Die Kunst des Gelingens: Wege zum Vitalen Unternehmen - Ein Lernbuch [3 ed.] 9783896446657, 9783896736659

In diesem Buch wird beschrieben, wie Unternehmen und Organisationen sich verbessernd verändern können. Das Buch basiert

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German Pages 304 [305] Year 2014

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Die Kunst des Gelingens: Wege zum Vitalen Unternehmen - Ein Lernbuch [3 ed.]
 9783896446657, 9783896736659

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Gustav Bergmann

Die Kunst des Gelingens Wege zum Vitalen Unternehmen – Ein Lernbuch

3., überarbeitete Auƀage

Verlag Wissenschaft & Praxis

Die Kunst des Gelingens

Gustav Bergmann

Die Kunst des Gelingens Wege zum Vitalen Unternehmen – Ein Lernbuch 3., überarbeitete Auflage

Verlag Wissenschaft & Praxis

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

ISBN 978-3-89673-665-9  Verlag Wissenschaft & Praxis Dr. Brauner GmbH 2014 D-75447 Sternenfels, Nußbaumweg 6 Tel. +49 7045 93 00 93 Fax +49 7045 93 00 94 [email protected] www.verlagwp.de Einbandfoto:  Gustav Bergmann

Alle Rechte vorbehalten Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck und Bindung: Esser printSolutions GmbH, Bretten

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Inhalt Geleitwort: Respektvoll quer durch ......................................................................9 Einführung ..........................................................................................................13 Teil I Der Prozess des Gelingens ........................................................................19 0 Das vitale Unternehmen als realistische Vision ............................................19 0.1 Philosophie der charakterstarken Vielfalt und lernenden Entwicklung .......................................................................20 0.2 Der Lern- und Lösungszyklus (Solution Cycle) .................................21 0.3 Management als Kontextgestaltung – der systemische Weg ..............25 0.4 Lösen, Lernen und Leben ...................................................................28 1 Kontext: Erkennen, Wahrnehmen und Beobachten .......................................33 1.1 Der beginnlose Beginn .......................................................................34 1.2 Erkennen, Beobachten und Wahrnehmen ..........................................35 1.3 Kontexte: stabil bis turbulent .............................................................37 1.4 Reflexion und Initiation .....................................................................39 1.5 Der Kreislauf der Erkenntnis ..............................................................41 1.6 Die Orientierungsgrundlagen .............................................................43 1.7 Die Beeinflussungsleiter zum Erkennen unterschiedlicher Sichtweisen ........................................................................................47 1.8 Hilfreiche Perspektiven ......................................................................49 2 Probleme und Visionen .................................................................................51 2.1 Die Verwesentlichung der Information ..............................................52 2.2 Problembeschreibung und Visionsbildung .........................................54 2.2.1 Die PePsel – die problemerzeugenden Pseudolösungen .........55 2.2.2 Visionsbildung ........................................................................59 2.3 Methoden der Problembeschreibung und Visionsbildung ..................62 2.3.1 Diagnose-Interviews ...............................................................62 2.3.2 Vision Picture..........................................................................63 2.3.3 Open Space und andere Metaloge ...........................................64 2.3.4 Mind Mapping ........................................................................66 2.3.5 Konstellationen, Sculpturing, Metaphorik ..............................67 2.3.6 Der Dialog als Methode der Verständigung ............................68

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INHALT

3 Energie mobilisieren ......................................................................................71 3.1 Der Kontext der Kreativität ................................................................72 3.2 Methoden der Kreativitätsentwicklung ..............................................75 3.2.1 Brainstorming .........................................................................75 3.2.2 Sustainable Brief Solution Talk ..............................................76 3.2.3 Umkehr-Technik .....................................................................77 3.2.4 Force-fit-Spiel .........................................................................77 3.2.5 Attribute Listing ......................................................................78 3.2.6 Brainwriting (Methode 6-3-5) .................................................79 3.2.7 Assoziationen ..........................................................................79 3.2.8 Verbale Checklisten der Kreativität ........................................79 3.2.9 Synectics .................................................................................80 3.2.10 Kreativitätskreise (Problemlösegruppen) ................................80 3.2.11 Morphologische Diagnose .......................................................81 4 Planen, Organisieren und Auswählen ............................................................83 4.1 Erfolg und Gelingen: die ganzheitlichen Ziele ...................................85 4.2 Dauerhafte Kurzzeitlösungen (DaKuzel) – Best Patterns ..................88 4.3 Spielregeln und Kontextmuster ..........................................................90 4.3.1 Kontextmuster .........................................................................91 4.3.2 Evolutionäre Spielregeln – Best Patterns ................................93 4.4 Das Modell der evolutionären Planung ............................................101 4.4.1 Das klassische Portfolio-Konzept .........................................101 4.4.2 Das evolutionäre Portfolio-Modell........................................105 4.5 Der Planungsprozess: Lösungsfindung im Dialog ...........................110 5 Aktive Veränderung ....................................................................................113 5.1 Wege systemischer Veränderung .....................................................114 5.2 Die Akteure und Interventionisten ...................................................118 5.3 Interventionsformen .........................................................................120 5.3.1 Sprache und Metaphern ........................................................122 5.3.2 Strukturelle Interventionen ................................................... 124 5.3.3 Die Atmosphäre als Gestaltungsmittel ..................................130 5.4 Intervenieren schafft Lösungsmöglichkeiten....................................135 6 Kontakt, Flow oder Flop ..............................................................................139 6.1 Lern- und Entwicklungsbarrieren .....................................................140 6.2 Konflikte und deren Lösung .............................................................149 6.3 Beziehungsentwicklung, virtuelle Organisation ...............................152

INHALT

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7 Lernsysteme und lernende Organisation .....................................................163 7.1 Die Systematisierung des Lernens – Muster, Regeln und Geschichten ......................................................164 7.1.1 Musterbildung als Dichtung ..................................................165 7.1.2 Unternehmensgeschichten – Learning Histories – Business Stories ....................................................................166 7.1.3 Spielregel-Diagnose ..............................................................167 7.1.4 Lernen aus guten Erfahrungen – Best Patterns .....................168 7.2 Der Weg zur lernenden Organisation ...............................................171 7.3 Die organische Unternehmensentwicklung ......................................174 8 Loslösung ....................................................................................................187 8.1 Regeln zur kommunikativen Verständigung ....................................188 8.2 Feed-back als Methode der Reflexion ..............................................188 8.3 Ethik als Chance zur praktischen Orientierung ................................191 8.3.1 Allgemeine Probleme bei der Entwicklung einer Unternehmensethik ...............................................................194 8.3.2 Eckpunkte einer kommunikativen Ethik ...............................196 8.3.3 Grundformen der Systemethik ..............................................197 8.3.3.1 Die klassischen Konzeptionen ..............................................197 8.3.3.2 Neuere Ansätze der Systemethik ..........................................198 8.3.4 Die kommunikative Ethik: Dialoge, Partizipation und Spielräume ............................................................................199 8.3.5 Das win/win-Prinzip: kooperative Lösungen ........................201 8.3.6 Ethik als Lernprozess: integratives Vorgehen .......................202 8.3.7 Die kultivierte Leichtigkeit als Erfolgsfaktor........................203 Synopse .............................................................................................................205 Teil II Die Theorie des Gelingens .....................................................................207 1 Die Basisbegriffe und Definitionen .............................................................207 2 Theoretische Ansätze...................................................................................221 2.1 Turbulenz und Komplexitätstheorie .................................................222 2.2 Evolutionstheorie .............................................................................224 2.3 Systemtheorie ...................................................................................230 2.4 Radikaler Konstruktivismus .............................................................238 2.5 Die Gestalttheorie.............................................................................242 2.6 Kommunikationstheoretische Grundlagen .......................................243

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INHALT

2.7

Die Persönlichkeiten der Unternehmen ............................................257 2.7.1 Die Entwicklung einer Persönlichkeit ...................................258 2.7.2 Die Charakterentwicklung und -typologie anhand psychologischer Modelle ......................................................267 2.7.2.1 Psychoanalytische Modelle .....................................268 2.7.2.2 Brain Mapping ........................................................271 2.7.2.3 Die Jung’sche Typologie der Persönlichkeiten .......273 2.7.2.4 Die Naturelle im Enneagramm ...............................275 2.7.2.5 Die chinesische Feng-shui-Lehre ............................277 2.7.2.6 Moderne psychologische Typologien .....................279 2.7.3 Das integrierte Brain-Map-Modell ........................................280

Danke ................................................................................................................283 Literatur.............................................................................................................285 Anhang ..............................................................................................................295 Stichwortverzeichnis .........................................................................................297

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Geleitwort: Respektvoll quer durch Ein Vorwort zu schreiben bedeutet, man setzt Worte vor etwas; hier vor ein Buch. Kaum hat man dies zugesagt wird deutlich, dass dies, nimmt man die Aufgabe ernst, nicht ganz leicht ist. Im vorliegenden Falle können wir es, soviel sei bereits gesagt, vor allem eine Ehre nennen. Der Titel des Buches überrascht zunächst und assoziiert im zweiten Blick ein anderes Meisterwerk: die Logik des Misslingens. Misslingen hat in der Regel eine Retrospektive (etwas ist misslungen und dies gilt es zu erklären). Dieses Buch hingegen skizziert Erfolgsmuster also Muster des Gelingens. Es lädt nicht zur Analyse von Geschehenem in der Vergangenheit ein, vielmehr zur Gestaltung zukünftiger Prozesse. Hier mag man innehalten, sich selbst verliebter Heilsversprecher erinnern und mit Recht die Vorhersage der Zukunft als nicht möglich zurückweisen. Diese Sorge ist unberechtigt: Nicht die Erklärung, warum etwas misslingt oder uneinlösbare Zukunftsversprechen, sondern die Analyse von Prozessen, die gelungen sind, führen hier die Feder. Dies signalisiert Nähe zu einem der bekanntesten psychotherapeutischen systemischen Praktiker, nämlich zu Steve de Shazer, zu dem dann im Text auch immer wieder der Bogen, im Sinne von Analogien gezogen wird. Ein neues Buch aus dem systemischen Feld, mögen die Leser denken und eine passende Schublade öffnen. Unsere Erfahrung war eine andere: Wir konnten keine passende Schublade finden. Dieses Buch passt nicht in Schubladen, es entzieht sich allen Versuchen ein passendes Etikett zu finden. In diesem Sinne ist es absolut originell und neu, aber davon ein bisschen später. Beratung von Organisationen hat Hochkonjunktur, aber auch für die Zunft der Berater (oder gerade für diese) gilt, es ist nicht alles Gold, was glänzt. Anderen einen Rat zu geben bedeutete früher, über etwas mehr zu wissen als der Ratsuchende selbst. Dies mag manchmal relativ einfach klingen. Wenn ich den Weg nicht kenne, kann ich niemandem erklären, wie er (vielleicht) an sein Ziel kommen kann. Berater oder Begleiter organisationaler Prozesse haben es hierbei wesentlich schwerer. Sie müssen praktisch den Versuch unternehmen, Zukunft zu gestalten; denn eben dies und nichts weniger erwartet der Kunde. Es ist genau betrachtet eine unmögliche Aufgabe. Es gibt keinen gesicherten Weg oder wissenschaftlich ausgedrückt: Instruktive Interventionen existieren nicht, Systeme sind nicht von außen steuerbar. Doch gerade dies, die Steuerung von organisationalen Veränderungsprozessen, ist das Produkt der Berater, das der Kunde kaufen möchte und das es in Konsequenz zu verkaufen gilt.

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GELEITWORT

Die Lösung dazu ist denkbar einfach und gleichzeitig unauflösbar widersprüchlich, um nicht zu sagen paradox. Um dies annähernd glaubhaft tun zu können, verweisen wir auf Referenzsysteme. Einige begnügen sich mit einem Hinweis auf ihren Ruf; ihre Erfolge sind untermauert durch eine Referenzliste. Aber auch Metaphysik und der Verweis auf Glaubensbekenntnisse werden hierfür herangezogen. Soweit Beratung Wissenschaft im weitesten Sinne als Referenz ansieht (dies erscheint uns bis dato als das valideste Referenzsystem), steht sie heute vor einer spannenden Frage. Die führenden Köpfe der Systemtheorie (z. B. Luhmann) und des Radikalen Konstruktivismus (z. B. von Glasersfeldt, S. J. Schmidt u. a. m.) stellen uns eine Metatheorie und damit eine Grundlage für Praxistheorien zur Verfügung, die zurzeit konkurrenzlos erscheint. Eine der Folgen ist, alle Konzepte sind irgendwie systemisch – das Attribut ist Gütesiegel und selbstverständlich auch Verkaufsargument. Ein Handel mit Worthülsen mag manchmal kurzfristig erfolgreich, d. h. verkaufsfördernd sein, aber der Bau der jeweiligen Konzepte gibt letztlich doch Zeugnis. Die zentrale Frage, was systemisch heißt, wird in dem Moment spannend, wenn Konkretheit, also Praxis, droht. Ein interessanter Aspekt: Durch Annäherung an Praxis zeigt sich, welcher theoretische Systembegriff sich hinter den Worten versteckt. Versteht man ein System als etwas Technisches (z. B. Maschine, Computeranlage o. ä. m.) oder wird ihm ein Systembegriff unterlegt, mit dem die Dinge, die Personen miteinander tun (oder sein lassen), konzeptionell gefasst werden können? Verdichtet lautet die Frage: Referieren wir auf eine Theorie, die das Potenzial besitzt, Praxis annähernd abzubilden? Wir unterscheiden zwischen fremdgesteuerten, also allopoietischen, und selbstgesteuerten, also autopoietischen, Systemen. Diese, auf den ersten Blick akademische Unterscheidung hat höchste Praxisrelevanz. Letztlich verbirgt sich hier die spannende Frage: können Menschen gesteuert werden oder sind sie von außen nicht steuerbar? Sind Menschen eine Art emotionalisierte Maschine zur Datenverarbeitung, die bei korrekter Bedienung vorausberechenbare Reaktionen zeigt oder ist ein solches Verständnis der Dinge (für uns eine Hybris) zum Scheitern verurteilt? Publikationen, und damit nähern wir uns wieder dem Buch, lassen sich ohne Mühe als Abbild entsprechender Praxis verstehen. Sie spiegeln das Denken und die Debatte wieder. Neben der Leitdifferenz des Systembegriffes gibt es eine weitere wichtige Unterscheidung. Ein großer Teil von Publikationen richtet sich auf wirtschaftliches Denken und Rationalität. Menschen kommen hier meistens im Nebenkapitel vor. Auch die Gegenposition ist bekannt; sie vergisst mit ihrem einseitigen Blick auf Menschen und deren Bedürfnisse allzu schnell die Relevanz wirtschaftlichen Denkens. Im metaphorischen Sinne können wir auch sagen, der Blick auf das System Wirtschaft, hier verstanden als Ökonomie, oder der Blick auf den Menschen scheinen die Alternative zu sein.

GELEITWORT

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Genau auf diese Pseudoalternative lässt sich dieses Buch nicht ein. Es setzt sich zwischen die Stühle, versucht zusätzlich Theorie und Praxis zu verbinden. Wie im Vorwort angedeutet, ist daher mit Kritik der wirtschaftlich orientierten Kollegen zu rechnen, aber auch die Berater können die Nase rümpfen. Aus ihrer Ecke werden vor allem jene Ideen eingesetzt, die hilfreich bei Lösungen sein können. Dem Buch tut es gut, dass nicht jede Verästelung beraterischer Selbstherrlichkeit bis ins Detail beleuchtet wird. Ein auf acht Markierungen angesetztes Prozessmuster des Lern- und Lösungszyklus stellt die zentrale, durchlaufende Grundidee dar. Solche Lösungszyklen finden sich auch in anderen Publikationen. Ihre Muster sind aber entweder auf wirtschaftliche Argumentationsstränge oder auf menschliche Bedürfniskaskaden aufgebaut. Der Versuch zwischen diesen Denkmodellen hin und her zu oszillieren ist daher eine wegweisende Alternative. Theorie wird als Vorbereitung auf Lernen und zur Reflexion von Praxis verstanden. Ihre Präsentation und Vielfalt wirkt wie eine tour d’horizon. Die Idee des Vitalen Unternehmens (man beachte die Großschreibung) zieht sich wie ein Leitbild durch das ganze Buch. Anders ausgedrückt, es handelt von einer vitalen, theoriegeleiteten Praxis. Man ist geneigt einen Blick auf den Erfahrungshintergrund des Autors zu riskieren. Verantwortung als verantwortlicher Manager, als Hochschullehrer und als Berater finden sich in der Biografie. Probleme zu lösen, die Arbeit des Managers, mit Theorien zu jonglieren, das Genre des Hochschullehrers und lernen im Sinne von Weiterentwicklung finden sich wieder in der Beschreibung der Beratertätigkeit und reflektieren den thematischen Bogen des Buches. Einerseits fest in wirtschaftlichen Denkmustern verankert, verliert er andererseits als Berater die Grundidee nicht aus dem Auge, dass jegliche Veränderung von Organisationen letztlich von Personen getragen werden muss. Dies müssen Manager und ihre Berater beherrschen, wollen sie nicht an der einen oder der anderen Stelle zu große Reibungsverluste provozieren oder in der Falle übergroßen Reduktionismus landen. Die Ressource Zeit ist knapp und dies gilt besonders für jenen Luxus, den wir Lesezeiten, nennen. Im Untertitel ist von einem Lernbuch die Rede. Genau dies möchten wir dem Buch mitgeben. Es könnte und soll zum Lernen anregen. Organisationen, die wichtige Aufgaben zu erfüllen haben, in denen Menschen arbeiten, brauchen Berater, die wissen wovon sie reden und welchen Rat sie feilbieten. Maria L. Staubach und Dr. Walter Schwertl (K3 Beratungsgruppe Frankfurt)

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Einführung Die Kunst des Gelingens stellt Regeln vor, die zu vitalen sozialen Systemen führen sollen. Also zu Unternehmen und Organisationen, die sich permanent weiterentwickeln und in denen engagiert an Lösungen gearbeitet wird. Diese Vision stellt sich nicht mit Sicherheit ein, sie wird nur wahrscheinlicher, wenn die Regeln eingehalten werden, die sich aus guter Erfahrung ergeben. Es ist erstaunlich, wie selten die Erkenntnisse aus gelungenen Projekten genutzt werden. Es gilt, diese Orientierungsmuster zu erkennen, zu systematisieren und zu nutzen. Die Welt ist voller Lösungen, die ein Problem suchen. Den Terminus Kunst habe ich bewusst gewählt, um auf den Zusammenhang von Intention, Intervention und Wirkung hinzuweisen. Es wird immer eine Kunst bleiben, das zu bewirken, was geschehen soll. Geht es doch um den Versuch, „Hand, Kopf und Herz“ wieder zusammenzubringen1, und damit eine erweitere Rationalität zu thematisieren. Kunst kommt von Können, beschreibt das Zusammenspiel von Wissen, Weisheit und Kenntnis. Kunst ist Ausdruck einer kultivierten Leichtigkeit. Kunst hat eine kritisch reflektierende Funktion, die das Andere, die Unordnung und die Vielfalt als Störimpuls und Veränderungsanlass in das Gewohnte einspeist. Ursprünglich gehörte die Wissenschaft auch einmal zu den Künsten, bis dort nur noch das Messbare galt und Phänomene wie Leidenschaft, Freude, Träume, Leid und Leben aus ihr verbannt wurden. Gelungenes Tun ist sowieso eine seltene Kunst. Und so möchte ich den Regeln Vitaler Systeme auf die Spur kommen. Bei dieser Studie handelt es sich nicht um eine weitere Variante modischer Erfolgsbücher, die Heilsversprechen ohne Rückversicherung beinhalten. Wie jedes Buch ist auch dieses autobiografisch geprägt, und so kann der Autor auch von der Rückseite des Spiegels, vom Scheitern, von Niederlagen, Umwegen, Bedenken, Zweifeln, Enttäuschungen und Schattenseiten berichten, um sie für Lernerfahrungen zu nutzen. Die LeserInnen werden eingeladen, mit mir nach Mustern verbessernder Veränderungen zu suchen. Dabei wird das Gelingen vom Erfolg unterschieden: Es kann gelingen, auch wenn wenig zielstrebig und kontrollierend gehandelt wird. Gelingen hat mehr mit „make something happen“ zu tun als mit zielgerichtetem Streben. Das Wort Gelingen stammt von dem mittelhochdeutschen „Gelücken“ ab, bedeutet also, das Glück zur Wirklichkeit werden lassen. Oft bestehen Lösungen in einem geduldigen Unterlassen oder in at1

P. Pitcher, 1998, S. 231, hat den selten guten Versuch unternommen, die Führungslehre als Kunst auf der Basis guten Handwerks zu beschreiben. Die größten „Feinde“ des Gelingens erkennt sie in den Technokraten. Überraschenderweise handelt es sich dabei um eine wirtschaftswissenschaftliche Dissertation bei H. Mintzberg in den USA.

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mosphärischer Gestaltung ohne direkten Eingriff. Gelingen lässt sich nicht direkt anstreben, aber wahrscheinlicher machen. Der zum Gelingen Beitragende braucht dabei nicht immer Recht zu haben, sondern bewirkt, dass das Richtige geschieht, indem die Balance wiederhergestellt wird.2 Dieses Buch erzählt also von Erfahrungen und Erkenntnissen zu Regeln des Gelingens. Sie sollen die Basis für Vitale Unternehmen und Organisationen bilden, die ich als realistische Vision beschreibe. In vitalen Systemen agieren Menschen zugleich fair, kooperativ, mitweltgerecht, mit Freude, engagiert und wirtschaftlich langfristig erfolgreich. Abgeleitet wurden die Regeln aus der Unterscheidung von lebendigen und eher starren Systemen. Die Anwendung ist der zweite Schritt. Hier werden einige gewohnte Verhaltensweisen gestört:3 „Ich glaube“, schrieb Kafka an seinen Freund Pollak, „man sollte überhaupt nur solche Bücher lesen, die einen beißen und stechen. Wenn das Buch, das wir lesen, uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu lesen wir dann das Buch? … Bücher, die uns glücklich machen, könnten wir zur Not selber schreiben.“4 Ganz so schlimm und schmerzvoll wird es wahrscheinlich nicht zugehen, wenn Sie sich die Mühe machen, dieses Buch zu lesen. Einige Passagen werden hilfreiche Unruhe erzeugen. Sie werden versuchen, sie in Ihr Weltbild einzupassen oder sie zu verwerfen. Mit jedem Leser entsteht ein neuer Text durch Konstruktion der subjektiven Wirklichkeit. Sie erschaffen Bilder und verbale Verbindungen. Oder wie Italo Calvino einmal gesagt hat: „Lesen heißt, sich an etwas annähern, was gerade in Entstehung begriffen ist.“ Bedeutung erlangt der Text durch Ihre Verbindungen aus Erfahrungen, Erlebtem zu dem subjektiv wahrgenommenen Inhalt. Es werden Assoziationen ausgelöst wie bei jeder anderen Form der Kommunikation. Leser und Schreiber bilden ein soziales System, indem sie kommunizieren. Das Buch ist manifestierte Kommunikation, die Ausdruck des sozialen Systems ist, in dem der Autor das Buch verfasst hat. Ein Buch bündelt Erfahrung, in diesem Falle meine. Wenn ich Ihnen, verehrte LeserInnen, einen Beitrag leiste, Ihr Leben noch öfter gelingen zu lassen, ein wenig verbessernd zu verändern, dann ist dies Buch gelungen. Die Vorgehensweise Das Buch stellt einen ressourcen- und lösungsorientierten Ansatz dar. Die Analyse und Beschreibung von Problemen nimmt deshalb nur verhältnismäßig wenig Raum ein. Es soll als Lernbuch, von einem Menschen, der sich bewusst als „Lernschaftler“ bezeichnet, vorgestellt werden und dient als Anregung und An2 3 4

Gelingen bezeichne ich auch als optimistisches Dauerscheitern mit immer besser erlebbaren Folgen. Man erfreut sich zunehmend an Problemen und weiß, dass Lösungen nicht von Dauer sind. Störung wird hier nicht im psychoanalytischen Sinne, sondern wertfrei als Einbringen eines Unterschieds verstanden. Zitiert nach A. Manguel, 1998, S. 115.

EINFÜHRUNG

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stoß zu selbstorganisierten Veränderungsprozessen beim Leser. Der Ansatz folgt dem systemischen Prinzip, respektvoll mit Menschen, aber kritisch und respektlos mit Theorien umzugehen. Es werden nicht Menschen den Systemen angepasst, sondern variantenreiche Systemansätze für die Vielfalt von Bedürfnissen und Charakteren der Menschen vorgestellt. Viele Aspekte und Konzepte werden trotzdem streitbar sein, einige unvollständig bleiben. Die Sprache und Stilistik erscheint vielen LeserInnen eventuell ungewöhnlich. Besonders den wissenschaftlichen Kollegen habe ich nicht immer den Wunsch erfüllen können, so zu schreiben, wie das die meisten etablierten Wirtschaftswissenschaftler tun. Das Geschehen in Unternehmen lässt sich nach meiner praktischen Erfahrung nicht mit rein rationalen Begriffen und in mathematischen Formeln beschreiben. Da Sprache den Charakter sozialer Systeme beeinflusst, bestimmte Schlüsselwörter die Zugehörigkeit ermöglichen, andere Worte wiederum tabuisiert und verpönt sind, bin ich mir im Klaren, mit diesem Text zu stören. Es wird schwierig sein, eine gemeinsame Realität zu erzeugen und durch Begriffe übereinstimmend zu begreifen. Sprache schafft Ordnung und greifbares Wissen. Diese Ordnung möchte ich etwas ins Wanken bringen, auch auf die Gefahr hin von bestimmten Persönlichkeiten zunächst nicht akzeptiert zu werden. Die verdinglichten Begriffe gießen subjektive Wahrheiten geradezu in Beton, verhindern also Veränderung. Gerne will ich aber dazu beitragen, Gegensätze zu dekonstruieren, zum Beispiel vermittelnd zwischen die eher metaphysisch intuitive Erfahrung und die puristisch rationale Erkenntnis zu treten. Mit Richard Rorty also die Position des „ironischen Liberalen“ einnehmen, der „augenzwinkernd“ aus Abstand beobachtet und reflektiert.5 Ist doch die Erwartung einer bestimmten Rationalität und Logik der Wissenschaft einer Einsicht gewichen, dass mit einer sehr individuellen Rationalität zu rechnen ist. Zweckgerichtete Forschung kann eben nur auf Zielerfüllung kontrolliert werden, nicht auf Sinn und wenig auf Nützlichkeit. Der einseitigen Wissenschaft wird dann nicht die reine Irrationalität, sondern eine Vereinigung von Erklären und Verstehen in der Systemrationalität entgegengestellt.6 Theorie soll sich hier als praktisch und nützlich erweisen. Sie erhellt das Bewusstsein, lässt Ziele und Wege reflektieren, gibt Anregungen, beschreibt und rekonstruiert die Praxis und ermöglicht die Systematisierung von Orientierungsmustern, den sogenannten Best Patterns. Es kann mit praktischer Theorie die Wirklichkeit besser erkannt werden.7 Wissenschaftstheoretisch engen sich szientistische Systeme extrem ein, die nur bestimmte Theorien, Sprachen und Vorgehensweisen zulassen oder nur das Messbare zur Realität rechnen. In die5 6 7

Vgl. R. Rorty, 1992, S. 127 ff. Vgl. S. J. Schmidt, 1997, S. 153 f. Vgl. dazu A. Manteufel/G. Schiepek, 1998.

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EINFÜHRUNG

sem Buch finden sich deshalb sehr vielfältige Ansätze, die unterschiedliche Perspektiven integrieren. Die konstruktivistisch, systemtheoretisch inspirierte Systemik leistet Aussagen zur Bedeutung von Sprache, führt die Zirkularität allen Handelns ein, problematisiert die subjektive Wahrnehmung, gibt Hinweise auf die reflektorische Beobachtung zweiter Ordnung und die Möglichkeiten kontextueller Interventionen. Ähnliche Aspekte sind auch in der Gestalttheorie enthalten, wobei hier insbesondere die ganzheitliche Wahrnehmung, die Figurbildung und besonders die atmosphärische Gestaltung wichtige ergänzende Elemente einbringen. Die Evolutionstheorie ermöglicht die Interpretation von Eigenschaften als Vorteilhaftigkeit und liefert Anregungen zu Erkenntnisprozessen, zur dauerhaften Entwicklung sowie zum Lernen von Systemen. Mit einigen weiteren Theorien wird insbesondere Wert gelegt auf die Konstruktion von Wirklichkeit sowie die eingeschränkte Möglichkeit der direkten Lenkung komplexer Systeme. Die verschiedenen Ansätze habe ich für interessierte Leser im Teil II (Theorie des Gelingens) zusammengefasst. Ablauf und Lesepfad Ein kleiner Vorteil gleich vorweg: Mensch kann dieses Buch selektiv lesen. In jedem Kapitel kann begonnen werden, weil es modular aufgebaut ist. Im Teil I stelle ich Management in einem universellen Kreislauf dar, der als ewige Spirale weder einen Anfang noch ein Ende aufweist, im Sinne von Botho Strauß eigentlich beginnlos ist.8 Es lässt sich kaum genau sagen, wo Prozesse oder Entwicklungen starten und wo sie stoppen. Alles Werden ist eingebettet in weitere Prozesse. Trotzdem sind neue Anknüpfungen, Beobachtungen und Kontakte differenzierbar. Der Aufbau orientiert sich konsequent an dem sogenannten Lern- und Lösungszyklus (Solution Cycle).9 Deshalb finden sich hier auch acht Kapitel zu den entsprechenden Phasen dieses Entwicklungszyklus. Jede Phase wird jeweils am Anfang der Kapitel kurz charakterisiert. In Teil II werden die wesentlichen Begriffe grundlegend erläutert, um eine einfache Verständigung über die oft komplizierten Ausdrücke zu ermöglichen. Einiges klingt befremdlich und könnte sicherlich einfacher formuliert werden. Es ist jedoch problematisch, die Fachausdrücke zu umgehen. Es erscheint mir sinnvoll, wenigstens die Bedeutung schnell klären zu können. Zudem habe ich die wichtigsten theoretischen Ansätze hier beschrieben, die den systemisch evolutionären Bezugsrahmen der geschilderten Konzeption bilden. Dieser zweite Teil sollte bei vertieftem Interesse oder Verständnisproblemen gelesen werden. Nun folgen noch kurze Anmerkungen 8 9

„Es ist unnütz, nach der Wurzel des Nebels zu suchen. Aller Beginn ist Widerhall.“ B. Strauß, 1997, S. 35. Dieser Zyklus wurde aus dem sog. Gestalt-Zyklus der Veränderung geformt, inhaltlich aber deutlich erweitert. Vgl. E. C. Nevis, 1988 und G. Bergmann, 1997.

EINFÜHRUNG

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zum Verlauf des Teil I: Im Lern- und Lösungsszyklus (Solution Cycle) wechseln öffnende und strukturierende Phasen einander in einem pulsierenden Prozess ab. Die erste Phase dient der Wahrnehmung der Situation. Alle Veränderungsprozesse beginnen mit einem Anstoß, einer Initiative, einem Auftrag, einem gespürten Druck oder einer Idee, oft auch spontan und unerwartet. Je nach erlebter Spannung, dem Naturell der Betroffenen und den sonstigen Kontextbedingungen wird hektisch, abwartend, aufgeregt oder überlegt reagiert. Unterschiedlichste Wahrnehmungen äußern sich in verschiedenen Auffassungen dessen, was als Realität gelten soll. Es beginnt eine sensible Phase des Übergangs aus alter in neue Erfahrung. Es entscheidet sich schon hier, ob der Prozess gelingt, ob Kontakt zustande kommen kann, ob alle Akteure sich engagieren und ob Raum für Entwicklung vorhanden ist. In einem zweiten Schritt gilt es, ein stimmiges Bild der Realität zu schaffen. Es kommt darauf an, welche Karten zur Orientierung benutzt werden (dürfen), welche Tabus und Machteinflüsse bestehen und wie die Verständigung über Kommunikation gelingt. Die verschiedenen Interpretationen werden sukzessive zu einer Frage geformt, es entsteht eine Problemabgrenzung und -beschreibung und erste Visionen prägen sich aus. Es werden typische Probleme erläutert und lokalisiert, Lernprozesse typisiert und Methoden der Komplexitätsstrukturierung und Visionsbildung vorgestellt. Die sogenannte Re-Vision ermöglicht die Orientierung für die Zukunft auf Basis der Erfahrung. Die dritte Phase dient auf dieser Grundlage der Ideengenerierung, Ressourcengewinnung und Teambildung. Hier diskutiere ich die Rollen und Funktionen und stelle Lösungs- und Kreativitätsmethoden vor. Die vierte Phase der Strukturbildung und Planung beinhaltet die Vorgehensweise beim Lernen und Lösen. Modelle der Planung, Kontrolle und Organisation stehen im Mittelpunkt. Im Prozess werden hier Regeln definiert, Prioritäten gesetzt und Verantwortung vereinbart. Die fünfte Phase der Realisation beinhaltet Hinweise zur effektiven Verwirklichung. Methoden der partizipativen Lösungsfindung und der systemischen Intervention bilden den Schwerpunkt. Es wird geklärt, auf welche Weise soziale Systeme gelenkt werden können. Die sechste Phase des Kontaktes symbolisiert den Zustand des erlebten Ergebnisses. Hier werden Reaktionen auf die Neuerung erfasst. Folglich erlaube ich mir hier, Aussagen zur Beziehungs- und Kontaktentwicklung sowie zu Hemmnissen des Lernens, Konflikten und Problemen zu formulieren. Letztlich wird hier auch auf das Scheitern als Schattenseite des Gelingens eingegangen. Die siebte Phase schließt sich an die eigentlichen Veränderungen an. Zunächst werden die erreichten Lösungen musterhaft systematisiert, Unterschiede zwi-

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EINFÜHRUNG

schen erfolgreichen und weniger gelungenen Alternativen ermittelt. Deshalb wird hier auf die Mustererkennung und das Prozesslernen eingegangen. Die letzte Phase dient der Reflexion und Loslösung. Hier wird resümiert und eine Synopse präsentiert. Im Schwerpunkt konzentriere ich mich dort auf normative Aspekte. Der Durchlauf dieser acht Phasen ist elementar in jedem Prozess enthalten. Wenn der Zyklus erfolgreich abgeschlossen ist, kann weiteres Lernen aus dieser Lösung erwachsen. Jedem Kapitel werden die wesentlichen Aufgaben, sinnvolle Methoden, wichtige Akteure und typische Probleme (problemerzeugende Pseudolösungen)10 vorangestellt. Mit speziellen Grafiken sind der Charakter des Prozessschrittes sowie die besonders geeigneten Eigenschaften der maßgeblichen Akteure anhand der Brain Map11 visualisiert worden.

10 Sie werden im Kap. 2 als PePsel vorgestellt. 11 Die Brain Map wird im Kapitel II. 2.7 besonders dargestellt.

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Teil I Der Prozess des Gelingens Im Teil I stelle ich die Wege zum Vitalen Unternehmen in den acht Phasen des Lern- und Lösungszyklus (Solution Cycle) dar. Zunächst beschreibe ich das zentrale Leitbild und Prozessdesign.

0 Das vitale Unternehmen als realistische Vision Das dominierende Leitbild soll in diesem Buch das Vitale Unternehmen sein, welches durch kontrastreiche Vielfalt und durchhaltbare Entwicklungen geprägt ist. Es mangelt teilweise an der Vorstellungskraft für ein vitales Miteinander in Unternehmen, obwohl offensichtlich ist, dass in einer Atmosphäre respektvoller, kultivierter Leichtigkeit erheblich bessere Ergebnisse erzielbar sind als in stringenten, kontrolldominierten Kontexten. Einige Autoren haben Ansätze hierzu geliefert:12 So präsentiert H. Willke seine „Responsive Organisation“ mit hoher Bewusstheit und großen Freiheitsgraden. Arie de Geus beschreibt Elemente der „Living Company“ und A. Picot u. a. sprechen von der „grenzenlosen Unternehmung“. Alle diese Unternehmen ermöglichen und fördern Engagement, verfügen über eine klare Identität, bieten Lernchancen und erweisen sich als langlebig. Es existieren aber viele Unternehmen minimalistisch auf einem suboptimalem Niveau, wobei dann externe Effekte zu Lasten der natürlichen und sozialen Umwelt, der Mitarbeiter inklusive der Führungskräfte oder der Zukunft auftreten und ein langes Leiden erzeugen. Vitale Unternehmen sind ganzheitlich und langfristig erfolgreich.13 Die Beteiligten fühlen sich inspiriert und engagieren sich intrinsisch, das heißt aus eigenem inneren Antrieb. Dieses Konzept geht noch über die lernende Organisation hinaus, indem dem konkreten Problemlösen und der dauerhaften Entwicklung besondere Beachtung geschenkt wird. Zudem schwingt nicht unbeabsichtigt die Konnotation eines lebendigen Organismus mit, während mit dem Begriff „Lernen“ vielleicht an die eigene Situation in der Schule peinigend erinnert wird. Unternehmen lernen immer, manchmal aus bitterer Erfahrung. Mit dem Vitalen Unternehmen soll ein Konzept vorgestellt werden, das proaktives Handeln und die Nutzung des Wandels ermöglicht. Die 12 Vgl. H. Willke, 1996 II S. 91 ff., A. de Geus, 1997 und 1997a sowie A. Picot/R. Reichwald/R. T. Wigand, 1996. Die ersten beiden Autoren führen Beispiele für diese vitalen Systeme an. Eine erweiterte theoretische Basis eröffnen E. K. Seifert/B. P. Priddat (Hg.) 1995, von der Ökologie bis zum Gender Management. 13 Vgl. dazu G. Bergmann, 1996, S. 169 ff.

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Lernrate (als Erkenntnisgewinn pro Zeiteinheit) muss, um Langlebigkeit zu gewährleisten, mindestens der Veränderungsrate des Kontextes entsprechen (L>V). Genauso wie die interne Komplexität der äußeren entsprechen muss (KI=KE). Entwicklungsfähigkeit und Vielfalt können somit als Wesen des Lebendigen benannt werden, wie ich das schon im Konzept der Pluralen Entwicklung versucht habe.14 Der Unterschied zwischen dem vitalen und eher starren Unternehmen liegt im Grad der Authentizität und in der Weise, wie Muster der Orientierung und Gestaltung genutzt werden. Die Kunst des Gelingens erwächst aus der sinnvollen Differenzierung und der stimmigen Anwendung der daraus stammenden Informationen.

0.1 Philosophie der charakterstarken Vielfalt und lernenden Entwicklung Trotz Skepsis, Ironie und Sarkasmus auf der einen und strenger, ernster Machbarkeitsgläubigkeit auf der anderen Seite, möchte ich mich der Vision einer vitalen Unternehmung widmen. In unserem Forscherteam haben wir uns angeschaut, welche Systeme sich langfristig erhalten und dabei allen Akteuren eine angemessene Lebensgestaltung ermöglichen. Dabei kann man interessante Parallelen erkennen. Bestimmte Regeln und Muster sind zu allen Zeiten und in allen Situationen angemessen und erfolgreich. Besonders natürliche Systeme (Ökosysteme) weisen eine multistabile Dauerhaftigkeit auf, die immer wieder zu Erstaunen Anlass gibt. Flüsse und Wälder regenerieren sich in überraschend kurzer Zeit, wenn die extrem schlechten Bedingungen verbessert werden (so zu sehen zum Beispiel bei der Elbe, dem Rhein und den deutschen Wäldern). Mit Blick auf die Evolutionstheorie kann erkannt werden, dass natürliche Vorgänge nicht direkt auf soziale Systeme übertragen werden können. Dennoch sind grundsätzlich ähnliche Muster bei vitalen Systemen zu beobachten. Dass diese Regeln und Muster nicht angewendet werden, liegt wohl in der für Intellektuelle und Wissenschaftler unattraktiven Einfachheit der Vorgehensweise und unserer mangelnden Akzeptanz intuitiven und organischen Vorgehens begründet.15 Vielfalt und Entwicklung stehen im Mittelpunkt. Lebendige Systeme sind vielfältig und beweglich. Unternehmen erlangen demnach durch die Integration heterogener Charaktere und die Förderung stetiger Entwicklung an Vitalität. Als Metapher soll hier der Baum im Mischwald genutzt werden. Es wird dadurch anschaulich, wie ein Unternehmen entwickelt werden kann und sich im Austausch mit anderen multistabilisiert. Ein Mischwald ist multistabil, Monokulturen dagegen relativ instabil, wenn sich die Umfeldbedingungen ändern. Bäume 14 Vgl. derselbe, 1996, S. 20 ff. 15 Auch Cristopher Alexander begründet den Verzicht auf die Regeln seiner Mustersprache der Architektur ähnlich. Vgl. C. Alexander, 1984.

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entwickeln sich wie dauerhafte Managementprozesse: Wenn gute Bedingungen geschaffen werden, entwickeln sich wahrscheinlich optimale Konstellationen heraus. Durch Ableger und Mutation kann weitere Vielfalt geschaffen werden. Die Wurzeln schaffen die Basis für die einzigartige Identität. Der Stamm stellt die Versorgung sicher, die Krone verbindet, vernetzt mit dem Kontext und bietet die Produkte an. Die Entwicklungsergebnisse sind nicht inhaltlich fixiert, können nicht geplant werden, sondern es wird der Rahmen geschaffen, der wahrscheinlicher werden lässt, was dem Charakter der Beteiligten entspricht und eine angemessene Lösung der Probleme beinhaltet. Management wird so als geduldiges Gärtnern gesehen und weniger als vehementes Zurechtschneiden. Es ist nicht voraussagbar, wo und wie die Pflanzen wachsen, aber es lassen sich gute Bedingungen schaffen, zuweilen muss zurückgeschnitten, Möglichkeit für neues Wachstum geschaffen werden; aber radikale Einschnitte sind eher ein Zeichen von ratloser Überreaktion. Lösen, Lernen und Leben sind die elementaren Prozesse in einem vitalen Unternehmen. Täglich werden Probleme gelöst und Entscheidungen getroffen, es wird daraus mehr oder weniger gelernt und neue Erkenntnisse gewonnen. Wenn sich ein Unternehmen in Vielfalt fortentwickelt, kann es wahrscheinlich lange fortbestehen und zu einem vitalen Organismus gedeihen.

0.2 Der Lern- und Lösungszyklus (Solution Cycle) Mit dem Lern- und Lösungszyklus (Solution Cycle) wird im Folgenden ein zentrales Prozessmuster des Gelingens vorgestellt. Es gibt zahlreiche Projektmanagement-Modelle, die versuchen, die wesentlichen Schritte eines Problemlösungsablaufes zu charakterisieren und so einen erfolgreichen Projektablauf überschaubar und kontrollierbar zu machen. Ein intensiver Blick über die in Literatur und Praxis angebotenen Problemlösungszyklen lässt viele Gemeinsamkeiten erkennen.16 Uns liegen mehrere Prozessdesigns von namhaften Firmen vor, die im Prinzip nur wenig differieren. In der Literatur werden wiederum ähnliche Ablaufarchitekturen in mannigfachen Spielarten diskutiert. Trotz dieser sehr hilfreichen Werkzeuge geschieht es dennoch, dass solche Projekte nicht nachhaltig positive Veränderungen bewirken können, oder es kommt zu schwierigen Situationen zwischen den Teilnehmern, die nicht in diesen Projektschritten abgebildet zu sein scheinen. Was in diesen eher technoiden Modellen fehlt, ist die menschliche, persönliche Komponente, die den positiven Verlauf eines Projektes ermöglicht. Es kommt eben nicht so sehr auf die inhaltliche Abgrenzung der Phasen als vielmehr auf die Anwendungsweise an.

16 Vgl. bspw. G. Bergmann, 1996 und 1997 und die dort angegebene Literatur.

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Im gestalttherapeutischen Ansatz der Organisationsentwicklung, der von Edwin Nevis17 geprägt wurde, wird der Prozessablauf von Projekten und Organisationsentwicklungen als Zyklus dargestellt. Ich habe diesen Gestalt-Zyklus zum Lern- und Lösungszyklus erweitert und inhaltlich ergänzt. Insbesondere sind Planung und Aktion zu zwei gesonderten Phasen geformt und die systematische Reflexion in Stufe sieben ergänzt worden. Entgegen der besonders in den Beratungssettings üblichen Betonung von Analyse und Aktion (ich bin versucht, von Aktionismus zu sprechen) ergeben sich acht wesentliche Aufgaben, die wiederum mit den acht bis neun Kompetenzen (vgl. Brain Map18) bearbeitet werden sollten. Die Vielfalt der Methoden, Personen und Ansätze sowie die entschleunigte und reflexive Vorgehensweise sind wichtige Voraussetzungen für eine durchhaltbare Problemlösung. Es wird versucht, die Dauerhaften Kurzzeitlösungen (DaKuzel) durch regelgeleitetes Verhalten in relativ kurzer Frist zu finden. Die Zeitersparnis wird nicht erzielt durch die wenig sinnvolle Verkürzung oder das Auslassen von Phasen, sondern durch den entschleunigten Start mit Betonung der Wahrnehmung, das allmähliche Erlernen metasystemischer Regeln, das Bilden von Erfahrung und das fast „blinde“ Verständnis der Akteure untereinander.19 Der Lösungs- und Lernprozess vollzieht sich in wechselnden Phasen der Öffnung und Schließung. Chaos und Ordnung ergänzen sich zu einem „pulsierenden“ Verlauf. Der Teamkoordinator und Moderator hat die schwierige Aufgabe, den Ablauf so zu steuern, dass alle Teilnehmer sich einbringen können, dass immer das angemessene Energielevel herrscht und die Phasen sinnvoll durchschritten werden. So werden Probleme gelöst, Lernen gelernt und Langlebigkeit erzeugt. Drei Modi bilden jeweils eine unit of work: Erkennen, Kreieren und Reflektieren. Der perzeptive Modus umfasst die Phasen des Wahrnehmens, der Problemklärung und der Visionsbildung. Hier werden die unterschiedlichen Sichtweisen und Wirklichkeitskonstruktionen im Dialog ausgetauscht und zu einer gemeinsamen Figur geformt. Es werden Muster erkannt und geklärt. Als Ergebnis liegen Hauptansatzpunkte und eine gemeinsame Vision vor. Der kreative Modus beginnt mit der Suche nach Lösungen, geht über in die Koordination und endet mit der Überführung der Ideen in die Realität. Hier werden Lösungsmuster kreiert und angewendet. Als Ergebnis liegt eine spürbare Veränderung vor. Nach der Phase des Übergangs und Kontaktes beginnt der reflexive Modus mit der Systematisierung und Integration von Erkenntnissen sowie der Loslösung vom Prozess. 17 Vgl. E. C. Nevis, 1988, S. 37 ff. 18 Vgl. G. Bergmann, 1996, S. 195 ff. Hier werden sehr verschiedene Typologien zu einem Modell zusammengeführt. Vgl. auch Kap. II 2.7. 19 Z. B. die Regel, bei jeder Entscheidung zu fragen: Muss ich das tun? Will ich das wirklich tun? So der Vorschlag des Zeitökologen R. Levine, um wieder mehr eigene Zeit zu generieren. Letztlich ist der Igel dem Hase voraus, weil er immer schon da ist. Oder wie der Langläufer Baumann sagt: „Seitdem ich langsamer laufe, bin ich schneller“.

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Abb. 0.1: Der Lern- und Lösungszyklus (Solution Cycle) Als universelles Orientierungsmuster taucht der Zyklus in allen Stufen und Systemebenen auf, als übergreifender Projektprozess oder gar als Lebenszyklus von Unternehmen und Produkten, wie auch als Subsequenz in kurzzeitigen Interaktionen. Der Lern- und Lösungszyklus (Solution Cycle) ist das Grundmodell des problemlösenden Lernens. Hier wird aktuelles Wissen ermittelt, neue Verknüpfungen geschaffen und auch reflektorisch der Prozess selbst hinterfragt. Wenn er vollständig durchlaufen wird, sind alle Lernstufen enthalten. Kollektives Lernen, Lösen und Entwickeln vollzieht sich ebenfalls in diesem Zyklus. Wissen, Ansichten, Überzeugungen und Erfahrungen werden in Gruppen ausgetauscht, der current space erkundet, dann über eine Spannungssituation Struktur im Dialog gesucht, Figuren und Visionen gebildet, Energien mobilisiert und dabei Lösungswege kreiert, Prioritäten gesetzt, die Dynamik der Prozesse reguliert (time pacing), realisiert und Wirkungen geprüft, um dann gemeinsam im double loop learning den allgemeinen Gehalt zu destillieren. Alle Lern- und Lösungszyklen sind immer in einem System weiterer Super- oder Subprozesse eingebettet, so dass über das organische Vorgehen eine methodische Integration gelingen kann. Zeichnerisch ist das als Räderwerk darstellbar, wobei jeder Prozess wieder Kontext der anderen ist. Einzelne Lernphasen im Zyklus können wiederum als Lernzyklus bearbeitet werden. Genauso ist jede Entscheidung ein Prozess in Form eines Lernzyklus. Konkreter: Eine Unternehmung plant Strategien für die nächsten zehn Jahre und orientiert sich dabei an den normativen Regeln sowie Anfor-

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derungen der Stakeholder. Im Rahmen der Strategien werden eventuell Produkte entwickelt und Kommunikationsplanungen vorgenommen, die wiederum Unterprozesse auslösen wie Design, Konstruktionen, Budgetierung usw. Das Kostbare dabei ist die Koordination und Verständigung weniger über Inhalte, als vielmehr über die Methode und Prozessarchitektur. Akteure können Projekte und Aufgaben wechseln und finden sich doch schnell zurecht, indem sie erkennen können, in welcher Phase sich ein Prozess befindet und wie man sich sinnvollerweise darin einbringt, ohne die Entwicklung zu behindern. Eine konventionelle Koordination über Inhalte scheitert oft an der großen Komplexität und Dynamik und wirkt wie ein fertiges, vom jeweiligen Akteur nicht zu beeinflussendes Fixum. Besonderheiten des Lern- und Lösungszyklus (Solution Cycle) gegenüber den sonstigen Modellen sind zunächst bei der perzeptiven Phase feststellbar. Da geht es zunächst um das Erkennen und anschließend um die Integration der verschiedenen Ansätze der Teilnehmer. Aber auch bei der Mobilisierung von Energie wird viel Wert darauf gelegt, dass die Teilnehmer für das Projekt eintreten und ihr commitment entwickeln. Dadurch wird viel mehr Energie für das Projekt mobilisiert als sonst üblich. Engagement kommt von Inter-esse – dazwischen sein. In der Phase „Kontakt“ zwischen Handeln und Abschluss geschieht eine deutliche Veränderung im Selbst- oder Gruppenverständnis. Es ist spürbar, dass sich etwas verändert hat (andere Sichtweise, Flow, Aha-Erlebnis). Hier wird im besten Falle Beziehung und Vertrauen hergestellt. Alle Beteiligten nehmen die Lösung an, weil sie von Anfang an involviert waren und gewürdigt wurden. Schließlich wird beim Abschluss Wert darauf gelegt, dass die gemachten Erfahrungen verarbeitet werden können und dadurch für weitere Projekte zugänglich sind. Außerdem wird bei diesem Zyklus davon ausgegangen, dass nach Durchlaufen aller Stufen die investierte Energie frei wird, um weitere Projekte durchzuführen. Werden aber einzelne oder mehrere Schritte des Zyklus ausgelassen oder übersprungen, dann bleibt Energie in diesem Projekt gebunden. Das kann sich zum Beispiel darin ausdrücken, dass immer wieder Diskussionen aufkommen, ob man das Projekt nicht doch anders hätte durchführen können, oder dass Einzelne sich frustriert zurückziehen. Beide Situationen können darauf beruhen, dass Einzelne mit ihren Anliegen kein Gehör gefunden haben, da in der ersten Phase nicht ausreichend Informationen über die verschiedenen Standpunkte eingeholt wurden. Wenn keine Veränderung des Denkens oder der Handlungszusammenhänge bei den Beteiligten in der Kontaktphase erfolgt, ist die Durchhaltbarkeit des Projektes gefährdet.

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0.3 Management als Kontextgestaltung – der systemische Weg Managen in komplexen Systemen wird am besten im Sinne des taoistischen Wu Wei praktiziert. Wu Wei heißt eigentlich Nicht-Handeln, wird aber als Geschehen-Lassen und Einlassen auf vorhandene Energien verstanden. Wie bei einer Kanufahrt werden die Strömungen genutzt, nicht gegen sie gearbeitet. Denn Management ist eigentlich eine unmögliche Aufgabe – ein Paradox. Man kann nicht managen und intervenieren, ohne etwas zu verändern oder zu zerstören. Wenn man nicht eingreift, bleiben eventuell mangelhafte Strukturen erhalten. Wenn man aber gestaltet, greift man ein und zerstört oft das Falsche. Nicht nur die gescheiterten Versuche totalitärer Planung in politischen Systemen, auch die in Enttäuschung mündenden Steuerungsversuche demokratischer Regierungen (man denke nur an die Entwicklungspolitik) oder die wenig erfolgreichen Projekte in vielen Unternehmen in der Marktwirtschaft geben betrübliche Einblicke in die Logik des Misslingens (D. Dörner) und sind Ausdruck tiefsitzender Steuerungsskepsis. In dieser Situation der organisierten Hilflosigkeit, die mit dem garbage-can-Modell oder auch als organisierte Anarchie bezeichnet wurde, bieten auch die reinen Negationen wie das muddling through, der Inkrementalismus oder die Deregulierung keine ausgereiften Lösungsalternativen. Vielmehr ist ein differenziertes Steuerungs- und Interventionsrepertoire noch zu entwickeln, das der Komplexität und Dynamik der Kontexte gerecht wird.20 Die Welt ist zu komplex, um sie zielgerichtet gestalten zu können. Soziale Systeme können kaum direkt gesteuert werden, weil sie operational geschlossen sind. Sie sind nur indirekt über den Rahmen (Spielregeln) und die Atmosphäre beeinflussbar – und noch nicht einmal in intendierter Weise. Probleme werden im wahrsten Wortsinne gelöst, wenn sich die Akteure auf die metasystemische Regelung beschränken, also möglichst wenig eingreifen und die Selbstorganisation ermöglichen. „The fundamental role of managers is to shape and create contexts in which appropriate forms of self-organisation can occur.“21 „… it is not the message that many managers want to hear. The whole history of organisation and management theory is based on the idea that it is possible to organise, to predict and control. … But it is not possible.“22 Die Kunst des Gelingens beinhaltet systemische Regeln, die Lösungen wahrscheinlicher werden lassen und Probleme als Anlässe und Chancen zum Lernen 20 Vgl. umfassende Diskussion bei H. Willke zu Intervention, 1996 II und Steuerung, 1998 III. Amüsante Diskussion der genannten Ansätze bei D. Baecker, 1994. 21 Vgl. G. Morgan, 1997, S. 267. 22 Vgl. G. Morgan, 1997, S. 300.

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begreifen. Gelingende Prozesse sind nicht immer Ergebnis anstrengenden Bemühens und stringenter Zielstrebigkeit. Vielmehr kann oft mit wenig Aufwand eine Menge Energie freigesetzt werden. Der sogenannte Return on Management Activity (RoM) verbessert sich, wenn lediglich Impulse gegeben und Möglichkeiten der Selbstorganisation gewährt werden. Die Integration der Beteiligten entfaltet dann das Engagement (RoM = Energie, Engagement/Managementaufwand). Der Managementaufwand sinkt mit dem Grad der Partizipation und Delegation von Verantwortung. Das Engagement der Beteiligten steigt zugleich mit dem Grad der Selbstverantwortung und Nichteinmischung der Vorgesetzten. Die Art der Veränderung ist dabei aber kaum vorhersehbar, vielmehr ist ein gewisses Maß an Multistabilität, an Vielfalt vorzusehen, um auf die unbestimmten Einflüsse der Attraktoren reagieren zu können. In vielen Organisationen wird aber derjenige, der von einer unmittelbar erfahrenen Realität außerhalb der „Höhle“ berichtet, erschlagen, weil er die herrschende Meinung stört (Höhlengleichnis von Platon). Und es wird mit aller Macht versucht, die Position trotz schwindender Möglichkeiten zu erhalten. Soziale Systeme Es bietet sich an, kurz grundsätzlich zu klären, was ein soziales System23 überhaupt ist, wie es sich bildet und wo die Grenzen sind. Soziale Systeme sind Ausdruck der Kommunikation der Akteure. Ein soziales System bildet sich aus den kommunikativen Handlungen von Menschen. Sie bilden Umwelt wie das Wetter, die Räume, die Zeit usw. Sie können den Charakter des Systems durch ihre Kommunikation und die Gestaltung der Atmosphäre maßgeblich verändern und Einfluss gewinnen. Sie brauchen dazu andere nicht zu verändern, sondern nur die Art und Weise ihrer Kommunikation. Jeder Mensch schafft sich seine Sicht der Wirklichkeit, genauso entsteht aus den Interaktionen der Akteure eine eigene Wirklichkeit des Systems mit den Grenzen zum Kontext. Die Ergebnisse einer Organisation in Form von gestalteten Produkten und werblichen Kommunikationsformen sind demnach Ausdruck der internen Kommunikationsprozesse. Wenn man also die Qualität von Marktangeboten verbessern will, ist es weniger ratsam, schärfere Kontrollen und Vorschriften ins Spiel zu bringen, als vielmehr die interne und externe Kommunikation durch eine stimmige Atmosphäre und geeignete Rahmenregeln zu verbessern. Unternehmen und Organisationen sind also sich selbst erzeugende und erhaltende (autopoietische) Systeme, die selbstreferentiell ihre eigene Umwelt erschaffen. Sie werden weniger durch den Kontext veranlasst, sondern veranlassen sich selbst zu Aktivitäten aufgrund ihrer Sichtweise der Welt. Wenn sich eine Unternehmung zum Beispiel als versierter PC-Hersteller, Autoproduzent oder Tür23 Eingehende Erläuterungen in Teil II 2. und 2.3.

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klinkenspezialist versteht, ihre Identität also sehr eng und konkret auslegt, wird sie überrascht durch die Neudefinitionen bisher branchenfremder Wettbewerber. Die Marktgrenzen verschieben sich kontinuierlich, und mit ihnen müssen sich Anbieter verändern, eben koevolvieren. In einem namhaften Unternehmen des Baunebengewerbes findet gerade eine Neudefinition statt, die das Spektrum der Entwicklungsmöglichkeiten erheblich erweitern wird. Aus einem selbstgeschaffenen „Gefängnis“, sich als Spezialist für spezielle Armaturen zu positionieren, erweitert das Unternehmen seine Kernkompetenz in den Bereich „Verbindung zwischen Mensch und Habitat“. Durch diese „Befreiung“ entwickeln sich schon jetzt viele neue Initiativen und die Sichtweisen ändern sich. Die Grenzen des Unternehmens verschieben sich, werden durchlässig und weitere Akteure fühlen sich dem attraktiven System zugehörig. Leben heißt Beobachten Das, was das Unternehmen zum System werden lässt und wie es beeinflusst werden kann, ist nicht unabhängig vom Beobachter. Schon der Physiker Heisenberg hat uns mit seiner Unschärferelation auf den Umstand aufmerksam gemacht, dass Objekte nicht unabhängig vom Beobachter existieren und sich durch das Beobachten verändern. Jede(r) hat eine andere Sicht vom gleichen Objekt. Wenn der Manager die Firma beschreibt, beschreibt er auch einen Teil von sich selbst. Der quasi neutrale Beobachter in Form des Managers, Beraters oder Therapeuten ist immer auch ein wesentlicher Kontextfaktor des Systems, das er zu beobachten und zu beeinflussen versucht. Schon die Beobachtung ist eine starke Intervention, die das System wesentlich verändern kann. Es existieren insofern keine objektiv richtigen Strategien, vielmehr ist allein zu erforschen, wie es kommt, dass bestimmtes Verhalten geäußert und wie erfolgreiches und nützliches von weniger nützlichem Verhalten systematisch unterschieden werden kann. Achtsames, behutsames Vorgehen, multiple Realitätsbeschreibung, kontextuelle Interventionen und kooperatives commitment erscheinen deshalb als wichtige Voraussetzungen durchhaltbaren Managements. Management hat somit die Aufgabe, Impulse zu geben24 sowie einen Rahmen und eine stimmige Atmosphäre für Entwicklung und Lernen zu schaffen – nicht mehr und nicht weniger. Die systemische und gestaltorientierte Vorgehensweise eröffnet Räume und Lücken, um das Unbewusste und Unerklärbare Gestalt werden zu lassen. Es wird zum Beispiel in Dialogen Freiraum geschaffen, der Lösungen und Einsichten ermöglicht, die nicht vorhersehbar sind. In der heutigen medienorientierten Welt gelten diese „toten Punkte“, in denen nichts gesendet – also eher zugehört wird – als Panne und werden „zugetextet“, damit nur keine Ruhephase entsteht. In 24 Zu Impulsen gehören Anstöße zu Neuem, kreative Störungen und Visionen. Neben diesen öffnenden Interventionen sind Rahmenregeln von Bedeutung (Strategien, Leitlinien, Spielregeln).

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Radio und TV werden sogar Texte über die Musik gesprochen, um Gebühren zu sparen. Jede Lücke dient als Werbechance. Glücklicherweise erzwingen diese Übertreibungen auch Gegentrends wie die Sehnsucht nach Leere und Stille. In diesen Zeiträumen können dann neue Dinge entstehen und wachsen. In allem bestimmt der Rahmen die Wahrscheinlichkeit der Ereignisse und er ist das Einzige, was wir beeinflussen können. Wir können an uns selbst arbeiten, an der Atmosphäre, die Zeit und Umgebung können wir wechseln, andere Inhalte einspeisen, die Stimmung verändern, uns äußern oder zurückhalten, interessieren, helfen usw. Gezielte und dann erfolgreiche Steuerung ist eher unwahrscheinlich. Das Gute wie das Schlechte passieren oft zufällig und ungewollt. Es ist nicht möglich, jemanden zu zwingen, ihn zu lieben. Aber es ist schon denkbar, die Wahrscheinlichkeit dafür durch atmosphärische Maßnahmen zu erhöhen. So ist auch der Fahrplan der Bahn Kontextveränderung. Der Plan regt das Bemühen an, pünktlich anzukommen, ob es in welchem Ausmaß gelingt, hängt wiederum von der Kontextgestaltung ab. Es ist, um mit C. G. Jung zu sprechen, das „Machsal“ der Akteure. Es geht darum, Zeiträume entstehen zu lassen, in denen etwas Sinnvolles passieren kann. Die effektive Gestaltung der Unternehmensprozesse besitzt dabei Priorität vor der Formulierung von konkreten Inhalten: Das „Wie“ ist wichtiger als das „Was“. Die Kernaufgaben des Managements beziehen sich deshalb auf die folgenden Bereiche: - Die Gestaltung eines geeigneten Rahmens für Entwicklung und Lernen. Dabei geht es um die Reduzierung der Komplexität durch Orientierungsmuster. - Die Entdeckung von Unterschieden, die Unterschiede machen. Also die Entfaltung einer eigenständigen Identität und Vision. - Die Anwendung der Muster und Regeln, um dauerhafte Beziehungen und guten Kontakt zu anderen aufzubauen.

0.4 Lösen, Lernen und Leben Lernen stellt die Grundlage für Leben dar. Gelernt wird wiederum aus Lösungen und Lösungsprozessen. Der Lern- und Lösungszyklus (Solution Cycle) stellt ein universelles Grundelement im Sinne einer Metatheorie dar. Nach den Durchläufen wird der Ausgangspunkt nicht mehr erreicht. Es entsteht eine neue Situation, die im positiven Falle als Weiterentwicklung und als Lernen bezeichnet werden kann. Das Lernen findet seinen Ursprung in den täglichen Problemlösungen. In der Arbeit an Produkten, Aufgaben, Aufträgen und Projekten werden Lösungen generiert, die das Wissen der Beteiligten erweitern. Der Lern- und Lösungszyklus

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wird durchlaufen und dabei insbesondere in den reflektierenden Phasen die Lösung systematisiert und musterhaft gelernt. Die Differenz von Ursprungszustand und Lösungszustand stellt den Lernerfolg dar. Lernen besteht dann im Wissenserwerb, im Veränderungslernen oder gar in der Reflexion des Lernprozesses. Alle drei Lösungsaspekte des Lernens können einen Beitrag zur Weiterentwicklung leisten, wobei der größte Beitrag auf der Reflexionsstufe (Stufe 7/8) in der Form von Orientierungsmustern resultiert. In einem Spiralprozess wird somit sukzessive gelernt und sich weiterentwickelt. Weil andere soziale Systeme sich auch verändern, beträgt der relative Vorteil nur die wahrgenommene positive Differenz aus dem eigenen Lernbeitrag abzüglich dieser Differenzen. Wenn keine Lerneffekte wahrgenommen werden, droht das System zu degenerieren, letztlich hört es auf zu existieren. Andererseits kann das System durch problemlösendes Lernen immer besser überleben. Die Steigerung der Entwicklungsspirale ergibt sich aus der Lerneffektivität und bestimmt den Grad der Höherentwicklung. Eine hohe Spirale deutet auf ein langes ergiebiges Leben et vice versa. In der Literatur werden die drei Lernstufen von Gregory Bateson sowie das darauf basierende Konzept des single loop, double loop und deutero learning von Argyris sehr unterschiedlich diskutiert.25 Ich neige zu einer Verschränkung der Sichtweisen in folgender Weise: Systematisierung und Speicherung von Informationen verstehe ich als Wissen. Gewonnene Erkenntnisse werden als Erfahrungen gesammelt. Lernen Stufe 1 beschreibt die Entwicklung subjektiv neuen Wissens durch Knüpfung neuer Beziehungen und dem Erkennen von Orientierungsmustern. Es entspricht damit dem single loop learning. Es geht dabei in beiden Fällen um Inhalte. Im double loop beziehungsweise deutero learning wie im Lernen Stufe 2 werden Prozesse reflektiert und eventuell neu gelernt. Es wird Lernen gelernt und durch die Diagnose von Unterschieden werden Muster des Gelingens entwickelt. Es bleibt jedem Akteur überlassen, weitere Stufen des Lernens zu kreieren. Der wesentliche Gedanke von Bateson deutet auf die Unterscheidung von Wissen, Lernen und Reflexion hin. Diese Stufen können nun wiederum auf verschiedene Ebenen wie Individuen oder Kollektive bezogen werden. Allein daraus ergeben sich weitere Lernstufen. Individuelles Wissen wird durch verständigungsorientierten, offenen Austausch zu geteiltem, kollektivem Wissen einer Organisation. Es bilden sich comps (Kompetenzen/Wissenselemente) aus. Durch die gemeinsame Mustervariation wird Organisationsentwicklung möglich, die bei reflektierender Öffnung zu Erneuerungsprozessen führen kann.

25 Vgl. insbes. G. Bateson, 1985 S. 366 ff. und 378 f. sowie C. Argyris, 1991, 1994, S. 77 f., 1997 sowie C. Argyris/D. A. Schön, 1978. Guter Überblick bei H. Steinmann/G. Schreyögg, 1998, S. 458 ff. und bei M. D. Cohen/L. S. Sproull (Hg.), 1996. Genaue Erläuterung in Teil II Kap. 1.

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Ein Individuum baut auf bestimmtem Wissen auf und passt sich lernend an seinen Kontext an. Es kommen neue Inhalte durch single loop learning hinzu. Dieses Lernen der Stufe 1 dient dabei der Systemerhaltung, indem es zum Beispiel effizienter arbeitet. Eine Person lernt eine Fremdsprache, um ihr Wissen auch Ausländern nutzbar zu machen. Erst durch das double loop learning lassen sich die Wege des Wissenserwerbs verbessern, also die Inhalte schneller verknüpfen, wenn die nächste Sprache erlernt wird. Diese metasystemische Ebene ermöglicht, effektiver zu lernen, weil die Prozesse optimiert und die Ziele hinterfragt werden können. Kollektives Lernen beginnt auf der Stufe 0 indem das Wissen verschiedener Akteure zusammengebracht wird, also eine kommunikative Lernkultur besteht. Dieses kollektive Wissen kann wiederum durch Verknüpfung und Beziehung, nämlich Synergie verändert werden. Hier wird die Art des Zusammenspiels wiederum in der double loop learning Ebene reflektiert. Individuelles Lernen kann durch kollektives Lernen schneller zur Reflexionsebene dringen, da hier andere Akteure quasi automatisch spiegeln, Feed-back geben, anregen und supervidieren.

Abb. 0.2: Lernstufen und -ebenen Kollektives Lernen auf der Inhaltsebene tendiert somit ebenfalls zur Reflexion, kann aber gerade durch eine ungeeignete Atmosphäre auch das Lernen behindern. Es wird Wissen nicht weitergegeben, weil einer die anderen für nicht vertrauenswürdig hält, die eigene Karriere gefördert werden soll, Herrschaftswissen gesammelt wird oder jemand nicht wagt, seine Erkenntnisse vorzubringen usw.

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Sowohl individuelles als auch kollektives Lernen verlaufen meines Erachtens als Lern- und Lösungszyklen. Es wird Wissen zusammengetragen, im Austausch erweitert, angewendet und später reflektiert. Wenn die metasystemische Ebene erklommen wird (Phase 7 und 8), kann das System erweitert werden und es entsteht eine Entwicklungsspirale. Nach diesen einführenden Betrachtungen möchte ich nun die einzelnen Phasen von Entwicklungs- und Lernprozessen genauer präsentieren.

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1 Kontext: Erkennen, Wahrnehmen und Beobachten Hier werden erste Symptome, Chancen oder Mängel (zum Beispiel Reklamationen, Kritik) aus der Reflexion bisheriger Abläufe wahrgenommen. Es wird die Oberfläche des Systems erweitert, um weitere Ausschnitte des relevanten Kontextes wahrnehmen zu können. Die verschiedenen Erlebniswirklichkeiten sollten hier mitgeteilt werden können. Kognitive Erkenntnisse, Emotionen und intuitive Einschätzungen gelten als gleichermaßen bedeutsam, denn es gilt, die Bewusstheit im gesamten System zu erhöhen. Die Gesamtsituation wird dazu aus verschiedenen Perspektiven beobachtet. Es sind die Erwartungen der jeweils Beteiligten abzuklären. Und das Ergebnis dieser Phase besteht darin, gemeinsam zu erkennen, dass Probleme vorliegen.26 Aufgaben: - Oberfläche des Systems erweitern - Kennenlernen - Wahrnehmungen der Situation, Bewusstheit erhöhen - Abgleich der subjektiven Realitätssichten Methoden: - Scanning - Beobachtung - Dialog

26 Die Grafiken auf der rechten Seite beschreiben jeweils am Anfang der Kapitel den Prozessschritt, die wichtigsten Persönlichkeitsmerkmale (vorgestellt in Kap II. 2.7) und den öffnenden oder strukturierenden Charakter. In der ersten Phase sind besonders die zukunftsorientierten Persönlichkeiten aktiv. Aber auch alle anderen Akteure können ihre Bedenken und Erwartungen einbringen. Die Phase hat öffnenden Charakter.

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- Bedürfnis-, Wahrnehmungsanalyse - Kreislauf der Erkenntnis PePsel:27 - zu schnelles und zu ungeduldiges Vorgehen - Übergehen von Außenseitermeinungen - zu geringe Bandbreite der Wahrnehmung - Bedürfnisse nicht differenziert genug ermittelt

1.1 Der beginnlose Beginn Der Beginn erscheint paradox: Eigentlich existiert er gar nicht – wie zum Beispiel Botho Strauß ausführt – aber er soll doch eine große Wirkung für das Folgende auslösen. Es existieren eben spürbare Interpunktionen im Zeitstrom. Der Einstieg, Erstkontakt, die Einleitung, Vorstellung, Erwartung und der Start sind kaum zeitlich und inhaltlich präzise zu fassen, und doch prägen sie den weiteren Verlauf. Der erste Eindruck, die Begrüßung sowie der Beginn eines Projektes verankern sich deutlich im Bewusstsein. So stehen wir eventuell mit dem falschen Bein auf, finden den falschen Einstieg oder beginnen ein Gespräch mit Vorurteilen und Problemen. Die sensible Phase des Beginns ist somit entschleunigt und sensitiv anzugehen. Alle Beteiligten sollten die Gelegenheit haben, ihre Wahrnehmungen, Beobachtungen und Erwartungen zu äußern. Andernfalls werden schon hier einzelne Akteure übergangen, wichtige Faktoren ausgeschlossen, Lösungswege versperrt und die Gruppendynamik gehemmt. Oft beginnt der Prozess mit einem Anstoß zum Handeln. Neue Möglichkeiten oder Problemdruck wirken auslösend. Die Anfangskonstellation, also: „Wer spricht mit wem über was in welcher Atmosphäre?“, ist dabei oft prägend für den gesamten Verlauf. Es formt sich ein dominierendes Thema, das dann kaum mehr verlassen werden kann und als stereotypes Muster immer wieder auftaucht. Die Geschichte des Anfangs wiederholt sich im weiteren Verlauf der Beziehung immer wieder in verschiedenen Varianten. Insofern ist beim Start besondere Achtsamkeit gefordert. Zwischen den Beteiligten ist ein klarer und einvernehmlicher Kontrakt zu schließen, der eine freiwillige und kooperative Entscheidung wie ein commitment oder eine verbindende Lösung enthält. Problematisch wirken sich Geheimbotschaften, unklare Aufgabenstellungen sowie Druck und Angst aus.

27 PePsel sind typische problemerzeugende Pseudolösungen. Sie werden im Kap. 2 näher erläutert, denn dort geht es um die Problembeschreibung.

1 KONTEXT: ERKENNEN, WAHRNEHMEN UND BEOBACHTEN

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Auftraggeber und -nehmer stehen in der Verantwortung, alle Unklarheiten, Bedenken, Ideen, Nebenabreden und diffusen Botschaften klärend einzubinden. Wesentliche Elemente eines solchen Kontraktes sind dann: - Sinn und Anlass für das Projekt - Erwartung der Auftraggeber - Indikatoren für wünschenswerte Ergebnisse - Kosten und Zeitbudgets - Teilnehmer und deren Beziehungen (Organigramm/Kommunigramm)

1.2 Erkennen, Beobachten und Wahrnehmen Der Schriftsteller Raphael Chirbes hat kürzlich auf einer Lesereise beschrieben, wie die schillernde, vielfältige Wirklichkeit künstlerisch eingefangen werden kann. In seinem Roman „Der Fall von Madrid“ bietet er ein Kaleidoskop des letzten Tages des Diktators Franco aus verschiedenen Perspektiven. Auch kubistische Bilder bieten diese plurale Sichtweise. Die Leser und Betrachter können sich ihr Bild individuell formen. Selbst Prognosen beschreiben die Zukünfte zutreffend, wenn sie aus dieser pluralen Perspektive resultieren. Es ist nicht überraschend, dass die Voraussagen von Schriftstellern und Philosophen wie Stanislaw Lem, Jules Verne und Michel de Montaigne zutreffen, während Ökonometriker auch mit großem Aufwand kaum sinnvolle Prognosen erstellen. Diese multiversale Vorgehensweise bietet sich an, wenn einseitige Schlüsse vermieden werden sollen. Ein Beobachter neigt immer zu einer Deutung, die seinem eigenen Erleben entspricht. Oft kann bei anderen Verhalten gut beobachtet werden, welches man selbst von sich kennt. Im Grunde wird erinnert, was im eigenen Gedächtnis gespeichert ist. Aufgrund von Beobachtungen und Wahrnehmungen werden assoziativ Erinnerungen aufgerufen, es wird erkannt, was man kennt. Wahrnehmung geschieht in Folge eines individuell erwartungsgesteuerten Suchprozesses. Ob bestimmte Figuren auf dem Grund gefunden werden, hängt von der Sichtweise des Hintergrunds und den Suchmustern ab. Wir finden normalerweise nur das, was wir suchen. Es gibt die erhellende Geschichte vom Ertasten des Elefanten: Ein Elefant wurde in einem abgedunkelten Raum ausgestellt. Personen, die ihn an den Stoßzähnen berührten, erlebten das Tier als spitz und glatt, andere fühlten etwas Baumähnliches. Wieder andere erkannten die Ohren als Fächer oder den Rücken als ideale Liege. Das Gesamtbild aller Erfahrungen ergibt erst die wirkliche Gestalt. Alle Deutungen und Konstruktionen der Wirklichkeit sind dabei immer nur subjektiv und nicht richtig, im Sinne von allgemeingültig wahr. Erst im Austausch

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mit anderen kann der „wirklichen Wirklichkeit“ tendenziell etwas näher gerückt werden. Wie schon Nietzsche sagte: „Mit Zweien beginnt die Wahrheit.“ Dies gilt insbesondere für die Wirklichkeit zweiter Ordnung, die auf der individuellen Sinngebung beruht. Die Beobachtung oder Wirklichkeit erster Ordnung kann zumeist hinlänglich beschrieben werden, weil sie sich auf physische Gegebenheiten bezieht. Ein Stuhl ist für die meisten ein Stuhl. Die Bedeutung dieses Dings kann wiederum nur subjektiv bestimmt und intersubjektiv geklärt werden. „Wahrheit ist das, was uns verbindet“, sagte Karl Jaspers. Das Erkennen ist ein subjektiver Vorgang in unserem Geist. Die Erscheinung ist nicht das Sein, sondern jede(r) belegt das Beobachtete mit individueller Bedeutung. Sein ist dann „Wahrgenommenwerden“, wie das George Berkeley formuliert haben soll. Jede Sichtweise ist durch Beobachter subjektiv konstruiert. Objektivität und Wahrheit kann es insofern nur theoretisch geben. Bei mehreren Beobachtern rückt man der Wahrheit zwar näher, wenn man sie angleicht. Zunächst entstehen aber nur verschiedene Sichtweisen, die alle gleich legitim sind. Durch Unterscheidungen werden Informationen geschaffen, die individuell sehr unterschiedliche Bedeutungen aufweisen. „Erkennen hat mit Objekten wenig zu tun. Erkennen ist effektives Handeln, indem wir uns selbst hervorbringen.“28 Wir konstruieren Sichtweisen und können diese nur bedingt für andere plausibel machen, schaffen aber unsere eigene Wirklichkeit, ohne zwingende Folge der Verständigung. Verstehen wird damit zu einem unwahrscheinlichen Prozess. Gemeinsame Erlebniswirklichkeiten zu entdecken, ist wohl nur in einem komplexen, vielfältigen und redundanten Austauschprozess möglich. Mit den Beschreibungen der Systeme werden die Beziehungen und Kommunikationen beeinflusst. Unsere „Kunden“ sind für uns so, wie wir sie beschreiben. Soziale Systeme sind somit selbstreferentiell, haben also eine Tendenz zur Selbsterhaltung, produzieren sich aus sich selbst. Beobachter beeinflussen durch Beobachtung auch ihr Beobachten und sich selbst. Ein soziales System spielt sich auf sich selbst ein und nimmt selektiv das für wahr, was von außen einwirkt. Es bezieht sich also auf die eigenen Wahrnehmungen der Umwelt, nicht auf die Umwelt selbst. Dabei tendiert jedes System und jeder Mensch zur Selbstgestaltung, also einer den eigenen Strukturen angepassten Wahrnehmung. Es wird vorzugsweise das Vorhandene bestätigt und Veränderung wird erst möglich, wenn neue Strukturen, also vollkommen neue Informationen, auftreten. Durch diese geänderten Sichtweisen wird es verändert. Was stört oder passt zeigt Wirkung. Es kommt auf die Notwendigkeit oder Nützlichkeit an, weniger auf die „Wahrheit“. „Was geschieht, bist du. Es geschieht dir recht“, sagte Alfred Dürrenmatt.

28 Vgl. H. R. Maturana/F. Varela, 1987, S. 266.

1 KONTEXT: ERKENNEN, WAHRNEHMEN UND BEOBACHTEN

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1.3 Kontexte: stabil bis turbulent Es ist relativ müßig, die allgemeine und spezielle Kontextentwicklung zu skizzieren, weil nur subjektive Wahrnehmungen geschildert werden können und sowieso alle Phänomene einem permanenten, komplexen Wandel unterlegen sind. Deshalb möchte ich mich darauf beschränken, typische Systemsituationen zu skizzieren, die jeweils spezielle Verhaltensweisen, Strukturen und Methoden erfordern. In Ergänzung und Variation früherer Darstellungen29 möchte ich hier die Unterscheidung zwischen stabil und instabil beziehungsweise einfach und komplex beschreiben. Soziale Systeme befinden sich in unterschiedlichen Kontexten, die vereinfachend als instabil bis turbulent bezeichnet werden können. Je nach Charakter des Kontextes bilden sich auch die sozialen Systeme in einem Wechselverhältnis aus. Stabile Systeme sind effizient, überschaubar und transparent, turbulente hingegen organisch, selbstorganisierend und spontan. Es existiert keine grundsätzliche Wertigkeit, sondern eine unterschiedliche Überlebensfähigkeit in verschiedenen Situationen. Turbulente, also komplexe sich schnell verändernde Systeme, koevolvieren mit eben solchen Kontexten. Zum Überleben bedürfen sie der Fähigkeit zur spontanen Änderung und organischen Selbstorganisation. Stabile Systeme können effizient gemanagt werden, indem erprobte Muster optimiert werden. Hier reicht Anpassungslernen aus. Die Bedrohung liegt in der Kontextvariation, die auch plötzlich auftreten kann und damit das effiziente System überfordert. Dann ist Veränderungslernen notwendig, um sich auf spontan auftretende Neuerungen einstellen zu können. Eine gewisse Multistabilität erlangt eine Organisation erst, wenn sie sich an metasystemischen Mustern orientiert, die aus deutero-Lernprozessen erwachsen, in denen reflektierend Lernen gelernt wird. Die dynamische Komplexität der Phänomene kann bei sinnvoller Modularisierung bewältigt werden, wobei die Zusammenhänge der Ganzheiten bewusst bleiben. Eine logische Hierarchisierung und Filetierung wird hingegen der Turbulenz nicht gerecht. Die metasystemische Musterorientierung, das virtuelle Vernetzen und das loose coupling30 von Teilsystemen erleichtern den bewussten Umgang mit Komplexität. Es werden Verhaltenszyklen erlernt, die eine Koordination vieler dezentral tätiger Akteure erlaubt, ohne dass der Zusammenhalt verloren geht. Eine Organisation enthält zahlreiche soziale Systeme, wobei besonders schwierig erscheint, diese Unterschiedlichkeit zu einer Identität zusammenzuführen, ohne die Differenz aufzugeben. Die lose Kopplung ist ein besonders gut geeignetes Hilfsmittel dazu. Die Akteure einigen sich auf Regeln und versuchen so, die Komplexität zu bewältigen und gemein29 Vgl. z. B. G. Bergmann, 1996, S. 56 ff. 30 Vgl. K. Weick, 1985, S. 163 ff. Beim loose coupling werden komplexe Systeme entkoppelt, bleiben aber in Verbindung. Dadurch brauchen sich nicht immer alle Teile zu verändern. Die Koordination verläuft über Leitlinien und Spielregeln selbstorganisatorisch.

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sames Wissen zu nutzen. Dabei treten, auch wenn man methodisch und kulturell integriert ist, Missverständnisse und eigenwillige Interpretationen auf. Die Alternative in Form klarer Anweisungssysteme bietet noch viel weniger Chancen, die Herausforderungen turbulenter Umfelder zu bewältigen. In einer Organisation bündeln sich individuelle Erkenntnisse zu einem mehr oder minder homogenen Bild. Es werden Netze von Beziehungen geknüpft, die auf ähnlichen Unterscheidungen beruhen. Die verschiedenen „Ordner“ von Komplexität, die nämlich sagen: „das gehört dazu, das nicht“, ringen miteinander um eine Weltsicht. So kann vom individuellen Gehirn ausgegangen werden. Dabei kann die neuronale Vernetzung als Landschaftsmodell31 interpretiert werden. Erlebtes wird verarbeitet und es bilden sich Verknüpfungen zwischen Neuronen. Durch neue Einflüsse (Attraktoren) werden Veränderungen ausgelöst, die Verbindungsstärken ändern sich und damit die „Landschaft“. Erkenntnisbereiche verknüpfen sich selbstorganisierend in Lernprozessen (Konnektionismus). Genauso verbinden sich Gehirne, also Menschen über Kommunikation miteinander, bauen über Verständigungsprozesse Beziehungen in Netzwerken auf.

Abb. 1.1: Kontext und System

31 Vgl. H. Haken/H. Haken- Krell, 1997, S. 20 f.

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Die Akteure unterscheiden, wer dazu gehört und wer nicht. Die weitere Vernetzung von Gruppen, Organisationen und Bündnissen erfolgt in ähnlichen Prozessen. Immer werden Gemeinsamkeiten entwickelt und Unterscheidungen zum sonstigen Kontext getroffen, die Identität ermöglichen. Wir können besser erkennen, was wir schon kennen. Erfahrene Safarigänger werden Löwen schneller vom Kontext unterscheiden können als normale Zoobesucher. Die Wahrnehmung der äußeren Welt geschieht über Unterscheidungen. Eine „Figur“ erscheint auf dem Hintergrund. Erkennen von Unterschieden ist dabei immer ein Handeln (all knowing is doing).32 Es wird eine Information gebildet, die Strukturen schafft und zur Orientierung genutzt werden kann. Wenn ich einen Löwen auf der Wiese erkenne, kann das eine wesentliche Information sein. Es macht einen Unterschied, insbesondere, wenn sich kein Zaun zwischen dem erkannten Objekt und mir wahrnehmen lässt. Die individuelle Wahrnehmung kann eine Wirklichkeit erster Ordnung darstellen, nämlich die quasi objektive Realität mit physischem Gehalt. Sie sollte nicht diskutiert werden, solange die Gefahr droht, ein für alle Mal „gefressen“ zu werden. Ansonsten bleibt dann keine Chance über das Phänomen „Löwe“ reflektierend zu reden und Sinn darin zu erkennen. Die Wahrnehmung der inneren Welt kann nur über Kommunikation vermittelt werden, sie ist tendenziell weniger mitteilbar. Das Gleiche gilt für kognitive und affektive Prozesse, die Gedankenwelt mit Phantasien und Assoziationen. Die gemeinsame Wirklichkeitssicht kann nur über Kommunikation gefunden werden, da wir nicht von objektiven Dingen ausgehen können, sondern nur von unseren Beschreibungen und Wahrnehmungen derselben. Aus gemeinsam erkannten Unterschieden werden dann Anstöße zur Veränderung gebildet.

1.4 Reflexion und Initiation Auslöser für Lern- und Entwicklungsprozesse können Krisensituationen mit dem damit verbundenen Leidensdruck, Stress oder Mangel sein. Aber auch der geplante Wandel ist denkbar, wenn organizational slack vorgesehen ist, der Freiräume für Experimente und Innovationen lässt. Slack ist die Differenz zwischen vorhandenen und aktuell benötigten Ressourcen, entsteht also in Situationen, wo nicht nur die aktuelle Effizienz, sondern auch Freiräume für Unerwartetes gelassen werden. In diesen Fällen entwickeln sich Neuerungsinitiativen proaktiv. Ein dritter Auslöser können externale Strukturveränderungen sein wie Fusionen, die Internationalisierung der Geschäfte sowie neue Technologien und Produkte, die eine Anpassung des Gelernten und Gewohnten erfordern.

32 Vgl. S. J. Schmidt, 1997, S. 63.

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Jeder Planungs- und Entscheidungsprozess sollte mit der intensiven Reflexion und Selbstbeobachtung beginnen. Gewohnheiten können kritisch hinterfragt werden. Zudem wird der Sinn und Zweck des Vorhabens vor der Entstehung von Kosten und Verpflichtungen analysiert. Neuorientierungen sind in Unternehmen mit schmerzlichen Prozessen verbunden und deshalb auch nur schwierig zu bewerkstelligen: Angestammte Positionen kommen ins Wanken, geliebte Gewohnheiten müssen aufgegeben, Strukturen aufgebrochen und Risiken eingegangen werden. Es entsteht eine strukturelle, oft sogar substantielle Unsicherheit. Deshalb tritt bei einer grundsätzlichen Neuentwicklung immer ein starkes Beharrungsverhalten auf. Ängste und Trägheitsmomente müssen überwunden werden. Im günstigen Fall treten zu einem frühen Zeitpunkt innovative Machtpromotoren auf, die – veranlasst durch schwache Signale – für eine notwendige Neuorientierung rechtzeitig Raum schaffen. Gelingende Erneuerungs- und Entwicklungsprozesse scheinen maßgeblich von drei Faktoren abzuhängen:33 Die Wahrscheinlichkeit des Erfolges erhöht sich, wenn sich die Betroffenen das Projekt zu eigen machen (können), also Bedingungen für aktive Partizipation geschaffen werden und die Probleme in der jeweiligen Sprache nah am Ort des Geschehens gelöst werden. Förderlich wirken sich zudem „Räume des Lernens“ aus, wo probiert, reflektiert und kreiert, kritisiert und selbstorganisatorisch agiert werden kann. Fast als conditio sine qua non muss die ostentative Unterstützung durch das Top-Management gelten. Der Veränderungsprozess muss wie ein „zartes Pflänzchen“ durch eine lokale Autorität beschützt werden und dabei Wertigkeit und Bedeutung erlangen. Diese Neuerungsinitiativen resultieren oft aus zufälligen und individuellen Konstellationen sowie intuitiven Einfällen und sind weniger das Ergebnis angestrengten Nachdenkens und Planens. Wir Menschen sind blind für Probleme, die langsam reifen. Es ist jedoch möglich, ein Klima und managerielle Voraussetzungen zu schaffen, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, latente Schwierigkeiten bewältigen zu können. Da jeder zur subjektiven Modellierung und Konstruktion der Realität und Zukunft neigt, kann man sich über die Angemessenheit von Verhaltensweisen nur schwer verständigen. Anregungen und Ideen können von unterschiedlichen Personen(gruppen) entwickelt werden. Je mehr Einflüsse und Informationen auf den kreativen Prozess einwirken, desto höher ist sodann die Wahrscheinlichkeit des Erfolges. Als Quellen seien hier das interne Vorschlagswesen (Qualitätszirkel), Kreativteams und die kontinuierliche Analyse schwacher Signale (Früherkennung) genannt. Zu den wesentlichen Aufgaben des Innovationsmanagement gehört auch, möglichst viele Informations- und Anregungsbereiche zu mobilisieren. Gerade außerökonomische Phänomene sollten studiert werden. Ganze Branchen leben davon, den rational-analytischen Mana33 Vgl. A. Bain, 1998, S. 30.

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gern die neueren Entwicklungen in Kultur und Technik näher zu bringen. Für die innovative Politik stellen zum Beispiel die Neuerungen aus Theater, Kunst und Musik ein unerschöpfliches und äußerst relevantes Reservoir an Ideen und Orientierungen dar, welches mit der klassisch instrumentellen Marktforschung nicht erfassbar ist.34 Oft decken schon die Mitarbeiter ein breites Spektrum der Gesellschaft ab, so dass es lediglich einer Aktivierung bedarf, um den Referenzrahmen zu verschieben und mehr und anderes erkennen zu können. Reflexion und ungerichtete Experimente ergänzen die systematische und permanente Analyse von Markterfordernissen und technologischen und sozialen Trends in entscheidendem Maße durch das Hinterfragen der Prämissen und Gewohnheiten. Selbstverständlich entstehen die meisten Teilinnovationen, Weiterentwicklungen, Variationen und Differenzierungen aus der täglichen Beschäftigung mit dem Vorhandenen. Teilelemente werden rekombiniert, Problemlösungen sukzessive optimiert und das gesamte Programm permanent auf notwendige Ergänzungen, Bereinigungen und mögliche Verknüpfungen hin untersucht. Auch werden neue Kundenbedürfnisse aufgegriffen und möglicherweise aus der Rekombination oder gewandelten Präsentation des aktuellen Angebotes bedient. Doch mit dieser durchaus wichtigen Aufgabe verbleibt das Denken zu sehr im Herkömmlichen, das Unternehmen reagiert lediglich auf Marktideen, läuft den Trends gewissermaßen hinterher und kann auf diese Weise nur wenig Profil gewinnen. Neben die Erkundung von aktuellen Bedürfnissen, Motiven und der Kaufbereitschaft sollte deshalb immer die Entwicklung von Angebotsinnovationen treten, also von Objekten, deren Gestalt und Nutzen außerhalb der Vorstellungskraft der möglichen Verwender beziehungsweise Rezeptoren liegt. Bislang setzt die Marktforschung zumeist an realen Markterfahrungen an und ermittelt insofern nur das aktuelle Nachfrageverhalten. Potenzielle, sich entwickelnde Bedürfnisse korrespondieren mit existierenden Wünschen, Defiziten und Problemen der Kunden und müssen deshalb genauso Gegenstand ganzheitlicher, dynamischer Analysen sein. Diese können als Basis der Entwicklung von „Einzigarten“ dienen. Der kontinuierliche Aufbau von Erfahrungen zur Optimierung wird durch ein duales Konzept aus Kreativität und Systematik erreicht.

1.5 Der Kreislauf der Erkenntnis Informationen werden aus Erwartungen und Erfahrungen gebildet, die als wesentlicher Unterschied erkannt werden. Der Kreislauf der Erkenntnis (im Sinne von Erkennen) weist eigene und fremde Quellen auf, die jeweils aus der Reflexion von Erlebtem und der Antizipation des Neuen gespeist werden. Neben systematischem Lernen gilt es, genügend Freiräume für die kreative Gewinnung 34 Zur Kritik und Erweiterung der klassischen Marktforschung Vgl. G. Bergmann/M. Pradel, 1999.

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von Informationen (Antizipation) zu schaffen. Auf diese Weise können neue Erkenntnisse außerhalb des angestammten Geschäftes gewonnen und die angewandten Verfahren kritisch hinterfragt werden (Erwartungen). Eine ganzheitliche Beschreibung der Kontextentwicklung bildet sich aus alternativen internen und externen Informationsquellen verschiedener Beobachter. Die unterschiedlichen Erlebniswirklichkeiten möglichst heterogener Akteure werden im Dialog ausgetauscht und in ihrer Diversität in das Lernsystem eingespeist, um so für weitere Anwendungsfelder nutzbar zu sein. Die Fixierung bestimmter Erfahrungen sollte immer plural angelegt sein, um subjektiv verengte Erfolgszuschreibungen (Trivialattributionen) zu verhindern. Die Erwartungsbildung dient der Erweiterung des Suchfeldes. Die eigenen Erwartungen bestimmen in hohem Maße das spätere Erleben. Sinnvoll gelernt wird durch die Übernahme eigener oder fremder Erfolgsmuster auf metasystemischer Ebene durch Unterscheidung. Erkenntnisse müssen im Einzelfall spezifisch angepasst und eventuell entlernt werden, denn Lernprozesse tendieren bei zu geringer (Selbst-)Reflexion – und damit der „Nutzung“ von Stereotypen (PePsel) – zur „Selbstversiegelung“ im Sinne des „Mehr desselben“.

Abb. 1.2: Informationsquellen im Kreislauf der Erkenntnis

1 KONTEXT: ERKENNEN, WAHRNEHMEN UND BEOBACHTEN

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Erst im Dialog verschiedener Sichtweisen beziehungsweise Konstruktionen von Wirklichkeit kann sich ein vollständiges Bild der Wirklichkeit ergeben, das Orientierung ermöglicht.35Die Informationsquellen sind in der Abbildung36 veranschaulicht. Die Erfolgsfaktorenforschung, aber auch generelle Zukunftsforschungen, sollten als allgemeine metasystemische Hinweise dienen und zur Suchfelderweiterung beitragen. Die interne Früherkennung und das kontinuierliche scanning (Umfeldbeobachtung) greifen Entwicklungen (Trends und Diskontinuitäten) auf und prüfen die Relevanz. Das Lernsystem dient der Erfahrungsbildung auf einem vornehmlich abstrakt strukturellen Niveau, das heißt, es werden eher erfolgreiche Vorgehensweisen und Methoden als konkrete, situationsspezifische Maßnahmen gelernt. Systemwissen ist wichtiger als Faktenwissen. Im Dialog verschiedener Akteure entstehen handlungsleitende Orientierungen in den relevanten Kontexten.

1.6 Die Orientierungsgrundlagen Es erscheint sinnvoll, in diesem Zusammenhang auf die Orientierungsgrundlagen einzugehen. Im praktischen Management dominiert die Erfassung aktueller Sachaspekte mit der kurzfristigen Erfolgsrechnung und insbesondere der CashFlow-Analyse. Die vorhandene Liquiditäts- und Ertragssituation geben aber lediglich Hinweise darauf, welche Möglichkeiten bestehen, sinnvolle Erfolgspositionen aufzubauen oder zu erweitern. Bei sehr schlechter aktueller Position ist dann zunächst eine Konsolidierung und gegebenenfalls Crash-Management notwendig. Umsteigen auf evolutionäre Konzepte und proaktives Handeln können Unternehmen, wenn sie noch rentabel arbeiten und/oder ein gutes Finanzpolster aufweisen. Wenn dazu die Marktposition erforscht wird, können Aussagen zur aktuellen Erfolgsposition geleistet werden. Wer Trends und Kundenbedürfnisse als typische soft factors in die Betrachtung integriert, kann neue Erfolgspotenziale ermitteln. Erst wenn die sehr ungenauen, aber höchst relevanten, Kulturaspekte und die in Kap. 4 und 7 vorgestellten Spielregeln als Orientierungsgrundlage genommen werden, können Aussagen zur ganzheitlichen Erfolgsposition und damit zur Zukunftsfähigkeit ermittelt werden. Im Zentrum der Diagnose sollten insofern ganzheitliche Bewertungen stehen, die aus der Theorie der Unternehmensbewertung bekannt sind. Somit sind Veränderungen in der Erfolgsrechnung vorzunehmen.37 Wenn hier die Entwicklungen beobachtet und soft factors berücksichtigt werden, kommt man ebenfalls zu aussagekräftigen Diagnosen. In der Erfolgsrechnung dominiert in der Regel die 35 Vgl. zur konstruktivistischen Sicht der Erkenntnis G. Rusch, 1987. 36 In Anlehung an R. Riedl, 1981. Vgl. auch G. Bergmann, 1996, S. 134. 37 Vgl. zu nicht monetären Kennzahlen insbesondere Horvath und P., 1995, S. 192 ff., F. J. Gouillart/J. N. Kelly, 1995, S. 69 ff. und C. Handy, 1995.

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kurzfristige Betrachtung. Zuweilen werden die Analysen auf wenige Kennzahlen verdichtet und damit eine zeitliche und sachliche Bewusstseinsverengung vorgenommen. Es ist entscheidend, die kurzfristige Liquidität im Blick zu behalten, aber in praxi werden Cash-Flow-Analysen oft als wesentliche Steuerungselemente verwendet und verführen damit zu einer vornehmlich kurzfristigen und einseitigen Betrachtung. In diesen Kennzahlen werden wichtige Erkenntnisgrößen saldiert und damit wesentliche Informationen getilgt. Aufwendungen für Personalentwicklung oder Kundenbeziehungen, die eine gute Zukunft ermöglichen, gehen zunächst nur negativ in die Erfolgsrechnung ein. Sie mindern den Überschuss der Betrachtungsperiode, können aber grundlegende Bausteine der Unternehmensentwicklung sein. In einer ganzheitlichen Betrachtung können sie Wege zur sustainability bahnen. Investitionsentscheidungen jedweder Art können unter Einbezug psychosozialer und dynamischer Informationen strategische Aussagekraft erlangen. Insbesondere, wenn sie vielfältig und reversibel angelegt sind, um damit der komplexen Kontextsituation gerecht zu werden. Die Balanced Scorecard als Methode ganzheitlicher Bewertung Es existieren wesentliche Perspektiven, die in der sogenannten Balanced Scorecard, also einer ganzheitlichen Abbildung von Erfolgsgrößen integriert sind:38 Die „Stakeholder-Perspektive“ hat gerade in systemischer Hinsicht große Bedeutung, da hier Realität multiversal beschrieben wird. Die einzelnen Stakeholder (Kunden, Lieferanten, Mitarbeiter, Manager, Unternehmer und sonstige Anspruchsträger) bringen ihre spezielle Sichtweise bezüglich der folgenden Bereiche in einen Dialog ein und streben nach Ausgleich der Interessen. Diese gegenseitige und gleichberechtigte Bewertung muss als wesentliche Komponente integriert werden, um einer einseitigen Bewertung und Trivialattribution zu entgehen. Die folgenden Dimensionen werden jeweils aus der Sicht der unterschiedlichen Stakeholder bewertet: - die „finanzwirtschaftliche Perspektive“ (Finance Performance) mit der CashFlow und Rentabilitäts-Betrachtung, - die Überprüfung des Beitrags zur Identität (Identity Performance), - die Diagnose der System Performance, also der Entwicklungs- und Lernprozesse, der Stärke der Kernkompetenzen (Domänen) und der Kreativität, - die „interne Prozess-Perspektive“ (Process Performance) mit der Überprüfung der Leistungsprozesse und Strukturen (Teams, Organisationsentwicklung, audits etc.) auf Effektivität. 38 Vgl. insbes. R. S. Kaplan/D. P. Norton, 2000 und www.bscol.com. Vgl. auch Horvath und P., 1995 S. 195 ff. und R. Schmidt, 1998, die hier ein Modell von Kaplan und Norton zur Balanced Scorecard skizzieren. Weitere Informationen bei www.sap.com Wir haben dieses Modell aus systemischer Perpektive erweitert und verändert. Vgl. G. Bergmann u. a. 2001b.

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- Die Relationship Performance dient der Überprüfung der Bindungsintensität und -qualität39, der Kommunikationsfähigkeit intern und extern. Daneben gilt es, - die ökologische Perspektive (Eco Performance) zu eröffnen. Hier spielen Kriterien der Ressourcenverwendung, der Gesundheit und des Arbeitsklimas eine große Rolle.40 In allen Bereichen der Balanced Scorecard wird untersucht, ob die notwendigen Ressourcen und Kompetenzen vorhanden oder einfach beschaffbar sind. Zudem gilt es, den möglichen Beitrag eines Projektes zu den besonderen Kompetenzen und Wettbewerbsvorteilen zu bewerten. So entspricht dieses Konzept der Stakeholder analysis mit einer ganzheitlichen Bewertung der Unternehmensentwicklung. Alle wesentlichen Bereiche der Entwicklungsfähigkeit werden aus der Sicht verschiedener Akteure bewertet und interaktiv in Balance gebracht. Es bieten sich dann ganzheitliche Indikatoren zur strategischen Steuerung komplexer sozialer Systeme. Die Kriterien stehen in engem Zusammenhang mit den Orientierungsmustern (Best Patterns). Diese werden im Lern- und Entwicklungsbereich (System Performance) systematisiert und dienen dann als Grundlage für die Entwicklung von Bewertungskriterien in den genannten Scorecard-Dimensionen. Auswirkungen haben diese dynamisch komplexen Betrachtungen also auf Investitionsentscheidungen, die Personalbeurteilung sowie alle weiteren Unternehmensstrategien. Bisher werden in erster Linie Tätigkeiten und Produkte statisch, vorwiegend quantitativ und aus einer Sichtweise bewertet, und damit wesentliche (insbesondere psycho-soziale) Aspekte verdrängt und ausgeblendet. In dem hier skizzierten Modell werden ungenaue Bewegungsdaten und bestenfalls auch die nicht sachlichen, emotionalen, intuitiven und instinktiven Aspekte berücksichtigt. So wird jedes Projekt, jede Investition, aber auch die Performance jedes Akteurs aus den Sichtweisen der verschiedenen Stakeholder bezogen auf die einzelnen Scorecard-Kriterien bewertet. Es wird dazu eine mehr interpretative Betrachtungsweise geben, die weiche Faktoren durch qualitative, wertende Vorgehensweisen misst. Controlling wird, wie auch Horvath und Partner41 schreiben, mehr die qualitativen Elemente integrieren und weniger Ergebnisse als vielmehr Prozesse, also mehr das „Wie“ als das „Was“, beachten. Es wird bei den Kunden und deren Bedürfnissen begonnen und es sind die Kommunikationsprozesse und die Kultur des Umgangs zu prüfen und zu fördern. Die ge39 Vgl. G. Bergmann, 1988 zu einem Modell der ganzheitlichen Kundenerfolgsrechnung. Dabei sind neben den Kundendeckungsbeiträgen, die besonderen Aufwendungen der Transaktionen (Betreuung, Service), Werbeaufwendungen, Sondervergünstigungen, aber auch der Imagebeitrag, die Adäquanz und Entwicklungsfähigkeit der Handelskunden zu untersuchen. 40 Vgl. G. Bergmann, 1994 zu den Kriterien der Eco Performance. 41 Vgl. Horvath und P., 1995, S. 253 ff.

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meinsam vereinbarten Ziele und Vorgaben müssen konsistent, einfach und wandlungsfähig sein. Die Selbstverantwortung entlastet vom Kontrollaufwand und stärkt die Organisation umfassend. Das Balanced-Scorecard-Modell bietet seine Vorteile nur, wenn die Bewertungsgrößen und die Bewertung selbst interaktiv in Dialogen festgelegt und durchgeführt werden. Alle Akteure, die bewerten, werden auch von denen bewertet, die sie bewerten. Dann ist gewährleistet, dass alle Perspektiven und Geltungsansprüche integriert werden und keine einseitigen Sichtweisen auftauchen. Das System gewinnt mehr Erkenntnisse und fördert das Engagement aller Beteiligten. Auch egozentrische Verhaltensweisen, die nicht der Weiterentwicklung des Systems genügen, werden sichtbarer. Der Blick richtet sich auf Wege in die Zukunft, auf den Unternehmenswert in einigen Jahren, eben die ganzheitliche Erfolgsposition. Handlungsweisen und Projekte werden bezüglich ihres Beitrages zur Weiterentwicklung des Gesamtsystems bewertbar. In Abbildung 1.3 habe ich die Orientierungsgrundlagen nochmals zusammengefasst. Dabei sind aufsteigend von der operativen Ebene über die strategische und innovative auch normative Aspekte integriert. Erst die Integration normativer Aspekte in das Vorteilhaftigkeitskalkül sichert die ganzheitliche Erfolgsposition. Es werden nicht nur aktuelle Erfolge, die Marktposition und neuere Entwicklungstrends analysiert, sondern auch die Evolutionsfähigkeit und Vitalität des Systems an sich. Es wird untersucht, ob ein Unternehmen oder ein Projekt in der Lage ist, die Aktivitäten in ökonomischer (Rentabilität, Finanzierung), ökologischer und sozialpsychologischer (Vertrauen, Image) Hinsicht durchzuhalten. Im Kapitel 4.4 wird diese evolutionäre Bewertung näher beschrieben.

Abb. 1.3: Orientierungsgrundlagen

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Eine vitale und lernende Organisation bedarf auf allen Ebenen förderlicher Rahmengestaltungen. Normativ ist die Werte- und Vertrauenskultur, strategisch sind lernfördernde Strukturen zu verankern, prozessual steht das systemische, also kontextuelle Handeln im Vordergrund. Operativ fördern die Lösungsorientierung und die Integration sehr verschiedener Sichtweisen den Entwicklungsprozess. Die später erläuterten Spielregeln (Best Patterns) geben weitere Hinweise zu Unterschieden zwischen vitalen und „lähmenden“ Systemstrukturen und bieten damit die Grundlage für Scorecard und Portfolio-Kriterien. Die individuelle Wahrnehmung von Informationen wird im nächsten Abschnitt problematisiert.

1.7 Die Beeinflussungsleiter zum Erkennen unterschiedlicher Sichtweisen Die komplexe Umwelt wird vom menschlichen Geist in atemberaubender Geschwindigkeit verarbeitet. Damit die Kapazität nicht über Gebühr belastet wird, selektieren unsere Wahrnehmungsorgane unmittelbar nach der Reizaufnahme. Die meisten Informationen erreichen nicht einmal das Kurzzeitgedächtnis: So zum Beispiel Farbe und Beschaffenheit von Begrenzungspfählen am Straßenrand. Das Gehirn versucht, Wesentliches von Unwichtigem zu trennen und verfährt dabei nach erlernten Mustern. So können wir Markenartikel schon im Augenwinkel erkennen und uns an die Lieblingsmusik beim ersten Takt erinnern. Subjektiv neue Signale werden vertrauten Mustern zugeordnet oder aber in vollkommen neue Bahnen gelegt, wie das zum Beispiel bei starker Erregung (Kind läuft auf die Straße) zu beobachten ist. Diese Wirkungsweise unseres Geistes und auch unser familiärer und kultureller Hintergrund bewirken, dass wir nicht passiv die eine Wirklichkeit aufnehmen, sondern dass wir aktiv unsere Wirklichkeit inszenieren. Man lebt mehr und mehr in einer Welt selbstgenerierter und sich selbst stabilisierender Überzeugungen. Wir nehmen autobiografisch und charaktertypisch wahr. Wir nehmen etwas für wahr, das in die vertrauten Muster passt. Wirklichkeit wird so passend gemacht. Dies betrifft sowohl die Wahrnehmung unseres Umfeldes, als auch die Beurteilung von Zusammenhängen und Personen. Je häufiger wir diese Wahrnehmungsmuster nutzen, desto stärker wird deren selektive Wirkung bei der Aufnahme von neuen Informationen: Man erkennt nicht, was man sieht, sondern man sieht nur, was man (bereits) kennt. Chris Argyris stellt diese gedankliche Verarbeitung von Eindrücken bildlich als Beeinflussungs-Leiter42 dar. Die Fähigkeit, sich aus diesem System hinauszu42 Vgl. C. Argyris, 1982.

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bewegen und neue Ziele zu erreichen und auch die Fähigkeit, andere zu verstehen, wird von der Gewissheit behindert, dass: - die eigenen Überzeugungen die Wahrheit sind, - die Wahrheit offensichtlich ist, - die eigenen Überzeugungen auf objektiven Informationen beruhen und - die Informationen, die selektiert werden, objektive Informationen sind.

Abb. 1.4: Beeinflussungsleiter Diese sehr verständlichen Überzeugungen führen häufig auch jenseits von Faktendiskussionen dazu, dass darüber gestritten wird, wessen Auffassung richtig oder falsch ist. Diese Diskussionen erhalten zusätzliche Brisanz, wenn im persönlichen Erleben der Eindruck entsteht, dass in der Diskussion auch das Bestehen der eigenen Überzeugungen und damit der Wert der eigenen Person zur Disposition stehen. Es ist möglich, die eigenen Schlüsse zu hinterfragen und mit Hilfe des Gegenübers zu überprüfen. Das Modell kann auf verschiedene Weise genutzt werden: - Es wird deutlich, ob es noch andere Möglichkeiten der Betrachtung gibt. - Das individuelle Denken und Urteilen wird für andere besser sichtbar. - Die Intentionen und das Denken des anderen werden besser nachvollziehbar.

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Die eigenen Annahmen und Interpretationen zu Verhalten und Reaktionen anderer können am einfachsten durch Fragen überprüft werden. Hierbei ist das Bewusstsein wichtig, dass die eigenen Gedanken eben zunächst einmal nur Annahmen oder Interpretationen des Gehörten sind. Dann ist es leichter möglich, diese mit Hilfe des anderen ohne Schuldzuweisungen oder Gegenangriffe zu überprüfen und zu einer Klärung zu gelangen. Mögliche klärende Fragen könnten sein: „Als Sie sagten (Schlussfolgerung des Vortragenden), meinten Sie damit (meine eigene Interpretation der Schlussfolgerung)?“ „Auf welchen Daten basiert Ihre Aussage?“ „Können Sie mir erklären, was Sie zu dieser Auffassung gebracht hat?“ „Wie sind Sie von den vorliegenden Daten zu dieser Annahme gelangt?“ Aber auch wenn es scheint, dass ein Sachverhalt für alle Teilnehmer selbstverständlich ist und jeder zu wissen glaubt, wovon gesprochen wird, kann der Sachverhalt von jedem unterschiedlich definiert und anders in den Kontext eingeordnet sein. Hier liegt wiederum eine Schicht unter der Oberfläche verborgen, Material für Missverständnisse, enttäuschte Erwartungen und Konflikte. Diesen Verwicklungen kann vorgebeugt werden, indem immer wieder überprüft wird, besonders wenn Besprechungen „zu glatt“ verlaufen und im Nachgang Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Inhalte auftreten, ob diese selbstverständlichen Sachverhalte wirklich von allen gleich verstanden werden. Als besonders sinnvoll erweist sich hier auch das aktive Zuhören. Jede Person muss dabei in eigenen Worten das Gesagte des anderen wiederholen und dafür Zustimmung beim Autor einholen. Was ich gesagt habe, weiß ich erst, wenn ich die Antwort höre.

1.8 Hilfreiche Perspektiven Einige weitere Methoden wie der Dialog, das Mind Mapping und Visualisierungen erläutere ich in den weiteren Kapiteln. Auf einige Perspektivenwechsel und -erweiterungen möchte ich aber noch hinweisen: Besonders hilfreich sind alle Formen der Spiegelung und Beobachtung eigenen Verhaltens. Hierzu zählen die räumlichen Veränderungen (Raum-, Standortwechsel, Arrangementvariationen), Rollen- und Identitätswechsel (zum Beispiel den Charakter, die Sichtweise anderer übernehmen), Rollenspiele und Psychodrama, die „Außenansicht“ aus der Vogel- oder Froschperspektive, Zukunftsbilder, Video und Metaphern sowie alle Formen der Reflexion und Supervision (Vgl. Kapitel 8). Im Wesentlichen fördern analoge und überraschende Techniken relativ mehr Aspekte zutage. Es geht um die Schaffung von (Zeit-)Räumen, in denen sich Ideen und Sichtweisen entfalten können. So sind auch humorvolle Fragen und die Pausengestaltung geeignete Maßnahmen.

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Beispielsweise kann zunächst einfach geübt werden, die Situation bewusster wahrzunehmen, indem die Akteure einem Partner ihre Perspektiven schildern, ohne zu interpretieren. Daraufhin kann in Rollenspielen versucht werden, die Konstellation noch anschaulicher zu erleben. Rollentausch erweitert die Perspektive, Beobachter und reflecting teams ermöglichen Lernen der Stufen 0 bis 2. Die Rollenspieler wiedererleben und spiegeln typische Situationen, die Beobachter achten gezielt auf Körpersprache, Inhalte, Muster oder Emotionen. Das reflecting team generiert Muster und supervisiert den Prozess. Zudem können einige Akteure zwischen den Rollen Impulsgeber, Experte, Begleiter und Machtpromoter wandeln. Zwischendurch ist es sinnvoll, Feed-back durch die Runde laufen zu lassen, das heißt, jeder empfängt Reaktionen und Sichtweisen und gibt dieselben an Dritte weiter. Dadurch wird das stereotype Muster des „wie du mir, so ich dir“ durchbrochen. Beim Hören der Wahrnehmung anderer braucht man sich nicht sofort Argumente zur „Gegenattacke“ zu überlegen. In diesem beschriebenen Setting werden die Sichtweisen spielerisch ausgetauscht und das Verständnis und Bewusstsein erweitert. Zum Ende dieses Kapitels möchte ich ein erhellendes Beispiel zu der Schwierigkeit vorstellen, übereinstimmende Wahrnehmungen zu formen. Eine besondere Überraschung durfte ich bei Eva und Jürgen Ferchland (Igor) erleben. Sie stellten in einer Gruppe folgenden Text vor und forderten uns auf die Fs zu zählen. Nach wenigen Sekunden wurden die Blätter gewendet. In mehreren Phasen gab es sehr unterschiedliche Wahrnehmungen des Gleichen, obwohl es sich nur um schwarze Buchstaben auf weißem Grund handelt.43 Wie werden die Ansichten erst differieren, wenn es um Farben und Gefühle geht? COUNT THE Fs: FEATURE FILMS ARE THE RESULT OF YEARS OF SCIENTIFIC STUDY COMBINED WITH THE EXPERIENCE OF YEARS Mit dieser ersten Phase erzeugen die Akteure eine ganzheitliche Bewusstheit, lernen sich kennen und andere Sichtweisen besser verstehen. Die Ausbildung einer weiten Bewusstheit kann erheblich viel Zeit beanspruchen, weil sehr unterschiedliche Sichtweisen und Gefühle eingefangen werden müssen. Diese Zeit kann später mehr als aufgeholt werden, weil weniger Widerstand und Abkoppelung zu erwarten sind. Im Folgenden zweiten Schritt geht es um die Strukturierung der Probleme und die Gewinnung von Visionen.

43 Versuchen Sie es einmal: Text kurz anlesen und nach 10 Sekunden abdecken. Haben Sie 3 oder mehr Fs gezählt? Lösung am Schluss des Buches.

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2 Probleme und Visionen In dieser zweiten Phase wird das Problemfeld ganzheitlich beschrieben und aus verschiedenen Blickwinkeln mit heterogenen Personen eruiert. Eine ganzheitliche Feldanalyse soll ermöglichen, das Unternehmen im hermeneutischen Sinne zu verstehen, mit dem Kontext regelrecht zu verschmelzen und sich das System intensiv zu veranschaulichen44. Uneinigkeiten, Konflikte, Mythen, Legenden und Tabuthemen werden identifiziert. Aus der Gesamtheit der Daten wird ein Gesamtbild der systemischen Situation (Figur) gebildet, das zusätzliche Informationen liefert. Es wird eine gemeinsame Realität aus den individuellen Wirklichkeiten geschaffen. Man verständigt sich über das zentrale Aufgaben- und Problemfeld. Erfahrungen werden mit Erwartungen verknüpft (Re-Vision45). Dieses strukturierende Vorgehen mündet in ein Briefing als Leitlinie und Rahmen sowie die Formulierung einer gemeinsamen Vision (shared vision). Aufgaben: - Sichtweisen annähern, klären - Problem beschreiben, System in den Raum bringen - Gemeinsames Bild entstehen lassen - Gemeinsame Vision und Identität entwickeln - Kernkompetenzen austauschen - Re-Vision formen Methoden: - Systemische Figurbildung 44 Vgl. dazu W. Burgheim, 1996, S. 54 f. 45 Der Begriff Re-Vision wurde für die Verknüpfung von Erwartung und Erfahrung gebildet. Vgl. auch Teil II Kap. 1.

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- Sculpturing - Netzbildung - Spiele - Mind Mapping - Collage - Metaphorik, bildliche Darstellungen - Dialoge PePsel: - zu sehr mit sich selbst befasst, Egozentrik - falsche Abgrenzung, Unklarheiten - unzulässige Vereinfachungen, einseitige Festlegungen - keine Vision oder eine Utopie, die nicht erreichbar ist, entwickeln Die Phase 2 dient der Strukturierung und Reduzierung von Komplexität. Die Informationen werden verdichtet, wesentliche Problemfelder entdeckt und beschrieben, Rollen und Regeln geklärt und eine gemeinsame Vision entwickelt.

2.1 Die Verwesentlichung der Information Die Fülle an Informationen kann durch Musterbildung sinnvoll reduziert werden. Ansonsten „erstickt“ eine Unternehmung an der unbegrenzten Möglichkeit der Informationsbildung. Wissen häuft sich an und verhindert das Lernen und Handeln. Eine enorme Menge von Daten strömt auf eine Organisation, wie auch auf jeden Akteur, ein. Den größten Anteil dieser Daten müssen soziale Systeme wie auch Menschen unmittelbar vergessen, um nicht „verrückt“ zu werden. Aus den Daten werden nach Wahrnehmungsmustern Informationen gefiltert, die dringend und/oder wichtig sein können. Dringend und wichtig sind zum Beispiel Informationen über die Beschaffenheit der Straßenoberfläche. Nur wichtig, nicht dringend, ist zum Beispiel der Hinweis auf den nächsten Inspektionstermin. Nur dringend (eher drängend) wirkt wiederum die Werbung für Waschstraßen. An diesen Informationen, insbesondere den wichtigen und wesentlichen wird dann gegebenenfalls Wissen generiert. Das System speichert wichtige Informationen und fordert Muster der Orientierung heraus (Musterlernen). Das Musterwahrnehmen erleichtert die Orientierung bei gleichen und ähnlichen Situationen, birgt aber auch die Gefahr, dass in überraschenden neuen Situationen nicht sinnvoll gehandelt wird. Hier ist Veränderungslernen notwendig. Vielleicht liegt in der Kombination von Verwesentlichung der Informationsströme und großer Achtsamkeit die Weisheit verborgen.

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Abb. 2.1: Der Berg der Weisheit Im Übrigen lassen sich Schläue, Klugheit und Weisheit durch die Intensität der Achtsamkeit und des Überblicks unterscheiden. Schlaue Systeme suchen ihren schnellen Vorteil. Kluge verfügen über mehr Überblick und schauen deshalb auf die Konsequenzen ihres Handelns. Kluge sind schon eher an kooperativen win/win-Lösungen interessiert. Sie integrieren zeitstabile Muster in ihr System, um übergreifende Erkenntnisse zu schaffen. Es sind die Muster, die verbinden, wie Gregory Bateson formulierte. Weise sind achtsam und relativ unabhängig. Sie erkennen den Zusammenhang zwischen eigenem Tun und resultierenden Effekten. Als emotional ausgeglichene Akteure versuchen sie, eine stimmige Atmosphäre zu schaffen, die verbessernde Veränderungen möglich macht. Weise Verhaltensweisen basieren auf der strukturell systemischen Mustererkennung, die eine prinzipielle Vorausschau ermöglicht. Weise Menschen können auch nicht exakt voraussehen, sie wundern sich aber weniger über die Folgen ihres Handelns.46 Das Datenmeer tendiert zur Vergrößerung, weil immer mehr Personen auf der Erde intensiv mit Wissen konfrontiert werden und lernen müssen. In der Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft wird mehr Zeit für Lernen erübrigt. Wenn Lernen durch Kommunikation erzeugt wird, nämlich den Austausch von Informationen, dann erzeugen die Kontaktmöglichkeiten zum Beispiel über neue Medien ihr Übriges. Kulturelle und geografische Distanzen schwinden in der virtuellen Verknüpfung. Daraus resultiert ein überbordendes „Meer“ der Wissens- und der Informationsmöglichkeiten. Eine große Menge Information dringt unaufgefordert in die Rezeptoren von Menschen und Systemen (zum Beispiel Werbung oder background music), die dann herausgefiltert und möglichst schnell beseitigt werden müssen. In der dynamischen Komplexität entsteht so 46 Wenig genutzt liegen viele Felder des Wissens brach. In Komplexität versunken, neigen wir dazu, uns mit weniger wichtigen Details zu befassen. Vgl. dazu G. Bergmann, 1999.

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ein scheinbares Paradoxon. Die sozialen Systeme benötigen ein breites Informationsmaterial zur Orientierung und erleben dort schnell den information overload und data smog. Die Verwesentlichung der Information und die damit verbundene Zeitersparnis können neben der schon erwähnten Mustererkennung durch verschiedene weitere Maßnahmen erreicht werden. Insbesondere erscheint es sinnvoll, redaktionell tätig zu werden, zu entscheiden, welche Informationen für das eigene Beobachtungsfeld interessant sind und in den eigenen Rahmen passen. Man kann nur sehen, was man kennt, heißt es. So können bei präziser Formulierung eigener Kernkompetenzen und Erkenntnisfelder die wichtigen Informationen schneller und effektiver ausgefiltert werden. Ansonsten drohen oberflächliche Vereinfachungsstrategien, die aus Überforderungen resultieren. Weitere Chancen, sich die Informationsüberlastung und Zerstreuung zu ersparen, sind die bewusste Nutzung von low tech, das Ausklinken aus routinisierten Nachrichtenströmen und das Vermeiden von automatischen up-grades. Einfache Technik macht vorsichtig und verunmöglicht die überbordende Sammlung von Informationen. Die Abkopplung von ungefragten Impulsen durch Off-Line, Nichterreichbarkeit und Vorfilterung erzeugt zeitlich kapazitative Freiräume. Erst recht der Verzicht auf die neueste Version an Informationstechnik kann manchen Lern- und Entlernaufwand ersparen. Die Informationen stellen erst Wissen dar, wenn sie einen Unterschied machen, also als besonders nützlich, interessant oder ungewöhnlich gelten. Das Reservoir an Erkenntnissen und Wissen der einzelnen Akteure wird dann erst zu kollektivem Wissen (zum Beispiel eines Teams oder einer Unternehmung), wenn Informationen ausgetauscht und „mitgeteilt“ werden. Informelle Kommunikation und die Integration von Denken und Handeln können viel dazu beitragen, die wissende und lernende Organisation Realität werden zu lassen. Später in Kapitel 7 gehe ich näher auf diesen Aspekt ein.

2.2 Problembeschreibung und Visionsbildung Innovation bedeutet so viel wie Erneuerung. Es wird etwas subjektiv Neues erkannt und als nützliches Muster anerkannt. Ein Produkt beispielsweise wird in der Regel von mehreren Personen entwickelt, als Lösung erkannt (meistens eine Summe von Lösungen) und von möglichen Käufern anerkannt. Dann ist aus der Idee (Erkenntnis!) eine Innovation geworden, die eventuell weiter diffundiert und breite Akzeptanz findet. Damit die Wahrscheinlichkeit von Innovationen47 erhöht wird, sind der intensive Austausch mit dem relevanten Kontext (Einbe47 Vgl. zum Innovationsmanagement besonders G. Bergmann, 2000 und die dort angegebene Literatur.

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ziehung potenzieller Kunden) sowie vielfältige Recherchen und eine stimmige Atmosphäre notwendig. Wenn im Hochgebirge die Ausrüstung defekt ist, werden die Akteure zusammenrücken, Erfahrungen zusammentragen und unter Druck (in diesem Falle stimmige Atmosphäre) Notlösungen kreieren. Im Wirtschaftsleben sind Reklamationen und Sonderwünsche oft gute Innovationsanregungen. Hinreichende Problembeschreibungen können Lösungen sinnvoll vorbereiten. Deshalb möchte ich den Fokus nun auf typische Problemerzeugungen richten, um dann die öffnende Visionsentwicklung zu beschreiben. 2.2.1 Die PePsel – die problemerzeugenden Pseudolösungen Probleme, so spricht der Duden, sind zu lösende Aufgaben, es sind schwierige Fragen, die grundsätzlich als lösbar gelten. Ein Problem wird, wie alle Wirklichkeit, nur subjektiv konstruiert. Ein Problem entsteht aus der Wahrnehmung von etwas Unerwartetem. Entweder es fehlt etwas (Essen, Trinken) oder etwas ist da, was fehlen sollte (Völlegefühl, Magendrücken).48 Neben der körperlichen Ebene kann ein Problem auch in der Interaktion zwischen Menschen entstehen. So wird entweder ein Verhalten gezeigt, das nicht erwartet oder erwünscht war, oder aber nicht geäußert, obwohl es erwartet oder erwünscht wurde. Das Zuviel wird oft als Störung empfunden und gerne durch Ausgrenzung, Abmahnung, oder „Freisetzung“ gelöst, das Zuwenig durch Austausch der Akteure. Wenn das „gestörte“ System durch Ausgrenzung und Austausch der Akteure gelöst wird, so wird außerhalb des sozialen Systems interveniert. Das Problem bleibt strukturell erhalten, weil ja die „Störer“ beseitigt, nicht die Kommunikationen lösend verändert werden. Probleme sind wie alle Wirklichkeiten häufig in subjektiver Art und Weise frei konstruiert. Wenn die Schwierigkeiten ganzheitlich beschrieben sind, können aus der Beobachtung von Unterschieden Lösungen ohne ursächliche Erklärung gefunden werden. Oft erweist sich dabei die Wunderfrage als sinnvolles Instrument. Es wird gefragt, was denn sei, wenn am nächsten Montag alles gelöst ist. Aus der Beschreibung dieser Vision werden individuelle Ziele und Wünsche offenbar sowie Veränderungen möglich. In jedem Fall existiert mindestens eine Kehrseite, eine Variante oder Alternative. Das Problemfeld ist insofern aufzublättern. Als verdächtig muss klingen, wenn die einzig wahre Lösung als Patentrezept angeboten wird. Immer sind mehrere Wege und Methoden zu wählen sowie verschiedene Sichtweisen zu prüfen. Ein Problem entsteht aus der Art der Kommunikation oder Interaktion von Personen. Wenn ein Problem benannt wird, erzeugt es damit ein System, nicht um48 Vgl. F. B. Simon, 1997, S. 76.

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gekehrt. Das Problem löst Reaktionen, Hilfeangebote, Ablehnung u.v.m. aus. Ein Problem lokalisiert sich nicht in einem Akteur, sondern ist nach systemischer Betrachtung immer in und zwischen Systemen zu finden. Nicht Menschen, sondern Systeme lassen sich verändern. Das Verhalten der Menschen ändert sich damit, allerdings in zum Teil überraschender Weise. Ein Problem ist ein unerwünschter Zustand, der in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückt.49 Mindestens eine Person benennt das Problem und löst damit zumeist eine Diskussion darüber aus, worin das Problem eigentlich besteht, wo die Ursachen liegen und ob es den richtigen Namen trägt. Der Problemzustand wird als veränderungsbedürftig bezeichnet und ist prinzipiell veränderbar, weil er von mindestens einem Akteur von Schicksal und Pech unterschieden wird. Probleme werden entdeckt und/oder erfunden. Es entwickelt sich ein problemdeterminiertes System, indem wiederum Erklärungen für Entstehung und Ursachen diskutiert werden. Dann werden stabilisierende Beschreibungen und gewöhnende Arrangements folgen oder aber neue Möglichkeiten der Veränderung und damit Lösungen gefunden. Es gibt allerdings eine Vielzahl von Problemlösungsstrategien, welche die Lage noch verschlechtern. Anhand eines Modells des Psychologen Watzlawick und weiteren systemischen Erkenntnissen können typische Problemlösungsfallen aufgezeigt werden.50 Ich nenne sie Verschlimmbesserungen oder Problemerzeugende Pseudolösungen (PePsel). Diese Art von „Lösungen“ sind die Probleme von heute und morgen. Sie sind als „Pfusch“, „Gehüchel“ oder „HuschHusch“ u. ä. vielfältig in die Umgangssprache aufgenommen worden. Typische problemerzeugende Pseudolösungen Geringe Bewusstheit: Zuweilen werden in Lösungsprozessen einzelne Akteure „abgehängt“, um einen schnellen und reibunglosen Prozess zu gewährleisten. Gerade die bewusste und behutsame Gestaltung des Beginns ermöglicht später die sinnvolle Zeitersparnis, weil alle engagiert und rückhaltlos das Projekt fördern. Trennung von Handeln und Denken: Besonders abträglich erscheint die personelle Trennung von „Konzeptionisten“ und Ausführenden. Kaum jemand führt gerne Projekte aus, die andere erdacht haben. Es entsteht oft der Effekt, dass Kritisierer am Spielfeldrand auf die Akteure einwirken, sie vom erfolgreichen Agieren ablenken und nur beschreiben, wie es hätte noch besser laufen können, ohne Hilfestellungen zu geben, Lösungen anzubieten oder Verantwortung zu übernehmen. 49 Vgl. insbes. A. v. Schlippe/J. Schweitzer, 1997, S. 102 f. 50 Vgl. P. Watzlawick/J. Weakland/R. Fisch, 1988, S. 52 ff.; A. v. Schlippe/J. Schweitzer, 1997, S. 102 ff.

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Mehr desselben: Eine beliebte Lösung besteht in der Verstärkung der bisherigen Strategie: mehr desselben. Ich baue mehr Straßen und ernte mehr Verkehr, ich spare und spare und ernte immer mehr Verluste. Je mehr man sich anstrengt, desto schlimmer wird es. Es muss aber in vielen Fällen aus dem alten Muster ausgetreten werden. Die Lösung besteht auch hierbei im Aufsuchen neuer Wege und Perspektiven, im Ent-Lernen der angestammten Stereotypen und Rezepte. Gerade Systeme, die sich in Erfolgsgewissheit selbst versiegelt haben, benötigen Störungen und Krisen, um notwendige Veränderungen einleiten zu können. Unzulässige Vereinfachung und der Traum von der Beherrschbarkeit: Wenn ich unzulässig vereinfache, produziere ich gerade in komplexen Systemen weitere Probleme. Nur komplexe Systeme können ebenso komplexe Kontexte verarbeiten. Insofern ist darauf zu achten, nicht aus verständlichem Vereinfachungswunsch die schnelle Patentlösung anzustreben, Probleme zu leugnen oder umgehen zu wollen. Glaube an Objektivität: Zuweilen werden Probleme als objektiv gegeben und einfach beschreibbar dargestellt. Dabei sind Wirklichkeiten und so auch Probleme subjektiv konstruiert und beruhen auf sehr komplexen Ursachen. Wir leben in tendenziell unterschiedlichen Erlebniswirklichkeiten und können lediglich die Wahrscheinlichkeit von Verständigung erhöhen. Glaube an Beherrschbarkeit und einfache Vernunft: Vielfach werden komplexe Systeme als prinzipiell beherrsch- und steuerbar interpretiert. Soziale Systeme sind aber nur indirekt beeinflussbar und nicht direktiv lenkbar. Weder Anordnung und Planung, noch unstrukturiertes Durchwursteln („Irgendwie“-Lösungen) helfen in diesen Situationen weiter. Leugnung des Unbewussten: Wahrscheinlich sind uns nur Bruchteile des Erlebten bewusst. Das Meiste bleibt verborgen und steuert unser Verhalten trotzdem. Kommunikation, Bewusstsein und biologische Prozesse in unserem Körper sind voneinander relativ unabhängige, selbstreferentielle Systeme. Veränderungen leugnen: Einige Akteure richten ihre Aufmerksamkeit vornehmlich auf statische Dinge. Veränderungen und Verbesserungen werden nicht registriert. Erreichte Erfolge werden nicht gewürdigt und eher als Zufallsergebnisse deklariert. Das Glas ist eher halb leer.

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Fatalismus – Die Zukunft ist der Untergang: Entwicklungen werden oft als unveränderlich angesehen. Eltern, Lehrer, Kunden, Wettbewerber und die Gesellschaft haben „so viel Unheil angerichtet, dass nun nichts mehr zu ändern ist“. Es werden bestimmte Ursachen analysiert, die aber nicht beeinflussbar sind und somit das Schicksal determinieren. Alles wird erklärt, aber nichts gelöst. Das Verhalten anderer wird nicht im systemischen Kontext gesehen, sondern als feststehende, charakterliche Größe. Die Wettbewerber werden als unangreifbar bewundert, Krisen als Schicksal deklariert und man begibt sich in die „erlernte Hilflosigkeit“. Hier wird die Zukunft diffus beschrieben und eher als finster bezeichnet. Es existieren keine Ziele, Visionen und Vorstellungen über wünschenswerte Zustände, die man in kleinen Schritten erreichen könnte. Ideologische Utopien können frustrieren: Unrealistische Visionen können die Betroffenen frustrieren. Weil die gesetzten Ziele nicht erreichbar sind, werden sie erst gar nicht angestrebt. Utopien sollten inhaltlich offen neue Perspektiven eröffnen, ansonsten tendieren sie zur Konstruktion von neuen Problemen. Sie bedürfen der Formulierung kleiner und damit überschaubarer Realisierungsschritte. Wahl paradox: Wenn ich paradox kommuniziere, produziere ich auch weitere Probleme. „Nun seid doch endlich kreativ” und „verhalte Dich natürlich“ sind solche in sich widersprüchlichen Imperative. Es ist durchaus zulässig und oft hilfreich, paradox zu intervenieren, wenn sich Muster festgefahren haben. Doch werden Prozesse nicht durch Kommandos und Empfehlungen initiiert, die dem Inhalt emotional widersprechen. Nicht-Kommunikation: Die Therapie kann schlimmer sein als die Krankheit. Probleme entstehen erst durch ihre Dramatisierung und die demonstrative Lustlosigkeit. In vielen Fällen können oder wollen einige Akteure gar nicht an der Kommunikation teilnehmen. Es wird keine gemeinsame Realität oder Sprachebene gefunden, die Energie bleibt verborgen oder das Thema wird als unwichtig deklariert. Es wird unverständlich und verklärend kommuniziert, zuweilen auch der Kreis der Kommunikationspartner bewusst beschränkt bis nur noch „Mitnörgler“ vorhanden sind. Doch was alle angeht, müssen auch alle entscheiden. Katastrophierung: Angesichts der horrenden Komplexität kann Verwirrung entstehen. Das Feld und das Problem werden nicht klar identifizierbar. Ursache und Wirkung liegen räumlich und zeitlich weit auseinander und sind zudem zirkulär verknüpft. Die

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komplexen Beziehungen sind strukturell zu erfassen. In dieser Situation wird das Denken und Handeln zuweilen ganz eingestellt. Dazu gesellt sich dann die Minussymptomatik, es wird die Bestätigung der eigenen Defizite und Schwächen geradezu gesucht und die Probleme „katastrophiert“51. Die Handlungsund Risikofreude reduziert sich und damit der Veränderungswille. Macht und Tabus blockieren die Veränderung: Besonders wichtig erscheint uns, auf die unterschiedlichen Interessen und Einflussmöglichkeiten zu achten. Einigen Akteuren ist es möglich, die Ziele und Vorgehensweisen zu dominieren. Bestimmte Themen werden zu Tabus erklärt, Realitäten nicht für wahr genommen. Im Gegenzug tritt Reaktanz, also Widerstreben gegen Verhaltensbeeinflussung, in Form von Widerstreben, innerer Kündigung, Trotz und Dienst nach Vorschrift auf. Fehl- und Trivialattribution: Auftretende Probleme werden einzelnen Ursachen und/oder Schuldigen zugeordnet, obwohl das in komplexen Zusammenhängen kaum möglich ist und dadurch die Energie zur Lösungsfindung abgezogen wird. Vielmehr sind Fehlertoleranz, die Akzeptanz des Paradoxen (tolerance of ambiguity) sowie die konsequente Orientierung an eigenen Ressourcen und den Möglichkeiten der zukünftigen Verbesserung sinnvolle Orientierungen. Alle skizzierten Problemerzeugungen können als typische Stereotype bezeichnet werden, die die schwierige Situation in turbulenten Kontexten sinnvoll zu agieren, noch weiter verschlimmern. Aus der Umkehrung dieser PePsel können sinnvolle Ansatzpunkte zur Lösung ermittelt werden. Wenn die Probleme dialogisch thematisiert wurden, können visionäre Wege zur verbessernden Veränderung kreiert werden. „Und es ist nicht verwunderlich, dass die tiefsten Probleme eigentlich keine Probleme sind.“52 2.2.2 Visionsbildung Die Vision trägt öffnenden Charakter, ausgehend von Problemfeldbeschreibungen werden wünschenswerte Perspektiven entwickelt. Die Vision ergänzt die Rahmensetzungen wie Strategien, Leitlinien und Ethiken, indem in einer Referenztransformation das Gewohnte ergänzt oder gar verlassen wird. Visionen erzeugen neue Bilder der Wirklichkeit. Oft beginnt diese Öffnung mit einem auslösenden Ereignis (activating event) in Form von Problemdruck oder lohnenden Ideen. Das vorhandene Glaubenssystem (belief system) wird aus einer anderen Perspektive betrachtet, wobei dazu analoge Vorgehensweisen mit Bildern und Metaphern anregen. Im Dialog formen die Beteiligten neue Figuren, schaffen 51 Vgl. H. R. Wagner, 1995, S. 65 ff. 52 Vgl. L. Wittgenstein, 1963, S. 33.

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also neue Unterschiede, die bestenfalls zu einer gemeinsamen Vision (shared vision) geformt werden. Dieses geteilte Vorstellungsbild löst Energie für Wandlungsprozesse aus und weitet die Enge der Problemsituation zu Handlungsspielräumen. Gemeinsam mit den kanalisierenden Werten und Leitlinien entwickelt sich die Unternehmensphilosophie. Sie kann als konglomerate Manifestation der Werte, Visionen und Zielvorstellungen aller Beteiligten und Betroffenen gelten und sie „… schafft ein gemeinsames Bezugssystem, eine Linie, die Wahrnehmungen filtert und Erwartungen beeinflusst, gemeinsame Interpretationen und Verständnis ermöglicht, Komplexität reduziert, Handlungen lenkt und legitimiert.“53 Die Klärung und Abstimmung der Wertorientierungen in und zwischen Unternehmen verhindert die Verfestigung kontraproduktiver Mythen, die in Form von „Erfolgsrezepten“ und starren Grundhaltungen (Legenden, Gewohnheiten) die flexible Anpassung bremsen. Während mit der Unternehmenskultur die Gesamtheit der Werte, Artefakte und Annahmen einer Organisation umschrieben wird, kann man die Unternehmensphilosophie eher als Gestaltungsprinzip auffassen, mit dem das Management versucht, das Erscheinungsbild, die Interaktionen, das Betriebsklima und die Kontaktformen zu den Austauschpartnern zu beeinflussen. Es werden Aussagen zu allen Kontextsystemen entwickelt. Für die Kommunikation sind erstens intern die positiven Wirkungen einer partizipativ entwickelten Unternehmenskultur54 hervorzuheben und die Orientierungen für das eigene Interaktionsverhalten zu vermitteln. Den Mitarbeitern werden der Stil und das Klima des Unternehmens deutlich. Außerdem erspart sich das Management erheblichen Kontrollaufwand durch die Gewährung selbstregulativer Spielräume. Zweitens gibt eine umfassende und systematische Kulturanalyse Hinweise darauf, mit welchen Partnern grundsätzlich zusammengearbeitet werden sollte. Während sich die Kultur aus kollektiv geteiltem Wissen, also aus ähnlichen Unterscheidungen, formt und die Philosophie die Kernkompetenzen, den Rahmen und den purpose der Organisation beschreibt, öffnet eine Vision den Horizont und kreiert Möglichkeiten. „Das Wesen einer Vision liegt in den Richtungen, die sie weist, nicht in dem, was sie abschließt; sie liegt in den Fragen, die sie aufwirft, nicht in den Antworten, die sie für diese findet.“55 Die interaktive Vi-

53 Vgl. A. Kieser, 1985, S. 428. Die Visionsbildung und das organisationale Lernen wurden als wesentliche Defizitbereiche von Unternehmen identifiziert. Vgl. die empirische Studie G. Bergmann/G. Meurer/M. Pradel, 1999. 54 Vgl. O. Neuberger/A. Kompa, 1987, S. 283. 55 H. H. Hinterhuber, 1992, S. 41.

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sionsentwicklung ermöglicht, neue Sichtweisen in die Unternehmenspolitik zu bringen und durch die Einbindung aller Stakeholder Engagement zu entfalten. Zusammen mit der rahmenschaffenden Identitäts- und Wertepolitik formt die Vision eine handlungsleitende Perspektive und Orientierung, die in der Unternehmensphilosophie gebündelt wird. Visions- und Rahmenentwicklung gehören im Zusammenspiel zu den wesentlichen Orientierungsmustern, die detailliert in den Kapiteln 4 und 7 erläutert werden. Die Identität verbindet Vision und Rahmen Die Corporate Identity wird als Persönlichkeit und Selbstverständnis einer Organisation verstanden. Die Corporate Identity bündelt die Potenziale und Visionen sowie die Regeln und Wertesysteme. In diesem Zusammenhang sei auf die zentralen Probleme der Selbstfindung einer Corporate Identity hingewiesen. Schließlich soll die Unternehmensidentität als langfristige Orientierung zur Identifikation, Inspiration und Integration aller Austauschpartner dienen und muss insofern unter Mitwirkung aller Beteiligten und Betroffenen herausgebildet werden. Als problematisch werden dabei die diversen Mentalitäten, Naturelle, Kulturen und Interessen und deren Veränderung im Zeitablauf (Wertewandel) von denen empfunden, die sich eine überschaubare und einheitliche Grundorientierung wünschen. Die Organisation kann sich nicht über längere Zeiträume von den Lebenswelten der Austauschpartner ungestraft isolieren. Doch Identität erzeugt immer Differenz und ist somit das Gegenteil von Verschmelzung, nämlich Abgrenzung. Identisch sein, heißt immer gleich sein mit etwas anderem. Identität ist gesellschaftlich, aber nicht unbedingt öffnend. Man könnte sagen, die größte Wahrheit liegt im Plural und nicht in der stringenten Einheitlichkeit und es ist schwierig, das Wechselspiel von Öffnung und Struktur auszupendeln. Insofern kann eine Corporate Identity nur in zirkulären Dialogprozessen entwickelt werden. Es werden hier die Grenzen in einer paradoxen Ambivalenz aus Kontakt und Differenz zu anderen Systemen bestimmt. In diesem Identitätskonzept dominiert der Herstellungscharakter und der Prozess, weniger das Ergebnis. In größeren Unternehmen werden zunächst dezentral Teams mit der Generierung von Vorschlägen beauftragt, die dann in allen Bereichen und Ebenen diskutiert werden und sukzessive in einem für viele annehmbaren Ergebnis münden. Als Ablaufstruktur dient auch hierbei der Lern- und Lösungszyklus. Das Problem der Kontextdynamik lässt sich lösen, indem die einmal gefundenen Grundsätze permanent auf dem Prüfstand bleiben und Zug um Zug durch aktuelle Werte und Erkenntnisse ergänzt werden. Die Leitideen sollen dabei dem Zeitgeist und den Moden nicht durch alle Kapriolen folgen, vielmehr sind allmähliche und schrittweise Anpassungen angezeigt, die den Kontakt zur Mitwelt

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aufrechterhalten. Die kollektive Identität wird über dezentrierte Prozesse der Selbstorganisation entwickelt und bleibt damit lebensfähig und aktuell. Die zentrifugalen Kräfte können durch eine plurale Corporate Identity integriert werden. Die Unternehmung koevolviert mit dem Kontext, wenn sie alle Beteiligten intensiv und eigendynamisch an den Entscheidungsprozessen teilnehmen lässt und intensiven und direkten Kontakt zu allen relevanten Szenen aufnimmt. Die Systemgrenzen müssen dazu möglichst offen gehalten werden, ohne die identitätsbildende Differenz aufzugeben. Relative Vorteile erzeugen Organisationen, die sich in die Turbulenz begeben, sich eine intensive Interaktion mit dem Kontext zutrauen, sich also mit den fluktuierenden Zeitströmungen auseinandersetzen. Die Unternehmung wird multioptional, weniger stringent und streng. Firmen können einen kreativen Charakter aus der Summe der mitstreitenden Persönlichkeiten gewinnen. Sie pendeln mit ihren diversen Qualitäten zwischen den universellen Regeln der Visionen und Grenzen, kreieren faszinierende Ideen und finden Halt in normativen Regeln und Selbstverpflichtungen.

2.3 Methoden der Problembeschreibung und Visionsbildung Im Folgenden sind einige Methoden beschrieben, wie Problemsituationen interaktiv erfasst und öffnende Visionen entwickelt werden können. 2.3.1 Diagnose-Interviews Ein wichtiges Instrument zur Erfassung und Klärung der unterschiedlichen Sichtweisen sind sogenannte Diagnose-Interviews. Dabei werden individuelle Attributierungen, Problembeschreibungen, Ziele und Gefühle eruiert. Damit ein möglichst anschauliches und alle Aspekte umfassendes Bild der Situation entsteht, sind vor allem qualitative Fragen mit offenen Kategorien und Spielräumen sowie analoge Konstrukte wie Metaphern, Bilder und Skulpturen zu verwenden. Narrative Interviews erläutern die Entwicklungsgeschichte, Strukturlegetechniken ergeben einen Überblick der Zusammenhänge von wichtigen Begriffen und Themen. Ergänzend können Rollenspiele, Systemaufstellungen und Gruppendiskussionen den Blick weiten und ergänzende Erkenntnisse liefern. Dabei fließen dann auch Elemente der Beobachtung mit ein, die einen authentischen Blick eröffnen. Auch bei diesen Interviews und Beobachtungen werden alle Phasen des Lern- und Lösungszyklus durchlaufen. Perzeptive, kreative und reflektorische Elemente ergänzen sich sowohl bei der Erstellung von Untersuchungsdesigns als auch bei der Durchführung der empirischen Diagnose.56 Es entsteht 56 Detaillierte Darstellung der Diagnose-Interviews bei E. König/G. Volmer, 1997, S. 141 ff. In der Studie „Das Zukunftsfähige Unternehmen“ habe ich mit Kollegen einen praxistauglichen Fragebogen erstellt und genutzt, der gute Einblicke in den Reifegrad einer Organisation gewährt.

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durch den intensiven Austausch, also insbesondere die narrative Diagnose, ein Bewusstsein für das kollektiv geteilte Wissen, indem klarer wird, welche ähnlichen Unterscheidungen getroffen werden. Besonders Richard Rorty hat auf die Vorteile von Geschichten zur Beschreibung von Erlebtem und Zukünftigem gegenüber stringenten Theorien hingewiesen, die oft wesentliche Aspekte der Wirklichkeit ignorieren lassen.57 Es gilt, die Sprache des Systems (unique kind of talking) zu erlernen. Die Kommunikationsformen und geheimen Spielregeln decken die Prozessmuster auf. Dabei werden vorzugsweise auf die vorhandenen Ressourcen die Vorteile und Chancen aufgebaut sowie an die schon gelösten Fragestellungen erinnert und kleine Fortschritte besonders gewürdigt. Steve de Shazer und Isoo Kim Berg sagen dazu „If you like solutions you might not be problem phobic. But focus on removing problems, on advantages and resources. You can feel better, you will have a good lesson, if you have many alternatives.“58 2.3.2 Vision Picture Eine bewährte Methode, um in der Gruppe und individuell sowohl Situationen zu beschreiben, als auch Visionen und Ziele zu konkretisieren und sichtbar zu machen, basiert auf der Brain Map (vgl. Kap. 3) und enthält deshalb auch logisch stringente sowie emotional bildhafte Elemente, integriert also digitale und analoge Vorgehensweisen. Wir nennen sie Vision Picture. Die Teilnehmer erhalten etwa 20 Minuten Zeit, ihre aktuelle Situation und ihre Visionen bildlich darzustellen und daraufhin konkret verbal ihre Ziele in der betreffenden Organisation und in dem speziellen Team, Projekt, Workshop o. ä. zu formulieren. Bei diesen Zielen soll darauf geachtet werden, dass sie nach Inhalt, Zeit, Ausmaß genau bestimmt werden, aus eigener Kraft erreichbar und positiv formuliert sind, denn hierin sollen sich die kleinen Schritte zur Vision zeigen. Wenn jeder Teilnehmer dieses Bild individuell erstellt hat, wird in der Gruppe die Zielbildung im Dialog überprüft und gemeinsam ein konkreter Zielsatz formuliert. Zudem können sich alle Akteure an anderen „Leitbildern“ orientieren und sukzessive ein Bild der gesamten Organisation formen. Die Figurbildung als gemeinsame Situationsbeschreibung und Vision wird damit praktisch erreichbar.

Vgl. bei G. Bergmann/G. Meurer/M. Pradel, 1999 und Kap. 7. 57 Vgl. R. Rorty, 1993, S. 97 f. 58 Zitat aus einem Workshop 1998.

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Abb. 2.2: Vision Picture 2.3.3 Open Space und andere Metaloge Metaloge oder auch Großgruppeninterventionen verbessern die organisationale Effektivität und Aktivieren das Engagement der Betroffenen. Der Zukunftsworkshop ist eine mehr strukturierte Form, der Open Space eine sehr offene. Je nach Aufgabenstellung und Problemfeld sind angemessene Rahmenbedingungen zu definieren. Zukunftsworkshops werden gezielt in eher überschaubaren Gruppen initiiert. Im Open Space ist die Struktur auf wenige Regeln eines großen Zeitplans beschränkt. Das Thema wird nur sehr abstrakt vorgegeben und am „Marktplatz“ mit Inhalten versehen. In der Tabelle59 im Anhang sind die Charakteristika der klassischen Projektorganisation, der Zukunftsworkshops und des Open Space angedeutet. Im Folgenden wollen wir die Vorteile und Grenzen des Open Space verdeutlichen. Daraus ergeben sich dann auch geeignete Einsatzfelder für weitere Methoden. Als praktisches Vorgehen zur Lösungsfindung in komplexen Strukturen hat sich mittlerweile die Open-Space-Methode60 erwiesen. Open Space eignet sich besonders in Phasen der Offenheit mit geringer oder diffuser Struktur des Problemfeldes. Es können hierbei sehr viele Personen in den Prozess integriert werden, wobei die Grenzen, Aufgaben und Ziele eines Projektes noch sehr unbestimmt sind. Ausgehend von einer grobskizzierten Agenda werden interessierende 59 Vgl. Anhang Abb. Typologie der Großgruppen-Workshops im Anhang. 60 Vgl. insbesondere K. Petri, 1996. Open Space kann auch mit Unternehmenstheater und Zukunftskonferenzen kombiniert und variiert werden.

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Ideen und Probleme auf einem Marktplatz präsentiert. Jede Person kann eigene Ideen einbringen oder sich Gruppen anschließen. Es bilden sich spontan und selbstorganisierend verschiedene Dialoggruppen, die gegebenenfalls in mehrere Untergruppen aufgeteilt werden, wenn die Anzahl der Teilnehmer das Optimum von acht Personen überschreitet. In diesen Gruppen werden nach der organischen Gründungsphase Lern- und Lösungszyklen durchlaufen und damit Ergebnisse entwickelt, die wiederum der Gesamtgruppe präsentiert werden und dann auslösend für konkrete Projekte in der Organisation stehen können. Open Space gerät in eine strukturbedingte Problemphase, die nach meiner Erfahrung durch gezielte ordnende und impulsgebende Intervention überwunden werden muss. Das heißt, es sollten dann konkrete Chancen und Anregungen zur Projektentwicklung geleistet werden. Ansonsten drohen die euphorischen Initiativen zu erlahmen. Speziell in der Phase Problembeschreibung und Visionsbildung ist eine Verwesentlichung und Strukturbildung angemessen, bevor in der dritten Phase Ideen und Vielfalt zur Lösungsfindung beitragen sollen. In „lernenden Gemeinschaften in Aktion“ werden Themen, die in selbstorganisatorischen Prozessen ermittelt wurden, behandelt. Es bilden sich spontane Ordnungen mit oft unerwarteten, emergenten Lösungen. Als Leitlinien für das Gelingen gelten: „Jeder ist die richtige Person; wenn es beginnt und endet, ist es die richtige Zeit; was auch geschehen mag, es ist o.k.“, „Wer glaubt, er müsse gehen oder intervenieren, soll dies tun.“ (Gesetz der zwei Füße). Die facilitators (Ermöglicher, Heinzelmenschen61) halten sich achtsam im Hintergrund. Sie zeigen sich als Person, sind präsent, ehrlich, lassen es laufen und ziehen sich zurück, wenn alles läuft. Somit ergeben sich Hinweise für das Management überhaupt und Open Space kann zu einem wesentlichen Leitprinzip avancieren. Vorteile des Open Space: - einfach zu organisieren, - sehr kostengünstig (zum Beispiel wenige Berater, wenige Mittel notwendig), - wirkt integrierend, Engagement entfaltend, - entsteht selbstorganisatorisch, - sehr praxisorientiert und konkret, - effektiv für kleine bis hin zu sehr großen Gruppen und - vermittelt eine teilnehmende Kultur.

61 Vgl. Hinweise am Ende dieses Buches.

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TEIL I DER PROZESS DES GELINGENS

Open Space eignet sich: - besonders als Startveranstaltung von Veränderungsprozessen, - für die Mobilisierung von Energie, - für die Ideengewinnung, - für alle unbestimmten breiten Problembereiche, - zur Gründung von Projekten und - zur Konfliktklärung und Verständigung. Open Space ist nicht geeignet: - in konkreten Terminplanungen, - wenn schnelle, wohlstrukturierte Problemlösungen erwartet werden, - wenn die Betroffenen noch nicht in Metalog-Techniken geschult sind, - wenn sehr unterschiedliche Voraussetzungen vorliegen. Entsprechend gelten diese Vorteile für klassische Projektteams und Zukunftsworkshops, wenn mehr strukturierte Problemfelder vorliegen. Wir haben einen Sustainable Solution Talk als semistrukturierte Methode auf der Basis des Lernund Lösungszyklus und der lösungsorientierten Therapiekonzepte entwickelt und in der Praxis erprobt. Viele weitere Varianten sind denkbar. 2.3.4 Mind Mapping Das Mind Mapping ist eine Methode zur Erfassung und ersten Strukturbildung in komplexen Problemfeldern. Zu einem bestimmten Thema, das in einem Kreis eingetragen wird, werden die spontanen Einfälle auf Ästen notiert und Unterpunkte als weitere Verzweigungen zugeordnet. Auf diese Weise lassen sich „Bilder“ eines Gespräches, eines Dialogs oder Brainstorming aufzeichnen und es werden erste Stoffsammlungen vorgenommen. Das Mind Mapping62 lässt sich auch mit Strukturhilfen kombinieren, indem man die acht Stufen des Lern- und Lösungszyklus (Solution Cycle) unterlegt und spontane Beiträge in die Kategorien einträgt. Ebenso ist es denkbar, die später zu schildernde Brain Map – als Abbild charakterlicher Ausprägungen – zu verwenden. Die Ideen und Aspekte werden sofort den typischen Merkmalen – perfektionistisch, kreativ, kognitiv etc. zugeordnet. Die Mind Map lässt sich zu einem umfassenden Patchwork von Themenschwerpunkten und zu einem ganzheitlichen Netzwerk zusammenfügen.

62 Vgl. T. Buzan, 1995, der in seinem Buch zahllose Varianten und Anwendungsmöglichkeiten offeriert.

2 PROBLEME UND VISIONEN

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Abb. 2.3: Mind Map des Lernens 2.3.5 Konstellationen, Sculpturing, Metaphorik In der Praxis der Veranschaulichung existieren diverse Methoden. Ausgangspunkt sind zunächst Bilder, die von der Organisation selbst geschaffen werden oder wurden. Dann wird zu erweiternden Sichtweisen übergegangen. Formal festgelegte Organigramme können einen ersten, wichtigen Einblick vermitteln. In der Regel wird die reale Situation der Zusammenarbeit anders verlaufen, doch zeigen diese Darstellungen Ziele, Positionen, Machtstrukturen, Usancen und Spielregeln auf. Eine Beobachtung der Kommunigramme als Abbild der Beziehungsintensität ergibt dann weitere Informationen. Diese werden als Systemzeichnungen angefertigt und können dabei sowohl die Herkunft und Entstehung als auch Wunschvorstellungen und mögliche Entwicklungen aufzeigen helfen. So werden zum Beispiel Entscheidungswege und persönliche Beziehungen durch Befragung und Beobachtung mit den betreffenden Akteuren erörtert. Sehr viel weiter wird mit dem Sculpturing (Tanz der Akteure) gegangen, wo die Akteure die Beziehung durch Aufstellung repräsentieren.63 Dabei werden die Akteure gebeten, sich in einem abgegrenzten Feld solange zu bewegen, bis sie eine Konstellation gefunden haben, die der Intensität und Art der Beziehung in etwa entspricht. Diese Aufstellungsarbeit ermöglicht dann, ein realistisches Bild zu schaffen und die Teilnehmer die Situation wirksam fühlen zu lassen. Die Beziehungen, die Konflikte und Sympathien werden deutlich und oft sogar körper63 Vgl. G. Bergmann, 1996, S. 248 f. Besonders bekannt ist die Vorgehensweise von B. Hellinger, der mit Familienaufstellungen geradezu Spontanheilungen inszenieren soll (Vgl. G. Weber, 1995).

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TEIL I DER PROZESS DES GELINGENS

lich spürbar. Diese Aufstellungen oder „Tänze“ können selbstverständlich auch mit Stellvertretern und/oder Figuren durchgeführt werden. Alle Akteure können dann spielerisch gemeinsam die Ist- und die Wunschkonstellation formen. Mit metaphorischen Dialogen können entstandene Bilder weitergeführt, und zu gemeinsamen Perspektiven entwickelt werden. Problemfelder und Sichtweisen lassen sich mit Sprachbildern, Metaphern und hilfreichen Geschichten im Dialog klären. Sowohl visuelle Darstellungen wie Collagen und Zeichnungen (siehe Vision Pictures) als auch gerade verbale Annäherungen erleichtern die Verständigung und erhöhen die Aussagekraft.64 Wenn erst einmal ein gemeinsames „Bild“ kreiert wurde, kann damit stellvertretend argumentiert und erkannt werden. Es lässt sich zum Beispiel besser über die Metapher eines „denkmalgeschützten Hauses“ sprechen als über die eigene marode Firma mit großer Geschichte. Zudem entstehen aus der Bildsprache schnell neue Lösungswege aus der Übertragung. Ebenso hilfreich sind kleine Geschichten, Legenden, Märchen, Parabeln usw. Wichtig ist in jedem Falle, dass die Metaphern von den jeweiligen „Problemträgern“ selbst geschaffen werden. Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten können mit der sogenannten Map of Differences sinnvoll visualisiert werden. Dazu benennen die Beteiligten die wichtigsten Eigenschaften und Ziele der Gruppe und tragen diese in ein Vektorensystem ein. Daraufhin zeichnen die Akteure mit unterschiedlichen Farbstiften ihre Präferenzen und Sichtweisen ein. Es entsteht dann ein „Spinnennetz“ der Prioritäten und Wünsche. Alternativ ist es auch möglich, die Ecken von Räumen mit polaren Qualitäten zu benennen und auf diese Weise Unterschiede räumlich zu verdeutlichen, indem sich die Teilnehmer im Feld positionieren. 2.3.6 Der Dialog als Methode der Verständigung Der Dialog kann als lebendige Gegenseitigkeit verstanden werden, in dem die Erkenntnis der Beteiligten erweitert und ergänzt wird. Im Dialog wird versucht, über die bloße Verständigung hinauszugehen, die monologische Zuspitzung und die polemisch, kämpferische Rhetorik zu vermeiden, indem jeweils die Sichtweise der anderen aufgegriffen, inhaltlich gewürdigt und lernend weiterverarbeitet wird. Dialog stammt vom griechischen Wort „dialegesthai“ ab, was so viel heißt wie „gemeinsam herausfinden“. Ein guter Dialog führt dazu, dass die Beteiligten gemeinsam klüger werden. Dieses methodische Gespräch ist an bestimmte Voraussetzungen gebunden:65 64 Besonders G. Morgan, 1996 erzeugt mit seinen Bildern der Organisation ganz unterschiedliche Zugänge der Betrachtung von sozialen Systemen. Je nach Blickwinkel (z. B. Gehirn, Kultur, Netz) geraten differente Aspekte und Assoziationen in den Vordergrund. Vgl. auch T. L. Brink, 1993, S. 366 ff. 65 Vgl. M. Buber, 1997, S. 293 ff.

2 PROBLEME UND VISIONEN

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- Vollständige Akzeptanz und respektvolle Würdigung der anderen Teilnehmer, - „rückhaltlose“ Kommunikation, in die alle Wahrnehmungen, Emotionen und Überzeugungen eingebracht werden, - Wahrhaftigkeit und Authentizität, - Engagement und Interesse, - Bemühen um Verständigung, - Kooperation statt Dominanz und Konflikt. Die Regeln: -

Jede(r) spricht nur für sich selbst. Es spricht immer nur eine Person. Der Dialog bestimmt die Richtung. Der Moderator schaut auf die Einhaltung der Regeln.

Der Sinn: Es soll eine bewusste Achtsamkeit innerhalb einer Gruppe ermöglicht und unterstützt werden. Den Teilnehmern wird ermöglicht zu lernen, wie sie gemeinsam denken können und das nicht nur in einem analytischen Sinne, sondern indem eine gemeinsame Sensibilität erreicht wird, in der die Gedanken, Emotionen und entsprechenden Aktionen nicht nur zum Einzelnen gehören, sondern allen gemeinsam zugänglich werden. Die Komponenten: Die Teilnehmer müssen die Wahl haben, sich zu beteiligen und sie müssen sich sicher fühlen, sich voll einbringen zu können. Generatives Zuhören ist die Kunst, die Geschwindigkeit der geistigen Wahrnehmung so zu verlangsamen, so dass Raum entsteht, außer den Worten auch deren Bedeutung aufzunehmen. Den Beobachter beobachten: Wenn wir die Gedanken beobachten, die unsere Sicht der Welt steuern, dann beginnen wir, uns zu transformieren. Dialog soll eine Umgebung entwickeln, in der die Teilnehmer ihre Gedanken und die der Gruppe betrachten können. Annahmen zurückstellen: Dialog- Sitzungen fordern die Teilnehmer dazu auf, voreilige Schlüsse zurückzustellen, ihre Sichtweisen nicht anderen aufzudrängen und ihre eigenen Gedanken nicht zu unterdrücken oder zurückzuhalten. Im Willen, voreilige Schlüsse zurückzustellen, ist das Vertrauen enthalten, dass die eigenen tiefsten Überzeugungen, wenn sie wertvoll sind, der Kritik von anderen standhalten werden

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TEIL I DER PROZESS DES GELINGENS

und wenn nicht, dass man selbst stark und offen genug sein wird, sie zu überdenken. Mit Abschluss der zweiten Phase im Lern- und Lösungszyklus (Solution Cycle) liegen gemeinsame Problem- und Situationsbeschreibungen vor, es ist somit eine gemeinsame Figur gebildet. Zudem haben die beteiligten Akteure eine Vision als wünschenswerten Zustand kreiert. Besonders analoge Methoden können einen neuen Referenzrahmen entstehen lassen und alle individuellen Eindrücke und Gefühle an die Oberfläche bringen. Es bleibt kein „unfinished business“ übrig, so dass alle Akteure in den Entwicklungsprozess emotional und kognitiv integriert sind. Wenn das Lösungsfeld hinreichend beschrieben ist und eine faszinierende Vision entwickelt wurde, dann steht dem Engagement der Akteure nichts mehr im Weg. Eindrücklich zeigen das die Erfahrungen mit der Softwareentwicklung im Internet für die Programme Linux und Jini. Die Chance, als Experte an der Optimierung von Software mitwirken zu können, veranlasste viele Programmierer, ohne monetäre Entlohnung an dem Prozess engagiert teilzunehmen. Voraussetzung für das Gelingen des Open Source Development ist die vertrauensvolle Weitergabe der spezifischen Programmiercodes, die damit auch für die Wettbewerber offensichtlich werden. Trotzdem empfinden etablierte Anbieter wie Microsoft diese Vorgehensweise als anarchistisch subversive Bedrohung.66 Der perzeptive Modus mit der Erhöhung der awareness und der Beschreibung der Aufgabenfelder und Visionen findet hier seinen Abschluss und mündet in der dritten Phase in den kreativen Modus, wo Energie mobilisiert, Teams gebildet und Ideen entwickelt werden.

66 Kürzlich durfte ich in einem Buch von C. Winchester, 1998, erfahren, dass schon das Oxford English Dictionary unentgeltlich, aber mit viel Engagement von Experten in dezentraler Zusammenarbeit erstellt wurde.

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3 Energie mobilisieren Die dritte Stufe beinhaltet die Mobilisierung von Energie und die Lösung aus gewohnten Mustern. In Prozessen ist damit die Integration nützlicher Akteure, die Entfachung von Engagement sowie die Entwicklung von Ideen angesprochen. Hier sollen deshalb ausführlich Methoden der Kreativität beschrieben werden. Um kompetente und ideenreiche Akteure zu gewinnen, ist Interesse zu wecken. Die Beteiligten sollten weniger motiviert als interessiert werden. Sie müssen dazwischen (lat.: inter-esse) sein. Es gilt, Sinn und Engagement zu entfalten, Interesse und Eintreten für das Projekt (commitment) bei den Teilnehmern zu erreichen, den Möglichkeitssinn zu mobilisieren und den Nutzen für alle Beteiligten zu klären. Es werden heterogene Teams für das Projekt gebildet und Personen gesucht, die Ideen erzeugen und engagiert mitgestalten. Aufgaben: Ausgehend von der Problemstellung werden Ideen entwickelt, wie eine gute Lösung aussehen könnte. Indem man sich vom Gewohnten löst, entstehen neue Wahlmöglichkeiten. Für diese Ideenentwicklung werden heterogene Gruppen benötigt. Aus dem Kontrast verschiedener Sichtweisen, Wahrnehmungen und Herkünfte sollen möglichst viele relevante Aspekte integriert werden. Methoden - Brain Mapping - Ideengewinnung - Brainstorming - Sustainable Solution Talk

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TEIL I DER PROZESS DES GELINGENS

- Force-fit - Umkehrtechnik - laterales Denken PePsel: - zu wenig Vielfalt - Effizienzdominanz - zu enge Vorgaben und Strukturen - Trennung von Denken und Handeln

3.1 Der Kontext der Kreativität Das Neue entsteht zumeist aus der Rekonstruktion von bekannten Elementen in einer situativ neuen Konstellation. Es werden innovative Muster erkannt, weil die Perspektive variiert wurde. Die Wahrscheinlichkeit, viele Sichtweisen und Wirklichkeiten zu integrieren steigt mit der Vielfalt und Heterogenität der beteiligten Personengruppen. Es gilt also, möglichst viele unterschiedliche Rollen, Funktionen und Charaktere in die kreativen Prozesse zu integrieren. Alle Funktionsträger wie Marketing-, Finanz-, Organisations- oder Produktionsexperten können im Veränderungsprozess sehr unterschiedliche Rollen wahrnehmen. Die Bandbreite reicht hier von zaudernden Bedenkenträgern bis zu rasenden Spinnern.67 Rollen sind Erwartungsbündel, die sich in sozialen Prozessen allmählich herausbilden. Sie können aber auch spielerisch übernommen werden, um sich andere Sichtweisen zu veranschaulichen (role taking). So können die typischen Sicht- und Verhaltensweisen reflektiert und angereichert werden. In Kapitel II 2.7 werden die verschiedenen Talente, Kompetenzen und Charaktere detailliert beschrieben, um hieraus die Bandbreite der möglichen Rollen aufzuzeigen. In der Phase Drei des Lern- und Lösungszyklus wird mit der Brain Map hauptsächlich überprüft, ob alle wesentlichen Rollen und Charaktere genügend berücksichtigt wurden und das Spektrum der Möglichkeiten damit optimiert wurde. Die Brain Map dient zudem der Förderung der Kreativität, die hauptsächlich aus dem Kontrast der Differenzen entsteht.68

67 Vgl. G. Bergmann, 1994. 68 Vgl. zur Persönlichkeitsentdeckung und Verständigung besonders die konkreten Methoden von F. Schulz von Thun, 1998.

3 ENERGIE MOBILISIEREN

73

Die Teamentwicklung basiert ebenfalls auf der Grundstruktur des Solution Cycle. Hier werden zunächst die Potenziale, Interessen und Wirklichkeiten in der Gruppe gemeinsam visualisiert, dann geht es um die Klärung der Gesamtkonstellation, um damit zu einer Team Vision vorzustoßen (forming). In der dritten Phase werden die Möglichkeiten der Entwicklung erkannt (storming), dann wird in Phase Vier eine Struktur des Projektes gebildet. Dann tritt das Team in Aktion (performing), um abschließend über die Entwicklungen zu reflektieren. Ein heterogenes Team erzeugt mit hoher Wahrscheinlichkeit ein hohes Maß an Ideen und Lösungsansätzen. Entscheidend ist, inwieweit das Teammanagement eine stimmige Kultur entwickelt und den Rahmen für Kreativität gestaltet. Es ist insofern sinnvoll, einige Kreativitätshemmnisse und ideenfördernde Methoden, die eng mit systemischem Vorgehen verwandt sind, aufzuzeigen. Ist doch der systemische Imperativ: „Handle stets so, daß neue Möglichkeiten entstehen“ (H. v. Foerster) als Aufforderung zu verstehen, die Kreativität zu beflügeln. Ein wesentliches Hemmnis der Kreativität liegt im menschlichen Geist verborgen. Das menschliche Informationsverarbeitungssystem arbeitet mit hoher Effektivität. Zur besseren Erinnerung bilden sich aus eingehenden Informationen Muster. Je mehr Informationen eingehen, die mit diesen Mustern bearbeitet werden können, desto stärker prägen diese Muster. So können neue Informationen schneller erkannt und eingeordnet werden und Reaktionen schneller erfolgen. Der vorherrschende Denkprozess ist vertikales (auch lineares, logisches) Denken. Das Problem liegt in den Grenzen des Systems, die sich auf verschiedene Weisen zeigen: - Neue Informationen werden sofort in bekannte Muster eingeordnet, sobald sie nur eine geringe Ähnlichkeit zu diesen aufweisen. - Die Reihenfolge, in der Informationen aufgenommen werden, hat einen großen Einfluss auf deren Verarbeitung. Aus diesem Grund ist es sehr unwahrscheinlich, dass die daraus entstehenden Muster die Information optimal verwerten. - Informationen, die über mehrere Medien vermittelt werden, gelten als richtiger und bedeutender. Das Image der Sender spielt eine große Rolle. - Neuere Informationen werden älteren vorgezogen. - Die Muster kontrollieren die Wahrnehmung. Man erkennt nicht, was man sieht, sondern man sieht nur, was man (bereits) kennt. - Information, die Teil eines Musters ist, kann nicht einfach für ein anderes Muster genutzt werden. - Der Lösungsweg muss bei jedem Schritt sinnvoll sein. Unsinnig erscheinende Schritte werden sofort verworfen.

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TEIL I DER PROZESS DES GELINGENS

Oft liegt der Akzent auf der Speicherung von Wissen und dem Trainieren analytischer Fähigkeiten. Durch diese natürliche und gesellschaftliche Vorbelastung wird verständlich, dass Kreativität eine wenig verbreitete Fähigkeit ist. Kreatives Denken und Arbeiten gewinnt aber mit der lateralen Methode. Dieser von Edward de Bono entwickelte Ansatz stellt eine Ergänzung zum vertikalen Denken dar.69 Nachfolgend sind die wesentlichen Unterschiede aufgeführt: Vertikales Denken

Laterales Denken

ist analytisch und logisch

ist provokativ und evokativ

ist selektiv

ist generativ

bietet oder entwickelt Denkmuster

verändert bestehende Muster oder induziert neue

sucht eine Richtung, indem es andere Richtungen ausschließt

sucht keine Richtung, versucht aber, neue Möglichkeiten zu eröffnen

nutzt das Negative, um Möglichkeiten auszuschließen

kennt kein Negatives

der beste Ansatz, das Optimum, wird gesucht

es werden immer neue Ansätze gesucht, auch wenn ein vielversprechender gefunden wurde

sucht nach der richtigen Lösung, läuft über geregelte Bahnen

sucht vielfältig, nutzt informelle Wege

entwickelt jeden Schritt aus dem vorherigen und ist fest mit ihm verbunden

kann Sprünge machen und den Zwischenraum später füllen, manche Schritte müssen falsch sein, um eine richtige Lösung zu erreichen

verspricht zumindest eine Minimallösung

erhöht die Chancen für eine Maximallösung, macht aber keine Versprechungen

verbindet Informationen zu Strukturen

zerlegt alte Strukturen, um Information freizusetzen

Die meisten Kreativitätstechniken nutzen das Konzept des Lateralen Denkens und sind eine gute Gelegenheit, dieses zu trainieren. Kreativität beschreibt die Fähigkeit, Neues in Form von Ideen und Erkenntnissen zu formen bzw. zu finden. Die Kreation von Ideen kann kaum direkt angestrebt werden. Denn Neues zögert, wo es erwartet wird. Vielmehr ist ein geeig69 Vgl. E. de Bono, 1970.

3 ENERGIE MOBILISIEREN

75

neter Kontext zu schaffen, indem die Ideengewinnung wahrscheinlicher wird. Kreieren ist damit kein rein zufälliger, jedoch ein sehr unvorhersehbarer Prozess. Eine zu strenge Zielausrichtung führt eher nicht zum Ziel, da Menschen in angstfreier, lockerer, wenig zielstrebiger Stimmung besser zu Assoziationen in der Lage sind. Die Idee entspringt einer plötzlichen Verknüpfung von Wissenselementen. Der Schriftsteller Harry Mulisch stellte fest „Alle großen Erfindungen gehen auf unsinnige Ideen zurück“ (Die Prozedur, S. 243). Einstein fragte sich: „Wie sieht die Welt aus, wenn ich auf einem Lichtstrahl sitze?“ Und Friedrich Nietzsche formulierte „Man muß noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können." Innovationen sind Ordnungsstrukturen, die aus Chaos geboren werden. Eine andere Sicht auf die Dinge im Sinne eines Perspektivenwechsels, die anregende Unterhaltung im Dialog oder die offene Reflexion bilden gute Voraussetzungen zur Ideengewinnung. Neues kommt durch das risikoreiche Ausprobieren von Unterschieden zustande. Erkenntnis stammt von Erkennen. Erkennen können Menschen insbesondere das, was sie kennen. Neue Erkenntnisse resultieren dann aus der geänderten Gewohnheit, aus der Lockerung der Wahrnehmungsroutine. So ist kürzlich eine kreative Lösung zur Wiederaufrichtung des schiefen Turms von Pisa erkannt worden. Diese Idee entstammt einer Kinderzeichnung, auf der das Abtragen des Erdreichs auf der Seite zu sehen ist, die der Neigung des Turms abgewandt ist. Die betreuenden Ingenieure haben diese originelle Idee ausprobiert und erzielen verblüffend positive Ergebnisse. Der Turm richtet sich langsam wieder auf. Alle vorher versuchten und zum Teil sehr aufwendigen Konzepte schlugen fehl.

3.2 Methoden der Kreativitätsentwicklung Einige anschauliche Beschreibungen von Kreativitätstechniken sollen helfen, das Konzept des Lateralen Denkens zu verdeutlichen. 3.2.1 Brainstorming Beim Brainstorming öffnen die Denkanreize, die durch Ideen anderer entstehen, den Rahmen der eigenen Ideenansätze. Eine erfolgreiche Nutzung von Kreativitätstechniken setzt geeignete Rahmenbedingungen für den Zeitraum ihrer Anwendung voraus. Wichtige Regeln aus dem Brainstorming dazu sind:

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TEIL I DER PROZESS DES GELINGENS

- Der Verzicht auf Beurteilung und Kritisieren fremder Ideen. - Unzensiertes Vorbringen eigener Ideen, besonders verrückter, verwirrender oder alberner Ideen. - Anerkennung dieser Grundregeln für die Dauer des kreativen Prozesses. 3.2.2 Sustainable Brief Solution Talk Gute Ideen brauchen nicht eigens kreiert zu werden. Die Welt liegt voller Lösungen, die oft direkt nutzbar sind, wenn sie einem Problemfeld zugeordnet werden. Die Konkurrenten am Markt oder aus anderen Branchen, die eigenen Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten, ungenutzte Patente, eigene Ideen der Vergangenheit usw. können Ideen und Lösungsansätze beisteuern. Dazu dient der Sustainable Brief Solution Talk (Bergmann, 1997, 1999). Ein Dialog, der zu dauerhaften Kurzzeitlösungen (DaKuzel) führen soll. Hinter diesem komplizierten und paradox anmutenden Begriff verbirgt sich eine theoretisch fundierte, aber einfach und schnell handhabbare Methode der kreativen Problemlösung. Ein Lösungsmoderator kann damit bis zu achtzig Personen begleiten. Das Vorgehen folgt dem Lern- und Lösungszyklus. Der Moderator achtet darauf, dass die Gruppe die einzelnen Phasen in genügendem Umfang durchläuft und alle Beteiligten mitwirken können. Zeichen von Widerstand (Ausscheren, Protest, Konflikte etc.) werden als Indikatoren genutzt, dass wesentliche Aspekte übergangen wurden oder dass das Timing nicht stimmt. Es wird zwar langsam und behutsam begonnen und jeweils geschaut, dass alle Phasen sinnvoll beendet wurden, aber die Lösungsorientierung beschleunigt den Prozess zusehends. Der Moderator lässt die Akteure sich selbst organisieren und Methoden frei wählen. Es gelten aber die folgenden Regeln: - Jeder muss jederzeit genügend Gelegenheit bekommen, seine Ansichten und Gefühle einzubringen. - Jeder trägt für das Gelingen die volle Verantwortung: „HeinzelmenschenPrinzip“. - Ursachen und Schuldige suchen ist untersagt. - Lösungen aus der Vergangenheit und anderen Bereichen suchen, Muster des Gelingens erkennen. - Nach jedem Schritt reflektieren. Jeder Schritt bildet wiederum einen Zyklus. Hier wird nicht nach Ursachen, Gründen und Schuldigen für ein Problem gesucht, sondern konsequent an Lö-

3 ENERGIE MOBILISIEREN

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sungen gearbeitet. Weil Probleme sozial konstruiert werden, kann man ebenso Lösungen kreieren. Vier Schritte sind dazu notwendig: - Beschreibung des Problems im Dialog. - Suche nach einer Situation, in der dieses oder ähnliche Probleme schon einmal gelöst waren (bei anderen oder in der eigenen Vergangenheit). - Erkennen der Unterschiede zwischen problematischer und problemfreier Situation. Bildung von Orientierungsmustern als Lösungsbestandteile. - Anwendung und Multiplikation der Muster. 3.2.3 Umkehr-Technik Bei dieser Technik wird die vorliegende Problemstellung in ihr Gegenteil verkehrt und zur Grundlage eines Brainstormings gemacht. Da dabei häufig unsinnig erscheinende Fragestellungen entstehen, fällt es leichter, spielerisch mit der Thematik umzugehen und die eigenen Einfälle unzensiert einzubringen. Eingefahrene Sichtweisen werden verlassen, da durch die Umkehrung von der eigentlichen Frage abgelenkt wird. In der zweiten Phase werden die so gewonnenen Ideen auf die ursprüngliche Problemstellung bezogen und für die Gewinnung von Lösungsansätzen genutzt: Zeit:

ca. 50 Minuten

Material:

Flipchart oder Pinnwand, Stifte, ggf. Karten

Teilnehmer:

für Einzel- und Gruppenarbeit geeignet

Ablauf: Problemstellung klären – Sammeln von Spontanlösungen – Umkehrungen der Problemstellung sammeln – eine der Möglichkeiten auswählen – 15 Minuten Brainstorming zu der ausgewählten, umgekehrten Problemstellung – zu jeder gefundenen Idee wird eine Umkehrung gesucht, die als Lösungsansatz für die Ausgangsfrage dienen kann. 3.2.4 Force-fit-Spiel Bei dieser Technik werden Worte genutzt, die nicht mit der Fragestellung in direkter Beziehung stehen, um laterales Denken (Querdenken) anzuregen. Diese Reizworte werden gedanklich mit der Problemstellung in Verbindung gebracht. In diesem Spannungsfeld entstehen neue Ideen. Wie der Name schon sagt, wird diese Technik als Spiel durchgeführt. Die Teilnehmer werden in zwei Teams aufgeteilt und bestimmen jeweils für die andere

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TEIL I DER PROZESS DES GELINGENS

Gruppe einzelne Begriffe, mit deren Hilfe Lösungsansätze für die Fragestellung gefunden werden sollen. Zeit:

ca. 30 Minuten

Material:

Flipchart oder Pinnwand, Stifte, ggf. Karten

Teilnehmer:

ab 6 Teilnehmer

Ablauf: Es werden zwei gleich starke Teams gebildet und ein Schiedsrichter und Protokollführer bestimmt. Das erste Team nennt einen Begriff, der möglichst wenig Bezug zur Problemstellung hat. Das andere Team hat zwei Minuten Zeit, anhand dieses Begriffes Lösungsideen für die Fragestellung zu entwickeln. Gelingt es ihm, mindestens einen Vorschlag zu machen, dann erhält es einen Punkt und dieses Team stellt den nächsten Begriff für das andere Team. Anderenfalls geht der Punkt an das erste Team und dieses darf einen weiteren Begriff nennen usw. Die Vorschläge werden für die spätere Auswertung protokolliert. Der Schiedsrichter entscheidet, ob ein Lösungsansatz geeignet ist und leitet das Spiel. Das Spiel sollte nicht länger als 30 Minuten dauern. 3.2.5 Attribute Listing Hierbei werden alle Eigenschaften und Merkmale eines Objektes oder einer Lösung aufgelistet. Dann werden die einzelnen Attribute systematisch analysiert, indem überlegt wird, wie das Merkmal auch anders gelöst, erzeugt oder genutzt werden könnte. Zum Beispiel kann ein Tisch in Hinblick auf Form, Farbe, Material, Gebrauchsnutzen, Verwendungsort, sozialen Nutzen usw. beschrieben und daraufhin mögliche Variationen entwickelt werden. Beispiel Tisch: Attribute

Mögliche Varianten

Massives Holz

Metall, Linoleum, Einlage, Materialkombination anderer Hölzer

Kantige Form

Formbar, veränderbar durch Nutzer

Metallbeschläge

Steckverbindungen

Esstisch

Schreibtisch, Konferenztisch oder Kombination aus allem

Gebrauchtmöbel

Skulptur im Raum

3 ENERGIE MOBILISIEREN

79

3.2.6 Brainwriting (Methode 6-3-5) Für diese schriftliche Variante des Brainstormings gelten alle Regeln ebenfalls. Es wird ein Schreibgespräch inszeniert, bei dem 6 Personen drei neue Ideen innerhalb von 5 Minuten erstellen und dann an weitere Personen weiterreichen bis alle Teilnehmer zu allen Lösungen Stellung genommen haben. In diesem Tauschzyklus werden sehr viele Ideen generiert und angereichert. Alle Teilnehmer arbeiten für sich, werden aber durch die anderen „Zettel“ inspiriert. Ablauf: Problemdefinition – sechs Personen bringen drei Ideen zu Papier – die Ideen wandern im Tauschzyklus zu allen Teilnehmern – Reflexion der Lösungen – Dialog und Auswertung. 3.2.7 Assoziationen Assoziationen sind mentale Verbindungen zwischen Ideen, Dingen und Erkenntnissen. Im Wesentlichen werden diese Assoziationen durch drei Phänomene ausgelöst: Die Erinnerung an eine Begebenheit durch ein Symbol oder Ereignis, die Ähnlichkeit der Form, Farbe, Inhalt sowie der Gegensatz. Bei freier Assoziation werden zu einem Startwort oder Satz weitere Begriffe und Gedanken notiert. Bei der regulären Assoziation wird der Zusammenhang zum vorgehenden Wort gefordert. Beide Vorgehensweisen eignen sich besonders zur Ideenfindung in einer Gruppe, wenn gemeinsam eine noch sehr offene Problemstellung besteht. So können zum Beispiel Gruppen- oder Teamnamen, Markenbezeichnungen, Slogans u. ä. sehr gut hiermit kreiert werden. Vorgehen: Initialsatz oder -wort aufschreiben, die mit dem Problem zu tun haben – Wortassoziationen spontan bilden – Assoziationsserien auf Lösungsansätze überprüfen. 3.2.8 Verbale Checklisten der Kreativität Mit der verbalen Checkliste werden existierende Lösungen (Produkte, Konzepte, Systeme) kritisch reflektiert. Insbesondere geht es darum, immer wieder eine Situation zu schaffen, in der die ursprüngliche Lösung auf Aktualität und Sinn überprüft wird. Die wesentlichen Kriterien oder Fragen sind hier aufgeführt: -

Modifizierung möglich? Farbe, Form, Ton, Gestalt etc. Kombination möglich? Ideen, Zwecke, Elemente, Sortimente, Akteure Neue Nutzenbereiche denkbar? Verstärken? Hinzufügen, mehr Zeit, mehr Material etc.

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-

TEIL I DER PROZESS DES GELINGENS

Reduzieren? Leichter, kürzer, konkreter? Neue Anordnung möglich? Umdrehen: Neue Perspektive, Rollentausch, Umkehrung Ersetzen: andere Akteure, Orte, Zeiten, Atmosphäre „Lösung“ definieren Durchspielen der Variationsmöglichkeiten in der verbalen Checkliste Sichtung der möglichen Veränderungen Konkretisierung von Verbesserungsvorschlägen Ergänzung oder Veränderung der ursprünglichen Lösung

3.2.9 Synectics Synectics ist eine weitere Form des Gruppen-Brainstormings. Die Ideen sollen hierbei aus der kreativen Verknüpfung von Objekten, Begriffen und Produkten entstehen. Die persönlichen, direkten und symbolischen Analogien erzeugen überraschende Perspektiven. Die Teilnehmer an Synectic-Dialogen werden zu Kritik und emotionalen Äußerungen angehalten. Es soll eine spannungsreiche Atmosphäre geschaffen werden. Vorgehensweise: Problemidentifikation – Zielsetzung, bisherige Lösungsansätze – Formulierung erster Vorstellungen und Assoziationen zum Problem – Auflistung der Ziele und Vorstellungen – spontane Analogiebildung, Kritik und weitere Anknüpfungen – vorläufige Fixierung einer Lösung – weitere Durchläufe bis zu konsensfähigen Lösungsansätzen. Ca. acht Teilnehmer. Dauer: zehn Minuten bis eine Stunde 3.2.10 Kreativitätskreise (Problemlösegruppen) Ähnlich wie bei Qualitätskreisen setzen sich hier kleine Arbeitsgruppen zusammen, um Lösungen und Verbesserungen zu erarbeiten. Die Gruppen können verschiedene Formen von Kreativitätsmethoden verwenden und finden durch die Bildung der speziellen Teams einen geeigneten Rahmen für innovative Lösungen abseits der Arbeitsroutine. Die Kreativitätskreise können in allen Bereichen und Ebenen etabliert werden und dienen zur schnellen und kontinuierlichen Verbesserung und Problemlösung vor Ort.

3 ENERGIE MOBILISIEREN

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3.2.11 Morphologische Diagnose Die morphologische Diagnose setzt sich im Prinzip aus zwei Checklisten zusammen, die eine Matrix der Möglichkeiten oder Formen ergeben. So können zum Beispiel Attribute von Produkten (Vgl. Attribute Listing) mit verschiedenen Funktionsvarianten (verbale Checkliste von Osborn) zusammengebracht werden. Es ergeben sich in der Matrix dann alle möglichen Kombinationen. Ein ähnliches Vorgehen soll von Autoren von Soap Operas und Groschenromanen genutzt werden. Sie kombinieren die Dimensionen Akteure (alter Mann, Gärtner, weise Frau, Tochter, Junge, H. Kohl) mit verschiedenen Funktionen (Mörder, Kommissar, Kneipier, Geliebte) und stoßen so zu immer neuen Variationen vor. Mit diesen Beispielen zum kreativen Denken möchte ich es angesichts des breiten Literaturangebotes belassen. Zudem werden im Kap. 4 die DaKuzel-Methode, also das schnelle Finden von dauerhaften Lösungen, und in Kap. 5 evokative Interventionen vorgestellt. Nachdem die Möglichkeiten der Ideenfindung erläutert wurden, gilt es nun den Planungsprozess zu schildern, der wiederum eine strukturbildende Phase nach der Erzeugung von Vielfalt darstellt.

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4 Planen, Organisieren und Auswählen In der vierten Stufe sind Prioritäten zu setzen, ist zu organisieren, sind Ziele und Wege interaktiv festzulegen, sind erste Konzepte, Interventionsdesigns und Pläne zu schmieden und Vorbereitungen für angemessene Aktionen zu treffen. Alle Planungsmethoden wie Investitionsrechnungen, Portfolioplanungen und Kommunikationskonzepte finden hier ihre Anwendung. Die Akteure und Teams werden koordiniert und die vielfältigen Ideen systematisiert. Kurz gesagt: Hier werden Ziele und Wege geplant. Aufgaben: - Prioritäten setzen und selektieren. - Koordinieren, wer was bis wann, mit welchen Methoden macht. - Neue Muster und Wege ausprobieren und - Interventionen planen. Methoden: - Scoringmodelle, Nutzwertanalyse, Balanced Scorecard - Portfolios zur Programmstrukturierung - Finanz- und Investitionsrechnungen zur Ressourcenallokation - Netzpläne zur Ablaufstrukturierung und Terminierung PePsel: - Die Planung gerät zu detailliert, zu eng und zu starr. - Widerstände und Bedenken werden ignoriert. - De-Emotionalisierung gelingt nicht. - Zweckrationalität und Machbarkeitsgläubigkeit

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TEIL I DER PROZESS DES GELINGENS

Zuerst erläutere ich den Erfolgsbegriff und die Zielplanung, dann schildere ich kurz das Vorgehen der Mustererkennung und -anwendung, um dann ein Gesamtmodell der evolutionären Planung vorzustellen. Das Modell der evolutionären Planung orientiert sich ebenfalls am Lern- und Lösungszyklus als prozessualem Grundmodell. Vier Aspekte, die die Vorgehensweise zudem von konventionellen Planungsmethoden unterscheiden, seien hier kurz erwähnt: • Bewusstseinserweiterung Das Bewusstsein wird im Blick auf Zukunftsdaten und soft factors erweitert. Auf allen Ebenen des Managements sind unterschiedliche Orientierungen gefragt. Es wird nach möglichen Komponenten und Aspekten gesucht, die eine intensive Verknüpfung mit dem Kontext ermöglichen, die in den differenzierten Problemfeldern dauerhafte Lösungen anbieten und damit individuellen Nutzen stiften. Neben den kurzfristigen Erfolgsgrößen spielen insbesondere Kriterien der Durchhaltbarkeit eine wichtige Rolle. Mit differenzierten Szenarien und weiteren qualitativen Verfahren wird versucht, die Kontextentwicklung einzuschätzen und die Wahrnehmung der Phänomene zu schärfen. • Was soll erfolgen? Alle Bedürfnisse und Interessen der Beteiligten (Stakeholder) sind zu berücksichtigen und sollten sich in den Leitlinien und Problembeschreibungen wiederfinden, da diese Anspruchsgruppen den Erfolg der Unternehmung mehr oder minder beeinflussen können. Auch die Einzelziele sind im Zusammenhang zu diskutieren. Ökologische, ökonomische, individuelle und soziale Ziele sind als interdependent im Sinne der Durchhaltbarkeit zu interpretieren. Sie können nicht schadlos gegeneinander ausgespielt werden. Es wird somit auf ganzheitlichen Erfolg gezielt, der neben der Rentabilität auch Ziele wie Lebensfreude, Fairness und Ökologie beinhaltet.70 Erfolgreich sind die, die erfolgreich handeln, die bewirken, was erfolgen soll. Dabei ist es nicht wichtig und manchmal nicht möglich, zu erklären, warum die intendierten Wirkungen aufgetreten sind. Erfolg heißt, so zu handeln, dass mehr Vitalität entsteht. • Spielregeln und Orientierungsmuster (Best Patterns) Die Spielregeln71 dienen dabei als metasystemische Erfolgsfaktoren und damit als Beiträge zum Erhalt des Systems Unternehmung. Es wird versucht, aus erfolgreichen Prozessen die zeitkonstanten und kontextneutralen Elemente zu destillieren, zu systematisieren und damit für das praktische Handeln nutzbar zu machen. Die Spielregeln geben Hinweise auf die geeignete Rahmengestaltung und Atmosphäre für das erfolgreiche Agieren in turbulenten Kontexten und bil70 Vgl. zur ganzheitlichen Erfolgsdefinition auch H. Rudolph, 1996. 71 Ein Überblick zu Erfolgsfaktoren ist zu finden bei C. Steinle, 1996, insbes. S. 17–19.

4 PLANEN, ORGANISIEREN UND AUSWÄHLEN

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den die Basis der permanenten Evolution. Mit den Spielregeln werden vor allem die Fähigkeiten der Organisation sowie Vorhaben und Projekte bewertet. Dies kann im Rahmen einer Balanced Scorecard geschehen, die wir schon im Kapitel I 1. erläutert haben. • Persönlichkeitsaspekte verbessern die Kommunikation Persönlichkeitsbilder und -entwicklung, Beziehungsentwicklung und verständigungsorientierte Kommunikation geben Orientierung in diskontinuierlichen Entwicklungen und schaffen Verknüpfungen zum Kontext. Persönlichkeitsbilder gelten als zeitstabile Orientierungsmuster zur Differenzierung von Kunden, Organisationen usw. Durch psychologische Differenzierungen lässt sich die plurale Unternehmung ausformen. Die Persönlichkeitsmodelle dienen unter anderem zur Bewertung der Kontextattraktivität. Zusammen mit den Spielregeln bilden sie ein System der zeitstabilen Orientierung. Das Ganze mündet dann in der Bewertung mit dem Evolutionsportfolio.

4.1 Erfolg und Gelingen: die ganzheitlichen Ziele Wenn Aussagen zu Erfolgsfaktoren, Regeln des Gelingens getroffen werden und Auswahlentscheidungen anstehen, müssen zielorientierte Kriterien entwickelt und somit Unterscheidungen vorgenommen werden. Dabei ist das, was erfolgen beziehungsweise gelingen soll, immer rein subjektiv zu bewerten. Auch die Kriterien, an denen der Erfolg gemessen wird, können individuell sehr differieren. Trotzdem müssen allgemeine Kategorien des Erfolgs entworfen werden. Dabei genügt es meines Erachtens nicht, den Return on Investment (RoI) abzufragen und damit die wesentliche Unterscheidung vorzunehmen.72 Interessanter und aussagekräftiger sind da schon Kriterien der Dauerhaftigkeit, wie sie zum Beispiel die Gruppe um Arie de Geus mit Untersuchungen zur Langlebigkeit von Unternehmen73 verwendet hat. Hier werden die gemeinsamen Eigenschaften von dauerhaften Organisationen untersucht. Die Langlebigkeit allein kann aber als Gütekriterium nicht ausreichen. Es geht um die Auf72 C. Steinle u. a., 1996, haben diese Kategorie zur Grundlage gelegt. Der RoI berücksichtigt die Rendite von Investitionen. Es wird nicht deutlich, wie Erwartungen, soft factors und weitere Ziele in die Entscheidungen integriert werden. Der RoI ist das Produkt aus Umsatzrentabilität und Kapitalumschlag und beschreibt damit letztlich mit der Kapitalrentabilität eine monetäre Erfolgsgröße. Die zugrundeliegenden Größen Kapital, Gewinn, Umsatz vermitteln den Eindruck, „objektiv“ messbar zu sein. So werden eventuell wichtige Faktoren ausgeblendet. (Vgl. dazu H. Steinmann/G. Schreyögg, 1997, S. 369) Auch eine Shareholder Value Analysis basiert auf subjektiven Einschätzungen und Erwartungen. Die Unternehmenswertsteigerung kann dabei nicht auf eine kurzfristige Aktionärsorientierung verkürzt werden. Vielmehr müssen die Ziele der Stakeholder integriert werden, weil sie alle das Ergebnis beeinflussen können. Vgl. dazu Diskussion und Literaturhinweise bei W. Hopfenbeck, 1998, S. 559 ff. und 690 ff. 73 Vgl. A. de Geus, 1998.

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rechterhaltung vitaler Strukturen. Das heißt, als überindividuelle Zielsetzung gilt, das System erhält und entwickelt sein originäres Wissen, seine spezifischen Kompetenzen und Beziehungen. Ein Bergbaubetrieb sichert danach seine Existenz durch die Nutzung des spezifischen Wissens auf zeitgemäßem Feld. Es werden nicht alte Gewohnheiten und Strukturen konserviert, sondern beispielsweise unterirdische Logistiktunnels gebaut. In dieser Studie möchte ich Unternehmen als erfolgreich bezeichnen, die eine ganzheitliche und zugleich langfristige Zielerfüllung für alle Stakeholder ermöglichen, also die negativen externen Effekte minimieren. Da alle Stakeholder das Ergebnis direkt oder mittelbar beeinflussen können, sind sie sinnvollerweise mitzudenken. Was alle betrifft, können nur alle entscheiden. Die Wertschöpfung umfasst dabei Ziele wie Rentabilität, Liquidität, Beziehungsfähigkeit, Ökologie und Vitalität,74 die eine Koevolution in der Mitwelt ermöglichen, also Ziele, die kompatibel mit der Vorstellung eines „Vitalen Unternehmens“ sind. Konventionelle Konzepte der Erfolgsbestimmung wurden deshalb zum Response on Innovation (RoIn) erweitert. Die Akteure – so kann man erwarten – wollen auf lange Sicht lukrative Engagements aufbauen, ihr Image positiv gestalten und vertrauensvolle soziale Sphären entwickeln. Diesen Zielgrößen stehen Inputs in Form von monetärem Investment und persönlichem Einsatz (Ideen, Engagements, Innovation) gegenüber. (RoIn = image, money, trust/investment, innovation). Die Trennung zwischen ökonomischen und außerökonomischen, beruflichen und privaten Zielen wird aufgehoben, da Menschen nicht nur auf monetäre Erfolge, sondern hohe Lebensqualität anstreben.75 Neben einer, zum Beispiel mit der Discounted-Cash-Flow-Methode, gemessenen Vorteilhaftigkeit von Projekten und Investitionen sowie von Unternehmensbewertungen werden auch die persönlichen Engagements ins Verhältnis zum möglichen Output gesetzt. Angemessen bewertet und gesteuert wird ein soziales System mittels der von uns modifizierten Balanced Scorecard. Einzelinteressen werden dem Systemziel „Aufrechterhaltung der Vitalität“ untergeordnet. Alle Stakeholder werden in die Entwicklung und Anwendung des Modells eingebunden. Die Vitalität wird in drei Bereichen erwirkt: Die Orientierung dient der gemeinsamen Wirklichkeitserzeugung. Die Innovationen verändern durch das Entwickeln und Realisieren von Projekten. Das Wissen erwächst aus den Erfahrungen der Akteure. Diese Bereiche beschreiben wiederum die drei Modi des Lern- und Lösungszyklus. Die Erfolgsgröße RoIn kann mit Fragen zu den Erwartungen der Akteure näherungsweise eingeschätzt werden. Zumindest wird deutlich, welche relative Wertschätzung eine Unternehmung oder ein Projekt genießt und wie die Er74 Vgl. dazu G. Bergmann, 1996, S. 169 ff. und 295 ff. Vitalität beschreibt die Eigenschaften von Entwicklungsfähigkeit und Vielfalt. 75 Eine isolierte Orientierung ist zwar oft anzutreffen, aber diese muss als irrational, weil nicht durchhaltbar gelten. Vgl. dazu H. Aufenanger, 1998.

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folgswahrscheinlichkeit eingeschätzt wird. Folgende Fragen dienen der Aufdeckung individueller Vorstellungen: Sie haben einen größeren Geldbetrag zur Verfügung. Wie viel Prozent davon würden Sie in Ihr Unternehmen für zehn Jahre investieren? Gibt es ein anderes Unternehmen oder Projekt, in das Sie mehr investieren würden? Wie viel Prozent Ihres persönlichen Engagements (Wissen, skills, Ideen) sind Sie bereit, in dieses Unternehmen oder Projekt zu stecken? In diesen Fragestellungen bündeln sich die ganzheitliche Bewertung und Zukunftseinschätzung des Unternehmens (ähnlich wie das an der Börse auch rational und intuitiv geschieht) und der persönliche Einsatz wird abgefragt. In der Balanced Scorecard kommt die ganzheitliche und rekursive Bewertung von Vorhaben zum Ausdruck. Die Best Patterns dienen als Grundlage und werden in Dialogen der verschiedenen Stakeholder zu einem multiversalen Bild der Performance Bereiche „Finance“, „System“, „Relationship“, „Identity“, „Ecology“ und „Process“ zusammengefügt. Jedes Projekt kann danach bewertet werden, ob es Beiträge zur Rentabilität und Liqidität (Finance), zur Weiterentwicklung (System), zur Vision und zum Rahmen (Identity), zur Verständigung und Bindung (Relationship), zur Verbesserung von Vorgängen (Process) und zum Ausgleich mit der Mitwelt (Eco) liefert. Damit lässt sich die grundsätzliche Systemzielsetzung „Vitalität“ auf konkrete Projekte und Aktivitäten beziehen. Es ist insbesondere wichtig, den Zielfindungsprozess zu hinterfragen. Unternehmen weisen nicht automatisch einheitliche Zielsetzungen auf, die die individuellen Akteure teilen. Vielmehr werden Ziele, Kriterien und Leitlinien zwischen den Stakeholders bewusst oder unbewusst ausgehandelt. Diese Prozesse sind wiederum nach dem Lern- und Lösungszyklus (Solution Cycle) zu gestalten. Nur mit offenen Dialogen und wechselseitiger, möglichst hierarchiefreier Bewertung können sinnvolle Ergebnisse erwartet werden. Es geht darum, Partikularinteressen transparent zu machen, möglichst viele Sichtweisen zu integrieren und Konsens auf der Basis kontroverser Debatten zu erzielen. Es muss deutlich werden, welches Verhalten und welches Projekt dem Systemziel dienen. Im Kapitel 2 habe ich auch im Zusammenhang mit der Visionsentwicklung darauf genauer hingewiesen.76 Wir haben in umfangreichen empirischen Studien und vergleichenden Untersuchungen die Korrelationen dieser ganzheitlichen Ziele mit bestimmten Verhaltensmustern überprüft und damit ein System an Spielregeln ermittelt, dessen Anwendung die Wahrscheinlichkeit des Gelingens erhöht. Zunächst will ich schildern, wie diese Orientierungsmuster oder Best Patterns als Hinweise für dauerhafte Lösungen gefunden werden können, um sie dann vorzustellen. 76 Vgl. auch G. Bergmann, 1996 S. 235 f.

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4.2 Dauerhafte Kurzzeitlösungen (DaKuzel) – Best Patterns Die Orientierungsmuster (Best Patterns) sind grundsätzlich aus der guten Erfahrung zu ermitteln. Das können Berichte, Erfolgsgeschichten, eigene Erinnerungen oder auch Erlebnisse sein. Wenn konsequent eigene und andere Lösungen systematisiert werden, können in kurzer Zeit dauerhafte Orientierungen entdeckt werden. Diese Vorgehensweise nenne ich das Finden von Dauerhaften Kurzzeitlösungen (DaKuzel) oder Best Patterns.77 Diese Methode wurde von der lösungsorientierten Therapie inspiriert. Vor allem Steve de Shazer78 hat bemerkenswerte Konzepte zur Verbesserung von Problemsituationen erarbeitet. Wichtigste Grundsätze sind die konsequenten Lösungsorientierungen mit der spürbaren Veränderung zum wünschenswerten Zustand sowie die Erzeugung von weiteren Wahlmöglichkeiten. Es stehen weniger Ursachenanalysen im Vordergrund als Unterscheidungen, denn Kausalitäten sind in komplexen Kontexten rekursiv vernetzt und unübersichtlich. Auch wenn man die Ursachen und Schuldigen ermitteln könnte, ist damit noch wenig zum Besseren bewegt. Wer ein Problem erklärt, hat noch keine Lösung. Unser wissenschaftlich dominiertes Denken ist aber auf Analysen konzentriert: Psychoanalyse, Unternehmensanalyse, Bilanzanalyse, Unfallanalyse, Fallanalyse etc. Wenn aber Ursachen nur eingeschränkt mit viel Aufwand ermittelt werden können, dann ist es vielleicht sinnvoller, direkt Lösungen anzustreben, die komplexen Charakter aufweisen, aber oft einfach zu finden sind. Das erfolgt mit einem genialen Fokuswechsel:79 Ein Problem wird vielschichtig beschrieben. Daraufhin wird nach einer problem- oder beschwerdefreien Zeit gesucht, in der also die Schwierigkeiten weniger oder gar nicht auftraten oder eine erfolgreiche Situation vorlag. Dann wird danach gesucht, was in dieser Situation anders war im Vergleich zum problematischen Normalzustand. Auf einer allgemeinen Musterebene werden Bedingungen und Verhaltensweisen der Ausnahmesituation erforscht. Wenn diese anderen Muster erkannt sind, kann versucht werden, daraus Regeln zu entwickeln, die daraufhin multipliziert werden können. Die „schöne“ Ausnahme wird zur Regel gemacht und damit ein Lösungsansatz geboten. Zuweilen reicht es aus, überhaupt leichte Veränderungen einzuleiten, um Verbesserungen zu erzielen. In der Regel erscheint es aber ratsam, die Problemsituation ganzheitlich zu beschreiben, um dann Umkehrungen vorzunehmen. Ein Problem enthält immer auch seine Lösung. Wenn nachhaltig keine Lösungen gefunden werden, dann kann es sein, dass das Problem nicht umfassend beschrieben wurde oder ein Nebenproblem behandelt wird. 77 Dauerhafte Kurzzeitlösungen, Spielregeln, Orientierungsmuster und Best Patterns werden als ähnliche Begriffe benutzt. Vergleiche zur Differenzierung Erläuterungen im Kapitel II 1. 78 Vgl. S. de Shazer, 1994 u. 1995, S. 20 ff. sowie zum Überblick J. Hesse, 1997. 79 Vgl. insbes. S. de Shazer, 1995, S. 20 ff.

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Die Lösungsorientierung bietet aber bis dahin den Vorteil, dass die Beteiligten durch schnelle Erfolge „genährt“ werden. Es geht spürbar voran und alle merken, dass sie sich selbst helfen können. Gerade im eher hektischen Kontext der Wirtschaft sind schnell erreichbare Veränderungen oft zwingend. Zudem kann die Entdeckung einer gewissen Selbstwirksamkeit aus der Aussichtslosigkeit herausführen. Auch hierbei gilt das „Und“, Kurz- und Langzeittherapie können sich ergänzen. Die Debatte um die „richtige“ Vorgehensweise ist eher unnötig. Nachdem erste positive Entwicklungen eingeleitet sind, können tiefgründige Analysen nach Bedarf angeschlossen werden. Deshalb erscheint es mir sinnvoll, alle Versionen wertfrei auf Nützlichkeit zu testen. Die Lösungssuche für Dauerhafte Kurzzeitlösungen (DaKuzel) vollzieht sich in folgenden Schritten: - die Probleme ganzheitlich definieren Das Problemfeld wird ganzheitlich beschrieben. Das heißt, es werden nicht nur sachliche, sondern besonders emotionale Beziehungsaspekte eruiert. Die multiplen Wahrnehmungen der unterschiedlichen Akteure werden zu einer gemeinsamen „Problemfeldrealität“ verschmolzen. Dabei ist behutsam, hierarchiefrei und entschleunigt vorzugehen. Wenn das Problem wirklich erfasst ist, kann die Lösung aus den Unterschieden gewonnen werden. Interessanterweise kann eine Lösung ohne dazugehöriges Problem ebenfalls problematisch wirken. Zum Beispiel können Lottogewinner oft nichts Sinnvolles mit ihren Gewinnen anfangen und geraten in Probleme. Hatten sie aber vorher ein bestimmtes Ziel oder gar Schulden, ergibt sich der Sinn von selbst. - Ausnahme positiver Art suchen (problemfreie Situation oder Zeit) Es wird dann nach einer problemfreien Ausnahme gesucht. Es werden Episoden ermittelt, in denen das Problem schon einmal gelöst war oder wo andere das Problem gelöst hatten. Erfolgreiche Projekte, Unternehmen oder Prozesse unterscheiden sich in signifikanten Bereichen von weniger erfolgreichen. Diese Unterschiede sind besonders relevant und erkenntnisreich. Die Ursachen von Problemen sind dagegen oft nur schwierig zu ermitteln, vielschichtig und unklar, zudem tragen sie kaum zur Lösungsfindung und Verbesserung der Situation bei. Was nützt es schon, zu wissen, warum man nicht erfolgreich war, wenn daraus keine Empfehlungen entstehen, die eigene Situation zu verbessern. - Muster im Verhalten erkennen und Lösung generalisieren Dann werden die metasystemischen (allgemeingültigen) Eigenarten der Lösung generalisiert. Dabei wird an die Regeln der Durchhaltbarkeit (sustainability) angeknüpft. Und es ist zu beachten, wirkliche Meta-Regeln und Orientierungsmuster zu finden, nicht einfach konkret Verhalten anderer zu kopieren: Auf dem

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Ozean ist es besser, sich nicht an den Positionslichtern der anderen Schiffe, sondern an den Fixsternen zu orientieren. - Ausnahmen normal werden lassen und multiplizieren Die Lösungskomponenten können für die konkrete Problembewältigung genutzt werden. Maßnahmen sollten ergriffen werden, um die Lösung lebbar zu machen, also die sogenannten Settings (Team, Gruppe, Freundeskreis) mit einzubeziehen. Bei allen Schritten sind die Betroffenen in die Lage zu versetzen, die Lösung selbstverantwortlich aufzuspüren und zu realisieren. In einem akteurorientierten Ambiente werden die Lösungen eher engagiert mitgestaltet, angenommen und akzeptiert. Wer ein Problem hat, kann auch die Lösung kennen. Lösungen sind gefundene Nützlichkeiten. Die Lösungen müssen sich dabei nicht auf die indizierten Probleme beziehen und müssen nicht aus der Ursachenanalyse hervorgehen. Manchmal existieren effektive Lösungen, ohne dass erkenntlich wird, wie sie ursächlich mit dem Problem zusammenhängen. Sie wirken, ohne dass es erklärt werden könnte. Es ist deshalb sinnvoll, einen Zusammenhang zwischen dem Ziel und der gefundenen Ausnahme herzustellen. Es wird gesucht, was funktioniert und nützt. Gerade die ansonsten übliche Ursachenanalyse mündet oft in Schuldzuweisungen an einzelne Personen oder aber das Problem wird wenigen gerade passenden beziehungsweise opportunen Ursachen zugeordnet (unzulässige Vereinfachung). Es finden sogenannte Trivial- oder Fehlattributionen statt, weil einige dominante Akteure die wirklichen Zusammenhänge nicht deutlich werden lassen wollen (Machteingriff) oder die vollständige Analyse angesichts der Komplexität zu viele Ressourcen beanspruchen würde.

4.3 Spielregeln und Kontextmuster Die DaKuzel-Methode fördert Orientierungsmuster zutage, die zur dauerhaft positiven Rahmengestaltung genutzt werden können. Dazu gehören Persönlichkeitstypologien und allgemeine Spielregeln. Sie weisen auf der abstrakten Ebene eine relative Zeit- und Situationsunabhängigkeit auf,80 reduzieren Komplexität und ergänzen die unsichere Prognose durch regelgeleitetes Handeln. Diese Best Patterns dienen als Basis für Erfolgs- und Bewertungskriterien. Sie „übersetzen“ die allgemeine Zielsetzung „Vitalität und Entwicklungsfähigkeit“ in operative Regeln. Als Muster werden Bildstrukturen verstanden, die einem Beobachter eine erweiterte Orientierung verschaffen.81 Dabei sind Stereotype, also Wiederholungs80 Ausführlich bei G. Bergmann, 1996 in Anlehnung an W. Kandinsky, 1955. 81 Vgl. M. Grothe, 1997, S. 225 in Anlehnung an F. A. v. Hayek, 1990. Vgl. auch Darstellung in Teil II Kap. 1.

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oder Verharrungsmuster, von Orientierungsmustern, die zu evolutionären Spielregeln geformt werden, zu unterscheiden. Hier geht es darum, möglichst vorteilhafte Muster des Gelingens zu ermitteln. Vitale, langlebige Systeme werden weniger erfolgreichen Systemen gegenübergestellt und dann geschaut, welche Unterschiede erkennbar sind. Es wird weniger nach Ursachen des Erfolgs, als nach diesen Unterschieden gesucht. Bei der Mustererkennung liegt der Schwerpunkt auf der Unterscheidung von erfolgreichen und weniger erfolgreichen Vorgehensweisen. Der dahinter liegende Differenzierungsprozess kann am effektivsten durchlaufen werden, wenn man lösungsorientiert vorgeht. Es nützt wenig, bis ins Detail zu analysieren beziehungsweise erklären, warum etwas funktioniert hat oder misslungen ist. Wichtiger ist die Erkenntnis, zwischen erfolgreich und weniger erfolgreich unterscheiden zu können. Erkenntnis stammt nicht von Erklären, sondern von Erkennen, ansonsten müsste es ja „Erklärnis“ heißen. Insofern gilt es, nach einer Problembeschreibung direkt nach Situationen und Lösungen zu suchen, die andere schon gefunden haben oder die schon einmal erfahren wurden. Es werden beispielsweise erfolgreiche Marketingkonzepte der Wettbewerber oder der eigenen Erfahrungen beschrieben und dann diagnostiziert, wie sich diese Vorgehensweisen von eher misslungenen Prozessen unterscheiden. Es werden Unterschiede gesucht, die Unterschiede machen. Dabei werden nicht konkrete Inhalte kopiert, sondern der allgemeine Gehalt erfolgreichen Vorgehens als Dauerhafte Kurzzeitlösung (DaKuzel) oder Best Patterns beschrieben. Hier sollen zunächst die wichtigsten Orientierungsmuster vorgestellt werden. Die Persönlichkeitstypologien sind als Kernelement der zeitstabilen Kontextbeschreibung zu verstehen. Die Spielregeln dienen der Bewertung der Unternehmensprozesse. 4.3.1 Kontextmuster Mit den neun Persönlichkeitsmerkmalen der Brain Map können Zielgruppen, Cluster, Kompetenzen, Wahrnehmungsarten, Produktmerkmale, Mitarbeiterprofile u. ä. erstellt werden. Jeder Mensch wird eine individuelle Ausprägung aufweisen, doch existieren Gruppen mit eher ähnlichen Ausprägungen, denen mit diesem Modell besser entsprochen werden kann. Zudem bleiben die Persönlichkeitsmerkmale relativ zeitkonstant. Es ist damit einerseits möglich, sinnlich differenzierte und syntropische Entwicklungen und Gestaltungen zu kreieren und andererseits können konfliktäre und koevolutive Beziehungen besser erklärt und gehandhabt werden. Mit diesen neun prägenden Denkweisen wird weit über die ansonsten diskutierte Divergenz von Rationalitäten hinausgegangen. Im Unternehmen befehden sich nicht nur unterschiedliche Rollenträger, sondern resultie-

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ren Konflikte vor allem aus unterschiedlichen Gefühlswelten und der Unfähigkeit, diese zu benennen und zu akzeptieren.82 Neben den Persönlichkeitsbildern sind die Muster der Wahrnehmung und die Bedürfnisebenen für die gezielte Marktsegmentierung bedeutsam. Die Wahrnehmung kann nach den sechs Sinnen (kinästhetische, visuelle, auditive, olfaktorische, gustatorische, haptisch/taktile) differenziert werden. Bestimmte Persönlichkeiten präferieren jeweils andere Sinne, so dass eine weitere Spezifizierung möglich wird. Zudem lassen sich die nach Maslow bekannten Bedürfnisebenen83 für die individuelle Ausrichtung verwenden. Die dreidimensionale Spezifizierung evoziert dann genaue Zielgruppen-Kategorien, mit denen ein Anbieter besser den Nutzen von Kunden ansprechen kann. Die nach Persönlichkeitsbildern und Wahrnehmungsarten differenzierten Bedürfnisebenen84 bilden den dreidimensionalen Bezugsrahmen zur Entwicklung und Formulierung von Kontextmustern, mit deren Hilfe versucht wird, das Umfeld des Unternehmens zielgruppenadäquat und möglichst zeitstabil zu segmentieren und damit zu entschleunigen. Um die Komplexität sinnvoll zu reduzieren, werden aus dem räumlichen Bezugsrahmen, der 270 (9 x 6 x 5) potenzielle Muster bietet, unternehmensspezifische Kontextmuster definiert und handhabbar gemacht.

Abb. 4.1: Bezugsrahmen der Kontextmuster

82 Zusätzlich tauchen Kulturkonflikte auf, wie bspw. zwischen Technikern und Führungskräften. 83 Vgl. ergänzte Darstellung bei G. Bergmann, 1996. Weitere Erläuterungen in Kap. II. 2.7. 84 Nach A. Maslow, 1954. Vgl. auch die Ausführungen in Kapitel II. 2.7 zu Leitmotiven und der Brain Map.

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Die klassischen Grundsätze der Marktsegmentierung dienen dabei als sinnfälliger Hintergrund.85 Vor allem verhaltensorientierte Clusterbildungen bieten eine gute Basis zur Verwesentlichung. In vielen praktischen Fällen können dominante Kundengruppen, die als opinion leader oder wichtige buying groups fungieren, speziell analysiert und angesprochen werden. Für die kaufentscheidenden Personen, die wiederum über typische Persönlichkeitsmerkmale und daraus abzuleitende Wahrnehmungs- und Bedürfnispräferenzen verfügen, lassen sich spezifische Kontextmuster-Kombinationen bilden, die eine sehr effektive und relativ zeitstabile Zielgruppenorientierung möglich machen. 4.3.2 Evolutionäre Spielregeln – Best Patterns Die im Folgenden vorgestellten Orientierungsmuster bilden eine Synthese aus diesen theoretischen und empirischen Untersuchungen. Sie geben Hinweise auf die balancierte Strukturierung der Gestaltungsprozesse86 und erlauben, Bewertungen und Priorisierungen vorzunehmen. Sie bilden Orientierungsgrundlagen für das praktische Handeln, also eine differenzierte Form einer Balanced Scorecard, wie sie als ganzheitliches Steuerungsmodell in den letzten Jahren populär geworden ist. Die Einhaltung der Regeln macht gelingende Prozesse wahrscheinlicher. Alle Projekte, Prozesse, Produkte und Akteure können nach den Spielregeln bewertet werden, so dass sich quasi automatisch eine Ausrichtung auf Dauerhaftigkeit und Entwicklungsfähigkeit einstellt. Aus der Beobachtung dauerhaft erfolgreicher Systeme können Muster des Gelingens (Best Patterns) ermittelt werden. Es wird eruiert, unter welchen Bedingungen soziale Systeme am besten und wahrscheinlichsten überleben. Hier existieren ebenfalls interessante Parallelen in zeitlicher und räumlicher Hinsicht. Sowohl vergleichende Kulturanalysen, die Systemforschungen als auch die Erfolgsfaktorenanalysen ergeben ähnliche Ergebnisse. Diese Muster können dann zu Spielregeln geformt werden, die den Akteuren in sozialen Systemen Orientierung geben. Spielregeln dienen als allgemeingültige Leitlinien für praktisches Handeln. Sie sichern eine syntropische Evolution in der Mitwelt. Wie beim Sport oder Kartenspiel braucht mensch nur noch in das Regelwerk zu schauen. 85 Nach H. Freter, 1983, S. 16 geht „das Grundkonzept der Marktsegmentierung von der Grundannahme aus, dass sich die Konsumenten in ihren Bedürfnissen und Produkterwartungen unterscheiden. Die Hauptaufgaben der Marktsegmentierung bestehen darin, homogene Käuferschichten abzugrenzen, …“ 86 Als gute Beispiele für die Zusammenfassung von Erfolgsspielregeln sind folgende Quellen zu nennen: E. Laszlo, 1992; J.M. Kobi, 1994, F. Vester; 1980; F. Malik, 1984; H. Simon (1996); A. de Geus, 1997 und 1997a und auch P. Senge, 1996, der die stereotypen Muster als Archetypen und die Orientierungsmuster als Disziplinen bezeichnet. Zur Erfolgsfaktorenforschung: C. Steinle/C. Schmidt/D. Lawa, 1995 und die dort angegebene Literatur, sowie A. Lindner/M. M. Adamer/G. Kaindl, 1996. Erste Muster habe ich in G. Bergmann, 1988, S. 30 ff. systematisiert.

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Immer mehr bildet sich eine automatische Orientierung aus und das Spiel wird anspruchsvoller, effektiver und macht mehr Freude. Trotzdem werden die Regeln auf Basis der Erfolgsfaktoren wenig beachtet, weil wir uns vornehmlich um die aktuellen und konkreten Handlungsereignisse kümmern und schnellen, mühelosen Erfolg anstreben. Soviel sei hier schon erwähnt: Die sozialen Systeme entwickeln sich zumeist aus einer Position, in der sie stimmige Konzepte im Umgang mit Ressourcen bereithalten, innere Vielfalt aufweisen und das Größenwachstum regulieren. Sie degenerieren, wenn notwendige Anpassungen, zum Beispiel aufgrund von Machtmissbrauch, unterbleiben. Diese Erkenntnisse hat vor allem der Ethnologe Marvin Harris87 zusammengetragen. Er konnte feststellen, dass Kulturen und soziale Systeme aufsteigen, wenn sie eine effektive Form der Ressourcenverwendung finden, eine würdige Form kreieren (Identität, Formensprache) und vielfältige Ansätze zulassen. Sie tendieren in ihrer Blüte zur Erstarrung (Verkrustung, Hierarchie, Status) und Verschwendung (Prunk, Gier, Konsum). Laszlo hat deduktiv ein Modell von Erfolgsfaktoren aus der Evolutions- und Systemtheorie entwickelt.88 Steinle u. a. sind in empirischen Analysen auf sehr ähnliche Ergebnisse gestoßen.89 Der erfahrene Manager und Dozent De Geus hat das Geheimnis langlebiger Unternehmen näher untersucht.90 Die „ewigen“ Unternehmen verstehen sich weniger als „Geldmaschinen“ und mehr als symbiotische Lebensgemeinschaften. Sie verfügen alle über eine hohe Sensibilität gegenüber dem Kontext, wissen also wo Neuerungen entstehen und bauen auf gute Beziehungen zu den Stakeholdern, sind sich ihrer eigenen Identität bewusst und lassen Menschen eindeutig über Sachwerte dominieren. Die verständigungsorientierte Kommunikation steht im Mittelpunkt. Es existiert eine lockere aber klare Steuerung und Kontrolle und ein Klima des Lernens.91 Was ist aus diesen Untersuchungen zu lernen? Die ökonomische Öffnung zu neuen Entwicklungen sollte immer gepaart sein mit einer syntropischen Rahmensetzung und Wertbildung. Genau dieser ambivalente Zusammenhang wird durch die Spielregeln hergestellt. Das Unterneh-

87 Vgl. M. Harris, 1990. 88 Die Spielregeln zeigen z. T. Übereinstimmungen mit den Erkenntnissen der Gruppe um Arie de Geus, die folgende Faktoren betonen: Konservatives Finanzgebaren, Sensibilität gegenüber dem Umfeld, Bewusstsein der eigenen Identität, Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Ideen, lockere Steuerung und Kontrolle, für Lernen sorgen, gestalten der menschlichen Gemeinschaft. H. von Pierer (Siemens AG) sieht zwei wichtige Merkmale langlebiger Unternehmen: die Identifikation aller Mitarbeiter mit dem Unternehmen und ein großes Maß an Veränderungsbereitschaft und Innovationsfähigkeit. Vgl. A. de Geus, 1997. 89 C. Steinle/C. Schmidt/D. Lawa 1995. 90 Vgl. A. de Geus, 1997, S. 113 ff. und 1998. 91 Zum Konzept des systemischen Lernens vgl. einführend R. Schulmeister, 1997, S. 71 ff.

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men entwickelt sich in einem sinnvollen Rahmen. Paradoxerweise wird Stabilität durch Veränderung, Vielfalt und Flexibilität ermöglicht.92 Das System der Spielregeln Die Regeln, die ein erfolgreiches Überleben sichern, sollen im Folgenden systematisiert werden. Grundsätzlich dienen die Regeln der Erfüllung der dauerhaften Unternehmensentwicklung (sustainability). Wir haben erfahren, dass sich soziale Systeme nicht von selbst weiterentwickeln, sondern selbstreferentiell auf dem gewohnten Niveau erhalten. Sie bedürfen der Sinnstiftung und Impulsgebung durch Visionen (Bilder, Geschichten, Ziele) sowie der Begrenzung durch Rahmensetzung (Regeln, Strategien, Leitlinien). Hier steht die Erfolgsfaktorenforschung auf einem der Langfristigkeit des Problemfeldes angepassten Niveau im Vordergrund. Der Erfolg eines Unternehmens wird nicht an rein monetären Größen wie Cash-Flow und RoI gemessen, die für sich alleine betrachtet bestenfalls eine kurze Episode der Unternehmensentwicklung bewerten.93 Erfolg wird vielmehr an der Überlebensdauer in Jahren orientiert, wobei zusätzlich eine ganzheitliche Bewertung (auf Basis zeitstabiler Muster) der zukünftigen Überlebenschancen ergänzt wird. In der klassischen Erfolgsfaktorenforschung wird – kurz gesagt – mittels Empirie nach gemeinsamen Merkmalen der Untersuchungsgegenstände (z. B. Unternehmen, Strategische Geschäftseinheiten), die in Korrelation zu den vorher definierten Erfolgskenngrößen (zum Beispiel Cash-Flow, RoI) stehen, gefahndet. Diese „erfolgsversprechenden“ Merkmale werden schließlich als Erfolgsfaktoren (zum Beispiel EDV-Einsatz) formuliert.94 Ich möchte, ausgehend von der Erfolgskenngröße (Überlebensdauer und zukünftige Überlebenschancen), einen Schritt weiter gehen und den Untersuchungshorizont nicht nur auf Wirtschaftsunternehmen beschränken, sondern auf soziale Systeme erweitern, die sich in unterschiedlichen Kontexten und Zeiten bewähren mussten.95 Die durch diese Erweiterung angewachsene Komplexität wird durch Modelle der Mustererkennung sinnvoll reduziert.96 Diese Orientierungsmuster (Best Pat92 Die Theorie dissipativer Strukturen zeigt diesen Zusammenhang auf. Vgl. Teil II 2.3. Erst das Schwingen ermöglicht das Stehen auf einem Bein. So kann es jeder Leser ausprobieren. 93 Die monetären Kennzahlen (RoI, Cash-Flow, u. a.) können als hard factors durchaus sehr wertvolle Hinweise auf die Unternehmensentwicklung liefern, spiegeln für sich alleine betrachtet jedoch nur einen Teil des unternehmerischen Potenzials beziehungsweise Erfolgs wider. 94 Erfolgsfaktorenanalysen sind u. a. zu finden bei: E. Laszlo; 1992; F. Vester, 1980; J. M. Kobi, 1994; C. Steinle/C. Schmidt/D. Lawa, 1995. Bezogen auf Marketing bei J. Grant, 2000 und W. Farrell, 2000. 95 Besonders erhellend sind beispielsweise historische Beobachtungen vom Aufstieg und Fall von Gesellschaften und Staaten. Aus methodischer Sicht werden neben empirischen Studien auch Erkenntnisse aus biologischen und soziologischen Analysen in die Forschung integriert. 96 Vgl. C. Alexander, 1977, der als prominentes Beispiel innerhalb der Architekturwissenschaft

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terns) müssen in einem letzten Schritt in kontext- und zeitbezogenen Handlungsanweisungen (Spielregeln) für ein spezifisches Unternehmen konkretisiert werden. Diese Vorgehensweise beugt zudem der Gefahr unzulässiger Vereinfachungen vor, da nicht die Handlungsanweisungen als Patentrezepte kopiert werden, sondern zunächst nach den hinter den „erfolgversprechenden“ Merkmalen stehenden Mustern gesucht wird, um schließlich sehr spezifische Regeln immer neu zu formulieren. Das System der Spielregeln versteht sich als eine untrennbare Einheit, die der dauerhaften Entwicklung eines sozialen Systems dienen sollen. Die Orientierungsmuster weisen einen zeithaltigen, autonomen Charakter auf. Dabei wirken sie äußerst praktisch und pragmatisch, da sie Verwesentlichungen gelingenden Vorgehens darstellen. Man kann sie zum Planen, Nachdenken, Wahrnehmen und Handeln, zum Organisieren, Managen und Kontrollieren verwenden. Die Muster sind Elemente einer Sprache des Gelingens, welche an konkreten Problembereichen ansetzen und Lösungen enthalten, die in ähnlichen Situationen schon oftmalig zu verbessernden Veränderungen beigetragen haben. In einem umfassenden Diagnoseprozess wurden die Muster aus Untersuchungen, empirischen Analysen, Berichten, Beobachtungen zusammengetragen. Sie sind nach den Ebenen der normativen Legitimität, der innovativen Erneuerung, der strategischen Effektivität und operativen Effizienz sowie den Methoden, Akteuren, Verhaltensweisen, Strukturen und Prozessen geordnet. Die Muster folgen einem unterschiedlichen Abstraktionsgrad. Die universellen Regeln ergänzen Muster auf der normativen, innovativen, strategischen und schließlich der operativen Ebene. Diese sind wiederum differenzierbar nach Methoden, Strukturen und Verhaltensweisen. In der folgenden Abbildung sind nur die allgemeinen Regeln angegeben, die einen dauerhaften Response on Innovation wahrscheinlicher werden lassen. Sie sollen in einer Pattern Language of Management detailliert ausformuliert werden.97

mit seinem Buch „A Pattern Language“ („Eine Mustersprache“) versucht hat, die Komplexität des architektonischen Planens und Entwerfens zu reduzieren, indem er für verschiedene Planungsgegenstände mehr oder weniger allgemeingültige Muster formuliert hat. 97 Vgl. dazu erste Schritte in der Studie von G. Bergmann/G. Meurer, 2001 und 2001a.

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Abb. 4.2: Das System der Spielregeln (Best Patterns) Es gilt universell, die Balance zwischen ökonomisch offenem Werden und ökologisch geschlossenem Handeln (Syntropie) zu finden. Trends und Entwicklungen müssen erspürt und verarbeitet und Informations-, Energie- und Materieströme reduziert und eingeregelt werden. Systemisch betrachtet geht es um Unterscheidungen, die Eigenständigkeit erzeugen und um die Reduktion von Komplexität, damit handhabbare Lösungen entstehen. Ökonomisch sollte das Bewusstsein räumlich und zeitlich erweitert werden, ohne dem Vertigo-Effekt zu erliegen, der aus dem Versuch entsteht, allen Turbulenzen folgen zu wollen. Ökologisch gesehen, sind Prozesse zu entschleunigen, Kreisläufe zu bilden, Langlebigkeit zu erzeugen, syntropische Werte zu schaffen und Dinge zu immaterialisieren, ohne die inspirierende Faszination zu vernachlässigen. Wer sich pluralisiert und viele Lösungen schafft, erhält einen Vorrat von Aktionsmöglichkeiten, wie Dirk Baecker feststellt.98 Die gegenläufige Verwesentlichung erzeugt Energie, wenn eine Erstarrung gelöst wurde, also in Bewegung kommt. Vielfalt und Reduktion sind somit die universellen Regeln der Evolution. Direkt daraus abzuleiten sind die normativen Spielregeln der Visionen und Rahmensetzung. Auch hierbei ist eine Polarität angelegt. Auf den goldenen Mittelweg gelangt mensch nur durch das Auspendeln dieser wichtigen Prinzipien. Visionen öffnen den Horizont, der Rahmen erlegt eine sinnvolle Selbstverpflichtung auf. Menschen bedürfen der Faszination und Sinnstiftung auf der einen und der Grenzsetzung auf der anderen Seite. Diese Polarität durchzieht die Regeln auch auf der strategischen und operativen Ebene. Erst danach können die Spielregeln für die einzelnen Problembereiche abgeleitet werden. Es handelt sich dabei um die Bereiche der Orientierung in turbulenter Welt, der Interaktion 98 Vgl. D. Baecker, 1994, insbes. S. 114 ff.

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(soziale Austauschprozesse), der Organisation, der Gestaltung (Innovation, Produktdesign, Konzepte) und der Entscheidungs- und Handlungsebene (Prozessregeln). Die Regeln werden damit in einen Gesamtzusammenhang gebracht. Gemeinsam angewandt, dienen sie der ganzheitlichen Zielerfüllung und liefern Vitalität, Vertrauen, Syntropie, Effektivität und Flexibilität. Die Muster und Spielregeln weisen einen unterschiedlichen Konkretisierungsgrad auf. Immer sind sie aber im Zusammenhang zu sehen und in ihrer Polarität in Balance zu bringen. Es können keine einzelnen „passenden“ Muster herausgenommen und andere vernachlässigt werden. Die einzelnen Regeln wurden in den einzelnen Subsystemen differenziert.99 Dabei können die einzelnen Bereiche jeweils im Ablauf des Lern- und Lösungszyklus (Solution Cycle) dargestellt werden. In allen Prozessphasen ergeben sich spezifische Patterns. Die normativen Regeln in den Bereichen Vision und Rahmen bilden die Basis für Managementprozesse und die Unternehmensentwicklung. Sowohl die öffnenden Visionen als auch die begrenzenden Faktoren (wie Finanzen und Ressourcen) sollten im Dialog der betroffenen Akteure entwickelt werden. Jeweils ist das Prozessmuster des Lern- und Lösungszyklus zu verwenden, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, den common ground, also gemeinsame Sichtweisen und Bezugspunkte, zu bilden. Um Orientierung in dem durch dynamische Komplexität gekennzeichneten Kontext zu finden, werden nach Bedürfnissen, Wahrnehmungsarten und Persönlichkeitsbildern differenzierte Kontextmuster gebildet. Neben den hard factors kommt den soft factors (qualitative Informationen) eine immer größere Bedeutung zu und es gilt, die Wahrnehmung in diesem Sinne zu erweitern. Darüber hinaus sollten zukünftige Entwicklungen erspürt und genutzt werden, da aktuelle „Situationsschnappschüsse“ keine hinreichende Orientierungsgrundlage darstellen. Prognosen sind aussagekräftig, wenn sie auf zeitstabilen, metasystemischen Mustern beruhen und in einer vielfältig beschreibenden, prosaischen Sprache formuliert werden. Entlang dem Lern- und Lösungszyklus werden zunächst Muster erkannt und geklärt, dann kreativ zu Spielregeln geformt und systematisiert, um dann Verhalten zu prägen. Die Muster werden reflektiert und weiterentwickelt, um eine kontinuierliche Verbesserung zu erzielen. Die Gestaltungsregeln (Muster der Innovation und Produktgestaltung)100 geben Hinweise auf gelingende Entwicklungsprozesse. Zunächst wird versucht, das Objekt zu immaterialisieren, also als Dienst oder Software anzubieten oder das Bedürfnis zu hinterfragen. Je mehr ein Unternehmen in der Lage ist, neben den materiellen Produkten auch immaterielle Bestandteile anzubieten, desto mehr 99 Vgl. G. Bergmann, 1996 und 1995c. 100 Vgl. G. Bergmann, 1996, 1994 und 2000.

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wird es sich im Markt verankern können. Durch den kommunikativen Kontakt bilden sich soziale Systeme aus, die die Verständigung und die Bindung fördern. Generell kann gesagt werden, dass ein Unternehmen mit zunehmender Immaterialisierung des Angebotes autonomer wird. Je mehr neben materiellen Angeboten auch Service, Beratung und Konzepte angeboten werden, desto weniger kann diese Leistung durch andere imitiert werden. Wenn ein materielles Produkt benötigt wird, steht die Langlebigkeit im Vordergrund. Besonders bei Verbrauchsgütern ist an Kreisläufe und die Reduktion des Energie- und Materieverbrauchs zu denken. Die Produktentwicklung ist das entscheidende Antriebsmoment in Unternehmensentwicklungen. Es geht dabei immer um eine sinnvolle Unterscheidung zum Kontext, also identitätsfördernde Abweichungen vom Gewohnten, die einen Nutzen stiften. Zudem ist es von Vorteil, wenn sie die Komplexität für die Interessenten reduzieren und die Transaktionskosten mindern. Darüber hinaus wirken erfolgreiche Marken attraktiv und ermöglichen einfachen Kontakt. Sie weisen also „Flow“-Charakter und Begeisterungspozenzial auf. Beispiele sind hierfür so unterschiedliche Marken mit eigenständigem Profil wie Nokia, Coca Cola oder Aldi. Diese Marken funktionieren alle nach dem gleichen Muster. Sie sind einzig, einfach und anziehend. Dargestellt als Entstehungsprozess gilt es zunächst, die unterschiedlichen Erlebniswirklichkeiten mitzuteilen. Gemeinsam wird erkannt, dass ein Problem vorliegt, welches durch einen Innovationsprozess gelöst werden sollte. Auf dieser Basis wird versucht, eine gemeinsame Problembeschreibung zu entwickeln und eine Vision zu kreieren. Dann erst können im Aufgabenfeld Lösungen gesucht werden, die bewertet, geplant und realisiert werden. Als Flow oder Flop wird die Veränderung sichtbar, um dann Lernen und Entwicklung möglich zu machen. Die Strukturierung sollte immer ein organischer Prozess sein, also an den selbstorganisationalen Vorgängen ansetzen. Vorteilhaft ist es, wenn in einer Organisation ein hohes Maß an selbstverantwortlichem, autonomem Handeln ermöglicht wird und verantwortet werden kann. Der Abbau von Status und Hierarchie sowie die Einbindung in Entscheidungsprozesse in pluralen Gruppen steigert die Effektivität. Strukturen sollten wie „Trampelpfade“ gebildet werden (footpathing). Wo Wege der Kommunikation genutzt werden, bilden sich sinnvolle Verbindungen. Kommunigramme lösen damit Organigramme ab. Es entsteht eine Organisation mit fluiden Grenzen, aber mit netzartigen Koalitionen zwischen Akteuren, die gute Beziehungen zueinander aufbauen und die heimlichen Spielregeln und „Hackordnungen“ offenbaren und gemeinsam reduzieren. Ziel ist die Evolution von der „lähmenden“ Organisation zur lernenden und vitalen Organisation. Auch in diesem Bereich zeigt sich die Polarität der Muster. Selbstorganisation und Offenheit sind für

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Entwicklungsprozesse förderlich. Zugleich sind aber dauerhafte Beziehungen aufzubauen und zu stabilisieren. Vielgestaltig sind die Prozessregeln, die ein „Surfen“ auf der Welle der Evolution ermöglichen sollen. Aus der Chaostheorie wissen wir, dass Kleinigkeiten größere Beachtung zu schenken ist und behutsames Vorgehen mit homöopathischen Dosierungen der vernetzten Komplexität am ehesten gerecht wird.101 Es ist darauf zu achten, was den Systemen fehlt und wo Nuancen subtil verstärkt werden müssen. Immer ist in kleinen, überschaubaren Schritten vorzugehen. Es genügt schon, die Unternehmung in Veränderung zu bringen, indem kleine Störimpulse verabreicht und zunächst marginale Verbesserungen angestrebt werden. Der Solution Cycle bildet in diesem Buch das wesentliche Prozessmuster. Hier wurden die Merkmale gelingender Vorgehensweisen integriert. Es geht weniger um Patentrezepte und „wuchtige“ Einmallösungen, als um Lösungsfindung im Dialog. Bei der Interaktion geht es um Orientierungsmuster, die Verständigung wahrscheinlicher machen. Empathie und sensible Wahrnehmungsfähigkeit dienen der gegenseitigen Klärung. Komplexe Kommunikation und kooperatives Verhalten machen Verstehen und Einigung wahrscheinlicher. Dialoge und Metaloge dienen als komplexe Verständigungsmethoden und bilden die Basis für dauerhafte Beziehungen. Der Prozess läuft also von dem wechselseitigen Erkennen über die Klärung der gemeinsamen Themen und Probleme zur Kreation von Möglichkeiten und der Strukturierung der Interaktion (Interpunktion) ab. Der Kommunikationsprozess löst Veränderungen aus und es kommt zum Verständnis, der Durchdringung von Bewusstseinsebenen. Oder aber, der Prozess muss neu begonnen oder rekursiv gestaltet werden. Aus dem gelungenen Kontakt formt sich die Basis für dauerhafte Beziehungen und Bindungen. So kann entlang des Solution Cycle der gelingende Verständigungsprozess veranschaulicht werden (vgl. auch Kap. II 2.6.). Gemeinsames Lernen und Entlernen und eine initiative Handlungsfreude sind weitere wichtige Grundbedingungen für den Erfolg.102 Im Bereich Lernen und Entwicklung ist besonders auf die Fähigkeit erfolgreicher Systeme hinzuweisen, das implizite Wissen des Systems für Entwicklungsprozesse nutzbar zu machen. Geht es im ersten Modus des Solution Cycle um Erkennen, so folgt die aktive Veränderung, um in das Lernen des Lernens einzumünden. Die Spielregeln ermöglichen die stetige Evolution. Sie sind nur einsetzbar, wenn keine akuten Probleme auftauchen, fire fighting notwendig machen und wenn 101 Vgl. zur Homöopathie S. Toelke, 2001. 102 Vgl. D. Dörner, 1989 zu den Formen der Intelligenz als Eigenschaft, Probleme unterschiedlicher Art sinnvoll zu lösen.

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spezielle quantitative Nischen besetzt werden. Für einige Propheten des Lean Management oder Business Reengineering103 existieren nur die Situationen des akuten Notstandes und der Kosten- und Minimalorientierung. Allerdings ist das immer ein Zeichen dafür, dass nicht zur rechten Zeit an eine Fortentwicklung gedacht oder sie lange machtvoll aufgehalten wurde. Eine wirkliche, nachhaltige Evolution wird hier nicht angestrebt. Die operative Hektik lässt hier keine Spielräume für dauerhafte und oft mühsame Verbesserungsprozesse. In diesen Fällen kann es erfolgreicher sein, die Regeln nicht zu befolgen, denn sie machen nur den ganzheitlichen und dauerhaften Erfolg gemäß der Definition RoIn wahrscheinlicher. Der Erfolg beschränkt sich bei Minimalstrategien hingegen auf kurze Fristen und auf rein ökonomische Ziele. In minimalorientierten Unternehmen wird deshalb viel Engagement aus Angst, Neid, Konkurrenzdenken und Misstrauen zurückgehalten und die Akteure fristen frustriert oder neurotisiert ihr Dasein.104

4.4 Das Modell der evolutionären Planung Mit den skizzierten Mustern können Bewertungen von Projekten, Ideen und Produkten vorgenommen werden. Es wird also geplant, welche Alternativen am ehesten der dauerhaften Entwicklung zuträglich sind. Bei dieser Selektion werden in der Praxis vornehmlich anschauliche Portfolios und Scorecard Modelle verwendet. Bevor das evolutionäre Modell vorgestellt wird, möchte ich kurz das klassische Konzept in Erinnerung bringen und kritisch reflektieren. 4.4.1 Das klassische Portfolio-Konzept Ein in Praxis und Wissenschaft etabliertes Modell zur strategischen Unternehmensplanung ist die Portfolio-Analyse. Der Ursprung des PortfolioKonzeptes105 liegt in der Finanzwirtschaft, wo bei der Zusammenstellung von Wertpapier-Portfolios – im Hinblick auf Risikostreuung und Gewinnmaximierung – nach diesem Konzept vorgegangen wird, um eine optimale Mischung der Anlagen zu erzielen. Übertragen auf die Strategische Planung wird, ausgehend von den Unternehmenszielen, eine ausgewogene Konstellation der Strategischen Geschäftseinheiten (SGE)106 eines Unternehmens unter Gewährleistung eines bestimmten Liquiditätsniveaus (Finanzmittelfreisetzung und Finanzmittelverbrauch) und unter Berücksichtigung der leistungswirtschaftlichen Rahmen103 Vgl. insbesondere G. Bergmann, 1996b. 104 Vgl. ausführliche Darlegung der Organisationskulturen bei G. Morgan, 1996. Vgl. insbesondere die Ausführungen zu „Psychic Prisons“ und „The Ugly Face“ S. 215 ff. und S. 301 ff. 105 Die kurze Darstellung dient nur zum Verständnis des zu entwickelnden Konzeptes des Evolutionsportfolios und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. 106 Häufig werden auch die Begriffe Strategisches Geschäftsfeld (SGF), Strategischer Geschäftsbereich (SGB) oder strategic business unit (sbu) verwendet (jedoch nicht immer synonym).

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bedingungen (Produktion und Absatz) bestimmt. Strategische Geschäftseinheiten repräsentieren in der Regel „sinnvolle“ Produkt- Markt- Kombinationen, die im Rahmen des strategischen Planungsprozesses eigenständig zu analysieren und zu planen sind, wobei eine sinnvolle Abgrenzung der Geschäftseinheiten häufig sehr schwer fällt.107 Die Analyse einer SGE konzentriert sich auf zwei Komponenten: vom Unternehmen direkt beeinflussbare Faktoren (Stärken und Schwächen der Unternehmung) und vom Unternehmen nicht oder sehr indirekt beeinflussbare Faktoren (Chancen und Risiken der Umwelt). Diese Komponenten werden in der für die Portfolio-Analyse typischen Darstellungsform in einer zweidimensionalen Matrix verknüpft,108 in der die jeweiligen Strategischen Geschäftseinheiten positioniert und mittels geeigneter Bewertungslisten analysiert werden. Aus dieser Positionierung sollen schließlich Strategieempfehlungen (strategische Stoßrichtungen) abgeleitet und Ziel-Portfolios entwickelt werden. Theoretisch untermauert wird das klassische Portfolio-Konzept durch das Modell des (Produkt-)Lebenszyklus, dem Erfahrungskurveneffekt und die empirische Erfolgsfaktorenforschung. Das Lebenszyklus-Modell geht von der Annahme aus, dass zwischen dem biologischen Leben und dem ökonomischen Produkt-„Leben“ die Analogie „des Gesetzes des Werdens und Vergehens“ besteht. Charakteristisch für einen (idealtypischen) Produktlebenszyklus ist die Annahme einer glockenförmigen Umsatzkurve über alle Phasen: Einführungsphase, Wachstumsphase, Reifephase, Rückgangsphase. Das Lebenszyklus-Modell liefert somit einen Umsatzverlauf für ein Produkt (Produktgruppe, SGE) in Abhängigkeit von der Zeit und dient vornehmlich zur Klassifizierung strategisch relevanter (zeitlicher) Phasen. Der Erfahrungskurveneffekt basiert auf der empirisch belegten Annahme109, dass die realen (preisbereinigten) Stückkosten eines Produktes um einen relativ konstanten Prozentsatz von 20–30 % zu fallen scheinen, wenn sich die in der Zeit kumulierte Produktionsmenge verdoppelt. Die Kostensenkung wird dabei durch die konsequente Nutzung von Lern-, Losgrößendegressions-, Innovationseffekten u. a. erzielt und hat somit potenziellen Charakter. Der hyperbolische Zusammenhang (bei linearer Skalierung) zwischen kumulierter Produktionsmenge und realen Stückkosten ist Basis für die Prognose von (langfristigen) Kosten-, Preis- und damit Gewinnentwicklungen. Erfolgsfaktoren sind Schlüsselgrößen, die den Unternehmenserfolg determinieren sollen. Zur Formulierung von Erfolgsfaktoren werden zumeist empirische Untersuchungen zugrunde gelegt, in denen mittels statistischer Analysen (Kor107 Vgl. hierzu die einschlägige Literatur: z. B. R. Köhler, 1991; H. Meffert, 1986; J. Becker, 1992 und W. Hopfenbeck, 1998. 108 Ebenda. 109 Erstmalig von der Boston Consulting Group Ende der 60er Jahre mittels Empirie festgestellt.

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relations- und Regressionsanalysen) nach Gesetzmäßigkeiten zwischen den Determinanten (Einflussvariablen) und den Erfolgsgrößen als abhängige Variable gesucht wird. In der wohl bekanntesten Untersuchung dieser Art, dem PIMSProjekt110, wurde so u. a. ein positiv korrelierter Zusammenhang zwischen dem Marktanteil einer SGE und dem erzielten RoI beziehungsweise dem erreichten Cash-Flow ermittelt. Die Erfolgsfaktoren finden in den Bewertungen der Unternehmens- beziehungsweise Umfeldkomponente des Portfolios ihre Anwendung. Bedeutung der klassischen Portfolio-Konzepte Die Portfolio-Analyse hat sich als aussagekräftiges Planungsinstrument im strategischen Marketing-Management bewährt. Die Entwicklung des Konzeptes vom Boston-Portfolio über zahlreiche Varianten bis zum umfassenden Portfolio-Management belegt seine Bedeutung111 im strategischen Planungsprozess. Die Anschaulichkeit der Darstellung, die relativ einfache Handhabung und die guten kommunikativen Eigenschaften zählen zu den nachweisbaren Vorteilen der Portfolio-Analyse. Demgegenüber können jedoch auch einige methodische Kritikpunkte angeführt werden: - Zweidimensionalität der Analyse und Aggregation der Schlüsselgrößen, - statische Betrachtung in turbulenter Umwelt, - nur indirekte Berücksichtigung der Konkurrenten (keine Abbildung von Reaktionen), - das Ergebnis ist stark von subjektiven Einschätzungen (z. B. bei Abgrenzung der SGE, Bewertung und Auswahl der Schlüsselgrößen) abhängig, - alle Positionierungen sind eher „unscharf“, es existieren zum Teil widersprüchliche Ergebnisse, die nur im Dialog vieler Experten harmonisiert werden können, - mögliche Interdependenzen der Schlüsselgrößen können nicht berücksichtigt werden, - durch Konzentration auf bestehende Geschäftsfelder fehlt die Möglichkeit, neue Geschäftsfelder zu integrieren und zu bewerten. Es fehlen somit Hinweise auf Innovationsfelder. Zudem stellt sich die Frage, ob die Märkte als Basis der Portfolio-Analyse eine noch hinreichende Bewertungsgrundlage darstellen: - Die Märkte sind zu klein und zu unvollständig. Sie antizipieren die Geschehnisse nicht. 110 PIMS = Profit Impact of Market Strategies, Strategic Planning Institute Cambridge/Mass. In der Auswertung einer Datenbank mit Informationen aus 450 Unternehmungen bzw. ca. 3000 Geschäftsbereichen in den USA und Westeuropa wurden 37 Einflussfaktoren festgestellt. 111 Portfolios dienen bei der Strategieentwicklung zur Orientierung durch Ableitung grundsätzlicher strategischer Richtungen (Normstrategien).

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- Die Märkte sind nicht transaktionskostenfrei und es bilden sich Präferenzen. - Die Märkte sind zudem kaum abgrenzbar, es ist kaum möglich, relevante Märkte zu definieren.112 - Auch die Unternehmen sind quasi grenzenlos.113 Die Unternehmen lassen sich immer weniger voneinander abgrenzen. Es existieren engere und weniger enge Bedürfnisse und Beziehungen zwischen den verschiedenen Akteuren. Wie in einem Zwiebelmodell nimmt die Intensität der Identifikation nach außen hin ab, ohne dass eine klare Organisationsgrenze existiert. Die Positionierung in Relation zum stärksten Konkurrenten (relativer Marktanteil beziehungsweise Wettbewerbsstärke) verliert an Aussagekraft: - Die Branchen vermischen sich (z. B. die Telekommunikation und Neue Medien). - Die Unternehmen lassen sich immer weniger voneinander abgrenzen (Kooperationen, joint ventures, Allianzen etc.). - Die Intensität der Beziehungen zwischen verschiedenen Akteuren variiert. - Jeder erfolgreiche Marktteilnehmer kann sich in nahezu jedes Gebiet einkaufen. - Die Produkte sind technisch austauschbar und reproduzierbar (technologisches Patt). Die bei der Positionierung zugrunde gelegten Bewertungskriterien sind im Hinblick auf ihre „Gesetzmäßigkeit“ zu revidieren: - Die Erfolgsfaktoren (Schlüsselgrößen) haben interdependenten Charakter. - Die Erfolgsfaktoren sind nicht kontextneutral (z. B. branchenabhängig). - Die Erfolgsfaktoren sind zeitabhängig, ihre Bedeutung variiert im Zeitverlauf. Wegen der dynamischen Komplexität der Kontexte erscheint es höchst problematisch, mit statischen Modellen zu arbeiten. Prognosen sind kaum möglich, Trends und Entwicklungen verlaufen mit abrupten Brüchen unvorhersehbar. Den diversen Entwicklungen spontan zu folgen erscheint problematisch, weil dann das Image und die Technologie jeweils angepasst werden müssten. Deshalb wollen wir in den drei Prämissen der klassischen Portfolio-Analyse zeitkonstante Muster einbauen: Bei speziellen Problemlösungsbereichen (Bsp.: Kleinstserienfertigung, Auftragsfertigung, Losgröße 1) sind die Kostensenkungspotenziale über hohe Stückzahlen sehr begrenzt. Es kann deshalb die Kostendegression durch die ag112 In der Automobilbranche werden seit Neuestem sogar die Typen und Modellklassen kombiniert. Diesel Motoren für Cabrios, Sportwagen für OffRoad usw. In den Medien agieren Handelskonzerne und Banken und Versicherungen überwinden die bisherigen Branchengrenzen usw. 113 Vgl. dazu A. Picot/R. Reichwald/W. T. S. Wigand, 1996.

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glomerierte Erfahrung, also nicht objekt-, sondern prozessbezogen, genutzt werden. Die Unternehmen gewinnen Erfahrung in komplexen Lösungsprozessen (Erfahrungskurveneffekt). Der Lebenszyklus der Produkte soll verlängert werden, indem das Konzept der Syntropie und der Kreisläufe genutzt wird. Wir setzen deshalb auf das Konzept der Sinnlich Syntropischen Produktentwicklung.114 Es werden zeithaltige und wertige Angebote entwickelt, die eine lange Zeit Bestand haben. Dies wird durch amodische Gestaltung, sinnliche Differenzierung, langlebige Qualität, Immaterialisierung und modulare Bauweise ermöglicht. Die Erfolgsfaktoren werden wie geschildert als zeitstabile, metasystemische Muster (Spielregeln, Best Patterns) und nicht als aktuelle Wettbewerbsvorteile ermittelt. Die aus der klassischen Portfolio-Analyse ableitbaren Normstrategien sind sehr stark vom „Konkurrenzdenken“ geprägt und zielen zumeist auf eine relative Erfolgsposition (zum stärksten Konkurrenten). Diese Vorgehensweise bietet eine einfache Orientierungsmöglichkeit, birgt aber auch die Gefahr in sich, Erfolgspotenziale zu übersehen. Synergetische win/win-Konstellationen durch kooperatives Verhalten sind mit diesen Normstrategien kaum zu erreichen. Auch die aus den klassischen Umwelt- und Unternehmensanalysen resultierenden strategischen Stoßrichtungen sind in diesem Sinne zu überdenken. Nicht Verdrängung und Beeinflussung, sondern Kooperation und Beziehung heißen die Inhalte einer an die neue Umweltdynamik angepassten Strategieempfehlung. Unternehmen versuchen in komplexen Kontexten mit anderen kompetenten Anbietern solare Unternehmen zu bilden, um die eigene Kernkompetenz zu erweitern und bessere Resonanz am Markt zu erzeugen. 4.4.2 Das evolutionäre Portfolio-Modell Das Evolutionsportfolio kann als Weiterentwicklung klassischer Portfolios und als umfassendes Scorecard-Modell gesehen werden. Hier werden die zeitstabilen Konzepte genutzt, um die Stärken und Schwächen einer Unternehmung sowie Kontexte auf Chancen und Risiken zu bewerten. Es werden stärker gestaltbare (eigene Organisation) von weniger beeinflussbaren Systemen (Kontext) unterschieden. Als Lösungsfelder können komplexe Problemlösebereiche (Lösungsfelder) definiert werden, die über konventionelle Branchen hinausgehen. Unternehmen bieten beispielsweise alle Lösungen für das Hausdach (Braas), für Licht (Erco), für die Verbindung zwischen Habitat und Mensch (HEWI) oder Inneneinrichtungen (Hülsta). Die jeweiligen Materialien und Technologien sind dabei sehr verschieden. 114 Vgl. G. Bergmann, 1996 S. 110 ff.

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Die Ist-Positionierungen können nur im Dialog angenähert werden (Unschärfepositionierung), bei Prognosen über die Wirkung von Strategien wird es noch unsicherer. Insofern erscheint es sinnvoller, zeitunabhängige Positionierungen anhand der Kontext- und Verhaltensmuster zu versuchen. Die prinzipielle Darstellungsform wird aus Gründen der Anschaulichkeit beibehalten. Als bewertbare Objekte werden die evolutionären Lösungsfelder (ELf) verwendet, die an der Kernkompetenz ansetzen. Es kann sich dabei wiederum um Produkte und Organisationen handeln, die die Lösung darstellen. Es sind System-/KontextKombinationen. Ein System bietet einen mehr oder minder nutzvollen Lösungsbeitrag im jeweiligen Kontext. Evolutionäre Lösungsfelder (ELf) entstehen durch die Verknüpfung des Unternehmens mit seinem Kontext. Die Verknüpfung wird durch Problemlösungsangebote, die jeweils auf differenzierte Zielgruppen gerichtet sind, hergestellt. Die Differenzierung erfolgt mit Hilfe der Persönlichkeitsbilder, der Wahrnehmungsund Bedürfnismuster (Kontextmuster). Um Aussagen über zukünftige Attraktoren formulieren zu können, wird die mögliche Entwicklung der Zielgruppen mit Hilfe der Szenario-Technik in interaktiven Dialogen simuliert. Die so erhaltenen konkreten Ergebnisse dienen als Bewertungskriterien der Kontextattraktivität (Ordinate). Auf der Abszisse wird nach Maßgabe der evolutionären Spielregeln, die nach Branche, Größe, Technologie etc. konkretisiert werden müssen, die Evolutionsfähigkeit des ELf bewertet. Die Abgrenzung beziehungsweise Bildung eines Evolutionären Lösungsfeldes (ELf) wird nach folgenden Kriterien vollzogen: - Auswahl der spezifischen Bedürfnisebene - Auswahl der spezifischen Wahrnehmungsmuster - Auswahl der „anzusprechenden“ Persönlichkeitsbilder - Auswahl der Problembereiche, die „gelöst“ werden sollen/können - Bestimmung der „bevorzugten“ Symbole der Persönlichkeitsbilder - Auswahl der Symbole und Wahrnehmungsmuster, über die angesprochen werden soll - Bestimmung der Kernkompetenz (Problemlösungspotenzial) in diesem Problembereich (vorhandene Problemlösungsmethoden und deren Qualität) - Auswahl der Problemlösungsmethoden - Bestimmung der Problemlösungsangebote Bei dem Evolutions-Portfolio-Modell soll zunächst von einer zweidimensionalen Betrachtungsweise ausgegangen werden. Hier wird zwischen Kontextattraktivität als Dimension auf der Ordinate und Entwicklungsfähigkeit der Unternehmung als Dimension auf der Abszisse unterschieden. Als wesentlicher Unter-

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schied gilt hier die Suche nach metasystemischen und relativ zeitkonstanten Größen. Deshalb wird das Problem einer statischen Betrachtung umgangen. Zum einen können Kundensysteme mit der Persönlichkeits- und Wahrnehmungsforschung sowie der Bedürfnisanalyse auf Vielfalt und differenzierte Zielgruppenansprache überprüft werden. Die Kontexte werden zum anderen mit Methoden der Zukunftsforschung (Szenarien, Delphi, isss)115 bewertet. Es wird dabei versucht zu bewerten, welchen dauerhaften Wert (Syntropie) die Unternehmung durch ihre Angebote dem Kontext anbietet und welche dauerhaften Beziehungen entwickelt werden. Hier wird also der Kontakt der Organisation zum zukunftsfähigen Kontext bewertet. Konkreter: Die Kunden können nach der angesprochenen Bedürfnisebene (Sicherheit, Selbstgestaltung etc.), ihren bevorzugten Wahrnehmungsmustern (kinästhetische, visuelle etc.) und ihren typischen Persönlichkeitsmerkmalen differenziert werden.116 Es werden dann die speziellen Kundengruppen im Hinblick auf ihre Perspektiven bewertet und überprüft, wie weit die eigene Unternehmung in der Lage ist, zu diesen Unternehmen gute Beziehungen aufzubauen und weiterzuentwickeln. Es geht also nicht um die Ermittlung von Trends, sondern die strukturelle Bewertung von Kommunikationsereignissen. Es werden Eigenschaften von Kontexten untersucht, die metasystemisch betrachtet, erfolgversprechend erscheinen. Zusammen mit der Betrachtung der Erfolgsspielregeln als Bewertungsmuster der Evolutionsfähigkeit ergibt sich eine Bewertung unter Berücksichtigung komplexer Dynamik. Innerhalb einer Unternehmensbewertung werden also auf der Ordinate die Kontextattraktivität und deren Entwicklung bewertet. Es wird zudem überprüft, ob das Unternehmen differenziert, nutzenorientiert und antizipativ versucht, diese attraktiven Kontexte anzusprechen. Es geht um den Prozess der Erstellung und Spezifizierung von nutzvollen Leistungen. Im Einzelnen wird hier gemessen, inwieweit attraktive Kontextmuster ermittelt und angesprochen werden: Das Vorgehen: Wahl der Muster attraktiver Kontexte – Auswahl metasystemischer Marktsegmente nach Bedürfnis- und Persönlichkeits- und Wahrnehmungsmustern – Einschätzung von wahrscheinlichen Zukünften. (Hier werden also verschiedene Szenarien für attraktive Marktteilnehmer ermittelt) Bewertet wird das Ausmaß der Bedienung vielfältig, differenzierter Zielgruppen – die Nutzenstiftung – die Kommunikation von Werten für die verschiedenen Rezipienten – die Qualität der Kommunikationsbeziehung (System-Kontext). Auf der Abszisse wird die Evolutionsfähigkeit (beziehungsweise Turbulenzresistenz) des Unternehmens bewertet. Hier wird also die Fähigkeit zur Multistabili115 Vgl. G. Bergmann/G. Meurer/M. Pradel, 1998. Dort sind auch weitergehende Erläuterungen zur Portfoliokonzeption gegeben. 116 Siehe auch Kapitel. 3.1.

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tät, zur Wahrnehmung von Neuigkeiten und soft factors, zur ganzheitlichen Erkennung der Kontextentwicklung, zur Evolution, zur lernenden Organisation, zur Entwicklung marktgerechter Problemlösungen, zur Integration von Vielfalt in einer starken Identität, zur Problemlösung und zur Entwicklung guter Binnenbeziehungen gemessen. Im Prinzip werden die wesentlichen Dimensionen der schon skizzierten Balanced Scorecard hier abgeprüft. Die Best Patterns werden vermittelt über den Bereich Lernen und Entwicklung als Kriterien für die Bewertungsdimensionen genutzt. Ziel ist es, die Evolutionsfähigkeit von Unternehmen und Organisationen zu bewerten, ihr Evolutionspotenzial zu erhöhen und durchhaltbare Lösungen (sustainable solutions) zu entwickeln. Bewertet werden alle – vom Kontext wahrnehmbaren – Problemlösungsangebote und/oder Beziehungen des Unternehmens, hier zusammenfassend als Evolutionäre Lösungsfelder (ELf) bezeichnet, hinsichtlich (zukünftiger) Kontextattraktivität und (interner) Evolutionsfähigkeit.117 Die Identifikation von ELf`s dient als mögliche Zielpositionierung. Es wird ein wünschenswerter Zustand formuliert. Die aktuellen Strategischen Lösungsfelder (SLf) können in Relation gebracht werden, um eventuelle gaps zu ermitteln. Es wird zum Beispiel konkret untersucht: - welcher Kontakt (zwischen Marktangebot und Kunde) in welcher Qualität zustande kam, welche Bindungsintensität und -qualität entstanden ist - wie die Organisation in den zukunftsfähigen Kontext passt - wie das Strategische Lösungsfeld beziehungsweise das Projekt oder Produkt118 in den zukunftsfähigen Kontext passt - wie lange sich die Systeme voraussichtlich bewähren werden - wie wahrscheinlich es ist, dass die Erstellungsprozesse weitere nutzenstiftende Produkte evozieren Das Portfolio dient dabei als Bild oder Metapher, ohne dass die Bewertung von Evolutions-Lösungsfeldern (ELf) (System-Kontext-Systemen) exakt ermittelt werden könnte. Im Grunde spielen die konventionellen Methoden aber auch nur eine Genauigkeit vor, die nicht gegeben ist. Vielmehr sind die beteiligten Akteure immer darauf angewiesen, im Dialog der realistischen Bewertung näher zu kommen. Es bleiben immer Ungenauigkeiten und Imponderabilien übrig. Die ganzheitliche Bewertung kann erreicht werden, wenn die Gremien plural zusammengesetzt sind. Gerade diese Teamarbeit im strategischen Bewertungsund Entscheidungsprozess wird aber in der klassischen Literatur fast nicht the117 Weitergehende Ausführungen bei G. Bergmann/G. Meurer/M. Pradel, 1998. 118 Produkt wird hier als materielles und immaterielles Marktangebot verstanden, vgl. auch G. Bergmann, 1994. Produkte sind als manifestierte Kommunikation immer Ausdruck der zugrundeliegenden Unternehmenskultur, aus der sie entstammen.

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matisiert. Oft stehen die Ergebnisse und Inhalte im Vordergrund, die von einem imaginären Einzelakteur119 mit Hilfe der Methoden entwickelt werden. Die Realität sieht anders aus. Unschärfen der Ist- und Sollpositionierung müssen in Kauf genommen werden. Ist- und Plan-Werte stimmen nicht überein. Mehrere Akteure konstruieren unterschiedliche Realitäten, die sinnvoll, das heißt ohne unzulässige Vereinfachungen (Abkürzungen, Machteingriffe) kumuliert werden müssen. Dabei erscheint es besonders wichtig, die interne und externe Sphäre zu integrieren. Vereinfacht gesagt: Es gilt die Marktseite mit der Binnensicht zusammen zu bringen. Integrierte Kommunikation heißt dann, Marktkommunikation aus den Entstehungsbedingungen zu beleuchten. Es genügt darüber hinaus nicht, sinnvolle Erkenntnisse zu sammeln, sondern es ist auch besonders wichtig, das permanente Lernen in der Organisation, bei den Akteuren zu verankern. Dies gelingt besonders durch die Gestaltung einer geeigneten Atmosphäre, dem erkennenden Handeln und dem Schaffen von Gelegenheiten zur dialogischen Interaktion. Die Gestaltung von Lernumgebungen wird damit zur zentralen Aufgabe des Managements. Zudem erscheint es notwendig, die Entscheidungsprozesse unter systemischem Blickwinkel genauer zu betrachten.

Abb. 4.3: Das Evolutionsportfolio

119 Vgl. zur Kritik an diesen Prämissen der klassischen BWL P. Pitcher, 1998.

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4.5 Der Planungsprozess: Lösungsfindung im Dialog Wenn schon die individuelle Lösungsfindung ein verwickeltes Problem darstellt, ergibt sich durch Teamarbeit vielleicht eher eine gute Entscheidung. Doch auch hier können viele Fallen auftauchen, die sinnvolle Lösungen gegebenenfalls noch unwahrscheinlicher werden lassen, weil Eitelkeiten und Konflikte während der Lösungssuche auftreten. Unterschiedliche Persönlichkeitsstile, Werte, Wahrnehmungen, Erwartungen und Interessen wirken sich auch deutlich auf Entscheidungsprozesse aus, die in Teams und Projekten durchlebt werden. Deshalb ist es von großer Bedeutung, die multiplen Realitäten und Bedürfnisse abzustimmen und gemeinsame Problemfeldrealitäten zu entwickeln. Im Lernund Lösungszyklus (Solution Cycle) bietet sich ein Modell der organisatorischen Problemlösung, das in allen Ebenen und Bereichen einsetzbar ist. Wenn diese Methodik einheitlich verwendet wird, können die Teilplanungen, weil die Akteure ein ähnliches Grundverständnis aufweisen, sehr gut koordiniert werden. Dabei brauchen die Teilpläne nicht stringent von oben nach unten durchgeplant zu sein, was angesichts der dynamischen Umfeldkomplexität sowieso mehr als problematisch erscheint. Es wird sozusagen methodisch integriert. Wir konnten in der Praxis gute Erfahrungen mit der methodischen Integration machen. Es entwickelt sich eine „Weltsprache“ der Verständigung. Alle Akteure werden mit dem Vorgehen in der Lösungsorientierung und dem Lern- und Lösungszyklus vertraut gemacht. Dann kann Jede(r) relativ schnell in Teams und Projektgruppen integriert werden und den Prozess im Sinne des „HeinzelmenschenPrinzips“ positiv beeinflussen. Die Akteure benötigen dann weniger eine Koordination über Pläne und Regeln und fühlen sich besser und intensiver eingebunden. Selbstorganisatorische Spielräume können genutzt und ausgeweitet werden. Im Kapitel I 7 erläutere ich den dafür sinnvollen organisatorischen Rahmen, der es ermöglichen soll, das kollektive Wissen und Engagement für den Innovationsprozess nutzbar zu machen. Auch hierbei erhöhen offene Spielräume die Innovationskraft. Die Akteure sollten die Möglichkeiten erhalten, die jeweilige Thematik mit zu beschreiben, eigenständig stimmige Methoden und Wege der Lösungsfindung zu kreieren, also intensiv mitzuwirken. Planungs-, Entwicklungs- und Lösungsprozesse erweisen sich angesichts der Umfeldkomplexität als höchst emergent.120 Es ist aus der Anfangssituation kaum ersichtlich, wie das Ergebnis ausfällt. Dem Management bleibt lediglich die Chance, als Ermöglicher (facilitators) aufzutreten, also durch indirekte Prozesssteuerung Orientierungsmuster in Anwendung zu bringen. Es wird ein stimmiger Rahmen geschaffen, indem Innovationsprozesse stattfinden können und es werden neue hilfreiche Methoden bereitgestellt. Die Ziele, Ideen und Anstöße können dabei aus 120 Vgl. anschauliche Darstellung bei G. Schreyögg, 1998 und Darstellung des Produktentwicklungsprozesses bei G. Bergmann, 1998a.

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unterschiedlichen Ebenen, Bereichen stammen und sie evolvieren im Prozessverlauf. Das Management steuert lediglich die Spielregeln, schafft also erkenntnisfördernde Dialoge, erzeugt Möglichkeiten ohne stringente und damit einengende Projektplanung zu betreiben.121 In der folgenden Abbildung sind die idealtypischen Schritte und Ebenen der Planung und Entscheidung veranschaulicht. Die Entscheidungsprozesse verlaufen wiederum in acht Schritten. Es lassen sich die normative Ebene (Werte, Regeln, Philosophie), die innovative (Idee, Erneuerung, Impuls) die strategische (Organisation, Strategie) und die operative (Ausführung) unterscheiden. Jede Unternehmensorganisation oder Projektentwicklung verläuft in den Phasen des Lern- und Lösungszyklus. Prozesse auf abstrakter Ebene schließen konkrete, umfassende und spezielle ein. Nachdem ich an anderer Stelle intensiv die Unternehmensentwicklung beschrieben habe,122 sei hier ein kurzer Blick auf die Produktentwicklung gestattet, um damit den Projektzyklus zu präzisieren. Die normative Ebene (Werte, Regeln, Philosophie) stellt den Rahmen dar, indem die Entwicklungsprozesse ablaufen. Es wird das Ausmaß an Kontextsensitivität beschrieben, also inwiefern die Unterscheidung zum Umfeld aufrechterhalten werden kann, ohne das System zu gefährden. In diesem Rahmen wird bewusst versucht, die Wahrnehmung zu öffnen und neue Orientierungsfelder zu finden. Erst danach werden für die jeweilige Unternehmung sinnvolle Betätigungsfelder definiert und Bedarfe beschrieben. Von besonderer Bedeutung ist jeweils die Möglichkeit, das Unerwartete zu tun, das geradezu regelmäßig Unregelmäßigkeiten einführt, die das soziale System konfrontativ trainieren. Innovation lebt von der unbestimmten Andersartigkeit, von offenen Zeiträumen ohne konkrete Terminierung und inhaltliche Fixierung. Wenn neue Felder erkannt und definiert wurden, kann mit der Lösungssuche begonnen werden. Es werden nach der perzeptiven Phase neue Möglichkeiten kreiert, später geplant und in strategische Geschäftsfelder organisiert, Nutzwerte definiert und schrittweise aus den Ideen Produkte geformt, die als das „Hervorgezogene“ Ausdruck der sozialen Sphäre sind, in der sie entstanden. Sie bilden manifestierte Kommunikation aus der Atmosphäre, den Umgangsformen und Sprechweisen während der Produktentwicklung. Eine offene kommunikative Atmosphäre erhöht dabei die Wahrscheinlichkeit gelingender Entwicklung, da Beziehungsnetze, geheime Regeln, Werte und privates Wissen für den Erneuerungsprozess wirksam und offenbar werden. Letztlich dient die reflexive Phase der Systematisierung förderlichen Prozessdesigns, um es in verbesserten Folgeprozessen einsetzen zu können. 121 In einem Special des Economist zur Innovation wird deutlich, dass die Erneuerer Raum für Kreativität brauchen, sich von kontinuierlichen Verbesserern signifikant unterscheiden und, dass alle Innovationsprozesse eigentümlich überraschend verlaufen. Orientierungsmuster lassen sich aber trotzdem finden. Vgl. Economist v. 20. 2. 1999, Special Survey Innovation in Industry. 122 Vgl. G. Bergmann, 1996.

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normativ innovativ strategisch

operativ

Muster, Regeln - Bedürfnisse - Teams, Ideen - Pläne - Aktionen 1

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Prozessverlauf Rahmen - Möglichkeiten - Lösungen - Nutzen - Produkte - Reflexion Jeweilige Bewertung beim Übergang von der einen zur nächsten Sphäre

Abb. 4.4: Das Prozessdesign Nachdem hier die Planungs- und Entscheidungsprozesse mit der Mustererkennung und -anwendung dargestellt wurden, soll das nächste Kapitel die Realisation, die aktive Veränderung veranschaulichen. Im Zentrum stehen hierbei die diversen Formen der kontextuellen Steuerung über systemische Interventionen und die Veränderung der Kommunikation.

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5 Aktive Veränderung Verwirklichen, Intervenieren, Implementieren und Agieren sind in diesem Kapitel die typischen Begriffe. Es geht um das handelnde Verwirklichen, die sichtbare Aktivität zur Veränderung. Zum Beispiel werden Lösungen konstruiert und Varianten, seien sie nun materieller oder immaterieller Art, entwickelt. Hier wird die „Brücke“ gebaut, die später begangen werden soll. Der Leitspruch heißt: „getting others to do the right things“. Verhalten wird modelliert und evoziert, indem mit zielgerichteter Kommunikation interveniert wird. Die Aufgaben: - Kontexte gestalten - Pläne realisieren - Intervenieren Die Methoden: - Sprachwahl, Konfluenz - Systemische Fragen - Architekturen und Designs - (Zeit-)Räume schaffen - Rollenspiele - Systemspiele PePsel: - zu enger Rahmen - Vorherbestimmen, wenig integrieren - Kontrollieren und direktiv steuern - iatrogene PePsel erzeugen - Verwalten, kopieren

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5.1 Wege systemischer Veränderung Aus der Theaterarbeit und Choreographie ist das Kreieren von Räumen bekannt. Eine Inszenierung entwickelt sich in einem Rahmen aus textlichen Vorgaben, dem Bühnenbild und den Einwürfen der Regisseure relativ selbstorganisierend. Besonders die berühmte Choreographin Pina Bausch gibt bei ihren Stücken nur die Grundidee und das Bühnenbild vor und entwickelt mit den Tänzern interaktiv den Ablauf und die Details. Es existiert kein fest gefügter Plan, eher eine Vorstellung von Möglichkeiten, die dann situativ ausgebildet und erweitert wird. Diese emergenten Entwicklungsprozesse eröffnen Räume für Phantasie und Ideen und lassen das Unplanbare und Ungewöhnliche entstehen, das den entscheidenden Unterschied macht. Soziale Systeme können im Prinzip drei Zustände annehmen: Ordnung – NichtOrdnung und Phasenübergänge. Für die Leitung eines Unternehmens ergeben sich daraus zwei wesentliche Aufgaben, nämlich eine geordnete Struktur aus Chaos zu bilden sowie vorhandene Ordnungen aufzubrechen. Konventionelles Management konzentriert sich oft auf die Verfeinerung, Optimierung und Spezifizierung vorhandener Systeme und vernachlässigt die metasystemische Sicht. Praktische Veränderung findet aber am Rande der Gauß’schen Normalverteilung statt. Soziale Systeme tendieren zur Selbsterhaltung und sind deshalb durch gezielte Impulse, Provokation und weitere Formen der Störung aus ihrem Gleichgewicht zu bringen. Für mich erweisen sich die „schrägen“ Gedichte neuerer Poesie von Thomas Kling oder Durs Grünbein als angenehme Störungen gewohnter Sichtweisen. In Unternehmen können vielleicht moderne „Hofnarren“ Impulse und andere Perspektiven erzeugen. Es werden dann Phasenübergänge eingeleitet, in denen ein „Servoeffekt“ auftritt, den viele LeserInnen vom Ein- und Ausparken kennen: Wenn das System nur etwas in Bewegung gerät, dann ist es erheblich leichter zu steuern. Zentrale Aufgabe ist deshalb, die permanente Suche nach Veränderungsmöglichkeiten, also die Einleitung von Ordnungsbrüchen, um dem abnehmenden Grenznutzen der systemischen Optimierung zu entgehen. Geordnete Systeme entstehen aus der ins Gleichgewicht geratenen Kommunikation über Regeln und Normen, Vorschriften, Verhaltensweisen oder Strukturen. Sie wehren sich vehement, ihre eingespielte Strukturform zu verlassen, aber sie können durch subtile, oft spielerische und überraschende Impulse und ein vielfältiges Repertoire der Interventionen zur Entwicklung veranlasst werden. Die Beeinflussung anderer Menschen in ihrem Denken, Fühlen und Verhalten ist nur beschränkt und mittelbar möglich. Ich kann niemanden dazu zwingen oder überreden, mich zu lieben oder zu hassen. Genauso werde ich nur unter Zwang (Zwangsernährung) eine Cola trinken (weil ich sie nicht mag). Ich kann

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aber die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass mich jemand mag oder gar attraktiv findet, indem ich die Rahmenbedingungen und die Atmosphäre verändere. Genauso kann ich eine positive Einstellung zum Objekt Cola erlangen, wenn sie in anderem Lichte (z. B. bewirkt durch Werbung) erscheint. Grundsätzlich lassen sich die evokative und die provokative Einflussnahme unterscheiden. Die Provokation erlaubt eine direkte Auslösung von Reaktionen aus einem beschränkten Repertoire, während die Evokation indirekten Einfluss über die Steigerung der Bewusstheit und die Mobilisierung von Ressourcen des Klienten ausübt. Beide Formen können als systemische Intervention begriffen werden, wobei Letztere eher als angemessene, weil behutsame Form in komplexen Systemen erscheint.123 Provokative Therapie124 kann sich bei sehr hartnäckigen und verfestigten Strukturen als durchaus angemessen erweisen. Die rücksichtsvolle und sensible Art des Vorgehens wird durch ein zwar freundschaftliches, aber impulsives Reden „im Klartext“ ersetzt. Damit ist die Provokation auch als paradoxe Intervention zu sehen. Anordnung und Kontrolle sind hingegen Formen von Kommunikation, die kaum den vom Akteur gewünschten Erfolg zeitigen. Es sind mögliche, aber nicht unbedingt sinnvolle Aktionen, die wie alle Eingriffe auch Neben- und Folgewirkungen unvoraussehbarer Art auslösen. In besonders komplexen Kontexten geschehen aufgrund „eindeutiger“ Anordnungen sehr überraschende Dinge. Kontrolle andererseits kann die Arbeit negativ beeinflussen, wie jeder Mensch aus der Schule weiß. Zudem verändert schon die reine Beobachtung die Prozesse und Resultate, wie schon durch Heisenbergs Unschärferelation auch in sehr „kleinen“ Kontexten nachgewiesen wurde. Kreatives Problemlösen und effektive Kommunikation gelten deshalb als zentrale Voraussetzung, in komplexen Systemen sinnvoll zu agieren.125 Besonders zu beachten bei den systemischen Interventionen sind die verschiedenen levels of system.126 Es gilt in jedem Fall zu prüfen, welche Personengruppen mit zum relevanten Kontext der Problemfelder gehören. Es ist zum Beispiel relativ sinnlos, Kommunikations- und Konflikttrainings mit Teams durchzuführen, wo der Konflikt strukturell von höherer oder anderer Stelle implantiert wurde. Gerade die sozialen Architekturen dienen dabei zur sinnvollen Grenzziehung und Klärung. Levels of system sind nicht als Hierarchiestufen zu verstehen, sondern beschreiben die Stufen vom Einzelakteur über Gruppen bis zum Gesamtunternehmen oder gar darüber hinaus. Die Interventionsformen sind den levels anzupassen. 123 Vgl. E. C. Nevis, 1988 S. 153 ff. Nevis unterscheidet auch die Vorgehensweise von Sherlock Holmes und Columbo in ähnlicher Weise. Columbo versucht konfluent zu agieren und klärende Aktionen zu evozieren, während Holmes eher provokativ und allwissend auftritt. 124 Vgl. dazu besonders F. Farelly/J. M. Brandsma, 1974. 125 Vgl. u. a. R. Espejo/W. Schumann u. a., 1996, S. 103. 126 Vgl. insbes. E. u. J. Ferchland, 1996/7 und E. C. Nevis, 1988, S. 71 ff.

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Zentrale Medien der Organisation, Planung und des Management sind Impulse (Visionen, Projekte), der Rahmen (Strategie, Budgets, Ziele, Leitlinien) und die Atmosphäre (Foren, Raumgestaltung, Zeiträume etc.). In der Realisierungsphase geht es zentral darum, die physischen, gedanklichen wie sozialen Räume zu gestalten, die eine verbessernde Veränderung ermöglichen können. Zu den physischen Raumgestaltungen gehören die Auswahl der Standorte, Gebäude, Sitzordnungen oder auch Inneneinrichtungen. Soziale Räume kreieren Akteure durch Timing, Sprache, atmosphärische Steuerung aber auch die Bildung von Strukturen wie Teambildung und Themenwahl. Nach Königswieser127 und Exner kann daher zwischen sozialer Architektur, also der Wahl der Sitzordnung, Gruppengröße, Bildung unterschiedlicher Rollen, und dem Design, also der Wahl der Sprache und Themen, unterschieden werden. Zudem kann noch das operative Handwerk mit situativen Handlungen davon gesondert betrachtet werden. Aktive Veränderung durch Kommunikation Die Welt ist so, wie und was erzählt wird. Diesen Erzählvorgang erleben wir als Bewusstsein. Die Dinge sind Informationsmuster, die wir individuell – auf der Grundlage unserer spezifischen Wahrnehmung – bilden. Soziale Systeme bilden sich in Kommunikationsepisoden, also dem Austausch individuell interpretierter Informationen. Somit verändert eine andere Form der Kommunikation beziehungsweise eine veränderte Sprachwahl die Systeme auch. Probleme entstehen aus Kommunikation und können auch durch Kommunikation in Lösungen verwandelt werden. Die oft als eingeschränkt empfundene Entscheidungssituation wird durch diese Sichtweise deutlich erweitert. Es ergeben sich mannigfaltige Verhaltensoptionen. Eine De-Trivialisierung der Kommunikation kann viel zur Verständigung beitragen. An anderer Stelle konnte ich beschreiben, dass gerade die unzulässigen Vereinfachungen der Kommunikation zu Problemen führen.128 Kybernetische Betrachtungen, komplexe Kommunikationsformen sowie die Gestaltung der Kultur und Atmosphäre erhöhen die Wahrscheinlichkeit der Verständigung. Insbesondere überraschende Elemente wie Provokation, Paradoxien, Unerlaubtes, Freches und Unerwartetes ergeben Möglichkeiten der Variation und Beeinflussung. Ein „Servo-Effekt“ entsteht, der ein einfaches Umsteuern ermöglicht. Agieren besteht in systemischer Perspektive hauptsächlich in kreativer und empathischer Kommunikation: Zuhören, Sprechen, Gestikulieren, Nicht-Sprechen usw.

127 Vgl. R. Königswieser/A. Exner, 1998, S. 50 ff. und 149 ff. 128 Vgl. G. Bergmann, 2000b.

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In einer Abfolge von Verstehen, Öffnen und Lernen werden soziale Systeme durch Sprache verändert. Führung und Beratung gelingt im Dialog. Es wird Konfluenz erzeugt, nicht instruktiv beeinflusst, sondern indirekt über das Erzählen und Eröffnen anderer Sichtweisen, durch mittelbare Veränderung des Kontextes.129 In einem ersten Schritt einer solchen unit of work erscheint Wahrnehmen und Beobachten, das Entdecken der Kultur durch Diagnose der Sprache, eines sozialen Systems angemessen. Es geht um Verstehen, Vorfühlen, um Entdecken und Aufdecken der heimlichen Spielregeln, Mythen und Usancen. Die Kunden sind die Kundigen im System. Mit ihrer Hilfe gelangt man unter die Symbolebene, indem die für das System typischen Geschichten erforscht werden. Es sind die Legenden und Heldensagen, die das System zusammenhalten aber auch erstarren lassen. Es wird das Spektrum erweitert, die aktuelle Beziehungskonstellation betrachtet und die Widersprüche und Mehrdeutigkeiten zur Problembeschreibung genutzt. Es wird hier vornehmlich nach den Ressourcen des Systems gefragt, um daraus Potenziale zu entwickeln. Eventuell gibt es genügend Kompetenzen und Möglichkeiten, die aber noch nicht genutzt werden. Der zweite Schritt dient der Öffnung durch Sprache, dem Erzeugen neuer Möglichkeiten und Chancen. Es wird auf der Basis einer ganzheitlichen Wahrnehmung der Möglichkeitssinn entfaltet. Da Probleme zumeist in einer zu engen Sichtweise begründet liegen, werden hier durch Perspektivenwechsel neue Wege und Lösungen aus Stereotypen des Handelns und Denkens aufgespürt. Hilfreiche Geschichten, Metaphern und Sprachbilder lösen Assoziationen und Phantasie aus. Zirkuläres Fragen und gezieltes Stören dienen der Veränderung und leiten zu spielerischem und kreativem Umgang mit der Situation an. Die Sprache erschafft Welt, Chancen und Auswege. Veränderung wird durch überraschende, das System „störende“ Sprachwahl evoziert, es wird modelliert und ausprobiert, weniger desselben praktiziert und plötzlich bildet sich aus emergenten Prozessen die neue Sichtweise, Lösung oder Chance. In einem dritten Schritt können die entdeckten Lösungswege dann in praktisches Handeln überführt und gelernt werden. Das Repertoire der Möglichkeiten hat sich erweitert und aus der Metaebene des reflecting teams wird musterhaft gelernt. Dabei ist es nicht wichtig, dass der intervenierende Akteur vollends inhaltlich verstanden wird oder gar in Allem recht hat, sondern es soll eine Situation erzeugt werden, die den Klienten sich besser verstehen lässt und das Richtige wahrscheinlicher eintreten lässt. Systemisches Handeln besteht im Beobachten, Verdeutlichen und in der Erweiterung von Möglichkeiten. Es wird weniger aus der Position des Wissenden eingegriffen, sondern mehr begleitet, diagnostiziert, erweitert oder angestoßen. Tabus, Denkverbote, Ideologien, Legenden und Wer129 Vgl. bspw. E. Zwingmann/W. Schwertl u. a., 1998, S. 116 f.

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tungen widersprechen dieser Handlungsweise. Es werden eher Grenzen getestet, dunkle Stellen beleuchtet und Unerwartetes und Unerreichtes erschlossen. Die Aktivitäten dazu sind öffnende Fragen und Perspektivenwechsel, Austausch und Erweiterung von Sichtweisen, Zirkularität, also das Aufzeigen von Wechselwirkungen, Hypothesenbildung, respektloser Umgang mit Themen und alten Mustern, Neugierde, Achtung unterschiedlicher Temperamente und Persönlichkeiten, Ressourcen- und Lösungsorientierung sowie Kundenorientierung. Die „Problemträger“ oder „-wahrnehmer“ sind die Experten. Sie tragen alle Ressourcen und Möglichkeiten in sich. Der Zugang zu einem Problemfeld ist mit wichtigen Hinweisen „gespickt“. Schon ein Anruf, ein Brief, eine E-Mail oder ein erstes persönliches Gespräch mit einem der Betroffenen gibt Hinweise zu den unterschiedlichen Sichtweisen und Lösungsansätzen. Es bietet sich an, die Erwartungen und Wünsche artikulieren zu lassen. Der Personenkreis möglicher Systembeeinflusser sollte mehrfach überprüft werden. (Wer beeinflusst die Situation? Wer redet mit?) Sodann können erste Aufstellungen, Soziogramme, Kommunigramme, Organigramme, Brain Maps, Metaphern und Bilder wichtig sein, den Kontext zu beschreiben. Hier können die Teilnehmer ihr Team (Unternehmen, Gruppe etc.) zeichnerisch darstellen oder es in mehr oder minder vorgegebenen Kategorien benennen. Besonders erhellend sind psycho-soziale Spiele und das Unternehmenstheater. Hier wird in heiterer Atmosphäre geradezu nebenbei eine neue Sichtweise der Systemstruktur entwickelt und Lösungen kreiert.130

5.2 Die Akteure und Interventionisten Es erscheint an dieser Stelle ratsam, die unterschiedlichen Rollen der Akteure zu differenzieren. Die Akteure in Organisationen, seien es nun interne, beziehungsweise externe Berater, Trainer, Manager oder Beobachter, die durch Kommunikation und Kontextgestaltung Einfluss auf das soziale System nehmen, also intervenieren, können im Wesentlichen vier verschiedene Rollen wahrnehmen, nämlich die des Impulsgebers, des Experten, des Machtpromoters (Entscheider) oder des Begleiters. Diese vier Rollen können nun bezogen werden auf drei verschiedene Aspekte der Organisationsentwicklung, das operationale Lösen von Aufgaben und Problemen, das Lernen und Lehren von Erfahrungen und Erkenntnissen und das Leben, die Übertragung in dauerhafte Strukturen und Prozesse. Daraus ergibt sich eine 12-Felder-Matrix der möglichen Interventionen und Beiträge. Diese Darstellung lässt sich sodann noch weiter komplizieren, indem man diese Beiträge auf Methoden, Strukturen und Prozesse bezieht. Sinn macht eine 130 Vgl. insb. zu Spielen A. Manteufel/G. Schiepek, 1998.

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solche Darstellung nur als „morphologischer Kasten“, damit keine wesentlichen Aspekte verloren gehen und alle Variationen erkannt werden können. Wir wollen uns hier auf die vorgenannten zwölf Beiträge beschränken und den LeserInnen eine spezifische Ausprägung überlassen.131 Impulsgeber sind Akteure, die überraschende Wendungen initiieren, in dem sie provozieren, überzeichnen, besonders kreativ sind oder Anschübe leisten. Visionäre, paradoxe Interveneure, „Spinner“ und kraftvolle Innovatoren sind hier zu nennen.

Abb. 5.1: Interventionsarten der Akteure Experten sind Fachpromotoren mit speziellem oder herausragendem Wissen. Sie agieren über schlaue, kluge manchmal besserwissende Interventionen. Zuweilen können sie Engpässe und Barrieren überwinden helfen. Machtpromotoren sind die „Letztentscheider“ im Kontext. Sie können Entscheidungen allein treffen oder diese maßgeblich direkt beeinflussen. Ihre Macht basiert auf Charisma, Wissen, Autorität, Position usw. Begleiter sind Akteure, die vornehmlich den Kontext gestalten und so über die Atmosphäre und den Rahmen (Regeln, Strategien etc.) Einfluss nehmen. Dies ist eine besonders systemische oder gestaltorientierte Vorgehensweise. Wenn man nun die Rollen mit den Beiträgen kombiniert, entstehen daraus spezifische Beiträge zur lernenden Organisation. Systemische Akteure versuchen 131 Weiterführende Differenzierungen sind bei Willke nachzulesen. Vgl. H. Willke, 1996 II, S. 120 ff.

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eher zu erneuern, „eigenartig“ zu agieren, Vertrauen zu schaffen, den Horizont zu erweitern. Sie agieren effektiv, sie machen die richtigen Dinge zum rechten Zeitpunkt richtig. Sie schaffen Räume, in denen etwas entstehen kann, durch Pausen, Zuhören, Raushalten, durch die Gestaltung eines geeigneten Rahmens und einer stimmigen Atmosphäre. Sie variieren, modellieren und evozieren. Sie steigern die Attraktivität durch gezielte Verknappung und Strukturierung, sie sind sparsam und vermeiden aufwendige und „einfache“ Lösungen. Sie sind verliebt in Lösungen ohne „problemphobisch“ zu sein, wie Steve de Shazer formulierte. Sie agieren als vertrauensvolle Geschichtenerzähler, erbauliche Helfer und kritische Sympathisanten. Die effektive Intervention ist eine feinsinnige Kunst von Menschen, die sich ihrer subjektiven und beschränkten Weltsicht zweifelnd, aber nicht verzweifelnd bewusst sind. Sie versuchen iatrogene (vom „Behandler“ ausgelösten) Problemlagen durch die gezielte Interaktion zu vermeiden, die Klienten lösend einzubeziehen und sich auf die Rolle als Experten für Kommunikation zu beschränken. Im Anschluss sollen geeignete Strukturen, Methoden und Verhaltensweisen des systemischen Agierens verdeutlicht werden.

5.3 Interventionsformen Die Interventionen erfolgen als Beratung oder Management. Dabei sind das Intervenierende, das zu Verändernde und das Aktionssystem zu unterscheiden. Die Akteure entstammen einem spezifischen Kontext, beeinflussen soziale Systeme wie Teams, oder Organisationen und formen damit zugleich ein Interventionssystem bestehend aus denen, die intervenieren und denen, die beraten werden.132 Organisationen werden als soziale Systeme betrachtet, die komplex und selbstorganisierend, nur kontextuell, also indirekt verändert werden können. Mit der Intervention wird die Grenzziehung zwischen den Systemen neu vereinbart. Alle Beteiligten sind Beeinflusser und Beeinflusste, sie bilden gegenseitig Kontext und müssen darauf bedacht sein, Differenzen aufrecht zu erhalten, um sinnvolle Fremdbeobachtung möglich werden zu lassen sowie ihre jeweilige Identität beizubehalten.

132 Vgl. dazu E. C. Nevis, 1988, S. 67 ff. Er unterscheidet Interveneure außerhalb des Klientensystems (Begleiter) mit einer spezifischen Rolle innerhalb (Experte) oder als Mitglied (Entscheider).

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Abb. 5.2: Mind Map der Interventionsarten Interne und externe Berater haben eine beschränkte Möglichkeit, die selbsterneuernden Systeme (zum Beispiel Teams) zu Verhalten anzuregen und diese reflektierend zu beobachten, soweit sie nicht selbst teilnehmende Akteure werden, also den direkten Kontext darstellen. Effektive Interveneure managen die Systeme nicht, sondern bilden Hypothesen (siehe Teil 2 und 3), sammeln Informationen, intervenieren indirekt und reflektieren dann die Effekte. Gestaltungsebenen der Intervention sind nach Königswieser/Exner133 die Architektur, das Design und das Handwerk, die jeweils sachlich, räumlich, zeitlich und thematisch beschrieben werden und sich nach spezifischen Ausprägungen und Aufgaben differenzieren lassen. Die Architektur der Interventionen beschreibt den allgemeinen Rahmen, in dem ein Veränderungsprozess ausgelöst werden soll, Design und Handwerk beschreiben die spezifische Ausgestaltung. Beispielsweise werden strukturelle Vorkehrungen getroffen und spezielle Projekt- und Steuerungsgruppen organisiert. In diesen Gruppen können dann diverse Techniken, Methoden und Aufgaben gewählt werden: Einsatz von analogen Interventionen und Sprachbildern, Sprache und Metaphern, paradoxe Interventionen, zirkuläres Fragen oder die 133 Vgl. R. Königswieser/A. Exner, 1998.

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Wahl von physischen Räumen und Atmosphären. In der Abbildung 5.2 sind im Überblick einzelne Interventionsformen veranschaulicht, die ich im Folgenden näher erläutere. 5.3.1 Sprache und Metaphern Das Fragen, Zuhören und Kreieren bedarf dabei der Aufnahme der jeweilig genutzten Sprache. Die intervenierenden Akteure schleichen sich geradezu unmerklich subversiv in das System hinein, assimilieren die Sprache, konfluieren und verändern achtsam und hilfreich aus dem Hintergrund die Szenerie. Sie betätigen sich wie hilfreiche Geister (Heinzelmenschen134) ohne Aufsehen im System zu erzeugen und achten auf die Fähigkeit und Chance, immer wieder metasystemisch zu reflektieren. Die häufigsten Fehler werden gemacht, wenn sich hilfreiche Akteure in den Vordergrund spielen, und ihre künstliche Sprache ungeschickt besserwissend anwenden. Zum Beispiel ist oft zu beobachten, wie systemische Fragen gestelzt formuliert werden und erstauntes Befremden auslösen. Es gilt dahingegen, sich charmant in das System hineinzuschleichen, eingeübte Betroffenheit zu vermeiden, Raum zu lassen, zu modellieren und auszuprobieren, um die Akteure anzuregen, eigene Lösungen zu finden. Die Interveneure bemühen sich, die Sprache des Klientensystems zu erlernen, also konfluent zu handeln, achten aber darauf, nicht vom System vereinnahmt zu werden. Sie schaffen persönliche Nähe und halten respektvolle Distanz. Jede Form der Kommunikation löst bei den Zuhörern sehr unterschiedliche, persönlichkeitsspezifische Assoziationen aus. Sehr schnell können unerwartete Effekte resultieren, die den Veränderungs- und Lernprozess beeinträchtigen. Insofern ist behutsam mit den Interventionen umzugehen. Auch der Einsatz von Methoden und Aktionen ist kontextbezogen und individuell differenziert vorzusehen. Es gibt nicht die gute Methode für alle Zwecke und Menschen. Vielmehr liegt ein besonderer Wert in einer vielfältigen und spielerisch kreativen Vorgehensweise. In und mit der Sprache werden Widerstände ausgelöst, die Lernen ermöglichen, Intuition anregen und Verbindungen herstellen. So wird Verschüttetes wiederentdeckt und damit nutzbar gemacht. Sprache schafft Welten, Fabulieren erzeugt Wirklichkeit, Probleme mutieren zu Lösungen. Die aktuell gebräuchliche Sprache zeugt oft von einer Chronifizierung und festen Statik spezifischer Probleme. Begriffe verdinglichen Prozesse und Verhalten, können es damit anschaulich machen, verfestigen die Beziehungen und Handlungen, aber oft wie „einbetoniert“. Mit der Einführung neuer Schlüsselwörter kann dann eine bewusste Mehrdeutigkeit und Konnotation zur Auflockerung führen. Das Wort „Streik“ schafft einen Unterschied, wenn es von einem Mitarbeiter bei gefühlter Über134 Vgl. Darstellung am Ende des Buches.

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forderung eingesetzt wird. Dieses Wort ist akzeptierter Gebrauch, deutet an, dass die Bedingungen geändert werden müssen, ohne die Beziehung als solche in Frage zu stellen. Sprache kann gemeinsame Realität erzeugen, aber auch verändernd wirken, sie wirkt stabilisierend oder dekonstruierend für das Gegenwärtige.

Abb. 5.3: Analoge Interventionen Ein imposantes Mittel, um den skizzierten „Dreisprung“ der unit of work zu bewältigen, sind Metaphern, hilfreiche Geschichten und Sprachbilder. Wie schon im ersten Kapitel erwähnt, können sich die Beteiligten an einem Veränderungsprozess in ihren Sichtweisen besser angleichen, wenn ein gemeinsames Bild der Situation geformt wird. So erzeugt beispielsweise die Metapher eines denkmalgeschützten Hauses als Abbild einer Institution hilfreiche Assoziationen und Lösungsbrücken. Das Unternehmen hat augenscheinlich einen hohen Wert, der aus der Tradition geschaffen wurde. Es schließen sich Lösungswege und notwendige Sofortmaßnahmen an: Kernsanierung, Dachreparatur usw. Diese Bilder lassen sich einfach in das konkrete Beispiel zurückspiegeln. Die Sichtweisen erweitern sich und der persönliche Kontakt zum Thema bleibt erhalten. Die Bildsprache ist reichhaltig und sinnlich. Sie erzeugt Möglichkeiten und schafft Sinn, ohne verletzend und entlarvend zu wirken. Beispielsweise hat Gareth Morgan in seinem Buch „Images of Organization“135 Sichtweisen von Unternehmen in Metaphern gekleidet, ohne eine Abbildung zu verwenden. Die Sprache wirkt hier erhellend, klärend und ordnend. Hilfreiche Geschichten öffnen die Perspektive. Die Situation kann so aus einer Metaposition beobachtet werden.136 Einige nützliche Sprachinterventionen sind in der Abbildung 5.3 zusammengefasst. 135 Vgl. G. Morgan, 1987 136 Vgl. dazu N. Peseschkian.

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Die spezielle Art und Weise der Kommunikation, die jeweilige Organisationssprache ist konfluent aufzuspüren und zu erlernen, um anschlussfähig kommunizieren zu können beziehungsweise verstanden zu werden. Die versteckten Ressourcen und Wege der Entscheidungsfindung sind zu entdecken, um die eigentümlichen und zum Teil kuriosen Muster zu nutzen und auf diesem Wege neue Möglichkeiten in das System zu schleusen. Besonders in „Entwertungskulturen“ sollten respektvolle und würdigende Sprachweisen und Usancen thematisiert werden. Dazu können die Schlüsselwörter variiert und in anderem Zusammenhang gebraucht, „Wie“-Fragen gestellt, Vorteile und Bejahungen bevorzugt, Unterschiede betont und Selbstverständlichkeiten in Zweifel gezogen werden – alles auf der Basis einer nicht wissenden, reflektierenden, empathischen und selbstbewussten Basis der Interveneure. 5.3.2 Strukturelle Interventionen Für die strukturellen Interventionen haben Königswieser und Exner den treffenden Ausdruck soziale Architektur und Design gewählt. Zu diesen vorprägenden Rahmengestaltungen gehören die grundsätzlichen Kontrakte zwischen Interveneuren und dem jeweiligen zu verändernden System beziehungsweise der Auftraggeber. Zudem werden alle Gruppenbildungen und Organisationselemente dazu gezählt wie Steuerungs- und Dialoggruppe, Projektteam, sounding board, coachings, trainings, workshops, reflecting teams und die Zusammenarbeit mit der Geschäftsleitung. Es werden Rollen und Funktionen, Zeitpläne, Budgets und die Ziele und Wertmaßstäbe definiert.137

Abb. 5.4: Soziale Architekturen 137 Vgl. insbes. R. Königswieser/A. Exner, 1998, die alle Elemente detailliert erläutern.

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Das Design formt sich aus der Grobstruktur, in der das „Was“ und „Wer“ bestimmt wird. Hier dominiert das „Wie“, also die Prozesse und die Vorgehensweise. In diesem Buch sind diese Methoden und Wege den einzelnen Schritten im Veränderungsprozess (also den Kapiteln) zugeordnet, in denen sie besonders geeignet erscheinen.

Abb. 5.5: Soziale Designs Systeme spielen Realisieren, Verwirklichen und Umsetzen kann mensch am besten in Aktion üben. Da jede Intervention ungeahnte Reaktionen auslösen kann, ist Vorsicht geboten. So erweist es sich als geeignet, Simulationen und Spiele auch computergestützt zu nutzen, um Wirkungen eigenen Handelns zu erproben. In Systemspielen138 können die Dynamik und Komplexität sozialer Systeme realitätsnah miterlebt, gestaltet und verändert werden. Diese Spiele verknüpfen die praktische Übung mit empirischen Forschungsmöglichkeiten. Im deutschen Sprachraum sind besonders die Modelle von Dörner und Vester diskutiert und angewendet worden.139 In beiden Forschungsbereichen wurde klar, dass der Erfolg keineswegs von Intentionen, der Mühe oder den Feldkompetenzen abhängt, sondern vielmehr von der Fähigkeit, ganzheitlich Situationen zu erfassen, behutsam vorzugehen und Orientierungsmuster zu verwenden. Im Internet140 lassen 138 A. Manteufel/G. Schiepek 1998 geben einen Überblick zu Systemspielen und konkreten Einsatzmöglichkeiten. 139 Der Psychologe Dörner hat in mehreren Studien die Problemlösefähigkeiten erforscht und Systemspiele entwickelt (vgl. z. B. D. Dörner 1989). Der Biokybernetiker Vester hat seine Modelle in zahlreiche Projekte eingebracht. Das Spiel Ecopolicy lässt eigenes Problemlöseverhalten erproben. Online Game unter www.zdf.de. 140 Vgl. zu den einschlägigen Internetadressen die Liste im Anhang.

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sich verschiedene neue Formen der Netzwerkbildung und des kollektiven Lernens finden. Im sogenannten knowledge networks finden sich Wissensarbeiter, um gemeinsam die Informationsflut besser handhaben zu lernen, wie kooperativ gelernt werden kann und neue Lösungen entstehen. Als virtuelle Konferenzen gestalten sich die Projekte ressourcenschonend und effektiv. Die Reflexion durch andere Teilnehmer ermöglicht double loop und deutero learning. Auf die interaktive Produktentwicklung im Internet mit dem Open Source Development wurde schon hingewiesen. Ein Systemspiel simuliert nicht nur Realität, sondern kreiert eine eigene Wirklichkeit. Die Spieler können so an der Entstehung, Dynamik und Turbulenz sozialer Systeme authentisch mitwirken und systemische Kompetenz erwerben. Spielen heißt Simulieren von Wirklichkeit, wobei wiederum nicht die eine reale Welt abgebildet, sondern Neues geschaffen wird, das Merkmale des Vorbildes und eigenständige Aspekte enthält. Ein Spiel, das soziale Systeme simuliert, weist eine gewisse Ähnlichkeit auf, die durchaus Rückschlüsse auf die ursprünglichen Systeme enthält. Insofern lässt sich spielend trefflich und ohne Risiko lernen. Es entsteht ein Lernfeld sozialer Komplexität. Die Spieler können im Spiel Kompetenzen erwerben und erleben sich selbst in typischen Alltags- und Entscheidungssituationen. Es wird die Konstituierung sozialer Systeme beobachtet, wie Rollen, Funktionen und Strukturen entstehen und es werden die Wirkungen eigener Aktionen erkannt. Selbsterfahrung und Selbstwirksamkeit, Kooperation und kooperatives Lernen, Identität und Veränderung können zur Probe erlebt werden. Die zum Teil notwendige Beschränkung der Komplexität führt zum Respekt vor der Vielgestaltigkeit und Vernetzung in realen Situationen und die Wirkungen auch kleinerer Veränderungen werden deutlich vor Augen geführt. Die Unmöglichkeit der Beherrschbarkeit, Planung und Vorhersage kann unmittelbar erlebt werden. Daneben bietet fast jede soziale Interaktion Möglichkeiten der systemischen Beobachtung und Interventionen. Langweilige Vorträge und sonstige gesellschaftliche Verpflichtungen wandeln sich zu amüsanten Lernchancen, wenn versucht wird, die soziale Dynamik zu begleiten und durch kleine „freundliche“ Störungen den Verlauf zu beeinflussen. Weitere Anschauung bieten alle Formen „normaler“ Spiele und Gespräche. Im Spieleifer kurz auf die metasystemische Ebene zu wechseln, kann beruhigend wirken, emotionale Ausgeglichenheit erzeugen und lässt offenbarte Eigenschaften anderer Akteure kennenlernen. Im vom Autor bevorzugten Fußballspiel können die sozialen Beeinflussungsprozesse ideal studiert werden. Die Art der Kommunikation steuert den Charakter des Systems. Das erklärt auch, dass italienische Trainer mit geringen deutschen Sprachkenntnissen nur in ihrer Heimat Erfolg haben. Auch kann die Atmosphä-

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re einen so nachhaltigen Druck auslösen, dass gut ausgebildete Spieler, ihre Technik nicht mehr einsetzen können, aber nach intensivem Mono-, Dia- oder Metalog wie verwandelt aus der Pause wieder aufs Spielfeld kommen. Systemisches Fragen Systemische Fragen richten sich vor allem auf Beziehungs- und Kommunikationsstruktur zwischen Menschen. Der spezifische Charakter der sozialen Systeme soll dabei veranschaulicht werden. Denn nicht ein System hat ein Problem, sondern vielmehr ist ein Problem ein sozial und individuell konstruiertes System. Die vielleicht harmlos erscheinenden Fragen wirken in sozialen Systemen intervenierend und somit verändernd. Es werden neue Informationen durch das gezielte Unterscheiden und Differenzieren gebildet und zwar durch das Anknüpfen an zum Teil unbewusste Elemente. Die Beteiligten nehmen autobiografisch wahr, sehen sich zu Ideen und Assoziationen angeregt. In der Regel wird nach Mustern von Beziehungen gefragt, da Probleme Prozesse sind, die sich in Verhalten und Kommunikation spiegeln. Mit zirkulären Fragen werden die Akteure veranlasst, das normale Interaktionsverhalten zu verlassen und von einer Metaebene aus, neue Perspektiven zu gewinnen. Im Grundsatz werden Fragen nach den Kreisläufen der Beziehung gestellt und die Beobachtung einer Beobachtung erfragt. Also zum Beispiel: Für wen ist das, was Herr X tut, ein Problem? Was denken Sie, wie Ihr Chef die Beziehung zwischen Ihnen und Ihren Mitarbeitern sieht? Wie wirkt wohl Ihr Führungsstil auf Frau Y? Die zirkulären Fragen lassen sich in - Unterscheidungsfragen, - Wahrnehmungsfragen und - Möglichkeitsfragen unterscheiden. Hierbei ist wieder der Lösungszyklus mit den drei Modi der unit of work zu beachten: Es wird die Situation beschrieben und daraufhin kreativ an Lösungen gearbeitet, um dann über den Prozess zu reflektieren.

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Abb. 5.6.: Zirkuläres Fragen Unterscheidungsfragen dienen dem genaueren Erfassen der Sichtweisen. Zum Beispiel kann klassifiziert werden: Welches Problem wird als das Bedeutendere erachtet? Wer ist die maßgebliche Person in diesem Team? Prozentfragen lassen die Neigung zu Entscheidungsalternativen sowie Ideen, Lösungen und Zuordnungen deutlich werden: Zu wie viel Prozent werden sie die Firma verlassen? Zu wie viel Prozent ist das Problem auf die Konjunktur, zu wie viel auf die mangelnde Produktpolitik zurückzuführen? Es werden Erwartungen erfragt und unterschieden: Wer glaubt, dass eine Lösung gefunden werden kann? Was müsste dafür gemacht, geändert werden? Zur Klärung der Situation tragen auch Subsystemvergleiche bei. Wenn zum Beispiel Fragen nach den Beziehungen der Akteure untereinander gestellt werden. (Wer kann mit uns (nicht)?). Genauso sind Fragen nach der Übereinstimmung klärend, um Gemeinsamkeiten zwischen Akteuren festzustellen. Oft führt das im Konfliktfalle zu großen positiven Überraschungen. Weitere Hinweise zur aktuellen Situation bieten Fragen zum Impuls und zum Problemkontext (Wahrnehmungsfragen). Wer hat den Impuls zum Beratungsgespräch gegeben, wer möchte hier was? Wer glaubt an eine Chance zur Lösung? Des Weiteren sollte das Problem eingekreist werden. Da ja nicht für jede Person das Problem ein Problem ist oder zumindest anders gesehen wird, gilt es zunächst abzuklären, wie das Problem von den einzelnen Akteuren beschrieben und gesehen wird. Wer, wann und wie erkennt, dass das Problem gelöst ist, wer es zuerst erkannt hat, wann es auftritt und wann es weniger existiert. In einem „Tanz um das Problem“ wird es genauer umschrieben und die Bedeutung für die Beziehungsstruktur der Beteiligten erfragt. Es werden Ausnahmen (Wann tritt das Problem weniger auf?) gesucht und die Entstehungsgeschichte

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erläutert. Auch kann interessant sein, was sich ändern würde, wenn das Problem gelöst ist. Wenn alle Meinungen, Gefühle und Beschreibungen thematisiert sind und eine gemeinsame Wirklichkeit geschaffen wurde, können neue Potenziale und Lösungen kreiert werden (Möglichkeitsfragen). Der „solution talk“ beginnt. Wichtig ist, Zukunftspläne, Ressourcen und Lösungsmöglichkeiten zu erkunden: Was wollen Sie konkret erreichen, was bewahren, was können Sie unmittelbar lösen? Die Wunderfrage kann vollkommen neue Sichtweisen und Chancen eröffnen: Was wäre denn, wenn Montag alle Probleme vollständig gelöst wären? Wie würden Sie die Situation beschreiben? Oft fühlen sich die Akteure an die Zeit der Märchen erinnert, wünschen sich eine Zukunft herbei, die gar nicht weit von der Realität entfernt liegt und aus eigenen Kräften erreichbar ist. Zumindest werden hier ein konkretes Ziel formuliert und die Bestandteile der Lösung aufgelistet. Mit der „DaKuzel“-Methode haben wir schon eine schnelle Lösungsfindung in Kapitel 3 und 4 vorgestellt. Es wird nach Ausnahmen, problemfreien Zonen und Lösungen anderer gefragt. Hilfreich sind auch Fragen nach den Hindernissen zu Lösungen: Wer hindert sie, die erläuterte Lösung zu realisieren? Wenn Barrieren formuliert werden, tendieren sie zum Verschwinden? Auch kann das Problem verdinglicht und handhabbar gemacht werden, wenn mensch Fragen stellt, wie das Problem herbeigeholt werden kann, oder so getan werden könne, als ob es da sei. Die Akteure erlernen dabei einen spielerischen Umgang mit Schwierigkeiten und gewinnen ihre Handlungskompetenz und ein Gefühl der Selbstwirksamkeit zurück.141

Abb. 5.7: Paradoxe Interventionen

141 Systemische Fragen wurden sehr anschaulich dargestellt bei A. v. Schlippe/S. Schweitzer, 1997, S. 140 ff.

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Neue Möglichkeiten können auch durch paradoxe Interventionen eröffnet werden. Hierbei wird gegen die gewohnte Erwartung gearbeitet. Im Zentrum steht das Paradox der Veränderung: „Werde, der du bist.“ oder „Du kannst nur so bleiben, wenn du dich änderst.“ Verblüffend wirken zum Beispiel Fragen, wie der gegenwärtige Zustand noch verschlimmert oder vergrößert werden kann (Verschlimmerungsfragen). Oder es werden die Akteure verpflichtet, die Ursache für Probleme immer in einer Person oder Abteilung zu suchen (Symptomverschreibung). Es wird dann den Beteiligten selbst die einseitige Zuschreibung deutlich. Beispielsweise entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, wenn Ursachenzuschreibungen umgedreht werden: „Ich bin verärgert, weil die Kunden übertrieben reklamieren – Die Kunden reklamieren, weil ich übertrieben verärgert bin.“ Durch dieses Umdenken wird ein neuer Rahmen, eine überraschende Perspektive eröffnet, die aufzeigt, was die Probleme mit eigenem Verhalten zu tun haben könnten. Vollends in der emotionalen Sphäre landen Interventionen, die sich das Lachen und die Körperarbeit zum Thema machen. Die sogenannte und in letzter Zeit weltweit populäre Lachtherapie kann als eine Variante paradoxer Interventionen gelten. Dabei werden die Probleme aus der Beobachterposition zweiter Ordnung geradezu „zerlacht“, also eigene Verhaltensmuster reflektiert und neu dimensioniert.142 Die Körperarbeit lässt Probleme unmittelbar spürbar werden. Sowohl interaktiv als auch individuell spiegelt der Körper die Probleme wider. Man kann auch sagen: „Der Körper lügt nicht und hat ein gutes Gedächtnis“. Auf der Basis einer fühlbaren Diagnose können Strukturverschiebungen dezent (Haltungsveränderung, Übungen) eingeleitet und so Verkrustungen gelöst und andere Sichtweisen eröffnet werden.143 5.3.3 Die Atmosphäre als Gestaltungsmittel Entwicklungsprozesse in Unternehmen sind neben den Rahmensetzungen144 stark von der physischen und sozialen Atmosphäre bestimmt. Sie bestimmt die Wahrscheinlichkeit von Ereignissen mit, beeinflussen auch die Tonalität von Persönlichkeiten. Atmosphäre ist als Ganzheit der physischen, psychischen und sozialen Einflüsse auf die Situation zu verstehen.145 Atmosphäre beschreibt die Beziehung von Kontextqualitäten und menschlichem Befinden. Atmosphären vermitteln die Umfeldreize zu den Sinnen, sind somit gestaltbare Transmitter in der sozialen Sphäre, die wesentlich zum Gelingen beitragen können. Die Archi142 Vgl. z. B. M. Titze/C.T. Eschenröder, 1998. 143 Vgl. z. B. A. Bryner/D. Markova, 1996. 144 Rahmensetzungen wie Leitlinien, Strategien und Regeln werden in anderen Kapiteln (z. B. 4 und 8) erläutert. 145 Vgl. insb. G. Böhme, 1995, S. 21 ff.

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tektur, die Räume, die Zeiträume alle Sinnesfaktoren wie auch die Sprachstile, Riten und Umgangsformen beeinflussen den Charakter der Kommunikation und der Beziehungen und damit die Eigenart des sozialen Systems. Sitzordnungen, Zeitpläne, interior design, Luftqualität und Sprachregelungen bedingen sich gegenseitig, sind zumeist typisch für das soziale System, weil sie es stabilisieren und konstituieren. Timing Eine wichtige Maßnahme ist das timing. Oft muss zunächst die Geschwindigkeit aus gewohnten Prozessen genommen werden. Die surrende Chronologie wird bewusst verstört. Schlendern ist nicht nur Luxus, sondern Entschleunigung ermöglicht auch die genauere Wahrnehmung. Mit gezielten Ritardandos können notwendige Zeiträume zum Verändern beschafft werden. Die schnellen Abläufe resultieren aus der Effizienz des Bekannten und Erfahrenen. Um umzusteuern bedarf es der bremsenden Störung. Um wahrzunehmen, bedarf es des Zuhörens. Deshalb sind offene Zeit-Räume zu bilden, in denen Lösungen erwachsen können. Genauso sind auch geeignete Gelegenheiten (Kairos) zu schaffen und zu nutzen, die einen effektiven Ressourceneinsatz zur Veränderung ermöglichen. Effektivität heißt, das Richtige richtig und zum rechten Zeitpunkt zu tun. Timing bedeutet dann, die Zeitsouveränität und eine gewisse Zeitvielfalt wieder zu gewinnen. Architektur, Räume und Design Architektur und Innenarchitektur können als beeinflussende Aktionsfelder verstanden werden genauso wie Farben, Gestik und Kleidung. Die Kultur einer Unternehmung, die Verhaltensmuster und die Räume, in denen agiert wird, beeinflussen sich gegenseitig. Was passiert, ist maßgeblich von den räumlichen Gegebenheiten abhängig. Die Räume wiederum werden von Personen gestaltet, geplant und genutzt, die in spezifischer Weise miteinander kommunizieren und so die Kultur prägen. Alle Komponenten wie Klima, Räume und Kommunikation können von jedem Akteur variiert und beeinflusst werden. Die Bedeutung eines Corporate Design liegt in der Stabilisierung des Gewohnten und der Leit- und Orientierungsfunktion zu Neuem. In verstaubtem Mobiliar sind ebensolche Gedanken wahrscheinlich. Frischer Wind verändert die Situation und gewohnte Rituale werden gestört. Als konkretes Gestaltungsmittel eignet sich eine erfahrungswissenschaftliche Theorie, das chinesische Feng shui. In der westlichen Welt findet es kaum Entsprechungen. Lediglich die Mustersprache der Architektur von Christopher Alexander kann als moderne Zusammenstellung gelingender, förderlicher Raumgestaltung erwähnt werden. In beiden Fällen werden nützliche Erfahrungen dargeboten, die Atmosphäre gezielt zu gestalten. Gerade in jüngster Zeit sind vertiefte

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Betrachtungen der menschlichen Sphären und des Habitats zu beobachten. Peter Sloterdijk hat seine Trilogie zu Sphären mit den pränatalen Klausuren fulminant begonnen.146 Eine spezielle UNO-Konferenz befasst sich mit dem Habitat der Menschen und in Architektur und Management entdeckt man die Wirkungen stimmiger Umgebungen. Die Pattern Language von Cristopher Alexander u. a. versucht, lebendige Habitate von leblosen zu unterscheiden und systematisiert Raum – und Handlungsmuster, die die Wahrscheinlichkeit gelingenden Gestaltens und Bauens erhöhen sollen. Mit seiner Mustersprache können Städte, Häuser und Räume naturgemäß gestaltet werden, so dass sie den Bewohnern einen hohen Nutzen bescheren und vitale Prozesse initiieren.147 Wieder andere Anregungen zur sinnlichen Gestaltung von Atmosphären gewähren die Lehren des japanischen Wabi Sabi. Sinnliche Gestalten können verwittern und vergehen ohne an Schönheit zu verlieren. Sie weisen darauf hin, dass die Natur keine rechten Winkel und geraden Linien kennt. Der technologische Exaktismus führt oft zu inhumanen, kühlen Abstraktionen.148 Im Folgenden möchte ich einige Aspekte der Raumgestaltung im Feng-shui-System andeuten.149 Feng shui – oder die stimmige Atmosphäre Ausgehend von der Überzeugung, dass das menschliche Leben eng mit der gegenseitigen Beeinflussung von Universum und Natur verwoben ist, beschäftigt sich Feng shui mit der Positionierung des menschlichen Wesens in diesem Zusammenhang. Durch das taoistische Ying-Yang-Prinzip ist der Mensch mit allem verbunden. Jede Veränderung im Universum erzeugt eine Resonanz von kosmischer bis hin zu atomarer Tragweite. Dies ist auch die Überzeugung der erst viel später in Europa geprägten Chaostheorie, die ebenfalls eine universelle Vernetzung aller Aktionen feststellte. Ch’i, die Kraft, die den Menschen mit der Umwelt verbindet, kann nach Überzeugung von Feng shui so verändert werden, dass Harmonie und Balance entstehen. Durch die Nutzbarmachung von Umwelt-Ch’i soll der Energiefluss im menschlichen Körper verbessert werden. Zwar glauben die Chinesen, dass dem Menschen von Natur aus eine gewisse vorbestimmte kleine, mittlere oder große 146 Vgl. P. Sloterdijk, 1998. 147 Patricio Martin (Gestaltberater und Architekt) verdanke ich hier viele Hinweise und Anregungen. 148 Detaillierte Darstellung der sinnlich syntropischen Gestaltung bei G. Bergmann, 1996. Zu Wabi Sabi vgl. L. Koren, 1995. 149 Zu Alexander wurde schon in Kapitel 4 einiges ausgesagt. Er hat mit seinem Forscherteam über viele Jahre ein System von Orientierungsmustern sinnvoller Gestaltung entwickelt. Vgl. C. Alexander u. a., 1977 und 1984. Die Prinzipien und Gestaltungsmöglichkeiten des Feng shui können z. B. bei V. Rossbach, L. Yun, 1996 nachgelesen werden. Aktuelle Reportagen sind der Londoner Zeitschrift Feng shui Magazine zu entnehmen.

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Ch’i-Ausstattung in die Wiege gelegt ist, doch die Methoden vermögen die natürliche Energiezirkulation anzuheben oder zu senken. Der Mensch wird vom umgebenden Umwelt-Ch’i getragen. Feng-shui-Experten ermitteln das Ch’i des entsprechenden Menschen und seines Umfeldes und bieten dann Lösungen an, um den Ch’i-Fluss zu optimieren. So soll ein glücklicheres und erfolgreicheres Leben realisiert werden. Daraus entwickelte sich die chinesische Auffassung, dass es aufgrund der magischen Verbindung zwischen Mensch und Umwelt Orte gäbe, die besser und glückbringender für den Mensch seien als andere. Durch Veränderung dieser Umwelt könne es nun erreicht werden, sich selbst mit dieser in Einklang zu bringen. Das Prinzip des Feng shui zielt also darauf ab, die Mitwelt, sei es die Sphäre, das Haus oder einzelne Räume darin, unter Einbeziehung und Berücksichtigung anderer Mitwelteinflüsse wie Straßen, Topografie oder Menschen so zu gestalten, dass man einen ausgeglichenen, harmonischen Raum schafft, der es ermöglicht, ein gesundes, emotional ausgeglichenes Leben zu führen, welches nach chinesischer Überzeugung auch zum Wohlstand führt. Lösungsansätze der atmosphärischen Gestaltung Die Lösungsansätze, die das Feng shui anbietet, lassen sich in zwei Kategorien einteilen. Unter den sogenannten Ru-shr-Lösungen versteht man rational nachvollziehbare Veränderungen und Gestaltungen, beispielsweise die Auflockerung eines Raumes durch Verwendung von Grünpflanzen. Viel effektiver sollen die Chu-shr-Lösungen sein. Sie sind transzendental und mystisch und dienen der Kanalisierung des Ch’i-Flusses, um eine bessere Umgebung zu schaffen. Hier sollen aber nur einige Hinweise zur praktischen Anwendung gegeben werden. Die Grundlösungen kommen in der Praxis auf vielschichtige Art und Weise zur Anwendung. Erinnert man sich an den letzten Besuch in einem beliebigen Chinarestaurant, so wird einem einiges auffallen. Zwei große Blumenkübel zu beiden Seiten des Eingangs schaffen gutes Ch’i und locken als unterbewusste Signale Kunden an. Links steht eine Löwin, die behutsam ein Jungtier krault. Rechts stützt sich der Löwe auf die Erdkugel als Zeichen seiner maskulinen Macht. Aquarien und Springbrunnen sorgen für gleichmäßige Ch’i-Zirkulation im ganzen Lokal und sollen gute Geschäfte und somit dauerhaften Wohlstand ermöglichen. Die Lehrbuchregeln lassen sich universell auf Grundstücke, Häuser und Räume anwenden. Das schon im Kapitel 3 zu den Persönlichkeitsbildern im Feng shui vorgestellte Grundschema Bagua mit seinen vier Polaritäten stellt das Grundmuster der Raumgestaltung dar. Verschiedene Tätigkeiten sind in bestimmten Raumbereichen besonders wirkungsvoll durchführbar. Ausgehend von drei Eingangsvarianten „Lernen“, „Veränderung“ und „Unterstützung“ werden die weiteren Felder bestimmt. Wenn man sich typische Aufteilungen und Anordnungen anschaut, wird deutlich, dass auch in der westlichen Welt intuitiv die

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Regeln des Feng shui weitestgehend – aber zumeist unbewusst – berücksichtigt werden. Auf Vorstandssitzungen sitzen die ruhmreichen Personen in der Mitte der Wand, die dem Eingang gegenüber liegt. Rechts daneben sitzen oft die Finanzvorstände (Reichtum) und links die weiteren Partner. Diese Positionen ernten den Energiefluss aus dem Plenum und sitzen sicher mit großem Überblick. Sogar Geschäftsbriefe sind oft nach diesem Schema aufgebaut: Das Finanzamt weist seine Adresse auf der linken oberen Seite auf. Rechtsanwälte zumeist in der oberen Mitte. Kreative neigen zur Darstellung auf dem rechten vertikalen Rand. Neben der Raumaufteilung gemäß des Bagua sind der Lehre noch Hinweise zur Farbwahl, Materialverwendung und Gestaltung zu entnehmen. Feng shui gibt bei der Planung einer Umgebung zum Leben auf alle eventuell auftretenden Fragen eine Lösung. Das Gebot, im Einklang mit der Natur zu leben, förderte eine der Landschaft angepasste Architektur im alten China. Das Feng shui bewertet verschiedene Landschaftsformen, um die bestmögliche Umgebung für einen Menschen zu finden, damit er in seinem Wirken seine Entwicklungsmöglichkeiten voll ausschöpfen kann.150 Die Anwendung von Feng shui gehört bei Geschäftsleuten an den asiatischen Handelsplätzen wie Hongkong und Singapur zum Tagesgeschäft. Sie lassen ihre Geschäfts- und Privaträume von Feng-shui-Kundigen überprüfen und verbessern. Sogar in Einzelfällen, beispielsweise vor dem Abschluss eines bestimmten Geschäftes, werden sie von Feng-shui-Meistern beraten, um die Vorteilhaftigkeit einer Transaktion zu ergründen. Auch in Europa und Amerika lassen sich Architekten von Feng shui inspirieren. Sicherlich lassen sich ungezählte Beispiele vorstellen oder anführen, die die Vorzüge der Anwendung von Feng shui nach Lehrbuchregeln bestätigen oder zumindest die Möglichkeit eröffnen, dass eine gewünschte Situation erreichbarer gemacht wird. In einer angenehmen Arbeitsatmosphäre wird man leistungsfähiger und kreativer arbeiten können als in einem Büro, indem man sich unwohl fühlt. In einem Sitzungssaal, der ein Gefühl von Kälte und Ablehnung ausstrahlt, werden keine guten Geschäftsabschlüsse getätigt werden können. Wenn Sozialräume, in denen die Mitarbeiter ihre Pausen verbringen sollen, um sich zu erholen, leer bleiben, werden sie keine geeignete Atmosphäre aufweisen. Dies alles ist einsehbar, obwohl die Wirkungsweise des Sying, des physischen Teils des Feng shui, nicht wissenschaftlich erklärt werden kann. Die empirisch festgestellten Erfolge sprechen jedoch für sich.

150 In der westlichen Kultur sind diese Erfahrungen untergegangen, vielleicht weil bei unseren keltischen Vorfahren die Schriftsprache verpönt war. Intuitiv nutzen wir die Erkenntnisse jedoch noch oft.

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5.4 Intervenieren schafft Lösungsmöglichkeiten Alle skizzierten Formen oder Interventionen können kaum als „wissenschaftlich“ validiert gelten, doch sie nützen und funktionieren. Sie dienen nicht als Muss-Regeln, jedoch erhöhen sie die Wahrscheinlichkeit gelingender Prozesse. Hilfreiche Geschichten erzeugen Fantasie und Möglichkeiten, Bilder und Metaphern beinhalten Mythen und lösen Assoziationen aus. Zuwendung, Empathie und Offenheit können Räume entstehen lassen, systemische Fragen klären und erzeugen aus Unterschieden Informationen und damit Struktur.151 Die Atmosphäre und der Rahmen verändern die Prozesse indirekt aber wirksam. Es bleibt aber eine nur zum Teil erlernbare Kunst, den Kontext sensibel und beherzt so zu gestalten, dass er Ziele und Lösungen erreichbar werden lässt. Es werden Probleme vielfältig beschrieben, ja geradezu entdeckt und die Handlungsperspektiven pluralisiert. Mindestens zwei verschiedene Lösungsstrategien sind uns aus der Krimiwelt bekannt.152 Sherlock Holmes ist Anhänger der logischen und planerischen Vorgehensweise. Er ist der präzise analysierende Wissende mit entsprechendem Auftreten. Wenn diese Methode in der Realität erfolgreich ist, dann nur wegen der selbstbewussten Haltung, die Delinquenten verunsichert und zu Fehlern animiert. Die dynamische Komplexität lässt solche Vorhersagen kaum zu. Grundsätzlich anders geht zum Beispiel Columbo vor, der sich in das System unwissend, neugierig, unlogisch und verbündend einschleicht. Er entwickelt seinen Fall emergent und erreicht Konfluenz. Er wird unterschätzt, gewinnt wichtige Informationen und kann so erfolgreich sein. Das betrachtete System trägt die Lösung in sich, weil es „Konstrukteur“ ist. Der Problemträger erzeugt das Problem durch das eigene Weltbild. Die Probleme erwachsen aus der Sicht, dass neben dem bisher geübten Verhalten keine Varianten sinnvoll und logisch erscheinen. Insofern kann der Ansatz zur Lösung schon in kleinen Abweichungen verborgen liegen. Der Interveneur versucht, neue Sichtweisen und Verhaltensweisen einzuleiten, indem er den Referenzrahmen verschiebt. Dazu dienen die beschriebenen paradoxen und überraschenden Interventionen in Form von Fragen und Anregungen, die der „Kunde“ selbst zum Lösungsansatz umformt. Durch kleine Strukturverschiebungen wird in der Regel das ganze System verändert. Wenn also eine Person die Sprachwahl oder das Verhalten verändert, wird das Gewohnte durchbrochen und es tauchen neue Möglichkeiten auf. Die schon in Kapitel 4 erläuterte DaKuzel- oder Best Patterns-Methode zur Unterscheidung von Orientierungsmustern und Stereotypen findet hier konkrete Anwendung. Es werden Unterschiede gesucht, Ausnahmen gemacht, Referenz151 Das lat. Wort informare deutet die strukturbildende Funktion der Differenzierungen an. 152 Vgl. zu diesem Beispiel E. C. Nevis, 1988, S. 134 ff.

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rahmen verschoben, vergangene Erfolge oder Erfolge anderer herbeigeholt, neue Schauplätze aufgesucht um damit die einseitige Problemsicht aufzulockern. Das beklagte Problem, das sich in der Regel zwischen den Akteuren aufbaut, wird von den Klienten gemeinsam mit dem Berater beschrieben und dann zur Lösung übergegangen, die sich aus der Änderung der kommunikativen Handlungen ergibt. Die stimmige Intervention kann aus der Atmosphäre, der Situation und den Reaktionen der Beteiligten ermittelt werden. Dabei ist auf die Sprachwahl und die Usancen Rücksicht zu nehmen. Basis dieses Veränderungsmanagements sind gemeinsame Ziele und Erwartungen aller Beteiligten, die einen positiven Ausgang der Interaktion überhaupt erst ermöglichen. Dazu muss auch geklärt werden, woran ein „gelöster“ Zustand überhaupt erkannt werden kann. Normalerweise besteht das Problem schon in den negativen Erwartungen, so dass schon das Erkennen einer weiteren Möglichkeit, Teil der Lösung ist. Jeder Interaktionsprozess tendiert wie alle sozialen Systeme zur Stabilisierung des Vorhandenen. Jede Variation birgt in sich die Chance zur Lösung und der Berater kann bei gutem Zuhören auf Lösungswege stoßen, die vom Kunden geformt, aber bisher missachtet wurden. Konkret sind Zukunftsvisionen zu bilden und positive Zustände und Ziele vorstellbar zu machen. Zudem können ungenutzte Wege, die musterhaft vorliegen in das Problemfeld transponiert werden, um so zu Veränderungen anzuregen. Wenn erst einige Varianten gefunden wurden, ergibt sich die Veränderung nahezu von selbst. Die Orientierungsmuster können dann erweitert und in das tägliche Verhalten integriert werden. Immer ist der Weg von der einseitigen Ausweglosigkeit hin zu öffnenden Perspektiven wie Visionen und Vorstellungsbildern zu durchschreiten. Alles war schon einmal gelöst, deshalb muss die Kreativität zur Konstruktion von Problemen auf die Ideenfindung zur Lösung umgelenkt werden. Systemisches Vorgehen zeichnet sich insbesondere dadurch aus, das überraschend und sehr wirksam interveniert wird. Eine hilfreiche Geschichte soll das anschaulich erläutern: Der Traktor eines Bauern war defekt. Alle Reparaturversuche misslangen. Schließlich rang sich der Bauer durch, einen Experten um Rat zu bitten. Dieser schaute sich das Fahrzeug gründlich an und beobachtete die Szenerie genau. Dann nahm er einen Hammer und schlug damit gezielt an eine bestimmte Stelle des Antriebsaggregates. Der Motor funktionierte wieder. Dann machte er dem Bauern die Rechnung auf: 50 Euro. Der Bauer wollte sich schon empören, für einen Schlag so viel Geld zu verlangen. Da erklärte der Berater, dass er für den

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Schlag nur einen Euro verlangt. Für das Wissen, wo der Schlag anzusetzen ist aber 49 Euro berechnet.153 Nachdem die Möglichkeiten der kontextuellen Intervention vorgestellt wurden, geht es in Kapitel 6 um die Wirkung der Lösungen. Es wird der Frage nachgegangen, wie sich die Beteiligten und Betroffenen mit den Veränderungen arrangieren, welche Widerstände und Konflikte auftauchen und wie sie überwunden werden können.

153 Frei zitiert nach einer orientalischen Geschichte aus: N. Peseschkian, 2000.

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6 Kontakt, Flow oder Flop Hier werden die Resultate, die Veränderungen und die Lösungen offenbar. Die Erwartungen werden mit den Erfahrungen verglichen. Die Beteiligten und Betroffenen nehmen Kontakt auf, verstehen das Projekt als ihre Sache. Sie erleben Flow,154 wenn der Prozess stimmig verlaufen ist und sprechen vom Flop, wenn die Erwartungen nicht eintreffen. Insofern sind der Kontakt und Flow weniger als Aufgabe oder Phase, sondern mehr als Ereignis des Gelingens oder Misslingens aufzufassen. Die „Brücke“ wird angenommen und genutzt, oder das Misslingen und Scheitern wird deutlich sichtbar. In diesem Kapitel werden zunächst Hemmnisse für Veränderung, Konflikte und das Scheitern thematisiert. Dann folgt die Beschreibung der idealtypischen Beziehungsentwicklung. Aufgaben: - Den Kontakt und positive Effekte wahrnehmen - Scheitern und Widerstände integrieren - Defensive Muster reduzieren - Konflikte regeln Methoden: - Konfliktregelung, Mediation - Beobachtung zweiter Ordnung - Zufriedenheitsforschung - Coaching, Supervision, Moderation

154 Der Psychologe Czikzentmihaly hat den Begriff Flow geprägt. In seinen Forschungen beschreibt er die Voraussetzungen für Flow-Erlebnisse. Flow ist ein Ausdruck des Gelingens, der Erkenntnis und des Glücksempfindens. Vgl. M. Csikszentmihalyi, 1997

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PePsel: zu schnelles Vorgehen in der Anfangsphase, utopische Ziele - Widerstände werden nicht ernst genommen - Personen werden „abgehängt“ - zu sachlich stringentes Vorgehen, enge Normen - Stereotype, defensive Muster bleiben in Anwendung

6.1 Lern- und Entwicklungsbarrieren Es existieren verschiedene Formen des Widerstandes und der Veränderungshemmung. Menschen wollen oder können die Veränderungen nicht verkraften (behavioral resistance) oder Organisationen bieten zu wenig Lern- und Entwicklungschancen (organizational resistance). Für Entwicklung ist das individuelle Können und Wollen sowie das organisationale Dürfen und Sollen grundlegend. Hieran misst sich der Reifegrad der lernenden Organisation.155 Im Zentrum der ablehnenden Gefühle stehen die Angst, die Unsicherheit und das Misstrauen, also individuelle und eventuell auch kollektive Eindrücke, die das Lösen und Lernen stören. Die Veränderung kann nur gelingen, wenn die Ängste gemindert werden. Es lassen sich typische Ängste skizzieren156: Die Angst, Fehler zu machen resultiert aus mangelndem Vertrauen, ist aber von der Kultur im Unternehmen abhängig. Diese Form der Angst resultiert auch aus Gefühlen der Ungeborgenheit und Isolierung. Die Angst vor dem Wandel überhaupt resultiert aus der natürlichen Abneigung gegen Beeinflussung. Das Gewohnte ist vertraut, birgt Sicherheit. Wandel muss deshalb mit Halt und Orientierung begleitet werden. Die Angst vor Selbsthingabe in Form von Ich-Verlust und Abhängigkeit. Einfache Unsicherheit resultiert oft aus Missverständnissen, die in wenig effektiver und verständigungsorientierter Kommunikation begründet liegen. Ängste resultieren auch aus dem Gefühl, Konflikte vermeiden zu müssen. Zum Beispiel werden unterschiedliche Sichtweisen anderer als Ablehnung interpretiert.

155 Vgl. Ausführungen zur Studie „Das Zukunftsfähige Unternehmen“ von coinco in Kap. 7. Vgl. Überblick bei W. Hopfenbeck, 1998, S. 498 ff. 156 Die Grundformen der Angst sind bei F. Riemann, 1999, S. 29 ff: nachzulesen. Riemann hat in seinem schon klassischen Werk, die Ängste den vier Grundtypen des Charakters zugeordnet. Vgl. dazu auch die Ausführungen in Kapitel II. 2.7.

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Ängste lösen auch die begeisterten Innovatoren aus, die immer schon eine Idee kreiert, ein Projekt begründet oder eine neue Weisheit erkannt haben. Sie lassen keinen Raum für sensible Geister und verdrängen alternative Ansätze mit ihrer prägenden Energie. Diese Ängste werden ähnlich auch durch autoritäre Akteure ohne klare Legitimation ausgelöst. Macht ist das Gegenteil von Liebe. Machtvolles Auftreten kann Verständnis und Sympathie verunmöglichen. Die Abweisung, das Gefühl, nicht gebraucht oder übergangen zu werden, kann diffuse Ängste auslösen, die hemmend wirken. Eine ganzheitliche Diagnose kann zu einer realistischen Sicht notwendiger Veränderungsschritte führen. Doch diese Einsicht in Notwendigkeit allein genügt nicht. Menschen fühlen sich bei Veränderungen mehr oder minder schnell überfordert, in Frage gestellt, unsicher und glauben, nicht die genügenden Ressourcen zu finden. Andere fühlen sich einsam oder zu wenig eingebunden. Manche gehen nur zum Schein auf die Veränderung ein, um dann schnell wieder das Gewohnte zu praktizieren. Alles Andere und Neue wird zunächst als Bedrohung empfunden und/oder abgelehnt. Nur vom Rande, der Unwahrscheinlichkeit, dem Nonkonformen dringen Innovationen in Systeme ein. Diese Diffusion hat anfangs große Widerstände zu überwinden, weil sich jedes System um seine Erhaltung müht. Neues zu denken und auszuprobieren muss deshalb geradezu gefördert und aktiv unterstützt werden. Es ist ansonsten eher unwahrscheinlich, dass sich die gegebene Realität verändert. Genauso können gerade widerständige Personen auf wichtige Informationen hinweisen oder den Prozess sinnvoll verzögern und damit Risiken mindern und Fehlentwicklungen verhindern. Wie äußern sich die Widerstände? Ausblendung (Desensitization) ermöglicht die Reduktion von Reizüberflutung, störende Informationen werden verdrängt (Deflexion) oder sublimiert. Mit Projektionen werden Probleme auf andere verlagert. In eher seltenen Fällen zeigt sich Widerstand durch offene Aggression. Kulturtechniken veranlassen uns eher, Meinungen zurückzuhalten oder nicht offen auszusprechen. Die Retroflexion beschreibt den Prozess, Gefühle und Gedanken für sich zu behalten. Zuweilen beziehen Personen die Probleme bevorzugt auf sich selbst (Introflexion) und die Schwierigkeiten werden nicht thematisiert. Bei konfluentem Verhalten werden die eigenen Assoziationen und Bedenken nicht geäußert und somit verinnerlicht. Die Veränderungshemmung kann von einem selbst durch Spezifizierung reduziert werden. Es gilt zu prüfen, welche Ängste am deutlichsten spürbar und welche konkreten Schritte aus eigener Kraft erreichbar sind, die Ängste zu lösen und die Unsicherheiten zu mindern.

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Die Gestalter in Organisationen können wiederum durch kulturelle Maßnahmen die Wahrscheinlichkeit von Ängsten und Unsicherheiten ihrer Mitarbeiter senken: Fehlerfreundlichkeit, die Würdigung und Belohnung von Kritikern, offene Information über und die Einleitung von Veränderungen in der Unternehmung erscheinen als sinnvolle Maßnahmen, eine Atmosphäre des offenen Dialogs zu schaffen. Widerstände bergen oft wichtige Informationen. Für alle Beteiligten ist es von besonderer Bedeutung, die kontroversen Denk- und Fühlweisen sichtbar zu machen. Organisationales Lernen wird übereinstimmend in der Literatur von der Struktur (Rahmen, Strategie, Regeln, Organisation) der jeweiligen Atmosphäre (Zeit, Raum), der Technologie (Lernsysteme, Netze, PCs), der Art der Wissens- und Erkenntnisaneignung, der Informationsverteilung, der Erkenntnisinterpretation und dem organisationalen Erfahrungs- und Lernsystem beeinflusst.157 Lernen bildet ein spezifisches soziales System aus, das durch den materiellen wie persönlichen Kontext verändert wird. Technische Möglichkeiten, Regeln der Kommunikation, Zugangsmöglichkeiten, die Vielfalt, Intensität und Tiefen der Erkenntnisgewinnung prägen die Qualität organisationalen Lernens. Eine organische, selbstorganisierende Struktur ermöglicht das reflektorische Lernen, weil sich jedes System und jeder Akteur mit dem Kontext arrangieren muss. Jeder Akteur wird hier zur Selbstverantwortung angeregt, während in eher zentralisierten Strukturen, das konforme Verhalten im System dominiert. Jegliches Infragestellen stört hier tendenziell das Gewohnte. Um double loop learning zu ermöglichen und anzuregen, sind Regeln, Positionen und Strategien interaktiv zu entwickeln und nicht zu eng zu definieren. Andererseits sind Rahmengrenzen wichtig, um Orientierung zu geben und die Veränderung zu erkennen. Von der konkreten Atmosphäre, dem learning environment ist abhängig, wie effektiv gelernt werden kann. Die Atmosphäre wird bestimmt durch die räumlichen Bedingungen, die Zeitpunkte, die Kommunikation der Akteure (Stakeholder, Teammitglieder, Marktteilnehmer), das Klima u. ä. Im Austausch mit den Umsystemen kann ein Unternehmen Erfahrungen sammeln und Erkenntnisse gewinnen. Die Lösungen der Wettbewerber, Markttests und Projekterlebnisse, das Andere und Fremde bieten Lernmöglichkeiten. Die verfügbare Technologie kann bestimmen, inwieweit Erkenntnisse sinnvoll gespeichert und verwesentlicht werden können. Auch ist der Zugang zu Informationen und das interaktive Lernen durch geeignete Lernsysteme zu verbessern. Mit einem multimedialen Speichermedium können Unternehmensgeschichten und Erfolgsmuster aufbereitet sowie die Kommunikation erheblich in157 V. Balasubramanian 1998, S 1 ff. lies. u.edut 1-333/olcover.html. Zum Lernsystem vgl. G. Bergmann/M. Pradel, 1998 und G. Bergmann, 2000a.

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tensiviert werden. Multimediale Systeme können den Dialog verschiedener Akteure vereinfachen und organische Projektentwicklungen ermöglichen. Die Wissens- und Erkenntnisaneignung umfasst die Art und Intensität der Generierung hilfreicher Routinen, Erfolgsmuster und Kompetenzen. Lernen ist von der Fähigkeit abhängig, Wissen und Erkenntnisse aus der Rekombination vorhandenen Wissens, durch Kreativität oder Wissen anderer zu systematisieren und brauchbar zu machen. Die Zugangsmöglichkeit zu Erkenntnisbereichen und Informationen bestimmt das individuelle und organisationale Lernen maßgeblich. In vielen Unternehmen werden verhältnismäßig viele Informationen nur wenigen zugänglich gemacht oder für tabu erklärt. Eine vitale Vertrauenskultur bildet sich eher in offenen partizipativen Systemen aus. Das technische Vorsprungswissen bestimmt zudem immer weniger die Wettbewerbssituation. Wichtiger werden eine ausgeprägte Lernkultur, das Erlernen von Fähigkeiten und die bindende Identität. Eng hiermit zusammen hängt die Form, wie Informationen interpretiert und gefiltert werden. Im Sinne einer ganzheitlichen Vorgehensweise sind Unschärfebetrachtungen, Multiattributierungen und dialogische Interpretationen von Wirklichkeit sinnvoll. Insbesondere reflektives Lernen resultiert aus Möglichkeiten sehr unterschiedlicher Konstruktionen von Wirklichkeit. Letztlich ist das System des organisationalen Gedächtnisses eine Möglichkeit, Lernen positiv zu beeinflussen. Auch sind hard und soft factors zu integrieren. Es werden hier Muster systematisiert und für alle Akteure nutzbar gemacht. Dabei kann es sich um allgemeine Führungsgrundsätze, über Vorgehensweisen und Methoden bis hin zu konkreten skills handeln. Flexible Vergütungssysteme und Strukturen, die persönliche Qualifikation ermöglichen, firmenübergreifendes Lernen in Netzwerken, die Früherkennung von Entwicklungen, die Integration strategischer Planungen und Initiativen in Lernprozesse und die partizipative Unternehmensentwicklung als Programm erhöhen die Wahrscheinlichkeit der Weiterentwicklung und des organisationalen Lernens. In letzter Zeit werden auch die Unternehmensgeschichten favorisiert, die allen Akteuren Einsicht in erfolgreiche und weniger sinnvolle Projekterfahrungen vermitteln. Ich stelle sie in Kapitel 7 näher vor. Lernhemmnisse Bezogen auf die skizzierten Lernstufen sind jeweilig spezifische Lernbarrieren und -hemmnisse zu beschreiben. Wenn zu viele Ausdifferenzierungen vorgenommen werden, geht der Überblick schnell verloren. Deshalb sollen nur die wesentlichen Lern- und Lösungsbarrieren im single und double loop learning

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im Besonderen bezogen auf Organisationen beschrieben werden. Espejo und andere haben die typischen Hindernisse in dieser Form zusammengefasst:158 Hindernisse beim single loop learning: - Rollengebundenes Lernen - Umgebungsgebundenes Lernen - Abergläubisches Lernen - Unklares, mehrdeutiges Lernen Hindernisse beim double loop learning: - Oberflächliches Lernen - Fragmentiertes Lernen - Opportunistisches Lernen Beim rollengebundenen Lernen wird individuelles Wissen zurückgehalten. Die Erkenntnisträger finden kein Forum, ihr Wissen angemessen einzubringen, sind überlastet, scheuen die Rolle des Störers gewohnter Prozesse oder wollen sich selbst zu geeigneten Zeitpunkten karrierefördernd einbringen. Sie verlassen ihr erwartetes Rollenverhalten erst, wenn es sich aussichtsreich lohnt. Das kollektive Wissen wird nicht nutzbar. Das umgebungsgebundene Lernen besteht in der Kommunikation auf konkrete Aufgaben, weil die Organisation das Lernen nicht würdigt, Veränderungswille nur verbalisiert wurde, zu abstrakt dargestellt oder als Druck empfunden wird. Die Akteure ziehen sich in ihr „Schneckenhaus“ zurück. Das abergläubische und „ungenaue“ Lernen resultiert aus veralteten Informationsbasen und unangemessenen Modellen der Realitätserfassung, Planungsritualen ohne Sinn und einseitigen Kalkulationen mit Zurechnungsfehlern. Oberflächliches Lernen tritt auf, wenn konzeptionelles, metasystemisches Lernen individuell nicht praktiziert wird. Die Organisation lässt zum Beispiel keine Gelegenheit zur Reflexion der Geschehnisse. Im Lösungs- und Lernzyklus werden die Phasen Sieben und Acht übersprungen, es wird nicht dokumentiert, systematisiert und letztlich der Prozess zu einem guten Abschluss gebracht. Individuell kann auch fehlender Wille oder Fähigkeit zur Veränderung vorliegen. Organisational dürfen oder können die Akteure nicht reflektieren. Fragmentiertes Lernen resultiert aus zu geringer Integration der Betroffenen in die Lernprozesse, aus nicht abgestimmten Sichtweisen (Figurbildung und Dialoge fehlen), abgeschotteten Ressorts und Abteilungen, verordneten Projekten,

158 Vgl. R. Espejo/W. Schuhmann u. a., 1996, S. 154 ff.

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Fremdorganisation ohne organische Formen der Entstehung. Das Gelernte verbleibt im engen Rahmen und ist für andere nicht nutzbar. Opportunistisches Lernen wird durch die Atmosphäre und die Rahmenregeln erzeugt. Die Akteure mit grundsätzlich erfolgreichem Prozesswissen werden von der übergeordneten Stelle ausgebremst, weil sie als zu erfolgreich gelten. Alle genannten Hemmnisse können zumindest reduziert werden. Dabei wirkt sich das Verhalten führender Personen besonders prägend aus, weil sie die Kultur am meisten beeinflussen und die Prozesse dominieren. Im Folgenden habe ich noch einige Problemerzeugende Pseudolösungen (PePsel) im Lösungszyklus aufgezeigt. Am gravierendsten werden die Fehler konstruiert, wenn von einer einseitigen Analyse direkt in den Aktionismus verfallen wird. Hierbei werden bedenkliche Abkürzungen vorgenommen, die zunächst lösend und erleichternd wirken, sich aber zu Pseudolösungen entwickeln. Wie bei Hochgebirgswanderungen sollte immer schrittweise vorgegangen werden. Es darf jederzeit eine zurückliegende Phase nochmals aufgegriffen werden, um fehlende Aspekte zu integrieren, nur vorwärts sollte die Schrittfolge eingehalten werden. Weitere PePsel sind Utopien, die nicht verwirklicht werden können. Es wird anfangs Euphorie erzeugt, ohne dass der eigentliche Prozess in Fluss kommt. Im Lern- und Lösungszyklus (Solution Cycle) treten die PePsel besonders in Form von Kurzschlüssen auf. Zum Beispiel wird die Reflexion und Problembeschreibung fahrlässig verkürzt, um direkt das gewohnte Verhaltensmuster wiederzubeleben. Meist ist dieses Verhalten mit einer unzulässigen Vereinfachung verbunden. Die Komplexität der Problematik wird geleugnet, und mensch wärmt sich in der Sonne der überschaubaren Einfachheit. Auch die 0,9-Genauigkeit führt über mehrere Wertschöpfungsstufen zu einer 0,5-Genauigkeit, also in die Beliebigkeit und nur zufällige Zuverlässigkeit. Letztlich können die angemerkten Mängel und Defizite alle zu PePseln führen. Die Beteiligten und Betroffenen finden keine Beziehung zu der „Lösung“ oder haben kein Vertrauen. Die Brücke wird nicht angenommen. Die Akteure ziehen es vor, die gewohnte und vertraute Route durch das Tal zu nehmen. Damit die PePsel vermieden werden können und zugleich Zeit und Ressourcen gespart werden, sind alle Phasen zu würdigen. Insbesondere am Anfang sollte ein behutsamer Einstieg gefunden werden. Hier entstehen die guten Beziehungen, die später zum Kontakt führen. Es dürfen keine Phasen übersprungen werden, eher ist der Prozess zu verlangsamen, als Akteure und wichtige Aspekte zu übergehen. Die Moderatoren haben die Aufgabe, die Atmosphäre stimmig zu gestalten und wenige wichtige Regeln zu beachten, die ich als acht Regeln des Gelingens zusammengestellt habe:159 159 In Anlehnung an K. Scala/R. Grossmann, 1997, S. 114 ff.

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Acht Regeln des Gelingens: 1. Commitment und Spannung erzeugen sowie Unter- und Übersteuerung vermeiden. Ziele und Interessen klären. 2. Passende Atmosphäre gestalten, Struktur und Öffnung anbieten. Die Organisation zeigt sich in Kommunigrammen, nicht in Organigrammen. 3. Visions- und Problemfeldklärung im Dialog ermöglichen. Engagement kommt von Inter-esse (dazwischen sein). Was alle angeht, müssen alle entscheiden. 4. Raum für unterschiedliche Wahrnehmungen und Sichtweisen schaffen. Die Karten sind nicht das Gelände! Verschiedene Erlebniswirklichkeiten akzeptieren. 5. Unterschiede klar machen, weniger Schuldige und Ursachen suchen und mehr Lösungen finden. Wer Probleme beschreiben kann, findet höchstwahrscheinlich Lösungen. 6. Viele Methoden dezent einsetzen. Ausprobieren, neugierig sein, Komplexität „lieben“ lernen. Nur Mannigfaltiges kann Mannigfaltigkeit regulieren. 7. Dem Klienten „nicht auf den Leim gehen“, keine unzulässigen Vereinfachungen (Trivialisierungen) zulassen und unabhängig agieren. 8. Emotionalen Ausgleich schaffen, Machteingriffe vermeiden. Akteure würdigen. Da aus Fehlern und Misslingen sehr viel gelernt werden kann, ist vielleicht auch eine Umkehrung erhellend. Einige Regeln des Misslingens: - Einfach anfangen und in großen Schritten zur Utopie gehen. - Analysieren und Schuldige suchen. - Ziele allein setzen und Mittel verweigern. Meinung und Anordnungen nie ändern. - Konzepte ausdenken und andere realisieren lassen. - Probleme lieben lernen. Exaktistisch und ordentlich vorgehen. - Planen und Grübeln lieben und Entscheidungen allein und sehr spät treffen. - Emotional eskalierend wirken. - Alle Lösungen selber finden und Ratschläge geben, niemanden einbinden. - Alle zum Glück zwingen. - Beherrschen und abwerten. - Spielregeln des Systems als Gesetz betrachten. - Nie reflektieren und Kritiker meiden oder verachten. …

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Eine Vitalisierung der vorhandenen Strukturen kann mit drei Schritten eingeleitet werden: - Die defensiven Muster und Stereotype sind zu reduzieren, um damit die individuellen Lernblockaden zu vermindern. - Auf der Basis einer vitalen Atmosphäre sind wichtige Spielregeln und Prinzipien (Best Patterns) zu erlernen. - Dabei sind die vorhandenen Ressourcen und Fähigkeiten zu nutzen sowie die Akteure intensiv einzubinden. Insbesondere sind Regeln effektiver Kommunikation im Dialog zu vereinbaren. Alle Vitalisierungsschritte können auf der prozessualen (Lösen, Lernen z. B. mit Systemspielen), der strukturellen (Projekte, Netzwerke), der personellen (Persönlichkeitsentwicklung) und der kulturellen Ebene (Leitbilder, Regeln) ansetzen. Signalwirkungen haben zum Beispiel Open Space oder andere large group events, die vom Top Management deutlich unterstützt, aber inhaltlich nicht dominiert werden. Die Akteure erfahren die Bedeutung der Vitalisierung, können sich einbringen, die Thematik mitbestimmen und nicht beklagen, sie würden nicht gehört. Inkonsistentes Verhalten, geringe Authentizität, erlernte Inkompetenz, Zurückhaltung und ähnliche persönliche Veränderungshindernisse werden offenbar. Die Veränderungswilligen haben aber auch gute Chancen, ihre Gedanken einzubringen und der offene Rahmen schafft eine vitale Atmosphäre. Mit diesem Forum ist aber zunächst nur die Möglichkeit gegeben, richtige Themen, Stimmungen und Konfliktpunkte zu offenbaren. Hieraus sollen konkrete Projekte und Initiativen formuliert werden. Insgesamt darf die Auftaktveranstaltung nicht einmaligen Charakter bekommen und sollte als ständiges open house die Möglichkeiten der Interaktion erweitern. Begleitend sind die wesentlichen Spielregeln und Disziplinen des Lernens zu erwerben. Zu den Spielregeln und Disziplinen zählen das systemische Denken, die Mustererkennung und -anwendung, die Reflexion eigener mentaler Modelle, das Bewusstmachen der eigenen Aufgabe und Identität, die Verknüpfung von Lernen und Kommunikation im Dialog, die Bildung von Gemeinsamkeiten und Visionen sowie der Aufbau geeigneter Strukturen zum Lösen und Lernen. Die diskutierten Lernhindernisse sind durch die interaktive Anwendung der Spielregeln überwindbar. Jeder Akteur hat zunächst einmal seine individuellen, vielleicht autobiografisch bedingten Probleme. Wenn dialogische Foren zur Verfügung gestellt werden, kann Lernen in Aktion realisiert werden.

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Scheitern als Chance „Scheitern ist das große moderne Tabu“, schreibt Richard Sennet.160 Alle Akteure glauben sich bemühen zu müssen, erfolgreich und autonom zu erscheinen. In diesem Buch zum Gelingen sollen deshalb einige Anmerkungen zur Schattenseite erfolgen. Die turbulenten Entwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft überfordern oft die Akteure. Allein schon die große Zahl der unbestimmten Veränderungen, der Strukturbrüche und Diskontinuitäten lösen Gefühle des Scheiterns auch in vermeintlich gut situierten Kreisen aus. Es muss deshalb nicht verwundern, dass Scheitern schon zum Lebensprinzip erhoben wird, wie es von dem Schriftsteller Cioran dargestellt wurde.161 Bei ihm gibt es aber kein Scheitern, sondern nur das Leben. So gehört zur alltäglichen Erfahrung gerade in großen Organisationen der Nichterfolg. Das Normale ist die Problemlage, die unentwegt auf irgendwelchen Ursachen und Schuldige zurückgeführt wird. Anstatt aber diesen Zustand zu akzeptieren, vielleicht auch aus Fehlern zu lernen, sich weniger anspruchsvoll mit der Ambiguität zu arrangieren, wird gegenseitig ge- und verängstigt. Ängste sind so sehr veränderungshemmend, weil Menschen, die mit Ungewissheiten konfrontiert werden, ihre Aufmerksamkeit eher auf die konkrete Situation als auf langfristige Perspektiven richten. So beschreibt Richard Sennet die Situation kognitiver Dissonanz zwischen lang- und kurzfristiger Orientierung: „Wenn ein Mensch nicht daran glaubt, dass das Problem zu lösen ist, wird das langfristige Denken sozusagen aufgehoben.“162 In ängstlicher Anspannung wird immer wieder der Impuls zur notwendigen Veränderung erlebt, aber zugleich eine Aussichtslosigkeit gespürt. Der moderne Kapitalismus fordert den flexiblen Menschen, der sich in seinen Anpassungsanstrengungen verliert, keine festen Bindungen, Orte und Foren mehr aufbauen und erhalten kann. Die neue Unübersichtlichkeit und grenzenlose Bindungsleere lösen einen Rückzug ins Innere und Private aus. Die coolness im öffentlichen Auftreten, das Haus als Hort und Schutzburg oder die Konzentration auf lokale Bezüge sind verzweifelte Versuche, den Wirrnissen zu entkommen. Und im Außen werden oberflächliche Beziehungen aus sich schnell wandelnden Teams und Projekten erlebt. „Rasender Stillstand“ soll die Einsamkeit der „schwirrenden Nomaden“ dämpfen. Dabei ist jeder für sich hilflos und kann wohl nur in dem gleichberechtigten Zusammenwirken mit anderen Unterstützung erfahren. Dabei sind gerade Phasen des Scheiterns und Misslingens geeignete Anlässe zum Lernen. Die Erfolgreichen sind eher grandios im Scheitern, schnell im Erfinden neuer Geschichten und Traditionen. Oft sind die „Loser“ nur die Symp160 R. Sennet, 1998, S. 159. 161 Vgl. E. Cioran in Lettre 42, S. 86 ff. 162 R. Sennet, 1998, S. 121.

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tomträger, deren Besorgnis, Risikobewusstsein oder deren Sensibilität zum persönlichen Scheitern beigetragen haben. Sie können nutzbringend in den Prozess reintegriert werden. Widerstand während der Lösungsarbeit von Beteiligten kann sich in Form von Ausstieg, Störung, Unaufmerksamkeit, Energielosigkeit usw. äußern. Meistens weisen die „Widerständigen“ auf Mängel hin. Störer erzeugen Krisen, die Anlass und Gelegenheit zur Veränderung bieten. Es werden Unterschiede geschaffen, die Unterschiede erzeugen. Es werden eventuell neue Ideen, Inspirationen und Lösungen evoziert oder notwendige Brüche provoziert. Der Widerstand ist ein guter Indikator für Defizite, die später zu PePsel mutieren. Vielleicht muss noch einmal zurückgegangen werden auf eine zurückliegende Stufe. Zu „glatte“ Durchläufe sind oft Anzeichen für suboptimale Lösungen (Machteingriff, Tabus, unzulässige Vereinfachung). Dabei werden dann Kritiker, Ent- und Beschleuniger sowie Andersdenkende mit ihren eigenständigen Vorstellungen und Bedürfnissen missachtet, die Symptomträger und Überbringer schlechter Nachrichten anstelle der Problemlösung „bearbeitet“. Es gilt also, den Widerstand von Akteuren zu nutzen, um nachher guten Kontakt zur Lösung aufzubauen und Dauerhaftigkeit zu erzielen. Systemische (und besonders gestaltorientierte) Interveneure unterstützen das System dabei, die Ambivalenz zu erkennen sowie zu assimilieren und selbständig kooperative Lösungen zu formen.163

6.2 Konflikte und deren Lösung Obwohl, oder vielleicht gerade weil Konflikte für die meisten Menschen lästig oder bedrohlich sind, nehmen sie im privaten und beruflichen Leben einen großen Raum ein. Besonders wenn sie nicht ausgetragen und geklärt werden können, haben sie weitreichende Folgen, die im beruflichen Umfeld von Demotivation und Grabenkämpfen bis zu innerer Kündigung, Intrigen und psychosomatischen Erkrankungen führen können. Konflikte können bei angemessener Handhabung auch sehr förderlich für die weitere Entwicklung von Personen, Beziehungen und Organisationen sein. Konflikte werden dann nicht endgültig gelöst, sondern tragen eher im eigentlichen Wortsinne von „Lösung“ zur Veränderung bei. Beim Versuch einer Definition wird die Komplexität dieser Thematik deutlich. Es kann zwischen innerseelischen (intrapsychischen) und zwischenmenschlichen (interpersonalen) Konflikten unterschieden werden. Diese eher psychischen oder sozialen Konflikte sind häufig miteinander verwoben. Auch zwei andere Aspekte kennzeichnen Konflikte, die Sach- und die Beziehungsebene. Während sich auf der Sachebene Konflikte um Sachfragen und Fakten drehen, 163 Vgl. dazu besonders E. C. Nevis, 1988, S. 169 ff.

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bestimmen auf der Beziehungsebene Emotionen, Erfahrungen, Vorurteile und Feindseligkeiten das Feld. Sachdiskussionen werden stets auch durch emotionale Faktoren beeinflusst. Je nach Situation und Ursache lassen sich Konflikte in fünf verschiedene Arten unterscheiden:164 Beziehungskonflikte: Diese beruhen häufig auf der Verschiedenartigkeit der beteiligten Persönlichkeiten in Bezug auf Vorlieben, Stil, Arbeitsweise etc. (siehe auch Persönlichkeitstypologie). Hier wirken auch Erfahrungen aus früheren Konflikten mit dem Kontrahenten hinein. Beurteilungs- und Wahrnehmungskonflikte: Hier wirkt sich besonders die Weltsicht der Beteiligten aus. Wird davon ausgegangen, dass es nur eine Wahrheit beziehungsweise Realität gibt, dann ist die Toleranz gering, eine andere Sicht der betreffenden Situation zu akzeptieren. Rollenkonflikte: Diese treten besonders dann auf, wenn Personen neue Rollen annehmen (zum Beispiel in Projekten), wenn sie sich ihrer Rolle nicht sicher sind und deshalb unklar agieren oder wenn sie häufig die Rolle wechseln, ohne dies deutlich zu machen (Kollege – Chef). Rollen sind von Funktionen zu unterscheiden. Funktionen sind Aufgaben in der Organisation, während Rollen in der Interaktion entstehen und gewechselt werden können. Rollen werden vom Kontext zugetragen, und vom Rollenträger akzeptiert oder modifiziert. Jeder Mensch übernimmt in der Regel verschiedene Rollen, die intern und extern unausgewogen und eventuell nicht stimmig zur Person sind. Daraus entstehen dann Intra- und Interrollenkonflikte. Verteilungs- und Machtkonflikte: Diese Konflikte drehen sich um knappe „Güter“ im Unternehmen. Diese können sowohl das Gehalt als auch Macht, Kompetenzen, Anerkennung, Wertschätzung und Aufmerksamkeit sein. Macht entsteht aus der Verfügung über knappe Ressourcen, die anderen attraktiv und bedeutsam erscheinen. Dies kann Geld, Schönheit, Charisma, Position, Wissen, Information, Wasser u. v. m. sein. Grundsätzlich wird unterschieden zwischen:165 Belohnungsmacht (reward power), Druckmacht (coercive power), Bezugsmacht (referent power), Expertenmacht (expert power) und legitimierte Macht (legitimate power). Macht ist dabei immer nur relativ und zeitlich begrenzt. Macht ist überall vorhanden, nur einige Akteure verfügen über eine relative Über- oder Nettomacht. Zielkonflikte: Diese entstehen durch unterschiedliche Auffassungen über das Ziel, durch divergierende Interessen oder unterschiedliche Absichten der Beteiligten, die nicht oder nicht ausreichend kommuniziert werden. Daneben lassen 164 Vgl. J. Hesse/H. C. Schrader, 1993. 165 Vgl. J. R. P. French/B. H. Raven, 1959.

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sich manifeste (offensichtliche), latente (schwelende), heiße und kurze Konfliktformen unterscheiden. Der Verlauf der Konflikte lässt sich dabei in fünf Stadien gliedern: (1) Latente Phase. (2) Auslösendes Ereignis. (3) dadurch ausgelöstes Verhalten und entsprechende Handlungen, je nach Persönlichkeitsstil: durchsetzen, vermeiden, Kompromisse schließen, Konflikte kooperativ und problemzentriert lösen. (4) Auseinandersetzung. (5) Regelung, die den Konflikt zum Abschluss bringt. Konfliktlösungen können wie alle anderen Problemlösungen am besten in der Abfolge des Lern- und Lösungszyklus (Solution Cycle) erfolgen. Konfliktlinien sind vor allem sichtbar zu machen, denn latente Konfrontationen können in subtile Formen des Ärgers und von mobbing mutieren. Daran anschließend sollte eine Klärung der Situation aus allen Sichtweisen erfolgen. Hierzu ist eine Beobachtung zweiter Ordnung, also eine Metakommunikation, wiederum ein geeignetes Vorgehen. Die Akteure können Animositäten und Konfrontationen musterhaft betrachten. Zum Beispiel sind die erläuterten Persönlichkeitstypen beziehungsweise -merkmale in harmonische und konfliktträchtige Beziehung zu setzen. Auch paradoxe und redundante Kommunikation kann der Verständigung dienen. Diese Maßnahmen bewirken oft schon eine Deeskalation, weil deutlich wird, dass die wahrgenommenen Konflikte weniger mit den beteiligten Personen als mit der spezifischen Konstellation, den zu erwarteten „Nervpunkten“ der anderen zu tun haben. In einer „beruhigten“ Situation können dann Lösungen gemeinsam kreiert und erste Maßnahmen geplant werden. Aktiv sind alle skizzierten Formen der Intervention wie besonders das reframing, das Finden von Unterschieden und Gemeinsamkeiten und auch strukturelle Designs sinnvoll. Konfliktmoderatoren beziehungsweise Mediatoren wie auch einzelne Beteiligte müssen sich klar machen, dass einfache und einseitige Eingriffe problemverschärfende Pseudolösungen darstellen. Es sind Regeln des Austausches sowie Anlaufpunkte zu Konfliktmediationen zu vereinbaren. Jeder Akteur kann aus der Konfliktsituation zumindest gedanklich heraustreten und sich verändern. Es bleibt immer klar, dass Verständigung im komplexen sozialen Feld eher zufällig ist, aber trotzdem sinnvoll erscheint, ein gemeinsames Forum des Dialogs zu schaffen. Verständigungsorientierte Kommunikation und Reflexion sind lernbar, und jeder Mensch hat ein gleiches Recht auf seine Sichtweise und kann diese – zumindest theoretisch – variieren. Eine anschlussfähige Kommunikation basiert dabei auf aktivem Zuhören und respektvoller Würdigung der anderen Seite. Zudem sind bei der Nutzung der skizzierten Persönlichkeitstypologien erhellende Einblicke in andere Reaktionsweisen zu gewinnen. Jeder Konflikt ist insofern ritualisiert, ohne Groll und sublime Abneigung zu beenden. Gerade hierbei darf kein unfinished business übrigbleiben.

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Im Folgenden sollen nun einige Hinweise zu Lern- und Entwicklungschancen in kooperativen Beziehungen präsentiert werden.166

6.3 Beziehungsentwicklung, virtuelle Organisation Die interne und externe Kommunikation und Beziehungspflege sind immer weniger unterscheidbar, weil die Grenzen des Systems Unternehmung fluider werden. Einzelne Mitarbeiter und Teams werden in profit center ausgegliedert, arbeiten weitestgehend autonom, Funktionen werden nach außen gegeben, strategische und operative Allianzen und Kooperationen auch zwischen Wettbewerbern angestrebt, die Konsumenten mutieren zu integrierten Produktexperten, Berater hingegen arbeiten fest für einen Auftraggeber usw. Somit entwickelt sich Marktkommunikation zum Dialog und interne Kontakte erhalten marktlichen Charakter. Die Integration der internen und externen Kommunikation fördert Synergien, reduziert Flops und eröffnet neue Chancen für gute Beziehungen. Das Relationship Management wandelt sich zu einem bedeutenden Erfolgsfaktor in und zwischen Unternehmen. Die vielfältigen Bindungen und Loslösungen resultieren aus den dynamischen Veränderungen, Organisationen erhalten sich wie dissipative Strukturen167 durch Wandel aufrecht. Das Projektmanagement zwängt sich in tradierte Formen der dauerhaften Zusammenarbeit hinein, so dass immer wieder neue oft sogar nur virtuelle Kontakte aufgebaut werden müssen. Im Gegenzug wächst das Bedürfnis nach verlässlichen und vertrauten Beziehungen. Grundsätzlich tragen alle Formen der Kooperation ein Leitthema, das sich in der Gründungsphase prägend auswirkt. Die Konstellation des Anfangs (Macht, Hierarchie, Aufgabe etc.) und der erste Eindruck formen die Struktur, die kaum mehr zu verlassen ist. Wenn dann sehr viele Bindungen eingegangen werden müssen, werden diese strukturellen Prägungen schnell übersehen, und es bilden sich ungeklärte Konstellationen heraus. Gute Beziehungen werden dadurch aufgebaut, dass die Partner durch die anderen Entwicklungschancen geboten bekommen. Sie streben zueinander, weil sie im anderen eine Perspektive für sich selbst sehen.168 Damit überhaupt Kontakt aufgebaut wird, ist eben der Ruf eines Akteurs bedeutsam. Dieser gute Name wird durch nicht kooperatives Verhalten wahrscheinlich Schaden erleiden. Deshalb lohnt sich verantwortliches, faires Verhalten gerade in einer anonymen Welt. Verlässliche Partner können dann auch „Lösungen“ im wahrsten Wortsinne schneller finden. Sie weisen sich gegenseitig auf Verkrustungen, Fehler etc.

166 Ausdrücklich empfehlen möchte ich die Methoden zur Konfliktlösung und Verbesserung der Kommunikation in der populären Reihe von F. Schulz von Thun, 1981/89 und 1998. 167 Vgl. Darstellung in Teil II Kap. 2 168 Vgl. dazu das Konzept von J. Willi, 1996.

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hin und die Beziehung gerät in Entwicklung. Die Attraktivität steigt mit der wahrnehmbaren Aussicht auf Entfaltungsmöglichkeiten für andere. Die Stufenleiter zu dauerhaften Beziehungen beginnt mit der Wahrnehmungsfähigkeit, der Selbsterkenntnis, geht weiter mit der Fähigkeit zur Selbstentwicklung und -verantwortung. Ein sich selbst bewusster Mensch kann anderen sinnvolle Orientierung geben. Die Vorstufe zur Beziehungsfähigkeit bildet die Kommunikationsfähigkeit. So erkennt der Mensch sein „Ich erst am Du“,169 eben durch Kommunikation mit anderen. Hier schärft sich der Blick auf eigene Stärken und Schwächen beziehungsweise die Kernkompetenzen. Neben Formen der Selbsterkenntnis durch individuelle Analyse der Vita treten interaktive Episoden. Das Selbstbild wird am Fremdbild reflektiert und erfährt eine sinnvolle Überprüfung. Es ist dann möglich, typische Muster für PePsel und Stereotype auf der einen, sowie für Erfolge und Selbstwirksamkeit auf der anderen Seite zu erleben. Kommunikationsdefizite geben Hinweise auf typische Fallen, die ihren Grund in Erlebnissen des bisherigen Lebens haben. Diese können genauso systematisiert werden wie positive Erlebnisse, Wohlbefinden und Erfolge. Zwischen Organisationen bilden sich Beziehungen als Soziale Systeme mit für sie typischen kommunikativen Handlungsmustern. Die Beziehungen entstehen dabei auch zwischen Menschen, denn Organisationen können an sich keine Beziehugen aufnehmen. Grundsätzlich durchlaufen Beziehungen fünf wesentliche Stadien:170 Die Auswahl (sampling), die Akquisition, die Verhandlung (bargaining), die Verpflichtung (commitment) und die Institutionalisierung. Dann können sie sich weiterentwickeln (Koevolution) oder erstarren (Kollusion). Das sampling ist eine mehr oder minder gezielte Suche nach Kontakt, zuweilen wird diese auch fremdbestimmt. Dann folgt bei Erkennen von Interesse oder Notwendigkeit die Akquisition sowie die Aushandlung von Bedingungen und Rollen. Wettbewerb oder Kooperation stehen im Vordergrund, wobei letztere die größere Dauerhaftigkeit verspricht. Die ausgleichende Gerechtigkeit wird sodann vereinbart (commitment). Mit Symbolen und Regeln kann die Beziehung dann gefestigt werden. Es findet eine sinnvolle Synchronisierung des Verhaltens statt, was wiederum die Zusammenarbeit erheblich entlasten kann. Im Lösungszyklus wird der Aufbau einer guten Beziehung schon in den ersten zwei Phasen gelegt und kommt dann im Kontakt zum Ergebnis. Aus positiven Erfahrungen wird gelernt. Der Lern- und Lösungszyklus dient insofern auch als Muster der Beziehungsentwicklung. Auf das Erkennen und Kennenlernen folgt die Klärung der gegenseitigen Ziele und Interessen, die Strukturierung und Veränderung. Die in-

169 Vgl. hierzu besonders M. Buber, 1997. 170 Vgl. U. Piontkowski, 1982, S. 21 ff. und G. Bergmann, 1988.

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tensive Kommunikation kann dann zur dauerhaften Interaktion mit hohem Synergiepotenzial führen. Die freie Entwicklung von Beziehungen ist oft eher die Ausnahme. Meistens müssen gerade in und zwischen Unternehmen unfreiwillige Beziehungen aufgenommen werden, wenn Akteure in Projektgruppen, Teams und Abteilungen beordert werden oder mit Marktpartnern zusammengearbeitet werden muss. Wenn bestimmte Bedingungen festgezurrt werden sollen, beginnt die Attraktivität des Systems in den Augen der Teilnehmer zu sinken. Sie werden dann nur unter Zwang, aus Mangel an Alternativen oder aus Trägheit in dem System verharren. Das System selbst, das auf starre Stabilität angelegt ist, büßt Attraktivität ein und kann sich nur über Machteingriff und erhöhte Aufwendungen erhalten. Ablehnung des Systems kann durch Angst kompensiert werden, durch monetäre Gegenleistungen oder Gewaltandrohung. Ideen und Engagement werden aber zurückgehalten, das System büßt Leistungspotenziale ein und wird über kurz oder lang Schwierigkeiten bekommen, sich zu erhalten oder positiv weiterzuentwickeln. Besonders problematisch werden solche Konstellationen, wenn die Akteure aus freien Stücken eine solche Beziehung nicht aufgenommen hätten und dadurch Nutzeneinbußen erleiden. Deshalb bietet es sich an, die freie, organische Aufnahme von Beziehungen in und zwischen Organisationen zu fördern. Dies kann durch Anreize und Chancen der Selbstverantwortung geschehen. Zum Beispiel ist hier an die skizzierten Open Space Events und die Möglichkeit eigeninitiativer Projektgruppenbildung zu denken. Für jeden Akteur erscheint es uns wichtig, die vielfältigen Beziehungen bewusst zu machen, zu reflektieren, um Lösungen oder Verbesserungen einleiten zu können. Chronifizierte und asymmetrische Beziehungen können für einige Akteure die subjektiv angenehmere Alternative darstellen. Es bedarf erst höheren Leidensdruckes, um eine Veränderung auszulösen. Krisen und Störungen, aber auch die gestützte Wahrnehmung suboptimaler Verhältnisse, die Veranschaulichung von Alternativen und die Minderung des Risikos fördern die Bereitschaft zum Ausbruch aus Kollusionen. Aus Kollusionen können einzelne Akteure oft deshalb nicht ausscheiden, weil sie starke Macht spüren. Zum Beispiel wird ein Mitarbeiter auch gegen Widerstreben Dinge tun, weil ansonsten der Verlust des Arbeitsplatzes droht oder ein Hersteller wagt nicht den Direktvertrieb, weil wichtige Handelskunden abspringen könnten. Auch hierbei ist es oft so, dass der relativ Machtunterlegene, seine Position oft schwächer einschätzt, als sie wirklich ist. Er konstruiert vielleicht ein Problem, weil er nicht wagt, resoluter aufzutreten und damit an Einfluss und Bedeutung zu gewinnen. Das ursprüngliche „Thema“ der Beziehung zieht sich fort und es ist schwierig, ein neues zu entwickeln. In

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jeder Situation ergeben sich aber Möglichkeiten, Macht zu erwerben, zu kompensieren, zu umgehen oder nur vorübergehend zu dulden. Grundsätzlich ist eine geduldige und ausgleichende Kommunikation mit klaren und sichtbaren Regeln und Zielen sinnvoll. Transaktionsanalytisch könnte von einer konsequent „erwachsenen“ Kommunikation gesprochen werden. Es nützt nichts, direkt zu intervenieren, zu korrigieren und zu reglementieren, auch wenn man Recht haben sollte. Es geht um die charaktervolle Ausgewogenheit, das einzubringen, was die Situation zum Gelingen benötigt. Einige Machtstrategien zur Reduktion der Machtgefälle und zum Ausstieg aus Kollusionen seien deshalb hier erwähnt:171 - Der Macht fügen, um dem Mächtigen zu gefallen - Mit anderen kooperieren - Angebote kreieren - Ausweichalternativen ausbauen, insbesondere in der Sicht der Mächtigen - Nicht-Handeln - Ohnmacht, Hilflosigkeit, Sorge - Übertreibung der empfangenen Bestrafung - Steigerung der eigenen Werte, Aufbauen von Ressourcen - Einschmeicheln - Herunterspielen der faktischen Kosten - Herabspielen der Belohnung: „Das ist mir nicht wichtig.“ - Attraktivität von Alternativen erhöhen - Glaubhafte Drohung - Rückzug, Entzug - Die eigene Situation spiegeln - Gesamtsituation aus verschiedenen Blickwinkeln darstellen - Versuchen, eine gemeinsame Wirklichkeitskonstruktion zu erreichen In vielen Fällen wird das Problem der Unterlegenheit, der mangelnden Alternativen lediglich konstruiert. Es mangelt dann nicht an Macht, sondern an dem kontrollierten Mut, erste kleine Schritte der Strukturveränderung einzuleiten. Einfluss beruht immer auf der Möglichkeit, andere wahrnehmen zu lassen, dass sie in gewisser Abhängigkeit stehen und keine Alternativen aufbauen können. Die Hilflosigkeit wird geradezu erlernt, und das soziale Umfeld lernt mit. Mit den realen Verhältnissen muss das nur wenig zu tun haben. So konstruiert auch 171 Vgl. besonders G. Bergmann, 1988 S. 208 ff.

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der vermeintlich Machtunterlegene an der Abhängigkeitssituation. Es werden Beziehungen aufrechterhalten, die die Weiterentwicklung der Beteiligten hemmen und insbesondere dem Machtunterlegenen herbe Nachteile bereiten können. Die Beziehung bleibt bestehen, führt aber zur Kollusion. Die Kollusion und Koevolution sollen hier kurz verglichen werden:172

Kollusion

Koevolution

Beziehungstechnik

der eigenen Identität entspringende Kommunikation

Patentlösungen, PePsel

Lösungen als Prozess

Kommunikationstechnik

Dialog und Verständigung

kurzfristige Pseudolösungen

langfristige, vertrauensvolle Beziehungen

einseitige Abhängigkeit

beiderseitiges Lernen, Kooperation

Damit koevolutive Beziehungen wahrscheinlicher werden, sind Einzahlungen auf dem „Beziehungskonto“ vorzunehmen: Hier seien einige Beispiele dafür genannt: -

Die andere Erlebniswirklichkeit respektieren

-

Nutzen für andere bieten

-

Mitgefühl und Verständnis äußern

-

Kleinigkeiten beachten, lösende Unterschiede würdigen

-

gemeinsame Geschichte, Erwartungen und Thema klären

-

Konflikte offen und lösend austragen

-

Verpflichtungen einhalten, Integrität zeigen (d. h. ehrlich entschuldigen und unbedingte Sympathie äußern)

Die Koevolution verläuft in vier Schritten: 1. Wahrnehmungsfähigkeit:

Selbst- und Fremdbewusstsein entwickeln

2. Selbstentwicklung:

„Abenteuer der Selbstentdeckung“, Identität

3. Kommunikationsfähigkeit: Verständigung ermöglichen 4. Beziehungsfähigkeit:

Kooperative Lösungen suchen

Es ist immer möglich, das Verhaltensmuster zu ändern, denn jeder Mensch ist es immer selbst, der die Probleme und die Lösungen konstruiert. Die Entdeckung der eigenen Identität ist die Basis für den Aufbau guter Beziehungen. Und die 172 Vgl. J. Willi, 1996 zu koevolutiven und kollusiven Beziehungen. Koevolution heißt beiderseitige Weiterentwicklung, Kollusion Erstarrung und Gegeneinander.

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Individuen und Organisationen mit den stärksten, attraktivsten und transparentesten Identitäten werden andere attraktive Akteure und Organisationen auf sich aufmerksam machen, eventuell an sich binden. Systeme treten in einen Wettbewerb der überzeugendsten Wertebasis. Wichtig ist, die Charakterethik zu entdecken, die die zentralen Werte und Regeln beinhaltet, also alles was erfolgreich war und das, was verantwortet werden kann, wo das System response-able ist. Weniger eine Kommunikations- und Darstellungstechnik, als die Besinnung auf die eigene Identität entscheidet über die dauerhafte „Beziehungsfähigkeit“ eines Systems. Die Lebensaussage oder Vision sollte aus dem Charakter entspringen und andere wichtige Ergänzungen als Ziel beinhalten. Auf der Basis des self respect kann von innen nach außen die Persönlichkeit geformt werden. Geduld, Offenheit und Mitgefühl gelten als entwickelte Eigenschaften. Zunächst wird das Selbst entdeckt, die eigene Autonomie erweitert und dann nach Kooperationen gesucht, um sich im Netz mit anderen zu entwickeln: Von der Abhängigkeit zur Autonomie zur Interdependenz. Helmut Aufenanger173 beschreibt in seinen Workshops den Weg über das Selbstbewusstsein in die dichte Zusammenarbeit. Wir Menschen sind in erster Linie gesellschaftliche Wesen (zoon politikon), die ihre Identität im Austausch mit anderen formen und weiterentwickeln. Der Rückzug auf sich selbst führt kaum zur dauerhaften Lösung. Gerade im Zuge der Globalisierung und Virtualisierung werden Formen der persönlichen Kooperation zum Orientierungsnetz. Immer mehr gilt es für alle Akteure, sich in Netze einzuflechten und in Allianzen und Kooperationen neue Möglichkeiten zu entfalten. Es entstehen sogenannte solare Organisationen174 aus diesen multilateralen Verknüpfungen. Die Identität des Unternehmens ist nur über den Charakter zu finden. Der Charakter setzt sich aus der Vielfalt der Charaktere, Kommunikationsweisen und Weltbilder der Akteure zusammen und ist einer ständigen Veränderung unterworfen. Eine dynamische Corporate-Identität-Politik gründet in den Wurzeln, der Identität der Organisation und versucht, die Entwicklung mit diesem Ursprung zu verknüpfen. Dabei ist es oft sehr schwierig, die verschiedenen Sichtweisen von Organisationen überhaupt zu vereinbaren. Auf der Basis der Selbstanalyse (Identitätsfindung) und dem daraus zu entwickelnden Orientierungskonsens können koevolutive Beziehungen aufgebaut werden, die allen Beteiligten Weiterentwicklungen auf kooperativer Basis ermöglichen. Jede Partei kennt die wechselseitigen Nutzenkomponenten und es werden gemeinsame Bezugspunkte (Synreferenzen, Regeln) sowie ein common ground geschaffen. Das Selbst-Bewusstsein der Akteure befähigt diejenigen Aspekte zu nehmen und zu geben, die das Eigene nähren. Jede(r) kann den anderen das geben, was 173 Vgl. besonders H. Aufenanger, 1998 und S. Covey, 1992. 174 Vgl. insbesondere G. Bergmann, 1994 und 1996.

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anderen nutzt, um im Gegenzug mehr dafür zu erhalten. In den meisten Fällen ist diese win/win-Lösung möglich, wenn auch nicht einfach zu finden. Doch nur kooperative Lösungen sind dauerhaft, weil sie keinen Akteur veranlassen, die Vereinbarung zu brechen. Vielmehr sind alle Beteiligten an der Weiterentwicklung interessiert, weil sie davon profitieren. Kollusiv werden Beziehungen, in denen sich beide Partner schaden, unabhängig davon, ob sie es wollen, oder nicht. Besonders wichtig erscheint uns, zunächst die eigenen wesentlichen Bedürfnisse zu ermitteln und diese im Rahmen der eigenen Identität auch kundzutun. Erst wenn eine gewisse selbstbewusste Autonomie entwickelt wurde, kann auch Wesentliches nach außen abgegeben werden. Andernfalls lauert die Falle des „desaströsen Altruismus“, wie das Ernst Bloch so geistreich kompliziert beschrieben hat:175 Der Hund und das Pferd sparen sich entbehrungsvoll Dinge (Knochen und Hafer) auf, die beide nicht gebrauchen können. Hier liegen zwei Fehler vor: Es werden eben nutzlose Dinge dem anderen gegeben und die Akteure können das nicht lange durchhalten, weil sie sich selber Wesentliches nehmen. Win/win-Lösungen sind durch wechselseitige Uneigennützigkeit (reziproken Altruismus) oder liebevollen Egoismus geprägt, wobei das abgegeben wird, was anderen nützt, aber einem selbst nicht schadet. In der Interaktion autonomer Persönlichkeiten werden synergetische Beziehungen aufgebaut. Es wird aus der Konfrontation herausgegangen, indem Metalösungen geschaffen werden. In den seltensten Fällen sind die Akteure an den gleichen Aspekten interessiert. Jeder kann den anderen Nutzen stiften, ohne sich selbst zu schaden. Gemeinsam werden dann wahrscheinlich dauerhafte Lösungen geschaffen, die relativ schnell erreichbar sind und durchhaltbar bleiben. Es entstehen lernende Systeme, die sich durch Kooperation und Reflexion ständig weiterentwickeln. Die Zusammenarbeit wird geformt aus der Art der Kommunikation der Akteure untereinander. Dabei wird auch deutlich, dass die Dauer einer Beziehung kein Gütekriterium ist. Es kommt darauf an, wie die Akteure mit den unterschiedlichen Interessen umgehen, Konflikte austragen, um so eine Koevolution zu ermöglichen. Gareth Morgan hat eine Fülle grundsätzlicher Bilder von Unternehmen differenziert beschrieben. Dabei kann das Image ein und derselben Unternehmung je nach Sichtweise von Maschine über Gehirn bis Prozess und Seelischem Gefängnis variieren176. Unternehmen können sich der Vielfalt des Kontextes nicht entziehen. Sie müssen vielmehr mit dem Kontext verschmelzen, in intensiven gleichberechtigten Kontakt treten und aus der Vielfalt die unterscheidbare Identität interaktiv formen. Aus der Identität werden dann sinnvoll-

175 E. Bloch, 1985, S. 22. 176 Vgl. G. Morgan, 1997.

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erweise dazu passende Rituale, Regeln, Geschichten und Symbole abgeleitet177, die nach „außen“ ein authentisches Bild projizieren. Das soziale System (siehe Abb. 6.1 schraffierte Fläche) konstituiert sich aus den Äußerungen (Sprache, Olfaktorik, Kinesik etc.) von Akteuren (hier als Kreise gezeichnet), also aus dem was zwischen ihnen (in between) stattfindet. Die charakterlichen Merkmale bestimmen dabei die Kommunikationsform. Einzelne Akteure, die eine ähnliche Form verwenden, werden sich wahrscheinlich besser verstehen als vollends konträre Charaktere. Trotzdem ist es so, dass ein und dieselbe Person vollends verschieden wahrgenommen werden kann. So kann durch die Art der Kommunikation eine vollkommen neue Wahrnehmung von Akteuren ausgelöst werden. Einzelne können durch die Art ihrer Äußerungen großen Einfluss auf das System gewinnen. Sie brauchen dazu andere nicht zu verändern, sondern nur die Art und Weise ihrer Kommunikation. Im Folgenden wollen wir den Fokus noch einmal auf die Systembildung lenken und neben den direkten Äußerungen der Akteure (Sprache, Töne, Geruch, Körpersprache etc.) auch die gestalteten Produkte und werblichen Kommunikationsformen mit einbeziehen. Ein Beobachter (möglicher Kunde, Marktpartner) ist, wenn er seiner Tätigkeit nachgeht, sofort inkorporiert, weil er mit dem System in Kontakt tritt. Es bildet sich ein weiteres System zwischen dem Kunden und dem Unternehmen. Produkte (hier als Quadrate gezeichnet) bilden als manifestierte Kommunikation ebenfalls ein soziales System zwischen dem Produzenten oder Gestalter und dem Rezipienten oder Käufer. Die Distribution oder Präsentation im Handel bildet dann auch ein soziales System relativ komplizierter Natur. Hier treten das Handelshaus, die Produzenten und die Käufer vermittelt über die Warenpräsentation in Kontakt. Noch komplexer wird die Beziehung, wenn die Verbraucher vom Hersteller und den Händlern über werbliche Kommunikation angesprochen werden178.

177 Vgl. zur Kultur von Organisationen und den von außen wahrnehmbaren Elementen G. Hofstede, 1997. 178 Vgl. D. Ahlert, 1985 zu den Beziehungen zwischen Industrie, Handel und Verbrauchern.

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Abb. 6.1: Unternehmen als Systeme Soziale Systeme in der Wertschöpfungskette Gerade in der Wertschöpfungskette zwischen Hersteller, Händler und Endkunden entstehen ausgehend von der eigenen Identität und Kultur weitere organisationsübergreifende Systeme. Ein Hersteller präsentiert ein Produkt, das, wie wir schon bemerkten, Ausdruck der inneren Verhältnisse sein wird. Es trägt die Merkmale des Organisationscharakters, aus dem es entstammt (z. B. zuverlässig, chaotisch, lustig etc.). Diese Merkmale werden nun von einzelnen Akteuren im Handelsunternehmen auf individuelle Weise wahrgenommen und interpretiert. Dabei vermischen sich die Signale des Produktes als manifestierte Kommunikation, der Akteure (Verkäufer) und der Kaufsituation. Aus dieser melange spinnen sich dann wieder spezielle soziale Systeme usw. Wenn man noch die weitere Stufe der Endkunden hinzunimmt, erscheint die Situation äußerst unübersichtlich. Nur die klare, in sich stimmige und in allen Stufen komplexe Kommunikation wird sich dabei durchsetzen können. Besonders zum Gelingen tragen also kooperative Systeme bei, in denen die marktliche Kommunikation abgestimmt ist, wo sich ein Angebots-Imagekonstrukt durchgängig wiedererkennen lässt. Koevolutive Wertschöpfungsketten sind gekennzeichnet durch differenziert abgestimmte Konzepte in Bezug auf Bedürfnisebenen, Wahrnehmungsarten und Persönlichkeitsmerkmale. Die Teilnehmer können auf jeder Stufe ihren Nutzen im Rahmen der win/win-Lösungen

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erkennen. Durch multiversale Kommunikation wird eine Durchdringung von Bewusstseinsebenen erreicht. Man versteht sich, es gelingt. Kontakt führt zur Bindung. Bisher wird das Konkurrenzdenken favorisiert, obwohl es in einer stark interdependenten Welt kaum durchhaltbar ist. „The cooperative aspect of economic behaviour has been relatively neglected. Economists speak of competitive theory, of pure and perfect competition. There is no corresponding development of cooperative theory, of pure and perfect cooperation.“179 In Zukunft werden das Netzwerk- und Communitydenken und das RelationshipCommitment in den Vordergrund treten, weil Akteure und Organisationen nur so vertrauensvoll und dauerhaft in turbulenten und oft virtuellen Märkten koevolvieren können.180 In diesem Kapitel wurde erläutert, woran Entwicklungen scheitern können, wie Konflikte und Widerstände entstehen. Es wurde aber auch angedeutet, wie diese Probleme gemindert oder gar umgangen werden können und kooperative Lösungen und Beziehungen entstehen. Im Kapitel 7 verdeutliche ich die Methoden des Musterlernens, den Aufbau von Lernsystemen und einer vitalen Organisation. Es wird damit in den reflexiven Modus übergegangen.

179 Zitiert nach R. M. Morgan/S. D. Hunt, 1994, S. 20. 180 Vgl. dazu ebenda sowie K. Bleicher, 1997.

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7 Lernsysteme und lernende Organisation In dieser Phase systematisiert die Organisation die metasystemischen Lösungen und legt damit die Basis für einen Erkenntnisprozess. Die Organisation lernt in allen Schritten, versucht aber hier den übergreifenden Gehalt zu destillieren. Die Erfahrungen in Form von Mustern und Regeln werden erkannt und systematisiert. Und dabei ist zu beachten: Das Verhalten verschlechtert sich bevor es sich verbessert. Es sind also vorschnelle Schlüsse oft unangemessen. Das Lernen ist dabei als double loop learning181 zu verstehen. Es wird nicht nur betrachtet, wie das aktuelle Verhalten effizient optimiert werden kann, sondern es wird insbesondere hinterfragt, wie sinnvoll – im Sinne von Effektivität182 – die Vorgehensweisen und Wege sind. Es werden also die Prämissen und Ziele hinterfragt, um wirkliche Fortschritte erreichen zu können.183 Die „Brücke“ wird geprüft und genehmigt. Dabei sind nicht die Baupläne und Konstruktionszeichnungen als metasystemische Regeln zu verstehen, sondern die Beschreibung der gelungenen Prozesse und Tätigkeiten, die dazu geführt haben, dass die Brücke eine angemessene und anerkannte Lösung darstellt. Erweiternd wird aus den vorhandenen Lernbereichen, skills und Erfahrungen ein ganzheitliches System des 181 Vgl. C. Argyris, 1991 sowie die Darstellung in Kapitel 0 sowie Teil II Kap. 1. 182 Effektiv handelt derjenige, der das Richtige richtig und zum rechten Zeitpunkt bewirkt. 183 In systemischer Sicht sind an effektives Lernen verschiedene Bedingungen geknüpft. Insbesondere geht es um das geeignete learning environment. Es ist in großem Maße abhängig von der Lernatmosphäre, ob Inhalte von Lernenden aufgenommen werden. Lernende Akteure sind keine Wissensspeicher ohne eigene Vorstellungen und Selektionsmechanismen. Zudem ist „Erkennen immer Handeln, und Handeln immer ein „Erkennen“ (Maturana/Varela). Systeme können insofern nur im Agieren auch lernen. Wichtig ist auch, das interaktive, kooperative Lernen zu fördern. Weitergehendes dazu bei R. Schulmeister, 1997, S. 71 ff.

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Lernens geformt. Dieses Kapitel ist deshalb der Mustererkennung, den Ergebnissen einer betreffenden Studie sowie dem Aufbau von Lernsystemen und der Unternehmensentwicklung gewidmet. Aufgaben: - Muster entdecken - Systematisieren - Organisieren, Entwickeln Methoden: - Mustererkennung, Musterbildung, Best Patterns - Erfolgsfaktorenforschung, Business Stories - Soll-Ist-Vergleich, Controllingsysteme - Kreislauf der Erkenntnis - Lernsysteme, organisatorisches Lernen PePsel: - zu konkretes Lernen - keine systematisierende Musterbildung - Leugnung der Unterschiede - Lernen nur in „Inseln“

7.1 Die Systematisierung des Lernens – Muster, Regeln und Geschichten Aus den Erlebnissen und Erfahrungen der Projekte und sonstiger Prozesse im Unternehmen kann, ob es nun gelungene oder gescheiterte Abläufe waren, systematisch gelernt werden. Den Kreislauf der Erkenntnis und die Mustererkennung, die schon vorgestellt wurden, kommen in dieser Phase zum Einsatz. Es interessieren vor allem die für weitere Vorhaben nutzvollen Muster, die ermöglichen, eine weitere Lernstufe zu erklimmen, also nicht die gleichen Fehler noch einmal zu durchlaufen und die Wahrscheinlichkeit des Gelingens in Zukunft zu erhöhen. Es werden die Unterschiede gesucht, die Unterschiede machen, die Best Patterns oder Dauerhaften Kurzzeitlösungen (DaKuzel). Best Patterns wir-

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ken als Synreferenzen,184 schaffen Identitätsbezüge und explizieren das implizite Wissen des Systems, welches die besondere Kernkompetenz ausmacht. Auf einige erhellende Vorgehensweisen der Mustererkennung möchte ich genauer hinweisen. 7.1.1 Musterbildung als Dichtung Anschaulich schildert Christopher Alexander die Musterbildung als poetischen Prozess.185 Zur Lösung von Problemen können sehr unterschiedliche Spielregeln sinnvoll und wirksam sein. Die konkrete Musterbildung vollzieht sich dann in Form der Dichtung, indem immer wesentlicher und dichter zusammengefügt wird. Das Gedicht fängt viele Bedeutungen auf engstem Raum ein, lässt Interpretationen zu und gewährt individuelle Spielräume. Zahlreiche Konnotationen schwingen mit, die Beschreibung gewinnt Gestalt durch die Integration unterschiedlicher Facetten und Ebenen. Die Muster durchdringen sich gegenseitig, wirken in ihrer Gesundheit aussagekräftig, verschmelzen zu einem Organismus, indem sich alle Elemente unterstützen und über die Summe der Teile hinauswachsen, wie im Gedicht nicht mehr der Informationsgehalt der Worte, sondern ihre eigentümliche Anordnung und Vernetzung ein überraschendes Neues ergeben. Alexander verwendet den Terminus Sprache, weil Poesie einer Ordnung bedarf, einer Regel, von der abweichend Neues geschaffen werden kann, die aber die Struktur braucht, gegen die sie verstößt. Sprache gibt Orientierung und ermöglicht Verständigung. Die Wörter sind die Musterelemente, die wiederum nach bestimmten Regeln in eine sinnvolle Beziehung gebracht werden können. Die entstehenden Sätze entsprechen in der Organisation dann gelungenen Projekten oder Strukturen. Gedichte sind die vollendete und authentische Optimalform. Jede Organisation besteht nun aus diesen Mustern in Form von Prozessdesigns, Strukturen und Verhalten. Sie sind uns so vertraut, dass wir sie kaum als patterns interpretieren und wir vergessen, die Orientierungsmuster von den Stereotypen zu differenzieren. Bei der Pattern Language handelt es sich um ein Regelsystem gelingender Prozesse, also eine Sammlung erlebter Muster mit zeithaltigem und robustem Charakter. Obwohl diese Mustersprache für die Architektur entwickelt wurde, beantwortet sie die Frage nach den Grundlagen und Regeln vitaler Systeme überhaupt. Alexander und sein Team haben sich, wahrscheinlich ohne es zu wissen, der systemischen Unterscheidung bedient und lebendige von starren Artefakten differenziert. Gemeinsam ist allen florierenden und dauerhaften Systemen, dass 184 Den Begriff „Synreferenzen“ hat H. P. Hejl geprägt. Es sind die gemeinsamen Bezugspunkte in einem sozialen System, die es formen und zusammenhalten. Vgl. H. P. Hejl/K. H. Stahl, 2000. 185 C. Alexander hat mit einem Team sinnvolle Muster gelingender Architekturgestaltung vorgestellt. C. Alexander, u. a. 1977. Vgl. auch die anschaulichen Erläuterungen in C. Alexander, 1984, die schon deutlich in den gesellschaftlichen Bereich hineinwirken.

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sie sich emergent und organisch entwickelten, also am Anfang nicht klar war, worauf sie hinausliefen. Die Gestalter folgten ihren Ideen authentisch und beseelt, sie organisierten wie es ihre Intuition nahe legte, ohne konkreten Zweck aus der Umgebung und der Situation geboren. Genauso wie es verwundern muss, dass Bauern funktional ästhetische Scheunen bauen konnten, die geradezu in die Landschaft hineingewachsen sind, muss es überraschen, wie ungelernte Unternehmer lukrative Imperien entwickeln. Diese vitalen Systeme weisen lehrreiche Gemeinsamkeiten auf. Die Gründe für scheiternde Projekte liegen vielleicht in dem anmaßenden Glauben an Planbarkeit und Voluntarismus und im Agieren gegen natürliche und soziale Kontexte verborgen. Die Suche nach Kernkompetenzen ist dahingegen der oft schwierige Versuch, den wesentlichen, also wesensgemäßen Grundprinzipien und Regeln näher zu kommen und authentischer zu werden. 7.1.2 Unternehmensgeschichten – Learning Histories – Business Stories Eine weitere Methode zum Mustererkennen und -anwenden ist das Aufzeichnen und Mitteilen von Erfahrungsgeschichten, sozusagen eine narrative Diagnose der Unternehmensentwicklung. Es hat sich herausgestellt, dass das Erzählen glaubhafter, erlebter Geschichten ein wirkungsvolleres Führungsinstrument ist, da hierdurch Sinn vermittelt, Orientierung geboten und Aufmerksamkeit erzielt wird. Die Unternehmensgeschichten können besonders auch das Lernen beflügeln, wenn die Dokumentation sozusagen in unstrukturierter und redundanter Form erfolgt. Geradezu beiläufig wird in Gesprächen über Projekterfahrungen und Geschehnisse Identität entwickelt und Vertrauen geschaffen. Alle Akteure können erkennen, dass ihre Erfahrungen auch von anderen geteilt werden oder als Erkenntnisse nützlich sind. Themen, Probleme und Lösungen werden öffentlich kommuniziert und damit auch für andere Akteure Teil der Wirklichkeit. Wenn die Leser zudem etwas über die Motive, Begründungen, Entscheidungswege und Randbedingungen erfahren, wachsen das Verständnis und der Zusammenhalt. Die business stories geraten so zu Grundlagen der Mustererkennung.186 In jeder Organisation gibt es Gruppen, Teams und einzelne Akteure, die über spezielle Fähigkeiten, Erfahrungen aus Veränderungsprozessen und Erlebnissen verfügen, die aber nicht allgemein bekannt sind. Lerngeschichten können dazu beitragen, dieses Wissen verfügbar zu machen und die Unternehmung aus ihren eigenen Geschäftsprozessen lernen zu lassen. Besonders sinnvoll ist es, jeweils zu den verschiedenen Dimensionen der Balanced Scorecard Beiträge eines Projektes gemeinsam zu benennen. Mit einer solchen Standardisierung der Bewertung kann die Komplexität sinnvoll reduziert werden und alle Beteiligten halten 186 A. Kleiner/G. Roth, 1998, S. 9 ff.

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sich gegenseitig zu einer bündigen und konsensfähigen Beschreibung der gewonnenen Erkenntnisse an. Teams von Insidern und Beratern versuchen, in reflektierenden Gesprächen die Erfahrungen der einzelnen Akteure sichtbar zu machen. Aus eher vertrauensvollen aber unstrukturierten Dialogen werden die übergreifenden Aspekte destilliert. Erzählend entstehen Orientierungsmuster und hilfreiche Geschichten geben Vertrauen. Es wird deutlich, wer, wo in der Firma schon Projekte bewältigt hat und über Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, wer schon leidvolle Erfahrungen machte und trotzdem Projekte zum Besseren wendete. Es geht dabei mehr um das „Wie“, also die Beschreibung des Erlebten, als um das „Was“. Gemeinsamkeit entsteht genauso wie Unterschiede und Konfliktlinien deutlich werden. Die heimlichen Spielregeln geraten ans Licht und verlieren damit ihren unheimlichen Charakter, narrativ erwächst eine erweiterte Sichtweise der eigenen Organisation. Orientierung wird erweitert und Vertrauen geschaffen. 7.1.3 Spielregel-Diagnose In jeder Organisation existieren diverse Spielregeln, die, bekannt oder geheim, gestaltet, vereinbart oder entstanden, die Zusammenhänge und Abläufe verstehen lassen. Regeln sind Anweisungen, Vereinbarungen und Übereinkünfte, die durch offizielle oder informelle Sanktionen durch praktisches Handeln gelernt werden und damit dem sozialen System Geltung verschaffen. Regeln entstehen aus der Kultivierung spontaner Ordnungen in einer non-trivialen Selektionsprozess der jeweiligen Akteure. Die Regeln schaffen Sinn, Verhaltenssicherheit und verleihen Orientierung. Im Ansatz des so genannten Symbolischen Interaktionismus187 sind Gesten, Dinge, Geschichten, Kleiderordnungen, Zeichen und Sprachweisen zur oft unbewussten Koordinierung von Menschen in sozialen Systemen untersucht worden. Gerade in längerfristigen Beziehungen bilden sich kaum beobachtbare, subtile und vielfältige Mechanismen heraus. Besonders eindrucksvoll kann diese Regel geleitete Symbolsprache im Teamsport beobachtet werden, wo sich die Mitspieler mit winzigen Gesten verlässliche Signale senden. In der Synopse zu diesem Buch greife ich dieses Phänomen noch einmal auf. Es kommt darauf an, die aktuellen Regeln und dabei insbesondere diejenigen, die eingehalten werden – zu diagnostizieren. Dazu dienen qualitative Interviews und Beobachtungen, Dokumentenanalyse und analoge Methoden. Die Organisationsregeln sind dann mit den Orientierungsmustern und Stereotypen zu vergleichen und gegebenenfalls zu variieren, um die Erfolgswahrscheinlichkeit zu erhöhen. Diese Veränderung kann wieder mit dem Lern- und Lösungszyklus (Solution Cycle) geschehen. 187 Vgl. Darstellung bei U. Piontkowsky, 1982, S. 30 ff.

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7.1.4 Lernen aus guten Erfahrungen – Best Patterns Mit dem Kreislauf der Erkenntnis habe ich das Lernen aus Erfahrungen und Erwartungen erläutert. Erfolgsfaktoren und Orientierungsmuster können aus der Unterscheidung gelingender und scheiternder Vorgehensweisen gewonnen werden. Die schon in Kapitel 4 vorgestellten Spielregeln (Best Patterns) sind aus der Beobachtung sehr unterschiedlicher sozialer Systeme entstanden. Dabei werden nicht nur aktuelle Marktteilnehmer analysiert und beobachtet, sondern auch historische Betrachtungen und Kulturvergleiche angestellt. So weisen die Muster zeitstabilen und Kontext übergreifenden Charakter auf. Die Konzentration auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten erleichtert die Suche. Zur Ermittlung von Erfolgsspielregeln ist somit auch der Aufstieg und Fall von Staatensystemen, natürlichen Systemen oder Firmenimperien aus anderen Branchen und Zeiten interessant. Die vergleichenden Studien habe ich mit theoretischen Abhandlungen (zum Beispiel der Evolutionstheorie nach E. Laszlo), ethnologischen Untersuchungen (zum Beispiel M. Harris), empirischen Sekundäranalysen (z. B. H. Simon, C. Steinle u. a.) sowie eigenen Diagnosen realisiert. Zusammen sollen sie die Basis einer Pattern Language of Management188 bilden, die in den nächsten Jahren differenziert ausgeformt werden soll. Die Vorgehensweise geht über die Suche nach best practices im benchmarking hinaus, weil konsequent nach metasystemischen, also zeit- und kontextneutralen Mustern gesucht wird. In der Studie „Das Zukunftsfähige Unternehmen“ wurden die induktiv systematisierten Orientierungsmuster empirisch überprüft. Die hypostasierten Zusammenhänge erwiesen sich dabei als hoch signifikant für die Erfolgswahrscheinlichkeit. Jede Organisation und jeder Akteur, die sich an die Regeln halten, ernten mit hoher Wahrscheinlichkeit den Erfolg, den wir schon in Kapitel 4 beschrieben haben. Wer andere Ziele als den Response of Innovation (RoIn) – also eine dauerhafte und vitale Unternehmensentwicklung – verfolgt, dem ist mit dieser Mustersprache vielleicht weniger gedient. Unsere Vision ist ein interaktives Modell von Regeln für vitale Systeme. Alle Orientierungsmuster werden zu sinnvollen Spielregeln geformt und nach den Kategorien „Prozess“, „Struktur“ und „Methoden“ systematisiert. So können in Zukunft die hilfreichen Muster des gelingenden Managements gezielt abgerufen und situativ eingesetzt werden. Hilfreiches Wissen wird explizit und tradierbar. Das System der Spielregeln ist dann wie eine Sprache zu nutzen, die Verständigung und Kooperation er188 Vgl. G. Bergmann/G. Meurer, 2001. Die Ergebnisse der Studie sind unter www.esgelingt.de oder www.coinco.de einzusehen. Ein Beispiel: Kommunikation. Dieses Muster besagt, dass es sich als vorteilhaft herausgestellt hat, verständigungsorientiert zu kommunizieren. Es muss hierbei geklärt werden, von welchen Situationen (Team, Gruppe) sich Verständigung am besten vollzieht. Gruppengröße, Regeln des Austausches, Zusammensetzung, Aufnahme, Anwendungsregeln, Atmosphäre und Sprachwahl usw. sind weitere Untermuster. Die Best Patterns sind in einer Buchreihe erschienen. Vgl. G. Bergmann/G. Meurer, 2001.

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möglicht. In der nachstehenden Abbildung sind wichtige Orientierungsmuster und Spielregeln in den Lösungszyklus integriert worden.

Abb. 7.1: Spielregeln im Lern- und Lösungszyklus (Solution Cycle) In der Studie wurden alle acht Kategorien der Spielregeln, wie sie in Kap. 4 vorgestellt wurden bei den untersuchten Unternehmen abgefragt. Sie erwiesen sich als höchst signifikant, die Wahrscheinlichkeit einer zukunftsfähigen Unternehmensentwicklung zu erhöhen. Die Untersuchung erwies sich dabei als robustes und aussagekräftiges Diagnoseinstrument für den Reifegrad vitaler Unternehmen. Im Folgenden ist ein typisches Diagnoseprofil einer Unternehmung angegeben. Es wird immer in Relation zum Durchschnitt aller anderen gesetzt und gibt damit einen direkten Einblick in wesentliche Veränderungswege und Lösungsansätze.

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Abb. 7.2: Diagnoseprofil In einem weiteren Schritt sind die erkannten Spielregeln in Anwendung zu bringen. Dazu dienen Prozess- und Handlungsmuster, wie sie mit dem Lern- und Lösungszyklus (Solution Cycle) sowie den diversen Interventionsformen präsentiert wurden. Einen speziellen Zyklus der Veränderung habe ich hier noch angeführt. Dieses Prozessdesign findet sich in allen Entwicklungen wieder, vom kurzen Gespräch bis zur Unternehmensentwicklung über Jahre. Wirksame Veränderung wird beim Durchlaufen aller Phasen wahrscheinlicher.

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Abb. 7.3: Zyklus der Veränderung

7.2 Der Weg zur lernenden Organisation Das organisationale Lernen findet seine Basis in individuellen Erkenntnisprozessen. Jedes soziale System lernt in irgendeiner Form und Intensität. Es liegen also immer schon Initiativen vor, die als Quellen einer lernenden und vitalen Unternehmung betrachtet werden können (corporate knowledge). In der folgenden Abbildung sind dazu einige Anstöße und Lernaktivitäten aufgezeigt, die als Basis eines Corporate Learning System (CLS) betrachtet werden können. Als wichtige Voraussetzungen für die erfolgreiche Entwicklung vitaler Lernsysteme können Folgende genannt werden: - Das Top Management muss das Projekt sichtbar und bedingungslos unterstützen. Auch vorbildliches Verhalten und symbolische Rituale sind dazu dienlich. - Es müssen die organisatorischen Rahmenbedingungen und Spielräume geschaffen werden. - Nach einer Impulsphase, die die ersten Schwellenängste überwinden hilft, ist durch externe Berater die weitgehende Selbstorganisation auszulösen. Die Akteure im Unternehmen müssen das Projekt sich zu eigen machen und mit dem konkreten Kontext verknüpfen. - Die Lernorganisation sollte methodisch und prozessual mit allen wesentlichen Bereichen im Unternehmen verbunden werden (methodische Integration).

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- Die Projektgruppen sind repräsentativ vielfältig, aber auf Eigeninitiative zusammenzusetzen. Das heißt, jeder Interessierte muss eine gute Chance bekommen, sich zu engagieren (Open Source Development). - In einem strategischen Dialog – Forum sollten immer wieder neue Impulse den Prozess reflektieren helfen. - Individuelles Können (Fähigkeiten), Kompetenz und Wollen (Engagement) ergänzen notwendigerweise die organisatorischen Voraussetzungen (soziales Dürfen, Lernsysteme etc.) - Die kontinuierliche Weiterbildung, sinnvolle Dokumentation der Erfolge und Misserfolge sowie die offene Verbreitung von Informationen in einer Atmosphäre des Lernens und Lösens sind weitere wichtige Beiträge zur lernenden Organisation.

cls

Impulse der Stakeholder Trainings- und Entwicklungsprogramme Kompetenzen und Skills der Mitarbeiter Strategische Initiativen Erfahrungen Controlling Open Space Unternehmenstheater Projekte Marktkontakte Beratungen Krisen

Abb. 7.4: Vorhandene Lernbereiche Kristallisationspunkt ist oft die innovative Produktpolitik, die im Lern- und Lösungszyklus sich vollzieht, neue überraschende Erkenntnisse zutage fördert und weiterführt zur Optimierung der gesamten Wertkette. Besonders hierbei kommen Gewinnung, Verteilung und Anwendung neuer Erkenntnisse zusammen.189 Im gesamten Unternehmen muss eine Atmosphäre des lebendigen Lernens entstehen, so dass jeder Akteur den Eindruck gewinnt, lernen und lösen dient dem persönlichen Fortkommen und sichert das Unternehmen als Ganzes. Die Organisation lernt wie wir schon diskutierten im Prinzip genauso wie ein Gehirn als Netz, welches in diesem Falle nur weiter gesponnen wird zwischen Menschen und Organisationen. Genauso wie Gehirnzellen kommunikativ verknüpft wer189 E. C. Nevis u. a. haben die Elemente des CLS anschaulich systematisiert und beschrieben. Vgl. insbesondere E. C. Nevis u. a., 1995, S. 82.

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den, um durch neue Verbindungen erweitertes Wissen zu schaffen, bilden sich durch Kommunikation mit anderen weitere soziale Erkenntnisse. Als Hinweis auf gute Lernbedingungen können deshalb auch Parallelen zu gelungenen, individuellen Lernprozessen gezogen werden: einsehbarer Nutzen, Freude, Lernen in Aktion usw. sind die Stichworte (vgl. Teil II Kap. 1). Das Corporate Learning System im Veränderungszyklus:

Abb. 7.5: Entwicklung des CLS Das CLS wird – wie andere Projekte auch – im Lern- und Lösungszyklus (Solution Cycle) in kleinen aber zielstrebigen Schritten entwickelt. Bei der Entwicklung zum vitalen Unternehmen wird in unterschiedlichen Stadien angesetzt. Wenn nur wenige Voraussetzungen vorliegen und im Wesentlichen statisch operativ gearbeitet wird, ist eventuell mit einer Projektgruppe zu beginnen, um dann mit stufenweise komplexeren Organisationsformen darauf aufzubauen. Idealtypisch wird mit einem Profitcenter begonnen, zuweilen können vorhandene Einrichtungen in einem Weiterbildungs- oder Kompetenzzentrum zusammengefasst werden. Die folgenden Strukturkomponenten bilden die Projektorganisation und ein integriertes Lernsystem. Die weitere Entwicklung der Lernkultur ermöglicht dann das vitale Unternehmen. Daraufhin gilt es zu prüfen, welche Form von Lernaktivität schon praktiziert wird. Der Prozess verläuft dann idealtypisch in den aufgezeigten Phasen:

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Standardisiertes Lernen: - Knowledge Management - Seminare und Weiterbildung, Trainings, Personalentwicklung, special skills Veränderungsinitiativen: - Projekte, Lernwerkstätten - Events wie Projekte, Open Space, Unternehmens-Theater u. a.. - Erste Organisationsentwicklungsabteilung Planung und Koordination: - Verknüpfung mit strategischen Initiativen - Aufbau Mustererkennung, Spielregeln des Gelingens - Früherkennung, Marketingforschung und Controlling: Kreislauf der Erkenntnis, partnering - Verknüpfung mit Stakeholdern, key accounts und Beratern zu einem Lernnetzwerk - Etablierung CLS und Entwicklung des Vitalen Unternehmen So verläuft die Entwicklung des CLS auch in den verschiedenen Phasen von der Vorsondierung und Diagnose bis zur Etablierung und Reflexion durch den Solution Cycle. Zum Abschluss dieses Kapitels wollen wir nur kurz auf die grundsätzliche Unternehmensentwicklung eingehen und dabei besonders die Entstehung von evolutionären und organischen Formen der Organisation beleuchten.190

7.3 Die organische Unternehmensentwicklung Im Begriff der organischen Organisation ist insbesondere das Prinzip der Selbstorganisation angelegt, nachdem sich die notwendigen Strukturen in Form von gemischten Gremien und Projektgruppen selbsttätig durch Austausch- und Anpassungsprozesse nach dem Vorbild natürlicher Systeme gebildet haben. Die konkrete Ausprägung wird in hohem Maße von der spezifischen internen Konstellation und insbesondere von den jeweiligen Teilnehmern bestimmt. Dabei begrenzen die äußeren Rahmenbedingungen lediglich den Möglichkeitenraum. Die Strukturen wachsen gemäß der spezifischen Bedingungen, denen sie unterworfen sind. Es werden keine neuen Abteilungen gegründet oder verordnet, sondern Akteure für die Mitarbeit gewonnen und Projekte gezielt gefördert. Ini-

190 Vgl. dazu auch G. Bergmann, 1996, S. 256 ff.

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tiative und Veränderung müssen, damit sie nicht in Routine und Ritualen steckenbleiben, bewusst und intensiv unterstützt werden. Das Innovationsmanagement schafft den geeigneten Rahmen und damit die Chance, neue Projekte zu initiieren. Es plant und koordiniert als zentrale Innovationsplanstelle alle notwendigen Aktivitäten intern und in Zusammenarbeit mit diversen Kooperationspartnern, greift aber nicht direkt in die Arbeit der Teams ein. Vielmehr legt es im Sinne einer Metasteuerung die allgemeinen Spielregeln und Orientierungen fest. Organische Organisationen sind besonders in kleineren Einheiten vorstellbar, also in kleinen Unternehmen oder eigenständigen Geschäftseinheiten größerer Konglomerate. Die Neuerungsfähigkeit wird bei größeren Unternehmen durch eine sogenannte Parallelorganisation erhalten. Einzelne Programm- und Produktteams arbeiten neben der Stammorganisation autonom als innovative Inspirateure und Spezialisten-Teams und zwar im Rahmen gering spezifizierter Vorgaben. Eine solche Organisationsform kann als „plural“ bezeichnet werden. Sowohl bereichs- und hierarchieübergreifende Gruppen als auch Routinestrukturen sind lose verkoppelt und werden nebeneinander toleriert. Es ist sinnvoll, sich zunächst einige der wesentlichen „organischen“ Formen vorzustellen, die gerade im Innovationsmanagement erfolgversprechend zu sein scheinen:191 Die organische Organisation ist ein idealistischer Typus der sich frei bildenden Struktur. Jede(r) erhält seinen Platz, indem sie oder er sich diesen selber aussucht oder anstrebt. Nicht der Mensch wird in die Struktur gezwängt, sondern die Konfiguration bildet sich aus den Potenzialen und Wünschen der Beteiligten. Es ist diese selbstorganisierende Struktur, welche das einzigartige Profil der Unternehmung erzeugt. Die Vielzahl der Fähigkeiten schafft einen hohen Grad an Multistabilität. Ich beschränke mich im Folgenden auf netzartig strukturierte Formen, die durch Polyzentrik und flache Konfigurationen gekennzeichnet sind. Die heterarchische Struktur192 lässt autonome Spielräume für gemischte Gremien, die sich mit innovativen Themen beschäftigen. Die redundante und improvisierte Struktur ist dabei geradezu erwünscht, da sie die Kommunikation befördert. Kurzfristige Ineffizienzen werden bewusst in Kauf genommen, um zum rechten Zeitpunkt dann Potenziale entfalten zu können. Die destruktualisierten Organisationstypen haben sich in drei Stufen entwickelt:

191 Vgl. P. Gomez/T. Zimmermann, 1992, S. 92 ff. 192 Heterarisch bedeutet seitlich differenziert. Strukturen sind durch vielfältige nicht hierarchisch angeordnete Elemente charakterisiert.

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Zirkuläre Organisation Die Circular Organisation193 zeichnet sich bei stärkerer Aufrechterhaltung der Hierarchie durch intensive Abstimmung der einzelnen Abteilungen und Ebenen aus. Zwischen den organisatorischen Einheiten werden Komitees konstituiert, die eine horizontale und vertikale Abstimmung vornehmen. Die intensive Kommunikation beflügelt zwar den Wissenstransfer und die Verständigung, wirkt insgesamt aber sehr aufwendig. Insbesondere in größeren Organisationen erscheint es wenig praktikabel und sehr zeitaufwendig, Entscheidungsprozesse über verschiedene Ebenen ablaufen zu lassen. Insbesondere geschieht es häufig, dass innovative Gedanken und Anregungen in diesen langwierigen Abstimmungsprozessen versickern. Daher ist es notwendig, auf der Grundlage einer Vertrauenskultur, Kompetenzen in Teams und Gremien zu verlagern. So können die Vorteile einer zirkulären Entscheidungsfindung (Koordination, Synergie und Vermaschung) gewahrt bleiben, die Nachteile wie Zeitaufwand und Verkrustung aber reduziert werden. Laterale Teamorganisation Die Teamorganisation gründet sich auf dem Gedanken, dass die Motivation der Teilnehmer auch den Erfolg ausmacht. Die gesamte Organisation wird als Verknüpfung unterschiedlicher Gruppen aufgefasst. So genannte linking pins verbinden die Teams durch jeweilige Doppelmitgliedschaften in vertikaler und horizontaler Sicht miteinander. Im Idealfall bilden sich netzartige Strukturen aus. Dabei sind die Teams lateral und gleich berechtigt organisiert. Diese heterarische Organisation ist besonders in konzeptionellen Bereichen sinnvoll. Kollektive Zielbildungsprozesse und Entscheidungen stellen die aktive Mitarbeit und Motivation sicher. Innovationslösungen werden nach diesem Modell nur einvernehmlich angenommen. Alle Mitglieder bringen in diesem hierarchiefreien Gremium ihr Spezialwissen und ihre Ideen ein. Die Teamorganisation lässt gerade wegen ihres dezentralen und partizipativen Charakters sehr eigenständige und innovative Konzepte erwarten und beschleunigt so die Entscheidungsprozesse. Insbesondere bei einer flachen Konfiguration der Gesamtorganisation lassen sich gemischte Gremien denken, die intern hierarchiefreie Diskurse zwischen den Kompetenzträgern ermöglichen. Venture teams werden speziell als „Versuchsballons“ initiiert. Sie sind als virtuelle Abteilungen konstituiert, so dass aus ihnen neue Facetten der Organisation entstehen können. In Form von venture teams werden bewusst nur diejenigen Projekte gefördert, die von keiner vorhandenen Abteilung aufgegriffen werden. Initiatoren werden ermächtigt, ihr Team zusammenzustellen und erhalten managerielle und materielle Unterstützung. 193 Vgl. G. Bergmann, 1988, S. 289 und 1994.

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Es können Organisationen ohne Grenzen entstehen. Dort wird weniger direkt kontrolliert als vielmehr ein Forum für innovatives Wirtschaften geschaffen. Ein geeignetes Ambiente und Klima lässt Konflikte kanalisieren und Ängste reduzieren. Die individuellen Stärken der Teilnehmer vereinigen sich im Team und entfalten damit synergetische Wirkungen. Negative Gefühle wie Neid und Eitelkeiten werden im Klima der Offenheit zurückgedrängt. In jedem Team und jeder Teamorganisation kann vom Koordinator deutlich gemacht werden, dass Egoismen und persönliche Machtspiele negativ sanktioniert werden. Gruppendynamische Prozesse können durch eine angemessene Zusammensetzung (wie mit der Brain Map beschrieben) und dem kooperativen Führungsstil kanalisiert werden. Cluster und Fraktale Die Clusterorganisation kann als konsequente Weiterentwicklung der Teamorganisation angesehen werden. Die Cluster setzen sich multidisziplinär aus dreißig bis fünfzig Personen zusammen, die ein Projekt vollkommen selbstbestimmt bearbeiten. Die Leitung wechselt je nach Problemschwerpunkt und gründet sich auf Fachkompetenz und natürliche Autorität. Alle temporären Gruppenleitungen, die aus kleinen Teams bestehen sollten, verpflichten sich zur koordinativen Regelung und Lenkung. Jobrotation, intensive laterale Kommunikation und die Unterstützung durch support groups gewährleisten einen weit überdurchschnittlichen Erkenntnisgewinn. Unternehmerisches Handeln und Denken wird vermittelt und gefördert. Die Organisation bleibt äußerst anpassungs- und lernfähig. Probleme erwachsen aus dem hohen Kommunikationsaufwand und etwaigen Friktionen. Deshalb arbeiten Cluster zumindest im Übergang zu neuen Formen des Managements als Fraktale. Fraktale sind Elemente eines Systems, die alle Merkmale des Ganzen aufweisen und im vorgegebenen Rahmen nur die Vorgehensweise selbst entwickeln und auswählen, nicht aber die Aufgaben und Ziele. Die Cluster setzen die Kreationsphasen fort und arbeiten vornehmlich in operativer Sphäre an der Realisation und kontinuierlichen Verbesserung der Konzepte. Etwaige Arbeitsgruppen bilden sich aus den Innovationsteams. Es ist aber auch möglich, dass sie als (teil-)autonome Vertriebs-, Produktions- oder Logistikeinheiten agieren. Cluster arbeiten mit beträchtlicher Autonomie als aus kleineren Gremien entstandene Großteams. Die Entscheidungsfindung wird so nah wie möglich an den point of action verlegt. Nur wenn nicht genügend Erfahrungen vorliegen oder Entscheidungen koordiniert werden müssen, können support groups und übergreifende Stellen eingeschaltet werden. Laterale Kommunikation aller Akteure ist akzeptierte und gewünschte Praxis. Gesteuert werden Cluster lediglich durch allgemeine Leitlinien und Anweisungen. Die Kontrolle erfolgt nicht nach klassischem Muster, sondern durch

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Selbstorganisation, ein ausgeklügeltes und vielgestaltiges Bewertungssystem sowie die Moderatoren und coaches. Sie arbeiten kontinuierlich an der Verbesserung von Kommunikationskanälen und regeln die Ressourcenversorgung. Dieses mittlere Management der Teamleiter hat am meisten umzulernen. Es soll weniger überwacht und kontrolliert als vielmehr erleichtert und gefördert werden. Sie koordinieren und moderieren und vermeiden die aufwendige Organisation von starren Strukturen. Sie kommunizieren im Dialog und reduzieren die Anweisungen. Cluster können auf spezifische Märkte und Aufgaben konzentriert sein und bieten im wechselvollen Wettbewerb höchst wichtige Flexibilitätspotenziale. Für das Innovationsmanagement erscheinen gerade die offenen multidisziplinären Teams und Cluster als sehr geeignet, da diese Strukturtypen besonders gut mit der Auffassung einer „temporären Zeltorganisation“ harmonieren, die in ihrer Befähigung zu flexibler Neuorientierung und Beweglichkeit als überaus anpassungsfähig gilt. Der Grundidee des permanenten Wandels wird durch die immer nur vorläufig fixierten Strukturen und Aufgabenverteilungen entsprochen. Die Teamstrukturen unterscheiden sich deutlich von denen klassischer Projektgruppen, die in der Regel auf vorbestimmte Zeiträume und Inhalte festgelegt sind.194 Eine organisch solare Organisation fördert die Motivation und interessiert qualifizierte und engagierte Mitarbeiter/innen, spart Kosten durch frühzeitige und flexible Anpassungsfähigkeit, regt Kreativität und Erneuerung an, schafft ein vertrauensvolles, lernorientiertes und kooperatives Klima, schafft Kundennähe und ermöglicht die schnelle Besetzung von fluiden Marktnischen und die Verschmelzung mit Szenen. Damit wird ein Unternehmen unverwechselbar und einzigartig. Es nutzt den Wandel. Es genügt ja schon, fünf Prozent mehr Motivation, Erneuerungswillen, Sinnstiftung etc. aufzubringen als andere, um einen entscheidenden Vorteil zu erzielen. Permanente Erneuerung bringt Erfolg. Die einzige Hierarchie, die hier gilt, ist die bessere Idee, das geeignetere Persönlichkeitsbild und die höhere Problemlösungskompetenz. Innovative Reservate Grundsätzlich kann eine plurale Organisation durch zusätzliche Innovationskollegien, kreative Reservate oder eine durchgängige Parallelorganisation konstituiert werden. Innovationskollegien setzen sich aus Personen zusammen, die neben ihrer Haupttätigkeit zur Lösung spezifischer Probleme sporadisch in Produktteams aktiv werden (Sekundärorganisationen). In innovativen Reservaten arbeiten die Teilnehmer ausschließlich an grundlegenden Innovationen und lösen sich zumindest temporär aus der Primärorganisation. In Parallelorganisationen wird versucht, die Vorteile der mechanistisch routinierten Organisation mit der organischen zu kombinieren, indem Verknüpfungen beispielsweise in Form 194 Vgl. P. Gomez/T. Zimmermann, 1992, S. 180 f.

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von task forces institutionalisiert werden. Wenn große Änderungswiderstände zu überwinden sind, sollten sogenannte spin outs erwogen werden, die vollkommen losgelöst und eigenständig arbeiten, um auf diese Weise einen kreativen Sprung zu schaffen. Wie kann die Balance zwischen Stabilität und Erneuerung gesteuert werden? Die Organisation muss eine Grundlage für vollkommen neue Projekte bieten, was durch redundante Organisationsnischen (organizational slack) erreicht werden kann. Innovative Gruppen und Einzelpersonen erhalten die Möglichkeit, eigene Projekte zu initiieren, indem dafür grundsätzlich Ressourcen bereitgestellt werden. Diesen Initiatoren winken nach erfolgreicher Realisation mit der Neuerung verbundene Positionsverbesserungen. Kreative Mitglieder haben damit die realistische Chance, ihre Ideen quer zur Organisation zu forcieren und andere für ihr Vorhaben zu gewinnen. Die interne Ordnung dieser Gruppen bildet sich selbstorganisierend im Verlaufe eines Projektes nach themenspezifischen Kompetenzen. Die Leiter eines Teams müssen nicht unbedingt technische oder gestalterische Experten sein. Vielmehr müssen sie als Moderatoren mit motivationalen Fähigkeiten über kommunikative und soziale Kompetenzen verfügen. Der Teamleiter bemüht sich um ein kreatives und erkenntnisorientiertes Klima, indem er Geltungsbedürfnisse und Machtspiele nach dem Prinzip des „Sockelsturzes“ begrenzt, auch kanalisiert und für neue Gedanken ausreichend Zeit-Raum und Chancen schafft. Es ist vorstellbar, dass die Mitglieder der Pioniergruppe zunächst auch eigene Beiträge beispielsweise in Form von unbezahlten Überstunden leisten und damit ihr Engagement unter Beweis stellen. Improvisierend schreiten sie in Neuland vor, erleben neue Formen der Zusammenarbeit und entwickeln Neuerungen iterativ aus trial-and-error-Prozessen. Die ursprünglichen Positionen werden den Initiatoren bei nicht erfolgreichen Projekten oder im Falle nicht durchsetzbarer Änderungen garantiert, um für die Mitarbeiter so das Risiko zu mindern. Die Unternehmung verhindert ein Abwandern oder die Frustration der besonders innovativen Mitarbeiter, indem Möglichkeiten zur engagierten Neuorientierung geschaffen werden. Sie wahrt damit die Chance zur kontinuierlichen Weiterentwicklung. Der allen sozialen Systemen inhärenten Tendenz zur Erstarrung und Oligarchisierung wird vorgebeugt und es breitet sich ein unternehmerisches Klima aus, das Engagement und Kreativität fördert, dabei aber sozial abfedernd gestaltet ist und damit für Initiatoren überschaubar bleibt. Trendforscher weisen warnend auf die Tendenz hin, dass gerade Spitzenkräfte starre Konzernstrukturen verlassen, weil sie in größeren Freiräumen arbeiten und ihre Ideen und Anregungen erproben wollen. Andere, die die Risiken der Selbständigkeit oder eines Wechsels nicht auf sich nehmen wollen, verlieren sich in innerer Kündigung oder Resignation.

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Vorstellbar sind in Zukunft lose miteinander verkoppelte Gruppen, die von einer zentralen Logistik mit den notwendigen Ressourcen versorgt werden. Der Einsatz moderner Bürotechnologie erfordert zwar präzise Regeln und technische Abstimmungen (Schnittstellen), bietet auf dieser Basis aber auch ideale Voraussetzungen für dezentral autonomes Handeln. Die bessere Abstimmung mit den übrigen Abteilungen wird durch linking pins erreicht, also mit Doppelmitgliedschaften für die Innovationsmanager in den Teams und den Zentraleinheiten. Nach einer abzustimmenden Frist sollten die Teams die Möglichkeit erhalten, Außenkontakte aufzubauen, um externe Erkenntnisse einholen zu können und neue Beschaffungsquellen zu ermitteln. Auch aus Allianzen und Kooperationen können weitere Verknüpfungen erwachsen. Die lose verkoppelte Struktur bleibt äußerst anpassungs- und lernfähig. Zumindest die besonders innovativen und speziellen Aufgaben werden von reorganisierbaren Subeinheiten realisiert. Zur Wahrung einer gewissen Kontinuität und Stabilität bleiben zentrale Unternehmenseinheiten dauerhaft angelegt. Das zentrale Innovationsmanagement nimmt Anregungen und Entwicklungen auf und formt interaktiv eine Rahmenstrategie. Auf Grund der weitgehenden Autonomie, Dezentralisation, geringen Formalisierung und der offenen Kommunikationsstrukturen werden innovative Freiräume und Flexibilität geschaffen, es kann spontan auf neue Anforderungen reagiert und Komplexität besser bewältigt werden. Sowohl Selbstorganisation, also Schaffung eigener Neuerungen, als auch Umweltanpassung werden gefördert. Die Rahmenstrategie und die zentralen Service-Einheiten bieten stabilisierenden und integrierenden Rückhalt. Sie fördern Koordination und Synergieeffekte. Das zentrale Innovationsmanagement initiiert und koordiniert die oben genannten Teams, entwickelt das geeignete Innovationsklima und sichert die kontinuierliche und beharrliche Innovationsorientierung mit der Entwicklung der generellen Grundsätze und briefings. Grundlegend ist hierbei, dass die klassischen Funktionsbereiche aufgelöst sind und beispielsweise das Marketing operativen, strategischen und innovativen Aufgaben zugeordnet ist. Designmanagement195 als ein wesentlicher Teil des innovativen Bereichs trägt Veränderungen in die Organisation und macht sie damit entwicklungsfähig. Die Neuerungen Fließen in Unternehmens- und Marketingpläne ein und werden im operativen Bereich marktlich und technisch realisiert. Im innovativen Bereich starten die venture teams als gemischte Gremien, die einen Aufgabenbereich neu durchdenken wollen. Neben der Produktentwicklung sind ebenso der Umweltschutz (Öko-Teams) oder organisatorische Änderungen (Projektteams) mögliche Neuerungsobjekte. Die Mitglieder rekrutieren sich aus allen zur Realisation notwendigen Bereichen des Unternehmens. 195 Vgl. G. Bergmann, 1994, 1995a, 1995b, 1996a, 1998a und 2000.

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Weitere Unterstützung kann von zentralen Informationsstellen (Marktforschung/Controlling), dem Finanz- und Rechnungswesen (Budgetierung, Kalkulation) oder der Logistik angefordert werden. Insbesondere bei einer großen Anzahl von venture teams bietet sich eine Zusammenfassung der Informations- und Controllingaktivitäten in einer support group an. Diese kann entweder den Innovationsbereichen zugeordnet oder übergreifend tätig sein. In den einzelnen Teams sitzen jeweils Personen dieser Unterstützungs- und Kontrollgruppen oder aber der Teamleiter nimmt deren Funktionen wahr. Erst wenn erste brauchbare Ergebnisse vorliegen, wird der Sachverhalt konkretisiert und wächst der Planungsebene zu. Die ursprüngliche Gruppe bleibt personell bestehen und erweitert sich durch kompetente Personen. Die Realisierungsteams streben eine Verknüpfung mit den vorhandenen Strukturen an, indem Durchführungspläne zum Beispiel für die Marktplanung und technische Vorbereitung erstellt und koordiniert werden. Die Mitglieder der Ursprungsgruppe tragen weiter die Verantwortung bis in den operativen Bereich hinein. Die folgende Abbildung veranschaulicht den Entwicklungsgang eines Innovationsprozesses von der innovativen über die koordinative zur operativen Sphäre. Die Struktur gerät in Bewegung.

Abb. 7.6: Organisation der Innovation Bei dieser dynamischen Organisationsform werden nur die Routinesysteme klar strukturiert. Alle innovativen Bereiche werden durch Selbstorganisation in einem leitorientierten Rahmen geschaffen. Es ist in der Organisation nur der gene-

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relle Weg aufgezeigt, er wird nicht inhaltlich konkretisiert. Die normative Ebene (Geschäftsleitung) bündelt die koordinierende und Sinn stiftende Rahmenplanung. Im innovativen Sektor können neue Ideen platziert werden. Sie finden dort Ressourcen und Chancen zur Weiterentwicklung im strategischen und operativen Bereich. Moderne Unternehmen sollten sich mit ihrem Umfeld verknüpfen und insbesondere die wichtigen Mitarbeiter in das Unternehmen durch Partizipation an Entscheidungen und Erfolg einbinden. Es reicht nicht aus, die Integration durch eine überzeugende Unternehmensphilosophie anzustreben. Die Mitarbeiter müssen ihren Erfolg mit dem Unternehmenserfolg verknüpfen können, ansonsten werden über kurz oder lang andere Wege eingeschlagen. Genau wie gegenüber den Kunden und sonstigen Austauschpartnern sollte deutlich werden, worin der Nutzen des Partners besteht, wenn er sich für das Wohl der Unternehmung einsetzt. Daraus wird deutlich, dass eine kooperative und interdependente Vorgehensweise in der komplexen Gesellschaft vorteilhaft und zukunftsfähig ist.196 Das Denken und die Wahrnehmung schaffen die Organisation Organisationen sind schlecht beobachtbare Systeme. Sie existieren eigentlich nur in den Köpfen der Beteiligten. Organisationen sind insofern immer virtuelle Gebilde. Im Normalfall werden äußere formale Zeichen gesetzt, um daraus wohl strukturierte Gebilde zu gestalten. Diese Artefakte werden in dynamischen Umfeldern schnell als anachronistisch und starr empfunden und es bilden sich die informellen Strukturen heraus. Diese Gebilde sind kaum steuerbar, hebeln die Formalorganisation aus und werden nicht allgemein akzeptiert. Sie weisen anarchistischen Charakter auf. Einwirkungen über die Formalorganisation werden als unangemessen empfunden. Die Struktur wird als unmenschlich eben nicht geistkonform angesehen. Die organische Organisation ist beobachtbar und erfahrbar. Sie ähnelt den informellen Strukturen in einem Unternehmen, hat aber den Vorteil, dass sie vertraut ist, dass sie betrachtet werden kann und den unmittelbaren Prozessen in der Organisation entspringt. Jeder Beteiligte kann via Selbstbeobachtung die Entstehungsprozesse nachvollziehen. Es ist unabdingbar, die geistigen Vorstellungen, die Wünsche und Emotionen der Beteiligten zu berücksichtigen. Im Geist der Menschen sind die Fragmente der Organisation enthalten. Das Zusammenspiel der Menschen schafft dann die einzigartige Organisation. Netzwerke beziehen sich auf ein vollkommen anderes Referenzsystem. Während Hierarchien von übersichtlichen und strukturierten Verhältnissen ausgehen, kann gerade die Netzstruktur die Vielfältigkeit und Unbestimmtheit der Prozes196 Vgl. K. Bleicher, 1991, S. 86 ff. Zum organisatorischen Wandel G. Wiswede, 1995, S. 260 ff. und H. G. Servatius, 1994, S. 39 ff.

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se besser bewältigen. Das System wächst mit den sich schnell wandelnden Anforderungen. Eine virtuelle Organisation ist in der Lage, durch Selbststeuerung die dynamischen Entwicklungen nachzubilden. Die Entwicklung zur solaren Organisation Die Unternehmensentwicklung lässt sich nun auch in typischen Entwicklungsstufen veranschaulichen. Den Ursprung nehmen sie zumeist als unternehmerische Organisationen (U). Ein Unternehmer entwickelt eine marktreife Idee und konstituiert eine erste Struktur. Daraus bildet sich im Laufe der Zeit eine innovative Unternehmung (I) mit größerer Komplexität. Die Idee wächst zu einer differenzierten Marktbearbeitung heran.

Abb. 7.7: Unternehmensentwicklung Bei weiterem internem Wachstum wird die Komplexität zunehmen. Mit einer gewissen Zwangsläufigkeit werden sich neue Abteilungen und Einrichtungen herausbilden. Es kann zu einer starken Bürokratisierung kommen, weil sich die neu hinzutretenden Mitglieder mehr um die eigene Bedeutung und Position bemühen, als dass sie von der ursprünglichen Leitidee des Gründers beseelt sind. Es werden immer neue Abteilungen und Bereiche hinzugefügt, die die Komplexität erhöhen. Es bildet sich eine divisionalisierte Organisation (D), die viel Komplexität verarbeiten kann, aber auch viel erzeugt. Letztlich werden die Strukturen unüberschaubar und ineffektiv. Dann ist es an der Zeit, die unternehmerischen Elemen-

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te wieder zu etablieren, indem die Organisation aufgeteilt und destrukturiert wird. Kleineren Bereichen wird mehr Selbstverantwortung übertragen, in anderen Bereichen wird Outsourcing betrieben. Auf diese Weise kann dann eine vernetzte und solare Organisation (V;S) entstehen. Vielleicht werden Teile als Professional Organisation (P) ausgegliedert. Es werden Beratungsfirmen gegründet, in denen Kenntnisse aus der Kernkompetenz anderen Firmen angeboten werden. Elemente der missionarischen Organisation (M) werden in Form einer prägenden Leitidee integriert, um die zentrifugalen Kräfte der Organisation zu reduzieren. Auf diese Weise können die Nachteile der Organisationstypen in einer vielfältigen und evolutiven Struktur vielleicht kompensiert werden. Die Komplexität kann, ohne an evolutivem Elan einzubüßen, verarbeitet werden, wenn das unternehmerische und selbstverantwortliche Engagement wieder entfacht wird. Im Folgenden sollen die Möglichkeiten der Kooperation und Vernetzung von Organisationen noch näher beleuchtet werden. In dieser nun erläuterten Phase Sieben wird das Erlebte und Erfolgte registriert und systematisiert. Es werden gelingende Prozesse von gescheiterten unterschieden, daraus Muster der Orientierung filtriert und aus den Erfahrungen verbesserte Erkenntnisse gewonnen. Erfahrung ist dabei immer die Basis der Erkenntnis und als Wissen potenziell vorhanden. Oft wird vorhandenes Wissen nicht genutzt, das Rad immer wieder neu erfunden, Fehler wiederholt. Es gilt, die potenziell verfügbare Erfahrung nutzbar zu machen. Die Rezipienten von Informationen konstruieren aus dem Gemenge subjektiv Neues, eben ihre eigene Wirklichkeit. Da alle Dinge und Phänomene als Energie und Information in bestimmter Abmischung erscheinen, gilt es nun, die komplexen Zusammenhänge zu dechiffrieren. Es ist dabei ratsam, die Wahrnehmung des sozialen Systems durch viele Sichtweisen zu erweitern. Erkenntnisse werden erkannt, also aufgelesen. Insofern ist beispielsweise die Unterscheidung zwischen so genannter theoretischer, praktischer und empirischer Erkenntnis fragwürdig. Es ist egal, ob aus Büchern, Bildern, Statistiken, Gesprächen oder sonstigen Objekten „gelesen“ wird, es ist immer Erfahrung. Theorie schafft den Rahmen, ist Suche auf abstrakter, Praxis ist Suche auf konkreter Ebene. Die theoretische Unterstützung in Form von Modellen und Systemen erhöht die Wahrscheinlichkeit, stimmige Regeln und Muster zeitgerecht zu erkennen. Die Reflexion schafft neue Suchmöglichkeiten und Perspektiven, in denen mehr Anknüpfungspunkte kreiert werden, die Assoziationen ermöglichen. Die Mustererkennung wird verbessert durch Theorien und freie Kreationen beziehungsweise Variationen. Alles Wissen ist irgendwo vorhanden, es muss „nur“ zeitgerecht gefunden und sinnvoll kombiniert werden. Auch dazu existieren Erfolgsmuster, nämlich Regeln und Codes. Zum Beispiel haben Menschen bevor sie

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historisch überhaupt lesen konnten oder als Kleinkinder können, schon alle Voraussetzungen dazu erlernt (gehabt). Dies sind Fähigkeiten zur Symbolerkennung und -unterscheidung sowie Bedeutungszumessung.197 Damit die Wahrscheinlichkeit der Lösungsfindung erhöht wird, muss also oft abseits des tradierten Weges gesucht werden und das systematisch und chaotisch. Die geradezu natürliche Tendenz zur Selbstverstärkung (mehr desselben) begrenzt die Lernfähigkeiten im Sinne neuer Verbindungen (Stufe 1). Die Stufe 2 des Lernens, die Reflexion des Lernens bleibt dann ganz aus. Die übergreifenden Erkenntnisse aus der Phase 7 dienen als Grundlage für weitere Planungsprozesse und Projekte. Die gefundenen Orientierungsmuster gehen vor allem als Basismodul in die Phase 4 ein. Als Abschluss folgt nun die Phase 8, in der der gesamte Ablauf reflektiert und die gelernten Verhaltensweisen assimiliert werden, um ein höheres Niveau zur Weiterentwicklung zu ermöglichen.

197 Vgl. A. Manguel, 1998, S. 85 ff.

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8 Loslösung In der achten universellen Phase wird das jeweilige Projekt reflektiert. Es werden Konsequenzen aus dem Geschehenen gezogen, die Lösungen assimiliert, also in das eigene Repertoire aufgenommen. Es ist auch die Zeit der rituellen Loslösung z. B. durch Würdigung der Beteiligten und Ergebnisse und die Weiterentwicklung des Handlungsrahmens. Durch Zeremonien (Einweihung, Feier, Rückzug) wird die Loslösung eingeleitet und Raum und Energie für das nächste Projekt gefunden. Es wird dokumentiert, letzte Schlussinterventionen vorgenommen, metadialogisch reflektiert und eventuell ein „last minute issue“ thematisiert. Es soll kein „unfinished business“ übrig bleiben und es entsteht das „Ready for Feed-back“. Die „Brücke“ und der Erstellungsprozess werden als Mustermodell und Vorbild gewürdigt. Es besteht bezüglich der ursprünglichen Fragestellung zunächst kein Handlungsbedarf mehr. Weitere Aktionen münden in neue Kontrakte und Projekte. Aufgaben: - Reflexion - Assimilation und Abschluss - Loslösung Methoden: - Feed-back, reflecting team - Coaching - Supervision - Ritualisierung - Entspannungstechniken/Feiern - Normative Reflexion PePsel: - zu schneller Übergang in nächste Projekte - keine Entspannungs- und Besinnungspausen - fehlende Assimilation und Würdigung

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In diesem Kapitel habe ich einige wichtige Methoden zur Reflexion beschrieben. Dann folgt eine abschließende normative Reflexion, mit der ein dialogisches Ethikkonzept skizziert wird.

8.1 Regeln zur kommunikativen Verständigung Gelingende Kommunikation ist eher unwahrscheinlich. Doch jeder einzelne Akteur kann förderlich intervenieren und die Verständigung ermöglichen. Es ist ratsam, einige Regeln zu definieren, die auch, wenn sie nur von einer Seite angewendet werden, die Situation verbessern. Aus der Transaktionsanalyse können wir wissen, dass Kommunikation, den arrogant belehrenden oder infantilen Charakter trägt, durch „erwachsene“ selbstbewusste Kommunikation gestört und dann verbessernd verändert werden kann. Oft genügt eine Pause oder die paradoxe Intervention, um das Niveau zu verändern. Jeder einzelne Akteur sollte sich deshalb als eigener chairman verstehen, selbstbewusst und rückhaltlos eigene Bedürfnisse und Ansichten kundtun, damit sich andere daran orientieren können. Jede Sitzung, jeder Dialog ist klärend zu fördern. Deshalb haben Störungen Vorrang. Wer sich gelangweilt, gekränkt, zu wenig gewürdigt fühlt, sollte Gelegenheit bekommen und diese aktiv schaffen, seine Sichtweise zu beschreiben. Dabei kann ein „Blitzlicht“ förderlich sein, wobei alle Teilnehmer kurz ihre momentanen Gefühle schildern. Es ist immer sinnvoll, mit sich zu experimentieren, auf die Beobachtung zweiter Ordnung zu wechseln und systemische Interventionen auszuprobieren, um weitere Möglichkeiten zu erzeugen. Das Beobachten zweiter Ordnung erzeugt den nötigen Abstand. Grundsätzlich sind Gelegenheiten zum Kontakt und eine stimmige Kommunikationsatmosphäre zu erzeugen. Es nützt oft, retardierende Momente einzubauen, eine Vielfalt der Perspektiven zu integrieren, mit Selbstironie Abstand zu eigenen Ansichten zu gewinnen und insgesamt die Vielfalt und Mannigfaltigkeit zu erhöhen. Immer ist in der Ich-Form zu formulieren. Fragen sind zu begründen, direkter Augenkontakt und direkte Ansprache zeigen Würdigung und Respekt der anderen. Die Körpersprache (auch die eigene) vermittelt wichtige Signale zur Orientierung. Spontanes und direktes Feed-back erleichtert einen Sachverhalt klarzustellen.

8.2 Feed-back als Methode der Reflexion Wenn man Situationen und Atmosphären schaffen kann, in denen sich die Wahrnehmungen anderer Akteure widerspiegeln, kann das eigene Verhalten an seinen Wirkungen erkannt werden. Voraussetzung dafür ist aber eine Atmo-

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sphäre des Vertrauens, in der der Feed-back-Gebende sich veranlasst sieht, ehrlich response zu geben. Anschaulich ist die Situation, wo man andere beobachtet, die über einen selbst sprechen. Hier erfährt man erheblich mehr „Ungeschminktes“, als wenn man in die Gesprächsrunde einmündet. Weil das nicht immer so konstellierbar ist, kann man sich mit organisiertem Feed-back behelfen. Beispielsweise kann sich jeder Teilnehmer auf eher vorteilhaft gesehene Beurteilungen beschränken (Lob, Würdigung). Hierbei schwingt das Gegenteil mit, und es fällt leichter, offen zu kommunizieren. Gerade in sogenannten „Entwertungskulturen“ ist der Zwang zu „Positivem“ oft heilsam. Unter Feed-back in Gruppenprozessen versteht man die Reaktion von Gruppenmitgliedern auf ein Verhalten eines Gruppenmitglieds, durch die dieses etwas darüber erfährt, wie seine Aktivität auf andere Gruppenmitglieder wirkt. Feed-back kann sich auch auf das Gesamtverhalten einer Gruppe beziehen. Methodisch eingesetzt, lassen sich durch dieses Mittel Gruppenprozesse steuern. Man kann Lernprozesse in Gang setzen, die zu Veränderungen von Verhaltensweisen, Selbst- und Fremdwahrnehmung führen. Die Anwendung von Feedback-Verfahren erfordert eine gewisse Sensibilität, um destruktive Effekte zu vermeiden. Dabei hilft die Berücksichtigung der folgenden Gesichtspunkte. Sie sind gerade im kompetitiven Kontext in Unternehmen wichtig: Wird das Verhalten eines Gruppenmitglieds angesprochen, sollte dieses die Gelegenheit bekommen, sich vor allen anderen zunächst selbst zu seiner Aktivität zu äußern. Ausnahmen können beim so genannten Circle Feed-back gemacht werden, wobei mehrere nur Aussagen in eine Richtung geben und erst später die Reihenfolge geändert wird. Eine Rückmeldung, die eine negative Bewertung enthält, sollte niemals allein stehen. Sie sollte immer mit Äußerungen verbunden werden, die eine positive Bewertung enthalten. Rein positive Würdigungen sind zu präferieren. Alle Äußerungen sollen sich auf die eigene Wahrnehmung und nicht auf irgendwelche unterstellten Eigenschaften oder Dispositionen des Gruppenmitglieds, dem Feed-back gegeben wird, beziehen. Die Wahrnehmungen von Gruppenmitgliedern sind individuell unterschiedlich. Wer Feed-back gibt, sollte beachten, dass er sich nur zu seinen eigenen Wahrnehmungen äußern kann, und dies auch zum Ausdruck bringen. Der Feed-back-Geber sollte seine Aussagen nicht als Tatsachenbehauptung formulieren und Generalisierungen vermeiden.

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Folgende Varianten sind denkbar: - Feed-back im Kreise (Circle Feed-back) - Feed-back anhand von Video-Aufzeichnungen - Feed-back durch eigens für Beobachtungsaufgaben eingesetzte Gruppenbeobachter (reflecting team) - Feed-back mit Hilfe von mehr oder weniger standardisierten schriftlichen Befragungen - Feed-back durch kurze Äußerungen der Teilnehmer in bestimmten Situationen (Blitzlicht) - 360°-Feed-back als eine neuere Form der Rückmeldung und Kritik von allen Seiten, also der gesamten sozialen Umgebung einer Person Reflecting Team Das reflecting team, die „Querdenker Gruppe“ und Supervision sind Möglichkeiten der Beobachtung zweiter Ordnung. Sie spielen mit den Differenzen zwischen und in sozialen Systemen. Beziehungen, Strukturen und Stereotype werden offenbar. Besonders kontrastreich erweist sich die Arbeit von counter measure groups, die entwickelte Konzepte und Lösungen auf alle nur denkbaren „Kannbruchstellen“ untersuchen, nachdem sie im Entwicklungsprozess nicht mitgewirkt haben.198 Reflexionsmeeting Das Reflexionsmeeting199 wird genutzt, um festgefahrene Situationen zu lockern und neue Möglichkeiten zu entdecken. Der blockierte Prozess wird ausgesetzt und in einer unit of work neu konstelliert. Supervision Supervision200 in der Organisationsberatung dient der Klärung von Beziehungsstrukturen und Reflexion der bisherigen Abläufe. Es werden vordringlich wiederkehrende Probleme betrachtet und in der jeweiligen Gruppe einer Lösung zugeführt. Supervisoren übernehmen dabei die Rollen der Impulsgeber und Prozessmoderatoren. Sie schaffen einen geeigneten Rahmen für die Vitalisierung der Gruppe und erzeugen mit zielgerichteter Kommunikation Lernfähigkeit und Flexibilität. Bei der Supervision finden viele Elemente der Organisationsentwicklung Verwendung. In einem strukturalen Ansatz werden vornehmlich Rollen, Funktionen und Beziehungen thematisiert. Der personelle Weg trägt oft therapeutischen Charakter und ist mit dem coaching verwandt. 198 Vgl. H. R. Wagner, 1995, S. 159. 199 Vgl. E. Zwingmann/W. Schwertl, u. a. 1998, S. 98 f. 200 Vgl. A. Schreyögg, 1992.

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Coaching Das coaching verstehe ich als permanenten Begleitprozess, indem eigene Erfahrungen des coaches dem Klienten zur Verfügung gestellt werden, ohne dass der coach sich belehrend aufdrängt. Nicht wissend, einfühlend empathisch, behutsam und inspirierend strukturiert der coach das Chaos und lässt Räume für Lösungen entstehen. Es werden Situationen und Prozesse reflektiert, Anregungen gegeben, Methoden diskutiert und vorhandene Ressourcen aktiviert. Der klassische Ablauf sieht vor, Ziele und Visionen zu klären, die Sichtweisen auszutauschen, Optionen zu kreieren und daraus klare Wege abzuleiten. Coaching ist eine ganzheitliche Support-Leistung. Coaches und Supervisoren sollten möglichst unabhängige Personen sein. Es ist allerdings auch denkbar, dass sich die Mitglieder eines Teams gegenseitig coachen. Dann ist aber ein geringes Machtgefälle strenge Voraussetzung. Zudem sollte ein neutraler Dritter hinzugezogen werden können. Mit dem kontinuierlichen Reflektieren ist es für alle Beteiligten leichter, eine zielgerichtete Weiterentwicklung und Lernprozesse in Gang zu halten. Nach diesen kurzen Ausführungen zur Praxis des Feed-back sollen ausführliche Anmerkungen zur Ethik folgen. Es wird hier das Modell einer dialogischen und lösungsorientierten Ethik vorgestellt.

8.3 Ethik als Chance zur praktischen Orientierung In diesem Abschnitt wird erkundet, wie ethische Maßstäbe im Management Sinn machen können; soll heißen: auf welche Weise sich verantwortliches Handeln auch für die ausführenden Akteure wirtschaftlich lohnen kann. Nach der Diskussion von Chancen und Problemen normativer Orientierung im Management wird eine vielschichtige Grundlage für eine Kommunikative Ethik skizziert. Vier Lösungsansätze werden dazu angeboten: Das Konzept der sustainability (langfristige Durchhaltbarkeit), eine dialogorientierte Ethik, kooperatives Vorgehen zum allseitigen Vorteil sowie die permanente Erneuerung der Ethik durch Lernprozesse. Management ist in systemischer Hinsicht als sinnvolle Rahmengestaltung zu sehen. Effektive ManagerInnen geben Impulse, schaffen eine Atmosphäre für Entwicklung und Lernen und setzen einen klaren Rahmen, innerhalb dessen Spielräume zur Selbstentfaltung und -organisation gelassen werden. Der vom Management geschaffene Rahmen beinhaltet normative Regeln, die handlungsleitend für alle Beteiligten sind. Jedes soziale System funktioniert auch ohne Effektivität oder Legitimität, es kann sich auf einfachem und wenig reflektiertem Niveau erhalten. Länge und Intensität von Beziehungen sind kein Gütekriterium. Um einem sozialen System

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eine sinnhafte Richtung zu geben, bedarf es der gezielten Störung und Irritation durch vielfältige Impulse. Im Dialog differenter Akteure können Sinn und Orientierung ermittelt werden, die dann eine reflektierende Konstanz der Handlungen erzeugen. Eine dialogische Ethik gewährt den Raum und definiert die Grenzen, die einem sozialen System Identität verleihen und den Akteuren Spielräume zum Handeln gewähren. Die normative Planung prägt somit die strategische und operative Arbeit. Zu unterscheiden sind die Unternehmensphilosophie, die Unternehmenskultur und die spezielle Unternehmensethik. Die Philosophie umfasst allgemeine Werte und Leitlinien, die die existierende Kultur im Unternehmen positiv beeinflussen sollen. Ethik wird als Lehre vom sittlichen Wollen des Menschen in verschiedenen Lebenssituationen, die sich aus der sozialen und ökologischen Verantwortung herleitet, verstanden und hat neben der Ursprungsbedeutung im Sinne von Gewohnheit (griech. ethos) damit einen über das Faktische weit hinausgehenden Sinngehalt. Demgegenüber wird die Moral mehr im Sinne von Brauch oder Sitte interpretiert, und gilt als vorgegebener Kodex herkömmlicher Werte.201 Wirtschaftsethik bezieht sich auf die Anwendung sozialethischer Betrachtungen ökonomischer Sachverhalte. Die Unternehmensethik gilt als praktische Philosophie, in der die Leitlinien ausformuliert werden. Es geht also darum, die Werte und die Regeln im Unternehmen in konkretes Handeln zu überführen. Die normativen Überlegungen ergänzen die strategischen und operativen Aspekte im Unternehmen. Operative Betrachtungen dienen vornehmlich der Entwicklung effizienter Abläufe im Rahmen einer Zielsetzung. Strategische Planungen zielen auf die Effektivität des Handelns. Es werden übergreifende und eher langfristige Ziele und Strategien entwickelt. Erst die normativen Planungen zielen auf Legitimität. Hier wird versucht, eine Basis für dauerhafte Unternehmenswertentwicklung zu legen, indem ein Ausgleich mit dem Kontext gesucht wird.

201 Vgl. A. Rich, 1987, S. 15 ff.

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Abb. 8.1: Ebenen des Managements Ethik spart Transaktionskosten Normative (ethische) Aussagen erhalten einen Vorteilhaftigkeitscharakter, indem auf den Nutzen der Kooperation und Verständigung für den egoistischen Akteur hingewiesen wird. Ethik kann so strategischen Charakter erlangen. Ethisches Verhalten ist nicht durchhaltbar, wenn es sich auf reinen Altruismus (Uneigennützigkeit) gründet. Auch Tugendhaftigkeit reicht nicht aus, es kommt vielmehr auf die Wirkungen an. Wir halten eine sogenannte „HeinzelmenschenRegel“ für angemessen und durchhaltbar: „Verlasse jeden Ort ein wenig besser, schlauer, schöner etc., als Du ihn vorgefunden hast.“202 Das führt in der Anwendung auf organisationale Bereiche (Teams, Unternehmen) zu sukzessiven und dauerhaften Verbesserungen für alle Beteiligten, insbesondere für den nützlichen Akteur. So werden Transaktionskosten durch den vereinfachten, weil vertrauensvollen und verlässlichen Umgang gespart. Wenn mehr Akteure Einblick 202 Vgl. G. Bergmann, 1996, 1997 und 1998.

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in die Rückbezüglichkeit ihres Handelns gewinnen, werden nicht nur ethische Grundsätze populärer, sondern auch Wirtschaften einfacher. Soll heißen: Die Lösungen werden auf lange Sicht so angelegt werden, dass die Wirkungen im Sinne von „responseable“ durchgehalten werden können. Das ist das grundsätzliche Prinzip der sustainability (Durchhaltbarkeit). Die Durchhaltbarkeit von Verhaltensweisen ist in sozialer, psychischer, ökonomischer und ökologischer Hinsicht zu klären. Alle Maßnahmen werden danach so gewählt, dass das Image und der Ruf keinen Schaden erleiden, rentabel gearbeitet sowie der Ausgleich und Einklang mit der sozialen und natürlichen Mitwelt gesucht wird. Dahinter steht keine Lehre oder Moral, sondern der Gedanke, dass auf lange Sicht nur Verhaltensweisen erfolgreich sind, die sich als win/winLösungen für alle Betroffenen und die natürlichen Systeme herausstellen. Notwendig ist keine „Imageethik“, sondern eher eine Charakterethik, die eine überzeugte Haltung und Prinzipien deutlich werden lässt.203 8.3.1 Allgemeine Probleme bei der Entwicklung einer Unternehmensethik „Warum leben wir nicht im Paradies?“ fragte H. Markl.204 Dafür gibt es (leider) mehrere schwerwiegende Ursachen, die im Folgenden näher erläutert werden sollen. Als bedeutendste Hürde auf dem Weg zu einem moralischen Umgang fungiert die eingeschränkte Rationalität des Menschen. Wir denken und agieren weder logisch rational, noch sind wir in der Lage, unseren Nutzen steigender Alternativen immer klar zu entwickeln. Aus Untersuchungen zum Problemlöseverhalten ist hinlänglich bekannt, welche negativen Folgen menschliche Handlungen haben können.205 „Wer alles, was er tut, zwar vernünftig und gut tut, aber niemals fragt, ob er dann das Gute und Vernünftige tut, den wird man nicht vernünftig nennen.“206 Intendiertes Handeln, auch gut gemeintes, führt nicht immer zu voraussagbaren Ergebnissen. Einige Problemerzeugende Pseudolösungsstrategien (PePsel) werden immer wieder praktiziert. Es wird zu wenig aus den bisherigen Vorgängen und Erfahrungen gelernt. Inhalte einer Wirtschaftsethik müssen insofern auch Hinweise und gegebenenfalls Regeln sein, die dem sozialen Akteur Hilfestellung leisten, die Auswirkungen seiner Handlungen besser abschätzen und vorsichtiger agieren zu können. Besonders im Management werden Erfolg oder Misserfolg relativ unreflektiert und schnell bestimmten Ursachen zugeordnet, obwohl eher Kausalvernetzungen und zirkuläre Kausalität vorliegen und die „wirklichen“ Ursachen, je nach Inte203 Vgl. S. Covey, 1992. 204 Vgl. H. Markl, 1983, S. 11. 205 Vgl. D. Dörner, 1989. 206 Vgl. H. Lübbe, 1973, S. 97.

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ressenlage und Position der Beurteilenden, sehr unterschiedlich gesehen werden können. Im Sinne einer vielfältigen Zuschreibung von Ursachen und Wirkungen (Multiattributierung) sollte deshalb versucht werden, etwaige Widersprüche und Meinungsdivergenzen für eine ganzheitliche Diagnose im Dialog zu nutzen. Allein durch Gesetze (kodifizierte Normen) kann sich ein verantwortlicher Umgang, eine kooperative Kultur kaum erhalten. Schon Lao-tse sagte: „In einem Staat gibt es umso mehr Räuber und Diebe, je mehr Gesetze und Vorschriften es in ihm gibt.“ Die Gesetzesorientierung (Legitimismus) fordert geradezu zur Umgehung und zur Lückensuche auf, wobei diese Unmoral sukzessive eskaliert, indem der „Gesetzestreue“ geradezu als einfältig und „blauäugig“ verächtlich gemacht wird. Tietzel spricht hierbei von einem Erosionsprozess, der zur Umwertung oder gar Nichtbeachtung aller bisher vereinbarten Normen führen kann.207 Es ist insofern wichtig, die legitimierten Verhaltensregelungen immer im Einklang mit allgemeinen Wertorientierungen weiterzuentwickeln, um sie nicht als „leblose Hülse“ künstlich aufrechterhalten zu müssen. Ähnlich wie in Gesetzen zunächst eine Generalnorm vorangestellt wird, um den Grundsatz zu verdeutlichen und Hilfestellung in bisher ungeklärten Einzelfällen zu geben, ist besonders in ethischen Fragen ein reflektierender Umgang mit den herrschenden Sitten und Gesetzen sozusagen auf höherer Stufe notwendig.208 Ethik kann keinen universalen Anspruch anmelden. Sie hat immer nur lokale und temporäre Bedeutung.209 Ähnlich dem Wechselspiel von Erwartung und Erfahrung, von Planung und Kontrolle in der betrieblichen Praxis, kann der Kreislauf der Erkenntnis auch auf die Herausbildung der Ethik angewendet werden.210 Ein wesentlicher und unverzichtbarer Anspruch an ein Normensystem ist die Gerechtigkeit. Normen und Gesetze müssen für alle Beteiligten gleichermaßen gültig sein, und die Durchsetzung und die Kontrolle sind unabdingbare Voraussetzungen für die Stabilität des Gerechtigkeitsempfindens. Das größte Problem beruht jedoch in der Festlegung und in der Kontrolle von Maßstäben für gerechtes Handeln. Diesbezügliche Vorschläge reichen von der Forderung nach Gleichbehandlung (wobei die Begriffe Gerechtigkeit und Gleichheit oft synonym verwendet werden), über die Formel „Jedem das Seine“ (lat. suum cuique) bis hin zum Kategorischen Imperativ,211 der umgangssprachlich oft vereinfacht übersetzt wird: „Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg' auch keinem anderen zu“ (Goldene Regel). Das persönliche Handeln soll zu einem allgemeinen Gesetz erhoben werden können. Leider können diese in sich widersprüchlichen

207 Vgl. H. Tietzel, 1985, S. 164. 208 Vgl. A. Rich, 1987, S. 19. 209 Vgl. D. Baecker, 1994, S. 148. 210 Vgl. Kapitel 1. 211 Vgl. I. Kant, 1865.

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Regeln nicht miteinander in Einklang gebracht werden und weisen zudem im Einzelfall geringe Operationalität auf. Die klassische Wirtschaftswissenschaft konzentriert sich auf eine „rationale“ Erörterung effizienten Mitteleinsatzes bei gegebener Zielsetzung. Die Rationalität reduziert sich auf die „Fähigkeit, Wahrscheinlichkeiten zu berechnen und dadurch einem gegebenen Zweck die richtigen Mittel zuzuordnen“.212 Grundlage für eine solche „rationale“ Vorgehensweise müssten allerdings eindeutige Informationen über die aktuelle und zukünftige Realität bilden. Aus der Kognitionswissenschaft und Chaostheorie können wir aber lernen, dass so etwas wie Objektivität, Wahrheit und Vorausschau nicht existiert. Subjektive Wahrnehmungen und Konstruktionen der Wirklichkeit sollten vielmehr ausgetauscht werden und zu einem stimmigen Gesamtbild vordringen, um wahrscheinlich sinnvolle Aktionen daraus abzuleiten. Wie sagte Nietzsche schon: „Mit Zweien fängt die Wahrheit an“. So schwer es auch fallen mag, wir müssen sehen, dass die Wirklichkeitssicht der anderen genauso legitim ist, wie unsere eigene. Die einzige Chance zur kooperativen Koexistenz besteht in der Konstruktion einer gemeinsamen Weltsicht.213 Nur eine breite und intensive Partizipation von Mitarbeitern und Kunden kann zu einem vernünftigeren Verhalten führen. Vorgegebene Maßregeln (policies) werden zumeist wirkungslos bleiben, wenn sie nicht vorher durch offenen Dialog unter Mitwirkung der Betroffenen entwickelt wurden. Zudem sind alle Interpretationen intersubjektiv nachprüfbar zu gestalten, damit sie sinnvoll kritisiert und ergänzt werden können. Das ethische Vakuum Die zahlreichen ungelösten Fragen haben dazu geführt, dass ethisch-moralische Aspekte immer mehr in den Hintergrund gedrängt wurden und werden. So entstand im praktischen ökonomischen Handeln ein „ethisches Vakuum“. Das Verhalten wird vom technisch Machbaren bestimmt und von moralischen Floskeln geschmückt und verdeckt. „Der Marktwirtschaft…(haben diese Sichtweisen)… den Ruf eingetragen, sie sei vornehmlich für Spitzbuben geeignet, und wer in ihr Erfolg haben wolle, dürfe es mit der Moral nicht so genau nehmen.“214 8.3.2 Eckpunkte einer kommunikativen Ethik Zur Lösung der skizzierten Probleme stelle ich einige Ansatzpunkte vor. Die Bedingungen einer kommunikativen und durchhaltbaren Wirtschaftsethik werden kurz zusammengefasst: Diese Ethik sollte 212 Vgl. M. Horkheimer, 1974, S. 17. 213 Vgl. H. R. Maturana/F. J. Varela, 1987, S. 264 f. 214 J. Birner, 1992, S. 25. Zum ethischen Vakuum vgl. M. Brantl, 1986.

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- kommunikativ angelegt sein, da ethische Regeln aus verschiedenen Sichtweisen betrachtet und unter Berücksichtigung unterschiedlicher Interessen formuliert werden müssen. - sich an metasystemischen Regeln orientieren. - nicht idealistisch, sondern nachhaltig und erhaltend angelegt sein. Der Idealist und Altruist schadet der Ethik, wenn er seine Selbst- und Fremdausbeutung zulässt. - Grenzen setzen, Klarheit und Transparenz schaffen, also organisiert werden, verankert sein im System, um das verantwortliche Verhalten wahrscheinlicher werden zu lassen. So ist zum Beispiel an die Belohnung ethischen Verhaltens zu denken (Prämien). - universell angelegt und damit auf allen Ebenen, individuell, organisatorisch und gesellschaftlich einsetzbar sein. - menschliche Unzulänglichkeiten, Defekte, Irrationales berücksichtigen und deshalb wandlungsfähige, fehlerfreundliche und reversible Entscheidungsabläufe beinhalten. 8.3.3 Grundformen der Systemethik Kurz sollen einige moderne Grundformen der Ethik beschreibend diskutiert werden, um anschließend eine eigene Konzeption zu skizzieren. 8.3.3.1 Die klassischen Konzeptionen Die Hauptgestalten klassischer normativer Ethik reichen von einer situativen Moral über die ideologieverdächtige Gesinnungsethik, die utilitaristische Erfolgsethik bis hin zur anspruchsvollen Verantwortungsethik.215 Die Situationsethiker versuchen im Extrem eine Moral ohne Normen, also ein Handlungs- und Entscheidungskonzept zu entwerfen, mit dem sich der Akteur unter konkreten Umständen selbstverantwortlich entscheiden kann. Damit diese Gelegenheitsvernunft nicht vollends in Willkür abgleitet, werden implizit jedoch Prinzipien eingehalten, die insbesondere der Erhellung der Situation dienen sollen. Die reine Erfolgsethik erhebt das Faktische zur Norm, da vom Seienden auf das Sollen geschlossen wird. Es wird nicht nur davon ausgegangen, dass Wirtschaftssubjekte egoistisch ihrer persönlichen Nutzenmaximierung nachstreben, sondern es wird auch gesagt, dass dieses Verhalten zum Wohle aller ist. Der (ökonomische) Eigennutz wird etwas verklausuliert zum moralischen Wert erhoben. Von Gesinnungsethik kann gesprochen werden, wenn nicht nur die Ergebnisse, sondern besonders die inneren Beweggründe des Handelns, die Intention, zur Beurteilung herangezogen werden. Damit wird aber die Problematik äußerst subjektiver 215 Vgl. A. Rich, 1984a, S. 24 ff.

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und wohl kaum gesellschaftlich konsensfähiger Normenregulierung offensichtlich. Eine Verantwortungsethik stellt insbesondere auf die Folgen und Nebenwirkungen von Entscheidungen und Handlungen ab. Jonas hat den durch Kant formulierten Kategorischen Imperativ für die Nebenwirkungen des Handelns in einer dynamischen Perspektive erweitert. Jonas formuliert hier die Ethik der Zukunftsverantwortung: „Handle stets so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden“.216 8.3.3.2 Neuere Ansätze der Systemethik Als neuere Ansätze sind systemtheoretische, kommunikative und kooperative Ansätze zu diskutieren. Im Folgenden sollen Elemente dieser Ansätze zu einem Gesamtkonzept verbunden werden: Soziale Systeme konstituieren sich aus systemischer Sicht aus Kommunikation. Immer wenn mindestens zwei Personen interagieren, entsteht ein soziales System, in dem diese Akteure nur Beeinflusser nicht Elemente sind. Der Charakter, die Identität erwachsen aus spezifischen Formen der Interaktion. Sie bilden Beziehungen ab und sammeln Information. Die Elemente des Systems sind also Identität, Beziehungen und Informationen, die sich durch Kommunikation verändern und gegenseitig beeinflussen. So wird Management erheblich verbessert durch Identität und Identifizierbares und gute Beziehungen. Die gute Kommunikation wird durch eine stimmige Atmosphären- und Rahmengestaltung verbessernd verändert. Insofern gibt die systemische Sichtweise Hinweise auf die Möglichkeiten der Systemerhaltung und -entwicklung. Das Management kann nützlichere Informationen anbieten, insbesondere wenn gute interne und externe Beziehungen bestehen, und die Akteure eine klare Identität erleben. Es erscheint wichtig, nochmals zu erwähnen, dass es keine vom Beobachter unabhängige Realität gibt (sie ist immer subjektiv). Die Beobachtung allein beeinflusst schon das soziale System. Der Wahrheit rückt man immer näher, indem viele Sichtweisen berücksichtigt werden. Beobachtungen verändern den Charakter von Gesprächen, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Menschen nicht nicht kommunizieren können, also immer Beeinflusser des Systems sind. Luhmann hat versucht, eine Ethik aus systemtheoretischer Sichtweise zu formulieren, die als „moralfreie Moral“ die humanistischen Vernunfttheorien verwirft. Moral wird weniger Bindungskraft zugesprochen als vielmehr ein Störpotenzial bei der Konfliktbehebung.217 Für Interaktionen ist keinesfalls gegenseitige Empathie und Sympathie notwendig; die Unsicherheit im Umgang sozialer Systeme miteinander, wird durch stabilisierte Erwartungen reduziert, die in gegenseitiger Achtung münden können. Moral entsteht durch wechselseitige Achtung und 216 Vgl. H. Jonas, 1984, S. 36. 217 Vgl. N. Luhmann, 1984, S. 318.

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Respekt in Interaktionsprozessen. Die systemtheoretische Ethik streift die Konzeption des normativen Sollens ab und vermeidet dadurch die Tendenz zur Normierung des Verhaltens. Zudem wird das Ausmaß notwendigen Konsenses offengelassen, das heißt, Übereinstimmung nicht für unabdingbar gehalten. „Der Planer wird sich mit seinen Beobachtern nie ganz über Wertordnungen der Ziele, wahrscheinliche Folgen, noch akzeptable Risiken usw. einigen.“218 Über die Verwendung des gleichen Schemas der Informationsgewinnung können Konflikte kanalisiert werden. Partizipative Strukturen, die sich durch fortlaufende Interaktionen selbstregulativ fortentwickeln, ermöglichen eine quasiautomatische Koordination. Das soziale System kann zur Selbsterhaltung beitragen, indem es Verständigung schafft. Es kommt nicht so sehr darauf an, dass bestimmte ethische Ziele vereinbart, sondern das Orientierungsmuster des Dialogs verwendet werden. Habermas versucht mit seinem Ansatz des kommunikativen Handelns,219 diese systemische Sichtweise zu ergänzen, indem er eine individualistische Handlungstheorie, eine kommunikative Rationalität, zugrunde legt. Kommunikatives Handeln beschreibt Koordinationsmechanismen, die sich vornehmlich auf zwischenmenschliches Einverständnis gründen. „Im kommunikativen Handeln sind die Beteiligten nicht primär am eigenen Erfolg orientiert; sie verfolgen ihre individuellen Ziele unter der Bedingung, dass sie ihre Handlungspläne auf der Grundlage gemeinsamer Situationsdefinitionen aufeinander abstimmen können.“220 Eng mit diesen Überlegungen verbunden, sind aus der Spieltheorie abgeleitete Kalküle, wonach sich kooperative Lösungen auf lange Sicht positiv für alle Akteure auswirken. Im Folgenden will ich den gewagten Versuch unternehmen, die systemische Vorgehensweise mit dem kommunikativen Handeln zu verbinden und zudem Ansätze der win/win-Strategie zu integrieren. 8.3.4 Die kommunikative Ethik: Dialoge, Partizipation und Spielräume Der Ansatz einer kommunikativen Verständigung geht davon aus, dass alle Beteiligten und Betroffenen gemeinsam ethische Regeln vereinbaren müssen. Dies geschieht methodisch in gleich berechtigten Dialogen, in die alle einbezogen, und die möglichst dezentral organisiert werden. Auch wenn verständigungsorientiertes Handeln nicht möglich erscheint, kann durch den praktischen Dialog immer noch eine Einigung über Normen und Werte erfolgen. „Das Medium, in dem hypothetisch geprüft werden kann, ob eine Handlungsnorm, sei sie nun fak218 Vgl. ebenda, S. 64 f. 219 Vgl. J. Habermas, 1981 Bd. 1, S. 384. 220 Vgl. ebenda, S. 385.

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tisch anerkannt oder nicht, unparteiisch gerechtfertigt werden kann, ist der praktische Diskurs, also die Form der Argumentation, in der Ansprüche auf normative Richtigkeit zum Thema gemacht werden.“221 Jeder, der sich auf eine Kommunikation einlässt, akzeptiert ein Minimum an Regeln.222 Die Dialogethik wird erst mit zwei sehr wesentlichen Moralprinzipien vollständig. Zum einen muss jede Norm unter Beachtung der Neben- und Folgewirkungen gefasst werden. Zum anderen darf eine Norm nur dann gelten, „… wenn alle von ihr möglicherweise Betroffenen als Teilnehmer eines praktischen Diskurses Einverständnis darüber erzielen beziehungsweise erzielen würden, dass diese Norm gilt.“223 Die Akzeptanz und die soziale Wirksamkeit von Normen sind damit abhängig von der umfassenden Partizipation aller Betroffenen. Habermas formuliert den Kategorischen Imperativ Kants deshalb auch zweckentsprechend um: „Statt allen anderen eine Maxime, von der ich will, dass sie allgemeines Gesetz sei, als gültig vorzuschreiben, muss ich meine Maxime zum Zweck der diskursiven Prüfung ihres Universalitätsanspruchs allen anderen vorlegen. Das Gewicht verschiebt sich von dem, was jeder (Einzelne) ohne Widerspruch als allgemeines Gesetz wollen kann, auf das, was alle in Übereinstimmung als universale Norm anerkennen wollen.“224 „Was alle angeht, können nur alle lösen“, so hat es Dürrenmatt einmal sehr prägnant beschrieben. Für die Konsensfindung zwischen wirtschaftlichen Gruppen haben die Forderungen des kommunikativen Handelns weit reichende Konsequenzen: Es müssen alle von Verhaltensregeln Betroffenen in den Dialog integriert werden, und es gilt, die Regeln des fairen Argumentierens einzuhalten.225 Die Diskurs- oder Dialogethik ermöglicht eine interaktive Generierung von situations- und personenübergreifenden Normen und Werten. Es werden vernünftige Vorgehensweisen und nicht Inhalte abgeleitet. Sie ist somit formal und undogmatisch angelegt. Die Dialogethik setzt am menschlichen Dasein an und versucht, Hinweise zu geben, wie zu begründbaren Vereinbarungen vorgedrungen werden kann, die die Geltungsansprüche aller Beteiligten und Betroffenen in Einklang bringt. Die Diskurs- oder Dialogethik ist damit kommunikativ und fordert zur argumentativen Verständigung auf. Der Grundsatz dieser Ethik lautet dann: Eine Handlung ist dann ethisch fundiert, wenn sie im guten Glauben an die Unschädlichkeit für Dritte und/oder die Natur (auch in langfristiger Perspektive) 221 Vgl. J. Habermas, 1981, Bd. 1, S. 39. 222 Vgl. J. Habermas, 1983, S. 96 ff. und S. 100 f. 223 Vgl. ebenda, S. 75 f. 224 Vgl. ebenda, S. 76. 225 Vgl. ebenda, S. 77; M. Buber, 1997; S. 293 ff. und K. M. Leisinger, 1997.

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durchgeführt wird, und alle Betroffenen und Beteiligten in ausreichendem Umfang Geltungsansprüche im Entscheidungsprozess anmelden konnten. In ökonomischen Handlungssituationen ist es nun oft so, dass unmittelbarer Aktionsdruck vorliegt, so dass bei fortgeführtem Dialog alle Beteiligten Schaden oder zumindest Nutzeneinbußen erleiden würden. Da ein Dialog nicht immer bis zum einvernehmlichen Konsens geführt werden kann, sind zweckmäßige Zäsuren einzubauen, so dass kein Akteur systematisch benachteiligt wird.226 Es spricht nichts dagegen, sich in ruhigeren Phasen auf die fire fighting policy vorzubereiten. Wenn akute Handlungssituationen vorliegen, kann dann auf der Basis der kommunikativ entwickelten Spielregeln und Leitlinien entschieden und gehandelt werden. Die Integration der Beteiligten vollzieht sich beispielsweise in Open Space workshops und Zukunftswerkstätten optimal,227 in denen weite Spielräume gegeben sind, die zur Selbstverantwortung anregen. Alle erleben die Regelentstehung mit. Es können hierbei sehr viele Akteure in sehr kurzer Zeit mit dem Thema vertraut gemacht werden und sich persönlich einbringen. 8.3.5 Das win/win-Prinzip: kooperative Lösungen Der wahre Egoist kooperiert und nützt. Er schafft durch sein Verhalten gute, dauerhafte Beziehungen. Die Kenntnis der menschlichen Natur kann nicht die Inhalte moralischen Verhaltens vorschreiben, aber wertvolle Hinweise auf eine sinnvolle Ausgestaltung ethischer Regeln geben. Wenn man davon ausgeht, dass Menschen von Natur aus egoistisch sind (Selbsterhaltungsethik), folgert daraus noch lange nicht, dass darin ein ethisches Prinzip begründet liegt. Vielmehr liegt in dieser Erkenntnis die Chance, den Egoismus zum Wohle aller einzusetzen.228 In spieltheoretischen Untersuchungen ließ sich nachweisen, dass GewinnerGewinner-Strategien229 überwiegend positiven Erfolg erbrachten. Dabei bietet der Akteur (ego) in Austauschsituationen kooperatives Verhalten deutlich an und bestätigt sein Vorhaben durch Vorleistungen, die alter (der andere Akteur) nicht in die Lage versetzen, eine irreversible günstigere Position zu erreichen. Falls alter mit konfliktärem Verhalten antwortet oder in Form einer Provokation schon begonnen hat, wird diese von ego angemessen negativ sanktioniert, aber gleichzeitig ein neuer Versuch zur Kooperation eingeleitet. Auch wenn alter nachhaltig konfliktär handelt, entsteht ego daraus kein größerer Schaden, als wenn er immer konfliktär handelt.230 Es bestehen insofern Chancen, die Ein226 Zu weiteren Problemen der Dialogethik H. Steinmann/A. Löhr, 1992, S. 77 ff. und B. B. Priddatt, 1994. 227 Vgl. Kap. 2 228 Vgl. H. Markl, 1983, S. 48. 229 Vgl. G. Patzig, 1984, S. 679 und H. W. Bierhoff, 1984, S. 310 ff. und 321 ff. 230 Vgl. R. Axelrod, 1984, S. 31 ff.

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sicht in die Notwendigkeit einer kollektiven Rationalität zu schärfen. Müller hat die Vorteilhaftigkeit kooperativer Strategien anschaulich skizziert231 und Harris konnte uns bildhaft die evolutiven Vorteile vorausschauenden und kooperativen Handelns skizzieren.232 Aus der Sozialpsychologie sind konkrete Vorschläge zur Spannungsreduktion bekannt, welche Vertrauen zwischen den Austauschpartnern fördern und zugleich die Entschlossenheit und Überzeugung der Teilnehmer verdeutlichen (Reziprozität). Empirische Analysen sind immer auf die Kooperation der Beteiligten (Probanden/Auftraggeber) angewiesen.233 Eine Eskalation, ein gegenseitiges Hochschaukeln ist in jedem Falle zu vermeiden und eine angenehme Atmosphäre zu fördern. Vielleicht hilft hier das oben erwähnte „Heinzelmenschen-Prinzip“. Die win/win-Strategien beinhalten somit einige Verhaltensempfehlungen für Akteure, die Transaktionskosten durch verantwortliches Verhalten sparen wollen, und ergänzen damit die kommunikative Ethik in praktischer Hinsicht. 8.3.6 Ethik als Lernprozess: integratives Vorgehen Neben den individuellen Ansatzpunkten bieten sich auf der Ebene des Managements Möglichkeiten, wie die Gestaltung der Organisationsstruktur, des Führungsstils und des Problemlöseverhaltens. Konkret erscheint es notwendig, moral education für Manager durchzuführen, hierarchiefreie und offene Dialoge im Unternehmen zuzulassen, um dadurch erste Schritte in Richtung auf eine breit akzeptierte Identität (Unternehmenskultur, CI) einzuleiten. In einem interaktiven Lernprozess kann eine methodische Integration gelingen, indem man sich weniger auf konkrete Inhalte, als vielmehr auf bestimmte Regeln der Vorgehensweise einigt. Zudem sind leitbildadäquate Maßstäbe der Beurteilung zu diskutieren. Es sind Anreizsysteme und Verhaltensvorschriften zu kreieren, die erstens ein Verhalten gemäß der Leitorientierung der Unternehmung ermöglichen und zweitens ethisches Handeln positiv sanktionieren. In der Praxis lassen sich leider noch oft Anreizsysteme beobachten, die rein umsatz- oder mengenorientiert sind, den Mitarbeiter im verantwortlichen Handeln überfordern oder ihn geradezu zum unmoralischen Verhalten veranlassen. Zu betonen ist in diesem Zusammenhang, dass in Untersuchungen zur Verhaltensforschung vor allem die positiven Wirkungen von persönlichen Interaktionen und Rollentausch zur Förderung des gegenseitigen Verständnisses und zum Abbau von Spannungen hervorgehoben werden.234 Konkret vorstellbar wäre, 231 Vgl. U. R. Müller, 1997, S. 140 ff. 232 Vgl. M. Harris, 1990. 233 Vgl. H. W. Bierhoff, 1984, S. 227 f. 234 Vgl. I. Eibl-Eibesfeldt, 1975, S. 268 ff.

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die Rollen der Akteure rochieren zu lassen und die Aufgabenspektren durch eine ganzheitliche Verantwortlichkeit zu erweitern. Selbstverantwortung und -organisation führen hier zu höherem Engagement und zur Selbstkontrolle. Letztlich ist eine kultivierte und bewusste Unternehmung denkbar, in der kooperatives Verhalten belohnt wird, und eine langfristige Politik mit toleranten und pluralen Wesensmerkmalen etabliert ist. Konkret können Akteure ihr Verhalten verantwortlich gestalten, wenn sie mit den Beteiligten und Betroffenen Regeln interaktiv entwickeln. Dazu bietet es sich an, eine auch aus anderen Bereichen bekannte und sehr bewährte Methode zu verwenden, die sich am Lern- und Lösungszyklus (Solution Cycle) orientiert.235 Sowohl die Planung von Projekten wie auch die eigentliche Durchführung sollten entsprechend des Lösungszyklus aufgebaut sein. So ist gewährleistet, dass alle Beteiligten mit ihren Ansprüchen gewürdigt werden und kooperative win/win-Lösungen entstehen. Letztlich wird mit dieser Vorgehensweise auch ein genauerer und stimmiger Blick über den Kontext geschaffen. Zugleich wird eine dauerhafte Strategie praktiziert, die zudem eine stetige Verbesserung durch systematische Lernerfahrungen erfährt. 8.3.7 Die kultivierte Leichtigkeit als Erfolgsfaktor Management wird mit der Verwendung moderner Ethikgrundsätze langfristig erfolgreicher. Drei wichtige Grundsätze stehen im Vordergrund: - Sustainability: Alle Aktivitäten sollten dem Grundsatz der Durchhaltbarkeit in ökonomischer, ökologischer, sozialer und individueller Hinsicht folgen. Nur dann kann sich eine Unternehmung auf lange Sicht positiv mit einem guten Namen im Markt verankern. Es geht dabei um die Systemerhaltung durch Verständigung. Es wird ökologisch valide gehandelt und gedacht.236 - Dialogorientierung: Alle ethischen Grundsätze sollten im Dialog vereinbart werden. Alle Stakeholder können einvernehmlich Grundsätze entwickeln, die eine vertrauensvolle und damit transaktionskostensparende Atmosphäre schaffen. Es wird behutsam und intersubjektiv nachprüfbar vorgegangen. Jede Aktion hat unbestimmte Konsequenzen und alles kann auch anders gesehen werden. Im Lichte neuerer Erkenntnisse können die Regeln immer wieder neu vereinbart und angepasst werden. 235 Vgl. G. Bergmann, 1998 und 1997. 236 Vgl. A. v. Schlippe/J. Schweitzer, 1997, S. 273.

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- Win/win-Lösungen: Kooperative Strategien und Verhaltensweisen sind besonders stabil und erkenntnisreich. Alle Seiten sollten mit den Lösungen leben können, um auf dieser Basis gute Beziehungen zu entwickeln. Sieger/Verlierer-Spiele erzeugen nur Widerstand und Reaktanz.237 - Lernorientierung: Diese Grundsätze sind sinnvollerweise mit der Lernzyklus-Methode zu kombinieren. Dieser Lern- und Lösungszyklus (Solution Cycle) gibt Hinweise auf die notwendigen Aktivitäten und Verhaltensweisen bei der Entwicklung von Prozessdesigns und der konkreten Durchführung. Das Vorgehen erweitert das Bewusstsein (Sensitivität) über unterschiedliche Sichtweisen der Wirklichkeit und verbessert die Problemlösefähigkeit. Normative Rahmenplanungen ermöglichen so die Erneuerung und Beziehungsentwicklung im Markt. Verantwortliches Verhalten lohnt sich dann auch im Management. Sukzessive entwickelt sich auf der Basis einer gemeinsamen Wirklichkeitssicht ein kultivierter Umgang und die Bewusstheit für Phänomene im Kontext wird erhöht. Die Akteure nützen sich und den anderen durch kooperatives und lösungsorientiertes Vorgehen. Mit der dialogischen Ethik kann das Gefühl der „disembeddedness“, des Verlorenseins, in einer abstrakten Welt aufgehoben oder zumindest begrenzt werden. Die fluide und virtuelle Umwelt erzeugt die Sehnsucht nach vertrauensvollem, begreifbarem Kontext. Ethisch sinnvolle gestaltete Systeme gewinnen auf diese Weise eine besondere Attraktivität und Wertigkeit. Sie bieten den Unterschied, der sie als verantwortbare und verantwortliche soziale Sphäre238 aus dem sonstigen Einerlei abhebt. Wie schon der Gehirnforscher Linke feststellte, ist das Problem des Glücks gelöst.239 Es stellt sich in der Balance zwischen den eigenen und fremden Interessen her. In kultivierter Leichtigkeit erzeugen begrenzende Regeln und öffnende Visionen eine sinnvolle Spannung zur Weiterentwicklung. In Anlehnung an Heinz von Foerster kann darüber hinaus ein universeller systemischer Imperativ formuliert werden: Handle stets so, dass die Vitalität im zu verantwortenden System tendenziell zunimmt. Jeder Akteur kann den Versuch unternehmen, die Wahrscheinlichkeit für mehr Vielfalt der Optionen und die Weiterentwicklung zu erhöhen.

237 Vgl. zu den Vorteilen kooperativen Vorgehens insbes. M. Ridley, 1997. 238 Vgl. insbesondere P. Sloterdijk, 1998, S. 24 f. und S. 28. 239 Vgl. D. Linke, 1999.

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Synopse Statt eines hochoffiziellen Resümees möchte ich eine Metapher aus dem Sport bemühen. Die LeserInnen mögen mir verzeihen, dass ich zum Fußball greife. Das Schachspiel eignet sich nur wenig, weil es hier nur einen Gegenspieler und zu viele feste Regeln gibt, die das Spiel zu unrealistisch werden lassen. Von Volleyball und Rugby wiederum verstehe ich zu wenig. Fußballmann(frau)schaften gelten als besonders erfolgreich, wenn sie vielfältige Möglichkeiten der offenen Identifikation für Fans ermöglichen. Sie agieren als Wertegemeinschaften mit tradiertem Brauchtum, juvenilen Umgangsformen und oft unbewussten, aber strengen Regeln. Die besonders erfolgreichen Mannschaften weisen eine sehr heterogene Akteurstruktur auf, die für alle Überraschungen der Gegner, des Wetters, des Rasens, des Balls usw. ein Reservoir von geeigneten Reaktionsmöglichkeiten bereithalten. Der Trainer (oder besser Coach) setzt auf Selbstorganisation und initiative Eigenverantwortung in einem klaren Rahmen. Faszination und Engagement resultieren aus seinem Erzählen glaubhafter Geschichten und den weise unterstützten Entfaltungsmöglichkeiten. Im Übrigen wird eine angenehme nicht zu libertinäre Atmosphäre der kritischen Kumpanei geschaffen und alles bleibt auch während des Spiels in steter Bewegung. Die gemeinsame Entwicklung, Planung, Realisation und Bewertung von Konzepten macht Einzelinteressen und Egomanie transparent und sukzessive unwahrscheinlicher. So bemüht sich der Verteidiger nicht nur darum, ein 0:0 zu halten, sondern erweitert die Möglichkeiten mit den Angreifern auf ein 2:0. Standardlösungen werden zwar trainiert, aber nur in stimmigen Situationen angewendet. Mehr desselben kann schon im ersten Wiederholungsfall zum Misserfolg führen. Ansonsten werden verschiedene Temperamente und die Beziehungen untereinander soweit gefördert, dass nahezu blindes Verständnis entsteht (siehe Harlem Globetrotters, auch wenn’s Basketball ist), so dass auch bei vollkommen überraschenden Aktionen Einzelner, nur der Gegner verblüfft wird. Diese symbolische Interaktion gelingt als geübte und vereinbarte Verhaltenskoordination. Die Spiele laufen dramaturgisch in etwa nach dem Lösungszyklus ab: Nach dem Anstoß wird die Wahrnehmung geschärft, die Probleme schnell erfasst, es wird Energie mobilisiert, das Team gleicht die Schwächen Einzelner aus und die Pläne werden flexibel und spontan zu virtuosen Lösungen geformt (Spielzug), um dann den Flow (Torschuss) zu erleben, zu feiern, aber auch erfolgreiche Varianten systematisch zu lernen. Das Verhalten erfolgreicher Teams wird sorgsam untersucht und in allgemeinen Mustern adaptiert. Ein rein extrinsisch-monetär motiviertes Team kann in Eitelkeiten und Animositäten ersticken, die reinen

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TEIL I DER PROZESS DES GELINGENS

Aktionisten sind schnell außer Atem. Die Erfolgreichen kümmern sich um Lösungen, glauben nicht an die Allmacht der schwarzen Männer, falsche Bälle und die neue „Schuhbandversenkungsstilistik“ von adidas oder nike, insbesondere wenn sie gerade einen Werbevertrag mit puma unterschrieben haben, und sie suchen weder den konkreten matchwinner noch den matchloser. Es entwickelt sich im fortlaufenden Prozess eine Kunst des Gelingens in einem sich selbst erhaltenden System des Lernens. Wie von Geisterhand erscheint alle Arbeit bewältigt. Die Akteure lassen es gelingen, ohne dass es mühevoll aussieht. Ein vitales System entsteht, in dem geistreiche Künstler und findige Handwerker des Gelingens agieren.

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Teil II Die Theorie des Gelingens In diesem zweiten Teil des Buches werden die theoretischen Grundlagen hoffentlich prägnant, verständlich und zugleich fundiert erläutert. Nach den zentralen Begriffen gehe ich auf die wichtigsten Theorieansätze ein, die den Bezugsrahmen zur Kunst des Gelingens bilden.

1 Die Basisbegriffe und Definitionen Einige wesentliche Begriffe erhellen die Vorgehensweise und dienen als metatheoretische Basis: Autopoiese Die Autopoiese (oder Autopoiesis) ist ein von Humberto Maturana aus dem Griechischen entwickelter Begriff. Er bedeutet so viel wie Selbstgestaltung (auto und poiein). Maturana beschreibt als Humanbiologe, dass sich Systeme jedweder Art aus sich selbst immer wieder neu erschaffen und dabei zur Strukturerhaltung tendieren. Verändert werden können sie von außen demnach nur, wenn auch intern Strukturveränderungen (veränderte Sichtweisen, erweitertes Bewusstsein, neue Informationen) vorgenommen werden. Beobachtung Die Beobachtung spielt eine wesentliche Rolle in der systemischen Konzeption. Wir sind alle Beobachter im Leben. Wir konstruieren Wirklichkeit in unserem Geist. Entweder wir beobachten direkt unsere physische Wirklichkeit (Beobachtung erster Ordnung) und sind Teil des Systems oder wir reflektieren über das Geschehen und sehen auf das Verhalten von außen (Beobachtung zweiter Ordnung). Eine eingehende Erläuterung erfolgte im Teil I, Kapitel 2 zur Systemtheorie. Best Patterns Best Patterns sind metasystemische Erfolgsmuster, die aus dem Vergleich von gelingenden mit weniger gelingenden Prozessen und Projekten gewonnen werden. Vgl. auch Muster. Durchhaltbarkeit (sustainability) Die Durchhaltbarkeit von Verhaltensweisen ist in sozialer, psychischer, ökonomischer und ökologischer Hinsicht zu klären. Alle Maßnahmen sollen danach so

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TEIL II DIE THEORIE DES GELINGENS

gewählt werden, dass das Image und der Ruf keinen Schaden erleiden, rentabel gearbeitet sowie der Ausgleich und Einklang mit der sozialen und natürlichen Mitwelt gesucht wird. Dahinter steht keine Lehre oder Moral, sondern der Gedanke, dass auf lange Sicht nur Verhaltensweisen bekömmlich sind, die sich als win/win-Lösungen für alle Betroffenen und die natürlichen Systeme herausstellen. Es geht um Ausgewogenheit, denn wer kann schon lange die Figur des „sterbenden Schwans“ aufrechterhalten? 240 Emergenz Dieser Begriff beschreibt das Phänomen, dass aus Entwicklungsprozessen Ergebnisse entstehen, die aus den Ausgangsbedingungen nicht ersichtlich waren. Emergente Prozesse erweisen sich somit als überraschende und spontane Ordnungs- und Musterbildungen. Entropie und Syntropie Entropie ist in der Thermodynamik ein Maß für die Zerstreuung von Energie und Materie. Wenn wir etwas gestalten, transportieren, nutzen oder produzieren, wird Energie und Materie in einen anderen Zustand und an einen anderen Ort versetzt. Sie werden entropisch zerstreut, d. h. von einem Zustand der Ordnung durch die Eliminierung der Unterschiede in eine maximale Unordnung überführt. Syntropische Prozesse, also differenzierende Aktivitäten ermöglichen die Begrenzung der Entropie, z. B. durch Recycling oder die Schaffung von Strukturen und Werten.241 Das chemische Konzept lässt sich unschwer und evident auch auf psychosoziale Prozesse übertragen. Der syntropische Vorgang ist die eher unwahrscheinliche „informierende“ Kommunikation, denn es wird etwas in Form gebracht. Im Gegensatz dazu ist die entropische und wahrscheinliche Entwicklung die „Deformation“, also zum Beispiel zerstreuende und informationsarme Kommunikation. Flusser hat diese Phänomene mit einem Kreidestrich an der Tafel anschaulich erklärt. Die Kreide verliert Information und prägt der Tafel eine Form als Zeichen auf.242 Mit der Syntropischen Entwicklung243 habe ich ein Konzept zur Produktgestaltung entwickelt, das sich auch in den Evolutionsspielregeln wiederfindet. Wertbildende Prozesse erschaffen eine neue Wirklichkeit durch sinnstiftende Unterscheidung. Multimediale Kommunikation führt in verständigungsarme Sprachlosigkeit, wenn zu wenig individuelle Gestaltungen gewählt werden. Nachrichten bieten kaum noch Informationen, wenn sie gleichförmig (entropisch) immer dasselbe 240 Vgl. genauer G. Bergmann, 1996, S. 2 f. 241 Der Entropie laufen negentropische Prozesse entgegen. Der Physiker Dürr hat für Negentropie den positiver klingenden Begriff Syntropie geprägt. Vgl. H. P. Dürr, 1994. Vgl. zur Diskussion des Entropiekonzeptes in der Ökonomie F. Beckenbach/H. Diefenbacher (Hg.), 1994. 242 Vgl. V. Flusser, 1996, S. 250. 243 Vgl. G. Bergmann, 1995a/b und 1996, insbes. S. 110 ff.

1 DIE BASISBEGRIFFE UND DEFINITIONEN

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präsentieren. Produkte und Marken verlieren ihre Identität, in der kommunikativen Eintönigkeit. Ein großes Problem wird sein, dass virtuelle, solare oder auch „grenzenlose“ Unternehmen244 keine Heimat und Identifikation mehr bieten und in der Cyber-Kommunikation der persönliche Kontakt und das Vertrauen verloren gehen. Entwicklung Der Begriff Entwicklung kommt wahrscheinlich aus dem alten Ägypten. Dort bezog er sich auf das Entwickeln der Papyrusrolle. Der Papyrus musste „entwickelt“, d. h. entrollt werden, damit man ihn lesen konnte. In diesem ursprünglichen Sinn ist Entwicklung ein Prozess des Öffnens, der Entfaltung. Auf die Gesellschaft bezogen könnte man sagen: Entwicklung hat das Ziel, vorhandene menschliche und natürliche Chancen zu öffnen und zu entfalten. Entwicklung ist ein umfassender Prozess, der – gewollt oder ungewollt – jederzeit abläuft. Dieser Prozess schließt wirtschaftliche, kulturelle und ökologische Aspekte ein. Entwicklung kann stattfinden auf der Ebene des Individuums, von Gruppen, Unternehmen und Organisationen und auf staatlicher Ebene. In allen Bereichen sind untrennbar ähnliche Prozesse zu beobachten. Ich interpretiere Entwicklung im Sinne der lernenden Weiterentwicklung. Es sollen Vorgehensweisen für eine nachhaltige Entwicklungsfähigkeit von sozialen Systemen diskutiert werden. Was sich nicht mehr entwickelt, das wird erstarren und letztlich absterben. Nur was sich noch mit gezielten Mutationen (Variationen) und Selektionen (Lernprozesse) verändert, hat die Chance, einen Evolutionsvorteil aufzubauen oder zu erhalten.245 Innovationen Bei der Diskussion von Veränderung, Lernen und Entwicklung taucht immer wieder der Begriff der Innovation oder Erneuerung auf. Vom Neuen und Kreativen werden die Lösungen erwartet. Es ist deshalb sinnvoll, die Innovation aus systemisch evolutionärer Sicht zu beleuchten. Innovationen entstehen aus einem Prozess des kommunikativen Austausches, sind also Resultat, aber nicht im Sinne eines zweckrational (teleologischen) Ergebnisses. Innovationen sind nicht im Vorhinein zu ersehen, vielmehr bilden sie sich in emergenten Prozessen als spontane Ordnungen, die a priori nicht prognostizierbar sind. Alles Neue ist zumindest virtuell vorhanden, entsteht also aus der Rekombination bekannter Phänomene und tritt dann als neu zu einem bestimmten Zeitpunkt für den Wahrnehmenden ins Bewusstsein.246

244 Vgl. insbes. A. Picot u. a., 1996 sowie M. Pradel, 1995 und 1997, S. 279 ff. 245 Vgl. genauer G. Bergmann, 1996 S. 44 ff. und E. Laszlo, 1992. 246 So hat schon Schumpeter Innovationen charakterisiert. Vgl. A. J. Schumpeter, 1926.

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Erfolgreiche Innovationen bestehen also im Erkennen und Erkenntlichmachen von hilfreichen Mustern zum rechten Zeitpunkt. Innovationen sind also Konstrukte, die von bestimmten Akteuren als hilfreiche Lösungen anerkannt werden. Neues ist dabei immer subjektiv und kontextabhängig. Das heißt, es kann ein „altes“ Muster für viele sein, das bestimmten Akteuren als hilfreiches Neues ins Bewusstsein gerückt wird. Es hängt vom Kontext ab, wie und ob sie entstehen und wie sie bewertet werden. Sie stellen neue Chancen dar, Erfolg zu haben, eröffnen Wahlmöglichkeiten, indem sie von anderen Akteuren als Chancen (Wahl- und Handlungsmöglichkeiten) wahrgenommen werden. Innovationen sind also Entdeckungen und Nutzungen eines neuen Orientierungsmusters, sind gefundene Nützlichkeiten. Aus dem vorhandenen Reservoir des Wissens werden Kombinationen und subjektiv Neues ge-/erfunden und in einem bestimmten Bedürfnisfeld fruchtbar gemacht. Der gute Innovator verfügt über ausgefeilte Fähigkeiten der Wahrnehmung. Als sensibler Geist kann er oder sie Dinge und Lösungen erspüren, die ansonsten unbeachtet blieben. Der/die Innovator findet Ideen und bereitet sie für mögliche Nutzer so auf, dass sie als nützlich wahrgenommen werden können. Kommunikation Kommunikation verstehe ich als wechselseitigen Beeinflussungsprozess der Koevolution von Wirklichkeit. Kommunikation ist dreifach unwahrscheinlich, da sich Menschen nicht verstehen, anders verstehen und eventuell nicht akzeptieren, was der jeweils andere meint. Wir leben in unterschiedlichen Erlebniswirklichkeiten, kommunizieren über das, was uns individuell bewusst ist mit individuell geprägter Sprache und autobiografisch bestimmter Wahrnehmung. Gelingende Kommunikation wird wahrscheinlicher, wenn verständigungsorientierte Rahmenbedingungen geschaffen werden. Lösen und Lernen Lösungen und Lösen haben eine Doppelbedeutung, mit der hier gespielt werden soll. Zumeist bestehen die Lösungen im Lösen aus stereotypen Mustern. Lösen ist das praktische Lernen aus täglicher Erfahrung, indem etwas subjektiv Neues auftritt und integriert wird. Lösen ist also adaptives Lernen, bei dem Störeinflüsse eingeregelt werden und effiziente Strukturen (wieder)hergestellt werden. Lernen vollzieht sich in mehreren Schritten: Lernen Stufe 0 heißt Wissen und die Anpassung dessen im Rahmen des Vertrauten. In der Gewissheit kann strukturell nicht gelernt werden, sondern es wird Bekanntes bestätigt oder an die Gegebenheiten angepasst (bestätigendes oder anpassendes Lernen). Lernen Stufe 1 ist Veränderungslernen (auch single loop learning genannt). Hier werden verschiedene Aspekte neu verknüpft, assoziiert oder in Beziehung gebracht, weil mit dem vorhandenen individuellen oder kollektiven Wissen die Situation nicht

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bewältigt werden kann. Erst Lernen Stufe 2 beschreibt die Reflexion des Vorgehens (auch double loop oder deutero learning247 genannt). Hier wird Lernen gelernt und mehr das „Wie“ als das „Was“ problematisiert. Im organisationalen Rahmen kommt hinzu, dass hier unterschiedliche Lernerfahrungen zusammentreffen, die durch unterschiedliche Wahrnehmungen verändert und durch Machteinflüsse und Kommunikationsdefekte verzerrt werden. Kollektives oder kooperatives Lernen wird durch die Rahmenbedingungen (Atmosphäre, Voraussetzungen, Regeln) und das Wollen und Können der Akteure beeinflusst. Lernen ist wohl kaum mit technizistischen Begriffen zureichend beschrieben worden. Kognitive Systeme messen subjektiv Bedeutung zu. Jede Person lernt autobiografisch, assoziiert individuell und eine reine Wissensablagerung kann deshalb nur als Lernen Null bezeichnet werden. Gelernt wird besonders gut, was dem Lernenden nutzt („Not macht erfinderisch“). Lernen vollzieht sich durch Anwendung und Ausprobieren. Lernen in Aktion ist das, was jeder Mensch beim „Begreifen“ im wahrsten Wortsinne erfährt: Besonders gut gelingende Prozesse von Laufen/Radfahren lernen bis hin zum Erlernen der Muttersprache. Diese Fähigkeiten werden unmittelbar erlernt durch praktische Ausübung und weil sie das Leben schöner machen. Der Lernende ist in die Prozesse integriert – wobei die „Lehrer“ teilnehmend aber zurückhaltend intervenieren. In Workshops konnte ich schon mehrfach mit den Teilnehmern feststellen, dass Lernen durch bestimmt effektive Formen der Kommunikation entsteht. Je besser, intensiver, verständiger sich die Beteiligten austauschen, je mehr Facetten und Sichtweisen ins Spiel gebracht werden, desto effektiver wird gelernt. Das System Lernen verändert sich eben auch durch Kommunikation, erhält dadurch seine Identität. Wir können festhalten: Eine lernförderliche Atmosphäre versteht Lernen immer als „Dazwischen sein“ (Inter-esse). Der „Stoff“ enthält Erlebtes, Nützliches und Vorteilhaftes. Bei der Gestaltung der geeigneten Lernatmosphäre kann mensch sich an diese typisch erfolgreichen Situationen erinnern. Der Nutzen wird deutlich, es gibt Vorbilder, es wird in Aktion gelernt und das Erlernen ist mit Spaß verbunden. Will mensch diese enormen Lernleistungen auch bei den anderen Gebieten wahrscheinlicher werden lassen, dann müssen ähnliche Bedingungen installiert werden. Unterscheiden lassen sich diese förderlichen Lernsituationen von ty247 Double loop und deutero learning werden hier gleich gesetzt, weil sie Stufen der Reflexion des Weges beschreiben. Zuweilen wird auch single loop mit Stufe 0, double loop mit Stufe 1 und Stufe 2 mit deutero learning beschrieben. C. Argyris hat die Systematik von G. Bateson (vgl. 1985, S. 366 ff.) weiterentwickelt. Vgl. C. Argyris/D. A. Schön, 1978. Zu den verschiedenen Definitionen auch V. Balsubramarian, 1998. Der Begriff deutero learning stammt aus dem altgriechischen. Deuteragonisten waren zweite Schauspieler auf der altgriechischen Bühne. Es tritt also ein zweiter, reflektierender Beobachter auf. Vgl. auch G. Bergmann, 1988, S 33 ff. zum Lernen.

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pisch lernhemmenden, wie der Situation in der Schule beim Physik- oder Lateinunterricht, bei konventionellen Vorlesungen in der Hochschule oder bei Angst beladenden Entscheidungsprozessen in Organisationen. Bei all dem Lernen sind auch die Bereiche zu bedenken, die besser nicht gelernt werden. Mensch kann lernen zu lügen, zu betrügen, Waffen zu gebrauchen oder Morphium zu spritzen usw. Es bleibt dann die Frage der Bewertung und der Aufrechterhaltung der eigenen Identität. Alle o. g. Verhaltensweisen lassen sich in einem spezifischen Kontext durchaus als positiv bewerten, wenn sie der Erhaltung von Leben dienen und der Identität des jeweiligen Akteurs entsprechen. Lernen wird vom Kontext geprägt, wie es auch den Kontext verändert. Lernen erlahmt, wenn zu viel Wissen vorliegt, die Atmosphäre unlustig ist, die Lernenden wenig eingebunden sind und wenig Unerwartetes auftritt oder erprobt wird, also der Kontext konstant gestaltet wird. Problematisch wird gelernt, wenn Engpässe auftauchen, wenige Lösungsmöglichkeiten bestehen, der Rahmen sehr eng gesteckt ist und dadurch die Langfristperspektive verloren geht. Es wird nur noch Dringendes aber kaum noch Wichtiges oder Wesentliches unternommen. Das unmittelbare Lösen ohne Lernerfahrung steht im Vordergrund. Was wird überhaupt gelernt? Auf der Ebene des Individuums sind das mentale Modelle wie Anschauungen, Sicht- und Denkweisen, Muster in Form von Stereotypen und Orientierungsregeln sowie Routinen. Auf der Ebene der Organisation werden die mentalen Modelle zu gemeinsamen Figuren geformt, es wird eine Identität gebildet sowie ebenfalls Muster und Routinen erkannt. Organisationen wissen in der Regel nicht so viel, wie es die Summe der Erfahrungen der Mitglieder erwarten ließe. Denn eine Menge von Erkenntnissen bleibt individuell verborgen. Die interpersonelle Vernetzung kann allerdings durch vertrauensvolle und lernförderliche Rahmenbedingungen erheblich gesteigert werden. Intelligenz ergibt sich im Gehirn durch die enge Verknüpfung von Wissen (Konnektionismus). Dieser Effekt kann im „Gehirn“ einer Unternehmung ähnlich erzeugt werden. Lernprozesse können als Ergebnisse, Innovationen, Erkenntnisse und Ideen aufweisen. Die Innovation wird dabei als realisierte Idee oder Erkenntnis beschrieben. Innovationen bedürfen eines sozialen Prozesses, da sie mindestens einer weiteren akzeptierenden Person bedürfen. Ideen als spontan auftretende Assoziationen und Erkenntnisse als vornehmlich kognitive Resultate umfassen noch kein wahrnehmbares Verhalten. Konkretes Wissen und Lernen bezieht sich auf die jeweilige Situation. In einer spezifischen Konstellation wird durch unmittelbare Erkenntnisse und Anpassungen (single loop learning) reaktiv gehandelt. Aus der Reflexion dieser Vorgänge können metasystemische, kontextneutrale Erkenntnisse (Muster) entwickelt werden. Diese dienen dann zur besseren Orientierung. Die Mind Map eig-

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net sich besonders gut, um metasystemische Erkenntnisse bildsprachlich zu speichern und im Dialog die Sichtweisen auszutauschen. Lernende Organisation Die Begriffe Organisationales Lernen, Lernende Organisation, Unternehmen als Organismus, Living Company, Vitales Unternehmen und ähnliche sind schon seit dreißig Jahren in der Diskussion. C. Argyris hat wesentliche Grundlagen geschaffen. Die Metapher des Organismus und des viable system stammt von Stafford Beer, der hier grundlegende Forschungen schon in 1966 vorlegte.248 In die Geschichte der Thematik kann man sich im Internet vertiefen. Hier wird ein anschaulicher Überblick der verschiedenen Richtungen und die einschlägigen Aufsätze zum Themenfeld präsentiert.249 Organisationales Lernen basiert auf individuellem Lernen. Genauso wie im Gehirn eines Menschen neuartige Verknüpfungen hergestellt werden, werden in der Organisation neue Verbindungen entwickelt. Menschen vernetzen sich, kommunizieren und lernen somit kollektiv nützliche Verhaltensweisen, Modelle und Methoden. Organisationen sind soziale Systeme, die sich wie erläutert aus kommunikativen Handlungen bilden. Wenn sich neues Wissen (Erkenntnis), neue Verknüpfungen und Problemlösungen bilden oder gar double-looplearning-Elemente durch Reflexion integriert werden, wird das Spektrum der Aktionsmöglichkeiten erweitert. Das soziale System hat durch Kommunikation eine hohe Stufe der Komplexitätsbewältigung erreicht. Es erreicht einen hohen Bewusstheitsgrad, ermöglicht Dialoge, freien Zugang zu Informationen, gewährt große strukturelle Freiheitsgrade, schafft einen Sinn gebenden Rahmen, nutzt Prozessmuster und bietet ein Forum für Entwicklungen. Eine Lernende Organisation erzeugt die Fähigkeit der Anpassung an neue Bedingungen. „Wollen“, „Können“ und „Dürfen“ kommen zusammen und lassen ein selbststeuerndes System der verbessernden Veränderung entstehen. Muster und Spielregeln Muster sind Bildstrukturen, die einem Beobachter eine erweiterte Erkenntnis in und zwischen Systemen verschaffen250. Sie werden aus Unterschieden gebildet, die in vergleichenden Diagnosen sozialer Systeme erkannt werden können. Orientierungsmuster (Best Patterns) verleihen den Akteuren eine ordnende Sichtweise in komplexen Systemen, in denen erkenntnisreiche Informationen enthalten sind. Stereotype werden dahingegen als starre Verhaltensmuster verstanden, die keinen Unterschied machen (zum Beispiel mehr desselben).

248 Vgl. S. Beer. 1972 und 1975. 249 Vgl. beispielsweise digest of systems unter: www.ies.luth.se/-bai/system 250 Vgl. M. Grothe, 1997, S. 225 in Anlehnung an F. A. v. Hayek, 1982, S. 163 f. und 36.

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Metasystemische Muster sind allgemein und übergreifend. Sie weisen kontextneutralen und zeitstabilen Charakter auf, sind also zu jeder Zeit in allen sozialen Systemen gültig. Das Erkennen, die Systematisierung und die Anwendung von Orientierungsmustern ermöglichen sinnvolles Handeln in und zwischen sozialen Systemen. Muster reduzieren Komplexität, erhöhen also Varietät, lassen bedingte Voraussagen zu und ermöglichen Lern- und Entwicklungsprozesse. Muster sind Ordnungen, Strukturen oder Konfigurationen251, die aus der Unterscheidung von Figur und Grund (gestalttheoretischer Ansatz) oder Vorder- und Hintergrund, System und Element oder Umsystem (systemtheoretischer Ansatz) gebildet werden. Muster stellen gebündelte Informationen dar, die Strukturen bilden. Regeln sind Orientierungen und Anhaltspunkte bei der Entscheidung über Verhaltensalternativen.252 Spielregeln sind bewusst formulierte explizite Regeln, die zumindest sprachlich an die jeweilige Umgebung angepasst werden. Sie sind von impliziten Regeln, wie Sprachgefühl, Usancen oder geheimen Regeln zu unterscheiden. Regeln sind aus abstrakten Mustern abgeleitet, sie reduzieren Komplexität, lassen sinnvolles, erfolgreiches Handeln trotz relativer Unwissenheit und Ungewissheit zu und koordinieren Verhalten interaktiver Akteure. Evolutionäre Spielregeln entwickeln sich permanent weiter, werden also bewahrt, soweit sie sich als nützlich erweisen, geändert, sofern sie im Blicke neuerer Erkenntnisse angepasst werden müssen. Wir nennen sie zuweilen auch Erfolgsspielregeln oder Regeln des Gelingens. Pluralität Die Vielfalt spielt eine zentrale Rolle in den Überlegungen. Es wird als besonders wichtig erachtet, dass eine Unternehmung über viele Talente und unterschiedliche Methoden, Strukturen und Wege verfügt, weil sie sich damit mit sehr unterschiedlichen Anforderungen arrangieren kann. Sie wird multistabil, sozusagen weniger anfällig in turbulenten Situationen. Im pluralen Unternehmen wird Vielfalt der Methoden, Strukturen, Prozesse und Andersartigkeit als Vorteil erkannt und bewusst erzeugt: Die Einheit in der Vielfalt. Soziales System253 Ein System ist eine Ganzheit von Elementen, die innerhalb einer Grenze verknüpft sind. Mit Maturana und Varela können Systeme als autopoietisch, d. h. sich selbst erzeugend (griechisch: auto = selbst, poien = Gestaltung), autonom und operational geschlossen bezeichnet werden.254 Sie sind selbstreferentiell, 251 Vgl. F. A. v. Hayek, 1982 S. 35 und 155, der diese Begriffe synonym verwendet. 252 Vgl. F. A. v. Hayek, 1990 insbes. S. 8 f. 253 Vgl. dazu A. v. Schlippe/J. Schweitzer, 1997; F. B. Simon 1997, S. 17 ff. sowie H. Ulrich/G. J. B. Probst, 1988. 254 Vgl. H. Maturana/F. Varela, 1987.

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weil sie sich aus ihren Elementen immer neu erschaffen. Soziale Systeme weisen als Elemente Kommunikationen und nicht Personen auf. Sie werden gebildet durch die Art der Kommunikation von Akteuren, welche zum Umfeld gehören. Und gerade diese Kommunikationsbeziehungen können von jedem Akteur durch die Wahl von Ort und Zeit sowie die Art der Kommunikation beeinflusst werden. Soziale Systeme können deshalb nicht von außen determiniert, sondern nur „gestört“ und aus dem Gleichgewicht gebracht werden – und das Ganze mit ungewissem Ausgang. Die Systemganzheit bestimmt sich aus den Grenzen. Diese Grenzen weisen fluiden Charakter auf und sind mehr oder weniger durchlässig. Das System weist eine geringere Komplexität auf als der Kontext. Es unterscheidet sich durch Ordnungsstrukturen (Muster, Regeln) vom Kontext und versucht diesen Unterschied identitätsbildend aufrechtzuerhalten. Aus dem Grenzmanagement ergibt sich der Fortbestand. „Alles was vorkommt, ist immer zugleich zugehörig zu einem System (oder mehreren Systemen) und zugehörig zur Umwelt anderer Systeme.“255 Jede Änderung bewirkt eine Veränderung des Kontextes und des betreffenden Systems. Soziale Systeme sind keine trivialen Maschinen (Heinz v. Foerster). Sie können nicht von irgendwelchen Akteuren planmäßig auf einen Zweck gerichtet zusammengebaut werden. Vielmehr formen sie sich aus Vorhandenem unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen organisch selbstorganisatorisch. Es existiert hier kein Subjekt, dass ein Objekt konstruiert. Es gibt keinen objektiven Beobachter, sondern alle beeinflussen das System, das sich von selbst formt. Soziale Systeme verändern sich permanent, lernen und entlernen, es sei denn jemand versucht erfolgreich sie daran zu hindern. Deshalb ist es von großer Bedeutung, zu erkennen, wo Veränderungshemmnisse verborgen sind. Denn wenn sich ein System langsamer verändert als sein spezifischer Kontext, geht es unter. Dabei muss immer die Unterscheidung zum Kontext aufrechterhalten werden, um damit die eigene Identität zu bewahren und der entropischen Vereinheitlichung entgegenzuwirken.

255 N. Luhmann, 1985, S. 243.

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Selbstbild der Akteure - Brain Map - Selbstwert - Identität

Strukturen -Zuständigkeiten - Organigramme - Kommunigramme - Beziehungen

Kommunikationen

Regeln, Muster - Normen, Werte - Lösungswege - Abläufe

Kontext - Atmosphäre - Kultur - Räume - Klima

Abb. II.1.1: Das Soziale System Produkte, Projekte und Verhaltensrepertoires erzielen ihren Wert aus der Besonderheit und ihrer Attraktivität. Sie müssen herausragen und trotzdem nützlich erscheinen. So erklärt sich das Paradox der Veränderung: „Werde, der Du bist“. Organisation Eine Organisation ist ein Beziehungsnetz, eine bestimmte Form eines sozialen Systems. Es gibt keine festen Grenzen, aber bessere und weniger gute Beziehungen und Koalitionen. Der Geist und die Kommunikation schaffen die Organisation. Die Identität (Philosophie, Charakter, Vision) hält die Elemente zusammen und schafft Orientierung, die Beziehungen bestimmen die Intensität und Qualität des Zusammenhalts, die Informationen (im Sinne von Unterscheidungen) ergeben Orientierung. Alle drei Elemente können sich gegenseitig förderlich und hinderlich beeinflussen. Unternehmen bestehen immer aus den drei Elementen: Identität, Information und Beziehungen. Je mehr Bindungskraft eine Organisation auslöst, desto größer ist die innere Kohärenz. Es gilt auf der Basis einer klaren Identität, Beziehungen zum Kontext aufzubauen. An den Grenzen einer Organisation wird dann der Charakter deutlich. Die Beziehungen zu anderen Organisationen beschreiben die Fähigkeiten des Systems. Oft werden in den

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interdependenten Märkten sogenannte virtuelle oder solare Organisationen gegründet. Entweder entstehen sie aus Zusammenschluss oder die Aufteilung größerer Gebilde. Es handelt sich dabei um relativ lose Bündnisse unternehmerisch handelnder Einzelgebilde, die Synergien und Kooperationsgewinne nutzen wollen und insgesamt die Oberfläche zum komplexen Markt erhöhen. Authentische und verständigungsorientierte Kommunikation ist dabei bedeutsam, um eine gewisse Stabilität zu gewährleisten und Kulturbrüche zwischen den Organisationen zu vermeiden. Systemik, systemisch Die Systemik ist eine spezielle Systemtheorie. Elemente des Konstruktivismus und der Kybernetik werden hier integriert. Systemisches Vorgehen zeichnet sich durch eine Nutzung der inneren Logik sozialer Systeme aus. Es wird erprobt und genutzt, was der Weiterentwicklung des Systems dient, ohne den Anspruch zu erheben, die Wirkung immer erklären zu können. Die Zwecke sind nicht im Voraus bestimmbar, noch wird behauptet, die geeigneten Mittel zuordnen zu können. Es werden weniger Ursachen und Schuldige für Probleme gesucht, als auf der Basis einer umfassenden Situationsbeschreibung Lösungsmöglichkeiten gesucht. Systemisches Vorgehen orientiert sich an dem, was weiter hilft, weitere Optionen eröffnet und funktioniert. Weitere Hinweise im Kapitel II 2. Systemische Problemlösung Ein Problem wird hier nicht dadurch gelöst, dass man es in seine Teile zerlegt, sondern indem man es im Zusammenhang sieht. Das Element kann nur in seiner Funktion im Ganzen verstanden werden. Es tritt Informationsverlust ein, es wird unzulässig verkürzt, wenn seziert wird. Lösungen werden also im Ganzen gesucht auch wenn man sich auf einzelne Elemente konzentriert. Es wird deshalb der Fokus nicht auf die Analyse von Einzelproblemen oder individuelle Akteure gelegt, sondern vielmehr werden die (Kommunikations-)Beziehungen zwischen den Elementen betrachtet. Nicht Menschen, sondern Kommunikationsbeziehungen können sinnvoll verändert werden. Es hat sich gezeigt, dass diese systemische Betrachtungsweise zu oft sehr wirksamen und schnellen Verbesserungen führt. Es tritt Erfolg ein, ohne dass er in jedem Falle erklärt werden kann. Der Systemiker Niklas Luhmann würde sagen: „Systeme tun, was sie tun.“ Sie sind nur unbestimmt beeinflussbar und konstituieren sich aus Kommunikation, funktionieren also nur systemrational, aber nicht vernünftig im Sinne von logisch.256 Re-Vision Mit dem Begriff Re-Vision möchte ich beschreiben, dass zur Orientierung und Erkenntnisgewinnung sowohl die Erfahrungen als auch die Erwartungen dienen. Herkunft und Zukunft bilden die Basis für die Musterkennung. Moderne und 256 Vgl. insbesondere N. Luhmann, 1998 I, S. 182 ff.

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Postmoderne werden hier zur revidierten Moderne gebündelt. Es geht um strukturierte Vielfalt, die Nutzung zeitstabiler und kontextneutraler Regeln und Muster.257 Im Lern- und Lösungszyklus spielt die Re-Vision besonders in den Phasen Zwei und Sieben eine wesentliche Rolle. Vitale Systeme Vitale Systeme befinden sich in einem stetigen Wandel aus Umorganisation und Selbstorganisation. Für diese Systeme sind drei oben genannte Elemente besonders wichtig. Information ist die Energie des Wandels. Die Identität orientiert sich an den Wurzeln und bietet Orientierung und Kraft zur Selbsterhaltung. An Beziehungen erwachsen Chancen zur Veränderung und Bereicherung. Die Systeme verfügen über eine Menge von Informationen. Zumeist sind alle Informationen irgendwo vorhanden oder leicht beschaffbar. Doch es existieren häufig Informationsblockaden in Form von Tabus, einseitiger Auslese, Machteingriff, unzulässiger Vereinfachung, usw.

Abb. II.1.2: Komponenten der Organisation So sind Informationssysteme oft technoid geprägt und es werden dort auch nur bestimmte Informationen bearbeitet. Die Informationen sind in Verbindung zur 257 Vgl. dazu ausführliche Darstellung bei G. Bergmann, 1996, S. 39 ff.

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Identität und den Beziehungen zu sehen. Die Informationen werden viel besser sichtbar, wenn den Teilnehmern der Sinn und die Wurzeln des Systems klar sind und wenn die Beziehungen sich frei und organisch bilden dürfen. Das Problem dabei ist, dass von einem System immer nur bestimmte Bereiche sichtbar sind wie Symbole (Marke, Produkt), die Geschichten, die über die Firma erzählt werden, die Rituale und Regeln. Die eigentlichen Werte oder gar das System selbst sind nur indirekt erkennbar. Der Kulturkern des Systems und seine äußeren Merkmale sollten möglichst in Einklang gebracht werden, damit sich andere gut orientieren können. Das heißt, das Erscheinungsbild (CD, Logo, Werbung), die Geschichten über die Firma (PR, Image etc.) sowie die Regeln und Rituale (Spielregeln, Leitlinien, Verträge) sollten aus der Identität der Unternehmung entspringen, ein konsistenter Ausdruck dessen sein.258

Abb. II.1.3: Schichten eines Systems Vitale Systeme brauchen wenige Prinzipien, wenige Regeln und viel Autonomie, dann können sich Lösungen entwickeln, die organisch erwachsen. Es entsteht Ordnung aus dem Chaos, wenn ein klarer aber breiter Rahmen gegeben ist und geeignete Atmosphären259 geschaffen werden. Zu viele Regeln, Kontrollen, Ziele und Vorschriften bremsen die Selbstorganisation. Der vitale Kern entfaltet sich nur in offener Klarheit. Es lassen sich also Regeln finden, die schon in anderen Zusammenhängen zum Erfolg geführt haben. Wenn man diese dann anwendet, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ähnliches wie im Referenzsystem selbstorganisatorisch geschieht.

258 Vgl. dazu genauer G. Hofstede, 1997. 259 Vgl. G. Böhme, 1995 zum Konzept und den Wirkungen von Atmosphäre.

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2 Theoretische Ansätze Theorien und Ansätze dienen dazu, mehr Übersicht zu gewinnen und Muster wahrnehmen zu können. Theorie ist somit eine Beschreibung und Rekonstruktion von Praxis, die damit besser reflektierbar und lernbar wird. Theorien erweisen sich, wenn sie gut sind, immer als praktisch, wissen wir mit Karl Kraus. Sie reduzieren Komplexität, geben Orientierung, relativieren, formen Gemeinsamkeit und fördern so die Verständigung. Die im Folgenden erläuterten Theorien sollen sich als nützlich erweisen, das praktische Handeln zu verbessern, indem Einblicke in die Systemzusammenhänge gegeben werden. In der Synopse wird ein Bezugsrahmen einer systemisch-evolutionären Theorie vorgestellt. In einem Workshop stellte Steve de Shazer folgenden Vergleich an: „To classify theories is like classifying clouds along their shapes.“ Theorien verändern und überschneiden sich. Auch bei den im Folgenden skizzierten Theorien sind Klassifikationen sinnlos, sie erweitern aber die Perspektiven. In diesem Abschnitt werden wesentliche theoretische Hintergründe erläutert. Theorien sind vorteilhaft, um reflektorisch und vorbereitend zu lernen. Wenn mensch zum Schwimmen geht, ist es durchaus sinnvoll, vorher eine theoretische Vorstellung von den Anforderungen, Risiken und besonders den Möglichkeiten erfolgreichen Schwimmens zu erlangen. Aus Erfahrungen anderer kann musterhaft gelernt und können eigene Ergebnisse später auch in einen sinnvollen Zusammenhang gebracht werden. Schrittweise verbessert sich der Vorgang und die Praxis dominiert die Theorie. Damit wesentliche Verbesserungen (Phasenübergänge) erzielt werden können, ist immer wieder eine metasystemische und damit auch theoretische Reflexion notwendig. Die hier skizzierten Theorien mögen die LeserInnen zu neuen Assoziationen anregen, vielleicht altes Wissen im neuen Lichte erscheinen lassen. Einige andere werden sich gelangweilt abwenden. Zuweilen wird auch behauptet, den erfolgreichen Methoden und Vorgehensweisen würde nachträglich eine Theorie übergestülpt. Ich neige zu der Auffassung, dass keine Theorie vollständig ist und immer nur einen Ausschnitt repräsentiert, so dass aus vielen Theorien ein sinnvolles Patchwork der Orientierung resultiert. Hier finden die LeserInnen nur kurze Beschreibungen, die mit den Literaturhinweisen bei Interesse individuell vertieft werden können. Einige Ansätze wie die Chaos-, Evolutions- und Systemtheorie überschneiden sich in den Aussagen und Annahmen: So wird in allen Ansätzen von unterschiedlichen Erlebniswirklichkeiten ausgegangen. Die sozialen Systeme weisen in allen Theorien eine Tendenz zur Selbsterhaltung und -gestaltung auf (Selbstreferenz). Die komplexen und dynamischen Systeme wie

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Unternehmen und Märkte werden für kaum plan- und steuerbar, aber dennoch stark beeinflussbar erachtet.260 Die Metasystemik ermöglicht, den Blick zu erweitern und Verknüpfungen und Kombinationsmöglichkeiten zu erfassen. Es wird aus dem System herausgetreten und reflektierend, verwesentlichend gelernt. Erkenntnisse wandeln sich mit höherer Wahrscheinlichkeit zu Innovationen, also akzeptierten Ideen oder Lösungen, wenn in den Erkenntnis- und Realisierungsprozess die potenziellen Nutzer zumindest repräsentativ miteinbezogen werden. Lern- und Innovationsprozesse erfahren mit höherer Wahrscheinlichkeit gelingende Verläufe, wenn eine stimmige Atmosphäre vorliegt und Regeln und Visionen interaktiv entwickelt werden.

2.1 Turbulenz und Komplexitätstheorie „Es gibt nichts Beständiges im Universum. Alles ist Ebbe und Flut, jede Gestalt, die geboren wird, trägt in ihrem Schoß den Keim des Wandels.“ (Ovid) Wir leben in einer wilden Welt, die Orientierung und Verbindlichkeiten vermissen lässt. Der Kontext ist gekennzeichnet durch schnelle Veränderungen komplexer und vernetzter Systeme. Die Begriffe „Komplexität“ und „Turbulenz“ lösen Urängste und Bedenken aus und wirken verunsichernd. Im Wunsch nach Übersichtlichkeit, Ordnung und Beherrschbarkeit liegt aber eine tückische Logik des Misslingens verborgen. Sie bringt die sorgsam geplanten Konzepte oft zum Scheitern. Alles Uneindeutige, Ungewisse und Unbeherrschbare widerspricht der modernen Systemlogik, die nach mathematischer Exaktheit verlangt. Genauigkeit ist aber nicht Wahrheit, wie schon Henri Matisse wusste. Vielmehr kann der Wirklichkeit eher mit krausem Denken näher gerückt werden. Nur eine fuzzy logic,261 die als Theorie des Unpräzisen Unschärfen, Ungenauigkeiten und Graustufen berücksichtigt, kann als angemessene Methode bezeichnet werden. Augenscheinlich muss von altem, überschaubarem und wohl strukturiertem Denken Abschied genommen werden. Neben „wahr“ und „falsch“ existieren wahrscheinlich noch eine Menge anderer möglicher Zustände. Genauer gesagt, gibt es wahrscheinlich schon eine Ordnung unter dem Chaos, nur wir können sie nicht immer erkennen. Die Quantenphysik262 lehrt uns, dass Raum und Zeit nicht zugleich und nicht gleich exakt erfasst werden können, und die vierdimen260 Vgl. vertiefte Darstellung der Theorien zur Handhabung von komplexen Systemen bei H. Kaspar, 1990. Vgl. spezielle zum Phänomen Chaos und Unternehmenskrise A. Pinkwart, 1992. 261 Vgl. einführend und amüsant zur fuzzy logic: C. Drösser, 1994. 262 Vgl. dazu ausführlich G. Zukav, 1985 und S. T. Hawking, 1992, S. 75 ff.

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sionale Raumzeit ist für uns nicht vorstellbar. Die Ordnungsmuster komplexer Systeme sind die so genannten Attraktoren. Sie fungieren sozusagen als in ihrer Vielzahl und ihren Auswirkungen unüberschaubare Einflussfaktoren. Theoretisch könnte man die Entwicklung vielleicht prognostizieren, doch die vielfältigen Rand- und Ausgangsbedingungen, die Quellen und Senken lassen sich bei Weitem nicht genau genug abbilden und überblicken. Eine quantité negligeable existiert somit nicht. Plötzlich kommt die Entwicklung an einen Bifurkationspunkt, von dem aus extrem erhöhte Komplexität überraschende Ergebnisse (Turbulenzen) zeitigt. Solche Ergebnisse lassen sich als Fraktale (wie beispielsweise das sogenannte „Apfelmännchen“) bezeichnen. Fraktale sind die grundlegenden Strukturen, die selbstähnlich, aber nie ganz gleich sind. Sie beinhalten als Systemelemente den Sinn des Gesamtsystems, aber weisen eine den spezifischen Bedingungen angepasste Ausgestaltung auf. Bezogen auf die Unternehmung sind das fraktale Organisationselemente (Gremien, Teams, Abteilungen), die sich im Rahmen der Regeln und Leitlinien ausbilden. Wegen der mangelnden Planbarkeit erscheint es nach dem Prinzip der Selbstorganisation sinnvoll, diese Elemente ihre Strukturen und Vorgehensweisen möglichst eigenständig organisieren zu lassen. Wesentliche Erkenntnisse aus der Turbulenz- oder Chaostheorie sind: Die normale Entwicklung verläuft in Richtung höherer Komplexität. Es entsteht Entropie,263 also eine Tendenz zu maximaler Unordnung, in der alles gleich wird. Gegenläufige Gestaltungsprozesse in der Natur oder sozialen Systemen können Syntropie, also Ordnung, Strukturen und Werte erzeugen. Nebensachen können zu Hauptsachen werden – der so genannte Schmetterlingseffekt. Bisher vernachlässigte Nebenbedingungen stören das Gesamtverhalten und können erhebliche Bedeutung erlangen. Eine Prognose der Umwelt und des Organisationsverhaltens ist nicht möglich. Insofern können komplexe Systeme nicht zentral gesteuert und beherrscht werden. Bestenfalls darf man von angemessener Handhabung sprechen. Die meisten Strukturen bilden sich selbstorganisierend, die Prozesse verlaufen selbstlenkend und eigendynamisch. Management dient der Initialisierung, Moderation und Identifikation. Es kanalisiert dadurch das Gesamtverhalten. Es ist in allen Systemen ein plötzliches Umkippen wahrscheinlich; zuweilen entsteht Komplexität abrupt. Die Chaosforschung verrät uns somit, dass Ordnung nicht sein muss, sondern ist und sich auf eine nur bedingt zu verfolgende Art immer neu entwickelt. Schon Michel de Montaigne hat in seinem Werk das Streben nach Beherrschung relati263 Vgl. Teil II, Kap. 1.

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viert: „Da dergestalt alle Dinge dem Wandel von einer Veränderung zur anderen unterliegen, findet sich die Vernunft genarrt, wenn sie darin eine greifbare Wirklichkeit sucht, denn sie kann nichts Beharrendes und Bleibendes erfassen, weil alles entweder zum Sein unterwegs ist und noch gar nicht besteht oder schon zu vergehen beginnt, noch ehe es entstand“.264 Diese Beschreibung fluider Entwicklungen leitet zur Evolutionstheorie über.

2.2 Evolutionstheorie265 Kontext und System bedingen sich gegenseitig, beeinflussen und koevolvieren. Jedes soziale System schafft sich seine Umwelt, wobei Umwelt aus weiteren Systemen besteht, für die das andere System jeweils auch Umwelt darstellt. Die „Überlebenseinheit“ ist also System und Kontext. Ein soziales System wählt sich im trial-and-error-Prozess eine passende, stimmige Lösung aus (nicht unbedingt die Beste) und praktiziert sie dann aus Effizienzgründen weiterhin. Es besteht also eine Art natürliche Tendenz zur Chronifizierung, die wir Gewohnheit, Routine, Vertrautheit usw. nennen und die das System stabilisiert. Ein typisches Problem wird schnell gelöst. Erst bei einer erneuten Störung wird diese Routine zum Problem. Nicht jede Störung ist sinnvoll besonders im Sinne der strukturellen Systemerhaltung. Stereotype Musterhaftigkeit sollte aber Anlässe zur Variation der dominanten Verhaltensweisen geben. Verbessernde Veränderung entsteht oft abseits des mainstream an den Rändern, im Unbewussten und Anderen. Wenn sehr wenig Widerstand auftaucht, muss das kein gutes Zeichen sein. Störungen266 von Mitarbeitern zum Beispiel sind Anzeichen für Krisen und Probleme, die kaum zur Verbesserung genutzt werden. Oft kostet es nicht viel Mühe, im System intervenierend kleine Varianten auszuprobieren wie zum Beispiel mehr und andere Gesprächsmöglichkeiten zu bieten. An anderer Stelle wurden die Aspekte der evolutionären Ansätze eingehend erläutert. Hier wollen wir nur die wesentlichen Aspekte verdeutlichen. Die Entwicklung im Sinne von Weiterentwicklung erklärt meines Erachtens universell die Veränderungsprozesse in sozialen Systemen. Es existieren einige Unterschiede zu biologischen Systemen: Im Prinzip überleben die Varianten, die sich am besten in die Umgebung einpassen, also kooperative Koevolutionen anstreben. Besondere Attraktivität wei-

264 M. de Montaigne, 1998. 265 Vgl. auch Darstellung bei G. Bergmann, 1998. 266 Störungen werden hier nicht im psychoanalytischen Sinne gebraucht. Störung heißt hier nur, dass ein Unterschied eingeführt wird.

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sen einzigartige Neuigkeiten auf, die anderen Akteuren einen wesentlichen Nutzen versprechen. Die Evolutionisten nutzen neben den Erkenntnissen des kritischen Rationalismus267 und kybernetischen Modellen auch ökologische und biologische Theorien.268 Die evolutionstheoretischen Ansätze werden hier gesondert dargestellt, weil sie sehr anschaulich die Entwicklungsprozesse in komplexen Kontexten erklären können. Es soll deshalb im Folgenden ein kurzer Einblick in die Theorie der natürlichen und sozio-kulturellen Evolution gegeben werden. Ablauf und Problematik der natürlichen und sozio-kulturellen Evolution Ausgehend von einem bestimmten Wissensstand (Genpool) werden auf jeder Stufe der Entwicklung durch Mutationen verschiedene Merkmalsänderungen verursacht. In den Interaktionen mit dem Kontext sterben unvorteilhafte Erbveränderungen wieder ab und vorteilhafte schaffen die Voraussetzung für eine bessere Anpassung an die Umfeldbedingungen (reale Bewährung). Als Folge von zufälligen Mutationen verursachen Merkmalsänderungen auf diese Weise den Wandel in der Evolution.269 Richtungsbestimmend für die Entwicklung wirkt dabei der Selektionsprozess, so dass eine Prognose nur an der komplexen Struktur möglicher Umweltbedingungen ansetzen kann. Der Evolutionsprozess verläuft immer in Richtung eines verbesserten Arrangements mit den Kontexten und kann nur aus den zugrundeliegenden Prinzipien verstanden werden. Zudem muss für eine qualifizierte Aussage auch die „emergente“270 Struktur des Evolutionssubjektes erfasst werden, das heißt, der über einen langen Zeitraum aufgebaute interne Wissensvorrat. Es dürfte jetzt schon deutlich sein, dass die Evolution in kleinen Schritten erfolgt. Dabei müssen die Änderungen nicht immer ein Gesamtsystem betreffen. Sie können sich auch auf einzelne Funktionen beschränken, so dass dann nur geringfügige Abweichungen auftreten. Die Veränderung von Populationen wird in der biologischen Literatur271 durch vier unterschiedliche, sich jedoch ergänzende Faktoren erklärt: die Genese, die Selektion, die Reproduktion und die Mutation. Allerdings ist eine direkte Übertragung des Modells biologischer Evolution auf sozio-kulturelle Phänomene weder richtig noch notwendig. Eine solche Übertragung setzt die sozio-kulturell orientierten Evolutionisten dem Vorwurf anma267 Vgl. F. A. v. Hayek, 1972 und 1975 sowie K. R. Popper, 1965. 268 Vgl. F. Vester, 1980 und E. Laszlo, 1992. 269 Vgl. U. Kull, 1980 S. 4. 270 Der Begriff Emergenz weist auf die Bildung höherer Seinsstufen aus niederen bei Auftauchen neuer Qualitäten. Aus den Ausgangselementen ist das Resultat nicht unbedingt ersichtlich. 271 Vgl. zum Beispiel U. Kull, 1980, S. 4 ff. zum Teil wird die Genese mit der Mutation zusammengefasst.

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ßender Analogiebildung aus und kann tatsächlich zu erheblichen Fehldeutungen führen, wie sie sich im so genannten Sozialdarwinismus und in dogmatischpolitischen Positionen gezeigt haben.272 Indes basiert die Evolutionstheorie auf einem universalen Prinzip und wurde ursprünglich zur Erklärung des sozialen Wandels entwickelt. Sowohl die biologische wie auch die sozio-kulturelle Evolution können als Facetten einer allgemeinen Theorie aufgefasst werden.273 Vor allem die schottischen Sozialphilosophen (zum Beispiel: Hume, Smith und Ferguson) kreierten ein evolutionstheoretisches Modell, lange bevor Darwin die Theorie auf natürliche Systeme anwandte. Bei der Beschäftigung mit der Evolutionstheorie in Bezug auf sozio-kulturelle Problembereiche ist es von entscheidender Bedeutung, die grundlegenden Unterschiede aufzuzeigen.274 Wesentliche Besonderheiten treten bezüglich der Variation, des Selektions- und des Bewahrungsmechanismus auf: Die Mutationen treten im sozio-kulturellen Bereich nicht nur rein zufällig auf, sondern können auch bewusst eingeleitet werden. Den Menschen, und damit auch den Organisationen bietet sich die Möglichkeit, bei wiederkehrenden Anlässen gezielt das Verhalten zu verändern. Soziale Systeme können sich verändern, indem sie die Grenzen zu Umfeldern variieren. Es kann deshalb von gesteuerten Mutationen gesprochen werden, wie sie sich beispielsweise bei Innovationen zeigen. Dabei erfolgt eine Art aktive Einpassung in den Kontext. So kann versucht werden, über die Bestimmung der zukünftig wesentlichen Umweltanforderungen adäquate Muster einzusetzen, welche die Erkenntnisse aus der Erfahrung mit gleichen oder ähnlichen Situationen aufgreifen. Sowohl im biologischen als auch im sozio-kulturellen Bereich treten Selektionsund Eliminationsprozesse auf, während derer bei mangelnder Anpassung an die Umwelt einzelne Elemente ausscheiden. Die Menschen sind jedoch in der Lage, die Folgen von Handlungen durch interne Selektion vorwegzunehmen. Insofern können suboptimale Alternativen schon vor ihrer Realisation selektiert werden. Die Hypothese fällt dann anstelle ihres Eigners. Durch so genannte Präadaptionen kann ein Unternehmen durch Wissen und Erfahrungsaufbau in innovativen Feldern später möglicherweise Selektionsvorteile erreichen. Bei hoher Ungewissheit trägt das Denken in Alternativen viel zur Vorbereitung bei. Als dritte wesentliche Unterscheidung ist die Form des Bewahrungsmechanismus anzuführen. In der sozio-kulturellen Evolution bleibt die Weitergabe bewährter Varianten nicht an Fortpflanzungsbedingungen gebunden, das heißt, sie können direkt tradiert werden. „Diese Entstehung der vom Objekt unabhängigen 272 Vgl. F. Malik, 1984, S. 294 ff. 273 Diese These wird vom kritischen Rationalismus vertreten, der einen methodischen Monismus zwischen Natur- und Geisteswissenschaften konstatiert. 274 Vgl. hierzu vor allem die ausführlichen Darstellungen von Dyllick zur sozio-kulturellen Evolution; vgl. Th. Dyllick, 1982, S. 296 ff.

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Tradition macht alles Erlernte potentiell erblich.“275 Es bietet sich aus diesem Grunde an, parallel zum Begriff der Gene als kleinster Informationseinheit der biologischen Evolution für den sozio-kulturellen Bereich vom Terminus der Meme auszugehen. Alle kumulierten Wissenseinheiten werden als Mempool einer Kultur bezeichnet. Neue Ideen treten konsequenterweise als Memmutationen auf.276 Bezogen auf Unternehmen und Organisationen lässt sich von comps277 sprechen. Durch die selektive Reproduktion von comps wird nach und nach erfolgreiches Verhalten generiert. Das comppool spiegelt die gesamte Erfahrung des Unternehmens wider. Sie schlägt sich im Wissen der Mitarbeiter nieder, aber auch in den Produktionsverfahren, der Organisationsform und anderem. Es handelt sich dabei um gelernte Orientierungsmuster. Bei der Speicherung von Wissen und Erfahrung treten mehr oder minder Verzerrungen auf. Organisationen erinnern sich wie Menschen ungenau und eigenwillig. Dieser Vorgang der Retention löst also wiederum ungeplante Mutationen und Variationen aus. Es bilden sich ähnliche, aber nicht identische comps. Dies ist zugleich eine mögliche Innovationschance als auch eine Quelle von Missverständnissen zwischen lose verkoppelten Bereichen und Personen.278 Die oben schon erwähnten vier Prozesse der Evolutionsdynamik sollen zum Verständnis kurz skizziert werden: Mit der Genese ist die Eigenschaft evolutionsfähiger Systeme gemeint, Probleme zu erkennen sowie Lösungsmöglichkeiten bereitzustellen unter Verwendung von Wissen und durch die Beeinflussung der Situation auf phänotypischer Ebene. Dabei wirken zahlreiche Selektionsfaktoren in spezifischer Zusammensetzung auf die Systeme ein. Aufgrund der (Erfolg oder Misserfolg diagnostizierenden) Auswahl werden die den Phänotypen zugrundeliegenden genotypischen Bestandteile bei Bewährung reproduziert oder eliminiert. Riedl279 sieht gerade in trial-and-error-Verfahren die Chance für Systeme, sich antizipativ testend einer besseren Anpassung anzunähern. Bei der Reproduktion (Imitation) des genetischen Materials treten wie erwähnt Variationen auf, die innovativen oder zumindest abweichenden Charakter aufweisen. Es werden also nicht nur die erfolgreichen Bestandteile selektiert. Vielmehr müssen neue Elemente hinzutreten und weitere Unterschiede geschaffen werden, die neue subjektive Informationen bilden. Als Quellen einer solchen 275 K. Lorenz, 1985, S. 218. 276 Vgl. U. Kull, 1980, S. 173 f. Der Begriff „Meme“ ist entweder aus dem französischen (même = selbst) oder dem englischen Sprachgebrauch entlehnt (memory). 277 Vgl. T. Segler, 1985, S. 200. Der Terminus „comp“ lässt sich auf den engl. Begriff „competence“ zurückführen. Diese allgemeinen Kompetenzen verstehen wir als Orientierungsmuster und evolutionäre Spielregeln (Vgl. Kap. 4). 278 Vgl. zur Retention und der losen Kopplung K. Weick, 1985, S. 163 ff. und 184 f. 279 Vgl. R. Riedl, 1981 S. 54 f. und R. Riedl/F. M. Wuketis (Hg.), 1987.

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notwendigen Innovation in sozialen Systemen gelten vor allem Intuition und Kreativität, mit deren Hilfe teilweise unvorhergesehene qualitative Änderungen im comppool auftreten, die das Lernen aus Erfahrung sinnvoll ergänzen können. In der sozio-kulturellen Evolution spielt gerade die innovative Vorgehensweise der Problemlösung eine herausragende Rolle, da phänotypische, also während einer Lebensspanne generierte Lösungen sowohl tradiert als auch auf zeitgleich existierende Systeme übertragen werden können. Das Wissen kann also in seiner quantitativen und qualitativen Zusammensetzung permanent verbessert, kumuliert und auch an andere weitergegeben werden (der so genannte Lamarckismus.280 Hier sind insbesondere Verhaltensmuster, Regeln und Methoden zu nennen, die die Koordination und Verständigung erleichtern. Die Evolution von Organisationen ist zwingend an folgende Voraussetzungen gebunden: Zunächst muss neben einem Stoffaustausch (Metabolismus) ein hoher Selektionsdruck vorherrschen, um Anpassungsleistungen überhaupt notwendig werden zu lassen. Hierbei wird deutlich, dass augenscheinlich ineffiziente Strukturen nicht zwangsläufig eliminiert werden müssen, etwa weil rechtliche oder politische Hemmnisse den Selektionsdruck vermindern. Als weitere Bedingung muss ein spürbarer Kontextwandel als Auslöser von Anpassungsprozessen vorliegen. Bei rapidem Wandel resultiert hieraus ein schnelles Veralten bewährter Problemlösungen (Phänotypen). Für die Organisation ergibt sich daraus die Notwendigkeit, zur Veränderung bei gleichzeitiger Erhaltung bewährter Strukturen bereit und fähig zu sein. Es gilt nun zu klären, auf welche Art und Weise ein Unternehmen sich im Kontext arrangieren kann. Neben der Beeinflussung und Veränderung des Umsystems sowie neben der Möglichkeit, ein Umsystem zu wählen beziehungsweise diesem auszuweichen, kann die Unternehmung durch die phänotypische und die genotypische Anpassung auf die Anforderungen des Kontextes reagieren oder diese beeinflussen. Bei der phänotypischen Anpassung handelt es sich um die Entwicklung neuer Formen der Problemlösung, aufbauend auf vorhandenen Strukturen und auf Wissen. Dieses Vorgehen kann beispielhaft durch Marktstrategien beschrieben werden, bei denen mit Vorgefundenem neue Konzeptionen durchgeführt werden. Die genotypische Anpassung geht darüber hinaus, da hier die Strukturen selbst geändert werden. Die Organisation ordnet ihre Erfahrungen in manifesten Elementen, sie bildet Wissenseinheiten aus (comps). Beispiele hierfür sind die Einführung neuer Fertigungsverfahren, die Umstrukturierung der Organisation oder der Aufbau innovativer Programmangebote. Im Wettbewerbsprozess können durch die Hervorbringung neuer Kompetenzbereiche (Wertschöpfungsfähigkeiten/comps) sukzessive Vorteile errungen wer280 Der Biologe Lamarck hatte angenommen, dass Pflanzen und Tiere Erfahrenes und Erlebtes genetisch vererben.

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den, wenn die entstandenen Variationen vom Kontext positiv sanktioniert werden. Im Laufe der Zeit werden sich die peripheren Änderungen zu einer deutlichen Veränderung der Gesamtunternehmung ausprägen, und es kommt zu einer fortschreitenden Ausbildung neuer Strukturen. Die Ansätze des evolutionären Management bieten die Chance zur synthetischen Verknüpfung kritischer Positionen von situativen, kybernetischen und verhaltensorientierten Konzeptionen. Dabei stehen organisationsinterne Probleme, wie Lernorientierung, Komplexitätsbewältigung (durch Partizipation und Dezentralisation) und interorganisationale Beziehungen (Wettbewerb, Machtverteilung) im Vordergrund. Das geradezu universelle Konzept „überlebensfähiger Systeme“ wurde auf der Basis bio- und neurokybernetischer Erkenntnisse für sozio-kulturelle Anwendungen übersetzt.281 Dazu wurde das Modell des Zentralnervensystems des Menschen auf soziale Systeme (wie beispielsweise Unternehmen und Wettbewerbsbeziehungen) bezogen. Es liefert damit Aussagen zu ihrer optimalen Gestaltung. Die metasystemische Lenkung wird mit der ungewissen Spielsituation im komplexen strategischen Kontext begründet. Hierbei stehen die Spielregeln nicht eindeutig fest, und die Teilnehmer wechseln in Anzahl und Verhaltensweisen. „Lenkung eines komplexen Systems ist daher meistens nicht durch präzise numerische Berechnungen im Sinne des analytischen Problemlösungsparadigmas geprägt, sondern vielmehr durch eine Art strategischen Kalküls, das auf einer Reihe von heuristischen Prinzipien aufbaut, deren Wirkungsweise gerade darauf abzielt, die Komplexität der jeweiligen Situation zu den eigenen Gunsten auszunutzen.“282 Soziale Ordnungen sind eben nicht als Produkte planender menschlicher Vernunft oder der Intuition aufzufassen, sondern in erster Linie als Ergebnisse der anpassenden Entwicklung.283 Es wird Fitness im beiderseitigen Arrangement von Kontext und System erzielt. Als integrativer und methodisch offener Ansatz bietet die Evolutionstheorie die Chance zur Bündelung und Weiterentwicklung verschiedenster Denkrichtungen. Zur theoretischen Fundierung der Diskussion ist sie auch deshalb überaus geeignet, weil sie als universelles Erklärungsmuster taugt, das vom Verhalten des Einzelindividuums bis hin zum Wettbewerbsprozess reicht. Ich habe in Teil I, Kapitel 4 die Spielregeln (Orientierungsmuster) vorgestellt, die eine angemessene Koevolution möglich machen. Es existieren Erfahrungen allgemeiner Art, unter welchen Bedingungen soziale Systeme zu jeder Zeit (Epoche) und in jedem Zusammenhang (Bereich) sich eher positiv oder negativ entwickelt haben. Deshalb sind die Offenheit für Entwicklung und 281 Vgl. S. Beer, 1972 und 1975. 282 F. Malik, 1984, S. 25. 283 Vgl. F. A. v. Hayek, 1972, S. 72.

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die gezielte Beachtung der Regeln von entscheidender Bedeutung. Beide Faktoren erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer zukunftsfähigen Unternehmensentwicklung. Mit der Evolutionstheorie haben wir uns schon an allgemeine Prinzipien herangewagt. Im Folgenden sollen die systemorientierten Sichtweisen diese Ansätze ergänzen.

2.3 Systemtheorie Die allgemeine Systemtheorie speist sich aus verschiedenen Ansätzen, die in ihrer Vielfalt und Tiefe hier kaum darstellbar sind. Eine ausgiebige Erarbeitung kann ganze Bücher füllen, wie das Fritjof Capra mit seinem „Lebensnetz“ vorgestellt hat. Interessierte Leser seien deshalb auf diese Quelle verwiesen.284 Hier sollen nur einige universelle und wesentliche Aspekte der Systemtheorie vorgestellt werden. Über die Kybernetik erster und zweiter Ordnung entwickle ich das systemische Prinzip. In der klassischen Systemtheorie werden Systeme noch als wirklich existente Einheiten gesehen. Dabei können Supersysteme und Subsysteme betrachtet werden und die Wechselbeziehungen unter ihnen. Es lassen sich auch Rollen und Grenzen der einzelnen Systeme auf den verschiedenen Levels beobachten, die sich aus Vereinbarungen entwickeln, was und wer in welcher Form zum System gehören soll. Die Kybernetik erster Ordnung versucht, Beziehungen zu erfassen und beobachtet die Rückbezüglichkeit des Handelns in Regelkreisen. Damit geht die Kybernetik weit über das Weltbild hinaus, das auf deterministischen, eindeutigen Kausalitäten beruht. Es wird nicht mehr nach Ursachen und Schuldigen gesucht.285 Vielmehr wird ein System in seinen Wechselbeziehungen betrachtet: Jedes Element oder System beeinflusst alle anderen. Es werden insofern Strukturen, Prozesse, Funktionen, Regeln und Muster erkannt.286 Natürliche und soziale Konstellationen von Elementen können als Systeme bezeichnet werden. Sie lassen sich nach verschiedenen Kriterien abgrenzen. Einzelne Elemente sind in der Regel Mitglieder verschiedener Systeme, die sich je nach Abstraktionsgrad und der Perspektive anders darstellen. Die Teilsysteme und Elemente (Fraktale) spiegeln das Ganze im Kleinen wider. Sie weisen damit eine gewisse Selbstähnlichkeit auf. Allen Systemen wohnt ei284 F. Capra, 1996. Fundierte Diskussion bezogen auf Ökonomie bei H. Kaspar, 1990. 285 Ursachen werden nicht in linear-analytischem, sondern in systemisch-analytischem Sinne gesucht. Ursachen sind Einflussfaktoren für Wechselbeziehungen. 286 Der technizistisch abstrakte Charakter der Regelungstheorie verhindert eine ganzheitliche Erfassung der Verhaltensbeziehungen in sozialen Systemen. Kybernetische Darstellungen finden die Grenzen der Anwendbarkeit bei psychischen und sozialen Phänomenen, was sich durch die Bezugnahme auf lernende Automaten erklärt (vgl. H. Zemanek, 1962).

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ne Tendenz zur Selbsterhaltung und Selbstorganisation inne. Durch den Austausch mit der Mitwelt versuchen sie ihre Existenz weiterzuentwickeln. Entscheidend ist aber die Betrachtung von Regelkreisen. Hier werden Erkenntnisse aus der Kybernetik genutzt. Positive Rückkopplungen verstärken Prozesse, negative regeln sie auf das Ursprungsniveau ein. Nach der Idee des Karma (dem Gesetz von Ursache und Wirkung) wirkt eine Aktion eines Systems in irgendeiner Form auf das System zurück (Selbstreferenz). Es können nicht immer die intendierten Ziele erreicht werden, auch müssen negative Sanktionen nicht unmittelbar auf den Verursacher zurückwirken. Aber über vernetzte Ursachenkomplexe werden Rückkopplungen wirksam. Oft können dabei keine sinnvollen Zusammenhänge erkannt werden oder es gibt Fehlzuschreibungen von Ursachen und Wirkungen. Langfristig wirken negative wie positive Aktionen in ähnlicher Form auf das auslösende System zurück: Im Prinzip stimmt das Sprichwort: „Wie man in den Wald ruft, so schallt es zurück“. Manchmal schallt es allerdings direkt, manchmal später, lauter, leiser, verzerrt usw. Das System (zum Beispiel die Organisation) tut nun gut daran, die Signale multiversal zu interpretieren, vielfältige Interpretationen zuzulassen und erkenntnisfördernde Dialoge zu eröffnen. Ansonsten droht die Selbstversiegelung, wichtige Signale werden übersehen oder fehlinterpretiert, bisher Gelöstes verfestigt sich und mutiert zum Problem. Die Welt kann insofern nur verändert werden, indem wir sie neu interpretieren. Interpretation und Veränderung gehören zusammen. Hegel und Marx hatten beide recht, insbesondere mit ihrer dialektischen Weltsicht.287 Entscheidend ist die vielschichtige Interpretation von Ereignissen, um sinnvolle Erkenntnisse für verändernde Lösungen zu schaffen. Sinnvolle Wahrnehmung ist nur durch vor- und zurückgreifende, vielfältige Interpretation im Dialog denkbar. Sie ist wiederum die Basis, um angemessene Lösungen zu kreieren, die sinnlich emotional und rational ausgerichtet sind. Es gilt, strukturierte Vielfalt in den Prozessen und den Ergebnissen (zum Beispiel Produkten) anzustreben. Mit der Kybernetik zweiter Ordnung wandelt sich die Betrachtung in eine Kybernetik der beobachtenden Systeme. Es wird erkannt, dass Beobachtung und Beobachter Einfluss auf die Systeme haben. So wird beobachtet wie beobachtet wird, also wie die Kybernetik der Kybernetik entsteht und man versucht, metasystemische Ebenen zu erkennen, um von dort aus Prozesse zu reflektieren und zu systematisieren: Ähnlichkeiten und Unterschiede zu finden. So werden beispielsweise Interaktionen in einer Gruppe von Moderatoren begleitet und beobachtet. Diese Vorgänge können wiederum von einer Beobachtergruppe – wie zum Beispiel einem reflecting-team – beobachtet werden. In diesem Team können sich einzelne Akteure auf Ausschnitte konzentrieren wie spezifische Inhalte, 287 Während Hegel die Welt neu interpretieren wollte, drängte Karl Marx auf Veränderung. Er glaubte damit die Philosophie vom Kopf auf die Füße zu stellen.

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Körpersprache oder Verhalten und diese Erkenntnisse an die Beobachter erster Ordnung zurückspiegeln. Die Theorie dissipativer Strukturen,288 was so viel heißt wie Theorie über sich in ungeordneter, unüberschaubarer Art entwickelnde Strukturen, zeigt auf, dass sich spontan und im Vorhinein nicht ersichtlich neue Strukturen, Regeln und Systeme bilden können. Prigogine beschreibt ein quasi paradoxes Phänomen: Stabilität wird hier durch ständige Veränderung erzielt. Die Systeme erhalten ihre einzigartige Struktur dadurch, dass sie Materie sozusagen durch sich fließen lassen. Am besten ist das am Beispiel eines Wasserstrudels in der Badewanne veranschaulicht. Die Wassermoleküle werden von der Öffnung angesogen und geraten in eine Kreiselbewegung aufgrund der kleinen Unterschiede in der Abflussöffnung. Die selbstähnliche Struktur entsteht nur durch die schnelle Veränderung und ist auch nur so lange erkennbar „stabil“, wie das Wasser sich hindurchbewegt. Das System „Wasserstrudel“ erzeugt sich aus sich selbst (Autopoiesis) und weist keinerlei scharfe Grenzen zum Umsystem auf. Übertragen auf eine soziale Organisation heißt das: Eine Unternehmung findet ihre Identität nicht aus der Abgrenzung, sondern in direkter Verbindung zum Kontext und durch ständige vielfältige Veränderung auf ureigene Art nach den jeweiligen Bedingungen. Vielfalt und Entwicklung sind auch hiernach die natürlichen Voraussetzungen lebensfähiger Systeme. Zudem sind die Strukturen lebender Systeme ungemein komplexer als das vergleichsweise einfache System „Wasserstrudel“. Insbesondere wenn Menschen interagieren ist eine schier unendliche Vielzahl von Variablen zu berücksichtigen, die nicht mehr planbar ist. In sozialen Systemen führt das zu einer Tendenzverschiebung. Weniger die direktive Veränderung als vielmehr das Verstehen von Prozessen steht im Vordergrund. Beobachtung und Interpretation lösen die instruktive Lenkung ab. Es ist lediglich möglich, in etwa Rahmenbedingungen zu schaffen, die wahrscheinlich lebensfähige Systeme erzeugen. Charakteristika der Systemtheorie Die Art und Weise, wie wir denken und handeln, hängt davon ab, wie wir die Welt wahrnehmen, in die wir eingreifen wollen. Die Welt, in die wir hineingestellt sind, besteht aus einer Vielzahl von vielfältig miteinander verknüpften Ganzheiten oder Systemen. Das zentrale Merkmal für das Verständnis der Systemtheorie liegt in der Art und Weise der Betrachtung eines Systems. Somit erfolgt eine Systemdefinition individuell, da sie von der Wahrnehmung des Beobachters abhängt. Der Nutzer des Systembegriffs trifft eine beliebige Auswahl, was er als System betrachten will, denn der Systemansatz stellt ein theoretisches Konzept dar, bei dem die Welt oder das zu betrachtende Objekt in Systeme ein288 Vgl. I. Pirogine/I. Stengers, 1981, S. 21 f.

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geteilt wird. Bei dieser Einteilung ist zu beachten, dass zwischen horizontalen und vertikalen Beziehungen unterschieden wird. Bei der horizontalen Sichtweise werden die Beziehungen innerhalb eines Systems betrachtet. Hier gilt es die Vernetzung zwischen den Elementen eines Systems zu beachten. Unter dem Aspekt der Ganzheit stehen die Elemente in einem Bindungsgefüge in Wechselbeziehung zueinander, das heißt, jedes einzelne Element bestimmt die Bedingungen aller anderen.289 Dementsprechend sind die Untersuchungsgegenstände Strukturen, Funktionen, Relationen, Interaktionen und Transformationen von Systemzuständen.290 Bei der Berücksichtigung vertikaler Beziehungen gilt es, das Verhältnis des gerade beschriebenen Systems zur Umwelt und zu Unter- oder Obersystemen mit in die Betrachtung einzubeziehen. Nach F. B. Simon soll für ein System folgende Definition gelten: „Ein System ist ein gegen seine Umwelt (Kontext) abgegrenzter Raum, Zustand oder Inhalt, der selbst wiederum aufgeteilt ist in Systeme (d. h. gegen ihre Umwelt abgegrenzte Räume, Zustände oder Inhalte, die selbst wiederum aufgeteilt sind in Systeme).“291 Daraus lässt sich ableiten, dass Systeme zwar in sich geschlossen, gegenüber ihren Umwelten jedoch offen sind, beziehungsweise um lebensfähig zu sein, entwicklungsfähig in einer Wechselbeziehung mit ihren Umwelten stehen. Da sich der Beobachter sein System selbst bestimmt, sind die Grenzen eines Systems gegenüber der Umwelt nicht gegeben. Auch die Grenzen müssen vom Beobachter selbst konstruiert werden. Der Umgang mit Systemen fordert eine ganzheitliche Perspektive. Sie werden nicht mehr in ihre einzelnen Bestandteile zerlegt, die daraufhin einen Rückschluss auf das Ganze zulassen. Systeme sind dynamische Ganzheiten. Dynamik meint hier, dass sich Systeme in einem permanenten Anpassungsprozess oder Ungleichgewicht befinden, ohne jedoch dabei ihre Identität zu verlieren. Kennzeichnen lässt sich die dynamische Ganzheit aufgrund von Elementen, die durch Kreisläufe in einem vielfältigen Netzwerk verbunden sind.292 Zentraler Gegenstand der Systemtheorie ist die Komplexitätsthematik. Komplexität bezeichnet den Grad der Kompliziertheit und Vernetzung eines Entscheidungsfeldes. Zusammen mit Dynamik entsteht die Turbulenz. Auf der einen Seite bezieht sich die Komplexität auf die Wechselbeziehung der Elemente, die unter dem Aspekt der Gesamtheit zueinander stehen. Andererseits 289 Vgl. F. B. Simon, 1995, S. 39. 290 Ebenda. 291 Vgl. F. B. Simon, 1995, S. 79. 292 Vgl. H. Ulrich/G. Probst, 1988, S. 38 ff.

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nimmt man nicht nur Bezug auf die Systemkomplexität selbst, sondern auch auf die Umwelt. Die Komplexitätsthematik führt zur Frage nach der Überlebensfähigkeit von Systemen beziehungsweise nach den Möglichkeiten des Systemerhalts bei komplexen und turbulenten Umweltsituationen. Lebende Systeme sind selbstreferentielle, das heißt, sich selbst reproduzierende Systeme, die in sich geschlossen sind, gegenüber ihrer Umwelt aber in Wechselbeziehungen stehen. Der Grundgedanke lebender Systeme basiert auf dem Konzept der Autopoiese von Maturana und Varela.293 Autopoiese meint hier, die Fähigkeit zu besitzen, sich selbst zu erhalten, zu wandeln oder sich erneuern zu können. Der zentrale Grundgedanke des Konzeptes ist, dass Systeme in energetischer Hinsicht zwar offen, bezüglich ihrer internen Prozesse und Organisation aber vollkommen geschlossen gegenüber der Umwelt sind. Sie gestalten sich aus eigener Struktur. Der Grundgedanke der Autopoiese ist also das Merkmal der Selbstkonstitution der Einheit, die durch Selbsterzeugung der Elemente und der Selbstproduktion in einem geschlossenen Kreislauf in Beziehung zueinander stehen. Das heißt, ein autopoietisches System reproduziert sich in einem geschlossenen, rekursiven Prozess, in dem es seine Bestandteile selbst herstellt und erhält. Der Vorgang der abgeschlossenen Reproduktion der systemspezifischen Organisation wird dabei als organisationelle Geschlossenheit bezeichnet und ist verantwortlich für die Identität des Systems.294 Der Vorgang der plötzlichen und unerwarteten Organisation wird als Emergenz bezeichnet. Ein System findet durch Variation der Kontextbedingungen ein neues Muster oder neue Regeln, es sucht chaostheoretisch gesehen, einen neuen Attraktor auf, der nicht eindeutig auf bestimmte Störgrößen, Ursachen oder Akteure zurückzuführen ist. Die Beziehungen zwischen Kontext und System sind nicht linear und das Prinzip der starken Kausalität ist aufgehoben: Kleine Ursachen können große Wirkungen auslösen. Durch eine leichte Störung der alten Muster kann eine Situation geschaffen werden, die Veränderungen ermöglicht. Schwerwiegende Kontextänderungen hingegen, können zum Teil zur Verfestigung der alten Muster führen. Das System mobilisiert Energie zur Selbsterhaltung. Die Theorie autopoietischer Systeme führt die Gedanken der dissipativen Strukturen fort. Bei Maturanas und Varelas autopoietischem Systemansatz handelt es sich um eine biologische Grundlegung der Systemtheorie. Das Konzept der Autopoiese 293 Vgl. H. R. Maturana/H. R. Varela, 1987, S 54 f. Autopoiese ist aus dem Griechischen abgeleitet und heißt so viel wie Selbstgestaltung. Vgl. auch Teil II Kap.1. 294 Vgl. F. J. Varela, 1990, S. 119. Vgl. auch F. J. Varela in F. B. Simon (Hg.), 1997, S. 148 ff.

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ist die Erklärung des Verhältnisses zwischen Körper als biologischem System, Geist als Bedeutungs- beziehungsweise Gedankensystem und Umwelt. Die Theorie der Sozialen Systeme führt das Konzept in die gesellschaftliche Ebene über. Die Theorie sozialer Systeme Niklas Luhmann führt in die biologisch orientierte Systemtheorie von Maturana und Varela eine spezifisch soziologische Perspektive ein, die zu Veränderungen beziehungsweise Erweiterungen führt. Soziale Prozesse werden in diesem Kontext, mit Hilfe systemtheoretischer Terminologie, umfassender erklärt als es bei den statischen Erklärungsmodellen der Kybernetik erster Ordnung möglich ist.295 Er analysiert aufbauend auf den Strukturen, die Funktionen, die Systeme leisten müssen, um sich konstituieren und erhalten zu können. Im Vordergrund steht also die Frage nach den Bedingungen, die überhaupt erst dazu führen, dass sich Systeme bilden. Diese funktional-strukturelle Weiterentwicklung nennt Luhmann die „Theorie selbstreferentieller Systeme“. Er definiert das System als „einen Komplex von Operationen, der die Fähigkeit hat, sich selbst durch eigene Reproduktion von der Umwelt abzugrenzen. Also eine Operation, die in der Sequenz des Anschließens weiterer Operationen an zufällig entstandene Anfangsoperationen die Fähigkeit hat, eine Differenz zwischen System und Umwelt zu produzieren.“296 Die Aussage, die sich hinter dieser Definition verbirgt, impliziert folgende Unterschiede zur Systemtheorie erster Ordnung: Wenn sich das System eigenständig von der Umwelt abgrenzt, muss auch eine Unterscheidung zwischen dem Element und dem System existieren. In den klassischen Ansätzen ist der Mensch Element des Systems. Da Luhmann jedoch von Operationen ausgeht, die aus Anfangsoperationen resultieren, ist nicht der Mensch Element des Systems, sondern die Kommunikation. Bestimmte Kommunikationsprozesse werden an der Systemgrenze unterbrochen. Das heißt, ein System konstituiert sich, indem einzelne Kommunikationsereignisse abgelöst werden. Dann können überraschenderweise psychische Systeme auch nicht kommunizieren. Deren Reproduktionsmodus ist das Bewusstsein. Natürlich brauchen soziale Systeme zu ihrer Reproduktion menschliches Bewusstsein, genauso wie menschliches Bewusstsein einen funktionierenden menschlichen Organismus benötigt. Unser menschlicher Organismus funktioniert, ohne dass wir alle Körperfunktionen bewusst steuern. Besser gesagt, wir können nur leben, weil wir nicht alles bewusst steuern müssen, denn damit wären wir hoffnungslos überfordert. Das Verhältnis zwischen psychischem und sozialem System gestaltet sich ähnlich. Ein soziales System benötigt nicht alle Bewusstseinsleistungen eines psychischen Systems. Es benötigt zum Weiterbestand psychische Systeme, die Kommunikation ermöglichen. Ein soziales System hört auf zu existieren, 295 E. König/G. Volmer, 1997, S. 29. Grundlegend in N. Luhmann, 1985 und 1988. 296 N. Luhmann in F. B. Simon, 1997, S. 131.

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wenn es keinen Anlass mehr zur weiteren Kommunikation liefert. Das Einzige, worum es in einem Sozialsystem geht, ist durch Kommunikation weitere Kommunikation anschlussfähig zu machen. Die Notwendigkeit entsteht dadurch, dass jede Kommunikation ein Ereignis ist, das sofort bei seinem Auftreten wieder verschwindet. Es muss also einen autopoietischen Mechanismus in der Kommunikation geben, der sicherstellt, dass durch Kommunikation Selbige entsteht. Somit ist der Mensch nicht mehr als Element des Systems zu sehen, sondern er agiert im Kontext als Beeinflusser. Er nimmt Einfluss durch die eigene Kommunikationsart, die positive, wie auch negative Auswirkungen auf das System haben kann. Es liegt in der Hand des Beeinflussers, wie sich das System entwickelt. „Sozialen Systeme kann man nicht die Hand schütteln“, man kann sie aber beeinflussen. Genauer: Man kann die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass sie eine bestimmte Form annehmen, man kann die konkrete Manifestation aber nicht voraussagen.297 Jeder Mitarbeiter einer Unternehmung ist Beobachter und Beeinflusser. Er oder sie begreift das soziale System, indem er oder sie die Begriffe zuordnet und damit Unterscheidungen trifft. Bestimmten Regeln, Organisationseinheiten, Strategien, Maßnahmen usw. werden Bedeutungen zugemessen. Zuweilen werden spezifisch erlebte Handlungsstrategien als Ursachen für bestimmte Folgen gewertet. In Aushandlungsprozessen stimmen die Akteure dann über sinnvolle Handlungsweisen ab. Sie können soziale Systeme nur dann mit höherer Wahrscheinlichkeit zum Erfolg führen, wenn die Aktionen auf metasystemischer Ebene reflektiert werden. Andernfalls droht die Gefahr, dass einflussreiche Akteure bestimmtes Verhalten als erfolgreich bezeichnen, das eventuell den zukünftigen Erfolg unwahrscheinlicher werden lässt. Es wird etwas als Erfolgsmuster bezeichnet, weil es die Konzeption und Machtposition von dominierenden Personen stützt. Wenn gelungene von weniger gelungenen Verhaltensmustern unterschieden werden und die Organisation danach strukturiert wird, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit des Fortbestehens. Aus Chaos wird sinnvolle Ordnung, die solange Effizienzvorteile zeitigt, bis die Ordnung wiederum gestört wird. Auch Märkte kann man nicht „berühren“, weil sie Abstraktionen von sozialen Systemen sind, die sich aus Kommunikation zwischen Anbietern, Kunden, Beeinflussern, Atmosphäre und Rahmenbedingungen bilden. Die Produkte sind manifestierte Kommunikation, die Bedeutung tragen, weil sie von einigen Akteuren von etwas anderem unterschieden werden können. Sie bekommen bestimmte Eigenschaften und Werte zugeschrieben. Der zugeordnete (attribuierte) Nutzen eines Produktes wird individuell aus den subjektiven Wahrnehmungen 297 Vgl. dazu insbesondere N. Luhmann, 1994, S. 14 ff., der dort die wechselseitige Beeinflussung am Beispiel der Liebe beschreibt.

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bestimmt. Die Schwierigkeit besteht darin, die subjektiven Wirklichkeiten anzugleichen. Je mehr sich eine Unternehmung kommunikativ mit den Kunden verknüpft und den Kontext angemessen gestaltet, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit des Kontaktes. Das entstehende Produkt wird von Kunden als eigenes erkannt und wertgeschätzt. Es gilt also, Beobachter von Angeboten beim Beobachten zu beobachten. Eine Marketingabteilung versucht Verhalten zu diagnostizieren und die Bewertungskriterien zu ermitteln. Produkte als Marktangebote sind ambivalent multisensuell zu planen, da bei der Diagnose nie genau erfasst werden kann, was als Unterscheidung für den potenziellen Nutzer Bedeutung erlangt. In die Entwicklungsprozesse sind Störer und kritische Sympathisanten zu integrieren, um facettenreicher zu werden. Systeme lernen durch Störung und Imitation, wenn die dadurch entstehenden neuen Unterscheidungen durch das systemeigene Codesystem als Informationen verstanden und verarbeitet werden können. Soziale Systeme können das „Verständnis“ erweitern, wenn sie mit erhöhter Selbstreflexivität, also der Beobachtung zweiter Ordnung auf Störungen reagieren. Konkreter: Eine Unternehmung kann mit der Information über allgemeine Umweltgefahren eventuell wenig anfangen, es wird erst zu einer das System betreffenden Information, wenn die systemische Sprache verwendet wird, zum Beispiel Geld und Preise. Menschen erkennen selektiv ausgehend von ihrem belief system, das heißt, sie nehmen wahr, was sie glauben zu kennen. Die Gefühle sprechen nicht, sondern es wird über die Darstellung von Gefühlen kommuniziert. Die Kongruenz von Bewusstsein und Kommunikation sowie Wahrnehmung ist eine Ausnahme, wie die gerade Linie und der rechte Winkel in der Natur. Verstehen und Verständigung erweisen sich also als höchst unwahrscheinliche Resultate. Durch die Nutzung von Kontextmustern, also zum Beispiel Persönlichkeitsbildern und Bedürfnisebenen, können Reaktionen besser antizipiert werden. Damit „schleicht“ sich der Mensch wieder in die Systemik hinein. Personenzentrierte Systemtheorie In der Theorie Sozialer Systeme nehmen Personen beeinflussende Nebenrollen ein. Konstituierendes Element sind die kommunikativen Handlungen. Mit der personenzentrierten Systemtheorie298 sollen die Menschen wieder in den Mittelpunkt gerückt werden. Es wird auch hier von Mustern und Regeln der Kommunikation gesprochen, doch der Aspekt des „persönlichen Ausdrucks“ der Akteure wieder mehr betont.

298 Vgl. Darstellung der von J. Kriz entwickelten Konzeption bei A. v. Schlippe/I. Schweitzer, 1997, S. 75 ff.

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Kommunikative Handlungen (Ausdrucksmöglichkeiten), individuelle Wahrnehmungen sowie Gedanken und Gefühle (Verarbeitung des Wahrgenommenen) sind individuelle Prozesse, die die Kommunikation beeinflussen. Der Akteur hat hier bedingte Einflussmöglichkeiten, indem er Wahrnehmungen selektiert, Ausdruck modelliert und Gefühle und Gedanken gezielt umsetzt. Immer wieder wird durch Kommunikation Erinnerung wachgerufen, Assoziationen und Gefühle ausgelöst. Der empfangene Akteur kann die Reaktion darauf beeinflussen, er hat Wahlmöglichkeiten und verändert dadurch den Kontext, indem Kommunikation weiterläuft. Besonders ist jedem Akteur mehr oder minder möglich, sich selbst zu reflektieren, sein geäußertes Verhalten zu dosieren, zu variieren und „passende“ Elemente herauszugreifen. Insofern wird die Kommunikation dann auch von den Persönlichkeiten mitbestimmt, die wir im Teil II Kapitel 2.7 systematisiert haben. Als Kontextmuster lassen sich Cluster von Persönlichkeitsmerkmalen systematisieren, die für effektive Kommunikationsprozesse verwendet werden können. Persönlichkeit gilt insofern als Manifestation von Wahrnehmungs- und Kommunikationsweisen, die zur Orientierung dienen. Die Identität der Persönlichkeit erwächst aus der Beziehung zu anderen. Das „Ich“ kann erst durch Kommunikation bestimmt werden und nur ein identifiziertes „Ich“ kann kommunizieren. Persönlichkeit und Kommunikation bedingen sich einander und entstehen somit zugleich. Typische Muster der Kommunikation zwischen Menschen können dann als geteiltes Wissen, Regeln und gemeinsame Geschichte Bezugspunkte darstellen, die das System stabilisieren (Synreferenzen299). Der Mensch kehrt so in die Betrachtung zurück, ohne Teil der sozialen Systeme zu werden. Mit dem Konstruktivismus wird die Systemik aus einer anderen Richtung ergänzt.

2.4 Radikaler Konstruktivismus Der Radikale Konstruktivismus300 geht davon aus, dass die „realen Dinge“ nur im Geiste des Betrachters existieren, so dass jeweils nur subjektiv konstruierte Wirklichkeiten im Bewusstsein bestehen. Eine Wirklichkeit von mehr als einem Beobachter kann deshalb nur über den gleich berechtigten Austausch geschaffen 299 Vgl. H. P. Hejl, K. H. Stahl, 2000. 300 Vgl. die Grundlegende Darlegung bei P. Watzlawick, 1981, der dort die wichtigsten Autoren vereint. Zu ähnlichen Konsequenzen stoßen auch die sogenannten Postmodernen Denker wie besonders Derrida, Foucault und Baudrillard vor. Steve de Shazer bezieht sich zum Beispiel vornehmlich auf die französischen Dekronstruktivisten. Ihre Philosophie der Differenz soll bestehende Diskurse aufbrechen, „Sockelstürze“ vorbereiten und eine radikale Pluralisierung bewirken. Es wird durchleuchtet, was sich hinter den herrschenden Sprachspielen verbirgt, worauf sich Macht gründet und wie neue Varianten thematisiert werden können. Vgl. Darstellung bei W. Welsch, 1988.

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werden. Das „Für-wahr-Genommene“ stellt die Wahrheit der jeweiligen Betrachter dar und sonst nichts. Eine allgemeine Wahrheit, die objektiv von einer hierarchisch übergeordneten Instanz festgelegt werden könnte, existiert nur als machtinduzierte Anordnung – faktisch aber nicht wirklich. Deshalb ist bei Aussagen empirischer Forschung große Zurückhaltung geboten, sie sind wahrscheinlich Ergebnis subjektiv geschaffener Wirklichkeiten, die einem bestimmten Erkenntnisinteresse und einer bestimmten Erwartung entsprechen. Genauso schwierig und bedenklich wird es im Bereich der internen Analyse (zum Beispiel Controlling). Es kommt heraus, was der Beobachter beobachtet. Nur durch Abgleich verschiedener Wahrnehmungen wird der Realität näher gerückt. Dazu passt ein Spruch des Kybernetikers Wiener: „Ich weiß erst, was ich gesagt habe, wenn ich die Antwort höre.“ Wahrheit findet also ihre Grenzen in der Wahrheit der anderen, darf man Rosa Luxemburg variieren. Wir alle bauen uns ein individuelles Bild der Welt aus Unterscheidungen auf. Informationen über die Welt sind nach Gregory Bateson „Unterschiede, die einen Unterschied machen“. Herausragende Bedeutung erlangen für uns Ereignisse, Dinge und Sachverhalte, die eine Änderung des Erlebens bewirken. Wir konstruieren Einheiten, die sich vom Kontext unterscheiden lassen, indem sie anders sind.301 Der Radikale Konstruktivismus geht davon aus, dass alle Phänomene in der kognitiven Wirklichkeit als Produkte, also als etwas aus kommunikativen Prozessen Hervorgebrachtes anzusehen sind. Marktangebote sind insofern Ergebnisse von kommunikativen Handlungen. Die Wahrnehmung der Produkte sind dabei keine Wirklichkeitsbeschreibungen, sondern Konstruktionen, die aus subjektiven Unterscheidungen entstehen. Wirklichkeitskonstruktion ist somit Individuen zurechenbar, die wiederum spezielle biologisch, sozial und kulturell bestimmte Erkenntnisweisen (Kognitionen) aufweisen. Es wird also die kognitive Wirklichkeit individuell und somit persönlichkeitsspezifisch konstruiert. Verständigung geschieht dann in Interaktionen, in denen ähnliche Sprachweisen, Stilformen, Erfahrungen und Erkenntnisse vorliegen. Die Beteiligten lassen sich auf ähnliche Sprachen ein, müssen bereit sein, sich über Iterationen bezüglich 301 Für meinen zweijährigen Sohn erschienen die Buchstaben in der Morgenzeitung als einheitliches Muster ohne Bedeutung. Lediglich die Fotos und Bilder enthalten für ihn Informationen. Die Wahrnehmung desselben Objektes „Zeitung“ folgt also individuellen Unterscheidungen. Einem Begriff, einem Plan, einem Objekt werden sehr unterschiedliche Bedeutungen zugeordnet. Köln bedeutet für mich Heimat, Dom, fröhliche Menschen, Klüngel, Karneval u. v. m. Für manchen Düsseldorfer bedeutet Köln Schmuddeligkeit, Konkurrenz, anderes Bier etc. Die gemeinsame Wirklichkeit wird erst zu ermitteln sein, wenn ich mich mit dem betreffenden Düsseldorfer über die Inhalte austausche, die aus Köln nicht weggedacht werden können, ohne dass Köln nicht mehr Köln ist und wir dabei Übereinstimmungen finden. Wie man ansonsten Wirklichkeit konstruiert zeigt H. v. Foerster, 1981.

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der Codes zu verständigen, die ähnliche Unterscheidungen verschiedener Subjekte ermöglichen. Über kulturelle und charakterliche Einheitlichkeit wird Intersubjektivität erzeugt. Erleichtert wird dieser Prozess durch Entwicklung von gemeinsamer Sprache, soziale Rollen, Kleidung, Riten und Geschichten. Die Wirklichkeitskonstruktionen werden angeglichen, nicht die Konstruktionen kognitiver Wirklichkeit an die Realität. Wie sagte doch Helmut Kohl in seiner Sprache: „Die Wirklichkeit ist anders als die Realität“. Die künstliche Aufteilung von Subjekt und Objekt ersetzt der Konstruktivismus durch Vorstellungen von Konstruktion, Interaktion und Partizipation in und zwischen selbstorganisierenden Systemen. Jedes Phänomen kann aus unterschiedlichen Perspektiven gesehen werden, Wahrnehmung wird autobiografisch geprägt und daher individuell bewertet und interpretiert. Eine einvernehmliche Realitätssicht kann kaum erwartet werden. Insofern ist viel interessanter, wie soziale Systeme zu Vorstellungen gelangen, Dinge zu benennen und Gefühle auszudrücken. Das antike Höhlengleichnis (Platon)302 lehrt uns: Es gibt eine Wirklichkeit hinter der subjektiv erfundenen oder besser vorgefundenen. Erst wenn wir es schaffen, die rein subjektive Position zu verlassen, ist es denkbar, sinnvolle Lösungen zu entwickeln. Das Bild der Wirklichkeit ist nur veränderbar am Projektor nicht am Projekt (Dia), also nur am Selbst. Der Mensch und damit alle sozialen Systeme können sich durch die Weltsicht verändern, weniger durch die Umstrukturierung des Geistes, der Seele und der Patchwork-Identitäten.303 Es muss deshalb auch nicht weiter verwundern, wenn die lösungsorientierte Therapie erheblich erbaulichere Ergebnisse zeitigt, als die klassische Psychoanalyse. Sie leistet Erkenntnisse und kreiert Lösungen, während die Analyse zunächst nur Probleme aufdeckt und erklärt. Viele Menschen bleiben dann aber in dieser Erkenntnisfalle stecken, können keinen sinnvollen Ausweg finden und in einen Gesamtzusammenhang stellen. Im Konstruktivismus wird davon ausgegangen, dass wir uns unsere individuelle Welt selbst konstruieren, also sowohl Probleme als auch Lösungen. Die Wahrnehmung wird wörtlich genommen. Nicht unsere Sinnesorgane empfangen objektive Reize von außen, sondern unser Gehirn produziert eine subjektive Wirklichkeit in spezifischen, sensorischen Hirnregionen. Wahrnehmung ist danach 302 Platon hat in seinem „Staat“ eine Metapher zu Elementen der Wahrheit formuliert: In der Höhle blicken Menschen auf Schatten an der Wand, die sie für Realität halten (Wissen erste Stufe). Ein Mensch schaut heraus, hält aber die Geschehnisse innen für die Realität. Erst durch die Befreiung aus der Höhle erkennt er dann Wirklichkeit (Stufe 3). Eine Ähnlichkeit zu den Stufen des Lernens von G. Bateson ist rein zufällig – oder nicht? 303 Vgl. R. Rorty, 1993.

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Bedeutungszuweisung und führt dazu, dass gleiche Situationen von jedem Menschen anders interpretiert werden. Das Gehirn kann nicht real abbilden, sondern ist nur ohne direkten Zugang zur Welt, selbstreferentiell. Es kann damit aber auch eigene Welten kreieren und einen gewissen Autonomiespielraum ermöglichen. Wahrnehmung und Interpretation sind untrennbar, sie bilden eine subjektive Erfahrungswelt. Externe Beobachter erkennen nie genau das Gleiche. Sie können ihre Weltsichten nur angleichen und Ähnlichkeiten der Interpretation erkennen. Das Bewusstsein ist als autopoietisches System zu bezeichnen, es erschafft sich selbst. „Autopoietische Systeme erzeugen durch ihr Operieren fortwährend ihre eigene zirkuläre Organisation, die als grundlegende Größe konstant gehalten wird. Diese Organisation kann beschrieben werden als Netzwerk zur Produktion ihrer eigenen Bestandteile.“304 Das Bewusstsein erkennt nur, was es erkennen will und tendiert in konservativer Manier zur Selbstbestätigung. Es wiederholt, was funktioniert. Alles Nützliche wird als förderlich erkannt, doch ist das Nützliche oft im vertraut Gewohnten nicht zu erkennen. Verbesserung wird nicht zugelassen. Das System erzeugt seine Information selbst im Prozess der Kognition. Aus der Komplexität des Geschehens wird bevorzugt das selektiert, was zu den bevorzugten Sinnkonstruktionsmustern passt (Persönlichkeit, Erfahrung, Lebensstil). Zur Verständigung zwischen zwei Akteuren können also kaum Informationen ausgetauscht werden, vielmehr werden Informationskonstruktionen autopoietischer Systeme zusammengeführt. Eigene Wahrnehmungen werden anderen quasi untergeschoben. Sie werden dann, wenn sie erfolgreich von anderen akzeptiert werden, als wirklichkeitsadäquate Lösungen genutzt. Alle Wahrnehmungen sind insofern Ausdruck des subjektiven Erlebens und können mit diversen Manipulationen den anderen Akteuren oktroyiert, ohne damit realer zu werden. In der Wissenschaft und der Praxis kann Wahrheitserkenntnis nicht mehr als Ziel dienen. Wahrnehmungen müssen intersubjektiv überprüft werden. Sie legitimieren nicht und verpflichten aber zur Verantwortung. Auch geraten damit hierarchische Anordnungssysteme ins Wanken. Maturana und Varela haben deshalb das gesellschaftliche Ziel der nicht hierarchischen, ökologischen Welt aufgestellt. Gesellschaft ist damit ein pluralistischer Prozess und keine feste Größe. Organisationen entwickeln sich durch die Erzeugung gemeinsamer Realitäten der beteiligten Akteure.305 Für das Management folgt daraus: Management ist eine Konstruktion von Wirklichkeit im Sinne von gestalten, lenken und entwickeln nützlichen Wissens. Verschiedene Akteure konstruieren kontingent substantielle und symbolische Ordnungen. Dabei werden selbstorganisierende Prozesse wirksam. Klare, logisch rationale Planungen 304 S. J. Schmidt, 1994a, S. 22. 305 Vgl. H. R. Maturana/F. Varela, 1987, S. 264 f.

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erscheinen vor diesem Hintergrund allein schon deshalb unmöglich, weil die Kapazität der Gehirne dafür nicht ausreicht, alle Konstruktionen zu erfassen. Es entstehen spontane Ordnungen aus Eigendynamik. Im Mittelpunkt steht dann die Interpretation der Prozesse. Uns bleibt nur, uns in die Prozesse mitwirkend einzuschalten, um etwas zu erfahren. Da wir die Wirkungen unserer Interventionen und Vorhaben nicht abschätzen können, haben wir Verantwortung, ohne alle Ursachen kennen zu können. Respektvolles und behutsames Vorgehen ist geboten. Wir sind angehalten, Intention, Interventionen und Wirkung (Impact) in Einklang zu bringen, um verantwortungsvoll handeln zu können.

2.5 Die Gestalttheorie Die Gestalttheorie ist stark verwandt mit insbesondere systemischen Ansätzen. Gestalt hat sich von der Gestaltwahrnehmungstheorie schon Anfang dieses Jahrhunderts fortentwickelt und als Therapieform etabliert. Der Gründer Fritz Perl musste in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts in die USA emigrieren und hat sie dort mit seiner Frau und Kollegen ausgereift. Die Gestalttherapie hat Impulse und die Basis für NLP, Hypnotherapie und auch systemische Ansätze geliefert.306 In diesem Buch liegt die Gestalttheorie dem Lern- und Lösungszyklus, der Bewusstseins-, Figur- und Kontaktbildung zugrunde. Gestalt ist ein Ausdruck für eine Form oder ein zusammenhängendes Muster, die als Gesamtheit wahrgenommen werden. Die Wurzeln der Gestalttheorie liegen in der Wahrnehmungspsychologie, im Holismus und in der Feld- und Systemtheorie. Einige Schlüsselbegriffe der Gestalttheorie, die als richtungsweisende Prinzipien der Gestalttherapie, der Gestaltpädagogik und der Gestaltorganisationsberatung angewendet werden, will ich nun schildern:307 Entwicklung – Gestalttheorie geht davon aus, dass Individuen und Organisationen das Potenzial zur Gesundheit, zur Flexibilität und zur geistigen Entwicklung haben. Ziel des Gestalt-Ansatzes ist es, Hindernisse wahrzunehmen, die die Entwicklung hemmen und neue, kreative Lösungen zu finden, um das Individuum und die Organisation in ein Gleichgewicht mit der Mitwelt zu bringen. Erfahrungen – Im Gestaltansatz wird weniger interpretiert und analysiert, sondern durch direkte Interaktion, durch Experimentieren mit neuen Verhaltensweisen, durch Erfahrungen mit sich selbst oder mit Bewusstheit und Veränderung ermöglicht.

306 Vgl. zur Entwicklung E. W. L. Smith, 1976, zum Organisationsentwicklungsansatz der Gestalttheorie E. C. Nevis 1988. Zur theoretischen Basis W. Walker, 1996. 307 Vgl. insbesondere J. und E. Ferchland, 1996/7 und deren Homepage: www.igor-gestalt.de.

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Gegenwart – Die Beschäftigung mit Fragen, die in gegenwärtigen Erlebnissen auftauchen, ist oft ein Ausgangspunkt zur Erforschung der Identität und Struktur sowie die dabei deutlich werdenden Entwicklungshemmnisse. Die Erfahrungen der Vergangenheit können am besten so gewürdigt werden, wie sie sich in gegenwärtigem Verhalten, Interaktionen, Prozessen und Handlungsweisen manifestieren. Das Gestalt-Modell befasst sich mit der ganzen Person, Gruppe oder Organisation als einem lebendigen, komplexen Organismus. Als Teile eines komplexen Systems arbeiten die geistigen, emotionalen, körperlichen und spirituellen Aspekte unseres Wesens ständig daran, ein Gleichgewicht herzustellen. Dementsprechend befindet sich eine Organisation im Gleichgewicht, wenn ihre wesentlichen Elemente als Teil eines sich gegenseitig beeinflussenden Ganzen gesehen werden und das Fehlende zur „Gestalt“ ergänzt wird. Viele Sichtweisen wie zum Beispiel zu multiplen Beobachtungen, konstruierten Wirklichkeiten, Systemebenen und -bildungen erscheinen ähnlich und vereinbar mit der evolutionären und systemisch- konstruktivistischen Theorie. In den USA werden die Ansätze schon immer ergänzend und zusammenhängend diskutiert.308 Gestalt ergänzt die zuweilen „kühle“ und abstrakte Vorgehensweise durch einfühlende, empathische, „menschliche“ Komponenten, die fast ganz aus der Systembetrachtung entschwunden zu sein scheinen. Es wird hierbei sehr genau darauf geachtet, niemanden zu isolieren und verborgene am Rande liegende Phänomene in den Mittelpunkt zu holen, also geschlossene Gestalten zu formen.

2.6 Kommunikationstheoretische Grundlagen Die Kommunikation spielt eine bedeutende Rolle bei der Beschreibung sozialer Systeme, weil Kommunikation sie konstituiert. Kommunikation bietet den Rohstoff zur Veränderung sozialer Systeme. Insofern ist es sinnvoll, die Kommunikation näher zu betrachten. Entwicklung und Lernen werden durch die Art der Kommunikation geprägt. Ja Lernen ist ohne Kommunikation nicht denkbar und durch Kommunikation wird immer gelernt. Zudem kann Kommunikation von Denken und Wahrnehmen unterschieden werden. Die subjektiven Kognitionen werden nur vermittelt über die Kommunikation weitergegeben. Unmittelbar zu verändern sind nicht Denken und Wahrnehmung, sondern nur Kommunikationen. Kommunikation ist Auslöser zur Produktion bestimmter Informationen, also strukturbildender Unterscheidungen. Kommunikationsinhalte können die Wahrnehmung anderer Personen verändern und zu Denkvorgängen anregen. Strukturell gekoppelt sind die Kognition und die Kommunikation über die Mediensysteme. Die mediale Übermittlung kann Kommunikation zur Kognition transferieren. Die Akteure machen sich dann Gedanken, assoziieren oder formu308 Vgl. E. C. Nevis, 1988, S. 80 ff.

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lieren anschlussfähig. Die Verständigung ist dabei eher unwahrscheinlich, aber möglich, insbesondere wenn ähnliche Sozialisationen durchlaufen und gemeinsame Regeln, Codes, Sprachweisen und Interaktionsformen vereinbart wurden. Codes sind Spielregeln, wonach reale Phänomene in transferierbare Symbole übersetzt werden. Die sinngebende Ordnung ermöglicht dann erst effektive Kommunikation, das Unwahrscheinliche und Syntropische wird aus der „sinnlosen“ Entropie geordnet.309 Das Wort Kommunikation ist ein vielseitig genutzter Begriff. Einerseits beschreibt er den menschlichen Kommunikationsprozess. Andererseits wird er auch als Synonym für den Prozess der Maschinenkommunikation (also zwischen Computer und technischen Medien) benutzt. Eine weitere Variante ist die Mensch-Maschine-Kommunikation. Sie beschreibt den Verständigungsprozess zwischen Individuen und Maschinen. Im Mittelpunkt soll an dieser Stelle der menschliche Kommunikationsprozess stehen. Die Theorie Die Lehre von der menschlichen Kommunikation nannte der Kommunikationsund Wissenschaftsphilosoph Vilém Flusser Kommunikologie. „Die menschliche Kommunikation“, so meinte Flusser, „ist ein künstlicher Vorgang. Sie beruht auf Kunstgriffen, auf Erfindungen, auf Werkzeugen und Instrumenten, nämlich auf zu Codes geordneten Symbolen.“310 Kommunikation ist also ein Regelwerk von Codes, welche von Individuen vereinbart wurden, um sich verständigen zu können. Sprechen oder Schreiben sind keine natürlichen Gaben, sondern erlernte Eigenschaften, die auf dem Regelwerk der Codes basieren. Codierung und Decodierung stehen in direkter Abhängigkeit zum Wissen um die jeweilige Bedeutung. Nur durch dieses Wissen sind wir in der Lage, die Codes zweckgerichtet anzuwenden. „Nach Erlernen eines Codes neigen wir dazu, seine Künstlichkeit zu vergessen: Hat man den Code der Gesten gelernt, denkt man nicht mehr daran, dass Kopfnicken nur für jene „Ja“ bedeutet, welche sich dieser Codes bedienen.“311 Dies verdeutlicht die Problematik, der wir in der Kommunikation unterliegen. Die Codes sind der Schlüssel zur Teilnahme an Kommunikationsprozessen und dennoch sind sie nur für diejenigen eindeutig, die das Regelwerk kennen. Die wahrgenommene und damit konstruierte Realität beschränkt sich auf die Trivialitäten und Stereotype. Realität wird nicht direkt erlebt, sondern z. B. über Sprache vermittelt aufgenommen. Insofern ist Kommunikation kaum als Prozess der Informationsübertragung zu sehen, sondern als Interaktion zwischen Perso309 Vgl. V. Flusser, 1996, S. 257. 310 Vgl. V. Flusser, 1996, S. 9. 311 ebenda S. 10.

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nen, die Koordination von Verhalten auf der Basis gemeinsamer Wirklichkeitskonstruktionen durch Unterscheidung ermöglicht. Dazu bedienen sich die Kommunikanten ähnlicher Sprachstile, Normen, Erkenntnisprogramme, Usancen und außerdem verabreden sie Rollen. Die Informationen entstehen durch ähnliche Unterscheidungen im Prozess der Kommunikation und sind nicht „objektiv“ in einem Sendersubjekt enthalten. Kommunikation vermittelt subjektive Wahrnehmungen und Gedanken, die wiederum individuell konstruierte Wirklichkeiten darstellen. Erst wenn eine Beobachtung als aktive Unterscheidung von einem System als brauchbare (also wichtige Selektionen erzeugende) erkannt wird, entsteht daraus eine verwendbare Information. Ein „Sender“ gibt somit Informationsangebote, die erst durch die Akzeptanz des anderen zu Informationen mutieren. Es ist dann eine gemeinsame Realität konstruiert worden. In weiteren Interaktionsepisoden werden symbolische Ordnungen vermittelt, die ein soziales System entstehen lassen, dass zur Selbsterhaltung drängt. Es entsteht eine gemeinsame Welt zwischen Akteuren, die Bedeutung gewinnt aus der Unterscheidbarkeit zur Umwelt. Es entsteht Identität in einem sich selbst erhaltenden System, das zwar dazulernen kann aber nur systemrational. Imitationen durch die Umwelt können zum Systemerhalt beitragen, sie finden Verwendung aber nur, wenn sie zum akzeptierten Sprachcode gehören. Zuweilen versuchen einzelne Akteure ihre Codes anderen aufzuzwingen oder zumindest schmackhaft zu machen. Dabei werden zum Beispiel attraktive ästhetische Formulierungen genutzt, die ein symbolisches Vakuum füllen sollen (zum Beispiel Werbeagenturen prägen ihre Semantik ihren Auftraggebern auf, die sie dafür auch noch finanzieren), oder andere versuchen ihre Identität zu stärken, indem sie sich sprachlich symbolisch abgrenzen (Jugendliche von ihren Eltern, Adelige von den Plebs). Nach Auffassung der Konstruktivisten läuft Kommunikation als Interpenetration312 ab, indem alle Beteiligten sich gegenseitig beeinflussen, also alle als Sender, Verarbeiter und Empfänger von Information agieren. Es werden subjektive Konstruktionen, Assoziationen und Erlebniswelten ausgelöst. Dieser Vorgang der Stimulierung von Wahrnehmungskonstruktionen wird Pertubation313 genannt. Der Kontext löst Veränderungen in der Struktur des sozialen Systems durch Störung und Verstörung aus. Dabei ist keine direkte, präzise und prognostizierbare Wirkung zu erwarten, sondern eine eigenwillige Interpretation der Beteiligten. Kommunikation wird so als reflexiver und reziproker Prozess der Beeinflussung verstanden. Die Subjekt(/Sender)-Objekt(/Empfänger)-Trennung muss somit verabschiedet werden. Informationen stellen keine objektiven Entitäten dar, die von einem zum anderen übertragen werden. Vielmehr formen sich 312 Vgl. N. Luhmann, 1984, S. 289 ff. Gelingende Kommunikation ist also von der gegenseitigen Durchdringung der Gefühlswelten und dem Mitdenken anderer abhängig. 313 Vgl. H. R. Maturana/F. Varela, 1987, S. 27 f.

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Informationen als strukturbildende Unterschiede in den Gehirnen individuell aus. Was eine Person geäußert hat, weiß sie erst, wenn sie die Antwort hört. Gelingende viable Kommunikation314 ist daher unwahrscheinlich und die Ergebnisse sind kaum vorhersehbar. Kommunikationsangebote müssen, insofern sie Verhalten beeinflussen sollen, zumindest anschlussfähig und attraktiv sein.315 Durch die Nutzung von Kontextmustern (vgl. Kap. I.4.) kann die Wahrscheinlichkeit für Verstehen erhöht werden. So kann bei Beschäftigung mit Persönlichkeitsbildern eine wahrscheinliche Prognose über Reaktionen erstellt werden, weil erwartungsgemäße Reaktionen musterhaft abgebildet werden können. Auch kann die Kommunikation auf verschiedene Wahrnehmungspräferenzen ausgerichtet werden. Kommunikationsmodelle und ihre Wirkung In vielen Lehrbüchern werden vornehmlich schematische Modelle der Informationsübertragung vom Sender zum Empfänger dargestellt. Hier soll diese Subjekt-Objekt Spaltung aufgehoben werden. Zunächst betrachte ich mit Villem Flusser einige grundsätzliche Konstellationen der Kommunikation,316 um dann den Vorgang der interaktiven Beeinflussung näher zu beleuchten. In der pyramedialen Form werden Informationen von einer zentralen Stelle (Sender) über Kanäle an Verteilzentren (Relais) weitergegeben. Hier werden die Informationen decodiert und erneut codiert, um sie an die Empfänger weiter zu senden. Beispiele hierfür sind totalitäre Systeme oder die kirchlichen Organisationen. Die strengen Regeln und engen Codes sollen dabei eine interpretationsarme Durchgängigkeit und Anschlussfähigkeit der Kommunikation gewährleisten. Die Baumstruktur ähnelt zwar sehr der Pyramide, unterscheidet sich aber durch zwei wesentliche Aspekte. Die Informationsquelle ist kein übergeordneter Apparat oder übergeordnete Person, sondern ein Prinzip. Anstelle der Relais gibt es dialogische Verarbeitungszentren, in denen die Informationen analysiert, kritisiert und kommentiert werden. Entgegen der Pyramide ist der Prozess auch umkehrbar. Beispiel hierfür ist die klassische Wissenschaft, die ebenfalls eine Codierung im Sinne der herrschenden Meinung vornimmt und „störende“ Momente versucht zu eliminieren. In der Theatersituation stehen sich Sender und Empfänger mehr oder minder direkt gegenüber. Zu einer Seite ist der Prozess abgeschirmt. Die Information kann direkt als Original vom Sender in Form einer Vorlesung oder als Ton- und Bildreproduktion (zum Beispiel Kino) ausgesendet werden. Voraussetzung für 314 Vgl. E. v. Glasarsfeld, 1981, S. 37. 315 Vgl. G. Rusch, 1997, S. 179. 316 Vgl. V. Flusser, S. 21 ff. Vgl. auch die Darstellung bezogen auf die werbliche Kommunikation bei M. Pradel, 1997.

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diesen Prozess ist die aktive Zuwendung des Empfängers zum Sender. Unser Lehrsystem basiert auf dem klassischen Theatermodell. Die gelingende Kommunikation ist hier stark von der gemeinsamen Codierung und dem empathischen Kontakt abhängig. Das Modell Amphitheater setzt keinen direkten Zusammenhang von Sender und Empfänger voraus. Der Sender kann irgendwo im Raum seine Informationen aussenden. Die Empfänger können von allen Seiten Informationen empfangen. Diese Art der Informationsverbreitung setzt keine Empfängerkonzentration – wie beim Theater – voraus. Das Amphitheatermodell entspricht damit unseren Massenmedien. Die vier vorstehenden Modelle gehören zur Gruppe der diskursiven Kommunikationsstrukturen. Erklärend muss angefügt werden, dass der Begriff Diskurs zuweilen sehr unterschiedlich angewendet wird. So versteht der Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas den Diskurs als gleichwertige Kommunikation.317 Hier soll der Diskurs aber entsprechend dem Grundverständnis von Flusser verstanden werden, der ihn wie folgt charakterisiert: „Der Diskurs ist eine Methode, verfügbare Informationen zu verteilen, um sie vor der entropischen Wirkung der Natur zu bewahren.“318 Genauer gesagt bedeutet dies, dass der Diskurs eine Verteilung und Verbreitung von Informationen ist. Diese Verteilung soll dazu beitragen, der naturgemäßen Entropie entgegenzuwirken. Diskurse implizieren gleichzeitig Dialoge beziehungsweise umgekehrt. Die Grundlage von Dialogen sind Informationen, die ausgetauscht werden. Diese haben die Beteiligten über vorherige Diskurse empfangen und tauschen sie nun untereinander aus. Dialog und Diskurs sind deshalb kaum voneinander trennbar. Auch der Begriff Dialog wird unterschiedlich verstanden und eingesetzt. So beschreibt der Philosoph M. Buber in seiner Abhandlung zum dialogischen Prinzip drei verschiedene Ebenen des Dialoges: - Dialog als lebendige Gegenseitigkeit oder als echte Kommunikation. - Dialog als bloße Verständigung - Dialog als monologische Zuspitzung.319 Anders betrachtet könnte der Dialog auch als Diskussion oder Auseinanderschlagen von Gedanken verstanden werden. Der von Buber formulierte Ansatz, dass der Dialog eine lebendige Gegenseitigkeit ist, die echte Kommunikation im

317 Vgl. hierzu auch die Diskursethik von Habermas in Teil I Kapitel 8. 318 V. Flusser, 1996, S. 19. 319 Vgl. M. Buber, 1997, S. 167 u. 293 ff.

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Sinne von Akzeptanz, Einbringung und Wahrhaftigkeit ermöglicht, soll hier maßgebend sein. Der diskursive Kommunikationsprozess kommt einer mehr oder weniger einkanaligen Kommunikation gleich. Es findet keine lebendige Gegenseitigkeit oder echte Kommunikation wie beim Dialog statt. Zwar bedingt der Diskurs den Dialog und umgekehrt, trotzdem laufen diese Prozesse teilweise zeitversetzt ab. Das klassische Beispiel hierfür sind unsere Massenmedien. Wir empfangen Informationen und begeben uns mit den neu erworbenen Informationen erst im Anschluss daran in den Dialog mit unserem Umfeld. Für den nun einsetzenden Dialogprozess können zwei weitere Modelle erklärend hinzugezogen werden: Im Kreismodell befinden sich die Akteure um die Informationsquelle herum. Es kann sich hierbei um ein Treffen auf einem Marktplatz (zum Beispiel Open Space) oder auch an einem runden Tisch handeln. Informationen können aufgenommen und direkt dialogisch ausgetauscht werden. Die Netzstruktur ist das weitest ausgebildete System der dialogischen Kommunikation. Jeder Teilnehmer kann Sender und Empfänger sein. Informationen bewegen sich durch das Netz und können von jedem analysiert und im Dialog erörtert werden. Entgegen dem Kreismodell ist das Netzwerk ein offenes System. Computernetze (Internet, Intranet) sind Beispiele für gut ausgearbeitete technische Netzstrukturen, mit deren Hilfe auch organisationsübergreifende virtuelle Unternehmen und Kooperationen geformt werden. Komplexe Kommunikation Kommunikation besteht nicht nur darin, dass ein Sender eine Botschaft unverfälscht empfängt. Es finden bei jedem Kommunikationsvorgang sehr komplexe Interpretationen statt, die bestimmte Aspekte in den Vordergrund dringen lassen. Es kann insofern von einem individuellen Gestaltungsvorgang des Empfängers (Konstruktion) gesprochen werden. Wiederum wird die Rückmeldung spezifisch codiert und vom ursprünglichen Sender uminterpretiert, so wie es in seine Welt passt. Treten also zwei Menschen in Interaktion, so beginnt ein unüberschaubarer Prozess wechselseitiger Beeinflussung.320 Die Werte, Meinungen, Erwartungen und Erfahrungen der Beteiligten lösen individuelle Gestaltbildungsprozesse aus. Assoziationen lenken ab auf alle Erfahrungen, Erwartungen werden spontan erzeugt, der Selbstwert gestärkt oder reduziert, Vorurteile bestätigt oder neue Aspekte entdeckt. Nur genau planen lässt sich der Vorgang nicht. Insbesondere weil diese hohe Komplexität der Kommunikationsvorgänge kaum bewusst wahrgenommen wird, entstehen vielfältige Missverständnisse und Konflikte zwischen Menschen und sozialen Systemen. Beson320 Vgl. N. Luhmann, 1994, S. 14 ff. Dort wird die Entwicklung intimer Beziehungen mit der kommunikativen Annäherung über Codes und Regeln beschrieben.

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ders in gewohnten Umgebungen wird oft angenommen, zu wissen was der andere meint. Eine Reflexion über die stillschweigenden Annahmen findet kaum statt, so dass Beziehungen kollusiv erstarren und jede Form der Kommunikation die neurotischen Muster noch verstärkt. Aus diesen Prozessen kann dann nur durch bewusste, begleitete Rückkopplungszyklen ausgestiegen werden, so dass Prämissen aufgebrochen und feste Muster verlassen werden können. Die größten Probleme tauchen bei inkongruenter Kommunikation auf. Die Teilsysteme der Kommunikation sind nicht in Übereinstimmung: Die Körpersprache widerspricht dem Gesprochenen, die Corporate Identity der wirklichen Kultur der Unternehmen, die räumliche Umgebung dem Thema usw. Die Kommunikation verbessert sich, wenn diese Elemente in Gleichklang gebracht werden. Authentische, glaubwürdige Kommunikation hängt dann eng mit dieser Form der Kongruenz von Elementen zusammen. Verständigungslösungen: Kommunikation, Kybernetik und Kultur Trügerisch ist die vermeintliche Gewissheit, diese Systeme wirklich steuern und beherrschen zu können. Aus der Systemtheorie und Kybernetik können wir wissen, dass komplexe Systeme emergente Strukturen ausbilden, die aus ihren Ausgangsbedingungen nicht erkennbar sind.321 Was wir vollends trivialisieren, sind nicht-triviale Maschinen und Menschen und ihre komplexen Bezeichnungsgefüge, also soziale Systeme wie Paare, Teams, Unternehmen und Organisationen. Heinz von Foerster hat den Begriff nicht-triviale Maschinen für psychische und soziale Systeme geprägt.322 Sie sind extrem komplex, mehrfach kontingent und somit nicht vorhersehbar. Wahrscheinlich müssen wir uns von vier wesentlichen Überzeugungen verabschieden, die Nancy Brown schon 1988 als ROCS bezeichnete, die wir in unseren Köpfen tragen:323 Die „Rationality“ als Glaube an die Beherrschabrkeit und logische Steuerbarkeit; die „Objectivity“, als Glaube an eine beschreibbare Wahrheit; „Consciousness“ als Glaube, die Faktoren, die Denken und Handeln beeinflussen, seien uns alle bewusst; sowie „Separability“, also die Illusion, Phänomene und Prozesse isoliert betrachten zu können. Lassen sie uns auf einen Irrglauben in unserer Kultur, den Glauben an die Wahrheit und Objektivität näher eingehen. Heinz von Foerster hat kürzlich für eines seiner Bücher den Titel „Die Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners“324 gebraucht. Nichts ist Sache oder Fakt. Die Bedeutung eines Signals, Reizes, Symbols oder Phänomens hängt nicht von der physischen Beschaffenheit, sondern von den In-

321 Vgl. bspw. H. v. Foerster, 1997. 322 Z.B. in H. v. Foerster, 1993. 323 Nancy L. Brown, 1988. 324 H. v. Foerster/B. Poersken, 1999.

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terpretationsmechanismen jedes einzelnen Individuums ab. Wir nehmen wahr und geben Bedeutung auf der Grundlage unserer Erfahrung, unseres Erlebens. Es existieren keine eindeutigen Abbilder der Realität. Zur Erläuterung möchte ich eine kleine amüsante Anekdote zitieren: Picasso soll einmal gefragt worden sein, warum er so merkwürdige Bilder male. Er erwiderte, dass dies seine Beschreibung der Wirklichkeit sei. Picasso forderte den anderen auf, ein Beispiel für dessen Vorstellung von Wirklichkeit zu nennen: „Hier das ist eine reale Abbildung. Dieses Foto zeigt meine Frau, wie sie wirklich ist.“ Daraufhin Picasso: „Zeigen sie mal. So klein ist ihre Frau und so flach?“ Es gibt also sehr vielfältige Auffassungen von Wahrheit. In sozialen Systemen ist die Einheit des Glaubens zwar ein Wert, weil sie die soziale Kooperation erleichtert. Doch Nietzsche bemerkt dazu in der „Fröhlichen Wissenschaft“: „Immer sollten aber Städte, Räume, Bibliotheken und Opernhäuser usw. dazu da sein, die Frei- und Vielgeisterei zu ermöglichen, besser zum Zuge kommen zu lassen.“325 Und weiter: „Die nichtperspektivische Wahrheit ist eine Leiter, die wir forstreifen müssen.“ Es ist eine Mehrzahl von Normen und Sichtweisen notwendig. So ist der Glaube an eine Instanz oder Technik einseitig und wird der Komplexität der Umfelder nicht gerecht. Nur gemeinsam kann man eine Welt entwerfen oder koevolvieren. Es werden dann temporär und partiell Wirklichkeitsvorstellungen gemeinsam hervorgebracht (Ko-ontogenese). Es bildet sich auf dem common ground eine gemeinsame Figur, wie die Gestalttheoretiker dazu sagen würden. Eine weitere Illusion wurde mit der Überschaubarkeit identifiziert. Zu gerne flüchten wir uns in Trivialisierungen, da uns die Komplexität so sehr Unbehagen bereitet. Aber gerade diese unzulässige Vereinfachung erzeugt neue Probleme. Mit Mannigfaltigkeit kann ein schönes altes Wort reaktiviert werden. Der Organisationstheoretiker Weick erinnert uns an eine simple Gesetzmäßigkeit:326 Nur Mannigfaltigkeit kann Mannigfaltigkeit regulieren. Wir müssen so kompliziert sein, wie das was wir beeinflussen wollen – also requisite variety aufbieten und uns komplizieren. Dagegen greifen wir allzu gerne zu problemverstärkenden Pseudolösungen. Beispiele sind Standards, Moral, Glaube, Hierarchie, Anordnungen, einfache Modelle und Methoden usw.

325 Vgl. F. Nietzsche, 1968. 326 Vgl. K. Weick, 1985.

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Wir wünschen uns schnell einfache Lösungen und sind gerne bereit, zu glauben, es klappe irgendwie. Versuchen wir uns an Lösungen. Mit der Kybernetik zweiter Ordnung können wir über eine mannigfaltige Steuerungstechnik verfügen. Nicht-triviale Kommunikation kann der Verständigung dienen und eine sinnstiftende Kultur schaffen. Management in komplexen Systemen beschränkt sich auf die Rahmensteuerung, die Kreation stimmiger Atmosphären und die Entwicklung und Veränderung durch okkasionelle Interventionen. Es wird das containment327 geschaffen, indem wahrscheinlich gute Ergebnisse erzielt werden. Drei Ansätze stehen im Vordergrund, denen hier typische Ansatzpunkte zugeordnet wurden. In Folge werden diese Aspekte diskutiert. Kybernetik: - Außenkomplexität entsprechen - indirektiv lenken - aus Perspektive zweiter Ordnung zuschauen Kommunikation: - spielerische Lücke suchen - komplex und multisensuell kommunizieren - mehr Möglichkeiten schaffen - Gelegenheiten nutzen Kultur: - Klima des Vertrauens ausbilden - interkulturelles Verständnis entwickeln - Identität schaffen - Vielfalt fördern In komplexen sozialen Feldern existieren keine Regler. Eine Steuerungstheorie erster Ordnung hält den Kybernetiker nur in relativ ruhigen Gegenden mit überschaubaren Verhältnissen über Wasser. Die Kybernetik zweiter Ordnung hält für uns den Beobachter der Beobachter bereit. Wie wir aus der Systemik wissen können, agieren wir alle als Beobachter im Leben. Wir interpretieren und messen verschiedenen Phänomenen unterschiedliche Bedeutung zu. Aus diesem teilnehmenden Erkennen kann man ein wenig heraustreten, sozusagen von oben

327 Management habe ich drei wesentliche Aufgaben zugeordnet: Impulse geben, Rahmen setzen, Atmosphäre entwickeln. Das ist mit diesem containment gemeint. Vgl. G. Bergmann 1999.

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zuschauen oder das andere für sich machen lassen. „Kyberno“328, der erfahrene Seemann hat also Kollegen im Ausguck und reflektiert zuweilen allein, gerät nicht reflexartig in Rage, befasst sich mit konkreten Situationen vor Ort, schlichtet Streit durch Prozessmanagement und erzeugt eine Atmosphäre kritischen Engagements. Er lässt den Kollegen im Ausguck auch die Geschehnisse im Boot aus seiner Perspektive erläutern. Er steuert ohne zu lenken. Er oder sie navigieren zwischen Skylla und Charybdis. Ein Schiff zu steuern oder stimmige Interventionen zu planen, bedarf der Erfahrung. Diese Erfahrung kann sich in Geschick und Intuition äußern. Es gelingt ein System auf Kurs zu halten, ohne sich aufwendiger Informations- und Steuerungsinstrumente zu bedienen. Es wird die Balance in kultivierter Leichtigkeit gehalten. Dahinter verbergen sich explizite oder implizite Modelle der Komplexitätsbewältigung, eben eine virtuose, nicht-triviale Technik. Planung ist dann ein strukturiertes, aber mit Situationssensibilität und Kreativität ausgefülltes Vortasten. Ein Muster des Gelingens meinen wir im Prozessdesign der Lern- und Lösungszyklus erkannt zu haben. Hierbei geht es darum, ein reflektiertes stimmiges Vorgehen zu realisieren. Die Reizwahrnehmung, das Bewusstsein wird auf Mannigfaltigkeit ausgelegt, um einseitige Reflexe zu vermeiden. Multiple Realitätsperspektiven werden respektiert und zu einem Bild beziehungsweise einer Figur geformt. Erst wenn übereinstimmend das Wesentliche erkannt und geklärt ist, wird mit der kreativen Lösungssuche begonnen. 329 Die Klärung der Situation kann überlebenswichtig sein. Zuweilen sollte der Prozess verlangsamt in eine Vorphase zurückgeführt werden. Dann können Lösungsalternativen geplant und strukturiert werden. Es findet verbessernde Veränderung statt, die wiederum sinnlich erfahren wird. Mit der Reflexion des Prozessverlaufes kann dann die Stufe zweiter Ordnung (Erkennen erkennen, Lernen lernen etc.) erreicht werden. Der Abschluss dient der Assimilation des Erfahrenen und eröffnet Perspektiven für das Nächste. Planung in dieser Form berücksichtigt Emergenz in sozialen Prozessen und fokussiert das „Wie“. Immer bleibt die Varietät des Prozesses aufrechterhalten: Es 328 Mein praktischer Lehrmeister ist jemand, den Sie schon aus anderen Fußnoten kennen: mein Sohn Robert. Er interessiert sich für Piratenschiffe und deren Steuerung in turbulenten Gewässern mit Fremdeinwirkung. Er bedauert sehr das zumeist miserable Schicksal dieser Rabauken, deren scheinbar einfache Gewinne schnell zerrinnen. 329 Mein Kollege Gerd Meurer deutete jüngst die Geräusche im Heck seines Fahrzeugs „expertisch“ als defektes Radlager. Wirklich waren aber die Radmuttern lose.

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werden keine Abkürzungen genommen, viele Sichtweisen integriert, reflektiert und adäquate Modelle im Prozess entwickelt. Die Kommunikationsprozesse selbst lassen sich mit diesem Ablaufmuster vorzüglich beschreiben. Fast jedes Gespräch, jede Kommunikation beginnt mit der Ansprache, dem Aufreißer oder eye catcher. Ein Kommunikationsangebot wird von den Akteuren auf der Basis multipler Realitäten unterschiedlich interpretiert. Die Klärung in Form der Figurbildung, Problembeschreibung oder Einigung auf ein Thema, wirkt sich förderlich auf den Kommunikationsprozess aus. Das gemeinsame gewählte Thema kann dann kreativ bearbeitet werden. Es kommen strukturierende Elemente hinzu, um in die aktive Veränderung und Beeinflussung einzumünden. Bei dialogorientierter Grundhaltung kann es zu intensivem Kontakt kommen. Die Beteiligten beziehen die Äußerungen der anderen in ihr Kommunizieren mit ein. Zuweilen entsteht ein spürbarer Flow, große Akzeptanz oder aber Widerspruch. Dann kann über den Ablauf und die Ergebnisse reflektiert werden. Die Kommunikation wird mit der Verabschiedung abgeschlossen. Alle Phasen des Prozesses können dem intensiven Kontakt förderlich sein. Das Ziel der Kommunikation ist Kontakt in Form einer gemeinsamen Wirklichkeitsbeschreibung und Bewusstheit. Ein Kommunikationsangebot wurde verstanden und angenommen, ein Produkt (also manifestierte Kommunikation) konnte in seinen technischen, psychischen oder sozialen Eigenschaften begriffen und sinnvoll genutzt werden. Die Beteiligten waren interessiert (also dazwischen) und haben gegenseitig ihr Denken, Fühlen und Handeln beeinflusst. Dieser hier nur kurz skizzierte Ablauf einer Kommunikation kann in jeder Phase förderlich beeinflusst werden, um intensiven Kontakt wahrscheinlicher zu machen. Interventionen von außen können die Bewusstheit erhöhen und den Prozessverlauf deutlich verändern. Es geht dabei fast immer um eine Beeinflussung der Äußerungen in Form von Sprache, Tonalität, Körpersprache, Schweigen usw. Einen wesentlichen Ansatzpunkt für die Verbesserung der Situation sehe ich in der Detrivialisierung der Kommunikation. Kommunikation wird oft als problematisch identifiziert und es sollen in vielen Organisationen und Unternehmen Verbesserungen der Verständigung eingeleitet oder forciert werden. In den meisten Fällen handelt es sich aber um eine unzulässige Vereinfachung des Aufgabenfeldes. Kommunikation funktioniert nicht, soll aber mit einfachen Modellen und Methoden und zudem in kurzer Zeit verbessert werden. Kommunikation ist wie eingangs erläutert ein höchst komplexer Vorgang der gemeinsamen Wirklichkeitserzeugung. Im Wort Konversation ist die Mitteilung enthalten. Kommunikation soll also dazu dienen, gemeinsam etwas zu teilen und eine gemeinsame Welt zu erschaffen.

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Wir glauben irgendwie kommunizieren zu können, glauben an Kommunikationstalente und arrangieren Kommunikationstrainings. Diese wirken oft als problemerzeugende Pseudolösungen (PePsel), wenn sie technisch mit vorauseilender Gewissheit angewendet werden. Eine gewisse Komplizierung möchte ich den LeserInnen deshalb nicht ersparen. Sie vielmehr einladen, dieses Feld vielschichtiger zu betrachten. Pflügen wir also zunächst um: Kommunikation kann in systemischer Sicht nicht als Austausch von objektiven, elementaren Informationen verstanden werden. Menschen tauschen nicht Gefühle und Erkenntnisse aus, sondern lösen Impulse für die Wahrnehmung beim anderen aus. Dabei kommen Kommunikation und Bewusstsein nur sehr unwahrscheinlich zur Deckung. Was wir äußern, wird von anderen individuell wahrgenommen. Diese Wahrnehmungen können wir nicht kritisieren, bestätigen oder widerlegen, weil wir sie nicht erkennen können. Kommunikation und insbesondere Verständigung sind der Versuch der gegenseitigen Abstimmung von Bedeutung und Sinn. Luhmann330 hat uns darauf aufmerksam gemacht, dass - Gefühle und Erkenntnisse nicht sprechen können, - Menschen einander grundsätzlich nicht verstehen, - das Kommunikationssystem eigene Metaphern anlegt, die verhaltensprägend werden, - Kommunikation und Bewusstsein nicht biologisch einwirken können und - genetische Anlagen und Reize nicht direkt und eindeutig auf das Verhalten wirken. Es wird also über das Erleben, sowie es im Bewusstsein gedrungen ist kommuniziert. Was dann an anderer Stelle mit dem Impuls, Signal, Reiz etc. verarbeitet wird, bleibt ungewiss. Leben (biologischer Systeme) ist oft schwierig ins Bewusstsein zu heben. Bewusstsein ist kommunikativ nur unzureichend an andere mitzuteilen. Jede Person verarbeitet eingehende Signale individuell im Rahmen von Vorwissen, Persönlichkeit, Assoziationen usw. Wir nehmen also autobiografisch wahr. Wir nehmen individuell für wahr. Die Bedeutungen von Signalen hängen nicht von der physischen Beschaffenheit ab, sondern von den Interpretationsmechanismen, die sehr individuell geprägt sein können. Alle Akteure bringen ihre Kontingenz ein, haben also Möglichkeiten persönlicher Auslegung der Situationsreize und Kommunikationsangebote.

330 Vgl. N. Luhmann, 1997, S. 71 f.

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Nach dem Konzept der Autopoiese (Selbstgestaltung)331 erzeugen sich die psychischen (Bewusstsein), sozialen (Kommunikation) und biologischen (Leben) Systeme selbst und können sich nur mittelbar und unbestimmt beeinflussen, bestärken oder pertubieren. Die jeweiligen Systeme stellen füreinander Umwelten dar. In der Kommunikation ist dabei weniger enthalten, als im mitlaufenden Bewusstsein. Oft ist aber auch Kommunikation kommunikationsbildend und das Bewusstsein nimmt nicht alle Kommunikationsinhalte auf. Insofern sind die Systeme immer komplexer als das jeweils andere. Dieser Zustand ist logisch schwer zu fassen und lässt uns an M. C. Eschers Bilder denken, die diese Rekursivität verdeutlichen. Das Bewusstsein zieht andere Schlüsse aus der Kommunikation als die Kommunikation selbst. Wir selektieren also aus der Überfülle des Potenziellen. Mauern uns mit Worten ein oder eröffnen neue Welten, lassen das Bewusstsein weiten oder blenden bewusst aus. Das ganze Leben, jegliche Kommunikationen dürfen uns kaum bewusst werden, um nicht verrückt zu werden. Wir haben schon mit zu viel Hintergrundrauschen zu tun. Es ist schwierig uns wesentlich erscheinende Aspekte in den Vordergrund zu rücken. Dabei existieren gewisse Tücken der Wahrnehmung, von denen hier nur einige genannt sein sollen: - Wir weisen Signalen Glaubhaftigkeit zu, wenn diese von mehreren Medien beziehungsweise Seiten an uns kommuniziert werden, aber aus der gleichen Quelle stammen. - Gewohnte Situationen führen zum Fehlerlernen. - Wir verallgemeinern gern: „Ja, ich weiß schon.“ - Wir lieben Trivialisierungen in Form überschaubarer Techniken. Denken Sie nur an die populären Kommunikationstechniken NLP und Transaktionsanalyse u. a. m., die partielle Erklärungen und Hilfestellungen liefern, aber oft zu unzulässigen Vereinfachungen veranlassen. - Wir halten unsere Wahrnehmungen für die Wirklichkeit: „Das ist doch klar“, „Fakt ist“, „Du musst doch einsehen, dass …“ - Wir manifestieren durch Sprache und Symbole. Gelingende Kommunikation – also effektive Verständigung – verlangt nach gegenseitiger Durchdringung der Bewusstseins- und Kommunikationssysteme (Interpenetration). Menschen kommunizieren und nehmen wahr. Dabei wird jeweils Kontingenz, Komplexität und Intransparenz erzeugt. Psychische Systeme 331 Vgl. F. J. Maturana/F. Varela, 1987.

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sind wahrscheinlich komplex und evozieren somit doppelte Kontingenz bei ego und alter. Immer können alle auch anders wahrnehmen, erkennen und handeln als sie es dann tun. Es wird verstanden oder nicht, akzeptiert oder abgelehnt. Bewusstseins- und Kommunikationsereignisse verschwinden zudem schnell wieder, sind flüchtig, und es erscheint oft zufällig, was bleibt, retendiert oder erinnert wird. Kontakt (Interpenetration) gelingt in der Form bewusster Kommunikationsbeiträge, wo psychische und soziale Prozesse zur Deckung kommen. Für kurze Momente wird sich dann verstanden, wird Kongruenz des Erlebens erreicht. In einem Kreis von Kollegen, die aus zwanzig verschiedenen Ländern stammen, kommunizieren wir auf Englisch. Da wir wissen, dass wir fast alle keine Native Speaker sind, bemühen wir uns um Präzision und angemessenes Timing. Wichtige Begriffe werden genau definiert. So wird gute Verständigung ermöglicht. Diese Verständigungen lassen sich bei einem Verzicht auf Wahrheits- oder Objektivitätsanspruch, bei Unterlassen direktiver Kommunikation, bei intensivem Dialog und Integration sowie einer weit reichenden „Kulturarbeit“ wahrscheinlicher machen, wie es sich in der Ausarbeitung gemeinsamer Bezugspunkte zeigt (Synreferenzen).332 Gewisse Interpretationskonstanten können sich einprägen und eine symbolisch gesteuerte Interaktion auf minimalem Aktivitätsniveau wird ermöglicht. Es können also Transaktionskosten gespart werden. Kommunikation als Orientierung Die Kommunikationsdefekte resultieren wahrscheinlich aus der Desintegration der Menschen. Losgelöst von den natürlichen Bedingungen, alleingelassen in der sozialen Umgebung fühlt sich der Mensch orientierungslos und zerrissen. In diesem Prozess ist das Selbstwertgefühl, die Ganzheit und Entwicklungsfähigkeit verloren gegangen. „Nicht immer sind die Menschen mit ihrer Lebenskraft in Kontakt. Viele schenken ihrem Reichtum keine Aufmerksamkeit und brauchen Hilfe, um den Zugang zu finden.“333 Die humanistische Psychologie vertritt die Auffassung, dass Menschen nach Ganzheit, charaktervoller Ausgewogenheit und intensivem Erleben streben, nur manchmal – und das besonders in der modernen Welt – blockiert sind, die Barrieren zur Selbstgestaltung zu überwinden. Die verschiedenen Ebenen wie Geist, Körper, Emotion, Spiritualität sind ins Gleichgewicht zu bringen, ein positives 332 Vgl. dazu H. P. Hejl, H.K. Stahl, 2000. Diese Synreferenzen werden in der Gestalttheorie auch als common ground beschrieben, also als gemeinsame Bezugsbasis. 333 V. Satir/M. Baldwin, 1988, S. 136. Die Zahlen deuten auf die Brain-Map-Typen hin.

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Selbstbild zu entfalten und in einem immer währenden Prozess des Lebens wird dann Altes losgelassen und Neues hinzugenommen. Virginia Satir unterscheidet acht Ebenen des Selbst:334 Die körperliche (8), die intellektuelle (5), die sinnliche (7), die interaktive (2), der Nahrung (1), des Kontextes (3) und die spirituelle (4). Diese werden normalerweise getrennt betrachtet, analysiert und behandelt, bilden aber eine Einheit in Vielfalt. Eine integrierte Persönlichkeit lernt sich selbst zu schätzen und kann deshalb besser kommunizieren. Äußerungen anderer werden besser eingeschätzt, positiver gewertet. Es entsteht mehr Verständnis durch eine vielspurige Sinneswahrnehmung. Wer sich selbst kennt und schätzt, würdigt andere ebenfalls mehr und wird sich weniger in Kollusionen verstricken. Für Unternehmen heißt das: Eine einzigartige wesensgemäße Kultur entwickeln, die Persönlichkeitsentwicklung der Mitarbeiter und in allen Bereichen Wert bildende Prozesse fördern sowie einen Rahmen mit Vielfalt und Evolution entwickeln. Mit den vorgestellten Theorieansätzen ergibt sich ein evolutionär systemischer Bezugsrahmen. Die Ansätze stellen eher verschiedene Sichtweisen dar, als dass sie konkurrieren. Wesentliche Unterschiede erzeugen diese Konzeptionen zu klassischen Ansätzen im Management, die von der Steuer- und Planbarkeit ausgehen. Im Folgenden möchte ich die individuumbezogenen Persönlichkeitsmodelle auf soziale Systeme wie Unternehmen übertragen. Dabei steht das Modell der Brain Map im Mittelpunkt.

2.7 Die Persönlichkeiten der Unternehmen Die Persönlichkeiten, die in und um Unternehmen agieren, prägen den Charakter und das wahrnehmbare Temperament. Sie stellen wesentliche Teile des Kontextes dieser sozialen Systeme dar. Wie in einem Vektorenmodell prägen die Akteure die Identität aus dem Kräfteverhältnis der Bedeutungen. Es können sich bei großer Unvereinbarkeit von Sichtweisen, widerstrebende Kulturen in verschiedenen Subsystemen ergeben. Wenn sich in einer Unternehmung zu geringe Bindungen und widersprüchliche Orientierungen ausbilden, kann das zur Schwächung der Identität (Corporate Identity) beitragen. Im Wettbewerb ringen die Unternehmen um die größte Attraktivität für die Stakeholder. Eintönige aber auch unklare und schizoide Charaktere lösen geringe Affinität aus. Im Folgenden wird die Entwicklung der Persönlichkeit am Beispiel von Individuen und sozialen Systemen parallel dargestellt, weil auch Organisationen als Organismus aufzufassen sind. Persönlichkeitsentwicklung und -typologien be334 Vgl. V. Satir/M. Baldwin, 1988, S. 147 ff. Die Zahlen hinter den Elementen verweisen auf unsere Einteilung der Persönlichkeitsbilder. Es ist interessant, dass Satir ebenfalls eine Einteilung nach acht Mustern vornimmt, wie ich sie in Kap. II 2.7 in der Brain Map vorstelle.

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schreibe ich insofern auf verschiedenen Abstraktionsstufen. Der Grad der Vernetzung und die interne Vielfalt bestimmen dabei über die Leistungsfähigkeit der Systeme Mensch und Organisation. Sowohl einzelne Personen als auch soziale Systeme lernen aus der Kommunikation mit anderen. Persönliche Identität erwächst aus der Beziehung zu anderen. Indem Grenzen definiert werden, kann Kontakt entstehen. Soll heißen: Nur wer eigenständig identifizierbar ist, kann in mit anderen in Beziehung treten. Soziale Systeme sind als Beziehungsmuster zwischen Individuen verstehbar. So sind individuelle Modelle der Persönlichkeitsentwicklung übertragbar und aus Beziehungen entstehend besser erklärbar. 2.7.1 Die Entwicklung einer Persönlichkeit Die Persönlichkeit gilt nach den neuesten Forschungen335 als relativ konstantes Gebilde. Das Temperament, das die grundlegende Reaktionsmodalität bestimmt, kann als zeitstabil gelten. Geformt wird vor allem der Charakter als zweiter Bestandteil der Persönlichkeit. Bestimmte Anlagen können im Laufe des Lebens korrigiert und ins Positive gewendet werden: Das Gehirn bleibt plastisch. Choleriker können ihre Energie und ihren Mut, als ausgeglichene Innovatoren und Realisatoren nutzen. Pedanten mutieren zu verlässlichen Perfektionisten. So geht es darum, die richtige Umgebung und die stimmigste Lebensaufgabe (purpose) für seinen Charakter zu entdecken. Was für einen Menschen die Persönlichkeit ist, ist für ein Unternehmen die Identität (Corporate Identity). Sie entwickelt sich aus der Kommunikation der diversen Akteure. Persönlichkeit kann als die Komposition dessen verstanden werden, was der jeweilige glaubt, dass es andere bei ihm sehen. Es sind die sozialen Zuschreibungen die wir glauben, für wahr nehmen zu müssen. Persönlichkeit ist also das Bündel an Erwartungen, ein Abbild von Möglichkeiten und Perspektiven im sozialen Feld. Die Identität beschreibt dazu den spezifischen Unterschied zum Kontext beziehungsweise zu anderen. Identifizierbar ist immer ein manifestierter Teil individueller Kommunikation: So wie man mit mir und ich mit anderen spreche, so bin ich: Ich kommuniziere, also bin ich. So ist identifizierbare Persönlichkeit nicht fester Ausdruck eines genetischen Codes, sondern entsteht im Dialog der Sichtweisen. Sie ist andererseits nicht vollkommen frei formbar, weil ein genetischer Rahmen festgelegt ist und auch soziale Milieus prägen, aber es ist wohl jedem Akteur und jeder Organisation möglich, die Grenzen zum Kontext mit zu definieren, das Eigene sinnhaft zu erproben, sich zu orientieren und zu variieren. Akteure können durch ihre Persönlichkeit die Kommunikation und damit soziale Systeme verändern. Es lassen sich relativ stabile Grundstrukturen der dynamischen Prozesse beobachten. Unterscheidbare Manifestationen336 sind die effe335 Vgl. z. B. D. Hamer/P. Copeland, 1998. 336 Vgl. dazu J. Kritz hier zitiert nach A. v. Schlippe/J. Schweitzer, 1997, S. 74 f.

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renten Strukturen, also die Formen des Ausdrucks, der Präsentation sozusagen des Outputs sowie die afferenten Merkmale, wie die Empfindungen, die Wahrnehmungen, der selektive Input und die selbstreferenten Komponenten: Gedanken und Gefühle, der innere Dialog, das Bewusstsein und Gedächtnis. Die Kognition, also die Wahrnehmung (Selektion) und Verarbeitung von Informationen bildet ein geschlossenes System genauso wie die Kommunikation. Orientierung verleihen deshalb die Kontextmuster, die wahrscheinliche Reaktionsweisen unterschiedlicher Persönlichkeiten beschreiben. Beide laufen aber nicht losgelöst voneinander, sondern insbesondere durch Medien vermittelt koordinativ ab. Siegfried Schmidt hat darauf hingewiesen, dass wir durchaus beim Lesen und Zuhören auch noch andere Kognitionen vornehmen können.337 Durch Medien werden neue Kommunikationsinhalte in das Gehirn übermittelt und beeinflussen die Gedanken. Genauso können fremde Informationen, Veränderungen und Erweiterungen im Gedächtnis einer Organisation erzeugen.338 Die Persönlichkeitsentwicklung339 dient als Basis der Organisationsentwicklung. Selbst- und Fremderkenntnis, offenes Wahrnehmen des anderen als praktizierte Toleranz sind wesentliche Voraussetzungen für gute Kommunikation und gegenseitige Weiterentwicklung. Der Charakter eines Menschen, einer Personenmehrheit und damit auch einer Marke beziehungsweise eines Unternehmensrufes besteht aus einem Bündel grundlegender Eigenschaften und Muster, die die Individualität ausmachen. Dabei werden die Rollen und Eigenschaften durch die Wahrnehmung der Außenwelt zugetragen. Diese Muster können sehr einengend wirken, wenn ein Mensch oder ein Sozialsystem rein gewohnheitsmäßig in einer bestimmten Weise auf Situationen reagiert und begleitend immer wieder die gleichen Rollen und Charaktere von außen aufgetragen werden. Ein zu starrer Charakter kann Entwicklung behindern. Sinnvolle Grundmuster können aber auch Halt und Orientierung geben. Es tut sich hier ein Spannungsfeld von Öffnung und Rahmensetzung auf. Der persönliche Stil wird mit der Beschränkung des eigenen Potenzials erkauft. Persönlichkeitsentwicklung ist sonst immer ein Wagnis, ein Sprung ins Leere. Es müssen immer Grenzen überwunden und Muster entlernt werden, die bisher Schutz boten. Wichtige Grundlage ist, seinen eigenen Charakter, seine Persönlichkeit und sein Naturell zu entdecken. Dabei weisen Menschen und Sozialsysteme immer alle Facetten der noch zu beschreibenden Persönlichkeitsbilder auf. Nur sind in der Regel einige Eigenschaften 337 Vgl. S. J. Schmidt, 1994. 338 Menschen wie auch soziale Systeme neigen zur Bestätigung des Gewohnten. Zum Beispiel werden nur passende Informationen (dieselben Zeitungen, Datenbereiche, Methoden) gewählt. Weiterentwicklung bedarf der gezielten Störung dieser Rituale und Gebräuche. Am besten wird vom Fremden gelernt. 339 Vgl. vor allem U. Böschenmeyer, 1994. Bei A. Hugo-Becker/H. Becker, 1992, S. 161 ff. wird die Herkunft der Persönlichkeitsmerkmale sehr prägnant und anschaulich aufgezeigt. Besonders Entwicklungsstörungen werden hier als Ursache von neurotischen Störungen dargelegt.

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dominant bis überentwickelt, andere wieder verkümmert. Diese Erkenntnis ist die Basis für eine ganzheitliche Entfaltung zur charaktervollen Ausgewogenheit.340 Der Charakter entwickelt sich aus Aspekten des Temperaments, der Vitalität und der Konstitution, die teilweise genetisch vererbt aber auch durch pränatale beziehungsweise perinatale und postnatale Erfahrungen mitbestimmt werden.341 Einen maßgeblichen Einfluss haben dann die Umweltfaktoren in physischer und psychischer Hinsicht, besonders in den ersten Lebensjahren. Aus den erlebten Erfolgen, Misserfolgen und Kränkungen bilden sich dann Naturell und Charakter als spezifische Konstellationen verschiedener Persönlichkeitsaspekte heraus. Sie sind relativ fest, können aber verändert und kompensiert werden. Entgegen der populären Erbforschung über Zwillinge,342 denke ich, dass die Persönlichkeit eines Menschen weitestgehend veränderbar ist, das heißt, von den Rahmenbedingungen abhängt. Vererbt wird lediglich ein relativ breiter Möglichkeitenraum. Vorprägungen finden schon in frühen Phasen durch das soziale Umfeld statt. Entscheidend ist bei allen sozialen Systemen, welches grundlegende Thema in der Anfangsphase geprägt wird. Ein Kind bekommt eine erste wichtige Rolle, eine Firma eine zentrale Aufgabe, eine Beziehung zwischen Menschen beginnt in einer typischen Situation. Diese Anfangskonstellation wirkt oft sehr kanalisierend, weil hier bewusst oder unbewusst der Charakter des Systems kommuniziert wird. Alle Folgekommunikationen schließen sich an dieses Auftaktthema an und stabilisieren das System. In jeder Lebensphase sind Umbewertungen und Weiterentwicklungen denkbar, nur die Bereiche, in denen die Veränderung stattfinden kann, variieren über die Lebensspanne. Die enorme Plastizität der Identität ergibt sich aus dem Phänomen der weitestgehenden Konstruktion von Wirklichkeit. Wenn ich mir Zukünfte „basteln“ kann, steige ich damit auch aus dem Determinismus aus. Jeder Mensch baut sich bewusst oder unbewusst Modelle seiner Welt. Er oder sie versucht immer wieder zu testen, welche Verhaltensweisen sich effektiv realisieren lassen und positiv bewertet werden. Das soziale Setting reflektiert und bewertet diese Vorgänge und ge340 Vgl. zur Persönlichkeitsentwicklung insbesondere H. Weiss/D. Benz, 1989, S. 37 ff. und umfassend bei R. Oerter/L. Montada, 1987 sowie im Überblick bei G. Mietzel, 1994, S. 61 ff. 341 Genen entsprechen bei Organisationen sog. Meme, die ich in Teil II Theorien erläutere. Menschen können wie Organisationen lernen und sich entwickeln, weil sie über Bewusstsein verfügen und kommunizieren. Was aus den Ausgangsbedingungen entsteht, bleibt emergent. 342 Vgl. insbesondere Diskussion in „Die Woche vom 5.12.1996“. Dort werden deutliche Anzeichen für die Zweifelhaftigkeit der Zwillingsforschung angegeben. Dubiose Auftraggeber, erfundene Geschichten der eitlen Untersuchungspersonen, rein erfundene Geschichten und Personen scheinen in diesem Forschungsbereich an der Tagesordnung zu sein. Die genetische Festlegung von Intelligenz, Fähigkeiten und Schönheit erklärt auf angenehme Weise die sozialen Unterschiede und dient damit ideologischen Zielen. Amüsant und entlarvend ist in diesem Zusammenhang, dass viele Kinder (ca. 20 %) nicht von den gesetzlichen Vätern gezeugt werden. Genetische Zuordnungen also einfach falsch sind.

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winnt damit entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung. Allerdings wird es im Lebenslauf immer schwieriger, gezielt Unterschiede einzuführen. Schon im Mutterleib beziehungsweise der Vorgründungsphase einer Organisation beginnt dieser Prozess. Es werden wahrscheinlich schon in diesem Stadium Stimmungen, äußere Zustände u. ä. wahrgenommen. Die Eltern beziehungsweise Gründer und Initiatoren reagieren auf die neue Situation mit ihren individuellen Verhaltensweisen und Gefühlen. Stress, Freude, Streit, Hilfe, alle diese Phänomene werden in den „Mutterleib“ übertragen. Das Kind beziehungsweise das junge Unternehmen erlebt das Alltägliche und lernt schon hier angemessene Verhaltensweisen. Nach der Geburt setzt sich dieser Prozess verstärkt fort. Im Rahmen des weiten genetischen Programms, der Kanalisierung von Möglichkeiten (Potenziale) setzen wichtige identitätsstiftende Prozesse an. Bei sozialen Systemen sind ähnliche Erscheinungen im Gründungsprozess zu beobachten. Da sie aus Kommunikation bestehen, sind hierbei die Kontextfaktoren (Akteure, Atmosphäre, Märkte etc.) prägend. Individuen wie Organisationen befinden sich immer in einem Wechselspiel zwischen Stabilisierung und Veränderung. Die grundsätzliche Plastizität nimmt tendenziell ab, weil sich bestimmte Regeln, Erfahrungen und Muster einprägen, die erst bei deutlichem Kontextvariationen verändert werden müssen. Im Zentrum der Wirksamkeit stehen das Anregungspotenzial, die Autonomie in möglichst weiten Grenzen und die unbedingte Zuneigung und Liebe bei Menschen beziehungsweise das persönliche Engagement und faszinierende Visionen bei Organisationen. Alle Einschränkungen dieser Faktoren beeinträchtigen die förderliche Entwicklung. Wenn der junge Mensch wenig vielfältige Erfahrungen und Erlebnisse machen kann, wird er mit Veränderungen erheblich schlechter zurechtkommen. Die Anregung und Förderung vielfältiger Erfahrungen bei weitestgehender Selbstorganisation fördert den selbstbewussten Menschen, der seine Stärken und Schwächen gut erkennen kann und andere eher als Bereicherung empfindet. Die Vorbilder in der nächsten Umgebung prägen das Weltbild der Menschen. Eltern, die gestresst und frustriert nach Hause kommen, Rollenklischees leben und wenig Veränderung und Entwicklung zulassen, lassen den jungen Menschen ein ähnliches Weltbild erlernen. Arbeits- und Lebenswelt lassen sich nicht trennen. In das Berufsleben treten Menschen mit vielen Vorprägungen des sozialen Settings ein. Neurotisches Verhalten ist gegebenenfalls lernend angeeignet und stark vorgeprägt. Organisationen und Unternehmen haben die Chance, durch geeignete Rahmengestaltung die Menschen in ihrem Selbst- und Weltbild zu verändern. Es kann passieren, dass zunehmend positive Erfahrungen erlebt werden. Zufriedenheit und Lebensfreude entstehen, wenn die Menschen die Mög-

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lichkeit bekommen, ihrem Wesen entsprechend zu arbeiten und zu leben. Hierzu können Unternehmen eine Menge beitragen. Sie ernten dann motivierte und engagierte Akteure. Im Wesentlichen kommt es auf die Entdeckung des Selbst an, Stärken zu festigen und Schwächen zu kompensieren, um alle Aspekte zu durchleben, sich zu entfalten und Verständnis für andere zu entwickeln. So wird die autonome Persönlichkeit wahrscheinlich. In der Gruppe oder Organisation werden gemeinsame Muster und Regeln, Deutungen und Geschichten geformt, die die Identität ausbilden. Es entsteht eine spezifische „Sprache“ der Organisation, die Verhaltensweisen und Umgangsformen prägt. Die individuellen und kollektiven Muster gleichen sich an und verfestigen sich zu einem spezifischen Charakter, der sich als eigenes soziales System selbst erhalten wird und dann nur schwierig veränderbar ist. „Normal“ ist dann das Verhalten, das mit dem Charakter des Systems wahrnehmbar übereinstimmt. Wahrscheinlich signalisiert jeder Mensch zumindest unbewusst, inwieweit er oder sie einem sozialen System oder anderen Menschen zuneigt. Es wird damit die Bereitschaft bekundet, teilhabend, störend oder verändernd wirken zu wollen. Wenn die Kränkungen überwiegen, Menschen lieblos und ungerecht behandelt werden, ist es leider wahrscheinlich dass sich neurotische Eigenschaften ausprägen. Das Entwicklungsmodell Der Psychoanalytiker Erikson,343 hat ein Entwicklungsmodell des Menschen vorgelegt, in dem die typischen Muster der psychosozialen Entwicklung aufgezeigt sind. Die unmittelbar nachgeburtliche Phase sollte eine Phase des Urvertrauens sein. In dieser oralen Phase ist unbedingte Liebe eine wichtige Voraussetzung. Der basic trust ist die Grundlage einer selbstbewussten Identitätsentwicklung. Ab der zweiten Lebensphase geht es um die Entfaltung der Autonomie in der Entwicklung motorischer Fähigkeiten. Hier steht Autonomie gegen Scham und Zweifel. In dieser analen Phase wird die Fähigkeit entwickelt, auch einmal nein zu sagen, seinen Willen zu artikulieren. In Unternehmen entscheidet sich in der Gründungsphase die typische Rolle und Identität, also die wahrnehmbare Differenz. Die Persönlichkeit wird entdeckt, also für wahr genommen, sowohl selbst als auch von außen. Rollenmuster werden erfunden und erprobt sowie in einem Wechselspiel von anderen bestätigt oder zugetragen.344 In der dritten Lebensphase kann zum Urvertrauen und der Autonomie noch die zielstrebige Aktivität hinzukommen. Die kleine Person geht selbstbewusst auf 343 Vgl. E. H. Erikson, 1966. 344 Bei meinem zweijährigen Sohn wie auch bei seinem Freundeskreis stehen die Rollen schon ziemlich fest: der Laute, die Schnelle, der Gemütliche usw. Genauso verhält es sich bei Firmengründungen, die ich zum Teil selbst begleiten durfte.

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fremde Personen zu, entwickelt weiter Fantasie und Lebenslust. Leider können in neurotischen Settings dann auch Schamgefühle und Unsicherheiten emporkommen. Im Schulalter zwischen Kindheit und Pubertät prägen in der Regel die Lehrer die weitere Entwicklung. Die natürliche Lust der Kinder an der Gestaltung, am Begreifen und Lernen kann hier durch Strenge und verfrühte Wissensaneignung erheblich reduziert werden. In der Pubertät wird die Identität gesucht. Abgrenzungen und Ablösungen von den Eltern und erste Kontakte zum anderen Geschlecht gelten als Versuche, ein relativ sicheres Selbstwertgefühl zu bilden. Wenn es die jungen Menschen hier nicht schaffen, ihre Identität zu finden, kann sich das später in Kompensationen durch Machtgetue und einem hierarchischen Verhältnis zu anderen ausdrücken. In den späteren Phasen des Erwachsenenalters sind die Veränderungen nicht mehr so häufig und grundsätzlich zu erwarten. Trotzdem sind Beispiele für grundsätzliche Rollenwechsel zu beobachten, wenn Menschen in Lebenskrisen geraten oder sich besonderen Herausforderungen stellen müssen. Ein Unternehmen nimmt oft eine ähnliche Entwicklung. Es prägen sich durch den sozialen Kontext bestimmte Rollen und Identitätsaspekte ein, die dann erst durch Krisen wieder verändert werden können. Die Erfolge und Kränkungen werden zumindest unbewusst saldiert. Im frühen Erwachsenenalter lernt der Mensch bestenfalls, wie es Sigmund Freud einmal ausgedrückt haben soll, Lieben und Arbeiten. Das Selbstvertrauen beziehungsweise -wertgefühl ist gefestigt, es können gleichberechtigte Beziehungen zu anderen Menschen aufgenommen werden und die berufliche Qualifikation dient zudem zur Selbstfindung. Wenn es nicht so gut verläuft, droht die Isolierung, die nur durch oberflächliche Kontakte aufgehoben werden kann. Auch zahlreiche Unternehmen existieren trotz geradezu „autistischen“ Verhaltens in spezifischen Marktnischen, die einen temporären Schutz vor „kommunikativer“ Konkurrenz bieten. Im reifen Erwachsenenalter kann Generativität, das Interesse an der Erzeugung und Erziehung der nächsten Generation, entstehen. Hier entscheidet sich, ob die Person in der Lage ist, wirklich erwachsen die Elternrolle erfüllen zu können oder ob am Nachwuchs Projektionen platziert und unausgelebte Probleme übertragen werden. Den Kindern gilt es, eigene Felder zu überlassen, die nicht schon durch eigene nicht erreichte Ziele verstellt sind. Im späten Erwachsenenalter geht es hauptsächlich um Ablösungsprozesse. Der erfolgreiche Mensch muss Platz für das Neue schaffen und uneitel Erfahrungen weitergeben. Es geht um Integrität oder Verzweiflung, sagt Erikson. In Unternehmen beginnt hier spätestens die schwierige Phase des Generationswechsels. In jeder Phase des Erwachsenenalters können neurotische Verhaltensweisen auftauchen.345 Mit der Neurose wird erlittenes Leid an spätere Generationen wei345 Vgl. E. H. Erikson, 1966, S. 56 ff.

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tergegeben. Es wird sozusagen Gleiches mit Gleichem vergolten. Interessant ist hier die Parallele zur Nachfolgeproblematik in Familienunternehmen, wo allzu oft die Übergabe an jüngere Akteure misslingt und Unternehmenskrisen auslöst. Die neurotische Persönlichkeit jedweder Couleur hat einige typische Eigenschaften: - Egozentrismus und geringe Empathie - Infantilität, mangelndes Selbstbewusstsein - eingeschränkte Realitätswahrnehmung - ständiges Reinszenieren alter Muster der Enttäuschung - mangelnde Reflexionsfähigkeit - Ambivalenz zwischen Selbst- und Fremdbestrafung Organisationen und Unternehmen werden von außen als soziale Systeme wahrgenommen, die Ähnlichkeit zu Persönlichkeiten aufweisen. Sie stellen Systeme dar, die sich durch typische Kommunikationen charakterisieren lassen.

Abb. II. 2.7.1: Die Stufen der Persönlichkeitsentwicklung

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Unternehmenspersönlichkeiten durchlaufen ähnliche Prozesse wie Menschen. Orale Phasen werden von schizoiden und masochistischen Phasen abgelöst, um dann eine mehr oder minder entwickelte Persönlichkeit auszubilden. Marken als Kennzeichen von Produkten oder Unternehmen haften die Persönlichkeitsaspekte der Akteure im Unternehmen an. Wenn das Unternehmen neurotische Verhaltensweisen an den Tag legt, überträgt sich das auf den Ruf der Firma, weil die Marktpartner eben dieses Verhalten in Form von Produkten und Kommunikation erleben und wahrnehmen.346 Die positive Wendung In der obigen Abbildung sind die Stufen der Entwicklung skizziert. Jede Person oder Organisation startet mit Urvertrauen. In Unternehmen stellt sich diese Situation als euphorische Gründungsphase dar, in der Innovationen mit viel Engagement realisiert werden. Diese Unternehmerische Organisationskultur wurde in Kapitel II. 7 näher vorgestellt. Sie gilt es, immer wieder neu zu entfachen. In den meisten Fällen tritt dann die Phase der Verunsicherung und Desorientierung auf. Bei den ersten kleinen Krisen erweist sich die Robustheit des Projektes. Junge Menschen erarbeiten sich in der Pubertät ihre sozialen Rollen, erleben Enttäuschungen und Erfolge. Wenn diese Phase bewältigt wird, können sich die positiven Merkmale durchsetzen. Dyer hat aufgezeigt, wie sich Persönlichkeiten darstellen, die sich aus den seelischen Problemzonen gelöst haben:347 Menschen erkennen sich selbst, werden der oder die sie sind. Diese Menschen lieben das Leben, sprühen vor Energie, geben uneitel Erfahrung weiter, wirken kreativ, sind selbstverantwortlich, selbstbewusst ohne Überheblichkeit aber auch ohne Angst. Auch einfache, repetitive Aufgaben werden mit Freude bewältigt. Alltägliche Dinge können Glücksgefühle auslösen. Sie leben im Hier und Jetzt, sind achtsam und mitfühlend, präsent, einfühlsam und hilfsbereit, ohne das Helfen zu brauchen. Sie verstehen sich als nützliche Glieder in der Gesellschaft, indem sie liebevoll egoistisch agieren, allseitigen Erfolg suchen, damit dauerhafte Lösungen schaffen und aus Fehlern lernen. Sie sind unauffällige, starke Persönlichkeiten, die langfristige Beziehungen entwickeln. Alles in allem gelingt es Ihnen, die neurotischen Seiten zu wenden oder sie kontrolliert positiv einzusetzen. „Use your faults, use your defects, and you gonna be a star“ sang Grace Jones dazu. Das Ich, die eigene Identität wird dann am anderen, am Du erlebt. Wenn ich mich auf mich selber konzentriere, meinen Eigenwert hoch einschätze, besteht 346 Vgl. weitergehendes bei A. Hugo-Becker/H. Becker, 1992, S. 149 ff. Die Autoren schildern anschaulich die Entstehungsursachen von Charakteren. Die psychologische Diagnostik können diese Darstellungen nicht ersetzen. Vielmehr kann hiermit lediglich ein erster Einstieg gewagt werden. Zu Problemen der Diagnose vergleichen Sie bitte C. Tavris, 1996. 347 Vgl. W. W. Dyer, 1983, S. 244 ff.

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die Möglichkeit, diese Einschätzung mit anderen zu überprüfen. Außerdem wird es erst dann möglich, tolerant und offen mit anderen umzugehen und sich gemeinsam zu entwickeln. „Ein klares Selbstbewußtsein ist dadurch zu gewinnen, daß man dem, was man ist und gleichzeitig nicht ist, in die Augen sieht.“348 „Nicht-Ich“ und „Ich“ werden integriert zum ganzheitlichen Selbst. Durch die Integration der Schattenseite wird das Ich vervollständigt. Gleichzeitig kann durch diese Annahme der Schattenseite auch eine Weiterentwicklung beziehungsweise Veränderung im Sinne einer Integration eingeleitet werden. Menschen werden nicht anders, sie erkennen ihr Wesen an und versuchen es positiv zu entfalten. Man kann sich das am Schichtenmodell der Persönlichkeit veranschaulichen. Eine Person, die ihre Identität gefunden hat und einen realistischen Selbstwert gebildet hat, lebt aus einem starken Selbst. Wenn jemand zu sich findet, ist es möglich, anderen überzeugende Angebote zu machen. Alles Wahrnehmbare entspringt dann dem einzigartigen Wesen, es folgt dem individuellen Stil. Aus charakterstarker Ausgewogenheit werden Werte geboren, es entfalten sich syntropische Prozesse und trotz allen Wandels bleibt das „Wesentliche“ erkennbar. Die Person oder Organisation findet zu sich und kann nutzenstiftende Beziehungen aufnehmen. Andere Personen werden in den engeren Kreis gelassen und ihnen wird offen, spontan und ehrlich begegnet. Eine beabsichtigte Weiterentwicklung, großes Vertrauen und Mitgefühl sind wahrscheinlich. Andere leben abgelenkt durch Zerstreuung (Entropie) und Oberflächlichkeiten nur im Außen mit lockeren „unechten“ Beziehungen. Abgelenkt vom einzigartigen Charakter, suchen diese Persönlichkeiten durch äußere Nachahmungen und pompöse Präsentationen, Eindruck zu erwecken. Das Haben dominiert hier das Sein. Sie zerstreuen sich, sind außer sich, können sich nicht sammeln. Damit sind sie dem äußeren Wandel voll ausgesetzt, sie folgen ihm oder versuchen sich „trendy“ an die Spitze zu setzen. Sie entfernen sich damit immer mehr vom Wesenskern. Alle diese Beschreibungen sind unschwer auf Unternehmenspersönlichkeiten zu übertragen. Das Wesen, der einzigartige Charakter, das sind die Kernkompetenzen und die Alleinstellung im Markt. In einem Unternehmen entwickelt sich zunehmend ein vitales Miteinander, selbstbewusste und engagierte Personen werden geradezu angezogen von diesen Unternehmen. Die Rahmenbedingungen entscheiden über das Klima Ziel sollte es sein, die Rahmenbedingungen zur positiven Entfaltung unterschiedlicher Persönlichkeitsaspekte umzugestalten und anzureichern. Zudem ist ein ausgewogenes Verhältnis der Spezialisierungen und Talente anzustreben. 348 Vgl. H. P. Dürr, 1985, S. 123.

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Alle Ausprägungen können grundsätzlich als gleich bedeutend und wichtig angesehen werden. Eine gute Mischung wird die Qualität von Entscheidungen und Objekten erheblich verbessern, man findet zu ganzheitlichen und schnellen Lösungen, da das gesamte Spektrum abgedeckt wird. Die Kenntnis und Akzeptanz der Charakterschwerpunkte erleichtert die Zusammenarbeit und fördert ein gutes Klima. In der Praxis dominieren zumeist die Macher und Erfolgstypen mit klarer Effizienzorientierung. Deshalb kommen die kommunikativen, koordinativen und innovativen Elemente oft zu kurz. Gerade hierin liegt die Psychopathologie vieler Unternehmen begründet. Aufgabe von Moderatoren ist nun, die rezessiven Rollen zu identifizieren, mögliche Rollenträger zu aktivieren und aufzuwerten. Es ist sicherzustellen, dass alle Rollen gleiche Geltungsansprüche anmelden können. Visionen und Kreativität können durch organische Organisationsformen und eine entsprechende Unternehmenskultur beflügelt werden. 2.7.2 Die Charakterentwicklung und -typologie anhand psychologischer Modelle „Was hinter uns liegt und was vor uns liegt sind Winzigkeiten im Vergleich zu dem, was in uns liegt.“349 Die Wahrnehmung der Personen ist sehr speziell.350 Es werden verschiedene Ebenen des Unbewussten angesprochen. Modelle aus der Persönlichkeitsforschung können dazu sehr dienlich sein. Trotzdem ist auch hier Vorsicht geboten, denn schon H. Ibsen ließ seinen Peer Gynt sagen, dass der menschliche Geist mit einer Zwiebel vergleichbar sei, „… soweit man auch schält, man trifft nie auf einen harten Kern.“ Es existieren höchstens Annäherungen an das, was wir Gehirn nennen. Der Mensch hat sich den Menschen vorgestellt, wie seine gerade erzielten Erkenntnisse und Produkte es nahelegten: als Maschine, als Computer oder als Chaos. Dazu muss in den Tiefen der Psychologie, der Ökologie und Soziologie und der neueren Physik nachgeforscht werden. Wir können heute sagen, dass unser Geist sehr chaotisch strukturiert ist, Spezifizierungen aufweist und sich konnektionistisch organisiert. Ungewissheiten bleiben. Ausgehend von der Schilderung der Persönlichkeitsentwicklung sollen im Folgenden die charakterlichen Resultate beschrieben werden. An anderer Stelle sind die einzelnen Modelle der Persönlichkeitsforschung schon differenziert dargelegt worden. Dafür 349 O.W. Holmes zitiert nach S. Covey, 1992, S. 88. 350 In vielen Unternehmen werden einheitliche Vorgehensweisen und Sichtweisen bewusst geprägt. Die Mitarbeiter werden sukzessive in die Kultur integriert und assimiliert. Gerade dieses Bestreben ist aber in einer turbulenten Welt eher problematisch. Zum Beispiel war die Deutsche Bank im Fall Schneider nur deshalb so gut auszurechnen, weil die Kriterien, Charakterstrukturen und Sichtweisen der Akteure sehr ähnlich sind. In einem pluralen Unternehmen sind solche „Reinfälle“ eher unwahrscheinlich.

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bleibt hier nicht der Raum. Das zugrundeliegende Prinzip, die wesentlichen Inhalte und die Anwendungsmöglichkeiten sollen aber trotzdem kurz erläutert werden. Die diversen Typologien aus der Erfahrungswissenschaft, Empirie und modernen Psychologie werden hier zu einem handhabbaren Modell zusammengeführt. Die Validität und Reliabilität der Ergebnisse ergibt sich aus der sozialen Bewährung und Nützlichkeit sowie der unterschiedlichen Herkunft der Erkenntnisse. Die überraschende Übereinstimmung viele tausend Jahre alter und aktueller Typologien nährt die Gewissheit, mit der hier skizzierten Brain Map ein Orientierungsmuster entdeckt zu haben. Das Modell basiert auf erfahrungswissenschaftlichen, empirisch wissenschaftlichen, psychologischen und psychoanalytischen Erkenntnissen, die überraschenderweise im Wesentlichen übereinstimmen.351 Ich vergleiche die psycho-analytische Typenlehre, die Brain Map, die Typologie von Jung und Adler und die „esoterischen“ Typenlehren des chinesischen Feng shui, das sogenannte Enneagramm der Sufis sowie moderne Intelligenzmodelle. Die im Folgenden aufgezeigten Typologien erweisen sich als plausibel und nützlich, sie entstammen einer sehr langen Tradition und lassen sich in empirischen Untersuchungen auch aktuell bestätigen. Charakterliche Eigenschaften werden sinnvoll interpretiert und Brücken geschlagen zwischen den tiefenpsychologischen, empirischen und traditionellen Interpretationen. Einsetzbar sind die Differenzierungen zur Ausgestaltung der Vielfalt, zum Beispiel bei der Teamzusammensetzung, Personalentwicklung, Zielgruppenbestimmung, Produktforschung und CI-Entwicklung. In den Kreis mit den Hauptrichtungen logisch analytisch, intuitiv emotional, theoretisch zukunftsorientiert und pragmatisch herkunftsorientiert können neun wesentliche Charaktere, Kompetenzen oder Intelligenzen positioniert werden. Auch wenn heute die Persönlichkeit als Patchwork-Identität, als eine Collage von Zufälligem und Versuchtem, Erfolgen und Erlebnissen des Scheiterns gesehen wird, können die Grundmuster zur Orientierung gute Unterstützung bieten. Doch: „Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung verändern kann“, sagte schon F. Picabia. 2.7.2.1 Psychoanalytische Modelle Aus der Psychoanalyse sind in erster Linie negativ anmutende Typenbildungen zu entnehmen, da hier an Verhaltensstörungen angesetzt wird. Beispielhaft werden narzisstische, orale, zwanghaft rigide, paranoide, schizoide, aggressiv auto351 Neben den hier zu besprechenden Quellen sind auch Ausarbeitungen von R. W. Schirm, 1989 zur Biostrukturanalyse, die empirischen Arbeiten von R. Berth, 1994, S. 107 ff. und auf C. G. Jung, 1990 basierende Überlegungen von H. G. Servatius, 1994, S. 145 ff. einfach integrierbar. Die empirischen Arbeiten von Berth weisen hohe Aktualität auf, sind aber als zeitstabile Muster kaum sinnvoll verwendbar. Weitere psychologische Typenlehren beschreibe ich im Anschluss.

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ritäre (psychopathische), hysterische und depressive (masochistische) Grundcharaktere unterschieden. 352 Die narzisstische Persönlichkeit soll, da sie im modernen Wirtschaftsleben oft anzutreffen ist und andere Merkmale überlagert, als ein Beispiel näher erläutert werden. Der Narzisst ist stark ich-bezogen und leidet unter einer Überschätzung der eigenen Persönlichkeit. Dabei wirken im Hintergrund Minderwertigkeitsgefühle und ein labiles Selbstgefühl auf die jeweilige Person. Andere Menschen nutzt der Narzisst, um sich mit ihrem Glanz zu schmücken. Sie treten dabei bestimmend und manipulativ auf und behandeln andere Akteure von oben herab. Der Narzisst vermag nicht, bei anderen Menschen Vor- und Nachteile anzuerkennen. Er unterscheidet lediglich in „Gut“ und „Böse“ und hält sich dabei für den einzig ausgewogenen Menschen. In der Führungsposition fühlt sich der Narzisst wohl. Hier kann er sein Machtgehabe und sein prestigeorientiertes Verhalten zum Leiden der anderen ausleben. Als Vorgesetzter ist die narzisstische Persönlichkeit selten in der Lage, andere Personen als Bereicherung anzusehen. Geprägt vom seinem Naturell, die unterschiedlichen Stärken und Schwächen anderer Akteure nicht erkennen zu können, mangelt es ihm an der Fähigkeit, Aufgaben zu delegieren, sich konstruktiv, kooperativ zu verhalten. Als Mitarbeiter duldet er gerne „Ja-Sager“ und lässt gerne zu sich aufschauen. Während er selber nur unzureichend mit Kritik umgehen kann, äußert er geradeheraus seine Meinung ohne Rücksicht auf die Konsequenzen für andere. Als Vorgesetzter ist er nicht in der Lage, seine Mitarbeiter aufmunternd zu loben und die Motivation zu steigern. Lediglich kritiklose Bewunderungsäußerungen sind erwünscht. So bilden sie letztlich eine Gefahr für das Unternehmen, gute und kreative Mitarbeiter werden von ihm unterdrückt und „vergrault“. Bei Versagen suchen sie gerne die Schuld bei anderen. Trotz alledem handelt es sich meist um intelligente Menschen, die sicherlich einige Voraussetzungen, wie die nötige Selbstliebe und die Begabung, sich effektvoll in Szene zu setzen, für eine Führungsposition mitbringen. Die depressiven Strukturanteile werden durch hohe Erwartungen (oraler Typus), Aufopferung (masochistischer Typus) oder die Mittelposition, die Verwöhnungskultur, kompensiert. Zwanghafte Strukturanteile führen zur Kompensation durch Perfektionismus und Rigidität. Schizoide Muster werden durch Intellektualität und Rationalität ausgeglichen. Gemeinsam ist allen Veranlagungen, dass sie augenscheinlich aus Kränkungen und Erfolgen resultieren. Es werden im Laufe der Zeit feste Muster eingeprägt, die nur schwer wieder zu verlassen sind. Die Akteure äußern sich in negativer 352 Vgl. J. Hesse/H. Schrader, 1996. Es ist insbesondere auf die Arbeiten von O. Sacks, 1988 zu verweisen, der nachdrücklich die sogenannte Normalität relativiert und einfühlsam gerade die Besonderheiten, Überschüsse und Übersteigerungen von neurologisch erkrankten Menschen, die sich in besonderen Fähigkeiten äußern, schildert.

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Weise, wenn es keine Form des Auslebens gibt.353 Überraschend ist aber, dass insbesondere durch Verhaltens- und Kurzzeittherapien schnelle Änderungen einzuleiten sind, um negative Muster zu verlassen. Es wird eine Entwicklung eingeleitet und damit die Chance geboten, aus den psychischen Furchen herauszutreten und die positiven Aspekte des Selbst zu entfalten. Deshalb erscheint es sinnvoll, diese Prägung eines jeden Menschen oder eines Sozialsystems etc. zu akzeptieren, aber geeignete Umgebungen zu schaffen, damit jeder Akteur positiv auch im Sinne der jeweiligen Gruppe wirken kann. Jeder kann sich sein Lebensskript neu schreiben, sich repositionieren, sich erkennen und auf den Weg machen, eine für seine positive Entfaltung geeignete Umgebung zu finden und/oder mitzugestalten.

Abb. II. 2.7.2: Negative Persönlichkeitsbilder Das teambuilding dient dazu, die Rollen und Funktionen in einer Gruppe ideal zu komponieren. Stärken und Schwächen der Beteiligten werden bewusst gemacht. Ausgangspunkt sind die Persönlichkeitsaspekte und Kompetenzen. Ziel ist es, dass sich die Beteiligten gegenseitig stärken und ausgleichen, indem sie achtsam und empathisch durch unauffällige Hinweise und Interventionen das Team stabilisieren und wachsen lassen. Eine geeignete Metapher hierfür ist ein Sprungtuch, das von verschiedenen Akteuren gehalten wird, um das Klientensystem aufzufangen und Unwägbarkeiten und Überraschungen schnell zu kompensieren.

353 Vgl. z. B. H. Weiss/D. Benz, 1987 und S. de Shazer, 1995.

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2.7.2.2 Brain Mapping Wie in der Abbildung II.2.7.2 schon zu sehen ist, hat die Gehirnforschung eine Einteilung in Hemisphären möglich gemacht. Es können den neurotischen Charakteren somit positive Charakterbilder gegenübergestellt werden. Die These lautet: Je mehr den unterschiedlichen Charakteren entsprochen wird, desto besser werden sich die einzelnen Personen entfalten, sich wohl fühlen und ihre spezifischen Leistungen der Gruppe beziehungsweise dem Unternehmen nutzbar zur Verfügung stellen. In den meisten Unternehmen und Organisationen werden diese Potenziale und damit Chancen nicht genutzt, weil den MitarbeiterInnen nicht genügend Vertrauen geschenkt wird. Gerade aber die vielfältigen Persönlichkeiten können einer Gruppe, einer Marke und einer Unternehmung Multistabilität verleihen, soll heißen, sie ist auf fast alle Situationen gut vorbereitet und wirkt für den Rezipienten angenehm und zuverlässig. Die Brain Map 354 dient der Veranschaulichung unterschiedlicher Denkweisen und Spezialisierungen. Sie ist als Landkarte der Charakterspezialisierung zu verstehen. Dabei wird von der Spezialisierung des Gehirns in rechte und linke Hemisphäre sowie Vorderhirn und Hinterhirn ausgegangen. Rechtshemisphärisches Denken gilt als emotional, intuitiv und ganzheitlich und linkshemisphärisch Denken heißt, das Kognitiv-Rationale zu betonen. Vorderhirnorientierung ist durch Denken in Erwartungen und Vorhaben, Hinterhirnorientierung durch Bewahren und Strukturieren gekennzeichnet. Daraus entstehen vier Hauptrichtungen (siehe nachfolgende Abbildung).

354 Vgl. dazu D. Lynch/P. Kordis 1991, S. 257 ff.

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Abb. II. 2.7.3: Brain Map In Gruppen sollten positive Rollen und Typen zunächst einmal durch Selbstund Fremdeinschätzung erfasst werden, um das Spektrum der vorhandenen Denk- und Verhaltensweisen ansatzweise aufzudecken. Dann können die Entwicklungsstufen der Persönlichkeiten näher beleuchtet werden. Dabei ist sehr behutsam und unter Zuhilfenahme von erfahrenen Fachleuten vorzugehen. Daraufhin können gezielte Maßnahmen des kommunikativen Ausgleichs zwischen diametralen Orientierungen eingeleitet werden. Stark visionär ausgerichtete Typen verwenden eine vage und bildhafte Sprache, Macher eher rationale Argumentationen. Kommunikateure sorgen sich um die Beziehungsebene. Gegebenenfalls müssen einige innovative und ausgleichende Aspekte erst geschult, angereichert und entwickelt werden, altruistische Anteile noch kompensiert und egoistische Aspekte eingeregelt werden, um insgesamt ein breites Spektrum der Kompetenzen und Rollen abzubilden und in die Organisation zu integrieren.

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Abb. II.2.7.4: Positive Persönlichkeitsbilder 2.7.2.3 Die Jung’sche Typologie der Persönlichkeiten Der berühmte Psychoanalytiker C. G. Jung355 hat schon Anfang dieses Jahrhunderts eine interessante Typologie vorgelegt, die weitestgehend mit dem brainmapping in Harmonie gebracht werden kann. Grundsätzlich unterscheidet er extrovertierte und introvertierte Typen und differenziert dann weiter in den jeweiligen Denk-, Gefühls-, Empfindungs- und Intuitionstyp. Ein Denktyp rationalisiert, es dominiert die kognitive Verarbeitung. Der Gefühlstyp ist in seinem Verhalten stark durch Emotionen gesteuert. Der Empfindungstyp ist eher ein Tatsachenmensch, für den Fakten zählen und der an den inneren Instinkt glaubt. Der Intuitionstyp verlässt sich auf seine Eingebungen und oft mystischen Erfahrungen. Der extrovertierte Typus wird schon früh in der Kindheit gelernt. Das Arrangement mit der sozialen Umwelt gelingt sehr schnell und unkompliziert. Das Kind widmet seine Aufmerksamkeit sehr stark den Objekten in seiner Umgebung und beobachtet die Wirkung seines Handelns. Beim introvertierten Wesen zeigt sich eine gewisse Scheu und Angst in der Umwelt. Vorsichtiges und behutsames Abtasten der Möglichkeiten stehen hier im Vordergrund. Die Neugierde ist gerin355 Vgl. C. G. Jung, 1990, S. 110 ff. Jung hat darauf hingewiesen, dass die Bewusstseinsentwicklung in Wissenschaft und Technik so schnell voranschreitet und das Unbewusste nicht mehr Schritt halten konnte. Es ist deshalb notwendig, sich der vergessenen Aspekte zu erinnern. Wenn die Verbindung wieder hergestellt ist, treten die Symbole des Selbst wieder auf, welche ein Bild der ganzen Persönlichkeit offenbaren. Vgl. C. G. Jung, 1993 sowie C. G. Jung u. a., 1993.

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ger ausgeprägt, das Neue und die Entwicklung werden eher mit Skepsis beobachtet. Daraus entsteht ein Muster von acht Grundtypen. Man kann diese Typologie in das Brain-Map-Tableau einbauen, indem weitere Dimensionen diagonal gelegt werden. Dies ist in Grafik II.2.7.5 veranschaulicht. Alfred Adler hat sich in seiner „Menschenkenntnis“ ebenfalls mit Typisierungen befasst. Er beschreibt auf geradezu exemplarische Weise einige Charaktertypen, Persönlichkeiten und Temperamente und nimmt dabei Bezug auf diverse Ansätze in der Psychologie.356 Adler verwendet eingehende Analysen auf den individuellen Entstehungsprozess des Naturells und beschreibt viele Einflussfaktoren in den Entwicklungsphasen. Auch er ist der Ansicht, dass sich Persönlichkeiten spezifisch beschreiben lassen, ab einem gewissen Alter eine relative Konstanz aufweisen und es dann darauf ankommt, sein jeweiliges Selbst aufzuspüren, seine Erfolge und Kränkungen zu resümieren und damit zu einer angemessenen Position im sozialen Kontext zu finden. Adler erkennt ein Kräftefeld zwischen dem sozialen Zusammengehörigkeitsgefühl und dem Machtstreben eines Menschen, und unterscheidet deshalb eher aggressive und eher vorsichtige Naturen.

Abb. II.2.7.5: Brain Map und Jung’sche Typologie Es werden von ihm charakterliche Einzelphänomene wie Neid, Gier, Eitelkeit, Bescheidenheit, Zögerlichkeit etc. wie auch gesamte Persönlichkeitstypen, wie Pedanten, Stimmungsmenschen und Künstler beschrieben, die sich sehr gut mit den beschriebenen Systemen in Einklang bringen lassen. In seiner Individual356 Vgl. A. Adler, 1985, S. 146 ff.

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psychologie dominiert der gesellschaftliche Einfluss auf das Seelenleben. Der Mensch reagiert aber erst mit großen Verzögerungen, Irrtümern und Fehlern auf die soziale Wirklichkeit. Die spezifische Wahrnehmung prägt in hohem Maße die Selbstbeobachtung, genauso wie die Rahmenbedingungen wesentlichen Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung nehmen. Die Selbstentdeckung und die positive Rahmengestaltung erscheinen in diesem Kontext wesentlich für die Entfaltung der positiven Aspekte der Persönlichkeit. Adler betont die Gleichwertigkeit der Naturelle und den perspektivischen Aspekt der Entwicklung im sozialen Kontext: „Es genügt nicht, Erscheinungen des Seelenlebens bloß als individuelle anzusehen, sondern wir müssen sie im Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen Leben begreifen. Und als ein besonderer, vor allem für unser Zusammenleben mit dem Menschen wertvoller Grundsatz erwuchs uns die Erkenntnis: Der Charakter ist uns nie die Grundlage zu einer moralischen Beurteilung, sondern eine soziale Erkenntnis, wie dieser Mensch auf seine Umwelt wirkt und in welchem Zusammenhang er mit ihr steht.“357 Damit ist eindrucksvoll die grundsätzliche Gleichwertigkeit der Naturelle unterstrichen. Es kommt darauf an, den einzelnen Akteuren ihren angemessenen Entfaltungsspielraum zu lassen und jeden Akteur als wichtigen „Spezialisten“ in Teamprozessen zu sehen, der nur im Zusammenspiel mit anderen gute Erfolge erzielen kann. 2.7.2.4 Die Naturelle im Enneagramm Die einzelnen Naturelle wurden im Rahmen der Brain Map sowie der Typologien von Adler und Jung dargestellt. Nun soll noch eine Differenzierung unter Zuhilfenahme des Enneagramms geschehen.358 Diese erfahrungswissenschaftliche Konzeption wurde ursprünglich im Nahen Osten, der Geburtsstätte der drei Weltreligionen Islam, Christentum und Judentum entwickelt. Besonders in der Sufi-Lehre wird es benutzt, um die Entfaltung des menschlichen Bewusstseins bildlich zu veranschaulichen. Dieser Ansatz wurde später in verschiedenen Lehren (zum Beispiel der Jesuitischen) in zum Teil unterschiedlichen Ausprägungen übernommen. Das Wort Enneagramm setzt sich aus den griechischen Begriffen Ennea (neun) und gramma (Geschriebenes) zusammen. Das Enneagramm359 stellt neun exemplarische Charaktertypen in einen sinnvollen Zusammenhang. Diese archaischen Muster weisen eine enorme Zeitstabilität und Kontextneutralität auf und 357 Vgl. A. Adler, 1985, S. 169. 358 Vgl. auch G. Bergmann, 1996 S. 208 ff. 359 Das Enneagramm ist ein archaisches Muster von Charakterbildern. Vgl. bspw. A. M. Gallen/ H. Neidhardt, 1994; E. Jaxon-Bear, 1989; H. Palmer, 1991 und besonders U. Böschenmeyer, 1994 für Fortgeschrittene.

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befinden sich im Einklang mit neueren Typologien, die unabhängig vom Enneagramm abgeleitet wurden.360 Wir nehmen sie hier als Grundlage für die Haupttypen in der Brain Map, da sie inhaltlich gut beschrieben sind: Die Nummer 1 im Enneagramm sind die reformerischen PerfektionistInnen. Sie können als verlässliche und exakte Organisatoren sehr gut Planungsaufgaben übernehmen. Als negativ empfunden werden die Pedanten und „Exaktisten“, die jeden Kontrollverlust durchleiden. Positiv können sie sich zu Wegbereitern fortentwickeln. Sie geben den Startschuss zu neuen Projekten und begleiten diese förderlich und konsolidierend. Perfektionisten sind daseinsorientiert, absichtslos und eher bauchorientiert. Reformerische Perfektionisten handeln nach dem Motto: „Wir suchen nach der perfekten Lösung.“ Die HelferInnen oder Geber (2) bemühen sich um Heilung und Unterstützung anderer. Sie können sich in Organisationen ideal um andere kümmern, sie verbessern das Ambiente und sie fördern die Kommunikation. Negativ werden sie als fürsorgliche Belagerer empfunden, die das Helfen brauchen und andere in abhängiger Hilflosigkeit halten. HelferInnen sind herzorientiert, zurückgezogen und daseinsorientiert. Der Leitspruch des Gebers heißt: „Ich möchte anderen helfen.“ Die Erfolgsorientierten (3) bringen Engagement und Energie ein. Sie können in Organisationen die Prozesse beschleunigen. Sie neigen aber auch dazu, den Boden unter den Füßen zu verlieren und mogeln sich Erfolge zurecht. Das merkantile Wesen kann einer Persönlichkeitsentwicklung auch im Wege stehen. Förderlich einsetzbar sind sie als Moderatoren und Motivatoren. Sie sind eher aggressiv und herzorientiert. Der Dreier lebt nach der Parole: „Ich habe Erfolg!“ Die IndividualistInnen (4) weisen ein hohes visionäres und kreatives Potenzial auf. Sie können Sinn stiften und neues Bewusstsein schaffen. Andererseits neigen sie zu Egozentrik und eigenen oft romantischen Wirklichkeiten. Sie leben eher distanziert und sind herzorientiert. Die Überzeugung: „Ich bin etwas Besonderes und Einzigartiges.“ Die BeoachterInnen (5) sind eher analytisch orientierte DenkerInnen. Sie können idealerweise Forschungen durchführen und neue Lösungen schaffen. Sie neigen aber zu kognitivem und rationalem Reduktionismus. Sie sind kopforientiert und eher distanziert. Ein Fünfer glaubt: „Ich kann sehr gut erkennen.“ Die MitstreiterInnen oder Loyalen (6) sind das zentrale Naturell. Sie weisen hohe Teamfähigkeit und lebensfrohe Energie auf. Damit sind sie ideal als Mitar360 Ähnliche Muster finden sich auch in der psychologischen Kommunikationsforschung. Z.B. F. Schulz von Thun, 1989 hat sehr ähnliche Ergebnisse erzielt. Insbesondere wurden die archaischen Muster durch unabhängig davon erstellte Untersuchungen bestätigt.

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beiterInnen geeignet, die positive Stimmung schaffen und gut strukturieren und organisieren können. Sie akzeptieren die Autoritäten nur begrenzt. Sie können zu Helden mutieren, die sich gegen schwache „Führer“ auflehnen. MitstreiterInnen sind eher absichtslos und kopforientiert. Sie arbeiten nach den Mottos: „jönne könne“ und „Loyal währt am längsten.“ In der Form ihrer vollen Entfaltung können sie als Buddha-Naturen beschrieben werden, die in einer solaren Struktur eine sehr ausgeglichene, alle Aspekte integrierende Natur ausgebildet haben. Die Lebenskünstler (7) sind sensitive Seismographen und gefühlvolle GestalterInnen. Sie sind ideal geeignet, Visionen weiterzuentwickeln und psychologische Befindlichkeiten zu erspüren. Als „Positivisten“ gewinnen sie dem Leben in erster Linie positive Seiten ab. Sie wirken leicht oberflächlich, suchen aber „Tiefgang“ und Echtes in ihrem Leben. Sie können als absichtslose Menschen leicht in ihre Welt abtauchen. Sie können sich aber auch zu „Erleuchteten“ weiterentwickeln. Die SiebenerInnen streben nach Glück und Lebensfreude und leben nach dem Motto: „Die Welt ist manchmal hart, aber öfter herzlich.“ Die Macher (8) sind hartnäckige und effiziente Realisateure. Sie bringen Projekte wieder „down to earth“ und verwirklichen diese. Sie können als aggressive Streiter leicht ungerecht und wirsch erscheinen (psychopathisches Grundmuster). Sie sind eher daseinsorientiert und bauchorientiert. Sie können sich zu asketischen und motivierenden Menschenfreunden entwickeln. Sie sagen: „Wir beißen uns durch.“ Die BewahrerInnen (9) gelten als „Universalisten“. Sie können eine Organisation stützen und koordinieren und sind beharrlich dabei, Gesamtprojekte mit Geduld zu entwickeln. Negativ empfunden werden sie, wenn sie starrköpfig und träge werden. Sie sind eher bauch- und daseinsorientiert.361 Sie leben nach dem Motto: „Gut Ding will Weile haben.“ 2.7.2.5 Die chinesische Feng-shui-Lehre Aus der taoistischen Philosophie ist eine Lehre der ausgewogenen Gestaltung bekannt. Das Feng shui362 (Wind und Wasser als Zeichen für die Natur) soll ermöglichen, die verschiedenen Elemente in einen Gleichklang zu bringen, positive Energie (das Qui) zu entfalten und zu nutzen und negative Energien zu neutralisieren. Heute wird diese Lehre vor allem für die Gestaltung von Räumen genutzt und erfährt auch bei Architekten im Westen große Beachtung. Wir können das Konzept insofern auch nutzen, um die räumliche Atmosphäre363 als Kontextbedingung lösungs- und lernorientiert einzusetzen. Wie erläutert sind 361 Zu diesen neun Archetypen ist noch der sogenannte rigide Typus hinzuzufügen. Dieses Persönlichkeitsbild zeigt sich insbesondere bei zurückgezogenen Menschen mit einer gewissen Lebensverneinung. 362 Vgl. zum Beispiel V. Rossbach/L. Yun, 1996. 363 Zu einem Überblick atmosphärischer Konzepte Vgl. Böhme, 1995.

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das Lernen und Lösen, also die Art der Entscheidungsprozesse, die Gruppendynamik und die Teamentwicklung, von der Umgebung, in der sie stattfinden, abhängig. Feng shui ist eine aus Erfahrung abgeleitete Gestaltungslehre, die als Muster genutzt werden kann. Ein zweiter Ansatzpunkt ist die ursprüngliche Verwendung des Feng shui als Persönlichkeitslehre. Diese Typologie ist demgegenüber weit in den Hintergrund gedrängt und verkümmert. Dabei bieten sich auch hier, Parallelen zu den diskutierten Typologien. In einem sogenannten Bagua stehen sich acht wesentliche Eigenschaften in vier Polaritäten gegenüber: Reichtum/Erfolg und Hilfe/ Unterstützung, Partnerschaft und Selbsterkenntnis/Lernen, Familie/Gesundheit und Kinder/Kreativität sowie Ruhm und Karriere. Auch existiert hierbei implizit die ausgleichende Mittelposition, die wir schon beim Enneagramm beobachten konnten.

Abb. II.2.7.6: Die Persönlichkeitstypen im Bagua des Feng shui Hier sind die Feng-shui-Bereiche mit den erläuterten neun Typen kombiniert worden. Die verschiedenen Rollen von Menschen sind räumlich aufgeteilt. Eingänge – im Feng shui „Lernen“, „Veränderung“ und „Helfer“ – gelten als Tore zum Energiezufluss, die Pflege der Gesundheit und die Kreativität begleiten den Prozess, der im Reichtum, Ruhm und oder der Partnerschaft mündet. Die Ähnlichkeiten zu anderen Typologien sind auch hier verblüffend. Auch das Feng shui bietet diese Gestaltungsgrundlagen. Sowohl die Atmosphäre, als auch die Raumverteilung (bis hin zur Sitzordnung) und Teamzusammensetzung lassen

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sich mit diesem Wissen sinnvoll gestalten. Feng shui kann als ein Orientierungsmuster betrachtet werden. Feng shui bietet Hilfestellung, die richtigen Plätze und Zeitpunkte zur Entfaltung der Energien zu suchen und einen Ausgleich im Sinne eines dynamischen Gleichgewichts zwischen Ying und Yang zu finden. 2.7.2.6 Moderne psychologische Typologien Auch Intelligenzformen lassen sich mit den Persönlichkeitsbildern unterscheiden. So differenziert der Kognitionspsychologe Howard Gardner acht Formen der Erkenntnis.364 Seine multiplen Intelligenzen sind die mathematischlogische, musische, motorisch-körperliche, existentielle, sprachliche, räumliche, personale und die naturbezogene. Wiederum etwas andere acht Talente, die verschiedene Arten der Problemlösefähigkeit darstellen, werden im Berliner Intelligenz-, Strukturtest (BIS) differenziert, der auf empirischen Untersuchungen beruht und vielfach getestet wurde365. Hier sind die Kategorien Einfallsreichtum, Geschwindigkeit, Merkfähigkeit, Kapazität, verbales, numerisches und figurales Denkvermögen sowie die allgemeine Intelligenz. Der Managementberater Charles Handy hat eine Liste von neun verschiedenen Intelligenzformen aufgestellt366. Er unterscheidet: - Die factual intelligence, eine Wissensintelligenz typisch für die Neuner. - Die analytische und kognitive Intelligenz, die beim Fünfer angesiedelt ist. - Die linguistische Intelligenz, die meistens bei Siebenern gut entwickelt ist. - Die strukturelle Intelligenz, die insbesondere bei Sechsern zu beobachten ist. Es werden Muster und Grundlinien sehr schnell erkannt. - Die musische Intelligenz, die bei Vierern ausgeprägt ist. - Die praktische Intelligenz, die sich bei den Reformern findet. - Die physische Intelligenz, die sehr oft bei Achtern hervortritt, die instinktiv Probleme lösen, sportlich begabt sind und - Die interpersonelle oder kommunikative Intelligenz, die bei den Zweiern auftritt. In letzter Zeit besonders beachtet werden die Forschungsarbeiten von Steven Reiss, der Persönlichkeitsbilder aus sechszehn grundlegenden Motivstrukturen herleitet. Diese identifizierten Leitmotive lassen sich mit den Orientierungen in der Brain Map ebenfalls kombinieren367. Reiss hat die Leitmotive „Macht (8, 9, 3), Rache (8, 9) Unabhängigkeit (3, 4), Neugierde (3, 5, 7), Anerkennung (2), 364 H. Gardner, 1998 und 1985. 365 Der BIS wird neben anderen Konzepten bei J. Funke/B. Vaterrodt-Plümmecke, 1998, S. 29 ff. dargestellt. 366 Vgl. C. Handy, 1995, S. 205 f. 367 Vgl. S. Reiss, 2000.

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Ordnung (1, 5), Sparen (9, 1), Ehre, Integrität (9 ,6), Idealismus (2, 6), Familie (2, 9, 6), Status (3), Romantik (7, 4), Ernährung (9), Körperliche Aktivität (3, 5, 1) und Ruhe (4) beschrieben, die wir hier den Brain-Map-Typen zugeordnet haben. Diese Leitmotive bestimmen unser Verhalten intrinsisch. Lynch und Kordis haben eine Verbindung von systemisch-konstruktivistischer und psycho-typologischer Sichtweise angedeutet, indem sie Persönlichkeitstypen in Form unterschiedlicher Weltsichten darstellen.368 Persönlichkeitsmerkmale bestimmen in starkem Maße die Form der Wirklichkeitskonstruktion, die Wahrnehmung und Kommunikation. Die Differenzierung der Persönlichkeitsmuster erzeugt Respekt vor differenten Denk- und Handlungsweisen und gibt Orientierung in kommunikativen Prozessen. Die Brain Map dient so als System von Kontextmustern, das heißt von zeitstabilen Orientierungen in der Interaktion mit anderen. 2.7.3 Das integrierte Brain-Map-Modell Es ist geradezu evident, dass bei den sehr unterschiedlichen Zugehensweisen sehr ähnliche Resultate auftreten, die lediglich auf verschiedene Betrachtungsperspektiven zurückzuführen sind. Nach eigenen Beobachtungen und biotischen Tests in Seminaren, können die Persönlichkeitstypologien zu einem Modell integriert werden. Dabei nutzen wir die neun Enneagramm-Typen als anschauliche Musterbeschreibungen. Alle Versionen lassen sich in die Brain Map – wenn auch in verschiedenen Positionen – einordnen. Danach ergibt sich folgendes Bild:

Abb. II.2.7.7: Die integrierte Brain Map 368 Vgl. D. Lynch/P. Kordis, 1991, S. 148 ff. und 160 f. Die Autoren nehmen allerdings eine problematische Wertung ihrer acht Typen vor.

2 THEORETISCHE ANSÄTZE

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Organisationen können diese Problemlösefähigkeiten mehr oder minder entwickeln, wenn sie über eine Vielfalt von Eigenschaften verfügen. Es entfaltet sich Entwicklungsfähigkeit aus dem Gleichgewicht der Kompetenzen. Neben der oft dominierenden Sach- und Fachkompetenz, die vor allem aus konkreter Erfahrung gewonnen wurde, sind die methodische Kompetenz der effektiven Organisatoren, die kreative Visions- und die kommunikative Sozialkompetenz bedeutsam. Erst im Zusammenspiel ergibt sich die ganzheitliche Kompetenz, die eine multistabile Entwicklungsfähigkeit erzeugt. Organisationen können nun auf Spezialbereiche ausgerichtet oder mit einem ausgewogenen und ganzheitlichen Charakter ausgestattet werden.

Abb. II.2.7.8: Kompetenzen in der Brain Map Es sei hier nochmals darauf hingewiesen, dass die Darstellung keinem Schubladendenken Vorschub leisten soll, vielmehr kann jeweils nur von tendenziellen Zuordnungen von Persönlichkeitstypen die Rede sein. Jeder Mensch trägt alle Anlagen in unterschiedlicher Gewichtung in sich. Somit sind immer nur graduelle Charakterbestimmungen möglich. Die Summe der Eigenschaften der dominanten Akteure bildet den maßgeblichen Charakter der Unternehmung. Die zum Teil groben Vereinfachungen lassen die Theorien und Erkenntnisse aus der Psychologie handhabbar werden. Es entsteht eine sehr praktikable und robuste Methodik, die durch unsere praktischen Erfahrungen in Teamprozessen validiert und gestützt wird. Alle Teilnehmer können sich in der Regel sehr gut selbst einschätzen und sehen hilfreiche Ansatzpunkte zur eigenen Verbesserung. Durch Befragung und Beobachtung sowie neurolinguistische Studien werden

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TEIL II DIE THEORIE DES GELINGENS

die jeweiligen Rollen ermittelt. Oft können die grundlegenden Ausrichtungen schon durch eine Sprach- und Schreibanalyse aufgedeckt oder aber gestützt werden. Es entstehen in jedem Falle verblüffende Ergebnisse. Die Akteure finden sich wieder und erhalten Anregungen zur Selbsteinschätzung und -verbesserung. Die Seelentypen prägen das Entfaltungspotenzial des Sozialsystems. Diese gewachsenen Grundenergien beschreiben die wesentlichen Merkmale, die Einmaligkeit und Identität. Kombiniert mit der Mentalität, dem Modus, dem Alter und den typischen Reaktionsmustern ergeben sich mannigfaltige Ausprägungen, die insbesondere Vielfalt und Varietät erzeugen.369 Andererseits stellt die Synopse ein nützliches System von Kontextmustern dar, die die wahrscheinlichen Wahrnehmungs- und Kognitionsvorgänge sowie Verhaltensweisen abbilden. Die synoptische Brain Map kann so als Methode für die Persönlichkeitsentwicklung, die Mitarbeiterentwicklung, das teambuilding, die allgemeine Personalauswahl, die Zielgruppenbestimmung, zur multiversalen Produktentwicklung und Kommunikationspolitik sowie zur Steigerung der Vielfalt und Entwicklungsfähigkeit in der Unternehmung hilfreich sein. Mit der Vorstellung der Brain Map ist auch der theoretische Teil abgeschlossen. Das Prozessmanagement gelingt mit der kontextuellen Steuerung entlang des Solution Cycle wie das in Kapitel I vorgestellt wurde. Der theoretische Teil dient zur Vertiefung und als Bezugsrahmen des praktischen Handelns. Handle stets so, dass mehr Vitalität entsteht. Ich wünsche allen LeserInnen Gutes Gelingen.

369 Vgl. V. Hasselmann/F. Schmolke, 1993. Hier empfehle ich K. V. Hurley/T. E. Dobson, 1993. Zur Charakterologie und den Grundlagen bei S. Freud und seinen Schülern. Vgl. P. Helwig, 1957.

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Danke Die letzte Phase dient der Würdigung und Danksagung an alle Inspiratoren, Ermöglicher und Unterstützer. Damit will ich dieses Buch schließen, dass nun schon in der dritten Auflage erschienen ist. Einige Unterstützer haben eine gründliche Überarbeitung ermöglicht: Hier danke ich besonders Steffi Bingener, die mir bei der Renovierung wirksam half. In Dialogen insbesondere mit meiner Frau Jutta schärften sich manche Ideen zu sinnvollen Gedanken. Ihre ärztlich-therapeutischen Erfahrungen konvergierten immer mehr mit meinen Erlebnissen aus der organisationalen Praxis und Theorie. Als praktizierender Vater gewann ich klärende Einblicke in Entwicklungsprozesse. Mein Sohn Robert lebt mir wahre Vitalität und Lebensfreude vor und liefert zunehmend kritische Ideen und förderliche Beiträge. Besonders hilfreich empfand ich zudem die gemeinsamen Beratungs- und Forschungsprojekte mit Jürgen Daub, Feriha Özdemir, Steffi Bingener und Anika Schlossmacher. Mit Jürgen habe ich viele Erkenntnisse in weiteren Publikationen präsentiert. Im Rahmen der Forschungsprojekte an der Universität Siegen konnten wir viele Methoden und Modelle erproben und weiter entwickeln. Zahlreiche Ideen und Anregungen erhielt ich von Feriha Özdemir, Steffi Bingener, Jürgen Daub und Eckehard Krah. Viele andere beeinflussten das soziale System „Buchprojekt“ mit atmosphärischen und inhaltlich förderlichen Beiträgen: Der herzliche Dank gilt meinen Eltern, meinem Bruder Stefan, Helmut Aufenanger, Jutta und Robert Bergmann, Gille Chorbacher, Eva und Jürgen Ferchland, Joss Stone, Martin Tingvall, Amina Hallab, Aron Jehle, Robert Landa, Patricio Martin, Gerd Meurer, Michel de Montaigne, Heidi de la Motte, Paul Pape Senner, Timothy Phillips, Maria Staubach und Walter Schwertl von der K3 Beratungsgruppe Frankfurt und allen Kollegen aus dem internationalen OSD Workshop 2000/2001. Viele Ideen und Anregungen verdanke ich auch den Studierenden besonders aus den Blockseminaren. Ein großer Dank gilt Angela Dohle, Amina Hallab und Julia Brombach, die den Text immer wieder verbessernd veränderten. Ina von Rumohr hat eines meiner Bilder zur ansprechenden Titelgestaltung verwendet. Dem Verlag Wissenschaft und Praxis und hier besonders Herrn Dr. Brauner danke ich für die Bereitschaft, ein ungewöhnliches Projekt zu unterstützen. Wir wollen nicht Knechte der Arbeit, sondern Freunde des Gelingens sein. (nach Sten Nadolny in: „Der Gott der Frechheit“). So möchte ich mit einer kleinen Legende schließen:

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DANKE

Heinzelmenschen – die Freunde des Gelingens Der „Heinzelmensch“370 war ein hilfreicher Akteur, der oder die zum Gelingen geräuschlos beitrug. Die Legende sagt, dass die Heinzelmenschen alle Arbeit verrichteten, ohne einen Lohn einzustreichen. Vielleicht hat es aber nur so ausgesehen, als wenn niemand etwas tun musste. Fröhlich, voller Muße gingen die Kölner in dieser Zeit ihren Leidenschaften nach. Und es sah alles so aus, wie von Geisterhand geschaffen. Leider war die Frau des Schneiders zu neugierig und wollte versuchen zu erklären, warum dies so geschieht. Sie streute Erbsen auf die Treppe, brachte die Heinzelmenschen zum Stolpern und hat sie damit vertrieben. Mit der Ursachenanalyse war es dann vorbei mit der Mühelosigkeit. So kann die „Heinzelmenschen“-Legende als Vorbild für die Atmosphäre des Gelingens dienen. Projekte glücken, wenn es nicht nach Arbeit aussieht, riecht oder lärmt. In einer Atmosphäre der kultivierten Leichtigkeit sind Erfolge wahrscheinlich. Unverkrampft wird fundiert aber freudig das bisschen Arbeit erledigt und sich nutzvoll, uneitel und wenig aufdringlich für andere eingesetzt. Die Freunde des Gelingens versuchen jede Situation ein wenig schöner, besser, klüger oder freudiger zu hinterlassen, als sie oder er sie vorgefunden haben. „Sein Zweck (dieses Buches) wäre erreicht, wenn es einem, der es mit Verständnis liest, Vergnügen bereitet.“371 Der Autor: Prof. Dr. Gustav Bergmann [email protected], www.gustavbergmann.de, www.inno.uni-siegen.de www.esgelingt.de Lohsestraße 48 D-50733 Köln (Cologne)

370 Die Kölner Heinzelmännchen verwandeln sich hier zu Menschen. 371 L. Wittgenstein, 1963 Vorwort. Lösung aus Teil I Kap. 1: 6 Fs oder erheblich mehr, wenn man die Es hinzurechnet. Oft werden nur 3 Fs gezählt, weil das Gehirn sofort ein Muster wählt: Fs stehen nur am Anfang.

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295

Anhang Phasen

Modi Aufgaben

Interventionsform Methoden

1 erkennen

2 klären

3 4 kreieren planen und bewerten perzeptiv perzeptiv kreativ kreativ Wissen Wissen Lernen1 Lernen1 multiple fokussie- mehr bewerten Wirklich- ren, Pro- Möglich- und planen keiten er- bleme keiten im Dialog fassen, entschaferkunden decken, fen, löVision ge- sen meinsam beschreiben evokativ evokativ provo- evokativ kativ, paradox Mind Map, Dialog, Solution systemische open Collagen, Talk, Balanced space, KompeUsabil- Scorecard, scanning, tenzenity, BrandScore world cafe Matrix, brainCard Brain Map storming, forcefit...

Charakter

offen

strukturiert

offen

Typische Problembereiche

zu wenig Vielfalt, Aktionismus

einseitige oder keine Einigung, fehlender common ground, fehlende Vision

zu enges, lineares Denken, zu wenig Abstand zum Problem

5. 6. realisieren registrieren

7. lernen

8. abschließen

kreativ Lernen1 ausprobieren, testen, realisieren, aktiv verändern

reflektiv Lernen2 reflektieren, lernen lernen

reflektiv Lernen2 assimilieren, abschließen

provokativ evokativ

systemische Interventionen: Zeit, Sprache, Bilder, Architektur, Design, Organisation strukturiert volitiv einseitige Entscheidungen, mangelnde Integration, Detaillismus

reflektiv Lernen2 Ergebnisse erfassen und bewerten

Implementierungsfalle, autoritärer Eingriff, zu wenig Selbstorganisationsspielraum

evokativ evokativ

Lob- und Beschwerde Analyse, Flow-Check, Leitmotive

Short Stories, lernen lernen, Best Patterns

Feed-back, Circle Feed-back, Supervision, Abschlussrituale

rezeptiv

strukturiert

schließend

Ignoranz, Veränderungen nicht wahrnehmen

sofortiger Übergang in nächste Aktivität, kein Lernen, mangelnde Weitergabe von Wissen

fehlendes Feed-back, mangelnde Würdigung, kein Endpunkt

Abb.: Solution Cycle und Interventionen (G. Bergmann 2013)

296

ANHANG

Wichtige Adressen im Internet zur Unternehmensentwicklung in Forschung und Praxis: Institutionen:

Lernmethoden und -events:

www.gustavbergmann.de

www.fieldbook.com

www.systemiker.com

www.cica.com

www.systemische-forschung.de

www.pegasuscom.com

www.istup-frankfurt.com www.sol-ne.org

www.geocities.com/Atheus/Oracle/ 9215

www.k3-frankfurt.de

www.tmn.com(Open Space)

ccs.mit.edu

Systemisches Mangement:

www.oeas.at

www.cluetrain.com

www.frederic-vester.de

www.msi.org

learning.mit.edu

www.esgelingt.de

www.bestpatterns.de

Zeitschriften:

www.igor-gestalt.de

Organisationsentwicklung: www.zoe.ch

www.ceo-express.com Spiele und Lernnetzwerke: www.noisy98.net www.gdi.ch www.ies.luth.se/-bai/system

Systeme: www.oeas.at www.hbr.de Brandeins: www.brandeins.net

297

Stichwortverzeichnis

Akteure 122, 128, 210

Best Patterns 15, 84, 87, 88, 93, 135, 168, 207

Aktivität 113

Beziehungen 218, 230

Allianzen 152

Beziehungsentwicklung 85, 139, 152

Agieren 113, 120

Altruismus 158, 193 Angst 140 Ängste 140 Architektur 124, 131 Atmosphäre 109, 116, 130 atmosphärische Gestaltung 16 Autopoiese 207, 234 autopoietische Systeme 241 awareness 70 Bagua 133, 278 Balanced Scorecard 44, 93 Bedürfnisebenen 92 Beeinflussungsleiter 47 Begleiter 119 behavioral resistance 140 Beobachten 27, 33, 188 Beobachter 35, 36, 207 Beobachter erster Ordnung 232 Beobachtung 27, 245 Beobachtung erster Ordnung 207 Beobachtung zweiter Ordnung 16, 151, 190, 207

Bilder 135 Brain Map 271, 281 Brainstorming 66, 75, 79 Business Reengineering 101 Business Stories 166 buying groups 93 C. G. Jung 273 Cash-Flow 44, 95 Chaos 222, 267 Chaostheorie 223 Charakter 157, 258, 259, 260 Charaktere 157, 268 Circular Organisation 176 Cluster 177 Clusterorganisation 177 Coaching 191 Codes 184, 240, 244 Collage 68, 268 commitment 24, 71, 146 common ground 157 comppool 227

Berater 121

comps 29, 227

Beratung 10, 120

Corporate Design 131 Corporate Identity 61, 249

298

STICHWORTVERZEICHNIS

Corporate Knowledge 171

Empathie 100, 198

Corporate Learning System 171

Engagement 24

DaKuzel 22, 88

Enneagramm 268, 275

data smog 54

Entropie 208, 266

Dauerhafte Kurzzeitlösungen 22, 88

Entscheidungsprozess 40

depressiv 269 Design 125, 131

Entwicklung 20, 100, 101, 140, 173, 183, 194, 209, 258, 262

Designmanagement 180

Erfahrung 41, 163, 168, 184, 210

deutero learning 29, 126, 211

Erfahrungskurveneffekt 102

Diagnose 43, 62, 81, 130

Erfolg 13, 84, 85, 194

Diagnoseprofil 169

Erfolgsfaktoren 84, 85, 102

Diagnoseprozess 96

Erkennen 33, 35, 41, 47, 210

Dialog 68, 100, 110, 147, 199, 247

Erkennen von Unterschieden 39

Dialogethik 200

Erkenntnis 41, 42, 54, 75, 184, 212

dialogische Ethik 192, 204

Erwartung 33, 217

Dialogorientierung 203

Ethik 191, 193

Differenz 29, 39, 61

Evokation 115

Discounted-Cash-Flow-Methode 86

Evolution 93, 100, 225

Entwertungskulturen 124, 189

Diskontinuitäten 43, 148

Evolutionäre Lösungsfelder 106, 108

Diskurs 200, 247

Evolutionäre Spielregeln 93, 214

dissipative Strukturen 152

Evolutionsfähigkeit 106, 107, 108

double loop 211

Evolutionsportfolio 105

double loop learning 23, 30, 143, 163

Evolutionstheorie 20, 168, 224

Durchhaltbarkeit 84, 191, 194, 207

Fachpromotoren 119

Dynamik 233

facilitators 65, 110

dynamische Komplexität 37

Fairness 84

Effektivität 131, 163, 191

Feed-back 188

Egoismus 158, 201

Feng shui 132, 133, 277

emergent 110, 135, 209

fire fighting policy 201

Emergenz 234

Flow 139

Experten 119

STICHWORTVERZEICHNIS

299

Force-fit 77

Informationskonstruktionen 241

Fraktale 177, 223

Initiation 39

Früherkennung 43

Initiatoren 176

Funktionen 150

Innovationen 75, 209

Geist 36, 182

Innovationskollegien 178

Gelingen 85, 160 Generatives Zuhören 69

Innovationsmanagement 40, 175, 180

Generativität 263

Innovative Reservate 178

Genese 225

innovative Unternehmung 183

Gerechtigkeit 195

Intelligenz 279

Geschäftsfelder 111

Interaktion 97

Geschichten 164, 166

Interaktionsprozess 136

Gesetze 195

Interpenetration 245

Gestalt 35, 242

Interveneure 122, 124, 149

Gestalttheorie 242

Intervenieren 113, 135

Gruppe 270

Interventionen 118, 120, 121, 124

Händler 160

Interventionisten 118

hard factors 98

Interventionsarten 119, 121

Heinzelmenschen 65, 122, 284

Interventionsformen 120, 122

Heinzelmenschen-Prinzip 110

Jung’sche Typologie der Persönlichkeiten 273

Hemmnisse 139 Hersteller 160

Kategorischer Imperativ 195, 198, 200

Höhlengleichnis 240

Kernkompetenz 27, 54, 60

Ideen 71, 74, 83, 101

Klima 40, 266

Identität 61, 157, 198, 212, 258, 262

Klima des Lernens 94

Identitätsfindung 157 Implementieren 113 Impulse 114 Impulsgeber 119 Information 39, 52 information overload 54

Klugheit 53 knowledge networks 126 Koevolution 153, 156 Kognition 259 kollektives Lernen 30 Kollusion 153, 156 Kommunikateure 272

300

STICHWORTVERZEICHNIS

Kommunikation 26, 55, 58, 85, 99, 113, 115, 116, 122, 147, 152, 188, 210, 235, 243, 246, 248, 249, 256

Kundengruppen 93, 107

Kommunikationsmodelle 246

Kybernetik erster Ordnung 230

Kommunikationsprozess 100, 244

Kybernetik zweiter Ordnung 231

Kommunikative Ethik 191, 199

Lachtherapie 130

Kompetenzen 29, 91, 281

Lamarckismus 228

Komplexität 28, 90, 145, 214, 222, 233

Langlebigkeit 20, 85

Komplexitätsbewältigung 229

Lean Management 101

Konflikte 92, 139, 149

learning environment 142

Konfluenz 117, 135

Leben 27, 28

konstruierte Realität 244

lebende Systeme 234

Konstruktion von Problemen 136

lebendige Systeme 20

Konstruktionen der Wirklichkeit 196

Lebensfreude 84, 261

Konstruktionen von Wirklichkeit 43

Lebenszyklus-Modell 102

Konstruktivismus 238 Konstruktivisten 245 Kontakt 139 Kontext 33, 72, 212 Kontextattraktivität 106 Kontextfaktoren 261 Kontextmuster 90, 107, 238 Konzepte 83

Kunst 13 Kunst des Gelingens 25

Laterales Denken 74, 77

Lebenszyklus 102 Legenden 51, 68 Legitimität 192 Lehren 132, 275 Leitmotive 279 Lern- und Lösungszyklus 16, 19, 21, 28, 110, 145, 169, 203 Lernatmosphäre 211 Lernbedingungen 173

Kooperationen 157

Lernen 28, 41, 52, 100, 140, 163, 166, 168, 171, 210

kooperative Lösungen 156

lernende Organisation 19, 47, 163

Körperarbeit 130

Lernhemmnisse 143

Kreativität 71, 74, 79

Lernprozesse 189, 209

Kreativitätstechniken 74, 75

Lernstufen 143

Kreislauf der Erkenntnis 41, 164

Lernstufen und -ebenen 30

Kulturkern 219

Lernsysteme 163

STICHWORTVERZEICHNIS

301

levels of system 115

Mind Mapping 66

linking pins 176

Misslingen 146

Living Company 19, 213

mobbing 151

loose coupling 37

Möglichkeitsfragen 129

Lösen 21, 23, 140, 210

Moral 192

Lösungen 76, 79, 88, 110, 113, 127, 133, 139, 156, 163, 187, 204, 208, 210

Muster 20, 72, 90, 143, 164, 213, 221, 242

Lösungsansatz 77, 88, 135

Musterbildung 165

Lösungsfindung 110

Mustererkennung 91, 164

Lösungsorientierung 110

Mutationen 209, 225

Lösungsstrategien 135

Mythen 117, 135

Lösungswege 68, 117

narrative Diagnose 63, 166

Macher 267, 277

Narzisst 269

Macht 141, 150

Neuerungsinitiativen 39

Machtstrategien 155

Ökologie 84, 267

Management 21, 25, 116, 191, 203, 229

Open Source Development 70, 126, 172

Map of Differences 68

Open Space 64, 147, 248

Märkte 103

opinion leader 93

Marktforschung 41

Ordnung 114

Marktsegmentierung 92

Organisation 37, 99, 150, 166, 167

Meme 227

Organisationales Lernen 142, 213

Mempool 227 Metakommunikation 151

Organisationsentwicklung 22, 118, 259

Metaphern 68, 117, 122

organische Organisation 175

Metaphorik 67

Organisieren 83

metasystemische Lenkung 229

organizational resistance 140

metasystemische Muster 105, 214

organizational slack 39, 179

metasystemische Regeln 163

Orientierung 43, 84, 88, 191

Methoden 71, 108, 120

Orientierungsgrundlagen 43

methodische Integration 23, 171, 202

Orientierungsmuster 85, 88, 90, 110, 165, 168, 214

Muster des Gelingens 93

302

STICHWORTVERZEICHNIS

Outsourcing 184

Professional Organisation 184

paradoxe Interventionen 121, 130

profit center 152

Parallelorganisation 175

Projekte 21, 164

paranoid 268

Projektmanagement 152

Partizipation 199

Provokation 114, 201

Patchwork-Identität 268

Prozessdesign 111, 165, 170

Pattern Language 132, 165

Psychoanalyse 268

Pattern Language of Management 96, 168

purpose 60, 258

PePsel 55, 145, 194, 254

Rationalität 194

Persönlichkeit 157, 238, 257, 269

Räume 131

Persönlichkeitsbilder 85, 106, 270, 273

Realität 39

Persönlichkeitsentwicklung 257, 265, 282

Reflexionsmeeting 190

Pertubation 245 Planen 83 Planung 84, 101

Radikaler Konstruktivismus 238

reflecting team 50, 117, 124, 190 Regeln 20, 61, 75, 84, 88, 89, 110, 145, 163, 188, 214, 244 Regeln des Gelingens 145

Planungsprozess 110

Regeln effektiver Kommunikation 147

Plurale Entwicklung 20

Rentabilität 46, 84

Pluralität 214

Reproduktion 225

Portfolio-Analyse 101

Response on Innovation 86, 96

Portfolioplanung 83

Retention 227

Problem 55, 88, 127, 154, 217, 224

Re-Vision 17, 51, 217

problemerzeugende Pseudolösungen 55, 56, 145, 254

Rituale 131, 159, 175, 219

rigide 268 Rollen 72, 144, 150, 262, 267

Problemfeld 89, 118

Rollenspiele 49, 62

Problemlösung 22, 217

scanning 43

Problemsituation 60, 62, 88

Scheitern 139, 148

Produkt 102

schizoid 257

Produktentwicklung 99, 111

Schläue 53

Produktgestaltung 98, 208

Sculpturing 67

STICHWORTVERZEICHNIS

Service 99

Symbolischer Interaktionismus 167

Settings 90, 261

Symptomverschreibung 130

single loop 29

Syntropie 97, 208

single loop learning 29, 144, 210

Syntropische Entwicklung 208

Sinn 79, 192

System 214, 224, 230

soft factors 43, 84

System der Spielregeln 95, 168

solare Organisation 157, 178, 217

Systemik 16, 217

Solution Cycle 16, 19, 21, 23, 28, 66, 73, 100, 145, 169, 203

systemische Fragen 122

Solution Talk 76

Systemtheorie 217, 230

sounding board 124

task forces 179

Soziale Architekturen 125

Team 73, 83

Soziale Designs 125

teambuilding 270, 282

Soziale Räume 116

Teamorganisation 176

soziale Systeme 25, 26, 114, 120, 160, 215

Theorie 15, 221

Selbstorganisation 25, 37

Spielregeln 43, 84, 90, 93, 117, 147, 167, 169, 213, 244

303

Systemspiele 125

Theorie dissipativer Strukturen 232 Timing 76, 116, 131, 256

Sprachbilder 117

trainings 124

Sprache 15, 63, 116, 122, 165, 239

Transaktionskosten 99, 193, 256

stabile Systeme 37

Trends 41

Stakeholder 24, 44, 61, 84, 94, 142, 257

Turbulenz 37, 62, 222

Stereotype 213 Strategischen Geschäftseinheiten 101

Typen 272 Typologie 273, 279 unfinished business 70, 151, 187

Strukturen 165, 174, 214, 223, 232

unit of work 22, 117, 123, 190

strukturierte Vielfalt 218

Unternehmensentwicklung 183

Supervision 49, 190

Unternehmensgeschichten 142, 166

support group 177 sustainability 89, 191, 194, 207 Symbole 219

Unternehmensphilosophie 60 unternehmerische Organisationen 183

304

STICHWORTVERZEICHNIS

Unternehmung 171, 175

Wahrheit 36, 61, 150, 239

Unterscheidungsfragen 127

Wahrnehmen 33

Unterschiede 28, 68, 77, 91, 164 Variation 136

Wahrnehmung 22, 35, 37, 47, 52, 71, 92, 131, 182, 188, 239, 267

Varietät 282

Wahrnehmungsarten 91

venture teams 176

Wahrnehmungsfragen 127

Veränderung 24, 59, 99, 113, 116, 209

Weisheit 52

Veränderungsprozess 40

Werte 192, 219

Verhaltensweisen 120

Widerstand 76, 122, 141, 149

Vertigo-Effekt 97

win/win-Lösung 53, 158, 194, 203

Verwesentlichung 52

win/win-Strategien 202

Verwirklichen 113 viable Kommunikation 246

Wirklichkeit 26, 35, 39, 47, 207, 238

Vielfalt 22, 214, 282

Wissen 28, 52, 210

virtuelle Organisation 152, 183

Workshop 63

Vision 19, 51

Wunderfrage 55, 129

Vision Picture 63

Zeiträume 28, 131

Visionsbildung 59, 62

Ziele 83, 85

vitale Organisation 99, 161

zirkuläre Kausalität 194, 241

vitale Systeme 218

zirkuläres Fragen 117, 121, 128

vitale Unternehmen 19

Zirkularität 118

Wabi Sabi 132

Wert 48, 107