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German Pages 496 Year 1977
Verena Doebele-Flügel Die Lerche
Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker Begründet von
Bernhard Ten Brink und Wilhelm Scherer Neue Folge Herausgegeben von
Stefan Sonderegger 68 (192)
w G DE
Walter de Gruyter • Berlin • New York 1977
Die Lerche Motivgeschichtliche Untersuchung zur deutschen Literatur, insbesondere zur deutschen Lyrik
von
Verena Doebele-Flügel
w DE
G Walter de Gruyter • Berlin 1977
New York
CIP-Kurztitelaufnahme
|
der Deutschen Bibliothek
Doebele-Flügel, Verena Die Lerche: motivgeschichtl. Unters, zur dt. Literatur, insbesondere zur dt. Lyrik. — 1. Aufl. — Berlin, New York: de Gruyter, 1977. (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker: N . F.; 68 = 192) ISBN 3 - 1 1 - 0 0 5 9 0 9 - 6
© 1976 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sdie Verlagshandlung J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer Karl J. Trübner • Veit & Comp., Berlin 30 • Alle Redite, insbesondere das der Übersetzung in fremde Spradien, vorbehalten. Ohne ausdrücklidie Genehmigung des Verlages ist es auch nidit gestattet, dieses Budi oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Drude: Rotaprintdrudc Hildebrand, Berlin Buchbindearbeiten: Lüderitz & Bauer, Berlin Printed in Germany
Inhalt Einleitung A. DAS MOTIV DER LERCHE VOR DER ROMANTIK . . . Versuch eines diachronen Schnittes von den Anfängen bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert I. Die Lerche in naturwissenschaftlichen Schriften, in Enzyklo- . pädien und in Abhandlungen verschiedener Art von der Antike bis zum 17. Jahrhundert 1. Antike und spätantike Naturwissenschaft Aristoteles, Plinius 13 - Marcellus, Galen, Aelian, Physiologus 14 2. Früh-und hochmittelalterliche Texte als Zeugnisse für die . Kenntnis der Lerche Gregor von Tours, Adelmus von Seez 15 - Bemer Orgeltrakt, Rupert von Deutz 16 3. Naturwissenschaftliche und enzyklopädische Werke des . . Hoch- und Spätmittelalters Hildegard von Bingen 17 - Alexander Neckam 18 Thomas von Cantimpri 20 — Konrad von Megenberg, Vinzenz von Beauvais 21 — Friedrich II 23 — Albertus Magnus 24 — Petrus Berchorius 25 4. Humanistische Schriften naturwissenschaftlicher und . . . sprachtheoretischer Art Konrad Gesfsjner 28 - Johannes Goropius 33 - Ulysses Aldrovandus 39 5. Der "Mundus symbolicus" des Philippus Picinellus . . . 6. Zusammenfassung II. Das Motiv der Lerche in der antiken und in der mittellateini- . sehen Dichtung 1. Die Lerche in der antiken Sagen-und Fabelliteratur . . . Aesop, Aristophanes 44 - Babrios 45 - Gellius, Antoninus liberalis 46 2. Das Motiv der Lerche in der übrigen Literatur der Antike . Theokrit, Epigramme der Anthologia Palatino 3. Das Motiv der Lerche in der mittellateinischen Liebesdich- . tung (bis 1300) Carmina Cantabrigiensia 48 - Carmina Burana 49 4. Das Motiv der Lerche in der mittellateinischen Literatur . . ausserhalb der Liebesdichtung (bis 1300)
1 11 13 13 15
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41 42 44 44 47 48 52
VI
III.
Inhalt
Versus de volucribus 52 - Wilhelm von Apulien, Nigellus Wireker 53 - Egbert von Lüttich, Eberhard von Bremen 54 Das Motiv der Lerche in der deutschen Dichtung von 1150 . . bis 1790. Seine Gestalt. Seine Stellung. Seine Funktion 1. Einleitung 2. Das Motiv der Lerche innerhalb der Jahreszeiten-Thematik . a) Einleitende Bemerkungen zur Jahreszeiten-Thematik . . b) Die Lerche als Teil des Vogelmotivs im Natureingang des Minnesangs vom 12. bis zum 14. Jahrhundert a) Der Wortbestand lerhe, Verben 66 - Substantive, Epitheta und Umstandsergänzungen 67 ß) Die Einbauformen Die einzelnen Vogelnamen sind Subjekt zum gleichen Verb 69 - Die einzelnen Vogelnamen treten syntaktisch unabhängig von einander auf 71 - Die Lerche ist der einzige namentlich genannte Gattungsvertreter 72 c) Die Lerche als Teil des Vogelmotivs in Natureingängen . aus dem 14., 15. und 16. Jahrhundert a) Der Wortbestand lerhe, Verben, Substantive 76 - Epitheta und Umstandsergänzungen 77 ß) Die Einbauformen Die einzelnen Vogelnamen sind Subjekt zum gleichen Verb 79 - Die einzelnen Vogelnamen treten syntaktisch unabhängig von einander auf 83 - Die Lerche ist der einzige namentlich genannte Gattungsvertreter 88 d) Die Lerche in der Jahreszeiten-Thematik ausserhalb des . Natureingangs vom 13. bis 16. Jahrhundert a) Die Funktion des Motivs . ß) Der Wortbestand 7) Die Einbauformen e) Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse (12.-16. . Jahrhundert) f) Die Lerche in der Jahreszeiten-Thematik im 17. und 18. . Jahrhundert a) Der Wortbestand ßj Die Einbauformen 7) Zusammenfassung 3. Das Motiv der Lerche in der Tageszeiten-Thematik . . . . a) Die Lerche als Morgenbotin in erzählenden Werken des . 12., 13. und 14. Jahrhunderts a) Die Lerche als Morgenbotin im Rahmen eines allge- . meinen Morgenbildes ß) Die Lerche als Morgenbotin vor dem Hintergrund . . eines Kampfgeschehens b) Die Lerche als Teil des Vogelmotivs im Spätmittelalter- . liehen Tagelied
56 56 61 61 66 66 68
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90 90 93 94 97 98 100 110 114 117 118 118 122 125
IV. V. B.
I.
II.
Inhalt
VII
c) Die "Wiederentdeckung" der Lerche als Morgenbotin im 18. Jahrhundert 4. Das Motiv der Lerche steht entweder ausserhalb der jahres- . bzw. tageszeitlichen Thematik oder hat innerhalb dieser eine vergleichende Funktion a) Das Motiv der Lerche ausserhalb der jahres- bzw. tages- . zeitlichen Thematik in Texten des 12.—16. Jahrhunderts a) Die Gegenüberstellung von Raubvogel und Lerche ß) Die Lerche als Beispiel eines guten bzw. weniger . . guten Sängers Die Lerche als Beispiel einer guten Sängerin 141 - Die Lerchen als Beispiel eines weniger guten Sängers in Konrads von Würzburg Partonopier und Meliur 144 y) Die Lerche als Beispiel des guten Christen und ihre . anderen Funktionen in geistlichen Texten b) Das Motiv der Lerche in der Rolle eines Vergleichs- . . Objektes in Texten des 17. und 18. Jahrhunderts a) Das Motiv der gefangenen Lerche ß) Das Motiv der Lerche in der poetologischen Thematik und die Gegenüberstellung von Nachtigall und Lerche 7) Die Lerche als Vorbild für menschliches Verhalten Zusammenfassung der Ergebnisse des diachronen Teils . . . Überleitung zur Romantik
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DAS MOTIV DER LERCHE IN DER ROMANTIK . . . . Sein Auftreten, seine Gestalt und seine Funktion. Dargestellt am Beispiel dreier romantischer Dichter: Ludwig Tieck, Clemens Brentano, Joseph von Eichendorff Ludwig Tieck Vorbemerkungen 1. Der Wortbestand a) Das Wort Lerche und seine direkten Begleiter . . . . b) Der verbale Bereich c) Die Umstandsergänzungen 2. Die Einbauformen a) Die engere, syntaktische Einbauform b) Die weitere, thematische Einbauform 3. Zusammenfassung Clemens Brentano Vorbemerkungen 1. Der Wortbestand a) Das Wort Lerche und seine direkten Begleiter . . . . b) Der verbale Bereich c) Die Umstandsergänzungen 2. Die Einbauformen a) Die engere, syntaktische Einbauform
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VHI
III.
Inhalt b) Die weitere, thematische Einbauform 3. Zusammenfassung Joseph von Eichendorff 1. Einleitung 2. Der Wortbestand a) Das Wort Lerche und seine direkten Begleiter . . . . b) Der verbale Bereich c) Die Umstandsergänzungen 3. Die Einbauformen a) Die engere, syntaktische Einbauform b) Die weitere, thematische Einbauform a) Einbau des Motivs in eine Eichendorffsche Landschaft ß) Frühlingsthematik y) Morgenthematik ö) Das Motiv in bildhafter Funktion 4. Die Lerche, 1 5. Zusammenfassung
233 239 241 241 245 246 247 252 256 257 261 262 265 268 278 280 299
Schlussbetrachtung Anmerkungen
303 312
Stellenverzeichnis Literaturverzeichnis Register
418 457 476
Einleitung Die vorliegende Arbeit, die das Auftreten, die Gestalt und die Funktion des Lerchenmotivs in der deutschen Literatur, insbesondere in der deutschen Lyrik, zu ihrem Thema hat, versteht sich als Beitrag zur Motivforschung. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die Lerche, eines jener unzähligen, kleinen stofflichen Elemente also, die die Welt dem Dichter als Rohstoff zur künstlerischen Gestaltung und Formung anbietet. Als Naturphänomen ist die Lerche — wenn auch in verschiedener Gestalt — immer und fast überall vorhanden und kann jederzeit dichterischer Vorwurf werden; als Teil eines langen, bis ins Altertum zurückreichenden naturwissenschaftlich-theoretischen und literarischen Schrifttums hat sie zudem ein von der Natur unabhängiges Dasein im europäischen Kulturgut und kann von hier aus jederzeit als Rohstoff für ein neu zu schaffendes Dichtwerk wirken. Es kann nun aber nicht die Aufgabe dieser Arbeit sein, die der literarischen Verwendung des Lerchenmotivs vorausgehende, auf unmittelbarer Anschauung oder theoretischer Vermittlung beruhende Kenntnis eines Autors von dem Vogel zu untersuchen, denn nur in den allerwenigsten Fällen lässt sich diesbezüglich ein direkter Nachweis erbringen 1 . Dennoch soll die Frage nach der Kenntnis der Lerche als eines Naturphänomens nicht ganz fallen gelassen werden; lässt sie sich auch nicht für den einzelnen Dichter beantworten, so doch für seine Zeit. So hat fast jede Zeit eine Reihe theoretischer Schriften hervorgebracht, die die Summe des damaligen Wissens über die Natur und ihre einzelnen Erscheinungen ziehen 2 . Erst auf dem Hintergrund des jeweiligen allgemeinen Wissens einer Zeit können wir die literarische Erscheinungsform eines Naturphänomens richtig beurteilen; so wäre es durchaus falsch, wollten wir in einer Zeit, deren naturwissenschaftliches Schrifttum den Gesang der Lerche mit keinem Wort erwähnt, von der Dichtung erwarten, dass sie den Vogel zu den begabten Sängern rechnet, und ebenso falsch wäre es wiederum, das Fehlen bestimmter Vorstellungen im literarischen Lerchenmotiv einer Zeit auf deren mangelhafte Kenntnis des Vogels allgemein zurückzufuhren, wenn in den gleichzeitigen theoretischen Abhandlungen die Lerche in ihrer Eigenart vollständig erfasst ist. Unsere erste Aufgabe wird es deshalb sein, in Form eines von der Antike bis zum 17. Jahrhundert reichenden Längsschnittes den Stand des Wissens für die jeweilige Zeit aufzuzeigen, wobei als Quellen nicht nur naturwissenschaftliche, sondern auch andere theoretische Texte beigezogen werden müssen.
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Einleitung
Im Anschluss an dieses einführende Kapitel, das ganz der geistesgeschichtlichen Rezeption des Naturphänomens Lerche gewidmet ist, setzt dann die poetologische Untersuchung des Lerchenmotivs als eines rein literarischen Phänomens ein. Dabei gilt es als erstes, die Traditionsgebundenheit des Motivs, d.h. seine Beziehung zu der in der mittellateinischen Dichtung fortlebenden antiken Topik, wie sie Ernst Robert Curtius an verschiedenen Beispielen aufgezeigt hat, zu erforschen, denn ein Motiv, das beim Einsatz der nationalsprachlichen Literatur bereits eine lange literarische Tradition besitzt, ist in seiner Gestalt und in seiner Funktion vielfach schon vorgeprägt und erfährt naturgemäss eine andere Behandlung als ein Motiv, das sich seinen festen Platz in der Dichtung erst langsam erarbeiten muss. Um die Frage der Traditionsgebundenheit abzuklären, stellen wir an den Anfang unserer poetologischen Untersuchung ein Kapitel über das Lerchenmotiv in der antiken und in der nachantiken lateinischen Dichtung. Dabei müssen wir uns aber mit den in den Wörterbüchern und in anderen einschlägigen Werken verzeichneten Stellen begnügen, da eine selbständige Quellenlektüre aus verschiedenen Gründen nicht in Frage kam und auch in anbetracht der bereits geleisteten Vorarbeit wenig sinnvoll erschien. Mag aus diesem Grunde die eine oder die andere Stelle nicht beachtet worden sein, so glauben wir dennoch, mit Hilfe des uns vorliegenden Materials die Frage nach dem Verhältnis des Lerchenmotivs zur literarischen Tradition beantworten zu können. Allerdings bildet die Dichtung der Antike und die von ihr ausgehende mittellateinische Dichtung nur einen Teil der literarischen Tradition, in der die deutsche Dichtung des Mittelalters wurzelt; neben der einheimisch-germanischen ist es vor allem die altprovenzalische und altfranzösische Dichtung, die in der höfischen Zeit zu einer Stoff- und Motivquelle ersten Ranges wird. Obwohl gerade ihr Einfluss im Hinblick auf das Lerchenmotiv von entscheidender Bedeutung sein könnte, muss von einer Miteinbeziehung dieses so umfangreichen Materials abgesehen werden 3 . Nur gelegentlich soll, um der Gefahr der Überbewertung der deutschen Dichtung zu begegnen, ein Blick auf andere nationalsprachliche Literaturen geworfen werden. Nach Abklärung der Frage, inwiefern die literarische Verwendung des Lerchenmotivs der antiken Dichtungstradition verpflichtet ist, setzt der Längsschnitt durch die deutsche Lyrik ein, der vom Mittelalter bis zur Wende des 18. zum 19. Jahrhundert fuhrt. Im Zusammenhang damit seien einige grundsätzliche Bemerkungen vorausgeschickt. Dieser erste, diachrone Teil versucht, so etwas wie eine 'Entwicklungsgeschichte' des Motivs aufzuzeichnen, wobei aber Entwicklungsgeschichte nicht im strengen Sinne des Wortes verstanden werden kann, da uns die für diese letztere notwendigen Voraussetzungen fehlen. Entwicklungsgeschichte im strengen Sinn des Wortes bedarf nämlich einer möglichst lückenlosen Beweiskette, sie muss fehlende Zwi-
Zur Methode
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schenglieder durch Rekonstruktion zu erschliessen suchen und sie hat den Nachweis von Verwandtschafts- und Abhängigkeitsverhältnissen nicht nur innerhalb der eigenen, sondern auch für den Bereich anderer nationalsprachlicher Literaturen zu erbringen 4 . All dies ist aber für unser Motiv nicht möglich: die Reihe der Belegstellen ist alles andere als lückenlos, da aus jeder Zeit nur eine repräsentative Auswahl von Texten getroffen werden konnte; die Datierung der einzelnen Stellen stösst auf sehr grosse Schwierigkeiten, denn häufig sind die Lebensdaten des Verfassers (sofern dieser überhaupt bekannt ist) oder die Zeit der ersten schriftlichen Fixierung (Drucklegung oder Aufzeichnung in einer Handschrift) die einzigen Hilfsmittel für die zeitliche Einreihung einer Stelle, und damit lässt sich nur eine ungefähre, nicht aber eine genaue Chronologie, wie sie die Entwicklungsforschung benötigt, erstellen; zudem ist das Wortmaterial, aus dem sich das Motiv zusammensetzt, vielfach so undifferenziert, dass sprachliche Entlehnungen nur in seltenen Ausnahmefällen direkt nachgewiesen werden können, während bei allen anderen Stellen, die wohl Anklänge an Älteres enthalten, in der Gestalt aber doch so verschieden sind, dass eine direkte Abhängigkeit nicht zwingend erscheint, eine so grosse Zahl von anderen Gesichtspunkten in die Untersuchung miteinbezogen werden müssten, um die Frage nach möglichen Entlehnungen abzuklären, dass der Rahmen der Arbeit gesprengt würde. Mit dem Verzicht auf den Nachweis von Abhängigkeitsverhältnissen im Sinne einer streng entwicklungsorientierten Forschung fällt die Notwendigkeit einer ausschliesslich chronologischen Anordnung der Belegstellen innerhalb der einzelnen, durch Zusammenfassung funktionsgleicher Motive entstandenen Haupt- und Untergruppen dahin, und es können grössere Zeiträume in ihrer Relevanz für die poetologische Problemstellung erfasst werden. Dies ist vor allem dort von zentraler Bedeutung, wo die Quellen so reichlich fliessen, dass die Einzelanalyse, die ein Motiv in seiner spezifischen Erscheinungsform kommentiert, nicht mehr durchführbar ist. Damit kommen wir zu einem weiteren Problem, mit dem sich jede Motivuntersuchung konfrontiert sieht, nämlich zur Frage der Auswahl bzw. der Gesamtpräsentation des Materials. Ein selektives Verfahren, das nur die ergiebigsten Stellen für die Motivanalyse beizieht und die grosse Zahl der anspruchsloseren Stellen einfach übergeht, bietet zwar den Vorteil, dass den wirklich bedeutsamen Stellen mehr Raum gewährt werden kann, wird aber den Anforderungen, die eine diachrone Motivuntersuchung stellt, nicht gerecht, denn die Bedeutung etwa, die ein Motiv für eine bestimmte Zeit hat, lässt sich nicht an einzelnen Höhepunkten, sondern nur an der Gesamtzahl aller gefundenen Stellen ablesen, und die Prävalenz einer speziellen Thematik tritt erst dann zutage, wenn wir auch die zweit- und drittrangigen Belegstellen miteinbeziehen 5 . Ausserdem spielt bei dem selektiven Verfahren der persönliche Standpunkt des Betrachters eine
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Einleitung
entscheidende Rolle, denn dieser bestimmt ja, welche Stellen analysierenswert sind und welche nicht, und damit ist auch immer die Gefahr einer - bewusst oder unbewusst - einseitig orientierten Motivuntersuchung vorhanden 6 . Diese Überlegungen führten in unserem Falle zu dem Entschluss, alle uns bekannten Lerchenmotive in die Arbeit aufzunehmen, auch wenn dadurch deren Umfang sehr stark anschwellen musste. Um dennoch die eigentliche Motivuntersuchung übersichtlich gestalten zu können, drängte sich eine Trennung von darstellendem Textteil und Materialsammlung auf. So finden sich alle Belegstellen für das Lerchenmotiv in der deutschen Literatur am Schluss dieser Arbeit in einem separaten Stellenverzeichnis aufgeführt, wobei die für den diachronen Teil beigezogenen Stellen durchlaufend nummeriert sind, was dem Leser erlaubt, jederzeit auf das einzelne Motiv zurückzugreifen, auch wenn es im Textteil nie in seinem vollen Wortlaut zitiert wird 7 . Das für die Motivuntersuchung gewählte Verfahren ist nicht neu; es wurde unseres Wissens erstmals in dieser Form von Otto Peter Riecken 8 verwendet und für spätere Motivuntersuchungen fruchtbar gemacht. Zur Abklärung von Walthers Verhältnis zur Tradition unterzieht Riecken sowohl das gesamte Wortmaterial, aus dem sich das Motiv aufbaut, wie auch die "Einlagerungsformen" des Motivs innerhalb des einzelnen Gedichtes einer eingehenden Prüfung und gelangt damit bereits zu wichtigen Ergebnissen, die dann anhand einer "für jede einzelne Stelle aus dem lyrischen Werk Waithers in ganzer Breite und Schärfe durchgeführten" (S. 1) Motivanalyse noch vertieft werden. Für die vorliegende Arbeit, die in ihrer Fragestellung zwar ähnlich gelagert ist, in ihrem darzustellenden Zeitraum aber weit über den von Riecken gesteckten Rahmen hinausfuhrt, konnte allerdings die von ihm erarbeitete Methode nicht unverändert übernommen werden. So lässt sich bei einer solchen diachronen Motivbetrachtung die Einzelanalyse nur dort verantworten, wo die Uberschaubarkeit durch die Beschränktheit des gegebenen Materials gewährleistet ist; sobald die Zahl der Belegstellen pro Zeiteinheit und Thematik eine gewisse Grösse erreicht, muss an die Stelle der Einzelanalyse die kollektive Motivanalyse treten, die mittels einer Untersuchung des Wortbestandes9 und der Einbauformen 10 jeweils die Haupttendenzen in der Gestaltung und der Funktion des Motivs bestimmt. Dabei beruht die Anwendung dieser zweiten, kollektiven Form der Motivanalyse auf der Uberzeugung, dass bereits anhand der einzelnen sprachlichen Teilchen, aus denen sich ein Motiv zusammensetzt, und der Art und Weise, wie es in einen grösseren syntaktischen Zusammenhang eingelagert ist, sich wesentliche Erkenntnisse für die poetologische Fragestellung, der die Form und der Gehalt ebenso wichtig wie die stoffliche Seite sind, gewinnen lassen. Dieser Längsschnitt durch die Geschichte des Lerchenmotivs mit seiner geistesgeschichtlichen und poetologischen Zielsetzung bildet die Ausgangsbasis
Zur Methode
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für den zweiten Teil der Arbeit, denn erst auf dem Hintergrund eines grösseren Traditionsstromes lässt sich die Frage einer spezifisch romantischen Ausprägung des Motivs beantworten 1 1 . So hat die Kenntnis gewisser Zusammenhänge mit dem Motivgut der vorhergehenden Epoche vor allem dort als Korrektiv zu wirken, wo wir aufgrund unseres Vorverständnisses dessen, was Romantik sein soll, dazu neigen, einzelne Phänomene überzubewerten und als neu und zugleich auch als zeittypisch zu betrachten, ohne dass sie es wirklich sind 1 2 . Es kann indessen nicht die Aufgabe der vorliegenden Arbeit sein, in ihrem zweiten Teil einen umfassenden Querschnitt durch die romantische Lerchenmotivik zu geben, da die Zahl der Dichtwerke und die Vielfalt der Uterarischen Strömungen in dieser Epoche, als deren zeitliche Abgrenzung die Jahreszahlen 1795 für den Beginn und 1830 für das Ende genannt werden 1 3 , so gross ist, dass eine systematische Sichtung des ganzen Quellenmaterials ausserhalb der Möglichkeiten einer Arbeit wie dieser hier liegt. Es gilt deshalb, zuerst die Fülle der aus dieser Zeit stammenden Dichtwerke durchzugehen und eine der spezifischen Problemstellung entsprechende Auswahl zu treffen. Dabei sind bei der Wahl der einzelnen Dichter und Werke die folgenden Gesichtspunkte zu berücksichtigen: 1. Aus dem geistesgeschichtlichen Ansatz, der der Frage nach einer spezifisch romantischen Ausprägung des Lerchenmotivs zugrunde liegt, leitet sich die Forderung ab, dass nur jene Autoren zu berücksichtigen sind, deren Zugehörigkeit zur romantischen Bewegung unbestritten ist. Damit scheidet eine ganze Reihe wichtiger Autoren dieser Zeit von vorneherein aus: Goethe, Schiller, Hölderlin und - wenn auch mit einigem Zögern - Jean Paul und Kleist 14 . Natürlich sind wir uns durchaus bewusst, dass eine solche Vorentscheidung aufgrund eines so umstrittenen Epochenbegriffs wie des der Romantik eine äusserst fragwürdige Sache ist, doch glauben wir sie in diesem speziellen Fall, wo es um die Repräsentativität des einzelnen Dichters für eine ganz bestimmte literarische Strömung geht, die unter dem Kennwort romantisch läuft, verantworten zu können. 2. Von der Überlegung ausgehend, dass sich innerhalb der romantischen Dichtung selbst noch eine Entwicklung des Lerchenmotivs vollziehen könnte, scheint es angezeigt, die Auswahl so zu treffen, dass sowohl die Früh- wie auch die Spätphase angemessen vertreten sind. Dabei stützen wir uns auf die in der Forschung geläufige, allerdings sehr grobmaschige Einteilung in Vertreter der älteren Romantik mit Jena als Mittelpunkt und solche der jüngeren Romantik mit Heidelberg als Ausgangspunkt, um wenigstens eine gewisse zeitliche Differenzierung zu erhalten. 3. Der eigentliche Schwerpunkt der Untersuchung hat - in Übereinstimmung mit der vorangehenden diachronen Motivbetrachtung — auf der roman-
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Einleitung
tischen Lyrik zu liegen, wobei auch der Frage nach einer möglichen Gattungsaffinität zwischen Lerchenmotivik und Lyrik in der Romantik die ihr zustehende Beachtung geschenkt werden muss. Dies bedingt zwar, dass sich die Untersuchung nicht auf die Gattung der Lyrik beschränken kann, sondern dass sie, um die Basis für einen Vergleich zu schaffen, jeweils auch das erzählerische und dramatische Werk eines Dichters berücksichtigen muss, da sich eine solche Gattungsaffinität nur anhand von ganz konkreten Zahlen, die über die Verteilung der Belegstellen auf die einzelnen Gattungen Auskunft geben, beweisen lässt. Auch andere Fragenkomplexe — etwa die Prävalenz eines bestimmten Aspekts im Motiv (z.B. des Aufflugs oder des Gesangs) oder eine eventuelle Sonderentwicklung des Motivs innerhalb der Lyrik — können einzig mittels Motiwergleichen abgeklärt werden. Dennoch kommt der Lyrik das grösste Gewicht zu, da von ihr die schönsten Ergebnisse für die spezifisch romantische Ausprägung des Motivs erhofft werden. 4. Die Notwendigkeit der Beschränkung auf einige wenige Autoren, deren Werk stellvertretend für viele andere untersucht werden soll, legt es nahe, nur solche Romantiker zu berücksichtigen, deren Leistungen auf dem Gebiet der Lyrik eine gewisse Bedeutung erlangt haben. Dies sind für die frühromantische Phase Novalis und Tieck, für die hoch- und spätromantische Brentano und Eichendorff 15 . Dass von diesen vier für die detaillierte Motivanalyse vorgesehenen Dichtern dann nur drei, nämlich Tieck, Brentano und Eichendorff, in ihrem Motivbefund vorgeführt werden, hat seinen Grund nicht in einer weiteren selektiven Massnahme, sondern geht auf den Umstand zurück, dass sich Novalis' dichterisches Werk als völlig unergiebig für unser Motiv erweist und deshalb für die Untersuchung ausscheidet. Die Motivanalyse ist für jeden dieser drei Dichter getrennt vorzunehmen, wobei aber für alle das gleiche Verfahren zur Anwendung gelangt. In einem ersten Durchgang wird das ganze Wortmaterial des Motivs gesichtet 16 und in seiner Bedeutung für die Motivinterpretation kommentiert, in einem zweiten wird die Frage der syntaktischen Einbauform und das gemeinsame Auftreten mit anderen Motiven behandelt, und erst im Anschluss an diese Voruntersuchungen folgt dann die eigentliche Motivanalyse, die die Funktion und den Stellenwert des einzelnen Motivs innerhalb eines grösseren thematischen Kontextes zu bestimmen sucht. Eine solche für jeden Dichter separat durchgeführte Motivuntersuchung erlaubt es uns, die Fragen, die sich im Zusammenhang mit der allerdings nur thesenartig formulierten spezifisch romantischen Ausprägung des Motivs und seiner Affinität zur romantischen Lyrik stellen, für jeden Dichter gesondert zu beantworten und dadurch sowohl individuell bedingten Unterschieden Rechnung zu tragen als auch die Möglichkeit einer 'innerromantischen' Entwicklung des Motivs zu berücksichtigen. Erst in der Schlussbetrachtung wird dann der Versuch unternommen, gewisse überindi-
Zur Terminologie
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viduelle, gleichsam zeittypische Momente im Motiv herauszukristallisieren und damit der zugrundeliegenden geistesgeschichtlichen Problemstellung soweit als möglich gerecht zu werden. Bevor wir uns aber der eigentlichen Untersuchung zuwenden können, müssen hier noch zwei grundsätzliche Probleme, die sich im Zusammenhang mit der vorliegenden Arbeit und ihrer eher ungewöhnlichen Zielsetzung immer wieder stellen, erörtert werden. Das erste betrifft die Frage der Terminologie und das zweite die der Sekundärliteratur. Schon diese einführenden Bemerkungen haben erkennen lassen, dass ein differenzierter Gebrauch der einzelnen literaturwissenschaftlichen Begriffe, wie ihn die moderne Forschung in ihrem Bemühen um begriffliche Klarheit und Eindeutigkeit fordert, in einer motivgeschichtlichen Arbeit wie der unseligen nicht möglich ist. So müssen wir uns begnügen, Begriffe wie Lyrik, Romantik u.a. in ihrem herkömmlichen, unreflektierten Sinn zu gebrauchen und die Diskussion um deren genauen Bedeutungsgehalt anderen Arbeiten, die in ihrer Themastellung besser dafür geeignet sind, zu überlassen. Einzig für den Begriff Motiv sei hier eine Ausnahme gemacht, da seine Verwendung in der vorliegenden Arbeit von der sonst in der Motivforschung üblichen Begriffsbestimmung abweicht. Es ist das grosse Verdienst Elisabeth Frenzeis, ein Handbuch für die Stoffund Motivforschung geschaffen zu haben, das eine äusserst wertvolle Hilfe für jeden, der sich mit diesem so problematischen Forschungszweig der Literaturwissenschaft befasst, darstellt 17 . Nicht nur bemüht sich die Verfasserin um eine gegenseitige Abgrenzung der Begriffe Stoff und Motiv, sondern sie gibt anhand praktischer Beispiele auch zahlreiche Hinweise, wie eine Stoffoder Motivuntersuchung methodisch sinnvoll aufgebaut werden kann und welche Gefahren den einzelnen, von der Forschung beschrittenen Wegen drohen. In der Auseinandersetzung mit den von ihr vorgebrachten und abgehandelten Problemstellungen hat die vorliegende Motivuntersuchung ihre jetzige Gestalt angenommen, und wenn sie auch in einigen Punkten den Darlegungen Elisabeth Frenzeis zu widersprechen scheint, so ist sie doch ohne deren befruchtende Anregungen nicht denkbar. Bei der Bestimmung des Begriffs Motiv kommt Elisabeth Frenzel zu der folgenden Definition, die aber erst vorläufige Gültigkeit hat: "Das Motiv stellt ein stoffliches, situationsmässiges Element dar, dessen Inhalt knapp und allgemein formuliert werden kann" (S. 12); es ist "nach zwei Seiten hin festgelegt, der geistigen und der formalen. Es ist nicht rein-geistig, denn es hat einen bildhaften Charakter, aber es ist auch nicht nur-bildhaft, denn es besitzt seelisch-geistige Spannung" (S. 13); "es taucht fast nie, nicht einmal in der Lyrik, allein auf, sondern immer nur im Verein mit anderen Motiven und anderen kleineren stofflichen Bausteinen. Seine Kontaktfähigkeit und sein Amalgamierungsvermögen befähigen es, ebenso schnell Bindungen mit anderen Motiven einzugehen wie zu
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Einleitung
lösen, und so erscheint es stets in leichtgewandelter Form und in neuem Gewände" (S. 13 f). Nach ihr verdient den Namen Motiv also nur, was eine seelisch-geistige Spannung in sich trägt und dadurch gleichsam eine Handlungssituation in nuce abgibt; was keine solche situationsmässige Funktion hat, bekommt bei ihr den Namen Zug. "Der Zug", so schreibt sie, "ist eine noch kleinere stoffliche Einheit als das Motiv — klein im Sinne nicht der Erstrekkung, sondern im Sinne von Bedeutung und Funktion. Der Zug dient der Erzeugung von Stimmung, er charakterisiert und er schmückt, ohne dass er sich 'selbständig in der Überlieferung erhalten' könnte" (S. 17). Diese Unterscheidung zwischen einem als funktionstragend definierten Motiv und einem als Beigabe gedeuteten Zug mag für die erzählende und die dramatische Gattung, die es mit viel grösseren Einheiten zu tun haben, durchaus ihre Richtigkeit haben, für die Lyrik dagegen ist sie äusserst problematisch, denn wer mag hier entscheiden, wo die Grenze zwischen Motiv und Zug verläuft 18 . Zwar hat bereits Riecken in seiner Arbeit über das Motiv des vogellins bei Walther von der Vogelweide etwas'formuliert, was zweifelsohne auch auf unser Motiv zutrifft, dass nämlich "nicht überall, wo von den Vögeln die Rede ist, auch wirklich ein Motiv des vogellins vorliegt" 19 , doch lässt er sich dann bei der Motivanalyse auf die Unterscheidung von Motiv und Zug nicht mehr ein, sondern gebraucht durchgehend den Terminus Motiv. Dies mag allerdings noch einen anderen, pragmatischen Grund haben, der darin beruht, dass im Zusammenhang mit den Vögeln das Wort Zug bereits von der Naturwissenschaft belegt ist, indem die Begriffe Vogelzug, Lerchenzug für die alljährlichen Wanderzüge zwischen dem Winter- und dem Sommerquartier gebraucht werden. Somit scheidet es für den literaturwissenschaftlichen Gebrauch in diesem speziellen Falle aus . Diese sprachliche Eigenart und die oben erwähnte Schwierigkeit der Abgrenzung nach Funktion gaben den Ausschlag zur Beibehaltung des Begriffs Motiv für alle Arten von Lerchenstellen, unabhängig davon ob diese nun eine funktionale oder nur eine schmückende Aufgabe erfüllen. Um dennoch aber eine begriffliche Unterscheidung zwischen dem einzelnen Motiv und dem ihm übergeordneten Ganzen, als dessen Teil es erscheint, zu machen, wird für dieses letztere der Begriff Thematik verwendet 21 , d.h. dem Frenzeischen Motiv entspricht unser Thematik und ihrem Zug unser Motiv, wobei sich diese Begriffe aber nicht absolut decken. Diese terminologische Klarstellung soll allfälligen Missverständnissen, die sich aus der unterschiedlichen Handhabung der Begriffe ergeben könnten, vorgreifen. Das zweite grundsätzliche Problem stellt sich im Zusammenhang mit der Sekundärliteratur. Diese ist, was die Lerche als poetisches Motiv betrifft, ausgesprochen dürftig; die wenigen Arbeiten zu diesem Thema stammen aus dem französischen und englischen Sprachgebiet und berühren die deutsche
Zur Sekundärliteratur
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Literatur höchstens ganz am Rande 2 2 . Einzig in der Sekundärliteratur zu Eichendorff wird die Lerche als stehendes Motiv seiner Landschaften verschiedentlich erwähnt, und auch ihre Bedeutung für die Morgenthematik ist hier Gegenstand der Untersuchung geworden; die ausführlichsten Erörterungen zu unserem Motiv enthalten die in neuerer Zeit erschienenen Arbeiten von Peter Schwarz, Alexander von Bormann und Heinz Hillmann 23 , doch sind es immer nur Teilaspekte des Motivs, die entsprechend der jeweiligen Themastellung zur Sprache kommen. Eine geschlossene Darstellung des Motivs in all seinen Erscheinungsformen, wie sie das Ziel dieser Arbeit ist, liegt auch für Eichendorffs Dichtung bis anhin nicht vor. Wenn aber trotz dem offensichtlich geringen Interesse der Sekundärliteratur an unserem Untersuchungsgegenstand dennoch eine Reihe von Studien und Abhandlungen beigezogen wurden, so geschah dies vielfach in der Hoffnung, vereinzelte Hinweise auf Lerchenstellen zu erhalten, d.h. die Sekundärliteratur diente vorwiegend als Materialsammlung. Nicht möglich war es dagegen, kritische Abhandlungen zu den einzelnen Epochen und Dichtern, deren Motive analysiert werden, zu berücksichtigen, da dies ins Uferlose geführt und der Aufwand in keinem Verhältnis zum Ertrag gestanden hätte. Aus diesem Grunde wird auch in der Arbeit selbst darauf verzichtet, die grösseren geistesgeschichtlichen Zusammenhänge (etwa die veränderte Einstellung des Menschen zur Natur seit Renaissance und Humanismus oder die fortschreitende Säkularisierung des christlichen Bild- und Gedankenguts im 18. Jahrhundert), sofern sie nicht unmittelbar ins Motiv hineinspielen und von hier aus greifbar werden, in die Darstellung miteinzubeziehen. Dass dies sicher einer der grossen Nachteile ist, die eine Motivuntersuchung, die einen solch kleinen Baustein der Dichtung zum Gegenstand hat, mit sich bringt, bleibt unbestritten. Wie weit aber diese Nachteile durch die Vorteile, die die Beschränkung auf ein kleines Motiv bietet, aufgewogen werden können, muss dem Urteil des Lesers anheimgestellt bleiben. Die Verfasserin selbst betrachtet ihre Arbeit als einen Versuch, und als solcher mag diese als Beitrag an die Motivforschung betrachtet werden.
A. DAS MOTIV DER LERCHE VOR DER ROMANTIK. VERSUCH EINES DIACHRONEN SCHNITTES VON DEN ANFÄNGEN BIS ZUM AUSGEHENDEN ACHTZEHNTEN JAHRHUNDERT
I. Die Lerche in naturwissenschaftlichen Schriften, in Enzyklopädien und in Abhandlungen verschiedener Art von der Antike bis zum 17. Jahrhundert 1. Antike und spätantike Naturwissenschaft Beginnen wir unsere Untersuchung mit dem Werk, das nicht nur für die ganze antike Naturwissenschaft, sondern auch für die mittelalterliche und die humanistische von ausserordentlicher Bedeutung war, mit der Tierkunde des Aristoteles. Aristoteles unterscheidet zwei Arten von Lerchen: die eine bleibt am Boden, hat eine Haube und lebt nicht in Schwärmen, die andere ist ähnlich gefärbt, aber etwas kleiner, lebt in Schwärmen und hat keine Haube (IX, 25 / § 617 b 19) 1 . Diese zweite Lerchenart wird auch als Speise genossen (IX, 25). Weiterhin weiss Aristoteles zu berichten, dass die Lerche — und zwar beide Arten — auf dem Boden niste und ihre Eier mit Reisig bedecke, um den Brutplatz gegen Wind zu schützen (VI, 1 / § 559 a 2), dass sie sich nie auf einen Baum setze (IX, 8 / § 614 a 33), dass sie im Staub bade (IX, 49 / 633 b 2), dass der Kuckuck seine Eier in ihr Nest lege (IX, 29 / § 618 a 10) und dass sie andern Vögeln die Eier wegfresse (IX, 1 / § 609 b 27 und 609 a 7). Auch glaubt er, dass sie sich im Winter verstecke (VIII, 16 / § 600 a 21). Ihren Gesang erwähnt Aristoteles nicht. Pischinger hat dafür einen einleuchtenden Grund gegeben: da der Vogelgesang hauptsächlich zur Brutzeit ertöne, seien den Griechen eine Reihe von bekannten Singvögeln wie Drossel, Star, Feldlerche und Grasmücke, die in nördlicheren Gegenden brüten, nicht als Sänger, sondern nur als herbstliche Leckerbissen bekannt gewesen2. Die in Griechenland heimische Haubenlerche hat einen eher bescheidenen Gesang. Plinius, die andere Autorität auf dem naturwissenschaftlichen Gebiet, widmet der Lerche in seiner Naturgeschichte nur wenige Worte. Er fuhrt sie als Beispiel eines Vogels an, der einen Schopf oder eine Haube hat, und kommentiert ihren Namen: praeterea paruae aui, quae, ab illo galerita appellata quondam, postea Gallico uocabulo etiam legioni nomen dederat alaudae3. Dass der ursprüngliche lateinische Name galerita (abgeleitet von galerus, die Pelzmütze, -haube) noch längere Zeit nebem dem mit der fünften Legion, die sich vorwiegend aus Galliern rekrutierte, eingedrungenen Wort alauda gebraucht wurde, zeigt eine Stelle bei Marcellus medicus empiricus, der im fünften nachchristlichen Jahrhundert noch beide Namen anführt:
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Colo et omnibus intestinorum doloribus et tarn hominibus quam iumentis ex hac re laborantibus efficacissime subuenit auis galerita, quae Gallice alauda dicitur, siue ipsa assata in cibo sumatur siue cum plumis suis combusta redigatur in cinerem atque ex eo diligentissime trito tema cocliaria ex aqua calida potui per triduum dentur4. Ob Marcellus wirklich die Haubenlerche meint, ist nicht sicher, da er an einer andern Stelle ebenfalls im Zusammenhang mit Darmschmerzen von der Alauda als einem Vogel spricht, der den Menschen durch seine süsse Stimme erfreue: Corydallis auis, is est quae alauda uocatur, quae animos hominum dulcidine uocis oblectat, [... ]5. Galen, der berühmte griechische Arzt aus dem 2. Jahrhundert n. Chr., dessen Schriften neben denen des Hippokrates zu Lehrschriften der mittelalterlichen Medizin wurden, empfiehlt ebenfalls Lerchensuppe und Lerchenbraten bei Darmkolik 6 . Nach ihm ist die Lerche ein Vogel, dem man vor allem an Wegen begegnet. Im Zusammenhang mit der Haube der Lerche zitiert er eine Stelle aus den Vögeln des Aristophanes, wo eine aitiologische Sage darüber erzählt wird, und kommentiert das Epitheton epitymbidios, das Theokrit mit der Lerche verbindet 7 . Durch Galens Vermittlung gelangten also nicht nur naturwissenschaftliche, sondern auch literarische Überlieferungen aufs Mittelalter. Wie Galen beschränkt sich auch der Römer Claudius Aelianus in seinen Tiergeschichten weitgehend darauf, bereits Gesagtes zu wiederholen. Dass die Lerche Gras zu ihrem Schutz nehme, deutet er als Beweis für eine geheime und bewundernswürdige Kraft der Natur, durch welche sich die vernünftigen Tiere vor den Augen der Neidischen und der Gaukler hüten8. Ausserdem glaubt er, dass der Senfsame für eine Lerche tödlich sei (VI, 46). In die Lebenszeit Aelians fällt auch die Entstehung des Physiologus, eines Werkes, das die mittelalterlichen Schriften zur Naturwissenschaft ausserordentlich stark beeinflusste und das mehr als ein Jahrtausend seinen Platz neben der Bibel behaupten konnte 9 . Dieses Buch verbindet sog. "naturwissenschaftliche" Fakten mit typologischem Denken, wobei der moraltheologische oder heilsgeschichtliche Bezug im Vordergrund steht 1 0 . Angesichts der tiefen Wirkung, welche der Physiologus auf das wissenschaftliche und das dichterische Schrifttum des Mittelalters hatte, ist es für unsere Untersuchung von grosser Bedeutung, dass die Lerche keinen Eingang in dieses Buch gefunden hat 1 1 . Dies hatte einerseits zur Folge, dass sie nicht zu den bekannten und beliebten Symboltieren des Mittelalters gehörte; andererseits ermöglichte gerade der Umstand, dass sie nicht gebunden an einen ganz bestimmten Vorstellungskreis erschien, eine unbefangenere, freiere Verwendung in der Dichtung und ein Uberleben in einer Zeit, die den Physiologus und die mit
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ihm zusammenhängenden Tiervorstellungen als veraltet und "unwissenschaftlich" ablehnte. 2. Früh- und hochmittelalteriiche Texte als Zeugnisse für die Kenntnis der Lerche Neben dem spätantiken Physiologus bilden die Etymologien Isidors von Sevilla eine weitere wichtige Quelle für die mittelalterliche Naturwissenschaft. Isidor bezieht sein Wissen vor allem aus den damaligen Handbüchern und aus den Schriften der Kirchenväter, durch deren Vermittlung einiges Material aus dem Physiologus in Isidors Werk fliesst. Obwohl Isidor auch andere als im Physiologus beschriebene Vögel aufnimmt, so zum Beispiel die Nachtigall, fehlt bei ihm jegliche Aussage über die Lerche 12 . Dass aber die Lerche als Vogel in der damaligen Zeit bekannt war, beweist eine Stelle aus der Historia Francorum Gregors von Tours. Gregor berichtet von einer Epidemie, welche einen Grossteil der Bevölkerung in jener Gegend dahinraffte, und erwähnt ausser Kometenerscheinungen auch den folgenden Vorgang, den er als Omen deutet: In eclesia vero Arverna, dum matutinae caelebrarentur vigiliae in quadam festivitate, aves coredallus, quam alaudam vocamus, ingressa, omnia luminaria quae lucebant, alis superpositis in tanta velocitate extinguit, ut putaris, ea in unius hominis manu posita aquae fuisse submersa; in sacrarium autem sub velo transiens, cicindelum extinguere voluit; sed ab ostiariis prohibita atque occisa est. Simili et in basilica beati Andreae de lichinis lucentibus avis 13
aliafecit . Freilich dürfen wir dieser Stelle kein allzu grosses Gewicht beimessen, handelt es sich doch um eine Art von Wundergeschichte, wobei sich schon Gregor auf Berichte von dritter Seite stützen musste, da er wohl kaum bei dem Vorfall selbst anwesend war. Immerhin finden wir hier den Beweis, dass man im 6. Jahrhundert in Frankreich einen Vogel namens alauda kannte und ihn mit dem griechischen Wort für die Haubenlerche in Verbindung brachte. Einen ähnlichen Beweis liefert uns im 9. Jahrhundert der LiberMiraculorum des Adelmus / Adalhelmus, der als Bischof von Seez in Frankreich bezeugt ist. Im 14. Kapitel der Miraculis S. Opportunae erzählt er den folgenden Vorfall: Quodam igitur die multi congregati deferentes vota sua, veniebant ad Oratorium sanctae Opportunae: inter quos pauperrima femina ambulans cum nihil haberet quod secum ad Ecclesiam deferret, vidit aviculam nomine Acredulam, quam vulgus vocavit Alaudam: quam videns plena fide dixit: Domina Opportuna, si tibi placet, veniat haec avis ad me, ut habeam quod tibi possim deferre. Statim avicula super eam resedit, et ipsa femina eam super altare
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posuit . Wie bei Gregor von Tours ist auch hier die Nennung der Lerche von keinem gattungsspezifischen Merkmal abhängig, d.h. anstelle der Lerche könnte jeder andere Vogel stehen. Dass aber die Lerche namentlich angeführt wird, darf man als einen Hinweis verstehen, dass dieser Vogel bei den breiteren Schichten der Bevölkerung Frankreichs bekannt gewesen sein muss — Adelmus spricht von vulgus - lange bevor er in das naturwissenschaftliche Schrifttum des Mittelalters Eingang fand. Beide Texte, derjenige von Gregor und derjenige von Adelmus, legen ausserdem die Vermutung nahe, dass der Name alauda als umgangssprachlich gewertet wurde, der in eine allgemein verständliche Gelehrtensprache umgesetzt werden musste: so wählt Gregor das griechische Wort coredallüs, während Adelmus das lateinische Wort acredula bringt, das sonst für die Nachtigall gebraucht wird 15 . Noch zwei weitere Texte, der eine aus dem 11. und der andere aus dem frühen 12. Jahrhundert, zeigen uns, dass die Lerche den Menschen dieser Zeit durchaus bekannt war. So heisst-es in einer Abhandlung über den Bau von Orgelpfeifen, dass die Pfeifen so beschaffen sein müssen, dass das Innere aller Pfeifen in der oberen Öffnung ein Taubenei, in der unteren ein Lerchenei aufnehmen könne: ut concauitas omnium fistularum in superiori foramine ouum columbae in inferiori ouum lodic [/' vel] alaude possit recipere16. Diese Stelle, die ganz präzise Anweisungen für den Orgelbauer enthält, setzt voraus, dass sowohl Tauben- als auch Lercheneier in ihrer Grösse allgemein bekannt oder leicht zu beschaffen waren, woraus wir durchaus schliessen dürfen, dass die Lerche wenigstens in derjenigen Gegend, wo dieser Orgeltraktat abgefasst wurde, ein häufig anzutreffender Vogel war. Allerdings wissen wir nicht genau, aus welcher Gegend er stammt; doch lässt der Gebrauch des Wortes lo17 dici, das als Synonym für alauda steht, auf ein romanisches Land schliessen . Gibt uns dieser Text lediglich Aufschluss über die Kenntnis der Lerche als eines einheimischen Vogels, so liefert uns der andere der beiden Texte einen ersten Beweis für die Wertschätzung, die man im 12. Jahrhundert dem Gesang der Lerche entgegenbrachte. Es handelt sich um eine Stelle aus der Abhandlung De divinis offlciis per anni circulum des Rupertus (bekannt als Mönch von Lüttich und Abt von Deutz, gestorben 1130). Rupertus schreibt im Zusammenhang mit der Osterantiphon Sedit angelus ad sepulcrum domini folgendes: Haec enim antiphona rem ipsam patenter exprimit, quam perdocere omnes gentes jussi sunt apostoli, scilicet, quod Deus homo factus, mortem nostram moriendo devicit, et vitam nobis resurgendo reparavit. Cui rei valde et ipsa, quae dictis insita est, congruit melodia, dum cantus is tetrardi [tetradis] garrulitate concinnus, agili recursu festiva dicta suspendens frequenter tripudiat, et laeta pronuntians, velut alauda matutina per vocum suarum saepe voli-
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tat acumina. Haec igitur statio nobis illud festivo concentu commemorat, quod in Galilaea jussi a Creatore suo coeli enarraverunt gloriam Dei, gloriam resurrectionis Jesu Christi, sicut legimus, quia virtute magna reddebant apostoli testimonium resurrectionis Jesu Christi Domini nostri18. Dieser Text ist für uns insofern aufschlussreich, als die Lerche hier erstmals in religiösem Schrifttum in der Form eines Vergleichs eingeführt wird. Als Ausgangspunkt des Vergleichs dient eine gewisse Ähnlichkeit zwischen dem Gesang der Lerche und einem ganz bestimmten kirchlichen Chorlied. Bei diesem letzteren handelt es sich um eine Antiphon, die die Verkündigung von der Auferstehung Christi zum Thema hat. Dem freudigen Inhalt der Auferstehungsbotschaft entspricht — soweit lässt sich der Text der Stelle mit einiger Sicherheit ausdeuten — die Art und Weise der musikalischen Tonfiihrung. Wie diese aber im einzelnen beschaffen ist, können wir ohne direkte 19
Kenntnis der zur Diskussion stehenden Antiphon nicht entscheiden . Beschränken wir uns deshalb darauf, das als Vergleich eingeführte Lerchenmotiv genauer zu betrachten. Drei Dinge zeichnen die Lerche aus: als erstes wird sie matutina genannt, d.h. zum ersten Mal klingt hier die Morgenthematik im Zusammenhang mit ihr an, als zweites werden Gesang und Flug in einer sprachlichen Einheit begriffen, d.h. die für den Vogel so charakteristische Verbindung von Singen und Fliegen findet ihren Ausdruck in einer entsprechenden Formulierung (per vocum suarum ... volitat acumina), und als drittes tritt ein iteratives Moment dazu in dem Adverb saepe, d.h. die Erscheinung der am Morgen singend fliegenden Lerche ist nicht ein einmaliges Geschehen, sondern ein wiederholtes und damit auch ein vertrautes. Im Gegensatz zu den beiden vorhergehenden Stellen bei Gregor von Tours und Adalhelmus wird die Lerche bei Rupertus erstmals in ihrer ganz spezifischen Eigenart erfasst, wobei allerdings nur der Flug, nicht aber der Aufschwung miteinbezogen werden. 3. Naturwissenschaftliche und enzyklopädische Werke des Hoch- und Spätmittelalters Unter den naturwissenschaftlichen Schriften des Mittelalters widmet erst die im 12. Jahrhundert verfasste Naturkunde der Benediktinerin Hildegard von Bingen der Lerche einen grösseren Abschnitt. Hildegard bestimmt zuerst die Art des Vogels nach Wärme und Feuchtigkeit, beschreibt seine Eigenschaften und untersucht seinen Nutzen für den Menschen als Nahrungsmittel und seine Verwendbarkeit zu medizinischen Zwecken: Lercha valde calida est et aridae naturae, et aestatem diligit, ac in splendore solis libenter volat, et in calore viget, sed in frigore faciliter perit, et
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wunsam est et astuta, ac munda pascua quaerit, et nec sanis nec infirmis hominibus ad comedendum valet. Sed si alicui hominiguttur turnet, id est swillet, accipe lercham, et capite ac visceribus et pennis abjectis, reliquum corpus super calidum laterem paulatin sicca, sie tarnen nec comburas, et de pulvere milwae [tiliae ed] ad pondus trium nommorum adde, et ita in pannum liga, ac in panno super guttur illius constringe, et tumor ille fugitabitur. Et si magnum swern [ulcus ed. ] alieubi in corpore tuo habes, eumdem puherem desuper liga,et propter eamdem naturam et virtutem suam, ut praefatum est, idem ulcus molle erit et rumpetur. Quod si etiam drusze [glandes ed. ] habes, eas saliva tua prius madefac, et puherem praefatum in panno desuper liga, et evanescent. Et si canis furit, caput ludulae abscide, et idem caput furenti cani ad comedendum da, et furorem dimittit et mansuetus fiet20. Hildegard gibt uns als erste eine genauere Beschreibung der in Deutschland heimischen Lerche, wobei diese Beschreibung allerdings sowohl auf die Heide- als auch auf die Feldlerche passt, so dass wir nicht sagen können, welche speziell gemeint ist. Vieles, was Hildegard über diesen Vogel sagt, hat heute noch seine Gültigkeit: die Lerche liebt die warme Jahreszeit, sie fliegt gern bei Sonnenglanz und bevorzugt trockenes Weideland 21 . Dass die Lerche bei Kälte leicht zugrunde geht, scheint nicht ganz zu stimmen 22 . Den Boden der Naturbeobachtung verlässt Hildegard mit der Feststellung, dass die Lerche wunsam (mit wunne verbunden, wunne erregend) und astuta (listig, schlau, verschlagen) sei. Leider findet sich kein Hinweis, weshalb der Lerche diese Eigenschaften zugeschrieben werden. Das wunsam könnte sich auf den für den Menschen erfreulichen Gesang der Lerche, der als Zeichen für das Nahen der warmen Jahreszeit verstanden wurde, beziehen. Die diesem Vogel zugeschriebene Schlauheit könnte sich aus der Kenntnis Hildegards auf dem Gebiet der Fabelliteratur erklären. Vielleicht kannte sie die Geschichte von dem Wolf, dem Fuchs und der Lerche, die einen gefundenen Schinken teilen sollten 23 . In dem letzten Viertel des zwölften Jahrhunderts entstand schon unter dem Einfluss der mit den Aristoteles-Übersetzungen verbundenen Versuche, das gesamte Wissen der Zeit in der Form einer Enzyklopädie darzustellen, das Buch De naturis rerum des Engländers Alexander Neckam 24 . Da sich keine Handschriften von diesem Werk ausserhalb von England erhalten haben, wurde es fälschlicherweise als ohne Wirkung auf die grossen Enzyklopädisten des 13. Jahrhunderts bezeichnet und von der Forschung übergangen, obwohl sich Vinzenz von Beauvais ausdrücklich auf Alexander beruft. Schon allein der Vergleich zwischen dem Text von Neckam und den entsprechenden Lerchenstellen in den Schriften eines Thomas von Cantimprä, eines Vinzenz von Beauvais und eines Albertus Magnus zeigt, dass wir die Bedeutung Neckams nicht unterschätzen dürfen. Von der Lerche weiss er folgendes zu
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berichten: Cap. LXVIII De alauda Alauda a laude diei nomen sortita est. Nunquam ipsam ortus aurorae etiam accelerantis fallii, sed in praeconia diei laetabunda exsurgit praecentrix. In sublime volat, gyris proportionalibus ascendens, sed et auroram salutans, varietate dulci commendabile melos modulatur. Horis diei singulis fertur laetis modulationibus praeconia decantare. Et dum laudibus se totam dedit, nomen a laude jure sibi impositum protestatur. Haec igitur avis desides arguit somnolentiae, et contemplativorum studia ex parte repraesentat. Nunquam impuris vescitur, nec in rebus inhonestis vir honestus delectatur. Goleata autem alauda, quae a nonnullis a cirrita dicitur, caeteris alaudis praeferenda est, in k systematum argutis distinctionibus. Haec est Scylla Nisi, quae ideo patri suo dicitur furata esse aureum crinem, quia in diluculo, cujus quasi custos est alauda, subtractus est furto thesaurus Nisi. Ad litteram etiam ipsa furata est patri divitias suas, et optulit Minoi, a quo repudiata est. Commentatores dicunt eam ideo dici repudiatam a rege Cretensi, quia in Creta rara avis est alauda. Marginalien: a cirros idem est quod crinis b Systema secundum musicos est minutissima vocis particula25. Auf Neckam geht also die später so geläufige Etymologie des Wortes alauda zurück, die das ursprünglich keltische Wort mit lateinisch laus (Lob) in Verbindung bringt. Neckam zeigt eine besondere Vorliebe für solche Worterklärungen, die sich an vielen Stellen in seinem Werk finden und die durchaus einen eigenständigen Charakter tragen 26 . Auf diese Etymologie laus diei ist die eigentliche Beschreibung des Vogels ausgerichtet: der Lerche entgeht nie das Kommen der Morgenröte und sich der Freude hingebend steigt sie auf in die Verkündigung des Tages. Sie fliegt in der Höhe, steigt in Kreisen auf und begrüsst die Morgenröte, indem sie ihre Lieder durch süsse und nachahmenswerte Modulationen variiert. Dass die Lerche den Beginn einer jeden Stunde auf solche Weise anzeige, bringt Neckam in der Form eines fertur (es wird gesagt). Die Beschreibung endet damit, dass Neckam noch einmal auf die Etymologie hinweist mit der Bemerkung, dass der Vogel den ihr verliehenen Namen zu Recht trage. Die sich anschliessende moralische Ausdeutung macht die Lerche zur Verkörperung des eifrigen Strebens jener, die in der Kontemplation leben. Wie die Lerche sich nie von unreinen Dingen nährt, so wird auch der vir honestus nicht durch rebus inhonestis erfreut. Als spezifische Art nennt Neckam die alauda goleata (galerita), die auch cirrita (cristata) von einigen genannt werde. Diese sei den andern Lerchen vorzuziehen in bezug auf die deutlichen Unterschiede des [musikalischen] Systems. Die nachfolgende Erzählung, welche die Lerche mit Scylla, der Tochter
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des Nisus, die ihrem Vater ein goldenes Haar stahl und mit seinen Reichtümern zu Minos ging, um dessen Frau zu werden, von diesem aber verschmäht wurde, identifiziert, nimmt Bezug auf die Verfolgung der Lerche durch den Sperber 2 ', eine Tatsache, die stillschweigend als bekannt vorausgesetzt wird. Neckam schrieb Jahre nach seiner Schrift De naturis rerum ein längeres Gedicht De Laudibus Divinae Sapientiae, worin er die einzelnen Abschnitte seines früheren Werkes versifizierte und noch einige Details hinzufügte. Über die Lerche heisst es: Laudat alauda diem, praenuncia laeta diei, 765 Laudat, et a laudis nomine nomen habet. Quamvis moesta thorum properans Aurora Tithoni Linquat, surgentem laeta salutat avis. In sublime volat, girando circinat auras, Descendens format cantica lege nova. 770 Purpureum crinem semel est furata parenti, Ha! quociens poenas dat miseranda patri. Respuit hanc Cretae princeps, facinusque notavit Scyllae, quid? Cretam rara frequentat avis. Asserit hanc vulgus horas distinguere lucis, 775 Hanc nyctens amat; cur? quia nocte tacet. Praecellit cantu reliquis geleata (sie!), fatetur Hanc praecentricem caetera turba canens28. Als neue Momente sind der Wechsel des Gesanges beim Rückflug zur Erde, das Wohlwollen der Eule gegenüber der Lerche, weil diese des nachts nicht singt, und die Anerkennung der galeata als Vorsängerin durch die Schar der übrigen Singvögel dazugetreten, weggefallen dagegen ist die ganze moraltheologische Ausdeutung auf die contemplativi und die viri honesti. Es scheint, als habe Neckam diese Ausdeutungen als unangemessen einer poetischen, an klassischen Vorbildern orientierten Kunst empfunden, als deren höchster Vertreter Ovid betrachtet wird und dessen Stil sich Neckam durch die Einführung mythologischer Elemente angleichen will. Diese versifizierte Fassung seiner Naturgeschichte ist, wie der Vergleich mit den späteren Schriftstellern noch zeigen wird, wirkungslos geblieben. Der erste, in dessen Werk sich Spuren von Neckams Schrift aufzeigen lassen, ist Thomas von Cantimpre. Sein Werk, dessen Entstehungszeit in die Zeit von 1233 bis 1248 fällt, trägt den gleichen Titel wie dasjenige von Neckam, nämlich Liber de naturis rerum 29. Im Schlusskapitel des 19. Buches gibt der Verfasser Auskunft darüber, dass er während fünfzehn Jahren Material aus den folgenden Ländern für sein Unterfangen gesammelt habe: Congregavi ergo, nec mihi suffecit Gallia atque Germania, que tarnen copiosiores in libris sunt regionibus universis, imo in partibus transmarinis, in
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Anglia et in Oriente libros de naturis editos aggregavi et ex omnibus meliora et comodiora decerpsi30. Dass Thomas neben dem Orient England speziell erwähnt, ist für uns von besonderer Bedeutung, scheint doch ein Bücheraustausch zwischen dem Kontinent und England damals nicht gerade alltäglich gewesen zu sein. Ob sich allerdings unter diesen aus England bezogenen Werken auch die Schrift des Alexander Neckam befunden hatte, lässt sich nicht mit Sicherheit entscheiden. Zwar nennt Thomas im Prolog seine Quellen, doch lassen uns seine Angaben betreffend das Werk Neckams im Ungewissen, da er einerseits ein Buch ohne Verfassernamen, das in moderner Zeit abgefasst worden sei und dem er den Namen Experimentator gegeben habe, und andererseits ein Liber rerum (ebenfalls ohne Angabe des Verfassers) anfuhrt, das ein kleines Werk sei, das sehr viel von der Beschaffenheit der Dinge enthalte 31 . Bei einem dieser beiden Bücher handelt es sich wohl um ein Werk, das inhaltlich auf Alexander Neckam zurückgeht, sprachlich aber schon vom Originaltext abweicht. Ist eine direkte Kenntnis von Neckams Liber de naturis rerum bei Thomas auszuschliessen, so ist eine solche dagegen bei Vinzenz von Beauvais bewiesen. In seinem um die Mitte des 13. Jahrhunderts entstandenen Speculum naturale, der wohl einflussreichsten Encyclopädie des Mittelalters, zitiert er namentlich Alexander als Gewährsmann und führt wortwörtlich jene Sätze von Neckam an, die bei Thomas von Cantimpri (auf dessen Werk sich Vinzenz primär stützt) fehlen: Thomas von Cantimprö in der Vinzenz von Beauvais deutschen Bearbeitung des Konrad von Megenberg Ex libro de natura rerum32. 1 Alauda haizt ain lerch und ist als Alauda est auis a laude dicta, quia mivil gesprochen als ain lobvogel, ra iocunditate pennis exertis in aere dar umb, daz er gar froeleich in vocis modulamine letioris temporis den lüften singet in der froeleiaure congaudet. chen zeit, sam der lenz ist in dem maien. 2 den vogel haizt Plinius galerica. 3 wenne der himel trüeb ist oder Nam obnubilato vel pluuioso celo vix wenne ez regent, sö singet er sei- aut minquam canit. ten oder nümmer. 4 diu lerch meldet den tag des mor- diem in aurora venientem vocis iubilo gens fruo, sö der morgenröt naeprodit. hent, mit gar froeleichem gesang. 5 wenne si auf der erd sitzet, sö sin- Sedens in terra vix aut nunquam get si selten: si singet wunnenclei- cantat. Sed in ascendendo canit, pauchen in irm aufflug, wanne si latim quidem ascendit, sed instar la-
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fleugt sänfticleichen auf und fleugt snell nider reht sam ain stain.
pidis subito descendit.
In ascendendo autem alas corporì comungit (? ), et leui motu cum cauda se regit. 7 Aristotiles spricht, diu lerch färht Accipitrem adeo timet, vt cum ab ilio den habich sö sSr, wenn er si jagt, impetitur, in terra depressa sinus daz si den menschen in sein schdz hominum inuolet, vel eius mani capiflieg und laezt sich oft mit der endam se prebet, conscia satis misereri hont vähen, dar umb, wan der sibipotius hominem quam accipitrem. mensch hät oft ain gewizzen, daz er sich erparmt, aber der habich nümmer33. Nunquam impuris vescitur. Nun8 quam aurore ortus etiam accelerantis eam fallit. Alauda galeata, que et cyrrita dicitur, ceteris alaudis, vt ait alexartder, preferenda est in argutis sistematum distinctionibus. Est etiam secundum musicos sistema vocis particula. Razi in almasore. Laro alaude que pileata dicitur ventrem constringit eiusque ius ventrem fluere faciP4. Für die moraltheologische Ausdeutung und die Verbindung der Lerche mit der Verwandlungssage von Skylla und Nisus hat Vinzenz von Beauvais allerdings keine Verwendung. Bei ihm und bei Thomas von Cantimprö stehen im Zentrum der Beschreibung die Flugbewegung und der Gesang der Lerche. Während die erstere ziemlich anschaulich geschildert wird, sind die Aussagen zu dem letzteren eher allgemeiner Natur. Sie beziehen sich mehrheitlich auf die Umstände ihres Singens (die Lerche singt in der warmen Jahreszeit, bei Anbruch des Tages, nur bei heiterem Wetter und nicht auf der Erde sitzend), während die Art ihres Singens nur angedeutet wird (vocis modulamine). Von besonderer Bedeutung ist es, dass in dieser naturwissenschaftlichen Schilderung der Gesang als Ausdruck einer Freude, sei es der Freude über den Frühling oder der Freude über das Nahen des Tages, gedeutet wird (mira iocunditate... congaudet / iubilo vocis diem proditj, wobei der Zusammenhang mit der Deutung des Namens alauda als Lobvogel nicht übersehen werden darf. Damit sind die Grundlagen für eine symbolische Ausdeutung der Lerche, wie wir sie fünfzig 6
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Jahre später bei Hugo von Trimberg finden werden, gegeben. Im Gegensatz zu den beiden Enzyklopädisten Thomas und Vinzenz stützen sich die Aussagen, die Kaiser Friedrich der Zweite in seinem berühmten Buch über die Falkenjagd De arte venandi cum avz'Aws35 macht, viel mehr auf konkrete Beobachtung der Natur. In dem Abschnitt über die Nahrungssuche der Vögel heisst es, dass kleine Landvögel, wie Feld-, Hauben- und Kalanderlerchen, die Sperlinge und ähnliche bei geeigneter Witterung zu jeder Zeit auf Nahrungssuche ausgehen36. Die gleichen gehören auch zu den von Sperbern und Merlinen bevorzugten Beutetieren37 und werden allgemein bei der Falknerei als Speise für die Raubvögel gebraucht38. Ein anderer Abschnitt handelt von der Gestalt der Vögel, wobei die Haubenlerche als Beispiel eines beschopften Vogels und alle drei Lerchenarten im Zusammenhang mit ihrem Sporn genannt werden 39 . Ein weiterer Abschnitt untersucht den Zusammenhang zwischen Form und Grösse des Schnabels und der Zunge und der Art des Gesangs, wobei die Feldlerche zu den Vögeln gezählt wird, die eine feine und bewegliche Zunge, einen kleinen und zierlichen Schnabel und eine sehr vieltönige Stimme besitzen, womit sie auch andere Töne nachzuahmen vermögen4". Später kommt Friedrich auf das Flüggewerden der Jungen zu sprechen und stellt fest, dass diejenigen Jungvögel, die am Boden nisten, wie die der Feld- und Haubenlerchen, früher fliegen lernen als diejenigen, die in hochgelegenen Nestern zur Welt kommen 41 . Skeptisch verhält sich unser Autor gegenüber der Meinung, dass die Lerche bei Bedrohung durch einen Raubvogel im Schoss des Menschen Schutz suche. Als wahr bestätigt er nur die Feststellung, dass Lerchen, die — sich an den Boden pressend — vom Raubvogel unbemerkt bleiben, von der Hand sich fangen lassen: Sed que nate sunt super terram et sunt coloris terrestris, in terra latitant et terre se recommendant, ut perdices, cotumices, cozardi, anates campestres, calandre et avicule plures, de quibus multe sunt adeo stolide in cautela sui, quod, credentes se esse securas in terra, capiuntur etiam manibus hominum, et quando insequitur eas rapax, ad terram confugiunt42' Vergleichen wir diese Äusserungen über das Verhalten dieser Vögel beim Erblicken eines Raubvogels mit denjenigen eines Zoologen aus unserem Jahrhundert über das gleiche Thema, so erkennen wir, wie genau die Menschen im Mittelalter, die sich mit der Falkenjagd befassten, die Vögel und ihr Verhalten kannten: Wenn eine Falkenart das Gebiet überflog, so drückten sich umherlaufende Feldlerchen flach auf den Boden und erstarrten bewegungslos, während sie den Raubvogel monokular fixierten, oder sie gingen langsam in Deckung und duckten sich dann. Einige wenige, die das Erscheinen des Raubvogels erst spät bemerkten, "froren " in abflugbereiter Haltung ein. Einige Male vernahm ich auch einen leisen Warnruf. Nach dem Verschwinden des Raubvogels "tau-
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ten"alle langsam wieder auf4^. Eine Verbindung von theoretischer Naturkunde, wie wir sie bei Thomas von Cantimpré und Vinzenz von Beauvais finden, die beide ihr Wissen aus Büchern zusammentrugen, und einer auf praktischem Anschauungsunterricht fussenden Naturkunde, wie sie uns das Buch Kaiser Friedrichs II bietet, versucht Albertus Magnus in seinen De animalibus libri XXVI44. In einem ersten einleitenden Teil behandelt er die Natur der Tiere allgemein45, im 23. Buch bringt er in alphabetischer Reihenfolge Einzeluntersuchungen über jeden bekannten Vogel. Im Kapitel über die Stimmen der Tiere zitiert Albertus die Elster und den Star als Beispiel eines geschwätzigen, den Adler als Beispiel eines nichtsingenden und die Nachtigall, die Lerche und den sterbenden Schwan als Beispiel eines Vogels musica canens pulcro sono46. Albertus glaubt, dass die Lerche zu den Vögeln gehöre, die nur einmal jährlich brüten und vier bis fünf Eier legen 47 . In eine vergangene Zeit verweist er die Feststellung, dass der Rabe junge Spatzen und Lerchen fresse 48 . Im Abschnitt über die Lerche weiss er folgendes zu berichten: Alauda avis a laude vocata est eo quod musica sereno et calido congaudet tempori. Haec duplex est, plano videlicet capite, et cristato, et haec galerica vocatur vel cristata. Est autem coloris cinerei, maior parum passere, et in posteriori digito pedis ingentis longitudinis habens unguem, in agro habitans, non in silvis, granis et vermibus vescitur. Mas eius musicus est valde et multae modulationis, aestatem primo inter aves praenuntians, et diem in aurora promens laude cantus sui, pluvias et tempestates abhorret, accipitrem adeo timet quod fugit in hominum sinus et manus vel in terra sedens sinit se capi: cantai ascendendo per circulum volans: et cum descendit, primo quidem paulatim descendit et tandem alas ad se convertens in modum lapidis subito decidit et in ilio casu cantum dimittit. Haec quando domesticatur, in ergastulo cantai alas commovens et ad liberum aérem exire gestu quodam deposcens: sed si diu captiva tenetur ut frequenter in altero excaecatur oculo: et hoc saepius sum expertus quod in nono anno altero oculo caecatur. Haec avis utilis est in medicinam [... ]49. Im Gegensatz zu Vinzenz von Beauvais, der sich eng an seine jeweilige Vorlage anschliesst, bemüht sich Albertus um eine eigene Formulierung und Gliederung dessen, was er bei Thomas von Cantimpré und anderen Autoren schon vorfindet und von ihnen übernimmt 50 . So bringt er die Etymologie des Wortes alauda weder mit dem Tagesanbruch noch mit dem Frühlingsbeginn in Verbindung, sondern mit dem warmen und heiteren Wetter, dessen Lob die Lerche sozusagen singe. Allerdings werden später die Funktion des Tagverkündens und diejenige der Frühlingsbotin ebenfalls erwähnt, wobei
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Albertus noch ausdrücklich darauf hinweist, dass die Lerche als erste unter den Vögeln die wärmere Jahreszeit mit ihrem Gesang ankünde 51 . Nach einem Hinweis auf die beiden Arten von Lerchen, der Haubenlerche und der unbeschopften Lerche (Heide- oder Feldlerche), kommt er auf ihr Aussehen zu sprechen, wobei er als aussergewöhnliches Merkmal auf ihren langen Sporn hinweist. Als Lebensraum bezeichnet er das Feld und als Nahrung Würmer und Körner. Eingehend wird auch die Flugbewegung geschildert: der Aufflug geht in Kreisen vor sich (eine Aussage, die schon bei Neckam steht, bei Thomas aber fehlt), während der Flug zur Erde in zwei Etappen verläuft: zuerst ein allmähliches Niedergehen, dann ein durch das Anziehen der Flügel ausgelöster Sturzflug, während dessen der Gesang verstummt . Der Gesang des Lerchenmännchens — dabei handelt es sich wohl ausschliesslich um den Fluggesang53 — wird als sehr musikalisch und von grossem Vanationsvermögen bezeichnet. Erstmals erfahren wir auch, dass Lerchen als Singvögel in Käfigen gehalten wurden, wobei in der Gefangenschaft bei zunehmendem Alter eine Erblindung auftreten konnte. Unverändert berichtet Albertus über die Lerche, dass sie im Schoss oder in den Händen des Menschen Schutz vor dem Habicht suche oder auf der Erde sitzend sich fangen lasse. Mit dem Liber de naturis rerum des Thomas von Cantimprö, dem Speculum naturale des Vinzenz von Beauvais und der Schrift De animalibus des Albertus Magnus erreicht die mittelalterliche Naturwissenschaft ihren Höhepunkt. Die Wirkung dieser Schriften war ausserordentlich stark und nachhaltig, was uns die vielen Zitate daraus in den Werken der späteren Naturforscher zeigen. Es wäre nun aber wenig sinnvoll, diesen im einzelnen nachzugehen, da das naturwissenschaftliche und medizinische Schrifttum des 14. und 15. Jahrhunderts zu einem grossen Teil in dem des 16. Jahrhunderts mitberücksichtigt ist. Deshalb werden wir auf diesem Sektor erst dort wieder einsetzen, wo nach allgemeiner Auffassung der Beginn der modernen Naturwissenschaft liegt, nämlich bei den grossen Gelehrten des Humanismus. Bevor wir aber das Gebiet des mittelalterlichen Schrifttums zum Thema Lerche verlassen, sei noch ein Werk angeführt, das nicht eine umfassende Darstellung der Dinge im Sinne einer Naturgeschichte zum Ziel hat, sondern diese auf ihren "hinweisenden" Charakter und ihre Bedeutsamkeit für die christliche Moraltheologie hin untersuchen will. Ich meine das Werk des Petrus Berchorius, das den Titel In reductorium suum morale trägt 54 . Im siebten Buch, De aeris ornatu, nempe de volatilibus überschrieben, heisst es von der Lerche: 1 Alauda est auis summae laetitiae, et ideo alauda d laudando secundum Isidorum dicta fuit. Ista enim in sereno tempore Semper cantat, nunquam vero in tempore pluuioso. Ista etiam quamdiu est in terra, nunquam dicitur cantare, sed dum est sursum in aere, et versus coelum ascendit, tunc solet multiplicer modulari. Charissimi tempus turbulentum signiflcat sta-
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tum peccati. Alauda significai hominem, qui ad laudandum Dominum est electus. Isa. 12. Exulta et lauda habitatio Syon. Verumtamen istud est verum, quod quamdiu est in tempore pluuioso et turbulento, id est, in statu peccati, id est, quamdiu est in terra, id est, in terrenis negociis occupatus; nunquam propriè Dominum laudai, nec in Deo iocundatur aut exultat, quia sicut dicitur. Eccles. 15. Non est speciosa laus in ore peccatoris. Sed vere quando serenitas conscientiae et splendor diuinae gratiae abundat, et quando ipse surgit de terra, id est, de terrenis, ipsa contemnendo, et sursum ad coelum et ad paradisum ascendit, ipsa affectando, tunc in spiritualem laetitiam resoluitur. tunc ad laudem et gratiarum actionem erigitur, et tunc in Deo laetifìcè gloriatur, dicens cum Psal. 145. Lauda anima mea Dominum. Laudabo Dominum in vita mea, psallam Deo meo quamdiu fuero. Vel ista possunt allegali de illis, qui Deum laudani in sereno prosperitatis, et nunquam in turbido aduersitatis. Velpotest dici de Angelis, quia itti qui in serenitate paradisi remanserunt, laudani Dominum; illi vero 2 qui ad terram prostrati fuerunt, [non] laudani eum. Alauda intantum timet nisum, quod videns eum, solet quandoque ad sinum vel ad manum hominis refugere, sperans cum homine facilius misericordiam inuenire. Sic et peccator, qui modo de Christo vero homine non curat, si bene crudelitatem nisi, id est, diaboli considerarci, ipsum proculdubio fugeret, et rimerei, et homini Christo qui naturaliter est benignus, per poenitentiam se traderet, vt cum ipso misericordiam irtueniret, dicens illud. Psalm. 142. Libera me Domine, quia ad te confiigi55. Aus der Fülle der naturwissenschaftlichen Fakten, wie wir sie etwa aus dem Werk des Albertus kennen, wählt Berchorius diejenigen Momente aus, die ihm für die christliche Auslegung besonders geeignet scheinen. Als erstes bietet ihm der Gesang der Lerche einen guten Ausgangspunkt, wobei vor allem die darin zum Ausdruck kommende Freude und die Voraussetzungen zum Singen bzw. Nicht-Singen wichtig werden 56 . So bezeichnet die Lerche den Menschen, der für das Lob Gottes auserwählt ist 5 7 . Als dessen eigentliche Aufgabe wird das exultare et laudare, das Jauchzen und Rühmen, hervorgehoben, d.h. Berchorius interpretiert den Gesang der Lerche nicht nur als Ausdruck der höchsten Freude, sondern zugleich auch als unmittelbaren Preis Gottes. Bei der Ausdeutung der besonderen Voraussetzungen für das Singen der Lerche verbindet er jeweils die beiden negativen und die beiden positiven Aussagen miteinander. So bezeichnet das stürmische Wetter den Zustand der Sünde, der als ein Verstrickt-Sein in irdischen Dingen, als ein Haften auf der Erde verstanden wird, während der heitere Himmel die Reinheit des Gewissens verbunden mit dem Glanz der göttlichen Gnade bezeichnet, die die Lösung von allem Irdischen voraussetzt. Diese Lösung von dem Irdischen sieht Berchorius weitgehend als einen Aufschwung, der von der Er-
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de weg hinauf zum Himmel und ins Paradies fuhrt, wobei die Verachtung alles Irdischen und die Liebe zum Himmlischen als Voraussetzungen genannt werden. Als das zu erreichende Ziel betrachtet Berchorius die völlige Auflösung in der laetitia spiritualis und in der laus et actio gratiarum. Dieses Ziel wird dem Menschen gewissermassen in dem Verhalten der Lerche vor Augen geführt, d.h. die Lerche hat insofern Vorbildcharakter, als sie den Menschen auf einen zu erringenden Zustand hinweist und gleichzeitig auch den Weg dahin versinnbildlicht. Berchorius begnügt sich nun nicht mit dieser einen Auslegung. Als andere mögliche Deutung führt er jene Menschen an, die Gott im Glück loben, im Unglück dagegen nicht, wobei in diesem Fall die Lerche ein unrichtiges Verhalten bezeichnet. Dagegen bringt die dritte Deutung die Lerche wieder mit einem positiven Moment in Verbindung, indem hier die Lerche die Engel darstellt, die in der serenitas paradisi Gott loben, während die gestürzten Engel auf der Erde ihren Schöpfer nicht 58 preisen. Allerdings ist dieser letzte Vergleich nicht stimmig, da nicht mehr ein und die gleiche Person, sondern zwei verschiedene Gruppen unter dem Bild der Lerche gesehen werden, wodurch die ursprüngliche Einheit des Verhaltens verloren geht 59 . Als zweites für die christliche Auslegung geeignetes Faktum greift Berchorius die Flucht der Lerche vor dem Habicht in den Schoss oder die Hand des Menschen heraus. Der Raubvogel60 verkörpert den Teufel bzw. das Böse im Menschen61, die Lerche den Sünder und der Mensch den wahren Menschen, nämlich Christus, der seinem Wesen nach benignus und misericors ist. Allerdings führt Berchorius den Vergleich weit über das hinaus, was das wirkliche Verhalten des Vogels suggeriert, wenn er von der poenitentia des Menschen spricht, der zusammen mit Christus als Fürbitter die misericordia Gottes zu finden hofft 6 2 . Bei der Auslegung der Dingwelt in Hinblick auf den dahinterliegenden tieferen Sinn geht Berchorius genau in der Art und Weise vor, wie wir sie aus dem Umkreis des Physiologus kennen, wo das einzelne Faktum nur insofern eine Bedeutung hat, als es einen heilsgeschichtlichen oder moraltheologischen Schluss ermöglicht. Ansätze zu einem solchen Vorgehen waren schon bei Alexander Neckam, der die Lerche mit den contemplativi in Verbindung gebracht hatte, vorhanden gewesen, doch fand gerade dieser Teil seiner Naturgeschichte keine Nachahmung bei der an Aristoteles orientierten Naturwissenschaft des 13. Jahrhunderts 63 . Mit Petrus Berchorius verlassen wir denn auch das Gebiet der Naturwissenschaft, denn Hauptzweck seines Werkes ist nicht Wissensvermittlung, sondern Deutung der Welt in Hinblick auf ihren religiösen Gehalt. Diese Art der Naturbetrachtung, wie Berchorius und andere sie vertreten, steht nicht in Opposition zu der eher sachlich orientierten Naturwissenschaft der Aristoteliker, denn sie stützt sich ja gerade, wie wir am Beispiel der Lerche gesehen haben, auf deren Erkenntnisse. Vielmehr bildet
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sie so etwas wie eine notwendige Ergänzung dazu, indem sie den Menschen jener Zeit in Erinnerung ruft, dass die Natur wie die Bibel eine direkte Offenbarung Gottes ist und dass die Wissenschaft von den Erscheinungen der Natur erst dann ihre eigentliche Bestimmung erfüllt, wenn sie zur Lehre von Gott und von dem richtigen Verhalten des christlichen Menschen wird. Berchorius folgt hier der alten Tradition der Auslegung nach dem mehrfachen Schriftsinn, die seit Origines die christliche Allegorik massgebend geprägt hat und die noch lange ihren Platz neben der aufs Sachliche ausgerichteten Wissenschaft, der wir uns jetzt wieder zuwenden wollen, wird behaupten können.
4. Humanistische Schriften naturwissenschaftlicher und sprachtheoretischer Art Als eigentlicher Markstein auf dem Gebiete der Zoologie gilt das umfassende vierbändige Werk des Zürcher Arztes und Gelehrten Konrad Gesner, das als "starting point of modern zoology" 64 apostrophiert worden ist. Im dritten Buch seiner Historia animalium, das in alphabetischer Reihenfolge alle damals bekannten Vögel behandelt, ist der Lerche ein längerer, sich über mehrere Folioseiten erstreckender Bericht gewidmet 65 . Getreu dem Ideal eines uomo universale will sich Gesner nicht auf das rein naturwissenschaftliche Material beschränken; sein Ziel ist es, eine möglichst umfassende Darstellung des gesamten Wissens seiner Zeit unter Berücksichtigung so verschiedener Gebiete wie Ornithologie, Sprachwissenschaft, Dichtung etc. zu geben. Zur Erfüllung dieses Anspruches gehört auch eine vollständige Übersicht über das ganze bisherige Schrifttum zur Lerche von der Antike bis in die jüngste Gegenwart, ja selbst noch ungedruckte Mitteilungen mündlicher oder brieflicher Natur werden miteinbezogen 66 . Praktisch vollständig erfasst ist die ganze antike und spätantike Literatur unabhängig davon, ob es sich um Dichtung, Scholien oder theoretische Abhandlungen zu naturwissenschaftlichen, medizinischen oder grammatischen bzw. lexikographischen Problemen handelt. An mittelalterlichen Schriften zitiert Gesner, wenn auch teilweise nur aus zweiter Hand, die Werke der grossen arabischen Aerzte wie Razi Abu Bekr und Ibn Sina genannt Avicenna sowie die Schrift des Albertus Magnus De animalibus und den Liber de nat. rerum, dessen Verfasser ihm allerdings nicht bekannt war 6 7 . Aus dem 14. und 15. Jahrhundert nennt er vorwiegend medizinische Schriften wie die von Matthäus Sylvaticus und Johann Michael Savonarola, die zu ihrer Zeit sehr berühmte Aerzte waren, und philologische Werke, unter anderm auch diejenigen des Guarino von Verona und des Ermelao Barbaro (bekannt als Übersetzer des Aristoteles und als Verfasser philolo-
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gischer Schriften über Plinius). Auch des neuere und neueste Schrifttum wird von Gesner sorgfältig gesichtet und verwertet, darunter finden sich berühmte Namen wie Guillaume Budäus, Baptista Mantuanus, Andreas Alciatus und Georg Agricola. Insgesamt sind in dem etwas mehr als sieben Folioseiten umfassenden Lerchen-Kapitel mehr als siebzig verschiedene Namen genannt, was die ausserordentliche Belesenheit des Verfassers zeigt. Aus der Fülle des von ihm zusammengetragenen Materials greift er als erstes alle Namen für die Lerche oder eine spezifische Lerchengattung heraus und versucht, ihnen die richtige "Sache" zu unterlegen, ein für jeden Humanisten zentrales Problem. Dabei sieht er sich mit den verschiedensten Schwierigkeiten konfrontiert, denn nicht nur waren den Griechen und Römern nur zwei verschiedene Lerchenarten bekannt — die beschopfte und die unbeschopfte —, sondern sie hatten auch nur einen einzigen Namen für beide, der sowohl im Griechischen wie auch im Lateinischen von seinem Etymon her nur auf die Haubenlerche passte 68 . Ebenso unterschied auch die ganze auf Aristoteles ausgerichtete mittelalterliche Vogelkunde nur zwischen diesen beiden Lerchenarten, ohne weiter zwischen Feld- und Heidelerche zu differenzieren. Allerdings gibt es hie und da einzelne Aussagen, die mehr auf die eine oder auf die andere Art zielen, doch wurde eine grundsätzliche Trennung nicht vollzogen. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts aber hatte sich eine solche Fülle von Einzelbeobachtungen angesammelt, dass eine weitere Spezifizierung der Arten unumgänglich wurde . In seinem Vogelbuch unterscheidet Gesner zwischen vier verschiedenen Arten, die er zu charakterisieren und von einander abzuheben sucht, eine fünfte dagegen wird nur angedeutet. An erster Stelle kommt die eigentliche Haubenlerche, lat. alauda cristata, ital. lodola capelluta, frz. alouette oder cochevís, át.Lerch oder Heubellerch (sächsisch) oder Wäglerch (schweizerisch), engl, lere genannt. Die zweite Art, von Aristoteles als in Scharen lebend, von gleicher Farbe wie die Haubenlerche, doch kleiner in der Grösse und ohne Haube beschrieben, wird ital. regius70 bzw. lodola champestra oder petronella, engl, wilde lere oder hethlerk, dt. Heidlerch, Sanglerch, Himmellerch oder Holtzlerch geheissen71. Als dritte Gattung bringt Gesner die Kalanderlerchen, bei deren Beschreibung er sich ganz auf den Liber de nat. rerum verlassen muss, da er diese in den Mittel70
meerländern heimische Lerchenart aus eigener Anschauung nicht kennt . Im Gegensatz zu den beiden ersteren Arten hat diese letztere in allen Sprachen den gleichen Namen: ital. chalandra, span. chalandra, calandra oder calandria, gleichlautend im Frz. und Engl., dt. Kalander oder Galander. An letzter Stelle folgt eine Lerchenart, die kleiner als die Haubenlerche ist, aber dennoch einen Schopf trägt und keinen speziellen Gesang hat; sie wird engl. woodlerck, dt. Copera genannt 73 . Abschliessend fügt Gesner noch die Beschreibung einer weiteren Art bei, die Waldlerche genannt werde, die er aber
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nur von einem Gemälde eines erfahrenen Vogelfängers und Malers kenne und noch nie selbst gesehen habe 7 4 . Nach diesen einleitenden Worten über die verschiedenen Gattungen der Lerchen und ihre Namen geht Gesner dazu über, deren Eigenschaften und Gewohnheiten zu schildern. Dabei verfährt er so, dass er alles, was er über ein bestimmtes Gebiet weiss, im gleichen Abschnitt bringt, d.h. er geht nicht nach Gattungen getrennt vor. Dies hat aber den grossen Nachteil, dass er immer wieder präzisieren muss, um welche Gattung es sich jeweils handelt, wobei er selbst aber manchmal gar nicht weiss, von welcher der betreffende Autor, dessen Urteil er gerade zitiert, spricht und es dem Leser überlassen muss, sich seine eigenen Gedanken dazu zu machen. Die daraus resultierende Unübersichtlichkeit wird, wie wir noch sehen werden, in den Werken späterer Naturforscher ausgemerzt, auch wenn sie, wie z.B. Ulysses Aldrovandus, sich sehr stark an das Vorbild Gesners anlehnen. In mehreren Unterkapiteln (B — G) behandelt Gesner die folgenden Fragenkomplexe, wobei er sich meist darauf beschränkt, Zitate verschiedener Autoren nebeneinander zu stellen, ohne für die eine oder andere Meinung Partei zu ergreifen: Gestalt 75 , Lebensraum 76 , Nahrung 77 , Flug 78 , Gesang 79 , Nestbau, Eiablage und Aufzucht der Jungen 80 , Krankheiten und Schutzmittel 8 1 , agonistisches und freundschaftliches Verhalten 82 , Methoden des Lerchenfangs 83 und Nutzen für den Menschen als Speise und Heilmittel 84 . Dieser ganze naturwissenschaftliche Teil zeichnet sich durch eine Fülle von Material aus, das aus den verschiedensten Epochen und Schulen stammt. Mit einer erstaunlichen Selbstverständlichkeit setzt Gesner Aussagen der antiken, spätantiken, mittelalterlichen und der zeitgenössischen Naturforscher als gleichwertig nebeneinander, ohne auf irgendwelche historische Bedingtheit Rücksicht zu nehmen. Ablehnend verhält er sich nur einigen sprachlichen Äusserungen gegenüber, die entweder eine falsche Lesart oder Schreibung eines Namens, eine ausgefallene Etymologie oder eine irrtümliche Gleichsetzung eines anderen Vogelnamens mit der Lerche bringen; nur in einem einzigen Fall übt er inhaltlich an einer Sache Kritik, indem er das Ausbrüten der Lercheneier durch Kröten als Volksaberglauben bezeichnet. Es ist wohl nicht zufällig, dass sich diese Kritik gegen einen Aberglauben jüngeren Datums 85 richtet und dass Gesner vieles, was wir von unserem heutigen Standpunkt aus ebenfalls dem Aberglauben zuweisen würden (Schutzmittel gegen Schadenzauber, Feindschaften zwischen der Lerche und gewissen anderen Vögeln, Freundschaft mit der Binse, schädliche Wirkung des Senfsamens), unbesehen übernimmt. Der Grund dafür ist wohl in seiner Ehrfurcht vor dem Alten zu suchen, stammen doch alle diese letztgenannten Vorstellungen aus antiker Überlieferung. Dass sich diese Ehrfurcht nicht nur auf die Antike, sondern auch auf das Mittelalter erstreckt, zeigt sich darin, dass Gesner neben einer
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Aristoteles-Stelle auch eine etwas fragwürdige Aussage des Albertus Magnus zu rechtfertigen sucht 86 . Gerade diese Tatsache aber zeigt, dass das Bild einer humanistischen Naturwissenschaft, die gegen die aristotelisch-arabische Naturkunde des späteren Mittelalters kämpft, eine Verzerrung der wirklichen Gegebenheiten darstellt 87 . Im Gegenteil, die Schriften der spätmittelalterlichen Autoren werden bei Gesner ebenso häufig und ausführlich zitiert wie diejenigen der früheren und der nachfolgenden Zeiten. Nur auf einem einzigen Gebiet macht sich Gesner, wie wir gleich sehen werden, über mittelalterliches Denken lustig, nämlich dort, wo es nicht mehr um naturwissenschaftliche Fakten, sondern um sprachlich-etymologische Fragen geht. Der letzte Abschnitt seines Kapitels De Alaudis ist philologischen und literarischen Überlieferungen gewidmet. So diskutiert er zuerst die verschiedenen Schreibungen des griechischen Wortes korydalös (mit -/- oder -//-, mit der Betonung auf der letzten, der zweitletzten und der drittletzten Silbe) und dessen grammatikalisches Geschlecht. Anschliessend wendet er sich dem lateinischen Wort zu und zitiert in diesem Zusammenhang mehrere Stellen, aus denen hervorgeht, dass die Bezeichnung alauda gallischen Ursprungs ist und als Bezeichnung für eine römische Legion gebraucht wurde. Besonders wichtig ist ihm eine Stelle bei Cicero in der In M. Antonium oratio Philippica, wo von den Alaudae ceterique veterani die Rede ist. Aufgrund dieser Wendung glaubt er annehmen zu dürfen, dass der Name Alaudae nicht nur für die Soldaten, sondern auch für die Veteranen der fünften Legion gebraucht wurde. Daraus und aus der irrtümlichen Vorstellung, dass das Gallische eine germanische Sprache sei, leitet er seine Etymologie des Wortes alauda ab: alauda kommt von alt oder ald und bezeichnet die Alten (d.h. die Veteranen) 88 . Allerdings relativiert er seinen Deutungsversuch insofern wieder, als er unmittelbar nachher eine andere zeitgenössische Theorie folgen lässt, wonach die Soldaten der fünften Legion wegen ihrer Helme so benannt worden seien. Für die mittelalterlichen Deutungsversuche, die das gallische Wort alauda mit lateinisch laus in Verbindung bringen, hat Gesner nur ein mitleidiges Lächeln übrig 89 , denn quomodo enim Gallicae aut Germanicae voci origo Latina quadraret90, ohne zu ahnen, dass die von ihm vertretene Etymologie auf ebenso falschen Voraussetzungen beruht 9 1 . Gesners Interesse für sprachliche Probleme ist, vor allem was das Griechische anbelangt, ausserordentlich gross: so stellt er mit enormer Sorgfalt alle Wörter zusammen, die ähnlich oder gleich wie das griechische Wort für die Lerche lauten 92 , und gibt auch verschiedene Erklärungen für das von Theokrit in der siebten Idylle gebrauchte Epitheton epitymbidios93. Im Zusammenhang mit einer anderen Theokrit-Stelle 94 , wo die tageszeitliche Thematik anklingt, erwähnt er eine volkstümliche deutsche Redensart, die sagt, dass im Februar die Tage vor Mittag so kalt seien, dass der grosse Wagen auf ge-
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frorenen Geleisen durch den Himmel fahre, dass aber unmittelbar nach Mittag die Lerche sich darin bade 9 5 . Aber nicht nur deutsche, sondern auch griechische Redensarten über die Lerche sind ihm geläufig. Von Simonides (überliefert bei Plutarch) zitiert er das Sprichwort Jede Lerche hat notwendigerweise eine Haube, gebraucht im Sinne von: an jedem Menschen ist irgendein Makel. Allerdings verwundert er sich ein wenig über die Redewendung, da doch schon Aristoteles wusste, dass es auch Lerchen ohne Hauben gibt. Ein anderes Sprichwort, das er den Adagia des Erasmus von Rotterdam entnimmt, spielt auf das Gras an, das die Lerche als Schutzmittel in ihr Nest einflicht 96 . Ebenso sind Gesner die Redewendungen und Epigramme vertraut, in denen die Lerche als schlechte Sängerin hingestellt wird , was ihm etwas Kopfzerbrechen bereitet, da seine naturwissenschaftlichen Gewährsleute der Haubenlerche einen angenehmen Gesang zuerkannt hatten. Deshalb weist er diese Redensart der vierten Gruppe, worin die kleineren beschopften Lerchen zusammengefasst sind, zu. Als letztes bringt er noch ein Sprichwort, das einen Adler und eine Lerche gegenüberstellt (im Sinne von: ein greiser Adler übertrifft immer noch jede Lerche im besten Jugendalter). Aus der griechischen Literatur führt Gesner zwei Sagen und eine Fabel an. Die erste der beiden Sagen findet sich in der Komödie Die Vögel des Aristophanes und gibt eine Entstehungsgeschichte für die Haube der Lerche 9 8 , die zweite steht bei Pausanias und handelt von der Gründung der Stadt Kolonides, einer attischen Kolonie in Messenien, die aufgrund eines Orakelspruches an einer von einer Lerche bezeichneten Stelle erbaut wurde 9 9 . Von einer Lerche, die ihre Jungen zur rechten Zeit aus einem erntereifen Getreidefeld hinausführt, berichtet eine Fabel des Aulus Gellius, die Gesner im vollen Wortlaut übernimmt 1 0 0 . Aus der neueren lateinischen Literatur zitiert er zwei Verse aus einem Emblem des Alciatus, worin von einem Vogelfänger die Rede ist, der die Drosseln mit dem Leim, die Lerchen mit der Schlinge, den fliegenden Kranich mit dem Pfeil überlistet, selbst aber durch den Biss einer Schlange umkommt 1 0 1 . Gerade dieser letzte Teil, der das Thema Lerche von der philologischen Seite angeht, zeigt, wie gründlich Gesner das ganze antike und neolateinische Schrifttum kennt. Für die lateinische Dichtung des Mittelalters aber zeigt er kein Interesse, denn sie ist — im Gegensatz zu den naturwissenschaftlichen Schriften des 13. Jahrhunderts — nicht an einem klassischen griechischen Vorbild orientiert und deshalb von geringem Wert für einen Humanisten. Versuchen wir abschliessend, in knappen Worten Gesners Leistung zu umreissen. Seine Hauptleistung liegt meines Erachtens darin, dass er als erster nach den grossen Enzyklopädisten des 13. Jahrhunderts wieder versucht, das ganze Wissen seiner Zeit — beschränkt allerdings auf Lebewesen aus der Tierwelt — in einem Werk zu vereinigen. Das mit Fleiss und Sorgfalt zusammen-
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getragene Material wird gesichtet und unter den verschiedenen Tiergattungen eingeordnet, was in anbetracht der vielen terminologischen Unsicherheiten keine leichte Aufgabe darstellt; ausserdem werden neue Untergruppen gebildet, die eine differenziertere Betrachtungsweise ermöglichen. Was Gesner als Zoologe, nicht aber als Philologe abgeht, ist die Fähigkeit der wissenschaftlichen Kritik, die Widersprüchliches gegeneinander abwägt und Unbrauchbares als solches erkennt und aussondert. So trägt gerade der naturwissenschaftliche Teil seiner Arbeit sehr stark kompilatorische Züge und dient mehr der Vermittlung als der Verarbeitung von Wissen. Trotz diesem grundsätzlichen Mangel bleibt aber seine Leistung bewundernswert, und es ist nicht erstaunlich, dass sein Werk bei seinen Zeitgenossen so überaus grossen Beifall fand und er für lange Zeit die massgebliche Autorität auf dem Gebiet der Zoologie blieb. Doch nicht nur seine naturkundlichen Ausführungen fanden Beachtung, sondern auch seine philologischen, insbesondere die von ihm vorgelegte Theorie betreffend die Etymologie des Wortes alauda. Wir finden sie wieder bei einem drei Jahre jüngeren Zeitgenossen Gesners, dessen Schriften aber teilweise erst nach seinem 1572 erfolgten Tode im Drucke erschienen. Johannes Goropius, genannt Becanus, war wie Gesner ein vielseitig talentierter Mann und hatte neben Medizin und Mathematik auch Sprachen und Philosophie studiert. Eine gewisse Spanne seines Lebens verbrachte er als Leibarzt der Königin Eleonore, der Schwester Karls des Fünften, in Frankreich, kehrte später dann wieder in die Niederlande zurück und liess sich in Leyden nieder. Anlass für seine sprachwissenschaftlichen Schriften soll ein Gespräch mit dem Kardinal von Lüttich gewesen sein, worin Goropius den Standpunkt vertreten hatte, dass das Holländische die älteste Sprache sei 102 Die Kenntnis dieser Grundthese bildet den Schlüssel zum Verständnis seiner Schriften und erhellt vieles, was uns in seinen Ausführungen über einzelne sprachliche Phänomene sonst unverständlich bliebe. Über die Lerche, die für ihn von besonderem Interesse wegen ihres gallischen Namens ist, äussert er sich an verschiedenen Stellen seiner Schriften, am ausführlichsten in seiner Hieroglyphica, deren achtes Buch ganz der Alauda gewidmet ist 1 0 3 . Für die Beweisführung seiner These vom hohen Alter der holländischen Sprache ist die Lerche nicht nur wegen ihres gallischen Namens besonders geeignet, sondern auch deshalb weil sie nach der von Aristophanes überlieferten, angeblich Aesopischen Sage von der Entstehung ihrer Haube vor der Erschaffung der Erde dagewesen ist und weil sie auf einer im Hause des Pietro Bembo aufbewahrten alten ägyptischen Tafel als Hieroglyphe bezeugt ist 1 0 4 . Wenden wir uns zuerst den philologischen Ausführungen zum Wort alauda zu. Wie Gesner geht Goropius von der Annahme aus, dass die Gallier, da sie von kimbrischer Abstammung gewesen seien, eine germanische Sprache ge-
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sprochen hätten. Diese kimbrische Sprache aber soll sich bei den Bewohnern der Region Brabant, d.i. im niederländischen Sprachgebiet, am reinsten erhalten haben 1 0 5 . Aus diesem Grunde lehnt er Gesners spezifisch oberdeutsche Etymologie als unzutreffend ab und leitet das Wort alauda von al aut bzw. al aud her, was niederländisch soviel wie ganz alt oder alle alt heisst 106 . Um eine Erklärung für diese beiden Bedeutungen ist er nicht verlegen, passt doch die erstere ausgezeichnet zu der bei Aristophanes überlieferten Sage vom hohen Alter der Lerche, und die letztere bringt er mit den gallischen Soldaten der fünften Legion in Verbindung. Dabei argumentiert er folgendermassen: als die gallischen Soldaten der fünften Legion die Hochachtung der Römer gegenüber den Veteranen sahen, wählten sie für sich in ihrer Sprache eine Bezeichnung, die ausdrücken sollte, dass sie den römischen Veteranen ebenbürtig, d.h. — bildlich gesprochen — auch alle alt waren. Als Feldzeichen ihrer Legion wählten sie etwas, was nach ihrer eigenen Überlieferung als für sehr alt galt, nämlich die Lerche. Die Römer Hessen sie aber in Unkenntnis des wahren Sachverhaltes und machten ihnen glaubhaft, dass al aud der Name des Vogels sei 1 0 7 . Als das eigentliche kimbrische Wort für die Lerche betrachtet Goropius ein Wort, das dem niederländischen leewerc (Lerche) entspricht, ursprünglich aber leefwerc ("Lebenswerk") gelautet haben soll. Weshalb die Kimbrer dem Vogel einen solchen bedeutungsträchtigen Namen gaben, erklärt er mit Hilfe einer alten, noch immer im niederländischen Volk lebendigen Überlieferung, wonach die Lerche siebenmal am Tag zum Himmel aufsteige und ihren Schöpfer mit Gebeten und Lobgesängen preise. Dies habe er selbst als Knabe immer wieder gehört 108 . Im Zusammenhang mit dieser mündlich tradierten Überlieferung, die nach seiner Überzeugung aus einer weit zurückliegenden, quasi mythischen Vorzeit stammt, kommt er auf die mittelalterliche Etymologie des Wortes alauda zu sprechen und lehnt diese natürlich als unwissenschaftlich ab, wobei auch er sich eines gewissen Spottes über so viel Naivität nicht enthalten kann 1 0 9 . Dass es aber einen Kausalzusammenhang zwischen dieser Etymologie und der mündlichen Überlieferung gibt, ist für ihn zwar offensichtlich, doch steht für ihn ausser Frage, — und dies mehr als zweihundert Jahre vor Herder und vor der Romantik! —, dass die mündliche Tradition älter ist und dass die Deutung des Namens mit Hilfe von laus (Lob) die Kenntnis dieser Überlieferung voraussetzt. Auf die Idee, dass das, was er als sekundär betrachtet, das Primäre sein könnte, d.h. dass sich die mündliche Überlieferung erst im Anschluss an die im Mittelalter geläufige Etymologie gebildet hat, kommt er schon gar nicht, denn er ist vollkommen davon überzeugt, dass alles, was sich bei den Niederländern, diesen direkten Nachfahren der "Kimbern-Kimmeriem", mündlich erhalten hat, in eine mythische Vorzeit zurückreicht. Aus der gleichen mythischen Vorzeit aber stammt auch jene angeblich Aesopische Fabel, wonach die Lerche vor
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der Erde existierte und ihren toten Vater in ihrem Haupt begraben musste, da noch keine andere Grabstätte vorhanden war, und deshalb ist es ohne weiteres erlaubt, den geheimen Sinn des Namens leef-werc mit ihrer Hilfe noch zu vertiefen. Verbindet man beide Vorstellungen, so ergibt sich daraus, dass es nicht nur das "Lebenswerk", d Ji. die erste und älteste Aufgabe alles geschaffenen Lebens hier auf Erden ist, den Schöpfer zu loben und zu preisen, sondern dass es auch die Aufgabe all derer war und noch ist, die vor der Erschaffung der Erde da waren: der Engelschöre und - der Lerche. Versinnbildlicht wird diese erste und älteste Aufgabe aber nicht nur durch den Namen leeuerc, sondern auch durch die kegelförmige Haube, die die sieben (!) auf der ägyptischen Hieroglyphentafel des Bembo abgebildeten Lerchenköpfe tragen. Der Kegel nämlich ist Goropius zufolge das Zeichen für das Leben selbst (verwandt mit Aleph, dem Anfangsbuchstaben des hebräischen Alphabets und Zeichen für die Zahl 1), da im Kegel (bzw. in der Pyramide) alle von der Basis ausgehenden Linien zu dem einen, höchsten Punkt streben und da das Leben wiederum nichts anderes ist als ein kontinuierliches Streben nach dem höchsten Einen, nämlich Gott. An diesem Punkt wird zum erstenmal wirklich deutlich, was Goropius mit seinen für uns heute so verwirrenden und schwer nachzuvollziehenden Gedankengängen bezweckt: er will nichts Geringeres, als die seit dem adamitischen Sündenfall verschlüsselte und nur noch als Chiffre vorhandene, von Gott aber dem Menschen einst direkt geoffenbarte Weisheit wieder aufschlüsseln und den Sinn hinter den Dingen und ihrer sichtbaren Erscheinung aufzeigen. Dabei geht er von der Überzeugung aus, dass sich diese Weisheit in dreierlei Dingen besonders rein erhalten hat: in der mythologischen Überlieferung (Sage vom Alter der Lerche und Vorstellung vom siebenmaligen Aufflug im Tag zu Gott), in den Hieroglyphen und in der Sprache, deren älteste Schichten vor allem noch in den Namen erkennbar sind. Wer den Namen, das Bild und die mythologische Überlieferung richtig zusammensetzt und deutet, der hat gewissermassen den Schlüssel zur geheimen Wahrheit in seinen Händen 1 1 0 . Wer aber im Besitze dieser Wahrheit ist, der sieht auch in der kleinsten Einzelheit ihre tiefere Bedeutung und kann sie in ein System von sinnvollen Bezügen einordnen. Dies ist denn auch die Aufgabe, der sich im folgenden Goropius unterzieht. Nachdem er in der Lerche das Symbol jenes "Lebenswerkes" erkannt hat, das die Essenz des himmlischen, d.h. ewigen Lebens ist, nämlich Gott zu loben und zu preisen, versucht er alle Einzelheiten der mythologischen, hieroglyphischen und sprachlichen Überlieferung in allegorisch-christlichem Sinne zu deuten, wobei die Art und Weise seines Vorgehens eine starke Affinität zur mittelalterlichen Exegese zeigt. Tritt bei der jeweiligen Ausdeutung der sensus moralis in den Vordergrund, so wird die Lerche, da sie das richtige, d Ji. auf Gott ausgerichtete Leben verkörpert, zum
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Vorbild für den Menschen, tritt dagegen der sensus mysticus in den Mittelpunkt der Deutung, so wird die Lerche zum Symbol des ewigen Lebens und damit stellenweise zum Symbol Christi, der seinerseits wieder das ewige Leben verkörpert. Die einzelnen Punkte der griechischen Sage deutet er so: Die Lerche war vor der Erde da: weil die von ihr versinnbildlichte Aufgabe, Gott zu loben und zu preisen, von jeher bestand, darum ist auch die Lerche als ihre Trägerin älter als die Erschaffung der Erde 111 . Sie begrub ihren toten Vater in ihrem Kopf: Christus und Gott Vater sind eins, d.h. wenn Gott Vater der Vater der Lerche und des von ihr verkörperten Werkes ist, so ist auch Christus ihr Vater. Der Opfertod Christi, der sich realiter erst auf Erden vollzieht, ist in der Praescientia Gottes schon vor der Erschaffung der Erde vollzogen, d.h. Christus, der durch seinen Tod zum Vater des ewigen Lebens wird, liegt im Kopf der Lerche begraben und sein Grabmal ist eben jene kegelförmige Haube, welche das Leben als solches darstellt 112 . Bei der Ausdeutung der mündlich tradierten, einheimischen Überlieferung überwiegt der sensus moralis, so dass gewisse Parallelen zu Stellen aus mittelalterlichen Predigten durchaus bestehen. Allerdings lassen diese weniger an eine direkte Beeinflussung als eine ähnliche Geisteshaltung denken. Der Vorbildcharakter der Lerche für den Menschen beruht im wesentlichen auf den beiden folgenden Momenten: die Lerche lobt den Schöpfer, a) sieben Mal im Tag, indem sie b) die Erde verlässt und zum Himmel aufsteigt. Sieben Mal im Tag versteht Goropius als eine symbolische Bezeichnung für perfectissimä omnibus modis et Semper (S. 117, Z. 25). Wie die Lerche verrichtet auch Christus - sozusagen als himmlische Lerche — sieben Mal im Tag sein Gebet, d.h. er leistet unablässig Fürbitte bei seinem Vater für die Menschheit 113 . Indem Goropius der Lerche Christus als göttliches Gegenstück gegenüberstellt, deutet er an, dass derjenige, der ein solches "Lerchen-Verhalten" ansichnimmt, sich zugleich auch in der Imitatio Christi befindet. Im Gegensatz zu diesem ersten Teil, wo der Mensch die Möglichkeit hat, dem Vorbild der Lerche unmittelbar zu folgen, kann der von der Lerche vordemonstrierte Aufflug nicht mehr real vollzogen werden, da dem Menschen die Flügel des Vogels fehlen. So geht nun Goropius daran, schrittweise aufzuzeigen, wie es der Mensch bewerkstelligen muss, um geistige Flügel zu bekommen, wobei er immer wieder auf das Beispiel der Lerche zurückgreift, um seine Darstellungen zu illustrieren. Als erstes geht es darum, sich von den irdischen Dingen nicht umstricken zu lassen und die geistige Freiheit zu bewahren. So wie die Lerche zwar auf der Erde ihr Futter sucht, aber selbst die höchsten Baumwipfel als unwürdig erachtet, um darauf das Lob Gottes zu singen, weil diese ihre Wurzeln in der Erde haben, so soll auch der Mensch sich von allen Sorgen und Leidenschaften lösen und alles Irdische so weit als
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möglich zurücklassen 114 . Dabei lehnt Goropius die ganze geschaffene Welt nicht schlechthin einfach ab, denn gerade die Betrachtung der Schöpfung und ihrer Schönheit bildet einen wichtigen Bestandteil im Prozess der Flügelgewinnung, ist sie es doch, die des Menschen Gedanken auf den dahinterstehenden Schöpfer lenkt. Allerdings birgt sie natürlich die Gefahr in sich, dass sich der Mensch in ihr verliert und seinen Schöpfer darüber ganz vergisst. Wird sich der Mensch aber erst einmal bewusst, dass Gott die Welt seinetwegen erschaffen hat, so wird ihn ein tiefes Erstaunen über die unermessliche Güte Gottes ergreifen — ein Erstaunen, das sich allmählich in eine brennende Liebe zu Gott verwandeln wird. In diesem Moment lässt der Mensch alles Irdische zurück und trachtet nur noch nach den himmlischen Freuden, d.h. die Ablösung von der Erde ist vollzogen und der feste Glaube wird ihm zu Flügeln des Auffluges zu Gott 1 1 5 . Der Glaube an Christus den Erlöser ist also das Medium, das von unten nach oben, von der Dunkelheit zum Licht, vom endlichen Leben ins ewige fuhrt 1 1 6 . In der Schlussfolgerung dieses zweiten, mit der Aufschwungthematik verbundenen Teils wird offensichtlich, dass der Vorbildcharakter der Lerche nur symbolisch zu erfassen ist, indem ihr Aufflug zum Bild eines inneren Vorganges im Menschen wird: des Sich-Aufschwingens zu Gott auf den Flügeln des Glaubens. Dieser feste Glaube aber, der den Menschen stützt und aufrecht hält, findet sich im Zusammenhang mit der Lerche noch an einem andern Ort, auf jener ägyptischen Hieroglyphentafel des Bembo nämlich, wo er durch die sieben Stäbe, auf denen die Lerchenköpfe thronen, repräsentiert ist, wobei Goropius noch ausdrücklich festhält, dass es sich dabei um ein Bild für den tätigen Glauben handelt, der sich als Caritas äussert. Dass aber das oberste Werk dieses tätigen Glaubens das Gebet und das Lob Gottes sind, lässt sich daran erkennen, dass auf der Spitze der Stäbe die Lerchenköpfe als Symbole des 117 Gottpreisens stecken . Damit haben wir in groben Zügen die grossen Linien, denen Goropius bei der Ausdeutung der Alauda im 8. Buch seiner Hieroglyphica folgt, umrissen. Vieles, was von allgemeinerem Interesse in bezug auf Goropius' Methode der allegorischen Exegese gewesen wäre, aber nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Thema Lerche stand, musste entweder ganz wegfallen oder konnte nur andeutungsweise erwähnt werden. Zudem werden einzelne symbolische Bezugssysteme von Goropius als bekannt vorausgesetzt, da er sie in den früheren Büchern der Hieroglyphica schon ausführlich dargelegt hat, wie das z.B. für die Form des Kegels bzw. der Pyramide im 7. Buch (Aleph) der Fall ist 1 1 8 . Was Goropius ausserhalb des 8. Buches der Hieroglyphica noch zum Thema Lerche vorbringt 119 , beschränkt sich im grossen und ganzen auf eine knappe Wiedergabe einzelner Aspekte, die er im Rahmen des 8. Buches ein-
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gehend abgehandelt hat. Einzig das 9. Buch der Hieroglyphica und das 3. Buch der Gallica enthalten noch eine wesentliche Ergänzung zu dem bis anhin Gesagten. Hier kommt Goropius noch auf einen spezifischen Ruf, welchen die Lerche zwischen ihren Gesängen einschiebt, zu sprechen. Dabei deutet er ihn einmal als Di ew, di ew, di ew (d.h. die Ewigkeit), wodurch die Lerche anzeige, dass sie all ihre Gebete und Lobgesänge um der Ewigkeit willen vortrage 120 , und an der anderen Stelle erkennt er darin das alte Wort der keltischen Galater (vgl. oben Anm. 105) für Gott: Dieu, dieu, dieu, das er aber auch auf Di-ew (Ewigkeit) zurückfuhrt 121 . Eine etwas andere Ausdeutung der Geschichte von der Lerche, die ihren Vater im Kopf begräbt, bringt das 1. Buch der Gallica. An die Stelle einer Auslegung nach dem sensus mysticus tritt eine solche nach dem sensus moralis, indem der Mensch im Anschluss an die Geschichte aufgefordert wird, den himmlischen Vater in seinem Kopf zu "begraben" 122 . Die Auswechselbarkeit der Inhalte aber zeigt, dass wenn einmal ein bestimmtes Grundschema für die Deutung aufgestellt worden ist, die Interpretation des einzelnen Phänomens in verschiedene Richtungen gehen kann, ohne dass dabei die übergeordnete Idee zerstört würde. So kann die Lerche gleichzeitig das Sinnbild des auf Gott ausgerichteten menschlichen Lebens, das von der Erde weg zur Höhe strebt, und des Lebenswerkes, das der Mensch hier auf Erden vollbringen muss, sowie des ewigen Lebens sein und daneben noch als Symbol für den wahren Glauben, ja sogar für Christus auftreten. Dies ist aber nur möglich, weil alle diese genannten Symbolwerte ihrerseits wieder mannigfaltige Beziehungen zu einander aufweisen, d.h. das zugrundeliegende System nirgends durchbrochen wird. Dieses wiederum beruht auf einem rein christlichen Weltverständnis, das selbst die ältesten Zeugnisse der heidnischen Antike als Träger jener von Gott Adam als dem ersten Menschen geoffenbarten und dem Christen durch den Heiligen Geist wieder zugänglich gemachten göttlichen Weisheit sieht 123 . Als Dokument einer Philologie, die sich einerseits in ihrer Methode ganz an den sprachwissenschaftlichen Vorstellungen und Anforderungen der Humanisten orientiert, die aber andererseits in ihrer Zielsetzung ausschliesslich der christlichen Allegorese dient, sind Goropius' Ausführungen zum Thema Lerche auch heute noch von Interesse für uns, auch wenn sie hinsichtlich ihres sprachwissenschaftlichen Gehaltes schon längst überholt und vergessen sind1 . Für die spezifische Fragestellung dieser Arbeit sind sie insofern von grosser Bedeutung, als sie zeigen, dass bei völlig verschiedener Ausgangslage — im Mittelalter eine Etymologie a laude, bei Goropius eine Etymologie al and bzw. leefwerc sowie je ein ägyptisches, griechisches und einheimisch-mündliches Dokument — der gleiche Symbolcharakter für die Lerche erarbeitet wird: Sinnbild des zu Gott strebenden Menschen oder vorbildlichen christlichen Verhaltens.
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So ausgefallen und fragwürdig die philologischen Schlüsse von Goropius für uns heute auch sein mögen, so haben sie doch in ihrer Zeit eine gewisse Beachtung gefunden. Als Beweis dafür mag uns die Ornithologia des Ulysses Aldrovandus, eines bekannten italienischen Naturwissenschaftlers aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts dienen 125 . Wie sein grosses Vorbild, Conrad Gesner, von dem er immer nur als von dem Ornithologus spricht, beschränkt er sich nicht auf den naturkundlichen Teil, sondern will ebenfalls das ganze Wissen seiner Zeit miteinbeziehen. Inhaltlich und im Aufbau lehnt er sich eng an Gesners Historia animalium an, mit dem einen grossen Unterschied, dass er in einem ersten umfassenden Kapitel alles zusammenstellt, was die Lerche allgemein betrifft, und anschliessend jeder einzelnen Lerchenart noch ein spezielles Kapitel widmet. Dadurch gewinnt sein Werk an Übersichtlichkeit, die durch die eingeschobenen Untertitel noch erhöht wird. Allein anhand dieser knappen Inhaltsangaben126 können wir schon ungefähr feststellen, was in den vierzig Jahren, die seit dem Erscheinen von Gesners Historia animalium vergangen sind, an theoretischem Schrifttum zum Thema Lerche verfasst wurde. So erscheinen plötzlich ganz neue Aspekte wie Vsus in insignibus und Moralia et mystica^. In dem erstgenannten Unterkapitel, das die Verwendung der Lerche als Wappentier zum Thema hat, zitiert Aldrovandus eine Stelle aus den Commentarii Reipub. Romanae des Wiener Arztes 1
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und Kartographen Wolfgang Lazius1 . Lazius vertritt darin die These, dass das älteste österreichische Wappen aus drei goldenen Lerchen bestanden hatte, die ihren Ursprung von der Legio decima alauda germanica herleiteten 129 . In dem zweitgenannten Unterkapitel, das seine Bezeichnung von dem sensus moralis bzw. mysticus bezieht, bringt Aldrovandus eine lange Zusammenfassung der Ansichten, die Goropius in seiner Hieroglyphica äussert, wobei er über grosse Strecken Goropius selbst zu Worte kommen lässt 130 . Abschliessend fügt er dann noch zwei bekannte Ausdeutungen bei: so wie die Lerche am süssesten singt, wenn der Himmel heiter und unbewölkt ist, so singt der Mensch am schönsten Gottes Lob, wenn sein Gewissen rein und unverdunkelt von Sünde ist; so wie die Lerche vor dem Habicht Schutz im Schoss des Menschen sucht, so soll der Mensch bei Christus Schutz vor dem Teufel suchen 131 . Aber nicht nur in diesen beiden neu eingeführten Abschnitten finden wir Theorien und Erkenntnisse neuesten Datums, auch in den andern stossen wir immer wieder auf Aussagen und Meinungen, die bei Gesner noch nicht vorhanden sind. Gerade auf dem naturwissenschaftlichen Sektor bietet Aldrovandus eine Reihe von Beobachtungen, die zu einem grossen Teil von ihm selbst stammen und von einem zunehmend empirisch orientierten Wissenschaftsverständnis zeugen 132 . Auf dem Gebiete der Philologie und der klassischen sowie neolateinischen Dichtung finden wir einiges, was wir von Go-
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ropius her kennen, anderes wiederum ist weder bei diesem noch bei Gesner belegt 133 . So bringt Aldrovandus neben der angeblich Aesopischen, von Aristophanes überlieferten Sage vom hohen Alter der Lerche und von der Entstehung ihrer Haube zwei echte Fabeln des Aesop, die beide von einer Lerche handeln, die in einer Schlinge gefangen wird 3 4 . Ausserdem zitiert er eine bei Julius Caesar Scaliger angeführte Fabel, die eine Abwandlung des Hesiodschen Ainos von der Nachtigall und dem Habicht ist 135 . Von Baptista Mantuanus stammen drei Verse, die Aldrovandus als Beweis dafür dienen, dass die Lerchen umso schöner und häufiger singen, je höher sie zum Himmel steigen 136 . Ebenfalls im Zusammenhang mit dem Gesang der Lerche erwähnt er drei Zeilen von Dante, in denen von der Zufriedenheit des Vogels über die Schönheit des eigenen Gesangs die Rede ist 1 3 7 . Eine Stelle aus einem Emblem des Alciat wiederum verwendet er zur Stützung seiner Aussage, dass die Lerchen ihre Brut oft im Getreide oder im Gras verbergen 138 . Bezeichnend für Aldrovandus und für die anderen Humanisten, deren Schriften wir in unsere Untersuchung miteinbezogen haben, ist ein unreflektiertes Verhalten zur Dichtung und ihrer Fiktionalität. Dichtung — sei es antike oder neuzeitliche — ist Abbild der wirklichen Welt, und ihre Aussagen sind in bezug auf die Kenntnis der Dingwelt von ebenso grossem Gewicht wie diejenigen der spezifisch omithologischen Literatur. Von einer Eigengesetzlichkeit der Dichtung, die sich als eigentliche Diskrepanz zwischen fiktiv gestalteter und real erfahrener Welt manifestieren kann, wissen diese so vielseitig interessierten Gelehrten des 16. Jahrhunderts noch nichts. Ihr Ziel ist es, alles erreichbare Wissen zu einem bestimmten Gegenstand zusammenzutragen, um dadurch ein möglichst abgerundetes Bild von der Sache und ihrer Bedeutung für die körperliche und die geistige Welt zu gewinnen. In diesem Sinne ist etwa die Ornithologia eines Aldrovandus für unsere Belange besonders aufschlussreich, als sie nicht nur reiches naturwissenschaftliches Material enthält, sondern uns gleichzeitig Aufschluss über die profunden Kenntnisse dieser Zeit in bezug auf die gesamte griechisch-römische Literatur und über ihre Bemühungen, dieses ganze Wissen geistig zu durchdringen und für das Göttliche bedeutsam zu machen, gibt. Gerade auf diesem letzteren Gebiet treffen wir im Zusammenhang mit der Lerche auf eine erstaunliche Vielfalt in der Wahl und in der Auslegung der einzelnen Fakten. Allerdings ist diese Vielfalt der Fakten zu einem grossen Teil das Verdienst von Johannes Goropius, der eine Reihe von Aspekten berücksichtigt, die nicht unmittelbar in Verbindung mit dem Wesen der Lerche stehen.
5. Der Mundus symbolicus
des Philippus Picineüus
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5. Der Mundus symbolicus des Philippus Picinellus Obwohl in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts kaum noch für die Auslegung bedeutsame neue Erkenntnisse auf dem naturwissenschaftlichen, philologischen und ikonographischen Sektor dazukommen, sind die Möglichkeiten der Deutung noch nicht alle ausgeschöpft, wie uns das grosse kompilatorische Werk des Philippus Picinellus, der Mundus symbolicus, beweist. Wie einst Petrus Berchorius so will auch Picinellus dem Leser die hinter den Erscheinungen liegenden Sinngehalte vermitteln. Zu diesem Zweck durchsucht er mit bewundernswertem Fleiss die Schriften der christlichen Denker von den Kirchenvätern bis zu seihen Zeitgenossen und zieht auch Emblembücher religiöser Prägung bei. An naturwissenschaftlichem Material bezieht er nur soviel mit ein, als zum Verständnis des Lemma, d.i. eine sentenzartige Wiedergabe dessen, was ausgedeutet wird, unbedingt notwendig ist. Über die Lerche berichtet er im 3. Kapitel des vierten Buches (