Die Leukipp-Frage : ein Beitrag zur Forschung nach der historischen Stellung der Atomistik


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Die Leukipp-Frage : ein Beitrag zur Forschung nach der historischen Stellung der Atomistik

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PAUL BOKOWNEFF

Die Leukipp-Frage ein Beitrag zur Forschung nach historischen Stellung der Atomistik / von P. Bokownew

Dorpat 1911 National Library of Estonia: Ar 911/Bokownew

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Die Leukipp-Frage Ein Beitrag zur Forschung nach der historischen Stellung der Atomistik von

P. Bokownew,

Druck von Ed. Bergmann, Dorpat.

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1T9 §|5^ Die Leukipp-Frage Ein Beitrag zur Forschung nach der historischen Stellung der Atomistik von

P. Bokownew. Für die Forschung nach der Herkunft der Atomistik ist die Erörterung der leukippischen Frage unerlässlich. Schon für das Altertum war Leu kipp eine unklare Nebelgestalt, über die man nichts Näheres auszusagen wusste. Von den einen als Lehrer Demokrits und Vater der Atomistik genannt, wird er von andern aus der Geschichte der Philosophie gestrichen, ja seine Existenz wird von den Alten mehrfach direkt und indirekt verneint. In neuerer Zeit ist die Leugnung Leukipps von Erwin Rhode aufge­ nommen worden, der in der 34. Philologen-Versammlung zu Trier im Jahre 1879 damit einen langen, auch jetzt noch nicht zum Abschluss gekommenen Streit hervorrief. Rhode stützt sich auf die bis dahin noch nie genügend gewür­ digte Tatsache, dass Leukipps Lehre sich nach den Quel­ len als das vollständige, abgeschlossene System der Ato­ mistik darstellt, indem sie alles enthält, was unmittelbar zum System gehört. Demokrit ist in keinem einzigen Punkte von Leukipp abgewichen, und hat im allgemeinen nichts weiter hinzugefügt, sondern nur Einzelheiten ausgeführt, die die Atomistik nur wenig berühren und für spätere Zeiten keinerlei Bedeutung haben. Eine Ausführung Demokrits be­ zieht sich freilich auf einen prinzipiellen Punkt: dass es ausser von Atomen und leerem Raum keine Erkenntnis gäbe, alles andere sei Vermutung: stsy ös ätopia xai xevöv. öjvsq sou vo/id&TaL fjisv slvai xai öo^ä^suju ui alolh/vd, ovk sou ös ytad äh'jd'siav %avra, äXXä rä ävofia /iövov aal tö ksvöv1. Ohne diesen Satz nun, der wirklich spezielles •

1 Sextus Emp. adv. math. VII, 135.

2 Eigentum des Demokrit zu sein scheint, ist die Atomistik nicht recht denkbar. Jedoch lag er schon in der notwendi­ gen Konsequenz der ganzen Atomlehre. So ist denn das geistige Eigentum des Demokrit sehr gering. Deshalb wäre Demokrit aus der Reihe der originellen Denker zu strei­ chen und durch Leukipp zu ersetzen. Demokrit müsste man eine ganz untergeordnete Stelle in der Geschichte der Philosophie anweisen, etwa wie Reinhold neben Kant. Völlig rätselhaft erscheint dann aber der grosse Abstand zwischen Demokrits unzweifelhaftem weit verbreiteten Ruhm im Altertum und dem geringen Rest philosophischer Origi­ nalität, welchen ihm Aristoteles’ und Theophrasts Berichte über Leukipp übrig lassen. Eine ganz neue Wendung erhält nun diese Aporie durch die überraschende, unzweideutige Aussage E p i k u r s bei Diogenes Laertius1: ein Philosoph Leukipp habe überhaupt nicht existiert: äXX’ ovÖ8 Aevxwtjzöv uva ysyspfjoAcii cpif)Oi (ptXöoocpov . . . , öv evioi yaoi... öiödoxaXov Arj/j,oxQtTov yeyevfjofiou. Von hier

ausgehend bemüht sich Rhode Leukipp zu einem blossen Phantom zu verflüchtigen und kommt zu dem Schluss, es habe in Wahrheit gar kein atomistisches System vor Demo­ krit gegeben, dem darum der volle Ruhm zufalle. Rhode (Verhandlungen der 34. Philologen-Versammlung und Fleckeisens Jahrb. für klass. Philoi. 1881) wurde in diesem Angriff auf Leukipp einzig von Natorp un­ terstützt (Rheinisches Museum B. 41, 1887, S. 349), während er in Diels (Verhandlungen d. 35. Philologen-Versammlung und Rheinisches Museum B. 42, 1887) einen heftigen Gegner fand. Auf die Seite des letzteren stellte sich auch Zeller (Archiv für Geschichte der Philosophie B. 15, 1902), indem e_r sich dahin entschied, dass die Grundzüge der Atomistik von Leukipp herrühren. Diese Ansicht wird auch von Th. Gomperz2 und Siebeck3 vertreten. Einen interessanten Leitrag zur Leukipp-Frage lieferte Ad. Brie1 Diog. Laert. X, 13. 2 Th. Gomperz, Griechische Denker, 1903. 3 Herrn. Siebeck, Geschichte der Psychologie. I. B. 1. Abt. 1880.

3 ger (Hermes B. 36, 1901, S. 161), der nach genauer Ab­ wägung des pro und contra zu dem Ergebnis kommt, dass der Streit sich mit den bisher verfügbaren Beweismitteln nicht entscheiden lasse. Zunächst soll eine Rezension dieses Streites in der Weise versucht werden, dass die einzelnen, von den verschiedenen Streitenden vorgetragenen Beweise selbst für sich sprechen. Und zwar sollen zuerst, wie es billig ist, die Beweise zu Wort kommen, die die Existenz eines Phi­ losophen Leukipp leugnen, und dann ihnen die Widerle­ gungen gegenübergestellt werden, worauf endlich die posi­ tiven Gegenbeweise, die sich für Leukipp aussprechen, und deren Widerlegungen folgen sollen. Es muss hierbei da­ rauf hingewiesen werden, dass die Frage nach der Existenz oder Nichtexistenz des Philosophen Leukipp so gut wie ganz mit der nach der Herkunft des atomistischen Systems zusammenfällt. Die Entscheidung für Leukipp bedeutet ei­ nen leukippischen Ursprung der Atomistik, die Entscheidung gegen ihn einen demokritischen, also weit späteren Ursprung. Die Beweise für und wider sind entweder direkte oder indirekte. Die direkten Beweise wiederum zerfallen in solche, die daran anknüpfen, ob und wie der Name Leukipps bei späteren Autoren genannt wird, und solche, die sich als Schlüsse daraus darstellen, wer der Verfasser des Meyag didxoö/^og ist — Leukipp oder Demokrit. Der Meyag öidxoofiog enthielt das ganze atomistische System, und der Verfasser dieser Schrift muss deshalb als der Begründer der Atomistik angesehen werden. Lässt sich nun Demokrit und nicht Leukipp als der Verfasser nachweisen, so wird die Annahme Leukipps als Begründers der .Atomistik über­ flüssig, und er ist aus der Reihe der Philosophen zu strei­ chen. Die indirekten Beweise gehen davon aus, dass sie Spuren atomistischer Einwirkungen vor der nachweislichen Lebenszeit Demokrits aufzeigen oder leugnen, und schliessen daraus — positiv oder negativ —, dass es vor Demokrit einen Begründer der Atomistik — Leukipp — gab, oder dass die Atomistik demokritischen Ursprungs ist. Alle

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diese Arten von Beweisen können in der Darstellung nicht scharf von einander geschieden werden, da sie vielfach ineinandergreifen und sich verflechten. Unter den Beweisen gegen die Existenz Leukipps kommt in erster Linie die erwähnte Äusserung E p i k u r s in Betracht: d/Ji ovös Aevmjvnov tlvci yeyevrjod'ai cprjOL (fiXöoocpov..., ov sv lol q>aGL... ÖLÖdoxaXov Al)/lloxqltov yeyevfjo'd'ctL1. Diese kühne Behauptung, bemerkt Rhode mit Recht, hätte Epikur nicht gewagt aufzustellen, wenn eine Widerlegung aus etwaigen Spuren von Leukipps Dasein oder aus den Schriften Demokrits, die er gründlich gekannt haben muss, zu befürchten sein konnte. Tatsächlich muss über Leu­ kipps Persönlichkeit schlechthin nichts bekannt gewesen sein, da Diogenes Laertius nicht einmal seine Heimat kennt2. Übrigens wird die Annahme, dass Leukipp Lehrer des Demokrit war, keineswegs so allgemein verbreitet gewesen sein, wie es nach den erhaltenen Resten philosophischer Geschichte schei­ nen könnte. Wenigstens kann uns das die Ausdrucksweise des Diogenes Laertius vermuten lassen, der, nachdem er mitgeteilt hat, Epikur leugne die Existenz des Leukipp, von diesem sagt: ov svlol (paoL xal ’AjvoA^ööcoQog ö '’Ejilxovqsloc, ÖLÖdaxalov AqpLoxoitov ysysvF/oAaL. Man kann sogar vermuten, dass die Strömung recht stark war, die von Leukipp nichts wusste, und der Demokrit in Wahrheit als der erste Vertreter der Atomistik galt. Das wird noch einleuchtender, wenn man mit B r i e g e r in Betracht zieht, bei welcher Gelegenheit Epikur seine Leugnung Leukipps ausspricht. Epikur be­ hauptet nämlich, um seine Selbständigkeit hervorzuheben, so­ wohl er selbst als auch Demokrit haben keine Lehrer gehabt. Wenn er die erste, falsche Behauptung durch die zweite be­ kräftigen wollte, so wird ihm dazu doch der Hinweis auf eine wahre Tatsache besser gedient haben als der auf eine erlogene. Worauf Epikur die Leugnung Leukipps stützt, lässt sich 1 Diog. Laert. X, 13. 2 Diog. Laert. IX, 30 AevXLniiog ’Ekedvrjg, ojg de %Lveg, ’Aßdr)-

oizrig, xat’ ivLovg de Mr/hog.

5 nicht nachweisen. So viel steht fest, dass man im 3. Jahr­ hundert nichts von Leukipp wusste: seine Existenz war für das gelehrte Altertum so gut wie ausgelöscht1. Sogar in seiner eigenen Schule hatte er gar keine Spuren hinter­ lassen. Darin wäre denn ein nicht geringer Anhaltspunkt für den Zweifel Epikurs zu sehen, um so mehr als selbst in Demokrits Schriften, wie wohl anzunehmen ist, und wie auch Diels zugibt2, Leukipps Name nicht vorkam. Das letztere Faktum ist für den Streit um die Leukipp-Frage entschieden von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Auch Sextus Empirikus3 lässt Leukipp uner­ wähnt. Das würde bei dem Charakter seines Werkes nichts beweisen, wenn er nicht ausdrücklich die Frage aufwürfe, ob Demokrit wirklich der erste Vertreter der Atomistik wäre, und diese Frage unentschieden Hesse, ohne Leukipp zu nennen. Vielmehr spricht er von einem Mochos, von dem Demokrit angeblich sein System entlehnt haben soll. Er weiss also von Leukipp nichts oder hält ihn für eine Erfindung. Schon Rhode zog neben diesen Beweisen, die zu Leu­ kipp in Verbindung mit der Atomistik im allgemeinen Stel­ lung nehmen, noch solche heran, die ihn in Verbindung mit dem Meyag didaoo/^og im besonderen betrachten. Er geht von einer Notiz des T r a s y 1 o s bei Diogenes Laertius4 aus, dass Theophrast und seine Schule, die sonst auch unter Demokrits Namen gehende Schrift Meyag ÖMKOöfAog dem Leukipp zuerteilte. Diese Schrift also, aus welcher allein sich Leukipps philosopische Bedeutung und 1 Rhode, Fleckeisens Jahrb. 1881; Zeller, Archiv für Geschichte der Philosophie 1902. 2 Verhandlungen der 35. Philologen-Versammlung. 3 Sext. Emp. adv. math. IX. 363 Ai'i/aoxgizog de xai ’Enixovgog äzö/aovg, ei ß-t)ti ägyaiozegav zamrjv Oezeov zvjv dögav, xai cog eAeyev 6 ozcorxög IlooetdcovLog, and Mtbyov ztvdg ävdgdg Eoivixog xazayo^ev^v. 4 Diog. Laert. IX, 45—46 zä de ßißha avzov xai 0gaov?.og ävayeygacpe xazä zdgtv ovzog coonegei xai zä TlMzavog riazä zezgakoyiav... Qvaixä dk zäde• Meyag dtdxoofxog, öv oi negi Oeöqjgaozov Aetixinnov q>aoiv eiai...

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wohl gar Existenz herleiten liess, wurde von andern nicht dem Leukipp sondern dem Demokrit zugeschrieben. Dass zu diesen ausser Epikur auch andere gehörten, lässt sich aus der Schrift eines Peripatetikers De Melisso, Xenophane et Gorgia, die keinerlei epikuräischen Ein­ fluss zeigt, schliessen. Dort finden sich die Worte: sv volg Asvxlunov xaXov/aevoig Xöyoig1, die man nur als Ausdruck des Zweifels an der Echtheit der dem Leukipp zugeschrie­ benen Schrift deuten kann. Einen Anhalt scheint auch der Titel dieser Schrift zu bieten: ein Msyag diaxoa/aog (Makro­ kosmos) setzt doch einen MixQog öidxoo/uog (Mikrokosmos) als notwendiges Komplement voraus, da sonst nur öidxoo(iog als Bezeichnung der Welt üblich war. Die Mlxqög öidxoofiog betitelte Schrift wird aber Demokrit nicht abge­ sprochen. Also ist die Wahrscheinlichkeit recht gross, dass auch der Msyag ötdxoofiog Demokrit zum Verfasser hatte. Nach der Tradition war der Msyag öidxoo^og eine Schrift Demokrits. Wie Aristoteles in dieser Frage stand, lässt sich nicht mit Gewissheit feststellen; denn er führt Leukipps Namen überall als eine gegebene Grösse ein, ohne daran eine Bemerkung polemischen Inhalts zu knüpfen. Sollte er im Gegensatz zur Tradition den Msyag didxoöfiog dem Leukipp zugesprochen haben, so hätte er das ausdrücklich hervorgehoben. Freilich ist die Möglich­ keit nicht ausgeschlossen, dass Aristoteles dieses grundle­ gende Werk der Atomistik doch für leukippisch gehalten hat. Denn das steht allerdings fest, dass sein Schüler Theophrast2 geneigt war, es dem Leukipp zuzuschreib.n. Die alexandrinischen Bibliothekare nennen wiederum Demokrit als den Verfasser. Wenn sie sich also entschlossen haben sollten den Msyag didxoo/iog trotz Aristoteles und Theophrast wieder der Tradition zuliebe dem Demokrit zuzuertei­ len, so müssen sie ihre guten Gründe gehabt haben; ha­ ben sie doch gerade an den Demokritischen Schriften eine so scharfe Kritik geübt, dass sie mit einer grossen Menge 1 De Melisso, Xenophane et Gorgia 980 a 7. 3 cf. S. 5. Anm, 4.

von ihnen aufräumten und dazu bemerkten: Arj/noxgLTog... yvrjoia de avvov ßißXla eiol dvo, ötb Meyag dtdxoojbiog xai rö IIbql (pvoecog xdo/^ov1. Der Zweifel an der angeblichen Schülerschaft Demo­ krits stellt sich danach immer mehr als recht begründet heraus. Verstärkt wird er besonders durch den Hinweis Briegers auf das Urteil des unbekannten Verfassers von dem Buche: De Melisso, Xenophane et Gorgia, der die Echtheit eines angeblich leukippischen Werkes und zwar wahrscheinlich des von Aristoteles benutzten, schon bald nach Aristoteles anzweifelt. Dass aber die Quelle, aus der Aristoteles geschöpft hat, vorzugsweise der Meyag öidxoo/wg gewesen ist, kann als feststehend angesehen werden. Diesen Angriffen auf Leukipp sind von D i e 1 s folgende Widerlegungen gegenübergestellt worden. Zunächst geht er von der Autorität Aristoteles’ und Theophrasts aus, die er ja mit Recht die Ecksteine unserer Kenntnis vorsokratischer Philosophie nennt, und die in der vorliegenden Frage als Zeugen für die Existenz des Philosophen Leukipp auftreten. Er hält es darum für unstatthaft, dass ihrem Zeugnis das des Ep i ku r vorgezogen werde. Darin, dass Leukipps Name in Demokrits Schriften höchstwahrscheinlich nicht vor­ gekommen sei, will Diels noch keinen Anlass sehen Leu­ kipp aus der Reihe der Philosophen zu streichen : auch im ganzen Theophrast komme Aristoteles’ Name nicht vor, ob­ gleich er ihn oft genug zitiere. Die Tradition, die von Leu­ kipp nichts wusste, gilt für Diels, gemäss seiner Anerken­ nung der unbedingten Autorität Aristoteles’ und Theophrasts, als die „vulgäre“. Er bekräftigt seine Ansicht durch die Erwägung, dass Schriften Leukipps, auch wenn er selbst vergessen sein sollte, doch noch existieren konnten, aber unter dem Namen des Demokrit. Man war eben im Alter­ tum gleichgültig gegen das persönliche literarische Eigen­ tum und damit auch gegen das Äussere des Buches. Die philosophischen Schriften des 5. Jahrhunderts scheinen keine 1 Suidae Lexicon.

6 prägnanten, vom Verfasser selbstgewählten Titel gehabt zu haben, weshalb sie alle unter der Aufschrift jibqi cpvascog auftraten. Selbst Aristoteles trug wenig Sorge seinen Schul­ schriften feste Titel zu geben. Aus diesem Grunde darf man auch aus dem Titel des strittigen Werkes Msyag öidxoo/nog und damit geht Diels auf die zweite Art der An­ griffe auf Leukipp ein — keinen Schluss ziehen. Leukipp könnte ein Buch didxoo/iog hinterlassen haben, das später, als Demokrit einen Mixgög öidxoG/iog schrieb, Meyag didxoG/iiog benannt wurde. Was diese Widerlegungen betrifft, so hat zweifellos die Berufung auf Aristoteles und Theophrast das grösste Ge­ wicht. Aber entscheidende Bedeutung hat auch sie nicht, da selbst Aristoteles sich irren kann. Was Diels sonst noch vorbringt, ist höchst geistreich und nicht ohne den Schein von Wahrscheinlichkeit, aber es geht nicht über die Grenze der Vermutung hinaus. Es bleibt für Diels noch ein gros­ ser Rest von Schwierigkeiten, die er nicht im Stande ist wegzuräumen. So kann kaum etwas gefunden werden, das das Zeugnis des Sextus Empirikus1 entkräftete. Höchst auffällig bleibt, dass es im Altertum eine anschei­ nend nicht geringe Tradition gab, die in einem völlig sagen­ haften Mochos den Lehrer Demokrits sehen wollte. Gewiss ist es rätselhaft, wie es möglich war, dass jemand ein ech­ tes Werk Demokrits Leukipp zuschreiben konnte, und dass er damit Glauben fand. Die Frage lässt sich ebensowenig beantworten, gesteht Brieger zum Schluss seiner Erörte­ rung des Leukipp-Streites, wie die, warum man einen Mochos erfand und ihm das grundlegende Werk der Atomistik unter­ schob. Nicht von der Hand zu weisen ist jedenfalls die Beantwortung dieser Frage durch eine Hypothese Rh ödes, die er vielleicht mit etwas zu viel Siegesgewissheit als „starkes historisches Argument“ einführt. Er meint: wenn Leukipp noch ferner von den Alten unter den Philosophen genannt werde, so könnte das den rein äusserlichen Grund —

i Cf. S. 5, Anm. 3,

9 liaben,dass et in der schematischen Reihe der „italienischen“ Philosophen, die bereits Theophrast zu einer „joni­ schen“ Reihe in Parallele stellte, nicht entbehrt werden konnte, da man Demokrit nicht direkt an Zeno reihen mochte. Somit dürfte ersichtlich sein, daß die angeführten Widerlegungen der Leugnung Leukipps diese wenig anfechten. Außer diesen Widerlegungen werden nun von den Verteidigern Leukipps noch positive Beweise für seine Existenz beigebracht. Zunächst wird die Autorität Aristo­ teles’ und Theophrasts angeführt, die als Zeugen für den leukippischen Ursprung des atomistischen Systems obenan stehen. Zu diesem direkten Beweis fügt Zeller noch einen hinzu, indem er sich auf das Zeugnis Alexanders vonAphrodisias1 stützt. Dieser nennt in seiner Erklä­ rung der Schrift liegt alo^oscog als Vertreter der atomisti­ schen Theorie vom Sehprozeß an zwei Stellen nicht blos Demokrit, sondern auch Leukipp. Er kennt also diese Lehre als Eigentum des Leukipp, und zwar wohl eher aus dem Werke Theophrasts als aus Leukipps Schrift. Denn da Leukipp im 3. Jahrhundert vergessen ist, so wird er nur noch von solchen Schriftstellern genannt, die mittelbar oder unmittelbar aus Theophrasts Geschichte der Physik geschöpft hatten. Dieses Zeugnis genügt nach Zeller zum Erweis der Tatsache, dass die atornistische Theorie des Sehens nicht erst Demokrit, sondern schon Leukipp angehört. Also gehören Leukipp nicht nur die leitenden Gedanken der Atomistik, sondern auch ihre weitere Ausgestaltung, die man ihm nicht zugestehen will. An diese Tatsache knüpft Zeller einen indirekten Beweis, indem er auf die Verwandtschaft der leukippischen Anschauungen mit denen des Diogenes von Apollonia 1 Alex. Aphr. in Arist. librum de sensu commentarium, edidit Wendland p. 24, 14—21. Aeyeo yäo ArjßöxQizog zo öqciv elvav zo zf)v eßcpaoiv vfjv äjzb zcov ögcof-ievcov dexeoOai . . . fjyslzai, de ainbq ze nah jiqo cibzov Aevxmnog xai vozeoov de ol negl zbv’Enixovgov eldoXä uva änoQQEOvza oßoiAfiogcpa zolg ä evzög äegt Jiocelv a/o'dzjOLV. 2 Simpl, phys. 25,1 (Theophr. op. fr. 2) xai Aioyevzjg de ö ’AnoXXfDvuizrjg... za jiev nlelöxa övfmecpegofievog yeygaqpe zä (xev xazä ’Avagayögav, zä de xazä Aevxinnov ?Jyov.

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Leukipp zusammengestellt, d. h. also, er hat das strittige Werk Meyag öidxoofiog benutzt. Diogenes schrieb deshalb nach Anaxagoras, und andererseits vor der Aufführung der aristophanischen „Wolken“, die ihn parodieren, d. i. vor dem Jahre 423. Der Sokrates der „Wolken“ sagt Diels, hat vom historischen Sokrates nur die Maske geborgt, ist aber sonst Diogenes. Da Demokrit um das Jahr 420 wirkte und schrieb, und man eine Zwischenzeit annehmen muss, in der das atomistische System dem Apolloniaten, und wiederum dessen System dem athenischen Publikum bekannt werden konnte, so muss der Meyag didxoö/Liog älter sein (etwa um 30—40 Jahre) und kann nur von Leukipp verfasst sein. Von diesen positiven Beweisen für den Philosophen Leukipp vermag einzig die Berufung auf die Autorität des Aristoteles Widerlegungen standzuhalten; aber auch hier ist für den, dem die Unfehlbarkeit Aristoteles’ nicht ein unumstössliches Dogma ist, ein Zweifel gestattet. Alle anderen Beweise sind widerlegbar. Das Urteil Alexan­ ders von Aphrodisias will wenig bedeuten gegen die Gesamtheit der alexandrinischen Bibliothekare, die als gute Kenner Demokrits den Meyag ötdxoofiog für demokri­ tisch erklären. Auf die von Zeller angenommene Ein­ wirkung des Leukipp auf Diogenes von Apollonia soll später im Zusammenhang mit der Widerlegung des letzten Beweises, der sich auf das Zeugnis der aristophanischen „Wolken“ beruft, eingegangen werden. Die Berufung auf die Beeinflussung des Empedokles durch die Atomistik, die im Begriff der Poren liegen soll, ist von geringer Be­ weiskraft. Denn es ist wohl möglich ohne die Annahme des absolut Leeren zum Begriffe der Poren zu gelangen. Nicht einmal in der Atomistik sind die Poren immer leer, sondern mit Luft angefüllt, und in den Zwischenräumen der Luft muss man das Leere suchen L Empedokles kann den 1 Lucr. de rerum natura, edidit A. Brieger 1899. IV, 191—193 Propterea quia sunt e primis facta minutis quae quasi cuduntur perque aeris intervallum non dubitant transire sequenti concita plaga.

12 Begriff der Poren also einfach aus der Deutung sinnlicher Erfahrung haben. Auch in der Behauptung Diels’, dass Anaxagoras von der Atomistik abhängig sei, kann kein zwingender Beweis gesehen werden/ Brieger hat der Dielsschen Argumentation mit Recht entgegengehalten : es sei ja ganz richtig, dass Anaxagoras den Gedanken der Un­ endlichkeit der Homoiomerien unnütz herangezogen habe; nur sei diese Annahme in der Atomistik genau so über­ flüssig, weshalb sie später auch von Epikur über Bord ge196 ff. quapropter simulacra pari ratione necessest inmcmorabile per spatium transcurrere posse temporis in puncto, primum quod . . . deinde quod usque adco textura praedita rara mittuntur, facile ut quavis penetrare queant se et quasi permanare per aeris intervallum. 854—858 praeterea tum rarescit quoque corpus, et aer scilicet, ut debet qui semper mobilis extat, per pate facta venit penetratque f o r a m i n a largus et dispargitur ad partis ita quasque minutis corporis. 918—922 interiorem etiam partem spirantibus aer verberat hic idem, cum ducitur atque reflatur. quare utrimque secus cum corpus vapulet, et cum perveniant plagae per parva foramina nobis corporis ad primas partis elementaque prima... VI 1025 -1027 denique res omnes debent in corpore habere aera, quandoquidem raro sunt corpore et aer omnibus est rebus circumdatus adpositusque. Arist. Phys. IV, 6, 213a22—213b2 ol /xsv oöv dsixvvvai neigoßisvoi öxi ovx soxiv, ov% ö ßovXovzai Xsyeiv ol ävhgconoi xsvöv, xovxd s^sXsyXovotv, dXX' äfxagxävovxsg Xsyovoiv, &onsg ’Ava^ayögag xal ol xovxov xöv TQÖaov sXsyxovxsg. imdeixv'öovöi yäg öxi sott xi 6 dr/g, oxgsßXovvxsg xovg doxovg xal deixvvvxsg dog lo/vgog 6 dt)g, xal svanoXa/ißdvovxeg ev xalg xXeipddgcug. ol d’ avd'gomot, ßovXovxat Xeyeiv, xsvöv slvai öiäöxiyxa ev q> },vr)dev soxi oäfia aioßhjzöv otö/tevot de xö öv änav slvai oäfia (paoiv, ev a> öXcog ßvjösv eaxi, xom slvai xsvöv, ov di/ xö ziXfjgsg dsgog xsvöv slvai. ovxovv xovxo des dsixvvvai, öxi toxi xi ö dqg, dXX* öit oöx sau didoziyia sxsgov zcov ooyiäxo)v, ovxs yjogioxöv, ovxs svegysi.q. öv, ö diaXaßßävsi xö näv rsäfia e>oz' slvai /.ei) ows/Jg, xahdnsg Xsyovoi Aiyioxgizog xal Asvxinnog. xal sxsgoc JioXXol zcov (pvoioXöycov, fj xal sl xi sgo xov navxög ocöfxaxög soxev övxog ovvsxovg.

13 worfen worden sei. Weder Empedokles noch Anaxagoras braucht somit notwendig nach Entstehen der Atomistik ge­ schrieben zu haben, und diese kann sehr wohl von Demo­ krit begründet worden sein. Ebenfalls ist der Schluss, zu dem D i e 1 s die „Wol­ ken“ des Aristophanes veranlassen, unberechtigt. Dass die „Wolken“ die Lehre des Philosophen Diogenes von Apollonia verspotten, kann nach Diels nicht mehr be­ zweifelt werden1. Nun behauptet S i m p 1 i c i u s2, und zwar wie Diels glaubt und Rhode nicht bestreitet, gestützt auf ein Zeugnis des Theophrast: Diogenes habe seine phi­ losophischen Lehren grösstenteils aus Anaxagoras und Leukipp, also dem Meyag ÖLdxoOfzog kompiliert; folglich, so schliesst Diels, sei dieses Werk vor 423, dem Aufführungs­ jahre der „Wolken“, und zwar nicht allzudicht vorher, ver­ fasst worden; er könne aber dann nicht den Demokrit, son­ dern müsse einen älteren Atomisten zum Verfasser gehabt haben; ein solcher habe folglich existiert. Diese Behaup­ tung zu entkräftigen reicht vielleicht schon die Berufung Rhodes auf die Unsicherheit der Chronologie Apollodors hin, auf welcher die Dielssche Folgerung fusst. Da des Apollodor chronologische Arbeiten bekanntlich überhaupt sehr unzureichend seien, sagt Rhode, so liege der Jahres­ zahl 420, die dieser für Demokrits Wirken angibt, nichts historisches zu Grunde. Nicht unerwähnt darf auch die interessante Tatsache bleiben, auf die Natorp hingewie­ sen hat, nämlich dass Unger3 gegenüber der Alters­ angabe Apollodors4 über Demokrit (etwa 460—370) die 1 Diels beruft sich auf Chr. Petersen Hippocr. scripta ad temp. rat. disp. Hamburg 1839, der die Frage völlig sicher gestellt habe. 2 Cf. S. 10. Anm. 2. 3 Philologus Suppl. IV, 544 ff. 4 Diog. Laert. IX, 41 y£yove de zolg ygövotg, chg avzög (prjGtv ev zw Mly.om öiaxöof.ioj, veog xazd ngeoßvzi)v Avagayögav, ezeaiv civzov veiözegog zezzagdxovza. Gvvzezdyjku de cpv)Ot zov Mixgöv di-dxoo-

/.iov ezeoiv vozegov zfig TXiov äktiasog zgtäxovza xal enzaxooLoig. yeyövot d’äv, d>g 6 fzev ’AnoXXödcogog ev Xgovtxolg, xazd zijv öydorjxoozqv öXvfjomdda [460—457], &g de (H)guovXog ev zij> ijuygouf ouevoj Ta ngö zfjg dvayvcooecog z&v Aijpoxgnov ßißXicov, xazä zd zgizov ezog zrjg

14 Angabe bei Diodor*1 wieder zu Ehren gebracht hat. Da­ nach ist Demokrit im Jahre 404 im Alter von 90 Jahren gestorben, könnte seine Tätigkeit also 440 begonnen haben, wie es auch seinem Altersverhältnis zu Sokrates besser ent­ spricht. Dann kann Diogenes von Apollonia wohl aus sei­ nem Werk geschöpft haben. Freilich könnte dieser Hinweis Natorps nicht als Grundlage zu weiteren Schlüssen dienen, da die Ungersche Chronologie zu wenig Garantie bietet. Verwirft Diels sie doch direkt als unwissenschaftlich. Doch abgesehen von der Chronologie, die in diesem Gebiete keine sicheren Schlüsse gestattet, kann von einer anderen Seite die Dielssche Behauptung angefochten werden, die, auf Theophrast gestützt, eine Anlehnung des Dio­ genes an Anaxagoras und Leukipp voraussetzt. Es wird längst bestritten, dass Theophrasts Zeugnis unbedingt gel­ ten müsste; ferner auch nicht ohne Recht, dass die Angabe des Simplicius, von der man eben glaubte, dass sie von Theophrast herrühre, wirklich von diesem herrührt. Auch diese von N a t o r p stammenden Erwägungen können allerdings wenig Anspruch darauf erheben den Dielsschen Beweis zu untergraben. Die Verteidiger der Rhodeschen Annahme geben darum nicht eben viel auf, wenn sie Diels einräumen, dass in dem Bericht des Simplicius über Dio­ genes die Hand Theophrasts nicht zu verkennen sei. Diels meint nämlich, kein späterer Kommentator hätte die Fähig­ keit besessen, sich über die Entlehnung des Diogenes aus Leukipp ein Urteil erlauben zu können, ja bei keinem wäre die Tendenz einer solchen Dogmenvergleichung zu erklären ausser bei Theophrast. Endlich ist auch der Einwand Na­ torps wenig glücklich, dass für die Abhängigkeit des Dio­ genes von Leukipp bisher nichts Stichhaltiges beigebracht worden sei. Wirklich angefochten wird der Dielssche Beweis für eßööfizjg xai ißöofirjKOOzrjg öXvfimdöog [470/469], eviavzq>, cprjoi, ngeaßtizegog Siv Hawgäzovg. 1 Diod. XIV, 11,5 jve.gi de zöv aüzöv xgovoy [01 94, 1. 404.J /ml A'ij/.bü/gizog ö