Die Juden im mittelalterlichen Reich [3rd rev. ed.] 9783486780987, 9783486719086

Neue Sichtweisen jüdischer Geschichte Michael Toch provides an excellent overview of Jewish life during an epoch marke

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German Pages [218] Year 2013

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Table of contents :
Vorwort des Verfassers
I. Enzyklopädischer Überblick
A. Grundlagen
B. Die jüdische Gesellschaft
1. Siedlungs-, Bevölkerungs- und Wirtschaftsgeschichte
2. Sozialgeschichte: Familie, Stellung der Frau, Sozialschichtung, Gemeinde
C. Kultur- und Geistesgeschichte
D. Die Juden in der christlichen Gesellschaft
1. Das Leben in der christlichen Gesellschaft
2. Schutz, Besteuerung, Rechtsstellung
3. Die Verfolgungen
II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung
A. Der Forschungsstand
1. Traditionen und Schwerpunkte
2. Quellen und Hilfsmittel
B. Probleme und Tendenzen der Forschung
1. Innere Aspekte
1.1 Anfänge
1.2 Die Familie
1.3 Sozialschichtung und Gemeinde
1.4 Kultur der Elite und Kultur des Volkes
2. Die Juden in der christlichen Gesellschaft
2.1 Wirtschafts- und Siedlungsgeschichte
2.2 Rechtsstand
2.3 Judenfeindschaft
2.3.1 Die Frühzeit
2.3.2 Kreuzzüge
2.3.3 Christliche Phantasien: Ritualmord und Hostienschändung
2.3.4 Massen und Obrigkeiten: 1287–1350
2.3.5 Vertreibungen und Verfolgungen des Spätmittelalters
3. Gegenseitige Auffassungen und Beeinflussungen
3.1 Ausgangspunkte der Forschung
3.2 Religionswechsel
3.3 Polemik, Stereotypen, symbolische Konstruktionen
3.3.1 Die christliche Seite
3.3.2 Die jüdische Seite
3.4 Der Alltag der kulturellen Anleihe
4. Nachtrag 2013
III. Quellen und Literatur
A. Geschichtsschreibung, Quellenkunde, Hilfsmittel
B. Quellen und Regestenwerke
1. Allgemeine Quellensammlungen
2. Regionale und lokale Quellenwerke (in Auswahl)
3. Einzelne Verfasser und Schriften
C. Literatur
1. Gesamtdarstellungen, Handbücher
2. Literatur nach Problemkreisen
2.1 Lokal- und Regionalgeschichten (in strenger Auswahl)
2.2 Siedlungs-, Bevölkerungs-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte
2.3 Gemeinde und jüdisches Recht
2.4 Kultur-, Geistes- und Mentalitätsgeschichte
2.5 Die Juden in der christlichen Gesellschaft
3. Nachtrag
Register
Themen und Autoren
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Die Juden im mittelalterlichen Reich [3rd rev. ed.]
 9783486780987, 9783486719086

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ENZYKLOPÄDIE DEUTSCHER GESCHICHTE BAND 44

ENZYKLOPÄDIE DEUTSCHER GESCHICHTE BAND 44 HERAUSGEGEBEN VON LOTHAR GALL IN VERBINDUNG MIT PETER BLICKLE ELISABETH FEHRENBACH JOHANNES FRIED KLAUS HILDEBRAND KARL HEINRICH KAUFHOLD HORST MÖLLER OTTO GERHARD OEXLE KLAUS TENFELDE

Die Juden im mittel­ alterlichen Reich VON Michael Toch

3., um einen Nachtrag erweiterte Auflage

OLDENBOURG VERLAG MÜNCHEN 2013

IV

Umschlagabbildung: Initiale T, Federzeichnung laviert. Missale Cisterciense, . cod. 127, fol. 162v, XII. Jh., Zisterzienserabtei Stift Heiligenkreuz, Handschriftenkammer, Niederösterreich, Österreich. Einbandgestaltung: Dieter Vollendorf Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d.nb.de abrufbar. Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. © 2013 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 143, D-81671 München www.degruyter.com/oldenbourg Ein Unternehmen von De Gruyter Gedruckt in Deutschland Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. ISBN 978-3-486-71908-6 eISBN 978-3-486-78098-7

V

Vorwort Die „Enzyklopädie deutscher Geschichte“ soll für die Benutzer – Fachhistoriker, Studenten, Geschichtslehrer, Vertreter benachbarter Disziplinen und interessierte Laien – ein Arbeitsinstrument sein, mit dessen Hilfe sie sich rasch und zuverlässig über den gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse und der Forschung in den verschiedenen Bereichen der deutschen Geschichte informieren können. Geschichte wird dabei in einem umfassenden Sinne verstanden: Der Geschichte in der Gesellschaft, der Wirtschaft, des Staates in seinen inneren und äußeren Verhältnissen wird ebenso ein großes Gewicht beigemessen wie der Geschichte der Religion und der Kirche, der Kultur, der Lebenswelten und der Mentalitäten. Dieses umfassende Verständnis von Geschichte muß immer wieder Prozesse und Tendenzen einbeziehen, die säkularer Natur sind, nationale und einzelstaatliche Grenzen übergreifen. Ihm entspricht eine eher pragmatische Bestimmung des Begriffs „deutsche Geschichte“. Sie orientiert sich sehr bewußt an der jeweiligen zeitgenössischen Auffassung und Definition des Begriffs und sucht ihn von daher zugleich von programmatischen Rückprojektionen zu entlasten, die seine Verwendung in den letzten anderthalb Jahrhunderten immer wieder begleiteten. Was damit an Unschärfen und Problemen, vor allem hinsichtlich des diachronen Vergleichs, verbunden ist, steht in keinem Verhältnis zu den Schwierigkeiten, die sich bei dem Versuch einer zeitübergreifenden Festlegung ergäben, die stets nur mehr oder weniger willkürlicher Art sein könnte. Das heißt freilich nicht, daß der Begriff „deutsche Geschichte“ unreflektiert gebraucht werden kann. Eine der Aufgaben der einzelnen Bände ist es vielmehr, den Bereich der Darstellung auch geographisch jeweils genau zu bestimmen. Das Gesamtwerk wird am Ende rund hundert Bände umfassen. Sie folgen alle einem gleichen Gliederungsschema und sind mit Blick auf die Konzeption der Reihe und die Bedürfnisse des Benutzers in ihrem Umfang jeweils streng begrenzt. Das zwingt vor allem im darstellenden Teil, der den heutigen Stand unserer Kenntnisse auf knappstem Raum zusammenfaßt – ihm schließen sich die Darlegung und Erörterung der Forschungssituation und eine entsprechend gegliederte Auswahlbiblio-

VI

Vorwort

graphie an –, zu starker Konzentration und zur Beschränkung auf die zentralen Vorgänge und Entwicklungen. Besonderes Gewicht ist daneben, unter Betonung des systematischen Zusammenhangs, auf die Abstimmung der einzelnen Bände untereinander, in sachlicher Hinsicht, aber auch im Hinblick auf die übergreifenden Fragestellungen, gelegt worden. Aus dem Gesamtwerk lassen sich so auch immer einzelne, den jeweiligen Benutzer besonders interessierende Serien zusammenstellen. Ungeachtet dessen aber bildet jeder Band eine in sich abgeschlossene Einheit – unter der persönlichen Verantwortung des Autors und in völliger Eigenständigkeit gegenüber den benachbarten und verwandten Bänden, auch was den Zeitpunkt des Erscheinens angeht. Lothar Gall

Inhalt

VII

Inhalt Vorwort des Verfassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX I.

Enzyklopädischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

A. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

B. Die jüdische Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Siedlungs-, Bevölkerungs- und Wirtschaftsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sozialgeschichte: Familie, Stellung der Frau, Sozialschichtung, Gemeinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5

13

C. Kultur- und Geistesgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22

D. Die Juden in der christlichen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . 1. Das Leben in der christlichen Gesellschaft . . . . . . . . . . 2. Schutz, Besteuerung, Rechtsstellung . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Verfolgungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33 34 45 55

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung . . . . . . . . . . .

69

A. Der Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Traditionen und Schwerpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Quellen und Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69 69 76

5

B. Probleme und Tendenzen der Forschung . . . . . . . . . . . . . . 80 1. Innere Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 1.1 Anfänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 1.2 Die Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 1.3 Sozialschichtung und Gemeinde . . . . . . . . . . . . . . . 85 1.4 Kultur der Elite und Kultur des Volkes . . . . . . . . . 89 2. Die Juden in der christlichen Gesellschaft . . . . . . . . . . . 96 2.1 Wirtschafts- und Siedlungsgeschichte . . . . . . . . . . 96 2.2 Rechtsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 2.3 Judenfeindschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110

VIII

Inhalt

2.3.1 Die Frühzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Kreuzzüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Christliche Phantasien: Ritualmord und Hostienschändung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.4 Massen und Obrigkeiten: 1287–1350 . . . . . 2.3.5 Vertreibungen und Verfolgungen des Spätmittelalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gegenseitige Auffassungen und Beeinflussungen . . . . 3.1 Ausgangspunkte der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Religionswechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Polemik, Stereotypen, symbolische Konstruktionen 3.3.1 Die christliche Seite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Die jüdische Seite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Der Alltag der kulturellen Anleihe . . . . . . . . . . . . 4. Nachtrag 2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

111 111 113 115 118 120 120 122 126 126 132 138 142

III. Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 A. Geschichtsschreibung, Quellenkunde, Hilfsmittel . . . . . . 155 B. Quellen und Regestenwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeine Quellensammlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Regionale und lokale Quellenwerke (in Auswahl) . . . . 3. Einzelne Verfasser und Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . .

157 157 158 159

C. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesamtdarstellungen, Handbücher . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Literatur nach Problemkreisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Lokal- und Regionalgeschichten (in strenger Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Siedlungs-, Bevölkerungs-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Gemeinde und jüdisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Kultur-, Geistes- und Mentalitätsgeschichte . . . . . 2.5 Die Juden in der christlichen Gesellschaft . . . . . . . 3. Nachtrag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

160 160 161 161 163 168 169 177 187

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Themen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

Vorwort des Verfassers

IX

– But it’s no use, says he. Force, hatred, history, all that. That’s not life for men and women, insult and hatred. And everybody knows that it’s the very opposite of that that is really life. – What? says Alf. – Love, says Bloom. I mean the opposite of hatred. James Joyce, Ulysses

Vorwort des Verfassers Es ist eine Vermessenheit, auf so knappen Raum wie hier vorgegeben die mittelalterliche Geschichte der Juden Deutschlands beschreiben und analysieren zu wollen. Ein solches Unterfangen gleicht dem Versuch, sämtliche 25 Mittelalterbände dieser Reihe in einem einzigen Band unterbringen zu wollen. Daß ich dies trotzdem versucht habe, läßt sich nur aus der Herausforderung erklären, neue Sichtweisen der jüdischen Geschichte auch und gerade dem deutschsprachigen Leser nahezubringen. Nur mit Mühe anwendbar für die hier behandelte Thematik ist jene klare Unterscheidung, auf der die „Enzyklopädie deutscher Geschichte“ beruht: zwischen einem Überblicksteil, der sich, behäbig auf dem Konsens der Forschung ruhend, weitestgehend ohne Literaturangaben darstellen kann, und einem weiteren Teil, der mit Verweisen das Allerneueste und noch in Kontroverse befindliche bringt. Die Untersuchung der jüdischen Geschichte ist in den letzten Jahren in Bewegung geraten, und ein heutiger Stand der Kenntnisse muß die Richtungen und Beweggründe der neuesten Forschung einbeziehen, auch wo sie noch intensiv diskutiert werden. Ich habe mich dennoch an das vorgegebene Format gehalten, in den darstellenden Teil ist, so hoffe ich, jedoch einiges von dem neuen Geist der Forschung eingeflossen, ohne daß dies eigens ausgewiesen werden konnte. Eine besondere Danksagung gilt meinen Jerusalemer Freunden: Israel Yuval, der mich durch die Dickichte der Geistes- und Mentalitätsgeschichte führte und wesentliche Teile des Manuskripts mit kritischem Auge durchsah; Abraham Grossman, der mich immer wieder von seinem souveränen Wissen um das jüdische Früh- und Hochmittelalter profitieren ließ; Yakov Guggenheim, aus dessen intimer Kenntnis, bis in die Verwicklungen der jüdischen Prosopographie, und profunden, leider immer noch nicht gedruckt vorliegenden Einsichten in das jüdische Spätmittelalter ich mir oft ganze Formulierungen mitgenommen

X

Vorwort des Verfassers

habe (sie sind als GUGGENHEIM, Vorarbeiten, ausgewiesen); Chava Turniansky, die mich mit der jiddischen Volksliteratur auch die leichteren Seiten jüdischen Lebens sehen gelehrt hat. Ich habe auch von deutschen Kollegen und Freunden profitiert: von Alfred Haverkamp und seinen Trierer Schülern; von den deutschen Mitarbeitern der Germania Judaica III, die vielleicht hie und da ihre eigenen Gedanken, hoffentlich nicht entstellt, erkennen werden; und vor allem von Alexander Patschovsky, der meine Streifzüge in der Geschichte der Juden nun schon seit über einem Jahrzehnt mit Symphatie und Fachkenntnis begleitet und zu großen Teilen des Manuskripts mir wichtige Kritik beigesteuert hat. Mit Studenten in Trier, Berlin, Bielefeld, Budapest, Wien, München und Konstanz, wie auch von der Jerusalemer Dormition-Abtei, habe ich mit großem Nutzen die dem christlich-jüdischen Verhältnis gewidmeten Teile diskutiert, mit meinen Schülern an der Hebräischen Universität auch die jüdische Einstellung zum Christentum. Ich danke der Fritz-von-Thyssen Stiftung (Köln), die die Vorarbeiten großzügig mit Sach-, Personal- und Reisehilfe unterstützt hat. Hebräische Begriffe und Namen wurden phonetisch transkribiert, auf die in der Fachwelt üblichen diakritischen Zeichen wurde verzichtet, um das Schriftbild nicht zu belasten. Von einer Eindeutschung oder Latinisierung hebräischer Namen (Salomo statt Schlomo) wurde bewußt abgesehen, hebräische Begriffe werden dem Kontext gemäß im Original und in Übersetzung gebracht.

Jerusalem, den 1. Juni 1997

Michael Toch

A. Grundlagen

1

I. Enzyklopädischer Überblick A. Grundlagen Die ersten, weitgehend grundlegenden Parameter jüdischen Lebens entwickelten sich nicht in Deutschland, auch nicht in Europa. Die Juden traten als orientalisches Volk in die Geschichte ein, sie waren über weit mehr als ein Jahrtausend eingebunden in die Welt des Mittleren Ostens. Das Land Israel, die Heimat der Juden, war geographisch angesiedelt in der Konfliktzone antiker Großreiche, eine Tatsache, die schon früh eine ausgesprochen nationale Dimension gefördert hat, ausgedrückt in der religiös-sakral definierten Einheit von Gott, Volk und Land. Andererseits wurde das Judentum, wenn auch unfreiwillig, schon bald in andere Kulturen und Herrschaftskreise versetzt und eingebunden, die Ägyptens, Babyloniens, Persiens, der hellenistischen Welt, des römischen Reiches, und zuletzt des Islams. Eine jüdische Diaspora bestand schon geraume Zeit vor der Zerstörung des Zweiten Tempels im Jahre 70, bereits seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. Das Leben in fremden Kulturen und unter fremder Herrschaft als die für weiteste Kreise des Judentums bindende Grundbedingung hat sich jedoch erst in der Spätantike herausgebildet. Keineswegs kann mit dem Aufhören des staatlichen Lebens von einer „Zerstreuung über die ganze Welt“ gesprochen werden. Der geographische Rahmen für das Leben der Juden war in der Spätantike noch eine geraume Zeit sowohl das Land Israel wie vor allem ein weiterer mittelöstlicher Kulturkreis, das Zweistromland des parthischen, dann sassanidischen und zuletzt islamischen Babylonien. In beiden miteinander in engem Kontakt stehenden Regionen entwickelten sich, nach der traumatischen Erfahrung der Tempelzerstörung, in der Spätantike neue Formen jüdischen Lebens – das sog. rabbinische oder talmudische Judentum, das sich in Mischnah und Talmud, den von Gelehrten interpretierten Kodifizierungen des bis dahin mündlich tradierten göttlichen Rechtes, die Grundlagen für ein nicht mehr an den Tempeldienst und Jerusalem gebundenes und damit an jeden Ort verpflanzbares Religions-, Geistes- und Rechtsleben schuf. Zum tiefgehenden Umschichtungsprozeß der Spätantike gehört auch

Die Juden, ein orientalisches Volk

Diaspora

Das rabbinische oder talmudische Judentum

2

Das Verhältnis des Christentums zum Judentum

Abgrenzung und Ausgrenzung

Erniedrigung

Mission

Das Verhältnis des Judentums zum Christentum

I. Enzyklopädischer Überblick

die Ablösung des Ackerbaus als hauptsächliche Wirtschaftsverfassung des jüdischen Volkes durch eine zunehmend städtische, handwerklichkaufmännische Lebensweise; die Ausbildung kleindimensionaler Gruppen als eigentlicher sozialer Rahmen des Lebens; und die geographische Ausbreitung der jüdischen Diaspora auch in Gegenden außerhalb des Mittleren Ostens, nach Kleinasien, Byzanz, Italien, Südfrankreich und Spanien, Regionen des Mittelmeers, die grundlegend vom Christentum geformt wurden. Das Verhältnis des Christentums zum Judentum zeigt sich endgültig seit patristischer Zeit von widersprüchlichen und nicht immer in Gleichgewicht befindlichen Grundsätzen geprägt. Einerseits bestand die schon frühchristliche Tendenz, wenn nicht gar der Zwang zur Distanzierung und Abgrenzung vom Judentum, mit der Dichotomie der Beerbung „Israels im Fleische“ durch „Israel im Geiste“, die ihren bleibenden Ausdruck in der Übernahme der göttlichen Verheißung, im Vorwurf des Gottesmordes und der Verstocktheit vor der christlichen Wahrheit fand. Diese Anschauung machte die Erniedrigung der Juden als dauernde Strafe und zum Zeugnis der christlichen Wahrheit zur grundsätzlichen Notwendigkeit und fand ihren literarischen Ausdruck in der kirchlichen Tradition der „adversus Judeos“-Polemik. Die aus dem gemeinsamen eschatologischen Erbe kommende Vorstellung von den Juden als endzeitliche, unwiderlegbare Zeugen der christlichen Wahrheit führte jedoch auch zum grundsätzlichen Gewaltverbot, machte die Bewahrung der Juden bis ans Ende der Zeit zur Pflicht. Die Selbstverpflichtung zur Judenmission hat in periodisch wiederkehrenden Energieschüben das labile Gleichgewicht zwischen harter Verurteilung und Duldung beunruhigt. In diese theologischen Überlegungen sind auch römische Rechtsvorstellungen und -praktiken eingeflossen, vor allem die in der kaiserlichen Gesetzgebung verankerte Definition des Judentums als „religio licita“. Die frühmittelalterliche kirchliche Lehre hat theologische und rechtliche Grundsätze in Lehr- und Verhaltensstrukturen umgearbeitet, die sich auch unter den veränderten Bedingungen späterer Perioden bis in die Neuzeit als äußerst langlebig erweisen sollten. Die jüdische Haltung zum Christentum bezog ihre Vorstellungen aus einem biblisch geprägten und noch stammesmäßig strukturierten Erfahrungshorizont, in dem die Abgrenzung von den umgebenden Völkern in Begriffe des monotheistischen Sendungsbewußtseins gekleidet und als Abscheu vor Vielgötterei und Götzendienst formuliert wurde. In der Spätantike, in der das in seiner hergebrachten Existenzform bedrohte Judentum einen Umformungs- und Umschichtungsprozeß größ-

A. Grundlagen

3

ten Ausmaßes durchlief, kam es in gewissen Aspekten sogar zu einer Verhärtung des Verhältnisses zur nichtjüdischen Umwelt. Für das Judentum war das Christentum keineswegs eine legitime Verwandte, sondern zuerst eine Sekte von vielen, die die Einheit der jüdischen Religion und des jüdischen Volkes bedrohten, und später dann mit seinem Erstarken eine existentielle Herausforderung, die unter Hinweis auf die Zerstreuung die Auserwählung Israels in Frage stellte. In Reaktion darauf wurden die religiösen Gebote neu gedeutet und akzentuiert, wobei durch Vermeidung des sozialen Kontaktes mit Nichtjuden auch die Gefahr des Religionswechsels ausgeschlossen werden sollte. Dies war auf dem Hintergrund der dichten jüdischen Bevölkerung im spätantiken Land Israel und in Babylonien noch denk- und machbar, in den gänzlich anders gearteten Siedlungsstrukturen des europäischen Mittelalters sollte diese Einstellung der „Exklusivität“ (J. KATZ) jedoch grundlegende Probleme schaffen. Keineswegs zeigte sich das spätantike Judentum bereit, das Christentum in den Segen der göttlichen Verheißung einzubeziehen. Vielmehr beharrte es auf der biblischen Dichotomie zwischen Judentum einerseits und den „Völkern der Welt“ andererseits. Wurde der Islam mit Ismael gleichgesetzt, so bezeichnet man das Christentum mit dem Namen Edom, beides keineswegs schmeichelhafte biblische Assoziationen. Eine Neudefinition des Christentums und Islams als „Noachiden“ fand im Mittelalter nur auf kasuistischer Basis statt, der grundsätzliche Ausschluß beider Religionen aus der Gruppe der Götzendiener findet sich erst im Spätmittelalter im provençalischen, keineswegs im nordeuropäischen Kulturkreis. Für die gesamte jüdische Geschichte im christlichen Mittelalter mußte sich also aus dem gegenseitigen Universalanspruch beider Religionen ein unlösbarer Widerspruch, ein grundsätzliches Konfliktpotential ergeben. Von Bedeutung erscheint die Tatsache, daß das Judentum mit seinem Eintritt in die mittelalterliche europäische Geschichte bereits einen umgreifenden Prozeß des Strukturwandels hinter sich gebracht hatte, in seinen religiös-kulturellen Einstellungen und rechtlichen Prozeduren weitgehend, wenn auch längst nicht fertig geprägt bestand. So ist die Entstehung jüdischen Lebens im christlichen Europa als ein weiterer Abschnitt einer Geschichte zu sehen, die sich bereits über längere Perioden und in verschiedenen Regionen hingezogen hatte. Es sei gegenüber allgemein geläufigen Ansichten betont, daß das Leben in Europa allgemein und in Deutschland besonders nur einen und keineswegs den bedeutendsten Abschnitt der jüdischen Geschichte des Mittelalters darstellt. Das Judentum Mitteleuropas konnte sich weder in Bevölkerungszahlen noch in seinen geistigen und sozialen Errungenschaften mit dem

Jüdische Exklusivität

Die Christen – „Edom“

Mittelalterliche europäische Juden – eine Minderheit im jüdischen Volk

4

Keine Siedlungskontinuität in Westund Mitteleuropa

„Aschkenas“

I. Enzyklopädischer Überblick

babylonischen Judentum des Frühmittelalters oder dem iberischen Judentum unter islamischer und später christlicher Herrschaft messen. Dagegen ist zutreffend, daß die Juden trotz ihrer geringen Bevölkerungszahl für das Christentum ein weit schwierigeres Problem darstellten als für den Islam. Das gleiche gilt, spiegelverkehrt, für das Judentum, das vom Christentum weitaus tiefer als vom Islam beeinflußt wurde. Die Koexistenz wie die Auseinandersetzung beider Religionen wurde im christlichen Europa für beide Seiten in einer Weise geschichtssträchtig, die bis heute nachklingt. Die ersten Abschnitte der europäischen, frühmittelalterlichen Geschichte der Juden waren noch gänzlich der Mittelmeerwelt verhaftet und spielten sich im Rahmen der Nachfolgestaaten des römischen Reiches in Spanien, Italien, Südfrankreich und Byzanz ab. Die Frage der Kontinuität jüdischen Lebens in diesen Regionen seit der Spätantike ist zwar noch nicht gänzlich geklärt, kann aber durchweg als gegeben angesehen werden. In Nordwest- und Mitteleuropa begann die Geschichte der Juden erst bedeutend später, im großen und ganzen nicht vor der karolingischen Epoche, ohne daß sie auf irgendeine Kontinuität von spätantiker Zeit zurücksehen konnte. Räumlich spielte sie sich anfänglich in den Mittelteilen des karolingischen Reiches ab, bis zum Ausgang des Mittelalters sollte sie sich dann auf einen weitaus umfangreicheren Raum ausdehnen, eben den Bereich des aschkenasischen Judentums. Die hebräische Bezeichnung Aschkenas ist abgeleitet von dem biblischen Namen für Teile des alten Assyrien oder Armenien. In seiner räumlichen Entwicklung umfaßte Aschkenas zuerst das westliche Deutschland und Nordostfrankreich, die zusammen bis ins Hochmittelalter zuweilen auch die Bezeichnung Lotir trugen, eine Erinnerung an die erste Niederlassung der Juden gerade im mittleren lothringischen Teil des ehemaligen Karolingerreiches. Seit dem ausgehenden 11. Jahrhundert gehörte auch England zum aschkenasischen Kulturkreis. Im Hochmittelalter wurde das gesamte Alte Reich mit den Niederlanden, der Schweiz, Österreich, Böhmen (zusätzlich zu Prag, wo jüdisches Leben bereits seit dem ausgehenden 11. Jahrhundert erwähnt wird, möglicherweise jedoch bedeutend früher bestand), Mähren, Slowenien, und Südtirol von Juden erschlossen. Im Spätmittelalter dehnte sich der aschkenasische Kulturkreis durch Auswanderung aus Deutschland auf Norditalien und Polen aus. Seit dem 12. Jahrhundert unterscheiden die hebräischen Quellen zwischen deutschen (Aschkenasim) und französischen Juden (Zorfatim). Das folgende betrifft zwar direkt nur die im Bereiche des mittelalterlichen Reiches lebenden Juden, die beständige Tatsache ihrer weitgehenden kulturellen und sozio-ökonomischen Affi-

B. Die jüdische Gesellschaft

5

nität mit den Juden weiterer Regionen Europas und besonders Nordfrankreichs darf jedoch nicht vergessen werden.

B. Die jüdische Gesellschaft 1.

Siedlungs-, Bevölkerungs- und Wirtschaftsgeschichte

Die Anfänge jüdischen Lebens im nordwestlichen und mittleren Europa fallen ins 9.–10. Jahrhundert. Die jüdischen Einwanderer in die nördlichen Teile des Frankenreiches dürften sowohl aus Italien wie auch aus Süd- und Mittelfrankreich gekommen sein. Für eine direkte Einwanderung aus dem Osten oder Südosten Europas gibt es zwar abenteuerliche Theorien, jedoch keine konkreten Beweise (unten, II.B.1.1). Die Hintergründe für die ersten Niederlassungen sind in den wirtschaftlichen Chancen zu suchen, die das expandierende Karolingerreich international agierenden Fernkaufleuten bieten konnte. Solche Händler waren gesucht und wurden für ihre Dienste entlohnt und geschützt, wie z.B. aus dem später als Gründungssage ausgeschmückten hebräischen Bericht über die Berufung der Familie Kalonymus aus Lucca nach Mainz durch einen Karl genannten Kaiser hervorgeht. Es ist jedoch zwischen dem sporadischen Auftauchen einzelner Kaufleute am Kaiserhof zu Aachen (797, 802, 828) oder an der östlichen Reichsgrenze (903/905 Raffelstettener Zollordnung auf Grund einer älteren Vorlage) und der festen Etablierung jüdischen Lebens zu unterscheiden. Im ostfränkischen Reich sind jüdische Kaufmannskolonien nicht vor dem späten 9. Jahrhundert (die erste Erwähnung betrifft Metz 888), zumeist aber erst im 10. Jahrhundert zu finden. Die bis ins späte 11. Jahrhundert wichtigste Gemeinde war Mainz, mit ersten Erwähnungen um 917 und 937 und geordneten Institutionen und individuell faßbaren Persönlichkeiten nach der Jahrhundertmitte. An den königlichen Stützpunkten Magdeburg und Merseburg werden Juden 965 bzw. 973 erwähnt, ob sich dort jedoch feste Gemeinden entwickelten, bleibt fraglich. In Regensburg, dem Handelstor nach Südosten, sind Juden vor 981 urkundlich bezeugt, in Köln 1012, in Worms etwa zur gleichen Zeit, in Trier 1066, in Speyer um 1084. An all diesen Orten mag höchstwahrscheinlich ihre erst zeitweilige und dann dauernde Anwesenheit um einige Jahrzehnte vordatiert werden, Erwähnungen in früheren Quellen etwa des 9. Jahrhunderts sind jedoch mit größter Vorsicht zu interpretieren (unten, II.B.1.1). Für das Frühmittelalter ist die zahlenmäßige Kleinheit, ja Winzigkeit der ersten Kerne jüdischen Lebens in

Anfänge im 9./10. Jh.

Die ersten Gemeinden – Kaufmannskolonien

Bevölkerungszahlen im 9./10. Jh.

6

Stadtbewohner

Vom internationalen Wanderhändler zum ortsansässigen Kaufmann

Kein Sklavenhandel, kein Handelsmonopol

I. Enzyklopädischer Überblick

Nordwest- und Mitteleuropa zu betonen. Es kann sich im 9. Jahrhundert um nicht mehr als einige Dutzende jüdischer Familien gehandelt haben, im 10. Jahrhundert allerhöchstens um wenige hunderte. Eine Schätzung von insgesamt etwa 4000–5000 Personen für den Ausgang des 10. Jahrhunderts erscheint realistisch [250: GROSSMANN, Early Sages, 9; 128: DERS., Migration, 127]. Die jungen jüdischen Gemeinden des ottonisch-salischen Reiches lehnten sich wie die im westfränkischen Reich wirtschaftlich, sozial, rechtlich und topographisch an die weltlichen und geistlichen Herrschaftsträger an. Im Westen gab es vielleicht sogar Ansätze einer Integration in die feudale Ordnung, so etwa bei jüdischen Grundbesitzern im Süden Frankreichs. Landbesitz, hauptsächlich von Weinbergen, war auch in Deutschland recht häufig, dies jedoch weniger aus wirtschaftlichen denn aus religiös-rituellen Gründen. Da Juden der Genuß des von Nichtjuden berührten Weines verboten war, sie andererseits auch aus rituellen Gründen nicht auf den Weinkonsum verzichten mochten, mußte wenigstens ein Teil der bei der Weinbereitung anfallenden Arbeitsgänge von Juden ausgeführt werden. Dieser Grundsatz galt nicht für die Erzeugung anderer Nahrungsmittel, so daß keine zwingende Notwendigkeit für die Entwicklung eines jüdischen Agrarwesen bestand und ein solches auch tatsächlich kaum bezeugt ist. Im Reich stand die jüdische Ansiedlung von Anfang an unter dem Zeichen des Städtewesens und damit außerhalb der agrarisch geformten feudalen Herrschaftsordnung. Im Laufe des 11. Jahrhunderts muß sich wesentliches in der Handelstätigkeit verändert haben. Aus hauptsächlich international agierenden Warenlieferanten an den Höfen von Fürsten und Bischöfen wurden die Juden zunehmend zu städtischen, ortsansässigen Kaufleuten, die durch ihren Handel mit breiteren Bevölkerungsschichten in Kontakt traten. Wird in der Karolingerzeit und noch im 10. Jahrhundert vornehmlich der Durchgangshandel mit Pelzen sowie mit Seide, orientalischen Gewürzen und Medikamenten erwähnt, so erscheint im 11. Jahrhundert zusätzlich eine breite Palette von Rohmaterialien, Artikel des täglichen Lebens und Nahrungsmittel, wie Edelmetalle, Metallgefäße, Wein, Getreide, gesalzene Fische, Pferde und Hornvieh, gefärbte Häute, Rohwolle, fertige Kleider und Kleidungsstücke. Eine bedeutende Rolle scheint der Handel mit Edelmetallen und der Geldwechsel gespielt zu haben. Der in der Forschung oft als jüdisches Monopol genannte Sklavenhandel ist nach Erkenntnis des Verfassers unverbürgt, wie überhaupt die Vorstellung eines jüdischen Handelsmonopols zurückzuweisen ist (s. unten, II.B.2.1). Zusätzlich zu den weiten Handels-

B. Die jüdische Gesellschaft

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reisen nach „Übersee“ (wahrscheinlich sind damit Anrainerregionen des Mittelmeers gemeint, vielleicht auch England) und Osteuropa (Prag, Ungarn, Polen, Südrußland), hören wir nunmehr von Geschäftsreisen zu Messen, besonders zu Köln, wie auch vom Handel in der ländlichen Umgebung der Städte. In den Geschäftstechniken ist eine rasche Entwicklung festzustellen. Mit Gruppenreisen zum Messe- und Marktbesuch, mit Agenten an fernen Orten und mit Partnerschaften (welche die italienische „commenda“ zeitlich vorwegnahmen) wurde vorrangig die innerjüdische Solidarität und das im talmudischen Recht bereit stehende System der internen Konfliktregelung instrumentalisiert. Die Institution der Maarufia, die von der örtlichen Gemeinde anerkannte Monopolstellung eines jüdischen Kaufmannes bei seinem potenten nichtjüdischen Kunden, wie die Aufnahme von Geldern zu Handelszwecken bei Nichtjuden bezeugen eine zunehmende wirtschaftliche Verflechtung der Juden mit ihrer Umwelt. Ist der Rahmen für die erste Ansiedlung und Wirtschaftstätigkeit der Juden in den Bedürfnissen der Eliten einer noch archaischen Gesellschaft zu suchen, so stand die rasche Ausbreitung der jüdischen Ansiedlung im Hochmittelalter in klarem Zusammenhang mit einer langanhaltenden Konjunktur, dem gemeineuropäischen Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum. Im 11. Jahrhundert drückte sich der jüdische Beitrag in zunehmendem Handelsvolumen und breiter gefächerten Kundenkreisen aus, im 12./13. Jahrhundert auch in der Teilnahme an Münzprägung und Finanzadministration, als Zollpächter wie auch als beamtete Zoll- und Münzmeister, die im Dienste der Herzöge von Böhmen, Österreich, Tirol, Bayern, Schlesien, Mecklenburg, der Erzbischöfe von Trier, Salzburg und Magdeburg, wie auch in Mähren bezeugt sind. Es ist sogar der Fall eines jüdischen „Lokators“ im Dienste des Bischofs von Würzburg überliefert. Gleichzeitig hat sich der Anteil der Juden am allgemeinen Warenhandel verringert, verursacht, wie es scheint, hauptsächlich durch die gleichzeitige Entwicklung christlicher Kaufmannsgilden, hinter denen die wachsende politische und militärische Macht der patrizischen Führungsschichten der Städte stand. Ein guter Teil der jüdischen Bevölkerung hat sich wie früher schon mit handwerklichen, erzieherischen und kultischen Dienstleistungen innerhalb der jüdischen Gemeinden ernährt (dazu im weiteren), während der Handel, besonders mit verfallenen Pfändern wie auch mit Wein, weiterhin eine Rolle gespielt hat. Besonders stark wurde seit dem 12./13. Jahrhundert das Engagement im Kreditwesen, das nunmehr angesichts der wachsenden kirchlichen Zensuren gegen die Geldleihe durch Christen zunehmend zu einem von Juden bestimmten Geschäftszweig wurde. In

Jüdisches Wachstum als Faktor der hochmittelalterlichen Konjunktur

Zoll- und Münzmeister

Geldhandel und Kreditwesen

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Kunden und Hintergründe der jüdischen Geldleihe

I. Enzyklopädischer Überblick

einigen Gegenden, wie im Rheinland und im Alpengebiet, teilten sie sich darin mit italienischen Finanziers. Quantitativ nicht auslotbar, jedoch als sehr bedeutend ist auch der Anteil von christlichen Kaufleuten am Kreditwesen anzusetzen. Die Chronologie des Niedergangs des Handels und des gleichzeitigen Aufstiegs der Geldleihe als hauptsächlicher Lebenserwerb der Juden ist immer noch unklar. Einige Anhaltspunkte lassen sich aus der intensiven Diskussion der jüdischen Rechtsgelehrten gewinnen, die sich erst um die Zulässigkeit der Geldleihe an sich und sodann um ihre Modalitäten drehte. Sie schuf im 11./12. Jahrhundert einen der neuen Wirklichkeit angepaßten und Jahrhunderte lang gut funktionierenden intern-rechtlichen Rahmen. Mit der Zunahme der Anfeindungen im 13. Jahrhundert wurde der Geldhandel mit seinen hohen Gewinnspannen, die es allein ermöglichten, die von den christlichen Obrigkeiten aufgebürdete hohe steuerliche Abschöpfung zu ertragen, zur eigentlichen Grundlage jüdischer Existenz. Damit folgte der deutsche Bereich einer Entwicklung, die bereits ein Jahrhundert früher in den westlichen Teilen Europas eingesetzt hatte. Schon im früheren 14. Jahrhundert und voll nach 1350 konnten nur mehr Geldhändler (und Ärzte, dazu im weiteren) die Aufenthaltserlaubnis in den deutschen Städten erwerben, andere Berufe wurden nur noch sekundär zum Kreditgeschäft betrieben. Als typisch für die Organisationsformen der Geldleihe erscheint der auf eigene Rechnung, mit eigenem Kapital und auf eigenes Risiko wirkende einzelne Geldhändler. Dieser hat sich jedoch oft zur Erledigung größerer Geschäfte wie auch zur Absicherung von bedenklichen Risiken besonders bei auswärtigen Kunden mit anderen Juden vergesellschaftet. Feste und die Lebensspanne der einzelnen Person überdauernde Firmen, in der Art etwa der oberdeutschen Handelshäuser des Spätmittelalters, sind nicht bezeugt. Dagegen gab es eine oft intensive Nutzung der Familienbande am Orte und auch über größere Räume und Entfernungen hinweg. Die Kunden der jüdischen Geldleihe kamen aus allen Schichten der Gesellschaft. Bezeugt sind Kaiser und Könige, Episkopat und Kanoniker, Klosteräbte und Pfarrpriester, Fürsten, Landadel und Ritter, Stadtobrigkeiten, patrizische und handwerkliche Stadtbürger, auch die bessergestellte Bauernschaft. Die einzige zahlenmäßig signifikante Ausnahme bildeten, vorläufig, die Armen. Als Hintergrund des Kreditbedürfnisses ist kaum je die blanke Not auszumachen (zur Diskussion unten, II.B.2.1). Ein allgemeiner, alle Kundenkreise berührender Grund war die ungenügende und unelastische Ausstattung der mittelalterlichen Wirtschaft mit flüssigen Geldmitteln. Auch bei gesicherten Ein-

B. Die jüdische Gesellschaft

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kommen konnten weder große Herren noch einfache Bauern jederzeit über bares Geld verfügen. Sie waren allesamt an den langsamen Zyklus des landwirtschaftlichen Jahres gebunden, darüber hinaus an die sprunghafte und politisch labile Produktion regionaler Münzstätten. Das Problem der Liquidität, des Zahlungsflusses, stellte sich für alle Sektoren der mittelalterlichen Gesellschaft und Wirtschaft, es war der eigentliche Hintergrund für die auch heutige Begriffe übersteigende intensive Beanspruchung des Kreditwesens. Dazu kommen weitere schichtenspezifische Gründe, bei den Fürsten die finanziellen Anspannungen der Territorienbildung, beim Adel allgemein das politisch motivierte Repräsentationsbedürfnis. In der städtischen Wirtschaft gab es neben der Geldbeschaffung für politisch/militärische Zwecke und Handelsunternehmungen auch die Praxis, Liquiditätsprobleme von Handelspartnern durch die Prozedur des „bei Juden zu Schaden aufnehmen“ zu lösen. Sie diente auch zur Zwangseintreibung städtischer Steuern. Bereits in einem der frühesten Zeugnisse jüdischer Anwesenheit in Mitteleuropa (Salzburger Formelbuch 798–821) und durchgehend bis zum Ausgang der Untersuchungsperiode ist die Tätigkeit von Ärzten belegt. Mit den Gelehrten sind sie die einzige Berufsgruppe, deren Mitglieder durchweg dem Namen nach bekannt sind, ein Zeichen für das Ansehen, das sie genossen. Ihre Fachkompetenz mag auf den hochentwickelten medizinischen Traditionen beruht haben, die auch von deutschen Juden über die Frankreichs aus dem islamisch-iberischen Kulturkreis übernommen wurden. Der Gebrauch von medizinischen Handbüchern ist bereits im 12./13. Jahrhundert bezeugt. Die jüdische Medizin schloß auch Spezialisten in der Augenheilkunde ein, daneben bescheidene Arzneihändler, Apotheker und Wundärzte, nicht wenige Ärztinnen und Hebammen, sowie Zahnärzte. Der Erwähnung wert sind auch die hier und dort genannten Ingenieure und die Besitzer von exotischem Fachwissen. In den reicher fließenden Quellen des Spätmittelalters werden Kanalisations- und Bergwerksexperten, Büchsenmacher, auch der Erbauer eines Mühlwerkmodells erwähnt. Die eindeutige Dominanz des Handels und Geldwesens und solche „freien Berufe“ dürfen jedoch nicht den Blick auf die umfangreiche und sozial niedrig gestellte Klasse von jüdischen Dienstboten beiderlei Geschlechts, Arbeitern und sonstigen Abhängigen, verstellen. Deren berufliche Tätigkeit ist vor allem aus den rituellen Bedürfnissen zu erschließen (koschere Schlächter, Brotbäcker, Köche, Betreiber des rituellen Bades und des Friedhofes, Synagogendiener), aber auch aus den sonstigen tagtäglichen Anforderungen einer für sich lebenden Gemeinde (Herbergs- und Armen-

Ärzte

Jüdische Unterschichten und ihr Auskommen

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Bevölkerungszahlen um 1096

Siedlungswachstum im 12./13. Jh.

I. Enzyklopädischer Überblick

hauswirt, Wasserträger, Boten, Bartscherer, Ammen). Daneben gab es Schreiber, Hersteller von Büchern und Illuminatoren, und natürlich alle jene Berufe, die um die Vermittlung der geistig-religiösen Inhalte des Judentums bemüht waren, von einfachen Hauslehrern und Studenten der Talmudakademien über Vorsänger bis hin zu den Gelehrten. Von hauptberuflich tätigen Rabbinern ist allerdings erst im Spätmittelalter zu sprechen. Wenn sich auch bis Ausgang des 11. Jahrhunderts nur ein langsames Ansteigen der Zahl der Siedlungsorte feststellen läßt, so hatte doch deren jüdische Bevölkerung bedeutend zugenommen, gespeist aus dem internen Wachstum wie aus der Zuwanderung höchstwahrscheinlich aus Frankreich, kaum wohl durch den Zulauf von Proselyten, der nie umfangreich gewesen sein konnte (s. unten, II.B.3.2). Verläßliche Größenordnungen liefern die hebräischen Aufzeichnungen, die das Gedächtnis der 1096 bei den Kreuzzugspogromen (unten I.D.3) Erschlagenen festhalten. In Mainz fanden mindestens 500 namentlich bekannte Personen den Tod, in Worms 400, höchstwahrscheinlich war an beiden Orten die Gesamtzahl der Opfer doppelt so hoch. Solche Zahlen bekunden ein eindrucksvolles Wachstum seit den bescheidenen Anfängen im 10. Jahrhundert. Auf ihrer Grundlage wurde die Gesamtzahl der Juden am Vorabend der Kreuzzugsverfolgungen auf etwa 20– 25 000 Seelen geschätzt [114: BLUMENKRANZ, Germany, 165; 128: GROSSMAN, Migration of the Jews, 127]. Die Juden haben nicht nur wirtschaftlich, sondern auch demographisch einen gewichtigen Teil der frühen Bevölkerung der deutschen Städte dargestellt, der, wie angenommen wird, an einigen Orten bis zu 10–20% der Gesamtzahl der Einwohner erreichen konnte. An allen Orten der Verfolgung etablierten die Überlebenden und die bald vom aufgezwungenen Christentum zum Judentum Zurückgekehrten neue, wenn auch der Seelenzahl nach kleinere Gemeinden. Zu den 13 am Vorabend der Kreuzzugsverfolgungen bestehenden Siedlungsorten kamen bis etwa zum Jahr 1200 weitere 16 hinzu, danach scheint sich das Wachstum noch erhöht zu haben: 62 neue Siedlungsorte in der ersten Hälfte, 260 dann in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, über 500 in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts [175: TOCH, Formation]. Insgesamt können von den Anfängen bis 1348 in dem zum Deutschen Reiche gehörigen Mitteleuropa (einschließlich Böhmen und Mähren) an die 1000 Orte gezählt werden, an denen Juden kürzer oder länger gelebt haben. Diese Siedlungsbewegung füllte das Rheinland, Oberdeutschland und Franken mit einem dichten Netz von Gemeinden. Eine erkennbar dünnere Streuung zeigt die jüdische Siedlung in Bayern sowie im Norden. Im Osten erfuhren Schlesien, Mähren

B. Die jüdische Gesellschaft

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und Niederösterreich eine verhältnismäßig dichte jüdische Besiedlung. Im Laufe des 13. Jahrhunderts diversifizierte sich das einheitliche Muster der Ansiedlung, das anfänglich auf die größeren und älteren Bischofs- und Königsstädte konzentriert war. Die Neugründungen wurden kleiner, ländlicher und kurzlebiger im Charakter. Besonders im städtearmen Altbayern waren es nunmehr Märkte, die als Siedlungsorte dienten. Damit wird auch das flache Land zunehmend zum Rahmen für die wirtschaftliche Betätigung der Juden. Um 1300 gab es bereits zahlreiche jüdische Ansiedlungen in Dörfern. Dennoch blieb der Lebensstil der großen Mehrheit ein ausgesprochen städtischer. Es entwickelten sich Regionalstrukturen, in der die in einer größeren Stadt bestehende Gemeinde zentralörtliche Funktionen für die umliegenden Tochtergemeinden ausübte, wie etwa Abhaltung des Feiertagsgottesdienstes, Unterhalt des innerjüdischen Gerichtshofes und des Friedhofes, Unterbringung von Armen und Gästen, wie auch die Funktion des Geldmarkts für größere Geschäfte und Zufluchtsortes bei Unruhen. Einen Begriff der Bevölkerungszahlen dieser Periode geben Märtyrerlisten, die mit den neuen Verfolgungswellen des 13. Jahrhunderts (unten I.D.3) angelegt wurden. Die verhältnismäßig junge Gemeinde in Frankfurt am Main hatte 1241 an die 180 Tote zu beklagen, über 20 ließen sich taufen. Im Jahre 1298 fielen der „Rindfleisch“-Verfolgung im Städtchen Röttingen 21 Menschen zum Opfer, im Dorf Hürnheim (Bayrisch Schwaben) sogar 26, in Rothenburg ob der Tauber 470, in den großen Städten Nürnberg und Würzburg über 700 bzw. über 800. Zwar hatten die Juden zu keinem Zeitpunkt einen zahlenmäßig bedeutenden Anteil an der Gesamtbevölkerung des Reiches, in einigen hochmittelalterlichen Städten waren sie jedoch sehr stark vertreten. Die größten Gemeinden, so etwa Erfurt oder Nürnberg, haben im ausgehenden 13. und frühen 14. Jahrhundert an die tausend Seelen gezählt, das wären 5–10% der Gesamtbevölkerung. Für Trier wurde für die Zeit vor 1349 mit etwa 300 Seelen ein etwas niedrigerer Bevölkerungsanteil von 3% errechnet [96: HAVERKAMP, Trier, 20]. Der Mehrteil der Siedlungsorte hatte zumeist nur geringere Zahlen aufzuweisen, die von einigen Dutzend bis zu wenigen hundert Personen reichen konnten. Für sie erscheint ein Richtwert von etwa 0,5–0,8% der städtischen Bevölkerung realistisch [383: GRAUS, Pest, 559–61]. Obwohl rein impressionistisch erarbeitet, dürfte die in der Forschung vorgeschlagene Gesamtzahl von 100 000 Personen um das Jahr 1300 in etwa der Wirklichkeit entsprochen haben [71: BARON, Bd. XII, 15]. Im Spätmittelalter erhielt der Handel mit verfallenen Pfändern und Lebensmitteln eine neue Bedeutung, zunehmend produzierten

Bevölkerungszahlen im 13. Jh.

12 Geldleihe, Handel und Handwerk im Spätmittelalter

Pestpogrome und Neuansiedlung

I. Enzyklopädischer Überblick

auch jüdische Handwerker in Spezialbranchen, wie der Glaserei, für den allgemeinen Markt. Dennoch blieb die Geldleihe das vorwiegende Auskommen. Auch sie steht unter dem Schatten der umfassenden und blutigen Verfolgungen der Jahre 1298 bis 1350, auf die eineinhalb Jahrhunderte von Repressionen und Ausweisungen folgten (unten I.D.3). Das jüdische Geschäftskapital ist in dieser Zeit zusehends durch Beraubung, obrigkeitliche Konfiskation und erhöhten steuerlichen Zugriff zurückgegangen. Die verhältnismäßig wenigen großen Geschäfte konnten nun nicht mehr routinemäßig von einzelnen Großfinanziers erledigt werden, es mußten eigene Konsortien gebildet werden. Sogar Fürsten gegenüber konnte man sich nicht mehr mit den hergebrachten Sicherungen (Ehrenwort, Schuldbrief, Bürgen) begnügen, sondern mußte auf das Pfand zurückgreifen. Die 1434 vom Basler Konzil und 1450 von Papst Nikolaus V. auch auf die Juden ausgedehnten Wucherverbote hatten an einigen Orten die Herabsetzung des Zinsfußes zur Folge, auf längere Sicht blieb dieser jedoch unverändert hoch (zur Diskussion hierzu unten, II.B.2.1). Insgesamt hat sich die Leistungsfähigkeit der jüdischen Geldleihe im Verhältnis zu den gestiegenen Ansprüchen des Marktes vermindert. Das christliche Kreditgeschäft, besonders in den oberdeutschen Handels- und Gewerbestädten, hat gegen Ausgang des Mittelalters die gehobene Kundenschaft an sich gezogen, so daß den Juden hauptsächlich nur mehr das kleine Pfandgeschäft mit den sozial niedrigeren Bevölkerungsschichten und das damit verbundene Odium des sozialen Schadens verblieb. Die Verfolgungen zur Zeit des Schwarzen Todes haben beinahe überall die Siedlungskontinuität unterbrochen. Sie ist allein für 58 Orte belegt, beinahe alle in Randgebieten, die von der Zerstörungswut der Pestjahre verschont geblieben waren, in Böhmen, Mähren, Kärnten, Steiermark, Slovenien, Ober- und Niederösterreich. In der Folgezeit erstanden an den alten Siedlungsorten die jüdische Gemeinden von neuem. Bis zur Neuansiedlung konnten wenige Jahre, konnte aber auch ein Jahrhundert oder mehr vergehen. Insgesamt sind für den Zeitraum zwischen 1350 und dem ersten Drittel des 16. Jahrhunderts 1022 Orte festgestellt worden, an denen Juden gelebt haben. Diese Gesamtzahl gleicht zwar den knapp tausend jüdischen Siedlungsorten der vorhergehenden Periode, dennoch bestanden erhebliche Unterschiede. Auch die größten Gemeinden besaßen nirgends mehr die früheren Seelenzahlen von mehreren hundert Personen. Als Durchschnittsnorm kann eine Zahl bis dreißig Familien in größeren Gemeinden, bis etwa 10 Familien in den mittleren angenommen werden. Auch einzelne Familien sind an vielen Orten belegt. Nur wenige Siedlungsorte beherbergten andauernd

B. Die jüdische Gesellschaft

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Juden in ihren Mauern. Infolge der sich häufenden Vertreibungen war die Lebensdauer der meisten Gemeinden, abgesehen von einigen großen Städten, kurz und betrug oft nicht mehr als einige Jahre. Dementsprechend ist das Spätmittelalter durch eine außerordentlich hohe geographische Mobilität gekennzeichnet, weil eine zunehmende Zahl von Juden, Einzelfamilien wie auch ganze Gemeinden, nach den immer seltener werdenden aufnahmebereiten Städten und Territorien suchten. Die widrigen Lebensumstände führten auch zur Auswanderung, vor allem nach Norditalien, dann auch nach Osteuropa, für kleinere Zahlen in den Mittelmeerraum und ins Heilige Land. Vorbedingung war der Besitz von Geldmitteln, der an den neuen Siedlungsorten die Tätigkeit als Geldleiher ermöglichte. Die in der Frühneuzeit charakteristische kleinstädtische und dörfliche Siedlungsstruktur eines Großteils der deutschen Juden hat ihre Wurzeln im Zurückbleiben der ärmeren Bevölkerungsteile des Spätmittelalters, die ihren mühsamen Lebenserwerb in kleinen Pfandleihgeschäften, Hausierhandel und Handwerksberufen fanden. Nach einer neueren vorsichtigen Schätzung lag die jüdische Bevölkerung des Reiches im frühen 15. Jahrhundert bei 7000 bis 8000 Familien, an die 40 000 Seelen, die vielleicht etwa 0,25% der allgemeinen Bevölkerung ausgemacht haben [136: GUGGENHEIM, Social Stratification, 130]. Bis zum Ausgang des Jahrhunderts muß sich diese Zahl noch weiter verringert haben. Die in der Literatur erscheinende Schätzung von 80 000 Personen um das Jahr 1490 [87: STOW, Alienated Minority, 7] ist als unrealistisch hoch abzulehnen. 2.

Bevölkerungszahlen im Spätmittelalter

Sozialgeschichte: Familie, Stellung der Frau, Sozialschichtung, Gemeinde

Das soziale Profil der Juden hat sich im Laufe des Mittelalters in wichtigen Aspekten verändert, die interne Entwicklungen wie ihre sich wandelnde Lage in der christlichen Gesellschaft widerspiegeln. Die Kernzelle jüdischen Lebens war zu allen Zeiten die Familie. Für die Frühzeit wie auch für das Spätmittelalter erscheint die Großfamilie als typische Lebensform der sozial dominierenden Oberschicht der Gelehrten, Kaufleute und Geldhändler. Dabei ist weniger an mehrere Generationen umfassende biologische Familienstrukturen zu denken als an den um die Kernfamilie organisierten Haushalt, der beträchtliche Ausmaße annehmen konnte. Es wurden ja bereits die ersten Einwanderer, wie es sozial Hochstehenden gebührt, von Dienern und religiösem Personal begleitet, was auch den im jüdischen Ritus vorgeschriebenen gemeinschaftlichen Gottesdienst von zehn erwachsenen Männern ermöglichte.

Der jüdische Haushalt

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Die Kernfamilie

I. Enzyklopädischer Überblick

Im Haushalt konnte man Söhne und Schwiegersöhne unterbringen und ihnen damit den Einstieg ins Geschäftsleben erleichtern. Im Spätmittelalter versucht man über den Haushalt die immer drückenderen Beschränkungen der Aufenthaltsgenehmigung zu unterlaufen. Hier beschäftigte man arme Verwandte oder sonstige Bedürftige als Hauslehrer, Faktoren, Knechte und Mägde. Hier konnte auch der religiösen Pflicht des Unterhalts der Studierenden nachgekommen werden, etwa in Form der vertraglich festgelegten Verpflegung des studierenden Schwiegersohnes. Die Großfamilie in der Form des erweiterten Haushaltes erweist sich als unentbehrliche Einrichtung, die zu verschiedenen Perioden unterschiedlichen Bedürfnissen Genüge leistete. Das Herz des Haushalts, die biologische Kernfamilie, war im Hochmittelalter nach neueren, wenn auch z.T. umstrittenen Forschungsergebnissen (unten, II.B.1.2) anders und kleiner strukturiert als ihr Gegenstück in der christlichen Gesellschaft. Es fehlten ihr die für die aristokratische europäische Familie typische Erweiterung durch das Zusammenleben von mehr als zwei Generationen oder auch die Anwesenheit der Familien von Brüdern. Wesentlich war auch hier die wirtschaftliche Funktion, die sich von der der christlichen Familie, der Aristokratie wie der städtischen Kaufleute und Handwerker, klar unterschied. Juden, auch die Reichen unter ihnen, sahen sich zu keinem Zeitpunkt mit dem Problem der Vererbung von Landbesitz und der darauf begründeten Macht konfrontiert und waren daher auch von den Komplikationen befreit, die etwa die Primogenitur bei jeder neuen Generationenfolge mit sich brachte. Es bestand keine Notwendigkeit, lange Jahre ein Gewerbe zu lernen und deshalb die Familiengründung aufzuschieben, was zusammen mit den überlieferten Anschauungen zur Legitimität des – ehelich geregelten – Geschlechtslebens die Norm der frühen Verehelichung, mit etwa 15–16 Jahren bei Jungen und 13–14 Jahren bei Mädchen, erklärt. Wesentlicher als die Konzentrierung des Familiengutes in einer Hand war unter den Konjunkturbedingungen des Früh- und Hochmittelalters die Möglichkeit, mittels der gleichberechtigten Erbteilung die Söhne im Handel, später dann im Geldgeschäft zu etablieren. Die hauptsächlichen Entwicklungen des Erbrechts im Laufe des Hoch- und Spätmittelalters stehen mit dem Wandel der wirtschaftlichen Funktion der jüdischen Frau in Zusammenhang. Die Stellung der Frau im aschkenasischen Familienverband war unzweifelhaft seit der Frühzeit besser als in anderen jüdischen Kulturkreisen. Weit bekannt und oft als ethischer Fortschritt gepriesen ist das dem ersten großen Gelehrten des aschkenasischen Judentums, R. Gerschom b. Jehuda „Licht des Exils“ (gest. 1028), zugeschriebene Verbot

B. Die jüdische Gesellschaft

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der Polygamie. Nach neueren Forschungen ist aber schon im aschkenasischen Frühmittelalter keine tatsächlich geübte Mehrehe bekannt, wie sie für die Juden des sephardischen und orientalischen Kulturkreises bezeichnend war. Die Hintergründe für das Verbot sind neben dem möglichen Beispiel der christlichen Gesellschaft vielmehr in den neuen Lebensumständen zu suchen, vor allem in der oft jahrelangen Abwesenheit der Ehemänner, die auf ihren Geschäftsaufenthalten im Ausland zusätzliche Ehen schlossen. Zusammen mit der Untersagung der einseitigen Scheidung durch den abwesenden Ehemann und dem Verbot der Aufhebung bereits geschlossener Verlobungen ist das Verbot der Polygamie ein Zeugnis der Empfindlichkeit des frühen aschkenasischen Judentums für die Ehre seiner Töchter, ein Kennzeichen des aristokratischen Charakters der führenden Schichten dieser Gesellschaft. Die Hochschätzung der Frau erstreckte sich auch auf den ethischen Bereich, faßbar etwa in dem in Aschkenas selbstverständlichen, wenn auch keineswegs immer beachteten Verbot der körperlichen Gewalttätigkeit gegenüber Frauen. Die hebräische Literatur der Periode hat der „standhaften Frau“ (Eschet Chaijl) ein eindrucksvolles Denkmal geschaffen. Als Grundlage dieser Einstellungen wurde in letzter Zeit die Tatsache erkannt, daß die jüdische Frau seit dem Hochmittelalter und besonders mit dem Übergang zur Geldleihe eine bedeutende und oft zentrale wirtschaftliche Funktion ausübte, als verantwortliche Geschäftsführerin in Abwesenheit des Ehemanns, als die unmündige Kinder versorgende Witwe, als weltgewandte Leiterin großer Geschäfte, auch als Ernährerin ihres weltfremden Mannes, der sein Leben dem Torahstudium widmet. Dieser neuen Wirklichkeit wurde die jüdische Gesellschaft durch eine Reihe von Änderungen im Ehe- und Erbrecht gerecht. Bereits im 12. Jahrhundert wurde die für den Fall der Scheidung bzw. Verwitwung an die Frau zu zahlende Abfindung (Ketuba, „Verschreibung“) auf die enorm hohe Einheitssumme von 100 Pfund, im späteren 14. Jahrhundert auf das Äquivalent von 600 Gulden festgelegt. Mit dieser rechtlichen Fiktion wurden der Witwe zwar nicht solch hohe Geldsummen ausgezahlt, sie erhielt aber die Verfügungsgewalt über das Familien- und Geschäftsvermögen übertragen. Im relativ häufigen Fall der Scheidung traten zusätzliche vertragliche Abmachungen in Kraft, die die Abfindungssumme in Verhältnis zu der von der Braut eingebrachten Mitgift begrenzten. Eine zweite Neuerung betraf die Ausstattung der jungen Familie mit Geldkapital, die mit dem Übergang zur Geldleihe und der zunehmenden Erschwerung des Aufenthaltsrechtes geradezu existentielle Bedeutung erlangte. Die ungleiche Belastung der beiden Elternfamilien, zwischen der bei der Familiengründung von der

Verbot der Polygamie

Die günstige Stellung der Frau – ein wirtschaftliches Phänomen

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Wirtschaftliche und rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau

Eine Aristokratie von Gelehrten und Großhändlern

I. Enzyklopädischer Überblick

Brautfamilie ausgezahlten Mitgift und dem erst später anfallenden väterlichen Erbteil der Söhne, wurde seit dem 13. Jahrhundert ausgeglichen. Nunmehr wurde der Mitgift der Frau ein gleich hoher Gegenwert entgegengestellt, der von den Eltern des Bräutigams aufzubringen war, die „Widerlegung“, wie es sie auch in der christlichen Gesellschaft gab. Als Gegenleistung entwickelte sich im Spätmittelalter ein der talmudischen Rechtstradition widersprechender Brauch, den Töchtern zusätzlich zur Mitgift einen weiteren Anteil an der Erbschaft zu sichern. Seit Mitte des 14. Jahrhunderts waren damit die finanziellen Aspekte des Heirats- und Erbrechtes von einer funktionellen Gegenseitigkeit und Gleichheit zwischen den Geschlechtern geprägt. Wohl damit verbunden war die teilweise rechtliche Emanzipation der Frau. Bereits im 13. Jahrhundert ließ das jüdische Recht ihr selbständiges Erscheinen vor dem Gerichtshof zu. Erklärbar ist dies alles nur durch die Ausbildung einer spezifischen Wirtschaftsstruktur, in der der Mann keine besondere Funktion ausübte und auch keine besonderen Vorrechte besaß. Daß die jüdische Gesellschaft dennoch dem Mann weiterhin eine klare Vorrangstellung verlieh, gründet auf anderen religiös-kulturellen Traditionen. Die Erforschung der älteren Sozialstruktur wird kompliziert durch die im Schriftgut dominierende Stellung der Gelehrten, deren Monopolstellung nicht nur geistig, sondern auch sozial getönt war. Im Frühmittelalter erscheinen sie nach Herkunft und Interessen als Teil der sozialen Oberschicht der Großhändler. Die wichtigen geistigen Gestalten des jüdischen Deutschland kamen im Laufe von fünf Generationen, zwischen Ausgang des 10. und 11. Jahrhunderts, aus allein sieben Familien, die sich untereinander verheirateten und enge Kontakte unterhielten. Diese Vorherrschaft weniger „aristokratischer“ Familien, deren Mitglieder geistige Autorität, politische Führungsfunktion und wirtschaftliche Macht vereinten, ist im gesamten mittelalterlichen Judentum einzigartig. Sie ist zum Teil noch vor der Einwanderung nach Deutschland nachweisbar und hat sich, wenn auch mit ersten Anzeichen sozialer Spannungen, bis ins letzte Drittel des 11. Jahrhunderts erhalten. Die Auslöschung oder zumindest schwere Beeinträchtigung der Urgemeinden im Jahre 1096 muß diese archaische Sozialschichtung zwischen potentes und pauperes empfindlich getroffen haben, dennoch stand das kultische und religiöse Leben der Juden Deutschlands auch eine gute Zeit danach unter dem Zeichen festgefügter Brauchtumstraditionen, die zum Teil als Traditionen eben dieser Familiengruppen identifizierbar sind (unten, I.C). Im Hochmittelalter hat sich jedoch mit der raschen Ausbreitung der jüdischen Siedlung über weite Räume, der

B. Die jüdische Gesellschaft

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Gründung gänzlich neuer Gemeinden und der Entfaltung der Geldleihe eine differenziertere Sozialschichtung entwickelt. Sie ist andeutungsweise erschließbar aus dem zu Beginn des 13. Jahrhunderts entstandenen „Buch der Frommen“ (unten I.C, II.B.1.4), dessen soziale Welt einen vielfältigen und konfliktreichen Eindruck vermittelt. Klar wird sie in der Gemeindeverfassung sichtbar. In die Gemeindegremien drang nunmehr die Spitze einer neuen Mittelschicht ein, „Neureiche“, die ihren Führungsanspruch nicht mehr auf Gelehrsamkeit und alte Familientraditionen, sondern auf Reichtum und enge Kontakte mit den christlichen Obrigkeiten stützten. Ihre häufigste Bezeichnung in den Quellen ist „Hausbesitzer“ (Baal Beit), womit sowohl die günstige wirtschaftliche Lage wie auch die Seßhaftigkeit als wichtigste Statussymbole bezeichnet sind. Beides trennt sie von den Armen, die es natürlich immer schon gegeben hat, die aber nunmehr auch als eigenständiger und mobiler Bevölkerungsteil, nicht mehr allein als örtlich gebundenes Anhängsel der Reichen in Erscheinung treten. Im frühen 13. Jahrhundert wurden, erstmals in den Großgemeinden Regensburg (1217) und Köln (vor 1238), Herbergen für die nicht seßhaften Armen errichtet. Schon gegen Ausgang des 13. Jahrhunderts offenbart das Problem der Armenfürsorge wie auch die Frage der Steuerumlegung schwere innere Spannungen. Ihr Hintergrund mag in der sich anbahnenden Verschlechterung der Lage der Juden zu suchen sein, die auch das bis dahin reicher fließende Steueraufkommen traf. Ein weiteres Problem ergab sich aus den Einschränkungen im Bürgerrecht der Juden, in deren Gefolge wachsende Kreise von Vermögenslosen entwurzelt wurden. Unter den zunehmend unsicheren und nachteiligen Bedingungen des Spätmittelalters entwickelte sich eine erneute Tendenz zur Schließung der Sozialstruktur. In einer Fallstudie über die Spätzeit der Nürnberger Gemeinde (1489) konnte eine extrem polarisierte Familien- und Haushaltsstruktur festgestellt. Der hohe Bevölkerungsanteil der Geld leihenden Vermögenden einerseits, der niedrig gestellten Privat- und Gemeindebediensteten andererseits sowie der beinahe ausschließliche Zugriff der ersteren auf die Aufenthaltserlaubnis erscheint auch für andere größere Gemeinden charakteristisch, so etwa Regensburg oder Magdeburg. Nach einer neueren Schätzung hat zwischen Ausgang des 14. und des 15. Jahrhunderts die Zahl der Nichtvermögenden, die sich von Dienstleistungen für die Geldleiher ernährten, insgesamt um das Doppelte zugenommen, von etwa einem Viertel auf über die Hälfte der seßhaften jüdischen Bevölkerung. Der allgemeine Prozeß der Verarmung der deutschen Juden wurde noch durch die Auswanderung der Vermögenden beschleunigt. Seit dem späteren 14. Jahrhundert sandten

Arme und Armenfürsorge

Polarisierte Sozialstruktur im Spätmittelalter

Auswanderung

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Landjuden

Interne Solidarität

Quellen der lokalen Gemeindeautonomie

I. Enzyklopädischer Überblick

reiche Geldleiher Söhne und Schwiegersöhne als Vorhut nach Italien, einige Jahre später folgte dann die ganze Familie oder ihr Mehrteil nach. Zu Beginn des 16. Jahrhundert gab es im Reich nur noch eine Handvoll jüdischer Geldhändler von Bedeutung. Zurück blieben die schon geraume Zeit geographisch mobilisierten, in verarmenden Gemeinden nur mehr ungenügend betreuten und zunehmend durch die Vertreibungen aus den Städten aufs Land gedrängten Armen. Für das 15. Jahrhundert ist eine Tendenz des Überganges zu Handwerksberufen und Hausierhandel festgestellt worden, die sicherlich in der Hauptsache die Ärmeren betraf. Siedlungsgeschichtlich, wirtschaftlich und demographisch waren diese der Grundstock des frühmodernen „Landjudentums“ Deutschlands, dessen gewöhnlich ins 16. Jahrhundert gesetzte Entstehung im Spätmittelalter anzusetzen ist. Die jüdische Gesellschaft war zwar sozial geschichtet, in ihrer ethischen Grundausrichtung jedoch solidarisch angelegt. Es gibt zahlreiche Ausdrücke für die grundsätzliche Einstellung, daß „ganz Israel füreinander verantwortlich sind“, etwa die Entwicklung der Armenfürsorge, die Auslösung Gefangener oder die häufigen und gut eingespielten, wenn auch keineswegs immer erfolgreichen Bemühungen, bedrohten oder bereits von Verfolgungen betroffenen Gemeinden diplomatisch oder finanziell zu Hilfe zu kommen (unten I.D.3). Am klarsten kommen solche existentiell zwingenden Denk- und Handlungsformen in der Gemeinde zum Ausdruck. Frühere zentrale politische Einrichtungen, etwa der babylonische „Exilarch“ oder die iberischen Negidim, wurden nicht ins aschkenasische Mittelalter verpflanzt. Die voll autonome lokale Gemeinde mit ihren Institutionen der Selbstverwaltung ist trotz des Vorbilds der spätantiken jüdischen Stadt im Lande Israel im großen und ganzen eine selbständige Schöpfung des europäischen Mittelalters (zur Diskussion unten, II.B.1.3). Wesentlich für ihre Ausbildung war die fortlaufende Auseinandersetzung um die „aristokratische“ Vorherrschaft weniger führender Kaufmanns- und Gelehrtenfamilien, konkret die Sorge, daß der potente Einzelne die Solidarität der Gemeinschaft durchbrechen und sich besonders in der kritischen Frage der Steuerumlage selbständig machen könnte. Als Ergebnis ist eine institutionelle Entfaltung und zunehmende Festigung der Gemeindeautorität festzustellen, die auch in ethisch-religiöse Formen gekleidet wurde und bis zur Definierung als „heilige Gemeinde“ reichte. Im 13. Jahrhundert ist dieser Vorgang mit dem Wachstum einer Mittelschicht und der Gründung zahlreicher neuer Gemeinden abgeschlossen, die lokale Gemeinde stand mit ihren Aufgaben und Institutionen fertig da. Die Erschütterungen des Spätmittelalters haben dann ihre Funktionsfähigkeit

B. Die jüdische Gesellschaft

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und den inneren Zusammenhalt schwer beeinträchtigt. Der erhöhte steuerliche Zugriff und die Reglementierung immer weiterer Lebensbereiche durch die christlichen Obrigkeiten verringerten ihren Handlungsspielraum. Ethos und Organisationsformen der Gemeinde lebten jedoch im osteuropäischen Judentum bis in die Neuzeit weiter. Die jüdische Gemeinde sah sich von ihrem Selbstverständnis und der Minderheitssituation her mit den verschiedensten Aufgaben konfrontiert. Aus der Notwendigkeit der Vertretung gegenüber einer Obrigkeit, die Duldung und Schutz von der regelmäßigen Steuerleistung abhängig machte, und aus dem Wunsch nach gerechter Lastenverteilung ergab sich die Aufgabe der Steuerumlage, und damit das Erfordernis, dem Einzelnen den Willen der Mehrheit aufzuzwingen. Die Diskussion darum, erschließbar aus den Stellungnahmen der Gelehrten, kreiste zuerst um den zulässigen Modus der Beschlußfassung (Einstimmigkeit oder Mehrheit). Als im 13. Jahrhundert das letztere Verfahren akzeptiert wurde, erhob sich das Problem der Bestimmung einer legitimen Mehrheit, was nach einigem Schwanken gegen den bis dahin vorherrschenden aristokratischen Leitgedanken der „sanior pars“ zugunsten der Zahlenmehrheit entschieden wurde. Andererseits festigte sich auch der Gedanke der Vertretung der Gesamtheit durch gewählte Repräsentanten, der „Judenrat“ im Munde der christlichen Umgebung, auf Hebräisch die „Guten der Stadt“, „Großen“, „Ehrbaren“, „Wichtigen“. Ihre Zahl betrug zumeist zwischen sieben und zwölf, der Wahlmodus war verschieden, ebenso die Art der Geschäftsleitung, die oft im Turnus ausgeführt wurde (Parnass, „Judenbischof“). Von der christlichen Herrschaft erhielten sie gegen regelmäßige Steuerleistung und Wahrung der Ordnung die innere Autorität legitimiert, gelegentlich auch konkrete Unterstützung bei der Anwendung von Zwang gegen Widerspenstige. Die gemeinschaftliche Steuerleistung konnte sowohl auf Grundlage der eidlich geschworenen Selbsteinschätzung wie auch mittels Umlage durch gewählte und vereidigte Schätzer (Schamaim) durchgeführt werden. Als im Spätmittelalter viele Stadtherrschaften dazu übergingen, die Aufenthaltsberechtigung von alljährlich neu ausgehandelten individuellen Schutzbriefen abhängig zu machen, entfiel der zentrale Aspekt der Steuergemeinschaft, was entscheidend zur Schwächung der Gemeindeautorität beitrug. Ein wichtiger Aufgabenkreis war die Verantwortung für die Einrichtungen und Funktionsträger, die für ein Leben nach den religiösen Geboten und rituellen Vorschriften unabdingbar waren. Zu den wichtigsten Einrichtungen gehören die Synagoge für das öffentliche Gebet, die aber auch in einem Privathaus untergebracht sein konnte, ein Fried-

Gemeinde einrichtungen

20 Gemeindefunktionäre und Gebäude

Interne Konfliktregelung: der Gerichtshof

I. Enzyklopädischer Überblick

hof und das rituelle Bad. In größeren Gemeinden gab es auch öffentliche Brunnen und Backöfen, eine Örtlichkeit für das koschere Schlachten, ein Warmbad, das Armenspital (Hekdesch) und ein Gebäude für familiäre Feiern und Gemeindeversammlungen (oft „Tanzhaus“ genannt). Vom Gemeindepersonal finden sich, oft in Personalunion, beinahe überall Vorsänger, Synagogendiener und Schächter. Im Hochmittelalter gab es noch keine beamteten Rabbiner, sondern Gelehrte, die selbst in Handel und Geldberuf tätig waren und gleichzeitig als Vorsitzende der Talmudakademien und Gerichtshöfe wirkten. Im Spätmittelalter zählte auch der Rabbiner zu den Gemeindefunktionären. In größeren Gemeinden finden sich jüdische Kinderlehrer, Schreiber, Illuminatoren, Beschneider, Ärzte, Hebammen, Musikanten, Friedhofs- und Badewärter, Wasserträger, Totengräber und Leichenwäscherinnen, Herbergs- bzw. Spitalleiter, Schulmeister, Gemeindeköche und Wirte, Pferdewärter, Botenläufer, Fuhrleute und Bartscherer. Eine schöne Beschreibung der Aufgaben der Gemeinde brachte im 13. Jahrhundert R. Meir b. Baruch von Rothenburg: „Man muß einen Vorstand wählen, die Vorbeter aussuchen, Wohlfahrtseinrichtungen schaffen, deren Verwalter ernennen, für die Erbauung der Synagoge sorgen, ein Haus für die Abhaltung von Hochzeiten und für die Gemeindeangestellten erwerben und für alle Bedürfnisse der Gemeinde sorgen“ [nach 206: SPITZER, Gemeinde, 56]. Kleinstgemeinden hatten sich auch um die Anstellung auswärtiger Männer, meist Studenten, zu kümmern, um das für den Feiertagsgottesdienst notwendige Quorum von zehn Erwachsenen zu ergänzen. Für die Armenunterstützung und andere Aufgaben (wie etwa Friedhof, Synagogenbeleuchtung, Kinderunterricht, Krankenpflege, die Armen Jerusalems) gab es eigene Armen- und Wohltätigkeitskassen. Eine weitere zentrale Aufgabe der jüdischen Gemeinde war die interne Konfliktregelung, hauptsächlich auf den Gebieten des Zivilrechts, besonders des religiös wie materiell bedeutungsvollen Heiratsund Scheidungsrechtes. Konkret hieß das Errichtung und Unterhalt lokaler Gerichtshöfe, als deren Vorsitzer immer Gelehrte wirkten. Die interne Rechtspflege wird von der Forschung im Gegensatz zum „Judenrecht“ der christlichen Obrigkeiten (unten, I.D.2, II.B.2.2) als „jüdisches Recht“ bezeichnet. In der biblisch-talmudischen Tradition standen ihr grundsätzliche Rechtsanschauungen, prozedurale Regeln und auch Sanktionen für Übertretungen bereit: Geld- und Körperstrafen, Konfiszierung von Eigentum, vor allem jedoch der Bann (Cherem), der den Betroffenen aus der Gemeinschaft ausschloß, ihm verbot, am öffentlichen Gebet teilzunehmen, die Gemeindeeinrichtungen zu benut-

B. Die jüdische Gesellschaft

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zen, und Kontakte jeglicher Art zu den Gemeindemitglieden zu unterhalten. Über die Verhängung des Bannes wurden auch andere Gemeinden unterrichtet. Im Extremfall scheute man nicht vor der Anrufung der christlichen Obrigkeit zurück, obwohl sonst in internen Streitfällen der Gang zu nichtjüdischen Gerichten streng verpönt, keineswegs jedoch unüblich war. Die Aufrechterhaltung der Gemeinschaftsdisziplin war insgesamt ein schwieriges und nicht immer erfolgreich gelöstes Problem. So hatten die jüdischen Gemeinden häufig gegen Denunzianten aus den eigenen Reihen zu kämpfen. Die Wirksamkeit der internen Disziplinierung war ja nur so lange gegeben, wie der einzelne in der lokalen jüdischen Gruppe verharrte, sie beruhte weit mehr auf der freiwilligen Identifizierung mit der Gemeinschaft als auf deren Machtmitteln. Gegen die nur allzu häufig geübte Diktatur der Mächtigen konnte der in seinem Recht beschnittene Einzelne das öffentliche Gebet anhalten, bis seine Beschwerde gehört wurde (Ikuv Tfila). Mit der allgemeinen Verunsicherung der jüdischen Lebensumstände im Spätmittelalter konnte auch der Anspruch auf ein internes Rechtsmonopol nicht mehr aufrecht erhalten werden. Das jüdische Recht des aschkenasischen Mittelalters hat keinen geordneten Instanzenweg hervorgebracht, auch keine klare Hierarchie zwischen den einzelnen Gemeinden geschaffen. Dafür war die Geltung der Gerichte zu sehr vom persönlichen Ansehen der vorsitzenden Gelehrten abhängig, die lokale Autonomie der Gemeinden zu tief im Bewußtsein verankert, die Einmischung der christlichen Obrigkeiten zu häufig. In dieser grundsätzlich offenen Autoritätsstruktur, in der eine dauernde Spannung zwischen gemeinjüdischen Normen und lokalem Brauchtum bestand (unten I.C), sind die „Ordnungen“ (Takkanot) bemerkenswert, das einzige, was das aschkenasische Mittelalter an positiver Rechtssatzung aufzuweisen hat. Die früheren Ordnungen wurden gewöhnlich hervorragenden Gelehrten, besonders R. Gerschom b. Jehuda „Licht des Exils“(gest. 1028), zugeschrieben, lassen sich aber kaum datieren. Mit dem Verbot der Polygamie, der unilateralen Scheidung, oder der Verletzung des Briefgeheimnisses zeichnen sie das Bild einer ungemein mobilen Gesellschaft. Andere Bestimmungen spiegeln den Ausschließlichkeitsanspruch der frühen aristokratisch geführten Gemeinden wieder, so die Ordnung zum „ersessenen Wohnrecht“ (Cherem ha-Jischuv), das die Niederlassung weiterer Juden von der Zustimmung der Angesessenen abhängig machte, oder die Maarufija, das monopolartige Vorrecht eines Juden auf den Handel mit einem bestimmten Kunden. Das Verbot der Beleidigung der zum Judentum zurückgekehrten Konvertiten kündigt das Einsetzen der Verfolgungen an.

Überörtliche Ordnungen

22 Rabbinersynoden

Reichs- und Landesrabbiner

I. Enzyklopädischer Überblick

Der Großteil der datierbaren Ordnungen entstammt vier Zusammenkünften, sog. „Rabbinersynoden“, die zwischen 1196 und ca. 1250 in den zentralen SCH-U-M Gemeinden am Rhein (Speyer-Worms-Mainz) stattfanden. Sie waren die bedeutsamsten Anläufe zur überörtlichen Regelung jüdischer Angelegenheiten und behandelten ein breites Spektrum interner Probleme, darunter die Stellung der kinderlosen Witwe, Scheidungsrecht, Gerichtsprozedur, Schulden- und Steuerwesen, Gemeindebann, Synagogen-, Fürsorge- und Luxusordnung, sowie die rituellen Reinheitsgebote. Weitere Ordnungen illustrieren die sensitiven Nahtstellen mit der christlichen Umgebung. Sie verboten die Beschäftigung von Nichtjuden bei der Zubereitung von Wein und Speise, untersagten das Glücksspiel mit ihnen (wie auch unter Juden), die Nachahmung der fremden Bart-, Haar- und Kleidermoden, das Denunziantentum, die Ernennung von Gemeindevertretern mit Unterstützung der christlichen Obrigkeit, und die individuelle Aushandlung der Steuerleistung. Inwieweit sie damit Erfolg hatten, muß hingestellt bleiben. Nach dem Höhepunkt der SCH-U-M-Synoden im frühen 13. Jahrhundert ist ein Niedergang der überörtlichen Initiative festzustellen. Selbständige Treffen von Gelehrten waren äußerst selten, gewöhnlich wurden die Gemeindevertreter nur durch königliches Mandat zusammengerufen, um die Einsammlung von Sondersteuern zu erleichtern. Das Spätmittelalter kennt auch erstmalig sog. „Reichs-“ bzw. „Landesrabbiner“, dem Hofe nahestehende Juden, die aus fiskalischen Gründen zu Häuptern der betreffenden Judenschaften ernannt wurden, ohne jedoch jemals als solche anerkannt zu werden. Die allgemeine Schwächung nach dem furchtbaren Aderlaß des 14. Jahrhunderts ist auch im Niedergang der jüdischen Selbstverwaltung abzulesen.

C. Kultur- und Geistesgeschichte

Übergewicht des Religionsrechtes (Halacha)

Ihrem Selbstverständnis nach stand die Kultur der mittelalterlichen aschkenasischen Juden unter dem alles dominierenden Zeichen der Treue zum göttlichen Gesetz. Sie faßte die eigene Identität im Sinne des göttlichen Bundes als Sendung auf und konnte sich nur im Gehorsam gegen die Gebote Gottes begriffen und im Gottesdienst, das ist Gebet wie Einhaltung des alle Lebensaspekte umfassenden Ritus, erfüllt sehen. Daraus ergibt sich als erstes Grundelement eine weitgehende Prägung des geistigen Schaffens durch Erforschung und Anwendung des göttlichen Rechts (Halacha). Dies ging soweit, daß hier, im deutli-

C. Kultur- und Geistesgeschichte

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chen Gegensatz zu anderen Zerstreuungen der Juden, gewisse Zweige der intellektuellen Produktion kaum oder nur spät zur Entwicklung gelangten, so die Philosophie, Theologie und weltliche Dichtung (unten, II.B.1.4, II.B.3.4). Die nachbiblische jüdische Religion weist keine Sakramentallehre auf, die dem Priester eine dem christlichen Usus vergleichbare Rolle verleiht. Ihre Praxis ist durch die Figur des Gelehrten (Talmid Chacham) geprägt, dessen interpretatorische Funktion in der Zentralität der Schrift als Ausdruck des göttlichen Willens gegeben ist. Interpretiert werden Bibel und Talmud und die auf letzteren bauende Traditionskette, deren Durchdringung und Meisterung dem Individuum in der jüdischen Gesellschaft, jedenfalls ideell, das höchste Ansehen verlieh. Für die besondere Ausbildung der Rechtgläubigkeit im jüdischen Deutschland bezeichnend war neben der halachischen Komponente, die es mit anderen Teilen von Aschkenas gemeinsam hat, das ungemein stark verankerte und örtlich sehr verschiedene Brauchtum: „die Bräuche unserer Väter sind Gesetz (Tora)“ [303: TA-SHEMA, Ashkenazi Jewry, 37]. Brauchtum ist die Art und Weise, in der Einzelheiten eines eigentlich einheitlichen Ritus von Gebeten, Speise- und Reinheitsgeboten, Buße und Fasten, Begräbnis und vieles andere, in Wortlaut, Gebärde, Zeitgestaltung, Kleidung usw. von Gemeinden und sogar einzelnen Familien unterschiedlich gehandhabt wurden. Zum Brauchtum gehörte besonders die von Ort zu Ort verschiedene Einschaltung synagogaler Dichtungen (Pijutim) mit zuweilen mystischem, zuweilen belehrendem, zuweilen martyrologischem Gehalt in die gewöhnliche Liturgie. So zentral war der Pijut, daß er wie der Talmud bereits im 11. Jahrhundert Gegenstand der gelehrten Erörterung wurde. Zum brauchtümlichen Aspekt im weiteren Sinne gehört auch die Tendenz zur oralen Überlieferung, die Scheu vor der schriftlichen Kodifizierung, ein besonders im Spätmittelalter stark ausgeprägter Charakterzug. Nicht wenige der unter dem Namen großer Gelehrter überlieferten Werke sind eigentlich von Schülern zusammengestellte Sammlungen der mündlichen Aussagen ihrer Meister. Das normative Übergewicht des brauchtümlichen Elements gegenüber anderen Elementen der Halacha, etwa das zähe Festhalten an ausdrücklichen Vorschriften des Religionsgesetzes widersprechenden synagogalen Bräuchen, ist schon in der formativen Frühzeit spürbar. Im 12. und 13. Jahrhundert erscheint es unter dem Druck des tossafistischen Talmudstudiums (dazu im weiteren) zurückgedrängt, im Spätmittelalter war es wiederum unangefochten. Zur Erklärung kann etwa die Pionierpsychologie der individualistischen Fernwanderer der ersten Generation herangezogen werden, die religiöse

Gelehrte als Interpreten der Halacha

Brauchtum

Liturgische Dichtung

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Der babylonische verdrängt den Jerusalemer Talmud als gültiger normativer Rahmen

Sprachen der Juden

I. Enzyklopädischer Überblick

Verklärung ihrer Frömmigkeit, Herkunft und Traditionen durch eine selbstbewußte, gewollt aristokratische Elite. Die intensive Auseinandersetzung in der rabbinischen Literatur mit Fragen von Ritus und Gebet erklärt sich auch aus der gesellschaftlichen Brisanz von Riten für den sozialen Status der Betroffenen. Von formativem Einfluß war das kulturelle Erbe des Landes Israel, das über das byzantinische und italienische Judentum nach Aschkenas gelangt war. Es blieb in der liturgischen Dichtung als traditionell verankertes Brauchtum auch noch maßgebend, als im späteren 11. Jahrhundert der babylonische Talmud die Jerusalemer Version als allgemein gültiger normativer Rahmen verdrängt hatte. Wesentlich für die Verankerung des Brauchtums war letztlich wohl das Selbstgefühl der „heiligen Gemeinde“, das „tiefe Gefühl der eigenen Religiosität und Richtigkeit der eigenen Traditionen, die Unmöglichkeit, einen scharfen Unterschied zwischen den eigenen Praktiken und dem Gesetz zu erkennen. Grundlegend dafür war die Empfindung, daß sich das Wort Gottes nicht nur in der kanonischen Literatur (dem Talmud), sondern auch im Leben Seines Volkes verwirklicht“ [205: SOLOVEITCHIK, Religious Law, 211 f.]. Sicherlich damit im Zusammenhang stand der Komplex der „Heiligung des Namen Gottes“ (Kiddusch Ha-Schem), ein seit den Kreuzzugsmassakern von 1096 bestimmendes Denk- und Verhaltensmuster, das gegen den äußeren Druck zum Glaubenswechsel die konsequente, auch nicht den Tod scheuende Identitätsbehauptung stellte, dieser offenbar sogar eine heilsgeschichtliche Dimension und Wirkung verlieh (zur Diskussion unten, II.B.3.3.2). Eine weitere bezeichnende Eigenart besteht in den Glaubensvorstellungen und -praktiken der „Frommen von Aschkenas“ (Chassidej Aschkenas), die dieser sonst von Spekulation fernen Kultur die Brücke zu den breiten Strömungen der Mystik schlug (s. im weiteren und unten II.B.1.4). In den Textzeugnissen der „Frommen“ lassen sich auch wesentliche Elemente der volkstümlichen Religiosität erschließen, ein notwendiges Regulativ zu der von den gelehrten Quellen vermittelten Kopflastigkeit unseres Bildes. Grundlage der jüdischen Kultur war das Hebräische, das als Liturgiesprache, als Vehikel jeder gelehrten Auseinandersetzung mit den Stoffen der Tradition, und allgemein als Schriftsprache diente. Keineswegs ist es in dieser Periode als „tot“ oder „fossiliert“ zu betrachten. Die gesamte Welt des Juden war vielmehr mit hebräischen Begriffen, Assoziationen und Redewendungen, vorzüglich im Gewand von Bibelund Talmudzitaten, durchsetzt. Im gelehrten Schrifttum war die hebräische Sprache auch im Mittelalter Gegenstand lexikalischer und grammatischer Bemühungen. Trotz der vorrangigen Definition als Kult- und

C. Kultur- und Geistesgeschichte

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Liturgiesprache diente sie auch weltlichen Zwecken, die Geschäftsbücher der Juden waren durchgehend darin verfaßt, gelegentlich scheinen Juden auch Hebräisch gesprochen zu haben. Allerdings sollten die Hebräischkenntnisse auch nicht überschätzt werden. Aus dem Spätmittelalter ist die Notwendigkeit überliefert, religionsgesetzliche Anweisungen in der Synagoge auf Deutsch erklären zu lassen. Es scheint auch eine Nachfrage nach umgangssprachlich verfaßten populären Kompendien halachischer Sammlungen bestanden zu haben, wogegen sich die Rabbiner jedoch stemmten. Als Umgangssprachen haben die Juden die verschiedenen deutschen Regionalidiome gebraucht. Im Rheinland des 11.–13. Jahrhunderts und möglicherweise noch später sprachen sie auch das Französische, in Böhmen und Mähren zusätzlich zum Deutschen die jeweiligen slawischen Sprachen. Die Entstehung des Jiddischen als Umgangssprache ist nicht vor dem Spätmittelalter, als Schriftsprache nicht vor der Frühneuzeit anzusetzen. Grundsätzlich kann für die Mehrzahl der mittelalterlichen Juden die Doppel-, wenn nicht sogar Mehrsprachigkeit angenommen werden, allerdings mit signifikanten Unterschieden auch in der Schriftlichkeit. Lateinkenntnisse wurden wahrscheinlich nur durch gelehrte Proselyten vermittelt (zum Problem der gegenseitigen Kenntnis der rivalisierenden Religionen s. unten, II.B.3). Die für alle Juden, jedenfalls Männer, verbindliche und mit 5 Jahren beginnende Grundausbildung in Lesen, Schreiben und Studium des Pentateuch fand auf privater Basis statt. Reichere Familien stellten einen Privatlehrer an, außerdem wirkte in jeder größeren Gemeinde auch ein von den Eltern bezahlter Lehrer. Im Spätmittelalter kam die Gemeinde oft aus der Armenkasse für das Schulgeld von Kindern Unbemittelter und besonders armer Waisen auf. Auch Mädchen erhielten in der Regel eine Ausbildung in Lesen und Schreiben. Die mittlere Bildung, d. h. die Einführung in den hebräischen und aramäischen Text des babylonischen Talmud und seine Begrifflichkeit und in die Anfänge der talmudischen Dialektik, sowie ausgedehntere Bibelstudien, erhielt der 9–13jährige Knabe gewöhnlich von seinem Hauslehrer, an Orten mit einem Lehrhaus (Jeschiwa) oft von fortgeschrittenen Studenten. Die Anstalt höherer Bildung war die Jeschiwa, der Lehrstoff der Talmud unter Beiziehung der späteren Kommentare. Das Lehrhaus war fast immer an die Person und die Gelehrsamkeit des Vorstehers gebunden, der oft Leiter des örtlichen Gerichts, im Spätmittelalter dann Gemeinderabbiner war. Doch blieb sie durchgehend eine private, von der Gemeinde weitgehend unabhängige Institution. Die Studenten waren in der Regel Wanderstudenten, was dem traditionellen Bildungsideal des Studiums

Schulausbildung

Höhere Studien an der Jeschiwa

Die Studenten

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Erste Gelehrte in Mainz

I. Enzyklopädischer Überblick

bei möglichst vielen Lehrern entsprach, aber auch der jugendlichen Abenteuerlust, und im Spätmittelalter der demographischen Realität des fast völligen Fehlens von Gemeinden mit mehreren bedeutenden Gelehrten. Die „Burschen“ (Bachurim) der Jeschiwa bildeten innerhalb der Gemeinde eine eigene, von den Ansässigen gesonderte Gruppe. Ihr Verhältnis zum Lehrer war, ähnlich wie in der christlichen Universität, von einem Verhaltenskodex geprägt, der dessen Autorität über die Schüler stark betonte. Die Studenten sollten nicht nur in den Lehrveranstaltungen von ihrem Meister lernen. Dessen Verhalten war, jedenfalls idealtypisch, zu jeder Zeit von den ethischen Prinzipien und den religionsgesetzlichen Vorschriften der Tradition geprägt, seine Tischmanieren hatten daher ebenso Lehrwert wie seine Ausführungen zu einer schwer verständlichen talmudischen Glosse. Das literarische Schaffen soll im folgenden in den Haupttendenzen und hervorragenden Gestalten umrissen werden. Die früheste Hochburg des Studiums war das Lehrhaus von Mainz. Seine Gelehrten des 10. Jahrhunderts sind nur unklar erkennbar, so der Italiener R. Meschulam ben Kalonymus, dann R. Leontin, auch er vielleicht aus Italien, und R. Schimon ben Jitzchak, von französischer Abstammung und Verfasser liturgischer Dichtungen. Unter R. Gerschom ben Jehuda „Licht des Exils“ (um 960–1028), dessen hervorragende Stellung durch die spätere ausgiebige Zuschreibung anonymer Rechtsentscheidungen gekennzeichnet ist, und seinen Schülern und Nachfolgern, etwa R. Jehuda ha-Cohen, R. Jakob ben Jakar, R. Elieser ben Jitzchak der Große, wurden hier die Grundmuster aschkenasischer Rechtsfindung und Auslegung und die technischen Mittel für deren Verbreitung, der Talmudkommentar der sog. „Weisen von Mainz“ sowie die Responsensammlung entwickelt. Daneben wurden Bibelkommentare und synagogale Hymnen, vielleicht auch ein talmudisches Wörterbuch, verfaßt. Nach einem gewissen Niedergang der literarischen Produktion zur Jahrhundertmitte läßt sich im letzten Drittel des 11. Jahrhunderts eine zweite Blütezeit ausmachen. Zusätzlich zum Mainzer Lehrhaus entwickelte sich auch in Worms eine Jeschiwa, deren bekannteste Figur R. Schlomo ben Schimschon war. Worms profitierte in den siebziger Jahren auch von der Ankunft des bedeutenden Gelehrten R. Kalonymus ben Sabbatai aus Rom und scheint in mancher Hinsicht das konservative Mainz überholt zu haben. Mit der Errichtung eines weiteren Lehrhauses um oder nach 1084 in Speyer zeichnet sich das Dreigestirn SchUM (gebildet aus den hebräischen Anfangsbuchstaben der Orte Speyer, Worms, Mainz) ab. Wesentlich für die Blütezeit des letzten Drittels des 11. Jahrhunderts war der wachsende Einfluß der babyloni-

C. Kultur- und Geistesgeschichte

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schen Gelehrten (Geonim) wie auch des babylonischen Talmud, der nunmehr in zunehmend systematischer Weise analysiert wurde, bei gleichzeitigem Rückgang des in der Frühzeit maßgebenden Einflusses der Jerusalemer Redaktion des Talmud. Die Verwüstungen des Ersten Kreuzzugs 1096 trafen die Lehrhäuser von Mainz und Worms tödlich, sie vernichteten den Großteil ihrer Mitglieder und offensichtlich auch die dort befindlichen Texte. Einzig in Speyer waren nach 1096 Gelehrte tätig, zum größeren Teil Nachkommen einiger 1084 aus Mainz eingewanderter vornehmer Familien, deren Traditionen sich auch über die Katastrophe hinaus erhalten konnten. Insgesamt waren die Folgen schwerwiegend, bis ins spätere 12. Jahrhundert gab es keine nennenswerten eigenständigen Entwicklungen im geistigen Schaffen der deutschen Juden. Die Gründe dafür liegen nicht allein in der Katastrophe von 1096. Die Juden Deutschlands bildeten mit denen Nordfrankreichs einen Kulturkreis von dynamischen Wechselbeziehungen. Im Jahre 1070 kehrte R. Jitzchak b. Schlomo (Raschi, 1040–1105) von seinen Studien im Rheinland nach Troyes zurück. Sein Werk besteht vor allem in der Erstellung des durch Prägnanz und didaktische Leistung bis heute maßgebenden Talmudkommentars (Perusch Raschi). Die ihm nachfolgende Schule der Tossafisten (Baalej Tossafot, „Verfasser von Zusätzen“), unter ihnen besonders die beiden Enkel Raschis, R. Schmuel b. Meir (gen. Raschbam, gest. um 1158) und R. Jakob Tam (gen. Rabbenu Tam, gest. um 1171), hat darauf bauend eine analytische, auf Frage und Antwort beruhende Dialektik der Rechtsauslegung entwickelt. Raschis Kommentar und die tossafistische Methode haben die gesamte aschkenasische Gelehrsamkeit in Lehrinhalten, Lehrtechnik und Textwahl so entscheidend geprägt, daß die in Deutschland tätigen Gelehrten des 13. Jahrhunderts kaum Gebrauch für die von ihren Vorfahren verfaßten Texte hatten. Die praktische Bedeutung der tossafistischen Tätigkeit ist aus der genau in diese Periode fallenden religionsgesetzlichen Sanktionierung der Geldleihe abzulesen, ein zentraler Beitrag zur Anpassung an die rasch wechselnden Lebensumstände. Neu war auch die Erstellung systematischer Bibelkommentare, von denen der Raschis die Popularität seines Talmudkommentars noch überstieg. Ihre Abfassung und die starke Betonung des Wortsinns des hebräischen Bibeltextes waren sicherlich beeinflußt von der Notwendigkeit, sich gegen die bedrohlich anwachsende christliche Polemik zu wappnen, die sich mit Vorliebe der christologisch-allegorischen Bibelexegese bediente (unten, II.B.3.3). Das 12. Jahrhundert war in Deutschland die Zeit der Rezeption Raschis und der Lehre der Tossafisten. Beginnend in Speyer mit R. Jitz-

Katastrophale Auswirkungen der Kreuzzugsverfolgungen auf das Studium in Mainz und Worms

Raschi und der Einfluß der französischen „Tossafisten“Schule

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I. Enzyklopädischer Überblick

chak ben Ascher ha-Levi (gen. Riba, gest. vor 1133), verbreitete sich die Dialektik in der nächsten Generation nach Mainz (R. Elieser b. Natan, gen. Raben, Verfasser des Buches Even ha-Eser und zahlreicher Hymnen) und Regensburg (R. Jitzchak b. Mordechai, gen. Ribam, ein Schüler des Rabbenu Tam; und R. Efraim ben Jitzchak, gen. der Große, wohl der bedeutendste synagogale Dichter seiner Generation). Sie fand dann mit den Schwiegersöhnen des Raben, R. Joel b. Jitzchak ha-Levi und R. Schmuel b. Natronai, auch in Bonn und Köln Eingang. Damit ist nur ein kleiner Teil der deutschen Tossafisten genannt, die sich über Familienverbindungen, Studienaufenthalte und schriftliche Kommunikation die neue französische Lehre aneigneten, diese als Vorsteher von Lehrhäusern weiter verbreiteten und in den Gerichtshöfen konkret auf das Leben der Juden anwandten. Die deutschen Tossafisten verbanden das Talmudstudium mit einem reichen liturgisch-dichterischen Werk, dessen Tenor stark vom Nachhall der Kreuzzugsmassaker 1096 und den späteren Verfolgungen bestimmt war. Zu diesem Korpus gehören die eindringlichen Schilderungen der sog. hebräischen Kreuzzugschroniken (unten, II.B.3.3.2), auch die zu liturgischen Zwecken angelegten Namenslisten der Ermordeten, die sog. „Memorbücher“. Als Höhe- und Endpunkt der rezeptorischen Tätigkeit des 12. Jahrhunderts mag die Tätigkeit zweier Gelehrter angesehen werden: R. Elieser b. Joel ha-Levi, gen. Ravia nach seinem gleichnamigen Hauptwerk, Sohn des oben erwähnten Joel b. Jitzchak ha-Levi, geboren um 1140 in Mainz, studierte in Mainz, Metz, Regensburg und Speyer, wirkte in Bonn, Bingen, Köln, Würzburg und Frankfurt am Main, starb nach 1220. Sein Schüler war R. Jitzchak b. Mosche, genannt Or sarua nach seinem Buch „Ausgestrahltes Licht“, um 1180 geboren, aus Böhmen stammend, lebte u. a. in Meißen, Speyer, Regensburg, Paris, Würzburg, Ungarn und Wien, starb um 1250. Beide Gelehrten sind in ihrem Lebenslauf Sinnbild der Ausbreitung des rheinischen Judentums auf Mittel- und Südostdeutschland sowie Böhmen. Ihre Werke sind bezeichnend für den Entwicklungsstand der Halacha in ihrer Periode: das Buch Ravia ist eine Zusammenstellung von Wort- und Sacherklärungen, längeren Glossen, umfangreichen Exkursen und ganzen Responsen zu den verschiedenen Traktaten des babylonischen Talmud. Das Buch Or sarua ist eine strukturell ähnliche ausführliche Abhandlung zu den Talmudtraktaten, die neben der Ansicht des Verfassers auch die Lehrmeinungen und Responsen von insgesamt 180 französischen und deutschen Gelehrten wiedergibt. Die Auswirkungen der mächtigen tossafistischen Welle hat H. SOLOVEITCHIK anschaulich dargestellt: „There is an ongoing and ever-broadening acceptance of the Law by the

C. Kultur- und Geistesgeschichte

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people. As a result of the dialectical approach, conclusion after conclusion was being drawn from the Talmud and the religious norm expanded to undreamt-of frontiers. The people were slowly but surely accepting an ongoing thickening of the heavenly yoke“ [205: Religious Law, 216 f.]. Seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts hatte sich jedoch eine neue Geistes- und Frömmigkeitsrichtung entwickelt, die der „Frommen von Aschkenas“. Über den historischen Hintergrund ihrer Entfaltung, ihre Quellen, Glaubensinhalte und Wirkung wird in der Forschung intensiv diskutiert (unten, II.B.1.4). Bei ihren schriftlich in Erscheinung getretenen Vertretern handelte es sich um eine ganz kleine Gruppe von Nachfahren der alten aristokratischen Familie der Kalonymiden, von denen ein Zweig aus Mainz nach Speyer übersiedelt war und dort das Massaker von 1096 überlebt hatte. R. Kalonymus b. Jitzchak der Ältere (gest. 1126) war als Kenner mystischer Lehren bekannt. Sein Sohn R. Schmuel he-Chassid (gest. um 1180) hat einen Bibelkommentar und nur in Zitaten überlieferte mystische Schriften verfaßt, die von einer inwärts gerichteten Frömmigkeit, der Suche nach zusätzlichen, in den Schriften verborgenen Geboten Gottes, und ekstatischen Praktiken sprechen. Sein Sohn R. Jehuda he-Chassid (geb. um 1140 in Speyer, gest. 1217 in Regensburg) war wahrscheinlich hauptteilig der Verfasser des „Buches der Frommen“ (Sefer Chassidim), von der Form her mehr eine Exemplasammlung als ein Buch. Darin wird eine elitäre Religionspraxis mit starkem ethischem Beigehalt und ein die individualistisch-intellektuelle Tendenz der Tossafisten korrigierendes Erziehungssystem gepredigt. Die von R. Jehuda in Anspruch genommene charismatische Autorität ist ihm nicht zugefallen, wohl wegen der herausfordernden Selbsterniedrigung und stolzen Tendenz zur Auschließlichkeit, die zum Stil der „Frommen“ gehörten. Die „Bösen“ sind im „Buch der Frommen“ nicht nur die gewalttätigen und unmoralischen Juden, sondern auch die Gelehrten, Dichter und sonstigen Standespersonen, die sich etwa bei der Rezitation der Psalmen weniger Zeit nahmen, als es die „Frommen“ für angemessen hielten. R. Jehudas Schüler und Verwandter, R. Elasar b. Jehuda von Worms (um 1165–1238) hat eine traditionellere Haltung eingenommen. An den rheinischen Rabbiner- und Gelehrtenversammlungen war er persönlich beteiligt. Er hat eine große Zahl mystischer Schriften verfaßt, aus denen das esoterischtheologische Lehrgebäude der „Frommen“ rekonstruierbar ist. Den praktischen Aspekt der Lehre, eine Abhandlung über die Tugenden und Bußpraktiken der „Frommen“, hat er in sein stark traditionell bestimmtes religionsgesetzliches Kompendium Rokeach („Buch des Salben-

Die „Frommen von Aschkenas“

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R. Meir von Rothenburg – Synthese deutscher und französischer Traditionen

I. Enzyklopädischer Überblick

händlers“) eingebaut, die stolze Ausschließlichkeit und soziale Lehre R. Jehudas dabei stillschweigend fallen gelassen. Über die Sammlungen u. a. seines Schülers R. Jitzchak Or sarua und seines Korrespondenten Ravia hat Elasars Kombination von chassidischer Ethik und traditioneller Halacha weite Verbreitung erfahren, vielleicht, weil sie einem alten Grundtenor aschkenasischer Frömmigkeit entsprach. Im Spätmittelalter war es unter den Gelehrten selbstverständlich, dem chassidischen Frömmigkeitsideal zufolge eine asketische Lebensführung mit ostentativer Bescheidenheit und einem hochgeschraubten Sündenbewußtsein zu verbinden. Von der esoterischen Lehre der „Frommen“ dagegen ist kaum weitere Wirkung ausgegangen, ihren Platz hat die spanische Kabbala eingenommen. In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts wird namentlich im Wirken des letzten und größten Tossafisten des mittelalterlichen Deutschland, R. Meir b. Baruch, die Synthese zwischen traditioneller Andächtigkeit und neuer tossafistischer Halacha sichtbar. Der Maharam von Rothenburg (um 1220–1293) wurde als Sohn einer Familie von Toragelehrten in Worms geboren, studierte u. a. bei R. Jitzchak Or sarua in Würzburg und an mehreren Orten in Frankreich, wo er 1242 in Paris Zeuge der öffentlichen Verbrennung des Talmud wurde, ein mehr als nur symbolischer Schlußpunkt des Zeitalters der französischen Talmudisten. Sein Klagelied auf die Verbrennung ist bis heute Teil der Trauerliturgie für den Tag der Zerstörung des Jerusalemer Tempels. In Rothenburg ob der Tauber unterhielt er ein großes Lehrhaus. Er verfasste zahlreiche Rechtsentscheidungen (es sind über tausend in Sammlungen seiner Schüler erhalten) auf Anfragen aus Deutschland, Böhmen, Italien, Frankreich und Spanien. Ohne offiziell je ein anderes Amt als das des Rabbiners seiner Gemeinde und Vorstand der Jeschiwa bekleidet zu haben, wirkte R. Meir weit über Rothenburg hinaus als geistiger Hirte, der sein Volk auf die Bahn der Gesetzeserfüllung und der Frömmigkeit lenkte. In einer Zeit wachsenden äußeren Druckes und verstärkter innerer Spannungen verstand er es, zwischen der Fürsorge um den benachteiligten Einzelnen und der Aufrechterhaltung der Gemeindeautorität ein prekäres Gleichgewicht zu erhalten. In rechtlichen Angelegenheiten stand der Maharam voll in der tossafistischen Tradition, in seiner Behandlung von Gebet und Ritus, so etwa im Hymnenkommentar, ist er ganz traditionell. Bezeichnend sind die Umstände, unter denen er sein Leben beendete. Auf dem Weg ins Heilige Land 1286 ergriffen und von König Rudolf I. auf der Feste Ensisheim im Elsaß eingesperrt, weigerte er sich, der immens hohen Lösegeldforderung zuzustimmen, um keinen Präzedenzfall für ähnliche Erpressungen zu schaffen. Er starb nach

C. Kultur- und Geistesgeschichte

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siebenjähriger Haft, sein Körper wurde erst vierzehn Jahre später, 1307, gegen ein Vermögen zur Beerdigung freigegeben. Seine um die Jahrhundertwende wirkenden Schüler haben noch einige umfassende talmudische Kompilationen erstellt, so die Hagahot Maimoniot des R. Meir ha-Cohen und das Sefer Mordechai des R. Mordechai b. Hillel, beides Sammlungen, die den Gelehrten des Spätmittelalters als beinahe ausschließliche Quellen der halachischen Tradition dienen sollten. Danach verengte sich die literarische Produktion auf die Erstellung von Brauchtumssammlungen und religionsgesetzlichen Handbüchern zu verschiedenen rechtlich-rituellen Problemen, besonders der Ehescheidung, Schächtung, Beschneidung, Kalligraphie und der Beschreibung von Gebetsriemen und Mesusot. Sie wurden nicht nur von Epigonen, sondern auch von den wichtigsten Rabbinern der Periode verfaßt und zeichnen sich durch eine praktische, auf die konkrete Anleitung zur Lösung religionsgesetzlicher Fragen orientierte Anlage aus, die auf die Quellenerörterung verzichtet und in klarem Gegensatz zur tossafistischen Lust an der Diskussion an sich steht. Dieser langfristige Wandel im Charakter der religionsgesetzlichen Literatur muß einem echten Bedürfnis entsprochen haben, das von der Forschung u. a. mit der Nachwirkung der „Frommen von Aschkenas“ in Verbindung gebracht wurde. Die Krisenzeit des 14. Jahrhunderts mit ihren umgreifenden Verfolgungen hat das geistige Schaffen schwer beeinträchtigt. Nach den Pestverfolgungen der Jahrhundertmitte verstummten die traditionellen Zentren der Gelehrsamkeit in West- und Mitteldeutschland, einzig in den verschont gebliebenen Gebieten, hauptsächlich in Österreich, waren weiterhin Gelehrte tätig. R. Abraham Klausner von Wien (gest. 1408) verfaßte in Wiederaufnahme alter aschkenasischer Traditionen eine Sammlung des lokalen Brauchtums (Sefer Minhagim), die für diese im Spätmittelalter weitverbreitete Literaturgattung exemplarisch wurde. In Wien und dann in Wiener Neustadt wirkte auch R. Schalom Neustadt (gest. um 1415/16), in Wien R. Jekel von Eger (gest. 1418), in Krems R. Aharon Blümlein, der 1421 in Wien ermordet wurde. Ein späterer und sehr einflußreicher Vertreter der österreichischen Traditionen war R. Israel Isserlein (gest. 1460), Enkel des Aharon Blümlein, Ortsrabbiner in Marburg (= Maribor) und Wiener Neustadt, Verfasser zweier Responsensammlungen, Erläuterungen zu Raschis PentateuchKommentar, zweier Kompendien über Speisegesetze und Ehescheidung, aber auch von Predigten und gefühlvollen Gebeten für den Privatgebrauch. Seine Neigung zu Mystik und kabbalistischen Übungen teilte er mit anderen Gelehrten der Periode.

Die österreichische Schule

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Gelehrtentum im Spätmittelalter: der Maharil als Beispiel

I. Enzyklopädischer Überblick

Die umfassende Verfolgung in Österreich (1420/21) beendete die Existenz der „österreichischen Schule“, die in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts begabte Studenten aus dem gesamten deutschen Bereich angezogen hatte. Mit dem langsamen Wiederaufbau der jüdischen Ansiedlung wurde bereits um die Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert das Studium auch an anderen Orten aufgenommen, ohne daß es jedoch zu einer ähnlichen Ballung gelehrter Tätigkeit kommen sollte. Beispielhaft für zahlreiche andere Gelehrte mag die einflußreichste Figur des jüdischen Spätmittelalters in Deutschland stehen, R. Jakob Molin, gen. Maharil (gest. 1427). Er studierte bei den drei oben genannten österreichischen Lehrern und diente dann von 1395 bis 1426 als Rabbiner von Mainz. Seine ungemein starke Autorität fußte auf der umfangreichen Lehrtätigkeit als Leiter des örtlichen Lehrhauses, auf der Abfassung von Rechtsgutachten, die wie üblich von seinen Schülern gesammelt wurden, auf Sendbriefen an die Gemeinden in gefahrvollen Zeiten, so etwa in den hussitischen Wirren von 1421, auch auf der Tätigkeit als Vertreter seiner Gemeinde in Verhandlungen mit den christlichen Obrigkeiten. Halachische Werke im eigentlichen Sinn hat er nicht verfaßt. Seine Responsen und Bräuche gründeten vielfach auf älteren deutschen Dezisoren der Generation vor 1350. In seinem halachischen Verfahren strebte er danach, möglichst allen Lehrmeinungen gerecht zu werden. Größtes Gewicht legte Jakob Molin auf das Brauchtum, insbesondere die rheinländischen Ortsbräuche, die ihm wegen ihres hohen Alters verläßlich erschienen. Mit Liturgie und synagogalem Gesang beschäftigte er sich ausgiebig in seinen Schriften, als ständiger Vorbeter an wichtigen Gebets- und Feiertagen und als Verfasser einer Sabbathymne. In verschiedenen Variationen ist des Maharils Mischung von Ortsrabbinertum, persönlicher Frömmigkeit, praxisbezogener Halacha und brauchtümlichen Traditionen typisch für die Gelehrten des Spätmittelalters. Keinesfalls ist für das fast gänzliche Fehlen eines eigenständigen geistigen Schaffens in dieser Periode ein Sittenverfall oder intellektuelle Unfähigkeit verantwortlich zu machen, allerhöchstens das angeschlagene Selbstgefühl der Überlebenden schwerster Verfolgungen, die auch im 15. Jahrhundert keineswegs zur Ruhe kamen. Es spricht daraus das Gefühl der eigenen geistigen Unzulänglichkeit, das sich im Gegensatz zu den Vorfahren nicht mehr zutraute, die älteren Autoritäten kritisch zu benutzen und in strittigen Fragen abweichend, kreativ zu entscheiden. Daraus, aber auch aus dem mündlichen, der schriftlichen Kodifizierung abgeneigten Lehrstil der Jeschiva, ergab sich jener Konservatismus, der das religiös-geistige Schaffen des Spätmittelalters kennzeichnet.

D. Die Juden in der christlichen Gesellschaft

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Das halachische Werk ist unbestreitbar der wichtigste Zweig in der geistigen Produktion des aschkenasischen Mittelalters, so weit, daß es in der Forschung oft zum einzigen erklärt wurde. Eine Gesamtwertung muß jedoch auch die Ansätze in der Mystik und Philosophie beachten (unten, II.B.1.4), ebenso die volkssprachliche Literatur (unten, II.B.3.4).

D. Die Juden in der christlichen Gesellschaft Von Anfang ihrer Niederlassung an besaßen die Juden eine voll ausgebildete kulturelle und soziale Identität. Solange diese durch die Religion und das mit ihr verbundene Verhaltenssystem definiert wurde, konnte sich für das Kollektiv nicht die Frage der Assimilierung an die umgebende Gesellschaft stellen (zu den nicht seltenen Konvertiten II.B.3.2). „Taking into consideration the all-pervasive character of both the Christian and the Jewish religions in the Middle Ages, we are forced to the conclusion that the social segregation of the adherents of the two religions was unavoidable ... They could scarcely penetrate into each other’s social sphere, for the life of each community was permeated by its own religious symbols and emblems“ [268: KATZ, Exclusiveness, 10]. Dieses Anders-Sein blieb jedoch nicht neutral, es war schon früh mit gegenseitigen Aversionen überdeckt, die im Laufe der Zeit zunahmen. Für lange Zeit hatte daneben die tagtägliche Koexistenz das Übergewicht. Periodisch und in zunehmendem Maße wurde sie jedoch durch Ausbrüche der Gewalt der Mehrheit gestört, bis seit etwa 1300 der Konflikt zur Norm wurde. In diesem dynamischen Prozeß war die jüdische Minderheit nicht nur duldender Partner, ihr Handeln spielte sich jedoch notgedrungen im Bereich der Abwehrmaßnahmen ab, aber auch, wie die neueste Forschung ausdrücklich herausstellt, im Raum der symbolischen Handlungen und Rituale (unten, II.B.3). Die konkreten Initiativen und Machtmittel lagen jedoch bei der anderen Seite, zuweilen mit verheerenden Konsequenzen (unten, I.D.3). Die Entwicklung im Reich war im europäischen Vergleich eine meist zeitlich etwas verspätete Variation auf ein gemeinsames Thema, und wurde aus den gleichen Quellen des christlichen Antijudaismus gespeist. Dieser durchlief im 13. Jahrhundert einen Prozeß der Bündelung, Neuformulierung und Verhärtung der Positionen, der wesentlich vom Krisengefühl der Kirche geformt war und konkret im Missionsgedanken der Bettelorden faßbar ist. Besonders die vielfältig mit der

Konflikt und Koexistenz – der Grundtenor jüdischen Lebens innerhalb des Christentums

Judenfeindschaft in Deutschland – eine Variation auf ein gesamteuropäisches Thema

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Die Juden nie gleichberechtigt

volkstümlichen Religiösität verknüpften Dominikaner haben hier zentrale Anstöße geliefert, etwa bei der Verurteilung und Verbrennung des Talmud (1242), haben auch in Predigt und Erbauungsliteratur wesentlich zur Dämonisierung des Bildes vom Juden beigetragen. Die Weiterentwicklung mit der explosiven Mischung von Stereotypenbildung, sozialer Unruhe und obrigkeitlicher Manipulation fand nach der Austreibung der Juden aus England (1290) und Frankreich (1306, 1322, 1394) jedoch im wesentlichen auf mitteleuropäischem (und iberischem) Boden statt. Oft genug ist die Forschung der Faszination der vom Wesen her konfliktgeladenen und tragischen Grundthemen des christlich-jüdischen Verhältnisses erlegen. Zu anderen Zeiten hat sie aus apologetischen Motiven das friedliche Zusammenleben überbetont. Eine an den konkreten Lebensumständen interessierte Geschichtsanschauung muß auch die so zahlreichen Grauzonen und Überschneidungen einbeziehen. Vor der drückenden Geschichte der Verfolgungen soll darum ein Bild der Ambivalenz, der gegenseitigen Kontakte, Vermeidungen, Konflikte und Zwischenformen geliefert werden, die über lange Zeiten den Alltag ausmachten. Es sei nochmals betont, daß sich das tägliche Leben unter religiös-kulturellen, sozialen und rechtlichen Rahmenbedingungen abspielte, in denen die Juden nie gleichberechtigte „Staatsbürger mosaischen Bekenntnisses“ waren, es in einem christlich definierten Gemeinwesen auch nach eigenem Willen nicht sein konnten. Selbst in den besten Zeiten waren sie als Anhänger einer grundsätzlich verworfenen Religion nur geduldet. Auf jüdischer Seite wurde diese Grundsituation als gottgewollt akzeptiert, aber dem Prinzip der Hoffnung folgend als vorübergehend und reversibel umgedeutet: „unserer Sünden wegen sind wir im Exil“ [Amidah-Gebet am Feiertag]. 1.

Das Judenviertel

I. Enzyklopädischer Überblick

Das Leben in der christlichen Gesellschaft

Trotz der Tatsache, daß im Spätmittelalter teilweise ein Umsiedlungsprozeß in Märkte und Dörfer stattfand, war der physische Horizont des Lebens in der Hauptsache durch die städtische Topographie, durch den Stadtteil, den Platz oder die Gasse der Juden gezeichnet, die oft zu den ältesten Teilen der Stadt gehörten. Daneben gab es einzelne von Juden bewohnte Häuser innerhalb überwiegend christlicher Straßen, wie auch Nichtjuden oft in der Judengasse hausten, in früherer Zeit zuweilen sogar in Hausgemeinschaft. An einigen Orten, z. B. in Magdeburg, gab es ein vor der Stadt liegendes sog. Judendorf. Der jüdische Gebäudekomplex war jedoch in der Regel zentral plaziert, oft direkt am Hauptmarkt

D. Die Juden in der christlichen Gesellschaft

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(z. B. in Koblenz und in Nürnberg bis 1349), häufig in unmittelbarer Nachbarschaft zum Rathaus (Köln, Friedberg) oder an den großen Verkehrsachsen der Stadt (z. B. in Braunschweig oder Frankfurt am Main). Diese günstig gelegenen Areale standen in vielen Fällen auch bei der Wiederansiedlung nach den Pestpogromen 1348–50 zur Verfügung, wenn sie auch kaum irgendwo im früheren Umfang bevölkert werden konnten. An anderen Orten fand die Neuansiedlung in ungünstigerer Lage am Stadtrand oder in einer Vorstadt statt, in Straßburg sogar auf dem außerhalb der Stadt gelegenen Friedhof. Bis zu dieser Zeit hatten die Juden meist ihre Wohnhäuser und Gemeindebauten erblich gepachtet, oft auch zu vollem Eigentum besessen, danach konnten sie zumeist nur mehr befristet zur Miete wohnen, was auch den rechtlichen Status als Stadtbürger beeinträchtigte. Die jüdischen Wohnviertel und Gassen konnten ganz oder teilweise von Mauern umgeben (z. B. in Speyer schon 1084) und mit Toren versehen sein, dies jedenfalls in der Frühzeit auch auf Wunsch und zum Schutz der Juden. In der Folge haben die Obrigkeiten dann zunehmend Judengassen durch Mauern, versperrbare Tore und zugemauerte Fenster von der christlichen Umgebung getrennt. Im neuen, nach 1349 errichteten Judenviertel von Nürnberg bildeten die Wohnhäuser und Gemeindeeinrichtungen um einen großen Hof auch ohne Trennmauer eine abgeschlossene Einheit, die nur über zwei Torhäuser zu betreten war. In Passau wurden die Juden vor 1412 an den Stadtrand, in einen von den übrigen Stadtvierteln deutlich abgesetzten schmalen Landstreifen, umgesiedelt. Solche Maßnahmen waren Etappen auf dem Weg zur Einsperrung im Ghetto, die zuerst 1462 in Frankfurt am Main, dann 1493 in Donauwörth zu fassen ist. Hand in Hand damit gingen zunehmende Begrenzungen des Immobilienerwerbs bis hin zum direkten Verbot der Ausdehnung der jüdischen Ansiedlung am Orte. Die sicherlich von christlichen Baumeistern und Arbeitern errichteten Häuser der Juden unterschieden sich in ihren architektonischen Formen nicht von den Bauten der Umgebung. Dennoch waren die Häuser der Juden als solche gekennzeichnet, allgemein durch die am rechten Türpfosten angebrachte Mesusa, einen kleinen Metallbehälter mit Pergamentinschrift eines Bibelspruches, die zuweilen auch die Eingangstore zum Judenviertel schmückte. Erkennbar war dieses auch durch die Umspannung des Sabbathbereiches (Eruw) mit Stricken, Drähten oder Stangen, wo der Verlauf nicht durch Mauern, Graben oder andere physische Züge gekennzeichnet war. Beide Bräuche verdanken ihre Existenz allein innerjüdischen religiösen Belangen, besaßen aber nach außen hin eine Signalfunktion. Sie kennzeichneten den sozialen

Absperrung und Ghettoisierung

Die Häuser der Juden

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Das Aussehen der Juden

Haar-, Bart- und Kleidertracht

I. Enzyklopädischer Überblick

Raum der Juden, dies jedoch in Formen, die fremdartig, sogar magisch erscheinen konnten. Die Kenntlichkeit der Person des Juden, die dargebotene bzw. wahrgenommene Erscheinung, ist ein schwieriges Problem der Forschung, das zuerst über den Komplex der Stereotypen angegangen werden soll. Bis ins Hochmittelalter ist die Darstellung der Juden in der bildenden Kunst visuell neutral, seit dem 12./13. Jahrhundert bilden sich Elemente einer als „typisch“ aufgefaßten jüdischen Physiognomie aus, verzerrte physische Züge, Hakennase, vergrößerte Augen und wulstige Lippen. Das visuelle Stereotyp findet sich auch in schriftlichen Aussagen, so etwa 1451 in der Beschreibung eines christlichen Betrügers durch das karikierte Bild eines Juden: „er habe ein langes Antlitz mit einer langen Nasen, und ist wie ein Jude beschaffen und spricht auch so“ [406: KISCH, Jews, 545]. Als „Judenantlitz“ oder „Langnase“ bezeichnet zu werden, wurde im Spätmittelalter für Christen zum Reizwort, das den Gang zum Gericht oder körperlichen Angriff rechtfertigte. Aus all dem ergibt sich natürlich keine Aussage über das tatsächliche Aussehen, jedoch, daß der Jude im Laufe des Mittelalters zunehmend als anders aussehend = anders seiend konzipiert wurde. Dies war auch den Betroffenen bewußt. Schon im späteren 13. Jahrhundert sah sich ein jüdischer Gelehrter genötigt, Gegenargumente zu liefern: die Juden würden zwar von den „weißen“ Christen wegen ihres dunkleren Aussehens als häßlich angesehen, das Dunkle sei jedoch, wie unter Hinweis auf die Wachstumsvorgänge der Natur betont wird, geradezu das Reifere, außerdem ein Zeugnis für eine gehobene Sexualmoral [53: BERGER, Debate, 224]. Dennoch – und das ist nicht erstaunlich – haben Juden sich in den Illuminationen ihrer Handschriften in neutraler, der christlichen Umgebung offenkundig entlehnter Weise abgebildet. Der Habitus wurde schon früh von beiden Seiten als Mittel der Gruppenidentifizierung eingesetzt. Die Einhaltung einer jüdischen Haar-, Bart- und Kleidertracht haben die Synoden der Rheingemeinden schon im frühen 13. Jahrhundert eingeschärft, sie war also keineswegs selbstverständlich. Von kirchlicher Seite wurde gleichzeitig, am IV. Laterankonzil 1215, die Verpflichtung von Juden (und Sarazenen) zu gesonderter Kleidung formuliert, was mit der Sorge vor geschlechtlicher Vermischung begründet wurde. Allerdings gab es in der Wirklichkeit kaum eine typisch jüdische Erscheinung. Der Bart kennzeichnete regelmäßig nur das Erscheinen älterer Männer, besonders die Lehrer und Gelehrten. Die Illuminationen hebräischer Handschriften bezeugen Kleiderformen, die ganz denen der gehobenen Schichten der christlichen Gesellschaft entsprechen. Der Gebetsmantel wurde nur in der

D. Die Juden in der christlichen Gesellschaft

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Synagoge getragen, die Gebetsfäden dagegen von besonders Frommen durchwegs den ganzen Tag, dies jedoch in Form eines eigenen Gewandstückes unter dem Mantel. Das hauptsächliche Merkmal ist der spitze Hut, dessen Verbreitung in der Wirklichkeit jedoch keineswegs klar ist. Dagegen ist eindeutig, daß Hut wie Bart nicht nur in der bildenden Kunst eine zentrale Signalfunktion besaßen. In Seligenstadt sollten 1390 wegen Übertretung des Zinsverbots verurteilte Christen barfuß mit einem Judenhut auf dem Kopf um die Kirche gehen, in Zürich und Konstanz führte man christliche Mädchen, die sexueller Beziehungen mit Juden beschuldigt wurden, mit einem Judenhütlein auf dem Kopf durch die Stadt. Kleiderordnungen für Juden wurden im Reich an verschiedenen Orten vereinzelt seit dem späteren 13. und zunehmend dann im 15. Jahrhundert erlassen, bis hin zum Extremfall der 1418 von einer Salzburger Provinzialsynode verordneten schallenden Glöckchen an den Kleidern der Frauen. Solche Vorschriften wurden lange Zeit kaum beachtet, wohl hauptsächlich wegen des hartnäckigen Widerstands der Juden. Die Kennzeichnung durch ein besonderes Abzeichen, den gelben oder sonstwie farbigen Schandfleck, konnte sich erst durchsetzen, als die kirchlichen Reformbemühungen im 15. Jahrhundert mit der gleichzeitigen Tendenz der Stadtobrigkeiten zur umfassenden Reglementierung jüdischer Angelegenheiten zusammentrafen. Mit und ohne äußere Kennzeichnung war es im Alltag des engen städtischen Raumes für den örtlichen Juden kaum möglich, nicht als solcher erkannt zu werden. Sogar im Rummel einer Prominentenhochzeit gelang es einem verkleideten Juden nicht, unentdeckt vom wachen Auge der Obrigkeit seine Neugierde zu stillen (Frankfurt am Main,1498). Die aufgezwungene äußere Kennzeichnung der Person des Juden hat also wie die vollständige Ghettoisierung erst spät eingesetzt, Vor- und Zwischenformen, zum Teil auch selbst gewollte, gab es jedoch schon Jahrhunderte zuvor. Wohnformen und Erscheinung mußten nicht gänzlich segregiert sein, um die allen Beteiligten wohlbekannten Grenzen zwischen den Gruppen sichtbar zu machen. Mit der Zwei- und Mehrsprachigkeit der Juden war sowohl die Möglichkeit des Kontakts wie auch der Ab- und Ausgrenzung gegeben. Lange erschienen diese sprachlichen Fähigkeiten der Mehrheit als Vorteil, dessen man sich gewinnbringend bedienen konnte, etwa im diplomatischen Verkehr mit dem außereuropäischen Ausland oder bei der Vermittlung ärztlichen Wissens aus Südeuropa. Allerdings schufen sich die Juden mit der Mehrsprachigkeit tatsächlich Freiräume, in die Nichtjuden kaum eindringen konnten. Dies wurde seit dem 13. Jahrhundert von missionierenden Mönchen, seit dem späteren 14. Jahrhundert auch

Der „Judenhut“

Der „gelbe Fleck“

Die Sprache der Juden – ein Freiraum

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Über- und Unterordnung zwischen Juden und Christen

I. Enzyklopädischer Überblick

von Stadträten zunehmend mit Verdacht belegt, bei der Entzifferung der als christenfeindlich eingeschätzten Talmudpassagen, der Verifizierung des hebräischen Gerichtseides, oder der Überwachung hebräischer Geschäftsbücher. Aus dem Spätmittelalter gibt es erstmals Zeugnisse, daß die Juden auch in ihrer tagtäglichen Sprache als anders, als unverständlich betrachtet wurden: so etwa die Aussagen in Züricher Gerichtsbüchern, wonach die Juden „Latein“ sprachen und sich gegenseitig Schimpfworte in „Abrahemsch (= Hebräisch) und in Tütsch“ an den Kopf werfen [77: GERMANIA JUDAICA III, 1743, Anm. 116]. Tatsächlich werden seit Ende des 14. Jahrhunderts vereinzelt im schwäbischen, dann auch im fränkischen Sprachraum Elemente einer eigenen deutsch-jüdischen Sprache greifbar. Im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts sprachen Juden in Nürnberg bereits Jiddisch, zu Beginn des 16. Jahrhunderts dann auch im Rheinland und in Regensburg. Allerdings hatten die Juden keine Probleme, sich verständlich zu machen, wenn es wirklich darauf ankam. Bei Streitereien bedienten sie sich genau der gleichen Beleidigungsschemata wie die Christen. Dennoch wurde im Spätmittelalter auch die sprachliche Dimension jüdischer Eigenart als fremdartig gedeutet. So konnten dann in Passions- und Fastnachtspielen pseudohebräische Sprachbrocken zur persiflierten Charakteristik der Juden verwendet werden, ähnlich den pseudohebräischen Buchstaben, dem Bart, den Gesichtszügen und der orientalisierten Kleidung, die in bildlichen Darstellungen eine ähnliche Signalfunktion besaßen. Im täglichen Leben gab es kaum einen Aspekt, der nicht geeignet war, die Juden in mannigfaltige Wechselbeziehungen mit der christlichen Umwelt zu verstricken. Allerdings ist nach Perioden zu unterscheiden. Bis ins Hochmittelalter vermitteln die hebräischen Quellen das Bild einer hohen Selbstgenügsamkeit, die wohl durch die im Verhältnis zur christlichen Stadtbevölkerung starken Seelenzahlen erklärbar ist. Nach den Verfolgungen des 14. Jahrhunderts wurden die Juden an den meisten Orten zur oft verschwindend kleinen Minderheit, die auch für alltägliche Dienstleistungen auf eine viel engere Verflechtung mit der christlichen Mehrheit angewiesen war. Gerade im konfliktträchtigen Spätmittelalter wurde der tägliche Kontakt mit der christlichen Umwelt auch zur gesellschaftlichen Notwendigkeit. Dennoch waren auch diese Kontakte in komplizierter Weise strukturiert und einer dynamischen Entwicklung unterworfen. Mit den jüdischen Unterschichten kamen Nichtjuden kaum in Berührung, das Phänomen der sog. „Bettel- und Hausiererjuden“ ist in größerem Umfang erst seit dem 16. Jahrhundert belegt. Die Juden, auf die ein Christ gewöhnlich treffen konnte, zählten nach ökonomischer

D. Die Juden in der christlichen Gesellschaft

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Position und den damit verbundenen Statussymbolen durchweg zu den höheren Besitzschichten, womit auch das Stereotyp vom „jüdischen Reichtum“ erklärbar ist. Damit wurde aber die vorgegebene Ungleichheit zwischen herrschender Mehrheit und geduldeter Minderheit umgekehrt, entstand eine Dissonanz zwischen der Vorstellung vom verordneterweise gedemütigten Juden und der konkreten Situation zwischen Person und Person. Ressentiment konnte auch die Tätigkeit christlichen Hauspersonals erwecken. Solchen Dienstverhältnissen wurde von kirchlicher Seite wie von den Rabbinern großes Gewicht beigemessen. Für die erstere war es allgemein skandalös, daß der Jude über dem Christen stünde. Dazu gab es die verbreitete Angst, daß jüdische Dienstherren ihre christlichen Dienstboten zu Juden machen würden. Für die Rabbiner lag das Problem in der Verletzung des Religionsgesetzes durch die Arbeit des Christen im Haushalt, und sie verwandten große Anstrengungen, diese Arbeit rechtlich zu ermöglichen. Für andere Probleme, die sich aus dem hierarchisch gegliederten Zusammenleben im Haushalt ergaben, konnten sie nur erhöhte Vorsicht gepaart mit menschlicher Güte empfehlen. Die Erfahrung lehrte, daß Dienstboten, erwähnt werden besonders Mägde, persönliche Konflikte, aber auch unverstandene Einzelheiten des jüdischen Ritus zuweilen verzerrt in die Öffentlichkeit trugen. Daraus konnten sich kollektive Beschuldigungen mit blutigen Konsequenzen entwickeln. Im Spätmittelalter mehrten sich die obrigkeitlichen Verbote der Beschäftigung christlicher Dienstboten. Die zunehmende Verarmung und die wachsende Notwendigkeit, unbemittelten Juden im Haushalt der Wohlhabenden ein Auskommen zu gewähren, mag solche Dienstverhältnisse weiter eingeschränkt haben, bis sie zu Ausgang des Mittelalters tatsächlich zur seltenen Ausnahme wurden. Wirkliche oder vermeintliche Abhängigkeitsverhältnisse, die die rechte Ordnung – Christen oben, Juden unten – umkehrten, entstanden besonders aus der hauptsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit, dem Handel und der Geldleihe. „Dienen“ bedeutet ja in der Sprache des Mittelalters auch Zinsen zahlen. Das Grundmuster der wirtschaftlichen Beziehungen führte dazu, daß sich Juden und Christen oft in antagonistischen Situationen trafen, etwa die Gerichtssituation zwischen Zahlung forderndem jüdischem Gläubiger und christlichem Schuldner. Auch hier bestand eine klare Diskrepanz zwischen der täglichen Wirklichkeit und den moralisch-theologischen Vorstellungen, wie sie von der hochmittelalterlichen Scholastik entwickelt und besonders von den Bettelorden verbreitet wurden. Der Topos vom Juden als Wucherer, der das Volk in seine „Zinsknechtschaft“ bringe, erschien schon früh und ge-

Die Vorstellung von Christen in „jüdischer Knechtschaft“

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Anziehung und Abstoßung – jüdische Ärzte und christliche Patienten

Stereotypen

Nachbarschaft und ihre Grenzen im jüdischen Verständnis

I. Enzyklopädischer Überblick

hörte zu den wichtigsten Bestandteilen des antijüdischen Stereotyps. Er sprach der Minderheit in den Augen der Mehrheit eine geradezu unheimliche Macht zu. Im Spätmittelalter haben sich dann auch die Obrigkeiten solche Vorstellungen zu eigen gemacht und wurden zunehmend unwillig, den gerichtlichen Apparat zu Gunsten jüdischer Gläubiger einzusetzen. Nüchterne Stimmen, die auf das Interesse der Herrscher an der Geldleihe und auf die Tätigkeit christlicher Geldleiher hinwiesen, fanden kaum Gehör. Wenn Juden in anderen Hantierungen als der Geldleihe tätig wurden, sahen sie sich mit der Konkurrenzangst der städtischen Handwerker und Kaufleute konfrontiert. Das Verbot oder die Einschränkung des jüdischen Fleisch- und Tuchhandels in Folge ständiger Eingaben der Zünfte ist einer der häufigst behandelten Gegenstände in Judenordnungen und Schutzbriefen. Anders kompliziert war die Situation der Ärzte, wohl der mobilste Teil der sowieso hochmobilen jüdischen Gesellschaft und die Besitzer von nicht selten im Ausland erworbenem Fachwissen. Zwar begehrt und umworben, konnten sie wegen eben dieser Qualifikationen und ihrer fremden Herkunft als unheimlich und bedrohend erscheinen. Als sich 1402 zwei auswärtige jüdische Ärzte in Bingen aufhielten, meinte der „gemeine Mann“, es handle sich um schädliche Leute. Sie hätten Frauen Christenblut abgenommen und bei einem seien gezinkte Würfel gefunden worden. Dennoch waren dem Berichterstatter zufolge alle Christen der Meinung, daß die beiden „Christenblut nicht unrein machten“ [77: GERMANIA JUDAICA III, 119]. Anziehung und Abstoßung wie auch die Einkleidung in Stereotypen des Magikers und Blutsaugers erscheinen hier in gebündelter Form. Vielfältig lassen sich in den Quellen normale nachbarschaftliche Beziehungen erschließen: von der Wohngemeinschaft im gleichen Haus über die Unterkunft im Hause des anderen, der Teilnahme an Familienfesten, zuweilen mit gegenseitiger Beschenkung, dem gemeinsamen Glücks- und Kartenspiel, bis hin zur selbstverständlichen Hilfeleistung bei Notfällen, wie Brand, Raub und Angriff, die auch die Verletzung der sonst heiligen Sabbatruhe rechtfertigten. Dennoch waren diese Kontakte eingeschränkt, mehrdeutig und zumindest potentiell konfliktträchtig. Von jüdischer Seite bestanden traditionelle Schranken gegen ein zu inniges Verhältnis zur Umwelt: im Verbot von Mischheirat und Geschlechtsbeziehungen mit Nichtjuden, in der Verpflichtung zu den Speisegesetzen, die der unbeschwerten Tischgesellschaft kaum Platz ließen, und in der besonders scharf formulierten Zensur auch der indirekten Beihilfe zum Götzendienst. Wie eng diese drei Komplexe im Bewußtsein verknüpft waren, zeigt das talmudische Wort „ihr (der

D. Die Juden in der christlichen Gesellschaft

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Nichtjuden) Wein ist ihrer Töchter wegen verboten“ [Babylonischer Talmud, Götzendienst 36b]. Solche aus biblischer und talmudischer Zeit überkommene Vorstellungen der Exklusivität mußten im europäischen Mittelalter schwierige Probleme schaffen, vor allem, weil sie auch den eigentlichen Lebenserwerb trafen. Sie waren, wenn überhaupt, nur in großen und beruflich geschichteten Gemeinden einhaltbar, und auch da nur von Personen, die nicht geschäftlich mit der Umgebung in Kontakt treten mußten. Das Ergebnis war, daß die Gelehrten bereits im 11./12. Jahrhundert Wege der erleichternden Auslegung fanden. Gänzlich abgeschafft wurde das Geschäftsverbot für Feiertage und Orte, die irgendwie mit dem Kult der Nichtjuden in Verbindung stehen. Erleichtert wurden auch die Bestimmungen zur Pfandleihe, wo bei strenger Observanz kein Sakralgerät oder liturgisches Buch, keine mit Kreuz geschmückte Königskrone hätte beliehen werden können. Dennoch legen die dauernden Klagen der Gelehrten und Rabbiner über die Nachlässigkeit ihrer Generation nahe, daß zwischen der Praxis und der auch erleichterten Norm der Exklusivität weiterhin ein gewichtiger Unterschied bestand. Die jüdische Gesellschaft befand sich unter einem starken Zwang zum Abbau der selbst auferlegten Schranken, dem sie aber nur teilweise folgen konnte, wollte sie ihre Identität bewahren. Eine Bereitschaft zu solchen Kompromissen scheint allein im Hochmittelalter bestanden zu haben. Unter dem ungleich stärkeren Druck, den die christliche Umgebung im Spätmittelalter ausübte, hat man sich dann stark abgeschottet. Auf christlicher Seite gab es seit der Spätantike eine kirchliche Gesetzgebung zur Vermeidung sozialer Kontakte zwischen Christen und Juden. Sie wurde auf dem 3. Laterankonzil (1179), verstärkt auf dem 4. Laterankonzil und im Reich auf verschiedenen Provinzialsynoden neu aufgelegt. Noch im 13. Jahrhundert gingen verschiedene Verbote über die Sachsenspiegel-Glossen und den Schwabenspiegel auch in weltliche Gesetzbücher ein, wurden aber vorerst kaum befolgt. Erst im 15. Jahrhundert begannen die städtischen Obrigkeiten, einige Aspekte der gesellschaftlichen Beziehungen strafrechtlich zu verfolgen. Abgesehen von eher exotischen Schikanen, etwa das in Regensburg einem Christen auferlegte Verbot, seine Kühe von Juden melken zu lassen, ging es in der Hauptsache um folgende Berührungszonen, die nunmehr tabuisiert wurden: Glücksspiel; gemeinsames Baden; sexuelle Beziehungen; und die Teilnahme an den Festlichkeiten der anderen Seite. Das Verbot des Glücksspiels verweist jenseits der gewöhnlichen, auch gegenüber Christen wahrgenommenen Sittenpolizei auf die Faszi-

Kirchliche und weltliche Ausgrenzungen

Verbot des gemeinsamen Glücksspieles

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Badeverbot und Befleckungsphobie

Sexuelle Beziehungen

I. Enzyklopädischer Überblick

nation und Furcht erregenden magischen Fähigkeiten, die man den Juden zuschrieb. Neben dem amtlichen Spielverbot gab es gegen solche Fertigkeiten auch eine volkstümliche Abhilfe, den in vielen Regionen üblichen „Würfelzoll“. Der durchreisende Jude wurde dabei von örtlichen Jugendlichen zur rituellen Unterwerfungsgeste, zur Übergabe der seine vermeintliche Macht symbolisierenden Würfel gezwungen [zu anderen Deutungen 436: MENTGEN, Würfelzoll]. Hinter dem Ausschluß vom gemeinsamen Bad steht ein ganzes Bündel von Ängsten: einmal vor der Befleckung des corpus Christianorum durch den stinkenden Juden, „dessen Geruch jedem Christen zuwider sei“ (Crailsheim um 1480). Dahinter steht wiederum das Stereotyp des gehörnten, mit Ziegenbart versehenen, menstruierenden und überhaupt mit dem Teufel assoziierten Juden. Die Befleckungsphobie gehört aber auch zum Thema der rituellen Reinheit. Eine im Spätmittelalter weit verbreitete Abart verbot den Juden, am Markt Lebensmittel vor dem Einkauf mit der Hand zu berühren. Auch hier steht im Hintergrund die Angst vor dem „mörderischen Juden“, die für die Ausbildung der Legende von der Brunnenvergiftung konstituierend war (unten, I.D.3, II.B.2.3.4). Zuletzt liegt der Gedanke nicht fern, daß mit dem Berührungs- und Badeverbot auch eine Quittung auf die jüdischen Reinheitsgebote beabsichtigt war, um deren Zentralität im jüdischen Leben man sehr gut Bescheid wußte. Wie tief auch auf jüdischer Seite die Befleckungsphobie und damit der Zwang zur Distanzierung steckte, zeigt eine zur Nachahmung tradierte Geschichte von einem hochfrommen Mann: Jener erzog in seinem Haushalt nicht nur zwei Waisenkinder auf eigene Kosten, sondern hatte auch zwei verschiedene Zimmer für Fleisch- und Milchspeisen; der christliche Wasserträger mußte, wenn er für ihn arbeitete, einen speziellen weißen Überrock anziehen, und die Hausfrau putzte den Eisenring an der Türe nach jedem Besuch eines Christen. Der geschlechtliche Verkehr zwischen Juden und Christen gehörte im gesamten Mittelalter zum Alltag. Dabei ging es fast nie um Mischheirat, abgesehen von Konvertiten und Proselyten, bei denen sie Teil des Religionswechsels war. Nur selten wird von längerfristigen Verhältnissen berichtet, häufig dagegen von gelegentlichen Kontakten von männlichen Juden mit Christinnen, oft Prostituierten. Bei den Verboten solcher Beziehungen ging es beiden Seiten vorrangig um die Ehre der eigenen Frauen. Seitensprünge der Männer mit Frauen der anderen Gruppe wurden zwar mit drakonischen Strafen bedroht, in der Praxis wurden sie zumeist eher dilatorisch behandelt. Auf jüdischer Seite waren die Predigten von Rabbinern gegen sexuelle Beziehungen mit christlichen Frauen eine seltene Ausnahme. Dagegen scheint nach

D. Die Juden in der christlichen Gesellschaft

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den Verfolgungen der Pestzeit die Sorge um die Ehre der Witwen dazu geführt zu haben, die Rechtsprozedur zur Neuheirat zu erleichtern. In einem weit bekannten Fall hatte nämlich eine solche Frau, der man aus religionsgesetzlichen Gründen die Wiederheirat verweigert hatte, erst Verkehr mit Christen, heiratete dann gegen den Einspruch der Rabbiner einen Juden, und konvertierte schließlich, offensichtlich aus Verzweiflung. Auch auf der christlichen Seite war man hauptsächlich mit dem Verhalten der eigenen Frauen befaßt. Im Hintergrund des Verbots der Beschäftigung weiblicher Dienstboten, zuweilen wurde eine Altersgrenze von 50 Jahren stipuliert, stand sicherlich die Furcht vor sexuellen Beziehungen zwischen jüdischem Hausherrn und christlicher Magd. Die städtische Rechtspraxis hat männliche jüdische Geschlechtspartner zumeist nur mit Geldstrafen, oft in astronomischer Höhe, belegt, seltener mit Verbannung. Die Bestrafung der christlichen Partnerin war härter und ging immer in öffentlich demonstrativer Form vor sich, zumeist wurde sie mit Judenhut auf dem Kopf an den Pranger gestellt oder in Prozession herumgeführt und daraufhin aus der Stadt gejagt. Der erhoffte Abschreckungseffekt war auf das christliche, nicht auf das jüdische Publikum gerichtet, es ging um den Integrationseffekt innerhalb der eigenen Gruppe durch Ausstoßung der verletzenden Partei. Allerdings ist nach Sozialschichten zu unterscheiden. In Zürich etwa hat sich im 14. Jahrhundert das Ratsgericht nicht mit den Beziehungen von Juden mit Prostituierten befaßt. Dagegen machten es sich die jungen Männer zur Aufgabe, die Juden aus dem Hurenhaus zu verjagen. Was für den Rat „gemeine Frau“ und deshalb nicht schutzwürdig war, sahen die Gesellen als ihr Eigentum an, zu dem sie den unberechtigten Juden den Zugang zu verwehren hatten. Im 15. Jahrhundert hat dann der Zürcher Rat wie in anderen Städten die sexuelle Segregation auch auf Prostituierte ausgedehnt. Die Sexualität ist damit ein weiterer exemplarischer Bereich, über den ohne eigentliche weltanschauliche Begründung die Trennung im Alltag konstruiert und ausgebaut werden konnte. Die jüdische Gesellschaft besaß im liturgischen Jahres- und Wochenzyklus und in den Stationen des individuellen Lebenszyklus ein eigenes System der Fest- und Feiertage, das für die Gestaltung und Erhaltung ihrer Identität von primärer Bedeutung war. Daß die Juden nicht an den kirchlichen Festen teilnahmen, auch nicht an den christlich geprägten Feierlichkeiten der städtischen Kommune und Zünfte, ist angesichts dieser Selbstgenügsamkeit wie auch wegen ihres althergebrachten Widerstandes gegen die christliche Symbolik nicht überraschend. Nach einer neuen Hypothese (unten, II.B.3.3.2) haben die deutschen

Jüdische Feste

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Ausschluß der Juden von christlichen Festen

I. Enzyklopädischer Überblick

Juden Teile ihrer Festliturgie in antichristlichem Sinn interpretiert. Diese Exklusivität auch in der Festgestaltung wurde auf christlicher Seite klar verstanden und in ein Bewußtsein umgesetzt, das das jüdische Fest mit Verschwörung, Beleidigung der christlichen Heiligtümer und Christenfeindschaft überhaupt assoziierte. Um so erstaunlicher ist die Tatsache, daß beides, Exklusivität auf jüdischer und Verdächtigung auf christlicher Seite, bis ins ausgehende Spätmittelalter auch problemlos unterlaufen werden konnte, nämlich durch die regelmäßig überlieferte Teilnahme christlicher Gäste und Nachbarn an jüdischen Festen. Weniger ambivalent ist die christliche Festgestaltung in Bezug auf die Juden. An religiös „semineutralen“ Festen, wie Herrschereinzügen und Amtsantritten, scheinen die Juden bis ins Hochmittelalter noch gleichberechtigt beteiligt gewesen zu sein. Danach ist eine Tendenz zur Gestaltung der jüdischen Teilnahme in Form von Unterwerfungsgesten spürbar, so etwa die Huldigung der Konstanzer Juden gegenüber Papst Martin V. (1417), dem sie bei seinem Einzug in Sterbekleidern und mit Gebetsmänteln und brennenden Kerzen entgegen gingen. Es gab auch Gegenfeste, die ausdrücklich zur Herabsetzung veranstaltet bzw. genutzt wurden, so etwa die öffentlichen, mit viel Pomp betriebenen Taufen von Juden. In engem Zusammenhang mit der christlichen Symbolik, aber auch mit volkstümlichen Heischebräuchen, standen die Fastnachtsumzüge, bei denen Juden in ritualisierten Formen Opfer von Erpressung oder körperlicher Gewalt wurden. Eine demonstrative Steigerung des Ausschlusses aus der christlichen Festgestaltung drücken die Ausgangsverbote für Juden in der Passionszeit aus. Seit dem Frühmittelalter überliefert, wurden auch sie seit dem IV. Laterankonzil erneut aufgenommen und im Reich erst auf Provinzialsynoden und dann in der städtischen Gesetzgebung rezipiert. In diesen Zusammenhang gehört auch die Tendenz, die Bewegungsfreiheit einzuschränken, neuralgische Räume wie die Rathausgegend oder die Stadtmauer zum Sperrgebiet zu erklären. An anderen Orten durften Juden an Sonn- und Feiertagen vor und nach einer gewissen Stunde nicht ausgehen. Solche Ausgehverbote besaßen gleichzeitig eine klare Schutzfunktion vor Übergriffen und weisen damit auf einen weiteren Bereich der Ambivalenz. Die städtischen Obrigkeiten verliehen einerseits physischen und rechtlichen Schutz, der weitaus effizienter als der königliche Schutz früherer Jahrhunderte war (unten I.D.2). Andererseits wurden gerade die Stadtobrigkeiten im Spätmittelalter zum eigentlichen Träger judenfeindlicher Maßnahmen. Bezeichnend war die Frankfurter Praxis, die bei Messen, Königswahlen, Besuchen von Herrschern, Passionsspielen und christlichen Feiertagen, besonders in der Karwoche, nicht nur Ausgangsverbot

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verhängte, sondern auch zum Schutz und auf Kosten der Juden Wachen vor das Ghetto stellte. Das christliche Fest mit seinem sakramentalen Charakter war also, wie schon in Bezug auf den Ausbruch von Pogromen bemerkt wurde, ein gefährlicher Zeitpunkt für die Juden. Es wurde aber auch, in Umkehrung der tatsächlichen Machtverhältnisse, als für die Christen gefährlich aufgefaßt. Nur so ist die Anweisung an die Juden zu erklären, christlichen Prozessionen überhaupt aus dem Weg zu gehen und bei Vorbeitragen des Sakraments Fenster und Läden geschlossen zu halten. In Brandenburg sollte 1372 dazu noch die Hostie beim Vorüberziehen an den Häusern der Juden verdeckt werden. Es ist, als ob die physische Präsenz des Juden ausreichte, um am Herzstück des christlichen Glaubens Unheil zu stiften. Die Ausgehverbote waren ein Mittel zur Abwehr dieser sehr konkret empfundenen Gefahr. Ein weiteres Abwehrmittel ist die sog. „Judensau“, plastische Darstellungen, die zuerst im 13. Jahrhundert in sakralen Bereichen innerhalb und am Äußeren von Kirchen angebracht wurden, im Spätmittelalter dann auch an öffentlichen und privaten Gebäuden, in einigen Orten sogar an den Eingangstoren zum Judenviertel. Sie porträtieren Juden in obszön verhöhnender Weise in Verbindung mit der Sau, dem Sinnbild der Habsucht und der Dämonenwelt des Teufels. Das wegen seiner rituellen Unreinheit verabscheute Tier diente gleichzeitig zur Kennzeichnung der Juden und zu ihrer eigenen beschwörenden Fernhaltung. Noch lange vor der Errichtung des Ghettos wurde damit auch der soziale Raum der Christen als für Juden nicht betretbar erklärt. Die zeitliche Ausschließung am zentralen Festtag der christlichen Religion, die räumliche Ausschließung aus sakralen, später dann auch aus kommunalen Räumen des christlichen Gemeinwesens, waren nicht einfach Schikane, auch kaum Ausdruck einer Marginalisierung, sondern Niederschlag des wohl wichtigsten mittelalterlichen Stereotyps, der Vorstellung vom „mörderischen Juden“. Verhängnisvoll ist diese Auffassung in den Anklagen des Ritualmordes, der Hostienschändung und der Brunnenvergiftung geworden. 2.

Schutz, Besteuerung, Rechtsstellung

Als eine nicht integrierte und in jeder Hinsicht exponierte Minderheit bedurften die Juden besonderen Schutzes. Dieser war gemäß der Entwicklung der politischen Verfassung des Reiches nach Perioden verschieden gestaltet und wurde von verschiedenen politischen Kräften getragen. Es ist hier nach den sich wandelnden Formen des Judenschutzes zu fragen, aber auch nach dessen Effizienz und Bedingungen, d. h.

Ausgehverbot

Die „Judensau“ und ihre Funktion

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Privilegierung in der Frühzeit

I. Enzyklopädischer Überblick

vor allem Besteuerung. Für diesen vielschichtigen Komplex gebraucht die Forschung das Kürzel „Judenrecht“. Nur ausnahmsweise wird es von dem internen jüdischen Recht tangiert. Die formale Stellung der Juden in den ersten zwei Jahrhunderten ihrer Ansiedlung, in ottonischer und frühsalischer Zeit, ist in Umrissen aus früheren karolingischen und späten salischen Quellen zu erschließen (zur Diskussion unten, II.B.2.2). Die Tatsache, daß sie bis um 1100 ausschließlich in Bischofsstädten siedelten, sowie die gelegentliche kaiserliche Übertragung erwarteter Einkünfte von den Juden an kirchliche Stadtherren legen nahe, daß Herrscher und Bischöfe an Aufnahme, Schutz und dem in Form von Steuern oder Diensten anfallenden Nutzen beteiligt waren. Die Rechtsform dürfte der in ähnlichen Situationen gebrauchten karolingischen Schutzurkunde (Privileg) geglichen haben, ist vielleicht von dieser auch formell abgeleitet. Angesichts der geringen Zahlen der Juden ist für die Frühzeit des 10. Jahrhunderts eine Einzelpersonen oder Familienverbänden verliehene Privilegierung anzunehmen. Damit entfällt die Konstruktion eines uniformen Rechtsstatus der Juden, wie man ihn etwa aus dem germanischen Fremdenrecht hat ableiten wollen. Diese Privilegien dürften wie ihre karolingischen Vorgänger den Anforderungen des Fernhandels und der jüdischen Religion entsprochen haben. Sie versprachen Freizügigkeit und Handelsfreiheit, Befreiung von Zöllen, Rechts- und Besitzsicherheit und Schutz vor Angriffen, freie Religionsausübung und die ungestörte Anwendung des jüdischen Rechts in der internen Gerichtsbarkeit. In dieser Form, der nichts von Unterwerfung und Demütigung anhaftet, wird der Rechtsstatus der Juden dann im späten 11. Jahrhundert sichtbar. Das erste Privileg stammt vom Bischof von Speyer, der 1084 „zur Mehrung“ seiner Stadt Juden ansiedelte. Die nächsten Vorrechte bekamen die Juden von Speyer und Worms durch Kaiser Heinrich IV. (1090 bzw. um 1090). Inhaltlich und auch sprachlich stimmen sie untereinander und mit den oben erwähnten karolingischen Privilegien überein, erweitern sie jene noch in Einzelheiten, so mit dem Verbot der Zwangstaufe und Bestimmungen zur Gerichtsprozedur zwischen Christen und Juden (zum erstmals erwähnten „Marktschutzrecht“ unten II.B.2.2).). Unterschiede bestehen in Bezug auf die relative Position von bischöflichem Stadtherr und Kaiser. Der Bischof von Speyer, der noch 1084 aus eigener Macht Juden Aufnahme und Schutz versprach, wird in dieser Eigenschaft 1090 als treuer Bundesgenosse des Kaisers im Investiturstreit bestätigt. Im politisch labilen Worms dagegen behält sich der Kaiser die unmittelbare Schutzgewalt vor. Die Privilegien dürften für die Gesamtheit der ortsansässigen Juden gegolten haben, diese machten

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nunmehr ja beträchtliche Zahlen aus. Das Fehlen formaler Privilegien in anderen noch ansehnlicheren Gemeinden, etwa Mainz, bedeutet nicht, daß diese rechtlos waren, ebensowenig aber, daß es zu dieser Zeit bereits ein allgemeines, implizit königliches Judenrecht gegeben habe. Je nach den lokalen Umständen waren es verschiedene politische Gewalten, die aus eigener Macht bzw. kraft Verleihung den Schutz der Juden ausübten. Es ist anzunehmen, daß sie dies gegen ein irgendwie geartetes Entgelt taten, wenn auch regelmäßige Steuern noch nicht erwähnt werden. Wie in Worms eindeutig belegt, hatten die Juden selbst das Bedürfnis, ihre Existenz in der Stadt in rechtlich klaren Formen abzusichern. Eine tatsächliche Ausübung des Schutzes wird erstmals – unklar – für Heinrich III. erwähnt, der den Mörder eines Juden grausam bestrafte. Im größten Ausmaß waren die Schutzherren 1096 bei den Verfolgungen des Ersten Kreuzzugs gefordert. Vor Ort sind sie dieser keineswegs leichten Aufgabe mit unterschiedlichem Einsatz und höchst ungleichem Erfolg nachgekommen. Am energischsten hat der Bischof von Speyer gehandelt und damit seine Juden gerettet, anderswo ließen sich die bischöflichen Stadtherren und ihre Untergeordneten von den Ereignissen überrollen. Der mehrfach belegte bewaffnete Widerstand der Juden konnte den tragischen Ausgang nicht verhindern und besaß auch im weiteren keine Bedeutung als wirkungsvolle Schutzoption. Der in Italien festgehaltene Kaiser hat 1096 keine aktive Rolle gespielt. Auf Intervention der Mainzer Juden hat er die Großen des Reiches schriftlich zum Schutz der Juden aufgefordert, nachträglich gab er die Erlaubnis zur Rückkehr der Zwangsgetauften zum Judentum. Die Ereignisse haben auf längere Sicht zu einer Systematisierung des Judenschutzes geführt. Anfänge sind vielleicht in der Untersuchung spürbar, die der Kaiser 1098 in Mainz nach dem Verbleiben des Vermögens der Erschlagenen unternahm. Im Reichslandfrieden von 1103 werden dann erstmals „die“ Juden ohne lokale Zuordnung – wahrscheinlich sind alle Juden des Reiches gemeint – mit anderen schutzbedürftigen Personen und Institutionen unter einen erhöhten Frieden gestellt. Sicherheit in einem öffentlichen Klima, das die Juden zunehmend mit Gewalt belegte, boten jedoch allein die örtlichen Machtträger mit ihren Festungen und Bewaffneten, wie sich erneut zur Zeit des Zweiten Kreuzugs (1146/7) herausstellte. Die Stadtherren konnten aber nur lokal reagieren. Zur Eindämmung der Verfolgungen insgesamt brauchte es eine Persönlichkeit von der Statur Bernhards von Clairvaux. Eine effektive Schutzpolitik hat erst Kaiser Friedrich I. zur Zeit des Dritten Kreuzzugs (1188) unternommen. Das energische Eingreifen seiner

Versagen des Schutzes 1096

Schutz beim 2. Kreuzzug

Schutz beim 3. Kreuzzug

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Kammerknechtschaft

Kammerknechtschaft als Programm gegenüber konkurrierenden Ansprüchen Übergang des Judenregals an Territorialherren

I. Enzyklopädischer Überblick

Amtsträger und des Kaisers öffentliche Erklärung, daß diesmal Übergriffe ohne Rücksicht auf das Kreuzfahrerprivileg strengstens geahndet würden, haben das Ausgreifen erster Regungen verhindert. Dem ging offensichtlich eine Intervention der Juden von Mainz voraus. Spätere Könige besaßen nicht mehr die notwendige Macht und Entschlossenheit zu einer eindeutigen Schutzpolitik, die auch vor Konflikten mit der Bevölkerung und anderen Machtträgern nicht zurückschreckt. Die unter Friedrich I. eingeleiteten Entwicklungen waren jedoch auf anderem Gebiet bedeutsam. In einer Reihe von Urkunden hat Friedrich I. die Juden allgemein als zum kaiserlichen Fiskus bzw. zur kaiserlichen Kammer gehörend bezeichnet. Friedrich II. fügte dieser Wendung den Ausdruck „servi“ hinzu („universi Alemannie servi camere nostre“, 1236 und 1238), womit die Juden des Reiches als „Kammerknechte“ definiert und der königlichen Finanzadministration unterstellt waren. Über die Einrichtung der „Kammerknechtschaft“ ist ungemein viel diskutiert worden (unten, II.B.2.2). Mit dem Ausdruck Kammer oder Fiskus ist zutreffend die Dimension der steuerlichen Nutzung benannt, die nunmehr das Verhältnis zwischen Herrschern und Juden kennzeichnet. Anders als seine Nachfolger konnte dabei Friedrich I. gelegentlich seinen Willen behaupten, so etwa 1188 in einer Auseinandersetzung mit dem Erzbischof von Köln um die Besteuerung der dortigen Juden. Dagegen erweist sich die direkte Unterstellung unter den König weniger als politische Wirklichkeit, denn als ein Programm, das konkurrierenden Ansprüchen des Papsttums und der deutschen Fürsten entgegen gestellt ist. Seit dem frühen 13. Jahrhundert verdünnt sich die königliche Herrschaft über die Juden zu einer Oberherrschaft, unter der andere Kräfte die eigentliche Gewalt wahrnehmen, besonders in den Bischofsstädten, aber auch in geistlichen und weltlichen Territorien. Nicht immer geht das „Judenregal“, wie dieses Herrschaftsrecht nunmehr genannt werden kann, als gesamter Block an den Fürsten über, es gab auch die stückweise Übertragung. In den Herzogtümern Österreich und Bayern wurde es ohne ausdrückliche königliche Autorisierung übernommen. Der Übergang des Judenregals war kein singulärer Vorgang, er unterscheidet sich grundsätzlich nicht vom Schicksal anderer Herrschaftsrechte des deutschen Königs. Unter Friedrich I. gab es auch auf diesem Gebiet einen energischen Versuch der Revindikation. Diese sog. „Regalienpolitik“ hatte unter den Bedingungen des Thronstreites des beginnenden 13. Jahrhunderts, der langjährigen Abwesenheit Friedrichs II. und der gleichzeitigen Machtkämpfe, und zumal während des Interregnums keine Aussicht auf Verwirklichung. Dazu kommt noch ein für die Juden spezifischer Faktor. Als Friedrich I. sie seiner

D. Die Juden in der christlichen Gesellschaft

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Kammer zuordnete, hatte er es (um das Jahr 1150) mit 18 Gemeinden zu tun, deren Zahl bis um 1200 auf etwa 30 anwuchs. Solche Größenordnungen waren bei einiger Energie über das Netz der Reichsministerialen und Landvogteien in den administrativen Griff zu bekommen. Im Todesjahr Friedrichs II. gab es im Reich kein solches Verwaltungssystem mehr, dafür aber bereits knapp 100 jüdische Gemeinden. Fünfzig Jahre später waren es an die 350, viele von ihnen Neugründungen in den Landstädten der Territorien, so etwa in Österreich, dessen Herzog 1244 als erster deutscher Fürst unabhängig vom Kaiser eine Judenordnung erlassen hatte. Das von den Fürsten geförderte Ausgreifen der jüdischen Ansiedlung auf Räume außerhalb des königlichen Machtbereichs ist ein bestimmender Faktor in der Territorialisierung des Judenrechts. Daran konnte auch die Rechtskonstruktion einer „königlichen Kammerknechtschaft“ nichts ändern. Allein in den Reichsstädten blieb die königliche Herrschaft vorläufig von größerer Bedeutung. Mit den nunmehr im breiten Umfang geübten Verleihungen und Versetzungen der Juden haben die Könige Bundesgenossen geworben und belohnt, haben besonders die „Grafenkönige“ des späteren 13. Jahrhunderts Geldverpflichtungen abgeleistet. Die ursprüngliche Schutzverpflichtung wurde zunehmend zur mobilen und über Verpfändung kommerzialisierten Einnahmequelle, sie hat sich endgültig seit der Goldenen Bulle Kaiser Karls IV. (1356) verdinglicht. Das dabei den Kurfürsten bestätigte Recht, Juden zu halten, wird in einem Atem mit dem Bergwerks- und Zollregal genannt. Der Schutz der Juden ist damit auch begrifflich zur Einnahmequelle, zum „Judenregal“ verkümmert. Tatsächlich war die fiskalische Erschließung seit dem 13. Jahrhundert wohl der wesentlichste Aspekt im Verhältnis der Herrscher zu den Juden. Einen Begriff von den Größenordnungen gibt bereits die erste bekannte Steuerliste der Reichsstädte (1241), als die finanzkräftigsten Gemeinden Mainz, Köln, Würzburg und Regensburg bereits dem König entfremdet waren. Die Juden in den Reichsstädten steuerten damals 13% der königlichen Einnahmen überhaupt und 16,5% des Aufkommens der Städte. Im weiteren sollte sich ihr Steueraufkommen noch bedeutend vergrößern. In Frankfurt am Main stiegen die Hebesätze zwischen 1241 und 1309 auf das Achtfache, in Rothenburg ob der Tauber hatten am Ende des 14. Jahrhunderts die Juden zwölfmal so hohe Steuern zu zahlen wie die Bürger. Mit der Weitergabe des Judenregals begann ein Wettlauf zur Erschließung zusätzlicher Einnahmequellen für das Königtum. Ein Posten, der zeitweise alle anderen übertreffen konnte, ergab sich aus Bußund Strafgeldern. Als reguläre Kopfsteuer wurde ab 1342 der sog.

Königssteuern

Die Juden als königliche „Melkkuh“

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I. Enzyklopädischer Überblick

„Goldene Opferpfennig“ jährlich von sämtlichen männlichen und weiblichen über 12 Jahre alten Juden des Reiches eingehoben. Damit wurde erneut die direkte Unterstellung aller Juden ohne Rücksicht auf Verleihung oder Verpfändung betont. Völlig aus dem Rahmen des Steuerwesens fallen die beiden Schuldentilgungsaktionen König Wenzels, großangelegte Enteignungen der in Händen der Juden befindlichen Schuldtitel, bei denen sich 1385 König und oberdeutsche Städte, 1390 dann König und Fürsten die Beute teilten. Eine 1415 geplante jährliche Vermögenssteuer von 10% (der sog. „Zehnte Pfennig“) ließ sich gegen die Opposition der Regalieninhaber nicht durchführen. Beansprucht und teilweise auch eingenommen wurde dagegen bei Königs- und Kaiserkrönungen eine „Ehrung“, zuerst 1414 durch König Siegmund mit dem ungemein hohen Steuerfuß von einem Drittel, sodann 1434 bei dessen Kaiserkrönung mit sogar der Hälfte der Habe. Weitere außerordentliche Forderungen („Schatzungen“) hat man mit besonderen Anlässen legitimiert. So mußten die Juden Abgaben zur Finanzierung des Konstanzer Konzils, eine, so sollte man meinen, rein christliche Glaubenssache, leisten und wurden zu Steuern für den Krieg gegen Hussiten, Türken (beides auch Glaubenskriege), Burgund, Ungarn und Frankreich herangezogen, selbstverständlich auch bei allgemeinen Steuerprojekten wie dem „Gemeinen Pfennig“ (1495). Gefordert wurden regelmäßig exorbitante Beträge und Steuersätze, die dann in Verhandlungen mit den örtlichen Obrigkeiten und Judenschaften auf Abstandszahlungen im Bereich des Möglichen gesenkt wurden. Trotz weitfliegender Pläne und heftigen Druckes blieb die finanzielle Ausbeute besonders in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zumeist mager; aus den verarmten Judengemeinden war kaum mehr etwas herauszupressen. Charakteristisch für die Beziehungen zwischen Königtum und Juden ist also im Spätmittelalter der nackte Fiskalismus sowie die Willkür der Ausbeutung. Zwei Äußerungen bezeichnen das dahinter stehende Denken: 1286 begründete König Rudolf die Beschlagnahme des Vermögens geflüchteter Juden damit, daß sie ihm als Kammerknechte mit Person und Habe samt und sonders gehörten. 1464 erläuterte Markgraf Albrecht von Brandenburg-Ansbach die Krönungsabgabe als Brandschatzung, ja als Gnadenerweis, denn der König sei auch durchaus berechtigt, die Juden zu verbrennen. Dazwischen steht noch König Albrecht, der zwar nicht den Ausbruch der „Rindfleisch“Verfolgungen (1298), immerhin ihr weiteres Umgreifen verhindert hat. Auch Ludwig der Bayer ist zur Zeit der „Armleder“-Verfolgungen (1336–38) teils vorbeugend wirksam geworden, teils hat er nach er-

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folgter Tat strafend eingegriffen. Ihm folgte aber Karl IV., der 1349 die noch umgreifenderen Pogrome überhaupt nicht gestraft hat, sondern sich den Verzicht auf Strafen mit Geld und politischer Unterstützung abkaufen ließ und noch jahrelang um das Gut der Ermordeten verhandelte. Hier hat sich der Schutzgedanke gänzlich gegenüber einem Leitbegriff vom Juden als reinem Finanzobjekt verflüchtigt, das außerhalb jeder Friedens- und Rechtsordnung steht, eine Melkkuh, die tatsächlich auch geschlachtet werden kann, wenn es ein Kalkül gebietet. Eine solche Haltung ist auch für die nachfolgende Zeit einzigartig. Mit wenigen Ausnahmen (etwa Wenzels Schuldentilgungen) hat die Hoffnung auf Einkünfte bei den immer in Geldnöten befindlichen Königen extreme Maßnahmen verhindert. Friedrich III. hat zwar nicht die eigenen, jedoch die Geldforderungen anderer Regalieninhaber gemäßigt und Vertreibungspläne verhindert, ist sogar in Regensburg tatkräftig gegen die Ritualmordbeschuldigung eingeschritten, was ihm den Ruf eines „Judenkönigs“ eingetragen hat. Sein Sohn Maximilian zog dagegen die Konsequenz aus dem nunmehr augenfälligen Zusammenbruch der Finanzkraft der Juden und hat seine Zustimmung zu Vertreibungen nur mehr von der Höhe der Entschädigungssumme abhängig gemacht. Die königliche Schutzherrschaft ist jedoch nur ein Teil, und nicht einmal der wichtigste, des Gesamtbildes vom Rechtsstatus der Juden seit dem 13. Jahrhundert. Beinahe gleichzeitig mit der Territorialisierung des Judenschutzes begann die Ausbildung einer städtischen Herrschaft über die Juden. Sie ist in der Loslösung der großen Bischofsstädte von ihren geistlich-fürstlichen Herren (Freistädte) und in der zunehmenden Unabhängigkeit der Reichsstädte von ihrem königlichen Herrn begründet. In beiden Gruppen waren es die bürgerlichen Behörden, die Stadträte, die die Lebensumstände der Juden am eindrücklichsten beeinflußten, zuweilen in Kooperation mit dem Stadtherr, zuweilen in Opposition zu ihm, seit dem 14. Jahrhundert meist in Alleinregie. Daneben gab es auch zahlreiche Landstädte, deren fürstliche Herren die Angelegenheiten der Juden allein, gelegentlich auch im Einverständnis mit den Bürgern regelten. Die Grundlage städtischer Herrschaft über die Juden war zuerst die faktische Schutzfunktion, die sich aus der Friedenswahrnehmung ergab und anfänglich ohne, in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts dann mit ausdrücklicher Delegierung durch den Stadtherrn ausgeführt wurde. Dieser Schutz funktionierte natürlich im Inneren der Stadt am besten, konnte sich aber auch nach auswärts erstrecken, wie der Einschluß der Juden in die Landfriedenseinigungen der rheinischen Städte und Herren von 1254 bezeugt. Daraus wurde

Ausbildung der städtischen Herrschaft über die Juden

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Das städtische „Judenbürgerrecht“

I. Enzyklopädischer Überblick

auch die Berechtigung zur Beaufsichtigung der Juden abgeleitet, so etwa die vom gleichen Rheinischen Städtebund nur ein Jahr später erlassene Zinstaxe für Darlehen. Die Juden wurden auch in weiteren Bereichen den örtlichen Obrigkeiten unterstellt. Zum Verteidigungswesen, der Verpflichtung zu Wachdienst, Instandhaltung von Verteidigungsanlagen und Kriegsdienst, wurden sie am frühesten herangezogen. Dem haben sie in verschiedener Form genügt, zuweilen persönlich mit tatsächlichem Schanz- und Waffendienst, an vielen Orten und zunehmend mit Geldzahlungen. Von den direkten Steuern der Stadtbürger waren die Juden eigentlich als Kammerknechte des Königs befreit. Diesen Grundsatz hat am frühesten Regensburg durchbrochen, wo die Stadtherren 1207 den Bürgern die gewöhnliche Besteuerung der Juden zustanden. An anderen Orten forderten und erhielten die Bürger im Laufe des 13. Jahrhunderts nicht die gewöhnliche Steuer der Juden, sondern Sonderabgaben, die oft mit außerordentlichen Kriegsbelastungen begründet wurden. Im Gerichtswesen waren die Juden in internen Fragen ihrer eigenen Schiedsgerichtsbarkeit, in schweren Verbrechen und Streitigkeiten mit Christen den königlichen bzw. stadtherrlichen Gerichten unterstellt. In der Praxis wurde auch diese Exemption bereits im 13. Jahrhundert an einigen Orten durchbrochen, etwa in Worms, Mainz und Straßburg, wo man die Juden vor das gewöhnliche Ratsgericht zog. An anderen Orten, in Regensburg und durchgehend in Österreich, errichteten die Regalherren besondere Gerichte, die mit einem christlichen Judenrichter besetzt waren. An wieder anderen Orten, so in Augsburg und Nürnberg, hat der vom Stadtherrn eingesetzte öffentliche Richter, der Schultheiß oder Vogt, zusätzlich als Judenrichter fungiert. Zuweilen erscheinen an den besonderen Judengerichten, die auch in der Synagoge tagen konnten, gemischt jüdische und christliche Beisitzer. An einigen Orten bereits an der Wende vom 13./14., fast überall dann im 14. Jahrhundert werden die Tendenzen zur städtischen Unterordnung der Juden in Form eines in Einzelheiten verschiedenen, in den Grundsätzen jedoch einheitlichen „Judenbürgerrechts“ zusammengefaßt. Dies mag auch auf Anstoß der Juden selbst erfolgt sein, die in den schweren Verfolgungen der Periode klar erkennen mußten, daß einigermaßen effektiver Schutz wie auch die wirtschaftlich unbedingt erforderliche Rechtssicherheit nicht mehr von König und Territorialherren, sondern allein von den Stadtobrigkeiten gewährleistet werden konnte. Dieser Rechtsstatus wurde nunmehr formell beurkundet (verbrieft), womit die Juden in ein bedingtes Schutzverhältnis aufgenommen wurden, dessen Träger die Stadt war. Der Ausdruck „Judenbürgerrecht“ darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie keine Ämter bekleiden, an

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den Versammlungen der Bürgerschaft nicht teilnehmen und zahlreiche Gewerbe nicht betreiben durften, also alles andere als „Mitbürger mosaischen Glaubens“ waren. Zur vollen Herrschaft über die Juden sind die städtischen, besonders reichsstädtischen Obrigkeiten erst im Spätmittelalter gelangt. Die Weichen dazu wurden in den Pogromjahren 1348/49 und danach gestellt, als Karl IV. einer Vielzahl von Reichsstädten befristet oder unbefristet das Recht erteilte, Juden aufzunehmen und zu schützen, zusammen mit dem Recht ihrer fiskalischen Nutznießung. Im Zuge der Schuldentilgung von 1385 traf König Wenzel mit 37 süddeutschen Reichsstädten die generelle Vereinbarung, daß ihm gegen die Erlaubnis zur Judenaufnahme hinfort die Hälfte der jüdischen Jahressteuern zustehen sollte. Diese massenhaften Verleihungen stellten die städtische Herrschaft über die Juden auf eine rechtlich kaum mehr angreifbare Basis. Inhaltlich ist der reichsstädtische Judenschutz, wie auch die durchaus parallele Praxis in den Landstädten und Territorien, stark von den neuen Bedingungen nach den Verfolgungen der Pestzeit bestimmt: weitaus niedrigere Seelenzahlen, eine abnehmende Akzeptanz der Geld- und Pfandleihe und die überall bemerkbare Tendenz zur Segregation, andererseits aber anfänglich auch eine gewisse Konkurrenz zwischen den Obrigkeiten um die Aufnahme potenter Geldleiher. Im Spätmittelalter ist der Rechtsstatus der Juden formal durch das Instrument der Aufnahme in den Schutz, den „Schutzbrief“, gekennzeichnet. Die Schutzbriefe wurden ganz überwiegend befristet erteilt, im allgemeinen auf ein bis sechs Jahre, an Einzelpersonen, in der Regel Haushaltsvorstände, die für Familie und Gesinde hafteten. Daneben kommen auch noch, wie früher, kollektive Privilegien für ganze Gemeinden oder jedenfalls Personengruppen vor. Die Erteilung des Schutzbriefes geschieht gegen Entgelt, regelmäßig wird dabei den individuellen Vermögensverhältnissen entsprechend eine unterschiedlich hohe Jahressteuer festgelegt. Mit Ablauf des Schutzbriefes konnte, mußte jedoch nicht, die Aufenthaltsberechtigung erlöschen, was die Ausweisung bedeutete. Jedenfalls bot die Befristung Gelegenheit zu Anhebung der Steuern und Veränderung weiterer Bedingungen. Auch kollektive Privilegien waren vielfach befristet und mußten auf der Grundlage neuer Verhandlungen verlängert werden. Unbefristete kollektive Schutzbriefe sind im Spätmittelalter die Ausnahme. Der individuelle wie kollektive Schutzbrief gewährte das Wohnrecht und versprach Schutz gegen Zahlung einer Jahressteuer. Oft wird ausdrücklich die Erlaubnis zur Geldleihe erteilt oder diese, vielfach mit der Festlegung des Zinssatzes und Bestimmungen zum Pfandwesen, näher gere-

Judenschutz im Spätmittelalter

Der Schutzbrief

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Herrschaft und Schutz: das Beispiel Schweinfurt

I. Enzyklopädischer Überblick

gelt. Nicht selten sagt der Schutzherr zu, bei der Eintreibung ausstehender Forderungen behilflich zu sein. Zusätzliche Bestimmungen regeln weitere Bereiche, oft mit Klauseln, die offensichtlich auf Wünsche der jüdischen Empfänger zurückgehen. Mit der Erteilung des Schutzbriefes erfolgte in der Regel die Aufnahme zum „Judenbürger“, was mit Leistung des Bürgereides und anschließender Eintragung in ein Bürgeroder Amtsbuch verbunden war, natürlich auch mit Zahlung eines Entgelts. Die Rechtslage der Juden wurde auch durch Gesetzgebung, sog. „Judenordnungen“, geregelt bzw. abgeändert. Zum Teil stammen solche mehr oder weniger systematischen Ordnungen aus älterer Zeit und wurden nach 1349 punktuell ergänzt, zumeist im restriktiven Sinn. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wird das Instrument der obrigkeitlichen Ordnung in vielen Orten und Territorien gezielt zu massiven Beschränkungen und Diskriminierungen eingesetzt. Neben Judenbürgerrecht und Schutzbrief existierte das alte kammerknechtschaftliche Verhältnis zu König oder Territorialherr in verschiedensten Mischformen weiter. Das Beispiel einer beliebig gewählten Stadt, Schweinfurt, mag die Komplexität der Verhältnisse andeuten. Oberster und auch aktiver Schutzherr war dort weiterhin der König, am Judenschutz stark beteiligt waren auch die Stadt und der Bischof von Würzburg, dessen Territorium Schweinfurt rings umschloß, so daß die jüdischen Geschäftsleute auf seinen Schutz angewiesen waren. Das Reich übertrug der Stadt den Judenschutz 1368 bis auf Widerruf und von neuem 1420 und 1428. Demzufolge besaß der Rat Herrschaft, Besteuerung und Gerichtsrechte über die Juden. 1429 verteidigte er sie gegen den Reichsvogt, 1437 geriet er ihretwegen in eine Fehde. König Siegmund erteilte wiederholt Privilegien: 1414 mehreren Juden die Rechte, wie sie die Juden in Worms haben; 1422 ein kollektives 10jähriges Privileg (Befreiung von auswärtigen Gerichten und außerordentlichen Reichssteuern, Schutz und Geleit außerhalb der Stadt, Anerkennung des lokalen jüdischen Gerichts); 1431 ein kollektives Privileg (Ungültigkeit von Schuldentilgungen Dritter); und 1434 ein 10jähriges kollektives Privileg (Befreiung von außerordentlichen Steuern, Gerichtsstand allein in der Stadt, Versprechen des Königs, selbst keine Schulden zu erlassen). Kaiser Friedrich III. befreite 1487 zwei Schweinfurter Juden von Gericht und Bann jedweden Rabbiners. Die Bischöfe von Würzburg erteilten häufig Einzelnen und der Gemeinde zumeist befristete Privilegien für das Gebiet des Hochstifts außerhalb der Stadt: Befreiung von Zoll und hochstiftischen Gerichten, Erlaubnis zur Geldleihe in Stiftslanden, Geleit, Erlaubnis zur Benutzung der Schweinfurter Synagoge.

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Die eindrucksvolle Liste von Privilegien darf nicht den Blick darauf verstellen, daß hier gegen immer neues Entgelt stück- und fristweise zugestanden wurde, was früher selbstverständlich war: Rechtssicherheit vor willkürlicher Enteignung, Freizügigkeit und freie Religions- und Berufsausübung. In dieser Hinsicht hat sich der Rechtsstatus der Juden im Spätmittelalter unzweifelhaft verschlechtert. Dagegen ist festzustellen, daß im Vergleich mit der vorhergehenden Epoche städtische wie auch landesherrliche Obrigkeiten ihre Juden effektiv vor Aufruhr und Pogrom schützten, ja sogar vor verbaler Hetze und Belästigungen. Bis ins späte 15. Jahrhundert war auch ein hohes Maß an Rechtssicherheit gegeben, die Juden konnten mit berechtigter Hoffnung auf Unparteilichkeit ihre wirtschaftlichen Belange vor Gericht vertreten. Das Ende der Duldung läßt sich gerade im Rechtlichen ablesen, in Nürnberg etwa mit der Stadtrechtsreformation von 1479, die mit prozeduralen Verschärfungen des Darlehens- und Pfandrechts den Geldhandel fast unmöglich machte. Effektiven Schutz erhielten die Juden auch gegenüber fremden Mächten, in der Abwehr fremder Besteuerung und der Ladung vor fremde, besonders geistliche Gerichte, auch gegen Raubritter, die systematisch Juden zur Lösegeldforderung abfingen. Dahinter steht der Wille zur Erhaltung der jüdischen Finanzkraft ebenso wie zur Wahrung der städtischen Souveränität. Auch dabei verringert sich zunehmend die Akzeptanz: die Austreibung der Kölner Juden (1424) war u. a. dem Wunsch entsprungen, nicht mehr wegen der Juden in Fehden verwickelt zu sein. Das alte Problem der Wirksamkeit des Judenschutzes stellte sich nunmehr anders. Im Gegensatz zur hochmittelalterlichen Periode hing sie nicht mehr von objektiv gegebener Macht oder Ohnmacht des Schutzherren, sondern allein von dessen politischem Willen ab. Die Tendenz der Entwicklung insgesamt ist beispielhaft in der Sprache und Kanzleipraxis der Reichsstadt Nürnberg bezeichnet. Bis 1331 erscheinen im Bürgerbuch jüdische zusammen mit christlichen Neubürgern. 1338 ist eine Liste der in der Stadt ansässigen Juden noch mit „Dies sind die Juden, die hier zu Nürnberg Bürger sind“ betitelt. Seit 1381 wird in der Kanzlei ein eigenes Judenzinsbuch geführt, dessen erster Eintrag lautet: „Das sind die Juden. Was die jährlich geben sollen, so lang die Bürger wollen“. 3.

Rechtssicherheit und Schutz im Spätmittelalter

Die Verfolgungen

Unter Verfolgungen werden allgemein „Maßnahmen gegenüber Juden als Gemeinschaft verstanden, die von kollektiven Vorstellungen geprägt wurden und die das übliche Maß der theoretisch geforderten anti-

Verfolgung – Definition

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Zwangstaufen

1096 – der Erste Kreuzzug

I. Enzyklopädischer Überblick

jüdischen Bestimmungen übertrafen“ [383: GRAUS, Pest, 380]. Die in vorigen Abschnitten behandelte Diskriminierung wird im weiteren als gegeben angesehen, und die Frage zielt nach den konkreten Konsequenzen auf das Leben der Juden. Es stehen die gewalttätigen Angriffe im Vordergrund, daneben müssen aber auch Erscheinungen einbezogen werden, die in anderer Weise schwerwiegend auf die Lebensumstände einwirkten. Der chronologisch geordnete Überblick soll zuerst ein Bild von der Frequenz, dann von Wesen, Ursachen und Auswirkungen der Verfolgungen vermitteln. Die folgende Graphik tabuliert in Jahrzehntintervallen die Gesamtzahl der judenfeindlichen Ereignisse wie auch die Zahl der betroffenen Orte. Bis etwa Ende des 12. Jahrhunderts war die Verfolgung die Ausnahme, nicht die Regel. Danach kam eine Übergangszeit häufigerer, wenn auch nicht ununterbrochener Verfolgungen. Nach 1250 gab es überhaupt kein Jahrzehnt mehr ohne Gewalt, sie wurde Teil des Lebens der Juden. Seit dem späteren 13. Jahrhundert ändert sich auch das geographische Muster der Judenfeindschaft. An Stelle lokal begrenzter Verfolgungen treten regionale Wellen auf, die immer mehr Orte treffen, bis hin zum furchtbaren, beinahe alle Gemeinden des Reiches vernichtenden Höhepunkt der Pestzeit zur Mitte des 14. Jahrhunderts. Im Spätmittelalter pendelt sich ein konstantes und noch höheres Niveau der Vorfälle ein, wenn es auch nie mehr zu einer ähnlichen Ballung kommen sollte. Der früheste Vorfall auf deutschem Boden ereignete sich um 937, als der Mainzer Erzbischof eine, wenn nötig auch gewaltsame Judenmission zu initiieren versuchte, offenbar aber am Widerstand oder Desinteresse König Heinrichs I. scheiterte. Auch der nächste Vorfall war anscheinend eine Zwangstaufe, vielleicht nur eine Vertreibung, die König Heinrich II. 1012 in Mainz vornehmen ließ. Die nicht bekehrungswilligen Juden sollen vertrieben worden sein, waren jedoch bereits ein Jahr später wieder am Orte präsent. Ein sagenhaft ausgestalteter Bericht erzählt für 1066 von dem mißglückten Versuch einer weiteren Zwangstaufe in Trier. Sonst sind aus dem 11. Jahrhundert keine Vorfälle überliefert. Erst die Verfolgungen des Ersten Kreuzzugs von 1096 sollten dem insgesamt ruhigen Wachstum der Gemeinden in diesem Jahrhundert ein blutiges Ende setzen. In Mainz und Worms verloren alle oder fast alle Juden das Leben, insgesamt wohl beinahe 2000 Seelen. Hingemetzelt wurden auch die Kölner Juden, die in sieben kleineren Orten Zuflucht gesucht hatten. Auch in Speyer, Trier, Regensburg und Prag gab es Todesopfer, der Großteil der dortigen Juden wurde jedoch zwangsgetauft. Für die bis dahin unbekannte Mordbereitschaft

D. Die Juden in der christlichen Gesellschaft

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Zwangstaufe und Selbstbehauptung durch SelbstmordKiddusch ha-Schem

1146/47 – der Zweite Kreuzzug

1188 – der Dritte Kreuzzug

Beschuldigung des Ritualmordes

I. Enzyklopädischer Überblick

der Angreifer werden in der Forschung mannigfaltige Motiven diskutiert (unten II.B.2.3.2). Der unmittelbare Anlaß zum Mord war auch hier die Zwangstaufe. Der Anstoß kam nun nicht mehr von Königen oder Bischöfen, sondern von den bewaffneten Haufen, die sich im Umfeld des Kreuzzugs mobilisiert hatten. Auf jüdischer Seite setzte 1096 das Zeichen für die Ausbildung eines ausgeprägten Verhaltensmusters, des Kiddusch ha-Schem („Heiligung Seines Namens“), das zwar nicht überall angewandt, im weiteren jedoch zur religiösen Norm wurde. Es war dies der konsequente Widerstand gegen die Aufgabe der jüdischen Identität, der nach Ausschöpfen aller anderen Mittel wie Verhandlung, Bestechung und bewaffneter Widerstand auch nicht vor Freitod und Abschlachtung der Kinder zurückscheute. Wenngleich die Kreuzzugsmassaker in der Forschung nicht mehr als die entscheidende Wende im christlich-jüdischen Verhältnis angesehen werden, so ist doch unzweifelhaft, daß diese Beziehung nunmehr auf eine zumindest potentiell gewalttätige Ebene gestellt wurde. Der Zweite Kreuzzug (1146/47) brachte erneute Bedrohungen, auf die die Juden wiederum mit der Flucht in feste Orte der Stadtherren reagierten. Durch das rasche Eintreten Bernhards von Clairvaux, der den Hetzpredigten in Mainz persönlich entgegentrat, blieben diesmal die Ausschreitungen begrenzt, zahlreiche Todesopfer gab es gleichwohl in Würzburg, vielleicht auch in Prag. Die erneut ausartende Erregung um den Dritten Kreuzzug (1188) zog dank des energischen Eingreifens Kaiser Friedrichs I. keine Opfer nach sich. 1196 gab es vereinzelte, jedoch mörderische Angriffe von Kreuzfahrern auf Juden in Boppard, Worms und Wien. Danach verschwindet im Reich der Kreuzzug aus dem Bestand der Judenfeindschaft und sollte erst 1309 zum letzten Mal (in Limburg und Brabant) Opfer fordern. Dagegen erschienen bald andere Motive, die, je länger in Predigt, Exemplen und bildlicher Darstellung tradiert, als zunehmend automatische Auslöser von Verfolgungen dienten. In Umrissen schon 1096 in Worms und 1147 in Würzburg, unmißverständlich dann im weiteren taucht die Beschuldigung des Mordes an Christen auf. Sie sollte sich zum Topos des Ritualmordes verfestigen, wodurch die Juden zu habituell mörderischen Feinden der Christen gestempelt wurden, die aus rituellen Gründen des Körpers oder Blutes besonders christlicher Knaben benötigten. In ausgebildeter Form erscheint diese Beschuldigung dann gehäuft im 13. Jahrhundert. Nunmehr bedurfte es keines umfassenden Antriebes mehr, es genügte das Verschwinden eines Kindes, um am Ort einen Pogrom bzw. die gerichtliche Verfolgung zu veranlassen. Die Hartnäckigkeit, mit der sich die Ritualmordlegende (bis in unser Jahr-

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hundert) halten konnte, beruht auf ihrer genormten, überall anwendbaren Grundstruktur der Identifizierung mit dem Opfer Christi und der Assoziierbarkeit mit weiteren Elementen, dem Blutaberglauben, dem Verschwörungsmotiv, der Vorstellung der Teufelskult treibenden Juden, dem Glauben an die auch körperlich andere Beschaffenheit des Juden, der christliches Kinderblut zur Heilung seiner besonderen Krankheiten oder der Beschneidungswunde bräuchte. Daneben gab es eine wachsende Zahl von Anfeindungen und Verfolgungen mit verschiedenen Hintergründen oder Vorwänden, so 1241 in Frankfurt am Main, wo nach Handgreiflichkeiten um die Taufe eines jüdischen Jungen an die 180 Menschen umgebracht wurden, weitere 24 ihr Leben durch die Taufe retteten, andere wiederum durch die Flucht. In Magdeburg und Halle dagegen organisierte der eben gewählte Erzbischof 1261 einen Überfall auf die Juden, erpreßte von den Wohlhabenden eine große Summe Geld und ließ die Häuser ausrauben. Solche räumlich begrenzten, aber immer rascher aufeinander folgenden Ereignisse sind charakteristisch für die Verfolgungen des 13. Jahrhunderts. Die übergeordneten kirchlichen und weltlichen Stellen verwandten nicht wenige Anstrengungen, um sie unter Kontrolle zu halten. Am bekanntesten ist die von Kaiser Friedrich II. 1236 eingesetzte Untersuchungskommission, die die Juden vom Vorwurf des Ritualmordes reinigte, wie auch die auf jüdische Intervention ergangene päpstliche Bulle von 1247 (wiederholt 1274), die jedoch keine bleibende Beruhigung erzielten. Auch die Landfriedenseinungen zum Schutz der Juden, die etwa 1265 nach den blutigen Ereignissen von Koblenz (20 Tote) und Sinzig (61 Tote) vom Mainzer Erzbischof, verschiedenen Herren und den Städten Frankfurt am Main und der Wetterau geschlossen wurden, hatten nur vorübergehende Wirkung. Der Niedergang der Königsmacht und die Zunahme der politischen Konflikte im Reich wirkten sich fatal aus. Bei keiner der Verfolgungen handelte es sich nämlich um ein einfaches Ausbrechen der Mordlust des Pöbels. Bereits tiefsitzende religiös orientierte Stereotypen konnten in machtpolitischen und sozialen Auseinandersetzungen auf lokaler, regionaler und übergeordneter Ebene aktiviert und manipuliert werden. Unter den Akteuren finden sich oft Angehörige des niedrigen Ortsklerus, typischerweise bei Bestrebungen um die Errichtung von Wallfahrsstätten, sowie Mönche der Bettelorden, die den Missionsimpetus ihrer Zeit in antijüdische Agitation umsetzten. Von den Reaktionen der Juden wissen wir nur wenig. Um 1263 und nochmals nach 1280 scheint es im Westen Deutschlands zu einer Fluchtbewegung gekommen zu sein, an der Juden aus Speyer, Mainz, Worms, Oppenheim und den Städten der Wetterau teilnahmen. Unter

Kaiser Friedrich II. und die Ritualmordaffaire von Fulda (1236)

Verfolgungen kein spontanes Pogrom

Die Reaktion auf den wachsenden Druck – Versuche der Auswanderung

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Die Ritualmordaffaire um den „Guten Werner“ 1287 – die erste überörtliche Verfolgungswelle Beschuldigung der Hostienschändung

Die „Rindfleisch“Verfolgungen 1298 – die schwerwiegendsten bis dahin

I. Enzyklopädischer Überblick

den Emigranten war 1286 auch der große R. Meir b. Baruch von Rothenburg. Der Versuch der Auswanderung ist Zeichen für die stetige Zunahme der Anfeindungen, die tatsächlich in Kürze eine neue Steigerung erfahren sollten. Zu Ostern 1287 wurden die Juden in Oberwesel eines Ritualmordes an einem Knaben, dem sog. „Guten Werner“, beschuldigt. Bis Anfang 1289 forderte die davon ausgehende Verfolgungswelle Opfer in 22 Orten an Mittelrhein und unterer Mosel mit mindestens 321 Toten. Wenig später sollte das neue, kurz zuvor aus Frankreich übernommene Motiv der Hostienschändung noch zahlreichere Opfer fordern. Es war dies eine weitere, in Predigten, Exemplaund Wundererzählungen verbreitete Variante auf den vermeintlich unversöhnlichen Christenhaß der Juden. Diese seien von ihrer Religion her verpflichtet, mindestens einmal im Jahr durch Martern der Hostie den Gottesmord erneut zu inszenieren, was das gesamte Heil der Christenheit der Todesgefahr aussetze. Die Blasphemie bringt das Blutwunder hervor, die tatsächlich in den Leib Christi verwandelte Hostie ruft blutend nach Sühne. Diese wird in früheren Darstellungen noch durch ein Bekehrungswunder geleistet, seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert aber regelmäßig durch die kollektive Bestrafung der notorischen Gottesmörder. Das Ritualmordmotiv kommt in ganz Westeuropa (nicht aber in Südeuropa) vor. Die Hostienschändungslegende fand gerade im deutschen Raum starken Anklang, zuerst 1294 in Laa/Thaya (Niederösterreich). Kurz nach Ostern 1298 wurde sie im fränkischen Röttingen erhoben und war dann im Laufe von einigen Monaten an mindestens 130 weiteren Orten in Franken, der Oberpfalz, Schwaben, Hessen und Thüringen der Vorwand für umfassende Pogrome. Diese nach dem Anführer „Rindfleisch“ genannte Verfolgungswelle hat die Massaker von 1096 weit übertroffen, nach Anzahl der betroffenen Gemeinden, nach der Zahl der Opfer, die mindestens 3500 und insgesamt wohl an die 4– 5000 betrugen, wie auch in ihrer Brutalität, denn diesmal wurden die Juden kaum noch vor die Alternative Taufe oder Tod gestellt. An mehreren Orten verteidigten sie sich, an anderen kamen sie den Mördern durch den Freitod zuvor. An den Massakern waren die umherziehenden Banden des „Rindfleisch“ und Sympathisanten aus den städtischen Unter- und Mittelschichten beteiligt, nicht selten auch die unter Druck oder freiwillig handelnden Obrigkeiten. Religiöse Schützenhilfe leisteten wiederum Dominikanermönche und Ortsgeistliche. Beistand haben die Juden nur selten erhalten, am ehesten noch von den städtischen Oberschichten. Allein die weiter entfernten Städte Regensburg und Augsburg hielten konsequent die Tore geschlossen, in Regensburg anscheinend gegen Widerstand in der Bürgerschaft. Erst die Ankunft Kö-

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nig Albrechts, nach seinem Sieg über den Rivalen König Adolf von Nassau, hat dem Morden im September 1298 ein Ende gesetzt. Die ersten Jahrzehnte des 14. Jahrhunderts waren voll von örtlichen Verfolgungen, die zuweilen auf mehrere Orte der Umgebung ausstrahlten, so etwa die Ritualmordbeschuldigung von 1303 im thüringischen Weißensee, die im gleichen Jahr an weiteren vier Orten der Region Opfer forderte, nach dem nunmehr eingeübten Muster Anklage, Festnahme, Geständnis unter Folter, Implikation weiterer Juden, Hinrichtung, und weitere Verfahren auf Grund der erfolterten Aussagen. Die nächste große Verfolgungswelle der Jahre 1336 bis 1338 war dagegen eine Variation auf das Thema Aufruhr und Tumult. Sie ist unter den Bezeichnungen „Armleder“ und „Judenschläger“ bekannt, an die sich zeitlich noch zwei Hostienschändungsaffairen anschlossen. Zwischen Juli und November 1336 griff in Franken und Teilen von Schwaben ein Heer von Bauern und verbündeten Stadtbewohnern unter der Führung eines verarmten Ritters mehrere Städte an und wütete gegen die Juden. Im folgenden Sommer 1337 breiteten sich mordende Banden erneut von Franken nach Hessen und dem Mittelrhein aus, im Januar 1338 dann im Elsaß. Insgesamt haben die „Armleder“ und „Judenschläger“ an die 65 Gemeinden angegriffen, zumeist mit tödlichem Ausgang. Außer der dunklen Andeutung der Sakramentsbeleidigung und dem durchgängig genannten Wucher der Juden wird kein konkreter Anlaß genannt. Klar ist die sozialrevolutionäre, gegen Obrigkeiten und Klerus gerichtete Spitze, was wohl dazu führte, daß dem Treiben relativ rasch ein Ende bereitet wurde. Offenbar unabhängig von den Ereignissen im Westen führte am Ostersonntag 1338 in Pulkau (Niederösterreich) die Beschuldigung der Hostienschändung zu einer Verfolgungswelle, die in den folgenden Monaten bis zu 30 Orte in Niederösterreich und Mähren erfaßte. Nachwehen in der Form erneuter Bezichtigungen scheint es in Oberösterreich und Kärnten gegeben zu haben. Dasselbe Motiv wurde für die Mordtaten vorgebracht, die im gleichen Jahr von Deggendorf auf weitere 21 Orte in Bayern ausgingen. In diesem Fall erweist sich die Hostienschändung als später konstruierte Verdeckung eines Komplotts verschuldeter Adeliger und Stadtbürger, das dann nachträglich vom Landesherrn sanktioniert wurde. Die bis zum 20. Jahrhundert umfangreichste Verfolgungswelle überhaupt fand in den Pestjahren 1348 bis 1351 statt und berührte im Reich mindestens 400 jüdische Gemeinden. Sie umfaßte mit Ausnahme weniger Regionen (hauptsächlich Österreich und Böhmen) und weniger Städte (voran Regensburg) das ganze Reich. An einigen Orten wurden die Juden zusammengetrieben und ohne Gerichtsurteil getötet, zu-

„Armleder“- und „Judenschläger“Verfolgungen 1336–1338

Sozialrevolutionäre Spitze der Angriffe

Die Verfolgungen der Pestjahre 1348–1351

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Beschuldigung der Brunnenvergiftung

Der Gang der Verfolgungen im Elsaß als Beispiel

I. Enzyklopädischer Überblick

meist verbrannt, oft ist jedoch ein gerichtsförmliches Vorgehen der Obrigkeiten überliefert. Seltener waren spontane Stürme auf das Judenviertel. Die Verfolgungen gelangten von Südfrankreich über Savoyen nach Deutschland, wo sie sich dann von Süden nach Norden ausbreiteten, überwiegend noch vor dem Auftreten der Pest. Sie sind also keineswegs als einfache Spontanreaktion einer verschreckten Bevölkerung auf die Epidemie zu deuten. Auch die Zuweisung der Schuld an ortsfremde Geißlerbanden ist nicht mehr haltbar (unten, II.B.2.3.4). Im Gegensatz zu früheren Pogromen ist der Klerus kaum als Anstifter in Erscheinung getreten, wurden auch nicht die üblichen religiös verbrämten Begründungen vorgebracht. Die häufigste, von Savoyen übernommene und nach Schneeballsystem durch Gerüchte verbreitete Begründung war die „Brunnenvergiftung“, die an frühere Vorstellungen angeblich weltweiter Verschwörungen der Juden anknüpft. Zwischen der Verbreitung der Gerüchte und den Pogromen selbst lag oft eine ausgedehnte Vorbereitungsphase, in der verschiedene Initiatoren tätig wurden, die durch Absprachen, Versendung von Geständnisprotokollen gefolterter Juden und Druck auf die Obrigkeiten den Mord vorbereiteten. Beispielshaft sei der Gang der Dinge im Elsaß erläutert. Der Straßburger Rat konnte sich auch nach Monaten von Gerüchten, Informationsaustausch mit anderen Städten und Beratungen einer Untersuchungskommission nicht von der Schuld der Juden überzeugen lassen. Eine daraufhin vom Bischof von Straßburg, elsässischen Herren und Städten, alle anscheinend tief bei Straßburger Juden verschuldet, einberufene Konferenz zur „Abschaffung der Juden“ hatte tatsächlich eine Pogromwelle im Oberrheingebiet zur Folge. Damit waren aber noch nicht die Straßburger Juden liquidiert. Eine Oppositionsgruppe Straßburger Patrizier hat dann mit Unterstützung des Bischofs und des auswärtigen Adels die Zünfte auf ihre Seite gezogen, die Herrschaft ergriffen und die Juden sofort ermorden lassen. Die Schuldbriefe und Pfänder wurden beschlagnahmt, alle Schulden in der Stadt annulliert, das erbeutete Bargeld unter die Zünfte verteilt. Zur Konsolidierung seiner Verfügungsmacht über die Beute – solange Flüchtlinge lebten, konnten sie über ihre Schutzherren Forderungen geltend machen – hat der neue Straßburger Rat seinerseits Druck auf andere Herrschaftsträger ausgeübt, ihre Juden zu ermorden. So wurden die unter habsburgischem Schutz stehenden Juden im Elsaß verbrannt. Auch anderswo haben Territorialherren direkt die Ermordung der Juden in ihrem Machtbereich angeordnet. Einige wenige haben den Judenschutz ernst genommen, Herzog Albrecht II. von Österreich etwa hat nach einem tumultartigen Pogrom in Krems hart durchgegriffen und die Juden in den österreichi-

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schen Ländern, nicht aber in den habsburgischen Vorderen Landen, vor weiteren Verfolgungen gerettet. Im Reich insgesamt hat König Karl IV., der oberste Schutzherr der Juden, eine verhängnisvolle Rolle gespielt. Er hat sich an zahlreichen Orten durch die nachträgliche Einwilligung zur Verfolgung Anhänger im Thronstreit gekauft, womit ein klares Zeichen für weitere Pogrome gesetzt war. An einigen Orten hat er im Vorgriff künftige Verfolgungen sanktioniert, in Nürnberg erstmals schon ein halbes Jahr vor dem tatsächlichen Mord. Der Verpflichtung zum Schutz der Juden ist Karl IV. nur in seinen eigenen böhmischen Territorien nachgekommen. Die hochmittelalterliche Judenfeindschaft ist in ihren Begründungen und Motivationen durch das Gefühl der Bedrohung und Unsicherheit gekennzeichnet. Zwangstaufe, Ritualmordbeschuldigung und Hostienschändungslegende, auch in ihrer oft sichtbaren Manipulation, sind Mittel, den Zweifel am eigenen Glauben und dessen Heilssicherheit zu externalisieren und aufzulösen. Dazu gesellt sich im Verlauf des 13. Jahrhunderts der Aspekt der Verschuldung, ein Korrelat der Urbanisierung, Kommerzialisierung und Ausbreitung der Kreditbeziehungen, die anders gelagerte Widersprüche und Antagonismen schufen. Zentral erscheint der Prozeß der Verwurzelung der Handlungsabläufe der Verfolgungen als politische Möglichkeit, die in den meisten Fällen straffrei ausgeht. Daneben ergibt sich auch das Muster der Judenverfolgung als gesellschaftlich-politischer „Blitzableiter“. Im Spätmittelalter hat sich nichts mehr vom ungeheuren Ausmaß der Pestpogrome ereignet, dennoch gehörten blutige Verfolgungen weiterhin zur Wirklichkeit. Pogrome mit Sturm auf das Judenviertel gab es hauptsächlich noch in den ersten Jahrzehnten nach der Pestzeit. Im 15. und 16. Jahrhundert kommen sie selten vor, die Mehrzahl der blutigen Verfolgungen waren nunmehr von den Obrigkeiten unter verschiedenen Vorwänden kalt organisierte Justizmorde. Im Gegensatz zu den steilen Gipfeln der früheren Zeit folgte nunmehr auf ein Jahrzehnt höherer Verfolgungsdichte regelmäßig ein solches niedrigerer Intensität. Zuweilen gab es einzelne oder einige Opfer, zuweilen zweistellige Zahlen, zuweilen scheint eine gesamte Gemeinde betroffen gewesen zu sein, zuweilen eine ganze Region. Die nach der Pestzeit umfangreichste und blutigste Verfolgung, die Wiener Gesera von 1420/21, führte an 20 Orten Österreichs teils zur Hinrichtung, teils zur Vertreibung, und überall zur Ausplünderung der Juden. Anfänglich kam dabei eine unbekannte Zahl von Menschen ums Leben, dann wurden in Wien mindestens 212 gerichtlich umgebracht, danach fanden an verschiedenen Orten zusätzliche Opfer den Freitod. Kaum geringer dürfte die Zahl der

König Karl IV. als Mittäter

Wesen der hochmittelalterlichen Judenfeindschaft

„Sündenbock“Funktion Blutige Verfolgungen im Spätmittelalter

Die Wiener Gesera 1420

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Die obrigkeitliche Verfolgungen des Spätmittelalters

Enteignungen

Zwangstaufen im Spätmittelalter

Kirchliche Gesetzgebung des Nikolaus von Kues Predigten des Johannes von Capestrano und Peter Schwarz

I. Enzyklopädischer Überblick

im Jahr 1389 in Prag Erschlagenen gewesen sein. Jedoch, im Vergleich zum ausgehenden 13. und der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, fielen tatsächlich weniger Juden der nackten Gewalt zum Opfer. Die Plünderung, bis hin zum hysterischen Umgraben der niedergebrannten Häuser, war integraler Teil des Pogroms. Dagegen war die „kalte“ obrigkeitlich durchgeführte Enteignung der Häuser und Grundstücke, oft auch des Bargelds, der Pfänder und sonstiger Habe, festes Element der gerichtlichen Verfolgung. Auch hier suchte man vor oder erst nach der Ermordung nach versteckten und vergrabenen Reichtümern, fand sie gelegentlich auch. Manchmal ist nicht zu entscheiden, ob Enteignung und Ausplünderung das eigentliche Ziel oder ein Nebenergebnis der Verfolgung war. Die Gefangennahme und gewaltsame Schatzung ganzer Gemeinden bzw. finanzkräftiger Individuen kommt schon vor 1350 vor. Als zielbewußt und häufig eingesetztes Mittel der Abschöpfung ist sie jedoch als Sonderform der spätmittelalterlichen Verfolgungen zu betrachten. Verwandt ist die schon früher gelegentlich belegte Schulden- oder Zinsentilgung, die wiederum unter Anwendung von Druck, zumeist Gefangennahme, erfolgen konnte, um die Herausgabe der Schuldbriefe und Pfänder zu erzwingen. Am bekanntesten sind die beiden Schuldentilgungen König Wenzels von 1385 und 1390, häufiger waren jedoch landesherrliche Aktionen. Zwangstaufen kamen recht häufig vor. Typologisch sind sie jedoch als Nebenprodukt der blutigen Verfolgungen zu sehen, wo sie zumeist im direkten zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit der Ermordung oder der gerichtlichen Hinrichtung überliefert sind, als letztes Mittel, dem Tod oder auch nur der schand- und schmerzhaften „jüdischen Exekution“ zu entgehen. Öfters wurden bei einer Verfolgung allein die Kinder verschont und dann zwangsgetauft. Erst in der religiös aufgeheizten Atmosphäre der Hussitenkriege erscheint die Taufe wieder als erklärtes Ziel. Die immer zahlreicheren lokalen Judenordnungen sind als Schritte der Verfolgung zu werten, wo sie ganz kraß neue Zustände schufen, etwa in der weitestgehenden Beschränkung der Pfandleihe in Nürnberg (1479) oder mit der Ghettoisierung in Donauwörth (1493). Neu nicht dem Inhalt nach, wohl aber durch die weite geographische Verbreitung und Öffentlichmachung, waren die Mitte des 15. Jahrhunderts unter der Initiative des Nikolaus von Kues erlassenen Synodalbestimmungen, die die Einschärfung älterer kirchlicher Gesetzgebung zur Kennzeichnung der Juden und Einschränkung der Geldleihe zum Ziel hatten. Schwerwiegend waren die in die gleichen Jahre fallenden Predigten des Johannes von Capestrano, die in der christlichen Bevölkerung große Unruhe hervorriefen, starken Druck

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auf die Obrigkeiten ausübten, und an verschiedenen Orten direkt zu Verfolgungen führten. Von vergleichbarer Intensität waren 1478 die Predigten des Dominikaners Peter Schwarz in Regensburg und Nürnberg, vielleicht auch in Bamberg. Die kirchliche Agitation war seit Mitte des 15. und bis ins frühe 16. Jahrhundert in vielen Städten andauernd gegenwärtig. Parallel dazu ist eine Verschärfung im Ton der weltlichen antijüdischen Propaganda zu erkennen, so etwa äußerst rabiat im literarischen Wirken eines Hans Folz in Nürnberg. Zwangsdisputationen kamen gelegentlich vor, in Nürnberg 1478, im Erzstift Köln um 1480 und vielleicht auch in Frankfurt am Main 1509. Die in anderen Ländern noch im Spätmittelalter intensive Verfolgung des jüdischen Schrifttums scheint im Reich kaum zur Wirkung gekommen zu sein. Die Aktion des Konvertiten Johannes Pfefferkorn (1509) zur Konfiskation hebräischer Bücher in Frankfurt am Main und weiteren Orten des Mittelrheins blieb Ausnahme. Im Gegensatz etwa zu Spanien scheint man sich im Deutschen Reich nur mehr sporadisch um die Bekehrung der Juden gekümmert zu haben. Die bedeutendste Form der Verfolgung war nunmehr zweifellos die Vertreibung. Ihre Häufigkeit erklärt sich einmal aus überörtlichen Aktionen: 1390/91 Kur- und Oberpfalz; 1418/19 Erzstift Trier; 1420/21 Herzogtum Österreich; im Jahrzehnt 1450–59 Bayern, Hochstift Hildesheim, Schlesien und Böhmen; 1470 bis 1479 Erzstift Mainz und Hochstift Bamberg; 1490–99 Mecklenburg, Pommern, Erzstift Magdeburg, Bistümer Halberstadt und Naumburg, Herzogtümer Steiermark und Kärnten, Hochstift Salzburg; zuletzt 1510 die Mark Brandenburg mit insgesamt 27 betroffenen Gemeinden, die umfangreichste einzelne Austreibungsaktion des Spätmittelalters überhaupt. Zahlenmäßig noch bedeutender waren die Vertreibungen aus den Städten, die sich mit 334 Fällen auf das gesamte Spätmittelalter verteilen. Von den mittelalterlichen städtischen Gemeinden bestanden im frühen 16. Jahrhundert nur noch Worms, Würzburg, Frankfurt am Main und Prag. Als häufigste direkte Begründung für die blutige Verfolgung wie auch für einen guten Teil der Austreibungen erscheint wie früher schon die Beschuldigung der Hostienschändung und des Ritualmordes. In Umrissen ist einmal auch der Vorwurf der Ketzerei, verbunden mit der Hostienschändung, erkennbar. Öfters kommen Kombinationen von Beschuldigungen vor, nirgends jedoch so phantasiereich wie die um 1380 in Schlettstadt auf der Folter erzwungene Kombination von Brunnenvergiftung, Spielbetrug, Mord und Münzmanipulation [103: MENTGEN, Studien, 385–93]. Vereinzelt bleibt die Beschuldigung der Kooperation mit den Feinden der Christenheit, wie sie im Umfeld der Hussiten-

Hans Folz und seine judenfeindlichen Werke

Die Vertreibungen des Spätmittelalters

Begründungen der Verfolgungen

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Verfolgungen als projizierte soziale und politische Auseinandersetzungen

Plünderung

I. Enzyklopädischer Überblick

kriege erhoben wurde. Gemeinsam ist allen Anschuldigungen die Vorstellung, daß die Juden eine gefährliche Bedrohung darstellen, daß sie konkret Feinde der Christenheit seien, des crützes Christi feinde, wie man 1494 in Naumburg formulierte. Der Bewußtseinshintergrund läßt sich in zwei hauptsächliche Motivationsbündel gliedern: der religiöse Schaden, den die Christenheit durch die Duldung der Juden erleide, und der wirtschaftlich-soziale Schaden des Wuchers der Juden. Dieses Gefühl der Bedrohung existierte jenseits der Wirklichkeit der gänzlich umgekehrten Machtverhältnisse und hat zu einer von konkreten Umständen unabhängigen totalen Unduldsamkeit gegenüber jüdischer Existenz und zur stetigen Verfolgungsbereitschaft geführt. Was hat diese Bereitschaft konkret aktiviert? Bei den Pogromen ging es zumeist überhaupt nicht um spontane Explosionen der „Volkswut“, sondern um komplexe innerstädtische, zuweilen auch städtischländliche Auseinandersetzungen zwischen politischen und sozialen Gruppen und Schichten. Die obrigkeitlichen Verfolgungen können ebenfalls teilweise als komplexe politische Konflikte gedeutet werden. Die Manipulation von Anschuldigungen ist offensichtlich, wo die Ereignisse bei günstiger Quellenlage näher untersucht werden konnten. Oft waren es Geistliche vom Rang eines Johannes von Capestrano oder Nikolaus von Kues, aber auch Ortspfarrer und Mönche, die die Obrigkeiten zwangen, die Initiative zu übernehmen. Ebenso übten Stadtbürger auf ihren Rat, Städte auf den Landesherrn oder König Druck aus, um sich der Juden zu entledigen. Im gesamten Komplex der Verfolgungen und besonders der Vertreibungen erscheint der Beutegewinn mit allererstem Stellenwert. Die Nüchternheit, mit der in den Jahren 1349/50 um das Erbe der ermordeten Juden gefeilscht wurde, setzt sich als allgemeines Kennzeichen auch im weiteren fort. Nur wurde der Öffentlichkeit zunehmend klar gemacht, daß diese Beute nicht Freigut sei, wie überhaupt die wachsende obrigkeitliche Kontrolle über die verschiedenen Manifestationen der Judenfeindschaft im 15. Jahrhundert unmißverständlich ist. Sie erklärt wohl, warum diese Zeit weniger blutig als die vorhergehende war. Gemeinsam ist allen Variationen das konsequente Suchen nach Wegen, sich der Juden zu entledigen. Pogrom wie gerichtliche Verfolgung führten ja neben der Ermordung meist auch zur Vertreibung der Überlebenden. An vielen Orten und zunehmend gegen Ende des 15. Jahrhunderts erscheint die Vertreibung als eigentliches, mit großer Energie angestrebtes Ziel, wofür die Genehmigung zuweilen mit viel Geld vom Reichsoberhaupt erkauft werden mußte. Bei vielen Ausweisungen erkennt man eine sorgfältige juristische Vorbereitung und klar auf Erhaltung der obrigkeitlichen Kontrolle

D. Die Juden in der christlichen Gesellschaft

67

angelegte Abwicklung. Bei näherer Untersuchung erweist sich der Entscheidungsprozeß zur Vertreibung als Teilaspekt des Emanzipationsprozesses von territorialen Gewalten. In Köln 1423/24 etwa war das eigentliche Motiv zur Austreibung der Wunsch, nicht weiterhin um der Juden willen in Streitigkeiten mit dem Erzbischof und in Fehden verwickelt zu werden. In Nürnberg versuchte man nach dem Scheitern eines Austreibungsversuches, die Geldleihe durch Rechtssetzung in den Griff zu bekommen. Als auch das mißlang, kehrte sich die frustrierte Energie des Rates gegen die als dauernder Störungsfaktor empfundenen Juden. Die spätmittelalterlichen Verfolgungen waren damit auch ein Aspekt des Institutionalisierungsprozesses besonders der städtischen Herrschaft. Aktiviert wurde die Bereitschaft zur Verfolgung im Gegensatz zum Hochmittelalter nunmehr hauptsächlich von den Obrigkeiten. Dies geschah nur ausnahmsweise in existentiellen Krisensituationen (Pestläufe, Stadtfeuer), häufiger in außen- und innenpolitischen Auseinandersetzungen und Prozessen der politischen Verdichtung, sehr oft ohne erkennbaren größeren Zusammenhang in lokalen Kleinkonflikten. Wie die Übernahme der Begründungsschemata mitsamt den Formulierungen der Dokumente von Stadt zu Stadt ausweist, brauchte der Wunsch, sich der Juden zu entledigen, gegen Ausgang des Mittelalters oft überhaupt keine Begründung, er gehörte zu den selbstverständlichen Amtszielen einer Obrigkeit und wurde dementsprechend konsequent verwirklicht. Das Prekäre ihrer Existenz war zentrales Element im Lebensgefühl der spätmittelalterlichen Juden. Es spricht vielfältig aus und zwischen den Zeilen des hebräischen Schrifttums, in der Vorsicht, die als Norm im täglichen Verkehr mit Nichtjuden galt. Zum konkreten Ausdruck gelangte die Angst angesichts des herannahenden christlichen Jubeljahres 1400. Es wurde als ein Wunder gewertet, fünfzig Jahre nach den schrecklichen Ereignissen der Pestzeit der, wie man dachte, im Jubeljahr besonders aggressiven Mordsucht der Christen entronnen zu sein. Auch das Jubeljahr 1450 scheint ähnliche Befürchtungen geweckt zu haben. Für die dazwischen liegende bewegte Zeit der Hussitenkriege entdeckte die Forschung „einen ganzen Komplex von emotionellen, praktischen und rituellen Reaktionen auf Bedrohung von außen, deren Archetyp sich jeweils in dem Geschehen nahezu dreieinhalb Jahrhunderte (der Martyrologie des 1. Kreuzzugs 1096) zuvor findet“ [319: YUVAL, Juden, Hussiten, 70]. Sichtbar wird eine geradezu panische Ängstlichkeit noch lange vor dem tatsächlichen Ausbruch einer Verfolgung; erhöhter Informationsaustausch zwischen den Gemeinden; rituelle Handlungen wie Fasten, Gebete, und besonderes Einschärfen

Vertreibung als politischer Akt und Prozeß

Reaktionen der Juden auf Verfolgungen

Angst im Jubeljahr 1400

Rituelle Reaktionsformen

68

Diplomatische Abwehrmaßnahmen

Rabbinersynoden zur Organisierung von Abwehrmaßnahmen

I. Enzyklopädischer Überblick

der religiösen Vorschriften, ohne deren strenge Beachtung die lebensstiftende Wirksamkeit der rituellen Handlungen nicht gewährleistet ist; zuletzt der seit 1096 praktizierte Märtyrertod zur Heiligung Seines Namens (Kiddusch ha-Schem). Dies waren jedoch keineswegs die einzigen Reaktionsformen. Körperliche Gewaltanwendung in Zusammenstößen mit Christen ist von Einzelpersonen überliefert, ebenso die Drohung mit Gewalt als Reaktion auf erfahrenes Unrecht, nicht mehr jedoch die 1298 zuletzt belegte kollektive Selbstverteidigung mit der Waffe. Am wichtigsten waren wie früher schon die oft mit Geschick und Energie geführten diplomatischen Abwehrmaßnahmen auf örtlicher, regionaler und Reichsebene. Zuweilen waren sie von vollem Erfolg gekrönt, zuweilen konnten sie eine Vertreibung hinauszögern, nur zu oft mißlangen sie. Lokale Abwehrmaßnahmen bestanden zumeist aus Eingaben der betroffenen Gemeinde an den städtischen Rat. Recht häufig haben besonders die größeren Gemeinden Beschwerden, Interventionen, bei einer Gelegenheit auch einen regelrechten Prozeß, beim kaiserlichen Hof- bzw. am Reichskammergericht angestrengt. Es kam vor, daß sich eine Gemeinde mit Geldmitteln oder diplomatischen Schritten für eine andere einsetzte. Auch Einzelpersonen konnten, zuweilen mit Erfolg, beim Reichsoberhaupt Gehör finden. Zumeist von einer großen und kapitalstarken Gemeinde initiiert waren die Bemühungen, sich durch örtlich übergreifende Vorkehrungen gegen Verfolgungen zu schützen oder die Folgen von solchen zu mildern. Im Sommer etwa 1421 unternahm die Nürnberger Gemeinde im Namen der Juden des Reiches diplomatische Schritte, um das sich in den Hussitenkriegen anbahnende Unheil abzuwenden. Oft mußten große Geldbeträge aufgebracht werden, wozu man auch die Gemeinden der Umgebung oder eines größeren Raumes heranzuziehen suchte. Solche Geldforderungen konnten zur Sprengung überörtlicher Gemeindestrukturen führen. Auch Rabbinersynoden hatten neben rituellen Abwehrmaßnahmen die Organisierung von Geldsammlungen und diplomatischen Schritten gegen Verfolgungen zum Gegenstand. Sie traten 1384 in Weißenfels, 1434 in Basel, 1438 und ca. 1476–80 in Nürnberg, 1454 in Bingen, 1509 in Frankfurt am Main, Rothenburg/Tauber und Wertheim, 1514/15 in Worms zusammen. Vorbedingung war allerdings die gerade in der Ausgangsperiode keineswegs immer gewahrte Solidarität zwischen den Juden. Gegen die nunmehr übermächtigen Strömungen der Judenfeindschaft konnten jedoch weder rituelle Handlungen noch die best organisierte Intervention ankommen.

A. Der Forschungsstand

69

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung A. Der Forschungsstand 1.

Traditionen und Schwerpunkte

Das aschkenasische Judentum des Mittelalters hat, im Gegensatz zum sefardischen, kaum eigene Traditionen einer Geschichtsschreibung entwickelt [381: GRAUS, Historische Traditionen; 315: YERUSHALMI, Zachor; eine günstigere Einschätzung bei 297: SHULVASS, Medieval Ashkenazic, und 8: FUNKENSTEIN, Perceptions]. Eine solche gibt es erst seit dem 19. Jahrhundert, seit der Zeit der Aufklärung, Emanzipation und der Verwissenschaftlichung des historischen Schrifttums in Europa. Die Entwicklung einer modernen Historiographie war eine langwierige und mühselige Aufgabe sowohl der innerjüdischen Identitätssuche wie auch der Gewinnung einer immer noch feindlichen Umwelt [26: SCHORSCH, From Text]. Es gehörte zu den Glaubensartikeln liberaler deutschsprachiger Juden, daß die volle Gleichberechtigung gerade durch eine aufklärende Wissenschaft zu erringen sei. Dennoch blieb die Trennung der jüdischen von der „allgemeinen“ Geschichte noch lange bestehen, war doch der auch noch im 19. Jahrhundert christlich gefärbten Kultur Europas vor allem die biblische Epoche der Juden von Interesse. Die Nachwirkungen solcher Anschauungen sind bis heute spürbar, wie G. LANGMUIR betont hat [16]. Auch die deutsche Gelehrsamkeit hat eine nachbiblische jüdische Geschichte, die nicht als Karrnerin des Christentums, sondern für sich verstanden werden will, erst nach dem Zweiten Weltkrieg als wissenschaftliches Fach akzeptiert. Die hauptsächlichen Anstöße mußten also aus dem Judentum selbst kommen. Für die fachliche Entfaltung, Forschungsmethoden und das Selbstgefühl maßgebend war der überwältigende Einfluß der an deutschen Universitäten unter dem Leitbegriff „Wissenschaftlichkeit“ entwickelten historischen Methode und der Quellenkritik, daneben war der philosophische Idealismus hegelianischer Richtung prägend. An-

Fehlen historischer Traditionen im aschkenasischen Judentum

Moderne Geschichtsschreibung als Element der Emanzipation

Fortlaufende Trennung der jüdischen von der „allgemeinen“ Geschichte

Überragender Einfluß der deutschen historischen Methode

70

Die „Wissenschaft des Judentums“

Geschichte des Judentums als Ideengeschichte

Die „Germania Judaica“

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

sprechen wollte man die wissenschaftliche Welt, das hauptsächliche Lesepublikum blieb jedoch jüdisch. Es suchte mit seinen schwierigen Identitätsfragen in der jüdischen Geschichte Antworten, die in der Mitte zwischen vollständiger Assimilation und religiös-orthodoxer Beharrung lagen. Die Schule der „Wissenschaft des Judentums“ hat auf dem Gebiet der Quellenforschung, der Errichtung von Forschungsinstituten, der Publikation wissenschaftlicher Zeitschriften wie auch der Erarbeitung neuer Geschichtsansichten Pionierarbeit geleistet [25: SCHOCHOW; 2: CARLEBACH, Wissenschaft; 26: SCHORSCH]. Trotz der erklärten und durchgehend praktizierten Wissenschaftlichkeit waren die Forschungsansätze auch zum Mittelalter in verschiedener Weise apologetisch gefärbt. Den Leiden in finsterer, unaufgeklärter Zeit wurde der moderne Fortschritt gegenübergestellt, der gedrückte Status der Juden mit ihren geistigen Errungenschaften, das politische „Jammertal“ mit dem Höhenflug der Ideen kontrastiert. Die Geschichte des Judentums war für HEINRICH GRAETZ und seine Mitforscher die einer transzendenten und eine höhere Moral fordernden religiösen Idee, die Geschichte der Juden die der Träger dieser Idee. Der im traditionellen Denken stark betonte nationale und kollektive Charakter wurde gemäß der staatlichen Forderung nach bürgerlicher Angleichung ausgeblendet, ebenso die dem Gefühl der Umgebung anstößig erscheinenden Phänomene der volkstümlichen Religiosität, Mystik und jiddischen Sprache. Man betonte das ehrwürdige Alter jüdischen Lebens in deutschen Landen, die Verbundenheit mit deutschem Boden und deutscher Sprache. Eine solche konnte natürlich erst mit dem Mittelalter postuliert werden, das neben der Zeit der Aufklärung zum natürlichen Forschungsfeld für die „Wissenschaft des Judentums“ wurde. Nach den philologisch und literarisch orientierten Arbeiten der Gründergeneration und ersten Zusammenfassungen [78: GRAETZ; 43: WIENER; 261: GÜDEMANN] zeichnen sich die Werke der zweiten und dritten Generation durch zunehmend pragmatische und quellenkritische Forschungsansätze aus, die allmählich zu einer säkularisierten Anschauung tendierten. Die Wirtschaftsgeschichte machte CARO [75] erstmals 1908 zum Ausgangspunkt der Darstellung. Die Gesamtentwicklung im mittelalterlichen Reich wurde 1903 mit dem Projekt der GERMANIA JUDAICA [77] in die Sicht genommen, bezeichnenderweise in Form eines Ortschaftenlexikons. Es konnte auf die Regestensammlung von ARONIUS [35] wie auf die rasch wachsende Reihe von Lokal- und Regionalgeschichten bauen, besonders aber auf die im weiteren zu besprechenden Quelleneditionen. Diese gediegenen Arbeiten bilden bis heute den Grundstock jeder Beschäftigung mit der Geschichte der Ju-

A. Der Forschungsstand

71

den im deutschen Mittelalter. Ihre starke Ausstrahlung ist durch die fachliche Qualität, aber auch durch das Schicksal der dritten Generation der Schule der „Wissenschaft des Judentums“ zu erklären, die ihre Forschungstraditionen in die Emigration mitnehmen mußte. Sie wurde bereits von einer neuen Stimmung geprägt, die im Gegensatz zum Assimilationsenthusiasmus des 19. Jahrhunderts als „Dissimilation“ bezeichnet wurde [siehe S. VOLKOV in dieser Reihe]. Maßgebend waren dazu der tiefe Eindruck, den junge deutsche Juden im Weltkrieg vom osteuropäischen Judentum erfahren hatten, der vehemente Antisemitismus der Nachkriegszeit, auch der Einfluß der jungen zionistischen Bewegung. Die zionistische Geschichtsschreibung in Mandatspalästina vor und in Israel nach 1948 hat sich in bewußter Frontstellung zur „Wissenschaft des Judentums“ entwickelt. Sie bezog sich, wie in Polemiken allgemein üblich, weniger auf die konkrete Forschungsarbeit ihrer Zeit als auf die Stellungen der Gründerväter, auf deren apologetische, assimilatorische und deutschbezogene Tendenzen. Ihr stellte die sog. „Jerusalemer Schule“ [20: MYERS, Re-Inventing] in bewußter Umkehrung der universalistischen, als „auflösend“ aufgefaßten Aufklärung eine Geschichtsauffassung gegenüber, die frühere Ansätze einer nationalen Gesamtsicht, bes. von Simon Dubnow, weiterentwickelte. An Stelle von Religion und Literatur postulierte sie, gewissermaßen in Neuanwendung des deutschen Idealismus, die Nation als Objekt und Rahmen einer jüdischen Geschichte, deren organische Einheit und Verbundenheit mit dem Land der Väter in allen Perioden und Zerstreuungen gewahrt blieb. Mit der Rückkehr des jüdischen Volkes in seine Heimat erwartete sie auch seinen Neueintritt in die Geschichte. Von bestimmendem Einfluß war GERSCHOM SCHOLEM, der jedoch mit seinen Arbeiten zur Mystik die eigentliche Geschichte nur streifte und auch wiederholt gegen nationalistische Übertreibungen seiner Kollegen auftrat. Die bekanntesten Historiker waren der aus dem deutschen Milieu kommende YITZCHAK FRITZ BAER, sein Kollege BEN-ZION DINUR, und der jüngere HAIM-HILLEL BEN-SASSON, die beiden letzteren von osteuropäischer Herkunft. Ihre hauptsächlichen Arbeiten lagen zwar außerhalb der engeren deutsch-jüdischen Thematik, berührten sie aber vielfach mit den Schwerpunkten des Martyrologiums von 1096 und der Ideologie der „Frommen von Aschkenas“, beides Aspekte, die als höchster Ausdruck des nationalen Beharrungswillens angesehen wurden [217: BAER, Persecutions; 215: DERS., Socioreligious orientation; 73: BEN-SASSON, Geschichte, 509–14, 516 f.], auch mit der Auffassung der egalitären und demokratischen Gemeinde als eigentlicher politischer Trägerin der Na-

Zionistische Geschichtsschreibung

Einheit der jüdischen Geschichte in allen Zerstreuungen

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Die „Jerusalemer Schule“

Jacob Katz und die soziologische Begrifflichkeit

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

tion im Exil [189: BAER, Origins; 73: BEN-SASSON, Geschichte, 533–9, 614–26; DERS., 191: Northern]. Die „Jerusalemer Schule“ hat wichtige Funktionen der politischen Legitimierung im Staat Israel erfüllt und das breitere Geschichtsbewußtsein mit periodenübergreifenden Gesamtdarstellungen, Schullehrplänen und Öffentlichkeitsarbeit entscheidend geprägt. Wissenschaftlich durchgedrungen ist sie mit der Auffassung von der Gemeinde, die auch gleichzeitigen Forschungsansätzen außerhalb Israels entsprach [194: FINKELSTEIN; 190: BARON, Jewish Community], wenngleich später Zweifel an ihrer demokratischen Verfassung aufgekommen sind. Auch die Ideologie der „Frommen von Aschkenas“ wird in der heutigen Diskussion durchaus anders aufgefaßt (zu beiden Fragen unten, II.B.1.3–4). Unter den jüngeren Forschern in Israel ist ein ähnlicher Prozeß wie bei der zweiten und dritten Generation der „Wissenschaft des Judentums“ eingetreten. Sie entfernten sich von den dezidierten Vorstellungen ihrer Lehrer und entwickelten pragmatische Ansätze. Dabei war der Einfluß von JACOB KATZ von zentraler Bedeutung. Ihm gelang mit zwei 1958 und 1960 auf Hebräisch erschienenen Werken (beide 1961 ins Englische übersetzt) ein doppelter Durchbruch. In „Tradition and Crisis. Jewish Society at the End of the Middle Ages“ [142] untersuchte KATZ mit soziologischer Begrifflichkeit und auf Grundlage der religionsgesetzlichen Quellen die traditionelle aschkenasische Gesellschaft im Übergang von Mittelalter zu Frühneuzeit. Die von Ben-Sasson und S. Ettinger [in den Zeitschriften Tarbiz und Kirjath Sefer 1960/1] dagegen vorgebrachte Kritik ist, vielleicht etwas überspitzt, als Versuch gedeutet worden, die von der „Jerusalemer Schule“ vertretene Einmaligkeit und Unvergleichbarkeit der jüdischen Geschichte gegen den Angriff einer „fremden“ Methode zu verteidigen [31: WASSERMAN,105]. In „Exclusiveness and Tolerance. Studies in Jewish-Gentile Relations in Medieval and Modern Times“ [268] gelang KATZ die Darstellung und Erklärung der gegenseitigen Segregation von Christen und Juden, ein Problem, das weder die assimilationistische noch die nationalbewußte jüdische Geschichtsschreibung gemeistert hatte. Beide Richtungen konnten sich, aus jeweils verschiedenen Gründen, nicht von der Vorstellung der Exilsgeschichte als einem ewigen „Jammertal“ lösen, von jener „lachrymose conception of Jewish history“, gegen die S. W. BARON wenig früher angetreten war [71: History, Bd. VI, 218, 234]. Die nüchterne Behandlung der jüdischen Selbstabschließungstendenzen im Mittelalter ergänzte KATZ 1983 mit seinem „Shabbes Goy“ [269]. KATZ hat nachhaltiger als irgend ein anderer Israeli die jüngere Forschergeneration zu Hause und im Ausland beeinflußt.

A. Der Forschungsstand

73

Mit der großen Wanderungsbewegung osteuropäischer Juden nach Amerika und endgültig mit der Emigration der meisten jüdischen Historiker aus Nazideutschland entstanden in den angelsächsischen Ländern neue Schwerpunkte der Forschung. Den Exulanten ist im Gegensatz zu ihren Kollegen in der allgemeinen Mediävistik die Verpflanzung der spezifisch deutschen Forschungsansätze kaum gelungen, wenn auch einige wichtige Arbeiten auf Englisch erschienen sind [A. Freiman, M. Grunwald und R. Straus in der Veröffentlichungsreihe „Jewish Community Series“ der Jewish Publication Society of America; 406: KISCH: The Jews; 414: die Arbeiten von 414: H. LIEBESCHÜTZ] und eine Fachzeitschrift unterhalten wurde, die von GUIDO KISCH 1938– 1961 redigierte „Historia Judaica“. Zum anderen Teil handelte es sich um Forscher, die ihre Ausbildung in Mitteleuropa erfahren hatten und sich in Amerika, seinem vielfältigen jüdischen Milieu und der englischen Sprache etablierten. Der hervorragendste Vertreter dieser als „liberal“ oder „multi-dimensional“ bezeichneten Geschichtsschreibung ist S.W. BARON, der erste Inhaber eines amerikanischen Lehrstuhls für jüdische Geschichte an der Columbia University in New York [17: LIBERLES]. In seinem umfangreichen Werk berührte er auch Probleme der mittelalterlichen deutsch-jüdischen Geschichte, war jedoch nie um diese allein bemüht. Auch der Forschungshorizont der neueren Generation in Amerika ist der breitere des aschkenasischen Judentums, mit nicht seltenen Abstechern zum sefardischen Kulturkreis. Die Impulse methodologischer Neuerungen, besonders aus der historischen Anthropologie und Literaturkritik, gingen anfänglich vom angelsächsischen Bereich aus [19: MARCUS, Medieval Jewish Studies; 287: DERS., Rituals; 400: HSIA, Myth; 447: NIRENBERG, Juifs]. Ihr Einfluß ist nunmehr auch in Israel und Europa spürbar [235: E. COHEN/E. HOROWITZ; 263: HOROWITZ, Visages; 237: J. COHEN, „Persecutions“; 320: YUVAL, Vengeance; 328: DERS., Two Nations; 353: BURGHARTZ; 358: CLUSE]. Im 18. und 19. Jahrhundert hatten sich in Deutschland gelegentlich Antiquare mit der Geschichte der Juden ihrer engeren Heimat beschäftigt. Auch die Bearbeiter der Deutschen Städtechroniken ließen hin und wieder etwas aus dem ihnen vorliegenden Aktenmaterial in ihre Editionskommentare einfließen. Die deutsche „akademische Welt“ haben diese lokalhistorischen Versuche nur selten dazu gebracht, von ihrem langanhaltenden Desinteresse an der jüdischen Geschichte abzulassen, die, an der Nationalgeschichte gemessen, als peripher erschien. Eine Tradition begründeten allein die Verfasser von frühneuzeitlichen Streitschriften und Kompilationen, etwa Eisenmenger, Wagenseil und Schudt [dazu 27: SCHRECKENBERG, Adversus-Judaeos-Texte, Bd. 3]. Im

Jüdische Geschichtsschreibung in den angelsächsischen Ländern

Neue Methodologien

Die christlichpolemische Tradition in der deutschen Geschichtsschreibung

74

Akademischer Antisemitismus

Neuanfänge nach 1945 – Wiedergutmachung

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

19. Jahrhundert wurde dieser Bestand aufs neue durch antisemitische Agitatoren instrumentalisiert, so etwa mit der Legende vom Ritualmord. Auch die seriöse Forschung blieb nicht von den Peinlichkeiten der Konflikte um die bürgerliche Gleichstellung der Juden verschont, am bekanntesten etwa im Berliner Antisemitismus-Streit von 1879 [13: HERZIG]. Zwar konnte der Rassenantisemitismus kaum in die akademische Geschichtsforschung eindringen, unterschwellig wirkte jedoch die Vorstellung vom wesensartigen Anders-Sein „des Juden“, so etwa bei Wilhelm Roscher, Werner Sombart und Max Weber [21: OELSNER]. O. STOBBE und J. SCHERER, beide um Objektivität bestrebte nichtjüdische Forscher mit einem echten Interesse an der mittelalterlichen Geschichte der Juden, blieben in der deutschsprachigen Forschung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts einsame Ausnahme. Ihre quellennahen Pionierarbeiten zum Rechtsstatus der Juden [86; 463] gehören mit den sozialstatistischen Studien von K. BÜCHER [117] zum bleibenden Besitz der Forschung. Der 1933 auch akademisch etablierte Antisemitismus hat unter dem Plagiator Wilhelm Grau und mit eifriger Schützenhilfe einer nicht kleinen Schar von Lokalhistorikern außerhalb der „Giftschränke“ deutscher Bibliotheken keine Spuren hinterlassen. Erwähnt sei allein Erich Keyser, der Herausgeber des vielbenutzten Deutschen Städtebuches, der in seiner „Bevölkerungsgeschichte Deutschlands“ (Leipzig 1943) einen unverhüllten Rassenantisemitismus auch ins Mittelalter projizierte. Als Gipfel der Naivität erscheint auch noch in neueren Arbeiten das unreflektierte Zitieren solcher Pseudowissenschaftlichkeiten, die, so ist zu hoffen, nur der Vollständigkeit willen aufgeführt werden [z. B. VSWG 52, 1964, 169]. Das nicht wenigen Mediävisten der Zwischenkriegszeit eigene völkische Gedankengut wie auch ihre Laufbahn unter dem Nationalsozialismus berührt eher die Geistesgeschichte der deutschen Universität als die Geschichte der Juden [dazu K. SCHREINER, in: Wissenschaft im Dritten Reich, hrsg. v. P. Lundgreen, Frankfurt/M. 1985, 163–252]. In der Bundesrepublik Deutschland hat sich erst rund zwei Jahrzehnte nach der Stunde Null von 1945 ein Interesse an der Geschichte der Juden entwickelt, in der DDR eigentlich gar nicht (zu den ganz wenigen Ausnahmen unten, II.B.2.3.3–4). Am Anfang stand die Abtragung einer Ehrenschuld an die Exulantengeneration, etwa an RAPHAEL STRAUS, dessen in der Nazizeit unterdrückte und dazu noch von Wilhelm Grau plagiierte Quellensammlung zu Regensburg endlich gedruckt wurde [51]. Ein wichtiger Strang lief über deutsche Theologen, die sich im Umfeld des II. Vatikankonzils um moralische Wiedergut-

A. Der Forschungsstand

75

machung bemühten und dazu auch den mittelalterlichen Judenhaß zu ihrem Thema machten [85: SEIFERTH, 1964; 83: RENGSTORF/KORTZFLEISCH, 1968]. Wiedergutmachend motiviert waren auch die etwa gleichzeitig anlaufenden Bemühungen, die Öffentlichkeit in Ausstellungen über Judentum und jüdische Geschichte aufzuklären, dabei auch die lange Fortdauer jüdischen Lebens in Deutschland aufzuzeigen. Die „Monumenta Judaica“-Ausstellung in Köln (1963), die gleich mit der Römerzeit ansetzte, war die erste dieser Art [84], ihr folgten bis heute Dutzende andere in kleinerem oder größerem Zuschnitt. Zum Teil die Ausstellungen begleitend, zum Teil den Bemühungen von Stadtarchivaren entsprungen, zum Teil aus Dissertationen und Schullehrplänen hervorgegangen ist eine anhaltende Welle von periodenübergreifenden Lokal- und Regionalstudien, die in den letzten dreißig Jahren an die tausend Arbeiten hervorgebracht hat. Unter den gänzlich veränderten Bedingungen nach dem Holocaust hat sich endlich auch die Fachmediävistik der jüdischen Geschichte zugewandt. Als anfänglich einsame Pioniere sind H. HOFFMANN [398], P. HERDE [393] und W. VOLKERT [109] mit ihren Arbeiten zum christlich-jüdischen Verhältnis zu nennen. Höchst wichtige Impulse lieferte das Forschungsprojekt der GERMANIA JUDAICA, dessen Bände I und II noch ausschließlich Sache jüdischer Historiker der alten „Wissenschaft des Judentums“ gewesen waren [77]. Für den spätmittelalterlichen Band III konnte die Jerusalemer Redaktion unter dem schon an GJ II beteiligten ARIE MAIMON (HERBERT FISCHER) seit Anfang der 70er Jahre eine Reihe deutscher Mediävisten und Archivare gewinnen, daneben auch zahlreiche jüngere Historiker [ihre Namen sind in GJ III/1, S. XI angeführt]. Ein erstes deutsch-israelisches Fachsymposium in Trier hat 1977 die Zusammenarbeit vertieft [80: HAVERKAMP, Zur Geschichte], die sich unterdessen auf neue Projekte ausdehnt. In Vorbereitung ist die Fortführung der GERMANIA JUDAICA in die frühneuzeitlichen Jahrhunderte. Seit 1988 organisiert die „Gesellschaft zur Erforschung der Geschichte der Juden e.V.“ Tagungen, darunter auch Sektionen auf den Deutschen Historikertagen [390: HAVERKAMP/ ZIWES], 1995 auf dem internationalen Mediävistentreffen in Leeds. Zusätzlich gibt sie in rascher Folge Doktorarbeiten, nunmehr auch Quellensammlungen, heraus. Regelmäßige Symposien werden auch von den seit den 60er Jahren gegründeten judaistischen Lehrstühlen und Instituten abgehalten [227: GRÖZINGER, Judentum; 2: CARLEBACH, Wissenschaft; 134: DERS., Frau; 231: DERS., Rabbinat]. Bei den recht häufigen universitären Ringvorlesungen zur jüdischen Geschichte hat das Mittelalter seinen festen Platz [z. B. 422: KLEIN; 395: MÜLLER/WITT-

Erste deutsche Mediävisten

Impulse der „Germania Judaica III“

76

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

STADT;

Die Trierer „Schule“

Geschichte der Juden endlich Teil der deutschen Geschichte

98: EBENBAUER/ZATLOUKAL; 262: BIRKHAN], die Beiträge sind aber oft von ungleicher Qualität. Die deutsch-israelische Kooperation wurde 1991 an einem in Los Angeles abgehaltenen Symposium auf den angelsächsischen Bereich erweitert [81: HSIA/LEHMANN]. Auf dem Gebiet der Mystik ist das internationale Format unterdessen schon die Regel [291: SCHÄFER/DAN; 249: GRÖZINGER/DAN]. Eine 1996 abgehaltene internationale Tagung zu den Kreuzzugsmassakern von 1096 hat den tragischsten Aspekt jüdischer Geschichte in den Konstanzer Arbeitskreis, die ehemalige Hochburg mediävistischen Konservatismus, getragen [178]. Die Zahl der in Mitteleuropa auf dem Gebiet der jüdischen Geschichte tätigen Mediävisten ist heute bedeutend. Den wohl produktivsten und systematisch arbeitenden Schwerpunkt haben in Trier ALFRED HAVERKAMP und seine Schüler im Rahmen eines Sonderforschungsbereiches aufgebaut, der mit seinem regionalgeschichtlichen Ansatz auch die deutsche Grenze nach Westen überschreitet [80, 96–8, 138–9, 386– 91: HAVERKAMP; 111, 188, 491: ZIWES; 103, 149–50, 434–9: MENTGEN; 118–9: BURGARD; 358: CLUSE]. Das in St. Pölten beheimatete „Institut für die Geschichte der Juden in Österreich“ ist mit seinen Projekten stark auf das Mittelalter ausgerichtet [14, 59: KEIL; 418–20: LOHRMANN]. Sonst sind in der Forschung Einzelgänger tätig, unter ihnen ragen mit ihrer unermüdlichen Produktivität FRIEDRICH LOTTER [421–29] und FRIEDRICH BATTENBERG [45, 72, 340–1] hervor. Die deutsche Mediävistik tritt heute mit eigenen Fragestellungen zur jüdischen Geschichte auf, die die Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit reflektieren. Mehr als andere Schwerpunkte in Israel oder Amerika fragt sie, wie es es zu Judenhaß und Judenverfolgung kommen konnte, was diese Phänomene zur Befindlichkeit der christlichen Gesellschaft aussagen. Dahinter steht ein neues Bewußtsein, das Verständnis, daß die Juden und ihre Geschichte Teil deutscher Geschichte waren und als solche betrachtet werden müssen. Es bedurfte des modernen Antisemitismus, um mit dieser Erkenntnis einen Kreis zu schließen, den die „Wissenschaft des Judentums“ vor beinahe 180 Jahren eröffnet hat [zum bewußten Anschluß an deren Tradition s. 139: HAVERKAMP, Zur Siedlungs- und Migrationsgeschichte, 9–12; 391: DERS., Convilitas, 106–8]. 2.

Quellen und Hilfsmittel

Bleibend ist das Verdienst der „Wissenschaft des Judentums“, als erste die hebräischen Quellen erfaßt und kritisch erforscht zu haben. Angesichts der Zerstreuung der Quellen über buchstäblich die ganze Welt ist

A. Der Forschungsstand

77

dies eine Aufgabe, die immer noch die Forschung beschäftigt. Seit den 20er Jahren wird sie intensiv an der Hebräischen Universität zu Jerusalem betrieben, auf eine systematische Grundlage wurde sie dort 1950 mit der Errichtung des „Institute of Microfilmed Hebrew Manuscripts“ bei der „Jewish National and University Library“ gestellt. Mit dem heute möglichen Zugang zu den Archiven und Bibliotheken der ehemaligen kommunistischen Länder ist Neues zu erwarten. Eine Zusammenschau bietet derzeit GRABOïS [11], eine gründliche Diskussion der Quellen und ihrer Verfasser findet sich für das 10./11. Jahrhundert bei GROSSMAN [250], für das 12./13. bei URBACH [310], für das 14./15. bei YUVAL [316] und DINARI [244]. Die „Wissenschaft des Judentums“ hat der Forschung auch erstmals wichtige hebräische Einzelquellen z.T. mit deutscher Übersetzung zugänglich gemacht [40: „Hebräische Berichte über die Judenverfolgungen während der Kreuzzüge“; 41: „Martyrologium des Nürnberger Memorbuches“; 60: „Das Leben Jesu nach jüdischen Quellen“; 61: „Die Wiener Geserah“]. Sie sind bis heute Grundlage der Forschung, können jedoch nicht immer modernen Anforderungen genügen. Der editorisch vernachlässigten liturgischen Dichtung hat sich H.-G. v. MUTIUS angenommen und die wichtigsten Verfasser des 12. Jahrhunderts ins Deutsche übersetzt [63; 64]. Das umfangreiche Korpus der Responsenliteratur, die Sammlungen der Rechtsgutachten der Gelehrten, ist zwar schon längst als Geschichtsquelle ersten Ranges erkannt worden [38: HOFFMANN], die systematische und kritische Erforschung hat jedoch erst in letzter Zeit begonnen [34: AGUS, Urban Civilization; 1: BREUER, Responsenliteratur; 29: SOLOVEITCHIK, Use]. Sie kann sich nunmehr auf eine auf CD-ROM installierte Datenbank stützen [23]. Viele Texte liegen immer noch allein in Nachdrucken frühneuzeitlicher Drucke vor, moderne Ausgaben sind selten. Vor besonders schwierige Probleme stellt die Edition der Quellen der Mystik . Der „Wissenschaft des Judentums“ sind auch die ersten Editionen lateinischer und deutscher Quellen zu verdanken [47: GEYER/SAILER, 55: GOLDMANN; 48: KRACAUER; 50: STERN; 57: HOENIGER/STERN; 67: SÜSSMANN; 56: HERZOG; 51: STRAUS]. Durch moderne Ausgaben [42: SIMONSON; 36: GRAYZEL] überholt sind allein die Arbeiten von STERN zur Stellung des Papsttums zu den Juden. Gänzlich veraltet ist das Regestenwerk von WIENER [43], kaum modernen Anforderungen genügend, jedoch immer noch unentbehrlich die Sammlung von ARONIUS [35]. Sie ist jedoch nunmehr teilweise durch die Edition der frühmittelalterlichen Rechtsquellen von A. LINDER überholt [416]. In Deutschland hat man nach dem Zweiten Weltkrieg nur spärlich systematisch

Quellenausgaben

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Archäologie

Bildliche Quellen

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

Quellen erschlossen, zumeist im Rahmen regionaler und über das Mittelalter hinausführender Regestensammlungen [45: BATTENBERG, 46: BRILLING/RICHTERING; 49: LÖWENSTEIN; nunmehr auch 44: ANDERNACHT, Regesten]. Sonst handelt es sich meist um kleinere Archivfunde, kaum um größere Bestände [59: KEIL, Liber; 62: MATZEL/ RIECKE; 68: VOLKERT, Judenregister; 112: AMMANN; 140: IRSIGLER; 164: STROMER/TOCH; 169: TOCH, Geld und Kredit]. In Österreich ist eine umfassende Regestensammlung durch K. LOHRMANN in Arbeit. Für das Spätmittelalter wurde eine systematische Erschließung hebräischer wie auch lateinisch-deutscher Quellen im Rahmen der GJ III unternommen. Die dabei erfaßten Quellen sind nicht veröffentlicht, liegen jedoch regestiert und auf Mikrofilm im „Central Archive for the History of the Jewish People“ an der Hebräischen Universität zu Jerusalem auf. Die lange Zeit geltende Ansicht, daß angesichts der Unsicherheit jüdischen Lebens im Mittelalter und der Zerstörungswut des 20. Jahrhunderts von der Archäologie kaum neue Einsichten zu erwarten sind, ist nicht mehr aufrecht zu erhalten. Interessantes dürften die 1995 angelaufenen Grabungen auf dem Wiener Judenplatz und in der Regensburger Innenstadt bringen [Aschkenas 5, 1995, 577]. Geradezu aufregend sind die kulturgeschichtlichen Konsequenzen aus der Entdeckung eines Freskenzyklus im Hause eines Zürcher Juden des 14. Jahrhunderts (unten, II.B.3.4). Die wenigen mittelalterlichen Friedhöfe sind nur ungenügend erschlossen, die ältere Literatur dazu ist in den Ortseinträgen der GJ und bei DINARI [244: Rabbis, 417 f.] verzeichnet. Das erneute Interesse an der Lokal- und Regionalgeschichte der Juden und der oft sehr schlechte Erhaltungszustand hat in den letzten Jahren auch hier neue Forschungen angeregt [116: BROCKE; 144: KWASMAN; 158: SEIDL]. Wichtige Einsichten sind von der Untersuchung der von K.-H. Müller entdeckten Überreste des Würzburger Friedhofes zu erwarten, der mit 1495 Steinen und Fragmenten aus der Periode 1154–1347 wohl den umfangreichsten erhaltenen Fundus in Europa darstellt [151: MÜLLER]. Für die Topographie der Judenviertel und die Architektur der Synagogen ist immer noch auf PINTHUS [152], VEITSHANS [108], KRAUTHEIMER [271] und WISCHNITZER [313] zurückzugreifen, Ergänzungen und neuere Literatur bringen C. KRINSKY [272], H. KÜNZL [273] und die Ortsartikel der GJ III, eine aktuelle Zusammenfassung des Forschungsstandes HAVERKAMP [138: Jewish Quarter]. Das Nachleben von Synagogen und Friedhöfen nach Verfolgung und Vertreibung behandeln nunmehr H. RÖCKELEIN [455] und M. MINTY [444]. Die gemäß dem biblischen Bildverbot nicht zu zahlreichen bildlichen Quellen jüdischer

A. Der Forschungsstand

79

Herkunft sind im ganzen aufgearbeitet [82: METZGER]. Die Abbildungen von Juden durch christliche Künstler wurden hauptsächlich unter dem Blickpunkt der Stereotypenbildung bearbeitet [344: BLUMENKRANZ, Juden und Judentum; 433: MELLINKOFF; 470: SHACHAR; 488: WOHLFEIL; 462: SCHRECKENBERG, Die Juden]. Das neue Forschungsfeld der Realienkunde hat bis jetzt nur wenig zur jüdischen Geschichte beigetragen, wovon allerdings das Buchwesen und die Siegelkunde auszunehmen sind [219: BEIT-ARIE, Makings; 14: KEIL, Regensburger]. So hat etwa die Gegenüberstellung der handschriftlichen Schreiberpraktiken mit den Normen des „Buches der Frommen“ die neuere These einer geringen Ausstrahlung des Werkes bestätigt [220: BEIT-ARIE, Ideals; unten, II.B.1.4]. Ein vom Verfasser dieses Buches geplantes Projekt in Zusammenarbeit mit dem Kremser Institut für Realienkunde des Mittelalters und der Frühneuzeit soll auf diesem Gebiet weitere Vorarbeiten leisten. Die bibliographische Aufarbeitung der jüdischen Geschichte kann insgesamt als zufriedenstellend bezeichnet werden. Erste Informationen bringen die Fachenzyklopädien [5–7] wie auch die „Enzyklopädie des Mittelalters“, lokale und regionale Hinweise die Einträge in GJ I-III [77], deren Bände I und II jedoch bibliographisch längst überholt sind. Einen ebenfalls leicht verjährten Überblick über die wichtigsten Schriften bieten MARCUS [18], STOW [30] und KISCH [15]. Die vollständigste, nach Problemen gegliederte Bibliographie der älteren hebräischen und fremdsprachigen Arbeiten zum deutsch-jüdischen Spätmittelalter bringt DINARI [244: Rabbis, 323–422]. Die laufende Forschungsliteratur, auch die hebräische, wird regelmäßig in einer Reihe von Fachzeitschriften angezeigt und besprochen: auf Hebräisch in Zion, Tarbiz, Kirjath Sefer; auf Französisch in der Revue des Etudes Juives; auf Englisch in Jewish History, International Medieval Bibliography (Eintrag Hebrew Studies) und Leo Baeck Institute Yearbook; auf Deutsch in BlldtLG (regional) und seit 1991 in Aschkenas. Am vollständigsten ist der jährlich in Jerusalem erscheinende hebräisch- und fremdsprachige Index of Articles on Jewish Studies (Rambi) [22]. Er ist ab 1985 auch über Internet zugänglich (http://har1.huji.ac.il:4500/Aleph/Jewish National Library/Rambi). Neue regionale Bibliographien liegen für Hessen, Bayern und Schlesien vor [4; 32; 12], eine Bibliographie der jüdischen Bibliographien bringt SHUNAMI [28]. In Arbeit befindliche Dissertationen, Forschungen und Projekte verzeichnet die jährlich erscheinende Germania Judaica – Kölner Bibliothek [10].

Realienkunde

Bibliographien

80

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

B. Probleme und Tendenzen der Forschung 1

Gründungslegenden

Die ChasarenTheorie

Innere Aspekte

1.1 Anfänge Die Frage nach dem Ursprung des aschkenasischen Judentums ist bis heute ein Tummelplatz abenteuerlicher Theorien. Im Mittelalter liefen Gründungssagen von einer Ansiedlung noch in vorchristlicher Zeit um, mit der Juden offensichtlich ihre Unschuld an der Kreuzigung Christi zu belegen suchten [120: EIDELBERG, Origins]. Die moderne Forschung hat mit der romantischen Idee einer jüdischen Siedlungskontinuität von Antike zu Mittelalter aufgeräumt [77: GJ I, XVIII; 114: BLUMENKRANZ, Germany], die oft bemühte Präsenz von Juden im spätrömischen Köln und vielleicht auch an anderen Orten ist für die weitere Entwicklung irrelevant. Trotzdem konnte I. AGUS noch 1969, ohne jegliche Abstützung auf Quellen, die mittelalterlichen europäischen Juden zu den durch kulturelle Auslese gestählten direkten Nachkommen der Juden der Römerzeit erklären [70: Heroic Age, 1– 12]. Immer noch im Umlauf ist auch die Chasaren-Theorie, die unbedingt die aschkenasischen Juden zu Nachfahren dieses türkischen Kaukasusvolkes des 7.–10. Jahrhunderts machen will. Sie wurde erneut 1976 von Arthur Koestler aufgegriffen, und wird heute von Amerika aus in Computernetzen verbreitet, um den Anspruch der Juden auf das Heilige Land zu entkräften. Die letzte akademische Variation auf das Thema stammt von dem israelischen Linguisten P. WEXLER, der das Jiddische zu einer slavisch-sorbischen Sprache und die Entstehung des aschkenasischen Judentums aus einer in Südostdeutschland stattgefundenen Mischung einer kleinen Emigrantengruppe aus dem Heiligen Land mit Slawen und Chasaren erklärt [183; eine abgewogene Darstellung des Chasaren-Problems bei 88: ROTH, World History, 325–56, und 146: LUDWIG, Chasaren]. Es ist dies eine Abwandlung der altbekannten „Kanaan-“ oder „panslawischen Theorie“, wonach das polnisch-russische Judentum ursprünglich von slawischer Herkunft und slawischer Sprache war, später aber von den eingewanderten aschkenasischen Juden akkulturiert wurde [vehement ablehnend 179: WEINRYB, 19 f.; vorsichtiger 115: BIRNBAUM]. Die Geschichte der Juden berühren solche Hypothesen kaum, dagegen bezeugen sie eine hartnäckige Tendenz, die als „textbook version“ verrufene Kontinuität jüdischer Identität grundsätzlich in Zweifel zu ziehen und dagegen ethnisch gefärbte „counterhistories“ zu konstruieren.

B. Probleme und Tendenzen der Forschung

81

Die Frage der frühmittelalterlichen Wanderungen ist mit den vorhandenen Quellen nicht restlos zu klären. Eine erneute Überprüfung der liturgischen, religiösen and familiären Traditionen der ersten Gelehrten durch ABRAHAM GROSSMAN ergab, daß einige von ihnen aus Italien, andere aus Südfrankreich eingewandert waren [128]. Es ist dies nicht nur eine doppelte Herkunft von Personen. Auch das geistige Profil des frühen aschkenasischen Judentums war von einer zweifachen Erbschaft geprägt: eine italienisch-byzantinische, die auf die religiöse Kultur im spätantiken Land Israel zurückgeht, und eine südfranzösische, die sich nach Spanien und letztlich auf spätantike babylonische Quellen zurückverfolgen läßt [222: BONFIL]. Die von GROSSMAN herangezogenen Quellen interpretiert SIMON SCHWARZFUCHS in gänzlich anderem Sinn, wenngleich er sich des hypothetischen Charakters seines Ansatzes bewußt ist [157]. Das nordfranzösische Judentum war für ihn nicht Mutter, sondern Tochter des rheinischen, die Hauptachse der Einwanderung lief nicht über das Rhônetal, sondern von Italien über die Alpen. Ein anderes Problem stellen die sog. „Judendörfer“ im Ostalpenraum dar, eine Anzahl kleiner Orte, zuweilen sogar Einzelhöfe, die seit dem späten 11. Jahrhundert zwischen der Donau und dem adriatischen Raum erwähnt werden, lange vor der erst im 13. Jahrhundert belegten Errichtung jüdischer Gemeinden in dieser Region. Die „Judendörfer“ sind zuletzt von MARKUS WENNINGER als Stützpunkte und Unterkünfte jüdischer Fernhändler gedeutet worden, womit ein bisher unbekannter Handelsstrang zwischen Alpenraum und Nordostitalien belegt wäre [180]. Weniger überzeugt sein Versuch, die Logik der Verkehrsstützpunkte auf das gesamte Karolingerreich anzuwenden und damit die erste jüdische Ansiedlung im Frühmittelalter anzusetzen. Zur Frage nach dem Alter der jüdischen Ansiedlung ist die Aussage der Quellen eigentlich eindeutig: vor der ottonischen Zeit gibt es keine Gemeinden im ostfränkischen Reich. Dennoch stößt man in der Forschung immer wieder auf Versuche, die Anwesenheit von Juden mindestens in karolingischer Zeit, wenn nicht sogar vorher anzusetzen. Kennzeichnend für die Argumentation ist etwa das Folgende: „Es ist kaum denkbar, daß in Bischofsstädten wie Trier, Speyer, Worms, Mainz, Köln und Würzburg Juden zum Teil schon im 9. Jahrhundert nachweisbar sind und für den Königsort Aachen gleiches gilt, an einem kaum weniger attraktiven Königsort wie Frankfurt hingegen bis zum Ende des 12. Jahrhunderts keine Niederlassung stattgefunden haben sollte“ [392: HEIL, Vorgeschichte, 108, Anm. 16]. In keinem der genannten Orte sind im 9. Jahrhundert Juden nachweisbar, noch im 10. gab es sie nur in Mainz, Worms, Magdeburg, Merseburg und Regens-

Die frühmittelalterlichen Wanderungsbewegungen

Das Problem der alpinen „Judendörfer“

Ungerechtfertigte Vordatierung jüdischer Gemeinden

82

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

burg. Viel zu früh setzt auch FRIEDRICH BATTENBERG die Entstehung der Gemeinden Bonn, Neuß, Nürnberg, Frankfurt an [72: Europ. Zeitalter, 60, 61] , BERNHARD BLUMENKRANZ die von Bonn, Hameln, Hildesheim, Görlitz und Augsburg [114: Germany, 163]. Die wirtschaftliche Logik der Stadtentwicklung paßt nicht auf das Frühmittelalter, wohl aber auf das 12. und 13. Jahrhundert, ein Zeitraum, in dem sich die jüdische Ansiedlung als Teil des Urbanisierungsprozesses über große Räume des Reiches ausbreitete [139: HAVERKAMP, Zur Siedlungsgeschichte; 175: TOCH, Formation; unten II.B.2.a]. Viel von der Verwirrung beruht auf dem unkritischen Gebrauch der Regestensammlung von ARONIUS [35], die für das Frühmittelalter nur die kirchlich-synodale Gesetzgebung verzeichnen kann. Diese gehört geographisch nach Gallien und ihrem Wesen nach zur christlichen Streitliteratur [27: SCHRECKENBERG, Bd. I], ist also keineswegs als Zeugnis für konkretes jüdisches Leben in Mitteleuropa geeignet. Eine auf das gesamte Frankenreich gerichtete Sicht [343: BLUMENKRANZ, Juifs et chrétiens] verwischt den Entwicklungsunterschied zwischen Gallia und Germania. Auch die Quellen der Karolingerzeit, besonders die Streitschriften des Agobard von Lyon, sollten nicht ohne weiteres aus ihrem gallischen Kontext herausgehoben und für das gesamte Karolingerreich verallgemeinert werden. Das vorübergehende Auftreten jüdischer Kaufleute am Hof in Aachen oder ihr Durchzug an Zollorten genügt nicht, um die Etablierung jüdischen Lebens bereits im 9. Jahrhundert anzusetzen. Es ist genau der Übergang zur festen Ansiedlung, der das Leben der Juden seit dem 10. Jahrhundert auch im Reich zum geschichtlichen Faktor werden läßt, nicht zufällig in der Zeit, in der auch die hebräischen Quellen einsetzen [250: GROSSMAN, Sages].

Entmythologisierung der Rolle der Familie

1.2 Die Familie Die traditionelle Darstellungsweise der jüdischen Familie ist die eines warmen Zufluchtsortes vor den Stürmen des unwirtlichen Diasporalebens [73: BEN-SASSON, Geschichte, 641 f.]. Den Anfang der Entmythologisierung machte JACOB KATZ, der 1945 in einem richtungweisenden hebräischen Aufsatz und 1958 dann in „Tradition and Crisis“ die Familie als eines der zentralen Instrumente zur Aufrechterhaltung der traditionellen jüdischen Gesellschaft untersuchte [142: Tradition, 113–131]. Dabei wies er auf die Rolle der Eltern bei der Verheiratung, die Funktionen der Mitgift, das frühe Heiratsalter und überhaupt den gewaltigen Druck zur Konformität hin, betonte auch die nüchterne Haltung zum Sexualleben. KENNETH STOW untersuchte 1987 die Familie des Hochmittelalters erstmals mit Methoden der historischen Demographie

B. Probleme und Tendenzen der Forschung

83

[162]. Aus den Märtyrerlisten von 1096 errechnete er einen Durchschnitt von 1.7 Kindern pro Familie. Auf dieser Grundlage konstatierte er die kleine, städtische, allein zwei Generationen umfassende Familie als typisch für die Juden, ein Ergebnis, das bereits KATZ aus anderen Quellen für das 16./17. Jahrhundert gewonnen hatte. Den demographischen Befund weitete STOW jedoch mit Hilfe literarischer Quellen aus, um die traditionelle Vorstellung einer affektiv eng verbundenen Familieneinheit zu bestätigen, die sich grundsätzlich von der umgebenden Gesellschaft unterschied. Dieser Kontrast sei nach STOW sogar für die Gewalttätigkeit der Kreuzfahrer verantwortlich gewesen, die sich durch die soziale Stabilität der Juden bedroht gefühlt hätten [87: Alienated Minority, 209]. Das ist natürlich reine Hypothese, auch läßt die statistische Bearbeitung viele Fragen offen. Schon BLUMENKRANZ hat aus den gleichen Quellen, wenngleich mit geringerem statistischem Aufwand, das Ergebnis gewonnen, daß Familien mit weniger als drei Kindern die Ausnahme, nicht die Regel darstellten [114: Germany, 165]. Nach GROSSMAN hatten die Gelehrten des 11. Jahrhunderts durchschnittlich 4 Kinder, mehr als doppelt so viel wie bei STOW [250: Sages, 8]. Unklar bleibt auch, wie sich die von STOW konstatierte „proto-bürgerliche“ Familie des Hochmittelalters anfänglich entwickelt und dann im Spätmittelalter zu einer „patriarchalisch dominierten und emotional und sexuell streng abgegrenzten Einheit“ zurückgebildet hat [162: STOW, Jewish Family, 1109, unter Berufung auf 168: TOCH, Soziale Struktur, der jedoch im Spätmittelalter ein Übergewicht des Großhaushalts, nicht der Großfamilie gefunden hat]. Die affektive jüdische Kernfamilie von STOW bezieht sich, wenn auch unausgesprochen, auf die einflußreichen und vieldiskutierten Thesen von Philippe Ariès zur Geschichte der Kindheit. E. KANARFOGEL konfrontierte diese bereits 1985 mit Material aus dem aschkenasischen und sefardischen Judentum und bestätigte die alte Auffassung einer gefühlsbetonten Familie, die der Kindererziehung einen ausgesprochen positiven Wert zumaß [141]. S. GOLDIN kam 1989 zu ähnlichen Ergebnissen: das Kind stand im Mittelpunkt der jüdischen Familie, es gab eine klare Auffassung von der Besonderheit des Kinderalters, die Haltung war durch Verständnis, Wärme und eine besondere Einfühlungsgabe in die Lage des Kindes gekennzeichnet [124]. Auch I. MARCUS fand im Hochmittelalter „an innovative emphasis on childhood, a new awareness of children’s status and of the need to distinguish between children and adults“ [287: Rituals of Childhood, 105–127]. Wiederum dieselben Quellen – hauptsächlich das „Buch der Frommen“ – bestätigen jedoch für I. TA-SHMA eine der Thesen von Ariès: auch die Juden

Das Konzept der Kernfamilie

Thesen zur Kindheit

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Die jüdische Familie des Mittelalters – eine moderne Ausnahme? Die Stellung der Frau – eine jüdische Besonderheit?

Kinderehen

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

sahen im Kind einen kleinen Erwachsenen [165]. Für eine solche „traditionelle“ Einstellung spricht auch die Beobachtung, daß die Gelehrten bei der häufigen Erörterung der Probleme der Ehescheidung mit keinem Wort des Schicksals der Kinder gedachten [185: YUVAL, Appeal, 208]. Die Besonderheit und Modernität der jüdischen Familie bleibt damit weiterhin Thema der Forschung, darüber hinaus kommt nunmehr auch ihre soziale Wirklichkeit ins Blickfeld. Eine ähnliche Tendenz zur Entmythologisierung ist in der Frage der Position der Frau erkennbar. Unbestreitbar ist ihre Zurückstellung im religiösen Ritus wie auch die frauenfeindliche Tendenz bei religiösen Eiferern [218: BASKIN, Images]. Dagegen wurde immer schon ihre zentrale Rolle in Haushalt und Geschäft wie auch die Ehrerbietung, mit der sie behandelt wurde, betont [261: GÜDEMANN, Erziehungswesen, I, 233–8; 70: AGUS, Heroic Age, 294–305; 147: MARCUS, Mothers]. Das Verbot der Polygamie und weitere rechtliche Bestimmungen zum Schutz der Frau, auch vor körperlicher Gewalt, hat nunmehr GROSSMAN überzeugend mit der Ausbildung einer hochmobilen Gesellschaft in Zusammenhang gebracht, deren männliche Oberschicht ihre soziale Stellung auch über die Ehre ihrer Frauen definierte [129: Historical Background; 132: Medieval Rabbinic Views; 134: Status]. Eine solche Stellung, welche die jüdischer Frauen in anderen Kulturkreisen bei weitem übertraf, bedeutete jedoch längst nicht Unabhängigkeit. Zwischen dem 10. und dem 13. Jahrhundert wurde eine zunehmende Quote von Kinderehen festgestellt, in die trotz des talmudischen Verbotes Eltern ihre halbwüchsigen Töchter zwangen. Solche Heiraten mögen vielleicht ein Ausdruck von „prosperity, well being, financial success, and a supreme confidence in a bright future“ gewesen sein [70: AGUS, Heroic Age, 281]. GROSSMAN bringt sie überzeugender mit den Familienstrategien der kaufmännischen Oberschicht in Verbindung [131: Child Marriage, 118]. Auf jeden Fall ist die Verfügungsgewalt der Eltern oder des Mannes über die Kindesbraut nur schwer mit weiblicher Unabhängigkeit in Einklang zu bringen. Diese erweist sich vielmehr als Begleiterscheinung des Übergangs zur Geldleihe im 12./13. Jahrhundert, als das jüdische Recht die Konzentration des Familienvermögens in der Hand der überlebenden Witwe sanktionierte [187: YUVAL, Financial Arrangements]. Auch das größere Maß der Unabhängigkeit der Witwe sollte nicht übertrieben werden. Unter Berufung auf STOWS These zur „bilateralen Kleinfamilie“ des Hochmittelalters konstruierte C. TALLAN eine Entwicklung, wonach die Witwe gerade im 11.–13. Jahrhundert unabhängig und wirtschaftlich produktiv war [166]. Danach habe sie mit dem Übergang zur „patriar-

B. Probleme und Tendenzen der Forschung

85

chalisch dominierten“ Familie des Spämittelalters ihre Verfügungsgewalt und wirtschaftliche Funktion verloren. Das nunmehr in der GJ III ausgebreitete Quellenmaterial zur weitverbreiteten wirtschaftlichen Tätigkeit jüdischer Witwen gerade im Spätmittelalter spricht eher für eine umgekehrte Entwicklung [172: TOCH, Jüdische Frau]. Die teilweise Auflösung der früheren patriarchalischen Strukturen läßt sich auch an der im 15. Jahrhundert ungemein hohen Scheidungsrate ablesen [185: YUVAL, Appeal]. Einen neuen Aspekt hat M. SIGNER [159] mit der Untersuchung der widersprüchlichen Auffassungen vom Altern erschlossen. Noch einen Schritt weiter in unerforschtes Gebiet führt die Arbeit von S. A. GOLDBERG zur Geschichte des Todes [248]. Den wesentlichen Wendepunkt im jüdischen Verhältnis zum Tod, ablesbar an der Entwicklung spezifischer Riten, sieht sie in der Zeit der Kreuzzüge. Kindheit und Alter, Familie und Tod haben allgemeinmenschliche Strukturen, die die Forschung nunmehr auch in der jüdischen Geschichte zu erkunden beginnt. Mit dem anthropologischen Ansatz öffnen sich neue Perspektiven, wie E. COHEN und E. HOROWITZ bei dem Vergleich jüdischer und christlicher Heiratsriten erkennen konnten [235]. Dabei stellten sich Parallelen, aber auch wesentliche Abweichungen heraus. Gemeinsam war der Prozeß der Sakralisierung ursprünglich weltlicher Hochzeitsrituale, wie auch der volkstümliche Widerstand gegen die Wiederverheiratung von Witwen. Solche Gemeinsamkeiten kontrastieren mit den Grundanschauungen beider Religionen zu Geschlechtsleben und Heirat, die an sich fundamental verschieden waren. Damit sind zwei Kardinalfragen angesprochen: das Problem der Elite- und Volkskultur (unten II.B.1.4), und die gegenseitigen Beeinflussungen von christlicher Mehrheit und jüdischer Minderheit (unten II.B.3). 1.3 Sozialschichtung und Gemeinde Eine sozialgeschichtliche Sicht der jüdischen Gesellschaft mit ihren inneren Schichtungen und Konflikten ist keine Selbstverständlichkeit. Dagegen stand der Mythos vom „reichen Juden“ wie auch die z.T. bis heute bestimmende Beschäftigung mit den Gelehrten und ihrem Schrifttum. Die über Jahrhunderte eingeübte innere Solidarität hat ein Bewußtsein hinterlassen, wonach es unter Juden die sonst üblichen krassen Formen sozialer Ungerechtigkeit nicht geben könnte und deshalb auch nie gegeben hat. Diese gänzlich unrealistische Sicht mußte spätestens im ausgehenden 19. Jahrhundert angesichts der Massen des jüdischen Proletariats Osteuropas aufgegeben werden. Gekleidet in biblisch-prophetische Sprache ist die Forderung nach sozialer Gerechtig-

Auffassungen von Altern und Tod

Anfänge der Erforschung der Sozialschichtung

86

Die soziale Frage im Mittelalter

Erforschung der jüdischen Unterschichten

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

keit seitdem auch politisch wirksam geworden, in der sozialistischen wie in der zionistischen Bewegung. Sie tauchte 1937 in der Mittelalterforschung auf, als Y. BAER das Schrifttum der „Frommen von Aschkenas“ im Sinne eines von der franziskanischen Frömmigkeit beeinflußten Gesamtprogramms der sozialen Reform deutete [215: Socioreligious orientation]. Damit war die „soziale Frage“ auch im jüdischen Mittelalter angeschnitten, ja zu einem zentralen Forschungsanliegen gemacht. Das Wohlfahrtswesen der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Spitäler und Armenhäuser beschrieb 1947 J. MARCUS [148]. I. YUVAL hat an Hand der Nürnberger Gemeinde das organisierte Spendenwesen, u. a. zugunsten der aschkenasischen Niederlassung in Jerusalem, erschlossen [184]. In einer weiteren Studie ging er der Entwicklung einer Sondersteuer nach, die die Gemeinden seit dem frühen 14. Jahrhundert zum Erwerb der Aufenthaltserlaubnis für ortsansässige Arme erhoben [186]. Damit waren jedoch immer noch nicht die jüdischen Unterschichten an sich angesprochen, obwohl Material dazu bereits seit den Quelleneditionen von STERN [50: Israelit. Bevölkerung] und der sozialstatistischen Arbeit BÜCHERS für Frankfurt [117] vorlag. Erst 1962 hatte C. ROTH mit einem kurzen Essay die Aufmerksamkeit auf den ‚ordinary Jew‘ des Mittelalters gelenkt [153]. Der Bevölkerungsanteil dieser abhängigen, im Dienste der Gemeinden und in den Haushalten der Wohlhabenden beschäftigten Personen läßt sich fallweise erschließen, so etwa in Nürnberg 1489 mit beinahe einem Drittel der erwachsenen männlichen Juden am Orte [168: TOCH, Soziale Struktur]. Eine Gesamtschätzung ergibt zwischen Ende des 14. und Ende des 15. Jahrhunderts einen Anstieg von etwa einem Viertel auf über die Hälfte des Bevölkerungsanteils und damit einen Prozeß der Pauperisierung [136: GUGGENHEIM, Stratification, 130]. Ein besonderes Problem stellten die Fahrenden dar, deren Zahl in Spätmittelalter und Frühneuzeit erheblich zunahm [136: GUGGENHEIM, Stratification; 137: DERS., Meeting; 123: GLANZ, Niederes Volk]. Sie waren das menschliche Reservoir für einen Gutteil der nicht seltenen Judentaufen (unten, II.B.3.2) wie auch der jüdischen Unterwelt der Frühneuzeit. Im Großen und Ganzen war die seßhafte jüdische Gesellschaft im Spätmittelalter zweigeteilt: eine umfangreiche Unterschicht von Abhängigen fand ihren mühseligen Lebensunterhalt in einer Reihe von Berufen, immer aber im Dienste einer relativ großen Gruppe von privilegierten Geldleihern [173: TOCH, Geldleiher]. Unter den mit Aufenthaltsrecht ausgestatteten Geldleihern, die die Gemeinden ausmachten, gab es große Unterschiede im sozio-ökonomischen Status [168: TOCH, Soziale Struktur; 135: GUGGENHEIM, Jewish Banks].

B. Probleme und Tendenzen der Forschung

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Das romantische Bild eines solidarisch und harmonisch lebenden Gemeinwesens [zuletzt 192: BEN-SASSON, Medieval Jewish Community, Einleitung] wird in der neueren Forschung zunehmend von einer Sicht ersetzt, die den internen Konflikt betont. GROSSMAN behandelte 1980 die „Offenders and Violent Men“ der Frühzeit [198]. Auch in seinem Abriß der Sozialentwicklung liegt der Schwerpunkt auf den sozialen Spannungen, seit der Zeit der ersten Ansiedlung, in der wenige aristokratische Familien dominierten, über das Hochmittelalter, als ein neuer Mittelstand in die Führungspositionen drängte, bis ins Spätmittelalter mit seinen vielfältigen Auseinandersetzungen im Rabbinerstand und zwischen Gelehrten und Ungelehrten [133]. Den klaren Ausdruck der Spannungen innerhalb der führenden Aristokratie im 12./ 13. Jahrhundert sieht I. MARCUS in der Aussage des „Buches der Frommen“ [238; 285]. Die Quellenstudien im Umfeld der GJ III machen es möglich, die Situation im Spätmittelalter zu präzisieren. Der Zusammenhang zwischen Wirtschaftsmacht, Familienstärke, Aufenthaltsrecht und der Abdrängung der minderbemittelten und nicht über Familienbande vernetzten Juden wurde am Beispiel Nürnberg behandelt [168: TOCH, Soziale Struktur]. Wie stark die widrigen Lebensumstände des Spätmittelalters zur Auflösung der internen Solidarität führten, zeigt der Niedergang der Gemeindeinstitutionen [207: ZIMMER, Harmony and Discord]. Im Mikrokosmos hat dies S. BURGHARTZ an Hand der Gerichtshändel zwischen Züricher Juden demonstriert [353]. R. JÜTTE untersuchte unter dem Leitbegriff „Ehre“ das Wesen gemeindeinterner Konflikte [265], M. TOCH die Macht und Ohnmacht interner Disziplinierung [476]. Als vorläufiges Ergebnis ist die Tatsache festzuhalten, daß Gewalttätigkeit zum normalen Alltag der Juden gehörte. Ähnliche zerrüttete Zustände lassen sich beinahe in jeder spätmittelalterlichen Gemeinde mit einigermaßen guter Quellenlage feststellen. Bemerkenswert ist dennoch, daß hin und wieder eine rasche Wiederherstellung der Gemeindesolidarität möglich war [353: BURGHARTZ, 239]. Auch in der Spätzeit gab es überkommunales Handeln, dessen Möglichkeiten und Grenzen an Hand der 1509 bis 1514 von der Frankfurter Gemeinde einberufenen Tagungen sichtbar werden [201: MAIMON, Tagungen]. Die Gemeinde hat noch nicht die gebührende deutende Behandlung erfahren. Es liegen Beschreibungen ihrer Institutionen vor, so für die Gerichtsverfassung [195: FRANK; 196: GOLDMANN] und die Besteuerung [202: ROSENSWEIG, Taxation], wie auch im Ganzen die kurze Charakteristik von SPITZER [206] und die umfassende, wenn auch unübersichtliche, alle jüdische Kulturkreise umfassende dreibändige Ar-

Innere Konflikte im Blickfeld der Forschung

Die Gemeinde und ihre Einrichtungen

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Thesen zum Ursprung der autonomen Gemeinde

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

beit von BARON [190]. Unentbehrlich als Quellensammlung ist immer noch FINKELSTEIN [194]. Zahlreiche neuere Arbeiten befassen sich mit religionsgesetzlichen Problemen der Gemeindeautorität [197: GROSSMAN, Attitude; 199: HANDELSMAN, Views; 200: KANARFOGEL, Unanimity; 29: SOLOVEITCHIK, The Use of Responsa]. Das große Thema der Gemeindegeschichte war für Generationen von Forschern die Frage nach den Ursprüngen. Für BARON ist die Gemeinde eine Errungenschaft der jüdischen Diaspora [190]. Dagegen ist die „Jerusalemer Schule“ (oben, II.A.1) vehement angetreten. Für sie besaß die Gemeinde eine besondere, weit über ihre konkreten Funktionen hinausreichende symbolische Bedeutung. In Abwesenheit einer konventionellen staatlichen Geschichte wurde sie als Brennpunkt politischen Handelns überhaupt gesehen, als gemeinsames Erbe aller jüdischen Zerstreuungen, und damit als Ausdruck des nationalen Zusammenhangs [189: BAER, Origins, 60; 192: BEN-SASSON, Community]. Konstitutiv für dieses Verständnis war die Spannung zwischen der Tradition zentraler Führungsorgane und der vollen Autonomie der lokalen „nördlichen“ Gemeinde [191: BEN-SASSON, Northern]. Die Lösung des Widerspruches sah BAER in einer bis in die Zeit des Zweiten Tempels zurückreichenden Tradition lokaler Autonomie und Demokratie, die im babylonischen Judentum der Spätantike zugunsten einer zentralen und hierarchischen Autoritätsstruktur aufgegeben wurde [189]. Die Gemeinden des europäischen Mittelalters haben mit ihren selbständigen Institutionen, ihrem sozialen Ethos und ihrem Selbstgefühl als „heilige Gemeinde“ die alte demokratische Tradition wieder aufgenommen. BENSASSON sah die Entstehung der autonomen „nördlichen“ Gemeinde weniger geistesgeschichtlich als durch die Tatsache der geographischen Entfernung von den babylonischen Zentren religiöser Führung bedingt [191]. Dennoch haben auch diese Gemeinden eine „Tendenz zur Zentralisierung und Einung“ entwickelt, die BEN-SASSON bereits im 11. und verstärkt in den beiden nachfolgenden Jahrhunderten erkennen wollte [73: Geschichte, 536, 622–6]. Diese Deutungen stehen unter dem Eindruck der modernen Staatsbildung Israels, die dem zerstreuten jüdischen Volk ein Zentrum schaffen wollte, und scheinen, jedenfalls für die Frühzeit, die Quellen zu überinterpretieren. Die nationale Dimension der Gemeinde ist, von wenigen Ausnahmen abgesehen [384: GRAUS, Die Juden in ihrer ma. Umwelt, 54 f.], Gemeingut der Forschung geworden. Die Frage der gegenseitigen Beeinflussungen von christlicher Kommune und jüdischer Gemeinde wurde erstmals von BAER gestellt, angesichts der von ihm postulierten Antiquität des jüdischen Gemeindebegriffes jedoch für die Zeit vor dem 12. Jahrhundert

B. Probleme und Tendenzen der Forschung

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verneint [189: Origins, 73 f.]. Auch I. AGUS argumentierte gegen Baron mit dem Alter der demokratischen jüdischen Gemeindeorganisation, die lange vor jeder christlichen Kommunebildung eingesetzt habe [34: Urban Civilization, Einleitung]. Dagegen haben HAVERKAMP und YUVAL jüngst die Beeinflussung der Einrichtung der zwölf Vorstände durch die Ratsverfassung der christlichen Kommune betont [391: Concivilitas, 116 f.; 326: Heilige Städte, 101]. Auch auf dem Gebiet des Gemeindelebens bewegen die neuere Forschung weniger die Ursprünge als die gesellschaftlichen Funktionen und symbolischen Bedeutungen. Richtungweisend ist eine bisher unveröffentliche Studie von Y. GUGGENHEIM zur Synagoge [79: Vorarbeiten; einige Elemente auch bei 353: BURGHARTZ]. Die öffentliche Selbstdarstellung der jüdischen Gesellschaft fand, im Anschluß an die wichtigsten Stationen des individuellen Lebenszyklus (Geburt, Namensgebung und Beschneidung, Heirat und Tod) in der Synagoge statt. An und in ihr kristallisierten sich Prestige und ein sichtbares Maß der Ehrbarkeit, durch Ehrenämter, die Ordnung der Synagogenplätze, den öffentlichen Verkauf von religiösen Pflichten, etwa die Versorgung mit Lichtöl und Kiddusch-Wein oder Sachspenden mit Spenderinschrift. Die Synagoge war bevorzugter Austragungsort innergemeindlicher Konflikte, das „Aufhalten des Gebets“ ein althergebrachtes Mittel des Protestes gegen die herrschenden Familien. Die Synagoge war Umschlagplatz für Kommunikation, wenn am Sabbatmorgen nach dem Gottesdienst Neuigkeiten aus aller Welt ausgetauscht wurden. Sie war der Ort der öffentlichen Buße, wo gerichtlich auferlegte Körperstrafen, aber auch die Selbstkasteiung durch Schläge vor Neujahr- und Versöhnungstag ausgeführt wurden. Auch die christliche Herrschaft war sich über die zentrale Öffentlichkeitsfunktion der Synagoge klar, da hier Konflikte, die sie als Regelungsinstanz betrafen, an die jüdische Öffentlichkeit getragen werden konnten. Für den Judenhaß war die Synagoge aber auch die „Synagoge des Satans“, an sie wurden Beschuldigungen wegen Ritualmord und Hostienschändung fixiert. Und zuletzt war sie der Ort, wo sich Lebende und Tote treffen, so etwa in der jüdischen Version des Totentanzes, aber auch in den im „Buch der Frommen“ überlieferten Albträumen von Besuchen der Toten. 1.4 Kultur der Elite und Kultur des Volkes Für den gesamten Umfang des gelehrten Schrifttums ist nunmehr auf die neuere hebräische Spezialliteratur zu verweisen [250: GROSSMAN, Early Sages of Ashkenaz; 310: URBACH, Tosaphists; 316: YUVAL, Scholars; 244: DINARI], durch welche die älteren Werke von GÜDEMANN

Funktionen und symbolische Bedeutungen der Synagoge

Neuere Forschungen zum Schrifttum der Gelehrten

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Sozialgeschichte der Gelehrten

Vom Gelehrten zum Rabbiner im Spätmittelalter

Die jüdische Kultur überwiegend religionsgesetzlich bestimmt

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

[261] und BARON [71] in Einzelheiten wie auch in der Grundauffassung gründlich überholt sind. Neu ist neben der Entdeckung unbekannter Schriften und mannigfaltiger Beeinflussungen vor allem die Sozialgeschichte der jüdischen Gelehrsamkeit. Ihre Institutionen, die Talmudakademien mit den Lehrern und Studenten, behandeln M. BREUER [224; 225; 227] und E. KANARFOGEL [266]. Die Edition der Autobiographie eines Wanderstudenten durch I. YUVAL hat diesem Aspekt erstmals eine quellenbezogene Unmittelbarkeit verliehen [323]. Im Mittelpunkt des umfangreichen Werkes GROSSMANS stehen die Gelehrten des Frühmittelalters, die mit ihren Familienverbindungen und der Vererbung der geistig-politischen Führungspositionen das soziale Leben entscheidend beeinflußt haben und sich von ihren iberischen und französischen Genossen deutlich unterschieden [127; 130; 250; 256; 257]. BREUER [223; 226; 229] und YUVAL [316; 325] behandeln mit unterschiedlichem zeitlichem und methodischem Ansatz den tiefgehenden Wandel in der Stellung der Gelehrten, vom Privatgelehrten zum besoldeten Gemeindeund Berufsrabbiner. Während BREUER diese Umgestaltung an die Verfolgungen des mittleren 14. Jahrhunderts und den Niedergang der jüdischen Bildung knüpft, sieht YUVAL einen von wirtschaftlicher Not ausgelösten Prozeß der Ausbildung eines monopolistischen und protektionistischen Apparats beruflicher Fachleute, der durchaus Parallelen in der christlichen Gesellschaft hat. Der letztere Ansatz stützt sich auch auf die prosopographische Methode. YUVAL fragt, im Gegensatz zur hergebrachten Behandlungsweise seit Graetz, nicht nach den führenden Köpfen, sondern nach der zweiten und dritten Garnitur der Gelehrten, über 1000 Personen, die für ihn die Epoche des Spätmittelalters besser charakterisieren als die monumentalen Gestalten. In Zusammenhang mit dem Wandel des Gelehrtentums steht die Entstehung und weite Verbreitung der religionsgesetzlichen Gebrauchsliteratur, auf die ISRAEL TA-SHEMA aufmerksam gemacht hat [301]. In dieser Sicht sind auch die popularisierenden Schriften der Periode weniger Ausdruck eines kulturellen Niedergangs als Elemente einer Auseinandersetzung um die autoritative Auslegung des Gesetzes und damit (auch) um Macht [79: GUGGENHEIM, Vorarbeiten]. Die Halacha ist unzweifelhaft der Aspekt des geistigen Schaffens, in den das mittelalterliche aschkenasische Judentum die meiste Energie investierte. Auch die neuere Forschung hat das Bild einer überwiegend religionsgesetzlich orientierten Kultur nicht erschüttert, sondern bestätigt. Die mittelalterlichen Gelehrten des jüdischen Deutschland waren, wie die Untersuchung ihrer Werke gezeigt hat, zu allererst Rechtsgelehrte, die die Halacha interpretierten und lehrten [250: GROSSMAN, Sa-

B. Probleme und Tendenzen der Forschung

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ges of Ashkenaz; 310: URBACH, Tosaphists; 316: YUVAL, Scholars; 244: DINARI]. Daneben findet sich, in verschiedenem Maße zu verschiedenen Zeiten, auch die Beschäftigung mit der Bibel, der synagogalen Liturgie und Dichtung, der Mystik, der Polemik, und bei einzelnen Gestalten des Spätmittelalters auch mit der Philosophie. Eine abwägende Untersuchung all dieser Elemente des geistigen Schaffens und ihrer geschichtlichen Bedeutung steht noch aus. Zunehmend erscheinen in der Forschung Gedanken, die in verschiedenen geistigen Entwicklungen Versuche eines Korrektivs zur überwiegend rechtlich bestimmten jüdischen Kultur sehen [299: SOLOVEITCHIK, Three Themes, 322 f.; 287: MARCUS, Rituals of Childhood; 317: YUVAL, Magie und Kabbala]. Maßgebend für die methodischen Tendenzen der Geistesgeschichte ist die Spannung zwischen einer Sehweise, die die systeminhärente Eigenentwicklung kultureller Traditionen und deren literarischer Formen betont, und einer Sicht, die das geistige Schaffen auch von der Auseinandersetzung mit der umgebenden Mehrheitsgesellschaft bestimmt erkennt (unten, II.B.3). Die systematische Geschichte des jüdischen Rechtes in seiner Entwicklung aus biblischer und spätantiker Zeit ist nunmehr durch das Werk von M. ELON zugänglich gemacht [193: Bde. II, III]. Darüber hinaus beschäftigt die Frage des Rechts als historischer Faktor, der die Entwicklung der jüdischen Gesellschaft mitbestimmt, dabei aber selbst wichtige Umformungen erfährt. Das schwierige Problem der Abänderung göttlich offenbarten Rechtes behandeln KATZ und SOLOVEITCHIK in einer Reihe von Fallstudien zu zentralen Lebensbereichen: die Beziehungen mit der christlichen Umwelt allgemein und das Problem der Beschäftigung von Nichtjuden [268: KATZ, Exclusiveness; 269: DERS., Shabbes Goy], das biblische Zinsverbot, die Herstellung von koscherem Wein, die Zulässigkeit des Märtyrertums [203: SOLOVEITCHIK, Pawnbroking; 204: DERS., Can Halakic Texts; 205: DERS., Religious Law, 208–210]. SOLOVEITCHIK hat aus der Spannung zwischen rechtlicher Norm und existentieller Situation, wie sie ganz extrem im Umfeld des Ersten Kreuzzugs auftrat, wesentliche Merkmale der frühen aschkenasischen Kultur gewonnen [205]. Tief überzeugt von der Richtigkeit ihrer Traditionen, konnten sich diese Menschen keinen Bruch zwischen ihren Praktiken und dem von ihnen studierten und praktizierten Recht vorstellen. Die aschkenasische Gemeinde sah das Wort Gottes nicht nur in der kanonisierten Literatur, dem Talmud, verkörpert, sondern auch im eigenen Leben. Die Erfahrung der Kreuzzugsverfolgungen hat diese Mentalität nicht geschaffen, sondern nur verstärkt. Konstituierend waren, nach Soloveitchik, vier Faktoren: die Einfachheit der

Weitere Sparten des geistigen Schaffens

Das jüdische Recht als geschichtlicher Faktor

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Philosophische Beschäftigungen?

Wandel in der Auffassung von „hoher“ und „volkstümlicher“ Kultur

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

religiösen Überzeugungen; die geringe Einwirkung der umgebenden christlichen Kultur und das Fehlen religiöser Alternativen (eine nunmehr in Zweifel gezogene Anschauung, s. unten, II.B.3); die zunehmende Akzeptanz des Religionsgesetzes; zuletzt die erstaunliche Tatsache, daß die Praxis weitaus konservativer war als die rechtliche Theorie. Diese Praxis fand ihren Ausdruck im religiösen Brauchtum, das im aschkenasischen Judentum bereits im 11. Jahrhundert so stark wie nirgend sonst war [305: TA-SHEMA, Early Franco-German Ritual]. „Das deutsche Judentum des Mittelalters steht den theologischen und philosophischen Fragestellungen fern, welche die orientalischen, spanischen und italienischen Gemeinden damals tief bewegt ... haben“ [294: SCHOLEM, Mystik, 87]. Dieser Konsens der älteren Forschung wurde für das Frühmittelalter voll bestätigt [250: GROSSMAN, Sages of Ashkenaz, deutsche Zusammenfassung, 22]. Für die nachfolgenden Perioden liegen die Dinge etwas komplizierter. Im späteren 12. Jahrhundert dürfte der Einfluß des ersten jüdischen Rationalisten, R. Saadja Gaon, zu einer Neudefinierung anthropomorpher Gottesdarstellungen in der Lehre der „Frommen von Aschkenas“ geführt haben [238: DAN, Esoteric Theology, deutsche Zusammenf., 157]. R. Elasar von Worms machte von den Schriften des Maimonides Gebrauch [310: URBACH, 393]. Andererseits hat die Diskussion um die M aimonides-Rezeption die grundsätzliche Philosophiefeindlichkeit des aschkenasischen Judentums bestätigt [E. URBACH, Zion 12, 1947, 149–159; GROSSMAN, Encyclopaedia Hebraica 24, 1972, 558–560]. Für das Spätmittelalter hat E. KUPFER gegen die vorherrschende Meinung auf Grund handschriftlicher Funde das Bild eines „Interesses weiter Kreise an der Philosophie“ gezeichnet [274]. Dieses Interesse war jedoch hauptsächlich auf einige Prager Gelehrte beschränkt und scheint in Deutschland nur geringes Echo gefunden zu haben [317: YUVAL, Magie; 205: SOLOVEITCHIK, Religious law, 213 f.]. Zu einem ähnlichen, wenn auch weniger eindeutigen Ergebnis kommt D. LASKER in seiner Untersuchung der Verwendung philosophischer Elemente in der aschkenasischen Polemik [275]. Insgesamt zeichnet sich in der Erforschung der jüdischen Kultur des Mittelalters ein bedeutungsvoller begrifflicher Wandel ab. Sie wurde lange Zeit als typische „Hochkultur“ der Gelehrten gesehen, die volkstümliche Religiosität dagegen unter der Rubrik des Aberglaubens subsumiert [261: GÜDEMANN, I, 199–227; 308: TRACHTENBERG, Jewish Magic]. Gegen eine solche aufgeklärt-liberale Ansicht wie auch gegen die traditionelle Übergewichtung des halachischen Elements ist GERSCHOM SCHOLEM mit seinen Arbeiten zu Mystik und Messianismus ve-

B. Probleme und Tendenzen der Forschung

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hement angetreten. Ihm hat die Forschung die Neuentdeckung der irrationalen Unterströmungen in der jüdischen Geschichte zu verdanken [zur Bedeutung von Scholems Werk s. 291: SCHÄFER/DAN]. Konkret läßt sich der fließende und zugleich problematische Übergang zwischen „hoher“ und „niedriger“ Kultur im Mittelalter an mehreren Punkten festmachen. Bereits für die Frühzeit hat die Forschung das erstaunlich starke Gewicht des lokalen Brauchtums festgestellt, in dem sich gelehrte Auslegung und volkstümliche religiöse Praxis vermengten [oben, I.C; 303: TA-SHEMA, Ashkenazi Jewry; DERS., 305: Early Franco-German Ritual, Einleitung]. Dieser „rituelle Instinkt“, der das aschkenasische Judentum auszeichnet, meint u. a. die Tatsache, daß die Angleichung religiöser Normen an die sich rasch wandelnden Lebensbedingungen nicht nur über Gelehrte, die befugten Vertreter der Gesetzesauslegung, sondern auch über den normalgebildeten Gläubigen lief [269: KATZ, Shabbes Goy, 231]. Wie stark die gelehrte Kultur magischrituell durchsetzt war, hat nunmehr MARCUS über die Untersuchung von „Food Magic“ und gedächtnisstützenden Lerntechniken in methodisch wegweisender Form demonstriert [287]. Die Lehre und Glaubenspraxis der „Frommen von Aschkenas“ war lange Zeit der Ort, an dem die Forschung die Begegnung von Hochkultur und Volkskultur sah. Eigentlich ist alles an dieser zahlenmäßig verschwindend kleinen Gruppe oder Geistesströmung des 12./ 13. Jahrhunderts schillernd. Einerseits befaßten sich die „Frommen“ mit einer äußerst komplizierten esoterischen Mystik [294: SCHOLEM, Mystik; 238: DAN, Esoteric Theology; 240: DERS., Studies; 241: DERS., Entstehen der Jüdischen Mystik; 277: MARCUS, Piety]. Daneben kommt in ihren Schriften ethisch-moralisches Gedankengut und eine religiöse Bußpraxis zum Vorschein, die in bewußtem Widerspruch zum normativen Judentum der Periode zu stehen scheint. Die „Frommen von Aschkenas“ haben in ihrer Vielschichtigkeit zu einem umfangreichen und stetig wachsenden Korpus philologischer, philosophischtheologischer und geschichtlicher Interpretation angeregt. Einen Überblick der Forschung und die wichtigsten früheren Arbeiten zum Thema bringt MARCUS in einem hebräischen Sammelband [280], weiter führen zwei neue Fachsymposien [249; 291]. Grundlage jeder Beschäftigung mit der Materie ist der Text des Hauptwerkes Sefer Chassidim, des „Buches der Frommen“, von dem bis heute keine kritische Edition vorliegt [der Standardtext bei 69: WISTINETZKI/FREIMANN, zur Forschungsgeschichte s. 276: MARCUS, Recensions]. BAER hat in einem ungemein einflußreichen Aufsatz in diesem Werk einen religiös-sozialen Protest volkstümlicher Kreise gesehen, denen die „Frommen“ als Führer und

Die „Frommen von Aschkenas“ im Spannungsfeld von Hochkultur und Volkskultur

Die „Frommen“ – Sprecher des Volkes?

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Die „Frommen“ – eine aristokratische Sekte?

Die Diskussion um die „Frommen“ als Methodenstreit

Die Diskussion um den christlichen Einfluß auf die „Frommen von Aschkenas“

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

Sprecher dienten [215]. Für SCHOLEM waren die „Frommen“ eine Bewegung, die „sich als Trägerin der vom Volksbewußtsein anerkannten religiösen Werte und Ideale durchgesetzt hat“ [294: Jüdische Mystik, 88]. M. AWERBUCH sah noch 1978 in ihnen die Reaktion des deutschen Judentums schlechthin auf die wachsende Bedrohung durch die christliche Umwelt [213]. Die neuere Forschung betont dagegen ihren aristokratischen und gleichzeitig sektiererischen Charakter. Die Wende eingeläutet hat ein ausführlicher Aufsatz von SOLOVEITCHIK, der im „Buch der Frommen“ den Ausdruck nicht einer Bewegung, sondern höchstens der elitären Ideen seiner Verfasser sah [299]. Maßgebend für den asketischen und polemischen Charakter dieser Auffassungen war nach SOLOVEITCHIK eine Reaktion auf die Vorherrschaft des aus Frankreich importierten Halachastudiums der Tossafisten. TA-SHEMA bestätigte diese Interpretation mit seiner Untersuchung der Einstellung der „Frommen“ zu Techniken und Inhalten des Torastudiums [302]. MARCUS sah in seinen früheren Arbeiten in den „Frommen“ eine Erweckungsbewegung, die mehr aus der Frömmigkeit als aus einem sozialen Engagement zu verstehen ist [277]. In seinem späteren Werk betont auch er den oppositionellen Charakter einer bewußt etablierten aristokratischen Familiensekte, die gegen die konventionell-institutionalisierten Formen religiöser Autorität einen charismatischen Führungsstil stellte [283]. I. GRUENWALD versteht das „Buch der Frommen“ als ein Handbuch für die spezifischen Verhaltensnormen einer exklusiven Gruppe, das gelehrte religiöse Normen mit volkstümlichen Formen der Religiösität vermischt [260]. Die letzten Beiträge zum Thema sind eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der neueren Tendenz der Forschung, die Historizität und soziale Tiefenwirkung der Bewegung der „Frommen“ aufzulösen und durch eine literarische oder, wie nunmehr bei MARCUS, eine anthropologisch-psychologische Interpretation ihrer Werke zu ersetzen [242: DAN, Ashkenazi Hasidism; 282: MARCUS, History; 284: DERS., Pious Community, Anm. 8; 285: DERS., Historical Meaning]. Das Phänomen der „Frommen“ ist von Anfang an in vergleichender Sicht betrachtet worden. Bereits GÜDEMANN hat auf Parallelen zu ihren Anschauungen im christlichen Volksglauben hingewiesen [261: Erziehungswesen, I, 126–177]. Der richtungweisende Aufsatz BAERS von 1937 hatte den Einfluß des christlichen Mönchtums auf die Ideen der „Frommen“, besonders der Buße, zum Gegenstand [215]. Es folgten J. DAN mit einem Vergleich der jüdischen und christlichen Wundererzählungen und E. YASSIF mit einem solchen der Exempla, ohne daß beide jedoch direkte Berührungen ausmachen konnten [239: DAN, Rabbi Judah the Pious and Caesarius; 314: YASSIF, Entre culture]. MARCUS und P.

B. Probleme und Tendenzen der Forschung

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SCHÄFER haben die Auffassung BAERS vom christlichen Einfluß, direkt über die Ideen des heiligen Franziskus oder indirekt über die Wirkung der Kreuzzugsverfolgungen, einer strengen Kritik unterzogen [277: MARCUS, Piety, 150; 290: SCHÄFER, Ideal of Piety]. Besonders der letztere verweist auf innerjüdische Quellen und Traditionen. Auch SOLOVEITCHIKs These [299] einer Reaktion innerhalb des Gelehrtentums auf den Einfluß der Tossafisten weist in ähnliche Richtung. Das in den letzten Jahrzehnten gewaltig gewachsene Wissen um die Verknüpfungen zwischen spätantiker jüdischer Mystik, Geheimlehre der „Frommen“ und sefardischprovençalischer Kabbala hat die Forschung zurück zu ideengeschichtlichen und literaturkritischen Methoden gelenkt [238: DAN, Esoteric; 249: GRÖZINGER/DAN; 264: IDEL, Kabbalah; 277: MARCUS, Piety]. Das Bild einer einheitlichen, aus der Tiefe des Volksempfindens genährten Bewegung wird zugunsten einer Spiritualitätsrichtung aufgegeben, die aus verschiedenen Schulen, individuellen Verfassern und einzelnen Schriften zu rekonstruieren ist [241: DAN, Entstehen]. Auch im Spätmittelalter bleibt die Definition der volkstümlichen Religion und Kultur problematisch. Die ältere Forschung konnte noch mühelos Schriften und Äußerungen aus dem Gebiet der Magie dem volkstümlichen (Aber-)Glauben zuordnen [261: GÜDEMANN, III, 128– 32; so noch 161: SPITZER, Alltagsleben, 72 f.]. Unterdessen wurden zusätzliche Aussagen und Handlungen aus dem Grenzbereich zwischen Mystik und Magie entdeckt. F. TALMAGE behandelte die theologisch problematische Anrufung von verstorbenen frommen Vorfahren oder Engeln als Vermittler [306]. YUVAL stellt die Befassung mit Magie und Kabbala in einen doppelten Kontext, des Eindringens der sefardischen Kabbala und Philosophie einerseits, und der messianischen Spekulationen andererseits [317; s. auch unten II.B.3]. Dabei modifiziert er die These einer ausschließlich halachischen Ausrichtung des jüdischen Spätmittelalters. Allerdings verweist die von YUVAL angewandte prosopographische Methode erneut auf die Gelehrten, wenn auch meist von untergeordnetem rabbinischen Rang, als Träger solchen außerhalachischen Gedankengutes. Der gesamte Bereich wartet noch der systematischen Erschließung und Bearbeitung. Auch für diese Zeit ist an das Brauchtum anzuknüpfen, das in seiner intensiven Behandlung durch die Rabbiner die Verbundenheit und gegenseitige Durchlässigkeit von gelehrter und volkstümlicher religiöser Praxis bezeugt [Material dazu bei 244: DINARI, 190–228]. Weitere Aspekte der Volkskultur verweisen auf die Beeinflussungen durch die Mehrheitskultur und sollen in diesem Rahmen behandelt werden (unten, II.B.3.4).

Gelehrte Kultur, Volkskultur, Mystik und Magie im Spätmittelalter

96 2.

Die Palette des Lebenserwerbs

Die Vorstellung vom „jüdischen Handelsmonopol“ – ein modernes ideologisches Konstrukt

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

Die Juden in der christlichen Gesellschaft

2.1 Wirtschafts- und Siedlungsgeschichte Die wirtschaftliche Rolle von Juden in der christlichen Gesellschaft und die sich daraus ergebenden Spannungen und Konflikte standen schon früh im Mittelpunkt der Forschung. Juden übten Funktionen aus, die Christen aus verschiedenen Gründen nicht im vollen Umfang verrichten konnten, wollten oder durften. Sie bestanden in der Frühzeit in verschiedenen Formen des Warenhandels (s. im weiteren), seit dem 12./13. Jahrhundert dann in Münz- und Kreditwesen, das gegen Ausgang des Mittelalters zur Pfandleihe verkümmerte. Allerdings hat die moderne Forschung mit der Vorstellung aufgeräumt, daß sich die Juden ausschließlich diesen Berufen gewidmet hätten. Vielmehr wurde festgestellt, daß ein bedeutender Bevölkerungsteil seinen Lebenserwerb in Dienstleistungsberufen für die Oberschicht der Händler und Geldleiher fand, auch, daß gegen Ausgang des Spätmittelalters eine erneute Tendenz zum Warenhandel spürbar wird [173: TOCH, Geldleiher und sonst nichts; 103: MENTGEN, Studien, 542–557]. Sie leitet zu jener Mischung von Geld- und Warenhandel über, die besonders im agrarisch bestimmten Landjudentum der Frühneuzeit bestimmend war [177: TOCH, Frankfurt]. Bezeichnend für den jüdischen Lebenserwerb war auch die Existenz zahlreicher Ärzte. Für sie wie auch für einige bedeutendere Geldhändler im Spätmittelalter kann die prosopographische Methode neue Einsichten liefern [149: MENTGEN, Ärzte-Familie; 150: DERS., Herausragende; 335: AUFGEBAUER, Kurfürsten; 59: KEIL, Liber Judeorum; 125: GRAHAMMER]. Die oben skizzierte Periodisierung findet sich bereits bei CARO [75] und wurde bis heute nicht angefochten. Probleme gibt es allerdings in Bezug auf wichtige Einzelheiten in allen Perioden. Die alte Auffassung von der Beherrschung des frühmittelalterlichen europäischen Handels durch „die Juden“ ist als ein weltanschauliches Konstrukt erkannt worden, das allein auf der Lehre einer wesensmäßigen jüdischen Affinität zu „Wucher“-Berufen beruht [21: OELSNER]. In den Quellen findet die Idee eines frühmittelalterlichen Handelsmonopols keine Abstützung [178: TOCH, Wirtschaft]. Ebenso unannehmbar erscheint die verwandte, auf einer Art Zivilisationssendung gründende Anschauung von den Juden als „Vormündern der Deutschen im Handel“, als „Eckstein der deutschen Stadtkultur“ [163: STRAUS, Die Juden in Wirtschaft, 29; ähnlich 70: AGUS, Heroic Age, Einleitung]. Dennoch bleibt die Frage nach der Bedeutung des frühen Handels von Juden legitim. Für das Frühmittelalter wurde immer wieder der Sklavenhandel

B. Probleme und Tendenzen der Forschung

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in den Vordergrund gestellt, etwa bei KELLENBENZ [143] und LOTTER [421] und seit Jahren im umfangreichen, wenn auch sich ständig wiederholenden Oeuvre von Charles Verlinden. Im Hintergrund der älteren Diskussion standen auch hier polemische bzw. apologetische Tendenzen, denn Sklavenhandel wurde als moralisch anrüchig betrachtet. Zu warnen ist jedenfalls vor einer unkontrollierten Anwendung der synodalen Gesetzgebung des Früh- und Hochmittelalters, die weniger in konkreten Gegebenheiten der Periode als in der alten Tradition einer kirchlichen Polemik gegen jede Befehlsgewalt von Juden über Christen verankert war [anders zum Quellenwert der Kanonistik 347: BLUMENKRANZ, Anti-Jewish Polemics]. Kompliziert wird die Frage durch die unberechtigte Gleichsetzung von Sklavenbesitz und Sklavenhandel, auch durch den schillernden Sprachgebrauch der hebräischen Quellen, die für Sklaven und Bedienstete das gleiche Wort benutzen. Nach Erkenntnis des Verfassers kann im Reich seit der Seßhaftwerdung der Juden etwa zur Mitte des 10. Jahrhunderts überhaupt nicht von einem berufsmäßig betriebenen Sklavenhandel die Rede sein, allein vom Erwerb meist slawischer Sklaven als Dienstboten für den Hausgebrauch [178: TOCH, Wirtschaft]. Die wichtigste wirtschaftliche Entwicklung im Hochmittelalter, der Übergang vom Warenhandel zur Geldleihe, läßt sich nur in Umrissen feststellen [die letzte Darstellung bei 143: KELLENBENZ, s. nunmehr 178: TOCH, Wirtschaft]. Unklar bleiben vor allem ihre ökonomischen Umstände. Ein allgemeines Erklärungsmodell hat L. K. LITTLE mit dem Konzept der „commercial revolution“ vorgelegt [145], dem im Reich etwa das von A. HAVERKAMP entwickelte Konzept der Urbanisierung gleichzusetzen ist [389: Lebensbedingungen, 17–20]. Die Diskussion der Gelehrten um die religionsgesetzliche Erlaubnis der ursprünglich verbotenen Zinsennahme unter Juden legt den Blick auf einen weiteren Strang der Entwicklung offen, nämlich die Notwendigkeit von Geldgeschäften zur Bereitsstellung von Handelskapital [203: SOLOVEITCHIK, Pawnbroking; 178: TOCH, Wirtschaft]. Einsichten bietet auch die erneute Diskussion um die hochmittelalterliche kirchliche Wuchergesetzgebung, deren konkrete Auswirkung jedoch verschieden beurteilt wird. H.-J. GILOMEN sieht eine Tiefenwirkung, die seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert auch die jüdische Geldleihe in das allgemeine Wucherverbot einbezog [121], wogegen G. RÖSCH [154] die Verworrenheit der kirchlichen Wucherlehre und deren uneinheitliche und langwierige Rezeption betont. Eine Darstellung auch der konkreten Anwendung im begrenzten regionalen Rahmen bringt MENTGEN [103: Studien, 511– 42]. Von der allgemeinen Wirtschaftsgeschichte sind relevante Aussa-

Kein jüdischer Sklavenhandel im Frühmittelalter

Eine Hauptfrage der Wirtschaftsgeschichte: der Übergang vom Warenzum Geldhandel

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Frühe Nachfrage nach Geldkredit in Weinbaurevieren

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

gen zu erwarten, etwa zu der oft als Erklärung herangezogenen Entwicklung der christlichen Kaufmannsgilden [143: KELLENBENZ, 213] oder zu regional differenzierten Wachstumsprozessen der Marktwirtschaft. Insbesondere in Regionen des Weinbaus scheint sich der Geldhandel früh etabliert zu haben, wie nunmehr für das Elsaß nachgewiesen wurde [103: MENTGEN, Studien, 557–74]. Ähnliches dürfte auch in Weinrevieren am Mittelrhein [111: ZIWES, Studien, 40 f., 233–237], im mainfränkischen Raum [404: JENKS] und in Niederösterreich/Südmähren [175: TOCH, Formation] gegolten haben. Eine befriedigende Lösung des Problems ist wohl weniger in allgemeinen Erwägungen als in weiteren gezielten Regionalstudien zu finden. Sie werden, so ist anzunehmen, auch die neuere Erkenntnis bestätigen und ausweiten, daß Teile der Landbevölkerung eher als bisher angenommen, mindestens seit dem frühen 14. Jahrhundert, zu den Kunden der Geldleihe gehörten [169: TOCH, Geld und Kredit; 122: GILOMEN, Wucher, 291]. Unberührt davon bleibt die in neueren Studien erhärtete Tatsache der weitgehenden Beanspruchung des jüdischen Kredits durch die führenden Schichten des höheren Klerus und Adels [404: JENKS; 103: MENTGEN, Studien, 494–500; 110: WADL, 38–59; 119: BURGARD, Funktion]. Das reiche Material des Spätmittelalters läßt feinere Unterscheidungen in der wirtschaftsgeschichtlichen Entwicklung zu. Zusätzlich zur Behandlung in periodenübergreifenden Werken liegen nicht wenige neuere Lokalarbeiten vor [96: HAVERKAMP, Juden im ma. Trier; 112: AMMAN; 119: BURGARD, Funktion; 140: IRSIGLER; 150: MENTGEN, Herausragende; 164: STROMER/TOCH; 167: TOCH, Der jüdische Geldhandel; 169: DERS., Geld und Kredit; 177: DERS., Frankfurt; 182: WENNINGER, Erfurt; 188: ZIWES, Kapitalmarkt; 404: JENKS]. Die Einträge der GJ III bringen weitere Informationen auch zu kleineren Orten und Gemeinden und erschließen die oft schwer zugängliche Lokalforschung. Noch nicht voll ausgeschöpft ist das publizierte Quellenmaterial für Frankfurt am Main [44: ANDERNACHT, Regesten] und sein Umland [49: LÖWENSTEIN, Quellen], Regensburg [50: STERN, Die israel. Bevölkerung; 51: STRAUS, Urkunden; 62: MATZEL/RIECKE; 68: VOLKERT, Judenregister] und das steirische Stift Rein [56: HERZOG]. Für Bingen wird von Y. GUGGENHEIM und dem Verfasser die Edition eines Darlehensregisters vorbereitet [erste Auswertung bei 176: TOCH, Wirtschaftliche Tätigkeit]. Systematisch angelegte neuere Regionalstudien bieten die Arbeiten von HAVERKAMP für das Erzstift Trier [97], MENTGEN für das Elsaß [103], und WADL für Kärnten [110]. Kurze gebietsweise Zusammenfassungen wird in Kürze der dritte Teilband der GJ III bringen, für Österreich ist eine umfassende Untersuchung aus der Feder des Verfassers in

B. Probleme und Tendenzen der Forschung

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Vorbereitung. Neuere Versuche einer Gesamtsicht finden sich bei WENNINGER [181; 482] und TOCH [170; 176; 178]. Frühere Generationen von Forschern waren rasch mit umfassenden wirtschaftsgeschichtlichen Erklärungsmodellen zur Stelle [dazu 21: OELSNER, The Place; 178: TOCH, Wirtschaft und Verfolgung]. Die neuere Forschung zeigt in dieser Hinsicht eine wohlbegründete Scheu. Tatsächlich können Versuche der direkten Kausalverknüpfung allgemeiner wirtschaftlicher Prozesse und der Geschichte der Juden nur selten überzeugen. So verkennt etwa F. BATTENBERG mit der „Rezession des 14. Jahrhunderts“ als Hauptgrund für die Verfolgungen dieser Periode die Bedeutung nichtwirtschaftlicher Motivationen [72: Europ. Zeitalter, 99; s. unten II.B.2.3.5]. Seine Erklärung der Vertreibungen des späten 15. und des 16. Jahrhunderts als Verdrängungsprozeß „unliebsamer Konkurrenten, um die städtischen Wirtschaften wieder in Gang zu bringen“ [ebendort, 126], unterschätzt die sozialen Auswirkungen der Verschuldung in den Mittel- und Unterschichten, überschätzt dagegen die Bedeutung der jüdischen Geldleihe in der städtischen Gewerbe- und Handelswirtschaft. Durchgesetzt hat sich die zeitlich und örtlich begrenzte Deutung der Schuldentilgung König Wenzels von 1385 durch W. v. STROMER als eine von oberdeutschen Großkaufleuten angeregte Aktion zur Verdrängung der Juden aus dem großen Kreditgeschäft [Oberdeutsche Hochfinanz, 1970, 155–177]. Sie wird in anderen Studien [etwa 167: TOCH, Geldhandel] und nunmehr aus dem Material der GJ III voll bestätigt [176: TOCH, Wirtschaftliche Tätigkeit]. Den wohl breitesten Versuch einer neueren wirtschaftsgeschichtlichen Interpretation brachte M. WENNINGER [482: Man bedarf, 230–6; wesentliche Modifikationen bei 181: DERS., Juden und Christen]. Ein von ihm festgestellter Niedergang der Zinssätze dient als Erklärungsmodell für die Verarmung der Juden und damit des „Niedergangs des Judentums im 15. Jahrhundert“. Auf die Verdrängung aus dem Geldgeschäft sei relativ bald auch ein Eindringen der Christen in die Pfandleihe gefolgt. Diese Sicht, die allein auf der Situation in den Reichsstädten gründet und schon daher nicht repräsentativ ist, stützt sich auf Zinsdaten, die aus der Entwicklung des Rentenmarktes erschlossen wurden und für das Bargeschäft nicht aussagefähig sind. Ihr widerspricht auch das nunmehr in der GJ III gesammelte Material, das gerade für das 15. Jahrhundert von der starken Verbreitung des Klein- und Mittelkredits in Form der Pfandleihe charakterisiert ist. Es offenbart auch in der strukturell veränderten und zunehmend in (politischer, nicht wirtschaftlicher!) Krise befindlichen Spätphase der jüdischen Geldleihe eine breite und routinehafte Beanspruchung von Kredit durch die städ-

Problematik wirtschaftlicher Erklärungsmodelle

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Diskussion um die Bedeutung der Geldleihe

Siedlungsgeschichte und historische Raumforschung

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

tische und ländliche Bevölkerung [122: GILOMEN, Motiv; 140: IRSIGLER, Juden und Lombarden, 130; 103: MENTGEN, Studien, 502–42; 188: ZIWES, Kapitalmarkt; 176: TOCH, Wirtschaftliche Tätigkeit]. Umstritten ist die wirtschaftliche Bedeutung der jüdischen Geldleihe. Die ältere allgemeine Forschung konnte daran nichts Nützliches entdecken, war ihr doch schon der Quellenbegriff „Wucher“ moralisch vorbelastet [dazu 402: HSIA, Usurious Jew]. Einiges davon ist noch in der neueren Forschung zu finden, etwa im Urteil von KELLENBENZ: „Man ging nur in höchster Not zum Wucherer“ [143: Die Juden, 216; ähnlich 399: HOYER, Armlederbewegung, 86]. Weniger extrem, jedoch ebenso konsequent formulierte neulich GILOMEN: „Gerade bei den kleinen Darlehensschuldnern standen reine Notkredite im Vordergrund ... Für die Wirtschaft insgesamt wird dieser Kreditform (dem verzinslichen Darlehen der Lombarden und Juden) von den besten Kennern eine doch nur marginale Rolle zugebilligt“ [121: Wucher, 292, 294]. Diese Sicht verkennt, daß königlicher oder adeliger Aufwand und Luxus eine hochpolitische und damit auch wirtschaftliche Rolle gespielt haben. Mit der quellenmäßig nicht belegbaren Ansicht, daß „die Juden spätestens im 14. Jahrhundert im wesentlichen auf das kleine Pfandleihgeschäft beschränkt wurden“ [121: GILOMEN, Wucher, 274] übergeht sie für eben dieses Jahrhundert die wichtige Funktion des jüdischen Geldkredits bei der Territorienbildung [167: TOCH, Geldhandel; 97: HAVERKAMP, Balduin; 103: MENTGEN, Studien, 465–502; 182: WENNINGER, Erfurt; 119: BURGARD, Funktion] wie auch in der städtischen Handelsund Gewerbewirtschaft [140: IRSIGLER]. Für das 15. Jahrhundert stellt sich tatsächlich die Frage der sehr zahlreichen kleinen Konsumkredite mittel- und unterbürgerlicher städtischer Schichten wie auch der Landbevölkerung, und überhaupt die Tatsache der so ungemein vielfältigen Kreditbeziehungen, von denen der mit Pfändern abgesicherte Barkredit der Juden nur einen, wenn auch exponierten Aspekt darstellt. Wie glatt jüdische und nichtjüdische Geldleihe ineinander übergingen und sich gegenseitig ergänzten, haben M. WENNINGER und F. BURGARD in Fallstudien zu Erfurt und Trier gezeigt [182; 119]. Es bleibt ein Desideratum der Forschung, eine Gesamttypologie von „Finanzstandplätzen“ zu errichten, in denen der von Juden und Christen begehrte und gewährte Kredit zusammen untersucht wird. Die „Nachfrage nach Juden“ war nicht nur ein wirtschaftsgeschichtliches Phänomen und ihre Niederlassung – die Siedlungsgeschichte – gehorchte auch weiteren Gesetzlichkeiten, deren sich die Forschung unter dem Leitbegriff „historische Raumforschung“ zunehmend annimmt. HAVERKAMP hat dazu das Konzept der Urbanisierung

B. Probleme und Tendenzen der Forschung

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wie auch den diffizileren Begriff der Urbanität in die Diskussion eingeführt [97: Balduin, 443–5; 389: Lebensbedingungen, 17–20]. Eine Gesamtauswertung der siedlungsgeschichtlichen Daten des Spätmittelalters brachte TOCH [171: Siedlungsgeschichte]. Allerdings ist hier noch Grundlagenforschung zu treiben, besonders auf dem Gebiet der kartographischen Umsetzung siedlungsgeschichtlicher Befunde, die im Kartenwerk der GJ I-II keineswegs befriedigend gelöst ist. Die Trierer Schule geht dazu im regional begrenzten Rahmen den Weg der kartographisch detaillierten Neuaufarbeitung sämtlicher siedlungsgeschichtlichen Nachrichten [139: HAVERKAMP, Zur Siedlungs- und Migrationsgeschichte; 111: ZIWES, Studien; 103: MENTGEN, Studien; weitere Arbeiten stehen vor der Fertigstellung]. Als wichtigstes heuristisches Prinzip dient die Theorie der „zentralen Orte“ Walter Christallers, in die auch die intern-jüdischen Zentralitätsmerkmale der kultisch-religiösen Funktionen eingearbeitet werden [111: ZIWES, Studien, 19 f., 73–97; Zusammenfassung der Forschungsergebnisse bei 391: HAVERKAMP, Concivilitas, 108–13]. In ähnliche Richtung geht, allerdings ohne theoretische Grundlegung, die Arbeit D. ANDERNACHTS zum Frankfurter Friedhof [113]. Gegenüber solchen feinmaschigen Untersuchungen zielt der Verfasser in einer neueren Studie auf ein kartographisches Gesamtbild der räumlichen Ausbreitung jüdischer Ansiedlung im ganzen mittelalterlichen Reich [175: TOCH, Formation]. Er stützt sich auf die Angaben der GJ I-III, die jedoch für zahlreiche Regionen bereits jener Korrektur bedarf, wie sie bisher nur ZIWES und MENTGEN für den Mittelrhein und das Elsaß bereitgestellt haben [111; 103]. Auch erweist sich erneut die begrenzte Erklärungskraft des wirtschaftsgeschichtlichen Ansatzes, und die Notwendigkeit, diesen durch ein Doppelmodell der Siedlungsentwicklung, im Gefolge von Pogromen wie auch durch herrschaftliche Initiative bzw. Retardierung, zu ergänzen [175: TOCH, Formation; 111: ZIWES, Studien, 97–174]. Nicht nur der weiträumige Aspekt der Siedlungsgeschichte, sondern auch das örtliche Judenviertel, das sog. „Ghetto“, ist von ALFRED HAVERKAMP erneut in den Mittelpunkt der Forschung gestellt worden [138: Jewish Quarter]. Methodisch geht es dabei um um die Integration jüdischer Geschichte mit den Fragestellungen der modernen Stadtgeschichtsforschung, mit Problemen wie Stadttypologie, Bevölkerungs- und Baudichte, Stadt-Land-Beziehungen. Neue Einsichten in den mentalitätsgeschichtlichen Aspekt der städtischen Topographie, zu den Übergängen von der Privatsphäre zum christlichen und jüdischen „public space“, vermitteln nunmehr MARCUS [287: Rituals of Childhood, 75– 83, 105–7] und GUGGENHEIM [79: Vorarbeiten].

102 Historische Migrationsforschung

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

Ein weiteres Problem betrifft die Wanderungsbewegungen der Juden. Einen typologischen Überblick bringt TOCH [174: Migrations], Einzelfragen sowohl der Binnenwanderung wie auch der bisher unterschätzten Einwanderung aus Frankreich bearbeiten BURGARD [118], ZIWES [111: Studien, 174–220] und MENTGEN [103: Studien, 77–123]. Die sozialen Auswirkungen der erhöhten geographischen Mobilität im Spätmittelalter untersucht GUGGENHEIM [137: Meeting]. Über die spätmittelalterliche Auswanderung nach Italien sind wir relativ gut unterrichtet [Zusammenfassung und Literatur bei 174: TOCH, Migrations]. Immer wieder erwähnt, jedoch kaum präzisiert wird die Emigration nach Polen, zu der die Quellen sehr spärlich und schwer zu interpretieren sind [179: WEINRYB, 17–32; 304: TA-SHEMA, On the History of Polish]. Unerklärt sind vorläufig die slawischen Vornamen von in Potsdam und Magdeburg begrabenen Jüdinnen, denen nichts ähnliches auf männlicher Seite entspricht [116: BROCKE]. Sie finden auch keine Entsprechung im reichen Namensgut des kürzlich entdeckten Würzburger Friedhofs [Mitteilung von K.-H. MÜLLER/Würzburg]. Dagegen sind slawische Namen bei den jüdischen Frauen in Böhmen recht häufig [GJ III/3, Namensregister]. Dies ist neues Material zu einer alten Kontroverse um die frühe Existenz und Sprache der Juden im slawischen Bereich [183: WEXLER; 115: BIRNBAUM; S. ETTINGER in 88: ROTH, World History, 319–24]. Zu beachten ist allerdings, daß ein ähnliches Phänomen französischer Vornamen schon im Hochmittelalter bei jüdischen Frauen im Rheinland bestand [250: GROSSMAN, Sages of Ashkenaz, 14; 256: DERS., Early Sages of France, 25]. Die direkte Folgerung auf Wanderbewegungen erscheint deshalb schwierig. S. SPITZER hat auf die weniger bekannte Auswanderung ins Osmanische Reich aufmerksam gemacht [160]; hinzuzufügen sind weitere Orte des Mittelmeerraums, besonders Kandia in Kreta [174: TOCH, Migrations]. Ein vom Umfang her sekundäres, wegen seiner geistesgeschichtlichen Bedeutung jedoch intensiv untersuchtes Phänomen ist die Auswanderung von Gelehrten und Studenten nach Jerusalem, von wo Rückwanderer dann sefardisches Geistesgut nach Deutschland mitbrachten [251: GROSSMAN, Ties; 288: REINER; 317: YUVAL, Magie]. 2.2 Rechtsstand Die moderne Erforschung des „Judenrechts“, der rechtlichen Vorstellungen und Einrichtungen, mit der nichtjüdische Herrschaften die Stellung der Juden in der christlichen Gesellschaft zu regeln suchten, hatte mit STOBBE und SCHERER begonnen [86; 463]. Von außerordentlichem Einfluß, bis hin in die Handwörterbücher, war das Werk von GUIDO

B. Probleme und Tendenzen der Forschung

103

KISCH [406; 407]. Der von ihm bestimmte Konsens der Forschung ist in etwa mit folgenden Entwicklungsstufen umrissen: individuelle Privilegierung im Frühmittelalter, kollektiver Einschluß in den kaiserlichen Landfrieden im 12. Jahrhundert, Kammerknechtschaft seit dem frühen 13. Jahrhundert [407: KISCH, Ausgewählte Schriften, I, 47–61; HRG II, 1978, Sp. 456–7]. Erst in jüngster Zeit werden verschiedene Aspekte dieser kanonisierten Anschauung erneut diskutiert. Die noch von I. ELBOGEN in der Einleitung zur GJ I (1917/34) ohne Anstoß formulierte und auf Stobbe und Scherer zurückgehende Idee, daß der frühmittelalterliche Rechtsstatus der Juden auf germanischem Fremdenrecht beruhe, war nach 1945 nicht mehr haltbar [406: KISCH, Jews, 306–16; 407: DERS., Ausgewählte Schriften, I, 214 f.; die ältere Ansicht noch bei E. DIETRICH, Saeculum 3, 1952, 95, und 71: BARON, SRH, IX, 139]. Statt dessen betonte man in Fortführung früherer Ansätze die Bedeutung des spätrömischen Bürgerrechts für die Ausformung des mittelalterlichen Rechtsstatus [die ältere Literatur bei 412: LANGMUIR, Tanquam, 168 f.; zusätzlich 422: LOTTER, Entwicklung, 44– 7; 452: PATSCHOVSKY, Rechtsverhältnis, 335 f.]. Weiter gewirkt hat jedoch die mit der Idee des Fremdenrechts verquickte Überzeugung der Herausgeber der GJ I, daß „für die Juden eine besondere Aufnahme in den Königsschutz erforderlich“ gewesen sei, bzw. daß im Frühmittelalter und noch im 11. Jahrhundert „alle Juden in Deutschland ebenfalls irgendeine Art von Schutzbriefen besessen haben müssen“ [77: GJ I, XX u. Anm. 39]. Konkret geht es um die Überbrückung zwischen insgesamt drei nur als Formulare überlieferten karolingischen Privilegien und den nicht zahlreicheren Urkunden Heinrichs IV. aus dem späten 11. Jahrhundert [zur Überlieferung 464: SCHIFFMANN, Urkunden. Nicht überzeugen kann der Versuch, die Authentizität der letzteren erneut in Zweifel zu ziehen: ZRG GA 112, 1995, 408–12]. KISCH bemühte sich um den Nachweis, daß die karolingisch/salische Privilegierung kein kollektives Ausnahmerecht geschaffen habe [407: Ausgewählte Schriften I, 47–55; ähnlich 486: WILLOWEIT, Königsschutz, 73]. Nach LOTTER muß es eine Zwischenstufe ottonischer Privilegien gegeben haben, auch wenn solche nicht überliefert sind [421: Symbiose; 422: Entwicklung, 54]. In ihrer Abwesenheit postuliert er gegen Kisch ein allgemein verbindliches karolingisches und, darauf aufbauend, ein ottonisch-salisches Gewohnheitsrecht für die Juden, das bis etwa Mitte des 13. Jahrhunderts tatsächlich geltendes und auch praktiziertes Recht dargestellt haben soll [426: Geltungsbereich, 29–40]. Die von PATSCHOVSKY eingebrachte Unterscheidung zwischen privilegierten und nichtprivilegierten Juden [452: Rechtsverhältnis, 333–6] kommt der Wirklichkeit wohl nä-

Guido Kisch und die Erforschung des „Judenrechts“ der Obrigkeiten

Germanisches Fremdenrecht?

Kein Rechtsstatus ohne ausdrückliche Privilegierung? Ein Fall positivistischen Rechtsdenkens

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Formalrechtlicher Schutz und tatsächliche Schutzlosigkeit: das Primat der Politik

Die Diskussion um die Quellen der Kammerknechtschaft

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

her als eine Ansicht, die sich kein jüdisches Leben ohne amtliche Zulassung vorstellen kann. Einig ist sich die Forschung in der Feststellung, daß die Privilegierungen noch keine rechtliche Benachteiligung und Freiheitsminderung erkennen lassen [zuletzt 452: PATSCHOVSKY, 341]. Strittig bleibt unterdessen, ob die Privilegien nur Einzelpersonen oder schon Gemeinden verliehen wurden [verneinend 407: KISCH, Ausgewählte Schriften I, 53; bejahend 418: LOHRMANN, Judenrecht, 27 f., ebenso schon für das 9. Jahrhundert 426: LOTTER, Geltungsbereich, 28– 9]. Eine Lösung des Widerspruchs dürfte in der Anwendung des Begriffes von Personen-“Verbänden“ liegen, die im Personenverbandsstaat der Ottonen- und Salierzeit wohl Funktionen der erst später konstituierten Gemeinden wahrnahmen. Die nächste Phase der Rechtsentwicklung wurde durch die Verfolgungen von 1096 ausgelöst und bestand im allgemeinen Einschluß der Juden in den kaiserlichen Landfrieden. Für KISCH war dies der Höhepunkt überhaupt: „Der Schutz der Juden wird zum Gegenstand des öffentlichen Strafrechts erhoben und erlangt damit in jeder Hinsicht die größte Ausdehnung und höchste Garantie, die ihm während des Mittelalters je zuteil geworden sind“ [407: Ausgewählte Schriften I, 57]. Es ist eine ironische Tragik, daß der Niedergang der konkreten Rechtssicherheit gerade in dieser Periode formalrechtlichen Schutzes begann, eine Einsicht, der sich KISCH als ein auf Rechtsstaat und Staatsbürgerschaft vertrauender deutscher Jude konsequent verschlossen hat. Nur ein Bewußtsein, das Recht vom historischen Kontext abkoppelt (letzten Endes eine spezifisch deutsche Trennung von Staat und Gesellschaft), konnte dazu anmerken: „hätte sich die rechtliche Entwicklung in dieser Richtung ungestört von religiösen, politischen und sozialen Einflüssen vollenden können, so wäre sie im Rahmen des allgemeinen Strafrechts vor sich gegangen . . . Aber auf dem Gebiet des Judenschutzrechts ist der Gang der organischen Entwicklung wiederum vorzeitig abgebrochen worden.“ [407: Ausgewählte Schriften, I, 59]. Dagegen ist es erklärte Absicht von K. LOHRMANN, die Gestaltung des Judenrechts gerade durch die politischen Voraussetzungen zu erklären [418: Judenrecht, 14–23]. Das gleiche methodische Anliegen steht hinter seiner Untersuchung des Sachsen- und Schwabenspiegels, beides Quellen, die Kisch ausgiebig zur Darstellung der Niederganges benutzt hatte [419: LOHRMANN, Rechtsstellung; 406: KISCH, Jews, 153–168]. Beide Spiegel werden nunmehr, zusammen mit weiteren Quellen, in der Dissertation von C. MAGIN zum Status der Juden in den deutschen Rechtsbüchern untersucht [430]. Die neuere Forschung hat die von KISCH postulierte Zäsur des Landfriedens von 1103 nicht akzeptiert, ohne dies jedoch eingehend zu

B. Probleme und Tendenzen der Forschung

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begründen [486: WILLOWEIT, Königsschutz, 79; 418: LOHRMANN, Judenrecht, 31; etwas ausführlicher 452: PATSCHOVSKY, Rechtsverhältnis, Anm. 59]. Das hauptsächliche Interesse gilt der Ausbildung der Kammerknechtschaft, die oft als Paradigma jüdischer Existenz im Mittelalter dient [zur Forschungsgeschichte 412: LANGMUIR, Tanquam, 167– 74]. Sie wurde lange Zeit als etwas singulär Deutsches betrachtet, das allein das Verhältnis der Juden des Reichs zum Kaiser charakterisierte und höchstens von der theologischen Lehre der Knechtschaft der Juden beeinflußt war [370: FISCHER, 3; 407: KISCH, Ausgewählte Schriften, I, 59–90; 71: BARON, SRH, IX, 135–152]. Die neuere Forschung stellt dagegen das Problem in einen gemeineuropäischen Zusammenhang [412: LANGMUIR, Tanquam; 452: PATSCHOVSKY, Rechtsverhältnis]. KISCH ließ die Neuregelung des Judenrechts mit dem Privileg Friedrichs II. von 1236 beginnen und sah in der Deklarierung der Juden als Sonderklasse der Bevölkerung einen grundlegenden Wandel, eben den Beginn des Niedergangs [407: Ausgewählte Schriften, I, 59–90]. Die neuere Forschung diskutiert sowohl den zeitlichen Ansatz, die Hintergründe wie auch die Konsequenzen dieser Entwicklung. Aus dem Vergleich zur iberischen, französischen und englischen Praxis hat LANGMUIR eine wesentliche, wenn auch umstrittene Interpretation gewonnen [412: Tanquam Servi; Kritik bei 452: PATSCHOVSKY, Rechtsverhältnis, Anm. 46]. Gerade weil die Herrschaftsrechte an den Juden im Reich unsicher und in der Praxis schon längst geteilt waren, haben die deutschen Kaiser den Begriff der Kammerknechtschaft entwickelt, eine Metapher oder Analogie, die ihren Alleinanspruch bekräftigen sollte. In gewissem Sinn führt diese Sicht zu früheren Ansätzen zurück, die die Konkurrenz zwischen Papst- und Königtum auch in Bezug auf die Herrschaft über die Juden betonten [75: CARO, I, 408–13; 71: BARON: SRH IX, 136– 147; Kritik bei 452: PATSCHOVSKY, Rechtsverhältnis, Anm. 82]. Einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der endgültigen Formulierung der Kammerknechtschaft von 1236, dem kaiserlich-päpstlichen Konflikt und den Spannungen im Umfeld der von papsttreuen Dominikanern getragenen Inquisition, hat jüngst B. DIESTELKAMP dargelegt, dabei aber auch auf den konservativen, abwehrenden Charakter des kaiserlichen Vorgehens verwiesen [367]. Auch für LOHRMANN war die endgültige, scharfe Formulierung von 1236 durch fremde Ansprüche, hier jedoch der Fürsten, ausgelöst, die es abzuwehren galt [418: Judenrecht, 42–46]. Nach PATSCHOVSKY vollzog sich dagegen der Übergang vom frühmittelalterlichen Rechtsstatus, der privilegierte und nichtprivilegierte, unter königlichem Sonderschutz stehende Juden und Gemeinden und davon unabhängige kannte, zum einheitlichen Status der

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Fallstudien zum spätmittelalterlichen königlichen Judenregal

Fürstliche und städtische Herrschaft über die Juden weitaus bedeutender als die königliche

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

Kammerknechte bereits in der Zeit Friedrichs I. und als Teil von dessen systematisch betriebener Regalienpolitik [452: Rechtsverhältnis, 360]. Der kirchlichen Lehre kam dabei nur eine sekundäre Rolle zu. Für WILLOWEIT war wie für KISCH dagegen der kirchliche Aspekt von tragender Bedeutung: die Erklärung Friedrichs II. bedeutete eine „Juridifizierung der Theologie von der beständigen Knechtschaft der Juden“ [486: WILLOWEIT, Königsschutz, 84]. Zu einem Zwangsinstitut mit unmittelbaren juristischen Konsequenzen kommt es jedoch erst im weiteren mit der Territorialisierung und Reifizierung des Judenrechts im späten 13. und frühen 14. Jahrhundert [ebenda, 87], bis hin zur Sachherrschaft, die Juden als Leibeigene des Königs und ihren Besitz als eigenmächtig verfügbar behandelt [452: PATSCHOVSKY, Rechtsverhältnis, 366 f.]. Die uneinheitliche Handhabung des spätmittelalterlichen königlichen Judenregals wird in einer Reihe von neueren Studien untersucht [allgemein 341: BATTENBERG, Kammerknechte, 563–9; 487: WILLOWEIT, Rechtsstellung; zu einzelnen Herrschern 348: BORK, Politik; 468: SCHUBERT, Probleme]. Sie wird hauptsächlich unter dem Blickpunkt der finanziellen Ausbeutung gesehen [dazu in Detailfülle 336: AUFGEBAUER/SCHUBERT, Königtum], daneben wird immer wieder die Konkurrenzsituation zu anderen Mächten sichtbar, und verbunden damit die grundsätzliche Bemühung, mit dem Judenregal Elemente der Königsherrschaft an sich zu bewahren. Dazu gehört auch die Einsetzung der sog. Reichsrabbiner und die Einberufung jüdischer Bevollmächtigter zu Treffen am Rande von Reichstagen. Es erscheint übertrieben, solche Versuche im Sinne einer „Stärkung des überterritorialen Zusammenhaltes der Juden im Rahmen des Reichsgebietes“ aufzuwerten, die „ein erneutes Vertrauen der Juden in die kaiserliche Zentrale“ begründet, „eine Art Reichsbewußtsein“ geschaffen [72: BATTENBERG, Europäisches Zeitalter, 117, 137 f., 150–157] oder die Juden „wieder zu einer königsnahen Sozialgruppe“ gemacht hätten [103: MENTGEN, Studien, 317]. Eine solche obrigkeitliche Organisierung von Judenschaften ist wohl eher auf der Ebene der Territorien zu suchen, konnte sich aber auch hier, angesichts der Auflösungstendenzen des Spätmittelalters, nur beschränkt entwickeln. Es ist eine nur aus der Tradition des Primats der Reichspolitik erklärbare Ironie der Forschungsgeschichte, daß die königliche Kammerknechtschaft seit langem intensiv beackert wurde, die Ausbildung der für das konkrete Leben der Juden jedoch viel bedeutsameren fürstlichen und städtischen Herrschaft dagegen nur geringes Interesse erregt hat. Für das fürstliche Judenregal sind nunmehr die Arbeiten von LOHRMANN zu Österreich [418] und HAVERKAMP zum Erzstift Trier heranzu-

B. Probleme und Tendenzen der Forschung

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ziehen [97; vgl. auch die beiden in 98: EBENBAUER/ZATLOUKAL]. Dem städtischen Aspekt ist schon H. FISCHER 1931 in einer gründlichen, bis heute nicht überholten Studie nachgegangen [370: Verfassungsrechtliche Stellung, 52–150]. In Anlehnung an FISCHER hat HAVERKAMP jüngst das Problem des städtischen Bürgerrechts der Juden aufgegriffen und für das 13./frühe 14. Jahrhundert die herrschende Meinung von der Diskriminierung der Juden in der städtischen Rechtsordnung in Frage gestellt [391]. HAVERKAMP konstatiert auf Grund der Formen der Aufnahme in die Bürgerschaft eine „weitreichende rechtliche Gleichstellung der Juden mit den christlichen Bürgern“, wobei jedoch zu bedenken ist, ob die formellen Attribute eines einigermaßen gleichen Bürgerrechts die anderswo verankerte Diskrimierung ausgleichen konnten. Gleichermaßen in Präfiguration des modernen Assimilationsprozesses sei der Preis für die formalrechtliche Gleichstellung die Unterminierung der jüdischen Gemeinde gewesen. Das Endergebnis war jedoch, auch nach Haverkamp, nicht ein Aufgehen der Juden in den allgemeinen Bürgerverband, sondern gerade die entgegengesetzte Entwicklung eines rechtlichen Sonderstatus in Form des zeitlich und sachlich begrenzten Schutzverhältnisses. Wichtige Aspekte dieses regional und örtlich zersplitterten spätmittelalterlichen Judenrechts hat BATTENBERG herausgearbeitet [340]. Dabei steht das zeitlich beschränkte Einzelprivileg, der Schutzbrief, im Vordergrund. Für dessen Aufkommen erwägt F.-J. ZIWES mögliche französische Vorbilder des frühen 14. Jahrhunderts und damit einen früheren Ansatz für den endgültigen Wandel im Rechtsstatus der mittelalterlichen Juden [111: Studien, 191–2]. Eine systematische, auf dem reichen Material der GJ III beruhende Darstellung der spätmittelalterlichen Situation in den Städten, Territorien und auf Reichsebene bringt nunmehr WILLOWEIT [487]. Fast nicht erforscht ist das politische Bewußtsein der Juden selbst, die Frage, wie sie sich in das unübersichtliche Durcheinander politischer Kräfte und Institutionen einordneten. Einen ersten allgemeinen Beitrag dazu hat Y. YERUSHALMI geleistet [489], der über die Analyse des talmudischen Rechtsgrundsatzes Dinej de-Malchuta Dinej („die Gesetze des Königtums sind Gesetz“) und seiner mittelalterlichen Ausdeutung die grundsätzliche Neigung zum „Königsbündnis“ betont. Dagegen interpretiert AMOS FUNKENSTEIN denselben Grundsatz im dialektischen Sinn: „It is as much a principle of disobedience as it is a principle of obedience“ [8: Perceptions, 157]. Die Ausbildung eines kirchlichen Judenrechtes gehört zwar nur begrenzt zur deutschen Geschichte, die Auswirkungen waren jedoch, wie schon in der Diskussion um Wucher und Kammerknechtschaft an-

Der Schutzbrief

Das „Königsbündnis“ der Juden

Einfluß des kirchlichen Judenrechts

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Formale Schutzurkunde und tatsächliche Schutzausübung

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

gedeutet, natürlich auch im Reich fühlbar. H. LIEBESCHÜTZ hat diesem Problem im gesamteuropäischen Rahmen ein reiches und zu Unrecht kaum zur Kenntnis genommenes Werk gewidmet [414]. Eine systematische Grundlage haben BLUMENKRANZ [343] und A. LINDER [416] für das Frühmittelalter gelegt, PAKTER [449] und LOTTER [422: Entwicklung, 45–56; 422a: DERS., Ausbildung] für das Hochmittelalter. Als zentrales Element hat LOTTER anhand der Sklavenfrage und dem Problem der Zwangstaufe den Gegensatz zwischen kirchlichem und kaiserlichem Judenrecht herausgearbeitet [426: Geltungsbereich, 40–60]. Während des Interregnums sei das Kirchenrecht vornehmlich in Süddeutschland vorgedrungen und dann von König Rudolf I. übernommen worden, der auch die päpstliche Schutzherrschaft über die Juden anerkannte [426: ebenda, 62]. Welche konkrete Wirkung diesem Vorgang zukam, ist angesichts der oben behandelten rasch abnehmenden Relevanz des königlichen Judenregals schwer abzuwägen. Auch kirchliche Auffassungen drangen nur langsam ein, wie die Diskussion um die erst im Spätmittelalter wirksame Rezeption der Wuchergesetzgebung ergeben hat. Eine grundsätzliche Schwierigkeit ergibt sich aus der häufigen Tendenz der Forschung, die bloße Erteilung von Schutzurkunden mit effektivem Rechtschutz gleichzusetzen [etwa 348: BORK, Politik; 341: BATTENBERG, Kammerknechte, 567–9; 426: LOTTER, Geltungsbereich, 37]. Dem ist schon OTTO STOBBE begegnet: „solche Privilegien waren der Ausfluß vorübergehender menschlicher Erregung oder waren von Juden mit schwerem Geld erkauft . . . Die Schutzlosigkeit blieb im Allgemeinen immer dieselbe, gleichviel ob ein Privileg ertheilt war oder nicht“ [86: Juden, 45; ähnlich 336: AUFGEBAUER/SCHUBERT; 468: SCHUBERT. Grundsätzliches zur Verwechslung von sozialer Realität und Rechtsordnung bei 486: WILLOWEIT, Königsschutz, 86–89]. Auch damit ist die Frage noch nicht erledigt: die früh- und hochmittelalterliche Privilegierung ist Handlungsanweisung, nicht Praxis, die Durchsetzung war Sache des Privilegienbesitzers. Genau in dieser Hinsicht war die Stellung der Juden in den Krisenzeiten des späteren 13. bis mittleren 14. Jahrhunderts eine äußerst schwache. Im Spätmittelalter dagegen wird die Privilegierung zum Instrument herrschaftlicher Machtpolitik, und gerade in dieser Zeit kann nicht von einer durchgehenden Schutzlosigkeit ausgegangen werden, wie die Forschungen im Umfeld der GJ III ergeben haben [487: WILLOWEIT, Rechtsstellung; 475: TOCH, Spätmittelalterlichen Verfolgungen]. Die nunmehr vergleichsweise gefestigte städtische und fürstliche Herrschaft hat – außerhalb von Pogromen – auch den Juden effizienten strafrechtlichen Schutz verliehen. In

B. Probleme und Tendenzen der Forschung

109

diesen Komplex gehört auch die Frage der vermögensrechtlichen Sicherheit, die in der älteren Forschung durchgehend negativ beurteilt und kürzlich von WILLOWEIT [487] und LOHRMANN [420] neu aufgeworfen und günstiger beantwortet wurde. Eine interessante Sonderentwicklung hat HAVERKAMP mit der nur im Erzstift Trier seit dem früheren 14. Jahrhundert bezeugten „Erbeigenschaft“ herausgearbeitet [98: Juden im Erzstift, 74 f.]. Sie sollte einen Anspruch des Landesherrn auf den Vermögensnachlaß der Juden begründen und hat deren Freizügigkeit erheblich behindert [188: ZIWES, Kapitalmarkt, 68 f.]. Im Alltag der spätmittelalterlichen Situation sind einige neuere Forschungen angesiedelt, die die „kleine“ Rechtswirklichkeit zu ergründen suchen [Ansätze bei 474: TOCH, umb gemeyns nutz; methodisch wegweisend 353: BURGHARTZ; s. a. 437: MENTGEN, Rottweil]. Ein Sonderproblem stellt die seit den Privilegien des 11. Jahrhunderts bezeugte und bis in die Frühneuzeit wirksame Ausnahmestellung von Juden (und Lombarden) in Bezug auf verpfändetes Diebesgut dar. Schon STOBBE, CARO und ELBOGEN haben die Herkunft dieses Vorrechts aus dem jüdischen Recht erklärt [86: STOBBE, 120, 242; 75: CARO, I, 181; 77: GJ I, Einleitung, XXI], wenngleich auch dagegen Kritik vorgebracht wurde. Die antisemitische Ausschlachtung der dann als „Hehlerrecht“ bezeichneten Einrichtung hat den Einspruch von KISCH hervorgerufen, der überhaupt vehement gegen die Idee einer Beeinflussung des herrschaftlichen Judenrechts durch das interne jüdische Recht antrat [407: Ausgewählte Schriften, I, 107–136, 197 f.; ihm folgend 486: WILLOWEIT 75 f. und HRG II, 37 f.]. Unter behutsamer Ausräumung der emotionellen Hindernisse hat LOTTER nunmehr überzeugend die direkte Übernahme der betreffenden Verfügungen in den Privilegien Heinrichs IV. aus dem jüdischen Recht nachgewiesen [425]. Zur Umgehung des antisemitisch aufgeladenen Begriffes „Hehlerrecht“ schlägt er die vom hebräischen Takanat ha-Schuk (Marktordnung) abgeleitete Bezeichnung „Marktschutzrecht“ vor, die sich tatsächlich in der Forschung einzubürgern beginnt. Wie noch auszuführen ist, kann die alte Vorstellung einer totalen Barriere zwischen Christen und Juden nicht mehr aufrechterhalten werden (unten, II.B.3). Es mehren sich die Fälle, in denen ein Mitspracherecht der Juden bei der Besteuerung bzw. ihr Eingreifen in Krisensituationen erkannt wird [336: AUFGEBAUERSCHUBERT, 302 f.; 354: CHAZAN, Frederick]. In diesem Sinn stellt sich das „Marktschutzrecht“ als die früheste quellenmäßig faßbare Beeinflußung der christlichen Herrschaft durch jüdische Verhandlungspartner dar, deren Vorstellungen natürlich vom eigenen Recht geprägt waren. Daß das „Marktschutzrecht“ in seiner vollen Geltung als proble-

„Hehlerrecht“ – „Marktschutzrecht“

110

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

matisch empfunden wurde, zeigt die erhebliche Modifikation im „Sachsenspiegel“ (etwa 1215–1235) [407: KISCH, Ausgewählte Schriften, I, 130 f.] wie auch in späteren Schutzurkunden. Auch auf jüdischer Seite gab es immer wieder Warnungen gegen Mißbrauch [ebenda, 131–4].

Mittelalterliche Judenfeindschaft und moderner Antisemitismus

Allgemeine Versuche der Interpretation

2.3 Judenfeindschaft Die Verfolgungen sind der gründlichst erforschte Aspekt des christlichjüdischen Verhältnisses. Schon die ersten Quelleneditionen hatten sie zum Gegenstand [40: NEUBAUER-STERN, Hebräische Berichte; 41: SALFELD, Martyrologium], es folgte ein heute kaum mehr übersehbares Schrifttum, das den jeweiligen zeitgeschichtlichen Bezug wie auch die Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Standpunkten widerspiegelt. Eine Typologie der vielfältigen interpretatorischen Richtungen bringt S. ETTINGER [369]. Zumeist unreflektiert wird die mittelalterliche Judenfeindschaft vom modernen Antisemitismus abgehoben, was jedoch der Begründung bedarf [s. zuletzt 481: WALZ]. Ebenso weitverbreitet ist die Neigung, die Judenfeindschaft als allgegenwärtige, zur christlichen Kultur gehörende Konstante zu betrachten [Grundsätzliches dazu bei 8: FUNKENSTEIN, Perceptions, 201 f., 311–325]. Unzweifelhaft ist, daß der Judenhaß ein gesamteuropäisches Phänomen darstellt, das sich an verschiedensten Orten ähnlicher Terminologie und Vorstellungen bediente. Der Einstieg in die Forschungsliteratur sollte deshalb im breiteren Rahmen geschehen, wie ihn die bibliographischen Aufsätze von STOW [30], MARCUS [18] und J. COHEN [3] bieten. Knappe, jedoch grundsätzliche Anmerkungen zur Grundlegung der mittelalterlichen Judenfeindschaft im Ausschließlichkeitsanspruch beider Religionen wie auch im Anders-Sein beider Gruppen bringt J. KATZ [268: Exclusiveness, 3–23]. Eine geraffte, notwendigerweise die unterschiedlichen Forschungsmeinungen nur streifende Zusammenschau über das gesamte Mittelalter legen PATSCHOVSKY [450] und GRAUS [382; 384] vor. Die gründlichste Auseinandersetzung mit dem Problem bietet GRAUS in seinem Monumentalwerk zur Krise des Spätmittelalters [383]. Dennoch bleibt seine Gesamtkonzeption einer tiefgehenden Verunsicherung der Menschen des 14. Jahrhunderts als Erklärungsmodell für einen bereits über vorherige Jahrhunderte gewachsenen Judenhaß letztlich unüberzeugend [zur Kritik DA 43, 1987, 284 f.; Speculum 66, 1991, 160–3]. Erste Elemente eines komplexen Zuganges hat AMOS FUNKENSTEIN mit seiner Anschauung entwickelt, daß „the confrontation between the religions was first and foremost a historical process of alienation and antagonism rather than a dogmatic-theological clash of beliefs“ [8: Perceptions, 170].

B. Probleme und Tendenzen der Forschung

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2.3.1 Die Frühzeit Trotz der judenfeindlichen Tradition der spätantiken und frühmittelalterlichen Kirche war die Frühzeit der Juden im Reich größtenteils frei von Anfechtungen. LANGMUIR erklärt dies aus dem Wesen des fränkischen Christentums, das sich in seiner sozialen Dimension und kulturellen Identität (noch) nicht von der jüdischen Präsenz bedroht fühlte [410: From Ambrose, 348 f.]. LOTTER spricht sogar von einem „recht engen Vertrauensverhältnis zwischen ottonischen Herrschern und Juden“ [421: Symbiose, 2]. Dagegen ist auch hier zu bedenken, daß die jüdische Präsenz in den nördlichen und östlichen Teilen des Karolingerreiches, auch des ottonischen Reiches, vorläufig noch eine quantité negligeable darstellte [175: TOCH, Formation]. Ungeachtet verschiedenster Zugänge ist sich die Forschung einig, daß die ersten Anfechtungen aus der kirchlichen Missionspolemik kamen: So die Tiraden des Agobard von Lyon im frühen 9. Jahrhundert [414: LIEBESCHÜTZ, 55– 94] wie auch ein mit Austreibung gekoppelter Versuch der Zwangstaufe aus Mainz um 937 [422: LOTTER, Symbiose]. Unklar in der Motivation (Zwangstaufe?) wie auch im Ablauf bleibt eine anscheinend auf 1012 anzusetzende Vertreibung aus Mainz durch König Heinrich II., sagenhaft eine weitere Zwangstaufe in Trier 1066. Angesichts der an der Mainzer Affaire geübten Quellenkritik [479: TYKOCINSKI, Verfolgung] bleibt offen, ob sie zusammen mit zeitnahen Zwangstaufen in der Normandie und Limoges tatsächlich eine „initial crisis for Northern European Jewry“ darstellte, von denen eine direkte Linie zu den Verfolgungen von 1096 führt [355: CHAZAN, 1007–1012]. Die Fülle der 1996 in Israel, Deutschland und den Vereinigten Staaten anläßlich des neunhundertsten Jahres der Kreuzzugspogrome abgehaltenen Symposien mag dazu neue Einsichten bringen. 2.3.2 Kreuzzüge Die Verfolgungen des Jahres 1096 stellen eines der schwierigsten Kapitel in der Geschichte der europäischen Juden dar. Für die Ereignisgeschichte ist immer noch S. SCHIFFMANN heranzuziehen [465: Die deutschen Bischöfe], eine neuere knappe Schilderung bringt J. RILEY-SMITH [454]. Detailliert und erschöpfend ist die nichtjüdische wie jüdische Quellen verwertende Darstellung von CHAZAN [357: European Jewry]. Die lateinischen chronikalen Quellen [aufgeführt bei 454: RILEY-SMITH, 56–8] äußern sich zu den Ereignissen nur ganz kurz und dementsprechend lapidar hat sich die Geschichtsschreibung der Kreuzüge damit befaßt [zur Diskrepanz in den Schwerpunkten und Beurteilungen zwischen „allgemeiner“ und „jüdischer“ Geschichtsschreibung s. 16:

Die Frühzeit – Fehlen von aktiver Judenfeindschaft oder Judenfreundschaft

Darstellungen der Ereignisse von 1096

112 Die Diskussion um die Motive des Judenmordes

Zweiter und Dritter Kreuzzug und der Wandel der hochkirchlichen Einstellung zu den Juden

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

LANGMUIR, Majority History]. In Bezug auf die Motive der Kreuzfahrer zum Judenmord bestehen gewichtige Unterschiede in der Beurteilung durch die ältere und die neuere Forschung. Die frühere Ansicht, die die Gründe für die Verfolgungen bei den Juden selbst fand, besonders in ihrem wirtschaftlichen Verhalten als Geldleiher oder den Handel monopolhaft beherrschende Kaufleute, geht nach heutigem Verständnis fehl [178: TOCH, Wirtschaft und Verfolgung]. Vielmehr ist sich die neuere Forschung einig, daß die Antriebe in den tiefgehenden religiösen Veränderungen der christlichen Gesellschaft zu suchen sind, die mit den Stichworten eucharistische Frömmigkeit, Armutsbewegung, Kirchenreform, Endzeiterwartung umschrieben werden können, sich im Laufe des 11. Jahrhunderts entwickelten und in der Kreuzzugsbewegung gipfelten [414: LIEBESCHÜTZ, 95–180; 366: DASBERG; 410: LANGMUIR, From Ambrose; 441: MERTENS]. Mit IVAN MARCUS können diese Entwicklungen auch als ein polemischer „Streit um die rechte Ordnung“ gesehen werden, um Grenzziehungen, die in Bezug auf den jüdischen „Anderen“ in der Form von „social polemics“, als „ritualized public acts directed at the other“, als „rites of violence“, ausgetragen wurden [279: Hierarchies, 7]. Als solche betreffen sie eigentlich nur den agierenden Teil, die christliche Mehrheitsgesellschaft. Jedoch werden nunmehr Stimmen laut, die auch den jüdischen Anteil an den Spannungen erneut zur Diskussion stellen (unten, II.B.3.3). Die weniger umfangreichen Verfolgungen im Umfeld des Zweiten und Dritten Kreuzzugs haben nicht im gleichen Maße das Interesse der Forschung erregt. Die hebräische Quellen dazu sind bei NEUBAUER/ STERN und HABERMAN versammelt [40; 37], die lateinischen verstreut. Die Ereignisse von 1146/7 wurden hauptsächlich mit Blick auf das rettende Eingreifen Bernhards von Clairvaux betrachtet [Bibliographie bei 27: SCHRECKENBERG, II, 176–8; zusätzlich 362: J. COHEN, Witnesses]. Das Jahr 1187/8 kann sich keiner solchen Geistesgröße rühmen, dafür des Kaisers Friedrich I., der, von Mainzer Juden angerufen, energisch gegen die Bedroher durchgriff. Dabei hat ROBERT CHAZAN Reaktionsmuster und Verhandlungstechniken aufgedeckt, die das alte Bild, der Sturm sei hilflos abgewartet worden, korrigieren [354]. Die Tiefenwirkung der im 12. Jahrhundert rasch entwickelten Judenfeindschaft läßt sich weniger an der Ereignisgeschichte als an den gesamteuropäischen Veränderungen in der Einstellung von Kirchenmännern und Intellektuellen abmessen [365: DAHAN, Intellectuels; 27: SCHRECKENBERG, II; 331: ABULAFIA, Christians and Jews]. Das Spiegelbild des sich verhärtenden Verhältnisses findet sich in den Darstellungsweisen und Vorstellungen der jüdischen Chronistik und Exemplenerzählung, die

B. Probleme und Tendenzen der Forschung

113

der christlichen Tendenz zur Grenzziehung und Definierung von Hierarchien folgen [279: MARCUS, Hierarchies; 286: DERS., Jews and Christians Imagining]. 2.3.3 Christliche Phantasien: Ritualmord und Hostienschändung In einem komplizierten Entwicklungsprozeß bricht sich im späteren 12. und frühen 13. Jahrhundert eine neue Form des Judenhasses Bahn, der Diskurs der Wahnvorstellungen. Die klassischen Arbeiten von BROWE [351] und TRACHTENBERG [477] sind in Darstellung und Deutung längst überholt. Eine neuere Gesamtsicht liegt vorläufig nur für das Spätmittelalter vor [400: HSIA, Myth]. Einen Überblick zur Forschungsgeschichte bietet R. ERB in dem von ihm redigierten Sammelband [368: Legende, 9–16], eine kurze Typologie der verschiedenen Varianten der Hostienschändungslegende ANGERSTORFER [211]. Für die Ereignisgeschichte einzelner Verfolgungswellen im Reich, denen verschiedene Anklagen als Auslöser oder Vorwand dienten, sind nunmehr heranzuziehen: für Fulda 1235 DIESTELKAMP [367], für den „Guten Werner“ von 1287 MENTGEN [438], für „Rindfleisch“ 1298 und „Armleder“ 1336–38 LOTTER [424; 423], für die Affairen von Endingen 1470, Trient 1475, Regensburg 1476, Waldkirch/Freiburg 1504 die Ortsartikel der GJ III und HSIA [400; 401], für Sternberg 1492 und Berlin 1510 BACKHAUS [338]. Darstellung und Deutung gehen oft ineinander ein, so bei HSIA und RUBIN [459], die das Ritualmord- und Hostienschändungsmotiv als eigengesetzlichen „Diskurs“ verstehen, wogegen TOCH sie in den Zusammenhang weiterer Manifestationen des Judenhasses stellt [475: Spätmittelalterlichen Verfolgungen]. Die in verschiedenem Ausmaß methodisch der Mentalitätsgeschichte verpflichtete moderne Forschung ist sich in der grundsätzlichen Feststellung einig, daß die Beschuldigungen eine Projektions- oder Sündenbockfunktion einnahmen: die Unsicherheit und Ambivalenz in zentralen Fragen des christlichen Glaubens (Märtyerer-, Heiligen- und Reliquienverehrung, Wunderglaube, Transsubstantiation) wurde auf die einzig bestehende nichtchristliche Gruppe projiziert und mit der Opferung der angeblich Schuldigen in ritualisierten, dem Blutaberglauben entnommenen Formen exorziert [vom Konzept her wegweisend 411: LANGMUIR, Doubt; modellhaft auch 403: HSIA, Blut, Magie]. Allerdings kann dieses Konzept auch zu weit getragen werden, so etwa als Projektion von Christen, die Schuldgefühle für die schlechte Behandlung ihrer eigenen Kinder auf die Juden übertragen hätten, weil diese bekannterweise ihre Kinder besser hegten [469: SCHULTZ, Blood Libel]. Zentral für das neuere Verständnis ist auch die sozial integrative Funktion des Pogroms, wie sie

Projektionsfunktion der Beschuldigungen von Ritualmord und Hostienschändung

Pogrom als sozial integratives Ereignis

114

Thesen zur Entstehung der Ritualmordlegende

Die Yuval-These: die Ritualmordlegende verzerrte Wahrnehmung des Kiddusch ha-Schem

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

D. NIRENBERG in Anlehnung an Natalie Z. Davis herausgearbeitet hat [447]. Eine weitere Funktion ist die der christlich-internen sozialen Kritik, die vorder- oder hintergründig in die Erzählungen, Protokolle und sonstige Quellen eingebracht wird [478: TREUE, Schlechte und gute Christen]. Als wesentliches Verbreitungsmittel des Glaubens an Ritualmord und Hostienfrevel ist die Predigt und Exemplenerzählung, besonders der Mendikanten, erkannt worden [360: J. COHEN, Friars; 429: LOTTER, Judenbild; 379: GRABMAYER; 358: CLUSE]. Im Spätmittelalter werden diese Motive auch im gelehrten Diskurs der Theologen verankert [372: FREY, Ritualmordlüge; 400: HSIA, Myth, 111–35]. Eine wichtige Debatte betrifft Ursprung und Frühgeschichte der Ritualmordlegende. GAVIN LANGMUIR hat dem Problem eine Reihe von Studien gewidmet [411: Toward a Definition]. Demnach wurde die erste mittelalterliche Ritualmordbeschuldigung, der Vorwurf der angeblichen Kreuzigung von Christen, besonders von Kindern, um 1150 in Norwich, England, erhoben, von wo sie sich in einer West-Ost-Wanderung nach Frankreich verbreitete. Davon unterscheidet sich nach LANGMUIR die eigentliche Blutfrevelbeschuldigung (blood libel), die erstmals im frühen 13. Jahrhundert (Stichdatum Fulda 1235) im Reich erhoben wurde, wo sie weit größere Verbreitung fand als irgendwo sonst [413: Ritual Cannibalism]. In Südeuropa hat sich dieses „nördliche“ Hirngespinst in seinen beiden Abarten überhaupt nicht festsetzen können [409: LANGMUIR, L’absence]. Die herkömmliche Wandertheorie England-Frankreich-Deutschland findet sich zuletzt bei LOTTER, der mit Akribie die Norwicher Anschuldigung widerlegt und den Nachweis der Wunderfälschung erbringt [428]. LANGMUIRS Unterscheidung zwischen zwei Ritualmordtypen ist nicht zwingend. Beiden ist gemeinsam, daß Juden des rituell inszenierten und mit magischen Attributen versehenen Christenmordes für fähig gehalten wurden, eine Vorstellung, die sich mit der Wiederholung zum Stereotyp des „mörderischen Juden“ verfestigte. Wichtig ist dabei die Erkenntnis der Entwicklung eines erst unstrukturierten, dann mit der Zeit genauer ausgearbeiteten und ausgeschmückten Idealtyps. Am schwersten wiegt jedoch, daß LANGMUIRS Doppelmodell die Kausalfrage unbeantwortet läßt. Zur Erklärung der Genesis der Vorstellung vom „mörderischen Juden“ hat ISRAEL YUVAL den im Umfeld des 2. Kreuzzugs in Würzburg 1147 vollbrachten Judenmord untersucht, dem eine Beschuldigung des Christenmordes mit ersten Elementen des Ritualmordvorwurfs vorherging [320: Vengeance]. Ohne Rückgriff auf das Doppelmodell stellt für YUVAL diese erste Blutbeschuldigung eine verzerrte Wahrnehmung eines wenige Jahrzehnte zurückliegenden jü-

B. Probleme und Tendenzen der Forschung

115

disches Handelns dar, nämlich der Tötung der eigenen Kinder bei den Verfolgungen von 1096. Dies sei in christlichen Augen in eine jüdische Bereitschaft zum Kindesmord überhaupt umgemünzt worden. YUVALS These hat Widerstand erregt, so etwa von M. BREUER, der die Deutung der Würzburger Ereignisse unter Rückgriff auf Langmuirs Unterscheidung ablehnt und auf der erstmaligen Erscheinung des rituellen Kannibalismus in Fulda 1235 beharrt [228: Historian’s Imagination]. In Antwort auf Breuers Kritik bringt YUVAL weitere Textzeugnisse zum Nachweis eines, wenngleich noch amorphen, Ritualmordvorwurfs bereits im Reich des 12. Jahrhunderts, ja sogar schon in Worms 1096 [321: The Lord, 400–2]. Angeregt von Yuvals These hat sich auch G. MENTGEN mit dem Ursprung der Ritualmordfabel beschäftigt [435]. Auch er postuliert eine entstellte christliche Wahrnehmung jüdischen Handelns, diesmal jedoch, in Rückgriff auf C. Roth, des jüdischen Purimrituals. Die symbolische Annagelung, Verspottung und Verbrennung der Haman-Figur durch Juden sei als erneute Kreuzigung Jesu aufgefasst und mit dem Verschwinden von Kindern in Verbindung gebracht worden. 2.3.4 Massen und Obrigkeiten: 1287–1350 Seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert waren die blutigen Verfolgungen zunehmend fester Bestandteil des christlich-jüdischen Verhältnisses. Zu den örtlichen Vorfällen gesellen sich ab 1287 regionale Wellen, die in den umgreifenden Verfolgungen der Pestzeit gipfeln. Die Ereignisgeschichte dieser Krisenperiode ist von der neueren Forschung genau betrachtet worden, ältere Darstellungen sind überholt. Zu 1287 sind nunmehr heranzuziehen die Arbeiten von MENTGEN [438: Ritualmordaffaire] und ZIWES [111: Studien, 230–7]; zu 1298 LOTTER [423: Judenverfolgungen; 424: Hostienfrevelvorwurf]; zu 1336/8 LOTTER [424: Hostienfrevelvorwurf], ARNOLD [334] und die regionalgeschichtlichen Ergänzungen von MENTGEN [103: Studien, 350–60]. Am umfangreichsten ist die Literatur zu den Pestpogromen von 1348–50. Mit den Ereignissen in Würzburg befaßte sich H. HOFFMANN [398], mit Regensburg A. SCHMID [466], mit Frankfurt am Main D. ANDERNACHT [333] und J. HEIL [392], mit Nürnberg W.v. STROMER [472]. Regionalgeschichtliche Studien liegen zum Elsaß [467: SCHNEIDER, Tag von Benfeld; 103: MENTGEN, Studien, 363–85] und Franken [404: JENKS] vor. Eine Gesamtsicht haben jeweils A. HAVERKAMP [386; 387], M. BREUER [349] und F. GRAUS [383: Pest, 155–389] vorgelegt, das letztere Buch von Graus ist dazu noch die detailreichste Darstellung der Ereignisse überhaupt.

Ereignisgeschichte der Verfolgungswellen

116

Die These von der „Judenfreundschaft“ der Oberschichten und der „Judenfeindschaft“ der Unterschichten

Prämissen des 19. Jahrhunderts bei der Bewertung der Verfolgungen

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

Gerade die Krisenzeit des späteren 13. bis mittleren 14. Jahrhundert kann mit dem bis dahin unbekannten Umfang der Verfolgungen als Prüfstein für gewichtige, hinter der Forschung stehende Annahmen und Anschauungen dienen. A. SCHMID z. B. fragt, warum Regensburg seine Juden in den großen Wellen der Verfolgungen des 12. bis 14. Jahrhunderts in auffallendem Gegensatz zu anderen Städten wirkungsvoll beschützte [466]. Die Antwort wird im besonderen, international ausgerichteten und weltmännisch offenen Geist der Stadt gesehen, der in Bezug auf die Juden von Anerkennung und Duldung getragen war. Dazu sei, aus den besonderen Verhältnissen der Stadt gegenüber den konkurrierenden Mächten Bischof, Herzog und Kaiser erwachsen, ein unter allen Umständen zu wahrender Anspruch auf Aufrechterhaltung des Friedens gekommen. Die ansprechende These leidet unter dem Mangel, daß sich ein Großteil der als singulär angesehenen Bedingungen auch in anderen Städten wiederfindet, ohne dort die gleichen erwünschten Ergebnisse gezeitigt zu haben [TOCH, in DA 38, 1982, 305]. Hinter SCHMIDS These steckt eine breitere Tendenz der Forschung, die bereits bei H. FISCHER sichtbar ist [370: Verfassungsrechtliche Stellung, 52, 56 f.]. Es ist dies die Neigung, die städtischen Führungsschichten als ausgesprochen „judenfreundlich“ darzustellen, was sich nur schwer mit den Tatsachen der Verfolgungen von 1298 und 1348/50 verträgt. Dennoch ist etwas Richtiges daran, nämlich die sogar noch am Ausgang des Mittelalters zu machende Beobachtung, daß die Bürger zuweilen mit dem Schutz des Rechts der Juden ihr eigenes Recht, ihre Immunität, verteidigten [370: FISCHER, 68; 474: TOCH, umb gemeyns nutz]. Problematisch bleibt jedoch die daraus gezogene Verallgemeinerung einer grundsätzlichen Interessensgemeinschaft, eine Auffassung, deren Zwiespältigkeit jüngst HAVERKAMP herausgearbeitet hat [391: Concivilitas]. Die historiographische Bevorzugung der städtischen Oberschichten als „Beschützer“ der Juden gegenüber der Schuldigsprechung der Mittel- und besonders der Unterschichten als „Judenschläger“ hat eine lange Geschichte. Sie zieht sich aus der mittelalterlichen Chronistik bis in die neueste Literatur hinein und offenbart eine weltanschaulich vorbestimmte und deshalb mit wissenschaftlichen Argumenten nur schwer zu beeinflussende Frontenstellung. Die Forschung des 19. Jahrhunderts sah als Gründe der Verfolgungen neben der „Hetze der Pfaffen“ (ein Denkmodell, das noch im Konfessionenkampf begründet ist) vor allem den wirtschaftlichen Antagonismus, der sich in Perioden sozialer Spannungen gewaltsam entlud [zur Forschungsgeschichte 383: GRAUS, Pest, 335–40; 178: TOCH, Wirtschaft und Verfolgung]. Auch hier ist der Hin-

B. Probleme und Tendenzen der Forschung

117

tergrund des 19. Jahrhunderts offensichtlich, das die „Judenfrage“ als ökonomisches Problem verstand, aber auch in ängstlicher oder hoffnungsvoller Erwartung des Plebejeraufstandes, der sozialen Revolution, lebte. Diese Tradition ist lebendig geblieben, so etwa bei HOYER, der 1965 die Armlederverfolgungen von 1336–38 als klassenkämpferischen Bauernaufstand gegen die Feudalordnung und die Opfer als Angehörige des „Wucherkapitals“ verstand [399: Armlederbewegung]. Einer solchen Deutung ist H. MOTTEK entgegengetreten, der die Dinge beim Namen nannte, eben als Pogrom [399: ebendort, 694 f.]. Dies war jedoch eine Randerscheinung, sonst hat die Mediävistik der DDR einen großen Bogen um die Geschichte der Juden gemacht. R. BORKS Erörterung der gleichen Armlederbewegung [348] unterscheidet sich in Methodik und Grundpositionen nicht von der umfangreichen Diskussion, die nach 1945 auf bundesdeutschem Boden ausgetragen wurde. Konstitutiv zu dieser Auseinandersetzung war der Paradigmenwechsel im Verständnis gesellschaftlicher Konflikte, die erstmals als legitim angesehen und mit Hilfe soziologischer Begrifflichkeit als funktional verstanden wurden. Staat und Obrigkeit konnten nach dem Dritten Reich nicht mehr die frühere sakrosankte Dimension behaupten und wurden nunmehr auch als Träger des Bösen verstanden. Mit dem Schock der Massenvernichtung hat sich ein neues Bewußtsein ausgebildet, das die Verfolgung und ihre Gründe von den Tätern her und nicht wie früher von den Opfern aus zu verstehen suchte. Die Entwicklung der Forschung spiegelt alte Probleme in neuer Sicht wieder, so die bereits zu 1096 erörterte Dichotomie zwischen wirtschaftlichen, religiösen und politischen Erklärungsmodellen. S. JENKS hat die Frage in einer statistischen Studie erneut für Franken 1349 aufgeworfen [404], ist aber auf Kritik seiner Quelleninterpretation gestossen [387: HAVERKAMP, Judenverfolgungen, Anm. 160; 383: GRAUS, Pest, 337]. Ein weiteres Thema ist die alte Schuldzuweisung an die Unterschichten. Die Auseinandersetzung hat sich an einem Detail der Pestpogrome – die Rolle der Geißler – neu entzündet und zu einer scharfen Polemik zwischen P. HERDE und A. HAVERKAMP entwickelt. HERDE verteidigte die alte Ansicht von der Initiatorenrolle der wandernden Geißler, Vertreter par excellence der Unterschichten [394: Probleme, 89 mit Anm. 64; 395: Gestaltung, 33 f.; 395: Von der mittelalterlichen, Anm. 59, 110– 115; 396: Die Kirche, Anm. 46, 48]. Dagegen betonte HAVERKAMP bei den Pestverfolgungen die Rolle der Obrigkeiten, Oberschichten und innerstädtischen Machtkämpfe [386: Schwarze Tod; 387: Judenverfolgung, 43–6 mit Anm. 54; 388: Besprechung, 389–91]. In die gleiche Richtung wiesen auch die Studien von GRAUS [383: Pest, 215–22], des-

Paradigmenwechsel nach 1945

Die Rolle der Geißler

118 Pogrome – keine Volksbewegung, kein Aufstand

Erklärungsmuster zu den spätmittelalterlichen Austreibungen

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

sen Meinung – „kaum einer der Pogrome in der Mitte des 14. Jahrhunderts kann als wirkliche Volksbewegung oder gar als Aufstand bezeichnet werden“ – zunehmend von weiteren Arbeiten bestätigt wurde und heute als Gemeingut der Forschung gelten kann [392: HEIL, Vorgeschichte; 348: BORK, Zur Politik; 467: SCHNEIDER, Tag von Benfeld]. Parallele Befunde haben sich zur Beteiligung des hohen geistigen und weltlichen Adels ergeben [423: LOTTER, Judenverfolgungen; 467: SCHNEIDER, Tag]. Dissens meldet jedoch MENTGEN zur Deutung der Rolle des Straßburger Bischofs an [103: Studien, 373]. Er verweist erneut auf gewisse Gesellschaftsgruppen, von denen „aus jüdischer Sicht ein überdurchschnittlich hohes Bedrohungspotential ausging“, nämlich Kleriker, Kinder und junge Leute, Knechte und Gesellen, Bauern [ebenda, 448–64]. Eine weitere Dimension wird durch die Untersuchung der Taten und Untaten der Könige erschlossen, des Schutzes, den sie in Krisenzeiten verliehen bzw. aus Geldsucht und politischen Opportunismus verweigerten [423: LOTTER, Judenverfolgungen; 348: BORK]. Besonders scharf war W. v. STROMER, der Karl IV. als „Schreibtischtäter“ verurteilte, von der Sache her nicht ganz zu Unrecht [472: Metropole, 83]. An solcher Wortwahl wird verständlich, warum die Untersuchung und Deutung der Täter- und Nutznießerschaft heute ein vornehmlich deutsches Anliegen ist. 2.3.5 Vertreibungen und Verfolgungen des Spätmittelalters Mehr noch als die Verfolgungswellen des 13./14. Jahrhunderts sind die Vertreibungen und anderen Anfechtungen des Spätmittelalters, bis hin zu erneuten Pogromen und Justizmorden, in der Geschichte der Städte und Territorien verankert, also geographisch und sachlich weitest gestreut und aufgesplittert. Dementsprechend umfangreich ist die Literatur, die mit dem Aufschwung der Lokalhistorien in den letzten Jahrzehnten gänzlich unübersichtlich geworden ist. Für die Trennung rein rekapitulierender Arbeiten von solchen, die Neues bringen, sind nunmehr die Ortsartikel der GJ III [77] mit ihren Literaturangaben heranzuziehen, für die Territorien in Kürze deren dritter Teilband. Aus der Fülle der Forschung seien einige Untersuchungen exemplarisch herausgegriffen. Eine der ersten Arbeiten der Nachkriegszeit war die von P. HERDE zum Ausgang der Regensburger Gemeinde [393]. Noch ganz im Sinne der älteren Forschung werden die treibenden (revolutionären!) Kräfte zur Ausweisung bei den christlichen Kaufmanns- und Handwerkerschichten gesucht, die in der Wirtschaftskrise des 15. Jahrhunderts das „modernere Geschäftsgebaren“ der Juden mit Neid und Mißgunst gesehen hätten. Eine ähnliche Anschauung findet sich noch kürz-

B. Probleme und Tendenzen der Forschung

119

lich bei BATTENBERG [341: Kaisers Kammerknechte, 553]. Wie bei den früheren Pogromen und Verfolgungswellen, blickt die Forschung auch bei den Vertreibungen des Spätmittelalters nunmehr verstärkt auf die Führungsschichten und Herrschaften. Die obrigkeitlich gelenkte Verdrängung der Juden an die städtische Peripherie hat F. BACKHAUS anhand der Einrichtung des Frankfurter Ghettos nachgezeichnet [339]. Er sieht ein Zusammenwirken der im Zuge der Reformbewegung des 15. Jahrhunderts erneut propagierten kirchlichen Bemühungen zur Kontakteinschränkung mit dem verstärkten Wirken einer Obrigkeit, die auf dem Weg zum modernen Staat konkurrierende Gewalten auszuschalten und immer mehr Lebensbereiche der Untertanen in den Griff zu bekommen suchte. Wenn solche Bemühungen frustriert wurden, wie etwa in Nürnberg, wurde die in dieser Periode überall in der Luft liegende Alternative der Ausweisung ergriffen [474: TOCH, umb gemeyns nutz]. Eine interessante „städteplanerische“ Variante auf dieses Thema hat M. MINTY mit der Untersuchung der Zusammenhänge zwischen Pogrom, Vertreibung und der Umwandlung von Judengassen und Synagogen in sakral-christlichen Raum erschlossen [444: Judengasse]. Häufig fielen die Juden den Spannungen zwischen Stadt, Territorialherren und Königen zum Opfer, so etwa in Speyer [480: VOLTMER, Geschichte] oder Köln [350: BRINCKEN, Rechtfertigungsschreiben]. Auch partikuläre Kräfte konnten die Obrigkeiten zu Ausweisung zwingen, so etwa in Stadt und Erzstift Magdeburg die von Franziskanerpredigten ausgelösten Aktionen der Schmiede- und Schusterknechte, die dann von Spannungen zwischen Rat und Landesherrn überlagert und von ersterem zur Schädigung des Erzbischofs genutzt wurden [337: BACKHAUS, Judenfeindschaft]. Der Schutz der Juden erwies sich, hier wie an anderen Orten, als politische Belastung, die die Durchsetzung und Intensivierung der Territorialherrschaft behinderte. Eine grundsätzliche Schwierigkeit ergibt sich bei der Gewichtung der religiösen, politischen und ökonomischen Faktoren. Diesem Problem geht BACKHAUS für den mitteldeutschen Raum systematisch nach [337: Judenfeindschaft, 304–32; 338: Hostienschändungsprozesse]. Er schlägt eine hierarchische Bündelung der verschiedenen Strukturen vor, in der der Veränderung in der Herrschaftsstruktur der Territorien ein zentraler Rang zukam. Aus der Chronologie und geographischen Verteilung der Vertreibungen in den deutschen Reichsstädten hat M. WENNINGER versucht, einen Erklärungsansatz zur spätmittelalterlichen Judenfeindschaft überhaupt zu gewinnen [482: Man bedarf , 245–260], der jedoch in vielen Einzelheiten der Korrektur bedarf [475: TOCH, Die spätmittelalterlichen Verfolgungen]. Vor allem ist die Kategorie „Reichsstädte“ allein

Reformbewegung und obrigkeitliche Verfestigung bei der Ausgrenzung der Juden

Methodische Probleme bei der Gewichtungverschiedener Aspekte der Judenfeindschaft

Generelle Erklärungsmodelle der Vertreibungen

120

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

wenig aussagekräftig, wenn ihr nicht die Landstädte mit ebenso bedeutenden Judengemeinden zur Seite gestellt werden. Ebensowenig kann bei einem Gesamtblick auf die Territorien verzichtet werden. Die letzteren hat F.-J. ZIWES [491] behandelt und ist dabei zu interessanten Ergebnissen gekommen: Judenvertreibungen fanden des öfteren in Umbruchphasen der Herrschaft statt; ständische Interessenvertretungen haben aktiv mitgewirkt; die Akademisierung der territorialen Verwaltung bzw. der Höfe trug zu einer Verschärfung im Verhältnis der Landesherren zu ihren Juden bei. Die beiden ersteren Thesen finden sich in den oben behandelten Einzelstudien bestätigt, die letztere in den Arbeiten von FREY [372] und HSIA [400] zur Blutbeschuldigung. Dennoch war die Vertreibung nicht immer und überall eine feststehende Gesetzlichkeit, die es nur zu aktivieren galt. Dies erweist sich bei der Untersuchung des dank rascher jüdischer Intervention und kaiserlichem Widerstand gescheiterten Vertreibungsversuches aus dem Erzstift Mainz, Frankfurt am Main, und weiteren Territorien im Main-Rhein-Raum 1515/16 [431: MAIMON, Judenvertreibungsversuch]. Der Mißerfolg dieser einzigen überterritorialen Vertreibungsaktion sagt einiges über die politische Struktur des Deutschen Reiches am Ausgang des Mittelalters aus.

Weltanschauliche Prämissen: das Konfliktkonzept

3.

Gegenseitige Auffassungen und Beeinflussungen

3.1

Ausgangspunkte der Forschung

Die längste Zeit haben zwei weltanschaulich fundierte und sich gegenseitig ausschließende Gegenpositionen die Sicht vom Verhältnis von Christen und Juden im Mittelalter beherrscht. Die erste ist die vom Konfliktkonzept geprägte Auffassung einer wenn nicht totalen, so doch weitgehenden Isolation der Juden, die je nach Ausgangspunkt des Betrachters als selbstgewollt oder von der feindlichen Umwelt aufgezwungen gesehen wurde. Die bisher gedankenvollste, beide Aspekte verknüpfende Darstellung dieser Position stammt von JAKOB KATZ, der den Begriff der „gegenseitigen Exklusivität“ geprägt hat [268: Exclusiveness and Tolerance]. Es ist nach 1945 verständlich, daß diese von jüdischen Forschern entwickelte und stark vom israelischen Selbstgefühl getragene Position von Nichtjuden meist unreflektiert respektiert wurde. Ausdrücklichen Dissens hat vornehmlich F. GRAUS geäußert, der die dahinter stehende Auffassung von der Existenz einer jüdischen Nation in Zweifel zog [381: Hist. Traditionen, 1–9; 384: Die Juden in ihrer mittelalterlichen Umwelt, 54 f.]. Auch dieser Zweifel, der als zweite, „assimilatorische“ Grundpo-

B. Probleme und Tendenzen der Forschung

121

sition bezeichnet werden kann, hat Geschichte, er führt auf marxistische Ansätze wie auch auf die bürgerliche Situation der Juden im 19. Jahrhundert zurück. Die letztere ist besonders in deutschsprachigen Ländern nach 1945 mit dem vereinfachenden Schlagwort „Symbiose“ bezeichnet worden, was jedoch nicht im eigentlichen Wortsinn als gegenseitige Befruchtung aufgefaßt, sondern als Kürzel für ein mehr oder weniger ungetrübtes Zusammenleben gebraucht wurde. Beispielhaft ist FRIEDRICH LOTTER, der mit einer „bekannten Vorliebe des karolingischen Hofes für die Juden“ beginnt, das Verhältnis zwischen ottonischen Herrschern und der Handvoll Juden im Reich des 10. Jahrhunderts als „Symbiose“ bezeichnet, den gleichen Begriff dann auch für das Hochmittelalter weiter verwendet, wenn schon mit dem abschwächenden Attribut „relativ erträglich“ versehen [426: Geltungsbereich, 28; 421: Symbiose; 423: Judenverfolgung, 420]. Daß dahinter eine moderne Problematik steht, wird an anderem Ort sichtbar: „Gerade in dieser Zeit (frühes 12. Jh.) dürfte die enge Bindung des aschkenasischen Judentums an die deutsche Sprache und Kultur wurzeln, die bis in die jüngste Vergangenheit nachwirkte“ [422: LOTTER, Entwicklung, 57]. Ein rückprojizierendes Denken steht auch hinter der häufig gebrauchten Floskel „jüdische Mitbürger“ in populären Darstellungen des Mittelalters. Wenn der Begriff einer engen, wechselseitig befruchtenden Beziehung nicht einmal für das 19. Jahrhundert anwendbar ist, wie GERSCHOM SCHOLEM mit guten Gründen dargelegt hat [Wider den Mythos vom deutsch-jüdischen Gespräch, in: DERS., Judaica II, 1970], so erscheint er kaum für die ottonische Frühzeit, sicherlich nicht für spätere zunehmend konfliktreiche Perioden geeignet. Werden die Verfolgungen des 13. und frühen 14. Jahrhunderts dann nur als „lokale oder regionale Auschreitungen“ gesehen, als „Ausnahmeerfahrungen“, so ist es tatsächlich nur ein Schritt zur Sicht einer „zwar nicht immer spannungsfreien, aber doch weitgehend friedlichen und bisweilen auch fruchtbaren Koexistenz“ [so 111: ZIWES, Studien, 220 f.]. Damit wird das mittelalterliche Deutschland von dem „abwegigen“ Vorwurf gereinigt, ein „Land der Verfolgungen“ gewesen zu sein, als das es „gewissermassen im Vorgriff auf die Schoah“ bezeichnet worden sei [ebenda, 220]. Gegen eine solche Sicht sei ausdrücklich betont, daß die Bezeichnungen „Blutland“ (Erez Damim) und „Blutstätten“ (Arei Damim) von den mittelalterlichen Juden des Reiches selbst geprägt wurden [41: SALFELD, Martyrologium, 66 f./231, 237; 61: KRAUSS, Wiener Geserah, 117 und Anm. 727; und mehrmals bei Jakob Molin, 77: GJ III, 1596]. Das Verständnis der Betroffenen sollte davor warnen, eine beschönigende Symbiosenthese unter neuem Namen auferstehen zu lassen.

Weltanschauliche Prämissen: das Symbiosenkonzept

Die Verfolgungen keine „Ausnahmeerfahrung“

122

Das „Randgruppen“-Konzept

Das Konzept der gegenseitigen Beeinflussungen

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

Den Ausweg aus der begrifflichen Doppelproblematik sahen Teile der deutschen Forschung in der Übernahme des vom Prestige soziologischer Begrifflichkeit gestützten und rasch rezipierten Konzepts der „Randständigkeit“ [380: GRAUS, Randgruppen; weitere Literatur und Kritik bei 439: MENTGEN, „Die Juden waren stets“]. Häufig werden die Juden bereits seit ihrem ersten Auftreten als „Randgruppe“ bezeichnet, was sich ganz und gar nicht mit ihrem sozio-ökonomischen, nicht einmal mit ihrem politischen Status verträgt. Nach der nuancierteren Version von GRAUS wurden die Juden im 13./14. Jahrhundert in einen Marginalisierungsprozeß gedrängt, der sie im Spätmittelalter zur kriminalisierten „Gegengesellschaft“ oder Subkultur gemacht habe [380: Randgruppen, 427]. Diese „Gegengesellschaft“ entspricht eigentlich der traditionellen Idee eines nach eigenen Vorstellungen und Traditionen lebenden jüdischen Kollektivs, nur daß es hier eine Schöpfung des Judenhasses ist. Eine solche Deutung, die wohl unbewußt die Anschauung Sartres von Antisemitismus und Judentum übernimmt, vielleicht auch Max Webers Wort vom „Pariavolk“ aufgreift, sieht die Juden als bloßes Objekt christlichen Handelns. Solchen Auffassungen steht die Sicht eines engen und dynamischen, wenn auch keineswegs symmetrischen Aufeinanderbezogenseins beider Gruppen gegenüber, das eine neuere Forschungsrichtung in verschiedenen Kontakt- und Konfliktzonen zu erkennen sucht. Sie ist aus mehreren Strömungen gespeist: einmal aus der anthropologisch beeinflussten angelsächsischen Forschung [zuletzt 287: MARCUS, Rituals, 102–11], sodann aus neueren, heiß umstrittenenen intellektuellen Entwicklungen in Israel [ein erster Überblick: 9: FUNKENSTEIN, Jewish History among Thorns]. In manchen Aspekten geht sie auf das Werk der „Jerusalemer Schule“ und besonders YITZCHAK FRITZ BAERS zurück, der einen scharfen Sinn für solche gegenseitige Beeinflussungen hatte, paradoxerweise aber auch zu einer immanenten Auffassung jüdischer Geschichte tendierte [33: YUVAL, Baer; 20: MYERS, Re-Inventing, 109– 28]. Die Schärfe der augenblicklichen Auseinandersetzung erklärt sich auch aus der Tatsache, daß mit ihr eine Diskussion um wesentliche Aspekte moderner jüdischer und israelischer Identität ausgetragen wird [vgl. etwa 228: BREUER, Historian’s Imagination]. 3.2 Religionswechsel Wenngleich in unserem Jahrhundert mit der Judenmission auch die christlich-religiöse Sinngebung der Konversion von Juden weitgehend verschwunden ist, so wird ihr gerade von jüdischen Forschern ein mehr als nur fachliches Interesse entgegengebracht. Fundiert ist dieser kom-

B. Probleme und Tendenzen der Forschung

123

plexe und widersprüchliche Zugang in der im öffentlichen Leben Israels lebendigen Gleichsetzung von Religionsangehörigkeit und Nationalität einerseits, im Problem der weite Kreise des Judentums außerhalb Israels berührenden Mischheirat und des Identitätsschwundes andererseits. Die mediävistische Umsetzung oder Begründung dieses Bewußtseins findet sich in BAERS Polemik gegen den von der „Wissenschaft des Judentums“ entwickelten „Mythos vom goldenen sefardischen Zeitalter“, das als Gleichnis für die jüdische Assimilationsbereitschaft im 19. Jahrhundert verstanden wurde [26: SCHORSCH, From Text, 71– 92]. BAER kontrastierte das sefardische Judentum, dessen Oberschicht sich fremden Einflüssen geöffnet habe und keine Widerstandskraft gegen die Zwangstaufe entwickeln konnte, mit dem „religiös-nationalen Martyrium“, der „nationalen Verteidigung“ der Aschkenasen [BAER, A History of the Jews in Christian Spain, I, 1966, 236–61; DERS., 214: Galut, 18; 217: DERS., Persecutions, 136; ihm folgend für das Spätmittelalter 458: ROSENSWEIG, Apostasy, 49]. Konnte BAER der „heiligen Gemeinde“ von Aschkenas noch eine grundsätzlich tauffeindliche Anlage testieren, konnte auch JACOB KATZ in seiner nüchternen Analyse des sozialen und psychologischen Profils des Konvertiten den Übertritt insgesamt als vereinzeltes Phänomen bezeichnen [268: Exclusivness, 67–81], so mißt die neuere Forschung der Anziehungskraft des Christentums ein größeres Gewicht bei. Schon im frühen 11. Jahrhundert scheint die Taufe für beachtliche Kreise eine greifbare Option gewesen zu sein. Dies hat ABRAHAM GROSSMAN aus konkreten, in Rechtsgutachten behandelten Fällen wie auch allgemein aus der scharf polemischen Reaktion der Gelehrten auf die christliche Lehre gefolgert [250: Sages of Ashkenaz, 122–7, 163 f.; 256: Sages of France, 152–5]. Das Problem war sowohl die freiwillige wie auch die unfreiwillige Annahme der Taufe. Der letztere Fall scheint schon im frühen 11. Jahrhundert vorgekommen zu sein und trat mit den Verfolgungen von 1096 massenhaft ein. JEREMY COHEN hat aus dem didaktischen Charakter der Berichte zu 1096, aus der Betonung der hartnäckigen Zurückweisung der Taufe, auf tiefliegende Schuldgefühle der wenigstens zeitweise konvertierten Überlebenden geschlossen [237: „Persecutions“]. Für GROSSMAN spricht dagegen aus diesen Werken wie aus einer Reihe anderer literarischer Zeugnisse des 12. Jahrhunderts die Furcht vor erneuten Übertritten [252: Roots, 119–27]. Eine ähnliche Ambivalenz gegenüber der Anziehungskraft des Christentums und daraus gewachsene jüdische Selbstzweifel erschließt IVAN MARCUS mit etwas späterem zeitlichen Ansatz aus der „Geschichte des Rabbi Amnon von Mainz“ [284: Pious Community; 286: Jews and Christians Imagi-

Weltanschauliche Prämissen bei der Erforschung der Konversion zum Christentum

Anziehungskraft des Christentums im 11.–13. Jh.

124

Zwangsgetaufte

Taufe aus sozialer Schwäche

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

ning]. Das intellektuell so bewegte 12. Jahrhundert hat auch den klassischen Konvertiten aus Überzeugung hervorgebracht, Juda von Köln, der mit Rupert von Deutz disputierte, um 1128/9 zum Christentum übertrat, später eine der ersten Autobiographien des Mittelalters verfasste und zum Propst des Prämonstratenserstiftes Scheda avancierte [zu Edition und Literatur s. 27: SCHRECKENBERG, II, 256–67]. Die Authentizität seines „Opusculum de conversione sua“ ist von A. SALTMAN [460] als literarische Fiktion bezweifelt und daraufhin von LOTTER [427] und A. KLEINBERG [408] mit überzeugenden Argumenten als Bericht einer echten Konversion verteidigt worden. Die Konvertiten waren also zum ersten Zwangsgetaufte, zuweilen ganze Gemeinden, wie für 1096 und spätere Verfolgungswellen überliefert ist [zu Regensburg 1096 s. 385: HACKER; für die spätere Zeit s. die oben angeführte Literatur]. Sodann haben wiederholt Einzelpersonen unter Folter und schwerem psychologischem Druck aufgegeben [ein Beispiel bei 103: MENTGEN, Studien, 385–94; für das Spätmittelalter die Zusammenstellung bei 475: TOCH, Verfolgungen des Spätmittelalters, Anm. 89]. Eine eigene Kategorie bilden Verbrecher, die mit Annahme der Taufe ihr Leben zu retten oder auch nur eine mildere Hinrichtungsart zu erlangen suchten. Mit dem Problem der Gültigkeit der unter Zwang angenommenen Taufe haben sich die christlichen Theologen und Juristen ausgiebig beschäftigt [352: BROWE, Judenmission, passim; 426: LOTTER, Geltungsbereich, 44–57; 430: MAGIN, 160–199]. Am entgegengesetzten Ende des Spektrums finden sich in allen Perioden Menschen, die aufgrund religiöser Überzeugung konvertierten [346: BLUMENKRANZ, Jüdische und christliche Konvertiten, 264; 361: J. COHEN, Mentality; 458: ROSENSWEIG, Apostasy, 49 f.]. Unter ihnen haben einige sozial Höherstehende die Aufmerksamkeit schon der zeitgenössischen christlichen Berichterstattung auf sich gezogen [Beispiele bei 434: MENTGEN, Proselyten, 120–4]. Die Forschung betont dagegen für die Mehrzahl der überlieferten Fälle das mittlere Feld zwischen Zwangstaufe und innerer Überzeugung, auch das niedrige soziale Profil der Konvertiten, zuweilen den Opportunismus des Übertritts, bis hin zum wiederholten Taufschwindel, wie auch dessen eigentliche Ursache, die soziale Schwäche und Armut [77: TOCH, Eintrag Nürnberg, GJ III, Anm. 223; 136: GUGGENHEIM, The Poor, 132 f.]. Oft waren es junge, familienlose, arme Juden, häufig Jüdinnen, die für den Konversionsdruck anfällig wurden. Nicht zufällig suchten Juden immer wieder, in Schutzbriefe und Bürgeraufnahmen ein Verbot der Kindertaufe einzubringen. Allerdings mag die Armut und Wurzellosigkeit mancher Konvertiten zuweilen nicht so sehr Ursache als vielmehr Ergebnis des Übertritts gewesen sein, eine Begleit-

B. Probleme und Tendenzen der Forschung

125

erscheinung des Übergangs zu weniger einträglichen Lebenserwerben wie auch der Trennung vom früheren familiären Lebensbereich. Auch in Aschkenas war die Integration der Neuchristen in die umgebende Gesellschaft schwierig [383: GRAUS, Pest, 264–71; 434: MENTGEN, Proselyten; 77: GJ III, Index, Konvertiten]. Eine interessante Sonderstellung nahmen die Ärzte ein, denen aus ihrer schon zuvor gehobenen Stellung oft der gesellschaftliche Einstieg gelang [z. B. 149: MENTGEN, ÄrzteFamilie]. Kompliziert wurde das Problem durch den bis ins Spätmittelalter bestehenden Gegensatz zwischen einer der Taufe verpflichteten Kirche und dem zuweilen konträren Interesse weltlicher und geistlicher Herrschaftsträger am Steueraufkommen der Juden [426: LOTTER, Geltungsbereich, 44–57; 36: GRAYZEL, Bd. 1, 17 f.]. Die Stellung der jüdischen Gesellschaft zu Apostaten war begreiflicherweise kompliziert. Auf der normativen Ebene folgten die Gelehrten, mit wenigen Ausnahmen, dem talmudischen, von der Autorität Raschis gestützten Grundsatz: „auch wenn er gesündigt hat, so bleibt er dennoch Israelit“ [267: KATZ, Even Though; zu den spätmittelaterlichen Interpretationen 458: ROSENSWEIG, Apostasy]. Damit war generell die Möglichkeit der Rückkehr zum Judentum offengelassen, die tatsächlich nicht selten genutzt wurde. Die Praxis kannte dennoch tiefe emotionale Feindseligkeit und mannigfaltige Konflikte zwischen Konvertiten und ihren früheren Familien und Gemeinden [458: ROSENSWEIG, Apostasy; 434: MENTGEN, Proselyten]. Dabei ging es um das Schicksal der Kinder, um Erbschaften, auch um die nach jüdischen Recht zu vollziehende Scheidung der im Judentum verbliebenen Ehepartner, ohne die eine Neuheirat unmöglich war. All dies waren konkrete, an die Substanz gehende Probleme, die die Härte der Auseinandersetzungen erklären, ohne daß das höchst problematische moderne Schlagwort eines spezifisch „jüdischen Selbsthasses“ bemüht werden muß [so 383: GRAUS, Pest, 267 f.; ihm folgend 434: MENTGEN, Proselyten, 118 f.]. Unbefriedigend ist bis heute die Untersuchung des christlichen Proselytentums, eine keineswegs häufige, aber doch das gesamte Mittelalter durchziehende Erscheinung. In den wenigen Arbeiten liegt das Schwergewicht auf dem Frühmittelalter, hauptsächlich auf der Gestalt des ersten und prominentesten Proselyten überhaupt, des Pfalzdiakons Bodo (839). Die Darstellung von BLUMENKRANZ durchzieht der Gedanke einer christlich-jüdischen Missionskonkurrenz im Frühmittelalter [343: Juifs, 159–211; 346: Konvertiten]. GIESE behandelt ebenfalls Bodo, bringt dazu eine Zusammenstellung weiterer bis ins Hochmittelalter überlieferter Fälle, jedoch nur eine allgemein spekulative Analyse ihrer Hintergründe [376]. Dagegen bemüht H. LÖWE zur Erklärung des

Schwierigkeit der Integration getaufter Juden

Getaufter Jude bleibt Jude

126

Christliche Konvertiten zum Judentum hauptsächlich Kleriker

Grundsätzliche Aufnahmebereitschaft von Proselyten

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

Falles Bodo den jüdischen Staat der Chasaren, mit dem europäische Juden das christliche Argument der Zerstreuung als Beweis ihrer Enterbung hätten zurückweisen können [417]. Bei allen diesen Darstellungen stehen zum Judentum übergetretene Kleriker im Vordergrund. Proselyten aus dem niederen Volk erwähnt Blumenkranz, sie sind jedoch nur ganz undeutlich aus Südfrankreich belegt. Quellenmäßig unbelegbar ist die immer wieder aufscheinende Feststellung, daß das frühe Bevölkerungswachstum im aschkenasischen Judentum „in gewissem Maße wohl auch auf das Proselytentum zurückzuführen ist“ [so zuletzt 74: BREUER, Prolog, 20]. Für das Spätmittelalter sind in den Ortsartikeln der GJ III nunmehr einige weitere Fälle zusammengestellt, die das von der Forschung herausgearbeitete Profil des Klerikers als typischen Proselyten bestätigen [77: GJ III, Einträge Magdeburg, Mainz, Prag]. Dagegen finden sich kaum Belege für die von kirchlicher Seite immer wieder geschürte Befürchtung, daß christliche Dienstboten dem Konversionsdruck ihrer jüdischen Herren erliegen würden [für einen solchen Fall s. 77: GJ III, Eintrag Speyer]. Dieses polemisch eingesetzte Stereotyp findet sich noch im Spätmittelalter, wenn der Kölner Rat unter den verschiedenen Begründungen zur Austreibung der Juden an erster Stelle die Gefahr der Proselytenmacherei anführt [350: BRINCKEN, Rechtfertigungsschreiben]. Die jüdische Stellung zu Proselyten, wie sie KATZ [268: Exclusiveness, 77–81] prägnant umrissen hat, war tatsächlich zwiespältig. Auf der normativen Ebene folgte man auch hier der talmudischen Tradition, die grundsätzlich Proselyten akzeptierte, daneben aber auch abweichende Meinungen überliefert. Tatsächlich war die Aufnahme und Unterstützung von Konvertiten mit großen Gefahren für die lokale Gemeinde verbunden, weswegen solche Personen in der Regel außer Land oder wenigstes an einen anderen Ort gebracht wurden [z. B. 77: GJ III, 776, 1125]. Verhängnisvoll konnte da der blinde Eifer werden, mit dem mancher Proselyt den neuerworbenen Glauben vor der christlichen Umgebung zur Schau stellte. Ein aus Augsburg stammender Mann zog 1265 von Ort zu Ort, predigte den Christen das Judentum und schreckte in Sinzig auch nicht vor dem öffentlichen Zerbrechen eines Kruzifixes zurück, was dort 61 Juden das Leben kostete [77: GJ II, 766]. 3.3

Polemik, Stereotypen, symbolische Konstrukte

3.3.1 Die christliche Seite „Judentum und Christentum waren und blieben Konfrontationskulturen im genauen Sinn des Wortes. Die bewußte und stete Ablehnung von

B. Probleme und Tendenzen der Forschung

127

Werten und Ansprüchen des anderen war und blieb konstitutives Moment für den fortlaufenden Aufbau der eigenen Identität beider Kulturen“ [375: FUNKENSTEIN, Juden, Christen, 33]. Der artikulierteste und zugleich extremste Ausdruck dieses Verhältnisses ist die religiöse Polemik. In der Erforschung der christlichen Seite der Gleichung hat es in den letzten Jahrzehnten Fortschritte gegeben, wenngleich die klassische Darstellung von BROWE immer noch mit Nutzen zu befragen ist [352: Judenmission]. Es stimmt nachdenklich, wenn dieses 1942 in Rom gedruckte Werk eines deutschen Jesuiten im letzten Paragraphen für den geringen Erfolg der Judenmission „die Gründe von Seiten der göttlichen Vorsehung“ bemühen muß. Eine gewisse Konsequenz daraus hat wenig später das II. Vatikankonzil gezogen und gerade in Sachen Judenmission und der damit verbundenen Polemik neue Impulse vermittelt [83: RENGSTORF/KORTZFLEISCH; 85: SEIFERTH]. Grundlage jeder Beschäftigung mit dem polemischen Schrifttum ist nunmehr die dreibändige detailreiche Aufarbeitung von SCHRECKENBERG [27]. Den Entwicklungsweg der Polemik hat AMOS FUNKENSTEIN nachgezeichnet, der in der Entdeckung des Talmuds durch christliche Gelehrte im späten 12. Jahrhundert die wesentliche Wende sah [374: Changes; für die Einzelheiten s. das materialreiche Werk von 440: MERCHAVIA, 213–360]. Nach FUNKENSTEIN sind vier Muster der antijüdischen Polemik festzustellen: 1) das ältere Modell der aus der Bibel bezogenen Argumentation; 2) die rationalistische Polemik des 11. und frühen 12. Jahrhundert; 3) der Angriff auf den Talmud und die Gesamtheit des nachbiblischen jüdischen Schrifttums als Häresie sogar nach Maßstäben des Judentums; 4) der Versuch, mit Hilfe von Talmudstellen die Wahrheit der christlichen Religion zu beweisen. Die beiden ersten Phasen hat BLUMENKRANZ in Detailfülle unter dem Begriff einer gegenseitigen „concurrence missionaire“ untersucht [343: Juifs et chrétiens, 65–289]. Für den darauffolgenden Umbruch verweist auch JEREMY COHEN auf die Zentralität des Talmuds, wenngleich mit etwas späterem zeitlichem Ansatz als FUNKENSTEIN und unter Betonung der Rolle der Mendikanten [360: Friars]. ALEXANDER PATSCHOVSKY sieht dagegen im christlichen Gebrauch des Talmuds eine weitere, wenngleich geballte Form der Stereotypenbildung, die sich zum Bild des „Talmudjuden“ verhärtet [451]. Gemeinsam ist diesen Interpretationen, daß die alte Sicht der Juden als biblisches Volk von einer aktualisierten, wenn auch bösartig verzerrten Perzeption abgelöst wurde. Die wesentlichen Entwicklungen in der christlichen Polemik, ablesbar an der rasch wachsenden Zahl von Streitschriften, haben sich nur ausnahmsweise auf deutschem Boden zugetragen [27: SCHRECKEN-

Entwicklungsmuster der christlichen Polemik

Die Entdeckung des Talmuds durch die Kirche

Kaum polemische Schriften aus Deutschland

128

„Religionsgespräche“ hauptsächlich literarische Erfindungen zur Stützung des eigenen Glaubens

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

BERG, Bd. I–III; 331: ABULAFIA, Christians and Jews; 360: COHEN, Friars; 365: DAHAN, Intellectuels]. Aus dem 12. Jahrhundert sind als Verfasser deutscher Herkunft allein Rupert von Deutz und der Konvertit Hermann von Scheda überliefert [330: ABULAFIA, Ideology; 473: TIMMER, Biblical Exegesis; zu Hermann s. oben]. Auch im 13. und 14. Jahrhundert blieb das Reich auf diesem Gebiet Provinz, die von den Erzeugnissen spanischer und französischer Polemiker, darunter zahlreiche Konvertiten, zehrte. Dies gilt jedoch nur, solange die voll ausgebildete Streitschrift als Maßstab genommen wird. Unterhalb dieser Ebene wird ein breiter gestreutes und weniger systematisches Schrifttum entdeckt, so etwa eine Reihe von Einschüben in einer Handschrift des 12. Jahrhunderts aus dem Bistum Regensburg, die sich polemisch mit der jüdischen Bibelinterpretation auseinandersetzen [371: FLINT, AntiJewish Literature]. Umfangreicher ist das polemische Schriftgut in dem von PATSCHOVSKY edierten Sammelwerk des Passauer Anonymus (um 1260) [451: PATSCHOVSKY, Talmudjude, 19; 27: SCHRECKENBERG, III, 222 f.]. Gegen 1360 übersetzte Irmhart Öser, Pfarrer zu Straßgang/ Graz, die auch im Reich ungemein populäre Streitschrift des spanischen Dominikaners Alphonsus Bonihominis vom Lateinischen ins Deutsche [415: LIMOR, Epistle, 179]. Von ihren etwa 300 überkommenen Handschriften haben sich 133 in Bibliotheken des deutschen Sprachraums erhalten, davon allein 52 in der deutschen Übersetzung. Neue Streitschriften hat erst der Wiener akademische Kreis um Heinrich von Langenstein und Heinrich von Oyta knapp vor der Wende des 14. Jahrhunderts hervorgebracht [471: SHANK, 139–69]. Ihnen folgten zur Mitte des 15. Jahrhunderts Bischof Stephan Bodecker von Brandenburg und dann mehrere anonyme, lateinisch wie auch deutsch schreibende Autoren [27: SCHRECKENBERG, III, 515–8, 531–3, 565]. Aus dem Rahmen fällt die Toleranzutopie De pace fidei des Nikolaus von Kues, die sich allerdings nur schwer mit anderen, judenfeindlichen, Schritten des Kardinals in Einklang bringen läßt [27: SCHRECKENBERG, III, 524–9]. Das frühe 16. Jahrhundert produzierte schließlich eine Welle von polemischen Schriften hauptsächlich aus der Feder von Konvertiten, womit Deutschland endlich den Rest Europas überrundete [27: SCHRECKENBERG, III, passim]. Der allergrößte Teil der überlieferten Literatur ist nicht als Aufzeichnung wirklich geführter „Religionsgespräche“ zu sehen, sondern als Anweisungen zum Eigengebrauch, die zur Stützung der eigenen Glaubenssicherheit verfasst wurden. Dennoch haben auch tatsächlich Gespräche stattgefunden, die in Umrissen aus der Frühzeit und besonders aus dem 12. Jahrhundert überliefert sind [343: BLUMENKRANZ,

B. Probleme und Tendenzen der Forschung

129

Juifs et chretiens, 162–4; 346: DERS., Jüdische und christliche Konvertiten]. Danach sind solche Disputationen zu Zwangsveranstaltungen mit Inquisitionscharakter degeniert, bei denen es um den öffentlich erbrachten Siegesbeweis ging. Im Spätmittelalter haben im Reich Zwangsdisputationen und -predigten nur spärlich stattgefunden [475: TOCH, Spätmittelalterliche Verfolgungen]. Häufiger waren antijüdische Predigten vor christlichem Publikum, nicht nur die aufsehenerregenden Auftritte von Berühmtheiten wie Berthold von Regensburg, Johannes von Capestrano oder Peter Schwarz, sondern auch die an einigen Orten kontinuierlich bezeugte Agitation lokaler Prediger. Sie sind als wichtigstes Vehikel der Massenerregung anzusehen und gingen in einigen Fällen direkt Pogromen oder obrigkeitlichen Aktionen voraus. Das informelle private Gespräch ist dagegen in Andeutungen noch im Spätmitttelalter bezeugt [471: SHANK, 160–3; 77: GJ III, 1147, Anm. 296]. Die schon oben anläßlich der Verfolgungen angesprochene Schuldfrage wurde von der Forschung auch im geistig-religiösen Kontext gestellt. Ob tatsächlich fein säuberlich zwischen einer „offiziellen Haltung der Herrscher wie der Hochkirche“ und den von diesen „kaum beeinflußten vulgartheologischen Vorstellungen“ getrennt werden kann [so 422a: LOTTER, Zur Ausbildung, 91], bleibt angesichts der Virulenz und Derbheit mancher „hochkirchlicher“ Streitschrift hingestellt. Mit dem Aufstieg der eng mit dem Papsttum verbundenen Mendikanten im 13. Jahrhundert ist eine solche Unterscheidung gänzlich fragwürdig [360: COHEN, Friars]. Die pauschale Schuldzuweisung nach unten auch im Reich des Geistes wird zunehmend im gesamteuropäischen Rahmen in Frage gestellt [445: MOORE, Anti-Semitism]. Für das deutsche Reich sollte da allein schon die Tatsache der theologischen Agitation zur Vorsicht mahnen, die im Gefolge der Kirchenreform des 15. Jahrhunderts zu neuem Leben erwachte und dann in die Reformation überging [448: OBERMAN, Stubborn Jews]. Eine nach Perioden differenzierende Analyse der wechselweisen Beeinflussungen zwischen Amtskirche und Volkskirche einerseits, der Kongruenz und gegenseitigen Instrumentalisierung von weltlichen Obrigkeiten und innerkirchlichen Strömungen andererseits hat nunmehr PETER MORAW vorgelegt [446]. Wird der Niederschlag der Polemik in anderen Quellengattungen betrachtet, so erweist sich, daß Deutschland seit dem 13. Jahrhundert in nichts den westeuropäischen Ländern nachstand. Schriftliche wie auch bildliche Quellen berichten im Überfluß von der Ausbildung und Verhärtung des jüdischen Stereotyps, in dem theologische Anliegen mit einem ganzen Bündel anderer Feindbilder zusammenwachsen. Ein Zugang ist die beschreibende Analyse des vermittelnden Mediums. Im

Predigten als Auslöser von Verfolgungen

Hochkirche, Volkskirche und die judenfeindliche Agitation

Fülle von judenfeindlichen literarischen und künstlerischen Werken auch in Deutschland

130 Zugänge zur Untersuchung der judenfeindlichen Stereotypen

Das Konzepte der rituellen Reinheit und Befleckung

Rituale der Unterwerfung und Entwürdigung

Die Legende von den „roten Juden“

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

Mittelpunkt der Forschung standen schon lange die mündlichen Verbreitungstechniken, die in Predigt- und Exemplasammlungen faßbar werden [360: COHEN, Friars, 228–38; 358: CLUSE; 429: LOTTER, Judenbild; 379: GRABMAYER]. Weitere Quellengattungen sind die Chronistik [381: GRAUS, Historische Traditionen] und die Dichtung [27: SCHREKKENBERG, Bd. II, III, passim; 342: BIRKHAN, Juden in der deutschen Literatur; 484: WENZEL; 373: FREY, Bild]. Intensiv hat man sich um den Niederschlag der Judenfeindlichkeit in Malerei und Plastik bemüht [344: BLUMENKRANZ, Juden und Judentum; 433: MELLINKOFF, Outcasts; 443: MINTY, Responses; 457: ROHRBACHER; 470: SHACHAR, Judensau; 488: WOHLFEIL; zuletzt 462: SCHRECKENBERG, Die Juden in der mittelalterlichen Kunst]. Kleidungsvorschriften und Vorstellungen vom Aussehen verbreiten und bestätigen den jüdischen Stereotyp [407: KISCH, Ausgewählte Studien, II, 115–64; 405: JÜTTE, Stigma-Symbole; 461: SANSY, Chapeau juif; 263: HOROWITZ, Visages]. Das gleiche bewirken, in extremer Weise, die altbekannten Gerichtsrituale des „Judeneids“ [407: KISCH, Ausgewählte Studien, I, 137–84; 430: MAGIN, 277–330; 456: RÖLL; 476: TOCH, Mit der Hand; 490: ZIEGLER] und der „jüdischen Exekution“ [377: GLANZ, Jewish Execution; 407: KISCH, Ausgewählte Studien, II, 165–93; 265: JÜTTE, Ehre, 158–62; 476: TOCH, Mit der Hand]. Andere neuere Arbeiten prüfen, ausgehend vom klassischen Werk TRACHTENBERGS [477: Devil and the Jews], die Themen und Leitmotive, aus denen das Stereotyp konstruiert wird [oben, II.B.2.3.3]. Wie zunehmend sichtbar wird, kommt im mentalen Raster der Stereotypen dem Konzept der rituellen Reinheit und Befleckung eine wichtige Funktion zu [359: E. COHEN, Crossroads, 85–94; 363: COULET, „Juif intouchable“], der auf jüdischer Seite fast genau spiegelverkehrte Anschauungen entsprechen [287: MARCUS, Rituals of Childhood, 76; 321: YUVAL, Lord, 402–5]. Ähnliches gilt für die heilige Zeit [387: HAVERKAMP, Judenverfolgungen; 483: WENNINGER, Das gefährliche Fest; 79: GUGGENHEIM, Vorarbeiten] und den heiligen Ort [364: COULET, De l’integration; 444: MINTY, Judengasse; 455: RÖCKELEIN]. In einer solchen Sicht erscheinen die vielfältigen entwürdigenden Rituale, unter denen Juden zu leiden hatten, nicht nur als Schikanen [so 436: MENTGEN, Würfelzoll], sondern auch als symbolische Konstruktionen, deren Baustücke nicht zufällig gewählt wurden [445: MOORE, Anti-Semitism, 54–6; 447: NIRENBERG]. Vorstellungen und Praktiken der Ab- und Ausgrenzung nahmen demnach auch eine Funktion der Integration nach innen ein. Als das wohl am kompliziertesten zusammengesetzte mentale Konstrukt kann die spätmittelalterliche volkssprachliche Legende von den „roten Juden“ gelten, in der Bibelexegese und Antikerezeption mit

B. Probleme und Tendenzen der Forschung

131

neu belebten Antichrist-Vorstellung zusammenfließen, aber auch ganz alltägliche Einbildungen von der Physiognomie des Juden mit der des Teufels [378: GOW, Red Jews]. Daß es sich hier nicht allein um Literatur, sondern um weitestverbreitete Vorstellungen handelt, beweist der kunstgeschichtliche Befund zur Assoziation von Kain, rotem Kopfhaar und Juden [432: MELLINKOFF, Cain]. Nimmt man die Polemik im weiteren Sinn beim Wort, als Gradmesser für ein ernsthaftes Anliegen, die andere Seite zu überzeugen, so ergibt sich eine abnehmende und dann wieder ansteigende Tendenz. In der Frühzeit gab es konsequente Versuche, die Juden zu bekehren, mit Mitteln der Polemik, häufiger mit Gewalt. Den Niederschlag dieser Mission, wachsende Zahlen von Konvertiten oder jedenfalls die Befürchtung auf jüdischer Seite vor einer solchen Entwicklung, hat die neuere Forschung für das 12. Jahrhundert herausgearbeitet. Auf diesem Hintergrund stimmt es ironisch, daß sich in ganz Europa auf christlicher Seite seit eben dieser Periode die besonders an der Talmudrezeption ablesbare Wahrnehmung verfestigte, daß sich die Juden nicht bekehren lassen. Damit wird der missionarische Impuls von anderen Anliegen überlagert. Die verschiedenen Formen der nunmehr einsetzenden Stereotypenbildung lassen eine wesentliche Wandlung in der Rolle erkennen, die den Juden von der christlichen Gesellschaft zugewiesen wird. Sie werden nicht mehr als eschatologische Zeugen, sondern als Objekte für die Projektion von Aggressionen, Schuldgefühlen und Ängsten gebraucht, nicht vereinnahmt, sondern ausgeschlossen. Erst die Kirchenreform des 15. Jahrhundert, vollends dann die Reformation sollte im Reich wie so vielen anderen christlichen Leitmotiven auch dem alten Missionsprinzip zu erneutem Leben verhelfen. Die spätmittelalterliche Mission war jedoch unterdessen von starken anderen Impulsen überdeckt und sollte nur einer von mehreren Aspekten der christlichen Stellung zum Judentum bleiben. Nach der vom Gedanken der „bürgerlichen Verbesserung der Juden“ bewegten Forschung des 19. Jahrhunderts hat sich in den letzten Jahrzehnten die entgegengesetzte Idee gefestigt, daß der Judenhaß vornehmlich, wenn nicht ausschließlich, Sache der Christen sei. Dementsprechend werden Missionsgedanke und Stereotypisierung als innerchristliche Anliegen aufgefasst, die den Juden nur als Objekt, kaum als Partner brauchen. Diese Anschauung wird in jüngster Zeit wenn nicht in Frage gestellt, so doch relativiert. AMOS FUNKENSTEIN hat die Tatsache der seit dem 12. Jahrhundert zunehmenden Kontakte zwischen beiden Seiten registriert, aber auch, daß „die gemeinsame Sprache zum Ausdruck gegensätzlicher Behauptungen gebraucht wurde“ [8: Percep-

Langzeitentwicklung der den Juden zugewiesenen symbolischen Funktionen

132

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

tions, 198 f.]. Für die christliche Seite wird diese „Dialektik von Polemik und Beeinflussung“ erst langsam und andeutungsweise erkannt, vielleicht, weil hier das Bild so entscheidend von Gewalt und Unrecht geprägt ist. Für die jüdische Seite dagegen ist die Gegenseitigkeit des Verhältnisses das Hauptthema der neueren Forschung.

Auch auf jüdischer Seite kaum polemische Schriften aus Deutschland

Nizachon Vetus (13. Jh.)

Sefer ha-Nizachon des Lipman Mühlhausen

3.3.2 Die jüdische Seite Einen nach Perioden und Herkunftsländern geordneten ersten Überblick über das hebräische polemische Schrifttum bringt ROSENTHAL [24]. Wesentliche Einblicke in das Wesen der Polemik gewährt die idealtypische Darstellung von KATZ [268: Exclusiveness, 106–13]. Eine nach interner Funktion geordnete beschreibende Klassifikation bringt JEREMY COHEN, der die Entwicklung der jüdischen Polemik als Antwort auf die Herausforderung der christlichen versteht [236: Towards a Functional]. Auch auf jüdischer Seite machen die Werke sefardischer und provençalischer Herkunft den Großteil des Schriftgutes aus. Aus dem Mittelalter sind an eigentlichen Streitschriften (hebr. Nizachon) nur zwei erhalten, die mit einiger Sicherheit in Deutschland verfasst wurden. Die erste ist der Nizachon Vetus, eine umfangreiche, im späten 13. Jahrhundert von einem anonymen Autor zusammengestellte Sammlung der aschkenasischen antichristlichen Polemik aus diesem und dem vorhergehenden Jahrhundert. Ihn hat D. BERGER ediert, übersetzt, kommentiert und mit einer Einleitung zur Vorgeschichte der jüdischen Polemik versehen [53]. Das zweite erhaltene Werk ist der in absehbarer Zeit in der kritischen Ausgabe von O. LIMOR und I. YUVAL zu erwartende Sefer ha-Nizachon des Lipman Mühlhausen [zur Person s. vorläufig 77: GJ III, 1129–31]. YUVALS Deutung zufolge ist das in Form eines laufenden Kommentars zur Bibel gehaltene Werk unmittelbar nach einer sonst unbekannten, 1399 abgehaltenen Disputation zwischen dem Verfasser und einem Konvertiten niedergeschrieben worden [324: Kabbalisten]. Das Ziel war einmal, wie üblich dem eigenen Publikum Argumente zur Verteidigung seines Glaubens zu liefern. Lipman sah sich aber auch gezwungen, internen abweichenden Tendenzen zu begegnen, die seinem Widersacher als Beleg zur Verknüpfung von Judentum und Ketzertum gedient und damit den Vorwand für die in Anschluß an die Disputation stattgefundene Verbrennung von 80 Juden geliefert hatten. Der Sefer ha-Nizachon ist der „erste und in seiner Art einzige systematische aschkenasische Versuch, die Grundprinzipien der jüdischen ‚Orthodoxie‘ gegen ketzerische Angriffe von verschiedenen Seiten zu verteidigen, gewissermaßen ein aschkenasisches Gegenstück zum ‚Führer der Verirrten‘ des Maimonides“ [ebenda, 162]. Vom

B. Probleme und Tendenzen der Forschung

133

Werk sind nicht weniger als 45 Handschriften erhalten, weit mehr als von jeder anderen aschkenasischen Schrift des Mittelalters, mit ihm haben sich christliche Polemiker bis ins 19. Jahrhundert auseinandergesetzt. Die oben erwähnte Schrift des Stephan Bodecker war eine direkte Antwort auf Lipmans Sefer ha-Nizachon. Der spärliche Befund an erhaltenen jüdischen Streitschriften ließe sich als Gegenstück zur Knappheit der christlichen Werke deuten, wonach das jüdische wie auch das christliche Deutschland als Abseits der geistigen Entwicklung des Mittelalters gesehen werden könnte. Nach einer anderen Interpretation war das aschkenasische Judentum Beeinflussungen von außen verschlossen und kümmerte sich wenig um das Christentum [zuletzt 205: SOLOVEITCHIK, Religious Law, 213 f.]. Gegen beide Deutungen stehen quellenkundliche wie auch sachliche Argumente. Sie berücksichtigen nicht die Dunkelziffer unterdrückter bzw. selbstzensierter Werke, wie etwa ein polemischer Kommentar aus der Feder keines geringeren als R. Elieser b. Natan, des Verfassers von Elegien auf die Opfer von 1096 und des bedeutenden halachischen Werkes Even ha-Eser [293: SHAPIRO]. Der Text ist nur in der einzig erhaltenen, offensichtlich aus dem späten 12. Jahrhundert stammenden handschriftlichen Fassung des Even ha-Eser bezeugt, nicht aber in seinen zahlreichen Drucken, was ohne Zweifel auf Selbstzensur hinweist. Auch verbirgt die Fixierung auf die Gattung Streitschrift den Blick auf die Tatsache, daß sich wie auf der Gegenseite Polemik und Apologetik in anderen Quellengattungen finden. Am bekanntesten ist das Toldot Jeschu (Leben Jesu), eine frühmittelalterliche hebräische Evangelienparodie, die in unterschiedlichen Fassungen im Untergrund zirkulierte und bis nach Kairo gelangte [hg. v. 60: KRAUSS, Leben Jesu; Beschreibung und Literatur bei 27: SCHRECKENBERG, I, 483 f.]. Die Existenz dieser Schrift und der darin vertretenen pejorativen Meinungen zum Christentum waren kein Geheimnis und haben viel böses Blut geschaffen. Der Forschung weniger vertraut sind die, allerdings nur von französischen Gelehrten überlieferten, Kommentare zu Bibel und Synagogalpoesie. Von polemischem Geist erfüllt, die Wahrheit der jüdischen und die Unwahrheit der christlichen Auffassung betonend, wurden sie bereits von Y. BAER [216: Rashi, 325–9] und nunmehr ausdrücklich von A. GROSSMAN als Zeichen schwerwiegender Spannungen bereits im 11. Jahrhundert interpretiert [253: Background to the Piyut; 258: Rashi’s Commentary; 259: Between 1012 and 1096]. In diesen Zusammenhang gehört auch die Semantik des frühen jüdischen Schrifttums, das routinehaft abfällige, wenn auch oft verschlüsselte Bezeichnungen für die christlichen Heiligtümer benutzte. Nach A. ABULAFIA diente dieser

Polemik in anderen Literaturgattungen

Toldot Jeschu – eine hebräische Evangelienparodie

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Polemik als Aufnahme und Umkehrung der Werte der anderen Seite

Die polemische Tradition im Judentum

Das Martyrium von 1096 – Angelpunkt zum Verständnis der polemischen Tradition Die Debatte um die hebräischen „Kreuzzugschroniken“ zu 1096

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

Sprachgebrauch als „Gedächtnishilfe“, mit der Juden ihren Widerstand gegen den christlichen Missionsdruck präsent hielten [210: Invectives]. I. MARCUS dagegen verbreitert den Begriff Polemik mit der Einbeziehung „ritualisierter Akte sozialen Verhaltens, die religiöse Ansprüche bestätigen“ [279: Hierarchies, 21]. Dabei kommt ein Prozeß der „inward acculturation“ in Gang, der sich von der modernen Akkulturation oder Assimilation unterscheidet: „Within a traditional Jewish framework, the writings of the articulate few or the customs of the ordinary many sometimes expressed elements of their Jewish religious cultural identity by internalizing and transforming various genres, motifs, terms, institutions, or rituals of the majority culture in a polemical, parodic, or neutralized manner“ [286: Jews and Christians Imagining, 210; 287: Rituals, 11 f.]. I. YUVAL ist diesem Vorgang in seinen Einzelheiten nachgegangen und hat die ungemein starke Präsenz christlicher Glaubensinhalte im jüdischen Bewußtsein dargelegt. Dies erstreckt sich, wie bereits BAER feststellte [216: Raschi, 328], bis in die Sprache hinein, und schuf eine weit größere „Gemeinsamkeit in den Ausdrucksmitteln, als die erklärte religiöse Gegnerschaft vermuten ließe“ [327: YUVAL, Christliche Symbolik, S. 1; 326: DERS., Heilige Städte]. Am weitesten ging hier AMOS FUNKENSTEIN mit der Auffassung einer „considerable fascination of each to the other“ [8: Perceptions, 171]. Sein unzeitiger Tod hat die von ihm geplante umfassende Untersuchung nicht zustande kommen lassen. Auf jeden Fall ist die Auffassung eines von der Umwelt abgekoppelten, allerhöchstens auf diese reagierenden Judentums nicht mehr aufrecht zu erhalten. Vielmehr muß mit SCHWARZFUCHS von einer „tradition populaire juive d’opposition, de critique et de dérision du christianisme“ ausgegangen werden [292: Religion populaire, 202]. Diese Tradition und gleichzeitig ein aufmerksames Erfassen christlicher Anliegen ist in allen überlieferten Quellengattungen festzustellen, wie die Untersuchung der jüdischen Reaktionen auf die Blutbeschuldigungen durch A. ANGERSTORFER ergibt [211]. Angelpunkt für das Verständnis der Entstehung einer solchen Tradition ist die Diskussion um den Kiddusch ha-Schem von 1096, den massenhaften Freitod zur „Heiligung Seines Namens“. Im Mittelpunkt einer quellenkundlichen Auseinandersetzung stehen drei lange als „Chroniken“ bezeichnete hebräische Berichte, über deren Verfassungszeit in der Forschung keine Einigkeit besteht. Sie wurden nach BAER [217] unmittelbar nach den Ereignissen geschrieben, was nach A. ABULAFIA jedoch nur für eine der Quellen zutrifft. Dagegen sind die zwei detailreicheren Texte auf kurz vor Mitte des 12. Jahrhunderts zu datieren [dazu und zur Forschungsgeschichte 209: ABULAFIA, Interrelations-

B. Probleme und Tendenzen der Forschung

135

hip; s. auch die neueste Übersicht von 243: DAVID]. Sie wurden mehrmals veröffentlicht [40: NEUBAUER/STERN; 37: HABERMAN] und auch ins Deutsche und Englische übersetzt [40: NEUBAUER/STERN, 81–186; 357: CHAZAN, European Jewry, 225–97]. Die Debatte um ihre Interpretation hat sich zum Methodenstreit zwischen einer historisch-positivistischen und einer anthropologisch-literaturkritischen Quelleninterpretation entwickelt [in der Reihenfolge des Erscheinens: 278: MARCUS, From Politics; 357: CHAZAN, European Jewry, 308–9; J. COHEN in AHR 93, 1988, 1031; 232: CHAZAN, Representation; 281: MARCUS, Besprechung; 282: MARCUS, History; 233: CHAZAN, Facticity; 237: COHEN, The ‚Persecutions of 1096‘; 234: CHAZAN, Timebound]. Gegen den bisherigen Konsens, wonach die hebräischen Berichte als vertrauenswürdiges Zeugnis für den Kiddusch ha-Schem von 1096 zu sehen sind, werden sie nunmehr von einigen Forschern als komplexe literarischliturgische Texte mit begrenzten faktischen Quellenwert gewertet. So siedelt JEREMY COHEN in seiner literaturkritischen Analyse die Texte nicht in der Situation von 1096, sondern des 12. Jahrhunderts an. „The particulars of these tales and the ideology of Kiddusch ha-Schem which they invoke, derive not from the mentality (or deeds) of the martyrs but those of the martyrologists, the survivors of the persecution“ [237: The ‚Persecutions‘, XII]. Die synogale Poesie des 12. Jahrhunderts bringt wichtige Ergänzungen, ist aber nur in der älteren Ausgabe von HABERMAN zugänglich [37]. Teile davon wurden neulich ins Deutsche übersetzt [63: MUTIUS, Efraim von Regensburg; 64: DERS., Efraim b. Yaaqov]. Auf die Liturgie als Quelle von hohem Aussagewert hat neulich I. YUVAL in einem heiß diskutierten Beitrag hingewiesen [320; zur Sache s. unten]. Mehr noch als die Motive der Mörder von 1096 hat das großartig düstere Ambiente des jüdischen Kiddusch ha-Schem, des Freitods und der Schlachtung der Kinder, die Forschung fasziniert. Die moderne Befassung mit dem Phänomen begann 1953 mit dem Aufsatz von YITZCHAK BAER, der, nicht zufällig zu diesem Zeitpunkt, nach einer Sinngebung für das Massenmartyrium suchte [217: Persecutions]. Diese fand er in der totalen Identifizierung der Betroffenen mit zwei archetypischen Motiven, Jitzchaks Opferung durch Abraham und das Tempelopfer. Weiterführend war die von KATZ gewonnene Einsicht, „that the act of martyrdom was deliberately and pointedly directed at the Christian world. The Christians were to be made aware of the true faith“ [268: Exclusiveness, 92]. Die Mehrsinnigkeit des – nach innen wie nach außen gekehrten – Martyriums hat auch im weiteren den Weg der Forschung bestimmt. H. SOLOVEITCHIK behandelt das von BAER nur ge-

Die Debatte um die geistigen Quellen des Martyriums

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Die Yuval-These: apokalyptische „Erlösung durch Rache“

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

streifte Problem der geistig-religiösen Quellen des Kiddusch ha-Schem mit der Frage nach der halachischen Zulässigkeit des Freitods, die von ihm entschieden verneint wird [205: Religious Law, 208–12]. Angesichts der Ungeheuerlichkeit der Ereignisse von 1096 habe sich eine Kluft zwischen dem Selbstgefühl der Betroffenen als „heilige Gemeinde“ und dem formalrechtlichen Verbot aufgetan, die bei den Überlebenden zu einer rechtlich zweifelhaften Abänderung der Halacha geführt hat. A. GROSSMAN sieht dagegen die aschkenasische Halacha auch aus Quellen der Aggada gespeist, die zum geistigen Rüstzeug des aschkenasischen Judentums gehörte und den Kiddusch ha-Schem als Beispiel darstellte [252: Roots; s. a. 357: CHAZAN, European Jewry, 116– 23]. Die gleiche Problematik – „the enormous magnitude of this halakhic breach“ [205: SOLOVEITCHIK, Religious Law, 209] – steht wohl hinter der u. a. von M. BREUER vorgebrachten These, daß der aktive Freitod von 1096 Sache des einfachen Volkes und besonders der Frauen gewesen sei [230: BREUER, Women]. Dagegen führt GROSSMAN in einem weiteren Aufsatz eine Reihe von kulturellen Entwicklungen des 11. Jahrhunderts auf, die für ihn den Übergang vom „passiven“ zum „aktiven“ Kiddusch ha-Schem erklären, an erster Stelle die heftige Polemik mit dem Christentum [259: Between 1012]. Neben anderen Elementen erwähnt er kurz die im ausgehenden 11. Jahrhundert im aschkenasischen Judentum spürbare messianische Erregung. Apokalyptische Erwartungen sind die Grundlage, auf der ISRAEL YUVAL, ausgehend von Gedanken GERSON COHENS, eine komplexe Interpretation des Kiddusch ha-Schem, aber auch der oben behandelten, bereits vor 1096 bestehenden, antichristlich-polemischen Disposition entwickelt hat [320: Vengeance; 321: The Lord; 327: Christliche Symbolik; 328: Two Nations]. YUVAL erschließt, im Gegensatz zur sefardischen Vorstellung einer „Erlösung durch Konversion“, in der sich am Ende der Tage die Völker der Welt zum Judentum bekehren würden, aus der aschkenasischen synagogalen Liturgie die Vorstellung einer „Erlösung durch Rache“. Danach werde Gott am jüngsten Tage „Edom“, d. h. das römische, im Mittelalter nunmehr deutsche, Reich mit seinem christlichen Volk vernichten. Diese andeutungsweise in biblischen Quellen und frühen religiösen Dichtungen aufscheinende Idee wurde mit der Vorstellung des göttlichen Gewandes (porphyrion) assoziiert, das vom Blut der Märtyrer rot gefärbt und am jüngsten Tag als „corpus delicti“ gegen die Peiniger Israels dienen würde. Das Blut der Märtyrer schreit nach messianischer Rache, ihr Tod erhält die Funktion des Katalysators der Erlösung und damit eine Sinngebung. Geistig und gefühlsmäßig dient die in fernste Zukunft projizierte eschatologische

B. Probleme und Tendenzen der Forschung

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Rache zur Auflösung der unerträglichen Spannung zwischen der Erwählung Israels und seiner konkreten Erniedrigung, als polemische Abwehr des christlichen Anspruches, Israels Nachfolge in Gottes Liebe angetreten zu haben. Yuvals mentalitätsgeschichtliche These, die er mit seinem oben behandelten Erklärungsmodell zur Entstehung der Ritualmordlüge verknüpfte, hat eine Welle von Reaktionen ausgelöst, die weit den Kreis der Historiker überschritten. In einem Doppelheft der Zeitschrift Zion wurden 1994 sowohl die von ihm aufgeworfenen Fragen wie auch das Gesamtproblem der christlich-jüdischen Beziehungen im aschkenasischen Mittelalter und die sich daraus ergebenden historiographischen Probleme diskutiert. MARY MINTY bestätigt YUVALS These zum Ritualmord aus Quellenmaterial des deutschen 12. bis 16. Jahrhunderts – Chronistik, theologische Traktate, Exempelerzählungen und Kunstwerke [442: Kiddush ha-Shem; 443: Responses]. Sie bezeugen eine Wahrnehmung des jüdischen Martyriums, mit der im Laufe der folgenden Jahrhunderte das Stereotyp vom „mörderischen Juden“ gestützt und ausgebaut werden konnte. Dagegen weist der Literaturhistoriker EZRA FLEISCHER die Idee einer aschkenasischen messianischen Racheideologie zusammen mit der Vorstellung zurück, „that Christian attitudes towards Jews in the Middle Ages were influenced by Jewish attitudes towards Christianity“ [246: Christian-Jewish Relations, XIV f.]. Vermittelnd ist der am gleichen Ort erschienene Beitrag GROSSMANS [255: Redemption]. Er bestätigt das Gewicht des Rachegedankens im aschkenasischen Kulturgut und seinen eschatologischen Charakter, weist aber auch auf die Existenz ähnlichen Gedankenguts in früheren Zeitschichten und anderen jüdischen Kulturkreisen hin, dazu auf das Vorhandensein der „Erlösung durch Konversion“ im aschkenasischen Bereich. In seiner Erwiderung entfaltet YUVAL den Gedanken, daß die „Erlösung durch Rache“ bereits in spätantiken Quellen aufscheint und zum traditionellen Gedankengut gehörte [321: The Lord]. Dies leitet zu seiner im weiteren entwickelten Anschauung über, daß ganze Stücke der religiös-kulturellen Anlage des nachbiblischen Judentums nicht in einer frühen Isolation, sondern erst im polemischen Dialog mit dem Christentum geformt wurden [328: Two Nations]. Damit trifft er sich mit IVAN MARCUS, der auf anderem Weg, über das oben erwähnte Konzept der „inward acculturation“, zu ähnlichen Ergebnissen gelangte [287: Rituals of Childhood, 84]. Die Feindschaft gegenüber dem Christentum, jene polemische Disposition des aschkenasischen Judentums, ist in dieser Sicht keine Reaktion auf die Kreuzzugsverfolgungen, sondern entstammt einer älteren und tiefer verwurzelten Anschauung, die

Die Debatte um die Yuval-These

Die erweiterte Yuval-These: jüdische Identität in Polemik mit dem Christentum geformt

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Messianische Spannungen nach 1096

Keine passive „Hinnahme des Schicksals“

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

von dem konkret erfahrenen Leid nur verstärkt und bestätigt wurde. Die (vorläufig) letzte Stellungnahme von DAVID BERGER zum Thema erhärtet, modifiziert aber auch YUVALS These aus einer weiteren Quellengattung, der hebräischen Polemik, wo die beiden Erlösungsgedanken, wie auch Vorstellungen der Über- und Unterlegenheit, nebeneinander bestehen [221: On the Image]. Die spätere Geschichte der jüdischen Haltung zum Christentum ist nicht mit gleichem Nachdruck untersucht worden. In einem weiteren Aufsatz verfolgt YUVAL das Fortleben des Gedankens der „Erlösung durch Rache“ anhand der messianischen Erregung zum Jahre 1240, das Ende des 5. Jahrtausends der jüdischen Zeitrechnung [322: Toward 1240]. Damals erhoben sich im aschkenasischen Judentum, auch im Zusammenhang mit dem Vordringen der Mongolen, erneut apokalyptische Erwartungen, und mit ihnen verbunden, christliche Befürchtungen vor der eschatologischen Rache der Juden. Diese stellen nach YUVALS Deutung den Hintergrund für die bis dahin ungewöhnliche Ballung judenfeindlicher Akte um das Jahr 1240 dar. Messianische Spannungen sind auch gegen Ausgang des 14. Jahrhunderts auszumachen, werden jedoch nunmehr mit der Begrifflichkeit der über Rückwanderer aus Jerusalem eindringenden spanischen Kabbalah umformuliert [317: YUVAL, Magie und Kabbalah]. Auch hier ist, wie anhand Person und Werk des Polemikers Lipman Mühlhausen sichtbar wird, eine Perzeption jüdischer Anschauungen durch die christliche Umgebung zu vermuten [324: YUVAL, Kabbalisten]. Angesichts dieser Denk- und Verhaltensmuster ist die zuletzt von F. GRAUS vorgebrachte Anschauung nicht mehr haltbar, es sei „im jüdischen Umkreise die Hinnahme des Schicksals zu einem typischen Massenverhalten geworden, das das Vorgehen von zahllosen Generationen geprägt hat“ [383: GRAUS, Pest, 257]. Dies ist, wie AMOS FUNKENSTEIN zuletzt nachgewiesen hat, ein Mythos, der vielleicht ganz begrenzt für das postemanzipatorische Judentum in West- und Mitteleuropa zutrifft [247: Passivität]. In Bezug auf das Mittelalter wird sich die Forschung vielmehr zunehmend der Mittel bewußt, mit denen Juden innerhalb der eng gezogenen Grenzen der Minderheitssituation konsequent versuchten, ihr Schicksal zu gestalten, ihm aber auch einen Sinn zu geben. 3.4 Der Alltag der kulturellen Anleihe Die düstere Atmosphäre von Diskriminierung, Stereotypisierung und Verfolgung, von Rachegedanken und aktiver Messiaserwartung, von der polemischen, bewußt verletzenden Umkehrung der Heiligtümer einer Seite durch die andere, darf nicht als alleiniger Ausdruck der Kom-

B. Probleme und Tendenzen der Forschung

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plexität des gegenseitigen Nehmens und Gebens genommen werden. Solche Konzepte bestechen mit ihrer Schlüssigkeit und methodischen Innovation, blenden aber andere, weniger spektakuläre Aspekte aus. Diese finden sich in den bescheidenen alltäglichen kulturellen Anleihen, die zum Abschluß beleuchtet werden sollen, ohne darüber in die anderen Extreme eines „mehr oder minder problemlosen jüdischchristlichen Zusammenlebens“ [so zuletzt 384: GRAUS, Die Juden in ihrer mittelalterlichen Umwelt, 58] zu verfallen. Mit der Erhellung der jüdischen Anleihen beschäftigt sich eine über hundert Jahre alte Forschungstradition, wogegen die Untersuchung der Übernahme jüdischer Elemente in den christlichen Brauch, mit wenigen Ausnahmen, noch am Anfang steht. Einigermaßen systematisch ist allein im gemeineuropäischen Rahmen der hochtheologisch-sprachliche Bereich – Stichwort „Hebraica veritas“, im Spätmittelalter dann christlicher „Hebraismus“ und Kabbalarezeption – behandelt worden [365: DAHAN, Les intellectuels]. Für Deutschland bestehen Ansätze zur Untersuchung des sozialen Untergrundes und der Gaunersprache [123: GLANZ, Geschichte des niederen jüdischen Volkes; 137: GUGGENHEIM, Meeting; 485: WERBLOWSKY], wie auch der lateinischen und deutschen Urkundensprache [397: HERLITZ]. Ein noch der gezielten Erforschung harrendes Problem ist die Übernahme medizinischer Traditionen [vgl. etwa Verfasserlexikon Bd. IV, 887–90]. Die Asymmetrie in der Forschungsgeschichte bekundet eine Asymmetrie des Gegenstandes: trotz aller Gegenseitigkeit des Verhältnisses war die Mehrheit nie wirklich auf die Minderheit angewiesen. Schon deshalb kann auch hier nicht von einer Symbiose gesprochen werden. Dies kommt markant in einer Streitfrage zum Ausdruck, die seit über einem Jahrhundert die Gemüter bewegt: das Problem des Dichters Süßkind von Trimberg, dessen literarisch nicht sehr bedeutendes Werk allein im Heiligtum des deutschen Minnesanges erhalten ist, in der Heidelberger Manessischen Liederhandschrift. Genauer geht es bei der anhaltenden Diskussion um die Frage der jüdischen Abstammung des Dichters [Literaturübersicht und abgewogene Darstellung des Problems bei 311: WACHINGER]. Hinter den verschiedenen Anschauungen steht die Frage, ob es im Mittelalter überhaupt das Phänomen eines jüdischen Dichters mit christlichem Publikum geben konnte. Es ist dies ein Punkt, der angesichts des dürftigen Quellenmaterials kaum zu entscheiden ist, und dementsprechend unüberzeugend sind die von beiden Seiten beigebrachten geschichtlichen oder literaturhistorischen Argumente. Ebenso aktuell zeitgebunden erscheint die Kompromißlösung, im Dichter den Konvertiten zum Christentum oder gar As-

Defizite in der Erforschung der gegenseitigen kulturellen Anleihen

Süßkind von Trimberg: ein jüdischer Dichter deutscher Sprache?

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Einflüsse des Deutschen auf das Hebräische

Stoffe der jiddischen Literatur aus jüdischen und christlichen Quellen

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

similanten zu sehen, einen frühen Heinrich Heine: „Klug, charmant, redegewandt, begabt, weltlich angetan“, der zurückging zum Judentum, „das er wohl nie offiziell verlassen hatte“ [289: ROSENTHAL, Süßkind]. Was immer auch die Herkunft des Süßkind, kulturgeschichtlich fällt ins Gewicht, daß im späten 13. Jahrhundert in christlichen Sammlerkreisen eine Assoziation von deutscher weltlicher Dichtung und, vielleicht nur fiktiver, jüdischer Identität denkbar war. Dagegen waren die Kultur und das Alltagsleben der deutschen Juden unbestreitbar von direkten Anleihen aus der Mehrheitsgesellschaft durchdrungen. Dies gilt, in verschiedener Weise, zuallererst für die Sprache. Das Hebräische der hochmittelalterlichen Gelehrten des Rheinlands hat bekannterweise zahlreiche französische Worte benutzt. Weniger bekannt ist der Einfluß des Deutschen, der bis jetzt nur in Bezug auf die hebräische Syntax des Sefer Chassidim untersucht wurde [270: KOGUT]. Die Volkssprache der Juden, seit dem Spätmittelalter das Jiddische, hat sich, trotz immer wieder vorgetragener divergierender Meinungen [zuletzt 183: WEXLER, The Ashkenazic Jews: A Slavo-Turkic People] aus dem Deutschen entwickelt [kurze Zusammenfassung der Forschungsgeschichte und linguistischen Argumente bei 298: SIMON, Sprache; die Probleme und Forschungsansätze detailliert bei 307: TIMM; 312: WEINREICH]. Faßbar wird sie in dem seit dem 13. Jahrhundert vereinzelt, ab dem 15. Jahrhundert dann dichter überlieferten jiddischen Schrifttum [Übersichten bei 245: DINSE; 262: HIRHAGER/BIRKHAN; 295: SHMERUK]. Es ist in Umrissen aufgearbeitet, von den Segenssprüchen und Glossen der Frühzeit über volksmedizinische Traktate, Beschwörungsformeln, die aus dem Hebräischen übersetzte religiöse Gebrauchsliteratur, Privatbriefe, Urkunden, bis hin zu den am besten bekannten Geschichtensammlungen. In den letzteren, Erbauungs- und Unterhaltungsliteratur zugleich, werden insbesondere Motive aus der internen Überlieferung verwendet, aus Bibel und Midrasch [309: TURNIANSKY]. Ihre Verbindungslinien mit dem Folkloreschatz der Sefarden wie auch der nichtjüdischen Welt hat nunmehr S. ZFATMAN freigelegt [329]. Mit ähnlicher Vorliebe hat man Werke aus der höfischen Literatur und den deutschen Volksbüchern übersetzt bzw. deren Stoffe variiert, zuweilen um antijüdische Spitzen und christlich-religiöse Inhalte gekürzt. Hier sind die Anleihen aus der Mehrheitskultur am augenfälligsten, ebenso die Anpassungen an den jüdischen Geschmack. Die Diskussion geht um Wesen und Stellenwert der Anleihen, um ihre Herkunft aus christlichen oder jüdischen Quellen, auch ob diese Literatur mit dem umstrittenen Prädikat „Spielmannsdichtung“ zu bezeichnen ist [dazu, mit der älteren Literatur, kritisch 296: SHMERUK].

B. Probleme und Tendenzen der Forschung

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Ein neuer Fund beleuchtet die Anleihen der jüdischen Alltagskultur von anderer Seite. In Stilformen, die mit den Illustrationen der oben erwähnten Manessischen Liederhandschrift in direkter Verbindung stehen, wurden um 1330 die Wände des Repräsentationsraumes eines Zürcher Judenhauses mit höfischen Szenen – Falkenjagd, Musik und Tanz – und 31 deutsch wie auch hebräisch beschrifteten Wappen schweizerischer, süddeutscher und europäischer Adelsgeschlechter ausgeschmückt. Diese Fresken wurden kürzlich freigelegt [ich danke Alexander Patschovsky, Konstanz, für den Hinweis auf den Fund und Dölf Wild, Büro für Archäologie der Stadt Zürich, für die Überlassung von Fotografien, Nachzeichnungen und Ausstellungsunterlagen]. Mikroskopische und chemische Untersuchungen ergaben, daß die hebräische Beschriftung auf den noch feuchten Putz aufgetragen wurde, also zum ursprünglichen Auftrag an den sicherlich christlichen Künstler gehörte. Es ist dies eine weitere Bestätigung der sonst im Bauwesen belegten und auch bei einem Teil der überlieferten hebräischen Handschriftenillumination vermuteten Tatsache der Beanspruchung nichtjüdischer Spezialisten [zur Begründung der Handschriftenthese s. 300: SUCKALE]. Wichtiger jedoch, es ist dies ein klares Zeugnis für eine bewußte Auswahl und Übernahme von künstlerischen Inhalten aus der Mehrheitskultur. Allein eine Zeichnung, ein in Esau-Gestalt stilisierter Bogenschütze, kann vielleicht als eigenständig jüdisches Motiv gelten. Die Hausbesitzer und Auftraggeber sind mit einiger Sicherheit als das Brüderpaar Moses und Mordechai ben Menachem zu identifizieren, die zu den bedeutendsten Geldleihern von Zürich gehörten. Sie tätigten auch mit dem regionalen Hochadel Geschäfte, was wohl die Anlage eines repräsentativen Festsaals erklärt. Moses ben Menachem war aber auch ein bedeutender Gelehrter, der Vorsteher der Zürcher Jeschiwa und Verfasser des sog. „Zürcher Samaq“, eines oft zitierten TalmudKommentars. Die traditionell definierte jüdische Identität hat, wie die neuere Forschung zu Recht betont, religiöse Leitmotive der nichtjüdischen Umgebung in ihr Weltbild aufgenommen, um sich mit ihnen polemisch auseinanderzusetzen. Sie war aber auch fähig, andere Motive zu integrieren, nicht um sie zu bekämpfen, sondern um sich daran zu vergnügen, an ihnen teilzunehmen. Solche Motive nahmen vielleicht keinen vorrangigen Platz im jüdischen Bewußtsein ein, waren dennoch täglich vor Augen präsent und wurden durch den damals üblichen mündlichen Vortrag weit verbreitet. Die Darstellung des jüdisch-christlichen Verhältnisses wie auch der eigenen Kultur der Juden wird auch diesen Aspekt abzuwägen haben. Die Erforschung des unbelasteten Sprechens

Anleihen in der Alltagskultur: das Haus der Brüder Moses und Mordechai ben Menachem in Zürich

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II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

und Lesens, der arglosen Belustigung, mag eine Bereicherung, nicht eine Verkürzung unseres Verständnisses eines so komplizierten Verhältnisses, der schwierigen, mit viel Leid erfüllten mittelalterlichen Geschichte der Juden Deutschlands bedeuten. 4.

Forschergruppen

Nachtrag 2013: Wo steht 2013 die Erforschung mittelalterlicher jüdischer Existenz in Mitteleuropa?

Vor 15 Jahren hatte ich erste Gelegenheit, mir Gedanken zu dem im Titel angesprochenen Thema zu machen. Es soll genügen, jüdische Existenz in Mitteleuropa mit dem aschkenasischen Judentum in Bezug zu setzen, wenngleich die Identifizierung der beiden nicht unproblematisch ist. Zeitlich geht es von den Anfängen bis zum Auslaufen des Mittelalters im späten 15./frühen 16. Jahrhundert. In meinen Ausführungen kann ich kaum Neues präsentieren; das meiste ist wohlbekannt, steht aber so nicht unbedingt im öffentlichen Diskurs bzw. wird so nur selten direkt ausgesprochen. Wenn ich im Weiteren die männliche Sprachform beibehalte, also Forscher anstatt ForscherInnen, so ist das allein auf Trägheit zurückzuführen. Sie ist umso weniger gerechtfertigt, als die Mehrzahl jener, die sich mit jüdischer Geschichte beschäftigen, weiblichen Geschlechtes ist. Die folgenden Gedanken sind im ersten Teil Ergebnis einer informellen Überschau des Feldes, ein kumulativer Prozess der langjährigen Beschäftigung mit der Materie und meiner persönlichen Bekanntschaft mit einem guten Teil der handelnden Personen. Für diesen Teil fällt es mir schwer, systematisch Belege zu liefern. Einige Anhaltspunkte ergaben sich aus den Internet-Seiten der Einrichtungen, Lehrstühle und Institute. Die Zahlen sollten cum grano salis genommen werden, meine Auszählung kann durchaus unvollständig sein. Im zweiten Teil werden die notwendigen Referenzen zur Literaturübersicht geliefert. Zum gegebenen Thema gehören Fragen wie die Identität der Forschenden, die institutionelle Forschungslandschaft, Projekte und besonders Quelleneditionen sowie deren Finanzierung. Zuletzt sind einige sachliche Forschungsschwerpunkte zu berühren, die in meiner Sicht wesentliche neue Methoden oder Erkenntnisse liefern. Eine gesamtheitliche Darstellung der Forschung ist im Rahmen dieses Nachtrages nicht zu leisten. Wer erforscht die Geschichte mittelalterlicher mitteleuropäischer Juden? Es ist insgesamt ein überschaubares, wenngleich längst nicht mehr einsames Feld. Zählt man die Köpfe, so sind es wie schon vor

B. Probleme und Tendenzen der Forschung

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1998 Bewohner Mitteleuropas, also Deutschsprachige (hauptsächlich Deutsche und Österreicher, einige Schweizer), Tschechen und Polen, sodann Israelis, Engländer und Franzosen sowie natürlich Amerikaner einschließlich Kanadier. Grob geschätzt würde ich meinen, daß die Zahl der in deutschsprachigen Ländern Tätigen nur wenig kleiner ist als die Gesamtzahl aller anderen zusammen. Allerdings liegen die Verhältnisse etwas anders, wenn wir den Forschungsgegenstand Aschkenas etwas genauer umreißen und mit der „jüdischen Geschichte in . . .“ kontrastieren. Weder in Israel, noch in Nordamerika, sicherlich nicht in Frankreich geht es um die Geschichte der Juden in Mitteleuropa oder gar in Deutschland oder Österreich, auch nicht um jene im mittelalterlichen deutschen Reich. Es geht immer um Aschkenas, eine kulturelle Identität, deren geographischer Standort und Umfang in dauernder Veränderung begriffen war und die natürlich keine moderne Nationalgrenzen kannte. Sobald dieses Aschkenas im Diskurs steht, sind es nur in der Minderzahl die eigentlichen ereignisgeschichtlichen Sachverhalte, an die sich das Interesse richtet. Mit dem veränderten Blickwinkel ergeben sich andere Fragestellungen, aus der Kulturgeschichte und besonders der Geschichte des jüdischen Religionsgesetzes (Halacha), der Geschlechtergeschichte, der historischen Anthropologie und dem gesamtjüdischen Vergleich besonders mit dem jüdischen Kulturkreis auf der iberischen Halbinsel (Sefarad) [zu Letzterem siehe 503: BERGER, Messianism; 527: KUYT, Reiseberichte]. Sobald diese Themen und deren maßgeblicher Quellenfundus, die rabbinische Literatur, eingebracht werden, blicken wir auf Forschungsgebiete, die sich in den letzten beiden Jahrzehnten Neuerungen geöffnet haben und die auch methodisch herausfordend sind. Dann ändern sich auch die Zahlenverhältnisse der Forschenden zugunsten der Israelis, Amerikaner und Franzosen. Wenngleich dies keine feinsäuberliche Trennung ist, so können wir doch eine deutschsprachige Neigung zu traditionelleren Elementen (etwa Ereignis-, Wirtschafts-, Institutionengeschichte) mit einer neuerungsfreudigeren Tendenz bei der anderen Gruppen kontrastieren. Diese Divergenz hat auch mit der unterschiedlichen Quellenbasis zu tun: nichtjüdische Quellen für die zuletzt genannten Gegenstände, innerjüdische Quellen für die im vorigen Absatz erwähnten. Ohne die Dinge klar fassen zu können, glaube ich bei der deutschsprachigen Forschung doch und noch eine gewisse Zurückhaltung, vielleicht auch eine Unsicherheit feststellen zu können. Die immer noch mangelnde Beherrschung der hebräischen Sprache und Quellen mag dabei eine Rolle spielen. So kommt es, daß die schon seit dem 19. Jahrhundert und immer wieder aufs Neue bejammerte Teilung in eine „innere“ und „äu-

Fragestellungen

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Jüdische Identifikation

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

ßere“ Geschichte der Juden weiter besteht, wenngleich mit abnehmender Tendenz. Zusätzlich bringt es die auch im vereinigten Europa immer noch national gegliederte Struktur der Wissenschaftsförderung mit sich, daß nicht wenige Forschungsprojekte auf „Deutschland“ oder „Österreich“ bezogen sind. Andererseits ist bemerkenswert, daß die Europäisierung der Forschungslandschaft auch bei der mittelalterlichen Geschichte der Juden ihre Wirkung nicht verfehlt hat. Die zeitlich Ersten mögen die Forscher aus Trier mit ihrer „Romanitas“ gewesen sein [521: HAVERKAMP, Geschichte der Juden; 548: PETERS, Historiography], es folgten und folgen weitere Projekte mit einem erneuten Schwerpunkt auf „Aschkenas“ anstelle der „deutschen“ oder anderen Juden. Der zahlenmäßige Vorrang der deutschsprachigen Forschung bleibt eine bemerkenswerte Tatsache. Obwohl politisch nicht ganz korrekt, so können wir doch feststellen, daß unter den Israelis natürlich alle jüdischer Herkunft und Identität sind. Ähnlich ist es in Amerika, Großbritannien und Frankreich, jedoch nur bei einer ganz kleinen Minderheit in den deutschsprachigen Ländern bzw. in Ostmitteleuropa. Im Fall der Israelis handelt es sich um ihre „Heimatgeschichte“ oder „Landesgeschichte“, wenngleich der mittelalterliche Teil keineswegs das Interesse und die Identifikation erreicht, die den biblischen und modernen Perioden zuteilwerden. Das Mittelalter hat als die Zeit des Ghettos und anderer bedrückender Um- und Zustände, die nur ungefähr mit den Stolz erweckenden Errungenschaften des „Goldenen Zeitalters“ in Spanien aufgewogen sind, in Israel immer noch mit einem schlechten Ruf zu kämpfen. Und damit ist andeutungsweise der instrumentale Charakter der Erforschung der jüdischen (wie natürlich jeder anderen) Geschichte angesprochen, die Frage „cui bono“, auf die bei einem so vielschichtigen Phänomen wie dem unseren kaum eine einheitliche Antwort zu geben ist. Versuchen wir es dennoch. In den meisten Ländern der westlichen Welt, sicherlich in Amerika ähnelt die heutige Situation der des 19. Jahrhunderts im deutschen und im Habsburgerreich. Sie brachte so viele jüdische Akademiker und Gelehrte dazu, sich der „Wissenschaft vom Judentum“ zu widmen (vgl. II.A.1.). Dort im 19. Jahrhundert, im Westen heute, „gehört“ die Geschichte der Juden hauptsächlich Juden, in dem Sinn, daß die Impulse von Menschen jüdischer Identität kommen. Das berührt sämtliche materiellen Aspekte, also etwa die Einrichtung von Lehrstühlen, die Gründung von Zeitschriften sowie auch die Finanzierung von Forschungs- und Editionsprojekten. Ein Beispiel: Der Nathan J. Miller Chair of Jewish History, Literature and Instituti-

B. Probleme und Tendenzen der Forschung

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ons an der New Yorker Columbia Universität wurde von LINDA MILLER zum Andenken an ihren verstorbenen Mann gestiftet. Dies war weltweit der allererste Lehrstuhl für jüdische Studien an einer nicht-religiösen Universität. Sein erster Inhaber, ab 1929 und über Jahrzehnte hinweg, war SALO WITTMAYER BARON [529: LIBERLES, Architect]. Die beinahe ausschließlich jüdische Zusammensetzung des Leserkreises kann man heute noch an den Subskriptionslisten der wichtigsten Editionsobjekte ablesen, etwa der „Germania Judaica“, der „Quellen zur Geschichte der Juden in Deutschland“ oder der „Quellen und Forschungen zur Geschichte der Juden in Deutsch-Österreich“. Natürlich befasst man sich vor allem mit der eigenen Geschichte, weil sie identitätsstiftend ist, aber auch weil es sonst kaum jemand anderer tun würde. Im Gegensatz zum 19. Jahrhundert, als diese Geschichte für Nichtjuden kaum mehr als ein zu den Akten gelegtes Vorwort zum Christentum war, ist sie heute im Rahmen der amerikanischen (weniger der britischen oder französischen) Kultur und Gesellschaft als ein nicht unbedeutendes Element in dem großen Topf der Einwanderungsgesellschaft oder (wenn man großdimensional denken will) in dem Riesentopf der „Judeo-Christian Tradition“ zunehmend erzählenswert. Es ist nicht lange auszuführen, warum für die deutschsprachigen Länder weder die israelische „Heimatgeschichte“ noch die amerikanische oder westeuropäische Situation und Identifizierung in Frage kommen. Ausschlaggebend ist hier natürlich das Gewicht der tragischen Vergangenheit, das keine „Normalisierung“ der jüdischen Geschichtsforschung erlaubt, keine Reduktion auf die „eigene“ Geschichte. Dazu kommen etwa die geringen Bevölkerungszahlen der Juden, deren aus der Einwanderungssituation abgeleitete Berufsstruktur und damit deren immer noch ungenügende akademische Ausbildung. Es wäre daher schlecht um die jüdische Geschichte bestellt, wäre sie in den deutschsprachigen Ländern so auf Menschen jüdischer Identifizierung angewiesen, wie es anderswo der Fall ist. Es wird interessant sein zu sehen, ob die in Berlin geplante Errichtung einer „Jüdischen Akademie“ hier Abhilfe schaffen kann. Damit haben wir andeutungsweise den push erklärt. Wie steht es um den pull, was zieht Forscher und gerade Nichtjuden zur jüdischen Geschichte? Ich habe nicht den Eindruck, daß bei der heutigen jüngeren Forschergeneration das Element der Betroffenheit noch so tragend ist. Ganz möchte ich diesen Gesichtspunkt nicht von der Hand weisen, aber sollte er tatsächlich in nennenswertem Umfang bestehen, so wird er nüchterner und unterschwelliger, aber auch in seiner Bedeutung breiter tragend artikuliert als dies früher der Fall war. Die Geschichte der

Parabel, Metapher und Warnsignal

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Materielle Gesichtspunkte

Einzelforscher

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

Juden hat sich zu einer Parabel, einer Metapher auf und einem Warnsignal vor dem Bösen im Menschen gewandelt. Gleichzeitig funktioniert sie aber auch als Musterbeispiel für den ideell-kulturellen Mehrwert des Multikulturalismus und der Toleranz. Letzten Endes wird hier erneut die Problematik jener „deutsch-jüdischen Symbiose“ berührt, die trotz der nunmehr schon historischen Warnung von GERSCHOM SCHOLEM immer noch in nicht wenigen Köpfen besteht [552: SCHOLEM, Mythos; 421: LOTTER, Symbiose; 535: MARCUS, Symbiosis]. Zusätzlich scheint es einige weitere materielle Gesichtspunkte zu geben. Da besteht einmal ein stetiges Wachstum in der Zahl der Forschungseinrichtungen, Institute, Abteilungen für Judaistik/Jüdische Kultur und Geschichte sowie Jüdischen Museen. An Museen habe ich in Deutschland neulich an die zwanzig gezählt, an anderen Einrichtungen mindestens 26 in Deutschland, mindestens drei in Österreich und drei in der Schweiz. Die tatsächlichen Zahlen mögen sogar noch etwas höher liegen. Erklärbar ist dieses Wachstum vielleicht aus der Selbstverpflichtung der Bildungselite zur kulturellen „Wiedergutmachung“, mit einer Prise von akademischem Konkurrenzdenken, wohinter auch ein politisches Kalkül stehen mag. Festzustellen ist weiters, daß sich natürlich längst nicht alle, die an diesen Instituten wirken, sich mit dem Mittelalter beschäftigen. Mit wenigen Ausnahmen – Trier, St. Pölten und der Münchner Lehrstuhl vor allem – ist die Erforschung des jüdischen Mittelalters zwar nicht der Schwerpunkt, hat aber dennoch ein nicht unbedeutendes Gewicht. Das ist außerhalb des deutschsprachigen Raumes anders, in Amerika und besonders in Israel, wo die jüdische Neuzeit und neueste Zeit (natürlich mit dem Holocaust) im Mittelpunkt des Interesses stehen. Ein weiteres bemerkenswertes Phänomen ist die individuelle Forscherperson, einmal als Multiplikator und Gründer von Schulen und dann als „Einzelkämpfer“ ohne tiefere institutionelle Verankerung. Erstere war noch vor einigen Jahrzehnten die Ausnahme und jener einzelne Forscher mit seinem Bleistift, wenn man so will, die Regel. Als Beispiel könnte die lange Liste der mitteleuropäischen Mitarbeiter an der „Germania Judaica III“ genannt werden. Diese Mönche der Wissenschaft, zum allergrößten Teil allgemeine Mediävisten, die sich aus welchen Gründen auch immer teilweise, hauptsächlich oder ausschließlich mit Themen aus der Geschichte der Juden befassten, sind heute nicht mehr die Regel. Jüdische Geschichte hat sich in den deutschsprachigen Ländern zu einer Wissenschaftsnische mit Karrierechancen entwickelt, auch wenn das Angebot an Stellen längst nicht der Nachfrage entspricht. Weitaus aufschlussrei-

B. Probleme und Tendenzen der Forschung

147

cher und tragender ist aber das klare Bewußtsein, daß diese Geschichte integraler Teil der lokalen, regionalen, nationalen und europäischen Geschichte ist. Als solche birgt sie eine message, sie wird herangezogen um Fragen zu erklären, die die gesamte europäische Gesellschaft betreffen. ROBERT MOORE hat das im ganz großen Maßstab am Beispiel der persecuting society durchexerziert [541: MOORE, Formation]. In Mitteleuropa war es wiederum ALFRED HAVERKAMP, der dies unmissverständlich ausgesprochen hat. Es ist sein Verdienst, dieses Bewußtsein zum wohl allgemeinen Konsens gemacht zu haben, im deutschsprachigen Bereich, wenn auch nicht anderswo [548: PETERS, Historiography]. In diesem Sinn trifft heute nicht mehr zu, daß die Geschichte der Juden ausschließlich oder auch nur hauptsächlich den Juden gehört. Ein ganz ungefährer Überschlag des quantitativen Umfanges der wissenschaftlichen Produktion bringt ein recht erstaunliches Ergebnis: In meiner keineswegs vollständigen Bibliographie habe ich über dreihundert Veröffentlichungen seit dem Jahr 1998 verzeichnet, gegenüber knapp fünfhundert, die die Basis der ersten Auflage ausmachten. Dieser Befund trifft sich mit der oben besprochenen Zunahme in der Zahl der Forschungseinrichtungen und der Forschenden, wenigstens im deutschsprachigen Raum, aber ich glaube auch anderswo in Europa. Was wird erforscht? Beginnen wir mit zwei Erscheinungen des Jahres 2003, die den Stellenwert des Kollektivprojektes illustrieren: Es ist dies einmal das Jahrhundertprojekt der „Germania Judaica“ mit dem letzten Teilband III.3, unter der Teilnahme von zweieinhalb Forschergenerationen hauptsächlich aus Mitteleuropa, mit einigen wenigen Israelis [77]; und das „Kommentierte Kartenwerk der Geschichte der Juden im Mittelalter zwischen Nordsee und Südalpen“ unter der Herausgeberschaft von ALFRED HAVERKAMP und der Teilnahme einer ganzen Generation jüngerer deutscher Forscher [521]. Wenngleich sehr unterschiedlich in der Konzipierung und wissenschaftlichen Zielsetzung, so waren beide doch Mammutprojekte (jedenfalls für die Geisteswissenschaften), deren Durchführung und Abschluss ein wohl einzigartiges window of opportunity in der Finanzierung durch die öffentliche Hand symbolisiert. Es erscheint von Bedeutung, daß beide Projekte ohne die Zähigkeit einer einzigen Person, ALFRED HAVERKAMPS, gescheitert wären. Beide besaßen den Charakter einer systematischen Bestandsaufnahme einer langen Reihe von Merkmalen der mittelalterlichen Ansiedlung von Juden, jeweils in anders definierten geographischen Räumen und nach anderen Taxonomiekriterien. Gemeinsam war ihnen die Absicht, durch das Aggregat und die Anordnung der Einzelheiten neue Einsichten zu gewinnen.

Quantität

Kollektivprojekte

148

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

Weniger aufwendig in Zielsetzung, personellem Umfang und in der Beanspruchung der Munifizenz der öffentlichen Hand ist das St. Pöltener Projekt der „Regesten zur Geschichte der Juden (in Österreich) im Mittelalter“, von dem in sehr kurzer Zeit immerhin schon zwei Bände erschienen sind und ein dritter in Kürze erscheinen soll [46a: BRUGGER/WIEDL, Regesten; 44b: AUSTRIA JUDAICA]. Auch hier geht es um eine Bestandsaufnahme, in diesem Fall sämtlicher Quellen aus dem österreichischen Raum. Einen ähnlichen konzentrierten Forschungsaufwand in der Quellenaufarbeitung gibt es sonst kaum in anderen deutschsprachigen Regionen. Sodann ist die diffizile Bearbeitung und vor einem Jahr zur Veröffentlichung gebrachte Edition der Würzburger Grabsteine aus der Zeit vor dem Schwarzen Tod zu erwähnen [49a: MÜLLER/SCHWARZFUCHS/REINER, Grabsteine; 543: MÜLLER, Stein]. Es ist dies ein Höhepunkt deutsch-israelischer Kooperation, aber auch ein methodisch richtungsweisender Neuanfang, der endlich den archäologischen Aspekt voll einbezieht [vgl. auch 546: OSTRITZ, Erfurt; 508: CLEMENS, Trierer Judengemeinde; 510: CODREANU-WINDAUER, Regensburg; 570: WAMERS/GROSSBACH, Judengasse; 540: MILCHRAM: Judenplatz; 553: SCHÜTTE/GECHTER, Köln; 569: WAMERS/ BACKHAUS, Alltagsleben; 563: TOCH, Alltagsleben; 504: BERGER, Menora-Ring]. Er eröffnet der qualitativen Erforschung literarischer Quellen (in diesem Fall die sich ändernden Formulare der Grabinschriften) eine beispiellose quantitative Dimension. Mit weiteren Quellenbearbeitungen sind wir schon bei den „Einzeltätern“ angelangt. Hier mögen die beiden Frankfurter Regestenbände von DIETRICH ANDERNACHT vermerkt sein, auch sie verdanken ihre Existenz der Energie von ALFRED HAVERKAMP [44; 44a]. Weiters auf dem Gebiet der Quellenerschließung muß die wohl symbolträchtigste Erscheinung erwähnt werden, die „Hebräischen Texte aus dem Mittelalterlichen Deutschland“ der altehrwürdigen „Monumenta Germaniae Historica“. Zweihundert Jahre nach der Emanzipation hat sich auch diese Hochburg der deutschen Mediävistik nun endlich der jüdischen Geschichte geöffnet. Der Band von EVA HAVERKAMP, „Hebräische Berichte über die Judenverfolgungen während des Ersten Kreuzzugs“, war der erste [37a]. Es sollen in Kürze die „Jüdischen Gemeindeordnungen aus Mainz, Worms und Speyer“ (hrsg. von REINER BARZEN) folgen. In Arbeit ist eine Teiledition des Sefer Hassidim (Buch der Frommen), ich fürchte jedoch, daß an dieser harten Nuß einige Zähne ausgebissen werden. Alle diese Editionen zielen auf die wohl bedeutendsten Texte des Hochmittelalters, alle schon seit über einem Jahrhundert veröffentlicht, jedoch in teilweise schlechten Ausgaben, die

B. Probleme und Tendenzen der Forschung

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modernen Ansprüchen nicht mehr genügen. Das wahrscheinlich ambitionierteste (oder imperialistischste) Editionsprojekt ist der „Corpus der Quellen zur mittelalterlichen Geschichte der Juden im Reichsgebiet“, eine weitere Trierer Initiative und wieder ein Kollektivprojekt. Es zielt darauf, sämtliche Quellen zur Geschichte der Juden in den größten Teilen Kontinentaleuropas (außer Spanien) zu erfassen und in Regestform und Volltexten darzubieten. Vorarbeiten berühren bereits vor langer Zeit erstmals veröffentlichte Klassiker aus Deutschland wie das „Judenschreinsbuch der Kölner Laurenz-Parochie“ oder das „Nürnberger Memorbuch“ [528: LAQUA, Judenschreinsbuch; 493: BARZEN, Memorbuch]. Immer noch auf dem Gebiet der Quellenerschließung und wiederum von Trier aus initiiert ist die Erforschung der Typologie von Textsorten zur jüdischen Geschichte, z. B. die sog. Judenbücher [547: PETER, Judenbücher]. Ich habe der Quellenarbeit mit Bedacht viel Platz eingeräumt. Auf dem allgemeinen Hintergrund der stetigen Abnahme der Grundlagenforschung ist hier eine sehr positive Entwicklung zu konstatieren. Sie findet vor allem im deutschsprachigen Raum statt, der damit zum Mittelpunkt der Quellenerschließung geworden ist. Dagegen ist als negativ festzuhalten, daß es auf dem Gebiet der rabbinischen Quellen kaum eine entsprechende Bearbeitung gibt. Es scheint, als ob die sich auf hebräische Texte stützende Forschung damit abgefunden hat, die Quellen zum größeren Teil aus ganz ungenügenden Frühdrucken zu interpretieren, Hauptsache, man kann sie rasend schnell in der Datenbank des Bar Ilan-Responsa Projektes [23] durchlaufen lassen. Hier sind allein JEROLD C. FRAKES’ „Early Yiddish Texts“ [35a] und die Arbeiten von SIMCHA EMANUEL zu unveröffentlichten Responsen des Maharam von Rothenburg (Meir b. Baruch) zu verzeichnen [513], eine eher entmutigende Bilanz verglichen mit der viel intensiveren Quellenarbeit bis in die 1980er Jahre. Keine Quelleneditionen, aber ganz bedeutende Beiträge zur rabbinischen Literatur aus der Feder ISRAEL TA-SHEMAS sind nach dessen Tod erschienen [558]. Die Historiographie erscheint als Gebiet recht umfangreicher Arbeiten, zum größeren Teil außerhalb des deutschsprachigen Bereichs und besonders in Amerika, mit einigen Israelis und Deutschen. Themen sind vor allem die unterschiedlichen Interpretationen der hebräischen Kreuzzugschroniken, also die andauernde Diskussion der YUVAL-These [568: WALZ, Verfolgungen; 544: MYERS, Crusade Memories; 550: ROEMER, Wissenschaft des Judentums; 507: CHAZAN, Crusade Narratives; 534: MALKIEL, Underclass; 522: HEIL, Deep Enmity; 555: SOLOVEITCHIK, Medieval Ashkenaz], sodann die Nachwirkung des Werkes

Rabbinische Quellen

Historiographie

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Archäologie

Gender Studies

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

von YERUSHALMI und damit die Frage einer jüdischen Geschichtsschreibung im Mittelalter [524: HEIL, Spuren]; ein hochinteressanter Aufsatz von IVAN MARCUS behandelt den Wandel der israelischen Historiographie zum jüdischen Mittelalter, genauer das Auslaufen der nationalbewussten „Jerusalemer Schule“ und deren Abwechslung durch eine viel breitere Fächerung von Themen und Methoden [537: MARCUS, Historiography]. Eine schöne Würdigung „eines Jahrhunderts von Historikern und Historiographie des mittelalterlichen deutschen Judentums“ mit einigen seiner deutschen und israelischen Protagonisten hat 2007 der Amerikaner EDWARD PETERS vorgelegt [548: PETERS, Historiography]. Die Historiographie ist vielleicht das eine Gebiet, zusammen mit der Frauengeschichte, wo der internationale Charakter der Forschung am stärksten zum Ausdruck kommt. Erwähnt sei das Problem der Anfänge jüdischen Lebens in Mitteleuropa, das mich selbst intensiv beschäftigt hat und nunmehr, so hoffe ich, mit dem Erscheinen meiner „Economic History of Medieval European Jews“ auf sichereren Beinen steht [567: TOCH, Economic History]. Der Frage nach den Anfängen in der mythischen Erinnerung hat ABRAHAM GROSSMAN eine hochwichtige Untersuchung gewidmet [518: GROSSMAN, Myth]. Die archäologische Erforschung hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten in eindrucksvoller Weise vertieft. Vom Hochmittelalter an gibt es hochinteressante neue Ergebnisse aus Erfurt [546: OSTRITZ, Erfurt], Trier [508: CLEMENS, Trierer Judengemeinde], Regensburg [510: CONDREANU-WINDAUER, Regensburg], Frankfurt [570: WAMERS/GROSSBACH, Judengasse], Wien [540: MILCHRAM, Judenplatz] und auch aus Köln [553: SCHÜTTE/GECHTER, Köln]. Zu bedauern ist leider, daß dasselbe Forschungsprojekt, das in Köln ganz Rares aus der hoch- und spätmittelalterlichen Periode ausgräbt, unbedingt auch eine Siedlungskontinuität aus antiker Zeit konstruieren will. Ein geplantes jüdisches Museum soll belegen, daß „die Wiege des aschkenasischen Judentums in Köln stand“. Andererseits könnte man natürlich Befriedigung daraus schöpfen, daß eine deutsche Großstadt ihr Wohl in der jüdischen Antiquität zu finden gedenkt. Es ist dies eine der seltenen Gelegenheiten, wo mittelalterliche jüdische Belange im Mittelpunkt einer öffentlichen Debatte stehen, die allerdings nicht gerade sachkundig geführt wird. Erwähnenswert ist die quantitativ und qualitativ beeindruckende Zunahme der Beschäftigung mit der jüdischen Frau des Mittelalters. Mit jeweils unterschiedlichen Quellen und Methoden haben, um nur einige Beispiele zu nennen, ABRAHAM GROSSMAN und ELISHEVA BAUMGARTEN in Israel, MARTHA KEIL in Österreich, JUDITH BASKIN in Ame-

B. Probleme und Tendenzen der Forschung

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rika den Gegenstand aus der Polemik in die Wissenschaft erhoben [519: GROSSMAN, Jewish Women; 496: BAUMGARTEN, Family Life; 525: KEIL, Jüdische Frauen; 526: KEIL, Jüdinnen; 495: BASKIN, Sefer Hasidim]. Es scheint, als ob die Benachteiligung der Frau in der jüdischen Tradition in der Forschung den Willen erzeugt, diese Dunkelkammer der jüdischen Gesellschaft endlich zu erhellen. Gespeist aus der historischen Anthropologie hat sich die Geschlechtergeschichte zur heute wohl neuerungsfreudigsten Forschungsrichtung gewandelt. Die historische Anthropologie hat in den letzten Jahren eine Reihe bahnbrechender Forschungen hervorgebracht. Allen voran ist die Arbeit von IVAN MARCUS über die rituelle Einbindung des Lebenszyklus zu nennen [536: MARCUS, Life Cycle]. Weiters sei nochmals und ausdrücklich die Tendenz erwähnt, das Symbolische und damit Bezeichnende im Alltäglichen zu suchen [498: BAUMGARTEN, Seeking Signs?]. Damit hängt der so vielfältige Komplex der christlich-jüdischen Beziehungen zusammen, in dem den mentalen Anleihen, Polemiken, Perzeptionen und Verzerrungen, kurz der Symbolik, seit und dank der Pionierleistung von ISRAEL YUVAL zurecht die hauptsächliche Aufmerksamkeit gilt [511: COHEN, Letters; 571: YUVAL, Jews and Christians; 523: HEIL, Gottesfeinde; 515: FURST, Captivity; 499: BAUMGARTEN, Shared Stories]. Mit Gesamtüberblicken und großen Synthesen haben in den letzten beiden Jahrzehnte nur Wenige aufgewartet, wer es dennoch wagt, fordert Kritik heraus. Es sei das Werk von JONATHAN ELUKIN erwähnt, der eine radikal revisionistische Sicht vorschlägt: Im Großen und Ganzen sei das Leben der Juden innerhalb der christlichen Gesellschaft viel weniger beschwerlich, ja kaum problematisch gewesen, jedenfalls weit weniger als es die gesamte historiographische Tradition bis heute verstanden haben wollte. Diese Sicht hat nicht überzeugt [512: ELUKIN, Rethinking; 566: TOCH, Rezension]. TALYA FISHMAN versuchte eine Neuinterpretation der Kultur- und Gelehrtengeschichte: Wann und wie begannen Juden, nach den Prezepten des Talmuds zu leben? Sie ist dabei auf die gewichtige Kritik von HAYM SOLOVEITCHIK gestoßen [514: FISHMAN, Oral Torah; 556: SOLOVEITCHIK, Since when?]. Eine neue Gesamtsicht der spätantiken und frühmittelalterlichen Bevölkerungsund Wirtschaftsgeschichte hat der Verfasser dieses Nachwortes 2012 vorgelegt. Darin wird die bisher herrschende Ansicht von dem ausschlaggebenden wirtschaftlichen Gewicht der Juden als den internationalen Fernhändlern einer strengen historiographischen und quellenkritischen Prüfung unterzogen. Ein Teil der Fachwelt hat sich von dieser neuen Sicht nicht überzeugen lassen [567: TOCH, Economic History;

Historische Anthropologie

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Genetik

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

560: TOCH, Dunkle Jahrhunderte; 530: LOTTER, Totale Finsternis; 561: TOCH, Mehr Licht; 531: LOTTER, Quellen; 532: LOTTER, Hierarchie; 533: LOTTER, Voraussetzungen]. Ein letzter und ganz neuer Problemkreis ist nicht unproblematisch. Es sind dies die neuesten Forschungen internationaler Teams von Genetikern. Kommend von der unbestrittenen Tatsache von unter Juden und besonders Aschkenasen vererbten Krankheiten hält sich diese Forschung an die genetisch-biologische Besonderheit von Juden. Hier ist allerhöchste Vorsicht gefordert, die Grenze zum pseudowissenschaftlichen Rassismus ist leicht übertreten. Mein Eindruck ist jedoch, daß sich die Forschung dieser Gefahr sehr bewußt ist und dementsprechend vorsichtig formuliert. Innerhalb weniger Jahre entwickelte sich hier eine Forschungsrichtung, die mit naturwissenschaftlicher Präzision die historische Dimension der verschiedenen Zweige des jüdischen Volkes bis in das Altertum zurück zu verfolgen sucht [500: BEHAR u. a., MtDNA; 549: RISCH u. a., Geographic Distribution; 554: SLATKIN, Founder Effects; 501: BEHAR u. a., Structure; 492: ATZMON u. a., Abraham’s Children; 517: GOLDSTEIN, Jacob’s Legacy; 545: OSTRER, Legacy]. Im Blickfeld stehen Wanderbewegungen, Bevölkerungswachstum und Bevölkerungsrückgang, mit faszinierenden neuen Antworten zu klassischen Streitfragen, wie etwa dem immer wieder von neuem postulierten nichtjüdischen Ursprung der Aschkenasen. Soweit ich es übersehen kann, bejaht die Forschung insgesamt die alte, aber weiter noch bestrittene Eigenschaft eines jüdischen Volkes, dessen verschiedenen Zweige zwar sehr vielfältig sind, kulturell, sprachlich und nunmehr auch genetisch, die aber in einer komplizierten Mischung dennoch zusammen gehören, vom Bewußtsein, dem historischen Gedächtnis und nunmehr auch der Genetik her. Als ein weniger problemgeladener und ebenso neuer Themenkreis soll auch der Komplex Judentum und Umwelt/Ökologie/Klimageschichte erwähnt werden, der erstmals in den letzten Jahren Aufmerksamkeit erfährt [559: TIROSHSAMUELSON, Judaism and Ecology]. Ich breche ab, ohne ein Wort zu vielfältigen weiteren Aspekten der Erforschung der jüdischen Geschichte sagen zu können, so etwa zur Ereignisgeschichte der Austreibungen und Verfolgungen [506: BURGARD/HAVERKAMP/MENTGEN, Judenvertreibungen; 539: MENTGEN, Judenvertreibungen; 509: CLUSE, Verfolgungen; 562: TOCH, Verfolgungen], zum rechtlichen Status [516: GILOMEN, Sondergruppen; 551: SCHMANDT, Judei], zur Wirtschaftsgeschichte des Hoch- und Spätmittelalters [567: TOCH, Economic Activities], zum geschichtsräumlichen Aspekt [542: MÜLLER, Beziehungsnetze], zur sozialen Schichtung und

B. Probleme und Tendenzen der Forschung

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Armenfürsorge [520: GUGGENHEIM, Jüdische Armut; 493: BARZEN, Armenfürsorge; 557: SHOHAM-STEINER, Poverty and Disability], zum Platz von Juden in der Geschichte der Kunst [538: MELL, Geteilte Urbanität; 564: TOCH, Gold]. Zusammenfassend erscheint mir das Feld heute von einem gesunden Pluralismus der Teilnehmer und Themen geprägt, insgesamt von einer wachsenden Tendenz, die Optimismus nahelegt. Bedenklich stimmt dabei nur die abnehmende Tendenz der Forschung in Israel, die im klaren Gegensatz zu den anderen Zentren der Forschung steht. Sie ist sicherlich als Teil einer breiteren Entwicklung zu sehen, der Krise der Geisteswissenschaften – ein großes Thema, das der eigenen Beachtung bedarf.

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II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

A. Geschichtsschreibung, Quellenkunde, Hilfsmittel

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III. Quellen und Literatur Außer den hier angegebenen Abkürzungen entsprechen die Abkürzungen den Siglen der Historischen Zeitschrift. AJSRev GJ HBWJ JH JQR PAAJR Shenaton

Association for Jewish Studies Review Germania Judaica [77] Hebräische Beiträge zur Wissenschaft des Judentums deutsch angezeigt Jewish History Jewish Quarterly Review Proceedings of the American Academy for Jewish Research Shenaton Ha-Mispat Ha-Ivri. Annual of the Institute for Research in Jewish Law

A. Geschichtsschreibung, Quellenkunde, Hilfsmittel 1. M. BREUER, Die Responsenliteratur als Geschichtsquelle, in: [107], 29–37. 2. J. CARLEBACH (Hrsg.), Wissenschaft des Judentums. Anfänge der Judaistik in Europa. Darmstadt 1992. 3. J. COHEN, Recent Historiography on the Medieval Church and the Decline of European Jewry, in: Popes, Teachers and Canon Law in the Middle Ages. Hrsg. v. J. R. Sweeney/S. Chodorow. IthacaNew York 1989, 251–62. 4. U. EISENBACH/H. HEINEMANN/S. WALTHER (Bearb.), Bibliographie zur Geschichte der Juden in Hessen. Wiesbaden 1992. 5. ENCYCLOPAEDIA HEBRAICA. 34 Bde. Jerusalem 1956/57–1983 (hebr.). 6. ENCYCLOPAEDIA JUDAICA. 16 Bde. Jerusalem/New York 1972. 7. ENCYCLOPAEDIA JUDAICA. Buchstaben A–L. 10 Bde. Berlin 1928– 1934. 8. A. FUNKENSTEIN, Perceptions of Jewish History. Berkeley-L.A.Oxford 1993.

156

III. Quellen und Literatur

9. A. FUNKENSTEIN, Jewish History Among Thorns, in: Zion 60 (1995) 335–47 (hebr.), XXII. 10. GERMANIA JUDAICA. Kölner Bibliothek zur Geschichte des deutschen Judentums e.V., Arbeitsinformationen über Studienprojekte auf dem Gebiet der Geschichte des deutschen Judentums und des Antisemitismus. Köln 1963 ff. 11. A. GRABOïS, Les sources hébraïques médiévales. Vol. I: chroniques, lettres et Responsa. Vol. II: Les commentaires exégétiques. Turnhout 1987/1993. 12. M. HEITMANN, Bibliographie zur Geschichte der Juden in Schlesien. München 1995. 13. A. HERZIG, Zur Problematik deutsch-jüdischer Geschichtsschreibung, in: Menora (München) 34 (1990) 209–34. 14. M. KEIL, Ein Regensburger Judensiegel des 13. Jahrhunderts, in: Aschkenas 1 (1991) 135–50. 15. G. KISCH, Bibliographie zur Rechts- und Sozialgeschichte der Juden in Deutschland während des Mittelalters; The Jews in Medieval Germany. A Bibliography of Publications on their Legal and Social Status 1949–1969, in: [407], I, 270–336. 16. G. LANGMUIR, Majority History and Post-Biblical Jews, in: JHIdeas 27 (1966) 343–64. 17. R. LIBERLES, Salo Wittmayer Baron, Architect of Jewish History. New York 1995. 18. I. MARCUS, The Jews in Western Europe: Fourth to Sixteenth Century, in: Bibliographical Essays in Medieval Jewish Studies. Hrsg. v. L. Berman. New York 1976, 17–105. 19. I. MARCUS, Medieval Jewish Studies: Toward an Anthropological History of the Jews, in: The State of Jewish Studies. Hrsg. v. S.J.D. Cohen/E.L. Greenstein. Detroit 1990, 113–27. 20. D.N. MYERS, Re-Inventing the Jewish Past: European Jewish Intellectuals and the Zionist Return to History. Oxford 1995. 21. T. OELSNER, The Place of the Jews in Economic History as Viewed by German Scholars, in: LBIY 7 (1962) 183–212. 22. RAMBI = Index of Articles on Jewish Studies. Jerusalem 1969 ff. (hebr. und international). 23. RESPONSA PROJECT, Version 3.0, Bar-Ilan University. Ramat Gan 1994 (CD-Rom, hebr.); Version 20+, Bar-Ilan University Ramat Gan 2012 (CD-Rom, hebr.). 24. J. ROSENTHAL, The Anti-Christian Polemical Literature to the End of the 18th Century, in: Areshet 2 (1960) 130–79; 3 (1961) 433–9 (hebr.).

B. Quellen und Regestenwerke

157

25. W. SCHOCHOW, Deutsch-jüdische Geschichtswissenschaft. Eine Geschichte ihrer Organisationsformen unter besonderer Berücksichtigung der Fachbibliographie. Berlin 21969. 26. I. SCHORSCH, From Text to Context. The Turn to History in Modern Judaism. Hanover-London 1994. 27. H. SCHRECKENBERG, Die christlichen Adversus-Judaeos-Texte und ihr literarisches und historisches Umfeld. 3 Bde. Frankfurt/ M. 1982–1994. 28. D. S. SHUNAMI, Bibliography of Jewish Bibliographies. Jerusalem 21965/69. Supplement. Jerusalem 1975 (hebr.). 29. H. SOLOVEITCHIK, The Use of Responsa as Historical Source. A Methodological Introduction. Jerusalem 1990 (hebr.). 30. K. STOW, The Church and the Jews: From St. Paul to Paul IV., in: Bibliographical Essays [18], 109–65. 31. H. WASSERMAN, Remarks on Jewish Historiography in the State of Israel, in: Kiwunim 34 (1987) 101–15 (hebr.). 32. F. WIESEMANN, Bibliographie zur Geschichte der Juden in Bayern. München 1989. 33. I. YUVAL, Yitzhak Baer and the Search for Authentic Judaism, in: Representing the Past. Hrsg. v. D. Goldenberg/D. Ruderman. Philadelphia 1997 (im Druck).

B. Quellen und Regestenwerke 1.

Allgemeine Quellensammlungen

34. I. AGUS (Hrsg.), Urban Civilization in Pre-Crusade Europe. 2 Bde. Leiden 1965. 35. J. ARONIUS (Hrsg.), Regesten zur Geschichte der Juden im Fränkischen und Deutschen Reich bis zum Jahre 1273. Berlin 1902/ Hildesheim 1970. 35a. J. C. FRAKES, Early Yiddish Texts 1100–1750. Oxford–New York 2005. 36. S. GRAYZEL, The Church and the Jews in the XIIIth Century. Bd. 1. Philadelphia 1933. Bd. 2: 1254–1314. Hrsg. v. K. Stow. New York 1989. 37. A. HABERMAN (Hrsg.), Book of Persecutions in Germany and France. Jerusalem 1945/1971 (hebr.). 37a. E. HAVERKAMP (Hrsg.), Hebräische Berichte über die Judenverfolgungen während des Ersten Kreuzzugs. Hannover 2005.

158

III. Quellen und Literatur

38. M. HOFFMANN, Der Geldhandel der deutschen Juden während des Mittelalters bis zum Jahre 1350. Leipzig 1910. 39. H.-G. v. MUTIUS (Hrsg.) Rechtsentscheide rheinischer Rabbinen vor dem ersten Kreuzzug. 2 Bde. Frankfurt/M. 1984–85. 40. A. NEUBAUER/M. STERN (Hrsg.), Hebräische Berichte über die Judenverfolgungen während der Kreuzzüge. Berlin 1892. 41. S. SALFELD (Hrsg.), Das Martyrologium des Nürnberger Memorbuches. Berlin 1898. 42. S. SIMONSOHN, The Apostolic See and the Jews. 492–1521. 3 Bde. Toronto 1988–1991. 43. M. WIENER, Regesten zur Geschichte der Juden in Deutschland während des Mittelalters. Hannover 1862. 2.

Regionale und lokale Quellenwerke (in Auswahl)

44. D. ANDERNACHT (Hrsg.), Regesten zur Geschichte der Juden in der Reichsstadt Frankfurt/M. von 1401–1519. 4 Bde. Hannover 1996–2006. 44a. ANDERNACHT, Dietrich, Regesten zur Geschichte der Juden in der Reichsstadt Frankfurt am Main von 1520–1616, 2 Bde. Hannover 2007. 44b. AUSTRIA JUDAICA. Quellen zur Geschichte der Juden in Niederösterreich und Wien 1496–1671. Bearbeitet von P. Rauscher unter Mitarbeit von B. Staudinger. Mit einem Beitrag von M. Keil. Wien–München 2011. 45. F. BATTENBERG (Hrsg.), Quellen zur Geschichte der Juden im Hessischen Staatsarchiv Darmstadt 1080–1650. Wiesbaden 1995. 46. H. BRILLING/H. RICHTERING (Hrsg.), Westfalia Judaica. Urkunden und Regesten zur Geschichte der Juden in Westfalen und Lippe. Bd. 1. Stuttgart 1967. 46a. E. BRUGGER/B. WIEDL, Regesten zur Geschichte der Juden in Österreich im Mittelalter. Hrsg. v. Institut für Geschichte der Juden in Österreich. Band 1: Von den Anfängen bis 1338. Innsbruck–Wien–Bozen 2005. Band 2: 133–1365. Innsbruck–Wien– Bozen 2010. 47. R. GEYER/L. SAILER (Hrsg.), Urkunden aus Wiener Grundbüchern zur Geschichte der Wiener Juden im Mittelalter. Wien 1931. 48. I. KRACAUER (Hrsg.), Urkundenbuch zur Geschichte der Juden in Frankfurt/M. von 1150–1400. Frankfurt/M. 1914. 49. U. LÖWENSTEIN (Bearb.), Quellen zur Geschichte der Juden im

B. Quellen und Regestenwerke

159

Hessischen Staatsarchiv Marburg 1267–1600. 3 Bde. Wiesbaden 1989. 49a. K.-H. MÜLLER/S. SCHWARZFUCHS/R. REINER (Hrsg.), Die Grabsteine vom jüdischen Friedhof in Würzburg aus der Zeit vor dem Schwarzen Tod (1147–1346), 3 Bde. Neustadt/Aisch 2011. 50. M. STERN (Hrsg.), Die israelitische Bevölkerung der deutschen Städte. 7 Bde. Frankfurt a.M.-Kiel-Regensburg 1890–1937. 51. R. STRAUS (Bearb.), Urkunden und Aktenstücke zur Geschichte der Juden in Regensburg 1453–1738. München 1960. 3.

Einzelne Verfasser und Schriften

52. I. AGUS, Rabbi Meir of Rothenburg, his Life and his Works as Sources for the Religious, Legal, and Social History of the Jews of Germany in the 13th Century. 2 Bde. Philadelphia 1947/New York 1970. 53. D. BERGER, The Jewish-Christian Debate in the High Middle Ages. A Critical Edition of the Nizzahon Vetus. Philadelphia 1979. 54. GERSHOM B. JUDAH, The Responsa of Rabbenu Gershom Meor ha-Golah. Hrsg. v. S. Eidelberg. New York 1955 (hebr.). 55. H. GOLDMANN (Hrsg.), Das Judenbuch der Scheffstraße zu Wien 1389–1420. Wien 1908. 56. D. HERZOG (Hrsg.), Das „Juden-Puech“ des Stiftes Rein. Graz 1934. 57. R. HOENIGER /M. STERN (Hrsg.), Das Judenschreinsbuch der Laurenzpfarre zu Köln. Berlin 1888. 58. JOSEPH B. MOSE. Leket Joscher. Hrsg. v. J. Freimann. 2 Bde. Berlin 1903–4 (hebr.). 59. M. KEIL, Das Liber Judeorum von Wr. Neustadt (1453–1500) – Edition, in: Studien zur Geschichte der Juden in Österreich. Hrsg. v. M. Keil/K. Lohrmann. Wien 1994, 41–99. 60. S. KRAUSS (Hrsg.), Das Leben Jesu nach jüdischen Quellen. Berlin 1902. 61. S. KRAUSS (Hrsg.), Die Wiener Geserah vom Jahre 1421. WienLeipzig 1920. 62. K. MATZEL/J. RIECKE, Das Pfandregister der Regensburger Juden vom Jahre 1519, in: ZBLG 51 (1988) 767–806. 63. H.-G. v. MUTIUS (Hrsg.) Efraim von Regensburg, Hymnen und Gebete. Hildesheim 1988.

160

III. Quellen und Literatur

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C. Literatur 1.

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C. Literatur

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2.

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Guggenheim. Tübingen 1987. Teilband 2. Hrsg. v. A. Maimon/M. Breuer/Y. Guggenheim. Tübingen 1995. Teilband 3. Hrsg. v. A. Maimon/M. Breuer/Y. Guggenheim. Tübingen 2003. H. GRAETZ, Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. 13 Bde. 1853–75, Leipzig 41894–1903. Y. GUGGENHEIM, Vorarbeiten zu Band 3 der Germania Judaica III (Manuskript). A. HAVERKAMP (Hrsg.), Zur Geschichte der Juden im Deutschland des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. Stuttgart 1981. R. Po-chia HSIA/H. LEHMANN (Hrsg.), In and Out of the Ghetto. Jewish-Gentile Relations in Late Medieval and Early Modern Germany. Cambridge 1995. TH. METZGER, Jüdisches Leben im Mittelalter. Nach illuminierten Handschriften vom 13.–16. Jahrhundert. Würzburg 1983. K. RENGSTORF/S.v. KORTZFLEISCH, Kirche und Synagoge. Handbuch zur Geschichte von Christen und Juden. Darstellung mit Quellen. Bd. 1. Stuttgart 1968. K. SCHILLING (Hrsg.), Monumenta Judaica. 2000 Jahre Geschichte und Kultur der Juden am Rhein. Handbuch und Katalog. 2 Bde. Köln 1963. W. SEIFERTH, Synagoge und Kirche im Mittelalter. München 1964. O. STOBBE, Die Juden in Deutschland während des Mittelalters in politischer, socialer und rechtlicher Beziehung. Braunschweig 1866/Amsterdam 1968. K. STOW, Alienated Minority. The Jews of Medieval Latin Europe. Cambridge Ma.-London 1992. C. ROTH (Hrsg.), The World History of the Jewish People. 2nd series, Bd. II: The Dark Ages. Tel Aviv 1966.

Literatur nach Problemkreisen

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III. Quellen und Literatur

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C. Literatur

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III. Quellen und Literatur

Register

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Register Personenregister ABULAFIA, S. 112, 128, 133, 134 Adolf von Nassau, König 61 Agobard von Lyon 82, 111 AGUS, I. 77, 80, 84, 89, 96 Aharon Blümlein 31 Albrecht I., König 50, 61 Albrecht II., Herzog von Österreich 62 Albrecht von Brandenburg 50 Alphonsus Bonihominis 128 AMMANN, H. 78, 98 ANDERNACHT, D. 78, 98, 101, 115, 148 ANGERSTORFER, A. 113, 134 Ariès, Ph. 83 ARNOLD, K. 115 ARONIUS, J. 70, 77, 82 AUFGEBAUER, P. 96, 106, 108, 109 ATZMON, G. 152 AWERBUCH, M. 94 BACKHAUS, F. 113, 119, 148 BAER, Y. F. 71, 72, 86, 88, 93–95, 122, 123, 133–135 BARON, S. 11, 72, 73, 88, 90, 103, 105, 145 BARZEN, R. 148, 149, 153 BASKIN, J. 84, 150, 151 BATTENBERG, F. 76, 78, 82, 99, 106– 108, 119 BAUMGARTEN, E. 150, 151 BEHAR, D. 152 BEIT-ARIE, M. 79 BEN-SASSON, H. 71, 72, 82, 87, 88 BERGER, D. 36, 132, 138, 143 BERGER, L. 148 Bernhard von Clairvaux 47, 58, 112 Berthold von Regensburg 129 BIRKHAN, H. 75, 130, 140 BIRNBAUM, H. 80, 102 BLUMENKRANZ, B. 10, 79, 80, 82, 83, 97, 108, 124–130

Bodecker Stephan, Bischof von Brandenburg 128, 133 Bodo, Pfalzdiakon 125–126 BORK, R. 106, 108, 117, 118 BREUER, M. 77, 90, 115, 122, 126, 136 BRILLING, H. 78 BRINCKEN, A.-D. v. d. 119, 126 BROCKE, M. 78 BROWE, P. 113, 124, 127 BRUGGER, E. 148 BURGARD, F. 76, 98, 100, 102, 152 BURGHARTZ, S. 73, 87, 89, 109 BÜCHER, K. 74, 86 CARLEBACH, J. 70, 75 CARO, G. 70, 96, 105, 109 CHAZAN, R. 109, 111, 112, 135, 136, 149 Christaller, W. 101. CLEMENS, L. 148, 150 CLUSE, C. 73, 76, 114, 130, 152 CODREANU-WINDAUER, S. 148, 150 COHEN, E. 73, 85, 130 COHEN, G. 136 COHEN, J. 73, 110, 112, 114, 123, 124, 127–130, 132, 135, 151 COULET, N. 130 DAHAN, G. 112, 128, 139 DAN, J. 76, 92-95 DASBERG, L. 112 DAVID, A. 135 Davis, Natalie Z. 114 DIESTELKAMP, B. 105, 113 DIETRICH, E. 103 DINARI, Y. 77–79, 89, 91, 95 DINSE, H. 140 Dinur, B.-Z. 71 Dubnow, S. 71 EBENBAUER, A. 75 Efraim b. Jitzchak der Große 28

196

Register

EIDELBERG, S. 80 Eisenmenger, J. 73 Elasar b. Jehuda von Worms (Rokeach) 29–30, 92 ELBOGEN, I. 103, 109 Elieser b. Jitzchak der Große 26 Elieser b. Natan s. Raben ELON, M. 91 ELUKIN, J. 151 EMANUEL, S. 149 ERB, R. 113 ETTINGER, S. 72, 102, 110

GRAUS, F. 11, 56, 69, 88, 110, 115– 117, 120, 122, 125, 130, 138, 139 GRAYZEL, S. 77, 125 GROSSBACH, M. 148, 150 GROSSMAN, A. 6, 10, 77, 81–84, 88– 90, 92, 102, 123, 133, 136, 137, 150, 151 GRUENWALD, I. 94 Grunwald, M. 73 GRÖZINGER, K. 75, 76, 95 GÜDEMANN, M. 70, 84, 89, 92, 94, 95 GUGGENHEIM, Y. 13, 86, 89, 98, 101, 102, 124, 130, 139, 153

FINKELSTEIN, L. 72, 88 FISCHER, H. s. MAIMON, A. FISHMAN, T. 151 FLEISCHER, E. 137 FLINT, V. 128 Folz Hans 65 FRAKES, J. C. 149 FRANK, M. 87 Freiman, A. 73 FREIMANN, J. 93 FREY, W. 114, 120, 130 Friedrich I., Kaiser 47–48, 58, 106, 112 Friedrich II., Kaiser 48, 59, 105, 106 Friedrich III., Kaiser 51, 54 FUNKENSTEIN, A. 69, 107, 110, 122, 127, 131, 134, 138 FURST, R. 151

HABERMAN, A. 112, 135 HACKER, J. 124 HANDELSMAN, J. 88 HAVERKAMP, A. 11, 75, 76, 78, 82, 89, 97, 98, 100, 101, 106, 107, 109, 115– 117, 130, 144, 147, 148, 152 HAVERKAMP, E. 148 HEIL, J. 81, 115, 118, 149 Heinrich I., König 56 Heinrich II., Kaiser 56, 111 Heinrich III., Kaiser 47 Heinrich IV., König 46, 103, 109 Heinrich von Langenstein 128 Heinrich von Oyta 128 HERDE, P. 75, 117, 118 HERLITZ, G. 139 Hermann von Scheda s. Juda von Köln HERZIG, A. 74 HERZOG, D. 77 HIRHAGER, U. 140 HOENIGER, T. 77 HOFFMANN, H. 75, 115 HOFFMANN, M. 77 HOROWITZ, E. 73, 85, 130 HOYER, S. 100, 117 HSIA, R. 73, 76, 100, 113, 114, 120

GECHTER, M. 148, 150 GERMANIA JUDAICA 70, 75, 78–80, 85, 87, 98, 99, 101, 103, 107, 108, 118, 125, 126, 132, 147 Gerschom b. Jehuda „Licht des Exils“ 14, 21, 26 GEYER, R. 77 GIESE, W. 125 GILOMEN, H.-J. 97, 100, 152 GLANZ, R. 86, 130, 139 GOLDBERG, S. 85 GOLDIN, S. 83 GOLDMANN, H. 77 GOLDMANN, S. 87 GOLDSTEIN, D. 152 GOW, A. 131 GRABMAYER, J. 114, 130 GRABOïS, A. 77 GRAETZ, H. 70, 90 GRAHAMMER, H. 96 Grau, W. 74

IDEL, M. 95 IRSIGLER, F. 78, 98, 100 Isserlein Israel 31 Jakob b. Jakar 26 Jakob Molin (Maharil) 32, 121 Jehuda ha-Cohen 26 Jehuda he-Chassid 29 Jekel von Eger 31 JENKS, S. 98, 115, 117 Jitzchak b. Mosche Or sarua 28, 30 Joel b. Jitzchak ha-Levi 28

Register Johannes von Capestrano 64, 129 Juda von Köln (Hermann von Scheda) 124, 128 JÜTTE, R. 87, 130 Kalonymus b. Jitzchak der Ältere 29 Kalonymus b. Sabbatai 26 Kalonymus, Kalonymiden 5, 29 KANARFOGEL, E. 83, 88, 90 Karl, Kaiser 5 Karl IV., Kaiser 49, 51, 53, 63, 118 KATZ, J. 33, 72, 82, 83, 91, 93, 110, 120, 123, 125, 126, 132, 135 KEIL, M. 76, 78, 79, 96, 150, 151 KELLENBENZ, H. 97, 98, 100 Keyser, E. 74 KISCH, G. 73, 79, 103–105, 109, 130 Klausner Abraham 31 KLEIN, TH. 75 KLEINBERG, A. 124 KOGUT, S. 140 KORTZFLEISCH, S. v. 75 KRACAUER, I. 77 KRAUSS, S. 121, 133 KRAUTHEIMER, R. 78 KRINSKY, C. 78 KÜNZL, H. 78 KUPFER, E. 92 KUYT, A. 143 KWASMAN, TH. 78 LANGMUIR, G. 69, 103, 105, 111–115 LAQUA, B. 149 LASKER, D. 92 LEHMANN, H. 76 Leontin 26 LIBERLES, R. 73, 145 LIEBESCHÜTZ, H. 73, 108, 111, 112 LIMOR, O. 128, 132 LINDER, A. 77, 108 Lipman Mühlhausen 132–133, 138 LITTLE, L. K. 97 LOHRMANN, K. 76, 78, 104–106, 109 LOTTER, F. 76, 97, 103, 104, 108, 109, 111, 113–115, 118, 121, 124, 125, 129, 130, 146, 152 LUDWIG, D. 80 Ludwig der Bayer, Kaiser 50 LöWE, H. 126 LöWENSTEIN, U. 78, 98 MAGIN, C. 104, 124, 130

197

Maharam von Rothenburg s. Meir b. Baruch Maharil s. Jakob Molin MAIMON, A. (H. FISCHER) 75, 87, 105, 107, 116, 120 Maimonides 92, 132 MALKIEL, D. 149 MARCUS, I. 73, 79, 83, 84, 87, 91, 93– 95, 101, 110, 112, 113, 122, 123, 130, 134, 135, 137, 146, 150, 151 MARCUS, J. 86 Martin V., Papst 44 MATZEL, K. 78, 98 Maximilian, Kaiser 51 Meir b. Baruch von Rothenburg 20, 30–31, 60, 149 Meir ha-Cohen 31 MELL, J. 153 MELLINKOFF, R. 79, 130, 131 MENTGEN, G. 42, 76, 96–98, 100–102, 106, 109, 113, 115, 118, 122, 124, 125, 130, 152 MERCHAVIA, Ch. 127 MERTENS, D. 112 Meschulam b. Kalonymus 26 METZGER, TH. 78 MILCHRAM, G. 148, 150 MINTY, M. 78, 119, 130, 137 MOORE, R. 129, 130, 147 MORAW, P. 129 Mordechai b. Hillel 31 Moses und Mordechai b. Menachem von Zürich 141 MOTTEK, H. 117 MUTIUS, H. G. v. 77, 135 MÜLLER, J. R. 152 MÜLLER, K.-H. 75, 78, 102, 148 MYERS, D. 71, 122, 149 NEUBAUER, A. 110, 112, 135 Nikolaus V., Papst 12 Nikolaus von Kues 64, 128 NIRENBERG, D. 73, 114, 130 OBERMAN, H. 129 OELSNER, T. 74, 96, 99 Öser Irmhart 128 OSTRER, H. 152 OSTRITZ, S. 148, 150 PAKTER, W. 108 PATSCHOVSKY, A. 103–105, 110, 127, 128, 141

198

Register

PETER, T. 149 PETERS, E. 144, 147, 150 Pfefferkorn Johannes 65 PINTHUS, A. 78 Rabbenu Tam (Jakob Tam) 27 Raben (Elieser b. Natan) 28, 133 Raschbam (Schmuel b. Meir) 27 Raschi (Jitzchak b. Schlomo) 27, 31, 125 Ravia (Elieser b. Joel ha-Levi) 28, 30 REINER, E. 102, 148 RENGSTORF, K. 75 Riba (Jitzchak b. Ascher ha-Levi) 28 Ribam (Jitzchak b. Mordechai) 28 RICHTERING, H. 78 RIECKE, J. 78, 98 RILEY-SMITH, J. 111 RISCH, N. 152 ROHRBACHER, S. 130 Rokeach s. Elasar b. Jehuda Roscher, W. 74 ROSENSWEIG, R. 87, 123, 124, 125 ROSENTHAL, J. 132 ROSENTHAL, M. 140 ROTH, C. 80, 86, 115 RUBIN, M. 113 Rudolf I., König 30, 50, 108 Rupert von Deutz 124, 128 RÖCKELEIN, H. 78, 130 RÖLL, W. 130 RÖSCH, G. 97 Saadja Gaon 92 SAILER, L. 77 SALFELD, S. 110, 121 SALTMAN, A. 124 SANSY, D. 130 Sartre, J.-P. 122 SCHÄFER, P. 76, 93, 95 Schalom Neustadt 31 SCHERER, J. 74, 102 SCHIFFMANN, S. 103, 111 Schimon b. Jitzchak 26 Schlomo b. Schimschon 26 SCHMANDT, M. 152 SCHMID, A. 115, 116 Schmuel b. Natronai 28 Schmuel he-Chassid 29 SCHNEIDER, R. 115, 118 SCHOCHOW, W. 70 SCHOLEM, G. 71, 92–94, 121, 146 SCHORSCH, I. 69, 70, 123

SCHRECKENBERG, H. 73, 79, 82, 112, 124, 127, 128, 130, 133 Schreiner, K. 74. SCHUBERT, E. 106, 108, 109 Schudt, J. 73 SCHULTZ, M. 113 SCHÜTTE, S. 148, 150 Schwarz Peter, Prediger 65, 129 SCHWARZFUCHS, S. 81, 134, 148 SEIDL, G. 78 SEIFERTH, W. 75 SHACHAR, I. 79, 130 SHANK, M. 128, 129 SHAPIRO, A. 133 SHMERUK, C. 140 SHOHAM-STEINER, E. 153 SHULVASS, M. 69 SHUNAMI, D. 79 Siegmund, Kaiser 50, 54 SIGNER, M. 85 SIMON, B. 140 SIMONSON, S. 77 SLATKIN, M. 152 SOLOVEITCHIK, H. 24, 28, 77, 88, 91, 92, 94, 95, 97, 133, 135, 136, 149, 151 Sombart, W. 74 SPITZER, S. 20, 87, 102 STERN, M. 77, 86, 98, 110, 112, 135 STOBBE, O. 74, 102, 108, 109 STOW, K. 13, 79, 82–84, 110 STRAUS, R. 73, 74, 77, 96, 98 STROMER, W. v. 78, 98, 99, 115, 118 SUCKALE, R. 141 Süßkind von Trimberg 139–140 SÜSSMANN, A. 77 TALLAN, C. 84 TALMAGE, F. 95 TA-SHEMA, I. 23, 83, 90, 92–94, 102, 149 TIMM, E. 140 TIMMER, D. 128. TOCH, M. 10, 78, 82, 83, 85–87, 96– 102, 108, 109, 111–113, 116, 119, 124, 129, 130, 148, 150–153 TRACHTENBERG, J. 92, 113, 130 TREUE, W. 114 TURNIANSKY, C. 140 TYKOCINSKI, H. 111 URBACH, E. 77, 89, 91, 92 VEITSHANS, H. 78

Register Verlinden, Ch. 97 VOLKERT, W. 75, 78, 98 VOLKOV, S. 71 VOLTMER, E. 119 WACHINGER, B. 139 WADL, W. 98 Wagenseil, C. 73 WALZ, R. 110, 149 WAMERS, E. 148 WASSERMAN, H. 72 Weber, M. 74, 122 WEINREICH, M. 140 WEINRYB, B. 80, 102 WENNINGER, M. 81, 98–100, 119, 130 Wenzel, König 50, 53, 64, 99 WENZEL, E. 130 WERBLOWSKY, R. 139 WEXLER, P. 80, 102, 140 WIEDL, B. 148

199

WIENER, M. 70, 77 Wild D. 141 WILLOWEIT, D. 103, 105–109 WISCHNITZER, R. 78 WISTINETZKI, R. 93 WITTSTADT, K. 75 WOHLFEIL, R. 79, 130 YASSIF, E. 94 YERUSHALMI, J. 69, 107, 149 YUVAL, I. 67, 73, 77, 84–86, 89–92, 95, 102, 114, 115, 122, 130, 132, 134, 136–138, 149, 151 ZATLOUKAL, K. 75 ZFATMAN, S. 140 ZIEGLER, J. 130 ZIMMER, E. 87 ZIWES, F.-J. 75, 76, 98, 100–102, 107, 109, 115, 120, 121

Ortsregister Aachen 5, 81, 82 Alpen 8, 81 Augsburg 52, 60, 82, 126

Frankreich 4, 5, 30, 34, 60, 81, 102, 114 Friedberg 35

Bamberg (Hochstift) 65 Basel 68 Bayern 10, 48, 61, 65 Bingen 40, 68, 98 Böhmen 4, 25, 28, 61, 63, 65, 102 Bonn 28, 82 Boppard 58 Brandenburg 45, 65 Braunschweig 35 Bundesrepublik Deutschland 74, 117

Gallien 82 Görlitz 82

Deggendorf 61 Deutsche Demokratische Republik 74, 117 Donauwörth 35, 64

Israel 1, 3, 24, 71, 72, 81, 88, 120, 122, 123 Italien 4, 5, 18, 81, 102

Halberstadt (Bistum) 65 Halle 59 Hameln 82 Heiliges Land 13, 30, 80 Hessen 60, 61 Hildesheim 65, 82 Hürnheim (Bayrisch Schwaben) 11

Jerusalem 1, 20, 75, 86, 102, 138 Elsaß 61, 62, 98, 101, 115 England 4, 7, 34, 114 Ensisheim 30 Erfurt 11, 100 Franken 10, 60, 61, 98, 115, 117 Frankfurt/M. 11, 28, 35, 37, 44, 49, 59, 65, 68, 81, 82, 86, 87, 98, 101, 115, 119, 120

Kärnten 61, 65, 98 Kandia 102 Koblenz 35, 59 Köln (Stadt und Erzstift) 5, 7, 17, 28, 35, 48, 49, 55, 56, 65, 67, 75, 80, 81, 119, 126 Konstanz 37 Krems 31, 62, 79

200

Register

Kurpfalz 65 Laa/Thaya 60 Limoges 111 Lotir 4 Mähren 4, 11, 25, 61 Magdeburg (Stadt und Erzstift) 5, 17, 34, 59, 65, 81, 102, 119 Mainz (Stadt und Erzstift) 5, 10, 26– 29, 32, 47–49, 52, 56, 58, 59, 65, 81, 111, 112, 120 Marburg 31 Mecklenburg 65 Meißen 28 Merseburg 5, 81 Metz 5, 28 Mittelrhein 101 Naumburg (Bistum) 65, 66 Neuß 82 New York 73 Niederlande 4 Niederösterreich 11, 61, 98 Normandie 111 Nürnberg 11, 17, 35, 38, 52, 55, 63– 65, 67, 68, 82, 86, 87, 115, 119 Oberpfalz 60, 65 Oberwesel s. Sachregister unter Guter Werner Oppenheim 59 Osmanisches Reich 102 Österreich 4, 31–32, 48, 49, 52, 61, 62, 63, 65, 98, 106 Paris 28, 30 Polen 4, 7, 102 Pommern 65 Potsdam 102 Prag 4,7, 56, 58, 64, 65, 92 Pulkau 61 Regensburg (Stadt und Bistum) 5, 17, 28, 29, 38, 49, 52, 56, 60, 61, 65, 74,

78, 81, 98, 113, 115, 116, 118, 124, 128 Rein, Stift 98 Rheinland 8, 10, 25, 27, 28, 32, 38, 102, 140 Rhône 81 Röttingen 11, 60 Rothenburg ob der Tauber 11, 30, 49, 68 Salzburg (Hochstift) 37, 65 Scheda, Prämonstratenserstift 124 Schlesien 10, 65 Schlettstadt 65 Schwaben 60, 61 Schweinfurt 54 Schweiz 4 Sinzig 59, 126 Slowenien 4 Speyer 5, 26, 27, 28, 29, 46, 56, 59, 81, 119 Steiermark 65 Straßburg 52, 62, 118 Südtirol 4 St. Pölten 76 Thüringen 60 Trier (Stadt und Erzstift) 5, 11, 56, 65, 75, 76, 81, 98, 100, 101, 106, 109, 111 Troyes 27 Ungarn 7, 28 Weißenfels 68 Weißensee 61 Wertheim 68 Wetterau 59 Wien 28, 31, 58, 63, 78, 128 Wiener Neustadt 31 Worms 5, 10, 26, 27, 46, 52, 56, 58, 59, 65, 68, 81, 115 Würzburg 11, 28, 49, 54, 58, 65, 78, 81, 102, 114, 115 Zürich 37, 78, 87, 141

Sachregister Aberglaube 92, 95 Ärzte 8, 9, 40, 96, 125 Altern 85

Antichrist 131 Antisemitismus 71, 74, 76, 109, 110 Archäologie 78, 150

Register

201

Aristokratie 16, 87, 94 Arme, Armenfürsorge 17, 18, 20, 86 Armleder-Verfolgungen 50, 61, 113, 115, 117 Aufhalten des Gebets (Ikuv Tfila) 21, 89 Ausgehverbot 44, 45 Auswanderung 13, 17, 59, 102

Endingen, Ritualmordbeschuldigung 113 Erbrecht 14 Even ha-Eser s. Personenregister unter Raben Exempla 29, 58, 60, 94, 112, 114, 130, 137 Exklusivität 3, 33, 41, 120

Baalej Tossafot s. Tossafisten Bad, rituelles 9, 20 Bann (Cherem) 20 Barttracht 36 Basel, Konzil 12 Berlin, Ritualmordbeschuldigung 113 Besteuerung s. Steuer Bettelorden, Mendikanten 33, 59, 114, 127, 129 Bevölkerungszahlen 6, 10, 11, 13 Bibelexegese 27, 127, 128, 130 Bibelkommentare 23, 27, 91, 132, 133 Bibliographien 79 Binnenwanderung 102 Brauchtum, religiöses 16, 23, 31, 32, 92, 93, 95 Brunnenvergiftung 42, 62 Buch der Frommen (Sefer Chassidim) 17, 29, 79, 83, 87, 89, 93–94, 140, 148 Bürgerrecht s. Judenbürgerrecht

Fahrende 86 Familie 13–16, 82–84 Feiertage, Feste 43–44, 130 Franziskaner 86, 119 Fremdenrecht, germanisches 46, 103 Friedhof 9, 19, 78, 101 Fromme von Aschkenas (Chassidej Aschkenas) 24, 29, 31, 71, 72, 86, 92–95 Fulda, Ritualmordbeschuldigung 59, 113–115

Central Archive for the History of the Jewish People, Jerusalem 78 Chasaren 80, 126 Chassidej Aschkenas s. Fromme von Aschkenas Cherem s. Bann Cherem ha-Jischuv s. Wohnrecht Christenfeindschaft der Juden 44, 58, 60, 133–134, 137 Demographie 82–83, s. auch Bevölkerungszahlen, Siedlungsorte Dichtung 130, s. auch Jiddisch, Pijut Dienstboten 9, 39, 43, 91, 96, 126 Disputationen, Religionsgespräche 65, 129–130, 132 Dominikaner 34, 60, 105 Edom 3, 136 Ehe, Heirat 14, 82, 85 Ehescheidung 15, 84, 125 Einwanderung 81, 102

Geißler 62, 117 Gelber Fleck 37, 64 Geldleihe 8, 12, 15, 67, 84, 96–100, 112, s. auch Kreditwesen, Pfandleihe Gelehrte 16, 23, 83, 90, 95, 102, 140, s. auch Rabbiner Gemeinde 17–21, 71, 72, 87–89, 104, 107 Gemeiner Pfennig (Steuer) 50 Genetik 152 Geonim 27 Gerichtswesen 20, 52, 87 Geschichtsschreibung, Chronistik 69, 111, 112, 116, 117, 124, 130, 137, 149 Ghetto 35, 64, 101, 119 Glücksspiel 41–42 Goldener Opferpfennig 50 Gottesdienst 13, 22 „Guter Werner“-Verfolgungen 60, 113, 115 Hagahot Maimoniot 31 Halacha (Religionsgesetz) 22, 23, 30, 90, 94, 95, 136 Handelsmonopol 6, 96, 112 Handwerk, Handwerker 12, 18 Haushalt 13, 14,17, 83 Hauslehrer 10, 25 Hebraismus 139 Hebräische Sprache 24, 140

202

Register

Hebräische Universität zu Jerusalem 77, 78 Hekdesch (Herberge, Armenspital) 9, 17, 20, 86 Historiographie s. Geschichtsschreibung Hostienschändung 60, 61, 113 Hussitenzeit, Hussitenkriege 32, 64, 67, 68 Identität 143 Inquisition 105 Jerusalemer Schule 71, 72, 88, 122 Jeschiwa (Talmudakadamie) 25–26, 30, 90 Jiddische Sprache, jiddisches Schriftgut 25, 38, 70, 80, 140 Jubeljahr 67 Juden – als Blutsauger 40 – als Magiker 40 – mörderische 42, 45, 58, 114, 137 – reiche 85 – stinkende 42 Judenbischof (Parnass) 19 Judenbürgerrecht 17, 52, 54, 55, 107 Judendörfer 34, 81 Judeneid 130 Judenfeindschaft, Judenhaß, Antijudaismus 33, 76, 110, 112, 131 Judengasse, Judenviertel 34, 35, 101, 119 Judenhut 37 Judenmission 2, 33, 56, 111, 122, 127, 131, 134 Judenordnung 40, 49, 54, 64 Judenrat 19 Judenrecht 20, 46, 102–110 Judenregal, fürstliches 48, 49, 106 Judenrichter 52 Judensau 45 Judenschläger-Verfolgung 61, 115 jüdische Exekution 64, 124, 130 – Frau 14, 84, 85, 136 – Kleidung 36 – Physiognomie 36, 130, 131 – Unterschichten 86, 124 – Witwe 15, 84 jüdisches Recht 20, 91, 109, s. auch Halacha Kabbala 31, 95, 138, 139

Kammerknechtschaft 48–49, 54, 103, 105–106 Kanaan-Theorie 80 Kanonistik 97, 107–108 Karolingerreich 4, 5, 81–82, 111 Kartographie 101 Kaufleute 5, 81 Ketzerei, Häresie 127, 132 Kiddusch ha-Schem 24, 58, 68, 134– 138, s. auch Kreuzzug, 1., Martyrologium Kind, Kindheit, Kindererziehung 83– 84 Kirche 2, 7, 33, 39, 41, 59, 64, 65, 82, 97, 106–108, 111, 125, 126, 129 Kirchenreform 37, 112, 119, 129, 131 Kleiderordnungen 37, 130 Knechtschaft der Juden 106, 108, s. auch Kammerknechtschaft Kommune, städtische 43, 88–89, Konstanz, Konzil 44, 50 Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte 76 Konversion, Konvertiten 21, 123– 125, 128, 131, 132 Kreditwesen 7, 96, s. auch Geldleihe, Pfandleihe Kreuzzug 1. (1096) 24, 27, 47, 56, 58, 67, 71, 76, 83, 91, 104, 111–112, 115, 123, 124, 134 Kreuzzug 2. (1146/7) 47, 58, 112 Kreuzzug 3. (1187) 47, 58, 112 Kreuzzugschroniken, hebräische 28, 123, 134–135 Königsbündnis 107 Kunst 58, 78–79, 130, 137, 141 Landesrabbiner 22 Landfrieden 47, 51, 59, 103, 104 Landjuden 18, 96 Laterankonzil III. 41 Laterankonzil IV. 36, 41, 44 Liturgie 44, 91, 135, 136 Maarufia 7 Magie 93, 95 Manessische Liederhandschrift 139, 141 Markschutzrecht („Hehlerrecht“) 109–110 Martyrologium 67, 71, 91, s. auch Kiddusch ha-Schem Memorbücher 28

Register Mendikanten s. Bettelorden Messianismus, Endzeiterwartung 92, 95, 112, 136–138 Mission s. Judenmission Migration s. Aus-, Binnen-, Einwanderung Mitgift 16 Mongolen 138 Monumenta Judaica (Ausstellung) 75 Münzprägung, Münzwesen 7, 96 Museum 146 Mystik 24, 29, 31, 70, 76, 91, 92–95 Namenkunde 102 Nizachon Vetus 132 Norwich, Ritualmordbeschuldigung 114 Or sarua s. Namenregister unter Jitzchak b. Mosche Ordnungen (Takkanot) 21 Papsttum 48, 59, 105 Passauer Anonymus 128 Pauperisierung 86 Pestverfolgungen (1348–1350) 31, 35, 51, 53, 61–63, 115 Pfandleihe 41, 96, 99, 100 Philosophie 91, 92, 95 Pijut (synagogale Dichtung) 21, 77, 91, 133, 135 Pogrom 63, 101, 113, 118 Polemik, religiöse 27, 82, 91, 92, 97, 111, 112, 126–128, 131–134, 136, 138 Polygamie, Verbot der 15, 84 Predigt, Zwangspredigt 58, 60, 64– 65, 114, 119, 129, 130 Privileg, Privilegierung 46, 103–105, 108 Proselyten, Proselytentum 10, 125– 126 Prosopographie 90, 95, 96 Purimritual 115 Quellen, Quellenedition, Quellenforschung 76–78, 148, 149 Rabbiner 20, 90, s. auch Gelehrte Rabbinersynoden 22, 29, 36, 68 Raffelstettener Zollordnung 5 Randständigkeit 122 Realienkunde 79

203

Rechtsentscheidungen, Rechtsgutachten s. Responsen Reformation 129, 131 Reichsrabbiner 22, 106 Reichsstädte 49, 99, 119 Reinheit, rituelle 42, 130 Religionsgesetz s. Halacha Responsen, Rechtsentscheidungen, Rechtsgutachten 30–32, 77 Rheinischer Städtebund 52 „Rindfleisch“-Verfolgungen 11, 50, 60, 113 Ritualmord 58–61, 74, 113–115 Rote Juden 130 Sachsenspiegel 41, 104, 110 Schamaim 19 Schulbildung 25–26 Schuldentilgung 53, 64, 99 Schutz 45–49, 55, 103, 107–109, 119 Schutzbrief 40, 53, 103, 107 Schwabenspiegel 41, 104 Schächter 20 Sefer Chassidim s. Buch der Frommen Sefer ha-Nizachon s. Lipman Mühlhausen Sefer Minhagim s. Abraham Klausner Sefer Mordechai 31 sexuelle Beziehungen 37, 42–43 Siedlungsorte, Siedlungsgeschichte 10, 12, 80, 100–101, 150 Sklaven, Sklavenhandel 6, 96–97, 108 Slawen, slawische Sprachen 80, 97, 102 Sozialschichtung 85–86 Spital s. Hekdesch Sprache 25, 37 städtische Herrschaft über Juden 51– 53, 106–107 Stereotypen 36, 45, 79, 114, 127, 129–131, 137 Sternberg, Ritualmordbeschuldigung 113 Steuern, Besteuerung 18, 19, 49, 52, 87, 109, 125 Streitschriften s. Polemik Studenten 25, 102 „Symbiose“, deutsch-jüdische 121, 139, 146 Synagoge 19, 78, 89, 119 Synagogendiener 9, 20 Takkanot s. Ordnungen

204

Register

Talmud 1, 7, 24, 25, 27, 91, 127, 131 – Verbrennung des 30, 34 – Kommentare 23, 26, 27, 28, 141 Taufe 44, 59, 86, 123, 124, s. a. Zwangstaufe, Konvertiten Teufel 45, 58, 131 Tod 85 Toldot Jeschu 133 Tossafisten 27–29, 94, 95 Trient, Ritualmordbeschuldigung 113 Urbanisierung 63, 82, 97, 100 Vatikankonzil II. 74, 127 Verfolgungen 55–68, 110–121; s. auch unter Armleder, Brunnenvergiftung, Guter Werner, Hostienschändung, Judenschläger, Kreuzzug, Pest, Pogrom, Rindfleisch, Ritualmord, Vertreibung, Wiener Gesera Vertreibung 34, 55, 56, 65–68, 99, 118–120, 126

Volkskultur, volkstümliche Religiosität 70, 92–95 Vorsänger 20 Waldkirch/Freiburg, Ritualmordbeschuldigung 113 Warenhandel 6, 96, 97 Wein, Weinbau 6, 7, 91, 98 Wiener Gesera 63 Wissenschaft des Judentums 70, 71, 75–77, 123, 144 Wohnrecht (Cherem ha-Jischuv) 21 Wucher, Wucherer 39, 61, 96, 100 Wucherverbot, Zinsverbot 12, 64, 91, 97 Würfelzoll 42 Zionismus 71 Zwangstaufe 46, 56–58, 64, 108, 111, 123, 124 Zünfte, Gilden 40, 43, 62, 98

Themen und Autoren

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Enzyklopädie deutscher Geschichte Themen und Autoren Mittelalter Agrarwirtschaft, Agrarverfassung und ländliche Gesellschaft im Mittelalter (Werner Rösener) 1992. EdG 13 Adel, Rittertum und Ministerialität im Mittelalter (Werner Hechberger) 2. Aufl. 2010. EdG 72 Die Stadt im Mittelalter (Frank Hirschmann) 2009. EdG 84 Die Armen im Mittelalter (Otto Gerhard Oexle) Frauen- und Geschlechtergeschichte des Mittelalters (N. N.) Die Juden im mittelalterlichen Reich (Michael Toch) 3., um einen Nachtrag erw. Aufl. 2013. EdG 44

Gesellschaft

Wirtschaftlicher Wandel und Wirtschaftspolitik im Mittelalter (Michael Rothmann)

Wirtschaft

Wissen als soziales System im Frühen und Hochmittelalter (Johannes Fried) Die geistige Kultur im späteren Mittelalter (Johannes Helmrath) Die ritterlich-höfische Kultur des Mittelalters (Werner Paravicini) 3., um einen Nachtrag erw. Auflage 2011. EdG 32

Kultur, Alltag, Mentalitäten

Die mittelalterliche Kirche (Michael Borgolte) 2. Aufl. 2004. EdG 17 Grundformen der Frömmigkeit im Mittelalter (Arnold Angenendt) 2. Aufl. 2004. EdG 68

Religion und Kirche

Politik, Staat, Die Germanen (Walter Pohl) 2. Aufl. 2004. EdG 57 Verfassung Das römische Erbe und das Merowingerreich (Reinhold Kaiser) 3., überarb. u. erw. Aufl. 2004. EdG 26 Die Herrschaften der Karolinger 714–911 (Jörg W. Busch) 2011 EdG 88 Die Entstehung des Deutschen Reiches (Joachim Ehlers) 4. Aufl. 2012. EdG 31 Königtum und Königsherrschaft im 10. und 11. Jahrhundert (Egon Boshof) 3., aktual. und um einen Nachtrag erw. Aufl. 2010. EdG 27 Der Investiturstreit (Wilfried Hartmann) 3., überarb. u. erw. Aufl. 2007. EdG 21 Könige und Fürsten, Kaiser und Papst im 12. Jahrhundert (Bernhard Schimmelpfennig) 2. Aufl. 2010. EdG 37 Deutschland und seine Nachbarn 1200–1500 (Dieter Berg) 1996. EdG 40 Die kirchliche Krise des Spätmittelalters (Heribert Müller) 2012. EdG 90 König, Reich und Reichsreform im Spätmittelalter (Karl-Friedrich Krieger) 2., durchges. Aufl. 2005. EdG 14 Fürstliche Herrschaft und Territorien im späten Mittelalter (Ernst Schubert) 2. Aufl. 2006. EdG 35

Frühe Neuzeit Bevölkerungsgeschichte und historische Demographie 1500–1800 (Christian Pfister) 2. Aufl. 2007. EdG 28 Migration in der Frühen Neuzeit (Matthias Asche)

Gesellschaft

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Themen und Autoren

Umweltgeschichte der Frühen Neuzeit (Reinhold Reith) 2011 EdG 89 Bauern zwischen Bauernkrieg und Dreißigjährigem Krieg (André Holenstein) 1996. EdG 38 Bauern 1648–1806 (Werner Troßbach) 1992. EdG 19 Adel in der Frühen Neuzeit (Rudolf Endres) 1993. EdG 18 Der Fürstenhof in der Frühen Neuzeit (Rainer A. Müller) 2. Aufl. 2004. EdG 33 Die Stadt in der Frühen Neuzeit (Heinz Schilling) 2. Aufl. 2004. EdG 24 Armut, Unterschichten, Randgruppen in der Frühen Neuzeit (Wolfgang von Hippel) 1995. EdG 34 Unruhen in der ständischen Gesellschaft 1300–1800 (Peter Blickle) 3., aktual. und erw. Aufl. 2012. EdG 1 Frauen- und Geschlechtergeschichte 1500–1800 (Andreas Rutz) Die deutschen Juden vom 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts (J. Friedrich Battenberg) 2001. EdG 60 Wirtschaft

Die deutsche Wirtschaft im 16. Jahrhundert (Franz Mathis) 1992. EdG 11 Die Entwicklung der Wirtschaft im Zeitalter des Merkantilismus 1620–1800 (Rainer Gömmel) 1998. EdG 46 Landwirtschaft in der Frühen Neuzeit (Walter Achilles) 1991. EdG 10 Gewerbe in der Frühen Neuzeit (Wilfried Reininghaus) 1990. EdG 3 Kommunikation, Handel, Geld und Banken in der Frühen Neuzeit (Michael North) 2000. EdG 59

Kultur, Alltag, Mentalitäten

Renaissance und Humanismus (Ulrich Muhlack) Medien in der Frühen Neuzeit (Andreas Würgler) 2., durchgesehene Aufl. 2013. EdG 85 Bildung und Wissenschaft vom 15. bis zum 17. Jahrhundert (Notker Hammerstein) 2003. EdG 64 Bildung und Wissenschaft in der Frühen Neuzeit 1650–1800 (Anton Schindling) 2. Aufl. 1999. EdG 30 Die Aufklärung (Winfried Müller) 2002. EdG 61 Lebenswelt und Kultur des Bürgertums in der Frühen Neuzeit (Bernd Roeck) 2., um einen Nachtrag erw. Aufl. 2011. EdG 9 Lebenswelt und Kultur der unterständischen Schichten in der Frühen Neuzeit (Robert von Friedeburg) 2002. EdG 62

Religion und Kirche

Die Reformation. Voraussetzungen und Durchsetzung (Olaf Mörke) 2., aktualisierte Aufl. 2011. EdG 74 Konfessionalisierung im 16. Jahrhundert (Heinrich Richard Schmidt) 1992. EdG 12 Kirche, Staat und Gesellschaft im 17. und 18. Jahrhundert (Michael Maurer) 1999. EdG 51 Religiöse Bewegungen in der Frühen Neuzeit (Hans-Jürgen Goertz) 1993. EdG 20

Politik, Staat, Verfassung

Das Reich in der Frühen Neuzeit (Helmut Neuhaus) 2. Aufl. 2003. EdG 42 Landesherrschaft, Territorien und Staat in der Frühen Neuzeit (Joachim Bahlcke). 2012. EDG 91 Die Landständische Verfassung (Kersten Krüger) 2003. EdG 67 Vom aufgeklärten Reformstaat zum bürokratischen Staatsabsolutismus (Walter Demel) 2., um einen Nachtrag erw. Aufl. 2010. EdG 23 Kriegswesen, Herrschaft und Gesellschaft 1300–1800 (Bernhard R. Kroener) 2013. EdG 92

Themen und Autoren

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Das Reich im Kampf um die Hegemonie in Europa 1521–1648 (Alfred Kohler) 1990. EdG 6 Altes Reich und europäische Staatenwelt 1648–1806 (Heinz Duchhardt) 1990. EdG 4

Staatensystem, internationale Beziehungen

19. und 20. Jahrhundert Bevölkerungsgeschichte und Historische Demographie 1800–2010 (Josef Ehmer) 2., um einen Nachtrag erw. Aufl. 2013. EdG 71 Migrationen im 19. und 20. Jahrhundert (Jochen Oltmer) 2. Aufl. 2013. EdG 86 Umweltgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert (Frank Uekötter) 2007. EdG 81 Adel im 19. und 20. Jahrhundert (Heinz Reif) 2., um einen Nachtrag erw. Aufl. 2012. EdG 55 Geschichte der Familie im 19. und 20. Jahrhundert (Andreas Gestrich) 3., um einen Nachtrag erw. Aufl. 2013. EdG 50 Urbanisierung im 19. und 20. Jahrhundert (Christoph Bernhardt) Von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft (Lothar Gall) 2., aktual. Aufl. 2012. EdG 25 Die Angestellten seit dem 19. Jahrhundert (Günter Schulz) 2000. EdG 54 Die Arbeiterschaft im 19. und 20. Jahrhundert (Gerhard Schildt) 1996. EdG 36 Frauen- und Geschlechtergeschichte im 19. und 20. Jahrhundert (Gisela Mettele) Die Juden in Deutschland 1780–1918 (Shulamit Volkov) 2. Aufl. 2000. EdG 16 Die deutschen Juden 1914–1945 (Moshe Zimmermann) 1997. EdG 43 Pazifismus im 19. und 20. Jahrhundert (Benjamin Ziemann)

Gesellschaft

Wirtschaft Die Industrielle Revolution in Deutschland (Hans-Werner Hahn) 3., um einen Nachtrag erw. Aufl. 2011. EdG 49 Die deutsche Wirtschaft im 20. Jahrhundert (Wilfried Feldenkirchen) 1998. EdG 47 Ländliche Gesellschaft und Agrarwirtschaft im 19. Jahrhundert (Clemens Zimmermann) Agrarwirtschaft und ländliche Gesellschaft im 20. Jahrhundert (Ulrich Kluge) 2005. EdG 73 Gewerbe und Industrie im 19. und 20. Jahrhundert (Toni Pierenkemper) 2., um einen Nachtrag erw. Auflage 2007. EdG 29 Handel und Verkehr im 19. Jahrhundert (Karl Heinrich Kaufhold) Handel und Verkehr im 20. Jahrhundert (Christopher Kopper) 2002. EdG 63 Banken und Versicherungen im 19. und 20. Jahrhundert (Eckhard Wandel) 1998. EdG 45 Technik und Wirtschaft im 19. und 20. Jahrhundert (Christian Kleinschmidt) 2007. EdG 79 Unternehmensgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert (Werner Plumpe) Staat und Wirtschaft im 19. Jahrhundert (Rudolf Boch) 2004. EdG 70 Staat und Wirtschaft im 20. Jahrhundert (Gerold Ambrosius) 1990. EdG 7

208 Kultur, Alltag und Mentalitäten

Themen und Autoren

Kultur, Bildung und Wissenschaft im 19. Jahrhundert (Hans-Christof Kraus) 2008. EdG 82 Kultur, Bildung und Wissenschaft im 20. Jahrhundert (Frank-Lothar Kroll) 2003. EdG 65 Lebenswelt und Kultur des Bürgertums im 19. und 20. Jahrhundert (Andreas Schulz) 2005. EdG 75 Lebenswelt und Kultur der unterbürgerlichen Schichten im 19. und 20. Jahrhundert (Wolfgang Kaschuba) 1990. EdG 5

Religion und Kirche

Kirche, Politik und Gesellschaft im 19. Jahrhundert (Gerhard Besier) 1998. EdG 48 Kirche, Politik und Gesellschaft im 20. Jahrhundert (Gerhard Besier) 2000. EdG 56

Politik, Staat, Verfassung

Der Deutsche Bund 1815–1866 (Jürgen Müller) 2006. EdG 78 Verfassungsstaat und Nationsbildung 1815–1871 (Elisabeth Fehrenbach) 2., um einen Nachtrag erw. Aufl. 2007. EdG 22 Politik im deutschen Kaiserreich (Hans-Peter Ullmann) 2., durchges. Aufl. 2005. EdG 52 Die Weimarer Republik. Politik und Gesellschaft (Andreas Wirsching) 2., um einen Nachtrag erw. Aufl. 2008. EdG 58 Nationalsozialistische Herrschaft (Ulrich von Hehl) 2. Aufl. 2001. EdG 39 Die Bundesrepublik Deutschland. Verfassung, Parlament und Parteien (Adolf M. Birke) 2. Aufl. mit Ergänzungen von Udo Wengst 2010. EdG 41 Militär, Staat und Gesellschaft im 19. Jahrhundert (Ralf Pröve) 2006. EdG 77 Militär, Staat und Gesellschaft im 20. Jahrhundert (Bernhard R. Kroener) 2011. EdG 87 Die Sozialgeschichte der Bundesrepublik Deutschland bis 1989/90 (Axel Schildt) 2007. EdG 80 Die Sozialgeschichte der DDR (Arnd Bauerkämper) 2005. EdG 76 Die Innenpolitik der DDR (Günther Heydemann) 2003. EdG 66

Staatensystem, internationale Beziehungen

Die deutsche Frage und das europäische Staatensystem 1815–1871 (Anselm Doering-Manteuffel) 3., um einen Nachtrag erw. Aufl. 2010. EdG 15 Deutsche Außenpolitik 1871–1918 (Klaus Hildebrand) 2. Aufl. 1994. EdG 2 Die Außenpolitik der Weimarer Republik (Gottfried Niedhart) 3., aktualisierte und um einen Nachtrag erw. Aufl. 2013. EdG 53 Die Außenpolitik des Dritten Reiches (Marie-Luise Recker) 2., um einen Nachtrag erw. Aufl. 2009. EdG 8 Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland 1949 bis 1990 (Ulrich Lappenküper) 2008. EdG 83 Die Außenpolitik der DDR (Joachim Scholtyseck) 2003. EDG 69 Hervorgehobene Titel sind bereits erschienen. Stand: September 2013