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German Pages 190 [191] Year 2013
Klassische Philologie kompakt Herausgeber: Martin Hose Beratung: Sigmar Döpp, Bernhard Zimmermann
Dorothee Gall
Die Literatur in der Zeit des Augustus 2. Auflage
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. 2., durchgesehene und bibliografisch aktualisierte Auflage 2013 i 2013 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt 1. Auflage 2006 Die Herausgabe dieses Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Satz: Lichtsatz Michael Glaese GmbH, Hemsbach Einbandgestaltung: schreiberVIS, Bickenbach Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-darmstadt.de
ISBN 978-3-534-26030-0 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-73754-3 eBook (epub): 978-3-534-73755-0
Inhalt Vorwort
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A. Rom in der Zeit des Augustus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Zeit der Bürgerkriege . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rom unter Augustus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Die Literatur der augusteischen Zeit . . . . . . . . . . . . . I. Die Entwicklung der römischen Literatur bis zur Epoche des Augustus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kulturpolitik und Herrscherlob . . . . . . . . . . . . . IV. Produktion und Verbreitung von Literatur . . . . . . . .
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C. Die Gattungen der augusteischen Literatur I. Das Epos . . . . . . . . . . . . . . . II. Kleinepos (Epyllion) . . . . . . . . . III. Bühnendichtung . . . . . . . . . . . IV. Lehrdichtung . . . . . . . . . . . . V. Elegie . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Bukolik . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Satura . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Lyrik, Iambus, Epigramm . . . . . . IX. Historiographie . . . . . . . . . . . X. Rhetorik . . . . . . . . . . . . . . . XI. Philosophie . . . . . . . . . . . . . XII. Fachwissenschaft . . . . . . . . . .
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D. Die Autoren der augusteischen Zeit . . . . I. Vergil . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Leben und Werk im Überblick . . b. Appendix Vergiliana . . . . . . . . c. Bucolica . . . . . . . . . . . . . . d. Georgica . . . . . . . . . . . . . . e. Aeneis . . . . . . . . . . . . . . . II. Horaz . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Leben und Werk im Überblick . . b. Iambi (Epoden) . . . . . . . . . . . c. Sermones (Satiren) . . . . . . . . . d. Carmina . . . . . . . . . . . . . . e. Epistulae . . . . . . . . . . . . . . f. De arte poetica (Epistula ad Pisones) III. Livius . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Leben und Werk im Überblick . . b. Ab urbe condita . . . . . . . . . .
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42 42 42 45 45 49 54 67 67 70 73 79 86 88 90 90 91
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Inhalt IV. Vitruv . . . . . . . . . . . . . . a. Leben und Werk im Überblick b. De architectura . . . . . . . V. Tibull . . . . . . . . . . . . . . . a. Leben und Werk im Überblick b. Elegien . . . . . . . . . . . . c. Corpus Tibullianum . . . . . VI. Properz . . . . . . . . . . . . . a. Leben und Werk im Überblick b. Elegien . . . . . . . . . . . . VII. Ovid . . . . . . . . . . . . . . . a. Leben und Werk im Überblick b. Amores . . . . . . . . . . . . c. Heroides . . . . . . . . . . . d. Ars amandi . . . . . . . . . . e. Remedia amoris . . . . . . . f. Metamorphosen . . . . . . . g. Fasti . . . . . . . . . . . . . h. In Ibin . . . . . . . . . . . . i. Tristia . . . . . . . . . . . . j. Epistulae ex Ponto . . . . . . VIII. Manilius . . . . . . . . . . . . . a. Leben und Werk im Überblick b. Astronomica . . . . . . . . .
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Bibliographie Register
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Vorwort Dieses Buch ist kein Forschungsbericht, der alle Tendenzen jüngerer Forschung zur Literatur der augusteischen Zeit systematisch auflisten oder gar bewerten würde; ebenso wenig stellt es den Anspruch wissenschaftlicher Innovation. Stattdessen verfolgt es drei Ziele: Zunächst einmal soll es einen breiten Leserkreis – Studierende oder interessierte Laien – in die formale und thematische Vielfalt einer der bedeutendsten und wirkungsmächtigsten Epochen der europäischen Literatur einführen. Diesem Einführungscharakter verdanken sich die grundlegenden Erläuterungen zu den Gattungen, Autoren und Texten ebenso wie das Bemühen, die historischen Hintergründe zu erläutern, Fachtermini zu erklären und Zitate zu übersetzen. Angesichts des umfangreichen Themenfeldes mit seiner Fülle relevanter Informationen war eine knappe Darstellungsform notwendig. Dass die Angaben mitunter – ganz unverkennbar etwa im Bereich der Rezeptionsgeschichte – fragmentarisch wirken müssen beziehungsweise allenfalls eine Auswahl bieten können, habe ich in Kauf genommen. Ein zweites und wichtiges Ziel ist, den inneren Zusammenhang der Autoren dieser Epoche und ihre Stellung innerhalb ihres historischen beziehungsweise politischen Umfelds nachvollziehbar zu machen. Diese Zielsetzung schließt in sich ein heute nicht ganz selbstverständliches Bekenntnis ein: Das Bekenntnis, dass die Werke von Vergil und Horaz, Tibull, Properz und Ovid, Livius, Vitruv und Manilius und die ihrer Zeitgenossen, denen ein ungünstiges Schicksal es versagt hat, bis in die Neuzeit überliefert zu werden, mehr sind als ein Konglomerat zufällig zu derselben Zeit und unter demselben politischen System entstandener weitgehend disparater Texte. Die folgenden Kapitel wollen den veritablen Epochencharakter der augusteischen Literatur dokumentieren: Sie wollen zeigen, dass sich in den Werken der genannten Autoren die Teilhabe an gemeinsamen ästhetischen, poetologischen, politischen und ethischen Prinzipien niederschlägt. Dem Nachweis dieses inneren Konnexes dienen die allgemeinen Erläuterungen in Kapitel A und B, in denen die Bedingungen, unter denen augusteische Autoren schrieben und publizierten, dargelegt werden; die einleitenden Passagen zu den einzelnen Autoren vertiefen diesen Aspekt, soweit dies im Einzelfall möglich ist. Ebenso weisen die Werkreferate auf Parallelen, Abhängigkeiten und die Partizipation an epochenspezifischen ,Diskursen‘ hin, Erläuterungen, die im Register systematisch verzeichnet sind. Mein drittes Anliegen – und sicherlich das schwierigste – ist, Interesse an dieser einzigartigen Zeit und ihrer Literatur zu wecken: kein unkritisches Interesse, das in simpler Klassikerverehrung verharrt, sondern die Bereitschaft, zu den Texten selbst zu greifen. Die Frage, ob die referierenden Kurzskizzen, mit denen ich (fast) jedes Werk der Augusteer versehen habe, diesem Zweck hinderlich oder förderlich sind, hat mir lange zu schaffen gemacht. Meine Hoffnung ist, dass meine knappen Hinweise den Wunsch wachrufen, mehr und Genaueres über die besprochenen Texte zu erfahren – wie auch die Skepsis, ob diese ja unvermeidlich subjektiv geprägten Interpretationsansätze gerechtfertigt sind oder ob die eigene Lektüre andere Aspekte hervorhe-
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Vorwort ben und insgesamt anders werten würde. In jedem Fall sind die Paraphrasen unter diesem Aspekt verfasst: als Einführung in das Verständnis dieser Texte und als Anreiz, sie zu Hand zu nehmen, sie zu studieren, mit ihnen zu arbeiten. Um dies zu erleichtern, verzeichnet die Bibliographie neuere Ausgaben, Kommentare, Übersetzungen. Sie bietet im Übrigen eine schmale Auswahl jüngerer Fachliteratur und damit einen Zugang zu den aktuellen Forschungsdebatten. Von meinen Mitarbeitern am Hamburger Institut für Griechische und Lateinische Philologie haben Robert Karacsony, Maike Steenblock und Anja Wolkenhauer beim Entstehen dieses Buches geholfen; sie haben Kritik geäußert, Material gesammelt, Fehler getilgt. Ihnen gilt mein herzlicher Dank. Hamburg, im Februar 2005
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Dorothee Gall
A. Rom in der Zeit des Augustus I. Die Zeit der Bürgerkriege Den Niedergang der römischen Republik (res publica Romana) führte der römische Historiker Sallust (86 – 34 v. Chr.) – wahrscheinlich in der Nachfolge des griechischen Philosophen und Geschichtsschreibers Poseidonios Rhodios (135 – 51 v. Chr.) – auf die Zerstörung Karthagos im Jahr 148 v. Chr. zurück: Ohne ebenbürtige Feinde habe Rom die Motivation gefehlt, seine Tugenden und Kräfte zu erhalten; so sei es allmählicher Degeneration zum Opfer gefallen. Tatsächlich setzt mit dem Ende der Eroberungskriege ein großer Wandel ein, der aber weniger durch den Verlust eines Feindbildes, als durch zahlreiche Feldzüge und die wirtschaftlichen Folgen der gewaltigen Expansion des Reiches zu erklären ist: Gegen Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. stehen Spanien, ganz Griechenland mit Makedonien, der Norden Afrikas und Teile Kleinasiens unter römischer Herrschaft. Davon profitiert vor allem die Oberschicht; sie bereichert sich in den Kriegen durch Beutenahme, nach den Kriegen in den Provinzen, die sie verwaltet. Für das Sozialgefüge der Städte, die ökonomische Situation der Landbevölkerung und die innere Sicherheit des römischen Reiches bedeutet die Expansion dagegen eine Quelle der Instabilität: Die Landbevölkerung stellt große Teile des römischen Heeres – und verliert so ihr wesentliches Arbeitspotential. Die von Sklaven bewirtschafteten Latifundien drängen die bäuerlichen Kleinbetriebe ins wirtschaftliche Abseits und befördern Landflucht und Verelendung der Kleinbauern. Da die Bevölkerung eroberter Städte vielfach versklavt wird, droht die Zahl der Sklaven in Italien die Zahl der wehrfähigen Bürger zu übersteigen. Sklavenaufstände überziehen in rascher Folge Sizilien, Griechenland, Kleinasien, Italien. Die institutionalisierte Ausbeutung der Provinzen fördert die Piraterie im Mittelmeer, die von den Städten als einziges Mittel angesehen wird, den eigenen finanziellen Ruin abzuwehren. All diese Faktoren bewirken eine zunehmende gesellschaftliche Destabilisierung und politische Polarisierung. Gegen den Widerstand weiter Teile der politischen Führungsschicht setzen in der 2. Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr. vermehrt Bestrebungen ein, die Rechte des Volkes zu stärken. Dazu gehören die leges tabellariae (Tafelgesetze), durch die die comitia (Volksversammlungen) auf geheime Abstimmung verpflichtet werden. Weiteres Konfliktpotential liegt in der rechtlichen Privilegierung der römischen Bürger, die einem Großteil der Italiker verwehrt bleibt. Erst der Bundesgenossenkrieg der italischen Städte gegen Rom (91 – 88 v. Chr.) erzwingt die Ausweitung des römischen Bürgerrechts auf alle Italiker und die Gallia Transpadana (Oberitalien jenseits des Po). Das Problem der Landflucht und der aus ihr resultierenden Überbevölkerung in Rom kann durch Getreideabgaben an das städtische Proletariat nicht dauerhaft gelöst werden; dazu müssten Schritte zu einer Rücksiedelung erfolgen. Das wäre aber nur im Rahmen einer umfassenden Neuordnung der Grundbesitzverhältnisse unter Enteignung des von der Oberschicht usurpierten italischen Landes möglich. Diese Bodenreform, der sich Tiberius Sem-
Rom nach den punischen Kriegen
Landflucht und Sklavenaufstände
Tafelgesetze
Die Gracchen
3
Rom in der Zeit des Augustus
A.
Sulla und Marius
Pompeius, Crassus und Caesar
Politische Destabilisierung
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pronius Gracchus und sein Bruder Gaius als tribuni plebis (Volkstribunen, 133 und 123/2), verschreiben, scheitert am Widerstand der Großgrundbesitzer. Die Interessengegensätze zwischen den Optimates (die Besten: die alte Aristokratie) und Populares (Vertreter der Volkspartei) gipfeln schließlich in einem Bürgerkrieg. Dessen unmittelbarer Auslöser ist der Krieg gegen den pontischen Herrscher Mithradates, der sich der römischen Provinz Asia zu bemächtigen sucht. Der Senat entsendet im Jahr 88 v. Chr. als Feldherrn den Optimaten L. Cornelius Sulla. Die Volksversammlung aber bestimmt den Popularen Marius als Feldherrn. Die Konkurrenz dieser beiden Männer bereitet das Ende der Republik vor: Nach einer Phase der Machtübernahme durch Marius und seine Anhänger kann Sulla zwar für kurze Zeit die Herrschaft der Senatsaristokratie in Rom wieder herstellen, beide Feldherren nutzen aber jeweils ihre Herrschaft über die Stadt, um ihre Widersacher zu verfolgen und zu töten und ihr Vermögen einzuziehen. Die alte Führungsschicht wird auf diese Weise drastisch dezimiert. Im Jahr 79 erklärt Sulla sein Programm einer Restituierung der Senatsherrschaft für abgeschlossen und legt seine Vollmachten nieder. Fast gleichzeitig beginnt der Aufstieg von Pompeius, der im Krieg gegen den Marius-Anhänger Sertorius in Spanien ersten militärischen Ruhm gewinnt, und von Crassus, der durch seinen Sieg über das von Spartacus angeführte aufständische Sklavenheer populär wird. Im Jahr 71 stehen Pompeius und Crassus mit siegreichen Heeren vor der Stadt – eine fatale Bedrohung für den Senat. Sie setzen ihr gemeinsames Konsulat für das Jahr 70 durch und heben die sullanische Verfassung auf. Pompeius’ Macht und Popularität wächst durch den Seeräuberkrieg, die Zerschlagung der Seeräuberflotten im Mittelmeer (67). Im Jahr 66 wird ihm der Oberbefehl im Krieg gegen Mithradates erteilt; seinen Sieg krönt er mit einer umfassenden politischen Neuordnung Kleinasiens und Iudaeas im Sinne römischer Machtpolitik. Als Pompeius 62 nach Italien zurückkehrt, verlangt er vom Senat die Bestätigung seiner Politik im Osten, die Versorgung seiner Veteranen und die Gewährung eines Triumphes. Den Triumphzug kann er im September 61 abhalten, aber 60 scheitert der Gesetzesantrag auf Versorgung der Veteranen. Pompeius entfernt sich von der Senatspartei. 56 schließt er ein Zweckbündnis mit Crassus und mit Caesar, dem bedeutendsten politischen Aufsteiger der vergangenen Jahre, der in Rom die Partei der Populares hinter sich gebracht hat und durch seine militärischen Erfolge in Gallien über ein großes Heer verfügt; Pompeius’ Ehe mit Caesars Tochter Iulia und Crassus’ Vermittlung halten diesen Dreierbund (Triumvirat) eine gewisse Zeit im Gleichgewicht. Als aber 54 Iulia stirbt und 53 Crassus bei Carrhae in der für die Römer verheerenden Schlacht gegen die Parther fällt, schlägt das Bündnis um in einen offenen Konkurrenzkampf. Der Bürgerkrieg zwischen Pompeius und Caesar (49 – 45) bedeutet das Ende der römischen Republik. Kurz nach seiner Niederlage in der Schlacht bei Pharsalos im Jahr 48 wird Pompeius in Ägypten erschlagen, der siegreiche Feldherr Caesar lässt sich 45 zum Diktator auf Lebenszeit ausrufen. Doch an den ,Iden des März’ (15. 3.) 44 wird er von einer Gruppe von Verschwörern umgebracht. In den Bürgerkriegen der Jahre zwischen 133 und 45 – also von den gracchischen Reformversuchen bis Pharsalos – treten verschiedene Schwächen
Die Zeit der Bürgerkriege des politischen und ökonomischen Systems in Rom zu Tage: Dieses ist ausgerichtet auf den Ausgleich zwischen zwei Schichten in einer Stadt, nicht auf die Verwaltung eines Weltreiches, das Kontinuität der Machtausübung, straffere Hierarchien, kürzere Entscheidungswege und gestalterische Innovationskraft verlangt. Im kleineren Bereich italischer Politik konnten sich die Anpassungen an die jeweiligen Erfordernisse noch in jahrzehntelangen Prozessen vollziehen. Die neue politische Situation ist aber auf diese Weise nicht mehr zu gestalten. An der inneren Stabilität der römischen Gesellschaft hatten die Klientelverhältnisse großen Anteil; sie banden die Reichen und Armen, die Mächtigen und Machtlosen durch gegenseitigen Nutzen aneinander. Jetzt verlieren sie aber an Bedeutung, einerseits durch die kostenlosen Getreideabgaben in der Stadt, die die Armen wirtschaftlich unabhängig machen, dann durch die Einführung geheimer Wahlen, die den patroni die Kontrolle über ihre clientes entziehen. Auch die Entstehung eines ,dritten Standes‘ aus begüterten Gewerbetreibenden, Finanziers etc. erschüttert die alten Bündnisverhältnisse und schwächt den Einfluss der nobilitas. Deren internes Kontrollsystem verliert an Zuverlässigkeit, der Aufstieg Einzelner wird möglich. Als problematisch erweist sich auch eine von Marius eingeführte Neuerung: das stehende Heer aus ,Berufssoldaten’. Angesichts der Landflucht scheint dies eine sinnvolle Reform zu sein; sie schafft aber im Heer neue Solidaritäten. Die Söldner fühlen sich nun weniger dem Staat verpflichtet, dessen Bürger sie sind, als dem Feldherrn, der für ihren Sold aufkommt und ihre Altersversorgung garantiert – eine entscheidende Vorbedingung für Bürgerkriege. Caesar trägt der Verelendung des städtischen Proletariats und den Problemen eines Großreichs Rechnung, indem er ein umfangreiches Reformprogramm zu Gunsten der plebs durchzusetzen sucht und die Macht in seiner Person bündelt. Geschickt schließt er sich dabei an römische Herrschaftstraditionen an und beansprucht zunächst für sich nicht den Titel eines Königs, sondern den eines Diktators auf Lebenszeit – ein Amt, das für den Ausnahmezustand auch in der alten Verfassung vorgesehen war und deren normales Funktionieren außer Kraft setzte. Allerdings unterschätzt Caesar die Widerstandskraft der nobilitas; mit seiner Ermordung an den Iden des März 44 (15. 3.) bäumt sich die alte Führungsschicht ein letztes Mal gegen die Diktatur auf und verlängert die Phase des republikanischen Rom um weitere 14 Jahre. Es sind Jahre des Bürgerkriegs, zunächst zwischen den Caesar-Mördern und den Anhängern Caesars, an deren Spitze Octavianus und Marcus Antonius, dann – nach dem Sieg dieser beiden über die Vertreter der alten Republik – zwischen diesen beiden Männern selbst.
A.
Klientelverhältnisse
Stehendes Heer
Caesars Diktatur
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Rom in der Zeit des Augustus
A.
II. Rom unter Augustus Marcus Antonius und Octavianus
Der Prinzipat
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Das Ende der Republik ist im Grunde schon im Jahr 42 v. Chr. mit der Niederlage der Caesar-Mörder in der Schlacht von Philippi besiegelt. Noch ist offen, wer Caesars Erbe antreten wird. Marcus Antonius beruft sich auf seine langjährigen Leistungen im Dienst des Staates und Caesars; Octavianus, ein Großneffe Caesars und von diesem testamentarisch adoptiert, versteht sich als legitimer Erbe. Der Konkurrenzkampf dieser beiden Caesarianer führt zu einem erneuten langwierigen Bürgerkrieg, dessen Hauptschauplätze Griechenland, Africa und Spanien bilden; im so genannten bellum Perusinum der Jahre 41/40, einem Krieg zwischen Octavianus und Marc Antons Bruder L. Antonius, greift der Konflikt auch tief in das Leben der italischen Landbevölkerung ein. Er endet mit der Zerstörung Perusias, heute Perugia, und Enteignungen der Bauern im weiteren Umfeld der Stadt zugunsten von Octavians Söldnern. Antonius’ Scheidung von Octavians in Rom sehr beliebter Schwester Octavia im Jahr 32 v. Chr. und seine Beziehung zu der ägyptischen Herrscherin Kleopatra, von der er drei Kinder hatte, bot Octavian Anlass, gegen ihn zu agitieren. Das letzte Kapitel im Machtkampf der ehemaligen Verbündeten eröffnete die Kriegserklärung an Kleopatra (damit war der Bürgerkrieg zum bellum externum umgemünzt). Aus der Schlacht von Actium (31 v. Chr.) retteten Kleopatra und Antonius sich durch Flucht, kamen aber 30 v. Chr. in auswegloser Lage durch Selbstmord um. Octavians Vormachtstellung war nunmehr gesichert. Er begründet die Dynastie der Familie Caesars, der gens Iulia. Im Vergleich zu seinem Adoptivvater Caesar erweist sich Octavianus als der machtpolitisch geschicktere, in jedem Fall aber rücksichtslosere Politiker: Caesar war berühmt für seine Milde gegenüber den ehemaligen Gegnern im Bürgerkrieg (clementia Caesaris). Octavian dagegen beginnt seine Herrschaftszeit mit einer Serie von Prozessen, Hinrichtungen und Verbannungen, ein grausames Verfahren, das ihm ein nahezu ,befriedetes’ Italien beschert. In politischer Hinsicht sichert Octavian seine Macht nicht durch die sofortige Usurpation der wichtigsten Machtpositionen, sondern durch eine vorsichtige Modifikation der politischen Abläufe innerhalb der gültigen Strukturen, die auch die Republik prägten. Der Titel, den er für sich beansprucht – princeps, abgeleitet aus primum caput, erstes Haupt – existierte auch schon im Rahmen der Senatshierarchie: Der princeps senatus trug jeweils als erster sein Votum vor. Der Taktik, den eigenen Machtanspruch hinter den Titeln der Republik zu verbergen, bleibt Octavian sein Leben lang treu: Am 13. Januar 27 v. Chr. legt er seine Ämter nieder – und wird unmittelbar darauf vom Senat für zehn Jahre mit prokonsularischer Gewalt versehen (sein Amtsbereich erstreckt sich damit nominell nicht auf Rom selbst); am 16. Januar verleiht ihm der Senat auch den Ehrentitel Augustus (der Unverletzliche, Erhabene). Im Jahr 23 wird er Volkstribun auf Lebenszeit; ab 19 besitzt er die lebenslange konsularische Gewalt, das heißt Macht auch über Rom; damit ist der augusteische Prinzipat endgültig etabliert. Augustus achtet den gesellschaftlichen Vorrang des Senatorenstandes und weist ihm sogar durch gesetzgeberische Maßnahmen eine besondere
Rom unter Augustus Verantwortung für die gesellschaftliche Entwicklung zu. Den Einfluss der Senatoren beschränkt er aber zunehmend: Sein Herrschaftssystem stützt er vorwiegend auf ,Experten’ aus allen Ständen. Die anfängliche Verfolgung der Gegner vernichtet große Teile der politischen Opposition; die Taktik, die eigene Macht mit Hilfe des Senats und unter republikanischen Titeln zu sichern, hemmt das Aufkommen neuer Gegenströmungen. So gewinnt Octavian die Zeit, eine Dynastie aufzubauen – die allerdings den Schönheitsfehler hat, dass er selbst (vermutlich auf Grund einer Masernerkrankung) nach der Geburt seiner Tochter Iulia ohne weitere Kinder bleibt. Als Erben sieht er zunächst seine Enkel vor, später, nach deren frühem Tod, die Kinder seiner zweiten Frau Livia von ihrem ersten Mann Nero Claudius Drusus, die durch Adoption in die gens Iulia aufgenommen werden. Livias Sohn Tiberius wird Augustus’ erster Nachfolger (14 – 37); die Reihe der iulisch-claudischen Herrscher in Rom endet im Jahr 68 n. Chr. mit Nero. Zur Rechtfertigung seiner Vormachtstellung beruft Augustus sich einerseits auf seinen Adoptivvater Caesar. Dessen politisches Testament sucht er durch die Einrichtung eines Kultes des vergöttlichten Caesar zu legitimieren. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Himmelszeichen, die angeblich Caesars Tod begleiteten, und der Stern, der vom 20. bis 30. Juli 44 bei Caesars Leichenspielen erschienen sein soll (sidus Iulium); die Caesarstatue, die Octavianus in Rom im Venus-Tempel aufstellen lässt, trägt deshalb einen Stern auf der Stirn. Der Kult des vergöttlichen Caesar dient aber auch der Erhöhung seines Erben: Er erhebt Octavianus zum Sohn eines Gottes, divi filius, der selbst kultische Verehrung empfängt. Wie Caesar führt er seine Familie auf Venus zurück. Im Verlauf der augusteischen Epoche wächst die Bedeutung einiger Leitideen, die Augustus’ Herrschaft legitimieren, indem sie ihn auf eine Erneuerung der römischen Gesellschaft, ihrer Religion und Kultur verpflichten. Das Programm, das sich allmählich aus diesen Leitideen herauskristallisiert, interpretiert die römisch-italische Frühzeit als ein ,Goldenes Zeitalter’ (aurea aetas), in dem die Menschen ein ländliches Leben in Glück und Frieden führten. Als ihr Herrscher gilt der alte italische Gott Saturnus; die Verschmelzung mit dem griechischen Gott Kronos, der von seinem Sohn Zeus entmachtet und vertrieben wird, macht ihn zum Flüchtling, Italien zu seinem Exil; Frömmigkeit, Anstand und Treue, Fleiß und Bescheidenheit gelten als Grundwerte des Saturnischen Zeitalters. Exemplarisch für diese Werte stehen die großen Gestalten römischer Mythen und Geschichtserzählungen: der Venus-Sohn Aeneas, der seinen Vater und die Götter Troias aus der von den Griechen eroberten Heimat rettete und zum Stammvater der gens Iulia wurde; Romulus, der Rom gründete; die Helden der frühen Republik, die die junge Stadt vor ihren Feinden schützten und das eigene Glück und Leben für Rom opferten. Von den Werten, die diese Männer vertreten haben, sei die voraugusteische Zeit abgewichen; so habe sie Rom dem moralischen und religiösen Verfall ausgeliefert. Dieser Verfall könne aber durch eine Rückkehr zu den Tugenden, die Rom einst groß machten, und zur Frömmigkeit früherer Generationen geheilt werden: Das goldene Zeitalter soll aufs Neue in einem befriedeten Italien blühen.
A.
Die gens Iulia
Der Caesar-Kult
aurea aetas
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Rom in der Zeit des Augustus
A. renovatio
Augusteische Familienpolitik
Augusteische ,Ideologie ,
Monumentum Ancyranum
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Der Aufgabe, die römische Gesellschaft moralisch zu reformieren, hat Augustus sich auf verschiedenen Feldern gestellt. Seine renovatio (Erneuerung) hat ihren Schwerpunkt in den Bereichen von Religion und Familie. Die alten römisch-italischen Kulte unterzieht Augustus einer umfassenden ,Reinigung’; er modifiziert archaische beziehungsweise allzu harte Kultvorschriften und drängt den orientalischen Einfluss zurück. Seine Familienpolitik hat nicht zuletzt das Ziel, dem Geburtenrückgang entgegenzuwirken, dazu dienen die sogenannten Ehegesetze, die 17 v. Chr. von Augustus selbst eingebrachte lex Iulia de maritandis ordinibus (Iulisches Gesetz über die Ehen zwischen den Ständen) und die 9 v. Chr. erlassene lex Papia Poppaea. Die Gesetze sind in ihrem Wortlaut nicht erhalten, aber aus indirekten Quellen und Kommentaren zu erschließen. Sie betreffen Frauen zwischen 20 und 50 Jahren und Männer zwischen 25 und 60 Jahren; durch steuerrechtliche Regelungen, Begünstigungen in der beruflichen Karriere und teils drastische Sanktionen soll die zunehmend ehe-unwillige römische Bevölkerung zur Gründung von Familien und Zeugung von Kindern motiviert werden. Zugleich werden die Ehen zwischen den Ständen vor allem für die Oberschicht senatorischen Rangs beschränkt; Ehebruch wird als Verbrechen sanktioniert. Die häufig benutzten Begriffe ,augusteisches Programm‘ oder ,augusteische Ideologie‘ sollten nicht den Eindruck eines schriftlich fixierten Normenkatalogs mit fester Systematik erwecken. Tatsächlich hat es einen solchen Normenkatalog nie gegeben, die oben genannten Leitlinien lassen sich aber aus literarischen Quellen, aus den Wertebegriffen, die auf Münzen oder Inschriften erscheinen, und aus der bildenden Kunst der Zeit erschließen. Verfehlt ist allerdings die Vorstellung, die Schriftsteller und bildenden Künstler hätten politisch vermittelte Ideen nur aufgegriffen und verarbeitet. Vielmehr haben sie selbst durch ihre Werke einen Werte- und Romdiskurs geschaffen, der wesentlich daran mitwirkte, ein neues römisches Weltbild und Selbstbewusstsein entstehen zu lassen. Das Programm der augusteischen renovatio haben sie in Übereinstimmung mit dem politischen Willen des princeps formuliert, illustriert und modifiziert. Die Präsenz dieses Programms in der Literatur ist uneinheitlich: Vergils Georgica und Aeneis, Horaz’ Carmina und Livius’ Geschichtswerk Ab urbe condita legen das klarste Zeugnis ab; auch Ovids Fasti tragen deutliche Züge augusteischer Ideologie. Die frühesten Werke der augusteischen Zeit, Vergils Bucolica und Horaz’ Epoden und Sermones sind dagegen dem Gedanken einer allgemeinen gesellschaftlichen renovatio eher oberflächlich verpflichtet. Properz’ und Tibulls Elegien bekennen sich mehrheitlich zu einer Lebenseinstellung, die den Anspruch der Gesellschaft an das Individuum geradezu leugnet. Auch in Ovids Amores und Ars amatoria ist die Distanz zur augusteischen renovatio provokativ ausgespielt. Dennoch konnten selbst diese Schriften lange Jahre in Rom kursieren, ohne größeren Anstoß zu erregen: Das belegt, dass das ,augusteische Programm’ kein Gründungselement augusteischer Herrschaft war, sondern erst allmählich gleichzeitig mit der Konsolidierung dieser Herrschaft an Verbindlichkeit zunahm. Wichtige Dokumente für Augustus’ Selbstverständnis bilden das so genannte Monumentum Ancyranum und die Ara pacis. Das Monumentum Ancyranum ist ein umfassender Rechenschaftsbericht der „Taten des göttlichen
Rom unter Augustus Augustus“ (res gestae divi Augusti), der um die Zeitenwende auf erzenen Tafeln zuerst in Rom vor Augustus’ Mausoleum, später dann auch an anderen Orten veröffentlicht wurde; die moderne Bezeichnung trägt dieses politische Testament nach dem Fundort Ancyra (Ankara). Hier berichtet Augustus von seinen Leistungen im Krieg und vor allem im Frieden; großes Gewicht liegt auf der Erneuerung der Gesellschaft und des Götterkultes sowie der Restitution zahlreicher Tempel. Der Text gibt einen wichtigen Einblick in Augustus’ Selbstverständnis und den Angelpunkt seiner Legitimation: Sein Herrschaftsanspruch erwächst aus der persönlichen Glaubwürdigkeit und Kompetenz dessen, dem es gelingt, die Zustimmung anderer zu finden und ihr Handeln anzuregen und zu leiten (auctoritas). Augustus versteht sich nicht als bloßer Inhaber faktischer Macht, sondern als moralische Autorität. Die Ara Pacis (Altar des Friedens beziehungsweise Altar der Friedensgöttin) ist noch heute in Rom am Tiberufer (wenngleich nicht am ursprünglichen Standort) zu besichtigen. Sie ist ein politisch-religiöses Denkmal zur Erinnerung an den von Augustus gestifteten Frieden. Ihr Bau geht auf einen Senatsbeschluss des Jahres 13 v. Chr. zurück; geweiht wurde sie 9 v. Chr. Der Altar präsentiert das augusteische Geschichtsbild in sinnfälligen Bildern, Reliefs, die offensichtlich von Vergils einige Jahre zuvor veröffentlichtem großen mythologischen Epos Aeneis beeinflusst wurden: eine von Fruchtbarkeitssymbolen umgebene Frau, die als Allegorie der (italischen) Erde (Tellus) oder des Friedens gedeutet wird, Aeneas beim Opfer, die Auffindung der von der Wölfin gesäugten Zwillinge Romulus und Remus und eine von Augustus als pontifex maximus (oberster aller Priester) angeführte Prozession. Diese mythischen und allegorischen Motive stellen Augustus und das von ihm erneuerte Rom in die Tradition früherer römischer Größe und italischer Frömmigkeit. Inwieweit die Stilisierung des princeps als Friedenskaiser, sittlicher Erneuerer und Neubegründer der ersehnten aurea aetas dem Urteil seiner Zeitgenossen entspricht, ist nicht zu klären. In manchen zeitgenössischen Texten mag, wie jüngere Forschung zu erweisen sucht, Kritik an Augustus versteckt sein; offen geäußert wird dergleichen aber nicht. Das mag ebenso auf die nachweislich praktizierte Zensur wie auf politisches Desinteresse oder ein echtes Einverständnis der Schriftsteller mit dem princeps zurückzuführen sein. Das spätere Augustus-Bild ist uneinheitlich: Circa 100 Jahre nach seinem Tod schildert ihn der Historiker Tacitus (55/56 – nach 113 n. Chr.) in den Annales als Usurpator der Macht und Zerstörer der Freiheit (Ann. I, 1 – 2); der griechischsprachige Geschichtsschreiber Cassius Dio (circa 164 – 230 n. Chr.) hebt dagegen Augustus’ Leistungen für einen langfristigen Frieden hervor (Römische Geschichte 56, 37 f. und 44 f.). Die moderne Geschichtsschreibung hat den Meinungszwiespalt zwischen der Verurteilung seines Anteils am Bürgerkrieg und der Würdigung seiner Leistungen nach dessen Ende wiederholt mit unterschiedlichen Akzentuierungen – und auch unter dem Einfluss der Erfahrungen aus den Kriegen des 20. Jahrhunderts – ausgetragen; eine wichtige Stimme in diesem Disput ist die des Historikers Ronald Syme, der in seinem Werk „The Roman Revolution“ (Oxford 1939) erneut das Bild des durch Grausamkeit und Rechtsbruch zur Macht gelangten Politikers zeichnet.
A.
Ara pacis
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B. Die Literatur der augusteischen Zeit I. Die Entwicklung der römischen Literatur bis zur Epoche des Augustus
Der Einfluss der griechischen Literatur
Herkunft und Stand der Autoren
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Wir hätten keine Kenntnis davon, wann und auf welche Weise die Römer den Weg zur Literatur gefunden haben, wenn sie nicht durch die Eroberung Süditaliens (Magna Graecia) und später dann des griechischen Kernlandes selbst in engen Kontakt zur griechischen Kultur getreten wären. Ansätze einer autochthonen Literatur hat es gegeben: Kultlieder, Spottlieder, Sammlungen historischer Daten in chronologischer Folge (Annales), Familienchroniken. Nach dem (allerdings in seiner Glaubwürdigkeit nicht unumstrittenen) Zeugnis römischer Historiker (Livius, Ab urbe condita 7,2; Valerius Maximus, Facta et dicta memorabilia 2,4,4) gab es auch einfache Bühnenspiele, in denen eine italisch-griechische Tradition des Stegreifspiels und der Typenkomödie dem römischen Publikumsgeschmack angepasst wurde. Aus den von den Priestern und Beamten aufgezeichneten Chroniken hätte literarisch anspruchsvolle Geschichtsschreibung entstehen können. Und die in Familienarchiven erhaltenen Reden und Lebensläufe wichtiger Persönlichkeiten hätten vielleicht auch ohne den Einfluss griechischer Literatur irgendwann weitere Ausformung und Verbreitung gefunden. Die Chance, eine eigenständig römische Literatur zu entwickeln, haben die Römer aber nicht gehabt. Was immer an autochthon Römischem in vollendeter Form oder als entwicklungsfähiger Samen existiert haben mag – als in der Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. die griechische Literatur planmäßig in Rom heimisch gemacht wurde, ging es zugrunde oder wurde in die neue griechisch-römische Literatur in einer Weise integriert, die eine analytische Trennung unmöglich macht. Seit ihren Anfängen orientiert sich die römische Literatur an der griechischen. Im Lauf der Zeit ändert sich aber die Art, wie die von der griechischen Literatur ausgehenden Impulse in römischen Werken umgesetzt werden. Anfangs geht es um die mehr oder weniger freie Übersetzung (interpretatio) eines Textes oder die adäquate Übertragung einer Gattung; aber schon bald finden die Autoren der römischen Literatur zu dem Selbstbewusstsein, die griechischen Texte und Formen zu variieren, römischem Denken anzupassen, mit subjektiven Aussagen zu bereichern. Die römische Literatur gewinnt dadurch an Eigenständigkeit; ihr Verhältnis zur griechischen Literatur ist nicht allein durch Nachahmung (imitatio), sondern auch durch Wettstreit (aemulatio) gekennzeichnet. Die Protagonisten römischer Dichtung entstammen dem griechischsprachigen Raum Süditaliens; einige von ihnen kommen als Sklaven oder Kriegsgefangene nach Rom. Auch in den folgenden Jahrhunderten sind nur sehr wenige Autoren Stadtrömer; manche stammen ursprünglich aus weit entfernten Regionen, viele aus den italischen Provinzen und Städten mit römischem Bürgerrecht (municipia). Die meisten verbringen aber einen Großteil ihres Lebens in Rom oder Roms näherer Umgebung; sie verfassen ihre
Die Entwicklung der römischen Literatur Werke in lateinischer Sprache und für ein hauptstädtisch kultiviertes Publikum. Die Autoren, die die griechische Literatur in die lateinische Sprache übertragen, sind keineswegs frei von eigenständigem künstlerischem Anspruch. Und die Aufgabe, die sie sich gestellt haben, ist schwierig genug: Eine bereits jahrhundertealte, in zahlreiche Gattungen diversifizierte und technisch höchst verfeinerte Dichtung soll in eine dafür in vieler Hinsicht eher untaugliche Sprache und in eine in ihrer Mentalität und ihrem Bildungshintergrund andersartige Gesellschaft übertragen werden. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, müssen die Schriftsteller sprachbildend wirken; sie müssen die Gesetze griechischer Metrik den Gegebenheiten lateinischer Sprache anpassen und die lateinische Sprache für die in der griechischen Literatur ausgebildeten Formen tauglich machen. Sie müssen zahlreiche den Römern noch unbekannte Namen, Mythen, Fakten erläutern oder umwandeln und griechische Formen der Kulturpräsentation und -funktionalisierung im öffentlichen Leben in Rom einbürgern und dem Publikum vertraut machen. Ein grundlegendes Problem bei der Erschaffung einer an den genera und metra der griechischen Literatur ausgerichteten römischen Dichtung und Kunstprosa ist die relative Armut der lateinischen Sprache: Nicht selten ist ein Begriff oder Sachverhalt nicht zu übertragen, oder aber es stehen dafür keine Möglichkeiten einer stilistischen Variation zur Verfügung. Die Pioniere der römischen Literatur lösen diese Aufgabe auf verschiedene Weise: durch die Aufnahme von Lehn- und Fremdwörtern aus den Sprachen, mit denen man in Berührung kommt: Etruskisch, Oskisch, Umbrisch und natürlich auch und vor allem Griechisch; durch die Einbeziehung verschiedener Sprachschichten in das Spektrum des gehobenen Stils der Schriftsprache; öfter auch durch die Neubildung von zusammengesetzten Worten (Komposita) oder durch die Neuerfindung von Begriffen. Alle genannten Kunstgriffe tragen dazu bei, die Kunstsprache von der Umgangssprache abzuheben; auf die Dauer eignet sich die Dichtung einen Wortschatz an, der eine Art Eigenexistenz neben der Umgangssprache führt, aber auch von der Kunstprosa abgehoben ist: Denn die Dichtungssprache wählt ihre Worte auch unter dem Aspekt ihrer metrischen Brauchbarkeit, die Kunstprosa hingegen gemäß ihrer dignitas (Würde); beide bewahren ihre spezifische Terminologie auch dort, wo die Umgangssprache schon andere ,moderne’ Worte gefunden hat. Die Formung der römischen Sprache für die Zwecke der Literatur ist ein Prozess, der sich über zwei Jahrhunderte hinzieht, von der Mitte des 3. bis zur Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. Noch Lukrez (um 97 – 55 v. Chr.), der Autor des epikureischen Lehrgedichts De rerum natura, klagt beredt über die Mängel der lateinischen Sprache, und der große Vermittler griechischer Philosophie Cicero (106 – 43 v. Chr.) muss sich oft mit Gräzismen (aus dem Griechischen übernommenen Ausdrücken) oder mit umständlichen Definitionen behelfen, um die philosophischen Sachverhalte darstellen zu können, die er bei den Griechen vorfindet. Das große Projekt der Übertragung der griechischen Literatur nach Rom und ins Lateinische hätte scheitern müssen, wenn es nicht von den führenden Familien Roms angestoßen und gefördert worden wäre. Ihnen ging es, auch wenn man ihnen sicher ein genuines Bildungsinteresse unterstellen darf, nicht in erster Linie darum, in Rom einen anspruchsvollen Kulturbetrieb
B. Probleme des Literaturtransfers
Motive des Literaturtransfers
11
Die Literatur der augusteischen Zeit
B.
Römische Literatur des 2. und 1. Jahrhunderts v. Chr.
Literatur der ausgehenden Republik; die Neoteriker
12
zu etablieren; auch die im griechischen Raum maßgebliche kultische Funktion des Theaters reicht nicht aus, das Ausmaß dieses Literaturtransfers zu erklären. Vielmehr spielen hier politische Motive mit: Die Römer erkannten, dass die Teilhabe an einem gemeinsamen Bildungskanon ihnen im Umgang mit den Völkern des Südens und Ostens Kontakte ,auf gleicher Augenhöhe’ ermöglichte, dass sie diplomatische Beziehungen ebenso wie die Verwaltungstätigkeit erleichterte und zudem ein Forum der Selbstdarstellung und (politischen) Rechtfertigung bot. Die griechische Literatur führte aber auch vor Augen, dass Kultur der nationalen Selbstvergewisserung dienen kann, eine Chance, derer sich die Römer ausgiebig bedienten. Viele Werke ihrer Literatur dienen nicht zuletzt der Beschwörung der kriegerischen Ideale und Leistungen Roms, der Verherrlichung der bürgerlichen Tugenden, der Darstellung vorbildhaft patriotischer Persönlichkeiten. Unter diesen Vorzeichen stehen die beiden großen Epen der vorklassischen Zeit, das Bellum Poenicum des Naevius (um 265 – um 200 v. Chr.) und die Annales des Ennius (239 – 169 v. Chr.). Geprägt von prorömischer Propaganda ist aber auch das erste Werk eines Autors mit römischem Bürgerrecht: Der Optimat Q. Fabius Pictor (3. Jahrhundert v. Chr.) verfasste in griechischer Sprache eine Prosaschrift über die römische Geschichte mit einem Schwerpunkt in den punischen Kriegen; seine Darstellung warb um Anerkennung der römischen Expansionspolitik. Im 2. Jahrhundert v. Chr. ergreift das Interesse an der Literatur größere Teile der römischen Oberschicht. Die Zeugnisse über die literarischen Zirkel dieser Zeit mögen durch die verklärende Rückschau späterer römischer Schriftsteller und die Projektion eigener Erfahrungen in die Vergangenheit verfälscht sein; immerhin besitzen wir aber sichere Testimonien über die tiefere Verankerung einer literarisch geprägten Kultur im römischen Leben: Mit Lucilius (um 180 – 103 v. Chr.) tritt ein vornehmer Stadtrömer als Verfasser von teils gesellschaftskritischen, teils autobiographisch geprägten Kleintexten hervor; Männer, die ,hauptberuflich‘ als Politiker und Feldherren agieren, dichten Epigramme und beschäftigen sich mit griechischer Dichtung, Historiographie und Philosophie; römische Tragödiendichter werden populär. Die politischen und gesellschaftlichen Krisen des ausgehenden 2. und des 1. Jahrhunderts beeinflussen auch die Entwicklung der Literatur. In den Bürgerkriegen zwischen Marius und Sulla wächst in Rom eine Generation heran, die auf die Krise des Staates in unterschiedlicher Weise reagiert: Auf der einen Seite stehen Männer wie Caesar, Cicero, Sallust. Sie verbinden kulturell-literarisches Interesse mit politischer Aktivität. Ihre schriftstellerische Tätigkeit ist die Frucht der Jahre zwischen oder nach der Wahrnehmung politischer Ämter und Tätigkeiten. Die Alternative zu einem solchen Ausgleich zwischen politischer und schriftstellerischer Tätigkeit liegt im Rückzug aus der Politik, hin zu einer dem Geistigen oder Ästhetischen gewidmeten Existenz: Lukrez, Catull (87 oder 84 – 54 v. Chr.) und der engere Dichterkreis um Catull, die so genannten Neoteriker (neóteroi: die Neueren, ein Name, den Zeitgenossen wie Cicero diesem Dichterkreis verliehen, weil er sich programmatisch von der älteren römischen Dichtung abgrenzte), wählen diesen Weg. Die Entdeckung, dass Literatur auch für den römischen Bürger mehr sein kann als Ausschmückung der Freizeit des Gutsbesitzers, Feldherren oder
Die Literatur Politikers, dass sie einen eigenen und erfüllenden Lebensraum bilden kann, wird prägend für diese und für die folgende Generation römischer Autoren. Ihre persönliche Heimat finden diese Schriftsteller nicht mehr in politischen Parteien oder Interessengruppen, sondern in der Freundschaft mit Gleichgesinnten. In solchen Kreisen blüht auch ein freieres Mäzenatentum auf: Wo zuvor Feldherren und Politiker vor allem Epiker oder Historiker unterstützten, damit sie ihre Leistungen gebührend würdigten, da finden jetzt auch Fachschriftstellerei und dichterische Gattungen wie zum Beispiel Lyrik ihre Sponsoren. Ganz selbstlos ist auch solche Förderung nicht, aber der Preis des Förderers liegt hier bereits darin, namentlich als Freund des Schriftstellers und kompetenter Richter seines Werkes erwähnt zu werden. In der 1. Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr. setzt sich im Kreis der Neoteriker um Catull das von Kallimachos zwei Jahrhunderte zuvor geprägte alexandrinische Stilprogramm durch, das neue ästhetische Postulate erhebt: An die Stelle des vielfach ungeschlachten Großwerks soll die elegante ausgefeilte Kleinform treten, an die Stelle des allseits bekannten und ,abgegriffenen‘ Mythos der entlegene Stoff. Dabei verlagern sich auch die Akzente, weg vom Pathos der heroischen Stoffe hin zu psychologisierender Charakterdarstellung und Stimmungsbildern aus dem privaten Bereich. Zugleich wandelt sich die Auffassung vom Dichter: Die Vorstellung seiner göttlichen Inspiration, die ihn unwissentlich im enthusiastischen Taumel (gr. én-theos: des Gottes voll) das Große und Wahre singen lässt, tritt zurück hinter dem Bild des gelehrten ,Technikers’, der mit Wissen und Mühe sein Werk zur Perfektion führt. Ihre literarische Kompetenz dokumentieren diese Dichter in der teilweise sehr engen Orientierung an einer griechischen Vorlage. Die griechische Literatur wird als normgebend anerkannt; die Übertragung dieser Normen in den römischen Bereich gilt aber als hohe Leistung. So prägt sich recht bald das Selbstbewusstsein heraus, dass die Römer bei Befolgung der Standards griechischer Literatur ebenso Gutes, wenn nicht Besseres erreichen können. Ein individuelles Aussageanliegen war schon in Terenz’ Prologen der Komödien (circa 185 – circa 160 v. Chr.) zu erkennen; bei Catull wird es in der reichen Liebes- und Freundschaftslyrik und in den literaturkritischen Gedichten deutlich. Der enge Anschluss an griechische Formen bleibt gewahrt, auch Catulls subjektive Lyrik ist traditionsgebunden und durch den Filter der Kunst gegangen.
B.
Kallimachos
Subjektive Dichtung
II. Die Literatur Die bedeutendsten Autoren der augusteischen Zeit sind: Vergil (70 bis 19 v. Chr.), Horaz (65 bis 8 v. Chr.), Livius (64 oder 59 v. Chr. bis 12 oder 17 n. Chr.), Vitruv (Mitte 1. Jahrhundert v. Chr.), Tibull (50 bis 19 oder 17 v. Chr.), Properz (circa 47 bis höchstens 2 v. Chr.), Ovid (43 v. Chr. bis 18 n. Chr.), Manilius (gestorben nach 22 n. Chr.). An der Selektion durch die Überlieferung mögen bloße Zufälle ebenso mitgewirkt haben wie die inhaltliche Relevanz, die Spätantike und Mittelal-
Überlieferung und Selektion
13
Die Literatur der augusteischen Zeit
B.
Die augusteische Epoche
Klassik
14
ter den einzelnen Gattungen und Texten zuerkannten. Dass wir aber mit den erhaltenen Autoren zugleich auch im Großen und Ganzen diejenigen Vertreter der augusteischen Literatur besitzen, denen das Publikum und die Kritiker der folgenden Jahrhunderte exemplarische Qualität beimaßen, legt die Existenz von Biographien und Kommentaren zu diesen Werken ebenso wie ihre reiche Rezeptionsgeschichte nahe. Dennoch führt der Verlust so zahlreicher Werke der Epoche zu einer erheblichen Verzerrung unserer Perspektive: Manches mag uns als singuläres Phänomen erscheinen, was zeitgenössischem Standard entsprach und viele Parallelen hatte; die Prozesse der Intratextualität erschließen sich uns nur fragmentarisch und in keiner Weise repräsentativ; für die Entwicklung von Gattungen und Diskursen wichtige Zwischenstücke bleiben verborgen oder allenfalls in Ansätzen sichtbar. Die Werke der ,Augusteer‘ sind, wie die Übersicht auf S. 15 zeigt, teils vor der Konsolidierung augusteischer Herrschaft, zum geringen Teil auch nach Augustus’ Tod entstanden oder publiziert worden; so umfasst die ,Literatur der augusteischen Zeit’ einen größeren Zeitraum als die ,augusteische Zeit’ im strengen Wortsinn. Andererseits ist es die Literatur, die den eigenen Epochencharakter des Augusteischen besonders deutlich hervortreten lässt: Im Feld der Politik stellt Augustus nur den Beginn der viele Jahrhunderte umspannenden Epoche von Prinzipat und Kaisertum oder der etwa ein Jahrhundert währenden Herrschaft des iulisch-claudischen Kaiserhauses dar; dagegen bildet die Literatur seiner Zeit ein eigenes Kontinuum, das sich von der Phase der späten Republik ebenso abgrenzt wie von den literarischen Bestrebungen der späteren Zeit. Wenn der augusteische Prinzipat als eigene und nicht nur von der Republik, sondern auch vom späteren Prinzipat abgegrenzte Epoche erfahren wird, dann verdankt er dies im Wesentlichen seiner Literatur, die trotz zahlreicher gattungsspezifischer und thematischer Differenzen von einem poetologischen Grundkonsens getragen und durch eine größere Zahl übergreifender Aspekte und Diskurse geprägt ist. Als Alternativbegriff zur ,augusteischen Literatur’ dient häufig die Formel ,augusteische Klassik’. ,Klassik’ oder ,das Klassische’ sind ihrerseits Begriffe, die einer historischen und systematischen Erläuterung bedürfen: Der Begriff ,klassisch‘ ist in seinem Ursprung soziologisch beziehungsweise politisch. Gellius (2. Jahrhundert n. Chr.) unterscheidet zwischen dem classicus scriptor und dem proletarius (Noctes Atticae 19,8,15); er wendet also das Kriterium der römischen Bürgerklassen an und bezeichnet als klassisch Autoren mit römischem Bürgerstatus und eigenem Vermögen. Die Gleichung ,klassisch = begütert‘ ist aber doch sehr problematisch und ließe sich vielfach widerlegen. Und Gellius’ Definition meint auch mehr als nur die Vermögensverhältnisse: Tatsächlich spricht er von der ,besseren Gesellschaft‘ unter den Schriftstellern, also von den qualitativ guten und beachtenswerten Autoren. Als ,Klassiker‘ gelten demnach die hervorragenden, beispielhaften, stilbildenden Autoren einer Nationalliteratur, einer Epoche oder auch der Weltliteratur. Man kann also von griechischen und römischen Klassikern (und so weiter) sprechen, aber auch von voraugusteischer und augusteischer Klassik (und so weiter). In der modernen Literaturwissenschaft umschließt die Kategorie des ,Klassischen’ verschiedene Aspekte, die zum Großteil aus als klassisch geltenden Literaturen, unter anderem der augusteischen, abgeleitet sind: die Hochpha-
Augustus und die augusteischen Dichter
Augustus
buc.
georg.
Die Lebensdaten von Vitruv und Manilius sind nicht genau genug bestimmbar, um hier dargestellt werden zu können.
aen.
Vergil cat.
geb. 64 od. 59 v. Chr.
Tibull
p a c i s
A c t i u m
Livius
carm. 1– 3
ep. 2
c. s. carm. 4
ab urbe condita
el. 1
el. 2 gest. zw. 19 u. 17 v. Chr.
geb. zw. 59 u. 54 v. Chr. el. 1
ca. ab Buch 120 postum publ.
A r a
P h i l i p p i
Horaz
(Dat. unsicher)
ep. 1
ia., ser. 1+2
gest. 12 od. 17 n. Chr.
el. 2– 4
Properz (1. Fassung 15 v. Chr.,
am. 2. Fassung 5 v. Chr.)
Ovid
ars
rem.
70
60
50
40
30
20
met., fast.
10
0 v. Chr.
trist. pont.
10
20
n. Chr.
Die Literatur
her.
Verbannung
Vergil: buc. = Bucolica; georg. = Georgica; aen. = Aeneis; cat. = Catalepton Horaz: ia. = Iambi; ser. = Sermones; ep. = Epistulae; Carm. = Carmina; c.s. = Carmen saeculare Tibull, Properz: el. = Elegien Ovid: am. = Amores; her. = Heroides; ars = Ars amandi; rem. = Remedia amoris; met. = Metamorphosen; fast. = Fasti; trist. = Tristia; pont. = Epistulae ex Ponto
15
B.
Die Literatur der augusteischen Zeit
,
,Goldene und ,Silberne Latinität ,
Komposition
16
sen einer Literatur im Verlauf ihrer Entwicklung; die Orientierung an antiken Vorbildern, wobei das Verständnis der beispielgebenden ,antiken Kunst‘ vielfach einer programmatisch verengten Auswahl unterliegt; die Formmerkmale der Harmonie und des Maßvollen, im Gegensatz zum Unausgewogenen, Überbordenden, Manierierten; ein Menschenbild, das den Einzelnen vor allem auf die Verwirklichung seiner moralischen Qualität und die Entwicklung seiner menschlichen Individualität in vollkommener geistiger, seelischer und körperlicher Hinsicht verpflichtet (Ideal der humanitas). Auch die überzeitliche Gültigkeit der Themen, die nicht auf das Tagesgeschäft einer Epoche oder spezifischer Lebensumstände beschränkt sind, sondern einen ideellen und allgemein menschheitsrelevanten Gehalt in sich tragen und damit an der Verwirklichung allgemeiner humanitas mitwirken, stiftet den klassischen Charakter von Literatur. In der deutschen Literaturkritik dient ,Klassik’ zugleich als Epochenbegriff für die Zeit des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts und wurde als Gegenbegriff zur Romantik geprägt. Diese Opposition hat es in der Antike natürlich nicht gegeben. Epochen werden immer in Abgrenzung zu vorangehenden und folgenden Epochen wahrgenommen; tatsächlich konstituieren sie sich erst durch die Auseinandersetzung mit Früherem und den Einfluss auf Späteres. Wesentlich für die ,augusteische Klassik’ ist hinsichtlich des Rückbezugs auf frühere Epochen eine starke Traditionsbindung, die aber innovativen Charakter gewinnt: Die augusteischen Autoren verstehen sich nicht als literarische Revolutionäre, sondern als die glücklichen Erben einer reichen griechisch-römischen Überlieferung, aus der sie die besten Schätze auswählen und nach eigenem Ermessen und Anspruch verwenden können; indem sie sich der ,klassischen’ wie auch der hellenistischen griechischen Literatur bemächtigen, ihre römischen Vorgänger zu übertreffen suchen und über die Grenzen von Sprachen, Gattungen und Stiltendenzen hinweg Anregungen und Vorbilder für ihre eigenen Werke finden, lassen sie eine Literatur entstehen, die zugleich abhängig und frei, traditionsgebunden und originell ist. Dieser literarische Eklektizismus – die Entwicklung einer ganz eigenen Literatur aus dem Potential verschiedener Epochen, Gattungen und Stile – konstituiert jenseits aller thematischen Parallelen das Kontinuum der klassischen augusteischen Literatur. Der formalen, insbesondere sprachlichen Qualität dieser Epoche trägt die Literaturwissenschaft Rechnung, wenn sie von ,Goldener Latinität’ spricht. Die ,nachklassische Phase der römischen Literatur hat ihre berühmten augusteischen Vorgänger in engagierter Nachahmung rezipiert; dabei bildete sich aber eine eigene Ästhetik heraus, die gerade den Stilen, Motiven und Gestaltungsformen Raum gab, die bei den Augusteern eher vereinzelt auftraten. In der Philologie werden diese Tendenzen gewöhnlich als ,unklassisch’ oder ,gegenklassisch’ bewertet; sie sind aber auch im Ansatz schon Elemente augusteischer Stilgebung und kündigen sich insbesondere in Ovids Werk deutlich an. Der Begriff ,Silberne Latinität’ hebt die Literatur des 1. Jahrhunderts n. Chr. qualitativ von der ,Goldenen Latinität’ ab. Im Einzelnen lassen sich folgende natürlich generalisierende und insofern stark vereinfachende Unterscheidungen treffen: Die Augusteer bevorzugen eine eher schlichte und in der Stilhöhe einheitliche Sprache, in der überlange Sätze, entlegene Begriffe und auffällige Klangwirkungen wie Alliteration ,
B.
Die Literatur oder Endreim zurückhaltend und in der Absicht gezielter Akzentuierung verwendet werden. Ein wichtiges Mittel der Stilisierung und Gedankenführung ist die Vielschichtigkeit von Alltagsworten: Sekundäre Bedeutungen bereichern den Text und bereiten thematische Übergänge vor. Die Themen, Bücher, Bilder sind einer rational nachvollziehbaren Gesamtkomposition verpflichtet, die auf ausgewogene Proportionen und innere Ordnung abzielt: Ein Großteil der Einzeltexte ist in der Grobgliederung in zwei oder drei Teilen aufgebaut, die in Parallelität und Symmetrie zueinander stehen (Diptychon- oder Triptychonstruktur). Diese strengen Ordnungskriterien werden aber auch immer wieder aufgebrochen – ein rhetorischer Technik entsprechendes Verfahren, das die Technik der Strukturierung überhaupt erst ins Bewusstsein rückt. Ein wichtiges Merkmal der augusteischen Literatur ist ihre ausgeprägte Bildlichkeit. Vergleiche, Metaphern, Allegorien und vielschichtige Symbole überlagern den primären Wortsinn mit einer schillernden Schicht von Nebenbedeutungen, Anspielungen und weiterführenden Assoziationen. Die Augusteer meiden das Exzessive und Manierierte. Leidenschaften, Grausamkeiten, Hässliches und Widerwärtiges kommt auch in ihrer Dichtung zur Sprache, wird aber durch die Form und kultiviert zurückhaltende Sprache in seiner verstörenden Wirkung eingegrenzt. In dieser Bändigung liegt ein optimistischer Grundton: Das augusteische Menschenbild sieht das Leid und die Verwirrungen, denen die Menschen in der Welt ausgesetzt sind, eröffnet aber die Chance sittlicher Autarkie und der Treue zu eigenen Vorstellungen und Zielen; ein wesentliches Mittel dazu ist die Mäßigung der Affekte – ein Prozess der Selbstprägung, der an mythischen und historischen exempla vor Augen geführt wird. Die Nachklassik strebt nach einer deutlicher konstruierenden und polarisierenden, schwierig-gelehrten oder aber auch in höherem Maße kolloquial geprägten Sprachform; sie setzt rhetorische Mittel reicher und mit geringerer Akzentuierungskraft ein. Die Nachklassiker verstärken die Technik des Strukturbruchs; sie führen Gliederungen ein, um sie unmittelbar darauf wieder zu missachten; sie lassen Einzelteile ausufern und Wichtiges gegenüber Marginalem zurücktreten. Exzessiv betreiben sie die Schilderung des Grauenerregenden und zwingen dem Leser in detaillierten und rhetorisch brillanten Schilderungen Assoziationen des Schrecklichen und Abstoßenden auf. Dem entspricht ein im Kern pessimistisches Menschen- und Weltbild: Affekte treiben die Menschen um, in Liebe, Hass und Grausamkeit schwelgen sie. Insofern gibt es auch keine verbindlichen Vorbilder mehr, Mythos und Historie sind in erster Linie Erzählstoff ohne moralische Implikation. In den Jahrzehnten augusteischer Herrschaft kommt es in Rom zu einer ganz ungewöhnlichen Konzentration von hohen dichterischen Begabungen. Eine kleine Schicht gebildeter und hochbegabter Männer sammelt sich um einige Förderer; die wichtigsten sind zwei enge Vertraute des princeps, Maecenas (um 70 – 8 v. Chr.) und Messalla (59 v. Chr. – 8 oder 11 n. Chr.). Maecenas entstammt einer vornehmen etruskischen Familie in Arezzo und gehört dem Ritterstand an. In der Schlacht von Philippi (42) kämpft er auf Seiten Octavians, dem er bis zu seinem Lebensende im Jahre 8 v. Chr. als Berater und Vertrauter dient; in Zeiten der Abwesenheit des princeps führt er
B.
Bildlichkeit
Klassische Mäßigung
Nachklassik
Maecenas
17
Die Literatur der augusteischen Zeit
B.
Messalla
Leitmotive augusteischer Dichtung
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zeitweilig sogar für ihn die Regierungsgeschäfte in Rom und Italien. Berühmter als durch eigene Werke – er verfasst Prosa und Dichtung, aber nur Fragmente davon sind erhalten – wird er als Freund und Förderer bedeutender Schriftsteller: Zu seinem Kreis gehören neben Vergil, Horaz und Properz auch Schriftsteller, deren Werke verloren sind: der etwas ältere L. Varius Rufus, der großen Respekt genießt und in verschiedenen Gattungen brilliert, der Komödiendichter Aristius Fuscus, Domitius Marsus, dessen Epigramme Martial lobt, und C. Melissus, Maecenas’ Freigelassener, der als Grammatiker in hohem Ansehen steht und auch Komödien schreibt. Auch Valgius Rufus, Konsul des Jahres 12 v. Chr. und Verfasser von Dichtung und Fachliteratur, scheint sich im Maecenas- und Messalla-Kreis bewegt zu haben. Messalla steht im Bürgerkrieg zwischen Marcus Antonius und Octavianus auf Seiten des Antonius, avanciert aber nach dessen Tod zum engen Vertrauten Octavians. Zu seinem Kreis gehören Tibull, wahrscheinlich auch der junge Ovid, Aemilius Macer (gestorben 16 v. Chr.) und vielleicht auch der Autor – oder die Autoren – einiger fälschlich unter Vergils Namen überlieferten Kleintexte innerhalb der Gedichtsammlung Catalepton (zumindest ist catal. 9 ein Preisgedicht auf Messalla). Unter den gewöhnlich als 3. (und in vielen Ausgaben: 4.) Buch Tibulls überlieferten Dichtungen befinden sich neben nachaugusteischen Texten auch einige Kurzelegien (oder Epigramme), deren ,Ich’ sich als Sulpicia, Messallas Nichte, zu erkennen gibt. In Messallas Umfeld scheint eine nostalgische Rückbindung an die Zeit der Republik eher möglich gewesen zu sein als im Maecenas-Kreis; zumindest können die um Messalla vereinigten Dichter sich dem Druck politischer Propaganda leichter entziehen und stehen in Thematik und Ästhetik der späten republikanischen Dichtung näher. Progressiver, aber eben auch politisch engagierter ist der Maecenas-Kreis. Die persönliche Interaktion der Künstler und ihrer Förderer mag von jeweils spezifischer Intensität gewesen sein; in jedem Fall partizipieren sie alle an einem gemeinsamen Bildungshintergrund und nehmen die literarischen Werke ihrer Zeitgenossen nicht nur zur Kenntnis, sondern setzen sich auch in ihren eigenen Werken produktiv damit auseinander. Kein Werk der augusteischen Zeit ist in ,splendid isolation’ entstanden; sie alle sind nur im Konnex der bereits existierenden oder gleichzeitig entstehenden Werke angemessen zu verstehen. Nicht all diese intertextuellen Bezüge kann man heute noch entschlüsseln; und in deutlich aufeinander bezogenen Texten lässt sich nicht immer mit letzter Sicherheit klären, wo die Priorität liegt. Dass häufig – mit und ohne Namensnennung – nicht nur aus früheren, sondern auch aus zeitgenössischen Werken zitiert oder auf sie verwiesen wird, ist aber unverkennbar. Einige Themen und Leitmotive werden von mehreren oder allen Autoren in unterschiedlicher Weise aufgegriffen: Verherrlichung des Augustus und seiner Familie, Preis des Goldenen Zeitalters, Kritik gesellschaftlicher Degeneration, poetologische Reflexion im Sinne kallimacheischer Beschränkung und eines hohen Selbstbewusstseins als römischer poeta doctus (gelehrter Dichter), die Beschäftigung mit den mythischen, ethnologischen, religiösen und etymologischen Ursprüngen der Dinge, Bräuche und Institutionen (Aitiologie: die Erforschung der Ursprünge). Diese Themen konstituieren zugleich auch eine produktive Teilhabe der Dichtung an der Ausformung des augusteischen Wertesystems und Italien- und Rombildes.
Die Literatur Die besondere Verflechtung innerhalb der augusteischen Literatur und die souveräne Beherrschung des schriftstellerischen ,Handwerks‘ schlagen sich auch gattungsspezifisch nieder: Die Grenzen zwischen den Gattungen lockern sich, Elemente aus unterschiedlichen genera werden in einem Werk integriert. Zur Vollendung bringt Ovid diesen gattungsintegrativen Stil; aber auch Vergil lässt beispielsweise sein Lehrgedicht Georgica in einem mythologischen Kleinepos münden; Horaz mischt in seine Sermones und Epistulae Elemente der Diatribe (eine gesprächsweise entfaltete popularphilosophische Abhandlung), der Komödie, der Invektive (aggressive Schmähung); Properz öffnet seine Elegien – eine in der römischen Literatur zunächst auf subjektive Themen fixierte Form – auch für politische und aitiologische Themen. Allgemein favorisiert werden in der augusteischen Zeit literarische Kleinformen, die einen persönlichen Dialog zwischen Leser (beziehungsweise Hörer) und Werk stiften, auch wenn sie durchaus für den öffentlichen Vortrag geeignet sind. Das gilt für die Elegie, und damit für das Gesamtwerk von Tibull und Properz; es gilt aber auch für die vergilische Bukolik, Horaz’ hexametrische und lyrische Dichtung und für große Teile des ovidischen Gesamtwerkes. Einen persönlichen Bezug zwischen Leser und Werk strebt auch noch das Lehrgedicht an, vor allem wenn es, wie bei Ovid, in die dem Subjektiven besonders zuneigende metrische Form des elegischen Distichons gekleidet ist. Das ,Sprecher-Ich’, das sich in diesen Texten dem Leser zuwendet, darf nicht leichtfertig mit der Person des Dichters identifiziert werden. Relativ leicht fällt die Differenzierung in der Lyrik, wo das ,Ich’ in Rollen schlüpft, die in der literarischen Tradition vorgeprägt waren. Im Lehrgedicht, aber auch in Elegie, Iambus und satura steht der ,Sprecher’ manchmal auf derselben Ebene wie die ,personae’, die er einführt, an anderen Stellen suggeriert er durch Namensnennung oder biographische Verweise seine Identität mit der historischen Person des Autors. Die noch im 2. Jahrhundert v. Chr. ungeheuer fruchtbare Produktion von Komödien und Tragödien lässt in augusteischer Zeit fast völlig nach, und das Epos wird zu einer Gattung, der alle Schriftsteller mit Rang und Namen äußerst misstrauisch gegenüber stehen. Vergil fügt sich schließlich den Wünschen von Augustus und Maecenas und verfasst mit der Aeneis das wohl bedeutendste Werk der augusteischen Literatur; aber noch die Art, wie Ovid in seinen gleichermaßen genialen Metamorphosen die Gattungselemente des Epos der Episodentechnik unterordnet und Motive der Aeneis rezipiert und parodiert, belegt die tiefe Skepsis der Augusteer gegenüber dem Großwerk. Drei Werke der augusteischen Literatur sprengen das Ideal der kleinen Form: Vergils Aeneis, Ovids Metamorphosen und – im Bereich der Kunstprosa – Livius’ Geschichtswerk Ab urbe condita. Doch auch hier sind die Gesetze der Kleinform nicht außer Kraft gesetzt: Die Stofffülle wird gebändigt durch eine kunstvolle Komposition; an die Stelle einer chronologischen Folge im ordo naturalis (natürliche, das heißt chronologische Folge) tritt in der Epik der ordo artificialis (künstliche, das heißt nicht chronologische Folge), der in Vor- und Rückblenden, in Binnenerzählungen, dialogischen Partien und durch das Kunstmittel der ausführlichen Ekphrasis (ékphrasis: exkursartige Beschreibung) den Großstoff in kleinere Einheiten aufteilt. Innerhalb der Einzelbücher und im Verhältnis der Bücher untereinander herrscht
B. Gattungsintegrativer Stil
Literarische Kleinformen
Literarische Großformen
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Die Literatur der augusteischen Zeit
B.
ein System von Vor- und Rückverweisen, von Wiederholungen und Spiegelungen, das die kleinere Einheit jeweils aufwertet und sie zugleich in das Gesamtwerk einbindet.
III. Kulturpolitik und Herrscherlob Politische Freiräume der Literatur
Proaugusteische Literatur
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Wer die politische Dimension augusteischer Dichtung historisch angemessen beurteilen will, muss sich von modernen Kriterien schriftstellerischer Freiheit und dem Ideal des gesellschafts- und politikkritischen Autors lösen. Die unverblümte Konfrontation des Schriftstellers mit den Mächtigen hätte in der augusteischen Zeit, wie in vielen Epochen der Antike, nicht nur zum Rückzug der Literatur in private Zirkel, sondern zu ihrem völligen Verstummen geführt: Eine Verbreitung über den engsten Freundeskreis hinaus war für konkret oppositionelle Literatur nicht denkbar; ein Publikum außerhalb des augusteischen Einflussbereichs existierte nicht. Es gab aber Freiräume: den Rückzug in eine weitgehend apolitische Dichtungsweise, die Ironie, das Abhandeln der nötigen Lippenbekenntnisse en passant, die Beschäftigung mit den Aspekten augusteischer Herrschaft, die guten Gewissens gepriesen werden konnten, wie die politische Stabilität, die Förderung der Künste, der Respekt vor alten römischen Werten, die Wahrung republikanischer Traditionen. Diese Freiräume nehmen die augusteischen Schriftsteller in unterschiedlicher Weise wahr: Vergils, Horaz’ und Livius’ Werke stehen an keiner Stelle in explizitem Widerspruch zu Augustus’ offizieller oder implizierter politischer Strategie; öfter verleihen sie seinen Anliegen eine Stimme. Dieses offene Bekenntnis zu Augustus ist ihnen in der Forschung häufig als Opportunismus angelastet worden; umgekehrt wurde ihnen konstruktive politische Opposition unterstellt, indem man in ihren Schriften verdeckte Elemente der Distanzierung von Augustus aufzudecken suchte. Beide Ansätze stehen in der Gefahr, die historische Konstellation der Epoche und die Mentalität der Schriftsteller zu verkennen. Die Autoren der augusteischen Zeit haben wenig Grund, der Republik mit ihren Turbulenzen und Bedrohungen nachzutrauern; auch haben sie, die keiner der großen römischen Familien angehörten, die Republik nie als ein Feld eigenen politischen Gestaltungsraums erfahren. Vielfachen Anlass haben sie dagegen, die Politik des princeps zu begrüßen, zumal sie ihnen die Konzentration auf ihr dichterisches Schaffen ermöglichte und großzügige Förderung, allgemeine gesellschaftliche Anerkennung und das Wohlwollen des Herrschers einschloss. So preisen sie ihn auch vor allem als Friedensstifter und als Garanten römischer Größe und Kultur. Sie denken nicht in politischen, sondern in ethischen Kategorien: In den Frühwerken von Vergil, Horaz und Properz (Ecloge 1; Epode 16; Elegie 1, 21 und 22) schlägt sich beispielsweise Politik als Auseinandersetzung mit dem Bürgerkrieg nieder; die politische Krise wird aber nur unter zwei Aspekten dargestellt, in ihren Auswirkungen auf den Einzelnen und auf den Kosmos – als Leid und Verwirrung – und unter moralischen Kategorien – als Abkehr von den rechten Sitten. Analog gestaltet Livius seine Gesamtdarstellung römischer Geschichte nicht als Analyse von Interessenkonflikten und Macht-
Kulturpolitik und Herrscherlob konstellationen, sondern unter dem Aspekt der Bewährung oder des Versagens einzelner Akteure. Tibull, Properz und Ovid haben die großen Kontrahenten der ausgehenden Republik, Cicero und Caesar, kaum noch als Zeitgenossen wahrgenommen; Ovid wird in Ciceros Todesjahr geboren. Die politischen Verhältnisse der Republik sind diesen Autoren nur aus zweiter Hand bekannt. Auch wurden sie vermutlich nie vor die Notwendigkeit gestellt, im Bürgerkrieg Partei zu ergreifen; ebenso wenig waren sie selbst durch Heeresdienst oder Vermögensverluste betroffen – wenngleich Properz’ Elegie 1, 22 den Tod eines Verwandten im Bürgerkrieg beklagt. Die Vorteile eines Lebens im Frieden, in einer kultivierten Gesellschaft, die die Kunst zu schätzen weiß, erfahren sie, ohne die Bedrohung dieses Freiraums durch die Politik erlebt zu haben. Ihr pro-augusteischer Enthusiasmus ist entsprechend schwächer ausgeprägt; sie stehen aber nicht in offener Opposition zu Augustus, sondern entziehen sich allenfalls mehr oder weniger deutlich den Ansprüchen, denen Augustus die Kunst und das individuelle Leben unterstellt. Tibulls Dichtungen verharren in einer apolitisch-individualistischen Grundhaltung; Augustus nennt er nicht einmal beim Namen. Am Werte- und Italiendiskurs der Augusteer wirken seine Elegien aber mit. Properz nähert sich im chronologischen Verlauf seines Schrifttums kontinuierlich der augusteischen Ideologie an – bis hin zu deutlich politisch-panegyrischen Passagen. Vielschichtiger ist Ovid: Er arbeitet die großen Themen augusteischer Programmatik ab, aber die Passagen wirken wie – mitunter mit Ironie gewürzte – Kunstübungen, nicht wie politische Bekenntnisse; zahlreiche Textstellen verraten große innere Distanz zur augusteischen Politik. Augustus wollte seine Leistungen in einem Epos verherrlicht sehen, das belegt allein schon die Tatsache, dass Vergil, Horaz, Properz und Ovid in ganz ähnlicher Argumentationsmethodik dieses Ansinnen zurückwiesen. Ein Argument dafür spielte ihnen eine poetologische Debatte in die Hand, die schon seit einigen Jahrzehnten in Rom geführt wurde: Den Kern dieser Debatte bildet die Frage, ob dichterische Qualität mit der literarischen Großform zu vereinbaren sei. Die Dichterelite um Catull hatte dies verneint und sich auf den Protagonisten hellenistischer Wissenschaft und Dichtung berufen, auf den alexandrinischen Gelehrten und Schriftsteller Kallimachos (zwischen 320 und 303 – nach 245 v. Chr.): Am Schluss seines Apollon-Hymnos gestaltet Kallimachos eine fast burleske Szene, in der der personifizierte Neid (phthónos) gegenüber dem Gott Apoll den Sänger kritisiert, der nicht so gewaltig wie ein Meer singt. Apoll aber befördert den Neid mit einem Fußtritt fort und verkündet dann seine eigene Auffassung von rechter Dichtung, wobei er die vom Neid gewählte Bildlichkeit übernimmt: Der große Fluss führt viel Schlamm mit sich, der Göttin Deo (Demeter) aber bringen die Bienen nur Tropfen von der kleinen und reinen Quelle. Das Postulat der kleinen und reinen Form hat Kallimachos in verschiedenen metaphorischen Spiegelungen aufgestellt. In den Aitia führt er mit den Telchinen, zauberischen Fabelwesen missgünstiger Natur, die Kritiker ein, die sein Werk tadeln (Aitia, 3. Buch, fr. 75, 64 ff. Pfeiffer). Sie werfen ihm vor, dass er nicht ein durchgängig komponiertes, einheitliches Gedicht schreibe, nicht von Königen und Helden erzähle und nicht in vielen tausend Versen sein Gedicht entfalte. Die den Telchinen in den Mund gelegten Vorwürfe
B.
Politische Zurückhaltung
recusatio und kallimacheisches Programm
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Die Literatur der augusteischen Zeit
B.
Herrscherlob
Augustus-Epik
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enthalten e contrario das Programm der Aitia. Dabei sind die Punkte der Kritik nicht vereinzelt, sondern als Gesamtheit zu sehen, denn Kallimachos dichtet durchaus in einigen tausend Versen – in den nur fragmentarisch überlieferten Aitia waren es wahrscheinlich circa 6000 – und er schreibt dabei auch von Helden und Königen; der Stoff ist aber nicht in einem gewaltigen Erzählbogen, sondern durch das kunstvolle Arrangement kleiner Episoden entfaltet, und die Auswahl aus dem Mythos sucht nicht die in der Stofftradition immer wieder repräsentierte heroische Tat und Persönlichkeit, sondern den privateren Stoff und den noch nicht abgenützten Blickwinkel. In Kallimachos’ Hinweis auf die nicht besungenen Könige mag bereits die Zurückweisung eines panegyrischen Gedichts, also des Herrscherpreises, vorliegen, wenngleich Kallimachos etwa in der Locke der Berenike durchaus panegyrische Tendenzen zeigt. Der poetologische Aspekt, das Ideal gelehrter und sorgfältig ausgefeilter Dichtung, steht aber im Vordergrund. Kallimachos und natürlich die Neoteriker, die sich schon programmatisch an ihm orientiert hatten, boten also Argumente, mit denen Augustus’ Anspruch auf eine Verherrlichung seiner Taten ,streng poetologisch’ abgewiesen werden konnte. Verstärken ließ sich die Apologetik noch durch den Hinweis auf die Grenzen der eigenen Begabung: Nur ein Homer wäre imstande, Augustus’ Taten angemessen zu verewigen; der späte Nachfahr aber müsste mit seinem inadäquaten Werk dem Herrscher zur Schande werden. Gänzlich entziehen sich die Autoren der augusteischen Zeit dem Wunsch des Herrschers nicht. Die Bedeutung des princeps, ja sogar seine Unsterblichkeit, rühmen sie mit deutlichen Worten, aber meist in der Rückbindung an die patria, deren Wohl er sich als erster Bürger unterordnet. Zur Technik einer eher verhüllten Panegyrik gehört auch die exemplarische Darstellung bedeutender Römer der Vergangenheit, der Preis altitalischer Lebensweise und Tugenden und nicht zuletzt die Interpretation von Romulus und vor allem Aeneas als Wegbereiter augusteischer Herrschaft. Mit dieser indirekten Form von Panegyrik im Kontext einer teleologischen Deutung augusteischer Herrschaft (teleologisch: an einem Ziel, télos, orientiert, das sich im Ablauf der Geschichte folgerichtig und ethisch gerechtfertigt entfaltet) muss sich Augustus zufrieden geben. Immerhin erfährt er die Genugtuung, dass Properz’ spätere Gedichte (Buch IV der Elegien) auch nationalpolitische Themen aufgreifen und dass Horaz in zwei Gedichten, die er selbst bei ihm in Auftrag gibt, dem Chorlied für die Säkularfeier des Jahres 17 (Carmen saeculare) und dem carmen 4, 14, die augusteische Ideologie und den Ruhm zweier bedeutender Angehöriger des iulisch-claudischen Hauses, Tiberius und Drusus, in expliziter Preisung vorträgt. Seinen Wunsch, die eigene Person in einem Epos gepriesen zu sehen, haben ihm andere Autoren erfüllt: Cornelius Severus mit dem Bellum Siculum, Rabirius (oder auch Cornelius Severus; die Autorschaft ist umstritten) mit dem nur in Fragmenten erhaltenen Epos über den Krieg zwischen Octavianus und Marcus Antonius beziehungsweise Kleopatra mit dem Titel De bello Actiaco oder De bello Aegyptiaco; die erhaltenen Fragmente schildern Octavians Ägyptenfeldzug nach der Schlacht von Actium und Kleopatras Vorbereitungen zum Selbstmord. Ovid hat dem Ansinnen, nationalpolitische Themen im Dienste augusteischer Politik zu gestalten, lange widerstanden; dass ihm eine solche The-
Produktion und Verbreitung von Literatur
B.
menwahl nahegelegt wurde, belegen die wiederholten Zurückweisungen panegyrischer Dichtung. Immerhin ließ auch er sein Epos Metamorphosen in einem umfassenden, wenngleich etwas ambivalenten Lob des Kaisers münden; und auch die Fasti leisten ihren Beitrag zur Verherrlichung des princeps und seiner Familie.
IV. Produktion und Verbreitung von Literatur Der ,Literaturbetrieb‘ war in augusteischer Zeit gut organisiert und kommerzialisiert. Entwürfe wurden auf Schreibtafeln und Papyrus notiert. Lyriker pflegten selbst zu schreiben, ,große Werke‘ wie Epen oder historische Schriften wurden oft diktiert. Privatabschriften kursierten im kleineren vertrauten Kreis, für Breitenwirkung sorgte ein Verleger, der Kopisten beschäftigte. War er sorgfältig, so gab er die Kopien einem corrector, der die unvermeidlichen Schreib- und Hörfehler korrigierte. Die Abschriften wurden vom Buchhändler verkauft, der auch mit dem Verleger identisch sein konnte; die Sparten von Buchherstellung, -vertrieb und -verkauf waren noch nicht getrennt. Autorenhonorare waren unüblich; die weite Verbreitung des Werkes sicherte aber Popularität und erschloss damit das Potential reicher Sponsoren. Ein Großteil des Publikums konsumierte Literatur als Hörer. Die Auflage der Werke orientierte sich deshalb nicht in erster Linie an den Bedürfnissen eines Lesepublikums, sondern an denen von Rezitation und Aufführung. Öffentliche Lesungen fanden im kleineren Kreis, aber auch in großen Auditorien statt; ausgerichtet wurden sie von den Autoren selbst, von ihren Gönnern, von den Verlegern oder vom kaiserlichen Hof. Eine Zensur fand in augusteischer Zeit in begrenztem Umfang statt, vor allem im Hinblick auf die politisch unmittelbar wirksamen Gattungen von Historiographie und Rede. Die Disziplinierungsmaßnahmen reichten von der Verbannung von Werken aus den öffentlichen Bibliotheken über deren öffentliche Verbrennung bis hin zu persönlicher Verfolgung der Autoren. Bezeugt ist, dass die Werke des Redners und Historikers Titus Labienus verbrannt, der Rhetor Cassius Severus verbannt wurde; an Ovids Relegation aus Rom hatte nach seinen eigenen Angaben seine Ars amandi Anteil, seine Werke wurden wohl nicht generell verboten, aber doch aus den öffentlichen Bibliotheken entfernt. Konzept und Ausstattung der ersten Bibliotheken Roms stammten aus Griechenland, wo römische Feldherren (Aemilius Paullus; Sulla; Lucullus) die Büchersammlungen besiegter Feinde beschlagnahmten und ihren Söhnen schenkten. Eine Privatbibliothek besonderen Ausmaßes ist in einer Villa in Herculaneum (Casa dei Papiri) aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. erhalten; beim Ausbruch des Vesuvs 79 n. Chr. wurden hier rund 1800 Schriftrollen verschüttet und auf diese Weise für die Nachwelt bewahrt (papyri Herculanenses). Als erster plante Caesar eine öffentliche Bibliothek in Rom. Sie sollte aus zwei Teilen bestehen, einer Bibliotheca graeca und einer Bibliotheca latina. Sein Tod verhinderte die Umsetzung dieses Projekts. Caesars Feldherr Asinius Pollio (76 v. – 4 n. Chr.), der später auch Augustus nahe stand, ließ circa 39 v. Chr. aus eigenen Mitteln (er war im Bürgerkrieg reich geworden) die
Rezitation
Zensur
Bibliotheken
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Die Literatur der augusteischen Zeit
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Das Publikum
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erste öffentliche Bibliothek in Rom einrichten. Zwei weitere Bibliotheken stiftete Augustus selbst; die eine befand sich im direkten Anschluss an sein Haus auf dem Palatin, wo sie mehrmals abbrannte und erneuert wurde; die zweite lag in der nach seiner Schwester Octavia benannten Säulenhalle (porticus Octavia). Das Engagement, mit dem Maecenas und Messalla römische Autoren protegierten und literarische Werke anregten und einforderten, die Beharrlichkeit, mit der Augustus zeitgenössischen Schriftstellern panegyrische Dichtung nahe legte und die in Einzelfällen praktizierte Zensur und Schriftenverbrennung – all das führt zu dem Schluss, dass Literatur in augusteischer Zeit weit mehr war als der intelligente und ästhetisch anspruchsvolle Zeitvertreib einer kleinen elitären Schicht. Die Mächtigen sahen in ihr ein Instrument, politische Prozesse zu beeinflussen. Es ist unwahrscheinlich, dass sie sich geirrt haben; wir müssen davon ausgehen, dass die Autoren ein breites und aufgeschlossenes Publikum fanden, das ihre Werke intensiv rezipierte und ausgiebig diskutierte. Dieses Publikum war mit der griechischen und römischen Literatur weitgehend vertraut. Zu den Schulautoren gehörten in augusteischer Zeit die Epen und Bühnendichtungen von Livius Andronicus (3. Jahrhundert v. Chr.), Naevius und vor allem Ennius. Auch die erste Begegnung mit den Griechen fand in der Schule statt: Homer, die griechischen Tragiker – besonders Euripides – , die Komödien von Aristophanes und Menander (um 342/41 – 293/ 292 v. Chr.) und die Reden des Demosthenes bildeten das Zentrum des Kanons. An diesen Werken (vor allem an Homers Epen) erwarb man die Sprachkompetenz, sie dienten zugleich zur Belehrung in historischen, geographischen, religiösen beziehungsweise mythologischen und grammatischen Fragen und den verschiedensten technischen Disziplinen. Der Umgang mit ,native speakers‘ – ob es sich nun um Sklaven, bezahlte Tutoren oder aber in Rom wirkende Philosophen, Redelehrer oder Gewerbetreibende handelte – sowie der für ambitionierte junge Männer fast obligatorische Aufenthalt in Athen zur Vollendung der Ausbildung bewirkten, dass zumindest die Oberschicht das Griechische geläufig aktiv und passiv beherrschte. Die Unterweisung durch den grammaticus und den Redelehrer schärfte die Aufmerksamkeit für sprachliche Strukturen und rhetorischen Schmuck und rhetorische Strategien. Die gängige Schulpraxis, größere Passagen der Literatur auswendig zu lernen, vermittelte ein sicheres Gefühl für Prosodie und Metrik und garantierte zugleich in der an Anspielungen und Zitaten reichen Literatur das intellektuelle Vergnügen des Wiedererkennens. Die antiken Kommentare geben Hinweise, wie das Publikum die Werke rezipierte. Dabei entsteht der Eindruck, dass Fragen wie die nach Komposition und Struktur, aber auch ein Großteil der sonstigen heute üblichen Fragen eines Interpretationsvorgangs nicht gestellt wurden. Die Hauptfragen römischer Kritiker – und vermutlich auch Leser – scheinen die folgenden gewesen zu sein: Worum geht es? Wie wirkt es auf mich? Wie erreicht es diese Wirkung? Neben diesem in erster Linie durch die Regeln der Rhetorik beeinflussten Zugang tritt dann noch das Interesse an dem Zusammenhang zwischen dem Werk und der Biographie seines Autors und die Suche nach Anspielungen auf politische oder gesellschaftliche Gegebenheiten (Jones/ Sidwell 1997, 263).
C. Die Gattungen der augusteischen Literatur I. Das Epos Dem griechischen Begriff Epos (Wort, Erzählung) entspricht die lateinische Gattungsbezeichnung carmen heroicum (Heldenlied); so wird auch der Vers des Epos, der Hexameter, versus heroicus (Heldenvers) genannt. Von archetypischem Wert innerhalb epischer Dichtung sind die homerischen Epen Ilias und Odyssee. Sie setzen eine Fülle formaler und inhaltlicher Kriterien in Kraft, die für die Gattung verbindlich werden: Das Epos erzählt einen bedeutenden mythischen oder – weit seltener – historischen, in jedem Fall heroischen Stoff. Dem Wirken der Menschen auf der Erde korrespondiert ein göttlicher Konflikt oder göttliches Handeln als Hinderung oder Förderung. In den Taten und Urteilen der im Epos handelnden Personen wird ein Wertekosmos manifest, in dem sich äußere Schönheit, Geburtsadel und innerer Wert zusammenfinden. Der auktoriale Erzähler gestaltet den Stoff mit ,epischer‘ Objektivität; nur an seltenen Stellen (in Widmungen, Musenanrufungen, Vor- oder Rückverweisen, kleinen Kommentaren) tritt er als Ich-Erzähler hervor; er kann aber seine Erzählfunktion an Binnengestalten (personale Erzähler) delegieren. Monologe und Dialoge der Personen beleben die Erzählung durch dramatische Elemente. Ein Netz von Gleichnissen und Beschreibungen durchzieht den Text und verleiht ihm Welthaltigkeit und eine ,Tiefendimension‘, die das Verständnis prägt. Das Epos ist in stichischen, das heißt ausschließlich gereihten und nicht in Strophen geordneten Hexametern verfasst. Es ist Großform, innerhalb derer sich einzelne Teile (Episoden) abzeichnen, die als ,Bücher‘ isoliert werden (für Ilias und Odyssee tat das erst die Philologie; für alle späteren Epen ist es Standard). Prologe und Epiloge und weitere strukturelle Elemente wie die Ekphrasis (Beschreibung), wörtliche Rede oder gliedernde Formeln lassen eine kunstvolle Binnengliederung der Bücher und ein raffiniertes Netz von Bezügen innerhalb der Großstruktur entstehen. Vermutlich als Erbe einer ursprünglich mündlichen Überlieferung epischer ,Episoden‘ bilden sich erinnerungsträchtige formelhafte Wendungen wie Epitheta ornantia (schmückende Beiwörter) und die Einleitungen wiederkehrender Handlungselemente. Solche Formeln umfassen Versteile, Verse und manchmal auch Versgruppen. Von der größeren Zahl griechischer Epen nach Homer ist bis zur Kaiserzeit nur noch eines erhalten, die Argonautica des Apollonius Rhodius (3. Jahrhundert v. Chr.). Römische Epik setzt ein mit der Übersetzung der homerischen Odyssee ins Lateinische (Odusia) durch einen Kriegsgefangenen aus der Magna Graecia: Livius Andronicus. Er wählt für seine Übertragung nicht den für das griechische Epos verpflichtenden nach Silbenquantitäten organisierten Hexameter, sondern einen Vers, der in Rom unter anderem für Kultlieder benutzt wurde, den versus Saturnius. Die Analyse der überlieferten Saturnier – auch von der Odusia sind nur wenige Fragmente erhalten – bereitet der Forschung einige Schwierigkeiten; immerhin ist klar, dass es sich
Erzähltechnik
Römische Epik: Livius Andronicus
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Die Gattungen der augusteischen Literatur
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Naevius und Ennius
Das mythologische Epos: Vergil und Ovid
Ovid
Das historische Epos
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um einen Langvers mit einer deutlichen Mittelzäsur handelt, in dem die Akzente noch eine größere Rolle spielen. Alliterationen binden – nach Art des indogermanischen Stabreims – die beiden Versteile zusammen. Den Saturnier wählt auch Naevius für sein Bellum Poenicum über den ersten Punischen Krieg. Auch Ennius’ Annales sind in erster Linie römischer Geschichte gewidmet, nämlich dem zweiten Punischen Krieg. Ennius verwendet aber bereits den Hexameter, eine gewaltige Leistung, auch wenn man vermuten darf, dass die römische Sprache in seiner Zeit geschmeidiger geworden ist. Die Annales sind das römische ,Nationalepos’, bis sie durch Vergils Aeneis verdrängt werden. Wie Naevius und Ennius greift Vergil den Mythos von den troianischen Wurzeln Roms auf. Im Unterschied zu seinen Vorgängern macht er den Troianer Aeneas und seinen Weg nach Italien zum eigentlichen Thema seines Epos. Die spätere Geschichte Roms und vor allem Person und Verdienst des princeps lässt der auktoriale Erzähler in Prophezeiungen und vorausweisenden Beschreibungen und in der teleologischen Grundauslegung einfließen: Das mythische Geschehen ist in der Konzeption der Aeneis dem einen Zweck unterworfen, Rom und Augustus hervorzubringen; Aeneas präfiguriert Augustus. Dieser Kunstgriff ermöglicht es Vergil, die stoffliche Konzentration und im Vergleich zur Annalistik ungleich kunstvollere Komposition der Mythenerzählung mit dem konkreten Gegenwarts- und Rom-Bezug zu verknüpfen. Der angestrebte Kompromiss zwischen Homer-Nachfolge, kallimacheischer Poetik und politisch opportuner Panegyrik ist nicht in allen Teilen gleich gut gelungen, verleiht dem Epos aber doch einen sehr eigenen und poetisch reizvollen Charakter. Ovids Metamorphosen stehen Naevius’ und Ennius’ Epen weit ferner als die Aeneis, wenngleich sie vordergründig das annalistische Prinzip auf kosmische und vor allem mythische Dimensionen übertragen: Ovid setzt ein mit dem Beginn der Welt und endet mit der eigenen Gegenwart. Aber die spielerische Willkür, mit der die über 240 einzelnen Episoden einer chronologischen Ordnung unterworfen werden, und mehr noch die kunstvoll verflochtene Textur mit stets wechselnder Akzentuierung und Erzählhaltung entspringt einem weit anspruchsvolleren künstlerischen Prinzip. Dem Diktat des Zeitgeistes unterwirft sich Ovid, indem er die Metamorphosen im geographischen Raum Italiens und Roms ansiedelt und in der Preisung Caesars und seines Adoptivsohnes Augustus münden lässt. Der Leitgedanke des Werkes, dass alles dem Wandel unterworfen und nur die Dichtung von Bestand ist, relativiert freilich auch die Panegyrik. Als Schöpfer eines Epos über den Thebenstoff (Thebais) nennt Properz seinen Freund Ponticus, dem er die Elegien 1,7 und 1,9 widmet; auch Ovid stand ihm nahe (Trist. 4,10,47). Eine Phaeacis, vermutlich ein Epos über Odysseus’ Aufenthalt auf der Insel der Phäaken bzw. seine Begegnung mit Nausikaa, verfasste ein weiterer Adressat ovidischer Briefdichtung, Tuticanus (Ov., Ex Ponto 4,12,27). In augusteischer Zeit existiert auch das historische Epos weiter. Die Zeitgeschichte bringt es mit sich, dass römische Bürgerkriege wiederholt thematisiert werden: Bezeugt ist ein Epos des Cornelius Severus zum Bellum Siculum, dem Bürgerkrieg zwischen Octavian und Pompeius’ Sohn Sextus. Von Albinovanus Pedo ist bekannt, dass er neben frühen mythologischen Dich-
Kleinepos (Epyllion)
C.
tungen auch die eigene Gegenwart zur Vorlage epischer Dichtung machte; ein Fragment über den Feldzug des Germanicus gegen die Germanen ist erhalten (Morel FPL 115f.). Rabirius oder Cornelius Severus werden die 52 Hexameter über Octavians’ Feldzug gegen Kleopatra zugeschrieben, die in Herculaneum entdeckt wurden (De bello Actiaco oder De bello Aegyptico). Erhalten sind von alledem nur Titel oder Fragmente. Der schlechte Überlieferungsstand legt die Vermutung nahe, dass diese Dichtungen beim Publikum längerfristig den Konkurrenzkampf mit den beiden großen Epen klassischer Zeit nicht bestehen konnten. Die Aeneis und Metamorphosen setzten die Maßstäbe für alle spätere Epik, bis weit in die Neuzeit hinein.
II. Kleinepos (Epyllion) Das Kleinepos oder Epyllion (antike Literaturkritik hatte keinen eigenen Gattungsbegriff dafür) ist innerhalb der griechischen Literatur durch die fälschlich Hesiod zugeschriebene Aspis, durch Kallimachos’ nur fragmentarisch erhaltene Hekale, Moschos’ Europa und kleine Mythenerzählungen bei Theokrit vertreten. Die Kleinform kann weniger als hundert oder mehr als tausend Verse haben, hebt sich aber im Umfang deutlich vom Epos ab; auch erzählt sie einen Mythos, der abseits der großen heroischen Mythenstränge angesiedelt ist oder zumindest eine aparte Perspektive auf sie bietet. Öfter bringen eine Binnenerzählung oder die Beschreibung bildlicher Motive (Ekphrasis) einen weiteren Mythos ein, der in raffinierter Korrespondenz zum Rahmenstoff steht. Diese kunstvoll stilisierte Komposition entspricht der Dichtungsprogrammatik der Kallimacheer ebenso wie die Wahl des ,weniger abgenutzten‘ Stoffes aus eher unheroischer, oft weiblicher Perspektive. Die Neoteriker führten das Epyllion in die römische Literatur der späten Republik ein. Von den für sie durch Titel oder Fragmente bezeugten Epyllia ist aber nur Catull 64 vollständig erhalten, eine raffinierte Komposition aus Rahmenhandlung (die Hochzeit von Peleus und Thetis) und Binnengeschehen (die Klage der von Theseus auf Naxos verlassenen Ariadna). Aus augusteischer Zeit sind Kleinepen als isolierte Form nicht sicher belegt. In Sprache und Metrik eher vorklassisch (die Forschung ist hier uneins) ist die unter Vergils Namen überlieferte Ciris, vielleicht ein Frühwerk des Cornelius Gallus. Mit den Versen, Motiven und Themen der vergilischen Dichtung treibt der ebenfalls im Corpus Vergilianum überlieferte, aber wahrscheinlich weit jüngere Culex („Die Mücke“) ein amüsantes Spiel. Ob Vergils 6. Ekloge mit ihrem umfänglichen Katalog mythischer Stoffe nur mögliche Themen nennt oder, wie in der Forschung öfter vermutet wurde, auf konkret verwirklichte Dichtungen verweist, ist nicht sicher zu klären. Alle Kriterien eines Kleinepos erfüllt allerdings die den Abschluss der vergilischen Georgica bildende Mythenerzählung von Aristaeus und Orpheus. Dasselbe gilt für zahlreiche Episoden der ovidischen Metamorphosen. In dieser Integration der Kleinform in größere Kontexte zeigt sich, wie die kallimacheische Poetik bei den Augusteern nachwirkt und zugleich in ihren ehrgeizigeren dichterischen Projekten überwunden wird.
Ciris und Culex
Orpheus-Epyllion
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Die Gattungen der augusteischen Literatur
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III. Bühnendichtung Die römische Tragödie
Die römische Komödie
Mimus und Pantomimus
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Den Brauch, Bühnenspiele zu Ehren der Götter aufzuführen, lernten die Römer im griechisch geprägten Süden Italiens kennen. Vor allem Tarent, das im Jahr 272 v. Chr. unter römische Herrschaft fiel, war eine Hochburg des Theaters. Als nach Beendigung des ersten Punischen Krieges (264 – 241 v. Chr.) die Römer den Sieg über Karthago mit einem großen Dankfest für die Götter feierten, übernahmen sie diesen Brauch und beauftragten einen tarentinischen Kriegsgefangenen mit der Durchführung: Livius Andronicus. Er war auch der erste, der griechische Tragödien und Komödien ins Lateinische übersetzte und in Rom zur Aufführung brachte. Bald folgten ihm weitere Übersetzer, die innerhalb kürzester Zeit die bedeutendsten Tragödien der griechischen Literatur in Rom heimisch machten. Vereinzelt versuchte man, römische Geschichte zu dramatisieren und ihre berühmtesten Gestalten zu Helden der Bühnendichtung zu erheben (fabula togata); in der Mehrzahl ihrer Werke blieben die Tragödiendichter aber den mythischen Stoffen der griechischen Tragödie treu. Die römische Tragödie erlebt in der republikanischen Epoche mit den Stücken von Pacuvius (220 – kurz vor 130 v. Chr.) und Accius (170 – circa 86 v. Chr.) ihre Blütezeit. In der augusteischen Zeit geht sie fast ganz zugrunde. Natürlich werden die Dramen früherer Autoren noch aufgeführt; aber ein allgemeiner Geschmackswandel führt nun zu einer Bevorzugung von Bühnendarbietungen, in denen Musik und Tanz gegenüber dem gesprochenen Wort überwiegen (Pantomimus). Tragödiendichtung ist für den sonst als Historiker bekannten Feldherrn Asinius Pollio bezeugt, den Vergil als Verfasser von carmina erwähnt (ecl. 3,86). Auch Horaz weiß von Pollios Tragödiendichtung, bedauert aber bereits, dass der Autor diese nicht weiterführt (c. 2,10 – 12). Ovid hat eine viel gelobte Medea-Tragödie verfasst, die nur in wenigen Fragmenten erhalten ist. Nach Sueton (De vita Caesarum, Augustus 85,2) hat sich Augustus an einem Aiax versucht, diesen aber selbst getilgt. Verloren ist auch der Thyestes des Varius Rufus; er wurde im Jahr 29 v. Chr. zur Feier der Schlacht von Actium aufgeführt. Hauptvertreter der römischen Komödie in Rom sind Plautus (circa 250 – 184) und Terenz (circa 190 – 159). Beide schließen sich an die mittlere und neue griechische Komödie an, die sie in teils enger Anlehnung, teils freier Variation und Kontamination (Vermischung von Teilen aus verschiedenen Vorlagen) übertragen. Liebling des Publikums ist Plautus, der Anleihen bei den vorliterarischen Volksstücken nicht scheut und ein Feuerwerk aus Wortwitz, Slapstick und Typenkomik aufleuchten lässt. Terenz strebt dagegen nach höherer sprachlicher und künstlerischer Raffinesse und gibt seinen Übertragungen aus dem Griechischen durch die Kombination von Szenen oder Charakteren aus unterschiedlichen Vorlagen einen eigenen innovativen Charakter. Aus augusteischer Zeit sind Komödien nicht überliefert. Daran dürfte der Publikumsgeschmack entscheidenden Anteil gehabt haben: Man bevorzugte Stegreifspiele und volkstümliche Darbietungen wie den Mimus, an dessen Ende regelmäßig die öffentliche Entkleidung der Schauspielerinnen stand. Am Niedergang der anspruchsvollen dramatischen Kunst seit dem 1. Jahrhundert v. Chr. hat aber wohl auch der zunehmende Brauch öf-
Lehrdichtung
C.
fentlicher Spiele mitgewirkt: Die Darbietungen im Circus erregten die Affekte der Menge stärker, als es die Tragödie vermocht hätte; sie boten ,Unterhaltung’, die keine Ansprüche an Bildung, Geschmack und geistige Disziplin stellte, und befriedigten primitive Instinkte. Tragödien und Komödien nach griechischen Vorbildern fanden sicher noch ein kleines Lesepublikum bzw. Auditorium (von solchen Lesungen tragischer Werke berichtet Tacitus im Dialogus de oratoribus), aber keine öffentliche Bühne mehr.
IV. Lehrdichtung Lehrdichtung in stichischen Hexametern ist seit Hesiod (um 700 v. Chr.) in der griechischen Literatur bekannt. Hesiods Theogonie (Entstehung der Götter) und Erga kai Hemerai (Werke und Tage), haben das Ziel, Weltverständnis, Frömmigkeit und Sittlichkeit zu fördern. Die Wirksamkeit der vermittelten Lebensmaximen wird verstärkt durch die subjektive Sprechweise; ein Dichter-Ich gibt sich als Wegweiser zum richtigen Leben, als Verkünder einer Heilslehre zu erkennen. Auch die frühen griechischen Philosophen vor der Sophistik fassten ihre Lehren in das Gewand von Dichtung. In hellenistischer Zeit scheint sich ein Wandel im Selbstverständnis des Lehrdichters zu vollziehen: Die schöne metrische Form und die ausgefeilte Sprache und Komposition gewinnen gegenüber der didaktischen Funktion des Textes an erheblichem Eigenwert. Bereits die Antike betrachtete Arat (zwischen 315 und 305 – circa 240/239) und Nikander (wohl 2. Jahrhundert v. Chr.) in erster Linie als poetische Virtuosen, deren Verdienst darin lag, einen entlegenen Stoff kunstvoll zu meistern; davon zeugt die bei Cicero (De orat. 1, 69) und in den Arat-Viten überlieferte Anekdote, Arat, der Verfasser des astronomisch-astrologischen Lehrgedichts Phainomena (Himmelserscheinungen), sei Arzt, Nikander, der zwei Lehrdichtungen über Gifte und ihre Heilmittel (Theriaka; Alexipharmaka) schrieb, sei Astronom gewesen. Wie immer es um die historische Wahrheit dieser Nachricht steht, auch Arat und Nikander verfolgten neben dem Zweck der Unterhaltung den der Unterweisung: Sehr engagiert richtet Arat seine Lehren nach der stoischen Philosophie aus; und in der Verarbeitung medizinischer Quellen demonstriert auch Nikander nicht nur seine dichterische Kompetenz, sondern trägt auch ernsthaft für nützlich erachtetes Fachwissen vor. Das erste bedeutende Lehrgedicht der römischen Literatur ist Lukrez’ De rerum natura, eine dichterische Darstellung der epikureischen Philosophie. Lukrez beansprucht dafür die Großform von sechs Büchern; sein Werk vereinigt die Ansprüche hellenistischer Poetik mit der didaktischen Ernsthaftigkeit früher griechischer Lehrdichtung. Die Attraktivität von Lehrdichtung in augusteischer Zeit ist durch mehrere Beiträge bezeugt: Der von Augustus als Nachfolger des Tiberius vorgesehene Germanicus (15 v. – 19 n. Chr.) hat Arats Phainomena – wie schon vor ihm Cicero – ins Lateinische übersetzt. Manilius (gestorben um 22 n. Chr.) hat ihm mit seinen eigenen Astronomica nachgeeifert. Die Phainomena sind – neben Hesiod und Lukrez und einschlägiger Fachliteratur – aber auch eine der Quellen, die Vergil in seinen Georgica benutzt hat, einem Lehrgedicht,
Hesiod
Hellenistische Lehrdichtung
Römische Lehrdichtung
Germanicus
Vergil, Georgica
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Die Gattungen der augusteischen Literatur
C.
Horaz, Ars poetica
Ovids elegische Lehrdichtung
das mit seinen vier relativ kurzen Büchern in zwei Buchpaaren einen Kompromiss zwischen Groß- und Kleinform darstellt. Die Georgica repräsentieren mit dem Thema der Landwirtschaft in ihrer eher der stoischen Philosophie verpflichteten Ausrichtung und vor allem im deutlichen Bezug zum Programm augusteischer Erneuerung eine ganz andere Richtung als Lukrez; dieser ist aber in vielen Motiven und Aspekten rezipiert. In der Vermittlung des konkreten Stoffs tritt auch die Freude an der poetischen Technik hervor; dennoch transportiert das Werk in seiner Gesamtheit eine mit dem Anspruch der Verbindlichkeit vertretene Weltsicht. Die in einigen Viten Vergil zugeschriebene Aetna, ein Lehrgedicht über Vulkanismus in mindestens 645 Versen, stammt nach heutigen Erkenntnissen nicht von ihm; das Werk ist wohl erst in der Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. entstanden. Lehrdichtung als Kleinform bietet Horaz’ Ars poetica (Dichtkunst); die Schrift trägt Briefcharakter und ist auch im freundschaftlichen Gesprächston und in der aufgelockerten Organisation des Stoffs eher der Gattung der saturae (vermischte Schriften) verpflichtet. Aemilius Macer verfasste in Nachahmung Nikanders ein Lehrgedicht über den medizinischen Nutzen von Pflanzen und ein weiteres über Heilmittel gegen Tiergifte; beide Werke sind, wie auch seine Ornithogonia, eine Sammlung von Mythen zur Aitiologie der verschiedenen Vögel, verloren. Ovids Ars amatoria (Liebeskunst) und Remedia amoris (Heilmittel gegen die Liebe) geben sich schon durch das elegische Versmaß (Hexameter und Pentameter) als hybride Form zwischen Lehrdichtung und Elegie zu erkennen; auch in den Fasti, die dem römischen Festkalender und den Sternzeichen gewidmet sind, weicht Ovid der strengen Form der hexametrischen Lehrdichtung aus und entfaltet sein Thema – die Feste und Bräuche der Römer und ihre mythischen oder historischen Ursachen – in dem etwas leichteren und persönlicheren Ton der Elegie; hierin folgt er dem elegischen aitiologischen Gedicht des Kallimachos, den Aitia.
V. Elegie
poeta amator
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Die metrische Form der Elegie ist das Distichon aus Hexameter und Pentameter. Diese Versform ist schon früh in der griechischen Literatur entwickelt worden. Vom 7. Jahrhundert an nimmt sie die verschiedensten Inhalte auf: Ermahnungen zu kriegerischer Tüchtigkeit, Reflexionen über Lebensweisheiten, Widmungssprüche auf Votivgaben, Grabinschriften, aber auch Liebe und kleine mythische Erzählungen. Die so genannte subjektive römische Liebeselegie der augusteischen Zeit stimmt in einigen eher äußerlichen Aspekten wie Metrik und Umfang mit griechischen Elegien überein; ihre wesentlichen Themen und Merkmale sind aber zumindest innerhalb der erhaltenen griechischen Literatur ohne Vorbild. Das Hauptkennzeichen der römischen Elegie ist das subjektive Element. Der Dichter gestaltet nicht in erster Linie ein mythisches Thema – der Mythos wird allenfalls als Medium subjektiver Mitteilung und als Spiegel eigener Erfahrungen eingebracht – sondern das Liebesglück und -leid eines ,Ich‘, das sich als poeta amator (Dichter und Liebhaber) stilisiert, ohne aller-
Elegie
Elegie und Gesellschaft
servitium amoris
,
dings mit dem Autor einfach gleichgesetzt werden zu dürfen; gegen den früheren Epochen ganz selbstverständlichen Biographismus, der aus den Werken das Leben der Autoren erschloss, wendet sich mit gutem Recht die neuere Literaturkritik. Das elegische Ich widersetzt sich demonstrativ dem Geschlechterbild und Wertekanon der römischen Gesellschaft: Das Spektrum der Beziehungen zwischen Mann und Frau – bisher in den beiden Polen einer familienpolitisch nützlichen Ehe und des auf sexuelle Befriedigung ausgerichteten Umgangs mit Hetären organisiert – wird jetzt erweitert um die partnerschaftliche Liebe zu der gebildeten Hetäre. Diese Liebe und in ihr das individuelle Glück rangiert vor den Ansprüchen von Staat und Gesellschaft. Das elegische Ich beschwört in demonstrativer Missachtung der gegebenen Verhältnisse die Bindung an die puella (das Mädchen) als foedus (Vertrag), erhebt sie – meist eine freigelassene Sklavin – zu seiner domina (Herrin) und stilisiert die Bindung als Sklavendienst (servitium) oder Kriegsdienst (militia) der Liebe. Der amator beklagt den unsittlichen Lebenswandel (nequitia) der Geliebten, der ihm doch überhaupt erst den Umgang mit ihr erlaubt. Der Status der Frau – weder Sklavin, die man erwerben, noch gesellschaftlich anerkannte Frau, die man heiraten kann – konstituiert ein inneres und äußeres Paradoxon, das in der wiederkehrenden Form des Werbegedichts Variationen erlaubt. Der hohe Anspruch des Liebhabers an die Geliebte schlägt sich auch in den Namen der Mädchen nieder (der Horazkommentator Ps. Acro stellt zu Horaz, sat. 1,2, 64 fest, sie entsprächen den ,historischen‘ Namen der jeweiligen Geliebten in der Silbenzahl): Diese Namen ordnen die Frau dem Bereich der Künste zu. Tibulls Delia verweist auf den delischen Apoll, ebenso Properz’ Cynthia, benannt nach dem Kynthos, Apollos Geburtsberg auf Delos mit einem Zeus- und einem Athene-Heiligtum. Ovids Corinna trägt den Namen einer böotischen Dichterin, deren Lebensdaten ungeklärt sind; vielleicht war sie eine Zeitgenossin Pindars. Das Fehlen einer der römischen Liebeselegie entsprechenden Form innerhalb der griechischen Literatur hat in der Forschung eine rege Debatte über deren Ursprung angeregt. Die Vermutung, die römische Elegie erwachse aus griechischen Vorläufern, die aber nicht erhalten seien, lässt sich weder beweisen noch widerlegen. Die Gegenthese, es handele sich hier um eine gänzlich neue literarische Form, widerspricht nicht nur den Beobachtungen, die man für andere Gattungen der römischen Literatur machen kann, sondern auch den Aussagen der römischen Elegiker selbst, die griechische Vorbilder – Kallimachos, Philitas und Euphorion – benennen. Außerdem stellen die römischen Elegiker in ,gattungsgenealogischen‘ Aufzählungen Cornelius Gallus an den Anfang, einen Mann aus dem gallischen oder italischen Raum, der als Augustus’ Vertrauter und Freund erster Präfekt von Ägypten und Alexandrien war. Das hohe Amt hat er mit Erfolg, aber auch mit hohem Selbstbewusstsein ausgefüllt. Als Augustus ihm seine Gunst entzog und ihm den Zugang zu seinem Haus und den kaiserlichen Provinzen untersagte, strengte der Senat ein Verfahren gegen ihn an. Den Folgen entzog sich Gallus durch Selbstmord. Erhalten sind von ihm, neben einem Pentameter, den ihm der spätantike Grammatiker Vibius Sequester zuschreibt, neun weitere Verse im Metrum
C.
,Pseudonyme
Cornelius Gallus
31
Die Gattungen der augusteischen Literatur
C.
Vorformen der subjektiven Liebeselegie
Ovids elegische Dichtung
32
des elegischen Distichons, die 1978 bei Ausgrabungen im ägyptischen Primis auf einem Papyrus gefunden wurden; der Papyrus gibt keinen Hinweis auf den Autor, ist aber an Lycoris gerichtet, die (nach übereinstimmender Auskunft der römischen Elegiker) puella seiner Elegien, benannt nach Apollo Lycoreus. Die neun Verse enthalten zentrale Motive der römischen Liebeselegie (Auffassung der Geliebten als Herrin, Klage über ihre Untreue), überraschen aber durch die dominante Caesar-Panegyrik. Die Forschungsdebatte um den Ursprung der subjektiven Elegie leidet an einer Überbetonung des Neuartigen, das doch leicht als naheliegende Weiterentwicklung vorgegebener Elemente zu fassen ist: Die subjektive Sprechhaltung bestimmt auch schon die politisch oder moralisch belehrende griechische Elegie (zum Beispiel Theognis, 6./5. Jahrhundert); die unglückliche Liebe mythischer Gestalten ist das zentrale Thema der hellenistischen Elegie; der Dichter in der Rolle eines amator ist eine Standardsituation in der griechischen Liebeslyrik wie auch bei Catull; die in der griechischen Lyrik und Epigrammatik häufig thematisierte Päderastie (Knabenliebe) mit ihrem komplizierten Verhaltenscodex, der dem Knaben eine schamhaft spröde Zurückhaltung seiner Hingabe an den erwachsenen Liebhaber abverlangt, steht dem spannungsreichen Paradoxon der Beziehung zwischen elegischem Liebhaber und puella recht nahe; und bereits bei Catull 68 ist der Mythos nur noch als Illustration oder Stimmungshintergrund eigner Erfahrung präsentiert. Aus diesen verschiedenen Anregungen und Vorformen haben die römischen Elegiker eine neue Variante entwickelt. Quintilians Wort: elegia quoque Graecos provocamus („Auch mit unserer Elegie fordern wir die Griechen heraus“, inst. 10, 1, 93) ist insofern im Sinne eines Wettkampfes, nicht aber einer gänzlichen Innovation aufzufassen. Tibull und Properz hatten die hellenistische mythische Elegie in die subjektive Liebeselegie umgewandelt; Ovids Heroides geben der Elegie den mythischen Stoff zurück, und zwar aus der jeweils weiblichen Perspektive, verfahren aber mit dem Mythos nach dem Kodex der subjektiven Liebeselegie. Gegen die (mythische) Wirklichkeit fordern die Heldinnen in Briefform von ihren Geliebten Liebe und Rettung; das sich entblößende subjektive Ich – hier das Ich der mythischen Heldin – setzt seine Gefühle und Werte absolut gegen die (dem Leser bekannte) Realität des mythischen Stoffes. In dem im Bewusstsein des Lesers immer präsenten Scheitern der Liebe an der Verbindlichkeit des Mythos liegt zugleich ein elegiekritisches Element. Die Rückwendung der Elegie zum Mythos reduziert allerdings auch die gesellschaftliche Provokation; allenfalls in der ovidischen Technik, die mythischen Gestalten in ihren Denk- und Redeweisen der eigenen Zeit und Gesellschaft nahe zu rücken, liegt noch ein gesellschaftskritisches Element. Die Fasti und – am Ende seines Lebens – die Briefelegien Tristia und Epistulae ex Ponto runden das elegische Werk Ovids ab: Von der römischen Tradition der subjektiven Liebeselegie bewegt er sich zunächst zur mythischen Elegie (zurück), dann zur aitiologischen Elegie, die dieselben Stoffe wie das Epos aufgreift, aber in der Hervorhebung des Stimmungshaften, im weicheren Ton und in der gelehrten Aitiologie einen anderen Akzent setzt. Am Ende kehrt er mit den Tristia und Epistulae ex Ponto zur subjektiven Elegie zurück, die aber nun nicht mehr der Liebe eines mehr oder weniger fiktiven amator gewidmet ist, sondern dem eigenen Leid in der Romferne.
Bukolik
C.
VI. Bukolik Der Begriff Bukolik ist von dem griechischen Namen für den Rinderhirten, boukólos, abgeleitet; in der Hierarchie der Hirten steht der Rinderhirte über dem Schaf- und Schweinehirten. Elemente einer volkstümlichen Unterhaltung – etwa mimische Darbietungen, improvisierte kleine Bühnenspiele oder auch deren Verfeinerungen in der dramatischen Kunst (Epicharm, 6./5. Jahrhundert v. Chr.) – könnten auf die hexametrische Bukolik eingewirkt haben, die in ihren häufigen Dialogen dem Bühnenspiel nahe steht. Von ihren ersten literarischen Zeugnissen an ist die Bukolik allerdings eine höchst raffinierte und kultivierte Gattung. Der griechische Lyriker Stesichoros (623/29 – um 556/553 v. Chr.) erwähnt zum erstenmal den Hirten Daphnis, der sich in unglücklicher Liebe zu einer Nymphe verzehrt und seine Liebesklagen der Natur anvertraut. Daphnis’ Liebe und Tod prägen auch das erste Gedicht der frühesten uns erhaltenen Sammlung bukolischer (und anderer) Texte: die Gedichtsammlung Theokrits aus dem sizilischen Syrakus (1. Hälfte 3. Jahrhundert v. Chr.), in die auch einige unechte, das heißt nicht von Theokrit verfasste Stücke eingegangen sind. Die hexametrische Versform, die sprachliche Eleganz und eine durch zahlreiche gelehrte Anspielungen gehobene Sprache verleihen Theokrits bukolischer Dichtung einen hohen Kunstcharakter. In den einzelnen Gedichten (für die sich der Name Eidy´llion eingebürgert hat) wiederholen sich einige wenige typische Konstellationen: Hirten begegnen sich an der Quelle, auf dem Weg zur Stadt oder abends, wenn die Arbeit beendet ist, und beginnen ein Gespräch miteinander. Sie erbitten voneinander Lieder oder treten in einen Gesangswettstreit, in dem sie einander jeweils in kurzen Strophen respondieren (carmen amoebaeum – Wechsellied). Sie sprechen von ihrer Arbeit, von ihrem Gesang, vor allem aber von der Liebe zu schönen Mädchen oder Knaben; manchmal auch von der Leidenschaft mythischer Gestalten wie der des Kyklopen Polyphem zu der schönen Nymphe Galatea. Ziel solcher Dichtung ist natürlich nicht die authentische Darstellung der Lebensweise der Hirten, sondern ein ironisches Spiel mit der Vermischung zweier Welten: Der städtisch kultivierte ,Erzähler‘ malt sich die bukolische Welt als einen von Kunst und Liebe geprägten Raum der Muße, in dem er ganz offensichtlich zeitgenössische ,Prominenz‘, Dichter bzw. eigene Freunde, agieren lässt. Regelmäßig wird die Illusion durchbrochen: Die Natur, die die Hirten umgibt, ist nur Kulisse und als solche weniger idealisiert als standardisiert; der soziale Status des unfreien Hirten ist Maskerade, seine Arbeit allenfalls die Folie zur künstlerischen Muße. Typisiert sind auch die Charaktere der ,Hirten‘ – von ländlicher Naivität oder Derbheit geprägt, sind sie Gegenbilder zum Selbstverständnis des eleganten und sentimentalen Städters. Die Parodie ist von doppelter Art: Wird das Hirtenleben aus der ironischen Perspektive des Städters gedeutet, so sind doch auch die ehrgeizigen Unternehmungen und sentimentalen Liebschaften der eigentlich gemeinten Städter durch die Übertragung in den Hirtenbereich bloßgestellt.
Ursprünge der Bukolik
Daphnis
Theokrit
33
Die Gattungen der augusteischen Literatur
C.
Moschos und Bion
Vergils Bucolica
Theokrits Bukolik ist unpolitisch, thematisiert aber die Kunst selbst, indem sie die Hirten als Künstler mit ihren unterschiedlichen Talenten und Intentionen vorstellt. Eine Bedrohung dringt in diesen Raum allein aus der Maßlosigkeit der Liebe ein, die sich den Gesetzen der Natur widersetzt. Bukolische Dichtungen sind auch für Moschos bezeugt; er stammt ebenfalls aus Syrakus und starb um 150 v. Chr. Erhalten sind nur drei kurze Stücke. Der Bukoliker Bion aus Smyrna lebt in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr. (vielleicht in Sizilien); für ihn ist eine Gedichtsammlung Boukolika bezeugt, die aber Stücke sehr verschiedenen Inhalts enthält. Es scheint, als umgreife der Begriff des Bukolischen hier bereits jegliche stimmungsbetonte Liebesdichtung, unabhängig von einer Verankerung in der Hirtenwelt. Beim römischen Publikum stieß die Gattung auf größeres Interesse: Die von dem Grammatiker Artemidor in der Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. erstellte Sammlung der Gedichte der Bukoliker (vgl. Anthologia Palatina IX 205) war in Rom populär; wie Vergil hat auch Messalla – allerdings in griechischer Sprache – Bukolik verfasst, die aber verlorengegangen ist. Vergils Bucolica sind vor allem Theokrit verpflichtet, versetzen aber dessen Szenen und Personen in eine andere Landschaft und kleiden sie in ein neues Licht. Es ist die Heimat Vergils im Raum Mantua, und es sind die ganz konkreten politischen Phänomene der Bürgerkriegszeit, die Vergils Hirten erdulden und aus denen sie ihre Liedkunst erwachsen lassen. Vergil öffnet damit die Bukolik für den politischen Diskurs.
VII. Satura
Die Etymologie von satura
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Unter dem Gattungsbegriff der satura (,Satire‘ entspricht diesem Begriff nur teilweise) werden Gedichtsammlungen von Ennius, Pacuvius, Lucilius, Varro, Persius, Iuvenal und Claudian sowie Senecas Apocolocyntosis Divi Claudii (,Verkürbissung’ des göttlichen Claudius, das heißt Metamorphose zum Kürbis) zusammengefasst; unter rein formalem Gesichtspunkt hat man auch Petrons Satyricon, einen Roman, der sich einer Mischform aus Dichtung und Prosa bedient, als satura bezeichnet. Nur zum Teil haben die Autoren selbst diesen Gattungsnamen verwandt: Für Ennius und Pacuvius sind saturarum libri (,Satiren’-Bücher) bezeugt, von deren Inhalt und Form wir wenig oder nichts wissen; Lucilius, der als der eigentliche Vollender der Gattung gilt, benutzt den Begriff in den umfangreichen erhaltenen Texten aus seiner Sammlung nie, er spricht von schedium (Improvisation), ludus (Spiel), sermo (Gespräch), poema (Gedicht). Horaz gibt seinen Gedichten den Titel Sermones (Gespräche) oder Epistulae (Briefe) und verwendet den Begriff satura erst im 2. Buch (2,1,1) der Sermones. Die Etymologie von satura ist schon in der Antike unklar, zwei Erklärungsversuche stehen nebeneinander: Die Ableitung vom Satyrspiel, einer temperamentvollen Mythentravestie, die bei griechischen Theaterdarbietungen im kultischen Kontext den Tragödien folgte (sátyros = Satyr), wirkt zunächst bestechend. Aber die dem Satyrspiel und der Satire gemeinsamen Elemente des Parodistisch-Ironischen, der Mythentravestie und der Dialogizität sind
Satura erst seit Lucilius für die Gattung typisch, während sie (soweit die erhaltenen Fragmente ein Urteil erlauben) für Ennius’ saturarum libri noch nicht prägend waren. Richtiger dürfte die von dem spätantiken Grammatiker Diomedes (wohl 2. Hälfte 4. Jahrhundert n. Chr.) vorgetragene Ableitung von satur (gesättigt, gefüllt) sein (1,485,30 – 34 Keil): Diomedes beruft sich unter anderem auf die satura lanx, eine im Kult gebräuchliche, mit unterschiedlichen Früchten gefüllte Opferschüssel. Saturarum libri bezeichnen demnach eine reiche Fülle von unterschiedlichen Gedichten, entsprechend den griechischen Sammlungen von átakta oder sy´mmikta. Die römische satura konnte auf griechische Formen wie die Invektive und die Diatribe und vielleicht auch auf Elemente der Komödie zurückgreifen; eines ihrer Vorbilder dürfte auch die für uns nur durch spätere Kommentare und Nachahmungen bezeugte Satirendichtung des Menippos gewesen sein, Vers und Prosa miteinander vermischende Werke, in denen phantasiereiche und vielfach burleske Bilder und Szenen der Gesellschaftskritik dienten. Dennoch galt die satura den Römern als eigene Erfindung; Quintilian behauptet (inst. 10,1,93): satura quidem tota nostra est, in qua primus insignem laudem adeptus Lucilius – die satura aber gehört ganz uns; darin hat als erster Lucilius hervorragenden Ruhm gewonnen. Mit Lucilius sind die Gattungskriterien der römischen satura fixiert; er übernimmt von Ennius den Gebrauch von Fabeln, Allegorien, Mythen und Mythentravestien, richtet seine Texte aber auf eine polemische Stellungnahme zu Politik, Literatur, Gesellschaft und Moral der eigenen Zeit aus. In seinen frühen Werken verwendet er noch unterschiedliche Versformen, in späteren Büchern aber nur noch den Hexameter, den er zum eigentlichen Metrum der Gattung macht. Lucilius’ Werk wird auch in der Vielfalt seines Themenspektrums beispielhaft: Persönliche Invektiven, Zeitkritik, Autobiographisches, Erörterungen zur Literatur, zu ethischen und zu allgemein philosophischen Fragen sind in der Sammlung vereint. Da ein parodistischer oder humoristischer Ton für viele seiner Gedichte kennzeichnend ist, wurde schon in der Antike satura zum Gattungsbegriff für ,Satirisches’ (Invektiven, Travestien) im modernen Sinn. Horaz beruft sich wiederholt auf Lucilius als Vorgänger in der Gattung der satura; seine durchgängig hexametrischen Sermones und Epistulae sind als freundschaftliche Plaudereien in ,mündlicher’ und ,schriftlicher’ Form stilisiert; vor allem die Sermones wirken auf den ersten Blick oft umständlich oder auch sprunghaft. Erst die genauere Analyse demonstriert, dass der ,Sprecher’ dieser Texte trotz gelegentlicher Abschweifungen und Themenwechsel die Fäden des jeweiligen Argumentationsgangs fest in der Hand hält.
C.
Die römische satura
Lucilius
Horaz, Sermones und Epistulae
35
Die Gattungen der augusteischen Literatur
C.
VIII. Lyrik, Iambus, Epigramm
Römische Lyrik
Horazische Lyrik
Iambische Dichtung
36
,
Griechische Lyrik
Der Begriff ,Lyrik bzw. das ältere Synonym ,Melik‘ (gr. mélos) bezeichnet ursprünglich Texte, die zur Lyra-Begleitung gesungen wurden. In der griechischen Literatur waren solche Darbietungen eingebunden in das Leben der Gemeinschaft und des Staates; Lyrisches wurde bei großen Festen und beim Symposion vorgetragen. Griechische Lyrik umfasst viele Facetten: Pindars Chorlyrik rühmt die Sieger der großen sportlichen Wettkämpfe und ihre Familien. Die bedeutendsten Vertreter monodischer, das heißt von einem Einzelnen vorgetragener Lyrik im Griechischen sind Sappho und Alkaios; wenngleich sie nur in Fragmenten überliefert sind, zeugt doch das Erhaltene von einem Formen- und Themenreichtum, wie er in späterer griechischer Lyrik nicht mehr erreicht wurde. Sapphos ganz subjektive Gedichte singen von der Liebe zu den Mädchen, mit denen sie zusammengelebt hat, und dem unfasslichen und überwältigenden Phänomen der Liebe überhaupt; in Hochzeitsgedichten (Epithalamien) lässt sie den Ablauf des Festes präsent werden. Von Alkaios besitzen wir gleichfalls Liebesgedichte, aber auch sympotische Lieder (zum Gastmahl, dem Symposion) und politisch engagierte Lyrik. Auch für römische Staatsfeste sind Lieder bezeugt; sie wurden aber in ritueller Wiederholung verwendet. Nur für die Säkularfeiern (Jahrhundertfeiern) gab man jeweils neue Lieder in Auftrag: Eines soll Livius Andronicus verfasst haben, ein weiteres ist von Horaz erhalten (carmen saeculare). Die römische Tragödie umfasst nach griechischem Vorbild auch lyrische Partien; die in der griechischen Literatur so reiche lyrische Kleinform hat aber in Rom nur selten Nachahmung gefunden. Laevius (um 100 v. Chr.) verfasste eine Sammlung lyrischer Erotopaignia (Liebeständeleien), von denen aber fast nichts erhalten ist. Wenig später erprobten Catull und die Neoteriker einige Metra griechischer Lyrik in Liebes-, Trink- und Freundschaftsgedichten. Im Übrigen galt Lyrik in Rom aber als Spielerei ohne höheren Rang. Zudem waren die griechischen Vorbilder in dieser Gattung noch schwerer nachzubilden als sonst; die lateinische Sprache sperrte sich lange gegen die schwierigen Versmaße und Strophensysteme griechischer Lyrik. Erst Horaz gelang der Durchbruch: Seine Carmina sind formal und sprachlich vollendete Dichtungen, nach griechischen Vorbildern modelliert, aber in der Intellektualität der Gedankenführung von ganz eigener Raffinesse. Horaz’ Lyrik fand in Rom zwar Imitatoren, aber offensichtlich keine kongenialen Nachfolger. Für Caesius Bassus, gestorben um 79 n. Chr., sind lyrische Dichtungen bezeugt; ein Passenus Paulus wird von Plinius rühmend als Elegiker und Lyriker erwähnt. Erhalten ist davon nichts; Quintilian hält von allen römischen Lyrikern nur Horaz für lesenswert (10,1,96). Motive und Versmaße seiner Lyrik wirkten allerdings innerhalb anderer Gattungen weiter, so in Senecas Chorliedern und Statius’ Silvae. Das Versmaß des Iambus (hierzu zählt auch der Trochäus) wurde in Komödie und Tragödie für Sprechverse benutzt; die eigentlichen ,Iambographen’ wandten es in kürzeren Texten aggressiven oder satirischen Inhalts an. Die bedeutendsten griechischen Iambographen sind Archilochos von Paros (circa 680 – 640 v. Chr.), der auch den Begriff Iambos (die Etymologie ist un-
Historiographie sicher) zum ersten Mal benutzt. Seine in der Mehrheit iambischen oder trochäischen Gedichte sind voll von persönlichen Attacken und allgemeiner Gesellschaftskritik. In der nur in Fragmenten erhaltenen Sammlung iambischer Gedichte, die Kallimachos in hellenistischer Zeit verfasst hat, ist die Konzentration auf die Invektive einer Mischung vielfältigen Inhalts gewichen; ebenso setzt auch Horaz in den Epoden iambische Verse für Trink-, Freundschafts- und Liebeslieder ein. Das Epigramm hat in der römischen Literatur seine Hochphase vor und nach der augusteischen Zeit, bei Catull und Martial. In augusteischer Zeit hat es weniger Gewicht. Vergils Jugendgedichte im Catalepton tragen epigrammatischen Charakter. Properz’ erstes Elegienbuch endet mit zwei kürzeren Gedichten, die man eher der Gattung Epigramm als der Elegie zurechnen möchte (1,21 und 22); auch der Gedichtzyklus der Sulpicia im Corpus Tibullianum oszilliert zwischen beiden Gattungen. Von Domitius Marsus sind ein Grabepigramm auf Tibull, ein Invektivenepigramm gegen den auch bei Horaz erwähnten Grammatiker Orbilius und zwei Disticha auf Augustus’ Mutter Atia erhalten (Sueton, de gramm. 9,3; Carmina Bobiensia 39 und 40). Ihn und Albinovanus Pedo nennt Martial als römische Epigrammatiker (praef. 1). Unsicher ist die Entstehungszeit der Priapea Carmina, einer kleinen Sammlung von Gedichten in elegischen Disticha, Elfsilbern und Hinkiamben (einem iambischen Vers, dessen vorletzte Silbe lang ist, so dass die ,regelmäßige‘ Folge von Längen und Kürzen durchbrochen wird). Als ,Sprecher’ tritt meist Priapus auf, der Schutzgott der Gärten, der mit dem Ithyphallos (erigiertes Glied) dargestellt wurde; die Sprechhaltung ist vielfältig und reicht von drastischen Drohungen gegenüber potenziellen Dieben über obszönen Spott auf alte Frauen bis zur frivolen Homerparodie. Auch in der so genannten Appendix Vergiliana sind drei priapeische Gedichte enthalten; ob sie Vergil zugeschrieben werden können, ist umstritten.
C.
Das Epigramm
Carmina Priapea
IX. Historiographie Die römische Geschichtsschreibung hat ein ähnliches Schicksal erfahren wie die römische Tragödie: Von ihrer reichen Produktion in den Jahrhunderten der Republik sind zahlreiche Werktitel, Autorennamen und Fragmente überliefert, aber nur wenige Werke besitzen wir ganz oder in auch nur annähernd repräsentativen Auszügen. Die Anfänge römischer Historiographie sind geprägt von der annalistischen Struktur der Priesterchroniken, fortlaufenden Jahresberichten, in denen einige Angaben wie die Jahreszahl, die Namen der Konsuln und Militärtribunen, der wichtigsten Beamten und Priester verbindlich wiederkehren. Annalistik mit literarischem Anspruch setzt in Rom mit dem in griechischer Sprache schreibenden Fabius Pictor gegen Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr. ein, wird aber auch in der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr. noch praktiziert. Die Intention der Historiker liegt nicht zuletzt in der politischen Pro-
Annalistik
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Die Gattungen der augusteischen Literatur
C.
Zeitgeschichte und historische Monographie
Römische und universale Geschichtsschreibung
Geschichte der Bürgerkriege
Livius
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paganda: Sie rechtfertigen Roms Expansion, indem sie die militärische und moralische Überlegenheit der Römer hervorkehren und Rom eine weltpolitische Aufgabe zuweisen. Die alternative Form der Zeitgeschichte (historia), die nicht die gesamte Spanne römischer Geschichte umfasst, sondern nur einen abgeschlossenen Zeitraum thematisiert, ist zuerst für die Zeit nach Sulla bezeugt: Coelius Antipater (geboren um 175) beschränkt sich auf die Zeit des Zweiten Punischen Krieges, Sempronius Asellio (etwa 160 – 90 v. Chr.) schreibt mindestens 14 Bücher Res gestae oder Historiae nur über seine eigene Lebenszeit. Das früheste erhaltene Werk dieser Gattung sind Sallusts Historiae. Hier ist wohl auch das Bellum Punicum des L. Arruntius einzuordnen, von dem nur spärliche Fragmente erhalten sind. Die historische Monographie, die ganz auf die Form der Annalistik bzw. Chronik verzichtet und ihr Thema in einer Person oder einem Ereignis findet, ist ebenfalls in zwei sallustischen Schriften, De coniuratione Catilinae („Über die Verschwörung Catilinas“) und Bellum Iugurthinum („Der Krieg gegen Iugurtha“), erhalten. Diese Untergattung sucht aus der Fülle der Ereignisse die bedeutenden und repräsentativen aus und entwickelt ihre Genese; sie stellt die Motive und Charaktere der handelnden Personen dar; sie strebt nach literarisch anspruchsvoller Form und Sprache und setzt sehr bewusst rhetorische Mittel wie Bilder, Vergleiche, Allegorien und symbolische Motive ein. Am Niedergang der Geschichtsschreibung in augusteischer Zeit trug nach dem Urteil der Historiker Tacitus (hist. 1,1) und Dio Cassius (53,19,1 – 5) die politische Unterdrückung die Schuld, die keine Orientierung an der Wahrheit mehr erlaubte. Eine wichtige Rolle spielte aber sicherlich auch die neue politische Struktur des römischen Großreiches, die die traditionelle an der Stadt Rom orientierte Geschichtsschreibung zu einer antiquierten Form machte. Dieser Entwicklung trugen die Historiae Philippicae des Pompeius Trogus Rechnung, eine 44 Bücher umfassende Geschichte des nichtrömischen Raumes, deren Schwerpunkt der Autor im Makedonenreich ansiedelt. Sein Werk ist in der Spätphase augusteischer Herrschaft oder schon unter Tiberius entstanden; es bietet ganz bewusst eine Ergänzung zu der auf die römische Geschichte konzentrierten Historiographie des Livius. Erhalten ist es nur in einem bedeutend verkürzenden Auszug, dessen Autor den Namen Iustinus trägt. T. Labienus, der auch als hochbegabter Redner galt, verfasste ein Geschichtswerk, das wegen seiner politischen Tendenz – Labienus gab sich offen als Pompeianer zu erkennen – verbrannt wurde. Asinius Pollio, der im Bürgerkrieg Feldherr Caesars und Marc Antons gewesen war, zog sich nach der Niederlage von Actium ins Privatleben zurück und verfasste neben Tragödien eine Geschichte der Bürgerkriege der Jahre 60 bis mindestens 42 (Schlacht bei Philippi). All diese Werke sind uns bestenfalls in einigen Zitaten oder Auszügen bekannt; im 1. Jahrhundert n. Chr. und auch später noch wurden sie aber viel gelesen und benutzt. Auch das umfangreiche Geschichtswerk des Livius ist nur in Teilen überliefert. Ab urbe condita, „Von der Gründung der Stadt“ bis in seine eigene Zeit zeichnet er die Geschichte Roms nach. In Sprache und Stil konservativ, steht Livius in der inhaltlichen Erfassung und Wertung auf der Höhe seiner
Rhetorik
C.
Zeit: Ab urbe condita deutet die römische Geschichte im Sinne augusteischer Teleologie – als einen von Rückschlägen bedrohten, durch persönliches Versagen wiederholt verzögerten und zurückgeworfenen, aber von den tapferen und tugendhaften Patrioten der Vergangenheit immer wieder neu angetriebenen Entwicklungsprozess, der seinem Zielpunkt entgegenstrebt, der augusteischen Herrschaft.
X. Rhetorik Dass die Kunst der Rede in Prinzipat und Kaiserzeit nachließ, wird von römischen Autoren regelmäßig beklagt. Das hat verschiedene Ursachen: Der Zeitgeschmack neigt zur Polarisierung zwischen reicher Ornamentalik (Asianismus) und strenger Schlichtheit (Attizismus), und die Rhetorenschule als Teil der allgemeinen Ausbildung gibt selbst dem Unbegabten die Illusion, die rhetorische Technik zu beherrschen. Aber eine wichtige Rolle kommt auch den gewandelten Verhältnissen zu: Politische Prozesse werden nur noch selten durch die Kraft der Rhetorik im Senat ausgefochten; Karrieren verdanken sich eher guten Beziehungen und einer loyalen Einstellung gegenüber Augustus als der Fähigkeit, im Senat, auf dem forum oder vor Gericht einen Standpunkt beredt vertreten zu können. Außerdem ist den Machthabern rhetorisches Schrifttum – wie auch die Geschichtsschreibung – verdächtiger als beispielsweise Dichtung; Opposition drückt sich eher und wirksamer in Reden oder in einer römische Geschichte deutenden Historiographie aus als in Lyrik oder Epik. So greift auch bei Rednern die Zensur härter zu. Obwohl die Rhetorik an konkreter Relevanz abnimmt, bleibt sie als wesentliches Element der Ausbildung erhalten. An zwei Redegattungen üben sich die Schüler: In der suasoria rät der Redner einer mythischen oder historischen Persönlichkeit in einer kritischen Situation zu einer bestimmten Entscheidung und Verhaltensweise. In der controversia, einem fiktiven Privatoder Strafrechtsfall, hält er auf der Basis vorgegebener Gesetze, die gleichfalls fiktiv bzw. zumindest dem römischen Recht nicht konform sind, ein Plädoyer, das nach allen Vorschriften der Redelehre strukturiert und konzipiert ist. Einen unschätzbaren Einblick in die Praxis dieser Deklamatorenschulen bietet uns der Vater des Philosophen und Tragödiendichters Seneca, Seneca pater (oder Seneca rhetor, circa 55 v. – 40 n. Chr.). In hohem Alter hat er für seine Söhne seine Erinnerungen aus der eigenen Teilhabe an rhetorischen Schulübungen minutiös protokolliert. Sein Werk zeigt, dass die scholastische Deklamation nicht nur von Jugendlichen gepflegt wurde, sondern auch erwachsenen Römern eine Spielfläche des rhetorischen Wettkampfes bot. Die Teilhabe an solchen Übungen ist beispielsweise für Cicero, Augustus, Messalla Corvinus, Asinius Pollio und Tiberius bezeugt. Sie suchten hier mehr als nur die Möglichkeit, rhetorische Begabung und Erfindungsgabe in freundlichem Wettkampf vor einem interessierten Publikum zu demonstrieren; in den controversiae und suasoriae konnten auch politisch brisante Themen wie Tyrannenmord, Bürgerkrieg, Verbannung, Bücherverbrennungen und die gesetzgeberischen Einschränkungen des Freiraums von Individuum
Rhetorik in der Kaiserzeit
Die declamatio
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Die Gattungen der augusteischen Literatur
C.
und Familie auf fiktive bzw. mythische Hintergründe transponiert und wie in einem Stellvertreterkampf debattiert werden.
XI. Philosophie Philosophenausweisungen
Lukrez und Cicero
Philosophie im augusteischen Rom
Im 2. Jahrhundert v. Chr. fand die griechische Philosophie Eingang in Rom, ein Prozess, der von wiederholten Rückschlägen begleitet war: 173 v. Chr. wies ein Senatsdekret die epikureischen Philosophen aus Rom aus; 161 verbannte man alle griechischen Philosophen und Rhetoren aus der Stadt. 155 unternahmen die Griechen einen erneuten Versuch, die Römer für ihre Philosophie zu gewinnen, und entsandten eine Philosophengesandtschaft; ihr gehörten der Akademiker (das heißt Platoniker) Karneades, der Peripatetiker (das heißt Aristoteliker) Kritolaos und der Stoiker Diogenes an. Auch dieses Unternehmen mündete in einer Ausweisung. Erst in der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr. traten mit Lukrez und Cicero zwei römische Autoren hervor, die sich systematisch der Übertragung griechischer Philosophie nach Rom widmeten. Ihre eigenständige Leistung liegt in der Vermittlung genuin griechischer Gedankensysteme durch Dichtung (Lukrez) oder durch in der römischen Oberschicht angesiedelte Dialoge (Cicero), aber auch in der Entwicklung einer philosophischen Fachterminologie und im Ausgleich griechischer Theorie mit römischer Weltsicht. In der augusteischen Epoche fanden sie keine kongenialen Nachfolger. Das bedeutet nicht, dass das Interesse an der Philosophie in dieser Zeit erloschen wäre. Ganz im Gegenteil bekennen sich viele Autoren zu einer der hellenistischen Schulen und unterlegen ihre Dichtung mit stoischen oder epikureischen Lehrsätzen und Lebensweisheiten. Und natürlich leben in Rom Lehrer der Philosophie, die ihrerseits auch philosophische Schriften verfassen. Dass davon nichts erhalten ist, mag Zufall sein, zeigt aber wohl eher, dass hier eine rein rezipierende oder bestenfalls auslegende Philosophie am Werke war. Erst der Stoiker Seneca führt im 1. Jahrhundert n. Chr. Ciceros Anliegen fort, die griechische Philosophie durch eigene philosophische Schriften im römischen Leben zu verankern.
XII. Fachwissenschaft Zeit, Kalender, Rechtsauslegung
Vitruv
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Die Fachwissenschaften blühten unter Augustus auf: Er zog Fachleute an seinen Hof und förderte sie, unabhängig von ihrer Herkunft und Stellung. Bereiche des kulturellen Lebens, die bisher in der Hand der senatorischen Oberschicht lagen – Zeit, Kalender, Rechtsauslegung – übertrug er den Experten; so gehen beispielsweise die in Praeneste gefundenen Fasti, ein Kalender mit beigefügten Erklärungen, auf den Freigelassenen M. Verrius Flaccus zurück. Dieses vom princeps geförderte geistige Klima des Respekts vor dem Fachverstand schlägt sich deutlich in dem einzigen vollständig erhaltenen Werk
Fachwissenschaft augusteischer Fachliteratur nieder. Vitruvs Schrift De architectura gibt einen interessanten Einblick in die antike Technik, Baugeschichte und Baupraxis; Städtebau, repräsentative öffentliche und Privatgebäude und die Maschinen der Architektur- und Kriegstechnik bilden den Schwerpunkt. In den Proömien setzt sich der Verfasser engagiert dafür ein, den Stand des Architekten aufzuwerten und seine Kunst den artes liberales, den Künsten des freien und gebildeten Mannes, zuzurechnen. Von dem reichen fachwissenschaftlichen Schrifttum der Zeit ist sonst wenig erhalten. Wir kennen die Namen bedeutender Grammatiker: L. Crassicius verfasste einen Kommentar zur Zmyrna des Neoterikers Cinna, ein Signal dafür, wie schwierig sich dieses Kleinepos bereits den Augusteern präsentierte. Q. Caecilius Epirota hielt Vorlesungen über Vergil und die übrigen zeitgenössischen Autoren (vgl. Suet. gramm. 16,3), die im Bewusstsein der späteren Augusteer bereits ,Klassiker’ waren. M. Verrius Flaccus verfasste neben der schon erwähnten Schrift über den römischen Kalender grammatische und kulturgeschichtliche Studien; bezeugt sind Schriften zur Rechtschreibung (De orthographia) und über die Etrusker. Seine Sammlung seltener und veralteter Wörter ist erhalten in Teilen späterer Auszüge, die im 2. Jahrhundert n. Chr. Pompeius Festus (De verborum significatu) und nach ihm Paulus Diaconus (um 800) erstellte. C. Valgius Rufus verfasste neben Elegien und Epigrammen auch gelehrte rhetorische, grammatische und medizinische Schriften, die großen Respekt genossen. Für Pompeius Trogus ist neben Historiographie auch eine zoologische Schrift (De animalibus) bezeugt; das Werk lehnte sich vermutlich eng an aristotelische naturkundliche Schriften an; Plinius hat es geschätzt und auch benutzt.
C.
Grammatik
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D. Die Autoren der augusteischen Zeit I. Vergil a. Leben und Werk im Überblick Herkunft
Ausbildung
Philosophische Schule
Bucolica und Georgica
Aeneis
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Vergil wurde am 15. 10. 70 v. Chr. bei Mantua geboren – in einem Ort namens Andes (Donat 3) und an eben dem Tag, an dem Lukrez starb (Donat 2). Der Beruf seines Vaters ist nicht sicher. Nach Donat 1 war er figulus, das heißt Tontöpfer, oder mercenarius, Lohnbote eines Gerichtsschreibers, nach Probus war er rusticus, Bauer. Vielleicht besaß er ein Landgut in Andes. Seine Heimat, Transpadanien, ist geprägt durch das Zusammenleben von Etruskern, Umbrern, Venetern und Kelten. Der Name Vergilius ist etruskisch oder keltisch; die häufig verwendete Form Virgilius ist nicht vor dem 5. Jahrhundert bezeugt. Der junge Vergil besuchte die Elementarschule in Cremona und setzte nach Anlegen der toga virilis seine Ausbildung in Mediolanum (Mailand), dann in Rom fort. Hier dürfte er in Kontakt mit den Neoterikern gekommen sein; ihr Einfluss schlägt sich in den kleineren Gedichten nieder, die seinen drei großen Werken vorausgehen und – mit Unechtem vermischt – in der Sammlung des so genannten Catalepton tradiert sind. Wie viele seiner Zeitgenossen verstand Vergil sich in seiner Jugend als Anhänger Epikurs. Sein philosophischer Lehrer war Siron (vgl. catal. 5 und 8), der im Raum Neapel ein epikureisches Zentrum begründet hatte. Dem epikureischen Ideal des zurückgezogenen Lebens in der Muße sind die Bucolica in vieler Hinsicht, die Georgica in Einzelmotiven verpflichtet. Während Vergils Lebenszeit gewann allerdings die stoische Philosophie – nicht zuletzt unter dem Einfluss der ciceronischen Schriften – in Rom und für Vergil an Bedeutung. Sie prägt die Gedankenwelt der Aeneis, vor allem im Tugendideal des homo politicus, in der Auffassung des fatum (Schicksal) und in der hohen Bedeutung des Fortlebens nach dem Tod. Vergils erstes größeres Werk sind die Bucolica, die um das Jahr 38 v. Chr. publiziert werden. Sie gewannen ihm die Anerkennung der jungen römischen Schriftsteller; Maecenas zog ihn in seinen Kreis und unterstützte ihn finanziell. Ihm widmete Vergil sein zweites Großwerk, das Lehrgedicht Georgica, erschienen um 29. Rom und Neapel sind von jetzt an seine häufigsten Aufenthaltsorte. Hier entstand in den Jahren 29 bis 19 sein bedeutendstes Werk, die Aeneis. Einer umfassenden letzten Überarbeitung wollte Vergil mehr Zeit widmen, unter anderem in Griechenland, wohin er im Gefolge des Augustus reiste. Doch bald erkrankte er und kehrte mit Augustus zurück. Wenige Tage nach der Ankunft in Brundisium (Brindisi) starb er. Das hinterlassene Manuskript der Aeneis wurde auf Augustus’ Befehl von Freunden Vergils herausgegeben. Gleich nach ihrem Erscheinen erfuhr die Aeneis hohes Lob. Sie ersetzte innerhalb weniger Jahre die Annales des Ennius als Schullektüre und machte Vergil zum für die römische Literatur repräsentativen Autor; das Epos wirkte auch daran mit, dass in Monumenten der augusteischen Zeit Aeneas immer
Vergil mehr an die Seite von Romulus trat (Ara pacis, 13 – 9 v. Chr.; forum Augusti, vollendet 2 v. Chr.) Von keinem anderen römischen Dichter existieren so viele Lebensbeschreibungen wie von Vergil. Aelius Donatus schickte Mitte des 4. Jahrhunderts seinem Vergil-Kommentar eine Vita voraus, die auch von späteren Editoren übernommen wurde und deshalb sehr gut erhalten ist. Dies ist die wichtigste der Vergil-Viten; sie geht mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Sueton zurück. Unzuverlässig sind allerdings die Erweiterungen, die sie später erfuhr (so genannter Donatus Auctus). Ebenfalls im 4. Jahrhundert verfasste der Vergil-Kommentator Servius eine Vergil-Vita, die sich auf Donat stützt, aber um einige Angaben bereichert ist. Aus dem 5. oder 6. Jahrhundert dürfte die so genannte Probus-Vita stammen; sicherlich wurde sie nicht von dem Grammatiker M. Valerius Probus (1. Jahrhundert n. Chr.) geschrieben. Die meisten Angaben entsprechen denen der Donat-Vita, das neue Material ist wenig hilfreich. Servius und sein Zeitgenosse Tiberius Claudius Donatus schufen die ersten Kommentare zu Vergils Schriften; beide neigen dazu, einzelne Aspekte und Motive in allegorischer Weise auszudeuten; sie legen so den Keim für die christlich geprägte Vergil-Allegorese, die Aeneas’ Reisen als Anweisung für den rechten Lebensweg auslegt (Fulgentius, 5. Jahrhundert; Bernardus Silvestris, 12. Jahrhundert). Anfang des 5. Jahrhunderts macht Macrobius Vergils Werk zum Thema eines literarischen Symposions; zahlreiche Textstellen griechischer und römischer Autoren, die Vergil zitiert oder adaptiert hat, sind hier aufgeführt. Bukolische Gedichte in der Nachfolge der Eclogen verfassen noch in der Spätantike Calpurnius und Nemesianus. Der Renaissance-Dichter Jacopo Sannazaro (1458 – 1530) formt aus vergilischen Motiven seinen Schäferroman Arcadia, aber auch die Gattung der Eclogen lebt als Medium des Herrscherpreises, allegorischer Aussagen und verschiedenartigster Diskurse weiter bis in die Neuzeit. Vergils Rezeption im Mittelalter wird gefördert durch die interpretatio christiana der 4. Ecloge als Ankündigung der Geburt Christi; Vergil wird den alttestamentarischen Propheten zur Seite gestellt, ja sogar als Magier verehrt. Eine Blütezeit der Rezeption erfährt er im 8. und 9. Jahrhundert; der Mediävist Ludwig Traube (1861 – 1907) bezeichnete diese Epoche als aetas Vergiliana, vergilisches Zeitalter. Im 12. Jahrhundert entstehen mit dem Roman d’Eneas eines unbekannten Klerikers aus dem normannischen Bereich und dem Aeneas-Roman Heinrichs von Veldeke zwei volkssprachliche Adaptionen des Aeneas-Stoffes. Die Verehrung des Dichters und ,Propheten‘ Vergil und der Einfluss der Aeneis manifestieren sich zu Beginn des 14. Jahrhunderts in einzigartiger Weise in Dantes Divina Commedia (Göttliche Komödie): Vergil nimmt den in der Welt verlorenen Dichter mit sich auf eine die Welt und das Leben deutende Reise durch Hölle und Fegefeuer bis an den Rand des Himmels, den der Römer als Ungetaufter nicht betreten darf. Im Vergleich zu Dantes großem Werk ist die Africa – ein Epos im Stil der Aeneis über Scipios Krieg gegen Karthago – eine eher brave Klassikerimitation; Francesco Petrarca (1304 – 1374) trug sie allerdings den Dichterlorbeer ein. Wiederholt entstanden auch ,Fortsetzungen‘ der Aeneis – Aeneis 13 als Vollendung des Happy Ends in der Hochzeit zwischen Aeneas und Lavinia;
D. Viten und Kommentare
Vergil-Rezeption
Dante
Humanistische Aeneis-Nachdichtungen
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Die Autoren der augusteischen Zeit
D.
Vergil im 18. Jahrhundert
Richard Heinze
,
,two voices
44
die bekannteste ist die des Humanisten Maffeo Vegio (1406 – 1458). Julius Caesar Scaliger (1484 – 1558) bestätigte nur den schon lange gültigen Tenor der Vergilrezeption, indem er in seiner Poetik Vergil zum Muster und Vorbild aller Dichtung erhob. Ein Umbruch in der Vergil-Rezeption vollzog sich im 18. Jahrhundert, als der Archäologe Johann Joachim Winckelmann (1717 – 1768) aus den Bauwerken der griechischen Kunst ein klassisches Schönheitsideal der ,edlen Einfalt’ und ,stillen Größe’ ablas. Die Strenge und Einfachheit der archaischen und klassischen Bauwerke und Statuen, die sich – nach Verlust ihrer ursprünglichen Farbigkeit – dem 18. Jahrhundert im weißen und grauen Ton des Marmors präsentierten, prägte ein ästhetisches Leitbild, das dem eigenen Geschmack entsprach, aber für griechisch und klassisch gehalten wurde. Hellenistische und römische Kunst wurde gegenüber diesem Ideal als zweitrangig und epigonal abgetan. In der Philologie schlug sich diese Einstellung zunehmend in einer Methode nieder, die die römischen Texte nur noch als Nachahmung griechischer Vorlagen auffasste. Abweichungen und Neuerungen wurden nicht als Eigenleistung des Römers, sondern als Versagen an der eigentlichen Aufgabe der ,Übersetzung‘ angesehen. Erst die Philologen des 20. Jahrhunderts, allen voran Heinze (1. Auflage 1902), haben den eigenen Anspruch und Rang der Aeneis wieder bewusst gemacht. Heinzes Analysen zur Quellenverarbeitung, Komposition, Charakterzeichnung und zu den rhetorischen Strukturen der Aeneis haben eine neue Vergilphilologie hervorgerufen, die in komparatistischer und interpretatorischer Weise Vergils ,epische Technik‘ aufschlüsselt. Nach dem Zweiten Weltkrieg erwuchs neue Kritik an der Verherrlichung von Krieg und Gewalt in der Aeneis; vor allem an Turnus’ Tod schieden sich die Geister: War er, wie Pöschl (1977) urteilt, „der gewaltigste Ausdruck der Grundidee“ der Aeneis, indem er die Bändigung des furor impius durch Augustus vorwegnahm, oder lag hier die letztgültige Distanzierung des Autors von Aeneas – und Augustus? Großen Einfluss in diesem grundsätzlichen Streit um die Wertung Vergils und der Aeneis gewann die von Parry (1963) begründete Theorie der ,two voices‘, die neben der offiziellen und proaugusteischen ,Stimme‘ auch die Stimme der Opfer augusteischer Politik zu hören glaubt; in der Fortentwicklung dieser These sahen die Interpreten dann eine Technik des indirekten Sprechens am Werk, durch die Vergil seine Kritik an Augustus’ Kriegen und grausamen politischen Morden nach Actium vermittle (Putnam, 1965). Die Interpretation vergilischer Dichtung als ,zweistimmig‘ ist inzwischen auf die Georgica und in Ansätzen auch auf die Bucolica übertragen worden: Der kämpferische Geist, mit dem dieser Streit um den subversiven oder affirmativen, den pessimistischen oder optimistischen Vergil mitunter ausgetragen wird, verkennt die Vielschichtigkeit von Dichtung, die – wenn sie nicht triviale Tendenzliteratur ist – aus der Polyphonie ihren Reiz und die Chance immer neuer Aktualisierung zieht.
Vergil
D.
b. Appendix Vergiliana Die so genannte Appendix Vergiliana (Anhang zu Vergil; der Name stammt von Scaliger) umfasst kürzere Werke verschiedener Gattung und unsicherer Provenienz. Vergilische Jugendgedichte enthält das Catalepton; der Titel bedeutet sinngemäß „in zierlicher Weise“ und beruft sich auf das neoterische Ideal der kleinen und feinen Form. Anspielungen auf Fakten und Personen ordnen die Texte in den Zeitraum von circa 50 – 27 v. Chr. ein. Als nicht vergilisch gelten allgemein catal. 3, 9, 13, 14 und 15. Nach fast übereinstimmendem Urteil der Forschung sind die übrigen Werke der Appendix nicht von Vergil verfasst, obwohl sie ihm in den Viten zugeschrieben werden. Es handelt sich um das Fluchgedicht Dirae, das Liebesgedicht Lydia, die Kleinepen Culex und Ciris, das Lehrgedicht Aetna, zwei Elegien an Maecenas, die Copa und drei priapeische Gedichte. Vieles davon dürfte auf Zeitgenossen Vergils zurückgehen; dies und die thematische Nähe zu Vergils größeren Werken (opera maiora) hat dazu beigetragen, dass die Gedichte in den Sog der Vergil-Überlieferung gerieten und lange Zeit für echt galten. So ist der Culex, ein witzig-parodistisches Kleinepos um einen Hirten und eine Mücke, als Entsprechung zu der als homerisch geltenden Batrachomyomachie (Frosch-Mäuse-Krieg) aufgefasst worden: Wie Homer habe auch Vergil sich in der Gattung der Epenparodie versucht. Tatsächlich ist der Culex aber fast ein Cento (ein aus fremdem Material, das heißt aus Zitaten, zusammengeflicktes Stück) der vergilischen Großwerke und erst lange nach Vergil verfasst. Das Kleinepos Ciris bearbeitet den Mythos der Scylla: Von den Göttern mit Liebe zu dem kretischen König Minos geschlagen, der ihre Heimat Megara belagert, liefert sie ihm ihren Vater Nisus aus, wird aber von ihm verstoßen und von der Meeresgöttin Amphitrite in den Vogel ciris verwandelt. Sprache und Stil stehen neoterischer Dichtung nahe. Attraktive Genreszenen in kunstvoller Form und Sprache bieten die in elegischen Disticha verfasste Copa – eine syrische Wirtin ermuntert Vorbeikommende zur Einkehr in ihrer Taverne – und das hexametrische Moretum: Ein Bauer bereitet sich morgens seinen ,Kräuterkloß’.
Culex und Ciris
Copa und Moretum
c. Bucolica Der Titel Bucolica ist abgeleitet von dem griechischen Wort boukólos – der Rinderhirte. Hirten (auch Schaf- und Ziegenhirten) stellen das Personal dieser hexametrischen Kleindichtungen. ,Ecloge’ (ausgewähltes Stück, Einzelgedicht) als Begriff für die einzelnen Texte ist schon Sueton geläufig und wird häufig in den Handschriften verwandt. Vergils Bucolica umfassen zehn durchgehend hexametrische Einzelgedichte. Entstanden sind sie in den Jahren des Bürgerkrieges zwischen Octavianus, Antonius und den Caesar-Mördern; die spätesten werkinternen Hinweise führen auf das Jahr 39. Viele der seit Theokrit eingebürgerten Themen der Bukolik – Liebesklage und -werbung, Wettgesang, Gegensatz zwischen Stadt und Land – greift
Kunst und Politik
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Die Autoren der augusteischen Zeit
D.
Buchkomposition
Sprache und Form
Enteignung
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Vergil wieder auf. Seine Hirten tragen gewöhnlich griechische Namen; wie die Hirten Theokrits entstammen sie der Zeit und dem Lebensumfeld des Dichters. Wo aber Theokrits Hirtensänger eher allgemein die Mentalität und den Kunstgeschmack ihrer Zeit repräsentieren, da lässt Vergil die personae seiner Bukolik Verse aus zeitgenössischer Dichtung vortragen (ecl. 6). Seine Hirten schrecken auch vor einer leicht zu entschlüsselnden namentlichen Kunstkritik nicht zurück (ecl. 5); sie haben Anteil an den jüngsten politischen Ereignissen in Rom wie dem Bürgerkrieg und den Enteignungen im Zuge der Ansiedlung von Söldnern (ecl. 1 und 9) und kommentieren in nur oberflächlich verschlüsselter Form Caesars Ermordung und die Legende seiner Verstirnung (ecl. 9). In ecl. 10 verzichtet Vergil sogar darauf, seinen ,Sänger’ mit dem typischen Hirtennamen zu versehen und lässt ihn unter echtem Namen – Gallus – seine bukolische Rolle spielen. Viele Motive der Eclogen setzen sich programmatisch mit der Gefährdung der Kunst selbst auseinander: Nicht nur die Leidenschaft – zentrales Thema theokritischer Bukolik – bedroht den Hirtendichter; wenn die kriegerischen Unruhen sein Leben bedrohen und seinen Frieden stören, dann geht auch seine Kunst zugrunde: Carmina nulla canam – keine Lieder werde ich mehr singen – so klagt Meliboeus, der sein Land einem fremden Soldaten überlassen muss (1,77). Vergils Bucolica nehmen die Politik in die Pflicht – eine raffinierte Reaktion (oder vielleicht auch hellsichtige Absicherung) gegenüber der Verpflichtung von Literatur auf Panegyrik. In dieser Politisierung stellt Vergils Bukolik fast eine Neuerfindung der Gattung dar; in jedem Fall öffnet sie die Hirtendichtung für jedes Thema von politischer, sozialer oder ästhetischer Spannkraft und begründet eine Tradition bukolisch geprägter Zeitkritik, die bis in die Neuzeit nicht abreißen wird. Das für Theokrit prägende ironisch-parodistische Element tritt dagegen zurück. Die Anordnung der Einzelgedichte im Buch entspricht nicht der Abfassungschronologie (ecl. 2 und 3 gelten gemeinhin als die frühesten, ecl. 10 als das späteste Gedicht), sondern folgt lockeren Kompositionsprinzipien. Wesentlich ist das Bemühen um strukturelle variatio: In regelmäßiger Folge wechseln dialogische bzw. durch einen strophenweise respondierenden Wettgesang der Hirten gestaltete Texte (carmen amoebaeum: ecl. 1; 3; 5; 7; 9) mit Einzelliedern. Die Eclogen stehen in Sprache und Form auf der Grenze zur Klassik: Sie sind ausgewogen komponiert und von hoher sprachlicher Melodik; zugleich vermitteln sie bereits den für Vergils Werke überhaupt charakteristischen Eindruck einer dignitas, der nichts Lastendes anhaftet; Graezismen, die Tendenz zu griechischem Klangkolorit, gelehrt-gesuchte Ausdrücke, häufige Alliterationen und auch der Gebrauch des versus spondiacus (Hexameter mit einem Spondeus im 5. Fuß) rücken dieses vergilische Frühwerk aber auch in die Nähe neoterischer Dichtung. Ecl. 1 ist ein Zwiegespräch zwischen den Hirten Tityrus und Meliboeus; bei den Landverteilungen für die Versorgung der Söldner ist Meliboeus von seinem Acker vertrieben worden und muss in eine ferne Kolonie ziehen. Tityrus hat seine Heimat für sich retten können, denn ihm stand ein göttlicher junger Mann in der großen Stadt bei (Rom und Augustus werden nicht genannt, sind aber sicher gemeint). Seine Dankbarkeit bildet den Kontrapunkt
Vergil zu Meliboeus’ bitteren Klagen: Der Unfriede hat die ganze Natur ergriffen; überall drohen Verlust und Verwüstung. Der vom Glück begünstigte Tityrus hat das letzte Wort – ohne freilich dem Verbannten wirklichen Trost zu bieten (Leeman 1985). Servius’ Kommentar erklärt ecl. 1 autobiographisch: Bei den Landenteignungen im Raum Mantua nach dem perusinischen Krieg 41/40 habe Vergil sein väterliches Landgut verloren, es durch die Fürsprache politisch einflussreicher Freunde aber zurückgewonnen und mit ecl. 1 seinen Dank abgestattet. Diese Erläuterung mag im Faktischen zutreffen, ist vielleicht aber auch einer naiven biographischen Lesart von Dichtung zu verdanken und sollte nicht von dem allgemeinen Anspruch dieser Kunst ablenken. Sie hat daran mitgewirkt, dass der Name des glücklichen Tityrus gelegentlich zur Bezeichnung Vergils verwendet wurde. Vordergründig gänzlich unpolitisch ist die früh verfasste ecl. 2. Der Hirte Corydon wirbt um den schönen Alexis: Auf das Land soll er kommen, wo ihm der Liebende reiche Geschenke an Früchten und Blumen verspricht. Aber Alexis hat einen vornehmeren Liebhaber, und Corydon weiß, dass er verschmäht wird. Resignativ wendet er sich der Arbeit und der Hoffnung auf eine neue Liebe zu. Das dem umworbenen Knaben verheißene Hirtenleben ist als nie endendes Fest in der Natur gezeichnet, im Schmuck von Blumen, mit Gesang und Flötenspiel, unter dem Schutz ländlicher Gottheiten. Diese Idealisierung des Landes und des einfachen Lebens ist im Kern epikureisch; sie wird aber auch – unter dem Aspekt der renovatio – prägend für das augusteische Gedankengut. Die Schlusspointe – der Hirte löst sich von seiner zerstörerischen Leidenschaft und hofft auf eine glücklichere Liebe – rückt die Ecloge in einen programmatischen Gegensatz zur elegischen Dichtung mit ihrer alle Zurückweisungen überdauernden Bindung. Ecl. 3 setzt mit dem Zwiegespräch der Hirten Menalcas und Damoetas ein, die sich gegenseitig verspotten. Für den Liedwettkampf, in dem sie sich messen wollen, setzen beide nach bester theokritischer Manier (vgl. Theokr. id. 1) einen Preis aus. Ein hinzukommender Hirte wird zum Schiedsrichter bestellt, nennt aber am Ende beide des Sieges würdig. Im hier entfalteten carmen amoebaeum schlagen die Sänger immer neue Motive an und versuchen wiederholt, einander auf inhaltlicher Ebene zu überbieten; so singt der eine von Mädchen-, der andere von Knabenliebe; so klagt der eine, dass ihn die Geliebte flieht, triumphiert der andere, dass der schöne Knabe sich ihm freiwillig hingibt. In der Kunst aber sind sie – wie das Urteil des Schiedsrichters belegt – gleichwertig. Ecl. 4 prophezeit die Geburt eines Heil bringenden Kindes, unter dessen Führung das Goldene Zeitalter zurückkehren soll; ihm wird die Göttlichkeit verheißen. Dieses neue Weltzeitalter wird Asinius Pollio einleiten, ein enger Vertrauter von M. Antonius, der als Konsul im Jahr 40 maßgeblich daran mitwirkte, das bereits brüchige Bündnis zwischen Octavianus, M. Antonius und Lepidus erneut – wenn auch nur für kurze Zeit – zu stabilisieren. Die durch Kaiser Konstantin geförderte und im Konzil von Nicaea (325) bestätigte interpretatio Christiana, Vergil sage die Geburt Jesu voraus, hat entscheidend daran mitgewirkt, dass Vergil im Mittelalter als quasi christlicher Autor rezipiert wurde und als Heiliger Verehrung und Eingang in christliche Legenden fand. Die historisch angemessenere These, das Kind sei ein Sohn Pollios, ist eben-
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carmen amoebaeum
aurea aetas
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Die Autoren der augusteischen Zeit
D.
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Daphnis Tod
Themen zeitgenössischer Dichtung
Arkadien
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so ungesichert wie die Vermutung, es handele sich um Augustus’ Kind, mit dem seine erste Frau, Scribonia, im Jahr 39 schwanger war – und das sich dann als Tochter, Iulia, herausstellte. Für die im Übrigen reizvolle Auflösung, der Äon – das Weltzeitalter – sei in seinen Entwicklungsstufen gezeichnet, erweisen sich die Schlussverse, die sich auf menschliche Schwangerschaft und Kindheit beziehen, als problematisch. Die an sich plausiblere Vermutung, Vergil prophezeie ex eventu Augustus’ Geburt und erhebe ihn zum vergöttlichten Begründer eines neuen Zeitalters, setzt für diesen relativ frühen Zeitpunkt fast schon prophetische Hellsicht voraus – oder aber hemmungslosen Herrscherkult. In jedem Fall steht die Erwartung eines Retter-Kindes im Kontext geistesgeschichtlicher Strömungen der Zeit, von denen die alttestamentarische Messiaserwartung nur einen Teil darstellt (Binder 1983). In ecl. 5 beklagen Menalcas und Mopsus im Wechselgesang den Tod des Daphnis und beschwören seine Vergöttlichung; es liegt nahe, an Caesars Tod und seine durch Augustus propagierte Apotheose zu denken. Am Ende der Ecloge zitiert Menalcas die Gedichtanfänge von ecl. 2 und 3; eine solche Siegelung (sphragís) von zusammengehörigen Gedichten steht gewöhnlich am Buchende. So ist anzunehmen, dass ecl. 5 in einer ersten Konzeption eine vielleicht kürzere Sammlung von bukolischen Gedichten abschließen sollte. Ecl. 6, dem consul suffectus (als Ersatz für einen ausscheidenden Amtsinhaber nachgewählter Konsul) für das Jahr 39, Alfenus Varus, gewidmet, setzt ein mit dem Bekenntnis zur Kleinform ländlicher Dichtung; Kriege zu besingen weist der Dichter von sich. Aus der recusatio erwächst ein gelehrtes Lied des ländlichen Gottes Silenus, das von der Kosmogonie zu mythischen Themen fortschreitet; eingeschoben ist ein ,Auftritt’ des Cornelius Gallus, dem der mythische Sänger Linus, die Musen im Gefolge, die Flöte Hesiods überreicht und den Auftrag erteilt, ein aitiologisches Gedicht zu verfassen: Hier ist wahrscheinlich Kallimachos nachgeahmt (fr. 2 Pfeiffer), der seinerseits Hesiod, Theogonie 22 ff. rezipiert. Angesichts der für Gallus sonst allein bezeugten elegischen Dichtungen überrascht der ihm erteilte Auftrag; aber immerhin hat auch Ovid in den Fasti Aitiologie im elegischen Versmaß betrieben. Zitate aus einem Kleinepos aus dem Kreis der Neoteriker, der Io des Calvus (82 – bald nach 54 v. Chr.), legen in Verbindung mit der Fülle en passant angesprochener Mythen die Vermutung nahe, dass Vergil hier noch auf weitere zeitgenössische mythologische Literatur verweist. Ecl. 7 gibt den Liedwettstreit der Hirten Corydon und Thyrsis wieder, dem Daphnis und Meliboeus zuhören. In der Rahmenhandlung triumphiert die (künstlerische) Muße über die Hirtenarbeit: Meliboeus vernachlässigt seine Pflichten, um den Sängern zu lauschen. Unter den verschiedenen Liedthemen spielt Vergil auch kurz auf Theokrits Polyphem und seine Liebeswerbung um die Meeresnymphe Galatea an (id. 11). Dass Thyrsis im Wettkampf unterliegt und Corydon siegt, ist nicht zwingend aus den Liedern abzuleiten. Vielleicht vertreten beide verschiedene Richtungen der Kunst, die mit ,Insider-Wissen’ zuzuordnen waren, vielleicht liegt aber auch nur eine Variation zu dem unentschieden endenden Wettstreit in ecl. 3 vor. Die Rahmenhandlung erzeugt einen programmatischen Widerspruch: Der locus amoenus, an dem sich die Hirten treffen, ist am Ufer des Mincius (Fluss in Vergils Heimat bei Mantua) angesiedelt; dennoch werden die Hirten als Arcades, Arkadier, bezeichnet – und Arkadien ist die Heimat von Theokrits Hirten auf der grie-
Vergil chischen Peloponnes. Das geographische Paradoxon vermittelt eine eigene Wahrheit: Vergils Hirten sind zugleich die Verwandten der theokritischen Hirten und Vergils römische Zeitgenossen; ihre Heimat wird nicht von der Geographie definiert, sondern liegt im Raum der Kunst – Arkadien ist für Vergil nicht politische, sondern geistige Heimat (Snell). Zweigeteilt ist ecl. 8, in der Vergil zwei theokritische Vorlagen, id. 2 und id. 3, rezipiert: Damon beklagt den Verlust seiner Geliebten Nysa und kündigt seinen Selbstmord an; eine Frau beschwört durch magische Praktiken erfolgreich den Geliebten Daphnis, zu ihr zurückzukehren. Die beiden Teile stehen in raffinierter Korrespondenz: Hier der Mann, der in elegischer Verfallenheit an die Geliebte sein Leben wegwirft, dort die Frau, die in energischer (und skrupelloser) Tätigkeit ihr Glück zurückgewinnt. Die Technik der Spiegelung erinnert an die im Kleinepos beliebte Verschränkung mythischer Themen (Catull 64; der Orpheus- und Aristaeus-Stoff in Vergil, Georg. 4; Ciris). In ecl. 9 wandern Lycidas und Moeris gemeinsam zur Stadt; unterwegs erproben sie verschiedene Liedstrophen, darunter auch solche, die sie von Dichterfreunden gehört haben. Den Gipfel dieser musikalischen Versuche nimmt eine Strophe auf Caesars Apotheose ein. Wie in ecl. 2 steht am Ende die Besinnung auf die Arbeit: Ihr muss die Kunst weichen, aber nur vorläufig, bis bessere Zeiten kommen. Ecl. 10 stellt den Elegiker Cornelius Gallus als unglücklich Liebenden dar; seine Lycoris ist einem anderen über die Alpen gefolgt, ihn selbst hält der Kriegsdienst von ihr fern. Unter lebhafter Anteilnahme der Natur und selbst der Götter beklagt er sein Leid; Trost aber fände er, wenn er sich von der Verfallenheit an die eine Frau lösen und dem schlichten Glück der Hirtenarbeit und wechselnden Hirtenliebe zuwenden könnte. Vergil legt ihm ein Lied in den Mund, das zugleich auf Gallus’ eigene Dichtungen anspielt, nach Aussage des Kommentators Servius sogar aus ihnen zitiert. Die Ecloge ist eng an Theokrits Daphnisklage in id. 1 angelehnt. Zugleich verbindet sie eine sehr individuelle Freundschaftsbekundung mit einer leicht ironischen Perspektive auf die Liebesauffassung der Elegie.
D.
Spiegelung
Cornelius Gallus
d. Georgica Der Titel Georgica ist abgeleitet von dem griechischen Wort georgós – Bauer. Thema des Lehrgedichts ist die bäuerliche Arbeit – Ackerbau, Baumzucht mit dem Weinbau, Viehzucht und Bienenpflege. Dieses ausgereifteste Werk Vergils – nach Donat 25 hat er 7 (37 – 30) Jahre daran gearbeitet – wahrt trotz seines Umfangs von immerhin weit über 2000 Versen in vier Büchern die Elemente alexandrinischer Stilgebung: Gelehrsamkeit, sprachliche Ausfeilung, das sich in kleinen Episoden bzw. Lehrpassagen rundende Werk. So ist auch der Einfluss hellenistischer Dichtung und vor allem der Phainomena Arats vielfach zu belegen. Dennoch richtet sich der Anspruch der Georgica nicht nur auf die poetische Bewältigung der schwierigen Materie, sondern auf die Vermittlung einer differenzierten Weltsicht. In dieser Verbindung didaktischer Ernsthaftigkeit mit spielerisch-artifizieller Stoffbewältigung erzeugt Vergil eine neue Form der Gattung, in der sich die frühe griechische und die hellenistische Lehrdichtung glücklich vereinigen.
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Die Autoren der augusteischen Zeit
D. Vorbilder der Georgica
Die Georgica im Kontext augusteischer Ideologie
labor improbus
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Ausdrücklich beruft sich Vergil auf Hesiod, indem er sein Werk ein Ascraeum carmen nennt (Hesiod soll in Askra in Böotien geboren sein). Unverkennbar ist auch der Einfluss der Libri tres rerum rusticarum (Drei Bücher über Landwirtschaft) des römischen Prosa-Schriftstellers Terentius Varro und von Lukrez’ Lehrgedicht De rerum natura; die Schrift des Karthagers Mago über die Landwirtschaft soll er gleichfalls (so Serv. ad 1,43) benutzt haben. Die Vereinigung römischer und griechischer Vorbilder, ein Markenzeichen Vergils, ist in diesem Werk so reizvoll, weil die unterschiedlichen Ebenen in ihrem Eigenwert erkennbar bleiben, aber zu einem ganz individuellen Gesamtwerk verbunden sind. Die Georgica sind das erste Werk der augusteischen Literatur, in dem sich die zentralen Aspekte augusteischer renovatio erkennen lassen. Die Hinwendung an den Landmann in seinen Pflichten und seinem Jahresrhythmus ist orientiert an den Werten des ,alten Italien‘, an ländlicher Frömmigkeit, harter Arbeit, Traditionsbewusstsein und einem Leben in Übereinstimmung mit den Gesetzen der Natur. Die natura ist freilich ambivalent aufgefasst: Sie kann dem Bauern Reichtum und innere Zufriedenheit schenken, aber auch durch Unwetter oder Krankheit sein Glück vernichten. Der Lehrdichter lässt demgemäß seine Vorschriften, praecepta, mit Heilmitteln, remedia, abwechseln. Analog sind auch die Buchschlüsse alternierend vom Gefühl der Harmonie mit der Natur und dem Bewusstsein ihrer Bedrohlichkeit geprägt. Buch 1 setzt mit der Widmung an Maecenas ein; in jedem der folgenden Bücher wird der Gönner erneut apostrophiert. In 1,1 – 4 sind zugleich die zentralen Themen der vier Bücher skizziert: Jeder Vers bezeichnet ein Buch. Es folgt ein Hymnus auf die ländlichen Götter (5 – 23) und auf Augustus (24 – 42), der als zukünftiger Gott und als Rettergestalt angesprochen wird. Vergil scheint hier den Topos der Herrscherapotheose so ernst zu nehmen, dass er verschiedene göttliche Erscheinungsformen für Augustus erwägt; diese für den modernen Leser fast schon amüsante Abwägung von Alternativen zeigt, dass den Römern dieser Zeit die Göttlichkeit der Kaiser noch nicht zur panegyrischen Standardformel geworden ist. Die folgenden Vorschriften für die Bauern sind weniger technisch systematisch als ideologisch geprägt: Sie vermitteln die Tugenden des Fleißes, der pietas, der Genügsamkeit und des Bewusstseins für den rechten Augenblick. Kleine thematische Abschweifungen sind eingeschoben, die dieses Programm stützen und zugleich stilistische Glanzstücke darstellen: In 1,121 ff. ordnet Vergil in Anlehnung an Hesiods Zeitalterlehre (Erga kai hemerai 109 – 201) die eigene Epoche dem Leitmotiv des labor unter: Harte Arbeit und der Widerstand der Natur stellen für den Menschen die von den Göttern gewollte Lebensform dar; sie zwingen ihn, sich durch Fleiß und Erfindungsreichtum zu behaupten. Ob die Worte labor omnia vicit / improbus et duris urgens in rebus egestas optimistisch (im Sinn von: Tapfere Arbeit bezwang alles und der Mangel, der in harter Lage den Fortschritt fördert) zu übersetzen sind oder pessimistisch (im Sinn von: Schändliche Arbeit bezwang alles und die Entbehrung, die in harter Lage den Menschen bedrängt) ist in der Forschung umstritten: Hiervon unter anderem hängt das Verständnis der Georgica als einer optimistischen oder pessimistischen Schrift ab. Der Gegensatz ist aber vielleicht auch weniger schroff, als er scheinen mag: Das Glück einer aurea aetas, die dem Menschen alles von selbst schenkt und ihn der
Vergil Muße und dem Spiel überlässt, ist in der Gegenwart nicht zu gewinnen. Gegenüber dem verlorenen ,Paradies’ stellt die Notwendigkeit des labor einen Makel dar, zumal sie zu gewaltsamen Eingriffen in die Natur nötigt. Sie erhält aber nicht nur die Existenz, sondern schärft auch den Geist; so zwingt sie den Menschen, nicht in idyllisch beglückter und unschuldiger Unwissenheit dahinzuleben, sondern all seine Kräfte zu entfalten. Zwei Kataloge, eine seit Hesiod für Lehrdichtung prägende rhetorische Form, dominieren den zweiten Teil des ersten Buches: Arbeiten, die zu bestimmten Terminen zu verrichten sind (204 – 310), und die Wetterzeichen (356 – 460; hier in Abhängigkeit von Arat, Phain. 778 – 1141). Am Buchschluss führt Vergil die Himmelserscheinungen nach Caesars Tod an und beschwört die Verfallserscheinungen der ausgehenden Republik – eine eindringliche Warnung vor unkritischer Nostalgie. Das zweite Buch ist der Kultivierung von Bäumen gewidmet; das Schwergewicht liegt beim Weinbau. Eingeschoben ist das Lob Italiens (laudes Italiae, 2,136 ff.): Italien wird hier stilisiert als das Land des Maßes, der Fruchtbarkeit, alte Heimstatt der aurea aetas (Goldenes Zeitalter) und zugleich die Wiege großer römischer Helden. Die Reihung bedeutender Römer mündet in der Preisung des Caesar Augustus; hier nimmt Vergil schon die Heldenschau von Aen. 6 im Kleinen vorweg. Aufschlussreich ist dabei, wie Octavianus in die Reihe anderer römischer Größen einbezogen ist, hervorgehoben allenfalls durch die persönliche Anrede und die Stellung am Ende der Heldenreihe: In diesem Kontext ist er nicht als Ausnahmegestalt gesehen, sondern als eines von vielen exempla (Beispielen) tätiger virtus (Tugend und Tapferkeit). Die Reihe der praecepta schwingt sich wiederholt auf zu höheren Sphären: Die Arbeiten im Weinbau umschließen einen Passus über das Fest des Bacchus (380 – 96); die Schilderung verbindet Elemente der attischen ländlichen Dionysien mit den Gebräuchen eines italischen Bacchusfestes, vielleicht der Compitalia (als Quelle dienten vermutlich Varros Theorien zum Ursprung des Bühnenspiels, De scaenicis originibus). Ein Preis der Natur, die oft mehr schenkt, als die Arbeit ihr abverlangt, rundet die praecepta ab. Das zweite Buch schließt mit dem Lob des Landlebens (458 ff.), gezeichnet als ein Raum ohne städtischen Luxus, aber reich an den Freuden von Arbeit und Muße, geadelt durch den Arbeitswillen der Jugend, den Kult der Götter und die Verehrung des Alters: Hier herrschte am längsten das Goldene Zeitalter, dessen Ende der Abschied der Göttin Iustitia (Gerechtigkeit) von der Erde bedeutete (vgl. Arat 100 – 136). In diesen thematisch an die laudes Italiae anknüpfenden Preis des ländlichen Lebens integriert Vergil zwei weitere Lebensformen: Die eigene, das heißt die des von den Musen inspirierten Dichters, stellt er in ihrem Glücksanspruch gleichberechtigt neben das Leben des Bauern, wobei er zwischen der gelehrten Ergründung der Ursachen der Dinge und dem bescheidenen Preis der Natur und ihrer Götter differenziert. Ein solches frommes Leben schenkt innere Ruhe und Sicherheit. Ehrgeiz und unstillbare Besitzgier aber führen den Politiker in schwere Schuld, bedrohen sein Leben und treiben ihn ins Exil. Buch 3 der Georgica ist der Tierzucht gewidmet. In einer 46 Verse umfassenden digressio (Abschweifung, Exkurs) innerhalb des Proömiums prokla-
D.
Lob Italiens
Lob des Landlebens
Tempelallegorie
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Die Autoren der augusteischen Zeit
D.
Verwandtschaft von Tier und Mensch
52
miert Vergil das bereits gegen Ende von Georg. 2 thematisierte eigene Dichtertum, jetzt aber im Vorgriff auf spätere Leistungen: Seinem heimischen Mantua will er die Dichterpalme bringen, aber nicht durch die längst trivialen mythischen Stoffe, sondern durch ein großes Werk zu Ehren des Caesar Augustus. Dieses Werk ist allegorisch als Tempel geschildert, in dessen Mitte ein Caesar-Standbild stehen soll. Seine Bedeutung akzentuiert Vergil durch eine detailreiche Schilderung des Tempelschmuckes: Die Waffen der von Augustus besiegten Völker, die Standbilder von Augustus’ Vorfahren aus troianischem Geschlecht und die Hadesqualen leidenden Kräfte des Neides und der Furien sollen dort ausgestellt sein. Dass die Metaphorik des Tempelbaus eine vergilische Dichtung bedeutet, ist unstrittig. Aber sind damit die Georgica oder die Aeneis gemeint? Beide Thesen sind in der Forschung vertreten worden. Im ersten Fall bedeutet der Tempelexkurs eine in pindarischem Geist verfasste Proklamation eigenen Dichtertums, das sich an Ennius anschließt, aber über ihn hinauswächst (Georg. 3, 9 victorque virum volitare per ora – „als Sieger [werde ich] von Mund zu Mund gehen“ ist unverkennbares Zitat von Ennius, Epigramm. II, 2 [Varia 18 Vahlen]). Im zweiten Fall provoziert die Diskrepanz zwischen dem hier angekündigten und dem später tatsächlich verwirklichten Werk, der Aeneis, die Frage, ob Vergil zu diesem Zeitpunkt noch ein Epos über die jüngsten Ereignisse der römischen Politik (eine Caesareis oder ein Bellum Actiacum) geplant hat. Doch darf man die Verbindlichkeit der Ankündigungen nicht überschätzen; sie beziehen sich auf eine gänzlich unbestimmte Zukunft und sind eher Beschwichtigung gegenüber dem Drängen des princeps als konkreter epischer Entwurf. Als Vergil diesen Passus verfasste, war ihm Augustus’ Wunsch nach einem panegyrischen Epos sicherlich klar; weniger klar dürfte ihm gewesen sein, wie er sich der annalistisch oder historiographisch orientierten Ennius-Nachfolge entziehen und dennoch den princeps zufrieden stellen konnte. Das Konzept der Aeneis, die teleologisch orientierte Darstellung des Aeneas-Mythos mit dem in Prophezeiungen und symbolkräftigen Schilderungen präfigurierten Augustus-Lob, dürfte sich erst allmählich für ihn geklärt haben. Immerhin ist verblüffend, dass die in Georg. 3 verheißenen Themen – die Kriege des Augustus, seine troianischen Vorfahren, selbst die Unterweltschilderung – in der Aeneis allesamt präsent sind. Die Vorschriften für die Tierzucht und -haltung setzen nach hierarchischem Prinzip bei den wertvolleren Pferden und Rindern ein und gehen dann zu Schafen und Ziegen über. Das für Pferde und Rinder breit entfaltete Zuchtprogramm – von der Auswahl der Zuchttiere über Zeugung, Geburt, Pflege und Erziehung der Jungtiere – zielt auf Schönheit, Tüchtigkeit und die Unterstützung des Menschen durch das Tier, im Krieg und auf dem Acker. Bei Schaf und Ziege liegt der Nachdruck auf der richtigen Weidewirtschaft, die gute Milch garantiert. Die ,niederen‘ Tierarten Schwein und Esel bleiben – anders als in Vergils Hauptquelle Varro – unbehandelt, ebenso auch die unangenehmeren Aspekte der Viehzucht wie das Schlachten zur Fleischgewinnung. Vergil wirbt zugleich um Verständnis für die Wesensart der Tiere und für die Bedürfnisse ihrer verschiedenen Lebensstufen; langsam entfaltet sich die Vorstellung von der Verwandtschaft von Tier und Mensch (wie der Mensch kennt auch das Pferd die Leidenschaft der Kampfeslust, 83), die beim Thema
Vergil Zeugung dann unverhohlen formuliert wird: Mensch und Tier, alle Lebewesen unterliegen dem Trieb der Venus, amor omnibus idem (für alle ist die Liebe gleich, 244). Die praecepta zu den Tierkrankheiten münden in einer ausführlichen Schilderung der so genannten norischen Viehseuche (474 ff.), die „einstmals“ alles Herdenvieh ergriff und tötete und das Gebiet der norischen Alpen verwaist zurückließ. Mit diesem Buchschluss knüpft Vergil beziehungsvoll an den Schluss von Georg. 1 (463 – 514) an: Unheilvolle Zeichen begleiten die Viehseuche, überall herrschen Tod und Verderben. In der Tierseuche ist besonders deutlich ein Element festzustellen, das dem ja eigentlich eher spröden Stoff der Unterweisung des Bauern seinen eigenen Reiz gibt: die Beseelung der Natur, die in Vergils Georgica eigene Gesetze, Ansprüche und Gefühle hat: Leidvoll empfindet nicht nur der Mensch das Sterben seiner Freunde; auch der Pflugstier trauert über den Tod seines Bruders, der neben ihm im Joch zusammengebrochen ist (3,515 – 19). In der Fatalität der Tierseuche steht Vergils Schilderung der Pestbeschreibung am Ende von Lukrez’ De rerum natura nahe (6, 1138 – 1286). Lukrez freilich lässt sein Werk in der Pestschilderung enden; Vergils Tierseuche beschließt nur ein Einzelbuch, der pessimistische Ton erhält ein Gegengewicht in dem versöhnlichen Schluss des letzten Buches der Georgica. Die Beseelung und Vermenschlichung der Tiere findet ihren Höhepunkt in der ersten Hälfte von Georg. 4, bei den Bienen. Schon bei Varro (r.r. 3,16) ist das Kapitel über die Bienenzucht besonders ausführlich; Vergil widmet ihr ein eigenes Buch. Die Bienen, als staatenbildende Wesen, galten Aristoteles als Vernunftwesen (Historia animalium IX, 40); analog schildert Vergil nicht nur die Arbeit des Imkers, sondern mehr noch die wundersamen Fähigkeiten der Bienen: ihre kunstvollen Bauwerke, ihre Kriege, die ihnen von Iuppiter verliehene Natur (149) und die Verfassung ihres ,Staatswesens’ – all das ist in wachsender Analogie zu menschlichen Verhältnissen gezeichnet. Etwa in der Mitte des 4. Buches leitet der Preis Ägyptens zu einer dort angewandten Technik der Neuerzeugung von Bienenvölkern über: Im Leib geschlachteter Rinder sollen sie entstehen. Diese Bienenzeugung aus Aas (Bugonie) ist auch sonst in antiken Texten bezeugt, wenngleich Vergils Quelle nicht zu ermitteln ist. Vergil nutzt das Thema, um den Leser abschließend in eine große mythische Erzählung, eigentlich ein eigenes Kleinepos, zu führen, das auf völlig neue Weise die Motive der Bienenseuche und Bugonie mit zwei Gestalten des Mythos verknüpft: Das Geschick des Aristaeus, der seine Bienenvölker durch Krankheit verliert und mittels göttlicher Unterweisung neu gewinnt, wird raffiniert mit dem Mythos von Orpheus und Eurydike verschlungen: Aristaeus’ Verlust erweist sich als Strafe für seine Schuld am Tod der Eurydike, den die ganze Natur und ihr Mann Orpheus beklagen. Orpheus steigt sogar in die Unterwelt hinab und kann die Geliebte zurückgewinnen; aber im letzten Augenblick dreht er sich gegen göttliches Gebot zu der ihm ans Licht hinauffolgenden Frau zurück und verliert sie so erneut. Seine Trauer, die ihn alle Liebe verachten lässt, büßt er mit dem Tod von der Hand thrakischer Mänaden. Die Verschlingung von Liebe, Kunst und ländlicher Arbeit, Schuld und Sühne, Menschen und Göttern verleiht dieser ausgefeilten Mythenerzählung ihre erzählerische Intensität.
D.
Tierseuche
Bugonie
Aristaeus und Orpheus
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Die Autoren der augusteischen Zeit
D.
Der für ein Lehrgedicht ungewöhnliche Buchschluss hat die Phantasie der Interpreten angeregt – zumal der Kommentator Servius überliefert, die Aristaeus-Orpheus-Episode sei einer Zweitredaktion der Georgica zu verdanken; ursprünglich habe ein Gallus-Lob (laudes Gall) den Buchschluss eingenommen, sei aber ersetzt worden, nachdem Gallus das Missfallen von Senat und Augustus erregt und Selbstmord begangen habe. Diese Nachricht wirkt wenig plausibel und beruht vermutlich auf einem Missverständnis früherer Anmerkungen oder schon für Servius nicht mehr erschließbarer Anspielungen auf Gallus und sein Werk.
e. Aeneis
Entstehung der Aeneis
Edition der Aeneis
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Der Werktitel Aeneis leitet sich von dem Namen des zentralen Helden Aeneas ab. Das Epos schildert seinen Weg aus Troia nach Italien und damit den mythischen Ursprung Roms. Es umfasst zwölf Bücher mit insgesamt fast 9900 Versen. Nach Angabe der Viten hat Vergil circa elf Jahre an der Aeneis gearbeitet (Donat 25). Demnach muss er gleich nach Fertigstellung der Georgica damit angefangen haben. Die Entstehungsgeschichte der Aeneis wird von Donat (23f.) geschildert: Vergil habe zunächst ein Prosa-Konzept erstellt und den Stoff in zwölf Bücher eingeteilt; ohne Systematik habe er dann jeweils einzelne Passagen ausgearbeitet, andere nur mit knappen ,Stützen’ (tibicines) versehen. Der Begriff der tibicines ist in der späteren Vergil-Philologie auf die unvollständig überlieferten Verse der Aeneis bezogen worden – Verse, die Vergil nur provisorisch und halbfertig gestaltet habe. Welchem Stadium der Abfassung diese insgesamt 58 Verse tatsächlich entstammen – ob sie das Ergebnis eines ersten raschen Entwurfes oder aber einer späteren Überarbeitung sind – , ist allerdings in der Forschung strittig. Die These, es handele sich hier um einen bewussten Kunstgriff des Dichters, darf als abwegig gelten. Im Jahr 23, nach dem Tod von Augustus’ Neffen Marcellus, liest Vergil dem princeps die Bücher 2, 4 und 6 vor (Vita Donati 32f.). Sie müssen also zu diesem Zeitpunkt in einer weithin ausgefeilten Form vorgelegen haben – die natürlich später noch überarbeitet worden sein kann. Dafür, dass diese drei Bücher relativ früh vollendet wurden, spricht auch ihre – im Vergleich zu anderen Büchern der Aeneis – hohe innere Geschlossenheit: Jedes stellt für sich eine Einheit dar; untereinander sind sie thematisch und stimmungsmäßig differenziert und repräsentieren die Motivfülle der Aeneis (2: Einnahme Troias; 4: Dido-Episode; 6: Abstieg in die Hadeswelt [Katábasis]). Als Vergil im Jahre 19 v. Chr. starb, war die Aeneis weitgehend abgeschlossen, sollte aber noch überarbeitet werden. Gegen den Willen des sterbenden Autors ließ Augustus das Epos durch Vergils Freund Varius, vielleicht unter Mitwirkung des Plotius Tucca (Donat 37), edieren. Ob die Herausgeber in die damals vorliegende Textform eingriffen, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen; die so genannte Helena-Episode 4,566 – 589 (angesichts des Brandes in Troia will Aeneas die Urheberin des Übels erschlagen), die in der Mehrzahl der Handschriften fehlt, wurde nach Aussage des Servius von Varius und Tucca getilgt, um den Urvater Roms von dem Vorwurf zu reinigen, eine Frau mit Mord zu bedrohen. In jedem Fall blieben verschiedene Merkmale
Vergil
Komposition
,Hemmnis und Fortschritt ,
der fehlenden Endrevision erhalten: unvollständige Verse, manche Dubletten, auch innere Widersprüche in der Geschehensentfaltung. Die Einteilung in Bücher entspricht hellenistischem Kunstverständnis und lenkt das Augenmerk auf Fragen der Komposition. Verschiedene Strukturen überlagern sich: Vergil hebt vor allem die Aufteilung in zwei Hälften hervor und damit die Orientierung an Odyssee (Aen. 1 – 6) und Ilias (7 – 12); diese Teilung wird auch durch die Korrespondenz zwischen dem Einsatz von Aen. 1 und 7 hervorgehoben: hier die unheilvolle Landung in Karthago, dort die glückliche Ankunft in Italien. Der Odyssee entspricht auch die Struktur von Rahmen- und Binnenhandlung in Aen. 1 – 4, wo Aeneas als Binnenerzähler den Untergang Troias und seine Irrfahrten rückblickend schildert; die chronologische Folge ist also nicht gewahrt (ordo artificialis). Aen. 7 – 12 sind dagegen, wie die Ilias, linear chronologisch erzählt (ordo naturalis). Beiden Hälften sind mit der karthagischen Königin Dido und dem Rutulerfürsten Turnus jeweils bedeutende ,Nebenhelden‘ zugeordnet, die auf unterschiedliche Weise Aeneas’ Mission gefährden; deren analog verlaufende Geschicke rahmen ein Mittelstück, die Begegnung mit Anchises in der Unterwelt, in dem sich Aeneas’ Auftrag in seiner historisch-teleologischen Dimension erschließt. Über dieses Schema schiebt sich eine thematisch orientierte Dreierstruktur: Die Bücher 1 – 4 sind Aeneas’ Aufenthalt in Karthago gewidmet; 5 – 8 führen ihn nach Italien; sie erzählen seine Ankunft in Latium und die Umstände, die den Krieg bewirken; zentrales Thema von Aen. 9 – 12 ist dann der Krieg zwischen der einheimischen Bevölkerung und den Troianern, an dessen Ende Aeneas’ Sieg über Turnus steht. Innerhalb der einzelnen Teile, aber auch buchübergreifend herrscht nicht das Prinzip des kontinuierlichen (epischen) Erzählens, sondern eher das einer Dramatisierung, in der die Handlung über Hindernisse hinweg zu Umschwüngen und Entwicklungen getrieben wird. Heinze hat dies als das Prinzip von Hemmnis und Fortschritt bezeichnet. Die Aeneis ist durch die Verschmelzung von Quellen und Vorbildern aus ganz unterschiedlichen Epochen und Gattungen geprägt. Zahlreiche Einzelmotive, aber auch größere Strukturen gehen unmittelbar auf homerischen Einfluss zurück: die großen Kampfsequenzen, die die Tapferkeit einzelner Helden demonstrieren (Aristien), der Völkerkatalog in Buch 8, 134 ff., die Leichenspiele für Anchises in Buch 5 (vgl. Il. 23, 257 – 897: Leichenspiele für Patroklos), die Traumerscheinung Hectors in Buch 2 (vgl. Il. 23, 62 – 101: Traumerscheinung des Patroklos), die Irrfahrten in Buch 3 (vgl. Od. 9 – 12), Aeneas’ Begegnung mit den Toten in Buch 6 (vgl. Od. 11), der Zweikampf in Buch 12 (zum Beispiel Il. 7: Hektor – Ajax; Il. 22: Hektor – Achilles). Auch einzelne Motive, Gleichnisse und auch Verse sind unmittelbar aus Homer abgeleitet. Vergil hat aber neben Homer zahlreiche weitere Quellen benutzt. Wichtig war der Einfluss des Apollonios Rhodios; dessen Epos Argonautica erzählt von der Fahrt Iasons und seiner Gefährten auf dem Schiff Argo nach Kolchis, von der Liebe der kolchischen Prinzessin Medea zu Iason und ihrer Flucht mit den Griechen, denen sie zuvor den größten Schatz ihres Vaters, ein goldenes Widderfell (das Goldene Vlies), verschafft hat. Vor allem die Liebesgeschichte zwischen Aeneas und Dido, aber auch zahlreiche Einzelmotive sind durch Apollonios beeinflusst; ein solches Vorgehen war schon deshalb
D.
Quellen und Vorbilder
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Die Autoren der augusteischen Zeit
D. Einfluss der Tragödie
,
Ennius Einfluss
Aeneas vor Vergil
Aeneas und Romulus
Historische und symbolische Wahrheit
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gut mit der Homer-Nachfolge zu vereinbaren, weil Apollonios selbst homerisiert. Der Einfluss der griechischen Tragödie zeigt sich in der differenzierten Charakterzeichnung und Handlungsführung und in den Reden. Dido ist eine tragische Heldin im Sinne der aristotelischen Poetik: Die subjektiv geringe Schuld ihres Sich-Einlassens auf Aeneas ist objektiv Opposition zum göttlichen fatum, das sie aber weder kennen noch verstehen kann. Ennius’ Einfluss ist, da die Annales nicht erhalten sind, nur schwer zu ermessen. An einigen prominenten Stellen fordert Vergil ganz offensichtlich den Vergleich mit ihm heraus; an anderer Stelle zitiert er Ennius in Einzelversen; wenn er dabei die ennianische Häufung von Alliterationen mäßigt, schwingt wohl auch eine leichte, wenngleich respektvolle Kritik an seinem bedeutendsten Vorgänger mit. Historiographische Schriften und die italienkundlichen Werke des Polyhistors Varro hat Vergil natürlich für zahlreiche Details des Geschehens – zum Beispiel die Gründungssagen einzelner Städte oder geographische Schilderungen – benutzt; sie wirken mit an dem gelehrten Kolorit der Aeneis. Welchen Raum er eigener Erfindung überließ, ist nur schwer zu ermessen; Vergils Genialität liegt nicht in der originellen Stofferfindung, sondern in der Unterordnung vorgefundener Motive unter ein neues Deutungsmuster – und in seiner Sprache und Verstechnik. Aeneas ist in der Ilias eher eine Nebenfigur; aber für ihn wird prophezeit, er werde aus der Katastrophe Troias gerettet werden, um über die Troer zu herrschen und das Geschlecht des Priamos fortzuführen (Il. 20, 307f.). Aeneas’ Flucht aus Troia nach Italien mit anschließender Ansiedlung ist seit Stesichoros (geb. circa 632) ein populäres Motiv. Für Rom wurde die Identifikation mit den Troianern im 2. Jahrhundert v. Chr. im Krieg gegen Pyrrhos von Epirus bedeutsam, der sich seinerseits als Nachfahr Achills stilisierte: So konnte der Sieg über Pyrrhos als Rache für Troia gedeutet werden. Mit seiner Entscheidung, den Aeneas-Mythos erneut zu erzählen, schließt sich Vergil also an eine ursprünglich griechische Tradition an, die aber in Rom gern rezipiert worden war. Daraus ließen sich für die Römer eigene Ansprüche im Osten herstellen; reizvoll schien den römischen Familien aber auch, die eigene Herkunft von den bei Homer genannten vornehmen Troianern abzuleiten; Varros Schrift De familiis Troianis (Von den troianischen Familien) wies solche Genealogien nach. Allerdings war die römische Ursprungslegende keineswegs eindeutig: Vor allem wurden Aeneas unterschiedliche Stadtgründungen in Italien zugeschrieben, Rom, Lavinium und Alba Longa reklamierten ihn für sich. Als Gründer Roms galt daneben immer auch Romulus; bei Naevius ist er der Enkel des Aeneas, so wohl auch bei Ennius (Servius ad Aen. 1,273). Vergil schaltet einen größeren Zeitraum ein: Aeneas gründet Lavinium; 30 Jahre nach seiner Ankunft in Italien gründet dann sein Sohn Ascanius Alba Longa. Aus der Dynastie von Alba Longa geht 300 Jahre später Romulus hervor, der Gründer Roms. In dieser vergilischen Chronologie schlägt sich auch das ausgeprägtere historische Bewusstsein des poeta doctus nieder: Troias Untergang lag lange vor der Gründung Roms. Inwieweit Vergil in der Ausgestaltung um historische Treue bemüht war, ist ein in der Forschung vor allem des frühen 20. Jahrhunderts viel diskutier-
Vergil tes Thema. In jedem Fall reichen seine Intentionen weit über Historiographie hinaus: Die Verknüpfung römischer Ursprünge mit Troia, die Verbindung der Gründungsmythen um Aeneas und Romulus, die Stilisierung römischer Frühgeschichte zu exemplarischer Bewährung von Tugend, Tatkraft und Tapferkeit (virtus) und die teleologische Programmatik des Werkes haben ihren eigenen überhistorischen und auch gegenhistorischen Wahrheitsanspruch. Die Aeneis ist von stoischer Philosophie entscheidend geprägt, wie vor allem der Vergleich mit der Ilias demonstriert. Schicksal ist dort vor allem das dunkle und undurchschaubare Los, das den einzelnen trifft, meist als Todeslos (moíra) aufgefasst. In der Aeneis ist das fatum das Gesetz des Kosmos, dem sogar die Götter unterworfen sind. Diese Auffassung reduziert die Möglichkeit von Götterintrigen; die göttlichen Mächte, die Aeneas und seinem Auftrag ungünstig gesinnt sind, können die vom fatum vorgesehene Weltgeschichte nicht ändern, nur verzögern. So spielen denn auch Retardationen im Verlauf der Aeneis eine große Rolle. Die viel diskutierte Frage, ob Aeneas dem stoischen Ideal entspreche, ob er von Anfang an vollkommen sei oder sich entwickle, muss differenziert beantwortet werden. Vergils Aeneas ist ein Fortschreitender, der sich auf dem schwierigen Weg zur Vollendung befindet. Auf diesem Pfad leiten ihn zwei Tugenden: pietas als Pflichterfüllung gegenüber dem Vater, den ihm anvertrauten Menschen, den Göttern und dem fatum; virtus als Bewährung in Notlagen und im Krieg, ohne Rücksicht auf persönliches Glück (vgl. 12,435 disce puer virtutem ex me verumque laborem / fortunam ex aliis: lerne, Kind, die Tugend von mir und die wahre Mühe; das Glück aber lerne von anderen; ähnlich spricht bei Sophokles, Aias 550, Aias zu seinem Sohn). Diese beiden Leittugenden wirken sich aber in seinem Handeln auch fragwürdig aus. Seine virtus lässt ihn mitunter übereilt und grausam handeln. Dido, die ihn liebt und der er zumindest zu Dank verpflichtet ist, lässt er im Stich. Und am Ende ist es die pietas gegenüber Pallas, die ihn dem hilflosen Turnus sein Mitleid verweigern lässt. Nicht nur seine Gegenspieler, auch ihn selbst treiben Affekte wie Liebe, Zorn und Verzweiflung. Ein Verdienst aber kann man ihm nicht nehmen: Er handelt gemäß dem Willen des Schicksals, soweit er imstande ist, ihn zu erkennen. Dieses Schicksal verlangt ihm aber nicht die Qualitäten eines stoischen Weisen ab, sondern die eines Kriegers und politischen Strategen. Allenfalls dafür kann Aeneas als Muster herhalten: ein Krieger, der Mitleid kennt, wenngleich es manchmal nicht opportun ist, ihm nachzugeben, ein Politiker, der sich bemüht, persönliche Interessen größeren Zwecken hintanzustellen, auch wenn er mitunter fragwürdige Prioritäten setzt. In diesem Sinn ist Aeneas ein Vorbild, an dem sich Augustus orientieren soll, ein Symbol, das Augustus’ Größe mythisch gespiegelt demonstriert. Die Sprache und Versform der Aeneis erreichen eine Qualität, die durch eine Auflistung von Einzelphänomenen nicht zu beschreiben ist. Sie ist nicht eigentlich abgehobene Dichtersprache, sondern eher schlicht; nicht die Wortwahl an sich, sondern die Anordnung der Worte im Vers und ihre Einbindung in ungewöhnliche Junkturen verleihen, gemeinsam mit dem maßvollen Einsatz wiederkehrender epischer Formeln, den Versen einen ganz eigenen und gewissermaßen magischen Charakter, in dem sich Musikalität mit Erhabenheit, Einfachheit mit technischer Raffinesse, das Bekenntnis zur erzähleri-
D.
Der Einfluss stoischer Philosophie
Aeneas und Augustus
Sprache und Versform
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Die Autoren der augusteischen Zeit
D.
Aen. 1, Proömium
Seesturm
Iuppiters Prophezeiung
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schen Tradition des Epikers und die feierliche Erhabenheit des ,vates Romanus’ verbinden (vates: Priester, Verkünder). Vergleiche, Metaphern und vor allem Begriffe und Bilder von symbolischer Kraft fordern die Vorstellungskraft des Lesers oder Hörers heraus und bieten ihm zugleich Deutungshilfen. Der Wechsel von schlichten und auffällig-kunstvollen Satzgefügen und der Einsatz von Klangwirkungen erfolgt nicht willkürlich, sondern in interpretatorisch bedeutsamem Bezug zu den erzählten Ereignissen. Die Verse sind häufig durch Enjambement zusammengebunden; ein hoher Prozentsatz von Daktylen verleiht ihnen einen raschen belebten Duktus. All diese Phänomene fordern den Rezipienten zu einer intensiven Wahrnehmung von Sprache und Vers auf; sie appellieren ebenso an den Intellekt wie an das Gefühl. Der an homerische Eröffnungen angelehnte Einleitungspassus hebt an mit der formelhaften Beschwörung des Themas (arma virumque cano: die Waffen und den Mann besinge ich); dann folgen rasch die geographischen Bezugspunkte Troia und Italia; das große Motiv fato profugus (durch das Schicksal zum Flüchtling gemacht) wird erläutert durch den Hinweis auf Aeneas’ Leiden während der Irrfahrten und im Krieg (3 multum ille et terris iactatus et alto … 5 multa quoque et bello passus) – Hinweis auf die beiden Teile des Gesamtwerks. Die vis superum (Macht der Götter) und – näher spezifizierend – die ira Iunonis (Iunos Zorn) eröffnen die Theodizee-Frage: tantaene animis caelestibus irae – hegen Götter solch großen Zorn? Gerade weil die Frage unbeantwortet im Raum stehen bleibt, prägt sie die Stimmung des Buches und die erste Perspektive auf Aeneas. Der Finalsatz dum conderet urbem (damit er schließlich die Stadt gründen konnte) definiert das letzte Ziel seines Tuns und schlägt bereits das große teleologische Thema an, die Gründung Roms, auf die alles Erzählte bezogen ist. Themenbestimmung und Museninvokation sind beide eher knapp gehalten. Die Konvention ist gewahrt, hat aber wenig Gewicht. Der rasche Einsatz bewirkt eine hohe Dramatisierung. Die Frage an die Musen zielt nicht auf die Fakten, sondern auf deren Ursachen. Der zentrale Konflikt ist vorskizziert: Die Gründung Roms kommt zustande, aber sie wird mühsam sein und von Leid überschattet. Die Handlung setzt gegen Ende der Irrfahrten ein. Als die italische Küste schon fast erreicht ist, erhebt sich ein Sturm, den Aeolus, der Gott der Winde, im Auftrag Iunos erregt. Neptun beschwichtigt zwar das Meer, kann aber nicht mehr verhindern, dass die troianische Flotte zerstreut und an die afrikanische Küste verschlagen wird. Vergils Vorbild ist Homer, Od. 5,201 ff., wo Odysseus durch den von Poseidon erregten Sturm in Gefahr gerät. Bei Homer sind Feindschaft oder Freundschaft der Götter gegenüber den Menschen aber nur von ganz persönlichem Hass geprägt; Vergils Iuno ist dagegen zugleich auch politisch motiviert: Sie will die Gründung Roms verhindern, um die Vorherrschaft Karthagos zu sichern. Aber auch Poseidons Zorn auf Aeolus macht aus dem Konflikt eine Machtfrage; Aeolus hat sich gegen die gültige Hierarchie aufgelehnt (132 ff.). Hier geht es nicht, wie bei Homer, um Götter, die unterschiedliche Lieblinge favorisieren, sondern um (Macht-) Politik. Mit Vers 223 eröffnet Vergil die zweite Ebene der Götterhandlung – diesmal treten die den Troianern freundlichen Mächte auf, nicht – wie Iuno und
Vergil Aeolus – in wilde und gewaltsame Aktionen verstrickt, sondern im ruhigen Gespräch: Den Klagen der Venus über die erneute Bedrohung ihres Sohnes Aeneas setzt Iuppiter seine Prophezeiung entgegen, die die weltgeschichtliche Rolle der Römer definiert: Ihr Machterwerb dient auf dem ganzen Weltkreis den Sitten, den Gesetzen, dem Frieden und der Mäßigung (mores, leges, pax, moderatio). Caesar und Augustus als Nachfahren des Aeneas krönen die Prophezeiung. Vergil gibt damit ein erstes Beispiel dafür, wie er den mythischen Stoff, die nationale Thematik der Gründung Roms und die Augustus-Panegyrik innerhalb seines Epos miteinander verbinden wird: Der Mythos präfiguriert und symbolisiert die (augusteische) Gegenwart, mit der er genealogisch verknüpft ist. Um ihrem Sohn in Karthago Sicherheit garantieren zu können, schließt Venus ein Bündnis mit Iuno: Dido soll sich in Aeneas verlieben. Iuno willigt ein, hofft sie doch, auf diese Weise die Gründung Roms verhindern zu können. Dido heißt die Troianer freundlich willkommen und lädt sie zum Gastmahl. Amor, der die Stelle des Aeneas-Sohnes Ascanius eingenommen hat, flößt ihr Leidenschaft zu Aeneas ein. Buch 2 und 3 sind Aeneas’ Erzählungen während des Gastmahls gewidmet. In Aen. 2 berichtet er vom Untergang Troias (Iliupersis), in 3 von den auf die Flucht folgenden Irrfahrten (errores). Die Iliupersis oder einzelne Motive daraus waren ein beliebtes Thema von Epos und Tragödie. Neben Homer, Od. 8,499 – 520, wurde sie behandelt in zwei Werken des epischen Kyklos, dem Kreis der nur in Kurzreferaten und wenigen Fragmenten erhaltenen Epen, deren Thema die von Homer nicht berichteten Ereignisse um den troianischen Krieg waren; Sophokles, Euripides, Naevius und Accius widmeten sich in ihren Tragödien dem Stoff, ebenso wie verschiedene Historiographen und Historiker. Die Urquelle liegt wieder bei Homer, der den Sänger Demodokos am Hof der Phäaken die Geschichte vom hölzernen Pferd erzählen lässt (Od. 8,499 – 520). Bei Homer überwiegt die Freude an der List der Griechen. Vergil legt die Erzählung in den Mund des Aeneas, der all dies erlitten hat und die Leiden der Opfer hervorhebt. Die Perfidie der Griechen akzentuiert er noch durch die Ausmalung der bei Homer fehlenden Sinon-Episode: Einer der Griechen gibt sich als Schutzflehender in die Hände der Troianer – angeblich sollte er vor der Abfahrt der Griechen aus Troia geopfert werden. Durch seine Lügen verleitet er die Troianer, nicht auf die Warnungen des hellsichtigen Poseidon-Priesters Laocoon zu hören, sondern das Pferd samt den darin verborgenen Griechen in ihre Stadt ziehen zu lassen. Der doppelten List der Griechen setzt Vergil die pietas und Klugheit des Laocoon entgegen, die aber in diesem Fall machtlos bleibt, weil die Herzen der Troianer verblendet, der Untergang Troias göttlich vorbestimmt ist. In der folgenden Nacht erblickt Aeneas im Traum den von Achilles getöteten Troianerprinzen Hector, ein Motiv, das an Ilias 23,62 – 101 angelehnt ist (der tote Patroklos bittet Achilles um Bestattung). Die düstere Traumerscheinung stellt die Peripetie (Umschwung) vom Freudenfest der Troianer über den angeblich beendeten Krieg zu ihrem Untergang dar und nimmt Troias Untergang vorweg: Jeder Kampf ist zwecklos, Aeneas soll durch seine Flucht eine Zukunft für Troia garantieren. Aeneas stürzt sich zunächst entgegen Hectors Ermahnungen in den Kampf, muss aber bald die Vergeblichkeit des
D.
Aen. 2, Iliupersis
Sinon-Episode
Traumerscheinung Hectors Creusas Prophezeiung
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Die Autoren der augusteischen Zeit
D.
Triptychonstruktur
Allmähliche Enthüllung des Ziels
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Widerstandes einsehen. Hilflos erlebt er mit, wie Priamus am Altar getötet wird. Seine Mutter Venus führt den Verstörten durch die brennende Stadt nach Hause, zu seinem gelähmten Vater Anchises, seiner Frau Creusa und seinem Sohn Ascanius. Den Vater und den Sohn kann Aeneas aus der Stadt führen, seine Frau Creusa aber verliert er in den Wirren der Flucht. Als er zurückkehrt, um sie zu suchen, erscheint sie ihm als überlebensgroßes Schattenbild und enthüllt ihm den Willen des Schicksals: Sie soll als Dienerin der Göttermutter vom Ida-Gebirge in Troia bleiben, ihm ist eine neue Heimat und eine neue Frau bestimmt. Creusas Prophezeiung ist von hinlänglicher Klarheit, um den Weg nach Westen zu weisen; diese frühe Bestimmung des Ziels entspricht wohl einer älteren Konzeption der Aeneis, von der Vergil später abgewichen ist, ohne dass ihm noch Zeit blieb, die bereits fertigen Bücher zu modifizieren: Das spätere Konzept, das Ziel in einem mehrstufigen Prozess des Versuchens und Scheiterns zu enthüllen, ist in Aen. 3 verwirklicht; dass in 3,500 der Fluss Tiber genannt ist, dürfte ein Versehen sein. Aen. 2 ist in einer deutlichen Dreierstruktur angelegt. Teil 1 mündet in Laocoons Tod, Teil 2 in Priamus’ , Teil 3 in Creusas Tod. Die Teile kommentieren und konterkarieren einander: Am Anfang stehen Freude und Triumph, die Missachtung des Warners und das leichtsinnige und verfehlte Fest; in der Mitte Leid und Verderben, zugleich setzen aber auch die helfenden Kräfte (Venus) ein und eröffnen neue Hoffnung; am Ende bestätigt sich diese Hoffnung, aber nicht ohne neues (privates) Leid: Aeneas’ Rettung – das wird hier ganz deutlich – dient nicht seinem individuellen Glück, sondern allein dem großen Auftrag. Aen. 3 erzählt von den errores der Troianer und ihren misslingenden Versuchen, eine neue Heimat zu gewinnen; immer wieder ziehen sie weiter, bis sie schließlich in Buthrotum (Epirus, West-Griechenland) den troianischen Priester Helenus und Hectors Witwe Andromache treffen, zwei Kriegsgefangene, die nach ihrer Freilassung hier ein ,kleines Troia’ gegründet haben. Helenus erschließt ihnen Apolls Orakel, das sie zur westlichen Küste Italiens sendet. Auf der Fahrt dorthin kehren sie auf Sizilien bei dem Gastfreund Acestes ein; dort stirbt Anchises. Das Buch der Irrfahrten wirkt in der Reihung von verfehlten Ansiedlungsversuchen und neuen Reisen eher spröde; Vergil greift Motive aus Ktísis-Mythen (Stadtgründungsmythen) auf, aber auch Stoffe der attischen Tragödie sind präsent, so etwa im Andromache-Stoff. Die Wiederbegegnung zwischen Aeneas und Andromache ist von hoher Emotionalität. Nur hier beschwört Vergil das Leid der Troianer aus der Perspektive der Frauen, wie es Euripides in den Troerinnen und der Hecuba vorgemacht hatte. Helenus’ Stadt, Klein-Troia, weist in bedeutungsvollem Kontrast auf Rom voraus: Rom wird nicht eine der Erinnerung verpflichtete Miniaturausgabe einer verlorenen Heimat sein, Refugium der Machtlosen von griechischen Gnaden, sondern ein Neubeginn, in dem sich troianische und italische Elemente zusammenfinden, um eine größere Zukunft zu gestalten. Aen. 4 ist Dido gewidmet; von Amor verzaubert und von den Erzählungen des Aeneas entflammt – göttliches Handeln und Psychologie wirken zusammen – leidet sie an der Liebe, hat sie doch geschworen, ihrem toten ersten Mann Sychaeus treu zu bleiben. Nach dem Muster der Liebenden in der Tragödie wendet sie sich an eine Vertraute (in diesem Fall ihre Schwester Anna),
Vergil die sie in ihrem Wunsch nach einer Verbindung mit Aeneas bestärkt. Iuno schafft Gelegenheit für die Vereinigung der Liebenden, die sich freilich unter unheilvollen Vorzeichen vollzieht. Aeneas’ langes Verweilen in Karthago löst die Gegenhandlung aus: Im Auftrag Iuppiters mahnt Mercur Aeneas zum sofortigen Aufbruch. Die verlassene Dido stürzt sich in das Schwert, das Aeneas ihr geschenkt hatte. Aen. 4 wurde von Friedrich Leo als die einzige echte Tragödie der Römer bezeichnet. Das bezieht sich nicht nur darauf, dass die Redeagone der beiden Protagonisten bühnentauglich sind; insgesamt ist die Handlung nach den Gesetzen eines Dramas mit fünf Akten aufgebaut: Der Exposition – Dido erfährt ihre Liebe und sucht sich zu retten – folgt die Steigerung in der Verbindung mit Aeneas; Mercurs Auftritt bewirkt die Peripetie: Aeneas beschließt fortzufahren. Eine Retardation liegt in dem langen Agon zwischen Aeneas und Dido, den Abschluss bildet die Katastrophe: Didos Selbstmord. Vor allem aber ist Didos Konflikt tragisch gemäß der aus den attischen Tragikern abgeleiteten aristotelischen Definition. Eine geringe Schuld – der verletzte Treueschwur gegenüber Sychaeus – treibt sie in ein Schicksal, dessen Sinn sie nicht verstehen kann. Ihr Versuch, Aeneas zurückzuhalten, bedeutet einen Gegensatz zum fatum, das Aeneas’ Gründungsauftrag vorsieht; da sie dieses fatum aber weder kennt noch Anteil daran hat, ist ihre Reaktion subjektiv schuldlos und psychologisch weit leichter nachvollziehbar als Aeneas’ Härte und abgeklärte Schicksalsergebenheit. Dem modernen Leser erscheinen Aeneas’ Verrat und Flucht sicherlich verächtlicher als Vergils Zeitgenossen; aber auch ein patriotisch gesinnter Römer muss Didos Schicksal mit Mitleid verfolgt haben. Dass sie – bei der Wiederbegegnung mit Aeneas während dessen Abstieg in die Unterwelt (Aen. 6,450 – 476), seine Anrede mit Schweigen und Abwendung quittiert, lässt sich als Erzählerkommentar zu Aeneas’ Ungunsten deuten. Aen. 5 führt die Troianer zurück nach Sizilien. Da sich Anchises’ Todestag jährt, veranstalten sie Leichenspiele für ihn. Beim Wettkampf der Schiffe tun sich die Freunde Nisus und Euryalus hervor. Im so genannten lusus Troianus (Troianerspiel), einer Art Schaureiten der Knaben, übernimmt der junge Ascanius die führende Rolle und profiliert sich so als einer von Augustus’ Vorfahren. Unterdessen setzt Iuno eine neue Intrige in Gang: In ihrem Auftrag nimmt Iris die Gestalt einer Troianerin an und stachelt die Frauen dazu auf, die Schiffe in Brand zu setzen, um die Ansiedlung in Sizilien zu erzwingen. Den Männern gelingt es, einen Teil der Schiffe zu retten. Auf Rat seines Vaters, der ihm im Traum erscheint, lässt Aeneas den Großteil der Frauen auf Sizilien zurück. Die Überfahrt verläuft mit göttlicher Hilfe ohne Gefahren; nur der Steuermann Palinurus wird vom Schlafgott Somnus ins Meer gestürzt, ein Opfer für Neptunus. Die Leichenspiele zu Ehren des Anchises verweisen auf Homer Il. 23,257 – 897, die Leichenspiele für Patroklos. Mit dem Brand der Schiffe ist eine Art Tiefpunkt erreicht: Zum erstenmal verzweifelt Aeneas an seiner Aufgabe. Erst die Traumerscheinung des Vaters gibt ihm neuen Mut; indem er die verzagten Frauen auf Sizilien zurücklässt, trennt er sich nicht nur von dem Teil der Geretteten, der in den kommenden Kriegen keine Funktion haben kann, er löst sich auch von einem Teil der troianischen Vergangenheit.
D.
Die Dido-Tragödie
Die Leichenspiele für Anchises
Der Brand der Schiffe
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Die Autoren der augusteischen Zeit
D. Aen. 6, Katabasis
Heldenschau
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In Buch 6 enden die Irrfahrten: Die Troianer landen an der Westküste Italiens nahe Cumae; Aeneas sucht die cumaeische Sibylle auf, die bei seinem Erscheinen vom seherischen Enthusiasmus ergriffen wird. Sie führt ihn nach der Erfüllung einiger Vorbedingungen – er muss einen von Triton getöteten Troianer bestatten und den goldenen Zweig finden, der als Geschenk für Proserpina gedacht ist – in die Unterwelt. Aeneas wird von Charon über den Fluss Acheron gesetzt; in der Region der Selbstmörder trifft er auf Dido, die sich seiner Anrede aber entzieht. Vorbei an den Regionen der Sünder, die ihre ewigen Strafen erleiden, kommen die beiden zum Palast der HadesGottheiten, wo Aeneas den goldenen Zweig niederlegt. Er trifft die Helden wieder, die vor Troia gekämpft haben – Gelegenheit, ihm bisher unbekannte Details über ihr Geschick während der Iliupersis zu erfahren. In den Gefilden der Seligen begegnet er schließlich Anchises. Dieser zeigt dem Sohn den Lethe-Fluss, an dem die Seelen der Verstorbenen Vergessen trinken, bis sie eine erneute Inkarnation erfahren. Hier warten auch die zukünftigen großen Römer auf ihr Leben; in der so genannten Heldenschau zählt Anchises ihre Namen und Geschicke auf. Begegnung mit und Ratsuche bei den Toten – das ist ein aus der Odyssee bekanntes Motiv. Das homerische Totenopfer, das die Schatten heraufbeschwört (nékuia, Od. 11), ersetzt Vergil durch einen Abstieg in die Unterwelt (katábasis), wie er nicht nur den Heroen (Hercules, Theseus), sondern auch den Stiftern der Mysterienkulte wie Orpheus zugeschrieben wurde. Während Odysseus über sein eigenes Schicksal belehrt wird, erfährt Aeneas zugleich auch eine allgemeinere Belehrung, in eschatologischer wie in national-historischer Hinsicht. Aus ihr wird er mit klarerem Bewusstsein für seine Aufgabe hervorgehen; ohne Verirrungen geographischer oder amouröser Natur wird er von jetzt an seine Aufgabe verwirklichen. Die Unterwelt ist nicht gemäß archaischen Schreckensvisionen aufgefasst, sondern als ein Raum, in dem Unrecht bestraft, Verdienst belohnt wird. Die Lehre, dass Tugend sich auszahlt, auch wenn sie kurzfristig zu Leid und Tod führen mag, wird zu einer Leitidee römischer Geschichte erhoben: Auf solch selbstloser Tugend beruht gemäß dem hier entfalteten Geschichtsbild der römische Staat. Im Zentrum der Heldenschau steht die an hellenistische Alexander-Eulogien angelehnte Verherrlichung des princeps als eines Kriegshelden und Friedensherrschers; sein Sieg über Marcus Antonius – immerhin ein Sieg über römische Mitbürger – ist stilisiert als Kampf gegen östliche Barbarei, die vor allem durch Kleopatra repräsentiert wird. Dieses Motiv fügt sich in eine lange Reihe von Namen und Schicksalen, die die römische Geschichte ausmachen. Der Erzähler hebt auch problematische und schuldhafte Handlungen hervor, es überwiegt aber die Intention, in den historischen exempla die Rechtfertigung für Roms Machtanspruch festzumachen. Vielzitiert sind die Verse 847 ff.: excudent alii spirantia mollius aera (cedo equidem), vivos ducent de marmore voltus, orabunt causas melius, caelique meatus describent radio et surgentia sidera dicent: tu regere imperio populos, Romane, memento (hae tibi erunt artes) pacique imponere morem, parcere subiectis et debellare superbos.
Vergil
D.
„Andere mögen gefälliger beseelte erzene Bilder hervorbringen, ich gebe es zu, und dem Marmor lebendige Züge verleihen, besser ihre Reden vorbringen und die Himmelsbahnen nachmessen und den Aufgang der Gestirne ankündigen. Du aber, Römer, denke an deine Aufgabe, durch deinen Befehl die Völker zu lenken (dies werden die dir eigenen Künste sein), dem Frieden die rechte Sitte aufzuerlegen, Unterworfene zu schonen und die niederzukämpfen, die sich gegen dich auflehnen.“
Das in diesem patriotischen Text implizierte Urteil über die Unterlegenheit der Römer in den Künsten und Wissenschaften (und sogar in der Rhetorik) könnte im Mund des hellenistisch geprägten Vergil verwundern; er hat es sicher sehr bewusst seiner persona Anchises zugewiesen. Aen. 7 eröffnet die zweite Hälfte der Aeneis, die sich an der homerischen Ilias orientiert. Vergil hebt diesen Neuansatz durch eine erneute Museninvokation (37 ff.) hervor; die Zweiteilung des Gesamtwerkes wird aber auch durch die Handlungsparallele zwischen Aen. 1 und 7 betont: In beiden Büchern scheint ein glücklicher Ausgang nahe, als Iuno eine Gegenhandlung in Gang setzt. Nach der kurzen Schilderung des Landes und seiner Bewohner führt Vergil die Handlung fort: Latinus, König von Lavinium, empfängt die Fremden freundlich und erklärt sich bereit, ihnen Siedlungsraum zur Verfügung zu stellen. Ihm hatte ein Orakel aufgetragen, seine Tochter Lavinia keinem einheimischen Mann zur Frau zu geben; in Aeneas sieht er den verheißenen fremden Schwiegersohn. Der Rutulerfürst Turnus aber wirbt schon länger um Lavinia; unterstützt von deren Mutter Amata weigert er sich, von seiner Werbung zurückzutreten. In Turnus sieht Iuno erneut ein Instrument ihrer Rache. Aus der Unterwelt ruft sie eine der Furien, Allecto, die in Turnus den Hass auf die Troianer entflammt und ihn zum Krieg aufstachelt. Zusätzlich veranlasst sie, dass Ascanius auf der Jagd versehentlich einen den Einheimischen lieben Hirsch erlegt; dies ruft erste Gefechte hervor und erleichtert es Turnus, die Latiner gegen den Willen ihres Königs in den Krieg zu treiben. Mit dem wiederum von einer Museninvokation eingeleiteten Katalog der Völker und Helden, die sich gegen die Troianer rüsten, endet das Buch. Mit Turnus ist eine Parallelgestalt zu Dido eingeführt: Beide werden zu Iunos Werkzeugen, die ihre Affekte, in Dido Liebe, in Turnus Eifersucht und Ehrgeiz, weckt. Unabhängig vom Mechanismus der göttlichen Einwirkung ist die innere Motivation beider psychologisch nachzuvollziehen; die Interessen, die sie verfolgen, entbehren nicht der Legitimation. Objektiv verwerflich ist vielleicht das Übermaß ihrer Affekte, das ihnen eine Einsicht in das fatum unmöglich macht. Aber wie sollen sie auch subjektiv dieses ihnen fremde fatum verstehen können? Wie Dido wird auch Turnus mit dem Leben dafür bezahlen müssen, dass er in das Schicksal der Aeneaden verstrickt wird. Die Frage nach der Rechtfertigung der Götter, die den Menschen in solche Konflikte treiben, bleibt im Epos – wie regelmäßig auch in der Tragödie – ungelöst. Zu Beginn von Aen. 8 erfährt Aeneas Hilfe und Bestätigung seines Auftrags: Ihm erscheint Tiberinus, der Flussgott des Tiber, und verkündet, Aeneas habe sein Ziel erreicht: An seinem Ufer werde er bald auf eine weiße Sau mit 30 Ferkeln treffen; dort solle er eine Stadt (Alba Longa) gründen. Tiberinus verhilft Aeneas zu einem Verbündeten, indem er ihn auf einen griechischen Gastfreund seines Vaters, Euander, hinweist, der am Tiber-Ufer siedelt. Das Orakel der weißen Sau erfüllt sich, und Aeneas sucht Euander auf, dessen Stadt am Ort des zukünftigen Rom liegt. Eine ,Stadtbesichtigung‘ kon-
Aen. 7, Latinus und Turnus
Euander
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Die Autoren der augusteischen Zeit
D.
Die Schildbeschreibung
Aen. 9
Nisus und Euryalus
64
frontiert den Leser mit der Vorgeschichte Roms. Mittlerweile bittet Venus ihren Gatten Vulcanus, für Aeneas Waffen und Rüstung fertigzustellen. Während die Schmiede unter dem Ätna diesen Auftrag erfüllen, rät Euander Aeneas zu einem Bündnis mit den Etruskern, die ihren grausamen König Mezentius vertrieben haben. Aus dem eigenen Volk stellt Euander den Troianern Truppen und seinen einzigen Sohn Pallas zur Verfügung. In der Nacht überbringt Venus dem Sohn die Waffen. Mit Aeneas erhält der Leser Gelegenheit, diese Waffen, vor allem den Schild, zu bewundern. Der göttliche Schmied hat auf seiner Wölbung res Italas Romanorumque triumphos (Italiens Geschicke und die Triumphe der Römer, 8,626) abgebildet. Das umfängliche Bildprogramm spielt auf den gleichermaßen ausgeschmückten Schild an, den in der Ilias Achilles von seiner Mutter Thetis erhält (Il. 18, 478 – 608 und 19, 2 – 18). Achills Schild zeigt allerdings Szenen aus dem menschlichen Leben – Krieg, Belagerung, Markt, Landarbeit und Reigentanz; Aeneas’ Schild gibt das Zukunftwissen seines Schöpfers preis und stellt sich damit als vorausdeutende Textpassage neben die Heldenschau von Aen. 6. So deutlich und unmittelbar wie an keiner anderen Stelle der Aeneis ist hier das Versprechen des Dichters aus Georg. 3 eingelöst (in medio mihi Caesar erit templumque tenebit – im Mittelpunkt wird mir Caesar [Augustus] stehen und den Tempel besitzen): Der Schild zeigt an seinen Rändern, einsetzend mit den von der Wölfin gesäugten Zwillingen Romulus und Remus, zentrale Momente der römischen Geschichte, in der Mitte (675 ff.) die Schlacht von Actium und Augustus’ Triumphzug in Rom. Verständnislos und in Unkenntnis der (kommenden) Dinge (rerum ignarus, 730), aber in Bewunderung der Bilder legt Aeneas die Waffen an – symbolische Annahme des Schicksals, das in Augustus münden wird. Aen. 9 setzt auf der Seite der göttlichen und menschlichen Gegner der Troianer ein: Iuno sendet Iris zu Turnus; sie ermuntert ihn, Aeneas’ Abwesenheit vom Lager der Troianer zu einem Angriff zu nutzen. Turnus gelingt es, die beim Lager verbliebenen troianischen Schiffe in Brand zu setzen, aber gemäß einer früheren Verheißung an die Göttermutter, aus deren Hain am Ida-Gebirge das Holz der Flotte stammt, greift Iuppiter ein und verwandelt die Schiffe in Nymphen. Aus dem Unheil wird ein für die Troianer glückliches Zeichen. Das troianische Lager bleibt allerdings von Feinden umgeben, das jugendliche Freundespaar Nisus und Euryalus, das sich schon während der Wettkämpfe in Aen. 5 hervorgetan hatte, bietet sich an, durch die Reihen der Feinde hinauszuschleichen und Aeneas zu warnen. Auf ihrem Weg können sie aber der Versuchung nicht widerstehen, die schlafenden Feinde zu töten und Beute zu machen. So erregen sie die Aufmerksamkeit einer feindlichen Reitertruppe; als sie zu fliehen versuchen, werden sie gefangen und getötet. Turnus führt seine Truppen zu einem neuen Angriff auf das Lager, ihm selbst gelingt es einzudringen und viele Troianer zu töten. Im Zentrum des Buches steht Turnus; auf der Seite der Troianer entfalten Nisus und Euryalus ein nicht unproblematisches Heldentum: Sie gewinnen Ruhm, scheitern aber gerade in ihrer Ruhmgier an dem eigentlichen Auftrag. Vergil lässt allerdings dieses Scheitern ebenso wie ihren heroischen Mut zurücktreten hinter ihrer Jugend und ihrer Freundschaft: Als noch unausgereift, von fast kindlicher Freude am Funkeln der Beutestücke, an den scheinbar so leicht gelingenden Heldenstücken sind sie gezeichnet, halbe Kinder, die
Vergil
Aen. 10, concilium deorum
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sich selbst ins Verderben stürzen. Aber in ihrer Freundschaft bewähren sie ihren Wert: Euryalus lässt sich fangen, um den Freund zu retten, Nisus nimmt dieses Geschenk nicht an, sondern kehrt zurück, um den Freund zu befreien. Aus der Warte einer archaisch-heroischen Heldenethik ist ihr Leben erfüllt, da es ihnen dauerhaften Nachruhm beschert hat. Die Sinnlosigkeit ihres Todes und das Misslingen ihrer Mission geben aber auch einen Hinweis auf die Unzulänglichkeit solcher Heldenethik. Aen. 10 setzt mit einer Götterversammlung (concilium deorum) ein. Iuppiter beschwört die Anwesenden, den gegen seinen Willen entstandenen Krieg durch einen Vertrag enden zu lassen. Venus greift in einer erregten Rede Iuno an, die ihrerseits Aeneas verklagt. Da keine Einigung möglich scheint, lässt Iuppiter den Dingen freien Lauf: fata viam invenient – das Schicksal wird seinen Weg finden (113). Aeneas und die ihn begleitenden Truppen werden schon bei ihrer Rückkehr zum Lager in Kämpfe verwickelt. Der folgende Schlachtbericht mit verschiedenen Aristien gipfelt in der ungleichen Begegnung zwischen Pallas, dem jugendlichen Sohn Euanders, und Turnus; Turnus tötet den Gegner und raubt ihm das Wehrgehenk, eine Beute, die er, wie der Erzähler kommentiert, noch bereuen wird. Aeneas, der bald vom Tod des ihm anvertrauten jungen Mannes erfährt, wütet mitleidlos gegen die Rutuler. Als er den Kampf mit Turnus sucht, erwirkt Iuno bei Iuppiter einen Aufschub: Durch ein Trugbild lockt sie Turnus aus dem Kampfgeschehen fort und in Sicherheit. Mezentius, der vertriebene Etruskerkönig, greift Aeneas an, wird aber verwundet. Seinen Rückzug deckt sein Sohn Lausus; er reizt dadurch Aeneas’ Zorn. Vergeblich fordert dieser den jungen Mann auf, sich zurückzuziehen. Lausus greift ihn an und wird von Aeneas erschlagen, wie wenig später auch Mezentius, der den Sohn rächen will. Wie in den homerischen Epen spiegelt sich der Streit der Menschen im Götterhimmel wider; wo sich aber Iuppiter, der Garant des Rechts, aus dem Geschehen zurückzieht, da entstehen Unordnung und Leid. Auf der Ebene der Götter deutet sich allerdings auch die Lösung an, wenn Iuno gegen Schluss des Buches resigniert nur noch um Aufschub von Turnus’ Tod bittet. Unversöhnlich bleiben dagegen zunächst die menschlichen Feinde; ausführliche Aristien im homerischen Stil prägen das Geschehen. Nirgends sonst in der Aeneis ist Aeneas selbst so eng nach dem Vorbild homerischer Helden gezeichnet: Im Blut- und Racherausch wütet er gegen seine Feinde. Der moderne Leser wird Aeneas’ Aristie mit Grauen folgen; dass es auch Vergil hier nicht um die Verherrlichung des Krieges geht, macht das Schicksal von Pallas und Lausus deutlich. Wie ihren Altersgefährten Nisus und Euryalus gehört ihnen die besondere Sympathie des Autors; wie diese beiden begeben sie sich in Konflikte, die sie nicht bestehen können. Lausus’ Einsatz für den Vater ist eine Tat der pietas; gerade Aeneas sollte das zu würdigen wissen. Die Erinnerung an den eigenen Vater rührt ihn aber erst, als Lausus schon tot zu seinen Füßen liegt. Zwischen Turnus und Aeneas scheint es in Aen. 10 keinen wirklichen Wertunterschied zu geben; beide sind als tüchtige und grausame Kämpfer gekennzeichnet, beider Aristien gipfeln im Tod eines noch jugendlichen Opfers. Nur eine Differenz hebt der Autor hervor: Turnus nimmt nach kriegerischem Brauch Pallas’ Spolien, Aeneas empfindet Mitleid mit Lausus und lässt ihm Waffen und Rüstung.
D.
Pallas Tod
Mezentius und Lausus
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Die Autoren der augusteischen Zeit
D. Aen. 11, Drances
Camilla
Aen. 12, der Zweikampf
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Zu Beginn von Aen. 11 erfahren die Toten beider Seiten die letzten Ehren. Zu Latinus kehrt eine Gesandtschaft zurück, die den mittlerweile in Italien siedelnden Griechen Diomedes zum Verbündeten gegen Aeneas gewinnen wollte – vergeblich, Diomedes warnt eindringlich vor einem Krieg gegen Aeneas. Latinus rät zur Versöhnung mit den Troianern. Ein älterer Latiner, Drances, schließt sich seinen Appellen an, eröffnet aber provokativ für Turnus eine Alternative: den Zweikampf mit Aeneas. Turnus erklärt sich dazu bereit; als aber Nachricht kommt, dass Aeneas selbst auf die Stadt zumarschiert, plant er einen Hinterhalt. Gegen die Troianer reitet das Frauenheer der Amazone Camilla, die seit ihrer Kindheit der Göttin Diana geweiht ist. Diana kann sie nicht vor dem nahen Tod retten, erteilt aber der Nymphe Opis den Auftrag, sie zu rächen. Nahe den Mauern der Stadt treffen die Heere aufeinander. Camilla erschlägt zahlreiche Troianer und wird schließlich von Arruns aus dem Hinterhalt mit einem Pfeil getötet; Arruns fällt durch Opis’ Pfeil. Buch 11 ist ganz aus der Perspektive der Italiker verfasst, die vor allem im Versagen ihrer Pläne und Mühen dargestellt sind. Doch auch die Troianer sind nicht eben erfolgreich. Zwar können sie bis vor die Stadt vorrücken, aber dieser Vormarsch kommt zur falschen Stunde: Er beendet die Ratsversammlung bei Latinus, die ein weiteres Blutvergießen hätte verhindern können; vor der Stadt erleiden sie schwere Verluste. Was zu Beginn des Buches anklang, wird durch all die verfehlten oder in die Irre laufenden Handlungen des Kriegsgeschehens bestätigt: Im Kampf der Heere soll die Entscheidung nicht erzwungen werden. Umso betroffener machen den Leser die vielen Toten dieser Kämpfe, deren Leben so leicht hätte bewahrt werden können. Camilla führt die Reihe der jugendlichen Heroen zu ihrem Gipfel. Nach Pallas, der für seine Bundesgenossen, nach Lausus, der für den Vater stirbt, zeigt Vergil hier wieder ein Kriegsopfer, das nicht eigene Interessen, sondern die Loyalität in den Tod treibt. Als Amazone ist Camilla allerdings eine Ausnahmeerscheinung. Arruns betrachtet sie als monstrum (Ungeheuer), und auch Iuppiters unwillige Reaktion auf ihre Aristie hat wohl nicht nur mit dem Leid seiner Troianer zu tun. Zu Beginn von Aen. 12 kommt Turnus zu dem Schluss, den die Ereignisse von 11 nahe legten: Er bietet erneut den Zweikampf mit Aeneas an. Latinus will ihn dazu bewegen, kampflos auf Lavinia zu verzichten, Amata sucht ihn vom Zweikampf abzuhalten: Beide scheitern. Iuno bittet Iuturna, Turnus’ zur Nymphe gewandelte Schwester, dem Bruder zu helfen. Als die Völker versammelt und der Vertrag schon per Eid besiegelt ist, stachelt Iuturna die umstehenden Latiner auf, ihre Übermacht auszunutzen. Sie setzen neue Kämpfe in Gang, bei denen Aeneas verletzt wird. Während er, mehr durch die Hilfe der Venus als durch die Heilkräfte des Arztes Iapyx, geheilt wird, wütet Turnus gegen die Troianer. Doch Aeneas kehrt in die Schlacht zurück. Iuturna nimmt die Gestalt von Turnus’ Wagenlenker Metiscus an und verhindert eine Begegnung des Bruders mit Aeneas. Der lässt seine Leute die nicht mehr verteidigte Stadt angreifen; beim Anblick der Feinde und der brennenden Stadt erhängt sich Amata. Turnus, von seiner Schwester nicht länger getäuscht, ahnt seinen nahen Tod und empfiehlt sich seinen manes (Totengeister der Vorfahren). Zu Fuß nähert er sich Aeneas; der Zweikampf beginnt, alle anderen legen die Waffen nieder.
Horaz ,
Im Götterhimmel stellt Iuno unterdessen eine Forderung: Nach Aeneas’ unabwendbarem Sieg sollen die beiden Völker den Namen und die Sprache der Latiner bewahren; Iuppiter stimmt zu. Die Versöhnung des höchsten Götterpaares nimmt die Lösung im irdischen Bereich vorweg: Aeneas’ Lanze streckt Turnus nieder. Er fleht um sein Leben und Aeneas zögert, erkennt dann aber an Turnus Pallas’ balteus (Waffengürtel) wieder und nimmt Rache für den gefallenen Freund. In Aen. 12 wird der längst fällige Zweikampf der Heerführer ein letztes Mal retardiert; der Vertragsbruch der Latiner, angestiftet durch Iuturna, verschiebt die Rechtsposition eindeutig zugunsten der Troianer und fordert weitere Opfer. Die Szene entspricht Homer, Il. 3, wo ein Zweikampf zwischen Paris und Menelaos ähnlich scheitert. Aen. 12 ist in weiten Teilen auf Turnus konzentriert; wie er die letzte von Latinus eröffnete Chance vergibt und auch auf Amatas Flehen nicht hört, während er hingerissen auf den Kampfpreis, Lavinia, blickt – das sind Szenen von hoher Eindringlichkeit. In den Worten Vergils ist Turnus der von Furien Getriebene, aber diese Furien sind doch in erster Linie die einer nachvollziehbaren psychologischen Entwicklung. Bereits beim Vertragsschluss ist er als der Unterlegene gezeichnet: Gegenüber Aeneas wirkt er fast kindlich unreif, unsicher und ängstlich. So ist es nicht zuletzt Mitleid, das die Latiner bewegt, den Vertrag zu brechen. Wie ein Kind wird er in den folgenden Szenen von seiner Schwester behütet, mit List der Konfrontation mit Aeneas entzogen. Auf die Stufe heroischer Größe kehrt er erst zurück, als er sich dieser Bevormundung widersetzt. Vergil gönnt ihm zwei Epiloge von hoher Würde, an die Schwester und an den Feind. Beide zeigen nicht mehr den von Zorn und Stolz Getriebenen, sondern einen vom Schicksal Gezeichneten. Dieser Turnus hätte es wohl verdient, von Aeneas geschont zu werden. Vergil hat ihm diese Geste versagt. Die Erinnerung an Pallas kann zumindest den modernen Leser damit nur ungenügend aussöhnen.
D. Turnus Tod
II. Horaz a. Leben und Werk im Überblick Suetons Biographie in De viris illustribus bietet nur wenige Angaben, die nicht auch aus Horaz’ Werken erschlossen werden könnten. Quintus Horatius Flaccus, geboren am 8. 11. 65, war der Sohn eines Freigelassenen; sein Vater brachte es bis zum Versteigerungskommissär (coactor exactionum). Dieser nicht sehr angesehene, aber einträgliche Beruf erlaubte es ihm, den Sohn sorgfältig erziehen zu lassen. Die Elementarschule hat Horaz noch in seinem Geburtsort Venusia in Umbrien besucht, das Studium der griechischen und römischen Literatur und der Rhetorik absolvierte er in Rom. Den Abschluss seiner Studien bildete die für die Oberschicht obligatorische Reise nach Athen (45 v. Chr.). Dieser Aufenthalt begründete vermutlich seine Neigung zum Epikureismus. Er schloss sich an Brutus an, der in Athen als Tyrannenmörder höchste Ehren genoss, und kämpfte in der Schlacht bei Philippi im Jahr 42 als Kriegstribun, ein Amt, das für einen
Abstammung und Ausbildung
Im Bürgerkrieg
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Die Autoren der augusteischen Zeit
D.
Horaz und Maecenas
Themenwahl
Horaz-Philologie in der Antike
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Mann seiner Herkunft eine hohe Auszeichnung bedeutete; aus der Niederlage konnte er sich durch Flucht retten. Im Jahr 41 kehrte er nach Italien zurück; das väterliche Gut in Venusia war allerdings zugunsten von Octavians Veteranen enteignet worden. Im Jahr 39 erlaubte ihm die allgemeine Amnestie, sich in die Dekurie der scribae quaestorii (Sekretäre der Quaestoren) einzukaufen: Dieses Amt bot ihm bei relativ geringer Arbeitsbelastung einen gesicherten, wenn auch bescheidenen Lebensunterhalt und ließ ihm genügend Freiraum für die Dichtung. Das Frühwerk der Epoden, anhand der Hinweise zum Zeitgeschehen auf die Jahre von 41 bis 31 datierbar, ist der Tradition iambischer Invektiven verpflichtet; die gleichzeitig entstandenen zwei Bücher Sermones stehen als saturae in der Nachfolge des Lucilius. Mit den Carmina eroberte Horaz die Gattungen der Lyrik für die lateinische Sprache: Lyrik war allerdings in Rom wenig populär, und auch die erste Sammlung der Carmina (Buch 1 – 3) scheint nach ihrem Erscheinen um das Jahr 23 kein uneingeschränkt positives Echo gefunden zu haben. So wandte sich Horaz zunächst wieder der Satire zu: Das erste Buch der Epistulae erschien um 20; das zweite, das auch den ,Brief an die Pisones’ De arte poetica enthält, ist nicht eindeutig zu datieren. Horaz’ Rückwendung zur Lyrik hat nach Auskunft der Biographen Augustus bewirkt, der ihn mit der Abfassung des Carmen saeculare, eines Festliedes für die Jahrhundertfeier 17 v. Chr., beauftragte. Um 13 v. Chr. dürfte das vierte Buch der Carmina erschienen sein. Schon mit den Epoden zog Horaz die Aufmerksamkeit zeitgenössischer römischer Autoren auf sich. Vergil und L. Varius führten ihn 38 v. Chr. bei Maecenas ein, der ihn mit Augustus bekannt machte. Das Angebot, das Amt eines Privatsekretärs des princeps zu übernehmen, lehnte Horaz aber ab. Mit Maecenas und Augustus verband ihn dennoch ein lebenslanges freundschaftliches Verhältnis. Im Jahr 32 schenkte Maecenas ihm sein Gut in den Sabinerbergen, in Tibur (Tivoli). Kurze Zeit nach seinem Gönner starb auch Horaz am 27. 11. 8 v. Chr. Wir besitzen von Horaz nichts Unfertiges, nichts Ungefüges oder Fehlerhaftes – alles ist bis zur Perfektion gediehen. Das kallimacheische Ideal der kleinen und ausgefeilten Form vertritt er in seinen Werken und in seinen poetologischen Aussagen. Von den zeitgenössischen Autoren hebt er sich durch seine Themenwahl ab: Sein Feld ist weder der Mythos noch das Land- oder Hirtenleben. Er ist ein Städter und nimmt seine Themen aus der Gesellschaft, in der er lebt. Die Sprechhaltung eines Großteils seines Werks ist die des Gesellschaftskritikers, der mahnend, warnend und spottend auf die Verfehlungen und Verdrehtheiten seiner Umwelt oder einzelner Mitbürger hinweist. Den Anfang der Horaz-Philologie bildet die kommentierte Werkausgabe des Valerius Probus aus der 2. Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr. Der älteste erhaltene Kommentar stammt von Pomponius Porphyrio (2. Hälfte des 2. Jahrhunderts n. Chr. oder später); er weist kleinere Lücken auf. Der unter dem Namen des Acro überlieferte Kommentar (auf den ,richtigen‘ Acro verweist Porphyrio) ist tatsächlich eine Kompilation verschiedenen Scholienmaterials (Ps.-Acro), die wahrscheinlich im 5. und 6. Jahrhundert entstand. Unsystematisch zusammengetragene Kommentare teilweise sonst unbekannter mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Autoren vereinigte J. Cruquius 1565 (Scholia Cruquiana).
Horaz Schon bald nach seinem Tod wurde Horaz Schulautor; das Schwergewicht dürfte auf den Sermones und Epistulae gelegen haben, die besonders tauglich für die moralische Unterweisung erschienen. Im Mittelalter sind seine Schriften anfangs vereinzelt, seit dem 10. Jahrhundert zahlreich in den Bibliotheken nachweisbar. Rezipiert wurden in dieser Zeit zunächst vor allem seine hexametrischen Gedichte, seit dem 13. Jahrhundert dann auch die Oden und Epoden; sie wurden kommentiert, zitiert und in der Schule gelesen und fanden Eingang in Anthologien. Nachahmer hat seine Lyrik zunächst kaum gefunden: Für Caesius Bassus, gestorben um 79 n. Chr., sind lyrische Dichtungen bezeugt (Quintilian, inst. or. 10,1,66); ein Passenus Paulus wird von Plinius rühmend als Elegiker und Lyriker erwähnt (6,15,1). Erhalten ist davon nichts; Motive und Versmaße seiner Lyrik wirkten allerdings auch innerhalb anderer Gattungen weiter, so in den Chorliedern Senecas und in Statius’ Silvae. In der Renaissance wird Horaz auch in seinen Carmina zum maßgeblichen Vorbild; die Lyrik vieler Humanisten lehnt sich eng an ihn an. Eine bedeutende Adaption horazischer Lyrik unternimmt um 1500 der deutsche Gelehrte Konrad Celtis (1459 – 1508); er regt auch die Vertonung der Carmina durch Tritonius an (eigentlich Peter Treibenraiff, circa 1465 – 1525); ihr schlossen sich allein im 16. Jahrhundert zahlreiche Vertonungen an. Im beginnenden Barock stehen die Dichtungen Jacob Baldes (1603 – 1668) unter dem Einfluss horazischer Lyrik, ebenso im 18. Jahrhundert Klopstock und Hölderlin. Die Horaz-Rezeption im deutschen Sprachraum ist im 20. Jahrhundert durch die Übersetzungen Rudolf Alexander Schröders beeinflusst worden: Seine anspruchsvollen Übertragungen in originalen Metra prägten durch ihren feierlich-erhabenen Ton allerdings ein etwas einseitiges Horazbild, das den Witz und die kolloquiale Leichtigkeit großer Teile der horazischen Dichtung zurückdrängte. Kongenialer sind die witzig aktualisierenden Nachdichtungen horazischer Lyrik von Christian Morgenstern. Eine besonders intensive Wirkungsgeschichte erfuhr die poetologische Schrift De arte poetica; sie wurde als Lehrbuch der Literatur gelesen, mittelalterliche und frühneuzeitliche Lehrbücher folgten ihr nach und setzten sich mit ihr auseinander. Das Werk hat die literaturästhetischen Debatten späterer Jahrhunderte bis zum Beginn der Neuzeit geprägt, als Aristoteles’ Poetik im Westen wieder zugänglich wurde. Der bedeutendste Nachfolger, aber auch Tadler der horazischen Poetik ist Julius Caesar Scaliger (Giulio Bordone della Scala; 1484 – 1558) mit seinen Poetices libri VII (Sieben Bücher über die Dichtkunst, 1561). Scaliger kennt bereits die aristotelische Poetik, und von dieser Warte aus kritisiert er Horaz als unsystematisch. Dabei verkennt er natürlich, dass die Epistula ad Pisones eben nicht als reine Lehrschrift, sondern – in der Gattung der satura – als freundschaftliche Plauderei konzipiert ist. Mehr Verständnis findet Horaz in der Art Poétique von Boileau (1674). In den letzten Jahrzehnten hat sich die Diskussion um die politische Positionierung der horazischen Lyrik, die ihren Ursprung in der literarischen Rezeption hat, auch auf die Forschung ausgeweitet: Horaz’ patriotische und panegyrische Lyrik wird mitunter als unangemessene und – angesichts des relativ liberalen Klimas seiner Zeit – auch überflüssige Anbiederung an die Macht attackiert. Solche Deutungen können sich auf einige plausible Argu-
D. Horaz-Rezeption
Wirkungsgeschichte der Carmina
Wirkungsgeschichte der Ars poetica
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Die Autoren der augusteischen Zeit
D.
mente stützen; es darf aber nicht vergessen werden, dass der moralische Anspruch, den sie implizieren, dem Verständnis unserer Zeit von der Rolle des Schriftstellers entspringt.
b. Iambi (Epoden)
Komposition
Kontraste und Ambivalenzen
Widmung
Der Wucherer Alfius
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Das Buch der Iambi vereinigt thematisch vielfältige Gedichte; neben Invektiven (Schmähreden) gegen einzelne Personen und den allgemeinen politischen und moralischen Niedergang stehen Gedichte über Freundschaft und Liebe; auch die eigene Dichtung wird wiederholt thematisiert. Die Gedichte sind in der Zeit zwischen 41 und 31 v. Chr. entstanden. Die Titel Iambi beziehungsweise Epoden beziehen sich auf die metrische Form, das dominante Versmaß des Iambus und den Wechsel eines längeren Verses mit einem kürzeren ,Abgesang‘ (epodé). Vorbilder für diese Gedichtform fand Horaz bei Archilochos und Kallimachos. Die Anordnung der insgesamt 17 Gedichte im Buch entspricht einerseits dem Prinzip der thematischen variatio, andererseits metrischen Kriterien: Rein iambisch sind die Epoden 1 – 10, ab 11 sind die Iamben durch Daktylen und Trochäen begleitet oder ersetzt (12), 17 schließt in monostichisch-iambischer Form das Buch ab. Die Epoden sind vor allem durch Kontraste, Zweideutigkeiten, Spannungen geprägt: Das gilt zunächst für das Zusammentreffen einer strengen und kunstvollen Form mit einer Sprache, die reich ist an umgangssprachlichen Elementen, Vulgarismen und tabuisierten Worten; an Catull erinnert der drastisch-aggressive Ton, in dem manche Texte geradezu schwelgen. Es gilt weiter für die ganz unterschiedlichen Themen und Stimmungen, die hier aufeinanderstoßen: Liebe und Hass, Trauer und Zorn, Freundschaft und Verachtung, Ernsthaftigkeit und Ironie. Die Motive und Sprechhaltungen verschiedener Gattungen und Gedichttypen – der Bukolik (ep. 2) und Elegie (ep. 11 und 13), des Propemptikons (Geleitgedicht, ep. 1 und 10), der sympotischen und parainetischen Dichtung (Gelagedichtung, ep. 15; mahnende Dichtung, ep. 7 und 16) – sind miteinander kombiniert und konfrontiert. Und auch innerhalb der einzelnen Texte bleibt der Leser Umbrüchen und Spannungen ausgeliefert: Sie entziehen sich einem eindeutigen und einfachen Verständnis und verharren vielfach in hermeneutischer Ambivalenz. Dieser Vielschichtigkeit entspricht auf inhaltlicher Ebene das epodische Verssystem, für das durch die Folge von kürzeren und längeren Versen und die Verbindung unterschiedlicher Metra Spannungen und Umbrüche konstituierend sind. Ein Freundschaftsgedicht mit Widmungscharakter ist ep. 1: Horaz möchte Maecenas in den Krieg begleiten; zwar kann er ihm in seiner Schwäche keine Hilfe sein, aber an der Seite des Freundes wird er selbst seine Furcht vergessen. Wie das ,Ich’ dieses autobiographisch geprägten Textes die eigene Existenz zwischen unkriegerischer Schwäche, beharrlicher Freundschaft und Bescheidenheit ansiedelt, ist zugleich raffiniert und anrührend. Erst die letzten vier Verse von ep. 2 enthüllen, dass der begeisterte Preis des Landlebens der dafür unwahrscheinlichsten Person, nämlich dem Wucherer Alfius, in den Mund gelegt wurde. Das ist keine persönliche Invektive,
Horaz sondern eine Typensatire. Die Idealisierung des Landlebens, die manche Perspektive innerhalb der vergilischen Bukolik prägt, ist ironisch pervertiert. Ep. 3 gibt sich als freundschaftliche Warnung an Maecenas aus: ,Horaz‘ hat ein Knoblauchgericht gegessen, das wie Gift in seinen Eingeweiden wütet; wortreich rät er Maecenas von ähnlichem Genuss ab. Der Charme des Textes liegt in dem Kontrast zwischen dem trivialen Anlass und dem ,Bildungsapparat‘ aus mythischen Vergleichen, der zu seiner Illustration aufgeboten wird. Ep. 4 richtet sich gegen einen ehemaligen Sklaven, der seine neue Würde als Militärtribun eitel zur Schau stellt. Der gesellschaftliche Aufsteiger, ein in den Wirren der Bürgerkriegszeit nicht seltenes Phänomen, wird hier mit merkwürdiger Verständnislosigkeit verspottet; schließlich war Horaz selbst nur eine Generation vom Sklavenstand entfernt und hatte es wie der Angegriffene zum Militärtribun gebracht. Vielleicht liegt in dem gesamten Text und vor allem in dem unkommentierten ,Zitat‘, das am Gedichtende die Verachtung des Volkes gegenüber solchen Parvenus ausdrückt, auch Selbstironie. Ep. 5 hat, ähnlich wie der zweite Teil von Vergils ecl. 8, ein Zaubergeschehen zum Thema; hier allerdings ist der Liebeszauber zugleich ein grausamer Mord. Die Zauberin Canidia lässt ein Kind verhungern, um aus Leber und Mark einen Liebeszauber zu brauen. Der unmittelbare Einsatz mit der Götteranrufung des puer und der folgende mehrfache Wechsel zwischen monologischer Klage des Kindes und auktorialem Geschehensbericht verleihen dem Gedicht eine hohe dramatische Spannung. Die magische Handlung selbst und die an ihr beteiligten Frauen sind allerdings in einer solchen Überstilisierung entfaltet, dass der Eindruck einer parodistischen Absicht entsteht; wahrscheinlich gehört Varus, den die Zauberhandlung bestricken soll (Vers 73), dem Freundeskreis des Autors an. In Ep. 6 präsentiert sich der Invektivendichter unter Berufung auf Archilochos („Lycambes Schwiegersohn“, 6,13) als Wolf, der den feigen Hund herausfordert: Nicht wehrlose Opfer soll er anfallen, sondern ihn, der zurückzubeißen weiß. Wie hier zwischen dem bloßen „Schreckgeheul“ des Hundes und dem echten „Biss“ des Wolfes differenziert wird, ist nicht ohne Selbstironie – schließlich bleibt ja auch der vorliegende Text ,nur‘ Verbalinvektive. Ep. 7, vermutlich in der politischen Situation des Jahres 39 angesiedelt, als nach einem kurzen Frieden der Bürgerkrieg zwischen Sextus Pompeius und Octavian neu aufflammte, warnt vor neuem Blutvergießen. In affektgeladener Sprache führt Horaz den Leser über die Erinnerung an die großen Kriege der Vergangenheit zu Roms gefährlichster Bedrohung: dem Bürgerkrieg, in dem Romulus’ Mord an Remus wie ein Fluch weiterwirkt. Analog führt Vergil am Ende von Georgica 1 das Leid der Römer auf eine frühe Schuld zurück, den Betrug des troianischen Königs Laomedon, der den Göttern den für den Bau der troianischen Mauer versprochenen Lohn verweigerte. In ep. 8 wendet sich der Mann entsetzt von der alternden Frau ab, die ihn umwirbt. Die drastische Schilderung körperlicher Verfallserscheinungen parodiert den Preis jugendlicher Schönheit in Liebesgedichten; Anfang und Ende des Textes relativieren allerdings diese verstörende Invektive gegen die alternde Frau, dient doch ihre Herabsetzung vor allem zur Verteidigung der Impotenz des Sprechers.
D. Das Knoblauchgericht
Der Parvenu
Der Liebeszauber
Invektive
Bürgerkrieg
Die alternde Frau
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Die Autoren der augusteischen Zeit
D. Actium
Propemptikon
Paradoxon der Liebe
Aischrologie
Trinkgedicht
Liebe
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Mit ep. 9 folgt ein Festgedicht auf Augustus’ Sieg bei Actium; Antonius wird namentlich nicht genannt, die Schlacht im Bürgerkrieg ist umgedeutet zum Kampf gegen Kleopatra und ihre barbarischen Günstlinge. Diese Technik erleichtert es, Augustus’ Sieg zu preisen; Horaz (c. 1,37) und Vergil (Aen. 8, 626 – 728) verfahren ähnlich. Die Parodie eines Propemptikons ist ep. 10: Ein gewisser Maevius soll Schiffbruch und Tod in den Wellen erleiden. Als Ursache für den unversöhnlichen Hass wird allein der „Gestank“ des anderen angeführt (olens, 2). Die Invektive erinnert an Catull; vielleicht liegt ein für einen engeren Kreis fasslicher Hinweis auf eine persönliche Fehde vor; vielleicht ist die Epode aber auch nur eine Kunstübung. Ep. 11 entfaltet das Paradoxon der Liebe: Sie ist Krankheit, hemmt die Dichtung und bringt Schande; aber diese Einsicht führt den Liebenden allenfalls zur Wahl eines neuen Objekts der Begierde. Die fast dramatisch inszenierte Folge von erregter Absage an die Liebe, Rückkehr zur Schwelle der grausamen Geliebten, neuer Bindung an den schönen Knaben und Ausblick auf zukünftige Liebschaften dokumentiert eine heillose Verfallenheit nicht an die oder den Geliebten, sondern an die Liebe selbst. In Horaz’ Carmina finden sich ähnliche Motive, wenngleich dort die Verwirrungen der Liebe distanzierter wahrgenommen werden. Und Ovids Amores konstituieren mitunter in provokativem Gegensatz zum foedus-Charakter elegischer Liebe ein ähnliches Modell austauschbarer Liebschaften, die Sprechhaltung ist dort aber nicht die des gequälten Dulders, sondern die des ironischen Genießers. Ep. 12 variiert das Thema von ep. 8, die aischrologische Invektive (unflätige Schmähreden) gegen die alternde und immer noch begehrende Frau; ihr Reichtum hilft ihr nicht, den widerwilligen Liebhaber (der sich immerhin von ihr beschenken lässt!) zu höherer Leistung im Bett anzuspornen. Die Invektive bleibt ganz persönlich und wird nicht, wie mehrfach in den Carmina, in eine Parainese (Aufforderung) zu angemessenem Verhalten überführt. Ep. 13, ein Trinkgedicht, nimmt deutlich Ton und Thematik der Ode vorweg. Regen, Schnee und Sturm – die Annahme, dass sie allegorisch auch auf politische Unruhe verweisen, liegt nahe – geben den Stimmungshintergrund für den Aufruf zum Gastmahl. Die Mahnung, die Gegenwart sorgenfrei zu genießen, wird in den Mund des Zentauren Cheiron gelegt, der den jungen Achilles anleitet, sich in seinem kurzen Leben an Wein und Liedern zu erfreuen. Achilles hat dem Mythos zufolge seinen Ruhm vor Troia mit dem frühen Tod erkauft; wenngleich hiervon nicht explizit die Rede ist, gewinnt die Mahnung zum Genuss auf der Folie des Leserwissens ein geschärftes Profil. Ep. 14, an Maecenas gerichtet, ist in Frage und Antwort entwickelt: Maecenas, so wird referiert, fragt immer wieder nach der Vollendung des Iambenbuches; doch ein Gott verhindert den Abschluss des Werkes, ist doch der Dichter verliebt wie einst der Dichter Anakreon (circa 570 – 485 v. Chr.), der seine Liebe zu dem schönen Bathyllos in kunstlosen Liedern besang. Und schließlich ist ja auch Maecenas selbst verliebt. Die Grundidee – statt das Iambenbuch zu vollenden, ein Gedicht über die Unmöglichkeit seiner Vollendung zu schreiben – ist amüsant, aber in der Beschwörung der Gewalt der Liebe liegt auch Ernsthaftigkeit.
Horaz Ep. 15 klagt eine untreue Geliebte an. Einstmals schwor sie Treue, jetzt beglückt sie einen reicheren Freund. Doch auch dessen Glück wird nicht von Dauer sein. Die intellektuelle Einsicht in die Unfähigkeit der Geliebten zur Treue führt zu Zukunftsprojektionen und Drohungen, doch bleibt der Liebende der Erinnerung und der gegenwärtigen Ohnmacht verhaftet. Ep. 16 ist eine bittere Klage über den Bürgerkrieg, der schon die zweite Generation zugrunde richtet; in diesem Leid gibt es nur einen Ausweg: Wie einst die Phokäer der persischen Knechtschaft durch Auswanderung entkamen, so sollen die Römer – oder zumindest die aufrechten unter ihnen – eine neue Heimat suchen, wo sie ein goldenes Zeitalter erwartet. Zahlreiche Motive rücken die Epode in eine enge Nähe zu Vergils ecl. 4. Was aber bei Vergil als beglückende Gewissheit vermittelt wird, das ist bei Horaz bloße Utopie: Nicht Rom oder Italien sind die Orte des Goldenen Zeitalters, sondern ,selige Inseln‘ in unbestimmter Ferne, die unter Verlust der Heimat gefahrvoll erworben werden müssen. Über die Frage, ob Horaz der vergilischen Heilsgewissheit eine bittere Entgegnung widmete oder ob, umgekehrt, Vergil den horazischen Pessimismus mit einer optimistischen Gegenvision konterte, ist viel gestritten worden, ohne dass eine schlüssige Begründung der Priorität des einen oder anderen Textes bisher gelungen wäre; die Forschung tendiert insgesamt dazu, den Primat Vergils zu vertreten (Wimmel 1961). Die ironische Versöhnung mit Canidia (ep. 17) beschließt das Buch: Der Dichter erklärt sich durch ihre Magie besiegt und erklärt alle früheren Vorwürfe für unwahr – was ihm Gelegenheit gibt, sie genüsslich zu wiederholen. So bleibt sein Widerruf vergeblich: Canidia droht nur noch schlimmere Verhexung an. Als Schlussgedicht eröffnet die Epode eine ambivalente Perspektive auf Horaz’ weitere Invektivendichtung: Er schwört ihr ab, bleibt aber doch in die alten Kämpfe verwickelt.
D. Untreue
insulae fortunatae
Widerruf
c. Sermones (Satiren) Sermones, Gespräche oder Plaudereien, nennt Horaz die hexametrischen Kleintexte, die zwischen 41 und 31 v. Chr. entstanden; sie gehören der Gattung der satura an. Die Sermones sind in zwei Bücher eingeteilt, von denen das erste zehn, das zweite acht Gedichte enthält. Ob die Bücher sukzessiv oder gemeinsam publiziert wurden, ist unklar. Beiden gemeinsam ist die Kritik an verfehlten Verhaltensweisen und Lebenseinstellungen, die durch falsche Begierden entstehen: Verschwendung und Geiz, Habgier und Ehrgeiz, Ehebruch, Intoleranz und Angeberei werden teils in ernsthaftem Ton, teils in ironischer Brechung bloßgestellt und mit der Maxime der rechten Mitte als Weg zu Sicherheit und Rechtschaffenheit konfrontiert. Mehrmals richtet sich die Satire auch gegen den stoischen Rigorismus und seine ,Paradoxa’. Die Sermones sind keine Invektiven; die Unzulänglichkeiten und Absurditäten einzelner und der Gesellschaft werden nicht an identifizierbaren Individuen, sondern an typisierten ,Fällen’ vorgeführt. Auch tritt der Dichter nicht mit dem erhobenen Zeigefinger des Moralisten vor den Leser oder
Typensatire
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Sprechhaltung
Sprache
Komposition
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Hörer, sondern mit dem Lächeln dessen, der die menschlichen Schwächen kennt und selbst an ihnen Anteil hat. Qui fit („wie kommt es eigentlich?“) – so beginnt sat. 1,1 programmatisch mit einer staunenden Frage: Das SichVerwundern über die Unfähigkeit der Menschen, ihr Leben glücklich zu führen, prägt die ganze Sammlung. Politische Kommentare sind gemieden. Nicht selten wird die Gattung selbst thematisiert, dies durchaus in apologetischer Form: Dem Unschuldigen schadet sie nicht, den Schuldigen kann sie allenfalls betroffen machen und zum Nachdenken anregen. Aber nicht nur auf seine Kunst, sondern auch auf sein Leben geht Horaz ein: Authentisch wirken seine Erzählungen von seinem Vater, seiner Erziehung, seinem Umgang mit Maecenas und den Details seines Alltags. Ob der Hinweis in 1,10 auf die Kritik des Publikums an den Sermones literarisches Spiel oder ein kleines Stück Rezeptionsgeschichte der Satiren ist, lässt sich nicht klären; als Reaktion auf die fiktive oder tatsächliche Kritik des Publikums kann man aber in jedem Fall die etwas distanziertere Sprechweise im zweiten Buch deuten. Hier spricht der Autor in mehreren Gedichten nicht auktorial, sondern bedient sich einer typisierten Person, deren ,Lehrvortrag‘ zumindest in einer gewissen Ambivalenz und damit auch in größerer Unverbindlichkeit angesiedelt ist. Als seinen Vorgänger in der Gattung führt Horaz wiederholt Lucilius an, dem er allerdings mangelnde Sorgfalt in Form und Sprache vorwirft. Auch Bion von Borysthenes nennt er als Vorbild (epist. 2,2,60), einen kynisch geprägten Wanderlehrer des 3. Jahrhunderts. Wie man durch Beispiele, Vergleiche, rhetorische Fragen und überspitzte Argumente ein Gegenüber überzeugt oder widerlegt, war aber auch in der Rhetorenschule zu lernen. Die Satiren bedienen sich einer weitgehend schlichten Sprache; in die mittlere Tonlage des kultivierten, aber nicht überstilisierten Gesprächston sind Elemente des Umgangssprachlichen integriert. Die zahlreichen Enjambements erzeugen den Eindruck der Unruhe: In einer stetigen gedanklichen Bewegung zieht Horaz den Leser mit sich. Die Hexameter neigen im Satzbau zur Schachtelung, ohne artifiziell zu wirken. Die Komposition ist locker und versteckt, gleitend kommt Horaz innerhalb der Einzelsatiren zu neuen Themen; der Dichter stilisiert sich als Plauderer, der, von einem konkreten Anlass ausgehend, ein weites Spektrum von Gedanken, Exempeln und Urteilen ausbreitet. Der Aufbau der beiden Bücher ist, wie der der Einzeltexte, eher locker, dennoch ist eine geplante Struktur zu erkennen. Serm. 1,1 – 3 bilden eine erste Einheit, in der Verfehlungen der römischen Gesellschaft (Besitzgier, Ehebruch, Intoleranz) bloßgestellt werden. 1,4 – 6 sind autobiographisch geprägt, 1,4 im Kontext einer Apologetik der Satire, 1,5 als Erzählung einer Reise, 1,6 im Zusammenhang von Erwägungen zum Geburts- und Sittenadel. 1,7 und 1,8 erzählen kleine witzige Episoden ohne besonderen Anspruch. 1,9 entwickelt im Kontext einer ähnlichen Episodenerzählung auf persönlichem Erlebnishintergrund den Charakter der Bindung zwischen Horaz und Maecenas und greift damit das Thema von 1,6 wieder auf. 1,10 siegelt die Sammlung mit einer ausführlichen Stellungnahme zu Lucilius und der eigenen Satirendichtung.
Horaz Auch das zweite Buch unterliegt in der Anordnung der Gedichte einem erkennbaren, aber nicht übermäßig strengen Schema: 2,1 greift das Thema von 1,10, Apologetik der Satire, wieder auf. 2,2 – 5 konfrontieren den Leser mit sehr unterschiedlichen Lehrvorträgen, deren moralische Geltung von Text zu Text abnimmt: Mit dem ersten (2,2) identifiziert sich Horaz; der zweite (2,3) enthält richtige Elemente, die aber einem insgesamt verfehlten Anspruch unterworfen werden; der dritte (2,4) ist schlicht albern, der vierte (2,5) unehrenhaft. Dem Lehrvortrag zum Gastmahl 2,4 korrespondiert die Schilderung eines Abendessens in 2,8. 2,3 und 2,7 decken in ironischer Brechung die menschliche Narrheit und Unfreiheit auf. 2,6 knüpft an die autobiographisch geprägten Texte und an das Maecenas-Thema des ersten Buches an; in der Konfrontation von Stadt- und Landleben und dem Preis des kleinen Guts in den Sabinerbergen liegt aber auch ein Gegenprogramm zu den in den übrigen Texten aufgezeigten Verfehlungen, die das Leben verbittern. 1,1 geht der Frage nach, warum niemand mit seinem Leben zufrieden ist. Nachdem Beispiele diese allgemeine Unzufriedenheit erläutern, gibt Horaz die Antwort: Alle streben nach Reichtum und beschränken sich nicht darauf, das Notwendige zu beschaffen. Ausführlich widerlegt Horaz im Sinne hellenistischer Moralphilosophie den Wert des Reichtums und weist den Weg zum glücklichen Genuss des Lebens. 1,2 stellt einleitend einen Verschwender und einen Geizhals vor. Der Verschwender will nicht geizig erscheinen, der Geizige nicht verschwenderisch. Oft entstehen wie hier Laster aus dem verfehlten Versuch, das entgegengesetzte Laster zu vermeiden – so auch, wenn die einen sich rühmen, keine fremden Ehefrauen zu verführen, aber sich mit Tänzerinnen herumtreiben, während die anderen solch niedere Gesellschaft meiden, aber den gefährlichen Ehebruch praktizieren. In dieser Alternative rät das ,Sprecher-Ich’ eher zum Umgang mit Prostituierten, die dem Liebhaber leicht und gefahrlos zur Verfügung stehen. Es bleibt dem Leser überlassen, ob er das als ernst gemeinte Anweisung im Sinne eines epikureisch geprägten Utilitarismus oder als erneutes Beispiel für die Verfehlung der rechten Mitte auffassen will. Die stets dem Extremen zuneigenden Handlungen eines gewissen Tigellius bilden den Auftakt zu 1,3 und verleiten den Leser dazu, eine nähere Analyse dieses Verhaltens zu erwarten – bis ein interlocutor (Zwischenredner) einwirft, auch der Sprecher habe seine Fehler. Gleich folgen Beispiele übergroßer Hellsichtigkeit für fremde Laster, begleitet von Blindheit gegenüber den eigenen. Auch dieses Thema wird rasch weiterentwickelt: Nicht die Fehler soll man im Freund sehen, sondern seine Qualitäten zu schätzen wissen. Der Nachsicht bedarf ja jeder, und kleine Untugenden muss man verzeihen können. Dieser Gedanke gibt Anlass, den stoischen Lehrsatz zu widerlegen, alle Laster seien gleich schwer; dies geschieht im Rahmen einer kleinen Kulturentstehungslehre, in der ein dem stoischen Dogma widersprechendes Rechtsbewusstsein geprägt wurde. Das ,Ich’ der Satire ist nun auch gleich in der richtigen Stimmung, die stoische Lehre vom sapiens, der als Weiser auch in allen Bereichen das vollkommene Wissen besitze, ad absurdum zu führen. Die verschiedenen Themen hält der Gedanke der moralischen Mittellage zusammen, der eingeht in ein Lebenskonzept des gegenseitigen Gelten-Lassens. Dieses tolerant-offene, eher in der Persönlichkeit als in
D.
Zufriedenheit
Die rechte Mitte
Der stoische Weise
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Die Autoren der augusteischen Zeit
D. Programm der Satire
Herkunft und Verdienst
Brutus
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der Philosophie verankerte Lebens- und Freundschaftsideal steht natürlich in schroffem Kontrast zur Rigorosität stoischer Ethik. In 1,4 betrachtet der Dichter das eigene Werk, die Sermones, aus verschiedenen Perspektiven. Da ist die attische Komödie, die freimütig die Bürger kritisierte; dassselbe tat Lucilius, aber in unausgefeilten Versen. Da sind Dichter, die rasch viel verfassen, und solche, die sich gut verkaufen; Horaz’ Satiren will dagegen niemand lesen, die Menschen fühlen sich von ihnen angegriffen. Den Dichtern werfen sie vor, gnadenlos alles zu kritisieren. Aber Horaz beansprucht doch gar nicht den Dichtertitel. Auch sind Komödie und Satire vielleicht gar keine echte Poesie; denn – von der Wortstellung einmal abgesehen – : So spricht man ja wirklich im täglichen Leben. Und wirft die Öffentlichkeit Horaz’ Sermones zu Recht Aggressivität vor? Er bringt sie doch nur einem kleinen Freundeskreis zur Kenntnis; und sonst weiß man ja Spötter in Rom durchaus zu schätzen. Auch hat Horaz von seinem Vater gelernt, fremde Fehler zu erkennen, um aus ihnen zu lernen. Der Text entfaltet ein komplexes Programm der Satire: ausgefeilt, der Alltagssprache nahe stehend, der moralischen Belehrung der Bürger verpflichtet, aber nicht aus der Philosophie gespeist, sondern aus der umsichtigen Prüfung der Mitmenschen. Der Passus zur Erziehung durch den Vater eröffnet eine kleine Sequenz von autobiographisch geprägten Texten: 1,5 schildert Horaz’ Reise in Maecenas’ Gefolge und in Begleitung von Vergil, Varius und anderen nach Brundisium (Brindisi) im Jahr 37; das Vorbild eines Reiseberichts bot Lucilius. Interessant ist hier unter anderem der Bericht über eine Possenaufführung, dem die Reisenden beiwohnen: ein Hinweis auf eine nachwirkende Tradition des Stegreifspiels im italischen Raum (51 ff.). 1,6 setzt ein mit Maecenas’ vornehmer Geburt; dennoch akzeptiert er, so heißt es weiter, in seinem Kreis auch Männer von geringer Herkunft wie Horaz – wenn sie nur frei geboren sind. Dass Horaz Maecenas’ Billigung fand, verdankt er nicht seiner Geburt, sondern der Erziehung durch seinen Vater. So wünscht er sich keine anderen Eltern und ist mit seinem Stand und Besitz zufrieden. Er lebt ja nicht ärmlich, hat Muße und keine Sorgen. Bei der in Antike und Neuzeit viel diskutierten Frage, ob die Herkunft oder die Moral den Wert des Menschen ausmache, entscheidet sich der Moralist Horaz natürlich für die persönliche Bewährung in der Lebensführung; der Rang der Geburt wird dadurch nicht geschmälert, aber Geburtsadel ist als Verpflichtung, nicht als Privileg, aufgefasst. Das Ideal des dem eigenen Stand angemessenen Verhaltens und des bescheidenen Wohlstandes kann Horaz durch das eigene Leben illustrieren. Das verdankt er seinem Vater und auch Maecenas; so ist serm. 1,6 zu einem wesentlichen Teil eine hommage an diese beiden Männer. Für das Verhältnis zu Maecenas ist aber auch wichtig, wie Horaz die Unabhängigkeit seiner Existenz betont; gegen Verpflichtungen, die aus der Förderung durch den Gönner erwachsen könnten, setzt er sich auch sonst gelegentlich zur Wehr. Sat. 1,7 und 1,8 erzählen kleine witzige Episoden. Thema von 1,7 ist eine burleske Gerichtsszene (das Vorbild dazu bot Lucilius): Der ,Caesar-Mörder’ Brutus hat als Richter über einen Angeklagten namens Rex (König) zu urteilen. Die Schlusspointe spielt mit dem Namen dieses ,königlichen’ Angeklagten: Sein Prozessgegner beschwört Brutus, ihn zum Tod zu verurteilen – er sei ja daran gewöhnt, Könige umzubringen.
Horaz In 1,8 ergreift die persona des Priapus das Wort. Zu dem derben Charakter dieses volkstümlichen Gottes passt die einleitende Bemerkung, er sei aus wertlosem Feigenholz geschnitzt und beinahe eine Bank statt eines Gottes geworden. Auf dem Esquilin steht seine Statue, jetzt angenehme Wohngegend (und, wie wir wissen, der Platz, wo Maecenas einen prächtigen Garten besaß), früher aber der Friedhof der armen Leute. So kommen bei Vollmond immer noch die Hexen hierher, um Knochen und magische Kräuter zu suchen. Die dem Leser schon aus den Epoden bekannte Canidia musste Priap beobachten, wie sie einen Schadenszauber vollzog und eine Wachsfigur im Feuer verbrannte. Aber er rächte sich, denn die Hitze ließ das Holz der Statue (genau genommen die nates, die ,Hinterbacken’) mit lautem Krachen aufbersten, was Canidia in die Flucht trieb. – Der Reiz des kleinen Textes liegt nicht nur im Wiederaufgreifen des Canidia-Themas aus den Epoden, sondern auch in der Natur des Gottes, dessen zugleich göttliche und hölzerne Konsistenz die Anfangs- und Schlusspointe ausmacht. In 1,9 gestaltet Horaz die Begegnung mit einem Schwätzer auf der via sacra, der römischen Prozessionsstraße: Der Mann preist sich als Dichter und Sänger an und will bei Maecenas eingeführt werden. Wie der ,Erzähler’ vergeblich versucht, den lästigen Menschen loszuwerden, ist witzig und mit ironischem Pathos erzählt; aber der Dichterling mit gesellschaftlichen Ambitionen dient auch durch seine unpassenden Strategien als Folie für die Dezenz des Kreises um Maecenas. In 1,10 kennzeichnet Horaz seinen Vorgänger in der Satirendichtung, Lucilius, und grenzt sich von ihm ab: Lucilius’ Verse sind ungleichmäßig, aber er hat Witz. Doch Witz genügt nicht, wichtig sind prägnante Kürze, stilistische Vielfalt und eine angemessene Mischung von Scherz und Ernst. Auch die Einflechtung von griechischen Wörtern in lateinische Texte ist kein Verdienst. Andere Dichter vollbringen in ihren Gattungen Großes, Horaz aber übertrifft in der Satire seine Vorgänger – außer den Begründer der Gattung, Lucilius. Denn er tadelt ihn zwar: Aber welcher Dichter ist schon immer perfekt? Und sicher hat ihm der Geschmack seines damaligen Publikums solcherlei abgefordert. Wenn er heute lebte, schriebe er wohl sorgfältiger. Indem Horaz Lucilius zugleich angreift und verteidigt, bietet er einerseits ein Programm seiner eigenen Dichtung; zugleich gibt er aber auch ein Exempel für kunstkritische Diskurse, wie sie im Kreis der Dichterfreunde, auf die er sich namentlich beruft, üblich gewesen sein dürften. So siegelt 1,10 das erste Satirenbuch mit einer Bekundung der Achtung vor dem Kreis des Maecenas. Das zweite Buch der Sermones beginnt so, wie das erste Buch endet: apologetisch. Aber der Diskurs um die Rechtfertigung der Satire ist aus dem Kreis der Kunst herausgetreten und zur juristischen Frage geworden: In der Fiktion von 2,1 konsultiert der Satiriker den berühmten Juristen Trebatius: „Was soll ich tun, die Leute ärgern sich über meine Satiren – aber ich kann einfach nicht den Mund halten.“ Der Jurist empfiehlt den Verzicht auf Dichtung oder aber Herrscherlob, das ja reich belohnt werde. Doch dazu kann sich der Sprecher nicht entschließen; wie Lucilius will er die einzige Waffe schwingen, die ihm gegeben ist: die Dichtung. Trebatius verweist auf das Gesetz, das die Abfassung von Schmähschriften (mala carmina) unter Strafe stellt. In gewollter Umdeutung des Adjektivs erklärt ,Horaz’, das gelte zwar für mala carmina (schlechte Gedichte), aber bona carmina (gute Gedichte)
D. Priap und Canidia
Lucilius
Dichtung als Waffe
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Die Autoren der augusteischen Zeit
D.
Genügsamkeit
Bescheidenheit
Gastmahl
Erbschleicherei
Das Sabinergut; Stadt- und Landmaus
78
würden sogar das Lob des Kaisers finden. – In der Doppeldeutigkeit von bona carmina – gut in ihrer dichterischen Form, gut aber auch, insoweit ihr moralisch integrer Verfasser zu Recht anklagt – , vereinigen sich der moralische und der ästhetische Anspruch. In 2,2 trägt das Sprecher-Ich das Plädoyer des Bauern Ofellus gegen raffinierte und teure Tafelfreuden und für ein genügsames Leben vor; interessante Details über römische Essgewohnheiten sind eingestreut. Der Hinweis, dass Ofellus, einst Besitzer seines Gutes, nach den Bürgerkriegen enteignet wurde und nun – ebenso zufrieden – als Pächter das Land bearbeitet, gibt diesem volkstümlichen Prediger ein Stück ,historische’ Individualität und seinem Vortrag Authentizität. Der Text ist frei von politischer Programmatik, passt aber in das Klima, aus dem die augusteische Ideologie erwachsen ist. 2,3 ist als Gespräch zwischen ,Horaz‘ und dem Bankrotteur Damasippus stilisiert, der dem Dichter einen Vortrag des Stoikers Stertinius gegen Verschwendung, Geiz und Ehrgeiz repetiert; diese Laster werden an typisierten Zeitgenossen und in einem fingierten Disput mit Agamemnon, dem Heerführer der Griechen vor Troia, bloßgestellt. Alledem liegt die stoische Doktrin zugrunde, dass Weisheit vollkommen erlangt oder aber vollkommen verfehlt wird. Die Beispiele, die Damasippus anführt, entsprechen in ihrem Tenor der ethischen Haltung der horazischen Sermones; die Absolutheit des stoischen Anspruchs, der keine Zwischenstufen der Moralität gelten lässt, und die merkwürdig sprunghaften Vorwürfe, die sich gegen ,Horaz’ selbst richten, reduzieren aber die Überzeugungskraft dieses polemischen Vortrags. So wird die Torheit aller Menschen von Damasippus nicht nur vertreten, sondern zugleich auch exemplifiziert. In 2,4 wiederholt Catius gegenüber ,Horaz’ Bemerkungen zur rechten Ausrichtung eines Gastmahls, die er soeben (von einem Lehrer, dessen Namen er verschweigen möchte) gehört hat. In ironischer Begeisterung fleht ,Horaz’ ihn an, diesem großen Lehrer vorgestellt zu werden. In 2,5 tritt der vor allem aus der griechischen Tragödie bekannte griechische Seher Teiresias als Ratgebender auf: Odysseus befragt ihn, wie er sein Vermögen zurückgewinnen könne. Teiresias empfiehlt Erbschleicherei. Das ist natürlich Mythenparodie, aber doch auch Reflex einer in der römischen Gesellschaft nicht selten praktizierten Vorgehensweise. Das Vorbild einer solchen Totenbefragung innerhalb einer Satire fand Horaz wahrscheinlich bei Menippos. Ganz anders im Ton ist 2,6: Horaz stattet Maecenas seinen Dank für das Sabinum ab; anschaulich schildert er die Unruhe und vielseitigen Ansprüche seines Lebens in der Hauptstadt und konfrontiert damit das genussreiche otium des Landlebens. Die Fabel von der Stadtmaus und der Landmaus schließt den Text ab. – Der Dank ist ehrlich, und ebenso authentisch klingt die Schilderung des gemeinsamen Alltags mit Maecenas in Rom. Diese Schilderung des Stadtlebens betont aber neben der hohen Ehre dieser Freundschaft und der Zuneigung zu dem Gönner auch die Strapazen eines solcherart ausgezeichneten Lebens; das Landgut ist ein Fluchtpunkt aus diesen Mühen. So weist der Text unausgesprochen auch weitergehende Ansprüche an hauptstädtische Gefolgschaft, die aus dem Geschenk abgeleitet werden könnten, zurück.
Horaz In 2,7 nutzt der Sklave Davus die Freiheit der Saturnalienfeier, um seinem Herrn ,Horaz‘ die Leviten zu lesen – der ist eigentlich ein Sklave seiner Lüste und Wünsche, Davus dagegen frei, da er notgedrungen mit wenigem zufrieden ist. Wieder ist ein stoisches Paradoxon – nur der Weise ist frei, jeder andere aber ein Sklave seiner Lüste – in seinem übertriebenen Anspruch lächerlich gemacht. Wie sich ,Horaz‘ hier Weisheiten aus dritter Hand anhören muss (Davus beruft sich auf den Türsteher des Stoikers Crispinus), ist amüsant, zumal die konkrete Kritik, die Davus an ihm übt, nicht ganz ungerechtfertigt erscheint. Der Satiriker kehrt den Spieß gegen sich selbst, legt ihn aber in eine Hand, die doch eher ungeeignet ist, solche Waffen zu führen. 2,8 schildert ein Abendessen, das von einem einstürzenden Baldachin, mehr aber noch durch die angeberischen Kommentare des Gastgebers beeinträchtigt wird.
D. Saturnalien
d. Carmina Die Carmina (Lieder) sind lyrische Dichtungen von hoher Perfektion der Sprache und Form. Sie hängen in ihrer metrischen Gestalt, aber auch in den Themen und Motiven von der griechischen Lyrik ab. Wie Horaz aber deren schwierige Versmaße in der lateinischen Sprache wiedererweckt und wie er die vorgefundenen Inhalte variiert und mit römischem Kolorit versieht, ist eine eigenständige und innerhalb der römischen Literatur unübertroffene Leistung. Eine erste Sammlung aus drei Büchern gab Horaz um 23 v. Chr. heraus; sie umfasst insgesamt 88 Gedichte (Buch 1: 38; Buch 2: 20; Buch 3: 30). Die Aufnahme der Carmina beim römischen Publikum entsprach nicht seinen Erwartungen; es ist gut nachvollziehbar, dass die Römer, von denen nur wenige mit den griechischen Lyrikern vertraut gewesen sein dürften und die in ihrer ganzen Literatur der Gattung der Lyrik wenig Interesse geschenkt hatten, zu diesen sprachlich und metrisch schwierigen Texten keinen leichten Zugang fanden. Die ,lyrische Blockade’ des Dichters löste Augustus auf, der ihm den Auftrag erteilte, das Festlied für die Jahrhundertfeier des Jahres 17 zu verfassen. Einige Jahre später, um das Jahr 13, publizierte Horaz eine zweite Sammlung, Buch 4 mit insgesamt 15 carmina. Das reizvolle Spektrum griechischer Lyrik war zuvor in der römischen Literatur thematisch in die Gattungen Bukolik, Elegie und Epigramm und auch in Horaz’ Epoden eingegangen, metrisch aber – von einigen Versuchen bei Catull abgesehen – noch nicht bewältigt worden. Horaz erschließt als erster und für lange Zeit auch als einziger die Vielzahl der lyrischen Metra für die römische Dichtung; dieser Pionierarbeit rühmt er sich selbst in c. 3,30,13 f. Seine bedeutendsten Vorbilder innerhalb der griechischen Lyrik sind Alkaios, Anakreon, Sappho, Pindar, Bakchylides. Aber es ist nicht nur die frühe griechische Lyrik, die er rezipiert; viele seiner Carmina sind in Ton und Stimmung eher hellenistisch. Und nicht selten lässt sich auch der Einfluss griechischer Epigrammatik feststellen. Horaz hat die Texte, die seiner Lyrik Vorbild oder Anregung boten, in unterschiedlicher Freiheit übernommen: Übersetzungen im engen Wortsinn bietet er nicht; manche carmina sind Nachdichtungen, die sich eng an die
Rezeption der Carmina in Rom
Horaz und die griechische Lyrik
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Die Autoren der augusteischen Zeit
D.
Parainese
Philosophie
Augusteische renovatio
80
griechischen Vorlagen anlehnen, andere entfalten ein neues, nicht selten auch ein tatsächlich oder fiktiv autobiographisch geprägtes Thema, orientieren sich aber in Einzelmotiven an griechischen Vorbildern. Und manchmal ist das Grundthema in der Tradition vorgegeben, wird aber in eigenständiger Weise entfaltet. Horaz’ Lyrik ist, wie seine Sermones und Epistulae, parainetisch beziehungsweise didaktisch: Sie ermahnt und belehrt, sie geißelt Fehlverhalten oder macht es lächerlich. Das sittliche Ideal, an dem sich die Carmina orientieren, ist nicht aus der reinen Philosophie abgeleitet, sondern orientiert sich an einer popularphilosophisch fundierten Lebenserfahrung und einem eher pragmatischen Kanon des Angemessenen und Maßvollen. Dieses Ideal ist der Maßstab für Individuum und Gesellschaft, für Freundschaft und Liebe und sogar für die eigene Dichtung. Dass einige Gedichte eher epikureische, andere eher stoische Züge tragen, zeigt, dass Horaz nicht daran lag, seine Zugehörigkeit zu einer der hellenistischen Schulen zu demonstrieren. Die Systeme der hellenistischen Philosophie, die ja selbst ihren Schwerpunkt in der praktischen Ethik hatten, beutete er gleichmäßig aus, um die Vereinbarkeit von richtigem Verhalten und Glück darzulegen. Auch c. 1,34, das ein ,Bekehrungserlebnis’ zum Götterglauben schildert, nämlich einen Blitz aus heiterem Himmel (der gemäß der epikureischen Physik nicht möglich war), mündet nicht etwa in einem Bekenntnis zum Stoizismus, sondern in einer Beschwörung der Wandelbarkeit irdischen Glücks. In Horaz’ Liebeslyrik öffnet sich der Blick auf eine Welt, die in schroffem Kontrast zum augusteischen Wertekosmos zu stehen scheint: Der Umgang mit Sklavinnen, Libertinen und schönen Knaben tritt an die Stelle der Ehe, die Suche nach Genuss verdrängt den Kampf um virtus. Dennoch ist diese Lyrik – und das unterscheidet sie von der subjektiven Elegie – in keiner Weise ,subversiv’. Das hat vor allem zwei Gründe: Zunächst einmal tragen die meisten Liebesgedichte ein aus griechischen und römischen Elementen gemischtes Kolorit, das den konkreten Bezug auf römische Verhältnisse nicht eben nahe legt. Außerdem bleibt der Individualismus dieser Lyrik ganz unaufdringlich; er tritt nicht als Bekenntnis auf, sondern als die spielerische Variante einer im Grunde ernsthaften Lebenshaltung, die noch aus der bittersten Liebeserfahrung eine Lehre zu ziehen weiß. Im alten Italien siedelt Horaz sein Ideal eines bescheidenen und frommen Lebens an; in dieses verlorene Zeitalter soll Augustus mit Hilfe der Götter die Bürger Roms zurückgeleiten. Hier wird die enge Beziehung der horazischen Lyrik zum Programm augusteischer renovatio deutlich. So stützt Horaz auch sein dichterisches Selbstbewusstsein nicht nur auf seine Erstlingsleistung in der Eroberung neuer Gattungen und Formen: Als pius vates wirkt er mit an der Aufgabe, Rom zu Glück und Frieden zurückzuführen; solange Rom Bestand hat, wird auch seine Dichtung leben (1,22; 3,30). Die Carmina stehen in ihrer nach strengen Regeln komponierten Form, in ihrer Sprechhaltung und Gedankenführung dem Großteil heutiger Lyrik, aber auch beispielsweise den catullischen Gedichten fern. Das lyrische Ich spricht zwar von seinen subjektiven Empfindungen und Erfahrungen; aber aus dieser Subjektivität erwächst eine allgemeine Lehre, die sich nur vordergründig an Einzelpersonen, letztlich aber an die im tu der Anrede repräsentierte Gemeinschaft richtet. Der Ausweitung und Generalisierung dienen
Horaz Vergleiche, symbolisch befrachtete Naturschilderungen oder mythische Beispiele, die das Eingangsmotiv in neue Akzentuierungen und Polarisierungen überführen oder es im weit gespannten gedanklichen Fortschreiten ganz zurücktreten lassen. Horaz verwendet insgesamt 18 verschiedene Verse, aus deren Kombination 13 unterschiedliche metrische Systeme entstehen. Relativ selten sind die monostichischen Gedichte, meist bestehen die Lieder aus Strophen, in denen verschiedene Versmaße nach fester Regel aufeinanderfolgen. Häufig sind die einzelnen Strophen durch Enjambement verbunden. Die Anordnung der Gedichte im Buch folgt teils dem Prinzip der variatio, teils aber auch dem der Gruppenbildung. Unverkennbar bilden 1,1 – 6 eine Gruppe von ,Parade-Oden’: Sie führen die Vielfalt der Metra und Themen der horazischen Lyrik vor. Eine Gruppe bilden auch die ,Römeroden’ 3,1 – 6, umfangreiche Gedichte in alkäischen Strophen, die Gesellschaftskritik und Kaiserlob im Sinne augusteischer Ideologie miteinander verbinden. Die Gruppe 3,26 – 30 bildet in ihrer Abkehr von der Liebesdichtung den Abschluss der Sammlung von Buch 1 – 3. Die Sprache der Lyrik ist elegant und klangvoll; Eigennamen und maßvoll eingesetzte Gräzismen und auch die zwar nicht überbordenden, aber doch auffälligen Alliterationen steigern diese Wirkung. Zahlreiche Vergleiche, Metaphern und Symbole erweitern den Vorstellungsraum. Die besondere Wirkung horazischer Lyrik hat Friedrich Nietzsche in unübertrefflicher Weise charakterisiert: „Bis heute habe ich an keinem Dichter dasselbe artistische Entzücken gehabt, das mir von Anfang an eine Horazische Ode gab. In gewissen Sprachen ist das, was hier erreicht ist, nicht einmal zu wollen. Dies Mosaik von Worten, wo jedes Wort als Klang, als Ort, als Begriff, nach rechts und links und über das Ganze hin seine Kraft ausströmt, dies minimum in Umfang und Zahl der Zeichen, dies damit erzielte maximum in der Energie der Zeichen – das Alles ist römisch und, wenn man mir glauben will, vornehm par excellence. Der ganze Rest von Poesie wird dagegen etwas zu Populäres, – eine bloße Gefühls-Geschwätzigkeit …“ (Götzen-Dämmerung. Kap.: Was ich den Alten verdanke). Im Folgenden werden die Lieder nicht einzeln gemäß ihrer Reihenfolge in den Büchern, sondern in zusammenfassenden Themengruppen vorgestellt. Maecenas ist das Widmungsgedicht 1,1 zugeeignet, in dem Horaz selbstbewusst eine Priamel (Beispielreihung mit aufsteigendem Rang der Beispiele) der unterschiedlichen Lebenswege in seiner eigenen Lebenswahl des musischen Lebens gipfeln lässt: Wenn nur Maecenas ihn als Lyriker anerkennt, dann ist sein Ruhm vollkommen. Wie hier einleitend Jagd und Handel, Kriegsruhm und politische Ehren in ihrer Vergänglichkeit und relativen Bedeutungslosigkeit mit der göttergeschützten Existenz des Dichters konfrontiert werden, ist für römische Verhältnisse ziemlich provokativ, war aber doch durch die Neoteriker und auch die römische Elegie vorbereitet. Bereits das zweite Gedicht der Sammlung, c. 1,2, führt den Leser von der Erinnerung an das Unglück des Bürgerkriegs – ähnlich wie in Vergils erster Ecloge wird es als Verkehrung der Natur empfunden – zur Hoffnung auf die von den Göttern gesandte Rettergestalt Augustus. Die damit erzeugte Doppelwidmung – an den Mäzen und an den Fürsten – erinnert an den Einsatz der vergilischen Georgica.
D.
Metrik
Buchkomposition
Sprache und Bildlichkeit
1,1; Widmung
Politik
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Die Autoren der augusteischen Zeit
D.
3,1 – 6; Römeroden
Panegyrik
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Politische Lyrik, wie 1,2 sie darstellt, wird in 1,6, einem an Augustus’ Schwiegersohn Agrippa gerichteten Gedicht, programmatisch zurückgewiesen: En passant widmet sich Horaz hier auch Agrippas und Augustus’ Heldentaten, bekennt aber ausdrücklich, dieses Thema nicht vertiefen zu können – ein Rekurs auf mangelndes Talent, in dem die Betroffenen unschwer sein Desinteresse erkennen konnten. Sein Metier sind nicht Kriege und Heldentaten, sondern Symposien und mehr noch die Liebe (ähnlich 2,12). Die recusatio bereitet auf den Charakter der folgenden Sammlung vor, in der Liebes- und Freundschaftsgedichte den größten Platz einnehmen. Ganz hat sich Horaz aber auch schon in dieser früheren Sammlung der Politik und dem Preis Roms und seines princeps nicht entziehen können – und wollte dies wohl auch gar nicht. Im vierten Buch nimmt das Lob der gens Iulia dann umfänglichen Raum ein. Horaz’ Patriotismus – als Haltung nicht des kritiklosen Stolzes, sondern als Bewusstsein der Verpflichtung und Verantwortung vor den Göttern, der Rom und seine Bürger unterliegen, – tritt in Carmina 1 – 3 am deutlichsten in den so genannten Römeroden 3,1 – 6 hervor. Nach dem parainetischen Einsatz von 3,1 (zur Absurdität des Besitzstrebens angesichts der Unabänderlichkeit des Todesschicksals) folgen vier Gedichte, die Roms Größe in seiner virtus, in seiner Fähigkeit zur Mäßigung, im Schutz der Götter, im Wirken bedeutender Männer und vor allem in der Herrschaft des von den Göttern geliebten Augustus begründet sehen. Diese Gedichte sind in ihrem Rekurs auf den Troia-Mythos (der allerdings die seit Vergil ,verbindliche’ Deutung Troias als Wiege Roms noch nicht voraussetzt), in ihrer Attacke gegen römischen Luxus (ähnlich 2,15) und in ihrem Herrscherpreis recht unverhohlenes Sprachrohr augusteischer Propaganda; unter den thematischen Gruppen der horazischen Lyrik haben sie die stärkste Kritik provoziert. Ob Horaz nun ein Höfling (,des Imperators feister Hofnarr’, wie Bertolt Brecht es ausdrückte) oder ein ehrlicher Vertreter der pax Augusta war, ist natürlich nicht zu klären; in jedem Fall gelang es ihm in den Carmina recht gut, die Bedingungen, unter denen der augusteische Frieden zustande gekommen war, auszublenden. Nicht von augusteischer Ideologie, sondern von einer distanziert sorgenvollen Haltung ist 1,14 geprägt, ein eng an Alkaios angelehntes Gedicht (wir besitzen Alkaios’ Text allerdings nur als Fragment): Das Schiff, das der lyrische Sprecher vor Seenot warnt – ist es doch noch nicht wiederhergestellt aus vergangenen Stürmen – ist, wie die letzte Strophe mit ihrem Bekenntnis persönlicher Anteilnahme lehrt, allegorisch zu deuten; die Auslegung als ,Staatsschiff’ hat viel für sich, ist allerdings in der Forschung nicht unumstritten. Deutlich panegyrisch ist 3,14, ein Dankgedicht aus Anlass von Augustus’ Rückkehr nach seinem dreijährigen Aufenthalt in Gallien und Spanien im Frühjahr 24. Der Fürstenpreis ist aber nicht nur durch die religiöse Note – Horaz fordert zu Dankopfern an die Götter auf – , sondern vor allem durch den Ausklang im kleinen privaten Bereich gemildert und fast zurückgenommen: Am Ende steht das Bild des Dichters, der im Rahmen seiner Möglichkeiten ein bescheidenes Dankesfest organisiert. C. 4,4 und 4,5 und die letzten beiden Texte der Sammlung, 4,14 und 15, sind nahezu hymnische Panegyrik, wenngleich Horaz, wie Vergil, den Preis des princeps und seiner Familie nicht an die Person, sondern an die Leistung für die Stadt und das Volk bindet.
Horaz C. 1,3 eröffnet den Reigen der Freundschaftsgedichte mit einem Propemptikon (Geleitgedicht) für Vergil. Das Freundschaftsbekenntnis und die Sorge angesichts der Seefahrt des Freundes nach Griechenland münden in einer Verfluchung des Erfinders der Seefahrt: Hybris treibt die Menschen dazu, die ihnen gesetzten Grenzen zu verletzen. So vollzieht sich im Gedicht eine Gegenbewegung zu c. 1,2: Entstand dort aus Chaos und Bedrohung das Glück augusteischer Ordnung, so führen hier die glücklichen Gedanken an den Freund zur bitteren Klage über die Verfehlungen des Menschengeschlechts. Zwei große Themen durchziehen die Freundschafts- und Liebesgedichte: Der Aufruf zum bescheidenen Genuss der Freuden, die die Gegenwart ohne viel Aufwand schenken kann, und die Ermahnung, alles Extreme und Unangemessene zu meiden und auf dem ,goldenen Mittelweg’ (aurea mediocritas, 2,20; vgl. 2,16) sein Glück zu finden. Das erste Thema, in 1,11 in die vielzitierte Formel carpe diem (pflücke den Tag) gekleidet, ist vielfältig entfaltet: In c. 1,4 und 4,7 dient ihm der Frühling mit seiner Lösung der Winterstarre als illustrierendes Bild. Der Wechsel der Jahreszeiten mahnt an die Unbeständigkeit des Glückes und die Unvermeidbarkeit des Todes; der gegenwärtige Augenblick aber bietet sich dem Genuss dar. Analog vollzieht sich in 2,2 und 2,14 die Mahnung, die Gegenwart auszukosten, auf der Folie kriegerischer Bedrohung und menschlicher Todesverfallenheit. Der goldene Mittelweg wird in immer neuen Kontexten und Themenbereichen als Garant von Zufriedenheit und Sicherheit erwiesen. Diese Lehre rekurriert ebenfalls auf das Bewusstsein des stetigen Wandels der Zeit und der Vergänglichkeit von Glück und Leid: So ist übermäßige Trauer ebenso unsinnig und verfehlt (1,24; 2,9) wie eine dem eigenen Alter nicht mehr angemessene Leidenschaft und Lebensgier (1,25; 3,15; 4,13), übergroßer Ehrgeiz (1,29) oder Adelsstolz (3,17) und das Streben nach Reichtum (2,2; 2,18; 3,16; 3,24). Der aurea mediocritas entspricht es auch, dass in den sympotischen Gedichten nicht zu reichem Schlemmen geladen wird, sondern zu einem den natürlichen Bedürfnissen angemessenen schlichten Fest, dessen Glanz die Musik, das heißt die Kunst, erzeugt (1,38). Die italische Landschaft, und ganz besonders Tibur (Tivoli), ist wiederholt zum Ort der Muße, der Kunst, der Zufriedenheit erhoben; auch hierin berühren sich die Carmina mit den Sermones und Epistulae. Die Landschaften der Fremde erwecken dagegen die Assoziation von Mühe und Gefahr und, vor allem, von übergroßem Ehrgeiz; ,Horaz‘ will nicht Mykene besingen oder Athen, sondern die friedvollen Haine seines Tibur; wie er soll auch sein Freund Plancus lernen, sich von Sorgen zu befreien und sich der Gegenwart hinzugeben; das Gedicht mündet, wie so viele horazische Oden, in einem mythischen Beispiel, das die Maxime attraktiv illustriert (1,7; vgl. auch 2,6). Die berühmte ,Soracte-Ode’ 1,9 setzt die italische Landschaft kontrastiv als Folie der Parainese zum Genuss des Lebens ein: Im Schnee erstarrt liegt der Soracte (ein Berg nördlich von Rom), aber im Haus und beim Wein lässt sich die Kälte vertreiben; die Zukunft liegt ja in der Hand der Götter. Der junge Weinschenk Thaliarch aber soll die Liebe genießen, wie es zu seiner Jugend passt. In der gleitenden gedanklichen Entwicklung, im Wechsel von Thema, Stimmung und Sprechhaltung, der einer klaren Aussage untergeordnet ist, kann die Ode als geradezu repräsentativ für die horazische Lyrik gelten.
D. Freundschaft
aurea mediocritas
Landschaft
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Die Autoren der augusteischen Zeit
D. Poetologische Reflexion
Liebe
84
Das Thema eigener Dichtung durchzieht die Carmina in unterschiedlichen Stilisierungen: 1,17 verklärt das eigene Dichtertum zur göttergeschützten ländlichen Existenz (vgl. auch 2,19 und 4,3) und lädt die schöne Tyndaris zur Teilhabe ein. 2,20, an Maecenas gerichtet, setzt in Anlehnung an ein EnniusEpigramm der Vergänglichkeit den Trost dichterischer Unsterblichkeit entgegen: Zum Vogel verwandelt, wird der Dichter nach seinem Tod die Länder überfliegen; auch die fernen barbarischen Völker werden ihn kennen lernen (vgl. Ennius, var. 17 f. Vahlen). Das Abschlussgedicht der ersten Odensammlung, 3,30, schließt den Kreis zu 1,1: Dauerhafter als Kunstwerke aus Erz und Stein werden Horaz’ Lieder seinen Ruhm verkünden; solange Rom seinen Göttern treu bleibt, werden auch die Carmina Bestand haben. Die verewigende Kraft der Dichtung ist aus anderer Perspektive auch Thema von c. 4,8 und 4,9: Dichtung macht den, den sie besingt, unsterblich – ein Motiv, das Horaz in Pindars Chorliedern auf die Sieger der sportlichen Wettkämpfe der Griechen finden konnte. Fremde schriftstellerische Tätigkeit wird im Kontext der recusatio thematisiert; in 2,1 rühmt Horaz das dem Bürgerkrieg gewidmete Geschichtswerk des Asinius Pollio mit prononciertem Schauder gegenüber dem Wagnis eines so heiklen Unternehmens (ähnlich 1,6 und 2,12). In 4,2 feiert er zwar den ,Schwan‘ Pindar, aber nacheifern soll ihm doch Antonius Iullus selbst (offensichtlich hatte er an Horaz das Ansinnen gestellt, zu Ehren des princeps Chorlyrik zu verfassen); Horaz gleicht ja der Biene, die mit großer Mühe geringe Mengen Honig zusammenträgt. Die Liebesdichtung wird mit c. 1,5 eröffnet: Aus programmatisch distanzierter Warte, als einer, der selbst in diesen Strudeln Schiffbruch erlitt und sich mit Mühe retten konnte, beobachtet der lyrische Sprecher eine Liebesszene zwischen Pyrrha und ihrem Freund. Anders als der junge Liebhaber weiß er, wie trügerisch die Schöne, wie gefährlich die Liebe ist. Die Schilderung der beiden Liebenden in Vers 1 – 8 ist von hoher und fast quälender Intensität, die in den resignativen Erinnerungen der zweiten Gedichthälfte noch nachklingt. Die viele Carmina prägende gedankliche Konstruktion des poeta amator (Dichter und Liebhaber) verbindet Horaz’ Lyrik mit der Elegie; die Auffassung von der Liebe ist aber eine andere: Liebe ist in den Carmina ein den grausamen Launen der Venus unterworfenes Spiel ohne Dauer. Programmatisch ist das im Gedicht an Albius (den Elegiendichter Albius Tibullus; 1,33) entfaltet: Die Beständigkeit einer ausgewogenen Beziehung könnte das Glück sein, ist aber erst jenseits jugendlicher Leidenschaftlichkeit zu gewinnen. Ein wenig von dieser gereiften Perspektive auf die Liebe prägt auch 3,9, ein carmen amoebaeum (Wechselgesang) zwischen Frau und Mann: Beide rufen sich die Leidenschaft anderer Liebschaften in Erinnerung und finden doch wieder zueinander. Auch Horaz’ Liebesgedichte sind didaktisch: Regelmäßig überführt er das individuelle Liebeserlebnis in eine allgemeine Erkenntnis, deren unausgesprochener Maßstab das Angemessene, Gemäßigte, nicht zuletzt die Fähigkeit zur Selbstbescheidung und heiteren Resignation ist. Die Faszination der schrankenlosen Forderung nach Glück und Genuss wird dabei nicht geleugnet; vielmehr kann sie – nicht zuletzt durch attraktive Klangwirkungen und Bild- und Assoziationsmuster – fast schmerzlich bewusst werden. Aber ein solch extensives Genießen schenken die Götter ebenso wenig auf Dauer wie
Horaz extensives Leid; sie mäßigen das Schwere wie das Schöne, und das dauerhafte Glück liegt in der bescheidenen Freude am Alltäglichen und Kleinen. Götter und Heroen, aber auch die Leier werden mit hymnischem Gestus angesprochen. Die schlichte Religiosität bleibt nur selten bis zum Schluss erhalten (3,18; 3,22); oft schlägt sie um in einen neuen und fremden Ton: in die patriotische Beschwörung der Götter als Garanten römischer Macht und augusteischer Herrschaft (1,12; 1,21; 1,35) oder in die Inanspruchnahme göttlichen Schutzes für die eigene dichterische Existenz (2,15). In 3,2 entwickelt sich aus dem Preis Mercurs die umfangreiche Mythenerzählung von der Danaos-Tochter Hypermestra. Die letzten carmina der ersten Sammlung bereiten das Ausklingen der Liebesdichtung im Buchschluss vor: 3,26 gibt sich als Absage an Venus, in deren Tempel der Liebende und Dichter nach langem (natürlich erotischem) ,Kriegsdienst’ die Leier niederlegt – und schlägt dann doch jäh um in das Gebet an die Göttin: Ein einziges Mal nur triff mit deiner Peitsche die unzugängliche Chloe! 3,27 ist ein versöhnliches Propemptikon (Geleitgedicht) für Galatea: Sicher wie Europa auf dem Stier soll sie das Meer überqueren. Kurz klingt die persönliche Bindung an, aber der Abschied ist frei von Bitterkeit. 3,28 ist Einladung an Lyde: Zum Fest zu Ehren des Neptun soll sie kommen, aber von Liebe ist keine Rede: Gemeinsam mit dem Einladenden soll sie den Göttern Lieder darbringen. 3,29 ist – wie 1,1 – Maecenas gewidmet; seine politischen Sorgen soll er vergessen und an einem ländlichen Fest teilnehmen; dem unvorhersehbaren Wirken der Fortuna muss der Mensch sich ja doch fügen. Analog zu 1,1 ist auch hier die eigene Lebenswahl im Kontrast zu fremden Lebensmustern vorgestellt. Aber nicht seine Dichterexistenz rechtfertigt Horaz, sondern seine gesamte Lebensführung. Zahlreiche Motive aus den parainetischen Gedichten der Sammlung werden hier noch einmal präsentiert. 3,30 siegelt die Sammlung mit dem Anspruch auf Ewigkeit und dem Bekenntnis zur eigenen Herkunft. Eine Sonderstellung innerhalb der horazischen Lyrik nimmt das Carmen saeculare ein, das Festlied zur großen Jahrhundertfeier 17 v. Chr., das Horaz in Augustus’ Auftrag verfasste. In den Handschriften ist es der Sammlung der Carmina nicht einverleibt. Die einzelnen Strophen, die im Wechsel von einem Knaben- und Mädchenchor gesungen werden, flehen zu den Göttern, vor allem Phoebus (Apollo) und Diana, um Schutz für Rom und seine Bürger, um Nachkommen und reiche Ernte; sie beschwören die Erinnerung an den pius Aeneas und stellen Rom als Herrin in Krieg und Frieden dar. Seit 1890 in Rom Inschriftenmaterial zur Zeremonie der Säkularfeier des Jahres 17 gefunden wurde, hat die Forschung das Carmen saeculare an diesen Aufführungsprotokollen gemessen. Die in den Akten enthaltene Information, das Lied sei auf dem Palatin und auf dem Kapitol vorgetragen worden, schien schlecht zu der scheinbar vorherrschenden Stellung des (palatinischen) Apoll und der Diana und der nur knappen Hinwendung zu den kapitolinischen Göttern Iuppiter und Iuno zu passen. Der scheinbare Widerspruch löst sich aber auf durch das augusteische Verständnis von Apoll und Diana als Mittler zur Gesamtheit der Götter (Gagé 1931).
D. Götter und Mythen
Carmen saeculare
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Die Autoren der augusteischen Zeit
D. e. Epistulae
Brief und Lehrdichtung
Sprache und Form
Die richtige Lebensführung
Homer als Lebenslehrer
Genuss der Gegenwart
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Wie die Sermones, sind die Epistulae in zwei Büchern erschienen, Buch 1 um das Jahr 20, Buch 2 frühestens im folgenden Jahr, vielleicht aber auch erheblich später. Sie stellen eine Weiterentwicklung der Sermones (Plaudereien) dar. Auch sie können unter den Gattungsbegriff der Saturarum libri als „Gedichtsammlung vielfältigen Inhalts“ gefasst werden. Zu epistulae, Briefen, werden sie durch die Hinwendung zu einem räumlich entfernten Adressaten; die Fiktion des persönlichen Gesprächs ist ersetzt durch die Fiktion der brieflichen Ansprache. Noch deutlicher als die Sermones sind die Briefe eigentlich Lehrgedichte. Sie orientieren sich damit zugleich an früher hexametrischer Lehrdichtung und an Lehrbriefen in Prosa wie denen Epikurs. In ihrer episodenhaften Kürze stehen diese dichterisch und rhetorisch ausgefeilten Kleintexte aber völlig in alexandrinischer Tradition. Im Unterschied zu den Sermones geht es Horaz hier weniger um die kleinen Merkwürdigkeiten und Verirrungen des römischen Gesellschaftslebens als um gewichtige allgemeine Lebensmaximen, die in der Mehrzahl der Gedichte an persönlichen Erfahrungen exemplifiziert werden. Die Sprache ist wie die der Sermones der kultivierte Umgangston; die metrische Form ist elegant, aber nicht überstilisiert. Ein durchgehendes Kompositionsprinzip ist für Buch 1 nicht ersichtlich; Einheit stiften hier Metrum, Sprache und die Sprechhaltung philosophischer Reflexion. Buch 2 wendet sich in zunehmender Konsequenz dem Thema Dichtung zu. Im Einleitungsgedicht 1,1 verschiebt Horaz das altbekannte Schema der recusatio von der poetologischen auf eine rein ethisch-praktische Ebene: Maecenas’ Wunsch nach neuen Gedichten kann er nicht nachkommen, weil er sein Leben einer philosophisch orientierten Revision unterwerfen will. Gemäß der rhetorischen Technik der praeteritio entsteht damit natürlich bereits neue Dichtung. In der Folge entfaltet 1,1 Maximen der rechten Lebensführung – ein Leben nach dem Maßstab des Wahren und Angemessenen (verum atque decens, 11), Ehrlichkeit gegenüber dem eigenen Ich und die Fähigkeit, den rechten Mittelweg zu finden. Wichtig ist der Anspruch, sich auf keines Lehrers Theorie einschwören zu lassen (nullius addictus iurare in verba magistri, 14). In 1,2 preist Horaz dagegen den Dichter Homer als echten Lebenslehrer: Was schön und schändlich sei, was nützlich und was unnütz (quid sit pulchrum, quid turpe, quid utile, quid non, 3) sei bei ihm deutlicher gesagt als bei den Philosophen. 1,3 ist an einen Freund gerichtet, der in Tiberius’ Gefolge gegen die Parther zieht; der erste Teil des Briefes fragt nach Einzelheiten der Expedition; im zweiten Teil folgt die Ermahnung zur Philosophie, um die sich kümmern müsse, wer mit dem Vaterland und sich selbst verbunden leben wolle (si patriae volumus, si nobis vivere cari, 29). 1,4, dem Dichter Albius Tibullus gewidmet, steht in der Parainese zum Genuss der Gegenwart den Carmina nahe. Zum bescheidenen, aber freundschaftlichen Fest anlässlich von Augustus’ Geburtstag lädt 1,5 den Anwalt Torquatus. In 1,6 kritisiert ,Horaz‘ den Unsinn des Strebens nach Reichtum oder Ehre; ironisch führt er die Unfreiheit des Amtsbewerbers vor Augen, der
Horaz
Unabhängigkeit von Maecenas
Roms ,Literaturbetrieb
,
seine hohe Stellung durch kriecherische Anbiederung erwerben muss. Zum wahren Glück aber führe doch nur die virtus. Die eigene Unabhängigkeit gegenüber Maecenas verteidigt Horaz in 1,7. Länger als es dem Gönner lieb ist, hält er sich schon fern von Rom auf dem Land auf; aber auch den Herbst und Winter über wird er Maecenas fern bleiben und für seine Gesundheit und die Philosophie leben. Beispielerzählungen, darunter die Fabel vom Fuchs, der sich mit leerem Magen in die Vorratskammer drängte und nun mit vollem Bauch nicht mehr zurückkommen kann, lassen eine gewisse Spannung zwischen dem Geber und dem Beschenkten erkennen, die aber durch die Ironie des Bildes auch entschärft wird. Auch den folgenden Epistulae liegen Anlässe zugrunde, die die Briefform rechtfertigen: 1,8 geht an einen Freund in Rom; 1,9 ist ein Empfehlungsschreiben an Tiberius; 1,10 erörtert aus der Perspektive des Landbewohners ,Horaz‘ gegenüber dem Freund in der Stadt die Freuden des Landlebens und der Selbstbescheidung; in 1,11 wird Bullatius, der Asien bereist, dazu aufgerufen, sein Glück in sich selbst zu suchen; 1,12 tröstet Iccius über seinen Aufenthalt in Sizilien. In 1,13 ermahnt der Verfasser den Überbringer seiner Epistulae an Augustus zu taktvollem Vorgehen. 1,14 wendet sich aus der Stadt an den Gutsverwalter auf dem Land: Wie dieser sich zurücksehnt nach Rom, so zieht es ,Horaz’ hinaus zu seinem Landgut. 1,15 kontrastiert einmal nicht Stadt und Land, sondern auf paradoxe Weise Land und Küste: ,Horaz‘ sucht sich zu vergewissern, in welchem Strandbad er den größten Luxus finden könne; das einfache Leben ertrage er nur auf dem Lande. 1,16 ist dem Unterschied zwischen Gut-Sein und Gut-Scheinen gewidmet; 1,17 rechtfertigt den Anschluss an mächtige Gönner als Mittel der Karriere-Förderung, fordert aber Dezenz; analog gibt 1,18 Ratschläge für das Leben am Hof eines Mächtigen. In 1,19, wiederum Maecenas gewidmet, setzt sich Horaz mit dem geringen Erfolg seiner Dichtung auseinander: Zwar imitieren ihn alle, aber keiner weiß seine eigenständige Leistung zu würdigen. Einer der Gründe dafür ist, dass er nicht teilnimmt an dem ,Literaturbetrieb‘ mit Rezitationen und gegenseitigen Komplimenten. Aber auch der Neid auf ihn, Augustus’ Günstling, spielt eine Rolle. 1,20 sendet das Buch hinaus in die Welt und malt ihm seine Geschicke vor; den Lesern soll es verkünden, wer sein Urheber ist. Die knappen, aber sehr persönlichen Angaben zu Horaz’ Herkunft, Ruhm, Temperament und Charakter bilden ein wirkungsvolles ,Siegel’. In Buch 2 der Epistulae tritt als zentrales Thema die Dichtung an die Stelle der Ethik. Der erste Brief ist Augustus gewidmet und setzt mit einem breit entfalteten Lob des Herrschers ein. Suetons Horaz-Vita zitiert aus einem Brief des Augustus an Horaz, in dem der Herrscher sich beklagt, dass Horaz nicht auch ihn in seinen Sermones (das heißt in den Satiren und früheren Briefen) als Ansprechpartner gewählt habe; so habe Horaz ihm den Brief 2,1 gewidmet. Dieser Brief ist in seiner Gedankenführung, Komposition und seinem Reichtum an Motiven ein kleines Juwel unter den Epistulae: Der Preis des Herrschers als Friedenskaiser bildet Anfang und Schluss; im umfänglichen Hauptteil präsentiert Horaz eine in weiten Teilen nur durch Namen und knappe Stichworte angedeutete römische Literaturgeschichte, die nicht eigentlich auf Informationsvermittlung zielt – dass all diese Fakten Augustus
D.
Römische Literaturgeschichte
Herrscherlob und recusatio
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Die Autoren der augusteischen Zeit
D.
ars scribendi und ars vivendi
bekannt sind, wird in schöner Urbanität, und sicherlich zu Recht, vorausgesetzt – , sondern auf die Kompetenz des Kunstrichters, die sich, wie Horaz rhetorisch geschickt konstatiert, bei Augustus schon bewährt hat. Als Kunstrichter aber muss Augustus Horaz’ Scheu vor der großen epischen Form billigen. Horaz bindet seine recusatio also in zwei Strategien ein: Er kombiniert sie mit einer umfänglichen Bekundung seiner Verehrung für den Kaiser, um ihr den Stachel persönlicher Ablehnung zu nehmen; zugleich appelliert er aber an Augustus’ ästhetisches Urteil. Der zweite Brief der Sammlung ist an Iulius Florus gerichtet, dessen Begabung als Jurist und Dichter Horaz in epist. 1,3 rühmt. Hier skizziert er in der Ansprache an diesen Vertreter der jungen Generation römischer Poeten die Situation des Schriftstellers in Rom und begründet das Nachlassen seiner eigenen poetischen Produktivität. Ironisch skizziert Horaz das Treiben der Schriftsteller, die sich gegenseitig in höchsten Tönen loben (der hier vorgestellte Elegiker, der Kallimachos und Mimnermos gleichgestellt werden möchte, könnte Properz sein); Horaz selbst hat diesen Ehrgeiz überwunden. Viel Mühe kostet ja die gute Dichtung und wichtiger noch als die rechte Dichtkunst ist die richtige Lebenseinstellung: Zufriedenheit mit bescheidenem Besitz, Genuss der Gegenwart, Freiheit von Todesfurcht und Aberglauben. In der Alternative zwischen Dichtkunst und Lebenskunst entscheidet Horaz sich für den Primat der Lebenskunst, der ars vivendi – doch tut er dies nicht nur mittels eines Gedichts, sondern auch innerhalb einer literarischen Gattung, die der Frage nach dem guten Leben in besonderer Weise gewidmet ist. So spielt der Brief die Strategien der recusatio auf einer anderen Ebene erneut durch.
f. De arte poetica (Epistula ad Pisones)
Die aristotelische Poetik
88
Der berühmteste der horazischen Briefe umfasst 476 Verse und hat die Dichtkunst zum Thema; seit Quintilian trägt er den Sondertitel De arte poetica (Von der Dichtkunst). Dieser Titel erweckt den Eindruck, es handele sich um Lehrdichtung im strengen Sinn. Das trifft – wie bei Ovids Ars amandi – nur begrenzt zu: Die Plauderei über Dichtung enthält vieles, was für den Dichter, den Kritiker und das Publikum zu beherzigen ist; sie gefällt sich aber auch in einer satirischen Verfremdung poetologischer Dogmatik. Horaz widmet diesen Brief den Pisones, einem Vater und seinen beiden Söhnen. Eine eindeutige Identifizierung dieser Männer ist nicht möglich. Die Epistula ad Pisones greift eine reiche Tradition auf und überträgt sie auf die römischen Verhältnisse. Die Poetik als Lehre von der regelgerechten Beherrschung der Technik oder Kunst der Dichtung wird erstmals bei Aristoteles systematisch von der Ausübung der Dichtkunst selbst unterschieden und damit zur eigenen Disziplin gemacht. Von Aristoteles’ Poetik ist allerdings nur das erste Buch erhalten, das die Dichtung allgemein, das Epos und vor allem die Tragödie behandelt; das zweite, vorwiegend der Komödie gewidmete Buch ist verloren. Ob diese für Aristoteles’ engeren Schülerkreis bestimmte Schrift Horaz bekannt war, ist fraglich; da sie aber hellenistische Traktate zur Poetik beeinflusst hat, wirkte sie zumindest indirekt auf ihn.
Horaz Horaz kannte vermutlich die poetologischen Schriften mehrerer hellenistischer Philosophen und Philologen (Theophrast, Herakleides Pontikos, Neoptolemos von Parion, Philodem); zur römischen Literatur lagen ihm Varros Werke De poetis und De poematis vor. Diese unterschiedlichen Vorgängerschriften haben in Aufbau, Material, Beispielen und ästhetischem Urteil auf die Ars poetica eingewirkt; aber zahlreiche Motive begegnen auch schon in den kunstkritischen oder literaturhistorischen Passagen der Sermones, Epistulae und Carmina. So ist die Dichtungslehre, bei aller Traditionsbindung, weit mehr als übertragenes griechisches Gut; sie enthält in mitunter ironischer Brechung die Quintessenz der poetologischen Prinzipien, an denen Horaz seine gesamte Dichtung ausgerichtet hat. Der Zentralbegriff der horazischen Ars poetica ist das decus oder decorum, das Geziemende, ein Konzept, das den ästhetischen Anspruch mit dem moralischen verbindet. Einen ästhetisch-moralischen Anspruch an die Kunst hat – unter dem Begriff des prépon, des Schicklichen und Angemessenen – auch schon der Aristotelesschüler Theophrast erhoben; bei Horaz wird das decus aber zur Leitidee eines klassischen Manifests, das auch als Reaktion auf die gegenklassischen Tendenzen zeitgenössischer Rhetorik verstanden werden kann. Wie Horaz in den Sermones und Epistulae die hellenistische Philosophie nicht schulgemäß systematisch rezipiert, sondern allenfalls als Bereicherung oder auch Kontrast zu einer populären Ethik verwendet, so schreibt er auch in der Ars poetica nicht als berufsmäßiger Kritiker, der sich professionell mit ästhetischer Theorie beschäftigt hat, sondern aus der Perspektive des gebildeten ,Praktikers’, der andere von seinen eigenen Erfahrungen profitieren lässt. Die Perspektive des manchmal amüsierten, manchmal irritierten Betrachters, der die Schwächen und Eitelkeiten des (in diesem Fall literarischen) Betriebs durchschaut und freimütig zu erkennen gibt, dass er es besser weiß, hat De arte poetica mit den Sermones und den übrigen Epistulae gemeinsam. Das Resultat dieser Sprechweise ist allerdings eine gewisse Einseitigkeit der didaktischen Haltung: Horaz weist umfänglich auf das hin, was der Dichter meiden soll; die positive Anweisung zum richtigen Dichten bleibt dagegen Stückwerk. Der Verzicht auf die Pose des Fachmanns reduziert auch den Anspruch der praecepta: Sie entspringen nicht systematischer Bewältigung des gesamten Feldes der Poetik, sondern punktuellen Kenntnissen, individuellem Geschmack, einem subjektiven Urteil und den Gepflogenheiten des römischen Literaturbetriebs. Den Charakter einer Lehrschrift deutet Horaz nur an und wahrt im Ganzen den Ton eines freundschaftlichen Briefes. Dennoch fehlt es der Schrift nicht an Systematik. Der erste Teil ist der téchne, das heißt der Dichtkunst gewidmet; daran schließen sich die Ausführungen zu den einzelnen Gattungen organisch an. Unter ihnen ist die Bühnendichtung besonders ausführlich, die Elegie sehr knapp behandelt, eine Gewichtung, die sich auffällig mit der aristotelischen Poetik berührt; in einer Zeit, in der Tragödien in Rom kaum noch aufgeführt werden, überrascht sie. Der letzte Teil ist dem Dichter gewidmet. Für eine solche Aufteilung fand Horaz sein Vorbild bei dem Epikureer Philodem von Gadara, dessen Schrift Peri poiema´ton in die Teile Dichtung, Gedicht und Dichter unterteilt war, oder auch bei Neoptolemos von Parion, einem Philosophen aus dem weiteren Umkreis des Peripatos (Schule des
D. Hellenistische Poetik
decorum
Sprechhaltung
Aufbau
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Die Autoren der augusteischen Zeit
D.
Aristoteles), der eine Zweiteilung in téchne und technítes, Kunst und Künstler vornahm. Neoptolemos soll er auch sonst rezipiert haben (vgl. Porph., ad a.p. 1); insbesondere die vielzitierte horazische Definition von Zweck und Wirkung der Dichtung ist wohl auf ihn zurückzuführen: prodesse und delectare
Aut prodesse volunt aut delectare poetae aut simul et iucunda et idonea dicere vitae. (333 f.) „Nützen wollen die Dichter oder erfreuen / oder zugleich das Angenehme und das im Leben Förderliche darlegen.“
Ausgewogenheit und Stimmigkeit
Technik und Genie
Mimesis
Der Einsatz der Ars stellt für die Dichtung das Postulat schlichter Ausgewogenheit und innerer Stimmigkeit auf: Als abschreckendes Beispiel einer Kunst, die effekthascherisch das Richtige verfehlt, dient ein Gemälde, in dem Menschengestalt und Pferdekopf, Federn und Fischschwanz vereint sind (1 ff.). Zwischen Wagemut und sorgsamer Zurückhaltung, zwischen Innovation und Traditionsbindung muss der Dichter das rechte Maß finden; die Arbeit der Feile darf er nicht scheuen, und Kritik soll er dankbar annehmen (385 ff.; ein Seitenhieb gegen das römische Publikum, das in seinem Urteil allzu großzügig ist, geht 262 ff. voran). Nichts darf er wagen, was jenseits seiner Begabung liegt, und vor allem muss er sich vor der Lächerlichkeit genialischer Selbstdarstellung hüten: Die witzige Schilderung des wahnsinnigen Dichters, die die Ars poetica abschließt, verunstaltet das schon in der Antike viel diskutierte Phänomen dichterischer Begeisterung (furor poeticus) zum Zerrbild; Horaz lässt keinen Zweifel an seiner Ablehnung einer Kunst, die nur auf das ,Genie‘, und nicht zugleich auf die Beherrschung der Technik und die mühsame Arbeit des Ausfeilens rekurriert. In der Frage, ob natürliche Begabung (ingenium beziehungsweise natura) oder Technik (ars) für den Dichter wichtiger seien, bezieht er demgemäß eine vermittelnde Position: Keines kommt ohne das andere aus (408 ff.). Die poetische Sprache soll zurückhaltend im Einsatz von neuen und ungewohnten Begriffen sein, der Versbau regelgerecht und ausgefeilt, die Komposition ausgewogen und in Form und Gedankenfolge geordnet; die Charakterzeichnung muss das Individuelle unter Beachtung des Typischen, Repräsentativen darstellen, um glaubwürdig zu sein. Zwei Bezugspunkte gibt es für den guten Dichter: die Natur und die griechische Kunst. An beiden orientiert sich die Mímesis (Nachahmung); aber wie die Natur nachzuahmen ist, lernt der römische Dichter aus den griechischen Vorbildern. So ist die Nachahmung der Griechen ein zentrales Postulat der Ars poetica.
III. Livius a. Leben und Werk im Überblick Biographie
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Über Livius’ Leben und Persönlichkeit ist wenig bekannt. Eine eigene vita aus der Antike gibt es für ihn nicht. Er entstammt einer vermutlich wohlhabenden Familie in Patavium (Padua) und lebte (nach widersprüchlichen Angaben in der Chronik des Hieronymus) von 64 oder 59 v. Chr. bis 12 oder
Livius 17 n. Chr. In Padua und in der Hauptstadt entstand seine Schrift Ab urbe condita, eine Darstellung der Geschichte Roms von den mythischen Ursprüngen bis hin zu Drusus’ Tod im Jahr 9 v. Chr. Die insgesamt 142 Bücher wurden etwa seit 27 v. Chr. sukzessiv veröffentlicht, die letzten 23 wohl erst posthum; ihren Autor machten sie schon zu Lebzeiten berühmt. Bezeugt, aber nicht erhalten sind für ihn außerdem Dialogi mit philosophischem Inhalt (Seneca, epist. 100,9) und ein Brief an seinen Sohn über Rhetorik (Quintilian, inst. 10,39). Livius stand Augustus nahe; ob er auch Kontakt mit den Schriftstellern seiner Zeit pflegte, ist ungewiss. Einige Parallelen zwischen Buch I und der Aeneis (zum Beispiel die Episode um Hercules und Cacus, Aen. 8,190 ff.) lassen einen Austausch mit Vergil vermuten. Augustus soll Livius einen Anhänger von Pompeius (Pompeianus) genannt haben (vgl. Tacitus, Ann. 4,34,3). Das dürfte sich auf eine freundliche Darstellung des Pompeius und seiner Leistungen beziehen; ob Livius bis zu deutlicher Caesar-Kritik ging, ist aber nicht zu klären; Augustus hat in seinem Urteil vermutlich Scherz mit Ernst gemischt. Ab urbe condita hat früh große Wirkung entfaltet; bereits Ovid hat die Schrift für seine Fasti benutzt. Im dritten Jahrhundert n. Chr. verwandte der in griechischer Sprache schreibende römische Historiker Cassius Dio Livius als Quelle vor allem für die Anfänge augusteischer Herrschaft. Bis ins vierte Jahrhundert hinein war er weithin bekannt. Im Mittelalter geriet er in Vergessenheit, die Renaissance sammelte dann das Erhaltene und widmete ihm neue kritische Ausgaben. Livius’ Großwerk trug dazu bei, dass viele frühere Werke römischer Historiographie nicht mehr gelesen wurden und verloren gingen. Aber auch er selbst blieb von Verstümmelung und Verlust nicht verschont; erhalten ist weniger als ein Viertel der Gesamtschrift, nämlich die Bücher 1 – 10 und 21 – 45; von den übrigen, 136 und 137 ausgenommen, existieren aber Periochae, Inhaltsüberblicke, die vermutlich im 4. Jahrhundert entstanden. Johannes Freinsheim hat im 17. Jahrhundert die fehlenden Bücher „wiederhergestellt“. Solche Rekonstruktionen waren sehr populär und gingen in LiviusAusgaben (Drakenhorch, 1738 ff. und andere) ein.
D.
Livius und die vergilische Aeneis Livius und Augustus
Rezeption und Überlieferung
b. Ab urbe condita Das Erhaltene lässt die Disposition des Stoffs und den Bauplan des Werks deutlich erkennen: Die Bücher 1 – 10 (1. Dekade) sind den mythischen Ursprüngen Roms und seiner frühen Geschichte (753 – 293) gewidmet. Die nur durch Periochae kenntlichen Bücher 11 – 20 (2. Dekade) umfassen den Zeitraum von 293/2 bis zum Beginn des 2. Punischen Krieges. Die Bücher 21 bis 40 (3. und 4. Dekade) behandeln die Jahre 219 – 167 und damit auch den Zweiten Punischen und den Makedonischen Krieg. Die Buchgruppe 41 – 45 schildert das Engagement der Römer im griechischen Raum; sie ist teilweise verstümmelt überliefert. Im Zentrum von 46 – 60 steht die Gestalt des jüngeren Scipio, des Siegers über Karthago im 3. Punischen Krieg. Die drei Dekaden 61 – 90 behandeln den Bürgerkrieg zwischen Marius und Sulla, 91 – 120 den Aufstieg von Pompeius und Caesar und den Krieg zwischen
Disposition des Stoffes
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Die Autoren der augusteischen Zeit
D.
Dekaden und Pentaden
Einfluss der Annalistik
Historiographische Methode; Reden
,Inszenierung‘ von Historie
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beiden; es folgt die Geschichte der unmittelbaren Vergangenheit und Gegenwart. Der Überblick zeigt bereits, dass Livius im Lauf der Jahre immer umfänglicher erzählt. Während die erste Hälfte seines Werkes sieben Jahrhunderte umfasst, ist die gesamte zweite Hälfte den Jahrzehnten gewidmet, die er selbst erlebt hat. Für Buch 142 referiert die Perioche Drusus’ Tod und Bestattung. Ob er den Abschluss bilden sollte oder ob Livius durch den Tod daran gehindert wurde, sein Werk – vielleicht bis zu Augustus’ Tod – zu vollenden, ist nicht zu klären. Dass jeweils Einheiten von zehn beziehungsweise fünf Büchern erhalten sind, ist kein Zufall: In solchen Dekaden oder Halbdekaden (beziehungsweise Pentaden) wurden die Bücher ediert. Teilweise ist diese Editionspraxis durch die Stoffgliederung zu rechtfertigen, die jeweils fünf, zehn oder fünfzehn Bücher zu einer thematischen Einheit zusammenfasst. Allerdings gibt es Indizien, dass Livius das Prinzip der Pentaden oder Dekaden nach Buch 50 nicht aufrecht erhalten konnte: Das Ende des 3. Punischen Krieges fällt in das 51. Buch; Caesar war die Zentralfigur der Bücher 103 – 120, und innerhalb dieser Gruppe erzählten die Bücher 109 – 116 vom Bürgerkrieg (weshalb sie auch unter dem Separattitel Bellum civile zitiert werden). Livius’ Werk bildet eine Gattungssynthese zwischen Annalistik und historischer Monographie: Der Annalistik entspricht die jahrweise fortlaufende Erzählung von der Gründung Roms bis in die eigene Zeit wie auch die allerdings mit wechselnder Konsequenz gewahrte Erzählfolge, die jeweils zu den einzelnen Jahren den Amtsantritt der leitenden Beamten, ihre Aufgabenbereiche, die wichtigsten Senatssitzungen und religiösen Handlungen, die Wahl der Priesterkollegien und die Neuwahl der Konsuln für das folgende Jahr protokolliert. Ein Erbteil der historischen Monographie sind die durch spezifische Schwerpunkte geprägten Einheiten, die innerhalb dieses Grundgerüstes entstehen. Sie sind auch durch hervorgehobene Endpunkte oder Neueinsätze äußerlich als in sich geschlossene Komplexe gekennzeichnet. Es geht Livius nicht um das bloße Faktenreferat, sondern um das Verständnis der historischen Prozesse, ein Verständnis, das jeweils auf Einsicht in die Gedanken, Stimmungen und Motive der Akteure basiert – eine historiographische Methode, die im griechischen Raum vor allem Thukydides und Polybios vertreten, der aber auch und ganz besonders die sallustischen Geschichtswerke verpflichtet sind. Diese Einsicht versucht Livius dem Leser zu vermitteln, indem er die Personen analysiert oder auch ihre Gedanken und Worte selbst ,protokolliert’. Die direkte Rede ist daher ein wichtiges Gestaltungselement; sie bietet Livius die Chance, über 400 kleine rhetorische Glanzstücke zu schaffen. Manche dieser Reden sind aufeinander zukomponiert – wie etwa die von Scipio und Hannibal in 21,40 ff. Aber auch Einzelepisoden stehen innerhalb eines Buches oder einer Buchgruppe in programmatischer, zum Teil kontrastiver Analogie zueinander, so in Buch 6 die Eroberung Veiis durch die Römer und die Eroberung Roms durch die Gallier. Neben solch kontrapunktischer Komposition wendet Livius aber auch die Form der sich steigernden verschränkten Sequenz an; die Erzählung wechselt ständig zwischen dem innenpolitischen und außenpolitischen Bereich;
Livius hier wie dort entfalten sich eskalierende Konflikte, die einer Lösung entgegendrängen; immer deutlicher tritt dabei der innere Konnex der beiden Handlungsstränge hervor. Einige Episoden (zum Beispiel die der Lucretia in Buch 1) sind nach Art der griechischen Tragödie aufgebaut – mit Exposition, Klimax, Peripetie und Katastrophe. Diese ,Inszenierung’ von Historie dürfte es Ovid erleichtert haben, für seine Fasti auch die livianische Darstellung römischer Geschichte zugrunde zu legen. Das Geschichtsbild entspricht zeitgenössischer Ideologie und deutet die augusteische Zeit als Chance einer Erneuerung der alten res publica, deren Stärke in der sittlichen Integrität des Volkes und seiner Führungsschicht bestand. Die legendenhafte Erzählung von der Vertreibung der Könige nach dem Übergriff des Prinzen Sextus Tarquinius auf die Matrone Lucretia ist hierfür exemplarisch: Nicht die Einschränkungen der Freiheit und politischen Gestaltungsfähigkeit, sondern die sittliche Verwahrlosung der Könige führt zum Sturz der Herrscher. Dass Livius die römische Geschichte vom Standpunkt eines Moralisten betrachtet, macht besonders sein Exempelgebrauch deutlich, der einem klaren Programm unterliegt: Die Taten der Vorfahren demonstrieren eine moralische Qualität, die Roms Ruhm und Größe begründet hat. Diese zu erhalten, liegt in der Verantwortlichkeit des Einzelnen, dessen Handeln nicht auf subjektives Glück, sondern auf virtus im Dienst der res publica auszurichten ist. In diesem ethisch-patriotischen Konzept steht Ab urbe condita der Aeneis nahe, führt aber zugleich die Tradition moralischer Geschichtsschreibung fort, die für die Römer so bezeichnend ist. Das Leitprinzip römischer Geschichte ist für Livius der Konflikt zwischen der Eintracht (concordia) von Aristokratie und plebs und den diese Eintracht zerstörenden Eigeninteressen oder Maßlosigkeiten einzelner Personen und Gruppen. Dieser Widerstreit prägt schon die frühe römische Geschichte, doch gelingt es in der älteren Zeit, ihn zu bändigen und die concordia wiederherzustellen. Die Revolutionsepoche vom ausgehenden 2. bis zur Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. ist dann die Verfallszeit, die unter Augustus überwunden werden soll. Implizit wird auch ihm auf diese Weise das Ideal der Mäßigung, des Ausgleichs der Interessen und der Beschränkung des eigenen Anspruchs anempfohlen. Zwar folgt Livius gelegentlich – so vor allem im Proömium – dem pessimistischen Geschichtsbild Sallusts, der im Fortschreiten der Zeit auch den sittlichen Verfall Roms vollzogen sah; in seinem Gesamttenor ist sein Geschichts- und Rombild aber doch von verhaltenem Optimismus: Der Bedrohung, die immer wieder aus dem Fehlverhalten einzelner erwächst, wirken große Leistungen und die Selbstheilungskräfte des römischen Volkes entgegen; diese positiven Gegenkräfte zu fördern, sieht Livius als die historische Aufgabe der augusteischen Politik an. Nationalpatriotischen Interessen entspricht es auch, dass Livius für das kulturelle Leben der Römer autochthone römische Quellen zu bestimmen sucht. So führt er zum Beispiel den Ursprung des Theaters auf genuin römische Bräuche zurück (7,2) und schreibt auch den kapitolinischen Iuppiter-Tempel, einen ursprünglich etruskischen Bau, den Römern zu (7,3). Livius’ Beschwörung der großen Vergangenheit als Orientierungshilfe, um die Krisen der Gegenwart zu bewältigen, und die Reduktion historischer Pro-
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Zeitgenössisches Geschichtsbild
Ideal der concordia
Verhaltener Optimismus
Idealisierung der Vergangenheit
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Die Autoren der augusteischen Zeit
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Augustusbild
Quellen
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zesse auf das Gegenspiel von Laster und Tugend, Eintracht und Zwietracht mag aus heutiger Sicht naiv erscheinen. Die Unterschiede zwischen einem Stadtstaat und einem Weltreich ignoriert Livius ebenso wie die zwischen Republik und Prinzipat, und die aggressive Außenpolitik der Römer, ihre Expansions- und Eroberungspolitik, stellt er nicht in Frage. Allerdings ist zu bedenken, dass eine solche ethische Perspektive und ein Rombild, das sein Vertrauen auf die individuelle virtus und die durch Einsicht und Mäßigung hervorgebrachte concordia der Stände legt, auch stoischer Philosophie in römischer Prägung entspricht: So ist die erste livianische Dekade nicht nur augusteischer Ideologie nahe, sondern auch der Moralphilosophie, die Cicero in De officiis und in seinen staatsphilosophischen Schriften vertritt (vgl. de off. 2,22,78 und 2,23,83; de leg. 3,28). Das livianische Augustusbild kann nur aus Andeutungen oder vermuteten Analogien erschlossen werden; entsprechend uneinheitlich urteilt hier die Forschung. Augustus wird, wie auch sonst in der augusteischen Literatur, vor allem als Friedensherrscher gepriesen, der den seit Generationen geöffneten Ianustempel geschlossen hat (1,19,3). In Livius’ Bewunderung der republikanischen Frühzeit, in seiner Idealisierung der ihre Herrschaft maßvoll ausübenden Politiker und auch in der rundum positiven Wertung des Königs Servius Tullius, der auf die Königswürde habe verzichten wollen, mag man eine Distanzierung von Augustus und ein Bekenntnis zur Republik sehen. Doch können die betreffenden Motive ebenso gut als exempla römischer virtus aufgefasst werden, die keine fundamentale Prinzipatskritik beinhalten, sondern auf die richtige Art der Herrschaftsausübung verweisen. Als sicher kann gelten, dass Livius die von Augustus geplante Sittenreform für notwendig, wenngleich noch lange nicht für vollendet hielt. In seiner archaisierenden Tendenz, in der Verklärung republikanischer Politiker und Feldherren zu exempla der virtus, in dem besonderen Anspruch, den er gegenüber der Aristokratie vertritt, und in seinem Geschichtsmodell, das Heilung für die Leiden der Gegenwart in der Orientierung an der Vergangenheit sieht, ist Livius jedenfalls ein echter Augusteer; wenn er einen Widerspruch zwischen Augustus’ Politik und der republikanischen Freiheit sah, hat er ihn – zumindest in den erhaltenen Teilen – nicht artikuliert. Livius ist ein Erzähler von Geschichte, kein wissenschaftlich arbeitender Historiker: Sein Material gewinnt er nicht aus Archiven und wohl auch kaum aus Augenzeugenberichten, sondern aus literarischen Quellen: Der ältere Cato (Origines) und Fabius Pictor, Polybios und Poseidonios, Caesar, Sallust und Varro, aber auch Livius’ etwas ältere Zeitgenossen Asinius Pollio, Valerius Antias, Coelius Antipater, Licinius Macer und Claudius Quadrigarius und der etwa gleichzeitige Dionysios von Halikarnassos kommen hier in Frage. Für einzelne thematische Einheiten sind auch jeweils Sonderquellen verschiedener Art wie Familienchroniken oder auch die römischen Stoffen gewidmete Dramenform der fabula togata (Ennius und andere) wahrscheinlich. Mit divergierenden Quellen verfährt Livius nicht einheitlich: Manchmal begründet er, welche Version er für die wahre oder wahrscheinlichere hält, manchmal entzieht er sich einer Entscheidung. Historische Kritik übt er nur in Maßen: Im Großen und Ganzen orientiert er sich für die einzelnen Bücher oder Buchteile an jeweils einer Hauptquelle, ohne sie in allen Details mit seinen anderen Quellen abzugleichen. Beim Wechsel zu einer anderen
Livius Hauptquelle können dann Widersprüche entstehen, die der Autor etwas mühsam zu verdecken sucht. Ob die gelegentlichen Fehldatierungen, Ungenauigkeiten und Verfälschungen der historischen ,Wahrheit‘ (soweit diese zu ermitteln ist) im Einzelfall auf sein eigenes Konto oder auf das seiner Quellen gehen, ist nur selten zu klären. Dass es Rückprojektionen jüngerer Institutionen oder Verhältnisse auf die römische Frühzeit gab, ist nahe liegend und in Einzelfällen auch nachzuweisen. Ob ältere Krisen und ihre Akteure planvoll und anspielungsreich nach dem Muster neuerer und auch zeitgenössischer Ereignisse von Livius stilisiert werden, ist umstritten; nicht verkennen darf man, dass einerseits die historischen Fakten selbst dazu neigen, einige Basiskonflikte zu wiederholen, andererseits aber auch die livianische Erzähltechnik das Geschehen in wiederkehrende Strukturen und Wertungsmuster einbindet. Parallelen und Analogien zwischen einzelnen Episoden dürften aber auch aus dem Wunsch resultieren, für schlecht bezeugte Epochen der römischen Geschichte attraktive Einzelschicksale zu generieren. Andererseits kann archäologische Forschung viele bei Livius überlieferte Details im Kern bestätigen oder zumindest als fehlerhafte Auslegung eines im Prinzip zutreffenden Sachverhalts erklären. Der vielfach nachweisbaren Tendenz römischer Annalistik, ein romfreundliches Bild zu zeichnen und einzelne prominente Familien kontinuierlich in ihren Vertretern zu präsentieren, hat sich auch Livius nicht entzogen. Pro-römisch stilisiert er auch dort, wo Polybios eine andere und wohl objektivere Version bot. Livius’ Perspektive auf die Ereignisse, die er selbst miterlebt hat, die Bürgerkriege und Augustus’ Herrschaft, ist leider nur in Fragmenten erhalten; es wäre auch für die Bewertung der ersten Hälfte seines Werkes von Interesse zu wissen, in welchem Bereich zwischen Geschichtstreue und Verklärung er sich bei Ereignissen bewegt, die er und sein Lesepublikum selbst miterlebt haben. Einen flüchtigen Eindruck vermitteln einige Fragmente, darunter vor allem Livius’ Nachruf auf Cicero (Sen. Pater, suas. 6,17 – 22). Livius’ Stil ist abwechslungsreich und von fast ciceronischer Eleganz; der vergleichsweise häufige Gebrauch von Partizipialkonstruktionen ist zugleich stilistische Eigenart und Element der Erzähltechnik, das es Livius ermöglicht, den Geschehensbericht mit Hintergründen und Wertungen zu untermalen. Als ,klassischen Autor‘ kennzeichnet ihn neben der reflektierten Komposition die trotz gelegentlicher Anleihen aus dem kolloquialen oder poetischen Bereich im allgemeinen gemäßigte Sprache. Die Tendenz zur breiten und wortreichen Darstellung hat Quintilian als lactea ubertas (,milch’reine Fülle) bezeichnet; er vergleicht ihn hierin mit Herodot (inst. or. 10,1,32 und 101). Ich gehe im folgenden Text ausführlich auf die Vorrede (praefatio) und die erste Dekade ein: Die Vorrede klärt Thema und Intention des Werks; sie vermittelt zugleich im Umriss das livianische Urteil über Roms Geschichte. Auf die große Zahl seiner Vorgänger verweist Livius respektvoll, aber ohne Namen zu nennen; und im Hinweis, dass zahlreiche neuere Geschichtsschreiber versuchten, die römische Geschichte verbürgter oder kunstvoller darzustellen, schwingt Distanz zu solchem Anspruch mit. Die Faktizität der göttlichen Ursprünge Roms – Livius verweist auf Mars –
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Rückprojektionen
Stil
praefatio
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Die Königszeit; Lucretia
Bedrohung und Stärkung
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wird im Sinne symbolischer Wahrheit relativiert: Den Völkern, und zumal den Römern, soll es erlaubt sein, ihre Anfänge zu überhöhen; solchen Anspruch akzeptieren die fremden Völker ebenso, wie sie die römische Vormacht dulden. Eher düster wirkt die knappe Skizze, die Roms Geschichte in drei Epochen einteilt und als Kurve von Aufstieg und Abfall deutet: Den Weg zur Weltmacht vollzog Rom durch militärische und moralische Stärke; sittlicher Verfall bewirkte zunächst einen allmählichen Niedergang, dann den jähen Sturz zur Krise der Gegenwart, in der die Römer (Livius sagt: nos, wir) weder die eigenen Laster noch deren Heilmittel ertragen können (9). Der Verzicht auf einen Ausblick in Roms (bessere) Zukunft ist als Zeichen für Livius’ Pessimismus aufgefasst worden. Umgekehrt hat man aber auch die besondere Akzentuierung der positiven Epoche römischer Frühzeit (11f.) und die Möglichkeit, sie – zumindest gedanklich – in die eigene Gegenwart zurückzuholen (5: prisca illa tota mente repeto – diesen alten Zuständen wende ich mich mit ganzem Herzen zu), als Signal eines im Grunde optimistischen Geschichtsbildes gedeutet. Aufs Ganze gesehen spricht zweifellos mehr dafür, die verklärende Darstellung der Vergangenheit nicht als Eskapismus, sondern als Appell zu werten. Livius sieht in seinem eigenen Werk einen Beitrag zur Restauration früherer Moralität, bestimmt er doch das Ziel seiner eigenen Arbeit ausdrücklich didaktisch: Der Leser soll sein Werk als Sammlung von Beispielen für gutes und schlechtes Handeln wahrnehmen und so erkennen, was er nachahmen oder meiden muss (10). Buch 1 entfaltet die Anfänge Roms, von Aeneas’ Aufbruch aus Troia bis zum Ende der Königszeit; verschiedene Gestalten und Episoden (Euander, Hercules, Cacus) lassen die Aeneis anklingen. Roms Frühgeschichte stellt sich zunächst als eine Folge von Kriegen und Konflikten dar, aus denen die Stadt stets gestärkt hervorgeht; im Vergleich zwischen Romulus und seinem Nachfolger Numa Pompilius hebt Livius aber auch die Bedeutung der Künste des Friedens (pacis artes, 1,21,6) für das Wohlergehen der Stadt hervor. Seine Bewunderung gilt dem König Servius Tullius, der nicht nur gerecht regierte, sondern auch vorgehabt haben soll, seine Herrschaft niederzulegen und Rom die Freiheit zu geben (1,48,9). Der Sohn des ihm nachfolgenden Usurpators Tarquinius Superbus löst durch ein Verbrechen den Sturz der Monarchie aus: Er vergewaltigt die vornehme römische Matrone Lucretia, die, nachdem sie ihn bei ihrem Vater und ihrem Gatten Collatinus verklagt hat, ihrer ,Schande’ durch Selbstmord entgeht; unter der Führung des Aristokraten Brutus vertreibt das über Lucretias Schicksal empörte römische Volk die Könige und gibt sich die Staatsform der res publica. Die Bücher 2 bis 5 inszenieren die römische Geschichte als Wechselspiel von Bedrohung und Stärkung. Buch 2 erläutert zunächst die nach der Vertreibung der Könige entstehenden politischen Institutionen, wobei auch der Neuordnung des Götterkults viel Raum gewidmet ist. Einen umfänglichen Teil des Buches nimmt der Angriff der mit dem vertriebenen Tarquinius Superbus verbündeten Etrusker unter Lar Porsenna ein; in drei Episoden lässt Livius drei Gestalten verschiedenen Geschlechts und Alters (Horatius, Mucius, Cloelia) die römische Unbeugsamkeit repräsentieren. Der Krieg mit den Sabinern bewirkt, dass zum ersten Mal ein dictator eingesetzt wird. Die Verarmung der Landbevölkerung, die von Wucherern bedrängt wird, führt
Livius zum Beginn der Ständekämpfe; ein Teil der Plebeier verlässt die Stadt und besetzt einen nicht weit entfernt liegenden Berg. Mit der Fabel vom Magen und den Gliedern kann der Patrizier Menenius Agrippa die Plebeier von der Notwendigkeit überzeugen, zugunsten des Gesamtkörpers, der res publica, zusammenzuwirken. Die Plebeier kehren zurück, setzen aber die Einrichtung des Volkstribunats durch. Der römische Patrizier Coriolanus, der als Feldherr der Volsker Rom belagert, lässt sich von seiner Mutter umstimmen und gibt die Stadt frei. Die Römer erobern die Etruskerstadt Veii und führen erneut und erfolgreich Krieg gegen die Volsker. Buch 3 führt die Themen von Buch 2 fort. Die Verteilung von Staatsland an die Bevölkerung, deren Scheitern schon in Buch 2 referiert wurde, wird erneut von den Patriziern verhindert; der Krieg mit den Volskern und Aequern geht weiter. Ein Kollegium aus zehn Männern (decemviri) wird mit der Aufzeichnung des gültigen Rechts beauftragt. Die umfänglichste Episode des Buches steht in enger Entsprechung zu der Lucretia-Geschichte aus Buch I: Der Decemvir Appius Claudius versucht, sich kraft seines Richteramtes der jungen Verginia zu bemächtigen; der Vater des Mädchens sieht keinen anderen Weg, die Tochter vor Schande zu retten, als sie zu erstechen. Eine erneute Auswanderung der plebs aus der Stadt bewirkt, dass die Patrizier die berechtigten Interessen der Plebeier respektieren. Auf zwölf Tafeln werden die Gesetze öffentlich ausgestellt (duodecim tabulae), die Macht der Tribunen wird gestärkt. Der Reiz der Bücher 2 und 3 liegt darin, dass die Ereignisse der Innen- und Außenpolitik nicht als bloße Handlungssequenz dargestellt, sondern in einem inneren Konnex verbunden sind. Eintracht, concordia konstituiert die äußere Stärke des Staates; sie wird gefährdet durch patrizische Arroganz, aber die Einsicht einzelner Patrizier rettet sie in Krisenzeiten. Buch 4 berichtet von kriegerischen Auseinandersetzungen mit verschiedenen italischen Städten; innenpolitisch stehen die Bemühungen der plebs, sich durch das Amt des Militärtribunen konsularische Gewalt zu sichern, und Streitigkeiten um die Amtsdauer der Zensoren im Vordergrund. Der Krieg gegen Veii setzt sich fort; er steht dann im Zentrum von Buch 5. Die Eroberung der Stadt erweist sich fast als fatal für Rom, denn die plebs erwägt ernsthaft die Auswanderung nach Veii. Neue Einigkeit stiftet das gemeinsame Bemühen der Stände, den Göttern den ihnen geschuldeten Anteil an der Beute zukommen zu lassen. Die Gallier (ein ethnographischer Exkurs, 5,33,4 – 35,3, lässt diesen neuen Gegner plastisch hervortreten) belagern und erobern Rom, nur das Kapitol kann gehalten werden. Eine Seuche unter den Galliern erzwingt Friedensverhandlungen; die Römer erhalten Gelegenheit, sich von der Besatzung freizukaufen, aber der dictator Camillus beendet die Übergabe des Goldes und besiegt die Feinde. Camillus ist als kompetenter Feldherr und maßvoll agierender Politiker die prominenteste Gestalt in Buch 5 und 6; Livius hat ihn als hohes Vorbild, vielleicht auch für Augustus, stilisiert. Der Belagerung Veiis durch die Römer (in Einzelzügen an die griechische Belagerung Troias angeglichen) steht die Belagerung Roms durch die Gallier kontrapunktisch gegenüber. Aber der Triumph ist für die Römer gefährlicher als die Niederlage, die neue Kräfte wachruft. Camillus’ Eingreifen ist sicher unhistorisch: Livius beschert den Römern ein Happy End auf Grund ihrer Stärke, nicht auf Grund ihres Reichtums.
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Verginia
Veii, die Gallier
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D. Konflikte mit italischen Städten und den Galliern
Samnitenkrieg
Alexanderexkurs
3. Dekade
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Die Bücher 6 – 10 schildern hauptsächlich Konflikte mit italischen Städten und den Galliern. Aber wieder kommt Bedrohung auch von innen: Eine wichtige Episode in Buch 6 ist dem früheren Militärtribunen M. Manlius Capitolinus gewidmet, der das Kapitol gegen die Gallier gehalten hatte. Er wiegelt das Volk auf, wird angeklagt, nach der Königskrone zu streben, und, zum Tode verurteilt, vom tarpeiischen Felsen gestürzt. Manlius ist als Gegenbild zu Camillus gezeichnet; die Erzählung erinnert kaum zufällig an das Geschick der Gracchen, aber auch an Catilinas Aufstand. Ein für die politische Entwicklung und den Erhalt der concordia bedeutsames Ereignis akzentuiert den Schluss des 6. Buches (6,42,10): Die Plebeier setzen ihre Zulassung zum Konsulat durch. Ein Höhepunkt römischer Schande scheint erreicht, als zwei römische Heere gemeinsam in einer Ebene zwischen zwei Bergpässen (den Caudinischen Pässen) von den Samniten eingeschlossen werden (9,1 – 11). Doch in Verblendung lassen die Samniten die Chance, die Römer vernichtend zu schlagen oder aber zu Freunden zu gewinnen, verstreichen: Gegen den Rat eines früheren Anführers zwingen sie die Eingeschlossenen, den Frieden zu beeiden, alle Waffen abzulegen und – Zeichen der Versklavung – unter dem Joch hindurch abzuziehen. Der nach Rom zurückgekehrte Feldherr Spurius Postumius erklärt im Senat, der Eid binde nur ihn und die Offiziere, die ihn geleistet hätten, der Senat möge also die Garanten des Eides an die Samniten ausliefern und den Krieg gegen sie fortführen. Der Senat stimmt zu, die Samniten weisen aber die Geiseln zurück und verlangen die Einhaltung des Eides. Die Römer verweigern ihnen den Friedensvertrag, in mehreren Schlachten unterliegen die Samniten und ihre Verbündeten. Postumius’ Verhandlungen mit den Samniten und die nachträgliche Ablehnung seines Vertrags im Senat haben ein deutliches Analogon im Schicksal des römischen Feldherrn vor Numantia, Mancinus, im Jahr 136; diese jüngere Episode dürfte in Livius’ Darstellung beziehungsweise in seinen Quellen die der Samnitenkriege beeinflusst haben. Kritiklos schildert Livius, wie die fatale Entscheidung der Samniten und die kasuistische Lösung des Senats zustande kommen; nicht nach Recht und Gesetz misst er das Geschehene, sondern nach der moralischen Größe: An ihr versagen die Samniten, als sie das römische Heer demütigen; die Römer dagegen bewähren sich durch ihre Opferbereitschaft für das Vaterland. In einem Exkurs geht Livius auf Alexander ein (9,16,19 ff.). Seine Zeichnung des Makedonenkönigs ist als indirekte Pompeius-Kennzeichnung aufgefasst worden. Den düsteren Schlusspunkt von Buch 10 bildet eine Seuche, deren Gegenmittel, die Überführung des Gottes der Heilkunst Aesculap nach Rom, sich aber schon abzeichnet. Die Bücher 21 – 30 sind dem 2. Punischen Krieg gewidmet, den Livius einleitend als den denkwürdigsten von allen bezeichnet (bellum omnium maxime memorabile). Die besondere Geschlossenheit der Dekade verdankt sich dieser thematischen Einheit und vielleicht auch der Hauptquelle, dem „Bellum Punicum“ des L. Coelius Antipater (2. Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr.), von dem nur Fragmente erhalten sind. Quelle für die Ereignisse in Spanien war vermutlich Valerius Antias. Die Dekade, in der die 18 Kriegsjahre in unregelmäßiger Verteilung auf die 10 Bücher dargestellt werden (die Bücher umfassen zwei bis vier Jahre;
Livius nur in der Mitte, in Buch 25, fallen Jahresende und Buchende zusammen), ist in sich sorgfältig untergliedert: Buch 21 und 22 schildern die Bedrohung Roms bis zu ihrem Höhepunkt, der Schlacht bei Cannae; 29 und 30 stellen dazu das Gegenstück dar, die Gegenoffensive der Römer in Afrika unter Scipio. Das Zwischenstück, Buch 23 – 28, reicht von der Zeit nach Cannae (216) bis zu Scipios Konsulat im Jahr 205. Dem Gliederungsschema 2 – 6 – 2 ist ein zweites Schema aus zwei Pentaden untergelegt; die erste Pentade stellt Hannibals Triumphe dar, die zweite sein Scheitern. Beziehungsreich beginnt die erste Pentade (Buch 21) im Jahr 218, mit Hannibals erstem Marsch von Spanien über die Alpen nach Italien; die zweite setzt im Jahr 211 ein, mit Hannibals erneutem Versuch, Rom zu erobern, einem Unternehmen, das gänzlich erfolglos bleibt. Bereits das Proömium (Einleitung) zu Buch 21 weist voraus auf den Sieg der Römer; so werden Hannibals Großleistungen der Jahre 218 bis 216, denen die Bücher 21 und 22 gewidmet sind, von Anfang an relativiert. Auch verdeutlicht Livius immer wieder – gerne durch den Mund römischer Bundesgenossen oder sogar der Feinde Roms – , dass das Recht auf Roms Seite ist: Rom führt einen gerechten Krieg (bellum iustum) zum Schutz seiner Bürger und der Bundesgenossen. Und dass die Römer anfangs Niederlagen hinnehmen müssen, ist in Livius’ Perspektive nicht dem Versagen des Heeres anzulasten, sondern widrigen Umständen oder allenfalls der Schwäche einzelner Feldherren wie Flaminius. So wird auch im Unglück der Niederlage die moralische Überlegenheit der Römer nicht verdunkelt, sondern kann sich besonders profilieren. Dem wechselnden Kriegsglück sind die Bücher 23 – 25 gewidmet; in Buch 26 zeichnet sich das Scheitern der karthagischen Offensive ab. Ein Kapitel widmet Livius einer kleinen Charakterstudie des jüngeren Scipio (26,19,3 ff.). Dessen Charakterstärke und politische Klugheit bewähren sich eindrucksvoll, als er eine Kriegsgefangene von außergewöhnlicher Schönheit unangetastet ihrem Verlobten zurückerstattet (26,50). Die Bücher 27 und 28 verfolgen den Fortgang des Krieges in Italien und Spanien; eine Meuterei der Soldaten in Spanien gibt Scipio Gelegenheit, sein Geschichtsbild (beziehungsweise das des Livius) in einer großen patriotischen Rede darzulegen (28,27 ff.). Die in Buch 29 geschilderte Installation des Kults der Großen Göttermutter (Magna Mater deum) vom Idagebirge in Rom demonstriert römische Frömmigkeit, Grundbedingung des nahen Sieges. Buch 30 erzählt den Zusammenbruch Karthagos: Ein für Livius’ Rombild programmatisches Gespräch der Feldherren Scipio und Hannibal (30,30 ff.) leitet die Schlacht bei Zama und damit das Ende des Zweiten Punischen Krieges ein. Aber der Frieden mit Philipp von Makedonien erweist sich als brüchig, neue Konflikte stehen bevor. Die Buchgruppe 31 – 45 ist den Kriegen der Römer in Griechenland und Kleinasien gewidmet: 31 – 35 schildern den Krieg gegen Philipp von Makedonien, der mit dem Sieg der Römer endet, 36 – 40 den Konflikt mit Antiochos von Syrien, 41 – 45 den Kampf gegen Perseus von Makedonien, Philipps Erben. Die drei Themengruppen sind eng miteinander verbunden; der Krieg gegen Philipp steht zugleich auch unter dem Vorzeichen, die Römer nach Osten abzusichern. Interessant ist in diesem Kontext die Debatte, die sich nach der Niederlage Philipps in der Schlacht von Kynoskephalai
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bellum iustum
Scipio
Kriege in Griechenland und Kleinasien
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(197 v. Chr.) entspinnt (Buch 32): Das Konzept des Konsuls Flaminius, ein freies Griechenland als starkes Bollwerk gegen die Seleukiden in Ägypten und Antiochos in Kleinasien zu etablieren, kann sich nicht durchsetzen. Die Besetzung Griechenlands verwickelt die Römer in weitere Konflikte in Griechenland und Kleinasien. Der Außenpolitik korrespondiert in Livius’ Darstellung die Innenpolitik in Form einer Konkurrenz verschiedener Familien und Bündnisse – vor allem der gens Fulvia und der Anhänger Scipios und Catos – die in den außenpolitischen Geschäften und Krisen ihre Macht zu erweitern suchen. Einen übergreifenden Rahmen bildet auch das Thema der Rechtfertigung römischer Expansionspolitik: Buch 31 lässt aus griechischer Perspektive Kritik am aggressiven römischen Imperialismus laut werden; Buch 45 antwortet darauf mit drei prorömisch stilisierten Szenen: Antiochos unterwirft sich dem Urteil des römischen Senats; Perseus wird nach seiner Gefangennahme von dem römischen Feldherrn Aemilius Paulus bewirtet; König Prusias von Bithynien gratuliert dem römischen Senat zum Sieg über Perseus. Die historisch mehr als fragwürdigen Episoden lassen Roms Stärke, Milde und Gerechtigkeit hervortreten und rechtfertigen die römische Expansion als weltpolitische Ordnungsaufgabe.
IV. Vitruv a. Leben und Werk im Überblick
Überlieferung
Wirkungsgeschichte
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Vitruvs Praenomen ist nicht bekannt, die Handschriften führen nur das nomen gentile Vitruvius an. Über sein Leben gibt seine Schrift an einigen Stellen spärliche Auskunft: Als junger Mann nahm er in Caesars Heer, später unter Augustus das wichtige Amt des praefectus fabrum, des für die Kriegstechnik verantwortlichen Baumeisters, wahr. Den Bau der Basilica von Fano in Umbrien hat er als Architekt geleitet; ob es sich dabei im Kern um eines der heute noch vorhandenen Gebäude handelt, ist unsicher. In höheren Jahren – in der praefatio bezeichnet er sich als alten Mann – verfasste er De architectura, eine Prosaschrift in zehn Büchern, die Augustus gewidmet ist. Werkinterne Hinweise führen auf eine Entstehungszeit zwischen 31 und 14 v. Chr. Vitruvs Werk ist in zahlreichen Handschriften überliefert; zu Buch 6 (Privathäuser) existiert auch eine überarbeitete Fassung, die M. Cetius Faventinus gemäß den Bedürfnissen der eigenen Zeit im 3. Jahrhundert anfertigte. Im Mittelalter entfaltete Vitruv nur geringe Wirkung, umso wichtiger aber wurde er für die Renaissance. Vitruvs Erklärungen trugen zur Aufwertung des Architektenstandes bei und führten zu einer neuen Auseinandersetzung und zu einem vertieften Verständnis der Ruinen römischer Bauwerke; sie regten den Architekturdiskurs der frühen Neuzeit an und förderten die antikisierenden Stiltendenzen ebenso wie die Wiederbelebung des antiken Theaters. Die Schrift De re aedificatoria von Leon Alberti (1452) ist durch Vitruv angeregt und beeinflusst. Im 16. Jahrhundert wurden Vitruvs in der Überlieferungsgeschichte verlorengegangene Illustrationen durch neue Abbildungen ersetzt (Giovanni Giocondo; Walter Ryff).
Vitruv
D.
b. De architectura Wie Ovid ist Vitruv ein Schriftsteller ,zwischen zwei Welten’ (eine von Hermann Fränkel geprägte Bezeichnung) – wobei die ,andere’ Welt für Vitruv die römische Republik ist: Den Großteil seines Lebens hat er in ihrer Spätphase erlebt; aus der späten Republik stammen seine Erfahrungen und Anschauungen; die Autoren dieser Zeit, seiner eigenen, nimmt er zur Kenntnis und imitiert sie auch gelegentlich (so etwa die praefatio von Horaz, Epist. 2,1 in seiner praefatio). Seine Begeisterung aber gilt nicht ihnen, sondern Accius und Ennius; von den Jüngeren hebt er Ciceros Zeitgenossen Varro hervor. Ob er die Stiltendenzen der eigenen Zeit wahrgenommen hat, ist fraglich: Dass er in einem Augustus gewidmeten Werk ausgerechnet den Stil der Wandmalerei kritisiert, der in Augustus’ und Livias Häusern und in der so genannten Villa Farnesina angewandt wurde, eine Spätform des 2. pompeianischen Stils, lässt sich am leichtesten mit Unkenntnis erklären (7,5,6). Zugleich gibt sich Vitruv aber als Anhänger des Prinzipats zu erkennen; das augusteische Programm einer Kunst und Architektur im Dienste imperialer Machtdemonstration macht er sich gänzlich zu eigen. Sein Hauptinteresse gilt den repräsentativen Bauwerken, im Bereich öffentlicher Bauten den Tempeln und Basiliken, bei den Privathäusern dem Atriumhaus. Auf Amphitheater, Brücken und Straßen geht er gar nicht erst ein: Solche für die Masse bestimmte Bauwerke sind ihm offensichtlich zu plebejisch. Ebenso lehnt er die billige Bauweise der kleinen Leute, das Holzfachwerk, kategorisch ab. Auch seine Liebe zu Italien, dessen Klima er zum besten und ausgewogensten überhaupt erklärt, enthält Elemente des patriotischen Pathos, das ähnlich die Rom- und Italienmotive anderer augusteischer Dichter prägt. Vitruvs Neigung zu einer anthropomorph ausgerichteten Darstellung architektonischer Elemente erinnert an die Anthropomorphismen bei Vergil und Ovid: Den Kanon der disciplinae, der Fächer und Studien, beschreibt Vitruv als in sich verflochtene organische Einheit – ähnlich der Einheit, die die Glieder eines Körpers bilden (1 praef. 2). Den dorischen Stil in seiner Proportionsstrenge und Wucht bezeichnet er als männlich, die ionische Säule mit ihren reichen Kanneluren dagegen als weibliche Gestalt im Gewand mit Faltenwurf. Und das klassische Ideal der Symmetrie und stimmigen Proportionen illustriert er am Beispiel des menschlichen Körpers. Klassizistischem Schönheitsempfinden entspricht auch die Relativierung der Symmetrie durch eurythmia und die Begrenzung der venustas durch decor. Eurhythmie ist die in ihrer Gesamtwirkung harmonische Wahrnehmung, ein Ideal, das auf Grund der Beschränkungen und Gewohnheiten des menschlichen Sehens und der jeweils unterschiedlichen Umfeldverhältnisse in Spannung zur Symmetrie treten kann. Die mathematisch ermittelte Symmetrie muss also gelegentlich aufgelöst werden, um dem menschlichen Auge im konkreten Raumkontext den Eindruck perfekter Formung zu bieten. Eine rhetorische Analogie hierzu kann man in der Regel von der aufgelockerten Struktur sehen: Nicht die starr gewahrte Ordnung, sondern eine Ordnung, die mitunter planvoll außer Kraft gesetzt wird, gilt als schön – eine Regel, der die klassischen Autoren durchweg folgen.
Konservative Einstellung
Vitruv im Kontext der augusteischen Ideologie
Patriotismus und Klassizismus
101
Die Autoren der augusteischen Zeit
D.
Programm
Der Architekt als ingenuus
firmitas, utilitas, venustas
102
Auch das Ideal des decorum, des Angemessenen, ist in der Literatur-Ästhetik ebenso zu Hause wie in der Architektur-Ästhetik; in der horazischen Ars poetica hat es geradezu ethischen Rang. Die Ablehnung des gehäuften Schmucks, des allzu ungewöhnlichen Ornats, des nicht-funktionalen Dekorativen verbindet die Klassiker; wie die Ars poetica, aber ohne deren ironische Brechung, trägt De architectura Züge eines klassizistischen Manifests. Vitruv hat ganz offensichtlich den architektonischen Geschmack seiner Zeit im Sinn einer klassischen Mäßigung restaurativ beeinflussen wollen. Eine zweite Intention lässt sich aus der Wahl der Baubeispiele und aus seinen Urteilen ablesen: Er will die Gleichwertigkeit der römischen Architektur mit der griechischen nachweisen; in dieser Einstellung zu den griechischen Vorbildern berührt er sich mit vielen Autoren des ersten Jahrhunderts vor Christus. Die programmatischen Vorreden lassen zwei weitere Intentionen erkennen: Das einem Lehrschriftsteller angemessene Ziel, alles Wissen seiner Zeit über die Bautechnik – omnes disciplinae rationes (praef. 3) – zusammenzufassen, wird explizit als Ziel des Werks angeführt; unverkennbar ist aber auch die Absicht, den Architektenstand nicht nur in seiner fachlichen Kompetenz, sondern auch in seinem gesellschaftlichen Rang aufzuwerten. Wie Cicero in De oratore und später Quintilian in der Institutio oratoria für den Redner, so fordert Vitruv für den Architekten eine alle Disziplinen umfassende Bildung. Schon Varros verlorene Schrift Disciplinae hatte den artes liberales, den ,freien Künsten‘, die Medizin und Architektur zugesellt. Darin liegt eine Aufwertung des Technikers zum ingenuus, dem charakterlich und intellektuell umfassend gebildeten und von den Zwängen des Broterwerbs freien Menschen. Das war durchaus progressiv; alles Handwerkliche und Technische galt in der Antike im Prinzip als unfreie Tätigkeit. Ob Vitruv Varros Disciplinae zur Kenntnis genommen hat, ist allerdings unsicher; er beruft sich nicht auf sie. Doch scheint schon eine der griechischen Quellen, die er anführt, Pytheos von Priene, die Aufnahme der Architektur unter die freien Künste und für den Architekten die umfassende Kompetenz in allen Disziplinen postuliert zu haben. In Vitruvs Plädoyer für den ,intellektuellen Architekten’ spiegelt sich aber wohl auch der Geist des augusteischen Hofes wider, der dem tüchtigen Techniten Rang und Stellung einräumte und die aristokratischen ingenui in vielen Bereichen durch kompetente Fachleute ersetzte. Freilich relativiert Vitruv seine Theorie auch und grenzt sich damit von Pytheos von Priene ab: Ein Experte muss der Baumeister nur in seinem eigenen Bereich sein, in den übrigen Disziplinen genügt es, wenn er allgemein bewandert ist. Drei Leitlinien stellt Vitruv auf, an denen sich der Architekt orientieren muss: firmitas – die Festigkeit, Stabilität; utilitas – die Nützlichkeit, Tauglichkeit für den vorgesehenen Zweck; venustas – die Eleganz, der ästhetische Reiz des Bauwerks. Vor der venustas hat die firmitas den Vorrang; unter diesem Aspekt lehnt Vitruv zum Beispiel das in seiner Zeit beliebte opus reticulatum (die Mauerverkleidung aus kleinen Quadern im Netzmuster) ab und bevorzugt das ästhetisch weniger ansprechende, aber stabilere opus incertum (die unregelmäßige Mauerverkleidung aus Bruchstein). Wenn er allerdings auch das ,moderne’ opus caementitium, die Technik des Mauerbaus aus zermahlenem Stein (Gußgemengemauerwerk), kritisiert und die ,archaische’ Bauweise aus getrockneten Ziegeln vorzieht, sprechen daraus weni-
Vitruv ger pragmatische Erwägungen als eine gewisse Rückwärtsgewandtheit – oder auch der Einfluss älterer Quellen. Seine Beispiele hat Vitruv teils aus eigener Anschauung, teils aus seinen Quellen gewonnen. Die Bauten in Rom kennt er gut, ebenso verschiedene Bauwerke im gallischen Großraum. Weitgehend unbekannt scheint ihm die ,Magna Graecia’ zu sein; auf Bauten aus Süditalien und Sizilien geht er kaum ein. Griechische Architektur hat er eher durch die Literatur als durch Autopsie kennen gelernt; nur so ist zu erklären, dass er auch auf Gebäude verweist, die zu seiner Zeit schon in Ruinen liegen. Vitruvs Stil ist ungewöhnlich und schwierig, was natürlich auch mit dem technisch anspruchsvollen Stoff und der Notwendigkeit, griechische Quellen ins Lateinische zu übertragen, zu tun hat; sein Ringen um den präzisen Ausdruck und die genaue Beschreibung geht oft zu Lasten der Schönheit und Ausgewogenheit der Sprache. Die Forschung hat ihm das lange zum Vorwurf gemacht; solche Abwertung, die sich an der schönen Form augusteischer Lehrdichtung oder der abgewogenen und kunstvollen Sprache und Form des ciceronischen Dialogs orientiert, wird aber Vitruvs Anliegen in keiner Weise gerecht: Ihm geht es weder, wie den hellenistischen Lehrdichtern, um den Triumph der sprachlichen Form über den Stoff noch um ein humanistisches Ideal, das im Zusammenwirken von Philosophie und Rhetorik erzeugt werden soll; obgleich er in den wesentlichen ästhetischen Diskursen seiner Zeit beheimatet ist, verfasst er sein Werk nicht als rhetor oder grammaticus, sondern als gebildeter Architekt mit literarischem Anspruch. Die Gliederung des umfangreichen Stoffes folgt im Wesentlichen den einzelnen Phasen der Errichtung einer neuen Stadt – von der Auswahl des passenden Ortes über die Errichtung von Mauern (Buch 1), Monumentalbauten (3 – 5) und Privatgebäuden (6 und 7) bis zum System der Wasserversorgung (8) und der Aufstellung von Uhren (9). Belehrungen zur Wahl des richtigen Werkstoffes (Buch 2) und zu den benötigten Geräten, unter anderem auch Kriegsmaschinen (10), komplettieren die Lehrschrift. Den Schiffsbau, der in der Antike Teil der architectura war, behandelt Vitruv nicht. Die einzelnen Bücher werden von meist umfangreichen Vorreden (praefationes) eingeleitet, die aus einem allgemeinen Standpunkt auf die Architektur blicken oder apologetisch sein Werk kommentieren. Am Ende jeder praefatio wiederholt Vitruv die Widmung an Augustus, rekapituliert das bisher Dargestellte und kündigt den neuen Stoff an. Die Methode ist umständlich, entspricht aber der Tradition didaktischer Literatur. Jede Kunst, so legt Vitruv in praef. 1 dar, ist zusammengesetzt aus den beiden Bereichen opus und ratiocinatio, Praxis und Theorie. Die Praxis ist für jede ars eine andere, aber in der Theorie berühren sie sich. Um diesen Überschneidungen gerecht zu werden, muss der Einzelne nicht nur die eigene Disziplin in Theorie und Praxis beherrschen, sondern auch grundlegendes Wissen in den übrigen Fächern besitzen (1,1,15f.) Die fundamentale Bedeutung der Einheit von theoretischem Wissen und handwerklichem Können (fabrica) wird im Stoff des Buches implizit demonstriert: Beispielsweise müssen dem Bau der Stadtmauern Erwägungen über die geeignete Lage, die gesundheitsfördernde Natur des Ortes und die Richtung der Winde vorangehen.
D. Beispiele
Stil
Stoffdisposition
opus und ratiocinatio
103
Die Autoren der augusteischen Zeit
D. Kulturentstehungslehre
Kriterien für den guten Architekten
Entstehungsgeschichte des Werkes
Schwierigkeit des Stoffs
Bildung als krisenfester Besitz
104
Buch 2 wird mit einer breit ausgeführten Anekdote über Dinocrates, den Architekten Alexanders, eröffnet. Obwohl Vitruv sich von diesem abgrenzt, rückt die Geschichte doch Augustus implizit in Analogie zu dem Makedonenherrscher. Eine Art Kulturentstehungslehre leitet dann die Lehre von den Baustoffen ein. Vitruv übernimmt einzelne Motive aus den Darstellungen der Philosophen; in der zwischen Stoikern und Epikureern vieldiskutierten Frage, ob Technik und Sprache durch göttliche Vermittlung oder aus der menschlichen Praxis und dem Nutzen erwachsen, vertritt er die Position Epikurs: Zufällige Entdeckungen, das Zusammenleben der Menschen, Bedürfnis und Gewohnheit treiben den Fortschritt an. Es hat einen eigenen Reiz, wie Vitruv das anspruchsvolle Thema an den Stoff seines Buches anbindet, indem er die verschiedenen Stoffe aufführt, aus denen die Menschen sich im Lauf der Kulturgeschichte Behausungen zu bauen pflegten. Das Thema des Buches sind die Materialien des Mauerbaus. Die praefatio zu Buch 3 wirft die Frage auf, woran der kompetente Architekt zu erkennen sei. Da die Menschen nicht, wie es Sokrates als wünschenswert bezeichnet habe, Fenster in der Brust tragen, durch die man ihr Innerstes einsehen kann, gibt es – so Vitruv – kein verlässliches Zeugnis über die Fähigkeiten der Bauleute; man muss sich auf ihre Worte verlassen. Denn Ruhm und Reichtum sind Güter des Glücks; nicht jeder erringt sie, der sie durch seine Begabung verdient hätte. Gute Beziehungen aber verhelfen manch einem zu Aufträgen, der in der Kunst nicht überragend ist. Da dies einmal so ist, will der Autor nicht nach der Gunst der indocti (Unkundigen) streben, sondern durch seine Lehrschrift das eigene Wissen demonstrieren. Die praefatio sympathisiert so deutlich mit dem guten Künstler oder Baumeister, dem der Erfolg ohne eigene Schuld versagt bleibt, dass man eigene Erfahrungen dieser Art vermuten möchte; auch im Rom der augusteischen Zeit war offensichtlich der Kampf um Aufträge hart, und persönliche Netzwerke bewirkten oft mehr für die Karriere als Tüchtigkeit. Das Buchthema ist der Tempelbau – ein Geschäft, bei dem die Konkurrenz zwischen den Bewerbern besonders heftig gewesen sein dürfte. Buch 4 setzt mit einer kurzen Bemerkung zur Entstehung des Werkes ein: Demnach hat Vitruv anfänglich verschiedene Vorschriften und Notizen angelegt und erst später den Plan gefasst, sie zu einem Gesamtwerk zusammenzuführen. Thema des Buches sind die Merkmale und Unterschiede der Säulenordnungen im Tempelbau. Die Vorrede zu Buch 5 weist auf die besonderen Schwierigkeiten der eigenen Schrift hin, die den Leser nicht, wie Geschichtsschreibung oder Dichtung, durch die Attraktivität des Stoffes oder der Form und Sprache gefesselt hält, sondern mit der Schwierigkeit der Materie und der Fachterminologie ringt. Da der Autor zudem erkannt hat, dass sein Publikum von öffentlichen und privaten Geschäften abgelenkt ist, hat er sich bemüht, sich kurz zu fassen und das Gesamtwerk in überschaubare Bücher einzuteilen, so dass es auch in kurzen Phasen der freien Zeit gelesen werden kann. Es folgen Darlegungen zu den öffentlichen Gebäuden, den Foren, Theatern, Thermen, Sportstätten und Häfen. Buch 6 beginnt mit der verbreiteten Erzählung von dem griechischen Philosophen Aristipp, der, nach einem Schiffbruch an eine fremde Küste verschlagen, in den Sand gezeichnete geometrische Formen erkannte und da-
Vitruv raus zu Recht schloss, dass er unter Menschen geraten sei; auf Rhodos – dort war er gestrandet – erwarb er durch seine Philosophie sofort genug Geld, um für sich und seine Gefährten den Lebensunterhalt zu bestreiten. Vitruv schließt an die Anekdote Reflexionen über Bildung als den einzigen dauerhaften und krisenfesten Besitz an und dankt seinen Eltern, dass sie ihm diesen Besitz ermöglicht haben. Er beteuert, sein Werk nicht zu schreiben, um dadurch reich zu werden; aber Nachruhm erhoffe er sich, denn zur Zeit sei er eher unbekannt, weil er es verschmähe, um Aufträge zu bitten. Die Architekten, die sich vordrängten und nach Aufträgen jagten, verstünden nichts von der Kunst; so sei es nur klug, dass die Familienväter oft das Geschäft des Bauens lieber selbst in die Hand nähmen, als es einem ungebildeten und verschwenderischen Baumeister anzuvertrauen. Um so wichtiger und nützlicher sei seine Schrift – die sich jetzt den Wohnhäusern zuwendet. Wie schon in der Vorrede zu Buch 3 werden persönliche Enttäuschungen und Empfindlichkeiten deutlich; kulturgeschichtlich interessant ist das die Vergangenheit verherrlichende Lob des pater familias, der alles selbst in die Hand nimmt; für ihn hatte schon Cato in De agricultura Hinweise zum Hausbau formuliert (3,2 ff.). Die Vorrede von Buch 7 ist voller Bewunderung für alle, die zur Tradition und Mehrung des Wissens beitragen. Entschieden verurteilt Vitruv die Plagiatoren und erzählt die Geschichte vom Dichterwettstreit in Alexandria, den der Philologe Aristophanes entschied, indem er allen Vortragenden mit Ausnahme von einem nachwies, dass sie fremdes Gut vorgetragen hatten. Vitruv selbst erklärt, seinen Quellen unendlich dankbar zu sein, die ihm ermöglicht hätten, seine neue Lehrschrift zu verfassen. Es folgt ein langer Überblick über die Geschichte der für Vitruv einschlägigen Fachliteratur, der zahlreiche Namen und Werke auflistet; Vitruv kommt zu dem Schluss, die Römer hätten ebenso viele große Architekten besessen wie die Griechen, wenngleich nur wenige davon ihr Wissen niedergeschrieben hätten. Stoff des Buches ist die Ausschmückung der Privathäuser; sie orientiert sich am ästhetischen Kriterium der venustas (Eleganz) und dem praktischen Kriterium der firmitas (Festigkeit, Haltbarkeit). Die praefatio ist aufschlussreich für antikes Verständnis vom geistigen Eigentum: Fremdes Gut zu übernehmen und umzuformen ist der übliche Weg, wie Literatur – auch Fachliteratur – zustande kommt: Vitruv bekennt ausdrücklich, sein ,neues’ Werk hätte ohne seine Quellen nicht entstehen können: Aber sich zu dieser Abhängigkeit nicht zu bekennen und fremdes Gut als eigenes auszugeben, ist Diebstahl. Ein kleiner Überblick über die Philosophen, die das Wasser zum Urstoff der Welt erklärten, leitet Buch 8 ein; in der Folge geht es um Trinkwasser und Aquädukte. In der praefatio zu 9 kritisiert Vitruv den Brauch der Griechen, die Sieger bei den Sportwettkämpfen reich zu belohnen, nicht aber die Schriftsteller. Die Sportler bilden ja nur ihren eigenen Körper aus, die Schriftsteller dagegen den Geist vieler Menschen, denen sie die Mittel verleihen, ihren Staaten und der Menschheit nützlich zu sein. Die mathematischen Entdeckungen von Platon, Pythagoras, Archimedes, Archytas von Tarent und Eratosthenes von Kyrene werden als Beispiele für den Nutzen der Wissenschaft angeführt. Das Thema des Buches, die Sonnen- und Wasseruhren und Automaten, die nach mathematischen Gesichtspunkten zu berechnen waren, ist damit eingeführt.
D.
Gegen Plagiate; Vitruvs Quellen
Der Nutzen der Wissenschaft
105
Die Autoren der augusteischen Zeit
D. Baukosten
Im Einsatz von Buch 10 referiert Vitruv voll Anerkennung einen griechischen Brauch: Der Besitz eines Architekten, der ein Projekt übernommen hat, wurde bis zur Fertigstellung des Baus beschlagnahmt. Dann prüfte man die Kosten; blieben sie im Rahmen des Kostenvoranschlags, erfuhr der Architekt hohe Ehren; überstiegen sie die veranschlagte Summe um höchstens ein Viertel, übernahm der Staat die Mehrkosten; was diesen Betrag überstieg, wurde aus dem Privatbesitz des Architekten bezahlt. Vitruv tadelt die zeitgenössischen römischen Architekten, die mit übermäßig aufwendigen Bauten Familienväter in den Ruin treiben, und geht dann etwas abrupt zum Aufwand der öffentlichen Spiele mit ihren gewaltigen Maschinen über; damit ist er beim Stoff des Buches, den Maschinen, angekommen.
V. Tibull a. Leben und Werk im Überblick
Tibull und die augusteischen Schriftsteller
Rezeption und Wirkung
106
Über das Leben des römischen Elegiendichters Albius Tibullus ist wenig bekannt; nicht einmal sein Praenomen ist überliefert. Einige Daten können aus seinem Werk erschlossen werden und aus Texten, die ihm Zeitgenossen widmen: die Freundschaftsgedichte Horaz c. 1,33 und epist. 1,4; Ovids Totenklage Amores 3,9; ein Epigramm des Domitius Marsus, das seinen Tod in die Nähe von Vergils Tod im Jahr 19 rückt (corpus Tibullianum, 3,19 = 4,13). Seine Lebensdaten sind aus diesen Quellen nur ungefähr zu erschließen: Er wurde vermutlich zwischen 59 und 54 geboren und starb zwischen 19 und 17 v. Chr. Nur eine einzige weitere glaubwürdige Information bietet die in den Handschriften überlieferte Vita Tibulli, die vielleicht auf Sueton zurückgeht: Tibull hat demnach dem Ritterstand angehört. Sein literarisches Werk beschränkt sich auf die Gattung der subjektiven Elegie. Der Hinweis der Vita Tibulli, er habe auch epistulae amatoriae verfasst, bezieht sich vermutlich auf eine gemeinsam mit Tibulls Werk überlieferte und fälschlich ihm zugeschriebene Sequenz von Elegien: Darin treten abwechselnd eine Sulpicia und ein Cerinthus als elegische Sprecher auf, so dass der Eindruck eines Briefwechsels entstehen konnte (siehe unten, Corpus Tibullianum). Tibull gehörte dem Autorenkreis um M. Valerius Messalla Corvinus an; ihm sind einige Elegien gewidmet. Augustus ist dagegen an keiner Stelle erwähnt, ein für die Schriftsteller dieser Zeit höchst ungewöhnliches Phänomen. Auch die zeitgenössischen Dichter aus dem Maecenas-Kreis – Vergil, Horaz und Properz – nennt Tibull nicht namentlich. Ihre Werke hat er aber sicherlich gekannt, soweit sie zu seinen Lebzeiten schon erschienen waren: Vergils Hirten- und Lehrdichtung hat seine Elegien nachweislich beeinflusst, mit Horaz und Properz stehen seine Gedichte in einer literarischen Wechselbeziehung des Nehmens und Gebens. Schon in der Spätantike war Tibull wenig bekannt; im Mittelalter wurde er kaum noch gelesen, fand aber Aufnahme in Anthologien. Den Namen des Florentiner Humanisten Coluccio Salutati trägt die früheste erhaltene Handschrift (Ambrosianus R 26 sup.); auf sie gehen die zahlreichen Handschriften
Tibull
D.
des 15. und 16. Jahrhunderts zurück. Tibulls Elegien haben die neuzeitliche Elegie seit Pontano in bedeudendem Maß angeregt und beeinflusst. Die erste kritische Edition unternahm Lachmann 1829.
b. Elegien Tibulls Werk besteht aus zwei Büchern, deren Authentizität durch zahlreiche Testimonien belegt ist. Sie enthalten insgesamt 16 Gedichte, die ausnahmslos subjektiv geprägt sind. Bei keinem anderen Autor der Epoche ist die Außenwelt so weit zurückgedrängt: Sie findet nur durch das persönliche Erleben des poeta amator Einlass. Deswegen ist der Kosmos dieser Elegie so klein: Er umfasst den Liebhaber und seine Liebe, wenige Freunde und die Götter der Liebe und der Kunst; ausgeblendet bleiben Politik und Geschichte, Gesellschaft und Mythos. Tibull partizipiert an dem System aus Normen, Beziehungskonstellationen und Begriffen, das die römische subjektive Liebeselegie prägt: die Stilisierung der Geliebten zur Herrin, der sich der Liebende als Sklave nähert; der Vertragscharakter der Liebe und die Untreue der Frau. Delia heißt die puella des ersten Buches – nach dem delischen Apoll. Buch 2 führt dagegen eine neue Geliebte mit dem beziehungsreichen Namen Nemesis (griechisch: die Rache) ein. Diese Reaktion auf Delias nequitia ist eine hübsche Pointe; innerhalb der einzelnen Bücher und Elegien bleibt trotz dieses ,Wechsels‘ die Verbindlichkeit der Bindung gewahrt. Liebeswerbung und -klage und Liebesdidaktik sind die zentralen Sprechweisen der tibullischen Elegie. Sie klingen in wechselnder Intensität an und variieren die traditionellen literarischen Formen, die die römische Liebeselegie mit Epigramm und Lyrik gemeinsam hat: Paraklausithyron (Klage des Liebhabers vor der verschlossenen Tür, 1,2), Propemptikon (Geleitgedicht, 1,3) und Festgedicht (1,7; 2,1; 2,5). Neben die Liebeselegie treten Freundschaftsgedichte, darunter das Geburtstagsgedicht an Messalla (Genethliakon, 1,7). Der Gefahr der thematischen Monotonie, die aus der Konzeption elegischer Liebe leicht erwachsen kann, entgeht Tibull durch zwei Kunstgriffe, die ihm eine größere Motivvielfalt eröffnen: Der erste liegt in der Vereinigung von hetero- und homosexueller Liebe (McGann, 1996). In Buch 1 richtet sich die Werbung des elegischen Sprechers im Wechsel auf die puella Delia und den Knaben Marathus. Wesentlicher noch ist die Verschmelzung der Elegie mit Motiven aus dem Leben der Hirten und Bauern; hier vor allem wird der Einfluss von Vergils Bucolica und Georgica deutlich (Solmsen, 1962). Der poeta amator malt sich die Einheit mit der domina in der Bescheidenheit eines ländlichen Idylls aus: Dort wäre die völlige Harmonie der Liebenden zu gewinnen, die in der städtischen Gesellschaft unerreichbar ist. Der träumerischen Vision ländlichen Friedens steht die bittere Klage über die Wirrnisse der Realität entgegen, in der Tibulls elegischer Sprecher zahlreiche Bedrohungen wahrnimmt: Konkurrenten und die Habgier des Mädchens bedrohen die Liebe, Eifersucht den inneren Frieden, der Krieg das Leben. Aus diesen Ängsten und Spannungen rettet sich der elegische Sprecher in die visionäre Beschwörung einer ländlich-frommen Gegenwelt – die mitunter (1,3) erst im Tod zu gewinnen ist.
Der Kosmos der tibullischen Elegie
Delia und Nemesis
Themenspektrum
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Die Autoren der augusteischen Zeit
D.
Versform und Gedankenführung
Verhältnis zur augusteischen ,Ideologie ,
Buchkomposition
Apologetik der eigenen Lebenswahl
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Abgesehen von der wiederholten Berufung auf Venus als Patronin der Liebenden und einer kurzen Skizze zum Aeneas-Stoff in 2,5 spielt der Mythos – im Gegensatz zu Properz – keine Rolle. Auch die für Properz so bezeichnende Zurschaustellung von Gelehrsamkeit fehlt. Dennoch ist Tibull auch durch die griechische Literatur (Hesiod und Kallimachos) geprägt. Die sprachliche und metrische Eleganz der Verse und die fließenden thematischen Übergänge appellieren an das Gefühl des Lesers beziehungsweise Hörers; sie erzeugen wechselnde, aber nie übermäßig heftige Stimmungen. Die Entwicklung der Themen vollzieht sich nicht in strenger Konzentration, sondern assoziativ gleitend und emotional bewegt; einzelne Motive, wie die schroffe Ablehnung von Krieg und Besitzgier und die Verherrlichung des Landlebens als Raum des bescheidenen Glücks, wo noch Spuren des Goldenen Zeitalters (aurea aetas) gewahrt sind, kehren leitmotivisch wieder. Luxus, Reichtum und die dem Gütererwerb dienenden Kulturtechniken werden nicht nur kritisiert, weil sie die Mädchen und Knaben verderben, sondern auch, weil sie das Glück des Lebens gefährden. Es ist erstaunlich, dass Tibull sich dem Einfluss augusteischer Leitideen so weitgehend entziehen konnte: Die Taten des princeps sind nicht einmal erwähnt; Krieg ist als ein Übel aufgefasst, das alles persönliche Glück zerstört. Die Größe Roms oder die Moralität der Gemeinschaft scheinen irrelevant, Tibull vertritt nur den ganz individuellen Anspruch auf Glück und Anstand. Diese Elegien sind nicht nur unpolitisch, sie stehen in einer stillen Opposition zu den Tendenzen der Zeit, Krieg und Gewalt als Mittel zum Zweck zu rechtfertigen und das Individuum auf den Dienst an der Gemeinschaft zu verpflichten. Die kunstvolle Komposition der Bücher ist erst in jüngerer Forschung erkannt worden. Buch 1 folgt einer Ringstruktur, in der 1,1 und 1,10 den Rahmen bilden, der eine Sequenz von Zweierpaaren umschließt: Den an Delia gerichteten Elegien 2 und 3 entsprechen die dem Knaben Marathus gewidmeten Gedichte 8 und 9; Thema von 5 und 6 ist Delias Untreue. Dieses Mittelstück wird von den Einzelstücken 4 (Liebeslehre) und 7 (Preis Messallas) umschlossen. Die insgesamt sechs Elegien von Buch 2 gruppieren sich um eine Zentralachse: 1 und 6 sind zwei unterschiedlichen Lebensformen gewidmet, 1 dem Landleben, 6 dem Militärdienst. 2 und 5 sind Gebete an den Genius und an Apoll. 3 und 4 entfalten das Paradoxon des servitium amoris (Dettmer, 1980). 1,1: Mehr als die Hälfte der Elegie ist der Darlegung der eigenen Lebensform gewidmet, die freilich in Konjunktiven und futurischen Wendungen als noch nicht verwirklichtes Ideal aufscheint: ein Leben in Armut, aber Zufriedenheit, in Hingabe an die Arbeiten des Bauern und die Frömmigkeit ländlicher Kulte. Erst in der zweiten Hälfte des Gedichts tritt die domina als konstitutives Element dieses Lebensideals in den Vordergrund; hier wird dem eigenen bíos auch der kriegerische Ehrgeiz des Gönners Messalla entgegengestellt, wobei die Ansprache an Messalla zugleich freundschaftlich huldigende Widmung und Behauptung der eigenen Lebensalternative ist. Die Anrede an Delia, wenige Verse später, mündet in einer Werbung, in der die Kürze des Lebens zum Argument für den Liebesgenuss wird; hier, in der Liebe, will auch der Werbende ein guter Soldat sein. – Die Elegie schlägt
Tibull zentrale Themen der tibullischen Dichtung an und vertritt in programmatischer Weise die Lebensform des Elegikers. 1,2 setzt in der Situation eines Symposions ein: Der Liebende erbittet Wein, um in Trunkenheit die Sehnsucht nach Delia vergessen zu können. Aus der Klage über die allzu sichere Verwahrung, in der sie von ihrem coniunx gehalten wird, entwickeln sich die typischen Motive des Paraklausithyrons: Die Tür soll sich für den Liebhaber öffnen – oder für Delia selbst, die tapfer einen Fluchtversuch wagen soll, hat sie doch Venus auf ihrer Seite, die mutige Liebende unterstützt. Gewarnt werden alle, die sich heimlich Liebenden begegnen: Verräter erfahren den Zorn der Venus. Delia aber muss nicht fürchten, verraten oder überführt zu werden: Eine Zauberin (Zauberei ist ein beliebtes Motiv der Zeit; vgl. Vergil, Buc. 8 und Horaz, Ep. 5 und 17) hat dem Liebhaber geweissagt, nichts könne den coniunx von Delias Untreue überzeugen. Das gilt allerdings nur für ihre Beziehung zu dem elegischen Sprecher: Also soll sie keine anderen Liebhaber erhören. Andererseits hat dieselbe Zauberin versprochen, den Liebhaber von seiner Liebe zu Delia zu heilen. Aber er will ja gar nicht geheilt werden, nur um Erwiderung seiner Liebe bittet er. Ihm genügt das ärmliche Leben in ländlicher Arbeit, wenn nur Delia dieses Leben teilt. Am Schluss der Elegie steht die Warnung an alle Spötter: Wer in seiner Jugend die Liebe verachtet, erfährt sie noch als alter Mann und wird dann zum Gespött der Jüngeren. – Die Themen sind zum Teil humorvoll ausgeführt, dennoch sind Werbung und Liebesbekenntnis frei von Ironie. Ernsthaft ist auch die didaktische Färbung des Schlusses. 1,3: Krank bleibt ,Tibull’ in phäakischem Land zurück, von Messalla und seiner Kohorte verlassen. Den nahen Tod vor Augen, denkt er an die Trauer seiner Mutter und Schwester und an die letzten Tage mit Delia, vor seiner Abreise aus Rom. Glücklich lebte man vor Erfindung der Seefahrt, im goldenen Zeitalter unter Saturn. Jetzt herrschen Verbrechen und Krieg. Wenn ihm selbst der Tod bevorsteht, dann wird er eingehen in das Elysium der Liebenden. Delia aber soll ihm treu bleiben; vielleicht tritt er ja irgendwann überraschend wieder in ihre Kammer. – Die Elegie verbindet ganz unterschiedliche Stimmungsbilder: Das Bewusstsein des nahen Todes leitet über zur Kulturklage, aus der das reizvolle Gemälde des Elysiums der Liebenden erwächst. Von großer Intimität ist das Schlussbild des in seiner Kammer spinnenden Mädchens: So ist in der Phantasie des Liebenden nicht nur die Todesfurcht, sondern auch die gattungsspezifische nequitia der puella überwunden. In 1,4 belehrt der Gott Priap den um Rat fragenden Liebhaber über die Knabenliebe; seine Liebeslehre mündet in der Ermahnung an die Knaben, vor allem die Dichter zu lieben. Ab Vers 73 übernimmt ,Tibull’ die Sprecherrolle; er bietet sich als Lehrer für Liebende an. Freilich muss er fürchten, zum Gespött zu werden, vermag er doch selbst bei dem schönen Marathus nichts zu erreichen. – Der poeta amator stilisiert sich als Liebeslehrer, der freilich die Grenzen seiner Kunst erkennen muss. Ovids ars amatoria wird aus dieser Sprechhaltung eine neue Gattungsvariante entwickeln. 1,5, Klage über die Trennung von Delia und ihre Untreue, malt wie 1,1 das Ideal eines mit der Geliebten geteilten Lebens in ländlicher Schlichtheit. Wie in 1,3 sind Realität und Traum eigentlich unvereinbar; doch der Traum überwindet das Leiden an der Realität. 1,6 variiert das Motiv der Eifersucht:
D. Paraklausithyron
Kulturklage; das Elysium der Liebenden
Liebesdidaktik
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Die Autoren der augusteischen Zeit
D.
,
Genethliakon für Messalla; Marathus
Krieg
Ländliches Fest
Actium
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Mit dem coniunx sucht ,Tibull sich zu verschwören gegen die sonstigen Liebhaber; wenn der ,Mann‘ ihm die puella anvertraut, will er sie sicher hüten. – Die spielerische Frivolität der Elegie beruht wieder auf einer scheinbar naiven Verkennung der Wirklichkeit; die Komik der ,selbstlosen Überzeugungsrede’ an den Ehemann wird Ovid in Am. 2,19 und 3,4 deutlicher ausreizen. 1,7 preist den Triumph Messallas über die gallischen Aquitanier; unmittelbarer Anlass ist Messallas Geburtstag (s. Vers 63f.). 1,8 ist Marathus gewidmet: ,Tibull’ erkennt, dass der Knabe eine Geliebte hat. Großzügig fordert er das Mädchen auf, nicht spröde gegenüber Marathus zu sein. Wie dieser früher die Liebenden zurückwies und nun selbst Opfer von Zurückweisung wird, so kann es auch der puella einmal ergehen. In der toleranten Haltung gegenüber dem Knaben, der sich nun den Mädchen zuwendet, und im Motiv der Kurzlebigkeit von Schönheit und Liebe steht die Elegie horazischer Liebeslyrik nahe. 1,9 klagt den Knaben an: Er verlangt Geschenke, obwohl er einst Liebe und Treue geschworen hat. Verdorben hat ihn ein älterer Mann, der sich seine Gunst mit reichen Gaben erkauft hat. – Die Klage über die Korruption der Liebe ist ein Standardthema der Elegie; sie gibt dem Elegiker zugleich Gelegenheit, den Vorrang seiner Kunst vor allen Schätzen zu vertreten. 1,10 ist Anklage gegen den Krieg: Die Gier nach Reichtum ruft ihn hervor; weit besser ist das ländliche Leben im Frieden. Dort flammen dann die Kriege der Venus auf. – Wie 1,1 ist auch diese Elegie Proklamation eines eigenen Lebensideals, das mit den gesellschaftlich anerkannten Lebensformen des Kriegers und Kaufmanns konfrontiert wird. 2,1 fordert zu einem ländlichen Reinigungsfest und Sühneopfer auf (vermutlich den Ambarvalia); Messalla soll teilnehmen und auch Amor, aber erst, wenn er Pfeil und Bogen abgelegt hat. Die Elegie mündet im Motiv der aufziehenden Nacht. – Der Ton schlichter Frömmigkeit und intimer Freundschaft gibt der Elegie einen besonderen Reiz. 2,2 feiert den Geburtstag des jung verheirateten Freundes Cornutus. In 2,3 ist die Geliebte, Nemesis, einem anderen Liebhaber auf das Land gefolgt. ,Tibull’ malt sich aus, er könnte unter ihrer Herrschaft sein kleines Landgut bewirtschaften; aber die Mädchen streben ja nur nach Reichtum. – Der Versuch, die Realität durch den Traum zurückzudrängen, scheitert hier. Auch 2,4 klagt die Mädchen der Habsucht an; der Liebende aber will jedes erdenkliche Gift trinken, wenn ihn die Geliebte nur freundlich anblickt. 2,5 ist ein Hymnus an Apollo, verfasst anlässlich der Berufung von Messallas Sohn Messalinus in das Kollegium, das mit der Befragung und Auslegung der Sibyllinischen Bücher befasst war; die Hinweise auf den Aeneas-Stoff und Augustus’ Sieg bei Actium sind sicherlich auch durch die gleichzeitig entstehende vergilische Aeneis geprägt. In 2,6 sind Kriegs- und Liebesdienst erneut miteinander konfrontiert. Den enttäuschten Liebenden zieht es in den Krieg, aber er kann nicht von Nemesis lassen. So steht am Schluss die Klage gegen die Kupplerin, die das Mädchen zur Untreue anhält; Nemesis selbst ist frei von Schuld.
Properz
D.
c. Corpus Tibullianum Der Autor der folgenden Gedichte der Sammlung, die in den Handschriften ungeteilt tradiert sind, in späteren Ausgaben aber häufig auf zwei Bücher (Buch 3 und 4) verteilt wurden, ist nicht zu ermitteln. Die Forschung hat sie für Frühwerke Tibulls, für Dichtungen von Messallas Sohn Messalina und auch für ovidisch gehalten; heute ordnet man sie mehrheitlich der nachovidischen Epoche zu. In 3,1 – 6 nennt der Sprecher sich selbst Lygdamus, seine puella Neaera. 3,7 (= 4,1) ist ein Panegyricus (Preisgedicht) auf Messalla; der Anlass ist Messallas Konsulat, 31 v. Chr. Die Gedichte 3,8 – 12 (= 4,2 – 6) bilden einen Zyklus von Elegien, in denen Mann und Frau – Cerinthus und Sulpicia – sich gegenseitig andichten. Ganz aus der Perspektive einer Sulpicia (sie gibt sich als Nichte Messallas zu erkennen) ist die Gruppe 3,13 – 18 (= 4,7 – 12) verfasst, kleine epigrammartige Dichtungen im elegischen Versmaß, die sich in ihren Motiven mehrfach mit dem Zyklus 3,8 – 12 berühren, aber weit weniger konventionell wirken: Selbstbewusst bekennt sich ,Sulpicia’ zu ihrer Liebe und sexuellen Hingabe; bitter beklagt sie eine drohende Trennung von dem Geliebten; argwöhnisch verzeichnet sie ein Nachlassen seines Interesses. Wenn diese faszinierenden Kleintexte tatsächlich von einer Frau stammen, dann sind sie die einzigen erhaltenen Zeugnisse von Frauendichtung innerhalb der frühen und klassischen römischen Literatur. In 3,19 (= 4,13) trägt die persona des elegischen Sprechers den Namen Tibull, stilistisch steht die Elegie aber den tibullischen Texten fern. 3,20 ist nicht mehr als ein kurzes Epigramm ohne besonderen Reiz (Solmsen 1962; Tränkle 1990; Santirocco 1979; Currie 1983).
Sulpicia
VI. Properz a. Leben und Werk im Überblick Sextus Propertius stammt aus Assisi und gehörte wahrscheinlich dem Ritterstand an. Werkinterne Hinweise (4,1,129f.) lassen vermuten, dass seine ursprünglich wohlhabende Familie im Zuge der Ansiedlung von Söldnern bei Perugia im Jahr 40 enteignet wurde. Er selbst war – so ist aus Ovid, Trist. 4,10,53 zu erschließen – etwas jünger als Tibull; sein Geburtsjahr dürfte um 50 v. Chr. liegen. Unsicher ist auch sein Todesjahr; sein Werk enthält keine Hinweise auf Ereignisse nach 15 v. Chr. Properz’ literarisches Werk umfasst vier Bücher Elegien mit insgesamt über 90 Gedichten, die zwischen 29 und 15 v. Chr., also gleichzeitig mit Tibulls Elegien, entstanden sind. Buch 1 wurde als Monóbiblos, Einzelbuch, herausgegeben (vgl. Martial 14,189). Properz selbst bezieht sich auf dieses Buch, das ihm frühen Ruhm gebracht habe, unter dem Stichwort Cynthia. So heißt die puella seiner Elegien und das erste Wort des Buches, vielleicht auch sein Titel. Ob die folgenden Bücher in Gruppen, gemeinsam oder separat erschienen, ist nicht bekannt.
Herkunft
Die Elegienbücher
111
Die Autoren der augusteischen Zeit
D. Properz und die Augusteer
Maecenas ist im ersten Buch, das Properz’ Freund Tullus gewidmet ist, noch nicht erwähnt, aber Adressat von 2,1 und 3,9; wahrscheinlich hat er Properz nach dem dichterischen Erfolg der Monobiblos in seinen Kreis gezogen. Persönliche Bekanntschaft pflegte Properz auch mit dem etwa gleichaltrigen Ovid; ihm soll er seine Elegien vorgetragen haben (Ovid, Trist. 4,10, 45 f.). Anderen zeitgenössischen Autoren, deren Werk uns nicht erhalten ist – unter anderem dem Iambographen Bassus (1,4) und dem Epiker Ponticus (1,7 und 1,9) – , widmet er Gedichte. Ob der in 1,10 und 1,13 angesprochene Gallus der Elegiker Cornelius Gallus ist oder dessen Nachfolger in der Präfektur Ägyptens, Aelius Gallus, ist umstritten. Von Vergils Dichtung spricht Properz mit großer Achtung; auch die Aeneis hat er noch gekannt. Horaz und Tibull dagegen nennt er nicht, obwohl es zwischen den Werken der drei Autoren deutliche Berührungspunkte gibt.
b. Elegien
poeta amator
Mythos
poeta doctus
112
Properz’ Elegienwerk ist weit umfangreicher als das Tibulls. Das impliziert bereits eine größere thematische Breite. Properz unterscheidet sich aber auch in Sprache, Stil, Gedankenführung und partiell sogar im Liebeskonzept und der Sprechhaltung von dem etwas älteren Zeitgenossen. Der Grundkonflikt der elegischen Liebe ist natürlich gewahrt: Der nequitia der puella – sie heißt Cynthia nach dem Kynthos, dem Geburtsberg Apolls auf Delos – steht die treue Liebe des Mannes gegenüber, der sich als poeta amator stilisiert. Aber Properz gibt seinem Liebenden einen anderen Charakter: Er erträgt nicht, wie ,Tibull’, die Launen und Lügen des Mädchens mit resignativer Gelassenheit oder der Flucht in eine Scheinwelt der Harmonie, sondern kostet den Schmerz der unglücklichen Liebe und die Umschwünge von Entbehrung und Genuss, Hoffnung und Enttäuschung extensiv aus. Aufbegehren, Drohung, Verachtung und Absage konterkarieren die Werbung, die Beschwörungen ewiger Treue und das seltene Glück der Erfüllung. Ein ganz besonderes Kennzeichen properzischer Dichtung ist die stete Präsenz des Mythos: Mythenkataloge und umfängliche mythische Vergleiche durchziehen die Elegien. Der Mythos ist für Properz ein Referenzbereich eigener Erfahrung, Spiegel für das Glück und Leid seines Lebens, Belegmaterial für Belehrung, Trost oder Warnung. Natürlich bieten die mythischen exempla und Exkurse dem Elegiker auch und vor allem das Mittel, sich als poeta doctus zu stilisieren; das anspielungsreich eingebrachte und oft entlegene ,Bildungswissen’ gibt Properz’ Elegien einen intellektuellen und gewissermaßen elitären Charakter; auch das unterscheidet sie von der schlichten und sanften Emotionalität Tibulls. Dazu passt, dass Properz auch Cynthia als puella docta stilisiert; es ist gerade ihre Empfänglichkeit für Dichtung, die seinen Drohungen, sie nicht mehr zu besingen, Wirkung verleiht. Den an Kallimachos geschulten Anspruch poetischer Gelehrsamkeit demonstrieren auch die Textpassagen, die die eigene Rolle als Dichter reflektieren. In der römischen Tradition der Liebesdichtung behauptet Properz ebenso selbstbewusst seinen Platz wie gegenüber den griechischen Vorbildern Kallimachos und Philitas. Seine Dichtung wird ihm und denen, die er besingt, Unsterblichkeit schenken.
Properz Tod
Verhältnis zur augusteischen ,Ideologie ,
Ein zentrales Thema der properzischen Elegie ist der Tod: Den eigenen beschwört er ebenso wie den der Geliebten – mit Schrecken, aber auch mit Faszination. Der Tod findet in den verschiedensten Facetten Eingang in seine Dichtung: Er ist zugleich Bedrohung der Liebe und letzte Überwindung des Liebesleides; er ist Strafe für den treulosen Mann und – als Verlust des Geliebten – für das grausame Mädchen; der Liebende kann ihn ebenso überwinden wie der Dichter; im Tod winkt die letzte Versöhnung, die Einheit mit der puella. Wie Tibulls Gesamtwerk, so erweckt auch die properzische Monobiblos den Eindruck, der Dichter habe die Tendenzen augusteischer Ideologie nicht zur Kenntnis genommen. Nur die letzten beiden Texte in Buch 1 vermitteln in den Worten eines im Bürgerkrieg Gefallenen und in der abschließenden Siegelung des Buches, die das Leid der umbrischen Heimat und den Verlust eines Verwandten im Bürgerkrieg beklagt, eine negative, aber ganz private Perspektive auf die Zeitgeschichte. Die späteren Bücher sind deutlicher vom Zeitgeist geprägt: In Buch 2 tragen die wiederholten Beschwörungen der eigenen Leidenschaft den Charakter einer Apologetik der gewählten Lebensform (2,30): Der nunmehr in den Maecenas-Kreis aufgenommene Autor scheint den Eindruck zu haben, seine erotische Elegie gegen die Ernsthaftigkeit der vergilischen und horazischen Werke verteidigen zu müssen. Provokativ ist Properz’ Reaktion auf die augusteische Ehegesetzgebung (2,7); es ist nicht römische virtus, die Properz’ Lebensideal ausmacht, sondern der Genuss von Cynthias Liebe. Auch Buch 3 steht noch unter dem Zeichen der recusatio panegyrischer Dichtung, die nach dem ungeschriebenen Gesetz des Motivs durch gelegentliche Abschweifungen in politisch-panegyrische Themen mehr bestätigt als widerlegt wird. Und ,abweichlerisch’ ist auch seine Einstellung zum Krieg: Properz lässt ihn nicht – wie Vergil und Horaz – als Mittel, Roms Größe zu vollenden und der Welt die Ordnung zu bringen, gelten; wie Tibull erklärt er ihn zum Feind der Liebe und spricht damit das strikteste Verdikt aus, das für ihn denkbar war (3,12,5 f.:, omnes pariter pereatis avari / et quisquis fido praetulit arma toro! Zugrunde sollt ihr gehen, all ihr Geizigen, und wer auch immer dem Lager der treuen Freundin die Waffen vorzog). Im Zentrum des Wertekosmos, an dem er sich orientiert und den er für verbindlich erklärt, stehen die Liebe, die Freundschaft, das Recht auf individuelle Lebensgestaltung, die Tapferkeit und Moralität des einzelnen, nicht der Gesellschaft. Es ist wichtig für das Verständnis der Epoche, dass zumindest in den frühen Jahrzehnten augusteischer Herrschaft das geistige Klima noch genug an Liberalität aufwies, um die Publikation und Wertschätzung solcher Dichtung zu ermöglichen (Little, 1982). Erst am Ende seines literarischen Schaffens – und sicherlich unter dem Eindruck, die Variationsbreite der Gattung erschöpft zu haben – erprobt Properz neue Themen für die Elegie. Die Wende wird eingeleitet durch die Absage an die puella im letzten Gedicht von Buch 3; in 4,1 beruft sich der Dichter dann programmatisch auf die kallimacheischen Aitia und gestaltet römische Aitiologien. Allerdings dominieren auch hier – wie schon bei Kallimachos – die ,Liebesgeschichten’, wechselt der Ton zwischen didaktischer Ernsthaftigkeit und spielerischem Witz; ebenso verfährt später Ovid in den Fasti, wo aitiologische Romdichtung zum Thema eines umfänglichen Werkes wird.
D.
recusatio; der Krieg als Feind der Liebe
Buch 4: Aitiologie
113
Die Autoren der augusteischen Zeit
D. Properz und Horaz
Themenführung
Überlieferung und Textgestalt
114
In vielen Motiven steht Properz ausgerechnet dem Zeitgenossen nahe, den er in seiner Dichtung nicht zur Kenntnis nimmt und der auch seinerseits Properz’ Namen nicht nennt: Horaz. Die wiederholte Reflexion des eigenen Künstlertums, der Widerstreit zwischen Hingabe und Absage an die Liebe, die Freundesdichtung mit ihren didaktischen Ansätzen, auch das Todesthema als Folie der Belehrung und Werbung, die recusatio gegenüber dem heroischen Epos, die Verwendung des Mythos, die – allerdings bei Properz weit zurückhaltender praktizierte – Panegyrik im Spätwerk und auch Sprache und Stil rücken die properzischen Elegien näher an die horazische Lyrik als an die Elegien Tibulls; von diesen hebt sich Properz auch durch die weit geringere Transparenz des Aufbaus ab. Wechsel und Umbrüche prägen die Komposition der Einzelelegien und Bücher. Ernsthaftes wird durch Humor und Ironie, auch Selbstironie, aufgebrochen, die Stimmungen von Trauer, Zorn und Leidenschaft wechseln mit kühler Reflexion, nicht im gleitenden Übergang, wie bei Tibull, sondern im jähen Neubeginn – vorbereitet allenfalls durch einen Begriff, eine Anschauung, ein mythisches Beispiel. Unvermittelte Gedichteinsätze – mit einem erst später aufgelösten Vergleich, einer Frage, einem Vorwurf – erzeugen dramatische Spannung; die Wiederholung von Begriffen oder Junkturen im Folgevers setzt eigenwillige Akzente. Ältere Forschung sah in der stilistischen Uneinheitlichkeit das Zeichen einer gewissen jugendlichen Unreife des Autors; erst in den letzten Jahrzehnten hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass hier ein ganz spezifisches Kunstmittel angewandt ist: Properz spielt mit den Erwartungen seiner Leser ein ironisches Spiel und überrascht sie immer neu durch Stil- und Themenwechsel. Die Tendenz mancher Herausgeber, diese Uneinheitlichkeit durch eine umfängliche Umstellung von Versgruppen zugunsten von Zusammenhang und Ordnung aufzuheben oder, wo dies nicht möglich scheint, Lücken in der Überlieferung anzunehmen, gilt heute als eher fragwürdig; die neuere Properz-Philologie sieht gerade in der thematischen und stilistischen Vielfalt eine spezifische dichterische Technik am Werk, deren Intention durch Interpretation nachvollzogen werden kann. Immerhin mögen einige Brüche in der thematischen Entwicklung auch einer verfälschenden Überlieferung zuzurechnen sein: Zumindest sind in den Handschriften die Gedichtgrenzen nicht immer klar gekennzeichnet oder aber fragwürdig, ein Befund, der bewirkt hat, dass die Einteilung der Elegien in den einzelnen Editionen uneinheitlich ist und Zählungen wie 8 a und 8 b zustande kommen. Verwirrung hat auch eine textinterne Aussage zur Zahl der Bücher gestiftet: In 2,13,25 äußert der Autor, es genüge ihm, wenn drei Bücher Elegien sein Totengeleit bildeten. Der Herausgeber Lachmann hat daraus gefolgert, diese Aussage müsse sich im 3. Buch befinden; er hat deshalb das als Buch 2 überlieferte Textcorpus unterteilt und mit 2,10 das dritte Buch beginnen lassen; als Argument für ein solches Verfahren galt auch die außergewöhnliche Länge des 2. Buches. Dieses Verfahren steht allerdings in Widerspruch zur gesamten Überlieferung und beruht außerdem auf einer fragwürdigen Interpretation des Verses: Der Hinweis auf drei Bücher als ,Lebenswerk’ muss sich nicht auf bereits vorliegende Schriften beziehen, sondern kann ebenso gut Verheißung noch zu erwartender Dichtung sein. Die in der Mitte von Buch 2 ungeordnet erscheinende Gedicht- und
Properz Motivfolge hat allerdings auch in jüngerer Zeit Goold veranlasst, das Buch für die Zusammenfassung zweier älterer Bücher zu halten und in seiner Edition (1990, 2. Auflage 1999) einige Umstellungen vorzunehmen. Der Härte der Themenführung korrespondiert eine gewisse Uneinheitlichkeit der Sprache: Properz streut gewählte Gräzismen ebenso wie Alltagsbegriffe und umgangssprachliche Wendungen ein. Gekünstelt wirkende Ausdrücke und Umschreibungen wechseln ab mit ganz präzisen Benennungen, umfängliche Perioden mit Sentenzen von epigrammatischer Knappheit. Zur artistischen Wirkung der Disticha trägt bei, dass ein hoher Prozentsatz der Pentameter und auch der Hexameter Binnenreime aufweist – eine Stilisierung, die der Formenbestand der lateinischen Sprache allerdings erleichterte. Die Anordnung der Elegien im Buch ist nicht willkürlich, wenngleich Strukturanalysen nicht in allen Aspekten überzeugend sind; solche Modelle werden natürlich durch die Unsicherheit hinsichtlich der Anfangs- und Endpunkte einzelner Elegien zusätzlich belastet. Unverkennbar stellt Properz über die Gedicht- und Buchgrenzen hinaus Beziehungen zwischen einzelnen Elegien her: Besonders in Buch 2 ist auffällig, wie häufig ein Wort vom Ende der vorangehenden Elegie zu Beginn der folgenden wieder aufgegriffen wird. Die Einheit der Bücher 1 – 3 ist durch thematische Rückbezüge pointiert: Buch 1 endet mit der Frage eines Freundes nach Herkunft und Geschlecht des Dichters, Buch 2 beginnt mit der Frage des römischen Publikums nach der Herkunft seiner Dichtung und endet mit der Berufung auf die römischen Vorläufer in der Liebesdichtung, Buch 3 beginnt mit der Beschwörung der Totengeister der griechischen Vorbilder Kallimachos und Philitas. Am Ende von Buch 3 steht die bittere Absage an Cynthia, und damit an die Liebeselegie; Buch 4 setzt mit der Hinwendung zu aitiologisch-patriotischen Themen ein. Gelegentlich werden zwei aufeinander folgende Elegien durch gemeinsame Motive zusammengebunden (wie beispielsweise 2,20 und 21 durch das Motiv der Treue). Solche Elegienpaare variieren das Thema häufig auch im Ton, etwa als Bewegung vom höheren Ton zum niedrigeren. Auch größere Gruppen von Elegien sind manchmal zusammengeschlossen: 1,4 – 7 ist Freundesdichtung; 2,10 – 13 spielt unter verschiedenen Vorzeichen ein Ende der Liebesdichtung durch; am Anfang und Ende von Buch 3 steht jeweils eine thematisch einheitliche Gruppe von fünf Elegien: 3,1 – 5 umkreist die eigene Dichtung, 3,21 – 25 variiert das Thema der Entfremdung von Cynthia. Kennzeichnend für Buch 4 ist die variatio zwischen den Themenfeldern Geschichte und Liebe. Die Elegien 1, 6 und 10 rühmen die Größe Roms und seines princeps; sie bilden ein Gerüst, in dem 6 die Funktion des Mittelpfeilers übernimmt. Die ,Zwischenräume’ sind durch aitiologisch geprägte Elegien und Liebeselegien ausgefüllt, die in lockerer Systematik abwechseln. Ob eben dies die Absicht war oder Properz ursprünglich vorhatte, ein ganzes Buch mit Aitiologien zu füllen, ist nicht zu klären. Die einleitende Elegie 4,1 erweckt den Eindruck, die Mischung der Themen sei von Anfang an beabsichtigt gewesen; doch könnte das Bekenntnis zur Liebesdichtung im zweiten Teil der Elegie (beziehungsweise in 4,1b, die Gedichtgrenze ist umstritten) auch von Properz ergänzt worden sein, als ihm klar wurde, dass die Aitiologie nicht das ganze Buch ausmachte.
D.
Stil
Buchkomposition
115
Die Autoren der augusteischen Zeit
D. Nachwirkung
Cynthia
Schönheitslehre
Die schlafende Geliebte
Bassus und Gallus
Tullus und Ponticus
Macht der Liebe
Trennung
116
In der Spätantike sind Properz’ Elegien vielfach präsent und rezipiert. Im Mittelalter geht sein Einfluss zurück, aber die Dichter der Renaissance entdecken ihn neu für sich. Petrarcas Lyrik und Goethes Römische Elegien sind besonders von Properz beeinflusst. 1,1: Cynthia ist das erste Wort der ersten Elegiensammlung; Cynthia ist für ,Properz’ auch die erste Liebe, die er nicht aufgeben kann. Vorbilder solcher Liebesverfallenheit bieten ihm die mythischen Gestalten, auf deren Liebesgeschicke er kurz hinweist. Er beschwört magische Mächte ebenso wie seine Freunde, ihn zur Vernunft zu bringen – und sich durch sein Beispiel warnen zu lassen. Eine kleine Schönheitslehre entfaltet 1,2: Der Liebende fordert Cynthia auf, nicht durch Kleidung und Schmuck in der Öffentlichkeit auffallen zu wollen. An den Reizen der Natur, die sich schlicht präsentiert, und an den mythischen Heldinnen, die auf künstliche Verschönerung verzichteten, soll Cynthia sich orientieren; schmucklos gefalle sie ihm am besten – zumal sie ja kunstvoll singen und die Leier spielen könne. 1,3 malt das Bild der schlafenden Cynthia, an deren Bett der vom Gastmahl zurückkehrende Liebhaber tritt. Mythischen Heldinnen ist die puella vergleichbar, und der (ziemlich betrunkene) Mann wagt sie nicht zu wecken, sondern legt sich nur vorsichtig neben sie und genießt ihre Nähe und ihren Anblick. Der Mond aber weckt Cynthia auf; bitter beklagt sie, dass der Geliebte sie allein einschlafen ließ; wie sie in 1,2 seine Belehrungen, so muss nun er ihre Klagen hinnehmen. Die Elegie ist reich an erotischen Untertönen, sowohl im scheinbar harmlosen Spiel mit der Schlafenden wie auch in der Klage der Verlassenen, die zugleich auf den die Elegie einleitenden Vergleich mit der am Strand von Naxos verlassenen Ariadna verweist. In 1,4 und 1,5 klagt der Sprecher zwei Freunde an; Bassus will den Sinn des Liebenden von Cynthia fortlenken; ihn wird Cynthias Zorn treffen. Gallus scheint den Liebhaber bei Cynthia verdrängen zu wollen; aber will er wirklich so leidvolle Liebe auf sich nehmen? In 1,6 und 1,7 behauptet der Sprecher seinen der Liebe gewidmeten Lebensentwurf gegenüber anderen Lebensformen: 1,6 ist Propemptikon für Tullus, der nach Athen und Kleinasien reist; ,Properz’ kann ihn nicht begleiten, denn ihn hält die Liebe zu Cynthia in hartem Dienst zurück; 1,7 wünscht dem Dichter Ponticus gutes Gelingen für sein Epos über den thebanischen Krieg; der elegische Sprecher wird dagegen seinen Ruhm in der Liebeslyrik finden. Auch 1,8 ist der Macht der Dichtung gewidmet: Dem Propemptikon an Cynthia, die einen Nebenbuhler auf einer Seereise begleiten will (8 a), folgt in 8 b (Vers 27 ff.) der Triumph über den Sinneswandel der puella: Besiegt von seinen Liedern, wird sie den Liebenden nicht verlassen. Aber nicht jede Art von Dichtung hilft in der Liebe: 1,9, wie 1,7 an Ponticus gerichtet, fordert den Freund, der nun selbst Liebesqualen leidet, auf, von seinen epischen Dichtungen abzulassen und Verse im Stil des griechischen Elegikers Mimnermos zu schreiben – und dem Freund von seiner Liebe zu berichten. Auch in 1,10 nimmt der Dichter Anteil am Liebesglück eines Freundes (Gallus), das er nach Kräften fördern will. In 1,11 fleht er Cynthia um baldige Rückkehr aus Baiae an; in 1,12 beklagt er die räumliche und innere Entfremdung: Der Liebende ist in Ungnade und doch selbst der Liebe grenzenlos verfallen.
Properz Die folgenden beiden Elegien sind Freunden zugedacht: 1,13 wünscht Gallus Glück für die Liebe, der er nun nach zahlreichen unsteten Liebschaften rettungslos verfallen ist; 1,14, an Tullus gerichtet, hebt den Vorrang des Liebesglücks vor allen Schätzen hervor. 1,15 beschuldigt die Geliebte, die drohende Trennung allzu leicht hinzunehmen. In 1,16 klagt die Haustür einer leichtfertigen domina über die ständigen Belästigungen seitens der Liebenden; die Klage des Liebhabers vor der verschlossenen Tür (das Paraklausithyron) wird umfangreich zitiert. 1,17 malt den Tod in der Ferne aus, der doch verdient wäre, der Liebhaber hat ja die puella verlassen können. In 1,18 klagt der Liebende der Natur sein Leid und lässt Cynthias Namen in den Bergen widerhallen; in 1,19 malt er sich den eigenen Tod aus, den die Liebe zu Cynthia überdauern wird. 1,20 – 22 evozieren die verstörende Erfahrung ewiger Trennung durch Verlust oder Tod: 1,20 mahnt Gallus, den schönen Knaben, den er liebt, gut zu bewachen; gerade in der Einsamkeit der Natur lauern die begehrlichen Nymphen. Als Beispiel wird der Mythos vom Raub des Hylas erzählt. 1,21 und 22 sind kurze Texte, eher Epigramme als Elegien. In 21 teilt ein Opfer des Bürgerkriegs von Perugia einem fliehenden Soldaten sein Schicksal mit; das Gedicht trägt die Züge einer Grabinschrift. Auch 1,22, ein Text, der das Buch durch Angaben zur Abstammung seines Verfassers siegelt, legt in der Benennung seines Geburtsortes den Akzent auf die Verwüstung der Heimat im Krieg. 2,1, an Maecenas gerichtet, ist zugleich Preis der Liebe und recusatio: Nicht die Götter oder Musen inspirieren den Dichter, sondern seine puella; so vermag er trotz guten Willens nicht das Loblied auf Maecenas oder Caesar anzustimmen. Dass die puella diese Liebe verdient, zeigen die folgenden Elegien: 2,2 preist ihre göttergleiche Schönheit, 2,3 hebt als noch bedeutender ihre Begabung im Tanz, im Saitenspiel und im Dichten hervor; kein Wunder, dass sie alle Männer in ihren Bann zieht. Die ganze Spanne von Abwendung und Zuwendung umfassen die folgenden Elegien: 2,4 warnt vor der Liebe zu Frauen, die stets unsicher und verderblich ist; leichter sind Knaben zu gewinnen. 2,5 droht dem treulosen Mädchen: Der Dichter wird ihre Untreue nicht mit Schlägen rächen, sondern in seinen Versen anprangern. Auch 2,6 ist noch von Eifersucht geprägt, mündet aber in der Beschwörung ewiger Bindung: Dem Liebenden ist Cynthia zugleich Freundin und Ehefrau, amica und uxor. Dass die Verbindlichkeit dieser Beziehung jenseits gesellschaftlicher Konventionen liegt, weist 2,7 auf: Der amator triumphiert über das Scheitern eines Gesetzes, das ihn zur ,standesgemäßen’ Ehe gezwungen hätte; er will keine Söhne für Caesars Feldzüge zeugen, denn höher als der Fortbestand seines Geschlechts steht ihm die Liebe zu Cynthia. Bitterkeit gegenüber der untreuen Geliebten prägt die folgenden Elegien: 2,8 schildert die Folgen von Cynthias Verlust an einen Rivalen: ,Properz’ will sterben, aber nicht allein, sondern die Geliebte zuvor töten. Mythische Exempla (Haemon, Achilles) rechtfertigen solche Verfallenheit an die Liebe. Auch in 2,9 mündet die Eifersucht zunächst im Todeswunsch, dann aber in die Versicherung lebenslanger Treue. Vers 47f. wie auch die in den modernen Editionen gewöhnlich separierte Versgruppe 49 – 52 (= 9 b) enthalten Verwünschungen des Nebenbuhlers.
D.
Verlust und Tod
recusatio
Ehegesetze
Untreue und Tod
117
Die Autoren der augusteischen Zeit
D. Absage an die Liebesdichtung Amor
Aurora und Tithonus
2,10 (Lachmann ließ hier Buch 3 beginnen) verheißt den dichterischen Preis römischer Kriegstaten; dieser Abkehr von der Liebesdichtung entspricht 2,11, Absage an Cynthia, die nicht länger besungen werden soll. 2,12 deutet die Gestalt Amors aus: Er ist ein Knabe, da Liebende wie Kinder ohne Sinn und Verstand leben; seine Flügel verweisen auf seine Unbeständigkeit, seine Waffen auf die jähen Wunden, die er hervorruft. Nur bei ,Properz’ hat der Amor-Knabe seine Flügel offensichtlich verloren; beständig bleibt er ihm im Herzen. Aber er soll sich hüten: Ist erst der Dichter an der Liebe gestorben, wer wird dann ihm zum Ruhm die Schönheit der puella besingen? 2,13 a (1 – 16) führt das Motiv von der Herrschaft Amors fort: Zu einem Einwohner des ,ascraeischen Haines‘, das heißt zu einem Nachfahren Hesiods, berufe ihn die Liebe, denn sein Wunsch sei es, die Bewunderung des kunstverständigen Mädchens zu erringen. In 13 b (17 ff.) gibt der Dichter Anweisungen für seine Totenfeier: Seine Bücher und Cynthia sollen den Leichenzug, die pompa, bilden. 2,14 und 15 sind im vollen Glück einer erfüllten Liebesnacht verfasst. 2,16 beklagt die Rückkehr eines reichen Nebenbuhlers, der ,Properz’ vorgezogen wird. Auch in 2,17 ist der Liebende schon seit zehn Tagen aus Cynthias Bett verbannt (Goold ordnet die Elegie der zweiten Buchhälfte zu und stellt sie zwischen 2,22 und 2,23). 2,18, in den Handschriften nicht unterteilt, umfasst disparate Themenblöcke: den Rat an den Liebenden, seine Eifersucht zu verbergen (1 – 4); die Liebe Auroras zu dem greisen Tithonus als Gegenexempel zu Cynthia, die selbst dem jugendlichen ,Properz’ gegenüber spröde ist (5 – 22); Befremden über Cynthias gefärbte Haare (23 ff.). 2,19 malt Cynthias Aufenthalt auf dem Land aus, weit entfernt von den Verlockungen der Stadt und in Erwartung des bald nachfolgenden Liebhabers. In 2,20 und 21 liegt die Eifersucht einmal auf Seiten des Mädchens: Der poeta amator verspricht ihr seine ewige Treue, wenngleich mythische exempla betrogener Frauen zur Vorsicht mahnen (20) und Cynthia selbst soeben die Untreue eines anderen Mannes erfahren hat (21). 2,22 ist Bekenntnis an einen Freund: Viele Frauen gefallen dem Dichter, viele kann er zufrieden stellen. Auch Achill und Hector gingen ja aus den Umarmungen von Briseis und Andromacha ungeschwächt in den Krieg. Ein neues Thema schlagen die Verse 43 – 50 an: Die Geliebte soll entweder gar nicht erst versprechen zu kommen oder aber ihr Versprechen auch einhalten. Ähnlich ,abweichlerisch’ gegenüber dem Konzept des Liebesvertrags sind die folgenden beiden Elegien konzipiert: 2,23 empfiehlt (ein aus Horaz bekanntes Thema) den Umgang mit Prostituierten, die keine reichen Geschenke fordern; jeder Liebende ist unfrei. Den Umgang mit käuflichen Frauen verteidigt ,Properz’ auch in 2,24,1 – 10: Cynthia ist ihm ja nicht mehr gewogen. Die folgenden Verse (11 – 16 = 24 b; Goold integriert die Versgruppe in 2,23) tadeln eine domina, die zahlreiche Gaben fordert. Es folgt ein in sich geschlossen wirkender Textpassus (17 – 52 = 24 c, bei Goold 24), der die Geliebte anklagt, den Mann nach wenigen Liebesnächten wieder zu verstoßen; weder an Begabung noch an Treue kann es aber der neue Liebhaber mit dem poeta amator aufnehmen. Das wird das Mädchen erkennen, wenn es ,Properz’ Tod beklagen muss. 2,25 reflektiert über Liebesleid und dennoch ungebrochene Treue. Auf die Traumebene transferiert 2,26,1 – 20 (= 26 a) diese Motive: Der Liebende sieht ,
Liebe und Tod
118
Properz die puella ertrinken und malt sich aus, wie sie von den Meeresgöttern aufgenommen und gerettet wird; ehe er sich selbst ins Meer stürzen kann, erwacht er aus dem Traum. 26, 21 – 28 (= 26b) schildert ungetrübtes Glück: Die puella ist von den Gedichten des Liebenden bezwungen worden. In 26, 29 – 58 (= 26c) verspricht der amator, das Mädchen bei der bevorstehenden Seereise zu begleiten; ihrer Liebe werden Neptun und Boreas günstig sein, wurden doch beide auch von der Liebe ergriffen. 2,27 und 28 führen das Thema ,Liebe und Tod’ unter neuem Aspekt fort: Nur der Liebende weiß, wann und woran er sterben wird; aber es ist auch allein der Liebende, der noch vom Ufer der Styx durch die Geliebte zurückgerufen werden kann. 28 setzt ein als Gebet an Iuppiter: Er soll das kranke Mädchen verschonen, wenngleich sie durch falsche Schwüre seinen Zorn verdient hat. Wenn sie aber sterben muss, dann wird sie unter die mythischen Heroinen eingehen (1 – 32 = 28 a). Die Verse 35 ff. (= 28 b) bleiben in diesem Themenfeld: Iuppiter und Proserpina werden beschworen, die Geliebte zu verschonen. Die letzten vier Verse (59 – 62) setzen bereits die Rettung voraus. In 29, 1 – 22 (= 29 a) wird der Liebende nach einem Gelage auf der Straße von einer Schar nackter Knaben (es handelt sich um Amor und sein Gefolge) gefangen genommen; in Zukunft soll er sein Mädchen nachts nicht allein lassen. Die häufig davon abgeteilten Verse 23 – 42 (= 29b) schildern den Morgen: Der amator will sehen, ob das Mädchen die Nacht allein verbracht hat. Sie erwacht, begegnet seinem Mangel an Vertrauen mit bitteren Vorwürfen und ist ihm seitdem entfremdet. Das Thema von 2,30, 1 – 12 (= 30a) ist die Allgewalt der Liebe; 13 – 40 (= 30b) rechtfertigen gegenüber strengen Tadlern ein mit der Geliebten verbrachtes Leben im Genuss von Wein, Musik und Dichtung. In 2,31 entschuldigt der Dichter eine Verspätung mit seiner Teilhabe an der Eröffnung der Porticus (Säulenhalle) des Apollon auf dem Palatin, deren Bildschmuck ausführlich beschrieben wird. 2,32 drückt das Unverständnis des Liebenden für Cynthias häufige Abwesenheit von Rom aus; sie glaubt fälschlich, unbemerkt untreu sein zu können; aber untreu sind ja alle Frauen, und so kann auch von Cynthia keine Treue gefordert werden. In 2,33, 1 – 22 (= 2,33 a) beklagt der Dichter das nahende Isis-Fest, das Cynthia zwingen wird, zehn Nächte keusch zu bleiben. Die enttäuschte Begierde des Liebenden prägt auch die Versgruppe 23 – 42 (= 2,33 b): Ungeduldig fordert der Liebende den Aufbruch vom Symposion, aber die puella freut sich noch am Wein. 2,34, an Lynceus gerichtet, bittet im ersten Teil (1 – 24) den Adressaten, sich von Cynthia fernzuhalten; der zweite Teil (25 – 58) führt dem verliebten Freund vor Augen, dass seine Schriften, die sich an Socrates oder Arat orientieren, in der Liebe nichts vermögen, ebenso wenig wie heroische Epen; nur kraft seiner Liebesdichtung herrscht dagegen ,Properz’ unter den Mädchen. Ein dritter Teil verweist mit Zuneigung und Respekt auf die vergilischen Schriften – die entstehende Aeneis, die Bucolica und Georgica; doch auch die eigenen Schriften werden, so hofft der poeta, dem Publikum willkommen sein. In den letzen Versen der Elegie und zugleich des Buches beruft sich Properz auf seine Vorgänger in der Liebesdichtung (Varro, Catull, Calvus, Gallus) und siegelt das Werk mit seinem und Cynthias Namen. 3,1 – 5 als Parodie auf die horazischen Römeroden zu lesen, wie dies in der Forschung vorgeschlagen wurde (Nethercut, 1983), geht sicher zu weit.
D.
Die Porticus des Apollon
Aeneis
Callimachus und Philitas
119
Die Autoren der augusteischen Zeit
D.
Der Parther-Feldzug
Neue Themenfelder für die Elegie
120
Allenfalls kann man von einem provokanten Kontrastprogramm sprechen, das dem horazischen Selbstverständnis als Verkünder von Roms historischer und moralischer Qualität die eigene Berufung auf griechische Vorbilder und die Liebesdichtung entgegensetzt. 3,1 beginnt mit der Anrufung der großen Schöpfer hellenistisch-gelehrter Dichtung: Callimachus und Philitas; Properz wird sich in der Liebesdichtung Ruhm erringen, zu Lebzeiten oder nach dem Tod. Dichtung schenkt ja Unsterblichkeit. 3,2 und 3 setzen das Thema von 3,1 fort: Seine Gedichte verschaffen Properz Ruhm unter den Mädchen und werden länger leben als die Pyramiden (3,2); im Traum versucht er sich an der Nachfolge des Ennius und annalistischer Dichtung, doch Apoll und die Musen verweisen ihn auf die Liebesdichtung (3,3). So preist Properz zwar in 3,4 den nahen Feldzug Octavians gegen die Parther; seine eigene Teilhabe wird sich aber darauf beschränken, gelagert im Schoß der Geliebten den Triumphzug zu betrachten. Auch 3,5 ist eine Absage an den Krieg; nur die Waffen Amors will der Dichter tragen. Wenn ihm aber das Alter die Liebe versagt, will er die Geheimnisse der Erde und der Unterwelt erkunden. Die folgenden Elegien demonstrieren im thematischen Wechsel die anhaltende Bindung an die Liebesdichtung; zugleich versucht Properz, neue Themenfelder für die Elegie zu gewinnen. 3,6, Gespräch mit dem Sklaven Lygdamus, horcht diesen über Cynthia aus, mit der der Liebende im Streit liegt. Suggestiv schildert der Dichter eine ihren Schmuck vernachlässigende, trauernde und klagende Geliebte. 3,7 ist Totenklage um einen jungen Mann, Paetus, der auf See umgekommen ist. In 3,8,1 – 34 (8 a) frohlockt der Liebende über einen Streit mit der Geliebten, die ihn beschimpft und angegriffen hat; solches Rasen zeugt ja von Liebe. Die Verse 35 – 40 (= 8 b) sind von Eifersucht geprägt. 3,9 ist recusatio großer kriegerischer Themen gegenüber Maecenas: Dieser selbst gibt das Beispiel bescheidener Zurückhaltung. 3,10 feiert den Geburtstag der puella: Die Camenae (Musen) selbst wecken ,Properz’ aus diesem Anlass, und er erteilt der Geliebten präzise Anweisungen für die Gestaltung der Feier. 3,11 vollzieht einen gedanklichen Bogen von der Gewalt des Mädchens über den Liebhaber zur Macht von mythischen Frauen überhaupt; von dort gelangt Properz zu einer entsetzt-faszinierten Stellungnahme zu Cleopatras Angriff auf Rom; er rühmt den Caesar Augustus, der diese Bedrohung abgewehrt hat. 3,12 richtet sich an Postumus, der in den Krieg zieht und seine Frau Aelia Galla in Rom zurücklässt. Eigentlich verdient er ihre Treue nicht, doch sie wartet auf ihn wie einst Penelope. 3,13 klagt das Besitzstreben der puellae an. 3,14 lobt den spartanischen Brauch, Jungen und Mädchen gemeinsam Sport treiben zu lassen. In 3,15 beteuert der Liebende seine Treue; die Eifersucht der puella gegenüber der unfreien Lycinna, mit der er vor Jahren die ersten Liebesnächte teilte, ist unangebracht. Der Mythos der Antiopa gibt ein Beispiel für die verderblichen Folgen weiblicher Eifersucht. In 3,16 sieht sich der Liebende in dem Dilemma, in tiefer Nacht von der puella nach Tivoli befohlen zu werden. Er wägt die Gefahren der nächtlichen Reise gegen die Folgen des Ungehorsams ab, dabei siegt der Gedanke, dass ein Tod im Dienst der Herrin süß wäre. 3,17 ist ein Gebet an den Weingott Bacchus, der den Dichter in einsamen Nächten die Liebesschmerzen vergessen machen soll.
Properz Klage um Marcellus
Italien
,Stadtführung
,
3,18 beklagt und verherrlicht den jüngst in Baiae verstorbenen Schwiegersohn des Augustus, Marcellus. 3,19 belegt die im Vergleich zu den Männern größere Leidenschaftlichkeit der Frauen durch mythische Exempla. 3,20,1 – 10 (= 20 a) tröstet eine Freundin nicht ohne Eigennutz über den Verlust eines Liebhabers; der Sprecher bietet sich als Ersatz an. In 3,20,11 – 30 (= 20 b) steht die erste Nacht bevor, und die Beziehung soll durch ,Verträge‘ und Opfer Rechtscharakter und den Segen der Götter erhalten. 3,21 ist eine bittere Absage an Cynthia: Angesichts ihrer Zurückweisungen will der Liebende nach Athen aufbrechen, um sie dort vergessen zu können. 3,22 fordert den Freund Tullus auf, aus der Ferne nach Italien zurückzukehren; Italiens Reize werden in der rhetorischen Tradition der laudes urbium gepriesen; anders als Vergil in den Georgica (Georg. 2,136 – 176) beschwört Properz Italien nicht als Raum, in dem Frömmigkeit und Fleiß herrschen, sondern als Szenerie für ein sicheres otium. In 3,23 sind dem Liebenden die tabulae (Schreibtäfelchen) mit den Botschaften der puella gestohlen worden; er verspricht reichen Lohn für die Wiederbeschaffung. 3,24 wirft dem Mädchen vor, sich mit einer Schönheit zu brüsten, die doch nur in den verliebten Augen des Dichters bestanden habe. Der aber ist jetzt von seinem Wahn geheilt und vertraut sich der Bona Mens (gesunder Menschenverstand, hier als Gegengottheit zu Venus aufzufassen) an. Auch 3,25 ist Absage an Cynthia, da ein einträchtiges Leben mit ihr nicht möglich sei. Das Alter aber soll sie mit allen Spuren körperlichen Verfalls strafen und ihr Unrecht aufweisen. In 4,1,1 – 70 (= 1 a) mustert der elegische Sprecher zunächst nach Art einer Stadtführung die historisch bedeutsamen Orte Roms und beschwört dann mit zunehmender Emphase die große römische Vergangenheit bis hin zu den troianischen Ursprüngen; der Dichter stellt sich an die Seite der Stadtgründer Aeneas und Romulus: In Versen will er als ein römischer Kallimachos, ein Hinweis auf die Aitia, die Mauern Roms neu erstehen lassen: sacra diesque canam, die Heiligtümer und die [Gedenk-]Tage will ich besingen (69); Ovid wird seine Fasti ganz ähnlich ankündigen. Im folgenden Teil (4,1,71 – 150 = 1b) antwortet der Astrologe Horus dem Dichter: Die Zeichen für das zuvor angekündigte dichterische Unterfangen seien ungünstig. Er gibt einige Proben seiner Kunst der Zukunftsdeutung und Hinweise zu Properz’ Herkunft und Leben. Abschließend erinnert er an Properz’ Berufung zum Liebesdichter durch Apoll. Damit vereinigen 1a und 1b die beiden Themenfelder des vierten Buches und setzen sie in Spannung zueinander. In 4,2 – 5 wechselt das historisch-mythische Thema jeweils mit dem erotischen ab. 4,2 lässt das Standbild des (wohl ursprünglich etruskischen) Gottes Vertumnus die Aitiologie seines Namens darlegen; freilich weiß der Gott selbst nicht genau, welche der drei Alternativen, die er anbietet, die richtige ist. Die Hinwendung der Statue an den Vorübergehenden ist dem griechischen Grab-Epigramm entlehnt, das häufig als Ansprache des Grabsteins an den Wanderer stilisiert ist; die Abwägung alternativer Erklärungen imitiert den Ton der Lehrdichtung. 4,3, ein Liebesbrief der ,Arethusa’ an den fernen Gatten ,Lycotas’, überträgt die elegische Klage in die Perspektive der (verheirateten) Römerin; die
D.
Vertumnus
Arethusa
121
Die Autoren der augusteischen Zeit
D. Tarpeia
Actium
Cacus; Iuppiter Feretrius
Cornelia
122
Einführung einer ,elegischen Sprecherin’ könnte als Modell für Ovids Heroides gedient haben; doch ist die Chronologie unsicher. 4,4 erzählt – als Aitiologie für den Namen des mons Tarpeius (ein Felsabhang des Kapitols) – die Geschichte der Vestalin Tarpeia, die sich in den sabinischen König Tatius verliebt und ihm die Stadt verrät. Der Konflikt der jungen Frau, die ihrer Leidenschaft zum Opfer fällt und ihre Verpflichtung gegenüber der Göttin und dem Vaterland verrät, ähnelt dem Konflikt Didos bei Vergil (Aeneis 4). 4,5 verflucht eine Kupplerin, die das geliebte Mädchen zu Treulosigkeit und Habgier aufstachelt. 4,6 preist Augustus’ Sieg in Actium und seinen (diplomatischen) Triumph über die Parther; hier liegt das deutlichste Bekenntnis zu Augustus’ politischer und kriegerischer Leistung innerhalb des properzischen Werkes vor; es ist planvoll in die Mitte des Buches gerückt. Die Schlacht bei Actium ist wie üblich als Krieg gegen Kleopatra – und nicht als Bürgerkrieg – aufgefasst; wie auch wiederholt bei Horaz mischt sich der Herrscherpreis mit religiöser Ergriffenheit. Die Elegie enthält nichts, was die Ernsthaftigkeit des Bekenntnisses zu Augustus, Rom und seinen Göttern relativieren könnte: Apoll selbst erteilt Augustus den Auftrag, die Heimat von Furcht zu befreien (solve metu patriam, 41). Allenfalls die raffinierte Doppelbödigkeit des geschilderten Dankopfers, das zugleich Bestimmung des eigenen Standortes als vates in der Nachfolge von Philitas und Kallimachos ist (1 – 10), und das Bild der Seegottheiten, die der siegreichen Flotte Beifall spenden (61f.), tragen den heiteren Ton hellenistischer Dichtung. Ab 4,7 folgen jeweils zwei thematisch analoge Elegien aufeinander: In 4,7 erscheint dem Dichter der Schatten der jüngst verstorbenen Cynthia und klagt ihn des nachlässigen Totendienstes an; die Tote fordert die Bestrafung aller, die an ihrem Tod Schuld tragen oder sie beleidigt haben, und Lohn für ihre Amme und ihre Lieblingssklavin. Sie berichtet von ihrem Aufenthalt im Hades, im Kreis mythischer Liebender, und verkündet dem Geliebten die baldige Wiedervereinigung im Tod. 4,8 ist Erinnerung an eine lebhafte Eifersuchtsszene, nachdem ,Properz’ von Cynthia mit zwei anderen Frauen beim Gastmahl ertappt worden ist; die unterschiedlichen Stilebenen geben der Elegie besonderen Reiz. 4,9 erzählt die bei Rom angesiedelte Cacus-Episode aus dem HerculesMythos (die auch Vergil in der Aeneis und Livius in Buch 1 berichten) und gibt so das Aition für die Verbannung von Frauen aus dem Kult des Hercules an der Ara Maxima. Die Elegie setzt im hohen Ton des Hymnos ein, lässt aber auch die Komik des heroischen Rinderhirten Hercules deutlich werden. Aitiologisch ist auch 4,10: Es geht um den Tempel des Iuppiter Feretrius, dem römische Feldherren die Waffen weihten, die sie eigenhändig dem Anführer der Feinde abgenommen hatten. Properz geht kurz auf die drei bekannten Weihungen solcher spolia opima durch Romulus, Cossus und Claudius ein. In 4,11 nimmt die verstorbene Cornelia, Tochter aus einer früheren Ehe von Augustus’ zweiter Frau Scribonia, Abschied von ihrem Gatten Paullus und ihren drei Kindern; Properz verleiht der Toten bewegende Worte, in denen sich die Sorge um die trauernde Familie, das Bewusstsein des eigenen Verlustes an Lebenszeit und der Stolz auf die vornehme Abstammung und ein untadelig geführtes Leben verbinden.
Ovid
D.
VII. Ovid a. Leben und Werk im Überblick Als Quelle für Ovids Leben besitzen wir, neben spärlichen Hinweisen bei seinem älteren Zeitgenossen Seneca pater, nur sein eigenes Werk, das, wenn auch im einzelnen stilisiert, wichtige Informationen liefert; vor allem das späte Gedicht Tristia 4,10 ist in weiten Teilen als Autobiographie angelegt. Ovid wurde am 20. 3. 43 v. Chr. in Sulmo (heute Sulmona, circa 100 km östlich von Rom) geboren; seine Familie gehörte dem ordo equester (Ritterstand) an und war wohlhabend. In Rom erhielt er die übliche Ausbildung, in der die Rhetorenschule mit ihren Deklamationsübungen eine bedeutende Rolle spielte: Seneca pater überliefert Auszüge aus einem solchen rhetorischen Schauvortrag Ovids (Contr. 2,10,8). Ein längerer Aufenthalt in Athen und Sizilien schloss die Ausbildung ab. Bereits früh war sich Ovid seiner dichterischen Begabung bewusst. Der Tod seines einzigen Bruders veranlasste ihn zwar, sich für kurze Zeit dem Wunsch seines Vaters zu fügen und eine politische Karriere anzustreben; dieser Weg führte ihn aber nur bis zur Teilhabe an einem der Dreimännerkollegien – wahrscheinlich war er Münzmeister. Um das Amt eines Aedils – die nächste Stufe im cursus honorum – bewarb er sich nicht mehr. Manchmal nahm er noch das Amt eines Richters wahr, im Übrigen hat er sich wohl ganz seiner Dichtung gewidmet. In Rom trat er in Kontakt mit dem MessallaKreis und lernte Tibull kennen; aber auch mit anderen zeitgenössischen Schriftstellern pflegte er nach eigenem Bekenntnis engere Bekanntschaft, vor allem nennt er Properz und Horaz, den Lehrdichter Aemilius Macer, den Epiker Ponticus und den Iambographen Bassus (Trist. 4,10,43 ff.) Bereits sein Erstlingswerk, die Elegiensammlung der Amores, begründete seinen Ruhm in Rom. Die Gattung der Elegie wurde prägend für sein Werk; er unterzog sie zahlreichen Variationen: In den Heroides ersetzte er die Perspektive des Liebhaber-Ichs durch die Perspektive mythischer Heroinen, die als Briefschreiberinnen eingeführt werden; die Ars amandi und die Remedia amoris, Lehrgedichte in elegischen Disticha, sind der Liebeselegie noch durch ihr Thema, die Kunst der Liebe und die Mittel, ihr zu begegnen, verbunden. Nur Fragmente sind von der kleinen Schrift De medicamine faciei erhalten, einem Lehrgedicht über die ,Pflege des Gesichts’. Lehrdichtung in elegischer Form sind auch die Fasti, eine aitiologisch geprägte Darstellung des römischen Kalenders und des Sternenhimmels. Die Gedichtsammlungen Tristia und Epistulae ex Ponto führen die Elegie zurück zur subjektiven Klage. Mit der Medea wagte sich Ovid an die in seiner Zeit nur selten vertretene Gattung der Tragödie. Anhand der wenigen erhaltenen Fragmente lässt sich die Qualität des Stückes nicht beurteilen; es fand jedenfalls bei Zeitgenossen und Späteren viel Anerkennung und dürfte Senecas Medea beeinflusst haben. Ovids wirkungsgeschichtlich bedeutendstes Werk sind die Metamorphosen, eine episch-hexametrische Großdichtung, die aber in ihrer Episodentechnik das Prinzip der kleinen Form wahrt.
Herkunft und Ausbildung
cursus honorum
Werke
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Die Autoren der augusteischen Zeit
D. relegatio
carmen et error
Tomis
Tod
124
Ovid nahm in ganz anderer Weise als Vergil am Leben seiner Zeit und der Gesellschaft, in der er lebte, teil und machte dieses Leben und diese Gesellschaft selbst zum Objekt seiner Dichtung. In seiner Jugend und bis etwa zu seinem 50. Geburtstag war er der Liebling der vornehmen und gebildeten Kreise in Rom, in deren Mitte er sich gewandt bewegte, ein Mann, der ganz ohne Zweifel als eines der bedeutendsten dichterischen Talente Roms angesehen wurde. Sein Glück verließ ihn, während er an den Metamorphosen und Fasti arbeitete; 8 n. Chr. wurde er aus Rom verbannt. Auch hierfür sind Ovids eigene Schriften unsere einzige Quelle; die vagen Hinweise erlauben keine eindeutige Klärung der Frage, was er sich hat zuschulden kommen lassen. Sie vermitteln das folgende Bild: Die relegatio, eine mildere Form der Verbannung, ließ sein Vermögen und den Status als römischer Bürger unangetastet; seine Werke wurden allerdings aus den Bibliotheken entfernt. Ihm wurde Schweigen über die Hintergründe seiner Verfehlung auferlegt, so dass er sich auch nur in Andeutungen mit den Vorwürfen auseinandersetzen konnte. Apologetische Aussagen in den Tristia (Buch 2 ist eine Großelegie, die nur der Exkulpation gewidmet ist) und Epistulae ex Ponto weisen einem nicht näher bezeichneten carmen eine Teilschuld zu. Die Forschung hält dieses carmen mehrheitlich für die Ars amandi, die ,Liebeskunst‘, deren frivole Ratschläge in schroffem Gegensatz zu dem augusteischen Programm der sittlichen Erneuerung und auch zu den augusteischen Ehegesetzen standen; Ovid verweist in seiner Exildichtung wiederholt apologetisch auf die Ars. Allerdings war sie bereits acht Jahre vor dem Zeitpunkt der Relegation erschienen. Über den error (Irrtum), den Ovid selbst als zweiten Grund anführt, kann nur spekuliert werden: Zur gleichen Zeit wie Ovid wurde auch Augustus’ Enkelin Iulia minor aus Rom verbannt; vielleicht war Ovid Mitwisser einer Liebschaft der jungen Frau oder einer Intrige aus ihrem Umfeld. Der Wohnort, den Augustus Ovid zuwies, war Tomis (heute: Constanza) am Schwarzen Meer, ein von Griechen und Geten besiedelter Ort am äußersten Rande des imperium Romanum. Fern von Roms Bibliotheken, mit der hauptstädtischen Gesellschaft allein durch Briefe verbunden, arbeitete Ovid an den Fasti weiter, konnte sie aber nicht vollenden. In Briefelegien umkreiste er immer wieder sein eigenes Leid und seine Hoffnung auf eine Rückberufung nach Rom (Tristia; Epistulae ex Ponto). Diese Hoffnung richtete sich nach Augustus’ Tod und der Machtübernahme durch Tiberius für kurze Zeit auf dessen designierten Nachfolger, Germanicus; ihm widmete er die ursprünglich Augustus zugedachten Fasti. Von den weiteren im Exil verfassten kleinen Schriften, die Ovid selbst erwähnt, ist nur das Fluchgedicht In Ibin erhalten. Zwei weitere Ovid zugeschriebene Werke, Nux und Halieutica, sind in ihrer Echtheit umstritten. Nux ist die Klage eines Nussbaumes, der durch Steinwürfe seiner Früchte beraubt wird. Die Halieutica, ein Lehrgedicht über den Fischfang, sind lückenhaft überliefert und vermutlich auch unvollendet geblieben. Mit Sicherheit fälschlich wird die Consolatio ad Liviam, eine gemeinsam mit Ovids Werken überlieferte Schrift, Ovid zugeschrieben. Nach Hieronymus’ Chronik starb Ovid im Jahr 17. Allerdings weiß er noch von der Weihung des Ianustempels (Fasti 1,223 – 226) in Rom im Oktober dieses Jahres; es ist schwer vorstellbar, dass ihn die Nachricht vor dem
Ovid Frühjahr 18, nach dem Ende der Winterstürme, die das Meer unbefahrbar machten, erreichen konnte. So hat er wahrscheinlich noch mindestens bis zum Frühjahr 18 n. Chr. gelebt. Was Ovids Werk im Ganzen auszeichnet, ist der Einfluss der Rhetorik, der sich hier weit deutlicher zu erkennen gibt als in den Dichtungen seiner Zeitgenossen. Das gilt für den Aufbau der Einzeltexte und Episoden und ebenso für den Stil: Fragen, Interjektionen, Parallelismen, Anaphern, die Wiederholung von Versteilen und die Freude an Wortwitz und Pointe verleihen seinen Versen den Charakter rhetorisch fundierter Kunst. Vor allem in den Monologen der Gestalten, denen er in seinen Dichtungen eine Stimme gibt, zeigt sich der Einfluss der declamatio: Schulmäßig werden Konflikte in ihrem Für und Wider analysiert. Geistreich und provokant handhabt Ovid die Technik literarischer Anspielung; vertraute Stoffe deutet er gerne neu, in Abgrenzung von der Tradition und üblichen römischen Wertevorstellungen. Den erhabenen Stil meidet Ovid – oder setzt ihn allenfalls parodistisch ein; meist erzeugt er den Eindruck von heiterer Lebhaftigkeit. Die häufige Übereinstimmung von Iktus und Akzent, eine weitgehende grammatische Schlichtheit, die Vermeidung von Elisionen und Synalöphen und eine Wortwahl, die nicht weit von der Prosa abweicht, verleihen den Versen eine mittlere Stilhöhe. Die für Properz so kennzeichnende Technik des Binnenreims ist weit zurückhaltender eingesetzt. Metrische Lizenzen erlaubt sich Ovid nur selten; seine Verse sind von hoher, aber fast beiläufiger Perfektion und können gerade wegen ihrer kunstvollen Leichtigkeit fast alltäglich wirken. Enjambements treten im Vergleich zu Vergils Werken seltener auf; blockhafte kleine Einheiten und die Tendenz, eine Sinneinheit am Versende oder vor der Zäsur zu beschließen, steigern das Erzähltempo. Auch die Fülle der Daktylen, die Ovid durch seine Wortwahl erzeugt – u. a. durch den häufigen Gebrauch von griechischen Eigennamen und anderen Wortbildungen, deren Deklinationsformen auf zwei Kürzen enden – tragen zu dem Eindruck beschwingter Heiterkeit bei. Ovids reiches Werk hat die europäische Literatur nachhaltig geprägt. Im Mittelalter wird er zunächst vereinzelt gelesen, dann aber so prägend für Literatur und Kunst, dass der Mediävist Ludwig Traube die Zeit vom Beginn des 11. bis zum Ende des 13. Jahrhunderts als aetas ovidiana – ovidisches Zeitalter – bezeichnet hat. Ovid ist Schulautor, wird kommentiert und illustriert. Er beeinflusst mittelalterliche Epik, Minnelyrik und Vagantendichtung, Liebes- und Freundschaftslehren; die Metamorphosen sind die zentrale Quelle für den griechisch-römischen Mythos und damit auch weiter Bereiche der Malerei. Eine Reihe von mittelalterlichen Autoren ,ergänzt‘ sein Werk und schiebt ihm eigene Dichtungen unter; andere rechtfertigen die Lektüre des in seinen Moralvorstellungen nicht ganz unbedenklichen Dichters, indem sie dekontextualisierte Zitate zu Belegen moralischer Belehrung erheben, ihn also zum Sittenlehrer (Ovidius ethicus) stilisieren. Dantes Divina Commedia zollt ihm Respekt, Chaucers Canterbury Tales sind von ihm beeinflusst. In der Neuzeit lässt Ovids Faszinationskraft nicht nach: Die Dichter der Renaissance nutzen ihn als Quelle und Inspiration, sein Einfluss ist in den Werken von Shakespeare, La Fontaine, Molière, Goethe und zahlreichen an-
D.
Rhetorik
Stil und Metrik
Nachwirkung
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Die Autoren der augusteischen Zeit
D.
deren nachzuweisen. Im 20. Jahrhundert transferiert der Schriftsteller Andreas Ransmayr den Kosmos der Metamorphosen in seinem ,postmodernen‘ Roman Die letzte Welt in unsere Zeit.
b. Amores
Ironie und Parodie
Wirklichkeitsbezug
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Die Amores sind Ovids erstes Werk. Wie das die Sammlung einleitende Epigramm mitteilt, ersetzte Ovid eine erste Ausgabe in fünf Büchern durch eine neue Edition in drei Büchern. Die erste Sammlung war circa 15 v. Chr. erschienen, die zweite etwa zehn Jahre später: Im Vergleich zur früheren Ausgabe ist sie um neue Elegien bereichert und vermutlich auch um einige Gedichte gekürzt. Diese zweite Sammlung blieb allein erhalten; sie umfasst nach der Zählung der Handschriften insgesamt 49 Elegien (Buch 1: 15; Buch 2: 19; Buch 3: 15). Wenn 2,9, wie mehrere Herausgeber vertreten, in zwei Gedichte aufzulösen ist, hat das dritte Buch 20, die Gesamtsammlung 50 Elegien. Die Amores folgen den Konventionen der subjektiven Elegie, vermitteln aber den Eindruck geringerer Verbindlichkeit der Liebe; so ist zwar Corinna – ihr Name verweist auf die berühmte böotische Zeitgenossin Pindars, aus deren dichterischem Werk einige Fragmente erhalten sind – die am häufigsten namentlich genannte puella, aber der amator bekennt auch wiederholt seine Untreue. Ovids Liebeselegie liegt dasselbe Unverständnis gegenüber der elegischen Hingabe an Leid und Sehnsucht zugrunde, das auch bei Horaz gelegentlich spürbar wird. Aber Ovid bringt diese innere Distanz nicht in der Form der Parainese zum Ausdruck, sondern mittels Ironie und Parodie. In souveräner Beherrschung der gattungsspezifischen Sprechweisen und Motive gestaltet er Elegien, in denen die tibullische und properzische Dichtung perfekt imitiert und zugleich konterkariert wird. Gegen das lustvolle Auskosten von Leid und Sehnsucht setzt Ovid Witz und Ironie. Dem üblichen Themenkatalog von Werbung und Eifersucht weiß er raffiniert neue Akzente zu verleihen; Alltagssituationen werden in ihren komischen oder auch banalen Aspekten entlarvt. Den vielfältigen Tricks und Schwächen der Mädchen begegnet der poeta amator ebenso mit ironischem Verständnis wie der eigenen Leidenschaft. Über weite Passagen stilisiert er sich in elegischer Manier als treuer Sklave seiner domina – um die kunstvoll erstellte Maske mittels einer kurzen Wendung, eines umfänglichen Widerrufs oder der Enttarnung eigener Lügen durch eine neue Maske zu ersetzen. In ihrem Wirklichkeitsbezug heben sich die Amores in zweifacher Hinsicht von den früheren römischen Elegien ab: Zunächst einmal ist die Einstellung des ovidischen amator zur Liebe weitaus pragmatischer als bei Tibull und Properz: Er akzeptiert, dass die puella nicht treu leben kann; er bittet nur, dass ihm das Wissen um ihre sonstigen Liebschaften erspart bleiben möge. Zugleich sind die entfalteten Szenen und Konflikte von hohem Realitätsgehalt; sie vermitteln in vielen Einzelzügen ein authentisch wirkendes Bild der römischen Gesellschaft. Auf der anderen Seite tritt die Fiktionalität der Liebesbindung des amator und auch der Gestalt der puella Corinna selbst durch parodistische Untertöne, Zitate und auch durch die Thematisierung des eigenen Dichtens deutlicher hervor. Den Eskapismus der Elegie, die
Ovid sich aus der enttäuschenden Realität in den Mythos (Properz) oder in eine Welt des ländlichen Friedens und des Traumes (Tibull) flüchtet, konfrontiert der ovidische amator mit der energischen Manipulation der Realität mittels der Rhetorik. Durch Lügen, Drohungen und Versprechungen sucht er das Mädchen, ihre Dienerin, ihren Türhüter, ja selbst die Göttinnen Aurora und Ceres oder auch einen seine Reise hindernden Fluss für sich zu gewinnen. Beredt überzeugt er sie davon, dass ein den Wünschen des Liebenden entgegenkommendes Verhalten auch ihren eigenen Interessen entspricht; die Elegie wird zur Überzeugungsrede (suasoria). Der Mythos dient weniger der Erhöhung des Tons, als der schlichten Veranschaulichung oder der Ironie und geistreichen Pointe. Mit den mythischen Helden und Heldinnen – und ebenso mit den Göttern, die öfter angerufen werden – verkehrt der elegische Sprecher wie mit seinesgleichen: Er kennt nicht nur ihre Handlungen, sondern auch ihre Motive, und vor allem weiß er, dass sie ebenso wie er selbst der Liebe verfallen waren. Dieser respektlosvertrauliche Umgang mit Göttern und Heroen hat Witz, zumal er den Mythos für die Verführungskunst des Werbenden instrumentalisieren hilft. Er bedeutet aber auch eine Verflachung des Mythischen und Numinosen, das seiner Geheimnisse und seines höheren Anspruchs beraubt ist. Ähnliches gilt für die Liebe. Im elegischen Modell des servitium amoris ist der Liebende kein Freund der puella, sondern schwankt zwischen Werbung, Triumph und Absage, zwischen höchster Glücksemphase, Enttäuschung und Zorn. Die ovidische Elegie lässt dagegen mehr Raum für sanftere Nuancen wie kameradschaftlichen Trost, ironische Provokation, gelassene Freundschaft; die Facette einer tiefen personalen Leidenschaft, einer schmerzlichen erotischen Bindung an die eine individuell gezeichnete Frau ist ihr dagegen fremd. ,Ovid‘ leidet nicht an der Liebe, sondern beschreibt, genießt und bewältigt sie. Den Leser stürzt dieser ,Pragmatismus’ in Verwirrung: Als Freund, Tröster und Ratgeber des Mädchens weckt Ovids amator Sympathie; als ungeduldiger Liebhaber austauschbarer Frauen, als raffinierter Lügner und Betrüger kann er ein Gefühl der Komplizenschaft oder jedenfalls Amüsement hervorrufen. Die innere Teilnahme an Freud und Leid, die einige von Catulls Lesbia-Gedichten und auch Tibulls und Properz’ Elegien erzeugen, nötigen die Amores dem Leser aber nicht ab. Stattdessen führen sie ihm den Triumph einer formal makellosen und raffinierten Kunst vor Augen. Die Forschung hat die Abweichung der Amores von den Elegien der römischen Vorläufer lange Zeit als Defizit aufgefasst: Da Ovid zu den ,echten’ Gefühlen Tibulls und Properz’ nicht fähig sei, beschränke er sich auf rhetorisch überladene Kunstübungen oder spielerische Variationen. Erst die letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts haben – nicht zuletzt unter dem Einfluss moderner Literaturwissenschaft – den eigenen Anspruch und Rang dieser Dichtung deutlich akzentuieren können. Im Unterschied zur gleitenden thematischen Entwicklung bei Tibull und den abrupten Themenwechseln bei Properz sind Ovids Gedichte jeweils relativ streng einem Thema unterstellt, das oft im ersten Distichon programmatisch vorgegeben wird – auch das ein Merkmal des Rhetorischen. Vor allem in den ersten beiden Büchern berühren sich meist zwei oder drei aufeinander folgende Elegien in einem Themenaspekt, den sie aber unterschied-
D.
Mythos
Liebe
Themenführung
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Die Autoren der augusteischen Zeit
D.
Poetologische Reflexion
Programmatisches
Torwächter
Liebeslehre aus der Kupplerperspektive
Aurora; Haarverlust
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lich, auch gegensätzlich, ausführen. Im 3. Buch ist ein solches Verfahren nicht mehr kenntlich; Einleitungs- und Schlussgedicht korrespondieren einander, im Übrigen folgen nach dem Prinzip der variatio ganz unterschiedliche Elegien. Ein verbindendes Element innerhalb der Bücher und über die Buchgrenzen hinweg liegt in der poetologischen Reflexion. Wiederholt bekennt sich Ovid zur Liebesdichtung und distanziert sich von heroischer Epik (1,1 und 2,1) und – vorerst – auch der Tragödie (3,1 – ein Hinweis auf die Medea). Die recusatio rechtfertigt er nicht, wie dies üblich geworden war, mit dichterischem Unvermögen, sondern begründet sie allein mit eigener Vorliebe. Für seine Elegie fordert er selbstbewusst denselben Ruhm, den Homer und Hesiod, Lukrez und Vergil errungen haben. Die Elegiengruppe 1,1 – 3 ist der eigenen Dichtung gewidmet und von programmatischer Bedeutung – als Bekenntnis zur Liebesdichtung allein. In 1,1 begründet Ovid diese thematische und formale Beschränkung mit der inspiratorischen Kraft des Liebesgottes selbst, der ihm mit der Leidenschaft zugleich den Stoff zur Dichtung schenkt. In 1,2 malt der von Amor verwundete Liebesdichter seine Schmerzen und den Triumphzug des Gottes aus; wie Caesar Augustus soll er im Sieg großmütig sein. 1,3 verheißt der puella Unsterblichkeit im Lied des liebenden Dichters. 1,4 – 6 zeigen ,Stationen’ im Tagesablauf des Liebenden – das abendliche Gastmahl, die mittägliche Liebesstunde, die nächtliche Einsamkeit vor der verschlossenen Haustür. Der Liebhaber erteilt der puella Ratschläge, wie sie, auch wenn ihr vir beim Gastmahl zugegen ist, heimlich Kontakt mit ihm aufnehmen kann (1, 4). Er preist Corinnas Schönheit, die sich ihm am Mittag zugesellt hat (1,5); das mittägliche ,Schäferstündchen’ bietet Raum für eine recht detaillierte Schilderung der körperlichen Vorzüge der Geliebten und provoziert zum Vergleich mit Properz 2,15. Der Torwächter des Mädchens wird beschworen, seinen Dienst weniger streng zu versehen (1,6); aus der Standardform des Paraklausithyrons wird hier die Überzeugungsrede an den ianitor. 1,7 – 10 entfalten die Liebe als Konflikt, als Krieg, den Zorn, Eifersucht, Habgier und schlechte Ratgeber anheizen. In 1,7 klagt der Liebende sich selbst an: Er hat die Frisur des Mädchens verwüstet und eine Spur seiner Fingernägel auf ihrem Gesicht hinterlassen. Im Thema der Misshandlung der Frau schließt sich Ovid an Tibull 1,10,53 ff. und Properz 2,5,21 ff. an. Der Aufwand an mythischen Exempla ist allerdings komisch überzogen. In 1,8 verklagt der Liebende eine Kupplerin, deren Ratschläge an das Mädchen er belauscht hat: Die Liebesdidaktik aus der Kupplerperspektive ist eine witzige Parodie zur Liebeslehre Priaps in Tibull 1,4. 1,9 führt das berühmte Motto militat omnis amans – jeder Liebende leistet Kriegsdienst – unter verschiedenen Aspekten vor. 1,10 verklagt die Geliebte, die vom Liebhaber Geschenke fordert; ihre Habgier zerstört die Leidenschaft. 1,11 – 13 sind eine Sequenz aus Einladung, Absage und – am Ende – Begegnung und Erfüllung: Der amator sendet Corinna durch ihre Dienerin Nape ein Wachstäfelchen mit der Aufforderung, zu ihm zu kommen. Wenn Corinna der Einladung folgt, will er die Tafel der Venus weihen (1,11). Als die Verabredung scheitert, macht ,Ovid‘ die Schreibtafel dafür verantwortlich (1,12). In 1,13 fleht er Aurora als Göttin der Morgenröte an, die Nacht
Ovid für die Liebenden zu verlängern. In raffiniertem Kontrast zu dem durch den Mythos sublimierten Ton von 1,13 steht 1,14, das in komischem Ton eine Alltagskrise thematisiert: ,Ovid’ tröstet die Geliebte über den Verlust ihrer Haare, verursacht durch Färbungsmittel. Am Buchende in 1,15 beansprucht Ovid Unsterblichkeit für die großen Dichter der griechischen und römischen Literatur; der umfänglichen Reihe von namentlich genannten Autoren, deren Werke in knappen Stichworten gekennzeichnet werden, ordnet er sich selbst zu. Die Elegie schließt den Kreis zu den das Buch einleitenden Gedichten 1 – 3. Poetologisch-programmatisch wie das erste setzt auch das zweite Buch ein: Zwar hat der Autor versucht, die Schlachten der Götter zu besingen (caelestia dicere bella, 2,1,11), doch war die Folge, dass ihm die Geliebte die Tür verschloss. So kehrte er schleunigst zu seinem eigentlichen Metier zurück, der Liebesdichtung. Ovid verschmäht es, das recusatio-Motiv durch den Bescheidenheitstopos abzumildern; die Gunst der Helden (und das richtet sich kaum verhüllt an Augustus) ist ihm weit weniger wert als die Gunst der Mädchen. 2,2 und 2,3 sind Ansprachen an den Sklaven, den der vir der puella zum Hüter bestellt hat: Der Liebhaber malt ihm die Vorzüge einer weniger strengen Aufsicht aus. In 2,4 bekennt der amator seinen lasterhaften Lebenswandel: In jeder Frau vermag er Schönheit zu entdecken, jede kann ihn in Flammen setzen. Der Text ist eine witzige Hommage an die Frau überhaupt; die lange Reihung der Reize, die eine jede entfalten kann, nimmt schon den Ton der Ars amandi vorweg. 2,5 setzt als Eifersuchtsgedicht ein; beim Gastmahl hat der Liebende mit angesehen, wie das Mädchen mit einem anderen Mann Küsse tauschte. In die rasch folgende Versöhnung mischt sich neue Eifersucht: Die Küsse des Mädchens sind durch fremde Belehrung raffinierter geworden. 2,6 ist ein Klagelied auf den toten Papagei der puella; die Elegie ist beeinflusst durch hellenistische Totenklagen auf Tiere und Catulls Klage um Lesbias passer (vielleicht ein Spatz; Catull 3). Anders als Catull lässt Ovid aber den Papagei nicht in das dunkle Schattenreich der Unterwelt eingehen, sondern in ein Elysium der ,frommen Vögel’. In 2,7 und 8 geht es um eine Affäre mit Corinnas Sklavin Cypassis. Standhaft leugnet der Liebhaber gegenüber Corinna jede Verfehlung (2,7), um dann Cypassis mit der Drohung, alles zu bekennen, ein neues Rendezvous abzupressen (2,8). 2,9, in manchen Editionen nach Vers 24 unterteilt, entfaltet in dialektischer Antithetik das Thema der Absage an die Liebe: Der Sprecher ist längst zu alt und hat Frieden verdient – aber ohne die Liebe ist das Leben nichts wert. Zu vorbehaltloser Selbsthingabe an die Liebe bekennt sich der Liebhaber auch in 2,10: Hier fordert ihn die gleichzeitige Neigung zu zwei Frauen heraus – aber seine Kräfte sind ja ungebrochen, und am liebsten möchte er im Vollzug des Liebesaktes sterben. 2,11 beklagt, dass Corinna eine Seereise unternehmen wird; der Liebhaber vertraut ihr Wohlergehen den Meeresgöttern an. 2,12 ist Triumphgesang: Der Liebende vergleicht die Eroberung Corinnas mit den großen Schlachten des Mythos und mit dem jüngsten Bürgerkrieg: Immer war ja die Ursache für Kriege eine Frau.
D.
Unsterblichkeit
recusatio
Hommage an die Frau
Totenklage für einen Papagei
Absage an die Liebe
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Die Autoren der augusteischen Zeit
D. Abtreibung
Der geschenkte Ring
Apologetik; Heroides
Elegie und Tragödie
Suasorie an einen Wildbach
130
Nach einer Abtreibung ringt Corinna mit dem Tod. Der Liebende fleht Isis an, ihr Leben zu retten (13), und hält der Geliebten vor Augen, wie unrecht sie getan hat (14). Die Elegien stehen Properz 2,28 nahe. 2,15 – 17 variieren das Thema von Ferne, Hingabe und Verweigerung: 2,15 begleitet ein Geschenk des Liebhabers an sein Mädchen, einen Ring, mit dem sich der Mann in erotischen Wunschvorstellungen identifiziert. 2,16 beklagt die Entfernung von der puella; mir ihr gemeinsam will der Liebende auch in die fernsten Gegenden reisen. Nach Sulmo soll sie kommen, wo er sie erwartet. In Struktur und Einzelmotiven folgt Ovid hier Properz 1,17, da aber die gefährliche Seereise des Mädchens durch einen durchaus angenehmen Landaufenthalt des Mannes ersetzt ist, wirken die Beschwörungen von Gefahr und Entbehrung eher komisch überzogen. In 2,17 bekennt sich der amator zum Liebesdienst; Corinna aber soll auch ihrerseits seine Werbung akzeptieren und nicht allzu sehr auf ihre Schönheit pochen. In 2,18 sucht sich der Liebende gegenüber Macer (Aemilius Macer) zu entschuldigen: Gerne würde er größere Themen gestalten, aber Corinna hindert ihn. So bleibe er der Liebesdichtung verhaftet, ob er nun die eigene Liebe gestalte oder der Liebe mythischer Heldinnen in Briefen Ausdruck verleihe (Anspielung auf die Heroides, von denen Ovid neun näher bezeichnet). Auf diese Briefe habe sein Freund Sabinus Antwortschreiben der mythischen Helden verfasst, und auch Macer werde bald zur Gruppe der Liebesdichter überwechseln. Buch 2 endet mit einer zynischen Umkehrung des Motivs der Eifersucht: In 2,19 wirft ,Ovid’ dem Ehemann der neuen Geliebten vor, seine Frau nicht genügend zu bewachen; er droht mit dem Nachlassen seiner Leidenschaft, denn so leichter Genuss verliere bald seinen Reiz (aus anderer Perspektive ist der Dialog mit dem coniunx in 3,4 gestaltet). Buch 3 setzt mit einer erneuten Rechtfertigung der eigenen Gattungswahl ein: Im lieblichen Hain begegnen dem Dichter die Elegie, eine schöne Frau, deren Reiz durch die unterschiedliche Länge ihrer Füße (eine Anspielung auf den Unterschied zwischen Hexameter und Pentameter) noch erhöht wird, und die strenge Tragödie, die ihm ein Werk abverlangt. Die Elegie verteidigt den Liebesdichter, der seinerseits um Aufschub bittet, ehe er sich der größeren Gattung zuwendet. In 3,2 bewundert und umwirbt der amator im Circus seine Nachbarin. In der Ars amandi wird diese Situation zum Ratschlag umgemünzt: Im Circus soll der Mann Kontakte knüpfen. Der Liebhaber klagt die Götter an, die Meineide der Mädchen nicht zu strafen; doch wäre er selbst ein Gott, so wollte auch er lieber großzügig als übermäßig streng sein (3,3). In 3,4 hält er dem Ehemann vor, seine Frau allzu genau zu bewachen; solche Strenge reizt zur Übertretung. In 3,5 lässt sich der Liebhaber einen Traum ausdeuten, der auf Untreue der Geliebten hinweist; die Echtheit der Elegie ist auf Grund stilistischer Phänomene und des für Ovid ungewöhnlichen Themas umstritten. 3,6 ist Ansprache an einen Wildbach, der den Weg des Mannes zu seiner Geliebten hemmt; vergebens sucht dieser ihn günstig zu stimmen, indem er ihm die mythischen Liebesgeschichten berühmter Flussgottheiten vorhält; auch ein Teil der römischen Gründungslegende, Ilias Flucht und Rettung durch den Tiber, wird ausführlich präsentiert.
Ovid 3,7 ruft die Schmach der vergangenen Nacht zurück, als der Liebende bei einer endlich eroberten Frau lag – und sich als impotent erwies. In hohem Pathos ist die Situation ausgemalt – bis die Schöne empört das Bett verlässt und ihren Mägden durch eine Waschung noch vortäuscht, der Liebesakt sei vollzogen worden. Aufschlussreich ist der Vergleich mit Tibull 1,5: Dort dient die kurze Erwähnung sexuellen Versagens bei einer anderen dazu, die Bindung an Delia zu beteuern; Ovid gibt sich dagegen einer ausführlichen Analyse der Ursachen und affektischen Äußerungen der Frustration hin. Anlass für 3,8 ist der Vorzug, den ein reicher Emporkömmling bei dem Mädchen genießt; der Liebhaber beklagt den Vorzug des Reichtums vor den schönen Künsten und malt sehnsüchtig das Bild eines besseren Zeitalters unter Saturnus’ Herrschaft, als noch alles Metall im Boden verborgen schlummerte. Das Thema der aurea aetas ist profaniert: Schlimmstes Phänomen der Zeitalterdegeneration ist, dass, wer arm ist, kein Mädchen mehr erobern kann. 3,9 ist Totenklage um Tibull, ein mit hohem Aufwand an mythologischen Parallelen und literarischen Verweisen auf tibullische Motive gestalteter Text. Dem Fest der Ceres ist 3,10 gewidmet, einem Tag, den das Mädchen keusch begeht. Der Liebende bezweifelt, dass der Göttin solche Keuschheit lieb ist; er erinnert an ihre Liebe zu Iasion. 3,11 gestaltet das Paradoxon der Liebe: Dem untreuen Mädchen möchte sich der Liebhaber gern entziehen und ist ihm doch verfallen. Ein Vergleich mit Catull 85 (odi et amo, ich hasse und ich liebe) ist höchst aufschlussreich: Wo Catulls epigrammatisch kurzes Monodistichon in der bloßen Feststellung des als unlösbar empfundenen Konflikts verharrt und gerade durch dieses Versagen der Sprache den Leser an der tragischen Verstrickung des Liebenden Anteil nehmen lässt, bietet Ovid eine Fülle von Variationen des Themas: Für seine Dichtung ist jedes Gefühl sagbar, jeder Konflikt in rhetorisch geschulter Argumentation überwindbar. 3,12 enthält das Eingeständnis des Dichters, wie sehr ihm seine Lieder geschadet haben, haben sie doch die Nebenbuhler erst herbeigerufen. Aber die Dichter pflegen – wie die Mythenerzählungen beweisen – viel Unwahres zu berichten; so hätte man ihm auch seinen Preis der puella nicht glauben sollen. Wie Ovid hier die Macht der Dichtung zugleich bestätigt und relativiert, ist geistreich und amüsant. 3,13 berichtet vom Fest der Iuno in Falerii, Heimat von Ovids Ehefrau. 3,14 ist eine kleine Liebeslehre: Die Geliebte soll ihre Untreue verheimlichen und in der Öffentlichkeit schamvoll auftreten. 3,15 sagt den elegischen Liebesdichtungen ein valete (lebt wohl!) und siegelt das Buch durch Angabe der eigenen Herkunft aus Sulmo im Paelignerland, das einst gerühmt werden soll, weil es einen solchen Dichter hervorgebracht hat.
D. Impotenz
aurea aetas
Totenklage um Tibull
Hass und Liebe
c. Heroides Der Titel Heroides (griechisch: Heldinnen) ist umstritten: Er findet sich das erste Mal bei dem spätantiken Grammatiker Priscian (GL 2,544,4); Ovid selbst spricht nur von Epistulae (Ars am. 3,345 f). Als im Jahr 5 v. Chr. die
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Die Autoren der augusteischen Zeit
D.
Briefpaare
Vorbilder
Amores und Heroides
132
überarbeitete Ausgabe der Amores erschien, konnte Ovid schon auf die Heroides verweisen (Am. 2,18). Geschrieben und veröffentlicht wurden sie demnach zwischen 15 und 5 v. Chr. Die Sammlung enthält insgesamt 15 Gedichte im elegischen Versmaß, in der literarischen Fiktion 14 Briefe mythischer Heldinnen an ihre Geliebten beziehungsweise Ehemänner und als Abschluss den Brief der griechischen Dichterin Sappho an ihren Geliebten Phaon. Gemeinsam mit diesen 15 Frauen-Briefen sind auch drei Briefpaare überliefert, deren Echtheit umstritten ist. Ovids Hinweis, die Heroides hätten seinen Dichterkollegen Sabinus in einigen Fällen zur Abfassung der männlichen Antwortschreiben angeregt (Am. 2,18), hat zu der Vermutung geführt, die drei Briefpaare seien Werke des Sabinus. Dagegen spricht allerdings, dass Ovid namentlich die Helden bezeichnet, deren Briefe der Freund verfasst habe, dabei aber die der überlieferten Briefpaare nicht nennt. Auch spricht Ovid in Am. 2,18 nicht von Briefpaaren, sondern nur von den Antwortschreiben der Männer. Denkbar wäre allenfalls, dass Ovid sich seinerseits von Sabinus anregen ließ, nun auch selbst den Briefen seiner Heldinnen die Antworten beizugesellen. Metrisch und stilistisch heben sich die Briefpaare von den einzelnen Frauenbriefen ab, sind aber in sich einheitlich; vielleicht entstammen sie einer späteren Phase der ovidischen Dichtung. Ob es für die ,Briefe’ mythischer Heldinnen ein Vorbild im hellenistischen oder römischen Raum gegeben hat, ist fraglich. Nicht eindeutig ist Ovids Anspruch in der Ars amandi 3,346, wo es von den Heroides heißt: Ignotum hoc aliis ille novavit opus – dieses anderen unbekannte Werk hat jener – Ovid – erneuert beziehungsweise neu geprägt. Der Begriff novare kann ,neu erfinden’ meinen, kann aber auch als Erneuerung einer im Griechischen bekannten Form in römischer Sprache oder als Umwandlung ähnlicher Formen beziehungsweise Vorstufen aufgefasst werden. Überliefert oder bezeugt ist allerdings nichts Ähnliches, sieht man von Properz, 4,3 ab, wo die Schreiberin nicht dem Mythos, sondern der zeitgenössischen römischen Gesellschaft entstammt. Im übrigen ist angesichts der unsicheren Chronologie der Heroides nicht völlig sicher, dass der properzische ,Liebesbrief’ vor den Heroides entstand. Es spricht viel dafür, dass die Umwandlung und Weiterentwicklung der Elegie auf Ovid selbst zurückgeht. Anregungen dazu boten sich reichlich: Die attische Tragödie, an erster Stelle Euripides, gibt in Monologen und Dialogen dem Leid der Frauen breiten Raum; die Argonautika des Apollonios Rhodios und Vergils Aeneis verleihen Medea und Dido eine Stimme und entwickeln psychologisch raffiniert die Stationen ihrer Leidenschaft; das hellenistische und das römisch-neoterische Epyllion verschieben den Blickpunkt auf den Mythos von der heroischen Leistung des Helden auf den kleinen privaten Bereich, in dem sich das leidvolle Geschick der Frauen vollzieht (zum Beispiel Catull 64). Und auch die Rednerschule verlangte ihren Schülern das Plädoyer aus wechselnder, nicht selten weiblicher, Perspektive ab. Zwischen den Amores und Heroides bestehen deutliche Parallelen: Beide Werke sind nicht nur Weiterentwicklungen, sondern auch Absagen an die römische Liebeselegie tibullischer und properzischer Prägung, beide profilieren sich auf der Basis von Praetexten: Die Amores regen zum Vergleich mit Tibulls und Properz’ Elegien an, die sie zitieren und kommentieren; sie
Ovid
Rhetorik
Der ,fruchtbare Moment ,
decken das Überzogene und Unangemessene des elegischen servitium amoris auf und münzen die leidvollen Konstellationen der Elegie durch Witz und Ironie zu harmlosen und witzigen Schlaglichtern auf die Vielfalt von Erotik und Sexualität um. Die Heroides provozieren den Vergleich mit dem mythologischen Vorwissen, indem sie die ,Sprecherinnen‘ die großen heroischen Taten der Männer und das eigene fatale Geschick aus einer neuen Perspektive darstellen lassen. In beiden Fällen entsteht zwischen dem literarischen oder mythischen Vorbild und der ovidischen Variation eine Spannung, die Züge des Komischen und der Parodie trägt. Der Hang der ovidischen Elegie zur Suasorie, der schon die Amores kennzeichnet, ist in den Heroides noch ausgeprägter: Ob Penelope Odysseus davon überzeugen will, zu ihr zurückzukehren, oder Briseis Achill rät, sie von Agamemnon zurückzufordern: Ovids Heldinnen sind geschulte Rhetorikerinnen, die weder die plausiblen noch die absurden Argumente auslassen, um ihre Ziele zu erreichen. Angesichts des festgeschriebenen Mythos liegt in dieser Verschwendung von Argumentationsaufwand auch Ironie. Andererseits ist es gerade die Rhetorik, die den ovidischen Heldinnen emanzipatorische Kraft gibt: Bis zuletzt bemühen sie sich, ihr Schicksal aktiv zu gestalten, ihre Männer und Liebhaber zu beeinflussen. Sie allein haben das Wort – und sie nutzen es geschickt und bewusst. Ovid wählt jeweils einen ,fruchtbaren’ Moment des Mythos, in dem der Heldin noch ein Funken Hoffnung verbleibt, obwohl sich in den meisten Fällen ihre persönliche Katastrophe schon abzeichnet. Anspielungen reichen aus, um die konkret skizzierte Situation in ihren größeren Kontext einzuordnen, die Blickweise der Frau zu relativieren, ihre Wünsche indirekt zu kommentieren oder konterkarieren. Die Reflexion auf das Verstreichen der Zeit, die wiederholte Integration der Peripetie (Umschlag der Handlung, meist zur Katastrophe) in die Situation der Briefabfassung und die Fiktion eines Gesprächs mit dem Adressaten geben den ,Briefen‘ einen geradezu dramatischen Charakter. Die Facetten der jeweiligen Mythen erlauben eine reiche Differenzierung: Die Schreibenden nehmen verschiedene Rollen ein, sind Ehefrau, Geliebte oder Sklavin; ihr Schicksal wird sich unterschiedlich vollenden, selten im Happyend, meist im Tod. Auch die Haltung gegenüber dem Geliebten variiert, ist von Zorn, Sehnsucht oder Verständnis geprägt. Die Heldinnen wirken teils naiv, teils raffiniert manipulativ, präsentieren sich selbstbewusst oder verängstigt, setzen Werbung, Vorwurf, Verführung und Drohung ein. Auch das Tempo der Geschehensentfaltung ist variiert: Mal dringt die Schreiberin rasch zum Kern ihres Konflikts vor, dann wieder hält sie sich mit umständlichen Einleitungen und Wiederholungen auf. Während die Heroides im Mittelalter begeistert rezipiert wurden, verurteilte das 19. Jahrhundert sie als Produkte einer verstandeskühlen und ermüdenden Rhetorik, die den Zauber der Mythen zerrede, statt ihn gegenwärtig zu machen. Erst in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts fanden die ,Briefe‘ die Aufmerksamkeit, die sie als rhetorisch ausgefeilte, poetisch attraktive und psychologisch raffinierte und facettenreiche Dichtungen mit innovativem Charakter verdienen. Her. 1: Penelope schreibt an Odysseus; noch weiß sie nicht, dass er bald zu ihr zurückkommen wird. Dieser ,eheliche’ Brief mit seiner ungewöhn-
D.
personae
Rezeption
Penelope; Phyllis; Briseis
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Die Autoren der augusteischen Zeit
D.
Phaedra; Oenone
Hypsipyle; Dido
Ariadne; Canace
Medea; Laodamia
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lichen Perspektive auf den für römisches Nationalbewusstsein so wichtig gewordenen Troia-Stoff eröffnet die Sammlung fast provokativ. Ganz konträr ist Her. 2 angelegt: Phyllis schreibt als verlassene Geliebte an Demophon, den sie nie wiedersehen wird; sie ahnt – und der Leser weiß – dass ihr Tod nahe ist. Der ,erfahrenen Frau’ Penelope steht das naiv-sentimentale Mädchen gegenüber, der Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang die Gewissheit des endgültigen Verlustes. Einen amüsanten Blick auf den großen Konflikt der homerischen Ilias bietet Her. 3: Briseis wendet sich an Achilles, der sie besessen und dann an Agamemnon ausgeliefert hat. Die bei Homer ganz blasse Gestalt versucht hier mit selbstbewusster Raffinesse, die Verfügungsgewalt über ihr Leben zurückzugewinnen: Dass ihre Argumente den homerischen Achilles überzeugen könnten, mag der Leser nicht glauben; aber gerade in dieser Vision eines anderen Achilles liegt der Reiz des Gedichts. Her. 4 schließt sich vielleicht an den (verlorenen) ,ersten’ Hippolytos des Euripides an: Phaedra, Theseus’ Frau, bekennt dessen Sohn Hippolytus ihre Liebe. In atemberaubender Gewissenlosigkeit legt sie gerade das, was dem Konflikt seine Schärfe gibt, nämlich die quasi inzestuöse Werbung um den (Stief-)Sohn, als Vorteil aus: Der Austausch von Zärtlichkeiten werde keinen Verdacht erwecken, sondern als Liebe zwischen Mutter und Sohn gelobt werden. Oenone dagegen fordert mit einigem Recht, dass Paris zu ihr zurückkehrt: In wehmütigen Erinnerungen beschwört sie ihr gemeinsames Leben im Idagebirge, bevor Paris Helena entführte (5). Hypsipyles Brief an Iason (6) und Didos Brief an Aeneas (7) bieten Streiflichter auf den Argonauten- und Aeneasstoff – und damit vor allem auf die Argonautika des Apollonios Rhodios und Vergils Aeneis. An tragischen Vorbildern orientieren sich Hermiones Schreiben an Orest (8) und Deianiras Brief an Hercules (9); dass Deianira, die im Schreiben von Hercules’ Tod erfährt, dennoch ihren Brief abschließt, ist psychologisch nachvollziehbar, aber auch ein Hinweis auf die zentrale Funktion der Texte, die kunstvolle ,Selbstdarstellung’ der Schreiberin. Die Fiktion der an der einsamen Küste von Naxos verlassenen Ariadna, die einen eloquenten Brief an ihren treulosen Entführer Theseus schreibt (10), reizt die grundlegende Konstruktion der Heroides bis aufs Letzte aus: Ariadnas Beharren in einer elegischen Sprechweise, die ihren Adressaten weder mental noch materiell je erreichen kann, trägt Züge der Gattungsparodie. Parodistisch ist auch die Technik der Catull-Rezeption: Die sentimentalen Klagen des Mädchens lassen nicht den Eindruck einer mythischen Heldin entstehen, sondern den einer anspruchsvollen jungen Dame der römischen Gesellschaft, die ,ihren Catull (c. 64) gelesen hat’. Einen entlegenen Mythos greift 11 auf: Canace, die Tochter des Windgottes Aeolus, schreibt kurz vor ihrem Tod an ihren Bruder und Liebhaber Kapareus. Medeas Brief an Iason (12) entsteht während seiner Hochzeitsfeier mit der neuen Braut; im Prozess des Schreibens muss Medea erkennen, dass der gefürchtete Verrat schon vollzogen, die neue Ehe schon geschlossen ist. Die Peripetie ist kunstvoll in den Brief integriert; sie markiert den Umschwung von der liebenden Medea der Argonautika zu der rächenden euripideischen Medea. Laodamia weiß dagegen bis zum Briefende noch nichts vom Tod ihres Mannes Protesilaos, der sie gleich nach der Hochzeitsnacht verlassen
Ovid musste, um mit den Griechen gegen Troia zu ziehen (13); sie ahnt aber ihr Leid. Hypermestra rechtfertigt sich aus dem Kerker gegenüber ihrem Mann Lynkeus, den sie töten wollte und doch gerettet hat (14). Sapphos Brief an Phaon verlässt den mythischen Raum und verleiht einer historischen Persönlichkeit Stimme, freilich in einem reich mythisierten Konflikt (15). Wie die Einzelbriefe streben auch die Briefpaare nach variatio und gestalten drei ganz unterschiedliche Konstellationen: Paris und Helena (her. 16 und 17) verweisen auf den großen episch-heroischen Hintergrund, der immer indirekt präsent ist: Von seiner Aussetzung über den Schönheitsstreit der drei Göttinnen bis zur Wiederaufnahme in Troia legt Paris seine ganze Lebensgeschichte dar und vertritt sein Anrecht auf Helena – ein Werbender, der den amator der Liebeselegie imitiert. Helenas Antwort widerlegt jedes seiner Argumente – und doch scheint sie immer weniger von den eigenen Einwänden überzeugt, gibt immer mehr der eigenen Phantasie Raum, die ihr ein Leben mit Paris ausmalt. Am Ende dieses Briefes weiß der Leser nicht nur aus seiner Mythenkenntnis, wie bald Helena nachgeben wird; er hat ein Plädoyer miterlebt, in dem jedes noch so stichhaltige Argument mit seiner Formulierung zugleich seine Geltung zu verlieren schien, weil die Advokatin ebendies anstrebte. Die Briefe von Hero und Leander (18 und 19) führen dem Leser eine von Leanders drohendem Tod überschattete Situation vor Augen. Aconthius und Cydippe (20 und 21) repräsentieren demgegenüber eine Liebe, die frei bleibt von Tragik oder Heroentum; ihre Geschichte hatte Kallimachos in den Aitia erzählt. Das ,Rechtsproblem’, ob Cydippes Eheversprechen bindend ist – Aconthius hat es ihr durch eine List abgerungen – gibt Ovid Gelegenheit, die beiden Briefe wie controversiae (in der Rhetorenschule Plädoyers zu fingierten Rechtsfällen) zu gestalten. Beide entledigen sich ihrer Aufgabe durchaus geschickt: Aconthius wird durch seine beiden Anliegen – die ,Prozess-Gegnerin’ von seinem Rechtsstandpunkt zu überzeugen und die Geliebte zu umwerben – zu wechselnden Strategien getrieben; Cydippe behauptet gegenüber seiner juristischen Argumentation ihr Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung, unterliegt aber am Ende der Liebe.
D. Hypermestra; Sappho
Paris und Helena
Hero und Leander; Aconthius und Cydippe
d. Ars amandi Die Ars amandi oder Ars amatoria (Liebeskunst) wurde wahrscheinlich nicht vor dem Jahr 1 v. Chr. veröffentlicht; darauf verweist die Anspielung auf den Partherfeldzug von Augustus’ Enkel, dem jungen C. Caesar (1,179), der in diesem Jahr stattfand. Philosophische Reflexion über Freundschaft und Liebe gibt es in der griechisch-römischen Literatur auch vor Ovid: Platons Phaidros und Symposion, Aristoteles’ Nikomachische Ethik, Ciceros Laelius und Passagen im 3. Buch von Lukrez’ De rerum natura sind ganz oder in Teilen theoretischen Erwägungen über das Wesen persönlicher und auch erotischer Bindung gewidmet; Epikur und Philodem verfassten Schriften Über die Liebe (Peri erotos). Und auch die römische Liebeselegie schlägt mitunter einen didaktischen Ton an und will aus wechselnder Perspektive die Kunst des Liebens lehren
Vorbilder
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Die Autoren der augusteischen Zeit
D.
Komposition
Kosmetik und Poetik
Caesars Naumachie; Romulus
Mythos
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(zum Beispiel Tibull 1,4; Properz 1,7; Ovid, Amores 1,8). Aber Ovid scheint der Erste gewesen zu sein, der ein komplettes Lehrsystem für die Liebe zwischen Mann und Frau entwickelt und formuliert hat. Er bedient sich dabei einer literarischen Mischform: Der an den Entwicklungsstufen einer Liebesbeziehung ausgerichtete Aufbau des Gesamttextes und die Sprechweise des praeceptor, des Lehrers und Unterweisers, rücken die Ars ebenso in die Tradition der Lehrdichtung wie einzelne Motive, so vor allem die auf das Fortschreiten des Werks angewandten und mehrfach an Schaltstellen eingesetzten Metaphern von Seefahrt und Wagenrennen. Andererseits steht das Werk in der für das Lehrgedicht eigentlich untypischen Form des elegischen Distichons und auch in Thema und Stil den Amores nahe; Ovid erhebt den Anspruch des Lehrdichters, strebt dabei aber die Leichtigkeit und Intimität der Elegie an. Die Ars besteht insgesamt aus drei Büchern mit deutlich markierten Einleitungs- und Schlusspassagen; die zahlreichen Einzelvorschriften (praecepta) sind zum größten Teil durch kunstvolle Verknüpfungen und Korrespondenzen zu großen Einheiten verbunden – eine Technik, die in den Metamorphosen zur Vollendung geführt ist. Wiederholt spielt der Dichter mit dem Doppelsinn von Anweisungen, die zugleich die Schönheit der Frau und die des Gedichts betreffen. Schminke (poetische Technik) ist anzuwenden, um das Gesicht (die äußere Form) ansprechend zu machen; aber der Liebhaber (Leser) will nur das schöne Produkt sehen und nicht wissen, wie mühsam es zustande gekommen ist (3,217 f.). Ein kleiner Mangel hebt den Reiz der Gesamterscheinung nur hervor (3,291 ff.). Ebenso lässt sich das Plädoyer für den der heutigen Zeit angemessenen cultus (den sorgsam gepflegten, ,bearbeiteten’ Zustand) im Gegensatz zur simplicitas (dem schlichten Naturzustand) früherer Zeiten als Rat an die Frau und als Dichtungsprogramm lesen (3,113 f.). Wiederholt degradiert der Dichter in Schilderungen und Exkursen wesentliche Institutionen des römischen Lebens zur bloßen Kulisse für das Liebesspiel: Beispielsweise empfiehlt Ovid Caesars Naumachie (Seeschlacht, hier in Form einer Publikumsbelustigung) in Trastevere und den zu erwartenden Triumphzug von Caesars Adoptivsohn als günstige Gelegenheiten, um Bekanntschaften zu schließen und zu vertiefen (1,171 ff.). Ähnlich frivol rekurriert der Lehrdichter auf Romulus: Die Erzählung vom Raub der Sabinerinnen während römischer Theaterspiele (1,101 ff.) soll vordergründig illustrieren, wie gefährlich das Theater für Frauen ist. Abschließend wird Romulus gepriesen, weil er allein den Soldaten gab, was sie brauchten, nämlich Frauen (1,131) – eine Perspektive auf den Gründer Roms, die der vergilischen Verklärung römischer Ursprungsmythen ganz fern steht. Überhaupt wird der Mythos instrumentalisiert, um die Liebeslehre zu stützen; mythische Exempla, bis hin zur umfänglichen Mythenerzählung, demonstrieren richtiges und falsches Verhalten in der Liebe. Die Einbindung der Mythenerzählung in den Kontext kann vordergründig sehr locker sein: So dient zu Beginn von Buch 2 der Mythos von Daedalus und Icarus als Beispiel dafür, dass geflügelte Wesen wie Amor nicht gefesselt werden können. Diese Reflexion auf die schwierige Aufgabe des praeceptor amoris hat aber zugleich programmatische Bedeutung: Sie zeigt Daedalus, den Archetypen des Künstlers, in seinem größten Triumph und zugleich seinem größten
Ovid Scheitern und verweist damit auf die Möglichkeiten und Gefährdungen des Künstlertums überhaupt. Eine dritte Dimension des Daedalus-Mythos eröffnet sich im Appell an den Leser, die Lehren des Künstlers zu beachten: Wer sie missachtet, ist (wie Icarus) vom Absturz, also in der Liebe vom Scheitern bedroht. Ungeniert nimmt der Dichter die Gestalten des Mythos als Bürgen einer Lehre in Anspruch, die das Moralische durch einen Verhaltenskodex des cultus, der gepflegten Sitten, ersetzt. Dabei entsteht aber – und darin liegt ein spezifischer Reiz der Ars amandi – ein in vielen Aspekten durchaus von Anstand und menschlicher Sympathie geprägtes Normensystem, das allerdings allein durch den Nutzen in der Liebeswerbung gerechtfertigt wird: Nicht aus Liebe, Sorge oder Erwägungen von Anstand und Verpflichtung soll der Mann dem Mädchen in Krankheiten beistehen, sondern um den Anschein solcher Qualitäten zu erwecken und die begehrte Frau so für sich zu gewinnen (2,319 ff.). Ebenso sind die Pflege des Körpers, die Freundlichkeit des Umgangs, die kultivierte Rede (facundia) und sogar die Bildung als wichtige Instrumente der Werbung anempfohlen. Liebe ist eine kunstvolle Technik, die es zu erlernen und zu beherrschen gilt, ein Kampf, in dem alle Mittel erlaubt sind, wenn nur am Ende Eroberung und Genuss stehen. Utilitaristisch ist auch die Religion, die der praeceptor amoris lehrt: An die Götter soll man glauben, weil es nützlich ist, an sie zu glauben (1,637) – schließlich bieten sie selbst das Beispiel, dass in der Liebe alles erlaubt ist. Der Gedanke wird immer wieder als Signal besonderer ovidischer Frivolität zitiert; der tendenziell verwandte Gedanke, die Götter seien notwendig, um gesellschaftliches Chaos zu verhindern, begegnet aber auch bei Cicero, und den Anspruch der Nützlichkeit stellen die Römer ebenso an die Philosophie, die Kunst und Literatur. Wie entscheidend der Anteil von Ovids Liebeskunst an seiner Verbannung auch war – zu den augusteischen Bemühungen um eine sittliche Reform der römischen Gesellschaft steht sie in diametralem Gegensatz. Sie entzieht sich der renovatio nicht nur, wie Tibull; deutlicher und vor allem programmatischer als Properz entwirft sie das Gegenbild einer Gesellschaft, die auf die Beschwörung der ruhmvollen römischen Vergangenheit mit Gleichgültigkeit reagiert, in der die alten Mythen nicht als Leitbilder, sondern als Gegenstand ironischer Distanz rezipiert werden, die ihren Lebensstil nicht an konservativen römischen Werten, sondern an persönlicher Lust ausrichtet. Gegen die Rückbesinnung auf ländlich-italische pietas setzt Ovid die Raffinesse moderner Urbanität, gegen den in den augusteischen Ehegesetzen verkündeten Primat von Ehe und Familie das Recht des Individuums, für das eigene Glück zu leben, gegen die Verherrlichung von Tapferkeit und Tugend die Verehrung von Schönheit und Kultiviertheit. Ovid erhebt nicht nur den Anspruch, das wahre Bild der römischen Gesellschaft zu zeichnen, er schwingt sich auch zu ihrem Sprachrohr und Lehrmeister auf. Man wüsste gerne, ob er das Ausmaß der Provokation, die er wagte, nicht erkannt hat, oder ob ihn die Duldung, die Tibull und Properz’ frühe Elegien fanden, dazu anregte, die Möglichkeiten literarischer Opposition noch weiter auszureizen. Der Erfolg hat ihm freilich zunächst Recht gegeben. Weitere acht Jahre lang konnte er unbehelligt in Rom leben und publizieren. Und welchen Anteil die Ars an seiner Verbannung hatte, bleibt unsicher; wäre der ominöse
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cultus
Götter
Ars amandi und augusteische renovatio
Adressaten
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Die Autoren der augusteischen Zeit
D.
Rezeption
Exordialtopik
artifex amoris
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error nicht hinzugekommen, hätte Augustus wahrscheinlich weiterhin auf eine so drastische Reaktion wie die Verbannung des populärsten zeitgenössischen Dichters aus der Hauptstadt verzichtet. Kritik hat Ovid allerdings schon bald nach dem Erscheinen der Ars erfahren: Die wenig später veröffentlichte ,Fortsetzung‘ der Liebeslehre, die Remedia amoris, reagiert auf kritische Stimmen und sucht den Widerspruch zur augusteischen Sittenpolitik abzumildern; Ovid erklärt, die Ars gelte nicht den ehrbaren Matronen, sondern den Frauen, denen das freie Spiel der Liebe gestattet sei. Diese Beschränkung auf ,Frauen mit schlechtem Ruf’, die probrosae, ist allerdings wenig glaubwürdig: Der Reiz der Ars liegt nicht zuletzt darin, dass sie solche Unterscheidungen ignoriert und sich an alle Frauen und Männer wendet – denn vor der Liebe sind sie alle gleich und gleichermaßen der Unterweisung bedürftig. In diesem Konzept liegt natürlich gesellschaftlicher Sprengstoff verborgen: Auch die ehrbare Matrone wird ermuntert, ihren Anspruch auf Liebe und Sexualität zu vertreten. Wie angesichts der freizügigen Schilderung sexueller Intimität nicht anders zu erwarten, hat die Ars zwar eine reiche Rezeption beim Lesepublikum und in späterer Literatur gefunden, ist in der Philologie aber lange Zeit abgewertet worden. Erst die letzten Jahrzehnte haben unbefangene Analysen des amüsanten und in seinem Kunstcharakter vorzüglichen Werkes hervorgebracht. Das Proömium zu Buch 1 enthält die typischen Motive der Exordialtopik wie Widmung, Bestimmung von Thema und Intention und Musenanrufung – aber alles in sehr spezifischer Variation. Nicht einem Gönner oder nahen Vertrauten ist das Werk gewidmet, sondern dem römischen Volk: siquis in hoc artem populo non novit amandi, me legat et lecto carmine doctus amet. Wenn einer in diesem Volk die Kunst der Liebe noch nicht kennt, dann soll er dieses Werk lesen und, wenn er es gelesen hat, als Wissender lieben (1,1f.). Dem für die Exordialtopik üblichen Bescheidenheitstopos, nicht aus freiem Entschluss mit seinem Werk hervorzutreten, sondern auf Nötigung von außen, der noch die Einleitung der vergilischen Georgica prägt, setzt Ovid damit sein Selbstbewusstsein entgegen: Er gibt dem Volk aus eigenem Antrieb die Belehrung, die es (wirklich) braucht. Darin dürfte auch eine Spitze gegen das zu dieser Zeit schon allseits bekannte römische Nationalepos, Vergils Aeneis, liegen: Die wahren Bedürfnisse der Menge hat es nach Ovids Auffassung nicht erfüllt. Die folgenden Verse des Proömiums (3 – 7) rechtfertigen die Kunstlehre: Arte citae veloque rates remoque moventur,/ arte leves currus: arte regendus amor./ […] Me Venus artificem tenero praefecit Amori. „Durch Kunst bewegt man die schnellen Schiffe mit Segel und Ruder, / durch Kunst die leichten Wagen – durch Kunst soll auch die Liebe regiert werden. … Mich hat Venus zum Künstler für den zarten Amorknaben gesetzt.“ In der wiederholten Verwendung der Begriffe amor, ars, artifex liegt ein kunstvolles Spiel: Die Kunst des Liebens, ars amandi, ist die Kunst, Amor zu lenken, amorem regere, und zugleich die Kunst, über Amor zu schreiben. So stilisiert sich der Lehrdichter als artifex amoris ,in Praxis und Theorie’. Das Motiv der Einheit von Liebesvollzug und Liebesbelehrung strukturiert auch das Werk und schlägt sich in seiner Metaphorik nieder: Die praecepta folgen dem ,normalen’ Verlauf einer Liebeswerbung in ihren verschiedenen
Ovid Phasen bis hin zur sexuellen Vereinigung; diese einzelnen Stufen werden zugleich als Handlungsfortschritt wie auch als neues didaktisches Thema eingeführt. Auch die Metaphorik von Seefahrt und Wagenrennen gilt in kunstvoller Ambiguität dem Fortschritt des Lehrdichters ebenso wie dem des Liebhabers. Die Verse 25 ff. weisen die üblichen Inspirationsmuster zurück: Weder Phoebus Apollo, auf den sich Kallimachos zu Beginn der Aitia beruft, noch die Musen, die in Hesiods Theogonie den Dichter belehren, sind Ovid erschienen; ihn inspiriert die eigene Erfahrung und sichert seinen Wahrheitsanspruch: vati parete perito: / Vera canam – „Gehorcht dem erfahrenen Sänger: Ich singe die Wahrheit“ (29f.). Kühn suspendiert Ovid alle göttliche Bürgschaft. Seine eigene Erfahrung ist ihm genug. Konventionellere Elemente der Exordialtopik integriert Ovid dann später in sein Werk: Die Rühmung des Caesar-Erben C. Caesar, des Sohnes von Augustus’ Tochter Iulia, kommt einer Widmung sehr nahe; und auch die inspirierende Muse Thalia, die „mit ungleichen Rädern einherfährt“ – ein Hinweis auf die ungleiche Form der Verse im Distichon – wird später noch genannt (1, 263). Charakteristisch für das Lehrgedicht ist eine klare Strukturierung, die in Vorankündigung und Rückgriff jeweils das Folgende ankündigt und das Vorangegangene knapp zusammenfasst. Nach diesem Prinzip legt Ovid in 1,35 – 38 das Schema dar, nach dem seine Vorschriften entwickelt werden sollen; die scheinbar strenge Systematik parodiert die Redelehre (ars oratoria). Das erste Thema ist: Wie findet der Mann die Frau, die er lieben kann (1,35, ausgeführt in 1,1 – 262); in der ars oratoria wäre dies der Bereich der inventio. Das zweite Großthema ist, wie der Mann die Geliebte für sich gewinnt (1,37, ausgeführt in 1,263 – 770); wie er der Beziehung Dauer verleiht, ist das dritte große Thema (1,38, ausgeführt in Buch 2). Der wachsende Umfang der einzelnen Teile dokumentiert, welche Phase der Liebesbeziehung die schwierigste ist und demnach der sorgfältigsten Unterweisung bedarf. Wo findet man die Geliebte? Natürlich in Rom, an seinen bedeutenden Bauwerken und großen Festen, auf den Märkten und vor allem im Theater. Auch der bald zu erwartende Triumphzug des jungen C. Caesar wird Gelegenheit zu Begegnungen bieten, ebenso die Symposien, Baiaes Thermen und der Diana-Hain von Aricia. Wie gewinnt man die Gunst der puella? Als erstes empfiehlt der Lehrdichter den Männern Selbstvertrauen, sind doch die Frauen leicht zu erobern, weil sie gern erobert werden. Günstig ist es, die Zofe der puella als Komplizin zu gewinnen; eine Affäre mit ihr kann allerdings gefährlich sein. Für die Werbung gibt es, wie für die Seefahrt, günstige und ungünstige Tage, die aber nicht identisch sind mit den dies atri der Fasten. „Schwarze“ Tage sind für den Liebhaber all die Gelegenheiten, die ihm Geschenke für die puella abnötigen, wie zum Beispiel ihr Geburtstag. Besser als Geschenke sind Briefe und Versprechungen; sie kosten nichts und halten das Interesse des Mädchens durch Hoffnung wach. Die Kunst der Rhetorik muss der Liebhaber in seinen Briefen beherrschen und einsetzen, freilich so, dass seine Worte ganz ungekünstelt wirken. Auf all den Wegen der puella in der Öffentlichkeit soll er in ihrer Nähe sein und sein Verhalten nach dem ihren ausrichten. Seine äußere Erscheinung soll männlich bleiben, Körper und Kleidung gepflegt, aber nicht weichlich sein. Güns-
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vates peritus
Ars amatoria und ars oratoria
Geschenke
Rhetorik
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Die Autoren der augusteischen Zeit
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Die Kunst, liebenswert zu sein
Eifersucht
Apoll
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tig für die Werbung ist das Gastmahl, wo der Liebende freizügig mit der Schönen scherzen kann. Nützlich ist es, wenn er sich auch ihren vir (Mann, offizieller Liebhaber) zum Freund macht. Nicht zuviel soll der amator trinken, vorgetäuschte Trunkenheit erlaubt allerdings eine offenere Sprache. Verliebt muss er sich stellen: Leicht ist jedes Mädchen davon zu überzeugen, geliebt zu werden, und auch geheuchelte Liebe kann zu echter werden. Vor allem die Schönheit des Mädchens muss er in all ihren Details preisen. Dass Recht und Anstand walten, darauf achten die Götter. Verrat an den Mädchen strafen die Götter aber nicht, sind die puellae doch selbst Meisterinnen des Verrats. Tränen darf man ihnen vorheucheln, Küsse rauben, sie mit Gewalt bezwingen; am Ende freuen sie sich der Gewalt. Manchmal aber hilft es, wenn der Mann sich spröde stellt. Die Liebe des Mannes soll durch Blässe und Magerkeit bezeugt werden. Weder Freunden darf er trauen noch Verwandten; sie alle können zu gefährlichen Nebenbuhlern werden. Doch jedes Mädchen ist anders, und der Werbende muss imstande sein, jeweils den richtigen Weg der Werbung zu finden. Damit endet Buch 1. Buch 2 setzt triumphierend ein: Das Mädchen ist gewonnen, der praeceptor amoris hat seinen Vorrang vor Hesiod und Homer erwiesen. Doch in der erfolgreichen Werbung wirkt noch der Zufall mit; nur durch Kunst aber kann die Geliebte festgehalten, Cupido gefesselt werden. Nicht mit Zaubertränken darf man vorgehen; wer geliebt werden will, muss liebenswert sein. Liebenswert aber ist der Mann nicht allein durch körperliche Vorzüge, sondern durch einen kultivierten Geist und durch Freundlichkeit und Zärtlichkeit. Andere Gesetze gelten zu Beginn der Beziehung, andere später, wenn sich das Mädchen an den Liebhaber gewöhnt hat. Nicht zu lang darf er ihr fernbleiben, sonst sucht sie Ersatz – aber auch nicht ständig bei ihr sein, das lässt der Sehnsucht keinen Raum. Schrecklich ist die Eifersucht der Frauen; nie darf der Liebhaber eigene Untreue bekannt werden lassen; stets muss er leugnen und den Argwohn durch sein nie ermüdendes Verlangen widerlegen. Manchmal aber – der Umschwung wird durch die Anrufung der Muse Erato markiert – nützt es auch, sich zur Untreue zu bekennen und so die Leidenschaft des Mädchens neu zu entflammen. Dann muss sie getröstet werden, am besten im Bett. An diesem Punkt der Belehrung (2,493), also im Übergang zum Thema Sexualität, erscheint Apollo selbst dem Dichter und weist auf die Inschrift an seinem Heiligtum in Delphi hin: Erkenne dich selbst! Klares Wissen um die eigenen Vorzüge soll das Verhalten des Liebenden lenken. Der Aufruf, nun zu Größerem fortzuschreiten, leitet praecepta über den Umgang mit der Untreue des Mädchens ein (2,535 ff.). Diese soll der Liebhaber ertragen, ja möglichst nicht zur Kenntnis nehmen; die Ertappte sündigt nur umso freizügiger, und nicht um Ehefrauen geht es ja, sondern um Mädchen, die unter keinem Treuegesetz stehen. Viele Männer prahlen heute mit erfundenen Liebschaften; besser ist es, auch über wirklich genossene Freuden zu schweigen. Mängel der Mädchen darf der Liebhaber nicht tadeln; Zeit und Gewöhnung werden ihn lehren, sie nicht mehr wahrzunehmen. Auch ältere Frauen bieten viel Genuss, sind sie doch erfahrener und raffinierter und teilen mit dem Mann die Lust. Schlimm ist es, wenn eine sich nur aus Pflichtgefühl hingibt und selbst dabei kalt und reglos bleibt. Ratschläge für
Ovid den Genuss der Liebe beenden die praecepta des 2. Buches; abschließend rühmt sich der Dichter seiner Leistung und fordert für sich die Anerkennung seitens der Männer ein, die mit seiner Hilfe selbst Amazonen bezwingen können. Auf ihre Spolien sollen sie schreiben – hier wird das Werk gesiegelt – Naso magister erat, Naso war mein Lehrer. Ob dies ursprünglich das Werkende darstellen sollte oder ob Ovid von Anfang an auf die Pointe eines Neuansatzes hinsteuerte, ist fraglich: In jedem Fall folgt auf die Siegelung noch innerhalb von Buch 2 eine Überleitung zu Buch 3: Auch die Mädchen bitten den praeceptor amoris nun um Rat, ihnen will er durch das folgende Buch helfen. Ovid betont die Einheit von Buch 3 mit den beiden vorangehenden Büchern durch die nachwirkende Metaphorik (nun sollen auch die Amazonen selbst bewaffnet werden) und durch eine einleitende Auseinandersetzung mit den Einwänden der Männer, die eine Bewaffnung der Frauen für überflüssig halten (3,1 ff.). Der Lehrdichter, nun ganz Anwalt der Frauen, weist auf die weit häufigeren Treuebrüche der Männer hin und beruft sich auf den Auftrag der Venus selbst, die schutzlosen Mädchen gegen die übermächtigen Männer zu rüsten. Der erste Rat an die Frauen ist, die enteilende Zeit zu nützen, ehe das Alter den Genuss der Liebe verwehrt; die Frau verliert ja nichts, wenn sie sich hingibt. Verschiedene Ratschläge, wie jede Frau ihre körperlichen Stärken hervorheben, Mängel verbergen und sich dem Mann angenehm machen kann, münden in einem kleinen literarischen Kanon: In der Dichtung soll sich das Mädchen auskennen, in der griechischen ebenso wie in der römischen: Als geeigneten Lesestoff nennt Ovid Properz, Gallus, Tibull, Varros Argonautica, Vergils Aeneis und dann ausführlicher seine eigene Ars amandi, die Amores und Heroides. Auch die Kunst des Tanzes soll die puella beherrschen und die beim Gastmahl üblichen Spiele. Aber Vorsicht – beim Spiel enthüllt man leicht Zorn und Geldgier. An den sportlichen Übungen der Männer hat die Frau keinen Anteil; aber spazieren gehen darf sie und möglichst oft ihre Reize vorführen und jede Gelegenheit – und sei es die Beerdigung ihres Mannes – ausnutzen, um zu gefallen. Vorsichtig soll sie ihre Interessen wahren, aber auch ihren Teil der Abmachung erfüllen. Wie ein Feldherr soll sie jeden Mann nach seiner Tauglichkeit einsetzen: Der Reiche soll Geschenke geben, der Redner für sie vor Gericht sprechen; dem Dichter aber darf nichts weiter abverlangt werden als Lieder, mit denen er die Geliebte verewigt. Die Ehefrau zu bewachen ist legitim; die Libertine aber muss ihre Freiheit genießen können; sie wird angeleitet, den Wächter zu täuschen oder zu bestechen. Nicht allzu sehr darf sie sich auf Freundinnen und Sklavinnen verlassen, dem Liebhaber gegenüber nicht allzu misstrauisch sein. Beim Gastmahl soll sie verspätet erscheinen und nur mit Maßen essen und trinken, im Bett sich so lagern, dass ihre körperlichen Vorteile deutlich werden, ihre Nachteile verborgen bleiben; gleiche Lust wie der Mann soll sie empfinden oder, wenn sie das nicht vermag, vortäuschen. Hier endet, analog zu Buch 2, die Belehrung mit dem Wunsch, auch die Mädchen möchten auf die von den Männern eroberten Spolien schreiben Naso magister erat.
D.
Belehrung der Frauen
puella docta
Ehefrau und libertina
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Die Autoren der augusteischen Zeit
D.
e. Remedia amoris
Themenführung
Relativierung eigener Lehre
Apologetik gegenüber Amor
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Die Remedia amoris (Heilmittel gegen die Liebe) sind als Einzelbuch etwa drei Jahre nach der Ars amandi, also um 2 n. Chr., veröffentlicht worden; sie umfassen 813 Verse. In ihrer ganzen Thematik widersprechen sie ebenso wie die Ars dem Konzept elegischer Liebe: Zwar ist auch hier Liebe Krankheit, aber sie ist heilbar, und diese Heilung vernichtet den Liebenden nicht in seiner Substanz, sondern eröffnet ihm den Weg zu unbeschwertem Genuss. Die Remedia amoris zielen auf die mentale Gesundung des Liebenden von einer unglücklich-einseitigen Leidenschaft; viele Ratschläge sind psychologisch interessant (wie etwa die Warnung, alte Briefe zu lesen und die Orte des früheren Zusammentreffens aufzusuchen), manche aber auch von banaler Frivolität (wie der Rat, eine neue Liebschaft anzufangen oder sich der Geliebten nur sexuell befriedigt zu nähern). In ihrer Komposition stehen die Remedia weit hinter der Ars zurück. Die schlichte Reihung von Themenblöcken, in der die verschiedenen Phasen einer Liebe ,abgearbeitet‘ werden, ist nur im Ansatz durch übergreifende Strukturelemente überformt: Ein einleitender Dialog mit Amor wird in einem Mittelteil durch die Traumerscheinung Amors aufgegriffen; gelegentliche Berufungen auf Apoll markieren Einschnitte; die Seefahrtsmetapher prägt Anfang und Ende. Der Mythos ist nur selten zu größeren Erzählungen ausgestaltet (etwa in der Episode um Circe und Odysseus, Vers 263 ff.) und lässt auch dann die poetische Kraft der Mythenerzählungen in der Ars vermissen. Die weit geringere Attraktivität der Remedia hat aber vor allem mit der Intention und dem ganzen Tenor der Schrift zu tun. Der Leser der Ars kann die Frivolitäten und Unverschämtheiten, zu denen der praeceptor amoris aufruft, auch deswegen goutieren, weil sie völlig skrupellos als Glücksgarantie für Mann und Frau geäußert werden. Die ,Heilmittel’ sind dagegen im steten Ton der Apologetik und der Relativierung eigener Lehre vorgebracht. Das hat mehrere Ursachen: Die Orientierung am Verlauf einer Liebschaft zwingt den ,Lehrer‘, immer wieder die Möglichkeit eigenen Scheiterns einzugestehen: Nur wenn die Bekämpfung der Liebe in der ersten Phase scheitert, werden ja die Heilmittel für die zweite Phase überhaupt nötig. Auch bleibt das Ziel der praecepta unscharf: Mal ist es die Lösung von der Liebe, dann die Fähigkeit, an der Liebe nicht zu leiden, am Ende der bloße Wechsel von der einen zur nächsten Liebe. Vor allem aber scheint der von der Liebe abratende Ovid nicht ganz glaubhaft; der triumphierende Ton des „alles ist erlaubt“, der die Ars prägt, gelingt ihm weit besser als der vernünftelnde Ton der Remedia. Die Schrift setzt mit einer ausführlichen Rechtfertigung des Themas gegenüber Amor selbst ein: Nicht Verrat an dem Liebesgott hat der praeceptor im Sinn, sondern Rettung für diejenigen, die von unglücklicher Liebe zum Selbstmord getrieben werden. Amor lässt sich überzeugen und wünscht dem Dichter Glück für sein Werk. Der kündigt an, nicht nur den Männern, sondern auch den Frauen Ratschläge erteilen zu wollen. Ein solcher geschlechtsunspezifischer Adressatenbezug ist im Verlauf der Remedia aber nur insofern umgesetzt, als manche praecepta für beide Geschlechter gelten.
Ovid Der Adressatenkreis, an den Ovid primär denkt, ist männlich, wie zahlreiche Einzelvorschriften zeigen. Katalogartig werden mythische Gestalten, die durch Liebe schuldig wurden oder an ihr zugrunde gingen, vorgeführt: Hätten sie die Remedia amoris lesen können, wären ihnen Schuld und Tod erspart geblieben. Die folgende Sequenz von Vorschlägen orientiert sich am Verlauf einer Liebschaft, die sie in all ihren Stadien zu unterbinden sucht: Das erste Ziel ist also, übermäßige Leidenschaft gar nicht erst zuzulassen. Wenn aber das Unglück geschehen ist und sich die Liebe ins Herz gebohrt hat, muss sie entfernt werden, doch gilt es, den richtigen Zeitpunkt zu finden: Nur wenn der Liebende auch geheilt sein will, ist ihm zu helfen. Müßiggang nährt die Liebe, Arbeit und Mühe lenken von ihr ab. Heilsam ist auch die Flucht aus der Nähe des geliebten Menschen. Magie dagegen ist machtlos, sind doch auch die Zauberinnen – breit wird Circes Leid um Odysseus entfaltet – dem Liebesleid nicht entronnen. Die Makel und Schwächen der Geliebten soll sich der Liebhaber vor Augen führen und durch eine zweite Geliebte die Sehnsucht nach der ersten verdrängen. Wenn aber all das nicht hilft, dann soll er seine Leidenschaft ausleben – bis zum unvermeidlichen Überdruss. Er soll Gesellschaft suchen, aber nicht die von Verliebten; meiden soll er auch alle, die ihn an seine Liebe erinnern. Doch freundlich und großzügig soll er sich von der Geliebten trennen. Auf keinen Fall soll er die Trennung ausführlich erklären und rechtfertigen, heilsamer ist Schweigen. Armut hilft, denn der Arme wird nicht begehrt; auch kann er sich keine Ausschweifungen leisten, die die Liebe anregen. Meiden soll der Liebende Theater und Musik, auch die Dichtung kann ihm gefährlich werden, Kallimachos, Philitas, Sappho, Anakreon, Tibull, Catull, Properz, Gallus – und Ovid. Mit Speisevorschriften und dem prosaischen Rat, den Wein zu meiden oder aber bis zur Besinnungslosigkeit zu genießen, schließt die Reihe der praecepta; eine letzte Seefahrtsmetapher – das Schiff ist nun im Hafen – beendet das Werk.
D. Adressaten
f. Metamorphosen Die Metamorphosen (Verwandlungen) sind Ovids einziges erhaltenes Werk, das nicht in elegischen Disticha, sondern in monostichischen Hexametern, der Versform des Epos, verfasst ist. Sie sind zwischen 1 und 8 n. Chr. entstanden; als Ovid aus Rom relegiert wurde, beschloss er nach eigenen Angaben, sie zu verbrennen (Trist. 1,7,13): Haec ego discedens, sicut bene multa meorum / ipse mea posui maestus in igne manu. „Als ich fortging, legte ich diese, wie noch so manches meiner Gedichte, selbst voll Trauer mit eigener Hand ins Feuer.“ Wenn das mehr als eine Vergil imitierende Fiktion ist, muss es zu diesem Zeitpunkt bereits Abschriften gegeben haben. Auch hätte der Dichter dann seine Meinung geändert: Nunc precor ut vivant (Trist. 1,7,25). „Jetzt bete ich darum, dass sie weiterleben.“ Ovids Mythenerzählung bietet keinen in sich abgerundeten Stoffkomplex, sondern ein kunstvolles Geflecht aus circa 240 Einzelerzählungen, die in 15
Kompostion
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Die Autoren der augusteischen Zeit
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Vorlagen und Quellen
Metamorphose
Die Metamorphosen und die Aeneis
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Bücher aufgeteilt sind; nicht alle, aber viele münden in einer Metamorphose, die öfter auch aitiologischen Charakter trägt. Das Gesamtwerk folgt in großzügig aufgelockerter Weise einer chronologischen Leitlinie, deren Verlauf zugleich aus dem griechischen Osten nach Italien und Rom führt: Die Entstehung der großen Heldengenealogien durch die Verbindung von Menschen und Göttern, das ,Heroenzeitalter’ bis hin zu Troia und Aeneas und die römische Geschichte, die in die Ordnung der augusteischen Welt einmündet, sind die zentralen Wegmarken dieser Bewegung. Falls Ovid, wie manche Interpreten zu erweisen suchen, der Gesamtkomposition ein Schema, das über diese chronologische und geographische Bewegung hinausreicht, untergelegt hat, dann hat er es eher überspielt als betont. Eine klar strukturierte Großgliederung des Stoffes – nach Art von Lukrez’ De rerum natura und Vergils Georgica und Aeneis – hat er ganz offensichtlich gemieden. Die Forschung hat lange Zeit nach einem griechischen Handbuch gesucht, das Ovid als Vorlage für die Metamorphosen gedient haben könnte; dass man die Zusammenstellung nicht für ein eigenständiges Werk Ovids halten mochte, beruht aber auf einer Fehleinschätzung seiner gestalterischen Fähigkeit. Sicherlich hat er eine Vielzahl von Quellen benützt, diese aber frei ausgestaltet und nach eigenen Vorstellungen kombiniert. Verschiedene Episoden sind beeinflusst durch Homer, Apollonios Rhodios und die attische Tragödie, vor allem Euripides, dessen Hang zur psychologischen und rhetorischen Durchdringung der Konflikte seiner eigenen Neigung ebenso entgegenkam wie die Vorliebe für den Stoffkreis verbotener oder zumindest problematischer Liebe. Auch die hellenistischen Kleinepen, Catull 64 und die Aeneis hat Ovid rezipiert. Für das Leitprinzip der Metamorphose fand er zahlreiche Vorbilder in der griechischen Literatur: Der Kallimachos-Schüler Eratosthenes hatte im 3. Jahrhundert v. Chr. eine Sammlung von Sternsagen (Katasterismoi ) gestaltet. Boios oder Boio (Name und Geschlecht sind umstritten) verfasste eine Sammlung von Sagen über die Verwandlung in Vögel (Ornithogonia), die auch Ovids Zeitgenosse Aemilius Macer in zwei Büchern adaptiert hat. Nikander von Kolophon schrieb im 2. Jahrhundert v. Chr. Heteroiumena (Verwandlungen) in fünf Büchern, Parthenios im 1. Jahrhundert v. Chr. eine Sammlung von Metamorphoseis. Verwandlung als Zielpunkt individueller Mythen und zugleich als Erklärung für die Welt, wie sie ist, ist auch ein Leitthema der kallimacheischen Aitia. Hier und vermutlich auch bei Nikander fand Ovid zudem ein Vorbild für seine Technik der Episodenverknüpfung durch Binnenerzählungen. Während die griechischen Autoren aber, soweit das aus der Überlieferung zu beurteilen ist, die Überleitungen eher schlicht gestalten, prunkt Ovid mit einem reichen Spektrum von Varianten; auch für die chronologische Folge, der er den Kosmos der Mythen unterwirft, findet sich kein Vorbild. Den Vergleich mit der Aeneis fordern die Metamorphosen geradezu heraus. Vordergründig imitiert Ovid Vergil: Die Sequenz der Episoden wächst wie die Aeneis aus dem Raum des Mythos in den Raum der Geschichte hinein; selbst die Bewegung von griechischen und römisch-italischen Mythen zur römischen Geschichte und Augustus entspricht dem Weg der Troianer nach Westen und dem Zielpunkt des vergilischen Geschichtskonzepts, dem augusteischen Rom. Diese äußerliche Analogie verdeckt aber nicht die fun-
Ovid damentale Verschiedenheit von Intention und Ideologie: In den Metamorphosen findet sich nichts von römischer Teleologie; ihr Anspruch ist eher der einer gebildeten und geistreichen Unterhaltung, die aber im Kontext eines umfassenden Panoramas des Mythos durchaus eine eigene, freilich eher antiaugusteische Weltsicht vermittelt: Hier geht es nicht um Staatsgründung, Machtlegitimation und Herrscherpreis – wenngleich all diese Elemente auch im 15. Buch enthalten sind. Aber der Tenor ist gesucht unpolitisch: Als der echtere Erbe hellenistischer Geisteshaltung setzt Ovid nicht nur in der Elegie, sondern auch im Epos dem Anspruch des Staates den privaten Glücksanspruch des einzelnen Menschen entgegen. Insgesamt repräsentieren die Episoden der Metamorphosen ein Spektrum von Verhaltensweisen, die ,menschlich’ sind und deswegen mit dem Verständnis des Erzählers rechnen können. Dieser nötigt aber auch den Leser zu einer Art Komplizenschaft: Das Befremden angesichts der vielfältigen Verfehlungen von Menschen und Göttern wird spielerisch gebrochen durch einen manchmal offenen, manchmal unterschwelligen Humor, der mit Pointen, Wortwitzen oder überraschend unkonventionellen Wertungen und Wendungen moralische Kategorien relativiert, jegliches Pathos unterminiert und das Heroische demontiert. Der Vielfalt menschlicher Affekte und Verirrungen gilt Ovids eigentliches Interesse, er sucht sie – vor allem da, wo es um die Liebe geht – psychologisierend herzuleiten. Letztlich agieren seine Gestalten wie moralisch indifferente Zeitgenossen Ovids: Als Täter sind sie egoistisch, leidenschaftlich, raffiniert im Betrug und Selbstbetrug, an Vergnügen und Lust orientiert, gleichgültig gegenüber fremdem Schmerz bis hin zur Grausamkeit, nie auf längere Sicht durch moralische Erwägungen gehemmt; als Opfer steigern sie sich in ihr Leid hinein bis zur Selbstaufgabe. Das Geschick, das ihnen der Mythos zuschreibt, vollziehen sie wie ehrgeizige Schauspieler, die ihre Rolle bis ins letzte Extrem auskosten. Die diesem Geschick vielfach inhärente tragische Potenz wird dabei zwar durch die oft humorvolle, auf jeden Fall dem Pathos abgeneigte Erzähltechnik überspielt, aber nicht gänzlich aufgehoben, sondern allenfalls in Ambiguität überführt. Mit ironischer Distanz begegnet Ovid insbesondere den Göttern und Helden. Vergil hatte beiden neuen Rang verliehen, indem er sie zu Akteuren des philosophisch begründeten fatum erhob. Ovid wählt den umgekehrten Weg, Götter und Helden glaubwürdig zu machen: Er treibt ihre Vermenschlichung auf die Spitze und inszeniert ihr Handeln als Willkürspiel machtverwöhnter Lebemänner. Der Anthropomorphismus der Götterdarstellung und die Demontage der Heroen eröffnen zahlreiche Möglichkeiten für Humor und Ironie. Ovid entzieht sich den großen Stoffen und Sagenkreisen nicht, aber er widmet sich ihnen ohne wirklichen Sinn für heroische virtus. So werden auch die Heldenmythen vor allem als Vehikel für erotische Binnenerzählungen verwandt. Heldenhafte Taten berichtet er nicht unter dem Aspekt ihrer exemplarischen virtus, sondern mit kaum verhohlener Kritik: Er lässt sie entweder in barbarischen Gräueln münden (wie die Lapithenhochzeit, 12, 210 ff.), oder er decouvriert die Helden als Angeber und Schwätzer (wie die Troia-Kämpfer, 12,159 ff.). Das Phänomen der Liebe entfaltet er dagegen in all seinen Varianten – verbotene Liebe wie die der Medea, inzestuöse Liebe wie die der Myrrha zu
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Affekte
Demontage von Göttern und Helden
Das Phänomen der Liebe
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Die Autoren der augusteischen Zeit
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Straf- und Rettungsmetamorphose
,Wandlung und Dauer ,
concilium deorum
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ihrem Vater oder die der Byblis zu ihrem Bruder, eheliche Liebe wie die zwischen Philemon und Baucis oder zwischen Ceyx und Alcyone, Vergewaltigung durch Götter (Iuppiter – Callisto) und Menschen (Tereus – Philomela). Fast alle Liebesgeschichten enden unglücklich – mit Leid oder Tod der Liebenden. Aus der Metamorphose erwächst aber häufig eine positive Schlusswendung: Weil nichts bleibt, sondern alles dem Wandel unterliegt, ist auch nichts von dauerhafter Schmerzlichkeit; in ihrer Verwandlung überwinden die Menschen das Leid, das ihnen die Beschränkung auf die eine Identität auferlegt hätte. So erspart die Metamorphose dem alten Ehepaar Philemon und Baucis, den Tod des anderen erleben zu müssen; Nioba weint als Stein weiter, aber ihr Schmerz scheint doch dem eigentlichen Bewusstsein enthoben zu sein. Daphne wird zum Lorbeerbaum – und entgeht so der Vergewaltigung durch Apoll; die Metamorphose bewirkt aber zugleich auch die Versöhnung zwischen dem Gott und der Nymphe – jenseits der Sexualität (1,452 ff.). Die letzte Metamorphose ist dann der Tod. Dass sich eine Großzahl antiker Mythen unter dem Stichwort der Verwandlung fassen lässt, liegt im Wesen dieser mythischen Erzählungen begründet, die zumindest in den überlieferten Versionen häufig einen aitiologischen Charakter tragen. Dabei spielt ursprünglich die Frage von Schuld und Strafe eine grundlegende Rolle: Verwandlung wird von den Göttern dann verhängt, wenn ein Fortleben in der ursprünglichen Gestalt nicht mehr möglich ist (Rettungsmetamorphose) oder aber schuldhaft verspielt ist (Strafmetamorphose). Für Ovid nimmt allerdings der Aspekt von Schuld und Strafe nur eine Nebenrolle ein; die von ihm erzählten Metamorphosen vereinigen nicht selten Rettung und Strafe in sich und zeigen die Fragwürdigkeit des göttlichen Waltens. Wichtiger als Schuld und Strafe ist für Ovid der innere Zusammenhang zwischen dem ,alten’ Charakter und der ,neuen’ Form: Diese wahrt auf einer anderen Ebene die alte Substanz oder deckt das bisher verhüllte wahre Wesen überhaupt erst auf (Dörrie, 1959, spricht von ,Wandlung und Dauer’). So werden die Töchter des Helios, die den Tod ihres Bruders Phaëthon beweinen, schließlich zu Bäumen, die Bernstein ,weinen’; die Töchter des Minyas, die die Existenz des Gottes Dionysos leugnen, werden, als der Gott mit seinem hellen Licht bei ihnen eindringt, zu lichtscheuen Fledermäusen. Die lykischen Bauern, die mit ihrer egoistischen Engstirnigkeit der schwangeren Latona den Zugang zum Wasser verwehren, tauchen als Frösche aus dem Wasser auf; der grausame Lykaon, der den Gastfreund töten und auftischen lässt, wandelt sich zum Wolf. Wenn Hermaphroditus und Salmacis zur Zwittergestalt verschmelzen, dann ist damit eine Geschichte der Entfremdung beendet. Wo eine solche innere Beziehung zwischen Charakter oder Geschick und neuer Form nicht möglich ist, sucht Ovid zumindest, die Verwandlung plausibel zu machen, indem er detailliert ihren Ablauf schildert; er hebt den eigentlich unerklärlichen numinosen Prozess in einen Bereich rationaler Phänomenologie. Im 15. Buch der Metamorphosen krönt der Lehrvortrag des Philosophen Pythagoras das Epos der ,Verwandlungen‘ mit der alten religiös-philosophischen Konzeption der Seelenwanderung (Metempsychose); der Gedanke der ,Dauer im Wandel’ ist damit in seine letzte Konsequenz überführt. Caesar und Augustus sind in Buch 1 und 15 präsent und umrahmen so die Metamorphosen; ein eindeutiges Bekenntnis zum Prinzipat und zur au-
Ovid gusteischen Politik bedeutet das aber nicht. Zum ersten Mal wird Augustus, nach der einleitenden Zeitalterlehre, im weiteren Kontext der Gigantomachie (1,151 ff.) erwähnt: Die Erde lässt aus dem Blut der Giganten ein Menschengeschlecht entstehen, das die Götter verachtet und auf Mord aus ist. In der Ratsversammlung der Götter, die in witziger Analogie zur römischen Curie gezeichnet ist, erwähnt Iuppiter, dass ihm Lycaon nach dem Leben getrachtet habe (199 ff.). Den Schrecken, der daraufhin die Götterversammlung ergreift, illustriert der Erzähler durch einen Vergleich: Ebenso sei das menschliche Geschlecht und der ganze Erdkreis von tiefem Schrecken über die Ermordung Caesars ergriffen worden; diese fromme Anteilnahme sei Augustus nicht weniger lieb gewesen, als die der übrigen Götter Iuppiter lieb war. Der Vergleich vollzieht sich auf zwei Ebenen: Der Anschlag auf Iuppiter wird mit dem auf Caesar, Augustus selbst mit Iuppiter verglichen In der Ovid-Philologie konkurrieren zwei Deutungen des Passus: Die eine erklärt die Augustuspanegyrik mit den oben zitierten Versen für beendet und interpretiert sie als von Ressentiments freies, wenn auch etwas aufdringliches Kompliment an Augustus. Die Vertreter einer augustus-kritischen Lesart berücksichtigen den folgenden Passus der Metamorphosen – die Vernichtung fast der ganzen Menschheit durch Iuppiters Zorn, ein Motiv, das als Anspielung auf die Bürgerkriege und Ächtungen (proscriptiones) gedeutet wird. Ein ähnlich vieldeutiges Interpretationsspektrum eröffnen die Caesar- und Augustus-Motive in Buch 15,745 ff. Sie sind eingeführt als Prophezeiung des Philosophen Pythagoras, der zuvor (15,60 ff.) als Exilierter und Tyrannenhasser vorgestellt wird. Innerhalb eines umfänglichen ethisch orientierten Lehrvortrags rühmt Pythagoras Rom als zukünftiges „Haupt des gewaltigen Erdkreises, so groß, wie keine Stadt sonst ist noch je sein wird noch sich in vergangenen Jahren gezeigt hat“ (Caput immensi orbis, / quanta nec est nec erit nec visa prioribus annis). Vergleicht man diese Prädikation mit Vergils berühmter ,Wesensbestimmung’ Roms in Aen. 6,851 ff., die römische Herrschertugend von den artes (Künsten und Wissenschaften) der Griechen abhebt (vgl. oben, S. 62), so wird deutlich, dass Ovid auf eine sittliche Legitimierung der Herrschaft Roms verzichtet. Ambivalent ist aber auch die direkte Preisung von Caesar und Augustus in 15, 745 ff., die Caesar zum „Gott in seiner Stadt“ erhebt (Caesar in urbe sua deus est) und all seine militärischen Verdienste aufzählt, die doch gering zu schätzen seien angesichts der Leistung, Augustus’ Vater zu sein (15,769 f.). Man kann das als Panegyrik auffassen. Es ist aber sicher kein ganz naives Herrscherlob. Der Vergleich von Caesars Taten und seiner Vaterschaft wirkt manieriert – zumal diese Vaterschaft eben nicht biologischer Art war. Einige der angeführten Siege sind dubios. Und der ungeschminkte Utilitarismus, mit dem Ovid Caesars Apotheose begründet, steht in Widerspruch zur augusteischen Ideologie, die die Vergöttlichung der Herrscher an ihre Leistungen für den Staat knüpft. Ovid erzählt dann ausführlich die Geschichte von Caesars Ermordung; dabei konzentriert er sich auf die Götterebene, auf Venus’ Klage um den toten Nachfahren und seine Verwandlung zum Kometen. Den Abschluss bildet ein Vergleich zwischen Iuppiter und Augustus und ein Gebet um ein langes Leben für den princeps, dem erst spät die Apotheose zuteil werden soll. Das
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Augustus-Panegyrik
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Die Autoren der augusteischen Zeit
D.
Epilog
Stil
Paradoxa
Psychomachie
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ist ein frommer und respektvoller Abschluss des Herrscherlobs, der allerdings – im Motiv der Gottwerdung – beide Caesaren in das Leitprinzip der Metamorphosen einbezieht: Auch sie unterliegen dem Wandel. Vergleicht man damit den Epilog, so relativiert sich der Wert der Herrscherpanegyrik noch weiter: Der Einsatz Iamque opus exegi zitiert Horaz c. 3,30 (Exegi monumentum); aber anders als der lyrische Subtext bindet Ovid die Dauer seines Ruhmes nicht an Roms Bestand: per omnia saecula, durch alle Jahrhunderte wird, so prophezeit er, sein Ruhm bewahrt bleiben. Ovid propagiert die Überlegenheit der Kunst über die Politik – sie allein überwindet Tod und Verfall. In ihrer Wortwahl sind die Metamorphosen meist schlicht; Gräzismen, nicht zuletzt auch die klangvollen Namen des Mythos, Alliterationen und Anaphern verleihen ihr aber ein eigenes und attraktives Klangkolorit. Die Verse entfalten sich wie selbstverständlich, in mühelos wirkender Perfektion; selbst der versus aureus, die raffinierte symmetrische Aufteilung von Substantiven und Attributen um ein zentrales Prädikat innerhalb des Verses, scheint Ovid fast unabsichtlich zu gelingen. Der Satzbau strebt eher nach leichter Fasslichkeit als nach artifizieller Raffinesse; Ovid meidet überlange Sätze und verschachtelte Hypotaxen; auch seine Hyperbata erschließen sich dem Leser gewöhnlich rasch und wie selbstverständlich. So bieten sich die Metamorphosen mit einer leicht zu erschließenden Oberfläche dar; darunter gibt es allerdings für den sensiblen und aufmerksamen Leser viel an Wortwitz und Pointen, an gewollten stilistischen Brüchen, an Anspielungen, Zitaten und kleinen Erzählerkommentaren zu entdecken. In inhaltlich-thematischer Hinsicht zeigen die Metamorphosen einen Hang zu manieristischer Übersteigerung. Gern häuft Ovid die Phänomene, seien es die der Liebe, des Schmerzes oder von Vernichtung und Tod. Diese Fülle schießt ganz bewusst über eine realitätsgetreue Darstellung hinaus. Ihr Ziel ist nicht die echte Anschauung, sondern die Versammlung aller durch die Tradition vorgegebenen oder in der Phantasie vorstellbaren Aspekte, bis hin zu einer Überfülle, die jede Anschaulichkeit sprengt. In solchen Reihungen haben schon Seneca pater und Quintilian Ovids Unwillen gesehen, sein eigenes ingenium zu zügeln (Seneca pater, Controversiae 2,2,12; 9,5,17; Quintilian inst. 10,1,88). Aber sie sind doch mehr als bloße Demonstrationen dessen, was Sprache und Kreativität vermögen. In ihnen offenbaren sich ganz spezifische, eigene Stiltendenzen und Erzählabsichten: Die Aufwertung des Details an Stelle des Gesamtbildes entspricht hellenistischem Geschmack; die Freude am Paradoxen oder gar Grotesken (etwa, wenn der zu ewigem Hunger verdammte Erysichthon sich selbst auffrisst, 8, 741 ff.) decouvriert die Welt als Raum des Unheimlichen, Bedrohlichen, Sinnentleerten; die minutiöse Schilderung von Verwundungen und Verstümmlungen (etwa bei der Lapithenschlacht, 12,210 ff.) nötigt den Leser zu einer befremdeten Perspektive auf kriegerisches Heldentum. Seelische oder moralische Konflikte werden häufig in umfänglichen rhetorisierten Monologen ausgetragen; dabei tendieren Ovids Gestalten dazu, ihre Situation nicht in ihrer konkreten Individualität zu reflektieren, sondern als Psychomachie (Seelenkampf) von abstrakten Mächten und Postulaten zu entwickeln (zum Beispiel Medea, 7,11 ff.). Solche Abstraktion könnte frostig wirken; dichterische Kommentare, Parenthesen, lange Schilderungen aus
Ovid
Buchstruktur
Erzähltechnik
Arachne als ,Erzählerin ,
der Perspektive eines Betroffenen provozieren aber doch auch die Einfühlung und nicht selten die Sympathie des Lesers. Die Buchstruktur bringt nur selten stärkere Einschnitte mit sich. Vielmehr sucht Ovid die Übergänge zwischen Einzelepisoden ebenso wie zwischen den Büchern zu überspielen. Die Verbindung der Episoden erfolgt häufig durch Rahmen- und Binnenerzählungen, manchmal aber auch schablonenhaft unter Berufung auf Analogien oder Genealogien. Erzählungen mit vergleichbarer Thematik, wie sie das Gesamtpanorama des Mythos reichlich bietet, sind öfter nahe zusammengerückt (zum Beispiel in Met. 1 und 2 die Mythen von Daphne, Io und Callisto; in Buch 5 die Mythen von Arethusa und Cyane); Ovid rechnet damit, dass der Leser die Parallelen durchschaut – nur so kommt die kunstvolle Technik der variierenden Akzentuierung mit jeweils anderen Stimmungen und Erzählinteressen zum Vorschein. Überhaupt ist die variatio das eigentliche Kompositionsprinzip: In den Konflikten, die durch die Liebe von Göttern zu menschlichen Frauen, durch menschliche Liebe und menschliche Hybris konstituiert werden, weiß Ovid jeweils neue Facetten herauszuarbeiten und neue Akzente zu setzen: Heiteres und Leidvolles, große Schicksale und kleine private Liebesaffären, kurz Angedeutetes und breit Ausgeführtes, Gelehrtes und Naives – all das wechselt in bunter Folge. Aus narratologischer Warte präsentieren sich die Metamorphosen als ein höchst raffiniertes Konstrukt aus verschiedenen Erzählebenen. Neben den ,Haupterzähler‘, der zu Beginn die Götter um Hilfe bittet und am Ende mit seinem stolzen legar beansprucht, für alle Zeiten gelesen zu werden, treten zahlreiche ,Binnenerzähler‘, die mit jeweils eigenen subjektiven Erzählhaltungen und Erzählinteressen die einzelnen Episoden prägen: Der erste dieser Erzähler ist Iuppiter in Met. 1, der letzte ist der Philosoph Pythagoras in Buch 15. Diese Technik des polyphonen Erzählens stellt zugleich den Wahrheitsanspruch des Erzählten in Frage. Hier tritt kein auktorialer Erzähler auf, der Verbürgtes verkünden könnte; der Leser ist eingeladen, sich einem Spiel der Kunst zu überlassen, das ihm demonstriert, wie eine Erzählung zustande kommt, wie Epik entsteht; der Mythos ist kein Stoff von überzeitlich-autonomer Geltung, sondern realisiert sich textintern als Gegenstand im Prozess der Erzählung. Besonders deutlich wird die Episode vom Wettstreit im Weben zwischen Athena und Arachne in Met. 6,1 ff. zum Medium eines narratologischen Meta-Diskurses: Athena webt eine Textur, deren Bilderzyklus in klassischer Weise geordnet und ausgewogen ist und ein moraltaugliches Programm vermittelt – die Bestrafung menschlicher Hybris durch die Götter. Die Schilderung dieses textilen ,Erzählwerks’ durch den Erzähler der Metamorphosen akzentuiert den statischen Charakter des Bildes, die einzelnen Gestalten ,sitzen’ oder ,stehen’ an den ihnen zugewiesenen Orten. Arachna webt dagegen in einer aufgelösten, keiner klaren Struktur verpflichteten Folge eine Fülle von Episoden, deren Leitmotiv die Verführung von Menschen durch Götter ist. Die einzelnen ,Geschichten’ erwachen unter ihren Händen zum Leben; wie der Erzähler ausdrücklich betont, kann der Betrachter sie geradezu agieren sehen und hat seine Freude daran (6,18f.; 104). Klassische und gegenklassische Kunst, feierlich-getragenes und dramatisch bewegtes Erzählen, eine fromme Weltsicht und ein ironisches Herabziehen der Götter auf
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Die Autoren der augusteischen Zeit
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Das Proömium
Zeitalterlehre
Götterliebschaften
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Menschenmaß – die ,Erzählerinnen’ Athena und Arachna repräsentieren zwei Extreme der Erzähltechnik und demonstrieren so den Gestaltungsspielraum des Erzählers. Wo die Sympathien des ,ersten Erzählers’ liegen, wird nicht enthüllt; es scheint, als siege Arachna, doch die Göttin straft ihre Überheblichkeit und verwandelt sie in eine Spinne. Das Proömium entfernt sich weit von den üblichen Demutsformeln des Inspirationstopos: Selbstbewusst erklärt der Dichter, welches Projekt er (sein animus, 1,1) sich vorgenommen hat, und bittet die Götter, Urheber der Verwandlungen, die das Thema seiner Dichtung sind, um Beistand. Als Dichtungspatrone bewirken sie damit letztlich auch die bedeutendste Metamorphose: Sie lassen Mythos und Geschichte zur Kunst gerinnen: In nova fert animus mutatas dicere formas / corpora. di, coeptis – nam vos mutastis et illas – / adspirate meis primaque ab origine mundi / ad mea perpetuum deducite tempora carmen. „Mich treibt mein Geist, von Gestalten zu sprechen, die in neue Körper verwandelt wurden. Götter, gebt meinem Beginnen – ihr habt ja auch jene verwandelt – eure Gunst, und führt mein Gedicht durchgängig vom Uranfang der Welt bis hin zu meiner Zeit.“ Wichtig ist hier auch der Anspruch, ein carmen perpetuum (durchgängiges Gedicht) zu verfassen, wirken doch die Metamorphosen bei oberflächlicher Betrachtung eher wie eine Versammlung von Kleinerzählungen. Der deshalb gelegentlich auf die Metamorphosen angewandte Begriff ,Kataloggedicht’ ist aber unzutreffend; auch der Begriff ,Kollektivgedicht’ (Martini; im Sinn einer Fülle von Einzelbeiträgen zu einem gemeinsamen Oberthema wie dem der Metamorphose) ist wenig hilfreich. Die Metamorphosen sind ein Epos, freilich nicht nach dem Vorbild Homers, der das Erzählte um einen einzigen Konflikt (Achills Zorn, Odysseus’ Rückkehr) anordnet, sondern als Synthese aus hellenistisch-gelehrter Dichtung im Stil des Kallimachos und römisch-annalistischer Epik, die große Erzählfolgen aus der mythischen Vergangenheit bis in die Gegenwart des Verfassers entwickelt. An die Weltentstehung aus dem Chaos schließt sich die Zeitalterlehre an; durch eine große ,Sintflut‘ vernichten die Götter das Menschengeschlecht, das einen Mann wie Lycaon hervorbrachte, der selbst Iuppiter nachstellte. Nur Deucalion und Pyrrha, ein altes Ehepaar, überleben die Flut; aus Steinen lassen sie das gegenwärtige Menschengeschlecht hervorkommen, kalt und hart wie sein Ursprung. Nachdem so das große Thema menschlicher Hybris angerissen ist, eröffnet Ovid das Thema der Götterliebschaften (1,452 ff.): Apoll stellt Daphne nach, die sich ihm durch die Metamorphose zum Lorbeerbaum entziehen kann. In Phaëthon tritt dem Leser ein Kind aus einer Beziehung zwischen Gott und Mensch entgegen; der Sohn des Sonnengottes zwingt seinen Vater, ihn den Sonnenwagen steuern zu lassen, und richtet sich und weite Teile des Kosmos zugrunde. Menschen und Götter trifft das Leid, die zu verlieren, die sie lieben (Met. 1/2). Im Zentrum der folgenden Bücher stehen Mercur (Met. 2), Theben und Bacchus (Met. 3/4), Perseus und Pallas Athene (Met. 4/ 5), der Wettstreit im Gesang zwischen den Musen und den Töchtern des Piereus und der Raub der Proserpina durch Pluto (Met. 5). Arachna, Nioba, Marsyas und die lykischen Bauern führen den großen Themenbereich menschlicher Hybris fort (Met. 6).
Ovid Menschlichen Leidenschaften sind die folgenden Bücher gewidmet: Medea, Theseus und der kretische König Minos sind die zentralen Gestalten von Met. 7, mit Theseus und Minos eröffnet der Erzähler zugleich den Reigen der Götterkinder, die als Begründer griechischer Dynastien gelten. Das ,Epyllion’ von Scylla, die ihren Vater an Minos verrät, die Episode von Daedalus und Icarus, die mit Flügeln aus Minos’ Haft fliehen, und die kalydonische Jagd, die mit Althaeas Rache am eigenen Sohn endet, gestaltet Ovid in Met. 8. Met. 9 setzt ein mit dem Hercules-Mythos, am Ende stehen zwei Epyllia, Byblis’ Liebe zu ihrem Bruder und die Geschichte des Mädchens Iphis, das von Isis zum Mann umgewandelt wird. Der Orpheus-Stoff nimmt Met. 10 ein; in Orpheus’ Lied ist die Erzählung von Pygmalion eingebettet, der sich in ein Kunstwerk verliebt, das er selbst geschaffen hat. Orpheus’ Tod, das Geschick des Midas, der alles, das er berührt, zu Gold wandelt, die Ehe zwischen Peleus und der Nymphe Thetis und die unglücklich endende Liebe zwischen Ceyx und Alcyone sind in Met. 11 erzählt. Mit Met. 12 beginnt die Erzählung des Troianischen Kriegs, die bis weit in Met. 13 reicht; dort geht Ovid zum Aeneasstoff über. Italische Mythen führen zu Romulus (Met. 14). Der Lehrvortrag des Pythagoras macht den größten Teil von Met. 15 aus, die Caesar- und Augustus-Panegyrik und der Epilog beschließen das Werk.
D. Menschliche Leidenschaften
Orpheus
Troia-Stoff
g. Fasti Ein dies fastus ist ein für eine Tätigkeit, ein Opfer oder ein Fest bestimmter Tag, Fasti dies bezeichnen den Kalender. Der Titel Fasti verweist also auf den römischen Festkalender, dessen Ablauf in seinen einzelnen Feier- und Gedächtnistagen und wichtigen Terminen Ovid aitiologisch darstellt: Die Arbeit an den Fasti hatte Ovid in Rom bereits begonnen, als die Metamorphosen noch nicht fertig gestellt waren. In den Tristia (2,549 – 552) legt er selbst den Plan des Werkes dar: sex ego Fastorum scripsi totidemque libellos, / cumque suo finem mense libellus habet. / idque tuo nuper scriptum sub nomine, Caesar, / et tibi sacratum sors mea rupit opus. „Sechs Bücher der Fasten schrieb ich und noch einmal ebenso viele, und jede Rolle (jedes Buch) findet mit ihrem Monat ein Ende. Dieses Werk, erst jüngst mit deinem Namen, Caesar, versehen und dir geweiht, hat mein Schicksal unterbrochen.“ Sein Plan war demnach, jedem der zwölf Monate ein Buch zu widmen. Wir besitzen allerdings nur sechs Bücher. Man kann sich leicht vorstellen, dass zum Zeitpunkt der Relegation erst sechs Bücher mehr oder weniger vollendet und die Vorarbeiten für die zweite Hälfte nicht weit genug gediehen waren, um das Werk in Tomis, fern von Rom und seinen Bibliotheken, zu Ende zu stellen; denkbar ist auch, dass er die Freude an dem so römisch geprägten Stoff verloren hat. Wenig plausibel wirkt dagegen die neuerlich vertretene These, die Fasti seien von Anfang an nur auf sechs Bücher konzipiert worden, um es Ovid zu ersparen, die Monate zu behandeln, in denen Augustus-Panegyrik dominieren musste. Ursprünglich sollten die Fasti, wie die oben zitierte Stelle aus den Tristia belegt, Augustus gewidmet werden; vermutlich nach dessen Tod im Jahr 14
Werkumfang
Widmung
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Die Autoren der augusteischen Zeit
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Die Fasti im Kontext augusteischer ,Ideologie ,
Stoffdisposition
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n. Chr. widmete Ovid sie Germanicus, dem Sohn des Drusus Claudius Nero, den Augustus’ Nachfolger Tiberius adoptiert hatte. Ovid hoffte wohl, der ,Kronprinz’ werde die Aufhebung seiner Verbannung erreichen; Germanicus war allerdings auch ein besonders kongenialer Adressat der Widmung, hatte er doch Arats Phainomena ins Lateinische übersetzt. Die Umwidmung zeigt, dass Ovid im Exil die Fasti nicht ganz beiseite gelegt hat; in diese Richtung weist auch, dass das Thema Exil an manchen Stellen mit besonderer Akzentuierung behandelt ist, so etwa, wenn der Erzähler in 1,540 über den an den Ort des späteren Rom verschlagenen Euander bemerkt: felix, exilium cui locus ille fuit – glücklich war er, für den jener Ort (scil. Rom) das Exil war. Da zahlreiche Tage des römischen Kalenders ihre besondere Bedeutung aus großen historischen Ereignissen der Vergangenheit bezogen oder alte römische Frömmigkeit wach hielten, war die Grundidee der Fasti sicherlich in Augustus’ Sinn. Hinzu kommt, dass der römische Kalender auch in besonderem Zusammenhang mit dem iulischen Herrscherhaus stand: Die Kalenderreform Caesars hatte mit der Einführung des iulianischen Kalenders die Berechnung der Feste und Gedenktage von den Phasen des Mondes unabhängig gemacht und allein am Sonnenjahr orientiert – eine ungeheure Erleichterung der Kalenderberechnung. Der Quintilis war 44 v. Chr. in Iulius zu Ehren Caesars umbenannt worden, der Sextilis 8 v. Chr. in Augustus. Zahlreiche Feste der gens Iulia und Gedenktage der augusteischen Politik waren institutionell im Kalender verankert. Dass Augustus selbst ein solches Werk eingefordert oder angeregt hätte, lässt sich allerdings nicht belegen; aber in seinem unmittelbaren Umfeld entstand ein umfängliches Prosawerk über den römischen Kalender, die Fasti des M. Verrius Flaccus, des Erziehers von Augustus’ Enkeln. Auch die Dichter der augusteischen Epoche erkannten die Bedeutung des Themas. Properz bietet im vierten Buch seiner Elegien Ansätze einer aitiologischen Kalenderdarstellung; Horaz c. 4, 2 weist auf ein entsprechendes Werk des Iullus Antonius hin; Ovid erwähnt das opus dierum (Werk der Tage) seines Freundes Sabinus. Die Orientierung am römischen Kalender verpflichtete Ovid auf eine spezifische Disposition und legte ihn auch in seiner Stoffwahl weitgehend fest; dennoch blieb ihm die Möglichkeit, bei den einzelnen Ereignissen und Festen durch eine ausführliche Schilderung oder knappe Erwähnung differenzierende Akzente zu setzen. Hier zeigt sich sein eigentliches Erzählinteresse: Die Mythen aus der römischen Vorzeit, von Euander, Aeneas, den Königen von Alba Longa, Romulus und Remus, Numa, Servius Tullius, Tarquinius Superbus und Lucretia, sind mit großer Erzählfreude dargestellt. Geringer scheint Ovids Engagement für die römische Frühgeschichte: Die Sezession der Plebeier, der Tod der 300 Fabier im Jahr 477, der Galliersturm, Manlius Capitolinus, die Gesetzgebung der Decemviri 450, die PyrrhusKriege, die Schlacht am Trasimener See, die Eroberung von Syrakus durch Marcellus, der Tod von Hasdrubal in der Schlacht bei Metaurus, die Ankunft der Magna Mater deum (Große Göttermutter) in Rom, die Siege römischer Generäle in Spanien und Africa, über die Germanen und im Osten, der Tod des Crassus am Euphrat und die Ermordung Caesars werden vergleichsweise knapp behandelt, ebenso Octavians Sieg bei Actium. Ausführlicher geht Ovid auf die Friedenstaten der Caesares ein: die Weihung des Tempels des
Ovid Iulius Caesar auf dem Forum im Jahr 29, die friedliche Rückgewinnung der römischen Standarten, die die Parther dem römischen Heer unter Crassus genommen hatten, im Jahr 20; Augustus’ Pontifikat im Jahr 12, sein Titel pater patriae, verliehen im Jahr 2 v. Chr., und der in demselben Jahr eingeweihte Tempel des Mars Ultor auf dem Forum des Augustus. Das sich in dieser Stoffwahl manifestierende Desinteresse an militärischen Großtaten bekennt Ovid paradigmatisch im Prooemium: Er differenziert zwischen Caesars Waffen und Caesars Altären (1,13). Von den Waffen sollen andere singen – Caesaris arma canant alii; das ist eine kleine Spitze gegen die Aeneis (Aen. 1,1: Arma virumque cano). Das Thema der Fasti aber sind die von Caesar gestifteten Altäre und die Caesar gewidmeten Kultfeste. Die Zurückweisung des heroischen Stoffes unterstreicht zugleich den elegischen Charakter der Fasti. Die Beschränkung auf ,Caesars Altäre’ stellt an sich keinen Affront gegen Augustus dar. Die römisch-italischen Kulte lagen ihm besonders am Herzen; es war ein wesentlicher Teil seines Programms der renovatio, allzu harte Kultvorschriften oder orgiastische Elemente zurückzudrängen und die Kultausübung im Geist schlichter römisch-italischer Frömmigkeit unter Einschluss von Elementen hellenistischer Religiosität zu erneuern; in seinen Res gestae (Monumentum Ancyranum) rühmt er sich dieser Leistung ganz besonders. In Spannung zu der von Augustus propagierten altrömischen Frömmigkeit steht Ovid aber, wenn ihm die Erläuterung eines religiösen Festes zu einer eher schwankhaften Erzählung gerät. So scheut er sich nicht, die ehrwürdige Göttin Vesta in einen erotischen Schwank hineinzuziehen (6, 319 ff.). Inwieweit die Fasti eine affirmative oder eine kritische Stellungnahme zur augusteischen Politik beabsichtigen, ist in der Forschung umstritten. Manches Einzelmotiv wird in jüngster Zeit als polemisch oder ironisch gedeutet; unklar bleibt allerdings unter dieser Prämisse, ob sich die Opposition gegen Augustus oder gegen Tiberius richten sollte. Offene Kritik an einem der beiden enthalten die Fasti nicht, allenfalls lässt sich an der vergleichsweise knappen Behandlung der Gedenktage der gens Iulia eine gewisse Distanzierung ablesen. Wo Ovid allerdings die Leistungen des iulischen Geschlechts oder des princeps darstellt, da tut er dies in völliger politischer Korrektheit (4,859 f.; 1,85 f.). Dennoch erhält der große national-römische und aitiologische Stoff unter Ovids Händen ein sehr eigenes Gepräge: Zunächst einmal wählt er – wie schon in der Ars amandi – nicht das traditionelle Metrum des Lehrgedichts, den Hexameter, sondern das elegische Distichon; das bedeutet von vornherein eine stilistische und thematische Absenkung des Feierlich-Erhabenen ins Stimmungshafte – eine Tendenz, die durch die im Vergleich zu den Metamorphosen weitaus häufigeren Erzählerkommentare noch verstärkt wird. Zweitens kombiniert er den römischen Stoff mit griechischen Sternsagen. Diese doppelte thematische Ausrichtung legen gleich die ersten Verse (1,1f.) fest: Tempora cum causis Latium digesta per annum / lapsaque sub terras ortaque signa canam. „Die Zeiten will ich besingen mit ihren Ursachen, wie sie im latinischen Jahr verteilt sind, und die unter den Horizont versunkenen Gestirne ebenso wie die aufgestiegenen.“ (Ebenso wiederholt in 4,11.) Die Mischung aus römischem und griechischem Kolorit verleiht den Fasti einen ganz eigenen Charakter: Ihr Autor
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Caesaris arma – Caesarisa arae
Augustus-Kritik
Lehrgedicht und Elegie
Römische Aitia und griechische Sternsagen
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Die Autoren der augusteischen Zeit
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Mythos und Historie
Selbstreferentialität
Quellen und Vorbilder
Werkinterne Zeugen
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tritt nicht als römischer Patriot auf, sondern als gebildeter Kosmopolit hellenistischer Prägung. Die thematische Mischung von astronomischen Abläufen und politischen Ereignissen konfrontiert zudem das Ewige und fest Geordnete mit dem Zeitlichen und Wandelbaren; so wird auch der Rang römischer Geschichte sub specie aeternitatis relativiert. Der Umgang mit den großen nationalen Stoffen und den alten italischen Kulten ist häufig verspielt bis respektlos. Ovid bricht den Ernst dieser Themen auf, er deckt im Feierlichen und Bedeutsamen das in ihnen angelegte Quäntchen an Unangemessenem, Übertriebenem, Lächerlichem auf. Damit entwirft er zugleich ein anderes Bild der Stadt Rom: Seine Roma ist der Raum, in dem große Heldentaten und private Freuden, hohe Gefühle und witzige kleine Gewohnheiten aufeinander treffen; Ovids Hauptstadt hat Platz für das Erhabene und das Lächerliche. Mythos und Historie werden in demselben Stil und mit identischem Wahrheitsanspruch dargestellt. Dabei rekurriert Ovid nicht selten auf das Vorwissen des Lesers. Wenn er ein Fest oder einen Ritus aitiologisch erklärt, führt er gerne alternativ verschiedene Erklärungen an – ein Verfahren, das für Lehrdichtung und Historiographie nicht unüblich ist. Manchmal gibt er einer Erklärung den Vorzug, oft aber stehen die Alternativen mit gleichem Recht nebeneinander. Reizvoll ist der Vergleich, wenn Ovid Mythen, die er schon in früheren Werken gestaltet hatte, auch in die Fasti aufnimmt. Ariadna, die Bacchus’ Untreue befürchtet (3,459 ff.), durchlebt in der Erinnerung noch einmal ihre Verlassenheit auf Naxos, wo Theseus sie im Stich ließ. Was sie damals für furchtbar hielt, hat sich als nützlich erwiesen, ist sie doch dadurch zur Frau eines Gottes geworden. Ariadna kokettiert hier nicht nur mit der Neubewertung ihrer eigenen Vergangenheit, sondern auch mit der Kenntnis ihrer Praetexte, Catull 64 und Heroides 10, die in Anspielungen und Zitaten in ihre Klage einfließen. Wie für die Metamorphosen, hat Ovid auch für die Fasti zahlreiche und verschiedenartige Quellen und Vorbilder benutzt. Eine bedeutende Sachquelle stellte der mit antiquarischen und kultrechtlichen Erklärungen versehene Kalender des M. Verrius Flaccus dar. In der Form des elegischen Lehrgedichts mit aitiologischem Charakter folgt Ovid Kallimachos’ Aitia; die persona des Erzählers, der die Dinge erkundet, die Zeugen befragt, sein Wissen und seine Erfahrung vermittelt und so die einzelnen Erläuterungen locker miteinander verbindet, prägt die Aitia wie die Fasti. Gleich zu Beginn seines Werkes lässt Ovid diese Parallele deutlich werden: Der Dialog seines Erzählers mit dem Gott Ianus, der die Erläuterungen zum Januar einleitet, ist an Kallimachos’ Dialog mit der Muse angelehnt. In den Sternsagen und astronomischen Beobachtungen greift Ovid auf Arats Phainomena zurück. Für die nationalrömischen Ereignisse wird er die Priesterchroniken und römische Annalistik, aber auch römische Epiker und Historiker konsultiert haben. In religiösen Fragen ist der Einfluss Varros nachweisbar. Manche Erzählung orientiert sich an komödiantischen Mythentravestien, wie sie in griechischitalischen Bühnenspielen (Atellana, Phlyakenposse) vorkamen. Werkintern beruft sich der Erzähler freilich auf andere Zeugen: auf die überlieferten Quellen und Daten zum römischen Kalender (Annales und Fasti), die er studiert habe, wenngleich nicht immer mit Erfolg (1,656 ff.); auf
Ovid Priesterinnen und Priester, eine alte Frau, einen Hirten, die er befragt; manchmal nach Art der kallimacheischen Aitia auf die Muse und nicht selten auch auf die Gottheit des Monats, Tages beziehungsweise Festes selbst. Das Werk erhält so einen durchgehend dialogischen Charakter. Auch wo der auktoriale Erzähler unmittelbar spricht, redet er die Götter oder Menschen an, die den Tag auszeichnen; er wendet sich an seine Leser und legt ihnen das dem Tag und Fest zugehörige Verhalten nahe oder spricht auch einfach mit dem eigenen Werk, den elegi. Das Erzähler-Ich der Fasti hat viele Facetten, es schwankt zwischen Ernsthaftigkeit und Witz, Ergriffenheit und Zynismus. Dieser Kalendererklärer scheint im Laufe der Erzählung allmählich zu erkennen, dass die selbstgestellte Aufgabe seine Kräfte übersteigt; immer öfter konsultiert er fremde Autoritäten. Diese begegnen ihm ihrerseits in unterschiedlicher Gesprächigkeit und tragen verschiedene Einstellungen an den Stoff heran, den sie erzählen. Ianus präsentiert sich in einer glanzvollen Epiphanie; er ist äußerst auskunftswillig, amüsiert sich aber auch über die Naivität des Erzählers ,Ovid’ (1,181 ff.). Die Muse springt ganz unfeierlich ein, wenn andere Quellen versagen (1,656 ff.), wird aber auch feierlich beschworen (2,269) oder von einer anderen Gottheit zur Hilfe herangezogen (4,191f). Mars muss sich zunächst seine eigene Geschichte anhören: Der praeceptor referiert ausführlich Ilias Vergewaltigung durch den Gott und die Anfänge Roms (3,1 ff.). Dann erst erteilt ,Ovid’ dem Gott das Wort, und er darf Einzelheiten seines Kults erläutern – natürlich mit der Lanze in der Hand und in autoritär belehrendem Ton (3,167 ff.). Venus ziert sich zunächst, fällt doch das Thema des Kalenders nicht in ihr Metier. Der praeceptor beschwichtigt sie mit dem Bekenntnis, noch immer die Wunde der Liebe im Herzen zu tragen – und bringt sie zum Lachen (4,1 ff.; ganz analog versöhnt Ovid im Einsatz der Remedia Amor). Ein alter Freund wird in der paelignischen Heimat aufgesucht; beim abendlichen Gespräch liefert er seinen Beitrag zu den Fasti (4,686 ff.); eine alte Frau, die der Sprecher zufällig auf der Straße trifft, erzählt mit zitternder Stimme von einem alten Brauch. Dass in einem derart umfänglichen und polyphonen Werk nicht jeder Passus gleich gut gelungen ist, kann nicht verwundern. Einzelne Episoden legen Zeugnis ab von Ovids vielseitigem Genie; der Leser begegnet der amüsanten Vieldeutigkeit der Amores wieder, der überwältigenden Unverschämtheit der Ars, der Form- und Bildkraft der Metamorphosen. Dazwischen stehen blassere Passagen, gelehrt und kunstvoll, aber ohne Esprit. Das ist allenfalls vereinzelt das Resultat einer fehlenden Endredaktion; vielmehr dokumentiert sich hier ein Programm erzählerischer Vielfalt, das spezifische Erzählerinteressen und ein selektives Desinteresse mit einschließt. Die Sprache mischt Umgangssprachliches mit Hochpoetischem, erregt durch ungewöhnliche Junkturen, Gräzismen und hápax legómena (nur einmal bezeugte Wörter) die Aufmerksamkeit des Lesers, geriert sich mal als schwierig-gelehrt, dann wieder als schlicht und volkstümlich. Die Grenzen der Bücher werden nicht, wie in den Metamorphosen, durch fortlaufende Erzählungen überspielt, sondern – im Gegenteil – durch die präzise Orientierung am Kalender plastisch hervorgehoben. Jeweils zwei aufeinander folgende Bücher stehen in einer durch Vor- und Rückverweise und thematische Parallelen gestifteten engeren Beziehung zueinander. Die
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Erzähler-Ich
Erzählerische Vielfalt
Komposition
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einzelnen Episoden sind meist durch den Rückbezug auf den Kalender konturiert und durch eingeschobene Erläuterungen zum Sternenhimmel voneinander abgegrenzt. Innere Bezüge zwischen aufeinander folgenden Einzelerzählungen – Spiegelung, Wiederholung mit anderem Tenor, Gegenläufigkeit – wirken aber daran mit, dass ein Gesamtgefüge entsteht, das mehr ist als bloße Reihung. Gelegentlich relativiert Ovid die selbstgewählte Struktur, indem er ihre Unzulänglichkeit vor Augen führt. So wird etwa Augustus im Mai erwähnt – doch der Erzähler ruft sich selbst zur Ordnung, gehöre doch Augustus erst in seinen Geburtsmonat August (5,147 ff.). Ähnlich erwähnt er im Romulus-Kontext Romulus’ Amme Larentia – und verspricht ihr, beim Fest der Larentalia am 23. Dezember zu ihr zurückzukehren (3,57 ff.).
h. In Ibin
Aufbau
Das Fluchgedicht In Ibin – „Gegen Ibis“ – ist in den ersten Jahren von Ovids Aufenthalt in Tomis entstanden; es umfasst 644 Verse in elegischen Disticha. In Titel und Thema folgt Ovid Kallimachos’ Schmähschrift gegen einen Kontrahenten, dem das Pseudonym Ibis – ein als Aas fressend geltender Vogel, der angeblich mittels seines Schnabels dem eigenen Darm nach Art eines Klistiers Wasser zuführt, – verliehen wird; die kallimacheische Schrift ist verloren, war aber wahrscheinlich keine Elegie. Das ovidische Fluchgedicht ist gelehrt und kunstvoll, mitunter auch gewollt dunkel; es bedurfte schon in der Antike eines Kommentators, auf den die vorliegenden Scholien zurückgehen. Ovids Schmähung richtet sich gegen einen in Rom verbliebenen Feind, der ihn verleumdet und seine Frau belästigt habe und sich auch seines Besitzes bemächtigen wolle. Das könnte eine reine literarische Übung sein; allerdings spielt auch Trist. 4,9 auf diesen Sachverhalt an. Das Gedicht ist dreigeteilt: Die Einleitung klärt die Situation und verteidigt auch die Aggressivität des Textes: Noch nie hat der Sprecher seine Dichtung als Waffe benutzt, jetzt aber bleibt ihm keine andere Wahl, als sich nach Kallimachos’ Vorbild zur Wehr zu setzen. Der erste Hauptteil (67 – 250) steigert die Vorwürfe gegen den Verleumder. Auf eine Szene schwarzer Magie, in der ,Ovid’ den Feind an einem Altar tötet, folgt die genüssliche Schilderung der Strafen, die den Feind nach seinem Tod erwarten, und ein Bericht über die unheilvollen Umstände seiner Geburt. Der zweite Hauptteil (251 – 638) bietet einen mythologisch gelehrten Katalog von grausamen Verwünschungen, dessen Lektüre zumindest den modernen Leser wohl eher ermüdet als schockiert. Ein knapper Epilog (639 – 644) deklariert das Gedicht als Brief an den Feind, dessen Name nicht genannt wird.
i. Tristia Mit den Tristia kehrt Ovid zur Gattung der subjektiven Elegie zurück. Der Titel demonstriert schon die im Vergleich zu den Amores andere Ausrichtung: Nicht um die Liebe geht es hier, sondern um tristia carmina, Trauerlieder.
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Ovid Dennoch ist das Band zu den früheren ovidischen Elegien nicht nur metrischer Natur: Das Ringen um das doch unerreichbare Ziel der Sehnsucht bestimmte schon die Amores und ebenso die Heroides; jetzt ist diese Sehnsucht nicht mehr auf die geliebte Frau oder den mythischen Liebhaber gerichtet, sondern auf die Heimat, Rom. Jüngere Forschung hat die Frage aufgeworfen, ob Ovids Relegation aus Rom ein historisches Faktum, die Gruppe der Spätwerke also wirklich in der Verbannung entstanden sei, oder ob die persona des Exilierten eine der amator-Rolle analoge literarische Fiktion darstelle, die für die Elegie neue Motive erbringen sollte (Fitton Brown, 1985). Da es neben der ovidischen Dichtung selbst keinerlei Quellen für Ovids Verbannung gibt, ist diese These nicht zu widerlegen; dennoch dürfte für literaturwissenschaftliche Korrektheit das Objekt ungeeignet sein. Im Übrigen sind die Exilgedichte in jedem Fall als literarische Variationen eines Themas und nicht als ,Lebenszeugnisse’ zu lesen. Die zwischen 8 und 12 n. Chr. entstandenen Briefelegien hat Ovid in fünf Büchern herausgegeben; jedes davon hat ein einleitendes Gedicht und einen ,Epilog’. Zahlreiche Indizien verweisen darauf, dass er eine Veröffentlichung in Rom plante und auch erreichte. Das erste Buch erweckt mit seinen elf Elegien den Eindruck, während der Seereise nach Tomis verfasst worden zu sein; auch Buch 2, eine einzige Großelegie, ist noch unmittelbar von den Eindrücken der jüngst erfahrenen Lebenswende des ,Ichs‘ geprägt. In die circa 40 Gedichte der folgenden Bücher (die Gedichteinteilung ist in manchen Fällen fraglich) sind bereits Hinweise auf die in Tomis verbrachte Zeit eingestreut. Ovid nutzt das Medium des Briefes und der Dichtung zu einer neuen Variation der Gattung der Elegie, der Briefelegie, diesmal nicht, wie die Heroides, mit mythischem Thema, sondern in gänzlich subjektivem Ton. In den rhetorischen Strategien, die zu überzeugen und zu überreden suchen, und in der Analyse des eigenen Fühlens und Handelns sind diese Briefelegien den Amores verwandt. Die Adressaten der Briefe sind gelegentlich Ovids Ehefrau, einmal ein Mädchen namens Perilla, vielleicht Ovids Stieftochter, manchmal alte Widersacher, meist aber Freunde. Sehr selten wird Augustus selbst angesprochen. Das Hauptthema der Gedichte ist immer die Relegation aus Rom, die in unterschiedlichen Aspekten und Perspektiven beleuchtet wird: der Abschied von Rom, die gefährliche Seereise, die Schrecken der aufgezwungenen neuen Heimat, das Verhalten guter und falscher Freunde, die Sehnsucht nach seiner Frau und die Rechtfertigung der fortgeführten literarischen Produktion sind wiederkehrende Motive. Auch andere Themen wiederholen sich: Apologetisch kennzeichnet Ovid die Tristia als im Vergleich zu seinen früheren Dichtungen minderwertig, sie seien eben dem Entstehungsort angemessen. Der Kontrast zwischen Rom und Tomis wird breit ausgemalt. Demonstrativ wahrt Ovid die Anonymität von Briefempfängern, um sie nicht zu kompromittieren. Bitter klagt er über die vielen Freunde, die sich in der Katastrophe abwandten. Flehentlich wendet er sich an Augustus, apostrophiert ihn als deus, vergleicht ihn mit Iuppiter. Ebenso stereotyp wie die Klagen und Bitten wirken die mythischen Exempla, die im Vergleich das eigene Leid über das mythischer Gestalten stellen. Der toposhaft anmutende Charakter der Gedichte wird aber von den aus ganz individueller Perspektive erfassten Details des neuen Lebens und den
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Authentizität des Exils
Briefelegie
Adressaten und Themen
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Dichtung als Selbsttröstung
locus horridus
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,Protokollen’ der eigenen Seelenlage aufgefangen: Die Sehnsucht nach Rom, seinen Menschen und seiner Sprache, die Sorge, vergessen zu werden, das Schwanken zwischen Furcht und Hoffnung, die Unfähigkeit, in dieser barbarischen Umwelt heimisch zu werden, – all das lässt den Leser trotz der manchmal ermüdenden Wiederholungen doch in jedem Gedicht eine eigene Note erkennen und verleiht der gesamten Sammlung einen authentischen Charakter. Ungeachtet ihrer Sprechrichtung zu einem äußeren Adressaten zielen die Tristia auch und vor allem auf die Beeinflussung des eigenen Ichs. Dichtung – so definiert ,Ovid’ ausführlich – ist für ihn das letzte Mittel, das Leben erträglich zu gestalten, sich vor Verzweiflung zu schützen (Stroh 1981). Im Prozess des Dichtens findet der Exilierte Trost. Seine Dichtung ist die Heimat, die er nicht verlieren konnte; ihren Besitz verteidigt er selbstbewusst auch gegenüber Augustus. Seine neue Heimat Tomis zeichnet das elegische Ich als eine Stadt voller Schrecken und Barbarei: Sprache, Klima und Lebensstil sind fremd und verstörend, Plünderer und Mörder drohen vor den Toren. All das entspricht zu sehr den Klischees ethnographischer Darstellungen des Barbarenlandes, um in jedem Detail glaubhaft zu sein; immerhin war Tomis griechisch geprägt und als Hafenstadt auch nicht von der Zivilisation abgeschnitten. Dem Vergleich mit Rom konnte es natürlich nicht standhalten; als Raum äußerster Fremdheit und Isolation und ständiger Bedrohung ist es aber nicht auf der Landkarte, sondern im Bewusstsein des Autors angesiedelt (Kettemann 1999) . 1,1 ist Ansprache an das Buch, das nach Rom entsandt wird, wo es zurückhaltend um Aufnahme nachsuchen soll; 1,2 ist in die Situation der gefährlichen Seefahrt eingebettet; Ovid fleht die Götter um Rettung an. 1,3 zeichnet die letzten Stunden in Rom vor dem Abschied von den Freunden und der Frau nach. 1,4 variiert das Motiv aus 1,2. 1,5 dankt einem Freund, dessen Name ausdrücklich verschwiegen wird, für seine Treue und bittet die wenigen verbliebenen Freunde um Intervention zugunsten Ovids bei Augustus; in 5b (45 ff.) vergleicht der Briefschreiber das eigene Schicksal mit dem (leichteren) des Odysseus. In 1,6 preist Ovid seine Frau, die das gefährdete Vermögen mutig bewahrt. 1,7 empfiehlt der römischen Leserschaft die Metamorphosen, als ein Werk, das bei der Verbannung noch unfertig war und vom Dichter verbrannt wurde, aber in anderen Exemplaren überlebte; den Schluss der Briefelegie (35 – 40) nehmen sechs Verse ein, die die Metamorphosen apologetisch einleiten (in manchen Ausgaben werden sie tatsächlich dem ersten Buch der Metamorphosen vorangestellt). 1,8 verklagt einen Freund mangelnder Teilnahme am Geschick des Relegierten. 1,9 variiert dasselbe Thema allgemein: Der Glückliche hat viele Freunde, dem Unglücklichen bleiben wenige erhalten. Beispiele von Freundespaaren aus dem Mythos beschließen die Elegie. 1,9b (37 ff.) gratuliert einem nicht namentlich genannten Freund zu seinem schriftstellerischen Erfolg und beschwört ihn, in der Unterstützung Ovids nicht nachzulassen. 1,10 erfleht Athenas Hilfe und die der Dioskuren für das Schiff, das den Unglücklichen trägt. 1,11 beschließt das Buch apologetisch: Alle Gedichte seien unter den Gefahren und der Mühsal der Reise entstanden und deshalb von geringerer Qualität, als der Leser erwarten dürfe.
Ovid Buch 2, ein großes zusammenhängendes Gedicht aus 578 Versen, ist wohl sehr bald nach der Ankunft in Tomis verfasst worden und steht noch ganz unter dem Eindruck eines schuldlos erlittenen Unglücks: In persönlicher Anrede an Augustus verteidigt sich Ovid und bittet um Milde: Seine Carmina haben den Dichter ins Verderben gestürzt; Carmina mögen ihm vielleicht auch in seinem Elend helfen, lassen sich doch auch Götter erweichen. Wenn auch seine Dichtung leichtfertig war, gab es doch im Leben des Dichters nichts zu tadeln. Allenfalls einen Irrtum, nicht aber bewusste Verschuldung kann er sich zurechnen – seine Augen sahen, was sie nicht sehen sollten. Der zweite Großteil des Buches ist der Apologetik der Ars amandi gewidmet: Mit ihren leichtfertigen Ratschlägen zielt sie auf die Beziehungen zu Hetären, nicht zu anständigen Mädchen und Frauen; aber auch wenn die Matrone sie liest, wird sie ihre Sitten rein bewahren. Vieles Verbotene kommt ja vor in Literatur und bildender Kunst – man erfreut sich daran, ohne es nachzuahmen. Sicherlich hätte der Dichter besser daran getan, die großen Taten des Herrschers zu besingen, nur war sein Talent nicht dafür gemacht. Aber auch andere Dichter haben ja schon vor ihm leichtfertige Liebschaften besungen (unter vielen anderen werden auch Tibull, Properz und Vergil namentlich genannt). Und auch Lehrdichtungen leichtfertigen Inhalts gab es schon vor Ovid. Zudem liegt ja die Ars schon lange zurück, und mittlerweile hat Ovid an zwei Werken gearbeitet, die Augustus gefallen müssen (Metamorphosen und Fasti ). Harmlos ist all sein Dichten, niemanden hat er persönlich angegriffen oder beleidigt. All dies möge Augustus bedenken und ihm einen anderen Ort der Verbannung zuweisen, näher bei Rom und sicherer. Buch 3,1 variiert das Motiv von 1,1: Das Buch, eben in Rom angekommen, findet mit Mühe einen Führer, der ihm die Stadt zeigt, muss aber erkennen, dass seine ,Brüder’, Ovids frühere Werke, aus den Bibliotheken der Stadt verbannt sind. So bittet es um Einlass in die Privathäuser. 3,2 reflektiert den Schrecken der Ankunft in Tomis: Angesichts der neuen Heimat wünscht sich der Relegierte nur noch den Tod. 3,3, an die Ehefrau gerichtet, berichtet über eine schwere Krankheit und malt den baldigen Tod in der Fremde aus. 3,4a mahnt einen treuen Freund, in stiller Verborgenheit zu leben, da ja alles Herausragende gefährdet sei. 3,4b (47 ff.) beklagt die Heimatferne; Ovid ruft sich die in Rom verbliebene Ehefrau und seine Freunde in Erinnerung, die er aber nicht namentlich nennen will, um sie nicht zu kompromittieren. 3,5 und 6 sind apologetisch, doch darf der Sprecher die näheren Umstände seiner Verfehlung nicht darlegen. 3,7 ist Perilla gewidmet: Ovid ermuntert die junge Frau, dichterisch tätig zu sein, sind doch Werke des Geistes die einzigen, die die Zeit überdauern. 3,8 erfleht, wenn schon die Rückkehr nach Rom nicht möglich ist, einen milderen Ort des Exils. 3,9 erläutert den Namen Tomis: Hier hat einst Medea den Leichnam des Apsyrtos zerstückelt (griech. témnein: zerschneiden). 3,10 schildert die Schrecken des winterlichen Tomis. 3,11 beschwört einen Widersacher, Ovids Leid nicht weiter zu erhöhen; ausreichend sei ja der Zorn Caesars. 3,12 malt den italischen Frühling – den der Verbannte nicht genießen kann. 3,13 spricht den Genius Natalis (den am Geburtstagsfest angerufenen Schutzgeist) an: Wieso kommt er nach Tomis und erwartet gar ein Fest? 3,14 empfiehlt einem Vertrauten in Rom die Sorge für die Bücher des Exilierten (außer für die Ars).
D. Apologetik: carmen und error
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4,1 legt dem römischen Publikum das neue Buch der Tristia ans Herz: Was es an Mängeln hat, möge man dem Exil zuschreiben; doch ist die Muse dem Verbannten als einzige treue Freundin in die Fremde nachgefolgt und tröstet ihn. In 4,2 malt sich der Dichter den Triumphzug Caesars nach seinem Sieg über die Germanen aus; in Gedanken nimmt er daran teil und lindert durch das Glück des Vaterlandes den privaten Schmerz. In 4,3 gibt der Liebende der Sorge um seine Gattin Ausdruck: Denkt sie noch an ihn? Leidet sie an seiner Abwesenheit? Schämt sie sich, die Frau eines Verbannten zu sein? 4,4 a bittet einen Freund um Vergebung; ihm schadet, dass er in Kontakt mit dem Verbannten steht. Die fast unverhüllte Bitte, bei Augustus ein milderes Exil zu erwirken, beschließt das Gedicht. 4 b (55 ff.) stellt den im nahen Tauris angesiedelten Mythos von Iphigenie und Orestes als symptomatisch für die neue Heimat dar, aus der Götter und Menschen zu fliehen suchen. 4,5, an einen Freund gerichtet, preist seine Treue. 4,6 beklagt, dass doch die Zeit für alles Gewöhnung schaffe, nur nicht für seine Lage, die ihm nun im dritten Jahr des Exils immer unerträglicher werde. So hofft der Exilierte auf den nahen Tod. In 4,7 sucht der Verbannte sich selbst zu überzeugen, dass ein enger Freund, auch wenn er keine Briefe sendet, ihm treu geblieben ist. 4,8 vergleicht frühere Erwartungen eines ruhigen Lebensabends in Rom mit der Wirklichkeit. 4,9 richtet sich an einen Widersacher: Sein Name und sein Vergehen sollen verschwiegen werden, wenn er nur Reue zeigt und von weiteren Verfolgungen absieht. Andernfalls droht der Dichter ihm an, seine Schuld in Versen zu verewigen. 4,10 beschließt das Buch mit einer poetischen Autobiographie; das Gedicht nach Art eines Siegels lässt vermuten, dass die Sammlung der Tristia ursprünglich diese vier Bücher umfassen sollte. Das 5. Buch schließt sich ausdrücklich an die vier vorangehenden an; in 5,1 begründet der Verbannte erneut den Trauerklang dieser carmina und vertritt das Recht des Leidenden auf Klagen. 2a, vermutlich an die Ehefrau gerichtet, erstattet kurz Bericht über den Zustand des Verbannten, dessen Leib gesund, dessen Seele aber krank sei. Es folgt der Vorwurf mangelnden Einsatzes beim princeps. 2b (45 ff.) fleht Augustus um einen vor Kriegsgefahr sicheren Ort der Verbannung an. 5,3 bittet Bacchus an seinem Festtag um Vermittlung bei dem anderen Gott, Augustus, und schließt mit der Bitte an die Dichterkollegen, seiner zu gedenken. In 5,4 spricht das Briefgedicht selbst einen Freund in Rom an und bittet ihn, so treu zu bleiben wie bisher. 5,5 verkündet den Geburtstag von Ovids Ehefrau; das Lob ihrer Tugenden mündet in der Bitte an den princeps, zumindest ihr zuliebe gnädig zu sein. Auf eine Verstimmung zwischen Ovid und einem alten Freund geht 5,6 ein; der Leser erhält den Eindruck, der Freund habe Ovid Vorwürfe gemacht, gegen die dieser sich nun verteidige. 7a bietet einen kurzen Bericht über das Leben unter bedrohlichen Barbaren, ebenso 7b (25 ff.), das als einzigen verbliebenen Trost die Dichtkunst anführt. 5,8 attackiert einen Widersacher – bis hin zur Vision eines Wiedersehens in Rom, wenn Ovid begnadigt, jener aber verbannt sein wird; die Parallelen zu In Ibin sind kaum zufällig. 5,9 beteuert einem Gönner, der nicht beim Namen genannt werden darf, Ovids Dankbarkeit. 5,10 schildert erneut das harte und gefährdete Leben in Tomis. In 5,11 tröstet der Dichter seine Frau, die sich beklagt hatte, in Rom als die Gattin eines Verbannten zu gelten. 5,12 antwortet auf die Ermunterung eines Freun-
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des, Ovid solle fortfahren zu dichten; tatsächlich kann er von der Dichtung nicht lassen, aber nur weniges davon gelangt nach Rom, vieles wird verbrannt. 5,13 mahnt von einem Freund Briefe an. 5,14 rühmt die anhaltende Treue der Ehefrau.
j. Epistulae ex Ponto Die Epistulae ex Ponto (Briefe vom Schwarzen Meer) sind nach den Tristia entstanden, der letzte in ihnen genannte Termin liegt im Mai des Jahres 16 n. Chr. (4, 9, 4). Die Sammlung umfasst vier Bücher mit insgesamt 46 Elegien (10, 11, 9, 16). Von den Tristia heben sie sich äußerlich durch die Adressatennennung ab: Ovid lässt die Vorstellung, eine Namensnennung könne dem Adressaten in Rom schaden, noch in seltenen Fällen anklingen, bezeichnet aber – von einer Ausnahme abgesehen – seine Briefpartner. Nicht nur in der präzisen Einführung der Briefempfänger erinnern die Epistulae an die Heroides: Auch die ständige Reflexion des Schreibenden auf die gegenwärtige Situation der Briefabfassung, der Grundton von Verlassenheit und Trauer und die Kombination einer detailreichen Schilderung der Leiden und Bedrohungen mit der Beschwörung einer glücklicheren Vergangenheit sind beiden Werkgruppen gemeinsam. Wie in den Briefen zum Mythos hat auch in den aus subjektiver Perspektive verfassten Epistulae die Rhetorik hohen Rang: Hier wie dort sind Überzeugungsstrategien am Werk, die um Mitleid und Hilfe werben und, indem sie relevante Fakten einem spezifischen Deutungsmuster unterwerfen, das Urteil des Adressaten zu beeinflussen suchen. Ein Leitmotiv der Epistulae ex Ponto ist die Vergegenwärtigung Roms in der Erinnerung oder Phantasie. Der nunmehr seit Jahren von der Hauptstadt entfernte Schreiber kehrt in Gedanken zurück zu vertrauten Menschen, nimmt an Roms großen Festen teil und durchwandert wieder die wohlbekannten Straßen. Aber auch außerhalb des Romthemas spielt die Erinnerung (memoria) eine bedeutende Rolle: Der Exilierte beschwört die Vergangenheit; er ruft den Adressaten seiner Briefe gemeinsam verbrachte Stunden ins Gedächtnis und vergegenwärtigt sich die Anteilnahme, die sie ihm entgegenbrachten, als ihn die Relegation traf. In diese Rückwendung zu Vergangenem werden selbst die Götter einbezogen: Amor erinnert sich daran, wie er früher schon einmal nach Colchis kam, um Medea für Iason zu entflammen (3,3). Die primäre Funktion des Erinnerungsmotivs liegt natürlich für den Exilierten im Kampf gegen das Vergessenwerden: Er weigert sich hartnäckig, die Distanz, die Zeit und Raum schaffen, zu akzeptieren, und behauptet für sich den alten Platz im Leben und im Herzen der Freunde. So bewegt sich sein Denken zwischen der Beschwörung einer glücklichen Vergangenheit und der Hoffnung auf eine Erneuerung des Glücks; in dieser Spannung bleibt für eine Akzeptanz der Gegenwart oder auch nur für einen objektiven Blick auf Tomis kein Raum, die Realität ist der Schrecken, den es zu bannen gilt. Allerdings wirft sie in den Epistulae ex Ponto einen dunkleren Schatten als in den Tristia: Die Hoffnung auf eine Rückkehr nach Rom ist nur noch gering, der Schreiber, nun schon fünf Jahre und mehr der Hauptstadt fern, gibt sich mit
Epistulae ex Ponto und Heroides
memoria
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bescheideneren Zielen wie der Zuweisung eines angenehmeren Wohnorts zufrieden. In 1,1 sendet der „schon nicht mehr neue Bewohner des Landes von Tomis“ (Naso Tomitanae iam non novus incola terrae) seine Elegien nach Rom. Aus der eleganten Widmung an den Freund Brutus entfaltet sich eine Fülle von Anspielungen auf die Verbannung der ovidischen Werke aus den öffentlichen Bibliotheken, auf die schuldige Ars amandi, auf geplante AugustusPanegyrik und die eigene Todesnähe in der Romferne. 1,2 fleht den vornehmen Freund Fabius Maximus an, beim Kaiser einen milderen Verbannungsort zu erwirken; anschaulich schildert Ovid die Schrecken von Tomis; nur in Unkenntnis des Ortes habe Augustus ihn dorthin schicken können. 1,3 dankt dem Freund Rufinus für zugesandte Trostworte; sie linderten den Schmerz des Verbannten. In 1,4 beklagt der Verbannte sein durch das Leid beschleunigtes Altern und vergleicht sich mit Iason, der auf der Suche nach dem Goldenen Vlies auch zum Schwarzen Meer zog. Doch sein Schicksal war leichter, standen ihm doch das Schiff Argo und tapfere Gefährten zur Verfügung. 1,5 rechtfertigt gegenüber Maximus Cotta die dichterische Tätigkeit im Exil. 1,6 bittet den Freund Graecinus um Trost und Fürsprache; denn immer noch hofft der Verbannte auf ein milderes Geschick. 1,7 umwirbt M. Valerius Messalla; 1,8 stellt Tomis Schrecken die Freuden Roms gegenüber, nach denen sich der Verbannte zurücksehnt; nicht einmal den Trost ländlicher Arbeit bietet ihm die von Feinden umgebene Barbarenstadt. 1,9, Maximus Cotta zugedacht, ist erschütterte Klage um den gemeinsamen Freund Celsus, von dessen Tod der Dichter im Exil erfahren hat; bewegt gedenkt er der Anteilnahme, die Celsus ihm entgegenbrachte. Das salve (sei gesund), das der Verbannte in 1,10 Flaccus wünscht, ist ihm selbst nicht beschieden: Das Leid zehrt ihn auf, doch hofft er noch auf ein milderes Exil. 2,1 ist Germanicus gewidmet, Tiberius’ Adoptivsohn. Bis nach Tomis ist die Nachricht von Tiberius’ Sieg über die Pannonier (12 n. Chr.) gedrungen; sie bringt ein wenig Licht ins Dunkel der Verbannung. Dass die meisten Gefangenen begnadigt wurden, lässt den Exilierten auch für sich Gnade erhoffen. 2,2, bittet Messalinus, den Sohn des Messalla Corvinus, um Fürsprache bei Augustus; nach dem Sieg über die Pannonier ist der princeps ja gutgelaunt und Bitten zugänglich. Der Brief ist gekennzeichnet von starker Unsicherheit darüber, ob die persönliche Ansprache dem Empfänger Messalinus noch willkommen ist. 2,3 richtet sich an M. Aurelius Cotta Maximus. Der Exilierte dankt ihm für seine treue Unterstützung und beruft sich auf die Bindung an seinen Vater, Messalla Corvinus (Cotta war in die Familie der Cottae adoptiert worden). Ganz privat ist der Ton in 2,4: Dankbar und in melancholischer Vergegenwärtigung beschwört Ovid die gemeinsam verbrachte Zeit in Rom. Das Fehlen jeglicher Larmoyanz macht den Reiz des Textes aus. Wenn Ovid aber die Jahre der Freundschaft zeichnet und dem Kunsturteil seines Adressaten hohe Achtung erweist, werden die Entbehrungen der Gegenwart umso deutlicher. Höfisch und artifiziell wirkt dagegen 2,5 (an Salanus), das einen kleinen Panegyrikos auf Germanicus einschließt. Gelehrt und kunstvoll prunkt 2,6 mit mythischen Vergleichen und Seefahrtsmetaphern: Graecinus soll den Verbannten nicht tadeln, er hat ja schon Schiffbruch erlitten und muss nun gerettet werden. 2,7, an Atticus gerichtet,
Ovid erläutert die große Furcht des Verbannten, von den Freunden in Rom vergessen zu werden. Ein wenig von dem verspielten Witz der früheren ovidischen Werke prägt 2,8: Cotta Maximus hat silberne Statuen von Augustus, Tiberius und Livia nach Tomis gesandt. Mit den göttlichen Herrschern ist dem Verbannten auch Rom fast wieder nahe, und er weiß zu würdigen, dass er nun gewissermaßen mit den Göttern selbst sprechen darf. Allerdings scheint die Augustus-Statuette zürnend zu blicken. Auch 2,9, eine elegische Epistel an den Thrakerkönig Cotys, kann kaum ganz ernst gemeint sein. Bei seiner königlichen Milde, bei seiner dichterischen Tätigkeit – kaum sei zu glauben, dass ein Thraker solche Werke verfasst habe – wird Cotys um Schutz angefleht. Aus der Erinnerung lebt die an Pompeius Macer, den Direktor der Palatinischen Bibliothek, gerichtete Elegie 2,10: Gemeinsame Studien – Pompeius hat ein Werk über Troia verfasst – ein gemeinsamer Aufenthalt auf Sizilien, Gespräche und Gebete verbinden die Freunde. 2,11 ist Rufus gewidmet, der ein Onkel von Ovids Frau zu sein scheint; der Exilierte dankt ihm, dass er ihn und seine Frau unterstützt. Buch 3 wird mit einer umfänglichen Elegie an Ovids Frau eröffnet; sie soll sich als gute Gattin erweisen, indem sie nicht aufhört, für die Linderung des Exils zu wirken. Vor allem aber soll sie sich an Augustus’ Ehefrau Livia wenden. 3,2 exerziert noch einmal das narratologische Rollenspiel, das Ovid in den Metamorphosen und Fasti so glänzend beherrscht. Den römischen Freunden gibt er als Ansporn für ihren freundschaftlichen Einsatz zu seinen Gunsten eine Geschichte wieder, die ihm in Tomis ein getischer Greis als Beispiel großer Freundschaft erzählt habe. Es ist der Mythos von Orestes und Pylades, die, gemeinsam nach Tauris verschlagen, unerkannt von ihrer Schwester am Altar Dianas geopfert werden sollen; als einem der beiden die Flucht ermöglicht werden soll, will sich jeder für den anderen aufopfern. Wie der vertraute Stoff hier aus barbarischer Perspektive als unbekannt erzählt wird, „eine gewisse Iphigeneia, von der man sonst nichts weiß“ eingeführt wird und umständlich die Namen von Orestes und Pylades genannt werden, die noch überliefert seien und auch heute noch bei den Skythen Ruhm besitzen, das hat ganz eigenen Witz. 3,3, an Fabius Maximus adressiert, berichtet von einer Traumerscheinung Amors: Der habe dem Exilierten bestätigt, die Ars sei schuldlos und richte sich nicht gegen legitime Ehen; nur trage der Dichter ja noch eine andere Schuld, auch wenn er sie als Irrtum (error) beschönige; doch bald solle sein Leid ein Ende finden. Der prophetische Traum zielt in seiner Schlusswendung sicherlich auf den Kaiser selbst; das vertraute Gespräch des Liebeslehrers mit seinem göttlichen Schüler steht dennoch dem Ton der Ars recht nahe. 3,4, an Rufinus, ist vordergründig die Ankündigung eines elegischen Gedichts auf Tiberius’ Sieg über die Germanen; tatsächlich umkreist Ovid das Problem, wie er in Tomis überhaupt zu aktuellen Ereignissen in der Hauptstadt dichten soll. 3,5 steht unter dem Eindruck einer Rede des Cotta Maximus, die dem Verbannten zugesandt worden war und ihm den Freund und die Heimat nahe gebracht hat. 3,6 bittet einen Freund, seinen Namen nennen zu dürfen; zwar habe der Dichter selbst zuvor (in den Tristia) sich gescheut, die Namen seiner Adressaten zu äußern, um ihnen nicht zu schaden, aber die Milde des Kaisers mache solche Vorsicht überflüssig. Der Zorn über stets enttäuschte Hoffnung prägt 3,7: Der Verbannte will sich nun mit
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Orestes und Pylades
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Die Autoren der augusteischen Zeit
D.
Rang der Dichtung
poeta Geticus
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seinem Geschick abfinden, da ja seine Frau und seine Freunde in Rom nicht willens sind, sich kräftiger für ihn einzusetzen. 3,8 ist Begleitgedicht für ein Geschenk – Pfeile und Köcher – an Fabius Maximus. 3,9 schließt die Sammlung des dritten Buches: Der Dichter ist sich bewusst, immer dasselbe zu schreiben, Klagen und Bitten, doch was sollte er sonst im Elend schreiben? Die Apologetik begründet das Grundproblem der Epistulae ex Ponto, die Enge des Motivkreises, in der Intention: Hier geht es nicht in erster Linie um die Kunst, sondern um die Rettung der eigenen Existenz. 4,1 ist an Sextus Pompeius, Konsul des Jahres 14 n. Chr., adressiert; der Dichter erbittet Nachsicht für die namentliche Nennung und erhofft sich Unterstützung. 4,2, an den Epiker Cornelius Severus, beklagt, dass die dichterische Produktivität im Exil nachlasse. Anonym bleibt der Adressat von 4,3, ein früherer Freund des Verbannten, der ihn nun verleugnet. In 4,4 blickt der Dichter hoffnungsvoll auf das kommende Jahr von Pompeius’ Konsulat; er malt sich dessen feierliche Amtsübernahme aus und wünscht sich, der Konsul möge dann auch einen mitleidigen Gedanken zu ihm senden. Auch 4,5 ist S. Pompeius gewidmet: Der Dichter schickt seine Verse auf die mühevolle Reise zu ihm nach Rom und malt sich aus, wie der Empfänger sie liest, wenn er seine zahlreichen Pflichten erfüllt hat. 4,6, an Brutus, steht unter dem Eindruck von Augustus’ Tod und der nunmehr verlorenen Hoffnung, den princeps noch versöhnen zu können. In Tiberius scheint der Dichter wenig Hoffnung zu setzen, wenngleich er erklärt, auf ihn ein Gedicht verfasst zu haben. Die Elegie 4,7 wendet sich an Vestalis, der im Auftrag des Kaisers zum Pontus kam: Er kann nun Ovids Klagen über Tomis bestätigen. In 4,8 findet Ovid noch einmal zu der reichen Motivfülle früherer Elegien: Für Germanicus will Ovid als Dank für die erhoffte Hilfe keinen Altar aus parischem Marmor erbauen, sondern ein Gedicht verfassen. Dichtung ist ja von hohem Rang: Sie bewirkt Ruhm für große Taten, stiftet ewige Erinnerung, überwindet die Zeit. Helden und selbst Götter entstehen durch Dichtung, die ihre Taten verkündet, und bedürfen ihrer. Wer sollte das besser wissen als Germanicus, der selbst dichtet und mit seinen Heldentaten Stoff für fremde Dichtungen bietet. In 4,9 malt sich der Verbannte die Feierlichkeiten beim Amtsantritt des consul suffectus Graecinus für das Jahr 17 aus; dessen Bruder kennt die Gegend von Ovids Exil und kann bestätigen, dass der Verbannte hier bei der einheimischen Bevölkerung in hohem Ansehen steht, nicht zuletzt, weil er mit großer Frömmigkeit den Kult der Kaiserfamilie übt. 4,10 ist dem Epiker Albinovanus Pedo gewidmet: Schon den sechsten Sommer verbringt der Dichter in Tomis, und Schlimmeres muss er erleiden als Odysseus. Ein kunstvoller Katalog der Flüsse seiner gegenwärtigen Heimat führt noch einmal die ovidische Kunst vor Augen; doch dient dergleichen nur der Ablenkung vom Leid der Verbannung. 4,11 ist ein Trostschreiben an L. Iunius Gallio: Ovid hat vom Tod seiner Frau erfahren. Der den Brief beschließende Wunsch, der Freund möge bei Erhalt der Elegie vielleicht schon im Genuss einer neuen Ehe sein, ist vermutlich durchaus realistisch. 4,12 erörtert spielerisch das Problem, dem befreundeten Poeten Tuditanus ein Gedicht zu widmen, fügt sich doch sein Name nicht in das Metrum der Elegie. 4,13, an Carus, der Germanicus’ Söhne erzog und selbst auch dichtete, verweist auf Ovids dichterischen Erfolg bei den Geten: In ihrer Sprache habe
Manilius
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er als fast schon getischer Dichter (paene poeta Getes, 8) ein Werk auf das Kaiserhaus verfasst, das sehr freundlich aufgenommen worden sei. In 4,14 verteidigt sich der Verbannte gegen die Einwohner von Tomis, die ihm seine Klagen über ihre Heimat vorwerfen: Zwar möchte er ihre Stadt sogar gegen die Ufer der Styx eintauschen, doch die Menschen dort sind ihm freundlich begegnet. 4,15 wendet sich noch einmal in Dank und Hoffnung an Sextus Pompeius, doch ist der Ton verzagt. In 4,16 mündet ein Dichterkatalog, dessen Namen und Werke nur zum Teil bekannt sind, in Komplimenten für den Redner Cotta Maximus.
VIII. Manilius a. Leben und Werk im Überblick Über Manilius’ Leben gibt es kaum gesicherte Erkenntnisse; seine Herkunft ist unbekannt, selbst der Name Marcus Manilius ist nicht ganz sicher. Die Astronomica, ein astronomisches Lehrgedicht in 5 Büchern, entstanden wahrscheinlich nach 8 n. Chr., wie eine Anspielung auf Ovid, Met. 15,147 nahe legt; wie lange Manilius daran gearbeitet hat, ist umstritten, eindeutige Hinweise, dass er noch unter Tiberius geschrieben hat, gibt es nicht. Fraglich ist auch, ob die Astronomica vollendet wurden. Die Systematik des astrologischen Stoffes ist nicht gewahrt, wichtige Gebiete bleiben unbearbeitet.
b. Astronomica Die Astronomica sind ein Lehrgedicht über den Sternenhimmel und seinen Einfluss auf das menschliche Leben. Ihr Grundthema ist insofern eher die Astrologie, als die Astronomie; dies ist aber eine moderne Unterscheidung. Das Schwergewicht liegt auf den Fixsternen, vor allem denen des Tierkreises (Zodiacus). Die Planeten werden nicht behandelt. Buch 1 und 2 legen die astronomischen Grundlagen und erläutern allgemein die Konstruktion des Kosmos, Buch 3 und 4 illustrieren die Abhängigkeit menschlicher Geschicke von den Bewegungen der Gestirne und den Sternzeichen der Geburt. Die fachlichen Darlegungen wirken in weiten Teilen nüchtern, ja spröde; die Kennzeichnung menschlichen Tuns und menschlicher Charaktere ist dagegen facettenreich und in vielen Aspekten von Anschaulichkeit und lebendiger Authentizität geprägt. In vielen Bereichen ist der Einfluss griechischer Fachschriftstellerei wirksam; bei Manilius ist sie aber stoisch überformt, eine seiner wichtigsten Quellen war der Stoiker Poseidonios: Die Sternzeichen repräsentieren das Schicksal (fatum), das die Charaktere und Lebenswege der Menschen bestimmt; die sonnenhaften Augen des Menschen legen Zeugnis ab von der in ihm liegenden göttlichen Kraft und Fähigkeit, den Kosmos und sogar Gott zu erkennen. Als poetische Vorbilder führt Manilius auf griechischer Seite neben Homer vor allem Lehrdichter (Hesiod, Arat, Theokrit, Boios oder Boio,
Lehrstoff
Quellen und Vorbilder
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Ästhetischer Anspruch
Schöpfung; Milchstraße
Vorzeichen
Wahrheitsanspruch
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Nikander, siehe oben S. 29 f.); bei den Römern Grattius und Aemilius Macer an. Lukrez (De rerum natura) und Vergil (Georgica) hat er wiederholt benutzt, obwohl er sie nicht erwähnt. Germanicus’Arat-Übersetzung hat er wohl gekannt, die von Cicero hat dagegen keinen Einfluss in seinem Werk hinterlassen. Manilius bemüht sich, seine Darlegungen nicht nur klar, sondern auch attraktiv und fesselnd zu gestalten. Auf die sachlichen Erläuterungen verwendet er viel Mühe, er unterbricht sie aber auch wiederholt durch Abschweifungen philosophischer, mythologischer oder poetologischer Natur; die Relevanz seines Stoffes für die Bewältigung des menschlichen Lebens stellt er engagiert vor Augen. Im Ausdruck kann Manilius angesichts des schwierigen Stoffes nicht immer auf Gräzismen verzichten; manch ungewöhnliche Wortwahl und manchen Stilbruch hat man lange Zeit damit erklären wollen, er sei von Geburt kein Römer. Eher sind diese Stilphänomene aber durch die problematische Thematik erklärlich, die ihn mit Schwierigkeiten der Formulierung und Versifizierung konfrontierte. Seine Verse sind technisch anspruchsvoll. Das Lehrgedicht setzt mit dem Anspruch des Dichters ein, eine ganz neue Leistung erbracht zu haben: Als erster habe er gewagt, die göttliche Wissenschaft von den Gestirnen und ihrem Einfluss auf die Geschicke der Menschen vom Himmel herabzuführen (1,1 ff.); den Mut dazu habe ihm Augustus verliehen. Buch 1 vermittelt dann einen Abriss der Himmelskunde; in diesem Kontext gibt Manilius auch einen Überblick über die Hypothesen zur Schöpfung (120 ff.). Der Nachweis, dass die Welt ewigen Bestand hat (483 ff.), und die Lehre, dass die Seelen guter Menschen nach dem Tod zum lacteus orbis, der Milchstraße, aufsteigen (684 ff.; vgl. Cic. Rep. 4,15), sind stoisch geprägt. Wenn Manilius in diesen Sphären die römischen Heldengestalten ansiedelt, die aus Mythos und Geschichte bekannt sind, folgt er einem ähnlichen Muster wie Vergils Heldenschau in Aeneis 6. Den engsten Kreis der gens Iulia siedelt er noch über der Milchstraße an, in der höchsten Region des Himmels. Den Sternzeichen hätten nach der Systematik des Stoffes die Planeten folgen sollen; Manilius wendet sich stattdessen (1,809 ff.) den Himmelskörpern zu, die im Zwischenbereich von Planeten und Sternzeichen anzusiedeln seien – Kometen und Meteore. Das führt ihn zu den Vorzeichen, die bedeutende politische Ereignisse ankündigen; unter den großen Katastrophen nennt er auch Varus’ Niederlage in Germanien (898 ff.). Im Einsatz von Buch 2 benennt Manilius zunächst die großen Werke epischer Lehrdichtung – dass er mit Homer einsetzt, entspricht antiker Homerinterpretation, die in Ilias und Odyssee die Basis jeglichen Wissens sah. Jeder Pfad zum Gipfel des Dichterruhmes, dem Helikon, ist schon vielbetreten (50: omnis ad accessus Heliconis semita trita est), er aber will auf ganz eigenem Weg zum Himmel emporsteigen, keinem Vorbild, sondern nur der eigenen Leistung verpflichtet: nostra loquar, mein ist, was ich sage. Der neue Stoff, den er gestaltet, ist das Prinzip selbst, das den Kosmos lenkt und durchdringt, jedem Teil seinen Platz und die Gesetze seiner Bewegung verleiht – zugleich Gott, Vernunft (ratio) und Schicksal (fatum). Das Bekenntnis zum stoischen Weltbild atmet dieselbe Begeisterung wie der epikureisch geprägte Hymnus auf die allschaffende Natur in Lukrez’De rerum natura; wie Lukrez
Manilius sucht auch Manilius das Geheimnis der Natur mit Metaphern und Mythen zu erhellen. Mit dem epikureischen Lehrdichter verbindet ihn auch das Vertrauen in die Erkenntniskraft des Menschen, der kraft seines Wissens die Grenzen der Erde übersteigt. Streng stoisch ist aber das Motiv des Gottes, der im Menschen wohnt: Das Göttliche ist dem Menschen erkenntlich, weil er selbst Anteil daran hat (115 f.). Die gedankliche Grundlage für alles Folgende vermitteln die Verse 82 f.: Mittels der Sternzeichen (signa) lenkt der Gott die Geschicke der Menschen. Dem am Göttlichen partizipierenden Menschen stellt sich damit die Aufgabe, sein Geschick vorauszuwissen und zu deuten. Unter dieser Maxime erläutert der Lehrdichter im Einzelnen die zwölf Sternzeichen des Zodiacus, ihre Position, die ihnen jeweils übergeordneten Götter, ihre Beziehungen untereinander und ihren Einfluss auf Leib und Gefühle der Menschen. Das Übergewicht feindlicher Beziehungen zwischen den signa des Sternkreises bewirkt auch in menschlichen Verhältnissen viel Feindschaft – ein Motiv, das Manilius Gelegenheit gibt, auf zwei exemplarische Freundespaare hinzuweisen (581 ff.), Orestes und Pylades und (ohne Namensnennung) Damon und Phintias (die Protagonisten aus Schillers Bürgschaft). Die Einleitung von Buch 3 weist mythische und historische Stoffe zurück und hebt die Schwierigkeit des gewählten Themas hervor. Der Lehrdichter bestimmt dann die zwölf Lebenslose (áthla): Hab und Gut (fortuna), Kriegsdienst (militia), bürgerliche Pflichten (urbani labores), Rechtswesen, Ehe und zwischenmenschliche Verbindungen, Reichtum, Gefährdungen, Ehren, Schicksal der Kinder (sors natorum), Sitten (mores), Gesundheit (valetudo), Künste und Wissenschaften (studia et artes). Mit großer Akribie wird erläutert, wie ihr Ort im Zodiacus durch das Horoskop zu bestimmen ist; ein großes Gewicht liegt auf der genauen Feststellung der Länge von Tag und Nacht im Jahresverlauf. Der Macht des Schicksals ist die Einleitung von Buch 4 gewidmet; Vertrauen in das fatum schenkt dem Menschen inneren Frieden. Manilius unterlegt seine Darstellung mit Beispielen aus der römischen Geschichte. Die Sternbilder, unter denen ein Mensch geboren wird, bestimmen seinen Charakter – hier wird eine kleine Charakterlehre eingebunden (122 ff.). Aus der Leitfrage, welche Gestirne auf die einzelnen Länder und Regionen Anspruch erheben, entfaltet sich eine umfängliche geographische Abhandlung (585 ff.). Abschließend rechtfertigt Manilius sein Thema: Die Erforschung der Natur ist dem Menschen nicht nur möglich, sondern sogar als Pflicht aufgegeben: Den Himmel muss er erkunden, denn für den Himmel ist er geschaffen. Buch 5 untersucht die Fixsterne, die außerhalb des Zodiacus liegen, und ihren astrologischen Einfluss; die Darstellung schwankt hier zwischen einer Orientierung an den Sternsagen, auf die Manilius gerne anspielt, und den Sternbildern. Abschließend vergleicht der Lehrdichter den Sternenhimmel mit einem irdischen Staat. Auch unter den Gestirnen gibt es Rangunterschiede, Vornehme, weniger Vornehme und die große Masse des Volkes. Hätte die Natur diesem ,Sternenvolk‘ dieselbe feurige Kraft gegeben wie den ,prominenten’ signa, dann wären Himmel und Erde längst in Flammen aufgegangen (734 ff.). Das Motiv lässt die stoische Lehre vom Weltenbrand anklingen, könnte aber auch eine politisch affirmative Stellungnahme zum Prinzipat sein.
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Zodiacus
Horoskop
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Register Accius 28, 59, 101 Actium, Schlacht bei 6, 28, 64, 72, 110, 122 Adel 74, 76 Aemilius Macer 18, 30, 123, 130, 144 Aeneas 7, 22, 43, 54 ff., 96, 108, 110, 121 Aischrologie 71 f. Aitiologie 18 f., 30, 48, 113 f., 121 ff., 144 ff., 151 ff. Alba Longa 56, 63 Alberti, Leon Battista 100 Albinovanus Pedo 26 f., 37, 164 Alexander 62, 98, 104 Alfenus Varus 48 Alkaios 36, 79, 82 Allecto 63 Anakreon 72, 143 Annalistik 37 f., 92, 95, 120, 154 Antiochos v. Syrien 99 f. Antonius Iullus 84, 152 Antonius, Marcus s. Marcus Antonius Apoll 31 f., 85, 110, 119 ff., 139 f. Apollonios Rhodios 25, 55, 132, 134, 144 Apotheose 47 f., 147 f. Appendix Vergiliana 27, 45 Appius Claudius 97 Ara pacis 8 f., 43 Arat 29, 49, 51, 152, 165 Archilochos v. Paros 36, 70 f. Architektur 100 ff. Aristius Fuscus 18 Aristophanes 24 Aristoteles 88 f., 135 Arkadien 43, 48 f. Arruntius 38 Artemidor (Grammatiker) 34 Artes liberales 41, 62 f., 101 f. Asianismus 39 Asinius Pollio 23 f., 28, 38 f., 47, 84, 94 Atellane 54 Attizismus 39 Augustusforum 43 Aurea aetas 7, 9, 18, 47, 50, 73, 80, 108, 131 Bakchylides 79 Balde, Jacob 69 Batrachomyomachie (Ps.-Homer) 45 Bibliotheken 23, 163 Binnenreim 115, 125 Bion aus Smyrna 34 Boileau 69 Boio(s) 144, 165 Brecht, Bertolt 82
Brundisium 76 Brutus (1. Konsul) 96 Brutus (Verschwörer gegen Caesar) 67, 76 Bücherverbrennung 39 Bugonie 53 Bukolik 33, 70 f., 79, 107 ff. Bürgerkrieg 5 f., 38, 46, 68, 71 f., 91, 113, 147 Caecilius Epirota 41 Caesar, C. (Augustus’ Enkel) 139 Caesar, C. Iulius 4 f., 7, 12, 23, 46, 48, 92, 94, 146 f., 152 Caesius Bassus 36, 69, 112, 116, 123 Calpurnius 43 Canidia 73, 77 Cannae, Schlacht bei 99 Carmen amoebaeum 33, 47, 84 Carrhae, Schlacht von s. Parther Cassius Dio 9, 38 Cassius Severus 23 Catilina 98 Cato maior 4, 105 Catull 12, 21, 27, 32, 36, 70, 72, 119, 131 f., 134, 144 Celtis, Konrad 69 Cento 45 Cerinthus 106, 111 Chaucer 125 Cicero 11 f., 39 f., 95, 102, 135, 166 Ciris 45 Claudius Quadrigarius 94 Coelius Antipater 94 Consolatio ad Liviam 124 Cornelia (Augustus’ Stieftochter) 122 Cornelius Severus 22, 26 f., 164 Corpus Tibullianum 106, 111, 128 ff. Crassicius 41 Cruquius, J. 68 Culex 45 Dante, Divina Commedia 43 Daphnis 33, 48 Decorum 89, 102 Deklamation 39, 123, 125, 127 Demosthenes 24 Diatribe 19, 35 Dido 54 f., 59 f., 122, 132 Diogenes (Stoiker) 40 Diomedes (Grammatiker) 35 Dionysios von Halikarnassos 94 Diptychonstruktur 17, 49 Distichon, elegisches 30, 130, 139
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Register Domitius Marsus 8, 37, 106 Donatus, Aelius 43 Donatus, Tiberius Claudius 43 Drusus 22, 91 f. Ecloge 45 Ehegesetze, augusteische 7, 113, 117 Elegie 30 ff., 37, 41, 45, 47, 49, 69 f., 79 f., 84, 89, 106 ff., 111 ff., 123 ff., 153 Ennius 12, 24, 34, 84, 94, 101, 120 Epicharm 33 Epigramm 18, 37, 41, 79, 107, 111, 117, 121, 126, 131 Epikur/Epikureismus 40, 42, 67, 75, 80, 86, 89, 104, 135, 166 f. Episodentechnik 19, 25, 49, 123, 143 f., 149 Epithalamium 36 Epode 70 Epos (s. auch s. v. recusatio) 19, 25 ff. Epyllion (Kleinepos) 27, 45, 49, 53 f., 144 Eratosthenes 144 Etymologie s. Aitiologie Eurhythmie 101 Euripides 24, 59 f., 132, 134, 144 Exildichtung 124, 151 ff. Fabius Pictor 37, 94 Fabula togata 94 Fachwissenschaft 40 f., 101 ff., 165 ff. Fasti v. Praeneste 40 Fatum 42, 56 f., 145, 165 ff. Faventinus 100 Furor poeticus 90 Gallus 31 f., 46, 48, 54, 112, 116 f., 119, 141, 143 Gellius 14 Genealogie 56 Genethliakon (Geburtstagsgedicht) 107, 110, 159 Genie 90 Germanicus 27, 29, 124, 152, 162, 166 Geschichtsschreibung 23, 37 ff., 91 ff. Giocondo, Giovanni 100 Goethe 116, 125 Goldene Latinität 16 Gracchen 3 f., 98 Grammatik 18, 41 Heinrich von Veldeke 43 Heldenschau 62, 166 Helena-Episode 54 Helvius Cinna 41 Herakleides Pontikos 89 Herculaneum/papyri Herculanenses 23 Herodot 95 Herrscherlob s. Panegyrik Hesiod 27, 29, 48, 50, 108, 118, 128, 139 f., 165
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Hexameter 25, 30, 35 Hieronymus 90, 124 Hölderlin 69 Homer 22, 24 f., 58 f., 61, 64 f., 67, 86, 128, 140, 144, 150, 165 f. Homerparodie 37 Horaz 13, 18, 20, 67 ff., 112, 118, 123 Carmen saeculare 22, 36, 79, 85 Carmina 8, 36, 68, 72, 79 ff., 106 De arte poetica 69, 88 ff., 102 Epistulae 19, 34 f., 68 f., 83, 86 ff., 89, 101 Epoden (Iambi) 8, 20, 68, 70 ff. Römeroden 81 f., 119 Sermones 8, 19, 34 f., 68 f., 73 ff., 83, 86, 89 Humanitas 16 Hybris 83, 149 Iambus 36 f., 68 Ideologie, augusteische (vgl. auch s. v. renovatio) 8 f., 18, 50, 59, 78, 93, 101, 108, 113, 137, 152 Iliupersis 54, 59 Impotenz 72, 131 Interpretatio christiana 43, 47 Invektive 35, 68, 70 ff. Iulia (Caesars Tochter) 7, 48 Iustinus 3 Kalender 40 f., 123, 151 ff. Kallimachos 18, 21 f., 26 f., 30, 37, 48, 68, 70, 88, 108, 112 f., 120 ff., 139, 143 f. Karneades 40, 62 f. Katalog 51, 63, 165 Klassik 14 f., 41, 46, 95, 101 f. Kleopatra 22, 27, 62, 72, 120, 122 Klopstock 69 Knabenliebe 32, 47, 72, 107, 109, 111 Komödie 18 f., 24, 35, 76 Konstantin 47 Kontamination 28 Krieg (vgl. auch s. v. Bürgerkrieg) 108, 110, 120 Kritolaos 40 Ktisis (Stadtgründung) 56, 60 Kyklos, epischer 58 La Fontaine 125 Labienus, T. 23, 38 Laelius (Lyriker) 36 Lavinium 56 Lebenswahl 81, 108, 113, 116 Lehrdichtung 29 f., 49 ff., 86, 88 ff., 121, 123, 135 ff., 151 ff., 159 Licinius Calvus 48, 119 Licinius Macer (Historiker) 94 Liebeslehre 107, 109, 128, 135 f. Livia (Augustus’ Frau) 7, 101, 163 Livius 8, 10, 13, 19 f., 38 f., 90 ff.
Register Livius Andronicus 24 f., 28, 36 locus amoenus 48, 158 Lucilius 12, 34 f., 68, 74 ff. Lukrez 11, 29, 42, 50, 53, 128, 135, 144, 166 f. Lyrik 36, 79 ff., 107 Maecenas 17 f., 24, 42, 45, 50, 70 ff., 86 f., 112 ff. Magie 49, 71, 77, 109, 116, 143, 156 Manierismus 16, 148 Manilius 13, 29, 165 ff. Mantua 34, 48, 52 Marcellus (Augustus’ Schwiegersohn) 54, 121 Marcus Antonius 5 f., 18, 22, 62, 72 Marius 4 f., 12, 18, 91 Medizin 41, 102 Melik s. Lyrik Melissus 18 Menander 24 Menippos 35 Messalinus (Sohn Messallas) 110 f., 162 Messalla 17 f., 24, 34, 39, 106 ff., 111, 123, 162 Metamorphose 144 ff. Mimesis 90 Mimnermos 88, 116 Mimus 28 Molière 125 Monobiblos 111 ff. Monumentum Ancyranum 8 f. Moschos 27, 34 Musen 48, 51, 58, 120, 139, 160 Naevius 12, 24 f., 59 Nemesianus (Bukoliker) 43 Neoptolemos von Parion 89 Neoteriker 12, 21 f., 27, 36, 42, 46 Nietzsche, Friedrich 81 Nikander 29, 144, 166 Numa Pompilius 96 Ordo artificialis 19, 55 Ordo naturalis 19, 55 Orpheus 27, 53, 151 Orthographie 41 Ovid 13, 18 f., 21 ff., 101, 111 f., 123 ff. Amores 8, 72, 106, 123, 126 ff., 136, 141, 155 Ars amatoria 8, 23, 30, 109, 123 f., 129, 132, 135 ff., 155, 159, 163 De medicamine faciei 123 Epistulae ex Ponto 32, 123, 161 ff. Fasti 8, 30, 32, 48, 93, 113, 121, 123, 151 ff., 159 Halieutica 124 Heroides 32, 122 f., 130 ff., 141 In Ibin 124, 156, 160 Medea 28, 123, 128 Metamorphosen 19, 23, 26 f., 123, 125, 143 ff., 158 f.
Nux 124 Remedia amoris 30, 123, 138, 142 f. Tristia 32, 111 f., 123, 151, 156 ff. Ovidius ethicus 125 Pacuvius 28, 34 Päderastie s. Knabenliebe Panegyrik 22, 26, 43, 52, 59, 62, 69, 77, 81 f., 87, 113 f., 147, 151, 162 Pantomimus 28 Paraklausithyron 107, 117, 128 Parodie 35, 45, 126 ff. Parthenios 144 Parther 4, 120, 122, 153 Passenus Paulus 36, 69 Pentameter 30 Peripatos 40, 89 f. Persius 34 Perugia/bellum Perusinum 6, 47, 111, 113 Petrarca 43, 116 Petron 34 Philippi, Schlacht von 6, 17, 38, 67 Philitas 120, 122, 143 Philodem 89, 135 Philosophie 40, 42, 57, 80 ff., 86 Phlyakenposse 154 Pindar 52, 79, 84 Plagiat 105 Platon 135 Plautus 28 Plinius 36, 41, 69 Plotius Tucca 54 Polybios 92, 94 f. Pompeius Macer 163 Pompeius Magnus 4, 91 f., 98 Pompeius Trogus 38, 41 Pompeius, Sextus (Sohn des Magnus) 26, 71 Pontano 107 Ponticus 26, 112, 116, 123 Porphyrio 68 Poseidonios Rhodios 3, 94, 165 Priamel 81 Priap 37, 77, 109, 128 Priapea Carmina 37, 45 Prinzipat 6, 14, 39 Propemptikon 70 ff., 85, 107, 116, 129 Properz 13, 18 ff., 21 f., 31 f., 37, 88, 106, 111 ff., 123, 128 ff., 132 f., 136, 141, 143, 152, 159 Prostitution 75, 118 Ps.-Acro 68 f. Psychomachie 148 Publikum 20 Pyrrhos v. Epirus 56 Pythagoras 147, 151 Pytheos v. Priene 102
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Register Quintilian 36, 88, 95, 102, 148 Rabirius 22, 27 Ransmayr 126 Rechtsauslegung 40 Recusatio 21 f., 48, 82, 84, 86 ff., 113 f., 117, 120, 128 f. Rednerschule 39, 74, 123, 135 Reisebericht 74, 76 Religion 137 Renovatio 7 f., 80, 94, 101, 137, 153 Rezitation 23, 29, 87 Rhetorik 23, 39 ff., 91, 110, 121, 125, 139 f., 148, 157 Roman d’Eneas 43 Romulus 7, 22, 56, 64, 71, 96, 121 Ryff, Walter 100 Sabinus 130, 132, 152 Säkularfeier 36 Sallust 3, 12, 38, 93 f. Salutati, Coluccio 106 Sannazzaro, Jacopo 43 Sappho 36, 79, 132, 143 Satire 34, 36, 68, 73 ff. Satura 30, 34 f., 69, 86 Saturnalien 79 Scaliger, Iulius Caesar 44, 69 Schröder, Rudolf Alexander 69 Schulautoren 24 Scipio Africanus maior 92, 99, Scipio Africanus minor 99 Seelenwanderung 146 Sempronius Asellio 38 Seneca (der Ältere) 39, 123, 148 Seneca (der Jüngere) 34, 40, 69, 123 Servius Tullius 94 Shakespeare 125 Sibylle, cumaeische 62 Sidus Iulium 7, 46, 51, 147 Silberne Latinität 16 Sophokles 59 Sphragis (Siegelung) 48, 87, 131, 141, 160 Ständekämpfe 97 Statius 69 Stegreifspiel 76 Stesichoros 33, 56 Stichische Dichtung 25 Stoa 30, 40, 42, 57, 73 ff., 78 ff., 94, 104, 165 ff. Stützverse (tibicines) 54 Subjektive Dichtung 13, 30 ff. Sueton 28, 43, 106 Sulla 4, 12, 23, 91 Sulpicia 18, 37, 106, 111 Sympotische Dichtung 36, 70 Tacitus 29, 38
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Teleologie 22, 25, 39, 52, 57, 144 f. Terenz 28 Theater 89, 93, 100 Theodizee 58, 63 Theognis 32 Theokrit 27, 33 f., 45 ff., 165 Theophrast 89 Thukydides 92 Tiberius 7, 22, 39, 87, 152 f., 164 Tibull 13, 18, 21, 31, 37, 84, 86, 106 ff., 112, 123, 132 f., 136, 141, 143, 159 Todesthema 107, 113 f., 117 f., 120, 122, 129, 146 Tragödie 4, 19, 28, 60, 128, 130, 132, 144 Traube, Ludwig 43, 125 Travestie 34 f., 154 Tritonius 69 Triumvirat 47 Tuditanus 164 Tullus 112, 116 Tuticanus 26 Unterwelt 54, 109, 122, 129 Valerius Antias 94, 98 Valerius Maximus 10 Valerius Probus 68 Valgius Rufus 18, 41 Varius 28, 54, 68, 76 Varro Atacinus (Dichter) 119, 141 Varro Reatinus (Polyhistor) 34, 51 f., 56, 89, 94, 102, 154 Vates 58, 122 Vegio, Maffeo 44 Vergil 8, 13, 18, 20, 41 ff., 68, 76, 112 f., 128, 159 Aeneis 8 f., 19, 26 f., 42 ff., 52, 54 ff., 72, 91, 93, 110, 119, 122, 132, 134, 138, 141, 144, 153 Bucolica 8, 20, 27, 42, 45 ff., 73, 106, 119 Catalepton 18, 37, 45 Georgica 4, 8, 19, 27, 29 f., 42, 49 ff., 71, 81, 106, 119, 121, 144, 166 Vergil-Allegorese 43 Verrius Flaccus 40, 152 Versus aureus 148 Versus Saturnius 25 f. Versus spondiacus 46 Vitruv 40 f., 100 ff. Wandmalerei 101 Weltenbrand 167 Widmung 48, 50, 70, 81, 138, 151 f. Winckelmann, Johann Joachim 44 Zeitalterlehre 147 Zeitmessung 40, 105 Zensur 23 Zodiacus 167 Zwölftafelgesetz 97