse, élever des nouvelles barricades contre cette liberté.“ APCF, Polex, 261 J 7/58, Notes d’information à la direction sur la rencontre Strauss/Honecker (24. 7. 1983). Darin wird darauf hingewiesen, dass sich die Beteiligten vorwiegend über sicherheitspolitische Fragen austauschten. Die Bundesrepublik werde sich an den NATO-Doppelbeschluss halten; die deutsche Presse betrachte die Reise von Strauß als ein „Wunder“, da er sonst als harscher Kritiker der DDR gelte. Strauß merkte an, er habe sich zwar nicht verändert, nur seine
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drastisch heruntergefahren. Von einem hochrangigen Zusammentreffen Anfang Oktober abgesehen,¹²² verringerten sich die Möglichkeiten eines fruchtbaren politischen Austauschs. Dagegen wurden die Beratungen und Ergebnisse des XVI. Parteitags des PCI in Mailand von Anfang März 1983 mit großer Aufmerksamkeit verfolgt, wenngleich ausschließlich durch Fachpersonal, welches dem Vorstand die relevanten Informationen zuspielte.¹²³ Über die „Wahlschlappe“ des PCI bei den Bezirks- und Regionalwahlen im Juni und November 1983, bei denen die italienischen Kommunisten in Großstädten wie Neapel, Catania und Reggio Calabria im Schnitt mehr als 10 % ihres Stimmenanteils eingebüßt hatten,¹²⁴ wurde später nur knapp berichtet.¹²⁵ Das schlechte Abschneiden des PCI bei Wahlen führten PCF-Beobachter auf dessen Schwierigkeiten zurück, sich gegenüber der Jugend und dem Süden des Landes, in ländlichen Gebieten sowie bei den Arbeitslosen als stabile und zuverlässige Kraft zu präsentieren.¹²⁶
Mittel hätten sich mit der Zeit den internationalen Begebenheiten angepasst. Von einem Verweis auf das Hauptziel des CSU-Chefs in der DDR, den Abschluss eines Abkommens über Finanzhilfen für den ostdeutschen Staat, fehlt im Dokument jede Spur. Vgl. rückblickend u. a. Der Spiegel, Milliardenspritze für den Mauerbauer, 22.07. 2008; BR Nachrichtendienst, Milliardenkredit für den Feind. Der Aufsehen erregende Strauß-Deal mit der DDR, 27.07. 2012. Vgl. ferner auch Jürgen Nitz, Unterhändler zwischen Berlin und Bonn nach dem Häber-Prozess: zur Geschichte der deutschdeutschen Geheimdiplomatie in den 80er Jahren, Berlin 2001; Frank Schumann u. Heinz Wuschech, Schalck-Golodkowski: der Mann, der die DDR retten wollte, Berlin 2012. APCF, Polex, 261 J 7/43, Rencontres PFC-PCI. APCF, Polex, 261 J 7/58, Rapport sur le 16. Congrès du PCI, Mailand 2. – 6.03.1983. Ermittelt wurde darin „telegrammartig“ u. a. die soziale Zusammensetzung der Mitgliedschaft des PCI und die politische Ausrichtung der Führung für die unmittelbare Zukunft: „1109 Delegierte, Durchschnittsalter 39 Jahre. Soziale Zusammensetzung: Arbeiter 29 %, Lehrer und ‚liberaleʼ Beschaeftigungen 23,5 %, Angestellte 15,4 %, Studenten 12,5 %, Techniker 9,2 %, landwirt. Arbeiter 1,26 %, Landwirte 0,90 %, Handwerker 0,72 %, Händler 0,63 %, Rentner 1,98 % […]. Berlinguer setzt auf Kampf gegen die DC, also keinen Bezug mehr auf den ‚historischen Kompromiss‛, obwohl er zugab, daß es ‚Schnittmengenʼ zwischen dem PCI und der DC gebe. Der Weg zur Machtübernahme kann entweder sozial (also durch die gesellschaftlichen Bewegungen – so Ingrao) oder politisch (durch die ‚Regierungsalternativeʼ – so Napolitano) errungen werden. Berlinguer der Meinung, beides soll erstritten werden […]. Ziele kurz- und mittelfristig: Zusammenschluss mit PSI; erste Macht ist und bleibt die Arbeiterschaft.“ Vgl. L’Unità, 22.11.1983. APCF, Polex, 261 J 7/58, Rapport sur les élections municipales en Italie, 21.11.1983. Der Bericht begründete die Niederlage des PCI u. a. auch damit, dass die Regierunspartei PSI um Anführer Leader und Italiens Ministerpräsidenten Bettino Craxi eine der christdemokratischen DC sehr ähnliche Politik betreibe, was die traditionelle Wählerschaft im linken Spektrum verunsichere und desorientiere. APCF, Polex, 261 J 7/58, Rapport sur les élections municipales en Italie, S. 2.
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Die bilateralen Verbindungen zwischen PCI und PCF wurden zusätzlich belastet durch das Agieren des PS. Letzterer, um die Gunst des PCI buhlend, erwies sich als beträchtlicher Störfaktor zwischen den beiden kommunistischen Parteien. Am Rande des VII. Parteitags des PS in Bourg-en-Bresse im Oktober 1983 verliehen hochrangige Mitglieder der Partei gegenüber Delegierten des PCI ihrer Überzeugung Ausdruck, dass die strategische Allianz mit dem PCF angesichts der neuesten nationalen und internationalen Entwicklung dringend einer umfassenden Revision bedürfe. Die Angst vor einer „Neuauflage“ althergebrachter kommunistischer Ziele durch den PCF, wie etwa des Strebens nach einer „Diktatur des Proletariats“, beschäftigte breite Kreise der französischen Sozialisten. Der PCF, so hieß es, habe sich am 21. Juni 1981 auf ein Bündnis mit Mitterrand geeinigt, um dessen Reform- und Regierungsprogramm zu unterstützen; nun herrsche jedoch die Befürchtung, dass Marchais aufgrund des enormen politischen Drucks im Inneren seiner Partei dieser Verpflichtung nicht mehr nachkommen könne.¹²⁷ Die Austauschprogramme zwischen Frankreich und der DDR erfuhren in jenen Jahren ebenfalls eine Reduzierung. Die Association France-RDA ließ vermelden, dass von den für das Jahr 1983 insgesamt sieben geplanten Austauschdelegationen nur sechs realisiert werden konnten; im darauffolgenden Jahr mussten dann zwei von insgesamt acht Studienreisen in die DDR – einer Delegation von Bezirkssekretären sowie einer Delegation von Ärzten – aus Mangel an Teilnehmern abgesagt werden.¹²⁸ Gleichzeitig wurde mit Genugtuung darauf hingewiesen, dass sich die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern gut entwickelt und zu einem Plus von rund 4,5 Md. Franc im Bereich des ImportExports geführt hätten.¹²⁹ APCI, Sezione Estero, 7. congresso del PS francese, 29.10.1983; vgl. L’Unità, I socialisti francesi cercano un nuovo rilancio del governo, 29.10.1983. APCF, Association France RDA, 38 J 14. Positiv hervorgehoben wurde ebenso, dass die französische Ministerin für Außenhandel und Tourismus, Edith Cresson, diesen Erfolg als fruchtbare Basis für eine Verstärkung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern verkündete, so auch mit Blick auf DritteWelt-Länder, wo eine solche Kooperation bereits bestand (in Algerien unterhielt ein DDR-Kombinat partnerschaftliche Beziehungen mit dort ansässigen französischen Unternehmen); vgl. APCF, Association France RDA, 38 J 14. Auch auf dem Terrain der marxistisch-leninistischen Wissenschaft schienen die bilateralen Beziehungen reibungslos zu verlaufen. Vgl. APCF, Polex, 261 J 7/58, Delegation du IRM (istitut de recherche marxiste) en RDA (20 – 24. 1. 1984). Das IRM, vertreten durch Lucien Seve, Claude Gindin, Denis Recoquillon und Daniel Hillel, wurde von Eric Hahn persönlich eingeladen. Otto Reinhold, Direktor der Akademie für soziale Wissenschaften beim ZK der SED, wohnte dem Treffen ebenfalls bei. Die Ostdeutschen gaben „große Fehler“ der Vergangenheit zu und zeigten sich extrem dialogbereit. Die Franzosen verwiesen in ihren Ausführungen auf einen bedeutenden Unterschied zwischen dem sowjetischen und dem deutschen Marxismus: Letzterer bestünde auf einer „demokratischen“ Lösung von sozialen Konflikten, d. h.
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SED und PCF Aufs Ganze gesehen lässt sich feststellen, dass in dem Maße, in welchem die wirtschaftlichen Herausforderungen Anfang der achtziger Jahre die DDR ergriffen, die SED ihre Versuche intensivierte, besonders einflussreiche Ansprechpartner für ihre eigenen (Überlebens‐)Zwecke zu gewinnen. Dazu zählte der PCF für die ostdeutschen Machthaber schon lange nicht mehr. Mitterrand hatte die Chance gewittert, Frankreich zu einer neuen, weitgehend autonomen Rolle als Mittler zwischen Ost und West zu verhelfen, ohne dabei die feste Verankerung im NATO-Bündnis in Abrede zu stellen oder gar aufheben zu wollen. Mit dem Beschluss des Bundestags vom November 1983, der die Aufstellung von US-amerikanischen Raketen auf westdeutschem Boden festlegte, sah sich die sozialistische Regierung in Paris in ihrem Vorhaben als Vermittler aufzutreten, bekräftigt und suchte nach brauchbaren Formen des Dialogs mit dem Ostblock.¹³⁰ Dieser außenpolitischen Konzeption folgend, begab sich Mitterrand im Juni 1984 nach Moskau, wo u. a. die deutsch-deutsche Lage ausführlich erörtert wurde. Die sowjetischen Gastgeber zeigten sich besorgt über das Wiederaufflackern militärischer Bereitschaft im Westen und kritisierten die deutsch-deutsche Annäherung mit der Begründung, diese sei von der Bundesrepublik als Faustpfand für höhere Forderungen an die Sowjetunion vollzogen worden und trage einen ausschließlich erpresserischen Charakter.¹³¹ Eine Übereinstimmung in dieser Frage konnte nicht erzielt werden; der Besuch in Moskau zeugte jedoch vom festen Vorhaben Mitterrands und seiner Entourage, sich dynamischer und flexibler aufzustellen und die UdSSR stärker einzubeziehen. Dass die französische Regierung das Aufkommen „gesamtdeutscher Stimmungen“¹³² unterdessen befürchtete und ihm ohnehin vorzubeugen gedachte, belegt der Wortlaut eines Besuchs einer Delegation der Volkskammer der DDR in Frankreich im Oktober 1984.¹³³ Im Gespräch mit Premierminister Laurent Fabius
durch Prozessbildung; ersterer sei hiergegen und bevorzugte die Forcierung von sozialistischen Prozessen in der Gesellschaft. Vgl. u. a. Ulrich Lappenküper, Mitterrand und Deutschland: die enträtselte Sphynx, München 2011. Vgl. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 578. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 578. MFAA, ZR 120/89, Information über Besuch einer Delegation der Volkskammer der DDR in der Franz. Republik vom 23. bis 26. 10. 1984. Auf Einladung des Präsidenten der Französischen Nationalversammlung, Louis Mermaz, weilte eine Delegation der Volkskammer der DDR unter Leitung ihres Präsidenten, Horst Sindermann, Mitglied des PB des ZK der SED, in der Zeit vom 23.10. bis 26.10.1984 in der Französichen Republik. Es nahmen außerdem die Abgeordneten Walter Kresse (SED-Fraktion), Gerolf Wetzel (DBD), Manfred Grund (LDPD) teil, ferner Petra Belitz (FDGB) und Werner Fleck (DDR-Botschafter).
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erfuhren die Ostdeutschen: „Unsere wirtschaftlichen Beziehungen sind gut. Die Betriebe der DDR sind solide und seriös. Der Warenaustausch ist noch erheblich auszubauen. Es gibt zwischen unseren beiden Völkern zahlreiche Gemeinsamkeiten, so insbesondere aus der Zeit der Widerstandsbewegung […].“ Zum Schluss fügte Fabius überraschend hinzu: „Wir haben privilegierte Beziehungen zur Bundesrepublik, aber auch gute Beziehungen zur DDR. Und außerdem, Sie sind mir lieber als der Herr Genscher [sic].“¹³⁴ Alle anderen Gesprächsteilnehmer, darunter Alain Poher, Präsident des Senats, und Jean François-Poncet, ehemaliger Außenminister und Mitglied der parlamentarischen Freundschaftsgesellschaft Frankreich-DDR, sowie der Vorsitzende der FKP-Fraktion im Parlament, André Lajoine, verwiesen auf die Möglichkeit einer Vertiefung der Beziehungen auf allen Gebieten. Die Fokussierung der SED-Politiker auf wirtschaftliche Ziele bzw. auf die Notwendigkeit einer Verstärkung der ökonomischen Zusammenarbeit auf staatlicher Ebene wurde von Sindermann im Gespräch mit Finanzminister Pierre Bérégovoy bestätigt.¹³⁵ Indessen konnte kein Zweifel mehr daran bestehen, dass die sonst privilegierte Stellung des PCF als „natürlicher Botschafter“ sozialistischer Staatsparteien in Frankreich endgültig hinfällig geworden war. Sogar prominente Mitglieder der Partei scheuten sich nicht mehr, ihre Unzufriedenheit bezüglich der Strategie des Vorstands gegenüber SED-„Genossen“ recht offen zu zeigen. Die internen Differenzen drangen so immer deutlicher nach außen. Ein Vermerk über eine Unterredung mit PCF-Senator Serge Boucheny gibt hierüber Aufschluss: [Boucheny] wies darauf hin, daß die FKP in Fragen Abrüstung wieder aktiver werden müsse […]. Seine Partei habe dieses Jahr in der Nationalversammlung noch für das Militärbudget 1985 gestimmt, weil sie aufgrund der zunehmenden Provokationen der Rechtskräfte in Vorbereitung des XXV. Parteitages der FKP im Feb 1985 jegliche Unterstellungen prosowjetischer Verhaltensweisen vermeiden will. In der unmittelbaren Parteiführung um Marchais bestehe jedoch die Absicht, im kommenden Jahr nicht mehr für das Militärbudget zu stimmen […]. Eine Reihe von negativen Tendenzen durch die zunehmende Rüstungskooperation Frankreich-Bundesrepublik stelle die bisherigen Positionen der FKP zur traditionellen Militärdoktrin der nuklearen Abschreckung infrage.¹³⁶
Um der Arbeit der Grundorganisation der SED in der Pariser Botschaft etwas mehr Auftrieb zu verleihen bei der Vermittlung und Umsetzung lukrativer Geschäfte
MFAA, ZR 120/89, Information über Besuch einer Delegation der Volkskammer der DDR in der Franz. Republik vom 23. bis 26. 10. 1984, S. 6. MFAA, ZR 120/89, Information über Besuch einer Delegation der Volkskammer der DDR, S. 9. SAPMO-BArch, Volkskammer – Parlamentarische Freundschaftsgruppen, DA/1/16049, Botschaft der DDR. Vermerk über ein Gespräch mit FKP-Senator Serge Boucheny, 9.11.1984.
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mit französischen Partnern, ließ die Abteilung Internationale Verbindungen schließlich verlauten, dass die Auswertung des im Juni 1984 durchgeführten Lehrgangs für Parteisekretäre der Auslandsvertretungen Fortschritte¹³⁷ gezeigt habe.Welche konkreten Verbesserungen gemeint waren, wurde im Text allerdings nicht genauer erläutert. Ende Januar 1984 tagte die Sozialistische Internationale in Rom. Am Rande der Veranstaltung konnten Berlinguer und Brandt zu einem Gespräch zusammenkommen, es sollte das letzte sein vor dem Tod des italienischen Generalsekretärs im Juni desselben Jahres. Ein knapper Bericht für das ZK des PCI wies auf eine fast vollständige Übereinstimmung der Meinungen und Perspektiven zwischen beiden Politikern hin.¹³⁸ In der Tat hatten sich die SPD und der PCI konsequent aufeinander zubewegt,¹³⁹ wenngleich ihr Verhältnis von Rückschlägen geprägt war, die meistens der Rücksichtnahme auf andere Ansprechpartner geschuldet waren. Im Gegensatz dazu hatten sich die bilateralen Verbindungen zum PCF mittlerweile weiter verhärtet, was auf mehrere Faktoren zurückgeführt werden kann. Die Abkühlung betraf alle Aspekte der Zusammenarbeit, sowohl die außenpolitische Strategie – gleichermaßen auf der Ebene der nationalen Parteivorstände wie auf der Fraktionsebene im Europäischen Parlament – als auch die innenpolitische Bündnispolitik, und sie erschwerte den Dialog zusehends. Nichtsdestoweniger machten sich beim PCF neue Akzente bemerkbar, vor allem hinsichtlich des Umgangs mit der eigenen „Fehlentwicklung“, der etliche Spitzenpolitiker aus den eigenen Reihen die Schuld am abrupten Ende des Eurokommunismus bzw. der privilegierten Allianz zwischen Paris und Rom zuschrieben. René Piquet, PB- und ZK-Mitglied, machte keinen Hehl daraus, dass der PCF die „tiefste Krise“ seit seiner Gründung erlebe und zeigte sich sehr besorgt über seine zukünftige Entwicklung. In einem Gespräch mit Gianni Cervetti vom PCI im Europäischen Parlament machte er darauf aufmerksam, dass die französischen Kommunisten vor der sehr schwierigen Aufgabe stünden, ihre politische und ideologische Haltung zur Gesellschaft neu definieren zu müssen. Wie und zu welchem Zweck man Politik betreibe bzw. für welches Staats- und Wirtschafts-
SAPMO BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/14293, Hinweis zur Arbeit der Grundorganisation der SED der Botschaft der DDR in Paris im 2. Halbjahr 1984, S. 1. APCI, Sezione Estero, Microfilm 567, Nota 23. 1. 1984. So plädierte Veronika Isenberg inständig für die weitere Intensivierung der bilateralen Beziehungen zwischen ihrer Partei und dem PCI. Vgl. APCI, Sezione Estero, Microfilm 8411, Nota di conversazione telefonica tra Claudio Ligas e Veronika Isenberg (SPD), 8.09.1984. Vgl. ferner L’Unità, Incontro dei responsabili esteri del PCI e della SPD, Antonio Rubbi und Karsten Voigt, 20.6. 1983.
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Kapitel 4: Ernüchterte Dreiecksbeziehungen im späten Kalten Krieg
system man sich einsetzen wolle – all das müsse nun bzw. in der unmittelbaren Zukunft neu ermittelt und bestimmt werden; es drohe sonst ein „Existenzbankrott.“¹⁴⁰ Auch Marchais schlug anlässlich eines Zusammentreffens mit einer Delegation des PCI im November 1984 ernste Töne an. Die politische Lage in Frankreich beschrieb er als „pechschwarz“: Die Regierung habe ihren konservativen Kontrahenten seit der Machtübernahme durch Mitterrand zu viele Zugeständnisse gemacht und sei nun gezwungen, selber populistisch vorzugehen, um ihren Einfluss aufrechtzuerhalten. Nach Jahren der von oben verordneten wirtschaftlichen Austerität und des Maßhaltens stehe das Land vor einem Scheideweg.¹⁴¹ Überraschenderweise räumte Marchais auch eigene Fehler ein und präzisierte, der PCF habe es versäumt sich zu modernisieren. Er habe zu lange auf dem sowjetischen Entwicklungsmodell beharrt und büße nun deswegen an Macht und Wählerstimmen ein. Die traditionelle Anhängerschaft, insbesondere die Arbeiter, kehrten dem PCF den Rücken und schlössen sich sogar rechten und rechtskonservativen Kräften an.¹⁴² Jacques Bidou von der Sektion „Medien“ des PCF ging mit der eigenen Partei noch härter ins Gericht. Seiner Auffassung nach stehe die Partei am Abgrund: Ihre Unfähigkeit zur Modernisierung und Anpassung sei auf das unnachgiebige Festhalten am sowjetischen Vorbild bzw. an dem dort vorherrschenden sogenannten demokratischen Zentralismus zurückzuführen, sowohl in Bezug auf die eigenen Parteistrukturen als auch mit Blick auf die Lenkung des Staates.¹⁴³ Seine
APCI, Sezione Estero, Microfilm 8411, Nota di Cervetti e Viezzi sulla I. Sessione di ottobre del Parlamento europeo, 8 – 12.10.1984. Dem Gespräch, das nach dem Austritt des PCF aus der Regierungsverantwortung im Juli 1984 stattfand, schloss sich letztlich auch Lionel Jospin an. Dieser verlieh seiner Besorgnis Ausdruck, dass ein schwacher PCF der gesamten französischen Linken schwer schade und bestätigte die Intention des PS, die Beziehungen zum PCI zu verstärken. Ähnliches erfuhren wenige Tage später die PCI-Politiker von Rudi Arndt, Vorsitzender in der SPDFraktion im Europäischen Parlament, der eine Zusammenkunft mit Alessandro Natta, dem Nachfolger Berlinguers als Generalsekretär des PCI, für Mitte November vorschlug. Siehe APCI, Sezione Estero, Microfilm 8411, Nota sula II. Sessione di ottobre del Parlamento europeo, 22– 26.10. 1984. APCI, Sezione Estero, Microfilm 8412, Nota incontro PCI (Natta, Pajetta, Cervetti, Sandri) con PCF (Marchais, Gremetz, Piquet e Costa), ohne Datum (wohl November 1984). Dabei verwies Marchais auf die Anziehungskraft Jean-Marie Le Pens vom rechtsextremen Front National (FN). Bei der Europawahl 1984 verlor der PCF massiv an Stimmen und wurde beinahe vom FN eingeholt (11,24 % gegen 10,95 % anteilig). APCI, Sezione Estero, Microfilm 8412, Nota incontro Claudio Ligas con Jacques Bidou, sezione informazione del PCF, Rom 14.12.1984. Bidou verwendete dabei die Metapher, wonach der vom PCF traditionell praktizierte Zentralismus von einem „ésprit de géometrie“, der Internationalismus des PCI hingegen von einem „ésprit de finesse“ durchsetzt sei.
2 Dreiecksbeziehungen im Schatten der Wiederaufrüstung
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zum Schluss geäußerte Aufforderung, die stark leidenden bilateralen Beziehungen zwischen PCF und PCI über die Einrichtung von Arbeitsgemeinschaften neu zu beleben, stieß bei den Italienern auf Skepsis und wurde zunächst unbeantwortet stehengelassen.¹⁴⁴ Wie deutlich die Strategien beider Parteien voneinander abwichen und wie sehr diese Verschiedenheit in den frühen achtziger Jahren zugenommen hatte, stellt ihre Europapolitik unter Beweis. Der PCF übernahm innerhalb der kommunistischen Fraktion im Europäischen Parlament von Anfang an eine Bremserfunktion, während der PCI das kontinentale Geschehen als „absolute Priorität“ betrachtete.¹⁴⁵ Dies bestätigten die Verhandlungen von PCI-Vertretern in Paris, wo sie im August 1984 mit dem frisch ernannten Präsidenten der EU-Kommission Lionel Jospin zusammentrafen. Der Franzose gab zu bedenken, dass die supranationalen Institutionen vor großen Schwierigkeiten stünden: Frankreich befürworte eine weitestgehend einheitliche Währungspolitik, die Bundesrepublik und Großbritannien seien strikt dagegen. Außerdem seien sowohl er persönlich als auch seine Partei für eine engere Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften, was in etlichen anderen Mitgliedstaaten auf geteilte Meinungen stoße. Nach der Rolle des PCF gefragt, antwortete Jospin sachlich. Der PS halte den ehemaligen kommunistischen Verbündeten nach wie vor für einen wichtigen Ansprechpartner und wünsche sich von ihm mehr Engagement, um die derzeitige wirtschaftliche Krise schnell und erfolgreich zu meistern. Der PCF trage allerdings selbst Schuld daran, dass er sich nicht zu erneuern gewusst habe: „Sein Vorstand handelt so, als wäre die Arbeiterbewegung immer noch diejenige wie vor 30 Jahren.“¹⁴⁶ Jospin fügte schließlich hinzu, dass ein starker PCF im Interesse aller demokratischen Kräfte liege: „Wir brauchen einen starken, erneuerten PCF, der seine primitiven wirtschaftlichen Überzeugungen endlich hinter sich lassen kann. Sollte dies passieren, könnte man geradezu über eine Fusion mit dem PS nachdenken.“¹⁴⁷ Im anschließenden Gespräch mit Maxime Gremetz und Jacques Denis vom PCF erfuhren die Italiener allerdings, dass der PCF-Vorstand vorerst nicht beabsichtige, an seiner bisherigen Europapolitik Grundsätzliches zu ändern. Denis ließ verlauten, dass der PCF sich einem Dialog nicht verschließen werde; aber was Europa anbelangt, bleibe er stur und stimme u. a. gegen ein gemeinsames kon-
APCI, Sezione Estero, Microfilm 8412, Nota incontro Claudio Ligas, S. 2. Vgl. Schoch, Die internationale Politik, S. 358. APCI, Sezione Estero, Microfilm 567, Incontri parigini di Cervetti e Viezzi (3. 8. 1984), S. 1. APCI, Sezione Estero, Microfilm 567, Incontri parigini, S. 2.
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tinentales Verteidigungssystem, da Frankreich bereits über effiziente Abschreckungsmöglichkeiten verfüge.¹⁴⁸
3 Der „Fall Seine-Saint-Denis“ Parteiintern häuften sich im PCF Proteste und Forderungen nach einer umgehenden und möglichst umfassenden Erneuerung, sowohl im ideologischen als auch strukturellen Sinne. Exemplarisch kann hier der Umgang des Bezirks SeineSaint-Denis mit dem Parteivorstand herangezogen werden, ein Beispiel, dass die Kommunikations- und Kohäsionsdefizite des PCF zu Anfang der achtziger Jahre deutlich werden lässt. Raymond Gosselet,Vorstandsmitglied des PCF-Bezirkssekretariats der Region Seine-Saint-Denis, berichtete im Sommer 1984 über die Stimmung vor Ort bzw. über künftige Erfolgsaussichten bei Wahlen in den Vorstädten von Paris, einer Gegend, die traditionell einen hohen kommunistischen Wähleranteil aufwies und somit als besonders bedeutend und richtungsweisend galt. Besorgt machte er darauf aufmerksam, dass die Parteileitung dort Zielscheibe harscher Kritik geworden sei. Die meisten Befragten gäben als Grund dafür an, dass sie die aktuelle politische Lage als katastrophal betrachteten bzw. dass man die Partei auf einen „unabwendbaren Untergang“ zusteuern sähe. Sogar die kommunistischen Hochburgen im Pariser „roten Gürtel“, wie Thion-Ville, Houilles oder Aubervilliers, würden sich allmählich von Marchais und seiner Strategie distanzieren. Die Mehrheit an der Basis nenne ein einfaches Rezept, um die Krise zu überwinden: den unmittelbaren Austritt aus der Regierungsverantwortung.¹⁴⁹ Ins Visier der Kritik geriet die gesamte Strategie des Generalsekretärs und seiner Entourage. Sie wurde beschuldigt, die Identität der Partei der Beteiligung an einer fremden Regierung geopfert zu haben. Außerdem habe der Vorstand kein Konzept und könne kein schlüssiges Projekt vorweisen. Seine Politik leide unter der Abhängigkeit von der Regierung Mitterrand. Über „Sozialismus“ werde in dieser nie gesprochen, außer wenn es um die osteuropäischen Länder gehe: „Unser Projekt eines demokratischen Sozialismus nach französischer Art wurde
APCI, Sezione Estero, Microfilm 567, Incontri parigini, S. 2. Ferner Schoch, Die internationale Politik. Darin hebt der Autor dementsprechend hervor, dass: „Nicht zuletzt am dezidierten Europäismus der KPI waren alle Versuche der kommunistischen Parteien gescheitert, sich für die Europa-Wahl auf eine gemeinsame, die EG ablehnende Plattform zu verständigen.“ Hier S. 358 – 359. APCF, Seine-Saint-Denis, 261 J 27/98, Rapport de Raymond Gosselet, secrétaire administrativ de la Fédération Seine-Saint-Denis, à Paul Laurent, 10.7.1984.
3 Der „Fall Seine-Saint-Denis“
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nie realisiert, auch seien de facto nie ernsthafte Versuche dazu unternommen worden!“.¹⁵⁰ Besonders interessant an der Kritik aus Seine-Saint-Denis ist der Verweis etlicher lokaler Parteianhänger auf den Eurokommunismus, eine Option, auf die viele ihre Hoffnungen gesetzt hatten, die aber von der Führung in Paris nicht konsequent genug verfolgt worden sei. Mit Bedauern wurde Marchais vorgeworfen, nicht etwa wie der PCI oder der PCE gehandelt, aber stattdessen die Autonomie der Partei preisgegeben zu haben.¹⁵¹ Auch die politische und ideologische Fixierung auf die UdSSR und den Marxismus-Leninismus des Ostblocks habe dem französischen Kommunismus sehr geschadet: Dadurch sei der Anschluss an „moderne Gesellschaftsformen“ verspielt worden; die Jugend und die Intellektuellen seien verraten und konservativen oder gar extraparlamentarischen Kräften anheimgegeben worden.¹⁵² Zum Schluss fasste Gosselet die Forderungen der Basis wie folgt zusammen: „Basis teilt das Gefühl, daß die Partei keine interne Kommunikation wünscht. Uneinstimmigkeiten, Kontraste seien nicht gut angesehen; man solle immer ‚konform gehen‛. Mißmut bei den Zellen rührt meistens von dieser zentralistischen, obsoleten Führungspraktik her. Mehr Partizipation ist erwünscht.“¹⁵³ Anlässlich des 35. Jahrestags der Gründung der DDR beraumte die Freundschaftsgesellschaft Frankreich-DDR im Bezirk Seine-Saint-Denis mehrere Veranstaltungen an, die mehrheitlich unter dem Motto der Friedensförderung standen. Auf dem 9. Kongress der lokalen Organisation in Dugny, Partnerstadt des ostdeutschen Hohenstein-Ernsthall, vom 13. und 14. Oktober 1984 waren Vertreter des regionalen Dachverbands anwesend, darunter Jean Dechet, Präsident des Komitees, Felix Lacan, Bürgermeister von Dugny, Michel Ruisseau und Roger Teissier, allesamt PCF-Mitglieder; sowie für die DDR Werner Franke und der bekannte Schriftsteller Harald Hauser.¹⁵⁴ Thema der Gespräche waren u. a. die strukturellen Defizite des bilateralen Austauschs. Abgesehen von den „üblichen“ Vorwürfen der Franzosen, dass es nicht einmal annähernd so viele Besuche aus der DDR wie in die umgekehrte Richtung gäbe, was die Ostdeutschen ebenfalls wie gewohnt mit der Begründung konterten, dies hänge ausschließlich mit der noch ungelösten Frage der DDR-Staatsbürgerschaft zusammen, verweist dies auf ein grundsätzliches Problem, das ein Schlaglicht auf die organisatorischen Schwächen des PCF auf lokaler Ebene wirft, auf das etwas näher einzugehen ist.
APCF, Seine-Saint-Denis, 261 J 27/98, Rapport de Raymond Gosselet, S. 2. APCF, Seine-Saint-Denis, 261 J 27/98, Rapport de Raymond Gosselet, S. 2. APCF, Seine-Saint-Denis, 261 J 27/98, Rapport de Raymond Gosselet, S. 3. APCF, Seine-Saint-Denis, 261 J 27/98, Rapport de Raymond Gosselet, S. 3. APCF, Association France RDA, 38 J 14, 9. Congrès de l’Association France-RDA de la SeineSaint-Denis à Dugny, 14.10.1984.
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Ein Delegierter der Freundschaftsgesellschaft von Dugny hob einen ungelösten, die vertikalen Beziehungen zwischen den Komitees bezeichnenden Vorfall hervor: Sein Vorstand hatte dem zentralen Dachverband Seine-Saint-Denis den Vorschlag unterbreitet, eigene Mitglieder als „Botschafter“ nach Gera zu entsenden, wo ein wichtiges Volksfest unmittelbar bevorstand, zu dem die Franzosen eingeladen wurden. Da etliche städtepartnerschaftliche Komitees nicht Mitglied der Freundschaftsgesellschaft waren, hatten sich bereits mehrere Fehlschläge ereignet. Es kam nicht zuletzt vor, dass DDR-Bürger nach Frankreich einreisten und die zuständige Gesellschaft nicht informiert war.¹⁵⁵ Solche Kommunikationsfehler waren ein Spiegelbild für die Schwierigkeiten innerhalb der Partei. Sie betrafen insbesondere den Austausch zwischen Zentrum und lokaler Ebene und konnten nie völlig gelöst werden. Organisatorische Missverständnisse rührten nicht selten auch direkt von politischen Differenzen und Rivalitäten her, die innerhalb der regionalen Führungsgremien auftauchten und nicht zuletzt mit der generellen Identitätskrise begründet werden können.¹⁵⁶ Dies fand in der ersten Hälfte der achtziger Jahre schlussendlich auch Niederschlag in den Mitgliederzahlen der jeweiligen Freundschaftskomitees, die einen eindeutigen Abwärtstrend verzeichneten.¹⁵⁷
4 Bilaterale Beziehungen zwischen SED und PCF auf dem Tiefstand Die Amtstübernahme durch Ronald Reagan in den USA, der bei den Präsidentschaftswahlen im November 1980 den amtierenden Jimmy Carter hatte überholen können und sein Land von Anfang an auf eine entschlossen antikommunistische Strategie einstimmte, löste in der SED Ängste und Unmut aus. Selbst vorsichtige Versuche des „Gegners“, die verkrampften Ost-West-Beziehungen durch zaghaf-
APCF, Association France RDA, 38 J 14, 9. Congrès de l’Association France-RDA. Interview des Verfassers mit Jean-Pierre Briard am 15.03. 2013. Briard war von 1984 bis 2008 Bürgermeister von Montreuil, Chef des PCF-Bezirkssekretariats der Stadt von 1978 bis 1981 und von 1988 bis 2012 Abgeordneter für Seine-Saint-Denis. Die Mitgliederzahl der Freundschaftsgesellschaft Frankreich-DDR im besonders kommunistisch geprägten Bezirk Seine-Saint-Denis schrumpfte rasant, von 545 insgesamt im Jahr 1981 auf 486 im Jahr 1982, bis es im Jahr 1984 nur noch 444 waren. Unter den lokalen Komitees „funktionierte“ Romainville am besten (111 Mitglieder). Dugny hatte 60, Bobigny 50, Montfermeil 40, Montreuil 35, Bagnolet 27, La Courneve 18, Saint Denis 10, Aulnay s/Bois 7, Drancy 6, Aubervilliers 4. Vgl. APCF, Association France RDA, 38 J 14.
4 Bilaterale Beziehungen zwischen SED und PCF auf dem Tiefstand
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te Austauschinitiativen etwas abzumildern, stießen bei den Ost-Berlinern auf Misstrauen: Nach der Verkündung des antikommunistischen Kreuzzuges durch Reagan vor dem britischen Parlament im Juni 1982 legte Außenminister Shultz unter Hinweis auf diesen Kreuzzug im Feb 1983 das ‚Projekt Demokratie‘ vor, nach dem sich auch in ‚Osteuropa‘ und in der SU Gemeinwesen, Organisationen und Einzelpersonen im gesamten Land beteiligen können und müssen. Der von der NATO gesteuerte ‚Rat der Gemeinden Europas‘ beschloß im Feb 1984, verstärkt Kontakte zu den Gemeinden Osteuropas zu knüpfen […] die Regierung der Bundesrepublik, die zu diesem Zeitpunkt Städtepartnerschaften mit der DDR abgelehnt hatte, machte durch den parlamentarischen Staatssekretär im Bundesmin. für innerdeutsche Beziehungen, Hennig, deutlich, ‚Die Bunderregierung begrüße jede Initiative zu Partnerschaften mit Gemeinden, Städten und Landkreisen der DDR […].‘¹⁵⁸
Der Argwohn gegenüber der demonstrativ angebotenen Dialogbereitschaft des Westens hatte auf Seiten der SED langfristig einen zweifachen Effekt: Einerseits die Einschränkung von Beziehungen zu den dem NATO-Bündnis zugehörigen westeuropäischen Regierungen; andererseits die Suche nach gleichwertigen Verbindungen zu einzelnen, einflussreichen Partnern. Aus einem langen, streng vertraulichen Dokument aus dem Arbeitsbereich Hermann Axens geht eindeutig hervor, dass sich diese Verschiebung innerhalb der außenpolitischen Strategie der SED parallel zu einer Phase der Umpositionierung etlicher sozialdemokratischer Parteien Westeuropas um 1983/84 vollzog: Letztere hatten nämlich damit begonnen, ihre bis dahin für gewöhnlich als unvermeidbar geltende Unterordnung unter die US-amerikanische Vorherrschaft zumindest in Frage zu stellen. Besonders die Entwicklung der Friedensthematik hatte dem Bericht zufolge in der internationalen Sozialdemokratie zu einer Beschleunigung der Differenzierungsprozesse geführt, sowohl jeweils intern als auch zwischen den Parteien. Demnach sahen sich die meisten Parteien hierdurch gezwungen, ihre Positionen zu Grundfragen der internationalen Politik neu zu durchdenken bzw. zu modifizieren. Dies, so hieß es weiter, habe für die kommunistische Politik der „Aktionseinheit“ neue Momente und Anknüpfungspunkte geschaffen.¹⁵⁹ Somit vollziehe die europäische Sozialdemokratie eine Abkehr von der uneingeschränkten SAPMO-BArch, Volkskammer – Parlamentarische Freundschaftsgruppen, DY/13/2933, Versuche des Gegners, die kommunalen Auslandsbeziehungen für das Eindringen in die sozialistischen Länder zu nutzen sowie weitere Probleme der Städtepartnerschaften, S. 2. SAPMO-BArch, Büro Hermann Axen, DY/30/IV 2/2.035 12, (Streng vertraulich) „Neue Probleme der kommunistischen Weltbewegung, insbesondere bei der weiteren Entwicklung der Zusammenarbeit kommunistischer und Arbeiterparteien und ihres Zusammenwirkens mit sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien sowie mit anderen revolutionären und demokratischen Kräften unter den gegenwärtigen Bedingungen“, Berlin 23.10.1985, hier S. 24.
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Übereinstimmung mit der Sicherheitspolitik der USA und der NATO und sei nun im Begriff, nach Alternativen zu suchen. Vor diesem Hintergrund entstünden für die „sozialistischen Staaten“ günstigere Rahmenbedingungen für das Ablegen von Vorbehalten und für die Suche nach einer Zusammenarbeit mit den gemäßigten linken Kräften Westeuropas. Die gemeinsame Parteiinitiative der SED und der SPD zur Schaffung eines chemiewaffenfreien Korridors in Mitteleuropa (wohl an der deutsch-deutschen Grenze), hieß es schließlich im Text, stelle dafür ein beredtes Beispiel dar.¹⁶⁰ Im Juni 1985 schickte der PCF Maxime Gremetz auf eine heikle Mission nach Ost-Berlin.¹⁶¹ In Anbetracht der desolaten Situation seiner Partei im eigenen Lande – dem PCF liefen nach seinem Ausscheiden aus der Regierungsverantwortung die Wähler regelrecht davon und teilweise sogar dem rechtsextremen Front National zu – trachtete der Franzose nach Unterstützung jenseits des „Eisernen Vorhangs“. Im Gespräch mit Hermann Axen warnte er die ostdeutschen „Genossen“ davor, sich von den propagandistischen Lügen Mitterrands irreführen zu lassen. Diesen seien nicht nur westliche Medien, sondern auch Beobachter der „real sozialistischen“ Staaten bereits anheimgefallen. Die Sozialisten Frankreichs hätten jüngst ihre Ausrichtung auf die USA, und damit auch die Orientierung der Regierung, nur noch verstärkt. Mitterrand setze sich energisch für die Süderweiterung der EG um Spanien und Portugal ein, obwohl dies ganz offensichtlich im krassen Gegensatz zu den ökonomischen Interessen seines Landes stehe. Politisch versuche er sich supranational aufzustellen: Von ihm gehe die Initiative aus, die Westeuropäische Union wieder zu beleben und effizienter zu gestalten. Auch engagiere er sich energisch für die weitere Aufrüstung Frankreichs und des Westens: „Frankreich hat erwirkt, die letzten Beschränkungen, die der Bundes-
SAPMO-BArch, Büro Hermann Axen, DY/30/IV 2/2.035 12, (Streng vertraulich) „Neue Probleme der kommunistischen Weltbewegung, S. 25. Am 19.06.1985 einigten sich Unterhändler der SED und der SPD auf das gemeinsame Projekt zur Schaffung einer chemiewaffenfreien Zone an ihrer Innengrenze. Vgl. SAPMO-BArch, Büro Hermann Axen, DY/30/IV 2/2.035 78, Information für die Mitglieder und Kandidaten des Politbüros, Internationale Pressekonferenz zur Bekanntgabe der gemeinsamen politischen Initiative von SED und SPD zur Schaffung einer von chemischen Waffen freien Zone in Europa, Berlin 20.06.1985. Darin wurde noch unverhohlen hervorgehoben: „Die internationale Pressekonferenz zur Bekanntgabe der Initiative fand am 19.06.1985 in Bonn statt. Erstmalig konnte der Vertreter der Regierungspartei eines sozialistischen Landes in diesem Forum auftreten.“ SAPMO-BArch, Büro Hermann Axen, DY/30/IV 2/2.035 78, Information für die Mitglieder und Kandidaten des Politbüros, S. 1; siehe ferner auch Harald Neubert, Die Hypothek des kommunistischen Erbes. Erfahrungen, Zeugnisse, Konsequenzen, Hamburg 2002, insbesondere S. 273 – 290. SAPMO-BArch, Büro Hermann Axen, DY/30/IV 2/2.035 94, Vermerk über das Gespräch zw. Hermann Axen mit Maxime Gremetz am 14. Juni 1985 in Berlin, Berlin 17.06.1985.
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republik durch die WEG auferlegt waren, aufzuheben. Nun hat die Bundesrepublik das Recht, bis auf Raketen alle schweren Waffen zu produzieren.“¹⁶² Gremetz machte darauf aufmerksam, dass die Medien eine verharmlosende Kampagne betrieben, mit dem Ziel, über die realen außenpolitischen Vorhaben der französischen Regierung hinwegzutäuschen. So würden sie systematisch die Wahrheit über Mitterrands Haltung zur Strategic Defense Initiative (SDI) der USA verschweigen und so tun, als ob Mitterrand ein Gegner der aggressiven Linie Reagans sei. Der PCF-Abgesandte warnte vor einem unmittelbaren Risiko für den gesamten Ostblock, das von einer fehlerhaften Interpretation der Politik der EG sowie der Politik einiger ihrer bedeutendsten Mitgliederstaaten ausgehe. Auch die Presse der DDR und etlicher sozialistischer Staaten sei dagegen nicht gefeit. Während Frankreich außenpolitisch mit dem Projekt „Eureka“ lediglich darauf abziele, eine noch festere Einbindung in das NATO-Bündnis zu erwirken, schmiede Mitterrand innenpolitisch eine Allianz mit Rechtskräften, um seine Macht zu konsolidieren: „Zusammenfassend ist dazu zu sagen, daß sich die Politik Frankreichs, deren Konstante die systematische Feindschaft gegen die sozialistischen Länder und alle Kräfte der nationalen Befreiung ist, mehr denn je in die Strategie der USA einfügt […]. Sie bringt die Unabhängigkeit und Souveränität Frankreichs in Gefahr.“¹⁶³ Zum Schluss wies Gremetz darauf hin, dass sein Vorstand nicht ohne Enttäuschung und Überraschung habe feststellen müssen, dass sowohl die SED als auch die KPdSU immer öfter in wichtigen Fragen der Außenpolitik eher mit den italienischen Sozialisten in Einklang stünden als mit dem PCF.¹⁶⁴ Mittels einer vertraulichen Mitteilung informierte Axen Erich Honecker umgehend über den Besuch von Gremetz und den Inhalt der geführten Gespräche. Die Ausführungen des Franzosen nannte er „Ausfälle“; im Ton sei er „vehement“ aufgetreten und unangemessen. Schließlich habe Axen nur um der guten Beziehungen willen die Unterredung nicht vorzeitig beendet.¹⁶⁵
SAPMO-BArch, Büro Hermann Axen, DY/30/IV 2/2.035 94, Vermerk über das Gespräch zw. Hermann Axen mit Maxime Gremetz am 14. Juni 1985 in Berlin, Berlin 17.06.1985, S. 3. SAPMO-BArch, Büro Hermann Axen, DY/30/IV 2/2.035 94, Vermerk über das Gespräch, S. 9. „Wir stellen fest, daß die SED und die KPdSU in diesen komplizierten Fragen, wie das in den schwierigsten Situationen schon mehrmals der Fall war, mehr mit der IKP als mit der FKP übereinstimmen […]. Wir wollen nicht, daß Illusionen entstehen.“ SAPMO-BArch, Büro Hermann Axen, DY/30/IV 2/2.035 94, Vermerk über das Gespräch, S. 11. SAPMO-BArch, Büro Hermann Axen, DY/30/IV 2/2.035 94, Information von Hermann Axen an Erich Honecker, Berlin 17.06.1985; SAPMO-BArch, Abteilung International Verbindungen, DY/30/ 11528, Vermerk über das Gespräch zwischen Hermann Axen mit Maxime Gremetz, Mitglied des PB und Sekretär des ZK der FKP, am 14. 6. 1985, Berlin 17.6.1985, S. 17.
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5 Die Botschaft der DDR in Paris Das propagandistische Bemühen des DDR-Komitees für Europäische Sicherheit und die Rationalisierung der Arbeit bei der DDR-Botschaft in Paris Angesichts der vornehmlich durch Reagan und seine Politik der Stärke verursachten allgemeinen Verschlechterung der Ost-West-Beziehungen setzten die Komitees für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit der staatssozialistischen Länder ab Mitte der achtziger Jahre gleichwohl in verstärktem Maße auf Entspannung. In Prag fand im Frühjahr 1985 ein Konsultativtreffen etlicher Komitees statt, dem auch sowjetische Vertreter beiwohnten. Verabschiedet wurde der Beschluss, dass die an Frieden und Austausch interessierten Kräfte entschlossener in Erscheinung treten und gezielt Maßnahmen ergreifen müssten, um die Öffentlichkeit zu beeinflussen und ihr die Vorschläge der sozialistischen Länder zu Abrüstung und Zusammenarbeit auch über den „Eisernen Vorhang“ hinweg zu vermitteln. Es sei wünschenswert, dass die Beteiligten auch ihre Kollegen im Westen in das Vorhaben einbezögen.¹⁶⁶ Ein zusätzliches Bekenntnis zu uneingeschränktem Pluralismus diente zweifellos der propagandistischen Selbstdarstellung im westlichen Ausland, eine Taktik, derer sich schon ostdeutsche Funktionäre ohnehin oft bedenkenlos bedienten. Anlässlich einer späteren Tagung des Internationalen Komitees für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit (IK) im Juni desselben Jahres in Brüssel – die Zusammenkunft war dem 40. Jahrestag des Sieges über den Nationalsozialismus sowie dem 10. Jahrestag der Ratifizierung der Schlussakte von Helsinki gewidmet – informierte die DDR-Delegation über die als „historisch“ bezeichnete gemeinsame Initiative von SED und SPD zur Bildung einer chemiewaffenfreien Zone in Europa. Die ostdeutschen Abgesandten stellten heraus: „Diese Initiative hat hohes politisches Gewicht und zeigt Möglichkeiten für die Erreichung von konkreten Vereinbarungen auf […].“¹⁶⁷ Die zelebrierte Offenheit der SED-Funktionäre im Bereich friedenspolitischer Bemühungen zeitigte jedoch keine spürbare Verbesserung wiederum der offiziellen französisch-ostdeutschen Beziehungen auf Regierungsebene. Im April 1985 hatte sich erneut ein ungeklärter militärischer Störfall ereignet.¹⁶⁸ Ende des Mo-
SAPMO-BArch, DDR-Komitee für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit, DZ/22/74, Information über das Konsultativtreffen der Komitees für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit der sozialistischen Länder am 8./9. 1. 1985 in Prag. SAPMO-BArch, DDR-Komitee für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit, DZ/22/47, Information über die Tagung des Internationalen Komitees für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit (IK) am 21./22. 6. 1985 in Brüssel, Berlin 25.6.1985, hier S. 2. MFAA, ZR 118/89, Hoffman, Armeegeneral (Min. Nationale Vert.), an Honecker, 30.4.1985.
5 Die Botschaft der DDR in Paris
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nats waren drei Minensuchschiffe der französischen Streitkräfte ins Territoralgewässer der DDR bei der Halbinsel Darß eingedrungen und hatten erst nach besonderer Aufforderung die Zone wieder verlassen. Der stellvertretende Minister für Auswärtige Angelegenheiten der DDR, Kurt Nier, beauftragte Botschafter Marter, „auf geeigneter Ebene im Quai mündlichen Protest gegen Verletzung Territorialgewässer vorzutragen.“¹⁶⁹ Das entsprechende Telegramm wurde laut einer überlieferten handgeschriebenen Mitteilung vernichtet, „da offensichtlich nicht reagiert wird.“¹⁷⁰ Die Führung der Grundorganisation der SED in Paris fand sich vor neue Herausforderungen gestellt. Möglichst ohne große Reibungsverluste sollte das Konzept einer harmonischen Zusammenarbeit zwischen Leitung und Mitarbeitern, dem die Partei seit Anfang der achtziger Jahre in verstärktem Maße ihre Aufmerksamkeit gewidmet hatte, mit der konsequenten Erfüllung der aus OstBerlin diktierten Direktiven in Übereinstimmung gebracht werden. Aus einem Informationsbericht der SED-Grundorganisation von Februar/März 1985 geht diese Richtlinie deutlich hervor. Darin wird die besondere Rolle der Intensivierung und Förderung der individuellen Arbeit von Parteimitgliedern betont sowie auf die Bedeutung von „persönlichen Gesprächen“ zur Überwindung von Differenzen, Erörterung von Kritiken und Verbesserung der Effizienz hingewiesen.¹⁷¹ Die Steigerung der operativen Maßnahmen zur Maximierung politischer und (insbesondere) wirtschaftlicher Vorteile für die DDR sollte „von oben“ gestützt werden. Durch eine regelmäßige Vermittlung ideologischer Motivation sowie durch gezielte Leistungsstimulierung, auch in Form materieller Förderung und Prämierung¹⁷², sollte potentiell subversivem Verhalten und politischer Divergenz vorgebeugt werden: 1.) Festigung der Überzeugung bei allen Mitarbeitern, daß die für 1985 gestellte Aufgabe voll realisierbar ist. Entwicklung einer nach innen (DDR) und außen (franz. Markt) aggressiven Marktarbeit […] 2.) Schaffung von Erfolgserlebnissen für jeden Mitarbeiter bei Erreichung von festgelegten Zielen, um weitestgehende Motivierung und Begeisterung für die Gesamtaufgabe zu erreichen […] 4.) Persönliche Verpflichtungen sollten zum ständigen Kontroll-
MFAA, ZR 118/89, Brief von Nier an Genossen Marter, 2. 5.1985. MFAA, ZR 118/89, Brief von Nier an Genossen Marter. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/14293, Botschaft der DDR in Frankreich, SED-Grundorganisation. Informationsbericht Februar/März 1985, Paris 10.4.1985. Vgl. u. a. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/14293, Botschaft der DDR Paris. Abt. Int. Verbindungen, an Günter Sieber von Bibow, Paris 18. 2.1985. Darin ist zu lesen: „Hiermit schlage ich vor, die Genossin Adelheid Erben anläßlich des internationalen Frauentages am 8. 3.1985 mit einer Geldprämie in Höhe von 250 Mark auszuzeichen. Genossin Erben erfüllt ihre Aufgaben verantwortungsbewusst, mit großem Fleiß und selbstständig […].“
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und Leitungsinstrument der Leiter gemacht werden […] 5.) Parteiliche Auswertung auftretender Verstöße und prophylaktische Verhinderung neuer Fehlverhalten durch regelmäßige Belehrungen und eigene Vorbildwirkung der Leiter […].¹⁷³
Systematisch hatte der SED-Vorstand schon seit Mitte der siebziger Jahre den Druck auf Leiter und Mitarbeiter der DDR-Botschaft in Paris erhöht, bei der Erarbeitung neuer Strategien den aus der sich verschärfenden Wirtschaftskrise erwachsenden Zwängen Rechnung zu tragen. Kosten und Finanzierungen sollten entsprechend reduziert, das Personal „angepasst“, Materialien und Instrumente, darunter auch technisches Zubehör, drastisch abgebaut werden. Ein interner Bericht von Ende 1975 über die Finanzrevision in den Auslandsvertretungen der DDR in Frankreich gibt hierüber Aufschluss.¹⁷⁴ Zwischen Ende Oktober und Anfang November 1975 führte eine Revisionskommission im Auftrag des ZK und gemeinsam mit dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten gründliche Kontrollen in den SED-Grundorganisationen in Frankreich durch, die im Allgemeinen positiv ausfielen: „Im Ergebnis der Prüfung wird eingeschätzt, dasß vom Kollektiv der Auslandsvertretung eine zielgerichtete und erfolgreiche Arbeit geleistet wird. Das kommt in den politischen Aktivitäten und den erhöhten Außenhandelsumsätzen zum Ausdruck.“¹⁷⁵ Trotz der Erhöhung des Außenhandelsvolumens wurde die Forderung des Botschafters, zusätzliche Mittel für eine dringend notwendige Aufstockung des Fachpersonals bereitzustellen, abschlägig beschieden.¹⁷⁶ Der Beschluss der Parteizentrale, der Sonderfinanzierung nicht stattzugeben, traf die GOen besonders hart, waren sie doch bereits gezwungen, bei der Bewältigung der politischen und propagandistischen Arbeit mit sehr knappen Mitteln auszukommen.¹⁷⁷ Von Begünstigungen ausgenommen blieben somit sowohl Löhne bzw. Prämien als auch die Beschaffung von technischer Ausrüstung.
SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/14293, Schlussfolgerungen für wirksamere Gestaltung der politisch-ideologischen Arbeit in der APO II, Paris 17.5.1985. MFAA, ZR 4828/90, Information über die Finanzrevision in der Auslandsvertretung und den ständigen Auslandsinstitutionen der DDR in der französischen Republik, Berlin 30.12.1975. MFAA, ZR 4828/90, Information über die Finanzrevision, S. 1. „In Auswertung der Beschlüsse gibt es von der Auslandsvertretung Vorschläge, um einer ungerechtfertigten Ausweitung der Anzahl von DDR-Mitarbeitern entgegenzuwirken […].“ MFAA, ZR 4828/90, Information über die Finanzrevision, S. 1. Der jährliche Valutaaufwand für die Finanzierung aller Auslandsvertretungen in Frankreich betrug rund 5 Mio. VM, was für die maroden Staatskassen eine erhebliche Belastung darstellte. Daher wurde eine regelmäßige „rationale Reduzierung“ der Mittel beschlossen. Für das darauffolgende Jahr 1976 war eine Herabsetzung um ca. 0,6 Mio. VM von den Dienststellen der DDR für möglich und sinnvoll befunden worden. Vgl. MFAA, ZR 4828/90.
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In den ständigen Auslandsinstitutionen der DDR in Frankreich hielten sich zu dem Zeitpunkt 164 DDR-Bürger auf. Ermittelt wurden außerdem sieben mitreisende Ehefrauen – „gegenwärtig ohne Beschäftigung“ – sowie 61 Kinder.¹⁷⁸ Der Botschafter hatte den Vorschlag unterbreitet, fünf weitere Mitarbeiter zur Verstärkung des technischen Bereichs anzustellen.¹⁷⁹ Darüber hinaus hatte er empfohlen, die Kaderanzahl entsprechend der in Umfang und Bedeutung gewachsenen Aktivitäten der Grundorganisationen aufzustocken. Interne Planvorschläge sahen eine Erhöhung von 57 auf 75 „Kader“ vor, was jedoch bei den zentralen Parteigremien auf Ablehnung stieß. Schließlich billigten die zuständigen Dienststellen eine Verstärkung um sieben auf 64 „Kadereinheiten“. Dass auch dies nur widerwillig gestattet wurde, zeigt die gleichzeitige eifrige Bemühung um einen Ausgleich: „Davon ausgehend sind für 1976 Reduzierungen bei folgenden Außenhandelsbetrieben erforderlich: AHB WMW-Export, 3 Kader; Carl Zeiss Jena, 1 Kader; Transportmaschinen, 3 Kader; Unitechna, 3 Kader; Elektrotechnik, 11 Kader.“¹⁸⁰ Intern waren im selben Jahr bereits Richtlinien von der Abteilung Westeuropa in Umlauf gebracht worden, die Arbeitsinhalte und Zielsetzungen für die SEDZuarbeiter im Ausland langfristig festlegten.¹⁸¹ Hauptaufgabe der ostdeutschen Diplomaten in der Botschaft der DDR in Paris sollte die „Kontaktarbeit“ zur weiteren Profilierung und Besserstellung des Heimatlandes sein. Die Liste der besonders zu pflegenden Kontakte in Frankreich war nach politischem Rang sowie wirtschaftlicher Relevanz sortiert, was die Ausrichtung der Außenpolitik Ost-Berlins zu jenem Zeitpunkt getreu widerspiegelte: 1. Herstellung, Ausbau und Pflege der Kontakte zu Vertretern der französischen Regierung: – zum Präsidenten – zum Premierminister und seinen wichtigsten Beratern – zum Außenminister, dem Staatssekretär und dem Generaldirektor im Außenministerium – zu den Leitern, stellvertretenden Leitern der Politischen Abteilung bzw. der Fachabteilungen der französischen MAA sind die Arbeitskontakte systematisch zu vertiefen – zu ausgewählten, für die Entwicklung der politischen und ökonomischen Beziehungen wichtigen Fachministern,
MFAA, ZR 4828/90, Information über die Finanzrevision, S. 2. „Mitarbeiter der Verkehrspolitischen Abteilung, Mitarbeiter für Wissenschaft und Technik, Funker, Sekretärin der Verkehrspolitischen Abteilung, Sprachlehrer.“ MFAA, ZR 4828/90, Information über die Finanzrevision, S. 2. MFAA, ZR 4828/90, Information über die Finanzrevision, S. 3. MFAA, ZR 4828/90, Nahorientierung für die zielstrebige Kontaktarbeit der Botschaft Paris im Zeitarum 1975/76, Berlin 14.01.1975.
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– Minister für Wirtschaft und Finanzen, Jean-Pièrre Fourcade – Minister für Industrie, Michel d’Ornano, sowie die Direktoren der Abteilung für wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit und wissenschaftliche Forschung – Minister für Ausrüstung, Robert Galley – Minister für Gesundheitswesen, Frau Simone Veil – Staatssekretär für Außenhandel, Norbert Ségard – Staatssekretär für Transport, Marcel Cavaillé – Staatssekretär für Kultur, Michel Guy […]¹⁸²
Die Aufforderung zur Vertiefung von ausgewählten Kontakten folgte einem differenzierten Schema, das den Schluss zulässt, dass eher die reine Maximierung von politischem und insbesondere wirtschaftlichem Nutzen als der konstruktive Austausch mit Andersdenkenden im Zentrum stand. Später im Text wird dieses Ansinnen überdeutlich: Angeregt wurde die Kontaktaufnahme und -aufrechterhaltung zu „einflußreichen“ Parlamentariern jeglicher politischer Couleur; zu „einflußreichen“ Personen der in der Regierung vertretenen Parteien und Gruppierungen; ferner zu der Regierung nahestehenden politischen Kreisen, „sofern sie für die Entwicklung der Beziehungen und als Informationsquelle von Bedeutung sind […]“¹⁸³; schließlich zu Generaldirektoren und leitenden Persönlichkeiten französischer Unternehmensgruppen und Banken. Hierzu führte die Vorgabe auch einen erklärenden Grund an: Die Beziehungen zu hochrangigen Wirtschaftsfunktionären sollten u. a. dazu genutzt werden, um sie für die Intensivierung der politischen Verbindungen wirksam werden zu lassen.¹⁸⁴ Dass Wirtschaftsziele als Triebfedern bzw. sogar Garantien politischer Zusammenarbeit zu betrachten seien, lief zwar jeglichem marxistisch-leninistischen Ansatz zuwider, dieses pragmatische Prinzip bestimmte aber in der Tat schon ab Mitte der siebziger Jahre die Stoßrichtung der Auslandsarbeit der SED in Westeuropa.
5.1 Rechtliche Unstimmigkeiten bei der außenpolitischen Arbeit in Frankreich Die Notwendigkeit einer umfassenden verbindlichen Regelung für alle im französischen Ausland wirkenden DDR-Organisationen ergab sich sowohl aus finanziellen Überlegungen als auch aus politisch-juristischen Unklarheiten, die spezifisch dem „französischen Fall“ anhafteten.
MFAA, ZR 4828/90, Nahorientierung, S. 1. MFAA, ZR 4828/90, Nahorientierung, S. 2. MFAA, ZR 4828/90, Nahorientierung, S. 2.
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Der staatsrechtliche Status der „äußeren Absatz- und Bezugsorganisationen“, die mit der Botschaft aufs Engste zusammenarbeiteten, bereitete dem Parteivorstand in Ost-Berlin Kopfzerbrechen. Die französische Regierung hatte nach der Aufnahme von diplomatischen Beziehungen zur DDR den Einsatz von insgesamt 44 ostdeutschen Funktionären genehmigt: 22 Diplomaten und 22 administrativtechnische Kräfte.¹⁸⁵ Diese Zahl wurde allerdings von Anfang an weit überschritten: 88 Kader in der Botschaft und 76 Kader in den Absatz- und Bezugsorganisationen, so der Stand 1975/76. Doch es war nicht in erster Linie die Anzahl, sondern, wie angedeutet, der rechtliche Status der akkreditierten Kräfte, der Anlass zur Besorgnis gab. Intern wurde ermittelt, dass zwischen der Botschaft und den bereits erwähnten äußeren Absatz- und Bezugsorganisationen eine unmittelbare finanzielle Verflechtung bestand, welche unbedingt beseitigt oder zumindest „kaschiert“ werden musste: „Das französische Außenministerium hat mehrmals auf die besondere Stellung der Mitarbeiter der äußeren Absatz- und Bezugsorganisationen hingewiesen und eine strikte Abgrenzung zur Botschaft gefordert. Die jetzige Verfahrensweise wurde bisher stillschweigend geduldet. Es besteht die Gefahr, daß sich die französische Seite zu einem ihr genehmen Zeitpunkt dagegen wendet.“¹⁸⁶ Eine formale fiskalische Trennung zwischen den beiden Bereichen, so das Dokument daraufhin, hätte aber das Problem nicht endgültig behoben. Ein eigener juristischer Status für die Zuarbeiter im wirtschaftlichen Sektor wäre riskant gewesen, denn dies hätte die französischen Behörden auf den Plan rufen und zur Forderung bewegen können, „alle Umsätze mit der DDR der französischen Steuergesetzgebung zu unterwerfen.“¹⁸⁷ Zur Umgehung dieser Problematik wurde angeregt, dass kompetente Stellen (Ministerium für Außenhandel, Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, Ministerium der Finanzen) gemeinsam nach Auswegen suchen sollten.
Schwierigkeiten bei der Informationsbeschaffung und der politischen Planung Mitte der siebziger Jahre waren von mehreren Stellen Mängel bei der planmäßigen Informationsbeschaffung durch die Pariser Botschaft festgestellt und gemeldet worden. Dies lag primär an der unzulänglichen Versorgung der beauftragten
MFAA, ZR 4828/90, Nahorientierung, S. 4– 5. MFAA, ZR 4828/90, Nahorientierung, S. 5. Diese „Unbestimmtheit“ traf nur bei der Grundorganisation in Frankreich zu. Bei den anderen Auslandsvertretungen stellte sich das Problem nicht, da die Mitarbeiter der Handelsunternehmen „in Form des Delegatensystems“ agierten und nicht extern, sondern in der Handelspolitischen Abteilung organisiert waren. Vgl. MFAA, ZR 4828/90, Nahorientierung, S. 5 – 6.
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Zuarbeiter mit den nötigen Mitteln, hatte aber bei den zentralen Revisionsgremien zunächst auch die Besorgnis ausgelöst, dass fehlende Parteidisziplin oder gar offene Ablehnung der Direktiven von oben eine Rolle spielen könnten. Seitdem wurde versucht, bei Aufrechterhaltung der gebotenen Sparsamkeit, das Niveau des informatorischen Dienstes zu heben, teilweise mit zufriedenstellenden Ergebnissen. Nier berichtete im Frühjahr 1977 über eine Reihe von Verbesserungen bei der propagandistischen Tätigkeit der Botschaft, die sich nicht zuletzt internen Diskussionen über Defizite und unkontrollierte Entwicklungen verdankten.¹⁸⁸ In dieser Hinsicht habe die Pariser Botschaft seit Ende 1976 Fortschritte erzielen können: „Es kommt nur vorrangig darauf an, die aktuelle Information für die Partei- und Staatsführung zu verbessern. Dabei ist verstärktes Augenmerk auf Aktualität, Kontinuität und Qualität zu legen. Die Forderung nach Primärinformation bleibt nach wie vor gültig.“¹⁸⁹ Der Hinweis darauf, dass zur informatorischen Tätigkeit durchaus auch eigene Wertungen und Interpretationen von politischen, gesellschaftlichen und nicht zuletzt wirtschaftlichen Ereignissen gehörten, blieb für die Praxis der Folgezeit jedoch ohne jede Relevanz. Die stetige Verschärfung der Wirtschaftskrise in der DDR erforderte schnelles, überaus pragmatisches Handeln, bei dem die Realisierung ökonomischer Ziele Vorrangstellung haben musste. Dies verdeutlicht beispielsweise eine Mitteilung von Günter Bühring, dem Geschäftsträger der DDR-Botschaft in Paris, an Herbert Krolikowski, den Staatssekretär und 1. Stellvertreter des Ministers für Auswärtige Angelegenheiten, vom November 1978.¹⁹⁰ Letzterer hatte vorab in einem Brief an die Pariser Botschaft eine Reihe von Maßnahmen zur allgemeinen Verbesserung der Auslandsarbeit und im Besonderen zur Vorbereitung von Konzepten für die Feier des 30. Jahrestags der DDR aufgelistet. Die adäquate Würdigung des bevorstehenden Jubiläumsjahres könne nur unter Einbeziehung sämtlicher Beiträge der Freundschaftsgesellschaft Frankreich-DDR vollzogen werden, hieß es daraufhin aus Paris, die zu dem Zeitpunkt noch offen seien.¹⁹¹ Die politische Aktivität von
MFAA, ZR 4828/90, AV-Mitteilung von Stellvertreter des Ministers, Genossen Nier an Genossen Dr. Werner Fleck, Paris, 31.01.1977. MFAA, ZR 4828/90, AV-Mitteilung von Stellvertreter des Ministers, Genossen Nier an Genossen Dr. Werner Fleck, S. 1. MFAA, ZR 4828/90, Günter Bühring an Herbert Krolikowski, Paris 16.11.1978. „Dazu bedarf es der Auswertung des VIII. Nationalkongresses der Freundschaftsgesellschaft in Strasbourg (4.-5.11.1978) durch die Liga für Völkerfreundschaft und der noch ausstehenden Unterzeichnung des Protokolls der Zusammenarbeit zwischen beiden Freundschaftsgesellschaften für das Jahr 1979 (im Dezember 1978).“ MFAA, ZR 4828/90, Günter Bühring an Herbert Krolikowski, S. 12.
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rangniedrigeren Abteilungen, wie die der Freundschaftsgesellschaften, die direkt der Liga für Völkerfreundschaft unterstanden, war nämlich auf beträchtliche Ressourcen angewiesen und hing somit von den Direktiven des Haushaltsplans ab. Anders gewendet: In den der Partei anhängenden Verbänden herrschte grundsätzlich nur wenig Spielraum. Initiativen konnten nicht oder nur begrenzt „von unten“ initiiert werden, zumal die dazu notwendigen Mittel erst von ranghöheren Stellen genehmigt werden mussten.
5.2 Die „richtungsweisende“ Vereinbarung für die Arbeit der Pariser Botschaft in den achtziger Jahren Weitere Schwerpunkte beim anhaltenden Versuch der Optimierung der auslandspolitischen Arbeit konnten einer Betriebsvereinbarung vom November 1979 entnommen werden. Die dort aufgeführten Direktiven, die für die folgende Dekade richtungsweisend sollten, waren – einmal ganz abgesehen von der Parteiund Staatsführung – vom leitenden Gremium der Botschaft, vom FDGB, vom MfAA sowie vom Ministerium für Außenhandel (MAH) festgelegt worden.¹⁹² Das verbindliche Schreiben brachte die Absicht der Ost-Berliner Machthaber zum Ausdruck, die Anstrengungen der „Kollektive“ der DDR-Bürger im Auslandseinsatz vornehmlich auf den Ausbau der bilateralen Beziehungen im politischen und wirtschaftlichen Bereich zu konzentrieren. Zwei Zielvorgaben wurden dabei hervorgehoben: das internationale Profil der SED, beispielsweise im Rahmen der UNESCO, zu sichern und zu fördern sowie der Einsatz für die materielle Besserstellung des Landes. Priorität sollte jedoch explizit der „Erfüllung und Übererfüllung der Exportaufgaben“, der „planmäßige[n] Realisierung der volkswirtschaftlichen notwendigen Importe“ und der „Erhöhung der Effektivität der Außenhandelsaktivität […]“ eingeräumt werden.¹⁹³ Die Förderung von „schöpferischer Initiative“ der Mitarbeiter in der Botschaft sollte lediglich dazu dienen, den Vorgaben der Parteileitung gerecht zu werden und die übermittelten Aufgaben fristgerecht zu erfüllen. Dass es sich dabei ohnehin ausschließlich um kontrollierte Initiativen handeln durfte, wurde im Text unmittelbar und unmissverständlich ausgedrückt. Die Lösung der „anspruchsvollen“ Aufgaben setze ein gefestigtes „sozialistisches
MFAA, ZR 4828/90, Botschaft der DDR in Frankreich, Betriebsvereinbarung 1980/81, Paris 20.11.1979. MFAA, ZR 4828/90, Botschaft der DDR in Frankreich, Betriebsvereinbarung 1980/81, S. 1.
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Bewußtsein“ und „Klassenwachsamkeit“ voraus, wofür die begleitende und vorbildhafte Funktion der Vorgesetzten erforderlich scheine. Wörtlich hieß es: Zur Lösung dieser anspruchsvollen Aufgaben in den Jahren 1980/81 werden Botschafter und BGL, in enger Zusammenarbeit mit der Parteileitung, die […] Einhaltung der Staatsdisziplin und der Bestimmung über Ordnung und Sicherheit, die Erziehung zu einem unerschütterlichen Klassenstandpunkt, zum sozialistischen Patriotismus und proletarischen Internationalismus, zu Einsatz- und Opferbereitschaft sowie zu Bescheidenheit und hohen moralischen Qualitäten in den Mittelpunkt der politisch-ideologischen Arbeit stellen […].¹⁹⁴
Die „moralische Erziehung“ der Zuarbeiter durch ihre Vorgesetzten hatte möglichst ergebnisorientiert zu erfolgen, was durch die Einbindung von vertrauten Gewerkschaftsleitern und politischen Mitarbeiten gesichert werden sollte. Mit der Verschärfung der finanziellen Krise der DDR musste sie den Machthabern geradezu als unumgängliche Maßnahme erscheinen. Auch wurde per Statut die Praxis der Prämierung empfohlen, auf die in der Tat zur Ankurbelung der Arbeitseffizienz und Disziplin regelmäßig zurückgegriffen wurde.¹⁹⁵
6 Frankreich und die DDR Mitte der achtziger Jahre Zum PCF Die zweite Hälfte der achtziger Jahre war für den PCF von internen Spannungen und Versuchen geprägt, außenpolitisch an Profil zu gewinnen. Dabei ging es den französischen „Genossen“ um eine Positionierung gegen die Regierungspartei PS sowie, undifferenziert ausgedrückt, gegen alle „imperialistischen Kräfte.“ Diese Bestrebungen von Marchais und seinen engsten Vertrauten schlugen jedoch weitgehend fehl, denn sie konnten die Partei nicht vor der zunehmenden Isolierung bewahren. Auch intern kämpfte der Vorstand gegen Erosionserscheinungen, ideologische Differenzen an der Basis und ein verbreitetes Gefühl von Resignation und Orientierungslosigkeit.¹⁹⁶ So verfolgten PCF-Beobachter zwar mit Aufmerksamkeit das internationale Engagement des PCI; ihrer eigenen Partei gelang es aber nicht (mehr), sich in die von den Italienern geschaffenen Netzwerke ein-
MFAA, ZR 4828/90, Botschaft der DDR in Frankreich, Betriebsvereinbarung 1980/81, S. 2; BGL steht für Betriebgewerkschaftsleitung. Vgl. dazu u. a. Armin Müller, Institutionelle Brüche und personelle Brücken. Werkleiter in volkseigenen Betrieben der DDR in der Ära Ulbricht, Köln 2006. MFAA, ZR 4828/90, Botschaft der DDR in Frankreich, Betriebsvereinbarung 1980/81, S. 5. Vgl. Courtois u. Lazar, Histoire, hier S. 367– 368.
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zubringen.¹⁹⁷ Bei den Kantonalwahlen am 10. und 17. März 1985 in Frankreich kassierte der PCF eine herbe Niederlage. Zwar konnte er sich in vielen „roten“ Hochburgen, darunter Seine-Saint-Denis, als stärkste Kraft behaupten,¹⁹⁸ er büßte aber insgesamt beträchtlich an Wählergunst ein. Die Wahlkampagne war von einer Affäre überschattet worden, die das ganze Ausmaß der politischen und ideologischen Krise des französischen Kommunismus erneut und mit aller Kraft deutlich gemacht und die Stammwähler des PCF verunsichert hatte.
Der „Fall Asensi“ François Asensi galt als besonders charismatischer, junger kommunistischer Funktionär und konnte in den siebziger Jahren erstaunlich schnell in der Hierarchie des PCF aufsteigen. 1979 wurde er zum Generalsekretär des PCF-Bezirkssekretariats Seine-Saint-Denis und damit zum Chef des wohl bedeutendsten und einflussreichsten lokalen Verbands der Partei gewählt. „Ganz oben“ wurde dies allerdings nur mit Zähneknirschen hingenommen, denn Asensi hatte sich im Laufe seiner politischen Laufbahn einen Namen als undogmatischer und äußerst kritischer Marxist gemacht¹⁹⁹, was ihm beim Vorstand, darunter Georges Marchais und Étienne Fajon, Direktor der Humanité, kaum Sympathie einbrachte. Auch deshalb erfolgte seine Übernahme in das ZK erst 1982, obwohl sie ihm – de facto der „Nummer 2“ der Partei – formell bereits ab 1979 zugestanden hätte.
Vgl. APCF, Polex, 261 J 7/43, Rapport sur la conférence „Rapporti Est-Ovest, USA e la sinistra europea“, à Rome, 26.-28. 2.1985. Darin wird auf die Zusammenarbeit zwischen PCI und PS hingewiesen sowie auf die Organisatoren der Tagung, an der u. a. Claudio Signorile (PSI), Giuseppe Boffa (PCI), Karsten Voigt (SPD), William Griffith (US-Demokrat und Abgeordneter) und Antonia Chayes (ehemalige US-Staatssekretärin) teilnahmen. Die Gespräche gingen über die strategische Bedeutung der militärischen Überlegenheit der USA hinaus, gleichzeitig betont wurde aber die Notwendigkeit einer militärischen Entschärfung und der weiteren Förderung und Einhaltung von Friedensverträgen. Vgl. auch Séminaire PCI-SPD sur la coordination des politiques économiques et la société à Frattocchie (Rome), 2.-4. 3.1985; Rapport sur l’interview avec Alessandro Natta dans „Manifesto“, 22.02.1985. Darin heißt es: „Der PCI ist eine gewichtige Arbeiter-, aber auch Volkspartei. Unsere Entwicklung hat die Partei ‚freierʻ, demokratischer und offener gemacht. Der PCI ist seit langer Zeit schon anders als alle anderen kommunistischen Parteien und den anderen Linkskräften […]. Die sozialistische Perspektive in Westeuropa ist ein Geschäft aller Linkskräfte: Es ist schwer, den Sozialismus in einem einzigen Land Westeuropas einzupflanzen.“ APCF, Seine Saint-Denis, 261 J 27/98, Élections cantonales françaises. Mit 24,7 % des Stimmenanteils blieb der PCF stärkste Kraft, verlor aber fünf Sitze im lokalen Rat. Ende 1973 war Asensi aufgrund ideologischer Differenzen aus der Jugendorganisation des PCF ausgetreten und hatte daraufhin im Dezember desselben Jahres mit einem kleinen „commando“ von Mitstreitern die chilenische Botschaft in Paris erstürmt und besetzt, wohl aus Protest gegen den Staatsstreich von Pinochet. Vgl. Humanité, 2.12.1973.
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1984 kam es schließlich zum Bruch zwischen dem unbequemen Asensi und der Parteiführung. Seine Ablehnung der politischen Ausrichtung von Generalsekretär Marchais, die Kritik an der in seinen Augen noch weitestgehend stalinistischen Orientierung der Parteifunktionäre und nicht zuletzt seine unverhohlene Sympathie für den Eurokommunismus des PCI und des PCE führten zum offenen Streit mit den Pariser Parteiführern. Ende desselben Jahres erhielt Asensi deshalb einen Parteiverweis: Er wurde mit sofortiger Wirkung seines Amtes in Seine-SaintDenis und im ZK enthoben. Der Beschluss des Vorstands – Asensi wegen seiner abweichenden politischen Überzeugungen zu entmachten – sorgte für Schlagzeilen. Die bürgerlichen Medien nutzten den Vorfall als willkommene Gelegenheit, um die beim PCF angeblich noch herrschenden „stalinistischen“ Umgangsformen zu tadeln. Doch auch parteiintern löste der Fall eine Welle der Empörung aus. Insbesondere gegen die Wahl seiner Nachfolger, Jean-Louis Mons als Generalsekretär in Seine-SaintDenis und Georges Valbon als Chef im Sekretariat, wurde auf lokaler Ebene heftig protestiert. Valbon beispielsweise war bei der Basis weithin verhasst und galt als sehr umstrittene Persönlichkeit, als Opportunist, der eher dem rechten Parteispektrum zugerechnet werden konnte.²⁰⁰ Die Kritik wuchs sich zu offiziellen Beschwerden in Form von Protestbriefen lokaler Parteiinstanzen an die Adresse von Marchais aus.²⁰¹
6.1 Der Besuch von Premierminister Laurent Fabius in Ost-Berlin zwischen propagandistischer Rhetorik und wirtschaftlichem Pragmatismus Der Besuch des französischen Premierministers Fabius in der DDR im Jahr 1985 erfolgte in einer Phase der außenpolitischen Euphorie der SED, die jedoch weitgehend auf einer verfehlten Selbsteinschätzung beruhte. Honecker und sein Vorstand wähnten sich aufgrund der vorsichtigen Öffnung Mitterrands gegenüber dem Ostblock und der DDR politisch-diplomatisch auf Augenhöhe mit der Bundesrepublik und traten auf internationalem Terrain entsprechend selbstgefällig und selbstsicher auf.²⁰² Die offizielle Reise eines höchstrangigen französischen
APCF, Seine Saint-Denis, 261 J 27/98, Affaire François Asensi, April 1985. Es beteiligten sich u. a. direkt an den Protestaktionen: Jacques Isabet, Bürgermeister von Pantin; das Comité de Section de Bondy; die Parteizellen Lehoux, Tito und Yannick Adam; die Section Aulnay-sous-Bois und die Communaux La Courneuve. Asensi wurde in den Mitteilungen an Marchais als begabter „Anführer“ und Erneuerer gefeiert; APCF, Seine Saint-Denis, 261 J 27/98, Affaire François Asensi. Vgl. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 578.
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Politikers in die DDR wurde als konkreter Beleg hierfür gedeutet und sowohl parteiintern als auch medial entsprechend aufgebauscht. Wenn Pfeil zum Ereignis des Staatsbesuchs von Fabius in der DDR die Meinung vertritt, dass „die Vertiefung des Dialogs mit kapitalistischen Staaten“²⁰³ für die Ost-Berliner Machthaber an erster Stelle rangiert habe, kann dem hier jedoch nur teilweise zugestimmt werden.²⁰⁴ Ungeachtet des hohen propagandistischen Werts der Zusammenkunft in der ostdeutschen Hauptstadt vermitteln etliche Dokumente aus dem MfAA Aufschluss über den realen Stellenwert, den die SEDFunktionäre den Unterredungen mit Fabius beimaßen. So kann festgehalten werden, dass schon bei den vorausgehenden Überlegungen und Vorbereitungsmaßnahmen der ostdeutschen Politiker die Sicherung von wirtschaftlichen Interessen im Mittelpunkt stand. Dies kann kaum überraschen, bedenkt man, dass die DDR auf den Staatsbankrott zusteuerte. Die Einladung zum Staatsbesuch in die DDR fügte sich in die durch die innere Krise gleichsam erzwungene Strategie ein, nützliche Kontakte und Geschäfte mit westeuropäischen Partnern vorrangig zu pflegen und auszubauen. Bereits anlässlich eines Aufenthalts in Paris im Mai 1984 und später im Oktober desselben Jahres hatten SED-Funktionäre gegenüber französischen Kollegen das Ansinnen ihres Parteivorstands übermittelt, einen offiziellen Staatsbesuch in der DDR anzuberaumen. Dass die Zusage der Franzosen in der DDR als ein diplomatischer Sieg angesehen wurde, kann nicht verwundern: Der geplante Besuch stellte die erste Aufwartung eines Vertreters der westlichen Siegermächte in Ostdeutschland dar.²⁰⁵ Am 11. Juni 1985 kamen Fabius und seine Begleiter zu Gesprächen mit hochrangigen SED-Politikern zusammen. Die Zusammensetzung beider Abordnungen ließ keinen Zweifel daran, dass die Erörterung der Zusammenarbeit auf industrieller und wirtschaftlicher Ebene bei den Unterredungen einen hohen Stellenwert einnahm. Auf DDR-Seite nahmen rund 30 Ministerienvertreter und Generaldirektoren von Außenhandelsbetrieben und Industriekombinaten teil; auf französischer Seite waren es rund 40 Repräsentanten. Neben Fabius waren Édith Cresson, Ministerin für Industrie und Außenhandel, und der Leiter der gemischten Regierungskommission Philippe Jurgensen zugegen „sowie 17 Präsidenten und Generaldirektoren führender französischer Industrieunternehmen und die Lei-
Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 579. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 579. Vgl. Siebs, Außenpolitik, S. 254– 255.
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ter der Büros französischer Firmen und Banken, die in der DDR akrreditiert sind […]“.²⁰⁶ Günter Mittag, ZK-Sekretär der SED für Wirtschaftsfragen und Leiter der Delegation, betonte gleich zu Beginn der Verhandlungen, dass die Zusammenkunft der Umsetzung der Ergebnisse dienen solle, welche am vorangegangenen Tag in den politischen Gesprächen zwischen Fabius und Honecker bereits anvisiert worden waren. Insofern betrachtete er die wirtschaftliche Kooperation gleichsam als praktische und pragmatische Vervollkommnung zwischenstaatlicher Beziehungen. In Bezug auf Honeckers Ansprache machte er (etwas redundant) darauf aufmerksam, dass: […] die Entwicklung der ökonomischen Zusammenarbeit ein sehr wichtiger Aspekt bei der Gestaltung zwischenstaatlicher Beziehungen nach den Prinzipien der friedlichen Koexistenz darstellt und diese Erkenntnis über die Entwicklung und Vertiefung der Beziehungen zur französischen Republik in unserer Wirtschaftspolitik einen bedeutenden Platz einnimmt […]. Die Schwerpunkte der Wirtschaftsstrategie der SED bieten gleichfalls bedeutende Ansatzpunkte für die Entwicklung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der DDR und Frankreich.²⁰⁷
Fabiusʼ Forderung, die Wirtschaftsbeziehungen „in schnellem Tempo“ weiterzuentwickeln, fand besondere Beachtung. Die SED-Beobachter wollten diese Aussage unbedingt als Zeichen dafür werten, dass Frankreich auch beabsichtigte, einen Ausgleich in der deutsch-deutschen Frage herzustellen. Die Etablierung normaler Beziehungen zur DDR bedeutete demnach, dass Frankreich beide deutsche Staaten als legitim und paritätisch angesehen hätte und somit Spekulationen über eine mögliche Wiedervereinigung keine Nahrung geben wollte. Die Vorschläge der ostdeutschen Seite umrissen in sieben Punkten, wie eine Festigung und Vertiefung des wirtschaftlichen Austauschs vonstattengehen sollte: ‒ durch die Einbeziehung französischer „konkurrenzfähiger“ Firmen und Unternehmen in die Realisierung bedeutender volkswirtschaftlicher „Import-, Rationalisierungs- und Modernisierungsvorhaben“, was unterm Strich die Zielsetzung einer progressiven Erhöhung des Handelsvolumens um etwa 15 % für das darauffolgende Jahr bedeutete;
MFAA, ZR 4828/90, Information über die geführte Beratung zu den Wirtschaftsbeziehungen DDR-Frankreich unter der Leitung von Genossen Günter Mittag während des Besuches des französischen Premierminister Fabius in der DDR, (1985), S. 1. MFAA, ZR 4828/90, Information über die geführte Beratung, S. 2.
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durch den schnellen Abschluss von bereits geltenden bilateralen Abkommen²⁰⁸ und die Vermittlung Neuer für die unmittelbare Zukunft²⁰⁹; durch eine entsprechende Angleichung von Ausfuhren auf verschiedenen Gebieten, u. a. des wissenschaftlichen Gerätebaus, der Zulieferung für die Automobil- und Eisenbahnindustrie und der Elektrotechnik/Elektronik; durch von französischen Firmen vertraglich fixierte Errichtungen von Anlagen für industrielle Zwecke (u. a. Motorenwerk Nordhausen, Erdöl-Rückstandsverwertungsanlage Leuna und Ferrosiliziumwerk Spremberg); durch eine stärkere Beteiligung französischer Firmen an den Leipziger Messen, vor allem auf den Gebieten der Leichtindustrie und des Maschinenbaus; durch eine höhere Einbindung ostdeutscher Firmen und Experten in internationale Messen und Fachsalons in Frankreich (u. a. Internationale Messe Paris und Internationale Messe Straßburg); schließlich durch eine engere Zusammenarbeit mit französischen Firmen bei der Anbahnung von gemeinsam zu verwaltenden Industrieprojekten und -objekten in Drittländern (darunter in Algerien und Marokko).²¹⁰
Vorgesehen waren außerdem mehrere Besuche von hochrangigen Industrievertretern (u. a. der Leichtindutrie, des Werkzeugmaschinen- und Verarbeitungsmaschinenbaus sowie der Glas- und keramischen Industrie) im Zeitraum 1985/86 in Frankreich, u. a. mit dem Ziel, die Aktivitäten des Komitees zur Förderung des Handels DDR-Frankreich anzuregen und zu steuern. Um die Verengung auf ausschließlich wirtschaftliche Ziele etwas zu verschleiern, hieß es zum Schluss im Dokument, dass die DDR sich unverändert davon leiten ließe, dass die Steigerung des Außenhandels sowie die Entwicklung und Vertiefung der finanziellen Zusammenarbeit mit der Französischen Republik auf Grundlage der Gleichberechtigung und des gegenseitigen Vorteils einen aktiven Beitrag zur Überwindung von Spannungen in Europa und zur erfolgreichen Umsetzung der Politik der friedlichen Koexistenz leisten solle.²¹¹
Dies betraf bereits laufende Geschäfte mit ostdeutschen Firmen, darunter den Fotochemischen Werken in Berlin (PETP-Folie), der Chlorateproduktion Bitterfeld und Polyole Schwarzheide. Vgl. MFAA, ZR 4828/90, Information über die geführte Beratung, S. 3. In Aussicht gestellt wurden u. a. Geschäfte im Textil-, Transport- und Werkzeugsbereich. MFAA, ZR 4828/90, Information über die geführte Beratung, S. 3. MFAA, ZR 4828/90, Information über die geführte Beratung, S. 5 – 6. MFAA, ZR 4828/90, Information über die geführte Beratung, S. 7.
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6.2 Das Frankreichbild der SED Rund einen Monat vor dem Staatsbesuch durch Laurent Fabius informierte Alfred Marter, Botschafter der DDR in Frankreich, in einem ausführlichen Bericht über die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation in dem westeuropäischen Land.²¹² Marter schickte voraus, dass die Lage zwar nach wie vor als kompliziert zu bezeichnen sei; es bestünde jedoch kein Grund zu allzugroßer Sorge vor größeren Erschütterungen, welche die bilateralen Beziehungen in Mitleidenschaft ziehen könnten. Wie erwartet, hätten die linken Kräfte bei den jüngsten Kommunalwahlen eindeutig verloren: Der Sieg der bürgerlichen Parteien habe sich aber in Grenzen gehalten. Die Ausführungen zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes nahmen in dem Text zudem eine übergeordnete Stellung ein, da der Autor die politischen Maßnahmen der Regierung Mitterrand unmittelbar mit der notwendigen Auseinandersetzung mit den zunehmenden ökonomischen Schwierigkeiten Frankreichs begründete. Die Politik des Staatspräsidenten sei als Reaktion auf Probleme wie etwa die steigende Arbeitslosigkeit oder der Schwund der Kaufkraft des Franc anzusehen. Um diese zu bekämpfen, betreibe Mitterrand eine im Land durchaus verhasste Sparpolitik, die auf den Abbau des beträchtlichen Schuldenvolumens abziele. Negativ betroffen seien die von Investitionen abhängigen Branchen und Betriebe, da weitere staatliche Ausgaben aus pragmatischen, wiewohl auch widersprüchlichen²¹³ Gründen zurückgefahren würden. In außenpolitischer Hinsicht sah Marter trotz der offensichtlichen Anpassung Frankreichs an die internationale Politik der USA eine wennschon geringfügige, dennoch vorhandene und der DDR besonders nützliche „Eigenständigkeit“ der französischen Republik in einigen Aspekten ihrer Strategie. Dies würde „sozialistischen“ Ländern Anknüpfungsmöglichkeiten eröffnen und solle konsequent ausgenutzt werden. Als Beweis dafür wurde angeführt, dass die französische Regierung die SDI-Vorhaben Reagans mit Skepsis aufgenommen habe. Gleich-
MFAA, ZR 1722/86, Bericht von Botschafter Alfred Marter an Genossen Dr. Gerhard Beil, Mitglied des Ministerrates und Staatssekretär im Ministerium für Außenhandel, Paris 10.04.1985. Marter erklärte in diesem Zusammenhang: „Zu den widersprüchlichen Erscheinungen der gegenwärtigen Lage gehört die Tatsache, daß die Profite vieler Unternehmen beträchtlich gewachsen sind. Nach eigenen Einschätzungen ist die finanzielle Situation der französischen Unternehmen wieder so wie vor der Erdölkrise 1973. Trotz einer Zunahme in der Industrie bleibt die allgemeine Investitionsneigung aber gering. Die Regierung weicht unter dem Druck weiter zurück. Edith Cresson sprach bereits von der Möglichkeit, einige Anteile nationalisierter Betriebe zu verkaufen.“ MFAA, ZR 1722/86, Bericht von Botschafter Alfred Marter an Genossen Dr. Gerhard Beil, S. 2.
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zeitig vermerkte Marter nüchtern, dass von SED-Seite wohl keine allzu hohen Ansprüche an Frankreich gestellt werden sollten, da diese mit hoher Wahrscheinlichkeit enttäuscht werden würden. Dabei verwies er insbesondere darauf, dass Paris und Bonn trotz aller Differenzen eine feste Allianz eingegangen seien: „Große Anstrengungen unternimmt Frankreich, um weitere Fortschritte bei der westeuropäischen Integration zu erreichen. Hier sind neue Initiativen und ein abgestimmtes Vorgehen mit der BRD zu erwarten.“²¹⁴ Nichtsdestoweniger böte sich Frankreich als ernstzunehmender Dialogpartner an, der seine bi- und multilateralen Verbindungen zu Vertretern der „sozialistischen“ Staatengemeinschaft auch differenziert, d. h. weitgehend rational und relativ blockunabhängig, wahrzunehmen in der Lage sei. Als in diesem Zusammenhang besonders bedeutend ist die Aussage Marters zu werten, dass es der explizite Wunsch französischer Politiker und Amtsträger gewesen sei, die bilateralen Beziehungen lediglich auf den wirtschaftlichen Austausch und die industrielle Zusammenarbeit auszurichten, wohl um den westeuropäischen Partnern keinen Anlass zu Missverständnissen, etwa bezüglich einer politischen Annäherung, zu bieten: „Die DDR ist zunehmend auch politischer Dialogpartner, wobei gleichzeitig alle bekannten Spezifika der französischen DDR-Politik weiterwirken.“²¹⁵ Dazu erklärte der Botschafter, dass verschiedene von ihm geführte Gespräche mit französischen Ministern gezeigt hätten, dass die Regierung in Paris die Vertiefung der ökonomischen Beziehungen positiv bewerte und der Einhaltung der für das Jahr 1985 vereinbarten „Zielstellung bei der Entwicklung des Außenhandels zwischen beiden Ländern (7,0 Mrd. FF) eine fast überhöhte Bedeutung“ beimesse. Diese überzogene Behauptung einer „überhöhten Bedeutung“, die Mitterrand der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der DDR vermeintlich zukommen ließ, beruhte auch auf der an sich nicht abwegigen Einschätzung, dass – was aber keineswegs eine Neuigkeit darstellte – der ostdeutsche Staat zusammen mit der UdSSR den französischen Schwerpunkt im Rahmen „des strategisch-politischen Konzepts gegenüber den sozialistischen Ländern“ bildete.²¹⁶ Die Annahme, dass SED-Funktionäre in Frankreich dazu angewiesen worden seien, sich bei ihrem Austausch mit französischen Kollegen, „in Szene zu setzen und das graue Bild, das […] [Ost-Berlin] der Welt und den Bürgern bot, aufzupolieren“,²¹⁷ findet in den Ausführungen Marters und in vielen weiteren Dokumenten ostdeutscher Wirtschaftsfachkräfte keine Bestätigung. Dass die über
MFAA, ZR 1722/86, Bericht von Botschafter Alfred Marter an Genossen Dr. Gerhard Beil, S. 3. MFAA, ZR 1722/86, Bericht von Botschafter Alfred Marter an Genossen Dr. Gerhard Beil, S. 4. MFAA, ZR 1722/86, Bericht von Botschafter Alfred Marter an Genossen Dr. Gerhard Beil, S. 4. Vgl. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 580.
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trieben positive Darstellung Ostdeutschlands gleichwohl ein zentrales Ziel der DDR-Propagandamaschinerie auf der „großen Bühne“ gewesen ist, trifft sicherlich zu; aus der Dokumentation der Verbindungen von SED-Zuarbeitern in Frankreich geht jedoch eindeutig hervor, dass das Bemühen Ost-Berlins, die eigenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kaschieren und das Bild eines soliden und reichen Landes nach außen zu präsentieren, nicht fruchtete. Französische Wirtschaftsexperten wussten schon längst um das Ausmaß der Krise im Osten, weshalb sie auch die Möglichkeit zur Einhaltung langfristiger Abkommen mit der DDR eher zurückhaltend bewerteten: Neben der generellen positiven Einschätzung der bisherigen Entwicklung und des erreichten Standes der ökonomischen Beziehungen zwischen der DDR und Frankreich ist in den Gesprächen u. a. mit den Ministern Bérégovoy und Cresson sowie führenden französischen Industriellen aber auch eine spürbare Skepsis bezüglich der Realisierbarkeit der für 1985 vereinbarten Ziele im Außenhandel zwischen beiden Ländern zum Ausdruck gekommen […]. Die Realisierung einer beträchtlichen Steigerung des Außenhandels 1985 und die Erreichung eines Ergebnisses, welches in der Nähe der vereinbarten 7,0 Mrd. FF liegt, ist für die französische Seite gegenwärtig mehr als in den vorangegangenen Jahren zu einem Prüfstein für die Seriosität der langfristig mit der DDR eingegangenen Vereinbarungen geworden.²¹⁸
Wirtschaftliche Beziehungen – Hilfegesuche der DDR Wie bereits angedeutet, nahmen die wirtschaftlichen Beziehungen einen übergeordneten Stellenwert innerhalb der bilateralen Verbindungen zwischen der DDR und Frankreich ein. Grund dafür war die zunehmende Wirtschaftskrise des ostdeutschen Staates: De facto taumelte die DDR an der Schwelle zur Zahlungsunfähigkeit entlang.²¹⁹ Bereits ab Anfang der achtziger Jahre hatten die Ost-Berliner Machthaber deshalb ihre außenpolitischen Aktivitäten und diejenigen ihrer Zuarbeiter konsequent auf Profit und Maximierung nützlicher Kontakte im wirtschaftlichen Bereich ausgerichtet. Es handelte sich um eine pragmatische Entscheidung, die von der ökonomischen Schwäche diktiert wurde. Im Vorfeld der DDR-Reise von Fabius im Juni 1985 hatten sich Unterhändler der beiden Staaten bei mehreren Zusammenkünften ausgetauscht und die Weichen für die weitere Entwicklung der Zusammenarbeit gestellt. Die Verhandlungen hatten stets unter Schwierigkeiten und Rückfällen gelitten, denn die Franzosen mussten beim Abschluss von Geschäften ihren politischen Verpflichtungen MFAA, ZR 1722/86, Bericht von Botschafter Alfred Marter an Genossen Dr. Gerhard Beil, hier S. 8. Vgl. Annette Kaminsky, Konsumpolitik in der Mangelwirtschaft, in: Clemens Vollnhals u. Jürgen Weber (Hg.), Der Schein der Normalität. Alltag und Herrschaft in der SED-Diktatur, München 2002, S. 81– 112.
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gegenüber westlichen Verbündeten sowie ganz allgemein der propagandistischen Wirkung Rechnung tragen. Dies wurde auch beim Antrittsbesuch von Finanzminister Pierre Bérégovoy Ende Februar 1985 in der Botschaft der DDR in Paris deutlich. Gerhard Beil, der Leiter der empfangenden SED-Abordnung, erklärte, dass der Besuch die wichtige Gelegenheit biete, den Minister über „die dynamische Entwicklung ökonomischer Beziehungen“ zu informieren.²²⁰ Besondere Aufmerksamkeit sollte, so wollten es die Vorgaben aus Ost-Berlin, den Kooperationsmöglichkeiten in den Bereichen Automobilbau, Chemie, Hüttenwesen und der Modernisierung der DDR-Leichtindustrie zuteilwerden. Bérégovoy lobte den Stand der ökonomischen Verbindungen zwischen beiden Ländern und brachte das Interesse seiner Regierung an einer Verstärkung der Zusammenarbeit zum Ausdruck. Auch stellte er in Aussicht, dass bei passender Gelegenheit, beispielweise bei einer weiteren Unterredung mit Herrn Beil, dem er noch nie persönlich begegnet sei, ausführliche Gespräche über Kreditabkommen geführt werden könnten.²²¹ Die Aufnahme von Krediten stellte nämlich einen Eckpfeiler der DDRWirtschaftspolitik gegenüber dem westlichen Europa dar; mit dem französischen Gesprächspartner sollte das Thema gründlich und überlegt erörtert werden, zumal nicht unbedeutende Meinungsverschiedenheiten über gewichtige Einzelheiten bestanden. Mit den Worten Brunners: „Auf meinen Hinweis, daß es noch einige unterschiedliche Standpunkte gäbe (Laufzeit, Kreditierung DDR-Anteil und Zinsen), erklärte Bérégovoy, daß man sich zu Laufzeit bis 8 Jahre verständigen könne und Finanzierung DDR-Anteil je nach Bedeutung bis 10 % möglich sei.“²²² Taktischen Überlegungen der DDR-Vertreter zur Umgehung störender Sperrfristen und Zinserhebungen begegnete der Minister allerding mit dem Hinweis, dass die Regierung seines Landes bei der Vergabe von beträchtlichen Krediten – umso mehr, wenn diese zugunsten „sozialistischer“ Länder getätigt würden – eine einschlägige Überprüfung durch die OECD veranlassen müsse. Angesichts des derzeit frostigen Ost-West-Klimas sei ein ablehnender Bericht dabei durchaus denkbar, was auch künftige Geschäfte beeinträchtigen könne. Daher sei möglich, sich mehr Spielraum bei der Verwaltung von gezielten Finanzierungen zu „ergattern“, z. B. durch Rekurs auf andere Währungen außer dem Franc.²²³
MFAA, ZR 1722/86, Telegramm von Manfred Brunner an Dr. Gerhard Beil, 22.02.1985. MFAA, ZR 1722/86, Telegramm von Manfred Brunner, S. 1. MFAA, ZR 1722/86, Telegramm von Manfred Brunner, S. 2. „Bei Kreditzinsen in ff sei französische Regierung an OECD-Konsensus gebunden, rechne aber mit evtl. Rückgang des Zinssatzes. Mehr Spielraum für eigene Entscheidungen bestehe bei Finanzierungen in ecu oder anderen Währungen (außer ff.). Er ließ erkennen, dass französische Seite an Unterzeichnung Kreditabkommen zur 8. Grk-Tagung oder während Reise Fabius inter-
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7 Der Italien-Kredit an die DDR 1979 – ein Rückblick Am 18. März 1979 titelte das Presseorgan des PCI lapidar „Italien wird der DDR Anlagen liefern.“²²⁴ Der Coup kann als Ergebnis langjähriger Bemühungen von SED-Unterhändlern gewertet werden, von italienischen Regierungskreisen und Wirtschaftsführern Kredite und Anlagen für die marode ostdeutsche Wirtschaft und Infrastruktur gewährt zu bekommen. An sich stellte der Vorgang keine Seltenheit dar: Der italienische Staat hatte damit einer vielverheißenden Investition zugestimmt. Die „Bruderpartei“ PCI jedoch wurde von dem Abkommen regelrecht überrumpelt. Schließlich handelte es sich bei dem Bittsteller um einen „real sozialistischen“ Staat, der in bilateralen Treffen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene stets vor politischer Überheblichkeit gestrotzt und sich als wirtschaftlich durchaus machtvoll dargestellt hatte. Die Nachricht war auf der Leipziger Frühjahrsmesse verkündet worden, im Beisein des italienischen Außenhandelministers Rinaldo Ossola. Dieser besuchte als allererster italienischer Minister Ostdeutschland, was der Vereinbarung zusätzlich einen besonderen Charakter verlieh. Ossola war einer Einladung von Außenminister Oskar Fischer gefolgt, die dieser bei einer Visite in Rom im vorangegangenen Herbst ausgesprochen hatte. Während Fischers Aufenthalt in Italien waren bereits die Weichen für eine verstärkte Zusammenarbeit gestellt worden.²²⁵ Die Gewährung des Kredits, hieß es weiter, solle dazu dienen, die im kommerziellen Sektor zwischen Staaten verschiedener Gesellschaftsstruktur wiederholt aufgetretenen Hindernisse zu beseitigen. Aufgrund der ungünstigen Ausgangslage der DDR mangele es dieser an konvertierbaren Valuta, weshalb sie im Handelsaustausch benachteiligt sei.²²⁶ Das Abkommen sah die Bereitstellung von 500 Mio. Dollar (ca. 420 Mrd. Lire) von italienischer Seite vor, die binnen drei Jahren aufgewandt werden sollten. Der Betrag wurde mit einem Zinssatz von 7,75 % ausgegeben und sollte in acht Jahren zurückgezahlt werden. Dass diese Summe vorrangig nicht, wie die deutsche Übersetzung fälschlicherweise vermuten lässt, als Mittel zur Überwindung von technischen und bürokratischen Hür-
essiert sei.“ MFAA, ZR 1722/86, Telegramm von Manfred Brunner an Dr. Gerhard Beil, 22.02.1985, S. 2. L’Unità, 18.03.1979. MfAA, ZR 2519/82, Übers. aus L’Unità vom 18.03.1979, Italien wird der DDR Anlagen liefern, S. 1. Die deutsche Übersetzung weist in dieser Hinsicht Diskrepanzen gegenüber dem Originaltext in der Unità auf. Im italienischen Presseorgan ist nicht mehr als von einem einfachen Kredit zu lesen.
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den zwischen den beiden Staaten zu dienen hatte, zeigt mit aller Deutlichkeit die vertraglich festgelegte Verwendung der Finanzierung, die nicht zuletzt größeren italienischen Unternehmen zugutekommen sollte.²²⁷ Am Rande stellte die bilaterale Vereinbarung ebenfalls die Prüfung einer potentiellen Zusammenarbeit in Drittländern in Aussicht. Konkret ging es um das Vorhaben der gemeinsamen Ausbeutung einer Kohlengrube in Mosambik, welche die italienischen Fachkräfte bereits als besonders ergiebig und qualitativ hochwertig eingeschätzt hatten.²²⁸
8 Die kurzen achtziger Jahre der DDR Die Anzeichen einer politischen und wirtschaftlichen Erosion der DDR erhärteten sich in der ersten Hälfte der achtziger Jahre zusehends. Die SED-Führung sah sich mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert und stand unter großem Druck. Dieser wirkte sowohl aus dem Ausland, wo die Krisen Afghanistans und Polens immer noch spürbare Folgen nach sich zogen, als auch im Inneren, wo die ostdeutsche Bevölkerung zunehmend Unmut und Ressentiments zum Ausdruck brachte. Der X. Parteitag der SED im April 1981 hatte keinerlei Neuigkeit zu bieten gehabt: Die SED-Führung gefiel sich, wie immer, in ihrer Rolle als Hüterin des Marxismus-Leninismus und als bedeutendes Bollwerk des realen Sozialismus an der Grenze zur westlichen Welt. In ihren offiziellen Verlautbarungen war unverändert der Verweis auf die vorbildliche Kraft und Führung der KPdSU enthalten, und die Partei feierte sich als geschlossene, einheitliche und notwendige Instanz an der Spitze der ostdeutschen Gesellschaft.²²⁹ Die gesellschaftliche Bedeutung und die Selbstwahrnehmung der SED wuchsen in dem Maße, wie sich die Partei zu zeigen beabsichtigte: als Brückenkopf zur Realisierung der vollkommenenen „sozialistischen“ Gesellschaftsform. Kein Karriereweg, sei es im Handwerk oder im Betrieb, ging an der Partei vorbei:
„[…] Ein Teil, der noch festgesetzt werden muß, wird den kleinen und mittleren Betrieben zugewiesen werden, aber der größte Teil soll für die Lieferung von vier Anlagen, für die die DDR ein bedeutendes Interesse aufweist, bestimmt sein und nämlich: eine Fabrik für die Herstellung von Buna (die von der ENI geliefert werden soll); eine Anlage für die Bereifung von LKWs (Pirelli); eine Anlage für die Herstellung von Polyvinylchlorid (Montedison); ein Stahlwerk und Giesserei (Finsider).“ MfAA, ZR 2519/82, Übers. aus L’Unità vom 18.03.1979, Italien wird der DDR Anlagen liefern, S. 2. MfAA, ZR 2519/82, Übers. aus L’Unità vom 18.03.1979, Italien wird der DDR Anlagen liefern, S. 3. Schröder, Der SED-Staat, S. 261.
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Wer bevorzugt und zügig aufsteigen wollte, musste sich ihr dienstbar machen. Die Mitgliederzahl lag 1981 bei 2,2 Millionen, das Interesse an einer rein politischen Laufbahn stieg kontinuierlich und blieb bis zum Mauerfall konstant.²³⁰ An der Besetzung der wichtigsten Posten änderte sich aber auch in den achtziger Jahren kaum etwas. Hier kamen ausschließlich Vertraute Honeckers zum Zuge; das galt ebenso für den Sektor Information und Bildung. Die Parteischulen intensivierten währenddessen ihre Aktivität und versuchten durch das Angebot von kurzzeitigen Seminaren, immer mehr Bürger zu erreichen und sie ideologisch wie politisch stark zu beeinflussen.²³¹ Die inszenierte Offenheit sollte den DDR-Bürgern demonstrieren, wie affin und volksnah das Regime selbst in Zeiten großer internationaler Anspannung war und sein wollte. Dass all dem lediglich propagandistische Motive zugrunde lagen, offenbarten im Laufe der folgenden Jahre zahlreiche innen- und außenpolitische Details der SED-Strategie mit aller Deutlichkeit. Im Frühjahr 1982 wurde beispielsweise zur Eindämmung illegaler Auswanderung das umstrittene „Grenzgesetz“ erlassen. Es schrieb das Recht der Grenztruppen fest, in äußersten Fällen auf den Einsatz von Schusswaffen zurückgreifen zu dürfen, d. h., wenn die Integrität bzw. die Souveränität des Staates durch einen Fluchtversuch unmittelbar gefährdet sei.²³²
Außenpolitik zwischen Hochmut und Resignation Die Anerkennung der DDR war kein abgeschlossener Vorgang. Nach der Unterzeichnung des Grundlagenvertrags mit der Bundesrepublik 1972/73 hatten mehrere Regierungen aus aller Welt, darunter auch westeuropäischer Länder, offizielle diplomatische Beziehungen zu dem ostdeutschen Staat aufgenommen. Im Laufe der achtziger Jahre kamen noch sehr viele hinzu, was den Ost-Berliner Machthabern auf internationaler Bühne Anlass zu einem selbstsichereren Auftreten gab. Dies galt insbesondere mit Blick auf die Bundesrepublik, zu der die DDR bekanntlich in einem zwiegespaltenen Verhältnis stand. Beide Staaten schienen trotz aller Differenzen aufeinander angewiesen zu sein: Ost-Berlin war ab Anfang der achtziger Jahre in verstärktem Maße auf der Suche nach Finanzierungsquellen, die ihm aus der Not helfen sollten; Bonn bemühte sich weitgehend um „normale“ Beziehungen, u. a. um den humanitären
Hermann Weber, Die DDR 1945 – 1990, München 2012, hier S. 321. Schröder, Der SED-Staat, S. 261. Schröder, Der SED-Staat, S. 263.
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Hilfsgesuchen durch DDR-Bürger gerecht zu werden.²³³ Dieser wechselseitige Nutzen stellte das einzige Motiv dar, aufgrund dessen die bilateralen Verbindungen sogar angesichts gravierender politischer Verstimmungen im internationalen Rahmen nie abgebrochen wurden. Einen besonders belastenden Konflikt stellte beispielsweise die Forderung der DDR nach uneingeschränkter völkerrechtlicher Anerkennung durch die Bundesrepublik („Geraer Forderungen“) dar. Am weitesten gingen dabei die Positionen in Bezug auf die DDR-Staatsbürgerschaft auseinander, zu deren Respektierung die Bonner Regierung sich zu keiner Zeit bereitfand.
Die katastrophale Wirtschaftslage Zu Beginn der achtziger Jahre sah sich die DDR-Wirtschaft vor neue Herausforderungen gestellt. Die langjährige Importpolitik Honeckers und seiner Mitstreiter hatte zu einem gefährlichen Außenhandelsdefizit geführt, das mit erheblichen Schulden gepaart war. Die unmittelbaren Konsequenzen waren eine weitere Steigerung der gesamten, bereits beträchtlichen Staatsverschuldung und, damit einhergehend, ein Mangel an frischen, reinvestierbaren Devisen. Die SED-Spitze versuchte, diese Schieflage mit einschneidenden Maßnahmen aufzufangen. Ihr einfaches Gegenmittel lautete ein „Weniger“ an Import und ein „Mehr“ an Export. Positive Ergebnisse konnten damit aber kaum erzielt werden.²³⁴ Eher war das Gegenteil der Fall: In der ersten Hälfte der achtziger Jahre sank die Wirtschaftsleistung des Landes rapide und in überaus bedrohlichem Maße. Auch internationale Ereignisse trugen ihren Teil dazu bei. Der gesamte Ostblock hatte unter finanziellen Schwierigkeiten zu leiden, allen voran große Volksrepubliken wie Polen oder Rumänien und nicht zuletzt die Sowjetunion selber, was aufgrund des Abhängigkeitsverhältnisses der DDR zu Russland äußerst negative Folgen für den ostdeutschen Staat zeitigte.²³⁵ Die UdSSR hatte sich zu Beginn der achtziger Jahre gezwungen gesehen, ihre üblichen Lieferungen insbesondere von Rohstoffen an die RGW-Verbündeten
Hierzu vgl. Jan Philipp Wölbern, Der Häftlingsfreikauf aus der DDR 1962/63 – 1989: zwischen Menschenhandel und humanitären Aktionen, Göttingen 2014; ferner auch Ulrich Herbert, Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, München 2014, hier S. 897– 901. Siehe hierzu u. a. Maximilian Graf, Before Strauß: The East German Struggle to Avoid Bankruptcy During the Debt Crisis Revisited, in: The International History Review (2019), DOI: 10.1080/ 07075332.2019.1641542 (zuletzt abgerufen am 19.07. 2021). Im Allgemeinen zu den wirtschaftlichen Beziehungen im Kalten Krieg siehe u. a. Bernd Greiner (Hg.), Ökonomie im Kalten Krieg, Bonn 2010.
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massiv zu reduzieren, in manchen Fällen zwischenzeitlich sogar einzustellen.²³⁶ Dies traf die DDR besonders hart, die sich während der vorangegangen zwei Dekaden darauf spezialisiert hatte, westlichen Märkten eigene Erdölprodukte zu verkaufen.²³⁷ Mit der weltweiten Preissteigerung für Erdöl bei gleichzeitiger Senkung von Importen aus der Sowjetunion während der ersten Hälfte der 1980er Jahre entstand für den SED-Staat eine hohe wirtschaftliche Belastung, die durch anderweitige Geschäfte und Transaktionsmaßnahmen kaum ausgeglichen werden konnte. Breschnew konnte jedoch auch durch Honecker höchstpersönlich nicht von dem Entschluss abgebracht werden, das Volumen an Rohöllieferungen an die DDR massiv einzuschränken. Unter dem Vorwand ideologischer Bedenken bezüglich der Herstellung von Produkten aus russischen Rohstoffen, die anschließend an „Kapitalisten“ verkauft würden, ordnete der sowjetische Generalsekretär eine Kürzung der Lieferungen an die DDR um rund 10 % an.²³⁸ Dies hatte katastrophale Auswirkungen auf die Finanzlage und auf den Industriesektor der DDR und zeitigte langfristige Konsequenzen, mit denen das SED-Regime dann bis zum Mauerfall zu ringen hatte. Mit anderen Worten: Die dadurch entfesselte Wirtschaftskrise dauerte bis zum Ende der DDR-Diktatur an und konnte mit gezielten Eingriffen nur etwas abgemildert oder in manchen Fällen lediglich verdeckt werden. Aufgrund der Erdölknappheit sahen sich die ostdeutschen Verantwortlichen gezwungen, zu drastischen Sparmaßnahmen zu greifen. Als Ersatz für das fehlende Erdöl konzentrierte man sich nun auf die Braunkohle. Ab Anfang der achtziger Jahre intensivierte die DDR die Produktion von billiger Braunkohle um ein Vielfaches und konnte auf diesem Weg auch frische Devisen in die Staatskassen bringen. Der Preis hierfür war dennoch sehr hoch: Investitionen wurden notwendig und die Ökologie erlitt enorme Schäden. Die erheblichen Ausgaben zur Instandhaltung moderner Erzeugungsanlagen neutralisierten bald die Einnahmen aus dem Verkauf der Kohle und führten dazu, dass die Wirtschaft des Landes in Abhängigkeit von einem „unsicheren“ Produkt und somit allmählich in die Rezession geriet.
Vgl. hierzu u. a. Philip Hanson, The Rise and the Fall of the Soviet Economy: An Economic History of the USSR from 1945, London 2003; Edward P. Lazear (Hg.), Economic Transition in Eastern Europe and Russia: Realities of Reform, Stanford 1995, darin insbesondere das erste Kapitel. Vgl. Schröder, Der SED-Staat, S. 261. Hierzu vgl. u. a. Maria Haendke-Hoppe-Arndt, Interzonenhandel/Innerdeutscher Handel, in: Materialien der Enquete-Kommission 1995, Deutschlandpolitik, Bd.V/ 2, S. 1381– 1403; ferner auch Dierk Hoffmann (Hg.), Die zentrale Wirtschaftsverwaltung in der SBZ/DDR. Akteure, Strukturen, Verwaltungspraxis, Berlin 2016.
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Auch im ZK der SED war der Ernst der Lage durchaus bekannt. Das Produktivitätsgefälle gegenüber dem westdeutschen Nachbarstaat stieg kontinuierlich und rapide,²³⁹ die Unzufriedenheit in der Bevölkerung und in den höchsten SEDGremien ebenso. In Parteikreisen kursierte bereits Mitte der achtziger Jahre das Gerücht, die DDR befinde sich in einer ausweglosen Krise und bräuchte dringend Hilfe aus dem Ausland.²⁴⁰ Vor diesem Hintergrund wurden die milliardenschweren Kreditgeschäfte mit der Bundesrepublik eingefädelt. 1983 und 1984 flossen jeweils ca. eine Milliarde DM in die maroden ostdeutschen Staatskassen, die eher als Garantien zum Erwerb weiterer Kredite eingesetzt wurden denn zur unmittelbaren Sanierung krisengebeutelter Sektoren. Die hohen Zuschüsse der Bundesrepublik gerieten ins Visier der UdSSR, die durch hochrangige Vertreter ihrer Sorge Ausdruck verlieh, die DDR schneide sich dadurch ins eigene Fleisch. Mit jedem gebilligten Kredit, warnte die sowjetische Seite, steige die Abhängigkeit Ost-Berlins von Bonn. Die westdeutschen Zugeständnisse an den östlichen Nachbarn, wenngleich lediglich finanzieller Natur, seien ein mächtiges Erpressungsmittel in den Händen der „Imperialisten“.²⁴¹ Um möglichst schnell und dauerhaft Devisen zu erwerben, war 1966 die Schaffung des sogenannten KoKo-Bereichs erfolgt. Dem Sektor „Kommerzielle Koordinierung“ war eine besondere Aufgabe an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Politik zugewiesen. Zunächst als Instrument zur Anbahnung einträglicher Geschäfte gedacht, wuchs die Bedeutung der KoKo aufgrund der sich rapide verschärfenden Krise zusehends. Bis zum Mauerfall konnte der Sektor etwa vierzig Milliarden an frischen Devisen beschaffen, die durch die Plankommission reinvestiert wurden.²⁴² Die Schlüsselfigur im KoKo-Bereich war SED-Parteimitglied Alexander Schalck-Golodkowski, der mit seinen Kompetenzen und der ausgeübten Funktion dem Sondercharakter der Abteilung genau entsprach. Im Laufe der siebziger Jahre intensivierte sich die Zusammenarbeit zwischen der Staatssicherheit und dem KoKo-Bereich. Der Kooperation lag die Überzeugung zugrunde, dass die Mitarbeiter der KoKo bestens dazu geeignet seien, bei der Unterstützung finanzieller Projekte und Anschaffung ausländischer Kredite die jeweiligen Partner gleichzeitig auszuspähen. Auch Schalck-Golodkowski übte
„Im Jahre 1985 erreichte die DDR im Bruttoinlandsprodukt pro Erwerbstätigem nur noch 29 % des bunderepublikanischen Niveaus.“ Schröder, Der SED-Staat, S. 271. Schröder, Der SED-Staat, S. 271– 272. Vgl. Hans-Hermann Hertle, Der Fall der Mauer: die unbeabsichtigte Selbtsauflösung des SEDStaates, Opladen 1996. Zum KoKo-Bereich grundsätzlich vgl. Matthias Judt, Der Bereich Kommerzielle Koordinierung: das DDR-Wirtschaftsimperium des Alexander Schalck-Golodkowski. Mythos und Realität, Berlin 2013.
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eine Doppelfunktion als Mitarbeiter bzw. Leiter der KoKo sowie gleichzeitig als Offizier des MfS aus und genoß dadurch einen beträchtlichen Spielraum. Regelmäßig hielt er Rücksprache mit Erich Mielke zur Koordinierung anstehender Aufgaben und konnte in großem Umfang vertrauliche Informationen über ausländische, insbesondere westdeutsche Ansprechpartner sammeln und weiterleiten.²⁴³ Trotz des durchaus beachtlichen Erfolgs der KoKo-Praxis konnte sich die systemisch überalterte und nach internationalen Standards nicht wettbewerbsfähige DDR-Wirtschaft in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre längst nicht mehr behaupten. Die Lage verschlechterte sich eher fortlaufend, was auch daran lag, dass nur die Wenigsten die irreparable Natur der Krise erkannten. Die meisten, darunter auch Schalck-Golodkowski selber, blieben bis zum letzten Augenblick der Illusion verhaftet, dass die Verschärfung der ökonomischen Lage nur eine Nebenerscheinung darstelle und im Grunde durch externe feindliche Angriffe kapitalistischer Staaten verursacht sei. Solche Anfeindungen galten sogar Italien und Frankreich, welche zu den Geldgebern gehörten: „Der sozialistische Staat ist stark genug, derartige feindliche Angriffe erfolgreich zu bekämpfen und zu verhindern. Voraussetzung dafür ist, daß alle vorhandenen gesellschaftlichen Potenzen zielstrebiger und wirkunsvoller in das Sicherungssystem der Volkswirtschaft einbezogen werden.“²⁴⁴
Der innere Zerfall Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten waren jedoch nur eine Seite. In der Gesellschaft waren der Missmut gegenüber den Machthabern und die Enttäuschung über die ökonomische Schieflage zu einer ernstzunehmenden Bedrohung angewachsen. Offene Proteste, Kritik, Insubordination und anderweitige Ausdrucksformen von Opposition wurden in den achtziger Jahren immer häufiger. Vielfach blieben es nur vereinzelte Episoden; in anderen Fällen wuchsen sie sich zu organisierten Formen des Widerstands aus.²⁴⁵ Im Rahmen der europaweit Gestalt annehmenden Friedensbewegung war es auch informellen Gruppierungen in der DDR möglich geworden, zunächst lose Netzwerke zum Austausch von Ideen und Konzepten zu etablieren. Aufgrund der hohen Wachsamkeit des MfS und wegen der Risiken ihres „feindlich-negativen“ Ansinnens waren die Friedensgruppen stets auf Geheimhaltung angewiesen. Bald Judt, Der Bereich Kommerzielle Koordinierung, S. 176 – 177. Schalck-Golodkowski, zit. nach Schröder, Der SED-Staat, S. 274. Hierzu vgl. grundsätzlich Neubert Ehrhart, Geschichte der Opposition in der DDR: 1949 – 1989, Bonn 2000.
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schlossen sich ihnen auch Umweltschutzverbände an, die sich auf ähnliche inspirierende Grundprinzipien beriefen: ein Ende des Wettrüstens, Entmilitarisierung und Wiederherstellung der durch militärische und industrielle Maßnahmen beschädigten Umwelt. Zunächst verfolgte die SED-Führung die Strategie, sich im Ausland für die Unterstützung solcher Kräfte zu engagieren. Sie hoffte damit Einfluss auf antikapitalistische, prosozialistische Kreise in „imperialistischen“ Ländern, allen voran in der Bundesrepublik, nehmen zu können und sich dadurch politische und diplomatische Vorteile zu verschaffen.²⁴⁶ Darüber hinaus setzte man – wohl naive – Hoffnungen darauf, dass die pazifistische Propaganda im Ausland die „Massen“ zu einem allgemeinen antikapitalistischen und antiamerikanischen Aufbegehren bewegen könnte. Der zur Schau gestellten und betriebenen Unterstützung friedenspolitischer Aktivitäten war demnach von der SED-Führung in Wahrheit die Funktion eines „trojanischen Pferds“ zugedacht, zur Anstiftung von gegen westliche Regierungen gerichteten Aktionen.²⁴⁷ Allerdings erwies sich dieser propagandistische Vorstoß der SED bald als zweischneidiges Schwert: Friedenspolitische Gruppierungen in der DDR wiederum erhielten von der Unterstützungsinitiative der Staatspartei indirekt Aufwind, mussten jedoch bald feststellen, dass Honecker und seine Vertrauten nicht wirklich gewillt waren, ihnen Konzessionen zu machen. Zu den Aktivisten in der DDR gehörten dem MfS bereits bekannte Persönlichkeiten wie Wolf Biermann und Robert Havemann. Diesen schlossen sich neue, jüngere Akteure wie Rainer Eppelmann oder Bärbel Bohley an, die mit ihren Appellen und Aktionen großen Einfluss auf die DDR-Gesellschaft auszuüben vermochten.²⁴⁸ Insbesondere der im Umfeld Eppelmanns entworfene und propagierte „Berliner Appell“, der einen erheblichen Widerhall erzielen konnte, war der SED ein Dorn im Auge. Er enthielt die grundsätzliche Forderung nach einem umgehenden Abzug der Besatzungstruppen aus dem gesamtdeutschen Territorium und nach Umwandlung Deutschlands in ein neutrales Land. Darin erblickte die SED-Führung eine unmittelbare Bedrohung ihrer Verfügungshoheit bzw. ihres Legitimitätsanspruchs.
Vgl. SAPMO-BArch, Politbüro des ZK der SED, DY/30/J/IV 2/2– 2, Vorlage zur Sitzung des Politbüros des ZK der SED am 7. Juli 1981: Zur Einschätzung gegen den NATO-Raketenbeschluss, S. 1. Selbst die Anwendung von Gewalt durch die angestachelten Massen begrüßten SED-Funktionäre. Hierzu siehe Eberhard Kuhrt u. a. (Hg.), Am Ende des realen Sozialismus. Opposition in der DDR von den 70er Jahren bis zum Zusammenbruch der SED-Herrschaft, Opladen 1999. Darin insbesondere der Aufsatz von Wolfgang Templin u. Reinhard Weißhuhn, Die Initiative Frieden und Menschenrechte, S. 171– 212. Vgl. Hubertus Knabe, Der lange Weg zur Opposition – unabhängige politische Bestrebungen 1983 bis 1988, in: Kuhrt u. a. (Hg.), Am Ende des realen Sozialismus, S. 139 – 170.
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Sie beschloss hart und skrupellos gegen die Dissidenten vorzugehen; zu ihren gewählten Mitteln gehörten willkürliche Verurteilungen, Enteignungen, Einschüchterungen verschiedener Art und nicht zuletzt das probate Mittel der Ausbürgerung.²⁴⁹ Im Rahmen dieser repressiven Maßnahmen gerieten auch die evangelischen Kirchen ins Visier von MfS und SED, da sie oft als geheime Räume für Untergrundoperationen von Friedensaktivisten gedient bzw. diesen logistische Unterstützung geboten hatten.²⁵⁰ Dies brachte den evangelischen Kirchen auch intern enorme Schwierigkeiten ein, da breite konservative Kreise eine rigorose Nichteinmischungspolitik gegenüber weltlichen Angelegenheiten und eine konsequente Distanzierung von gefährlicher Komplizenschaft forderten.²⁵¹ Die Differenzen sollten sich in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre und bis zum Mauerfall weiter verschärfen und wurden zu einem zusätzlichen Hindernis für die Aktivitäten der Dissidenten.²⁵² Noch bedrohlicher als die Aktivitäten der Friedensbewegung musste den ostdeutschen Entscheidungsträgern aber das Problem eines massiven Anstiegs der Anträge auf Auswanderung aus der DDR erscheinen: Für die Zeitspanne von 1962 bis 1983 wurden jährlich ca. 10.000 Übersiedlungen registriert, von 1984 bis 1988 waren es bis zu 40.000 pro Jahr. Die Zahl der Antragsteller, die auf eine Genehmigung ihres Antrags warteten, stieg bis zum 30. Juni 1989 auf ca. 125.000 an. Die Mehrzahl von ihnen waren jüngere Männer, die über eine gute Berufsausbildung und eine hohe Arbeitsmotivation verfügten.²⁵³
Doch nicht nur die explodierende Zahl an Ausreiseanträgen bereitete der SED Kopfzerbrechen, sondern auch die Wahl einer wirksamen Handhabung der Angelegenheit, die zwar repressiv sein musste, gleichzeitig aber propagandistisch so darstellbar, dass sie „gerecht“ erschien. Daher wurde beispielsweise nie ein offenes Verbot ausgesprochen, stattdessen vertraute man auf die Wirkung gezielter „Abschreckungsmaßnahmen“ zur Eindämmung des Problems. Ausreisewillige
Vgl. Schröder, Der SED-Staat, S. 276. Hierzu vgl. Marianne Subklew-Jeutner, Der Pankower Friedenskreis: Geschichte einer OstBerliner Gruppe innerhalb der Evangelischen Kirchen in der DDR 1981 – 1989, Osnabrück 2004. „Auch Antragsteller und Dissidenten können gern zu uns kommen. Aber die Kirchenleitung wird es nicht zulassen, daß aus Gemeindegruppen Auswanderungszentralen und Oppositionslokale werden.“ Manfred Stolpe, damals Konsistorialpräsident der evangelischen Kirche BerlinBrandenburg, zit. nach Schröder, Der SED-Staat, S. 277. Hierzu vgl. Rainer Eppelmann, Ohne uns hätte es die friedliche Revolution nicht gegeben, in: Kuhrt u. a. (Hg.), Am Ende des realen Sozialismus, S. 3 – 8. Schröder, Der SED-Staat, S. 278.
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sollten durch „erzieherisch-pädagogische“ Eingriffe bis hin zu strafrechtlichen Mitteln von ihrer Absicht abgebracht werden, das Land zu verlassen. Bezeichnend für den Umgang mit ausreisewilligen Bürgern, war ihre Einschätzung als potenzielle Gefahr für den Staat. Hielten es die betreffenden SED-Stellen für wahrscheinlich, dass ein Ausreisewilliger bereits Kontakte zum kapitalistischen Aufnahmeland geknüpft hatte, musste der Antrag umgehend abgelehnt werden. Konnte hingegen davon ausgegangen werden, dass die Ausreise keine Bedrohung für den SED-Staat nach sich ziehen würde, war sie gegebenenfalls zu bewilligen.²⁵⁴ Um dies erfolgreich prüfen zu können, wurden ausgereiste DDR-Staatsbürger selbst noch im Ausland, so vor allem in der Bundesrepublik, weiterhin durch Stasi-Mitarbeiter und Informanten beobachtet. Auch parteiintern machten sich Unzufriedenheit und Enttäuschung bemerkbar. Seit Anfang der achtziger Jahre hatte die Partei deshalb ihre Kontrollen zur Vorbeugung und Unterbindung von nicht-konformem Verhalten in den eigenen Reihen verstärkt. Die hohe Verwundbarkeit und Nervosität der SED in der letzten Dekade ihrer Existenz führten in vielen Fällen zu übereilten und willkürlichen Reflexhandlungen. So wurden allein zwischen 1981 und 1985 über 100.000 Verfahren gegen Parteimitglieder eingeleitet und etwa 90.000 „Genossen“ ausgeschlossen oder zum Austritt veranlasst.²⁵⁵ Wenngleich die Gesamtzahl der SED-Mitglieder in den achtziger Jahren konstant blieb (ca. 2,3 Mio), zeigen die Repressionsbereitschaft der Kontrollinstanzen und die verbreitete Methode der Verdachtsschöpfung als loyalitätsstiftendes Mittel sehr klar, dass die Krise in der Mitte der Partei angekommen war. Mit der Ankündigung von Perestroika und Glasnost 1985 sollte parteikritisches Verhalten schließlich sogar als noch größere Bedrohung wahrgenommen werden.
9 Der PCF in der ersten Hälfte der achtziger Jahre Nach dem katastrophalen Abschneiden bei den Wahlen vom Frühjahr 1978 brodelte es buchstäblich in den Reihen des PCF. Mit harscher Kritik wurden sowohl das ZK als auch seine Zuarbeiter überzogen; ihnen wurde Realitätsferne und mangelnde Solidarität mit der Arbeiterklasse vorgeworfen. Dabei stammte die Kritik nicht ausschließlich „von unten“, sondern beherrschte mittlerweile den
Vgl. Lasse O. Johannsen, Die rechtliche Behandlung ausreisewilliger Staatsbürger in der DDR, Frankfurt a. M. 2007. Vgl. Schröder, Der SED-Staat, S. 280.
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Grundton innerhalb der gesamten Partei, bis hinein in die obersten Kreise und Sparten. Zielscheibe der kommunistischen Intellektuellen²⁵⁶, die spätestens seit dem Jahr 1968 ein zwiespältiges Verhältnis zur Parteiführung pflegten und nun die Chance erblickten, sich zu revanchieren, war die undemokratische, überalterte Strukturierung der Machtverteilung in der Partei bzw. ihrer Entscheidungsmechanismen.²⁵⁷ Ihr Unmut richtete sich dabei nicht nur gegen den Vorstand, sondern auch gegen die Propagandaarbeit.²⁵⁸ Eine regelrechte Welle an Kritik hielt die Partei das ganze Jahre 1978 in Atem und hatte zur Folge, dass sich bereits bestehende Rivalitäten zwischen den unterschiedlichen Fraktionen zuspitzten. Eine erste Gruppe, die der „Eurokommunisten“, spaltete sich in zwei Strömungen auf: Auf der einen Seite standen die gemäßigten „Eurokommunisten“, die von Persönlichkeiten wie Jean Elleinstein und Raymond Jean angeführt wurden und die u. a. eine strategische Fusion mit dem PS für sinnvoll hielten und diese auch anstrebten. Ihnen gegenüber standen die sogenannten „Revolutionäre“, u. a. um Christine Buci-Glucksmann; sie beriefen sich auf die Lehren Antonio Gramscis und plädierten für eine umfassende Umstrukturierung von Partei und Gesellschaft.²⁵⁹ Eine zweite und zwar die die größere und einflussreichere Gruppe, war diejenige der „Traditionalisten“. Ihr gehörten Persönlichkeiten wie Georges Labica und Yves Vargas an. Die Traditionalisten orientierten sich ideologisch an den Lehren von Louis Althusser und standen dem Parteivorstand nahe. Sie beharrten nach wie vor, trotz der desaströsen Wahlergebnisse des PCF in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre und ungeachtet des Zusammenbruchs der Linksunion, auf marxistisch-leninistischen Positionen und sprachen sich für eine der Arbeiterschaft zugewandte Politik sowie für die „Diktatur des Proletariats“ aus.²⁶⁰
Hierzu siehe auch Sudhir Hazareensingh, Intellectuals and the Communist Party. Disillusion and Decline, Oxford 1991. Vgl. Courtois u. Lazar, Histoire, hier S. 381– 382. „La contestation est assez ample. Elle touche des personnalités nombreuses et diverses, secoue les comités de rédaction de plusiers publications (La Nouvelle Critique, France Nouvelle, La Marseilleise ou Action, le bulletin du secteur enterprise), le Centre d’études et de recherches marxistes (CERM), les Editions Sociales, des sections parisiennes et provinciales de l’UEC, ou la revue des normalies communistes de Saint-Cloud, Dialectiques.“ Courtois u. Lazar, Histoire, S. 382. Courtois u. Lazar, Histoire, S. 382. Hierzu vgl. Jean Baudoin, Les phénomènes de contestation au sein du Parti communiste français, in: Revue française de science politique, XXX (1), Februar 1980, S. 78 – 111; ferner auch Guillaume Bourgeois, Comment Staline dirigeat le PCF, in: Le Nouvel Observateur, 5.08.1993.
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Die Traditionalisten konnten sich binnen kurzer Zeit durchsetzen und das Monopol über die kommunistische Presse im Lande wiedererobern. Dies wäre ohne die Unterstützung des ZK und durch Marchais persönlich nie möglich gewesen. Spätestens bis zum XXIII. Parteitag Anfang Mai 1979 in Saint-Ouen galt die Situation als wieder „beruhigt“ und alle Wogen galten als geglättet. De facto war es hochrangigen Parteifunktionären im Laufe der Jahre 1978/79 gelungen, administrative Maßnahmen zur Ausgrenzung bzw. Entmachtung unliebsamer Akteure einzuleiten: Kritiker wurden willkürlich von ihren Posten entfernt und ihrer Ämter enthoben; aus Sicht des ZK und PB entsprach dies einem Prozess der „Normalisierung“.²⁶¹ Doch das Vorgehen war äußerst umstritten und stieß selbst in den oberen Reihen der Parteihierarchie auf Kritik. Rücktritte bzw. Parteiaustritte, auch von bekannten und einflussreichen Persönlichkeiten, insbesondere im Großraum Paris, waren die unmittelbare Konsequenz.²⁶² Gerade in der Region um Paris hatten sich über die Jahre hinweg tiefgehende Ressentiments gegen den Parteivorstand angestaut, die nun, bei Ausbruch der politischen und ideologischen Krise, mit aller Virulenz zutage traten. Die langjährige Bevormundung durch das ZK hatte maßgeblich zur Bildung dieser beachtlichen Opposition beigetragen. Sie wurde von lokalen Politikern angeführt, die es ablehnten, sich mit den symbolischen und prestigeträchtigen Funktionen, die ihnen gewöhnlich zustanden, zu begnügen, gleichzeitig aber ihr Recht auf Widerspruch einforderten bzw. nach einer neuen Rollenverteilung in der Partei verlangten.²⁶³ Doch das ZK war weder an Dialog oder Austausch interessiert, noch bereit, eigene Fehler einzugestehen. Im Gegenteil: Die Anfechtungen bestärkten die Parteispitze in der Grundannahme, dass es ihre wichtigste Aufgabe sei, die Partei und ihre Wählerschaft vor Angriffen durch unorthodoxe Kräfte zu schützen. Argumentativ war somit der Weg bereitet für die Maßnahmen zur „Normalisierung“.
Der Prozess der „Normalisierung“ Wie beschrieben, bedeutete „normalisieren“ im Jargon der Parteiführung vor allem, den PCF durch Wiederherstellung seiner politisch-ideologischen Einheit vor sowohl externen als auch internen Attacken zu schützen. Marchais und seine engsten Vertrauten kannten zu diesem Zweck einen einzigen Königsweg: die Rückkehr zur Orthodoxie. Auf dem Weg dorthin wurden zwei Prinzipien mit aller
Courtois u. Lazar, Histoire, S. 383. Courtois u. Lazar, Histoire, S. 383 – 384. Courtois u. Lazar, Histoire, S. 386.
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Deutlichkeit propagiert: erstens die unbedingte Vermeidung einer ideologischen „Verwässerung“, was eine konsequente Zurückweisung von negativen Einflüssen wie etwa vonseiten der italienischen KP mit ihrem Eurokommunismus implizierte²⁶⁴; und zweitens die Wiederherstellung der traditionellen Verbundenheit zur „Mutterpartei“ KPdSU. Der Einmarsch sowjetischer Truppen Ende 1979 in Afghanistan bot Marchais einen geeigneten Anlass, um Letztere unter Beweis zu stellen. Der in Westeuropa nahezu einhellig als inakzeptable Invasion aufgefasste Vorfall traf beim PCF zunächst zumindest auf Verständnis. Im Frühjahr 1980, nach einem Zusammentreffen mit sowjetischen Kommunisten, begab sich die französische Partei ohne jedwede Bedenken auf eine Linie mit der KPdSU. Dieses Einvernehmen setzte sich auch während der polnischen Krise 1981/82 fort, als Bemühungen um demokratische Verhältnisse in Polen, vornehmlich getragen durch die Gewerkschaft Solidarność, durch den Staatsstreich des philosowjetischen Generals Jaruzelski im Keim erstickt wurden. Der PCF verteidigte die zeitgleich veranlasste sowjetische Intervention in der Volksrepublik Polen und rechtfertigte sie als wohl einziges Mittel zur Stabilisierung der Lage bzw. zur Abwendung eines Bürgerkriegs.²⁶⁵ Ähnlich verhielt sich der Pariser Vorstand mit Blick auf den umstrittenen „Doppelbeschluss“ durch die NATO Ende 1979. Unumstößlich auf sowjetischer Seite stehend, prangerte Marchais die Entscheidung des atlantischen Militärbündnisses als Versuch an, das bereits fragile Gleichgewicht zwischen den beiden Supermächten zugunsten der USA aus dem Lot zu bringen.²⁶⁶
Chauvinismus und Isolation Der NATO-Doppelbeschluss lieferte dem PCF einen willkommenen Anlass, um sich in einer großangelegten Kampagne für Frieden und Abrüstung zu engagieren. Dem lag die Überzeugung zugrunde, dass die von der Bundesrepublik in Europa propagierte und den USA forcierte Aufrüstung für die Verschlechterung der Beziehungen zwischen den Supermächten verantwortlich sei. Mit der Kampagne wollten die französischen Kommunisten den angeblich aggressiven „Imperialismus“ westlicher Machthaber aufdecken und gleichzeitig auf die friedvolle Politik der UdSSR bzw. des Ostblocks aufmerksam machen.²⁶⁷
Hierzu u. a. Marc Lazar, PCF, PCI, euromissiles et lutte pour la paix, 1979 – 1987, in: Communisme 18 – 19 (1988), S. 139 – 161. Siehe hierzu Olivier Duhamel u. Jean-Luc Parodi, Sur l’effet Kaboul… et quelques autres, in: Pouvoirs 22, S. 159 – 172. Vgl. Courtois u. Lazar, Histoire, S. 387. Vgl. Courtois u. Lazar, Histoire, S. 387– 388.
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Seine unkritische Orientierung an den politischen Richtlinien aus Moskau kostete den PCF Glaubwürdigkeit und Wählerzuspruch. Bürgerliche Zeitungen verspotteten die Unterwürfigkeit des Pariser Vorstands und verurteilten sein offensichtliches Ansinnen, die französische bzw. generell die westliche Gesellschaft zu verdammen.²⁶⁸ Auch die traditionelle Wählerschaft reagierte skeptisch und verunsichert auf die Rückentwicklung der Partei; viele Unterstützer kehrten ihr den Rücken.²⁶⁹ Trotz der rapide steigenden Unzufriedenheit an der Basis, trotz aller propagandistischen und journalistischen Attacken, die nicht davor zurückschreckten, den PCF als Marionette Moskaus anzuprangern, zeigte der Vorstand um Marchais keinerlei Anzeichen von Selbstkritik, keinen Willen zur Erneuerung oder Umorientierung.²⁷⁰ Im Gegenteil: Marchais schwor seine Mitarbeiter auf einen harten Kampf gegen die bürgerliche kapitalistische Gesellschaft ein und stilisierte seine Partei als letztes Bollwerk der Arbeiterklasse gegen den in Frankreich und in der westlichen Welt grassierenden Antikommunismus.²⁷¹ Auf dem XXIII. Parteitag wurde diese Linie erneut und kompromisslos bestätigt. Der PCF legte sich auf seine traditionelle Rolle als Vertreter und Verteidiger der Interessen der Arbeiterbewegung fest – wohlgemerkt, vor allem der französischen Arbeiterbewegung.²⁷² Auf eine Anfang der achtziger Jahre einsetzende Tendenz des PCF zum chauvinisme sowie zu einem betonten Nationalismus haben derweil Stéphane Courtois und Marc Lazar aufmerksam gemacht.²⁷³ Sogar von rassistischen und antiintellektuellen Zügen ist die Rede, die sich in der neuen innenpolitischen Strategie der Partei widergespiegelt hätten. In der Tat setzte der PCF verstärkt auch auf eine betont national orientierte Politik, wovon er sich Wahlerfolge versprach. Ab 1980 machte er sich im Rahmen einer breit angelegten Wahlkampagne für nationale Produkte und industrielle Erzeugnisse aus dem Inland stark (Pro-
Hierzu siehe François Hincker, France: PCF divorce de la société, in: Communisme 11– 12 (1986), S. 86 – 98. Courtois u. Lazar, Histoire, S. 388. Vgl. Marc Lazar, Le PCF et la société française (1981 – 1984), in: Communisme 7 (1985), S. 105 – 120; Stéphane Courtois, L’Agonie du communisme français, in: Philippe Habert u. Colette Ysmal (Hg.), L’élection présidentielle de 1988, Paris 1988, S. 22– 23.; Philippe Habert, La marginalisation accrue du Parti communiste français, in: Revue politique et parlementaire, Nr. 958, 1992, S. 24– 27. Vgl. Courtois u. Lazar, Histoire, S. 388 – 389. Courtois u. Lazar, Histoire S. 389. Courtois u. Lazar, Histoire S. 389.
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duire français!), um sich als Garant gesamtfranzösischer Interessen zu profilieren. Dies kam wiederum einer regelrechten Kampfansage an alles „Fremde“ gleich, das energisch zurückgewiesen werden müsse. Denn an die Kampagne geknüpft waren eine feindliche Haltung gegenüber Immigranten, besonders gegenüber Arbeitern mit Migrationshintergrund, und ein augenscheinlicher Rückfall hin zu konservativen Positionen, wie etwa im Bereich der Moral und hinsichtlich des gesellschaftlichen Wandels.²⁷⁴ Hochrangige PCF-Politiker wurden Anfang der achtziger Jahre zu Verfechtern eines harten Umgangs mit „Gastarbeitern“: Ende 1980 verhinderten beispielweise der kommunistische Bürgermeister von Vitry und der erste Parteisekretär des Bezirks mit der Unterstützung Marchaisʼ den Bau eines bereits geplanten Aufnahmehauses für Immigranten.²⁷⁵ Außerdem wurden in mehreren, von kommunistischen Bürgermeistern regierten Städten, darunter in Ivry und Montigny-lès-Cormeilles, lokale Maßnahmen zu einer offensichtlichen Benachteiligung von Einwanderern eingeleitet.²⁷⁶ Diese anhand von Beispielen illustrierte Entwicklung kann als besonders intensive Reaktionsform der Partei auf die Krise gedeutet werden. Dabei herrschte schlichtweg eine große Hilflosigkeit gegenüber alten und neuen Herausforderungen, denen man womöglich mit mehr Dialogbereitschaft und Erneuerungswillen konstruktiver hätte begegnen können: „Lʼanti-intellectualisme du PCF, alimenté par les contestations internes, vise également à cimenter ses relations privilégiées avec le monde ouvrier. Le PCF néglige désormais les quelques thématiques nouvelles qu’il avait cherché à integrer […].“²⁷⁷ Von Modernisierungsstreben fehlte jedoch jede Spur. Der Parteivorstand spürte zwar, dass die Krise nicht nur politischer Natur und nicht allein auf die Stärke seiner Widersacher zurückzuführen war, sondern gleichermaßen die Frage nach Identität und traditionellen Werten des französischen Kommunismus aufwarf. Er wusste aber kein wirksames Gegenmittel und keine überzeugende Antwort darauf. Zugeständnisse an die Basis, die mehr Spielraum und Mitbestimmungsmöglichkeiten forderte, wurden nur plakativ gewährt, wie etwa im Zuge des XXIV. Parteitags im Februar 1982. Um die Wogen zu glätten, wurden einzelne Korrekturen am Statut vorgenommen: Mit Nachdruck unterstrich man, dass der PCF sich vom Ziel einer „Diktatur des Proletariats“ endgültig verabschiedet habe
Vgl. hierzu u. a. Stéphane Courtois u. Denis Pechanski, From Decline to Marginalisation: The PCF Breaks with French Society, in: Michael Waller u. Meindart Fennema (Hg.), Communist Parties in Western Europe. Decline or Adaptation?, London 1988, S. 47– 68. Vgl. Courtois u. Lazar, Histoire, S. 389. Hierzu vgl. Cristina Léon, Zwischen Paris und Moskau. Kommunistische Vorstadtidentität und lokale Erinnerungskultur in Ivry-sur-Seine, München 2012, S. 268 – 270. Vgl. Courtois u. Lazar, Histoire, S. 389.
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und von nun an großen Wert auf Dialog und Austausch über alle Funktionsebenen hinweg lege, unhierarchisch und demokratisch. Gleichzeitig allerdings wurde während der Verhandlungen des Parteitags die historische Rolle des PCF als Garant und Sprachrohr der Arbeiterklasse bzw. als revolutionäre Interessenvertretung erneut fixiert und unverhohlen propagiert.²⁷⁸
9.1 Zwischen Identitätskrise und Wahldebakel Der Zerfall des PCF reflektierte nicht zuletzt eine allgemeine ideologische und kulturelle Krise der durch ihn vertretenen Arbeiterbewegung. In der ersten Hälfte der achtziger Jahre verschlechterten sich die Arbeitsverhältnisse für Land- und Industriearbeiter in Frankreich aufgrund der weit um sich greifenden ökonomischen Schwierigkeiten rapide. Der Einbruch der französischen Konjunktur veranlasste die Großindustriellen zu drastischen Maßnahmen, beispielweise zu einer höchst unterschiedlichen Besoldung qualifizierter und unqualifizierter Arbeitskräfte, was zu massiven Auseinandersetzungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern führte. Historiker der CGT und anderer wichtiger französischer Gewerkschaften sprechen diesbezüglich von einem regelrechten Desaster für die Arbeiterbewegung bzw. vom „Ende“ spezifischer Industriebranchen, wie etwa der Eisen- und Stahlindustrie sowie des Schiffbaus.²⁷⁹ Der Konflikt belastete jedoch nicht nur die Beziehungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, sondern vor allem den Zusammenhalt in der Arbeiterschaft, was sich wiederum negativ auf das Ansehen des PCF niederschlug. Die von den Industriellen umgesetzte höhere Besoldung für qualifizierte Kräfte führte zu einer Spaltung im Arbeitermilieu, was in interne Marginalisierungen und offene gegenseitige Feindseligkeiten mündete. Besser verdienende Arbeiter zeigten die Tendenz, sich nicht länger der „Arbeiterklasse“ zugehörig fühlen zu wollen, geschweige denn der kommunistischen Partei, die sie als Urheber all ihrer Probleme betrachteten.²⁸⁰ Die Krise der Partei zeigte sich alsbald anhand der nackten Zahlen: Während der PCF 1981 noch knapp über 500.000 Mitglieder verfügte,
Vgl. hierzu, aus der Innenperspektive, Francette Lazard, La rèvolution inattendue, Paris 1991, S. 178 – 179. Vgl. Yves Santamaria, La CGT, du corporatisme à l’humanisme, in: Communisme 22– 23 (1990), S. 13 – 29; Gilles Nezosi, La fin de l’homme du fer. CGT et crise de la sidèrurgie à Longwy, 1963 – 1979, in: Communisme 35 – 37 (1994), S. 91– 108. Vgl. Courtois u. Lazar, Histoire, S. 390.
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waren es 1984 nur noch rund 380.000. Die Auflage des Presseorgans LʼHumanité sank im selben Zeitraum von knapp 150.000 auf rund 130.000.²⁸¹ Die Präsidentschaftswahl im Frühling 1981 stellte den PCF vor eine neue Herausforderung, aus der die Führung neue Kraft und Energie für die Zukunft zu schöpfen hoffte. Die höheren Kader standen geschlossen hinter der Kandidatur von Georges Marchais, der damit ein Signal von Stärke und Geschlossenheit vor allem an die Adresse seines unmittelbaren Rivalen im linken Lager, François Mitterrand, senden wollte.²⁸² Das Ergebnis des Urnengangs vom 26. April 1981 stellte der Partei jedoch ein beschämendes Zeugnis der Schwäche aus: Der Generalsekretär konnte lediglich 15,5 % der Stimmen auf sich vereinen, „le plus mauvais résultat du PCF depuis la fin de la Deuxième Guerre Mondiale [sic].“²⁸³ Besonders besorgniserregend fiel die soziologische Analyse der Wahl aus, welche die fundamentale Schwierigkeit der Partei klar aufdeckte: Mitterrand und seinem PS war es gelungen, 30 % der Arbeiterstimmen für sich zu gewinnen, der PCF kam nur auf 28 %. Die Parlamentswahlen im folgenden Juni bestätigten und verstärkten den katastrophalen Abwärtstrend: Zwischen Mai und Juni 1981 hatte die Partei rund 400.000 Stimmen eingebüßt.²⁸⁴
9.2 Regierungsverantwortung und Europa-Wahl im Zeichen des allmählichen Untergangs (1981 – 1984) Die Sozialisten um den frisch gewählten Staatspräsidenten François Mitterrand waren sich 1981 mehrheitlich darin einig, dass es sinnvoller sei, die Kommunisten in die Regierungsverantwortung einzubinden, als sie außen vor zu lassen, von wo aus sie sich zu einem ernst zu nehmenden Störfaktor hätten entwickeln können.²⁸⁵ Am 23. Juni 1981 einigten sich die Vorstände beider Parteien auf ein gemeinsames Regierungsprogramm, das sich durch eine weitestgehend „solidarische“ Haltung des PCF gegenüber den Sozialisten auszeichnete. Wie erwartet, mussten erhebliche Kompromisse gefunden werden, um politische Differenzen
Courtois u. Lazar, Histoire, S. 391. Vgl. François Platone, „PCF: la nécrose“, L’Élection présidentielle, 24 avril-8 mai 1988, in: Le Monde, Dossiers et documents, supplément, Mai 1988, S. 45 – 46.; François Platone u. Jean Ranger, L’echec du Parti communiste français aus élections du printemps 1981, in: Revue française de science politique, Nr. 5 – 6, 1981, S. 1015 – 1037. Courtois u. Lazar, Histoire, S. 392. Courtois u. Lazar, Histoire, S. 393. Vgl. François Platone, Les communistes au gouvernement: une expérience „complexe et contradictoire“, in: Revue française de science politique 914 (1985), S. 28 – 49.
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wenigstens auf dem Papier so zu übertünchen, dass die Öffentlichkeit die Einbeziehung der Kommunisten duldete. Die in außenpolitischen Fragen bekanntlich weit auseinandergehenden Überzeugungen der Verbündeten wurden wechselseitig abgemildert: Der PS verpflichtete sich, Verhandlungen über den Abzug von US-amerikanischen Raketen in Frankreich und Westeuropa zu initiieren; dafür versprach der PCF, sich für den Abzug sowjetischer Truppen aus Afghanistan einzusetzen.²⁸⁶ Am selben Tag wurde bekanntgegeben, dass insgesamt vier PCF-Politiker Ministerposten übernehmen würden: Anicet Le Pors als Minister für Reformen, Charles Fiterman als Minister für Transport und Verkehr, Jack Ralite als Minister für Gesundheit und Marcel Rigout als Minister für berufliche Bildung.²⁸⁷ Die traditionelle kommunistische Anhängerschaft reagierte skeptisch auf die Allianz mit dem PS bzw. auf die neue regierungskonforme Strategie des Vorstands, der daraufhin bei Pressekonferenzen und Verlautbarungen wiederholt seine „eherne“ Loyalität zu Mitterrand und sein Engagement für den Erfolg der Regierung unterstrich.²⁸⁸ Die Strategie Marchaisʼ und seiner engsten Vertrauten war klar: Es sollte ein harmonisches, salonfähiges Bild des PCF vermittelt werden als eine Partei, die sich wahrhaftig um die dringendsten Belange des Landes und seiner gesamten Bevölkerung kümmern wollte. Dies implizierte aber eine Unterordung unter das innen- und außenpolitische Programm Mitterrands, was sich bald als zweischneidiges Schwert für die Kommunisten herausstellen sollte. Die Machtübernahme der Sozialisten in Frankreich im Mai 1981 verfolgte das MfS mit besonderem Augenmerk. Einerseits begrüßten die Ostdeutschen den Wahlsieg der Linken, der es gelungen war, die Konservativen zu überholen und Kommunisten in die Regierungsmannschaft zu integrieren; andererseits zeigten sie sich skeptisch angesichts der dezidiert antisowjetischen Stellungnahmen Mitterrands. Dieser hatte sich unmittelbar nach seinem Wahlerfolg als eindeutiger Befürworter einer konsequenten und kompromisslosen NATO-Politik gegenüber dem Ostblock offenbart und untersützte dementsprechend den NATO-Doppelbeschluss und den insbesondere von US-amerikanischer Seite geförderten Aufrüstungstrend.²⁸⁹ Zu den Hintergründen des Wahlsiegs, zu seinen Auswirkungen auf Politik und Gesellschaft sowie über die Rolle des PCF fertigten MfS-Beobachter ein
Courtois u. Lazar, Histoire, S. 394. François Platone, Les communistes au gouvernement, S. 35 – 38. Vgl. Courtois u. Lazar, Histoire, S. 394– 396. Vgl. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 567– 568; Serge Berstein (Hg.), François Mitterrand. Les années de changement (1981 – 1984), Paris 2001.
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zehnseitiges, streng geheimes Dossier an. Erarbeitet worden war es von einem offiziellen Mitarbeiter, der die meisten Informationen durch seine Kontakte zu PCF-Mitgliedern erhalten hatte.²⁹⁰ Aus dem Bericht erfuhr man u. a. dies: Die ökonomische Situation war in Frankreich durch eine für jeden Bürger spürbare Verschärfung der wirtschaftlichen Krise gekennzeichnet […]. Die Regierung Barre versuchte, dieser Situation mittels autoritärer Maßnahmen Herr zu werden. Zugleich war für die Franzosen die zunehmende persönliche Bereicherung der Familie Giscard und ihr immer stärker werdender Einfluß auf Machtpositionen des Landes augenfällig, so daß selbst Giscard nahestehende Kreise ihn dahingehend verurteilten. Giscard wurde für die Bevölkerung immer mehr die Verkörperung der aristokratisch-absolutistisch gesinnten Bourgeoisie. Hinzu kam, daß der Präsident den Wahlkampf in der Weise eines Monarchen führte, der vom Volke auf jeden Fall wiedergewählt werden würde, da es keine Alternative zu ihm gäbe. Das zeigt, daß die französische Finanzbourgeoisie das französische Geschichtsbewußtsein hinsichtlich des festen Willens zur demokratischen Republik ebenso unterschätzte wie den Einfluß der Politik der Linksunion im Frankreich der siebziger Jahre.“²⁹¹
Daraus lasse sich der Wille der Franzosen zu einem Wechsel erklären. Die ersehnte Wende sei im Grunde ein Votum gegen Giscard d‘Estaing, gegen seinen engsten Mitarbeiterkreis und gegen die von ihm verfolgte, streng konservative Wirtschaftspolitik, die wiederum die Ursache der herrschenden Krise sei. Gleichzeitig wurde im Dossier eingeräumt, dass die Bereitschaft der Bevölkerung zum changement keineswegs sozialistische Züge trage. Denn das Wahlvolk habe schließlich Mitterrand zum Sieg verholfen, nicht dem PCF. In der kommunistischen Partei sei kein Wille zu revolutionären gesellschaftlichen Veränderungen vorhanden gewesen, sondern lediglich die von der Sozialistischen Partei konstruierte, kleinbürgerliche Illusion vom Glauben an grundlegende Veränderungen durch Reformen. Mitterrand sei es folglich gelungen, der Rechten Stimmen abzunehmen, während sich das Stimmenvolumen des PCF kaum verändert habe. Der PCF wurde einer harschen Kritik unterzogen; er habe den Hilferuf seiner Anhänger nicht verstanden und sie mit unüberlegten Entscheidungen verwirrt.²⁹² Erstmals seit 1947 wurden unter Mitterrand PCF-Mitglieder Minister in einer französischen Regierung. Der historische Charakter ihrer Berufung täuschte das MfS dennoch nicht über die Gründe hinweg, welche den PS zu ihrer Ernennung veranlasst hatten. Als ausschlaggebend wurde erachtet, dass „im Falle von Problemen – bis hin zum Scheitern – […] der PS einen Mitschuldigen [hat], der sonst MfS – HA II, 27348, (Streng geheim) Information. Hinweise zur politischen Entwicklung in Frankreich seit den Präsidentschaftswahlen. Zu einigen Ursachen für den Wahlsieg Mitterrands, in: MfS – HA II, 27348, (Streng geheim) Information, S. 15. MfS – HA II, 27348, (Streng geheim) Information, S. 18 – 19.
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an Gewicht gewinnen könnte – die FKP.“²⁹³ Dennoch wurde in dem Dossier eingeräumt, dass der PCF eine nicht zu unterschätzende Größe darstelle, ohne deren Unterstützung der PS keine Chance gegen die Konservativen gehabt hätte. Entgegen der Aussage Pierre Juquins, Mitglied des Politbüros des PCF, wonach die Regierungsbeteiligung der Partei „aus dem Ghetto“ verholfen habe, ging das MfS davon aus, dass die „Euphorie“ über den Sieg und die aktive Mitwirkung an der Macht auch politisch-ideologische Risiken in sich berge. Der PCF nähme keine Differenzierung seiner politischen Ziele vor; auch sei innerhalb der Partei kein Bemühen zu verzeichnen, sich objektiv und konstruktiv mit der Frage des Verhältnisses der Kommunisten zum Reformismus, zur Revolution bzw. zu den objektiven Gesetzmäßigkeiten kapitalistischer Krisen auseinanderzusetzen.²⁹⁴ Georges Marchais sprach am 15. September 1981 im Parlament. In seiner Rede ging er ausführlich und befürwortend auf die programmatischen Erklärungen der neu angetretenen Regierung ein. Er merkte jedoch explizit an, dass die geplanten Maßnahmen nicht ausreichten: Die von ihm als „ernst und nachdenklich stimmend“ bezeichnete gegenwärtige Situation im Lande erfordere ein besonders energisches Durchgreifen, wozu der PCF einige grundsätzliche Vorschläge – u. a. Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit bzw. für mehr Ausbildungsplätze, Banken und finanzielle Institutionen zu Anleihen mit einem Zinssatz von 8 – 10 % zwingen, Schaffung von Sozialvohnungen etc. –²⁹⁵ formuliert habe. Das „kämpferische“ Auftreten Marchaisʼ im Parlament interpretierte das MfS als Zeichen dafür, dass der PCF seine Rolle als Mitträger der Regierungsverantwortung mit Offenheit, gleichzeitig aber mit Entschlossenheit und Konsequenz wahrnehmen wollte. Freilich habe die Erklärung des Generalsekretärs auch strategischen Zwecken gedient und müsse in diesem Sinne ebenso im Zusammengang mit dem bevorstehenden Parteitag (1982) gesehen werden. Die Hauptbotschaft sei jedoch unmissverständlich und besage, dass die kommunistische Partei sich weiterhin „als Vertreterin der Interessen und Rechte der Arbeiterklasse versteht“ und deshalb zu einem „Stillhalteabkommen“ nicht bereit sei.²⁹⁶ Das elektorale Scheitern der Konservativen führten die Stasi-Beobachter hauptsächlich auf interne persönliche Rivalitäten und Ränkespiele im rechten Lager zurück. Giscard dʼEstaing habe auch deshalb verloren, weil „der gaullistische Führer“ und Bürgermeister von Paris, Jacques Chirac, sich wiederholt gegen ihn gestellt habe und ein strategisches Zusammengehen strikt ablehnte.²⁹⁷ Wie
MfS – HA II, 27348, (Streng geheim) Information, S. 20. MfS – HA II, 27348, (Streng geheim) Information, S. 21. MfS – HA II, 27348, (Streng geheim) Information, S. 24– 25. MfS – HA II, 27348, (Streng geheim) Information, S. 25. MfS – HA II, 27348, (Streng geheim) Information, S. 26.
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Kapitel 4: Ernüchterte Dreiecksbeziehungen im späten Kalten Krieg
das MfS aus Argumentationen Jean-François Deniaus, Leiter der Wahlkampagne Giscard d‘Estaings und langjähriger Minister, schlussfolgerte, schätzten die französischen Konservativen einen langfristigen Erfolg der Regierungskoalition aus PS und PCF als unwahrscheinlich ein.²⁹⁸ Der grundsätzliche Kontrast zwischen sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik und der kommunistischen Kritik dazu stelle ein unüberbrückbares Hindernis dar.²⁹⁹ Deniaus’ Interpretation, die sich als prophetisch erweisen sollte, schenkte das MfS zunehmend Glauben und warnte deshalb die SED-Führung vor übereilter Euphorie bezüglich der aktiven Teilhabe des PCF an der Regierung. Durch die damalige Wirtschaftskrise geschwächt, drohte Frankreich in der ersten Hälfte der achtziger Jahre die Zahlungsunfähigkeit. Dem versuchte die Regierung durch eine konsequente Austeritätspolitik entgegenzuwirken, der zunächst auch der PCF und seine Minister zustimmten. Dies löste jedoch innerhalb der kommunistischen Kreise eine Kettenreaktion aus, bei der alle ungelösten Grundprobleme des Kommunismus und seiner Anhänger in Frankreich erneut und mit aller Deutlichkeit zum Vorschein kamen. Traditionell kommunistische Militante waren durch das Bekenntnis des Vorstands zur Austerität enttäuscht und hielten mit ihrer Kritik an der Mitwirkung des PCF an der verhassten Regierung nicht hinterm Berg. Diejenigen, welche die Allianz befürworteten, zeigten sich von den Einwänden überrascht und stellten sich gegen die Austeritätsgegner; die von den Sparmaßnahmen betroffenen Arbeiter hingegen fühlten sich von der Partei verraten und aufgegeben.³⁰⁰ Die Zerrissenheit und der Unmut der Parteibasis waren auch ein Spiegelbild des zunehmenden Misstrauens der Wählerschaft gegenüber Marchais und seiner Entourage, das seinen Ausdruck erneut in den Ergebnissen der Kommunalwahlen vom März 1983 fand: Knapp 200 kommunistische Bürgermeister wurden abgewählt; betroffen waren dabei sowohl kleinere Gemeinden als auch größere Städte.³⁰¹ Die für den folgenden Juni angesetzte Europawahl sollte zum weiteren Schlüsselereignis für den PCF werden. Die von Marchais persönlich angeführte Kandidatenliste konnte nur knapp über 11 % der Stimmen erzielen: „en compa-
Vgl. Le Monde, 2.09; 3.09 und 4.09.1981. MfS – HA II, 27348, (Streng geheim) Information, S. 26. Siehe hierzu Gérard Le Gall, Radiographie de l’image du PCF: double divorce avec la société et les symphatisants, in: Revue française de science politique 914 (1985), S. 16 – 27; ferner auch David Bell u. Byron Criddle, The Decline of the French Communist Party, in: British Journal of Political Science, Nr. 19, Oktober 1989, S. 515 – 536. Courtois u. Lazar, Histoire, S. 396.
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rison avec les élections européennes de 1979, son capital électoral est presque divisé par deux [sic]“.³⁰² Das Debakel war vernichtend. Im Juli zog der Vorstand seine Konsequenzen daraus und beendete die strategische Zusammenarbeit mit dem PS; die vier kommunistischen Minister reichten ihren Rücktritt ein.³⁰³
10 Der PCI in der ersten Hälfte der achtziger Jahre Bei den Parlamentswahlen vom Juni 1979 konnte der PCI rund 30,5 % der Stimmen auf sich vereinigen, ein für seine Verhältnisse eher mageres Ergebnis. Damit hatte er etwa ein Fünftel der Wähler verloren, die sich ihm noch zwischen 1972 und 1976 zugewandt hatten.³⁰⁴ Im Januar desselben Jahres hatte sich der PCI nach der langen Phase der „nationalen Solidarität“³⁰⁵ wieder zur Opposition bekannt. Die politischen Differenzen zur Regierungspartei PSI von Bettino Craxi waren zu einem unüberbrückbarem Kontrast angeschwollen; insbesondere infolge des „Falls Moro“.³⁰⁶ Nur wenige Monate später etablierte sich im italienischen Parlament der sogenannte Pentapartito („Fünferkoalition“), bestehend aus Christdemokraten (DC), Sozialisten (PSI), Sozialdemokraten (PSDI), Republikanern (PRI) und Liberalen (PLI), welcher die politischen Geschicke des Landes von 1980 bis zum Zusammenbruch des (ersten) republikanischen Systems 1992 bestimmen sollte.
Die „demokratische Alternative“ Hiervon nahm die neue Phase der „demokratischen Alternative“ im politischen Leben des PCI ihren Ausgang. Nach der abrupten Wende der Christdemokraten um Giulio Andreotti nach rechts, welche nach dem Mord an Aldo Moro das Ende jeglicher Form der Zusammenarbeit mit den Kommunisten veranlasst hatten, vertrat Berlinguer die Meinung, dass seine Partei keinen Verbündeten mehr in der Regierungsmannschaft finden würde. Der Rückzug aus der unmittelbaren Nähe der Regierungsverantwortung schien vielen in der Partei als eine Rückkehr zur „Normalität“, die Öffnung der DC zu den Liberalen und Republikanern bestätigte diese Lesart nochmals aus der Perspektive der politischen Gegner. Dennoch be-
Courtois u. Lazar, Histoire, S. 396. Vgl. Marc Lazar, Plus dure sera la chute… Les Partis communistes et leurs héritiers, in: Pascal Perrineau u. Colette Ysmal (Hg.), Les élections européennes de Juin 1994, Paris 1995, S. 19 – 38. Vgl. Chiarante, La fine del PCI, S. 55. Siehe Kapitel 3. Vgl. Schoch, Die internationale Politik, S. 390 – 394.
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standen nun beachtliche Unterschiede im Vergleich zu den früheren Voraussetzungen der Opposition des PCI etwa in den sechziger oder ausgehenden siebziger Jahren. Der PCI-Politiker und Historiker Giuseppe Chiarante erkennt insbesondere zwei neue Entwicklungen: ‒ So hatte sich die regierende Mehrheit, die vom PCI im Rahmen der „nationalen Solidarität“ zuvor mitgetragen worden war, vom Pentapartito grundsätzlich sowohl in der Form als auch im politischen Anspruch unterschieden. Erstere stellte den Versuch dar, thematische und programmatische Schnittmengen bei den größeren Parteien aufzuspüren und diese zugunsten einer fruchtbaren Zusammenarbeit zu nutzen. Sie zielte auf Reformen ab und zeichnete sich durch ambitionierte Ziele aus. Der Pentapartito stellte hingegen ausschließlich ein Zweckbündnis zum Machterhalt dar und reihte sich in den gesamteuropäischen neoliberalen Trend der späten siebziger und ausgehenden achtziger Jahre ein, der durch eine strikte Sparpolitik im staatlichadministrativen Bereich bei gleichzeitigem marktwirtschaftlichem Laissezfaire im privaten Sektor gekennzeichnet war. ‒ Des Weiteren war es gegen Ende der siebziger Jahre zur Ausbildung einer politischen Kultur gekommen, die sich im Kern dezisionistisch und autoritär ausnahm und darauf abzielte, durch eine allmähliche aber entschiedene Stärkung der Exekutive der Regierungsmehrheit mehr Spielraum zu verschaffen. Mit anderen Worten: Die parlamentarische Demokratie, zu deren Werten und Mechanismen der PCI sich in den siebziger Jahren eigentlich bekannte, wurde durch eine sehr direkte, gleichsam zentralistische Form der Machtausübung „von oben“ abgeschwächt. Dadurch beabsichtigten die traditionellen Regierungsparteien, allen voran die DC und der PSI, das Land nach den Wirren der Ermordung Moros und angesichts der drohenden Rezession zu stabilisieren. Die politische Koalition bestehend aus Craxi, Andreotti und Arnaldo Forlani – Letzterer von 1976 bis 1979 Außenminister und einflussreicher christdemokratischer Abgeordneter und Politiker –, d. h. also der sogenannte CAF, war für die Umsetzung dieser Strategie verantwortlich. Für den PCI bedeutete dies den Ausschluss von jeglicher Mitgestaltungsmöglichkeit bei der nationalen Regierungspolitik und das Ende des vornehmlich von ihm initiierten Versuchs, die demokratische Beteiligung der Bevölkerung an den innerstaatlichen Entscheidungsprozessen zu intensivieren und weiter zu verankern.³⁰⁷
Vgl. Chiarante, La fine del PCI, S. 56 – 57.
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Craxi, der im Dezember 1979 zum Generalsekretär des PSI gewählt worden war, hatte eine Partei in der Krise übernommen, die sich von der Wahlschlappe vom Jahr 1976 noch nicht erholt hatte. Vor diesem Hintergrund fasste er mit seinen Vertrauten den Entschluss, den PSI auf ein zielstrebiges, die inneren Reihen schließendes Programm einzuschwören. Mit einer maximalistischen und „monokratischen“ Strategie sollten die internen Rivalitäten und weitreichenden Differenzen zwischen dem linken und rechten Lager, welche die Partei seit Jahren lähmten, überwunden werden.³⁰⁸ Der Plan ging auf und der PSI wurde binnen kurzer Zeit zum wichtigsten Verbündeten der Christdemokraten.³⁰⁹ Diese hatten im Februar 1980 in Rom ihren XIV. Parteitag veranstaltet, der sich als wegweisend für die darauffolgende Dekade herausstellen sollte. Im Mittelpunkt der Beratungen standen die Wiedererlangung der Macht sowie ihre Festigung, wozu eine offen antikommunistische Politik und Propaganda als notwendig erachtet wurden.³¹⁰ Erst der eindeutige Ruck nach rechts sowohl der DC als auch des PSI machten die Allianz des Pentapartito möglich, die eine wichtige Weichenstellung für die politische und praktische Machtausübung während der achtziger Jahre bedeutete. Im Laufe der Dekade wiederholten sich die Versuche der Regierenden, die ad hoc ins Leben gerufene Fünferkoalition noch weiter auszubauen und durch gezielte Maßnahmen den eigenen Spielraum vor externen Angriffen abzuschirmen. Dadurch gewannen nicht zuletzt populistische Tendenzen zunehmend an Bedeutung, die den Weg für das Aufkommen der heute in Italien verhältnismäßig starken, extremistischen und in vielerlei Hinsicht rassistischen Lega Nord ebneten bzw. für die spätere Machtübernahme Berlusconis. Die Mehrheitswahl wurde eingeführt, und es vermehrten sich die bis heute vergeblichen Vorstöße von einflussreichen Politikern, Italien in eine präsidentielle bzw. semipräsidentielle Republik umzuwandeln. Von alledem blieb der PCI weitestgehend ausgeschlossen.
10.1 Außenpolitik und die „neue alte“ Rolle als Oppositionspartei Der PCI sah sich Anfang der achtziger Jahre mit ganz unerwarteten Herausforderungen konfrontiert. Außen- wie innenpolitisch trugen die vorherrschenden Rahmenbedingungen dazu bei, dass die Partei mehr denn je fast ausschließlich auf sich selbst gestellt zu agieren gezwungen war. Wie oben skizziert, hatte sich der politische Spielraum für den PCI erheblich verringert, nachdem der PSI und
Vgl. u. a. Acquaviva u. Gervasoni, Socialisti e comunisti, S. 118. Belci, 1978, S. 92. Vgl. Radi, La DC da De Gasperi a Fanfani, S. 192.
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die DC eine „antikommunistische Front“ gebildet hatten. International haderte die Parteiführung mit den Ereignissen in Afghanistan und insbesondere in Polen bzw. mit der Haltung der KPdSU zu den beiden Krisenregionen. Der innenpolitische Konflikt in der Volksrepublik Polen und die ablehnende Reaktion Moskaus auf demokratische Reformen dort wurden zu einem Schlüsselereignis für die italienische Partei. Die Kritik an der ebenso starren wie autoritären sowjetischen Staatsdoktrin wuchs zu lautstarkem Protest an und veranlasste den PCI zur historischen, offen propagierten Abwendung von der kommunistischen Weltgemeinschaft.³¹¹ Darin deckte sich der Drang nach mehr demokratischen Mitbestimmungsmöglichkeiten der Parteibasis, die sich durch den Pentapartito um ihre Rechte als Bürger und Wähler beschnitten sah, mit dem Wunsch nach mehr Transparenz und „demokratischem Zentralismus“ im weltweiten Sozialismus. Anders gewendet: Innen- und Außenpolitik des PCI schienen in einem Punkt zu konvergieren, nämlich in der Suche nach einer Alternative sowohl zu den neoliberalen als auch zu den marxistisch-leninistischen Regierungsformen, welche die Partei beide kategorisch ablehnte. Auf dem XVI. Parteitag in Mailand im März 1983 vollzog sich jene von Heinz Timmermann als „genetische Mutation“ definierte Wandlung,³¹² die das Gesicht des italienischen Kommunismus bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion bestimmen sollte. Ob diese Wandlung, die auch als „Riss“ in der von der Sowjetunion dominierten sozialistischen Kultur- und Staatengemeinschaft beschrieben worden ist, tatsächlich erst 1983 erfolgte, ist fraglich; dies soll vorerst dahingestellt bleiben. Fest steht jedenfalls, dass die Meinungsverschiedenheiten mit der KPdSU über die Ereignisse in Polen jene anderen, bereits seit geraumer Zeit bestehenden und nicht überbrückbaren ideologischen Differenzen umso stärker hervortreten ließen. Dies fand seinen Ausdruck in einer dezidierten Opposition der Partei gegen alles Autokratische. Unter dem Druck der Parteibasis, die nach mehr Demokratie in dem nunmehr als „demokratischer Zentralismus“ anvisierten Parteiensystem verlangte, machte sich Berlinguer zum rigorosen Verteidiger und Förderer derjenigen Zielsetzungen, die den Wandel unmittelbar in die Wege leiten sollten. An sich verlangte die Parteimehrheit, einschließlich des Generalsekretärs, nichts Neues: Die Suche nach neuen Wegen der politischen Auseinandersetzung mit dringenden Problemen in Italien, in Europa und in der Welt enthielt im Kern nichts anderes als die
Schoch, Die internationale Politik, S. 394. Vgl. Heinz Timmermann, Die „genetischen Mutationen“ der KPI. Italiens Kommunisten überwinden den „demokratischen Zentralismus“, in: Die Neue Gesellschaft 5 (1983), S. 449 – 455.
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nunmehr bereits traditionelle Aufforderung zur Realisierung eines „dritten Weges“, der sich als notwendiger denn je erweise.³¹³ Damit ging eine allmähliche, sich um die Mitte der achtziger Jahre beschleunigende Annäherung an die deutsche SPD einher, die man als unverzichtbaren Verbündeten im Prozess der Demokratisierung des Europaparlaments ansah. Die Intensivierung der Beziehungen klappte allerdings keineswegs reibungslos, wobei sich meistens die SPD als bremsender Faktor hervortat.³¹⁴ Der Hemmschuh schien erst mit dem Tod Berlinguers im Juni 1984 endgültig vom Tisch zu sein, ein Ereignis, infolgedessen die Annäherung zwischen PCI und SPD deutlich an Fahrt aufnahm: Maßgeblich jedoch hat der Tod Enrico Berlinguers die Annäherung an die SPD beschleunigt. Das ist nur scheinbar paradox. Denn obgleich in seiner Amtszeit die definitive Orientierung der KPI auf Westeuropa und die Öffnung ihres Internationalismus stattfand, war er doch die authentische und stolze Verkörperung der unverwechselbaren Besonderheiten der KPI und ihrer historischen und politischen Differenzen zu Realsozialismus, traditionellem Parteikommunismus – und schon gar zur Sozialdemokratie. Gerade Berlinguers selbtsbewußtes Beharren auf der Verschiedenheit (diversità) seiner Partei, die sie, wie er oft ausgeführt hat, zu einem originalen Beitrag zum Rekonstitutionsprozess der westeuropäischen Linken befähige, schloß bei aller Suche nach Konvergenzen über hergebrachte ideologische Gräben hinweg jede akritische, gar subalterne Beziehung zu den großen sozialdemokratischen Parteien Westeuropas von vornherein aus. Das sollte nach seinem plötzlichen Tod im Sommer 1984 spürbar anders werden.³¹⁵
Die interne Diskussion um den „dritten Weg“ Über Berlinguers demokratisierenden Vorstoß herrschte parteiintern keineswegs Einigkeit. Die Debatte über die künftige Rolle der Partei bzw. über die zu verfolgende Strategie war rege und führte zu einer unmittelbaren Verschärfung bereits bestehender Differenzen, u. a. zwischen dem rechten und dem durch Armando Cossutta angeführten linken Lager. Ab 1980 war Berlinguer systematisch dazu übergegangen, seine Macht und diejenige seiner engsten Vertrauten zu konsolidieren.³¹⁶ Entsprechende personelle Veränderungen wurden auf dem XVI. Parteitag im Frühjahr 1983 offiziell vollzogen: Aldo Tortorella und Ugo Pecchioli, zwei Persönlichkeiten, die Berlinguer besonders nahestanden, wurden in das Sekrä-
Vgl. Schoch, Die internationale Politik, S. 395. Vgl. Christian Krell, Sozialdemokratie und Europa: die Europapolitik von SPD, Labour Party und Parti Socialiste, Wiesbaden 2009. Schoch, Die internationale Politik, S. 396. Vgl. Chiarante, La fine del PCI, S. 63 – 64.
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tariat der Partei gewählt. Diese und weitere Maßnahmen³¹⁷ sicherten dem Generalsekretär zwar einen beachtlichen Spielraum, sie ließen aber auch Rivalitäten und innerparteiliche Konflikte an Ausmaß und Brisanz zunehmen. Die durch gezielte organisatorische Eingriffe disziplinierte Minderheit in der Partei schwoll allmählich zu einer bedrohlichen Opposition an. Den „Maximalisten“ um Berlinguer wurde einerseits Unnachgiebigkeit, mangelnde Flexibilität und gar antisozialistischer Eifer vorgeworfen, andererseits hielt man ihnen – wie im Falle des PCF geschehen – ein gefährliches Einschwenken auf extremistische, „operaistische“ Positionen vor, was jegliche konstruktive Zusammenarbeit mit den Regierungsparteien bzw. die Geschlossenheit der Gewerkschaften unterminiere.³¹⁸ Auch bekannte Vertreter der Parteimehrheit wie Giorgio Napolitano reihten sich bei den Kritikern ein. Napolitano wies in seinen Kommentaren zur Tagespolitik des PCI auf die Lehren Togliattis hin, der sich zwar mehrfach für die besondere Bedeutung eines klar umrissenen, dezidierten Vorgehens gegenüber reformistischen und revisionistischen Kräften ausgesprochen habe, gleichzeitig aber stets vor der Gefahr gewarnt hätte, sich dem Dialog mit ihnen zu verschließen.³¹⁹ Auch vonseiten der größten italienischen Gewerkschaft CGIL richtete sich Kritik an die Adresse des Generalsekretärs. Einen neuralgischen Streitpunkt stellte der Umgang mit der scala mobile (Lohngleitklausel) dar. Diese sah seit ihrer Einführung 1975 eine automatische Angleichung der Löhne an die Inflationsrate vor, die mehrmals im Jahr vorgenommen werden musste. Kritisiert an der Klausel wurde insbesondere von kommunistischer Seite, dass dabei das wirtschaftliche Wachstum, also die Produktivitätssteigerung bzw. -leistung des Landes nicht berücksichtigt würde, sondern lediglich die allgemeine Preissteigerung, was ein verzerrtes Bild der Berechnungsgrundlage für die Löhne hergebe. Berlinguer machte die Abschaffung der scala mobile zu einem wichtigen Anliegen der Partei, die sich dadurch gegenüber dem Rest der Opposition und der Regierungspartei PSI, dem direkten Rivalen im linken Lager, profilieren konnte. Das Gezerre um die Klausel zog sich aber durch das gesamte Jahr 1985 hindurch und hatte schlussendlich doch nur einen Verlierer: den PCI.
Vgl. u. a. Giorgio Galli, Storia del PCI, Mailand 1993, S. 289 – 291. Galli, Storia del PCI, S. 293; ferner auch Pons, Enrico Berlinguer, hier S. 187. L’Unità, Perché è essenziale il richiamo a Togliatti, 21.08.1981.
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10.2 Der Tod Berlinguers und die Krise des PCI Anfang Mai 1985 gingen die Italiener an die Urnen: Bei den Regional-, Provinzund Kommunalwahlen erlitt der PCI eine zwar nicht einschneidende, dennoch unerwartete Niederlage. Er büßte im Vergleich zur vorangegangenen Regionalwahl fünf Jahre zuvor einen Prozentpunkt ein (von 29,5 auf 28,5 %) und im Vergleich zum Ergebnis der Europawahl – aus der er mit 33,33 % der Gesamtstimmen als stärkste Kraft hervorgegangen war – nur ein Jahr zuvor über vier Prozentpunkte.³²⁰ Zusätzlich belastet wurde der PCI durch das Auftreten tiefgehender Differenzen sowohl innerhalb der eigenen Reihen als auch im unmittelbaren Umfeld. Luciano Lama, der Generalsekretär der CGIL, übte scharfe Kritik an der Partei und erklärte in einem Interview mit der meistgelesenen italienischen Zeitung La Repubblica, dass der „dritte Weg“, auf den der PCI seit Jahren seine Strategie ausrichte, ein schieres „Hirngespinst“ darstelle.³²¹ Dieser seltsam anmutende Phönix namens „dritter Weg“, so Lamas Ausführungen sinngemäß, könne sich kaum aus der Asche erheben, denn er sei noch nie erschaffen worden. Lama warnte davor, weiterhin auf der propagandistischen Verbreitung dieser synkretistischen Doktrin zu beharren, wenn man nicht Gefahr laufen wolle, seine Anhängerschaft völlig zu verunsichern. Wäre er Bürger der Bundesrepublik, erklärte Lama abschließend, würde er umgehend der SPD beitreten, „einer großen, erfolgreichen und realistischen Reformpartei.“³²² Diese Aussagen Lamas, der als hochrangiger PCI-Funktionär nach dem Tod Berlinguers sogar zum Kreis möglicher Nachfolger gezählt wurde, schlugen hohe Wellen. Dabei stellte Lama mit seinem Überdruss gegenüber der vom PCI anvisierten Alternative zur Sozialdemokratie und zum „realen Sozialismus“ keinen Einzelfall dar. Die Malaise in der Partei verschärfte sich rapide nach dem plötzlichen Tod Berlinguers infolge eines Schlaganfalls im Juni 1984: Er war nicht nur ein charismatischer und ambitionierter Spitzenpolitiker gewesen, dem man es insbesondere als Verdienst anrechnen konnte, den PCI wieder salonfähig gemacht und in die Nähe der Regierung gerückt zu haben; ihm war es vielmehr gelungen, die vielen innerhalb des PCI koexistierenden und sich stark voneinander abhebenden politischen Richtungen und Kulturen zusammenzuhalten bzw. interne Rivalitäten und Flügelkämpfe einzudämmen.
Vgl. Galli, Storia del PCI, S. 264. La Repubblica, Quell’araba fenice chiamata terza via, Interview mit Luciano Lama, 25.05. 1985. Schoch, Die internationale Politik, S. 401.
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Im Streit um die scala mobile verloren die italienischen Kommunisten dann die letzte, von Berlinguer noch persönlich initiierte Schlacht. Der Parteivorstand hatte bereits seit Langem gegen das Gesetzesdekret von Ministerpräsident Craxi gewettert, womit für das Jahr 1984 die automatische Beschneidung von Löhnen und Gehältern durchgesetzt worden war. Es ging dabei in Wirklichkeit um viel mehr als nur um ein theoretisches Geplänkel bezüglich der Balance zwischen Inflation und Entlohnung der Arbeiterschichten: Es ging um die italienische Linke, die seit dem raschen Erstarken des PSI Ende der siebziger Jahre und durch die Ernennung Craxis zum Ministerpräsidenten im Juli 1983 in Kommunisten und Sozialdemokraten gespalten war.³²³ Nachdem der PCI mit dem Einsatz sämtlicher im parlamentarischen Rahmen zur Verfügung stehender Druckmittel gescheitert war, beschloss die Parteiführung, ein Referendum abhalten zu lassen. Am 9. Juni 1985, fast ein Jahr nach dem Tod Berlinguers, waren die Italiener dazu aufgerufen, über die nach Auffassung des PCI illegale Praxis der scala mobile zu entscheiden. Die Volksbefragung fiel bitter für den PCI aus: Nur knapp über 45 % der Italiener schlossen sich seiner Stimmempfehlung an. Vor allem führte die Niederlage zweierlei vor Augen: Zum einen, dass der Pentapartito auf beträchtliche Mobilisierungskraft auch in der Arbeiterklasse zählen konnte, und zum anderen, dass der politische Elan der Ära Berlinguer mit dessen Tod endgültig erloschen war.
Die Umwandlung in eine sozialdemokratische Reformpartei und die Anlehnung an die SPD Die Suche nach einer demokratischen Alternative gestaltete sich für den PCI der Post-Berlinguer-Ära besonders schwierig. Alessandro Natta, Vertrauter Berlinguers, war am 26. Juni 1984 zu seinem Nachfolger gekürt und auf dem XXVII. Parteitag 1986 in Florenz in seinem Amt als Generalsekretär bestätigt worden.³²⁴ Das Scheitern der kommunistischen Kampagne gegen die scala mobile hatte indes unmittelbare politische Konsequenzen, auf welche die Partei nicht vorbereitet war. Einerseits herrschten Unsicherheit und Konfusion über die Zukunft sowie über brauchbare Strategien und Wege aus der Krise; andererseits entflammten heftige Diskussionen über die Suche nach einem stabilen und zuverlässigen Bündnispartner, der nach dem Abgleiten des PSI in die Einflusssphäre der Christdemokraten einfach fehlte.
Vgl. Schoch, Die internationale Politik, S. 402. Vgl. Galli, Storia del PCI, S. 295.
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Auch darüber, wie sich die Partei nach dem Tode Berlinguers auf internationaler Ebene neu aufstellen sollte, entbrannten heftige Debatten. Sie führten zur Verschärfung innerparteilicher Spannungen und zu einer weiteren Verunsicherung der traditionellen Wählerschaft. Dabei stellten sie letztendlich lediglich ein Nebenprodukt des allgemeinen Identitätsverlustes des PCI dar und hatten nur geringen Einfluss auf die außenpolitische Strategie der Partei. Dies war vornehmlich darauf zurückzuführen, dass der um Armando Cossutta und Pietro Ingrao gescharte linke Flügel durch die Machtübernahme Gorbatschows im März 1985 in seinen Überzeugungen und Perspektiven geschwächt worden war.³²⁵ Vor allem Cossutta war von den sozialpolitischen Vorstellungen Honeckers wohl zumindest angetan. Nach einem Besuch in Dresden im September 1984, bei dem er intensive Gespräche u. a. mit Herbert Häber, ZK-Mitglied und SED-Verantwortlicher für die Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik, geführt hatte, gab der Italiener zu Protokoll, dass die DDR ihn sehr beeindruckt habe: Die Wirtschaft sei solide, die Läden seien gut ausgestattet, ein hoher Lebensstandard und breites politisches Engagement seien zu verzeichnen.³²⁶ Über den PCI war zu diesem Zeitpunkt die Krise hereingebrochen. Beleg dafür war die Planlosigkeit des neuen Vorstands, in den mittlerweile auch jüngere, reformsozialistische Politiker wie Massimo DʼAlema und Achille Occhetto, der spätere Generalsekretär, aufgerückt waren. Eher aus Ratlosigkeit initiierte er eine forcierte Annäherung an die SPD und bemühte sich, innenpolitisch eine Beteiligung an der Regierungsverantwortung wiederzuerlangen. Dies zeitigte ambivalente Konsequenzen, mit denen Natta und seine Vertrauten offenbar nicht gerechnet hatten.³²⁷
11 Die Rolle von Städtepartnerschaften für das trilaterale Verhältnis Bislang stellt die Geschichte der Städtepartnerschaften ein unterbelichtetes Forschungsfeld dar, das dringend der systematischen Aufarbeitung bedarf. Dabei geht es vorrangig um die Schilderung von politischen Entscheidungsmechanismen, persönlichen Beweggründen und nicht zuletzt Stimmungen und Gefühlen, welche die Basis dieser semiautonomen Begegnungsform zwischen (Ost‐)Deutschen, Franzosen und Italienern bildeten. Trotz der gesteigerten Beliebtheit, derer
Galli, Storia del PCI, S. 298. APCI, Sez. Estero, Microfilm 567, Nota di Armando Cossutta 18. 9. 1984, hier S. 2. Schoch, Die internationale Politik, S. 404.
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sich das Thema seit einigen Jahren erfreut,³²⁸ gilt es nach wie vor, die besonderen Merkmale der Städtepartnerschaften kritisch zu beleuchten und sie im Rahmen anderweitiger soziokultureller und transnationaler Beziehungen zu analysieren. Denn ihre Geschichte vermag aufschlussreiche Einblicke in den gesellschaftlichen Diskurs hinsichtlich lockerer reglementierter Verbindungen über den „Eisernen Vorhang“ hinweg zu eröffnen bzw. über deren Stabilität vor und nach dem Zusammenbruch des real-existierenden Sozialismus.³²⁹
11.1 DDR-Frankreich Die ersten Kontakte zur Etablierung eines regelmäßigen und geregelten Austauschs auf der Ebene der Städtepartnerschaft datieren auf das Ende der fünfziger Jahre zurück.³³⁰ Die lokalen Vertretungen des PCF unterhielten mannigfaltige Beziehungen zur DDR, die ihren Ausgang 1947 von der Wiederbelebung des während des Krieges ruhenden gesamtfranzösischen Bürgermeisterverbands (Association des Maires de France, AMF) nahmen. So entstanden mehrere Initiativen, die schließlich zur Gründung zweier gewichtiger supranationaler Vereine führten: dem Rat der europäischen Städte (Conseil des Communes d’Europe, CCE) und des Monde Bilingue. Letzterer, durch Jean-Marie Bressand, eine bedeutende Persönlichkeit der französischen Résistance, geleitet, förderte eine konsequente bilinguale Erziehung und Bildung sowie die Intensivierung internationaler Beziehungen auf der Basis von Städtepartnerschaften. Unter diesen Voraussetzungen und ungeachtet aller feindlichen, antikommunistischen Pro-
Mehrere Studien zu den deutsch-französischen Gesellschaftsbeziehungen haben den hohen politischen Wert dieser nach 1945 eingeführten Form der transnationalen Begegnung für die bilaterale Annäherung in der Nachkriegszeit dargestellt, trug sie doch entscheidend dazu bei, das deutsch-französische Verhältnis auf eine neue emotionale und soziokulturelle Grundlage zu stellen und in die internationale Kooperation ein weitere Beziehungsebene einzuflechten, die nicht mehr dem in der Regel vom Staat reklamierten Monopol der Außenpolitik unterlag. Siehe u. a. Lucie Filipová, Erfüllte Hoffnung. Städtepartnerschaften als Instrument der deutsch-französischen Aussöhnung 1950 – 2000, Göttingen 2015. Vgl. Hans Manfred Bock, Europa von unten? Zu den Ursprüngen und Anfängen der deutschfranzösischen Gemeindepartnerschaften, in: Annette Jünemann / Emanuel Richter / Hartmut Ullrich (Hg.), Gemeindepartnerschaften im Umbruch Europas, Frankfurt a. M. 1994, S. 13 – 35; Corine Defrance, Les premiers jumelages franco-allemands, 1950 – 1963, in: Lendemains 21 (1996) 84, S. 83 – 95; Corine Defrance, Les jumelages franco-allemands: aspect d’une coopération Transnationale, in: Vingtième Siècle 99 (2008), S. 189 – 201. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 382– 383.
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paganda entstand 1957 die Weltföderation der Partnerstädte,³³¹ deren Ratifizierung maßgeblich aufgrund der Bemühungen von Bressand selbst und der SFIO (Section Française de l’Internationale Ouvrière) ermöglicht wurde. Der PCF blickte auf eine lange und einflussreiche Tradition im Großaum Paris zurück und stellte dort mehrere Bürgermeister, vor allem in der Region Seine-Saint-Denis. Diese knüpften seit den späten fünfziger Jahren, meistens im Rahmen der vom PCF selbst gegründeten Association France-RDA (ehemals Échanges Franco-Allemands),³³² Kontakte zu ostdeutschen Städten, woraus mehrfach offizielle Partnerschaften hervorgingen. Im Statut der Association nahm der ursprünglich kulturelle Charakter der partnerschaftlichen Beziehungen einen zentralen Stellenwert ein.³³³ Historische Entwicklungen veranlassten dennoch die Leiter des Vereins oft dazu, offen Stellung zu beziehen und die verstreuten Ortsvereine auf die eigene politische Linie einzuschwören. Die Präsidenten der Association, darunter Jean-Pierre Bloch, Raymond Bossus, Jacques Chatagner und Marcel Manesse, gaben in einem Schreiben an die Lokalverbände vom September 1968 als Hauptziel die Anerkennung der DDR aus – trotz der Prager Unruhen.³³⁴ Denn, so hieß es weiter, diese Frage sei unabhängig von der Politik der SED. Man könne zwar die Intervention in Prag weit von sich weisen, dennoch gleichzeitig auf die Anerkennung des ostdeutschen Staates bzw. auf die Normalisierung der Beziehungen zwischen Frankreich und der DDR hinarbeiten.³³⁵ Diese Maxime erwies sich bald als richtungsweisend für die französischen Kommunisten. Ab den frühen siebziger Jahren verstärkte der PCF seinen Einfluss auf den Verein, u. a. durch die Ernennung von Jean-Pierre Brard, PCF-Mitglied und zu jener Zeit stellvertretender Bürgermeister von Montreuil, zu dessen Sekretär in der Region Seine-Saint-Denis.³³⁶ Die durch den Verein translokal hergestellten Beziehungen zu ostdeutschen Städten zeichneten sich gleichwohl durch ihren zivilgesellschaftlichen Charakter aus und konnten selbst in Phasen aufrechterhalten werden, in denen das Verhältnis zwischen SED und PCF auf höchster Ebene beschädigt war. So waren im Großraum Paris u. a. die Stadt Bobigny mit
Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 383. Hierzu Gilbert Badia, L’association France-RDA, in: Pfeil (Hg.), La RDA et l’Occident, S. 453 – 464. Badia, L’association France-RDA, in: Pfeil (Hg.), La RDA et l’Occident, S. 453. APCF, Association France-RDA, 38 J 2, Échanges Franco Allemands, Pour information aux comités, Paris 6.9.1968. APCF, Association France-RDA, 38 J 2, Échanges Franco Allemands, Pour information aux comités, S. 2. APCF, Association France-RDA, 38 J 4.
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Potsdam, Montreuil mit Cottbus, Aubervilliers mit Rudolstadt, Bagnolet mit Oranienburg und Paris selbst mit Ost-Berlin partnerschaftlich verbunden.³³⁷ Ein Dorn im Auge war den französischen Verantwortlichen allerdings die Einseitigkeit der Delegationen: Ostdeutsche Abordnungen reisten nur selten nach Frankreich. Dies wurde aber nie ein Grund für die Einstellung oder Aufhebung der Verbindungen. Zu ihrer Rechtfertigung nannten die deutschen Partner systematisch den Umstand, dass die französische Regierung keine ausreichende Garantie für die Anerkennung der ostdeutschen Staatsbürgerschaft gewährt habe. Die Behauptung der DDR, dass man sich (völker‐)rechtlich in einer prekären Lage befände, die dringend bestimmender konsularer Abkommen bedürfe, zog sich wie ein roter Faden durch den gesamten späten Kalten Krieg, von den späten sechziger bis in die achtziger Jahre.³³⁸ So scheint es berechtigt, der Frage nachzugehen, worin genau die Beziehungen zwischen den französischen, durch den PCF regierten Städten und der „real sozialistischen“ DDR tatsächlich bestanden und warum bzw. inwiefern sie eine Ausnahme im generellen Verhältnis zwischen beiden kommunistischen Parteien darstellten. Vorab ist die Tatsache bemerkenswert, dass nicht nur Parteimitglieder an den Partnerschaften beteiligt waren bzw. dass die regionalen und lokalen Parteileitungen die partnerschaftlichen Aktivitäten nur sporadisch ausführlichen Kontrollen unterzogen.³³⁹ Die translokale Dimension der dabei unterhaltenen Beziehungen ermöglichte es den jeweiligen Akteuren, den soziokulturellen wie transgesellschaftlichen³⁴⁰ Schwerpunkt der Partnerschaften auch mitten im Kalten Krieg zu pflegen und zu stärken.³⁴¹ Bis zu Beginn der siebziger Jahre konnten Delegationsreisen, wie erwähnt, nur in eine Richtung erfolgen, nämlich aus dem jeweiligen westeuropäischen
Vgl. Pfeil, Die „anderen“ Deutsch-französischen Beziehungen, S. 383. Hierzu vgl. exemplarisch APCF, Association France-RDA, 38 J 4, 9 Congrès de l’association France-RDA, Departement Seine-Saint-Denis, 13 – 14.10.1984 Dugny, S. 3. Anlässlich dieser Tagung verwies die deutsche Delegation (darunter Werner Franke und Harald Hauser) auf die „unvorteilhafte“ rechtliche Lage ostdeutscher Bürger in Frankreich, die sich auch nach der diplomatischen Anerkennung der DDR kaum verändert habe. Interview des Autors mit Jean-Pierre Brard, am 15. 3. 2013 in Montreuil. Hühn, Transkulturalität, hier S. 26 – 39. Mit den Worten Léons: „Die Bindung des roten Gürtels von Paris, wo die Macht des PCF noch bis Ende der siebziger Jahre ungebrochen war, an die DDR war also wesentlicher enger als an die Bundesrepublik, der man gleichbleibend distanziert und mit Vorbehalten begegnete.Während die westdeutsch-französischen Städtepartnerschaften die wohlwollende Unterstützung beider Regierungen hatten, verliefen die ostdeutsch-französischen Beziehungen in der Voranerkennungsphase asymmetrisch von der SED-Hierarchie zur kommunistischen Basis.“ In: Léon, Zwischen Paris und Moskau, hier S. 242.
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Land in die DDR. Dies änderte sich rasch nach der offiziellen Anerkennung des ostdeutschen Staates Anfang der siebziger Jahre. Nichtsdestoweniger hielt sich die Frequenz der Besuche von DDR-Vertretern im Gastland im Vergleich zu jenen der Franzosen in Ostdeutschland auch nach dem Grundlagenvertrag eindeutig in Grenzen. Die Angaben zur Anzahl der existierenden Städtepartnerschaften variierten zudem stark und hingen vornehmlich von propagandistischen Zielen ab.³⁴² Während der sechziger Jahre intensivierten sich zwar die Beziehungen im städtepartnerschaftlichen Bereich; die entsprechenden Zahlen auf ostdeutscher, italienischer und französischer Seite differierten jedoch untereinander: Nach Angaben der DDR-Nachrichtenagentur ADN existierten 1962 50 Städteverbindungen auf der Basis von ‚Freundschaftsverträgen‘, so dass sich die Anzahl gegenüber 1961 (23) mehr als verdoppelt hatte. Eine weitere Verdoppelung soll sich nach einer internen Aufstellung der SED im Jahr 1963 vollzogen haben, die 25 offizielle und 69 inoffizielle Städtepartnerschaften nannte. Die Deufra bezifferte die Zahl der EFA-Komitees und Städteparterschaften für 1962 auf 50, für das folgende Jahr auf ca. 100. […]. Der offizielle Charakter der Beziehungen zwischen den beiden Ländern änderte hingegen nichts an den widersprüchlichen Zahlenangaben. Ostdeutschen Zählungen zufolge bestanden 1973 150 Partnerschaften; zwei Jahre später sollen es nach internen SED-Angaben 196 gewesen sein, während nach den offiziellen Statistiken der FMVJ von 1986 129 Städtepartnerschaften zwischen Städten und Gemeinden in Frankreich und in der DDR existierten.³⁴³
Hinzu kam die problematische Zählung von sogenannten inoffiziellen Partnerschaften, d. h. von Verbindungen, die von der lokalen Präfektur zwar geduldet wurden, de facto aber nicht genehmigt worden waren. In der Regel waren Bürgermeister, die eine Partnerschaft mit einer ostdeutschen Stadt aufnehmen wollten, angehalten, die zuständige Polizeistelle über ihre Absicht zu informieren. Der Präfekt übersandte daraufhin den entsprechenden Antrag an das Innenministerium. Letzteres konnte sich mit den Antragstellern in Verbindung setzen, um potentielle Vor- und Nachteile des Vorhabens zu besprechen. Verbindlich war für die Städte und Gemeinden eine Ablehnung des Innenministeriums aber nicht; Städtepartnerschaften, die ohne dessen Zuspruch zustandegekommen waren, galten dann allerdings als „inoffiziell.“³⁴⁴
Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 383. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 384. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 384– 385; ferner auch Badia, L’association France-RDA, S. 459 – 460.
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Fallstudien: die siebziger und achtziger Jahre Die lokalen Vertretungen der SED nutzten jede Gelegenheit zur Umsetzung der vom Parteivorstand diktierten politischen Ziele. Diese pragmatische Orientierung galt insbesondere für die internationalen Verbindungen und war in den sechziger und ausgehenden siebziger Jahren buchstäblich richtungweisend, konzentrierte die ostdeutsche Staatspartei ihre diplomatischen Bemühungen doch damals fast ausschließlich auf das Hauptziel der internationalen Anerkennung der DDR. Nach dem erfolgreichen Abschluss des Grundlagenvertrags 1972 verlagerte sich der Schwerpunkt der SED-Außenpolitik auffallend, wodurch sich auch die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für die politisch-propagandistische Arbeit auf transregionaler und -lokaler Ebene änderten. Den ostdeutschen Kommunisten eröffneten sich partiell neue Spielräume, die sich allein daraus ergaben, dass die einstweilige Stabilisierung der deutsch-deutschen Beziehungen nach der Unterzeichung des genannten Vertrags auch der Sowjetunion zugutekam und ihr gleichsam die Möglichkeit verschaffte, sich vielen anderen Problemen des Weltkommunismus zuzuwenden. Diese fragmentarische, eher unbeständige „Freiheit“ machte sich in den Beziehungen auf translokaler Ebene besonders bemerkbar, denn dort waren Persönlichkeiten engagiert, die in der Regel nur wenige politische Aufgaben erfüllen mussten, nicht unter ständiger Kontrolle standen und mit ihren ausländischen Gesprächspartnern oft eine gemeinsame politische Kultur und Erfahrung teilten sowie ein freundschaftliches Verhältnis mit ihnen unterhielten.
Städtepartnerschaft Bobigny-Potsdam Von besonderem Interesse erscheint diese Städtepartnerschaft aus einer Reihe von Gründen. Zunächst einmal übte Potsdam wegen seiner geographischen Nähe zu Berlin und seiner Bedeutung als Bezirkshauptstadt eine übergeordnete symbolische und politische Funktion aus. Bobigny spielte als Pariser Vorort bzw. als kommunistische Hochburg mit Tradition eine analoge Rolle. Die Verbindung zwischen beiden Städten wurde bereits 1964 unter der Federführung von Georges Valbon, dem Bürgermeister von Bobigny und späteren PCF-Bezirkssekretär der Region Seine-Saint-Denis, und von SED-Bezirkssekretär Helmut Nitsche initiiert.³⁴⁵ In der ersten gemeinsamen Verlautbarung wiesen Archives Hôtel de Ville de Bobigny (fortan ABOB), W899, Jumelage Bobigny-GlashüttePotsdam, Arbeitsplan zwischen Bobigny und Glashütte für das Jahr 1967, 24.01.1967. Das Dokument trägt die Signatur von Georges Valbon, Bürgermeister von Bobigny, und Helmut Nitzsche, Bezirkssekretär von Potsdam. Die Aufnahme von partnerschaftlichen Beziehungen zwischen der französischen und der ostdeutschen Stadt war am Anfang im Rahmen eines trilateralen Ab-
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beide auf ihr gemeinsames Bemühen hin, alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen, um die amerikanischen „Gräueltaten“ in Vietnam aufzudecken und zu verurteilen sowie die tatenlose Komplizenschaft der französischen und westdeutschen Regierungen zu enthüllen.³⁴⁶ In späteren Unterredungen stimmten die beiden mehrfach darin überein, dass die Schlussakte von Helsinki als ein Verdienst des Ostblocks zu verstehen sei, denn die osteuropäischen Länder hätten sich bereits seit Dekaden für ein gemeinsames und verbindliches sicherheitspolitisches Regelwerk eingesetzt und seien damit ausschließlich an der ablehnenden Haltung der USA und ihrer Bundesgenossen gescheitert.³⁴⁷ Im Allgemeinen lässt sich festhalten, dass die an der Partnerschaft beteiligten Vertreter des PCF eine eher unnachgiebige Haltung an den Tag legten und Positionen vertraten, die sich von denjenigen des Parteivorstands durch ihre unverhohlen kämpferische, antikapitalistische und „antiimperialistische“ Härte abhoben. So wetterte Valbon in einem Brief vom Juni 1975 an Erich Lebscher, Präsident der Städtepartnerschaft und Bürgermeister von Glashütte, direkt gegen die französische Regierung. Diese sei damit beschäftigt, die von ihr und den „restlichen“ kapitalistischen Agenten selbst angezettelte Finanzkrise lediglich zum Nachteil der Arbeitnehmer, insbesondere der Fabrikarbeiter, zu lösen, indem allein eine forcierte, umfassende Sparpolitik als Gegenmittel angewendet werde. Dies sei eine höchst ungeeignete, unverantwortliche und nicht zuletzt „malthusianische“ Reaktion auf die schlechte Konjunktur, die im Umkehrschluss nur ein Ergebnis zeitige, nämlich die Verschärfung der Krise und der Spannung zwischen den Klassen.³⁴⁸ Nur wenige Monate zuvor hatte Valbon die DDR besucht und u. a. in Potsdam und Berlin Station gemacht. Er war mit mehreren SED-Politikern zu Gesprächen zusammengekommen, darunter mit Liebscher persönlich sowie mit Brunhilde Hanke, Mitglied des Staatsrats und Oberbürgermeisterin der Stadt Potsdam.³⁴⁹ Im Laufe der siebziger Jahre intensivierte sich die Zusammenarbeit zwischen Bobigny und Potsdam; mehrere Freundschaftsverträge wurden geschlossen, De-
kommens zwischen Bobigny, Postdam und Glashütte, einer kleinen Gemeinde in der Umgebung sächsischen Schweiz-Osterzgebirge, abgeschlossen worden. ABOB, W899, Jumelage Bobigny-Glashütte-Potsdam, Arbeitsplan zwischen Bobigny und Glashütte, S. 1. ABOB, W899, Jumelage Bobigny-Glashütte-Potsdam, 1974; 1975. „Le gouvernement français voudrait faire payer la crise aux travailleurs; pour cela il deploie une campagne demagogique tendant a faire croire que la crise est fatale, l’austerité salutaire […].“ Georges Valbon in: ABOB, W899, Jumelage Bobigny-Glashütte-Potsdam, Lettre à Eric Liebscher, 1975. ABOB, W899, Jumelage Bobigny-Glashütte-Potsdam, Lettre à Eric Liebscher, 1975.
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legationsreisen organisiert und durchgeführt sowie Erfahrungen in den Bereichen Ingenieurwesen, Kultur, Sport und Bildung ausgetauscht. Wie im Statut³⁵⁰ vereinbart und grundsätzlich von beiden Seiten respektiert, stand dabei das zivilgesellschaftliche Engagement im Mittelpunkt. Natürlich wurden die Verbindungen mitunter auch zur Erörterung von politischen Fragen genutzt, allerdings generierte diese Art des Austausches oft Mißverständnisse und führte zu Reibungen im partnerschaftlichen Verhältnis; zu einer offenen Konfrontation oder zu Blockaden kam es dennoch nie. Dies mag zum einen damit zusammenhängen, dass der PCF zu keiner Zeit – selbst nicht anlässlich einschneidender, besonders umstrittener internationaler Ereignisse wie etwa der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ 1968 oder des Einmarsches sowjetischer Truppen in Afghanistan 1979 – einen Bruch mit der KPdSU und somit mit den Ostblockstaaten vollzog. Zum anderen lässt sich dies auch darauf zurückführen, dass die Delegationen vorwiegend Inhalte erörterten, die sich um regionale und lokale „Konfliktbewältigungen“ sowie um die allgemeine Erhöhung des Lebensstandards der Zivilbevölkerung drehten. Politisch motiviert waren nicht wenige Aktionen der die Partnerschaft offiziell führenden Persönlichkeiten freilich schon, wie mehrere Beispiele belegen. Es kann auch kaum verwundern, dass manche Bittstellungen oder „Hilferufe“ zeitlich mit krisenhaften Zuständen oder Ereignissen zusammenfielen, so dass sie den gezielten Versuch einer Einflussnahme auf den Gesprächspartner erkennen lassen. Der NATO-Doppelbeschluss Ende der siebziger Jahre veranlasste beispielweise Oberbürgermeisterin Hanke zu folgender brieflicher Anfrage: Der gemeinsame Beschluß der Regierungen der UDSSR und der DDR nach Konsultationen mit den anderen Teilnehmern des Warschauer Paktes, die Stärke der sowjetischen Truppen in Mitteleuropa einseitig zu reduzieren und innerhalb der nächsten 12 Monate bis zu 20.000 sowjetische Militärangehörige sowie 1000 Panzer vom Territorium der DDR abzuziehen, beweist den ehrlichen Friedenswillen der sozialistischen Länder. […] Der Nationalrat wandte sich an die Bürger der DDR und rief sie auf, diesen (Friedens‐)Appell durch ihre Unterschrift zu bekräftigen […], über 13,1 Mill. Bürger unterzeichneten sie (Willenserklärung). Der Präsident des Nationalrates, Prof. Dr. Correns, übergab dem Generalsekretär der UNO, Dr. Kurt Waldheim, ein Begleitschreiben; am 7.12. übergab der Präsident des Nationalrates der DDR
ABOB, W10348, Jumelage Bobigny-Glashütte-Potsdam, Statut „Comité de jumelage“ ville de Bobigny, Article 9, Conseil d’administration: „Dem Komitee steht ein ‚conseil d’administration‘ vor, bestehend aus: 6 ordentlichen Mitgliedern, dem Bürgermeister der Stadt Bobigny und 5 weiteren Mitgliedern, durch den Bezirksrat gewählt; 1 Vertreter je pro lokalem Verband, der am Komitee teilnimmt; Persönlichkeiten durch die Vollversammlung gewählt, je für 3 Jahre. Die Mitglieder sind wieder wählbar. Der ‚conseil d’administration‘ wählt ein Büro, bestehend aus 3 Vize-Präsidenten, die für den Bürgermeister einspringen können.“
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diese Willenserklärung in Helsinki an den Präsidenten des Weltfriedensrates, Herrn Romesh Chandra […]. Darf ich Sie bitten, uns insbesondere über die Kampfaktionen zur Erhaltung des Friedens durch die Werktätigen Ihrer Stadt zu informieren?³⁵¹
Das Einvernehmen zwischen den beiden Verantwortlichen der Städtepartnerschaft übertraf in Form und Ausmaß bei weitem das zwar gute, oft jedoch durch Missverständnisse getrübte Verhältnis zwischen den Parteivorständen der SED und des PCF. Die dichte Korrespondenz zwischen Valbon und Hanke aus dem Jahr 1982, in der sich beide u. a. zur polnischen Krise und zu den sowjetischen Lösungsversuchen äußerten, stellt dies deutlich unter Beweis. Im Mai 1982 machte der Franzose die ostdeutsche Oberbürgermeisterin auf die Brisanz der polnischen Situation aufmerksam und wies darauf hin, dass der politische und pragmatische Umgang mit den polnischen „Revisionisten“ sich als richtungsweisend bzw. symbolisch relevant für die gesamteuropäische Linke erweisen könne. Daher müsse sich jeder Kommunist dafür einsetzen, dass „Aufklärungsarbeit“ geleistet werde.³⁵² Hanke hatte in einem Antwortbrief Bezug auf Ausführungen Valbons genommen und dabei unterstrichen, dass es besonders erfreulich sei, feststellen zu dürfen, dass zwischen dem PCF und der SED einhelliges Einvernehmen in praktisch allen wichtigsten politischen Belangen bestehe. Außerdem sicherte sie ihrem französischen Kollegen die unverminderte Unterstützung der SED im Kampf gegen den westeuropäischen Antikommunismus und die Sozialdemokratie zu.³⁵³ Jenseits der wechselseitigen Harmoniebekundungen der Führungsspitzen gestalteten sich die Beziehungen im Rahmen des vereinbarten Austauschs weniger zufriedenstellend. Die französischen Delegationen in der DDR – Reisen in die andere Richtung kamen, wie bereits angedeutet, nur selten zustande – waren von der Organisation und dem Ablauf ihres Aufenthalts oft enttäuscht. Sie klagten über mangelnde Gelegenheiten, sich ungestört und ausführlich mit ostdeutschen „Genossen“ unterhalten zu können, sowie über die Unzulänglichkeit der zur Verfügung gestellten Mittel, einschließlich des Taschengelds und des Informationsmaterials. Solche Probleme wurden in den achtziger Jahren bei der Aufnahme von Delegationen aus Frankreich besonders offensichtlich. 1982 berichteten die PCF-Mitglieder Pierre Noblet und Bernard Giacalone von ihrer Reise nach
ABOB,W6865, Jumelage Bobigny-Glashütte-Potsdam, Lettre Hanke à Valbon, Potsdam 10.12. 1979. ABOB, W6865, Jumelage Bobigny-Glashütte-Potsdam, Lettre Valbon à B. Hanke, Bobigny 6.05.1982. ABOB,W6865, Jumelage Bobigny-Glashütte-Potsdam, Lettre Hanke à Valbon, Potsdam 19.02. 1982.
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Berlin und Potsdam als Begleiter von zehn französischen Schülern. Die beiden beschwerten sich darüber, dass den Jugendlichen kaum Gelegenheit geboten wurde, mit ostdeutschen Gleichaltrigen zusammenzutreffen. Es mangele sowohl an einem gut durchdachten Konzept für die Tagesaktivitäten als auch an Essen und Spielmöglichkeiten. Die Umgangsformen der Ostdeutschen seien generell sehr kalt; die französischen Gäste würden beinahe vernachlässigt, gleichsam „nett“ abgegrenzt.³⁵⁴ Diese Kälte bekamen PCF-„Genossen“ und mitreisende französische Urlauber ebenfalls später im Jahr 1988 zu spüren, als sich eine Gruppe von Delegierten aus Bobigny in Trassenheide an der Ostsee und in Potsdam aufhielt. Auch dort klagte man über die zu spärlichen Kontakte mit „Genossen“ aus Potsdam und darüber, dass alle zur Verfügung gestellten Ressourcen für Essen ausgegeben wurden. Mit dem allmählichen Zerfall der DDR Ende der achtziger Jahre erlebten die bilateralen Verbindungen zwar einen Rückschlag und wurden entsprechend zurückgefahren; eingestellt wurden sie aber nie. Es kam jedoch offenbar zu einer gewissen Ratlosigkeit, die sich französischen DDR-Freunden, welche den im Zusammenbruch begriffenen Staat besuchten, aufdrängte: Die Leiter des Büros für internationale Zusammenarbeit der Stadt Bobigny hielten es für nötig, eine ausführliche Broschüre herauszugeben, in der alle „zulässigen“ Fragen aufgelistet waren, die während eines Besuchs in der DDR überhaupt gestellt werden durften.³⁵⁵
Städtepartnerschaft Halle-Grenoble Der sowjetische Einmarsch in Afghanistan 1979 wurde vom PCF-Vorstand zwar geduldet, löste jedoch nachhaltige innerparteiliche Debatten und Kontroversen im Regierungsbündnis aus, die sich auch auf die bilateralen Beziehungen auf lokaler Ebene auswirkten. Die allgemeine Skepsis bezüglich der Außenpolitik des Ostblocks, allen voran der KPdSU, veranlasste französische Politiker zu einer erhöhten Wachsamkeit, die insbesondere im Umgang mit ostdeutschen „Genossen“ mehrfach zum Vorschein kam.
ABOB, W10346, Jumelage Bobigny-Glashütte-Potsdam, Delegation de Bobigny à Berlin et Potsdam, 5 – 23.07.1982. ABOB, W10350, Jumelage Bobigny-Glashütte-Potsdam, Delegation 26.10 – 1. 11. 1989 à Berlin, hier S. 1. Im Einvernehmen mit dem PCF und dem letzten DDR-Oberbürgermeister der Stadt Potsdam, Herrn Manfred Bille, arbeitete das Büro für internationale Zusammenarbeit der französischen Stadt unter seiner Leiterin Annie Hercberg ein „Regelwerk“ aus, an welches französische Besucher der DDR sich halten sollten.
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Im Herbst 1981 hielt sich eine Delegation des Rates der Stadt Halle in der französischen Partnerstadt Grenoble auf. Zu den hierbei erörterten Hauptinhalten zählten Vorschläge zur weiteren Entspannungspolitik in Europa, der Beitrag der DDR zu dieser Entwicklung bzw. zur propagandistischen Aufdeckung der „nuklearen Rüstungspolitik der NATO“ sowie die Darstellung des ostdeutschen „Sozialismus“ in Frankreich.³⁵⁶ Der Bürgermeister von Grenoble, der Sozialist Hubert Dubedout, gab zu bedenken, dass die „Erweiterung politischer Beziehungen zwischen beiden Staaten […] abhängig von der Entwicklung der Beziehungen zwischen Ost und West und vom Verhalten der Sowjetunion […]“ sei.³⁵⁷ Auch kritisierte er das Vorhaben der UdSSR, ihre Raketensysteme zu modernisieren, vehement als „eine einseitige Störung des militärischen Gleichgewichts“³⁵⁸ durch die östliche Supermacht. Er betrachte letztlich dieses aggressive Gebaren als entscheidend für die Intervention in Afghanistan. Am Rande des Gespräches gab er seinem ostdeutschen Kollegen, dem Bürgermeister der Stadt Halle Hans Pflüger, zu verstehen, dass man der vonseiten der DDR gewünschten Intensivierung der städtepartnerschaftlichen Verbindung nur dann nachkommen könne, wenn die Einseitigkeit in der Entsendung von Delegationen endgültig überwunden würde. Andernfalls, betonte er, verlören die Verbindungen zwischen beiden Städten und im Allgemeinen zwischen Frankreich und der DDR auf lokaler Ebene ihren Sinn: „Es könnte dann auf sie verzichtet werden.“³⁵⁹ Der Bürgermeister von Saint-Martin-d’Hères³⁶⁰, einem Vorort von Grenoble, der partnerschaftlich mit dem thüringischen Zella-Mehlis verbunden war, brachte derweil seine systemische Kritik zum Ausdruck: Seiner Auffassung nach werden die Städtebeziehungen stark beeinträchtigt und eingeengt und kommen als solche nicht zur weiteren Entfaltung. Mit einer solchen ‚Unterordnung‘ der Partnerschaften unter die Arbeit der Gesellschaft sei er nicht länger einverstanden. Er forderte ihre relative Selbstständigkeit und einen stärkeren unmittelbaren Kontakt von Stadt zu Stadt (St. Martin unterhält Beziehungen zu Zella-Mehlis). Seine Auffassung wurde von an-
SAPMO-BArch, Handel, Versorgung und Außenhandel, DY/13/2914, (HALLE-GRENOBLE) Bericht über Aufenthalt einer Delegation des Rates der Stadt Halle in der französischen Partnerstadt Grenoble vom 15.-25. 10. 1981. SAPMO-BArch, Handel, Versorgung und Außenhandel, DY/13/2914, (HALLE-GRENOBLE) Bericht über Aufenthalt, S. 1. SAPMO-BArch, Handel, Versorgung und Außenhandel, DY/13/2914, (HALLE-GRENOBLE) Bericht über Aufenthalt, S. 1. SAPMO-BArch, Handel, Versorgung und Außenhandel, DY/13/2914, (HALLE-GRENOBLE) Bericht über Aufenthalt, S. 2. Dessen Name im Dokument nicht genannt wird – es handelte sich wohl um Joseph Blanchon.
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deren französischen Bürgermeistern unterstüzt, die die Wirksamkeit der Städtepartneschaften unter dem Gesichstpunkt der Priorität der Gesellschaft in Zweifel stellten.³⁶¹
Die Unzufriedenheit der französischen Bürgermeister wurde auf höchster parteipolitischer Ebene jedoch offensichtlich nicht thematisiert. Die Führungen des PCF und der SED maßen den städtepartnerschaftlichen Verbindungen keine übermäßige Bedeutung zu, entzogen sich diese doch bis zum Fall der Mauer der Dynamik nationaler und internationaler Politik. Auf französischer Seite überwog bis 1989 eher der kulturelle Charakter und das pure Interesse am zivilgesellschaftlichen Austausch; auf ostdeutscher Seite wurden die Städtepartnerschaften seit Ende der siebziger Jahre in verstärktem Maße zum Problem. Die rapide Verschärfung der wirtschaftlichen und politischen Krise im Lande veranlasste die Verantwortlichen zu besonderer Wachsamkeit: Sie wollten verhindern, dass sowohl das vorab propagierte, weitestgehend negative Bild des „kapitalistischen“ Frankreich als auch das Bild der DDR als angeblich fortschrittlicher und demokratischer „real sozialistische[r]“ Staat durch eigenständige Beobachtungen der Delegationen getrübt oder korrigiert werden konnten.³⁶² Die Rahmengebung solcher Partnerschaften war in den jeweiligen Statuten verankert, welche mehr oder weniger frei von den Stadträten festgelegt werden konnten. Dabei spielten zweifelsohne auch auf französischer Seite konkrete Interessen eine entscheidende Rolle, welche sich in den vereinbarten Schwerpunkten niederschlugen. So trugen die im Rahmen der organisierten Verbindungen erfolgten Delegationsreisen durchaus zu Vermittlung und Transfer von spezifischem Fachwissen bei, beispielsweise in der Bau-, Elektrotechnik- oder Tourismusbranche sowie im Schulwesen. Dass dabei oft auch „zwischenmenschlicher“ Kontakt hergestellt werden konnte, beweist die beachtliche Anzahl von Eheschließungen zwischen französischen und ostdeutschen Bürgern.³⁶³
SAPMO-BArch, Handel, Versorgung und Außenhandel, DY/13/2914, (HALLE-GRENOBLE) Bericht über Aufenthalt, S. 5. Vgl. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 392– 393. Solche Einsichten verdankt der Autor u. a. den Gesprächen mit dem PCF-„Genossen“ JeanPierre Brard, der seit 1971 als stellvertretender und 1984 bis 2008 als Bürgermeister der Stadt Montreuil tätig war und der in den siebziger Jahren seine ostdeutsche Frau während eines Aufenthalts in Rostock kennenlernte.
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Städtepartnerschaft Frankfurt (Oder) – Départements Seine-et-Marne und Val-de-Marne (Region Paris) Im Herbst 1981 besuchte eine Abordnung des Rates des Bezirks Frankfurt (Oder) unter der Leitung des Vorsitzenden, Siegfried Sommer, die Regionen Seine-etMarne und Val-de-Marne in Frankreich.³⁶⁴ Der Besuch erfolgte auf eine Einladung der beiden Generalräte der genannten französischen Regionen, ausgesprochen durch ihre jeweiligen Präsidenten, den Sozialisten Jacques Roynette und den PCF„Genossen“ Michel Germa. Die Gespräche bezogen sowohl Aspekte der Außenpolitik beider Länder ein als auch die Organisation der bilateralen Austauschprogramme und gaben Anlass zu offenen Konflikten. Außenpolitisch lenkten die ostdeutschen Teilnehmer das Augenmerk auf die „afghanische Frage“ sowie auf den NATO-Doppelbeschluss. Die Franzosen verwahrten sich gegen jegliche Einmischung von außen und beschränkten sich auf die knappe Aussage, dass „sich dieses Problem für Frankreich nicht stellt und diese Entscheidung Sache der einzelnen Regierungen und Völker sei […].“³⁶⁵ Im Hinblick auf die bilateralen Verbindungen bzw. auf bestehende Abkommen im Rahmen der Städtepartnerschaften überzogen die Franzosen ihre ostdeutschen Gäste mit harscher Kritik und verliehen ihrer Enttäuschung unverhohlen Ausdruck. Auf Seiten der beiden Gastgebergemeinden, deren Ratspräsidenten zu diesem Zeitpunkt Vertreter der Regierungskoalition waren, offenbarte sich ein vorab abgesprochenes Einvernehmen. Sie erklärten sich mit den Vorschlägen der ausländischen Kollegen, die Formen der Zusammenarbeit zu intensivieren, grundsätzlich einverstanden, wiesen jedoch darauf hin, dass damit auch Möglichkeiten für die Bürger beider Seiten erschlossen und gewährleistet werden müssten, sich zu informieren. Außerdem müsse der Austausch von Kulturund Sportdelegationen sichergestellt werden.³⁶⁶ Insbesondere die schon mehrmals beanstandete Praxis, dass fast ausschließlich Delegationen aus Frankreich in die DDR reisten und nicht umgekehrt, gab Anlass zu weiterer Kritik. Das Problem betraf vor allem kleinere Gemeinden, die im Vergleich zu größeren Städten über geringere Ressourcen verfügten und durch die „Einseitigkeit“ der Reisen erheblich belastet wurden. So sprach sich der Bürgermeister der Kleinstadt La
SAPMO-BArch, Handel, Versorgung und Außenhandel, DY/13/2914, Frankfurt (Oder)-Departements Seine-et-Marne und Val-de-Marne (Pariser Region), 29.9 – 7.10.1981. SAPMO-BArch, Handel, Versorgung und Außenhandel, DY/13/2914, Frankfurt (Oder)-Departements Seine-et-Marne und Val-de-Marne, S. 4. SAPMO-BArch, Handel, Versorgung und Außenhandel, DY/13/2914, Frankfurt (Oder)-Departements Seine-et-Marne und Val-de-Marne, S. 3.
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Queue-en-Brie, Claude Roméo (PCF), dafür aus, dass Überlegungen notwendig seien, „wie Partnerschaften echt ausgestaltet werden können.“³⁶⁷
Städtepartnerschaft Montreuil-Cottbus Die Stadt Montreuil war bereits im Jahr 1959 eine Partnerschaft mit Cottbus eingegangen.³⁶⁸ Auch in diesem Fall war die ursprüngliche Kontaktaufnahme mit der ostdeutschen Stadt durch die Mittlertätigkeit der CGT bzw. des Mouvement des Jeunes Communistes (MJC) und des PCF zustandegekommen – Organisationen, die direkte Beziehungen zu ihren entsprechenden Gegenparts, dem FDGB und der SED, pflegten. Ein Jahr zuvor, 1958, war bereits auf Initiative des PCF die Association des Échanges Franco-Allemands ins Leben gerufen worden. Die Städtepartnerschaft zwischen Argenteuil und Dessau war die erste ihresgleichen zwischen Frankreich und der DDR; im Jahr 1959 folgten ihr etwa 20 weitere.³⁶⁹ André Grégoire, Montreuils Bürgermeister, PCF-Mitglied und RésistanceKämpfer, erklärte die Notwendigkeit einer Städtepartnerschaft aus der Überzeugung heraus, dass dies „die sozialen Existenzbedingungen beider Bevölkerungen verbessern würde.“³⁷⁰ Während des Zweiten Weltkrieges in einem Lager in Sachsen gefangen gehalten und seit 1958 Bürgermeister der Stadt, unterhielt Grégoire persönlich freundschaftliche Beziehungen zu deutschen Untergrundkämpfern aus der Region, die schließlich für die Wahl der brandenburgischen Stadt Cottbus den Ausschlag gaben.³⁷¹ Anfang Oktober 1959 weilte eine von Grégoire geleitete Abordnung der Stadt Montreuil in der DDR. Sie wurde durch den Bürgermeister der Stadt Cottbus Heinz Kluge empfangen und unterbreitete dem dortigen Stadtrat ein Protokoll zur Durchsicht. Die Vorlage benannte das Hauptziel der Partnerschaft, nämlich das Streben nach Frieden unter den Völkern, und wurde einen Monat später einvernehmlich unterzeichnet.³⁷² 1966 folgte die Gründung eines ständigen Partnerschaftskomitees, das sich, vom Stadtrat gewählt, aus 25 Mitgliedern und einem
SAPMO-BArch, Handel, Versorgung und Außenhandel, DY/13/2914, Frankfurt (Oder)-Departements Seine-et-Marne und Val-de-Marne, S. 6. Vgl. Regina Gerber, Die Städtepartnerschaft Montreuil-Cottbus, in: Dorothee Röseberg (Hg.), Frankreich und „das andere Deutschland“: Analysen und Zeitzeugnisse, Tübingen 1999, S. 401– 422. Vgl. Léon, Zwischen Paris und Moskau. Archives de la Mairie de Montreuil (fortan AMM), Intervention du 30. 9. 1959: „[…] pour faciliter l’amelioration des conditions sociales d’existence des populations.“, S. 9. AMM, Intervention du 30. 9. 1959, S. 9. AMM, Voeu du conseil municipal, 23.11.1959.
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Präsidenten, in der Regel der Bürgermeister persönlich, zusammensetzte.³⁷³ Die Schwerpunkte der Zusammenarbeit waren im Statut des Komitees verankert; insgesamt vier finden dort Erwähnung: 1) Enseignement, art et culture; 2) Activités économiques-professionelles-syndicales; 3) Jeunesse et Sport; 4) Tourisme et information. ³⁷⁴ Selbst unter den denkbar ungünstigen Rahmenbedingungen des Kalten Krieges, der die offiziellen Beziehungen zwischen PCF und SED ab Mitte der siebziger Jahre erheblich belastete, wurde die Zusammenarbeit mit dem Ziel der Verständigung unter den Völkern und der Förderung des Weltfriedens, die sich Montreuil und Cottbus auf die Fahne geschrieben hatten, mit hohem Engagement ausgebaut. So fand im Bericht des Partnerschaftskomitees beispielsweise das Jahr 1968, das auf Ebene der Parteibeziehungen, wie gesehen, durch eine eindeutig negative Bilanz gekennzeichent war, wie folgt Erwähnung: „L’année 1968 a marqué le renforcement des liens unissant les deux villes souers Montreuil et Cottbus (R.D.A), toutes deux adhérents à la Fédération des Villes Jumelées“.³⁷⁵ Im selben Jahr reisten acht Delegationen aus Montreuil in die DDR – ein Rekordhoch – darunter u. a. eine Frauendelegation, eine Delegation aus Ärzten und eine aus Sportlern. Auch der meist einseitige Austausch bzw. das vorwiegende Aussenden von französischen Delegationen in die DDR, das sich während der siebziger Jahre fortsetzte, konnte der Zusammenarbeit nichts anhaben. Bis zum Fall der Mauer entwickelte sich die Partnerschaft mit Cottbus trotz aller ideologischen Differenzen mit den Ost-Berliner Lenkern zu einem der Eckpfeiler des translokalen Engagements der Stadt Montreuil. Zwischen 1968 und 1989/90 fanden zahlreiche Sprachaustausche auf Schulebene, mehrere informative Ausstellungen zum jeweils anderen Land³⁷⁶ sowie jährlich ein Lehrersymposium statt, anlässlich dessen in der Regel fünf bis zehn Pädagogen aus Frankreich in die DDR reisten.
AMM, Article 2 des statuts du Comité de jumelage, approuvés le 30. 12. 1966. AMM, Article 2 des statuts du Comité de jumelage, approuvés le 30. 12. 1966. AMM, Comité de jumelage Montreuil-Cottbus, Compte-rendu d’activité 1968 – 69. Die wohl bedeutendste war die Ausstellung anlässlich des 30. Jahrestags der DDR La R.D.A. à trente ans, vom 3. bis 17.11.1979 in Montreuil, die von rund 20.000 Menschen besucht wurde. Die deutsche Delegation, von Bürgermeister Ehrard Müller geleitet, war auch zugegen. Hierzu AMM, Éxposition „La R.D.A. à trente ans“, 10.12.1979. Im Bulletin de Montreuil, Nr. 59, Okt-Nov. 1979, war diesbezüglich zu lesen: „Une politique française soucieuse de cet intérêt national s’imposerait de saisir les possibilités qu’offrent l’existence, le développement de la RDA, la volonté de coopération maintes fois exprimée par ses dirigeants. Par exemple, alors que la RFA occupe la place que l’on sait dans les échanges entre pays capitalistes, des possibilités considérables existent, dans l’intérêt de la RDA comme de la France, d’élever et de diversifier les rapports entre nos deux états […].“ Vgl. hier S. 15 – 16.
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Auch die internationalen Krisen in Afghanistan und Polen zwischen Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre konnten dem zivilgesellschaftlichen Engagement beider Städte keinen Abbruch tun. Im gemeinsam verfassten Bericht über die Jahre 1980/81 wurde euphorisch auf eine besonders fruchtbare Zusammenarbeit verwiesen und „mit Genugtuung“ darauf aufmerksam gemacht, dass „der Delegationsaustausch […] zur Festigung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Bewohnern unserer Städte beigetragen hat.“³⁷⁷ Zum letzten Mal hielt sich eine Delegation aus Montreuil Mitte Oktober 1989 in der DDR auf. Einvernehmlich wurde mit dem dortigen Stadtrat beschlossen, auf eine Fortsetzung und Intensivierung der bilateralen Verbindungen hinzuarbeiten. Dieser Wunsch sowie die inhaltliche Grundausrichtung der Partnerschaft fanden Bestätigung in einer erneuten Vereinbarung nach dem Fall der Mauer und der „Wende“ 1990.³⁷⁸
Städtepartnerschaft Aubervilliers-Rudolstadt Die Stadt Aubervilliers, ein nördlicher Vorort von Paris, blickte auf eine langjährige kommunistische Tradition zurück. Der PCF konnte dort seit Ende des Zweiten Weltkrieges bis 2008 ununterbrochen den Bürgermeister stellen. Eine prominente Persönlichkeit unter den Amtsinhabern war Jack Ralite (1984 bis 2003), der zuvor Minister für Gesundheit (1981 bis 1984) in der Regierung Mitterrand gewesen war. Aubervilliers trat im Jahr 1960, unter der Federführung des kommunistischen Bürgermeisters André Karman, der Weltföderation der Städtepartnerschaften bei.³⁷⁹ Ein Jahr später ging der Stadtrat Aubervilliers eine Partnerschaft mit der kleinen Gemeinde Rudolstadt bei Weimar ein.³⁸⁰ Die offiziellen Verbindungen wurden 1969, ein Jahr nach dem „Prager Frühling“, abgebrochen, obgleich die PCF-Führung bekanntlich eine konziliante Haltung gegenüber der KPdSU und dem Ostblock demonstriert hatte. Jack Ralite, seit 1959 Mitglied im Stadtrat, erinnert sich:
AMM, Protokoll zwischen den Städten Montreuil und Cottbus für 1980 – 1981, signiert von den jeweiligen Bürgermeistern, Marcel Dufriche und Ehrard Müller. Vgl. Philippe Hivert, Montreuil-sous-Bois. Des jumelages aux coopérations décentralisées, Montreuil 2007, S. 33. Archives de la mairie de Aubervilliers (fortan AUB), Jumelage Aubervilliers-Rudolstadt, 14Z1, Adhésion à la fédération des villes jumelées, 1960. Vgl. AUB, Jumelage Aubervilliers-Rudolstadt, 14Z1, Déclaration d’intention AubervilliersRudolstadt, 28.6.1966.
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Par ailleurs, j’étais maire d’Aubervilliers et nous étions jumelés depuis 1961 avec Rudolstadt, une petite ville d’Allemagne de l’Est près de Weimar. Tous les ans, j’allais passer huit jours làbas en délégation – j’aime l’Allemagne et je l’ai toujours aimée, même pendant la guerre. Nous avons rompu le jumelage en 1969, après le Printemps de Prague. C’était le 20e anniversaire de la RDA, 500 habitants d’Aubervilliers avaient fait le voyage, en revanche, pas un seul de Rudolstadt n’était venu. Cela leur était interdit! Il n’est d’ailleurs jamais venu en France aucun Allemand de la ville avec laquelle nous étions jumelés […].³⁸¹
Sofern es jemals zu einem solch abrupten Abbruch bestehender Verbindungen zu ostdeutschen Städten kam, was nur selten der Fall war, dann meistens infolge gegensätzlicher Ansichten bezüglich der Niederschlagung des „Prager Frühlings“.³⁸²
Aubervilliers als Hochburg von Reformern und Kritikern des PCF-Vorstands? Der XXIV. Parteitag des PCF im Februar 1982 in Saint-Ouen hatte eine Kehrtwende im Dezentralisierungsprozess eingeläutet. Nach den Wahlniederlagen der Jahre 1980 und 1981 hatten Marchais und seine Mitarbeiter den Beschluss gefasst, den traditionellen „demokratischen Zentralismus“ neu zu beleben. Davon versprachen sie sich ein geschlosseneres Auftreten und einen breiteren Rückhalt der Basis bei innerparteilichen Entscheidungsprozessen bei gleichzeitiger Beibehaltung einer „dezentralisierten“ Flexibilität. Wie bereits angedeutet, sollte sich dieses Bemühen des Vorstands in den folgenden Jahren zwar als wirkungslos erweisen; die Vorschläge zur Überwindung der Krise wurden jedoch von der Parteibasis, und dies insbesondere in Aubervilliers, mit großer Aufmerksamkeit verfolgt und debattiert. In der Tat hatte bereits der XIX. Parteitag des PCF 1970 eine wichtige Korrektur am Parteistatut vorgenommen, welche es den größeren, von kommunistischen Bürgermeistern regierten Städten erlaubte, dezentralisie-
Jack Ralite, La dissidence artistique ne s’affichait pas, in: http://pcfaubervilliers.fr/spip.php? article322 (zuletzt abgerufen am 19.07. 2021). Ralite gibt in dem Interview zu bedenken, dass sich seine persönlichen Divergenzen mit SED-Funktionären in die siebziger und achtziger Jahre fortschrieben: „Quand je suis retourné en RDA au milieu des années 1980, dans le cadre d’une délégation du Parti sur les questions culturelles, j’ai été reçu par un responsable national complètement phagocyté qui brouillait toutes les radios. Nous nous sommes fichus de lui: ‚Si vous voulez vraiment que les gens n’entendent pas, il faut faire sauter les pilotes de la télévision de l’Allemagne de l’Ouest. Soyez logique avec vous-mêmes!.ʼ“ Vgl. u. a. Corinne Defrance / Michael Kissener / Pia Nordblum (Hg.), Wege der Verständigung zwischen Deutschen und Franzosen nach 1945. Zivilgesellschaftliche Annäherungen, Tübingen 2015. Darin insbesondere der Aufsatz von Ulrich Pfeil, „Alles begann mit der Jugend“: Die Stadtpartnerschaft zwischen Saint-Étienne und Wuppertal (1960), S. 205 – 232.
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rende Maßnahmen zu beschließen und umzusetzen. Artikel 29 des Statuts lautete: „Dans les arrondissements de Paris, les grandes villes, où existent plusiers sections, dans des secteurs géographiques de grands départments, un comité dʼarrondissement, de ville ou de secteur peut-être constitué.“³⁸³ Grundsätzlich durften demnach Stadtkomitees gewählt werden, die zumindest auf dem Papier die politischen Aktivitäten im lokalen Bereich autonom steuern sollten. Der Parteivorstand hatte sich jedoch die Möglichkeit offengehalten, sich gegen eine Ausweitung dezentraler Machtausübung zu verwahren, indem er dem zitierten Artikel folgende Passage hinzufügte: „Sous la responsabilité du comité fédéral et en accord avec les sections concernées, ce comité dirige et impulse la mise en oeuvre de la politique du parti en tenant compte des conditions locales.“³⁸⁴ Diese offensichtliche Beschneidung des Mitspracherechts „von unten“ wurde zum Objekt heftiger Kritik in den lokalen Parteiverbänden, insbesondere im Großraum Paris und vornehmlich in Aubervilliers, die sich prompt zur Wehr setzten. So verfasste der Sektor „Organisation“ der PCF-Sektion in Aubervilliers im Juni 1980 eine Erklärung und ließ sie dem regionalen Dachverband zukommen. Darin wurden mehrere Entwicklungsprobleme und Kommunikationsdefizite benannt, welche die autonome Arbeit der lokalen Zweigstellen sowie deren Zusammenarbeit mit höherrangigen Organisationen der Partei annähernd unmöglich machten. Zwei Haupthindernisse wurden dabei hervorgehoben: ‒ Seit dem XXII. Parteitag in L’Île-Saint-Denis 1976 habe der Parteivorstand trotz wortreicher Lobhuldigungen an die Adresse der vermeintlich vorbildlichen italienischen KP eine starke Zentralisierung seines Machtgefüges betrieben; ‒ seit 1972, d. h. seit Schaffung der Linksunion mit dem PS, habe sich die gesamte Partei permanent in einer Wahlkampagne („en campagne électorale permanente“)³⁸⁵ befunden, was die lokalen Vertretungen zu Wahlbüros (étatsmajors électoraux) habe verkommen lassen.³⁸⁶ Zum Schluss wies das Schreiben darauf hin, dass die oben genannte Entwicklung de facto den Raum für autonomes Handeln der Bezirke und Stadträte beschneide und aushöhle. Dafür ausschlaggebend hielten die „Genossen“ von Aubervilliers sowohl die genannten strukturellen Veränderungen als auch die ideologische
AUB, 231, Les structures du Parti à Aubervilliers. Document soumis à la discussion de l’ensemble des communistes d’Aubervilliers, 26 – 27.11.1982. AUB, 231, Les structures du Parti à Aubervilliers, S. 2. AUB, 231, Les structures du Parti à Aubervilliers, S. 3. AUB, 231, Les structures du Parti à Aubervilliers, S. 3.
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Ausrichtung des Vorstands. Seit der Unterzeichnung eines gemeinsamen Wahlprogramms mit den Sozialisten um Mitterrand hätten sich Marchais und seine Vertrauten „nicht mehr um unsere Strukturen gekümmert, sondern nur dafür gesorgt, daß uns eine einheitliche Strategie abhandenkommt, eine Strategie zu einem Projekt, das uns die Schaffung des Sozialismus à la française ermöglichen würde.“³⁸⁷ Die Kritik an der ideologischen und politischen Stoßrichtung der Pariser Führung war mehr als deutlich. Nicht nur Enttäuschung, sondern auch Sehnsucht nach einer Wiederkehr verpasster Chancen zur Realisierung eines spezifisch französischen Sozialismus schwang darin mit. Die Einwohner von Aubervilliers wollten sich gegen eine „Verrohung“ des Politischen jedenfalls mit aller Kraft wehren. Die Anfang der siebziger Jahre „von oben“ aufgezwungenen Parteistrukturen, so ihre Kritik, entsprächen nicht mehr den politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen Frankreichs, geschweige denn jenen einer kämpferischen kommunistischen Partei auf lokaler Ebene. Eine moderne kommunistische Partei dürfe sich über die jeweiligen lokalen Spezifika nicht hinwegsetzen, sondern müsse diese vielmehr zur Kenntnis nehmen und entsprechend neue politische Modelle entwerfen. Die kommunistische Basis verlange nach Erneuerung, was de facto ein „Weniger“ an Partei bedeute.³⁸⁸ Selbst wenn auf dem Papier gute Vorschläge zur Reformierung der Parteistrukturen existierten, scheiterten diese jedoch regelmäßig am Widerstand einflussreicher Persönlichkeiten des PCF: „Or, s’il est incontestable que de progrès ont été réalisés en 1 an dans le parti sur la perception de la situation nouvelle depuis le 10 Mai, il reste que de nombreux communistes, et parmi eux des camarades responsables, persistent à se retrancher dans une attitude négative vis-à-vis de la situation politique actuelle.“³⁸⁹ Das Hauptproblem der Parteiführung stelle ihre „Realitätsferne“ dar: So fielen die meisten „Genossen“ in verantwortlichen Positionen der Illusion anheim, wonach die Regierung im Alleingang alle Probleme der Arbeiterklasse lösen könne, ohne diese selbst aktiv an der Erarbeitung von Initiativen und Lösungsvorschlägen partizipieren zu lassen. Auch habe der Vorstand nur unzulänglich und ohne Einbeziehung der lokalen Vertretungen über den Wahlsieg Mitterrands im Mai 1981 nachgedacht. Was der Öffentlichkeit propagandistisch als Sieg präsentiert wurde – der PCF konnte immerhin vier Minister in die Regierungs „[…] ne tenaient pas à nos structures, mais au fait que nous n’avions pas une stratégie cohérente définissant un projet d’une voie française pour la construction d’un socialisme à la française.“ AUB, 231, Les structures du Parti à Aubervilliers, S. 4. AUB, 231, La strategie du 24. congres, 27.11.1982. AUB, 231, La strategie du 24. congres, 27.11.1982, S. 5.
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mannschaft entsenden –, sei in Wahrheit ein Debakel für den französischen Kommunismus, hieß es im Text schließlich. Das Beispiel Aubervilliers zeigt deutlich, wie gespalten der PCF in den achtziger Jahren war. Kritik wurde sowohl an Entscheidungen zu Aufbau und Organisation der Partei als auch an ideologischen An- und Absichten artikuliert. Die Ressentiments auf lokaler Ebene fielen zwar sehr unterschiedlich aus und sind ohne jeden Zweifel auch mit der jeweiligen politischen Biografie der im Einzelnen Involvierten zu erklären. Im Allgemeinen scheint es jedoch zutreffend zu konstatieren, dass der Einzug kommunistischer Minister in die 1981 von den Sozialisten um Mitterrand gebildete Regierung eine Zäsur nicht nur allein für Frankreich, sondern auch für die innerparteiliche Geschichte mit ihren zahlreichen Auseinandersetzungen markierte. Gegenüber dem Bemühen des Parteivorstands, die zentralistische Lenkung der Partei zu stärken, da er hierin ein Mittel gegen Stimmeneinbußen bei künftigen Wahlen erblickte, plädierten die lokalen Verbände für mehr Spielraum und mehr Initiative „von unten“, kurzum: für mehr Autonomie. Nur dies könne das Parteileben auf neue, moderne Grundlagen stellen und den französischen Kommunismus retten.³⁹⁰
11.2 DDR-Italien Seit Ende der fünfziger Jahre setzten sich SED-Politiker verstärkt dafür ein, aussichtsreiche Verbindungen mit italienischen Kommunen mittels Städtepartnerschaften aufzunehmen. Dieses Ansinnen fügte sich in den allgemeinen außenpolitischen Trend der Zeit ein, der durch die Anerkennungsbewegung diktiert war. Vor diesem Hintergrund bemühten sich DDR-Vertreter besonders um politischpropagandistisch nützliche Beziehungen, von denen sie sich konkrete Vorteile zur Realisierung ihrer Ziele versprachen.³⁹¹ Die Anbahnung erfolgte in der Regel über den Deutschen- und Gemeindetag der DDR, der sich dabei auf bereits bestehende Kontakte wie etwa des Kulturzentrums Thomas Mann oder der Deutsch-Italieni-
AUB, 231, La strategie du 24. congres, S. 6. „Durch die Aufnahme und weitere Festigung von Städtepartnerschaften zu Italien ergeben sich günstige Möglichkeiten zur Propagierung der Politik und der Errungenschaften der DDR und zur Gewinnung neuer Kräfte, welche die Politik der DDR unterstützen. Gleichzeitig bieten solche Partnerschaften den demokratischen Kräften in den örtlichen Organen Italiens die Möglichkeit, im Erfahrungsaustausch mit Kommunalpolitikern der DDR Erfahrungen zu sammeln und diese für die Arbeit zu nutzen.“ Zit. in: MFAA, A 18782, 5. EA an den Sekretär des Rates des Bezirkes Cottbus, Henschke, 23.1.1964.
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schen Gesellschaft stützte.³⁹² So konnten erste Beziehungen auf kommunaler Ebene geknüpft werden, zunächst allerdings ohne einen offiziell geregelten Rahmen. Der Durchbruch gelang den Ostdeutschen erst unmittelbar vor Errichtung der Berliner Mauer. Die Pflege von städtepartnerschaftlichen Beziehungen wurde binnen kürzester Zeit zu einem Eckpfeiler der ostdeutschen Italienpolitik, zumal offizielle, auf Regierungsebene hergestellte Verbindungen bis zur Anerkennung der DDR durch Italien schlichtweg nicht möglich waren. Dabei fiel dem PCI als Mittler eine wichtige Rolle zu, denn in dem durch die DC politisch dominierten Land Südeuropas ließ sich die DDR per se nur schwer „vermarkten“. Verschwisterungen konnten deshalb zunächst nur mit von kommunistischen Bürgermeistern regierten Städten und Gemeinden zustandekommen. Des Weiteren verfügten im italienischen Fall, ebenso wie in Frankreich, die jeweiligen Präfekturen über das letzte Wort: Hatte die anvisierte, beantragte Städtepartnerschaft keine Aussicht auf Erfolg bzw. war sie politisch und symbolisch besonders umstritten, verweigerte der Regierungsbevollmächtigte die Bewilligung.³⁹³ Die geringe Zahl von nur 13 Partnerschaften im Jahr 1965 ist ein beredtes Zeichen für die hohen Hürden, die von Antragstellern zu überwinden waren.³⁹⁴ Nach der Anerkennung der DDR änderte sich die Lage rasch, was sich jedoch zunächst auf einen anderen Faktor zurückzuführen lässt, der eine allgemeine Lockerung der an die Partnerschaften gestellten Anforderungen zur Folge hatte: Anfang der siebziger Jahre beschloss das italienische Parlament im Rahmen eines umfangreichen Vorhabens zur Dezentralisierung von bürokratischen und administrativen Strukturen, den jeweiligen Regionen mehr Autonomie zu gewähren. Auf Spielräume, die daraus für die kommunale und regionale Zusammenarbeit potentiell erwachsen konnten, wurden SED-Beobachter umgehend aufmerksam. Tatsächlich löste der Beschluss zur Übertragung der vollen Verwaltungsbefugnis an die italienischen Regionen eine regelrechte Lawine an neuen partnerschaftlichen Verbindungen aus, insbesondere zu Provinzen und Kommunen wie Bologna, Livorno oder Genua, die traditionell fest in kommunistischer Hand waren.³⁹⁵
MFAA, A 12298, Beziehungen zwischen der DDR und Italien, 29.11.1957; vgl. ferner auch Pöthig, Italien und die DDR, S. 324– 325. Vgl. Pöthig, Italien und die DDR, S. 326. Vgl. MFAA, C 851, Information über die Tätigkeit des Deutschen Städte- und Gemeindetages und seiner Mitgliedsländer, 14.05.1965. Wie Pöthig zutreffend hervorhebt: „Da die SED auf den regionalen Einfluss des PCI zählen konnte, stand Italien 1988 weltweit nach Frankreich mit 129 Städtepartnerschaften und 5 Bezirkspartnerschaften mit 24 Städtepartnerschaften und 2 Bezirkspartnerschaften an zweiter Stelle vor Finnland, Mali, Dänemark, Großbritannien und Österreich.“ In: Pöthig, Italien und die DDR,
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Die folgenden Fallstudien beziehen sich auf den Zeitabschnitt von Mitte der siebziger bis Anfang der achtziger Jahre, der sich durch tiegreifende Divergenzen und Reibungen zwischen beiden Seiten auszeichnete. Dies wirkte sich auch auf die bilateralen Beziehungen im lokalen Bereich aus. Die Berichte fördern daher relevante Erkenntnisse für die leitende Fragestellung zutage.
Fallstudien – Neapel Die Stadt Neapel galt seit Ausrufung der Republik in Italien 1946 als Hochburg christdemokratischer Kräfte. Dies spiegelte sich in ihrer direkten Einbindung in die nationale Regierungspolitik wider, für welche die wichtigste süditalienische Stadt zum Fanal und Modernisierungsträger der ökonomischen und kulturellen Renaissance des chronisch unterentwickelten Mezzogiorno geworden war. Die etablierten Regierungskräfte setzten große Hoffnungen in die Hafenstadt an der thyrrenischen Küste und waren darauf bedacht, aus ihr ein Vorbild für die politische und ökonomische Entwicklung in Süditalien werden zu lassen.Von 1946 an hatte die DC fast ununterbrochen den neapolitanischen Bürgermeister gestellt und die Großstadt mit einer unbeugsam konservativen Politik regiert.³⁹⁶ Dies änderte sich schlagartig 1975, als der Kommunist Maurizio Valenzi zum neuen höchsten Amtsträger Neapels gewählt wurde. Acht Jahre lang konnte er sich an der Macht behaupten und die Stadt für neue Impulse öffnen, zu denen auch Maßnahmen zur Förderung des kulturellen und gesellschaftlichen Austausches mit Ländern des Ostblocks, darunter mit der DDR, gehörten. Die Etablierung offizieller Verbindungen zu ostdeutschen Partnern, die durchaus auch im Interesse der DDR lag, verlief allerdings nicht reibungslos. Da damit zu rechnen war, dass die fest in christdemokratischen Händen liegende regionale Administration keinerlei Form der Zusammenarbeit und des Austauschs mit einem „real sozialistischen“ Staat zustimmen würde, beruhten die Partnerschaften zunächst auf „freundschaftlichen“ Abkommen ohne offiziellen Charakter. Der Botschafter der DDR in Italien, Hans Voß, bemühte sich im Frühjahr 1983 um die Beseitigung politischer Hindernisse zur Schaffung einer geregelten Kooperation zwischen Neapel und einer noch nicht festgelegten ostdeutschen Stadt:
S. 327. Ferner (und grundsätzlich) zu den Beziehungen zwischen der SED/DDR und Österreich bzw. der kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ), siehe Maximilian Graf, Österreich und die DDR. Politik und Wirtschaft im Schatten der deutschen Teilung, Wien 2016. Mit nur zwei Ausnahmen: 1952 bis 1957 bzw. im Jahr 1961 wurde Achille Lauro, Führer der italienischen monarchischen Partei (PNM), zum Bürgermeister gewählt. Vgl. Andrea Geremicca, Napoli. Una transizione difficile, Neapel 1997.
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Werte Genossen! Ich möchte die Erfahrungen meines kurzen Aufenthalts in Neapel zum Anlaß nehmen, um Eure Aufmerksamkeit erneut auf ein Grundproblem zu lenken, das uns gemeinsam am Herzen liegt. Es ist die Frage der Herstellung von Beziehungen der Städtepartnerschaft zwischen einer Stadt der DDR und Neapel. Ohne jetzt auf die Frage der wahrhaft bedeutungsvollen Rolle Neapels als wirtschaftliches und kulturelles Zentrum Italiens eingehen zu wollen, möchte ich darauf hinweisen, daß ich während meiner Gespräche mit recht verschiedenen Vertretern der Stadt ein großes Interesse an der DDR und bemerkenswerte Potenzen für eine konkrete Ausgestaltung von Partnerschaftsbeziehungen vorfand.³⁹⁷
Von besonderer Bedeutung hielt der Botschafter eine von ihm geführte Unterredung mit Vertretern des Komitees zur Gründung einer offiziellen Freundschaftsgesellschaft Italien-DDR, darunter der Bürgermeister der Stadt Neapel und andere PCI-Politiker. Dem Bericht des „Genossen“ war der eindeutige Wunsch nach für die DDR propagandistisch nützlichen Initiativen zu entnehmen, die von Ausstellungen über den ostdeutschen Staat in Italien und der Entsendung von Studiendelegationen zum Erfahrungsaustausch in Bereichen wie Architektur, Umwelt und Städteplanung bis hin zur Etablierung touristischer Ziele reichten.³⁹⁸ Mit der Verschärfung der Finanzkrise in der DDR in der ersten Hälfte der achtziger Jahre war der SED-Führung besonders daran gelegen, lukrative Kanäle im Ausland zu erschließen und zu festigen. Dazu nutzte sie regelmäßig den PCI als Ansprechpartner und Mittler, wenngleich Letzterer nicht immer in der Lage war, ihr die angestrebten Vorteile zu garantieren. Vor diesem Hintergrund schlug Botschafter Voß vor, „daß wir die Initiative zur Erreichung einer Partnerschaftsvereinbarung mit Neapel ergreifen.“³⁹⁹ Alle Bemühungen sollten jedoch am Widerstand der nahtlos aufeinander folgenden, mächtigen christdemokratischen Präsidenten der Region Kampanien scheitern. Vor dem Fall der Mauer konnte somit keine offizielle Partnerschaft eingerichtet werden; erst 2012 gelang der Durchbruch, als Vertreter der Städte Leipzig und Neapel ein entsprechendes Abkommen unterzeichneten.
Ligurien Im Rahmen der Städtepartnerschaft Genova (Voltri)-Aue reiste eine ostdeutsche Delegation des gleichnamigen Freundschaftskomitees unter der Leitung von Gotthold Scheinpflug, Bürgermeister der Stadt Aue und Präsident des genannten MFAA, ZR 1671/84, Botschaft der Deutschen Demokratischen Republik in Italien, der Botschafter, Rom 22.02.1983, hier S. 1. MFAA, ZR 1671/84, Botschaft der Deutschen Demokratischen Republik in Italien, S. 2. MFAA, ZR 1671/84, Botschaft der Deutschen Demokratischen Republik in Italien, S. 3 – 4.
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Komitees, Ende Juni 1980 nach Ligurien.⁴⁰⁰ In Empfang genommen wurde die Abordnung durch mehrere Vertreter des PCI, darunter Senator Carlo Cavalli, Präsident des Regionalkomitees Ligurien, und Prof. Giuseppe Pietro Josi, Vizepräsident. Nachdem die ostdeutschen Gäste in Mailand gelandet waren, begleitete Seidel von der dortigen DDR-Handelsvertretung die Gäste weiter nach Genua. Dass ein finanzpolitischer Experte auf DDR-Seite den Unterredungen mit italienischen Partnern beiwohnte, war mittlerweile selbstverständlich und zeigt prägnant, welche Interessen bei der Staatspartei im Vordergrund standen. Einer hastigen Begrüßung durch die Leitung des Komitees folgte der Erfahrungsaustausch über diverse auf der Tagesordnung stehende Themen. Besprochen wurde die bis dahin im Jahr 1980 geleistete Arbeit bzw. die mögliche Verbesserung der Kooperation, die sowohl den staatlichen als auch den Bereich der Massenorganisationen, wie etwa Gewerkschaften, Kulturverbände und derlei mehr, umfassen sollte.⁴⁰¹ Auch die Intensivierung des „politischen Tourismus“ wurde in Aussicht gestellt, wenngleich die international eher angespannte Lage – Stichwort Afghanistan – und weitere Meinungsverschiedenheiten zwischen PCI und SED dies nicht begünstigten. Die Italiener verliehen bei den Gesprächen der Kritik Ausdruck, dass ihre ostdeutschen „Genossen“ zahlreichen Einladungen zu wichtigen Demonstrationen und Veranstaltungen nicht nachgekommen seien. Lapidar wurde im Bericht festgehalten: „Es wurde Kritik am Bundesvorstand des DTSB [Deutscher Turn- und Sportbund] geübt, der Briefe mit Einladungen zu Wettkämpfen und zur Verbesserung der Zusammenarbeit, die im Oktober/November geschrieben wurden, bis heute nicht beantwortet hat.“⁴⁰²
Genua Die Liga für Völkerfreundschaft beim ZK der SED hatte im Jahr 1980 eine groß angelegte kulturelle „Offensive“ gestartet, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, die DDR und den Ostblock im Allgemeinen in einer Phase internationaler Spannung in ein positives Licht zu rücken. Zu diesem Zweck konzipierte sie kulturelle Veranstaltungen, wie etwa eine große Ausstellung von Werken des Malers John He-
MFAA, ZR 1671/84, Komitee Aue-Genua, Rat der Stadt Aue, Über den Erfahrungsaustausch einer Delegation des Freundschaftskomitees Aue-Genua mit der Leitung und Mitgliedern des Regionalkomitees Ligurien der Gesellschaft Italien-DDR in Genua, La Spezia, Savona, Sestri, Levante, Cogoleto, Lerici, Ovada, Camogli, Bargagli vom 20.–27. Juni 1980, 29.06.1980. MFAA, ZR 1671/84, Komitee Aue-Genua, Rat der Stadt Aue, Über den Erfahrungsaustausch, S. 2. MFAA, ZR 1671/84, Komitee Aue-Genua, Rat der Stadt Aue, Über den Erfahrungsaustausch, S. 2– 3.
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artfield (Helmut Herzfeld). Die Eröffnung fand im Gewerkschaftshaus in Genua im Juni 1980 in Anwesenheit von ca. 120 Teilnehmern statt; dabei stellten die Diskussionsredner übereinstimmend fest, dass „[…] unser Besuch in einer Zeit erfolgt, die die Sicherung des Friedens und den Kampf um Entspannung zum Hauptinhalt hat.“⁴⁰³ Mit Genugtuung betonten die ostdeutschen „Genossen“, dass die DDR selbst in einer so schwierigen internationalen Phase breite Anerkennung genieße und als friedliebendes und -förderndes Land anerkannt sei. Dass damit implizit eine grundsätzliche kritische Differenzierung vom westdeutschen Staat nahegelegt wurde, betrachteten die SED-Vertreter als beinahe selbstverständlich und als unmissverständliches Zeichen für den Erfolg des eigenen Agierens.⁴⁰⁴ Die allgemein geteilte Einstellung zur Friedensordnung Europas, zu deren Ausgestaltung der „Sozialismus“ historisch gesehen einen entscheidenden Beitrag geleistet hätte, verstärkte bei den Gesprächen mit den Vertretern der lokalen Grundorganisationen des PCI das Gefühl der Zusammengehörigkeit, das auf der gemeinsamen Vergangenheit im Kampf gegen den Faschismus beruhte.⁴⁰⁵ Luciano Boleto, Bürgermeister der Kleinstadt Bargagli, berief sich auf diese identitätsstiftende Widerstandserfahrung, als er auf das Hauptziel der Verteidigung bürgerlicher Werte sowie der Festigung und Aufrechterhaltung des Friedens als unabdingbaren demokratisierenden Faktor verwies. Hervorzuheben sei dabei, so Boleto, die wichtige Rolle, welche die DDR in diesem Prozess seit Jahrzehnten spiele sowie ihr internationales Engagement zur Abwendung von Kriegen und rassistisch begründeten Repressalien.⁴⁰⁶
MFAA, ZR 1671/84, Komitee Aue-Genua, Rat der Stadt Aue, Über den Erfahrungsaustausch, S. 4. Anlass zu einem solchen Urteil bot ihnen u. a. die Aussage des italienischen „Genossen“ Dr. Guzzardi. MFAA, ZR 1671/84, Komitee Aue-Genua, Rat der Stadt Aue, Über den Erfahrungsaustausch, S. 4. Die Unterscheidung zwischen einem grundsätzlich „gutmütigen“ und einem „bösen“ Deutschland, wenngleich im Laufe der siebziger und angehenden achtziger Jahre in stark abgemilderter Form, ging im PCI-eigenen Sprachjargon und in der Parteiideologie auf eine relativ alte Tradition zurück. Bereits Anfang der sechziger Jahre machte Sergio Segre, einer der einflussreichsten Persönlichkeiten der italienischen Partei, mehrfach auf den „undemokratischen“ Gehalt der Bundesrepublik aufmerksam. Selbst vor provozierenden Vergleichen zum HitlerDeutschland scheute er nicht zurück, wobei er – bei aller Kritik an der oft autarken Machtausübung der SED in der DDR – mit Genugtuung und Erleichterung auf die Tatsache hinwies, dass es doch zwei deutsche Staaten gäbe. Von ihm erschienen mehrere Artikel und Stellungnahmen zur Gefahr eines „westdeutschen Imperialismus“. Spuren davon finden sich u. a. in Tete H. Tetens, La Nuova Germania e i vecchi nazisti, Rom 1963, darin die Einleitung von Segre, S. 2– 9; Le Germanie sono due, in: Rinascita, 23 (1966), Nr. 49; Reportage dalla Germania, in: Rinascita, 23 (1966), Nr. 41. Boleto an die ostdeutsche Delegation, in: MFAA, ZR 1671/84, Komitee Aue-Genua, Rat der Stadt Aue, Über den Erfahrungsaustausch, S. 5.
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In Sestri Levante traf die ostdeutsche Delegation auf hochrangige lokale Vertreter aus den Bereichen Politik, Gewerkschaften und Kultur.⁴⁰⁷ Die propagandistische Verzahnung von Friedensförderung und Sport kam den Besuchern aus der DDR besonders gelegen, denn sie legten großen Wert darauf, dem ostdeutschen Staat mit möglichst einfachen Mitteln Geltung zu verschaffen. In diesem Kontext unterstrich der sozialistische Bürgermeister Ghio die beachtliche Bedeutung der DDR als einen wichtigen Friedensfaktor, ein Staat, „der beispielgebende Erfolge auf allen Gebieten des Lebens erreicht hat und besonders im Sport an der Spitze der Welt steht.“⁴⁰⁸ In der Berichterstattung der Ostdeutschen über diese Begegnungen ist die systematische Überbewertung der Aussagen italienischer Politiker und Ansprechpartner augenscheinlich. Sie diente dazu, einen allgemeinen Rahmen des Vertrauens zu schaffen, in dem sowohl die Berichterstatter als auch die Adressaten auf einer Ebene miteinander kommunizieren und sich über den realen Gehalt der Gespräche mit den Italienern hinwegtäuschen konnten. Die grundsätzlichen Differenzen zwischen PCI und SED in Bezug auf die sowjetische Intervention in Afghanistan wurden beispielweise völlig ausgeblendet, andererseits aber überhöhte man kleine Erfolge und Zustimmungsbekundungen von italienischer Seite als besonders ermutigend bzw. als Beweis eigener Bravour. Ein Beispiel soll diesen Sachverhalt näher veranschaulichen. Nach der Abschlusskundgebung auf dem zentralen Platz in Sestri Levante kamen beide Delegationen noch einmal zu einem kurzen Austausch zusammen. Der SED-Kommentator ließ später alle dort erörterten Inhalte aus und beschränkte sich darauf, Folgendes hervorzuheben: „Im Verlaufe der Diskussion wurde sogar [!] die Reihenfolge der Besuche politischer Persönlichkeiten in Italien ‚klassifiziert‘: Herman Axen – Jimmy Carter.“⁴⁰⁹ Dass eine solche Anmerkung durchaus tendenziös und überzogen war, muss letztendlich auch dem Berichterstatter selbst bis zu einem gewissen Grad bewusst gewesen sein. In seinem Bericht findet nämlich ein weiterer Vorfall Erwähnung, der sich am Rande der Abschlussveranstaltung zutrug. Ein namentlich nicht genannter Journalist der sozialistischen Zeitschrift Il Lavoro habe sich der ostdeutschen Abordnung genähert und seine Verwunderung darüber zum Aus-
Zugegen waren u. a. „Genosse“ Ghio, Bürgermeister der Stadt Sestri Levante, Vertreter der AICS (Associazione Italiana Cultura Sport – Italienischer Sportverband) und „Genosse“ Dellacasa, Stadtrat in Genua. MFAA, ZR 1671/84, Komitee Aue-Genua, Rat der Stadt Aue, Über den Erfahrungsaustausch, S. 4– 5. MFAA, ZR 1671/84, Komitee Aue-Genua, Rat der Stadt Aue, Über den Erfahrungsaustausch, S. 5. MFAA, ZR 1671/84, Komitee Aue-Genua, Rat der Stadt Aue, Über den Erfahrungsaustausch, S. 5.
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druck gebracht, dass so viele Menschen an der abschließenden Kundgebung in Sestri Levante teilnähmen: „In Mailand habe er während seiner Journalistentätigkeit nichts [!] von der Existenz eines solchen Komitees verspürt, sicherlich keine Wertmessung, aber immerhin eine zu beachtende Feststellung. Bemerkungen dieser Art wurden auch von einem Vertreter unserer Mailänder Handelsvertretung gemacht.“⁴¹⁰ Daraus kann gefolgert werden, dass die Verbindungen auf lokaler Ebene nur dort zur vollen Geltung kommen konnten, wo die direkte Einflussnahme durch die PCI-Leitung am schwächsten war. Anders gewendet: In den größeren Städten Italiens sah sich die Führung der kommunistischen Partei gezwungen, eine klar ablehnende Position gegenüber den „real sozialistischen“ Staaten zu beziehen, um dadurch den gemäßigten Teil ihrer Anhängerschaft nicht zu verprellen. Die kleineren Zentren hingegen blieben von solch strategischen Überlegungen weitestgehend unberührt, was ihren Vertretern und den jeweiligen ausländischen Ansprechpartnern die Gelegenheit bot, Kompromisse zu schließen, die auf der Ebene der „großen Politik“ aufgrund der offensichtlichen ideologischen Differenzen nicht konsensfähig gewesen wären. Die systematische Verdrehung von Tatsachen durch SED-Abordnungen betraf auch die international angespannte Lage sowie die interne Dauerkrise der DDR. Nach einer Unterredung mit dem Ratsvorsitzenden der Provinz Savona, dem PCIAbgeordneten Giuseppe Amasio, hoben die ostdeutschen Berichterstatter vor allem eines hervor: die angeblich demokratische Verfasstheit ihrer Heimat. Dabei stützten sie sich auf eine Aussage Amasios, der mit Bedauern auf die Langwierigkeit des italienischen Wahlsystems hingewiesen und sich stattdessen gewünscht habe, es könne doch wie in der DDR zugehen: „Er betonte den demokratischen Charakter unserer Wahlen, begonnen bei der Auswahl der Kandidaten über die Rechenschaftslegungen bis zur Wahl und die starke Beteiligung und Interessiertheit der Bevölkerung.“⁴¹¹ Die Vorzüge eines solchen Wahlsystems seien, so der Berichterstatter, eindeutig. Zum Abschluss ihrer Reise hielt sich die SED-Abordnung noch in der Regionshauptstadt Genua auf. Dort fand ein Arbeitsessen mit mehreren Mitgliedern des Stadtrates und des Präsidiums des Regionalkomitees der Gesellschaft ItalienDDR statt. Zu den anwesenden Persönlichkeiten zählten der PCI-Senator Carlo Cavalli, die Parteimitglieder Filippo Guzzardi, Livio Stefanelli und Sergio Lo Giudice sowie Vertreter des PSI und der DC. Wie protokollarisch üblich, äußerten MFAA, ZR 1671/84, Komitee Aue-Genua, Rat der Stadt Aue, Über den Erfahrungsaustausch, S. 5 – 6. MFAA, ZR 1671/84, Komitee Aue-Genua, Rat der Stadt Aue, Über den Erfahrungsaustausch, S. 9.
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die anwesenden „bürgerlichen“ Parteien zunächst Lob für die Errungenschaften der DDR „in allen Bereichen des Lebens“. Die DDR, so die Christdemokraten laut dem Bericht der Ostdeutschen, sei ein demokratischer Staat mit erhabenen humanistischen Zielen und Idealen, was sich auf mehreren Ebenen bemerkbar mache: im Bildungswesen, in der Vermittlung von Kultur im Allgemeinen sowie im politischen Handeln. Letzteres stelle sie ausschließlich in den Dienst der Friedenserhaltung und Entspannung zwischen den Völkern. Besonders hervorgehoben in dem Bericht wurde die Aussage des Christdemokraten Tonon, der angemerkt habe, dass „[…] alles Erreichte nur dem Fleiß und Können des deutschen Arbeiters zuzuschreiben sei und deshalb die Bürger der DDR in erster Linie Deutsche und erst in zweiter Linie Sozialisten seien.“⁴¹² Die ostdeutsche Delegation nahm während des siebentägigen Aufenthalts an 28 Veranstaltungen teil und führte mehr als 100 Gespräche mit diversen italienischen Partnern aus den Bereichen Politik, Gewerkschaften und Kultur.
Städtepartnerschaft Rostock-Livorno Der toskanischen Hafenstadt Livorno kam eine besondere Bedeutung zu: Dort war 1921 die Kommunistische Partei Italiens gegründet worden, die seitdem eine sehr wichtige Rolle in der Stadt spielte, was sich u. a. an der Zusammensetzung des Stadtrats und bei Bürgermeisterwahlen zeigte. Kurzum: Livorno war eine kommunistische Hochburg in der ohnehin politisch stark links orientierten Region Toskana. Die SED nutzte diese Tatsache und ihre Kanäle zum PCI zugunsten der Etablierung einer entsprechenden Städtepartnerschaft: Bereits 1963 konnte eine geregelte Verbindung zwischen den beiden Hafenstädten Rostock und Livorno statutmäßig vereinbart werden. Auf Einladung des Komitees der Liga für Völkerfreundschaft des Bezirks Rostock weilte im Juni 1980 eine Delegation von Hafenarbeitern der Stadt Livorno in der DDR.⁴¹³ Alle italienischen Vertreter gehörten der Hafenarbeiter-Genossenschaft des PCI an und waren Parteimitglieder.⁴¹⁴ Hauptziel des Aufenthalts war
MFAA, ZR 1671/84, Komitee Aue-Genua, Rat der Stadt Aue, Über den Erfahrungsaustausch, S. 10. MFAA, ZR 1671/84, Rat des Bezirks Rostock, Bericht über den Besuch einer Delegation von Hafenarbeitern aus der Provinz Livorno/Italien vom 16. – 21. 06. 1980 im Bezirk Rostock, Rostock 3.07.1980. Darunter der Delegationsleiter Aldo Raugi sowie die Mitarbeiter Roberto Santi, Paolo Viacave und Alberto Forti. Der Abordnung gehörte außerdem auch der stellvertretende Sekretär der Gesellschaft Italien-DDR der Region Toskana, der „Genosse“ Danilo Conti, an. MFAA, ZR 1671/84, Rat des Bezirks Rostock, Bericht über den Besuch einer Delegation von Hafenarbeitern, S. 1.
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das Studium „der Aufgaben der Gewerkschaften sowie der Rechte, Pflichten und Arbeits- und Lebensbedingungen der Hafenarbeiter in der DDR.“⁴¹⁵ Am Rande konnten auch politische Gespräche geführt werden, darunter mit dem Leiter der Abteilung Internationale Verbindungen beim Bezirksvorstand des FDGB. Aus dem Bericht hierüber geht hervor, dass das Gespräch auf aktuelle Themen der Tagespolitik gelenkt wurde, nachdem ein Austausch über Funktionsweisen und Mechanismen bei der Entwicklung und Durchführung der in Italien genossenschaftlich organisierten Hafenarbeit, die den italienischen Arbeitern angeblich beträchtliche Gewinnanteile sicherte, stattgefunden hatte. Der Berichterstatter, Abteilungsleiter Heinz Hafenstein, hielt fest: „Übereinstimmend sprachen sich alle Delegationsmitglieder für die Notwendigkeit des Kampfes für die Erhaltung des Friedens, gegen Wettrüsten und für Abrüstung aus. Dagegen waren sie geteilter Meinung in der Frage der Hilfe der Sowjetunion für Afghanistan.“⁴¹⁶ Im Anschluss informierte Danilo Conti seine Gastgeber über aktuelle politische Entwicklungen in Italien. Bei den neuesten Regional-, Provinzial- und Kommunalwahlen vom 10. Juni 1980, erläuterte er, habe seine Partei insbesondere im Süden des Landes eindeutige Stimmverluste hinnehmen müssen. Die traditionell „roten“ Regionen hätten allerdings wie gewohnt geschlossen hinter dem PCI gestanden: In Florenz habe er rund 48 %, in Livorno sogar 55 % der Stimmen auf sich vereinen können.⁴¹⁷ Nichtsdestoweniger herrsche in der Partei Enttäuschung und Beunruhigung angesichts der veränderten Lage. Vor diesem Hintergrund, hieß es weiter im Bericht, sei ein allgemeines Umdenken in der Strategie des PCI vonnöten. Conti sei insbesondere aus einem Grund besorgt: „Ihn persönlich beunruhigen die gegenwärtigen Beziehungen Italiens und auch der IKP zu den sozialistischen Ländern. Die Zusammenarbeit der IKP mit anderen kommunistischen Parteien müsste sich verbessern, besonders zwischen der IKP und der SED sowie der KPC […].“⁴¹⁸ Ob diese vermeintlichen Aussagen Contis der Wahrheit entsprachen, ist aus dem Quellenbestand nicht nachvollziehbar, sie scheinen jedoch wenig plausibel. Die althergebrachte Programmatik der italienischen Partei war nach der sowjetischen Intervention in Afghanistan erneut bestätigt worden und wurde von einer breiten Mehrheit getragen. Auch fiel das Interesse
MFAA, ZR 1671/84, Hafenarbeitern, S. 1. MFAA, ZR 1671/84, Hafenarbeitern, S. 2. MFAA, ZR 1671/84, Hafenarbeitern, S. 2– 3. MFAA, ZR 1671/84, Hafenarbeitern , S. 3.
Rat des Bezirks Rostock, Bericht über den Besuch einer Delegation von Rat des Bezirks Rostock, Bericht über den Besuch einer Delegation von Rat des Bezirks Rostock, Bericht über den Besuch einer Delegation von Rat des Bezirks Rostock, Bericht über den Besuch einer Delegation von
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des PCI an einer Intensivierung der bilateralen Verbindungen zur SED zu jener Zeit eher marginal aus.
Städtepartnerschaft Cottbus-Grosseto Auch die toskanische Hafenstadt Grosseto war seit den fünfziger Jahren fest in kommunistischer Hand. Dies hatte frühe bilaterale Beziehungen mit der Stadt Cottbus begünstigt, die bereits 1967 aufgenommen werden konnten, also sieben Jahre vor der diplomatischen und völkerrechtlichen Anerkennung der DDR durch die italienische Regierung.⁴¹⁹ Anlässlich des 15-jährigen Bestehens des Freundschaftskomitees CottbusGrosseto reiste im September 1981 eine Delegation des Stadtrates Cottbus in die italienische Schwesterstadt.⁴²⁰ Die ostdeutsche Abordnung konnte zahlreiche Gespräche mit verschiedenen politischen Exponenten führen, nicht nur mit PCIMitgliedern, sondern auch mit christdemokratischen Vertretern des Stadtrates, welche zu diesem Zeitpunkt mit den Kommunisten eine regierende Allianz bildeten. Im Vordergrund der Gespräche standen heikle Themen der Außenpolitik, etwa die Verwerfungen im internationalen Ost-West-Konflikt sowie die – gemäß SED-Jargon – „Friedenspolitik“ der Sowjetunion und die Hochrüstung der USA.⁴²¹ Die Stadtverordnetenversammlung ließ verlauten, dass solchen Begegnungen eine besondere Bedeutung zukäme, denn sie würden helfen, Vorbehalte und Missverständnisse, mit denen „real sozialistische“ Länder im kapitalistischen Ausland konfrontiert seien, aus dem Weg zu räumen. Zu diesem Zweck wurde von italienischer Seite ein noch intensiverer Delegationsaustausch in Aussicht gestellt, vor allem von Arbeitern und Jugendlichen aus der DDR. Der Kommentar der Gästedelegation lautete lapidar: „Unsererseits wurde dazu erläutert, dass dies nicht eine Angelegenheit der DDR, sondern schließlich eine Frage des Abschlusses des Konsularvetrages ist.“⁴²² Die Haltung der Gäste zeichnete sich von Anfang an durch eine bewusste und auffällige Arroganz gegenüber den italienischen Kollegen aus. Ihr Bericht über die Begegnung weist allerhand Widersprüche auf, die den Schluss zulassen, dass das Interesse der SED an einem ehrlichen Austausch über ideologische und politische Inhalte über die Jahre hinweg und vor allem zu Zeiten tiefster Anspannung
SAPMO-BArch, Handel, Versorgung und Außenhandel, DY/13/2914: (COTTBUS-GROSSETO) Rat der Stadt Cottbus (1967). MFAA, ZR 2509/82, Rat der Stadt Cottbus, Bericht der Delegation in unserer Partnerstadt Grosseto vom 7. – 14. 09. 1981, Cottbus 29.09.1981. MFAA, ZR 2509/82, Rat der Stadt Cottbus, Bericht der Delegation, S. 1. MFAA, ZR 2509/82, Rat der Stadt Cottbus, Bericht der Delegation, S. 1.
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deutlich nachgelassen hatte. Die „Vorzüge des Sozialismus“ und die „Nachteile der kapitalistischen Profitwirtschaft“⁴²³ offenbarten sich dabei als schier unüberwindbares Hindernis zur Entfaltung einer gemeisamen Sprache, selbst unter kommunistischen „Genossen“. Mit Genugtuung gaben die Gäste zu Protokoll, dass auf dem Gebäude mit der von der Stadt Grosseto organisierten Ausstellung über den ostdeutschen Staat eine Fahne der DDR wehte. Lediglich am Rande konnte Giovanni Cervetti, ein hochrangiger PCI-Funktionär, mit einem Vertreter der Delegation ein vertrauliches Gespräch führen. Es handelte sich dabei um Walter Schupp, Vorsitzender der Ost-CDU der Stadt Cottbus, welcher der Politik des PCI trotz allem Argwohn der SED besondere „Sympathie“ entgegenbrachte. Die Begegnung zeitigte letztlich keine weiteren Konsequenzen, vermag aber exemplarisch zu zeigen, dass Kontakte außerhalb der routinierten Praxis, sogar im Rahmen lokaler Verbidungen, nicht erwünscht waren, sofern sie nicht unter der Kontrolle vertrauter „Genossen“ stattfanden. Die Planungen des Programms für das kommende Jahr 1982 ließen die vorhandenen Kommunikationsschwierigkeiten deutlich zutage treten. Der Wunsch der Italiener, in Grosseto bald Jugendliche und Arbeiter aus der DDR begrüßen zu dürfen, wurde zwar von den Cottbussern entgegengenommen; eine verbindliche Antwort müsse jedoch noch intern abgesprochen werden.⁴²⁴ Zum Schluss brachten die ostdeutschen Delegierten ihre Kritik an dem ihnen vom PCI zur Verfügung gestellten ständigen Begleiter zum Ausdruck, der gleichzeitig auch als Dolmetscher fungierte: „Unzureichende Sprachkenntnisse, fehlende Erfahrungen als Dolmetscher und politische Unklarheiten über den real existierenden Sozialismus in der DDR erschwerten unsere Arbeit bei politischen Auseinandersetzungen, vor allem mit größeren Personenkreisen.“⁴²⁵
Stadtpartnerschaft Florenz-Dresden Die Archivlage zur Städtepartnerschaft zwischen Florenz und Dresden ist leider äußerst fragmentarisch. Dies betrifft vor allem die italienische Seite, die seit Anfang der neunziger Jahre systematisch dazu übergangen ist, einschlägige Dokumente zu vernichten – aus vermeintlichem Platzmangel. Dies ist besonders misslich, da Florenz, wie Bologna oder Livorno, eine Hochburg der italienischen
MFAA, ZR 2509/82, Rat der Stadt Cottbus, Bericht der Delegation, S. 2. Dem Text ist zu entnehmen, es hätten sich ergiebige Diskussionen über die genannten Themen entfaltet, die – angesichts der Zusammensetzung der italienischen Empfangsdelegation bzw. der damaligen historischen Phase – kaum vorstellbar gewesen seien. MFAA, ZR 2509/82, Rat der Stadt Cottbus, Bericht der Delegation, S. 3. MFAA, ZR 2509/82, Rat der Stadt Cottbus, Bericht der Delegation, S. 3 – 4.
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Linken darstellte. Die partnerschaftlichen Beziehungen mit Dresden wurden bereits 1960 aufgenommen, auf Betreiben der lokalen PCI-Grundorganisation, die mit Elio Gabbuggiani einen einflussreichen Politiker aufwies. Gabbuggiani war von 1962 bis 1970 Präsident der Provinz Florenz bzw. von 1975 bis 1983 Bürgermeister der Stadt.⁴²⁶ In den achtziger Jahren kam es allerdings zu Verhärtungen in den Beziehungen zwischen den beiden Städten, die stärker als andere von der internationalen Lage beeinflusst waren. Ein Vorfall, der zum Eklat führte, ereignete sich im Januar 1985: Die florentinische Administration hatte eine Einladung des Bürgermeisters von Dresden, Gerhard Schill, zu einer Großdemonstration anlässlich des 40. Jahrestags der „Zerstörung der Stadt Dresden“ und zur Erinnerung an die 35.000 Kriegsopfer mit der Begründung abgelehnt, dass die Manifestation „politisch bedenklich“ und zu „unkritisch“ sei. Besonders kritisiert wurde eine Textpassage der Einladung, die explizit dazu aufrief, „gegen die Drohung des amerikanischen Imperialismus“ zu protestieren. Florenz, ließ die PCI-regierte Stadtverwaltung verlauten, sperre sich gegen eine einseitige Verdammung des „Imperialismus“.⁴²⁷ Dieser Zwischenfall wirkte sich sehr hemmend auf die bilateralen Verbindungen aus, die erst nach der deutschen Wiedervereinigung wiederbelebt wurden.⁴²⁸
11.3 Fazit: Städtepartnerschaften als Austauschplattform und „Trugbild“ Alle Berichte der SED unterstrichen in ihrem Fazit den echten politischen Charakter der städtepartnerschaftlichen Begegnungen. Im Vordergrund hätten jeweils die Sicherung des Friedens, die Bemühungen um die globale Abrüstung sowie die Durchsetzung der Prinzipien der friedlichen Koexistenz gestanden. De facto folgten alle Aktivitäten der ausländischen Gäste einem politisch erarbeiteten
Archivio Storico del Comune di Firenze (fortan ASCF), Gemellaggio Firenze-Dresda, Busta 302. Ein vorläufiger Höhepunkt der partnerschaftlichen Verbindungen wurde im Dezember 1982 erreicht, als Florenz und seine Provinz die „Giornate della RDT“ (DDR-Tage) organisierte und austrug. ASCF, Gemellaggio Firenze-Dresda, Busta 302, Ufficio stampa Firenze, 23.1.1985. ASCF, Gemellaggio Firenze-Dresda, Busta 302, Telegramma di Giorgio Morales, sindaco di Firenze, a Wolfgang Berghofer, borgomastro della città di Dresda (Germania RDA), 3.10.1990. Darin lässt Morales auf Deutsch verlauten: „Die Stadtverwaltung und die Bürger von Firenze begrüßen mit Freude und Hoffnung den Fall aller Barrieren zwischen den zwei Teilen Deutschlands. Wir heißen das neue Deutschland in Europa willkommen und wie schon ihre Regierungschefs gesagt haben, sind wir überzeugt, daß Deutschland den starken Angelpunkt und das Triebwerk für den Aufbau eines Kontinents des Friedens sein wird.“
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Programm, auf das sie selbst kaum Einfluss nehmen konnten. Die diffusen Lobgesänge der italienischen Ansprechpartner – mit Ausnahme des PCI (!) – zeugten von einem Interesse an freundschaftlichen Beziehungen, von denen sich die Vertreter der „bürgerlichen“ Parteien Vorteile versprachen. Politikern des PSI und der DC leuchtete unmittelbar ein, dass die Begegnungen mit den Kommunisten aus Ostdeutschland allem voran propagandistischen Zwecken dienten; sie hätten in keinem Fall politische Übereinstimmungen zeitigen können. Die Kommunisten des PCI stellten dies in Rechnung und hielten sich deswegen eher im Hintergrund. Schließlich war die Kommunikation zwischen der SED und dem PCI auf höchster Parteiebene gestört. Die italienischen Christdemokraten oder Sozialdemokraten waren de facto stark auf die Aufrechterhaltung von Beziehungen im lokalen Rahmen angewiesen, ohne die der Austausch zwischen ihnen und der SED zum Erliegen gekommen wäre. De facto hätte es ohne die Austauschmöglichkeiten auf lokaler Ebene kaum regelmäßige und geregelte Begegnungen zwischen den „bürgerlichen“ Parteien Italiens, also DC und PSI, einereits und der SED andererseits gegeben. Mehr bedurfte es aus Sicht der Beteiligten allerdings auch nicht, denn besonders nach dem Ausbruch neuer internationaler Konflikte infolge der Krisenherde in Polen und Afghanistan differierten die Urteile von Italienern und Ostdeutschen ohnehin derartig, dass eine Verständigung nicht möglich erschien. Wohl auch deshalb fand in den jeweiligen Schlussberichten über Aufenthalte in Italien die Tatsache, dass die breite einheimische Öffentlichkeit kaum Kenntnis von der Präsenz und Aktivität der Freundschaftsgesellschaften DDR-Italien genommen hatte, lediglich in Form von Verbesserungsempfehlungen an die Adresse der Beteiligten Erwähnung. Die ostdeutschen Delegationen gingen interessengeleitet, pragmatisch und utilitaristisch vor. Den allgemeinen Vorgaben folgend, wonach die Maximierung des ökonomischen Gewinns Priorität hatte, waren die SED-Vertreter besonders darauf bedacht, vorteilhafte Optionen der Zusammenarbeit im industriellen und gewerkschaftlichen Bereich vorzufühlen und diese gegebenenfalls umzusetzen. Dabei scheuten sie auch nicht vor Kontakten zu politisch „inkompatiblen“ Personengruppen wie den Christdemokraten oder Sozialdemokraten zurück, die zwar in ihrem gewöhlichen Duktus gegen die DDR und deren undemokratischen, diktaturähnlichen Charakter wetterten, gleichzeitig jedoch als Regierungskräfte über ein nicht zu unterschätzendes Maß an Einfluss verfügten. Die von den „Genossen“ des PCI durchaus geäußerte Kritik an der Inkongruenz dieses „un-
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gewöhnlichen“ Austausches deuteten ihre SED-Kollegen als ungebetene und hinderliche Einmischung in die eigenen Angelegenheiten.⁴²⁹ Als weiteres Hindernis gegen die volle Entfaltung der bilateralen Beziehungen auf lokaler Ebene nannten die Berichterstatter kurioserweise oft die Tatsache, dass die DDR im Vergleich zu anderen sozialistischen Ländern ein sehr hohes soziales, ökonomisches und kulturpolitisches Niveau aufweisen würde, wofür sie, gerade auch aus Sicht der italienischen bürgerlichen Kräfte, als Modell für die zukünftige Entwicklung des weltweiten Sozialismus anzusehen sei.⁴³⁰ Solche Behauptungen, mit denen die Berichte häufig endeten, entbehrten jeglicher Grundlage. Weder der PCI (zumindest nicht in seiner breiten Mehrheit) noch der PSI, der mit Bettino Craxi den Ministerpräsidenten stellte, geschweige denn die DC waren am Aufbau eines Staatssozialismus, sei es ostdeutscher oder sowjetischer Prägung, interessiert. Wozu diente also diese Feststellung? Dem Verlauf wie dem Ausgang der Begegnungen in Italien nach zu urteilen, scheint die Annahme berechtigt, dass sich die involvierten SED-Vertreter auf diese Weise vor Vorwürfen durch Vorgesetzte schützen wollten, die überzogene Ansprüche an die Grundorganisationen im Ausland sowie an die lokalen und regionalen Verbindungen stellten und ihnen dabei Ziele setzten, die sich rasch als unrealistisch erwiesen. Indem man den Maßstab also hoch setzte, glaubte man Kritik abwenden zu können.⁴³¹
12 Kulturelle Beziehungen 12.1 Italien-DDR Die Pflege und Ausgestaltung der kulturellen Beziehungen erhielten in der DDR der sechziger Jahre bedeutende Impulse. Maßgeblich dafür waren die beim
Hier exemplarisch, MFAA, ZR 1671/84, Komitee Aue-Genua, Rat der Stadt Aue, 29.06.1980, S. 13. „Wir werden als Modell betrachtet, wie man einmal in der Zukunft in Italien den Sozialismus aufbauen könnte. Diese Meinung wird nicht nur von den Genossen der PCI und der PSi vertreten, sondern zieht sich auch weit hinein in bürgerliche Kreise und Parteien.“ Hier exemplarisch, MFAA, ZR 1671/84, Komitee Aue-Genua, Rat der Stadt Aue, 29.06.1980, S. 13. Zu diesem „prinzipienlosen Pragmatismus“ stalinistischer Prägung siehe u. a. Stephan, SEDinterne Auseinandersetzungen und Disziplinierung in der Ära Honecker, hier S. 567– 570; ferner auch Ralf Possekel, Stalins Pragmatismus: Die Internierungen in der SBZ als Produkt sowjetischer Herrschaftstechniken (1945 – 1950), in: Peter Reif-Spirek u. Bodo Ritscher (Hg.), Speziallager in der SBZ. Gedenkstätten mit „doppelter Vergangenheit“, Berlin 1999, S. 149 – 181, hier S. 177.
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VI. Parteitag der SED verabschiedeten Beschlüsse, die eine allgemeine Stärkung der Zusammenarbeit u. a. auf dem Gebiet der Kultur mit strategischen Partnern in Aussicht stellten. In die Kategorie „strategische Partner“ fielen auch westeuropäische Länder und Interessensgruppen, welche die Parteiführung in den Kampf um die Anerkennung der DDR einzuspannen beabsichtigte. Italien war für die ostdeutsche Staatspartei dabei von großer Bedeutung, da hier eine im Vergleich zu anderen westeuropäischen Staaten insgesamt sehr einflussreiche, wenngleich ideologisch dem „real existierenden“ Sozialismus eher kritisch gegenüberstehende kommunistische Partei existierte. Als fest integriertes NATO-Mitglied und hochentwickelte Industrie- und Kulturnation bot sich Italien als vielversprechendes Ziel an.⁴³² Dass sich die kulturellen Beziehungen mit Akteuren aus Westeuropa allerdings kaum über den rein instrumentellen Charakter hinausentwickeln konnten, lag auf der Hand. Entsprechend den rigiden marxistischleninistischen Vorgaben bezüglich der Kontaktaufnahme und aufgrund der potentiellen Gefahr einer Vermengung ideologischen Gedankenguts mit dem von Andersdenkenden, verfuhr die ostdeutsche Staatspartei im Rahmen ihrer außenpolitischen Kulturarbeit äußerst selektiv. Im Prinzip einem supranationalen Verständnis von Kultur und ihrem „Export“ anhängend, war die SED in den fünfziger und sechziger Jahren stets darauf bedacht, sich als Ausbund einer sozialistischen Lebensweise und Wertehaltung zu präsentieren und sich damit von der „kapitalistischen“ und „imperialistischen“ Kultur Westdeutschlands scharf abzugrenzen. Diese Maxime schwang bei allen von der SED gepflegten Beziehungen mit, insbesondere wenn es sich um Verbindungen mit Vertretern einer kapitalistischen Gesellschaft handelte, die man in letzter Instanz auch als Plattform zur Selbstdarstellung nutzen konnte. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass die Intensivierung von kulturellen Beziehungen aus ostdeutscher Sicht lediglich einen Ausgangspunkt darstellte, von dem aus sich die SED-Führung mehr Anerkennung im internationalen Konzert und, zumindest bis zur Unterzeichung des Grundlagenvertrags Ende 1972, eine deutlich ausgeprägtere Eigenständigkeit insbesondere gegenüber der Bundesrepublik versprach. Von Anfang an stand also die Frage der jeweiligen Nutzbarkeit einer kulturellen Verbindung im Raum. Aus italienischer Sicht war die ostdeutsche Kulturpolitik unvereinbar mit der politischen Orientierung des eigenen Landes, seiner festen Verankerung in der westlichen Werte- und Finanzgemeinschaft sowie mit der sich daraus ergebenden Solidarität mit dem westdeutschen Staat. Nichtsdestoweniger stießen geschickte
Hierzu u. a. Marco Paolino, Intellettuali e politica nel periodo della „Guerra Fredda“: 2004, S. 999 – 1018.
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Vorstöße von SED-Vertretern in weiten Teilen des italienischen Intellektuellenmilieus auf positive Resonanz, die in absoluten Zahlen gemessen zwar gering, aber beständig ausfiel.⁴³³ Das Kulturzentrum Centro Thomas Mann entwickelte sich dabei bereits in den frühen sechziger Jahren zu einem bedeutenden Motor der bilateralen kulturellen Beziehungen. Zu verdanken war dies vor allem dem hohen Engagement einiger Verfechter des Projekts, meistens linke Intellektuelle, die dem PCI nahestanden.
Das Centro Thomas Mann Die Geschichte des Centro Thomas Mann nahm ihren Ausgang in den fünfziger Jahren: 1957 war das Zentrum aus den Bemühungen einer kleinen Gruppe von Linksintellektuellen in Rom hervorgegangen.⁴³⁴ Die Verbindung zu ostdeutschen Ansprechpartnern hatte ursprünglich der PCI über seine Abteilung für Internationale Verbindungen beim ZK geknüpft. 1954 hatte Paolo Robotti,⁴³⁵ Leiter des Sektors Freundschaftsgesellschaften mit dem Schwerpunkt „real sozialistische“ Länder, Kontakt aufgenommen mit der Gesellschaft für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland der SED.⁴³⁶ Da es zu diesem Zeitpunkt unmöglich erschien, eine offizielle, von der Regierung bewilligte Freundschaftsgesellschaft ins Leben zu rufen, unterbreitete der PCI den Vorschlag, einstweilen ein Kulturzentrum zu gründen, das es sich zum Ziel machen solle, für die ostdeutsche Kultur und Gesellschaftsform in Italien zu werben.⁴³⁷ Bei der SED-Führung stieß das Vorhaben sofort auf Interesse und auch in Italien zeigten sich weite Teile der christdemokratischen Regierungskoalition der Sache gegenüber zumindest aufgeschlossen. Es mussten aber auch Garantien gewährt werden. Um die ähnliche Arbeitsweise und Zielsetzung des renommierten römischen Goethe-Instituts nicht zu diskreditieren, war eine klare Trennung
Paolino, Intellettuali e politica, in: Rogari (Hg.), Partiti e movimenti, S. 1006 – 1007; vgl. ferner auch Pöthig, Italien und die DDR, S. 292– 293. Vgl. hierzu grundsätzlich Magda Martini, La cultura all’ombra del muro. Relazioni culturali tra Italia e DDR (1949 – 1989), Bologna 2007, hier S. 95 – 103; Johannes Lill, Die DDR und Italien (1949 – 1973). Möglichkeiten und Grenzen für den Ausbau der bilateralen Beziehungen, in: Ulrich Pfeil (Hg.), Die DDR und der Westen. Transnationale Beziehungen 1949 – 1989, Berlin 2001, S. 237– 255, hier S. 240 – 241. Vgl. Martini, La cultura all’ombra del muro, S. 95 – 96. Aus der „Gesellschaft für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland“ sollte 1961 die „Liga für Völkerfreundschaft“ hervorgehen. Vgl. Martini, La cultura all’ombra del muro, S. 96; Lill, Völkerfreundschaft, S. 279 – 280.
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gefordert. Man konnte sich auf den Kompromiss einigen, dass sich das neue Zentrum vornehmlich mit soziopolitischen bzw. soziokulturellen Aspekten beider deutschen Staaten befassen würde.⁴³⁸ Im Februar 1957 konnte es schließlich offiziell gegründet werden. Seine Benennung nach Thomas Mann folgte politischen Überlegungen; man hielt den Lübecker Schriftsteller in seiner Qualität als gesamtdeutsche, einigende Instanz für am besten geeignet. Die Berufung auf ihn sollte auf das abheben, was die beiden deutschen Staaten vereinte, nicht auf das, was sie trennte.⁴³⁹ Die ursprüngliche, vorrangig aus taktischen Gründen propagierte Fokussierung der Kulturarbeit auf Aspekte der beiden deutschen Staaten wich unmittelbar nach der erfolgreichen Gründung einer Schwerpunktsetzung auf Kultur und Gesellschaft der ostdeutschen Republik. Dies lag auch an dem beteiligten Mitarbeiterstab, der sich überwiegend aus dem linksintellektuellen Milieu rekrutierte und zu dem u. a. PCI-Mitglieder wie der Philosoph Galvano della Volpe, der Physiker Ettore Pancini oder der Abgeordnete Luigi Polano gehörten.⁴⁴⁰ Die Aktivitäten des Zentrums konnten im Frühjahr 1957 aufgenommen werden, wenn auch nicht ohne materielle und organisatorische Schwierigkeiten. Trotz der enthusiastischen Unterstützung des italienischen Projekts durch SED-Vertreter wurde bald ersichtlich, dass ein langfristiges Engagement im Sinne einer medialen und propagandistischen „Aufklärungsarbeit“ und ein wirklicher kultureller Austausch zwischen beiden Ländern vieler Ressourcen bedurften. Um diese zu generieren, fehlte es einerseits an einem geregelten Kommunikationskanal, der die Verständigung zwischen beiden Seiten sowie ihre Verhandlungen hätte optimieren können;⁴⁴¹ zum anderen war der finanzielle Spielraum des ostdeutschen Staates begrenzt; die Lieferungen von Informationsmaterialien nach Italien erfolgten entsprechend unregelmäßig und mühsam. Dennoch gelang es durch die Zusammenarbeit, mehrere wichtige Veranstaltungen zu organisieren. Von den zahlreichen Auftritten ostdeutscher Opern- und
Martini, La cultura all’ombra del muro, S. 96; vgl. auch Laura Fasanaro, La DDR e l’Italia. Politica, commercio e ideologia nell’Europa del cambiamento (1973 – 1985), Rom 2016, hier S. 45 – 50. Fasanaro, La DDR e l’Italia, S. 96; ferner auch SAPMO-BArch, DY/13, 1778, (1957). Vgl. Paolino, Intellettuali e politica nel periodo della „Guerra Fredda“, S. 1009 – 1010. Bis zur offiziellen Anerkennung des ostdeutschen Staats durch die italienische Republik 1973 waren Austauschmöglichkeiten in diesem Sinne eher problematisch. Informelle Kontakte konnten selbstverständlich weiterhin gepflegt werden und trugen maßgeblich zur Aufrechterhaltung der bilateralen Beziehungen bei, die Gefahr der Zensur oder gar von Spionagemaßnahmen durch Regierungsstellen blieb jedoch jederzeit bestehen. Vgl. Paolino, Intellettuali e politica nel periodo della „Guerra Fredda“, S. 1015.
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Theaterkompanien in Italien soll hier nur auf einige bedeutende hingewiesen werden: So konnte 1967 die Berliner Komische Oper im berühmten venezianischen Theaterhaus La Fenice gastieren, obwohl die Bonner Regierung im Vorfeld großen Druck auf die italienische Seite ausgeübt hatte, dies zu verhindern.⁴⁴² Erst nach dem Einlenken von Kanzler Kiesinger konnten die Pläne des Zentrums umgesetzt werden. Die ablehnende Haltung der Bundesrepublik gegenüber dem engen Austausch zwischen dem Centro Thomas Mann und der DDR war keineswegs neu. Ende der fünfziger Jahre hatte die Bonner Regierung bereits mehrere ähnliche Vorhaben mit dem Hinweis auf den medial gefährlichen Charakter solcher Veranstaltungen blockiert.⁴⁴³ Nichtsdestoweniger konnten die Ostdeutschen Formen der Zusammenarbeit mit dem Theater La Scala in Mailand festlegen und umsetzen; symbolisch gewichtig war auch der Gastauftritt des Berliner Radioorchesters im späten Sommer 1957.⁴⁴⁴ Wie Martini zu Recht hervorhebt, rührten die Hindernisse gegenüber der vollen Entfaltung eines ergiebigen Austauschs jedoch nicht nur von italienischer bzw. westdeutscher Seite. Natürlich war die Verstärkung der bilateralen Beziehungen zwischen der DDR und Italien, wenngleich nicht im diplomatischen Rahmen, Bonn ein Dorn im Auge. Kritik kam jedoch auch aus Ost-Berlin selbst und war direkt an die Adresse des Zentrums gerichtet. Der SED-Führung mißfiel die offenbar nur unzureichend ausgeprägte politische Ausrichtung der Institution. Mit anderen Worten: Walter Ulbricht hatte sich von den kulturellen Verbindungen viel mehr als das Geleistete versprochen und wünschte, dass die Veranstaltungen des Centro Thomas Mann mit eindeutigeren politischen Botschaften versehen würden – was jedoch bei den Italienern auf Ablehnung stieß.⁴⁴⁵ Die Polemik ging sogar so weit, dass die deutsche Seite über harte Konsequenzen nachdachte und eine Auflösung des Zentrums in Betracht zog.⁴⁴⁶ Das Außenministerium der DDR hingegen wertete die Zusammenarbeit mit dem italienischen Centro als besonders vielversprechend und konnte gegensteuern: Im Rahmen der Anerkennungskampagne solle doch alles unternommen werden, um eine freundliche Behandlung und die propagandistische Profilierung der DDR auch im westlichen Ausland zu sichern. Vor diesem Hintergrund halte man es für ratsam, die Kampagne in Italien fortzuführen und das Centro in den Mittelpunkt seiner Bemühungen zu stellen. Schlussendlich wurde tatsächlich das Budget für
Vgl. Pöthig, Italien und die DDR, S. 295. Vgl. Martini, La cultura all’ombra del muro, S. 98 – 99. Martini, La cultura all’ombra del muro, S. 99 – 100. Vgl. SAPMO-BArch, DY/30/IV 2/20, 260, (1960), S. 119 – 125. Es handelte sich namentlich um die Gesellschaft für kulturelle Beziehungen mit dem Ausland. Vgl. Martini, La cultura all’ombra del muro, S. 100.
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medienwirksame Aktivitäten im südeuropäischen Land erhöht und die Zusammenarbeit entsprechend intensiviert. In der Tat zeitigte der Einsatz sichtbare Resultate. Zu behaupten, dass den ostdeutschen Bemühungen dabei allein das „wiederentdeckte“ Interesse an Italien zugrunde gelegen hätte, wäre freilich überzogen. Vielmehr war ein Zusammenspiel von Faktoren entscheidend: Zum einen die bereits erwähnte ostdeutsche Einsicht in die strategische Wichtigkeit der Unterstützung; zum anderen wuchs auch auf italienischer Seite unter den Linksintellektuellen die Überzeugung, dass die DDR, angesichts des als ultrakonservativ und friedensgefährdend eingeschätzten Gebarens der Bonner Regierung, eine Hoffnung auf ein besseres, gerechteres Europa und eine friedvolle Welt verkörpern könne. In diesem Sinne bemühten sich einige bedeutende, dem PCI nahestehende Intellektuelle anlässlich des 10. Jahrestags der Gründung der DDR 1959 um eine systematische Erörterung und „Berichtigung“ wichtiger historischer Fragen im Rahmen einer Tagung im Centro Thomas Mann. Der international renommierte Kunsthistoriker und Archäologe Ranuccio Bianchi Bandinelli, damals „einfaches“ PCI-Mitglied und ab Anfang der sechziger Jahre bis zu seinem Tode 1975 Mitglied des ZK, gehörte zu den Initiatoren der breit angelegten Konferenz mit dem Thema „Deutschland und seine Geschichte“ (La Germania di fronte alla propria storia). Die Tagung fand unter der Schirmherrschaft des PCI statt; ihr saß der marxistische Historiker Ernesto Ragionieri vor.⁴⁴⁷ Die Teilnehmer kamen bei ihren Erörterungen darin überein, dass es ein Fehler Westeuropas sei, sich über die politischen und sozialen Errungenschaften der „real sozialistischen“ Länder in überheblicher Manier hinwegzusetzen und diese zu verdammen. Im Gegenteil, man solle sich ihrer annehmen, mit ihnen in ein Vertrauensverhältnis eintreten sowie den Dialog über den „Eisernen Vorhang“ hinweg suchen und konsequent fördern; nur so seien Verständigung und Frieden möglich. Die Hervorhebung des Stichworts „Friede“ durch die Teilnehmer kam einer Kritik westeuropäischer Mächte und insbesondere der Bundesrepublik gleich, die angeblich auf „Militarismus“ und „Imperialismus“ statt auf Entspannungsbestrebungen setzten.⁴⁴⁸ Bis 1961 blühten die Initiativen des Zentrums regelrecht auf: Lesungen von deutschen Schriftstellern wurden abgehalten, Konferenzen über ostdeutsche Kultur und Musik sowie über die Sport- und Jugendpolitik veranstaltet und Übersetzungen bedeutender Dichter und Dramaturgen der DDR angefertigt. Sowohl die SED-Führung als auch der PCI zeigten sich äußerst zufrieden mit der Entwicklung der bilateralen Kulturverbindungen und bestätigten mehrfach, dass
Vgl. Martini, La cultura all’ombra del muro, S. 100. Martini, La cultura all’ombra del muro, S. 100.
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die Arbeitsweise des Centro Thomas Mann und das tatkräftige Engagement seiner Leiter, darunter insbesondere der Sekretärin Rosa Spina und des PCI-Senators Luigi Polano, Wichtiges zur Sensibilisierung und Aufklärung der italienischen Öffentlichkeit beigetragen habe. Hauptverdienst des Centro sei es gewesen, die „zentrale Botschaft“ der Anerkennungsbewegung der DDR in alle Kundgebungen, Konferenzen und kulturelle Bemühungen einbezogen sowie in die öffentliche Debatte des Landes eingebracht zu haben. Giancarlo Pajetta musste anlässlich einer Unterredung mit SED-Kollegen in Ost-Berlin im Frühjahr 1960 einräumen, dass selbst er und seine Partei mit einem solchen Durchbruch nicht gerechnet hätten. Das Zentrum, so Pajetta, habe zweifelsohne eine gewichtige Rolle gespielt.⁴⁴⁹ Natürlich barg der Enthusiasmus der ostdeutschen Seite auch Risiken. Die Intention der SED-Führung, das Zentrum zu einer Art Plattform für die Vermittlung politischer Botschaften in Italien auszubauen, traf beim PCI auf dezidierte Ablehnung. Der PCI-Vorstand bestand auf der pragmatischen Aufrechterhaltung einer Balance zwischen Kultur und Politik, um damit die italienischen Behörden nicht vor den Kopf zu stoßen. In der Tat beobachtete die Regierung um den christdemokratischen Ministerpräsidenten Fernando Tambroni die Erfolge der kulturpolitischen Zusammenarbeit zwischen der SED und dem linksgerichteten Centro nicht ohne Bedenken und hatte eine umfassende Überwachung des Zentrums angeordnet.⁴⁵⁰ Im Endeffekt trug dies maßgeblich dazu bei, dass das ostdeutsche Anliegen binnen kurzer Zeit populär wurde; es fand die Unterstützung immer breiterer Kreise der italienischen Intellektuellenszene. Erst die Folgen der zweiten Berlin-Krise und der 1961 begonnene Mauerbau führten zu einem Umdenken: Die anfängliche Sympathie für den SED-Staat schlug in Skepsis und in mehreren Fällen in offenes Misstrauen um.
Ideologisch-organisatorische Divergenzen und der allmähliche Niedergang des Centro Thomas Mann In den achtziger Jahren verschlechterten sich die bilateralen Beziehungen im kulturellen Bereich zusehends. Die Freundschaftsgesellschaft DDR-Italien blieb die einzige Institution, die sich in Italien noch aktiv für den ostdeutschen Staat verwendete. Sowohl die italienische Regierung als auch der PCI hingegen dis Vgl. SAPMO-BArch, DY/30/IV 2/20, 261, (April 1960), S. 64– 65. Die Sekräterin des Centro Thomas Mann bemühte sich mehrfach darum, die ostdeutschen Ansprechpartner vor der Gefahr der Überwachung durch italienische Regierungsstellen zu warnen. Sowohl Briefe als auch Telefonate seien in diesem Sinne nicht mehr sicher gewesen. Vgl. SAPMO-BArch, DY/30/IV 2/20, 260, (Februar 1960), S. 138 – 141.
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tanzierten sich in dieser Dekade allmählich von der DDR aus verschiedenen Gründen, wobei insgesamt ideologische Motive eine übergeordnete Rolle spielten.⁴⁵¹ Weder der Staatsbesuch von Craxi und Andreotti in Ost-Berlin 1984 noch derjenige Honeckers in Italien im darauffolgenden Jahr konnten diese Entwicklung aufhalten. Die Frage der Errichtung von jeweils einem offiziellen Kulturinstitut in beiden Hauptstädten, die bis dahin noch auf der Agenda ostdeutscher und italienischer Kulturpolitiker gestanden hatte, blieb daher weiterhin ungelöst. Ein weiterer Grund für die schwindende Unterstützung des PCI zugunsten der ostdeutschen Sache lag in den Meinungsverschiedenheiten zur Invasion der sowjetischen Truppen in Afghanistan Anfang der achtziger Jahre, die von den italienischen Kommunisten harsch kritisiert wurde.⁴⁵² Zwar konnten die kulturellen Beziehungen zwischen beiden Staaten dennoch auch im letzten Jahrzehnt vor dem Fall der Mauer aufrechterhalten werden; sie beruhten aber lediglich auf Resolutionen oder ähnlichen Abkommen, die im Rahmen der Freundschaftsgesellschaften im lokalen oder regionalen und städtepartnerschaftlichen Bereich abgeschlossen worden waren.⁴⁵³
Die Deutsch-Italienische Gesellschaft Auf Beschluss der Liga für Völkerfreundschaft war im Frühjahr 1963 in Ost-Berlin die Deutsch-Italienische Gesellschaft (DIG) ins Leben gerufen worden. Sie erwies sich als äußerst nützliches Bindeglied zwischen den italienischen Kulturinstituten, darunter vornehmlich dem Centro Thomas Mann, und den ostdeutschen Parteieinrichtungen sowie zur Koordinierung und Durchführung propagandistisch-politischer Arbeit im Ausland.⁴⁵⁴ Gerhard Reintanz von der Ost-CDU, Völkerrechtler und Dekan der Juristischen Fakultät an der Martin-Luther-Universität Halle, wurde zum Präsidenten der Gesellschaft gewählt. Der italienische Gegenpart zur DIG, die Associazione Italia-RDT, wurde erst nach Aufnahme diplomati-
Neben diesen fielen auch technisch-organisatorische Bedenken auf italienischer Seite ins Gewicht. Den ostdeutschen Ansprechpartnern wurde vermehrt vorgeworfen, zu wenig für die Aufhebung des „einseitigen“ Charakters der Austauschprogramme – nach wie vor überwogen Aufenthalte italienischer Abordnungen auf ostdeutschem Boden – zu unternehmen. Hierzu vgl. Martini, La cultura all’ombra del muro, S. 292. Martini, La cultura all’ombra del muro, S. 293 – 294. Martini, La cultura all’ombra del muro, S. 294– 302. Vgl. Pöthig, Italien und die DDR, S. 296.
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scher Beziehungen mit der DDR im Juni 1973 gegründet, entwickelte sich aber in den siebziger und achtziger Jahren bald zu einer bedeutenden Plattform zur Etablierung und Aufrechterhaltung von Kontakten der SED-Führung zu italienischen Ansprechpartnern.⁴⁵⁵ Die DIG sah sich statutmäßig dazu verpflichtet, in Italien das „wahrheitsgetreue“ Bild des ostdeutschen Staates und seiner Gesellschaft sowie seiner wirtschaftlichen und kulturellen Entfaltung zu propagieren und möglichst viele Kontakte im Bereich des öffentlichen Lebens zu knüpfen.⁴⁵⁶ Seit ihrer Gründung bemühte sich die Gesellschaft um die Organisation von öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen, die in den sechziger Jahren vornehmlich dem Ziel der internationalen Anerkennung dienen sollten. 1964 wurde beispielsweise der italienische Renaissance-Künstler Michelangelo geehrt, dessen Todestag sich damals zum 400. Male jährte. Ein Jahr später fanden mannigfaltige Feierlichkeiten anläßlich des 700. Geburtstags Dante Alighieris an der Humboldt-Universität in Ost-Berlin statt.⁴⁵⁷ Beide Veranstaltungen sollten die Rolle der DDR als Hüterin sowohl der klassischen als auch modernen Kunst und Kultur hervorheben. Die Betonung der humanistischen Grundlage der ostdeutschen Republik sollte einen weiteren Beweis dafür erbringen, dass die DDR ein friedliebendes Land sei, welches Fortschritt und internationaler Solidarität seinen ungeteilten Glauben schenke.⁴⁵⁸
Zum wissenschaftlichen Austausch In der Theorie maßen sowohl die SED als auch der PCI den bilateralen kulturellen und wissenschaftlichen Verbindungen sowie dem wissenschaftlichen Austausch und Transfer ganz im marxistischen Sinne herausragende Bedeutung bei. Die Realität sah freilich anders aus: Die Möglichkeiten einer fruchtbaren und geregelten Zusammenarbeit auf wissenschaftlichem Feld blieben weit hinter den Hoffnungen beider Parteien zurück. Schuld daran war u. a. die stark eingeschränkte Mobilität der ostdeutschen Seite, die, ähnlich wie im Fall der städtepartnerschaftlichen Beziehungen, Ausreisen ihrer Delegationen ins kapitalistische Ausland nur sporadisch genehmigte. Natürlich stand dies im krassen
Insofern war die SED stets bemüht, den PCI zu einer gezielten Zusammenarbeit zu bewegen bzw. ihn dazu zu veranlassen, der Associazione Italia-RDT gebührendes Augenmerk zu schenken und sie nicht allein „bürgerlichen“ Händen zu überlassen.Vgl. Pöthig, Italien und die DDR, S. 297. Vgl. SAPMO-BArch, Liga für Völkerfreundschaft, DY 13/1763. Vgl. Pöthig, Italien und die DDR, S. 297. Die Aktenlage sowohl im italienischen Istituto Gramsci als auch im SAPMO-BArch ist leider äußerst fragmentarisch und ermöglicht keine nahtlose Rekontruktion der Aktivitäten der DIG in den siebziger und achtziger Jahren.
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Widerspruch zur Absicht des Ost-Berliner Regimes, sein internationales Profil zu verbessern und vor allem mit dem westlichen Rivalen Bundesrepublik Schritt zu halten. Von italienischer Seite aus durften jedenfalls seit Ende der fünfziger Jahre einem Beschluss der italienischen Regierung gemäß wissenschaftliche „Querbeziehungen“ zu „real sozialistischen“ Ländern hergestellt werden. Die einzige einschränkende Bedingung lautete, dass diese die Verbindungen zu Ländern der westlichen Welt zahlenmäßig nicht übertreffen sollten.⁴⁵⁹ Der PCI erwies sich als besonders nützliche Plattform zur Organisation des wissenschaftlichen Austausches. Die größte Hürde bei der Entfaltung der Beziehungen war jedoch zweifelsohne Ost-Berlin selbst, denn die SED-Führung bemühte sich kontinuierlich darum, nur ausgewiesene, dem Marxismus-Leninismus gegenüber loyale Wissenschaftler ins Ausland zu schicken, die während ihrer Aufenthalte im Ausland für politisch-propagandistische Zwecke eingespannt werden konnten. Trotz aller instrumentalisierenden Indienstnahme der wissenschaftlichen Verbindungen durch die SED kamen auf Vermittlung des PCI einige fruchtbare Begegnungen zustande. So weilten etwa ostdeutsche Künstler seit Aufhebung des Verbots 1957 regelmäßig in der Villa Massimo in Rom und konnten dort Kontakte zu italienischen Kollegen knüpfen. Im Bereich der Altertumswissenschaft und der medizinischen wie zahnmedizinischen Forschung erlebten die Austauschprogramme seit Ende der fünfziger Jahre einen regelrechten Aufschwung.⁴⁶⁰ Aus der Feder des PCI stammte eine Anregung zur Entsendung bilateraler Studiendelegationen aus den Wissensfeldern Medizin, Kunst- und Geschichtswissenschaft; das Istituto Gramsci in Rom richtete 1959 eine Vorlesungsreihe über die europäische Kolonialpolitik aus, an der sich u. a. auch der prominente DDR-Historiker Walter Markov beteiligte.⁴⁶¹ Die so in Gang gesetzte wissenschaftliche Zusammenarbeit verzeichnete jedoch ab den siebziger Jahren einen markanten Rückgang. Beigetragen dazu haben einerseits die Nachwirkungen des Jahres 1968 und die Wiederverschärfung des Ost-West-Konflikts sowie andererseits die wachsenden ökonomischen Schwierigkeiten der DDR. Außerdem trat im Herbst 1978 das Abkommen über die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit zwischen Italien und der DDR in Kraft,
Archivio Storico del Ministero degli Affari Esteri (fortan ASMAE), Rom, AP 1957, b. 1370, Direzione generale delle Relazioni culturali con l’Estero, 22.08.1957. Vgl. Pöthig, Italien und die DDR, S. 298. 1962 fanden in Weimar vier deutsch-italienische Kulturgespräche statt, an welchen mehrere sowohl national als auch international anerkannte italienische Wissenschaftler teilnahmen, darunter der bereits erwähnte Paolo Chiarini, ferner Carlo Levi und Enzo Collotti. Vgl. Pöthig, Italien und die DDR, S. 299.
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für welches sich die größten italienischen Konzerne seit Anfang der siebziger Jahre mit Nachdruck eingesetzt hatten. Damit erfolgte eine konsequente Verlagerung des wissenschaftlich-kulturellen Austauschs von der offenen Bühne der groß angelegten und medial rezipierten Tagungen und Workshops in den unauffälligen Raum der Labore. Was die Geisteswissenschaften anbelangt, konnten lediglich die Verbindungen im Bereich der Literaturwissenschaften weiter „ungestört“ gefördert und realisiert werden.⁴⁶²
Zum Studentenaustausch Als besonders massenwirksam und somit auch propagandistisch relevant wertete das SED-Regime die Möglichkeit der direkten Beeinflussung junger Generationen aus dem Ausland. In diese Kategorie zählte man Studentinnen und Studenten aller Fachrichtungen, die durch ihre Zugehörigkeit zu Universitäten und Forschungsinstitutionen außerdem einfach erreicht und zu Austauschprogrammen animiert werden konnten. Zu diesem besonderen Zweck hatte das MfAA Anfang der sechziger Jahre verfügt, dass der Herstellung von bilateralen Austauschbeziehungen mit italienischen Hochschulen eine hohe Bedeutung beigemessen werden sollte. Dies hatte in der Praxis zur Folge, dass alle Mittlerorganisationen wie etwa das Centro Thomas Mann und die zuständigen Abteilungen beim PCI zu einem gemeinsamen Planentwurf angeregt wurden. Das Centro bemühte sich um Kontaktaufnahme zur römischen Universität La Sapienza, mit der es bereits auf verschiedenen Feldern kooperierte, und unterbreitete den dortigen Verantwortlichen den Vorschlag eines Stipendienprogramms, das italienischen Studenten die Möglichkeit geben sollte, in die DDR einzureisen, um sich zu Studienzwecken für einen längeren Zeitraum dort aufzuhalten. Nach Zustimmung der Sapienza zu diesem Projekt wurde später dann in der Regel jeweils ein Semester beantragt, genehmigt wurden von DDRSeite aber meistens nur zwei bis drei Monate.⁴⁶³ Im Mittelpunkt der Austauschförderung standen insbesondere Germanisten. Italienische Deutsch- und Germanistikstudenten zeigten großes Interesse daran, einen möglichst langen Zeitraum in Deutschland – in gleichem Maße sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR – zu verbringen, um dort am Abschluss ihrer Magisterarbeit arbeiten zu können. Wie bereits erwähnt, konnte dem Wunsch nach langen Aufenthalten zwar von offizieller Seite aus nicht stattgege-
Hierzu u. a. Fabio Marri, La Germania in Italia oggi. Riflessi culturali, letterari, linguistici, in: Atti e memorie, Serie VII – Bd. 12, Modena 1996, 1994– 95, S. 373 – 410. Vgl. Pöthig, Italien und die DDR, S. 299 – 300.
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ben werden; der Flut an Anträgen tat dies aber keinerlei Abbruch. Zur Bündelung und bürokratisch einfacheren Bearbeitung der Gesuche wurde der Entschluss gefasst, den Stipendiaten die Möglichkeit zu bieten, im Rahmen eines zwei- bis dreimonatigen Aufenthalts sowohl West- als auch Ostdeutschland kennenzulernen. So konnten seit Anfang der sechziger Jahre mehrere Tausend Studenten aus ganz Italien regelmäßig nach Deutschland reisen und sich ein Bild beider deutschen Staaten verschaffen.⁴⁶⁴ Seit dem VIII. Parteitag der SED 1971 galt die verbindliche Maßgabe, dass sich auch „Kulturschaffende“ sowie Universitätslektoren und Hochschullehrer in den Dienst staatlicher Ziele stellen sollten. Zu diesem Zeitpunkt stand die internationale Anerkennungspolitik nach wie vor ganz oben auf der außenpolitischen Agenda der SED; nun sollten auch die Intellektuellen ihren Beitrag dazu leisten. Umgehend wurde bei den einschlägigen Stellen, etwa beim Herder-Institut in Leipzig oder an der Humboldt-Universität in Ost-Berlin, angeordnet, dass die Lektoren eine besonders wichtige Rolle bei der Vermittlung und Erklärung kultureller und sozialer Differenzen zwischen der DDR und der Bundesrepublik zu übernehmen hätten. Diese Aufgabe sollten sie, so die Vorgabe von oben, loyal erfüllen, um dadurch Besuchern aus dem Ausland mit Nachdruck aufzuzeigen, auf welchen ideologischen und historischen Traditionen der noch junge ostdeutsche Staat stehe. In dieser Vorgehensweise erblickte die SED-Führung die Chance, den sonst auf anderem Terrain ausgefochtenen Klassenkampf im Namen des Antifaschismus und des klassischen Humanismus, zu welchem sich die DDR als „Arbeiter- und Bauernstaat“ besonders verpflichtet sah, auch im Rahmen geregelter Beziehungen zum kapitalistischen Ausland auszutragen.⁴⁶⁵ Mit der erreichten diplomatischen Anerkennung der DDR Anfang der siebziger Jahre änderte sich die Kultur- und Wissenschaftspolitik der SED gegenüber dem Ausland nur dahingehend, dass die bis dahin erschlossenen Kontakte im Rahmen des wissenschaftlichen Austauschs nunmehr offiziell genutzt und aus-
„Geplant wurden Reisen von Studenten in die DDR zu angemessenen Preisen, eine Woche des Films der DDR, politische und kulturelle Begegnungen mit kritischen Vertretern der ‚Oppositionʼ in der Bundesrepublik wie Hans Magnus Enzensberger, Peter Weiss und Martin Walser sowie die Vertiefung der Kontakte zum Herder-Institut in Leipzig.“ In: Pöthig, Italien und die DDR, S. 300. In einem Leittext zur Gründung der Arbeitsgruppe „Deutsch als Fremdsprache“, die aus den Anregungen des VIII. Parteitages der SED hervoregangen war, wurde betont, dass die aufklärerische Arbeit der Lektoren ein Gegengewicht bilden sollte zur „Zersetzung des humanistischen Menschenbildes als Prinzip der imperialistischen Massenkultur in der Bundesrepublik.“ SAPMOBArch, Ministerium für Volksbildung, DR 3/B 1507/1a, Arbeitsgruppe „Deutsch als Fremdsprache“ Jahresmaßnahmeplan 1972.
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gebaut werden konnten. Italien gehörte aus mehreren Gründen zu denjenigen Ländern, auf welche die Ost-Berliner Machthaber einen besonderen Wert legten, nicht zuletzt wegen der einflussreichen Präsenz des PCI. 1973 konnten bereits bestehende Verbindungen zu diversen italienischen Hochschulen qualitativ gefestigt werden; das im selben Jahr unterzeichnete Kulturabkommen zwischen beiden Ländern stellte die Weichen für eine noch engere Zusammenarbeit auf universitärem Niveau. Angestoßen durch wichtige Forschungszentren wie die Universitäten Bologna, Venedig oder Rom, spielten dabei die Geisteswissenschaften eine herausragende Rolle. Impulse von DDR-Seite kamen vor allem aus Leipzig, vom Herder-Institut der Karl-Marx-Universität, an dem Italien-Forschung betrieben wurde, sowie von der Berliner Humboldt-Universität, an welcher der Fachbereich Italianistik besonders stark besetzt war.⁴⁶⁶ Quantitativ gingen die Kontakte und Kooperationen allerdings nach der erzielten Anerkennung der DDR deutlich zurück – die Anerkennung könnte etwas zugespitzt sogar als „Sargnagel“ für die Entwicklung der Wissenschaftsbeziehungen zwischen beiden Ländern bezeichnet werden. Daran wird deutlich, dass das SED-Regime die Verbindungen fast ausschließlich aus opportunistischen Gründen und politisch genau definierten Absichten gefördert hatte.⁴⁶⁷
Zu den Beziehungen zwischen italienischen und ostdeutschen Massenorganisationen Die Bedeutung von Massenorganisationen für SED und PCI kann kaum hoch genug veranschlagt werden. Dies gilt vor allem für die italienische kommunistische Partei, die ja als in einer parlamentarischen Demokratie agierender Akteur auf gesellschaftliche Akzeptanz und Durchdringung gleichsam angewiesen war. Der hegemonialen SED-Führung diente die Praxis der „Organisation der Massen“ der für sie überlebenswichtigen Durchherrschung der DDR-Bevölkerung: Potentiell abweichendes Verhalten in der Gesellschaft konnte dadurch abgewendet, das Regime weiter gefestigt werden. Dennoch gestalteten sich die bilateralen Verbindungen im Bereich der Massenorganisationen von Anfang an schwierig – oder vielleicht sogar gerade wegen der für beide Parteien so gewichtigen Konzentration auf massenwirksame
Insgesamt 28 Lehrkräfte umfasste der Fachbereich Italianistik (Sprachmittler- und Diplomandenausbildung) Ende der siebziger Jahre an der Ost-Berliner Humboldt-Universität. Vgl. SAPMO-BArch, Ministerium für Volksbildung, DR-3/B 1437. Hierzu u. a. Hans Jürgen Fink, Die DDR im Westen. Probleme und Interessen, in: DeutschlandArchiv 12 (1979), S. 290 – 302; Hans Jürgen Fink, Die DDR im Westen. Bilaterale Beziehungen, in: Deutschland-Archiv 12 (1979), S. 495 – 508.
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Arbeit, die aber schon im jeweiligen Ansatz und in der weiteren Zielsetzung ganz unterschiedlich ausgeprägt war. Dies war vornehmlich auf wechselseitige ideologisch-propagandistische Verwerfungen sowie auf Meinungsverschiedenheiten zurückzuführen, auf die bereits ausführlich eingegangen worden ist. Auch internationale Ereignisse nahmen auf diese Beziehungen unmittelbar Einfluss, etwa zwischen den Jugendorganisationen beider Parteien. Das auf beiden Seiten herrschende Verständnis von massentauglichen Vorfeldorganisationen (z. B. Gewerkschaften) und politischen Nebenakteuren als wirksame „Transmissionsriemen“⁴⁶⁸ zur komplementären Verbesserung der Tätigkeit der Parteizentrale stieß mehrfach an seine Grenzen. Eine gemeinsame Sprache zur Lösung von internationalen Problemen des europäischen Kommunismus konnte ebenso wenig gefunden werden wie eine allgemein geltende Verständigung über Begriffe und Dimensionen des gesellschaftlichen Wandels der siebziger und achtziger Jahre. Eine Ausnahme stellten besondere Momente und Entwicklungen dar, in denen die Ostdeutschen die Möglichkeit eines propagandistischen Erfolgs für die SED und die DDR erblickten, wie etwa die Friedensbewegung der siebziger und achtziger Jahre, die sich zu einer medial inszenierten Anklage der US-amerikanischen „imperialistischen“ Außenpolitik anbot. Die Quellenlage zur Rekonstruktion der Beziehungen zwischen den Massenorganisationen des PCI und der SED ist, wie bereits mehrfach angedeutet, extrem fragmentarisch und lässt kein fundiertes abschließendes Urteil zu. Festzuhalten bleibt jedoch, dass sich entsprechende bilaterale Verbindungen, beispielsweise zu den nicht kommunistischen politischen Parteien oder zwischen den Jugendorganisationen FDJ und FGCI⁴⁶⁹, nie zu einer Priorität der jeweiligen Parteiführungen entwickelten und immer nur sporadisch, je nach herrschender politischer Lage zustandekamen. Leicht zu instrumentalisierende Bereiche wie die Sportbeziehungen oder teilweise auch die Städtepartnerschaften⁴⁷⁰ wurden in der Regel von SED-Seite intensiver und regelmäßiger gefördert als Verbindungen zu politisch kaum nahestehenden Partnern.⁴⁷¹
Jedoch mit erheblichen theoretischen Differenzierungen. Siehe das Unterkapitel zu den Gewerkschaftsbeziehungen. Vgl. die Konzepte der FDJ-Leitung in: SAPMO-BArch, DY 24/10653. Hierzu siehe das Unterkapitel zu den Städtepartnerschaften. Auch zum PSIUP und seiner Jugendorganisation beispielsweise konnte die SED kaum regelmäßige Kontakte knüpfen. Dies lag vornehmlich an Differenzen zwischen den beiden Parteizentralen über internationale Themen sowie über ideologische Fragen.Vgl. Pöthig, Italien und die DDR, S. 317.
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12.2 Frankreich-DDR Frankreich galt für die SED seit jeher als strategisch bedeutendes Land, zu welchem es sich lohnte, nützliche Kontakte herzustellen. Der kulturpolitische Rahmen erschien ihr dafür besonders geeignet, konnte dadurch doch die Einwerbung und Mobilisierung beträchtlicher Ressourcen sowohl auf nationaler als auch auf lokaler und regionaler Ebene leicht gerechtfertigt werden. Bis Ende der sechziger Jahre gestalteten sich entsprechende Verbindungen zwischen der DDR und Frankreich allerdings sehr schwierig oder waren fast unmöglich, da die französische Regierung bemüht war, die Entstehung von Kontakten zu Vertretern der DDR im Keim zu ersticken und deshalb alle „anfälligen“ Stellen wie Theater, Künstler-Ensembles oder Orchester überwachen ließ. Zu einer partiellen Lockerung dieser Praxis kam es erst ab Ende der sechziger Jahre, als auch das Verhältnis zwischen der DDR und der Bundesrepublik eine gewisse Entspannung erlebte. Das Interesse der SED an regelmäßigen Beziehungen zu Frankreich lag indes nicht allein in der Suche nach eigenen Vorteilen begründet, sondern auch in dem Konkurrenzkampf, den sie in den fünfziger und sechziger Jahren mit Westdeutschland ausfocht. Die Bundesrepublik befand sich in einer privilegierten Position, hatte sie doch bereits in den fünfziger Jahren die Weichen zur Anbahnung geregelter Kulturbeziehungen mit dem westlichen Nachbarn gestellt. So waren Ende 1957 das erste Goethe-Institut in Lille und im Laufe der sechziger Dekade noch weitere kleinere deutsch-französische Kulturinstitutionen eröffnet worden.⁴⁷² Die Ost-Berliner Führungsriege sah sich vor diesem Hintergrund erheblich unter Druck gesetzt, ebenfalls und trotz der diplomatisch-politischen Schwierigkeiten und Einschränkungen Wege zu finden, das Gespräch mit einschlägigen französischen Partnern einzuleiten. Dies gelang bis zur Normalisierung der bilateralen Beziehungen 1973 vor allem über informelle Kanäle und Seilschaften; als Mittler agierten dabei meistens Intellektuelle oder linksgerichtete Politiker.⁴⁷³
Zu den Beziehungen im Bereich des Theaters und der Opernhäuser In den fünfziger Jahren wurden Theater und Opernhäuser zu einer wichtigen Plattform für den Kulturaustausch zwischen beiden Ländern. Den Theaterensembles war es möglich, weitgehend uneingeschränkt in beiden Ländern aufzutreten und Klassiker ihres jeweiligen Repertoires auf großen Bühnen zu insze-
Vgl. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 313. Siehe Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 311– 313.
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nieren.Von den vielen Gastauftritten⁴⁷⁴ soll hier nur auf zwei hingewiesen werden: Im Frühjahr 1955 wurde das Pariser Théâtre National Populaire mit großem Enthusiasmus in Ost-Berlin empfangen, und 1959 führte das Berliner Ensemble in Frankreich mehrere Stücke von Bertolt Brecht auf, darunter Mutter Courage und Arturo Ui. ⁴⁷⁵ Diesem Austausch bereitete die Errichtung der Berliner Mauer 1961 ein jähes Ende. Als Konsequenz ließ die französische Regierung die Kontrolle der „Kulturschaffenden“ verschärfen oder verbat den Aufenthalt ostdeutscher Ensembles auf französischem Boden schlichtweg.⁴⁷⁶ Dies führte zwar nicht zum vollständigen Erliegen der bilateralen Verbindungen, reduzierte sie jedoch auf ein Minimum. Einen weiteren Rückschlag erlebten die Kontakte um das Jahr 1968, als das energische Vorgehen der französischen Polizeikräfte gegen linksgerichtete Dissidenten und Studenten von der DDR als klares Signal für eine schwelende antikommunistische Stimmung aufgefasst werden konnte. Den Umschwung brachte auch hier das Jahr 1973. Von der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen beiden Ländern profitierten zahlreiche Verbindungen unmittelbar; die Begeisterung über den nun wieder möglichen kulturellen Austausch erfasste das gesamte politische Spektrum, nicht nur die kommunistischen Parteien.⁴⁷⁷
Zu den Beziehungen im Bereich der Freundschaftsgesellschaften Die 1958 gegründete Freundschaftsgesellschaft Echanges Franco-Allemands. Association française pour les échanges culturels avec l’Allemagne d’aujourd’hui (EFA) entwickelte sich im Laufe der sechziger Jahre zu einem der wichtigsten Eckpfeiler der bilateralen Beziehungen in der Zeit vor der internationalen Anerkennung der DDR. Vor ihrer Gründung gab es bereits mehrere kleinere, für den kulturellen Austausch zwischen beiden Ländern nicht minder bedeutende Organisationen und Vereine, die vorwiegend auf das Engagement von Intellektuellen zurückgingen, darunter Geographen, Historiker und vor allem Germanisten. Unter diesen Initiativen spielte der 1952 gegründetet Cercle Heinrich Heine in Paris eine herausragende Rolle als Bindeglied zwischen beiden Kulturen – in einer Zeit, in der die Herstellung geregelter Kontakte keine einfache Angelegenheit dar-
Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 314. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 314. MfAA/A 17187, Bl. 96, Bericht der 5. Europ. Abt./Sektion Frankreich über den gegenwärtigen Stand der Beziehungen DDR-Frankreich, 3.04.1962. Vgl. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 315.
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stellte. Dem sozialen und intellektuellen Gehalt nach ähnelte die Tätigkeit des Cercle unter etlichen Gesichtspunkten derjenigen des Centro Thomas Mann in Rom. Dabei ist zunächst auf die Tatsache zu verweisen, dass er von zwei PCFMitgliedern ins Leben gerufen und von diesen lange Jahre geleitet wurde; die beiden Germanisten Gilbert Badia und Emile Bottigelli zielten mit der Gründung des Vereins ganz offen darauf ab, ein Forum zur Dar- und Vorstellung des ostdeutschen Staates zu schaffen.⁴⁷⁸ Im Zuge der vom Cercle organisierten Aktivitäten zur Vermittlung eines möglichst präzisen und adäquaten DDR-Bildes im Sinne des PCF konnten mehrere ostdeutsche Prominente nach Frankreich einreisen und sich bzw. ihr Schaffen vor Ort präsentieren. Zu ihnen zählten z. B. Anna Seghers, Stephan Hermlin oder Hans Mayer.⁴⁷⁹ Die französischen Kommunisten engagierten sich darüber hinaus entschlossen für das Ziel einer breiteren, ihrem Status nach offiziellen Basis für sämtliche kulturpolitische Verbindungen zur DDR. So setzten sie sich etwa seit Anfang der fünfziger Jahre für die Vermittlung von Französischlektoren an ostdeutsche Hochschulen ein und erreichten die Etablierung direkter Kontakte zwischen der Pariser Sorbonne und den Universitäten in Ost-Berlin, Rostock und Leipzig.⁴⁸⁰ Dem französischen Drängen nach einer offiziellen Grundlage für die kulturellen Verbindungen begegneten die Ost-Berliner Machthaber verhalten. Man befürchtete, dass die Bündelung und Ausdehnung bereits bestehender Kontakte den Argwohn der französischen Behörden nach sich ziehen und zu einem Verbot aller Aktivitäten führen könne. Doch die feste Institutionalisierung der bilateralen Verbindungen war nicht mehr aufzuhalten. Zu viele praktische Faktoren sprachen dafür; außerdem verfügten beide Seiten sowohl über die nötigen Ressourcen als auch die Expertise für die erfolgreiche Schaffung einer zentralen Organisation. Die ostdeutsche Gesellschaft für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland (GfkVA), der damals Kurt Heiß vorstand, verfügte bereits über etablierte und bewährte Kontakte zu Frankreich, die sich als besonders nützlich für die Gründung der EFA erweisen sollten. Zu den ersten heiklen Herausforderungen der neuen Organisation zählten die Formulierung eines geeigneten Statuts sowie die Gewährleistung einer möglichst „gemischten“ Zusammensetzung der leitenden Kader, die schon im Ansatz dem
Vgl. Gilbert Badia, Les échanges culturels entre la France et la RDA, in: Allemagne d’aujourd’hui 106 (1988), S. 114– 128. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 269. SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/3/266, Protokoll Nr. 137/52 der Sitzung des Sekretariats des ZK der SED, 4.02.1952.
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Vorwurf einer rein linksgerichteten Strategie und Zielsetzung entgegenwirken sollte. Beidem wurde schon im Aufbaustadium der EFA gründlich Sorge getragen: ‒ Erstens nämlich übernahm man eine bereits existierende Statutsform, nämlich die der Freundschaftsgesellschaft France-URSS. Dies bot den Vorteil, auf Erfahrungsdimensionen und Organisationsstrukturen zurückgreifen zu können, die sich schon bewährt hatten. ‒ Hiermit ist ein Punkt angerissen, dem führende Vertreter der EFA in diesem ersten Stadium eine übergeordnete Bedeutung beimaßen: Die Aktivitäten der EFA sollten zwar zweitens fest in den Händen von PCF-Funktionären bleiben; nach außen hin sollte aber der Anschein einer „neutralen“, über parteipolitischen Motiven und Intentionen erhabenen Organisation bestehen.⁴⁸¹ So bemühten sich die EFA-Organisatoren von Anbeginn um eine möglichst breite politische Akzeptanz in der Gesellschaft. Namen und Zusammensetzung der Verantwortlichen mussten jeden potentiellen Verdacht auf Parteilichkeit im Keim ersticken; außerdem sollte die EFA jedem Franzosen zugänglich gemacht werden, unabhängig von jedweden Zugehörigkeiten zu politischen oder nichtpolitischen Vereinen oder Parteien.⁴⁸² Daher wurde verfügt, dass die Präsidentschaft einer weitestgehend neutralen, international bekannten Persönlichkeit übertragen werden sollte. Die Wahl fiel auf Albert Chatelet, Mathematikprofessor und Kandidat der Union des Forces Démocratiques für die Wahlen zur Staatspräsidentschaft 1958.⁴⁸³ Diese vorsichtige Strategie erwies sich als erfolgreich: In den folgenden Jahren und Dekaden rekrutierte sich die EFA aus dem (links‐)gaullistischen oder nichtkommunistischen linken Spektrum und konnte sich in der französischen Gesellschaft als überparteische, weithin respektierte Organisation etablieren, deren Anliegen von äußerst verschiedenen gesellschaftlichen Interessensvertretern unterstützt wurden.⁴⁸⁴ Dass dabei die politische und ideologische Führung beim PCF lag, fiel allerdings beim genaueren Hinsehen recht schnell auf. Der Pariser Vorstand stellte nämlich den Generalsekretär der Gesellschaft und nahm auf diese Weise Einfluss auf die Aktivitäten der EFA. Der erste Inhaber dieser Position war Roland Lenoir; ihm folgte sein Vorstandskollege Gabriel Duc. Beide wurden direkt vom außenpolitischen Ressort des PCF unter Jacques Denis ent-
APCF, Décisions du bureau politique 1957; 1958. Vgl. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 270 – 271. Bei den Präsidentschaftswahlen konnte er 8,4 % der Stimmen auf sich vereinigen. Vgl. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 271.
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sandt und von diesem in ihren Funktionen unterwiesen; dasselbe galt für ihre Nachfolger.⁴⁸⁵ Auch die Finanzierung der Gesellschaft offenbarte die Interdependenz der EFA mit den kommunistischen Kräften Frankreichs. Zwar nahm die Gesellschaft durch ihre erhobenen Mitgliedsbeiträge auch eigene Mittel ein, diese bildeten aber keine ausreichend solide Basis zur Bewältigung der mannigfaltigen Aktivitäten des Vereins. Die EFA hätte keinen Erfolg verbuchen können „ohne die erheblichen indirekten Zuwendungen seitens der DDR […]. Den wichtigsten Posten auf der Einnahmenseite bildeten die Reisekosten französischer Gruppen. Da die DDR für die entstehenden Unkosten während des Aufenthaltes aufkam, blieb ein Großteil der Summe auf dem Konto der EFA, die mit diesem Geld ihre Aktionen in Frankreich finanzieren konnte.“⁴⁸⁶ Das konzertierte Vorgehen von PCF und SED bei der indirekten Steuerung der EFA barg allerdings auch Risiken in sich, indem es die Organisation abhängig machte vom jeweiligen Zustand der bilateralen Beziehungen auf Parteiebene. So wirkten sich Phasen politischer Anspannung zwischen beiden Seiten unmittelbar auf die Zusammenarbeit über die Freundschaftsgesellschaft aus. Dies wurde umso auffälliger, als die SED-Führung das Gros ihrer außenpolitischen Tätigkeit in den Dienst der Anerkennungspolitik stellte und somit alle ihre Zuarbeiter auf dieses Hauptziel einschwor.⁴⁸⁷
Zu den Beziehungen um das Jahr 1968 Die Turbulenzen des Jahres 1968, als der PCF zumindest anfänglich zusammen mit den anderen bürgerlichen und linksgerichteten Parteien Frankreichs die im August erfolgte Niederschlagung des „Prager Frühlings“ aufs Schärfste verurteilte, wirkten sich besonders negativ auf die kulturpolitischen Beziehungen aus. Die EFA weigerte sich, für die DDR die sonst zur Tradition gehörenden Festveranstaltungen zum Jahrestag ihrer Gründung auszutragen; auch kam es zu prominenten Rücktritten als Protestzeichen, u. a. von lokalen und regionalen Präsidenten der Gesellschaft.⁴⁸⁸ Argwohn herrschte auf beiden Seiten: Die Franzosen
SAPMO-BArch, DY 30/IV B 2/20/187, Information über die Entwicklung der Freundschaftsbewegung zur DDR in Frankreich, 3.09.1975. Vgl. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 271– 272. SAPMO-BArch, DY 30/IV A2/20/466, Streng vertrauliche Information über einige Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit der EFA, 14.12.1967. Wie Pfeil hervorhebt: „Der Präsident der EFA für das Départment Meurthe-et-Moselle in Nancy, ein Vizepräsident des Départments Nord sowie der Vorsitzende des Ortskomitees von
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kritisierten die Komplizenschaft der DDR mit den Truppen des Warschauer Paktes, und die SED warf den „Genossen“ des PCF vor, sich nur unzureichend an der Demaskierung des westdeutschen und US-amerikanischen „Imperialismus“ sowie am Kampf gegen den „Monopolkapitalismus“ zu beteiligen.⁴⁸⁹ Die Streitigkeiten wuchsen sich zu einem offenen Konflikt aus, als die Behörden der DDR versuchten, den EFA-Generalsekretär Lenoir in ihrem Sinne in die Pflicht zu nehmen. Die Ostdeutschen forderten ihn auf, umgehend Druck auf seine Partei auszuüben, damit diese sich um die öffentlichkeitswirksame „Berichtigung“ der Berichterstattung über die Ereignisse in der Tschechoslowakei bemühte, welche durch „bürgerliche“ Medien und Machtkreise angeblich verdreht und manipuliert worden sei.⁴⁹⁰ Lenoir fasste diesen Vorstoß der SED-Vertreter als Affront auf und wies die Aufforderung zurück. Die Reaktion aus Ost-Berlin folgte prompt: Bis auf Weiteres sollten alle finanziellen Zuwendungen der DDR an die EFA auf Eis gelegt werden.⁴⁹¹
Zu den Beziehungen nach 1968 Doch das Scharmützel wurde bald beigelegt, als die politischen Rahmenbedingungen sich wieder änderten. Wie an anderer Stelle ausführlich erläutert, revidierte der PCF seine anfänglich kritische Haltung zum militärischen Vorgehen des Warschauer Paktes bzw. insbesondere gegenüber dem hegemonialen Gebaren der KPdSU im Eiltempo. Spätestens Anfang des darauffolgenden Jahres 1969 war Paris wieder „auf Linie“ und damit erneut zu bilateralen Gesprächen und gemeinsamen Projekten mit der SED bereit. In den Mittelpunkt ihrer nun wiederhergestellten Zusammenarbeit stellten beide Seiten propagandistische Bemühungen zur diplomatischen Anerkennung der DDR. Damit einhergehend verständigten sie sich darauf, Fehler und Drohgebärden der Bonner Regierung, die sie als hauptverantwortlich für die internationale Benachteiligung des ostdeutschen Staates ansahen, aufzudecken.⁴⁹² Das
Bruay-sur-Escaut sollen infolge der militärischen Intervention zurückgetreten sein.“ Vgl. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 272. SAPMO-BArch, DY 30/IV A2/20/466, Streng vertrauliche Information über einige Schwierigkeiten. SAPMO-BArch, DY 30/IV A2/20/466, Streng vertrauliche Information über einige Schwierigkeiten, S. 2. SAPMO-BArch, NY 4182/1315, Albert Norden an Walter Ulbricht über die Lage in der Leitung der französischen Freundschaftsgesellschaft mit der DDR, 8.11.1968. SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/3 A/1547, Arbeitsprotokoll Nr. 16/68 der Sitzung des Sekretariats des ZK der SED, 28.02.1968.
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von der EFA im Zuge dieser Kampagne propagierte DDR-Bild stand in krassem Kontrast zu der sonst in der Gesellschaft vorherrschenden Wahrnehmung Ostdeutschlands, die noch von der aktiven Beteiligung der DDR an den Geschehnissen in der Tschechoslowakei getrübt war. Nichtsdestoweniger konnte sich die EFA in den darauffolgenden Jahren verhältnismäßig gut entwickeln, wie die stetig wachsende Mitgliederzahl belegt. Vorausgesetzt, dass es das Hauptanliegen der SED war, eine möglichst breite Basis der französischen Gesellschaft zu erreichen und für die DDR zu gewinnen bzw. sie in gemeinsame Vorhaben einzubinden, scheint es berechtigt, die EFA durchaus als Erfolgsbeispiel ostdeutscher außenpolitischer agency zu betrachten. Die Mitgliederanzahl des Jahres 1962 von rund 2.000 stieg auf ca. 11.000 im Jahr 1970: Die Verwerfungen des Jahres 1968 hatten somit dem Aufwärtstrend kaum Einhalt gebieten können. Ende der achtziger Jahre sollte ein Rekordhoch von 15.000 Mitgliedern erreicht werden.⁴⁹³ Um breite Resonanz zu erzielen, hatte die Gesellschaft von Anfang an auf die Strategie gesetzt, unter dem Deckmantel vornehmlich kultureller Aktivitäten die ihr wichtigeren politischen Ziele zu verfolgen. Anlass dazu gaben die Festveranstaltungen zum jeweiligen Jahrestag der Gründung der DDR, die bereits in den fünfziger und sechziger Jahren auf recht großen Widerhall trafen. Darauf aufbauend bemühten sich die EFA-Leiter intensiv, in Kolloquien und öffentlichen Kundgebungen aktuelle Geschehnisse mit der ihnen konformen politischen Deutung zu versehen. Entsprechende Aktivitäten nahmen besonders ab Ende der sechziger Jahre zu, bedingt durch die Intensivierung der Anerkennungsbewegung durch Ost-Berlin. Unter dem Banner von Neutralität und politischer Unabhängigkeit lancierten EFA-Aktivisten den Appell zur Zustimmung zur Anerkennungspolitik der SED. Sämtliche EFA-Vertretungen wurden dazu angehalten, mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zur medialen Unterstützung der DDR beizutragen. Die Aufforderung wurde sofort befolgt: Alle EFA-Außenstellen konzentrierten sich umgehend darauf, den Franzosen die DDR vorzustellen. So wurden mehrere „Freundschaftswochen“ organisiert, bei denen Dokumentationen, Informationsbroschüren und Druckerzeugnisse verschiedener Art verteilt wurden, die sich mit dem ostdeutschen Staat befassten.⁴⁹⁴
Vgl. Sylvie Wickert, Französische Partnerschaften mit der DDR. Der Austausch ist keine Domäne der Kommunisten, in: Dokumente 44/5 (1988), S. 373. Wickert, Französische Partnerschaften mit der DDR, S. 279 – 280.
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Zu den bilateralen Beziehungen im Rahmen der „Gesellschaft für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland“ (GfkVA) und der „Liga für Völkerfreundschaft“ der DDR Die DDR unterhielt mannigfaltige Beziehungen zu Frankreich, die über verschiedene Kanäle geknüpft und gepflegt wurden.⁴⁹⁵ 1952 wurde auf Anweisung der Sowjetunion die GfkVA ins Leben gerufen. Da sie sich vornehmlich mit Außenbeziehungen befasste, unterstand sie direkt der Abteilung Internationale Verbindungen beim ZK der SED. Ihr Aktionsradius war klar abgesteckt und umfasste zwei kulturpolitische Schwerpunkte: Sie sollte die kulturellen Errungenschaften anderer Länder und Völker in der DDR bekannt machen und gleichzeitg den Leistungen der DDR im Bereich der Kultur Aufmerksamkeit im Ausland verschaffen.⁴⁹⁶ Ab Mitte der fünfziger Jahre verlagerte die GfkVA ihre Aktivitäten auf die Ansprache nicht sozialistischer Staaten. Sie folgte damit Anweisungen des ZK, das beabsichtigte, die Organisation zur kulturellen Speerspitze der DDR im Ausland umzuformen. In der Tat konnte die GfkVA in den fünfziger Jahren eine bedeutende Rolle spielen, insbesondere im Konkurrenzkampf mit der Bundesrepublik. Die geographischen Schwerpunkte ihrer Arbeit im westlichen Ausland stellten Frankreich und Italien dar, die beiden „Kulturnationen“ schlechthin, die zugleich über die beiden massenwirksamsten kommunistischen Parteien Westeuropas verfügten. Bedeutend war die Gesellschaft auch als organisatorisches Vorbild, denn sie fungierte als beispielgebendes Muster zur Gründung weiterer Kulturverbände, die sich mit verschiedenen Regionen der Welt befassten. So wurde 1958 die Deutsch-Arabische-Gesellschaft (DAG) ins Leben gerufen, es folgten 1961 die Deutsch-Afrikanische-Gesellschaft (DAFRIG), die Deutsch-LateinamerikanischeGesellschaft (DEU-LAG), die Deutsch-Nordische-Gesellschaft (DENOG) sowie die Deutsch-Südostasiatische-Gesellschaft (DEUSASIG).⁴⁹⁷ Parallel zu dieser umfangreichen Entwicklung büßte die GfkVA rasch an Bedeutung ein, als die SEDZentrale nämlich erkannte, dass die breit aufgefächerte Auslandsarbeit nun einer übergeordneten Koordinierungsinstanz bedurfte. Vor diesem Hintergrund wurde beschlossen, eine Dachorganisation zu gründen und diese mit ausreichend Personal und Ressourcen auszustatten, damit sie das erhebliche Volumen an Aufgaben auch meistern konnte. Ende 1961 war Zu den „linksgaullistischen“ Verbindungen der SED zu Frankreich siehe Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 281– 290. Erster Präsident der Gesellschaft wurde der Literat Friedrich Wolf. SAPMO-BArch, DY 34/13/ 91/1900. Hierzu vgl. Abraham, Die politische Auslandsarbeit, hier S. 71– 72.
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so die Liga für Völkerfreundschaft entstanden. Die Satzung der Liga ließ keinen Zweifel an ihrer vorrangigen Funktion: Die Liga für Völkerfreundschaft der DDR hat durch eine aktive, differenzierte und zielgerichtete Tätigkeit direkt und über die Gesellschaften zur Verwirklichung der außenpolitischen Aufgaben und insbesondere zur Stärkung des internationalen Ansehens der DDR im Ausland sowie zur Normalisierung der zwischenstaatlichen Beziehungen beizutragen. Die Liga für Völkerfreundschaft hat die Freundschaft und die kulturelle Zusammenarbeit zwischen der DDR und den einzelnen Ländern zu festigen und zu vertiefen.⁴⁹⁸
Die SED-Spitze hatte damit ganz klar einen Wandel in der Ausrichtung und im Gehalt der kulturellen Verbindungen mit dem Ausland vollzogen und sich offen zu deren Umfunktionierung als Instrument parteipolitischer Intentionen und Ziele bekannt. Dass sich dies ausgerechnet im Jahr 1961 ereignete –Stichwort Berlin-Krise und Mauerbau –, dürfte kaum überraschen.
Zu den Beziehungen im Rahmen der Deutsch-Französischen Gesellschaft (Deufra) Ab Anfang der sechziger Jahre intensivierte die SED ihre Bemühungen zur Festigung eines eigenständigen und souveränen Bildes der DDR im Ausland zusehends. Mit der Verschärfung des Ost-West-Konflikts Ende der fünfziger Jahre, der die zweite „Berlin-Krise“ 1958 heraufbeschworen hatte und 1961 im Mauerbau kulminierte, änderte sich der außenpolitische Kurs der SED grundlegend. Das ideologische und materielle Wettrennen mit der Bundesrepublik wurde zu einem Hauptantrieb; der noch junge ostdeutsche Staat sollte als das einzig „wahre Deutschland“ präsentiert und seine moralische und ideologisch-gesellschaftliche Überlegenheit nach außen hin demonstriert werden. Vor diesem Hintergrund wurde im Februar 1962 die Deutsch-Französische Gesellschaft ins Leben gerufen, der von Anfang an verschiedene bedeutende Persönlichkeiten angehörten.⁴⁹⁹ 1964 übernahm Franz Dahlem die Leitung der neu gegründeten Gesellschaft, die von nun an eine gewichtige Rolle bei der Steuerung der bilateralen Verbindungen zu Frankreich spielen sollte. Dahlem war
SAPMO-BArch, DY 30 J/IV 2/3/777, Sekretariat des ZK / Protokoll Nr. 60/61 (21.11.1961). Anlage Nr. 3: Gründung der Liga für Völkerfreundschaft der DDR als Dachorganisation der in der DDR bestehenden Freundschaftsgesellschaften, hier S. 1. Darunter der erste Präsident, der Rektor der Universität Leipzig, Prof. Dr. Georg Mayer, die Schriftsteller Anna Seghers und Stephan Hermlin. Vgl. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 300 – 301.
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ein profunder Kenner Frankreichs, seiner Kultur und Sprache und eignete sich u. a. aufgrund von früheren Erfahrungen besonders gut für den Posten. Er hatte sich während des Zweiten Weltkrieges lange in Frankreich aufgehalten, sich dort an der Résistance beteiligt sowie zahlreiche Kontakte zu Politikern und Kulturschaffenden geknüpft.⁵⁰⁰ Dies kam der von der SED begonnenen propagandistischen Offensive auch medial zugute. In der Tat mussten sich die Aktivitäten der Deufra in den darauffolgenden zwei Dekaden voll und ganz den politischen Vorgaben der Parteiführung unterordnen.⁵⁰¹ Während der sechziger und zu Anfang der siebziger Jahre konzentrierte die Deufra ihre Tätigkeit auf zwei Schwerpunkte: die Anerkennungsbewegung der DDR und die Verteufelung der Bundesrepublik. Letztere wurde als Hemmnis gegen die volle Entfaltung der DDR und ihre „Befreiung“ aus der Unbeständigkeit eines noch nicht festgelegten und international anerkannten diplomatischen Status betrachtet sowie als Hort des „kapitalistischen Imperialismus“ im Herzen Europas. Um Zielsetzung und Arbeitsweise zu sichern, hatte die SED-Führung innerhalb der Deufra eine bewährte Organisationsstruktur durchgesetzt: Dem Präsidium durften unterschiedliche Persönlichkeiten aus dem Kultursektor angehören, darunter auch französische Staatsbürger; das Sekretariat entschied über die einfache Mitgliedschaft. Hinter dieser demokratisch anmutenden Fassade verhielt es sich bei der Deufra jedoch genauso wie bei den anderen Freundschaftsgesellschaften der DDR: Die Mehrheit des Präsidiums, das hauptsächlich aus SED-„Genossen“, Mitgliedern der Blockparteien oder der Massenorganisationen der DDR bestand und welches das mächtigste Organ darstellte, ernannte das ZK der SED direkt. Zudem war vorgesehen, dass ein Funktionär der Arbeitsgruppe Auslandsinformation beim ZK über das korrekte Funktionieren der Gesellschaft und die strikte Befolgung der politischen Anweisungen „von oben“ wachen sollte.⁵⁰² Die publizistische Aktivität der Deufra ordnete sich genau diesem vorgegebenen Rahmen unter. Zum Zweck der „Popularisierung“ der DDR in Frankreich gab die Gesellschaft seit 1955 die Zeitschrift Nouvelles dʼAllemagne heraus. Nachdem diese nur zwei Jahre später verboten wurde, folgte 1958 die Gründung der Voix dʼAllemagne, die in einer Auflagenzahl von ca. 30.000 Stück erschien. Hinzu kamen die Monatshefte Zeit im Bild und DDR-Revue, ferner das Echo dʼAllemagne. Ihnen allen war gemein, dass sie französische Leser von der Be Vgl. Franz Dahlem, Jugendjahre: vom katholischen Arbeiterjungen zum proletarischen Revolutionär, Berlin 1982, S. 113 – 114. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 303. SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/2/872, Anlage 5a+b zum Protokoll Nr. 8/63 der Sitzung des Politbüros des ZK der SED, 27.03.1963, hier S. 229 – 231.
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deutung und dringenden Notwendigkeit der Anerkennung der DDR zu überzeugen versuchten. Indem sie die „Errungenschaften“ des von der Deufra organisierten bilateralen Austauschs, etwa im Bereich der Städtepartnerschaften oder der Studiendelegationen, präsentierten, leisteten sie einen beachtlichen Beitrag für die außenpolitischen Ziele der SED.⁵⁰³ Zur Arrondierung des Gesamtbildes soll hier noch das Bulletin dʼInformation erwähnt werden, das sich insbesondere an (Fabrik‐)Arbeiter und Gewerkschafter richtete.⁵⁰⁴ Dennoch: Die eifrigen Bemühungen der SED im publizistischen und propagandistischen Bereich konnten in den ostdeutsch-französischen Beziehungen keinen Durchbruch erzielen. Die sich in den sechziger Jahren konsolidierende „Achse Paris-Bonn“ war durch die SED-Offensive nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen. Auch die erwünschte Massenwirksamkeit in der französischen Gesellschaft, welche die Ost-Berliner Machthaber als Hauptvoraussetzung für die Durchsetzung und Ausdehnung ihres Einflusses betrachteten, konnte nicht erreicht werden. Vonseiten der EFA erreichten die Deufra mehrere Protestschreiben, in denen u. a. die mangelnde „Transparenz“ und unzureichende Einbeziehung der Mitglieder in die einzelnen Entscheidungsprozesse kritisiert wurden.⁵⁰⁵
Zu den Beziehungen im Bereich der Wissenschaft Den Wissenschaften kam gemäß des in der DDR herrschenden Marxismus-Leninismus eine gewichtige Bedeutung zu: einerseits zur Bestätigung der politischen Stoßrichtung des Regimes, das in ihnen das theoretische Fundament und eben die wissenschaftliche Rechtfertigung seines Handelns erblickte; andererseits als Wegweiser der zu formierenden „real sozialistischen“ Gesellschaft. Dieses enge Ineinandergreifen, ja die Komplementarität von Politik und Wissenschaft war gerade für die DDR sehr wichtig, denn der junge Staat war stets um Legitimität und identitätsstiftende Symbole bemüht.⁵⁰⁶ Vor diesem Hintergrund erhielten alle einschlägigen Wissenschafts- und Forschungsstellen bereits Anfang der fünfziger Jahre die Anweisung, den Kontakt zu französischen Partnern zu suchen. Die SED erhoffte sich davon eine Vermehrung der Einflussmöglichkeiten für ihre Politik der Durchdringung auch im Aus-
Vgl. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 307. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 308. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 308 – 309. Hierzu siehe u. a. Andreas Malycha, Neue Forschungen zur DDR-Wissenschatsgeschichte. Aspekte des Verhältnisses zwischen Wissenschaft und Politik, in: AfS 41 (2001), S. 663 – 676; ders., „Alle Wege führen zum dialektischen Materialismus“. Wissenschaft und Politik in der SBZ/DDR von 1945 bis 1952, in: DA 34,3 (2001), S. 410 – 426.
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land. Allerdings gestaltete sich die Kontaktaufnahme anfänglich sehr schwierig, da zumindest noch in den fünfziger Jahren große technische und politische Hürden zwischen beiden Ländern bestanden. Es waren deshalb eher informell eingefädelte personelle Arrangements, die bei der Ankurbelung der Beziehungen eine Rolle spielten; die vermittelnden Persönlichkeiten stammten häufig aus dem kommunistischen Milieu. Richtig in Gang kamen die Austauschaktivitäten im Wissenschaftsbereich erst ab Mitte der fünfziger Jahre, vornehmlich durch das Engagement des bereits erwähnten Albert Chatelet und Maurice Bayens, Direktor des nationalen Büros der französischen Universitäten, die 1957 für einen Studentenaustauch plädierten.⁵⁰⁷ Trotz der allgemein ablehnenden Haltung der französischen Regierung gelang es privaten Institutionen ebenso wie einzelnen Universitäten, ab Ende der fünfziger Jahre regelmäßige Kontakte zu ostdeutschen Einrichtungen zu knüpfen und zu pflegen. So konnten zwischen 1958 und 1961 mehrere französische Gastdozenten in der DDR lehren. Die Humboldt-Universität und die Sorbonne übten in dieser Hinsicht eine Volbildfunktion aus; andere französische Universitäten wie etwa diejenigen in Straßburg, Lyon oder Rennes schlossen sich daraufhin der Initiative an.⁵⁰⁸ Der Mauerbau 1961 setzte den nur mühsam in Gang gekommenen Beziehungen sehr zu. Damit diese nicht vollständig zum Erliegen kamen, sahen sich die an ihnen Beteiligten während der sechziger Jahre u. a. darauf angewiesen, Unterredungen eigens auf neutralem Boden anzuberaumen.⁵⁰⁹
Zu den Beziehungen im Rahmen der Geschichtswissenschaften Die Beziehungen im Rahmen der Geschichtswissenschaften konnten sich, im Gegensatz zu Verbindungen in anderen Wissenschaftszweigen, zumindest in ihrer frühen Phase von ideologisch-politischen Zwängen relativ unberührt entfalten. Wenngleich die Aufsichtsorgane der SED stets über alle Verbindungen mit dem Ausland wachten, besonders über diejenigen zum kapitalistischen Ausland, verfügten diese schon in den sechziger Jahren über eigene feste Kanäle. Dabei spielten für Frankreich zwei Historiker eine fundamentale Rolle: Georges Castellan, der bereits ab Ende der fünfziger Jahren mit der ostdeutschen Historikerschaft verkehrte, und Jacques Droz, der zusammen mit Castellan maßgeblich an der
Vgl. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 344. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 345. „Um Interventionen aus Paris zu unterlaufen, benutzte die DDR ihre Botschaften in anderen sozialistischen Ländern zur Kontaktaufnahme.“ Vgl. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 345.
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Organisation von Tagungen und Kolloquien mit den ausländischen Kollegen beteiligt war.⁵¹⁰ Auch im Bereich der Geschichtswissenschaft erfuhren die bilateralen Beziehungen 1968 infolge der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ erhebliche Belastungen. So bemühten sich namhafte Historiker aus beiden Ländern im Nachhinein um eine konsequente Schadensbegrenzung, die in der Austragung verschiedener Kolloquien kulminierte. Diese befassten sich mit Möglichkeiten und Grenzen des wissenschaftlichen Austauschs unter den vorherrschenden Bedingungen. Die verhältnismäßig freie Gestaltung der Verbindungen, wie sie bislang üblich gewesen war, schien zu diesem Zeitpunkt bereits geschmälert und wurde zu Ende der sechziger Jahre noch wesentlich stärker eingeschränkt. Die Ursache hierfür ist nicht nur in den Verwerfungen des Jahres 1968 zu suchen, das mit Vehemenz bis dahin latent vorhandene Unterschiede und erhebliche ideologische Differenzen ans Licht beförderte, sondern auch in dem außenpolitischen Paradigmenwechsel, der sich zu dieser Zeit bei der SED-Führung vollzogen hatte. Die Ausrichtung der Außenpolitik auf das Ziel der internationalen Anerkennung der DDR um jeden Preis wog schwer und nahm großen Einfluss auf die Gestaltung der Austauschbedingungen. In diesem Sinne wurden ostdeutsche Historiker von höheren Instanzen fortan regelmäßig in die Pflicht genommen, die „materielle“ und theoretische „Überlegenheit“ der marxistisch-leninistischen Methodik bei der Auslegung historischer Tatbestände zu berücksichtigen und gegenüber ausländischen Kollegen zu verteidigen. Die Auftritte ostdeutscher Geschichtswissenschaftler sollten expressis verbis dazu dienen, dem bundesrepublikanischen Alleinvertretungsanspruch offensiv entgegenzuwirken sowie innere Stabilität und Zusammenhalt zu vermitteln.⁵¹¹ Die Möglichkeiten eines grundsätzlich autonomen Austauschs unter Historikern schwanden so im Laufe der siebziger Jahre immer mehr, um schließlich endgültig politischem Opportunismus gegenüber der SED zu weichen. Unter dem Deckmantel einer forcierten Verwissenschaftlichung, die sich aus der von der Staatspartei ausgegebenen Richtlinie ergab, international „präsent“ zu sein und die Offenheit der DDR zu demonstrieren, verbarg sich bald die fortge-
Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 347. Diese Maßgabe galt u. a. auch anlässlich des gemeinsamen Kolloquiums von französischen und ostdeutschen Geschischtswissenschaftlern zum Thema „Probleme der deutsch-französischen Beziehungen seit der französischen Revolution“, das am 29.-30.09.1969 in Ost-Berlin stattfand. Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/3 A/1754.
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schrittene Tendenz bei ostdeutschen Historikern, sich gegen Innovationen und externe Anregungen zu sperren.⁵¹²
Zu den Beziehungen im Bereich der Medien Fernsehen und Printmedien Die staatliche französische Fernsehanstalt ORTF unterhielt bereits in den sechziger Jahren geregelte Beziehungen zum DDR-Fernsehen. Diese konnten am Ende der Dekade weiter ausgebaut werden, vor allem im Rahmen der politisch umstrittenen Verhandlungen zur Übernahme des französischen SECAM IIIb-Systems, die von der SED-Führung angestrebt wurde und der DDR die Möglichkeit des Farbfernsehens erschloss. Die Gespräche zum Geschäftsabschluss zwischen beiden Ländern brachten jedoch die Bundesrepublik auf den Plan, und der Vorfall wuchs sich bald zum Politikum aus. Die Bonner Regierung beurteilte die Verhandlungen zur technischen Aufwertung des ostdeutschen Fernsehens als „unerwünscht“, da daraus der gesamte Ostblock Nutzen ziehen könne. Mit anderen Worten: Bonn betrachtete die französische Bereitschaft, den Ost-Berliner Avancen entgegenzukommen, als ein riskantes politisches Signal auf dem Weg zur diplomatischen Normalisierung zwischen beiden Ländern.⁵¹³ Trotz allem Widerstand durch den damaligen Bundesaußenminister Willy Brandt, der die französischen Kollegen darauf aufmerksam machte, dass ein Vertragsabschluss mit der DDR den Beziehungen zwischen Frankreich und der Bundesrepublik bzw. zwischen der DDR und Westdeutschland⁵¹⁴ erheblich schaden würde, unterzeichneten die Verhandlungspartner im Frühjahr 1969 das
Wie Pfeil in Anlehnung an Martin Sabrow hervorhebt: „Das Streben nach internationaler Anerkennung verbot eine ‚Normalisierung durch Nihilierungʼ bzw. eine Abschottung der DDRGeschichtswissenschaft, galt das ‚westliche Werben um Kontaktaufnahme ihr selbst als der beste Beleg ihrer immer deutlicheren Überlegenheit.ʼ Dieses Selbtsbewusstein der ostdeutschen Historikerschaft in ihren Kontakten mit Frankreich förderte nicht nur das Bild von einer ‚normalisiertenʼ DDR-Geschichtswissenschaft, sondern insgesamt das Image der DDR als stabiles Staatsgefüge.“ Vgl. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 351; Martin Sabrow, Schwierigkeiten mit der Historisierung. Die DDR-Geschichtswissenschaft als Forschungsstand, in: Martin Sabrow u. Peter Th.Walter (Hg.), Historische Forschung und sozialistische Diktatur: Beiträge zur Geschichtswissenschaft der DDR, Leipzig 1995, S. 9 – 28; Martin Sabrow, Der „ehrliche Meinungsstreit“ und die Grenzen der Kritik. Mechanismen der Diskursrolle in der Geschichtswissenschaft der DDR, in: Martin Sabrow u. Gustavo Corni (Hg.), Die Mauern der Geschichte. Historiographie in Europa zwischen Diktatur und Demokratie, Leipzig 1996, S. 79 – 117. Vgl. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 333 – 334. Vgl. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 336.
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Lizenzabkommen. Die Verbindungen beider Länder im Rahmen des Fernsehens wurden dadurch intensiviert; die französische Seite erachtete es in der Folge als sinnvoll, die eigene Bevölkerung für den zweiten deutschen Staat konsequent zu sensibilieren.⁵¹⁵ Auch im Bereich der Printmedien verliefen Kontaktaufnahme und -ausbau in stetigem Spannungsverhältnis zur Bundesrepublik. Das Interesse der DDR am französischen Medienmarkt war weniger durch die Hoffnung auf finanziellen Profit motiviert als durch den Wunsch der SED-Führung, die französische Öffentlichkeit für ihre politischen Ziele zu gewinnen oder zumindest zu beeinflussen. Trotz günstiger Ausgangsbedingungen – etliche französische Universitäten und Forschungsinstitute bezogen aufgrund der niedrigeren Preise ihre Kontingente an Klassikern der deutschen Literatur bevorzugt aus der DDR – erlagen ostdeutsche Verlage schlussendlich der westdeutschen Konkurrenz, die auf dem ausländischen Markt über bewährtere Vertriebskanäle verfügte und mit besseren Werbekonzepten agierte.⁵¹⁶
Funk Im Bereich des Rundfunks spielten zwei Plattformen eine besondere Rolle bei der Aufnahme bilateraler Beziehungen: Radio Berlin International (RBI) und der Allgemeine Deutsche Nachrichtendienst (ADN). Das RBI entwickelte sich von Anfang an – die Ausstrahlung in Frankreich begann offiziell 1954 – zu einem Instrument der SED im Kampf für die internationale Anerkennung der DDR. Aus der Perspektive des „Antifaschismus“, der als moralische und ideologische Erklärung für die Legitimität des ostdeutschen Staates herangezogen wurde, bot das RBI seinen Hörern verschiedene Sendungen zum Thema an, bei denen die angeblich „imperialistische“ Politik der Bonner Regierung unterstrichen und als Haupthindernis für die DDR auf dem Weg zur vollen Souveränität dargestellt wurde. Zu diesem Zweck strahlte der Sender beispielweise ab 1961 die Serie Das Deutschland der Résistance aus.⁵¹⁷
SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/3 A/1971, Arbeitsprotokoll NR. 5/71 der Sitzung des Sekretariats des ZK der SED, 19.01.1971. So bezog Frankreich Ende der sechziger Jahre Printerzeugnisse im Wert von rund 25 Millionen DM aus der Bundesrepublik, von lediglich 430.000 DM aus der DDR. Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/IV A2/906/30, Stand der kulturellen Beziehungen der DDR mit Frankreich bis 1970 und Pläne für die folgenden Jahre des Ministeriums für Kultur für die Kulturabteilung des ZK der SED, 5.06.1970. Vgl. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 331.
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Der ADN kooperierte mit seinem französischen Pendant, der Agence France Presse (AFP), bereits seit Mitte der fünfziger Jahre. Zwar beruhte die Zusammenarbeit damals schon auf vertraglichen Vereinbarungen; beide Dienste durften jeweils aber nur über inoffizielle Korrespondenten verfügen, da ihre Länder keine diplomatischen Beziehungen miteinander unterhielten. Mit der Berufung des äußerst umstrittenen ehemaligen Frankreich-Emigranten Gerhard Leo im Jahr 1973 zum ständigen Korrespondenten für die DDR-Seite⁵¹⁸ konnte das RBI seine Aktivitäten im Sinne der SED-Führung in Frankreich ausbauen und sich für die propagandistische Aufwertung des ostdeutschen Staates bis zum Mauerfall einsetzen.
Zwischenfazit Die SED-Führung setzte ihre strategische Zusammenarbeit mit dem PCI zu Anfang der achtziger Jahre, also während der vierten Phase der Untersuchung, die sich auf den Zeitraum von 1981 bis 1985 erstreckt, ungeachtet immer größer werdender Differenzen fort. Das vorliegende Kapitel konnte die dafür gewichtige Rolle der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) als „Sprachrohr“ der SED in Westdeutschland darlegen.⁵¹⁹ Indes begann die neue Dekade für den PCF mit einer schweren Identitätskrise, die den Vorstand zur Selbstkritik veranlasste. Eingestanden wurde eine verspätete Auseinandersetzung mit den Lehren des XX. Parteitags der KPdSU sowie ein bedrohliches Manko an personeller und ideologischer Erneuerung.⁵²⁰ Solche Lippenbekenntnisse erwiesen sich jedoch als unzulänglich, um den Schwierigkeiten der Partei effektiv zu begegnen. In den lokalen Parteiverbänden wurde Kritik an der Beteiligung der französischen Kommunisten an der Regierung Mitterrand laut: Sie vertiefe lediglich die Immobilität und die Entfremdung der Arbeiter vom PCF.⁵²¹ Angesichts der ideologischen und politischen Schwäche der französischen Kommunisten, ließen sich die SED-Spitzenfunktionäre bei der Gestaltung ihrer Beziehungen zu diesen eher von
Gerhard Leo hatte in den fünfziger Jahren als Geheimagent in der Bundesrepublik im Dienste der SED gearbeitet. Hierzu siehe Stefanie Neubert, Gerhard Leo, Frankreichberichterstatter für Neues Deutschland, in: Röseberg (Hg.), Frankreich und „das andere Deutschland“, S. 43 – 70. Vgl. u. a. APCI, Sezione estero, Microfilm 228, Nota alla sezione esteri (31. 1. 1975) di Lucio Libertini; Busta 465, Fasc. 114, Nota sul DKP (1978). APCF, Archives Paul Laurent, Boite 22, Réunion du CC, S. 2. APCF, Archives Paul Laurent, 261 J 27/98, Rapport par Raymond Gosselet au CC, 10.7.1984, S. 4.
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Desinteresse denn von proletarischer „Brüderlichkeit“ leiten, wogegen ihre Verbindung zum PCI enger und zielgerichteter blieb. Die ostdeutsche Skepsis gegenüber Frankreich beschränkte sich aber natürlich nicht primär auf den PCF. Die außenpolitische Strategie Mitterrands wurde von Ost-Berlin schlichtweg als zu „pro-westlich“ und an der US-amerikanischen Politik orientiert abgelehnt. Allerdings war dies nicht die einzige Lesart, die dazu in der SED kursierte. Wie hier nachgezeichnet, wich die Deutung der französischen Außenpolitik durch Mitarbeiter der Grundorganisationen der SED vor Ort in Frankreich grundlegend von derjenigen des Ost-Berliner Vorstands ab. Die „Genossen“ im Auslandsdienst zeigten im Gegensatz zum zentralen „Parteiapparat“ – einschließlich MfAA und MfS – zumindest Toleranz und bisweilen Verständnis für die Strategie Mitterrands. Woran dies letztlich lag, ist nur partiell wissenschaftlich festzustellen. Sicherlich fiel die anhaltende Kommunikationsstörung zwischen den Grundorganisationen im Ausland und der SED-Zentrale ins Gewicht, die insbesondere die frühen achtziger Jahre auszeichnete. Der Schutz eigener wirtschaftlicher Interessen und die Suche nach einträglichen Geschäften mit ausländischen Unternehmen standen im Mittelpunkt der außenpolitischen Agenda der SED-Führung gegenüber Paris und Rom. Hindernisse waren meistens ideologischer Natur. So befürwortete Mitterrand zu Beginn der achtziger Jahre eine harte Politik des Westens gegen den „real existierenden“ Sozialismus. Dieser Forderung schlossen sich sukzessive auch Helmut Schmidt und später Helmut Kohl an. Die französische Regierung zeigte sich nicht mehr gewillt, die DDR in irgendeiner Form zu unterstützen. Ähnlich verhielt es sich zwischen dem ostdeutschen Staat und Italien. Auf Betreiben des christdemokratischen Ministerpräsidenten Francesco Cossiga war der Pentapartito ins Leben gerufen worden, ein Bündnis aus fünf Parteien: DC, PSI, PSDI, PRI und PLI. Die Allianz zielte auf die politische und wirtschaftliche Stabilisierung des Landes. Indirekt und verdeckt sollte sie außerdem dafür sorgen, dass sich der politische Einfluss des PCI in Staat und Gesellschaft nicht weiter ausbreitete. Diesen verstärkten antikommunistischen Trend bekam natürlich auch die SED zu spüren; das veränderte Beziehungsklima unter dem Pentapartito hatte zur Folge, dass dem PCI als Mittlerinstanz für die Ostdeutschen eine noch wichtigere Bedeutung zukam. Freilich zeitigten auch die Akzentverschiebungen in der Politik der westeuropäischen Länder nicht zu unterschätzende Wirkungen auf die Entwicklung der jeweils bilateralen Beziehungen. So hatte sich François Mitterrand trotz seines vorbehaltlosen Bekenntnisses zur NATO – bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der „Doktrin“ de Gaulles, die ein Fernbleiben Frankreichs von den Militärstrukturen des Bündnisses vorsah – Anfang der achtziger Jahre dafür ausgesprochen, Frankreich zu einer neuen, verstärkt autonomen Mittlerfunktion zwischen den
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Blöcken zu verhelfen. Als der Bundestag im November 1983 den Beschluss zur Dislozierung von US-amerikanischen Raketen auf westdeutschem Boden ratifizierte, sah sich die sozialistische Regierung in Paris in ihrem Vorhaben unverhofft bestärkt und machte sich umgehend daran, nach fruchtbaren Formen des Dialogs mit dem „Ostblock“ zu suchen. Zu diesem Zeitpunkt bestand bereits kein Zweifel mehr daran, dass die sonst privilegierte Stellung des PCF als natürlicher Vermittler Frankreichs im Gespräch mit kommunistischen Staatsparteien endgültig hinfällig geworden war. So unterschiedlich sich PCF und PCI in ihrer Bedeutung für die SED als Mittler bilateraler Beziehungen darstellten, so offensichtlich differierten auch ihre jeweiligen politischen Strategien. Wie sehr diese Unterschiede in den frühen achtziger Jahren zugenommen hatten, stellt ihre Europapolitik exemplarisch unter Beweis. Der PCF versuchte als Bestandteil der kommunistischen Fraktion im Europäischen Parlament von Anfang an politisches Agieren auf europäischer Ebene auszubremsen, während der PCI ihm absolute Priorität einräumte. Vorliegende Untersuchung widmete sich darüber hinaus den städtepartnerschaftlichen Beziehungen im Dreiecksgeflecht. Hier konnten aufschlussreiche Verbindungen nachvollzogen werden, die oft semiautonom, d. h. abseits der „großen Politik“, Gestalt annahmen. Gerade im Bereich der ostdeutsch-französischen Beziehungen entwickelte sich die Zusammenarbeit auf Ebene der Städtepartnerschaften sowohl in der Form als auch im Umfang oftmals viel transparenter und förderlicher als auf Ebene der Parteivorstände. Dies lag vor allem daran, dass die städtepartnerschaftlichen Verflechtungen in den Augen der Führungsspitzen von PCF und SED keinen besonderen Stellenwert einnahmen. Überwog auf französischer Seite bis zum Fall der Mauer das kulturelle und zivilgesellschaftliche Interesse, setzte die ostdeutsche Seite in den Beziehungen ab Ende der siebziger Jahre ganz klar einen politischen Schwerpunkt. Die wachsende wirtschaftliche und politische Schieflage in der DDR zwang die ostdeutschen Beteiligten zu besonderer Wachsamkeit. Ihnen fiel nun verstärkt die Aufgabe zu, sowohl dem ad hoc konstruierten, durchweg negativen Bild des „kapitalistischen“ Frankreich entgegenzuwirken als auch das traditionelle Narrativ der eigenen sozialistischen Heimat als Bollwerk von Demokratie und Freiheit gegen Angriffe von außen energisch zu verteidigen und abzuschirmen. Die Gestaltung der städtepartnerschaftlichen Beziehungen wurde indessen in Frankreich zum Schauplatz heftiger Auseinandersetzungen zwischen lokalen Komitees und der Parteileitung, die auffällige Differenzen zutage förderten. Durch das Zugeständnis dezentralisierender Maßnahmen hatte der XIX. Parteitag des PCF den kommunistischen Bürgermeistern de facto mehr Spielraum eingeräumt. Den Stadtkomitees wurde dabei Verwaltungshoheit über politische Aktivitäten auf lokaler Ebene gewährt. Der Parteivorstand behielt sich dennoch für den
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Einzelfall das Recht vor, bei von ihm als inakzeptabel eingeschätzten Entscheidungen im lokalen Kontext zu intervenieren und die entsprechenden Beschlüsse aufzuheben.⁵²² Diese Praxis wurde in den Gemeindevertretungen heftigst kritisiert, wie ein Bericht der PCF-Sektion von Aubervilliers vom Juni 1980 exemplarisch zeigt.⁵²³ In einer dazugehörigen Erklärung brachten die Beteiligten ihre Enttäuschung darüber zum Ausdruck, dass der Pariser Vorstand trotz seines Versprechens, die Partei an der italienischen KP orientieren zu wollen und somit für eine grundlegende Reform im Sinne der Verschlankung hierarchischer Strukturen zu sorgen, sich nach wie vor gegen jedwede Erneuerung sperre. Für die innerparteiliche Geschichte des PCF stellte der Einzug kommunistischer Minister in die Regierung Mitterrand 1981, wie dargestellt, eindeutig einen Wendepunkt dar. Die Reaktionen darauf fielen auch in den regionalen PCF-Verbänden sehr unterschiedlich aus, wobei dies im Einzelfall natürlich erwartungsgemäß von der jeweiligen politischen Biographie der Akteure abhing. Während man für den lokalen Bereich zumindest jedoch oftmals größeren Spielraum forderte, mehr Initiativbildung und größere Autonomie, um die Partei zu erneuern und den französischen Kommunismus schließlich vor dem Kollaps zu bewahren, beharrte der PCF-Vorstand trotz einiger Zugeständnisse auf der zentralen Steuerung der Partei, die er für notwendig hielt, um dem Abwärtstrend bei den Wahlen entgegenzuwirken. Anders verhielt es sich derweil mit den ostdeutsch-italienischen Verbindungen. Sie blühten paradoxerweise gerade dort auf, wo die Präsenz des PCI am schwächsten war. Insbesondere in den größeren Ballungsgebieten sah sich der kommunistische Parteivorstand nämlich dazu veranlasst, eine klar ablehnende Position gegenüber den „real sozialistischen“ Staaten zu beziehen, um seine gemäßigte Anhängerschaft nicht zu verunsichern. Die kleineren Städte und ländliche Gebiete blieben von dieser pragmatisch-opportunistischen Haltung weitestgehend verschont. Dies ermöglichte den PCI-Vertretern dort, mit ihren jeweiligen ausländischen Ansprechpartnern Kompromisse zu erzielen und Abkommen zu schließen, die im Rahmen der „großen Politik“ aufgrund der eklatanten ideologischen Differenzen nicht möglich gewesen wären.
„Sous la responsabilité du comité fédéral et en accord avec les sections concernées, ce comité dirige et impulse la mise en oeuvre de la politique du parti en tenant compte des conditions locales.“ AUB, 231, Les structures du Parti à Aubervilliers. Document soumis à la discussion de l’ensemble des communistes d’Aubervilliers, 26 – 27.11.1982. AUB, 231, Les structures du Parti à Aubervilliers, S. 3.
Kapitel 5 Die Perestroika und der Zusammenbruch der Kommunismen (1985 – 1990) 1 Perestroika als Zäsur und Möglichkeit: die „Idee Europa“ Die KPdSU ließ sich in ihrer politisch-propagandistischen Bekämpfung europäischer Einigungsbestrebungen nicht nur durch ideologische,¹ sondern auch durch machtpolitische Motive leiten. Die Europaidee, die durchaus auch als Erklärungsansatz für die Gestaltung von bi- und multilateralen Beziehungen zwischen kommunistischen Parteien herangezogen werden kann, wurde lange Zeit als gegen den Kommunismus gerichtete Frontbildung gedeutet.² Moskau zeigte sich von Churchills Nachkriegshoffnungen auf eine europäische Einigung im Sinne einer Föderation wenig angetan.³ Sowjetische Spitzenkommunisten setzten stattdessen auf ein in Nationalstaaten gespaltenes Europa, in dem die UdSSR nach dem
Unter den älteren Werken vgl. hierzu Namazova u. Emmerson (Hg.), Istorija; Vladislav Zubok, The Soviet Union and European Integration from Stalin to Gorbachev, in: Journal of European Integration History 2,1 (1996), S. 85 – 98; Mikhail Narinski, La construction européenne vue par l’URSS de 1948 à 1953, in: Saki Dockrill u. a. (Hg.), L’Europe de l’Est et de l’Ouest, S. 61– 72; Viktor Zaslavsky, L’atteggiamento sovietico verso l’integrazione europea, in: Piero Craveri u. Gaetano Quagliariello (Hg.), Atlantismo ed Europeismo, Soveria Mannelli 2003, S. 51– 70; Marie-Pierre Rey, Le retour à l’Europe? Les décideurs soviétiques face à l’intégration ouest-européenne, 1957 – 1991, in: Journal of European Integration History 11,1 (2005), S. 7– 27; Wolfgang Mueller, Die UdSSR und die europäische Integration, in: Michael Gehler (Hg.), Vom gemeinsamen Markt zur europäischen Unionsbildung, Wien 2009, S. 617– 662. Vgl. außerdem zuletzt Michail A. Lipkin, Evropejskaja integracija i Sovetskie ékonomičeskie iniciativy (1950e-pervaja polovina 1970 h godov), in: Novaja i novejšaja istorija 3 (2009), S. 47– 64; Michail A. Lipkin, The Soviet Union and Integration Processes in Europe: the mid-1940s – late 1960s, Moscow 2016; Wolfgang Mueller, Recognition in Return for Détente? Brežnev, the EEC, and the Moscow Treaty with West Germany, 1970 – 1973, in: Journal of Cold War Studies 13,4 (2011), S. 79 – 100; Wolfgang Mueller, Die KPdSU und Europa im Kalten Krieg: Blockpolitik im Osten, Antiblockpolitik im Westen, in: Di Palma u. Mueller (Hg.), Kommunismus und Europa, S. 29 – 51; Suvi Kansikas, Room to manoeuvre? National interests and coalition-building in the CMEA 1969 – 74, in: Sari Autio-Sarasmo u. Katalin Miklossy (Hg.), Reassessing Cold War Europe, London 2011, S. 193 – 209; Suvi Kansikas, Trade Blocs and the Cold War; Francesco Di Palma (Hg.), Perestroika and the Party. National and Transnational Perspectives on European Communist Parties in the Era of Soviet Reform, New York / Oxford 2019. Aleksej Filitov, Sovetskoe rukovodstvo i Evropejskaja integracija (40e do načalo 50ch godov), in: Andrei A. Fursenko (Hg.), Istoričekaja nauka na rubeže vekov, Moskau 2001, S. 121– 141, hier S. 129. Winston S. Churchill, The Sinews of Peace: Post-war Speeches, London 1948, S. 198 – 202, hier 202. https://doi.org/10.1515/9783110748260-008
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Rückzug der US-Amerikaner eine unangefochtene Hegemonialstellung einnehmen sollte.⁴ Diese Sichtweise sollte sich erst später mit der sich verschärfenden Krise des Staatskommunismus ab Ende der siebziger Jahre grundlegend ändern. Das durch Gorbatschow eingeführte „Neue Denken“, das den Westen nicht mehr unhinterfragt als den Feind schlechthin wahrnahm und auf Annäherung orientiert war, rückte auch die Europafrage in ein völlig anderes Licht. War die Losung „Gemeinsames Haus Europa“ zwar ursprünglich aus einer europafeindlichen Prespektive formuliert worden – Breschnew hatte sie 1981 geprägt, um Druck auf die USA auszuüben –⁵, so griff Gorbatschow das Motiv im Rahmen seines LondonBesuchs im Dezember 1984 auf, ohne es ausführlicher zu erörtern. Unlängst hat Tom Blanton die Idee vom „Gemeinsamen Haus“, die dem europäischen Kontinent zur Entspannung verhelfen sollte, zutreffend wie folgt definiert: „Sozusagen als Doppelhaushälfte, mit einer Trennwand in der Mitte, vielleicht einer gemeinsamen Veranda an der Vorderseite und einem gemeinsamen Hinterhof und Garten für Grillfeste, aber [der Westen] sollte auf seiner Seite leben und [der Osten] auf der anderen“.⁶ Darüber hinaus ließ der neue KPdSU-Generalsekretär später mehrfach verlauten, dass er Amerika als eine europäische Macht betrachtete.⁷ Dies zeigte sich deutlich an seinem Umgang mit der Europäischen Gemeinschaft. Gegenüber dem italienischen Ministerpräsidenten Bettino Craxi verkündete Gorbatschow am 30. Mai 1985, er werde künftig mit den EG-Ländern „als politischer Einheit“ eine gemeinsame Sprache suchen,⁸ um eine „radikale Wende“⁹ in der Europapolitik herbeizuführen. Der Durchbruch ließ in der Tat nicht lange auf sich warten. Im September 1986 wurden offizielle Verhandlungen auf Vladimir O. Pechatnov, The Big Three after World War II. New Documents on Soviet Thinking about Post-War Relations with the United States and Great Britain, Cold War International History Project Working Paper 13, Washington 1995, S. 7– 8. Marie-Pierre Rey, „Europe is our Common Home“: A Study of Gorbachev’s Diplomatic Concept, in: Cold War History 4,2 (2004), S. 33 – 65. Tom Blanton, US Policy and the Revolutions of 1989, in: Svetlana Savranskaya / Thomas Blanton / Vladislav Zubok (Hg.), Masterpieces of History: The Peaceful End of the Cold War in Europe 1989, Budapest 2010, S. 49 – 98, hier S. 97. Unterredung Gorbatschows mit Präsident Bush, 2– 3.12.1989, in: Savranskaya / Blanton / Zubok (Hg.), Masterpieces of History, S. 619 – 46, S. 640 – 41. Zitiert nach: E.G. Čerkasova, Rimskij dogovor i Evropejskaja integracija: Sovetskie interpretacii, in: Namazova u. Emmerson (Hg.), Istorija, S. 160 – 169, hier S. 168. Viktor Zaslavsky, L’atteggiamento sovietico verso l’integrazione europea, in: Piero Craveri u. Gaetano Quagliariello (Hg.), Atlantismo ed Europeismo, Soveria Mannelli 2003, S. 51– 70, hier S. 51. Vgl. auch Heinz Timmermann, Die Sowjetunion und Westeuropa: Perzeptionswandel und politische Neuausrichtung, Berichte des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien 35 (1989).
1 Perestroika als Zäsur und Möglichkeit: die „Idee Europa“
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genommen,¹⁰ die trotz der auffälligen Differenzen über die Einbeziehung WestBerlins¹¹ schließlich zu einer gemeinsamen Erklärung und zu bi- und multilateralen Abkommen zwischen der EG und den einzelnen RGW-Staaten führten. Am 25. Juni 1988 folgte die Etablierung regelmäßiger Kontakte zwischen der westeuropäischen Institution und dem RGW; im November die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen EG und UdSSR; im Dezember 1989 wurde ein bilaterales Handelsabkommen ratifiziert.¹² Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die KPdSU von Anbeginn an einer europäischen Einigung misstrauisch und ablehnend gegenüberstand. Die Integration Westeuropas wurde von ihr ideologisch als bloße Defensivmaßnahme des „staatsmonopolistischen und imperialistischen Kapitalismus“ gegen den expandierenden Kommunismus gedeutet. Gleichzeitig missbilligte die KPdSU eine potenzielle politisch-wirtschaftliche Konsolidierung des europäischen „Westblocks“ aus pragmatischen Gründen: Die erfolgreiche Entstehung und der Ausbau eines Systems, das zum Ziel die Vereinigung Europas hatte, galt als unmittelbare Bedrohung für die Geschlossenheit der kommunistischen Gemeinschaft und mithin der sowjetischen Vormachtstellung. Zum einen bemühte sich die KPdSU deshalb eifrig darum, und zwar oftmals über ihre „Bruderparteien“, durch eine gezielte propagandistische Diffamierung des „Europas der Monopole“ sowie durch Warnungen an und direkte Einflussnahme auf beteiligte Akteure, der Attraktivität einer Zusammenarbeit mit westeuropäischen Staaten entgegenzuwirken. Zum anderen ging sie selbst dazu über, die integrationistische Idee aufzugreifen und zu fördern, um im eigenen Machtbereich einen Gegenpol zur EG zu bilden und konsequent auszubauen. Für die KPdSU stand die Auseinandersetzung mit der EWG bzw. EG dennoch nie im Mittelpunkt.¹³ Ihre Wahrnehmung wurde weitestgehend durch die Rahmenbedingungen des Kalten Krieges bestimmt.¹⁴ Aus dieser Sicht fungierte die EG, wie gesehen, propagandistisch als vermeintliches Instrument in den Händen der NATO bzw. des US-amerikanischen „Imperialismus“. Später, während der Entspannungsphase, näherte sich Moskau aus einem einzigen Grund an Brüssel
Archiv der Gegenwart (fortan AdG), 30308, 24.9.1986; Lothar Jung, Die Annäherung zwischen dem Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe und der Europäischen Gemeinschaft seit 1972, Dissertation, Hamburg 1987, S. 311. Angela Stent, Russia and Germany Reborn, Princeton 1999, hier S. 67. AdG, 32288, 25.6.1988; AdG, 32895, 24.12.1988. Vgl. Francesco Di Palma, Europa und die Kommunisten, in: Arnd Bauerkämper u. Hartmut Kaelble (Hg.), Europa – Visionen und Praxis im 20. und 21. Jahrhundert, Berlin (im Druck, 2021). Vgl. Peter Ruggenthaler, The Impact of Perestroika and Glasnost on the CPSUʼs Stance toward the „Fraternal Parties“ in the Eastern Bloc, in: Di Palma (Hg.), Perestroika and the Party, S. 27– 54.
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Kapitel 5: Die Perestroika und der Zusammenbruch der Kommunismen
an, nämlich um Möglichkeiten auszuloten, sich selbst als neue Schutzmacht in Stellung zu bringen. Angesichts der geringen Erfolgsaussichten konnte sich die Sowjetunion allerdings nie dazu entschließen, diese Strategie in Konkurrenz zu den USA ernsthaft zu verfolgen und die Europäische Integration anzuerkennen. Diese Zusammenhänge bleiben in der einschlägigen Forschung nach wie vor unterbelichtet.¹⁵ Es kann dennoch festgestellt werden, dass die Politik der UdSSR in Bezug auf den westeuropäischen Integrationsprozess durchaus auf dessen Entwicklung abgestimmt war: Wartete die EG mit Erfolgen auf, so zeigte sich Moskau pragmatisch an der Anerkennung interessiert und förderte parallel dazu die Konsolidierung des RGW; verbuchte sie dagegen Rückschläge, machte der Kreml jedwede Annäherung an die Westgemeinschaft und jeden Vorstoß zu mehr Integration im eigenen Hegemoniebereich wieder rückgängig.¹⁶ Der allgemeine epochale Umgestaltungsprozess, den Gorbatschows Ernennung zum Generalsekretär der KPdSU in Gang setzte, hatte auch auf die Achtung und Umsetzung der KSZE-Schlussakte unmittelbare Auswirkungen. Die Respektierung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie Öffnung und Gewaltfreiheit wurden zur Richtschnur der neuen sowjetischen Innen- und Außenpolitik. Welchen Einfluss dieser Wandel auf die anderen kommunistischen Parteien hatte, insbesondere auf die osteuropäischen, ist erst lückenhaft erschlossen worden. War diese Politik zunächst als „Vervollkommnung des Sozialismus“ intendiert, erwies sie sich schon bald als dessen Sargnagel: Innerhalb kürzester Zeit entfaltete sie ihr befreiendes Potential und entwickelte eine Eigendynamik, infolge derer die sowjetische Gesellschaft bürgerschaftliche Freiheiten wie die Meinungs-, Presse- oder Versammlungsfreiheit erstreiten konnte. Nur wenige Monate nach dem KSZE-Nachfolgetreffen in Wien 1989 und der Unterzeichnung der „Charta von Paris für ein neues Europa“ 1990 wurde Gorbatschow bzw. seine Politik der Öffnung von einheimischen und ausländischen „orthodoxen“ Kommunisten mit harscher Kritik überzogen. Man warf ihm vor, den „Ausverkauf“ des Marxismus-Leninismus und seiner spezifischen sozialistischen Wertehaltung eingeläutet und besiegelt zu haben. Durch den neuen Reformkurs habe die Sowjetunion außerdem ihre ideologische und politische Monopolstellung innerhalb der sozialistischen Staatengemeinschaft endgültig eingebüßt und sei den Avancen des Westens anheimgefallen. Nur wenige Monate später, im Jahr 1991, brach die UdSSR zusammen. Inzwischen, mehr als 25 Jahre nach ihrer Auflösung, hat die einschlägige Historiografie eine Vielzahl an Erklärungsansätzen für den
Vgl. hierzu ausführlich Di Palma u. Mueller (Hg.), Kommunismus und Europa, insbesondere die Einführung S. 13 – 26. Hierzu, pointiert, Mueller, Die UdSSR und die europäische Integration, S. 617– 662.
2 Der PCF zwischen Perestroika und Untergang
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gleichzeitigen Erfolg bzw. das Scheitern von Perestroika hervorgebracht. Dabei überwiegen insgesamt „realistische“ Analysen, welche auf ökonomische Schwierigkeiten, den westlichen Druck oder aber auf die Person von Gorbatschow abheben.¹⁷
2 Der PCF zwischen Perestroika und Untergang Nach dem Austritt der vier kommunistischen Minister aus der Regierungskoalition mit den Sozialisten am 20. Juli 1984 verfolgte der PCF wieder eine Strategie der unversöhnlichen Opposition. Auf dem XXV. Parteitag im Februar 1985 in Saint-Ouen konnte diese radikale Oppositionspolitik zwar bestätigt und als für jeden Kommunisten verpflichtend propagiert werden; dennoch war der Vorstand scharfer Kritik durch die eigene Partei ausgesetzt.¹⁸ Sogar innerhalb des ZK herrschte Uneinigkeit in Bezug auf die nationale Programmatik. Die Unstimmigkeiten hatten sich bereits auf einer Sitzung Ende Oktober 1984 angedeutet, als sechs hochrangige Mitglieder des Komitees gegen den Kurs gestimmt hatten, der von Marchais eingeschlagen worden war.¹⁹ Der Dissens war mannigfaltig, betraf aber im Wesentlichen drei Aspekte: Auf Widerstand stieß zum einen die monokausale Deutung des allmählichen Niedergangs der Partei durch den Parteivorstand; zweitens ging es um die „undemokratische“ Praxis des für den PCF traditionellen „demokratischen Zentralismus“; drittens um die von vielen Parteimitgliedern als zu unkritisch empfundene Perzeption der „real sozialistischen“ Länder durch die Entscheidungsträger
Hierzu siehe u. a. Anders Ålsund, Gorbachev’s Struggle for Economic Reform, New York 1991; Peter J. Boettke, Why Perestroika failed. The Politics and Economics of Socialist Transformation, London 1993; Mark R. Beissinger, Nationalist Mobilization and the Collapse of the Soviet State, New York 2002; Archie Brown, Der Gorbatschow-Faktor. Wandel einer Weltmacht, Frankfurt a.M 2000; Archie Brown, Seven Years that Changed the World. Perestroika in Perspective, Oxford 2007; Helmut Altrichter, Russland 1989. Der Untergang des sowjetischen Imperiums, München 1989; Chris Miller, The Struggle to Save the Soviet Economy: Mikhail Gorbachev and the Collapse of the USSR, Chapel Hill 2016; Matthias Stadelmann u. Lilia Antipow (Hg.), Schlüsseljahre. Zentrale Konstellationen der mittel- und osteuropäischen Geschichte, Stuttgart 2011, darin insbesondere der Aufsatz von Klaus Gestwa, Sicherheit in der Sowjetunion 1988/1989. Perestroika als missglückter Tanz auf dem zivilisatorischen Vulkan, S. 449 – 467; György Dalos, Gorbatschow. Mensch und Macht. Eine Biographie, München 2011; William Taubman, Gorbachev: His Life and Times, New York 2017. Courtois u. Lazar, Histoire, S. 397– 398. Es handelte sich um Pierre Juquin, Marcel Rigout, Ellen Constants, Félix Damette, Yvan Tricart und Marc Zamichiei. Siehe Courtois u. Lazar, Histoire, S. 398.
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und höheren Kader.²⁰ Vor diesem Hintergrund unternahm die Parteizentrale mehrere Versuche, ihren Einfluss und ihr Durchsetzungsvermögen zu erhöhen, indem beispielweise die mit dem PCF verbundene Gewerkschaft CGT in den Dienst der eigenen Oppositionspolitik gestellt wurde. Dies führte zu einem aggressiven Konfrontationskurs der Gewerkschaft, der in eine Reihe von aufsehenerregenden Demonstrationen gegen die Regierung mündete. Intern hatte die schärfere Oppositionshaltung der CGT zudem die Zurückdrängung der traditionellen Führungsriege um Henri Krasucki zur Folge, der nun wegen mangelnder Entschlossenheit und „Fahrlässigkeit“ in die Kritik geriet.²¹
Die Wahlen 1986 Die am 16. März 1986 in Frankreich abgehaltenen Parlamentswahlen kamen für den PCF einer regelrechten Katastrophe gleich: Im Vergleich zum Jahr 1967 hatte die Partei rund ein Drittel ihrer Stimmen verloren und konnte lediglich 35 Abgeordnete nach Paris entsenden.²² Als besonders besorgniserregend erwies sich die Tatsache, dass Stimmverluste nicht nur flächendeckend übers ganze Land hinweg zu verzeichnen waren, sondern dass die Kommunisten selbst in ihren traditionellen Hochburgen wie etwa im „roten Gürtel“ um Paris empfindliche Einbußen hinnehmen mussten. Erstmalig seit Ende der sechziger Jahre konnte der Bezirk Seine-Saint-Denis, in welchem der PCF sonst am stärksten abschnitt, nicht Stimmenrekordhalter werden. Außerdem machte sich ein neues, beunruhigendes Phänomen bemerkbar, nämlich das Aufkommen des rechtsextremen Front National um Jean-Marie Le Pen, der einen beachtlichen Aufschwung erlebte und in vielen Städten dem PCF Zustimmung hatte abgraben können.²³ Dies stellte ein eindeutiges Warnsignal für den Pariser Vorstand dar, der sich eingestehen
Hierzu siehe die Zeugnisse von Parteimitgliedern, so u. a.: Anciet Le Pors, Contradictions: vous avez dit contradictions?, Paris 1984; Jean Fabien, Les nouveax secrets des communistes, Paris 1990; ferner auch Michel Barak, Fractures au PCF, des communistes parlent, Paris 1980. Vgl. Courtois u. Lazar, Histoire, S. 397. Diese machen außerdem darauf aufmerksam, dass die harte Linie des PCF, die in der ausdrucksstarken öffentlichen Verurteilung der Politik des PS um Mitterrand ihre Äußerung fand, anlässlich des 42. Kongresses der CGT Ende November 1985 endgültig auf die Gewerkschaftsfunktionäre übertragen wurde. Im Exekutivkomitee verfügten die Kommunisten über eine übergroße Mehrheit: Sie stellten 95 der 125 Mitglieder. Vgl. Jean Ranger, Le déclin électoral du Parti communiste français, in: Revue française de science politique 1 (1986), S. 46 – 63. Vgl. Courtois u. Lazar, Histoire, S. 398.
2 Der PCF zwischen Perestroika und Untergang
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musste, dass viele Arbeiter den populistischen und ultranationalistischen Losungen des Front anheimfielen. Vor diesem Hintergrund verschärfte sich die innerparteiliche Kritik an der Führungsriege noch einmal deutlich. Diejenigen, die einen Bruch mit der Politik Marchais’ herbeiführen und die Partei von innen erneuern wollten, scharten sich um Pierre Juquin.²⁴ Bedeutende Persönlichkeiten des PCF unterstützten seine in der Zeitschrift Le Monde veröffentlichte Petition, einen außerordentlichen Parteitag zur Erörterung der herrschenden Probleme und Divergenzen einzuberufen.²⁵ Doch die interne Zersplitterung der Partei war nicht mehr aufzuhalten: Zwischen dem orthodoxen Vorstand, der sich für Kompromisse kaum empfänglich zeigte, und den kritischen Außenseitern, die sich insbesondere auf lokaler Ebene einer nicht zu unterschätzenden Gefolgschaft erfreuen konnten, herrschte eine tiefe politische und ideologische Kluft. Mit dem offiziellen Parteiaustritt Juquins im Juni 1987, begünstigt durch den Entschluss des Vorstands, den Marchais-Vertrauten André Lajoinie 1988 als Präsidentschaftskandidaten ins Rennen zu schicken, hatten die Differenzen über die Entwicklung und Zukunft des französischen Kommunismus das Zentrum der Partei erreicht. Juquin kündigte nur wenige Monate später an, dass er selbst als unabhängiger, jedoch vom linksradikalen PSU unterstützter Anwärter für den Posten des Staatspräsidenten kandidieren werde und neue, für die französische und europäische Linke wichtige Themen in den Blick nehmen wolle, die vom PCF vernachlässigt würden.²⁶ Das Ergebnis der Präsidentschaftswahl vom 24. April 1988 war eine weitere anschauliche Bestätigung der tiefen Krise, in die der französische Kommunismus geraten war. Um ein mediales Debakel zu vermeiden, hatte Marchais am Vorabend der Wahl beschlossen, doch nicht selbst anzutreten, sondern einen Vertrauten, den bereits erwähnten Lajoinie, ins Rennen zu schicken. Diese „Vorsichtsmaßnahme“ erwies sich als nützlich und gleichsam vorausschauend, denn der Kandidat des PCF konnte gerade einmal 6,7 % aller Stimmen auf sich vereinigen; schlechter hatte die Partei noch nie bei einer solch wichtigen Wahl abgeschnitten.²⁷ Vom drastischen Rückgang des PCF in der Wählergunst konnten alle seine unmittelbaren politischen Rivalen profitieren:
Darunter Claude Llabres, Claude Poperen und Marcel Rigout. Siehe dazu Pierre Juquin, Autocritiques, Paris 1985; Claude LLabres, Les tribulations d’un iconoclaste sur la planète rouge, Paris 1993. Vgl. Courtois u. Lazar, Histoire, S. 398. Zu diesem Zusammenhang siehe Francine Simon-Ekovitch, Le Parti communiste français à l’epreuve de l’ecologie: mutation illusoire, mutation impossible? Évolution du discours et des analyses. 1972 – 1992, Brüssel 1993, S. 153– 172. Vgl. Courtois u. Lazar, Histoire, S. 400.
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Jean-Marie Le Pen erzielte eine in der Geschichte des Front National bis dahin unerreichte Bestmarke von über 14 %; der unabhängige Juquin konnte seiner ehemaligen Partei ca. 600.000 Wählerstimmen abgraben; François Mitterrand dagegen nutzte die Schwäche des PCF, um seine Macht im sozialistischen und kommunistischen Milieu weiter auszubauen. Schließlich wurde er im Amt des Staatspräsidenten bestätigt. Die Niederlage lastete schwer auf dem PCF und seiner Führung, die trotz aller Gegenmaßnahmen von allen Seiten verantwortlich für den unübersehbaren Rückgang gemacht wurde. Die Wahl hatte allen deutlich gemacht, dass die Krise und ihre Auswirkungen in der Mitte der Partei bzw. im traditionellen Wählerreservoir endgültig angekommen waren. Sogar in kommunistischen Kreisen waren beachtliche Einbußen zu registrieren. Besonders fiel der Rückgang bei den jungen Erwachsenen zwischen 18 und 24 Jahren und den Arbeitern auf. Lediglich 15 % der Letzteren gaben dem PCF ihre Stimme, bei den jüngeren Wählern, die noch 1978 mit 30 % hinter den Kommunisten gestanden hatten, waren es nun gerade mal noch rund 6 %.²⁸ Nur wenige Wochen später, am 5. Juni 1988, fanden die Parlamentswahlen statt, bei denen der PCF zwar ein etwas besseres Resultat (rund 11 %) erzielen konnte, aber weiterhin an Einfluss einbüßte. Infolge der Wiedereinführung des relativen Mehrheitswahlsystems reduzierte sich nämlich seine Anzahl an Abgeordneten im Parlament von 35 auf 27. Die kommunistischen Hochburgen, die Großstädte und die industriellen Ballungsräume konnten sich diesmal zwar als sichere Stimmenlieferanten wieder bewähren; dafür fiel der Rückgang in ländlichen Gebieten besonders stark aus; die kommunistische Wählerschaft zeigte sich klar konzentriert auf nur wenige Zentren. Wie Mitterrand persönlich unterstrich, ähnelte die herrschende Krise des PCF der Lage der kommunistischen Partei in den zwanziger und dreißiger Jahren, als sie noch keine Massenorganisation, sondern lediglich ein „Archipel“ dargestellt hatte.²⁹
Die innerparteiliche Zersplitterung 1988 – 1989 Die schwere Krise des PCF, die sowohl organisatorischer als auch ideologischer Natur war, gab Anlass zu weiteren Spaltungen bzw. zur Bildung mehrerer Inter-
Insbesondere dieses Ergebnis zeigt mit aller Deutlichkeit den damaligen Ernst der politischen Krise des PCF. Im Vergleich hatte der Front National um Le Pen knapp über 20 %, der PS um Mitterrand rund 40 % der Stimmen im Arbeitermilieu erringen können. Vgl. Olivier Escarguel, Mitterrand devant la fin de l’URSS: perceptions, réactions, répercussions 1985 – 1991, Paris 2006, hier S. 78 f. Hierzu vgl. Courtois u. Lazar, Histoire, S. 401.
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essengruppen und Faktionen innerhalb der Partei. Die wohl wichtigsten Protestpole hatten eines gemeinsam: ihre Kritik an der Politik des Vorstands bzw. an dessen Vorsitzendem Georges Marchais. Sie unterschieden sich jedoch grundsätzlich in den Lösungsvorschlägen und in der ideologischen Orientierung. Der Gruppierung der „Erneuerer“, die sich nach dem Austritt von Juquin um Claude Llabres, PB-Mitglied und Leiter der Kultur- und Intellektuellensektion der Partei, scharten,³⁰ standen die „Wiederhersteller“ (reconstructeurs) gegenüber, die vom langjährigen ZK-Mitglied Claude Poperen angeführt wurden und über breite Unterstützung in der älteren Parteiriege verfügten.³¹ Dem unaufhaltsamen „Fall“ (chute) der Partei konnten auch die Kommunalwahlen vom März 1989 keinen Einhalt gebieten, im Gegenteil. Der PCF hatte seit jeher seinen Einfluss auf einer starken lokalen Verankerung aufgebaut, die er auch zu Zeiten nationaler und internationaler einschneidender Erschütterungen hatte aufrechterhalten können.³² Dieses verhältnismäßig stabile Gleichgewicht geriet mit dem Wahlergebnis vom Frühjahr 1989 mit einem Schlag aus dem Lot: Der PCF verlor 295 Bürgermeister (von insgesamt knapp 1.200), darunter wichtige Vorposten in Großstädten sowie in Regionen, in denen er sonst ohnehin traditionell unterrepräsentiert war, wie in der Region um Marseille.³³ Und im Pariser „roten Gürtel“ konnten lediglich 27 von insgesamt 45 kommunistischen Bürgermeistern in Zentren mit mehr als 30.000 Einwohnern im Amt bestätigt werden. Wie Courtois und Lazar hervorheben, gab aber nicht allein dies Anlass zur großer Sorge: Ihnen zufolge war noch viel gravierender, dass nun viele der sich behauptenden PCF-Bürgermeister zum offenen Protest gegen die offizielle Linie der Partei übergingen, während sie ihre Funktionen im kommunalen Bereich nunmehr als selbstständige Politiker auszuüben beanspruchten. Die Folge waren Dissidenz und Sabotage etlicher PCF-Funktionäre im lokalen Rahmen.³⁴ Der abrupte Niedergang der kommunistischen Präsenz und ihres Einflusses im lokalen Bereich schürte nicht nur interne Proteste, sondern führte auch zu einer rapiden Verarmung der Parteikassen. Er konfrontierte zudem den PCF-Vor Claude LLabres sollte 1989 mit einer selbstständigen Liste bei der Europawahl kandidieren. Vgl. Llabres, Les tribulations, S. 48 – 49. Hierzu u. a. Jacques Lévy, Un espace communiste. Géographie de la crise du PCF, in: Communisme 22– 23 (1989), S. 145 – 160. Hierzu siehe u. a. Patrizia Dogliani, Un laboratorio di socialismo municipale. La Francia (1870 – 1920), Mailand 1992. Hierzu vgl. Courtois u. Lazar, Histoire, S. 401– 402. „Sur 95 municipalités de plus de 35.000 habitants perdues en 1989, 14 sont allées à des dissidents, en général des maires sortants, dans des départments où se manifeste und forte contestation de la direction parisienne (Doubs, Haute-Vienne) ou dans une ville de plus de 100.000 habitants comme Le Mans.“ Zit. nach Courtois u. Lazar, Histoire, S. 402.
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stand mit tiefgreifenden Schwierigkeiten, wobei vor allem zwei Probleme ins Gewicht fielen: Zum einen hatte sich die Parteiführung nicht um eine Verjüngung der Kader gekümmert bzw. die Notwendigkeit dazu nicht erkannt oder ernst genommen. So hatte sie auch nichts gegen die Praxis der „Ämterpatronage“ unternommen oder gegen das Phänomen, dass sich manch kommunistischer Bürgermeister 20 bis 30 Jahre ununterbrochen im Amt hatte halten können, ohne dass entsprechende Erneuerungsmaßnahmen durchgeführt worden wären. Damit aufs Engste verknüpft war das zweite Problem, das dem PCF unter Marchais zum Fallstrick wurde: die „Blindheit“ seiner Parteifunktionäre, die fundamentale, in ihrem eigenen Umfeld vonstattengehende soziale Veränderungen entweder unterbewerteten, diese schlichtweg nicht zu begreifen imstande waren oder gar nicht erst begreifen wollten. Die Arbeiterklasse(‐n) hatte/-n sich dem soziologischen Gehalt nach zur Mittelschicht entwickelt und entzogen dem PCF allmählich ihre traditionelle Unterstützung.³⁵
Die Krise der kommunistischen Gewerkschaft CGT Wie sehr der PCF in der Tat mit ernsthaften Krisenerscheinungen zu kämpfen hatte, zeigte sich auch daran, dass die wichtigste Bezugsgewerkschaft der Kommunisten, die CGT, von den allgemeinen Rahmenbedingungen einer sich im raschen Wandel begriffenen Gesellschaft kaum weniger in Mitleidenschaft gezogen wurde. Das Schicksal der Renault-Fabrik in Billancourt, die nach langer Mitverwaltung durch die CGT Mitte 1984 vor einer Insolvenz stand, infolge derer rund 1.300 Arbeiter entlassen werden mussten, stellt ein eindrucksvolles Beispiel für die organisatorischen und politischen Schwierigkeiten der kommunistischen Gewerkschaftsführung während der zweiten Hälfte der achtziger Jahre dar.³⁶ Die
Hierzu vgl. u. a. François Platone, Le PCF aux élections municipales de 1989, contribution à un bilan contrasté, in: Communisme 22– 23 (1989), S. 32– 49; Henri Rey, La résistance du communisme municipal en Seine-Saint-Denis en 1989, Communisme 22– 23 (1990), S. 61– 72; Françoise Sibileau u. Marie-France Toinet, Après les élections municipales, le déclin de la gauche à Paris, Le Monde, 6.04.1989; Alistair Cole, The French Municipal Elections of 12 and 19th March 1989, in: Modern and Contemporary France 39 (1989), S. 23 – 34; Colette Ysmal, Les élections municipales : ni à droite, ni à gauche, in: Projet 217 (1989), S. 65 – 74. Der desaströsen Mitverwaltung der Vorzeige-Renault-Fabrik in Billancourt durch die CGT, in welcher rund 30.000 Arbeiter tätig waren, suchte der Automobilhersteller durch die Ernennung eines bewährten Managers, Georges Besse, im Januar 1984 ein Ende zu bereiten. Im August 1986 wurde er Opfer eines Attentats durch Terroristen der anarcho-kommunistischen Gruppe Action directe, welche dadurch ihren „Unmut“ über die von Besse verordnete Massenentlassung zum Ausdruck bringen wollte. Siehe hierzu u. a. Yves Santamaria, La CGT de juillet 1986 à Juin 1987, in: Communisme 14 (1987), S. 127– 150; Yves Santamaria, La CGT, du corporatisme à l’humanisme, in:
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Ankündigung der endgültigen Schließung der Fabrik im Jahr 1992 versetzte der CGT, die damit eines ihrer symbolisch wichtigsten Aushängeschilder verlor, einen schweren Schlag. Die Zahlen sprechen für sich: 1990 wies die Gewerkschaft nur noch etwa 600.000 Mitglieder auf gegenüber 1.800.000 im Jahr 1975.³⁷
Die Perestroika und der PCF Die „Rezession“ des PCF sowohl auf nationaler als auch auf lokaler und gewerkschaftlicher Ebene in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre schrieb sich in die allgemeine Krise des durch die Sowjetunion weitestgehend gesteuerten Teils des Weltkommunismus ein. Eine PCF-Abordnung hatte im Februar 1986 den Verhandlungen des XXVII. Parteitags der KPdSU in Moskau beigewohnt und die dort angekündigten Reformimpulse mit Begeisterung aufgenommen. Marchais und seine engsten Vertrauten beurteilten die Bemühungen Gorbatschows zur Erneuerung und „Entschlackung“ des sowjetischen Kommunismus als längst fällige Maßnahmen zur Berichtigung von Fehlern der Vergangenheit, doch das meiste davon betrachteten sie lediglich als „Schönheitskorrekturen“, die dem Kommunismus und Sozialismus zu altem Glanz verhelfen sollten.³⁸ Marchais äußerte sich dabei enthusiastisch über den neuen Machthaber im Kreml und dessen Vorstöße zur Vorbereitung einer „zweiten kommunistischen Revolution“, die in Politik und Gesellschaft ein neues Zeitalter einleiten sollte.³⁹ Doch auf die anfängliche Euphorie sollte schon bald Ernüchterung folgen. 1987/88 wurde der PCF-Führung klar, dass sich die Forderungen Gorbatschows nach mehr Transparenz bzw. nach kritischer Auseinandersetzung mit der Vergangenheit auch an die hochrangigen Funktionäre des Pariser Vorstands richteten und sie zur Verantwortung zogen. Der monolithische Machtapparat um Marchais konnte und wollte die eindeutigen Krisenerscheinungen in und um die Partei herum jedoch nicht wahrhaben und verschanzte sich regelrecht hinter dem Vorwand der traditionellen Verteidigung der Interessen der Arbeiterbewegung, ohne progressiv voranschreiten zu können. Vor dem Hintergrund eines ganz offenbar im Zerfall begriffenen PCF verschärften sich auch die Proteste der Mitglieder, denen oft Austritte oder der Wechsel zu anderen Parteien folgten. Zwischen 1987 und 1990 sank die
Communisme 22– 23 (1990), S. 13 – 29; Yves Santamaria, Chronique de la CGT, 1990 – 1993, in: Communisme 35 – 37 (1994), S. 171– 190; Dominique Labbé u. Frédéric Périn, Que reste-t-il de Billancourt? Enquête sur la culture d’enterprise, Paris 1990. Vgl. Courtois u. Lazar, Histoire, S. 405. Vgl. hierzu u. a. Naudy, PCF, hier S. 167. Nach Courtois u. Lazar, Histoire, S. 408.
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Mitgliederzahl des PCF um ca. 250.000;⁴⁰ erstmalig in der Nachkriegsgeschichte der Partei musste ihr Presseorgan L’Humanité seine Auflage deutlich reduzieren, so dass sogar mehrere Festangestellte entlassen werden mussten. Noch gravierender war der politische und ideologische „Totalausfall“, der wohl alle Kader ungeachtet ihres Ranges oder ihrer Bedeutung betraf. Die ursprünglich internen Protestbewegungen, die sich bereits seit Ende der siebziger Jahre im Pariser Großraum bemerkbar gemacht hatten, wuchsen sich zu offener Dissidenz aus. Unmissverständlich zeigte sich, dass die alte Praxis der Parteidisziplin bzw. des hierarchisch einzuhaltenden Gehorsams, auf der Patronage und Vetternwirtschaft beruht hatten, über keinen Rückhalt mehr in der Partei verfügte. Im Zuge der Zersplitterung des PCF hatte sich, wie angedeutet, 1989 neben den „Erneuerern“ um Juquin und den „Wiederherstellern“ um Poperen eine weitere Gruppe gebildet, die von dem langjährigen ZK-Mitglied bzw. ehemaligen Minister für Verkehr Charles Fiterman angeführt wurde und sich die ideologische Neuorientierung der Partei zur Aufgabe gemacht hatte.⁴¹ Anders als bei früheren Flügelbildungen in der Partei tendierten die Ableger nun in verstärktem Maße dazu, sich vom PCF gänzlich loszusagen und auf der politischen Bühne als eigenständige Formationen zu agieren. Dies hatte verheerende Konsequenzen für die kommunistische Partei, die dadurch wertvolle personelle Verbindungen und damit einhergehend auch politischen Einfluss einbüßte. Alles in allem bleibt somit festzuhalten, dass der unaufhaltsame Niedergang des PCF sowohl auf ideologische Besonderheiten als auch auf spezifische Entwicklungen und Verwerfungen in der französischen Gesellschaft zurückgeführt werden kann, denen er schlichtweg nicht gewachsen war. Die teilweise fanatische Unterstützung des von etlichen staatssozialistischen Ländern Osteuropas zur Staatsdoktrin erhobenen und mit aller Konsequenz auch nach Ankündigung von Perestroika und Glasnost praktizierten Marxismus-Leninismus trug zur weiteren Entfremdung der traditionellen PCF-Wählerschaft bei, die sich desorientiert und verunsichert anderen Parteien des linken Spektrums zuwandte. In sozioökonomischer Hinsicht hatte die Pariser Parteiführung nur mit erheblicher Verspätung den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel erkannt und entsprechende Maßnahmen zum Umgang mit den Modernisierungsschüben eingeleitet. Dies
Vgl. Courtois u. Lazar, Histoire, S. 406. Hierzu u. a. Nicolas Bué u. Nathalie Ethuin, Le Parti communiste, un parti „comme les autres“? Retour sur quelques analyses de la désouvriérisation du PCF, in: Revue Espace Marx 2005, S. 73 – 105; Marc Lazar, Le PC sous les décombres, in: Esprit, März-April 1989, S. 141– 148; Bernard Pudal, La beauté de la morte communiste, in: Revue française de science politique, 52,5 – 6 (2002), S. 545 – 559.
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betraf nicht nur, wenngleich vorwiegend, den sozioökonomischen Sektor, sondern auch die Bereiche Bildung und Familie.
Der PCF nach dem Fall der Mauer Der PCF-Vorstand um den langjährigen Generalsekretär Georges Marchais hielt sich auch nach dem Fall der Mauer an der Spitze der Partei, die nunmehr zerrüttet und unfähig war, notwendige Reformen durchzuführen und Selbstkritik zu üben. Den Beweis dafür stellte die Haltung Marchaisʼ und seiner Entourage zum Putschversuch gegen Gorbatschow dar, der sich am 19. August 1991 in Moskau ereignet hatte. Zunächst bezog der Vorstand in der Humanité eine klare Position: Die Putschisten seien in dem Sinne zu verstehen, dass sie versuchten, das Erbe des Marxismus-Leninismus zu bewahren und die Sowjetunion vor schädlichen externen Einflüssen zu schützen, und in diesem Ansinnen seien sie zu loben. Anders gewendet: Die Pariser Marxisten-Leninisten begrüßten alle Unternehmungen, die Gorbatschow von der Macht verdrängen konnten.⁴² Angesichts der darauffolgenden tiefen Umbrüche in den Parteistrukturen der KPdSU – die Putschisten wurden verhaftet und die Partei selbst wurde für illegal erklärt –⁴³, die zu einem regelrechten „dynastischen“ Chaos in der nun offiziell als illegal geltenden sowjetischen Staatspartei führten, trat Gorbatschow im Dezember desselben Jahres als Präsident der Sowjetunion zurück. Dies überrumpelte die Pariser Parteispitze und stellte sie vor noch unbeantwortete Fragen. Wie sollte der Ertrag der Politik Gorbatschows offiziell gedeutet und bewertet werden? Welche Lehren, wenn überhaupt, konnte der PCF aus dem Zerfall der KPdSU und der Sowjetunion ziehen? Woran sollte sich die Partei schließlich nach dem Wegfall des sowjetischen Kommunismus orientieren, der für Jahrzehnte als festes Vorbild gegolten hatte? Zunächst setzte Paris auf Schadensbegrenzung: Die Führung ließ im September 1991 lakonisch verlauten, dass die Umbrüche in der (ehemaligen) Sowjetunion keine Wirkung auf Frankreich und den PCF zeitigten, zumal der fran-
Vgl. L’Humanité, 20.08.1991; 21.08.1991. Boris Jelzin, damals noch Präsident der „russischen Teilrepublik“, hatte nach dem fehlgeschlagenen Putschversuch ein Dekret erlassen, das de facto die KPdSU verbot. Der Beschluss, der große mediale Resonanz erzielte, wurde weltweit übertragen, und zwar während einer gleichzeitig stattfindenden Ansprache Gorbatschows, der sich zu dem Putsch gegen sich selbst äußerte. Letzterer musste seine Rede unterbrechen und schien vom Vorstoß Jelzins völlig überrascht. Nur wenige Monate später demissionierte er. Hierzu Ignaz Lozo, Der Putsch gegen Gorbatschow und das Ende der Sowjetunion, Köln 2014.
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zösische Kommunismus kaum etwas mit dem sowjetischen gemein habe.⁴⁴ Angesichts einer solchen Selbstverleugnung fassten mehrere Mitglieder, darunter auch hochrangige Funktionäre wie Claude Poperen, den Entschluss, der Partei, „qui ne peut plus changer“⁴⁵, den Rücken zu kehren. Die Wochen und Monate nach dem Schock durch das Ende der Sowjetunion gestalteten sich tumultartig. Die Partei wirkte völlig überfordert und zeigte sich unfähig, eine interne Debatte oder gar tiefgreifende Erneuerungen in Gang zu setzen.
3 Der PCI in der „Nach-Berlinguer-Ära“ Die Wahlen in Italien im Jahr 1979 brachten sowohl einen politischen als auch einen kulturellen Wandel. Politisch führten sie vor Augen, dass der PCI nicht mehr die einzige ernstzunehmende Gruppierung im linken Spektrum darstellte; der PSI um seinen Generalsekretär Bettino Craxi setzte alles daran, ihm den Primat streitig zu machen. Kulturell stellten sie unter Beweis, dass die Ära, in der eine Beteiligung kommunistischer Kräfte an der Regierung im Bereich des Möglichen lag, das Zeitalter des compromesso storico, zu Ende war, und zwar infolge der sich zu Ende der siebziger Jahre erneut verschärfenden Konfrontation zwischen Ost und West. Seitdem lösten sich im italienischen Parlament mehrere Regierungskoalitionen unter der Leitung der DC ab, die sich ganz offenkundig zu dem Ziel bekannten, die politische Macht unter konsequentem Ausschluss der Kommunisten in ihren Händen zu konzentrieren und auszubauen. Es war die Geburtsstunde des Pentapartito, der Fünf-Parteien-Koalition, welches die systematische „Ghettoisierung“ des PCI herbeiführen sollte.⁴⁶ Das allmähliche Verblassen des italienischen Kommunismus war durchaus auch durch eigenes Verschulden bedingt. Ab der zweiten Hälfte der siebziger Jahre, in einer Zeit also, in welcher der PCI seine Bemühungen noch in höchstem Maße der kompromissbereiten Unterstützung der Regierung widmete, hatte die Partei den Zugang zu den gesellschaftlichen Bewegungen des Landes vernachlässigt oder nicht mehr konsequent gesucht.⁴⁷ Dadurch hatte sie ihre beinahe
Vgl. Courtois u. Lazar, Histoire, S. 411. „Die sich nicht mehr ändern kann.“ Zit. Claude Poperen nach Courtois u. Lazar, Histoire, S. 411. Vgl. u. a. Agosti, Storia, S. 110 – 115. Hierzu u. a. Otto Kallscheuer / Traute Rafalski / Gerhard Wenzel, Die KPI heute. Aspekte der Identitätkrise der kommunistischen Massenpartei, in: Probleme des Klassenkampfes, 3/XXXII (1978), S. 73 – 110; Annette Jost, Italien – Kommunisten an der Macht, in: Heinz Timmermann (Hg.), Eurokommunismus. Fakten, Analysen, Interviews, Frankfurt a. M. 1978, S. 65 – 96, hier S. 76; ferner
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naturgemäße Rolle als Mittler zwischen Politik und Gesellschaft verloren und ihr Handeln in den Dienst der „institutionelle[n] Garantie […] der parlamentarischpolitischen Absicherung“⁴⁸ gestellt. Diese Abkehr des PCI vom gesellschaftlichen Primat, der hierdurch den Anschluss an etliche außerparlamentarische Bewegungen wie etwa den Feminismus verpasste, hatte zur Folge, dass sich die Partei Anfang der achtziger Jahre umfassend neu aufstellen musste, sowohl innen- als auch außenpolitisch. Zwar erfreuten sich die italienischen Kommunisten auf der internationalen Bühne noch ihres Rufs als Hauptträger des Eurokommunismus, zu Beginn der achtziger Jahre zeigte jedoch auch dieser auffällige Auflösungserscheinungen. Bedingt durch die Kritik des PCI an der Intervention der KPdSU in Afghanistan und an ihrer entschlossenen Ablehnung der Reformversuche in Polen, kam es zum Bruch mit dem „realen Sozialismus“. Dieser verschärfte die innerparteilichen Differenzen – die Gruppe um ZK-Mitglied Armando Cossutta sollte seitdem eine konträre Position zur Vorstandsmehrheit beziehen⁴⁹ –, ließ sie mit vermehrter Kraft zutage treten und reflektierte die politische und ideologische Krise der Partei. Betroffen davon war auch, wie oben beschrieben, die ideologische Dimension des italienischen Kommunismus: Der PCI war nicht in der Lage, eine erfolgversprechende Strategie gegen die „neoliberale Wende“ der Regierung und breiter Teile der italienischen Linken, allen voran des PSI, zu entwickeln. Im November 1980 kündigte der Vorstand die Verabschiedung eines neuen Programms an, das im Zeichen einer eher vage definierten „demokratischen Alternative“ (alternativa democratica) stand. Gemeint war damit die Suche nach einer alternativen Koalitionsbildung mit anderen Kräften als der DC und dem PSI. An welcher weiteren Zielvorgabe man sich allerdings orientieren wollte, wurde aus dem Programmtext nicht ersichtlich. Noch erstaunlicher erscheint die Tatsache, dass der angekündigten Kursänderung keine interne Diskussion vorausgegangen war. Die breite Mitgliederbasis sowie rangniedrigere Funktionäre waren vom Prozess der Beschlussfassung weitestgehend ausgeschlossen worden. Der Machtkern um Enrico Berlinguer hatte die neue Linie schlichtweg diktiert; Revision und mögliche Korrekturen blieben aus. Dies warf ein Schlaglicht nicht nur auf die Disziplin der Partei, die durch dieses „despotische“ Vorgehen ausgehebelt schien; es warf auch Fragen bezüglich der Integrationskraft der Führungsriege, allen voran Berlinguers, auf, die sich auch medial zum Schirmherr dieser „Wende“ emporgehoben auch Sascha Wagener, Der EU-Verfassungsvertrag und die Positionen linker Parteien, Potsdam 2012, hier S. 17– 18. Schoch, Die internationale Politik, S. 467. Vgl. Agosti, Storia, S. 116.
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hatte, nachdem sie über eine Dekade Garant und Verfechter des nun inhaltslos gewordenen compromesso storico gewesen war.⁵⁰ Tatsächlich bemühte sich der PCI auf verschiedenen Handlungsfeldern um die Umsetzung der neuen Direktiven. Anders als der PCF beispielweise, der sich weitestgehend mit der mit ihm affiliierten Gewerkschaft CGT identifizierte, überzogen die italienischen „Genossen“ die CGIL mit harscher Kritik. Sie warfen ihr vor, zu „lasch“ gegen die etablierten Arbeitgeber und großen Konzerne vorzugehen und sich nur unzureichend für die Belange und Bedürfnisse der Arbeiter einzusetzen. Damit gelang es dem PCI immerhin, die traditionell enge Bindung zwischen Arbeiterbewegung und Partei zu konsolidieren. Diese partielle Rückorientierung auf den naturgemäßen Nutznießer kommunistischer Politik, die Arbeiterschaft, bezog eine weitere Dimension mit ein: Der Vorstand verknüpfte damit die Verheißung, die Gesellschaft von innen heraus ändern und in „gerechtem“ Sinne modifizieren zu wollen, indem er sich für mehr Transparenz sowie weiterhin für sozialen Ausgleich und Vermögensumverteilung verwendete. Darin sah er auch sein Hauptunterscheidungsmerkmal im Vergleich zu den anderen „bürgerlichen“ Kräften und Parteien, allen voran zur DC; diese seien schuld daran, ein korruptes und auf Vetternwirtschaft beruhendes Machtsystem errichtet zu haben, das es mit allen Mitteln zu bekämpfen gelte. Damit wies der PCI als erste Partei überhaupt die italienische Öffentlichkeit Anfang der achtziger Jahre auf eine weit verbreitete, besonders heikle Praxis hin – die der Korruption im politischen Geschäft. Die Bevölkerung auf der Apenninenhalbinsel war dafür jedoch offensichtlich noch nicht bereit.⁵¹
Die zweite Hälfte der achtziger Jahre Die Rückbesinnung des PCI auf seine traditionelle Wählerschaft, die sich aus Arbeitern und Handwerkern zusammensetzte, erfolgte in einer Zeit, in der die gesamte westliche Welt von einer umfänglichen neoliberalen Tendenzwende er Vgl. Agosti, Storia, S. 118. Nur wenige Jahre später, Anfang der neunziger Jahre, sollte der geradezu epochale Prozess Mani pulite (Saubere Hände) die erwähnte umfassende Praxis von Korruption und Amtsmissbrauch des italienischen Politikbetriebs aufdecken. Die umfangreichen Ermittlungen leiteten das Ende der sogenannten Ersten Republik in Italien ein und führten zum Zusammenbruch etablierter Parteien wie der DC oder des PSI. Hierzu vgl. u. a. Andrea Apollonio (Hg.), Processo e legge penale nella Seconda Repubblica: riflessioni sulla giustizia da Tangentopoli alla fine del berlusconismo, Rom 2014; Friederike Hausmann, Kleine Geschichte Italiens von 1943 bis heute, Bonn 2010, hier S. 187– 189; Stefan Köppl, Das politische System Italiens: eine Einführung, Wiesbaden 2007; Stefan Köppl, Politik in Italien: vom Kartell zum Wettbewerb? Parteien, Parlament, Regierung, BadenBaden 2011.
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fasst wurde. Dies stellte die italienische Partei vor bis dahin unbekannte Herausforderungen, vor allem jedoch unterzog der rasche politisch-kulturelle sowie auch wirtschaftliche Wandel die Gesellschaften Westeuropas einer tiefen Transformation, an deren Ende die Eigeninteressen der jeweiligen Klassen differenzierter und vielgestaltiger geworden waren. Im Laufe der achtziger Jahre, die sich auf dem Feld der europäischen Märkte und ökonomischen Regierungsstrategien durch eine forcierte Deregulierung auszeichneten, verschärften sich einerseits die Unterschiede zwischen spezifischen Kategorien von Arbeitnehmern, beispielweise zwischen abhängigen und selbstständigen oder hochqualifizierten und traditionell ausgebildeten Arbeitern; andererseits verringerte sich die Distanz zwischen der Arbeiterschaft und den benachbarten Mittelschichten. Dies hatte verheerende Folgen für den PCI und die anderen kommunistischen Parteien (West‐)Europas: Dadurch schwand nämlich immer mehr ihre Anhängerschaft. Schnell wachsenden Teilen der sich neu ausdifferenzierenden Arbeiterschaft erschienen die Kommunisten als überflüssiges Anhängsel einer vergangenen Epoche und als nicht mehr in der Lage, mit den veränderten Voraussetzungen der Gegenwart Schritt zu halten. Der allgemeine Prozess der Loslösung der italienischen Arbeiterschaft von ihrem einst als naturgemäß empfundenen Hauptvertreter, dem PCI, schlug sich unmittelbar in den Mitgliederzahlen nieder: Zwischen Mitte der siebziger und Mitte der achtziger Jahre erlitt die Partei beachtliche Einbußen und verlor insgesamt rund 17 % ihrer „Genossen“. In der ersten Hälfte der achtziger Jahre verschärfte sich der Mitgliederschwund dramatisch, durchschnittlich wurden pro Jahr ca. 350.000 Austritte registriert.⁵² Es waren in verstärktem Maße Fabrikarbeiter, die dem PCI den Rücken kehrten. Hinzu kam ein eindeutiger Rückgang unter den jüngeren Generationen, was in krassem Kontrast zur Entwicklung noch zu Anfang der siebziger Jahre stand.⁵³ Die Brisanz der Krise manifestierte sich auch an den Wahlurnen. Der überraschende Tod von Enrico Berlinguer im Juni 1984 wirkte sich dabei in zweierlei Hinsicht aus. Erste Anzeichen eines Rückgangs an Wählerstimmen hatte man schon bei den Wahlen 1983 beobachten können, wenngleich der Stimmenschwund noch lediglich 0,6 % betrug (von 30,4 % auf 29,9 %).⁵⁴ Der zwischenzeitliche Anstieg auf 34 % – in der Tat das beste Ergebnis in der Geschichte des PCI – bei den Europawahlen 1984, kurz nach dem Tod Berlinguers, war eher auf dessen Popularität zurückzuführen als auf ein politisches „Wiederaufflammen“. Vgl. Agosti, Storia, S. 120. 1987/88 lag der Anteil der Jugendlichen unter 25 Jahren an der Gesamtmitgliederzahl bei nur 2,1 %. Vgl. Chiarante, La fine del PCI, S. 176. Vgl. Agosti, Storia, S. 122.
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Dies konnte aber die Partei nicht über tief verwurzelte Probleme hinwegretten, die in enormen Kommunikations- und Erneuerungsschwierigkeiten der leitenden Funktionäre gründeten. Wie Stephen Gundle pointiert dargelegt hat, sah sich der PCI in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre in einem Teufelskreis verfangen: Je schneller der politische „Aktivismus“ bzw. die Initiativbereitschaft schwanden, desto mehr Kräfte wurden für die Konservierung des inneren Status quo aufgebracht. Kurzum: Die Partei versagte sich ihrer herkömmlichen Rolle als Mittel zur Umsetzung politischer Anliegen und wurde zum reinen Selbstzweck.⁵⁵
Der neue Generalsekretär Alessandro Natta Unmittelbar nach dem Tode Berlinguers kam es darauf an, einen Nachfolger zu benennen, der dessen Politik fortsetzen und einen möglichst sanften Übergang gewährleisten konnte. Alessandro Natta kam sofort in Frage, aufgrund seiner Erfahrung an der Spitze der Partei als langjähriges Mitglied des Sekretariats sowie als Chef der parlamentarischen Fraktion und Präsident der Kontrollkommission des PCI, ferner aufgrund seiner persönlichen und ideologischen „Nähe“ zum ehemaligen Generalsekretär.⁵⁶ Im Vorfeld fiel den beiden ZK- und Sekretariatsmitgliedern Ugo Pecchioli und Aldo Tortorelli die Aufgabe zu, interne Gespräche zur Wahl des potentiellen Nachfolgers zu führen. Die breite Mehrheit sprach sich eindeutig für Natta aus; man wollte der Partei und insbesondere der Mitgliederbasis in einer so heiklen Situation politisch-ideologische Kontinuität bieten. Es wurden jedoch auch Stimmen laut, die sofort für einen programmatischen und generationalen Bruch plädierten und beispielweise Giorgio Napolitano oder Achille Occhetto vorschlugen.⁵⁷ Natta, welcher der alten Garde der „Togliattianer“ angehörte, kam zwar das Verdienst zu, die Schwierigkeiten des PCI in der Transitionsphase der späten achtziger Jahre früh erkannt zu haben. Er war aber nicht in der Lage, einen Modernisierungsprozess in Gang zu setzen, der zugleich mit einer adäquaten Politik der Konfrontation zu den etablierten Machtmonopolen hätte aufwarten können. Indes forderte und unterstützte Natta die bereits fortgeschrittene Abkopplung des PCI von der internationalen kommunistischen Gemeinschaft, was u. a. das Ein-
Stephen Gundle, I comunisti italiani tra Hollywood e Mosca. La sfida della cultura di massa (1943 – 1991), Florenz 1995, hier S. 234. Vgl. Chiarante, La fine del PCI, S. 83. Hierzu vgl. Chiarante, La fine del PCI, S. 84; ferner auch Paolo Turi, L’ultimo segretario. Vita e carriera di Alessandro Natta, Padua 1996, hier S. 118 – 119. Darin erfährt man, dass Natta 200 von 244 Stimmen erhielt; Luciano Lama bekam etwa 30, Occhetto 15 oder 16, Napolitano 6 oder 7.
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frieren etlicher Verbindungen zur SED, zum PCF und nicht zuletzt zur KPdSU bedeutete, bei gleichzeitiger weiterer Annäherung an die westeuropäischen Sozialdemokratien. Bettino Craxi, von 1983 bis 1987 Ministerpräsident Italiens und unerschütterlicher Verfechter einer liberalen Wirtschaftspolitik hatte sich stets vehement gegen die Beteiligung der Kommunisten an der Regierung gewehrt. De facto waren seine Regierungen von den Christdemokraten (DC) dominiert, welche in Italien in den achtziger Jahren die stärkste Partei stellten. Auf einem politischen Kompromiss mit ihnen basierte seine allgemeine Ablehnung einer konstruktiven Zusammenarbeit mit dem PCI. Nach den Wahlen 1986, aus denen die DC noch stärker hervorging, vereinbarte die christdemokratische Spitze unter Ciriaco De Mita mit dem neuen Staatspräsidenten Francesco Cossiga, dass Craxi zwar im Amt bestätigt werden, er dieses jedoch nach einem Jahr, d. h. am Ende der Legislaturperiode, an einen Christdemokraten abgeben sollte. Craxi und seine Partei lehnten das Manöver ab und sperrten sich gegen eine entsprechende Vereinbarung; es kam zur institutionellen Krise. Obwohl Craxi durch eine Zusammenarbeit mit dem PCI eine sichere und brauchbare Mehrheit im Parlament hätte zustande bringen können, blieb er konsequent bei seiner Zurückweisung einer PCIfreundlichen Politik.⁵⁸ Dies und den allgemein ablehnenden Umgang der bürgerlichen Parteien mit dem PCI werteten u. a. MfS-Beobachter als Bestätigung ihrer früheren Einschätzung, wonach die Strategie des „dritten Weges“ bzw. die Aufgabe einer „klassenmäßigen“ Politik dem italienischen Kommunismus eher geschadet habe. Er habe dadurch seine Identität verloren, das Vertrauen seiner Anhängerschaft verspielt und es schlussendlich nicht geschafft, von den etablierten Parteien als gleichberechtigter Partner anerkannt zu werden.⁵⁹ Dies hatte unmittelbare politische Auswirkungen zur Folge: Unter der Anhängerschaft griff Verunsicherung um sich, die Wählergunst sank unaufhaltsam. Bei den Parlamentswahlen im Frühjahr 1987 konnte der PCI lediglich 26,6 % der Gesamtstimmen auf sich vereinen, das schlechteste Ergebnis seit 1968.⁶⁰ Die Einbrüche waren gleichmäßig verteilt und betrafen alle sozialen Schichten; Rückgänge waren sowohl in ländlichen Gebieten als auch in den Großstädten zu verzeichnen. In einem als streng geheim eingestuften Eintrag machte das MfS 1988 darauf aufmerksam, dass die italienische Bevölkerung der „despotischen Regierungsweise“ der DC überdrüssig sei und deren kritiklose Unterstützung der NATO-Po-
Vgl. Acquaviva u. Gervasoni, Socialisti e comunisti, S. 289 – 290. MfS – HA II, 34454, Information Nr. 47/I, Wirtschaftliche und soziale Lage in Italien, 13.01.1987, hier S. 2– 5. Vgl. Agosti, Storia, S. 123.
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litik verurteile.⁶¹ Die Chance einer Abwahl der dominierenden DC wurde dennoch als sehr gering eingeschätzt, wohl auch aufgrund der Schwäche des PCI. Seit dem Tod Enrico Berlinguers im Juni 1984 hatte die kommunistische Partei wie in einer Abwärtsspirale unaufhaltsam an Wählerstimmen eingebüßt; ihr Einfluss in der Gesellschaft hatte folglich stark abgenommen. Dieser Trend hatte sich nach Einschätzung des MfS im Laufe des Jahres 1988 weiter verschärft, nachdem Achille Occhetto im Juni desselben Jahres vom ZK bei drei Gegenstimmen und fünf Enthaltungen zum Nachfolger Nattas als Generalsekretär der Partei gewählt worden war. Seine Ernennung betrachteten Kommentatoren der SED als Ausdruck eines grundlegenden ideologischen Richtungswechsels, infolgedessen der PCI in eine im Kern sozialdemokratische Kraft umgeformt werde: Die IKP will auf ihrem 18. Parteitag die Weichen für eine ‚neue IKP‘ stellen, die Mitglied der Linken in Europa ist. Der innerhalb der IKP als ‚Parteitag der Wende‘ bezeichnete Kongress beginnt am Samstag im Sportpalast in Rom. Der im Juni 1988 gewählte Generalsekretär Achille Occhetto will auf dem Parteitag die programmatischen Bedingungen schaffen, damit die IKP von den sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien in Europa als Partner akzeptiert wird.⁶²
Die Verschärfung der Krise setzte dem Vorstand um Natta schwer zu, der schließlich im Mai 1988 nach einem Herzinfarkt demissionieren musste. Ihm folgte Achille Occhetto, der sowohl biogrfhisch – er war 18 Jahre jünger als der ausscheidende Generalsekretär – als auch politisch-ideologisch für Erneuerung und Modernisierung stand.⁶³
Neue politische Herausforderungen Nach Darstellung Chiarantes waren es drei politisch-ideologische Hauptherausforderungen,⁶⁴ mit denen sich der PCI in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre konfrontiert sah: ‒ Den ersten gewichtigen „Knotenpunkt“ bildete die Aufarbeitung der Geschichte der KPdSU sowie ihrer Bedeutung für die historische Entwicklung des PCI bzw. für dessen Beziehungen zur „real sozialistischen“ Gemeinschaft. Der Aufstieg Gorbatschows mit seinen Reformbestrebungen hatte zunächst zweierlei Reaktionen beim PCI hervorgerufen: Einerseits wurden der neue MfS – HA II, 34454, (Streng geheim) Information Nr. 033051/1/88, S. 20. MfS – HA II, 34454, IKP will Parteitag der Wende – Ziel ist Anschluss an Europas Linke, S. 34. Vgl. Jean-Yves Dormagen, I comunisti. Dal PCI alla nascita di Rifondazione comunista. Una semiologia politica, Rom 1996, hier S. 234. Chiarante, La fine del PCI, S. 85 – 89.
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Generalsekretär der KPdSU und seine Politik als Beweis für das Scheitern des sowjetischen Kommunismus gedeutet, mithin als Bestätigung der Gültigkeit des „eurokommunistischen dritten Weges“, den nun Gorbatschow selbst oftmals anpries. Andererseits betrachteten viele „Genossen“ die revolutionsartigen Veränderungen durch die jetzigen Moskauer Machthaber als Beleg für die „Lebendigkeit“ bzw. die Erneuerungs- und „Propulsionskraft“⁶⁵ der „Mutterpartei“. Diese beiden Lesarten, die den Hauptströmungen innerhalb des PCI von „Berlinguer-Anhängern“ hier und „Radikalen“ um Armando Cossutta dort entsprachen, entwickelten sich weiter auseinander, mit verheerenden Folgen für die Zukunft der Partei. Dem neuen Generalsekretär Natta gelang es schließlich nicht, eine klare Position zu beziehen bzw. zwischen den Fronten zu vermitteln. Auch gegenüber Gorbatschow fuhr der Vorstand eine zweigleisige Strategie: bis 1987 besonders kritisch, danach dann enthusiastisch und voller Hoffnung auf einen Wandel, der auch dem PCI zugutekommen sollte. Tatsächlich waren jedoch weder Natta noch seine Vertrauten in der Lage, von der Perestroika ausgehend eine interne Debatte zu initiieren und neue Wege zu suchen. Darüber hinaus gelang es der neuen Führungsriege nicht, die unversöhnliche Haltung Berlinguers gegenüber den etablierten Kräften, der DC und besonders dem PSI unter Craxi, aufrechtzuerhalten. Um auf nationaler Ebene überhaupt noch Einfluss ausüben zu können, schloss sich die nun desorientierte Partei in den ausgehenden achtziger Jahren wieder der Strategie der „Konkordanzdemokratie“ (consociativismo) an, welcher der PCI bereits während der langen Phase des compromesso storico gefolgt war und die er mit erheblichem Aufwand und Imageverlust zugunsten der „demokratischen Alternative“ Anfang der achtziger Jahre aufgegeben hatte – was als politisches Testament Berlinguers betrachtet werden kann. Doch stellte dies ein zweischneidiges Schwert dar, implizierte es doch ein politisch-pragmatisches Zusammengehen ausgerechnet mit denjenigen Kräften, gegen die man propagandistisch zu Felde zog bzw. denen man Vetternwirtschaft und Korruption vorhielt. Dass sich der PCI dennoch dazu entschloss, sollte sich nach dem Zusammenbruch des realen Sozialismus und der Sowjetunion 1989 – 1991 als fatal für den italienischen Kommunismus erweisen, der sich infolge der ju-
In Anlehnung an den berühmten Spruch von Berlinguer, der während der polnischen Krise 1981/82 in einem Interview betonte, dass die einst bestehende, für den gesamten Weltkommunismus als Ansporn dienende „Propulsionskraft“ der russischen Revolution bzw. des sowjetischen Kommunismus endgültig zum Erliegen gekommen sei. Vgl. L’Unità, Berlinguer: con l’esaurirsi a Est della capacità di rinnovamento si deve aprire una nuova fase storica, 18.12.1981.
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ristischen Aufarbeitung der Ersten Republik (Mani pulite) vom Vorwurf der Mittäterschaft nicht freisprechen konnte. Schließlich überwogen beim neuen Vorstand rein opportunistische Strategien, die auf die Konsolidierung und Aufrechterhaltung des im Schwund begriffenen politischen Eigengewichts zielten. Angesichts der rapiden gesellschaftlichen und ideologischen Verwerfungen und Veränderungen, die sich in der Welt der späten achtziger Jahre vollzogen, stellte dies keine langfristige Perspektive dar. Auch nach dem Ausscheiden Nattas Anfang 1988 und der Amtsübernahme durch Achille Occhetto im Juni desselben Jahres legte die Führungsriege keinerlei Bestrebungen an den Tag, eine ernsthafte Debatte etwa über neu zu formierende soziale Allianzen oder über Fragen der fortgeschrittenen Globalisierung einzuleiten und zu führen.
Der Zusammenbruch der einst mächtigsten kommunistischen Partei Westeuropas 1988/89 Die Krise der italienischen Politik hatte sich während der achtziger Jahre kontinuierlich verschärft und sollte zwischen dem Ende der Dekade und dem Beginn der neunziger Jahre durch das Aufrollen der umfassenden Prozesse von Mani pulite gegen das „Establishment“ ihren vorläufigen Höhepunkt erreichen. Das ausgeklügelte und ausgesprochen weitreichende System von Korruption und Amtsmissbrauch, dessen Organisation und Umsetzung auf das „Dreigestirn“ Bettino Craxi, Giulio Andreotti und Arnaldo Forlani, den sogenannten CAF, zurückzuführen war, hatte dem Land zwar Stabilität und wirtschaftliches Wachstum beschert, es jedoch zugleich in der Illusion bestärkt, dass politische Entscheidungen allein Aufgabe und Kompetenz „großer Staatsmänner“ seien. Anders gewendet: Hinter dem scheinbar breiten demokratischen Konsens zugunsten der etablierten Kräfte – die DC und der PSI hatten während der gesamten achtziger Jahre relativ unbekümmert regieren können –⁶⁶ offenbarte sich die Tendenz in der italienischen Gesellschaft, politische Inhalte zu vernachlässigen sowie dem Austausch über Fragen des demokratischen Zusammenlebens und der Ethik gleichsam auszuweichen. Den Regierungsparteien der späten Ersten Republik war es somit gelungen, die Risiken einer öffentlichen Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Politik hinter die Fassade von Fortschritt und Wohlstand zu ver-
Vgl. hierzu u. a. Acquaviva, Il crollo, S. 759.; ferner auch Bedeschi, La Prima Repubblica 1946 – 1993, S. 289.
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bannen, eine Fassade, „welche die Konsistenz einer nunmehr hohlen Hülse hatte.“⁶⁷ Die Intrigen und Machenschaften des Politikbetriebs blieben jedoch nicht unbeachtet. Ihre Kritik stellte vielmehr ab Ende der achtziger Jahre den Hauptantrieb zur Gründung mehrerer Protestparteien dar, die zunächst lokal und regional verankert waren – es sei hier nur auf die wichtigste, die ursprünglich ausschließlich im Norden des Landes agierende Lega Nord, hingewiesen –⁶⁸ und die sich später zu einflussreichen nationalen Sammelbecken für offenen sozialen Unmut entwickeln konnten. Der PCI selbst konnte aus dieser Situation allerdings keinen Gewinn für sich ziehen. Zwar fehlte es ihm nicht an Persönlichkeiten aus der Faktion der nuovisti („Erneuerer“), welche die Partei auf eine entsprechende Protestbewegung ausrichten und eine konsequente Oppositionspolitik einleiten wollten.⁶⁹ Sie konnten sich innerparteilich aber nicht behaupten; der spätere Umbruch im italienischen Politikbetrieb ließ keinen Zweifel daran, dass ihre Anregung viel zu spät gekommen war. Die italienische Gesellschaft war längst bereit für einen strukturellen und kulturellen Wandel, ja sie verlangte gleichsam danach, insbesondere nach Abschluss der Prozesse von Mani pulite, infolge derer beispielweise Craxi zu mehrjähriger Haft verurteilt wurde, woraufhin er ins Exil flüchtete. Viele Italiener wollten allerspätestens jetzt klar und deutlich mit den Führungsstilen und Akteuren der Ersten Republik brechen und neuen Eliten eine Chance zur Erneuerung und Reformierung des Landes einräumen. Die Wahl fiel schließlich auf eine Mitte-Rechts-Koalition, bekanntlich geleitet von Silvio Berlusconi und Gianfranco Fini.⁷⁰
Die „Wende von Bologna“ Unter der „Wende von Bologna“ bzw. „Bolognina“ – nach dem Stadtviertel, in dem Generalsekretär Occhetto eine für die Zukunft der Partei bedeutsame Rede hielt – versteht man die vom erwähnten Parteichef nur wenige Tage nach dem Fall der Berliner Mauer gemachte Ankündigung, das Attribut „comunista“ aus dem
„[…] la consistenza di un guscio ormai vuoto.“ Zit. Chiarante, La fine del PCI, S. 116. Hierzu Andrea Bussoletti u. Eleonora Salina (Hg.), La lega: un movimento di difficile comprensione, Florenz 2010. Vgl. Chiarante, La fine del PCI, S. 116 – 118. Hierzu siehe u. a. Simona Colarizi (Hg.), L’Italia contemporanea dagli anni Ottanta a oggi, Rom 2014, hier S. 453 – 456; Gian Enrico Rusconi / Thomas Schlemmer / Hans Woller (Hg.), Berlusconi an der Macht: Die Politik der italienischen Mitte-Rechts-Regierungen in vergleichender Perspektive, München 2010; Michael Edward Shin u. John A. Andrew, Berlusconi’s Italy: Mapping Contemporary Italian Politics, Philadelphia 2008.
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Parteinamen zu streichen. Am 12. November 1989 stellte der Vorstand eine grundlegende Reform des italienischen Kommunismus in Aussicht, dem nun allerdings noch eine adäquate Bezeichnung fehlte. Der symbolträchtige Fall der Mauer zählte zweifelsohne zu den ausschlaggebenden Anlässen, die wichtigsten Gründe für den Wandel waren jedoch eher pragmatischer Natur und hingen mit noch offenen Fragen zusammen, die hier bereits angerissen worden sind: ‒ Welche Politik sollte die Partei künftig vertreten? ‒ Wie sollte die kommunistische Vergangenheit bewertet und rezipiert werden, auch angesichts „moralischer“ Verpflichtungen gegenüber einer breiten Mitgliederbasis, die sich nach wie vor ausgerechnet mit jenem Kommunismus identifizierte, den man nun über Bord werfen wollte? Das unmissverständlich zu Ende gegangene Zeitalter des Kommunismus sowjetischer Prägung, von dem der PCI trotz aller Abweichungen und teilweise auch unüberbrückbarer Differenzen seinen Ausgang genommen hatte, hatte vor allem eines vor Augen geführt: dass der Kommunismus nämlich nur schwer reformierbar war. Gorbatschow war daran gescheitert, und die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion neu gewählte PCI-Spitze zeigte kaum Interesse daran, eine Neuauflage der alten Partei in die Wege zu leiten. Dies hatte sich, auch bedingt durch personelle Neubesetzungen, bereits auf dem letzten ordentlichen Parteitag, dem 18. in der Geschichte des PCI, Ende März 1988 klar abgezeichnet. Die durchgesetzte Linie lief auf einen entschlossenen, vielfach gänzlich unkritischen Bruch mit der Tradition hinaus, bei der die Möglichkeit einer Übernahme von bewährten und sinnstiftenden Elementen der Vergangenheit, wie etwa der Erfahrung des „dritten Weges“ und des Eurokommunismus, völlig ausgeblendet wurde.⁷¹ Der Neuanfang sollte im Zeichen einer (Wieder‐)Annäherung an die Regierungskräfte stehen und dem PCI aus der Isolation verhelfen. Der darauffolgende XIX. Parteitag fand im Frühjahr 1990 in Bologna statt und erbrachte den Sieg der „Erneuerer“ um Massimo DʼAlema.
4 Die SED in der Ära von Perestroika und Glasnost Perestroika und der Weg zum endgültigen Zusammenbruch Das erste Zeichen für eine epochale Wende setzte der XXVII. Parteitag der KPdSU im Februar 1986 mit der Ankündigung, dass tiefgreifende Veränderungsprozesse angebahnt und realisiert würden. Im offiziellen Sprachgebrauch wies man auf die
Vgl. Chiarante, La fine del PCI, S. 126 – 128; ferner auch Pons, Berlinguer, S. 20 – 21.
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Notwendigkeit hin, durch die anvisierten Reformen dem Niedergang des realen Sozialismus entgegenzuwirken bzw. ihn auf neue Grundlagen zu stellen, damit er mit geballter Kraft die drängenden politischen und sozialen Herausforderungen der Zeit sowie für das 21. Jahrhundert meistern könne. Die Erarbeitung von Plänen zu Abrüstung und Friedensförderung ging im Sinne Gorbatschows mit einer Umstrukturierung der Entscheidungsmechanismen innerhalb der Partei einher. Die Reaktionen der SED auf diese revolutionären Signale vonseiten der „Mutterpartei“ fielen zunächst milde und verhalten aus, als wolle man den Umstand nicht unnötig weiter aufblasen. Der XI. Parteitag der SED im April 1986 setzte auf Nüchternheit und Objektivität, was für dessen offizielle Außendarstellung vor allem bedeutete: Schwierigkeiten herunterspielen und Divergenzen, vor allem mit der KPdSU, verhehlen.⁷² Die Propagandamaschinerie lief auf vollen Touren und bestätigte die traditionell enge Verbundenheit beider Völker bzw. das gemeinsame Agieren im Rahmen des internationalen Demokratisierungsprozesses. Voll des Lobes war die SED auch in Bezug auf die „Errungenschaften“ des eigenen Staates, dessen Standards im sozialen und technologischen Bereich im Vergleich zu den anderen „real sozialistischen“ Nationen kaum zu übertreffen seien. Selbstinszenierung und Überheblichkeit machten jede Selbstkritik und Einsicht in die wahren Bedürfnisse der DDR-Bevölkerung unmöglich, welche ihre Entrüstung mittlerweile in Form von offenen Ressentiments und oft sogar klarer Opposition gegen das Regime zum Ausdruck brachte. Im Gegenteil, das SEDRegime setzte weiterhin und dezidiert auf die Propagierung populistischer Losungen wie „Einheit“ oder „Ordnung“ im Sozialismus, von denen es sich Stabilität und langfristig eine Konsolidierung seiner Durchdringungsmacht versprach. Doch der Plan konnte nicht aufgehen: Zu angeschlagen war die DDR-Wirtschaft, zu unglaubwürdig mussten insbesondere der jüngeren Bevölkerung die Versicherungen der SED-Machthaber erscheinen, als dass sie tatsächlich Vertrauen und Zusammenhalt hätten vermitteln können. Breite Teile der Gesellschaft nahmen die „von oben“ gemachten Versprechen wie gewohnt desillusioniert, aber auch ohne Kritik auf; andere fühlten sich dadurch in ihrem oppositionellen Verhalten bekräftigt und distanzierten sich weiter vom erstarrten „Sozialismus“ der Staatspartei. Vor diesem Hintergrund beschleunigte und intensivierte die Ankündigung von Perestroika und Glasnost in der Sowjetunion zweifelsohne jene Mechanismen der Entfremdung und Ernüchterung in der ostdeutschen Gesellschaft, die freilich schon lange bestanden. Obgleich der sowjetische Reformwille auch einige wenige
Vgl. Schröder, Der SED-Staat, S. 283.
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„Genossen“ in seinen Bann schlagen konnte, zeigte sich die SED im Allgemeinen politisch weitgehend konsequent in ihrer Ablehnung sämtlicher Umstrukturierungsbestrebungen aus dem Osten und beharrte auf ihrer bewährten Politik.⁷³ 1986 erreichte die SED-Mitgliederzahl ein Rekordhoch von 2,3 Millionen, was angesichts der offensichtlichen Krise der Partei vor allem verdeutlichte, dass ihre Rolle als „Versorger“ und Karrieresprungbrett in der Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt bereits tief verankert war. Dies wird auch an einem weiteren Phänomen ersichtlich: Erstmals seit der Staatsgründung war der Anteil der Arbeiter unter den SED-Mitgliedern unter 40 % gesunken; die Quote der gebildeten „Karrieristen“ hingegen war stetig gewachsen und lag im Jahr 1986 bei über 22 %.⁷⁴ Der sinkende Anteil der Arbeiter, insbesondere der Industriearbeiter, stellte ein beredtes Zeichen dafür dar, dass der ideologische Gehalt des SED-Sozialismus gerade bei seinen „naturgemäßen“ Hauptzielgruppen an Überzeugungskraft eingebüßt hatte. 1986 besaß fast die Hälfte (rund 900.000) aller Parteimitglieder einen Hoch- oder Fachhochschulabschluss. Außerdem blieb die personelle Zusammensetzung der hierarchisch höchsten Kader, so vor allem im Politbüro und ZK, konstant. Die Vertrauten um Honecker rekrutierten sich aus den eigenen Reihen und blieben bis ins hohe Alter im Amt, so dass eine Verjüngung der Partei und eine damit einhergehende Anpassung und Erneuerung der Ideologie nicht möglich waren. Weder die Blockparteien noch die anderen Massenorganisationen konnten selbstständig Impulse zur Diskussion geben, geschweige denn der politischen und medialen Überhöhung der Figur Erich Honeckers etwas entgegensetzen. Zum Teil auch personell mit der SED verbunden oder von dieser materiell stark abhängig – dies betraf vor allem die Massenorganisationen –, waren sie nicht in der Lage, eine eigenständige Politik zu entwickeln oder gar den in der Gesellschaft wachsenden Widerstand gegen das Regime in ihre Strategien und ihr Handeln zu integrieren. Dagegen wogen der Personenkult um den Generalsekretär der SED sowie die fortwährenden Bemühungen, den Staat in all seinen Gliedern und
Schröder verweist hier beispielsweise auf die „konservative“ Haltung der SED-Führung während der Atomkrise von Tschernobyl im April 1986, als die DDR-Medien nur Zerrbilder der Katastrophe in der Ukraine wiedergaben, wohl mit der Absicht, die eigene staatliche Atompolitik nicht zu gefährden: „Die SED ließ unterdessen keinen Zweifel aufkommen, dass sie weiterhin an der friedlichen Nutzung der Kernenergie festhalten und ihr Ausbauprogramm fortsetzen wollte. Auf Forderungen aus den Reihen der Umweltgruppen nach einer gesamtgesellschaftlichen Diskussion über die Perspektiven der Atomenergie reagierte die Partei nicht.“ In: Schröder, Der SEDStaat, S. 284– 287. Vgl. Weber, Die DDR, hier S. 356.
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angesichts unterminierender demokratisierender Tendenzen aus dem Ausland stets unter Kontrolle zu halten, letztendlich doch zu schwer. Dass die neue Politik Gorbatschows Honecker und seiner Machtriege ein Dorn im Auge war, lag nahe, wenngleich die SED-Führung sich zunächst lediglich um Schadensbegrenzung bemühte. Der XXVII. Parteitag der KPdSU im Februar 1986 zerstreute jeglichen Zweifel am revolutionären Charakter der neuen sowjetischen Außenpolitik, die auf Entspannung und letztlich eine Beendigung der Blockkonfrontation abzielte. Im anvisierten, mit taktischen Schritten zu erreichenden Kräfteverhältnis zwischen West und Ost war auch die Rolle der DDR neu zu überdenken und festzulegen. Hatte sich der ostdeutsche Staat bis dahin als privilegierter Mittler zwischen den Blöcken verstanden – und damit als naturgemäßer Gegenpart zur Bundesrepublik sowie als nahezu unverzichtbares Mitglied der staatssozialistischen Gemeinschaft im Herzen Europas –, musste das von Gorbatschow bereits im Herbst 1985 ausgesprochene Ziel eines „gemeinsamen europäischen Hauses“ die Alarmglocken bei der SED-Parteiführung läuten lassen. Dass sich die internationale politische Lage seit der Machtübernahme durch den neuen sowjetischen Generalsekretär hin zu einer allgemeinen Entspannung entwickelt hatte, konnte unterdessen keiner im ZK der SED mehr verkennen. Genau darin aber erblickte die Ost-Berliner Führungsriege ein erhebliches Risikopotential für die eigene Legitimität bzw. für die Souveränität ihres Landes. Die wenig später gemachten Äußerungen Gorbatschows, er wolle mit der BreschnewDoktrin kompromisslos brechen und jede sowjetische Einmischung in die Angelegenheiten anderer souveräner Staaten, die bis dahin ja oft und u. a. mittels militärischer Gewaltanwendung erfolgt war, beenden, wurden von Honecker und dem SED-Chefideologen Kurt Hager als bedrohlich aufgefasst. Auf die Spitze getrieben ließen die Ausführungen Gorbatschows den Schluss zu, dass die DDR im Falle eines Legitimitätsverlustes des SED-Regimes von nun an auf sich allein gestellt war.⁷⁵ Nach dem fehlgeschlagenen Versuch der SED-Führung, den Wahlkampf in der Bundesrepublik zugunsten der SPD zu beeinflussen⁷⁶ – Helmut Kohl wurde
Vgl. Schröder, Der SED-Staat, S. 286. Der SPD-Kanzlerkandidat Johannes Rau hatte im Gespräch mit Honecker versprochen, seine Partei würde im Falle eines Wahlsieges die DDR-Staatsbürgerschaft anerkennen. Nachdem die Wahlen in der Bundesrepublik zu einem Debakel für die SPD wurden, formulierten SPD und SED ein gemeinsames Grundsatzdokument mit dem Titel „Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit“. Vgl. Schröder, Der SED-Staat, S. 287.
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1987 im Amt bestätigt⁷⁷ –, fand noch im selben Jahr der lang ersehnte Besuch Honeckers in Bonn statt. Die in der DDR medial groß aufgezogene Visite wurde von ostdeutscher Seite als besonders gewichtiges Ereignis gefeiert, das die endgültige Anerkennung durch Westdeutschland unter Beweis stellen sollte. Er sei als rechtskräftiges Oberhaupt eines souveränen Staates empfangen worden und alle Welt habe davon Notiz nehmen können, beschrieb der SED-Generalsekretär selbst den symbolischen Gehalt seines Besuchs im westlichen Nachbarland.⁷⁸ In radikalem Kontrast zu dieser übertriebenen außenpolitischen Selbstinszenierung und -einschätzung standen die missliche Gesamtstimmung im eigenen Lande sowie die offene Unzufriedenheit und der Unmut in der DDR-Bevölkerung. Die finanziellen Engpässe, die zur desaströsen Versorgungslage der späten achtziger Jahre geführt hatten, gaben dem gesellschaftlichen Dissens gegenüber der hegemonialen SED neue Nahrung, gepaart mit der politischen Undurchlässigkeit des Regimes, das die Freiheit des Einzelnen nach wie vor stark einschränkte. Oppositionelles Verhalten machte sich dabei nicht mehr nur in den traditionell kritischen Milieus bemerkbar wie etwa unter den Intellektuellen, es erreichte nunmehr auch heterogenere Kreise, beispielweise in den Betrieben und sogar an der Parteibasis. Als besonders heikel wertete das MfS den Umstand, wonach „Genossen“ der Partei den Rücken kehren würden, weil „sie sich alleingelassen fühlten.“⁷⁹ Doch anstatt daraus entsprechende Konsequenzen zu ziehen und eine grundsätzliche Kursänderung in die Wege zu leiten, verschanzte sich das Regime hinter selbstgefälligen Worthülsen und rechtfertigte seine langjährige Strategie mit sozialen und wirtschaftlichen Errungenschaften, die wohl „niemand in Abrede stellen“⁸⁰ könne. Die 7. Tagung des ZK der SED im Dezember 1988 bestätigte einmal mehr und ohne jegliche Einschränkung die Gültigkeit der Führungsfunktion der Partei und wies alle Reformbestrebungen zurück. Auch bezog sie offen Stellung gegen all diejenigen – gemeint waren vornehmlich Gorbatschow und seine Weggefährten (!) –, welche die glorreiche Geschichte und Tradition des realen Sozialismus in den Schmutz zu ziehen beabsichtigten und indirekt einen
Ferner dazu Jens Schöne, Die DDR – Eine Geschichte des „Arbeiter- und Bauernstaates“, Berlin 2020, hier S. 172– 205. Der Besuch habe „aller Welt [die] Unabhängigkeit und Gleichberechtigung beider deutscher Staaten“ vor Augen geführt. Zit. nach Schröder, Der SED-Staat, S. 288. Vgl. Streng geheime Information des MfS „Hinweise über bedeutsame Aspekte der Reaktion der Bevölkerung“ vom 25.08.1988, zit. nach Gerd-Rüdiger Stephan (Hg.), „Vorwärts immer, rückwärts nimmer!“. Interne Dokumente zum Zerfall von SED und DDR 1988/89, Berlin 1994, hier S. 36 – 37. Erich Honecker, Mit dem Blick auf den XII. Parteitag die Aufgaben der Gegenwart lösen, in: Dokumentation. Zur 7. Tagung des ZK der SED, abgedruckt in: Deutschland Archiv 2 (1989), S. 215.
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Keil zwischen die Staatsführungen der osteuropäischen Länder und ihre jeweiligen Bevölkerungen treiben würden. Damit waren die Weichen gestellt für eine weitere radikale Abschottung von allerlei „gefährlichen“ Einflüssen, sowohl aus dem Westen als auch aus dem Osten. Die Abgrenzungspolitik der SED-Führung machte schließlich sogar vor der KPdSU und den traditionellen Verpflichtungen gegenüber der UdSSR nicht mehr halt. Im Herbst 1988 wurde die sowjetische Zeitschrift Sputnik verboten, da die darin vermittelten Inhalte nicht mehr mit der „Linie“ Ost-Berlins vereinbar schienen. Ähnliches widerfuhr anderen unliebsamen Druckerzeugnissen aus „real sozialistischen“ Ländern. Auch hierbei rechtfertigte die SED-Führung ihr hartes Vorgehen gegen angeblich negative Propaganda mit der Begründung, dass sie nicht der „Verzerrung“ geschichtlicher Ereignisse Vorschub leisten wolle, wozu etwa die neue Führungsriege in Moskau mit ihrer geplanten Aufgabe des Marxismus-Leninismus beitrage.⁸¹ Einem regelrechten Überwachungswahn verfallen, kündigte das Regime weitere Kontrollverschärfungen an, die u. a. die eigenen „Kader“ ins Visier nahmen. In diesem Zusammenhang ist auch die Entscheidung zu sehen, für 1989 einen Umtausch der Parteidokumente anzuberaumen; dies sollte vor allem dazu dienen, parteiinterne Destabilisierungsversuche im Keim zu ersticken, um wieder Disziplin herstellen zu können.⁸² Zur weiteren Verunsicherung des Regimes in Ost-Berlin trug unverkennbar die zunehmende Entspannung zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion bei, die nach einigen Rückschlägen in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre unerwartet weit fortgeschritten war. In Gesprächen im Herbst 1987 in Moskau und später im Juni 1989 in Bonn kam es zwischen Kohl und Gorbatschow bezüglich des Projekts „europäisches Haus“ zu Übereinstimmungen. Letzterer gab sogar zu verstehen, dass seine Regierung sich nicht gegen eine eventuelle Wiedervereinigung beider Teile Deutschlands sperren würde.⁸³ Dies traf die SED besonders hart, da sie sich in ihrer Legitimität unmittelbar gefährdet sah. Derweil wurden die Proteste der DDR-Bevölkerung immer häufiger und umfassender, nicht nur innerhalb der eigenen Grenzen: Im Spätsommer 1989 besetzten DDR-Bürger bekanntlich die Botschaften der Bundesrepublik in der Tschechoslowakei und in Ungarn und versuchten von dort aus, ihr Recht auf Freizügigkeit durchzusetzen. Doch die Partei zeigte sich unnachgiebig und beharrte starr auf ihrem Kurs. Um die Situation nicht weiter eskalieren zu lassen, ließ So Gerhard Müller, Kandidat des PBs: In zehn Jahren ein Zentrum der Hochtechnologie geworden, in: Dokumentation zur 7. Tagung des ZK der SED, abgedruckt in: Deutschland Archiv 2 (1989), S. 235 – 236. Vgl. Schröder, Der SED-Staat, S. 288. Vgl. Manfred Jäger, Kultur und Politik in der DDR 1945 – 1990, Köln 1995, hier S. 189.
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sie sich lediglich auf einen Kompromiss ein: Die Durchreise der Ausreisewilligen in Richtung Westdeutschland wurde unter der Bedingung genehmigt, dass diese ostdeutsches Territorium überquerten. Der Plan sah vor, die Durchreisenden mit Dokumenten zu versehen, die bescheinigen sollten, dass die Parteiführung ihrer Entlassung offiziell zugestimmt hatte. Doch der Lösungsvorschlag erwies sich von seiner logistischen Seite als besonders misslich. In Dresden versammelten sich am 4. Oktober im und um den Hauptbahnhof mehrere tausend Menschen, die sich den aus Prag heranrollenden Flüchtlingszügen in irgendeiner Weise anschließen wollten. Die SED-Bezirksleitung ließ die Dresdner Polizei brutal gegen die Ausreisewilligen vorgehen und dabei den Bahnhof und die unmittelbare Umgebung räumen. Die Auseinandersetzung zwischen der DDR-Bevölkerung und dem SEDRegime hatte damit aber nur einen vorläufigen Höhepunkt erreicht.
Das Ende des Regimes 1989 Am 7. Oktober 1989 jährte sich die Gründung der DDR zum 40. Mal, für das SEDRegime ein passender Anlass, sich mit herkömmlichen Ritualen zur Schau zu stellen und die Massen zu mobilisieren. In Ost-Berlin sollten die Feierlichkeiten besonders pompös ausfallen, zumal Honecker einen prominenten Gast für die Zeremonie hatte gewinnen können, den sowjetischen, SED-intern durchaus umstrittenen KPdSU-Generalsekretär Gorbatschow persönlich. Am Rande von Fackelzügen und Militärparaden machten sich jedoch etliche Proteste von DDR-Bürgern bemerkbar, die nach mehr Transparenz und Demokratie verlangten oder durch Hilferufe an Gorbatschow ihre Entrüstung über das SED-Regime zum Ausdruck brachten. Die mehreren tausend Demonstranten in Ost-Berlin und in anderen ostdeutschen Städten wurden von der Volkspolizei genau beobachtet. Die Situation geriet in der Hauptstadt sehr schnell außer Kontrolle, zumal die Protestdemonstration dort keine formelle Genehmigung erhalten hatte. Die daraus resultierenden Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften führten zu Masseninhaftierungen. Meldungen über Misshandlungen von Festgenommenen verbreiteten sich schnell und trugen dazu bei, den Graben zwischen „Volk“ und „Partei“ weiter zu vergrößern.⁸⁴ Zwei Tage später, am Montag, den 9. Oktober, versammelten sich rund 80.000 Menschen in der Leipziger Innenstadt, um friedlich gegen das Regime zu demonstrieren. Die „Montagsdemonstrationen“ blickten dort bereits auf eine längere Tradition zurück. Schon Anfang der achtziger Jahre hatte sich die Nikolaikirche zu einer Plattform für Oppositionelle jeder politischen Couleur entwickelt
Vgl. Schröder, Der SED-Staat, S. 290.
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und war zu einem wichtigen Sammelzentrum für Ausreisewillige und empörte Bürger geworden, die hier im Anschluss an das Friedensgebet ihrer Entrüstung und Enttäuschung über die DDR-Obrigkeit mit gemeinsamen Aktionen Ausdruck verschaffen wollten.⁸⁵ Am 2. Oktober 1989 war es zu schweren Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften gekommen, als rund 20.000 Demonstranten durch die Innenstadt gezogen waren. Dies schreckte die Oppositionellen jedoch nicht davor ab, eine Woche später erneut mit großer Entschlossenheit auf die Straße zu gehen. Vor solch einer Machtdemonstration musste die Partei kapitulieren. Obwohl Honecker persönlich den Befehl ausgegeben hatte, jegliche Protestkundgebungen zu unterbinden, erwies sich die Polizei als ohnmächtig und konnte nur zusehen, wie die Menge nach Freiheit rief.⁸⁶ Am darauffolgenden Montag, den 16. Oktober waren es dann sogar über 100.000 Demonstranten, die u. a. freie Wahlen und die Zulassung der Gruppe „Neues Forum“ verlangten.
Der innere Zerfall der SED: das Ende der „Ära Honecker“ Die Krisenerscheinungen in der DDR waren insbesondere auf das Verhältnis zwischen dem Regime und der Bevölkerung zurückzuführen, die sich von der SED nicht mehr repräsentiert fühlte bzw. sich mit ihr und den Zielen ihrer Hauptakteure kaum noch identifizieren konnte. Dieser allmähliche Entfremdungsprozess der Bevölkerung von der Staatspartei hatte sich im Herbst 1989 rapide beschleunigt und auch erste Auswirkungen auf die ansonsten monolithische Machstruktur der SED gezeitigt. Die „jüngere“ Garde um Egon Krenz und Günter Schabowski wies angesichts der sich verschärfenden Lage und jüngsten Massenkundgebungen gegen das Regime darauf hin, dass es sinnvoll sei, mögliche Ursachen für die missliche Entwicklung auch bei der Partei selbst, also innerhalb der SED bzw. in ihren ideologischen Grundsätzen zu suchen. Wenn auch nur im Ansatz und besonders verhalten, machten die beiden Spitzenpolitiker ihre Amtskollegen darauf aufmerksam, dass die Partei vom Dialog mit den Kräften der Opposition durchaus
Hierzu vgl. u. a. Hannes Bahrmann u. Christoph Links, Chronik der Wende. Die DDR zwischen 7. Oktober und 18. Dezember 1989, Berlin 1994; Martin Sabrow (Hg.), Erinnerungsorte der DDR, Bonn 2010. Der entsprechende MfS-Bericht lautete: „Vorbereitete Maßnahmen zur Verhinderung/Auflösung kamen entsprechend der Lageentwicklung nicht zur Anwendung […]“, MfS-Information über eine Demonstration und Zusammenkünfte oppositioneller Kräfte in Leipzig, Dresden und Magdeburg, abgedruckt in: Armin Mitter u. Stefan Wolle (Hg.), Ich liebe euch doch alle! Befehle und Lageberichte des MfS, Berlin 1990, S. 365.
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profitieren könne.⁸⁷ Diese Anregung war politisch brisant, denn sie bedeutete Kritik am Regierungsstil Honeckers und seiner engen Vertrauten. Dem ZK war die Intention von Krenz aber mittlerweile durchaus bekannt: Er bereitete dadurch die Absetzung des greisen und angeschlagenen Erich Honecker vor.⁸⁸ In der Tat hatte der Kern um den noch amtierenden Generalsekretär im Herbst 1989, insbesondere seine beiden Vertrauten Günter Mittag und Joachim Herrmann, rasch an Einfluss eingebüßt. Alle Vorkehrungen Honeckers – er hatte während einer gesundheitsbedingten Abwesenheit u. a. dafür gesorgt, dass Günter Mittag die Staatsgeschäfte übertragen wurden – erwiesen sich als unzureichend. Am 17. Oktober beschloss das Politbüro die formelle und rechtskräftige Absetzung Erich Honeckers sowie die Ernennung von Krenz zu seinem Nachfolger. Die Volkskammer bestätigte den Beschluss per Wahl am 24. Oktober. ⁸⁹ Egon Krenz, Jahrgang 1937, wirkte im Vergleich zu seinen Kollegen im PB und im ZK verhältnismäßig jung, gehörte aber de facto der alten Bürokraten-Riege der SED an, in die er bereits 1955 eingetreten war.⁹⁰ Die DDR-Bevölkerung brachte ihm nur wenig Sympathie entgegen, zumal bei ihr der Glaube an eine umfassende personelle Verjüngung und politisch-ideologische Erneuerung der SED endgültig verloren gegangen war. Der erste öffentliche Auftritt des neuen Generalsekretärs konnte das Ruder nicht mehr herumreißen. In seiner Antrittsrede vor dem ZK, die auch in Funk und Fernsehen ausgestrahlt wurde, beschränkte er sich lediglich darauf, die unumstößliche Gültigkeit des Marxismus-Leninismus sowie die Bedeutung und die Führungsrolle der Partei zu bestätigen. Zwar gestand er zu, dass die SED mehr Dialog suchen müsse, was, so Krenz, bereits geschehe („Wende“). Zu einer grundsätzlichen Umgestaltung ihrer Politik war die Partei jedoch, wie sich des Weiteren zeigen sollte, unter keinen Bedingungen imstande.⁹¹ Hingegen übte sich die Staatspartei mit Blick auf die stetig wachsende Protestbewegung im Lande weiterhin in Schadensbegrenzung. Ende Oktober befasste sich das PB mit dem Entwurf eines neuen, der Lage angepassten Reisegesetzes, welches das Recht auf Ausreise auch ohne Nennung spezifischer Gründe gewähren sollte. Das Vorhaben wurde in der Bevölkerung kaum wahrgenommen
Vgl. Dietrich Staritz, Geschichte der DDR, Frankfurt a. M. 1996, hier S. 365 – 366. Vgl. u. a. Malycha, Die SED in der Ära Honecker, hier S. 345 – 346. Von der Sitzung wurden die bereits erwähnten „Genossen“ Mittag und Hermann ferngehalten und daraufhin von all ihren Funktionen entbunden. Vgl. Matthias Judt (Hg.), DDR-Geschichte in Dokumenten. Beschlüsse, Berichte, interne Materialien und Alltagszeugnisse, Berlin 1998, hier S. 543 – 544. Vgl. Egon Krenz, Herbst ’89: mit einem aktuellen Text, Berlin 2009. Rede von Egon Krenz. Kommuniqué der 9. Tagung des ZK der SED, abgedruckt in: Deutschland Archiv 11 (1989), S. 1306 – 1310.
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und zeitigte keinen spürbaren Enthusiasmus.⁹² Darüber hinaus folgten dem Versprechen zur „Wende“, welche die Partei durch regelmäßige Dialogsuche hatte umsetzen wollen, keinerlei Taten. Ganz im Gegenteil: Das Regime erkannte die oppositionelle Plattform „Neues Forum“ nicht an und ließ verlauten, entschlossen gegen „antisozialistische Sammlungsbewegungen“ vorgehen zu wollen.⁹³
Der Fall der Mauer Die DDR-Bürger vertrauten ihren politischen Repräsentanten längst nicht mehr. Auch legten sie keinen Wert mehr auf Beschlüsse und Verlautbarungen des ZK der SED, der sie weder Mut noch Kraft zur Erneuerung bzw. zur Selbstkritik zutrauten. Zwischen Ende Oktober und Anfang November 1989 vervielfachte sich somit die Zahl der Protestzüge in der gesamten Republik: „Die Massendemonstrationen rissen nun nicht mehr ab. Allein vom 23. bis 30. Oktober wurden 45 Veranstaltungen mit über einer halben Million Teilnehmern registriert.Vom 30. Oktober bis 5. November wuchs die Zahl der Demonstranten auf schätzungsweise 1,35 Millionen.“⁹⁴ Der Zerfallsprozess schien unaufhaltsam. Trotz Anweisungen aus Moskau – Krenz war am 1. November zu Gesprächen dorthin geflogen –, die insbesondere auf Lösungs- und Modernisierungsvorschläge für die SED-Machtstrukturen und -Entscheidungsmechanismen abhoben, schien die Partei der angespannten Situation nicht mehr Herr werden zu können. Nun machten sich Unstimmigkeiten und Differenzen auch unter den ranghöchsten „Kadern“ bemerkbar. Die Ereignisse überschlugen sich in rascher Folge: Am 7. November kündigte der Vorsitzende des Ministerrats Willi Stoph den Rücktritt der Regierung an; zwei Tage später verlas Günter Schabowski bei einer Pressekonferenz den bekannten abgeänderten PB-Beschluss zum Reisegesetz, der de facto die Grenzen der DDR durchlässig machte.⁹⁵ Am Abend des 9. November war damit die Mauer offen.⁹⁶
Vgl. Schröder, Der SED-Staat, S. 293. Vorschläge des SED-Politbüros für „Maßnahmen gegen antisozialistische Sammlungsbewegungen“ vom 23. Oktober 1989, zit. nach: Schröder, Der SED-Staat, S. 294. Schröder, Der SED-Staat, S. 295. Vgl. Judt, DDR-Geschichte in Dokumenten, S. 530 – 532. Vgl. Hermann Wentker, Die Deutschen und Gorbatschow – der Gorbatschow-Diskurs im doppelten Deutschland 1985 – 1991, Berlin 2020, hier insbesondere die Schlussbetrachtung, S. 612– 623.
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4.1 Die internationale Zusammenarbeit Trotz aller finanziellen und ideologischen Schwierigkeiten, die sich in der ersten Hälfte der achtziger Jahre für die SED und ihren Machterhalt herauskristallisiert hatten, blieb die außenpolitische Leitidee auch in der zweiten Hälfte der Dekade bestehen: Präsenz zeigen und auf nützliche Kontakte setzen. Diese Kursvorgabe wurde bei einem Konsultativtreffen der Komitees für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit der sozialistischen Länder im Januar 1985 in Prag bestätigt und bekräftigt.⁹⁷ Die dort geführten Gespräche, denen auch sowjetische Funktionäre beiwohnten, befassten sich mit den Einflussmöglichkeiten der sozialistischen Länder im Bereich der westeuropäischen Öffentlichkeit. Die Gesprächsteilnehmer kamen überein, dass künftig mehr zur propagandistischen Beeinflussung Westeuropas unternommen werden sollte und dass zu diesem Zweck eine gezielte Kontaktaufnahme zu unterschiedlichen Kräften der Öffentlichkeit stattzufinden hatte.⁹⁸ Die Aufgabe sämtlicher Komitees aus den „real sozialistischen“ Ländern, die sich um Abrüstung und Demaskierung des „kapitalistischen Imperialismus“ bemühten, war dabei klar umrissen: Nach pluralistischem Muster sollte versucht werden, möglichst viele gesellschaftliche Kräfte zu erreichen und mit allen zusammenzuarbeiten, die Interesse am Dialog zeigten.⁹⁹ Dies hatte auch für die Lenkung der jeweiligen SED-Grundorganisationen im kapitalistischen Ausland umgehend Kursänderungen zufolge. Ein interner Bericht über die Entwicklung strategischer Maßnahmen zur Erfüllung der neuen internationalen Pläne aus dem Frühjahr 1985 vermittelt Aufschluss über entsprechende Anpassungen in der Botschaft der DDR in Frankreich.¹⁰⁰ Darin wurde zunächst hervorgehoben, dass sich die Führung von nun an darauf konzentrieren werde, das Personal in der Botschaft und in den Handelsverbänden in Frankreich besser zu motivieren. Es komme gleichsam auf das „wie“ an, nicht mehr nur auf das „was“.¹⁰¹ Im Vordergrund habe der Austausch von relevanten Informationen über Erfahrungen und Ergebnisse der jeweils an der Parteiarbeit beteiligten SAPMO-BArch, DDR-Komitee für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit, DZ/22/74, Information über das Konsultativtreffen der Komitees für Europäische Sicherheit und Zusam. der sozialistischen Länder am 8./9. 1. 1985 in Prag. SAPMO-BArch, DDR-Komitee für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit, DZ/22/74, Information über das Konsultativtreffen, S. 2. SAPMO-BArch, DDR-Komitee für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit, DZ/22/74, Information über das Konsultativtreffen, S. 9. SAPMO-BArch, Abteilung für Internationale Verbindungen, DY/30/14293, Botschaft der DDR in Frankreich, SED-Grundorganisation. Informationsbericht Februar/März 1985, Paris 10.4.1985. SAPMO-BArch, Abteilung für Internationale Verbindungen, DY/30/14293, Botschaft der DDR in Frankreich, SED-Grundorganisation. Informationsbericht, S. 5 – 6.
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Funktionäre zu stehen. Nur durch die Berücksichtigung von Kritik, Hinweisen und Vorschlägen von allen Seiten sei es möglich, das Arbeitsprozedere zu verbessern und effizienter zu gestalten. Dass dabei jedoch Anregungen „von unten“ im Grunde gar keinen Einfluss auf das weitere Agieren im Ausland nehmen sollten, zeigten schon die aufgeführten Direktiven. Geplant war eine Weiterqualifizierung des handelnden Personals, wobei sowohl ideologische als auch materielle Aspekte mit ins Spiel kamen. Folgende Punkte waren als wichtigste Maßnahmen sofort umzusetzen: ‒ Vermittlung der Überzeugung an alle Beteiligten, dass die für das Jahr 1985 gesteckten Ziele möglich und realisierbar seien. Die Konzentration auf wirtschaftliche Aufgaben stellte dabei die oberste Priorität dar, dafür war die „Entwicklung einer nach innen (DDR) und außen (franz. Markt) aggressiven Marktarbeit“¹⁰² vorgesehen; ‒ materielle Belohnung („Schaffung von Erfolgserlebnissen“) für Mitarbeiter, die festgelegte Ziele erreichten und weitere Motivationsarbeit, um der Gesamtaufgabe nachkommen zu können; ‒ die persönliche Verpflichtung der Mitarbeiter sollte „zum ständigen Kontrollund Leitungsinstrument der Leiter“ gemacht werden; ‒ im Falle eventueller Abweichungen sollte außerdem gelten: „Parteiliche Auswertung auftretender Verstöße und prophylaktische Verhinderung neuer Fehlverhalten durch regelmäßige Belehrungen und eigene Vorbildwirkung der Leiter.“¹⁰³ Vor diesem Hintergrund vermehrten sich Mitte der achtziger Jahre die Bemühungen der SED, im Rahmen der europäischen Friedenspolitik ihr internationales Profil zu stärken und aufzupolieren. Die zu jenem Zeitpunkt bereits fortgeschrittenen Beziehungen zur SPD boten Anlass zu einer konkreten Zusammenarbeit im Bereich der Abrüstungspolitik und -propaganda. Bei einer Tagung der internationalen Komitees für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit in Brüssel im
SAPMO-BArch, Abteilung für Internationale Verbindungen, DY/30/14293, Schlussfolgerungen für wirksamere Gestaltung der politisch-ideologischen Arbeit in der APO II, Paris 17. 5.1985, S. 1. SAPMO-BArch, Abteilung für Internationale Verbindungen, DY/30/14293, Schlussfolgerungen, S. 8 – 9. Die Praxis der gezielten Belohnung von Mitarbeitern wurde insbesondere in den achtziger Jahren zur bewährten Kontroll- und Steuerungsmaßnahme von oben eingeführt. Die materielle Auszeichnung diente dazu, einerseits Präsenz zu zeigen, andererseits die für rangniedrigere Mitarbeiter immanent erscheinende Hierarchisierung der Macht in der Partei zu reproduzieren und unter Beweis zu stellen. Vgl. auch SAPMO-BArch, Abteilung für Internationale Verbindungen, DY/30/14293, Botschaft der DDR-Paris. Abt. Int. Verbindungen, an Günter Sieber von Bibow, Paris 18. 2.1985.
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Juni 1985, die mit dem 40. Jahrestag des Sieges über den Hitlerfaschismus sowie dem 10. Jubiläum der Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki zusammenfiel, informierte die DDR-Delegation über die jüngsten Entwicklungen und Ergebnisse ihres Austauschs mit der westdeutschen Sozialdemokratie.¹⁰⁴ So hatte die SED mit der SPD ein Abkommen über die Schaffung eines chemiewaffenfreien Korridors in Mitteleuropa vereinbaren können: „Diese Initiative habe hohes politisches Gewicht und zeige Möglichkeiten für die Erreichung von konkreten Vereinbarungen auf […].“¹⁰⁵ Die SED-Führung konnte sowohl die dem Abkommen vorausgegangenen Verhandlungen als auch dessen Einzelheiten medial bestens nutzen, um sich in Szene zu setzen. So wurde u. a. erwähnt, dass die DDR eine „fundamentale“ Rolle bei der Koordinierung der Gespräche gespielt habe, an denen verschiedene Länder, darunter die Bundesrepublik, Belgien, die CSSR, Finnland, Frankreich und Griechenland, beteiligt gewesen waren.¹⁰⁶ Dass die sicherheits- und friedenspolitischen Bestrebungen der SED-Führung grundsätzlich eigennützigen Zielen folgten, zeigte sich exemplarisch am entsprechenden Umgang mit italienischen und französischen Ansprechpartnern. Während eines Gesprächs mit Hermann Axen im Juni 1985 in Ost-Berlin wies Maxime Gremetz darauf hin, dass sich die Ausrichtung des „organisierten Kapitals“ im Sinne eines immer aggressiveren Gebarens gegenüber Kommunismus und Sozialismus entwickele.¹⁰⁷ Mit Bezug auf das Gipfeltreffen der sieben bedeutendsten Industrienationen (G7) im Mai 1985 in Bonn konstatierte er eine deutliche, seines Erachtens äußerst gefährliche Konvergenz von Interessen und Zielsetzungen bei der französischen und amerikanischen Regierung. Auch sei evident, „daß sich Frankreich unter der Präsidentschaft Mitterrands an die Spitze derjenigen Länder gestellt hat, die ein auf allen Gebieten integriertes Westeuropa schaffen wollen, das den strategischen Absichten der USA dient.“¹⁰⁸ Gremetz machte dem französischen Staatspräsidenten schwere Vorwürfe, die von offen-
SAPMO-BArch, DDR-Komitee für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit, DZ/22/47, Information über die Tagung des Internationalen Komitees für Europäische Sicherheit und Zusamm. (IK) am 21./22. 6. 1985 in Brüssel, Berlin 25.6.1985. SAPMO-BArch, DDR-Komitee für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit, DZ/22/47, Information über die Tagung, S. 2. SAPMO-BArch, DDR-Komitee für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit, DZ/22/47, Information über die Tagung, S. 2. SAPMO-BArch, Abteilung für Internationale Verbindungen, DY/30/11528, Vermerk über das Gespräch zwischen Hermann Axen mit Maxime Gremetz, Mitglied des PB und Sekretär des ZK der FKP, am 14. 6. 1985, Berlin 17.6.1985, hier S. 1– 2. SAPMO-BArch, Abteilung für Internationale Verbindungen, DY/30/11528, Vermerk über das Gespräch zwischen Hermann Axen mit Maxime Gremetz, S. 2.
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sichtlichen Machtintrigen bis zur Verhehlung realer Absichten unter dem Deckmantel einer pazifistischen Politik reichten. Seiner Auffassung nach war etwa die Initiative zur „Wiederbelebung“ des westeuropäischen Militärbündnisses (Westeuropäische Union; WEU) von Mitterrand ausgegangen, was auch der Sichtweise des PCF-Parteivorstands entsprach. Dieser habe die Forschung im Rüstungsbereich „bis zum äußersten“ gefördert und alles in seiner Macht Stehende unternommen, damit alle einzelnen, für andere Mitglieder des Paktes noch geltenden Beschränkungen aufgehoben würden.¹⁰⁹ Im Kontext der sogenannten „strategischen Verteidigungsinitiative“ Reagans (SDI) betrachtete der PCF zu diesem Zeitpunkt Mitterrand und seine Regierungskoalition als die engagiertesten Befürworter der „ultramilitärischen“ USamerikanischen Außenpolitik, der man mit allen Mitteln entgegenwirken müsse: Viele tun so, als ob Mitterrand ein Gegner der sogenannten Strategischen Verteidigungsinitiative (SDI) Reagans sei. Eine breite Kampagne der Desinformation läuft ab, die glauben machen soll, Mitterrand hätte sich auf dem Bonner Gipfel den Sternenkriegsplänen Reagans widersetzt. Auch die Presse der DDR, der UdSSR und anderer sozialistischer Länder hat das übernommen […]. Das von Mitterrand unterbreitete Projekt EUREKA zielt darauf ab, von besseren Positionen aus über die Beteiligung Westeuropas und Frankreichs an der SDI zu verhandeln. […]. Die FKP sieht darin ein ernsthaftes Risiko für Frankreich.¹¹⁰
Die Vorwürfe des Franzosen gingen Axen eindeutig zu weit. In der Aufforderung, aktiv gegen Mitterrand und seine Verbündeten in Westeuropa vorzugehen, sah er die Interessen seiner Partei und der DDR unmittelbar verletzt. Einerseits fielen also strategische Überlegungen ins Gewicht, weshalb die SED sich nicht mehr bereitfand, gegen das „Kapital“ energisch anzukämpfen; andererseits fiel in dem Gespräch besonders auf, dass Appelle des PCF, im Namen einer vermeintlich gemeinsamen ideologischen Basis zusammenzuarbeiten, ins Leere liefen. Axen führte aus, die Partei sei sich sehr wohl im Klaren darüber, dass Mitterrand eine proatlantische Position bezogen habe, die von ihr auch unmissverständlich abgelehnt werde. Die SED begrüße Forschungen im Weltall, aber nur für friedliche Zwecke. Indessen nähme sie Mitterrand beim Wort, der sich kompromisslos gegen einen Krieg der Sterne ausgesprochen habe, um ihn auf eben diese friedliche Kursrichtung festzulegen. Man wolle ihn mit seinen eigenen Friedensbeteuerungen „überführen“ und ihn zwingen, hiervon nicht abzulassen.¹¹¹ Dabei spielte Gremetz insbesondere auf die Beschränkungen für die Bundesrepublik an, schwere Waffen herzustellen. Hierzu u. a. Eberhard Birk, Der Funktionswandel der Westeuropäischen Union (WEU) im europäischen Integrationsprozess, Würzburg 1999. Gremetz in: Birk, Der Funktionswandel der Westeuropäischen Union (WEU), S. 6 – 8. Axen in: Birk, Der Funktionswandel der Westeuropäischen Union (WEU), S. 8.
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Die Zusammenarbeit im Rahmen der Friedenspolitik stellte erneut einen bedeutenden Aspekt der Außenpolitik der SED dar, auch deshalb, weil sie sich nach wie vor so öffentlichkeitswirksam als klares Unterscheidungsmerkmal zu den „kriegsbesessenen“ westlichen Mächten instrumentalisieren ließ. Dass dabei allerdings sowohl Propaganda als auch Pragmatismus eine entscheidende Rolle spielten, belegen weitere Einzelheiten des Umgangs der SED beispielweise mit dem sogenannten italienischen Friedenskomitee. Das ostdeutsche Friedenskomitee unterhielt regelmäßige Beziehungen zu seinem italienischen Gegenpart; als wichtigste Kontaktperson fungierte dabei Antonio Benetello, Mitarbeiter beim ZK des PCI und Mitglied des Friedenskomitees. Das Komitee war Teil eines nationalen Koordinierungsverbandes, der dem Comitato 24. Ottobre entstammte, der wiederum früher fest in kommunistischen Händen gewesen war. Mit der allmählichen Machtverschiebung innerhalb der italienischen Linken, bei welcher der PSI um Bettino Craxi ab Ende der siebziger Jahre gegenüber dem PCI stark an Einfluss hatte gewinnen können, entwickelten sich auch Massenorganisationen wie die auf dem Papier neutralen Friedenskomitees zu Schauplätzen heftiger politischer Auseinandersetzungen und Rivalitäten. So versuchten etwa antikommunistische Kräfte konsequent, die traditionelle Vorherrschaft des PCI dort zu brechen. Die SED-Führung hatte Kenntnis von diesen Entwicklungen, verfügte sie doch mit dem erwähnten Benetello über einen direkten Informationskanal. Sie konnte und wollte sich aber nicht in den dort ausgetragenen Machtkampf einmischen, etwa in Form einer formalen Unterstützung für die „Bruderpartei“ PCI, beharrte gleichwohl auf einer strategischen Zusammenarbeit.¹¹² Die Erklärung hierfür liegt nahe: Dem nationalen Koordinierungsorgan gehörten ca. 600 auf der italienischen Halbinsel verstreute lokale und regionale Komitees an. Ihnen galt das Hauptinteresse der SED – zur politischen Beeinflussung ihrer Leiter, von denen viele bedeutende Positionen und Ämter in Regierungsparteien innehatten. Mit anderen Worten: Die ideologische Nähe zum PCI stellte für die SED keinen ausreichenden Grund dar, sich im Kampf um die Aufrechterhaltung des kommunistischen Primats in der italienischen Friedenspolitik an dessen Seite zu stellen und gegen die mit ihm konkurrierenden Kräfte vorzugehen. Im Gegenteil: „Wichtig für die uns nahestehenden Kräfte im Forum sei sowohl die Teilnahme von Angelo Sferrazza an dem Forum selbst, als auch
SAPMO-BArch, DDR-Komitee für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit, DK/22/21, Information zum Nationalen Korrdinierungskomitee des italienischen Friedenskomitees (NKK), Kontaktperson des Friedensrates ist Genosse Antonio Benetello, Mitarbeiter des ZK der IKP, (1985).
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seine Mitgliedschaft in der Delegation. Mit ihm müsse besonders gearbeitet werden, da er großen Einfluss auf die außenpolitische Arbeit in der DC hätte.“¹¹³ Die Zusammenarbeit mit lokalen und regionalen Verbänden in Italien sorgte innerhalb der SED für Unruhe.War das Ziel der Verbindungen unmissverständlich festgelegt, so blieb die genaue Verteilung der Kompetenzen zumeist nur vage definiert. Die Abteilung für Internationale Verbindungen der SED erarbeitete 1985 einige Direktiven für das Sekretariat der Liga für Völkerfreundschaft, die deren künftige Arbeitsweise und Ausrichtung bestimmen sollten.¹¹⁴ Ihrem Statut nach war der Austausch der Liga für Völkerfreundschaft der SED mit westeuropäischen Partnern indes dem Ziel untergeordnet, mit ihrem Netz an lokalen und regionalen Kontakten sowohl ideologisch als auch politisch „gegnerischen“ Erscheinungsformen möglichst entgegenzuwirken. Die Vorbereitung und Organisation entsprechender Aktivitäten verlief jedoch im bürokratischen und administrativen Wirrwarr des außenpolitischen Fachbereichs der ostdeutschen Staatspartei alles andere als reibungslos: Dabei kollidierten nämlich verschiedene Zielsetzungen und hierarchisch nicht gleichrangige Interessengruppen oder Persönlichkeiten miteinander. Ein Bericht der Abteilung Handel, Versorgung und Außenhandel beim ZK der SED aus dem Jahr 1985 macht auf ebensolche Ungereimtheiten aufmerksam. Darin wurde auf die Arbeitsweise der Liga für Völkerfreundschaft Bezug genommen und in besorgtem Ton darauf hingewiesen, dass man bei ihr gravierende, umgehend zu beseitigende Fehler entdeckt hätte. So seien u. a. folgende Hauptziele nicht erreicht worden: ‒ die „kommunale[n] Beziehungen auf die Stärkung der Freundschaftsbewegung zu orientieren“; ‒ „den Bezirkskomitees eine systematische, länderspezifische inhaltliche Orientierung für ihr auslandsinformatorisches Wirken und konstruktive Unterstützung bei ihrer Umsetzung“ zu vermitteln; ‒ es mangele ferner an der „Ausarbeitung langfristiger länderbezogener Maßnahmen für die Entwicklung der kommunalen Beziehungen und [an der] Festlegung der Aufgaben für die Beziehungen zu wichtigen Großstädten und industriellen Ballungsgebieten“;
SAPMO-BArch, DDR-Komitee für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit, DK/22/21, Information zum Nationalen Korrdinierungskomitee des italienischen Friedenskomitees (NKK), Kontaktperson des Friedensrates ist Genosse Antonio Benetello, Mitarbeiter des ZK der IKP, (1985), S. 2. SAPMO-BArch, Handel, Versorgung und Außenhandel, DY/13/2930, Abteilung VIII: Von der Abteilung erarbeitete Vorlagen für das Sekretariat der Liga (1985).
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unzureichend sei auch die „Beobachtung der Aktivitäten der Bundesrepublik auf dem Gebiet der Arbeit mit Städtepartnerschaften.“ ¹¹⁵
Die wichtigsten Gründe hierfür fanden ebenso Erwähnung.¹¹⁶ Wie stark die Ausrichtung auf Maximierung des eigenen Vorteils bei der Gestaltung der Städtepartnerschaften und Pflege von Verbindungen auf lokaler und regionaler Ebene tatsächlich ausfiel, zeigen schließlich einige Berichte und Informationen für das Sekretariat der Liga von 1985. Die allgemeine Zuspitzung einer solch pragmatischen Politik kam nicht von ungefähr: Sie fügte sich einerseits in das Schema der späten Regierung Honecker, die auf Erhalt und Konsolidierung der eigenen Legitimität abzielte; andererseits wurde sie durch die ökonomischen Nöte des ostdeutschen Regimes diktiert, das am Rande des Staatsbankrotts taumelte. Das Beispiel der Sowjetunion, in der Gorbatschow unmittelbar nach seiner Ernennung zum Generalsekretär im März 1985 mit dem Austausch und der Verjüngung des Personals in den obersten und mittleren Verwaltungsgremien begonnen hatte, musste Honecker und seiner Entourage gänzlich abwegig erscheinen.¹¹⁷ Die am eigenen Reformeifer orientierten Empfehlungen des neuen Moskauer Machthabers wurden nicht nur nicht ernsthaft in Betracht gezogen, sondern vielmehr bewusst und absichtlich unterschlagen, um keinerlei Rechenschaft sowohl vor der Öffentlichkeit als auch parteiintern ablegen zu müssen.¹¹⁸ Die Abneigung Honeckers gegenüber jedweden solchen Ansinnen war evident und zeigte sich prompt an seiner Personalpolitik, die in der zweiten Hälfte der
SAPMO-BArch, Abteilung Handel,Versorgung und Außenhandel, DY/13/2933, Abteilung VIII: Konzeptionen und Einschätzungen der kommunalen Auslandsbeziehungen 1978/86, einschließlich Übergabeunterlagen des MfAA an Liga 1983, (1985), hier S. 4. „Es sollte darauf geachtet werden, daß die Leitungsbeziehungen zwischen dem Generalsekretär der Liga und den Bezirkskomitees nicht durch Direktkontakte von Mitarbeitern der Liga zu den Räten der DDR-Partnerstädte bzw. den Bezirkskomitees unterlaufen werden [sic] […]. Es ist zu prüfen, ob für die praktische Erledigung von Aufgaben der Zusammenarbeit des Generalsekretärs mit den Bezirkskomitees und für die Bearbeitung der übergreifenden Aufgaben der kommunalen Beziehungen beim Generalsekretär ein spezieller Arbeitsbereich geschaffen werden sollte.“ SAPMO-BArch, Abteilung Handel, Versorgung und Außenhandel, DY/13/2933, Abteilung VIII: Konzeptionen, S. 5. Vgl. Alexandra Nepit, Die SED unter dem Druck der Reformen Gorbatschows. Der Versuch der Parteiführung, das SED-Regime durch konservatives Systemmanagement zu stabilisieren, BadenBaden 2004, hier S. 83 – 85. Nepit, Die SED, S. 83. Hier macht Nepit darauf aufmerksam, dass das ND folgende Äußerung Gorbatschows absichtlich verschwieg: „Im Verlauf der Rechenschaftslegung und Wahlen müssen die leitenden Parteiorgane gebildet, durch frische Kräfte ergänzt und herangereifte Kaderfragen gelöst werden.“
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Dekade noch konservativere Züge annahm als zuvor. 1985/86 konnten lediglich die vergleichsweise „jungen“ Funktionäre Gerhard Müller, Heinz Keßler, Werner Eberlein und Siegfried Lorenz – Letzterer war mit 55 Jahren der jüngste – in das Politbüro aufgenommen werden. Das hohe Alter der meisten Mitglieder des PB sowie des ZK der SED stellte nur einen Grund dafür dar, dass keine nennenswerten Konzepte mehr zur Erneuerung der Außenpolitik artikuliert wurden. Ein weiterer war, wie beschrieben, eher systemischer bzw. konjunktureller Natur und auf das marode politisch-wirtschaftliche System der DDR zurückzuführen. Die Beziehungen auf kommunaler Ebene zum Ausland, insbesondere zum kapitalistischen Westeuropa, litten sehr stark hierunter. Unverständnis und Kritik seitens der westeuropäischen Partner nahmen ab 1985 an Umfang und Deutlichkeit zu. Ostdeutsche Funktionäre im Außendienst wurden immer häufiger mit „Fangfragen“ konfrontiert, so beispielweise: „Gibt es in der DDR atomwaffenfreie Städte? Wie ist die Haltung zur Herbeiführung von Vereinbarungen zw. den Städten Italiens und der DDR über die Erklärung zu atomwaffenfreien Zonen? Welche Möglichkeiten eines erweiterten Austausches zw. Partnerstädten gibt es? Wo liegen die Ursachen für eine unbefriedigende Realisierung seitens der DDR?“.¹¹⁹ Trotz des zunehmenden Argwohns der ausländischen Partner blieb das Interesse der SED-Führung am gezielten Austausch mit italienischen und französischen Kommunen konstant. Der Zweck war zwiefach: Die Massenwirksamkeit von lokalen und regionalen (Fest‐)Veranstaltungen und die daraus resultierende Publizität für die DDR war für die SED besonders verlockend¹²⁰; außerdem sollten solche Verbindungen eine Plattform bieten zur Knüpfung von Kontakten im ökonomischen Bereich. Die leitenden Funktionäre der Liga für Völkerfreundschaft sowie die Mitglieder des Präsidiums des Komitees Städte- und Gemeindetag wurden auf diese „Linie“ explizit eingeschworen. Die unmissverständliche Devise lautete: „Unbedeutende Partnerschaften und inaktive sollten wir ruhen lassen, bzw. einstellen, ohne formell die bestehenden Beziehungen zu kündigen […].“¹²¹ SAPMO-BArch, Abteilung Handel,Versorgung und Außenhandel, DY/13/2930, Abteilung VIII: Von der Abteilung erarbeitete Vorlagen für das Sekretariat der Liga (1985), hier S. 4. SAPMO-BArch, Abteilung Handel,Versorgung und Außenhandel, DY/13/2930, Abteilung VIII: Von der Abteilung erarbeitete Vorlagen, S. 3. SAPMO-BArch, Abteilung Handel, Versorgung und Außenhandel, DY/13/2933, Kommunale Beziehungen – Probleme und Erfordernisse ihrer effektiveren Gestaltung, Januar 1985. Nach Einschätzung des Präsidiums des Komitees Städte- und Gemeindetag, welchem u. a. Walter Kresse (Präsident, ehem. OB Leipzig), Hermann Birkendahl (Vizepräs., Sekretär der Liga), Walter Weidauer (Vizepräs., ehem. OB Dresden), Horst Palm (stellvertr. Generalsekr. der Liga), Werner Manneberg (ehem. 1. Vizepräs.), Ehrhard Krack (OB Berlin) und Brunhilde Hanke (OB Potsdam) vorstanden, seien etliche Verbindungen auf kommunaler Ebene kontraproduktiv gewesen:
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In diesem Sinne verwendete sich das Präsidium beispielweise für die Organisation und Koordinierung der sogenannten Komplexaktion „DDR-Tage in Bari“ im März 1985. Die Veranstaltung sollte im Rahmen der geplanten Austauschaktivitäten der Partnerschaft Bari-Dessau stattfinden, beruhte jedoch auf einer älteren Vorlage aus dem Jahr 1977, als die italienische NFG bereits ein ähnliches Format in der Region Apulien initiiert und durchgeführt hatte.¹²² Das Ansinnen wurde direkt an Manfred Feist, den Leiter der Abteilung Auslandsinformation im ZK (und Schwager Honeckers), herangetragen, der seine grundsätzliche Befürwortung signalisierte.¹²³ Die endgültige Entscheidung oblag dennoch dem Regionalkomitee Apulien der Freundschaftsgesellschaft Italien-DDR, das die Veranstaltung austragen und finanzieren sollte, was den leeren ostdeutschen Staatskassen sehr gelegen kam. Letztendlich wurde allerdings ein Kompromiss erzielt, der vorsah, dass sich auch die Stadt Halle in geringem Maße finanziell an dem Austausch beteiligen sollte, indem sie sich durch eine Bauhaus-Ausstellung „Halle stellt sich vor“ präsentierte.¹²⁴
4.2 Das Dreiecksverhältnis SED-PCF-PCI im Zeichen des Niedergangs (1986 – 1990) Ein Vermerk der Abteilung für Internationale Verbindungen der SED vom Herbst 1986 beleuchtete und kommentierte die jüngsten politisch-ideologischen Entwicklungen des PCF sowie des PCI und unterzog sie einem kritischen Vergleich.¹²⁵ Für den PCI zeigten die Autoren keinerlei Verständnis: Die italienische Partei habe keine „klassenmäßige“ Analyse der sozialen und politischen Lage Europas vorgenommen und vertrete nach wie vor eine grundsätzlich sozialdemokratische und
„Welche Probleme stehen: Bezirk Dresden z. B. unterhält auf kommunaler Ebene gegenwärtig 16 Beziehungen zu Frankreich und 7 zu Italien. Darunter, 4 Partnerstädte mit unter 10000 EW, 7 unter 20000, 9 unter 50000 […]. Nach unserer Ansicht ist dies eine zu große Zersplitterung unserer Kräfte und eine zu geringe Konzentration auf solche bedeutenden Städte wie Straßburg, Nancy, Florenz usw.“ Vgl. SAPMO-BArch, Abteilung Handel, Versorgung und Außenhandel, DY/13/2933, Kommunale Beziehungen, S. 3. SAPMO-BArch, Abteilung Handel,Versorgung und Außenhandel, DY/13/2919, Komplexaktion „DDR-Tage in Bari“, März 1985 (Partnerschaft Bari-Dessau). SAPMO-BArch, Abteilung Handel,Versorgung und Außenhandel, DY/13/2919, Brief von Bruno Kiesler (Liga) an Gen. Manfred Feist, 18.1.1985, hier S. 1. SAPMO-BArch, Abteilung Handel,Versorgung und Außenhandel, DY/13/2919, Brief von Bruno Kiesler, S. 2. SAPMO-BArch, Abteilung für Internationale Verbindungen, DY/30/12853, Vermerk vom 20. 10. 1986, FKP-IKP.
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bürgerliche Integrationsidee. Dies spiegele sich insbesondere darin wieder, dass sie für die Verstärkung des „supranationalen Charakters“ der EG plädiere.¹²⁶ Dem traditionellen Kapitalismus-Verständnis der SED nach qualifizierte sich der PCI nicht mehr als kommunistische Partei, spätestens seitdem die Italiener dem Vorhaben zur Bildung von europäischen „Multis“ als Gegengewicht zu den angeblich monopolartig dominierenden US-Großunternehmen zugestimmt hatten.¹²⁷ Konkret wirkte sich der ideologische Grundgehalt des PCI belastend auf die weitere Pflege von bilateralen Beziehungen zur SED aus. Besonders missfiel OstBerlin das Festhalten des neuen Generalsekretärs Alessandro Natta an der Idee zur Schaffung einer „Euro-Linken“, der eine Europa-Konzeption zugrunde lag, die in krassem Widerspruch zur traditionellen, auf dem XI. Parteitag im April 1986 bestätigten konservativen Interpretation der SED-Führung stand. Im Gegensatz dazu behaupte die PCI-Spitze: […] daß es in jedem Land nur eine linke Kraft gibt, die dem Streben nach einem einheitlichen Europa Ausdruck verleiht […]. Vor kurzem hat bei Lyon eine Veranstaltung zur Gründung einer Fondation européenne stattgefunden, in der sich diese linken Kräfte vereinen sollen […]. Neben der IKP waren u. a. die KP Spaniens und der Schweiz vertreten. Hauptinitiatoren waren jedoch IKP, FSP und die SPD.¹²⁸
Auch Marchais hatte sich nur wenige Monate zuvor skeptisch und ablehnend gegenüber dem Projekt einer „Euro-Linken“ geäußert. Im Februar 1985 verabschiedete der XXV. Parteikongress des PCF das Konzept einer im Wesentlichen harten Oppositionspolitik gegen die Regierung Mitterrand und legte die Partei auf eine ultranationalistische Strategie fest. Offen auftretende Kritiker wurden nicht geduldet und de facto marginalisiert oder zum Austritt gezwungen. Dies betraf auch Pierre Juquin, langjähriges PB- und ZK-Mitglied, der, zunächst nur „entmachtet“, schlussendlich 1987 der Partei verwiesen wurde und 1988 als Präsidentschaftskandidat für den Parti Socialiste Unifié (PSU) ins Rennen ging.¹²⁹
SAPMO-BArch, Abteilung für Internationale Verbindungen, DY/30/12853, Vermerk vom 20. 10. 1986, FKP-IKP, S. 1 f. SAPMO-BArch, Abteilung für Internationale Verbindungen, DY/30/12853, Vermerk vom 20. 10. 1986, FKP-IKP, S. 2. SAPMO-BArch, Abteilung für Internationale Verbindungen, DY/30/12853, Vermerk vom 20. 10. 1986, FKP-IKP, S. 2. Hierzu vgl. Armen B. Antonian, Eurocommunism, eurogauche and the French left, Dissertation, University of California, Riverside 1983; ferner auch APCF, Polex, 261 J 7/44, Interview Karsten Voigt, in: Service de presse social démocratique pour l’Europe, 23. 3.1989: „Frage: Der Eurokommunismus ist meistens eine italienische ‚Erfindung‘. Glauben Sie, daß dies sich auch in anderen südeuropaeischen Ländern verbreiten wird? Voigt: Die Kommunisten Frankreichs haben sich isoliert und sind dogmatisch geblieben. Sie sind antieuropäisch (sic).“
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Juquin hatte im Juni 1986 in Saint-Fons an einem Treffen der „Euro-Linken“ teilgenommen, was Marchais Anlass zu Unmut gab. Prompt informierte der französische Generalsekretär die SED darüber und ließ erklären, dass seine Partei dem Beispiel des erwähnten „Abtrünnigen“ keineswegs folgen würde; der PCF habe, wie bereits 1976 auf der Ost-Berliner Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas bekräftigt, endgültig Schluss mit internationalen Konferenzen gemacht, „auf denen man eine politische Linie beschließt, die für alle gültig wäre […].“¹³⁰
Der PCI und die SED in der Ära nach Berlinguer Die politische und wirtschaftliche Öffnung der Sowjetunion hin zum Westen unter Gorbatschow bereitete den italienischen Kommunisten zunächst Kopfzerbrechen. Mit dem offensichtlichen Zerfall einer bipolaren Welt- und europäischen Ordnung schien nämlich der PCI in seiner herkömmlichen Rolle als Mittler zwischen den Blöcken an Wert und Bedeutung einzubüßen, und zwar mit erheblichen Konsequenzen sowohl für die rein politische Entwicklung der Partei als auch für deren strukturellen und personellen Zusammenhalt. Der italienische Kommunismus war zudem bereits Anfang der achtziger Jahre, verschärft durch den plötzlichen Tod Berlinguers im Juni 1984, in eine tiefe Identitätskrise geraten. Der vom verstorbenen Generalsekretär sowohl national als auch international initiierte und stark geförderte Demokratisierungsprozess, im Laufe dessen der PCI in vielerlei Hinsicht einen Wandel zur Sozialdemokratie vollzog, hatte viele der traditionellen Anhänger und radikal-linksgerichteten Parteifunktionäre verunsichert und entmutigt. Unmut regte sich in der Partei, an der Basis ebenso wie in führenden Positionen. Der alte Konflikt zwischen orthodoxen Marxisten und „Revisionisten“ trat mit erneuter Kraft zutage und führte zu einer generellen politischen Lähmung. Er verschärfte latente Antagonismen und vergrößerte die Distanz zwischen der Wählerschaft und der Strategie des Vorstands. Massimo DʼAlema, ZK-Mitglied und damals einer der schillerndsten jungen Persönlichkeiten des PCI, ging diesbezüglich so weit zu behaupten, dass seine Partei nicht mehr als fester Bestandteil der sogenannten internationalen kommunistischen Gemeinschaft anzusehen sei. Die Wurzeln des PCI, so DʼAlema, seine politische Kultur und Tradition hätten nichts mit der Dritten Internationale, geschweige denn mit den kommunistischen Parteien Osteuropas gemeinsam. Außerdem sei es fehl am Platz anzunehmen, dass der PCI sich zwischen Sozial-
SAPMO-BArch, Abteilung für Internationale Verbindungen, DY/30/11529, Info fürs PB, Zur Tagung des ZK der IKP am 16.-17. 6. 1986, hier S. 5.
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demokratie und Kommunismus entscheiden müsse, denn diese Unterscheidung gehöre der Vergangenheit an.¹³¹ Welcher genaue Weg sich aufgrund dieser Erkenntnis dem PCI eröffnete, konnte der junge Politiker schließlich nicht weiter darlegen. Parallel dazu vollzog sich bei den Italienern ein rascher Wandel hinsichtlich der ideologischen Deutung der von Gorbatschow angestoßenen Erneuerungspolitik in Sowjetrussland. Nachdem sie ihre anfängliche Skepsis überwunden hatten, gingen hochrangige PCI-Politiker sogar dazu über, im reformistischen Eifer der KPdSU eine späte Würdigung des Eurokommunismus zu erblicken. Gorbatschow habe nun Berlinguer und dessen politische Überzeugungen entdeckt, frohlockte Achille Occhetto in einem Interview für die konservative Tageszeitung Il Messaggero: „Insgesamt vier Männer haben Europa mit besonderer Klugkeit verstanden: Willy Brandt, Olof Palme, Enrico Berlinguer und Michail Gorbatschow.“¹³² Vor diesem Hintergrund zeichnete sich beim PCI-Vorstand eine allgemeine Trendwende in Bezug auf die Deutung und Verortung des Ostblocks im europäischen Kontext ab. Nur wenige Tage nach einem Besuch in Ost-Berlin im Februar 1987 ließ Natta verlauten, dass seines Erachtens der Warschauer Pakt fortan nicht mehr als eine „monolithische“ Allianz angesehen werden könne.¹³³ Die Ablehnung der Reformen Gorbatschows durch die meisten Regimes der „real sozialistischen“ Länder sei ein Beweis dafür, dass Letztere Erneuerungstendenzen ausweichen würden. Honecker selbst habe Natta bestätigt, dass die neueste sowjetische Politik dem italienischen Eurokommunismus einiges zu verdanken habe, was aber nicht bedeute, dass etwa die DDR und andere osteuropäische Staaten dem Beispiel zwangsläufig folgen müssten.¹³⁴ Der PCI-Generalsekretär habe ihm beigepflichtet und darauf hingewiesen, dass Aufstieg und Erfolg der Perestroika besonders auch auf eine erweiterte Selbstständigkeit bzw. Autonomie der Mitglieder des Warschauer Pakts gegenüber Moskau zurückzuführen seien, weshalb er die Zurückhaltung der SED hinsichtlich der Förderung von Transparenz und Demokratie verstehen könne. Die Kulanz des Italieners beruhte merkwürdigerweise auf einer der Realität kaum entsprechenden Annahme, dass die DDR sowohl im wirtschaftlichen als auch im sozialpolitischen Bereich hoch
Intervista con Massimo DʼAlema, in: Repubblica, 4.7.1987; ferner auch APCF, Archives du Secretariat, 261 J 7/43, Le PCI et le mouvement communiste, 27.7.1987. Il PCi e il vento di Mosca. Occhetto: „Gorbaciov ha riscoperto Berlinguer“, in: Il Messaggero, 7/ 11/1987. Corriere della Sera, Le riforme in URSS. Quanta prudenza tra gli amici dell’est, 16. 2.1987. APCI, Fondo Natta, Fasc. 45, Incontro Honecker-Natta a Berlino, 12. 2.1987.
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leistungsfähig sei: Ost-Berlin dürfe die Appelle aus Moskau ignorieren, „solange sich das Regime so solide zeigt und hält wie gegenwärtig.“¹³⁵ Die ostdeutsche Berichterstattung über die politische Entwicklung des PCI war unterdessen weiterhin von blanker Skepsis geprägt. Lobten außenpolitische SED-Beobachter das Engagement der Partei zur Bildung von kern- und chemiewaffenfreien Zonen in Mitteleuropa sowie im Allgemeinen zur generösen¹³⁶ Förderung des Friedens in Europa, so bemängelten sie, nicht ohne Unverständnis, das Beharren der Italiener auf einer vermeintlich allein von den USA diktierten NATO und auf der daraus hervorgehenden Sicherheitspolitik. Auch sahen sie darin den zusätzlichen Beweis dafür, dass die Haltung des PCI mit den grundsätzlichen Auffassungen der großen europäischen Sozialdemokratien übereinstimme.¹³⁷ Aus einer vom Politbüro beauftragten ausführlichen Analyse zur politischen Lage in der Bundesrepublik und in Frankreich ging für die SED-Führung eindeutig hervor, dass die SPD hieran durchaus ihren Anteil hatte. Sie präge nicht nur die politische Ausrichtung der Sozialistischen Internationale, sondern sie habe die gesamte gemäßigte europäische Linke, wozu die Ostdeutschen zweifellos auch den PCI zählten, auf ihren eigenen ablehnenden Kurs gegen „Hochrüstung und Konfrontation“ eingeschworen.¹³⁸ Ein „revolutionäres“ Gegengewicht dazu bilde nach wie vor die DKP mit ihren rund 58.000 Mitgliedern, deren Vorsitzender Herbert Mies die Meinung vertrat, „es müsse noch mehr Stolz auf die DDR ausgeprägt werden; denn diese Republik sei auch die Republik der Kommunisten der Bundesrepublik.“¹³⁹
Natta in: APCI, Fondo Natta, Fasc. 45, Incontro Honecker-Natta a Berlino, 12. 2.1987. „Die IKP […] fordert Verhandlungen über die Schaffung eines 300 Km (150 an jeder Seite) breiten kernwaffenfreien Korridors in Mitteleuropa, für den Italien Teile seines Territoriums im Nordosten als Gegenleistung für entsprechende Maßnahmen des Wahrschauer Paktes zur Verfügung stellen könnte.“ SAPMO-BArch, Abteilung für Internationale Verbindungen, DY/30/11544, Information für das PB, Dokument der IKP für eine Sicherheitspolitik in Italien und in Europa, 15.1. 1987. SAPMO-BArch, Abteilung für Internationale Verbindungen, DY/30/11544, Information für das PB, Dokument der IKP, S. 4. SAPMO-BArch, Abteilung für Internationale Verbindungen, DY/30/IV 2/2.035 14, Vorlage für das Politbüro des ZK der SED, Analyse zur Lage in der Bundesrepublik – Schlussfolgerungen für eine gemeisame Politik, Berlin 17.06.1987. SAPMO-BArch, Abteilung für Internationale Verbindungen, DY/30/IV 2/2.035 76, Vorlage für das Politbüro des ZK der SED, Information über eine Beratung von Mitgliedern des Politbüros des ZK der SED mit Mitgliedern des Präsidiums des Parteivorstandes der DKP am 15. 10. 1987, Berlin 16.10. 1987, hier S. 10.
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Unklarer erschien die Position der SED-Spitzenfunktionäre zum französischen PS, dessen politische Entwicklung sie ebenso systematisch beobachten und verfolgen ließen. So kam Ost-Berlin zu dem Schluss, dass die französischen Sozialisten wohl das einzige Bollwerk gegen eine uneingeschränkte SPD-Dominanz innerhalb der SI darstellten. Ob man daraus Kapital schlagen konnte, sollte zunächst dahingestellt bleiben. Negativ eingeschätzt wurde, dass der PS, anders als die westdeutsche „Bruderpartei“, das Aufrüstungsprogramm der französischen Regierung unterstützte. Daraus schlussfolgerte Ost-Berlin, dass der PS auf einer Aufrechterhaltung der traditionellen force de frappe beharrte. Was den Ostdeutschen allerdings noch viel gravierender vorgekommen sein muss, war die Beobachtung, dass der PS die Zusammenarbeit zwischen SPD und SED zur Schaffung einer chemiewaffenfreien Zone und eines atomwaffenfreien Korridors offenbar ablehnte, wohl wegen der Befürchtung, dass dadurch die Bundesrepublik aus dem Kern der NATO herausgerissen werden könnte.¹⁴⁰
Der PCF, die SED und die Perestroika Ende November 1988 kam eine hochrangige SED-Delegation mit Vertretern des PCF in Paris zusammen. Regelrecht gestritten wurde dort über den Stellenwert der Perestroika bzw. vor allem darüber, ob sie auf die einzelnen sozialistischen Länder übertragbar sei. Etwa ein Jahr zuvor hatte Marchais gegenüber Gorbatschow in Moskau unmissverständlich verlauten lassen, dass die von ihm angebahnten Reformen „notwendig und überfällig“ gewesen seien.¹⁴¹ Der Grundtenor bei den Diskussionen mit den ostdeutschen „Genossen“ konnte kaum unterschiedlicher ausfallen. Günter Schabowski, der Leiter der DDR-Abordnung, verwahrte sich ausdrücklich gegen das „Gerede“, wonach man dem sowjetischen Beispiel folgen müsse, und präzisierte, dass es einen einzig gültigen Weg zum Sozialismus nicht geben könne: „Nous refusons les avis qui disent il faut faire comme en URSS, bien que nous soyons d’accord avec les positions de Gorbatchev, mais il n’existe pas de modèle, nous n’avons pas la même situation socio-économique que l’URSS. Nous construisons le socialisme aux couleurs de la RDA [sic].“¹⁴²
SAPMO-BArch, Abteilung für Internationale Verbindungen, DY/30/11529, Bericht über die Teilnahme einer Delegation der SED am Parteitag der Sozialistischen Partei Frank. vom 3.-5. 4. 1987 in Lille. APCF, Archives du Secrétariat, 264 J 17, Boite 2, Dossier 1, Rencontre Marchais Gorbatchev à Moscou, 4. 5.1987. APCI, Polex, 261 J 7/58, Note à la direction de section – Rencontre PCF-SED, 21. 11. 1988 entre G. Schabowski, Secrétaire du SED und Maxime Gremetz, Secrétaire du CC du PCF, 21.11.1988. Schabowski: „Wir weisen die Empfehlungen derjenigen zurück, die sagen, man müsse wie in Sow-
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Eindeutig bestätigt wurde diese Sichtweise wenige Wochen später, als Honecker höchstpersönlich in einem Gespräch mit dem DKP-Vorsitzendem Herbert Mies auf den PCF zu sprechen kam. Der SED-Generalsekretär unterstrich dabei, dass die Position seiner Partei derjenigen des ZK des PCF in vollem Umfang entspreche: Die Perestroika sei zwar nötig, aber sowohl Paris als auch Ost-Berlin seien besorgt darüber, dass dadurch die führende Rolle der KPdSU „in allen Bereichen geschwächt“ werde und „ernste Gefahren für den Sozialismus in der UdSSR“ auftreten könnten.¹⁴³ Der auffällig kritische Ton von SED-Spitzenpolitikern gegenüber der Umstrukturierung der UdSSR wurde allerdings lediglich im Umgang mit aus ihrer Sicht hierarchisch niedriger stehenden Parteien wie hier dem PCF und der DKP aufrechterhalten. Anlässlich einer Unterredung Günter Siebers mit Valentin Falin, dem Leiter der Abteilung für Internationale Verbindungen der KPdSU, in Moskau, die sechs Tage nach dem Treffen mit Mies stattfand, gab sich der SED-Vertreter weitaus weniger angriffslustig. Falin erklärte, die von der Regierung Gorbatschow geförderten tiefgreifenden Veränderungen seien aus der objektiven Einschätzung hervorgegangen, „daß in der kommunistischen Weltbewegung neue Bedingungen entstanden seien.“ Er fügte hinzu, dass solche Maßnahmen zehn bis zwanzig Jahre zu spät kämen bzw. dass sie Fehler und „Sünden“ der Stalinzeit sowie der Epoche Chruschtschows, Breschnews und Tschernenkos wiedergutzumachen und zu korrigieren hätten. Abschließend gab er zu bedenken, dass auch der „Sozialismus“ einer starken ökonomischen Grundlage nicht entbehren könne.¹⁴⁴ Die zuletzt formulierte Feststellung wurde zum Diskussionsthema zwischen leitenden Theoretikern der SED und einer Kultur-Delegation des PCF im Januar 1989 in Ost-Berlin, als Kurt Hager die Analyse Falins zum Anlass nahm, um seine eigene Partei vor externen Angriffen zu schützen. Hager betonte, dass die DDR schon seit Langem über solide wirtschaftliche Ressourcen verfüge. Sie habe sich bereits Anfang der siebziger Jahre für neue Technologien geöffnet und diese erfolgreich erprobt, nicht aber die Sowjetunion. Dies erkläre auch das Aufkommen
jetrussland verfahren, wenngleich wir mit den Positionen Gorbatschows einverstanden sind, aber es gibt kein Vorbild, bei uns herrscht nicht die gleiche sozioökonomische Situation wie in Rußland. Wir errichten den Sozialismus in den Farben der DDR.“ SAPMO-BArch, Abteilung für Internationale Verbindungen, DY/30/IV 2/2.035 76, Vermerk eines Gesprächs des Genossen Erich Honecker mit Genossen Herbert Mies am 6. 12. 1988, Berlin 6.12.1988, hier S. 3. SAPMO-BArch, Abteilung für Internationale Verbindungen, DY/30/11670, Vermerk über das Gespräch des Genossen Günter Sieber mit Valentin Falin, Leiter der Abt. Int. Verb. Der KPdSU, am 12.12 im ZK der KPdSU, Berlin 14.12.1988, S. 5 – 6.
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der Perestroika in der UdSSR, die somit kaum auf die DDR angewendet werden könne.¹⁴⁵
Zur organisatorischen und ideologischen Krise der Grundorganisation der SED in Paris 1988/89 Die Protokolle der Gesamtmitgliederversammlungen der GOen der SED in Paris und Amiens während der letzten zwei Jahre des Bestehens der DDR vermitteln ein düsteres Bild der außenpolitischen Arbeit dieser Organe. Angesichts der formalen Forderung nach Einhaltung des Volkswirtschaftsplans (Zeitraum 1986 – 1990), der u. a. die Sicherung des Exportplans mit Lieferanteilen von 25 % je Quartal vorsah – was nicht erfüllt werden konnte –, verschärften sich die Widersprüche zwischen der GO-Führung und den Mitarbeitern zusehends.¹⁴⁶ Sie wuchsen sich rasch zu offener Konfrontation und Kritik aus. Ihren Höhepunkt erreichten die Konflikte in der Zeit unmittelbar vor und nach dem Fall der Berliner Mauer, wie folgendes Kommuniqué des „Parteikollektivs“ der Botschaft der DDR in Frankreich an den Leiter der Abteilung für Internationale Verbindungen Günter Sieber bezeugt: Allgemein wird darauf hingewiesen, daß die vorhandenen Widersprüche bei der Verwirklichung unseres Parteiprogramms bereits seit längerer Zeit sichtbar sind. Auch die bisherigen Hinweise der GO besonders in der Kampfkraftanalyse, im Verlaufe der Parteiwahlen und in den monatlichen Informationsberichten wurden nicht mit erforderlichem Ernst aufgegriffen, berücksichtigt und beantwortet […]. Dabei drängen sich Parallelen auf, die zur Ablösung des Gen. Walter Ulbricht führten […].¹⁴⁷
Weder die leitenden Repräsentanten der Partei im Ausland noch ihre Führung an den zentralen Schaltstellen in Ost-Berlin waren imstande, auf die Kritik „von unten“ auf konstruktive Weise zu reagieren, geschweige denn diese zu stoppen. Die Erschöpfung materieller Ressourcen ging mit dem Verschleiß des konzeptionellen Rahmens und des ideologischen wie innerparteilichen Zusammenhalts einher.
APCF, Polex, 261 J 7/58, Culture-Délégation (IRM Istitut de recherche marxiste) du PCF à BerlinEst, 10. bis 15.1.1989. SAPMO-BArch, Abteilung für Internationale Verbindungen, DY/30/14296, Kampfprogramm der GO der SED der Botschaft der DDR für 1988, hier S. 2– 3. SAPMO-BArch, Abteilung für Internationale Verbindungen, DY/30/14297, SED-Grundorganisation der Botschaft der DDR in Frankreich an den Leiter der Abt. Int. Verb. Günter Sieber, Paris 24.10.1989, hier S. 4; ferner auch: Protokoll Gesamtmitgliederversammlung der GO AV Paris und Amiens vom 23. 11. 1989 zur Wahl eines Delegierten zum außerordentlichen Parteitag, Paris 28.11. 1989.
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4.3 Ausblick PCI: „Demokratische Kommunisten“ und der Kongress von Arco Zwischen dem XIX. Parteikongress des PCI, der im März 1990 stattfand, und dem letzten seiner Geschichte im Januar/Februar 1991 wurde das Ende des italienischen Kommunismus de facto besiegelt. Maßgeblich dazu beigetragen hatte die Weigerung der leitenden Stellen, Neues auszuloten und es in die Tradition zu integrieren. Dabei war Neues in jener Transitionsphase eigentlich sogar am Entstehen. Eine kritische Gruppe sogenannter „demokratischer Kommunisten“ (comunisti democratici)¹⁴⁸ bekannte sich zur Theorie des „dritten Weges“ und versprach den Entwurf einer Alternative zu den radikalen Reformern unter Achille Occhetto einerseits sowie zu den philosowjetischen Anhängern Armando Cossuttas andererseits. Die Gruppe zielte darauf ab, der Partei zu einer grundlegenden Erneuerung zu verhelfen, ohne ihre kommunistische Identität zu verleugnen. Dies war ein ambitionierter Ansatz, denn die Mehrheit der Funktionäre hatte sich für einen radikalen Umbruch bzw. für die endgültige Aufgabe des traditionsreichen Parteinamens ausgesprochen. Eine beträchtliche Minderheit plädierte hingegen nach wie vor für die Aufrechterhaltung des marxistisch-leninistischen Erbes und zeigte sich bereit, sich notfalls vom Rest der Partei abzuspalten. Eine bedeutende Versammlung diesbezüglich fand Ende September 1990 am Gardasee statt: Der „Gipfel“ von Arco (Convegno di Arco) führte vor Augen, dass die Gefolgschaft hinter Generalsekretär Occhetto weit flexibler und mächtiger war als vermutet. Weniger der prinzipielle Gegensatz zweier, zumindest auf dem Papier ideologisch unüberbrückbarer Visionen als vielmehr das übervorsichtige Taktieren einer der einflussreichsten Koryphäen der Partei verurteilte die Option des „dritten Weges“ zum Scheitern. Pietro Ingrao, die langjährige PCI-Ikone, wurde zum Zünglein an der Waage. Seine Rede auf dem Kongress hob zwar die Mängel der Leitung Occhettos hervor und stellte eine Rückkehr zu althergebrachten, bewährten Prinzipien des italienischen Kommunismus in Aussicht; sie zeigte sich aber in der Lagebeurteilung äußerst zurückhaltend und unschlüssig. Ingrao hütete sich davor, die zwei konfligierenden Hauptmodelle gegeneinander auszuspielen, und beschränkte sich de facto auf eine Mahnung: Im Dickicht der bestehenden Herausforderungen sei es angebracht, mit der Mehrheit der Funk-
Dazu zählten u. a. der Gewerkschafter Fausto Bertinotti, der ehemalige Parteisekretär Alessandro Natta und der Parteifunktionär Pietro Ingrao. Hierzu siehe Chiarante, La fine del PCI, hier S. 133 – 134.
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tionäre und der Anhängerschaft „mitzuschwimmen“, um Schlimmeres zu vermeiden.¹⁴⁹ Die Würfel waren gefallen: Ingrao bekam umgehend Unterstützung auch von anderen Schlüsselakteuren, darunter von hochrangigen Gewerkschaftern wie Bertinotti und dienstälteren Mitgliedern. Der Hauptvorschlag der comunisti democratici, die Partei föderalistisch umzustrukturieren, um den lokalen und regionalen Vertretungen weitestgehende Autonomie zuzugestehen, war somit abgeschmettert worden.
Der Kongress von Rimini und das Ende des PCI Der XX. Parteitag des PCI fand vom 31. Januar bis zum 4. Februar in Rimini statt. Wie mehrere Parteihistoriker unterstreichen, nahm sich der PCI zu diesem Zeitpunkt noch wie eine Massenpartei aus; er verfügte über mehr als 1.420.000 Mitglieder. Dennoch erkannten parteinahe und neutrale Beobachter schon damals in aller Deutlichkeit, dass Ressentiments und Zweifel am Vorabend des Gipfels die Oberhand gewonnen hatten und eine konstruktive Diskussion über die Zukunft der Partei massiv erschwerten.¹⁵⁰ Bei Vorwahlen waren mehrere Anträge zur Abstimmung gestellt worden. Erstens der Antrag „Occhetto“ bezüglich der grundlegenden Umstrukturierung der Partei; zweitens der Antrag der linksgerichteten Opposition; drittens der Antrag „Bassolino“, der sich auf halbem Wege zwischen den ersten beiden positionierte. Auf den Vorschlag „Occhetto“ entfielen über 67 % der Stimmen, was einen haushohen Sieg der Parteimehrheit bedeutete. Auf dem Kongress bestätigten die Delegierten den Willen der Basis und stimmten der Umwandlung des PCI in eine neue Partei, den Partito Democratico della Sinistra (PDS), zu. Das weitaus Überraschendste bei diesem Vorgang war, dass diesem Ansinnen der Mehrheit keine geschlossene Alternative (oder mehrere Alternativen) entgegentrat. Im Gegenteil, die innerparteiliche Opposition bot ein Bild der Unsicherheit und des Durcheinanders. Der Anführer des linksradikalen Flügels Armando Cossutta hatte noch vor der Delegiertenwahl eine Spaltung zur Schaffung einer neuen Partei, der Rifondazione Comunista, angekündigt. Dem Wunsch der „demokratischen Kommunisten“, den PDS föderalistisch zu organisieren und zu führen, wurde außerdem von der Mehrheit nicht stattgegeben. Hingegen hielt man am traditio Chiarante, La fine del PCI, S. 137. Siehe u. a. David I. Kertzer, Politics and Symbols: The Italian Communist Party and the Fall of Communism, New Haven / London 1998; Guido Liguori, La morte del PCI, Rom 2009; Pons, Berlinguer, hier S. 212– 214; Silvio Pons, L’invenzione del „post-comunismo“. Gorbacëv e il Partito comunista italiano, in: Ricerche di storia politica 1 (2008), S. 21– 36, hier S. 28 – 29.
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nellen „demokratischen Zentralismus“ bzw. am pyramidal strukturierten „Parteiapparat“ fest. Wie Giuseppe Chiarante zu Recht hervorgehoben hat, zeichnete sich der neugeborene PDS somit gleich eher ex negativo durch seinen Status als postkommunistische Partei denn durch die Innovationskraft seiner Basis und seiner ideologischen Grundsätze aus. Dies zeigte sich auch daran, was Chiarante ebenfalls als ein klares Zeichen der Schwäche deutet, dass mehrere ehemalige PCI-Politiker sich weder zum mehrheitlichen noch zum minderheitlichen Kurs bekannten und sich von ihren Aktivitäten in der Partei zunächst zurückzogen.¹⁵¹ Worin die meisten PCI-Historiker übereinstimmen ist die Beurteilung dieser Transitionsphase als ein politisches Vakuum. Dem italienischen Kommunismus war es nicht gelungen, überzeugende Antworten auf neue Herausforderungen wie etwa die Krise der Sozialdemokratie und des Staatssozialismus oder das Aufkommen des Neoliberalismus zu finden und seine Anhängerschaft in diesen Prozess einzubinden. Es passte ganz ins Bild dieses allgemeinen Niedergangs, dass schließlich auch die Beziehungen sowohl zum PCF als auch zur SED nach dem Mauerfall eingefroren wurden.
Der PCF Anfang der neunziger Jahre Die Wahlen vom 21. und 28. März 1993 stellten klar unter Beweis, dass die Krise des französischen Kommunismus längst nicht ausgestanden war. Mit nur 9,1 % der Stimmen erzielte der PCF das schlechteste Ergebnis seit Anfang des 20. Jahrhunderts. Sogar in sonst traditionell „roten“ Regionen erlebte er desaströse Einbrüche. Vor diesem Hintergrund fand Ende Januar 1994 der außerordentliche XXVIII. Parteitag statt, der von vielen Mitgliedern als Chance für einen Neuanfang betrachtet wurde. Umfragen und internen Berichten nach zu urteilen, war die Partei tief gespalten: Den orthodoxen Kommunisten um Marchais, die sich aus den traditionellen, insbesondere regionalen Parteistrukturen und aus der Gewerkschaft CGT rekrutierten, standen die „Erneuerer“ gegenüber, die meist aus dem Pariser Intellektuellenmilieu stammten. Letztere knüpften an den neuen Parteitag die Hoffnung auf eine „Wiedergeburt“ des PCF aus der Asche des ideologischen und politischen Scheiterns der vorangegangenen drei Jahrzehnte, ein Scheitern, das den Intellektuellen zufolge 1968 seinen Anfang genommen hatte. Der Kongress bot auch Anlass, eine Bestandsaufnahme der Führungstätigkeit Marchais’ durchzuführen, der sich seit genau 20 Jahren an der Macht gehalten und nun seine Entscheidung verkündet hatte, den Posten für die jüngere Generation zu räumen. Dabei muss erwähnt werden, dass der Generalsekretär längst
Chiarante, La fine del PCI, hier S. 140 – 141.
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den Zenit seiner politischen Karriere überschritten hatte, gesundheitlich äußerst angeschlagen und mittlerweile sowohl innerparteilich als auch in der breiten französischen Gesellschaft eher unbeliebt. Während seiner Zeit als Vorsitzender hatte sich die kommunistische Wählergunst von starken 37 % auf die bei den jüngsten Wahlen erzielten 9 % verringert; die Sowjetunion, das historische Vorbild, hatte aufgehört zu bestehen; Grenzen in Europa und in der Welt waren allmählich weggefallen oder zumindest durchlässiger geworden und die französische Öffentlichkeit schien nun mit anderen Problemen als dem Kampf gegen den Kapitalismus befasst zu sein. Nichtsdestoweniger äußerte sich die Mehrheit der Vortragenden auf dem Parteitag nicht zu dem Umbruch in der ehemaligen Sowjetunion und in der kommunistischen Weltgemeinschaft. Sie beschränkte sich lediglich darauf, die traditionellen Tätigkeitsfelder der Partei in Erinnerung zu rufen, die zugleich die Eckpfeiler der künftigen politischen Aktivität des PCF darstellen sollten: den eben genannten Kampf gegen den Kapitalismus und gegen den „US-amerikanischen Imperialismus.“ Der auf dem Parteitag inoffiziell inthronisierte neue Generalsekretär, der relativ junge Robert Hue, vermochte keine neuen Akzente zu setzen. Die Forderungen der intellektuellen Oppositionellen, darunter Philippe Herzogs und Guy Hermiers, nach einem Bruch mit der Vergangenheit, nach Einsicht in die ihres Erachtens völlig falsche Ausrichtung der Partei, blieben weitestgehend unberücksichtigt. Marchais verließ am Ende der Verhandlungen die politische Bühne und machte den Weg frei für eine nun etwas verjüngte, im Kern jedoch politisch und ideologisch mit ihm kompatible künftige Machtriege. In das neue PB, welches nun Bureau National heißen sollte, wurden die Marchais-Vertrauten Gremetz, Lajoinie, Francis Wurtz, Louis Viannet, Jean-Claude Gayssot und Pierre Zarka gewählt, wobei Letztgenanntem die Direktion der Humanité übertragen wurde, ferner zwei „Dissidenten“: die bereits erwähnten Herzog und Hermier. Bei den darauffolgenden Europawahlen im Juni 1994 konnte der umstrukturierte PCF dennoch lediglich 6,9 % der Stimmen auf sich vereinen.
Die SED auf dem Weg zur Auflösung Nur wenige Tage nach dem Fall der Mauer setzten sich die Blockparteien mit ihrer Forderung durch, neue, freie Wahlen in der DDR anzuberaumen. Damit einher gingen sukzessive Änderungen der Verfassung, die im Allgemeinen zu einer Schwächung des dort verankerten Primats der SED führten. Dies hatte zur Konsequenz, dass mehrere tausend Mitglieder ihr Parteibuch abgaben; Anfang De-
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zember 1989 folgte die Ablösung der gesamten Parteiführung.¹⁵² Am 8. und 9. Dezember fand ein außerordentlicher Parteitag statt, der über Auswege aus der Krise beraten und Lösungsvorschläge vorlegen sollte. Die Mehrheit der Delegierten beschloss, die Partei ideologisch neu aufzustellen und ihren Namen leicht zu verändern, ihre endgültige Auflösung aber abzuwenden.¹⁵³ Der Rechtsanwalt Gregor Gysi wurde zum Chef der bisherigen SED, jetzt Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS), war aber nicht in der Lage, eine grundlegende Reform der Partei durchzusetzen. Dadurch kam es schnell zur Verschärfung einer internen Opposition (Runder Tisch), die keinen gesteigerten Wert mehr auf die Beibehaltung tradierter politischer Strukturen legte. Der Wunsch nach einem wiedervereinigten Deutschland gewann dadurch rapide an Boden, so zumindest unter der Bevölkerung beider Seiten. Die letzte Entscheidung hierüber stand dennoch dem „großen Bruder“ zu, der von Moskau aus die Entwicklung genau beobachtete und bereits Mitte November einen Lösungsvorschlag unterbreitet hatte. Dieser lief bekanntlich auf die Etablierung zweier unabhängiger, konföderierter deutscher Staaten hinaus. Dem hielt Bundeskanzler Helmut Kohl ein Zehn-Punkte-Programm entgegen, das einen allmählichen Prozess der Wiedervereinigung vorsah. Der Plan stieß auf Gegenwind sowohl im Ausland als auch innerhalb der eigenen Öffentlichkeit.¹⁵⁴ Dem populären Impuls zur Wiedervereinigung des Vaterlandes war jedoch nicht mehr Einhalt zu gebieten. Der Besuch Helmut Kohls in Dresden Ende Dezember 1989, bei dem der Bundeskanzler durch die einheimische Bevölkerung enthusiastisch empfangen wurde, bestärkten ihn in der Einsicht, dass eine schnelle Wiedervereinigung offenbar im Interesse beider Seiten lag. Zu derselben Erkenntnis gelangte, u. a. unter dem Eindruck der massiven finanziellen Schwierigkeiten der DDR, auch der Kreml wenige Wochen später im Januar 1990. Im Februar willigten die Sowjets schließlich in Kohls Vorhaben ein. Als Gegenleistung sicherte sich Moskau großzügige Subventionen aus Bonn zur Ankurbelung der eigenen maroden Wirtschaft. Anschließend ging alles sehr schnell: Die Zwei-plus-Vier-Verhandlungen ebneten den Weg zur Auflösung und Einbindung der DDR in die Bundesrepublik. Am 3. Oktober um 0.00 Uhr hörte Erstere offiziell auf, als Staat zu existieren.¹⁵⁵
Siehe u. a. Ulrich Mählert, Kleine Geschichte der DDR, München 2010, hier S. 163 – 164. Wie Mählert zu Recht hervorhebt, „proklamierte“ die neue Spitze „einen diffusen dritten Weg jenseits von stalinistischem Sozialismus und Herrschaft transnationaler Monopole.“ Mählert, Kleine Geschichte der DDR, S. 170. Mählert, Kleine Geschichte der DDR, S. 174– 175. Vgl. Kerstin Brückweh u. a. (Hg.), Die lange Geschichte der „Wende“. Geschichtswissenschaft im Dialog, Berlin 2020.
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Zwischenfazit Für die hier dargestellte fünfte und letzte Phase, die sich auf den Zeitraum 1985 bis 1989/90 bezieht, wurden die Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit zwischen SED und SPD untersucht und dabei die politisch-ideologischen Differenzen zwischen Ersterer und der KPdSU in die Analyse miteinbezogen. Die Ernennung Michail Gorbatschows zum Generalsekretär der sowjetischen Kommunisten im März 1985 und die Proklamation seiner Reformbestrebungen wirkten sich äußerst negativ auf die SED-Beziehungen zur „Mutterpartei“ aus. Gorbatschows Regierungsmannschaft setzte sich bekanntlich energisch für die Achtung und Umsetzung der KSZE-Schlussakte ein. Die Respektierung von grundlegenden zivilgesellschaftlichen Rechten und Gewaltfreiheit wurden somit zum Fundament der neuen sowjetischen Innen- und Außenpolitik, wodurch die ostdeutsche Staatspartei ganz klar unter Zugzwang geriet. Die Ost-Berliner Machthaber intensivierten gleichwohl ihre politisch-ökonomische Kooperation mit westeuropäischen Partnern, beispielsweise zugunsten der Einrichtung einer chemiewaffenfreien Zone in Mitteleuropa gemeinsam mit der SPD¹⁵⁶ oder im Rahmen eines Handelsabkommens mit Italien unter Federführung des PCI¹⁵⁷, um der sich beständig verschlechternden eigenen ökonomischen Lage entgegenzuwirken. Dabei blieb ihnen die italienische Partei auch nach dem Tod ihres charismatischen Lenkers Enrico Berlinguer 1984 ein bedeutender Bezugspunkt, obgleich der PCI und die KPdSU in der Ära der Perestroika zu einer fruchtbaren Wiederannäherung zurückfanden.¹⁵⁸ Gleichzeitig führte die dezidierte Zurückweisung der sowjetischen Reformpolitik die SED und den PCF in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre ideologisch wieder zusammen.¹⁵⁹ Es war unterdessen ausgerechnet der gezielte Pragmatismus im internationalen Kontext, der, wie dargelegt werden konnte, zum Gegenstand heftiger Kritik in den Grundorganisationen der SED in Rom und Paris wurde. Die SED-Mitarbeiter im ausländischen Einsatz sahen nämlich auf
SAPMO-Barch, Büro Hermann Axen, (Streng vertraulich) „Neue Probleme der kommunistischen Weltbewegung, insbesondere bei der weiteren Entwicklung der Zusammenarbeit kommunistischer und Arbeiterparteien und ihres Zusammenwirkens mit sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien sowie mit anderen revolutionären und demokratischen Kräften unter den gegenwärtigen Bedingungen“, Berlin 23.10.1985. SAPMO-Barch, Abt. Inter. Verbindungen, DY/30/14380 und DY/30/14381. APCI, Fondo Natta, Fasc. 45, Viaggio di Natta a Mosca, 30. 3.1987. SAPMO-Barch, Büro Hermann Axen, DY/30/IV 2/2.035 76, Vermerk eines Gesprächs des Genossen Erich Honecker mit Genossen Herbert Mies am 6. 12. 1988, Berlin 6.12.1988.
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diese Weise die Grundfeste des Marxismus-Leninismus durch das ZK letzten Endes verraten. Als Reaktion hierauf mehrten sich Vorfälle, welche die Legitimität der SED-Führung hinterfragten.¹⁶⁰ Die entsprechenden Debatten in den Auslandsvertretungen, die hier exemplarisch nachgezeichnet wurden, zeigen die ganze Instabilität und Fragilität der Parteiinstanzen außerhalb der DDR auf; auch kam dabei eine auffällige Diskrepanz mit Blick auf den politischen Stil zwischen der Führung und den untergeordneten Parteiorganen zum Vorschein. Solche Reibungen und Meinungsverschiedenheiten haben zweifelsohne zur Zerrüttung der Partei mit beigetragen und somit den Weg für deren allmählichen Machtverlust in den 1980er Jahren geebnet. Ebenso instabil zeigte sich der PCF. Durch eine schwere strukturelle wie ideologische Krise zerrüttet, erlebte die Partei innere Aufspaltungen, die zur Bildung konfligierender Interessenvertretungen und Faktionen führten. Dass die Schwierigkeiten des PCF sowohl auf nationaler als auch auf lokaler und gewerkschaftlicher Ebene in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre zudem von den allgemeinen politischen Turbulenzen im Ostblock herrührten, ist offensichtlich. Auf den anfänglichen Enthusiasmus Marchaisʼ, der den neuen Machthaber im Kreml und seine Bemühungen zur Vorbereitung einer „zweiten kommunistischen Revolution“ zunächst bejubelte, folgten sehr bald Ernüchterung und Resignation. Der PCF-Führung wurde offenbar sehr schnell klar, dass die Ansprüche Gorbatschows, wie etwa die Forderung nach demokratischem Umbau und nach kritischer Auseinandersetzung mit dem MarxismusLeninismus, für den Pariser Vorstand eine ernsthafte Bedrohung darstellten. Auch der PCI blieb, obgleich in einer stärkeren Position als der PCF, von Krisenerscheinungen nicht verschont. Sein allmählicher Untergang war weitestgehend selbstverschuldet. Die Partei hatte nämlich ab der zweiten Hälfte der siebziger Jahre den Überblick über die sich zusehends verlagernden gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse im Lande verloren. Außerdem blieben langjährige Probleme wie Kommunikations- und Erneuerungsschwierigkeiten unter den leitenden Funktionären ungelöst. Auch die Ziele des im November 1980 verabschiedeten Programms zur „demokratischen Alternative“ (alternativa democratica) konnten nicht erreicht werden, wie etwa die Suche nach einer Alternative zur DC als möglichem Koalitionspartner oder die konsequente Fokussierung auf die traditionelle Gefolgschaft in Fabriken und im Handwerk. Die neue Schwerpunktsetzung erfolgte zu einer Zeit, als das Land und generell der
SAPMO-Barch, Abt. Inter. Verbindungen, Protokoll Gesamtmitgliederversammlung der GO AV Paris und Amiens vom 23. 11. 1989 zur Wahl eines Delegierten zum außerordentlichen Parteitag, Paris 28.11.1989; DY/30/14381.
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„Westen“ sich an der Schwelle zu einem neoliberalen Durchbruch befanden, letztendlich also auch zu spät. Dies schlug sich dann ab 1983 in den Wahlergebnissen nieder, wobei sich die Lage nach dem Tode Berlinguers 1984 noch rapide verschlechterte.
Fazit: Pragmatischer Ost-West-Kommunismus Die vorliegende Monografie hat die Beziehungen und Verflechtungen der SED mit den kommunistischen Parteien Italiens (PCI) und Frankreichs (PCF) untersucht. Ziel war es zum einen, das Beziehungsgeflecht bzw. die gegenseitigen Beeinflussungskonstellationen im Zeitraum von 1968 bis 1989/90 zu analysieren, und zwar sowohl aus positiver Sicht die Annäherungsversuche und Kooperationen als auch aus negativer Perspektive mögliche Blockaden. Zum anderen sollten die innerhalb der SED zum Tragen kommenden Maximen zur Gestaltung der ostdeutschen „Westpolitik“ im Rahmen des Austauschs erstens mit dem PCF und zweitens dem PCI dargelegt werden. Um die jeweiligen wechselseitigen Verbindungen vertiefend darzustellen, sind darüber hinaus institutionelle Ebenen unterhalb und außerhalb der jeweiligen Parteispitzen systematisch untersucht worden, darunter vor allem die Bereiche Freundschaftsgesellschaften, Regionalorganisationen und Gewerkschaften. Von den einzelnen, im Folgenden aufgeführten Befunden ausgehend, können die gewonnenen Erkenntnisse gebündelt und im Ausblick gegenüber vorherrschenden Lücken und Perspektiven der Forschung aufgewogen werden. Wie in der Einleitung erläutert, ist diese Arbeit dabei von zwei Hauptthesen ausgegangen, die im weit überwiegenden Maße und je nach Zeitabschnitt differenziert bestätigt werden konnten. Erstens wurde gezeigt, dass zumeist Kalkül und Opportunismus die Beziehungen der SED zu den beiden wichtigsten westeuropäischen „Bruderparteien“ bestimmten. Zweitens konnte belegt werden, dass außer dem Zentralkomitee (ZK) der jeweiligen Parteien auch rangniedrigere Abteilungen und Nebenorganisationen, oft nur wenig reglementiert oder semiautonom, die Ausrichtung der Außenpolitik bzw. der Außenbeziehungen beeinflussten.
Schlussfolgerungen In der bisherigen Forschung zu dem hier ausgewählten Untersuchungsgegenstand fand sich vorrangig das Bild von mehr oder minder Moskau-loyalen Parteien, die, insbesondere in den ersten beiden Dekaden nach dem Zweiten Weltkrieg, vielfach auf technische und ideologische Unterstützung durch die „Mutterpartei“ KPdSU angewiesen waren und von dieser strikt gesteuert wurden. Dies trifft, wie gesehen, gewissermaßen auf die frühe Entwicklung der SED zu, für den PCI und den PCF greift diese Sichtweise dagegen eindeutig zu kurz. Mit Blick auf die späten sechziger Jahre und die Dekade der Siebziger wird deutlich, dass die überlieferten schwarz-weißen Vereinfachungen – der SED-„Apparat“ habe https://doi.org/10.1515/9783110748260-009
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kompromisslos Moskau gehorcht, der PCF ebenso, der PCI stets aufbegehrt – der komplexen Dreieckskonstellation nicht gerecht werden. Die Positionen in den jeweiligen außenpolitischen Parteiorganisationen waren weitaus differenzierter und entsprangen oft tagtäglichen Arrangements zwischen verschiedenen Mittlern. Der These folgend,¹ dass die zentralen Parteiinstanzen der SED nicht als ein von der Gesellschaft abgekoppelter Moloch zu betrachten seien, gilt es einmal mehr auf den Umstand zu verweisen, dass politische Beziehungen sozial konstruiert werden.² Hiervon ausgehend, hat die Studie zweierlei nachgezeichnet: zum einen die Entwicklung der formalen außenpolitischen Strukturen der untersuchten Parteien, zum anderen die auf dieser Basis gestalteten formellen und informellen bi- wie multilateralen Verbindungen sowohl zu „Bruderparteien“ als auch zu anderen westeuropäischen Akteuren. Vor diesem Hintergrund hat sich vorliegende Arbeit auf einen in der allgemeinen Soziologie und im Spezifischen für die Sozialismus- und Kommunismusforschung bedeutenden Themenkomplex konzentriert: auf die Interdependenz zwischen Konsolidierung von Macht/Herrschaft und deren Erhalt durch den Umgang mit „andersdenkenden“ Partnern. Hierbei kam es vorrangig auf ein Ausleuchten der Entwicklung der Dreiecksbeziehungen auf der Ebene der jeweiligen außenpolitischen Ressorts in der späten Phase des Kalten Krieges an. Dem Argumentationsstrang lag die These zugrunde, wonach Parteiherrschaft – dies gilt in ähnlichem Maße sowohl für die Staatspartei SED als auch für die in westlichen Demokratien agierenden PCI und PCF – nicht als immanenter Sachverhalt, sondern eher als situationsabhängig aushandelbares Gut zu betrachten ist. Dies geht damit einher, dass die „verhandelnden“ Akteure, seien es einzelne Personen, (Interessen‐)Gruppen oder parteiinterne Institutionen, im Laufe des hier ausgewählten Zeitraums politischen und sozialen Veränderungen ausgesetzt waren und sich dementsprechend wandelten. Dies sollte dennoch nicht so verstanden werden, dass sich Theorie und Praxis bzw. Ideologie und Politik gänzlich getrennt voneinander entwickelt hätten oder gar ohne wechselseitigen Einfluss verblieben wären. Wie hier für den Fall der Parteiorganisationen im Ausland ausführlich dargestellt, waren sowohl Parteimitarbeiter an zentralen außenpolitischen Stellen als auch deren „Zuarbeiter“, also die jeweiligen Fachexperten, stets in Maßnahmen der ideologischen Kontrolle und Perpetuierung miteingebunden. Dies prägte den Alltag und die Art und
Vgl. u. a. Lindenberger, Die Diktatur der Grenzen, hier S. 32– 33. Hierzu siehe u. a. Niklas Luhmann, Funktionen und Folgen formaler Organisation, Berlin 1995, hier S. 49 – 50.
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Weise, wie die Mitarbeiter politische und soziale Situationen meisterten, allerdings auf durchaus unterschiedliche Weise: Die substantielle Differenz zwischen gebotenem Pragmatismus (im Umgang mit externen Akteuren) und Loyalität (zur Partei) trug zwangsläufig zur Ausbildung von ganz individuellen, keineswegs immer gleichartigen Reaktionsformen auf Richtlinien „von oben“ bei.³ Auf diese Dichotomie hat die Studie in vielerlei Hinsicht hingewiesen, so im Falle der Botschaften der DDR, der Auslandsorganisationen des PCI und des PCF oder der Städtepartnerschaften. Der Fall der Berliner Mauer löste in Frankreich und Italien gegensätzliche Reaktionen aus. Der Enthusiasmus einiger, darunter vieler Sozialisten und Kommunisten, wurde von einer gewissen Nüchternheit anderer überschattet und begleitet, die althergebrachten Befürchtungen und Stereotypen der „großen Politik“ entsprangen: Mitterrand, Andreotti und Craxi etwa hatten in den achtziger Jahren vielfach auf den „beruhigenden“ Umstand hingewiesen, dass es zwei deutsche Staaten gebe.⁴ Schließlich hatte sich nach der „Anerkennungswelle“ der frühen siebziger Jahre der Status quo der DDR als souveräner Staat und Mitglied der internationalen Staatengemeinschaft konsolidiert. Das Jahr 1968 prägte die trilateralen Beziehungen nachhaltig. Der PCI, aufbauend auf der polyzentrischen Lehre Togliattis der fünfziger Jahre sowie auf seinem starken Wähleranstieg in den Sechzigern, entwickelte allmählich eine neue, vom dominierenden Sowjetismus abweichende Ideologie, die in der darauffolgenden Dekade klare Konturen annehmen sollte. Die Niederschlagung des „Prager Frühlings“ ließ theoretische Divergenzen und politische Rivalitäten zwischen Ost- und Westkommunismus in Erscheinung treten und bereits bestehende Differenzen in Wirkung und Umfang noch sichtbarer werden. PCI und PCF befanden sich vor einem Wendepunkt in ihrer Geschichte. Letzterer billigte nach anfänglichem Zögern die militärische Intervention in der Tschechoslowakei und bekräftigte somit seine traditionelle prosowjetische Ausrichtung. Der PCI dagegen intensivierte seinen Dialog mit sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien Westeuropas, die von den Ostblockländern häufig als „US-Agenten“ diffamiert wurden⁵, und unterzog den Marxismus-Leninismus einer immer schärferen Kritik.
Hierzu u. a. Ralph Jessen, DDR-Geschichte und Totalitarismustheorie, in: Berliner Debatte Initial, 6 (1995) 4/5, S. 17– 24. Hierzu u. a. Ina Stephan, Aufstieg und Wandel der Parti Socialiste in der Ära Mitterrand (1971 – 1995), Opladen 2001; Fasanaro, La DDR e lʼItalia, S. 188; S. 198. Vgl. APCI, Sezione Estero, Microfilm 0308, Nota per il compagno Longo da Giorgio Signorini. PCI-„Genosse“ Signorini berichtet darin von seinem Gespräch im September 1969 mit Willy Brandt, Karl Schiller und Herbert Wehner von der SPD. Brandt merkte an, er wünschte sich sehr, dass die Bundesrepublik eine kommunistische Partei wie die italienische hätte, mit der die SPD
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Damit stellten die Italiener allmählich die Weichen für ihre später dann erreichte, außerordentliche Unabhängigkeit von Moskau. Die gewaltsame Beendigung des „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ in der Tschechoslowakei beschleunigte also den ideologischen und programmatischen Erneuerungsprozess beim PCI; die Voraussetzungen für eine solche Entwicklung waren jedoch schon seit geraumer Zeit gegeben. Die SED missbilligte diese abtrünnige Politik der Italiener ausdrücklich, brach aber ihre Verbindungen zu der westeuropäischen Großpartei nicht ab. Denn die Ostdeutschen rechneten sich von einer Intensivierung ihrer Beziehungen zu Rom, trotz aller ideologischen Differenzen mit den italienischen „Genossen“, vor allem eigennützige Vorteile aus. Dieser Strategie folgten sie in den siebziger Jahren in verstärktem Maße. Der PCF blieb aus Sicht der SED unterdessen ohnehin „auf Linie“, was aber wiederum nachhaltig für Unmut und Unsicherheit innerhalb der Parteibasis, vor allem unter Intellektuellen und Studenten, sorgte und letztendlich eine langanhaltende Phase des Niedergangs einläutete. Die damit kontrastierende Fähigkeit der Italiener zu erfolgreicher Selbsterneuerung entstand freilich nicht über Nacht. Die eigentlich dezentralisierte, seit Anfang der siebziger Jahre jedoch unter der unangefochtenen Leitung Berlinguers und seiner Entourage stehende Partei wurde von der neuen Garde konsequent auf die neue politische Linie eingeschworen. Die vom Generalsekretär forcierte politische Stoßrichtung führte u. a. einen Wechsel der Kader herbei. Eine hohe Mitgliederfluktuation etwa zur Mitte der siebziger Jahre, lässt den Schluss zu, dass der Vorstand massiv auf Verjüngung und „Verschlankung“ der bürokratisch-administrativen Parteistrukturen setzte.⁶ Die Rekrutierung neuer Mitglieder und Parteifunktionäre, die den „neuen Internationalismus“ der Parteiführung unterstützten, setzte einen Prozess fort, der im Grunde schon unter Togliatti eingesetzt hatte. Der ehemalige Generalsekretär hatte seinerzeit damit begonnen, systematisch Mitglieder anzuwerben, die konträr zur noch mehrheitlich leninistisch geprägten Parteileitung standen, um damit den Prozess der Erneuerung und Verselbstständigung gegenüber Moskau erst möglich zu machen. Berlinguer und seine Vertrauten gehörten selbst jener Riege an.⁷ Ein ähnlich gearteter Erneuerungsprozess war in Frankreich aus einer Vielzahl von Gründen nicht möglich gewesen. Der PCF war zwar in Wahlen stark und
über sehr viele Themen – Europa, Überwindung der Blöcke bzw. von veralteten politischen Systemen – übereinstimme. Vgl. hier S. 2. Hierzu siehe Mannheimer u. Sebastiani, L’identità comunista, S. 20 – 21. Vgl. Aldo Agosti, Togliatti negli anni del Comintern, S. 112 f.; ferner auch Giuseppe Chiarante, La fine del PCI: dall’alternativa democratica di Berlinguer all’ultimo congresso (1979 – 1991), Rom 2009.
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übte auch gesellschaftlich einen verhältnismäßig großen Einfluss aus⁸, er konnte sich aber zu keiner Zeit über den Status einer Massenkaderpartei hinausentwickeln, nicht einmal während jener Auseinandersetzung mit dem Ostblock, die mit der Teilnahme an der Linksunion von 1972 bis 1977 zusammenfiel. Weder Maurice Thorez noch Waldeck Rochet geschweige denn Georges Marchais gelang es, sich vom „Moskauer Joch“ zu befreien. Sie fielen immer wieder in unkritische Loyalität gegenüber der KPdSU zurück. Ihr Beschluss, mit dem PS ein Bündnis einzugehen, hing nicht mit der Intention zusammen, sich von der Einflusssphäre der Sowjetunion endgültig loszusagen. Er kann eher als Reaktion auf den politischen und sozialen Aufruhr des Jahres 1968 gedeutet werden, welcher ausgerechnet die kommunistische Partei in Mitleidenschaft gezogen hatte. Ins Gewicht fiel schließlich auch Opportunismus, mehr denn taktisch-ideologisch fundierte Überlegungen zur Vorbereitung eines neuen Kurses. Wie einschlägige Forschungen für den Fall des PCF überzeugend dargelegt haben, entwickelten sich die Parteiführung mit ihren festgefahrenen Ansichten und Leitbildern einerseits und die Masse der Mitglieder, die sich vornehmlich im lokalen Bereich engagierten, andererseits ab 1968 und in verstärktem Maße im Laufe der siebziger Jahre eindeutig auseinander. Darunter litten der innere Zusammenhalt und die politisch-soziale Identität der Partei.⁹ In diesem Kontext agierten Marchais und seine Vertrauten gleichsam auf einem Grat zwischen zwei auseinanderstrebenden Tendenzen und in einer Welt, die sich rasch veränderte. Hinzu kam die polarisierende Wirkung des PS, der gerade wegen der ideologischen Unbeständigkeit der kommunistischen Parteiführung sowie aufgrund des Charismas Mitterrands ab Mitte der siebziger Jahre zu einem unbequemen Konkurrenten wurde. Systematisch konnten die Sozialisten dem PCF auch in traditionell kommunistischen Milieus wie etwa in den Fabriken Wählerstimmen abwerben. Das „eurokommunistische“ Angebot aus Rom kam deshalb durchaus gelegen und wurde propagandistisch gern aufgegriffen; als darauf aber keinerlei ernstzunehmenden Maßnahmen folgten, nahmen die Ressentiments in den untergeordneten Kaderreihen nur noch zu. Die Beziehungen der beiden westeuropäischen Parteien zur SED gestalteten sich derweil konträr. Die Italiener ließen sich kaum noch zu „proletarischer So-
Vgl. Roger Martelli, L’empreinte communiste: PCF et société française, 1920 – 2010, Paris 2010. Hierzu liegt eine Fülle von Veröffentlichungen vor: siehe u. a. Bellanger u. Mischi (Hg.), Les territoires du communisme, darin insbesondere die Einleitung der Herausgeber, S. 9 – 23; ferner auch, im selben Band Thibault Tellier, Le Parti Communiste et la décentralisation ou comment appréhender le pouvoir local? (1971 – 1983), S. 91– 108 und Julian Mischi, Vers un parti d’élus. La réorganisation locale du PCF dans les années 1980 et 1990, S. 261– 285; Renaud Payre, Une Science communale? Réseaux réformateurs et municipalité providence, Paris 2007.
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lidarität“ hinreißen. Dennoch betrachteten SED-Beobachter die Annäherung des PCF zu Anfang der siebziger Jahre an die Doktrin des Eurokommunismus, welche sich vom Moskauer Führungsanspruch distanzierte, nicht als Bedrohung. Die „klassenmäßige“ Haltung der französischen Kommunisten und ihre besondere Verbindung zum „Realsozialismus“ fanden aus Sicht der SED in der dezidierten Zurückweisung der Europapolitik der italienischen „Genossen“ noch genug Niederschlag. Bezeichnend hierfür war die Erklärung des PCF-Vorstands vom Mai 1972, wenige Tage vor dem französischen Referendum zur „Nord-Erweiterung“ der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Hierin bezeichnete man die EWG als „kapitalistisches Instrument in den Händen westeuropäischer Großfirmen“. Die bei der Volksabstimmung erreichte, nur knappe Mehrheit zugunsten der Erweiterung hielt die SED für einen propagandistischen Sieg ihres westeuropäischen Verbündeten.¹⁰ Die ostdeutsche Staatspartei war zu jener Zeit völlig von ihrer Kampagne zur diplomatischen Anerkennung der DDR absorbiert. Ihre außenpolitischen Stellen, so auch die jeweiligen SED-Grundorganisationen in Paris und Rom, arbeiteten eifrig auf dieses Ziel hin. Von einem politischen Austausch auf höchster Ebene der Parteispitzen fehlt in den einschlägigen Archivalien jedoch jede Spur. Die Souveränität der DDR, so die einzige Hauptdirektive aus Ost-Berlin Anfang der siebziger Jahre, sollte unbedingt international durchgesetzt werden. Damit konnten aus der Sicht der Ostdeutschen besonders lukrative Handelsbeziehungen für die DDR mit Staaten im kapitalistischen Westeuropa angebahnt werden. Vor diesem Hintergrund des vorrangig ökonomischen Interesses der SEDSpitzenfunktionäre scheint die Frage berechtigt, ob der Umbruch des Jahres 1968 im trilateralen Rahmen überhaupt einen markanten Einschnitt bedeutete. Fest steht, dass die Ereignisse der ausgehenden sechziger Jahre die Dreiecksbeziehungen vor neue Herausforderungen stellten. Die SED, obgleich erst die spätere Anerkennung Anfang der siebziger Jahre zur Verankerung der DDR in der internationalen Staatengemeinschaft führte, profitierte zumindest schon jetzt von der sich hieraus ergebenden Festigung des Status quo hinsichtlich der „deutschen Frage“. Sie konnte nun damit beginnen, fruchtbare Westkontakte aufzubauen und zu pflegen, mit dem Ziel, dem Ostblock zum ideologisch-materiellen Sieg zu verhelfen. Wie Ulrich Pfeil betont:
Vgl. SAPMO-Barch, Internationale Verbindungen, DY/30/IV B 2/20/190, Übersetzung aus „L’Humanité“ vom 17. 05. 1972 – Gaston Plissonnier, Die gesamte Partei in eine umfassende politische Massenaktivität einbeziehen, und Diskussionbeitrag Georges Marchais, ZK-Tagung – Paris, 16. bis 18. Mai 1972.
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Die erfolgreiche Umsetzung dieser Zielsetzung sollte in den folgenden Jahren in erster Linie von zwei Faktoren abhängen: Erstens musste die DDR ihr politisches und wirtschaftliches Eigengewicht wahren, besser noch erhöhen, um sich im Westen als unumgänglicher Verhandlungspartner zu profilieren. Zweitens musste sie die Dialektik von so wenig Öffnung wie nötig, so viel Abgrenzung wie möglich sowohl gegenüber dem Ausland wie gegenüber der eigenen Bevölkerung als schlüssige Einheit auflösen, wenn sich diese Politik nicht auf beiden Ebenen gegen sie wenden sollte.¹¹
Dies bedeutet allerdings nicht, dass sich im Laufe der siebziger Jahre etwa politische Schnittmengen zwischen der SED und den Exponenten des Eurokommunismus gebildet hätten. Die Wahl des PCI als bevorzugter Ansprechpartner im Westen war ausschließlich taktischen Zwecken geschuldet und blieb ungeachtet der weiteren Abwendung der Italiener vom Marxismus-Leninismus bestehen. Dies änderte sich auch nicht, als die Meinungsverschiedenheiten zwischen PCI und SED (oder KPdSU) anlässlich der Krisen in Afghanistan und Polen unüberbrückbar erschienen. Die Italiener prangerten das sowjetische Vorgehen in beiden Regionen dezidiert an und ernteten daraufhin harsche Kritik vonseiten der KPdSU, welche die Reaktion der „Eurokommunisten“ als äußerst schädlich für den weltweiten Sozialismus verurteilte.¹² Der PCI, hieß es beispielsweise, teile dieselben Positionen wie der US-Präsident.¹³ Vor diesem Hintergrund fiel der Kontaktgestaltung der osteuropäischen Parteien mit „eurokommunistischen“ Partnern eine besondere politische Bedeutung zu. Denn in diesem Kontext ging es stets auch darum, Autorität und Ansehen des sowjetischen bzw. „real existierenden“ Sozialismus vor allerlei Diffamierungen, sei es durch die Regierungen und Demokratien der westlichen Welt, sei es sogar durch dortige kommunistische Parteien, zu verteidigen und zu bewahren. Honeckers Plan, der DDR über den Ausbau der Beziehungen zu westlichen Ansprechpartnern zu mehr Gewicht zu verhelfen, ging aber bekanntlich trotz aller Bemühungen im internationalen Rahmen nicht auf. Das Handelsdefizit mit dem westlichen Ausland nahm zwischen den späten siebziger und frühen achtziger Jahren im exorbitanten Maße zu. Die wirtschaftliche Erosion ging mit einer Verschlechterung des Dialogs zwischen Ost und West einher, der die Komitees für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit der sozialistischen Länder ab Mitte der achtziger Jahre konsequent entgegenzuwirken versuchten. Alles friedenspolitische Engagement konnte allerdings keine Verbesserung der offiziellen trilateralen Beziehungen auf Regierungsebene bewirken, was die Leitung der GOen der Pfeil, Die „anderen“ Deutsch-französischen Beziehungen, S. 632. APCI, Sez. Estero, Mikrofilm 8007, Lettera di Amerigo Terenzi a Giancarlo Pajetta, 20.06.1980, hier S. 3. APCI, Sez. Estero, Mikrofilm 8012, Lettera del KPdSU al PCI, 5.12.1980, S. 1.
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SED in Paris unmittelbar vor neue Herausforderungen stellte. Ost-Berlin erwartete nämlich die fristgemäße Erfüllung von diktierten Richtlinien sowie die Etablierung einer „harmonischen Zusammenarbeit“ zwischen Führungsstellen und GOMitarbeitern, worauf die Partei seit Anfang der achtziger Jahre großen Wert legte. Sie beabsichtigte damit potentiell subversives Verhalten und politische Dissonanz im Keim zu ersticken und die Belegschaft zu einer möglichst reibungslosen Anpassung zu zwingen. Kosten und Finanzierungsanträge sollten entsprechend gekürzt sowie Materialien und Ausrüstung, wie etwa technisches Zubehör, kontinuierlich reduziert werden. Dabei wurde kein Hehl daraus gemacht, dass die konsequente Durchführung solcher Maßnahmen der Maximierung politischer und insbesondere wirtschaftlicher Vorteile für die DDR diente, welcher absolute Priorität einzuräumen war. Materielle Förderung und Prämierung¹⁴ zählten zu den Mitteln der Wahl bei der energischen „Anerziehung“ von ideologischer Motivation und zur gezielten Leistungsoptimierung. Wie gesehen, zirkulierten ab 1985 Direktiven der ZK-Abteilung Westeuropa, die den inhaltlichen Umfang und die Kompetenzen der SED-Zuarbeit im Ausland festlegten. Die Hauptaufgabe der Funktionäre in der Botschaft der DDR in Paris, hieß es dort, sei „Kontaktarbeit“ zur Profilierung und Glorifizierung des Heimatlandes. Hierzu lag eine nach politischer Priorität und wirtschaftlicher Relevanz sortierte, ständig aktualisierte Liste der besonders zu fördernden Kontakte in Frankreich vor. Allmählich und vor allem aufgrund der sich verschärfenden finanziellen Krise der DDR entwickelte sich diese Kontaktpflege zu einer geradezu unverzichtbaren Maßnahme. Der Prozess der ergebnisorientierten „moralischen Erziehung“ untergeordneter Mitarbeiter sollte indes durch den Einsatz erfahrener Gewerkschaftsleiter und politischer Mitarbeiter gesichert werden. Der Rekurs auf Leistungsstimulation durch materielle Belohnung setzte sich dabei schnell durch und trug offenbar teilweise zur Steigerung der Arbeitseffizienz und Disziplin bei. Doch die vordergründige Stabilität des ostdeutschen Staates, die Honecker und seine Entourage u. a. angesichts diplomatischer „Erfolge“ wie etwa bilateraler Gespräche mit Mitterrand und Craxi für gegeben hielten, konnte nicht über die schleichende Erosion des überaus zentralistisch gesteuerten Regimes hinwegtäuschen. In vielen Fällen stockte die Verbindung zwischen den Botschaften der DDR und der Parteiführung in Ost-Berlin, wobei sowohl materielle als auch organisatorische Schieflagen eine entscheidende Rolle spielten. Als Folge machte sich in weiten Teilen der GOen das Gefühl breit, von den Vorgesetzten gleichsam
Vgl. u. a. SAPMO-BArch, Abteilung Internationale Verbindungen, DY/30/14293, Botschaft der DDR Paris. Abt. Int. Verbindungen, an Günter Sieber von Bibow, Paris 18. 2.1985.
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vergessen und vernachlässigt zu werden. Die Führungseliten waren sich dessen bewusst. Deshalb lancierten sie Aktionen zur Behebung der Problematik, doch fielen diese diffus aus und zeitigten keine nennenswerten Ergebnisse. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass angesichts solcher gescheiterten Versuche keine grundsätzlichen Korrekturen in den Verwaltungen der GOen in Rom und Paris vorgenommen wurden. Ganz im Gegenteil erhöhte die Parteileitung lediglich den Druck auf ihre Mitarbeiter in den Botschaften, um eine möglichst zügige und reibungslose Befolgung ihrer Direktiven sicherzustellen. Zu diesem Zweck scheute sie auch nicht davor zurück, ein regelrechtes Feindbild des Einsatzlandes zu konstruieren und zu vermitteln. Ziel war es dabei, das westliche Ausland als derartig gefährlich zu präsentieren, dass selbst oft nicht verstandene und umstrittene Parteibeschlüsse dennoch als sinnvoll oder angesichts der schwierigen Rahmenbedingungen zumindest als akzeptabel anerkannt würden. Immerhin, eine starke Konzentration auf Handelsaktivitäten konnte so zweifellos wie erwünscht durchgesetzt werden. Die erneut sich verschärfende Konfrontation zwischen Ost und West erschwerte die Beziehungen der SED zu ihren westlichen „Bruderparteien“ in den achtziger Jahren zusehends, wie der drastische Rückgang beim Delegations- und Besuchsaustausch mit italienischen, spanischen und französischen „Genossen“ verdeutlicht. Der Zusammenbruch des Eurokommunismus sollte die Verhältnisse ebenfalls nachhaltig beeinflussen. Die Krisen in Afghanistan und Polen hatten zudem der Geschlossenheit der spanischen und französischen Kommunisten sehr zugesetzt; beide Parteien waren intern zerrissen und ideologisch gespalten. War die „eurokommunistische“ Politik jeweils von einer viel zu dünnen Mehrheit getragen worden, kam es nun innerhalb der Parteien zu Zusammenstößen zwischen prosowjetischen Faktionen, gemäßigten Modernisierern und radikalen Erneuerern; dies führte oft zu Massenaustritten.¹⁵ Dem PCF drohte in der Folge Anfang der achtziger Jahre ein Absinken in der Wählergunst bis hin zur Bedeutungslosigkeit, was wiederum die SED zum Anlass nahm, ihre Verbindungen zum instabilen „Bruder“ zurückzuschrauben. Anders verhielt es sich mit dem PCI, der als zweitstärkste Partei Italiens eine etablierte Kraft und gleichzeitig eine nützliche Kontaktplattform zu den Sozialisten Frankreichs und den Sozialdemokraten Westdeutschlands sowie zur kontinentalen Friedensbewegung darstellte, und nicht zuletzt auch zur Apenninenhalbinsel selbst. Die Fokussierung der SED-
Baumer, Camaradas?, in: Bauerkämper u. Di Palma (Hg.), Bruderparteien, S. 205 – 206.
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Führung auf den PCI blieb somit bis zum Mauerfall im Rahmen des Prinzips der friedlichen Koexistenz konstant.¹⁶ Über die italienischen Kommunisten versprachen sich die Ost-Berliner Machthaber dauerhafte Verbindungen zu Regierungskreisen in Rom.¹⁷ Sie nahmen darüber hinaus die Verstärkung der bilateralen Beziehungen des PCI zum PS Frankreichs oder zur SPD mit sichtlicher Genugtuung zur Kenntnis. Angesichts der Ost-West-Spannungen und der beträchtlichen Verringerung des eigenen Spielraums hatte die SED im Rahmen des X. Parteitags im April 1981 beschlossen, ihre Bemühungen auf dem Feld der propagandistischen (Durchdringungs‐)Aktion und der Friedenspolitik zu intensivieren. Dazu boten sich besonders einflussreiche Ansprechpartner an, u. a. die französische Regierung, die trotz aller Gegensätzlichkeit durchaus auch Dialogbereitschaft zeigte. Die Konzentration auf die Friedenspolitik sollte die letzte Dekade der außenpolitischen Geschichte der DDR charakterisieren und die Wahl ihrer Kontakte bis zum Fall der Mauer weitgehend bestimmen. Ob dies jedoch als Zeichen für eine gewisse Autonomie gegenüber Moskau zu deuten ist, kann verneint werden. Im Zusammenhang mit den politischen Verbindungen der SED zu den beiden stärksten kommunistischen Parteien Westeuropas kam dies jedenfalls nicht zum Ausdruck. Das beträchtliche Interesse, auf das wiederum der PCI nicht nur in Ost-, sondern auch in Westdeutschland stieß, muss in höchstem Maße gerade seinem friedens- und sicherheitspolitischen Engagement zugeschrieben werden. Das
Vgl. APCI, Sez. Estero, Mikrofilm 8110, Relazione della delegazione del PCI (Cervetti, Cacciapuoti, Mechini) al X. Congresso della SED, Berlin 10. bis 16.04.1981, S. 6 – 7; APCI, Sez. Estero, Mikrofilm 8112, Verbale dei colloqui tra delegazioni della SED e del PCI, Rom 11.11.1981, S. 5; SAPMO-Barch, Büro Hermann Axen, DY/30/IV 2/2.035/14; 15 und 16. Die politisch-wirtschaftliche Rolle Italiens wie der DDR in der jeweiligen Bündnisallianz (der NATO bzw. der EWG; dem RGW bzw. dem Warschauer Pakt) wies de facto Analogien auf. Um die eigene Autorität als Regionalmacht an der geografischen Grenze des jeweiligen „Zugehörigkeitsblocks“ nicht zu gefährden, waren sie jeweils bemüht, ihren Spielraum und die sich daraus ergebenden Einflussmöglichkeiten bei der Konsolidierung des systemischen Status quo zu erhöhen. Mit anderen Worten: Ohne die Leitungsfunktion der USA bzw. der UdSSR in Frage zu stellen, trafen sie, oft im Widerspruch zu den Vorgaben höhergestellter Verbündeter, autonome Entscheidungen zur Wahrung nationaler Interessen. Dies vermag zu erklären, weshalb der wechselseitige Austausch die Konfrontationen des späten Kalten Krieges überstehen konnte. Er schrieb sich trotz der internationalen Krisen in Afghanistan 1979 – 80 und in Polen 1981– 83, der NATO-Nachrüstungsdebatte in Mitteleuropa in der ersten Hälfte der 1980er Jahre oder der ideologischen Differenzen zwischen der SED und dem PCI bezüglich des vorwiegend von Letzterem geförderten „Eurokommunismus“ bis zum Zusammenbruch des Staatssozialismus relativ unbekümmert fort. Dazu trug unweigerlich auch die „kleine Ostpolitik“ des von 1983 – 87 amtierenden italienischen Ministerpräsidenten Bettino Craxi bei. Hierzu siehe u. a. Piero Craveri, Lʼarte del non-governo: lʼinesorabile declino della Repubblica Italiana, Venedig 2016, hier S. 402– 422.
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Bekenntnis der italienischen Kommunisten zu einem „neuen Internationalismus“, der dem traditionellen „proletarischen Internationalismus“ entgegengesetzt war, verbanden westliche Beobachter mit einer grundlegenden Wandlung der Partei, die verstärkt Ende der siebziger Jahre eingesetzt hatte. SED-intern hielt sich der Enthusiasmus über diese internationalistische Friedenspolitik des PCI entgegen allerlei bilateralen Beteuerungen und Beschönigungen allerdings deutlich in Grenzen. Anlass zur Skepsis hatte u. a. ein Hinweis von Marchais auf vermeintlich subversive Dokumente des PCI geboten, die Ende Dezember 1981 veröffentlicht worden waren und angeblich darauf abzielten, den „Ostblock“ zu diskreditieren. Die politische Zielsetzung der Ostdeutschen war derweil zumindest auf dem Papier klar definiert: Nach außen hin sollten stets Solidarität und Einigkeit mit befreundeten, ideologisch übereinstimmenden „Bruderparteien“ demonstriert werden; gleichzeitig scheute die SEDFührung aber keineswegs vor einträglichen Geschäften sogar mit einflussreichen Kritikern zurück. Daraus ergab sich ein oft diffuses Bild ihrer Außenpolitik gegenüber Frankreich und Italien, wobei zwischen Verbindungen auf Regierungsbzw. Parteiebene zu unterscheiden ist. Ost-Berlin mied nämlich eine offene Frontstellung gegen etablierte Regierungskräfte in beiden westeuropäischen Ländern und erhoffte sich von regelmäßigen, freundlichen bilateralen Beziehungen langfristigen Nutzen, insbesondere im Handel.¹⁸ Angesichts der sich vertiefenden Wirtschaftskrise der achtziger Jahre folgte die DDR dieser Kusrichtung immer konsequenter. Auf die Gestaltung des politischen Austauschs der DDR mit den „Bruderparteien“ wirkten sich außerdem sowohl ideologische Verpflichtungen als auch die Machtstellung der Sowjetunion, welche Ausrichtung und Umfang der Verbindungen im Dreiecksverhältnis mit beeinflusste, regulierend, aber nicht durchweg hemmend aus. Als Vorbildfunktion und Führungsrolle der KPdSU innerhalb des Weltkommunismus schließlich abnahmen, ergriff die Ost-Berliner Parteileitung jedoch mehrfach die Initiative, um ihr eigenes politisches und wirtschaftliches Überleben zu sichern. Dieser Prozess verlief freilich keineswegs geradlinig, im Gegenteil: In seinem Verlauf gelangten etliche SED-Funktionsträger zu der ernüchternden Erkenntnis, dass die Krise der DDR und ihrer Staatspartei deutlich ernster war als vermutet. Auf der Suche nach Auswegen gerieten erneut die beiden einflussreichsten kommunistischen Parteien Westeuropas ins eigene Blickfeld. Dabei bezeugt der differenzierte Umgang mit PCF und PCI, der sich, wie hier beschrieben, bereits Ende der sechziger Jahre abzuzeichnen begonnen hatte, dass die sonst eher prinzipientreue SED einer pragmatischen Herangehensweise
Vgl. Pfeil, Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen, S. 574.
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gegenüber der strikten Befolgung marxistisch-leninistischer Dogmen häufig den Vorzug gab.
Perspektiven der Forschung Die Entwicklungswege des geteilten Kontinents verliefen nicht separat; sie waren vielmehr durch etliche Elemente der Beziehungs- und Wirkungsgeschichte miteinander verbunden. Dasselbe gilt ohne jeden Zweifel für die Geschichte der beiden deutschen Staaten und ihrer Außenverbindungen. In der jüngsten Vergangenheit ist mehrfach darauf hingewiesen worden, dass das Versprechen einer ausführlicheren und kritischen Verflechtungsgeschichte der DDR und der Bundesrepublik, das bereits in den neunziger Jahren u. a. von Christoph Kleßmann formuliert worden ist, noch nicht eingelöst wurde. Demzufolge sind zwar mehrere Versuche unternommen worden, beide Erzählungen miteinander zu verknüpfen, um Differenzen und Unterschiede auszuarbeiten: Die analytische Trennung in West- und Ost-Dimensionen hält sich dennoch hartnäckig.¹⁹ Der DDR-Forschungsboom der neunziger Jahre hat unverkennbar zur Wiederentdeckung und -belebung methodischer wie analytischer Zugänge zur Ausleuchtung der ostdeutschen Geschichte beigetragen; so sehr, dass sogar suggeriert wurde, sie sei nunmehr „überforscht“ und daher „uninteressant“ und überflüssig geworden.²⁰ Ein genauer Blick auf die Historiografie zum „zweiten deutschen Staat“ hat seit der Jahrtausendwende solche Ansichten jedoch weitgehend relativiert und eine beträchtliche Reihe an vernachlässigten Aspekten und Themen identifiziert, die dringend der vertieften wissenschaftlichen Betrachtung bedürfen. Einerseits fragt man dabei nach Desiderata der bisherigen DDR-Geschichte, d. h. nach ureigenen politischen, kulturellen und nicht zuletzt zivilgesellschaftlichen Dimensionen; andererseits hebt man auf die hohe Interdependenz eben jener Dimensionen mit Entwicklungen etwa der Bundesrepublik oder anderer europäischer Staaten dies- und jenseits des „Eisernen Vorhangs“ ab. Insbesondere die Frage der Verflochtenheit etwa mit der Geschichte des westdeutschen Staates, die mittlerweile in ihrer Relevanz unumstritten, jedoch in einigen Aspekten noch klärungsbedürftig ist, wirft ein Licht auf begriffliche sowie das damalige politische System betreffende Selbstverständlichkeiten, die so besehen keine sind: „Wir benötigen“, merkt Bernd Faulenbach zu Recht an, „von Vgl. Arnd Bauerkämper, Verflechtung in der Abgrenzung. Ein Paradox als Perspektive der historischen DDR-Forschung, in: Mählert (Hg.), Die DDR als Chance, S. 71– 78, hier S. 71– 72. Hierzu u. a. Bernd Faulenbach, Tendenzen, Verflechtungen und Kontexte der SED-Diktatur. Wieso die DDR-Geschichte ein interessantes Thema bleibt, in: Mählert (Hg.), Die DDR als Chance, S. 79 – 87, hier S. 79 – 80.
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Zeit zu Zeit eine Diskussion darüber, wie wir dieses politische System [die DDR] begrifflich fassen wollen.“²¹ Eine solche Diskussion diene vor allem dazu, die DDR-Geschichte treffend zu verorten, damit man sie im Rahmen ihrer Grenzen (Eigenschaften) und Möglichkeiten der Annäherung an andere Staaten und Organisationen (Verflechtungen und Transfers) angemessen erforschen könne. Freilich suche die fachliche Erörterung dieser Elemente noch nach adäquaten Möglichkeiten der Verständigung, stritten bedeutende Wissenschaftler über zu verwendende Interpretationsmuster und brauchbare Theorien. Die Anfang der neunziger Jahre geführte Kontroverse zwischen Horst Möller und Jürgen Kocka darüber, ob der Begriff „Totalitarismus“ zur Erfassung der DDR-Geschichte geeignet sei bzw. ob ein auf die Systeme bezogener Vergleich mit der NS-Herrschaft überhaupt angehe, dauert bis heute an und stellt ein beredtes Beispiel für die Komplexität des Themas dar.²² Mit Blick auf die DDR-Geschichte erweisen sich nach wie vor mehrere Fragen von enormer Bedeutung. Oft ist auf das noch nicht zur Genüge beleuchtete Abhängigkeitsverhältnis zwischen Akteuren und Handlungsspezifika oder auf noch ausstehende Erklärungen für gesellschaftliche Spielräume oder den sogenannten „Eigensinn“ hingewiesen worden. Gelten mittlerweile die Struktur und Funktionsmechanismen der Partei und ihrer Träger als ausführlich erforscht, so machen sich in Bezug auf den Themenbereich des Widerstands, sowohl in seiner organisierten als auch spontanen Form, noch Lücken bemerkbar. Faulenbach beispielsweise gibt diesbezüglich zu bedenken: Zu fragen ist nach Nischen der Gesellschaft und der Möglichkeit, in dieser Gesellschaft ‚Eigensinn‘ zu entwickeln. Inwieweit es partizipative Elemente etwa auf betrieblicher Ebene oder auch im wissenschaftlichen Raum gab, ist genauer als bisher zu betrachten, auch wenn es herrschaftsfreie Räume (bzw. herrschaftsfreie Diskurse etwa in der Wissenschaft) nicht gegeben hat. Ein hohes Maß an Kontrolle und – bei Überschreitung von Grenzen – Disziplinierung sowie Repression waren latent allgegenwärtig.²³
Komparative Zugriffe sind in verstärktem Maße während der letzten Dekade auf das „real sozialistische“ Ausland angewandt worden. Dadurch haben sich Historiker auf bedeutende Zäsuren in der Geschichte des SED-Staats konzentriert und zentrale Ereignisse und Entwicklungen mit jenen anderer osteuropäischer Länder verglichen. Dies betraf sowohl das politische (d. h. innen- wie außenpolitische) Mählert (Hg.), Die DDR als Chance, S. 80. Zu dieser Kontroverse siehe: Die Kontroverse zwischen Horst Möller und Jürgen Kocka, in: Deutscher Bundestag (Hg.), Materialien der Enquete Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“, Bd. IX, Baden-Baden 1995, S. 588 – 597. Faulenbach, Tendenzen, Verflechtungen und Kontexte der SED-Diktatur, S. 80 – 81.
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als auch das gesellschaftliche Spektrum: So entstanden jüngst mehrere Arbeiten über die Krise der späten achtziger Jahre aus deutsch-polnischer oder deutschtschechoslowakischer vergleichender Perspektive.²⁴ Auch gehörten und gehören dazu gleichsam naturgemäß Untersuchungen zum Einfluss der „Mutterpartei“ KPdSU auf die SED bzw. der Sowjetunion auf die DDR. Die althergebrachte Sicht, wonach Erstere mit ihren Vorgaben maßgeblich zur Entwicklung und Festigung der ostdeutschen Diktatur beigetragen hat sowie mit ihren Vorbildern die DDRGesellschaft von Anfang an definierte und prägte, scheint bestätigt²⁵ – obgleich Nischenanalysen, etwa über die Rolle der KPdSU bei der Zusammenarbeit der SED mit westeuropäischen Akteuren, bislang weiterhin ausblieben, wie in vorliegender Arbeit gezeigt werden konnte. Ähnliches gilt für Forschungen zu Zeiten tiefster Anspannung, etwa infolge der Reformen Gorbatschows.²⁶ Überlegungen zu einer solchen Verzahnung der DDR-Geschichte im Kontext ihrer Verbindungen zu politisch affinen Ländern, entweder im Rahmen eines Abhängigkeitsverhältnisses wie desjenigen zur Sowjetunion oder aber auf Augenhöhe mit anderen Partnern, machen eine nicht isolierte, vielmehr integrative Wahrnehmung und Untersuchung verschiedener Forschungsstränge beinahe unumgänglich. Dabei bieten sich für den „real sozialistischen“ Raum besonders nachhaltig wirkende Traditionen wie etwa der Diskurs des „Antifaschismus“ oder der „Großen Russischen Revolution“ von 1917 unmittelbar an, um darauf aufbauend ähnliche Entwicklungslinien, Solidaritätsdynamiken und nicht zuletzt Unterschiede zu verdeutlichen, die bis zum Mauerfall und manchmal sogar darüber hinaus aufrechterhalten wurden. Will man die DDR und ihre Staatspartei erschöpfend verstehen, so führt bei der Erörterung von Zäsuren und Tendenzen ihrer Geschichte kein Weg an der verflechtungsgeschichtlichen Perspektive vorbei. Der verflechtungsgeschichtliche Ansatz ermöglicht es, Blockaden und Öffnungen, Entspannung und Verhärtung der SED-Führung (also des Politbüros und des Zentralkomitees) und ihrer Politik besser zu begreifen, gleichzeitig auch Reaktionsformen der ostdeutschen Bevölkerung darauf zu erfassen und vergleichend zu analysieren. Wohlgemerkt: „Vergleichen“ bedeutet nicht etwa, forciert nach Ähnlichkeiten zu suchen oder diese gar zu konstruieren, sondern vielmehr das Aufspüren und Erklären von Rivalitäten, Animositäten aber auch möglichen
Vgl. Dierk Hoffmann / Michael Schwarz / Hermann Wentker, Die DDR als Chance. Desiderate und Perspektiven künftiger Forschung, in: Mählert (Hg.), Die DDR als Chance, S. 23 – 70, hier S. 49 – 50. Hoffmann / Schwarz / Wentker, Die DDR als Chance, in: Mählert (Hg.), Die DDR als Chance, S. 50 – 51. Vgl. Francesco Di Palma, Perestroika. The Demise of the Communist World?, in: Di Palma (Hg.), Perestroika and the Party, S. 1– 23.
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Schulterschlüssen innerhalb der DDR-Gesellschaft sowie zwischen ausgewählten Schichten und entsprechenden ausländischen Pendants. Dies scheint zudem für die nähere Erörterung der DDR-Außenbeziehungen zur „westlichen Welt“ und vor allem zu Westeuropa besonders bedeutsam, ein Forschungsfeld, das lange Zeit völlig außer Acht gelassen wurde. Die Gründe dafür waren eminent politischer und kultureller Natur. De Gaulles brüske Antwort auf Leonid Breschnew, der ihn 1966 zur Anerkennung der DDR aufforderte, mag dies exemplarisch verdeutlichen: „Die DDR ist Ihre Schöpfung, ein künstlicher Staat, dessen Anerkennung ohne Bedeutung oder praktischen Wert für die Politik ist […].“²⁷ Bis in die späten achtziger Jahre hingen die meisten westeuropäischen Historiker noch dieser Lesart an, was nur wenig verwundern dürfte. Dies galt vor allem für italienische und französische Wissenschaftler, die sich mit den ostdeutsch-italienischen und den ostdeutsch-französischen Beziehungen auseinandersetzten: Diese wurden in den allermeisten Fällen lediglich als den bundesrepublikanischen Verbindungen zu Frankreich und Italien untergeordnet angesehen und dementsprechend behandelt. Dass politische und kulturelle Verpflichtungen sowie politisch-moralische Abgrenzungsmechanismen des Kalten Krieges mit seiner Logik der Blöcke und den konkurrierenden Weltdoktrinen maßgeblich hierzu beitrugen, leuchtet unmittelbar ein. Auch die Geschichtswissenschaft stellte sich in den Dienst der einen oder der anderen Seite, um mithin die Überlegenheit des eigenen Modells unter Beweis zu stellen und gegen exogene Übergriffe zu sichern. „Bipolarität“, erklären Anne Kwaschik und Ulrich Pfeil einprägsam, „war nicht nur das Schlagwort, mit dem der Antagonismus zwischen Blöcken beschrieben wurde, sondern prägte als grundsätzliches Wahrnehmungsschema oder explizites Argument auch die Studien der Historiker.“²⁸ Spätere Historiker hatten sich deshalb vor allem seit dem Zusammenbruch des Ostblocks mit eingefahrenen Sichtweisen und vorgefertigten Deutungen auseinanderzusetzen. Sie wandten sich mithin einem Forschungskomplex zu, der gleichsam neu erschlossen werden musste: die wechselseitigen Wirkungen zwischen der allgemeinen Bipolarität der Welt und der Partikularität
Charles de Gaulle zit. nach: Gekühlter Rubin, in: Der Spiegel 27 (1966), hier S. 69; vgl. auch Kwaschik / Pfeil, Die DDR, darin die Einleitung, S. 11– 32, hier S. 18 – 19. Kwaschik / Pfeil, Die DDR, S. 20. Vgl. dazu außerdem u. a. Lutz Raphael, Geschichtswissenschaft im Zeitalter der Extreme. Theorien, Methoden, Tendenzen von 1900 bis zur Gegenwart, München 2003; Bernd Greiner / Christian Th. Müller / Dierk Walter (Hg.), Krisen im Kalten Krieg, Hamburg 2008; ferner auch Tobias Rupprecht, Die Sowjetunion und die Welt im Kalten Krieg: Neue Forschungsperspektiven auf eine vermeintlich hermetisch abgeschottete Gesellschaft, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 58 (2010) 3, S. 381– 399.
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der jeweiligen bi- und multilateralen Beziehungen der DDR zu ausländischen Partnern.
Die DDR und der Westen zwischen „Trug-“ und Abbild Seitdem ist eine beträchtliche Reihe an Studien erschienen, die sich mit den wechselseitigen Beziehungen der DDR zu anderen, insbesondere europäischen Ländern und den damit einhergehenden gegenseitigen Wahrnehmungen befassen. Die hier bereits mehrfach zitierte Monografie von Ulrich Pfeil über die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen (2004) genießt mittlerweile den Status eines Standardwerks und hat über den genuin wissenschaftlichen Ertrag hinaus unverkennbar zu einer Wiederbelebung des Sujets beigetragen. Vor allem aber konnte sie aufzeigen, wie unterschiedlich und mannigfaltig die DDR und die SED in Frankreich und im Allgemeinen in Westeuropa, sogar im sonst traditionell „Moskau-loyalen“ PCF, betrachtet und dargestellt wurden. Dies traf sowohl auf die Parteispitzen als auch auf „parteiferne“ Sphären zu, wie etwa den Bereich der lokalen und regionalen Kulturbeziehungen oder den der Städtepartnerschaften. Ähnlich verhielt es sich im nicht kommunistischen Spektrum, wo beispielsweise sogar Gaullisten nicht davor zurückschreckten, mit den Ost-Berlinern Geschäfte abzuschließen. Dadurch wurde der wissenschaftliche Blick für ebenso vielfältige wie oft unvermutete Facetten und Nuancen beständig geschärft. Dies warf und wirft gleichwohl bis heute Probleme auf, die auf das Verhältnis von Deutung und Gedeutetem unmittelbar abheben. Wie konnte ein solch milieuunabhängig differenziertes Bild der DDR und ihrer Staatspartei entstehen, wenn sich die etablierte Historiografie über den „monolithischen“ und äußerst „rigiden“ Charakter der SED-Diktatur meistens einig war? Wie vermochten SED- und DDR-Exponenten eingefahrene Deutungsmuster aufzubrechen oder gar zu überwinden, und dies offenbar sogar im Ausland? Und spielten dabei womöglich exogene Ideen oder Akteure eine Rolle? In der Rückschau fällt es schwer zu glauben, dass selbst westeuropäische außenpolitische Experten bis zum Mauerfall die Überzeugung teilten, dass die DDR zu den zehn stärksten Wirtschaftsmächten der Welt gehöre. Die spätere Nachricht von ihrem Staatsbankrott überraschte viele von ihnen regelrecht. Wie konnte es dazu kommen? Einerseits spielte sicherlich die auslandsinformatorische Arbeit der SED eine bedeutende Rolle, die letztlich Volumen und Aussichten der ostdeutschen Wirtschaft ad hoc manipulieren und nach oben korrigieren ließ; andererseits ergänzte und wandelte sich das „Trug-“ bzw. Abbild der DDR im Ausland je nach Beobachter und Beobachtungslage ständig. Auch Eingeweihte und DDR-Experten der „Bruderparteien“ wurden stark von publizistischer und mündlicher Propaganda beeinflusst. Dies trug augenscheinlich zur Festigung und
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Verbreitung verfälschter Bilder bei, die nicht der Realität entsprachen. Zwischen Mitte der siebziger und Ende der achtziger Jahre beispielsweise ging die italienische Öffentlichkeit offenbar davon aus, dass sich die DDR trotz der Rivalität mit der Bundesrepublik finanziell sehr gut halte und auf soliden Grundfesten stehe. Der PCI-Abgesandte Antonio Mola hielt nach einer Reise in die DDR in einer Note fest, dass es sich bei dem ostdeutschen Staat um ein „hochindustrialisiertes Land“ handele, dessen „Lebensstandards sehr hoch liegen“.²⁹ Der Corriere della Sera machte im Winter 1987, Alessandro Natta zitierend, darauf aufmerksam, dass „das Regime fest im Sattel sitzt, die Wirtschaft trotz einiger Fehler gut funktioniert; daher darf sich Honecker auch leisten, die Aufforderungen Gorbatschows zu Transparenz und Demokratie zu ignorieren […].“³⁰ Selbstverständlich stellte dies nicht die einzige Berichterstattung über den ostdeutschen Staat dar, sie war nichtsdestoweniger charakteristisch für seine in den populären Medien vorherrschende Deutung. Dass selbst SED-Insider und hochrangige Funktionäre, darunter offenbar Erich Honecker höchstpersönlich,³¹ bis zum bitteren Ende daran geglaubt zu haben scheinen, wirft ein Licht auf die Bedeutung von exportierter Selbstdarstellung und Konstruktion von Wahrnehmungen und Deutungen in der historischen Forschung sowie im Allgemeinen. Bei allen Meinungsverschiedenheiten über Nuancen und Facetten der DDRbzw. SED-Geschichte wird damit nämlich vor allem so viel deutlich, auch wenn diese Einsicht etlichen Zeithistorikern weiterhin widerstrebt: Dass politisches Handeln, so streng und reglementiert es auch sein mag, als Produkt von sozialen und kommunikativen Handlungen anzusehen ist, bei denen die Akteure ihre eigenen Überzeugungen und mental maps nicht unkritisch reproduzieren, sondern ständig anpassen und im Kontakt mit anderen erst recht neu generieren.³² Es soll ausdrücklich festgehalten werden, dass die Geschichte der DDR grundsätzlich aus zweierlei besteht: Aus einer Meistererzählung, die mehr oder minder besagt, dass der ostdeutsche Staat aufs Engste mit der Sowjetunion, aufs Untertänigste mit deren Schicksal verflochten war und über weite Strecken seines Bestehens als „Kohlhaas“ in der „real sozialistischen“ Hemisphäre dahinvege-
APCI, Sez. Estero, Busta 416, Fasc. 57, Nota di Antonio Mola a segreteria, Dez. 1976. Darin erklärt Mola telegrammartig: „Aufenthalt sehr angenehm, DDR ist ein hochindustrialisiertes Land, Lebensstandards sehr hoch und kaum von der kapitalistischen Krise erfasst […].“ Corriere della Sera, 16. 2.1987: „Esemplare è a questo proposito il caso della DDR. Il regime è solido, l’economia, nonostante palesi disfunzioni, funziona, perciò Honecker può permettersi di ignorare gli appelli di Gorbaciov alla trasparenza e alla democrazia […].“ Vgl. Marie Müller-Zetzsche / Ulrich Pfeil, Selbstbild und Fremdwahrnehmung im Wechselspiel. Vom DDR-Bild im westlichen Ausland, in: Mählert (Hg.), Die DDR als Chance, S. 157– 164, hier S. 157. Vgl. dazu u. a. Wulf / Göhlich / Zirfas, Sprache, Macht und Handeln, S. 9 – 24.
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tierte; sowie gleichzeitig aus vielen verschiedenen Nebenerzählungen, die von unterschiedlichsten Akteuren, ganz gleich ob Parteimitgliedern, angepassten Bürgern oder Oppositionellen, untereinander oder zusammen mit anderen Akteuren aus dem Ausland geteilt wurden und die nicht als reine Nebensache oder gar Lappalie abgetan werden dürfen.³³ Nicht zuletzt ist das vorliegende Werk eine exemplarische Studie über Möglichkeiten und Grenzen der Wirkungskraft der Sowjetunion bzw. des Sowjetkommunismus gegenüber den Kommunisten Europas. Die Gründung der Volksrepublik China unter der Leitung von Mao Zedong Ende 1949 verpasste der Geschlossenheit des Weltkommunismus einen harten Schlag. Denn das chinesische Modell übte eine ganz andere Anziehungskraft aus als das sowjetische – beispielsweise auf die Länder der sogenannten „Dritten Welt“.³⁴ Dem Sowjetkommunismus war de facto bereits seit den Anfängen eine problematische Dualität eingeschrieben: Das ursprüngliche Leninsche Vorhaben, den neuen, „kommunistischen Menschen“ zu erschaffen, warf die Frage auf, ob dies eher durch revolutionäre Maßnahmen oder ideologische Parteidisziplin realisiert werden solle – das sowjetische Vorbild erwies sich dabei sehr bald als kaum anderweitig übertragbar. Die durch die berüchtigten stalinistischen Schauprozesse und Säuberungswellen überschatteten frühen Nachkriegsjahre verstärkten den Graben zwischen sowjetischem und nicht-sowjetischem Kommunismus zusehends. Sie stifteten Ressentiments und ideologische Konfusion. Vor diesem Hintergrund wirkte das Erbe der jeweiligen antifaschistischen, nationalen kommunistischen Widerstandsbewegungen – etwa bei den italienischen, den französischen oder selbst bei den spanischen Kommunisten – mächtiger sowie länger nach und überwog jegliches Loyalitätsbekenntnis zur KPdSU und ihrer Staatsdoktrin. Mit dem Tod Stalins 1953 und dem damit einsetzenden Abbau des Kultes um den Diktator brachen Unruhen und Aufstände im sozialistischen Osteuropa aus. Zu den unmittelbaren Konsequenzen zählte u. a. die sowjetische Invasion in Ungarn 1956 oder 1968 in die Tschechoslowakei, was vielen Kommunisten den Glauben an die Vorbildrolle der UdSSR nahm. Stalins Nachfolger hatten die Be-
Vgl. Thomas Großbölting, Wiedervereinigungsgesellschaft. Aufbruch und Entgrenzung in Deutschland seit 1989/90, Bonn 2020. Spätestens seit der Bandung-Konferenz im April 1955, der ersten sogenannten asiatisch-afrikanischen Tagung, zu der keine Delegation aus der Sowjetunion eingeladen wurde, war klar geworden, dass die beiden größten kommunistischen Nationen der Welt, die UdSSR und China, um Welteinfluss wetteiferten. Siehe hierzu u. a. Shen Zhihua / Li Danhui, After Leaning to One Side: China and Its Allies in the Cold War, Stanford 2011; ferner Odd Arne Westad, The Global Cold War: Third World Interventions and the Making of Our Times, Cambridge 2005.
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deutung und den Einfluss des Nationalismus auf die jeweiligen kommunistischen Bewegungen – die während des Zweiten Weltkrieges eine starke Bindung zur Nation entwickelt hatten – maßlos unterschätzt. Angesichts der hegemonialen Politik der Sowjetunion schienen ihnen nationale Paradigmen als Vehikel weit nützlicher und wirksamer, um sozialistische Reformen zu bewerben und die „Masse der Werktätigen“ für sich zu gewinnen.³⁵ Dies vermag zu erklären, dass große kommunistische Traditionen und Parteien auch in (meist katholisch geprägtem) Westeuropa bzw. in parlamentarischen Demokratien, wo der Antikommunismus besonders verbreitet war, überlebensfähig blieben. Der Prozess der Entfremdung gegenüber dem Sowjetkommunismus verstärkte sich in den 1970er und 1980er Jahren in breiten Teilen des europäischen kommunistischen Lagers rapide, vor allem aufgrund der wirtschaftlichen Schwierigkeiten des „Ostblocks“.³⁶ Gleichzeitig stellte die fortschreitend wachsende Anziehungskraft der westeuropäischen supranationalen Organisationen auf die sozialistischen Länder Osteuropas – wovon viele später im Rahmen der EU-Erweiterungsrunden Mitglieder wurden – einen weiteren wichtigen Faktor zur Ablehnung des sowjetischen Vorbilds dar.³⁷ Der Kommunismus war schließlich eine weltumspannende Ideologie, die im Laufe des 20. Jahrhunderts Bewegungen und Parteien inspirierte, die sich beinah ausnahmslos an den jeweiligen nationalen und lokalen Kontexten orientierten. Trotz aller inter- bzw. transnationalen Kooperationsformen war er nie imstande, interne Widersprüche, kulturelle Unterschiede und Kommunikationsschwierigkeiten genau zu erfassen und auf diese gezielt zu reagieren – was allmählich zu einem schicksalhaften „Trouble“³⁸ für Moskau wurde. Die vorliegende Darstellung des trilateralen Beziehungsgeflechts zwischen der SED/DDR, dem PCF und dem PCI hat solche Unzulänglichkeiten aufgedeckt, erklärt und exemplarisch gezeigt.
Vgl. Pons, General Introduction, S. 1– 26; ferner auch Brigitte Studer, Stalinization: Balance Sheet of a Complex Notion, in: Norman LaPorte / Kevin Morgan / Matthew Worley (Hg.), Bolshevism, Stalinism and the Comintern: Perspectives on Stalinization, 1917 – 53, Basingstoke 2008, S. 45 – 65. Vgl. hierzu u. a. Mark Kramer, Soviet Society, Perestroika, and the End of the USSR, in: Di Palma (Hg.), Perestroika and the Party, S. 55 – 87; Pons, General Introduction, S. 1– 26; David Priestland, The Red Flag: A History of Communism, New York 2009. Vgl. Di Palma, Europa und die Kommunisten; Ruggenthaler, The Impact of Perestroika and Glasnost. Die Wahl des Terminus geht auf den Ersttitel dieser Studie, „Trouble for Moscow?“, zurück.
Quellen und Literatur I Zeitzeugeninterviews Antonio Rubbi (hochrangiger PCI-Funktionär und Außenminister im „Schattenkabinett“ seit der zweiten Hälfte der 1970er Jahre bis 1989) Michele Ingenito (in den 1970er und 1980er Jahren PCI-Auslandskorrespondent in Ost-Berlin) Jean-Pierre Brard (PCF-Mitglied und langjähriger Bürgermeister von Montreuil)
II Ungedruckte Quellen 1 Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisation der DDR im Bundesarchiv – Berlin Bestand: Abteilung Internationale Verbindungen: DY/30/IV B 2/20/12; 13; 14; 40; 44; 45; 46; 47; 48; 50; 56; 57; 58; 59; 60; 61; 92; 94; 107; 170; 187; 188; 189; 190; 191; 196; 197; 396; 423; 424; 479; 480; 490; 507; 508; 512; 579; 626; 658; 992; 997; 998; 1001; 1002; 1029; 1030; 1097; 1091 DY/30/11524; 11525; 11526; 11527; 11528; 11529; 11530; 11541; 11542; 11543; 11544; 11539; 11540; 11664; 11669; 11670; 12616; 12853; 12884; 12897; 14291; 14292; 14293; 14294; 14296; 14297; 14379; 14380; 14381; 14289; 14920 Bestand: Büro Hermann Axen: DY/30/IV 2/2.035 12; 14; 35; 76; 77; 78; 79; 80; 81; 86; 87; 92; 94; 95 Bestand: Büro Hager: IV B2/2.024/131; 139 Bestand: Kommission für Planung und Finanzen beim Politbüro: DY/30/IV 2/2.102 Bestand: Außenpolitische Kommission beim Politbüro: DY/30/IV 2/2.115; 10; 11; 12; 13; 14; 15; 16; 17; 18; 19; 26 Bestand: Büro Joachim Herrmann: DY/30/IV 2/2.037 101 Bestand: Büro Bruno Lamberz: DY/30/IV 2/2.033 79; 80 Bestand: DDR-Komitee für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit: DZ/22/1; 7; 21; 25; 28; 35; 37; 46; 47; 48; 49; 50; 51; 52; 53; 54; 55; 56; 57; 58; 59; 60; 61; 63; 67; 71; 72; 73; 74; 78; 79; 80; 82; 83; 84; 91; 92; 93; 94; 97; 99; 100; 101; 102; 104; 105; 109 Bestand: DDR-Komitee für Menschenrechte: DZ/7/71; 73
https://doi.org/10.1515/9783110748260-010
II Ungedruckte Quellen
589
Bestand: Handel, Versorgung und Außenhandel: DY/30/IV A 2/6.10 3; 79; 81; 113; 298; 301 Bestand: Liga für die Vereinten Nationen in der DDR: DZ/23/45; 46; 48; 65; 69; 142; 192; 193; 184; 185; 186; 187; 188; 189; 190; 191; 192; 193; 194; 195; 196; 197; 198; 199; 200; 201; 231; 232; 248; 249; 250 DY/13/1969b; 2000; 2003; 2064; 2068; 2069; 2567; 2568; 2914; 2915; 2565; 2595; 2909; 2917; 2919; 2926; 2927; 2930; 2933; Bestand: Deutscher Tag und Gemeindetag: DZ/4/7; 9; 246 Bestand: Volkskammer – Parlamentarische Freundschaftsgruppen: DY/1/ 12917; 12919; 12448; 12452; 12543; 12454; 12455; 13031 DA/1/ 12446; 12451; 13069; 13088; 14658; 16049 DY/30 11945; 11946; 11947; 11951 Bestand: Zentrale Revisionskommission: DY/30/IV A 3 12; 57; 58 Bestand: Nachlass Ildegard Gurgeit: NY 4589 4; 7 Bestand: Nachlass Hermann Axen: NY 4304 Bestand: Nachlass Franz Dahlem: NY 4072 Bestand: Nachlass Erich Honecker: NY 4167 Bestand: Nachlass Albert Norden: NY 4217
2 Politisches Archiv im Auswärtigen Amt – Berlin Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR (MfAA) Bestand: Außenpolitik – Außenpolitische Beziehungen: ZR 118/89; 119/89; 120/89; 123/89; 124/89; 129/89; 1200/87; 1210/87; 1495/83; 1499/83; 1506/83; 1507/83; 1508/83; 1509/83; 1517/83; 1659/84; 1663/84; 1668/84; 1671/84; 1722/86; 2293/84; 2294/84; 2301/84; 2315/84; 2481/82; 2511/82; 2509/82; 2510/82; 2519/82; 2550/82; 2552/82; 2553/82; 2555/82; 2556/82; 2557/82; 3016/81; 3017/81; 3018/81; 3884/81; 4812/90; 4828/90
590
Quellen und Literatur
3 Die Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) – Ministerium für Staatssicherheit (MfS) – Zentrale Archivstelle Berlin Bestand: Abteilung Auskunft (AU): 145/90 5 Bestand: Hauptabteilung I – (NVA und Grenztruppen): 15167; 15702; 19109 Bestand: Hauptabteilung II – Spionageabwehr: 33051/1/88; 27348; 31547; 34454; 40497 Bestand: Hauptabteilung VII (Ministerium des Innern): 2962 Bestand: Hauptabteilung IX – Untersuchungsorgan: 1268 Bestand: Hauptabteilung XX (Staatsapparat, Kultur, Kirchen, Untergrund): 22543 Bestand: Hauptabteilung XXII – Terrorabwehr: 1606; 5612/6 Bestand: Hauptabteilung Personenschutz (PS): 9367 Bestand: Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG): 8; 8257; 8292; 10950; 10952; 11015; 11016; 15563; 28437; 28532; 28914; 32030 Bestand: Arbeitsgruppe XVII (Besucherbüros West-Berlin): 3188; 4558 Bestand: Arbeitsgruppe XIX (Verkehr, Post, Nachrichtenwesen): 5282 Bestand: Sekretariat des Ministers: 399; 401 Bestand: Zentrale Koordinierungsgruppe (ZKG): 9979 Bestand: Zentraler Operativstab (ZOS): 3512; 3513
II Ungedruckte Quellen
4 Archives du Parti Communiste Français – Archives Départementales Seine-Saint-Denis in Bobigny Bestand: Polex: 307 J 1; 3; 58; 62; 63; 64; 66; 67; 103; 110; 116; 134 283 J 4 261 J 6/5 261 J 7/58; 96; 97; 99; 141; 142; 144; 146; 228 261 J 9 262 J 19/7; 8; 43; 44; 45 262 J 21/88; 89; 101; 102 Sonderakten: 261 J KKK J (Dossier) Bestand: France-RDA: 38 J 1; 2; 3; 4; 5; 6; 7; 8; 9; 10; 11; 11a; 12; 13; 14; 15 Bestand: Federation Seine-Saint-Denis: 261 J 27/98 Bestand: Archives Paul Laurent: 16; 22; 23; 27; 37 Bestand: Archives du Secretariat: 264 J 14; 17 Bestand: PCF et les Femmes: 261 J 7/44; 261 J 9 (Boite 6)
5 Archiv – Hôtel de Ville de Bobigny: Bestände: W899; W6865; W9652; W10346; W10348; W10350
6 Archiv – Mairie Montreuil: Bestände: Jumelage Montreuil-Cottbus (ohne Signatur)
7 Archiv – Mairie Aubervilliers: Bestände: Jumelage Aubervilliers-Rudolstadt (14Z 1)
591
592
Quellen und Literatur
8 Archivio del Partito Comunista Italiano (APCI) – Fondazione Antonio Gramsci – Rom Bestand: Fondo Enrico Berlinguer – Sezione Movimento Operaio Internazionale (Mov. Op. Int.): Heft 44 – 45; 55 (Fasz. 1 bis 5); 59 (Fasz. 2); 63; 74; 89; 102; 110 (Fasz. 1 bis 3); 113 (Fasz. 1 bis 4); 121; 123; 128; 129 (Fasz. 1; 2); 135; 139; 140; 146; 147; 157 (Fasz. 1; 4), 158; 160; 161; 164; 179; 182 – 185 Bestand: Fondo Enrico Berlinguer – Parlamento Europeo: Fasz. 2; 8; 95; 102; 110; 113; 123; 124; 128; 140; 152; 175; 182; 183; 185 Bestand: Fondo Giancarlo Pajetta: Fasz. 26; 41 – 48 Bestand: Fondo Alessandro Natta: Fasz. 45 – 50 Bestand: Fondo PCI – Sezione Estero (Sez. Est): Mikrofilm (Mf.) 071; 0162; 0308; 0552; 0553 Bestand: Fondo PCI – Sez. Est. – Francia: Mf. 071 Bestand: Fondo PCI – Sez. Est. – Germania RFT: Heft 219 (Fasz. 268) Bestand: Sez. Est., Germania RDT: Heft 59 (Fasz. 44; 45); 76 (Fasz. 194; 195); 143 (Fasz. 239); 219 (Fasz. 265); 256 (Fasz. 172) Busta 292 (Fasz. 25); 322 (Fasz. 61 – 63); 326 (Fasz. 116); 354 (Fasz. 108 – 109); 361 (Fasz. 48 – 49); 365 (Fasz. 112); 368 (Fasz. 148 – 150); 383 (Fasz. 220); 396 (Fasz. 3); 405 (Fasz. 169); 415 (Fasz. 25); 416 (Fasz. 55 – 58); 422 (Fasz. 117); 426 (Fasz. 129); 432 (Fasz. 158); 450 (Fasz. 212); 454 (Fasz. 232); 465 (Fasz. 110 – 115); 469 (Fasz. 1); 476 (Fasz. 23 – 26); 500 (Fasz. 148); 521 (Fasz. 8); 522 (Fasz. 65); 554 (Fasz. 123); 555 (Fasz. 128); 801 (Fasz. 225) Mf. 043 – 046; 048; 051 – 058; 065; 070 – 074; 076; 078; 080 – 084; 0159; 0161 – 163; 0201 – 0212; 0227; 0228; 0239 – 0243; 0281; 0297; 0298; 0304; 0308; 0309; 0310; 0317; 0322; 0330; 0331; 0365; 0398; 0400; 0410; 0411; 0427; 0438 – 0440; 0466; 0467; 0486 – 0488; 0497; 0504; 0506; 0507; 0512; 0552; 0553; 0559; 0567; 8002; 8005; 8007; 8010; 8011; 8012; 8109; 8110; 8111; 8112; 8201; 8202; 8411; 8412; 8607 Bestand: Comitato Centrale (CC): Mf. 003; 017; 020 – 032 Bestand: Archivio federazione femminile: Busta 7; 9; 12; 25; 44; 64; 174; 81; 154 Bestand: Organizzazione giovanile FGCI: Mf. 070; 071; 083; 0163; 0358; 0476
II Ungedruckte Quellen
593
9 Institut dʼHistoire Sociale – Confédération générale du travail – Paris Bestand: Fonds des Relations entre la Confédération Générale du Travail et la Confederazione Generale Italiana del Lavoro: 36 FD 1 – 8 Bestand: Europe: CFD 116 (Italie); 5 CFD 123 – 125 (RDA; RFA)
10 Archivio Confederazione Generale Italiana del Lavoro (CGIL) – Rom Bestand 01: Archivio Confederale: 2; 5 Bestand 02: Fondo Luciano Lama: 1 – 3; 6
11 Archivio Storico del Comune di Firenze (ASCF) – Florenz Bestand: Gemellaggio Firenze-Dresda: Busta 302
12 Landesarchiv Berlin Bestand: Bezirksleitung Berlin der SED: C-Rep. 902 – 02 Bestand: Nachlässe und Personenfonds: C-Rep. 902 – 02; 03
13 Brandenburgisches Landeshauptarchiv (BLHA) – Potsdam Bestand: Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) – Bezirksparteiarchiv Potsdam (Rep. 530): 9. Internationale Verbindungen (5420; 9836) Bestand: Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) – Bezirksparteiarchiv Cottbus (Rep. 930): 9. Internationale Verbindungen (2725; 2727)
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Quellen und Literatur
14 Universitätsarchiv Potsdam Bestand: Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR, 1949 bis 1989/90: Kaderreferat; Institut für Internationale Beziehungen; Direktorat für Kader und Qualifizierung; Direktorat für Auslandsverbindungen
15 Russisches Staatsarchiv für Zeitgeschichte (RGANI), Moskau Bestand: Fond 5 (Apparat des ZK der KPdSU) Bestand: Opis (Verzeichnis) 50 Bestand: Abteilung für Beziehungen zu den kommunistischen Parteien der kapitalistischen Länder, 51 Bestände: Fond 80 (Leonid Breshnew) und Fond 81 (Michail Suslow)
III Gedruckte Quellen Archiv der Gegenwart (fortan AdG), 30308. Berlinguer, Enrico, I discorsi parlamentari (1968 – 1984), Rom 2001 (herausgegeben von Maria Luisa Righi). Dokumente zur Deutschlandpolitik, hrsg. vom Bundesministerium des Innern und vom Bundesarchiv. Gorbatchow, Michail, Mémoires, Paris – Monaco 1997. Herrmann, Frank-Joachim, Der Sekretär des Generalsekretärs. Honeckers persönlicher Mitarbeiter über seinen Chef. Ein Gespräch mit Brigitte Zimmermann und Reiner Oschmann, Berlin 1996. Honecker, Erich, Mit dem Blick auf den XII. Parteitag die Aufgaben der Gegenwart lösen, in: Dokumentation. Zur 7. Tagung des ZK der SED, abgedruckt in: Deutschland Archiv, Nr. 2/ 1989. Honecker, Erich, Reden und Aufsätze, Bd. I, Berlin (Ost) 1975. Intervista con Massimo DʼAlema, in: Repubblica, 4. 7. 1987. Judt, Matthias (Hg.), DDR-Geschichte in Dokumenten. Beschlüsse, Berichte, interne Materialien und Alltagszeugnisse, Berlin 1998. Juquin, Pierre, Autocritiques, Paris 1985. Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas. Dokumente und Reden, Berlin 1976. Kohl, Helmut, Erinnerungen 1982 – 1990, München 2005. Krenz, Egon Herbst ʼ89: mit einem aktuellen Text, Berlin 2009. Maggiorani, Mauro u. Ferrari, Paolo (Hg.), L’Europa da Togliatti a Berlinguer: testimonianze e documenti 1945 – 1984, Bologna 2005. Marchais, Georges, Démocratie, Paris 1990. Materialien der Enquete-Kommission 1995, Deutschlandpolitik, Bd. V/2. Modrow, Hans, Das Große Haus von Außen, Berlin 1996.
IV Literatur
595
Rede von Egon Krenz, Kommuniqué der 9. Tagung des ZK der SED, abgedruckt in: Deutschland Archiv, Nr. 11/1989, S. 1306 – 1310. Wolf, Markus, Die Kunst der Verstellung. Dokumente, Gespräche, Interviews, Berlin 1998. Zimmermann, Brigitte u. Schutt, Hans-Dieter (Hg.), OhnMacht. DDR-Funktionäre sagen aus, Berlin 1992. Zehn Jahre Deutschlandpolitik. Die Entwicklung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik 1969 – 1979, hrsg. vom Bundesministerium für Innerdeutsche Beziehungen, Bonn 1980.
IV Literatur Abraham, Nils, Die politische Auslandsarbeit der DDR in Schweden: zur Public Diplomacy der DDR gegenüber Schweden nach der diplomatischen Anerkennung (1972 – 1989), Berlin 2007. Acquaviva, Gennaro u. Gervasoni, Marco (Hg.), Socialisti e comunisti negli anni di Craxi, Venedig 2011. Adolphi, Wolfram, Kaderpartei. Skizze für ein HKWM-Stichwort, in: Utopie Kreativ, 193 (2006), S. 982 – 994. Aga-Rossi, Elena u. Zaslavsky, Victor, Togliatti e Stalin. Il PCI e la politica estera staliniana negli archivi di Mosca, Bologna 1997. Agde, Günter (Hg.), Kahlschlag. Das 11. Plenum des ZK der SED. Studien und Dokumente, Berlin 1999. Agosti, Aldo, Il partito provvisorio: storia del PSIUP nel lungo Sessantotto italiano, Rom 2013. Agosti, Aldo, Togliatti negli anni del Comintern: (1926 – 1943); documenti inediti dagli archivi russi, Rom 2000. Agosti, Aldo, Storia del Partito Comunista Italiano 1921 – 1991, Rom 1999. Ahrens, Ralf, Gegenseitige Wirtschaftshilfe? Die DDR im RGW. Strukturen und handelspolitische Strategien 1963 – 1976, Köln 2000. Aktrichter, Helmut, Russland 1989. Der Untergang des sowjetischen Imperiums, München 1989. Albers, Detlef, Kapitalistische Krise und Strategien der Eurolinken. Fragen einer sozialistischen Politik in Westeuropa, Berlin 1982. Albers, Detlef (Hg.), Perspektiven der Eurolinken, Frankfurt a. M. 1981. Alberti, Vittorio V. (Hg.), La DC e il terrorismo nell’Italia degli anni di piombo: vittime, storia, documenti, testimonianze, Soveria Mannelli 2008. Ålsund, Anders, Gorbachev’s Struggle for Economic Reform, New York 1991. Amadè, Emilio Sarzi, Le dieci accuse del Comitato di Pechino, in: Rinascita, 23. 07. 1966. Amyot, Grant, La via italiana al riformismo. Il Pci e il nuovo corso di Occhetto, in: Catanzaro, Raimondo u. Nanetti, Roberta Y. (Hg.), Politica in Italia. I fatti dell’anno e le interpretazioni, Bologna 1989, S. 132 – 152. Amyot, Grant, The Italian Communist Party. The crisis of the Popular Front strategy, New York 1981. Ammer, Thomas, Strukturen der Macht – Die Funktionäre im SED-Staat, in: Weber, Der SEDStaat, S. 199 – 232.
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Quellen und Literatur
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Index Abteilung für Internationale Verbindungen (SED) 10 f., 23, 80, 96, 108, 184, 186, 193, 202, 480, 544 – 546, 549, 552 – 554, 556 – 559 Adenauer, Konrad 60, 148 Afghanistan 9, 17, 20, 24, 198, 271, 297, 301, 307, 313, 321, 323 – 329, 331, 333, 344, 346, 348 f., 357 f., 369, 428, 433, 440, 452, 454 f., 460, 468, 470, 473, 477, 485, 525, 575, 577 f. Agence France Presse (AFP) 507 Agitationskommission des Politbüros 83 Aktion Zukunft 250 Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst (ADN) 118, 449, 506 f. Althusser, Louis 426 Altvater, Elmar 260 Amasio, Giuseppe 471 Amendola, Giorgio 115, 138 – 140, 172, 320 Anarchie 34 Andreotti, Giulio 213, 253, 286, 295, 437 f., 485, 532, 571 Andropow, Juri 248 Ansart, Gustave 172 Antifaschismus 72, 489, 506, 582 Antisowjetismus 203, 228 f., 233, 269, 328 Antonicelli, Franco 83, 92, 111 f. Archives Départementales de la Seine-SaintDenis 37 Arvidson, Stellan 113 Asensi, François 407 f. Assemblée Nationale 70 Association des Maires de France (AMF) 446 Association France-RDA 24 f., 122, 386, 393 f., 447 f. Associazione Italia-RDT 24, 122, 242, 486 Associazione Ricreativa e Culturale Italiana (ARCI) 293 Aubervilliers 25 f., 104, 283, 384, 392, 394, 448, 460 – 464, 510, 591 Axen, Hermann 14, 83, 100 f., 113, 118, 120 f., 148, 152 f., 155 f., 168, 182 f., 185 – https://doi.org/10.1515/9783110748260-011
188, 196, 199, 208, 228, 233, 255 f., 260, 287, 328 f., 331 f., 358, 362, 377, 382, 395 – 397, 470, 546 f., 565, 578, 588 Azcarate, Manuel 292 Bad Godesberg 64, 147 Badia, Gilbert 122, 447, 449, 494 Bagnolet 25, 104, 394, 448 Bahr, Egon 40, 54, 58 f., 154 Bahro, Rudolf 341 Baldassi, Enzo 214 Barbieri, Frane 178 f., 241 Barca, Luciano 89, 136, 138, 363 Barcelona 192, 288 f. Bari 173, 356, 552 Barontini, Anelito 90 Bassolino, Antonio 561 Bauer, Leo 40, 54 – 56, 58 f. Bayens, Maurice 503 Bayle, Henry 329 Beil, Gerhard 149 f., 412 – 416 Benetello, Antonio 548 f. Benvenuto, Giorgio 307 – 309 Bérégovoy, Pierre 388, 414 f. Bergien, Rüdiger 32 Berliner Ensemble 493 Berliner Mauer 7, 465, 493, 533, 559, 571 Berlinguer, Enrico 2 f., 8, 15 f., 36, 40, 44 f., 47, 50, 54 f., 58 – 60, 74, 100 – 102, 119, 125 f., 135 – 138, 140, 143, 152, 160, 165, 167, 170, 173 – 177, 179, 182, 187 f., 190 – 193, 202 f., 210 – 214, 216 f., 221, 223 f., 237 – 240, 242, 244 – 247, 250, 252 f., 267 f., 274, 281, 284 f., 288 – 290, 292, 297, 307 f., 318 – 320, 323 – 325, 334 – 337, 348, 358 – 361, 363 – 365, 368 f., 374, 376 f., 382 f., 385, 389, 437, 440 – 442, 444, 524 f., 527, 531, 534, 554 f., 561, 565, 572, 592 Berlinkrise 82 Berlusconi, Silvio 533 Bertrand, Mireille 140
Index
Berufsverbote 262 f. Bezirksleitung 38, 378, 540, 593 Bianchi Bandinelli, Ranuccio 483 Bidou, Jacques 390 Biermann, Wolf 238 – 240, 269, 271, 273, 339, 423 Biľak, Vasiľ 103 Billancourt 18, 520 Billères, René 62 Billoux, François 71 Blanton, Tom 512 Bloch, Jean-Pierre 107, 447 Blockparteien 22, 146, 501, 536, 563 Bobigny 25 f., 37, 384, 394, 447, 450 – 454, 591 Boccara, Paul 172 Bock, Siegfried 84, 205, 446 Boffa, Giuseppe 245, 291, 407 Bohley, Bärbel 423 Böhm, Joachim 239 Boleto, Luciano 469 Bonner Regierung 40, 59, 65, 86, 158, 278, 282, 419, 482 f., 497, 505 f. Bord, Andre 275 Bordu, Gérard 172, 175 Bossus, Raymond 107, 447 Bottigelli, Emile 494 Boucheny, Serge 388 Bourgeoisie 69, 123, 172, 230, 248, 315, 434 Brambilla, Michele 183 Brandt, Willy 55 f., 59, 65, 114, 133 f., 148 f., 156 f., 176, 184, 239, 244, 258, 325, 335 f., 361, 364 f., 367, 389, 505, 555, 571 – Ostpolitik 44, 54, 59, 62, 93, 98, 114, 116, 133, 153 f., 157 f., 165, 202, 224, 266, 578 Brard, Jean-Pierre 24 f., 36, 447 f., 456 Brasch, Horst 94 Brecht, Bertolt 493 Breschnew, Leonid – Breschnew-Doktrin 21, 49, 52, 74, 99, 102, 105, 125, 133, 137, 235, 259, 279, 373 f., 420, 512, 537, 583 Brescia 267 Bressand, Jean-Marie 91, 214, 446 f.
631
Bretton-Woods 138, 173 Brunner, Walter 152, 415 f. Buci-Glucksmann, Christine 317, 426 Bufalini, Paolo 118, 333, 374, 378 Bühring, Günter 404 Bukarester Deklaration 200 Bukowski, Wladimir 186, 233 Bulletin dʼInformation 502 Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) 37 Caccavale, Romolo 55 Cacciapuoti, Salvatore 17, 357 f., 578 Camera del Lavoro 302 Cardia, Umberto 155 Carettoni Romagnoli, Tullia 24, 160 Carrillo, Santiago 3, 179, 183, 187, 189 – 192, 246, 265, 268, 281, 288 f. Carter, Jimmy 278 f., 286, 321 f., 394, 470 Casadio, Lauro 160 Castellan, Georges 503 Cavalli, Carlo 468, 471 CDU (Christlich Demokratische Union Deutschlands) – CSU (Christlich-Soziale Union in Bayern) 54, 59, 65, 113, 158, 218, 240, 252, 266, 367, 475, 485 Ceaușescu, Nicolae 127 Centre National du Commerce Extérieur 121 Centro Thomas Mann 160, 480, 482 – 485, 488, 494 Ceravolo, Domenico 152 Cercle Heinrich Heine 493 CERES 219, 257, 311 Cermolacce, Paul 172 Černík, Oldřich 142 Černý, Václav 105 Cervetti, Giovanni 17, 210, 260, 325 f., 357 f., 389 – 391, 475, 578 CeSPI (CentroStudiPoliticaInternazionale) 139, 239 Chaban-Delmas, Jacques 123, 152, 327 Charta von Paris für ein neues Europa 514 Chatagner, Jacques 447 Chatelet, Albert 495, 503
632
Index
Chauvinismus 300, 428 Chevènement, Jean-Pierre 258 Chiarante, Giuseppe 437 f., 441, 527 f., 530, 533 f., 560 – 562, 572 Chiaromonte, Gerardo 141 Chirac, Jacques 228, 254, 384, 435 Chruschtschow, Nikita 85, 88, 558 – Geheimrede 72 Churchill, Winston 511 Cossutta, Armando 100, 103, 155, 168, 274, 376 f., 383, 441, 445, 525, 531, 560 f. Cruise 137, 321, 344, 363, 378 DC (Democrazia Cristiana) 90, 145, 169, 174, 212 f., 235, 245, 249, 253 f., 259 f., 285 f., 294 f., 319, 356, 385, 437 – 440, 465 f., 471, 477 f., 508, 524 – 526, 529 – 532, 549, 566 de Gerloni, Beatrice 241 De Martino, Francesco 246 De Pietri, Gerard 172 Debedel, Claude 170, 282 Dechet, Jean 393 DEFA (Deutsche Film AG) 240 della Volpe, Galvano 481 demokratische Alternative 437 demokratischer Zentralismus 280, 293, 355, 390, 440, 461, 515, 562 Deniaus, Jean-François 436 Denis, Jacques 1, 24 f., 104 f., 113, 121, 140, 171 f., 177, 202, 226, 235, 249, 262, 264, 282, 346, 386, 391 – 394, 407 f., 430, 447 f., 450, 462, 495, 516, 520, 591 DENOG (Deutsch-Nordische Gesellschaft) 499 Der Spiegel 89 f., 235, 270 – 272, 327, 385, 583 Dernières Nouvelles dʼAlsace 281 Dertinger, Georg 78 Desazar, Jean 352 Détente 74, 131, 137, 165, 182, 226, 277 f., 321, 511 DEU-LAG (Deutsch-Lateinamerikanische Gesellschaft) 499 Deufra (Deutsch-französische Gesellschaft) 449, 500 – 502
DEUSASIG (Deutsch-Südostasiatische Gesellschaft) 499 Deutsch-Afrikanische-Gesellschaft (DAFRIG) 499 Deutsch-Arabische-Gesellschaft (DAG) 499 Deutscher Freiheitssender 904 115 Deutschland-Archiv 364 Di Prisco, Giuseppe 92 Dietz Verlag 156, 169, 237 DIG (Deutsch-Italienische Gesellschaft) 485 f. Diktatur des Proletariats 143, 202, 228, 230 – 232, 248, 262, 312, 386, 426, 430 Dissidenten 39, 47 f., 112, 185, 232 f., 237, 269, 271, 275, 327, 383, 424, 493, 563 DKP (Deutsche Kommunistische Partei) 3, 57, 115 f., 144 f., 180, 183, 218, 236 f., 263, 282, 383, 507, 556, 558 Doernberg, Stefan 147 Dresden 25, 91, 101, 169, 236, 344, 378, 445, 475 f., 540 f., 551, 564 Dreyfuss, Sylvain 262 Dritte Welt 21, 53, 349, 586 dritter Weg 2, 31, 182, 191, 194, 266, 284, 290, 292, 313, 318 – 320, 331, 347, 358, 368, 374, 377, 441, 443, 529, 531, 534, 560, 564 Droz, Jacques 503 Dubček, Alexander – Sozialismus mit menschlichem Antlitz 68, 97 – 100, 142 Dubedout, Hubert 455 Duclos, Jacques 71, 75, 105 Durand, Pierre 120 Dutschke, Rudi 270 Eberlein, Werner 551 Échanges Franco-Allemands (EFA) 24, 447, 458 Echo dʼAllemagne 501 Éditions Sociales 169 Editori Riuniti 156 EG 22, 115, 244, 288, 348, 392, 396 f., 512 – 514, 553 Ehmke, Horst 240, 292, 364 Eigen-Sinn 23, 26, 33 Einheit 100
Index
Einheit in der Vielfalt 48, 65, 101, 180, 274 Einmarsch 13, 92, 96, 101 f., 201, 262, 271, 297, 300, 313, 348, 428, 454 Eiserner Vorhang 21, 29, 50, 201, 224, 398, 446, 483 Elleinstein, Jean 16, 186, 232, 266, 426 Élysée-Vertrag 60, 64 Eppelmann, Rainer 423 f. Erfurt 114, 134, 304 – 306, 361 Estier, Claude 148 f., 216, 219 Etatismus 314 f. Eureka (Projekt) 397 Euro-Linke 553 Eurogauche 369 Eurokommunismus 1 – 3, 8 – 10, 14 – 17, 20 – 22, 24, 41, 50, 54 f., 82, 127, 131, 136, 143, 162, 165, 175, 178 – 182, 184, 186 – 192, 196, 202, 204, 217, 221, 230, 237, 239 f., 243, 245, 247, 259 – 261, 264 – 267, 274, 281, 284 f., 288 – 290, 292, 296, 311 f., 319, 323, 328, 330 f., 333, 347 f., 355, 358 f., 369, 389, 393, 408, 428, 525, 534, 553, 555, 574 f., 577 f. Europäischer Gewerkschaftsbund (EGB) 294 Europaparlament 20, 43, 172, 176, 181, 225, 230, 255, 262, 282, 287 f., 297, 320 EWG 1, 22, 44, 53, 63 f., 66, 83, 85, 124, 140 f., 149, 152, 158, 173, 175, 190, 197, 218, 226, 246, 250, 253, 282, 312, 319, 330, 513, 574, 578 – Erweiterung 17, 56, 138, 162, 282 – Norderweiterung 150 Fabius, Laurent 387 f., 408 – 410, 412, 414 f. Fabre, Robert 216 Falin, Valentin 558 Fall Ranković 46 Fanfani, Amintore 235, 252, 439 Faulenbach, Bernd 580 f. Faure, Edgar 275 f. FAZ (Frankfurter Allgemeine Zeitung) 101, 161, 217, 244, 341 FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund) 24, 107, 297 – 307, 309, 387, 405, 458, 473
633
Fédération de la Gauche Démocrate et Socialiste (FGDS) 61, 96 Federazione Giovanile Comunista Italiana (FGCI) 135 Feist, Manfred 83, 94, 169, 552 FGDS (Fédération de la gauche démocrate et socialiste) 61 – 63, 66 f., 96 FIAT (Federazione Italiana Automobili Torino) 159, 224, 307 Fibbi, Lina 116, 170 f., 176 f., 218, 262, 324 f. Figaro 217, 248, 322 FILEF (Federazione italiana dei lavoratori emigrati e famiglie) 123 FILMALPHA 240 Finaud, Marc 352 Finnland 54, 85, 465, 546 Finocchiaro, Beniamino 92 Fischer, Oskar 227, 365 f., 416 Fiszbin, Henri 103, 254 Fiterman, Charles 175 f., 246, 280, 433, 522 Fleck, Werner 256, 372, 387, 404 FLN (Nationale Befreiungsfront Algerien) 331 Florenz 6, 25, 91, 143, 145, 236, 444, 473, 475 f., 479, 528, 533, 552, 593 Florin, Peter 84 force de frappe 267, 330, 557 Forlani, Arnaldo 259, 438, 532 Fossé, Roger 170, 275 f. Frachon, Benoît 70 France Nouvelle 232, 317, 426 Franco-Regime 164 Franco-Spanien 164 François-Poncet, Jean 388 Franke, Egon 55 Franke, Werner 393 FRELIMO (Mosambikanische Befreiungsfront) 332 Friedenspolitik 53, 198, 324, 338, 361 – 363, 365, 377, 379, 474, 545, 548, 578 f. friedliche Koexistenz 18, 199, 207, 209, 242, 249, 255, 339, 410 f., 476, 578 Front National 390, 396, 516, 518 Fulbrook, Mary 30 Fuzier, Claude 66 G7 (Gruppe der Sieben)
546
634
Index
Gabbuggiani, Elio 476 Gaeta 71 Gaggero, Andrea 146 Gallico, Loris 262 Gallo, Nicola 123 Galluzzi, Carlo 40, 44 f., 51, 53 – 55, 57, 59, 113, 126 Garaudy, Roger 69, 73 f., 97, 106, 108, 139, 262 Gastarbeiter 299 Gauchismus 69 Gayssot, Jean-Claude 563 Gemeinsames Haus Europa 512 gemischte Kommission (PCF-PCI) 24, 262 Genscher, Hans-Dietrich 249, 388 Gensini, Gastone 119, 144 f. Genth, Renate 260 Geraer Forderungen 419 Germa, Michel 457 GfkVA (Gesellschaft für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland) 494, 499 Giacalone, Bernard 453 Giolitti, Antonio 253 Giscard d’Estaing, Valéry 322 Giscard d‘Estaing, Valéry 177, 197, 204, 216, 220, 227, 247, 321, 324, 327, 434 Glasnost 425, 513, 522, 534 f., 587 Godesberger Programm 64 Goethe-Institut 492 Gollan, John 119 Gorbatschow, Michail 19, 512, 514 f., 523, 531, 534, 537 – 540, 543, 550, 554 f., 557 f. Gorse, Roger 121, 147, 152 f. Gorz, André 216 Götting, Gerald 148, 338 Gramsci, Antonio 37, 39, 42, 44, 137, 239, 260, 266, 317, 355, 486 f., 592 Grazzani, Nino 112 f. Grégoire, André 458 Gremetz, Maxime 260, 320, 324 f., 331 – 333, 359 f., 390 f., 396 f., 546 f., 557, 563 Grenoble 454 f. Griechenland 86, 180, 282, 546 Gromyko, Andre 327 Großbourgeoisie 255, 317 Großbritannien 58, 149, 161, 251, 391, 465
Große Koalition 54, 60, 65, 113 großer Bruder (KPdSU) 81, 92, 142, 339, 564 Großkapital 124, 138, 141, 162, 288 Grosseto 474 f. Grotewohl, Otto 79 f. Grundlagenvertrag 41, 137, 154 f., 160, 167, 238, 449 Grundorganisation (GO) 84, 193, 195, 256, 347, 352, 370, 378, 388 f., 399 – 401, 403, 469, 476, 478, 508, 544, 559, 565, 574 Guidi, Claudio 270 Gurgeit, Hildegard 109 Gutierrez Diaz, Antonio 288 Guyot, Raymond 105 Guzzardi, Filippo 471 Gysi, Gregor 564 Gysi, Klaus 161, 164, 269, 341 Häber, Herbert 357, 385, 445 Hafenstein, Heinz 473 Hagen, Eva-Maria 273 Hager, Kurt 155, 169, 283, 319, 537, 558, 588 Hahn, Gerhard 276 Hallstein-Doktrin 56, 65, 80, 84, 87, 94, 114, 159 Hammer, Jean-Pierre 21, 272 f. Hanisch, Anja 205 Hauser, Harald 393 Haut-Rhin 104, 125, 169 Havemann, Robert 39, 47, 269 – 273, 423 Heartfield, John (Helmut Herzfeld) 469 Heiliger Stuhl 266 Heiß, Kurt 494 Hellmann, Rudi 121 Helsinki – Schlussakte 7, 52, 95, 165, 201, 205 – 209, 218, 221, 227, 230, 238, 242, 262, 268, 276 – 278, 321, 339 f., 352, 398, 451, 453, 546 Herholz, Kurt 109 Hermier, Guy 563 Hermlin, Stephan 270, 273, 494, 500 Herrmann, Joachim 542 Herzog, Philippe 563
Index
Hessische Stiftung zur Erforschung von Konflikten und Frieden (HSKA) 359 Honecker, Erich 8, 13 f., 17 – 19, 41, 43, 74, 132, 135, 143, 161, 167, 181, 185 f., 188 f., 199, 209, 214, 221 f., 228, 232 f., 238 – 240, 260 f., 269, 278 f., 282 f., 285 f., 306, 318, 329, 341 – 343, 345, 357, 361, 363, 373, 382, 384, 397 f., 408, 410, 420, 423, 478, 536 – 538, 540 – 542, 550, 555 f., 558, 576, 585, 589 Honecker, Margot 83 Horizont 110 Hue, Robert 563 Humanité 75, 120, 141 f., 150, 170, 175 f., 184, 197, 203, 215 f., 219, 222, 247, 250, 256 f., 276, 280, 334, 407, 522 f., 563, 574 Humboldt-Universität 241, 272, 486, 489 f., 503 Husák, Gustáv 75 Iberischer Kommunismus 22 Il Giornale Nuovo 179 Il Lavoro 470 Il Resto del Carlino 157 Imbeni, Renzo 291 Ingenito, Michele 117 Ingrao, Pietro 51, 274, 376, 385, 445, 560 f. Institut d’Etudes et de recherches (ISER) 336 Integration 6, 14, 44, 50, 52, 63, 80, 126, 143, 174, 275, 324, 413, 511, 513 f. Intervention 14, 18, 24, 70, 102, 105, 107, 125, 196, 198, 299, 310 f., 323, 325 – 327, 331, 345 f., 428, 447, 455, 458, 470, 473, 497, 525, 571 IPG (Interparlamentarische Gruppe) 92, 111 f., 170 Isenberg, Veronika 332 f., 359, 362 f., 383, 389 Israel 106 Jacoviello, Alberto 54 – 56 Jarowinski, Werner 310 f. Jaruzelski, Wojciech 313, 345, 369, 428 Jean, Raymond 426 Jesse, Eckard 30
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Josi, Giuseppe Pietro 468 Jospin, Lionel 365, 369, 390 f. Jugoslawien 46, 191, 207, 258, 280 Juquin, Pierre 186, 232, 240, 515, 517 – 519, 522, 553 f. Jurgensen, Philippe 409 Kádár, János 75 Kader 9, 23, 76, 103, 116, 303, 306, 370, 372, 379, 401, 403, 432, 494, 516, 520, 522, 536, 539, 572, 594 Kaiser, Karl 28, 31 Kalter Krieg 6, 22, 26, 31, 50, 75, 82, 87, 131 f., 165, 194, 199, 235, 419, 448, 511, 583 Kammer für Außenhandel (italienische) 158, 224 Kammer für Außenhandel (KfA) 146 Kanapa, Jean 15, 66, 104 – 107, 171, 177, 184, 213, 226, 232 – 234, 249 f., 252, 262, 314 Kania, Stanisław 345 Karlovy Vary (Karlsbad) 51 f., 55, 93, 127, 200, 236 Karls-Universität (Prag) 105 Karmal, Babrak 329 Karman, André 460 Kassel 114, 134 Kekkonen, Uhro 85 Keßler, Heinz 551 KGB 186, 248 Kiesinger, Kurt Georg 54 – 56, 94 f., 482 KKE (Kommounistikó Kómma Elládas) 86, 180 Klassenkampf 70, 212, 229, 284, 489 Klerikalbourgeoisie 101 Kleßmann, Christoph 580 Klub 231 99 Kluge, Heinz 458 Kobert, Hans-Joachim 121 Kocka, Jürgen 30, 581 Koenen, Wilhelm 92 Kohl, Helmut 356, 367, 378, 508, 537, 539, 564 Kohl, Michael 154 kommunistische Fraktion (Europaparlament) 114, 225, 312, 391, 509
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Index
Kommunistische Internationale (KI) 72 Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) 262 Kommunistische Partij van België / Parti Communiste de Belgique (KPB/PCB) 87 Konferenz über militärische Entspannung und Abrüstung in Europa (KMEA) 351 Korea 58 KPdSU (Kommunistische Partei der Sowjetunion) 3, 12 f., 17, 19 – 22, 41 f., 46, 49, 70 – 74, 77, 81 f., 88, 98, 102 – 106, 125, 127 f., 133, 135, 137, 141, 145, 155, 158, 167, 177 f., 180, 186, 189, 192, 197 f., 200, 202 f., 206, 208, 212, 221 f., 224, 228, 232 – 235, 237, 248, 250 f., 256, 265, 267, 277, 279 – 281, 289, 292, 297, 305, 307, 314, 317, 321, 325, 327, 332 – 334, 339, 343, 345 – 347, 349, 360, 362 f., 366, 368, 376, 379, 382, 397, 417, 428, 440, 452, 454, 460, 497, 507, 511 – 514, 521, 523, 525, 529 – 531, 534 f., 537, 539 f., 555, 558, 565, 569, 573, 575, 579, 582, 586 Kreisky, Bruno 258 Kreisleitung 96 Krenz, Egon 541 – 543 Kriegsrecht 313 Krolikowski, Herbert 327, 404 KSZE (Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) 40 f., 113, 132, 199 – 201, 205 – 207, 209, 221, 235, 262, 275, 278 f., 340, 342, 351 – 354, 514, 565 Kuba-Krise 40 Kulturrevolution 46, 48, 68, 127 Kurella, Alfred 117 Kwaschik, Anne 583 La Fenice 482 La Malfa, Ugo 212 La Pira, Giorgio 91 La Sapienza 488 La Scala 482 La Terre 141 Labica, Georges 426 Labour Party 151, 260, 441 Lacan, Felix 393
Lajoine, André 388 Lama, Luciano 55, 298, 301, 303, 308, 443, 528, 593 Lange, Harald 160 Laroche, Pierre 262 Laurent, Paul 37, 62, 175, 177, 198, 219, 234 f., 318, 322, 384, 387, 392, 408, 412, 507 Lazar, Marc 315, 429, 519 Le canard enchâiné 334 Le Duan 57 Le Guen, René 384 Le Monde 15, 101, 153, 172, 203, 215, 217, 272, 331, 348, 368, 432, 436, 517, 520 Le Pen, Jean-Marie 516, 518 Le Point 239 Le Pors, Anicet 433 Lebscher, Erich 451 Lecanuet, Jean 252 Lega Nord 439 Lehmann, Heinz 361 Leipzig 25, 85, 149 f., 236, 302 f., 467, 489 f., 494, 500, 505, 541, 551 LʼEmigrante 123 Lemoine, Marcel 172 Lenin, Wladimir Iljitsch 101, 217, 248 Lenoir, Roland 495, 497 Leo, Gerhard 507 Leone, Giovanni 212, 253 Leuschner, Bruno 82 Liga für Völkerfreundschaft (SED) 11, 24, 38, 83, 95, 169, 242 f., 272, 338, 404 f., 468, 472, 480, 485 f., 499 f., 549, 551 Lill, Johannes 114 Link, Werner 28 Linksgaullisten 152, 156, 224 Linksunion (Union de la Gauche) 15 – 18, 67, 162, 166, 171 f., 177, 183 f., 188 f., 196 f., 201 f., 204, 206, 210 – 212, 215 f., 219, 222, 244, 247, 254 – 257, 259, 266, 274, 279, 281, 310 f., 313 – 317, 319, 333, 347 f., 361, 426, 434, 462, 573 Livorno 25 f., 169, 190, 236, 242, 465, 472 f., 475 Llabres, Claude 519 Lo Giudice, Sergio 471 Lockheed (Affäre / Skandal) 212 f.
Index
Logik der Blöcke 44 f., 94, 97, 138, 165, 279, 301, 583 Lombardo Radice, Lucio 48, 101, 262 f., 269 – 272 Longo, Luigi 40, 43 – 49, 52 – 55, 57, 89 f., 93, 102, 116 – 118, 126, 135, 137, 174, 223, 246, 368, 571 Lorenz, Siegfried 551 Lorenzi, Gerda 120 Lorenzi, Leo 120 Lotta per la pace 381 L’Unità 54 f., 93, 103, 119, 157, 176, 215, 245, 248, 254, 257, 260, 262, 264, 291, 295, 334, 354 Machelet, Hugo 116 Madrid 192, 233, 283, 352, 354 Magno, Michele 375 Mai-Juni-Unruhen 69, 97 f. Mailand 22, 25, 137, 160, 176, 236, 300, 302 f., 385, 440, 442, 468, 471, 482, 519 Maison des Sciences de l’Homme 184 Malfatti di Montetretto, Francesco 253 Mallick, Alexander 95 Mandel, Ernest 270 Manesse, Marcel 107, 447 Mani pulite 526, 532 f. Mansholt-Plan 150 Maoismus 139, 155 Marchais, Georges 3, 8, 15 – 17, 36, 61, 74 f., 105, 123 – 125, 129, 138 f., 150 f., 165, 167, 171 f., 178 f., 184 f., 187 f., 197 f., 202 f., 213 – 217, 219, 221, 230 f., 234, 247 f., 250, 254 – 256, 266, 268, 279 – 283, 313 f., 318 – 324, 330, 333 – 336, 346, 348, 360, 367, 369, 383 f., 386, 388, 390, 392 f., 406 – 408, 427 – 429, 432, 435 f., 461, 463, 515, 517, 519 – 521, 523, 553 f., 557, 562 f., 573 f., 579 Marin, Fernand 328 Markov, Walter 487 Markowski, Paul 84, 110, 155, 193 Markscheffel, Günter 54 Marmugi, Roberto 143 Marter, Alfred 260, 269, 399, 412 – 414 Martin, Jacques 352 Martin-Luther-Universität Halle 272, 486
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Martinet, Gilles 139 Marxismus-Leninismus 2, 89, 100, 108 f., 136, 162, 178, 185, 206, 223, 231 f., 239, 248, 267, 274, 280, 289, 304 f., 318, 356, 373, 393, 417, 487, 502, 514, 522 f., 539, 542, 566, 571, 575 Masse der Werktätigen 587 Matin 334 Matin de Paris 324 Mauerbau 76, 82, 484, 500, 503 Mauerfall 18, 41 f., 83, 199, 418, 420 f., 424, 507, 562, 578, 582, 584 Mauroy, Pierre 244, 257, 366 Maximalisten 442 Mayer, Hans 494 Mechini, Rodolfo 17, 357 f., 360 – 362, 578 Mehlitz, Klaus 143 f., 260, 269, 379 Meir, Golda 176 Meiser, Hugo 94 Melis, Ernst 109 Menschenrechte 21, 39, 84, 112, 122, 208, 232, 262 f., 339 f., 355, 423, 514 Meroni, Giancarlo 306 – 308 Messaggero 106, 555 Mexiko 68 Meyer, Herbert 121 Mezzogiorno 466 Mielke, Erich 352, 422 Mies, Herbert 115, 556, 558 Mikojan, Anastas 82 Ministerium für Außenwirtschaft (MAW) 94 Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten (MfAA) 78, 81, 277, 400, 403, 589 Ministerium für Staatssicherheit (MfS) 81, 284, 372, 590 Minucci, Adalberto 257 Mittag, Günter 410, 542 Mittelmeer 71 Mitterrand, François 61 – 63, 127, 139, 148, 163, 171, 176 f., 198 f., 201, 210, 215 f., 231, 244, 249, 253 – 258, 279, 287, 295, 311 – 313, 316, 318, 322 – 325, 328, 333 – 337, 347, 349 – 351, 356, 359, 362, 365 f., 368, 383 f., 386 f., 390, 392, 396 f., 412 f., 432 – 434, 460, 463 f., 507 f., 510, 516, 518, 547, 553, 571, 576 Mlynář, Zdeněk 237
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Index
Modrow, Hans 35, 167, 378 Möller, Horst 581 Mollet, Guy 61 – 64 Molotow, Wjatscheslaw 200 Monde Bilingue 446 Monopolbourgeoisie 319 Monopolkapital 7, 119, 133, 156, 284 Monopolkapitalismus 71, 497 Mons, Jean-Louis 408 Montagsdemonstrationen 540 Montedison 159, 224, 417 Montreuil 24 – 26, 36, 104, 394, 447 f., 456, 458 – 460, 591 Moro, Aldo 174, 212, 245, 253, 294 f., 437 Mosambik 417 Moskau 6, 8, 13, 39, 41 f., 46 f., 49, 64, 72 f., 77, 79, 81, 89, 92, 98 f., 102 f., 105 f., 125, 128, 132, 134 – 136, 141, 143, 145, 155, 157, 163, 168, 179, 183, 190, 208, 231 – 235, 249, 259, 261, 265 – 267, 274, 280 f., 285, 288, 311, 313, 324 – 327, 334, 345 – 347, 349, 359, 362 f., 382, 387, 429 f., 448, 458, 511, 513 f., 521, 523, 539, 543, 555, 557 f., 564, 569, 572, 578, 584, 587 Moskauer Vertrag 134, 222 Mouvement des Jeunes Communistes (MJC) 458 Movimento das Forças Armadas (MFA) 203 Movimento per la Pace e il Socialismo 381 Müller, Gerhard 551 Mundo Obrero 292 Mutterpartei (KPdSU) 2, 46, 74, 189, 192, 202, 343, 346 f., 428, 531, 535, 565, 569, 582 Naher Ost 57 f., 124, 176 Nanterre 69, 266 Napolitano, Giorgio 47, 60, 144, 156, 334, 337, 354 f., 385, 442, 528 Natali, Lorenzo 253 NATO 15, 44, 56, 62 – 64, 66 f., 71, 80, 86, 115, 124, 126, 147, 163, 174 f., 191, 202, 211, 213, 226, 236, 246, 249, 252, 255, 275, 284, 289, 312, 317 f., 321, 323, 326, 330, 338, 344, 348 – 350, 353, 375, 381,
384, 387, 395, 397, 423, 428, 433, 452, 455, 457, 479, 508, 513, 529, 556 f., 578 Natta, Alessandro 390, 407, 444 f., 528, 530 f., 553, 555 f., 560, 565, 585, 592 ND (Neues Deutschland) 60, 103, 120, 135, 143, 191, 208, 236, 239, 245, 250, 260, 273, 296, 381, 550 Neapel 71, 261, 336, 385, 466 f. Neoliberalismus 300, 562 Neues Forum 541, 543 Neues Ökonomisches System (NÖS) 76, 222, 299 New York Post 245 New York Times 2 Newsweek 249 Nier, Kurt 399 Nikosia 86 Nitsche, Helmut 450 Nitschke, Karl-Heinz 340 Nixon, Richard 132 Noblet, Pierre 453 Norden, Albert 95, 102, 121, 152, 497, 533, 589 Nouvel Observateur 216, 426 Nouvelles dʼAllemagne 501 NSDAP (Nationalsozialistische Partei Deutschlands) 54 Nuovi Argomenti 88 Occhetto, Achille 445, 528, 530, 532 f., 555, 560 f. Oder-Neiße-Linie 55, 134, 148 Oktoberrevolution 57, 234, 267, 365, 373 Oliva, Angelo 145, 152, 171, 177, 214 – 216 Oral History 36 Oranienburg 25, 448 Organisation Internationale de Radiodiffusion et de Télévision (OIRT) 120 Ossola, Rinaldo 416 Ost-Berlin 14, 25, 36, 48, 54, 56, 83, 90, 93, 95, 98, 110, 117 – 119, 152, 154 f., 158, 163, 167 f., 181, 185, 189 – 192, 206 – 208, 222, 228, 230, 239, 249, 255, 260, 262, 267 f., 272, 278, 283 f., 299, 318, 344, 346, 352, 357, 370, 372, 376, 380, 382, 396, 399, 403, 408, 413, 415, 418, 448, 482, 484 – 487, 489, 493 f.,
Index
497 f., 504, 508, 539 f., 546, 553, 555, 557 – 559, 574, 576, 579 Ostblock 7, 13, 18, 40, 42 f., 81, 84, 87, 98, 102, 104, 133, 153, 159, 161, 185, 197, 200, 202, 205 f., 208, 221, 227, 232, 235 f., 239, 241, 255, 261, 266 f., 276, 285, 289, 310, 317, 333, 346 f., 349, 358, 365, 369, 373, 387, 397, 408, 419, 433, 460, 468, 505, 509, 566, 573 f., 579 Ott, Harry 152 Paese Sera 157 Paggi, Leonardo 336 Pajetta, Giancarlo 71, 144, 155 f., 175, 207, 221, 253, 269, 280, 285 f., 318, 325, 331, 364, 390, 484, 575, 592 Palästina 105 Palme, Olof 254, 258, 555 Pancaldi, Augusto 213 – 215, 220, 248, 254 Pancini, Ettore 481 Paris 5, 7, 11, 13, 16 f., 22 f., 25, 28, 36 – 38, 42, 53, 61 f., 64, 67 – 69, 72, 95 f., 103, 105 – 107, 120, 123, 138, 140 f., 146 f., 151 f., 166, 168 – 170, 172, 175 f., 180, 184 – 186, 193 f., 197 f., 202, 208, 210 f., 213 f., 216 f., 220, 222, 224, 227, 229 f., 232, 246 – 248, 252 – 254, 256, 264, 274, 279 f., 282, 287 f., 292, 310 – 312, 314 – 318, 320, 322, 325 – 327, 329, 331 f., 335 – 337, 348, 351, 353, 355, 359 f., 362, 365, 368 – 371, 383 f., 387, 389, 391 – 393, 398 – 401, 404 f., 407, 409, 411 – 413, 415, 427, 429 – 431, 433, 435, 437, 447 f., 457 f., 460, 462, 493, 497, 502 f., 508 f., 514, 516 – 518, 520 f., 523, 544 f., 557 – 559, 565, 573 f., 576 f., 593 Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) 564 Parteihochschule „Karl Marx“ 239 Parti Radical-Socialiste 66 Parti Socialiste (PS) 3, 61, 138, 151, 276, 335, 441, 553, 571 Parti Socialiste Unifié (PSU) 138, 553 partigiani 119 Partito Democratico della Sinistra (PDS) 561 Partito Liberale Italiano (PLI) 356 Partito Repubblicano Italiano (PRI) 356
639
Partito Socialista Democratico Italiano (PSDI) 356 Partito Socialista di Unità Proletaria (PSIUP) 71 Partito Socialista Italiano (PSI) 90, 258, 356 Pasti, Nino 381 PCCh (Chilenische Kommunistische Partei) 233 PCE (Partido Comunista de España) 3, 42, 52, 179 – 182, 185, 187, 189 f., 192, 207, 214, 265, 267 f., 393, 408 PCF (Parti Communiste Français) 1 – 9, 12 – 19, 21 – 25, 27, 34 f., 37 f., 42 f., 45, 48 f., 53 – 55, 57, 60 – 75, 82 f., 94 – 98, 103 – 108, 113, 120, 122 – 128, 138 – 142, 146 – 148, 150 – 152, 155, 162 – 164, 166, 168 – 173, 175 – 177, 179 – 181, 183 – 190, 192 – 194, 196 – 199, 201 – 204, 206 – 208, 210 – 217, 219 – 223, 225 – 235, 240, 244, 246 – 249, 251 f., 254 – 264, 266 – 268, 274 – 276, 279 – 283, 287 – 289, 291 f., 297, 310 – 325, 328, 330 – 337, 346 – 348, 350, 355, 357 – 361, 365 – 370, 377, 382 – 394, 396 f., 406 – 408, 425 – 436, 442, 446 – 448, 450 – 454, 456 – 464, 494 – 497, 507 – 510, 515 – 523, 526, 529, 547, 552 – 554, 557 – 559, 562 f., 565 f., 569 – 574, 577, 579, 584, 587, 591 PCI (Partito Comunista Italiano) 1 – 7, 9 f., 12 – 19, 21 – 25, 27, 34 – 37, 39 f., 42 – 60, 63, 70 f., 74 f., 82 f., 87 – 90, 92 f., 96 – 98, 100 – 103, 106 f., 112 – 120, 122 – 127, 135 – 147, 151 f., 155 – 160, 162, 164 – 166, 168 – 177, 179 – 185, 187 – 190, 192 f., 197, 201 – 204, 206 f., 210 – 218, 220 f., 223 – 229, 233, 236 – 253, 257 – 274, 280, 283 – 294, 296 f., 300 – 304, 306 – 308, 312 f., 317 – 320, 323 – 326, 330 – 337, 346 – 348, 354 – 365, 367 – 370, 372 – 386, 389 – 391, 393, 406 – 408, 416, 428, 437 – 445, 465, 467 – 478, 480 f., 483 – 488, 490 f., 507 – 510, 524 – 531, 533 f., 548, 552 – 556, 560 – 562, 565 f., 569 – 572, 575, 577 – 579, 585, 587, 592
640
Index
PCP (Partido Comunista Português) 180, 214 Pecchioli, Ugo 51, 441, 528 Peggio, Eugenio 172 Pelikán, Jiří 270 Pelliccia, Dino 113, 118 f. Pentapartito 356, 437 – 440, 444, 508, 524 Perestroika 19, 23, 41, 425, 511, 513, 515, 521 f., 531, 534 f., 555, 557 – 559, 565, 587 Performanz 5, 33 Périllaud, Lydie 140 Pershing 321, 344, 363, 378 Pfeil, Ulrich 409, 574 Pflüger, Hans 455 Phnom Penh 67 Piacentini, Ugo 241 Pinochet, Augusto 233, 407 Piquet, René 389 Pisani, Edgard 322 Plissonnier, Gaston 37, 75, 103, 150, 163 f., 177, 185, 208, 255 f., 323 f. Pljutsch, Leonid 186, 232 Poher, Alain 115, 388 Polano, Luigi 92, 160, 481, 484 Polen 4, 9, 17, 20, 24, 40, 55, 88, 160, 200, 277, 301, 307, 313, 333, 344 f., 357, 363, 369, 373, 377, 419, 428, 440, 460, 477, 525, 575, 577 f. Policy-Making 9, 20, 23 Politischer Club 275 Polnische Vereinigte Arbeiterpartei (PVAP) 345 Polyzentrismus 42, 89, 136, 180 Pompidou, Georges 68, 123, 150, 153, 155, 350 Ponomarjow, Boris 105, 135, 261, 319 Pons, Silvio 11, 50, 60, 135 – 138, 165, 187, 344, 442, 534, 561, 587 Pontillon, Robert 176 Poperen, Claude 519, 522, 524 Poperen, Jean 360, 368 Portugal 203, 214, 218, 396 – Nelkenrevolution 203, 211 Potsdam 23, 25 f., 32, 38, 89, 91, 121, 276, 281, 448, 450 – 454, 525, 551, 593 f.
Prager Frühling 39, 42, 68, 76, 97, 100, 103, 116, 180, 182, 345, 460 Prevost, Claude 256 Procházka, Jan 105 Projekt „Moment“ 277 Projekt „Stern“ 277 proletarischer Internationalismus 42, 142, 193, 198, 250, 265, 305, 323, 332, 358, 364, 406, 579 Puerto Rico 243 Puhlmann, Karl 231 Radio Berlin International (RBI) 506 Radio Prag 237 Ragionieri, Ernesto 483 Ralite, Jack 283, 433, 460 f. Rapacki, Adam 200 Reagan, Ronald 394 f., 398 real existierender Sozialismus 44, 191, 475 Reformkommunismus 41, 178 f., 181, 197, 346 Reintanz, Gerhard 121, 485 Résistance 75, 91, 95, 107, 234, 446, 458, 501, 506 Resistenza 182 Revisionskommission (SED) 109 – 111, 119, 145 f., 193 f., 400, 589 Rey, Jean 115 RGW (Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe) 78, 80, 276, 419, 513 f., 578 Rifondazione Comunista 561 Rigout, Marcel 433 Rimini 561 Rinascita 57, 100 Robotti, Paolo 480 Rocard, Michel 219, 322 Rochet, Waldeck 45, 62, 66 f., 69 f., 72, 74, 97 – 99, 104 – 106, 128, 196, 312, 573 Rodano, Franco 383 Roger, Emile 172 Romano, Riccardo 242 Roméo, Claude 458 Rostock 25 f., 236, 456, 472 f., 494 Roter Terror – Brigate Rosse (BR) 294 Roynette, Jacques 457
Index
Rubbi, Antonio 36, 44 f., 117, 126 f., 144, 226, 249, 324 f., 333, 360 – 362, 382, 389 Rudé právo 99 Rudolstadt 25 f., 448, 460 f., 591 Ruisseau, Michel 393 Rumänien 40, 46, 159, 280, 419 Rumor, Mariano 253 Runder Tisch 176, 564 Russell-Tribunal 263 Saarbrücker Zeitung 260 Sabotage 101, 107, 519 Sacharow, Andrei 185 Sagladin, Wadim 221 Salini, Laurent 219 SALT (Strategic Arms Limitation Talks) 131, 137, 351 Sanguedolce, Joseph 166 Sanremo 63 Sarre, Georges 219 f., 258 Sarto, Angelo 112, 115, 168 Sauvagnargues, Jean 253 Scala mobile (Lohngleitklausel) 442, 444 Schabowski, Günter 541, 543, 557 Schalck-Golodkowski, Alexander – Ko-Ko-Bereich (Kommerzielle Koordinierung) 385, 421 f. Scheinpflug, Gotthold 467 Schiffner, Helmut 361 Schill, Gerhard 476 Schmidt, Helmut 6, 166, 168, 244, 249, 263, 277 – 279, 291, 322, 350, 356, 361, 363, 367, 508 Schmitt, Horst 359 Schober, Paul 121, 143 Schoch, Bruno 360 Scholz, Ernst 155 Schramm, Gerhard 120, 146 f., 152, 200 Schröder, Heinz 115, 218 Schumacher, Kurt 63 f. Schumann, Maurice 121, 152 Schupp, Walter 475 Scricciolo, Luigino 308 f. Scuola delle Frattocchie 239 SDI (Strategic Defense Initiative) 397, 412, 547
641
Sechstagekrieg 56 f. SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) 1, 3 – 25, 27 – 32, 34 f., 37 – 43, 47 f., 52 – 55, 57, 59 f., 64 f., 72, 76 – 84, 86 f., 89 – 98, 100 – 103, 107 – 116, 118 – 120, 122, 124, 127 f., 131 – 133, 135, 139, 142 – 160, 162 – 170, 178 – 199, 201 – 209, 218, 221 – 225, 227 – 233, 235 – 237, 239 – 246, 250, 255 f., 260, 267 – 269, 272, 275 – 279, 281 – 284, 286 – 291, 295 f., 298 – 300, 302, 304 – 307, 309 – 311, 317 f., 325 – 330, 332 f., 337 – 348, 350 – 353, 355 – 359, 361 f., 365 – 367, 370 – 382, 386 – 389, 394 – 402, 405, 408 – 410, 412 – 425, 436, 445, 447 – 451, 453, 456, 458 f., 461, 464 – 482, 484, 486 – 492, 494, 496 – 509, 529 f., 534 – 559, 562 – 566, 569 f., 572 – 582, 584 f., 587, 593 Seghers, Anna 494 Segre, Sergio 40, 44, 53 – 55, 57, 59, 138, 165 f., 169, 174, 177, 214 – 216, 219 – 221, 226, 240, 249, 253 f., 264, 266, 285, 287, 289, 318, 320, 359, 469 Séguin, Philippe 152 Séguy, Georges 234 Seibt, Kurt 119 Seine-Saint-Denis 24, 104, 392 f., 450, 516 Sestri Levante 470 Seydewitz, Max 169 Sferrazza, Angelo 548 SFIO (Section française de l’Internationale ouvrière) 61, 63 – 66, 107, 127, 447 Sicherheitspolitik 15, 18, 49, 158, 174, 200, 364, 396, 556 Sieber, Rolf 111 f., 143, 160, 167, 169, 382, 399, 545, 558 f., 576 Sinjawski, Andrei 47 SKP (Suomen Kommunistinen Puolue) 180 Smirnow, Andrei 325 Soares, Mario 211, 214 socio-histoire 32 Sofia 261, 296, 377 Solidarność 307 f., 333, 344, 359, 428 Sölle, Horst 94 Solschenizyn, Alexander 185 Sommer, Siegfried 457
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Index
Sorbonne 68, 494, 503 Sorini, Fausto 376 Souquière, André 262 Sowjetkommunismus 2, 586 f. Sowjetunion 1, 11 – 13, 18, 21, 32, 40, 46 f., 59, 61, 70 f., 78, 80, 86, 94, 98, 100 f., 106, 126 – 128, 131, 134, 153, 155, 159, 166, 183, 185, 191 f., 203, 231, 234, 244, 251, 258, 265, 279, 281, 283, 289, 292, 301, 305, 315, 317, 321, 326 f., 331, 343, 345 – 350, 358, 362, 376, 387, 419 f., 440, 450, 455, 473 f., 499, 512, 514 f., 521, 523, 531, 534 f., 539, 550, 554, 558, 563, 573, 579, 582 f., 585 – 587 Sozialfaschismus 172 Sozialistische Internationale (SI) 17, 176, 193, 254, 258, 290, 389, 556 sozialistischer Internationalismus 42, 48 Spaak, Paul-Henri 87 Spanischer Bürgerkrieg 119 Sparpolitik 412, 438, 451 SPD (Sozialdemokratische Partei Deutschlands) 3, 40, 43, 48, 51, 53 – 60, 62 – 66, 92 f., 102, 125 – 127, 132, 148 f., 151, 157 f., 162 f., 175 f., 184, 188 f., 199, 218, 222 f., 237, 240, 254, 263 f., 266, 269, 277, 290 – 292, 301, 317, 323, 332 – 336, 346, 359 – 364, 367, 382 f., 389 f., 396, 398, 407, 441, 443 – 445, 537, 545 f., 553, 556 f., 565, 571, 578 Spieker, Manfred 266 Spina, Rosa 92, 160, 484 Sputnik 539 SS-20 321, 344 staatliche Auflagen (STAL) 371 staatliche Plankommission (SPK) 82, 94 Städtepartnerschaften 10, 24, 34, 37, 43, 82, 89, 91, 195, 214, 240, 242 f., 395, 445 f., 448 f., 456 f., 460, 464 f., 476, 491, 502, 509, 550, 571, 584 Stalin, Josef 72 Stalinismus 72, 125 Stefanelli, Livio 471 Steffen, Jochen 264 Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR (SAPMO) 37 Stirn, Olivier 327
Stoph, Willi 56, 543 strappo 358 Strategie der bewahrenden Außenpolitik 18 Strauß, Franz Josef 94, 202, 263, 384 f., 419 Streiff, Gérard 176, 221, 262, 317, 323 Subkultur 34 Suslow, Michail 99, 155, 261 Tagesspiegel 231 Tamames, Ramon 264 Tambroni, Fernando 484 Teissier, Roger 393 Telschow, Erich 183 Terenzi, Amerigo 325, 575 Thatcher, Margaret 252 Théâtre National Populaire 493 Thoirain, René 95, 107 Thorez, Maurice 72 f., 573 Tillon, Charles 73 Timmermann, Heinz 54, 157, 191, 264 f. Timsit, Joelle 327 Togliatti, Palmiro 42, 44 f., 88 f., 126, 137, 180, 376, 442, 572 Tortorella, Aldo 262, 441 Transnationalität 25, 28, 230 Triest 258 Tschernenko, Konstantin 177 UDR (Union pour la Nouvelle République) 146 f., 152, 156, 223 f. Ulbricht, Walther 14, 39, 76 f., 87, 97, 116 f., 126, 132 f., 135, 157, 181, 222, 342, 406, 482, 497, 559 Umbrecht, Bernard 256 UNESCO 405 Ungarn 70, 88, 99, 159, 271, 277, 539, 586 Unitelefilm 156 UNO (Vereinte Nationen) 340 Unsere Zeitung 115 US-Imperialismus 43, 101 USA 12, 28, 40, 44, 50 – 53, 58, 66, 68, 71, 90, 99, 106, 115 f., 122 f., 125 f., 132, 148, 150, 152, 173 f., 181, 206, 211, 222, 243 f., 249, 252, 266, 269, 275, 278, 283, 286, 321 f., 327, 329 – 331, 334, 344, 351, 359, 362, 375 f., 382, 394,
Index
396 f., 407, 412, 428, 451, 474, 512, 514, 546, 556, 578 Valbon, Georges 408, 450 f., 453 Valenzi, Maurizio 336, 466 Vallon, Louis 152 Valori, Dario 264 Vänsterpartiet (V) 181 Vargas, Yves 426 VEB (Vertriebseigene Betriebe) 144 Verner, Paul 54, 113 Vertrag von Osimo 258 Viannet, Louis 563 Vietnamkrieg 49, 132 Viezzi, Roberto 262 Villa Massimo 487 Voix dʼAllemagne 501 Volkskammer (DDR) 117, 120, 148, 170, 227, 387, 542 Volksrepublik China 586 Vorwärts 382 f. Voss, Hans 361, 379 Waldheim, Kurt 452 Wałęsa, Lech 344 Warschauer Brief 98 Warschauer Pakt 81, 97, 124, 323, 348, 555, 578 Weltbund der Demokratischen Jugend (WBDJ) 135 Weltföderation der Partnerstädte (FMVJ) 91, 122, 447 Weltgewerkschaftsbund (WGB) 294, 300, 348 Weltkommunismus 74, 265, 280, 289, 296, 298, 450, 521, 531, 579, 586 Weltkonferenz 39, 47 f., 296 Wende von Bologna 533 Wesemann, Fried 55
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West-Berlin 56, 112, 118, 131, 148, 260, 275, 340, 359 westdeutscher Gewerkschaftsbund (DGB) 298 Westkommunismus 17, 571 Westpolitik 6, 10, 81, 155, 158, 224, 569 Wien 45, 113, 231, 514 Wiezcorek-Zeul, Heidi 359 Wilke, Manfred 270 Winkelmann, Egon 121, 239, 269 Winzer, Otto 94 Wolle, Stefan 76 Wolter, Robert 169 Wurtz, Francis 563 Zarka, Pierre 563 Zedong, Mao 586 Zeit im Bild (Verlag) 101 Zeit im Bild 501 Zichler, Werner 116 ZK (Zentralkomitee) 3, 9 – 11, 14, 17, 23, 35, 37, 65 – 67, 69 f., 73, 75, 77 f., 80, 84, 90, 94, 103 – 105, 108 – 110, 116 f., 120 f., 125, 128, 134, 137, 140 – 146, 148, 151, 154, 162, 164, 167 – 169, 171, 182, 184 – 188, 190 – 194, 197 f., 202, 206 f., 216, 221, 228, 232 – 235, 239, 242, 246, 248, 254, 256, 269 f., 272, 274, 277, 279, 282 f., 285, 288 f., 292 – 294, 310 f., 313, 318 f., 323 f., 329, 331, 337, 342 f., 357 f., 360, 368, 372 f., 376, 384, 386 f., 389, 397, 400, 407 f., 410, 421, 423, 425, 427, 445, 468, 480, 483, 494, 497, 499 – 501, 506, 515, 519, 522, 525, 528, 530, 536 – 539, 542 f., 546, 548 f., 551 – 554, 556, 558, 566, 569, 574, 576 Zobel, Andreas 367 f. Zwei-plus-Vier-Verhandlungen 564 Zwei-Staaten-Theorie 80 zweiter Weltkrieg 57