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German Pages 35 Year 1902
Die kriminalistischen Schulen und die Strafrechtsreform Rede, bei Antritt des Rektorats am 31. Oktober 1902 gehalten von
Adolf Wach
Duncker & Humblot reprints
Die kriminalistischen Schulen und
die Strafrechtsreform.
Die
kriminalistischen Schulen und
die Strafrechtsreform. Rede, bei
A n t r i t t
des
Rektorats
am 31. Oktober 1902 gehalten von
Adolf Wach.
Leipzig*. V e r1 a g v o n I) u η c k e r & El u m b 1 ο t. 1902.
AU· B*c1ité mb«ludtMi.
Pierer'tche Hofbocbdmckerei Stephan Geibel & Co. in Altenbiiqf,
Hochansehnliche
Versammlung!
Als vor nunmehr achtzehn Jahren ein nicht mehr Unter den Lebenden weilendes, um Wissenschaft und Gesetzgebung Juristenfakultät
gleich
hochverdientes
das Rektorat
Mitglied
unserer
antrat, war die Rechts-
wissenschaft der Gegenstand seiner Rede.
Windscheid
sprach in der ihm eigenen geistvollen Weise von den Zielen und Mitteln seiner Wissenschaft als der Wissenschaft vom Recht, wie es ist.
Dabei setzte er ihr wohl
auch für die Schaffung des Rechts eine Aufgabe, aber mit der ausdrücklichen und eindringlichen Mahnung zur Selbstbeschränkung.
Nicht immer sei der Jurist der be-
rufene Gesetzgeber, wenn er diesem auch Begriffe, Form und — unter Umständen — den Stoff zu liefern habe. I n der Tat ist die Rechtsproduktion nicht wissenschaftliche Tätigkeit.
Das Recht ist eine Schöpfung des
Volks oder Staates: vor aller Rechtswissenschaft. es sei, ist der Menschheit immanentes Lebensgesetz.
Dafs Ge-
meinschaft bildende Lebensenergie arbeitet in dem durch Abstammung, Sprache, Wohnsitz, Geschichte verbundenen W a c h , d. k r i m i n a l . Schulen.
1
— 2 Volksganzen unablässig hin auf eine seinem Kulturstand angemessene und ihn steigernde Lebensordnung.
Dieses
W i r k e n des menschlichen Geistes aber in seiner Gesamtheit, in dem zeitweiligen Produkt und in der Produktion selbst, in dem Niederschlag des gegebenen Rechts und im Flusse der Entwicklung, im Sein und Werden, bildet den Gegenstand unserer Forschung.
Durch Erkennen
und Darstellen des geltenden Rechtes ermöglichen wir das Erlernen und Anwenden seines wahren Inhalts und damit sein wirkliches Gelten, den Zustand des Staatslebens, den wir den rechtmäfsigen,
gerechten nennen,
und ohne den Dauer und Gedeihen des Ganzen nicht möglich ist. Höchste.
Allein das ist nur das Eine und nicht das
Jene Dauer ist wahrhaft Dauer im Wechsel,
ein ewiges Werden und Vergehen.
Daher steht unsere
Arbeit gleichzeitig im Dienst der Rechtsbewähr und des Aus-
und Aufbaues
des Rechtes.
Die Tätigkeit der
Rechtswissenschaft mufs, richtig verstanden, im letzten Ziel eine schöpferische sein, wenn auch nur in dem Sinn, dafs sie für
die Recht schaffende Potenz befruchtend
wirkt, ihr Impuls, Wegweiser und Bildner wird. Denn alles Recht ist selbstgeschaffene Zweckbildung. Wir
schauen es in seiner
kritischem Auge.
gegebenen Gestalt an mit
Unsere Betrachtung de lege lata wird
immer ausmünden in eine solche de lege ferenda.
Das
rastlos fortschreitende Leben stellt uns stets von neuem
—
3
die Frage, ob das, was gilt, wert ist, fortzugehen.
Für
une, deren Recht sich fast nur noch in Gesetzesform entwickelt, ist eine solche kritische, legislativ-politische Betrachtungsweise
selbstverständlich,
und
sie zu
einer
methodischen zu erheben, eine der obersten Aufgaben. Das ist der eine tiefgreifende Gegensatz zwischen Natur und Rechtsforschung: jene beobachtet und erkennt das Gegebene in seinem gesetzmäfsigen Zusammenhang; der Rechtswissenschaft
ist die Erkenntnis
des Seins,
wirkenden Kräfte, das Mittel zur Neuschöpfung. sind wir uns selbst das Gesetz.
der Hier
Und diese Produktion
ist nicht weniger wissenschaftlich, als wenn der Chemiker durch Synthese organische Stoffe zu schaffen sucht; nur ist sie es insofern nicht, als hier nicht nur nach erkannten Gesetzen gearbeitet wird, die Rechtsschöpfung nicht eine Emanation relativ
freie
wirkenden Naturgesetzes
ist,
sondern als
Geistestat das Element der
individuellen
Intuition in sich trägt.
Deshalb macht tiefstes Wissen
und Erkennen des exakt Erforschlichen noch nicht den Gesetzgeber. An
der
Richtigkeit
der
entwickelten
Auffassung
ändert nichts, dafs sie bisher keineswegs zum allgemeinen Bewufstsein durchgedrungen ist.
Doch ist es der Mühe
wert, sie gerade jetzt zu betonen und im H i n b l i c k auf eine als notwendig erkannte Reform unseres Strafrechts etwas weiter zu verfolgen.
Kann es doch geschehen, 1*
— dafs
führende
4
Geister innerhalb der
Reformbewegung
aussprechen, die Verständigung über die Grundzüge des Gesetzeswerks sei eine legislative, nicht eine wissenschaftliche Aufgabe, — und dafs übereinstimmend Vertreter der gegensätzlichen sog. kriminalistischen Schulen proklamieren: Die Wissenschaft habe unbeirrt durch praktische Aufgaben der Gesetzgebung ihren Weg zu gehen und unweigerlich die Konsequenzen des für wahr Erkannten zu ziehen, wogegen der Gesetzgeber den Weg des Kompromisses beschreiten dürfe.
Aber die Rechts-
wisspnschaft ist eine schlechthin praktische Wissenschaft. Für
das Leben unbrauchbare Resultate beweisen den
wissenschaftlichen Abweg. heit,
Es gibt keine doppelte Wahr-
eine wissenschaftliche
und eine
Lebenswahrheit.
Das Wahre mufs auch das Wirkliche sein oder werden.
I. Die Situation, in der wir uns befinden, ist gekennzeichnet durch unsere Rechtsentwicklung.
Die grofsen
Phasen im Werdegang des Strafrechts sind Ausstrahlungen tiefgehender Völkerbewegungen.
Das Zeitalter der Re-
naissance und Reformation gebar das gemeine deutsche Strafrecht.
M i t der Periode der Aufklärung begann das
grundstürzende Ringen nach Volksfreiheit,
das starke
Betonen der salus publica, die man im Glücke der Unter-
tanen fand, der Individualität gegen absorbierenden Absolutismus, gegen W i l l k ü r und Unmenschlichkeit im Strafrecht.
So erwuchs ihm im 19. Jahrhundert die heutige
Gestalt.
Man erstrebte klares festes Recht an Stelle der
W i l l k ü r , daher gesetzliche Bestimmung dessen, was strafbar sei, ein humanes, dem Sittenstand entsprechendes Strafensystem, eine angemessene Abschätzung der Schwere der Verbrechen und die Berücksichtigung ihrer duellen
Erscheinung.
indivi-
Diese durchaus gesunden Ziele
verfolgte die Gesetzgebung unbeirrt durch die sehr verschiedenen theoretischen Versuche einer vernunftmäfsigen Rechtfertigung des Strafrechts. einheitliche Gepräge
Daher das vorwiegend
der zahlreichen Strafgesetzbücher
der deutschen Staaten, daher auch die unschwierige Unifikation
des deutschen Strafrechts zufolge unserer poli-
tischen Einigung. preufsische,
Man konnte sich damit begnügen, das
unter starkem französisch rechtlichem Ein-
flufs entstandene Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund und demnächst für das Reich zu adoptieren.
Was
in schier unübersehbarer Fülle von Sonderstrafgesetzen das Reich hinzutat, war durchaus gleichartig.
Nur auf
dem Gebiet des Strafvollzugs blieb die Landesgesetzgebung relativ frei und um Vervollkommnung nicht erfolglos bemüht. So ist nahezu ein Jahrhundert hindurch unser strafrechtlicher
Zustand
stabil.
Wohl war die Zeit
nicht
—
(3 —
fruchtlos ; man widmete dem gegebenen Stoff eindringende Geistesarbeit und durfte sich rühmen, die kriminalistische Wissenschaft der Vergangenheit weit überflügelt zu haben. Aber damit deckte man zugleich die Mängel und die Rückständigkeit des geltenden Rechtes auf. Die Triumphe der Naturwissenschaften, die Wandlungen unseres politischen und wirtschaftlichen Daseins, die Energie,
mit
welcher sich das soziale Element gegenüber dem Individualismus im sittlichen Bewufstsein, in der Politik und im Güterleben geltend macht, haben, gepaart mit den trüben Erfahrungen unseres Strafvollzugs und dem Wachsen der Kriminalität, den Ruf nach Reform laut und lauter werden lassen. einander.
Doch tönen die Stimmen stark durch-
Die einen fordern völligen Neubau, die andern
Fort- und Umbau, und hier wie dort rühmt man sich streng wissenschaftlichen Beweises. in sog. kriminalistischen Schulen.
Man gruppiert sich
Und so viel auch über
sie gesagt worden, dürfte eine erneute Würdigung ihrer Gegensätze und ihres Wertes auch heute noch, j a gerade jetzt, wo Lehren zur Tat werden sollen, geboten sein. Denn der proklamierte Waffenstillstand des Schulstreites und der kluge Kompromifs, den man empfiehlt, könnten uns nicht beruhigen, wenn die neue Schule mit ihrem radikalen Programm ihre Daseinsberechtigung dargetan und wirklich neue Horizonte der Wahrheit und des Gedeihens eröffnet haben sollte.
Keine äufsere Rücksicht
— dürfte in so ernster
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und heiliger Sache die Halbheit
rechtfertigen. II. Was bedeutet jener Streit der sog. kriminalistischen Schulen? Ich eigne mir die im Schwange gehenden Ausdrücke an und bezeichne die Strafrechtsschule, in deren Lehre ich aufgewachsen bin, und die noch kürzlich die herrschende war, als die klassische.
Moderne sagen von ihr,
sie hafte an traditionellen Dogmen
und
ermangle des
Verständnisses für die neuen befruchtenden Ideen.
Als
Träger dieser Ideen treten die Positivisten auf den Plan, die anthropologische und die kriminalsoziologische Schule, beide von stark werbender Kraft, vorzüglich in den romanischen Ländern, aber doch auch in unserem Vaterland. W i l l man klar sehen, so hat man vor allem die fraglichen Gegensätze von Verfälschungen und irreführenden Differenzierungen zu reinigen.
Daran fehlt es auch bei
Kämpfen wissenschaftlicher Richtungen selten und dann niemals, wenn ihnen das Politische und damit das Menschlich-Leidenschaftliche anhaftet oder, wenn der Streit auf Grundfragen unseres Daseins zurückgeht. der Fall.
Beides ist hier
Daher dient das Schlagwort als Panier.
Der-
artige Losungsworte sind Zwecksstrafe und Vergeltungsstrafe.
Das sollen Gegensätze sein, und dafs sie es seien,
— wird
bis
zur
äufsersten
8 Ermüdung
wiederholt.
Der
klassischen für die vergeltende Gerechtigkeit eintretenden Schule sagt man nach, sie verkenne das Zweckmoment in der Strafe; erst ihre Gegnerschaft habe ihm zur Anerkennung verholfen. — So wäre alles bisherige Strafrecht, weil angeblich Werk der klassischen Richtung, zwecklos gewesen oder doch in seinem Zweck als Mittel zur Staatserhaltung nicht erkannt worden?
Das heifst
kurzer Hand, der klassischen Schule die Wissenschaftlichkeit absprechen. Zweckschöpfung.
Denn alles Recht
ist schlechthin
Weshalb aber dem Strafrechtszweck
die vergeltende Tendenz der Strafe soll, ist unbegreiflich.
nicht entsprechen
Die Weltgeschichte beweist die
staatserhaltende W i r k u n g
des
Vergeltungs-Strafrechts.
Ein anderes Schlagwort ist der von den Positivisten mehr als billig gebrauchte Ausdruck „sozial".
Sie vindizieren
sich das Verdienst, für die soziale Bedeutung des Verbrechens als antisozialer Handlung erst das Verständnis erschlossen zu haben. sagt ist,
war
Aber soweit damit Richtiges ge-
es Gemeingut
seit Menschengedenken,
wenigstens seit dem Strafrecht der publizistische Charakter eignet; denn dieser bedeutet, dafs das Gemeinwesen im allgemeinen öffentlichen Interesse gegen den Angriff auf die Rechtsordnung durch Strafen reagiert. — Und nicht minder irreführend
ist es, wenn man der klassischen
Schule die deduktive, ihren Gegnern die induktive Me-
—
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thode beimifst, wobei man laienhaft genug bei ersterer an Deduzieren aus unbeweisbaren Prämissen, bei letzterer an exakte wissenschaftliche Beweisführung denkt. Aber alle solche Irrungen beiseite, trennen ersichtlich unüberbrückbare Gegensätze die klassische und die positive Schule : nicht anschauungen,
im
Sinne verschiedener
Welt-
wie man gerne sagt — wäre dem so,
dann würde von ihrer Erörterung hier Abstand genommen werden müssen — vielmehr im Sinne verschiedener methodischer Behandlung
des Stoffes.
Die
lehnt im Bestreben, uns gründlichst
positive Schule „vom Kripskraps
der Imagination" zu heilen, alles Metaphysische ab, stellt sich lediglich auf den Boden der Erfahrung und will sozusagen experimentell unter strengster Beobachtung der Tatsachen exakt zu Werke gehen. Als anthropologische Schule versucht sie es auf dem naturwissenschaftlichen Wege durch Schädelmessungen, Untersuchung von Verbrechergehirnen und dergl.; als kriminalsoziologische auf zweifachem:
auf dem des Anthropologen oder Biologen,
der uns die psycho-physiologische Eigenart des Verbrechers zeigen w i l l , und auf dem spezifisch soziologischen, auf dem wir das Verbrechen als gesellschaftliche Erscheinung begreifen und ergründen sollen.
Das Ziel ist die sinn-
fällige Erscheinung, nämlich das Verbrechen in seiner Gesetzmäfsigkeit zu erkennen, die Kriminalität auf die sie bestimmenden Gesetze zurückzuführen. Der Kriminal-
—
10 —
politik weist man die Aufgabe zu, die Schutz- und Heilmittel gegen diese soziale Krankheit zu entdecken.
Der
Rechtswissenschaft bleibt nur noch die logische Operation.
Was bei allem dem die Strafe soll, darauf komme
ich später.
Ich halte hier inne, um zu den Mitteln und
Zielen der Positivisten Stellung zu nehmen. Es darf vorweg bemerkt werden, dafs die Forschung nach den Verbrechensanlässen physiologischer, psychologischer, sozialer A r t nicht nur unentbehrlich ist, sondern uns seit lange beschäftigt, und dafs die folgende Auseinandersetzung in keiner Weise aufgefafst werden darf als eine Abschätzung der soziologischen Forschung und ihres Wertes für die Kriminalistik.
Aber abgelehnt mufs
werden die Fragestellung nach den gesetzmäisig wirkenden Ursachen des strafbaren
Handelns.
Mit ihr wird
ein jeder Erfahrung widerstreitender Irrweg beschritten. Die Annahme solcher Gesetzmäfsigkeit ist weder durch das Kausalitätsgesetz, noch durch die zu beobachtende Regelmäfsigkeit gründen.
menschlicher
Das Ziel,
Handlungsweise
die Kriminalität
stimmenden Gesetze zurückzuführen,
zu be-
auf die sie beist nach dem bis-
herigen Stande unserer Kenntnis vom menschlichen Seelenleben ein unerreichbares.
Die naturwissenschaftliche Be-
trachtung ist auf unser Handeln nur in einer für die Aufgaben des Kriminalisten wertlosen Begrenzung anwendbar.
Sie trifft den ethischen und rechtlichen Gehalt
— der Handlung nicht.
11 —
Bislang wenigstens enthüllt
uns
diese Seite des Willensakts und deren Gesetzmäfsigkeit keine Hirnanatomie, keine Physiologie, keine anthropologische und biologische Untersuchung; j a sie läfst uns solches nicht einmal ahnen.
So ist denn auch die sogen.
Kriminalanthropologie ein überwundener I r r t u m ;
selbst
in den Grenzen, in welchen Kriminalsoziologen noch mit der angeblich biologischen Ergründung der Verbrechensursachen liebäugeln, kommt man ins Bodenlose. Nicht minder sind wir darüber im klaren, dafs die Kriminalstatistik und die sorgfältigste Beobachtung der Zusammenhänge zwischen Verbrechen und sittlichen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen Zuständen innerhalb derselben Kulturgemeinschaft — so wertvoll sie im übrigen für
die Prophylaxe und die Schärfung des gesellschaft-
lichen Gewissens ist — uns niemals zu einer Erkenntnis der mit der Kraft des Naturgesetzes wirkenden Ursachen des Verbrechens führen wird.
Sie zu suchen, bedeutet
einen methodischen Grundfehler
der Kriminalsoziologie
und kann um so weniger die Signatur ihrer wissenschaftlichen Selbständigkeit ergeben, als sie sich hierbei in völliger Abhängigkeit von anderen Wissenszweigen befindet : den Naturwissenschaften,
der Psychologie, der
Nationalökonomie, Statistik u. s. f. E i n zweiter methodischer Fehler der Positivisten ist ihre Begrenzung und Isolierung des wissenschaftlichen
— Objekts. brecher,
12
-
Dieses ist ihnen das Verbrechen, der das Verbrechertum
scheinung.
Ver-
als besondere soziale Er-
Aber hier fehlen alle wissenschaftlich brauch-
baren Kennzeichen der Eigenart. Welches sind die Merkmale der Verbrecher als menschlicher Kategorie? sie Strafbares Wodurch
ist
begangen haben und vorbestraft solches charakterisiert?
Doch
Dafs sind?
zunächst
lediglich durch die Vorschrift des Gesetzes und die W i r kungen der Strafe.
Behaupte ich zu viel, wenn ich sage,
dafs in diesem Sinn Verbrecher Männer bester A r t und Gesinnung sein können und andererseits, dafs der Hallunke, der die Klippen
des Gesetzes gewandt umschifft,
als
loyaler Bürger leben kann? Was ist der psychisch-pathologische Unterschied des sittlichen und des sittenlosen Menschen, des letzteren und des Verbrechers, der innere Gegensatz der unsittlichen und der verbrecherischen Tat? Und wie steht es mit der Kausalität hier und da?
Gibt
es physiologische und soziale Sondergesetze für die Entstehung krimineller
und anderer
Handlungen?
Dafs
Hunger den Nahrungsmitteldiebstahl, allgemeine Not die Eigentumsverbrechen, die Einrichtung des Papiergeldes die Fälschung desselben, die Zuchtlosigkeit der Jugend ihre Kriminalität
fördert, grenzt an die Tiefsinnigkeit
des Satzes, dafs die Armut von der Pauvreté stamme. Wenn man als Verbrechensursache das Milieu nennt, in dem der Täter lebt und handelt, so wird jenem doch
—
13
die ganz gleiche Bedeutung für jedwedes Gebaren zukommen.
Die ganze Kriminalsoziologie ist sonach mit
ihrem Suchen nach den eigenartigen, gesetzmäfsig d. h. zwingend und berechenbar wirkenden biologischen und sozialen Ursachen des Verbrechens
auf einen gar zu
schmalen Weg geraten, der niemals zur Erkenntnis führt. Und soll etwa der Gesetzgeber
mit seiner Arbeit
warten, bis es den Positivisten gelungen sein wird, ihr Ziel zu erreichen?
Das wünschen und wollen sie selbst
nicht, vielmehr stellen sie an ihn schon jetzt ganz bestimmte Forderungen. Nicht die anthropologische Schule, welche konsequent den Strafbegriff ablehnen mufs, wohl aber die soziologische w i l l die Strafe als soziales Schutzund Heilmittel nach festem Programm verwendet wissen. Ich lasse mich auf Einzelheiten nicht ein und halte mich an den Kernpunkt. Das ganze Augenmerk
der Kriminalsoziologen
nicht auf die Gesetzesuntertanen, welche durch
ist
Straf-
drohung von Verbrechen zurückgehalten werden sollen, sondern auf den Verbrecher, den sozialen Schädling gerichtet, und die Strafe auf seine Person berechnet.
Nicht
auf den Erfolg seiner T a t , sondern auf die antisoziale Strebung, die Gesinnung kommt alles an. Gestraft mufs werden, und zwar verschieden j e nach der Wandelbarkeit oder Unwandelbarkeit dieser Gesinnung.
Wie der
Kranke in der Heilanstalt, der Jugendliche in Zwangs-
—
14
erziehung, der Trunkenbold,
die Gefallene in Asylen,
w i r d der Verbrecher in der Strafanstalt behandelt. Unheilbaren kuriert
macht
man unschädlich,
Den
den Heilbaren
man von seiner antisozialen Gesinnung durch
Abschreckung, Erziehung, Besserung. I n folgende Fundamentalsätze läfst sich das kriminalpolitische Programm der soziologischen Schule zusammenfassen: Die Begriffe „Schuld" und „Vergeltung" scheiden aus; die verbrecherische Tat ist das legale Symptom der antisozialen Gesinnung; diese, nicht das Verbrechen bildet Grund und Mafsstab der Strafe.
Die Kriminalstrafe ist Gesinnungs-
strafe, ihr Zweck Schutz des Gemeinwesens nach dem Mafse dieser Gesinnung; die Proportionalität
zwischen
ihr und der Strafe ist das Postulat, während das bisherige Recht dem äufseren Erfolg der Tat unstatthafte Bedeutung beigemessen haben soll. Ethisierung
des Strafrechts.
Das
So erstrebt man die Strafgesetz
selbst,
welches gegen bestimmte Handlung mehr oder weniger Strafe droht,
bezweckt nicht den Schutz der Bürger
gegen den Verbrecher,
sondern den Schutz des Ver-
brechers gegen den Mifsbrauch der Strafgewalt, ist eine magna charta libertatis des Verbrechers.
Das Ideal wäre
die dem antisozialen Charakter desselben adäquate freie Anwendung der Strafe bis zur Heilung, Anpassung oder Ausscheidung. E i n eigentümliches für viele bestrickendes Gewebe
—
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von Wahrheit und Irrtum, in dem der Rückfall in längst überwundene
Entwicklungsstadien
unschwer
zu
er-
kennen ist. Wenn die Verwendung der Strafe als Palliativ oder Heilmittel in angegebener Weise wissenschaftlich
ein-
leuchtend gemacht werden soll, bedarf es vor allem des Beweises, dafs sie sich hierzu eignet.
Dieser Beweis ist
nicht erbracht und schlechterdings nicht zu erbringen. Die Ausscheidung des unheilbaren
Gesellschaftsfeindes
freilich kann mit Sicherheit durch seine Tötung oder lebenswierige Inhaftierung erreicht werden.
Aber dieses
Mittel verträgt nur mäfsigsten Gebrauch, wenn die K u r nicht übler wirken soll als die Krankheit.
Die eigent-
liche Gesinnungsstrafe, diese poena medicinalis als Mittel der Anpassung bliebe trotz aller Bemühung von problematischem Wert.
Sie ist wider die Erfahrung.
Die
Kriminalsoziologen entnehmen selbst die stärksten Waffen zu Gunsten der Reform unseres Strafrechts
der offen-
kundigen Tatsache, dafs die Zahl der rückfälligen Verbrecher sich stetig mehrt, die Strafe also ihrer allgemeinheilenden W i r k u n g
entbehrt.
Und wer wird
sie ihr
schaffen ? Bei gröfster Vervollkommnung unseres Strafensystems und Strafvollzugs wird sich Goethes Wort bewähren: „Tausend Fliegen habe ich am Abend erschlagen, doch weckte mich eine beim frühsten Tagen." Spricht
man
heute
unberechtigt
vom
Bankerott
—
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unseres Strafrechts — denn was es zu leisten hat, leistet es der Hauptsache nach —, so würde das Gesinnungsstrafrecht
unfehlbar
dem Bankerott
verfallen.
Ganz
natürlich : Man braucht sich nicht zur Unveränderlichkeit des Charakters, zu Senecas W o r t : citur"
„velie non dis-
zu bekennen, um einzusehen, dafs Gesinnungs-
wechsel, Wandel des inneren Wesens und Zieles der Persönlichkeit durch äufsere Einwirkung nicht erreicht werden kann.
U n d was ist die S:rafe anderes, als äufsere
Einwirkung? Die Gefängnisluft
st keines Menschen Ele-
ment, das Haftlokal kein Tummelplatz für die Bildung des Charakters, die Strafknechtschaft, die aufgezwungene Verneinung jedes eigenen Willens kein Mittel zum Wandel der antisozialen Gesinnung, des penchant au crime, der Gefängniswärter kein geeigneter Pädagoge und Herzenskünder, der ausgewachsene Sträfling kein empfängliches Erziehungsobjekt. unberechenbare,
Reue, Bufse, innere Läuterung sind zufällige, glückliche Ergebnisse.
Die
äufsere Schale von Dressur und Fügsamkeit aber, die man so gern als Besserung nimmt, wird abgeworfen, sobald der Druck schwindet, der sie schuf, und Versuchung die alte böse Neigung weckt. Aber die Gesinnungsstrafe ist nicht nur erfahrungswidrig; sie ist auch grundsätzlich verwerflich.
Eine solche
Ethisierung des Strafrechts würde die Verwirrung von Recht und Ethik bedeuten. Strafgrund kann immer nur
—
17
das Verbrechen, nie die Gesinnung sein, wenn auch die Schwere des ersteren, wie bereits Schopenhauer richtig bemerkt,
sich nach dieser mitbestimmt.
Es ist eine
Binsenwahrheit, dafs die Gedanken zollfrei sind, sie dem Staate kriminalistisch bedeutungslos sein müssen, solange sie sich nicht in Taten umsetzen, die die Staatsordnung verletzen oder gefährden.
Die Gesinnung hat Gott, nicht
den Staat zum Richter, und nur die äufserste Tyrannis verfolgt
das böse Trachten.
Diesen Standpunkt mufs
sich der Soziologe vor allem aneignen.
Denn das Anti-
soziale wird sich nach der Einwirkung der Handlung auf
dritte,
nach dem Wert
der verletzten oder
an-
gegriffenen Güter, der gröfseren oder geringeren Gefährlichkeit des Angriffs und dem dadurch bestimmten sozialen Interesse bemessen. So war es seit Jahrhunderten und wird es ferner bleiben. Der ausgesprochene, ja der in seiner Ausführung vorbereitete Wille mufs der Regel nach straflos sein, wenn er nicht zum Angriff schreitet; und nur, weil in dem Versuch des Verbrechens das Angriffsmoment liegt, dürfen wir ihn staatlich strafen.
So
erscheint die Gesinnungsstrafe nicht nur im Widerspruch mit der grundsätzlichen Scheidung von Recht und Moral, sondern auch mit dem eigentlichen Prinzip der soziologischen Wissenschaft.
Einen Wandel unseres Rechts
in diesem fundamentalen Punkt wird man ernsthaft nimmermehr in Aussicht nehmen können. W a e h , die k r i m i n a l . Schulen.
Ja man darf kühnlich 2
—
18
behaupten, die kriminal-soziologische Schule selbst wird die Folgerung ihrer Lehre nicht wahrhaft ziehen wollen. Sie denkt nicht daran, den antisozial Gesinnten als solchen zu strafen, solange er nicht verbrochen hat, nicht daran, die Strafe zu unterlassen, wenn der Täter sich ersichtlich gebessert hat oder aus sonstigem Grund eine Wiederholung seines verbrecherischen Handelns nicht zu befürchten steht, nicht daran, dafs die Freiheitsstrafe ausgedehnt
werde
so lange,
bis sich
Gesinnungswechsel vollzogen hat.
nachweisbar
der
I n der Tat also bleibt
sie bei der Bestrafung des Verbrechens und will nichts anderes, als ausgiebigere Berücksichtigung der persönlichen Eigenschaften des Täters. Ihre etwaige Resignation bei bevorstehender Gesetzesaufgabe ist das Bekenntnis zu dieser Wahrheit.
Damit ist aber auch ausgesprochen,
dafs es eines Kompromisses für die Verbesserung unserer Gesetzgebung nicht bedarf, dafs der Boden, auf welchem die sog. klassische Schule steht, von uns nicht verlassen werden kann noch verlassen werden wird.
Dafür möchte
ich einige begründende Worte hinzufügen. III. Der Consensus, zu dem die Kriminalsoziologen sich mit der klassischen Schule bekennen, betrifft zwei Hauptpunkte: die Notwendigkeit des Strafrechts und die Anerkennung der Verantwortlichkeit.
—
19
Jene Notwendigkeit kann, wie schon dargetan ist, aus der erspriefslichen Einwirkung der Strafe auf die Gesinnung des Verbrechers, also aus der Heilsamkeit des Mittels für ihn nicht abgeleitet werden.
Sie ergibt sich,
von dieser problematischen spezialprävenierenden Kraft abgesehen, unwiderleglich aus der Erfahrung. recht ist als Äufserung
unserer praktischen
Das StrafVernunft
naturnotwendig, wie die Sprache, wie der Staat.
Das
tritt in verschiedenen Entwicklungsphasen und im Lichte verschiedener Anschauungsweisen überall hervor, gleichviel ob wir die Strafe gründen auf den Trieb der Selbsterhaltung, der Erhaltung der Gattung, auf den Willen zum Leben, auf das Rache- oder Rechtsgefühl, auf die Erkenntnis, dafs die Schuld die Vergeltung fordere, oder dafs die Übeltat als Angriff auf die Lebensbedingungen und Interessen der Gemeinschaft für diese unerträglich und nicht nur mit theoretischer Mifsbilligung abzufertigen sei.
Der geläuterte Standpunkt des entwickelten Staats-
wesens schliefst Rache, persönliche Genugtuung aus und erhebt die Strafe auf das Niveau der vom Kleinlichen und Eigennützigen befreiten praktischen Gegenwirkung, des im Gemeininteresse verhängten praktischen Werturteils, nach welchem die Übeltat sich als Übel auch an dem bewährt, der durch sie am Gesetze frevelte.
Diese
von niemandem in Zweifel gelassene Notwendigkeit des äufseren Strafrechts, des von jeder moralischen Vergeltung, 2*
—
20
von dem Wirken der sittlichen und gesellschaftlichen Mächte: der Macht des Gewissens, der Bufse und Besserung, der Ächtung durch die Genossen, wie von jeder beliebigen Zwecksetzung, der Rückfallsfurcht und Besserungshoffnung unabhängigen Strafrechts Urquell
unseres
sittlichen
entspringt dem
Bewufstseins
und
unserer
Rechtsordnung, ist menschliche Lebensanlage, mit der Idee des Rechts und der Gerechtigkeit unlöslich verbunden.
Der vergeltenden Gerechtigkeit!
Nur
durch
eine Häufung schwer begreiflicher Mifsverständnisse ist es möglich geworden, an dem Vergeltungsgedanken Anstofs zu nehmen oder ihn gar als abgetan zu den Toten legen zu wollen.
Er ist nicht der Gedanke der Talion,
einer formellen, qualitativen oder auch nur quantitativen Gleichheit. E r ist nicht Rache, diese gröbste, triebmäfsige, in sich mafslose Reaktion des Verletzten, er ist nicht Genugtuung desselben, Ausgleichung des Schadens, nicht die dem menschlichen Auge unerkennbare Vergeltung.
moralische
Er ist der Gedanke, dafs die Übeltat als
Angriff auf die Gemeinschaft ihrem Unwert gemäfs praktisch zu behandeln sei.
Dieses Werturteil spricht das
Strafgesetz als Aufserung des gemeinen Gewissens, unseres Rechtsgefühls in genereller Formel aus, auf dafs sich alle darnach halten.
Ob und wie es zu bestimmen, das ist
die grofse schwierige Aufgabe
des Gesetzgebers.
Aber
dafs ein Strafgesetz sei und gehandhabt werde, ist von
— keiner
Seite
21
angezweifelte
Staatsgemeinschaft.
Lebensbedingung
unserer
Es ist die Schutzordnung, ohne die
niemand seines Lebens und Gutes sicher, der Staat selbst in
seiner Existenz gefährdet
wäre.
Sie erfüllt
Zweck, wenn man ihren Geboten nachlebt.
ihren
Wenn sich
alle zur Maxime machen, was das Strafgesetz will, wird das Ideal Wirklichkeit.
Dafs dieser Effekt
beim Ver
brecher erreicht werde, ist wünschenswert, nicht Zweck des Strafrechts, stellt.
andernfalls wäre es in den Zufall ge-
Seine Notwendigkeit,
sein Wert ist durch die
staatserhaltende Kraft der sich realisierenden Strafdrohung in der Menschheitsgeschichte bewiesen. Aber keine Strafe ohne Verantwortlichkeit!
Auch
darüber ist man einig. Die Strafe setzt die Fähigkeit, sich dem Gesetz unterzuordnen, voraus, gleichviel welcher Ansicht man von der Entstehung des Willensaktes ist, ob man sich zur sogen Freiheit oder Unfreiheit des Willens bekennt. stimmend fafst
Uberein-
man die Handlung des sogen. Zurech-
nungsfähigen als die Emanation des Ich, der Persönlichkeit auf und macht diese daher gleichmäfsig sittlich, gesellschaftlich, rechtlich
verantwortlich.
Die gesandte
Kulturwelt legt damit Zeugnis ab für den Begriff der sittlichen und der Rechtsschuld.
Denn was es heifsen
soll, die Verantwortlichkeit zu bejahen und die Schuld zu verneinen, ist unerfindlich.
Und des ferneren wägt
—
22
man die Schuld um so schwerer, je mehr sich in der Handlung das eigene Selbst, die Persönlichkeit betätigt. Auch hierin müssen die Kriminalsoziologen mit der klassischen Schule übereinstimmen.
Wiederum
unerfindlich
ist daher, wie man gegen die letztere hat den Vorwurf erheben wollen, dafs sie den Erfolg auf Kosten der Gesinnung bevorzuge, jenen, nicht diese bestrafen wolle. Denn gerade der Vergeltungsgedanke führt dazu,
die
Schwere des Verbrechens nicht nur nach der Tatseite, dem Schaden,
den es stiftet, seiner
praktischen Be-
deutung, sondern zugleich nach der Stärke des bösen Willens oder, wie man sich auszudrücken beliebt, der betätigten antisozialen Gesinnung, also nach der ethischen Seite zu bestimmen.
Dafs das geltende Recht, obschon
geleitet von dem Prinzip einer Proportionalität von Schuld und Strafe, vielfach die Konsequenz vermissen läfst, ist nur
einer
der Gründe für
das Bedürfnis seiner Ver-
besserung. IV. Sind meine bisherigen Ausführungen richtig, so ist erwiesen, dafs nicht ein Neubau von Grund aus, sondern nur der Ausbau unseres Strafrechts die Aufgabe der Zukunft ist.
Diese Revision und Reform wird freilich eine
höchst umfassende und schwierige sein;, nicht um des erörterten Schulstreites, der betonten prinzipiellen Gegen-
—
23
-
sätze willen; denn es hat sich j a gezeigt, dafs wir die Fundamente
des bisherigen Strafrechtes
nicht
werden
preisgeben können; auch wird deutlich werden, dafs in Hauptpunkten des Reformbedürfnisses vorhanden ist.
Ubereinstimmung
Die Schwierigkeiten liegen in der Sache.
Es ist selbstverständlich, dafs dieser weitschichtige Gegenstand hier nur in schwachen Umrissen und nur unter Beschränkung auf das Wesentlichste behandelt werden kann. Aber auf ihn zum Schlüsse meiner Ausführung gehen, erscheint mir um deswillen wünschenswert,
einzuweil
dadurch manche noch immer waltende schädliche Unklarheiten über kriminalpolitische Differenzen der Schulen behoben werden können. Ich sehe völlig ab von einer Erörterung der im Gebiete des Strafensystems wünschenswerten Verbesserungen, und der aufserhalb des Strafrechts liegenden fürsorglichen, erzieherischen und polizeilichen Mafsnahmen,
wie der
Zwangserziehung, Versorgung und Verwahrung in Anstalten, Zwangsarbeitshaus und dergl.
W i r verfügen hier
über ein grofses und höchst wertvolles Erfahrungsmaterial, zu dessen Bereicherung — wie bereitwilligst anerkannt werden soll — die kriminalsoziologische Schule Wichtiges
beigetragen
hat.
Der
bedeutsame P u n k t ,
welchen ich Ihre Aufmerksamkeit
auf
noch lenken möchte,
ist die Aufgabe, unser Strafgesetz zu möglichster Gerechtigkeit
und
Zweckmäfsigkeit
zu
fördern
durch
—
24
--
Reinigung von schädlichem Formalismus.
Unter
ihm
verstehe ich den Sieg des Buchstabens über den Geist, des Wortes über den Zweck, der Formel und der Doktrin über den wahren Lebenswert. des
Rechts
dürfte
solcher Formalismus
tragen sein als hier. strafwürdiges Strafe
schwerer
zu
Es ist unerträglich, dafs Nicht-
gestraft,
gedroht w i r d ;
A u f keinem Gebiete
überflüssige
und
zweckwidrige
das ist ebenso unerträglich, als
wenn die Unschuld von Rechts wegen leidet. Es ist unerläfslich, Gleichwertiges gleich zu behandeln, das Ver* schiedene im richtigen Verhältnis zueinander zu bewerten und dem Richter zu ermöglichen, dafs er die wahre Proportion von Schuld und Strafe finde durch treffendes Abschätzen der Handlung in ihrer Eigenart als Äufserung der bestimmten verantwortlichen Persönlichkeit. Leistet das unser Recht? das Strafwürdige zu verfolgen,
Haben wir uns begnügt, und erreicht, es richtig
zu bewerten? Die Strafwürdigkeit
der Handlung
und damit der
Person bestimmt keine Formel, nicht der blutleere Begriff des schuldhaften Unrechts oder Ungehorsams, des antisozialen Handels oder das Merkmal der Unsittlichkeit.
Es kommt darauf an, den Treffpunkt
der sich
vielfach durchkreuzenden Interessen zu bestimmen, sie gegeneinander abzuwägen und in weiser Ökonomie das einschneidende und belastende Mittel der Strafe auf das
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Notwendigste zu beschränken, also überall von ihr abzusehen, wo mit leichteren Mitteln geholfen werden kann, oder wo sie unverhältnismäfsigen Nachteil w i r k t oder den unüberwindlichen Lebensmächten gegenüber unwirksam bleibt.
Die Kriminalpolitik hat die doppelte Aufgabe,
den idealen Boden unseres sittlichen Bewufstseins nicht zu verlassen und doch realpolitisch mit der menschlichen Unvollkommenheit zu rechnen.
Es ist oft genug aus-
gesprochen worden, dafs unsere Legislation jene Ökonomie vermissen läfst, und zwar gleich sehr in der Bestimmung dessen, was strafbar ist, wie in der Strafverfolgung.
Der
letztere Gedanke betrifft das hier nicht weiter zu behandelnde Prinzip, nach dem wir ausnahmslos ohne Rücksicht auf die Bedeutung des Einzelfalles anklagen und verurteilen, das sogen. Legalitätsprinzip. summa injuria! Begnadigung
Summum jus,
Die unter dem Namen der bedingten
oder
bedingten Verurteilung
umgehende
Befreiung von der Strafe bewegt sich auf der Linie einer Abschwächung des starren Grundsatzes. Darüber hinaus strebt man in Norwegen, wenn man bei zahlreichen Delikten
die Strafe
im
einzelnen Fall davon
abhängig
machen w i l l , dafs allgemeine Rücksichten sie erfordern. Der tadelnswerte Formalismus äufsert sich in unserem Gesetz bis in dessen feinste Verzweigungen.
Freilich
nicht, wie man meinen sollte, bei der Begrenzung der Strafmündigkeit durch bestimmtes Lebensjahr.
Denn es
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mufs eine fixe Altersgrenze gezogen werden, bis zu der unter keinen Umständen an Stelle der gebotenen Erziehung Kriminalstrafe verhängt werden darf. ein Mifsgriff
Hier ist
nur in der Wahl dieser Grenze möglich,
und dafs wir
uns eines solchen durch Annahme des
12. Lebensjahres schuldig gemacht haben, freilich zweifellos. Formalismus ist es hingegen schon, wenn der Gesetzgeber nur dem jugendlichen Alter des Strafmündigen, dagegen nicht den sachlich gleichwertigen Entwicklungshemmungen, degenerativen Momenten und dergl. die Bedeutung eines gesetzlichen Strafmilderungsgrundes
bei-
gelegt hat. Überhaupt ist unsere Methode der Strafdrohung und Strafzumessung, anders ausgedrückt : die Art, wie wir die Delikte zu bewerten und die individuelle Schuld abzuwägen gesucht haben, höchst unzureichend.
Die Ab-
schätzung der angegriffenen Rechtsgüter entspricht unserem feiner
entwickelten Gefühl
wirtschaftlichen
und unseren sittlichen und
Vorstellungen
keineswegs
durchweg.
Durch unser Strafgesetzbuch zieht sich eine unverhältnismäfsige Überschätzung des Vermögens im Vergleich zur Person und den idealen Werten.
Es wird jedermann
befremden, dafs w i r , um nur einzelnes herauszuheben, den Versuch der Sachbeschädigung, aber nicht den der Körperverletzung,
der Freiheitsberaubung,
der
Ver-
führung, des Ehebruchs strafen; dafs uns der einfache Diebstahl schwerer wiegt, wie die Verletzung des Körpers,
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der Ehre, der Freiheit durch Nötigung; dafs fahrlässige unter Umständen höchst bedeutungslose aber nicht fahrlässige
Freiheitsberaubung,
Brandstiftung —
anderer
Dinge zu geschweigen — bestraft w i r d , dafs uns sogen, schwere Diebstähle — oft wahre Lappalien — strafbarer erscheinen, wie manche Delikte wider das Leben.
Ein
Korrelat solcher fehlerhafter Anschauung ist die Knappheit, mit der die Geldstrafe und Bufse zur Anwendung kommt. Dieses Kapitel ist unerschöpflich und hat eine besonders ausgiebige Partie in der bis an das Absurde grenzenden Art, wie unser Gesetz mit sogen, qualifizierenden
und
privilegierenden Merkmalen, strafschärfenden und strafmildernden Umständen wirtschaftet, oder wohl auch Verbrechenstatbestände differenziert durch Momente, welche für
die Schuld keineswegs immer bedeutungsvoll sein
müssen.
Die richtige Würdigung der Schuld wird bei
einer ausreichenden Revision auf diesem Gebiet das erfüllen, was an dem Postulat einer Gesinnungsstrafe der Positivisten berechtigt ist. Es ist j a ganz äufserlich und inkonsequent, wenn das Gesetz den sogen. Rückfall nur bei einzelnen Delikten und hier wiederum in einem kaum begreiflichen Schematismus als Strafschärfungsgrund behandelt, wenn es die sogen. Gewerbs-, Gewohnheits-, Geschäftsmäfsigkeit des Verbrechens in einer fast zufällig zu nennenden Willkürlichkeit nur vereinzelt beachtet.
Kommt es doch
— hier
überall
auf
die
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Tenacität
der
verbrecherischen
Strebung und damit auf ein Moment an, welches zeigt, in welchem Mafse das Verbrechen
dem Ich wahrhaft
eignet, das eigne Selbst des Täters ausprägt, ihm sozusagen Charaktereigenschaft geworden ist. Das Gesetz formalisiert ferner, wenn es bei Handlungen, die ebensowohl auf nützliche, wie auf schädliche Gesinnung zurückgeführt werden können, nur nach logisch bestimmten Kriterien,
insbesondere dem Merkmal
der
Rechtswidrigkeit das Verbrechen bejaht oder verneint. Dafür nur einige Beispiele.
Die sogen. Notwehr schliefst
die Strafe aus; warum? weil dem rechtswidrigen gegenwärtigen Angriff das rechtlich geschützte Gut nicht zu weichen braucht, hier das Notrecht der Selbstbehauptung gegeben ist und zwar, formal logisch korrekt, als ein völlig schrankenloses derart, dafs man töten darf, um sich im Besitz geringwertigsten Gutes zu behaupten. Das ist irrationell, man könnte auch sagen, antisozial. wir
doch dem Berechtigten
Sinnen
de jure die Aufopferung
seines Vermögensrechtes an, wenn ein anderer sich durch den Zugriff
aus erheblicher Gefahr
befreien kann. —
W i r strafen die Nötigung eines Menschen zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung durch Zwang nur um dessen W i d e r r e c h t l i c h k e i t willen, gleichviel ob solcher Zwang höchst nützlich und sittlich geboten oder verwerflich war.
So müfste nach der Strenge des Gesetzes
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auch der gestraft werden, der den Selbstmörder wider dessen Willen rettet oder einen Menschen von unsittlichster, j a sogar verbrecherischer,
aber keinen rechts-
widrigen, gegenwärtigen Angriff darstellender Handlung zwangsweise zurückhält. — Ganz formalistisch verwenden wir den Eigentumsbegriff zur Bestimmung des Diebstahls, der
Unterschlagung,
des Raubes, und
bejahen
diese
niedrigen Verbrechen ohne jede Rücksicht auf die Gesinnung, der
die Handlung
entspringt,
und auf die
Schädigung, die daraus erwächst, also auch dann, wenn die wertloseste Sache aus Affektionsinteresse gegen überreichliches wird.
Äquivalent
Den Triumph
widerrechtlich aber feiert
angeeignet
der Formalismus
in
unserer berüchtigten französisch-rechtlichen Trichotomie der strafbaren Handlungen in Verbrechen, Vergehen und Übertretungen mit ihrer Fülle willkürlicher Konsequenzen. So eröffnen sich für die Reform des Strafrechts zwar nicht, wie man gemeint hat, neue Horizonte, aber weite Perspektiven,
grofse
und segenverheifsende
Aufgaben.
Möchte sich unser Juristenstand, unser Volk sich ihnen gewachsen zeigen.
Vollkommenes zu schaffen, ist uns
nicht gegeben; aber das als unbrauchbar Erkannte zu beseitigen und durch Besseres zu ersetzen, sollte uns gelingen.
Die Probleme: zwischen Freiheit und Strafzwang
die richtige Linie zu ziehen, trotz des im Gesetz unerläfslichen Generalisierens doch die volle Würdigung des
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Einzelfalles, der individuellen Schuld zu ermöglichen, die schutzbedürftigen Güter richtiger abzuschätzen, zu strafen und doch der Humanität und Milde, der Zucht, Besserung und Rettung nicht zu vergessen, diese Probleme werden immer nur approximativ gelöst.
Künftige
Generation
wird an dem, was wir schaffen, stetig zu bessern haben. Das wahre Gesunden und Erstarken des Volkskörpers aber vollzieht sich nur durch die Läuterung der Volksseele, durch die Ethisierung der Gesellschaft, die Selbsterziehung des Volks, — durch keinerlei gesetzliche Einrichtung. Damit wenden sich meine Gedanken Ihnen zu, meine lieben Herren Kommilitonen. Sie sind Glieder eines idealen Gemeinwesens, in dem der Appell an die Selbstbestimmung zum Guten der Grundton, der Nerv des Lebens ist und stärksten Ausdruck findet in dem, was wir die akademische Freiheit nennen. Die freie Hingabe an die Pflicht, die liebevolle Pflege dessen, was uns eint, die Achtung vor unseren hohen Zielen,
vor
dieser
herrlichen
Institution,
einander, vor sich selbst: das pflegen Sie.
vor
Dann sind
Sie würdige akademische Bürger, die für den Fortbestand der auch Ihnen
anvertrauten unschätzbaren Güter das
Ihrige tun, denen gegenüber der Zwang keine berechtigte Stätte hat.