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German Pages 757 [760] Year 2013
Cohen-Tannoudji / Diu / Laloe¨ Quantenmechanik Band 1
Claude Cohen-Tannoudji Bernard Diu Franck Laloe¨
Quantenmechanik Band 1 3., durchgesehene und verbesserte Auflage Aus dem Französischen übersetzt von Joachim Streubel und Jochen Balla
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Walter de Gruyter · Berlin · New York
Titel der Originalausgabe Claude Cohen-Tannoudji/Bernard Diu/Franck Laloe¨ Me´canique Quantique Tome I et Tome II Collection Enseignement des Sciences n⬚ 16 Copyright 쑔 Tome I 1977, Tome II 1986 by Hermann E´diteurs des Sciences et des Arts, 6 rue de la Sorbonne, 75005 Paris, France
Übersetzer der deutschsprachigen Ausgabe Joachim Streubel, Professor im Ruhestand Jochen Balla, Professor an der Fachhochschule Bochum
Das Buch enthält 148 Abbildungen.
앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier, 앪
das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN 978-3-11-019324-4 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 쑔 Copyright 2007 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, 10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen. Einbandgestaltung: ⫹malsy, kommunikation und gestaltung, Willich.
Wichtiger Hinweis
Dieses Buch besteht aus zwei B¨anden mit insgesamt 14 Kapiteln. Zu jedem Kapitel geh¨oren Erg¨anzungen. Die Kapitel bilden f¨ur sich eine Einheit und k¨onnen unabh¨angig von den Erg¨anzungen gelesen werden. Die Erg¨anzungen schließen jeweils an das entsprechende Kapitel an und sind in der Kopfzeile durch das Zeichen • gesondert gekennzeichnet. Sie beginnen mit einer kurzen Inhalts¨ubersicht, die als Leseanleitung verstanden werden kann. Die Abschnitte in den Erg¨anzungen sind von verschiedener Art: Einige erleichtern das Verst¨andnis des zugeh¨origen Kapitels oder dienen der weiteren Pr¨azisierung; andere befassen sich mit konkreten physikalischen Anwendungen oder verweisen auf bestimmte Teilgebiete der Physik. Ein Abschnitt enth¨alt schließlich die Aufgaben zum betreffenden Kapitel. Es wird nicht erwartet und ist auch nicht immer zweckm¨aßig, die Erg¨anzungen in der angegebenen Reihenfolge zu erarbeiten. In beiden B¨anden wird gelegentlich auf die Anh¨ange I bis III verwiesen. Diese befinden sich am Ende des zweiten Bands.
Vorwort zur 3. Auflage der deutschen Ausgabe
Das Buch der Messiah-Sch¨uler C. Cohen-Tannoudji (Nobelpreistr¨ager f¨ur Physik des Jahres 1997), B. Diu und F. Lalo¨e geh¨ort im franz¨osischen, englischen und l¨angst auch im deutschen Sprachraum zu den Standardwerken der Quantenmechanik. Es vermittelt auf didaktisch hervorragende Weise den zeitlosen Grundkanon auf diesem Gebiet, wie er sich in der Physik inzwischen eingeb¨urgert hat. Dabei behandelt es nicht nur den Formalismus und die mathematischen Voraussetzungen, sondern entwickelt auch sorgf¨altig den physikalischen Gehalt der Quantentheorie. Die rege Nachfrage nach der deutschen Ausgabe macht eine Neuauflage erforderlich. Herr Dipl. Math. Simon Albroscheit hat den Text mit großer Sorgfalt neu gesetzt. Selbstverst¨andlich wurden die bisher bekannt gewordenen Fehler und Unstimmigkeiten korrigiert. F¨ur die Hinweise aufmerksamer Leserinnen und Leser sei auch an dieser Stelle gedankt. Außerordentlich erfreulich war wieder die Zusammenarbeit mit dem Verlag, der diesmal von Herrn Dr. Robert Plato vertreten wurde. Abschließend sei auf die Homepage des Verlages (www.degruyter.de) verwie¨ sen, die wir in Zukunft f¨ur gegebenenfalls notwendige Korrekturen, Anderungen und Erg¨anzungen nutzen werden. K¨onigsfeld im Schwarzwald, im Januar 2007
Joachim Streubel
Inhaltsubersicht ¨ zu Band I und II
Band I 1 Welle und Teilchen 2 Der mathematische Rahmen 3 Die Postulate der Quantenmechanik 4 Einfache Systeme 5 Der harmonische Oszillator 6 Der Drehimpuls in der Quantenmechanik
Band II 7 Teilchen in einem Zentralpotential. Das Wasserstoffatom 8 Elementare Streutheorie 9 Der Spin des Elektrons 10 Addition von Drehimpulsen 11 Station¨are St¨orungstheorie 12 Fein- und Hyperfeinstruktur des Wasserstoffatoms 13 N¨aherungsmethoden f¨ur zeitabh¨angige Probleme 14 Systeme identischer Teilchen Anhang I, II, III
Inhalt
1
Welle und Teilchen 1.1 Elektromagnetische Wellen und Photonen . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Lichtquanten und Einstein-de-Broglie-Beziehungen . . . . . . 1.1.2 Der Welle-Teilchen-Dualismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.3 Die Spektralzerlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Materielle Teilchen und Materiewellen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Die Einstein-de-Broglie-Beziehungen . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Wellenfunktion und Schr¨odinger-Gleichung . . . . . . . . . . 1.3 Freie Teilchen. Wellenpakete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Freies Teilchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Form des Wellenpakets . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3 Die Heisenbergsche Unsch¨arferelation . . . . . . . . . . . . . 1.3.4 Zeitliche Entwicklung eines freien Wellenpakets . . . . . . . 1.4 Teilchen in einem zeitunabh¨angigen Potential . . . . . . . . . . . . . 1.4.1 Separation der Variablen. Station¨are Zust¨ande . . . . . . . . . 1.4.2 Eindimensionale Rechteckpotentiale – qualitative Behandlung
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Erg¨anzungen zu Kapitel 1 1.5 De-Broglie-Wellenl¨angen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6 Zur Unsch¨arferelation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6.1 Makroskopisches System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6.2 Mikroskopisches System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7 Unsch¨arferelationen und Atomparameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.8 Ein Experiment zur Unsch¨arferelation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.9 Ein zweidimensionales Wellenpaket . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.9.1 Einf¨uhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.9.2 Winkeldispersion und laterale Ausdehnung . . . . . . . . . . . . 1.9.3 Physikalische Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.10 Zusammenhang zwischen ein- und dreidimensionalen Problemen . . . . . 1.10.1 Dreidimensionales Wellenpaket . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.10.2 Rechtfertigung des eindimensionalen Modells . . . . . . . . . . . 1.11 Eindimensionales Gaußsches Wellenpaket . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.11.1 Definition eines Gaußschen Wellenpakets . . . . . . . . . . . . . 1.11.2 Orts- und Impulsbreite. Unsch¨arfebeziehung . . . . . . . . . . . 1.11.3 Entwicklung des Wellenpakets . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.12 Station¨are Zust¨ande eines Teilchens in einem eindimensionalen Rechteckpotential . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 2 2 3 8 10 10 11 14 14 15 19 21 24 24 27 33 33 35 36 36 37 39 41 41 42 44 45 45 48 49 49 50 51 54
XII
Inhalt 1.12.1 Allgemeine Eigenschaften . 1.12.2 Einfache Beispiele . . . . . 1.13 Wellenpaket an einer Potentialstufe . 1.13.1 Totalreflexion: E < V0 . . . 1.13.2 Partielle Reflexion: E > V0 1.14 Aufgaben zu Kapitel 1 . . . . . . .
2
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Der mathematische Rahmen 2.1 Der Raum der Wellenfunktionen eines Teilchens . . . . . 2.1.1 Struktur des Raumes der Wellenfunktionen . . . 2.1.2 Orthonormierte Basen . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Kontinuierliche Basen . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Zustandsraum und Dirac-Schreibweise . . . . . . . . . . 2.2.1 Einf¨uhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Ket- und Bravektoren . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Lineare Operatoren . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Hermitesche Konjugation . . . . . . . . . . . . 2.3 Darstellungen im Zustandsraum . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Definition einer Darstellung . . . . . . . . . . . 2.3.2 Eigenschaften einer orthonormierten Basis . . . 2.3.3 Darstellung der Ket- und Bravektoren . . . . . . 2.3.4 Darstellung von Operatoren . . . . . . . . . . . 2.3.5 Darstellungswechsel . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Eigenwertgleichungen. Observable . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Eigenwerte und Eigenvektoren eines Operators . 2.4.2 Observable . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3 Kommutierende Observable . . . . . . . . . . . 2.5 Zwei wichtige Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.1 Die Orts- und die Impulsdarstellung . . . . . . . 2.5.2 Orts- und Impulsoperator . . . . . . . . . . . . . 2.6 Tensorprodukte von Zustandsr¨aumen . . . . . . . . . . . 2.6.1 Einf¨uhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.2 Definition und Eigenschaften des Tensorprodukts 2.6.3 Eigenwertgleichung im Produktraum . . . . . . 2.6.4 Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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77 77 78 80 83 90 90 92 97 99 104 104 105 108 109 113 115 115 120 123 128 129 132 137 137 138 141 144
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149 149 150 150 151 152 153 156 159
Erg¨anzungen zu Kapitel 2 2.7 Schwarzsche Ungleichung . . . . . . . 2.8 Eigenschaften linearer Operatoren . . . 2.8.1 Spur eines Operators . . . . . . 2.8.2 Kommutatoralgebra . . . . . . 2.8.3 Einschr¨ankung eines Operators . 2.8.4 Operatorfunktionen . . . . . . . 2.8.5 Ableitung eines Operators . . . 2.9 Unit¨are Operatoren . . . . . . . . . . .
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Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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159 163 165 166 166 168 169 170 170 172 173 174 174 177 179 180 180 180 182 183
Die Postulate der Quantenmechanik 3.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Die Postulate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Der Zustand eines Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Physikalische Gr¨oßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Messung physikalischer Gr¨oßen . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Zeitliche Entwicklung des Systems . . . . . . . . . . . . . 3.2.5 Korrespondenzregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Physikalische Deutung der Postulate. Observable und ihre Messung 3.3.1 Korrespondenzregeln und Wellenfunktion . . . . . . . . . . 3.3.2 Quantisierung physikalischer Gr¨oßen . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Der Messprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.4 Erwartungswert einer Observablen . . . . . . . . . . . . . . 3.3.5 Standardabweichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.6 Kompatible Observable . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Bedeutung der Schr¨odinger-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 Allgemeine Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2 Konservative Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Superpositionsprinzip und Vorhersagen . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.1 Wahrscheinlichkeitsamplitude und Interferenzeffekte . . . . 3.5.2 Zusammenhang zwischen Zust¨anden und Messergebnis . .
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191 191 192 192 193 193 200 200 203 203 204 204 205 207 209 214 215 223 231 231 237
2.10
2.11
2.12
2.13
2.14 3
XIII 2.9.1 Allgemeine Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . 2.9.2 Unit¨are Transformation von Operatoren . . . . . . 2.9.3 Infinitesimale unit¨are Operatoren . . . . . . . . . Orts- und Impulsdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . 2.10.1 Ortsdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.10.2 Impulsdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eigenschaften zweier Observabler mit dem Kommutator i¯h 2.11.1 Der Operator S(λ) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.11.2 Eigenwerte und Eigenvektoren des Operators Q . . 2.11.3 {|q}-Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.11.4 {|p}-Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Parit¨atsoperator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.12.1 Definition und Eigenschaften . . . . . . . . . . . . 2.12.2 Gerade und ungerade Operatoren . . . . . . . . . 2.12.3 Eigenzust¨ande einer geraden Observablen . . . . . 2.12.4 Anwendung auf einen besonders wichtigen Fall . . Zweidimensionaler unendlich tiefer Potentialtopf . . . . . 2.13.1 Definition und Eigenzust¨ande . . . . . . . . . . . 2.13.2 Energieniveaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben zu Kapitel 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Erg¨anzungen zu Kapitel 3 247 3.6 Teilchen in einem unendlich tiefen Potentialtopf . . . . . . . . . . . . . . 248
XIV
3.7
3.8
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3.10
3.11
3.12 3.13
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3.15
3.16 3.17
3.18
3.19
Inhalt 3.6.1 Verteilung der Impulswerte in einem station¨aren Zustand . . . 3.6.2 Entwicklung der Wellenfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6.3 St¨orung durch eine Ortsmessung . . . . . . . . . . . . . . . . Wahrscheinlichkeitsstrom. Spezialf¨alle . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7.1 Wahrscheinlichkeitsstrom in Bereichen konstanten Potentials . 3.7.2 Anwendung auf Potentialstufen . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7.3 Reflexion an einer zweidimensionalen Potentialstufe . . . . . Standardabweichung konjugierter Observabler . . . . . . . . . . . . . 3.8.1 Unsch¨arferelation f¨ur P und Q . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.8.2 Minimales“ Wellenpaket . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ” Messung an einem Teilsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.9.1 Berechnung physikalischer Vorhersagen . . . . . . . . . . . . 3.9.2 Physikalische Bedeutung des Tensorprodukts . . . . . . . . . 3.9.3 Allgemeiner Zustand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Dichteoperator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.10.1 Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.10.2 Statistisches Zustandsgemisch . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.10.3 Reiner Fall. Einf¨uhrung des Dichteoperators . . . . . . . . . . 3.10.4 Statistisches Gemisch. Gemischter Fall . . . . . . . . . . . . 3.10.5 Beispiele f¨ur den Dichteoperator . . . . . . . . . . . . . . . . Der Entwicklungsoperator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.11.1 Allgemeine Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.11.2 Konservative Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schr¨odinger- und Heisenberg-Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eichinvarianz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.13.1 Problemstellung. Begriff der Eichung . . . . . . . . . . . . . 3.13.2 Eichinvarianz in der klassischen Mechanik . . . . . . . . . . 3.13.3 Eichinvarianz in der Quantenmechanik . . . . . . . . . . . . Der Propagator der Schr¨odinger-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . 3.14.1 Der physikalische Grundgedanke . . . . . . . . . . . . . . . 3.14.2 Existenz und Eigenschaften des Propagators . . . . . . . . . . 3.14.3 Pfadintegral-Formulierung der Quantenmechanik . . . . . . . Instabile Niveaus. Lebensdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.15.1 Einf¨uhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.15.2 Definition der Lebensdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.15.3 Ph¨anomenologische Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben zu Kapitel 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gebundene Zust¨ande in einem Potentialtopf . . . . . . . . . . . . . . 3.17.1 Quantisierung der gebundenen Energiezust¨ande . . . . . . . . 3.17.2 Energie des Grundzustandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nichtgebundene Zust¨ande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.18.1 Transmissionsmatrix M (k) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.18.2 Transmissions- und Reflexionskoeffizienten . . . . . . . . . . 3.18.3 Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eindimensionales periodisches Potential . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
XV 3.19.1 Durchgang durch mehrere identische Potentialbarrieren . . . . . . 338 3.19.2 Erlaubte und verbotene Energieb¨ander . . . . . . . . . . . . . . . 343 3.19.3 Energiequantisierung bei einem periodischen Potential. Einfluss der R¨ander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345
4
Einfache Systeme 4.1 Spin-1/2-Teilchen. Quantisierung des Drehimpulses 4.1.1 Experimenteller Nachweis . . . . . . . . . 4.1.2 Theoretische Beschreibung . . . . . . . . . 4.2 Die Postulate am Beispiel des Spins 1/2 . . . . . . 4.2.1 Pr¨aparation der verschiedenen Spinzust¨ande 4.2.2 Messung des Spins . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Spin 1/2 und homogenes Magnetfeld . . . 4.3 Systeme mit zwei Niveaus . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Statischer Aspekt . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 Dynamischer Aspekt . . . . . . . . . . . .
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355 356 356 361 363 363 366 371 374 374 376 381
Erg¨anzungen zu Kapitel 4 4.4 Die Pauli-Matrizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1 Definition, Eigenwerte und Eigenvektoren . . . . . . . . . . 4.4.2 Einfache Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.3 Eine zweckm¨aßige Basis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Diagonalisierung einer hermiteschen 2 × 2-Matrix . . . . . . . . . 4.5.1 Einf¨uhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.2 Wechsel des Bezugspunktes . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.3 Eigenwerte und Eigenvektoren . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6 System mit zwei Niveaus. Fiktiver Spin . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.1 Einf¨uhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.2 Interpretation des Hamilton-Operators . . . . . . . . . . . . 4.6.3 Interpretation der Effekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7 Systeme mit zwei Spins 1/2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7.1 Quantenmechanische Beschreibung . . . . . . . . . . . . . 4.7.2 Vorhersage von Messergebnissen . . . . . . . . . . . . . . 4.8 Dichtematrix f¨ur einen Spin 1/2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.8.1 Einf¨uhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.8.2 Dichtematrix bei vollst¨andiger Polarisation des Spins . . . . 4.8.3 Beispiel f¨ur ein statistisches Gemisch: Unpolarisierter Spin . 4.8.4 Thermodynamisches Gleichgewicht in einem statischen Feld 4.8.5 Zerlegung nach Pauli-Matrizen . . . . . . . . . . . . . . . . 4.9 Magnetische Resonanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.9.1 Klassische Behandlung: Rotierendes Bezugssystem . . . . . 4.9.2 Quantenmechanische Behandlung . . . . . . . . . . . . . . 4.9.3 Bloch-Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.10 Modell des Ammoniakmolek¨uls . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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385 385 385 386 388 388 388 389 390 392 392 393 394 397 397 400 403 403 403 404 406 407 408 408 411 416 420
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XVI
5
Inhalt
4.10.1 Beschreibung des Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.10.2 Eigenfunktionen und Eigenwerte des Hamilton-Operators 4.10.3 Das Ammoniakmolek¨ul als Zwei-Niveau-System . . . . . 4.11 Kopplung zwischen stabilem und instabilem Zustand . . . . . . . 4.11.1 Einf¨uhrung und Bezeichnungen . . . . . . . . . . . . . . 4.11.2 Schwache Kopplung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.11.3 Kopplung von Niveaus mit gleicher Energie . . . . . . . . 4.12 Aufgaben zu Kapitel 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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420 422 428 435 435 435 437 440
Der harmonische Oszillator 5.1 Einf¨uhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Bedeutung des harmonischen Oszillators . . . . . . . . 5.1.2 Klassischer harmonischer Oszillator . . . . . . . . . . . 5.1.3 Allgemeine Eigenschaften des Hamilton-Operators . . . 5.2 Eigenwerte des Hamilton-Operators . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Bezeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Das Spektrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.3 Entartung der Eigenwerte . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Eigenzust¨ande des Hamilton-Operators . . . . . . . . . . . . . 5.3.1 {|ϕn }-Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2 Wellenfunktionen zu den station¨aren Zust¨anden . . . . . 5.4 Physikalische Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.1 Erwartungswert und Standardabweichung von X und P 5.4.2 Eigenschaften des Grundzustands . . . . . . . . . . . . 5.4.3 Entwicklung der Erwartungswerte . . . . . . . . . . . .
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447 447 447 449 451 452 452 455 458 460 460 464 467 467 470 471
. . . . . . . . . . . . . . .
Erg¨anzungen zu Kapitel 5 5.5 Beispiele f¨ur harmonische Oszillatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.1 Kernschwingungen in einem zweiatomigen Molek¨ul . . . . . . . 5.5.2 Schwingungen von Kernen in einem Kristall . . . . . . . . . . . 5.5.3 Torsionsschwingungen eines Molek¨uls: Beispiel Ethylen . . . . . 5.5.4 Schwere Myonenatome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6 Station¨are Zust¨ande. Hermitesche Polynome . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6.1 Hermitesche Polynome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6.2 Eigenfunktionen des Hamilton-Operators f¨ur den harmonischen Oszillator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.7 L¨osung der Eigenwertgleichung mit der Polynommethode . . . . . . . . 5.7.1 Wechsel der Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.7.2 Polynommethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.8 Station¨are Zust¨ande in der Impulsdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . 5.8.1 Wellenfunktion im Impulsraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.8.2 Physikalische Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.9 Dreidimensionaler isotroper harmonischer Oszillator . . . . . . . . . . . 5.9.1 Hamilton-Operator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.9.2 Separation der Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
473 474 474 481 483 488 492 492 495 498 498 500 504 505 507 509 509 510
Inhalt
6
XVII
5.9.3 Entartung der Energieniveaus . . . . . . . . . . . . . . . . 5.10 Geladener harmonischer Oszillator im konstanten elektrischen Feld 5.10.1 Eigenwertgleichung von H (E) in der Ortsdarstellung . . . 5.10.2 Physikalische Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.10.3 Anwendung des Translationsoperators . . . . . . . . . . . . 5.11 Quasiklassische Zust¨ande des Oszillators . . . . . . . . . . . . . . 5.11.1 Quasiklassische Zust¨ande . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.11.2 Eigenschaften der Zust¨ande |α . . . . . . . . . . . . . . . 5.11.3 Zeitliche Entwicklung eines quasiklassischen Zustands . . . 5.11.4 Beispiel eines makroskopischen Oszillators . . . . . . . . . 5.12 Eigenschwingungen gekoppelter Oszillatoren . . . . . . . . . . . . 5.12.1 Gekoppelte Schwingungen in der klassischen Mechanik . . 5.12.2 Schwingungszust¨ande des Systems in der Quantenmechanik 5.13 Lineare Oszillatorenkette. Phononen . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.13.1 Klassische Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.13.2 Quantenmechanische Behandlung . . . . . . . . . . . . . . 5.13.3 Anwendung auf Kristallschwingungen . . . . . . . . . . . . 5.14 Kontinuierliches System. Photonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.14.1 Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.14.2 Eigenschwingungen eines mechanischen Systems (Saite) . . 5.14.3 Photonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.15 Oszillator im thermodynamischen Gleichgewicht . . . . . . . . . . 5.15.1 Energieerwartungswert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.15.2 Physikalische Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.15.3 Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.15.4 Wahrscheinlichkeitsverteilung der Observablen X . . . . . 5.16 Aufgaben zu Kapitel 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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512 513 514 516 518 520 521 526 532 534 536 537 542 546 546 556 560 564 564 564 572 578 579 581 582 586 592
Der Drehimpuls in der Quantenmechanik 6.1 Die Bedeutung des Drehimpulses . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Drehimpulsvertauschungsrelationen . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Bahndrehimpuls . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2 Verallgemeinerung: Definition eines Drehimpulses 6.2.3 Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Allgemeine Theorie des Drehimpulses . . . . . . . . . . . 6.3.1 Definitionen und Notationen . . . . . . . . . . . . 6.3.2 Die Eigenwerte von J 2 und Jz . . . . . . . . . . . 6.3.3 Standarddarstellungen {|k, j, m} . . . . . . . . . 6.4 Anwendung auf Bahndrehimpulse . . . . . . . . . . . . . 6.4.1 Eigenwerte und Eigenfunktionen von L2 und Lz . 6.4.2 Physikalische Diskussion . . . . . . . . . . . . . .
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599 599 601 601 602 603 603 604 605 609 617 618 625
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Erg¨anzungen zu Kapitel 6 635 6.5 Die Kugelfl¨achenfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 635 6.5.1 Berechnung der Kugelfl¨achenfunktionen . . . . . . . . . . . . . 635
XVIII 6.5.2 Eigenschaften der Kugelfl¨achenfunktionen . . . . . . Drehimpuls und Drehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6.2 Eigenschaften der r¨aumlichen Drehungen R . . . . . . 6.6.3 Drehoperatoren im Zustandsraum. Teilchen ohne Spin 6.6.4 Drehoperatoren f¨ur ein beliebiges System . . . . . . . 6.6.5 Drehung von Observablen . . . . . . . . . . . . . . . 6.6.6 Drehinvarianz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.7 Drehung zweiatomiger Molek¨ule . . . . . . . . . . . . . . . . 6.7.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.7.2 Klassische Behandlung des starren Rotators . . . . . . 6.7.3 Quantisierung des starren Rotators . . . . . . . . . . . 6.7.4 Nachweise f¨ur die Rotation von Molek¨ulen . . . . . . 6.8 Drehimpuls eines zweidimensionalen Oszillators . . . . . . . 6.8.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.8.2 Klassifikation der station¨aren Zust¨ande . . . . . . . . 6.8.3 Andere Klassifikation der station¨aren Zust¨ande . . . . 6.8.4 Quasiklassische Zust¨ande . . . . . . . . . . . . . . . 6.9 Geladenes Teilchen im Magnetfeld. Landau-Niveaus . . . . . 6.9.1 Wiederholung der klassischen Ergebnisse . . . . . . . 6.9.2 Allgemeine Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . 6.9.3 Homogenes Magnetfeld . . . . . . . . . . . . . . . . 6.10 Aufgaben zu Kapitel 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6
Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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640 647 647 648 651 657 660 664 669 669 670 671 677 684 684 688 690 695 698 699 703 707 722
Einige Fundamentalkonstanten der Physik
731
Sach- und Namenverzeichnis
733
1
Welle und Teilchen
Grundgedanken der Quantenmechanik
Beim heutigen Stand der Wissenschaft spielt die Quantenmechanik f¨ur das Verst¨andnis der Naturvorg¨ange eine grundlegende Rolle, im atomaren oder subatomaren Bereich ist sie unabdingbar. So sind z. B. Existenz und Eigenschaften der Atome, die chemische Bindung, die Bewegung eines Elektrons in einem Kristall etc. auf der Basis der klassischen Mechanik nicht zu verstehen. Doch auch bei makroskopischen Objekten, deren Gr¨oßenordnungen unserer Alltagserfahrung entsprechen, setzt man prinzipiell voraus, dass sie aus Atomen, Ionen und Elektronen bestehen. Erst dann ist man in der Lage, sie exakt und vollst¨andig zu beschreiben. In diesem Sinne darf man sagen, dass die Quantenmechanik die Basis darstellt f¨ur das aktuelle Verst¨andnis aller nat¨urlichen Vorg¨ange, d. h. auch solcher Ph¨anomene, wie sie traditionell in der Chemie, der Biologie oder anderen ¨ naturwissenschaftlichen Disziplinen behandelt werden. Im Ubrigen verweisen gerade eine ganze Reihe von makroskopischen Erscheinungen, die sich in der im Alltag gel¨aufigen Gr¨oßenordnung abspielen, auf die Quanteneigenschaften der Natur. Aus historischer Sicht hat die Quantenphysik wesentlich zu einer Vereinheitlichung der physikalischen Grundlagen beigetragen. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts unterschied man grunds¨atzlich zwischen Materie und Strahlung und beschrieb sie durch v¨ollig verschiedene Gesetze. Um die Bewegung materieller K¨orper vorherzusagen, verwendete man mit großem Erfolg die Gesetze der Newtonschen Mechanik (s. Anhang III). Dagegen war es bei Strahlungsvorg¨angen durch die Aufstellung der Maxwellschen Gleichungen gelungen, eine Theorie des Elektromagnetismus zu entwickeln, mit der vorher als verschieden angesehene Erfahrungsbereiche, n¨amlich die Elektrizit¨at, der Magnetismus und die Optik, einheitlich beschrieben werden k¨onnen. Durch die Entdeckung der Hertzschen Wellen fand die Theorie der elektromagnetischen Strahlung ihre gl¨anzende experimentelle Best¨atigung. Die Wechselwirkung zwischen Materie und Strahlung konnte schließlich auf der Basis des Lorentzschen Kraftgesetzes gedeutet werden. Die Gesamtheit dieses theoretischen Wissens war nach den zu dieser Zeit bekannten experimentellen Gegebenheiten als ausreichend und befriedigend anzusehen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ergaben sich in der Physik grundlegende Umw¨alzungen, die schließlich zur Relativit¨atstheorie und zur Quantenmechanik f¨uhrten. Dabei geschahen die relativistische und die quantenmechanische Revolution“ in weitem Ma” ße unabh¨angig voneinander, da sie die klassische Physik in verschiedenen Bereichen in Frage stellten: Die klassischen Gesetze verlieren ihre G¨ultigkeit, wenn sich materielle K¨orper mit Geschwindigkeiten bewegen, die mit der Lichtgeschwindigkeit vergleichbar sind (relativistischer Bereich), sie versagen aber auch auf der atomaren bzw. subatomaren Skala (quantenmechanischer Bereich). Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Feststel-
2
1 Welle und Teilchen
lung, dass in beiden F¨allen die klassische Physik in die neue Theorie eingebettet werden kann. H¨aufig sagt man, dass sie die Rolle einer N¨aherung der neuen Theorien spielt. So beschreibt die Newtonsche Mechanik auch weiterhin einen festen K¨orper korrekt, falls dieser sich im Vergleich zur Lichtgeschwindigkeit nicht zu schnell bewegt und falls er verglichen mit den Atomen von makroskopischer Gr¨oße ist. Trotzdem ist die Quantenmechanik grunds¨atzlich unverzichtbar: Nur sie erkl¨art, warum der feste K¨orper u¨ berhaupt existieren kann, und nur sie erm¨oglicht die Berechnung seiner makroskopischen Eigenschaften (wie der Dichte, der spezifischen W¨arme, der Elastizit¨at usw.). Bis heute gibt es noch keine v¨ollig befriedigende relativistische Quantentheorie, hier treten immer wieder Schwierigkeiten auf. Die meisten atomaren und molekularen Vorg¨ange werden aber bereits durch die nichtrelativistische Quantenmechanik erkl¨art, und auf diese werden wir im Folgenden eingehen. Dieses Kapitel vermittelt einen ersten Eindruck von den Vorstellungen der Quantenmechanik und ihrem Vokabular“, ohne dass wir hier bereits Strenge und Vollst¨andigkeit ” beanspruchen. Im Wesentlichen geht es zun¨achst darum, auf Ph¨anomene zu verweisen, durch die bestimmte Begriffe, wie z. B. den der Teilchenbahn oder Trajektorie, in Frage gestellt werden. Ferner wollen wir auf einfache und qualitative Weise zeigen, wie durch die Quantentheorie Probleme im atomaren Bereich behandelt und gel¨ost werden k¨onnen. Die pr¨azise Formulierung erfolgt dann in den Kapiteln 2 und 3. In Abschnitt 1.1 stellen wir die quantenmechanischen Grundideen u¨ ber die Dualit¨at von Welle und Teilchen und den Messprozess vor, wobei wir uns auf wohlbekannte optische Experimente beziehen. Danach zeigen wir in Abschnitt 1.2, wie diese Ideen auf materielle Teilchen erweitert werden k¨onnen. Der darauf folgende Abschnitt 1.3 untersucht dann im Einzelnen, wie einem Teilchen ein Wellenpaket“ zugeordnet werden kann, und ” f¨uhrt die Heisenbergschen Unsch¨arferelationen ein. Schließlich diskutieren wir in Abschnitt 1.4 an einfachen Beispielen einige typische Quanteneffekte.
1.1 Elektromagnetische Wellen und Photonen 1.1.1 Lichtquanten und Einstein-de-Broglie-Beziehungen Newton betrachtete das Licht als einen Strahl von Teilchen, die bei der Reflexion an einem Spiegel von diesem zur¨uckprallen. In der ersten H¨alfte des 19. Jahrhunderts wurde die Wellennatur des Lichts bewiesen (Interferenz und Beugung); in der Folge konnte die Optik in die Elektrodynamik integriert werden. In diesem Rahmen wurde die Lichtgeschwindigkeit c mit der elektrischen und magnetischen Feldkonstanten in Beziehung gesetzt, und die Polarisation des Lichts konnte durch den Vektorcharakter des elektromagnetischen Feldes gedeutet werden. Die Gesetze der Hohlraumstrahlung waren jedoch durch die klassische Theorie des Elektromagnetismus nicht erkl¨arbar, so dass Planck sich im Jahre 1900 gezwungen sah, die Hypothese von der Quantisierung der Energie aufzustellen: F¨ur eine elektromagnetische Welle der Frequenz ν sind die einzig m¨oglichen Energien ganzzahlige Vielfache des Quantums hν, worin h eine neue Fundamentalkonstante bedeutete. Einstein verallge-
1.1 Elektromagnetische Wellen und Photonen
3
meinerte diese Hypothese und schlug 1905 eine Korpuskulartheorie des Lichts vor: Das Licht ist als ein Strahl von Photonen aufzufassen, die alle die Energie hν besitzen. Er zeigte, wie durch die Einf¨uhrung des Photons der photoelektrische Effekt auf sehr einfache Weise erkl¨art werden konnte. Fast zwanzig Jahre dauerte es, bis man 1924 durch den Compton-Effekt das Photon als individuelles Teilchen tats¨achlich nachwies. Diese Erkenntnisse f¨uhrten zu folgendem Schluss: Die Wechselwirkung einer elektromagnetischen Welle mit der Materie geschieht u¨ ber unteilbare elementare Prozesse, bei denen die Strahlung sich verh¨alt, wie wenn sie aus Teilchen, eben den Photonen, best¨unde. Zwischen den Teilcheneigenschaften (das sind die Energie E und der Impuls p eines Photons) und den Welleneigenschaften (also der Kreisfrequenz ω = 2πν und dem Wellenvektor k, wobei |k| = 2π/λ; ν ist die Frequenz und λ die Wellenl¨ange) postuliert man die grundlegenden Beziehungen E = hν = h ¯ ω, p = h ¯ k,
(1.1)
worin ¯ h = h/2π und h die Planck-Konstante h ≈ 6.62×10−34 J s
(1.2)
ist. Man nennt sie die Einstein-de-Broglie-Beziehungen. Bei jedem Elementarprozess bleiben Gesamtenergie und Gesamtimpuls erhalten.
1.1.2 Der Welle-Teilchen-Dualismus Wenn wir auf diese Weise zu einer korpuskularen Beschreibung des Lichts gelangt sind, so stellt sich die Frage, ob damit die Wellentheorie u¨ berfl¨ussig geworden ist. Das ist aber nicht der Fall. Wir werden sehen, dass wir typische Wellenph¨anomene wie die Interferenz und die Beugung im Rahmen der Teilchenvorstellung nicht erkl¨aren k¨onnen. Vielmehr werden wir bei der Analyse des Youngschen Spaltversuchs feststellen, dass eine vollst¨andige Beschreibung nur m¨oglich ist, wenn wir gleichzeitig den Teilchen- und den Wellenaspekt des Lichts beachten (obwohl sich diese von vornherein gegenseitig auszuschließen scheinen). Wie dieses Paradoxon durch die Einf¨uhrung quantenmechanischer Begriffe aufgel¨ost werden kann, wollen wir im Folgenden zeigen.
Der Youngsche Spaltversuch Die Versuchsanordnung ist in Abb. 1.1 schematisch wiedergegeben. Von der Quelle Q f¨allt das monochromatische Licht auf eine undurchsichtige Blende B, in der sich zwei feine Spalte S1 und S2 befinden, und beleuchtet den Beobachtungsschirm S, z. B. eine Photoplatte. Deckt man den Spalt S2 ab, so erh¨alt man den durch S1 verursachten Beugungsfleck mit der Intensit¨atsverteilung I1 (x); entsprechend wird der auf den Spalt S2 zur¨uckgehende Fleck, wenn S1 abgedeckt wird, durch die Intensit¨at I2 beschrieben. Sind
4
1 Welle und Teilchen
Abb. 1.1 (a) Schema des Youngschen Versuchs am Doppelspalt. Auf dem Schirm S liefern der Spalt S1 und der Spalt S2 je einen Beugungsfleck mit den Intensit¨aten I1 (x) bzw. I2 (x) (die durchgezogenen Kurven in (b)). Sind S1 und S2 gleichzeitig ge¨offnet, so ist die Intensit¨at I(x) auf dem Schirm nicht gleich der Summe I1 (x) + I2 (x) (gestrichelte Kurve in (b) und (c)), sondern zeigt das oszillierende Muster, wie es durch die Interferenz der von S1 und S2 ausgehenden elektromagnetischen Strahlung entsteht (durchgezogene Kurve in (c)).
dagegen beide Spalte ge¨offnet, so ergibt sich auf dem Schirm ein System von Interferenzstreifen. Insbesondere stellt man dabei fest, dass die Intensit¨at I(x) nicht gleich der Summe der von S1 und S2 erzeugten Intensit¨aten ist: I(x) = I1 (x) + I2 (x).
(1.3)
Wie kann man diese experimentelle Tatsache im Teilchenbild erkl¨aren, das ja nach Planck und Einstein unter anderem zur Deutung der Strahlungsgesetze und des photoelektrischen ¨ Effekts notwendig ist? Die Existenz eines Beugungsflecks, wie er bei Offnung nur eines Spalts entsteht, ließe sich z. B. durch die St¨oße interpretieren, die die Photonen an den R¨andern des Spalts erfahren; doch zeigt eine genauere Untersuchung, dass dies nicht befriedigend durchzuf¨uhren ist. Konzentrieren wir uns dagegen auf die Interferenzerscheinung, so k¨onnten wir sie durch eine Wechselwirkung zu erkl¨aren versuchen, die zwischen den durch den Spalt S1 tretenden Photonen und den durch den Spalt S2 gelangenden geschieht. Dabei gelangt man dann zu folgender Vorhersage: Verringert man die Intensit¨at der Quelle Q, d. h. die Zahl der in der Zeiteinheit emittierten Photonen, bis diese schließlich einzeln und nacheinander auf die Blende und dann auf den Schirm treffen, so muss auch die Wechselwirkung zwischen den Photonen immer kleiner werden und im Grenzfall gegen null gehen; die Interferenzstreifen m¨ussen verschwinden. Erinnern wir uns an die Erkl¨arung der Interferenzstreifen im Wellenbild. Nach ihr ist die Lichtintensit¨at in einem bestimmten Punkt auf dem Schirm zum Quadrat der Amplitude des elektrischen Feldes in diesem Punkt proportional. Sind E1 (x) bzw. E2 (x) die an der Stelle x vom Spalt S1 bzw. S2 erzeugten (komplexwertigen) elektrischen Feldst¨arken
1.1 Elektromagnetische Wellen und Photonen
5
(die Spalte verhalten sich wie sekund¨are Lichtquellen), so ist das Gesamtfeld, wenn beide Spalte ge¨offnet sind, E(x) = E1 (x) + E2 (x).
(1.4)
Dann ist die Intensit¨at I(x) ∝ |E(x)|2 = |E1 (x) + E2 (x)|2 .
(1.5)
Andererseits sind die Intensit¨aten I1 (x) bzw. I2 (x) proportional zu |E1 (x)|2 bzw. |E2 (x)|2 . Wir sehen also, dass I(x) sich von I1 (x) + I2 (x) um einen Interferenzterm unterscheidet, der von dem Phasenunterschied zwischen E1 (x) und E2 (x) abh¨angt und mit dem man das Auftreten der Streifen auch quantitativ erkl¨aren kann. Nach der Wellentheorie nimmt dann mit abnehmender Intensit¨at der Quelle Q auch die Intensit¨at der Interferenzstreifen ab; trotzdem treten sie weiterhin auf.1 Wenn nun die Quelle Q die Photonen einzeln nacheinander emittiert, so werden weder die Vorhersagen der Wellentheorie noch die der Teilchentheorie durch die Beobachtung best¨atigt. Es zeigt sich vielmehr: 1. Bringt man auf dem Schirm einen Film an und belichtet ihn so lange, dass man bei jeder Aufnahme eine große Zahl von Photonen erh¨alt, dann stellt man nach der Entwicklung fest, dass die Streifen nicht verschwunden sind. Eine reine korpuskulare Interpretation ist also nicht haltbar, denn nach ihr beruhten die Streifen auf einer Wechselwirkung zwischen den Photonen der beiden Spalte. 2. Belichtet man dagegen den Film so kurz, dass auf ihn nur wenige Photonen auftreffen k¨onnen, so beobachtet man, dass jedes Photon auf dem Schirm S einen lokalisierten Stoß bewirkt. Es entsteht keine noch so schwache Interferenzfigur; eine reine Wellentheorie muss daher ebenfalls verworfen werden. Was wir beim Auftreffen der Photonen auf dem Schirm beobachten, ist das folgende Ph¨anomen: Ihre St¨oße zeigen eine Zufallsverteilung, und erst wenn eine große Anzahl von ihnen den Schirm erreicht hat, scheint diese Verteilung einen kontinuierlichen Aspekt anzunehmen; die Dichte der St¨oße in jedem Punkt des Schirms S entspricht den Interferenzstreifen: Sie ist auf einem hellen Streifen am gr¨oßten und null auf einem dunklen Streifen. Man kann sagen, dass die Photonen bei ihrem Auftreffen das Interferenzmuster erzeugen. Das Versuchsergebnis f¨uhrt also offensichtlich zu einem Paradoxon, das man z. B. im Teilchenbild so umschreiben kann: Weil eine Wechselwirkung zwischen den verschiedenen Photonen auszuschließen ist, m¨ussen wir jedes von ihnen getrennt betrachten. Dann ist aber nicht zu verstehen, weshalb sich das Muster auf dem Schirm so grunds¨atzlich a¨ ndert, je nachdem ob ein Spalt oder aber beide Spalte ge¨offnet sind. Wie vertr¨agt sich die Annahme, dass ein Photon durch genau einen Spalt geht, mit der Tatsache, dass das Verhalten dieses Photons in so grunds¨atzlicher Weise davon abh¨angt, ob der andere Spalt offen oder aber verdeckt ist? Bevor wir auf diese Frage eingehen, halten wir fest, dass wir beim vorstehenden Experiment nicht bestimmt haben, durch welchen Spalt jedes Photon vor seinem Auftreffen 1 Da bei diesem Versuch der Vektorcharakter des Feldes keine grunds¨ atzliche Rolle spielt, kann er mit unpolarisiertem Licht ausgef¨uhrt werden, was wir der Einfachheit halber in diesem Abschnitt voraussetzen.
6
1 Welle und Teilchen
auf dem Schirm gelangt ist. Will man dies tun, so k¨onnte man hinter S1 und S2 Detektoren (Photomultiplier) anbringen. Man wird dann feststellen, dass jedes Photon einen ganz bestimmten Spalt durchquert (man erh¨alt ein Signal entweder von dem hinter dem Spalt S1 oder von dem hinter S2 aufgestellten Detektor, nie aber von beiden zugleich). Offensichtlich jedoch werden die auf diese Weise registrierten Photonen absorbiert und erreichen den Schirm u¨ berhaupt nicht. Nehmen wir darum z. B. den Detektor hinter S1 fort, so zeigt der Detektor hinter dem Spalt S2 an, dass bei einer großen Anzahl von Photonen ungef¨ahr die H¨alfte durch den Spalt S2 tritt. Daraus schließen wir, dass die anderen, den Schirm erreichenden Photonen durch den Spalt S1 gehen. Weil aber S2 abgedeckt ist, entsteht auf dem Schirm nur der von S1 stammende Beugungsfleck und kein Interferenzmuster.
Die quantenmechanische Vereinigung von Teilchen- und Wellenaspekt Wie wir gesehen haben, kann man nicht allen beobachteten Ph¨anomenen gleichzeitig Rechnung tragen, wenn man das Licht nur im Teilchen- oder nur im Wellenbild beschreibt. Nun scheinen sich diese beiden Bilder gegenseitig auszuschließen: Ein physikalisches Objekt ist entweder ein Teilchen oder eine Welle, aber nie beides zugleich. Man ist daher gezwungen, die Konzepte der klassischen Physik zu u¨ berpr¨ufen, obwohl unsere Alltagserfahrung sie als gesichert erscheinen lassen. Im mikroskopischen“ Bereich, auf ” den wir hier gestoßen sind, k¨onnen sie nicht mehr gelten. So tritt z. B. ein wesentliches Charakteristikum dieses Bereichs auf, wenn wir hinter den Youngschen Spalten Z¨ahler anbringen: Sobald wir an einem mikroskopischen System eine Messung ausf¨uhren, st¨oren wir es in grunds¨atzlicher Weise. Dies ist deshalb eine f¨ur uns neue Eigenschaft, weil wir es im makroskopischen Bereich gew¨ohnt sind, Messapparaturen zu entwerfen, deren Einfluss auf das beobachtete System beliebig klein gemacht werden kann. Eine derartige kritische Revision der klassischen Physik wird durch die Erfahrung, durch das Experiment, erzwungen. Greifen wir zun¨achst das Paradoxon“ wieder auf, bei dem das Verhalten eines Pho” tons, das durch einen bestimmten Spalt geht, davon abh¨angt, ob der andere Spalt ge¨offnet oder geschlossen ist. Wir sahen: Sobald wir versuchen, die Photonen nach ihrem Durchgang durch die Spalte nachzuweisen, erreichen diese den Schirm nicht mehr. Allgemeiner zeigt eine genauere Analyse der Experimente, dass es unm¨oglich ist, das Interferenzmuster auf dem Schirm zu beobachten und gleichzeitig zu wissen, durch welchen Spalt jedes Photon gegangen ist (s. Abschnitt 1.8). Wir m¨ussen also die Vorstellung aufgeben, dass ein Photon mit Sicherheit einen bestimmten Spalt passiert. Damit wird aber ein fundamentaler Begriff der klassischen Physik, n¨amlich der Begriff der Teilchenbahn, in Frage gestellt. Andererseits erzeugen die einzelnen Photonen beim Auftreffen auf dem Schirm schließlich die Interferenzfigur. Man weiß also nicht im Voraus mit Sicherheit, wo ein bestimmtes Photon auf dem Schirm aufschlagen wird, denn alle Photonen werden unter denselben Bedingungen emittiert. Damit verliert aber auch die klassische Vorstellung ihre G¨ultigkeit, nach der die Anfangsbedingungen die weitere Bewegung eines Teilchens vollst¨andig bestimmen. Man kann lediglich sagen: Wenn ein Photon emittiert wird, so ist
1.1 Elektromagnetische Wellen und Photonen
7
die Wahrscheinlichkeit, dass es an der Stelle x auftrifft, proportional zur Intensit¨at I(x), wie sie von der Wellentheorie berechnet wird, also proportional zu |E(x)|2 . Nach vielen Versuchen der Interpretation, auf die wir hier nicht eingehen, gelangte man schließlich zur Vorstellung vom Welle-Teilchen-Dualismus. Man kann sie schematisch etwa wie folgt zusammenfassen:2 1. Der Wellen- und der Teilchenaspekt des Lichts sind untrennbar; das Licht verh¨alt sich zugleich wie eine Welle und wie ein Teilchenstrom. Die Welle erlaubt die Berechnung der Wahrscheinlichkeit, mit dem ein Teilchen in Erscheinung tritt. ¨ 2. Uber das Verhalten eines Photons kann man nur Wahrscheinlichkeitsaussagen machen. 3. Die Information u¨ ber ein Photon zum Zeitpunkt t wird durch die L¨osung E(r, t) der Maxwellschen Gleichungen gegeben; man sagt, dass diese Welle den Zustand des Photons zum Zeitpunkt t charakterisiert. E(r, t) wird als die Wahrscheinlichkeitsamplitude f¨ur das Auftreten eines Photons zum Zeitpunkt t an der Stelle r interpretiert. Dies bedeutet, dass die zugeh¨orige Wahrscheinlichkeit proportional zu |E(r, t)|2 ist. Bemerkungen 1. Die Maxwellschen Gleichungen sind linear und homogen, es gilt also ein Superpositionsprinzip: Sind E1 und E2 zwei L¨osungen dieser Gleichungen, so ist auch λ1 E1 + λ2 E2 mit zwei beliebigen Konstanten λ1 und λ2 eine L¨osung. Es ist dieses Prinzip, das in der klassischen Optik die f¨ur Wellen typischen Ph¨anomene wie die Interferenz und die Beugung erkl¨art. Die Deutung von E(r, t) als Wahrscheinlichkeitsamplitude ist daher f¨ur die Quantenphysik wesentlich. 2. Die Theorie erlaubt allein die Berechnung der Wahrscheinlichkeit f¨ur das Eintreten eines Ereignisses. Die experimentellen Best¨atigungen m¨ussen also auf einer großen Zahl identischer Versuche gr¨unden. (Beim obigen Doppelspaltversuch wird zur Herstellung der Interferenzfigur nacheinander eine große Anzahl von Photonen auf die gleiche Art erzeugt und auf den Schirm geschickt; das entstehende Muster ist die Materialisation der berechneten Wahrscheinlichkeiten.) 3. Wir sprechen hier vom Zustand des Photons“, um im n¨achsten Abschnitt eine Analogie ” zwischen E(r, t) und der Wellenfunktion ψ(r, t) entwickeln zu k¨onnen, mit der wir den quantenmechanischen Zustand eines materiellen Teilchens charakterisieren. Diese optische Analogie“ ” erweist sich als sehr fruchtbar und erm¨oglicht insbesondere auch ohne Rechnungen ein einfaches Verst¨andnis verschiedener Quanteneigenschaften materieller Teilchen. Man darf sie jedoch nicht zu weit treiben und etwa glauben, dass E(r, t) in voller Strenge dem Quantenzustand eines Photons zuzuordnen ist.
Wir werden u¨ brigens sehen, dass die Wellenfunktion ψ(r, t) in der Quantenmechanik wesentlich komplex ist, w¨ahrend die komplexe Schreibweise von E(r, t) in der Optik lediglich aus Zweckm¨aßigkeit verwendet wird (nur der Realteil hat einen physikalischen Sinn). Die genaue Definition des (komplexen) Quantenzustands der Strahlung kann nur im Rahmen der (relativistischen) Quantenelektrodynamik gegeben werden. Auf diese werden wir sp¨ater skizzenhaft in Abschnitt 5.14 eingehen.
2 Diese
Deutung wird allgemein als die orthodoxe“ angesehen, ist jedoch weiterhin in der Diskussion. ”
8
1 Welle und Teilchen
1.1.3 Die Spektralzerlegung Wir sind jetzt in der Lage, ein weiteres einfaches optisches Experiment zu behandeln, bei dem wir uns diesmal f¨ur die Polarisation des Lichts interessieren. Es gibt uns Gelegenheit, auf die Grundlagen der Messung physikalischer Gr¨oßen einzugehen. Der Versuch besteht darin, dass wir eine monochromatische ebene und polarisierte Lichtwelle auf einen Analysator A schicken. Oz kennzeichnet die Ausbreitungsrichtung der Welle, der Einheitsvektor ep beschreibt ihre Polarisation, s. Abb. 1.2. Der Analysator A ist f¨ur parallel zur x-Richtung polarisiertes Licht durchl¨assig und absorbiert Licht, das parallel zur y-Richtung polarisiert ist.
Abb. 1.2 Ein einfaches Experiment zur Bestimmung der Polarisation einer Lichtwelle. Ein Lichtb¨undel breitet sich in z-Richtung aus und durchquert nacheinander den Polarisator P und den Analysator A; θ ist der Winkel zwischen der x-Richtung und dem von P durchgelassenen Feld. A ist f¨ur Schwingungen parallel zur x-Richtung durchl¨assig.
Bei gen¨ugend hoher Intensit¨at beschreibt man diesen Versuch in der klassischen Physik wie folgt: Die ebene polarisierte Welle wird durch ein elektrisches Feld von der Form E(r, t) = E0 ep ei (kz−ωt)
(1.6)
charakterisiert, wobei E0 eine Konstante ist. Die Intensit¨at des Lichts ist proportional zu |E0 |2 . Nach dem Durchgang durch den Analysator A erh¨alt man eine in Ox-Richtung polarisierte ebene Welle E (r, t) = E0 ex ei (kz−ωt)
(1.7)
mit der zu |E0 |2 proportionalen Intensit¨at I . Diese ist durch das Malus-Gesetz I = I cos2 θ
(1.8)
gegeben (ex ist der Einheitsvektor in Ox-Richtung und θ der Winkel zwischen ep und ex : θ = arccos ex ·ep ). Was geschieht, wenn die Intensit¨at I so gering ist, dass die Photonen einzeln nacheinander auf den Analysator treffen (in diesem Fall bringt man hinter dem Analysator
1.1 Elektromagnetische Wellen und Photonen
9
einen Photonendetektor an)? Zun¨achst ist festzuhalten, dass er nie einen Teil“ des Pho” tons registriert: Entweder durchquert das Photon den Analysator, oder es wird von ihm vollst¨andig absorbiert. Weiter kann man (bis auf zwei spezielle F¨alle) nicht mit Sicherheit vorhersagen, ob das ankommende Photon den Analysator passiert oder ob es von ihm absorbiert wird; man kennt nur die zugeh¨origen Wahrscheinlichkeiten. Wenn schließlich eine große Zahl N von Photonen (einzeln nacheinander) auf den Analysator auftrifft, so beobachtet man wieder die klassische Verteilung: Hinter dem Analysator weist man gerade N cos2 θ von ihnen nach. Hieraus ergeben sich die folgenden Vorstellungen: 1. Die Messapparatur (hier der Analysator) zeigt nur bestimmte Ergebnisse an. Im obigen Versuch gibt es nur zwei m¨ogliche Resultate: Das Photon dringt durch den Analysator oder es wird von ihm absorbiert. Man spricht von einer Quantisierung des Ergebnisses, w¨ahrend sich im klassischen Fall (s. Gl. (1.8)) die transmittierte Intensit¨at I in Abh¨angigkeit vom Winkel θ zwischen 0 und I stetig a¨ ndert. 2. Zu jedem der beiden Messresultate geh¨ort ein Eigenzustand. Diese Eigenzust¨ande sind hier durch ep = ex
oder
ep = ey
(1.9)
charakterisiert; dabei ist ey der Einheitsvektor in y-Richtung. Ist ep = ex , so weiß man mit Sicherheit, dass das Photon den Analysator durchdringt. Ist dagegen ep = ey , so wird es mit Sicherheit absorbiert werden. Der Zusammenhang zwischen den Messergebnissen und den Eigenzust¨anden ist also der folgende: Befindet sich das Teilchen vor der Messung in einem der Eigenzust¨ande, so steht das zugeh¨orige Messresultat fest. 3. Befindet sich das Teilchen vor der Messung in einem beliebigen Zustand, so sind nur noch Wahrscheinlichkeitsaussagen u¨ ber das Messergebnis m¨oglich. Um sie zu ermitteln, zerlegt man den Zustand des Teilchens in eine Linearkombination der verschiedenen Eigenzust¨ande. In unserem Fall schreibt man also ep = ex cos θ + ey sin θ.
(1.10)
Die Wahrscheinlichkeit, einen der beiden Eigenzust¨ande zu beobachten, ist dann proportional zum Betragsquadrat des Koeffizienten beim zugeh¨origen Eigenzustand (die Faktoren gen¨ugen der Bedingung, dass die Summe dieser Wahrscheinlichkeiten gleich eins ist). Gleichung (1.10) sagt also aus, dass f¨ur jedes Photon die Wahrscheinlichkeit cos2 θ besteht, den Analysator zu passieren, und die Wahrscheinlichkeit sin2 θ, von ihm absorbiert zu werden; tats¨achlich ist cos2 θ + sin2 θ = 1. Man nennt diese Regel in der Quantenmechanik das Prinzip der Spektralzerlegung. Wir beachten, dass die Zerlegung von der Wahl der Messapparatur abh¨angt: In Gl. (1.10) wird die Lage der x- bzw. y-Achse durch den Analysator bestimmt. 4. Nach dem Durchgang durch den Analysator ist das Licht vollst¨andig in x-Richtung polarisiert. Stellt man also nach dem ersten einen zweiten Analysator A auf, der ebenfalls in x-Richtung durchl¨assig ist, so durchqueren alle Photonen, die durch A gelangen, auch A . Nach 2. bedeutet dies, dass nach dem Durchgang durch A der Eigenzustand der ¨ des Photonen durch ex beschrieben wird. Wir haben es mit einer pl¨otzlichen Anderung Teilchenzustandes zu tun: Vor der Messung war der Zustand durch einen Vektor E(r, t) in Richtung von ep gegeben; nach der Messung besitzt man eine zus¨atzliche Information
10
1 Welle und Teilchen
(das Photon ist hindurchgelangt), die man ber¨ucksichtigt, indem man den Zustand durch einen anderen, in unserem Fall einen in x-Richtung weisenden Vektor, beschreibt. Man interpretiert diesen Sachverhalt, indem man sagt, die Messung st¨ore das mikroskopische System (hier also das Photon) in grunds¨atzlicher Weise. Bemerkung Die bestimmte Vorhersage des Messergebnisses, wenn ep = ex oder ep = ey ist, stellt nur einen Spezialfall dar. Die Wahrscheinlichkeit f¨ur eines der m¨oglichen Ereignisse ist dann gleich eins. Um jedoch diese Vorhersage zu verifizieren, muss man eine große Anzahl von Versuchen ausf¨uhren: Man muss sich vergewissern, dass alle Photonen den Analysator passieren (oder von ihm absorbiert werden); ep = ex oder ep = ey beschreibt nicht, dass ein bestimmtes Photon durch den Analysator gelangt ist (oder von ihm absorbiert wurde).
1.2 Materielle Teilchen und Materiewellen 1.2.1 Die Einstein-de-Broglie-Beziehungen Die Untersuchung der Emissions- und Absorptionsspektren der Atome f¨uhrte zu einer weiteren grundlegenden Beobachtung, die im Rahmen der klassischen Physik nicht zu verstehen war. Diese Spektren zeigen eine Linienstruktur, mit anderen Worten emittiert oder absorbiert das Atom nur Photonen ganz bestimmter Frequenz (d. h. Energie). Eine Deutung dieses Ph¨anomens ist m¨oglich, wenn man annimmt, dass die Energie des Atoms quantisiert ist, also nur bestimmte diskrete Werte Ei (i = 1, 2, 3, . . . , n, . . .) erlaubt sind: Die Emission oder Absorption eines Photons geschieht, wenn das Atom von einem Energiezustand mit dem erlaubten Wert Ei in einen Zustand mit dem erlaubten Energiewert Ej u¨ bergeht; die Energieerhaltung verlangt dann, dass das Photon eine Frequenz aufweist, die durch die Beziehung hνij = |Ei − Ej |
(1.11)
gegeben ist. Im Spektrum d¨urfen also nur Frequenzen auftreten, die dieser Gleichung gen¨ugen. ¨ Unabh¨angig von dieser Uberlegung wurde die Existenz diskreter Energieniveaus durch den Versuch von Franck und Hertz nachgewiesen. Bohr schlug zur Erkl¨arung ein Modell vor, nach dem sich die Atomelektronen nur auf bestimmten Bahnen bewegen durften, und entwickelte mit Sommerfeld eine empirische Regel, mit der man f¨ur das Wasserstoffatom diese Bahnen berechnen konnte. Eine Begr¨undung dieser Quantisierungsregeln konnte man jedoch nicht geben. Erst im Jahre 1923 stellte L. de Broglie die Hypothese auf, nach der auch materielle Teilchen Wellencharakter besitzen k¨onnen. Aus ihr erhielt man wieder die Quantisierungsregeln von Bohr und Sommerfeld, wobei sich die verschiedenen erlaubten Energieniveaus in Analogie zu den Eigenschwingungen einer Saite oder eines Hohlraumresonators ergaben. Durch die Elektronenbeugungsversuche von Davisson und Germer im Jahre 1927 best¨atigte sich der Wellencharakter der Materie in besonders deutlicher Weise: Mit materiellen Teilchen konnte man Interferenzfiguren erzeugen.
1.2 Materielle Teilchen und Materiewellen
11
Nach dieser Hypothese ordnet man einem materiellen Teilchen mit der Energie E und dem Impuls p eine Welle mit der Kreisfrequenz ω = 2πν und dem Wellenvektor k durch dieselben Beziehungen zu, wie wir sie f¨ur Photonen aufgestellt hatten: E = hν = h ¯ ω, p = h ¯ k.
(1.12)
Die Wellenl¨ange ergibt sich dann durch die Einstein-de-Broglie-Beziehung λ=
2π h = . |k| |p|
(1.13)
Bemerkung Dass der Wellencharakter der Materie auf makroskopischer Ebene nur sehr schwer nachzuweisen ist, ergibt sich aus dem sehr kleinen Wert der Planck-Konstanten h. In Abschnitt 1.5 diskutieren wir die de-Broglie-Wellenl¨angen verschiedener materieller Teilchen.
1.2.2 Wellenfunktion und Schr¨odinger-Gleichung Folgen wir der Hypothese von de Broglie, so m¨ussen wir auf materielle Teilchen die Vorstellungen u¨ bertragen, die wir in Abschnitt 1.1 f¨ur Photonen kennengelernt haben. Wir gelangen dann zu folgender Formulierung: 1. Das klassische Konzept der Bahn (oder Trajektorie) eines Teilchens muss durch den Begriff des von der Zeit t abh¨angigen Zustands ersetzt werden. Dabei wird der Quantenzustand eines Teilchens wie z. B. eines Elektrons (hier ohne Ber¨ucksichtigung des Spins) durch eine Wellenfunktion ψ(r, t) beschrieben, die die gesamte Information enth¨alt, die man u¨ ber das Teilchen erlangen kann. 2. ψ(r, t) wird als eine Wahrscheinlichkeitsamplitude f¨ur den Aufenthalt des Teilchens interpretiert. Nehmen wir an, dass die m¨oglichen Orte des Teilchens ein Kontinuum bilden, so ist die Wahrscheinlichkeit, das Teilchen zum Zeitpunkt t in einem Volumenelement d3 r = dx dy dz um die Stelle r zu finden, proportional zu d3 r und infinitesimal: dP(r, t). Man interpretiert daher |ψ(r, t)|2 als Wahrscheinlichkeitsdichte und setzt dP(r, t) = C|ψ(r, t)|2 d3 r,
(1.14)
worin C eine Normierungskonstante bedeutet (s. Bemerkung 1 am Ende dieses Abschnitts). 3. F¨ur eine beliebige physikalische Gr¨oße A gilt das Prinzip der Spektralzerlegung: – Ein Messergebnis geh¨ort stets zu einem Ensemble von Eigenwerten {a}. – Zu jedem Eigenwert a geh¨ort ein Eigenzustand, d. h. eine Eigenfunktion ψa (r). Gilt zum Zeitpunkt t0 der Messung von A, dass ψ(r, t0 ) = ψa (r) ist, so liefert sie mit Sicherheit den Wert a.
12
1 Welle und Teilchen
– Bei einem beliebigem Zustand ψ(r, t) erh¨alt man die Wahrscheinlichkeit Pa , bei einer Messung zur Zeit t0 den Eigenwert a zu finden, aus der Zerlegung von ψ(r, t0 ) nach den Eigenfunktionen ψa (r): ca ψa (r). (1.15) ψ(r, t0 ) = a
Hiernach ist also |ca |2 Pa = . 2 a |ca |
(1.16)
Durch den Nenner wird die Gesamtwahrscheinlichkeit gleich eins. – Misst man den Wert a, so ist unmittelbar nach der Messung die Wellenfunktion des Teilchens ψ (r, t0 ) = ψa (r).
(1.17)
4. Schließlich wird die Bewegungsgleichung postuliert, der die Zustandsfunktion ψ(r, t) zu gen¨ugen hat. Man kann zu ihr durch Plausibilit¨ats¨uberlegungen gelangen, die von den Einstein-de-Broglie-Beziehungen ausgehen. Ihre G¨ultigkeit wird best¨atigt, indem man die sich aus ihr ergebenden Folgerungen experimentell u¨ berpr¨uft. In Kapitel 3 werden wir genauer auf diese Gleichung zu sprechen kommen. Unterliegt ein Teilchen mit der Masse m einem Potential V (r, t), so gilt f¨ur die Zustandsfunktion ψ(r, t) die Schr¨odinger-Gleichung i¯ h
h2 ¯ ∂ ψ(r, t) = − Δψ(r, t) + V (r, t)ψ(r, t). ∂t 2m
(1.18)
Darin ist Δ = ∂ 2 /∂x2 + ∂ 2 /∂y 2 + ∂ 2 /∂z 2 der Laplace-Operator. Diese partielle Differentialgleichung zweiter Ordnung ist in ψ linear und homogen. Folglich gilt f¨ur materielle Teilchen ein Superpositionsprinzip, das in Kombination mit der Deutung von ψ als Wahrscheinlichkeitsamplitude dazu f¨uhrt, den Teilchen Welleneigenschaften zuzuschreiben. Weiter ist die Gleichung hinsichtlich der Zeitvariablen von erster Ordnung. Diese Eigenschaft ist notwendig, damit der Zustand des Teilchens zum Zeitpunkt t0 , der durch ψ(r, t0 ) charakterisiert wird, die sp¨ateren Zust¨ande eindeutig bestimmt. Zwischen Materie und Strahlung besteht also eine grundlegende Analogie: In beiden F¨allen verlangt eine korrekte Beschreibung der experimentell festgestellten Erscheinungen ein quantenmechanisches Konzept, mit dem insbesondere dem Welle-TeilchenDualismus Rechnung getragen werden kann. Bemerkungen 1. Besteht ein System nur aus einem Teilchen, so ist die Wahrscheinlichkeit, es zur Zeit t an einer beliebigen Stelle im Raum zu finden, gleich eins: dP(r, t) = 1.
(1.19)
1.2 Materielle Teilchen und Materiewellen
13
Hierin ist dP(r, t) durch Gl. (1.14) gegeben. Die Wellenfunktion ψ(r, t) ist also quadratintegrabel: |ψ(r, t)|2 d3 r
ist endlich.
(1.20)
Die in Gl. (1.14) auftretende Normierungskonstante C ist dann durch die Beziehung 1 = C
|ψ(r, t)|2 d3 r
(1.21)
bestimmt. Wir werden sp¨ater sehen, dass die Form der Schr¨odinger-Gleichung die Zeitunabh¨angigkeit von C verlangt. Es wird C = 1, wenn man normierte Wellenfunktionen verwendet, denn dann gilt |ψ(r, t)|2 d3 r = 1.
(1.22)
2. Zwischen dem klassischen Begriff des Zustands eines Teilchens und dem entsprechenden Begriff in der Quantenmechanik besteht ein großer Unterschied. Der Zustand eines klassischen Teilchens zum Zeitpunkt t ist durch die Angabe von sechs Parametern bestimmt, die seine Lage und seine Geschwindigkeit zu diesem Zeitpunkt charakterisieren: Es sind dies z. B. die Ortskoordinaten x, y, z und die Geschwindigkeitskoordinaten vx , vy , vz . Der Zustand eines Quantenteilchens ist dagegen durch die unendlich vielen Werte der zugeh¨origen Wellenfunktion ψ(r, t) in den verschiedenen Punkten des Raumes gegeben. Der klassische Begriff der Bahn oder Trajektorie, also der zeitlichen Aufeinanderfolge verschiedener klassischer Teilchenzust¨ande, muss in der Quantentheorie durch den Begriff der Ausbreitung der dem Teilchen zugeordneten Welle ersetzt werden. Nehmen wir z. B. den weiter oben f¨ur Photonen beschriebenen Interferenzversuch von Young, der grunds¨atzlich auch mit Materieteilchen wie Elektronen ausgef¨uhrt werden kann, so hat die Frage, welchen Spalt jedes Teilchen durchquert hat, keinen Sinn mehr, weil die zugeh¨orige Welle gleichzeitig durch beide Spalte gelaufen ist. 3. Schließlich ist an dieser Stelle auf einen Unterschied zwischen Photonen und materiellen Teilchen einzugehen: Photonen k¨onnen w¨ahrend eines Experiments emittiert oder absorbiert werden, dagegen kann man materielle Teilchen weder erzeugen noch vernichten. Ein erhitzter Draht emittiert Elektronen, die bereits in ihm vorhanden sind. Entsprechend verschwindet ein von einem Z¨ahler absorbiertes Elektron nicht, sondern findet sich in einem Atom wieder oder nimmt am elektrischen Strom teil. Erst aus der Relativit¨atstheorie ergibt sich, dass auch materielle Teilchen erzeugt und vernichtet werden k¨onnen: Fliegt z. B. ein Photon mit gen¨ugend hoher Energie nahe an einem Atom vorbei, so kann es sich in ein Elektron-Positron-Paar materialisieren; umgekehrt zerstrahlt ein Positron zusammen mit einem Elektron und es entstehen Photonen. Da wir uns jedoch hier auf den nichtrelativistischen Quantenbereich beschr¨anken, bei dem die Zeit und die Raumkoordinaten eine unsymmetrische Rolle spielen, setzen wir voraus, dass materielle Teilchen weder erzeugt noch vernichtet werden k¨onnen. Diese Erhaltungsaussage ist selbst von grunds¨atzlicher Bedeutung, und eine der sich bei der Aufstellung einer relativistischen Quantenmechanik ergebenden Schwierigkeiten besteht gerade darin, sie aufgeben zu m¨ussen.
14
1 Welle und Teilchen
1.3 Freie Teilchen. Wellenpakete Nachdem wir im vorangegangenen Abschnitt die f¨ur die Beschreibung von Quantenteilchen notwendigen Postulate formuliert haben, wollen wir jetzt einige wichtige Eigenschaften und Folgerungen herleiten. Zun¨achst behandeln wir den besonders einfachen Spezialfall eines freien Teilchens.
1.3.1 Freies Teilchen Wir betrachten ein Teilchen, f¨ur das die potentielle Energie im gesamten Raum gleich null ist (oder u¨ berall einen konstanten Wert besitzt). Das Teilchen unterliegt also keiner Kraft; man sagt, es sei frei. F¨ur V (r, t) = 0 wird aus der Schr¨odinger-Gleichung h2 ¯ ∂ ψ(r, t) = − Δψ(r, t). ∂t 2m Diese Gleichung besitzt offensichtlich L¨osungen der Form i¯ h
(1.23)
ψ(r, t) = A ei (k·r−ωt) ,
(1.24)
wobei A eine Konstante ist und k und ω durch die Beziehung ¯ k2 h (1.25) 2m verkn¨upft sind. Beachten wir die Einstein-de-Broglie-Beziehungen (1.12), so sehen wir, dass diese Gleichung gerade dem aus der klassischen Mechanik bekannten Zusammenhang zwischen der Energie E und dem Impuls p eines freien Teilchens entspricht: ω=
p2 . (1.26) 2m Auf die physikalische Deutung eines Zustands von der Form (1.24) werden wir in Abschnitt 1.3.3 eingehen. An dieser Stelle k¨onnen wir bereits feststellen, dass wegen E=
|ψ(r, t)|2 = |A|2
(1.27)
eine ebene Welle dieses Typs ein Teilchen repr¨asentiert, dessen Aufenthaltswahrscheinlichkeit im gesamten Raum gleich ist (s. die unten stehende Bemerkung). Nach dem Superpositionsprinzip ist jede Linearkombination von ebenen Wellen der ¨ Form (1.24) wieder ein L¨osung der Gl. (1.23). Eine derartige Uberlagerung kann man als ein Integral 1 g(k)ei(k·r−ω(k)t) d3 k (1.28) ψ(r, t) = (2π)3/2 schreiben. d3 k = dkx dky dkz ist das Volumenelement im k-Raum; g(k) kann komplexwertig und muss hinreichend regul¨ar sein, damit der Ausdruck gen¨ugend oft differenzier¨ bar ist. Ubrigens kann man zeigen, dass jede quadratintegrable L¨osung in dieser Form geschrieben werden kann.
1.3 Freie Teilchen. Wellenpakete
15
Eine derartige Superposition ebener Wellen nennt man ein dreidimensionales Wel” lenpaket“ oder auch eine Wellengruppe. Der Einfachheit halber werden wir uns h¨aufig auf eindimensionale Wellenpakete beschr¨anken.3 In diesem Fall u¨ berlagert man ebene Wellen, die sich nur in eine Richtung, etwa in die x-Richtung, ausbreiten; die Wellenfunktion h¨angt dann nur von x und t ab: 1 ψ(x, t) = √ 2π
+∞
g(k)ei (kx−ω(k)t) dk.
(1.29)
−∞
Im folgenden Abschnitt interessieren wir uns f¨ur die Form des Pakets zu einem bestimmten Zeitpunkt. Ist dieser der Nullpunkt, lautet die Wellenfunktion 1 g(k)eikx dk; (1.30) ψ(x, 0) = √ 2π g(k) ist also die Fourier-Transformierte von ψ(x, 0), s. Anhang I: 1 g(k) = √ ψ(x, 0)e−ikx dx. 2π
(1.31)
Die G¨ultigkeit von Gl. (1.30) ist also nicht nur auf den Fall des freien Teilchens beschr¨ankt: Bei beliebigem Potential kann man ψ(x, 0) stets in dieser Form schreiben. Die Folgerungen, die sich in den beiden nachstehenden Abschnitten ergeben, gelten daher allgemein. Lediglich in Abschnitt 1.3.4 gehen wir wieder speziell auf das freie Teilchen ein. Bemerkung Eine ebene Welle vom Typ (1.24), deren Betrag (s. Gl. (1.27)) im ganzen Raum konstant ist, ist nicht quadratintegrabel. Sie kann in Strenge keinen physikalisch sinnvollen Teilchenzustand repr¨asentieren. Auch in der Optik ist eine monochromatische ebene Welle nicht realisierbar.
1.3.2 Form des Wellenpakets Die Form des Wellenpakets ergibt sich aus der Ortsabh¨angigkeit der Wellenfunktion zur Zeit t = 0, Gl. (1.30). Wir nehmen an, dass |g(k)| einen Verlauf wie in Abb. 1.3 aufweist. Das Maximum liege bei k = k0 und die Halbwertsbreite sei Δk. Wir untersuchen zun¨achst f¨ur sehr einfache Spezialf¨alle das qualitative Verhalten von ψ(x, 0). Als erstes nehmen wir an, dass ψ aus einer Summe von nur drei ebenen Wellen mit den Wellenzahlen k0 , k0 − Δk/2 und k0 + Δk/2 besteht, w¨ahrend die Amplituden proportional zu 1, 1/2 und 1/2 sind. Es ist also 3 Ein einfaches Modell f¨ ur ein zweidimensionales Wellenpaket wird in Abschnitt 1.9 behandelt. Einige allgemeine Eigenschaften dreidimensionaler Pakete untersuchen wir in Abschnitt 1.10. Dort zeigen wir auch, wie man in bestimmten F¨allen ein dreidimensionales Problem auf eindimensionale Probleme zur¨uckf¨uhren kann.
16
1 Welle und Teilchen
Abb. 1.3 Verlauf des Betrages |g(k)| der Fourier-Transformierten von ψ(x, 0). Wir nehmen an, dass es sich um ein an der Stelle k = k0 zentriertes Maximum mit der Halbwertsbreite Δk handelt.
g(k0 ) ik0 x 1 i(k0 −Δk/2)x 1 i(k0 +Δk/2)x ψ(x) = √ + e + e e 2 2 2π Δk g(k0 ) ik0 x x . = √ e 1 + cos 2 2π
(1.32)
Man erkennt, dass |ψ(x)| f¨ur x = 0 am gr¨oßten ist. In diesem Fall sind die drei Wellen in Phase und u¨ berlagern sich konstruktiv, s. Abb. 1.4. Mit gr¨oßer werdendem |x| unterscheiden sich die relativen Phasen der Teilwellen immer mehr und |ψ(x)| nimmt ab. Ist der Phasenunterschied zwischen eik0 x und ei(k0 ∓Δk/2)x gleich ±π, so verschwindet ψ(x). Das ist an den Stellen x = ±Δx/2 der Fall, wobei Δx durch die Beziehung Δx · Δk = 4π
(1.33)
gegeben ist. Hiernach ist die Breite Δx der Funktion |ψ(x)| (also der Abstand zweier Nullstellen von |ψ(x)|) umso gr¨oßer, je kleiner die Breite Δk der Funktion |g(k)| ist. Bemerkung Die Gl. (1.32) zeigt, dass |ψ(x)| in x periodisch ist, also eine Folge von Maxima und Minima aufweist. Das hat seinen Grund darin, dass ψ(x) eine Superposition von endlich vielen (hier drei) ¨ ebenen Wellen ist; f¨ur eine Uberlagerung von unendlich vielen Wellen wie in Gl. (1.30) tritt diese Erscheinung nicht auf; |ψ(x, 0)| kann nur ein einziges Maximum besitzen.
Wir kehren zum allgemeinen Wellenpaket, wie es durch Gl. (1.30) beschrieben wird, zur¨uck. Auch seine Form ergibt sich durch ein Interferenzph¨anomen: |ψ(x, 0)| nimmt sein Maximum an, wenn die ebenen Wellen konstruktiv interferieren. Es sei α(k) das Argument der Funktion g(k): g(k) = |g(k)|eiα(k) .
(1.34)
Wir nehmen an, dass α(k) sich im Intervall [k0 − Δk/2, k0 + Δk/2], in dem |g(k)| nennenswert von null verschieden ist, hinreichend regul¨ar verh¨alt. Dann k¨onnen wir f¨ur
1.3 Freie Teilchen. Wellenpakete
17
Abb. 1.4 Realteile der drei Wellen, aus denen die Funktion ψ(x) in Gl. (1.32) besteht. F¨ur x = 0 sind die drei Wellen in Phase und interferieren konstruktiv. Entfernt man sich vom Nullpunkt, entstehen zwischen den einzelnen Wellen Phasenunterschiede, und f¨ur x = ±Δx/2 l¨oschen sie sich gegenseitig aus. Im unteren Teil der Abbildung Realteil Re{ψ(x)} aufgetragen. Die gestrichelte Kurve ist der Δk x . Sie liefert nach Gl. (1.32) |ψ(x)|, also die Form des geh¨ort zur Funktion 1 + cos 2 Wellenpakets.
gen¨ugend kleines Δk die Funktion α(k) in der Umgebung von k = k0 im Sinne von Taylor linearisieren: dα . (1.35) α(k) ≈ α(k0 ) + (k − k0 ) dk k=k0 Aus Gl. (1.30) wird damit ei[k0 x+α(k0 )] √ ψ(x, 0) ≈ 2π worin wir x0 = −
dα dk
+∞
−∞
|g(k)|ei(k−k0 )(x−x0 ) dk,
(1.36)
(1.37) k=k0
gesetzt haben. Gleichung (1.36) erweist sich f¨ur die Untersuchung von |ψ(x, 0)| als zweckm¨aßig: Ist |x − x0 | groß, so oszilliert der Integrand im Intervall Δk sehr rasch. Man erkennt (Abb. 1.5a), dass sich die Anteile der aufeinanderfolgenden Schwingungen
18
1 Welle und Teilchen
Abb. 1.5 Zum Verhalten des Integranden in Gl. (1.36). a) F¨ur einen Punkt x mit |x−x0 | > 1/Δk oszilliert der Integrand im Intervall Δk mehrere Male. b) Hier gilt |x − x0 | < 1/Δk, der Integrand zeigt praktisch keine Oszillation, und er tr¨agt zum Integral u¨ ber k den wesentlichen Anteil bei. Folglich liegt der Schwerpunkt des Wellenpakets (f¨ur den |ψ(x, 0)| sein Maximum annimmt) bei x = x0 .
aufheben und zum Integral kaum beitragen. F¨ur einen festen, von der Stelle x0 entfernten Punkt x a¨ ndern sich mit anderen Worten die Phasen der verschiedenen Wellen im Intervall Δk sehr rasch, und die zugeh¨origen Wellen l¨oschen sich durch Interferenz aus. Ist dagegen x ≈ x0 , so oszilliert der Integrand praktisch nicht (Abb. 1.5b); |ψ(x, 0)| wird maximal. Die Lage des Schwerpunkts xm (0) des Wellenpakets ist daher dα (1.38) xm (0) = x0 = − dk k=k0 ¨ Zu diesem Ergebnis kann man auch durch eine einfache Uberlegung gelangen. Ein Integral wie in Gl. (1.30) wird (dem Betrage nach) maximal, wenn die Wellen mit der gr¨oßten Amplitude, die also zu Wellenzahlen nahe k0 geh¨oren, konstruktiv interferieren. Dies ist der Fall, wenn die von k abh¨angigen Phasen dieser Wellen in der Umgebung von k = k0 nur wenig variieren. Man erh¨alt daher den Paketschwerpunkt aus der Bedingung, dass die Ableitung der Phase nach k f¨ur k = k0 verschwindet (Bedingung der station¨aren Phase). In unserem Fall lautet die Phase kx + α(k) und xm (0) ist der Wert von x, f¨ur den x + dα/dk null wird. |ψ(x, 0)| wird umso geringer, je mehr sich x vom Wert x0 unterscheidet. Dieser Abfall macht sich bemerkbar, wenn ei(k−k0 )(x−x0 ) ungef¨ahr eine Schwingung ausf¨uhrt, falls k das Intervall Δk durchl¨auft, wenn also Δk(x − x0 ) ≈ 1
(1.39)
ist. Bezeichnen wir mit Δx die ungef¨ahre Breite des Wellenpakets, so gilt daher Δk · Δx ≥ 1.
(1.40)
Damit gelangen wir zu einer klassischen Beziehung zwischen den Breiten zweier Funktionen, von denen die eine die Fourier-Transformierte der anderen ist. Das Produkt Δk · Δx ist grunds¨atzlich nach unten beschr¨ankt; der genaue Wert dieser Schranke
1.3 Freie Teilchen. Wellenpakete
19
h¨angt nat¨urlich von der Definition der Breiten Δx und Δk ab. Ein Wellenpaket wie das in Gl. (1.29) stellt hiermit den Zustand eines Teilchens dar, dessen Aufenthaltswahrscheinlichkeit zur Zeit t = 0 außerhalb eines Intervalls von der ungef¨ahren Breite Δx um den Schwerpunkt x0 praktisch null ist. Bemerkung ¨ Aufgrund unserer Uberlegung k¨onnte man vermuten, dass das Produkt Δx · Δk stets von der Gr¨oßenordnung eins ist. Es handelt sich jedoch lediglich um eine untere Grenze: Es ist unm¨oglich, ein Wellenpaket zu konstruieren, f¨ur das dieses Produkt gegen eins vernachl¨assigt werden k¨onnte. Dagegen kann man immer Wellenpakete aufbauen, bei denen dieses Produkt so groß ist, wie man es nur haben will (s. z. B. Abschnitt 1.11). Deshalb haben wir die Beziehung als Ungleichung angeschrieben.
1.3.3 Die Heisenbergsche Unsch¨arferelation Die Ungleichung (1.40) hat in der Quantenmechanik physikalische Konsequenzen von außerordentlicher Bedeutung, die wir jetzt diskutieren wollen. Dabei beschr¨anken wir uns der Einfachheit halber auf den eindimensionalen Fall. Wir haben gesehen, dass eine ebene Welle ei(k0 x−ω0 t) zu einer Wahrscheinlichkeitsdichte geh¨ort, die f¨ur beliebiges t auf der x-Achse konstant ist. Dies kann man grob so umschreiben, dass der Wert von Δx unendlich groß sei. Dagegen gibt es nur eine Frequenz ω0 und nur eine Wellenzahl k0 . Nach den de-Broglie-Beziehungen bedeutet dies, dass die Energie und der Impuls des Teilchens wohlbestimmt sind, denn es ist E = h ¯ ω0 und p = h ¯ k0 . Eine derartige ebene Welle kann u¨ brigens als Sonderfall von Gl. (1.29) angesehen werden, in der g(k) eine Deltafunktion“ (Anhang II) darstellt: ” g(k) = δ(k − k0 ). (1.41) Der Wert von Δk ist hier also gleich null. Man kann diesen Sachverhalt aber auch im Rahmen der Spektralzerlegung interpretieren (Abschnitte 1.1.3 und 1.2.2). Wir nehmen an, dass ein Teilchen, das zur Zeit t = 0 durch die Wellenfunktion ψ(x, 0) = Aeikx beschrieben wird, einen wohlbestimmten Impuls besitzt, d. h. dass eine Impulsmessung zu diesem Zeitpunkt mit Sicherheit p = h ¯k ¯ k geh¨orenden Eigenzustand chaergibt. Hieraus leitet man her, dass eikx den zu p = h rakterisiert. Weil andererseits zu jedem reellen Wert von k eine ebene Welle existiert, erstrecken sich die bei einer Impulsmessung an einem beliebigen Zustand a priori zu erwartenden Eigenwerte u¨ ber die gesamte reelle Zahlengerade. In diesem Fall gibt es keine Quantisierung der m¨oglichen Messresultate: Wie in der klassischen Mechanik sind alle Impulswerte erlaubt. Nach Gl. (1.30) erscheint ψ(x, 0) als eine (lineare) Superposition von Eigenfunktionen eikx des Impulses mit den Koeffizienten g(k). Man k¨onnte daher |g(k)|2 (bis auf einen konstanten Faktor) als die Wahrscheinlichkeit deuten, den Wert p = h ¯ k zu finden, wenn man zur Zeit t = 0 den Impuls eines Teilchens misst, dessen Zustand durch ψ(x, t) beschrieben wird. Nun bilden aber die m¨oglichen Werte f¨ur p wie f¨ur x ein Kontinuum, und |g(k)|2 ist proportional zu einer Wahrscheinlichkeitsdichte: Die Wahrscheinlichkeit
20
1 Welle und Teilchen
dP(k), einen Wert zwischen ¯ hk und ¯h(k + dk) zu erhalten, ist bis auf einen Faktor gleich |g(k)|2 dk. Um dies genauer auszudr¨ucken, schreiben wir 1 ψ(p)eipx/¯h dp. (1.42) ψ(x, 0) = √ 2π¯ h Wir wissen, dass ψ(p) und ψ(x, 0) die Parsevalsche Gleichung (s. Anhang I) +∞ +∞ |ψ(x, 0)|2 dx = |ψ(p)|2 dp −∞
(1.43)
−∞
1 erf¨ullen. Ist C der gemeinsame Wert dieser Integrale, so ist dP(x) = |ψ(x, 0)|2 dx die C Wahrscheinlichkeit, das Teilchen f¨ur t = 0 zwischen x und x + dx zu finden und dP =
1 |ψ(p)|2 dp C
(1.44)
die Wahrscheinlichkeit daf¨ur, dass die Impulsmessung ein Resultat zwischen p und p + dp liefert. Gleichung (1.43) sichert, dass die Gesamtwahrscheinlichkeit, einen beliebigen Wert zu finden, gleich eins ist. Wir kehren zur Ungleichung (1.40) zur¨uck, die man in der Form Δx · Δp ≥ ¯ h
(1.45)
schreiben kann. Δp = h ¯ Δk wird dabei durch die Breite der Kurve |ψ(p)| veranschaulicht. Betrachten wir nun ein Teilchen, dessen Zustand durch das Wellenpaket Gl. (1.42) bestimmt ist, so wissen wir, dass f¨ur t = 0 die Aufenthaltswahrscheinlichkeit nur in einem Bereich der Breite Δx um die Stelle x0 nennenswert von null verschieden ist: Seine Lage ist mit einer Unsicherheit Δx bekannt. Nimmt man zum selben Zeitpunkt an diesem Teilchen eine Impulsmessung vor, so kann man einen Wert zwischen p0 + Δp/2 und p0 −Δp/2 finden, denn |ψ(p)|2 ist außerhalb dieses Intervalls praktisch null. Dies f¨uhrt zu folgender Deutung der Gl. (1.45): Es ist grunds¨atzlich unm¨oglich, zu einem bestimmten Zeitpunkt zugleich die Lage des Teilchens und seinen Impuls mit beliebiger Genauigkeit zu bestimmen. Wegen der durch Gl. (1.45) gegebenen unteren Schranke f¨uhrt eine h¨ohere Genauigkeit hinsichtlich des Teilchenortes (Δx wird kleiner) zu einer gr¨oßeren Unsch¨arfe beim Impuls (Δp w¨achst) und umgekehrt. Man nennt diese Beziehung die Heisenbergsche Unsch¨arferelation. Einen derartigen Sachverhalt kennen wir in der klassischen Mechanik nicht. Er beruht darauf, dass das Plancksche Wirkungsqantum h von endlicher Gr¨oße ist. Nur auf der makroskopischen Ebene kann man seinen Wert als vernachl¨assigbar klein ansehen (auf ein Beispiel werden wir in Abschnitt 1.6 zu sprechen kommen). Bemerkung ¨ Die Ungleichung (1.40), von der wir bei unserer Uberlegung ausgegangen sind, ist selbst eine rein klassische Beziehung. Sie dr¨uckt lediglich eine allgemeine Eigenschaft der Fourier-Transformierten aus, f¨ur die es in der klassischen Physik zahlreiche Anwendungen gibt: So weiß man z. B. aus der Radiotechnik, dass es keinen elektromagnetischen Wellenzug gibt, von dem man gleichzeitig seine
1.3 Freie Teilchen. Wellenpakete
21
Lage und seine Wellenl¨ange mit unendlicher Genauigkeit bestimmen k¨onnte. Die Quantenmechanik kommt erst durch die Zuordnung einer Welle zu einem materiellen Teilchen ins Spiel, wobei man zwischen der Wellenl¨ange und dem Impuls das Bestehen der Einstein-de-Broglie-Beziehung postuliert.
1.3.4 Zeitliche Entwicklung eines freien Wellenpakets Bisher waren wir nur an der Form eines Wellenpakets zu einem bestimmten Zeitpunkt interessiert. In diesem Abschnitt wollen wir seine zeitliche Entwicklung untersuchen. Wir betrachten den Fall eines freien Teilchens, dessen Zustand durch das eindimensionale Wellenpaket Gl. (1.29) beschrieben wird. Eine einzelne ebene Welle ei(kx−ωt) breitet sich auf der x-Achse mit der Geschwindigkeit Vϕ (k) =
ω k
(1.46)
ω
aus, weil sie von x und t nur u¨ ber den Term x − t abh¨angt. Man nennt Vϕ (k) die k Phasengeschwindigkeit der ebenen Welle. Wir wissen, dass f¨ur eine elektromagnetische Welle im Vakuum die Phasengeschwindigkeit Vϕ von der Wellenzahl k unabh¨angig und gleich der Vakuumlichtgeschwindigkeit c ist. S¨amtliche Teilwellen bewegen sich mit der derselben Geschwindigkeit, so dass sich auch das Wellenpaket ohne Form¨anderung mit der Geschwindigkeit c verschiebt. In einem dispersiven Medium ist dies jedoch nicht mehr der Fall. Hier ist die Phasengeschwindigkeit durch Vϕ (k) =
c n(k)
(1.47)
gegeben, wobei n(k) die von der Wellenl¨ange abh¨angige Brechzahl bedeutet. Der uns hier besch¨aftigende Fall der Teilchenwelle entspricht einer dispersiven Umgebung, weil wegen Gl. (1.25) f¨ur die Phasengeschwindigkeit die Beziehung Vϕ =
hk ¯ 2m
(1.48)
gilt. Wenn jetzt die verschiedenen Moden unterschiedliche Phasengeschwindigkeiten aufweisen, so werden wir sehen, dass die Geschwindigkeit des Maximums xm des Wellenpa¯hk0 ω0 ist, wie man zun¨achst = kets nicht gleich der mittleren Phasengeschwindigkeit k0 2m erwarten k¨onnte. Wir wollen zun¨achst wieder versuchen, die Zusammenh¨ange qualitativ zu verstehen und erst dann auf den allgemeinen Zusammenhang eingehen. Hierzu betrachten wir noch ¨ einmal die Uberlagerung von drei Teilwellen (s. Abschnitt 1.3.2). Zu einem beliebigen Zeitpunkt t ist dann ψ(x, t) gegeben durch
22
1 Welle und Teilchen
g(k0 ) ψ(x, t) = √ 2π
i[k0 x−ω0 t]
e
1 i + e 2
Δk k0 + 2
1 i + e 2
Δk k0 − 2
Δω x− ω0 − 2 t
Δω x− ω0 + 2 t
Δk Δω g(k0 ) i(k0 x−ω0 t) √ x− t . e = 1 + cos 2 2 2π
(1.49)
Wir sehen also, dass das Maximum von |ψ(x, t)|, das sich zur Zeit t = 0 bei x = 0 befand, jetzt an der Stelle xm (t) =
Δω t Δk
ist und nicht im Punkt x = schaulichen wir in Abb. 1.6.
(1.50) ω0 t. Die physikalische Erkl¨arung dieses Ergebnisses verank0
Abb. 1.6 Die Lage von drei aufeinanderfolgenden Maxima der drei Teilwellen aus Abb. 1.4 (a) zur Zeit t = 0 und (b) zu einem sp¨ateren Zeitpunkt t. F¨ur t = 0 fallen an der Stelle x = 0 die Maxima (2) zusammen: Der Schwerpunkt des Wellenpakets liegt bei xm (0) = 0. Zur Zeit t haben sich die drei Wellen mit unterschiedlichen Phasengeschwindigkeiten Vϕ ausgebreitet. Jetzt fallen die Maxima (3) zusammen, und der Schwerpunkt des Pakets befindet sich an der Stelle x = xm (t). Man erkennt, dass die Geschwindigkeit des Schwerpunkts (die Gruppengeschwindigkeit) und die Phasengeschwindigkeiten der drei Teilwellen verschieden sind.
Im linken Teil (a) dieser Abbildung ist f¨ur jede Teilwelle der Ort von drei aufeinanderfolgenden Maxima (1), (2) und (3) zur Zeit t = 0 angegeben. Die mit dem Index (2) gekennzeichneten Maxima koinzidieren. Hier ist die Interferenz konstruktiv, und |ψ(x, 0)| hat an dieser Stelle sein Maximum. Weil die Phasengeschwindigkeit nach Gl. (1.48) mit k w¨achst, wird das Maximum (3) der Welle (k0 + Δk/2) allm¨ahlich das der Welle (k0 ) einholen, w¨ahrend dieses selbst das Maximum der Welle (k0 − Δk/2) erreicht. Nach einer bestimmten Zeitspanne erhalten wir die in Teil (b) skizzierte Situation. Jetzt sind es
1.3 Freie Teilchen. Wellenpakete
23
die Maxima (3), die zusammenfallen und den Ort xm (t) des Maximums von |ψ(x, t)| beω0 stimmen. Man erkennt, dass xm (t) nicht gleich t ist, und eine Rechnung f¨uhrt wieder k0 zur Gl. (1.50). Auf analoge Weise kann man die Verschiebung des Schwerpunkts des Wellenpakets Gl. (1.29) ermitteln, wenn man die Methode der station¨aren Phase“ anwendet. Aus der ” Form dieser aus freien Wellen gebildeten Gruppe erkennt man, dass man von ψ(x, 0) zu ¨ ψ(x, t) gelangt, indem man einfach g(k) durch g(k)e−iω(k)t ersetzt. Die Uberlegungen aus Abschnitt 1.3.2 k¨onnen dann u¨ bernommen werden, wenn man f¨ur das Argument α(k) von g(k) α(k) − ω(k)t einsetzt. Die Bedingung (1.37) liefert dann dω dα t− . xm (t) = dk k=k0 dk k=k0
(1.51)
(1.52)
Die Geschwindigkeit des Maximums des Wellenpakets (oder der Wellengruppe) ist danach dω VG (k0 ) = . (1.53) dk k=k0 Man nennt sie die Gruppengeschwindigkeit. Mit dem Dispersionsgesetz (1.25) erhalten wir VG (k0 ) =
¯ k0 h = 2Vϕ (k0 ). m
(1.54)
Dies ist ein wichtiges Ergebnis, denn mit ihm gelangt man wieder zur klassischen Beschreibung des freien makroskopischen Teilchens. Bei diesem (z. B. einem Staubkorn, wie wir es in Abschnitt 1.6 behandeln werden) legt die Unsch¨arferelation der Genauigkeit von Lage und Impuls des Teilchens keine beobachtbare Einschr¨ankung auf. Zur quantenmechanischen Behandlung eines derartigen Teilchens kann man daher ein Wellenpaket konstruieren, dessen charakteristische Gr¨oßen Δx und Δp vernachl¨assigbar sind. Man redet dann von den klassischen Begriffen der Lage xm (t) und des Impulses p0 des Teilchens. F¨ur seine Geschwindigkeit muss dabei die Beziehung v = p0 /m gelten. Dies entspricht ¨ aber gerade der Gl. (1.54), die wir bei unserer quantenmechanischen Uberlegung erhalten haben: F¨ur den Fall, dass Δx und Δp beide vernachl¨assigt werden k¨onnen, bewegt sich das Maximum des Wellenpakets wie ein Teilchen, das den Gesetzen der klassischen Mechanik gehorcht. Bemerkung Wir haben hier unser Augenmerk auf die Bewegung des Schwerpunkts der aus freien Wellen bestehenden Gruppe gelegt. Man kann auch das zeitliche Verhalten seiner Form untersuchen. Ist die Impulsbreite Δp eine Konstante der Bewegung, so l¨asst sich leicht zeigen, dass sich Δx zeitlich a¨ ndert und nach gen¨ugend langer Zeit unendlich groß wird (Verbreiterung des Wellenpakets). Wir diskutieren dieses Ph¨anomen in Abschnitt 1.11 am Beispiel des Gaußschen Wellenpakets.
24
1 Welle und Teilchen
1.4 Teilchen in einem zeitunabh¨angigen Potential Wir haben in Abschnitt 1.3 gesehen, wie sich die quantenmechanische Behandlung eines Teilchens auf die klassische Beschreibung reduziert, wenn die Gr¨oße der PlanckKonstanten vernachl¨assigt werden kann. In der klassischen N¨aherung zeigt sich der Wellencharakter nicht, weil die dem Teilchen zugeordnete de-Broglie-Wellenl¨ange λ = h/p gegen¨uber den Dimensionen, die seine Bewegung charakterisieren, sehr klein ist. Hier besteht eine Analogie zur Optik. Die geometrische Optik, in der die Welleneigenschaften des Lichts nicht ber¨ucksichtigt werden, stellt dann eine brauchbare N¨aherung dar, wenn die Wellenl¨ange des verwendeten Lichts im Vergleich zu den typischen Abmessungen des Versuchs (z. B. dem Durchmesser einer Blende) vernachl¨assigbar ist. In dieser Hinsicht spielt die klassische Mechanik in Bezug auf die Quantenmechanik dieselbe Rolle wie die geometrische Optik in Bezug auf die Wellenoptik. In diesem Abschnitt wollen wir das Verhalten eines Teilchens in einem zeitlich konstanten Potential untersuchen. Nach dem eben Gesagten m¨ussen wir mit typischen (durch den Wellencharakter des Teilchens verursachten) Quanteneffekten rechnen, wenn sich das Potential u¨ ber Entfernungen a¨ ndert, die gegen¨uber der Wellenl¨ange klein sind. Aus diesem Grund behandeln wir verschiedene Rechteckpotentiale“, d. h. Potentiale, die sich ” stufenf¨ormig“ a¨ ndern (s. Abb. 1.7a). Ein derartiges sprunghaftes Potential muss stets, al” so auch bei beliebig kleinen Wellenl¨angen, zu Quanteneffekten f¨uhren. Zuvor diskutieren wir aber einige wichtige Eigenschaften der Schr¨odinger-Gleichung f¨ur den Fall, dass das Potential zeitlich konstant ist.
1.4.1 Separation der Variablen. Station¨are Zust¨ande Die Wellenfunktion eines Teilchens, dessen potentielle Energie V (r) nicht von der Zeit abh¨angt, gen¨ugt der Schr¨odinger-Gleichung i¯ h
∂ h2 ¯ ψ(r, t) = − Δψ(r, t) + V (r)ψ(r, t). ∂t 2m
(1.55)
Station¨are Zust¨ande Wir suchen nach L¨osungen dieser Gleichung von der Form ψ(r, t) = ϕ(r)χ(t). Gehen wir mit diesem Ansatz in Gl. (1.55) ein, so erhalten wir dχ(t) h2 ¯ i¯ hϕ(r) = χ(t) − Δϕ(r) + χ(t)V (r)ϕ(r). dt 2m Nach Division durch das Produkt ϕ(r)χ(t) ergibt sich i¯ h dχ(t) 1 h2 ¯ = Δϕ(r) + V (r). − χ(t) dt ϕ(r) 2m
(1.56)
(1.57)
(1.58)
1.4 Teilchen in einem zeitunabh¨angigen Potential
25
In dieser Gleichung h¨angt die linke Seite nur von t und die rechte nur von r ab. Sie ist also nur dann erf¨ullt, wenn die beiden Seiten gleich ein und derselben Konstanten sind. Wir w¨ahlen diese zu ¯ hω, wobei ω die Dimension einer Frequenz besitzt. Setzen wir die linke Seite gleich ¯hω, so f¨uhrt das zu einer Differentialgleichung f¨ur χ(t), die wir leicht integrieren k¨onnen. Wir bekommen χ(t) = Ae−iωt .
(1.59)
Entsprechend gen¨ugt ϕ(r) der Gleichung −
¯2 h Δϕ(r) + V (r)ϕ(r) = h ¯ ωϕ(r). 2m
(1.60)
Setzen wir in Gl. (1.59) f¨ur A = 1 (was erlaubt ist, denn wir k¨onnen A zu ϕ(r) schlagen), so gelangen wir zu folgendem Resultat: Unter der Bedingung, dass ϕ(r) L¨osung der Gl. (1.60) ist, gen¨ugt ψ(r, t) = ϕ(r)e−iωt
(1.61)
der Schr¨odinger-Gleichung. Man sagt, dass die Koordinaten der Zeit und des Ortes separiert worden sind. Eine Wellenfunktion von der Form (1.61) heißt station¨are L¨osung der Schr¨odingerGleichung, weil sie zu einer zeitunabh¨angigen Wahrscheinlichkeitsdichte |ψ(r, t)|2 = |ϕ(r)|2 f¨uhrt. In einer station¨aren Funktion tritt nur eine einzige Frequenz ω auf; wegen der Einstein-Beziehung ist ein station¨arer Zustand ein Zustand mit wohlbestimmter Energie E = h ¯ ω (ein Eigenzustand der Energie). Ist in der klassischen Mechanik die potentielle Energie unabh¨angig von der Zeit, so ist die Gesamtenergie eine Konstante der Bewegung; in der Quantenmechanik gibt es in diesem Fall wohlbestimmte Energiezust¨ande. Gl. (1.60) kann man daher in der Form h2 ¯ Δ + V (r) ϕ(r) = Eϕ(r) (1.62) − 2m oder auch Hϕ(r) = Eϕ(r)
(1.63)
schreiben. Darin ist H der Differentialoperator H =−
¯2 h Δ + V (r). 2m
(1.64)
H ist weiter ein linearer Operator, denn f¨ur irgendzwei Konstanten λ1 und λ2 gilt H[λ1 ϕ1 (r) + λ2 ϕ2 (r)] = λ1 Hϕ1 (r) + λ2 Hϕ2 (r).
(1.65)
Gleichung (1.63) ist demnach die Eigenwertgleichung des linearen Operators H: Die Anwendung von H auf die Eigenfunktion“ ϕ(r) ergibt wieder dieselbe Funktion, multi” pliziert mit dem zugeh¨origen Eigenwert E. Die m¨oglichen Energiewerte sind gerade die
26
1 Welle und Teilchen
Eigenwerte des Operators H. Sp¨ater werden wir sehen, dass die Gl. (1.63) nur f¨ur bestimmte Werte von E quadratintegrable L¨osungen ϕ(r) zul¨asst (s. Abschnitt 1.12). Dies ist gerade der Ursprung f¨ur die Energiequantisierung. Bemerkung Die Gl. (1.62) (oder auch die Gl. (1.63)) wird manchmal auch im Gegensatz zur eigentlichen zeitab” h¨angigen Schr¨odinger-Gleichung“ (1.55) zeitunabh¨angige Schr¨odinger-Gleichung“ genannt. Man ” beachte aber den wesentlichen Unterschied: Gleichung (1.55) ist eine allgemein g¨ultige Differentialgleichung, die die zeitliche Entwicklung der Wellenfunktion f¨ur jeden Zustand des Teilchens bestimmt. Dagegen liefert die Eigenwertgleichung (1.63) von allen m¨oglichen Zust¨anden des Teilchens nur die station¨aren.
Superposition station¨arer Zust¨ande Um die verschiedenen m¨oglichen Energiewerte E und die zugeh¨origen Eigenfunktionen ϕ(r) voneinander zu unterscheiden, kennzeichnen wir sie mit einem Index n. Es gilt dann Hϕn (r) = En ϕn (r),
(1.66)
und die station¨aren Zust¨ande werden durch die Wellenfunktionen ψn (r, t) = ϕn (r)e−iEn t/¯h
(1.67)
beschrieben. ψn (r, t) ist L¨osung der Schr¨odinger-Gleichung (1.55). Weil diese linear ist, erlaubt sie eine ganze Folge weiterer L¨osungen in der Form ψ(r, t) =
cn ϕn (r)e−iEn t/¯h ,
(1.68)
n
in denen die Koeffizienten cn beliebige komplexe Konstanten sind. Insbesondere ist ψ(r, 0) =
cn ϕn (r).
(1.69)
n
Wir nehmen umgekehrt an, dass wir den Zustand ψ(r, 0) zum Zeitpunkt t = 0 kennen. Weiter unten werden wir sehen, dass eine beliebige Funktion ψ(r, 0) stets wie in Gl. (1.69) nach den Eigenfunktionen von H zerlegt werden kann. Die Koeffizienten cn sind also durch ψ(r, 0) bestimmt. Die zugeh¨orige L¨osung ψ(r, t) der Schr¨odingerGleichung ist dann durch Gl. (1.68) gegeben. Man muss lediglich jeden Summanden in Gl. (1.69) mit dem Faktor e−iEn t/¯h multiplizieren, wobei En der zu ϕn (r) geh¨orende Eigenwert ist. Wir weisen besonders darauf hin, dass diese Phasenfaktoren voneinander verschieden sind; nur f¨ur den Fall station¨arer Zust¨ande dr¨uckt sich die Zeitabh¨angigkeit durch einen einzigen Exponentialfaktor wie in Gl. (1.67) aus.
1.4 Teilchen in einem zeitunabh¨angigen Potential
27
1.4.2 Eindimensionale Rechteckpotentiale – qualitative Behandlung Zu Beginn dieses Abschnitts stellten wir fest, dass wir mit Quanteneffekten dann zu rechnen haben, wenn sich die Potentiale u¨ ber kurze Entfernungen verh¨altnism¨aßig stark a¨ ndern. Wir beschr¨anken uns hier auf eine qualitative Untersuchung und einfache physikalische Vorstellungen. Eine genauere Behandlung findet sich in Abschnitt 1.12. Zur Vereinfachung des Problems werden wir uns mit einem eindimensionalen Modell befassen, bei dem die potentielle Energie nur von x abh¨angt (die Rechtfertigung f¨ur ein derartiges Modell geben wir in Abschnitt 1.10).
Physikalische Bedeutung eines Rechteckpotentials
Abb. 1.7 Ein Rechteckpotential (a) als Schematisierung eines realistischen Potentials (b), das zu einem in (c) skizzierten Kraftverlauf f¨uhrt.
Wir betrachten also f¨ur ein eindimensionales Problem ein Potential von der Art, wie es in Abb. 1.7a dargestellt wird: Die x-Achse ist in verschiedene Bereiche unterteilt, in denen das Potential konstant ist; dagegen zeigt es jeweils an der Grenze zweier benachbarter Bereiche einen pl¨otzlichen Sprung (eine Unstetigkeit). In Wirklichkeit kann eine derartige Funktion kein physikalisch sinnvolles Potential repr¨asentieren, da dieses stetig sein muss. Wir werden sie verwenden, um einen Potentialverlauf, wie er in Abb. 1.7b skizziert ist, zu schematisieren. Hier tritt keine Unstetigkeit auf, aber V (x) a¨ ndert sich in der Umgebung bestimmter Stellen sehr rasch. Sind diese Intervalle im Vergleich zu allen anderen bei dem Problem auftretenden L¨angen (vor allem auch im Verh¨altnis zur de-Broglie-Wellenl¨ange) sehr klein, so kann man dieses Potential durch das Rechteckpotential der Abb. 1.7a erset-
28
1 Welle und Teilchen
zen. Es handelt sich dabei um eine N¨aherung, die ihre G¨ultigkeit z. B. verliert, wenn die Teilchenenergie sehr groß, die Wellenl¨ange also sehr kurz ist. Die Vorhersagen der klassischen Mechanik u¨ ber das Verhalten eines Teilchens in einem Potential wie in Abb. 1.7 sind leicht anzugeben. Man kann sich z. B. vorstellen, es handele sich bei V (x) um die potentielle Energie im Schwerefeld. Abb. 1.7b stellt dann das Gel¨andeprofil dar, auf dem sich das Teilchen bewegt: Die Unstetigkeiten entsprechen dann den scharfen Kanten, die durch horizontale Plateaus getrennt sind. Hinsichtlich der Gesamtenergie E des Teilchens bemerken wir, dass die Bereiche auf der x-Achse, in denen V > E ist, f¨ur das Teilchen verboten sind (die kinetische Energie Ekin = E − V darf nicht negativ werden). Bemerkung Die auf das Teilchen wirkende Kraft ist F (x) = −dV (x)/dx. Ihren Verlauf zeigt die Abb. 1.7c. Auf den Plateaus ist also das Teilchen kr¨aftefrei, seine Geschwindigkeit mithin konstant. Nur in den Grenzzonen zwischen diesen Plateaus wirkt auf das Teilchen eine Kraft, die es entweder beschleunigt oder verlangsamt.
Analogie zur Optik Wir fragen nach den station¨aren Zust¨anden eines Teilchens in einem eindimensionalen Rechteckpotential. In einem Bereich, in dem das Potential einen konstanten Wert V besitzt, lautet die Eigenwertgleichung Gl. (1.63) h2 d 2 ¯ + V ϕ(x) = Eϕ(x) (1.70) − 2m dx2 oder auch 2 d 2m + (E − V ) ϕ(x) = 0. dx2 ¯2 h
(1.71)
In der Optik gibt es nun eine hierzu vollkommen analoge Gleichung. Betrachten wir n¨amlich ein transparentes Medium, dessen Brechzahl n weder orts- noch zeitabh¨angig ist, so k¨onnen sich in ihm elektromagnetische Wellen ausbreiten, deren elektrischer Feldst¨arkevektor E(r, t) nicht von y und z abh¨angt und der von der Form E(r, t) = eE(x)e−iΩ t
(1.72)
ist, wobei e einen zur x-Richtung senkrechten Einheitsvektor bedeutet. E(x) muss dann der Differentialgleichung 2 d n2 Ω 2 + E(x) = 0 (1.73) dx2 c2 gen¨ugen. Gl. (1.71) und Gl. (1.73) sind identisch, wenn man setzt n2 Ω 2 2m . 2 (E − V ) = c2 h ¯
(1.74)
1.4 Teilchen in einem zeitunabh¨angigen Potential
29
Ist andererseits x eine Unstetigkeitsstelle des Potentials V (und folglich der durch Gl. (1.74) gegebenen Brechzahl), so sind die Grenzbedingungen f¨ur ϕ(x) und E(x) dieselben: Beide Funktionen m¨ussen mitsamt ihren ersten Ableitungen stetig sein (s. Abschnitt 1.12.1b). Die formale Analogie zwischen den beiden Gleichungen (1.71) und (1.73) erlaubt es, einem quantenmechanischen Problem mit dem Potential nach Abb. 1.7a ein optisches Problem zuzuordnen, bei dem sich eine elektromagnetische Welle mit der Frequenz Ω in einem Medium mit der Brechzahl n ausbreitet, die dieselben Unstetigkeitsstellen aufweist. Nach Gl. (1.74) ist der Zusammenhang zwischen den optischen und den mechanischen Parametern 1 2mc2 (E − V ). (1.75) n(Ω ) = hΩ ¯ Ein Bereich, in dem E > V ist, geh¨ort zu einer Lichtwelle in einem transparenten Medium, dessen Brechzahl reell ist; die Welle hat dann die Form eikx . Was geschieht nun, wenn V > E ist? Gleichung (1.74) f¨uhrt jetzt zu einer rein imagin¨aren Brechzahl, in Gl. (1.73) ist n2 negativ, und die L¨osung hat die Form e−ρx : Das ist die Analogie einer ged¨ampften“ Welle. In bestimmter Hinsicht erinnert die Situation an ” die Ausbreitung einer elektromagnetischen Welle in einem metallischen Medium.4 Somit sind wir in der Lage, die in der Wellenoptik wohlbekannten Ergebnisse auf unser mechanisches Problem zu u¨ bertragen. Dabei m¨ussen wir uns aber im Klaren sein, dass es sich nur um eine Analogie handelt: Die Interpretation der Wellenfunktion in der Quantenmechanik ist fundamental verschieden von der physikalischen Deutung der elektromagnetischen Welle in der klassischen Wellenoptik.
Beispiele Potentialstufe und Potentialwall. Wir betrachten ein Teilchen mit der Energie E, das aus dem Bereich mit negativen x-Werten kommend auf die Potentialstufe mit der H¨ohe V0 trifft (Abb. 1.8). F¨ur E > V0 (der Fall, bei dem das klassische Teilchen u¨ ber die Potentialstufe hinweggeht und sich mit einer geringeren Geschwindigkeit weiter nach rechts bewegt) ist die optische Analogie die folgende: Eine Lichtwelle bewegt sich von links nach rechts in einem Medium mit der Brechzahl c √ 2mE (1.76) n1 = hΩ ¯ und trifft bei x = x1 auf die Grenzfl¨ache eines zweiten Mediums (x > x1 ) mit der Brechzahl c n2 = 2m(E − V0 ). (1.77) hΩ ¯ 4 Man darf die Analogie jedoch nicht zu weit treiben. Die Brechzahl eines metallischen Mediums ist n¨ amlich nicht rein imagin¨ar, sondern besitzt auch einen von null verschiedenen Realteil (in einem Metall wird die optische Welle absorbiert und zeigt ein oszillierendes Verhalten).
30
1 Welle und Teilchen
Abb. 1.8 Potentialstufe
Wir wissen, dass sich die von links kommende einfallende Welle in eine reflektierte und eine durchgehende Welle aufteilt. Wir u¨ bertragen dieses Ergebnis auf die Quantenmechanik: F¨ur das Teilchen besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit P, reflektiert zu werden, und lediglich die Wahrscheinlichkeit 1 − P f¨ur das Fortschreiten nach rechts. Dies steht im Widerspruch zu den Vorhersagen der klassischen Mechanik. Ist E < V0 , so wird die zum Bereich x > x1 geh¨orende Brechzahl n2 rein imagin¨ar und die einfallende Lichtwelle wird totalreflektiert. Die quantenmechanische Vorhersage stimmt also in diesem Punkt mit der Aussage der klassischen Mechanik u¨ berein. Dagegen zeigt die Existenz einer ged¨ampften Welle f¨ur x > x1 an, dass das Quantenteilchen eine von null verschiedene Aufenthaltswahrscheinlichkeit in diesem Bereich besitzt. Noch u¨ berraschender ist die Rolle dieser ged¨ampften Welle f¨ur den Fall eines Potentialwalls (Abb. 1.9). Ist E < V0 , so w¨urde ein klassisches Teilchen umkehren. In der Optik l¨age jedoch eine Schicht mit einer imagin¨aren Brechzahl und einer endlichen Dicke vor, die in ein transparentes Medium eingebettet ist. Falls diese Dicke nicht sehr viel gr¨oßer als die Reichweite 1/ρ der ged¨ampften Welle ist, so wird ein Teil der einfallenden Welle transmittiert und gelangt in den Bereich x > x2 . Danach gibt es auch f¨ur E < V0 eine von null verschiedene Wahrscheinlichkeit daf¨ur, dass das Teilchen den Wall durchdringt: Man nennt dieses Ph¨anomen den Tunneleffekt.
Abb. 1.9 Potentialwall
1.4 Teilchen in einem zeitunabh¨angigen Potential
31
Potentialtopf. Die Funktion V (x) hat hier die Form, wie sie in Abb. 1.10 skizziert ist. Hat das Teilchen eine negative Energie E, jedoch gr¨oßer als −V0 , so sagt die klassische Mechanik aus, dass es nur mit der kinetischen Energie Ekin = E + V0 zwischen x1 und x2 oszillieren kann; hat das Teilchen eine positive Energie und erreicht es von links die Stelle x1 , so erf¨ahrt es dort eine pl¨otzliche Beschleunigung, an der Stelle x2 eine gleich große Verz¨ogerung und bewegt sich dann weiter nach rechts.
Abb. 1.10 Potentialtopf
In der optischen Analogie zum Fall −V0 < E < 0 sind die zu den Bereichen x < x1 und x > x2 geh¨orenden Brechzahlen n1 und n3 imagin¨ar, w¨ahrend die Brechzahl n2 f¨ur das Intervall [x1 , x2 ] reell ist. Dies entspricht z. B. einer Luftschicht zwischen zwei reflektierenden Medien. Die verschiedenen bei x1 und x2 reflektierten Wellen l¨oschen sich bis auf die Eigenmoden“ durch Interferenz aus. Diese bilden die stehenden Wel” len, die durch ganz bestimmte Frequenzen gekennzeichnet sind. Die quantenmechanische ¨ Ubersetzung dieser Tatsache f¨uhrt zu der Aussage, dass die negativen Energien quantisiert sind, w¨ahrend klassisch alle Werte zwischen −V0 und 0 m¨oglich sind. Dabei sind die erlaubten Energiewerte nicht durch die bekannte Bedingung x2 − x1 = kλ2 /2 bestimmt, weil man die Existenz ged¨ampfter Wellen ber¨ucksichtigen muss. Diese f¨uhren bei der Reflexion an den Stellen x = x1 und x = x2 zu einer Phasenverschiebung, s. Abschnitt 1.12.2. F¨ur E > 0 sind die Brechzahlen n1 , n2 und n3 reell: n1 = n3 = n2 =
c 1√ 2mE, Ω¯ h
c 1 2m(E + V0 ). Ω¯ h
(1.78)
Weil n2 gr¨oßer als n1 und n3 ist, haben wir es mit einer Situation zu tun, die analog zu der einer Glasplatte in Luft ist. Um die reflektierte Welle im Bereich x < x1 oder die transmittierte im Bereich x > x2 zu erhalten, muss man unendlich viele Wellen superponieren, die von den Reflexionen zwischen x1 und x2 herr¨uhren (das entspricht der Vielstrahlinterferenz wie bei einem Fabry-P´erot-Interferometer). Man findet dann z. B., dass f¨ur bestimmte Frequenzen des einfallenden Lichts die Welle vollst¨andig transmittiert
32
1 Welle und Teilchen
wird. Aus der Sicht der Quantenmechanik besteht f¨ur das Teilchen demnach im Allgemeinen eine gewisse Wahrscheinlichkeit, reflektiert zu werden. Es gibt aber Energiewerte, die sogenannten Resonanzenergien, f¨ur die die Transmissionswahrscheinlichkeit gleich eins und folglich die Reflexionswahrscheinlichkeit null ist. Wir erkennen an diesen Beispielen, wie die Vorhersagen der Quantenmechanik von denen der klassischen Mechanik verschieden sein k¨onnen. Sie machen dar¨uber hinaus deutlich, welche grunds¨atzliche Rolle Unstetigkeiten des Potentials (mit denen wir seine ¨ raschen Anderungen schematisiert und idealisiert umschrieben haben) spielen.
Zusammenfassung In diesem Kapitel sind wir qualitativ und intuitiv auf bestimmte grundlegende Vorstellungen der Quantenmechanik eingegangen. In Kapitel 3 werden wir hierauf genauer und systematisch zur¨uckkommen. Bereits jetzt ist aber klar, dass sich die quantenmechanische Beschreibung physikalischer Systeme wesentlich von der klassischen Behandlung unterscheidet (obwohl diese weiterhin in vielen F¨allen g¨ultig bleibt). Wir hatten uns bei ¨ unseren Uberlegungen auf den Fall eines einzigen Teilchens beschr¨ankt. In der klassischen Mechanik ist der Zustand eines Teilchens zu einem bestimmten Zeitpunkt t durch die Angabe von sechs Parametern, z. B. durch die Koordinaten des Ortsvektors r(t) und der Geschwindigkeit v(t), definiert. Alle weiteren Gr¨oßen (wie Energie, Impuls, Drehimpuls) sind dann durch r(t) und v(t) bestimmt; r(t) erh¨alt man aus der Newtonschen Bewegungsgleichung. Diese ist eine gew¨ohnliche Differentialgleichung zweiter Ordnung, die bei Vorgabe der Anfangslage und der Anfangsgeschwindigkeit des Teilchens, also bei Kenntnis seines Zustands zu einem bestimmten Zeitpunkt, eindeutig gel¨ost werden kann. In der Quantenmechanik ist die Beschreibung verwickelter. Hier wird der Zustand eines Teilchens durch eine Wellenfunktion dargestellt. Er h¨angt nicht mehr von nur sechs, sondern von unendlich vielen Parametern, n¨amlich von den Werten von ψ(r, t) in allen Raumpunkten r ab. Weiter sind die Vorhersagen u¨ ber Messergebnisse nur noch Wahrscheinlichkeitsaussagen. Die Wellenfunktion ist L¨osung der Schr¨odinger-Gleichung, mit der man ψ(r, t) aus der Kenntnis von ψ(r, 0) ermitteln kann. Diese partielle Differentialgleichung impliziert ein Superpositionsprinzip, das typische Welleneffekte zur Folge hat. Es ist die Erfahrung, die diesen Umsturz in der Mechanik erzwungen hat: Die klassische Mechanik kann Struktur und Verhalten der Materie auf atomarem Niveau nicht erkl¨aren. Die Theorie verliert an Einfachheit, doch gewinnt sie daf¨ur an Einheitlichkeit, weil jetzt Materie und Strahlung mit dem gleichen Konzept, dem Welle-Teilchen-Dualismus, beschrieben werden. Obwohl dies unseren Vorstellungen, an die wir uns beim Umgang mit den makroskopischen Vorg¨angen gew¨ohnt haben, widerspricht, ist es in sich v¨ollig konsistent: Niemand hat ein Experiment vorstellen k¨onnen, bei dem die Unsch¨arferelationen verletzt w¨urden (s. Abschnitt 1.8). Bis heute widerspricht keine Beobachtung den Grundprinzipien der Quantenmechanik. Allerdings gibt es auch noch keine Theorie, die alle relativistischen und quantenphysikalischen Ph¨anomene umfassend beschreiben kann, und eine weitere Revolution ist in der Physik nicht mit Sicherheit auszuschließen.
Erg¨anzungen zu Kapitel 1
¨ Abschnitte 1.5 bis 1.7 enthalten sehr einfache, aber grundlegende Uberlegungen u¨ ber die Gr¨oßenordnungen quantenphysikalischer Parameter. In Abschnitt 1.8 wird ein einfaches Experiment besprochen, mit dem man versuchen k¨onnte, die Aussage von der Komplementarit¨at des Teilchen- und des Wellenaspekts beim Licht zu widerlegen. (Leicht) Abschnitte 1.9 bis 1.11 sind Erg¨anzungen u¨ ber Wellenpakete. Abschnitt 1.9 zeigt auf einfache Weise den Zusammenhang zwischen der lateralen Ausdehnung eines zweidimensionalen Wellenpakets und der Winkeldispersion der Wellenvektoren auf. (Leicht) Abschnitt 1.10 verallgemeinert die Ergebnisse aus Abschnitt 1.3 auf den dreidimensionalen Fall. Es wird gezeigt, wie man die Untersuchung eines Teilchens im dreidimensionalen Raum in bestimmten F¨allen auf eindimensionale Probleme zur¨uckf¨uhren kann. (Etwas schwieriger) Abschnitt 1.11 befasst sich mit dem Sonderfall des Gaußschen Wellenpakets, dessen Eigenschaften und zeitliche Entwicklung exakt berechnet werden k¨onnen. (Nur mathematisch etwas aufwendiger) ¨ Abschnitt 1.12 nimmt die Uberlegungen aus Abschnitt 1.4.2 wieder auf und pr¨azisiert sie quantitativ. Dieser Abschnitt sei besonders empfohlen, da Rechteckpotentiale h¨aufig zur einfachen Illustration quantenmechanischer Aussagen verwendet werden. (Viele der sp¨ateren Erg¨anzungen und Aufgaben basieren auf den Ergebnissen dieses Abschnitts) Abschnitt 1.13 untersucht genauer an einem speziellen Beispiel das Verhalten eines Teilchens in einem Rechteckpotential. Das Teilchen ist hinreichend im Raum (als Wellengruppe) lokalisiert, so dass man seine Bewegung“ verfolgen kann. (Von mittlerer Schwierigkeit, wichtig f¨ur die physi” kalische Interpretation der Ergebnisse) Abschnitt 1.14 enth¨alt die Aufgaben zu diesem Kapitel.
1.5 De-Broglie-Wellenl¨angen Aufgrund der de-Broglie-Beziehung h λ= (1.79) p ist die einem Teilchen zugeordnete Wellenl¨ange umso gr¨oßer, je kleiner die Masse m und die Geschwindigkeit v dieses Teilchens sind. Um zu zeigen, dass es nicht m¨oglich ist, im makroskopischen Bereich die Welleneigenschaften der Materie zu beobachten, nehmen wir als Beispiel ein Staubkorn mit dem Durchmesser 1 μm und der Masse m ≈ 10−15 kg. Betr¨agt ferner seine Geschwindigkeit v ≈ 1 mm/s, so ergibt Gl. (1.79) λ≈
6.6 × 10−34 m = 6.6 × 10−16 m. 10−15 × 10−3
(1.80)
•
34
Erg¨anzungen zu Kapitel 1
Eine derartige L¨ange ist im Vergleich zur Gr¨oße des Staubkorns v¨ollig vernachl¨assigbar. Bei einem thermischen Neutron dagegen ist die Masse mn ≈ 1.67 × 10−27 kg, w¨ahrend sich seine Geschwindigkeit aus der mittleren thermischen Energie bei der (absoluten) Temperatur T ergibt. Es gilt der Zusammenhang p2 3 1 mn v 2 = ≈ kT, 2 2mn 2
(1.81)
worin k die Boltzmann-Konstante (k ≈ 1.38 × 10−23 J/K) ist. Die zugeh¨orige Wellenl¨ange ist dann λ=
h h =√ . p 3mn kT
(1.82)
F¨ur eine Temperatur von T ≈ 300 K finden wir λ ≈ 1.4 × 10−10 m,
(1.83)
also eine L¨ange von der Gr¨oßenordnung der Atomabst¨ande in einem Kristall. F¨allt ein thermischer Neutronenstrahl auf einen Kristall, so erzeugt er Beugungserscheinungen, wie man sie a¨ hnlich auch mit R¨ontgen-Strahlen erreicht. Wir sch¨atzen weiter die Gr¨oßenordnung der de-Broglie-Wellenl¨ange von Elektronen (Masse me ≈ 0.9 × 10−30 kg) ab. Wird ein Strahl von Elektronen durch eine Spannung V (gemessen in Volt) beschleunigt, so gewinnen sie die kinetische Energie E = qV = 1.6 × 10−19 V J, q = 1.6 × 10−19 C ist die Ladung des Elektrons. Mit E = zugeh¨orige Wellenl¨ange λ=
h h =√ , p 2me E
(1.84) 2
p erhalten wir f¨ur die 2me (1.85)
also 6.6 × 10−34 12.3 λ= √ (1.86) m ≈ √ 10−10 m. 2 × 0.9 × 10−30 × 1.6 × 10−19 V V Bei Spannungen von einigen hundert Volt erreicht man diesmal Wellenl¨angen, die mit denen der R¨ontgen-Strahlung vergleichbar sind. Mit diesen Elektronenstrahlen kann man an Kristallen oder Kristallpulver Beugungserscheinungen erzeugen. Mit den heutigen Beschleunigern erreicht man so hohe Energien, dass man sich nicht mehr im nichtrelativistischen Bereich befindet. So erzeugt man z. B. Elektronenstrahlung, deren Energie 1 GeV = 109 eV u¨ berschreitet (1 eV = 1 Elektronvolt = 1.6 × 10−19 J), w¨ahrend die Ruhemasse des Elektrons ungef¨ahr 0.5 × 106 eV betr¨agt. Die Geschwindigkeit liegt dann schon sehr nahe bei der Lichtgeschwindigkeit c. Darum ist die nichtrelativistische Quantenmechanik, wie wir sie hier behandeln, nicht mehr anwendbar. Die Einstein-de-Broglie-Beziehungen E = hν, h λ = p
(1.87) (1.88)
1.6 Zur Unsch¨arferelation
35
•
gelten aber auch im relativistischen Bereich. Dagegen muss die Beziehung (1.85) modifiziert werden, denn in der Relativit¨atstheorie ist die Energie E eines Teilchens mit der Ruhemasse m0 durch E = p2 c2 + m20 c4 (1.89) gegeben. Im eben betrachteten Beispiel (Elektronenenergie 1 GeV) ist me c2 gegen¨uber E vernachl¨assigbar, und man erh¨alt 6.6 × 10−34 × 3 × 108 hc = m = 1.2 × 10−15 m. (1.90) E 1.6 × 10−10 Mit diesen hochenergetischen Elektronen kann man die Struktur von Atomkernen untersuchen, vor allem die des Protons. λ≈
Bemerkungen 1. Wir weisen auf einen h¨aufig anzutreffenden Fehler hin, der bei der Berechnung der de-BroglieWellenl¨ange eines Teilchens gemacht wird, dessen Ruhemasse m0 von null verschieden ist und von dem man die Energie E kennt. Dieser Fehler besteht darin, dass man mit der Beziehung (1.87) die Frequenz ν berechnet und dann in Analogie zu elektromagnetischen Wellen f¨ur die de-BroglieWellenl¨ange c/ν setzt. Richtig geht man offensichtlich so vor, dass man z. B. mit Gl. (1.89) – oder p2 – den zu E geh¨orenden Impuls p bestimmt im nichtrelativistischen Fall mit der Beziehung E = 2m und dann mit Gl. (1.88) die Wellenl¨ange λ findet. 2. Nach Gl. (1.87) h¨angt die Frequenz ν von der Wahl des Energienullpunkts ab. Das gleiche gilt dν ω dω = νλ. Die Gruppengeschwindigkeit VG = = 2π f¨ur die Phasengeschwindigkeit Vϕ = k dk dk ist dagegen von dieser Wahl unabh¨angig. Dies ist f¨ur die physikalische Interpretation von VG wichtig. 3. Nach Gl. (1.79) sollte die Wellenl¨ange bei beliebiger Teilchenmasse unendlich groß werden, wenn die Geschwindigkeit gegen null geht. Kehren wir darum noch einmal zum Beispiel mit dem Staubkorn zur¨uck. Damit die Wellenl¨ange die Gr¨oßenordnung seines Durchmessers (1 μm) erreicht, d¨urfte seine Geschwindigkeit nicht gr¨oßer werden als 10−9 mm/s = 10−6 μm/s. Es ist bei einem Staubkorn sehr schwierig festzustellen, ob seine Geschwindigkeit eine derartige Grenze u¨ berschreitet: Die ihm zugeordnete de-Broglie-Wellenl¨ange ist selbst dann vernachl¨assigbar klein, wenn es praktisch in Ruhe ist. Bei Teilchen wie Neutronen oder Elektronen zeigen sich Quanteneffekte sehr viel leichter (s. den folgenden Abschnitt).
1.6 Zur Unsch¨arferelation Wir haben in Abschnitt 1.3.3 gesehen, dass die Lage und der Impuls eines Teilchens nicht gleichzeitig mit beliebiger Genauigkeit bestimmt werden kann: Die Unsch¨arfen Δx und Δp m¨ussen der Unsch¨arferelation Δx · Δp ≥ ¯ h
(1.91)
gen¨ugen. Wir wollen hier numerisch absch¨atzen, welche Rolle diese Einschr¨ankung spielt, und zeigen, dass sie im makroskopischen Bereich v¨ollig vernachl¨assigbar, im mikroskopischen dagegen entscheidend ist.
•
36
Erg¨anzungen zu Kapitel 1
1.6.1 Makroskopisches System Nehmen wir wieder das Beispiel mit dem Staubkorn aus dem vorangegangenen Abschnitt. Sein Durchmesser sei etwa 1 μm und seine Masse m ≈ 10−15 kg; es bewege sich mit der Geschwindigkeit v = 10−3 m/s. Dann betr¨agt sein Impuls p = mv ≈ 10−18 kg m/s.
(1.92)
Misst man die Lage z. B. auf 0.01 μm genau, so muss die Impulsunsch¨arfe der folgenden Bedingung gen¨ugen: Δp ≈
h ¯ ≈ 10−26 kg m/s. Δx
(1.93)
Die Unsch¨arferelation f¨uhrt also praktisch zu keiner Einschr¨ankung, denn es gibt keine Messapparatur, mit der man eine relative Impulsgenauigkeit von 10−8 erreichen k¨onnte. Quantenmechanisch w¨urde man das Staubkorn durch ein Wellenpaket zu beschreiben haben, dessen Gruppengeschwindigkeit v = 10−3 m/s ist und dessen mittlerer Impuls p = 10−18 kg·m/s betr¨agt. F¨ur dieses Paket kann man aber eine r¨aumliche Ausdehnung Δx und eine Impulsbreite Δp so klein annehmen, dass sie v¨ollig vernachl¨assigbar sind. Das Maximum des Wellenpaketes repr¨asentiert damit die Lage des Staubkorns, und seine Bewegung ist mit der eines klassischen Teilchens identisch.
1.6.2 Mikroskopisches System Wir betrachten jetzt ein Elektron in einem Atom. Das Bohrsche Modell beschreibt es als ein klassisches Teilchen. Die erlaubten Bahnen ergeben sich aus Quantisierungsregeln, die einfach postuliert werden: Ist z. B. r der Radius einer Kreisbahn, auf dem das Elektron uml¨auft, und p = mv der Elektronenimpuls, so fordert man mit einer ganzen Zahl n, dass pr = n¯ h
(1.94)
sein muss. Damit man klassisch u¨ berhaupt von einer Elektronenbahn sprechen kann, m¨ussen die Orts- und die Impulsunsch¨arfe gegen¨uber r und p vernachl¨assigbar sein: Δx r,
(1.95)
Δp p.
(1.96)
Dies aber verlangt, dass Δx Δp 1 r p
(1.97)
ist. Andererseits ergibt sich aus der Unsch¨arferelation h ¯ Δx Δp ≥ . r p rp
(1.98)
1.7 Unsch¨arferelationen und Atomparameter
37
•
Wenn man nun mit Hilfe der Gl. (1.94) auf der rechten Seite rp durch n¯h ersetzt, so lautet diese Ungleichung Δx Δp 1 ≥ . (1.99) r p n Man sieht, dass die Beziehungen (1.99) und (1.97) nur dann miteinander vertr¨aglich sind, wenn n 1 ist: Die Unsch¨arferelation zwingt uns dazu, das halbklassische Bild der Bohrschen Bahnen zu verwerfen.
1.7 Unsch¨arferelationen und Atomparameter Die Heisenbergschen Unsch¨arferelationen entziehen dem Begriff der Bohrschen Bahn jede physikalische Realit¨at (s. den vorangegangenen Abschnitt). Die Quantentheorie des Wasserstoffatoms werden wir im siebten Kapitel behandeln. Schon hier wollen wir aber zeigen, wie man mit Hilfe der Unsch¨arferelation die Stabilit¨at der Atome verstehen und auf einfache Weise die Gr¨oße des Atoms und seine Grundzustandsenergie absch¨atzen kann. Wir betrachten ein Elektron, das sich im Coulomb-Feld eines Protons bewegt. Von diesem nehmen wir an, dass es im Ursprung des verwendeten Koordinatensystems ruht. Ist r der Abstand des Elektrons vom Proton, so ist die potentielle Energie q2 1 , (1.100) 4πε0 r worin q die Elektronenladung bedeutet (sie ist exakt entgegengesetzt gleich der Ladung des Protons). Wir setzen V (r) = −
q2 = e2 . (1.101) 4πε0 Wir nehmen an, dass der Zustand des Elektrons durch eine kugelsymmetrische Wellenfunktion beschrieben wird, deren r¨aumliche Ausdehnung durch r0 charakterisiert wird (dies bedeutet, dass die Aufenthaltswahrscheinlichkeit f¨ur Abst¨ande wie 2r0 oder 3r0 praktisch null ist). Die zu diesem Zustand geh¨orende potentielle Energie hat dann die Gr¨oßenordnung e2 . (1.102) r0 Das liefert den kleinstm¨oglichen Wert, wenn man f¨ur r0 den kleinstm¨oglichen Wert nimmt, d. h. eine Wellenfunktion, die m¨oglichst dicht um das Proton konzentriert ist. Wir m¨ussen aber auch die kinetische Energie ber¨ucksichtigen. Dies geschieht u¨ ber das Unsch¨arfeprinzip. Wenn n¨amlich das Elektron auf ein Volumen von der linearen Abmessung r0 beschr¨ankt ist, so ist die Impulsunsch¨arfe Δp wenigstens von der Gr¨oße ¯h/r0 . Selbst wenn also der mittlere Impuls null ist, gilt dies nicht f¨ur die zu diesem Zustand geh¨orende kinetische Energie T . Vielmehr ist V ≈−
T ≥ T min =
1 ¯h2 (Δp)2 ≈ . 2m 2mr02
(1.103)
•
38
Erg¨anzungen zu Kapitel 1
Daher wird die minimale kinetische Energie umso gr¨oßer, je kleiner man zur Verringerung der potentiellen Energie den Parameter r0 w¨ahlt. Die niedrigste Gesamtenergie, die mit der Unsch¨arferelation vertr¨aglich ist, ist das Minimum der Funktion Emin = T min + V =
¯2 h e2 − . 2 2mr0 r0
(1.104)
Sie ergibt sich f¨ur r0 = a0 =
¯2 h me2
(1.105)
und hat den Wert E0 = −
me4 . 2¯ h2
(1.106)
Den gleichen Ausdruck wie in Gl. (1.105) erh¨alt man beim Bohrschen Atommodell f¨ur den Radius der ersten Bahn und Gl. (1.106) liefert die richtige Energie des Grundzustands des Wasserstoffatoms (s. Kapitel 7; die Wellenfunktion des Grundzustands verh¨alt ¨ kann nat¨urlich nur ein Zufall sein, sich wie e−r/a0 ). Diese quantitative Ubereinstimmung weil wir hier nur Gr¨oßenordnungen abgesch¨atzt haben. Doch zeigt sich bei dieser Rechnung eine wichtige physikalische Tatsache: Aufgrund der Unsch¨arferelation ist die kinetische Energie des Elektrons umso gr¨oßer, je geringer die r¨aumliche Ausdehnung seiner Wellenfunktion ist: Der Grundzustand des Atoms ist das Resultat eines Kompromisses“ ” zwischen kinetischer und potentieller Energie, s. Abb. 1.11. Noch einmal sei betont, dass dies auf der Unsch¨arferelation beruht und sich von dem unterscheidet, was man in der klassischen Mechanik erwarten w¨urde. Bewegte sich das
Abb. 1.11 Potentielle Energie V , kinetische Energie T und Gesamtenergie T + V eines Wasserstoffatoms in Abh¨angigkeit von der Ausdehnung“ r0 der Wellenfunktion. T und V a¨ ndern sich ” gegenl¨aufig, so dass die Gesamtenergie ein Minimum annehmen kann. Der zugeh¨orige Wert a0 von r0 stellt eine Absch¨atzung f¨ur die Gr¨oße des Wasserstoffatoms dar.
1.8 Ein Experiment zur Unsch¨arferelation
39
•
Elektron n¨amlich auf einer klassischen Kreisbahn5 mit dem Radius r0 , so w¨are seine potentielle Energie Vkl = −
e2 . r0
(1.107)
Die zugeh¨orige kinetische Energie erg¨abe sich durch Gleichsetzen der elektrostatischen Kraft und der Zentrifugalkraft: v2 e2 =m , 2 r0 r0
(1.108)
woraus folgt, dass Tkl =
1 1 e2 mv 2 = 2 2 r0
(1.109)
ist. Die Gesamtenergie w¨are dann Ekl = Tkl + Vkl = −
1 e2 . 2 r0
(1.110)
Die energetisch g¨unstigste Situation erhielte man f¨ur r0 = 0, was eine unendlich hohe Bindungsenergie bedeuten w¨urde. Man kann sich daher auch so ausdr¨ucken, dass es die Unsch¨arferelation ist, die die Existenz stabiler Atome verst¨andlich macht.
1.8 Ein Experiment zur Unsch¨arferelation In Abschnitt 1.1.2 analysierten wir den Youngschen Doppelspaltversuch und gelangten zu folgender Schlussfolgerung: Einerseits k¨onnen weder der Wellenaspekt noch der Teilchenaspekt des Lichts allein die beobachteten Ph¨anomene erkl¨aren, andererseits schließen sie sich gegenseitig aus, und zwar in dem Sinne, dass nicht bestimmt werden kann, durch welchen Spalt jedes Photon gelangt ist, ohne dass dabei die Interferenzfigur zerst¨ort w¨urde. Man dr¨uckt dies manchmal so aus, dass die Wellen- und die Teilcheneigenschaften zueinander komplement¨ar seien. Wir wollen zeigen, wie eng diese Komplementarit¨at und die Unsch¨arferelation miteinander zusammenh¨angen. Zur Widerlegung des Komplementarit¨atsbegriffs k¨onnte man sich n¨amlich vorstellen, dass es ausgekl¨ugeltere Versuchsanordnungen als das Aufstellen von Photomultipliern hinter den Spalten gibt. Auf einen denkbaren Fall gehen wir hier ein. Die Spaltplatte P in Abb. 1.12 sei in ihrer Ebene verschiebbar so angebracht, dass man die auf sie u¨ bertragenen vertikalen Impulse messen kann. Wir betrachten ein Photon, das auf dem Beobachtungsschirm im Punkt M auftrifft (der Einfachheit halber befinde sich 5 Nach der klassischen Elektrodynamik strahlt ein beschleunigtes Elektron, so dass es schon deshalb keine stabilen Bahnen geben kann.
•
40
Erg¨anzungen zu Kapitel 1
Abb. 1.12 Schema einer Versuchsanordnung mit einer beweglichen Platte P. Ihr Impuls soll vor und nach Durchgang des Photons so gemessen werden, dass man vor dem Auftreffen dieses Photons im Punkt M weiß, durch welchen Spalt es gegangen ist.
die Lichtquelle Q im Unendlichen). Der Impuls dieses Photons a¨ ndert sich beim Passieren der Platte; die Impulserhaltung verlangt, dass diese die Differenz aufnimmt. Nun h¨angt aber der Impuls¨ubertrag von der Bahn des Photons ab. Je nachdem, ob es durch den Spalt S1 oder S2 geht, haben wir p1 = −
hν sin θ1 c
(1.111)
oder hν sin θ2 (1.112) c (hν/c ist der Impuls des Photons, θ1 bzw. θ2 sind die Winkel zwischen S1 M bzw. S2 M und der Einfallsrichtung). Man l¨asst nun die Photonen nacheinander auf den Schirm treffen, so dass auf ihm allm¨ahlich die Interferenzfigur entsteht. F¨ur jedes einzelne Photon ermittelt man, durch welchen Spalt es gegangen ist, indem man den Impuls misst, den es auf die Spaltplatte u¨ bertragen hat. Hiernach scheint man also die Interferenzerscheinungen auf dem Auffangschirm beobachten zu k¨onnen und gleichzeitig in der Ebene der Platte P von jedem einzelnen Photon zu wissen, durch welchen Spalt es geflogen ist. Tats¨achlich aber kann man mit dieser Anordnung keine Interferenzstreifen erzeugen. ¨ Der Fehler in dieser Uberlegung besteht darin, dass man nur die Photonen als Quantenobjekte betrachtet und vergisst, dass die Quantenmechanik auch auf die (makroskopische) Platte P angewendet werden muss. Wenn man wissen will, durch welchen Spalt ein Photon gelangt ist, muss die vertikale Impulsunsch¨arfe Δp von P so gering sein, dass man die beiden Impulse p1 und p2 voneinander unterscheiden kann. Es muss also p2 = −
Δp |p2 − p1 |
(1.113)
1.9 Ein zweidimensionales Wellenpaket
41
•
sein. Dann verlangt aber die Unsch¨arferelation, dass die Lage von P nur mit einer Genauigkeit Δx bekannt ist, die der Ungleichung Δx ≥
h |p2 − p1 |
(1.114)
gen¨ugt. Ist a der Abstand der beiden Spalte und d die Entfernung zwischen der Platte P und dem Schirm, und sind weiter die Winkel θ1 und θ2 sehr klein (also d/a 1), so erh¨alt man, s. Abb. 1.12, x − a/2 , d x + a/2 sin θ2 ≈ θ2 ≈ d sin θ1 ≈ θ1 ≈
(1.115)
(x kennzeichnet die Lage des Auftreffpunktes M auf dem Schirm). Aus Gl. (1.111) und Gl. (1.112) ergibt sich damit |p2 − p1 | ≈
hν ha |θ2 − θ1 | ≈ , c λd
(1.116)
worin λ = c/ν die Wellenl¨ange des Lichts bedeutet. Setzt man dies in Gl. (1.114) ein, so erh¨alt man f¨ur die Ortsunsch¨arfe Δx die Ungleichung Δx ≥
λd ; a
(1.117)
λd ist aber gerade der auf dem Schirm zu erwartende Streifenabstand. Wenn nun die a Lagen der Spalte S1 und S2 mit einer Ungenauigkeit behaftet sind, die gr¨oßer als der Streifenabstand der m¨oglichen Interferenzfigur ist, so kann man keine derartige Figur auf dem Schirm erwarten. Die Diskussion zeigt, dass man in schwerwiegende Widerspr¨uche ger¨at, wenn man versucht, nur f¨ur das Licht und nicht auch f¨ur materielle Systeme eine Quantentheorie zu entwerfen. Weiter wird an diesem Beispiel deutlich: K¨onnte man die Platte P wie ein klassisches System behandeln, so w¨urde man f¨ur das Licht und damit f¨ur die Quantentheorie ¨ der Strahlung das Komplementarit¨atsprinzip verletzen. Ubrigens geriete man umgekehrt in entsprechende Schwierigkeiten, wenn man nur eine Quantentheorie der Materie entwickelte. Die quantenmechanischen Vorstellungen m¨ussen auf alle physikalischen Systeme angewendet werden.
1.9 Ein zweidimensionales Wellenpaket 1.9.1 Einfuhrung ¨ ¨ In Abschnitt 1.3.2 untersuchten wir die Form eines Wellenpakets, das man durch Uberlagerung ebener Wellen erhielt, die alle in dieselbe Richtung laufen, Gl. (1.28). Ist dies die x-Richtung, so ist der resultierende Ausdruck von y und z unabh¨angig. L¨angs der x-Achse
•
42
Erg¨anzungen zu Kapitel 1
ist das Paket von endlicher Ausdehnung, in den dazu senkrechten Richtungen dagegen unbeschr¨ankt: In allen Punkten einer Ebene senkrecht zur x-Achse hat es denselben Wert. Wir wollen jetzt einen anderen einfachen Typ von Wellengruppen behandeln: Wir u¨ berlagern ebene Wellen, deren Wellenvektoren in einer Ebene liegen. Ihr Betrag sei (praktisch) derselbe, ihre Richtungen m¨ogen sich jedoch etwas voneinander unterscheiden. Aufgrund der Winkeldispersion wird sich zeigen, dass die entstehende Wellengruppe in den Richtungen senkrecht zum mittleren Wellenvektor beschr¨ankt ist. Wir hatten beim eindimensionalen Wellenpaket gesehen, dass sich die wesentlichen Z¨uge dieses Modells, insbesondere die grundlegende Beziehung (1.40), bereits ergeben, ¨ wenn man die Uberlagerung von nur drei Teilwellen untersucht. Hier werden wir deshalb entsprechend vorgehen und die Ergebnisse dann wie in Abschnitt 1.3 verallgemeinern, s. auch Abschnitt 1.10.
1.9.2 Winkeldispersion und laterale Ausdehnung Wir betrachten drei ebene Wellen mit den Wellenvektoren k1 , k2 und k3 wie in Abb. 1.13: Alle drei liegen in der x, y-Ebene, k1 weist in x-Richtung, die beiden anderen liegen zu k1 symmetrisch und bilden mit ihm einen kleinen Winkel Δθ.
Abb. 1.13 Anordnung der Wellenvektoren k 1 , k 2 und k 3 der drei ebenen Teilwellen eines zweidimensionalen Wellenpakets.
F¨ur die x-Komponenten gilt dann k1x ≈ k2x = k3x ≈ |k1 | = k.
(1.118)
Die Betr¨age dieser drei Vektoren unterscheiden sich nur um Terme zweiter Ordnung in Δθ, wir werden sie vernachl¨assigen. In y-Richtung ist k1y = 0,
k2y = −k3y ≈ kΔθ.
(1.119)
Wie in Abschnitt 1.3.2 sollen die Amplituden g(k) reell sein und den Beziehungen g(k2 ) = g(k3 ) =
1 g(k1 ) 2
(1.120)
gen¨ugen. Dieses extrem einfache Modell tr¨agt bereits die Grundz¨uge eines allgemeinen (zweidimensionalen) Wellenpakets. Bei diesem stehen s¨amtliche Wellenvektoren senkrecht z. B.
1.9 Ein zweidimensionales Wellenpaket
43
•
zur z-Richtung und ihre x-Komponenten sind gleich; es variiert also nur die y-Komponente; die Funktion |g(k)| zeigt bez¨uglich dieser einzigen Ver¨anderlichen ky ein Verhalten, wie es in Abb. 1.14 skizziert ist, und ihre Breite Δky h¨angt mit der Winkeldispersion 2Δθ u¨ ber die einfache Beziehung (1.121)
Δky = 2kΔθ zusammen. Die Superposition der drei Teilwellen liefert dann ψ(x, y) =
3
g(ki )eiki ·r
i=1
= g(k1 ) e
ikx
1 1 + ei(kx+kΔθ y) + ei(kx−kΔθ y) 2 2
= g(k1 )eikx [1 + cos(kΔθ y)].
(1.122)
Weil keine z-Abh¨angigkeit vorliegt, spricht man von einem zweidimensionalen Wellenpaket.
Abb. 1.14 Die Auswahl von drei Werten f¨ur ky erlaubt bereits ein qualitatives Verst¨andnis des allgemeineren Falls.
Anhand der Abb. 1.15, in der f¨ur die drei Teilwellen die Phasenebenen angedeutet sind, kann man das Ergebnis verstehen. Die Funktion |ψ(x, y)| hat f¨ur y = 0 ein Maximum: Die drei Wellen interferieren auf der x-Achse konstruktiv. Entfernt man sich von dieser Achse, so nimmt |ψ(x, y)| ab (der Phasenunterschied zwischen den Komponenten Δy gleich null, wobei Δy durch nimmt zu) und wird f¨ur y = ± 2 Δy cos kΔθ = −1 (1.123) 2 gegeben ist, also durch kΔθ Δy = 2π.
(1.124)
Die zu k2 und k3 geh¨orenden Wellen sind dann in Gegenphase zur Welle mit dem Wellenvektor k1 . Unter Verwendung von Gl. (1.121) kann man diese Beziehung umschreiben und einen zu Gl. (1.33) analogen Zusammenhang erhalten: Δy · Δky = 4π.
(1.125)
•
44
Erg¨anzungen zu Kapitel 1
Abb. 1.15 Ebenen gleicher Phase der drei Teilwellen mit Wellenvektoren nach Abb. 1.13. Sie sind f¨ur y = 0 in Phase und l¨oschen sich f¨ur y = ±2π/Δky aus.
Eine Winkeldispersion der Wellenvektoren begrenzt also die laterale Ausdehnung des Wellenpakets. Quantitativ nimmt diese Beschr¨ankung die Form einer Unsch¨arferelation an (Gleichungen (1.124) und (1.125)).
1.9.3 Physikalische Diskussion Betrachten wir eine ebene Welle mit dem Wellenvektor k, die sich in x-Richtung ausbreitet, so wird jeder Versuch, ihre Ausdehnung senkrecht zur Ausbreitungsrichtung zu begrenzen, zu einer Winkeldispersion f¨uhren, d. h. wir erhalten ein Wellenpaket von der Art, wie wir es eben untersucht haben. Nehmen wir z. B. an, dass wir der ebenen Welle einen Schirm mit einem Spalt der Breite Δy in den Weg stellen. Sie wird dann an diesem Spalt gebeugt werden (Abb. 1.16). Man weiß, dass f¨ur die Winkelbreite des Beugungsflecks die Beziehung
2Δθ ≈ 2
λ Δy
(1.126)
2π die Einfallswellenl¨ange ist. Es ergibt sich wieder die obige Situa|k| tion: Gl. (1.124) und Gl. (1.126) sind identisch. besteht, wobei λ =
1.10 Zusammenhang zwischen ein- und dreidimensionalen Problemen
45
•
Abb. 1.16 Wird die Spaltbreite Δy verringert, so vergr¨oßert sich durch die Beugung am Spalt die Unsch¨arfe Δky .
1.10 Zusammenhang zwischen ein- und dreidimensionalen Problemen Der Raum, in dem sich ein klassisches oder ein Quantenteilchen bewegt, ist stets dreidimensional. Dies haben wir auch bei der Schr¨odinger-Gleichung (1.55) ber¨ucksichtigt, in der die Wellenfunktion von den drei Koordinaten x, y und z des Ortsvektors r abh¨angt. Trotzdem haben wir wiederholt von einem eindimensionalen Modell Gebrauch gemacht, bei dem nur die eine Ver¨anderliche x auftrat, ohne dies genauer zu rechtfertigen. Diese Erg¨anzung verfolgt daher ein doppeltes Ziel: Zum einen verallgemeinern wir die Ergebnisse aus Abschnitt 1.3 auf den dreidimensionalen Fall, zum anderen zeigen wir, wie man in bestimmten F¨allen die Wahl eines eindimensionalen Modells in Strenge rechtfertigen kann.
1.10.1 Dreidimensionales Wellenpaket Einfacher Fall Wir beginnen mit einem sehr einfachen Spezialfall, bei dem die beiden folgenden Voraussetzungen erf¨ullt sind: – Das Wellenpaket ist frei (V (r) ≡ 0); es kann also durch die Gl. (1.28) beschrieben werden: 1 ψ(r, t) = (1.127) g(k)ei[k·r−ω(k)t] d3 k; (2π)3/2 – f¨ur die Amplitudenfunktion g(k) gelte g(k) = g1 (kx )g2 (ky )g3 (kz ).
(1.128)
•
46
Erg¨anzungen zu Kapitel 1
Ber¨ucksichtigen wir ferner, dass ω(k) =
¯ k2 h h 2 ¯ = (k + ky2 + kz2 ) 2m 2m x
(1.129)
gilt, und setzen dies und Gl. (1.128) in Gl. (1.127) ein, so k¨onnen wir die drei Integrationen u¨ ber kx , ky und kz getrennt durchf¨uhren und erhalten (1.130)
ψ(r, t) = ψ1 (x, t)ψ2 (y, t)ψ3 (z, t) mit 1 ψ1 (x, t) = √ 2π
+∞ −∞
g1 (kx )ei[kx x−ω(kx )t] dkx ,
ω(kx ) =
¯ kx2 h 2m
(1.131)
und zwei entsprechende Ausdr¨ucke f¨ur ψ2 (y, t) und ψ3 (z, t). ψ1 (x, t) stellt gerade ein eindimensionales Wellenpaket dar. In diesem Spezialfall erh¨alt man also ψ(r, t) einfach als das Produkt (1.130) aus drei eindimensionalen Paketen, die sich v¨ollig unabh¨angig voneinander entwickeln.
Allgemeiner Fall Ist V (r) ein beliebiges von null verschiedenes Potential, so gilt die Beziehung (1.127) nicht mehr. Es ist dann zweckm¨aßig, die dreidimensionale Fourier-Transformierte g(k, t) von ψ(r, t) einzuf¨uhren: 1 (1.132) g(k, t)eik·r d3 k. ψ(r, t) = (2π)3/2 Von vornherein kann g(k, t) durch das Potential V (r) in beliebiger Weise von t abh¨angen. Dar¨uber hinaus gibt es im Allgemeinen auch keinen Grund zu der Annahme, dass g(k, t) als ein Produkt wie in Gl. (1.128) geschrieben werden kann. Um die Ergebnisse aus Abschnitt 1.3.2 zu verallgemeinern, machen wir u¨ ber die k-Abh¨angigkeit folgende Voraussetzung: Zu einem bestimmten Zeitpunkt t habe |g(k, t)| in der Umgebung von k0 ein sehr ausgepr¨agtes Maximum, w¨ahrend es vernachl¨assigbar kleine Werte annimmt, sobald die Spitze des k-Vektors außerhalb eines um k0 zentrierten Quaders Dk mit den Kantenl¨angen Δkx , Δky und Δkz liegt. Wie oben setzen wir g(k, t) = |g(k, t)|eiα(k, t) ,
(1.133)
so dass die Phase der zum Vektor k geh¨orenden Welle die Form ξ(k, r, t) = α(k, t) + kx x + ky y + kz z
(1.134)
hat. Wir k¨onnen nun a¨ hnlich wie in Abschnitt 1.3.2 vorgehen. Das Wellenpaket wird ein Maximum aufweisen, wenn die Wellen, f¨ur die die Spitze von k in Dk liegt, praktisch in
1.10 Zusammenhang zwischen ein- und dreidimensionalen Problemen
47
•
Phase sind, d. h. wenn sich ξ in Dk nur sehr wenig a¨ ndert. Entwickelt man ξ(k, r, t) um ¨ k0 nach Taylor, so ist ihre Anderung in erster Ordnung in δk = k − k0 ∂ ∂ δξ(k, r, t) ≈ δkx ξ(k, r, t) + δky ξ(k, r, t) ∂kx ∂ky k=k0 k=k0 ∂ + δkz ξ(k, r, t) (1.135) ∂kz k=k0 oder unter Verwendung des Gradientensymbols6 δξ(k, r, t) ≈ ≈
δk·[∇k ξ(k, r , t)]k=k0 δk·[r + [∇k α(k, t)]k=k0 ].
(1.136)
¨ Wir sehen, dass die Anderungen von ξ(k, r, t) im Bereich Dk minimal werden, wenn f¨ur r = r m (t) = −[∇k α(k, t)]k=k0
(1.137)
gilt. Wie wir bereits wissen, nimmt unter diesen Bedingungen |ψ(r, t)| ein Maximum an. Gleichung (1.137) bestimmt also die Lage des Schwerpunkts des Wellenpakets und ist die Verallgemeinerung von Gl. (1.37). Wir fragen nach dem um rm zentrierten Bereich Dr mit den Abmessungen Δx, Δy und Δz, in dem |ψ(r, t)| nennenswert von null verschiedene Werte annimmt. |ψ(r, t)| wird gegen¨uber |ψ(r m , t)| sehr klein werden, wenn sich die einzelnen Teilwellen durch ¨ von ξ(k, r, t) von der Gr¨oßenInterferenz ausl¨oschen, wenn also in Dk die Anderungen ordnung 2π (bzw. von der Gr¨oße 1 Radiant) sind. Mit δr = r − rm lautet Gl. (1.136) δξ(k, r, t) ≈ δk·δr.
(1.138)
Hieraus ergibt sich sofort der Zusammenhang zwischen den Bereichen Dr und Dk . Es muss, wenn wir δξ(k, r, t) ≥ 1 verlangen, ΔxΔkx ≥ 1, ΔyΔky ≥ 1,
(1.139)
ΔzΔkz ≥ 1 sein. Aus der Beziehung p = h ¯ k folgen dann sofort die Heisenbergschen Unsch¨arferelationen: ΔxΔpx
≥
h, ¯
ΔyΔpy ΔzΔpz
≥ ≥
¯, h h. ¯
(1.140)
Sie sind die Verallgemeinerung von Gl. (1.45). 6 Nach Definition ist ∇f (x, y, z) der Vektor mit den Koordinaten ∂f /∂x, ∂f /∂y und ∂f /∂z. Durch den Index k kennzeichnen wir entsprechend die partiellen Ableitungen nach kx , ky und kz .
•
48
Erg¨anzungen zu Kapitel 1
Wir erhalten schließlich die Gruppengeschwindigkeit V G des Wellenpakets, wenn wir Gl. (1.137) nach der Zeit t ableiten: VG =−
d [∇k α(k, t)]k=k0 . dt
(1.141)
Bei einem freien Wellenpaket (f¨ur das aber nicht notwendig Gl. (1.128) gelten muss) hat man α(k, t) = α(k, 0) − ω(k)t,
(1.142)
worin ω(k) durch Gl. (1.129) gegeben ist. In diesem Fall ist dann V G = [∇k ω(k)]k=k0 =
¯ k0 h ; m
(1.143)
das ist die Verallgemeinerung von Gl. (1.53).
1.10.2 Rechtfertigung des eindimensionalen Modells Wie wir in Abschnitt 1.4.1 sahen, kann man f¨ur den Fall eines zeitunab¨angigen Potentials in der Schr¨odinger-Gleichung die Zeitvariable von den Raumkoordinaten separieren und damit zur Eigenwertgleichung (1.62) gelangen. Wir wollen jetzt zeigen, dass in bestimmten F¨allen auch die Ortsvariablen x, y und z untereinander separiert werden k¨onnen. Hierzu setzen wir voraus, dass man f¨ur das Potential V (r) = V (x, y, z) = V1 (x) + V2 (y) + V3 (z)
(1.144)
schreiben kann, und suchen nach L¨osungen der Eigenwertgleichung in der Form ϕ(x, y, z) = ϕ1 (x)ϕ2 (y)ϕ3 (z). Analog wie in Abschnitt 1.4.1 zeigt man, dass dies unter der Bedingung h2 d 2 ¯ − + V1 (x) ϕ1 (x) = E1 ϕ1 (x) 2m dx2
(1.145)
(1.146)
und zwei entsprechenden Gleichungen m¨oglich ist, in denen x durch y bzw. z, V1 durch V2 bzw. V3 und E1 durch E2 bzw. E3 ersetzt werden. Schließlich muss die Beziehung E = E1 + E2 + E3
(1.147)
gelten. Gleichung (1.146) ist der eindimensionale Fall von Gl. (1.62); die Variablen x, y und z sind separiert.7 Wenn z. B. die potentielle Energie eines Teilchens nur von x abh¨angt, so kann man sie in der Form (1.144) schreiben, indem man V1 = V und V2 = V3 = 0 setzt. Die dann entstehenden Gleichungen in den Ver¨anderlichen y und z haben wir bereits in Abschnitt 1.3.1 7 Falls V (r) von der Form (1.144) ist, so kann man zeigen (s. Abschnitt 2.5.4), dass alle L¨ osungen der Eigenwertgleichung (1.62) als Linearkombinationen der hier gefundenen L¨osungen geschrieben werden k¨onnen.
1.11 Eindimensionales Gaußsches Wellenpaket
49
•
in Zusammenhang mit dem Fall des (eindimensionalen) freien Teilchens untersucht: Ihre allgemeinen L¨osungen sind die ebenen Wellen eiky y und eikz z . Es verbleibt demnach die Aufgabe, Gl. (1.146) zu l¨osen. Das ist aber ein eindimensionales Problem. Jedenfalls ist unter dieser Voraussetzung die Gesamtenergie des Teilchens (im Dreidimensionalen) E = E1 +
¯2 2 h [k + kz2 ]. 2m y
(1.148)
Die von uns weiter oben behandelten eindimensionalen Modelle entsprechen also einem Teilchen, das sich im dreidimensionalen Raum in einem Potential bewegt, das nur von der einen Koordinate x abh¨angt. Die L¨osungen ϕ2 (y) und ϕ3 (z) sind dann sehr einfach und beschreiben Teilchen, die entlang der y-Achse“ bzw. der z-Achse frei sind. Dies ist die ” Begr¨undung daf¨ur, dass wir unsere Untersuchung auf die (eindimensionale) Gleichung in der Ver¨anderlichen x konzentriert haben.
1.11 Eindimensionales Gaußsches Wellenpaket In diesem Abschnitt wollen wir den Fall einer Wellengruppe aus freien (eindimensionalen) Wellen behandeln, bei der die Funktion g(k) eine Gauß-Verteilung beschreibt. Dieses Beispiel ist deshalb von Interesse, weil bei ihm die Rechnungen in Strenge ausgef¨uhrt und damit unsere Aussagen in Abschnitt 1.3 u¨ ber die Eigenschaften von Wellenpaketen wenigstens f¨ur diesen Spezialfall bewiesen werden k¨onnen. An ihm l¨asst sich ferner das besondere zeitliche Verhalten eines Wellenpakets, n¨amlich das Ph¨anomen der Verbreiterung oder des Zerfließens untersuchen.
1.11.1 Definition eines Gaußschen Wellenpakets In einem eindimensionalen Modell betrachten wir ein freies Teilchen (V (x) = 0), dessen Zustand zur Zeit t = 0 durch die Wellenfunktion √ +∞ 2 a2 a ψ(x, 0) = e− 4 (k−k0 ) eikx dk (1.149) 3/4 (2π) −∞ beschrieben wird. Man erh¨alt diese Wellengruppe durch Superposition von ebenen Wellen eikx mit den Koeffizienten √ a − a2 (k−k0 )2 1 √ g(k, 0) = e 4 , (1.150) (2π)3/4 2π die zu einer um k = k0 zentrierten, auf eins normierten Gauß-Verteilung geh¨oren. Man nennt eine derartige Wellengruppe daher ein Gaußsches Wellenpaket. Im Folgenden werden wir wiederholt von Integralen des Typs +∞ 2 2 I(α, β) = e−α (ξ+β) dξ (1.151) −∞
•
50
Erg¨anzungen zu Kapitel 1
Gebrauch machen, wobei α und β komplexe Zahlen sind (damit dieses Integral konvergiert, muss Re(α2 ) > 0 sein). Mit der Residuenmethode zeigt man, dass es von β nicht abh¨angt. Es gilt also (1.152)
I(α, β) = I(α, 0). 2
Ferner ist f¨ur −π/4 < Arg(α) < +π/4 (was f¨ur Re(α ) > 0 stets m¨oglich ist) 1 I(1, 0). (1.153) α Man muss also nur I(1, 0) berechnen, was u¨ blicherweise u¨ ber ein Doppelintegral in der (x, y)-Ebene und Einf¨uhrung von Polarkoordinaten geschieht. Man erh¨alt +∞ √ 2 I(1, 0) = e−ξ dξ = π (1.154) I(α, 0) =
−∞
und damit +∞ −∞
2
e−α
(ξ+β)2
dξ =
√ π α
(1.155)
mit −π/4 < Arg(α) < +π/4. Wir berechnen jetzt ψ(x, 0). Hierzu ordnen wir den Exponenten in Gl. (1.149) um und schreiben 2 a2 a2 2ix x2 − (k − k0 )2 + ikx = − + ik0 x − 2 . (1.156) k − k0 − 2 4 4 a a Unter Verwendung von Gl. (1.155) ergibt dies 1/4 2 2 2 ψ(x, 0) = eik0 x e−x /a . πa2
(1.157)
Die Fourier-Transformierte einer Gauß-Verteilung ist wieder eine Gauß-Verteilung (s. Anhang I). Zur Zeit t = 0 ist daher die Wahrscheinlichkeitsdichte f¨ur den Ort des Teilchens 2 −2x2 /a2 2 |ψ(x, 0)| = e . (1.158) πa2 Der Verlauf entspricht der klassischen Glockenkurve. Das Zentrum des Wellenpakets (das Maximum von |ψ(x, 0)|2 ) liegt bei x = 0. Dies w¨urde man nach der allgemeinen Beziehung (1.38) auch erwarten, da in unserem Fall g(k) reell ist.
1.11.2 Orts- und Impulsbreite. Unsch¨arfebeziehung Bei der Behandlung einer Gauß-Verteilung f (x) = e−x ßig, ihre Breite b Δx = √ 2
2
/b2
erweist es sich als zweckm¨a-
(1.159)
1.11 Eindimensionales Gaußsches Wellenpaket
51
•
√ ¨ zu definieren. Andert sich x von 0 auf ±Δx, so verringert sich f (x) auf den e-ten Teil. Diese Festlegung ist nat¨urlich willk¨urlich, hat aber den Vorteil, mit der Standardabweichung der Ver¨anderlichen x u¨ bereinzustimmen (s. Abschnitt 3.3.5). Die Breite Δx der Wellengruppe Gl. (1.158) ist danach a (1.160) Δx = . 2 Weil |g(k, 0)|2 ebenfalls eine Gauß-Verteilung darstellt, kann man auf die gleiche Weise Δk bestimmen. Es ergibt sich 1 a und weiter f¨ur die Impulsbreite
(1.161)
Δk =
¯ h . a Wir erhalten somit den Zusammenhang
(1.162)
Δp =
¯ h , 2 ein Ergebnis, das mit der Heisenbergschen Unsch¨arferelation vertr¨aglich ist. ΔxΔp =
(1.163)
1.11.3 Entwicklung des Wellenpakets Berechnung von ψ(x, t) Zur Berechnung der Wellenfunktion zum Zeitpunkt t gen¨ugt es, von der Beziehung (1.28) f¨ur die Wellenfunktion eines freien Teilchens auszugehen. Wir erhalten √ +∞ 2 a2 a ψ(x, t) = e− 4 (k−k0 ) ei(kx−ω(k)t) dk (1.164) 3/4 (2π) −∞ hk 2 ¯ (dem Dispersionsgesetz f¨ur ein freies Teilchen). Wir werden sehen, dass mit ω(k) = 2m die Wellengruppe auch zur Zeit t eine Gauß-Verteilung beschreibt. Wie oben kann man n¨amlich den Exponenten umgruppieren, so dass die von k abh¨angenden Terme zu einem vollst¨andigen Quadrat zusammengefasst sind, und dann die Beziehung (1.155) verwenden. Es wird damit ⎧ 2 ⎫ ⎪ ⎪ ¯hk0 ⎪ ⎪ ⎪ 1/4 x− t ⎪ ⎬ ⎨ 2 eiϕ m ik0 x , (1.165) − ψ(x, t) = e exp 1/4 2i¯ht ⎪ ⎪ ⎪ πa2 ⎪ 2+ 4¯h2 t2 ⎪ ⎪ a 4 ⎭ ⎩ a + m m2 worin ϕ reell und von x unabh¨angig ist: ϕ = −θ −
¯ k02 h t 2m
mit
tan 2θ =
2¯ht . ma2
(1.166)
•
52
Erg¨anzungen zu Kapitel 1
F¨ur die Wahrscheinlichkeitsdichte erhalten wir damit ⎧ 2 ⎫ ⎪ ⎪ h ¯ k 0 ⎪ 2 ⎪ ⎪ t ⎪ ⎬ ⎨ 2a x − 2 1 m 2 |ψ(x, t)| = . (1.167) exp − ⎪ ⎪ πa2 4¯h2 t2 ⎪ ⎪ 4+ ⎪ ⎪ 4¯h2 t2 a ⎭ ⎩ 1+ 2 4 m2 m a +∞ Wenn wir jetzt zeigen wollen, dass das Normquadrat |ψ(x, t)|2 dx nicht von −∞
der Zeit abh¨angt, so k¨onnten wir bei der Integration von Gl. (1.167) wieder die Beziehung (1.155) verwenden. Rascher gelangen wir aber zu dieser Aussage, wenn wir u¨ ber Gl. (1.164) feststellen, dass f¨ur die Fourier-Transformierte von ψ(x, t) der Zusammenhang g(k, t) = e−iω(k)t g(k, 0)
(1.168)
besteht. Sie hat also dieselbe Norm wie g(k, 0). Nun hat weiter aufgrund der Parsevalschen Gleichung ψ(x, t) dieselbe Norm wie g(k, t) und ψ(x, 0) dieselbe wie g(k, 0). Hieraus schließt man, dass die Normen von ψ(x, t) und von ψ(x, 0) gleich sind.
Verschiebungsgeschwindigkeit des Wellenpakets Nach Gl. (1.167) stellt die Wahrscheinlichkeitsdichte |ψ(x, t)|2 eine um x = V0 t zentrierte Gauß-Verteilung dar, wobei die Geschwindigkeit V0 durch V0 =
¯ k0 h m
(1.169)
gegeben ist. Wir gelangen also zu demselben Ergebnis wie beim allgemeinen Ausdruck Gl. (1.54), der die Gruppengeschwindigkeit lieferte.
Zerfließen des Wellenpakets Wir kehren zur Gl. (1.167) zur¨uck. Aufgrund der Definition (1.159) hat das Paket zur Zeit t die Breite a 4¯ h2 t2 Δx(t) = 1+ 2 4. (1.170) 2 m a Wir erkennen (s. Abb. 1.17), dass sich das Paket nicht nur als Ganzes mit der Geschwindigkeit V0 verschiebt, sondern auch noch seine Form a¨ ndert. W¨achst t von −∞ bis 0, so nimmt die Breite des Pakets ab und erreicht f¨ur t = 0 ihr Minimum. Danach wird sie st¨andig gr¨oßer: Das Wellenpaket zerfließt. Wie wir in Gl. (1.167) feststellen k¨onnen, a¨ ndert sich auch die H¨ohe des Pakets. Mit wachsender Breite nimmt sie in der Weise ab, dass die Norm von ψ(x, t) konstant bleibt.
1.11 Eindimensionales Gaußsches Wellenpaket
53
•
Abb. 1.17 F¨ur negative Zeiten verschiebt sich das Gaußsche Wellenpaket mit abnehmender Breite nach rechts und wird f¨ur t = 0 minimal“: Das Produkt Δx · Δp hat den Wert ¯ h/2. Danach ” verbreitert sich das Paket bei seiner Bewegung wieder.
Die Funktion g(k, t) zeigt dagegen ganz andere Eigenschaften. F¨ur sie gilt n¨amlich nach Gl. (1.168) |g(k, t)| = |g(k, 0)|.
(1.171)
Der mittlere Impuls ¯ hk0 und seine Streuung ¯hΔk a¨ ndern sich also im zeitlichen Verlauf nicht. Im dritten Kapitel werden wir sehen, dass dies von der Tatsache herr¨uhrt, dass der Impuls eines freien Teilchens eine Erhaltungsgr¨oße ist. Ein freies Teilchen trifft bei seiner Bewegung auf kein Hindernis; deshalb ist physikalisch klar, dass seine Impulsverteilung zeitlich konstant bleiben muss. Die Existenz einer Impulsstreuung Δp = h ¯ Δk = h ¯ /a bedeutet, dass die GeschwinΔp ¯h digkeit des Teilchens nur bis auf Δv = = bekannt ist. Stellen wir uns ein Enm ma semble von klassischen Teilchen vor, die zur Zeit t = 0 von der Stelle x = 0 mit einer Geschwindigkeitsstreuung Δv ausgehen. Zur Zeit t ist dann die Streuung der Lage dieh|t| ¯ . Sie w¨achst also mit t linear, s. Abb. 1.18, in der die ser Teilchen δxkl = Δv|t| = ma durchgezogene Hyperbel das Bild von Δx(t) (Gl. (1.170)) darstellt. F¨ur große t unterscheidet sich Δx(t) praktisch nicht von δxkl . In diesem Fall kann man daher von einer quasiklassischen Interpretation der Breite Δx sprechen. Geht dagegen t gegen null, so unterscheiden sich Δx(t) und δxkl immer mehr. F¨ur das Quantenteilchen muss n¨amlich die Unsch¨arferelation Δx · Δp ≥ ¯ h/2 erf¨ullt sein. Weil aber Δp fest ist, kann Δx eine untere Grenze nicht unterschreiten. Bemerkungen 1. Das Zerfließen eines Wellenpakets aus freien Wellen ist ein allgemeines Ph¨anomen. Man kann zeigen (s. Aufgabe 4 in Abschnitt 3.16), dass die Breite eines beliebigen freien Wellenpakets sich zeitlich so verh¨alt, wie es in Abb. 1.18 veranschaulicht ist. ¨ 2. In Abschnitt 1.3.2 erhielten wir durch eine einfache Uberlegung die Beziehung Δx · Δk ≈ 1 (Gl. (1.39)), wobei wir lediglich voraussetzten, dass g(k) ein Maximum mit der Breite Δk (so wie in Abb. 1.3) aufweist. Dies ist auch in diesem Abschnitt der Fall. Wie ist es dann m¨oglich, dass dieses Produkt sehr viel gr¨oßer als eins werden kann? Bei einem Gaußschen Wellenpaket stellen wir dies f¨ur große t ja fest.
•
54
Erg¨anzungen zu Kapitel 1
¨ Abb. 1.18 Zeitliche Anderung der Breite Δx des Wellenpakets aus Abb. 1.17. F¨ur große t geht Δx asymptotisch gegen die Streuung δxkl der Orte eines Ensembles klassischer Teilchen, die sich zum Zeitpunkt t = 0 alle an der Stelle x = 0 mit einer Geschwindigkeitsstreuung Δp/m befinden.
Der Widerspruch ist selbstverst¨andlich nur scheinbar. Bei der Herleitung der Beziehung Δx · Δk ≈ 1 hatten wir angenommen, dass das Argument α(k) der komplexwertigen Funktion g(k) im Intervall Δk n¨aherungsweise linear von k abh¨angig ist, haben also mit anderen Worten in der Phase von g(k) Terme h¨oherer Ordnung vernachl¨assigt. F¨ur den Term zweiter Ordnung in (k − k0 ) muss dann z. B. gelten Δk2
d2 α dk2
2π.
(1.172)
k=k0
¨ Ist diese N¨aherung nun nicht mehr erlaubt, so f¨uhrt die entsprechende Uberlegung zu der Aussage, dass das Wellenpaket sehr viel breiter ist, als es die Beziehung (1.39) angibt. hk2 ¯ 1 t. Die F¨ur das von uns hier untersuchte Gaußsche Wellenpaket ist Δk ≈ und α(k) = − a 2m 2 1 ht ¯ 2π. Mit Hilfe von Gl. (1.170) kann gezeigt werden, Bedingung (1.172) lautet dann a m dass unter dieser Annahme Δx · Δk ≈ 1 ist.
1.12 Station¨are Zust¨ande eines Teilchens in einem eindimensionalen Rechteckpotential In Abschnitt 1.4.2 untersuchten wir die Bewegung eines Teilchens in einem Rechteckpo¨ tential und stellten fest, dass die pl¨otzlichen Anderungen des Potentials f¨ur bestimmte x zu rein quantenmechanischen Effekten f¨uhrten. Das Verhalten der Wellenfunktionen f¨ur die station¨aren Zust¨ande des Teilchens ergab sich dabei durch eine Analogie¨uberlegung zur Optik, mit der wir das Auftreten dieser neuen Ph¨anomene auf einfache Weise verstehen konnten. In dieser Erg¨anzung behandeln wir das Prinzip zur quantitativen Berechnung der station¨aren Teilchenzust¨ande, geben die Ergebnisse f¨ur einige einfache Beispiele an und
Station¨are Zust¨ande eines Teilchens
55
•
diskutieren ihren physikalischen Inhalt. Dabei beschr¨anken wir uns auf den eindimensionalen Fall (s. Abschnitt 1.10).
1.12.1 Allgemeine Eigenschaften Bereiche mit konstantem Potential Bei einem Rechteckpotential ist die Funktion V (x) in bestimmten Raumbereichen konstant: V (x) = V . In einem derartigen Intervall gen¨ugt dann die Wellenfunktion ϕ(x) der Differentialgleichung 2m d2 ϕ(x) + 2 (E − V )ϕ(x) = 0. dx2 h ¯
(1.173)
Wir haben verschiedene F¨alle zu unterscheiden: Fall 1: E > V . E−V =
Durch ¯ 2 k2 h 2m
(1.174)
f¨uhren wir die positive Konstante k ein und erhalten ϕ(x) = Aeikx + A e−ikx ,
(1.175)
als allgemeine L¨osung von Gl. (1.173), wobei A und A disponible komplexe Konstanten sind. Fall 2: E < V . Diese Bedingung geh¨ort zu Raumbereichen, die nach den Gesetzen der klassischen Mechanik verboten w¨aren. Definieren wir jetzt mit V −E =
¯ 2 ρ2 h 2m
(1.176)
eine positive Konstante ρ, so lautet die allgemeine L¨osung ϕ(x) = Beρx + B e−ρx .
(1.177)
B und B sind darin beliebige komplexe Konstanten. Fall 3: E = V .
In diesem Sonderfall h¨angt ϕ(x) linear von x ab.
Unstetigkeitsstelle des Potentials Wie verh¨alt sich die Wellenfunktion in einem Punkt x = x1 , in dem das Potential V (x) eine Unstetigkeit aufweist? Man k¨onnte zun¨achst vermuten, dass sich die Wellenfunktion ϕ(x) in diesem Punkt singul¨ar verh¨alt und dort z. B. ebenfalls unstetig ist. Wir zeigen
•
56
Erg¨anzungen zu Kapitel 1
jedoch, dass dies nicht der Fall ist: ϕ(x) und dϕ(x)/dx sind stetig, und nur die zweite Ableitung d2 ϕ(x)/dx2 ist an der Stelle x = x1 unstetig. Diese Tatsache kann man sich auch ohne strengen Beweis verst¨andlich machen. Hierzu erinnern wir uns daran, dass man das Rechteckpotential als den Grenzwert eines Potentials Vε (x) auffassen darf, das außerhalb des Intervalls [x1 − ε, x1 + ε] mit V (x) u¨ bereinstimmt, sich im Innern dagegen stetig a¨ ndert. Wir betrachten dann die Gleichung d2 2m ϕε (x) + 2 [E − Vε (x)]ϕε (x) = 0, dx2 h ¯
(1.178)
wobei Vε (x) im Intervall [x1 −ε, x1 +ε] f¨ur jedes ε beschr¨ankt sein soll. Nehmen wir eine L¨osung ϕε (x), die f¨ur x < x1 − ε mit einer L¨osung von Gl. (1.173) u¨ bereinstimmt, so muss gezeigt werden, dass f¨ur den Grenz¨ubergang ε → 0 die Funktion ϕε (x) gegen eine Funktion ϕ(x) strebt, die mitsamt ihrer ersten Ableitung an der Stelle x = x1 stetig ist. Wir nehmen an, dass ϕε (x) in der Umgebung von x = x1 f¨ur jedes ε beschr¨ankt bleibt (was man zeigen k¨onnte, indem man von den Eigenschaften der Differentialgleichung (1.173) ausgeht); physikalisch bedeutet diese Annahme, dass die Wahrscheinlichkeitsdichte endlich bleibt. Integrieren wir dann Gl. (1.178) zwischen x1 − η und x1 + η, so erhalten wir dϕε dϕε 2m x1 +η (x1 + η) − (x1 − η) = 2 [Vε (x) − E]ϕε (x)dx. (1.179) dx dx ¯h x1 −η Da nach Voraussetzung der Integrand auf der rechten Seite der Gleichung f¨ur ε → 0 beschr¨ankt bleibt, geht das Integral f¨ur η → 0 gegen 0: dϕ dϕ η→0 (x1 + η) − (x1 − η) −→ 0. dx dx
(1.180)
Im Grenzfall ist also dϕ/dx an der Stelle x = x1 stetig und damit auch ϕ(x) als Stammfunktion einer stetigen Funktion. Dagegen ist d2 ϕ/dx2 unstetig und erf¨ahrt, wie man an 2m Gl. (1.173) unmittelbar erkennen kann, in x = x1 einen Sprung der Gr¨oße 2 ϕ(x1 )σV , ¯h wenn σV der Sprung von V (x) an der Stelle x = x1 ist. Bemerkung In unserer Begr¨undung ist die Voraussetzung, dass Vε (x) beschr¨ankt ist, wesentlich. Bei einigen Aufgaben in Abschnitt 1.14 ist das Potential V (x) von der Form αδ(x), wobei δ(x) die Diracsche Delta-Funktion darstellt. In diesem Fall bleibt ϕ(x) stetig, nicht dagegen ihre erste Ableitung dϕ/dx.
Rechenmethode Zur Bestimmung der station¨aren Zust¨ande bei einem Rechteckpotential geht man also wie folgt vor: In den Bereichen, in denen V (x) konstant ist, schreibt man ϕ(x) in der Form (1.175) bzw. (1.177), und passt dann diese Funktionen an“, indem man fordert, dass ϕ(x) ” und dϕ(x)/dx an den Unstetigkeitsstellen von V (x) stetig sind.
Station¨are Zust¨ande eines Teilchens
57
•
1.12.2 Einfache Beispiele Wir ermitteln jetzt quantitativ die station¨aren Zust¨ande bei den Formen des Potentials V (x), die wir in Abschnitt 1.4.2 aufgef¨uhrt haben. Wir werden dabei sehen, dass die L¨osungen gerade den Verlauf zeigen, wie wir ihn aufgrund der optischen Analogie behauptet haben.
Potentialstufe
Abb. 1.19 Potentialstufe
Fall 1: E > V0 (partielle Reflexion). Wir setzen 2mE k1 = , h2 ¯ 2m(E − V0 ) k2 = . h2 ¯
(1.181)
(1.182)
Dann lauten die L¨osungen in den Bereichen I bzw. II ϕI (x) = A1 eik1 x + A1 e−ik1 x ,
(1.183)
ik2 x
(1.184)
ϕII (x) = A2 e
+
A2 e−ik2 x .
Weil Gl. (1.173) eine homogene Differentialgleichung ist, k¨onnen wir mit unserer Methode die drei Verh¨altnisse A1 /A1 , A2 /A1 und A2 /A1 nicht bestimmen, denn an der Stelle x = 0 haben wir nur zwei (Stetigkeits-)Bedingungen. Wir setzen darum A2 = 0. Wir beschr¨anken uns somit auf den Fall eines Teilchens, das aus dem negativen Unendlichen kommend auf die Potentialstufe trifft. Dann ist A1 k1 − k2 = , A1 k1 + k2 2k1 A2 = . A1 k1 + k2
(1.185) (1.186)
•
58
Erg¨anzungen zu Kapitel 1
ϕI (x) stellt die Superposition einer sich nach rechts ausbreitenden einlaufenden Welle mit der Amplitude A1 und dem Impuls ¯hk1 und einer reflektierten Welle mit der Amplitude A1 und dem Impuls −¯ hk1 dar. Wegen A2 = 0 besteht ϕII (x) nur aus einer zu einem transmittierten Teilchen geh¨orenden Welle. In Abschnitt 3.4.1 werden wir sehen, wie man mit Hilfe des Begriffs des Wahrscheinlichkeitsstromes den Transmissionskoeffizienten T und den Reflexionskoeffizienten R f¨ur die Potentialstufe einf¨uhren kann (s. auch Abschnitt 3.7.2). Sie liefern die Wahrscheinlichkeit daf¨ur, dass ein aus dem negativen Unendlichen kommendes Teilchen die Stufe bei x = 0 passiert bzw. an dieser Stufe reflektiert wird. Dabei werden wir finden, dass 2 A (1.187) R = 1 A1 und T =
k2 k1
2 A2 A1
(1.188)
sind (die physikalische Erkl¨arung f¨ur das Auftreten des Faktors k2 /k1 beim Transmissionskoeffizienten geben wir in Abschnitt 1.13). Ber¨ucksichtigen wir Gl. (1.185) und (1.186), so erhalten wir weiter 4k1 k2 , (k1 + k2 )2 4k1 k2 T = . (k1 + k2 )2
R = 1−
(1.189) (1.190)
Wir erkennen sofort, dass T + R = 1 ist: Das Teilchen wird mit Sicherheit transmittiert oder reflektiert. Entgegen der Vorhersage der klassischen Mechanik gibt es f¨ur das Teilchen eine von null verschiedene Wahrscheinlichkeit, dass es an der Stufe wieder umkehrt. Dies hatten wir fr¨uher in Analogie zur Optik damit erkl¨art, dass eine Lichtwelle an einer brechenden Fl¨ache mit n1 > n2 ebenfalls reflektiert wird. Dabei weiß man, dass dies ohne Phasenverz¨ogerung geschieht; die Verh¨altnisse A1 /A1 und A2 /A1 sind nach Gl. (1.185) bzw. Gl. (1.186) reell. So erf¨ahrt auch das Quantenteilchen bei der Reflexion und Transmission keine Verz¨ogerung (s. Abschnitt 1.13.2). Schließlich folgt aus den Gl. (1.181), (1.182) und (1.190) sofort, dass f¨ur E V0 der Transmissionskoeffizient T ungef¨ahr gleich eins ist: Ist die H¨ohe der Potentialstufe gegen¨uber der Energie des Teilchens vernachl¨assigbar, so passiert es diese Stufe, wie wenn sie nicht vorhanden w¨are. Fall 2: E < V0 (Totalreflexion). Man ersetzt jetzt die Gleichungen (1.182) und (1.184) durch 2m(V0 − E) , (1.191) ρ2 = h2 ¯ ϕII (x) = B2 eρ2 x + B2 e−ρ2 x .
(1.192)
Station¨are Zust¨ande eines Teilchens
59
•
Hier muss (1.193)
B2 = 0
sein, damit die L¨osung f¨ur x → +∞ beschr¨ankt bleibt. Die Grenzbedingungen an der Stelle x = 0 ergeben jetzt k1 − iρ2 A1 = , A1 k1 + iρ2 B2 2k1 = . A1 k1 + iρ2
(1.194) (1.195)
Damit gilt f¨ur den Reflexionskoeffizienten 2 A1 k1 − iρ2 2 = 1. R= = A1 k1 + iρ2
(1.196)
Wie in der klassischen Mechanik wird das Teilchen also immer reflektiert (Totalreflexion). Trotzdem besteht ein wesentlicher Unterschied, auf den wir schon fr¨uher hingewiesen haben: Wegen des Auftretens der r¨aumlich ged¨ampften Welle e−ρ2 x hat das Teilchen eine von null verschiedene Wahrscheinlichkeit daf¨ur, dass es in den klassisch verbotenen Bereich eindringt. Sie nimmt mit x exponentiell ab und ist f¨ur Werte von x, die gr¨oßer als die Reichweite“ 1/ρ2 der ged¨ampften Welle sind, vernachl¨assigbar klein. Wir bemer” ken weiter, dass das Verh¨altnis A1 /A1 komplex ist: Bei der Reflexion tritt demnach eine bestimmte Phasenverschiebung auf, die physikalisch dazu f¨uhrt, dass das Teilchen im Bereich x > 0 mit einer gewissen Verz¨ogerung eintritt (s. Abschnitte 1.13.1 und 3.7.3). Eine derartige Verschiebung der Phase hat in der Optik ihre Entsprechung bei der Reflexion des Lichts an einem metallischen Medium; in der klassischen Mechanik gibt es hierf¨ur aber keine Analogie. Bemerkung Mit V0 → +∞ geht auch ρ2 → +∞ und damit A1 → −A1
und
B2 → 0.
(1.197)
Im Bereich x > 0 strebt die Welle gegen null, weil ihre Reichweite beliebig klein wird. Wegen A1 + A1 → 0 verschwindet ϕ(x) an der Grenze x = 0, bleibt also in diesem Punkt stetig. Dagegen erf¨ahrt ihre Ableitung einen Sprung von 2ikA1 auf den Wert null. Jetzt ist n¨amlich der Potentialsprung an dieser Stelle unendlich groß, und das Integral in Gl. (1.179) geht f¨ur η → 0 nicht mehr gegen null.
•
60
Erg¨anzungen zu Kapitel 1
Potentialwall
Abb. 1.20 Rechteckiger Potentialwall
Fall 1: E > V0 (Resonanzen). 8 Mit den Abk¨urzungen (1.181) und (1.182) findet man in den drei Bereichen I (x < 0), II (0 < x < l) und III (x > l) ϕI (x) = A1 eik1 x + A1 e−ik1 x ,
(1.198)
ik2 x
(1.199)
ϕII (x) = A2 e + A2 e−ik2 x , ϕIII (x) = A3 eik1 x + A3 e−ik1 x . Wie oben nehmen wir an, dass A3 =
(1.200)
0 ist (das einfallende Teilchen kommt aus dem negativen Unendlichen). Die Grenzbedingungen an der Stelle x = l liefern dann A2 und A2 in Abh¨angigkeit von A3 , die an der Stelle x = 0 die Koeffizienten A1 und A1 in Abh¨angigkeit von A2 und A2 und folglich von A3 . Wir erhalten so k12 + k22 sin k2 l eik1 l A3 , A1 = cos k2 l − i 2k1 k2 k 2 − k12 A1 = i 2 sin k2 l eik1 l A3 . (1.201) 2k1 k2 ¨ Uber A1 /A1 und A3 /A1 gelangen wir zum Reflexionskoeffizienten R und Transmissionskoeffizienten T f¨ur den Potentialwall: 2 A (k 2 − k 2 ) sin2 k2 l R = 1 = 2 2 1 2 2 2 2 2 , (1.202) A1 4k1 k2 + (k1 − k2 ) sin k2 l 2 A3 4k12 k22 T = = 2 2 . (1.203) A1 4k1 k2 + (k12 − k22 )2 sin2 k2 l Man erkennt leicht, dass R+T = 1 ist. Mit den Abk¨urzungen (1.181) und (1.182) erhalten wir f¨ur den Transmissionskoeffizienten 4E(E − V0 )
. (1.204) T = 4E(E − V0 ) + V02 sin2 [ 2m(E − V0 )l/¯h] 8 V kann positiv sein wie bei einem Potentialwall in Abb. 1.20, aber auch negativ; man spricht dann von 0 einem Potentialtopf.
Station¨are Zust¨ande eines Teilchens
61
•
Abb. 1.21 Verhalten des Transmissionskoeffizienten T f¨ur einen Potentialwall in Abh¨angigkeit von der Breite l des Walls (die Wallh¨ohe V0 und die Teilchenenergie E bleiben fest). Resonanzen treten immer dann auf, wenn l gleich einem halbzahligen Vielfachen der Wellenl¨ange 2π/k2 im Bereich II ist.
In Abb. 1.21 ist T in Abh¨angigkeit von l (bei festem E und V0 ) aufgetragen: Der Transmissionskoeffizient ver¨andert sich periodisch zwischen seinem kleinsten Wert −1 V02 und dem Maximum 1. 1+ 4E(E − V0 ) Den gleichen Zusammenhang finden wir in der Optik bei der Transmission an einem Fabry-P´erot-Interferometer. Auch dort treten die Resonanzen (f¨ur T = 1, also f¨ur k2 l = nπ) auf, wenn l gleich einem halbzahligen Vielfachen der Wellenl¨ange des Teilchens im Bereich II ist. Ist E > V0 , so geschieht die Reflexion des Teilchens an den Unstetigkeiten des Potentials ohne Ver¨anderung der Phase der Wellenfunktion. Aus diesem Grund entspricht die Resonanzbedingung k2 l = nπ Werten von l, f¨ur die sich im Bereich II stehende Wellen bilden k¨onnen. Dagegen l¨oschen sich fern von den Resonanzstellen die einzelnen in x = 0 und x = l reflektierten Wellen durch Interferenz gegenseitig aus, so dass die Wellenfunktion nur wenig von null verschieden ist. Eine Untersuchung der Ausbreitung eines Wellenpakets (wie in Abschnitt 1.13) w¨urde zeigen, dass sich bei Erf¨ullung der Resonanzbedingung das Wellenpaket verh¨altnism¨aßig lange im Bereich II aufh¨alt. Dieses Ph¨anomen nennt man in der Quantenmechanik Streuresonanz. Fall 2: E < V0 (Tunneleffekt). Hier m¨ussen wir Gl. (1.199) durch Gl. (1.192) ersetzen, ¨ die Grenzbedingungen an den w¨ahrend ρ2 weiterhin durch Gl. (1.191) gegeben ist. Uber Stellen x = 0 und x = l k¨onnten wir den Transmissionskoeffizienten f¨ur den Potentialwall berechnen. Es gen¨ugt aber, in den Beziehungen f¨ur den Fall 1 k2 durch −iρ2 zu ersetzen. Wir erhalten dann 2 A3 4E(V0 − E)
T = = , (1.205) A1 4E(V0 − E) + V02 sinh2 [ 2m(V0 − E) l/¯h] wobei nat¨urlich wieder R = 1 − T ist. Gilt ρ2 l 1, so wird T ≈
16E(V0 − E) −2ρ2 l e . V02
(1.206)
•
62
Erg¨anzungen zu Kapitel 1
Im Gegensatz zu den klassischen Vorhersagen gibt es f¨ur das Teilchen eine von null verschiedene Wahrscheinlichkeit, dass es den Potentialwall durchdringen kann: Im Bereich III verschwindet die Wellenfunktion nicht, vielmehr verh¨alt sie sich wie eine ged¨ampfte ” Welle“ mit der Reichweite 1/ρ2 . F¨ur l ≤ 1/ρ2 vermag sie mit nennenswerter Wahrscheinlichkeit den Wall zu durchqueren. Das ist der Tunneleffekt. Er hat in der Physik viele Anwendungen, so bei der Inversion des Ammoniakmolek¨uls (s. Abschnitt 4.10), der Tunneldiode, dem Josephson-Effekt, dem α-Zerfall der Atomkerne usw. F¨ur ein Elektron betr¨agt die Reichweite der ged¨ampften Welle 1 1.96 (1.207) ≈ √ 10−10 m. ρ2 V0 − E Darin sind E und V0 in Elektronvolt anzugeben (Man erh¨alt diese Formel, indem man in Gl. (1.86) die Wellenl¨ange λ = 2π/k durch 2π/ρ2 ersetzt). Trifft daher ein Elektron mit der Energie 1 eV auf einen Potentialwall mit der H¨ohe V0 = 2 eV und der Breite l = 10−10 m, so ist die Reichweite 1.96×10−10 m, also von der gleichen Gr¨oßenordnung wie l: Das Elektron kann den Wall mit einer betr¨achtlichen Wahrscheinlichkeit durchtunneln. Tats¨achlich hat der Transmissionskoeffizient in diesem Fall den Wert T ≈ 0.78.
(1.208)
Quantenmechanisch kann demnach das Elektron in 8 von 10 F¨allen den Wall durchqueren. Nehmen wir jetzt an, dass es sich bei dem einfallenden Teilchen um ein Proton handelt (seine Masse ist 1840 mal gr¨oßer als die des Elektrons), so ist seine Reichweite 1 4.6 1.96 10−10 m ≈ √ (1.209) ≈ 10−12 m. ρ2 V0 − E 1840(V0 − E) Besitzen E, V0 und l dieselben Werte wie eben, so haben wir den Fall, bei dem die Reichweite 1/ρ2 sehr viel kleiner als die Breite des Walles ist; Gl. (1.206) liefert dabei den Wert T ≈ 4 × 10−19 .
(1.210)
Die Wahrscheinlichkeit, dass das Proton den Wall durchtunnelt, ist daher unter diesen Bedingungen vernachl¨assigbar klein.
Potentialtopf und gebundene Zust¨ande Fall 1: T¨opfe mit endlicher Tiefe. Wir wollen hier nur die Verh¨altnisse untersuchen, bei denen −V0 < E < 0 ist. Ist E > 0, so haben wir wieder den Fall 1 f¨ur den Potentialwall vorliegen.
Station¨are Zust¨ande eines Teilchens
63
•
Abb. 1.22 Rechteckiger Potentialtopf
In den Bereichen I (x < −a/2), II (−a/2 ≤ x ≤ a/2) und III (x > a/2) ist jeweils ϕI (x) = B1 eρx + B1 e−ρx ,
(1.211)
ϕII (x) = A2 eikx + A2 e−ikx ,
(1.212)
ϕIII (x) = B3 eρx + B3 e−ρx
(1.213)
mit
2mE − 2 , h ¯ 2m(E + V0 ) k = . h2 ¯ ρ =
(1.214) (1.215)
Weil ϕ(x) im Bereich I beschr¨ankt ist, muss B1 = 0
(1.216)
sein. Die Grenzbedingungen an der Stelle x = −a/2 ergeben dann ρ + ik B1 , 2ik ρ − ik B1 A2 = −e−(ρ+ik)a/2 2ik und die an der Stelle x = a/2 A2 = e(−ρ+ik)a/2
B3 e−ρa [(ρ + ik)2 eika − (ρ − ik)2 e−ika ], = B1 4ikρ B3 ρ2 + k 2 sin ka. = B1 2kρ Damit jedoch ϕ(x) auch im Bereich III beschr¨ankt ist, muss B3 = 0, d. h. 2 ρ − ik = e2ika ρ + ik
(1.217)
(1.218)
(1.219)
•
64
Erg¨anzungen zu Kapitel 1
sein. ρ und k sind von der Energie E abh¨angig, so dass diese Gleichung nur f¨ur bestimmte Werte von E erf¨ullt werden kann. Die Quantisierung der Energie folgt demnach aus der Forderung, dass die Wellenfunktion ϕ(x) u¨ berall beschr¨ankt ist. Genauer sind zwei F¨alle m¨oglich: 1. Gilt ρ − ik = −eika , (1.220) ρ + ik so wird ρ = tan k Setzen wir
ka 2
(1.221)
.
2mV0 = k 2 + ρ2 , h2 ¯ so erhalten wir
(1.222)
k0 =
1 cos2
ka 2
= 1 + tan2
k 2 + ρ2 ka = = 2 k2
Gleichung (1.220) ist also zum System cos ka = k , 2 k0 ka tan > 0 2
k0 k
2 .
(1.223)
(1.224) (1.225)
a¨ quivalent. Grafisch ergibt sich nach Abb. 1.23 eine bestimmte Anzahl erlaubter Energiewerte durch die Schnittpunkte der Geraden (1/k0 ) mit den lang gestrichelt gezeichneten Kosinusb¨ogen. Die zugeh¨origen Wellenfunktionen sind gerade. Dies erkennt man, wenn man Gl. (1.220) in Gl. (1.217) bzw. Gl. (1.218) einsetzt. Es wird dann B3 = B1 und A2 = A2 , so dass ϕ(−x) = ϕ(x) ist. 2. Ist ρ − ik = eika , (1.226) ρ + ik so liefert eine entsprechende Rechnung das System sin ka = k , 2 k0 ka tan < 0. 2
(1.227) (1.228)
Die Energieniveaus ergeben sich hiernach durch die Schnittpunkte derselben Geraden wie oben mit den kurz gestrichelten Sinusb¨ogen. Sie liegen zwischen den unter Fall 1 ermittelten Niveaus und geh¨oren, wie man zeigen kann, zu ungeraden Wellenfunktionen.
Station¨are Zust¨ande eines Teilchens
65
•
Abb. 1.23 Grafische L¨osung von Gl. (1.219) zur Bestimmung der Energien der gebundenen Zust¨ande eines Teilchens in einem rechteckigen Potentialtopf. In diesem Beispiel gibt es drei gerade Zust¨ande (sie geh¨oren zu den Punkten P ) und zwei ungerade (zu den Punkten I).
Bemerkung π F¨ur k0 ≤ , d. h. wenn a V0 ≤ V1 =
π2¯ h2 2ma2
(1.229)
ist, zeigt die Abb. 1.23, dass es einen einzigen gebundenen Zustand des Teilchens gibt; die zugeh¨orige Wellenfunktion ist gerade. Ist weiter V1 ≤ V0 < 4V1 , so tritt ein erstes ungerades Niveau auf usw.: Mit wachsendem V0 ergeben sich abwechselnd Niveaus mit gerader und ungerader Wellenfunktion. Gilt schließlich V0 V1 , so ist die Steigung 1/k0 der Geraden sehr gering. F¨ur die niedrigsten Energieniveaus hat man dann praktisch k=
nπ , a
(1.230)
worin n eine ganze Zahl ist, und folglich f¨ur die Energie E=
n2 π 2 ¯ h2 − V0 . 2ma2
(1.231)
Fall 2: Unendlich tiefe T¨opfe. Es sei V (x) f¨ur 0 < x < a null und sonst u¨ berall unendlich. Wir setzen 2mE . (1.232) k= h2 ¯ Nach der Bemerkung im Anschluss an den Fall der Totalreflexion muss ϕ(x) außerhalb des Intervalls [0, a] gleich null und an den Stellen x = 0 und x = a stetig sein. Nun ist f¨ur 0 ≤ x ≤ a ϕ(x) = Aeikx + A e−ikx .
(1.233)
Aus ϕ(0) = 0 ergibt sich dann A = −A und damit ϕ(x) = 2iA sin kx.
(1.234)
•
66
Erg¨anzungen zu Kapitel 1
Weiter ist ϕ(a) = 0, wenn nπ k= (1.235) a mit einer beliebigen ganzen Zahl n gilt. Normiert man unter Ber¨ucksichtigung von Gl. (1.235) die Funktion (1.234), so erh¨alt man die station¨aren Wellenfunktionen nπx
2 sin (1.236) ϕn (x) = a a zu den Energien h2 n2 π 2 ¯ . (1.237) 2ma2 In diesem Fall erweist sich also die Quantisierung der Energie als besonders einfach. En =
Bemerkungen 1. Nach der Beziehung (1.235) sind die station¨aren Zust¨ande durch die Bedingung bestimmt, dass der unendlich tiefe Topf mit der Breite a im Gegensatz zum endlich tiefen Topf eine ganze Anzahl von halben Wellen enth¨alt. Der Unterschied zwischen den beiden F¨allen r¨uhrt von der Phasenverschiebung her, die bei der Reflexion der Wellenfunktion an einer Potentialstufe auftritt. 2. An den Gl. (1.230) und (1.231) erkennt man, dass man die Energieniveaus f¨ur einen unendlich tiefen Potentialtopf auch erh¨alt, wenn man hier V0 gegen unendlich gehen l¨asst.
1.13 Wellenpaket an einer Potentialstufe In der vorhergehenden Erg¨anzung haben wir die station¨aren Zust¨ande eines Teilchens in einem Rechteckpotential untersucht. Dabei traten verschiedentlich, z. B. im Fall der Potentialstufe, unendlich ausgedehnte (einfallende, reflektierte und transmittierte) ebene Wellen auf. Derartige Funktionen sind nicht normierbar und k¨onnen deshalb keinen wirklichen physikalischen Zustand des Teilchens repr¨asentieren. Man kann sie jedoch u¨ berlagern und mit ihnen ein normierbares Wellenpaket konstruieren. Dessen zeitliches Verhalten ist leicht zu bestimmen, weil es dabei nach station¨aren Wellen entwickelt wird. Es gen¨ugt, jeden Entwicklungskoeffizienten mit e−iEt/¯h zu multiplizieren (s. Abschnitt 1.4.1). In diesem Abschnitt wollen wir f¨ur den Fall einer Potentialstufe mit der H¨ohe V0 (s. Abb. 1.19) ein Wellenpaket konstruieren und seine zeitliche Entwicklung untersuchen. Wir gelangen auf diese Weise zu einer genaueren Beschreibung des quantenmechanischen Verhaltens des Teilchens, dem wir das Wellenpaket zuordnen, und k¨onnen gleichzeitig Aussagen aus dem Abschnitt 1.12 best¨atigen. Wir setzen: 2mE = k, h2 ¯ 2mV0 = K0 (1.238) h2 ¯
1.13 Wellenpaket an einer Potentialstufe
67
•
und unterscheiden wie in Abschnitt 1.12 die beiden F¨alle, bei denen k kleiner bzw. gr¨oßer als K0 ist.
1.13.1 Totalreflexion: E < V0 Die station¨aren Wellenfunktionen sind in diesem Fall durch die Gl. (1.183) und (1.192) aus Abschnitt 1.12 gegeben (wobei wir k1 hier durch k ersetzen), und die Beziehungen (1.193), (1.194) und (1.195) aus diesem Abschnitt liefern den Zusammenhang zwischen den Koeffizienten A1 , A1 , B2 und B2 . Das Wellenpaket bilden wir, indem wir diese Wellenfunktionen linear superponieren. Damit das Paket insgesamt eine Totalreflexion erf¨ahrt, nehmen wir f¨ur k nur die Werte, die kleiner als K0 sind; die Amplitudenfunktion g(k) muss also f¨ur k > K0 gleich null sein. Links von der Potentialstufe, d. h. f¨ur negative x, haben die Koeffizienten im Ausdruck f¨ur die station¨are Wellenfunktion nach Gl. (1.183) denselben Betrag, so dass wir A1 (k) = e−2iθ(k) A1 (k) setzen k¨onnen. Darin ist θ durch
K02 − k 2 tan θ(k) = k gegeben. F¨ur t = 0 und x < 0 schreiben wir schließlich das Paket in der Form K0 1 ψ(x, 0) = √ dkg(k)[eikx + e−2iθ(k) e−ikx ]. 2π 0
(1.239)
(1.240)
(1.241)
Wie in Abschnitt 1.3 habe darin |g(k)| an der Stelle k = k0 < K0 ein ausgepr¨agtes Maximum der Breite Δk. Um die Wellenfunktion ψ(x, t) zu einem beliebigen Zeitpunkt t zu erhalten, gehen wir von der allgemeinen Beziehung (1.68) aus. Sie lautet hier mit ω(k) = h ¯ k 2 /2m K0 1 ψ(x, t) = √ d kg(k)ei[kx−ω(k)t] 2π 0 K0 1 + √ dk g(k)e−i[kx+ω(k)t+2θ(k)] (1.242) 2π 0 und gilt nur f¨ur negative x. Der erste Summand repr¨asentiert das einfallende Wellenpaket, der zweite das reflektierte. Der Einfachheit halber nehmen wir g(k) als reell an. Mit der Methode der station¨aren Phase (s. Abschnitt 1.3.2) k¨onnen wir dann die Lage xE des Schwerpunkts des einfallenden Pakets bestimmen. Hierzu gen¨ugt es, das Argument des ersten Exponentialausdrucks an der Stelle k = k0 nach k abzuleiten und diese Ableitung gleich null zu setzen. Dies ergibt dω hk0 ¯ t. (1.243) xE = t = dk k=k0 m
•
68
Erg¨anzungen zu Kapitel 1
Um den Ort xR des Schwerpunkts des reflektierten Pakets zu erhalten, verfahren wir mit dem Argument des zweiten Exponentialausdrucks entsprechend. Die dabei zu bildende Ableitung von θ nach k ergibt sich aus Gl. (1.240). Es ist K 2 − k2 [1 + tan2 θ]dθ = 1 + 0 2 dθ k dk dk , (1.244) = − 2 K02 − k 2 − 2 k K0 − k 2 d. h. K02 1 K2 dθ = − 20 2 dk. 2 k k K0 − k 2 Somit erhalten wir dθ 2 dω ¯hk0 +2 t+ 2 xR = − t =− . dk dk k=k0 m K0 − k02
(1.245)
(1.246)
Die Beziehungen (1.243) und (1.246) beschreiben die Bewegung des Teilchens, das in einem kleinen Intervall Δx um xE bzw. xR lokalisiert ist. Wir betrachten zun¨achst den Vorgang f¨ur Zeiten t < 0. Hier bewegt sich der Schwerpunkt xE des einfallenden Wellenpakets mit der Geschwindigkeit ¯hk0 /m von links nach rechts. Andererseits erkennt man an Gl. (1.246), dass xR positiv und damit außerhalb des Bereichs liegt, in dem der Ausdruck (1.242) g¨ultig ist. Dies bedeutet, dass f¨ur alle x < 0 die verschiedenen Anteile beim zweiten Summanden destruktiv interferieren: F¨ur Zeiten t < 0 existiert kein reflektiertes Paket. Zum Zeitpunkt t = 0 erreicht der Schwerpunkt des einfallenden Wellenpakets die Potentialstufe, das Paket ist dann f¨ur einen gewissen Zeitraum im Bereich x ≈ 0 lokalisiert und seine Form relativ kompliziert. Sobald dagegen t gen¨ugend groß ist, erkennt man an den Gl. (1.243) und (1.246), dass das einfallende Paket verschwunden ist: Es existiert nur noch das reflektierte Paket. Jetzt ist n¨amlich xE positiv, w¨ahrend xR negativ wird; die Teilwellen des einfallenden Pakets interferieren destruktiv, die des reflektierten dagegen konstruktiv. Das reflektierte Paket bewegt sich mit der Geschwindigkeit −¯hk0 /m erst dann nach links, wenn das einfallende Paket die Stufe erreicht hat. Ist Δk gen¨ugend klein und das Zerfließen des Pakets im betrachteten Zeitintervall vernachl¨assigbar, so ist die Form des reflektierten Pakets (bis auf eine Symmetrie) die gleiche wie die des einfallenden Pakets. Wir erkennen weiter nach Gl. (1.246), dass bei der Reflexion eine Verz¨ogerung dθ/dk 2m
= (1.247) τ = −2 dω/dk k=k0 hk0 K02 − k02 ¯ auftritt. Im Gegensatz zu den Vorhersagen der klassischen Mechanik wird das Teilchen also nicht sofort reflektiert. Die Verz¨ogerung h¨angt vom Phasenunterschied zwischen der einfallenden und der reflektierten Welle ab, jedoch nicht einfach von θ(k0 ) wie bei einer unendlich ausgedehnten ebenen Welle, sondern von der Ableitung dθ/dk an der Stelle k = k0 . Physikalisch hat diese Verz¨ogerung ihre Ursache darin, dass f¨ur t in der N¨ahe von null die Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Teilchens im klassisch verbotenen Bereich
1.13 Wellenpaket an einer Potentialstufe
69
•
x > 0 quantenmechanisch von null verschieden ist (ged¨ampfte Welle, s. Bemerkung 1 weiter unten). Bildhaft kann man dies so umschreiben, dass das Teilchen vor seiner Umkehr eine Zeit von der Gr¨oßenordnung τ in diesem Bereich verliert. Nach Gl. (1.247) ist ¯h2 k02 des Wellenpadie Verz¨ogerung τ umso gr¨oßer, je weniger sich die mittlere Energie 2m kets von der H¨ohe V0 der Potentialstufe unterscheidet. Bemerkungen 1. Wir haben im Wesentlichen das Paket f¨ur x < 0 untersucht, doch kann man ebenso gut auch fragen, was im Bereich x > 0 geschieht. Hier ist das Paket 1 ψ(x, t) = √ 2π mit ρ(k) =
K0 0
dk g(k)B2 (k)e−ρ(k)x e−iω(k)t
(1.248)
K02 − k2 .
(1.249)
B2 (k)
ergibt sich aus Gl. (1.195), wenn man A1 durch 1, k1 durch k und ρ2 durch ρ ersetzt. Eine ¨ analoge Uberlegung wie die in Abschnitt 1.3.2 zeigt dann, dass |ψ(x, t)| sein Maximum annimmt, wenn die Phase des Integranden station¨ar ist. Nach den Gl. (1.194) und (1.195) ist das Argument von B2 halb so groß wie das von A1 , dies aber ist gleich −2θ(k). Entwickelt man daher ω(k) und θ(k) an der Stelle k = k0 , so erh¨alt man unter Beachtung von Gl. (1.247) f¨ur die Phase des Integranden in Gl. (1.248)
dθ − dk
k=k0
dω − dk
t k=k0
(k − k0 ) = −
¯ k0 h τ
; (k − k0 ) t − m 2
(1.250)
τ am 2 9 gr¨oßten : Zu diesem Zeitpunkt kehrt das Wellenpaket um, und wir erhalten wieder die bei der Reflexion beobachtete Verz¨ogerung. Ist Δk die Breite von g(k) und Δt das durch die Beziehung g(k) ist nach Voraussetzung reell. Im Bereich x > 0 wird demnach |ψ(x, t)| f¨ur t =
¯ k0 h ΔkΔt ≈ 1 m
bestimmte Zeitintervall, so zeigt Gl. (1.250) weiter, dass f¨ur t −
(1.251)
τ > Δt der Betrag |ψ(x, t)| der
2 Wellenfunktion vernachl¨assigbar klein wird. Das Wellenpaket verweilt also im Bereich x > 0 nur w¨ahrend eines Zeitintervalls von der Gr¨oßenordnung Δt =
1/Δk , ¯ k0 /m h
(1.252)
was n¨aherungsweise der Zeit entspricht, die im Bereich x < 0 f¨ur die Verschiebung einer Gr¨oße mit der vergleichbaren Breite 1/Δk erforderlich w¨are. 2. Weil wir voraussetzen, dass Δk gegen¨uber k0 und K0 klein ist, liefert der Vergleich von Gl. (1.247) und Gl. (1.252), dass Δt τ
(1.253)
9 Wir stellen fest, dass die Phase (1.250) im Gegensatz zum Fall des freien Wellenpakets nicht von x abh¨ angt; hieraus folgt, dass im Bereich x > 0 der Betrag von ψ(x, t) kein ausgepr¨agtes und sich zeitlich verschiebendes Maximum aufweist.
•
70
Erg¨anzungen zu Kapitel 1
ist. Die bei der Reflexion auftretende Verz¨ogerung dr¨uckt sich also beim reflektierten Paket durch eine geringe Verschiebung gegen¨uber seiner Breite aus.
1.13.2 Partielle Reflexion: E > V0 Wir betrachten jetzt eine um k = k0 > K0 zentrierte Amplitudenfunktion g(k) mit der Breite Δk, die f¨ur k < K0 gleich null ist. Das Wellenpaket setzt sich dann aus station¨aren Wellenfunktionen zusammen, f¨ur die die Gl. (1.183) und (1.184) gelten. Soll das Teilchen von negativen x her auf die Potentialstufe treffen, muss A2 = 0 gesetzt werden. W¨ahlen wir weiter A1 = 1, so ergeben sich die Koeffizienten A1 (k) und A2 (k)
aus den Beziehungen (1.185) und (1.186), indem wir dort k1 durch k und k2 durch k 2 − K02 ersetzen. Um das Paket durch einen einzigen, f¨ur alle x g¨ultigen Ausdruck beschreiben zu k¨onnen, verwenden wir die Heavisidesche Sprungfunktion θ(x). Sie ist definiert durch θ(x) = 0, θ(x) = 1,
wenn x < 0, wenn x > 0.
Wir erhalten dann f¨ur das Wellenpaket +∞ 1 ψ(x, t) = θ(−x) √ dk g(k)ei[kx−ω(k)t] 2π K0 +∞ 1 + θ(−x) √ dk g(k)A1 (k)e−i[kx+ω(k)t] 2π K0 +∞ √ 2 2 1 + θ(x) √ dk g(k)A2 (k)ei[ k −K0 x−ω(k)t] . 2π K0
(1.254)
(1.255)
Es gibt demnach jetzt drei Wellenpakete: ein einfallendes, ein reflektiertes und ein transmittiertes. Die Schwerpunkte dieser drei Pakete erhalten wir wieder durch die Methode der station¨aren Phase. Weil A1 (k) und A2 (k) reell sind, findet man ¯ k0 h t, m hk0 ¯ t, = −
m h k02 − K02 ¯ t. = m
xE =
(1.256)
xR
(1.257)
xT
(1.258)
Eine entsprechende Diskussion wie die aus dem vorgehenden Abschnitt f¨uhrt zu folgenden Aussagen: F¨ur negative Zeiten t gibt es nur ein einfallendes Wellenpaket; f¨ur gen¨ugend große positive t existieren ein reflektiertes und ein transmittiertes Wellenpaket (Abb. 1.24). Weil die Koeffizienten A1 (k) und A2 (k) reell sind, tritt weder bei der Reflexion noch bei der Transmission eine Verz¨ogerung auf.
1.13 Wellenpaket an einer Potentialstufe
71
•
Abb. 1.24 Verhalten eines Wellenpakets an einer Potentialstufe f¨ur den Fall E > V0 . (a) Verlauf ¨ des Potentials. (b) Das Paket bewegt sich auf die Stufe zu. (c) In der Ubergangsperiode zerteilt sich das Paket, und die zwischen den einfallenden und den reflektierten Wellen auftretenden Interferenzen f¨uhren im Bereich x < 0 zu Oszillationen. (d) Nach einem gewissen Zeitraum erkennt man zwei Wellenpakete: Das reflektierte bewegt sich nach links. Es hat eine geringere H¨ohe als das einfallende Paket, jedoch die gleiche Breite. Das transmittierte Paket l¨auft nach rechts, seine H¨ohe liegt etwas oberhalb der H¨ohe des einfallenden Pakets, daf¨ur ist es aber viel schmaler.
Das einfallende und das reflektierte Wellenpaket breiten sich mit der Geschwindigkeit ¨ hk0 /m aus. Wir nehmen Δk als so klein an, dass man die Anderung ¯ k0 /m bzw. −¯ h von A1 (k) gegen¨uber der von g(k) vernachl¨assigen kann. Man kann dann beim zweiten Summanden in Gl. (1.255) A1 (k) durch A1 (k0 ) ersetzen und vor das Integral ziehen. Wir erkennen, dass es bis auf eine Symmetrie dieselbe Form wie das einfallende Paket aufweist. Seine H¨ohe ist jedoch geringer, weil nach Gl. (1.185) der Koeffizient A1 (k0 ) kleiner als eins ist. Nach Definition ist der Reflexionskoeffizient R das Verh¨altnis der Aufenthaltswahrscheinlichkeiten des Teilchens beim einfallenden und beim reflektierten ¨ Paket. Weil wir A1 (k) = 1 gesetzt haben, ist daher R = |A1 (k0 )|2 (in Ubereinstimmung mit Gl. (1.187)).
•
72
Erg¨anzungen zu Kapitel 1
F¨ur das transmittierte Wellenpaket ist die Situation eine andere. Wieder kann man f¨ur gen¨ugend kleines Δk den entsprechenden Ausdruck vereinfachen: Man ersetzt A2 (k)
durch A2 (k0 ) und schreibt f¨ur k 2 − K02 n¨aherungsweise 2 − K2 k d 0 k 2 − K02 ≈ k02 − K02 + (k − k0 ) dk k=k0
≈ mit
k0 q0 + (k − k0 ) , q0
q0 = k02 − K02 .
Wir erhalten damit f¨ur den transmittierten Anteil +∞ k 1 i (k−k0 ) q0 x−ω(k)t 0 ψT (x, t) ≈ A2 (k0 )eiq0 x √ dk g(k)e . 2π K0 Vergleichen wir dies mit dem einfallenden Wellenpaket +∞ 1 ψE (x, t) = eik0 x √ dk g(k)ei[(k−k0 )x−ω(k)t] , 2π K0
(1.259)
(1.260)
(1.261)
(1.262)
so sehen wir, dass
k0 |ψT (x, t)| ≈ A2 (k0 ) ψE x, t q0
(1.263)
ist. Weil nach Gl. (1.186) der Koeffizient A2 (k0 ) gr¨oßer als eins ist, hat das transmittierte Paket eine etwas gr¨oßere H¨ohe als das einfallende. Dagegen ist es im Vergleich zum einfallenden Paket schmaler, denn wenn Δx die Breite von |ψE (x, t)| ist, so liefert Gl. (1.263) f¨ur die Breite von |ψT (x, t)| (Δx)T =
q0 Δx. k0
(1.264)
Der Transmissionskoeffizient (also das Verh¨altnis der Aufenthaltswahrscheinlichkeiten beim transmittierten und beim einfallenden Paket) erscheint somit in der Form eines Produkts aus zwei Faktoren: q0 (1.265) T = |A2 (k0 )|2 . k0 Wegen A1 (k0 ) = 1 entspricht dies der Gl. (1.188). Ber¨ucksichtigt man schließlich die Kontraktion des l¨angs der x-Achse transmittierten Pakets, so erh¨alt man wieder seine Verschiebungsgeschwindigkeit VT =
¯ k0 q0 h hq0 ¯ . = m k0 m
(1.266)
1.14 Aufgaben zu Kapitel 1
73
•
1.14 Aufgaben zu Kapitel 1 1. Ein monoenergetischer Neutronenstrahl (Neutronenmasse Mn = 1.67×10−27 kg) falle mit der Energie E auf eine lineare Kette von Atomkernen, die wie in Abb. 1.25 regelm¨aßig angeordnet sind; es kann sich dabei z. B. um ein langes lineares Molek¨ul handeln. Der Abstand zweier benachbarter Kerne sei l, ihr Durchmesser d, wobei d l gelte. In großer Entfernung befinde sich unter dem Winkel θ gegen¨uber der Einfallsrichtung ein Neutronendetektor.
Abb. 1.25
a) Was beobachtet man qualitativ am Detektor D, wenn die Energie E der einfallenden Neutronen ver¨andert wird? b) Tr¨agt man die Z¨ahlrate in Abh¨angigkeit von E auf, so zeigt sich an der Stelle E = E1 eine Resonanz. Unter der Voraussetzung, dass f¨ur E < E1 keine weiteren Resonanzen auftreten, zeige man, dass man aus dieser Resonanzstelle den Kernabstand l berechnen kann. Beispiel: θ = 30◦ , E1 = 1.3 × 10−20 J. c) Ab welcher Energie muss der endliche Durchmesser der Kerne ber¨ucksichtigt werden? 2. Ein Teilchen werde durch den Hamilton-Operator H =−
¯ 2 d2 h − αδ(x) 2m dx2
beschrieben; α ist darin eine positive und dimensionsbehaftete Konstante. a) Man integriere die Schr¨odinger-Gleichung zu Eigenwerten zwischen −ε und +ε. Durch den Grenz¨ubergang ε → 0 zeige man, dass die Eigenfunktion ϕ(x) an der Stelle x = 0 eine von α, m und ϕ(0) abh¨angende Unstetigkeit aufweist. b) Ist die Energie E des Teilchens negativ (gebundener Zustand), so kann man die Wellenfunktion ϕ(x) in der Form ϕ(x) = A1 eρx + A1 e−ρx ,
x < 0,
A2 e−ρx ,
x>0
ϕ(x) = A2 e
ρx
+
schreiben. Dabei ist ρ eine von E und m abh¨angige Konstante. Unter Verwendung der Ergebnisse unter Punkt a) berechne man die durch die Beziehung A1 A2 =M A2 A1
•
74
Erg¨anzungen zu Kapitel 1
definierte Matrix M . Aus der quadratischen Integrierbarkeit von ϕ(x) bestimme man weiter die m¨oglichen Energieeigenwerte und die zugeh¨origen normierten Eigenfunktionen. c) Man skizziere den Graphen dieser Funktionen und bestimme die Gr¨oßenordnung ihrer Breite Δx. d) Mit welcher Wahrscheinlichkeit dP(p) ergibt eine Impulsmessung am Teilchen einen Wert zwischen p und p + dp, wenn sich das Teilchen in einem der normierten station¨aren Zust¨ande befindet? F¨ur welchen Wert von p ist diese Wahrscheinlichkeit am gr¨oßten? In welchem Intervall Δp nimmt der Impuls von null wesentlich verschiedene Werte an? Von welcher Gr¨oßenordnung ist das Produkt Δx · Δp? 3. Ein Teilchen bewegt sich mit der positiven Energie E in einem δ-Potential wie in der vorstehenden Aufgabe von links nach rechts auf der x-Achse. a) Man zeige, dass ein station¨arer Zustand des Teilchens durch ϕ(x) = eikx + Ae−ikx , x < 0, x>0 ϕ(x) = Beikx , beschrieben werden kann, wobei k, A und B Konstante sind, die von der Energie E, der Masse m und von α abh¨angen. Man beachte die Unstetigkeit von dϕ/dx an der Stelle x = 0. b) F¨ur die Energie des gebundenen Zustands setze man −Egeb = −mα2 /2¯h2 und berechne den Reflexionskoeffizienten R und den Transmissionskoeffizienten T des Potentialwalls in Abh¨angigkeit von E/Egeb . Wie verhalten sie sich f¨ur E → ∞? Wie kann man dies deuten? Man zeige, dass der Ausdruck f¨ur T , wenn man ihn f¨ur negative Werte von E anschreibt, f¨ur E → −Egeb divergiert. Deutung? 4. a) Man schreibe die Eigenwertgleichung des Hamilton-Operators H aus der Aufgabe 2 und die zugeh¨orige Fourier-Transformierte dieser Gleichung an. Hieraus ergibt sich unmittelbar die Fourier-Transformierte ϕ(p) von ϕ(x) in Abh¨angigkeit von p, E, α und ϕ(0). Man zeige, dass nur ein einziger negativer Energieeigenwert m¨oglich ist. Man erh¨alt auf diese Weise also nur den gebundenen Zustand des Teilchens, nicht aber den f¨ur den Ausbreitungsvorgang. Warum ist das so? Man berechne ϕ(x) und zeige, dass man auf diese Weise s¨amtliche Ergebnisse aus Aufgabe 2 wieder erh¨alt. b) Die mittlere kinetische Energie des Teilchens kann man in der Form +∞ 1 p2 |ϕ(p)|2 dp Ekin = 2m −∞ schreiben (s. Kapitel 3). Unter der Voraussetzung, dass ϕ(p) hinreichend regul¨ar ist, zeige man, dass f¨ur Ekin auch gilt +∞ h2 ¯ d2 ϕ Ekin = − ϕ∗ (x) 2 dx. 2m −∞ dx F¨ur den unter Punkt a) berechneten gebundenen Zustand kann man also Ekin auf zwei verschiedene Weisen bestimmen. Was ergibt sich? Man beachte, dass im zweiten Fall ϕ(x) an der Stelle x = 0 ein nichtregul¨ares“ Verhalten zeigt, weil ihre Ableitung unstetig ”
1.14 Aufgaben zu Kapitel 1
75
•
ist. Man muss diese daher im Sinne einer Distribution auffassen. Erst dadurch tr¨agt der Punkt x = 0 zur mittleren Energie bei. Zur physikalischen Interpretation dieses Anteils betrachte man ein Rechteckpotential, das um x = 0 zentriert ist und bei dem die Breite a gegen null und die Tiefe V0 gegen unendlich gehen, und zwar so, dass aV0 = α bleibt. Man untersuche das Verhalten der Wellenfunktion in einem derartigen Potential. 5. Man betrachte ein Teilchen der Masse m, das sich in einem Potential V (x) = −αδ(x) − αδ(x − l), α > 0 befindet; die Konstante l hat darin die Dimension einer L¨ange. h2 ρ2 ¯ a) Man setze E = − und berechne die gebundenen Zust¨ande des Teilchens. Man 2m zeige, dass sich die m¨oglichen Energiewerte aus der Beziehung 2ρ −ρl e =± 1− μ (mit der Abk¨urzung μ =
2mα ) ergeben. Man l¨ose diese Gleichung n¨aherungsweise grah2 ¯
fisch. 1. Grundzustand. Man zeige, dass der Grundzustand gerade, d. h. symmetrisch in Bezug auf den Punkt x = l/2, und seine Energie Eg niedriger als die in Aufgabe 3 eingef¨uhrte Energie −Egeb ist. Was bedeutet dies physikalisch? Man skizziere den Verlauf der zugeh¨origen Wellenfunktion. 2. Angeregter Zustand. Man zeige, dass ein ungerader Zustand (bez¨uglich der Stelle x = l/2 ) mit einer Energie Ea > −Egeb existiert, falls l gr¨oßer als ein bestimmter Wert ist, und skizziere die zugeh¨orige Wellenfunktion. 3. Man erkl¨are, wie die vorstehenden Rechnungen als Modell f¨ur ein zweiatomiges ionisiertes Molek¨ul dienen k¨onnen (z. B. f¨ur H+ 2 ), bei dem der Abstand der Kerne gerade l ist. Wie h¨angen die beiden Energieniveaus von l ab, und was geschieht bei den Grenz¨uberg¨angen l → 0 und l → ∞? Wie groß ist die Gesamtenergie des Systems bei Ber¨ucksichtigung der Abstoßung der beiden Kerne? Man zeige, dass man aus dem Verlauf der Energien in Abh¨angigkeit von l in bestimmten F¨allen die Existenz gebundener Zust¨ande vorhersagen und die Gr¨oße von l im Gleichgewicht bestimmen kann. Es ergibt sich damit ein sehr elementares Modell der chemischen Bindung. b) Man berechne f¨ur den zweifachen δ-Wall den Reflexions- und den Transmissionskoeffizienten und untersuche deren Abh¨angigkeit von l. Warum treten die Resonanzen bei einem Vielfachen der de-Broglie-Wellenl¨ange des Teilchens auf? 6. Man betrachte ein Rechteckpotential mit der Breite a und der Tiefe V0 , s. die Bezeichnungen aus Abschnitt 1.12.2. Wir wollen die Eigenschaften des gebundenen Zustands eines Teilchens in diesem Potential f¨ur den Fall untersuchen, dass a gegen null geht. a) Man zeige, dass nur ein einziger gebundener Zustand existiert und zwar mit der mV02 a2 Energie E ≈ − . Diese h¨angt also vom Quadrat der Fl¨ache“ aV0 ab. ” 2¯ h2
•
76
Erg¨anzungen zu Kapitel 1
b) Man zeige, dass ρ → 0 geht und dass A2 = A2 ≈ B1 /2 ist. Hieraus leite man her, dass f¨ur den gebundenen Zustand die Aufenthaltswahrscheinlichkeit außerhalb des Potentialtopfes gegen eins strebt. ¨ c) Wie kann man die vorstehenden Uberlegungen auf ein Teilchen anwenden, das sich in einem Potential V (x) = −αδ(x) (Aufgabe 2) befindet? 7. Man betrachte ein Teilchen im Potential V (x) = 0, x ≥ a, V (x) = −V0 , 0 ≤ x < a; f¨ur negative x sei V (x) unendlich. Man zeige, dass die Wellenfunktion ϕ(x) f¨ur einen gebundenen Teilchenzustand zu einer ungeraden Wellenfunktion fortgesetzt werden kann, die zu einem station¨aren Zustand in einem Rechteckpotential mit der Breite 2a und der Tiefe V0 geh¨ort (s. Abschnitt 1.12.2). Man diskutiere die Zahl der gebundenen Zust¨ande in Abh¨angigkeit von a und V0 . Existiert stets – wie beim symmetrischen Rechteckpotential – wenigstens ein derartiger Zustand? 8. F¨ur ein zweidimensionales Problem untersuche man die schr¨age Reflexion eines Teilchens an der Potentialstufe V (x, y) = 0, x < 0, V (x, y) = V0 , x > 0. Wie bewegt sich der Schwerpunkt des Wellenpakets? Man interpretiere f¨ur den Fall der Totalreflexion die Unterschiede zwischen der Bahn dieses Schwerpunktes und der klassischen Bahn (Lateralversetzung). Man zeige, dass sich f¨ur V0 → ∞ beide Bahnen asymptotisch n¨ahern.
2
Der mathematische Rahmen
¨ Dieses Kapitel gibt einen einfachen Uberblick u¨ ber die mathematischen Grundlagen der Quantenmechanik, wobei allerdings weder Vollst¨andigkeit noch Strenge angestrebt wird. Vielmehr fassen wir hier die verschiedenen in der Quantentheorie verwendeten Begriffe zusammen, soweit sie f¨ur das Verst¨andnis der folgenden Kapitel erforderlich sind. Dabei gehen wir vor allem auf die Diracsche Notation ein, die sich f¨ur viele Rechnungen und ¨ Uberlegungen als besonders zweckm¨aßig erweisen wird. In Abschnitt 2.1 geben wir eine Reihe von Begriffen an, wie sie im Zusammenhang mit dem Raum F der Wellenfunktionen gebraucht werden; Abschnitt 2.2 verallgemeinert das Konzept des Zustands eines physikalischen Systems und f¨uhrt unter Verwendung der Dirac-Schreibweise den Zustandsraum H des Systems ein. Abschnitt 2.3 untersucht den Darstellungsbegriff, w¨ahrend der Abschnitt 2.4 vor allem den Leserinnen und Lesern empfohlen wird, die mit der Diagonalisierung eines Operators noch nicht vertraut sind: Diese Operation wird uns im Folgenden immer wieder begegnen. Nachdem wir dann in Abschnitt 2.5 zwei wichtige Beispiele zur Darstellungstheorie behandelt haben, f¨uhren wir schließlich in Abschnitt 2.6 den Begriff des Tensorprodukts ein; dieser wird dann sp¨ater in Abschnitt 4.7 an einem einfachen Beispiel genauer vorgestellt.
2.1 Der Raum der Wellenfunktionen eines Teilchens Im ersten Kapitel gaben wir der Wellenfunktion ψ(r, t) im folgenden Sinne eine Wahrscheinlichkeitsdeutung: |ψ(r, t)|2 d3 r ist die Wahrscheinlichkeit daf¨ur, dass sich das Teilchen zum Zeitpunkt t im Volumenelement d3 r um den Punkt r aufh¨alt. Damit die Wahrscheinlichkeit, das Teilchen irgendwo zu finden, gleich eins ist, muss (2.1) d3 r |ψ(r, t)|2 = 1 sein, wobei sich die Integration u¨ ber den gesamten Raum erstreckt. Wir m¨ussen uns also mit dem Raum der quadratintegrablen Funktionen1 befassen, d. h. mit den Funktionen, f¨ur die das Integral (2.1) konvergent ist. Unter physikalischen Gesichtspunkten ist dieser Raum L2 zu groß: Aufgrund der Deutung, die |ψ(r, t)|2 gegeben wird, m¨ussen die Wellenfunktionen bestimmte Regularit¨atseigenschaften aufweisen. Man darf nur die Funktionen ψ(r, t) zulassen, die u¨ berall definiert, stetig und sogar unendlich oft differenzierbar sind. So hat z. B. die Behauptung, eine Funktion sei in einem bestimmten Raumpunkt unstetig, physikalisch keinerlei 1 In
der Mathematik heißt dieser Raum der L2 -Raum; er hat die Struktur eines Hilbert-Raums.
78
2 Der mathematische Rahmen
Sinn, weil man Vorstellungen experimentell nie u¨ berpr¨ufen k¨onnte, bei denen sehr kleine Abst¨ande, z. B. von 10−30 m, eine Rolle spielen. Weiter reicht es stets aus, nur Wellenfunktionen mit beschr¨anktem Tr¨ager zu betrachten: Das Teilchen befindet sich mit Sicherheit in einem endlichen Raumbereich, z. B. in einem bestimmten Laboratorium. Auf diese zus¨atzlichen Bedingungen wollen wir hier nicht genauer eingehen und unter F einfach einen Unterraum von L2 verstehen, f¨ur den die Funktionen hinreichend regul¨ar sind.
2.1.1 Struktur des Raumes der Wellenfunktionen F ist ein Vektorraum Es ist leicht zu zeigen, dass F die Eigenschaften eines Vektorraumes besitzt. Ist z. B. ψ1 (r) ∈ F und ψ2 (r) ∈ F, so ist ψ(r) = λ1 ψ1 (r) + λ2 ψ2 (r) ∈ F
(2.2)
mit zwei beliebigen komplexen Konstanten λ1 und λ2 . Um zu beweisen, dass |ψ(r)|2 quadratisch integrierbar ist, multiplizieren wir aus: |ψ(r)|2 = |λ1 |2 |ψ1 (r)|2 + |λ2 |2 |ψ2 (r)|2 +λ∗1 λ2 ψ1∗ (r)ψ2 (r) + λ1 λ∗2 ψ1 (r)ψ2∗ (r)
(2.3)
und sch¨atzen die beiden letzten Summanden durch |λ1 ||λ2 |[|ψ1 (r)|2 + |ψ2 (r)|2 ] nach oben ab. |ψ(r)|2 ist also kleiner als eine Funktion, deren Integral konvergiert, weil ψ1 und ψ2 quadratisch integrierbar sind.
Skalarprodukt Definition. Zwei Elementen ϕ(r) und ψ(r) von F , wobei auf die Reihenfolge zu achten ist, ordnet man durch die Definition (2.4) (ϕ, ψ) = d3 r ϕ∗ (r)ψ(r) eine komplexe Zahl zu, das Skalarprodukt von ψ(r) mit ϕ(r). Dieses Integral ist stets konvergent, weil ϕ und ψ zu F geh¨oren. Eigenschaften. Aus der Definition ergibt sich unmittelbar (ϕ, ψ) = (ψ, ϕ)∗ ,
(2.5)
(ϕ, λ1 ψ1 + λ2 ψ2 ) = λ1 (ϕ, ψ1 ) + λ2 (ϕ, ψ2 ),
(2.6)
(λ1 ϕ1 + λ2 ϕ2 , ψ) = λ∗1 (ϕ1 , ψ) + λ∗2 (ϕ2 , ψ).
(2.7)
2.1 Der Raum der Wellenfunktionen eines Teilchens
79
Das Skalarprodukt ist linear bez¨uglich des hinteren und antilinear bez¨uglich des vorderen Faktors. Ist (ϕ, ψ) = 0, so heißen ϕ(r) und ψ(r) zueinander orthogonal. (2.8) (ψ, ψ) = d3 r |ψ(r)|2 ist eine reelle, nichtnegative Zahl; null ist sie genau dann, wenn ψ(r) = 0 ist. Die Definition des Skalarprodukts erlaubt die Einf¨uhrung einer Norm in F . F¨ur ψ(r) besitzt (ψ, ψ) gerade die Eigenschaften, die an diesen Begriff gestellt werden. Schließlich gilt die Schwarzsche Ungleichung:
(2.9) |(ψ1 , ψ2 )| ≤ (ψ1 , ψ1 ) (ψ2 , ψ2 ), s. Abschnitt 2.7. Gleichheit besteht genau dann, wenn die beiden Funktionen ψ1 und ψ2 zueinander proportional sind.
Lineare Operatoren Definition. Unter einem linearen Operator A versteht man eine mathematische Vorschrift, mit der jeder Funktion ψ(r) ∈ F eine andere Funktion ψ (r) ∈ F so zugeordnet wird, dass gilt ψ (r) = Aψ(r),
(2.10)
A[λ1 ψ1 (r) + λ2 ψ2 (r)] = λ1 Aψ1 (r) + λ2 Aψ2 (r).
(2.11)
Wir nennen einige einfache Beispiele f¨ur lineare Operatoren: Der Parit¨atsoperator Π ist definiert durch Π ψ(x, y, z) = ψ(−x, −y, −z),
(2.12)
der Multiplikationsoperator X durch Xψ(x, y, z) = xψ(x, y, z)
(2.13)
und der Differentialoperator Dx schließlich durch Dx ψ(x, y, z) =
∂ψ(x, y, z) . ∂x
(2.14)
Durch die Anwendung des Multiplikationsoperators und des Differentialoperators auf eine Funktion ψ(r) ∈ F k¨onnen Funktionen entstehen, die nicht mehr in F liegen, also nicht mehr quadratisch integrierbar sind. Produkte von Operatoren. Sind A und B zwei lineare Operatoren, so ist ihr Produkt AB definiert durch (AB)ψ(r) = A[Bψ(r)].
(2.15)
80
2 Der mathematische Rahmen
Zun¨achst wirkt B auf ψ(r) und ergibt ϕ(r) = Bψ(r), danach wird A auf die so erhaltene Funktion ϕ(r) angewendet. Im Allgemeinen ist AB = BA. Mit [A, B] = AB − BA
(2.16)
definiert man den Kommutator von A und B. Wir berechnen z. B. den Kommutator [X, Dx ]. F¨ur eine beliebige Funktion ψ(r) ∈ F ist ∂ ∂ [X, Dx ]ψ(r) = x − x ψ(r) ∂x ∂x ∂ ∂ [xψ(r)] = x ψ(r) − ∂x ∂x ∂ ∂ (2.17) = x ψ(r) − ψ(r) − x ψ(r) = −ψ(r). ∂x ∂x Weil dies f¨ur alle ψ(r) ∈ F gilt, schreibt man [X, Dx ] = −1.
(2.18)
2.1.2 Orthonormierte Basen Definition.
Es sei
u1 (r) ∈ F, u2 (r) ∈ F, . . . , ui (r) ∈ F, . . . eine durch den diskreten Index i (i = 1, 2, . . . , n, . . .) gekennzeichnete abz¨ahlbare Menge von Funktionen aus F ; {ui (r)} heißt orthonormiert , wenn (ui , uj ) =
d3 r u∗i (r)uj (r) = δij
(2.19)
gilt, wobei wir unter δij das Kronecker-Symbol verstehen (δij ist gleich eins f¨ur i = j und null f¨ur i = j). Sie bildet eine Basis2 in F , wenn jede Funktion ψ(r) ∈ F auf genau eine Weise nach den ui (r) entwickelt werden kann: ψ(r) =
ci ui (r).
(2.20)
i
2 Man spricht manchmal auch von einer vollst¨ andigen Funktionenmenge, wobei dieser Begriff sich von dem u¨ blicherweise in der Mathematik verwendeten unterscheidet.
2.1 Der Raum der Wellenfunktionen eines Teilchens
81
Komponenten einer Funktion in Bezug auf eine Basis {ui (r)} Wir multiplizieren beide Seiten von Gl. (2.20) mit u∗j (r) und integrieren u¨ ber den gesamten Raum. Mit Gl. (2.6) und Gl. (2.19) erhalten wir3 (uj , ψ) = uj , ci u i = ci (uj , ui ) =
i
i
ci δij = cj ,
(2.21)
i
d. h. es ist ci = (ui , ψ) =
d3 r u∗i (r)ψ(r).
(2.22)
Die Komponente ci von ψ(r) ist daher gleich dem Skalarprodukt von ψ(r) mit ui (r). Bei gegebener Basis ist die Angabe der Komponenten ci zur Angabe von ψ(r) a¨ quivalent. Man sagt, die Menge der ci sei eine Darstellung der Funktion ψ(r). Bemerkungen 1. Man beachte die Analogie zu einer orthonormierten Basis {e1 , e2 , e3 } des gew¨ohnlichen dreidimensionalen Raumes R3 . Die Tatsache, dass die Einheitsvektoren e1 , e2 und e3 paarweise aufeinander senkrecht stehen, kann man durch die Gleichungen ei · ej = δij
(i, j = 1, 2, 3)
(2.23)
ausdr¨ucken. Jeder Vektor V aus R3 wird eindeutig nach den ei zerlegt. Es gilt V =
3
vi ei
(2.24)
i=1
mit vi = ei · V .
(2.25)
Die Gleichungen (2.19), (2.20) und (2.22) entsprechen gerade den wohlbekannten Beziehungen (2.23), (2.24) und (2.25). Festzuhalten ist jedoch, dass die vi stets reell, die ci aber im Allgemeinen komplexe Zahlen sind. 2. Ein und dieselbe Funktion ψ(r) hat offensichtlich in zwei verschiedenen Basen verschiedene Komponenten. Wir werden sp¨ater die Frage des Basiswechsels er¨ortern. 3. Ein linearer Operator A kann in der Basis {ui (r)} durch eine Matrix dargestellt werden. Hierauf werden wir nach Einf¨uhrung der Dirac-Schreibweise in Abschnitt 2.3 zur¨uckkommen.
3 In Strenge m¨ ussten wir sichern, dass die Summation und die Integration vertauscht werden d¨urfen. Auf derartige Fragen werden wir hier grunds¨atzlich nicht eingehen.
82
2 Der mathematische Rahmen
Skalarprodukt Es seien ϕ(r) und ψ(r) zwei Wellenfunktionen mit den Entwicklungen ϕ(r) = bi ui (r), i
ψ(r) =
(2.26)
cj uj (r).
j
F¨ur das Skalarprodukt dieser beiden Funktionen erhalten wir dann mit den Gl. (2.6), (2.7) und (2.19) ⎞ ⎛ bi u i , cj u j ⎠ = b∗i cj (ui , uj ) (ϕ, ψ) = ⎝ i
=
j
i,j
b∗i cj δij ,
i,j
d. h.
(ϕ, ψ) =
b∗i ci .
(2.27)
|ci |2 .
(2.28)
i
Insbesondere ist (ψ, ψ) =
i
Bemerkung Sind V und W zwei Vektoren im R3 und vi bzw. wj ihre Komponenten, so gilt der bekannte Zusammenhang V ·W =
3
vi wi .
(2.29)
i=1
Gleichung (2.27) kann also als eine Verallgemeinerung von Gl. (2.29) aufgefasst werden.
Vollst¨andigkeitsrelation Die Orthonormierungsbedingungen (2.19) dr¨ucken aus, dass die Elemente der Funktionenfolge {ui (r)} auf eins normiert und paarweise orthogonal zueinander sind. Wir stellen jetzt eine weitere Beziehung, die Vollst¨andigkeits- oder auch Abgeschlossenheitsrelation, auf. Sie umschreibt die Eigenschaft dieser Funktionenmenge, eine Basis im Funktionenraum zu sein. Ist {ui (r)} eine Basis in F , so gibt es f¨ur jede Funktion ψ(r) ∈ F eine Entwicklung von der Art (2.20). In dieser Beziehung schreiben wir den Ausdruck (2.22) f¨ur die
2.1 Der Raum der Wellenfunktionen eines Teilchens
83
verschiedenen ci um. Dazu m¨ussen wir den Namen der Integrationsvariablen a¨ ndern. Es wird ψ(r) = ci ui (r) = (ui , ψ)ui (r) i
=
i
d3 r u∗i (r )ψ(r ) ui (r).
(2.30)
i
Vertauscht man die Reihenfolge von Summation und Integration, so erh¨alt man ui (r)u∗i (r ) . ψ(r) = d3 r ψ(r )
(2.31)
i
ui (r)u∗i (r ) ist also eine von r und r abh¨angende Funktion F (r, r ) mit der Eigenschaft, dass f¨ur jede Funktion ψ(r) ∈ F gilt ψ(r) = d3 r ψ(r )F (r, r ). (2.32)
Diese Beziehung erkl¨art gerade die verallgemeinerte Funktion δ(r − r ), s. Anhang II. Wir schreiben daher ui (r)u∗i (r ) = δ(r − r ). (2.33) i
Erf¨ullt umgekehrt eine orthonormierte Funktionenmenge {ui (r)} die Vollst¨andigkeitsrelation (2.33), so bildet sie eine Basis in F . F¨ur eine beliebige Funktion ψ(r) ∈ F kann man n¨amlich (2.34) ψ(r) = d3 r ψ(r )δ(r − r ) schreiben. Setzt man hier Gl. (2.33) ein, so erh¨alt man nach Vertauschen von Summation und Integration wieder Gl. (2.30). Diese Beziehung dr¨uckt also aus, dass ψ(r) stets nach den ui (r) entwickelt werden kann, und sie liefert gleichzeitig die Entwicklungskoeffizienten. Bemerkung In Abschnitt 2.3 werden wir die Vollst¨andigkeitsrelation unter Verwendung der Dirac-Schreibweise angeben und sehen, wie man ihr eine einfache geometrische Deutung zuordnen kann.
2.1.3 Kontinuierliche Basen Die Elemente der soeben untersuchten Basen sind quadratisch integrierbar. Es kann nun zweckm¨aßig sein, eine Basis“ von Funktionen einzuf¨uhren, die weder zu F noch zu L2 ” geh¨oren, nach der man aber dennoch jede Wellenfunktion ψ(r) entwickeln kann. Wir wollen Beispiele derartiger Basen angeben und zeigen, wie man die Zusammenh¨ange des vorstehenden Abschnitts erweitern kann.
84
2 Der mathematische Rahmen
Ebene Wellen Wir betrachten der Einfachheit halber allein den eindimensionalen Fall und untersuchen quadratintegrable Funktionen ψ(x), die nur von der Variablen x abh¨angen. Im ersten Kapitel hatten wir bereits die Bedeutung der Fourier-Transformierten ψ(p) von ψ(x) erkannt. Es war +∞ 1 ipx/¯ h ¯ dp ψ(p)e , (2.35) ψ(x) = √ 2π¯ h −∞ +∞ 1 ψ(p) = √ dx ψ(x)e−ipx/¯h . (2.36) 2π¯ h −∞ Wir definieren die Funktion 1 eipx/¯h . vp (x) = √ (2.37) 2π¯ h Sie beschreibt eine ebene Welle mit dem Wellenvektor p/¯h. Das Betragsquadrat von vp (x) ist gleich 1/2π¯ h; das u¨ ber die gesamte x-Achse erstreckte Integral divergiert also, und vp (x) geh¨ort nicht zu Fx . Bezeichnen wir mit {vp (x)} die Menge aller ebenen Wellen zu verschiedenen p, so k¨onnen wir p als einen sich von −∞ bis +∞ erstreckenden kontinuierlichen Index auffassen, mit dem wir die einzelnen Elemente dieser Funktionenmenge unterscheiden. Wir erinnern uns, dass der oben f¨ur die Folge {ui (r)} verwendete Index i diskret war. Mit Gl. (2.37) k¨onnen wir die Beziehungen (2.35) und (2.36) umschreiben: +∞ dp ψ(p)vp (x), (2.38) ψ(x) = −∞
ψ(p) = (vp , ψ) =
+∞
−∞
dx vp∗ (x)ψ(x).
(2.39)
Wir vergleichen sie mit Gl. (2.20) und Gl. (2.22). Nach Gl. (2.38) kann jede Funktion ψ(x) ∈ Fx auf genau eine Weise nach den vp (x), d. h. nach ebenen Wellen, entwickelt werden. Weil der Index p sich jetzt kontinuierlich a¨ ndert, wird die Summation u¨ ber i in Gl. (2.20) durch eine Integration u¨ ber p ersetzt. Wie in Gl. (2.22) erh¨alt man durch Gl. (2.39) die zu vp (x) geh¨orende Komponente ψ(p) von ψ(x) in Form des Skalarprodukts (vp, ψ); die Gesamtheit dieser zu den verschiedenen p geh¨orenden Komponenten bilden eine Funktion ψ(p), die Fourier-Transformierte von ψ(x).4 ψ(p) ist demnach das Analogon zu ci . Diese beiden, von p bzw. i abh¨angenden komplexen Zahlen sind die Komponenten derselben Funktion ψ(x) in Bezug auf die beiden verschiedenen Basen {vp (x)} und {ui (x)}. Dies wird auch deutlich, wenn man das Quadrat der Norm von ψ(x) bildet. Nach der Parsevalschen Gleichung (s. Anhang I, Gl. (I.45)) ist n¨amlich +∞ dp|ψ(p)|2 , (2.40) (ψ, ψ) = −∞ 4 Wir hatten das Skalarprodukt nur f¨ ur zwei quadratintegrable Funktionen erkl¨art, doch kann man die Definition ohne Schwierigkeit auf den hier vorliegenden Fall erweitern, falls nur das entsprechende Integral konvergiert.
2.1 Der Raum der Wellenfunktionen eines Teilchens
85
was Gl. (2.28) entspricht, wenn man dort die ci durch ψ(p) und die Summation u¨ ber i durch eine Integration u¨ ber p ersetzt. Wir zeigen weiter, dass die vp (x) einer Vollst¨andigkeitsrelation gen¨ugen. Unter Verwendung der Beziehung +∞ 1 dk eiku = δ(u), (2.41) 2π −∞ s. Anhang II, Gl. (II.34), findet man +∞ 1 dp i p (x−x ) dp vp (x)vp∗ (x ) = = δ(x − x ). e h¯ 2π ¯h −∞
(2.42)
Diese Gleichung ist das Analogon zu Gl. (2.33), wobei wiederum die Summation u¨ ber i durch die Integration u¨ ber p zu ersetzen ist. Schließlich berechnen wir das Skalarprodukt (vp , vp ). Mit Gl. (2.41) erhalten wir dx i x (p −p) 1 e h¯ = δ(p − p ). (2.43) (vp , vp ) = 2π h ¯ Vergleichen wir dies mit Gl. (2.19): Statt der beiden diskreten Indizes i und j und dem Kronecker-Symbol δij haben wir jetzt die beiden kontinuierlichen Indizes p und p und die von der Differenz dieser Indizes abh¨angende Deltafunktion δ(p − p ). Wir stellen fest, dass f¨ur p = p das Skalarprodukt (vp , vp ) divergiert; vp (x) liegt nicht in Fx . Trotzdem spricht man bei Gl. (2.43) von einer Orthonormierungsbedingung“. Manchmal dr¨uckt ” man dies so aus, dass die vp (x) im Diracschen Sinne“ orthonormiert sind. ” Die Verallgemeinerung auf drei Dimensionen bietet keine Schwierigkeiten. Wir betrachten die ebenen Wellen 3/2 1 vp (r) = eip·r/¯h . (2.44) 2π¯ h Die Basisfunktionen h¨angen nun von den drei kontinuierlichen Indizes px , py und pz ab. Es ergeben sich die folgenden Beziehungen: ψ(r) = d3 p ψ(p)vp (r), (2.45) ψ(p) = (vp , ψ) = (ϕ, ψ) =
d3 r vp∗ (r)ψ(r),
d3 p ϕ∗ (p) ψ(p),
d3 p vp (r)vp∗ (r ) = δ(r − r ),
(vp , vp ) = δ(p − p ), die die Gleichungen (2.38), (2.39), (2.40), (2.42) und (2.43) verallgemeinern.
(2.46) (2.47) (2.48) (2.49)
86
2 Der mathematische Rahmen
Wir k¨onnen also die vp (r) als die Elemente einer kontinuierlichen Basis“ auffassen. ” Dabei gelten s¨amtliche Zusammenh¨ange, die wir f¨ur die diskrete Basis {ui (r)} gefunden haben, auch f¨ur eine kontinuierliche Basis, falls wir die folgenden Ersetzungsregeln beachten: ←→ d3 p, δij ←→ δ(p − p ). (2.50) i ←→ p, i
δ-Funktionen Als Beispiel f¨ur eine Funktionenmenge, die durch den kontinuierlichen Index r0 = {x0 , y0 , z0 } gekennzeichnet ist, w¨ahlen wir die Menge mit den Elementen ξr0 (r) = δ(r − r 0 ).
(2.51)
{ξr0 (r)} sind also die um die Punkte r0 zentrierten δ-Funktionen. Offensichtlich sind die ξr 0 (r) nicht quadratisch integrierbar, geh¨oren also nicht zu F . Betrachten wir nun die f¨ur jede Funktion ψ(r) ∈ F geltenden Beziehungen (2.52) ψ(r) = d3 r0 ψ(r 0 ) δ(r − r0 ), ψ(r 0 ) =
d3 r δ(r 0 − r)ψ(r),
so k¨onnen wir sie mit Gl. (2.51) auf die Form ψ(r) = d3 r0 ψ(r 0 )ξr 0 (r), ψ(r 0 ) = (ξr 0 , ψ) =
d3 r ξr∗0 (r)ψ(r)
(2.53)
(2.54) (2.55)
bringen. Gleichung (2.54) besagt, dass jede Funktion ψ(r) ∈ F eindeutig nach den ξr 0 (r) entwickelt werden kann. Nach Gl. (2.55) ist die zu ξr 0 (r) geh¨orende Komponente von ψ(r) gerade der Wert von ψ an der Stelle r 0 . Gleichung (2.54) und Gl. (2.55) entsprechen Gl. (2.20) bzw. Gl. (2.22), wenn man den diskreten Index i durch das kontinuierliche Indextripel r 0 und die Summation u¨ ber i durch die Integration u¨ ber r0 ersetzt. ¨ ψ(r 0 ) ist daher das Aquivalent zu ci : Beide komplexen Zahlen stellen die Komponenten derselben Funktion ψ(r) in den verschiedenen Basen {ξr0 (r)} und {ui (r)} dar. Weiter haben wir statt Gl. (2.27) hier (ϕ, ψ) = d3 r0 ϕ∗ (r 0 )ψ(r 0 ). (2.56) Danach ist die Definition (2.4) des Skalarprodukts einfach die Anwendung von Gl. (2.27) auf den Fall der kontinuierlichen Basis {ξr0 (r)}.
2.1 Der Raum der Wellenfunktionen eines Teilchens
87
Schließlich stellen wir fest, dass die ξr0 (r) Orthonormierungsbedingungen“ und ei” ner Vollst¨andigkeitsrelation gen¨ugen, wie wir sie f¨ur die vp (r) angegeben haben. Es ist n¨amlich (s. Anhang II, Gl. (II.28))
d3 r0 ξr 0 (r)ξr∗0 (r ) =
d3 r0 δ(r − r 0 )δ(r − r 0 )
= δ(r − r )
(2.57)
und (ξr 0 , ξr 0 ) =
d3 r δ(r − r0 )δ(r − r 0 )
= δ(r 0 − r0 ).
(2.58)
Damit k¨onnen s¨amtliche Zusammenh¨ange, die wir f¨ur eine diskrete Basis angeschrieben haben, auf eine kontinuierliche Basis verallgemeinert werden, wenn wir dabei die Ersetzungsvorschriften i ←→ r0 ,
←→
d3 r0 ,
δij ←→ δ(r 0 − r0 )
(2.59)
i
beachten. Wichtige Bemerkung Die Zweckm¨aßigkeit der Einf¨uhrung kontinuierlicher Basen werden wir erst bei unseren weite¨ ren Uberlegungen erkennen. In keinem Fall darf man jedoch aus dem Auge verlieren, dass zu einem physikalischen Zustand stets eine quadratintegrable Wellenfunktion geh¨ort. Weder vp (r) noch ξr 0 (r) k¨onnen den Zustand eines Teilchens repr¨asentieren. Sie sind nichts weiter als sehr zweckm¨aßige Hilfsmittel f¨ur die Rechnungen, die man in Zusammenhang mit der Wellenfunktion ψ(r) durchf¨uhren muss, und nur diese beschreibt einen physikalischen Zustand. Eine analoge Situation tritt in der klassischen Optik auf, in der die ebene, monochromatische Welle eine sehr bequeme mathematische Idealisierung darstellt, die physikalisch nie realisiert werden kann: Selbst die feinsten Filter passiert ein Frequenzband mit einer zwar sehr kleinen, aber grunds¨atzlich von null verschiedenen Breite Δν. Entsprechendes gilt f¨ur die Funktionen ξr 0 (r). Man kann sich eine quadratisch integrierbare, um die Stelle r 0 lokalisierte Wellenfunktion, z. B. (r) = δ (ε) (r − r 0 ) = δ (ε) (x − x0 )δ (ε) (y − y0 )δ (ε) (z − z0 ) ξr(ε) 0
(2.60)
denken, bei der die δ (ε) Funktionen mit einem um x0 , y0 bzw. z0 zentrierten Maximum der Breite ε und der H¨ohe 1/ε sind, so dass (ε)
+∞
−∞
δ (ε) (x − x0 ) dx = 1 ist (s. Anhang II, Abschnitt II.1). F¨ur
ε → 0 geht ξr 0 (r) gegen die nicht quadratisch integrierbare Funktion ξr 0 (r). Es ist unm¨oglich, einen derartigen Zustand zu realisieren: Wie genau man auch ein Teilchen lokalisiert, stets ist ε von null verschieden.
88
2 Der mathematische Rahmen
Verallgemeinerung: Orthonormierte“ kontinuierliche Basen ” Definition. Wir verallgemeinern unsere Ergebnisse und nennen eine durch den kontinuierlichen Index α gekennzeichnete Menge von Funktionen {wα (r)} eine orthonormier” te“ kontinuierliche Basis, wenn sie den Orthonormierungsbedingungen (wα , wα ) = d3 r wα∗ (r)wα (r) = δ(α − α ) (2.61) und der Vollst¨andigkeitsrelation dα wα (r)wα∗ (r ) = δ(r − r )
(2.62)
gen¨ugt. Bemerkungen 1. Ist α = α , so divergiert (wα , wα ). Also geh¨ort wα (r) nicht zu F. 2. α kann eine Zusammenfassung mehrerer Indizes sein, wie es bei r 0 und p in den vorstehenden Beispielen der Fall ist. 3. Man kann sich Basen denken, die sowohl aus Funktionen ui (r), die durch einen diskreten Index gekennzeichnet sind, als auch aus Funktionen wα (r) mit einem kontinuierlichen Index bestehen. In diesem Fall bilden die ui (r) f¨ur sich keine Basis, sondern man muss stets die Menge der wα (r) hinzunehmen. Als Beispiel hierf¨ur nennen wir den Fall des rechteckigen Potentialtopfes, der in Abschnitt 1.4.2 und in Abschnitt 1.12 behandelt wurde. Weiter unten werden wir sehen, dass die Gesamtheit der station¨aren Zust¨ande eines Teilchens in einem zeitunabh¨angigen Potential eine Basis bildet. F¨ur E < 0 haben wir diskrete Energieniveaus, f¨ur die die zugeh¨origen quadratintegrablen Wellenfunktionen durch einen diskreten Index gekennzeichnet sind. Sie sind jedoch nicht die einzig m¨oglichen station¨aren Zust¨ande. Gleichung (1.70) erlaubt f¨ur jedes E > 0 beschr¨ankte L¨osungen, die sich u¨ ber den gesamten Raum erstrecken und nicht quadratisch integrierbar sind. In einem solchen Fall liegt eine gemischte Basis“ {ui (r), wα (r)} vor, f¨ur die die Orthonor” mierungsbedingungen (ui , uj ) = δij , (wα , wα ) = δ(α − α ),
(2.63)
(ui , wα ) = 0 lauten, w¨ahrend als Vollst¨andigkeitsrelation
ui (r)u∗i (r ) +
∗ dα wα (r)wα (r ) = δ(r − r )
(2.64)
i
anzuschreiben ist.
Komponenten einer Wellenfunktion ψ(r). ψ(r) = d3 r ψ(r )δ(r − r )
Stets gilt, dass (2.65)
2.1 Der Raum der Wellenfunktionen eines Teilchens
89
ist. Setzt man hier den durch Gl. (2.62) gegebenen Ausdruck f¨ur δ(r − r ) ein und setzt voraus, dass die Integrationen u¨ ber r und α vertauscht werden k¨onnen, so erh¨alt man ψ(r) = dα d3 r wα∗ (r )ψ(r ) wα (r), was wir mit
c(α) = (wα , ψ) = in der Form
d3 r wα∗ (r )ψ(r )
(2.66)
dα c(α)wα (r)
ψ(r) =
(2.67)
schreiben k¨onnen. Die Wellenfunktion ψ(r) kann also auf genau eine Weise nach den wα (r) entwickelt werden, wobei die Komponente c(α) in Bezug auf wα (r) gleich dem Skalarprodukt (wα , ψ) ist. Skalarprodukt und Norm. Kennt man von den beiden quadratintegrablen Funktionen ϕ(r) und ψ(r) ihre Komponenten in Bezug auf die Basis {wα (r)}, ϕ(r) = dα b(α)wα (r), (2.68) ψ(r) =
dα c(α )wα (r),
so erh¨alt man f¨ur ihr Skalarprodukt (ϕ, ψ) = d3 r ϕ∗ (r)ψ(r) = dα dα b∗ (α)c(α ) d3 r wα∗ (r)wα (r).
(2.69)
(2.70)
Ber¨ucksichtigt man f¨ur das rechte Integral (2.61), so wird (ϕ, ψ) = dα dα b∗ (α)c(α )δ(α − α ), d. h.
(ϕ, ψ) =
Insbesondere ist (ψ, ψ) =
dα b∗ (α)c(α).
(2.71)
dα |c(α)|2 .
(2.72)
90
2 Der mathematische Rahmen Tab. 2.1 Diskrete Basis {ui (r)}
Kontinuierliche Basis {wα (r)}
(ui , uj ) = δij
(wα , wα ) = δ(α − α )
Orthonormierungsbedingungen
Vollst¨andigkeitsrelation
i
ui (r)u∗i (r ) = δ(r − r )
ψ(r) =
Entwicklung
Komponenten
=
i ci ui (r)
ci 3= (u∗i , ψ)
d r ui (r)ψ(r)
Skalarprodukt
(ϕ, ψ) =
Normquadrat
(ψ, ψ) =
∗ i bi ci
i
|ci |2
∗ dα wα (r)wα (r ) = δ(r − r )
ψ(r) =
=
dα c(α)wα (r)
c(α) α , ψ) 3 = (w ∗ d r wα (r)ψ(r)
(ϕ, ψ) =
(ψ, ψ) =
dα b∗ (α)c(α)
dα |c(α)|2
Alle Beziehungen aus Abschnitt 2.1.2 k¨onnen demnach verallgemeinert werden, wenn man nur die Ersetzungsregeln i ←→ α, ←→ dα, δij ←→ δ(α − α ) (2.73) i
beachtet. Die wichtigsten Zusammenh¨ange sind in Tab. 2.1 zusammengefasst, obwohl wir sie uns in dieser Form nicht zu merken brauchen, weil wir sie nach Einf¨uhrung der DiracSchreibweise viel einfacher ausdr¨ucken k¨onnen.
2.2 Zustandsraum und Dirac-Schreibweise 2.2.1 Einfuhrung ¨ Im ersten Kapitel formulierten wir das Postulat: Der quantenmechanische Zustand eines Teilchens zu einem bestimmten Zeitpunkt ist durch eine Wellenfunktion ψ(r) gegeben. Die Wahrscheinlichkeitsdeutung dieser Funktion erfordert, dass ihr Betragsquadrat integrierbar ist. So gelangten wir im vorhergehenden Abschnitt zum Funktionenraum F .
2.2 Zustandsraum und Dirac-Schreibweise
91
Dabei fanden wir insbesondere, dass ein und dieselbe Funktion ψ(r) nach verschiedenen Basen entwickelt werden kann, s. Tab. 2.2. Man kann dieses Ergebnis in der Weise interpretieren, dass die Angabe der Komponenten {ci }, ψ(p) oder c(α) nach Wahl der jeweiligen Basis den Zustand eines Teilchens genauso gut charakterisiert wie die Funk¨ tion ψ(r) selbst. Ubrigens tritt auch ψ(r) in der Tabelle auf: Der Wert ψ(r 0 ), den die Wellenfunktion im Punkt r 0 annimmt, kann als die Komponente dieser Funktion in der Entwicklung nach den Basisfunktionen ξr 0 (r) aufgefasst werden, s. Gl. (2.51). Tab. 2.2 Basis
Komponenten von ψ(r)
ui (r)
ci , i = 1, 2, . . .
vp (r)
ψ(p)
ξr 0 (r)
ψ(r 0 )
wα (r)
c(α)
Wir befinden uns damit in einer Situation, wie wir sie analog auch beim gew¨ohnlichen dreidimensionalen Raum kennen: Im R3 wird die Lage eines Punktes durch seine drei Koordinaten in Bezug auf ein vorher festgelegtes System gekennzeichnet; wechselt man dieses System, so geh¨ort zum selben Raumpunkt ein anderes Koordinatentripel. Durch den Vektorbegriff befreit man sich vom Bezug auf das jeweilige System und erreicht so eine betr¨achtliche Vereinfachung und Durchsichtigkeit bei der Beschreibung der geometrischen Zusammenh¨ange. In diesem Sinne werden wir auch den quantenmechanischen Zustand eines Teilchens durch einen Zustandsvektor in einem abstrakten Zustandsraum Hr charakterisieren. Aus der Tatsache, dass der Raum F ein Unterraum von L2 ist, folgt, dass Hr der Unterraum eines Hilbert-Raumes sein muss. Im Folgenden werden wir die zugeh¨origen Begriffe und Zusammenh¨ange vorstellen. Nun erm¨oglicht die Einf¨uhrung von Zustandsvektoren und des Zustandsraumes nicht nur eine Vereinfachung des Formalismus, sondern auch seine Verallgemeinerung. Es gibt n¨amlich physikalische Systeme, die man quantenmechanisch nicht beschreiben kann, indem man von einer einzigen Wellenfunktion ausgeht. Wir werden dies sehen, wenn wir im vierten und im neunten Kapitel bei der Behandlung eines Teilchens seinen Spin ber¨ucksichtigen wollen. Aus diesem Grunde werden wir im dritten Kapitel als erstes Postulat formulieren: Der quantenmechanische Zustand eines beliebigen physikalischen Systems wird durch einen Zustandsvektor beschrieben, der zum Zustandsraum H des Systems geh¨ort. Hier entwickeln wir den Vektorkalk¨ul in H. Die Begriffe und Aussagen gelten f¨ur jedes System, doch werden wir nur den einfachen Fall eines Teilchens (ohne Spin) be-
92
2 Der mathematische Rahmen
trachten. Wir f¨uhren zun¨achst die Dirac-Schreibweise ein, die sich bei den formalen ¨ Uberlegungen als besonders zweckm¨aßig und bequem erweist.
2.2.2 Ket- und Bravektoren Die Elemente von H Notation. Ein beliebiges Element oder einen beliebigen Vektor des Raumes H nennen wir Ketvektor oder einfach Ket. Wir bezeichnen ihn durch das Symbol | , in das wir ein bestimmtes Zeichen oder eine Zeichenfolge einsetzen, um den Ket von anderen Kets unterscheiden zu k¨onnen; so schreiben wir z. B. |ψ. Um den Zusammenhang mit dem uns inzwischen vertrauten Begriff der Wellenfunktion herzustellen, definieren wir den Zustandsraum Hr eines Teilchens, indem wir jeder quadratisch integrierbaren Funktion ψ(r) einen Ketvektor |ψ ∈ Hr zuordnen: ψ(r) ∈ F ⇐⇒ |ψ ∈ Hr .
(2.74)
Im Weiteren u¨ bertragen wir die verschiedenen Operationen, die wir f¨ur den Funktionenraum F kennengelernt haben, auf den Zustandsraum Hr . Wir unterscheiden diese beiden R¨aume sorgf¨altig, obwohl sie zueinander isomorph sind. Wir halten fest, dass in |ψ keine Abh¨angigkeit von r angegeben ist, also nur der Buchstabe ψ auftritt. Die zugeh¨orige Funktion ψ(r) wird in Abschnitt 2.5 als die Gesamtheit der Komponenten des Kets |ψ in Bezug auf eine spezielle Basis interpretiert. Der Vektor r spielt dabei die Rolle eines kontinuierlichen Index, s. Abschnitt 2.1.3 und Tab. 2.2. In entsprechender Weise wollen wir im Folgenden vorgehen: Wir f¨uhren einen Vektor ein, indem wir zun¨achst seine Komponenten in Bezug auf ein spezielles Achsensystem angeben, um dann von diesem Bezug wie von dem auf die anderen m¨oglichen Systeme abzusehen. Mit Hx bezeichnen wir den Zustandsraum eines Teilchens (ohne Spin) im eindimensionalen Fall, bei dem die zugeh¨orige Wellenfunktion nur von der Ver¨anderlichen x abh¨angt. Skalarprodukt. Zwei Kets |ϕ und |ψ ordnet man (in dieser Reihenfolge) eine komplexe Zahl, ihr Skalarprodukt (|ϕ, |ψ), mit den Eigenschaften (2.5) bis (2.7) zu. Nach Einf¨uhrung des Begriffs des Bra“-Vektors werden wir diese Beziehungen in die Dirac” Notation umschreiben. Im Raum Hr stimmt das Skalarprodukt zweier Kets mit dem Skalarprodukt der zugeh¨origen Wellenfunktionen u¨ berein, wie wir es weiter oben definiert haben.
Die Elemente des dualen Raumes H∗ Definition des dualen Raumes H∗ . Ein lineares Funktional χ u¨ ber dem Raum H ist eine lineare Operation, die jedem Ket |ψ eine komplexe Zahl zuordnet:
2.2 Zustandsraum und Dirac-Schreibweise
93
χ
|ψ ∈ H −→ Zahl χ(|ψ), χ(λ1 |ψ1 + λ2 |ψ2 ) = λ1 χ(|ψ1 ) + λ2 χ(|ψ2 ).
(2.75)
Man verwechsle ein lineares Funktional nicht mit einem linearen Operator. Zwar handelt es sich in beiden F¨allen um eine lineare Operation. W¨ahrend aber beim Funktional jedem Ket eine komplexe Zahl zugeordnet wird, ist dies bei einem Operator jeweils ein Ket. Es kann gezeigt werden, dass die Gesamtheit der auf den Kets |ψ ∈ H definierten linearen Funktionale einen Vektorraum, den zu H dualen Raum, bildet. Man bezeichnet ihn mit H∗ . Bravektoren. Ein beliebiger Vektor aus dem Raum H∗ heißt Bravektor oder einfach Bra. Man symbolisiert ihn durch |. So bezeichnet z. B. der Bra χ| das lineare Funktional χ, und wir verstehen von nun an unter χ|ψ die Zahl, die man erh¨alt, wenn man das lineare Funktional χ| ∈ H∗ auf den Ket |ψ ∈ H anwendet: χ(|ψ) = χ|ψ.
(2.76)
Die Bezeichnungen Bra“ und Ket“ r¨uhren vom angels¨achsischen bracket f¨ur Klam” ” mer her. Der linke Teil der Klammer entspricht dem Bra, der rechte dem Ket.
Zusammenhang zwischen Kets und Bras Jedem Ket entspricht ein Bra. Aufgrund der Existenz eines Skalarprodukts im Raum H k¨onnen wir nun zeigen, dass man jedem Ket |ϕ ∈ H ein Element aus H∗ , also einen Bra, zuordnen kann; wir bezeichnen ihn mit ϕ|. Man kann n¨amlich mit jedem Ket |ϕ ein lineares Funktional definieren, indem man dem Ket |ψ ∈ H (linear) durch das Skalarprodukt (|ϕ, |ψ) eine komplexe Zahl zuordnet. Nennen wir dieses Funktional ϕ|, so ist es also durch die Beziehung ϕ| ψ = (|ϕ, |ψ)
(2.77)
definiert. Der Zusammenhang ist antilinear. Das Skalarprodukt ist im Raum H in Bezug auf den vorderen Faktor antilinear. Wegen (λ1 |ϕ1 + λ2 |ϕ2 , |ψ) = λ∗1 (|ϕ1 , |ψ) + λ∗2 (|ϕ2 , |ψ) = λ∗1 ϕ1 |ψ + λ∗2 ϕ2 |ψ = (λ∗1 ϕ1 | + λ∗2 ϕ2 |)|ψ
(2.78)
ist dem Ket λ1 |ϕ1 + λ2 |ϕ2 der Bra λ∗1 ϕ1 | + λ∗2 ϕ2 | zugeordnet: λ1 |ϕ1 + λ2 |ϕ2 =⇒ λ∗1 ϕ1 | + λ∗2 ϕ2 |.
(2.79)
94
2 Der mathematische Rahmen
Bemerkung Ist λ eine komplexe Zahl und |ψ ein Ket, so ist auch λ|ψ ein Ket (denn H ist ein Vektorraum). Man schreibt darum auch |λψ = λ|ψ .
(2.80)
Dann stellt λψ| den zum Ket |λψ geh¨orenden Bra dar. Weil der Zusammenhang zwischen Ket und Bra antilinear ist, gilt
λψ| = λ∗ ψ|.
(2.81)
Dirac-Schreibweise fur ¨ das Skalarprodukt. F¨ur das Skalarprodukt von |ψ mit |ϕ verf¨ugen wir jetzt u¨ ber zwei verschiedene Schreibweisen, n¨amlich (|ϕ, |ψ) oder ϕ|ψ, wobei ϕ| der zum Ket |ϕ geh¨orende Bravektor ist. Von nun an verwenden wir nur noch die auf Dirac zur¨uckgehende Schreibweise ϕ|ψ. In ihr lauten die bereits in den Gleichungen (2.5) bis (2.7) angegebenen Eigenschaften ϕ|ψ = ψ|ϕ∗ ,
(2.82)
ϕ|λ1 ψ1 + λ2 ψ2 = λ1 ϕ|ψ1 + λ2 ϕ|ψ2 ,
(2.83)
λ1 ϕ1 + λ2 ϕ2 |ψ = λ∗1 ϕ1 |ψ + λ∗2 ϕ2 |ψ,
(2.84)
ψ|ψ reell, positiv und null genau dann, wenn |ψ = 0.
(2.85)
Gibt es zu jedem Bra einen Ket? Zu jedem Ketvektor gibt es einen Bravektor. An zwei Beispielen zeigen wir, dass es umgekehrt Bravektoren geben kann, zu denen kein Ket geh¨ort. 1. Beispiele (ε) Der Einfachheit halber beschr¨anken wir uns auf den eindimensionalen Fall. Es sei ξx0 (x) +∞ (ε) dx ξx0 (x) = 1 ist, und die an der Stelle eine hinreichend regul¨are Funktion, f¨ur die −∞
x = x0 ein Maximum mit der Breite ε und der H¨ohe 1/ε aufweist, s. Abb. 2.1 und An(ε) hang II, Abschnitt II.1. Ist ε = 0, so geh¨ort ξx0 (x) zu Fx (das Normquadrat ist von der (ε) Gr¨oßenordnung 1/ε). Mit |ξx0 bezeichnen wir den zugeh¨origen Ketvektor: (x) ⇐⇒ |ξx(ε) . ξx(ε) 0 0
(2.86)
(ε)
(ε)
F¨ur ε = 0 gilt |ξx0 ∈ Hx . Es sei ξx0 | der zu diesem Ket geh¨orende Bravektor. F¨ur jedes |ψ ∈ Hx hat man +∞ (ε) |ψ = (ξ , ψ) = dx ξx(ε) (x)ψ(x). (2.87) ξx(ε) x0 0 0 −∞
Lassen wir jetzt ε gegen null gehen, so ist einerseits lim ξx(ε) (x) = ξx0 (x) ∈ Fx , 0
→0
(2.88)
2.2 Zustandsraum und Dirac-Schreibweise
95
(ε)
Abb. 2.1 ξx0 (x) ist eine Funktion, die an der Stelle x = x0 ein Maximum mit der Breite ε und der H¨ohe 1/ε aufweist und deren Integral u¨ ber die gesamte x-Achse gleich eins ist.
(ε)
denn ξx0 (x) ist von der Ordnung 1/ε, so dass das Normquadrat f¨ur ε → 0 divergiert. Andererseits strebt das Integral f¨ur ε → 0 gegen den endlichen Wert ψ(x0 ), weil man f¨ur hinreichend kleine ε in Gl. (2.87) ψ(x) durch ψ(x0 ) ersetzen und vor das Integral ziehen (ε) kann. Folglich geht ξx0 | gegen einen bestimmten Bra, den wir mit ξx0 | kennzeichnen: Er ist das lineare Funktional, das jedem Ket |ψ ∈ Hx den Wert ψ(x0 ) zuordnet: lim ξx(ε) | = ξx0 | ∈ Hx∗ , 0
ε→0
f¨ur |ψ ∈ Hx ist ξx0 |ψ = ψ(x0 ).
(2.89)
Wir sehen also, dass der Bravektor ξx0 | existiert, ohne dass ihm ein Ket entspricht. In einem zweiten Beispiel betrachten wir eine endliche ebene Welle, f¨ur die innerhalb eines Intervalls der Breite L L 1 L (2.90) eip0 x/¯h , − ≤ x ≤ + , (x) = √ vp(L) 0 2 2 2π¯ h gilt, w¨ahrend sie außerhalb dieses Intervalls (stetig und differenzierbar) rasch gegen null (L) geht. Den zugeh¨origen Ket bezeichnen wir mit |vp0 : vp(L) (x) ∈ Fx ⇐⇒ |vp(L) ∈ Hx . 0 0
(2.91)
(L)
Das Quadrat der Norm von vp0 ist von der Gr¨oßenordnung L/2π¯h und divergiert f¨ur L → ∞. Also gilt ∈ Hx . lim |vp(L) 0
(2.92)
L→∞
(L)
(L)
F¨ur den zu |vp0 geh¨orenden Bra vp0 | haben wir dagegen +L/2 1 (L) (L) vp0 |ψ = (vp0 , ψ) ≈ dx e−ip0 x/¯h ψ(x), 2π¯h −L/2
|ψ ∈ Hx .
(2.93)
Hier existiert der Grenzwert f¨ur L → ∞: Er ist gleich dem Wert ψ(p0 ) der Fourier(L) Transformierten ψ(p) von ψ(x) an der Stelle p = p0 . Also strebt vp0 | f¨ur L → ∞ gegen einen bestimmten Bravektor vp0 |:
96
2 Der mathematische Rahmen lim vp(L) | = vp0 | ∈ Hx∗ , 0
L→∞
f¨ur |ψ ∈ Hx ist vp0 |ψ = ψ(p0 ).
(2.94)
Wiederum entspricht dem Bra vp0 | kein Ket. 2. Physikalische Deutung Wie hier an zwei Beispielen gezeigt wurde, hat die Asymmetrie im Zusammenhang von Kets und Bras ihre Ursache in der Existenz kontinuierlicher“ Basen im Funktionenraum ” Fx : Die Elemente dieser Basen geh¨oren nicht zu Fx , und man kann ihnen keinen Ketvektor aus dem Zustandsraum Hx zuordnen. Weil aber ihr Skalarprodukt mit einer beliebigen Funktion aus Fx definiert ist, kann man ihnen ein lineares Funktional in Hx , d. h. einen Bravektor im dualen Raum Hx∗ zuweisen. Derartige kontinuierliche Basen“ verwendet ” man, weil sie f¨ur praktische Rechnungen sehr bequem sind. Aus demselben Grund stellt man durch die Einf¨uhrung verallgemeinerter Ketvektoren“ die Symmetrie zwischen Kets ” und Bras her, indem man von nicht quadratisch integrierbaren Funktionen ausgeht, f¨ur die jedoch das Skalarprodukt f¨ur jede Funktion aus Fx existiert. Wir werden darum im folgenden mit Kets“ wie |ξx0 oder |vp0 arbeiten, die zu ξx0 (x) bzw. vp0 (x) geh¨oren. Wir ” d¨urfen aber nicht vergessen, dass diese verallgemeinerten Kets“ in Strenge keinem physi” kalischen Zustand entsprechen. Sie sind lediglich rechnerische Hilfsmittel f¨ur bestimmte Operationen, die mit den tats¨achlichen Kets aus dem Raum Hx durchzuf¨uhren sind; nur diese charakterisieren realisierbare Quantenzust¨ande. Bei Verwendung der uneigentlichen Kets ergeben sich eine Reihe von mathemati¨ schen Problemen, die man durch die folgende physikalische Uberlegung umgehen kann: (ε) (L) Die Ketvektoren |ξx0 bzw. |vp0 kennzeichnen letztlich die Kets |ξx0 bzw. |vp0 , bei denen ε eine sehr kleine L¨ange (bzw. L eine sehr große L¨ange) in Bezug auf s¨amtliche Entfernungen bedeutet, die bei dem zu behandelnden Problem eine Rolle spielen. Bei (ε) (L) allen Zwischenrechnungen, in denen |ξx0 bzw. |vp0 auftreten, geht man niemals zur Grenze ε → 0 bzw. L → ∞ u¨ ber, so dass man stets im Raum Hx arbeitet. Das physikalische Ergebnis, das man schließlich am Ende der Rechnungen erh¨alt, ist hinsichtlich des Wertes von ε wenig empfindlich, wenn dieser nur gegen¨uber allen anderen L¨angen hinreichend klein ist. Darum darf man ε einfach gleich null setzen; eine entsprechende ¨ Uberlegung gilt f¨ur L. (ε)
(L)
Nun k¨onnte man einwenden, die Funktionenmengen {ξx0 (x)} und {vp0 (x)} bildeten im Gegensatz zu {ξx0 (x)} und {vp0 (x)} keine Basen in Fx , weil sie der Vollst¨andigkeitsrelation nicht in Strenge, sondern nur n¨aherungsweise gen¨ugen. Zum Beispiel ist ! (ε) (ε) der Ausdruck dx0 ξx0 (x)ξx0 (x ) eine Funktion von (x − x ), die die Deltafunktion δ(x − x ) dann ausgezeichnet approximiert, wenn ε gen¨ugend klein ist: Ihr Graph ist praktisch ein Dreieck mit der Basis 2ε und der H¨ohe 1/ε, das um die Stelle x − x = 0 konzentriert ist, s. Anhang II, Abschnitt II.1. Ist darum ε gegen¨uber den anderen auftretenden L¨angen des jeweiligen Problems vernachl¨assigbar, so kann man den Unterschied zu δ(x − x ) im physikalischen Sinne vernachl¨assigen.
2.2 Zustandsraum und Dirac-Schreibweise
97
Allgemein ist der zu H duale Raum H∗ nur dann zu ihm isomorph, wenn er endlichdimensional ist:5 Wenn zu jedem Ket |ψ ∈ H ein Bravektor ψ| ∈ H∗ geh¨ort, so gilt das Umgekehrte nicht. Wir werden dennoch außer den zu H geh¨orenden Vektoren (mit endlicher Norm) verallgemeinerte Kets mit unendlicher Norm verwenden, f¨ur die jedoch das Skalarprodukt mit jedem Ket aus H endlich ist. Dann geh¨ort zu jedem Bra ψ| ∈ H∗ ein Ket. Wir betonen aber noch einmal, dass die verallgemeinerten Kets keine physikalischen Zust¨ande des Systems repr¨asentieren.
2.2.3 Lineare Operatoren Definitionen Die Definitionen sind die gleichen wie die in Abschnitt 2.1.1. Ein linearer Operator ordnet jedem |ψ ∈ H einen Ket |ψ ∈ H so zu, dass der Zusammenhang linear ist: |ψ = A|ψ,
(2.95)
A(λ1 |ψ1 + λ2 |ψ2 ) = λ1 A|ψ1 + λ2 A|ψ2 .
(2.96)
Das Produkt zweier linearer Operatoren A und B, das wir mit AB bezeichnen, ist definiert durch die Gleichung (AB)|ψ = A(B|ψ).
(2.97)
Zun¨achst wirkt also B auf |ψ und liefert den Ket B|ψ; danach wirkt A auf B|ψ. Im Allgemeinen ist AB = BA. Unter dem Kommutator verstehen wir die Differenz [A, B] = AB − BA.
(2.98)
Sind |ϕ und |ψ zwei Kets, so nennen wir das Skalarprodukt ϕ|(A|ψ)
(2.99)
das Matrixelement von A zwischen |ϕ und |ψ. Es ist also eine Zahl, die linear von |ψ und antilinear von |ϕ abh¨angt.
Projektoren Wichtige Bemerkung zur Dirac-Schreibweise. Die Einfachheit und Zweckm¨aßigkeit des Diracschen Formalismus ist offensichtlich. Der Bra ϕ| bezeichnet ein lineares Funktional und ψ1 |ψ2 das Skalarprodukt der beiden Kets |ψ1 und |ψ2 . Die Zahl, die das lineare Funktional ϕ| einem beliebigen Ket |ψ zuordnet, dr¨uckt man dann einfach durch 5 Wir wissen, dass der zum Hilbert-Raum L2 duale Raum zu ihm isomorph ist, doch ist der von uns eingef¨uhrte Raum F der Wellenfunktionen ein Unterraum von L2 . Dies erkl¨art, warum F ∗ viel gr¨oßer“ als F ” ist.
98
2 Der mathematische Rahmen
das Nebeneinanderstellen der Symbole ϕ| und |ψ, also durch ϕ|ψ aus. Sie ist demnach das Skalarprodukt von |ψ mit dem zu ϕ| geh¨orenden Ket |ϕ (hierin liegt u¨ brigens das Interesse an einem umkehrbar eindeutigen Zusammenhang zwischen Kets und Bras). Wir nehmen nun an, dass wir ϕ| und |ψ in der umgekehrten Reihenfolge schreiben: |ψϕ|.
(2.100)
Wenn wir uns an die Regel des Aneinandersetzens der Symbole halten, stellt dieser Ausdruck einen Operator dar. Betrachten wir n¨amlich |ψϕ|χ,
(2.101)
wobei |χ ein weiterer beliebiger Ket ist, so wissen wir bereits, dass ϕ|χ eine komplexe Zahl ist. Folglich bezeichnet Gl. (2.101) einen Ket, den man erh¨alt, indem man |ψ mit dem Skalar ϕ|χ multipliziert. Die Anwendung von |ψϕ| auf einen Ket f¨uhrt zu einem anderen Ket und stellt deshalb einen Operator dar. Die Reihenfolge der Symbole ist also wesentlich. Nur komplexe Zahlen d¨urfen ihren Platz wechseln, ohne dass sich etwas a¨ ndert. Dies hat seinen Grund in der Linearit¨at des Raumes H und der Verwendung von ausschließlich linearen Operatoren. Mit einer Zahl λ gilt |ψλ = λ|ψ, ψ|λ = λψ|, Aλ|ψ = λA|ψ, wobei A ein linearer Operator ist, ϕ|λ|ψ = λϕ|ψ = ϕ|ψλ.
(2.102)
Bei Kets, Bras und Operatoren muss dagegen stets auf die Reihenfolge geachtet werden. Dies ist der Preis f¨ur die Einfachheit der Dirac-Schreibweise. Anwendung des Projektors Pψ auf einen Ket |ψ. Ketvektor: ψ|ψ = 1.
Es sei |ψ ein auf eins normierter (2.103)
Wir betrachten den Operator Pψ = |ψψ|
(2.104)
und wenden ihn auf einen beliebigen Ket |ϕ an: Pψ |ϕ = |ψψ|ϕ.
(2.105)
Wir erhalten also einen zu |ψ proportionalen Ket, wobei der Proportionalit¨atsfaktor ψ|ϕ gerade das Skalarprodukt von |ϕ mit |ψ ist. Geometrisch“ bedeutet also die ” Anwendung von Pψ die Orthogonalprojektion“ auf den Ket |ψ. ”
2.2 Zustandsraum und Dirac-Schreibweise
99
Diese Interpretation wird durch die Tatsache gest¨utzt, dass Pψ2 = Pψ ist (die zweifache Projektion auf einen Vektor ist gleichwertig zur einfachen Projektion auf diesen Vektor). Es ist n¨amlich Pψ2 = Pψ Pψ = |ψψ|ψψ|.
(2.106)
In diesem Ausdruck ist ψ|ψ die Zahl 1, s. Gl. (2.103). So wird Pψ2 = |ψψ| = Pψ .
(2.107)
Anwendung des Projektors auf einen Unterraum. Es seien |ϕ1 , |ϕ2 , . . . , |ϕq q normierte und paarweise orthogonale Vektoren: ϕi |ϕj = δij ; i, j = 1, 2, . . . , q.
(2.108)
Den von q aufgespannten Unterraum bezeichnen wir mit Hq . Dann sei Pq der durch Pq =
q
|ϕi ϕi |
(2.109)
i=1
definierte lineare Operator. Wir bestimmen Pq2 : Pq2 =
q q
|ϕi ϕi |ϕj ϕj |,
(2.110)
i=1 j=1
was wegen Gl. (2.108) zu Pq2 =
q q
|ϕi ϕj |δij =
i=1 j=1
q
|ϕi ϕi | = Pq
(2.111)
i=1
f¨uhrt. Pq ist also ein Projektor. Man erkennt leicht, dass dieser Operator auf den Unterraum Hq projiziert: F¨ur einen beliebigen Vektor |ψ ∈ H gilt Pq |ψ =
q
|ϕi ϕi |ψ.
(2.112)
i=1
Die Wirkung von Pq auf |ψ liefert demnach die lineare Superposition der Projektionen von |ψ auf die verschiedenen |ϕi , also die Projektion von |ψ auf den Unterraum Hq .
2.2.4 Hermitesche Konjugation Wirkung eines linearen Operators auf einen Bravektor Bisher haben wir nur die Wirkung eines linearen Operators A auf Ketvektoren erkl¨art. Wir wollen jetzt zeigen, wie man auch die Wirkung von A auf Bravektoren definieren kann.
100
2 Der mathematische Rahmen
Wir betrachten einen wohlbestimmten Bravektor ϕ| und die Menge aller Ketvektoren |ψ. Jedem dieser Kets k¨onnen wir die komplexe Zahl ϕ|(A|ψ) zuordnen, die wir bereits weiter oben als das Matrixelement von A zwischen |ϕ und ψ| definiert haben. Weil A ein linearer Operator ist und das Skalarprodukt linear vom Ket abh¨angt, h¨angt auch die Zahl ϕ|(A|ψ) linear von |ψ ab. Wir k¨onnen so bei festem |ϕ und A jedem Ket |ψ eine Zahl zuordnen, die linear von |ψ abh¨angig ist. Die Vorgabe von ϕ| und A definiert demnach u¨ ber die Kets von H ein neues lineares Funktional, d. h. einen neuen, zum dualen Raum H∗ geh¨orenden Bravektor. Wir werden ihn mit ϕ|A bezeichnen. Die Definitionsgleichung lautet damit (ϕ|A)|ψ = ϕ|(A|ψ).
(2.113)
Der Operator A ordnet jedem Bra ϕ| einen neuen Bra ϕ|A zu. Wir zeigen, dass der Zusammenhang linear ist, und betrachten hierzu eine Linearkombination der Bravektoren ϕ1 | und ϕ2 |: χ| = λ1 ϕ1 | + λ2 ϕ2 |,
(2.114)
d. h. es ist χ|ψ = λ1 ϕ1 |ψ + λ2 ϕ2 |ψ. Nach Gl. (2.113) ist dann (χ|A)|ψ = χ|(A|ψ) = λ1 ϕ1 |(A|ψ) + λ2 ϕ2 |(A|ψ) = λ1 (ϕ1 |A)|ψ + λ2 (ϕ2 |A)|ψ.
(2.115)
Weil |ψ beliebig ist, folgt hieraus χ|A = (λ1 ϕ1 | + λ2 ϕ2 |)A = λ1 ϕ1 |A + λ2 ϕ2 |A.
(2.116)
Durch Gl. (2.113) wird also u¨ ber die Bravektoren eine lineare Operation definiert. ϕ|A ist der Bra, der sich durch die Wirkung des linearen Operators A auf den Bra ϕ| ergibt. Bemerkungen 1. Aus der Definition (2.113) von ϕ|A erkennt man, dass die Klammern entfallen k¨onnen. Daher werden wir im Folgenden f¨ur dieses Matrixelement ϕ|A|ψ schreiben:
ϕ|A|ψ = ( ϕ|A)|ψ = ϕ|(A|ψ ).
(2.117)
2. In dem Ausdruck ϕ|A kommt es auf die Reihenfolge von ϕ| und A wesentlich an. Wir d¨urfen f¨ur ϕ|A nicht etwa A ϕ| schreiben. Die Wirkung von ϕ|A auf einen Ket |ψ ergibt n¨amlich eine Zahl ϕ|A|ψ ; ϕ|A ist demnach ein Bravektor. Dagegen w¨urde A ϕ|, angewendet auf einen Ket |ψ , den Ausdruck A ϕ|ψ liefern. Das ist aber ein Operator, n¨amlich der mit der Zahl ϕ|ψ multiplizierte Operator A. Ein derartiges (mathematisches) Objekt haben wir aber nicht definiert; der Ausdruck A ϕ| hat keine Bedeutung.
2.2 Zustandsraum und Dirac-Schreibweise
101
Adjungierter Operator In Abschnitt 2.2.2 hatten wir den Zusammenhang zwischen den Ket- und den Bravektoren untersucht. Wir zeigen jetzt, dass es dieser Zusammenhang erlaubt, jedem linearen Operator A einen anderen linearen Operator A† zuzuordnen, den man den zu A adjungierten (oder hermitesch konjugierten) Operator nennt. Der Operator A ordnet einem beliebigen Ket |ψ aus dem Raum H einen anderen Ket |ψ zu, s. Abb. 2.2. Weiter entspricht jedem Ket |ψ ein Bravektor ψ| und ebenso jedem |ψ ein ψ |. Dieser Zusammenhang zwischen den Kets und den Bras erlaubt dann die Definition der Wirkung des Operators A† auf die Bravektoren: Geh¨ort der Bra ψ| zum Ket |ψ, so ordnet der Operator A† den Bra ψ | dem Ket |ψ = A|ψ zu; man schreibt ψ | = ψ|A† .
Abb. 2.2 Definition des zum Operator A adjungierten Operators A† u¨ ber den Zusammenhang zwischen Ket- und Bravektoren.
Die Beziehung ψ | = ψ|A† ist linear. Zum Bra λ1 ψ1 | + λ2 ψ2 | geh¨ort der Ket weil der Zusammenhang zwischen einem Bra und einem Ket antilinear ist. Der Operator A transformiert λ∗1 |ψ1 + λ∗2 |ψ2 in λ∗1 A|ψ1 + λ∗2 A|ψ2 = λ∗1 |ψ1 + λ∗2 |ψ2 . Zu diesem Ket geh¨ort schließlich der Bra λ1 ψ1 | + λ2 ψ2 | = λ1 ψ1 |A† + λ2 ψ2 |A† . Daraus schließt man, dass λ∗1 |ψ1 + λ∗2 |ψ2 ,
(λ1 ψ1 | + λ2 ψ2 |)A† = λ1 ψ1 |A† + λ2 ψ2 |A† .
(2.118)
A† ist daher ein linearer Operator, der durch die Beziehung |ψ = A|ψ ⇐⇒ ψ | = ψ|A†
(2.119)
definiert ist. Aus diesem Zusammenhang leitet man leicht eine weitere wichtige Relation her, der der Operator A† gen¨ugt. Aus den Eigenschaften des Skalarprodukts ergibt sich n¨amlich mit einem beliebigen Ket |ϕ ∈ H, dass ψ |ϕ = ϕ|ψ ∗ .
(2.120)
Dann folgt mit Gl. (2.119) f¨ur beliebige Kets |ϕ und |ψ ψ|A† |ϕ = ϕ|A|ψ∗ .
(2.121)
Bemerkung zur Schreibweise In einer Bemerkung weiter oben zu den Gl. (2.80) und (2.81) stellten wir fest, wie wir aus dem Ket
102
2 Der mathematische Rahmen
|λψ und dem Bra λψ| den skalaren Faktor λ herausziehen d¨urfen. Ein entsprechendes Problem ergibt sich bei den Ausdr¨ucken |Aψ und Aψ|, wobei A einen linearen Operator bedeutet. |Aψ ist lediglich eine andere Schreibweise f¨ur den Ket A|ψ : |Aψ = A|ψ .
(2.122)
Aψ| ist der zum Ket |Aψ geh¨orende Bravektor. Aus Gl. (2.122) und Gl. (2.119) ersieht man, dass
Aψ| = ψ|A†
(2.123)
ist. Will man also einen (linearen) Operator A aus einem Bra herausziehen, so muss man ihn durch seinen adjungierten Operator A† ersetzen und ihn rechts vom Bra ψ| anschreiben.
Eigenschaften des adjungierten Operators Mit Verwendung von Gl. (2.119) und Gl. (2.121) zeigt man leicht die folgenden Eigenschaften: (A† )† = A,
(2.124)
(λA)† = λ∗ A† , λ ist eine komplexe Zahl,
(2.125)
(A + B)† = A† + B † .
(2.126)
Um schließlich den zum Produkt (AB) adjungierten Operator (AB)† zu bestimmen, betrachten wir den Ket |ϕ = AB|ψ. Mit |χ = B|ψ schreiben wir ihn in der Form |ϕ = A|χ. Dann ist ϕ| = ψ|(AB)† = χ|A† = ψ|B † A† , denn es gilt χ| = ψ|B † . Hieraus erhalten wir (AB)† = B † A† .
(2.127)
Es a¨ ndert sich also die Reihenfolge der Faktoren. Bemerkung Wegen (A† )† = A kann man nach Gl. (2.123) auch
A† ϕ| = ϕ|(A† )† = ϕ|A schreiben und die linke Seite von Gl. (2.113) auf die Form A† ϕ|ψ bringen. Entsprechend kann die rechte Seite dieser Gleichung wegen Gl. (2.122) in der Form ϕ|Aψ geschrieben werden. Hieraus ergibt sich eine Beziehung, die manchmal f¨ur die Definition des zu A adjungierten Operators A† benutzt wird:
A† ϕ|ψ = ϕ|Aψ .
(2.128)
2.2 Zustandsraum und Dirac-Schreibweise
103
Hermitesche Konjugation in der Dirac-Schreibweise Den Begriff des adjungierten Operators haben wir unter Verwendung des Zusammenhangs zwischen Kets und Bras eingef¨uhrt. Man sagt, dass der Ket |ψ und der zugeh¨orige Bra ψ| zueinander hermitesch konjugiert“ sind. In Abb. 2.2 haben wir diese Operation ” der hermiteschen Konjugation durch eine Wellenlinie angedeutet; man erkennt, dass sie A† dem Operator A zuordnet. Aus diesem Grunde nennt man A† auch den zu A hermitesch konjugierten Operator. Durch das Bilden des hermitesch Konjugierten a¨ ndert sich die Reihenfolge der Objekte. So sehen wir in Abb. 2.2, dass A|ψ in ψ|A† u¨ bergeht: Aus dem Ket |ψ wird der Bra ψ|, aus A wird A† und die Reihenfolge wird umgekehrt. Entsprechend vertauschen bei einem Produkt aus zwei Operatoren nach Gl. (2.127) die Faktoren ihre Pl¨atze. Wir zeigen weiter, dass (|uv|)† = |vu|
(2.129)
ist; man ersetzt also |u durch u|, v| durch |v und vertauscht die Reihenfolge. Hierzu wenden wir die Beziehung (2.121) auf den Operator |uv| an. Es wird ψ|(|uv|)† |ϕ = [ϕ|(|uv|)|ψ]∗
(2.130)
und weiter mit Ber¨ucksichtigung von Gl. (2.82) [ϕ|(|uv|)|ψ]∗ =ϕ|u∗ v|ψ∗ = ψ|vu|ϕ =ψ|(|vu|)|ϕ.
(2.131)
Hieraus folgt dann Gl. (2.129). Schließlich bleibt festzustellen, dass wegen Gl. (2.79) und Gl. (2.125) die hermitesche Konjugation einer Konstanten λ diese einfach in die konjugiert komplexe Zahl λ∗ trans¨ formiert. Dies ist mit der Tatsache in Ubereinstimmung, dass ϕ|ψ∗ = ψ|ϕ gilt. Also ist das hermitesch Konjugierte eines Kets ein Bra und umgekehrt, die hermitesche Konjugation eines Operators f¨uhrt zu dem zu ihm adjungierten Operator und eine Zahl geht in die zu ihr konjugiert komplexe Zahl u¨ ber. In der Dirac-Schreibweise ist diese Operation sehr einfach auszuf¨uhren; man hat lediglich die folgende Regel anzuwenden: Regel Man bildet von einem beliebigen Ausdruck, der Konstanten, Kets, Bras und Operatoren enth¨alt, den dazu hermitesch konjugierten (oder adjungierten) Ausdruck, indem man – die Konstanten durch ihr konjugiert Komplexes, – die Kets durch die zugeh¨origen Bras, – die Bras durch die zugeh¨origen Kets, – die Operatoren durch die dazu adjungierten Operatoren ersetzt und die Reihenfolge der Faktoren umkehrt. Dabei ist die Anordnung der Konstanten beliebig.
104
2 Der mathematische Rahmen
Beispiele Nach dieser Regel wird aus λu|A|v|wψ| der Operator |ψw|v|A† |uλ∗ , wof¨ur man weiter λ∗ v|A† |u|ψw| schreiben kann. Der Ketvektor λ|uv|w wird in den Bravektor w|vu|λ∗ bzw. λ∗ w|vu| transformiert.
Hermitesche Operatoren Ist ein Operator A gleich dem zu ihm adjungierten Operator A† , A = A† ,
(2.132)
so heißt er ein hermitescher Operator. Wenn wir dies in Gl. (2.121) einsetzen, so sehen wir, dass ein hermitescher Operator die Beziehung ψ|A|ϕ = ϕ|A|ψ∗
(2.133)
f¨ur beliebige |ϕ und |ψ erf¨ullt. Weiter ergibt sich f¨ur ihn aus Gl. (2.128), dass Aϕ|ψ = ϕ|Aψ
(2.134)
gilt. Auf hermitesche Operatoren werden wir sp¨ater im Zusammenhang mit dem Eigenwertproblem detailliert eingehen. Sie spielen in der Quantenmechanik eine grundlegende Rolle. Setzt man in Gl. (2.129) |u = |v = |ψ, so erkennt man, dass der Projektionsoperator Pψ = |ψψ| hermitesch ist: Pψ† = |ψψ| = Pψ .
(2.135)
Bemerkung Das Produkt aus zwei hermiteschen Operatoren ist nur dann hermitesch, wenn der Kommutator [A, B] = 0 ist. Wenn n¨amlich A = A† und B = B † gilt, so ist nach Gl. (2.127) (AB)† = B † A† = BA, und dies ist nur dann gleich AB, wenn die beiden Operatoren vertauschen.
2.3 Darstellungen im Zustandsraum 2.3.1 Definition einer Darstellung Unter einer Darstellung im Zustandsraum H verstehen wir eine orthonormierte (diskrete oder kontinuierliche) Basis. Die Vektoren und Operatoren werden nach Wahl einer derartigen Darstellung durch Zahlen repr¨asentiert: die Vektoren durch ihre Komponenten und die Operatoren durch Matrixelemente. Aus dem im vorhergehenden Abschnitt eingef¨uhrten Vektorkalk¨ul wird dann ein Matrixkalk¨ul. Die Wahl einer Darstellung ist im
2.3 Darstellungen im Zustandsraum
105
Prinzip willk¨urlich, doch wird man sie je nach dem zu untersuchenden Problem so treffen, dass sich die Rechnungen m¨oglichst einfach gestalten. In diesem Abschnitt wollen wir die in Abschnitt 2.1.2 und 2.1.3 eingef¨uhrten Begriffe und Zusammenh¨ange u¨ ber diskrete und kontinuierliche Basen im Raum F in die Diracsche Notation und f¨ur beliebige R¨aume H u¨ bertragen. Zun¨achst schreiben wir die beiden f¨ur eine Basis charakteristischen Relationen, also die Orthonormierungsbedingungen und die Vollst¨andigkeitsrelation an. Darauf zeigen wir, wie man von diesen Beziehungen ausgehend, alle konkreten Probleme in Bezug auf eine Basis behandeln kann und wie man ¨ weiter den Ubergang von einer Basis zu einer anderen vollzieht.
2.3.2 Eigenschaften einer orthonormierten Basis Orthonormierungsbedingungen Eine diskrete Menge {|ui } bzw. kontinuierliche Menge {|wα } von Kets heißt orthonormiert, wenn ihre Elemente den Orthonormierungsbedingungen ui |uj = δij
(2.136)
wα |wα = δ(α − α )
(2.137)
bzw.
gen¨ugen. Wir sehen, dass f¨ur eine kontinuierliche Menge das Skalarprodukt wα |wα nicht existiert: Die |wα haben keine endliche Norm und geh¨oren demnach nicht zu H. Dennoch k¨onnen die Vektoren von H nach den |wα entwickelt werden, und es ist im Folgenden von Interesse, die |wα als verallgemeinerte Kets zuzulassen (dabei sei an die Diskussion in Abschnitt 2.1.3 und 2.2.2 erinnert).
Vollst¨andigkeitsrelation Eine diskrete Menge {|ui } bzw. kontinuierliche Menge {|wα } von Kets bildet eine Basis in H, wenn jeder Ket |ψ ∈ H auf genau eine Weise nach den |ui bzw. |wα entwickelt werden kann: ci |ui (2.138) |ψ = i
oder
|ψ =
dα c(α)|wα .
(2.139)
Wir nehmen u¨ berdies an, dass die Basis orthonormiert ist. Multiplizieren wir beide Seiten von Gl. (2.138) skalar mit uj | bzw. beide Seiten von Gl. (2.139) mit wα |, so ergeben
106
2 Der mathematische Rahmen
sich unter Ber¨ucksichtigung von Gl. (2.136) und Gl. (2.137) die Komponenten cj bzw. c(α ): uj |ψ = cj
(2.140)
wα |ψ = c(α ).
(2.141)
bzw. Ersetzen wir in Gl. (2.138) die ci durch ui |ψ und in Gl. (2.139) die c(α) durch wα |ψ, so wird ci |ui = ui |ψ|ui |ψ= i
=
i
|ui ui |ψ =
i
bzw.
|ui ui | |ψ
(2.142)
i
|ψ=
dα c(α)|wα =
dα wα |ψ|wα = dα |wα wα |ψ = dα |wα wα | |ψ.
(2.143)
Dabei haben wir von der M¨oglichkeit Gebrauch gemacht, dass wir in Gl. (2.142) die Zahl ui |ψ hinter den Ket |ui und in Gl. (2.143) die Zahl wα |ψ hinter den Ket |wα setzen d¨urfen. ! Wir erkennen aus diesen Gleichungen, dass die beiden Operatoren i |ui ui | und dα |wα wα |, angewendet auf einen Ket |ψ ∈ H, wieder diesen Ket ergeben. Bezeichnen wir mit 1 den Einheitsoperator in H, so gilt also |ui ui | = 1 (2.144) P{ui } = i
und
dα |wα wα | = 1.
P{wα } =
(2.145)
Die Beziehung (2.144) bzw. (2.145) heißt die Vollst¨andigkeitsrelation. Umgekehrt folgt aus diesen Gleichungen, dass die Menge {|ui } bzw. die Menge {|wα } eine Basis in H bildet. F¨ur jeden zu H geh¨orenden Ket |ψ gilt n¨amlich |ψ=1 |ψ = P{ui } |ψ = |ui ui |ψ =
i
ci |ui
(2.146)
i
mit ci = ui |ψ
(2.147)
2.3 Darstellungen im Zustandsraum und entsprechend
107
|ψ=1 |ψ = P{wα } |ψ = = dα c(α)|wα
dα |wα wα |ψ (2.148)
mit c(α) = wα |ψ.
(2.149)
So kann also jeder Ket auf genau eine Weise nach den |ui oder den |wα entwickelt werden. Jede Menge bildet eine (diskrete bzw. kontinuierliche) Basis. Bemerkungen 1. In Abschnitt 2.5 werden wir sehen, dass sich f¨ur den Raum F die Beziehungen (2.33) und (2.62) auf einfache Weise aus den Gl. (2.144) und (2.145) ergeben. ¨ 2. Die geometrische Deutung der Vollst¨andigkeitsrelation. Aufgrund der Uberlegungen in Ab schnitt 2.2.3 ist i |ui ui | ein Projektor, der auf den von den |u1 , |u2 , . . . , |ui , . . . aufgespannten Unterraum H projiziert. Weil die |ui in H eine Basis bilden und damit jeder Ket aus H nach ihnen entwickelt werden kann, ist der Unterraum H mit H identisch. Darum muss
|ui ui |
i
gleich dem Einheitsoperator sein: Projiziert man einen Ket, der zu H geh¨ort, auf diesen Raum H, ¨ so a¨ ndert er sich nicht. Eine entsprechende Uberlegung gilt f¨ur den Operator dα |wα wα |. Der Begriff der Vollst¨andigkeitsrelation findet sein Analogon im R3 , dem dreidimensionalen Raum der Geometrie. Sind e1 , e2 und e3 drei paarweise aufeinander senkrechte Einheitsvektoren und weiter P1 , P2 und P3 die Projektoren auf diese drei Vektoren, so kann man die Tatsache, dass die Menge {e1 , e2 , e3 } eine Basis im R3 bildet, durch die Beziehung P1 + P2 + P3 = 1
(2.150) 3
ausdr¨ucken. Dagegen stellt das orthonormierte Zweibein {e1 , e2 } keine Basis im R dar. Hier ist der Projektor P1 + P2 , der auf die von e1 und e2 aufgespannte Ebene projiziert, nicht gleich 1; z. B. ist (P1 + P2 )e3 = 0.
Mit den in Tab. 2.3 zusammengefassten Beziehungen k¨onnen s¨amtliche Rechnungen in der {|ui }- bzw. {|wα -Darstellung durchgef¨uhrt werden. Tab. 2.3 {|ui }-Darstellung
{|wα }-Darstellung
ui |uj = δij
wα |wα = δ(α − α )
P{ui } =
i
|ui ui | = 1
P{wα } =
dα |wα wα | = 1
108
2 Der mathematische Rahmen
2.3.3 Darstellung der Ket- und Bravektoren Darstellung der Kets In der {|ui }-Darstellung wird der Ket |ψ durch die Gesamtheit seiner Komponenten, d. h. durch die Zahlen ci = ui |ψ repr¨asentiert. Man ordnet diese Zahlen in einem Spaltenvektor mit im Allgemeinen (abz¨ahlbar) unendlich vielen Zeilen an: ⎛ ⎞ u1 |ψ ⎜ u2 |ψ ⎟ ⎜ ⎟ ⎜ ⎟ .. ⎜ ⎟. . (2.151) ⎜ ⎟ ⎜ ui |ψ ⎟ ⎝ ⎠ .. . In der kontinuierlichen {|wα }-Basis wird der Ket |ψ durch ein Kontinuum von Zahlen c(α) = wα |ψ repr¨asentiert, also durch eine Funktion von α. Diese kann man formal ebenfalls durch einen Spaltenvektor ⎛ ⎞ .. . ⎜ ⎟ ⎜ wα |ψ ⎟ (2.152) ⎝ ⎠ .. . mit nicht abz¨ahlbar unendlich vielen Komponenten symbolisieren. Er entspricht dann der aus der elementaren Analysis bekannten Funktionsskala.
Darstellung der Bras Es sei ϕ| ein beliebiger Bra. Dann kann man in der {|ui }-Darstellung schreiben ϕ| = ϕ| 1 = ϕ|P{ui } =
ϕ|ui ui |,
(2.153)
i
d. h. ϕ| wird auf genau eine Weise nach den Bras ui | entwickelt. Die Komponenten von ϕ|, ϕ|ui , sind das konjugiert Komplexe der Komponenten bi = ui |ϕ des Kets |ϕ, der zum Bra ϕ| geh¨ort. Bei Wahl einer kontinuierlichen Basis {|wα } erh¨alt man entsprechend ϕ| = ϕ| 1 = ϕ|P{wα } = dα ϕ|wα wα |. (2.154) Die Komponenten von ϕ|, also ϕ|wα , sind das konjugiert Komplexe der Komponenten b(α) = wα |ϕ des zum Bra ϕ| geh¨orenden Kets |ϕ. Zur Darstellung eines Kets haben wir seine Komponenten in einem (vertikalen) Spaltenvektor angeordnet. Bevor wir nun die Darstellung eines Bras angeben, zeigen wir, wie man mit Hilfe der Vollst¨andigkeitsrelation das Skalarprodukt ϕ|ψ zweier Kets durch
2.3 Darstellungen im Zustandsraum
109
ihre Komponenten ausdr¨ucken kann. Man kann in diesem n¨amlich stets zwischen ϕ| und |ψ den 1-Operator schieben: ϕ|ψ=ϕ|1 |ψ = ϕ|P{ui } |ψ b∗i ci . = ϕ|ui ui |ψ = i
(2.155)
i
Bei einer kontinuierlichen Basis erhalten wir entsprechend ϕ|ψ
ϕ|1 |ψ = ϕ|P{wα } |ψ = dα ϕ|wα wα |ψ = dα b∗ (α)c(α).
=
(2.156)
Ordnen wir daher die Komponenten ϕ|ui des Bras ϕ| in einem Zeilenvektor (mit unendlich vielen Spalten) an, (ϕ|u1 ϕ|u2 . . .
ϕ|ui . . . ),
(2.157)
so ist das Skalarprodukt ϕ|ψ im Sinne der Matrizenrechnung einfach das Produkt des Spaltenvektors, der den Ket |ψ darstellt, mit dem Zeilenvektor, der den Bra ϕ| repr¨asentiert. Man erh¨alt eine Matrix mit einer Zeile und einer Spalte, also eine Zahl. In der {|wα }-Darstellung gibt es nicht abz¨ahlbar unendlich viele Komponenten ϕ|wα f¨ur ϕ|. Man symbolisiert dies formal durch den Zeilenvektor (· · · · · · ϕ|wα · · · · · ·).
(2.158)
Bemerkung Ist eine Darstellung gegeben, so sind die Matrizen, die den Ket |ψ und den zugeh¨origen Bra ψ| repr¨asentieren, im Sinne des Matrizenkalk¨uls hermitesch konjugiert zueinander (Vertauschen von Zeilen und Spalten und Bilden des konjugiert Komplexen der einzelnen Elemente).
2.3.4 Darstellung von Operatoren Darstellung eines Operators durch eine quadratische Matrix In einer {|ui }- oder einer {|wα }-Basis k¨onnen wir mit einem linearen Operator A die Zahlen Aij = ui |A|uj
(2.159)
A(α, α ) = wα |A|wα
(2.160)
bzw.
bilden und diese durch zwei Indizes gekennzeichneten Zahlen in einer quadratischen“ ” Matrix mit abz¨ahlbar bzw. nicht abz¨ahlbar unendlich vielen Zeilen und Spalten anord-
110
2 Der mathematische Rahmen
nen. Es ist u¨ blich, den ersten Index als Zeilen- und den zweiten Index als Spaltenindex anzusehen. So ergibt sich in der {|ui }-Basis die Matrix ⎛ ⎞ A11 A12 · · · A1j · · · ⎜ A21 A22 · · · A2j · · · ⎟ ⎜ ⎟ ⎜ .. .. .. .. .. ⎟ ⎜ . ⎟. . . . . (2.161) ⎜ ⎟ ⎜ Ai1 Ai2 · · · Aij · · · ⎟ ⎝ ⎠ .. .. .. .. .. . . . . . Wir sehen, dass in der j-ten Spalte gerade die Komponenten des Kets A|uj in der {|ui }Basis stehen. Handelt es sich um eine kontinuierliche Basis, so symbolisiert man die von den beiden Ver¨anderlichen α und α abh¨angende Funktion A(α, α ) durch eine kontinuierliche ” Matrix“ ⎛ ⎞ .. . ⎜ ⎟ ⎜ · · · A(α, α ) · · · ⎟ ⎜ ⎟ ⎜ ⎟. .. (2.162) ⎜ ⎟ . ⎜ ⎟ ⎝ ⎠
Eine derartige Darstellung eines Operators durch eine quadratische Matrix erweist sich als sinnvoll und zweckm¨aßig. Wenn wir z. B. das Produkt von zwei Operatoren betrachten, so erhalten wir unter Verwendung der Vollst¨andigkeitsrelation ui |AB|uj
= ui |A1 B|uj = ui |AP{uk } B|uj ui |A|uk uk |B|uj = k
=
Aik Bkj .
(2.163)
k
Das ist aber das Multiplikationsgesetz f¨ur die beiden Matrizen, mit denen wir die Operatoren A und B in der {|ui }-Basis darstellen.
Matrixdarstellung des Kets |ψ = A|ψ Wir fragen weiter nach den Komponenten des Kets A|ψ in einer bestimmten Darstellung, wenn die Komponenten von |ψ und die Matrixelemente des Operators A in dieser Darstellung bekannt sind. In der {|ui }-Basis sind die Koordinaten ci von |ψ gegeben durch ci = ui |ψ = ui |A|ψ.
(2.164)
2.3 Darstellungen im Zustandsraum
111
Verwenden wir wieder die Vollst¨andigkeitsrelation, so ergibt sich ci = ui |A1 |ψ = ui |AP{uj } |ψ ui |A|uj uj |ψ = j
=
(2.165)
Aij cj .
j
F¨ur die kontinuierliche {|wα }-Basis wird entsprechend c (α)
wα |ψ = wα |A|ψ = dα wα |A|wα wα |ψ = dα A(α, α )c(α ).
=
(2.166)
Um die Matrixdarstellung des Kets |ψ = A|ψ zu erhalten, muss man demnach einfach den Spaltenvektor, der den Ket |ψ repr¨asentiert, von links mit der Matrix multiplizieren, die den Operator A darstellt: ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞⎛ A11 A12 · · · A1j · · · c1 c1 ⎜ c2 ⎟ ⎜ A21 A22 · · · A2j · · · ⎟ ⎜ c2 ⎟ ⎟ ⎜ ⎟ ⎜ ⎟⎜ ⎜ .. ⎟ ⎜ .. ⎟ ⎜ .. ⎟ .. .. ⎜ . ⎟ ⎜ . ⎟⎜ . ⎟ . . ⎟ ⎜ ⎟ ⎜ ⎟⎜ (2.167) ⎜ ci ⎟ = ⎜ Ai1 Ai2 · · · Aij · · · ⎟ ⎜ .. ⎟ . ⎜ ⎟ ⎜ ⎟⎜ . ⎟ ⎟ ⎜ .. ⎟ ⎜ .. ⎟⎜ .. .. ⎜ . ⎟ ⎜ . ⎟ ⎜ cj ⎟ . . ⎠ ⎝ ⎠ ⎝ ⎠⎝ .. .. .. .. .. . . . . .
Darstellung von ϕ|A|ψ F¨ugen wir die Vollst¨andigkeitsrelation zwischen dem Bra ϕ| und A sowie zwischen A und dem Ket |ψ ein, so erhalten wir f¨ur die Basen {|ui } bzw. {|wα } ϕ|A|ψ = ϕ|P{ui } AP{uj } |ψ = ϕ|ui ui |A|uj uj |ψ =
i, j
b∗i Aij cj ,
(2.168)
i, j
ϕ|A|ψ = ϕ|P{wα } AP{wα } |ψ = dα dα ϕ|wα wα |A|wα wα |ψ = dα dα b∗ (α)A(α, α )c(α ).
(2.169)
112
2 Der mathematische Rahmen
In der Matrizendarstellung ergibt sich demnach der Skalar ϕ|A|ψ, indem man den Spaltenvektor, der den Ket |ψ darstellt, nacheinander mit der quadratischen Matrix, die den Operator A repr¨asentiert, und dem Zeilenvektor, der den Bra ϕ| darstellt, multipliziert. In der {|ui }-Basis gilt z. B. ⎛ ⎞ ⎞⎛ A11 A12 · · · A1j · · · c1 ⎜ A21 A22 · · · A2j · · · ⎟ ⎜ c2 ⎟ ⎜ ⎟ ⎟⎜ .. .. ⎜ .. ⎟ ⎜ .. ⎟ ⎜ . ⎜ ⎟ ⎟ . . ⎜ ⎟⎜ . ⎟ ϕ|A|ψ = (b∗1 b∗2 . . . b∗i . . .) ⎜ Ai1 Ai2 · · · Aij · · · ⎟ ⎜ . ⎟ . (2.170) ⎜ ⎟ ⎜ .. ⎟ ⎜ .. ⎟ ⎟⎜ .. .. ⎜ . ⎟ ⎜ cj ⎟ . . ⎝ ⎠ ⎠⎝ .. .. .. .. . . . . Bemerkungen 1. Entsprechend k¨onnte man f¨ur den Bra ϕ|A zeigen, dass er durch einen Zeilenvektor dargestellt wird, den man erh¨alt, wenn man die quadratische Matrix, die den Operator A repr¨asentiert, von links mit dem Zeilenvektor multipliziert, der den Bra ϕ| darstellt. Wieder erkennen wir, dass es auf die Reihenfolge ankommt. Der Ausdruck A ϕ| w¨are in der Matrizenschreibweise gar nicht definiert. 2. Die Definitionsgleichung (2.113) f¨ur ϕ|A bedeutet aus Sicht der Matrizenrechnung nichts anderes als die Assoziativit¨at des Produkts von Matrizen. 3. Der Operator |ψ ψ| wird durch die quadratische Matrix
c1 c2 .. . .. . cj .. .
∗ ∗ (c1 c2 . . . c∗j . . .) =
c1 c∗1 c2 c∗1 .. . ci c∗1 .. . .. .
c1 c∗2 c2 c∗2 .. . ci c∗2 .. . .. .
··· ··· ···
c1 c∗j c2 c∗j .. . ci c∗j .. . .. .
··· ···
···
(2.171)
dargestellt. Dagegen ist ψ|ψ als das Produkt eines Spaltenvektors mit einem Zeilenvektor ein Skalar.
Darstellung des adjungierten Operators A† Unter Verwendung von Gl. (2.121) erh¨alt man (A† )ij = ui |A† |uj = uj |A|ui ∗ = A∗ji
(2.172)
A† (α, α ) = wα |A† |wα = wα |A|wα ∗ = A∗ (α , α).
(2.173)
bzw.
In einer gegebenen Darstellung sind daher die zu den Operatoren A und A† geh¨orenden Matrizen zueinander hermitesch konjugiert: Sie ergeben sich gegenseitig durch
2.3 Darstellungen im Zustandsraum
113
Bilden des konjugiert Komplexen ihrer Elemente und anschließender Spiegelung an der Hauptdiagonalen. Ist nun A = A† , also A hermitesch, so kann man (A† )ij in Gl. (2.172) durch Aij bzw. † A (α, α ) in Gl. (2.173) durch A(α, α ) ersetzen: Aij = A∗ji ,
(2.174)
A(α, α ) = A∗ (α , α).
(2.175)
Ein hermitescher Operator wird demnach durch eine hermitesche Matrix dargestellt, bei der die zur Hauptdiagonalen symmetrisch liegenden Elemente zueinander konjugiert komplex sind. F¨ur i = j bzw. α = α gilt insbesondere Aii = A∗ii ,
(2.176)
A(α, α) = A∗ (α, α).
(2.177)
Die Diagonalelemente einer hermiteschen Matrix sind stets reell.
2.3.5 Darstellungswechsel Problemstellung In einer gegebenen Darstellung wird ein Ket, ein Bra oder ein Operator durch eine Matrix repr¨asentiert. Wechselt man die Darstellung, w¨ahlt also eine andere Basis, so wird derselbe Ket (bzw. Bra oder Operator) durch eine andere Matrix dargestellt. Die Frage ist, wie diese beiden Matrizen miteinander zusammenh¨angen. Der Einfachheit halber wollen wir annehmen, dass wir von einer diskreten orthonormierten Basis {|ui } zu einer anderen diskreten orthonormierten Basis {|tk } u¨ bergehen. ¨ In Abschnitt 2.5 werden wir an einem Beispiel den Ubergang von einer kontinuierlichen Basis in eine andere kontinuierliche Basis behandeln. Der Darstellungswechsel ist durch die Angabe der Komponenten ui |tk der Kets der neuen Basis bez¨uglich der Kets der alten Basis definiert. Wir f¨uhren die Matrix S mit den Elementen Sik = ui |tk
(2.178)
ein. F¨ur die dazu hermitesch konjugierte Matrix S † gilt (S † )ki = (Sik )∗ = tk |ui . Verwendet man die Vollst¨andigkeitsrelationen |ui ui | = 1, P{ui } =
(2.179)
(2.180)
i
P{tk } =
k
|tk tk | = 1
(2.181)
114
2 Der mathematische Rahmen
und die Orthonormierungsbedingungen ui |uj = δij ,
(2.182)
tk |tl = δkl ,
(2.183)
so gestalten sich die folgenden Rechnungen sehr einfach. Bemerkung Die den Basiswechsel beschreibende Transformationsmatrix S ist unit¨ar (s. Abschnitt 2.9), d. h. es gilt S † S = SS † = I,
(2.184)
wobei I die Einheitsmatrix bedeutet. Es ist n¨amlich
(S † S)kl =
† Ski Sil =
i
tk |ui ui |tl
i
= tk |tl = δkl und ebenso (SS † )ij
=
† Sik Skj =
k
(2.185)
ui |tk tk |uj
k
= ui |uj = δij .
(2.186)
Transformation der Komponenten eines Ketvektors Will man von den Komponenten ui |ψ eines Kets |ψ in der alten Basis zu den Komponenten tk |ψ dieses Kets in der neuen Basis gelangen, so muss man einfach zwischen tk | und |ψ die Beziehung (2.180) einsetzen: tk |ψ = tk |1|ψ = tk |P{ui } |ψ tk |ui ui |ψ = i
=
† Ski ui |ψ.
(2.187)
i
Umgekehrt zeigt man mit Verwendung von Gl. (2.181) ui |ψ = ui |1|ψ = ui |P{tk } |ψ ui |tk tk |ψ = k
=
k
Sik tk |ψ.
(2.188)
2.4 Eigenwertgleichungen. Observable
115
Transformation der Komponenten eines Bravektors Der Rechengang ist derselbe. So wird z. B. ψ|tk = ψ|1|tk = ψ|P{ui } |tk = ψ|ui ui |tk i
=
ψ|ui Sik .
(2.189)
i
Transformation der Matrixelemente eines Operators Schiebt man in tk |A|tl sowohl zwischen tk | und A als auch zwischen A und |tl die Beziehung (2.180) ein, so erh¨alt man tk |A|tl = tk |P{ui } AP{uj } |tl tk |ui ui |A|uj uj |tl , =
(2.190)
i,j
also Akl =
† Ski Aij Sjl .
(2.191)
i,j
Entsprechend wird Aij = ui |A|uj = ui |P{tk } AP{tl } |uj ui |tk tk |A|tl tl |uj = k,l
=
† Sik Akl Slj .
(2.192)
k,l
2.4 Eigenwertgleichungen. Observable 2.4.1 Eigenwerte und Eigenvektoren eines Operators Definitionen Man sagt, der Ket |ψ sei Eigenvektor (oder Eigenket) des linearen Operators A, wenn mit einer komplexen Zahl λ die Beziehung A|ψ = λ|ψ
(2.193)
gilt. Diese Beziehung heißt die Eigenwertgleichung des linearen Operators A. Wir wollen einige ihrer Eigenschaften untersuchen. Im Allgemeinen hat sie nur f¨ur bestimmte Werte
116
2 Der mathematische Rahmen
von λ, den Eigenwerten von A, L¨osungen. Die Gesamtheit der Eigenwerte nennt man das Spektrum von A. Zun¨achst stellen wir fest: Ist |ψ ein Eigenvektor von A zum Eigenwert λ, so ist mit einer beliebigen komplexen Zahl α auch α|ψ Eigenvektor zum selben Eigenwert: A(α|ψ) = αA|ψ = αλ|ψ = λ(α|ψ).
(2.194)
Zur Beseitigung dieser Unbestimmtheit k¨onnte man vereinbaren, die Eigenvektoren auf eins zu normieren: ψ|ψ = 1.
(2.195)
Eindeutigkeit ist damit aber immer noch nicht gegeben, da mit einer beliebigen reellen Zahl θ auch der Vektor eiθ |ψ die Norm eins hat. Wie wir sehen werden, ergeben sich in der Quantenmechanik physikalisch dieselben Vorhersagen, ob wir nun von |ψ oder von eiθ |ψ ausgehen. Der Eigenwert λ heißt nichtentartet oder einfach, wenn zu ihm ein bis auf einen Faktor eindeutiger Eigenvektor geh¨ort, wenn also alle Eigenvektoren zu diesem Eigenwert kollinear sind. Existieren dagegen wenigstens zwei voneinander linear unabh¨angige Eigenvektoren von A zum selben Eigenwert, so heißt dieser entartet; der Grad oder die Ordnung der Entartung ist dann die Zahl der zu diesem Eigenwert geh¨orenden linear unabh¨angigen Eigenvektoren. Der Entartungsgrad eines Eigenwerts kann endlich oder unendlich sein. Ist λ g-fach entartet, so geh¨oren dazu g linear unabh¨angige Eigenkets |ψ i (i = 1, 2, . . . , g) mit A|ψ i = λ|ψ i .
(2.196)
Nun ist aber jeder Vektor |ψ von der Form |ψ =
g
ci |ψ i
(2.197)
i=1
Eigenvektor von A zum Eigenwert λ, und zwar f¨ur beliebige Koeffizienten ci . Es gilt n¨amlich A|ψ =
g
ci A|ψ i = λ
i=1
g
ci |ψ i = λ|ψ.
(2.198)
i=1
Folglich spannen die Eigenvektoren von A zum Eigenwert λ einen g-dimensionalen Vektorraum, den Eigenraum zum Eigenwert λ, auf. Ist insbesondere g = 1, so ist der Eigenwert nichtentartet und umgekehrt. Zur Illustration nehmen wir das Beispiel eines Projektors Pψ = |ψψ| (mit ψ|ψ = 1). Hier lautet die Eigenwertgleichung Pψ |ϕ = λ|ϕ, also |ψψ|ϕ = λ|ϕ.
(2.199)
2.4 Eigenwertgleichungen. Observable
117
Der Ket auf der linken Seite ist stets kollinear zu |ψ oder gleich null. Darum sind die Eigenvektoren von Pψ entweder |ψ selbst (zum Eigenwert λ = 1) oder alle zu |ψ orthogonalen Kets |ϕ mit dem Eigenwert λ = 0. Das Spektrum von Pψ besteht daher nur aus den beiden Werten 1 und 0. Der erste ist einfach, der zweite unendlich oft entartet (falls der hier betrachtete Zustandsraum unendlichdimensional ist). Der zum Eigenwert λ = 0 geh¨orende Eigenraum ist zu |ψ komplement¨ar6, s. Abschnitt 2.4.2. Bemerkungen 1. Die zu Gl. (2.193) konjugierte Gleichung lautet
ψ|A† = λ∗ ψ|.
(2.200)
Ist demnach |ψ Eigenket von A zum Eigenwert λ, so kann man sagen, dass ψ| Eigenbra von A† zum Eigenwert λ∗ ist. Doch k¨onnen wir u¨ ber den Ausdruck nur dann etwas sagen, wenn A hermitesch ist (Abschnitt 2.4.2). 2. Streng genommen m¨usste man die Eigenwertgleichung (2.193) im Raum H l¨osen, d¨urfte also nur Eigenvektoren |ψ mit endlicher Norm betrachten. Tats¨achlich werden wir auch Operatoren verwenden, bei denen die Eigenvektoren dieser Bedingung nicht gen¨ugen (Abschnitt 2.5). Als L¨osungen von Gl. (2.193) lassen wir darum auch verallgemeinerte Kets“ zu. ”
Bestimmung der Eigenwerte und Eigenvektoren eines Operators Wie findet man die Eigenwerte und die zugeh¨origen Eigenvektoren eines bestimmten linearen Operators? Hier interessieren wir uns nur f¨ur das praktische Vorgehen und beschr¨anken uns daher auf einen Zustandsraum mit der endlichen Dimension N . Wir w¨ahlen eine bestimmte Darstellung {|ui } und projizieren die Vektorgleichung (2.193) auf die verschiedenen orthonormierten Basisvektoren |ui : ui |A|ψ = λui |ψ.
(2.201)
Schieben wir zwischen A und |ψ die Vollst¨andigkeitsrelation ein, so erhalten wir
ui |A|uj uj |ψ = λui |ψ.
(2.202)
j
Mit den u¨ blichen Abk¨urzungen ui |ψ = ci , 6 In einem Vektorraum H heißen zwei disjunkte Unterr¨ aume H1 und H2 komplement¨ar, wenn jeder Ket |ψ ∈ H als Summe |ψ1 + |ψ2 mit |ψ1 ∈ H1 und |ψ2 ∈ H2 geschrieben werden kann; diese Zerlegung ist dann eindeutig. Zu einem gegebenen Unterrraum H1 geh¨oren unendlich viele komplement¨are Unterr¨aume H2 . Man kann H2 festlegen, indem man fordert, dass er orthogonal zu H1 ist. Dies wollen wir im Folgenden stets voraussetzen. Beispiel: Im gew¨ohnlichen dreidimensionalen Raum sei H1 eine Ebene E; dann kann H2 eine beliebige, nicht in E liegende Gerade sein. Der orthogonale Komplement¨arraum ist die durch den Ursprung gehende, zu E senkrechte Gerade.
118
2 Der mathematische Rahmen ui |A|uj = Aij
(2.203)
lauten diese Gleichungen Aij cj = λci
(2.204)
j
bzw.
[Aij − λδij ]cj = 0.
(2.205)
j
Man kann Gl. (2.205) als ein lineares und homogenes Gleichungssystem f¨ur die unbekannten Komponenten cj des Eigenvektors in der betreffenden Darstellung auffassen. Die charakteristische Gleichung. Das System (2.205) besteht aus N Gleichungen f¨ur die N Unbekannten cj (j = 1, 2, . . . , N ). Weil es linear und homogen ist, erlaubt es eine nichttriviale L¨osung (bei denen nicht alle cj gleich null sind) genau dann, wenn die Koeffizientendeterminante verschwindet. Diese Bedingung lautet det[A − λI ] = 0,
(2.206)
worin A die N × N -Matrix mit den Elementen Aij und I die Einheitsmatrix bedeuten. Man nennt diese Gleichung die charakteristische Gleichung oder die S¨akulargleichung. Sie erlaubt die Bestimmung s¨amtlicher Eigenwerte des Operators A, d. h. die Ermittlung seines Spektrums. Ausf¨uhrlich hat Gl. (2.206) die Form A11 − λ A12 A13 · · · A1N A21 A22 − λ A23 · · · A2N (2.207) = 0. .. .. .. .. . . . . A A A ··· A −λ N1
N2
N3
NN
Dies ist eine Gleichung N -ten Grades in λ. Sie hat allgemein N reelle oder komplexe L¨osungen, die verschieden sein oder auch zusammenfallen k¨onnen. Man kann durch einen beliebigen Basiswechsel zeigen, dass die charakteristische Gleichung unabh¨angig von der Wahl der Basis ist. Daher sind die Eigenwerte eines Operators die L¨osungen seiner charakteristischen Gleichung. Bestimmung der Eigenvektoren. Wir w¨ahlen nun einen Eigenwert λ0 und ermitteln die zugeh¨origen Eigenvektoren. Dabei unterscheiden wir zwei F¨alle: 1. Zun¨achst nehmen wir an, dass λ0 eine einfache Wurzel der S¨akulargleichung ist. Man kann dann zeigen, dass das Gleichungssystem (2.205) nur aus N − 1 voneinander unabh¨angigen Gleichungen besteht und dass die N -te Gleichung eine Folge der anderen ist. Da wir N Unbekannte haben, gibt es demnach unendlich viele L¨osungen, wobei jedoch alle cj eindeutig als Funktion von einer Unbekannten, z. B. von c1 , bestimmt werden k¨onnen. Mit diesem festen c1 erh¨alt man n¨amlich f¨ur die N − 1 anderen cj ein System von N − 1 linearen inhomogenen Gleichungen (die rechte Seite dieser Gleichungen ist
2.4 Eigenwertgleichungen. Observable
119
ein Term in c1 ), und die Determinante dieses Systems ist von null verschieden, weil die N − 1 Gleichungen voneinander unabh¨angig sind. Die L¨osungen dieses Systems sind von der Form cj = α0j c1 ,
(2.208)
weil das urspr¨ungliche System (2.205) linear und homogen ist. α01 ist nach Definition gleich eins, w¨ahrend die anderen Koeffizienten cj f¨ur j = 1 durch die Matrixelemente Aij und durch λ0 bestimmt sind. Die Eigenvektoren zum Eigenwert λ0 unterscheiden sich nur durch die Wahl des Werts f¨ur c1 , sind also gegeben durch |ψ0 (c1 ) =
α0j c1 |uj = c1 |ψ0
(2.209)
j
mit |ψ0 =
α0j |uj .
(2.210)
j
Ist also λ0 eine einfache Wurzel der charakteristischen Gleichung, so geh¨ort zu ihr nur ein einziger Eigenvektor (von einem Faktor abgesehen): Der Eigenwert ist nicht entartet. 2. Ist λ0 eine q-fache Wurzel (q > 1) der charakteristischen Gleichung, so k¨onnen zwei F¨alle auftreten: – Im Allgemeinen enth¨alt das System (2.205) f¨ur λ = λ0 noch N − 1 unabh¨angige Gleichungen. Zum Eigenwert λ0 geh¨ort dann nur ein einziger Eigenvektor. In diesem Fall ist der Operator A nicht diagonalisierbar: Die Anzahl der Eigenvektoren von A reicht f¨ur die Konstruktion einer Basis im Zustandsraum nicht aus. – Es kann geschehen, dass das System (2.205) f¨ur λ = λ0 nur (N − p) unabh¨angige Gleichungen enth¨alt (p ist eine Zahl gr¨oßer eins, aber kleiner als q). Zum Eigenwert λ0 geh¨ort dann ein Eigenraum mit der Dimension p, und λ0 ist p-fach entartet. Nehmen wir z. B. an, dass das Gleichungssystem (2.205) (N − 2) linear unabh¨angige Gleichungen enth¨alt. Mit diesen Gleichungen kann man die Koeffizienten cj als Funktion von zwei von ihnen, z. B. von c1 und c2 , bestimmen; diese beiden sind beliebig w¨ahlbar. Es ist dann cj = βj0 c1 + γj0 c2 .
(2.211)
Offensichtlich ist β10 = γ20 = 1 und γ10 = β20 = 0. S¨amtliche zu λ0 geh¨orenden Eigenvektoren sind dann von der Form |ψ0 (c1 , c2 ) = c1 |ψ01 + c2 |ψ02
(2.212)
mit |ψ01
=
βj0 |uj ,
j
|ψ02 =
j
γj0 |uj .
(2.213)
120
2 Der mathematische Rahmen
Die Vektoren |ψ0 (c1 , c2 ) spannen daher einen zweidimensionalen Vektorraum auf, wie er f¨ur einen zweifach entarteten Eigenwert charakteristisch ist. F¨ur einen hermiteschen Operator kann man zeigen, dass der Entartungsgrad p eines Eigenwerts λ stets gleich der Vielfachheit q der entsprechenden Wurzel der S¨akulargleichung ist. Weil wir im Folgenden u¨ berwiegend hermitesche Operatoren untersuchen, gen¨ugt es, die Vielfachheit jeder Wurzel von Gl. (2.206) zu kennen, um sofort die Dimension des zugeh¨origen Eigenraums zu erhalten. In einem Raum mit der endlichen Dimension N besitzt ein hermitescher Operator stets N linear unabh¨angige Eigenvektoren (sp¨ater werden wir sehen, dass sie orthonormiert gew¨ahlt werden k¨onnen): Dieser Operator ist darum diagonalisierbar (Abschnitt 2.4.2).
2.4.2 Observable Eigenwerte und Eigenvektoren eines hermiteschen Operators Wir betrachten den in der Quantenmechanik sehr wichtigen Fall eines hermiteschen Operators A, f¨ur den also A† = A
(2.214)
gilt. 1. Die Eigenwerte eines hermiteschen Operators sind reell. Multipliziert man die Eigenwertgleichung (2.193) skalar mit |ψ, so erh¨alt man ψ|A|ψ = λψ|ψ.
(2.215)
Nun ist aber ψ|A|ψ eine reelle Zahl, wenn A hermitesch ist. Es gilt n¨amlich ψ|A|ψ∗ = ψ|A† |ψ = ψ|A|ψ,
(2.216)
wenn wir auf der rechten Seite Gl. (2.214) ber¨ucksichtigen. Weil ψ|A|ψ und ψ|ψ reell sind, muss also auch λ reell sein. Ist der Operator A hermitesch und damit λ reell, so kann man in Gl. (2.200) A durch A† und λ durch λ∗ ersetzen. Es ergibt sich ψ|A = λψ|,
(2.217)
woraus folgt, dass ψ| auch Eigenbra von A zum reellen Eigenwert λ ist. Danach gilt f¨ur einen beliebigen Ket |ϕ ψ|A|ϕ = λψ|ϕ.
(2.218)
Man sagt, der hermitesche Operator A wirke in dieser Beziehung nach links. 2. Zwei Eigenvektoren eines hermiteschen Operators zu verschiedenen Eigenwerten sind orthogonal. Wir betrachten zwei Eigenvektoren |ψ und |ϕ des hermiteschen Operators A: A|ψ = λ|ψ, A|ϕ = μ|ϕ.
(2.219) (2.220)
2.4 Eigenwertgleichungen. Observable
121
Weil A hermitesch ist, kann man Gl. (2.220) in der Form ϕ|A = μϕ|
(2.221)
schreiben. Multiplizieren wir Gl. (2.219) von links mit ϕ| und Gl. (2.221) von rechts mit |ψ, so erhalten wir ϕ|A|ψ = λϕ|ψ,
(2.222)
ϕ|A|ψ = μϕ|ψ.
(2.223)
Subtraktion dieser beiden Gleichungen liefert (λ − μ)ϕ|ψ = 0.
(2.224)
F¨ur (λ − μ) = 0 folgt hieraus, dass |ϕ und |ψ zueinander orthogonal sind.
Definition einer Observablen Ist der Zustandsraum H von endlicher Dimension, so k¨onnen wir, wie wir in Abschnitt 2.4.1 gesehen haben, aus den Eigenvektoren eines hermiteschen Operators eine Basis bilden. Ist dagegen die Dimension von H unendlich, so ist dies nicht mehr zwingend m¨oglich. Aus diesem Grunde ist es zweckm¨aßig, den neuen Begriff der Observablen einzuf¨uhren. Wir betrachten einen hermiteschen Operator A und nehmen der Einfachheit halber an, dass seine Eigenwerte ein diskretes Spektrum {an ; n = 1, 2, . . .} bilden. Erst danach werden wir angeben, wie die Ergebnisse f¨ur den Fall zu modifizieren sind, wenn das ganze Spektrum oder ein Teil davon kontinuierlich ist. Den Entartungsgrad des Eigenwerts an bezeichnen wir mit gn ; ist gn = 1, so ist an nicht entartet. |ψni (i = 1, 2, . . . , gn ) seien gn linear unabh¨angige Eigenvektoren im Eigenraum Hn zum Eigenwert an : A|ψni = an |ψni ,
(2.225)
i = 1, 2, . . . , gn .
Weiter oben zeigten wir, dass jeder Vektor aus Hn zu jedem Vektor eines anderen Eigenraums Hn mit an = an orthogonal ist. Darum gilt ψni |ψnj = 0,
n = n und i, j beliebig.
Innerhalb eines Unterraums Hn kann man die ψni |ψnj
= δij
|ψni
(2.226) stets so w¨ahlen, dass (2.227)
gilt, sie also orthonormiert sind. Damit gelangt man zu einem orthonormierten System von Eigenvektoren von A, denn die |ψni gen¨ugen den Beziehungen
ψni |ψni = δnn δii .
(2.228)
Wir definieren nun: Ein hermitescher Operator A ist eine Observable, wenn dieses System orthonormierter Vektoren im Zustandsraum eine Basis bildet.Man kann dies durch die Vollst¨andigkeitsrelation ausdr¨ucken: gn ∞ n=1 i=1
|ψni ψni | = 1.
(2.229)
122
2 Der mathematische Rahmen
Bemerkungen 1. Sind die den Eigenraum Hn zu an aufspannenden Vektoren |ψni (i = 1, 2, . . . , gn ) orthonormiert, so kann der Projektionsoperator Pn auf diesen Unterraum in der Form Pn =
gn
|ψni ψni |
(2.230)
i=1
geschrieben werden (Abschnitt 2.2.3). Die Observable A ist dann durch A=
an Pn
(2.231)
n
gegeben. Die linke und die rechte Seite dieser Gleichung liefern bei Anwendung auf die |ψni jeweils dasselbe Resultat. 2. Beachtet man die in Gl. (2.73) angegebenen Ersetzungsregeln, so kann man die Beziehung Gl. (2.229) auf den Fall eines kontinuierlichen Eigenwertspektrums verallgemeinern. Nehmen wir z. B. einen hermiteschen Operator, dessen Spektrum aus einem diskreten Anteil {an , Entartungsgrad gn } und einem (als nicht entartet angenommenen) kontinuierlichen Anteil a(ν) besteht: A|ψni
an |ψni ,
n = 1, 2, . . . ;
A|ψν = a(ν)|ψν ,
ν1 < ν < ν2 .
=
i = 1, 2, . . . , gn ,
(2.232) (2.233)
Diese Vektoren wird man nun stets so w¨ahlen k¨onnen, dass sie eine orthonormierte“ Basis bilden, ” dass also gilt
ψni |ψni = δnn δii ,
ψν |ψν = δ(ν − ν ),
ψni |ψν = 0.
(2.234)
Wir nennen dann A eine Observable, wenn dieses System in H eine Basis bildet, wenn also gn n
i=1
|ψni ψni | +
ν2
dν |ψν ψν | = 1
(2.235)
ν1
ist.
Beispiel: Der Projektor Pψ Wir zeigen, dass Pψ = |ψψ| mit ψ|ψ = 1 eine Observable ist. Wie wir bereits wissen, ist dieser Operator hermitesch (Abschnitt 2.2.4) und besitzt die Eigenwerte 1 und 0 (Abschnitt 2.4.1). Der Eigenwert 1 ist nichtentartet, der zugeh¨orige Eigenvektor ist |ψ, w¨ahrend der zweite Eigenwert 0 unendlich oft entartet ist, die Eigenvektoren sind alle die zu |ψ orthogonalen Kets. Einen beliebigen Ket |ϕ aus dem Zustandsraum kann man stets in der Form |ϕ = Pψ |ϕ + (1 − Pψ )|ϕ
(2.236)
schreiben. Pψ |ϕ ist der Eigenket von Pψ zum Eigenwert 1. Wegen Pψ2 = Pψ ist n¨amlich Pψ (Pψ |ϕ) = Pψ2 |ϕ = Pψ |ϕ.
(2.237)
2.4 Eigenwertgleichungen. Observable
123
(1 − Pψ )|ϕ ist ebenfalls Eigenket zu Pψ , aber zum Eigenwert 0. Hier haben wir Pψ (1 − Pψ )|ϕ = (Pψ − Pψ2 )|ϕ = 0.
(2.238)
Somit kann jeder Ket |ϕ nach den Eigenvektoren von Pψ entwickelt werden, also ist Pψ eine Observable.
2.4.3 Kommutierende Observable Wichtige S¨atze Satz I. Sind A und B zwei kommutierende Operatoren und |ψ ein Eigenvektor von A, so ist auch B|ψ Eigenvektor von A zum selben Eigenwert. Ist n¨amlich |ψ ein Eigenvektor von A, so gilt A|ψ = a|ψ.
(2.239)
Anwendung von B auf diese Gleichung liefert BA|ψ = aB|ψ.
(2.240)
Nach Voraussetzung vertauschen A und B, wir k¨onnen also auf der linken Seite BA durch AB ersetzen und A(B|ψ) = a(B|ψ)
(2.241)
schreiben. B|ψ ist also Eigenvektor von A zum Eigenwert a, wie behauptet. Jetzt k¨onnen zwei F¨alle auftreten: 1. Ist a ein nichtentarteter Eigenwert, so sind nach Definition alle zu ihm geh¨orenden Eigenvektoren kollinear, der Vektor B|ψ also notwendig zu |ψ proportional. Darum ist |ψ auch Eigenvektor von B. 2. Ist a ein entarteter Eigenwert, so kann man nur sagen, dass B|ψ zum Eigenraum Ha von A zum Eigenwert a geh¨ort; f¨ur einen beliebigen Vektor |ψ ∈ Ha gilt also B|ψ ∈ Ha .
(2.242)
Man sagt, dass Ha gegen¨uber der Wirkung von B invariant ist. Satz I kann man daher auch in folgender Form ausdr¨ucken: Satz I a. Wenn zwei Operatoren A und B vertauschen, so ist jeder Eigenraum von A gegen¨uber der Wirkung von B invariant. Satz II. Sind A und B zwei kommutierende Observablen und |ψ1 und |ψ2 zwei Eigenvektoren von A zu verschiedenen Eigenwerten, so ist das Matrixelement ψ1 |B|ψ2 gleich null. Sind |ψ1 und |ψ2 Eigenvektoren von A, so gilt A|ψ1 = a1 |ψ1 , A|ψ2 = a2 |ψ2 .
(2.243)
124
2 Der mathematische Rahmen
Nach Satz I ist wegen der Vertauschbarkeit von A und B der Vektor B|ψ2 Eigenvektor von A zum Eigenwert a2 . Er ist wegen a1 = a2 orthogonal zu |ψ1 (Abschnitt 2.4.2), und dies ist die Behauptung ψ1 |B|ψ2 = 0.
(2.244)
Der Beweis kann auch ohne Bezug auf Satz I gef¨uhrt werden: Weil der Operator [A, B] gleich null ist, hat man ψ1 |(AB − BA)|ψ2 = 0.
(2.245)
Beachtet man die Gl. (2.243) und die Hermitezit¨at des Operators A (s. Gl. (2.217)), so erh¨alt man ψ1 |AB|ψ2 = a1 ψ1 |B|ψ2 , ψ1 |BA|ψ2 = a2 ψ1 |B|ψ2 ,
(2.246)
und man kann Gl. (2.245) in der Form (a1 − a2 )ψ1 |B|ψ2 = 0
(2.247)
schreiben. Weil nach Voraussetzung a1 −a2 = 0 ist, folgt hieraus die Behauptung (2.244). Satz III. Sind A und B zwei kommutierende Observablen, so kann man aus ihren gemeinsamen Eigenvektoren eine orthonormierte Basis des Zustandsraums konstruieren. Wir betrachten zwei Observable A und B, die miteinander vertauschen. Der Einfachheit halber setzen wir voraus, dass ihr Spektrum rein diskret ist. Weil A eine Observable ist, gibt es wenigstens ein orthonormiertes System von Eigenvektoren von A, die im Zustandsraum H eine Basis bilden. Wir bezeichnen diese Vektoren mit |uin : A|uin = an |uin ,
n = 1, 2, . . . ;
i = 1, 2, . . . , gn .
(2.248)
Darin ist gn der Entartungsgrad des Eigenwerts an , also die Dimension des zu an geh¨orenden Eigenraums Hn . Es gilt
uin |uin = δnn δii .
(2.249)
Welche Gestalt hat die Matrix, die in dieser Basis die Observable B darstellt? Nach Satz II wissen wir, dass die Matrixelemente uin |B|uin f¨ur n = n gleich null sind; f¨ur den Fall n = n und i = i k¨onnen wir dagegen nichts sagen. Ordnen wir die Basisvektoren |uin in der Reihenfolge |u11 , |u21 , . . . , |ug11 ;
|u12 , |u22 , . . . , |ug22 ;
|u13 , . . .
an, so erhalten wir f¨ur B eine Blockdiagonalmatrix“ mit der Form ”
(2.250)
2.4 Eigenwertgleichungen. Observable
.. H1
.. ..
H2
. . .
H1 .. . .. . .. .
..
.
..
.
..
.
0
H2
H3
...
0
0
0
..
0
0
. ..
H3
0
0
.. ..
.. .
0
125
.
..
.
..
.
..
0
.
..
.
.
..
.
.
..
.
0
(2.251)
0 ..
.
..
.
Nur in den gepunkteten Bereichen k¨onnen von null verschiedene Matrixelemente stehen. Es wird anschaulich deutlich, dass die verschiedenen Eigenr¨aume Hn hinsichtlich der Wirkung der Observablen B invariant sind. Es k¨onnen zwei F¨alle auftreten: 1. Ist an ein einfacher Eigenwert, so gibt es nur einen Eigenvektor |un (der obere Index i ist dann u¨ berfl¨ussig), und der Raum H1 ist eindimensional. In der Matrix Gl. (2.251) ist der zugeh¨orige Block eine 1×1-Matrix, also eine Zahl. In der zu |un geh¨orenden Spalte bzw. Zeile sind alle anderen Matrixelemente gleich null. Dies dr¨uckt die Tatsache aus, dass |un ein gemeinsamer Eigenvektor von A und B ist. 2. Ist an ein entarteter Eigenwert von A (gn > 1), so ist der Block, der B im Raum Hn repr¨asentiert, im Allgemeinen keine Diagonalmatrix, weil die |uin keine Eigenvektoren von B zu sein brauchen. Wir halten aber fest, dass sich die Wirkung von A auf jeden der gn Vektoren |uin auf eine einfache Multiplikation mit an reduziert, d. h. die Matrix, die die Einschr¨ankung von A auf den Eigenraum Hn repr¨asentiert, ist gleich an I, wobei I die gn ×gn -Einheitsmatrix bedeutet. Damit dr¨uckt sich die Tatsache aus, dass ein beliebiger Vektor aus Hn Eigenvektor von A zum Eigenwert an ist. Die Wahl einer Basis {|uin ; i = 1, 2, . . . , gn } ist dann beliebig: Stets ist die Matrix, die A in Hn darstellt, eine Diagonalmatrix und gleich an I. Dies k¨onnen wir ausnutzen, um in Hn eine Basis aus Vektoren zu konstruieren, die gleichzeitig Eigenvektoren von B sind. Ist die von uns gew¨ahlte Basis {|uin ; i = 1, 2, . . . , gn }, so sind die Matrixelemente von B (n)
βij = uin |B|ujn .
(2.252) (n)∗
(n)
Diese Matrix ist hermitesch (βji = βij ), weil B ein hermitescher Operator ist. Sie ist daher diagonalisierbar, man kann also in Hn eine Basis {|vni ; i = 1, 2, . . . , gn } finden, so dass B durch eine Diagonalmatrix dargestellt wird: (n)
vni |B|vnj = βi δij .
(2.253)
126
2 Der mathematische Rahmen
Dies bedeutet, dass die so gew¨ahlten Basisvektoren in Hn Eigenvektoren von B sind: (n)
B|vni = βi |vni .
(2.254)
Wie wir oben gesehen haben, sind diese Vektoren automatisch auch Eigenvektoren von A zum Eigenwert an , denn sie geh¨oren zu Hn . Wir betonen jedoch noch einmal, dass die Eigenvektoren von A zu entarteten Eigenwerten nicht zwingend auch Eigenvektoren von B sind. Gezeigt haben wir lediglich Folgendes: Es ist immer m¨oglich, in jedem Eigenraum von A eine Basis aus Vektoren zu bilden, die gleichzeitig Eigenvektoren von A und von B sind. F¨uhren wir dies f¨ur alle Unterr¨aume Hn aus, so erhalten wir in H eine Basis aus gemeinsamen Eigenvektoren von A und B. Bemerkungen 1. Von jetzt an bezeichnen wir die gemeinsamen Eigenvektoren von A und B mit |uin,p : A|uin,p = an |uin,p , B|uin,p = bp |uin,p .
(2.255)
Durch die Indizes n bzw. p kennzeichnen wir die Eigenwerte an von A bzw. bp von B; mit dem weiteren Index i k¨onnen wir, falls erforderlich, die Eigenvektoren unterscheiden, die zum selben Eigenwert an bzw. bp geh¨oren, s. weiter unten. 2. Der Beweis der Umkehrung von Satz III ist leicht: Existiert f¨ur A und B eine Basis von gemeinsamen Eigenvektoren, so sind diese beiden Observablen vertauschbar. Mit Gl. (2.255) ist n¨amlich AB|uin,p = bp A|uin,p = bp an |uin,p , BA|uin,p = an B|uin,p = an bp |uin,p
(2.256)
und weiter nach Subtraktion dieser beiden Gleichungen [A, B]|uin,p = 0.
(2.257)
Diese Beziehung gilt f¨ur alle i, n, p. Weil aber nach Voraussetzung die |uin,p eine Basis in H bilden, muss [A, B] = 0 sein. ¨ 3. Bei unseren weiteren Uberlegungen werden wir die Eigenwertgleichung einer Observablen C zu l¨osen haben, f¨ur die (mit zwei Observablen A und B) C =A+B
und
[A, B] = 0
(2.258)
gilt. Dies gelingt, wenn wir f¨ur A und B eine Basis {|uin,p } von gemeinsamen Eigenvektoren kennen. Man erkennt unmittelbar, dass |uin,p auch Eigenvektor von C zum Eigenwert an + bp ist. Die Tatsache, dass {|uin,p } eine Basis bildet, ist offensichtlich wesentlich: So zeigt man z. B. leicht, dass alle Eigenwerte von C in der Form an + bp geschrieben werden k¨onnen.
Vollst¨andiger Satz kommutierender Observabler (v. S. k. O.) Wir betrachten eine Observable A und eine Basis in H, die aus den Eigenvektoren |uin von A gebildet wird. Ist keiner der Eigenwerte von A entartet, so k¨onnen die verschiedenen Basisvektoren durch die Eigenwerte an gekennzeichnet werden, und der Index i ist
2.4 Eigenwertgleichungen. Observable
127
u¨ berfl¨ussig. Alle Eigenr¨aume sind dann eindimensional, die Angabe des Eigenwerts bestimmt (bis auf einen Faktor) eindeutig den zugeh¨origen Eigenvektor. Mit anderen Worten gibt es in H nur eine einzige Basis aus Eigenvektoren von A (falls wir zwei Basen nicht als verschieden ansehen, deren Vektoren zueinander proportional sind). Sind dagegen gewisse Eigenwerte von A entartet (es gen¨ugt, dass dies auch nur f¨ur einen Eigenwert zutrifft), so reicht die Angabe des Eigenwerts an nicht immer zur Charakterisierung eines Basisvektors aus, weil zu entarteten Eigenwerten mehrere linear unabh¨angige Vektoren geh¨oren. In diesem Fall ist die aus Eigenvektoren von A gebildete Basis offensichtlich nicht eindeutig: In jedem mehr als eindimensionalen Eigenraum Hn kann man n¨amlich eine beliebige Basis ausw¨ahlen. Wir nehmen nun eine weitere Observable B, die mit der Observablen A vertauscht, und konstruieren mit den gemeinsamen Eigenvektoren von A und B eine orthonormierte Basis. Nach Definition bilden A und B einen vollst¨andigen Satz kommutierender Observabler (v. S. k. O.), wenn diese Basis (bis auf Phasenfaktoren) eindeutig ist, d. h. wenn zu jedem m¨oglichen Paar {an , bp } von Eigenwerten genau ein Basisvektor geh¨ort7 . Sind die Eigenwerte einer Observablen A (wie weiter oben) s¨amtlich einfach, ist also die aus den Eigenvektoren von A gebildete Basis (bis auf Proportionalit¨at) eindeutig, so sagt man, A bilde f¨ur sich einen v. S. k. O. Bemerkung Im vorangegangenen Unterabschnitt konstruierten wir eine Basis von gemeinsamen Eigenvektoren, indem wir die Eigenwertgleichung f¨ur B in jedem Eigenraum Hn l¨osten. Damit die Observablen A und B einen v. S. k. O. bilden, ist notwendig und hinreichend, dass in jedem Eigenraum die jeweils gn Eigenwerte von B s¨amtlich verschieden sind: Weil alle Vektoren aus Hn zum selben Eigenwert an von A geh¨oren, k¨onnen dann die gn Vektoren |vni durch den zu ihnen geh¨orenden Eigenwert von B unterschieden werden. Dabei m¨ussen nicht alle Eigenwerte von B nichtentartet sein: Vektoren |vni zu zwei verschiedenen Eigenr¨aumen Hn k¨onnen denselben Eigenwert von B haben. Sind u¨ brigens alle Eigenwerte von B einfach, gen¨ugt es, B allein als v. S. k. O. zu w¨ahlen.
Wenn f¨ur wenigstens ein Paar {an , bp } mehrere voneinander unabh¨angige Vektoren existieren, die zugleich Eigenvektoren von A und B zu diesen Eigenwerten sind, so ist die Menge {A, B} kein vollst¨andiger Satz von Observablen. Wir f¨ugen dann eine dritte Observable C hinzu, die sowohl mit A wie mit B kommutiert. In Verallgemeinerung der ¨ vorstehenden Uberlegungen k¨onnen wir sagen: Entspricht dem Paar {an , bp } genau ein Vektor, so ist dieser auch Eigenvektor von C; gibt es dagegen mehrere Vektoren, so bilden diese einen Eigenraum Hn,p , in dem man eine Basis aus Vektoren konstruieren kann, die auch Eigenvektoren von C sind. Man verschafft sich auf diese Weise eine orthonormierte Basis von gemeinsamen Eigenvektoren zu A, B und C. Diese drei Observablen bilden dann einen v. S. k. O., wenn diese Basis (bis auf einen Phasenfaktor) eindeutig ist, d. h. wenn die Angabe eines Eigenwerttripels {an , bp , cr } genau einen der Basisvektoren charakterisiert. Falls dies nicht der Fall ist, so f¨ugt man zu A, B und C eine weitere
7 Das Wort vollst¨ andig“ wird hier in einem ganz anderen Sinn als in Abschnitt 2.1.2 verwendet und tritt in ” dieser Bedeutung nur in der Quantenmechanik auf.
128
2 Der mathematische Rahmen
Observable D hinzu, die mit diesen drei Observablen vertauscht usw. Wir gelangen somit zu der Feststellung: Eine Menge von Observablen A, B, C, . . . bildet einen vollst¨andigen Satz kommutierender Observabler, wenn 1. alle Observablen A, B, C, . . . paarweise vertauschen und 2. die Angabe der Eigenwerte aller dieser Operatoren ausreicht, um (bis auf einen Faktor) eindeutig einen gemeinsamen Eigenvektor zu bestimmen. Eine a¨ quivalente Formulierung lautet: Eine Menge von Observablen A, B, C, . . . bildet einen vollst¨andigen Satz kommutierender Observabler, wenn eine orthonormierte Basis gemeinsamer Eigenvektoren existiert und diese Basis (bis auf einen Phasenfaktor) eindeutig ist. Die vollst¨andigen S¨atze kommutierender Observabler spielen in der Quantenmechanik eine wichtige Rolle. Im Folgenden werden wir zahlreiche Beispiele kennenlernen, s. insbesondere Abschnitt 2.5.2 und die L¨osungen zu den Aufgaben 11 und 12 in Abschnitt 2.14. Bemerkungen 1. Ist {A, B} ein v. S. k. O., so kann man durch Hinzuf¨ugen einer mit A und B kommutierenden Observablen C einen weiteren v. S. k. O. erhalten. Im Allgemeinen h¨alt man sich aber an minimale“ ” Mengen von Observablen, d. h. an solche, die keinen v. S. k. O. mehr bilden, sobald man eine Observable entfernt. 2. Bildet die Menge {A, B, C, . . .} einen v. S. k. O., so gen¨ugt zur Charakterisierung eines Basiskets (bis auf einen Faktor) die Angabe der Eigenwerte an , bp , cr , . . . Darum schreibt man f¨ur diesen Ket manchmal |an , bp , cr , . . . . 3. F¨ur ein bestimmtes physikalisches System existieren mehrere vollst¨andige S¨atze kommutierender Observabler. Einen speziellen Fall werden wir in Abschnitt 2.5.2 kennenlernen.
2.5 Zwei wichtige Beispiele Wir kehren in diesem Abschnitt zum Raum F der Wellenfunktionen eines Teilchens zur¨uck oder genauer zu dem ihm zugeordneten Zustandsraum Hr , den wir wie folgt definiert hatten: Jeder Wellenfunktion ψ(r) entspricht ein Ket |ψ ∈ Hr ; der Zusammenhang ist dabei linear. Weiter ist das Skalarprodukt der beiden Kets gleich dem Skalarprodukt der zugeh¨origen Wellenfunktionen: ϕ|ψ =
d3 r ϕ∗ (r)ψ(r).
(2.259)
Hr ist daher der Zustandsraum eines Teilchens (ohne Spin). Wir wollen in diesem Raum zwei Darstellungen und zwei besonders wichtige Operatoren definieren und untersuchen, die wir dann im dritten Kapitel der Lage und dem Impuls des Teilchens zuordnen. Dabei erhalten wir zugleich Gelegenheit, die in den vorangegangenen Abschnitten eingef¨uhrten Begriffe anzuwenden.
2.5 Zwei wichtige Beispiele
129
2.5.1 Die Orts- und die Impulsdarstellung Definition In Abschnitt 2.1.3 hatten wir mit den Funktionenmengen {ξr0 (r)} und {vp0 (r)} zwei besondere Basen“ in F eingef¨uhrt, deren Elemente nicht zu F geh¨oren: ” (2.260) ξr 0 (r) = δ(r − r0 ), i
vp0 (r) = (2π¯ h)−3/2 e h¯ p0 ·r .
(2.261)
Man kann jedoch jede quadratintegrable und hinreichend regul¨are Funktion nach einer dieser Basen“ entwickeln. ” Darum werden wir die Anf¨uhrungszeichen fortlassen und jeder Funktion aus diesen Basen einen Ket zuordnen (s. Abschnitt 2.2.2). Den zu ξr 0 (r) geh¨orenden Ket bezeichnen wir einfach mit |r0 und den zu vp0 (r) mit |p0 : ξr 0 (r)
⇐⇒ |r 0 ,
(2.262)
vp0 (r)
⇐⇒ |p0 .
(2.263)
Ausgehend von den Basen {ξr0 (r)} und {vp0 (r)} in F definieren wir nun in Hr zwei Darstellungen: die {|r0 }- und die {|p0 }-Darstellung. Ein Basisvektor der ersten Darstellung ist durch drei kontinuierliche Indizes“, n¨amlich die Koordinaten x0 , y0 und ” z0 eines Punktes im dreidimensionalen Raum, gekennzeichnet, f¨ur einen Basisvektor der zweiten Darstellung sind die drei Indizes ebenfalls die Komponenten eines gew¨ohnlichen Vektors.
Orthonormierungsbedingungen und Vollst¨andigkeitsrelation Wir berechnen das Skalarprodukt r 0 |r 0 . Nach Definition ist im Raum Hr r 0 |r 0 = d3 r ξr∗0 (r)ξr 0 (r) = δ(r 0 − r 0 ),
(2.264)
wobei wir die Beziehung (2.58) ber¨ucksichtigt haben. Genauso ist nach Gl. (2.49) p0 |p0 = d3 r vp∗ 0 (r)vp0 (r) = δ(p0 − p0 ). (2.265) Die auf diese Weise eingef¨uhrten Basen sind im weiteren Sinne orthonormiert. Man kann die Tatsache, dass die Menge der |r0 bzw. der |p0 in Hr eine Basis bilden, durch eine Vollst¨andigkeitsrelation wie in Gl. (2.145) ausdr¨ucken, wobei jetzt u¨ ber drei Indizes zu summieren ist. Damit gelten die folgenden grundlegenden Beziehungen: r 0 |r 0 = δ(r 0 − r 0 ) d3 r0 |r 0 r 0 | = 1
(a), (b),
p0 |p0 = δ(p0 − p0 ) d3 p0 |p0 p0 | = 1
(c), (d).
(2.266)
130
2 Der mathematische Rahmen
Die Komponenten eines Ketvektors Wir betrachten einen beliebigen, der Wellenfunktion ψ(r) entsprechenden Ket |ψ. Mit den eben angegebenen Vollst¨andigkeitsrelationen k¨onnen wir diesen Ket durch die beiden Formen |ψ = d3 r0 |r 0 r 0 |ψ, (2.267) |ψ = d3 p0 |p0 p0 |ψ (2.268) ausdr¨ucken. Die Koeffizienten r 0 |ψ und p0 |ψ ergeben sich mit den Beziehungen r 0 |ψ = d3 r ξr∗0 (r)ψ(r), (2.269) p0 |ψ = d3 r vp∗ 0 (r)ψ(r) (2.270) zu r 0 |ψ = ψ(r 0 ), p0 |ψ = ψ(p0 );
(2.271) (2.272)
ψ(p) ist dabei die Fourier-Transformierte von ψ(r). Die Komponente des Kets |ψ bez¨uglich des Basisvektors |r 0 der Ortsdarstellung ist gerade gleich dem Wert der Wellenfunktion ψ(r) an der Stelle r0 . Die Wellenfunk” tion im Impulsraum“ ψ(p) wird entsprechend interpretiert. Die M¨oglichkeit, |ψ durch ψ(r) zu charakterisieren, ist demnach einfach ein Spezialfall der Ergebnisse aus Abschnitt 2.3.3. F¨ur |ψ = |p0 liefert Gl. (2.271) z. B. i
h)−3/2 e h¯ p0 ·r0 , r 0 |p0 = vp0 (r 0 ) = (2π¯
(2.273)
|r 0
¨ w¨ahrend f¨ur |ψ = das Ergebnis in Ubereinstimmung mit der Orthonormierungsbedingung (2.266(a)) steht: r 0 |r 0 = ξr0 (r 0 ) = δ(r 0 − r0 ).
(2.274)
Nachdem wir die Wellenfunktion ψ(r) und ihre Fourier-Transformierte ψ(p) auf diese Weise interpretiert haben, werden wir die Basisvektoren der beiden Darstellungen durch |r bzw. |p kennzeichnen, also den Index 0 fortlassen. Dann lauten die Gl. (2.271) und (2.272) r|ψ = ψ(r), p|ψ = ψ(p)
(2.275) (2.276)
und die vier Beziehungen (2.266) r|r = δ(r − r ) d3 r |rr| = 1
(a), (b),
p|p = δ(p − p ) d3 p |pp| = 1
(c), (d);
(2.277)
2.5 Zwei wichtige Beispiele
131
r und p sind hier immer als Mengen mit den kontinuierlichen Indizes {x, y, z} bzw. {px , py , pz } aufzufassen, mit denen die Kets in der Orts- bzw. Impulsdarstellung gekennzeichnet werden. Es sei jetzt {ui (r)} eine orthonormierte Basis in F . Jedem ui (r) ordnen wir einen Ket |ui in Hr zu. Die Menge {|ui } bildet in Hr eine orthonormierte Basis, gen¨ugt also der Vollst¨andigkeitsrelation
|ui ui | = 1.
(2.278)
i
Bilden wir f¨ur beide Seiten dieser Gleichung das Matrixelement zwischen |r und |r , so erhalten wir
r|ui ui |r = r|1|r = r|r ,
(2.279)
i
und hieraus ergibt sich wegen Gl. (2.271) und Gl. (2.266(a))
ui (r)u∗i (r ) = δ(r − r ).
(2.280)
i
Die Vollst¨andigkeitsrelation f¨ur die Funktionenmenge {ui (r)} (Gl. (2.33)) ist daher ein¨ fach die Ubersetzung der vektoriellen Vollst¨andigkeitsrelation (2.278) in die Ortsdarstellung.
Skalarprodukt zweier Vektoren Mit Gl. (2.259) haben wir das Skalarprodukt zweier Kets aus dem Raum Hr u¨ ber das Skalarprodukt der ihnen in F zugeordneten Wellenfunktionen definiert. In der Formulierung des vorstehenden Abschnitts erscheint diese Definition einfach als ein Spezialfall der Gl. (2.156). Gleichung (2.259) ergibt sich n¨amlich, wenn man zwischen ϕ| und |ψ die Vollst¨andigkeitsrelation (2.266(b)) schiebt, (2.281) ϕ|ψ = d3 r ϕ|rr|ψ und die Komponenten r|ψ und r|ϕ wie in Gl. (2.271) interpretiert. Begibt man sich in die {|p}-Darstellung (Impulsdarstellung), so gelangt man zu einer Beziehung, die in Zusammenhang mit der Fourier-Transformation wohlbekannt ist, s. Anhang I, Abschnitt I.2: ϕ|ψ = d3 p ϕ|pp|ψ (2.282) = d3 p ϕ ∗ (p)ψ(p).
132
2 Der mathematische Rahmen
¨ Ubergang von der Orts- in die Impulsdarstellung ¨ Der Ubergang von der Ortsdarstellung mit der Basis {|r} in die Impulsdarstellung mit der Basis {|p} geschieht nach der in Abschnitt 2.3.5 angegebenen Methode. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass wir es jetzt mit kontinuierlichen Basen zu tun haben. Mit Hilfe der Zahlen i
h)−3/2 e h¯ p·r r|p = p|r∗ = (2π¯
(2.283)
gelangen wir von der einen in die andere Darstellung. Ein bestimmter Ket |ψ wird in der Ortsdarstellung durch r|ψ = ψ(r) und in der Impulsdarstellung durch p|ψ = ψ(p) repr¨asentiert. Wir wissen bereits, Gl. (2.270), dass ψ(r) und ψ(p) Fourier-Transformierte zueinander sind. Genau dies aber liefern die Formeln f¨ur den Darstellungswechsel. Es ist r|ψ = d3 p r|pp|ψ, also ψ(r) = (2π¯ h)−3/2 Umgekehrt ist p|ψ =
i
d3 p e h¯ p·r ψ(p).
(2.284)
d3 r p|rr|ψ
und daher −3/2
ψ(p) = (2π¯ h)
i
d3 r e− h¯ p·r ψ(r).
(2.285)
Von Gl. (2.191) ausgehend kann man aus den Matrixelementen r |A|r = A(r , r) f¨ur einen Operator A in der Ortsdarstellung leicht die Matrixelemente p |A|p = A(p , p) in der Impulsdarstellung erhalten. Es wird i 3 −3 h) d3 r e h¯ (p·r − p ·r ) A(r , r). (2.286) d r A(p , p) = (2π¯ Eine entsprechende Beziehung ergibt sich f¨ur die Berechnung von A(r , r) aus A(p’, p).
2.5.2 Orts- und Impulsoperator Definition Es sei |ψ ein beliebiger Ket aus Hr und r|ψ = ψ(r) ≡ ψ(x, y, z) die zugeh¨orige Wellenfunktion. Ist weiter in der Ortsdarstellung die Wellenfunktion r|ψ = ψ (r) ≡ ψ (x, y, z) durch ψ (x, y, z) = x ψ(x, y, z)
(2.287)
2.5 Zwei wichtige Beispiele
133
gegeben, so definieren wir den Operator X durch die Gleichung |ψ = X|ψ.
(2.288)
In der Ortsdarstellung besteht die Wirkung des Operators X also in einer Multiplikation mit dem Faktor x. Entsprechend f¨uhrt man die weiteren Operatoren Y und Z ein, indem man definiert r|X|ψ = xr|ψ,
(2.289)
r|Y |ψ = yr|ψ, r|Z|ψ = zr|ψ,
(2.290) (2.291)
worin die Zahlen x, y und z gerade die drei Indizes sind, die den Ket |r kennzeichnen. X, Y und Z werden als die Komponenten eines Vektoroperators R aufgefasst: An dieser Stelle ist dies nichts weiter als eine abgek¨urzte Schreibweise, die durch die Tatsache nahegelegt wird, dass x, y und z die Komponenten des Ortsvektors r sind. Die Handhabung der Operatoren X, Y und Z erweist sich in der Ortsdarstellung als besonders einfach. Will man z. B. das Matrixelement ϕ|X|ψ berechnen, so gen¨ugt es, die Vollst¨andigkeitsrelation (2.266(b)) zwischen ϕ| und X zu schieben und die Definition (2.289) zu ber¨ucksichtigen: ϕ|X|ψ = d3 r ϕ|rr|X|ψ = d3 r ϕ∗ (r) x ψ(r). (2.292) Auf die gleiche Weise kann man den Vektoroperator P durch seine Komponenten Px , Py und Pz definieren, die in der Impulsdarstellung, in der die Kets |p die Basis bilden, durch die Gleichungen p|Px |ψ = px p|ψ, p|Py |ψ = py p|ψ,
(2.293) (2.294)
p|Pz |ψ = pz p|ψ
(2.295)
gegeben sind; die px , py und pz sind dabei die drei Indizes, durch die der Ket |p bestimmt ist. Wir fragen, wie der Operator P in der Ortsdarstellung wirkt. Hierzu gen¨ugt es, s. Abschnitt 2.3.5, die Vollst¨andigkeitsrelation (2.266(d)) und die Beziehung (2.283) f¨ur den Basiswechsel zu verwenden: d3 p r|pp|Px |ψ r|Px |ψ = i = (2π¯ h)−3/2 d3 p e h¯ p·r px ψ(p). (2.296) Auf der rechten Seite steht, s. Anhang I, Gl. (I.38), gerade die Fourier-Transformierte von h ∂ ψ(r). Somit erhalten wir px ψ(p), d. h. ¯ i ∂x h ¯ r|P |ψ = ∇r|ψ. (2.297) i
134
2 Der mathematische Rahmen
In der Ortsdarstellung stimmt der Operator P mit dem auf die Wellenfunktion wirkenden h ∇ u¨ berein. Demnach wird z. B. das Matrixelement ϕ|P |ψ in der Differentialoperator ¯ x i Ortsdarstellung wie folgt berechnet: ϕ|Px |ψ = d3 r ϕ|rr|Px |ψ ¯h ∂ 3 ∗ = d r ϕ (r) ψ(r). (2.298) i ∂x Man kann sich auch in die Ortsdarstellung begeben, um die Kommutatoren der Operatoren X, Y bzw. Z und Px , Py bzw. Pz zu berechnen. So erh¨alt man z. B. r|[X, Px ]|ψ = r|(XPx − Px X)|ψ ¯h ∂ r|X|ψ = xr|Px |ψ − i ∂x ¯h ∂ h ∂ ¯ r|ψ − xr|ψ = x i ∂x i ∂x = i¯ hr|ψ.
(2.299)
Diese Rechnung gilt f¨ur jeden beliebigen Ket |ψ und jeden Basisket |r, so dass wir auch schreiben k¨onnen8 (2.300)
[X, Px ] = i¯ h.
Auf die gleiche Weise ermittelt man die anderen Kommutatoren, die zwischen den Komponenten von R und P m¨oglich sind. Das Ergebnis k¨onnen wir in der Form [Ri , Rj ] = 0, [Pi , Pj ] = 0,
(i, j = 1, 2, 3)
(2.301)
[Ri , Pj ] = i¯ hδij ausdr¨ucken. Hierbei bezeichnen wir mit R1 , R2 und R3 die Operatoren X, Y und Z und mit P1 , P2 und P3 die Operatoren Px , Py und Pz . Man nennt diese Gleichungen die kanonischen Vertauschungsrelationen.
Hermitezit¨at des Orts- und Impulsoperators F¨ur einen Beweis der Hermitezit¨at z. B. des Operators X gen¨ugt die Verwendung von Gl. (2.292):
8 Der Kommutator [X, P ] ist ein Operator, weshalb wir in Strenge [X, P ] = i¯ h1 schreiben m¨ussten. Im x x Folgenden werden wir meist den Einheitsoperator unterdr¨ucken und durch die Zahl 1 ersetzen, falls es auf den Unterschied nicht ankommt.
2.5 Zwei wichtige Beispiele ϕ|X|ψ =
135
d3 r ϕ∗ (r) x ψ(r)
=
∗ d r ψ (r) x ϕ(r) 3
∗
= ψ|X|ϕ∗ ,
(2.302)
s. Abschnitt 2.2.4. Ebenso zeigt man die Hermitezit¨at von Y und Z, w¨ahrend man f¨ur den Beweis der Hermitezit¨at der Operatoren Px , Py und Pz am einfachsten in die Impulsdarstellung wechselt. Wir k¨onnen die Hermitezit¨at von P auch zeigen, indem wir von Gl. (2.297) ausgehen. Nehmen wir z. B. Gl. (2.298) f¨ur die x-Komponente dieses Operators, so k¨onnen wir auf der rechten Seite partiell integrieren: +∞ h ¯ ∂ dx ϕ∗ (r) ψ(r) ϕ|Px |ψ = dy dz i ∂x −∞ ' $% &x=+∞ +∞ h ¯ ∂ ∗ ∗ = − dx ψ(r) ϕ (r) . (2.303) dy dz ϕ (r)ψ(r) i ∂x x=−∞ −∞ Damit das Integral f¨ur das Skalarprodukt ϕ|ψ konvergiert, muss ϕ∗ (r)ψ(r) f¨ur x → ±∞ gegen null gehen. Der ausintegrierte Term verschwindet also, und wir erhalten h ¯ ∂ ϕ|Px |ψ = − d3 r ψ(r) ϕ∗ (r) i ∂x ∗ h ¯ ∂ 3 ∗ ϕ|Px |ψ = d r ψ (r) ϕ(r) i ∂x = ψ|Px |ϕ∗ .
(2.304)
Wir sehen, dass das Auftreten der imagin¨aren Einheit i f¨ur die Hermitezit¨at von Px wesentlich ist: Der Differentialoperator ∂/∂x, der im Funktionenraum F wirkt, ist nicht hermitesch, weil bei der partiellen Integration ein Vorzeichenwechsel geschieht. Dies sind ¯h ∂ ∂ sowie der Operator . erst der Operator i ∂x i ∂x
Eigenvektoren des Orts- und des Impulsoperators Wir betrachten die Wirkung des Operators X auf den Ket |r 0 . Nach Gl. (2.289) haben wir r|X|r0 = x r|r 0 = x δ(r − r 0 ) = x0 δ(r − r 0 ) = x0 r|r 0 .
(2.305)
In der Ortsdarstellung ergeben sich also die Komponenten des Kets X|r0 , indem man die Komponenten des Kets |r 0 mit x0 multipliziert (r0 ist Eigenvektor von X). Darum gilt X|r0 = x0 |r0 .
(2.306)
136
2 Der mathematische Rahmen
¨ Wir k¨onnen die gleiche Uberlegung auch f¨ur die Operatoren Y und Z durchf¨uhren und erhalten, wenn wir den Index 0 unterdr¨ucken, die Beziehungen X|r = x |r, Y |r = y |r, Z|r = z |r.
(2.307)
Die Kets |r sind also gemeinsame Eigenvektoren von X, Y und Z. Dies rechtfertigt die von uns eingef¨uhrte Schreibweise: Jeder Eigenvektor ist durch einen Vektor r festgelegt, dessen Komponenten x, y und z drei kontinuierliche Indizes repr¨asentieren, die gerade den Eigenwerten von X, Y und Z entsprechen. ¨ Ganz a¨ hnliche Uberlegungen gelten f¨ur den Impulsoperator P , wenn man sich in die Impulsdarstellung begibt. Wir erhalten Px |p = px |p, Py |p = py |p,
(2.308)
Pz |p = pz |p. Bemerkung Zu diesem Ergebnis gelangt man auch, indem man von Gl. (2.297) ausgeht, die die Wirkung von P in der Ortsdarstellung beschreibt. Mit Gl. (2.273) findet man
r|Px |p =
i ¯ ∂ h ¯ ∂ h
r|p = (2π¯ h)−3/2 e h¯ p·r i ∂x i ∂x i
= px (2π¯ h)−3/2 e h¯ p·r = px r|p .
(2.309)
Die Komponenten des Kets Px |p in der Ortsdarstellung erh¨alt man, indem man die Komponenten von |p mit der Konstanten px multipliziert: |p ist Eigenket von Px zum Eigenwert px .
Observableneigenschaft des Orts- und Impulsoperators Die Beziehungen (2.266(b)) und (2.266(d)) dr¨ucken die Tatsache aus, dass die Vektorenmengen {|r} und {|p} in Hr jeweils eine Basis bilden. Daher sind der Ortsoperator R und der Impulsoperator P Observable. Weiter bestimmt die Angabe der drei Eigenwerte x0 , y0 und z0 der Operatoren X, Y und Z eindeutig den zugeh¨origen Eigenvektor |r0 : In der Ortsdarstellung sind seine Komponenten δ(x − x0 )δ(y − y0 )δ(z − z0 ). Die Menge der drei Operatoren X, Y und Z bilden also in Hr einen v. S. k. O. Ebenso kann man zeigen, dass auch die Komponenten Px , Py und Pz in Hr einen v. S. k. O. bilden. Zu beachten ist, dass in Hr der Operator X allein noch keinen v. S. k. O. bildet. Bei vorgegebenem Index x0 k¨onnen y0 und z0 noch beliebige reelle Werte annehmen, so das der Eigenwert x0 unendlich oft entartet ist. Dagegen ist X im Raum Hx eines eindimensionalen Problems ein v. S. k. O.: Der Eigenwert x0 bestimmt auf eindeutige Weise den einzigen Eigenket |x0 ; in der {|x}-Darstellung sind seine Komponenten die δ-Funktionen δ(x − x0 ).
2.6 Tensorprodukte von Zustandsr¨aumen
137
Bemerkung Bisher haben wir in Hr zwei v. S. k. O. gefunden: die Operatorenmengen {X, Y, Z} und {Px , Py , Pz }. Weitere v. S. k. O. werden wir sp¨ater kennenlernen. Hier nennen wir nur ein Beispiel: Bei der Menge {X, Py , Pz } vertauschen die Operatoren paarweise, s. Gl. (2.301). Gibt man andererseits die drei Eigenwerte x0 , p0y und p0z vor, so geh¨ort dazu ein einziger Ket, und die ihm entsprechende Wellenfunktion lautet ψx0 , p0y , p0z (x, y, z) = δ(x − x0 )
i 1 e h¯ (p0y y+p0z z) . 2π¯ h
(2.310)
2.6 Tensorprodukte von Zustandsr¨aumen 2.6.1 Einfuhrung ¨ Bis jetzt haben wir den Zustandsraum eines physikalischen Systems eingef¨uhrt, indem wir vom Begriff der Wellenfunktion eines Teilchens ausgingen, und zwar f¨ur den ein- und den dreidimensionalen Fall. Nun ist klar, dass der Raum der quadratintegrablen Funktionen nicht derselbe ist, wenn wir einmal Funktionen ψ(x) von einer Ver¨anderlichen und einmal Funktionen ψ(r) von drei unabh¨angigen Ver¨anderlichen betrachten. Damit sind auch die Zustandsr¨aume Hx und Hr verschieden: Hr erscheint als eine Verallgemeinerung von Hx . Gibt es zwischen diesen beiden R¨aumen eine genauere Beziehung? In diesem Abschnitt werden wir den Begriff des Tensorprodukts (manchmal auch Kronecker-Produkt genannt) von Vektorr¨aumen einf¨uhren und ihn auf Zustandsr¨aume anwenden. Wir werden dann sehen, dass man den Raum Hr konstruieren kann, indem man vom Raum Hx und zwei zu ihm isomorphen R¨aumen Hy und Hz ausgeht. Weiter werden wir uns sp¨ater (Kapitel 4 und 9) mit Teilchen befassen, die einen inneren Drehimpuls oder Spin besitzen: Neben den a¨ ußeren Freiheitsgraden des Ortes und des Impulses, die man in Hr mit den Observablen R und P beschreibt, muss man dann innere Freiheitsgrade ber¨ucksichtigen und Spinobservable einf¨uhren, die in einem Spinraum Hs wirken. Der Zustandsraum f¨ur ein Teilchen mit Spin erweist sich dann als Tensorprodukt von Hr und Hs . Schließlich erlaubt der Begriff des Tensorprodukts auch die L¨osung des folgenden Problems. Gegeben seien zwei isolierte physikalische Systeme (S1 ) und (S2 ) (z. B. sollen sie so weit voneinander entfernt sein, dass man ihre Wechselwirkung vollst¨andig vernachl¨assigen kann). Die zu ihnen geh¨orenden Zustandsr¨aume seien H1 und H2 . Wenn wir jetzt diese beiden Systeme zu einem System (S) zusammenfassen (was z. B. dann notwendig wird, wenn sich diese beiden Systeme so weit n¨ahern, dass sie aufeinander einwirken k¨onnen), so entsteht die Frage, wie der Zustandsraum des Gesamtsystems H aussieht.
138
2 Der mathematische Rahmen
2.6.2 Definition und Eigenschaften des Tensorprodukts Gegeben seien die beiden9 R¨aume H1 mit der Dimension N1 und H2 mit der Dimension N2 (N1 und N2 k¨onnen endlich oder unendlich sein). Die Vektoren und Operatoren aus den beiden R¨aumen werden wir durch den Index (1) bzw. (2) kennzeichnen.
Das Tensorprodukt Definition.
Der Vektorraum H heißt Tensorprodukt von H1 und H2 , in Zeichen
H = H1 ⊗ H2 ,
(2.311)
wenn zu jedem Paar von Vektoren |ϕ(1) ∈ H1 und |χ(2) ∈ H2 ein Vektor aus H geh¨ort. Wir bezeichnen ihn mit |ϕ(1) ⊗ |χ(2)
(2.312)
und nennen ihn das tensorielle Produkt von |ϕ(1) und |χ(2)10 . Dieses Produkt besitzt die folgenden Eigenschaften: 1. Es ist linear bez¨uglich der Multiplikation mit einer komplexen Zahl: [λ|ϕ(1)] ⊗ |χ(2) = λ[|ϕ(1) ⊗ |χ(2)], |ϕ(1) ⊗ [μ|χ(2)] = μ[|ϕ(1) ⊗ |χ(2)].
(2.313)
2. Es ist bez¨uglich der Vektoraddition distributiv: |ϕ(1) ⊗ [|χ1 (2) + χ2 (2)] = |ϕ(1) ⊗ |χ1 (2) + |ϕ(1) ⊗ |χ2 (2), [|ϕ1 (1) + |ϕ2 (1)] ⊗ |χ(2) = |ϕ1 (1) ⊗ |χ(2) + |ϕ2 (1) ⊗ |χ(2).
(2.314)
3. Ist {|ui (1)} eine Basis in H1 und {|vl (2)} eine Basis in H2 , so bildet die Menge der Vektoren |ui (1) ⊗ |vl (2) eine Basis in H. Sind die Dimensionen N1 und N2 der R¨aume H1 und H2 endlich, so hat H die Dimension N1 N2 . Vektoren in H. 1. Wir betrachten ein tensorielles Produkt |ϕ(1) ⊗ |χ(2), in dem wir |ϕ(1) nach der Basis {|ui (1)} und |χ(2) nach der Basis {|vl (2)} zerlegen k¨onnen: |ϕ(1) = ai |ui (1), i
|χ(2) =
bl |vl (2).
(2.315)
l
9 Die
folgenden Definitionen k¨onnen ohne Schwierigkeit auf den Fall einer endlichen Zahl von R¨aumen erweitert werden. 10 Auf die Reihenfolge kommt es dabei nicht an: Der Vektor kann auch mit |χ(2)⊗|ϕ(1) bezeichnet werden
2.6 Tensorprodukte von Zustandsr¨aumen
139
Ber¨ucksichtigen wir die eben aufgef¨uhrten Eigenschaften, so lautet die Entwicklung des Vektors |ϕ(1) ⊗ |χ(2) nach der Basis {|ui (1) ⊗ |vl (2)} |ϕ(1) ⊗ |χ(2) = ai bl |ui (1) ⊗ |vl (2). (2.316) i,l
Die Komponenten eines tensoriellen Produkts sind demnach die Produkte der Komponenten der beiden in diesem Produkt auftretenden Vektoren. 2. Es gibt in H Vektoren, die nicht als tensorielles Produkt eines Vektors aus H1 mit einem Vektor aus H2 darstellbar sind. Weil n¨amlich {|ui (1) ⊗ |vl (2)} eine Basis in H bildet, kann ein beliebiger Vektor |ψ ∈ H in der Form |ψ = ci, l |ui (1) ⊗ |vl (2) (2.317) i, l
geschrieben werden. N1 N2 vorgegebene komplexe Zahlen ci, l kann man aber nicht immer auf die Form eines Produkts ai bl von N1 Zahlen ai und N2 Zahlen bl bringen. Deshalb existieren im Allgemeinen keine Vektoren |ϕ(1) und |χ(2), deren tensorielles Produkt gleich dem Vektor |ψ ist. Dagegen kann stets ein beliebiger Vektor |ψ ∈ H als eine Linearkombination wie in Gl. (2.317) dargestellt werden. Skalarprodukt in H. Weil in den R¨aumen H1 und H2 ein Skalarprodukt erkl¨art ist, kann man auch in H ein Skalarprodukt definieren. Zun¨achst f¨uhrt man das Skalarprodukt von |ϕ(1) χ(2) = |ϕ(1) ⊗ |χ(2) mit |ϕ (1) χ (2) = |ϕ (1) ⊗ |χ (2) ein, indem man ϕ (1) χ (2)|ϕ(1) χ(2) = ϕ (1)|ϕ(1)χ (2)|χ(2)
(2.318)
setzt. F¨ur zwei beliebige Vektoren aus H gen¨ugt es dann, die Eigenschaften eines Skalarprodukts, s. Gl. (2.82) bis (2.84), zu beachten, weil ja beide Vektoren als Linearkombination von tensoriellen Produkten geschrieben werden k¨onnen. Die Basis {|ui (1) vl (2) = |ui (1) ⊗ |vl (2)} ist orthonormiert, weil es die Basen {|ui (1)} und {|vl (2)} sind: ui (1) vl (2)|ui (1) vl (2) = ui (1)|ui (1)vl (2)|vl (2) = δii δll .
(2.319)
Tensorprodukt von Operatoren 1. Wir betrachten zun¨achst einen linearen Operator A(1), der in H1 definiert ist. Man ˜ kann ihm einen linearen Operator A(1) in H zuordnen, der durch die Gleichung ˜ A(1)[|ϕ(1) ⊗ |χ(2)] = [A(1)|ϕ(1)] ⊗ |χ(2) (2.320) definiert ist und die Fortsetzung von A(1) in H heißt. Mit der Voraussetzung, dass dieser Operator linear sein soll, ist er in H vollst¨andig definiert, weil man einen beliebigen Vektor |ψ ∈ H in der Form (2.317) schreiben kann und damit ˜ A(1)|ψ = ci, l [A(1)|ui (1)] ⊗ |vl (2) (2.321) i, l
140
2 Der mathematische Rahmen
gilt. Entsprechend definiert man die Fortsetzung eines in H2 erkl¨arten Operators B(2). 2. Es seien jetzt A(1) und B(2) zwei lineare Operatoren, die in H1 bzw. H2 wirken. Dann definieren wir das Tensorprodukt A(1) ⊗ B(2) dieser beiden Operatoren durch die Beziehung [A(1) ⊗ B(2)][|ϕ(1) ⊗ |χ(2)] = [A(1)|ϕ(1)] ⊗ [B(2)|χ(2)].
(2.322)
Auch diese Erkl¨arung ist f¨ur die Festlegung von A(1) ⊗ B(2) ausreichend. Bemerkungen 1. Die Fortsetzungen von Operatoren sind Spezialf¨alle von Tensorprodukten von Operatoren: Sind ˜ ˜ und B(2) 1(1) und 1(2) die Einheitsoperatoren in H1 bzw. H2 , so kann man f¨ur A(1) ˜ A(1) = A(1) ⊗ 1(2), ˜ B(2) = 1(1) ⊗ B(2)
(2.323)
schreiben. Umgekehrt f¨allt das Tensorprodukt A(1) ⊗ B(2) mit dem gew¨ohnlichen Produkt der ˜ ˜ beiden Operatoren A(1) und B(2) in H zusammen: ˜ B(2). ˜ A(1) ⊗ B(2) = A(1)
(2.324)
˜ ˜ 2. Es ist leicht zu zeigen, dass zwei Operatoren von der Art A(1) und B(2) in H vertauschen: ˜ ˜ [A(1), B(2)] = 0.
(2.325)
˜ B(2) ˜ ˜ A(1) ˜ Hierzu gen¨ugt der Nachweis, dass die Wirkung von A(1) und B(2) auf einen Vektor der Basis {|ui (1) ⊗ |vl (2) } zum selben Resultat f¨uhrt: ˜ ˜ B(2)|u ˜ A(1) i (1) ⊗ |vl (2) = A(1)[|ui (1) ⊗ (B(2)|vl (2) )] = [A(1)|ui (1) ] ⊗ [B(2)|vl (2) ]; ˜ ˜ A(1)|u ˜ B(2) i (1) ⊗ |vl (2) = B(2)[(A(1)|ui (1) ) ⊗ |vl (2) ]
(2.326)
= [A(1)|ui (1) ] ⊗ [B(2)|vl (2) ].
(2.327)
3. Den Projektor auf den (tensoriellen) Produktvektor |ϕ(1) χ(2) = |ϕ(1) ⊗ |χ(2) , also einen in H wirkenden Operator, erh¨alt man aus dem Tensorprodukt der Projektoren auf |ϕ(1) bzw. |χ(2) : |ϕ(1) χ(2) ϕ(1) χ(2)| = |ϕ(1) ϕ(1)| ⊗ |χ(2) χ(2)|.
(2.328)
Diese Beziehung folgt unmittelbar aus der Definition des Skalarprodukts in H. 4. Wie bei den Vektoren gibt es auch Operatoren in H, die nicht als Tensorprodukt eines Operators in H1 und eines Operators in H2 dargestellt werden k¨onnen.
Bezeichnungen In der Quantenmechanik ist es u¨ blich, die hier eingef¨uhrten Bezeichnungen zu vereinfachen. Auch wir wollen dies tun.
2.6 Tensorprodukte von Zustandsr¨aumen
141
Zun¨achst unterdr¨uckt man das Symbol ⊗, mit dem das Tensorprodukt gekennzeichnet wurde, und stellt die Vektoren oder Operatoren, die man tensoriell multipliziert, einfach nebeneinander: |ϕ(1)|χ(2)
bedeutet |ϕ(1) ⊗ |χ(2),
(2.329)
A(1)B(2)
bedeutet A(1) ⊗ B(2).
(2.330)
Weiter unterscheidet man in der Schreibweise nicht zwischen der Fortsetzung eines Operators in H und diesem Operator selbst: A(1)
bedeutet
˜ A(1)
oder
A(1).
(2.331)
Bei Vektoren ist eine Verwechslung nicht m¨oglich, weil wir eine derartige Notation u¨ berhaupt noch nicht verwendet haben. Insbesondere halten wir fest, dass der Ausdruck |ψ|ϕ in H nicht erkl¨art ist, wenn |ψ und |ϕ zum selben Raum H geh¨oren; sie w¨aren dann selbst Vektoren aus diesem Produktraum. Dagegen f¨uhren die Festsetzungen in Gl. (2.330) und Gl. (2.331) zu Doppeldeutigkeiten. Vor allem bei Gl. (2.331) verwendet man ein und dasselbe Symbol f¨ur zwei verschiedene Operatoren, doch wird man in der Praxis die Unterscheidung durch den Vektor treffen, auf den das Symbol dann angewendet wird: Ist dieser Vektor aus dem Produkt˜ raum H, so hat man es mit dem Operator A(1) zu tun, ist der Vektor aus H1 , so mit dem Operator A(1) im engen Sinne. Was die Setzung in Gl. (2.330) angeht, so gibt es kein Problem, wenn die R¨aume H1 und H2 verschieden sind, weil wir bis jetzt nur Produkte von Operatoren definiert haben, die im selben Raum wirken. Man kann u¨ brigens A(1)B(2) als ein gew¨ohnliches Produkt von Operatoren in H ansehen, wenn man unter A(1) und ˜ ˜ B(2) die Operatoren A(1) und B(2) versteht, s. Gl. (2.324).
2.6.3 Eigenwertgleichung im Produktraum Im Folgenden spielen tensorielle Produkte eines Vektors aus H1 mit einem Vektor aus H2 eine wichtige Rolle. Dies gilt auch f¨ur die Frage der Fortsetzung von Operatoren aus diesen R¨aumen.
Eigenwerte und Eigenvektoren von Operatorfortsetzungen Eigenwertgleichung fur ¨ A(1). Wir betrachten einen Operator A(1), von dem wir in H1 s¨amtliche Eigenwerte und Eigenvektoren kennen. Zum Beispiel nehmen wir an, dass sein Spektrum diskret ist: A(1)|ϕin (1) = an |ϕin (1),
i = 1, 2, . . . , gn .
(2.332)
Wir wollen in H die Eigenwertgleichung der Fortsetzung von A(1) l¨osen: A(1)|ψ = λ|ψ,
|ψ ∈ H.
(2.333)
142
2 Der mathematische Rahmen
Nach Gl. (2.320) erkennt man sofort, dass jeder Vektor von der Form |ϕin (1)|χ(2) (mit beliebigem |χ(2) ∈ H2 ) Eigenvektor von A(1) zum Eigenwert an ist: A(1)|ϕin (1)|χ(2) = [A(1)|ϕin (1)]|χ(2) = an |ϕin (1)|χ(2).
(2.334)
Falls A(1) in H1 eine Observable ist, so k¨onnen wir zeigen, dass wir auf diese Weise alle L¨osungen von Gl. (2.333) erhalten. Unter dieser Voraussetzung bilden die |ϕin (1) in H1 eine orthonormierte Basis. Folglich bildet das orthonormierte System der Vektoren |ψni, l mit |ψni, l = |ϕin (1)|vl (2)
(2.335)
eine Basis in H, wenn {|vl (2)} eine Basis in H2 ist. Man kennt also mit {|ψni, l } in H eine orthonormierte Basis, die aus den Eigenvektoren von A(1) in H gebildet wird. Damit ist das Problem grunds¨atzlich gel¨ost. Es ergeben sich die drei Schlussfolgerungen: 1. Ist der Operator A(1) in H1 eine Observable, so ist er auch in H eine Observable. Dies ergibt sich aus der Tatsache, dass A(1) hermitesch ist und {|ψni, l } in H eine Basis bildet. 2. Das Spektrum von A(1) ist in H dasselbe wie in H1 : Die Eigenwerte an , die in Gl. (2.334) auftreten, sind dieselben wie die in Gl. (2.332). 3. Ein Eigenwert an , der in H1 gn -fach entartet ist, besitzt in H eine N2 × gn -fache Entartung. Der Eigenraum zu an wird in H durch die Vektoren |ψni, l mit n fest, i = 1, 2, . . . , gn und l = 1, 2, . . . , N2 aufgespannt. Selbst wenn also an in H1 ein einfacher Eigenwert ist, so ist er in H (N2 -fach) entartet. Der Projektor auf den zu einem Eigenwert an geh¨orenden Eigenraum hat in H die Form (Gl. (2.314)) |ψni, l ψni, l | = |ϕin (1)ϕin (1)| ⊗ |vl (2)vl (2)| i, l
i, l
=
|ϕin (1)ϕin (1)| ⊗ 1(2),
(2.336)
i
ucksichtigen. Er ist wenn wir in H2 f¨ur die Basis {|vl (2)} die Vollst¨andigkeitsrelation ber¨ also die Fortsetzung des in H1 zu an geh¨orenden Projektors Pn (1) = i |ϕin (1)ϕin (1)|. Eigenwertgleichung fur ¨ A(1) + B(2). H¨aufig werden wir in einem Produktraum wie H Eigenwertgleichungen f¨ur Operatoren von der Form C = A(1) + B(2)
(2.337)
l¨osen m¨ussen, wobei A(1) und B(2) Observable sind, deren Eigenwerte und Eigenvektoren in H1 bzw. H2 bekannt sind: A(1)|ϕn (1) = an |ϕn (1), B(2)|χp (2) = bp |χp (2).
(2.338)
2.6 Tensorprodukte von Zustandsr¨aumen
143
Der Einfachheit halber nehmen wir hier an, dass die Spektren von A(1) und B(2) in H1 bzw. H2 diskret und nichtentartet sind. Die Operatoren A(1) und B(2) vertauschen (Gl. (2.326) und (2.327)) und die Vektoren |ϕn (1)|χp (2), die in H eine Basis bilden, sind gemeinsame Eigenvektoren von A(1) und B(2): A(1)|ϕn (1)|χp (2) = an |ϕn (1)|χp (2), B(2)|ϕn (1)|χp (2) = bp |ϕn (1)|χp (2),
(2.339)
und sie sind auch Eigenvektoren von C: C|ϕn (1)|χp (2) = (an + bp )|ϕn (1)|χp (2).
(2.340)
Bemerkung Gleichung (2.340) zeigt, dass alle Eigenwerte von C von der Form cnp = an + bp sind. Wenn zu verschiedenen Zahlenpaaren n, p auch verschiedene Werte von cnp geh¨oren, ist dieser Wert nichtentartet (wir hatten an und bp als nichtentartet vorausgesetzt); der zugeh¨orige Eigenvektor von C ist notwendig das tensorielle Produkt |ϕn (1) |χp (2) . Ist dagegen der Eigenwert cnp z. B. zweifach entartet (es existiert ein m und ein q so, dass cmq = cnp ), so kann man nur behaupten, dass jeder zu diesem Eigenwert von C geh¨orende Eigenvektor von der Form λ|ϕn (1) |χp (2) + μ|ϕm (1) |χq (2)
(2.341)
ist, worin λ und μ beliebige komplexe Zahlen bedeuten. Es gibt also Eigenvektoren von C, die nicht als tensorielle Produkte geschrieben werden k¨onnen.
Vollst¨andige S¨atze kommutierender Observabler im Produktraum Wir zeigen schließlich, dass man durch die Wahl je eines v. S. k. O. in H1 und H2 sofort einen v. S. k. O. in H erh¨alt. Wir wollen annehmen, dass A(1) in H f¨ur sich einen v. S. k. O. bildet, w¨ahrend in H2 der v. S. k. O. aus den beiden Observablen B(2) und C(2) besteht. Dies bedeutet (s. Abschnitt 2.4.3), dass alle Eigenwerte an von A(1) in H1 einfach sind, A(1)|ϕn (1) = an |ϕn (1),
(2.342)
und der Ket |ϕn (1) bis auf einen Faktor eindeutig ist. Dagegen sind in H2 gewisse Eigenwerte bp von B(2) entartet und ebenso bestimmte Eigenwerte cr von C(2). Die gemeinsamen Eigenvektoren von B(2) und C(2) in H2 sind jedoch eindeutig, denn es gibt zu vorgegebenen Eigenwerten bp und cr genau einen Ket (von einem Faktor abgesehen), der Eigenvektor von B(2) und C(2) zu diesen Werten ist: B(2)|χpr (2) = bp |χpr (2), C(2)|χpr (2) = cr |χpr (2); |χpr (2)
ist bis auf einen Faktor eindeutig.
(2.343)
144
2 Der mathematische Rahmen
In H zeigen die Eigenwerte an eine N2 -fache Entartung (s. Abschnitt 2.6.3), der Operator A(1) bildet allein keinen v. S. k. O. mehr. Ebenso gibt es N1 linear unabh¨angige Kets, die Eigenvektoren von B(2) und C(2) zu den Eigenwerten bp und cr sind, und {B(2), C(2)} ist kein v. S. k. O. Wir haben jedoch in Abschnitt 2.6.3 gesehen, dass die gemeinsamen Eigenvektoren der drei paarweise vertauschenden Observablen A(1), B(2) und C(2) die Produktkets |ϕn (1)χpr (2) = |ϕn (1)|χpr (2) sind: A(1)|ϕn (1)χpr (2) = an |ϕn (1)χpr (2), B(2)|ϕn (1)χpr (2) = bp |ϕn (1)χpr (2), C(2)|ϕn (1)χpr (2) = cr |ϕn (1)χpr (2).
(2.344)
Weil {|ϕn (1)} und {|χpr (2)} Basen in H1 bzw. H2 sind, bildet {|ϕn (1)χpr (2)} eine Basis in H. Gibt man dar¨uber hinaus ein Eigenwerttripel {an , bp , cr } vor, so geh¨ort dazu ein einziger Eigenvektor |ϕn (1)χpr (2): Die Observablen A(1), B(2) und C(2) bilden in H einen v. S. k. O. ¨ Es bereitet keine Schwierigkeit, diese Uberlegungen zu verallgemeinern: Man erh¨alt f¨ur den Produktraum H = H1 ⊗ H2 einen vollst¨andigen Satz kommutierender Observabler, indem man einen in H1 vollst¨andigen Satz kommutierender Observabler mit einem in H2 vollst¨andigen Satz kommutierender Observabler vereinigt.
2.6.4 Anwendungen Ein- und dreidimensionale Einteilchenzust¨ande Zustandsr¨aume. Wir kehren zu der in Abschnitt 2.6.1 gestellten Frage nach dem Zusammenhang zwischen Hx und Hr zur¨uck. Hx ist der Zustandsraum f¨ur ein Teilchen im eindimensionalen Fall, d. h. der den Wellenfunktionen ϕ(x) zugeordnete Zustandsraum. In diesem Raum bildet die in Abschnitt 2.5.2 behandelte Observable X f¨ur sich einen v. S. k. O.; ihre Eigenvektoren sind die Basisvektoren der {|x}-Darstellung. In dieser Darstellung ist ein Vektor |ϕ ∈ Hx durch die Wellenfunktion ϕ(x) = x|ϕ gegeben; insbesondere entspricht dem Basisket |x0 die Funktion“ ξx0 (x) = δ(x − x0 ). ” Auf die gleiche Weise k¨onnen wir die R¨aume Hy und Hz einf¨uhren, indem wir von den Wellenfunktinen χ(y) bzw. ω(z) ausgehen. Hier bildet die Observable Y einen v. S. k. O. in Hy und die Observable Z entsprechend einen v. S. k. O. in Hz . Die zugeh¨origen Eigenvektoren sind Basisvektoren in der {|y}- bzw. {|z}-Darstellung. Einem Vektor |χ ∈ Hy (bzw. |ω ∈ Hz ) entspricht in der {|y}-Darstellung eine Funktion χ(y) = y|χ und einem Vektor |ω ∈ Hz eine Funktion ω(z) = z|ω. Die zu |y0 bzw. zu |z0 geh¨orenden Basis funktionen“ sind δ(y − y0 ) bzw. δ(z − z0 ). ” Wir bilden nun das Tensorprodukt Hxyz = Hx ⊗ Hy ⊗ Hz
(2.345)
und erhalten mit dem tensoriellen Produkt der Basen {|x}, {|y} und {|z} eine Basis in Hxyz . Hierf¨ur schreiben wir |x, y, z = |x|y|z.
(2.346)
2.6 Tensorprodukte von Zustandsr¨aumen
145
Diese Basiskets sind gemeinsame Eigenvektoren der in Hxyz fortgesetzten Operatoren X, Y und Z: X|x, y, z = x|x, y, z, Y |x, y, z = y|x, y, z, Z|x, y, z = z|x, y, z.
(2.347)
Hxyz f¨allt also mit dem Zustandsraum f¨ur den dreidimensionalen Fall Hr und |x, y, z mit |r zusammen: |x, y, z ≡ |r = |x|y|z,
(2.348)
wobei x, y und z die kartesischen Koordinaten des Ortsvektors r bedeuten. In Hr gibt es Kets |ϕ χ ω = |ϕ|χ|ω, die das tensorielle Produkt je eines Kets aus Hx , aus Hy und Hz sind. In der {|r}-Darstellung sind dann ihre Komponenten nach Gl. (2.318) r|ϕ χ ω = x|ϕy|χz|ω.
(2.349)
Die zugeh¨origen Wellenfunktionen sind demnach faktorisiert: ϕ(x)χ(y)ω(z). Das Gleiche gilt auch f¨ur die Basisvektoren: r|r0 = δ(r − r0 ) = δ(x − x0 )δ(y − y0 )δ(z − z0 ). Dagegen stellt sich ein beliebiger Zustand |ψ ∈ Hr in der Form |ψ = dx dy dz ψ(x, y, z)|x, y, z
(2.350)
(2.351)
dar. Die Abh¨angigkeit von den Koordinaten x, y und z ist nicht mehr faktorisiert. Unter Ber¨ucksichtigung der Ergebnisse aus Abschnitt 2.6.3 verstehen wir jetzt, warum die Observable X, die in Hx einen v. S. k. O. bildet, diese Eigenschaft in Hr verliert (Abschnitt 2.5.2): Die Eigenwerte seiner Fortsetzung in den Raum Hr sind dieselben wie in Hx , doch sind sie jetzt unendlich oft entartet, weil die R¨aume Hy und Hz unendlichdimensional sind. Von einem v. S. k. O. in Hx , Hy und Hz ausgehend kann man einen v. S. k. O. in Hr konstruieren. Dies kann z. B. der Satz {X, Y, Z} sein, aber auch der Satz {Px , Y, Z}, weil Px in Hx ein v. S. k. O. ist, oder der Satz {Px , Py , Z} usw. Eine wichtige Anwendung. Will man im Zustandsraum Hr die Eigenwertgleichung eines Operators H l¨osen, der die Form H = Hx + Hy + Hz
(2.352)
aufweist, wobei Hx , Hy und Hz die Fortsetzungen von Observablen aus den R¨aumen ¨ Hx , Hy und Hz bedeuten, so kann man die Uberlegung aus Abschnitt 2.6.3 anwenden (praktisch stellt man fest, dass z. B. Hx die Fortsetzung einer Observablen aus Hx ist, weil sie ausschließlich aus den Operatoren X und Px gebildet wird). Man bestimmt zun¨achst die Eigenwerte und Eigenvektoren von Hx in Hx , von Hy in Hy und von Hz in Hz : Hx |ϕn = Exn |ϕn , Hy |χp = Eyp |χp , Hz |ωr = Ezr |ωr .
(2.353)
146
2 Der mathematische Rahmen
Die Eigenwerte von H sind dann alle von der Form E n, p, r = Exn + Eyp + Ezr ,
(2.354)
w¨ahrend ein zu E n, p, r geh¨orender Eigenvektor das tensorielle Produkt |ϕn |χp |ωr ist; die zu diesem Vektor geh¨orende Wellenfunktion ist dann das Produkt ϕn (x)χp (y)ωr (z) = x|ϕn y|χp z|ωr . Wir begegneten einem derartigen Fall in Abschnitt 1.10.2, als wir die Untersuchung eindimensionaler Modelle rechtfertigten. Es handelte sich dabei um den auf die Wellenfunktionen wirkenden Operator H =−
¯2 h Δ + V (r), 2m
(2.355)
der die Form (2.352) dann aufweist, wenn f¨ur das Potential V (r) = V1 (x) + V2 (y) + V3 (z)
(2.356)
geschrieben werden kann.
Zustand eines Zweiteilchensystems Wir betrachten ein physikalisches System, das aus zwei Teilchen (1) und (2) (ohne Spin) besteht. Zur quantenmechanischen Beschreibung dieses Systems kann man den Begriff der Wellenfunktion, wie wir ihn f¨ur den Fall eines Teilchens eingef¨uhrt haben, verallgemeinern: Ein Zustand dieses Systems zu einem bestimmten Zeitpunkt wird durch eine Funktion ψ(r 1 , r2 ) ≡ ψ(x1 , y1 , z1 ; x2 , y2 , z2 ) charakterisiert, die also von den sechs Ortskoordinaten der beiden Teilchen abh¨angt. Diese Zweiteilchenwellenfunktion interpretiert man in folgender Weise: Die Wahrscheinlichkeit daf¨ur, dass sich das Teilchen (1) zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem Volumenelement d3 r1 = dx1 dy1 dz1 um die Stelle r1 und gleichzeitig das Teilchen (2) in einem Volumenelement d3 r2 = dx2 dy2 dz2 um die Stelle r 2 befindet, ist durch dP(r 1 , r2 ) = C|ψ(r 1 , r2 )|2 d3 r1 d3 r2
(2.357)
gegeben. Die Normierungskonstante C wird durch die Bedingung festgelegt, dass die Gesamtwahrscheinlichkeit gleich eins sein soll (Erhaltung der Teilchenzahl, s. Abschnitt 1.2.2): 1 = d3 r1 d3 r2 |ψ(r 1 , r2 )|2 . (2.358) C Die Funktion ψ(r 1 , r 2 ) muss also (im sechsdimensionalen Raum) quadratisch integrierbar sein. Man kann nun im Zustandsraum Hr 1 f¨ur das Teilchen (1) die {|r1 }-Darstellung und die Observablen X1 , Y1 und Z1 definieren. Entsprechend f¨uhrt man im Zustandsraum
2.6 Tensorprodukte von Zustandsr¨aumen
147
Hr 2 des Teilchens (2) die {|r2 }-Darstellung und die Observablen X2 , Y2 und Z2 ein. Im Tensorprodukt Hr1 r2 = Hr 1 ⊗ Hr2
(2.359)
dieser beiden R¨aume bildet die Gesamtheit der Vektoren |r1 , r 2 = |r 1 |r 2 eine Basis. Folglich kann jeder Ket aus diesem Raum in der Form |ψ = d3 r1 d3 r2 ψ(r 1 , r2 )|r 1 , r 2
(2.360)
(2.361)
geschrieben werden; darin ist ψ(r1 , r 2 ) = r 1 , r 2 |ψ. F¨ur das Normquadrat von |ψ gilt weiter ψ|ψ = d3 r1 d3 r2 |ψ(r 1 , r 2 )|2 . (2.362) Zu jedem Ket aus Hr1 r2 geh¨ort also eine Wellenfunktion ψ(r 1 , r 2 ): Der Zustandsraum f¨ur ein Zweiteilchensystem ist das Tensorprodukt der beiden Einteilchenr¨aume. Einen vollst¨andigen Satz kommutierender Observabler erh¨alt man zum Beispiel, indem man die Observablen X1 , Y1 , Z1 und X2 , Y2 , Z2 zusammenfasst. Wird der Zustand des Zweiteilchensystems durch ein tensorielles Produkt |ψ = |ψ1 |ψ2
(2.363)
beschrieben, so ist die zugeh¨orige Wellenfunktion faktorisiert: ψ(r 1 , r2 ) = r1 , r 2 |ψ = r 1 |ψ1 r 2 |ψ2 = ψ1 (r 1 )ψ2 (r 2 ).
(2.364)
In diesem Fall sagt man, zwischen den beiden Teilchen bestehe keine Korrelation. In Abschnitt 3.9 werden wir auf die physikalischen Konsequenzen genauer eingehen. ¨ Die Uberlegungen dieses Abschnitts k¨onnen verallgemeinert werden: Setzt sich ein physikalisches System aus zwei oder mehreren einfacheren Systemen zusammen, so ist sein Zustandsraum das Tensorprodukt der R¨aume, die zu diesen Teilsystemen geh¨oren.
Erg¨anzungen zu Kapitel 2
Abschnitte 2.7 bis 2.9 erinnern an einige Begriffe und S¨atze aus der Mathematik, auf die wir uns im Folgenden immer wieder beziehen werden. (Leicht) Abschnitte 2.10 und 2.11 erg¨anzen den Abschnitt 2.5. Insbesondere wird hier der sp¨ater verwendete Translationsoperator eingef¨uhrt. (Abschnitt 2.10 bleibt auf dem Niveau der vorhergehenden Abschnitte und kann sofort gelesen werden, w¨ahrend Abschnitt 2.11 einen etwas allgemeineren und formalen Standpunkt einnimmt) Abschnitt 2.12 untersucht den in der Quantenmechanik besonders wichtigen Parit¨atsoperator. Gleichzeitig liefert er eine einfache Illustration der in diesem Kapitel vorgestellten Begriffe. Abschnitt 2.13 befasst sich mit einer Anwendung des Begriffs des Tensorprodukts. (Kann als eine Aufgabe mit L¨osung angesehen werden) Abschnitt 2.14 schließlich enth¨alt die Aufgaben zum zweiten Kapitel. Zu den Aufgaben 11 und 12 sind die L¨osungen angegeben. Sie sollen die Leserinnen und Leser mit den Eigenschaften kommutierender Observabler und dem Begriff des vollst¨andigen Satzes kommutierender Observabler (v. S. k. O.) vertraut machen.
2.7 Schwarzsche Ungleichung F¨ur einen beliebigen Vektor |ψ aus dem Zustandsraum H gilt ψ|ψ ≥ 0;
(2.365)
null ist ψ|ψ genau dann, wenn |ψ der Nullvektor ist (s. Gl. (2.85)). Aus dieser Beziehung kann man die Schwarzsche Ungleichung herleiten. Sie besagt, dass f¨ur irgendzwei Vektoren |ϕ1 , |ϕ2 aus dem Zustandsraum H stets |ϕ1 |ϕ2 |2 ≤ ϕ1 |ϕ1 ϕ2 |ϕ2
(2.366)
gilt. Das Gleichheitszeichen gilt genau dann, wenn |ϕ1 und |ϕ2 zueinander proportional sind. Zum Beweis betrachten wir mit einem beliebigen Faktor λ den Ket |ψ = |ϕ1 + λ|ϕ2 .
(2.367)
Dann ist ψ|ψ = ϕ1 |ϕ1 + λϕ1 |ϕ2 + λ∗ ϕ2 |ϕ1 + λλ∗ ϕ2 |ϕ2 ≥ 0.
(2.368)
Setzen wir jetzt λ=−
ϕ2 |ϕ1 , ϕ2 |ϕ2
(2.369)
•
150
Erg¨anzungen zu Kapitel 2
so wird ϕ1 |ϕ1 −
ϕ1 |ϕ2 ϕ2 |ϕ1 ≥ 0. ϕ2 |ϕ2
(2.370)
Weil ϕ2 |ϕ2 positiv ist, k¨onnen wir mit ϕ2 |ϕ2 multiplizieren und erhalten ϕ1 |ϕ1 ϕ2 |ϕ2 ≥ ϕ1 |ϕ2 ϕ2 |ϕ1 ,
(2.371)
also gerade Gl. (2.366). Das Gleichheitszeichen ergibt sich f¨ur ψ|ψ = 0, d. h. wenn |ϕ1 = −λ|ϕ2 ist; die Kets sind dann zueinander proportional.
2.8 Eigenschaften linearer Operatoren 2.8.1 Spur eines Operators Definition Unter der Spur eines Operators, in Zeichen: Sp A, versteht man die Summe der Diagonalelemente der Matrix, die den Operator in der gew¨ahlten Basis darstellt. Wird der Raum H von einer diskreten orthonormierten Basis {|ui } aufgespannt, so hat man also Sp A = ui |A|ui , (2.372) i
w¨ahrend f¨ur den Fall einer kontinuierlichen Basis {|wα } Sp A = dα wα |A|wα
(2.373)
gilt. Ist der Raum H von unendlicher Dimension, so ist die Spur des Operators A nur dann definiert, wenn die Ausdr¨ucke (2.372) und (2.373) konvergieren.
Invarianz der Spur Die Summe der Diagonalelemente der Matrix, die den Operator A darstellt, h¨angt nicht von der jeweils gew¨ahlten Basis ab. ¨ Wir zeigen dies f¨ur den Ubergang von einer orthonormierten diskreten Basis {|ui } zu einer anderen orthonormierten Basis {|tk }. Es gilt = ui |A|ui = ui | |tk tk | A|ui , (2.374) i
i
k
wenn man die Vollst¨andigkeitsrelation f¨ur die Zust¨ande |tk ber¨ucksichtigt. F¨ur die rechte Seite k¨onnen wir wegen der Vertauschbarkeit des Produkts zweier Zahlen ui |tk tk |A|ui = tk |A|ui ui |tk (2.375) i,k
i,k
2.8 Eigenschaften linearer Operatoren
ui |A|ui =
i
•
i
|ui ui | durch den 1-Operator ersetzen. Damit wird
tk |A|tk ,
(2.376)
schreiben und weiter die Summe schließlich
151
k
und dies wollten wir beweisen. Bemerkung Ist der Operator A eine Observable, so bilden seine Eigenvektoren eine Basis in H. In dieser Basis sind die Diagonalelemente der Darstellungsmatrix von A gerade die Eigenwerte an von A. Ist gn jeweils der Entartungsgrad, so haben wir f¨ur die Spur Sp A =
gn an .
(2.377)
n
Wichtige Eigenschaften Es gilt Sp AB = Sp BA,
(2.378)
Sp ABC = Sp BCA = Sp CAB.
(2.379)
Allgemein ist die Spur des Produkts einer beliebigen Zahl von Operatoren gegen¨uber einer zyklischen Vertauschung der Faktoren invariant. Wir beweisen Gl. (2.378). Es ist Sp AB =
ui |AB|ui =
i
=
ui |A|uj uj |B|ui
i,j
uj |B|ui ui |A|uj =
i,j
uj |BA|uj = Sp BA.
(2.380)
j
Dabei haben wir zweimal die Vollst¨andigkeitsrelation verwendet. Die Verallgemeinerung (2.379) zeigt man entsprechend.
2.8.2 Kommutatoralgebra Definition [A, B] = AB − BA heißt der Kommutator der beiden Operatoren A und B.
(2.381)
•
152
Erg¨anzungen zu Kapitel 2
Eigenschaften Aus dieser Definition ergeben sich unmittelbar die Eigenschaften [A, B] = −[B, A],
(2.382)
[A, (B + C)] = [A, B] + [A, C],
(2.383)
[A, BC] = [A, B]C + B[A, C],
(2.384)
[A, [B, C]] + [B, [C, A]] + [C, [A, B]] = 0,
(2.385)
[A, B]† = [B † , A† ].
(2.386)
2.8.3 Einschr¨ankung eines Operators Es sei Pq der Projektor auf den Unterraum Hq , der von den q orthonormierten Vektoren |ϕi aufgespannt wird: Pq =
q
|ϕi ϕi |.
(2.387)
i=1
Dann heißt Aˆq = Pq APq
(2.388)
die Einschr¨ankung des Operators A auf den Unterraum Hq . Schreiben wir f¨ur die Orthogonalprojektion eines beliebigen Kets |ψ auf den Unterraum Hq |ψˆq = Pq |ψ,
(2.389)
Aˆq |ψ = Pq A|ψˆq .
(2.390)
so gilt
Will man also die Einschr¨ankung Aˆq auf einen Ket |ψ ∈ H anwenden, so projiziert man zun¨achst diesen Ket auf Hq , wendet auf diese Projektion den Operator A an und beh¨alt von dem so erhaltenen Ket nur die Projektion auf Hq . Der Operator Aˆq transformiert jeden Ket aus Hq in einen Ket aus demselben Unterraum, ist also ein Operator, dessen Wirkung auf Hq eingeschr¨ankt ist. Was kann man u¨ ber die Matrix sagen, die den Operator Aˆq in einer bestimmten Darstellung repr¨asentiert? Wir w¨ahlen eine Basis {|uk }, deren q erste Vektoren zu Hq geh¨oren (dies sind z. B. die Kets |ϕi ), w¨ahrend die restlichen Kets den komplement¨aren Unterraum aufspannen. Dann ist ui |Aˆq |uj = ui |Pq APq |uj , d. h. aber ui |Aˆq |uj =
$
ui |A|uj , wenn i, j ≤ q 0, wenn i ≥ q oder j ≥ q.
(2.391)
(2.392)
2.8 Eigenschaften linearer Operatoren
153
•
Die Matrixelemente, die die Einschr¨ankung Aˆq repr¨asentieren, werden also in gewisser Weise aus der Matrix, die den Operator A darstellt, ausgeschnitten“: Man beh¨alt nur die ” Elemente u¨ brig, die den Basisvektoren |ui und |uj aus dem Unterraum Hq zugeordnet sind, und ersetzt die anderen Elemente durch null.
2.8.4 Operatorfunktionen Definition und einfache Eigenschaften Von einem beliebigen Operator A ausgehend kann man unschwer den Operator An definieren: Er entspricht einfach der n-fachen Anwendung des Operators A. Bekannt ist auch die Definition des Inversen A−1 eines Operators A. Dieser muss, falls er existiert, der Beziehung A−1 A = AA−1 = 1
(2.393)
gen¨ugen. Wie kann man nun allgemein eine beliebige Funktion eines Operators einf¨uhren? Hierzu betrachten wir eine Funktion F einer Variablen z und nehmen an, dass sie in einem bestimmten Bereich in eine Potenzreihe von z entwickelt werden kann: F (z) =
∞
fn z n .
(2.394)
n=0
Nach Definition ist dann die zugeh¨orige, vom Operator A abh¨angende Funktion F (A) durch die Reihe F (A) =
∞
fn An
(2.395)
n=0
mit denselben Koeffizienten fn gegeben. So gilt z. B. f¨ur den Operator eA =
∞ An = 1 + A + A2 /2! + . . . + An /n! + . . . n! n=0
(2.396)
Auf die Frage nach der Konvergenz der Reihe (2.395) wollen wir hier nicht eingehen. Sie h¨angt von den Eigenwerten von A und vom Konvergenzradius der Reihe (2.394) ab. Wir bemerken: Falls F (z) eine reellwertige Funktion ist, so sind die Koeffizienten fn reell; ist weiter A hermitesch, so erkennt man an Gl. (2.395), dass auch F (A) hermitesch ist. Es sei nun |ϕa ein Eigenvektor von A zum Eigenwert a: A|ϕa = a|ϕa .
(2.397)
Die n-fache Anwendung des Operators A auf diesen Vektor liefert An |ϕa = an |ϕa
(2.398)
•
154
Erg¨anzungen zu Kapitel 2
und weiter die Anwendung von F (A), Gl. (2.395), F (A)|ϕa =
∞
fn an |ϕa = F (a)|ϕa .
(2.399)
n=0
Ist daher |ϕa Eigenvektor von A zum Eigenwert a, so ist er auch Eigenvektor von F (A) zum Eigenwert F (a). Diese Eigenschaft f¨uhrt uns zu einer zweiten Definition der Operatorfunktion. Ist ein Operator A diagonalisierbar (was stets m¨oglich ist, wenn es sich um eine Observable handelt), und w¨ahlen wir eine Basis, in der die zugeh¨orige Matrix diagonal (mit den Eigenwerten ai von A als Elemente) ist, so definieren wir F (A) als den Operator, der in dieser Basis durch die Diagonalmatrix mit den Elementen F (ai ) repr¨asentiert wird. Ist z. B. die Matrix σz durch 1 0 σz = (2.400) 0 −1 gegeben, so folgt sofort e 0 eσz = . 0 1/e
(2.401)
Bemerkung Bei der Anwendung von Operatorfunktionen muss man auf die Reihenfolge achten. So sind z. B. die Operatoren eA eB , eB eA und eA+B im Allgemeinen nicht gleich, wenn es sich bei den Operatoren A und B nicht lediglich um Zahlen handelt. Es ist ja eA eB =
Ap B q p
eB eA =
q
q!
q!
p
p!
(A + B)p p
p!
Ap B q p,q
B q Ap q
eA+B =
p!
=
=
p!q!
B q Ap p,q
p!q!
,
(2.402)
,
(2.403)
.
(2.404)
F¨ur beliebige Operatoren A und B m¨ussen diese drei Ausdr¨ucke u¨ berhaupt nicht gleich sein, s. Abschnitt 2.14, Aufgabe 7. Wenn dagegen A und B vertauschen, so hat man einfach [A, B] = 0
=⇒
eA eB = eB eA = eA+B .
(2.405)
Dies kann man auch erkennen, wenn man die zu eA und eB geh¨orenden Diagonalmatrizen in einer Basis aus gemeinsamen Eigenvektoren von A und B betrachtet.
Ein wichtiges Beispiel: Der Potentialoperator Bei eindimensionalen Problemen werden wir oft Potentialoperatoren V (X) begegnen, die den Namen wegen ihrer Korrespondenz zur klassischen potentiellen Energie V (x) eines Teilchens in einem Kraftfeld tragen. V (X) ist dabei eine Funktion des Ortsoperators X.
2.8 Eigenschaften linearer Operatoren
155
•
Wendet man V (X) auf die Eigenvektoren |x von X an, so ist nach dem vorstehenden Abschnitt (2.406)
V (X)|x = V (x)|x. In der {|x}-Darstellung sind daher die Matrixelemente von V (X) x|V (X)|x = V (x)δ(x − x ).
(2.407)
Weiter gilt, wenn man die Hermitezit¨at von V (X) beachtet (V (x) ist reellwertig) x|V (X)|ψ = V (x)x|ψ = V (x)ψ(x).
(2.408)
Die Wirkung des Operators V (X) besteht daher einfach in einer Multiplikation mit V (x). Diese Ergebnisse lassen sich ohne Weiteres auf den dreidimensionalen Fall verallgemeinern. Wir erhalten V (R)|r = V (r)|r,
(2.409)
r|V (R)|r = V (r)δ(r − r ),
(2.410)
r|V (R)|ψ = V (r)ψ(r).
(2.411)
Kommutator und Operatorfunktionen Aufgrund der Definition (2.395) vertauscht der Operator A mit jeder Funktion von A: (2.412)
[A, F (A)] = 0.
Vertauschen weiterhin A und B, so gilt dies auch f¨ur die Operatoren F (A) und B: [B, A] = 0
=⇒
[B, F (A)] = 0.
(2.413)
Was ergibt sich f¨ur den Kommutator eines Operators mit der Funktion eines anderen Operators, der mit dem ersten nicht vertauscht? Wir beschr¨anken uns hier auf den Fall des Ortsoperators X und des Impulsoperators P , f¨ur deren Kommutator [X, P ] = i¯ h
(2.414)
gilt. Mit Gl. (2.384) erhalten wir zun¨achst [X, P 2 ] = [X, P P ] = [X, P ]P + P [X, P ] = 2i¯ hP.
(2.415)
Durch vollst¨andige Induktion beweist man dann allgemein, dass [X, P n ] = i¯ hnP n−1 ist. Dabei lautet der Schluss von n auf n + 1“ hier ” [X, P n+1 ] = [X, P P n ] = [X, P ]P n + P [X, P n ] hnP P n−1 = i¯ h(n + 1)P n . = i¯ hP n + i¯
(2.416)
(2.417)
•
156
Erg¨anzungen zu Kapitel 2
Somit gilt schließlich [X, F (P )] =
[X, fn P n ] =
n
i¯ hnfn P n−1 .
(2.418)
n
Bezeichnen wir die Ableitung von F (z) mit F (z), so kann man aus dieser Gleichung auch ablesen, dass [X, F (P )] = i¯ hF (P )
(2.419)
ist. Ganz entsprechend erhalten wir die hierzu symmetrische Beziehung [P, G(X)] = −i¯ hG (X).
(2.420)
Bemerkungen ¨ 1. Bei unserer Uberlegung hingen die Operatorfunktionen nur von P bzw. nur von X ab. Schwieriger ist die Berechnung eines Kommutators etwa von X mit einer Operatorfunktion Φ(X, P ), die also gleichzeitig von X und P abh¨angig ist. Dies liegt daran, dass die Operatoren X und P nicht vertauschen. 2. F¨ur den Fall, dass zwei Operatoren A und B beide mit ihrem Kommutator vertauschen, k¨onnen die Beziehungen (2.419) und (2.420) verallgemeinert werden. K¨urzen wir den Kommutator von A und B mit C = [A, B]
(2.421)
ab, so k¨onnen wir aus dem Bestehen der Beziehung [A, C] = [B, C] = 0
(2.422)
durch eine analoge Rechnung wie eben zeigen, dass dann gilt [A, F (B)] = [A, B]F (B).
(2.423)
2.8.5 Ableitung eines Operators Definition Es sei A(t) ein Operator, der von einer beliebigen Variablen t abh¨angt. Wie bei gew¨ohnlichen Funktionen definiert man die Ableitung von A(t) durch den Grenzwert (falls er existiert) A(t + Δt) − A(t) dA = lim . Δt→0 dt Δt
(2.424)
Die Matrixelemente von A(t) sind auch in einer Darstellung, bei der die Basisvektoren |ui von t unabh¨angig sind, Funktionen dieser Variablen: ui |A|uj = Aij (t).
(2.425)
2.8 Eigenschaften linearer Operatoren Bezeichnen wir mit
dA dt
zeigen, dass d dA = Aij (t) dt ij dt
= ui | ij
157
•
dA dA |uj die Matrixelemente von , so kann man dt dt
(2.426)
dA erh¨alt, ist also sehr einfach: Man muss alle ist. Die Regel, mit der man die Matrix f¨ur dt Elemente der Matrix, die A darstellt, nach t ableiten, ohne ihre Pl¨atze zu ver¨andern.
Rechenregeln Die Ableitungsregeln haben dieselbe Form wie f¨ur gew¨ohnliche Funktionen. Es gilt d dF dG (F + G) = + , dt dt dt
(2.427)
d dF dG (F G) = G+F . dt dt dt
(2.428)
Dabei ist allerdings darauf zu achten, dass die Reihenfolge der Operatoren in der letzten Gleichung nicht ge¨andert wird. Wir beweisen Gl. (2.428). Die Matrixelemente von F G sind ui |F G|uj =
ui |F |uk uk |G|uj .
(2.429)
k
Leiten wir also elementweise ab, so erhalten wir d dF dG |uk uk |G|uj + ui |F |uk uk | |uj ui | (F G)|uj = ui | dt dt dt k
= ui |
dG dF G+F |uj dt dt
(2.430)
f¨ur alle i, j. Dies wollten wir zeigen.
Beispiele Wir berechnen die Ableitung von eAt . Nach Definition ist e
At
∞ (At)n . = n! n=0
Durch gliedweises Differenzieren erhalten wir
(2.431)
•
158
Erg¨anzungen zu Kapitel 2
∞ d At tn−1 An e = n dt n! n=0 ∞ (At)n−1 = A (n − 1)! n=1 ∞ (At)n−1 A. = (n − 1)! n=1
(2.432)
Die Reihe in der Klammer (man setze p = n − 1) ist gerade wieder eAt , so dass wir schließlich schreiben k¨onnen d At (2.433) e = AeAt = eAt A. dt In diesem einfachen Fall, bei dem nur ein Operator auftritt, muss man auf die Reihenfolge der Faktoren nicht achten: eAt und A vertauschen. Interessiert man sich dagegen f¨ur die Ableitung eines Operators wie eAt eBt , so liefert die Anwendung von Gl. (2.428) und Gl. (2.433) d At Bt (e e ) = AeAt eBt + eAt BeBt . dt
(2.434)
Die rechte Seite dieser Gleichung kann man nat¨urlich auch auf die Form eAt AeBt + eAt BeBt oder eAt AeBt + eAt eBt B bringen, erh¨alt jedoch einen Ausdruck wie (A + B)eAt eBt nur dann, wenn die Operatoren A und B vertauschen. Bemerkung Selbst wenn in einer Operatorfunktion nur ein einziger Operator auftritt, kann die Ableitung dieser Funktion nicht immer nach den Regeln ausgef¨uhrt werden, wie wir sie bei gew¨ohnlichen Funktionen kennen. H¨angt z. B. A(t) in beliebiger Weise von der Ver¨anderlichen t ab, so ist die Ableitung d A(t) dA A(t) e e im Allgemeinen nicht gleich , wie man es nach der Kettenregel erwarten w¨urde. dt dt A(t) in eine Potenzreihe von A(t) entwickelt. Gleichheit besteht Man kann dies sehen, wenn man e dA nur dann, wenn A(t) und vertauschen. dt
Anwendung: Eine nutzliche ¨ Formel Es seien A und B zwei Operatoren, die beide mit ihrem Kommutator vertauschen. Wir beweisen die Formel 1
eA eB = eA+B e 2 [A, B] .
(2.435)
Gelegentlich nennt man sie auch die Glauber-Formel. Hierzu definieren wir den von der reellen Variablen t abh¨angenden Operator F (t) = eAt eBt .
(2.436)
2.9 Unit¨are Operatoren
159
•
Es ist dF = AeAt eBt + eAt BeBt = (A + eAt Be−At )F (t). dt
(2.437)
Weil nun nach Voraussetzung A sowie B mit ihrem Kommutator vertauschen, kann man Gl. (2.423) auf den Kommutator [eAt , B] anwenden: [eAt , B] = t[A, B]eAt .
(2.438)
Also ist eAt B = BeAt + t[A, B]eAt .
(2.439)
Multiplizieren wir beide Seiten dieser Gleichung von rechts mit e−At und setzen das Ergebnis in Gl. (2.437) ein, so erhalten wir dF = (A + B + t[A, B])F (t). dt
(2.440)
Mit A und B vertauscht auch die Summe A + B mit dem Kommutator [A, B], so dass wir diese Differentialgleichung integrieren k¨onnen, wie wenn A + B und [A, B] Zahlen w¨aren. Es ergibt sich als 2
1
F (t) = F (0)e(A+B)t+ 2 [A, B]t .
(2.441)
Es ist aber F (0) = 1 und damit 1
2
F (t) = e(A+B)t+ 2 [A, B]t .
(2.442)
Setzen wir hierin t = 1, so erhalten wir die Behauptung. Bemerkung Die Formel gilt nur, wie wir gesehen haben, wenn die Operatoren A und B beide mit ihrem Kommutator vertauschen. Diese Bedingung scheint sehr einschr¨ankend zu sein. Tats¨achlich begegnet man aber in der Quantenmechanik h¨aufig Operatoren, deren Kommutator eine Zahl ergibt. Dies ist z. B. f¨ur den Ortsoperator X und den Impulsoperator P oder f¨ur die beim harmonischen Oszillator auftretenden Operatoren a und a† der Fall (s. Kapitel 5).
2.9 Unit¨are Operatoren 2.9.1 Allgemeine Eigenschaften Definition und einfache Eigenschaften Ein Operator U heißt nach Definition ein unit¨arer Operator, wenn sein Inverses U −1 gleich seinem Adjungierten U † ist: U † U = U U † = 1.
(2.443)
•
160
Erg¨anzungen zu Kapitel 2
Betrachten wir zwei beliebige Vektoren |ψ1 und |ψ2 aus dem Zustandsraum H und die transformierten Vektoren |ψ˜1 = U |ψ1 , |ψ˜2 = U |ψ2 ,
(2.444)
so ergibt sich f¨ur das Skalarprodukt ψ˜1 |ψ˜2 = ψ1 |U † U |ψ2 = ψ1 |ψ2 .
(2.445)
Bei einer unit¨aren Transformation bleibt also das Skalarprodukt und folglich die Norm eines Vektors erhalten. Ist der Zustandsraum H von endlicher Dimension, so ist diese Eigenschaft u¨ brigens f¨ur einen unit¨aren Operator charakteristisch. Bemerkungen 1. Ist A ein hermitescher Operator, so ist der Operator T = eiA unit¨ar. Man hat n¨amlich †
T † = e−iA = e−iA
(2.446)
und damit T † T = e−iA eiA = 1,
(2.447)
T T † = eiA e−iA = 1,
(2.448)
weil ja −iA mit iA vertauscht. 2. Das Produkt zweier unit¨arer Operatoren ist wieder unit¨ar. Sind U und V zwei unit¨are Operatoren, so ist zun¨achst U † U = U U † = 1,
(2.449)
V †V = V V † = 1
(2.450)
und damit (U V )† (U V ) = V † U † U V = V † V = 1,
(2.451)
(U V )(U V )† = U V V † U † = U U † = 1.
(2.452)
Diese Eigenschaft war u¨ brigens zu erwarten: Lassen zwei Transformationen das Skalarprodukt unge¨andert, so muss dies auch gelten, wenn diese Transformationen nacheinander angewendet werden. 3. Im gew¨ohnlichen dreidimensionalen reellen Vektorraum kennen wir Operatoren, bei deren Anwendung der Betrag (die Norm) und das Skalarprodukt erhalten bleiben, so die Rotationen, die Spiegelungen an einem Punkt, einer Ebene usw. Bei diesem reellen Raum spricht man von orthogonalen Operatoren. Die unit¨aren Operatoren stellen daher die Verallgemeinerung der orthogonalen Operatoren auf komplexe R¨aume mit beliebiger Dimension dar.
2.9 Unit¨are Operatoren
161
•
Unit¨are Operatoren und Basiswechsel Es sei {|vi } eine orthonormierte Basis im Zustandsraum H, den wir als diskret voraussetzen. Mit |˜ vi bezeichnen wir den Vektor, der sich durch die Anwendung des Operators U auf den Basisvektor |vi ergibt: |˜ vi = U |vi .
(2.453)
Ist der Operator U unit¨ar, so gilt ˜ vi |˜ vj = vi |vj = δij ,
(2.454)
die Vektoren |˜ vi sind somit orthonormiert. Wir zeigen, dass sie in H eine Basis bilden, und betrachten hierzu einen beliebigen Vektor |ψ ∈ H. Entwickeln wir den Vektor U † |ψ nach den |vi , U † |ψ =
ci |vi ,
(2.455)
i
und wenden hierauf den Operator U an, so erhalten wir U U † |ψ =
ci U |vi ,
(2.456)
i
also |ψ =
ci |˜ vi .
(2.457)
i
Diese Gleichung besagt, dass ein beliebiger Vektor |ψ nach den |˜ vi entwickelt werden kann, diese Vektoren also eine Basis in H bilden. Das Ergebnis k¨onnen wir auch so ausdr¨ucken: F¨ur die Unitarit¨at eines Operators U ist notwendig, dass die durch die Anwendung dieses Operators auf die Vektoren einer orthonormierten Basis entstehenden Vektoren wieder eine orthonormierte Basis bilden. Diese Bedingung ist aber auch hinreichend. Es sei also |˜ vi = U |vi ,
(2.458)
vj = δij , ˜ vi |˜
(2.459)
|˜ vi ˜ vi | = 1
(2.460)
i
und damit vj |U † = ˜ vj |.
(2.461)
•
162
Erg¨anzungen zu Kapitel 2
Wir berechnen U † U |vi = U † |˜ vi = =
|vj vj |U † |˜ vi
j
|vj ˜ vj |˜ vi =
j
|vj δij
j
= |vi .
(2.462) †
Da dies f¨ur jedes i gilt, muss U U der Einheitsoperator sein. Wir zeigen, dass auch U U † = 1 gilt. Hierzu betrachten wir die Wirkung von U † auf einen Vektor |vi : |vj vj |U † |vi U † |vi = j
=
|vj ˜ vj |vi .
(2.463)
j
Es ist also U U † |vi =
U |vj ˜ vj |vi
j
=
|˜ vj ˜ vj |vi
j
= |vi .
(2.464)
†
Hieraus ergibt sich U U = 1. Der Operator U ist daher unit¨ar.
Unit¨are Matrix Es seien Uij = vi |U |vj
(2.465)
die Matrixelemente von U . Wie kann man an dieser Matrix erkennen, dass der Operator, den sie in der betreffenden Darstellung repr¨asentiert, unit¨ar ist? Die Gl. (2.443) liefert vi |U † U |vj = vi |U † |vk vk |U |vj , (2.466) k
also
∗ Uki Ukj = δij .
(2.467)
k
Wenn daher eine Matrix unit¨ar ist, so ist die Summe der Produkte der Elemente einer Spalte mit den konjugiert komplexen Elementen einer anderen Spalte – null, wenn die beiden Spalten verschieden sind, – gleich eins im anderen Fall.
2.9 Unit¨are Operatoren
163
•
Beispiele 1. Drehmatrix f¨ur eine Drehung dreidimensionalen Raum: ⎛ cos θ − sin θ R(θ) = ⎝ sin θ cos θ 0 0
um die z-Achse mit dem Winkel θ im gew¨ohnlichen ⎞ 0 0 ⎠. 1
2. Drehmatrix im Zustandsraum f¨ur den Spin ⎛ i β − (α+γ) cos ⎜ e 2 2 ⎜ R(1/2) (α, β, γ) = ⎜ ⎝ i β e 2 (α−γ) sin 2
(2.468) 1 2
(s. Kapitel 9): i
⎞ β 2 ⎟ ⎟ ⎟. β ⎠
−e 2 (γ−α) sin i e 2 (α+γ)
cos
(2.469)
2
Eigenwerte und Eigenvektoren eines unit¨aren Operators Es sei |ψu ein normierter Eigenvektor des unit¨aren Operators U und u der zugeh¨orige Eigenwert: U |ψu = u|ψu .
(2.470)
F¨ur das Quadrat der Norm von U |ψu finden wir ψu |U † U |ψu = u∗ uψu |ψu = u∗ u.
(2.471)
Bei einem unit¨arem Operator bleibt die Norm erhalten, es ist notwendig u∗ u = 1. Die Eigenwerte eines unit¨aren Operators k¨onnen demnach nur komplexe Zahlen mit dem Betrag eins sein: u = eiϕu ,
wobei ϕu reell.
(2.472)
Weiter ergibt sich f¨ur das Skalarprodukt zweier Eigenvektoren |ψu und |ψu von U ψu |ψu = ψu |U † U |ψu = u∗ u ψu |ψu = ei(ϕu −ϕu ) ψu |ψu .
(2.473)
Sind die Eigenwerte u und u verschieden, so erkennt man an dieser Gleichung, dass das Skalarprodukt ψu |ψu gleich null sein muss: Zwei Eigenvektoren eines unit¨aren Operators zu verschiedenen Eigenwerten sind zueinander orthogonal.
2.9.2 Unit¨are Transformation von Operatoren Im vorangegangenen Abschnitt sahen wir, dass man mit einem unit¨aren Operator von eivi } gelangen kann. Wir ner orthonormierten Basis {|vi } in H zu einer anderen Basis {|˜
•
164
Erg¨anzungen zu Kapitel 2
¨ wollen jetzt zeigen, wie sich bei einem derartigen Ubergang die Operatoren transformieren. Nach Definition wird der zu A geh¨orende transformierte Operator A˜ in der {|˜ vi }Darstellung dieselben Matrixelemente wie der Operator A in der {|vi }-Darstellung haben: ˜ vj = vi |A|vj . ˜ vi |A|˜
(2.474)
Setzen wir hier Gl. (2.453) ein, so wird ˜ |vj = vi |A|vj . vi |U † AU
(2.475)
Weil dies f¨ur alle i, j gilt, folgt ˜ =A U † AU
(2.476)
oder auch, wenn wir diese Beziehung von links mit U und von rechts mit U † multiplizieren, A˜ = U AU † .
(2.477)
Diese Gleichung kann zur Definition der Transformierten A˜ des Operators A in Bezug auf die unit¨are Transformation U dienen. In der Quantenmechanik begegnet man derartigen Transformationen h¨aufig; ein erstes Beispiel finden wir in Abschnitt 2.12.2. Wie kann man aus den Eigenwerten von A diejenigen von A˜ erhalten? Wir betrachten einen Eigenvektor |ϕa von A zum Eigenwert a: A|ϕa = a|ϕa .
(2.478)
Es sei |ϕ˜a der durch den Operator U aus |ϕa entstehende Vektor |ϕ˜a = U |ϕa . Man hat dann ˜ ϕ˜a = (U AU † )U |ϕa = U A(U † U )|ϕa A| = U A|ϕa = aU |ϕa = a|ϕ˜a .
(2.479)
|ϕ˜a ist also Eigenvektor von A˜ mit dem Eigenwert a. Man erh¨alt allgemein die folgende Regel: Die Eigenvektoren des transformierten Operators A˜ sind die transformierten Vektoren |ϕ˜a ; die Eigenwerte a¨ ndern sich nicht. Bemerkungen 1. Wegen ˜ † = (U AU † )† = U A† U † = A˜† (A)
(2.480)
ist das Adjungierte des transformierten Operators gleich dem Transformierten des adjungierten ˜ hermitesch ist. Operators. Wir erkennen, dass mit A hermitesch auch A 2. Analog zeigt man, dass ˜ 2 = U AU † U AU † = U AAU † = A˜2 (A)
(2.481)
2.9 Unit¨are Operatoren
165
•
und allgemein ˜ n = A˜n (A)
(2.482)
ist. Mit der Definition Gl. (2.395) beweist man schließlich, dass f¨ur eine Operatorfunktion F (A) ˜ F˜ (A) = F (A)
(2.483)
gilt.
2.9.3 Infinitesimale unit¨are Operatoren Es sei U (ε) ein Operator, der von einer infinitesimalen Gr¨oße ε so abh¨angt, dass U (ε) f¨ur ε → 0 gegen den Einheitsoperator 1 strebt. Entwickeln wir diesen Operator in eine Potenzreihe von ε, U (ε) = 1 + εG + . . . ,
(2.484)
so erhalten wir f¨ur den zu U (ε) adjungierten Operator U † (ε) = 1 + εG† + . . .
(2.485)
und weiter U (ε)U † (ε) = U † (ε)U (ε) = 1 + ε(G + G† ) + . . .
(2.486)
Weil U (ε) unit¨ar ist, muss der Summand mit ε auf der rechten Seite dieser Gleichung verschwinden, also G + G† = 0
(2.487)
sein. Der Operator G ist also antihermitesch. Es ist zweckm¨aßig, F = iG
(2.488)
zu setzen. Man erh¨alt dann die Beziehung F − F † = 0,
(2.489)
d. h. F ist hermitesch. Ein infinitesimaler unit¨arer Operator kann also in der Form U (ε) = 1 − iεF
(2.490)
geschrieben werden, worin F ein hermitescher Operator ist. Setzen wir jetzt Gl. (2.490) in Gl. (2.477) ein, so erhalten wir A˜ = (1 − iεF )A(1 + iεF † ) = (1 − iεF )A(1 + iεF ),
(2.491)
A˜ − A = −iε[F, A].
(2.492)
also
¨ Die Anderung des Operators A unter der Transformation U (ε) ist in erster Ordnung in ε zum Kommutator [F, A] proportional.
•
166
Erg¨anzungen zu Kapitel 2
2.10 Orts- und Impulsdarstellung 2.10.1 Ortsdarstellung Ortsoperator und Funktionen des Ortsoperators Wir berechnen in der Orts- oder {|r}-Darstellung die Matrixelemente der Komponenten X, Y und Z des Ortsoperators. Mit Gl. (2.307) aus Abschnitt 2.5.2 und den Orthogonalit¨atsbedingungen f¨ur die Kets |r erhalten wir sofort r|X|r = xδ(r − r ), r|Y |r = yδ(r − r ), r|Z|r = zδ(r − r ).
(2.493)
Diese drei Gleichungen kann man in vektorieller Schreibweise zusammenfassen: r|R|r = rδ(r − r ).
(2.494)
Entsprechend einfach sind in der Ortsdarstellung die Matrixelemente einer Operatorfunktion F (R), s. Gl. (2.399), r|F (R)|r = F (r)δ(r − r ).
(2.495)
Impulsoperator und Funktionen des Impulsoperators Wir berechnen das Matrixelement der x-Komponente des Impulsoperators: 3 r|Px |r = d p r|Px |pp|r = d3 p px r|pp|r i −3 = (2π¯ h) d3 p px e h¯ p·(r−r ) +∞ i 1 px (x−x ) h ¯ = dpx px e 2π¯ h −∞ +∞ i 1 p y (y−y ) × dpy e h¯ 2π¯ h −∞ +∞ i 1 × dpz e h¯ pz (z−z ) . 2π¯ h −∞
(2.496)
Hieraus wird, wenn wir die Integralform der δ-Funktion“ und ihrer Ableitung aus An” hang II, Gl. (II.34) und Gl. (II.53), ber¨ucksichtigen, r|Px |r =
¯ h δ (x − x )δ(y − y )δ(z − z ). i
(2.497)
In analoger Weise k¨onnen die Matrixelemente der anderen Impulskomponenten berechnet werden.
2.10 Orts- und Impulsdarstellung
167
•
¨ Uberpr¨ ufen wir, wie man, von Gl. (2.497) ausgehend, die Wirkung von Px in der Ortsdarstellung wiederfinden kann. Hierzu berechnen wir (2.498) r|Px |ψ = d3 r r|Px |r r |ψ. Mit Gl. (2.497) wird dies h ¯ δ (x − x )dx δ(y − y )dy δ(z − z )ψ(x , y , z )dz . (2.499) r|Px |ψ = i Mit der Beziehung δ (−u)f (u)du = − δ (u)f (u)du = f (0)
(2.500)
und u = x − x erh¨alt man ¯ ∂ h ψ(x, y, z), (2.501) i ∂x also Gl. (2.297) aus Abschnitt 2.5.2. Durch eine entsprechende Rechnung gelangt man zum Matrixelement einer Operatorfunktion G(P ). Hier wird d3 p r|G(P )|pp|r r|G(P )|r = i = (2π¯ h)−3 d3 p G(p)e h¯ p·(r−r ) r|Px |ψ =
˜ − r ). = (2π¯ h)−3/2 G(r ˜ Darin ist G(r) die inverse Fourier-Transformierte der Funktion G(p): i ˜ G(r) = (2π¯ h)−3/2 d3 p e h¯ p·r G(p).
(2.502)
(2.503)
Schr¨odinger-Gleichung in der Ortsdarstellung In Kapitel 3 f¨uhren wir die Schr¨odinger-Gleichung ein, die f¨ur die Quantenmechanik grundlegend ist. Sie lautet d |ψ(t) = H|ψ(t). (2.504) dt H ist der Hamilton-Operator, den wir dort definieren werden. F¨ur ein Teilchen (ohne Spin) zum Beispiel, das sich in einem skalaren Potential V (r) befindet, ist dies i¯ h
1 2 P + V (R). (2.505) 2m Wir wollen diese Gleichung in der Ortsdarstellung anschreiben, in der also die durch H=
ψ(r, t) = r|ψ(t)
(2.506)
•
168
Erg¨anzungen zu Kapitel 2
definierte Wellenfunktion ψ(r, t) auftritt. Projiziert man Gl. (2.504) unter Ber¨ucksichtigung von Gl. (2.505) auf |r, so erh¨alt man ∂ 1 i¯ h r|ψ(t) = (2.507) r|P 2 |ψ(t) + r|V (R)|ψ(t). ∂t 2m Nun ist zun¨achst ∂ ∂ r|ψ(t) = ψ(r, t), (2.508) ∂t ∂t r|V (R)|ψ(t) = V (r)ψ(r, t), (2.509) w¨ahrend man das Matrixelement r|P 2 |ψ(t) berechnen kann, wenn man ber¨ucksichtigt, h ¯ dass P in der Ortsdarstellung wie ∇ wirkt: i r|P 2 |ψ(t) = r|(Px2 + Py2 + Pz2 )|ψ(t) 2 ∂2 ∂2 ∂ 2 = −¯ h + 2 + 2 ψ(x, y, z, t) ∂x2 ∂y ∂z = −¯ h2 Δψ(r, t).
(2.510)
Damit ergibt sich wieder die in Abschnitt 1.2.2 angegebene Form der Schr¨odinger-Gleichung h2 ¯ ∂ Δ + V (r) ψ(r, t). (2.511) i¯ h ψ(r, t) = − ∂t 2m
2.10.2 Impulsdarstellung Impulsoperator und Funktionen des Impulsoperators Es gelten in Analogie zu Gl. (2.494) und Gl. (2.495) die Beziehungen p|P |p = p δ(p − p ),
(2.512)
p|G(P )|p = G(p) δ(p − p ).
(2.513)
Ortsoperator und Funktionen des Ortsoperators Hier ergeben sich die Formeln h δ (px − px ) δ(py − py ) δ(pz − pz ) p|X|p = i¯
(2.514)
h)−3/2 F (p − p ) p|F (R)|p = (2π¯
(2.515)
und mit −3/2
F (p) = (2π¯ h)
i
d3 r e− h¯ p·r F (r).
Sie entsprechen Gl. (2.497) und Gl. (2.502).
(2.516)
2.11 Eigenschaften zweier Observabler mit dem Kommutator i¯h
169
•
Schr¨odinger-Gleichung in der Impulsdarstellung Wir f¨uhren mit ψ(p, t) = p|ψ(t)
(2.517)
die Wellenfunktion in der Impulsdarstellung“ ein und suchen die Bewegungsgleichung ” f¨ur diese Funktion, indem wir von Gl. (2.504) ausgehen. Projektion auf den Ket |p liefert zun¨achst ∂ 1 i¯ h p|ψ(t) = p|P 2 |ψ(t) + p|V (R)|ψ(t). (2.518) ∂t 2m Hier k¨onnen wir ∂ ∂ p|ψ(t) = ψ(p, t) (2.519) ∂t ∂t und p|P 2 |ψ(t) = p2 ψ(p, t)
(2.520)
setzen. Zur Berechnung der Gr¨oße p|V (R)|ψ(t) = d3 p p|V (R)|p p |ψ(t)
(2.521)
ber¨ucksichtigen wir Gl. (2.515) und erhalten −3/2 p|V (R)|ψ(t) = (2π¯ h) d3 p V (p − p )ψ(p , t),
(2.522)
wobei −3/2
V (p) = (2π¯ h)
i
d3 r e− h¯ p·r V (r)
die Fourier-Transformierte von V (r) ist. Somit wird schließlich ∂ p2 −3/2 i¯ h ψ(p, t) = ψ(p, t) + (2π¯h) d3 p V (p − p )ψ(p , t). ∂t 2m
(2.523)
(2.524)
Bemerkung Weil ψ(p, t) die Fourier-Transformierte von ψ(r, t) ist, s. Gl. (2.285) in Abschnitt 2.5.1, h¨atte man diese Gleichung auch erhalten k¨onnen, indem man von Gl. (2.511) die Fourier-Transformierte bildet.
2.11 Eigenschaften zweier Observabler mit dem Kommutator i¯ h In der Quantenmechanik begegnet man oft Observablen, f¨ur die der Kommutator den Wert i¯ h hat. Das ist z. B. der Fall, wenn diese Operatoren zu den beiden klassischen kanonisch
•
170
Erg¨anzungen zu Kapitel 2
konjugierten Gr¨oßen qi und pi geh¨oren (qi ist die Koordinate in einem orthogonalen Be∂L ). In der Quantenmechanik ordnet zugssystem und pi der konjugierte Impuls pi = ∂qi man qi und pi die Operatoren Qi und Pi zu, wobei diese der Vertauschungsrelation [Qi , Pi ] = i¯ h
(2.525)
gen¨ugen. Derartigen Operatoren sind wir bereits in Abschnitt 2.5 begegnet; dort waren es die Operatoren X und Px . In diesem Erg¨anzungsabschnitt nehmen wir einen allgemeineren Standpunkt ein und zeigen, dass zwei Operatoren Q und P , deren Kommutator gleich i¯ h ist, eine Reihe von wichtigen Eigenschaften besitzen, die s¨amtlich aus der Beziehung (2.525) folgen.
2.11.1 Der Operator S(λ) Wir betrachten die beiden Operatoren P und Q, die der Vertauschungsrelation [Q, P ] = i¯ h
(2.526)
gen¨ugen, und definieren mit S(λ) = e−iλP/¯h
(2.527)
einen von dem reellen Parameter λ abh¨angenden Operator. Dieser ist unit¨ar. Es ist n¨amlich sofort zu sehen, dass er die Beziehungen S † (λ) = S −1 (λ) = S(−λ)
(2.528)
erf¨ullt. Wir berechnen den Kommutator [Q, S(λ)]. Weil [Q, P ] = i¯ h mit Q und P vertauscht, k¨onnen wir die Formel aus Gl. (2.423) anwenden. Dann ist iλ −iλP/¯h = λS(λ). (2.529) [Q, S(λ)] = i¯ h − e h ¯ Dies kann man auch in der Form QS(λ) = S(λ)[Q + λ]
(2.530)
schreiben. Schließlich halten wir noch fest, dass S(λ)S(μ) = S(λ + μ).
(2.531)
2.11.2 Eigenwerte und Eigenvektoren des Operators Q Spektrum des Operators Q Wir nehmen an, dass der Operator Q einen nichtverschwindenden Eigenvektor |q zum Eigenwert q besitzt: Q |q = q |q.
(2.532)
2.11 Eigenschaften zweier Observabler mit dem Kommutator i¯h
171
•
Wir wenden Gl. (2.530) auf diesen Vektor an: QS(λ)|q = S(λ)(Q + λ)|q = S(λ)(q + λ)|q = (q + λ)S(λ)|q.
(2.533)
Diese Gleichung besagt, dass S(λ)|q ein weiterer Eigenvektor von Q zum Eigenwert (q+λ) ist. S(λ)|q ist nicht der Nullvektor, weil S(λ) ein unit¨arer Operator ist. Ausgehend von einem Eigenvektor von Q k¨onnen wir also durch Anwendung des Operators S(λ) einen weiteren Eigenvektor von Q konstruieren, zu dem als Eigenwert eine beliebige reelle Zahl geh¨ort (λ kann jeden reellen Wert annehmen). Daher ist das Spektrum von Q kontinuierlich und besteht aus allen m¨oglichen Werten auf der reellen Achse.11
Entartungsgrad Der Einfachheit halber wollen wir von jetzt ab voraussetzen, dass der Eigenwert q von Q nichtentartet ist (die folgenden Ergebnisse k¨onnen auf den Fall verallgemeinert werden, bei dem Entartung vorliegt). Wir zeigen, dass unter dieser Voraussetzung auch alle anderen Eigenwerte von Q nichtentartet sind. Wir f¨uhren die Annahme, dass der Eigenwert q + λ z. B. zweifach entartet ist, zum Widerspruch. In diesem Fall m¨usste es zwei orthogonale Eigenvektoren |q + λ, α und |q + λ, β zum Eigenwert q + λ geben: q + λ, β|q + λ, α = 0.
(2.534)
Wir betrachten die beiden Vektoren S(−λ)|q + λ, α und S(−λ)|q + λ, β. Nach Gl. (2.533) sind beide Eigenvektoren von Q zum Eigenwert q + λ − λ = q. Wegen der Unitarit¨at von S(λ) verschwindet ihr Skalarprodukt: q + λ, β|S † (−λ)S(−λ)|q + λ, α = q + λ, β|q + λ, α = 0.
(2.535)
Also sind sie nicht kollinear, und wir gelangen zu dem Schluss, dass im Gegensatz zur Annahme q wenigstens zweifach entartet sein muss. Folglich m¨ussen s¨amtliche Eigenwerte von Q denselben Entartungsgrad aufweisen.
Eigenvektoren Wir legen die relativen Phasen der verschiedenen Eigenvektoren von Q in Bezug auf den Eigenvektor |0 zum Eigenwert 0 fest, indem wir |q = S(q)|0
(2.536)
setzen. Wenden wir auf diese Gleichung S(λ) an und beachten Gl. (2.531), so erhalten wir S(λ)|q = S(λ)S(q)|0 = S(q + λ)|0 = |q + λ.
(2.537)
11 Wir erkennen, dass in einem Raum H von der endlichen Dimension N keine Observablen Q und P existieren k¨onnen, f¨ur die ihr Kommutator gleich i¯ h ist. Die Anzahl der Eigenvektoren m¨usste dann n¨amlich zugleich kleiner oder gleich N und unendlich sein.
•
172
Erg¨anzungen zu Kapitel 2
Der hierzu adjungierte Ausdruck ist q|S † (λ) = q + λ|
(2.538)
oder auch mit Gl. (2.528), und wenn wir λ durch −λ ersetzen, q|S(λ) = q − λ|.
(2.539)
2.11.3 {|q}-Darstellung Weil Q eine Observable ist, bilden ihre Eigenvektoren eine Basis in H. Man kann daher jeden Ket durch seine Wellenfunktion in der {|q}-Darstellung“ charakterisieren: ” ψ(q) = q|ψ. (2.540)
Wirkung von Q in der {|q}-Darstellung In der {|q}-Darstellung lautet die zum Ket Q|ψ geh¨orende Wellenfunktion q|Q|ψ = q q|ψ = q ψ(q).
(2.541)
Hier haben wir Gl. (2.532) und die Hermitezit¨at von Q ber¨ucksichtigt. In der {|q}Darstellung besteht die Wirkung des Operators Q einfach in einer Multiplikation mit der Zahl q.
Translationsoperator Die zum Ket S(λ)|ψ geh¨orende Wellenfunktion lautet in der {|q}-Darstellung, siehe Gl. (2.539), q|S(λ)|ψ = q − λ|ψ = ψ(q − λ).
(2.542)
In dieser Darstellung bewirkt daher der Operator S(λ) eine Translation der Wellenfunktion um die Gr¨oße λ parallel zur q-Achse.12 Aus diesem Grunde nennt man den Operator S(λ) den Translationsoperator.
Wirkung von P in der {|q}-Darstellung Ist ε eine infinitesimal kleine Gr¨oße, so gilt ε S(−ε) = eiεP/¯h = 1 + i P + O(ε2 ). h ¯
(2.543)
12 f (x − a) ist die Funktion, die im Punkt x = x + a den Wert f (x ) annimmt; man erh¨ alt sie also aus 0 0 f (x) durch eine Translation um +a.
2.11 Eigenschaften zweier Observabler mit dem Kommutator i¯h
173
•
Folglich ist ε q|S(−ε)|ψ = ψ(q) + i q|P |ψ + O(ε2 ). h ¯
(2.544)
Andererseits liefert Gl. (2.542) q|S(−ε)|ψ = ψ(q + ε).
(2.545)
Der Vergleich der beiden letzten Gleichungen zeigt, dass ε ψ(q + ε) = ψ(q) + i q|P |ψ + O(ε2 ) h ¯
(2.546)
ist. Daher haben wir q|P |ψ
= =
ψ(q + ε) − ψ(q) ¯ h lim ε→0 i ε h d ¯ ψ(q). i dq
In der {|q}-Darstellung wirkt also P wie der Differentialoperator Verallgemeinerung von Gl. (2.297) aus Abschnitt 2.5.2.
(2.547) ¯ d h . Dies ist eine i dq
2.11.4 {|p}-Darstellung Mit Hilfe der Gl. (2.547) gelangen wir leicht zu der Wellenfunktion vp (q), die in der {|q}-Darstellung zum Eigenvektor |p von P mit dem Eigenwert p geh¨ort: i
vp (q) = q|p = (2π¯ h)−1/2 e h¯ pq . Daher k¨onnen wir schreiben +∞ i |p = (2π¯ h)−1/2 dq e h¯ pq |q. −∞
(2.548)
(2.549)
F¨ur einen Ket |ψ kann man seine Wellenfunktion in der {|p}-Darstellung“ durch ” ψ(p) = p|ψ (2.550) einf¨uhren. Wenn wir die zu Gl. (2.549) adjungierte Beziehung verwenden, erhalten wir hierf¨ur gerade die Fourier-Transformierte von ψ(q). +∞ i ψ(p) = (2π¯ h)−1/2 dq e− h¯ pq ψ(q). (2.551) −∞
Die Wirkung des Operators P in der {|p}-Darstellung besteht in der Multiplikation mit der Zahl p; der Operator Q wirkt in dieser Darstellung wie der Differentialoperator d i¯ h , wie man mit Hilfe von Gl. (2.551) zeigen kann. dp
•
174
Erg¨anzungen zu Kapitel 2
Wir erhalten also in der {|q}- und der {|p}-Darstellung symmetrische Ergebnisse. Das ist nicht u¨ berraschend. Bei den von uns gemachten Voraussetzungen d¨urfen wir die Operatoren P und Q vertauschen, wenn wir nur beim Kommutator in Gl. (2.526) das Vorzeichen a¨ ndern. Wir h¨atten also auch statt des Operators S(λ) den durch
T (λ ) = eiλ
Q/¯ h
(2.552)
¨ definierten Operator einf¨uhren und dann dieselben Uberlegungen anstellen k¨onnen, indem wir u¨ berall P durch Q und i durch −i ersetzt h¨atten.
2.12 Der Parit¨atsoperator 2.12.1 Definition und Eigenschaften Wir betrachten ein physikalisches System, dessen Zustandsraum Hr ist. In diesem Raum definieren wir den Parit¨atsoperator Π durch seine Wirkung auf die Basisvektoren |r13 : Π |r = | − r.
(2.553)
In der {|r}-Darstellung sind die Matrixelemente von Π r|Π |r = r| − r = δ(r + r ).
(2.554)
Wenn wir bei einem beliebigen Vektor |ψ ∈ Hr in dem Ausdruck |ψ = d3 r ψ(r)|r
(2.555)
die Variable r = −r setzen, so kann man f¨ur |ψ auch |ψ = d3 r ψ(−r )| − r
(2.556)
schreiben. Berechnen wir jetzt Π |ψ, so erhalten wir Π |ψ = d3 r ψ(−r )|r .
(2.557)
Der Vergleich von Gl. (2.555) mit Gl. (2.557) zeigt, dass Π in der Ortsdarstellung r in −r a¨ ndert: r|Π |ψ = ψ(−r).
(2.558)
Gehen wir also von einem physikalischen System S mit dem Zustandsvektor |ψ aus, so beschreibt der Vektor Π |ψ das System, das man aus S durch Spiegelung am Koordinatenursprung erh¨alt. 13 Man darf | − r nicht mit −|r verwechseln. | − r ist ein Eigenvektor von R zum Eigenwert −r 0 0 0 0 mit der Wellenfunktion ξ−r 0 (r) = δ(r + r0 ); −|r0 ist ein Eigenvektor von R zum Eigenwert r0 mit der Wellenfunktion −ξr 0 (r) = −δ(r − r0 ).
2.12 Der Parit¨atsoperator
175
•
Einfache Eigenschaften Der Operator Π 2 ist gleich dem Einheitsoperator, denn nach Gl. (2.553) hat man zun¨achst Π 2 |r = Π (Π |r) = Π | − r = |r.
(2.559)
Weil aber die Kets |r in Hr eine Basis bilden, gilt Π2 = 1
(2.560)
und damit auch Π = Π −1 .
(2.561)
Durch Rekursion zeigt man weiter, dass der Operator Π n f¨ur gerades n gleich 1 und f¨ur ungerades n gleich Π ist. Schreibt man Gl. (2.558) in der Form r|Π |ψ = −r|ψ,
(2.562)
so ergibt sich, weil |ψ beliebig ist, r|Π = −r|.
(2.563)
Andererseits ist der zu Gl. (2.553) hermitesch konjugierte Ausdruck r|Π † = −r|.
(2.564)
Da die Kets |r eine Basis bilden, erschließt man aus den beiden letzten Gleichungen die Hermitezit¨at des Parit¨atsoperators: Π† = Π.
(2.565)
Schließlich erh¨alt man hieraus zusammen mit Gl. (2.561) Π −1 = Π † .
(2.566)
Der Parit¨atsoperator ist also auch unit¨ar.
Eigenr¨aume von Π Wenden wir auf einen Eigenvektor |ϕπ von Π zum Eigenwert pπ Gl. (2.560) an, so erhalten wir |ϕπ = Π 2 |ϕπ = p2π |ϕπ .
(2.567)
Also gilt p2π = 1, und die Eigenwerte von Π k¨onnen nur +1 und −1 sein. Weil der Raum Hr unendlichdimensional ist, m¨ussen diese Eigenwerte entartet sein. Man nennt einen Eigenvektor von Π zum Eigenwert +1 von gerader Parit¨at oder einfach gerade, einen Eigenvektor zum Eigenwert −1 von ungerader Parit¨at oder ungerade.
•
176
Erg¨anzungen zu Kapitel 2
Wir f¨uhren die beiden hermiteschen Operatoren 1 (1 + Π ), 2 1 = (1 − Π ) 2
P+ = P−
(2.568)
ein. Mit Gl. (2.560) zeigt man sofort, dass P+2 = P+ , P−2 = P−
(2.569)
ist. Sie sind also Projektoren, und wir wollen die Unterr¨aume von Hr , auf die sie projizieren, H+ und H− nennen. F¨ur die beiden Produkte P+ P− und P− P+ erhalten wir 1 (1 + Π − Π − Π 2 ) = 0, 4 1 = (1 − Π + Π − Π 2 ) = 0. 4
P+ P− = P− P+
(2.570)
H+ und H− sind also orthogonale Unterr¨aume. Zugleich sind sie zueinander komplement¨ar, denn aus Gl. (2.568) folgt sofort (2.571)
P+ + P− = 1. F¨ur einen beliebigen Ket |ψ ∈ H gilt daher |ψ = (P+ + P− )|ψ = |ψ+ + |ψ−
(2.572)
|ψ+ = P+ |ψ, |ψ− = P− |ψ.
(2.573)
mit
Wir berechnen die Produkte 1 Π P+ = Π (1 + Π ) = 2 1 Π P− = Π (1 − Π ) = 2
1 (Π + 1) = P+ , 2 1 (Π − 1) = −P− . 2
(2.574)
Hiermit k¨onnen wir zeigen, dass die in Gl. (2.573) eingef¨uhrten Vektoren gerade bzw. ungerade sind: Π |ψ+ = Π P+ |ψ = P+ |ψ = |ψ+ , Π |ψ− = Π P− |ψ = −P− |ψ = −|ψ− .
(2.575)
H+ und H− sind demnach Eigenr¨aume von Π zu den Eigenwerten +1 bzw. −1. In der Ortsdarstellung lauten die beiden letzten Gleichungen r|ψ+ = ψ+ (r) = r|Π |ψ+ = ψ+ (−r), r|ψ− = ψ− (r) = −r|Π |ψ− = −ψ− (−r).
(2.576)
2.12 Der Parit¨atsoperator
177
•
Die Wellenfunktionen ψ+ (r) und ψ− (r) sind gerade bzw. ungerade. Die Beziehung (2.572) bringt zum Ausdruck, dass ein beliebiger Ket |ψ ∈ Hr in eine Summe aus zwei Eigenvektoren |ψ+ und |ψ− von Π zerlegt werden kann, die zum geraden Unterraum H+ bzw. zum ungeraden Unterraum H− geh¨oren. Der Parit¨atsoperator ist daher eine Observable.
2.12.2 Gerade und ungerade Operatoren Definitionen In Abschnitt 2.9.2 f¨uhrten wir den Begriff der unit¨aren Transformation von Operatoren ein. F¨ur den Fall des (unit¨aren) Parit¨atsoperators erf¨ullt der zu einem beliebigen Operator B transformierte Operator ˜ = Π BΠ B
(2.577)
die Beziehung (s. Gl. (2.474)) ˜ = −r|B| − r . r|B|r
(2.578)
˜ = +B, und ungerade, wenn B ˜ = −B Insbesondere heißt der Operator B gerade, wenn B gilt. F¨ur einen geraden Operator B+ wird darum B+ = Π B+ Π
(2.579)
oder auch, wenn wir diese Gleichung von links mit Π multiplizieren und Gl. (2.560) beachten, Π B+ = B+ Π ,
(2.580)
[Π , B+ ] = 0.
(2.581)
Ein gerader Operator vertauscht mit dem Parit¨atsoperator Π . Entsprechend zeigt man, dass ein ungerader Operator B− mit Π antivertauscht: Π B− + B− Π = 0.
(2.582)
Auswahlregeln F¨ur einen geraden Operator B+ berechnen wir das Matrixelement ϕ|B+ |ψ. Nach Voraussetzung ist ϕ|B+ |ψ = ϕ|Π B+ Π |ψ = ϕ |B+ |ψ ,
(2.583)
wenn wir |ϕ = Π |ϕ, |ψ = Π |ψ
(2.584)
•
178
Erg¨anzungen zu Kapitel 2
setzen. Ist nun einer der Kets |ϕ und |ψ gerade und der andere ungerade (|ϕ = ±|ϕ, |ψ = ∓|ψ), so liefert diese Beziehung ϕ|B+ |ψ = −ϕ|B+ |ψ = 0.
(2.585)
Hieraus ergibt sich die Auswahlregel: F¨ur Vektoren entgegengesetzter Parit¨at sind die Matrixelemente eines geraden Operators gleich null. F¨ur einen ungeraden Operator B− folgt aus Gl. (2.583), dass ϕ|B− |ψ = −ϕ |B− |ψ
(2.586)
ist. Dieses Matrixelement ist gleich null, wenn |ϕ und |ψ beide gerade oder wenn beide ungerade sind. Hieraus erhalten wir eine weitere Auswahlregel: Haben die beiden Vektoren dieselbe Parit¨at, so sind die Matrixelemente eines ungeraden Operators gleich null. Insbesondere ist das Diagonalelement ψ|B− |ψ (der Erwartungswert von B− im Zustand |ψ, s. Abschnitt 3.3.4) eines ungeraden Operators B− gleich null, wenn |ψ eine bestimmte Parit¨at aufweist.
Beispiele Der Ortsoperator. In diesem Fall haben wir Π X|r = =
Π X|x, y, z = x Π |x, y, z x| − x, −y, −z = x| − r
(2.587)
und X Π |r = X| − r = X| − x, −y, −z = −x| − x, −y, −z = −x| − r.
(2.588)
Addieren wir diese beiden Gleichungen, so erhalten wir (Π X + X Π )|r = 0
(2.589)
oder, weil die Vektoren |r eine Basis bilden, Π X + X Π = 0;
(2.590)
¨ X ist ungerade. F¨ur Y und Z gilt eine entsprechende Uberlegung; darum ist der Ortsoperator R ungerade. Der Impulsoperator. F¨ur den Ket Π |p ergibt sich −3/2 Π |p = (2π¯ h) d3 r eip·r/¯h Π |r = (2π¯ h)−3/2 d3 r eip·r/¯h | − r −3/2 = (2π¯ h) d3 r e−ip·r /¯h |r = | − p.
(2.591)
2.12 Der Parit¨atsoperator
179
•
¨ Mit einer analogen Uberlegung wie eben gelangen wir dann zu den Beziehungen Π Px |p = px | − p,
(2.592)
Px Π |p = −px | − p
(2.593)
und somit schließlich zu Π Px + Px Π = 0.
(2.594)
Der Impulsoperator P ist ein ungerader Operator. Der Parit¨atsoperator. Π vertauscht mit sich selbst. Darum ist er ein gerader Operator.
Operatorfunktionen F¨ur einen geraden Operator B+ erhalten wir unter Beachtung von Gl. (2.560) n n Π = (Π B+ Π )(Π B+ Π ) . . . (Π B+ Π ) = B+ . Π B+ )* + ( n Faktoren
(2.595)
Die Potenz eines geraden Operators ist wieder gerade. Allgemeiner ist ein Operator F (B+ ), der also von einem geraden Operator abh¨angt, gerade. Die n-te Potenz eines ungeraden Operators ist f¨ur gerades n gerade und f¨ur ungerades n ungerade. Die Operatorfunktion F (B− ) eines ungeraden Operators ist gerade, wenn die zugeh¨orige Funktion F (z) gerade ist, und ungerade, wenn diese ungerade ist. Im allgemeinen Fall hat F (B− ) keine bestimmte Parit¨at.
2.12.3 Eigenzust¨ande einer geraden Observablen Es sei B+ eine beliebige gerade Observable und |ϕb ein Eigenvektor von B+ zum Eigenwert b. Weil B+ gerade ist, vertauscht sie mit dem Parit¨atsoperator Π . Die Anwendung der S¨atze aus Abschnitt 2.4.3 f¨uhren dann zu folgenden Ergebnissen: 1. Ist b ein nichtentarteter Eigenwert, so ist |ϕb notwendig ein Eigenvektor von Π , und zwar entweder gerade oder ungerade. Der Erwartungswert ϕb |B− |ϕb jeder ungeraden Observablen B− , wie z. B. des Ortsoperators R oder des Impulsoperators P , ist gleich null. 2. Ist b ein entarteter Eigenwert mit dem Eigenraum Hb , so besitzen die Vektoren aus Hb nicht notwendig eine bestimmte Parit¨at: Es kann sein, dass Π |ϕb und |ϕb nicht kollinear sind, doch ist Π |ϕb in jedem Fall ein Eigenvektor zum selben Eigenwert b. Weiter kann man in jedem Eigenraum Hb eine Basis von gemeinsamen Eigenvektoren von Π und B+ finden.
•
180
Erg¨anzungen zu Kapitel 2
2.12.4 Anwendung auf einen besonders wichtigen Fall Im Folgenden werden wir sehr h¨aufig die Eigenzust¨ande eines Hamilton-Operators von der Form H=
P2 + V (R) 2m
(2.596)
berechnen m¨ussen. Der Operator P ist ungerade, der Operator P 2 somit gerade. Wenn u¨ berdies die Funktion V (r) gerade, d. h. V (r) = V (−r) ist, so ist H gerade. Es ist dann m¨oglich, die Eigenzust¨ande von H unter den geraden oder den ungeraden Zust¨anden zu suchen, was die Rechnungen oft sehr vereinfacht. Wir sind bereits mehrfach dem Fall begegnet, bei dem der Hamilton-Operator H gerade ist: In Abschnitt 1.12 waren dies die rechteckigen Potentialt¨opfe und der unendlich tiefe Potentialtopf. Als weitere Beispiele werden wir den harmonischen Oszillator, das Wasserstoffatom und andere kennenlernen. Bemerkung Ist der Hamilton-Operator H gerade und hat man herausgefunden, dass einer seiner Eigenzust¨ande keine bestimmte Parit¨at aufweist (der Vektor Π |ϕh ist dann nicht kollinear zu |ϕh ), so kann man zeigen, dass der zugeh¨orige Eigenwert entartet ist: Weil Π mit H vertauscht, ist Π |ϕh Eigenvektor von H zum selben Eigenwert wie |ϕh .
2.13 Zweidimensionaler unendlich tiefer Potentialtopf In Abschnitt 1.12.2 untersuchten wir bereits f¨ur den eindimensionalen Fall die station¨aren Zust¨ande eines Teilchens, das sich in einem unendlich tiefen Potentialtopf befindet. Mit Hilfe des Begriffs des Tensorprodukts (s. Abschnitt 2.6) k¨onnen wir diese Untersuchung auf den zweidimensionalen Fall verallgemeinern; die Einf¨uhrung einer dritten Dimension bietet dann keine grunds¨atzlichen Schwierigkeiten.
2.13.1 Definition und Eigenzust¨ande Ein Teilchen bewege sich in der x, y-Ebene im Innern eines quadratischen Kastens“ mit ” der Seitenl¨ange a. Seine potentielle Energie V (x, y) werde unendlich groß, sobald die xoder die y-Koordinate außerhalb des Intervalls [0, a] liegt. Sie wird also mit V∞ (u) = 0, wenn 0 ≤ u ≤ a → +∞, wenn u < 0 oder u > a
(2.597)
V (x, y) = V∞ (x) + V∞ (y)
(2.598)
durch
2.13 Zweidimensionaler unendlich tiefer Potentialtopf
181
•
beschrieben. Den Hamilton-Operator (s. Abschnitt 3.2.5) 1 (P 2 + Py2 ) + V∞ (X) + V∞ (Y ) 2m x k¨onnen wir dann H=
(2.599)
H = Hx + Hy
(2.600)
schreiben, wobei 1 2 P + V∞ (X), 2m x 1 2 P + V∞ (Y ) (2.601) Hy = 2m y gesetzt wurde. Dies ist der in Abschnitt 2.6.4 angek¨undigte besonders wichtige Spezialfall. Wir suchen nach den Eigenzust¨anden von H in der Form Hx =
|Φ = |ϕx |ϕy .
(2.602)
Darin gen¨ugen |ϕx und |ϕy den Gleichungen Hx |ϕx = Ex |ϕx , Hy |ϕy = Ey |ϕy ,
|ϕx ∈ Hx , |ϕy ∈ Hy .
(2.603)
Es ist dann H|Φ = E|Φ
(2.604)
E = Ex + Ey .
(2.605)
mit
Auf diese Weise werden wir von einem zweidimensionalen auf ein eindimensionales Pro¨ blem gef¨uhrt. Dieses haben wir bereits in Abschnitt 1.12 gel¨ost. Ubernehmen wir die Ergebnisse und beachten die Gleichungen (2.603) und (2.605), so sehen wir, dass die Eigenwerte von H in der Form 1 (n2 + p2 )π 2 ¯ h2 (2.606) 2ma2 angegeben werden k¨onnen, wenn n und p positiv und ganzzahlig sind. Ferner erkennen wir, dass die zugeh¨origen Eigenzust¨ande |Φn,p als tensorielle Produkte En,p =
|Φn,p = |ϕn x |ϕp y
(2.607)
darstellbar sind. So ist die normierte Wellenfunktion schließlich Φn,p (x, y) = ϕn (x) ϕp (y) 2 nπx pπy = sin sin . (2.608) a a a An den R¨andern des Kastens“ (x = 0 oder y = 0), an denen die potentielle Energie ” unendlich groß wird, haben diese Funktionen den Wert null.
•
182
Erg¨anzungen zu Kapitel 2
2.13.2 Energieniveaus Grundzustand Die Quantenzahlen n und p sind positive ganze Zahlen. Gleich null k¨onnen sie nicht sein, weil dann die Wellenfunktionen identisch gleich null und damit nicht normierbar w¨aren. Den Grundzustand mit dem niedrigsten Niveau erh¨alt man f¨ur n = 1, p = 1. Seine Energie ist E1,1 =
π2 ¯ h2 . ma2
(2.609)
Da dieser Wert nur f¨ur n = p = 1 erreicht wird, ist der Grundzustand nichtentartet.
Erste angeregte Zust¨ande Das erste angeregte Niveau erh¨alt man f¨ur n = 1 und p = 2 oder f¨ur n = 2 und p = 1: E1,2 = E2,1 =
h2 5 π2 ¯ . 2 ma2
(2.610)
Weil |Φ1,2 und |Φ2,1 voneinander unabh¨angig sind, ist dieses Niveau zweifach entartet. Das zweite angeregte Niveau geh¨ort zu n = p = 2. Es ist nichtentartet, und seine Energie ist E2,2 = 4
h2 π2 ¯ . ma2
(2.611)
Das dritte angeregte Niveau geh¨ort zu n = 1, p = 3 und n = 3, p = 1 usw.
Systematische und zuf¨allige Entartung Allgemein stellen wir fest, dass alle Niveaus mit n = p entartet sind, weil En,p = Ep,n
(2.612)
gilt. Diese Entartung h¨angt mit der Symmetrie des Problems zusammen. Der hier untersuchte Potentialkasten ist in Bezug auf die Winkelhalbierende der x, y-Ebene symmetrisch. Dies dr¨uckt sich in der Invarianz des Hamilton-Operators H gegen¨uber der Vertauschung X
←→ Y,
Px
←→ Py
(2.613)
aus. Man k¨onnte im Zustandsraum einen Operator definieren, der die Symmetrie in Bezug auf die Winkelhalbierende charakterisiert, und dann zeigen, dass dieser Operator mit H vertauscht. Kennt man einen Eigenzustand von H mit der Wellenfunktion Φ(x, y), so ist auch der Zustand mit der Wellenfunktion Φ (x, y) = Φ(y, x) Eigenzustand von H
2.14 Aufgaben zu Kapitel 2
183
•
zum selben Eigenwert. Ist daher die Funktion Φ(x, y) nicht in x und y symmetrisch, so muss der zugeh¨orige Eigenwert entartet sein. Dies ist die Ursache f¨ur die in Gl. (2.612) angegebene Entartung: F¨ur n = p ist Φn,p (x, y) gegen¨uber einer Vertauschung von x und y nicht symmetrisch, s. Gl. (2.608). Die Deutung wird dadurch best¨atigt, dass eine ¨ St¨orung dieser Symmetrie die Entartung aufhebt: Andert man den quadratischen in einen rechteckigen Kasten“ mit unterschiedlichen Seitenl¨angen a und b ab, so verschwindet ” die Entartung; aus Gl. (2.606) wird dann h2 n2 π2 ¯ p2 + 2 , (2.614) En,p = 2m a2 b d. h. dass jetzt f¨ur n = p Ep,n = En,p
(2.615)
ist. Entartungen, die auf eine Symmetrie des Problems zur¨uckgehen, heißen systematische Entartungen. Bemerkung Die anderen, beim zweidimensionalen quadratischen Kasten auftretenden Symmetrien f¨uhren nicht zu systematischen Entartungen, weil bei ihnen alle Eigenzust¨ande von H invariant sind. So werden z. B. f¨ur beliebige n und p die Funktionen Φn,p (x, y) einfach mit einem Faktor multipliziert, wenn man x durch (a − x) und y durch (a − y) ersetzt (Symmetrie in Bezug auf den Mittelpunkt des Kastens). Entartungen, die nicht direkt mit den dem Problem zugrunde liegenden Symmetrien zusammenh¨angen, nennt man zuf¨allige Entartungen. In dem hier untersuchten Fall ergibt sich dies f¨ur E5,5 = E7,1 oder auch f¨ur E7,4 = E8,1 .
2.14 Aufgaben zu Kapitel 2 Dirac-Notation. Kommutatoren. Eigenvektoren und Eigenwerte 1. Es seien |ϕn die Eigenzust¨ande eines hermiteschen Operators H (dies kann z. B. der Hamilton-Operator eines physikalischen Systems sein) und es werde vorausgesetzt, dass diese Zust¨ande eine diskrete, orthonormierte Basis bilden. Der Operator U (m, n) sei definiert durch U (m, n) = |ϕm ϕn |. a) Man bestimme den zu U (m, n) adjungierten Operator U † (m, n). b) Man bestimme den Kommutator [H, U (m, n)]. c) Man beweise die Beziehung U (m, n)U † (p, q) = δnq U (m, p). d) Man berechne die Spur Sp{ U (m, n)}.
•
184
Erg¨anzungen zu Kapitel 2
e) Es sei A ein Operator mit den Matrixelementen Amn = ϕm |A|ϕn . Man beweise die Beziehung A=
Amn U (m, n).
m,n
f) Man zeige, dass Apq = Sp {AU † (p, q)}. 2. In einem zweidimensionalen Vektorraum betrachte man den Operator, dessen Matrix in einer orthonormierten Basis {|1, |2} durch 0 −i σy = i 0 gegeben ist. a) Ist σy hermitesch? Man berechne Eigenwerte und Eigenvektoren der Matrix (man gebe ihre normierte Entwicklung nach den Basisvektoren {|1, |2} an). b) Man berechne f¨ur die Projektoren auf diese Eigenvektoren die zugeh¨origen Matrizen. Man zeige dann, dass diese Vektoren den Orthogonalit¨atsbedingungen und der Vollst¨andigkeitsrelation gen¨ugen. c) Man beantworte dieselben Fragen f¨ur die Matrizen √ 2√ i 2 M= −i 2 3 und (in einem dreidimensionalen Raum) √ ⎛ ⎞ 0 2 √0 h⎝ √ ¯ Ly = − 2 0 2 ⎠. √ 2i 0 − 2 0 3. Der Zustandsraum eines physikalischen Systems sei dreidimensional, und die Menge {|u1 , |u2 , |u3 } bilde in diesem Raum eine orthonormierte Basis. Die Kets |ψ0 und |ψ1 seien durch die Gleichungen 1 i 1 |ψ0 = √ |u1 + |u2 + |u3 , 2 2 2 1 i |ψ1 = √ |u1 + √ |u3 3 3 definiert. a) Sind diese Kets normiert? b) Man bestimme die Matrizen ρ0 und ρ1 , die in der Basis {|u1 , |u2 , |u3 } die Projektoren auf den Zustand |ψ0 bzw. |ψ1 repr¨asentieren. Man zeige, dass diese Matrizen hermitesch sind.
2.14 Aufgaben zu Kapitel 2
185
•
4. Mit zwei Vektoren |ϕ und |ψ aus dem Zustandsraum sei ein Operator durch K = |ϕψ| definiert. a) Unter welcher Bedingung ist K hermitesch? b) Man berechne K 2 . Unter welcher Voraussetzung ist K ein Projektionsoperator? c) Man zeige, dass K stets in der Form K = λP1 P2 geschrieben werden kann, wobei λ eine zu berechnende Konstante und P1 und P2 Projektoren sind. 5. Es sei P1 der Orthogonalprojektor auf den Unterraum H1 und P2 der Orthogonalprojektor auf den Unterraum H2 . Man zeige: Damit das Produkt P1 P2 ebenfalls ein Orthogonalprojektor ist, ist notwendig und hinreichend, dass P1 und P2 vertauschen. Welches ist in diesem Fall der Unterraum, auf den P1 P2 projiziert? 6. Die Matrix σx sei definiert durch 0 1 σx = . 1 0 Man beweise die Beziehung eiασx = I cos α + iσx sin α, wobei I die 2 × 2-Einheitsmatrix bedeutet. 7. F¨ur die in Aufgabe 2 angegebene Matrix σy beweise man eine analoge Relation, wie sie in der vorstehenden Aufgabe f¨ur die Matrix σx gezeigt wurde. Man verallgemeinere die Aussage f¨ur Matrizen der Form σu = λσx + μσy mit λ2 + μ2 = 1. Man berechne die Matrizen f¨ur e2iσx , (eiσx )2 und ei(σx +σy ) . Ist e2iσx gleich (eiσx )2 und ei(σx +σy ) gleich eiσx eiσy ? 8. Bei einem eindimensionalen Problem betrachte man den Hamilton-Operator H=
1 2 P + V (X) 2m
eines Teilchens, wobei X und P die in Abschnitt 2.5 definierten Operatoren sind und der Vertauschungsrelation [X, P ] = i¯ h gen¨ugen. Die Eigenvektoren von H seien mit |ϕn bezeichnet: H|ϕn = En |ϕn ; n ist ein diskreter Index. a) Man zeige, dass ϕn |P |ϕn = αϕn |X|ϕn ist, worin α ein Koeffizient ist, der von En und En nur u¨ ber ihre Differenz abh¨angt. Man bestimme α. Anregung: Zum Beweis verwende man den Kommutator [X, H].
•
186
Erg¨anzungen zu Kapitel 2
b) Hieraus leite man unter Verwendung der Vollst¨andigkeitsrelation die Gleichung
(En − En )2 |ϕn |X|ϕn |2 =
n
¯2 h ϕn |P 2 |ϕn m2
her. 9. Es seien H der Hamilton-Operator eines physikalischen Systems und |ϕn die Eigenvektoren von H zu den Eigenwerten En : H|ϕn = En |ϕn . a) F¨ur einen beliebigen Operator A beweise man die Beziehung ϕn |[A, H]|ϕn = 0. b) F¨ur das eindimensionale Problem eines Teilchens mit der Masse m und der potentiellen Energie V (x) lautet der Hamilton-Operator H=
1 2 P + V (X). 2m
α) Man bestimme in Abh¨angigkeit von P , X und V (X) die Kommutatoren [H, P ], [H, X] und [H, XP ]. β) Man zeige, dass das Matrixelement ϕn |P |ϕn gleich null ist. In Kapitel 3 werden wir dies als den Erwartungswert des Impulses im Zustand |ϕn interpretieren. P2 γ) Man stelle eine Beziehung zwischen Ekin = ϕn | |ϕn (dem Erwartungswert 2m dV |ϕn her. Versteht man unter der kinetischen Energie im Zustand |ϕn ) und ϕn |X dX dem Matrixelement ϕn |V (X)|ϕn den Erwartungswert der potentiellen Energie im Zustand |ϕn , wie h¨angt dann dieser mit dem Erwartungswert der kinetischen Energie zusammen? Man setze V (X) = V0 X k ,
k = 2, 4, 6, . . . ; V0 > 0.
10. Unter Verwendung der Beziehung x|p = (2π¯h)−1/2 eipx/¯h berechne man in Abh¨angigkeit von ψ(x) die Ausdr¨ucke x|XP |ψ und x|P X|ψ. Kann man die Ergebnisse auch direkt aus der Tatsache finden, dass in der Ortsdarstellung der Impulsoperator P wie h d ¯ wirkt? i dx
2.14 Aufgaben zu Kapitel 2
187
•
Vertauschende Observable. V. S. k. O. 11. Ein physikalisches System mit einem dreidimensionalen Zustandsraum werde in einer aus den drei Kets |u1 , |u2 und |u3 gebildeten orthonormierten Basis beschrieben. Die beiden Operatoren H und B werden in dieser Basis (mit der angegebenen Reihenfolge) durch die Matrizen ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ 1 0 0 1 0 0 H =h ¯ ω0 ⎝ 0 −1 0 ⎠ B = b⎝ 0 0 1 ⎠ 0 0 −1 0 1 0 definiert; ω0 und b sind reelle Konstante. a) Sind H und B hermitesch? b) Man zeige, dass H und B vertauschen. Man gebe eine Basis aus gemeinsamen Eigenvektoren von H und B an. c) Welche Operatorenmenge {H}, {B}, {H, B}, {H 2 , B} bildet einen vollst¨andigen Satz kommutierender Observabler (v. S. k. O.)? 12. Der Zustandsraum sei der gleiche wie in der vorangegangenen Aufgabe. Die beiden Operatoren Lz und S seien durch die Gleichungen Lz |u1 = |u1 , Lz |u2 = 0, S|u1 = |u3 ,
Lz |u3 = −|u3 ;
S|u2 = |u2 , S|u3 = |u1
definiert. a) Welche Matrizen repr¨asentieren in der Basis {|u1 , |u2 , |u3 } die Operatoren Lz , L2z , S und S 2 ? Sind diese Operatoren Observable? b) Welche Form hat allgemein die Matrix eines Operators, der mit Lz vertauscht? Welche allgemeine Form hat die Matrix eines Operators, der mit L2z vertauscht, und welche Form hat die Matrix eines Operators, der mit S 2 vertauscht? c) Bilden L2z und S einen vollst¨andigen Satz kommutierender Observabler? Man gebe eine Basis aus gemeinsamen Eigenvektoren an.
L¨osung zu Aufgabe 11 a) H und B sind hermitesch, weil die zugeh¨origen Matrizen symmetrisch und reell sind. b) |u1 ist gemeinsamer Eigenvektor von H und B, also ist HB|u1 = BH|u1 . Damit H und B vertauschen, gen¨ugt es darum, dass die Einschr¨ankungen dieser Operatoren auf den von |u2 und |u3 aufgespannten Unterraum H2 vertauschen. In diesem Raum wird H durch die Matrix −¯ hω0 I dargestellt (wobei I die 2 × 2-Einheitsmatrix bedeutet), die mit allen 2 × 2-Matrizen vertauscht. Damit vertauschen auch H und B. Dies k¨onnte man auch zeigen, indem man die Matrizen HB und BH direkt berechnet. Die Einschr¨ankung von B auf H2 ist 0 1 . PH2 BPH2 = b 1 0
•
188
Erg¨anzungen zu Kapitel 2
Die normierten Eigenvektoren dieser 2 × 2-Matrix sind 1 |p2 = √ [|u2 + |u3 ] 2 1 |p3 = √ [|u2 − |u3 ] 2
(Eigenwert + b), (Eigenwert − b).
Diese Vektoren sind aber auch Eigenvektoren von H, weil H2 Eigenraum von H zum Eigenwert −¯ hω0 ist. Insgesamt sind damit die gemeinsamen Eigenvektoren der Operatoren H und B gegeben durch |p1 = |u1 1 |p2 = √ [|u2 + |u3 ] 2 1 |p3 = √ [|u2 − |u3 ] 2
Eigenwert von H
Eigenwert von B
¯hω0
b
−¯hω0
b
−¯hω0
−b
Bis auf einen Phasenfaktor sind dies auch die einzigen. c) Man erkennt, dass H einen zweifach entarteten Eigenwert aufweist; H bildet also keinen v. S. k. O. Auch B besitzt einen zweifach entarteten Eigenwert und ist damit kein 1 1 1 v. S. k. O.: Sowohl |p1 als auch |p2 oder √ |u1 + √ |u2 + √ |u3 k¨onnen Eigen3 3 3 vektoren von B zum Eigenwert b sein. Dagegen bildet die Menge der beiden Operatoren H und B einen v. S. k. O.: Es gibt keine zwei Vektoren |pj , die gleichzeitig Eigenvektoren von H und B zu denselben Eigenwerten sind. Deshalb ist das System der normierten gemeinsamen Eigenvektoren (bis auf Phasenfaktoren) eindeutig. Wir bemerken, dass im Eigenraum H2 von H zum Eigenwert −¯hω0 die Eigenwerte von B verschieden sind (b und −b); entsprechend sind in dem von den Vektoren |p1 und |p2 aufgespannten Eigenraum von B die Eigenwerte von H verschieden, n¨amlich ¯hω0 und −¯hω0 . F¨ur H 2 sind |p1 , |p2 und |p3 Eigenvektoren zum Eigenwert ¯h2 ω02 . Man sieht sofort, dass H 2 und B keinen v. S. k. O. bilden, weil zum Eigenwertpaar {¯h2 ω02 , b} zwei linear unabh¨angige Eigenvektoren, das sind |p1 und |p2 , geh¨oren.
L¨osung zu Aufgabe 12 a) Es gilt die Regel zur Konstruktion der Darstellungsmatrix eines Operators: In die n-te Spalte schreibe man die Komponenten der Transformation des n-ten Basisvektors. Damit erh¨alt man leicht ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ 1 0 0 0 0 1 S = ⎝ 0 1 0 ⎠, Lz = ⎝ 0 0 0 ⎠ , 0 0 −1 1 0 0 ⎛
1 L2z = ⎝ 0 0
⎞ 0 0 0 0 ⎠, 0 1
⎛
1 S2 = ⎝ 0 0
⎞ 0 0 1 0 ⎠. 0 1
2.14 Aufgaben zu Kapitel 2
189
•
Diese Matrizen sind symmetrisch und reell, also hermitesch. Weil der Zustandsraum endlich ist, sind sie weiter diagonalisierbar und darum Observable. b) Es sei M ein Operator, der mit Lz vertauscht. Nach Abschnitt 2.4.3 verschwinden die Matrixelemente von M zwischen |u1 und |u2 , zwischen |u2 und |u3 und zwischen |u1 und |u3 , weil es sich bei diesen jeweils um Eigenvektoren von Lz zu verschiedenen Eigenwerten handelt. Darum ist die Matrix, die M repr¨asentiert, notwendig eine Diagonalmatrix, also von der Form ⎞ ⎛ 0 0 m11 0 ⎠. m22 [M, Lz ] = 0 ←→ M =⎝ 0 0 0 m33 Wenn N mit L2z vertauscht, so kann die zugeh¨orige Matrix von null verschiedene Elemente zwischen |u1 und |u3 besitzen (diese sind Eigenvektoren von L2z zum selben Eigenwert), aber keine zwischen |u2 einerseits und |u1 und |u3 andererseits. Darum gilt ⎛ ⎞ 0 n13 n11 ←→ N = ⎝ 0 n22 0 ⎠. [N, L2z ] = 0 0 n33 n31 Die Vertauschbarkeit eines Operators mit L2z ist f¨ur ihn weniger einschr¨ankend als die Vertauschbarkeit mit Lz . N ist nicht unbedingt eine Diagonalmatrix. Man kann lediglich sagen, dass N nicht die Vektoren des von |u1 und |u3 aufgespannten Unterraums F2 mit den Vektoren des von |u2 aufgespannten eindimensionalen Unterraums mischt. Dies erkennt man ganz deutlich, wenn man die Matrix N aufschreibt, die den Operator N in der Basis {|u1 , |u3 , |u2 } (man beachte die ver¨anderte Reihenfolge) darstellt: ⎞ ⎛ 0 n11 n13 0 ⎠. N = ⎝ n31 n33 0 0 n22 Weil schließlich S 2 gleich dem Einheitsoperator ist, vertauscht jede 3 × 3-Matrix mit ihm, und es gilt ⎞ ⎛ p11 p12 p13 [P, S 2 ] = 0 ←→ P = ⎝ p21 p22 p23 ⎠ . p31 p32 p33 c) |u2 ist gemeinsamer Eigenvektor von L2z und S. In dem von |u1 und |u3 aufgespannten Unterraum F2 sind die Matrizen L2z und S 1 0 2 PF2 Lz PF2 = , 0 1 PF2 SPF2 =
0 1 1 0
.
•
190
Erg¨anzungen zu Kapitel 2
Die Eigenvektoren der letzten Matrix sind 1 |q2 = √ [|u1 + |u3 ], 2 1 |q3 = √ [|u1 − |u3 ]. 2 Damit ist die Basis aus den gemeinsamen Eigenvektoren von L2z und S Vektor |q1 = |u2 1 |q2 = √ [|u1 + |u3 ] 2 1 |q3 = √ [|u1 − |u3 ] 2
Eigenwert von L2z
Eigenwert von S
0
1
1
1
1
−1
Aufgrund dieser Tabelle bilden die Operatoren L2z und S einen v. S. k. O. Das ist jedoch f¨ur je zwei von ihnen (wenn man sie isoliert betrachtet) nicht der Fall.
3
Die Postulate der Quantenmechanik
3.1 Einleitung In der klassischen Mechanik ist die Bewegung eines beliebigen materiellen Systems bestimmt, wenn man den Ort r(x, y, z) und die Geschwindigkeit v(x, ˙ y, ˙ z) ˙ seiner Punkte in Abh¨angigkeit von der Zeit t kennt. Allgemein f¨uhrt man zur Beschreibung eines derartigen Systems generalisierte Koordinaten qi (t) (i = 1, 2, . . . , N ) ein (s. Anhang III), deren zeitliche Ableitungen q˙i (t) man die generalisierten Geschwindigkeiten nennt: Die Angabe von qi (t) und q˙i (t) erlaubt zu jedem Zeitpunkt die Berechnung der Lage und der Ge¨ schwindigkeit eines beliebigen Systempunktes. Uber die Lagrange-Funktion L(qi , q˙i , t) definiert man weiter den zu qi konjugierten Impuls pi : pi =
∂L . ∂ q˙i
(3.1)
Man nennt die qi (t) und pi (t) die (fundamentalen) dynamischen Variablen. S¨amtliche zu dem System geh¨orenden physikalischen Gr¨oßen wie die Energie, der Impuls oder der Drehimpuls werden als Funktionen dieser fundamentalen dynamischen Variablen ausgedr¨uckt. So ist z. B. die Gesamtenergie des Systems durch die Hamilton-Funktion H(qi , pi , t) gegeben. Die Bewegung des Systems kann man untersuchen, indem man von den Lagrangeschen Gleichungen oder von den Hamiltonschen Gleichungen ∂H dqi = , dt ∂pi ∂H dpi = − dt ∂qi
(3.2) (3.3)
ausgeht. F¨ur den speziellen Fall, dass das System nur aus einem Massenpunkt mit der Masse m besteht, sind die qi einfach die Koordinaten dieses Punktes und die q˙i die Komponenten der Geschwindigkeit v. Kann man die auf dieses Teilchen wirkenden Kr¨afte u¨ ber ein skalares Potential V (r, t) beschreiben, so sind die zum Teilchenort r konjugierten Impulse, also die Komponenten des Teilchenimpulses p, gleich den Komponenten der Bewegungsgr¨oße mv. Die Gesamtenergie ist dann E=
p2 + V (r, t) 2m
(3.4)
und der Drehimpuls in Bezug auf den Koordinatenursprung L = r × p.
(3.5)
192
3 Die Postulate der Quantenmechanik
p2 Weil die Hamilton-Funktion H(r, p, t) = 2m + V (r, t) ist, nehmen die HamiltonGleichungen die bekannte Form an: p dr = , dt m dp = −∇V. dt
(3.6) (3.7)
Die klassische Beschreibung eines materiellen Systems kann also in folgender Weise zusammengefasst werden: 1. Der Zustand zu einem festen Zeitpunkt t0 ist durch die Angabe seiner N generalisierten Koordinaten qi (t0 ) und der N konjugierten Impulse pi (t0 ) definiert. 2. Der Wert der verschiedenen physikalischen Gr¨oßen zu einem Zeitpunkt t0 ist vollst¨andig bestimmt, wenn man den Zustand des Systems zu diesem Zeitpunkt kennt: Ausgehend vom Zustand des Systems kann man mit Sicherheit das Ergebnis einer beliebigen Messung voraussagen, die zur Zeit t0 ausgef¨uhrt wird. 3. Die zeitliche Entwicklung des Systemzustands wird durch die Hamilton-Gleichungen beschrieben. Weil diese Differentialgleichungen erster Ordnung sind, ist ihre L¨osung {qi (t), pi (t)} eindeutig bestimmt, wenn man die Werte dieser Funktionen zu einem Zeitpunkt t0 , also {qi (t0 ), pi (t0 )} vorgibt: Kennt man den Anfangszustand des Systems, so ist sein Zustand zu einem beliebigen Zeitpunkt determiniert. Dieses Kapitel behandelt die Postulate, auf denen die quantenmechanische Beschreibung physikalischer Systeme basiert. Qualitativ und vorl¨aufig haben wir sie in Kapitel 1 eingef¨uhrt. Im Rahmen des Formalismus, wie er in Kapitel 2 skizziert wurde, werden wir sie jetzt genauer fassen. Mit diesen Postulaten werden (in Korrespondenz zu den eben aufgef¨uhrten drei Punkten u¨ ber die klassische Beschreibung) die folgenden Fragen beantwortet: 1. Wie wird der Zustand eines quantenmechanischen Systems (oder k¨urzer: Quantensystems) zu einem bestimmten Zeitpunkt beschrieben? 2. Wie werden f¨ur einen gegebenen Zustand die Messergebnisse der verschiedenen Gr¨oßen vorausgesagt? 3. Wie erh¨alt man den Zustand des Systems zu einem Zeitpunkt t, wenn man ihn zum Zeitpunkt t0 kennt? Wir beginnen im folgenden Abschnitt mit der Angabe der Postulate der Quantenmechanik, analysieren in den darauffolgenden Abschnitten ihren physikalischen Gehalt und diskutieren die Folgerungen.
3.2 Die Postulate 3.2.1 Der Zustand eines Systems In Kapitel 1 f¨uhrten wir den Begriff des Quantenzustands eines Teilchens zu einem bestimmten Zeitpunkt ein, und charakterisierten ihn zun¨achst durch eine quadratisch integrierbare Wellenfunktion. In Kapitel 2 ordneten wir dann jeder Wellenfunktion einen Ket
3.2 Die Postulate
193
|ψ aus dem Zustandsraum Hr zu: Die zugeh¨orige Wellenfunktion ψ(r) = r|ψ h¨angt ¨ dabei in a¨ quivalenter Weise mit diesem Ket zusammen. Diese Uberlegungen verallgemeinern wir nun in der folgenden Aussage: 1. Postulat: Der Zustand eines physikalischen Systems zu einem bestimmten Zeitpunkt t0 wird durch die Angabe eines Kets |ψ(t0 ) aus dem Zustandsraum H definiert. Weil H ein (linearer) Vektorraum ist, folgt aus diesem ersten Postulat ein Superpositionsprinzip: Die Linearkombination von Zustandsvektoren ergibt wieder einen Zustandsvektor. Wir werden diesen wichtigen Punkt und seinen Zusammenhang mit den anderen Postulaten in Abschnitt 3.5 diskutieren.
3.2.2 Physikalische Gr¨oßen In Abschnitt 1.4.1 verwendeten wir bereits einen Zusammenhang zwischen einem Differentialoperator H und der Gesamtenergie eines Teilchens in einem skalaren Potential. Dies ist nur ein Spezialfall des zweiten Postulats: 2. Postulat: Jede messbare physikalische Gr¨oße A wird durch einen im Zustandsraum H wirkenden Operator A beschrieben; dieser Operator ist eine Observable. Bemerkungen 1. Die Aussage, dass A eine Observable ist (s. Abschnitt 2.4.2), erweist sich weiter unten (Abschnitt 3.2.3) als wesentlich. 2. Im fundamentalen Unterschied zur klassischen Mechanik beschreibt die Quantenmechanik den Zustand eines Systems durch einen Vektor und die zugeh¨origen physikalischen Gr¨oßen durch Operatoren.
3.2.3 Messung physikalischer Gr¨oßen M¨ogliche Messergebnisse In Abschnitt 1.4.1 wurde der Zusammenhang zwischen dem Operator H und der Gesamtenergie des Teilchens durch die Forderung hergestellt, dass nur die Eigenwerte von H m¨ogliche Energiewerte sind. Dies wird im dritten Postulat verallgemeinert: 3. Postulat: Wird eine physikalische Gr¨oße A gemessen, so kann das Resultat nur einer der Eigenwerte der zugeh¨origen Observablen A sein. Bemerkungen 1. Weil A hermitesch ist, wird eine Messung von A stets einen reellen Wert liefern. 2. Ist das Spektrum von A diskret, so sind die m¨oglichen Resultate bei der Messung von A quantisiert (Abschnitt 3.3.2).
194
3 Die Postulate der Quantenmechanik
Spektralzerlegung Wir wollen jetzt die Folgerungen aus Abschnitt 1.1.3 pr¨azisieren und verallgemeinern. Dort hatten wir ein einfaches Experiment an polarisierten Photonen untersucht. Wir betrachten ein System, das zu einem bestimmten Zeitpunkt durch den auf eins normierten Ket |ψ beschrieben wird: ψ|ψ = 1.
(3.8)
Wir wollen zu diesem Zeitpunkt eine physikalische Gr¨oße A des Systems, zu der die Observable A geh¨ort, messen und hierf¨ur die Ergebnisse voraussagen. Wie wir bereits sahen, wird es sich dabei um eine Wahrscheinlichkeitsaussage handeln. Wir geben die Regeln f¨ur die Berechnung der Wahrscheinlichkeit an, mit der ein bestimmter Eigenwert von A als Messergebnis auftreten kann. Diskretes Spektrum. Wir setzen zun¨achst voraus, dass das Eigenwertspektrum von A diskret ist. Sind s¨amtliche Eigenwerte an von A nichtentartet, so geh¨ort zu jedem von ihnen genau ein Eigenvektor |un (bis auf einen Phasenfaktor): A|un = an |un .
(3.9)
Weil A eine Observable ist, bildet die Menge der (als normiert vorausgesetzten) |un in H eine Basis, und wir k¨onnen den Zustandsvektor |ψ in der Form |ψ = cn |un (3.10) n
schreiben. Man postuliert dann, dass die Wahrscheinlichkeit P(an ) daf¨ur, bei der Messung von A den Wert an zu erhalten, durch P(an ) = |cn |2 = |un |ψ|2
(3.11)
gegeben ist. Dies ist also das vierte Postulat: 4. Postulat (nichtentartetes, diskretes Spektrum): Wird die physikalische Gr¨oße A eines Systems im normierten Zustand |ψ gemessen, so ist die Wahrscheinlichkeit daf¨ur, dass das Ergebnis den nichtentarteten Eigenwert an der zugeh¨origen Observablen A liefert, gleich P(an ) = |un |ψ|2 . Hierbei ist |un der normierte Eigenvektor von A zum Eigenwert an . Sind jetzt einige Eigenwerte an entartet, so geh¨oren zu ihnen mehrere orthonormierte Eigenvektoren |uin : A|uin = an |uin ,
Der Ket |ψ kann dann nach der orthonormierten Basis |ψ =
gn n
i=1
cin |uin .
(3.12)
i = 1, 2, . . . , gn . {|uin }
entwickelt werden: (3.13)
3.2 Die Postulate
195
In diesem Fall wird die Wahrscheinlichkeit gn gn P(an ) = |cin |2 = |uin |ψ|2 . i=1
(3.14)
i=1
Danach ist Gl. (3.11) ein Spezialfall von Gl. (3.14). 4. Postulat (Fall eines entarteten Spektrums): Wird die physikalische Gr¨oße A eines Systems im normierten Zustand |ψ gemessen, so ist die Wahrscheinlichkeit daf¨ur, dass das Ergebnis den nichtentarteten Eigenwert an der zugeh¨origen Observablen A liefert, gleich gn
P(an ) =
|uin |ψ|2 .
i=1
Darin ist gn der Entartungsgrad des Eigenwerts an und {|uin } (i = 1, 2, . . . , gn ) ein System von orthonormierten Vektoren, die im Eigenraum Hn zum Eigenwert an von A eine Basis bilden. Damit dieses Postulat physikalisch sinnvoll ist, muss bei einem entarteten Eigenwert an die Wahrscheinlichkeit P(an ) von der Wahl der Basis {|uin } im Unterraum Hn unabh¨angig sein. Um dies zu zeigen, betrachten wir den Vektor |ψn =
gn
cin |uin ,
(3.15)
i=1
worin die Koeffizienten cin dieselben sind wie die in Gl. (3.13): cin = uin |ψ.
(3.16)
Der Ket |ψn ist der zu Hn geh¨orende Anteil von |ψ, d. h. die Projektion von |ψ auf Hn . Setzt man diese Beziehung in Gl. (3.15) ein, so wird |ψn =
gn
|uin uin |ψ
i=1
= Pn |ψ,
(3.17)
worin Pn =
gn
|uin uin |
(3.18)
i=1
der Projektor auf Hn ist (s. Abschnitt 2.2.3). F¨ur das Quadrat der Norm von |ψn erhalten wir nach Gl. (3.15) ψn |ψn =
gn
|cin |2 .
(3.19)
i=1
Also ist P(an ) gleich dem Normquadrat von |ψn = Pn |ψ, der Projektion von |ψ auf Hn . Aus dieser Form ist ersichtlich, dass ein Basiswechsel in Hn den Ausdruck f¨ur die Wahrscheinlichkeit P(an ) nicht beeinflusst.
196
3 Die Postulate der Quantenmechanik F¨ur P(an ) k¨onnen wir somit auch P(an ) = ψ|Pn† Pn |ψ
(3.20)
schreiben oder auch, weil Pn hermitesch (Pn† = Pn ) und ein Projektor (Pn2 = Pn ) ist, P(an ) = ψ|Pn |ψ.
(3.21)
Kontinuierliches Spektrum. Wir nehmen jetzt an, dass das Spektrum von A kontinuierlich und der Einfachheit halber nichtentartet ist. Das System der im weiteren Sinne orthonormierten Eigenvektoren |vα von A, A|vα = α|vα ,
(3.22)
bildet im Zustandsraum H eine kontinuierliche Basis, nach der wir |ψ zerlegen k¨onnen: |ψ = dα c(α)|vα . (3.23) Weil jetzt die m¨oglichen Ergebnisse bei einer Messung von A ein Kontinuum bilden, m¨ussen wir eine Wahrscheinlichkeitsdichte definieren, genau wie wir es bei der Interpretation der Wellenfunktion eines Teilchens getan haben (s. Abschnitt 1.2.2): Die Wahrscheinlichkeit dP(α) daf¨ur, dass ein Wert zwischen α und α + dα erhalten wird, ist durch dP(α) = ρ(α)dα mit ρ(α) = |c(α)|2 = |vα |ψ|2
(3.24)
gegeben. 4. Postulat (kontinuierliches nichtentartetes Spektrum): Wird die physikalische Gr¨oße A eines Systems im normierten Zustand |ψ gemessen, so ist die Wahrscheinlichkeit daf¨ur, dass das Ergebnis einen Wert zwischen α und α + dα liefert, dP(α) = |vα |ψ|2 dα, wobei |vα der Eigenvektor der zu A geh¨orenden Observablen A mit dem Eigenwert α ist. Bemerkungen 1. Man verifiziert explizit, dass in allen hier betrachteten F¨allen die Gesamtwahrscheinlichkeit gleich eins ist. Geht man z. B. von Gl. (3.14) aus, so findet man
P(an ) =
n
gn n
|cin |2 = ψ|ψ = 1,
(3.25)
i=1
¨ weil |ψ normiert ist. Die Normierung von |ψ ist also f¨ur die Konsistenz unserer Uberlegungen unverzichtbar, jedoch nicht wesentlich. Ist sie nicht erf¨ullt, so gen¨ugt es, Gl. (3.14) und Gl. (3.24) durch 1 i 2 |cn |
ψ|ψ i=1 gn
P(an ) =
(3.26)
3.2 Die Postulate
197
bzw. ρ(α) =
1 |c(α)|2
ψ|ψ
(3.27)
zu ersetzen. 2. Damit das vierte Postulat konsistent ist, muss notwendig der Operator A, den man einer physikalischen Gr¨oße zuordnet, eine Observable sein: Es setzt n¨amlich voraus, dass jeder Zustandsvektor nach den Eigenvektoren von A entwickelt werden kann. 3. Die allgemeinste Form des vierten Postulats haben wir hier nicht angegeben, doch kann man das Prinzip der Spektralzerlegung ohne Schwierigkeit auf jeden anderen m¨oglichen Fall (etwa auf das entartete kontinuierliche Spektrum, auf ein Spektrum, das teils diskret und teils kontinuierlich ist, usw.) ausdehnen. In Abschnitt 3.5 und sp¨ater in Kapitel 4 werden wir dieses Postulat auf eine Reihe von Beispielen anwenden, um insbesondere bestimmte Implikationen des Superpositionsprinzips (s. Abschnitt 3.2.1) aufzuzeigen.
Wichtige Folgerung. Es seien |ψ und |ψ zwei Kets, so dass |ψ = eiθ |ψ
(3.28)
mit einer reellen Zahl θ gilt. Ist |ψ normiert, so ist dies auch |ψ : ψ |ψ = ψ|e−iθ eiθ |ψ = ψ|ψ.
(3.29)
Die Wahrscheinlichkeiten, die man bei einer beliebigen Messung voraussagt, sind dieselben, ob man nun von |ψ oder von |ψ ausgeht. F¨ur jedes |uin gilt n¨amlich |uin |ψ |2 = |eiθ uin |ψ|2 = |uin |ψ|2 .
(3.30)
Ferner k¨onnen wir |ψ auch durch |ψ = αeiθ |ψ
(3.31)
ersetzen, ohne dass sich die physikalischen Ergebnisse a¨ ndern. In Gl. (3.26) und Gl. (3.27) tritt dann der Faktor |α|2 im Z¨ahler und im Nenner auf, k¨urzt sich also heraus. Daher repr¨asentieren zueinander proportionale Vektoren denselben physikalischen Zustand. Es ist wichtig, diese Aussage richtig zu interpretieren. Nehmen wir z. B. an, dass |ψ = λ1 |ψ1 + λ2 |ψ2
(3.32) iθ1
mit zwei komplexen Zahlen λ1 und λ2 ist. Zwar repr¨asentiert e |ψ1 mit beliebigem reellen θ1 denselben physikalischen Zustand wie |ψ1 und eiθ2 |ψ2 denselben Zustand wie |ψ2 . Im Allgemeinen wird aber der Vektor |ϕ = λ1 eiθ1 |ψ1 + λ2 eiθ2 |ψ2
(3.33)
nicht denselben Zustand wie |ψ beschreiben. Dies w¨are nur der Fall, wenn θ1 = θ2 +2nπ w¨are, weil dann |ϕ = eiθ1 [λ1 |ψ1 + λ2 |ψ2 ] = eiθ1 |ψ
(3.34)
geschrieben werden kann. In Abschnitt 3.5.1 werden wir sehen, dass die relativen Phasen der Entwicklungskoeffizienten eines Zustandsvektors eine wichtige Rolle spielen.
198
3 Die Postulate der Quantenmechanik
Reduktion des Wellenpakets Den Begriff der Reduktion eines Wellenpakets f¨uhrten wir bereits in Abschnitt 1.1.3 im Zusammenhang mit der Polarisationsmessung an Photonen ein. Hier wollen wir ihn verallgemeinern, uns dabei aber auf den Fall eines diskreten Spektrums beschr¨anken (das kontinuierliche Spektrum behandeln wir in Abschnitt 3.5). Wir nehmen an, dass wir zu einem gegebenen Zeitpunkt die physikalische Gr¨oße A messen wollen. Kennt man den Ket |ψ, der den Zustand des Systems unmittelbar vor der Messung repr¨asentiert, so erlaubt das vierte Postulat die Vorhersage, mit welcher Wahrscheinlichkeit sich die verschiedenen m¨oglichen Resultate ergeben k¨onnen. F¨uhrt man die Messung jedoch tats¨achlich aus, erh¨alt man offensichtlich genau ein einziges dieser m¨oglichen Ergebnisse. Unmittelbar nach dieser Messung stellt sich nicht mehr die Frage nach der Wahrscheinlichkeit dieses oder jenes Wertes: Man weiß, dass es der ist, den man effektiv erhalten hat. Man besitzt also eine zus¨atzliche Information, und es ist einsichtig, dass der Zustand des Systems nach der Messung, der diese Information mit aufnehmen muss, von|ψ verschieden ist. Betrachten wir zun¨achst den Fall, bei dem die Messung von A einen einfachen Eigenwert an von A liefert. Man postuliert dann, dass unmittelbar nach dieser Messung der Eigenvektor |un zu an Zustandsvektor des Systems ist: |ψ
a
n =⇒
|un .
(3.35)
Bemerkungen 1. Wir sprechen hier von Zust¨anden unmittelbar vor“ der Messung (|ψ ) und unmittelbar danach“ ” ” (|un ). Die genaue Bedeutung dieser Ausdrucksweise ist die folgende: Wir nehmen an, dass die Messung zur Zeit t0 > 0 stattfindet und dass wir den Zustand |ψ(0) des Systems zur Zeit t = 0 kennen. Das sechste Postulat, s. Abschnitt 3.2.4, gibt an, wie sich das System zeitlich entwickelt, d. h. es erlaubt, ausgehend von |ψ(0) , die Berechnung des Zustands |ψ(t0 ) unmittelbar vor“ ” der Messung. Ist das Messergebnis der nichtentartete Eigenwert an , so muss der Zustand |ψ (t1 ) f¨ur einen Zeitpunkt t1 > t0 berechnet werden, indem man von |ψ (t0 ) = |un , dem Zustand unmittelbar nach“ der Messung, ausgeht und mit Hilfe des sechsten Postulats die Entwicklung des ” Zustandsvektors zwischen den Zeiten t0 und t1 bestimmt, s. Abb. 3.1. 2. F¨uhrt man sofort nach der ersten Messung von A eine zweite aus (bevor also das System Zeit hatte, sich zu a¨ ndern), so wird man mit Sicherheit dasselbe Resultat an erhalten, weil der Zustand des Systems unmittelbar vor der zweiten Messung |un und nicht mehr |ψ ist.
Ist der bei der Messung erhaltene Eigenwert an entartet, so wird das Postulat (3.35) in folgender Weise verallgemeinert. Unmittelbar vor der Messung lautet die Entwicklung des Zustands |ψ (nach den Basisvektoren)
|ψ =
gn n
i=1
cin |uin .
(3.36)
3.2 Die Postulate
199
Abb. 3.1 Bei einer Messung der Observablen A zum Zeitpunkt t0 mit dem Resultat an erf¨ahrt ¨ der Zustandsvektor des Systems eine pl¨otzliche Anderung und wird gleich |un . Das System entwickelt sich dann aus diesem neuen Anfangszustand weiter.
Durch die Messung a¨ ndert sich der Zustandsvektor gem¨aß |ψ
a
n =⇒
gn 1 , cin |uin . - gn i=1 . |ci |2
(3.37)
n
i=1
Der Vektor
gn
cin |uin ist die Projektion von |ψ auf den zu an geh¨orenden Eigenraum,
i=1
s. Gl. (3.15). In Gl. (3.37) haben wir diesen Vektor normiert, weil der Umgang mit auf eins normierten Zustandsvektoren bequemer ist. Mit den Bezeichnungen aus Gl. (3.17) und Gl. (3.18) kann man Gl. (3.37) dann auch in der Form |ψ
P |ψ an
n =⇒ ψ|Pn |ψ
(3.38)
schreiben. 5. Postulat: Ergibt die Messung der physikalischen Gr¨oße A am System im Zustand |ψ den Wert an , so ist der Zustand des Systems unmittelbar nach der Messung gleich der Pn |ψ von |ψ auf den zu an geh¨orenden Eigenauf eins normierten Projektion ψ|Pn |ψ raum. Sofort nach der Messung ist der Zustand des Systems also immer ein Eigenvektor von A zum Eigenwert an . Dabei spielt es keine Rolle, welcher Ket aus dem Unterraum Hn dies ist, sondern nur, dass es der (aus Zweckm¨aßigkeit passend normierte) Teil von |ψ ist, der zu diesem Eigenraum Hn geh¨ort. Unter dem Gesichtspunkt der Spektralzerlegung erscheint Gl. (3.35) als ein Sonderfall der Beziehung (3.37). Setzen wir n¨amlich gn = 1, so entf¨allt die Summation u¨ ber i, und wir erhalten 1 cn |un = ei arg cn |un . |cn | Dieser Ket beschreibt aber denselben physikalischen Zustand wie der Ket |un .
(3.39)
200
3 Die Postulate der Quantenmechanik
3.2.4 Zeitliche Entwicklung des Systems Bereits in Abschnitt 1.2.2 stellten wir die Schr¨odinger-Gleichung f¨ur ein Teilchen vor. Die allgemeine Bewegungsgleichung f¨ur ein physikalisches System wird im sechsten Postulat formuliert: 6. Postulat: Die zeitliche Entwicklung des Zustandsvektors |ψ(t) wird bestimmt durch die Schr¨odinger-Gleichung i¯ h
d |ψ(t) = H(t)|ψ(t). dt
Darin ist H(t) die der Gesamtenergie des Systems zugeordnete Observable. Man nennt H den Hamilton-Operator des Systems, weil man ihn aus der klassischen Hamilton-Funktion erh¨alt, s. Anhang III und den folgenden Abschnitt.
3.2.5 Korrespondenzregeln In einem letzten Postulat wollen wir angeben, wie man den Operator A f¨ur eine physikalische Gr¨oße A aufstellt, wenn diese in der klassischen Mechanik bereits definiert ist.
Grunds¨atzliches Zun¨achst betrachten wir ein Teilchen ohne Spin, das sich in einem skalaren Potential befindet. Man verf¨ahrt dann nach folgender Korrespondenzregel: Dem Ort r(x, y, z) des Teilchens wird die Ortsobservable R(X, Y, Z) zugeordnet und seinem Impuls p(px , py , pz ) die Impulsobservable P (Px , Py , Pz ). Dabei ist dann stets zu ber¨ucksichtigen (s. Abschnitt 2.5, Gl. (2.301)), dass R und P den kanonischen Vertauschungrelationen gen¨ugen: [Ri , Rj ] = [Pi , Pj ] = 0, [Ri , Pj ] = i¯ hδij .
(3.40)
Eine beliebige physikalische Gr¨oße A dieses Teilchens ist stets eine Funktion der fundamentalen dynamischen Variablen r und p: A(r, p, t). Um nun die zugeh¨orige Observable A zu erhalten, ersetzt man in dem Ausdruck A(r, p, t) die klassischen Variablen r und p durch die Observablen R und P 1 : A(t) = A(R, P , t).
(3.41)
Dieses Vorgehen ist jedoch im Allgemeinen nicht eindeutig. Nehmen wir z. B. an, dass in A(r, p, t) ein Term der Form r · p = xpx + ypy + zpz 1 In
Abschnitt 2.8 wurde der Begriff einer Operatorfunktion definiert.
(3.42)
3.2 Die Postulate
201
auftritt. In der klassischen Mechanik ist das Skalarprodukt kommutativ, und man kann daf¨ur auch p · r = px x + py y + pz z
(3.43)
schreiben. Ersetzt man nun aber r und p durch die zugeh¨origen Observablen R und P , so sind die sich aus Gl. (3.42) und Gl. (3.43) ergebenden Operatoren wegen der Vertauschungsrelationen (3.40) nicht gleich: R · P = P · R.
(3.44)
Weiter sind weder R · P noch P · R hermitesch, denn es ist z. B. (R · P )† = (XPx + Y Py + ZPz )† = P · R.
(3.45)
Daher f¨ugt man zu den Korrespondenzregeln eine Symmetrisierungsregel hinzu. Danach geh¨ort z. B. zu dem Term r · p die Observable 1 (R · P + P · R), (3.46) 2 die nat¨urlich hermitesch ist. Entsprechend verf¨ahrt man bei verwickelteren Ausdr¨ucken. Die Observable A, die eine klassische physikalische Gr¨oße A beschreibt, erh¨alt man, indem man in dem geeignet symmetrisierten Ausdruck f¨ur A die klassischen dynamischen Variablen r und p durch die Observablen R bzw. P ersetzt. Nun gibt es aber quantenmechanische Gr¨oßen (wie z. B. den Spin eines Teilchens), ¨ die kein klassisches Aquivalent besitzen. Diese m¨ussen dann direkt durch die zugeh¨origen Observablen beschrieben werden. Bemerkung Die hier angef¨uhrten Regeln, insbesondere die Vertauschungsregeln Gl. (3.40), gelten nur f¨ur kartesische Koordinaten. Man k¨onnte sie auch verallgemeinern, so dass sie auch f¨ur andere Bezugssysteme g¨ultig w¨aren, sie haben dann aber nicht mehr diese einfache Form. Außerdem werden wir im Folgenden immer voraussetzen, dass wir es mit einem Inertialsystem zu tun haben.
Wichtige Beispiele Hamilton-Operator fur ¨ ein Teilchen in einem skalaren Potential. Wir betrachten ein Teilchen (ohne Spin) mit der Masse m und der elektrischen Ladung q, das sich in einem elektrostatischen Feld mit dem skalaren Potential U (r) befindet. Die potentielle Energie des Teilchens ist dann V (r) = qU (r), und die zugeh¨orige Hamilton-Funktion lautet (Anhang III, Gl. (III.31)) H(r, p) =
p2 + V (r) 2m
(3.47)
mit p=m
dr = mv. dt
(3.48)
202
3 Die Postulate der Quantenmechanik
Darin bedeutet v die Geschwindigkeit des Teilchens. Es bereitet keine Schwierigkeiten, hierzu den Hamilton-Operator H aufzustellen. Eine Symmetrisierung ist nicht erforderlich, weil weder bei P 2 = Px2 + Py2 + Pz2 noch bei V (R) Produkte von nichtvertauschenden Operatoren auftreten. Wir haben daher H=
P2 + V (R). 2m
Darin ist V (R) der Operator, den man bei der Ersetzung von r in V (r) erh¨alt. F¨ur diesen speziellen Fall lautet daher die Schr¨odinger-Gleichung 2 P d + V (R) |ψ(t). i¯ h |ψ(t) = dt 2m
(3.49)
(3.50)
Hamilton-Operator eines Teilchens in einem Vektorpotential. Durchquert das Teilchen ein beliebiges elektromagnetisches Feld, so ist der Ausdruck f¨ur die klassische Hamilton-Funktion (s. Anhang III, Gl. (III.68)) H(r, p) =
1 [p − qA(r, t)]2 + qU (r, t). 2m
(3.51)
Darin ist U (r, t) das skalare und A(r, t) das Vektorpotential, mit denen man das elektromagnetische Feld beschreibt, w¨ahrend p gegeben ist durch p=m
dr + qA(r, t) = mv + qA(r, t). dt
(3.52)
Hier kann man wieder ohne Schwierigkeiten den quantenmechanischen Operator A(R, t) angeben, weil die klassische Funktion A(r, t) nur von r und der Zeit t, aber nicht von p abh¨angt. F¨ur den Hamilton-Operator erhalten wir somit H(t) =
1 [P − qA(R, t)]2 + V (R, t) 2m
(3.53)
mit V (R, t) = qU (R, t). Die Schr¨odinger-Gleichung lautet jetzt $ ' 1 d 2 i¯ h |ψ(t) = [P − qA(R, t)] + V (R, t) |ψ(t). dt 2m
(3.54)
(3.55)
Bemerkung Wir m¨ussen darauf achten, dass wir den (zu r konjugierten) Impuls p des Teilchens nicht mit der Bewegungsgr¨oße mv verwechseln. Der Unterschied zwischen diesen beiden Gr¨oßen ergibt sich aus Gl. (3.52). In der Quantenmechanik ist der zur Teilchengeschwindigkeit geh¨orende Operator durch V =
1 (P − qA) m
(3.56)
3.3 Physikalische Deutung der Postulate. Observable und ihre Messung
203
gegeben und somit der Hamilton-Operator durch H(t) =
1 mV 2 + V (R, t). 2
(3.57)
Die Summanden auf der rechten Seite entsprechen gerade der kinetischen bzw. der potentiellen Energie des Teilchens. Wir halten jedoch fest: Nicht die Bewegungsgr¨oße mv, sondern der Impuls p wird zum Operator P , und dieser gen¨ugt den Vertauschungsrelationen (3.40).
3.3 Physikalische Deutung der Postulate. Observable und ihre Messung 3.3.1 Korrespondenzregeln und Wellenfunktion Es liegt nahe, die in Abschnitt 2.5 eingef¨uhrten Observablen R und P dem Ort und dem Impuls eines Teilchens zuzuordnen. Zun¨achst besitzt jede der Observablen X, Y , Z und Px , Py , Pz ein kontinuierliches Spektrum, und die Erfahrung zeigt, dass f¨ur die sechs Orts-und Impulsvariablen jeder reelle Zahlenwert m¨oglich ist. Vor allem aber gelangt man bei Anwendung des vierten Postulats auf diese Observablen wieder zu der Wahrscheinlichkeitsdeutung der Wellenfunktion und ihrer Fourier-Transformierten (s. Abschnitt 1.2.2 und Abschnitt 1.3.3). Der Einfachheit halber beschr¨anken wir uns auf den eindimensionalen Fall. Befindet sich das Teilchen im normierten Zustand |ψ, so ist die Wahrscheinlichkeit daf¨ur, dass man bei einer Ortsmessung einen Wert zwischen x und x + dx erh¨alt, nach Gl. (3.24) gleich dP(x) = |x|ψ|2 dx.
(3.58)
Darin ist |x der Eigenket von X zum Eigenwert x. Wir finden also wieder, dass das Betragsquadrat der Wellenfunktion ψ(x) = x|ψ die Wahrscheinlichkeitsdichte f¨ur den Aufenthalt des Teilchens in dem betreffenden Intervall ist. Andererseits geh¨ort zum Eigenvektor |p der Observablen P die ebene Welle x|p = √
1 2π¯ h
e
ipx h ¯ ,
(3.59)
und wir sahen in Abschnitt 1.3.3, dass die Einstein-de-Broglie-Beziehungen dieser Welle einen wohlbestimmten Impulswert p zuweisen. Dar¨uber hinaus ist die Wahrscheinlichkeit, bei einem Teilchen im Zustand |ψ einen Impuls zwischen p und p + dp zu messen, durch dP(p) = |p|ψ|2 dp = |ψ(p)|2 dp gegeben. Genau dies wurde auch in Abschnitt 1.3.3 gesagt.
(3.60)
204
3 Die Postulate der Quantenmechanik
3.3.2 Quantisierung physikalischer Gr¨oßen Das dritte Postulat erm¨oglicht eine Erkl¨arung der Beobachtung, dass bestimmte physikalische Gr¨oßen wie z. B. die Energie von Atomen quantisiert sind. Es impliziert dagegen nicht, dass alle Gr¨oßen quantisiert sind, denn es gibt auch Observable mit kontinuierlichem Eigenwertspektrum. Die auf diesem Postulat basierenden physikalischen Vorhersagen sind daher nicht ohne Weiteres einsichtig. Wenn wir z. B. in Kapitel 7 das Wasserstoffatom untersuchen, so gehen wir von der Gesamtenergie des Elektrons im Coulomb-Potential des Protons aus und leiten daraus den Hamilton-Operator ab. L¨osen wir dann seine Eigenwertgleichung, so finden wir, dass die gebundenen Zust¨ande dieses Systems nur zu bestimmten diskreten Energiewerten geh¨oren. Damit erkl¨aren wir nicht nur die Tatsache der Quantisierung der Wasserstoffniveaus, sondern wir berechnen zugleich die bei einer Messung m¨oglichen Energiewerte. Festzuhalten ist in die¨ sem Zusammenhang, dass wir bei unseren quantenmechanischen Uberlegungen dieselbe (Coulomb-)Wechselwirkung zugrunde legen wie in der klassischen Mechanik.
3.3.3 Der Messprozess Das vierte und f¨unfte Postulat f¨uhren zu einer Reihe von grunds¨atzlichen Problemen, auf die wir an dieser Stelle nicht n¨aher eingehen k¨onnen. Hierzu geh¨ort vor allem ein Verst¨andnis der fundamentalen“ St¨orung, die bei der Beobachtung eines Quantensys” tems zwingend auftritt (s. Abschnitte 1.1.2 und 1.1.3). Diese Probleme haben ihre Ursache darin, dass wir das System unabh¨angig von der Messapparatur behandeln, obwohl deren Wechselwirkung mit dem untersuchten System w¨ahrend des Beobachtungsvorgangs wesentlich ist. Man m¨usste daher das aus System und Apparatur bestehende Gesamtsystem betrachten, was aber zu schwierigen Fragen hinsichtlich der Details beim Messprozess f¨uhrt. Wir begn¨ugen uns mit dem Hinweis, dass die nichtdeterministische Formulierung des vierten und f¨unften Postulats mit diesen Fragen verbunden ist. So dr¨uckt z. B. die w¨ahrend ¨ der Messung erfolgende pl¨otzliche Anderung eines Zustandsvektors in einen anderen die eben angesprochene fundamentale St¨orung aus. Es ist jedoch unm¨oglich vorherzusagen, was diese St¨orung sein wird, weil sie vom Messergebnis abh¨angig ist, dieses aber vorher nicht mit Sicherheit bekannt ist (falls dies dagegen der Fall sein sollte, so ist die Wahrscheinlichkeit gleich eins und die Messung a¨ ndert den Zustand des Systems nicht). Weiterhin wollen wir hier nur Idealmessungen betrachten. Zum Verst¨andnis dieses Begriffs erinnern wir an das in Abschnitt 1.1.3 skizzierte Experiment mit polarisierten Photonen. Wenn wir voraussetzen, dass der Analysator f¨ur alle in einer bestimmten Richtung polarisierten Photonen durchl¨assig ist, so ist klar, dass wir ihn dabei als vollkommen ansehen. Praktisch wird er jedoch einige dieser Photonen absorbieren und sie nicht passieren lassen. Wir nehmen daher im Folgenden allgemein an, dass die bei einer Messung verwendeten Apparate vollkommen sind: Die von ihnen verursachte St¨orung geht dann allein auf den quantenmechanischen Vorgang w¨ahrend der Messung zur¨uck. Selbstverst¨andlich weisen alle realen Messinstrumente Unvollkommenheiten auf, die die Messung beeinflussen. Man darf aber wenigstens prinzipiell annehmen, dass man sie beliebig verringern
3.3 Physikalische Deutung der Postulate. Observable und ihre Messung
205
kann und sich so der idealen Grenze n¨ahert, wie sie von den Postulaten vorausgesetzt wird.
3.3.4 Erwartungswert einer Observablen Die vom vierten Postulat gelieferten Vorhersagen sind Wahrscheinlichkeitsaussagen. Um sie zu verifizieren, muss man eine große Anzahl von Messungen unter identischen Bedingungen ausf¨uhren, d. h. man muss dieselbe Gr¨oße an einer großen Zahl von Systemen messen, die sich alle im selben Quantenzustand befinden. Sind diese Vorhersagen richtig, muss bei insgesamt N identischen Versuchen der Anteil von ihnen, der ein bestimmtes Ergebnis liefert, f¨ur N → ∞ gegen die von der Theorie f¨ur dieses Ergebnis behauptete Wahrscheinlichkeit P streben. Eine derartige Verifizierung ist somit nur f¨ur den Grenzfall N → ∞ m¨oglich. In der Praxis ist nat¨urlich N stets endlich. Darum ben¨otigt man zur Interpretation der Resultate Hilfsmittel aus der Statistik. Der Mittelwert oder Erwartungswert der Observablen2 A im Zustand |ψ ist definiert als der Mittelwert der Ergebnisse, die man erh¨alt, wenn man eine große Anzahl von N Messungen dieser Gr¨oße an Systemen, die sich alle im Zustand |ψ befinden, ausf¨uhrt. Wir bezeichnen ihn mit Aψ oder einfach mit A. Bei gegebenem |ψ kennt man die Wahrscheinlichkeiten f¨ur das Auftreten aller m¨oglichen Resultate. Man kann daher den Mittelwert Aψ voraussagen. Wir werden zeigen, dass Aψ bei normiertem |ψ durch die Beziehung Aψ = ψ|A|ψ
(3.61)
gegeben ist. Wir nehmen zun¨achst den Fall eines diskreten Spektrums. Bei N Messungen von A (das System ist dabei jedesmal im Zustand |ψ) erhalten wir N (an )-mal den Eigenwert an mit lim
N →∞
N (an ) = P(an ) N
(3.62)
und
N (an ) = N.
(3.63)
n
Der Mittelwert der Ergebnisse dieser N Versuche ist die durch N dividierte Summe der gefundenen Werte (wenn N Versuche dasselbe Ergebnis liefern, so treten diese Werte N -mal in dieser Summe auf), also gleich 1 an N (an ). N n
(3.64)
2 Von jetzt an werden wir f¨ ur eine physikalische Gr¨oße und den ihr zugeordneten Operator dasselbe Wort Observable“ verwenden. ”
206
3 Die Postulate der Quantenmechanik
Mit Gl. (3.62) erkennt man, dass dieser Mittelwert f¨ur N → ∞ gegen Aψ =
an P(an )
(3.65)
n
strebt. Wir setzen nun in diese Beziehung die Gl. (3.14) f¨ur P(an ) ein: Aψ =
an
n
gn
ψ|uin uin |ψ.
(3.66)
i=1
Weil A|uin = an |uin
(3.67)
ist, kann man Gl. (3.66) auch auf die Form Aψ =
gn n
ψ|A|uin uin |ψ
i=1
= ψ|A
gn n
|uin uin |
|ψ.
(3.68)
i=1
bringen. Die {|uin } bilden aber im Zustandsraum H eine Basis, der Ausdruck in der eckigen Klammer ist daher gleich dem Einheitsoperator, und wir erhalten die Gl. (3.61). F¨ur den Fall eines kontinuierlichen Spektrums (der Einfachheit wegen setzen wir noch ¨ voraus, dass es nichtentartet ist) ist die Uberlegung v¨ollig analog. Wir betrachten N identische Experimente und nennen dN (α) die Anzahl der Versuche, die ein Ergebnis zwischen α und α + dα ergeben. Wir haben dann lim
N →∞
dN (α) = dP(α). N
Der Mittelwert der gefundenen Resultate ist jetzt N → ∞ gegen Aψ = α dP(α).
(3.69) 1 N
α dN (α), und dieser geht f¨ur
(3.70)
Setzen wir in diese Gleichung den mit Gl. (3.24) gegebenen Ausdruck f¨ur dP(α) ein, so wird Aψ = α ψ|vα vα |ψ dα. (3.71) Ber¨ucksichtigt man die Gleichung A|vα = α|vα ,
(3.72)
3.3 Physikalische Deutung der Postulate. Observable und ihre Messung so kann man Gl. (3.71) auch in der Form Aψ = ψ|A|vα vα |ψ dα = ψ|A dα|vα vα | |ψ
207
(3.73)
schreiben. Weil die Zust¨ande |vα der Vollst¨andigkeitsrelation gen¨ugen, ergibt sich wiederum die Gl. (3.61). Bemerkungen 1. Man darf A ψ als den Mittelwert einer Menge identischer Messungen nicht mit dem zeitlichen Mittelwert verwechseln, der manchmal im Zusammenhang mit zeitabh¨angigen Vorg¨angen gebraucht wird. 2. Ist der Ket |ψ , der den Zustand des Systems repr¨asentiert, nicht normiert, so muss man die Gl. (3.61) durch
A ψ =
ψ|A|ψ
ψ|ψ
(3.74)
ersetzen. 3. In der Praxis berechnet man A ψ in einer bestimmten Darstellung. So ist z. B. aufgrund der Definition des Operators X, s. Gleichungen (2.289) bis (2.291),
X ψ = ψ|X|ψ =
d3 r ψ|r r|X|ψ
=
d3 r ψ ∗ (r)xψ(r).
(3.75)
Entsprechend finden wir
Px ψ = ψ|Px |ψ =
∗
d3 p ψ (p)px ψ(p)
(3.76)
oder auch, wenn man zur Ortsdarstellung wechselt,
Px ψ = = weil jetzt P durch
d3 r ψ|r r|Px |ψ d3 r ψ ∗ (r)
¯ ∂ h ψ(r) , i ∂x
(3.77)
¯ h ∇ repr¨asentiert wird, s. Gl. (2.297). i
3.3.5 Standardabweichung Der Erwartungswert A zeigt die Gr¨oßenordnung der Werte der Observablen A im Zustand |ψ an. Dagegen liefert dieser Mittelwert keine Aussage u¨ ber die Streuung der bei
208
3 Die Postulate der Quantenmechanik
einer Messung von A zu erwartenden Ergebnisse. Nehmen wir z. B. f¨ur A ein kontinuierliches Eigenwertspektrum an, und die Wahrscheinlichkeitsdichte ρ(α) = |vα |ψ|2 habe in einem bestimmten Zustand |ψ den in Abb. 3.2 skizzierten Verlauf. Dann liegen die Werte, die man bei einer Messung von A in diesem Zustand |ψ erh¨alt, praktisch in einem Intervall der Breite δA um A, wobei δA die Breite der Kurve ρ(α) charakterisiert: Je kleiner δA ist, umso mehr sind die Messergebnisse um den Erwartungswert A konzentriert.
Abb. 3.2 Die Wahrscheinlichkeitsdichte ρ(α) in Abh¨angigkeit von α. Der Erwartungswert A ist die Abszisse des Schwerpunkts der unter der Kurve liegenden Fl¨ache. Sie f¨allt nicht notwendig mit der Abszisse des Kurvenmaximums zusammen.
Wie kann man nun allgemein eine Zahl definieren, die der Streuung der Messergebnisse um den Erwartungswert A Rechnung tr¨agt? Zun¨achst k¨onnte man etwa so u¨ berlegen: F¨ur jede einzelne Messung bildet man die Differenz aus dem Messwert und dem Erwartungswert, berechnet dann den Mittelwert dieser Abweichungen, indem man ihre Summe durch die Anzahl N der Versuche dividiert. Wegen A − A = A − A = 0
(3.78)
erkennt man jedoch sofort, dass wir stets das Ergebnis null erhalten w¨urden. Es liegt an der Definition von A, dass sich im Mittel die negativen mit den positiven Abweichungen kompensieren. Dagegen ist der Mittelwert der Quadrate der Abweichungen immer gr¨oßer oder gleich null. Darum definiert man die Standardabweichung u¨ ber die Beziehung (ΔA)2 = (A − A)2 .
(3.79)
Es ist also
ΔA = (A − A)2 ,
(3.80)
und mit Gl. (3.61) ergibt sich
ΔA = ψ|(A − A)2 |ψ.
(3.81)
Diese Beziehung kann man auch in etwas anderer Form schreiben. Man hat n¨amlich (A − A)2 = (A2 − 2AA + A2 ) = A2 − 2A2 + A2 = A2 − A2
(3.82)
3.3 Physikalische Deutung der Postulate. Observable und ihre Messung und darum f¨ur die Standardabweichung
ΔA = A2 − A2 .
209
(3.83)
F¨ur den Fall des kontinuierlichen Spektrums z. B. ist ΔA durch +∞ 2 (ΔA) = [α − A]2 ρ(α)dα −∞
+∞
= −∞
2
α ρ(α)dα −
+∞
2 αρ(α)dα
(3.84)
−∞
gegeben. Wendet man Gl. (3.80) auf die Observablen R und P an, so kann man zeigen (s. Abschnitt 3.8), dass unter Ber¨ucksichtigung der Vertauschungsrelationen f¨ur einen beliebigen Zustand |ψ gilt ΔX · ΔPx
≥ ¯ h/2,
ΔY · ΔPy ΔZ · ΔPz
≥ h ¯ /2, ≥ ¯ h/2.
(3.85)
Wir erhalten somit wieder die Heisenbergschen Unsch¨arferelationen, allerdings mit einer genaueren unteren Schranke. Dies r¨uhrt davon her, dass wir die Unsch¨arfe mit der Standardabweichung der betreffenden Observablen identifizieren.
3.3.6 Kompatible Observable Kompatibilit¨at und Vertauschbarkeit Wir betrachten zwei Observable A und B, die miteinander vertauschen, [A, B] = 0,
(3.86)
und nehmen zur Vereinfachung an, dass ihre Eigenwertspektren diskret sind. Nach dem in Abschnitt 2.4.3 bewiesenen Satz existiert im Zustandsraum eine Basis aus gemeinsamen Eigenvektoren von A und B, die wir mit |an , bp , i kennzeichnen wollen: A|an , bp , i = an |an , bp , i, B|an , bp , i = bp |an , bp , i
(3.87)
(mit dem Index i unterscheiden wir gegebenenfalls die verschiedenen, zum selben Eigenwertpaar geh¨orenden Vektoren). F¨ur irgendzwei an , bp aus dem jeweiligen Eigenwertspektrum existiert somit wenigstens ein Zustand |an , bp , i, bei dem eine Messung von A mit Sicherheit den Wert an und eine Messung von B mit Sicherheit den Wert bp liefert. Die Observablen k¨onnen daher gleichzeitig vollst¨andig bestimmt werden. Man sagt, sie seien kompatibel. Ist dagegen der Kommutator von A und B ungleich null, so kann ein
210
3 Die Postulate der Quantenmechanik
Zustand im Allgemeinen3 nicht gleichzeitig Eigenvektor dieser beiden Observablen sein. Sie sind dann nicht kompatibel. Wir untersuchen die Messung von zwei kompatiblen Observablen etwas genauer. Zu Beginn m¨oge sich das System in einem beliebigen (normierten) Zustand |ψ befinden. Diesen k¨onnen wir stets in der Form cn,p,i |an , bp , i (3.88) |ψ = n,p,i
schreiben. Wir nehmen an, dass wir zuerst A und kurz darauf (bevor sich das System weiter entwickeln konnte) B messen. Wir berechnen die Wahrscheinlichkeit P(an , bp ) daf¨ur, bei der ersten Messung den Wert an zu erhalten und bei der zweiten Messung den Wert bp . Die Observable A wird im Zustand |ψ gemessen. Daher ist die Wahrscheinlichkeit, den Wert an zu erhalten, gleich P(an ) =
|cn,p,i |2 .
(3.89)
p,i
Misst man darauf die zweite Observable B, so befindet sich das System nicht mehr im Zustand |ψ, sondern – wenn man den Wert an gemessen hat – im Zustand |ψn =
1 |cn,p,i
cn,p,i |an , bp , i.
(3.90)
|2 p,i
p,i
Damit ist die Wahrscheinlichkeit, den Wert bp zu messen, wenn man weiß, dass sich bei der ersten Messung von A der Wert an ergeben hat, gleich Pan (bp ) =
1 |cn,p,i |2
|cn,p,i |2 .
(3.91)
i
p,i
Die gesuchte Wahrscheinlichkeit P(an , bp ) geh¨ort nun zu einem zusammengesetzten ” Ereignis“: Damit ein g¨unstiger Fall vorliegt, muss man zun¨achst an finden und dann, wenn diese erste Bedingung erf¨ullt ist, den Wert bp . Also ist P(an , bp ) = P(an ) × Pan (bp ).
(3.92)
Setzen wir in diese Gleichung die Ausdr¨ucke (3.89) und (3.91) ein, so wird P(an , bp ) =
|cn,p,i |2 .
(3.93)
i
3 Auch hier k¨ onnen bestimmte Kets gleichzeitig Eigenvektoren von A und von B sein, doch reichen diese Vektoren nicht aus, um im Gegensatz zum Fall kommutierender Observabler im Zustandsraum eine Basis zu bilden.
3.3 Physikalische Deutung der Postulate. Observable und ihre Messung
211
Weiter ist das System unmittelbar nach der zweiten Messung im Zustand = |ψn,p
1 |cn,p,i
|2
cn,p,i |an , bp , i.
(3.94)
i
i
Wenn man daher aufs neue entweder A oder B messen will, so steht das Ergebnis fest: Wir erhalten den Wert an , wenn wir A bzw. den Wert bp , falls wir B messen: Der Ket ist gemeinsamer Eigenvektor der beiden Observablen zu den Eigenwerten an bzw. |ψn,p bp . Nehmen wir jetzt wieder das System im Zustand |ψ und messen die beiden Observablen in umgekehrter Reihenfolge, also zuerst B und danach A. Wie groß ist dann die Wahrscheinlichkeit P(bp , an ), zu denselben Ergebnissen wie eben zu kommen? Die ¨ Uberlegung ist die gleiche. Man hat hier P(bp , an ) = P(bp ) × Pbp (an ). Ausgehend von Gl. (3.88) sehen wir, dass P(bp ) = |cn,p,i |2
(3.95)
(3.96)
n,i
und der Zustand, nachdem eine Messung von B den Wert bp ergeben hat, gleich |ϕp =
1 |cn,p,i
cn,p,i |an , bp , i
(3.97)
|2 n,i
n,i
ist. Folglich gilt Pbp (an ) =
1 2
|cn,p,i |
|cn,p,i |2
(3.98)
i
n,i
und schließlich P(bp , an ) =
|cn,p,i |2 .
(3.99)
i
Misst man also zuerst den Wert bp und dann den Wert an , so ist das System in den Zustand |ϕp,n =
1 |cn,p,i
|2
cn,p,i |an , bp , i
(3.100)
i
i
gelangt. Sind darum zwei Observable kompatibel, so sind die physikalischen Voraussagen unabh¨angig von der Reihenfolge, mit der man die beiden Gr¨oßen misst (vorausgesetzt, dass
212
3 Die Postulate der Quantenmechanik
das Zeitintervall zwischen den beiden Messungen gen¨ugend klein ist). Die Wahrscheinlichkeiten, erst an und dann bp , oder erst bp und dann an zu erhalten, sind identisch: |cn,p,i |2 = |an , bp , i|ψ|2 . (3.101) P(an , bp ) = P(bp , an ) = i
i
Ferner ist in beiden F¨allen der Zustand des Systems unmittelbar nach den Messungen (wenn sie f¨ur A den Wert an und f¨ur B den Wert bp ergeben haben) 1 |ψn,p = |ϕn,p = cn,p,i |an , bp , i. (3.102) i |cn,p,i |2 i
Erneute Messungen von A und B liefern mit Sicherheit dieselben Werte. Wir gelangen somit zu folgender Aussage: Sind zwei Observable A und B kompatibel, so gehen durch die Messungen von B die Informationen, die bei der Messung von A erlangt wurden, nicht verloren (und umgekehrt), sie werden dagegen vervollst¨andigt. Ferner kommt es auf die Reihenfolge der Messungen von A und B nicht an. Dieser Punkt erlaubt u¨ brigens die gleichzeitige Messung dieser beiden Observablen. Wie man sich anhand der Gleichungen (3.101) und (3.102) u¨ berzeugt, k¨onnen das vierte und das f¨unfte Postulat auf derartige Simultanmessungen verallgemeinert werden: Zum Messergebnis {an , bp } geh¨oren die orthonormierten Eigenvektoren |an , bp , i. Geht man von ihnen aus, so erscheinen Gl. (3.101) und Gl. (3.102) als Anwendungen der Postulate (3.14) und (3.37). ¨ Die vorstehenden Uberlegungen gelten nicht mehr, wenn die Observablen A und B nicht vertauschen. Der Einfachheit halber machen wir uns dies an einem Bild klar. Wir ersetzen den Zustandsraum H durch den zweidimensionalen reellen Vektorraum. Die Vektoren |u1 und |u2 in Abb. 3.3 sind Eigenvektoren von A zu den Eigenwerten a1 und a2 ; |v1 und |v2 sind Eigenvektoren von B zu den Eigenwerten b1 und b2 . Sowohl {|u1 , |u2 } als auch {|v1 , |v2 } bildet eine orthonormierte Basis in H. In der Abbildung werden sie durch zwei Paare von senkrecht aufeinander stehenden Einheitsvektoren dargestellt. Die Tatsache der Nichtvertauschbarkeit von A und B hat zur Folge, dass diese beiden Paare nicht zusammenfallen. Der normierte Anfangszustand des Systems wird durch den Einheitsvektor |ψ repr¨asentiert. Wir messen A und finden z. B. den Wert a1 , das System gelangt in den Zustand |u1 . Dann messen wir B, erhalten z. B. den Wert b2 , und der Zustand des Systems ist jetzt |v2 : |ψ
a
1 =⇒
|u1
b
2 =⇒
|v2 .
(3.103)
F¨uhren wir dagegen die Messungen in der umgekehrten Reihenfolge aus, wobei diese wieder die Werte a1 und b2 liefern, so wird |ψ
b
2 =⇒
|v2
a
1 =⇒
|u1 .
(3.104)
Der Endzustand ist nicht derselbe. Aus der Abbildung ersehen wir weiter, dass P(a1 , b2 ) = |OH1 |2 × |OK2 |2 , P(b2 , a1 ) = |OH2 |2 × |OK1 |2 .
(3.105)
3.3 Physikalische Deutung der Postulate. Observable und ihre Messung
213
Abb. 3.3 Schema f¨ur die aufeinanderfolgende Messung der nicht kompatiblen Observablen A und B. |ψ ist der Zustandsvektor des Systems. Die Eigenvektoren von A zu den Eigenwerten a1 und a2 sind |u1 bzw. |u2 . Sie sind verschieden von den Eigenvektoren |v1 und |v2 von B zu den Eigenwerten b1 bzw. b2 .
Zwar ist |OK1 | = |OK2 |, doch im Allgemeinen ist |OH1 | = |OH2 | und somit P(b2 , a1 ) = P(a1 , b2 ).
(3.106)
Demnach k¨onnen zwei nicht kompatible Observable nicht gleichzeitig gemessen werden. An Gl. (3.103) und Gl. (3.104) erkennt man, dass durch die zweite Messung die Information verloren geht, die man durch die erste Messung erhalten hatte. W¨urde man z. B. nach der in Gl. (3.103) schematisierten Reihenfolge noch einmal A messen, so ist das Ergebnis nicht mit Sicherheit vorauszusagen, weil |v2 kein Eigenvektor von A ist. Das Wissen aus der ersten Messung von A steht nicht mehr zur Verf¨ugung.
Pr¨aparation eines Zustands Wir betrachten ein physikalisches System im Zustand |ψ und messen die Observable A. Bei dieser setzen wir voraus, dass ihr Eigenwertspektrum diskret ist. Liefert die Messung den nichtentarteten Eigenwert an , so befindet sich das System unmittelbar nach der Messung in dem zugeh¨origen Eigenzustand |un . In diesem Fall reicht die Kenntnis des Messergebnisses zur eindeutigen Beschreibung des Systemzustands nach dieser Messung aus. Unabh¨angig vom Ausgangszustand |ψ ist der Zustand cn nach der Messung stets derselbe, weil |un physikalisch denselben Zustand repr¨asen|cn | tiert wie |un . Ist dagegen der Eigenwert an entartet, so liegen die Verh¨altnisse anders. In dem Ausdruck gn 1 |ψn = cin |uin (3.107) i=1 i 2 |cn | i
214
3 Die Postulate der Quantenmechanik
kommt es dann auf die Betr¨age und die relativen Phasen der Koeffizienten cin an (s. Abschnitt 3.2.3). Diese sind aber durch die Vorgabe von |ψ bestimmt, und der Zustand |ψn h¨angt von |ψ ab. Nun untersuchten wir im vorstehenden Abschnitt die simultane Messung zweier kompatibler Observabler A und B. Geh¨ort zum Ergebnis (an , bp ) dieser kombinierten Messung genau ein gemeinsamer Eigenvektor |an , bp der Observablen A und B, so entf¨allt in Gl. (3.94) die Summation u¨ ber i, und es wird = |ψn,p
cn,p |an , bp . |cn,p |
(3.108)
Dieser Zustand ist physikalisch a¨ quivalent zu |an , bp . Wiederum wird durch die Angabe des Messergebnisses (an , bp ) der Endzustand des Systems eindeutig bestimmt, ist also vom Anfangsket |ψ unabh¨angig. Gibt es jedoch zu dem Eigenwertpaar (an , bp ) mehrere voneinander unabh¨angige Eigenvektoren |an , bp , i, so kann man mit A und B gleichzeitig eine dritte, mit diesen beiden kompatible Observable C messen. Wir gelangen somit zu folgender Schlussfolgerung: Damit der Zustand eines Systems nach einer Messung durch die Angabe des Messergebnisses eindeutig bestimmt ist, muss sich diese Messung auf einen vollst¨andigen Satz kommutierender Observabler erstrecken, s. Abschnitt 2.4.3. Es ist diese Eigenschaft, die die Einf¨uhrung des Begriffs des vollst¨andigen Satzes kommutierender Observabler rechtfertigt. Wenn es daher darum geht, ein System in einen bestimmten Quantenzustand zu pr¨aparieren, so kann man prinzipiell so vorgehen, wie man es von der Herstellung polarisierten Lichts kennt. Schiebt man in einen Lichtstrahl einen Polarisator, so wird das Licht je nach dessen Polarisationsrichtung polarisiert, und zwar unabh¨angig von der Polarisationsrichtung des einfallenden Strahls. Entsprechend konstruiert man Vorrichtungen zur Pr¨aparation von Quantensystemen, die nur einen einzigen, zu einem bestimmten n-Tupel von Eigenwerten eines v. S. k. O. geh¨orenden Zustand passieren lassen. Ein Beispiel werden wir in Abschnitt 4.2.1 untersuchen. Bemerkung Die Messung eines v. S. k. O. erlaubt nur die Pr¨aparation eines beliebigen Zustands aus der zu diesem v. S. k. O. geh¨orenden Basis. Will man andere Zust¨ande pr¨aparieren, so gen¨ugt es aber, den v. S. k. O. zu ver¨andern. In Abschnitt 4.2.1 werden wir an einem Beispiel zeigen, wie man einen beliebigen Zustand aus H pr¨aparieren kann.
3.4 Bedeutung der Schr¨odinger-Gleichung Die Schr¨odinger-Gleichung spielt nach dem sechsten Postulat als Bewegungsgleichung f¨ur ein physikalisches System in der Quantenmechanik eine zentrale Rolle. Wir untersuchen jetzt die wichtigsten Eigenschaften dieser Gleichung.
3.4 Bedeutung der Schr¨odinger-Gleichung
215
3.4.1 Allgemeine Eigenschaften Determinismus in der Entwicklung physikalischer Systeme Die Schr¨odinger-Gleichung i¯ h
d |ψ(t) = H(t)|ψ(t) dt
(3.109)
ist hinsichtlich der Ableitung nach der Zeit t von erster Ordnung. Mit der Angabe des Anfangszustands |ψ(t0 ) ist darum der Zustand |ψ(t) zu jedem sp¨ateren Zeitpunkt bestimmt. Hinsichtlich der zeitlichen Entwicklung eines Quantensystems besteht also kein Indeterminismus. Dieser tritt erst bei der Messung einer physikalischen Gr¨oße auf, weil dabei der Zustandsvektor eine unvorhersehbare Modifizierung erf¨ahrt (s. f¨unftes Postulat). Zwischen zwei Messungen entwickelt sich der Zustandsvektor v¨ollig deterministisch gem¨aß Gl. (3.109).
Superpositionsprinzip Die Schr¨odinger-Gleichung ist linear und homogen. Ihre L¨osungen k¨onnen daher linear u¨ berlagert (superponiert) werden. Es seien |ψ1 (t) und |ψ2 (t) zwei L¨osungen von Gl. (3.109). Ist |ψ(t0 ) = λ1 |ψ1 (t0 ) + λ2 |ψ2 (t0 ),
λ1 , λ2 beliebige Konstante,
der Anfangszustand des Systems, so geh¨ort zum Zeitpunkt t der Zustand |ψ(t) = λ1 |ψ1 (t) + λ2 |ψ2 (t). Der Zusammenhang zwischen |ψ(t0 ) und |ψ(t) ist daher linear. In Abschnitt 3.11 werden wir die Eigenschaften des linearen Operators U (t, t0 ) untersuchen, der |ψ(t0 ) in |ψ(t) transformiert: |ψ(t) = U (t, t0 )|ψ(t0 ).
(3.110)
Erhaltung der Wahrscheinlichkeit Erhaltung der Norm. Wegen der Hermitezit¨at des Hamilton-Operators h¨angt die Norm d des Zustandsvektors nicht von der Zeit ab. Wir zeigen n¨amlich, dass ψ(t)|ψ(t) = 0 dt ist. Zun¨achst haben wir d d d ψ(t)|ψ(t) = ψ(t)| |ψ(t) + ψ(t)| |ψ(t) . (3.111) dt dt dt Nach Gl. (3.109) ist weiter 1 d |ψ(t) = H(t)|ψ(t), dt i¯ h
(3.112)
216
3 Die Postulate der Quantenmechanik
und wenn wir von beiden Seiten dieser Gleichung das hermitesch Konjugierte bilden, 1 d 1 ψ(t)| = − ψ(t)|H † (t) = − ψ(t)|H(t), dt i¯ h i¯ h
(3.113)
weil H(t) (als Observable) hermitesch ist. Setzen wir Gl. (3.112) und Gl. (3.113) in Gl. (3.111) ein, so erhalten wir d 1 1 ψ(t)|ψ(t) = − ψ(t)|H(t)|ψ(t) + ψ(t)|H(t)|ψ(t) dt i¯ h i¯ h = 0.
(3.114)
Diese Erhaltungseigenschaft der Norm erweist sich in der Quantenmechanik als sehr n¨utzlich. So ist sie z. B. unabdingbar, wenn man das Quadrat des Betrages der Wellenfunktion eines Teilchens ohne Spin, also |ψ(r, t)|2 , als eine Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte interpretieren will. Die Tatsache, dass der Zustand |ψ(t0 ) zum Zeitpunkt t0 normiert ist, dr¨ucken wir durch die Beziehung ψ(t0 )|ψ(t0 ) = d3 r |ψ(r, t0 )|2 = 1 (3.115) aus, worin ψ(r, t0 ) = r|ψ(t0 ) die zu |ψ(t0 ) geh¨orende Wellenfunktion ist. Sie besagt, dass die Wahrscheinlichkeit, das Teilchen irgendwo im Raum zu finden, gleich eins ist. Die eben bewiesene Eigenschaft der Normerhaltung bedeutet hier also, dass (3.116) ψ(t)|ψ(t) = d3 r |ψ(r, t)|2 = ψ(t0 )|ψ(t0 ) = 1 ist. |ψ(t) ist darin die L¨osung von Gl. (3.109), die zum Anfangszustand |ψ(t0 ) geh¨ort. Bei der zeitlichen Entwicklung des Systems a¨ ndert sich mit anderen Worten die Gesamtwahrscheinlichkeit f¨ur den Aufenthalt des Teilchens im Raum nicht; sie bleibt stets gleich eins. Darum kann man |ψ(r, t)|2 als eine Wahrscheinlichkeitsdichte deuten. Lokale Erhaltung der Wahrscheinlichkeit. Wahrscheinlichkeitsstrom. In diesem Abschnitt beschr¨anken wir uns auf ein physikalisches System, das nur aus einem einzigen Teilchen (ohne Spin) besteht. Ist ψ(r, t) normiert, so ist ρ(r, t) = |ψ(r, t)|2
(3.117)
eine Wahrscheinlichkeitsdichte: Die Wahrscheinlichkeit, zur Zeit t das Teilchen in einem Volumenelement d3 r um den Punkt r zu finden, ist dP(r, t) = ρ(r, t)d3 r.
(3.118)
Wie wir eben zeigten, bleibt das u¨ ber den gesamten Raum erstreckte Integral von ρ(r, t) zeitlich konstant (und gleich eins, falls ψ normiert ist). Dies hat aber nicht unbedingt zur Folge, dass auch die Dichte ρ(r, t) zeitunabh¨angig ist. Die Verh¨altnisse sind analog zur Elektrodynamik: Wenn bei einem isolierten System eine Ladung im Raum mit einer Volumendichte ρ(r, t) verteilt ist, so bleibt die Gesamtladung, d. h. das Integral u¨ ber den
3.4 Bedeutung der Schr¨odinger-Gleichung
217
gesamten Raum, erhalten; dagegen kann sich die r¨aumliche Verteilung dieser Ladung zeitlich a¨ ndern, wobei elektrische Str¨ome entstehen. Man kann die Analogie weiterf¨uhren. Die globale Erhaltung der elektrischen Ladung ¨ basiert auf einer lokalen Erhaltung: Andert sich die in einem festen Volumen V enthaltene elektrische Ladung Q, tritt durch die das Volumen V begrenzende Oberfl¨ache F ein ¨ elektrischer Strom. Genauer ist die w¨ahrend der Zeit dt auftretende Anderung dQ der in V befindlichen Ladung gleich −Φdt, wobei Φ der Fluss der Stromdichte J (r, t) ist, der die Fl¨ache F verl¨asst. Die lokale Erhaltung der elektrischen Ladung dr¨uckt man dann mit Hilfe der Vektoranalysis durch die Kontinuit¨atsgleichung ∂ ρ(r, t) + div J(r, t) = 0 (3.119) ∂t aus. Es ist nun m¨oglich, einen Vektor J (r, t), die Wahrscheinlichkeitsstromdichte, einzuf¨uhren, der eine zu dieser Beziehung identische Gleichung erf¨ullt. Somit gibt es auch eine lokale Erhaltung der Wahrscheinlichkeit. Man kann diesen Sachverhalt mit dem Bild einer Wahrscheinlichkeitsfl¨ussigkeit“ veranschaulichen, bei der die Dichte durch ρ(r, t) ” ¨ und die Bewegung durch J(r, t) umschrieben werden: Andert sich im Laufe der Zeit die Wahrscheinlichkeit, das Teilchen in dem (festen) Volumen d3 r um r zu finden, so zeigt der Wahrscheinlichkeitsstrom einen nichtverschwindenden Fluss durch die Oberfl¨ache, die das Volumenelement begrenzt. Wir nehmen zun¨achst an, dass das Teilchen lediglich einem skalaren Potential V (r, t) unterliegt. Der Hamilton-Operator lautet in diesem Fall P2 + V (R, t). 2m In der Ortsdarstellung (s. Abschnitt 2.10) ist dann die Schr¨odinger-Gleichung H=
(3.120)
h2 ¯ ∂ ψ(r, t) = − Δψ(r, t) + V (r, t)ψ(r, t). (3.121) ∂t 2m Damit H hermitesch ist, muss V (r, t) reell sein. Die hierzu konjugiert komplexe Gleichung ist i¯ h
∂ ∗ h2 ¯ ψ (r, t) = − Δψ ∗ (r, t) + V (r, t)ψ ∗ (r, t). (3.122) ∂t 2m Multiplizieren wir die beiden Seiten von Gl. (3.121) mit ψ ∗ (r, t), die beiden Seiten von Gl. (3.122) mit −ψ(r, t) und addieren, so wird −i¯ h
¯h2 ∗ ∂ ∗ [ψ (r, t) ψ(r, t)] = − [ψ Δψ − ψΔψ ∗ ] ∂t 2m oder auch h ¯ ∂ ρ(r, t) + [ψ ∗ (r, t)Δψ(r, t) − ψ(r, t)Δψ ∗ (r, t)] = 0. ∂t 2m i Wenn wir jetzt h ¯ [ψ ∗ ∇ψ − ψ∇ψ ∗ ] J (r, t) = 2m i h ¯ 1 ∗ Re ψ ∇ψ = m i i¯ h
(3.123)
(3.124)
(3.125)
218
3 Die Postulate der Quantenmechanik
setzen, so hat Gl. (3.124) gerade die Form von Gl. (3.119), weil div J (r, t) = ∇ · J h ¯ [(∇ψ ∗ )(∇ψ) + ψ ∗ (∇2 ψ) − (∇ψ)(∇ψ ∗ ) − ψ(∇2 ψ ∗ )] = 2m i h ¯ [ψ ∗ Δψ − ψΔψ ∗ ] (3.126) = 2m i ist. Somit haben wir eine Kontinuit¨atsgleichung aufgestellt, mit der wir die lokale Erhaltung der Wahrscheinlichkeit beweisen, und wir konnten den Ausdruck f¨ur die Wahrscheinlichkeitsstromdichte in Abh¨angigkeit von der normierten Wellenfunktion ψ(r, t) angeben. Bemerkung Die Form der Wahrscheinlichkeitsstromdichte Gl. (3.125) ist aus physikalischer Sicht befriedigend. J (r, t) erscheint hier n¨amlich als der Erwartungswert eines durch 1 [|r r|P + P |r r|] (3.127) 2m gegebenen Operators im Zustand |ψ(t) . Nun ist der Erwartungswert des Operators |r r| die Wahrscheinlichkeitsdichte ρ(r, t) = |ψ(r, t)|2 , und der Operator P /m ist der Geschwindigkeitsoperator V . Daher wird der quantenmechanische Operator K konstruiert, indem man vom Produkt der Wahrscheinlichkeitsdichte mit der Teilchengeschwindigkeit ausgeht (und geeignet symmetrisiert). Dies entspricht genau dem Stromdichtevektor einer klassischen Fl¨ussigkeit (Wir wissen z. B., dass die elektrische Stromdichte einer Fl¨ussigkeit aus geladenen Teilchen gleich dem Produkt aus der r¨aumlichen Ladungsdichte und der Verschiebungsgeschwindigkeit der Teilchen ist). K(r) =
Befindet sich das Teilchen in einem elektromagnetischen Feld, das durch die Poten¨ tiale U (r, t) und A(r, t) beschrieben wird, so kann man die vorstehende Uberlegung wiederholen, indem man vom Hamilton-Operator in Gl. (3.53) ausgeht. In diesem Fall ergibt sich $ ' h ¯ 1 ∇ − qA ψ . (3.128) J (r, t) = Re ψ ∗ m i Man erkennt, dass man diesen Ausdruck aus Gl. (3.125) erh¨alt, wenn man wie bei der Regel f¨ur die Aufstellung des Hamilton-Operators einfach P durch P − qA ersetzt. Beispiel: Ebene Welle. Wir betrachten die Wellenfunktion ψ(r, t) = Aei(k·r−ωt)
(3.129)
2 2
mit ¯ hω =
¯ k h . Die zugeh¨orige Wahrscheinlichkeitsdichte 2m
ρ(r, t) = |ψ(r, t)|2 = |A|2
(3.130)
ist r¨aumlich und zeitlich konstant. F¨ur die Stromdichte erhalten wir aus Gl. (3.125) J (r, t) = |A|2
¯k h = ρ(r, t)v G m
(3.131)
3.4 Bedeutung der Schr¨odinger-Gleichung
219
¯hk , s. Abschnitt mit der zum Impuls ¯ hk geh¨orenden Gruppengeschwindigkeit v G = m 1.3.4. Wieder ist daher der Wahrscheinlichkeitsstrom gleich dem Produkt aus dieser Geschwindigkeit und der Wahrscheinlichkeitsdichte. ρ und J h¨angen hier nicht von der Zeit ab: Im Bild der Wahrscheinlichkeitsfl¨ussigkeit entspricht einer ebenen Welle eine station¨are Str¨omung (die wegen der Ortsunabh¨angigkeit von ρ und J zugleich homogen und gleichf¨ormig ist).
Zeitliche Entwicklung des Erwartungswerts einer Observablen Es sei A eine Observable. Ist der Zustand |ψ(t) des Systems normiert (wir wissen, dass dann diese Eigenschaft f¨ur jedes t gilt), so gilt f¨ur den Erwartungswert von A zum Zeitpunkt t A(t) = ψ(t)|A|ψ(t).
(3.132)
Der Erwartungswert h¨angt also zun¨achst mittelbar u¨ ber |ψ(t) (und ψ(t)|) von der Zeit ab; deren zeitliche Entwicklung ist durch die Schr¨odinger-Gleichung (3.112) bestimmt. Dar¨uber hinaus kann aber die Observable A auch explizit zeitabh¨angig sein, was dann zu ¨ einer zus¨atzlichen Anderung des Erwartungswerts A(t) mit der Zeit t f¨uhrt. Diese zeitliche Entwicklung des Erwartungswerts einer Observablen wollen wir jetzt untersuchen und zeigen, wie dadurch ein Zusammenhang zwischen der klassischen und der Quantenmechanik hergestellt werden kann. Allgemeine Formel. Die zeitliche Ableitung von Gl. (3.132) ergibt d d d ψ(t)|A(t)|ψ(t) = ψ(t)| A(t)|ψ(t) + ψ(t)|A(t) |ψ(t) dt dt dt ∂A +ψ(t)| |ψ(t). (3.133) ∂t Unter Ber¨ucksichtigung von Gl. (3.112) und Gl. (3.113) wird daraus d 1 ψ(t)|A(t)|ψ(t) = ψ(t)|[A(t)H(t) − H(t)A(t)]|ψ(t) dt i¯ h ∂A +ψ(t)| |ψ(t). ∂t
(3.134)
Dies k¨onnen wir schließlich in der Form schreiben 1 ∂A d A = [A, H(t)] + . dt i¯ h ∂t
(3.135)
Bemerkung Der Erwartungswert A ist eine Zahl, die nur von t abh¨angt, und man muss sich genau klarmachen, wie diese Abh¨angigkeit zustande kommt. Nehmen wir als Beispiel den Fall eines Teilchens ohne Spin. A(r, p, t) sei eine klassische Gr¨oße. In der klassischen Mechanik h¨angen r und p gem¨aß den
220
3 Die Postulate der Quantenmechanik
Hamilton-Gleichungen von der Zeit ab, so dass A(r, p, t) sowohl explizit als auch implizit (¨uber r und p) von t abh¨angig ist. Zu dieser klassischen Gr¨oße geh¨ort der hermitesche Operator A = A(R, P , t), den man erh¨alt, indem man in A die Variablen r und p durch die Operatoren R und P ersetzt, s. Abschnitt 3.2.5. Die Eigenzust¨ande und Eigenwerte von R und P und folglich diese Observablen selbst h¨angen nicht mehr von t ab. Die zeitliche Abh¨angigkeit von r und p, die die Entwicklung des klassischen Zustands charakterisiert, findet sich nicht mehr in R und P , sondern im Zustandsvektor |ψ(t) , dem in der Ortsdarstellung die Wellenfunktion ψ(r, t) = r|ψ(t) zugeordnet ist. In dieser Darstellung lautet der Ausdruck f¨ur den Erwartungswert von A
A =
d3 r ψ ∗ (r, t)A r,
¯ h ∇, t ψ(r, t). i
(3.136)
Die Integration u¨ ber r ergibt eine Zahl, die nur noch von t abh¨angt. Es ist diese Zahl (und nicht h ¯ der Operator A(r, ∇, t)), die man mit dem Wert der klassischen Gr¨oße A(r, p, t) zur Zeit t i vergleichen muss.
Anwendung auf die Orts- und Impulsobservable. Das Ehrenfest-Theorem. Die allgemeine Beziehung (3.135) wenden wir auf die Observablen R und P an. Der Einfachheit halber beschr¨anken wir uns auf den Fall eines Teilchens ohne Spin, das sich in einem skalaren, statischen Potential V (r) bewegt. Der Hamilton-Operator ist dann H=
P2 + V (R), 2m
(3.137)
so dass wir schreiben k¨onnen d R = dt d P = dt
1 1 P2 [R, H] = R, , i¯ h i¯ h 2m 1 1 [P , H] = [P , V (R)]. i¯ h i¯ h
(3.138) (3.139)
Beachtet man die Vertauschungsrelationen, so kann der Kommutator in Gl. (3.138) leicht berechnet werden. Wir erhalten P2 i¯ h (3.140) R, = P. 2m m F¨ur den Kommutator in Gl. (3.139) muss man die aus Gl. (3.40) folgende Verallgemeinerung verwenden (s. Abschnitt 2.8, Gl. (2.420)). Sie lautet [P , V (R)] = −i¯ h∇V (R).
(3.141)
Hierin fasst ∇V (R) die drei Operatoren zusammen, die man erh¨alt, wenn man in den drei Komponenten des Gradienten von V (r) die Variable r durch R ersetzt. Damit erhalten wir 1 d R = P , dt m d P = −∇V (R). dt
(3.142) (3.143)
3.4 Bedeutung der Schr¨odinger-Gleichung
221
Diese beiden Gleichungen dr¨ucken das Theorem von Ehrenfest aus. Ihre Form erinnert an die klassischen Hamilton-Gleichungen f¨ur ein Teilchen (s. Anhang III.3): 1 d r = p, dt m d p = −∇V (r), dt
(3.144) (3.145)
die sich in diesem einfachen Fall zur Newtonschen Bewegungsgleichung dp d2 r = m 2 = −∇V (r) dt dt
(3.146)
reduzieren. Diskussion des Theorems von Ehrenfest. Quasiklassischer Grenzfall. Um die physikalische Bedeutung des Theorems von Ehrenfest, d. h. Gl. (3.142) und (3.143) zu untersuchen, nehmen wir an, dass die den Zustand des Teilchens beschreibende Wellenfunktion ψ(r, t) ein Wellenpaket darstellt, so wie wir es in Kapitel 1 behandelt haben. R ist dann eine Abk¨urzung f¨ur das zeitabh¨angige Zahlentripel {X, Y , Z}. Den durch dieses Tripel gekennzeichneten Punkt nennen wir den Schwerpunkt des Wellenpakets4 R(t) zum Zeitpunkt t. Die Menge dieser Punkte zu verschiedenen Zeiten t bildet die Bahn, die dieser Schwerpunkt durchl¨auft. Wir erinnern jedoch daran, dass wir nie von der Bahn des Teilchens selbst sprechen k¨onnen: Dessen Zustand wird durch das ganze Wellenpaket beschrieben, das stets eine gewisse r¨aumliche Ausdehnung besitzt. Nur wenn das Paket sehr konzentriert ist, kann man es sich ann¨ahernd durch seinen Schwerpunkt ersetzt denken, und nur in diesem Grenzfall besteht zwischen der quantenmechanischen und der klassischen Beschreibung des Teilchens kein nennenswerter Unterschied. Darum ist es wichtig zu wissen, ob die Bewegung des Paketschwerpunkts den Gesetzen der klassischen Mechanik gehorcht. Mit Hilfe des Theorems von Ehrenfest k¨onnen wir diese Frage entscheiden. Gleichung (3.142) dr¨uckt aus, dass die Geschwindigkeit des Schwerpunkts des Wellenpakets gleich dem Quotienten aus dem mittleren Impuls dieses Pakets und der Masse m des Teilchens ist. Folglich ist die linke Seite in Gl. (3.143) gleich d2 m 2 R, so dass die Frage darauf hinausl¨auft, ob die rechte Seite dieser Gleichung dt gleich der klassischen Kraft F Kl in dem Punkt ist, in dem sich gerade der Paketschwerpunkt befindet, ob also F Kl = [−∇V (r)]r=R
(3.147)
ist. Nun ist die rechte Seite von Gl. (3.143) aber gleich dem u¨ ber das Wellenpaket gebildeten Mittelwert der Kraft, und im Allgemeinen gilt ∇V (R) = [∇V (r)]r=R
(3.148)
4 Im Allgemeinen sind der Schwerpunkt eines Wellenpakets und die Stelle seines Maximums verschieden, s. Abschnitt 3.3.5, Abb. 3.2. Bei einem symmetrischen Paket fallen sie allerdings zusammen.
222
3 Die Postulate der Quantenmechanik
(der Mittelwert einer Funktion ist nicht gleich dem Wert dieser Funktion an der Stelle des Mittelwerts der unabh¨angigen Variablen). Daher gen¨ugen die Koordinaten des Paketschwerpunkts nicht der klassischen Bewegungsgleichung. Bemerkung Zur Illustration von Gl. (3.148) betrachten wir ein Beispiel. F¨ur ein eindimensionales Problem nehmen wir an, dass das Potential V (x) = λxn
(3.149)
ist (λ reell und konstant, n positiv ganzzahlig). Der zugeh¨orige Operator lautet V (X) = λX n .
(3.150)
d , so erh¨alt man f¨ur die linke Seite von Gl. (3.148) den Ausdruck dx λn X n−1 . Dagegen ergibt sich f¨ur die rechte Seite Ersetzt man ∇ durch
dV dx
= [λnxn−1 ]x=X = λn X n−1 .
(3.151)
x=X
Im Allgemeinen ist aber X n−1 = X n−1 . Zum Beispiel wissen wir f¨ur den Fall n = 3, dass
X 2 = X 2 ist, denn die Differenz dieser beiden Gr¨oßen tritt gerade in der Definition der Standardabweichung auf. Nur f¨ur die F¨alle n = 0, n = 1 und n = 2 sind die beiden Seiten in Gl. (3.148) gleich. n = 0 entspricht einem freien Teilchen, n = 1 f¨uhrt zu einem konstanten Kraftfeld und n = 2 ergibt das Potential des harmonischen Oszillators. In diesen F¨allen gehorcht also die Bewegung des Schwerpunkts des Wellenpakets den Gesetzen der klassischen Mechanik. F¨ur das freie Teilchen erhielten wir dieses Ergebnis bereits in Abschnitt 1.3.4.
Nun gibt es Situationen, man nennt sie quasiklassische Grenzf¨alle, in denen der Unterschied zwischen den beiden Seiten in der Beziehung (3.148) vernachl¨assigbar ist, weil bei ihnen das Wellenpaket hinreichend lokalisiert ist. Um dies zu sehen, begeben wir uns in die Ortsdarstellung, in der die linke Seite ∇V (R) = d3 r ψ ∗ (r, t)[∇V (r)]ψ(r, t) = d3 r |ψ(r, t)|2 ∇V (r) (3.152) lautet. Wir setzen voraus, dass |ψ(r, t)|2 nur in einem Bereich wesentlich von null verschiedene Werte annimmt, der gegen¨uber den Abst¨anden, in denen sich V (r) nennenswert a¨ ndert, sehr klein ist. Dann a¨ ndert sich in diesem Bereich um den Schwerpunkt R der Gradient ∇V (r) praktisch nicht. Man kann ihn n¨aherungsweise durch seinen Wert an der Stelle r = R ersetzen und ihn vor das Integral ziehen. Weil aber ψ(r, t) auf eins normiert ist, erh¨alt man f¨ur hinreichend lokalisierte Wellenpakete die Beziehung ∇V (R) ≈ [∇V (r)]r=R .
(3.153)
3.4 Bedeutung der Schr¨odinger-Gleichung
223
Im makroskopischen Grenzfall (bei dem die de-Broglie-Wellenl¨angen sehr klein gegenu¨ ber den Abst¨anden sind, f¨ur die sich das Potential a¨ ndert5 ) kann man hinreichend schmale Wellenpakete bilden, die dieser Beziehung gen¨ugen und f¨ur die der Impuls noch ausreichend definiert ist. Ein solches Paket bewegt sich dann praktisch wie ein Teilchen der Masse m in einem Potential V (r).
3.4.2 Konservative Systeme H¨angt der Hamilton-Operator eines physikalischen Systems nicht explizit von der Zeit ab, so spricht man von einem konservativen System. In der klassischen Mechanik ergibt sich hieraus als wichtigste Folgerung die Erhaltung der Energie: Sie bleibt zeitlich konstant. Man sagt auch, die Gesamtenergie des Systems sei eine Konstante der Bewegung. In diesem Abschnitt zeigen wir, dass konservative Systeme auch in der Quantenmechanik besondere wichtige Eigenschaften aufweisen.
L¨osung der Schr¨odinger-Gleichung Wir betrachten zun¨achst die Eigenwertgleichung des Hamilton-Operators H: H|ϕn,τ = En |ϕn,τ .
(3.154)
Der Einfachheit halber setzen wir das Spektrum von H als diskret voraus; τ bezeichnet die Menge der weiteren, zur eindeutigen Festlegung eines Vektors |ϕn,τ notwendigen Indizes (diese sind im Allgemeinen durch die Eigenwerte der Operatoren gegeben, die mit H einen v. S. k. O. bilden). Weil nach Voraussetzung H nicht explizit von der Zeit abh¨angen soll, tritt die Zeit t weder im Eigenwert En noch im Eigenket |ϕn,τ auf. Als erstes zeigen wir, dass die Schr¨odinger-Gleichung sehr einfach gel¨ost werden kann, wenn wir die Eigenwerte En und die Eigenvektoren |ϕn,τ von H kennen. Da die |ϕn,τ im Zustandsraum eine Basis bilden (H ist eine Observable), kann man einen beliebigen Zustand |ψ(t) f¨ur jeden Wert von t nach den |ϕn,τ entwickeln: |ψ(t) = cn,τ (t)|ϕn,τ , (3.155) n,τ
wobei cn,τ (t) = ϕn,τ |ψ(t)
(3.156)
ist. Weil die |ϕn,τ nicht von t abh¨angen, ist die gesamte zeitliche Abh¨angigkeit von |ψ(t) in den Koeffizienten cn,τ (t) enthalten. Zu deren Berechnung projizieren wir die Schr¨odinger-Gleichung auf die einzelnen Zust¨ande |ϕn,τ . Wir erhalten i¯ h
d ϕn,τ |ψ(t) = ϕn,τ |H|ψ(t). dt
(3.157)
5 Siehe die Gr¨ oßenordnungen der de-Broglie-Wellenl¨angen, die in Abschnitt 1.5 f¨ur ein makroskopisches System angegeben wurden.
224
3 Die Postulate der Quantenmechanik
d Hierbei haben wir ϕn,τ | rechts von schreiben k¨onnen, weil ϕn,τ | nicht von t abh¨angt. dt Wegen der Hermitezit¨at von H folgt aus Gl. (3.154), dass ϕn,τ |H = En ϕn,τ |
(3.158)
ist, womit wir Gl. (3.157) schließlich auf die Form i¯ h
d cn,τ (t) = En cn,τ (t) dt
(3.159)
bringen k¨onnen. Diese Gleichung kann sofort integriert werden. Es ist cn,τ (t) = cn,τ (t0 )e−iEn (t−t0 )/¯h .
(3.160)
Wir fassen zusammen: Den Zustandsvektor |ψ(t) zu einem beliebigen Zeitpunkt t findet man bei gegebenem Anfangszustand |ψ(t0 ) wie folgt: 1. Man entwickelt zun¨achst |ψ(t0 ) nach der Basis der Eigenzust¨ande des HamiltonOperators H: |ψ(t0 ) =
n
cn,τ (t0 )|ϕn,τ .
(3.161)
τ
Darin ist cn,τ (t0 ) = ϕn,τ |ψ(t0 ).
(3.162)
2. Man erh¨alt dann |ψ(t), indem man in der Entwicklung von |ψ(t0 ) jeden Koeffizienten cn,τ (t0 ) mit e−iEn (t−t0 )/¯h multipliziert (En ist der zum Zustand |ϕn,τ geh¨orende Eigenwert): |ψ(t) =
n
cn,τ (t0 )e−iEn (t−t0 )/¯h |ϕn,τ .
(3.163)
τ
¨ Ist das Spektrum von H kontinuierlich, so k¨onnen wir unsere Uberlegung verallgemeinern und erhalten statt Gl. (3.163) die Beziehung |ψ(t) = (3.164) dE cτ (E, t0 )e−iE(t−t0 )/¯h |ϕE,τ . τ
Station¨are Zust¨ande Ein besonders wichtiger Fall liegt vor, wenn der Anfangszustand |ψ(t0 ) selbst Eigenvektor von H ist. Dann enth¨alt n¨amlich die Entwicklung in Gl. (3.161) nur Eigenzust¨ande von H zum selben Eigenwert (z. B. zu En ): |ψ(t0 ) =
τ
cn,τ (t0 )|ϕn,τ .
(3.165)
3.4 Bedeutung der Schr¨odinger-Gleichung
225
¨ Hier tritt eine Summation u¨ ber n nicht mehr auf, und der Ubergang von |ψ(t0 ) zu |ψ(t) geschieht durch Multiplikation der Koeffizienten cn,τ (t0 ) mit demselben Faktor e−iEn (t−t0 )/¯h . Diesen kann man dann vor die Summation u¨ ber τ ziehen: cn,τ (t0 )e−iEn (t−t0 )/¯h |ϕn,τ |ψ(t) = τ
= e
−iEn (t−t0 )/¯ h
cn,τ (t0 )|ϕn,τ
τ
= e−iEn (t−t0 )/¯h |ψ(t0 ).
(3.166)
Der Anfangszustand |ψ(t0 ) und der Zustand |ψ(t) zu einer beliebigen anderen Zeit t unterscheiden sich nur durch den globalen Faktor e−iEn (t−t0 )/¯h , sind also physikalisch nicht unterscheidbar (s. Abschnitt 3.2.3). Hieraus schließen wir, dass s¨amtliche physikalischen Eigenschaften eines Systems zeitlich unver¨andert bleiben, wenn sich dieses in einem Eigenzustand von H befindet. Aus diesem Grund nennt man die Eigenzust¨ande des Hamilton-Operators H station¨are Zust¨ande. Um zu sehen, wie sich die Energieerhaltung bei einem konservativen System in der Quantenmechanik manifestiert, nehmen wir an, dass wir bei einer Energiemessung an einem derartigen System z. B. den Wert Ek feststellen. Unmittelbar nach dieser Messung befindet sich das System in einem Eigenzustand von H zum Eigenwert Ek (Postulat der Zustandsreduktion). Weil aber die Eigenzust¨ande von H station¨ar sind, wird sich auch dieser Eigenzustand zum Eigenwert Ek nach der ersten Messung zeitlich nicht mehr a¨ ndern. Folglich wird man bei einer zweiten Messung zu einem beliebigen sp¨ateren Zeitpunkt t wieder dasselbe Ergebnis Ek wie beim ersten Mal erhalten. Bemerkung ¨ Beim Ubergang von Gl. (3.161) zu Gl. (3.163) wird jeder Koeffizient cn,τ (t0 ) mit dem Phasenfak-
tor e−iEn (t−t0 )/¯h multipliziert. Daraus darf man aber nicht schließen, dass die Zust¨ande |ψ(t) und |ψ(t0 ) physikalisch nicht zu unterscheiden sind. In der Entwicklung nach Gl. (3.161) treten im Allgemeinen mehrere Eigenzust¨ande von H zu verschiedenen Eigenwerten En auf. Dazu geh¨oren dann verschiedene Phasenfaktoren, und es a¨ ndern sich die relativen Phasen der Entwicklungskoeffizienten: |ψ(t) unterscheidet sich physikalisch vom Anfangszustand |ψ(t0 ) . Nur wenn |ψ(t0 ) ein Eigenzustand von H ist und in Gl. (3.161) nur ein einziger Wert von n auftritt, wird die zeitliche Entwicklung durch einen einzigen, globalen Phasenfaktor dargestellt, der ¨ dann physikalisch ohne Bedeutung ist. Eine physikalisch erkennbare zeitliche Anderung zeigt sich mit anderen Worten nur dann, wenn der Anfangszustand nicht mit Sicherheit bekannt ist. Weiter unten werden wir auf den Zusammenhang zwischen der zeitlichen Entwicklung eines Systems und der Energieunsch¨arfe zur¨uckkommen.
226
3 Die Postulate der Quantenmechanik
Konstanten der Bewegung Wenn eine Observable A nicht explizit zeitabh¨angig ist und außerdem mit dem HamiltonOperator H vertauscht, so nennt man sie eine Konstante der Bewegung (oder eine Bewegungskonstante): ∂A = 0, ∂t [A, H] = 0.
(3.167)
Bei einem konservativen System ist H selbst eine Konstante der Bewegung. Die Konstanten der Bewegung besitzen wichtige Eigenschaften, die wir im Folgenden zeigen wollen. 1. Setzt man die Beziehungen aus Gl. (3.167) in die allgemeine Gl. (3.135) ein, so erh¨alt man d d A = ψ(t)|A|ψ(t) = 0. dt dt
(3.168)
F¨ur einen beliebigen Zustand |ψ(t) des Systems bleibt der Erwartungswert von A zeitlich konstant, was den Namen Konstante der Bewegung“ erkl¨art. ” 2. Weil A und H zwei Observable sind, die miteinander vertauschen, kann man f¨ur sie stets ein System von gemeinsamen Eigenvektoren {|ϕn,p,τ } angeben: H|ϕn,p,τ = En |ϕn,p,τ , A|ϕn,p,τ = ap |ϕn,p,τ .
(3.169)
Der Einfachheit halber nehmen wir an, dass die Spektren von H und A diskret sind; ferner kennzeichne der Index τ die Eigenwerte der Observablen, die zusammen mit H und A einen v. S. k. O. bilden. Als Eigenzust¨ande von H sind die |ϕn,p,τ station¨ar. Befindet sich das System zum Anfangszeitpunkt in einem Zustand |ϕn,p,τ , so bleibt es (abgesehen von einem Phasenfaktor) f¨ur alle Zeiten in diesem Zustand. Aber |ϕn,p,τ ist auch Eigenzustand von A. Falls also A eine Konstante der Bewegung ist, so gibt es station¨are Zust¨ande des Systems (eben die Zust¨ande |ϕn,p,τ ), die zu allen Zeiten Eigenzust¨ande von A zum selben Eigenwert ap bleiben. Aus diesem Grund nennt man die Eigenwerte von A gute Quantenzahlen. 3. Schließlich zeigen wir, dass f¨ur einen beliebigen Zustand |ψ(t) die Wahrscheinlichkeit, bei einer Messung der Bewegungskonstanten A den Eigenwert ap zu erhalten, nicht von der Zeit abh¨angt. Man kann n¨amlich immer den Anfangszustand |ψ(t0 ) nach der Basis {|ϕn,p,τ } entwickeln: |ψ(t0 ) =
n
p
cn,p,τ (t0 )|ϕn,p,τ ,
woraus sich sofort |ψ(t) = cn,p,τ (t)|ϕn,p,τ n
p
(3.170)
τ
τ
(3.171)
3.4 Bedeutung der Schr¨odinger-Gleichung
227
mit cn,p,τ (t) = cn,p,τ (t0 )e−iEn (t−t0 )/¯h
(3.172)
ergibt. Nach dem Postulat der Spektralzerlegung ist die Wahrscheinlichkeit, bei einer Messung von A zum Zeitpunkt t0 an einem System im Zustand |ψ(t0 ) den Wert ap zu finden, durch |cn,p,τ (t0 )|2 (3.173) P(ap , t0 ) = n
τ
gegeben. Entsprechend erh¨alt man f¨ur eine Messung zur Zeit t P(ap , t) = |cn,p,τ (t)|2 . n
(3.174)
τ
Nun erkennt man aber an Gl. (3.172), dass cn,p,τ (t) und cn,p,τ (t0 ) denselben Betrag haben. Also ist P(ap , t) = P(ap , t0 ), was wir beweisen wollten. Bemerkung Sind alle Wahrscheinlichkeiten P(ap , t0 ) bis auf eine, z. B. P(ak , t0 ) (diese ist dann gleich eins), gleich null, so ist das System zur Zeit t0 in einem Eigenzustand von A zum Eigenwert ak . Weil die Wahrscheinlichkeiten P(ap , t) aber nicht von t abh¨angen, bleibt der Zustand des Systems zur Zeit t Eigenzustand von A zum Eigenwert ak .
Bohr-Frequenzen. Auswahlregeln Es sei B eine Observable, die mit H nicht zu vertauschen braucht. F¨ur die Zeitableitung ihres Erwartungswerts haben wir nach Gl. (3.135) 1 ∂B d B = [B, H] + . (3.175) dt ih ¯ ∂t F¨ur ein konservatives System kennen wir f¨ur |ψ(t) die allgemeine Gl. (3.163). In diesem d Fall k¨onnen wir daher nicht nur B, sondern auch ψ(t)|B|ψ(t) explizit und direkt dt berechnen. Die zu Gl. (3.163) hermitesch konjugierte Beziehung lautet (bei Vertauschung der Summationsindizes) ψ(t)| = c∗n ,τ (t0 )eiEn (t−t0 )/¯h ϕn ,τ |. (3.176) n
τ
Setzt man die Entwicklungen Gl. (3.176) und Gl. (3.163) in ψ(t)|B|ψ(t) ein, so erh¨alt man ψ(t)|B|ψ(t) = B(t) = c∗n ,τ (t0 )cn,τ (t0 )ϕn ,τ |B|ϕn,τ ei(En −En )(t−t0 )/¯h . n
τ
n
τ
(3.177)
228
3 Die Postulate der Quantenmechanik
Im Weiteren setzen wir voraus, dass die Observable B von der Zeit nicht explizit abh¨angt. Die Matrixelemente ϕn ,τ |B|ϕn,τ sind dann Konstante. Das zeitliche Verhalten von B(t) wird durch eine Reihe beschrieben, deren Glieder aus harmonischen Funktio1 |En − En | nen (eine Fourier-Reihe) bestehen. Die dabei auftretenden Frequenzen 2π ¯h En − En = = νn n sind f¨ur das untersuchte System charakteristisch, h¨angen aber weh der von B noch vom Anfangszustand des Systems ab. Man nennt diese Frequenzen die Bohr-Frequenzen. So oszillieren bei einem Atom die Erwartungswerte der atomaren Gr¨oßen (wie die elektrischen und magnetischen Dipolmomente) mit den verschiedenen Bohr-Frequenzen dieses Atoms. Man versteht nun, wie diese Frequenzen mit den Energieniveaus zusammenh¨angen und weshalb ausschließlich sie vom Atom emittiert oder absorbiert werden k¨onnen. Weiter erkennt man an Gl. (3.177), dass die in B(t) auftretenden Frequenzen zwar von B unabh¨angig sind, nicht aber die Gewichte ihres Auftretens, denn diese h¨angen von den Matrixelementen ϕn ,τ |B|ϕn,τ ab. So k¨onnen f¨ur bestimmte Werte von n und n diese Matrixelemente gleich null sein, so dass die zugeh¨origen Frequenzen νn n in der Entwicklung von B(t) nicht vorhanden sind, und zwar f¨ur jeden Anfangszustand. Das ist der Ursprung der Auswahlregeln, die bestimmen, welche Frequenzen unter den gegebenen Bedingungen u¨ berhaupt emittiert oder absorbiert werden k¨onnen. Zum Aufstellen dieser Regeln muss man die nichtdiagonalen Matrixelemente (n = n ) der verschiedenen atomaren Operatoren (wie dem elektrischen oder dem magnetischen Dipol) untersuchen. Schließlich h¨angt das Gewicht einer Bohr-Frequenz u¨ ber c∗n τ (t0 )cn,τ (t0 ) auch vom Anfangszustand ab. Wenn dieser z. B. ein station¨arer Zustand mit der Energie Ek ist, enth¨alt die Entwicklung von |ψ(t0 ) nur einen einzigen Wert von n (n = k) und c∗n τ (t0 )cn,τ (t0 ) kann nur f¨ur n = n = k von null verschieden sein. In diesem Fall ist der Erwartungswert B zeitlich konstant. Bemerkung Man kann mit Gl. (3.177) auch direkt zeigen, dass der Erwartungswert einer Konstanten der Bewegung immer unabh¨angig von der Zeit ist. Wenn n¨amlich B mit dem Hamilton-Operator H kommutiert, so sind die Matrixelemente von B zwischen zwei Eigenzust¨anden von H zu verschiedenen Eigenzust¨anden gleich null (s. Abschnitt 2.4.3). Hieraus folgt, dass ϕn ,τ |B|ϕn,τ f¨ur n = n null ist. Damit treten in der Entwicklung von B nur (zeitlich) konstante Glieder auf.
Energie-Zeit-Unsch¨arfe Wir zeigen jetzt, dass bei einem konservativen System die zeitliche Entwicklung um so rascher abl¨auft, je ungenauer die Energie dieses Systems bekannt ist. Dies bedeutet genauer: Bezeichnen wir mit Δt ein Zeitintervall, nach dessen Ablauf sich das System nennenswert ge¨andert hat, und mit ΔE die Energieunsch¨arfe, so gen¨ugen Δt und ΔE der Relation Δt · ΔE ≥ h.
(3.178)
3.4 Bedeutung der Schr¨odinger-Gleichung
229
Ist zun¨achst das System in einem Eigenzustand des Hamilton-Operators H, so ist seine Energie scharf definiert und damit ΔE = 0. Ein derartiger Zustand ist aber station¨ar, a¨ ndert sich also zeitlich nicht. Dies kann man in gewisser Weise so umschreiben, dass in diesem Fall die Entwicklungszeit Δt unendlich ist (Gl. (3.178) verlangt ja, dass f¨ur ΔE = 0 Δt unendlich sein muss). ¨ aus Als N¨achstes nehmen wir an, dass der Anfangszustand |ψ(t0 ) eine Uberlagerung zwei Eigenzust¨anden von H zu verschiedenen Eigenwerten E1 und E2 ist: |ψ(t0 ) = c1 |ϕ1 + c2 |ϕ2 .
(3.179)
Dann ist der Zustand des Systems zur Zeit t |ψ(t) = c1 e−iE1 (t−t0 )/¯h |ϕ1 + c2 e−iE2 (t−t0 )/¯h |ϕ2 .
(3.180)
Bei einer Energiemessung erh¨alt man entweder E1 oder E2 . Die Energieunsch¨arfe ist jetzt von der Gr¨oßenordnung6 ΔE ≈ |E2 − E1 |.
(3.181)
Wir betrachten nun eine beliebige Observable des Systems, die mit H nicht vertauscht. Die Wahrscheinlichkeit, bei einer Messung von B zur Zeit t den zum Eigenvektor |um geh¨orenden Eigenwert bm (er sei nichtentartet) zu finden, ist P(bm , t) = |um |ψ(t)|2 = |c1 |2 |um |ϕ1 |2 + |c2 |2 |um |ϕ2 |2 + 2 Re[c∗2 c1 ei(E2 −E1 )(t−t0 )/¯h um |ϕ2 ∗ um |ϕ1 ].
(3.182)
P(bm , t) oszilliert also zwischen zwei Extremwerten mit der Bohr-Frequenz ν21 = |E2 − E1 | ¨ . Die f¨ur die Anderung des Systems charakteristische Zeit ist daher h h . (3.183) Δt ≈ |E2 − E1 | Somit ergibt sich zusammen mit Gl. (3.181), dass ΔE · Δt ≈ h ist. Wir nehmen jetzt an, dass das Spektrum von H kontinuierlich (und nichtentartet) ist. Der allgemeinste Zustand hat dann die Form (3.184) |ψ(t0 ) = dE c(E) |ϕE mit dem Eigenzustand |ϕE von H zum Eigenwert E. Nimmt |c(E)|2 nur in einer Breite ΔE um E0 wesentlich von null verschiedene Werte an, s. Abb. 3.4, so ist ΔE ein m¨ogliches Maß f¨ur die Energieunsch¨arfe des Systems. Der Zustand zur Zeit t ist nach Gl. (3.164) |ψ(t) = dE c(E)e−iE(t−t0 )/¯h |ϕE . (3.185)
6 Versteht man unter ΔE die Standardabweichung von E, wie sie allgemein in Abschnitt 3.3.5 definiert wurde, so erg¨abe sich in unserem Fall, dass ΔE = |E2 − E1 ||c1 c2 | ist. Wir nehmen dann an, dass |c1 | und |c2 | von der gleichen Gr¨oßenordnung sind.
230
3 Die Postulate der Quantenmechanik
Abb. 3.4 Bei der Superposition der station¨aren Zust¨ande |ϕE mit den Koeffizienten c(E) erh¨alt man einen Zustand |ψ des Systems, f¨ur den die Energie nicht scharf definiert ist. Die Energieunsch¨arfe ist durch die Breite der Kurve |c(E)|2 gegeben. Der Zustand |ψ(t) wird sich nach einem Zeitintervall Δt nennenswert a¨ ndern, das der Relation ΔE · Δt ≥ ¯ h gen¨ugt.
Jetzt ist die Wahrscheinlichkeit, bei einer Messung von B im Zustand |ψ(t) den Eigenwert bm zu erhalten, 2 2 −iE(t−t0 )/¯ h um |ϕE . (3.186) P(bm , t) = |um |ψ(t)| = dE c(E) e Im Allgemeinen wird sich um |ϕE mit E nur wenig a¨ ndern, wenn E um die Stelle E0 ¨ variiert. Ist ΔE gen¨ugend klein, so kann man daher im Integral, Gl. (3.186), die Anderung von um |ϕE gegen¨uber der von c(E) vernachl¨assigen, um |ϕE durch um |ϕE0 ersetzen und dies vor das Integral ziehen. Man erh¨alt dann 2 P(bm , t) ≈ |um |ϕE0 |2 dE c(E) e−iE(t−t0 )/¯h . (3.187) In dieser N¨aherung sehen wir, dass P(bm , t) bis auf einen Faktor gleich dem Betragsquadrat der Fourier-Transformierten von c(E) ist. Aufgrund der Eigenschaften der FourierTransformation (s. Anhang I.2) besteht zwischen der Breite Δt von P(bm , t) und der Breite ΔE von |c(E)|2 der Zusammenhang, wie er in Gl. (3.178) angegeben ist. Bemerkung F¨ur den eindimensionalen Fall gelangt man bei einem Paket aus freien Wellen zur Relation (3.178) auch auf direkte Weise. Der Impulsunsch¨arfe Δp dieses Pakets kann eine Energieunsch¨arfe ΔE = dE dE dω Δp zugeordnet werden. Weil E = ¯ hω und p = ¯ hk ist, hat man = = vG , worin vG die dp dp dk Gruppengeschwindigkeit des Wellenpakets bedeutet, s. Abschnitt 1.3.4. Folglich ist ΔE = vG Δp.
(3.188)
Das charakteristische Zeitintervall Δt ist hier die Zeit, die das Paket bei der Geschwindigkeit vG ben¨otigt, um an einem bestimmten Raumpunkt vorbeizulaufen. Ist Δx die r¨aumliche Ausdehnung der Wellengruppe, so ist daher Δt ≈
Δx . vG
(3.189)
3.5 Superpositionsprinzip und Vorhersagen
231
Damit erhalten wir f¨ur das Produkt aus Energie- und Zeitunsch¨arfe ΔE · Δt ≈ Δx · Δp ≥ ¯ h.
(3.190)
Die Beziehung (3.178) wird auch die vierte Heisenbergsche Unsch¨arferelation genannt. Sie unterscheidet sich jedoch grunds¨atzlich von den drei anderen Unsch¨arferelationen f¨ur die kartesischen Komponenten von R und P , s. Gl. (1.140). In Gl. (3.178) ist nur die Energie eine physikalische Gr¨oße wie R und P . Die Zeit t ist dagegen ein Parameter, dem in der Quantenmechanik kein Operator entspricht.
3.5 Superpositionsprinzip und Vorhersagen Wir untersuchen jetzt den physikalischen Gehalt des ersten Postulats, wonach die Zust¨ande eines Systems Elemente eines Vektorraums sind und daher linear u¨ berlagert werden k¨onnen. Eine wichtige Konsequenz aus diesem Postulat (in Gemeinschaft mit den anderen) ist das Auftreten von Interferenzeffekten, die uns bereits im ersten Kapitel zum WelleTeilchen-Dualismus f¨uhrten. Ein Verst¨andnis dieser Ph¨anomene basiert auf dem Begriff der Wahrscheinlichkeitsamplitude, den wir hier pr¨azisieren und auf einige einfache Beispiele anwenden wollen.
3.5.1 Wahrscheinlichkeitsamplitude und Interferenzeffekte Physikalische Bedeutung der Superposition Superposition und statistisches Gemisch. orthogonale Zust¨ande:
Es seien |ψ1 und |ψ2 zwei normierte und
ψ1 |ψ1 = ψ2 |ψ2 = 1, ψ1 |ψ2 = 0.
(3.191)
Dies k¨onnen z. B. zwei Eigenzust¨ande ein und derselben Observablen B zu den verschiedenen Eigenwerten b1 und b2 sein. Ist das System im Zustand |ψ1 , so kann man s¨amtliche Vorhersagen u¨ ber die Ergebnisse der Messung einer gegebenen Observablen A berechnen. Ist z. B. |un der (normierte) Eigenvektor von A zum (nichtentarteten) Eigenwert an , so ist die Wahrscheinlichkeit, bei einer Messung von A den Wert an zu erhalten, P1 (an ) = |un |ψ1 |2 .
(3.192)
F¨ur den Zustand |ψ2 haben wir entsprechend P2 (an ) = |un |ψ2 |2 .
(3.193)
232
3 Die Postulate der Quantenmechanik
Wir betrachten nun einen normierten Zustand |ψ, der eine (lineare) Superposition von |ψ1 und |ψ2 darstellt: |ψ = λ1 |ψ1 + λ2 |ψ2 , |λ1 |2 + |λ2 |2 = 1.
(3.194)
Befindet sich das System in einem derartigen Zustand, so sagt man h¨aufig, es gebe eine Wahrscheinlichkeit |λ1 |2 , das System im Zustand |ψ1 zu finden, und eine Wahrscheinlichkeit |λ2 |2 daf¨ur, dass es im Zustand |ψ2 ist. Die genaue Bedeutung dieser Sprechweise ist die folgende: |ψ1 und |ψ2 sind zwei (hier als normiert vorausgesetzte) Eigenvektoren der Observablen B zu den verschiedenen Eigenwerten b1 und b2 . Die Wahrscheinlichkeit, bei einer Messung von B den Wert b1 zu erhalten, ist |λ1 |2 und die, den Wert b2 zu finden, |λ2 |2 . Dies k¨onnte (wie wir sehen werden f¨alschlicherweise) zu der Auffassung verleiten, dass ein Zustand wie der in Gl. (3.194) ein statistisches Gemisch der Zust¨ande |ψ1 und |ψ2 mit den Gewichten |λ1 |2 und |λ2 |2 sei. Betrachtet man mit anderen Worten eine große Zahl N identischer Systeme, die alle im Zustand |ψ (Gl. (3.194)) sind, so k¨onnte ¨ man sich eine vollst¨andige Aquivalenz zwischen einem Ensemble von N Systemen in diesem Zustand und einem weiteren Ensemble vorstellen, das aus N |λ1 |2 Systemen im Zustand |ψ1 und N |λ2 |2 Systemen im Zustand |ψ2 besteht. Eine derartige Interpretation des Zustands |ψ f¨uhrt zu falschen physikalischen Aussagen. Wir nehmen an, das System befinde sich in dem durch Gl. (3.194) gegebenen Zustand |ψ und fragen nach der Wahrscheinlichkeit P(an ), bei einer Messung der Observablen A an diesem System den Eigenwert an zu erhalten. Wenn wir den Zustand |ψ als ein statistisches Gemisch aus den Zust¨anden ψ1 und ψ2 mit den Gewichten |λ1 |2 und |λ2 |2 ansehen, so sollte P(an ) gleich der gewichteten Summe aus den Wahrscheinlichkeiten P1 (an ) und P2 (an ), s. Gl. (3.192) und Gl. (3.193), sein: ?
P(an ) = |λ1 |2 P1 (an ) + |λ2 |2 P2 (an ).
(3.195)
Nun geben aber die Postulate der Quantenmechanik eindeutig vor, wie die Wahrscheinlichkeit P(an ) berechnet werden muss. Danach lautet der richtige Ausdruck f¨ur diese Wahrscheinlichkeit P(an ) = |un |ψ|2 ,
(3.196)
ist also gleich dem Betragsquadrat der Wahrscheinlichkeitsamplitude un |ψ. Nach Gl. (3.194) ist sie gleich der Summe un |ψ = λ1 un |ψ1 + λ2 un |ψ2 ,
(3.197)
womit wir f¨ur P(an ) zun¨achst erhalten P(an ) = |λ1 un |ψ1 + λ2 un |ψ2 |2 = |λ1 |2 |un |ψ1 |2 + |λ2 |2 |un |ψ2 |2 + 2 Re{λ1 λ∗2 un |ψ1 un |ψ2 ∗ }.
(3.198)
3.5 Superpositionsprinzip und Vorhersagen
233
Ber¨ucksichtigen wir Gl. (3.192) und Gl. (3.193), so ist schließlich der korrekte Ausdruck P(an ) = |λ1 |2 P1 (an ) + |λ2 |2 P2 (an ) + 2 Re{λ1 λ∗2 un |ψ1 un |ψ2 ∗ }.
(3.199)
Dieses Ergebnis unterscheidet sich von der Angabe in Gl. (3.195). Daher darf man den Zustand |ψ nicht als ein statistisches Gemisch auffassen: Bei einer derartigen Interpretation w¨urden alle Interferenzeffekte verloren gehen, wie sie in dem doppelten gemischten Produkt der Gl. (3.199) enthalten sind. Man sieht, dass nicht nur die Betr¨age von λ1 und λ2 eine Rolle spielen, die relative Phase7 von λ1 und λ2 ist genauso wichtig, weil sie u¨ ber den Term λ1 λ∗2 explizit in die Vorhersagen eingeht. Ein Beispiel. F¨ur Photonen, die sich in z-Richtung ausbreiten, werde der Polarisationszustand durch den Einheitsvektor (Abb. 3.5) 1 e = √ (ex + ey ) 2
(3.200)
gegeben.
Abb. 3.5 Ein einfaches Experiment zur Unterscheidung zwischen einer Superposition und einem Gemisch von Zust¨anden. Sind alle Photonen im Zustand mit der Polarisation e = √12 (ex + ey ), so gelangt kein Photon durch einen Analysator, dessen Polarisationsrichtung e senkrecht auf e steht. Handelt es sich dagegen um ein statistisches Gemisch von Photonen, die mit gleichen Anteilen in x- bzw. in y-Richtung polarisiert sind (nat¨urliches Licht), so durchquert die H¨alfte von ihnen den Analysator.
¨ Es handelt sich um eine (lineare) Uberlagerung zweier orthogonaler Polarisationszust¨ande und beschreibt Licht, das unter 45◦ gegen¨uber der x-Richtung linear polarisiert ist. Es w¨are nun falsch anzunehmen, dass N Photonen im Zustand e a¨ quivalent zu einem Ge 1 2 1 2 N N misch von N × √ = Photonen im Zustand ex und N × √ = im Zustand 2 2 2 2 7 Die Multiplikation von |ψ mit einem globalen Phasenfaktor eiθ w¨ urde λ1 und λ2 in λ1 eiθ und λ2 eiθ um¨andern. Man erkennt dann an Gl. (3.199), dass dadurch die physikalischen Aussagen nicht modifiziert werden: Sie h¨angen nur von |λ1 |2 , |λ2 |2 und λ1 λ∗2 ab.
234
3 Die Postulate der Quantenmechanik
ey seien. Stellt man n¨amlich einen Analysator in den Lichtstrahl, dessen Polarisationsrichtung e auf e senkrecht steht, so weiß man, dass keines der N Photonen im Zustand e diesen Analysator passieren w¨urde. Bei einem statistischen Gemisch von N/2 Photonen im Zustand ex und N/2 Photonen im Zustand ey w¨urde dagegen der Analysator die H¨alfte der Photonen hindurchtreten lassen. An diesem konkreten Beispiel erkennt man deutlich den physikalischen Unterschied zwischen einer Superposition wie der in Gl. (3.200), die zu polarisiertem Licht geh¨ort (mit einer Polarisationsrichtung, die zur x-Richtung unter 45◦ geneigt ist), und einem statistischen Gemisch mit gleichen Polarisationsanteilen in x- bzw. y-Richtung, das nat¨urlichem und somit unpolarisiertem Licht entspricht. Auch von der Bedeutung des relativen Phasenunterschieds zwischen den Entwicklungskoeffizienten des Zustandsvektors kann man sich ein Bild machen. Wir betrachten die folgenden vier Polarisationszust¨ande 1 e1 = √ (ex + ey ), 2 1 e2 = √ (ex − ey ), 2 1 e3 = √ (ex + iey ), 2 1 e4 = √ (ex − iey ), 2
(3.201) (3.202) (3.203) (3.204)
die sich nur durch die relative Phase der Koeffizienten unterscheiden (0, π, +π/2, −π/2). Diese vier Zust¨ande sind physikalisch verschieden: Die beiden ersten repr¨asentieren Licht, das entlang der Winkelhalbierenden zwischen der x- und der y-Richtung linear polarisiert ist, die beiden anderen beschreiben (rechts bzw. links) zirkular polarisiertes Licht.
Summation uber ¨ Zwischenzust¨ande Vorhersage der Messergebnisse bei zwei einfachen Versuchen. Erster Versuch: Nehmen wir an, wir h¨atten zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem physikalischen System die Observable A beobachtet und den (nichtentarteten) Eigenwert a gemessen. Ist |ua der zu a geh¨orende Eigenvektor, so befindet sich das System unmittelbar nach der Messung in diesem Zustand |ua . Noch bevor sich das System entwickeln kann, messen wir eine weitere Observable C, die mit A nicht vertauscht. Mit den in Abschnitt 3.3.6 eingef¨uhrten Notationen bezeichnen wir mit Pa (c) die Wahrscheinlichkeit, dass wir bei dieser zweiten Messung den Wert c erhalten. Unmittelbar vor der Messung von C ist das System im Zustand |ua . Ist dann |vc der Eigenvektor von C zum Eigenwert c (dieser sei ebenfalls nichtentartet), so d¨urfen wir nach den quantenmechanischen Postulaten behaupten, dass Pa (c) = |vc |ua |2 ist.
(3.205)
3.5 Superpositionsprinzip und Vorhersagen
235
Zweiter Versuch: Bei ihm werden nacheinander so rasch drei nicht miteinander vertauschende Observable A, B und C gemessen, dass sich das System in der Zeit zwischen zwei Messungen nicht a¨ ndern kann. Mit Pa (b, c) bezeichnen wir die Wahrscheinlichkeit daf¨ur, dass das Ergebnis der zweiten Messung b und das der dritten c ist, falls die erste Messung a ergab. Diese Wahrscheinlichkeit ist gleich dem Produkt aus Pa (b) (das ist die Wahrscheinlichkeit, mit der man bei einer Messsung von B den Wert b findet, falls man bei der Messung von A den Wert a erhalten hat) und Pb (c) (der Wahrscheinlichkeit, mit der man bei einer Messung von C den Wert c erh¨alt, falls die Messung von B den Wert b lieferte): Pa (a, b) = Pa (b) Pb (c).
(3.206)
Sind die Eigenwerte von B nichtentartet und |wb die zugeh¨origen Eigenvektoren, so ergibt sich schließlich Pa (b, c) = |vc |wb |2 |wb |ua |2 .
(3.207)
Unterscheidung der beiden Versuche. Bei beiden Versuchen ist nach der Messung der Observablen A das System im Zustand |ua , dem Anfangszustand, und nach der letzten Messung, also der Beobachtung von C, im Zustand |vc , dem Endzustand. In beiden F¨allen kann man den Zustand des Systems kurz vor der Messung von C nach den Eigenvektoren |wb der Observablen B zerlegen und sagen, dass das System zwischen dem Zustand |ua und dem Zustand |vc verschiedene Zwischenzust¨ande passieren kann. Jeder dieser Zwischenzust¨ande bestimmt einen m¨oglichen Weg“ zwischen dem Anfangs” zustand |ua und dem Endzustand |vc , s. Abb. 3.6. Zwischen den beiden Versuchen besteht jedoch ein Unterschied. Beim ersten wird der Weg, auf dem das System vom Zustand |ua in den Zustand |vc gelangt, experimentell nicht bestimmt (man misst nur die Wahrscheinlichkeit Pa (c), mit der das System vom Zustand |ua in den Zustand |vc gelangt). Beim zweiten Versuch wird dagegen dieser Weg durch die Messung der Observablen B festgelegt, denn mit dieser Messung kann
Abb. 3.6 Verschiedene m¨ogliche Wege“ des Zustandsvektors des Systems, wenn dieses sich frei ” (ohne einer Messung unterworfen zu sein) zwischen dem Anfangszustand |ua und dem Endzustand |vc entwickelt. In diesem Fall muss man diesen Wegen die Wahrscheinlichkeitsamplituden und nicht die Wahrscheinlichkeiten zuordnen.
236
3 Die Postulate der Quantenmechanik
man die Wahrscheinlichkeit Pa (b, c) erhalten, mit der das System vom Zustand |ua u¨ ber einen gegebenen Zwischenzustand |wb schließlich in den Endzustand |vc u¨ bergeht. Man k¨onnte nun versucht sein, zwischen Pa (c) und Pa (b, c) auf folgende Weise einen Zusammenhang herzustellen: Beim ersten Versuch kann das System frei“ alle Zwischen” zust¨ande |wb durchlaufen. Danach sollte die Gesamtwahrscheinlichkeit Pa (c) gleich der Summe aller Wahrscheinlichkeiten Pa (b, c) f¨ur die verschiedenen m¨oglichen Wege“ ” sein: ? Pa (b, c). (3.208) Pa (c) = b
Wie wir sehen werden, ist diese Beziehung falsch. Wenn wir n¨amlich in Gl. (3.205) unter Verwendung der Vollst¨andigkeitsrelation f¨ur die Wahrscheinlichkeitsamplitude vc |ua = vc |wb wb |ua (3.209) b
schreiben und dies in Gl. (3.205) einsetzen, 2 Pa (c) = vc |wb wb |ua b = |vc |wb |2 |wb |ua |2 b
+
b
vc |wb wb |ua vc |wb ∗ wb |ua ∗ ,
so erhalten wir unter Beachtung von Gl. (3.207) schließlich Pa (c) = Pa (b, c) + vc |wb wb |ua vc |wb ∗ wb |ua ∗ . b
(3.210)
b =b
b
(3.211)
b =b
Ein Vergleich mit Gl. (3.208) zeigt, dass bei dieser alle gemischten“ Terme, die beim ” Quadrieren der Summe (Gl. (3.209)) auftreten, fehlen. Es werden also in Gl. (3.208) s¨amtliche Interferenzeffekte zwischen den verschiedenen m¨oglichen Wegen vergessen. Gleichung (3.208) ist falsch. Um daher einen Zusammenhang zwischen den beiden Versuchen herstellen zu k¨onnen, muss man von den Wahrscheinlichkeitsamplituden ausgehen: Wenn man nicht durch einen zus¨atzlichen Versuch bestimmt, durch welchen Zwischenzustand das System gegangen ist, so m¨ussen die Amplituden und nicht die Wahrscheinlichkeiten addiert werden. Der Fehler bei der Begr¨undung von Gl(3.208) wird u¨ brigens deutlich, wenn man das f¨unfte Postulat u¨ ber die Reduktion von Wellenpaketen korrekt anwendet. Nach diesem Postulat kann man die Observable B nur messen, indem man das System in der Weise ¨ st¨ort, dass sein Zustandsvektor einer pl¨otzlichen und groben Anderung unterworfen wird (Projektion auf einen Zustand |wb ). Diese unvermeidbare St¨orung ist f¨ur das Verschwinden der Interferenzterme verantwortlich. Dagegen ist es beim ersten Versuch streng genommen falsch, zu sagen, das System passiere den einen oder anderen Zustand |wb “. ” Genauer m¨usste man sich so ausdr¨ucken, dass es alle Zust¨ande |wb zugleich durchlaufe.
3.5 Superpositionsprinzip und Vorhersagen
237
Bemerkungen ¨ 1. Die vorstehende Diskussion erinnert in allen Punkten an unsere Uberlegungen im Zusammenhang mit dem Versuch von Young, s. Abschnitt 1.1.2. Zur Bestimmung der Wahrscheinlichkeit, dass ein von der Quelle ausgesandtes Photon auf einem gegebenen Punkt M des Schirms auftrifft, muss man zun¨achst das gesamte elektrische Feld in M berechnen. Das elektrische Feld spielt dabei die Rolle einer Wahrscheinlichkeitsamplitude. Wenn man bestimmen will, durch welchen Spalt das Photon gelangt ist, so sind es die durch die Spalte hindurchtretenden elektrischen Strahlungsfelder und nicht ihre Intensit¨aten, die man zur Ermittlung des Gesamtfeldes in M addieren muss (sein Quadrat liefert dann die gesuchte Wahrscheinlichkeit). Das durch einen Spalt gehende Strahlungsfeld repr¨asentiert im Punkt M die Amplitude daf¨ur, dass ein von der Quelle ausgesandtes Photon durch diesen Spalt gegangen ist, bevor es den Punkt M erreicht. 2. Man kann sich leicht von der Bedingung befreien, nach der die Messungen von A und von C beim ersten Versuch und die von A, B und C beim zweiten Versuch zeitlich sehr nahe aufeinander folgen. Entwickelt sich das System zwischen zwei Messungen, so gen¨ugt es, mit der Schr¨odinger¨ Gleichung diese Anderung zu berechnen (s. Abschnitt 3.11, Bemerkung 2).
Die Bedeutung der Wahrscheinlichkeitsamplitude Die eben behandelten Beispiele machen deutlich, wie wichtig der Begriff der Wahrscheinlichkeitsamplitude ist. Die Gleichungen (3.195) und (3.208) sind ebenso wie die zu ihnen f¨uhrenden Begr¨undungen nicht korrekt, weil man eine Wahrscheinlichkeit zu berechnen sucht, ohne zun¨achst auf die Wahrscheinlichkeitsamplitude einzugehen. In beiden F¨allen stellt sich der richtige Ausdruck in Form einer Quadratsumme dar (genauer eines Betragsquadrats dieser Summe), w¨ahrend Gl. (3.195) bzw. Gl. (3.208) nur eine Summe von Quadraten aufweist (die f¨ur die Interferenzeffekte verantwortlichen gemischten Terme werden dabei vergessen). Wir halten somit fest: 1. Die Wahrscheinlichkeitsaussagen der Quantentheorie erh¨alt man stets, wenn man von den Wahrscheinlichkeitsamplituden ausgeht und dann deren Betragsquadrat bildet. 2. Wenn man bei einem bestimmten Experiment keine Messung in einem Zwischenstadium ausf¨uhren will, so darf man nie von den Wahrscheinlichkeiten schließen, mit denen man bei einer entsprechenden Messung die verschiedenen Resultate erhalten k¨onnte, sondern immer von den zugeh¨origen Wahrscheinlichkeitsamplituden. 3. Weil die Zust¨ande eines physikalischen Systems (linear) superponiert werden k¨onnen, stellt sich eine Wahrscheinlichkeitsamplitude h¨aufig in Form einer Summe von Teiloder Partialamplituden dar. Die zugeh¨orige Wahrscheinlichkeit ist dann gleich dem Betragsquadrat einer Summe, und die verschiedenen Teilamplituden interferieren miteinander.
3.5.2 Zusammenhang zwischen Zust¨anden und Messergebnis Wiederholt haben wir betont, dass durch die quantenmechanischen Postulate in bestimmten F¨allen die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses in Form des Betragsquadrats einer
238
3 Die Postulate der Quantenmechanik
Summe von Termen gegeben ist. Nun tritt im vierten Postulat (Gl. (3.14)) eine Summe von Betragsquadraten auf, wenn das Messergebnis, f¨ur das man die Wahrscheinlichkeit angeben will, zu einem entarteten Eigenwert geh¨ort. Das ist jedoch kein Widerspruch, vielmehr erg¨anzen sich die beiden Regeln: Jeder Summand in Gl. (3.14) kann n¨amlich selbst das Betragsquadrat einer Summe sein. Dies wollen wir genauer fassen und dabei gleichzeitig die Angabe der Postulate vervollst¨andigen. Wir werden weiter Messapparaturen mit endlicher Genauigkeit untersuchen, so wie sie in der Realit¨at immer vorliegen, werden weiter sehen, wie die theoretischen Vorhersagen u¨ ber die m¨oglichen Ergebnisse berechnet werden, und erweitern schließlich das f¨unfte Postulat u¨ ber die Reduktion eines Wellenpakets auf den Fall der kontinuierlichen Spektren.
Entartete Eigenwerte Bei den in Abschnitt 3.5.1 behandelten Beispielen haben wir immer vorausgesetzt, dass die Messergebnisse einfache Eigenwerte der entsprechenden Observablen sind. Diese Voraussetzung diente lediglich der Vereinfachung, weil wir den Ursprung der Interferenzeffekte besonders deutlich herausstellen wollten. Wir betrachten jetzt einen entarteten Eigenwert an einer Observablen A. Die zu an geh¨orenden Eigenvektoren bilden einen Unterraum mit der Dimension gn , in dem man eine orthonormierte Basis {|uin ; i = 1, 2, . . . , gn } w¨ahlen kann. Die Diskussion in Abschnitt 3.3.6 u¨ ber die Pr¨aparation eines Zustands hat gezeigt, dass man mit der Kenntnis des Messergebnisses an noch nicht weiß, in welchem Zustand sich das System nach dieser Messung befindet: Zum selben Messwert an kann es mehrere Endzust¨ande geben. Bei gegebenem Anfangszustand (dem Zustand vor der Messung) ist ¨ der Zustand nach der Messung vollst¨andig bestimmt. Andert man aber den Anfangszustand, gelangt man im Allgemeinen zu einem anderen Endzustand (f¨ur dasselbe Messergebnis an ). Alle zu an geh¨orenden Endzust¨ande sind Linearkombinationen aus den gn orthonormierten Vektoren |uin mit i = 1, 2, . . . , gn . Durch Gl. (3.14) ist eindeutig festgelegt, wie man die Wahrscheinlichkeit P(an ) daf¨ur findet, dass bei einer Messung von A an einem System im Zustand |ψ das Ergebnis an herauskommt: Man w¨ahlt im Eigenraum von an eine orthonormierte Basis, z. B. {|uin ; i = 1, 2, . . . , gn } und berechnet dann die Wahrscheinlichkeit |uin |ψ|2 , mit der man das System in jedem Zustand finden kann; P(an ) ist dann die Summe dieser Wahrscheinlichkeiten. Dabei darf man jedoch nicht vergessen, dass jede Wahrscheinlichkeit |uin |ψ|2 das Betragsquadrat einer Summe sein kann. Nehmen wir z. B. den Fall aus Abschnitt 3.5.1 und machen jetzt die Annahme, dass der Eigenwert an der Observablen A, f¨ur den wir die Wahrscheinlichkeit P(an ) berechnen wollen, gn -fach entartet ist, so muss Gl. (3.196) durch die Beziehung P(an ) =
gn
|uin |ψ|2
(3.212)
i=1
mit uin |ψ = λ1 uin |ψ1 + λ2 uin |ψ2
(3.213)
3.5 Superpositionsprinzip und Vorhersagen
239
ersetzt werden. Damit ist |uin |ψ|2 das Betragsquadrat einer Summe und P(an ) die ¨ Summe dieser Quadrate. Entsprechend verallgemeinert man die Uberlegungen in Abschnitt 3.5.1 u¨ ber die Rolle von Zwischenzust¨anden auf den Fall, bei dem die Eigenwerte der gemessenen Observablen entartet sind. Bevor wir die vorstehende Diskussion zusammenfassen, gehen wir auf eine andere wichtige Situation ein, bei der mehrere Endzust¨ande zum selben Messergebnis geh¨oren.
Apparaturen mit unvollst¨andiger Selektivit¨at Definition. Wir wollen zur Messung der Observablen A an einem physikalischen System eine Apparatur mit den folgenden Eigenschaften verwenden: 1. Sie kann nur zwei verschiedene Anzeigen8 liefern, die wir mit Ja“ und Nein“ ” ” bezeichnen. 2. Befindet sich das System in einem Eigenzustand von A, f¨ur den der zugeh¨orige Eigenwert in einem bestimmten Intervall Δ der reellen Achse liegt, so ist die Anzeige mit Sicherheit Ja“. Dies soll auch der Fall sein, wenn der Zustand des Systems eine beliebige ” Linearkombination aus Eigenzust¨anden von A zu Eigenwerten aus dem Intervall Δ ist. 3. Ist der Zustand des Systems ein Eigenzustand von A mit einem Eigenwert außerhalb des Intervalls Δ oder eine Linearkombination derartiger Eigenzust¨ande, so soll die Antwort der Apparatur mit Sicherheit Nein“ sein. ” Die Zahl Δ charakterisiert das Aufl¨osungsverm¨ogen der betrachteten Messapparatur. Gibt es im Intervall Δ nur einen Eigenwert an von A, so verh¨alt sich die Apparatur so, wie wenn dieses Aufl¨osungsverm¨ogen unendlich w¨are: Befindet sich das System in einem beliebigen Zustand, so ist die Wahrscheinlichkeit P(Ja), die Antwort Ja“ zu er” halten, gleich der Wahrscheinlichkeit, bei einer Messung von A den Wert an zu finden; die Wahrscheinlichkeit P(Nein), mit der man die Anzeige Nein“ erh¨alt, ist offensichtlich ” 1 − P(Ja). Enth¨alt dagegen Δ mehrere Eigenwerte von A, so ist das Aufl¨osungsverm¨ogen der Apparatur nicht ausreichend, um diese verschiedenen Eigenwerte zu unterscheiden: Wir sagen dann, sie sei von unvollst¨andiger Selektivit¨at. Wir wollen sehen, wie man in diesem Fall die Wahrscheinlichkeiten P(Ja) und P(Nein) berechnet. Um die St¨orung untersuchen zu k¨onnen, die das System durch eine derartige Messung erf¨ahrt, f¨ugen wir noch die weitere Annahme hinzu: Ohne St¨orung lasse die Apparatur die Eigenzust¨ande passieren, die zu Eigenwerten innerhalb des Intervalls Δ von A geh¨oren (oder Linearkombinationen solcher Eigenzust¨ande); sie blockiere“ aber die ” Eigenzust¨ande von A, die zu Werten außerhalb des Intervalls Δ geh¨oren (oder entsprechende Linearkombinationen). Die Apparatur verh¨alt sich also f¨ur alle dem Intervall Δ zugeordneten Zust¨ande wie ein vollkommener Filter. Beispiel. Die in der Praxis verwendeten Messapparaturen sind meist von endlicher Selektivit¨at. Zur Messung der x-Koordinate eines Elektrons, das sich in z-Richtung bewegt, 8 Die folgenden Uberlegungen ¨ k¨onnen leicht auf F¨alle verallgemeinert werden, bei denen mehr als zwei verschiedene Anzeigen m¨oglich sind und die a¨ hnliche Eigenschaften wie die unter 2. und 3. angef¨uhrten besitzen.
240
3 Die Postulate der Quantenmechanik
Abb. 3.7 Schema zur Messung der x-Koordinate eines Teilchens. Die L¨ange des Intervalls [x1 , x2 ] muss ungleich null und die Apparatur von endlicher Selektivit¨at sein.
kann man z. B. eine senkrecht auf dieser Richtung stehende und mit einem Spalt parallel zur y-Richtung versehene Platte verwenden, s. Abb. 3.7. Die Spaltgrenzen m¨ogen bei x1 und x2 liegen. Man sieht dann, dass jedes Wellenpaket, das vollst¨andig zwischen den ¨ von Eigenzust¨anden Ebenen x = x1 und x = x2 konzentriert ist (also eine Uberlagerung von X zu Eigenwerten x, die im Intervall [x1 , x2 ] liegen), in den rechts vom Spalt befindlichen Bereich gelangt (Antwort: Ja“) und dabei keine Modifizierung erf¨ahrt. Dagegen ” wird jedes Paket außerhalb der Ebene x = x1 oder x = x2 von der Platte abgeschirmt werden und nicht nach rechts kommen (Antwort: Nein“). ” Quantenmechanische Beschreibung. Bei einer Apparatur von endlicher Selektivit¨at kann es nach einer Messung mit dem Resultat Ja“ mehrere Endzust¨ande geben, so z. B. ” die zu den verschiedenen Eigenwerten im Intervall Δ geh¨orenden Eigenzust¨ande von A. Bei einer solchen Apparatur stellt sich nun die Frage, wie man ihre Antwort vorhersagen kann, wenn man durch sie ein System in einem beliebigen Zustand schickt. Was geschieht z. B. bei einer Anordnung wie der in Abb. 3.7, wenn man es mit einem Paket zu tun hat, das weder vollst¨andig zwischen den Ebenen x = x1 und x = x2 konzentriert ist (und bei dem die Anzeige mit Sicherheit Ja“ sein wird), noch v¨ollig außerhalb dieses ” Bereichs liegt (so dass die Antwort mit Sicherheit Nein“ ist)? Wir zeigen, dass man sich ” hier auf den Fall der Messung einer Observablen mit entartetem Spektrum beziehen kann. Betrachten wir n¨amlich den Unterraum HΔ , der von allen Eigenzust¨anden von A zu den Eigenwerten an aufgespannt wird, die im Intervall Δ liegen, so lautet der Projektor PΔ auf diesen Unterraum nach Abschnitt 2.2.3 PΔ =
gn
|uin uin |
(3.214)
an ∈Δ i=1
(die Eigenwerte an aus dem Intervall Δ k¨onnen entartet sein; die Vektoren |uin seien orthonormiert). Der Unterraum HΔ wird von allen nach einer Messung m¨oglichen Systemzust¨anden gebildet, wenn das Resultat Ja“ ergab. ” Beachtet man die Definition der Messapparatur, so sieht man, dass die Antwort f¨ur jeden Zustand aus HΔ mit Sicherheit Ja“ sein wird, d. h. f¨ur jeden Eigenzustand von ” PΔ zum Eigenwert +1. Mit Sicherheit wird sie dagegen f¨ur jeden Zustand aus dem zu
3.5 Superpositionsprinzip und Vorhersagen
241
HΔ komplement¨aren Raum Nein“ sein, d. h. f¨ur jeden Eigenzustand von PΔ zum Ei” genwert 0. Die beiden m¨oglichen Antworten Ja“ und Nein“, die die Apparatur geben ” ” kann, entsprechen also den Eigenwerten +1 und 0 der Observablen PΔ . Dies kann man so umschreiben, dass die Apparatur eher die Observable PΔ als die Observable A misst. Aufgrund dieser Interpretation kann ein Apparat mit unvollst¨andiger Selektivit¨at im Rahmen der von uns aufgestellten Postulate behandelt werden. Die Wahrscheinlichkeit P(Ja), die Antwort Ja“ zu erhalten, ist gleich der Wahrscheinlichkeit, den (entarteten) ” Eigenwert +1 von PΔ zu finden. Nun kennen wir f¨ur den zugeh¨origen Eigenraum eine orthonormierte Basis: Sie wird von den Eigenzust¨anden |uin von A zu den im Intervall Δ liegenden Eigenwerten gebildet. Die Anwendung von Gl. (3.14) auf die Observable PΔ und den Eigenwert +1 ergibt f¨ur ein System im Zustand |ψ P(Ja) =
gn
|uin |ψ|2 .
(3.215)
an ∈Δ i=1
Weil nur zwei Antworten m¨oglich sind, gilt offensichtlich P(Nein) = 1 − P(Ja).
(3.216)
Der Projektor auf den zum Eigenwert +1 geh¨orenden Eigenraum der Observablen PΔ ist PΔ selbst. Gl. (3.21) lautet hier somit P(Ja) = ψ|PΔ |ψ,
(3.217)
eine zur Gl. (3.215) a¨ quivalente Beziehung. Weil weiter die Apparatur die zu HΔ geh¨orenden Zust¨ande nicht st¨ort und die Zust¨ande aus dem komplement¨aren Raum blockiert, ist der Zustand des Systems nach einer Messung mit dem Resultat Ja“ ” gn 1 |uin uin |ψ, (3.218) |ψ = , - gn i=1 a ∈Δ n . |uin |ψ|2 an ∈Δ i=1
d. h. 1 |ψ = PΔ |ψ. ψ|PΔ |ψ
(3.219)
Enth¨alt Δ nur einen einzigen Eigenwert an , so reduziert sich PΔ auf Pn : Gl. (3.21) und Gl. (3.38) sind danach Sonderf¨alle von Gl. (3.217) und Gl. (3.219).
Zusammenfassung Es gibt also sowohl F¨alle (Abschnitt 3.5.1), bei denen man zur Berechnung der Wahrscheinlichkeit das Quadrat einer Summe bilden muss, weil man mehrere Wahrscheinlichkeitsamplituden zu addieren hat, wie auch F¨alle (Abschnitt 3.5.2), bei denen eine Summe
242
3 Die Postulate der Quantenmechanik
von Quadraten zu berechnen ist, weil man mehrere Wahrscheinlichkeiten addieren muss. Diese verschiedenen F¨alle d¨urfen keinesfalls verwechselt werden, und man muss in einer bestimmten Situation stets wissen, ob nun Wahrscheinlichkeitsamplituden oder die Wahrscheinlichkeiten selbst addiert werden m¨ussen.
Abb. 3.8 Youngscher Spaltversuch. Zur Berechnung der Wahrscheinlichkeitsdichte f¨ur das Auftreffen eines Photons im Punkt M , muss man die von Spalt A und Spalt B ausgehenden elektrischen Felder addieren und das so erhaltene Gesamtfeld quadrieren ( Quadrat der Summe“). Die ” Wahrscheinlichkeit daf¨ur, im Intervall [x1 , x2 ] ein Photon nachzuweisen, erh¨alt man dann durch Integration dieser Wahrscheinlichkeitsdichte ( Summe von Quadraten“). ”
Der Spaltversuch von Young ist ein einleuchtendes Beispiel zur Illustration unserer ¨ Uberlegungen. Wir nehmen hierzu an, dass wir die Wahrscheinlichkeit daf¨ur berechnen wollen, dass ein Photon zwischen den Punkten M1 und M2 mit den Abszissen x1 bzw. x2 auf der Platte auftrifft, s. Abb. 3.8. Diese Wahrscheinlichkeit ist zur Lichtintensit¨at proportional, die insgesamt von diesem Teil der Platte aufgenommen wird. Sie ist damit eine Summe von Quadraten“, genauer das Integral u¨ ber die Intensit¨at I(x) zwischen x1 ” und x2 , die ihrerseits proportional zum Betragsquadrat der elektrischen Feldst¨arke E(x) ist. Diese wiederum ist gleich der Summe der elektrischen Felder EA (x) und EB (x), die von den Spalten A und B zum Punkt M gelangen. Damit ist I(x) proportional zum Betragsquadrat einer Summe. EA (x) und EB (x) sind die zu den beiden Wegen QAM und QBM geh¨orenden Amplituden. Man f¨ugt sie zur Amplitude in M zusammen, weil man nicht zu bestimmen versucht, durch welchen Spalt das Photon gegangen ist. Zur Berechnung der insgesamt zwischen M1 und M2 auftreffenden Lichtintensit¨at addiert man schließlich die Intensit¨aten in den verschiedenen Punkten dieses Intervalls. ¨ Man kann unsere Uberlegungen schematisch etwa so zusammenfassen: Es m¨ussen zun¨achst die Amplituden addiert werden, die zum selben Endzustand geh¨oren, dann addiert man die Wahrscheinlichkeiten f¨ur die orthogonalen Endzust¨ande.
3.5 Superpositionsprinzip und Vorhersagen
243
Kontinuierliche Spektren Besitzt die zu messende Observable ein kontinuierliches Spektrum, so kann man u¨ berhaupt nur Apparaturen mit endlicher Selektivit¨at verwenden: Wir k¨onnen uns keine physikalische Vorrichtung ausdenken, die aus einem Kontinuum einen einzigen Eigenwert isolieren kann. Beispiel: Messung des Teilchenorts. Es sei ψ(r) = r|ψ die Wellenfunktion eines (spinlosen) Teilchens. Wie groß ist dann die Wahrscheinlichkeit, mit Hilfe einer Vorrichtung wie in Abb. 3.7 die Abszisse dieses Teilchens im Intervall [x1 , x2 ] zu finden? Der zu diesem Messergebnis geh¨orende Unterraum HΔ wird von den Kets |r = |x, y, z aufgespannt, f¨ur die x1 ≤ x ≤ x2 ist. Sind diese im verallgemeinerten Sinn orthonormiert, so erhalten wir x2 +∞ +∞ dx dy dz |x, y, z|ψ|2 P(x1 ≤ x ≤ x2 ) = x1 x2
−∞ +∞
dx
=
dy −∞
x1
−∞ +∞
−∞
dz |ψ(r)|2 .
(3.220)
Zum selben Ergebnis gelangen wir, wenn wir von Gl. (3.217) ausgehen. Der Projektor lautet hier x2 +∞ +∞ dx dy dz |x, y, zx, y, z|, (3.221) PΔ = x1
−∞
−∞
womit wir wieder haben P(x1 ≤ x ≤ x2 ) =
ψ|PΔ |ψ +∞ x2 dx dy = x1
−∞
+∞ −∞
dz ψ|x, y, zx, y, z|ψ. (3.222)
Zur Kenntnis des Zustands |ψ des Teilchens nach einer Messung mit dem Resultat Ja“ ” gen¨ugt die Anwendung von Gl. (3.219), 1 PΔ |ψ N 1 x2 +∞ +∞ dx dy dz |x , y , z x , y , z |ψ, (3.223) = N x1 −∞ −∞
worin der Normierungsfaktor N = ψ|PΔ |ψ bekannt ist, s. Gl. (3.222). Wir berechnen die zum Ket |ψ geh¨orende Wellenfunktion ψ (r) = r|ψ . Zun¨achst ist 1 x2 +∞ +∞ r|ψ = dx dy dz r|r ψ(r ). (3.224) N x1 −∞ −∞ |ψ =
Wegen r|r = δ(r − r ) = δ(x − x )δ(y − y )δ(z − z )
244
3 Die Postulate der Quantenmechanik
kann die Integration u¨ ber y und z sofort ausgef¨uhrt werden, man muss einfach im Integranden y durch y und z durch z ersetzen. Es verbleibt somit 1 x2 ψ (x, y, z) = dx δ(x − x ) ψ(x , y, z). (3.225) N x1 Liegt der Punkt x = x im Innern des Integrationsintervalls [x1 , x2 ], so ist das Resultat dasselbe wie bei der Integration u¨ ber die gesamte x-Achse: 1 ψ (x, y, z) = ψ(x, y, z) f¨ur x1 ≤ x ≤ x2 . (3.226) N Befindet sich dagegen x = x außerhalb dieses Intervalls, so ist die Funktion“ δ(x − x ) ” f¨ur alle Werte x aus diesem Intervall gleich null, und es gilt ψ (x, y, z) = 0 f¨ur x > x2 und x < x1 .
(3.227)
Der Anteil von ψ(r), der zu dem von der Messvorrichtung akzeptierten Intervall geh¨ort, findet sich unmittelbar nach der Messung ohne Deformation wieder (der Faktor 1/N sichert nur, dass ψ (r) normiert bleibt); der Rest wird unterdr¨uckt. In gewisser Weise wird das den Anfangszustand repr¨asentierende Wellenpaket ψ(r) durch die R¨ander des Spalts abgeschnitten“. ” Bemerkungen 1. An diesem Beispiel erkennt man die konkrete Bedeutung der Reduktion des Wellenpakets“. ” 2. Schickt man nacheinander eine große Zahl von Teilchen, die sich alle im selben Zustand |ψ befinden, durch den Apparat, so wird man mit der Wahrscheinlichkeit P(Ja) das Resultat Ja“ und ” mit der Wahrscheinlichkeit P(Nein) das Ergebnis Nein“ erhalten. Ist die Antwort Ja“, so setzt ” ” das Teilchen (ausgehend von dem abgeschnittenen“ Zustand |ψ ) seinen Weg fort. Ist die Antwort ” Nein“, so wird das Teilchen vom Schirm absorbiert. ”
In unserem Beispiel steigt die Selektivit¨at der Apparatur mit kleiner werdendem x2 − x1 . Weil das Spektrum von X aber kontinuierlich ist, kann man mit einer derartigen Apparatur nie eine vollkommene Selektivit¨at erreichen. Wie eng der Spalt auch sein mag, das Intervall [x1 , x2 ] enth¨alt stets unendlich viele Eigenwerte. F¨ur den Grenzfall eines ¨ Spaltes mit der infinitesimalen Breite Δx erh¨alt man aber dennoch ein Aquivalent zur Gl. (3.24), mit der wir f¨ur ein kontinuierliches Spektrum das vierte Postulat formuliert Δx Δx und x2 = x0 + . hatten. Ist der Spalt um die Stelle x0 zentriert, so gilt x1 = x0 − 2 2 Setzen wir weiter voraus, dass sich ψ(r) im Intervall Δ nur wenig a¨ ndert, so k¨onnen wir in Gl. (3.220) |ψ(r)|2 durch |ψ(x0 , y, z)|2 ersetzen und die Integration u¨ ber x ausf¨uhren: +∞ +∞ Δx Δx P x0 − ≤ x ≤ x0 + dy dz|ψ(x0 , y, z)|2 . (3.228) ≈ Δx 2 2 −∞ −∞ Die Wahrscheinlichkeit ist also wieder gleich dem Produkt aus Δx und einer positiven Gr¨oße, die als eine Wahrscheinlichkeitsdichte im Punkt x0 zu deuten ist. Der Unterschied zur Gl. (3.24) beruht darauf, dass diese sich auf den Fall eines kontinuierlichen nichtentarteten Spektrums bezieht, w¨ahrend hier die Eigenwerte von X im Raum Hr unendlich oft entartet sind. Aus diesem Grund muss u¨ ber y und z integriert werden (Summation u¨ ber die Indizes, mit denen die Entartung beschrieben wird).
3.5 Superpositionsprinzip und Vorhersagen
245
Reduktion des Wellenpakets fur ¨ den Fall eines kontinuierlichen Spektrums. In Abschnitt 3.2.3 hatten wir uns bei der Formulierung des f¨unften Postulats auf den Fall eines diskreten Spektrums beschr¨ankt. Die Diskussion der Gl. (3.223) zeigt uns, wie wir es auszudr¨ucken haben, wenn wir uns f¨ur ein kontinuierliches Spektrum interessieren: Es gen¨ugt, die Ergebnisse aus Abschnitt 3.5.2 u¨ ber Apparaturen mit endlicher Selektivit¨at anzuwenden. Es sei A eine Observable mit einem (nichtentarteten) kontinuierlichen Spektrum. Mit den Bezeichnungen aus Abschnitt 3.2.3 gilt dann: Liefert eine Messung von A an einem System im Zustand |ψ bis auf ein Δα das Ergebnis α0 , so wird der Zustand des Systems unmittelbar nach der Messung durch 1 PΔα (α0 )|ψ |ψ = ψ|PΔα (α0 )|ψ
(3.229)
mit PΔα (α0 ) =
Δα α0 + 2
Δα α0 − 2
dα |vα vα |
(3.230)
beschrieben. Zur Illustration dieser Aussage ist in Abb. 3.9 (links) die in der Basis {|vα } den Zustand |ψ repr¨asentierende Wellenfunktion vα |ψ aufgetragen. Der Zustand des Systems unmittelbar nach der Messung wird (bis auf einen Normierungsfaktor) durch die in Abb. 3.9 (rechts) skizzierte Kurve dargestellt; dabei ist die Rechnung v¨ollig analog zu der, die von Gl. (3.223) zu Gl. (3.226) und Gl. (3.227) f¨uhrt.
Abb. 3.9 Zur Veranschaulichung des Postulats u¨ ber die Reduktion eines Wellenpakets im Fall eines kontinuierlichen Spektrums. Man misst die Observable A mit den Eigenvektoren |vα und den Eigenwerten α. Der Messapparat hat die Selektivit¨at Δα. Ist der gefundene Wert bis auf Δα gleich α0 , so besteht die Wirkung der Messung auf die Wellenfunktion vα |ψ darin, dass sie um den Wert α0 abgeschnitten“ wird (zur Normierung der neuen Wellenfunktion muss sie ” offensichtlich mit einem Faktor gr¨oßer als eins multipliziert werden).
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
Abschnitte 3.6 und 3.7 behandeln einfache Anwendungen, wobei vor allem die physikalische Bedeutung der Ergebnisse betont wird. (Elementar) In Abschnitt 3.8 wird die Heisenbergsche Unsch¨arferelation allgemein bewiesen. (Formal, kann beim ersten Lesen u¨ berschlagen werden) In Abschnitt 3.9 werden Messungen besprochen, die nur an einem Teil des Systems ausgef¨uhrt werden. (Einfache Anwendung, kann ebenfalls beim ersten Lesen ausgelassen werden) Abschnitt 3.10 befasst sich mit der Definition und den Eigenschaften des Dichteoperators, der bei der quantenmechanischen Behandlung von Systemen ben¨otigt wird, deren Zustand nur unvollst¨andig bekannt ist (statistische Zustandsgemische). In der Quantenstatistik ist er ein Basisbegriff. (Anspruchsvoller) Abschnitt 3.11 f¨uhrt den Entwicklungsoperator ein, mit dem man aus dem Anfangszustand eines Systems den Zustand zu einem beliebigen anderen Zeitpunkt erh¨alt. (Einfach) In Abschnitt 3.12 wird die Entwicklung eines quantenmechanischen Systems von einem anderen Standpunkt beschrieben, als wir ihn bisher eingenommen haben. Die Zeitabh¨angigkeit tritt hier bei den Observablen und nicht beim Systemzustand auf. (Anspruchsvoller) Abschnitt 3.13 diskutiert den quantenmechanischen Formalismus f¨ur den Fall, dass das System der Wirkung eines elektromagnetischen Feldes unterliegt. Obwohl bei dieser Beschreibung die elektromagnetischen Potentiale auftreten, h¨angen die physikalischen Eigenschaften nur von den Werten des elektrischen und des magnetischen Feldes ab und bleiben bei einem Wechsel der Potentiale unge¨andert. Abschnitt 3.14 skizziert eine andere Formulierung der Quantenmechanik, bei der ein zum Huygensschen Prinzip der klassischen Wellenoptik analoges Prinzip zum Ausgangspunkt genommen wird. (Anspruchsvoller) In Abschnitt 3.15 werden die wichtigen Begriffe Instabilit¨at und Lebensdauer eingef¨uhrt. (Leicht, aber f¨ur das Folgende nicht unbedingt erforderlich) Abschnitt 3.16 enth¨alt die Aufgaben zu Kapitel 3. Abschnitte 3.17 bis 3.19 kehren noch einmal zu eindimensionalen Problemen zur¨uck und betrachten sie von einem allgemeineren Standpunkt als in Kapitel 1. Abschnitt 3.17 verallgemeinert die in Abschnitt 1.12 erhaltenen Ergebnisse f¨ur einen beliebigen Potentialtopf. (Leicht und physikalisch wichtig) Abschnitt 3.18 untersucht die nichtgebundenen station¨aren Zust¨ande bei einem beliebigen Potential. (Wird f¨ur den folgenden Abschnitt ben¨otigt) Der Abschnitt 3.19 f¨uhrt den (in der Festk¨orperphysik fundamentalen) Begriff des Energiebandes ein, der bei der Untersuchung eines periodischen Potentials auftritt. (Etwas schwieriger, kann zun¨achst u¨ bergangen werden)
•
248
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
3.6 Teilchen in einem unendlich tiefen Potentialtopf In Abschnitt 1.12.2 haben wir uns bereits mit den station¨aren Zust¨anden eines Teilchens in einem eindimensionalen unendlich tiefen Potentialtopf befasst. Hier wollen wir auf die physikalische Bedeutung n¨aher eingehen und zeigen, wie man die von uns formulierten Postulate auf einen konkreten Fall anwenden kann. Dabei interessieren wir uns vor allem f¨ur die Ergebnisse, die sich mit Ort und Impuls des Teilchens befassen.
3.6.1 Verteilung der Impulswerte in einem station¨aren Zustand Berechnung von ϕn (p), P und ΔP Wir wissen bereits, dass die zu den station¨aren Zust¨anden des Teilchens geh¨orenden Energiewerte (mit den Bezeichnungen aus Abschnitt 1.12) durch die Beziehung En =
h2 n2 π 2 ¯ 2ma2
(3.231)
und die Wellenfunktionen durch n¯ hx 2 ϕn (x) = sin a a
(3.232)
gegeben sind (a ist die Breite des Potentialtopfes und n eine beliebige positive ganze Zahl). Wir betrachten nun ein Teilchen im Zustand |ϕn mit der Energie En . Die Wahrscheinlichkeit daf¨ur, dass wir bei einer Messung des Teilchenimpulses einen Wert zwischen p und p + dp finden, ist P n (p)dp = |ϕn (p)|2 dp mit ϕn (p) = √
1 2π¯ h
a
0
(3.233) nπx
2 sin e−ipx/¯h dx. a a
Dieses Integral kann leicht ausgewertet werden. Wir erhalten a nπ p nπ p 1 i x −i a + h − ¯ x dx ϕn (p) = √ e a h¯ − e 2i π¯ ha 0 ⎡ nπ p nπ p ⎤ i a −h −i a + h ¯ a−1 ¯ a−1 e e 1 ⎣ 1 1 2 − 2 ⎦. = √ p p i nπ −i nπ 2i π¯ ha a − h ¯ a + h ¯
(3.234)
(3.235)
Setzen wir F (p) =
sin(pa/2¯ h) , pa/2¯ h
(3.236)
3.6 Teilchen in einem unendlich tiefen Potentialtopf so wird 1 ϕn (p) = 2i
a i e π¯ h
nπ 2
−
pa 2¯ h
249
•
nπ¯h nπ¯h n+1 F p+ F p− + (−1) . (3.237) a a
Von einem Proportionalit¨atsfaktor abgesehen, ist diese Funktion die Summe (bzw. Differenz) zweier Beugungsfunktionen“ F (p ± nπ¯h/a), die um die Stelle p = ∓nπ¯h/a ” zentriert sind und deren Breite“ (das ist der Abstand 4π¯h/a der beiden ersten, symme” trisch zum Zentrum liegenden Nullstellen) und H¨ohe“ nicht von n abh¨angen. ” In Gl. (3.237) ist der Ausdruck in den eckigen Klammern f¨ur ungerades n gerade und f¨ur gerades n ungerade. Die durch Gl. (3.233) gegebene Wahrscheinlichkeitsdichte P n (p) ist also in jedem Fall eine gerade Funktion in p, so dass +∞ P n (p) p dp = 0 (3.238) P n = −∞
ist, der Erwartungswert des Teilchenimpulses im Zustand mit der Energie En ist somit gleich null. Zur Berechnung des Erwartungswerts P 2 n des Impulsquadrates nutzen wir die Tat¯h d wirkt, und erhalten sache, dass in der Ortsdarstellung P wie der Differentialoperator i dx 9 nach einer partiellen Integration a dϕn 2 2 2 P n = h ¯ dx dx 0 a 2 nπx
2 nπ 2 dx = h ¯ cos2 a a 0 a 2 nπ¯ h = . (3.239) a Aus den beiden letzten Beziehungen ergibt sich dann die Standardabweichung ΔPn =
nπ¯h , P 2 n − P 2n = a
(3.240)
die somit linear von der Quantenzahl n abh¨angt.
Physikalische Diskussion Um die Wahrscheinlichkeitsdichte P n (p) u¨ ber p auftragen zu k¨onnen, untersuchen wir zun¨achst das Verhalten der eckigen Klammer in Gl. (3.237). F¨ur den Grundzustand (n = 1) ist er eine Summe aus zwei Beugungsfunktionen F , deren Zentren den Abstand 2π¯h/a (gleich der halben Breite dieser Kurven) haben, s. Abb. 3.10a. F¨ur den ersten angeregten Ê +∞ gelangt zum selben Ergebnis, wenn man das Integral P 2 n = −∞ |ϕn (p)|2 p2 dp unter Ber¨ucksichtigung von Gl. (3.237) berechnet. Dies ist zwar nicht schwierig, aber l¨anger als der von uns gegangene Weg. 9 Man
•
250
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
Zustand (n = 2) ist dieser Abstand doppelt so groß, wobei man außerdem die beiden Funktionen voneinander abziehen muß, s. Abb. 3.11a. F¨ur gr¨oßere Werte der Quantenzahl n sind die Zentren der Beugungskurven durch einen Abstand entfernt, der gr¨oßer als ihre Breite ist.
Abb. 3.10 In der Impulsdarstellung erh¨alt man die Wellenfunktion ϕ1 (p) f¨ur den Grundzustand eines Teilchens, das sich in einem unendlich tiefen Potentialtopf befindet, indem man die beiden Beugungsfunktionen F (gestrichelte Kurven in (a)) addiert; dabei sind die Zentren dieser beiden Kurven um deren halbe Breite getrennt. Der Verlauf dieser Summe ist durch die ausgezogene Kurve dargestellt. Bildet man davon das Betragsquadrat, so gelangt man zur Wahrscheinlichkeitsdichte P 1 (p) f¨ur eine Messung des Teilchenimpulses (b).
Die Wahrscheinlichkeitsdichte P n (p) erh¨alt man dann durch Bildung des Betragsquadrates, s. Abbildungen 3.10b und 3.11b. F¨ur große n ist der Interferenzterm zwischen nπ¯ h nπ¯ h F p− und F p + wegen des gr¨oßer werdenden Abstands der Zentren a a vernachl¨assigbar, es gilt also 2 a nπ¯h nπ¯h n+1 P n (p) = F p+ F p− + (−1) 4π¯ h a a a nπ¯ h nπ¯ h ≈ F2 p − + F2 p + . 4π¯ h a a
(3.241)
Der Verlauf von P n (p) ist f¨ur diesen Fall in Abb. 3.12 skizziert. Die Wahrscheinlichkeitsdichte weist zwei symmetrisch liegende Maxima der Breite 4π¯h/a mit ihren Zentren an den Stellen p = +nπ¯ h/a und −nπ¯ h/a auf. Man kann daher fast sicher vorhersagen, welche Resultate sich bei einer Messung des Teilchenimpulses im Zustand |ϕn ergeben werden: Die Werte sind praktisch gleich
3.6 Teilchen in einem unendlich tiefen Potentialtopf
251
•
Abb. 3.11 Um f¨ur das erste angeregte Niveau die Wellenfunktion ϕ2 (p) zu erhalten, muss man die beiden Funktionen F (mit derselben Breite wie in Abb. 3.10a) voneinander abziehen, wobei diese jetzt aber mit ihren Zentren weiter voneinander entfernt sind (gestrichelte Kurven in (a)). Das Ergebnis stellt die ausgezogene Kurve dar. Die Wahrscheinlichkeitsdichte P 2 (p) weist jetzt zwei Maxima auf, die in der N¨ahe von p = +2π¯ h/a und p = −2π¯ h/a liegen (b).
Abb. 3.12 F¨ur große n (hoch angeregte Niveaus) zeigt die Wahrscheinlichkeitsdichte zwei f¨ur p = ±nπ¯ h/a ausgepr¨agte Maxima. Diese Werte entsprechen gerade den Impulsen bei einer klassischen Bewegung mit derselben Energie.
•
252
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
+nπ¯ h/a bzw. −nπ¯ h/a, und die relative Genauigkeit10 ist umso besser, je gr¨oßer n ist (die entgegengesetzten Werte ±nπ¯h/a sind dabei gleich wahrscheinlich). Dies ist auch verst¨andlich: F¨ur große n f¨uhrt die sinusf¨ormig verlaufende Funktion ϕn (x) im Poten¨ tialtopf viele Schwingungen aus und kann deshalb praktisch als die Uberlagerung von zwei fortschreitenden Wellen mit den entgegengesetzten Impulsen p = +nπ¯h/a und p = −nπ¯ h/a aufgefasst werden. Mit kleiner werdendem n nimmt auch die relative Genauigkeit ab, mit der man die m¨oglichen Impulswerte vorhersagen kann. F¨ur n = 2 sieht man z. B. in Abb. 3.11b, dass die Funktion P n (p) zwei Maxima aufweist, deren Breite mit ihrem Abstand vom Ursprung vergleichbar ist. In diesem Fall f¨uhrt n¨amlich die Wellenfunktion im Potentialtopf nur eine Schwingung aus; es ist also nicht verwunderlich, dass f¨ur diese in x = 0 und x = a abgeschnittene“ Sinuskurve die Wellenl¨ange (und somit der Impuls des Teilchens) ” schlecht definiert ist. F¨ur den Grundzustand schließlich ist die Wellenfunktion durch einen sinusf¨ormigen Halbbogen gegeben: Die Wellenl¨ange und der Teilchenimpuls sind nur mit sehr schlechter relativer Genauigkeit bekannt, s. Abb. 3.10b. Bemerkungen 1. Hat ein klassisches Teilchen die durch Gl. (3.231) gegebene Energie En , ist also p2Kl h2 n2 π 2 ¯ , = 2m 2ma2 so ist der klassische Impuls pKl = ±
nπ¯ h . a
(3.242)
(3.243)
F¨ur gr¨oßer werdende n liegen die beiden Maxima von P n (p) immer besser bei diesen Impulswerten. 2. Man erkennt, dass f¨ur große n der Betrag des Impulses (relativ) wohlbestimmt ist, nicht dagegen sein Vorzeichen. Das ist der Grund f¨ur die große Standardabweichung ΔPn : Ist die Wahrscheinlichkeitsverteilung auf die beiden Maxima wie in Abb. 3.12 konzentriert, so zeigt die Standardabweichung den Abstand dieser Maxima an und ist nicht mehr auf deren Breite bezogen.
3.6.2 Entwicklung der Wellenfunktion Jeder Ket |ϕn mit der Wellenfunktion ϕn (x) beschreibt einen station¨aren Zustand, in dem sich die physikalischen Eigenschaften des Systems zeitlich nicht a¨ ndern. Eine Entwicklung tritt erst auf, wenn der Zustandsvektor eine Linearkombination aus mehreren Kets |ϕn ist. Wir befassen uns hier mit einem sehr einfachen Beispiel, bei dem der Zustand |ψ(0) zum Zeitpunkt t = 0 durch 1 |ψ(0) = √ [|ϕ1 + |ϕ2 ] 2 gegeben ist. 10 Die
absolute Genauigkeit ist unabh¨angig von n, weil die Breite der Kurve stets 4π¯ h/a ist.
(3.244)
3.6 Teilchen in einem unendlich tiefen Potentialtopf
253
•
Wellenfunktion zu einem beliebigen Zeitpunkt Mit Gl. (3.163) aus Abschnitt 3.4.2 erhalten wir sofort ¯ ¯ π2 h π2h 1 |ψ(t) = √ [e−i 2ma2 t |ϕ1 + e−2i 2ma2 t |ϕ2 ] 2
(3.245)
oder auch, wenn wir einen globalen Phasenfaktor unterdr¨ucken, 1 |ψ(t) ∝ √ [|ϕ1 + e−iω21 t |ϕ2 ] 2
(3.246)
3π 2 ¯ h E2 − E1 = . h ¯ 2ma2
(3.247)
mit ω21 =
Form¨anderung des Wellenpakets Die Form des Wellenpakets wird durch die Wahrscheinlichkeitsdichte gegeben: |ψ(x, t)|2 =
1 2 1 ϕ (x) + ϕ22 (x) + ϕ1 (x)ϕ2 (x) cos ω21 t. 2 1 2
(3.248)
¨ Ihre zeitliche Anderung ist mithin durch den Interferenzterm ϕ1 ϕ2 bestimmt. Es gibt nur eine Bohrsche Frequenz, ν21 = (E2 − E1 )/h, weil im Anfangszustand nur die beiden Zust¨ande |ϕ1 und |ϕ2 auftreten. Die zu ϕ21 , ϕ22 und ϕ1 ϕ2 geh¨orenden Kurven sind in Abb. 3.13 aufgetragen. Von hier aus gelangt man zusammen mit Gl. (3.248) zur grafischen Darstellung der ¨ zeitlichen Anderung der Form des Wellenpakets, s. Abb. 3.14: Es oszilliert zwischen den W¨anden des Potentialtopfes.
Abb. 3.13 Grafische Darstellung der Funktionen ϕ21 (Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte f¨ur den Grundzustand), ϕ22 (Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte f¨ur das erste angeregte Niveau) ¨ der Form des Wellenpakets bestimmende gemischte und ϕ1 ϕ2 (der die zeitliche Anderung Term).
•
254
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
¨ Abb. 3.14 Periodische Bewegung eines Wellenpakets, das aus einer Uberlagerung des Grundzustands und dem ersten angeregten Zustand eines Teilchens in einem unendlich tiefen Potentialtopf entsteht. Die (Bohrsche) Frequenz dieser Schwingung ist ω21 /2π.
Bewegung des Paketschwerpunkts Wir berechnen den Erwartungswert X(t) des Teilchenortes zur Zeit t. Es erweist sich als zweckm¨aßig, X = X − a/2
(3.249)
zu setzen, weil aus Symmetriegr¨unden die Diagonalelemente der zugeh¨origen Matrix verschwinden: a πx
a
ϕ1 |X |ϕ1 ∝ sin2 dx = 0, x− 2 a 0 a 2πx a
ϕ2 |X |ϕ2 ∝ x− sin2 dx = 0. (3.250) 2 a 0 Es ist dann X (t) = Re{e−iω21 t ϕ1 |X |ϕ2 }
(3.251)
mit a ϕ1 |X |ϕ2 = ϕ1 |X|ϕ2 − ϕ1 |ϕ2 2 πx 2 a 2πx x sin = sin dx a 0 a a 16a = − 2. 9π
(3.252)
3.6 Teilchen in einem unendlich tiefen Potentialtopf
255
•
Also ist X(t) =
a 16a − cos ω21 t. 2 9π 2
(3.253)
Grafisch ist diese Zeitabh¨angigkeit in Abb. 3.15 wiedergegeben. Die gestrichelten Geradenst¨ucke repr¨asentieren die Lage eines klassischen Teilchens, das mit der Frequenz ω21 im Topf schwingt (dieses Teilchen erf¨ahrt nur an den W¨anden eine Kraft und a¨ ndert w¨ahrend jeder Halbperiode seine Lage zwischen 0 und a gleichf¨ormig).
¨ Abb. 3.15 Zeitliche Anderung des Erwartungswerts X f¨ur das Wellenpaket aus Abb. 3.14. Die gestrichelte Kurve gibt die Lage eines klassischen Teilchens wieder, das mit derselben Frequenz schwingt. Nach der Quantenmechanik kehrt der Paketschwerpunkt vor Erreichen der Wand um, weil das Potential bereits auf die Enden“ des Pakets einwirkt. ”
Wir stellen sofort einen deutlichen Unterschied zwischen der klassischen und der quantenmechanischen Bewegung fest: Der Schwerpunkt des Pakets f¨uhrt eine Bewegung mit geringerer Amplitude aus, kehrt also schon vor Erreichen der W¨ande, bzw. der Bereiche um, in denen das Potential ungleich null ist. Wir finden hier ein Resultat aus Abschnitt 1.4.2 wieder: Da das Potential an den Stellen x = 0 und x = a einen unendlich ¨ hohen Sprung aufweist, sind seine Anderungen in einem Bereich von der Dimension des Wellenpakets nicht vernachl¨assigbar, und die Bewegung des Paketschwerpunkts gehorcht nicht den Gesetzen der klassischen Mechanik (s. auch Abschnitt 3.4.1). Die physikalische Erkl¨arung dieses Ph¨anomens besteht darin, dass das Potential auf die Enden“ des Pakets ” wirkt, noch bevor sein Schwerpunkt die W¨ande erreicht. Dies gen¨ugt, um es insgesamt schon vorher umkehren zu lassen. Bemerkung Der Energieerwartungswert des Teilchens im Zustand |ψ(t) (Gl. (3.245)) ist leicht zu berechnen. Man erh¨alt
H =
1 1 5 E1 + E2 = E1 . 2 2 2
(3.254)
Weiter ist
H 2 =
1 2 1 2 17 2 E1 + E2 = E1 2 2 2
(3.255)
und damit die Standardabweichung ΔH =
3 E1 . 2
(3.256)
•
256
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
Weil H eine Konstante der Bewegung ist, ist klar, dass H , H 2 und ΔH nicht von der Zeit ¨ abh¨angen. Wie wir eben gesehen haben, finden wir andererseits eine nennenswerte Anderung des Pakets nach einer Zeit von der Gr¨oßenordnung Δt ≈
1 . ω21
(3.257)
Aus dieser und der vorhergehenden Beziehung erhalten wir f¨ur das Produkt ΔH · Δt ≈
3 h ¯ h ¯ E1 · = , 2 3E1 2
(3.258)
also wieder die Energie-Zeit-Unsch¨arferelation.
3.6.3 St¨orung durch eine Ortsmessung Wir betrachten ein Teilchen im Zustand |ϕ1 und nehmen an, dass wir zur Zeit t = 0 den Ort des Teilchens messen und dabei den Wert x = a/2 erhalten. Welche Wahrscheinlichkeiten ergeben sich dann f¨ur eine unmittelbar anschließende Energiemessung? ¨ Zun¨achst liegt folgende Uberlegung nahe: Nach der ersten Messung befindet sich das Teilchen in einem Eigenzustand von X, der zu dem betreffenden Messwert geh¨ort, seine Eigenfunktion ist dann proportional zu δ(x − a/2). F¨uhrt man nun eine Energiemessung durch, so sollte man die verschiedenen Werte En mit Wahrscheinlichkeiten finden, die proportional zu a 2 $ a ∗ a 2 2/a, n ungerade, dx δ(x − )ϕn (x) = ϕn ( ) = (3.259) 0, n gerade 2 2 0 sind. Hiernach w¨aren die Wahrscheinlichkeiten f¨ur alle Eigenwerte En zu ungeradem n gleich. Das ist aber ein unsinniges Ergebnis, weil dann die Summe dieser Wahrscheinlichkeiten gegen unendlich gehen w¨urde. ¨ Der Fehler bei dieser Uberlegung besteht im Folgenden. Die richtige Anwendung des vierten Postulats setzt voraus, dass die Wellenfunktion unmittelbar nach der ersten Messung normiert ist. Nun ist aber die Funktion“ δ(x − a/2) nicht normierbar11; die ” Frage muss daher pr¨azisiert werden. Wie wir in Abschnitt 3.5.2 gesehen haben, liefert die Messung einer Observablen mit einem kontinuierlichen Spektrum stets ein Ergebnis mit nur endlicher Genauigkeit. In unserem Fall kann man lediglich sagen, dass a ε a ε − ≤x≤ + 2 2 2 2
(3.260)
gilt, wobei ε von der verwendeten Messapparatur abh¨angt, aber stets gr¨oßer als null ist. Wenn wir nun annehmen, dass ε gegen¨uber der Ausdehnung der Wellenfunktion vor der Messung (die dann√a ergibt) sehr klein ist, so ist die Wellenfunktion nach der Messung praktisch gleich ε δ (ε) (x − a/2). Dabei ist δ (ε) (x) bis auf das durch Gl. (3.260) 11 Man
erkennt wieder, dass eine δ-Funktion keinen physikalisch realisierbaren Zustand beschreiben kann.
3.6 Teilchen in einem unendlich tiefen Potentialtopf
257
•
bestimmte Intervall u¨ berall null und nimmt in diesem Intervall den Wert 1/ε an, s. Anhang II.1. Diese Funktion ist aber normiert, weil
√ a 2 dx εδ (ε) x − =1 2
(3.261)
ist. Jetzt findet man bei einer Energiemessung den Wert En mit der Wahrscheinlichkeit 2 √ ( ) a ∗ x− dx P(En ) = ϕn (x) εδ 2 ⎧ 2
⎨ 8a 1 2 nπ sin , n ungerade, = 2a ⎩ ε nπ 0, n gerade.
(3.262)
F¨ur ungerades n und festes ε ist der Verlauf von P(En ) in Abb. 3.16 aufgetragen. Die Kurve zeigt, dass f¨ur Quantenzahlen n, die gegen¨uber a/ε sehr groß sind, die Wahrscheinlichkeit P(En ) vernachl¨assigbar klein ist. Weiter h¨angt die Wahrscheinlichkeitsverteilung stark von ε ab, wie klein ε auch sein mag. Das ist der Grund, weshalb wir bei ¨ unserer ersten Uberlegung, bei der wir ε = 0 voraussetzten, nicht zum richtigen Ergebnis gelangen konnten. Man erkennt auch, dass mit kleiner werdendem ε das Bild von P(En ) sich zu gr¨oßeren n hin verbreitert. Diese Eigenschaft findet ihre Erkl¨arung darin, dass aufgrund der Heisenbergschen Unsch¨arferelation (s. Abschnitt 1.3.3) bei einer Ortsmessung mit hoher Genauigkeit der Impuls des Teilchens sehr stark ge¨andert wird. Man u¨ bertr¨agt demnach auf das Teilchen einen umso h¨oheren Betrag an kinetischer Energie, je kleiner ε ist.
Abb. 3.16 Die Wahrscheinlichkeit P(En ), bei einer Energiemessung den Wert En zu erhalten, nachdem unmittelbar davor eine Ortsmessung den Wert a mit der Genauigkeit ε (ε a) ergeben hat. Je kleiner ε ist, umso gr¨oßer ist die Wahrscheinlichkeit, h¨ohere Energien zu finden.
•
258
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
3.7 Wahrscheinlichkeitsstrom. Spezialf¨alle Wir hatten einem Teilchen, dessen Zustand durch die Wellenfunktion ψ(r, t) beschrieben wird, einen Wahrscheinlichkeitsstrom J (r, t) =
¯ h [ψ ∗ (r, t)∇ψ(r, t) − k. k.] 2m i
(3.263)
zugeordnet, wobei k. k.“ die Abk¨urzung f¨ur den konjugiert komplexen Ausdruck ist. In ” diesem Abschnitt wollen wir ihn f¨ur einige Spezialf¨alle von ein- und zweidimensionalen Rechteckpotentialen untersuchen.
3.7.1 Wahrscheinlichkeitsstrom in Bereichen konstanten Potentials Wir betrachten bei einem eindimensionalen Problem ein Teilchen mit der Energie E, das sich in einem konstanten Potential V0 befindet. In Abschnitt 1.12 unterschieden wir mehrere F¨alle: 1. F¨ur E > V0 lautet die Wellenfunktion ψ(x) = A eikx + A e−ikx
(3.264)
mit E − V0 =
¯ 2 k2 h . 2m
(3.265)
Setzen wir Gl. (3.264) in Gl. (3.263) ein, so erhalten wir Jx =
¯k h [|A|2 − |A |2 ]. m
(3.266)
Dieser Zusammenhang ist leicht zu interpretieren: Die durch Gl. (3.264) gegebene Wellenfunktion geh¨ort zu zwei ebenen Wellen mit den entgegengesetzten Impulsen +¯ hk und −¯ hk und den Wahrscheinlichkeitsdichten |A|2 und |A |2 . 2. Ist E < V0 , so hat man ψ(x) = B eρx + B e−ρx
(3.267)
mit V0 − E =
¯ 2 ρ2 h . 2m
(3.268)
Beim Einsetzen von Gl. (3.267) in Gl. (3.263) ergibt sich Jx =
¯ρ ∗ h [iB B + k. k.]. m
(3.269)
Damit in diesem Fall der Wahrscheinlichkeitsstrom nicht gleich null ist, m¨ussen beide Koeffizienten B und B von null verschieden sein.
3.7 Wahrscheinlichkeitsstrom. Spezialf¨alle
259
•
3.7.2 Anwendung auf Potentialstufen Die Ergebnisse wenden wir auf die in Abschnitt 1.12 und Abschnitt 1.13 behandelten Potentialstufen an. Wir betrachten also ein Teilchen mit der Masse m und der Energie E, das sich in x-Richtung bewegt und bei x = 0 auf eine Potentialstufe mit der H¨ohe V0 trifft, s. Abb. 3.17.
Abb. 3.17 Potentialstufe mit der H¨ohe V0 .
Fall: E > V0 Mit den durch Gl. (1.183) und Gl. (1.184) in Abschnitt 1.12 gegebenen Wellenfunktionen, wobei wir wie dort A2 = 0
(3.270)
setzen, ist die Stromdichte nach Gl. (3.266) im Bereich I ¯ k1 h [|A1 |2 − |A1 |2 ] (3.271) m und im Bereich II hk2 ¯ JII = |A2 |2 . (3.272) m Im Bereich I ist JI die Differenz aus dem einfallenden und dem reflektierten Strom. Das Verh¨altnis dieser beiden Str¨ome liefert den Reflexionskoeffizienten R der Potentialstufe 2 A (3.273) R = 1 A1 JI =
¨ in Ubereinstimmung mit der Beziehung (1.187) aus Abschnitt 1.12. Entsprechend ist der Transmissionskoeffizient der Stufe das Verh¨altnis aus dem transmittierten Strom JII und dem einfallenden Strom, also 2 k2 A2 , (3.274) T = k1 A1 s. Gl. (1.188) in Abschnitt 1.12.
•
260
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
Fall: E < V0 Der Ausdruck f¨ur die Wellenfunktion ϕI (x) ist derselbe wie im ersten Fall, so dass auch Gl. (3.271) g¨ultig bleibt. Dagegen ist die Wellenfunktion im Bereich II jetzt ϕII (x) = B2 e−ρ2 x ,
(3.275)
weil wir in Gl. (1.192) wieder B2 = 0 setzen m¨ussen. Gl. (3.269) liefert dann JII = 0.
(3.276)
Der transmittierte Fluss ist (im Einklang mit Gl. (1.196)) gleich null. Wie erkl¨art man sich nun die Tatsache, dass im Bereich II der Wahrscheinlichkeitsstrom, nicht aber die Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Teilchens null ist? Hierzu erinnern wir an die Ergebnisse, die wir in Abschnitt 1.13.1 erhalten hatten. Wir sahen dort, dass ein Teil des einfallenden Wellenpakets in den klassisch verbotenen Bereich II eindringt, bevor es seine Richtung umkehrt (dieses Eindringen ist f¨ur die Reflexionsverz¨ogerung verantwortlich). Im station¨aren Fall haben wir daher im Bereich II zwei Wahrscheinlichkeitsstr¨ome: einen positiven Strom, der dem in den Bereich II eindringenden Teil des einfallenden Wellenpakets entspricht, und einen negativen Strom, der die Umkehr dieses Teils in Richtung des Bereichs I beschreibt. Diese beiden Str¨ome heben sich gegenseitig gerade auf. Im eindimensionalen Fall wird so die Struktur des Wahrscheinlichkeitsstroms f¨ur die ged¨ampfte Welle verdeckt. Darum wollen wir f¨ur den zweidimensionalen Fall den schr¨agen Einfall auf eine Potentialstufe untersuchen.
3.7.3 Reflexion an einer zweidimensionalen Potentialstufe Wir betrachten also das folgende zweidimensionale Problem: Ein Teilchen mit der Masse m befinde sich in der x, y-Ebene im Potential V (x, y), das unabh¨angig von y durch V (x, y) = 0, x < 0, V (x, y) = V0 , x > 0
(3.277)
¨ gegeben ist. Analog zu unserer Uberlegung in Abschnitt 1.10.2 ist also die potentielle Energie die Summe aus einem Ausdruck V1 (x) (dem Potential einer eindimensionalen Stufe) und einem Term V2 (y), der hier gleich null ist. Wir k¨onnen daher eine L¨osung der Eigenwertgleichung des Hamilton-Operators in der Form ϕ(x, y) = ϕ1 (x)ϕ2 (y)
(3.278)
suchen. Die Funktionen ϕ1 (x) und ϕ2 (y) gen¨ugen den Eigenwertgleichungen f¨ur den eindimensionalen Fall, in denen das Potential V1 (x) bzw. V2 (y) ist und die Energien E1 und E2 die Bedingung erf¨ullen E1 + E2 = E (Gesamtenergie des Teilchens).
(3.279)
Wir setzen voraus, dass E1 < V0 ist. Die Eigenwertgleichung f¨ur ϕ1 (x) entspricht dann der Totalreflexion im eindimensionalen Fall, und wir k¨onnen die Beziehungen
3.7 Wahrscheinlichkeitsstrom. Spezialf¨alle
261
•
(1.183) und (1.192) aus Abschnitt 1.12 verwenden. Die Funktion ϕ2 (y) ergibt sich sofort, weil sie wegen V2 (y) = 0 zu einem freien Teilchen geh¨ort, sie beschreibt also eine ebene Welle. Wir erhalten so im Bereich I (x < 0) ϕI (x, y) = A ei(kx x+ky y) + A ei(−kx x+ky y) mit
kx =
2mE1 , h2 ¯
ky =
2mE2 ¯h2
(3.280)
(3.281)
und im Bereich II (x > 0) ϕII (x, y) = B e−ρx x eiky y mit
ρx =
2m(V0 − E1 ) . h2 ¯
(3.282)
(3.283)
Die Gleichungen (1.194) und (1.195) aus Abschnitt 1.12 liefern dann die Verh¨altnisse A /A und B/A. Definieren wir mit ρx V0 − E1 π tan θ = (3.284) = (0 ≤ θ ≤ ) kx E1 2 einen Parameter θ, so wird A kx − iρx = = e−2iθ A kx + iρx
(3.285)
2kx B = = 2 cos θ e−iθ . A kx + iρx
(3.286)
und
Setzen wir diese Ergebnisse in die Definitionsgleichung (3.263) f¨ur den Wahrscheinlichkeitsstrom ein, so ergibt sich im Bereich I: ⎫ ⎧ hkx ¯ ⎪ ⎪ 2 2 ⎪ ⎪ (JI )x = [|A| − |A | ] = 0 ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ m ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎬ ⎨ hky ¯ ik x −ik x 2 (3.287) JI = |Ae x + A e x | (JI )y = ⎪ ⎪ m ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ hky ¯ ⎪ ⎪ ⎩ |A|2 [2 + 2 cos (2kx x + 2θ)] ⎭ = m und im Bereich II ⎧ ⎫ ⎨ (JII )x = 0 ⎬ J II = . ¯ ky ¯hky ⎩ (J II)y = h |B|2 e−2ρx x = 4 |A|2 cos2 θ e−2ρx x ⎭ m m
(3.288)
•
262
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
Im Bereich I ist nur die y-Komponente des Wahrscheinlichkeitsstroms von null verschieden und besteht aus zwei Anteilen: – Der erste ist proportional zu 2|A|2 und stammt von der Summe der einfallenden und der reflektierten Welle, s. Abb. 3.18; – der zweite ist proportional zu cos (2kx x+2θ) und beschreibt einen Interferenzeffekt zwischen den beiden Wellen; durch ihn a¨ ndert sich der Strom in Abh¨angigkeit von x harmonisch, s. Abb. 3.19.
Abb. 3.18 Die Summe aus dem einfallenden und dem reflektierten Wahrscheinlichkeitsstrom ergibt einen Strom in y-Richtung.
Abb. 3.19 Als Folge der Interferenz zwischen der einfallenden und der reflektierten Welle oszilliert im Bereich I der Wahrscheinlichkeitsstrom mit x.
Auch im Bereich II ist die Richtung des Wahrscheinlichkeitsstroms zur y-Achse parallel, er unterliegt jetzt aber einer exponentiellen D¨ampfung, die gerade der querged¨ampften Welle entspricht. Dieser Strom r¨uhrt von dem in den zweiten Bereich eindringenden Wellenpaket her, s. Abb. 3.20, das sich vor seiner Umkehr w¨ahrend einer gewissen Verz¨ogerungszeit τ (s. Abschnitt 1.13, Gl. (1.247)) in y-Richtung bewegt. Damit h¨angt auch die Lateralversetzung des Pakets bei seiner Reflexion zusammen, s. Abb. 3.20.
3.8 Standardabweichung konjugierter Observabler
263
•
Abb. 3.20 Das Teilchen kann in den Bereich II eindringen. Dies f¨uhrt zu einer Lateralversetzung bei der Reflexion.
3.8 Standardabweichung konjugierter Observabler Wir nennen die beiden Observablen P und Q konjugiert, wenn ihr Kommutator [Q, P ] gleich i¯ h ist. Wir wollen zun¨achst beweisen, dass die Standardabweichungen (s. Abschnitt 3.3.5) ΔP und ΔQ f¨ur jeden Zustandsvektor des Systems der Beziehung ¯ h (3.289) 2 gen¨ugen. Danach zeigen wir, dass bei Bestehen des Gleichheitszeichens die Wellenfunktion des zugeh¨origen Zustands in der Ortsdarstellung (und in der Impulsdarstellung) ein Gaußsches Wellenpaket ist. ΔP · ΔQ ≥
3.8.1 Unsch¨arferelation fur ¨ P und Q Wir betrachten den Ket |ϕ = (Q + iλP )|ψ,
(3.290)
worin λ ein beliebiger Parameter ist. Das Normquadrat von |ϕ ist positiv (oder gleich null) und kann wie folgt geschrieben werden: ϕ|ϕ = ψ|(Q − iλP )(Q + iλP )|ψ = ψ|Q2 |ψ + ψ|(iλQP − iλP Q)|ψ + ψ|λ2 P 2 |ψ = Q2 + iλ[Q, P ] + λ2 P 2 h + λ2 P 2 ≥ 0. = Q2 − λ¯
(3.291)
Daher ist die Diskriminante dieses Trinoms zweiten Grades in λ negativ oder null, ¯ 2 − 4P 2 Q2 ≤ 0, h
(3.292)
•
264
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
und es gilt P 2 Q2 ≥
¯2 h . 4
(3.293)
Wir nehmen den Vektor |ψ als gegeben an und f¨uhren mit P = P − P = P − ψ|P |ψ, Q = Q − Q = Q − ψ|Q|ψ
(3.294)
zwei weitere Observable ein. Auch diese sind zueinander konjugiert, weil h [Q , P ] = [Q, P ] = i¯
(3.295)
ist. Darum gilt die Beziehung (3.293) auch f¨ur P und Q : ¯2 h . (3.296) 4 Nach Definition der Standardabweichung (Abschnitt 3.3.5, Gl. (3.83)) erkennt man aber, dass wegen Gl. (3.294)
ΔP = P 2 ,
ΔQ = Q2 (3.297) P 2 Q2 ≥
ist, womit wir die Relation (3.296) auch ¯ h (3.298) 2 schreiben k¨onnen. Sind daher zwei Observable zueinander konjugiert (was dann der Fall ist, wenn sie einer klassischen Ortskoordinate xi und derem kanonisch konjugierten Impuls pi zugeordnet sind), so gibt es f¨ur das Produkt ihrer Standardabweichungen ΔP ·ΔQ eine genaue untere Grenze. Diese Aussage verallgemeinert die Heisenbergsche Unsch¨arferelation. ΔP · ΔQ ≥
Bemerkung ¨ Man kann die Uberlegung sofort auf zwei beliebige Observable A und B verallgemeinern und erh¨alt dann die Beziehung ΔA · ΔB ≥
3.8.2
1 | [A, B] |. 2
(3.299)
Minimales“ Wellenpaket ”
Nimmt das Produkt ΔP · ΔQ seinen kleinsten Wert an, d. h. ist ΔP · ΔQ =
¯ h , 2
(3.300)
so sagt man, dass der Zustandsvektor |ψ zu einem minimalen“ Wellenpaket (hinsichtlich ” der Observablen P und Q) geh¨ort.
3.8 Standardabweichung konjugierter Observabler
265
•
¨ Besteht Gl. (3.300), so muss nach unseren eben angestellten Uberlegungen das Normquadrat von |ϕ = (Q + iλP )|ψ
(3.301)
gleich null sein (s. die entsprechende Beziehung (3.291)). Wir gelangen zu einer quadratischen Gleichung in λ, die eine Doppelwurzel λ0 zul¨asst. Bei Wahl von λ = λ0 ist dann der Ket |ϕ null, also (Q + iλ0 P )|ψ = [Q − Q + iλ0 (P − P )]|ψ = 0.
(3.302)
(Ist dagegen ΔP · ΔQ > ¯ h/2, so kann das sich aus ϕ |ϕ ergebende Polynom nie verschwinden, es ist vielmehr f¨ur beliebiges λ positiv.) Als notwendige und hinreichende Bedingung daf¨ur, dass das Produkt ΔP ·ΔQ seinen kleinsten Wert ¯ h/2 annimmt, ergibt sich demnach, dass die Kets (Q − Q)|ψ und (P − P )|ψ zueinander proportional sind. Der Proportionalit¨atsfaktor −iλ0 ist nun leicht zu berechnen. Mit ΔQ · ΔP = h ¯ /2 hat die Gleichung ϕ |ϕ = λ2 (ΔP )2 − λ¯ h + (ΔQ)2 = 0
(3.303)
die Doppelwurzel λ0 =
¯ h 2(ΔQ)2 . = 2 2(ΔP ) h ¯
(3.304)
Wir schreiben Gl. (3.302) in der Ortsdarstellung und nehmen einfachheitshalber an, dass die Eigenwerte q von Q nicht entartet sind. In dieser Darstellung wirkt P wie der h d ¯ Differentialoperator (s. Abschnitt 2.11), und wir erhalten i dq d − Q − iλ0 P ψ(q) = 0 (3.305) q+h ¯ λ0 dq mit ψ(q) = q|ψ.
(3.306)
Zur Integration von Gl. (3.305) ist es zweckm¨aßig, durch die Beziehung ψ(q) = eiP q/¯h θ(q − Q)
(3.307)
die Funktion θ(q) einzuf¨uhren. Man erh¨alt, wenn man Gl. (3.307) in Gl. (3.305) einsetzt, die einfachere Gleichung d h q + λ0 ¯ θ(q) = 0 (3.308) dq mit der L¨osung θ(q) = C e−q
2
/2λ0 h ¯
.
(3.309)
•
266
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
Darin ist C eine beliebige komplexe Konstante. Ber¨ucksichtigen wir Gl. (3.304) und Gl. (3.309), so wird aus Gl. (3.307) % &2 ψ(q) = C eiP q/¯h e
−
q−Q 2ΔQ
(3.310)
.
Zur Normierung dieser Funktion muss man C = [2π(ΔQ)2 ]−1/4
(3.311)
setzen. Wir sind somit zu folgendem Ergebnis gelangt: Nimmt das Produkt ΔP ·ΔQ der Standardabweichungen von P und Q seinen kleinsten Wert ¯h/2 an, so ist die Wellenfunktion in der Ortsdarstellung ein Gaußsches Paket. Man erh¨alt es aus der Gauß-Funktion θ(q) durch die Transformation (3.307), die einen zweimaligen Wechsel des Ursprungs bedeutet, und zwar einen auf der q- und einen auf der p-Achse. Bemerkung ¨ Man kann unsere Uberlegung in der Impulsdarstellung wiederholen und erh¨alt dann die Aussage, dass die durch ψ(p) = p|ψ = √
+∞
1 2π¯ h
dq e−ipq/¯h ψ(q)
(3.312)
−∞
definierte Funktion ebenfalls eine Gauß-Funktion ist. Sie lautet jetzt
2 −1/4
ψ(p) = [2π(ΔP ) ]
−iQp/¯ h
e
−
e
p−P 2ΔP
2 ,
(3.313)
wenn wir von einem Phasenfaktor exp(i Q P /¯ h) absehen.
3.9 Messung an einem Teilsystem Mit dem in Abschnitt 2.6 eingef¨uhrten Begriff des Tensorprodukts konnten wir zeigen, wie man aus den Zustandsr¨aumen von zwei Teilsystemen den Zustandsraum des Gesamtsystems konstruieren kann. Wir wollen hier einen Schritt weitergehen und unter Verwendung der quantenmechanischen Postulate sehen, zu welchen Ergebnissen man gelangen kann, wenn man bei Kenntnis des Zustands des Gesamtsystems nur an einem Teil dieses Systems Messungen durchf¨uhrt.
3.9.1 Berechnung physikalischer Vorhersagen Wir betrachten ein physikalisches System, das aus den Teilen (1) und (2) (z. B. aus zwei Elektronen) besteht. Sind H(1) und H(2) die Zustandsr¨aume der Teile (1) und (2), so ist der Zustand des Gesamtsystems (1) + (2) das Tensorprodukt H(1) ⊗ H(2). So wird z. B. ein System, das aus zwei Elektronen besteht, durch eine von sechs Variablen abh¨angende
3.9 Messung an einem Teilsystem
267
•
Wellenfunktion ψ(x1 , y1 , z1 ; x2 , y2 , z2 ) beschrieben. Sie geh¨ort zu einem Ket aus dem Produktraum Hr (1) ⊗ Hr (2), s. Abschnitt 2.6.4. Man kann sich nun Messungen vorstellen, die nur an einem der beiden Teile (z. B. ˜ am Teil (1)) ausgef¨uhrt werden. Die zu diesen Messungen geh¨orenden Observablen A(1) sind im Raum H(1) ⊗ H(2) durch die Fortsetzungen der Observablen A(1) definiert, die nur12 im Raum H(1) wirken, s. Abschnitt 2.6.2: ˜ A(1) =⇒ A(1) = A(1) ⊗ 1(2).
(3.314)
Darin ist 1(2) der Einheitsoperator im Raum H(2). ˜ Das Spektrum von A(1) in H(1) ⊗ H(2) ist dasselbe wie das von A(1) in H(1). Da˜ gegen hatten wir gesehen, dass alle Eigenwerte von A(1) in H(1) ⊗ H(2) entartet sind, selbst wenn die von A(1) in H(1) einfach sind (nat¨urlich muss dabei H(2) eine Dimension gr¨oßer als eins aufweisen). Falls man eine Messung nur an dem System (1) vornimmt, liegt daher ein Fall vor, bei dem sich das Gesamtsystem nach der Messung in mehreren verschiedenen Zust¨anden befinden kann (der Zustand nach der Messung h¨angt nicht nur vom Messergebnis, sondern auch vom Zustand vor der Messung ab). Physikalisch ist dieser Sachverhalt verst¨andlich: Er entspricht den Freiheitsgraden des Teilsystems (2), u¨ ber das man ja bei der Messung am Teilsystem (1) keine Information zu erhalten sucht. Es sei Pn (1) in H(1) der Projektor, der auf den Eigenraum zum Eigenwert an von A(1) projiziert: Pn (1) =
gn
|uin (1)uin (1)|,
(3.315)
i=1
worin die Kets |uin (1) die gn orthonormierten Eigenvektoren zu an sind. Den Projek˜ tor P˜n (1) in H(1) ⊗ H(2), der auf den Eigenraum zum selben Eigenwert an von A(1) projiziert, erh¨alt man durch Fortsetzung von Pn (1) in den Raum H(1) ⊗ H(2): P˜n (1) = Pn (1) ⊗ 1(2).
(3.316)
Ber¨ucksichtigen wir die Vollst¨andigkeitsrelation f¨ur eine beliebige orthonormierte Basis {|vk (2)} in H(2), so k¨onnen wir f¨ur den Einheitsoperator 1(2) in H(2) 1(2) =
|vk (2)vk (2)|
(3.317)
k
schreiben. Setzt man dies in Gl. (3.316) ein und verwendet Gl. (3.315), so wird P˜n (1) =
gn i=1
|uin (1) vk (2)uin (1) vk (2)|.
(3.318)
k
Bei Kenntnis des Zustands |ψ des Gesamtsystems (er sei auf eins normiert) k¨onnen wir die Wahrscheinlichkeit P (1) (an ) berechnen, mit der wir bei einer Messung von A(1) 12 Der Deutlichkeit halber verwenden wir in diesem Abschnitt unterschiedliche Bezeichnungen f¨ ur die in ˜ H(1) wirkende Observable A(1) und ihre Fortsetzung A(1).
•
268
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
am Teil (1) dieses Systems das Resultat an feststellen. Aus der allgemeinen Beziehung (3.21) aus Abschnitt 3.2 wird hier P (1) (an ) = ψ|P˜n (1)|ψ,
(3.319)
also P (1) (an ) =
gn i=1
|uin (1) vk (2)|ψ|2 .
(3.320)
k
Weiter ist der Zustand |ψ des Systems nach der Messung (s. Gl. (3.38)) durch P˜n (1)|ψ |ψ = ψ|P˜n (1)|ψ
(3.321)
gegeben. Mit Gl. (3.318) erh¨alt man schließlich gn
|ψ =
i=1
|uin (1) vk (2)uin (1) vk (2)|ψ
k , - - gn i . |un (1) vk (2)|ψ|2 i=1
.
(3.322)
k
Bemerkungen 1. Die Wahl einer orthonormierten Basis {|vk (2) } in H(2) ist beliebig; man erkennt an den Gleichungen (3.316), (3.319) und (3.321), dass die das Teilsystem (1) betreffenden Vorhersagen nicht von dieser Wahl abh¨angen. Das ist physikalisch klar, denn wenn am Teilsystem (2) keine Messung ausgef¨uhrt wird, kann kein Zustand bzw. keine Menge von Zust¨anden dieses Teilsystems eine bevorzugte Rolle spielen. 2. Ist der Zustand |ψ vor der Messung ein tensorielles Produkt, |ψ = |ϕ(1) ⊗ |χ(2)
(3.323)
(die Zust¨ande |ϕ(1) und |χ(2) seien in H(1) bzw. H(2) normiert), so erkennt man u¨ ber Gl. (3.316) und Gl. (3.321), dass auch der Zustand |ψ ein tensorielles Produkt ist. Es gilt dann |ψ = |ϕ (1) ⊗ |χ(2)
(3.324)
Pn (1)|ϕ(1) |ϕ (1) = .
ϕ(1)|Pn (1)|ϕ(1)
(3.325)
mit
Nur der Zustand des Teilsystems (1) hat sich ge¨andert. 3. Ist der Eigenwert an von A(1) in H(1) nichtentartet, oder symbolisiert A(1) allgemeiner einen vollst¨andigen Satz kommutierender Observabler in H(1), so ist der Index i in Gl. (3.315) und den folgenden nicht n¨otig. Man sieht dann, dass der Zustand des Systems nach einer Messung mit dem Ergebnis an stets als ein Produkt aus zwei Vektoren geschrieben werden kann. So kann Gl. (3.322) auf die Form |ψ = |un (1) ⊗ |χ (2)
(3.326)
3.9 Messung an einem Teilsystem
269
•
gebracht werden, wobei der normierte Vektor |χ (2) ∈ H(2) durch
|vk (2) un (1) vk (2)|ψ
|χ (2) = k
(3.327) | un (1) vk (2)|ψ |2
k
gegeben ist. Ist daher eine Messung am Teilsystem (1) hinsichtlich dieses Teils vollst¨andig, so ist f¨ur jeden Zustand |ψ des Gesamtsystems vor der Messung der Zustand dieses Gesamtsystems nach der ausschließlich an (1) vorgenommenen Messung ein tensorielles Produkt. Das Gleiche gilt nat¨urlich, wenn umgekehrt eine Messung nur am Teilsystem (2) geschieht.
3.9.2 Physikalische Bedeutung des Tensorprodukts Um die physikalische Bedeutung eines Produktzustands zu erkennen, wenden wir die vorstehenden Ergebnisse auf den speziellen Fall an, bei dem der Anfangszustand des Gesamtsystems die Form (3.323) hat. Mit Gl. (3.319) und Gl. (3.316) erhalten wir sofort die Wahrscheinlichkeit P (1) (an ) = ϕ(1) χ(2)|Pn (1) ⊗ 1(2)|ϕ(1) χ(2).
(3.328)
Beachten wir die Definition des Tensorprodukts Pn (1) ⊗ 1(2) und die Tatsache, dass |χ(2) normiert ist, so k¨onnen wir dies umschreiben: P (1) (an ) = ϕ(1)|Pn (1)|ϕ(1)χ(2)|1(2)|χ(2) = ϕ(1)|Pn (1)|ϕ(1).
(3.329)
(1)
Somit h¨angt die Wahrscheinlichkeit P (an ) nicht von |χ(2), sondern nur von |ϕ(1) ab. Falls also der Zustand des Gesamtsystems die Form (3.323) besitzt, h¨angen physikalische Aussagen, die sich nur auf eines der beiden Teilsysteme beziehen, nicht davon ab, in welchem Zustand sich der andere Teil befindet. Sie werden vollst¨andig mit Hilfe von |ϕ(1) bzw. |χ(2) ausgedr¨uckt, je nachdem welches der beiden Teilsysteme man gerade beobachtet. Hiernach repr¨asentiert ein Produktzustand ein einfaches Nebeneinanderstellen oder Zusammenf¨ugen von zwei Systemen, von denen sich das eine im Zustand |ϕ(1) und das andere im Zustand |χ(2) befindet. Man sagt auch, dass die beiden Systeme in einem derartigen Zustand nicht korreliert seien (genauer geh¨oren die Messergebnisse, die entweder das eine oder das andere System betreffen, zu unabh¨angigen Zufallsvariablen). Eine derartige Situation ergibt sich, wenn man die beiden Systeme getrennt in den Zust¨anden |ϕ(1) und |χ(2) pr¨apariert und sie dann, ohne dass sie miteinander in Wechselwirkung treten, vereinigt.
3.9.3 Allgemeiner Zustand Wir betrachten jetzt den Fall, bei dem der Zustand des Gesamtsystems kein Produktzustand ist, bei dem also |ψ nicht in der Form |ϕ(1) ⊗ |χ(2) geschrieben werden kann.
•
270
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
Voraussagen u¨ ber Ergebnisse von Messungen, die man nur an einem der beiden Teilsysteme durchf¨uhrt, k¨onnen dann nicht mehr nur in Abh¨angigkeit von |ϕ(1) (bei einer Beobachtung von (1)) bzw. nur von |χ(2) (bei einer Beobachtung von (2)) ausgedr¨uckt werden. Man muss vielmehr die allgemeinen Beziehungen (3.319) und (3.320) verwenden. Ohne Beweis geben wir hier nur an, dass in einem solchen Fall zwischen den beiden Teilsystemen (1) und (2) eine Korrelation besteht: Die Ergebnisse von Messungen, die entweder an dem Teilsystem (1) oder dem Teilsystem (2) vorgenommen werden, geh¨oren zu Zufallsvariablen, die nicht mehr voneinander unabh¨angig, sondern korreliert sind. So kann man z. B. zeigen, dass eine Wechselwirkung zwischen den beiden Systemen einen anf¨anglichen Produktzustand in einen Zustand transformiert, der nicht mehr als Produktzustand geschrieben werden kann: Im Allgemeinen f¨uhrt jede Wechselwirkung der beiden Systeme zu einer Korrelation zwischen ihnen. Falls der Zustand des Gesamtsystems kein Produktzustand |ϕ(1) ⊗ |χ(2) ist und man nicht mehr dem System (1) den Ket |ϕ(1) bzw. dem System (2) den Ket |χ(2) zuordnen kann, so stellt sich weiter die Frage, wie eine Beschreibung des Systems (1) bzw. des Systems (2) u¨ berhaupt m¨oglich ist. Diese Frage ist sehr wichtig, weil im Allgemeinen jedes physikalische System in der Vergangenheit mit anderen Systemen in Wechselwirkung stand, selbst wenn es im Augenblick seiner Beobachtung isoliert ist. Der Zustand des Gesamtsystems {System (1) + System (2) + Systeme, die in der Vergangenheit mit ihnen wechselwirkten} ist im Allgemeinen kein Produktzustand, und es ist nicht m¨oglich, dem System (1) allein einen Zustandsvektor |ϕ(1) zuzuordnen. Zur L¨osung dieser Schwierigkeiten muss das System (1) vielmehr durch einen Operator, den sogenannten Dichteoperator, beschrieben werden. Dieser Begriff bildet die Grundlage der Quantenstatistik. In Abschnitt 3.10.5 geben wir einige Hinweise auf diesen Formalismus. Dagegen kann das System (1) stets durch einen Zustandsvektor beschrieben werden, wenn man an ihm eine vollst¨andige Messung ausf¨uhrt. Wie wir weiter oben (Gleichungen (3.326) und (3.327)) sahen, gelangt das Gesamtsystem (1) + (2) bei einer vollst¨andigen Messung am System (1) in einen Produktzustand, wobei der dem System (1) zugeordnete Vektor gleich dem (bis auf einen Faktor) eindeutigen Eigenvektor zu den Ergebnissen der vollst¨andigen Messung ist, die am System (1) vorgenommen wurde. Durch diese Messung verschwinden also alle Korrelationen, die sich aus den vorhergehenden Wechselwirkungen mit dem System (2) ergeben haben. Wenn im Augenblick der Messung das System (2) gen¨ugend weit entfernt ist und mit dem System (1) nicht mehr in Wechselwirkung steht, so kann man es im weiteren Verlauf einfach vergessen. Bemerkung Falls der Zustandsvektor |ψ vor der Messung keinen Produktzustand beschreibt, so kann man anhand der Beziehung (3.327) zeigen, dass der Zustandsvektor |χ (2) des Systems (2) nach der Messung vom Ergebnis der vollst¨andigen Messung am System (1) abh¨angt (aufgrund der Bemerkung (2) im vorangegangenen Abschnitt ist dies nicht der Fall, wenn |ψ ein Produktzustand ist). Dies erscheint zun¨achst u¨ berraschend: Der Zustand des Systems (2) h¨angt nach einer vollst¨andigen Messung am System (1) selbst dann von den Ergebnissen dieser Messung ab, wenn das System (2) im Augenblick der Messung bereits sehr weit vom System (1) entfernt ist und nicht mehr mit ihm in Wechselwirkung steht. Es handelt sich hier um das Einstein-Podolsky-Rosen-Paradoxon, das in der Literatur ausf¨uhrlich diskutiert wird.
3.10 Der Dichteoperator
271
•
3.10 Der Dichteoperator 3.10.1 Problemstellung Bis jetzt haben wir uns ausschließlich mit Systemen befasst, deren Zustand vollst¨andig bekannt ist. Wir haben gezeigt, wie man ihre zeitliche Entwicklung untersuchen und Messergebnisse vorhersagen kann. Zur Bestimmung des Zustands eines Systems zu einem bestimmten Zeitpunkt gen¨ugt es, die Observablen eines vollst¨andigen Satzes kommutierender Observabler (v. S. k. O.) zu messen. So ist z. B. beim Versuch, der in Abschnitt 1.1.3 behandelt wurde, der Polarisationszustand der Photonen vollst¨andig bekannt, wenn der Lichtstrahl den Polarisator durchquert. Praktisch ist indessen der Zustand des Systems oft nur unvollst¨andig bestimmt. Das ist etwa beim Polarisationszustand von Photonen der Fall, die von einer nat¨urlichen (unpolarisierten) Lichtquelle ausgesandt werden, oder auch bei einem Atomstrahl, den ein Ofen mit der Temperatur T emittiert; hier ist die kinetische Energie nur statistisch bekannt. Das Problem hinsichtlich der quantenmechanischen Beschreibung besteht in diesen F¨allen darin, in den Formalismus die unvollst¨andige Information u¨ ber den Systemzustand so einzubeziehen, dass man dann m¨oglichst umfassende Vorhersagen machen kann. Man f¨uhrt dazu den mathematischen Begriff des Dichteoperators ein. Dieser erleichtert die gleichzeitige Anwendung der quantenmechanischen Postulate und die Berechnung der Wahrscheinlichkeiten.
3.10.2 Statistisches Zustandsgemisch Ist ganz allgemein die Information u¨ ber ein System nicht vollst¨andig, so beruft man sich stets auf den Begriff der Wahrscheinlichkeit. So weiß man z. B., dass ein von einer nat¨urlichen Lichtquelle ausgesandtes Photon mit der gleichen Wahrscheinlichkeit jeden Polarisationszustand besitzen kann. Oder befindet sich ein System bei der Temperatur T im Gleichgewicht, so ist die Wahrscheinlichkeit daf¨ur, dass es sich in einem Zustand mit der Energie En befindet, proportional zu e−En /kT . In der Quantenmechanik zeigt sich die Unvollst¨andigkeit der Information u¨ ber ein System sehr h¨aufig darin, dass man weiß, das System kann sich mit einer Wahrscheinlichkeit p1 im Zustand |ψ1 , mit der Wahrscheinlichkeit p2 im Zustand |ψ2 , . . . befinden. Offensichtlich ist p1 + p2 + . . . =
pk = 1.
(3.330)
k
Man sagt dann, man habe es mit einem statistischen Gemisch der Zust¨ande |ψ1 , |ψ2 , . . . zu tun. Im Folgenden wollen wir sehen, wie man zu Vorhersagen u¨ ber die Ergebnisse gelangen kann, wenn man an diesem System Messungen vornimmt. Ist der Zustand des Systems etwa |ψk , so k¨onnte man mit den Postulaten die Wahrscheinlichkeit f¨ur das Auftreten eines bestimmten Resultats berechnen. Geh¨ort zu diesem Zustand die Wahr-
•
272
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
scheinlichkeit pk , so muss man offensichtlich die berechneten Werte mit pk gewichten und dann u¨ ber die verschiedenen k, d. h. u¨ ber alle Zust¨ande des Gemischs, summieren. Bemerkungen 1. Die Zust¨ande |ψ1 , |ψ2 , . . . m¨ussen nicht orthogonal sein. Man kann sie jedoch immer geeignet normieren, was wir in diesem Abschnitt voraussetzen wollen. 2. Die Wahrscheinlichkeiten treten hier auf zwei verschiedenen Ebenen auf: – zum einen in der Information u¨ ber den Anfangszustand des Systems (bisher hatten wir an dieser Stelle u¨ berhaupt nicht von Wahrscheinlichkeiten gesprochen: Der Zustandsvektor war vollst¨andig bekannt, die Wahrscheinlichkeiten pk w¨aren bis auf eine gleich null, diese h¨atte den Wert 1); – zum anderen bei der Anwendung der Quantenpostulate auf die Messung (was zu Wahrscheinlichkeitsaussagen f¨uhrt, obwohl der Anfangszustand des Systems v¨ollig bekannt ist). Es handelt sich also um g¨anzlich verschiedene Gr¨unde, die zur Einf¨uhrung von Wahrscheinlichkeiten zwingen: einerseits die Unvollst¨andigkeit in der Information u¨ ber den Anfangszustand des Systems (diese Situation begegnet uns auch in der klassischen statistischen Mechanik), andererseits die (spezifisch quantenmechanische) Unsicherheit, die mit dem Messprozess zusammenh¨angt. 3. Man darf ein System, bei dem die Information durch ein statistisches Gemisch von Zust¨anden gegeben ist (Wahrscheinlichkeit pk daf¨ur, dass der Zustandsvektor |ψk ist), nicht mit einem System verwechseln, dessen Zustand durch eine (lineare) Superposition |ψ =
ck |ψk
(3.331)
k
von Zust¨anden13 gegeben ist. Hier sagt man in der Quantenmechanik oft, das System besitze eine ” Wahrscheinlichkeit |ck |2 , sich im Zustand |ψk zu befinden“. Darunter versteht man jedoch folgenden Sachverhalt: F¨uhrt man eine Reihe von Messungen aus, die zu einem vollst¨andigen Satz kommutierender Observabler geh¨oren und f¨ur den |ψk ein Eigenvektor ist, so ist die Wahrscheinlichkeit, die zu diesem Ket geh¨orenden Eigenwerte zu finden, gleich |ck |2 . Wir halten aber fest, dass ein System in einem Zustand, der durch Gl. (3.331) gegeben ist, nicht einfach a¨ quivalent zu einem System ist, dass mit der Wahrscheinlichkeit |c1 |2 im Zustand |ψ1 , der Wahrscheinlichkeit |c2 |2 im Zustand |ψ2 usw. ist. Bei einer Linearkombination der |ψk treten n¨amlich zwischen diesen Zust¨anden die in der Quantenmechanik sehr wichtigen Interferenzeffekte auf (sie r¨uhren von den gemischten Termen ck c∗k her, die bei Bildung des Betragsquadrats der Wahrscheinlichkeitsamplituden entstehen). Nun ist auch verst¨andlich, weshalb es in der Quantenmechanik im allgemeinen unm¨oglich ist, ein statistisches Gemisch durch einen mittleren Zustandsvektor“ in Form einer Superposition der ” |ψk zu beschreiben: Bildet man eine Summe von gewichteten Wahrscheinlichkeiten, so kann man nie Interferenzterme zwischen den verschiedenen |ψk erhalten, aus denen das Gemisch besteht.
3.10.3 Reiner Fall. Einfuhrung ¨ des Dichteoperators Zur Untersuchung des Verhaltens eines statistischen Gemischs haben wir bereits einen ersten Weg angegeben: Man berechnet f¨ur die m¨oglichen Zust¨ande |ψk die physikali13 An dieser Stelle wollen wir voraussetzen, dass die Zust¨ ande |ψk orthonormiert sind. Diese Annahme ist nicht wesentlich, vereinfacht jedoch die Diskussion.
3.10 Der Dichteoperator
273
•
schen Vorhersagen, gewichtet die Ergebnisse mit den Wahrscheinlichkeiten pk und summiert anschließend u¨ ber k. Diese Methode ist zwar korrekt, f¨uhrt aber oft zu recht unbequemen Rechnungen. Stattdessen erlaubt der Begriff des Dichteoperators eine einfache und elegante Beschreibung von Zustandsgemischen. Vor der allgemeinen Behandlung wollen wir auf den einfachen Fall zur¨uckkommen, bei dem der Zustand eines Systems v¨ollig bekannt ist, bei dem also s¨amtliche Wahrscheinlichkeiten pk bis auf eine gleich null sind. Wir sprechen dann von einem reinen Fall. Hier kann man in a¨ quivalenter Weise den Systemzustand entweder durch den Vektor |ψ charakterisieren oder aber durch einen im Zustandsraum wirkenden Operator. Unser Interesse an diesem Operator wird in Abschnitt 3.10.4 deutlich werden: Es zeigt sich n¨amlich, dass fast alle Beziehungen, die wir im Folgenden f¨ur den reinen Fall aufstellen werden, auch f¨ur die Beschreibung eines Zustandsgemischs g¨ultig bleiben.
Beschreibung durch den Zustandsvektor Der Zustandsvektor eines Systems sei zur Zeit t durch cn (t)|un |ψ(t) =
(3.332)
n
gegeben, wobei die Menge {|un } im Zustandsraum eine diskrete orthonormierte Basis bildet (die Verallgemeinerung auf eine kontinuierliche Basis bereitet keine Schwierigkeiten). Die Koeffizienten cn (t) gen¨ugen der Beziehung |cn (t)|2 = 1, (3.333) n
die zum Ausdruck bringt, dass |ψ(t) normiert ist. Ist A eine Observable mit den Matrixelementen un |A|up = Anp ,
(3.334)
so ist der Erwartungswert von A zum Zeitpunkt t A(t) = ψ(t)|A|ψ(t) = c∗n (t)cp (t)Anp .
(3.335)
n,p
Die Bewegungsgleichung f¨ur |ψ(t) ist schließlich die Schr¨odinger-Gleichung d |ψ(t) = H(t)|ψ(t) dt mit dem Hamilton-Operator H(t). i¯ h
(3.336)
Beschreibung durch den Dichteoperator Die Beziehung (3.335) zeigt, dass die Koeffizienten cn (t) in den Erwartungswerten als ¨ sind sie nichts quadratische Ausdr¨ucke von der Form c∗n (t)cp (t) auftreten. Im Ubrigen
•
274
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
anderes als die Matrixelemente des Operators |ψ(t)ψ(t)|, dem Projektor auf den Ket |ψ(t) (s. Abschnitt 2.2.3), denn nach Gl. (3.332) ist up |ψ(t)ψ(t)|un = c∗n (t)cp (t).
(3.337)
Es liegt daher nahe, durch die Definition ρ(t) = |ψ(t)ψ(t)|
(3.338)
den Dichteoperator ρ(t) einzuf¨uhren. In der {|un }-Basis wird dieser Operator durch die Dichtematrix mit den Elementen ρpn (t) = up |ρ(t)|un = c∗n (t)cp (t)
(3.339)
dargestellt. Wir zeigen, dass die Angabe von ρ(t) zur (quantenmechanischen) Charakterisierung des Systemzustands ausreicht, dass man also s¨amtliche physikalische Aussagen, die sich aus dem Zustandsvektor |ψ(t) ergeben, auch mit Hilfe des Dichteoperators ermitteln kann. Hierzu dr¨ucken wir die Beziehungen (3.333), (3.335) und (3.336) in Abh¨angigkeit vom Operator ρ(t) aus. Nach Gl. (3.333) und Gl. (3.339) ist die Summe der Diagonalelemente der Dichtematrix, also ihre Spur, gleich eins: |cn (t)|2 = ρnn (t) = Sp{ρ(t)} = 1. (3.340) n
n
Andererseits geht mit Gl. (3.334) und (3.339) die Gl. (3.335) u¨ ber in up |ρ(t)|un un |A|up A(t) = n,p
=
up |ρ(t)A|up
p
= Sp{ρ(t)A}.
(3.341)
¨ Die zeitliche Anderung von ρ(t) ergibt sich schließlich aus der Schr¨odinger-Gleichung d d d ρ(t) = |ψ(t) ψ(t)| + |ψ(t) ψ(t)| dt dt dt 1 1 = H(t)|ψ(t)ψ(t)| + |ψ(t)ψ(t)|H(t) i¯ h (−i¯ h) 1 = [H(t), ρ(t)]. (3.342) i¯ h Wir fassen zusammen: Mit dem Dichteoperator wird die Wahrscheinlichkeitserhaltung durch die Beziehung Sp{ρ(t)} = 1
(3.343)
ausgedr¨uckt. Der Erwartungswert einer Observablen A ergibt sich aus der Gleichung A(t) = Sp{Aρ(t)} = Sp{ρ(t)A},
(3.344)
3.10 Der Dichteoperator
275
•
¨ und die zeitliche Anderung wird durch die Differentialgleichung i¯ h
d ρ(t) = [H(t), ρ(t)] dt
(3.345)
bestimmt. Um schließlich die Wahrscheinlichkeit P(an ) zu erhalten, mit der man bei einer Messung der Observablen A zum Zeitpunkt t die Werte an findet, erinnern wir uns daran, dass nach Gl. (3.21) (Abschnitt 3.2) P(an ) gleich dem Erwartungswert des Projektors Pn auf den zu an geh¨orenden Eigenraum von A, also P(an ) = ψ(t)|Pn |ψ(t)
(3.346)
ist. Nach Gl. (3.344) ergibt sich dann P(an ) = Sp{Pn ρ(t)}.
(3.347)
Eigenschaften des Dichteoperators beim reinen Fall Beim reinen Fall kann ein System sowohl durch einen Dichteoperator wie durch einen Zustandsvektor beschrieben werden, doch bietet der Dichteoperator in manchen F¨allen eine Reihe von Vorteilen. Zun¨achst zeigt Gl. (3.338), dass die beiden Vektoren |ψ(t) und eiθ |ψ(t) (mit einer beliebigen reellen Zahl θ), die physikalisch denselben Zustand charakterisieren, zum selben Dichteoperator geh¨oren. Durch den Gebrauch des Dichteoperators wird daher der manchmal st¨orende globale Phasenfaktor beim Zustandsvektor unterdr¨uckt. Weiter sieht man, dass die Beziehungen (3.343), (3.344) und (3.347) in Bezug auf den Dichteoperator linear sind, w¨ahrend in den Ausdr¨ucken (3.335) und (3.346) der Zustandsvektor |ψ(t) quadratisch auftritt. Dies ist eine wichtige Eigenschaft, die sich im Folgenden als n¨utzlich erweisen wird. Schließlich ergeben sich aus der Definition des Dichteoperators (Gl. (3.338)) sofort einige weitere Eigenschaften: ρ† (t) = ρ(t)
(3.348)
(der Dichteoperator ist hermitesch), ρ2 (t) = ρ(t)
(3.349)
(der Dichteoperator ist ein Projektor), Sp{ρ2 (t)} = 1.
(3.350)
Die beiden letzten Eigenschaften besitzt der Dichteoperator nur beim reinen Fall, nicht dagegen bei einem Zustandsgemisch.
•
276
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
3.10.4 Statistisches Gemisch. Gemischter Fall Definition des Dichteoperators Wir kehren jetzt zu dem in Abschnitt 3.10.1 beschriebenen allgemeinen Fall zur¨uck und betrachten ein System, f¨ur das (zu einem bestimmten Zeitpunkt) die Wahrscheinlichkeiten p1 , p2 , . . . , pk , . . . beliebig sein k¨onnen, wenn sie nur den Bedingungen 0 ≤ p1 , p2 , . . . , pk , . . . ≤ 1, pk = 1
(3.351)
k
gen¨ugen. Wie berechnet man dann die Wahrscheinlichkeit P(an ) daf¨ur, dass bei einer Messung der Observablen A das Ergebnis an ist? Es sei Pk (an ) = ψk |Pn |ψk
(3.352)
die Wahrscheinlichkeit, mit der man den Wert an messen w¨urde, wenn der Zustandsvektor |ψk w¨are. Um die gesuchte Wahrscheinlichkeit P(an ) zu erhalten, muss man, wie wir bereits feststellten, Pk (an ) mit pk gewichten und anschließend u¨ ber k summieren: P(an ) = pk Pk (an ). (3.353) k
Nun ist gem¨aß Gl. (3.347) Pk (an ) = Sp{ρk Pn }
(3.354)
mit dem zum Zustand |ψk geh¨orenden Dichteoperator ρk = |ψk ψk |.
(3.355)
Wird Gl. (3.354) in Gl. (3.353) eingesetzt, so erhalten wir P(an ) = pk Sp{ρk Pn } k
= Sp
pk ρk Pn
k
= Sp{ρPn }, wenn man ρ=
p k ρk
(3.356)
(3.357)
k
setzt. Wir sehen also, dass wegen der Linearit¨at der Beziehungen, die den Dichteoperator verwenden, alle physikalischen Aussagen mit Hilfe von ρ, dem Mittel aus den Dichteoperatoren ρk , ausgedr¨uckt werden k¨onnen. Dieser Operator ist per Definition der Dichteoperator des Systems f¨ur den gemischten Fall.
3.10 Der Dichteoperator
277
•
Allgemeine Eigenschaften des Dichteoperators Da die Koeffizienten pk reell und die Operatoren ρk hermitesch sind, ist ρ offensichtlich auch hermitesch. Berechnen wir die Spur von ρ, so ist zun¨achst pk Sp{ρk }. (3.358) Sp{ρ} = k
Wie wir aber in Abschnitt 3.10.3 sahen, ist die Spur der ρk stets gleich eins. Damit folgt Sp{ρ} = pk = 1, (3.359) k
die Gl. (3.343) gilt also allgemein. In Gl. (3.356) hatten wir die Wahrscheinlichkeit P(an ) bereits in Abh¨angigkeit vom Dichteoperator ρ angegeben. Geht man von diesem Ausdruck aus, so kann man sofort Gl. (3.344) auf den gemischten Fall verallgemeinern. Es ist A = an P(an ) = Sp{ρ an Pn } n
n
= Sp{ρA},
(3.360)
wobei wir Gl. (2.231) aus Abschnitt 2.4.2 beachten. Bei der Frage nach der Zeitabh¨angigkeit des Dichteoperators wollen wir voraussetzen, dass der Hamilton-Operator H(t) des Systems im Gegensatz zu seinem Zustand vollst¨andig bekannt ist. Ist dann das System zum Anfangszeitpunkt t0 mit der Wahrscheinlichkeit pk im Zustand |ψk , so ist es mit derselben Wahrscheinlichkeit pk zu einem sp¨ateren Zeitpunkt t in dem Zustand |ψk (t), der sich als L¨osung des Anfangswertproblems d i¯ h |ψk (t) = H(t)|ψk (t), (3.361) dt |ψk (t0 ) = |ψk ergibt. Damit ist der Dichteoperator zur Zeit t pk ρk (t) ρ(t) =
(3.362)
k
mit ρk (t) = |ψk (t)ψk (t)|.
(3.363)
Die Operatoren ρk (t) gen¨ugen der Differentialgleichung i¯ h
d ρk (t) = [H(t), ρk (t)]. dt
(3.364)
Weil die Gleichungen (3.362) und (3.364) in den ρk (t) linear sind, folgt i¯ h
d ρ(t) = [H(t), ρ(t)]. dt
(3.365)
•
278
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
Somit konnten wir mit Ausnahme der Beziehungen (3.349) und (3.350) alle Zusammenh¨ange aus Abschnitt 3.10.3 auf den Fall eines statistischen Gemischs verallgemeinern. Der Dichteoperator ist jetzt aber kein Projektor, vielmehr gilt im allgemeinen14 ρ2 = ρ
(3.366)
und folglich Sp{ρ2 } ≤ 1.
(3.367)
Damit ein reiner Fall vorliegt, gen¨ugt es u¨ brigens, wenn eine der beiden Gleichungen (3.349) oder (3.350) erf¨ullt ist. Endlich ersieht man aus der Definition (3.357), dass f¨ur einen beliebigen Ket |u gilt pk u|ρk |u u|ρ|u = k
=
pk |u|ψk |2
(3.368)
k
und folglich u|ρ|u ≥ 0.
(3.369)
Der Dichteoperator ρ ist ein positiver Operator.
Besetzung. Koh¨arenz Welche physikalische Bedeutung haben die Matrixelemente ρnp des Dichteoperators ρ in der {|un }-Darstellung? F¨ur das Diagonalelement ρnn gilt nach Gl. (3.357) zun¨achst ρnn = pk [ρk ]nn , (3.370) k
d. h. wir haben unter Verwendung von Gl. (3.355) und durch Einf¨uhrung der Komponenten c(k) n = un |ψk
(3.371)
von |ψk in der {|un }-Basis 2 ρnn = pk |c(k) n | .
(3.372)
k
14 Nehmen wir z. B. an, dass die Zust¨ ande |ψk untereinander orthogonal sind. In einer orthonormierten Basis, die die |ψk enth¨alt, ist ρ diagonal und seine Elemente sind gerade die Gewichtskoeffizienten pk . Um ρ2 zu erhalten, muss man nur die pk durch p2k ersetzen. Dann folgen die Beziehungen (3.366) und (3.367) aus der Tatsache, dass die pk stets kleiner als eins sind (von dem speziellen Fall abgesehen, bei dem alle Koeffizienten bis auf einen verschwinden; das ist aber der reine Fall).
3.10 Der Dichteoperator
279
•
(k)
Hierin ist |cn |2 eine reelle, positive Zahl und bedeutet physikalisch die Wahrscheinlichkeit, mit der man bei einer Messung das System im Zustand |un findet, falls es vor der Messung im Zustand |ψk war. Tr¨agt man der Unbestimmtheit des Zustands vor der Messung Rechnung, so repr¨asentiert ρnn die mittlere Wahrscheinlichkeit daf¨ur, das System im Zustand |un zu finden. Man nennt daher das Diagonalelement ρnn der Dichtematrix die Besetzung des Zustands |un : F¨uhrt man unter denselben Anfangsbedingungen dieselbe Messung N -mal (N groß) aus, so wird man das System N ρnn -mal im Zustand |un finden. Nach Gl. (3.372) ist klar, dass ρnn eine reelle und nichtnegative Zahl ist, die nur (k) dann verschwindet, wenn alle |cn |2 gleich null sind. F¨ur die nichtdiagonalen Matrixelemente ρnp erhalten wir in einer analogen Rechnung den Ausdruck (k)∗ ρnp = pk c(k) . (3.373) n cp k (k) (k)∗ cn cp
ein gemischter Term von der Art, wie wir ihn in Abschnitt 3.5.1 unterDarin ist sucht haben. Er ist f¨ur die Interferenzeffekte zwischen den Zust¨anden |un und |up verantwortlich, die dann auftreten k¨onnen, wenn der Zustand |ψk eine koh¨arente (lineare) Superposition dieser Zust¨ande ist; ρnp ist das Mittel dieser Terme u¨ ber alle Zust¨ande, die im Gemisch auftreten. Im Unterschied zu den Diagonalelementen k¨onnen die ρnp auch (k) (k)∗ verschwinden, wenn kein Produkt cn cp null ist, weil es sich bei ihnen um Summen von komplexen Zahlen handelt. Ist ein Matrixelement ρnp gleich null, so bedeutet dies, dass im Mittel alle Interferenzeffekte zwischen |un und |up verschwinden; dagegen besteht zwischen diesen Zust¨anden eine gewisse Koh¨arenz, falls ρnp von null verschieden ist. Aus diesem Grund bezeichnet man die Nichtdiagonalelemente der Dichtematrix h¨aufig als Koh¨arenzen. Bemerkungen 1. Offensichtlich h¨angt die Unterscheidung zwischen den Diagonal- und den Nichtdiagonalelementen der Dichtematrix von der Wahl der Basis {|un } ab. Weil ρ hermitesch ist, kann man stets eine orthonormierte Basis {|χl } finden, in der ρ diagonal ist. Dann kann man ρ in der Form ρ=
πl |χl χl |
(3.374)
l
schreiben. Weil ρ positiv und seine Spur gleich eins ist, hat man 0 ≤ πl ≤ 1,
πl = 1.
(3.375)
l
Man kann dann ρ als den Dichteoperator auffassen, der ein statistisches Gemisch aus den Zust¨anden |χl mit den Wahrscheinlichkeiten πl beschreibt, wobei es zwischen den Zust¨anden |χl keine Koh¨arenzen gibt. 2. Sind die Basiskets |un die Eigenvektoren des Hamilton-Operators H und ist dieser nicht zeitabh¨angig, gilt also H|un = En |un ,
(3.376)
•
280
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
so erh¨alt man aus Gl. (3.365) sofort die Beziehungen d ρ (t) = 0, i¯ h dt nn d i¯ h dt ρnp (t) = (En − Ep )ρnp . Darum ist
(3.377)
ρnn (t) = const, i
ρnp (t) = e h¯ (Ep −En )t ρnp (0).
(3.378)
Die Diagonalelemente sind konstant, w¨ahrend die Nichtdiagonalelemente mit den Bohr-Frequenzen des Systems oszillieren. 3. Mit der Beziehung (3.369) kann man die Ungleichung ρnn ρpp ≥ |ρnp |2
(3.379)
beweisen. Hieraus folgt z. B., dass ρ nur Koh¨arenzen zwischen Zust¨anden aufweisen kann, f¨ur die die Besetzungen nicht null sind.
3.10.5 Beispiele fur ¨ den Dichteoperator System im thermodynamischen Gleichgewicht Unser erstes Beispiel stammt aus der Quantenstatistik. Wir betrachten ein System, das mit einem Thermostaten der Temperatur T im thermodynamischen Gleichgewicht steht. Wie man zeigen kann, ist sein Dichteoperator dann ρ = Z −1 e−H/kT ,
(3.380)
worin H der Hamilton-Operator des Systems, k die Boltzmann-Konstante und Z ein Normierungsfaktor ist, der so festgelegt wird, dass die Spur von ρ gleich eins ist: 5 6 Z = Sp e−H/kT (3.381) (Z heißt die Zustandssumme). W¨ahlt man die Eigenvektoren |un von H zur Basis, so wird (s. Abschnitt 2.8.4) ρnn = Z −1 un |e−H/kT |un = Z −1 e−En /kT
(3.382)
und ρnp = Z −1 un |e−H/kT |up = Z −1 e−Ep /kT un |up = 0.
(3.383)
Im thermodynamischen Gleichgewicht sind die Besetzungen der station¨aren Zust¨ande exponentiell fallende Funktionen der Energie (wobei der Abfall umso rascher erfolgt, je tiefer die Temperatur T ist) und die Koh¨arenzen zwischen den station¨aren Zust¨anden gleich null.
3.10 Der Dichteoperator
281
•
Beschreibung eines Teilsystems. Verkurzung ¨ Wir kehren jetzt zu dem in Abschnitt 3.9.3 angeschnittenen Problem zur¨uck. Wir betrachten also zwei verschiedene Teilsysteme (1) und (2) und das Gesamtsystem (1) + (2), dessen Zustandsraum das Tensorprodukt H = H(1) ⊗ H(2)
(3.384)
der beiden Zustandsr¨aume f¨ur das Teilsystem (1) und (2) ist. Es sei {|un (1)} eine Basis in H(1) und {|vp (2)} eine Basis in H(2). Dann bilden die Kets |un (1)|vp (2) eine Basis in H. Der Dichteoperator ρ des Gesamtsystems ist ein Operator, der im Raum H wirkt. In Abschnitt 2.6.2 haben wir gesehen, wie ein Operator, der nur in H(1) (oder nur in H(2)) wirkt, in den Raum H fortgesetzt werden kann. Hier wollen wir zeigen, wie man umgekehrt von ρ ausgehend einen Operator ρ(1) (bzw. ρ(2)) konstruieren kann, der nur in H(1) (bzw. nur in H(2)) wirkt und mit dem s¨amtliche Vorhersagen u¨ ber Messungen nur am System (1) (bzw. nur am System (2)) formuliert werden k¨onnen. Man spricht bei dieser Operation vom Bilden der Teilspur in Bezug auf (2) (bzw. auf (1)). Wir f¨uhren den Operator ρ(1) mit den Matrixelementen un (1)|ρ(1)|un (1) =
(un (1)|vp (2)|)ρ(|un (1)|vp (2))
(3.385)
p
ein. Man erh¨alt also den Operator ρ(1), indem man u¨ ber (2) die Teilspur bildet: ρ(1) = Sp2 {ρ}.
(3.386)
Entsprechend hat ρ(2) = Sp1 {ρ}
(3.387)
die Matrixelemente vp (2)|ρ(2)|vp (2) =
(un (1)|vp (2)|)ρ(|un (1)|vp (2)).
(3.388)
n
Der Begriff Teilspur erscheint sofort verst¨andlich, denn die (Gesamt-)Spur von ρ ist Sp{ρ} =
n
(un (1)|vp (2)|)ρ(|un (1)|vp (2)),
(3.389)
p
und der Unterschied zwischen dieser Gleichung und Gl. (3.385) (bzw. Gl. (3.388)) besteht darin, dass man beim Bilden der Teilspur nicht n = n (bzw. p = p ) setzt und nur u¨ ber p ¨ (bzw. nur u¨ ber n) summiert. Ubrigens gilt Sp{ρ} = Sp1 (Sp2 {ρ}) = Sp2 (Sp1 {ρ}).
(3.390)
Die Operatoren ρ(1) und ρ(2) haben wie ρ die Spur eins. Wie aus ihrer Definition hervorgeht, sind sie hermitesch und besitzen dar¨uber hinaus alle Eigenschaften eines Dichteoperators (s. Abschnitt 3.10.4).
•
282
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
˜ Es sei jetzt A(1) eine Observable in H(1) und A(1) = A(1) ⊗ 1(2) ihre Fortsetzung in den Raum H. Dann erh¨alt man mit der Definitionsgleichung (3.360) f¨ur die Spur und der Vollst¨andigkeitsrelation f¨ur die Basis {|un (1)|vp (2)} ˜ ˜ A(1) = Sp{ρA(1)} (un (1)|vp (2)|)ρ(|un (1)|vp (2)) = n,p n ,p
=
×(un (1)|vp (2)|)A(1) ⊗ 1(2)(|un (1)|vp (2))
(un (1)|vp (2)|)ρ(|un (1)|vp (2))
n,p,n ,p
×un (1)|A(1)|un (1)vp (2)|vp (2).
(3.391)
Weil aber vp (2)|vp (2) = δpp ist, kann man Gl. (3.391) auf die Form ˜ un (1) vp (2)|ρ|un (1) vp (2) un (1)|A(1)|un (1) A(1) = n,n
(3.392)
(3.393)
p
bringen. In der eckigen Klammer steht aber gerade die rechte Seite von Gl. (3.385), mit der wir den Operator ρ(1) definiert haben. Darum k¨onnen wir schreiben: ˜ A(1) =
un (1)|ρ(1)|un (1)un (1)|A(1)|un (1)
n,n
=
un (1)|ρ(1)A(1)|un (1)
n
= Sp{ρ(1)A(1)}.
(3.394)
Vergleichen wir dieses Resultat mit Gl. (3.360), so sehen wir, dass man mit ρ(1) alle ˜ Erwartungswerte A(1) berechnen kann, wie wenn wir es nur mit dem System (1) zu tun h¨atten und ρ(1) sein Dichteoperator w¨are. Wiederholen wir die bei Gl. (3.346) getroffene Feststellung, so sehen wir, dass man mit dem Operator ρ(1) die Wahrscheinlichkeiten f¨ur alle Messungen ermitteln kann, die nur am System (1) durchgef¨uhrt werden. Bemerkungen 1. Wie wir in Abschnitt 3.9 sahen, ist es nicht m¨oglich, dem System (1) (oder dem System (2)) einen Zustandsvektor zuzuordnen, wenn der Zustand des Gesamtsystems (1) + (2) kein tensorielles Produkt ist. Jetzt stellen wir fest, dass der Dichteoperator sich als ein viel zweckm¨aßigeres Hilfsmittel zur Beschreibung eines quantenmechanischen Systems erweist, als es der Begriff des Zustandsvektors ist: Ob das Gesamtsystem nun in einem Produktzustand ist oder nicht, ob wir es mit einem reinen oder mit einem gemischten Fall zu tun haben, stets kann man dem Teilsystem (1) bzw. (2) u¨ ber die Teilspurbildung einen Dichteoperator zuweisen, mit dem man f¨ur dieses Teilsystem alle physikalischen Vorhersagen berechnen kann.
3.11 Der Entwicklungsoperator
283
•
2. Selbst wenn der Dichteoperator ρ des Gesamtsystems einen reinen Zustand beschreibt (Sp{ρ2 } = 1), ist das im Allgemeinen bei den aus ρ durch Teilspurbildung erhaltenen Operatoren ρ(1) und ρ(2) nicht der Fall: Mit Gl. (3.385) bzw. Gl. (3.388) kann man n¨amlich zeigen, dass im Allgemeinen Sp{ρ2 (1)} von eins verschieden ist (Entsprechendes gilt f¨ur Sp{ρ2 (2)}). Wieder ergibt sich, dass im Allgemeinen das System (1) bzw. (2) nur dann durch einen Zustandsvektor beschrieben werden kann, wenn sich das Gesamtsystem in einem Produktzustand befindet. 3. Befindet sich das Gesamtsystem in einem Produktzustand |ψ = |ϕ(1) |χ(2) ,
(3.395)
so ergibt sich der Dichteoperator sofort zu ρ = σ(1) ⊗ τ (2)
(3.396)
mit σ(1) = |ϕ(1) ϕ(1)|, τ (2) = |χ(2) χ(2)|.
(3.397)
Allgemeiner kann man Zust¨ande des Gesamtsystems betrachten, f¨ur die der Dichteoperator ρ wie in Gl. (3.396) faktorisiert ist (dabei k¨onnen σ(1) und τ (2) sowohl gemischte wie reine Zust¨ande beschreiben). Die Bildung der Teilspur liefert dann Sp2 {σ(1) ⊗ τ (2)} = σ(1), Sp1 {σ(1) ⊗ τ (2)} = τ (2).
(3.398)
Ein Ausdruck wie in Gl. (3.396) repr¨asentiert demnach die Zusammenfassung eines Systems (1), das durch den Dichteoperator σ(1) beschrieben wird, mit einem System (2), beschrieben durch den Dichteoperator τ (2). 4. Von einem beliebigen (nicht in der Form (3.396) vorliegenden) Dichteoperator ρ ausgehend, berechnen wir ρ(1) = Sp2 {ρ} und ρ(2) = Sp1 {ρ} und bilden dann das Produkt ρ = ρ(1) ⊗ ρ(2).
(3.399)
Im Allgemeinen ist ρ von dem unter Punkt (3) betrachteten ρ verschieden: Weil der Dichteoperator nicht mehr wie in Gl. (3.396) faktorisiert ist, besteht zwischen den Systemen (1) und (2) eine gewisse Korrelation“, die im Operator ρ nicht mehr enthalten ist. ” 5. Wird die zeitliche Entwicklung des Gesamtsystems durch Gl. (3.365) bestimmt, so ist es im Allgemeinen nicht m¨oglich, einen Hamilton-Operator nur f¨ur das System (1) anzugeben, mit dem man eine analoge Differentialgleichung f¨ur den Operator ρ(1) aufstellen k¨onnte: W¨ahrend die Definition von ρ(1) einfach ist, ist die Beschreibung seiner zeitlichen Entwicklung sehr viel schwieriger.
3.11 Der Entwicklungsoperator In Abschnitt 3.4.1 hatten wir gesehen, dass wir vom Zustandsvektor |ψ(t0 ) zum Anfangszeitpunkt t0 zum Zustandsvektor f¨ur einen beliebigen sp¨ateren Zeitpunkt t durch eine lineare Transformation gelangen k¨onnen. Es existiert also ein linearer Operator U (t, t0 ), so dass |ψ(t) = U (t, t0 ) |ψ(t0 )
(3.400)
•
284
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
gilt. Man nennt diesen Operator den Entwicklungsoperator des Systems, und wir wollen in diesem Abschnitt seine grunds¨atzlichen Eigenschaften untersuchen.
3.11.1 Allgemeine Eigenschaften Weil Gl. (3.400) f¨ur einen beliebigen Ket |ψ(t0 ) g¨ultig ist, haben wir zun¨achst U (t0 , t0 ) = 1.
(3.401)
Setzen wir andererseits Gl. (3.400) in die Schr¨odinger-Gleichung ein, so erhalten wir ∂ U (t, t0 )|ψ(t0 ) = H(t)U (t, t0 )|ψ(t0 ), ∂t woraus sich die Beziehung i¯ h
(3.402)
∂ U (t, t0 ) = H(t)U (t, t0 ) (3.403) ∂t ergibt. Durch diese Differentialgleichung erster Ordnung und die Anfangsbedingung (3.401) ist der Entwicklungsoperator U (t, t0 ) vollst¨andig bestimmt. Man kann Gl. (3.401) und Gl. (3.403) zu der Integralgleichung i t U (t, t0 ) = 1 − H(t )U (t , t0 )dt (3.404) h t0 ¯ i¯ h
zusammenfassen. Betrachten wir jetzt den in U (t, t0 ) auftretenden Parameter t0 als eine Variable t , so k¨onnen wir Gl. (3.400) auch in der Form |ψ(t) = U (t, t ) |ψ(t )
(3.405)
schreiben. Weil aber |ψ(t ) auf die gleiche Weise aus einem Ket |ψ(t ) durch die Transformation |ψ(t ) = U (t , t ) |ψ(t )
(3.406)
erhalten werden kann, gilt auch |ψ(t) = U (t, t )U (t , t )|ψ(t ).
(3.407)
Andererseits ist |ψ(t) = U (t, t )|ψ(t ), so dass sich, weil |ψ(t ) beliebig ist, U (t, t ) = U (t, t )U (t , t )
(3.408)
ergibt. Der Vorgang l¨asst sich sofort verallgemeinern und wir erhalten mit beliebigen t1 , t2 , . . . , tn den Zusammenhang U (tn , t1 ) = U (tn , tn−1 ) . . . U (t3 , t2 )U (t2 , t1 ). Setzt man voraus, dass t1 < t2 < t3 < . . . < tn
(3.409)
3.11 Der Entwicklungsoperator
285
•
ist, so kann man diese Beziehung leicht interpretieren: Um von t1 nach tn zu gelangen, schreitet das System von t1 nach t2 , dann von t2 zu t3 usw. und schließlich von tn−1 nach tn fort. Setzen wir in Gl. (3.408) t = t und beachten Gl. (3.401), so wird 1 = U (t, t )U (t , t)
(3.410)
oder auch nach Vertauschen von t und t 1 = U (t , t)U (t, t ).
(3.411)
Darum ist U (t , t) = U −1 (t, t ).
(3.412)
Wir bestimmen jetzt den Entwicklungsoperator zwischen zwei infinitesimal benachbarten Zeitpunkten. Hierzu schreiben wir die Schr¨odinger-Gleichung in der Form d|ψ(t)
= =
|ψ(t + dt) − |ψ(t) i − H(t)|ψ(t)dt. h ¯
(3.413)
Darum ist
i |ψ(t + dt) = 1 − H(t)dt |ψ(t) h ¯
(3.414)
und somit der gesuchte infinitesimale Entwicklungsoperator U (t + dt, t) = 1 −
i H(t)dt. h ¯
(3.415)
Weil H(t) hermitesch ist, ist U (t + dt, t) unit¨ar, s. Abschnitt 2.9.3. Dann ist aber auch U (t, t ) unit¨ar: Zerlegt man n¨amlich das Intervall [t, t ] in eine sehr große Anzahl von infinitesimalen Intervallen, so ist nach Gl. (3.409) U (t, t ) ein Produkt aus unit¨aren Operatoren und mithin unit¨ar. Folglich kann Gl. (3.412) auch U † (t, t ) = U −1 (t, t ) = U (t , t)
(3.416)
¨ geschrieben werden. Ubrigens war zu erwarten, dass die Transformation U (t, t ) unit¨ar ist, dass also bei ihrer Wirkung auf einen Vektor dessen Norm erhalten bleibt. In Abschnitt 3.4.1 hatten wir n¨amlich gezeigt, dass sich die Norm des Zustandsvektors zeitlich nicht a¨ ndert.
3.11.2 Konservative Systeme H¨angt der Hamilton-Operator nicht explizit von der Zeit ab, so l¨asst sich Gl. (3.403) ohne Schwierigkeit integrieren. Man erh¨alt bei Ber¨ucksichtigung der Anfangsbedingung (3.401) U (t, t0 ) = e−i H(t−t0 )/¯h .
(3.417)
•
286
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
Die von uns aufgef¨uhrten Eigenschaften des Entwicklungsoperators lassen sich an diesem Ausdruck unmittelbar verifizieren. ¨ Mit Gl. (3.417) wird der Ubergang von Gl. (3.161) zu Gl. (3.163) (s. Abschnitt 3.4.2) sehr einfach. Man muss nur den Entwicklungsoperator U (t, t0 ) auf die beiden Seiten von Gl. (3.161) anwenden und beachten, dass |ϕn,τ Eigenvektor von H zum Eigenwert En ist: U (t, t0 )|ϕn,τ = e−i H(t−t0 )/¯h |ϕn,τ = e−iEn (t−t0 )¯h |ϕn,τ .
(3.418)
Bemerkungen 1. Bei einem zeitabh¨angigen Hamilton-Operator H k¨onnte man zun¨achst vermuten, dass in Analogie zu Gl. (3.417) der Entwicklungsoperator gleich dem Operator −
V (t, t0 ) = e
i h ¯
t
t0
H(t )dt
(3.419)
ist, doch ist dies nicht der Fall, weil im Allgemeinen die Zeitableitung eines Operators der Form eF (t) nicht gleich F (t)eF (t) ist (s. Abschnitt 2.8.5). Im Allgemeinen gilt also ∂ V (t, t0 ) = H(t)V (t, t0 ). (3.420) ∂t 2. Bei den in Abschnitt 3.5.1 beschriebenen Versuchen hatten wir bereits festgestellt, dass die Messungen der Observablen A, B und C nicht unbedingt kurz hintereinander erfolgen m¨ussen. Wenn sich das System zwischen den aufeinanderfolgenden Messungen zeitlich entwickelt, so kann ¨ man die Anderungen des Zustandsvektors durch Anwendung des Entwicklungsoperators ber¨ucksichtigen. Sind t0 , t1 und t2 die Zeitpunkte, zu denen man die Observable A, B bzw. C misst, so muss man einfach Gl. (3.205) und Gl. (3.207) in Abschnitt 3.5.1 durch i¯ h
Pa (c) = | vc |U (t2 , t0 )|ua |2
(3.421)
Pa (b, c) = | vc |U (t2 , t1 )|wb |2 | wb |U (t1 , t0 )|ua |2
(3.422)
und
ersetzen. Mit Ber¨ucksichtigung der Beziehung (3.408) ergibt sich dann weiter
vc |U (t2 , t0 )|ua = vc |U (t2 , t1 )U (t1 , t0 )|ua =
vc |U (t2 , t1 )|wb wb |U (t1 , t0 )|ua .
b
Setzt man dies in Gl. (3.421) ein, so erkennt man wieder, dass Pa (c) von ist.
(3.423)
b
Pa (b, c) verschieden
3.12 Schr¨odinger- und Heisenberg-Bild Bei dem von uns vorgestellten Formalismus sind die den Observablen zugeordneten Operatoren im Allgemeinen zeitunabh¨angig, s. Abschnitt 3.4.1. Dies ist z. B. beim Ortsoperator, beim Impulsoperator und bei der kinetischen Energie eines Teilchens der Fall. Die
3.12 Schr¨odinger- und Heisenberg-Bild
287
•
Entwicklung des Systems ist vollst¨andig im Zustandsvektor |ψ(t) enthalten, den wir im Folgenden mit dem Index S kennzeichnen wollen, |ψS (t), und ergibt sich aus der Schr¨odinger-Gleichung. Nimmt man diesen Standpunkt ein, so spricht man vom Schr¨odinger-Bild. Grunds¨atzlich werden s¨amtliche physikalischen Aussagen der Quantenmechanik durch Skalarprodukte eines Bras mit einem Ket oder durch die Matrixelemente von Operatoren ausgedr¨uckt. Diese Gr¨oßen sind jedoch gegen¨uber einer gleichzeitigen unit¨aren Transformation der Kets und der Operatoren invariant (s. Abschnitt 2.9). W¨ahlt man nun eine solche Transformation, die den Ket |ψS (t) in einen zeitunabh¨angigen Ket u¨ berf¨uhrt, so werden daf¨ur die eben genannten Observablen von der Zeit abh¨angen: Man gelangt zum Heisenberg-Bild. Der Deutlichkeit halber werden wir in diesem Abschnitt Kets und Operatoren mit dem Index S kennzeichnen, wenn wir uns im Schr¨odinger-Bild befinden, dagegen mit dem Index H, sobald wir das Heisenberg-Bild verwenden. In allen folgenden Abschnitten w¨ahlen wir dann das Schr¨odinger-Bild, so dass wir uns dort den Index S stillschweigend hinzudenken k¨onnen. Der Zustandsvektor |ψS (t) zu einem beliebigen Zeitpunkt t ergibt sich aus dem Anfangszustand |ψS (t0 ) durch die Beziehung |ψS (t) = U (t, t0 )|ψS (t0 ),
(3.424)
worin U (t, t0 ) der im vorigen Abschnitt eingef¨uhrte Entwicklungsoperator ist. Weil dieser Operator unit¨ar ist, gelangen wir zu einem zeitlich konstanten Vektor, wenn wir mit dem Operator U † (t, t0 ) die unit¨are Transformation durchf¨uhren: |ψH = U † (t, t0 )|ψS (t) = U † (t, t0 )U (t, t0 )|ψS (t0 ) = |ψS (t0 ).
(3.425)
Im Heisenberg-Bild stimmt der konstante Zustandsvektor mit dem Zustandsvektor |ψS (t0 ) zum Anfangszeitpunkt u¨ berein. Die Transformierte AH (t) eines Operators AS (t) ist nach Abschnitt 2.9.2 durch AH (t) = U † (t, t0 )AS (t)U (t, t0 )
(3.426)
gegeben und h¨angt, wie wir bereits wissen, im Allgemeinen selbst dann von der Zeit ab, wenn AS zeitunabh¨angig ist. Von besonderem Interesse ist nun der Fall, bei dem sowohl AS als auch AH konstant sind: Dies ergibt sich, wenn das System konservativ, also der Hamilton-Operator HS zeitunabh¨angig ist und AS mit HS vertauscht (AS ist dann eine Konstante der Bewegung, s. Abschnitt 3.4.2). Der Entwicklungsoperator ist in diesem Fall U (t, t0 ) = e−iHS (t−t0 )/¯h ;
(3.427)
wenn AS mit HS vertauscht, so auch mit U (t, t0 ) (s. Abschnitt 2.8.4). Deshalb ist AH (t) = U † (t, t0 )U (t, t0 )AS = AS .
(3.428)
Die Operatoren AS und AH sind gleich, insbesondere ist HS = HH , d. h. die Indizes S und H k¨onnen beim Hamilton-Operator entfallen.
•
288
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
¨ F¨ur die zeitliche Anderung eines beliebigen Operators AS (t) erhalten wir unter Ber¨ucksichtigung von Gl. (3.403) und der zu ihr adjungierten Beziehung d 1 dAS (t) AH (t) = − U † (t, t0 )HS (t)AS (t)U (t, t0 ) + U † (t, t0 ) U (t, t0 ) dt i¯ h dt +
1 † U (t, t0 )AS (t)HS (t)U (t, t0 ). i¯ h
(3.429)
Schieben wir im ersten und im letzten Summanden der rechten Seite das Produkt U (t, t0 ) U † (t, t0 ) = 1 ein (s. Gl. (3.416)), so wird d 1 AH (t) = − U † (t, t0 )HS (t)U (t, t0 )U † (t, t0 )AS (t)U (t, t0 ) dt i¯ h +U † (t, t0 ) +
dAS (t) U (t, t0 ) dt
1 † U (t, t0 )AS (t)U (t, t0 )U † (t, t0 )HS (t)U (t, t0 ). i¯ h
Damit ergibt sich nach der Definition (3.426) schließlich d d AS (t) h . i¯ h AH (t) = [AH (t), HH (t)] + i¯ dt dt H
(3.430)
(3.431)
Bemerkungen 1. Historisch gesehen ist das erste Bild von Schr¨odinger entwickelt worden, wobei er zu der nach ihm benannten Gleichung gelangte, w¨ahrend das zweite Bild auf Heisenberg zur¨uckgeht, der die zeitliche Entwicklung der Matrizen behandelte, die die verschiedenen Operatoren AH (t) darstell¨ ten (daher der Name Matrizenmechanik“). Die Aquivalenz der beiden Bilder wurde erst sp¨ater ” bewiesen. ¨ 2. Aus der Beziehung (3.431) erh¨alt man sofort Gl. (3.135), die zeitliche Anderung des Erwartungswerts von A(t). Diese kann man n¨amlich wegen
A (t) = ψS (t)|AS (t)|ψS (t) = ψH |AH (t)|ψH
(3.432)
auch im Heisenberg-Bild berechnen. Auf der rechten Seite dieser Gleichung h¨angt nur AH (t) von der Zeit ab, so dass sich Gl. (3.135) sofort durch Differentiation nach der Zeit ergibt. Wir halten jedoch fest, dass Gl. (3.431) allgemeiner ist als Gl. (3.135), weil sie im Gegensatz zu dieser die Gleichheit zweier Operatoren ausdr¨uckt und nicht nur die Gleichheit von Erwartungswerten, d. h. von Matrixelementen. 3. Die Beziehung (3.431) wird sehr einfach, wenn das untersuchte System nur aus einem Teilchen mit der Masse m besteht, das einem Potential unterworfen ist. Im eindimensionalen Fall ist dann der Hamilton-Operator HS (t) =
PS2 + V (XS , t) 2m
(3.433)
und daher wegen Gl. (2.483) aus Abschnitt 2.9 HH (t) =
2 PH + V (XH , t). 2m
(3.434)
3.13 Eichinvarianz
289
•
Setzt man Gl. (3.434) in Gl. (3.431) ein und beachtet, dass [XH , PH ] = [XS , PS ] = i¯ h ¨ ist, so folgt nach einer analogen Uberlegung wie in Abschnitt 3.4.1 1 d XH (t) = PH (t), dt m ∂V d PH (t) = − (XH , t). dt ∂X
(3.435)
Diese beiden Gleichungen verallgemeinern das Theorem von Ehrenfest (s. die Gleichungen (3.142) und (3.143) in Abschnitt 3.4.1). Sie haben die gleiche Form wie die Bewegungsgleichungen f¨ur die klassischen Gr¨oßen x und p (s. die Beziehungen (3.144) und (3.145) in Abschnitt 3.4.1). In dieser ¨ formalen Ahnlichkeit zur klassischen Mechanik liegt ein Vorteil des Heisenberg-Bildes.
3.13 Eichinvarianz 3.13.1 Problemstellung. Begriff der Eichung Ein elektromagnetisches Feld wird beschrieben, indem man f¨ur jeden Raum-Zeitpunkt die elektrische Feldst¨arke E(r; t) und die magnetische Induktion B(r; t) angibt. Weil elektrische und magnetische Feldst¨arke den Maxwellschen Gleichungen gen¨ugen, sind sie nicht voneinander unabh¨angig. Statt der beiden Vektorfelder kann man ein skalares Potential U (r; t) und ein Vektorpotential A(r; t) so einf¨uhren, dass E(r; t) = −∇U (r; t) − B(r; t) = ∇ × A(r; t)
∂ A(r; t), ∂t
(3.436)
gilt. Man kann, von den Maxwellschen Gleichungen ausgehend (s. Anhang III.4), zeigen, dass derartige Funktionen U (r; t) und A(r; t) stets existieren, jedoch sind bei Vorgabe von E(r; t) und B(r; t) die Potentiale U (r; t) und A(r; t) nicht eindeutig bestimmt. Hat man n¨amlich zwei Potentiale U (r; t) und A(r; t), so erh¨alt man mit der Transformation ∂ U (r; t) = U (r; t) − χ(r; t), ∂t A (r; t) = A(r; t) + ∇χ(r; t) (3.437) zwei weitere Potentiale, die dasselbe elektromagnetische Feld wie U (r; t) und A(r; t) beschreiben. Dabei ist χ(r; t) eine beliebige Funktion von r und t. Zum Beweis ersetzt man einfach in Gl. (3.436) U (r; t) durch U (r; t) und A(r; t) durch A (r; t) und erkennt, dass E(r; t) und B(r; t) unge¨andert bleiben. Man kann ferner zeigen, dass die Beziehungen (3.437) alle m¨oglichen skalaren und Vektorpotentiale f¨ur ein gegebenes elektromagnetisches Feld liefern. W¨ahlt man zur Beschreibung eines elektromagnetischen Feldes ein bestimmtes Paar von Potentialen aus, so sagt man, man habe eine bestimmte Eichung vorgenommen. Geht
•
290
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
man zu einem anderen Paar von Potentialen u¨ ber, so spricht man von einer Eichtransformation. Nun treten in den Bewegungsgleichungen eines physikalischen Systems oft die Potentiale U (r; t) und A(r; t) und nicht die Feldst¨arken E(r; t) und B(r; t) auf. In einem Beispiel haben wir dies in Abschnitt 3.2.5 bereits gesehen, als wir die Schr¨odingerGleichung f¨ur ein Teilchen mit der Ladung q anschrieben, das sich in einem elektromagnetischen Feld bewegt, s. Gl. (3.55). Es stellt sich dann die Frage, ob die physikalischen Aussagen der Theorie nur von den Werten der Felder E(r; t) und B(r; t) in jedem Raum-Zeitpunkt oder auch von der Eichung abh¨angen, die man bei den Potentialen gew¨ahlt hat. Damit in diesem Fall die Theorie u¨ berhaupt einen Sinn hat, muss man offensichtlich pr¨azisieren, in welcher Eichung die Gleichungen gelten sollen. In diesem Abschnitt wollen wir diese Frage beantworten. Wir werden sehen, dass in der klassischen (Abschnitt 3.13.2) wie in der Quantenmechanik (Abschnitt 3.13.3) die physikalischen Resultate durch eine Eichtransformation nicht modifiziert werden. Das skalare und das Vektorpotential treten danach nur als Zwischengr¨oßen bei der Berechnung der elektrischen und der magnetischen Feldst¨arke auf. Man sagt, klassische und Quantenmechanik sind eichinvaraint.
3.13.2 Eichinvarianz in der klassischen Mechanik Die Newtonsche Bewegungsgleichung In der klassischen Mechanik kann man die Bewegung eines Teilchens15 , das sich mit der Ladung q und der Masse m in einem elektromagnetischen Feld befindet, berechnen, wenn man die auf das Teilchen ausge¨ubte Kraft f = q[E(r; t) + v × B(r; t)]
(3.438)
kennt; v ist darin die Teilchengeschwindigkeit. Setzt man dieses Kraftgesetz in die Newtonsche Bewegungsgleichung m
d2 r(t) = f dt2
(3.439)
ein, so treten hier die Feldst¨arken selbst auf, und die Frage der Eichinvarianz stellt sich nicht.
Der Hamilton-Formalismus Man kann aber auch von den Hamilton-Gleichungen ausgehen. Diese sind (s. Anhang III) zur Newtonschen Gleichung a¨ quivalent. Weil wir aber bei der Quantisierung eines physikalischen Systems vom Hamilton-Formalismus ausgegangen sind, wollen wir sehen, wie 15 Der Einfachheit halber nehmen wir in diesem Abschnitt an, dass das System nur aus einem Teilchen besteht. Die Verallgemeinerung auf Mehrteilchensysteme bietet keine grunds¨atzlichen Schwierigkeiten.
3.13 Eichinvarianz
291
•
sich in diesem Formalismus eine Eichtransformation darstellt. Bei ihm sind ja das skalare und das Vektorpotential unerl¨asslich, und die Eigenschaft der Eichinvarianz ist nicht unmittelbar zu erkennen. Dynamische Variablen und ihre Zeitabh¨angigkeit. Um die Bewegung eines Teilchens zu bestimmen, das der durch Gl. (3.438) gegebenen Kraft unterworfen ist, kann man von der Lagrange-Funktion16 L(r, v; t) =
1 mv 2 − q[U (r; t) − v · A(r; t)] 2
(3.440)
ausgehen. Mit diesem Ausdruck kann man dann den Impuls durch p = ∇v L(r, v; t) = mv + qA(r; t)
(3.441)
berechnen und weiter die Hamilton-Funktion H(r, p; t) =
1 [p − qA(r; t)]2 + qU (r; t) 2m
(3.442)
einf¨uhren. Im Hamilton-Formalismus ist der Zustand des Teilchens durch seinen Ort r und seinen Impuls p definiert. Die fundamentalen dynamischen Variablen sind jetzt r und p, und nicht mehr wie in der Newtonschen oder der Lagrangeschen Formulierung der Ort und die Geschwindigkeit. Dabei darf man den zu r kanonisch konjugierten Impuls p nicht mit der Bewegungsgr¨oße π = mv
(3.443)
verwechseln, da sie sich nach Gl. (3.441) unterscheiden. Vielmehr ist π = p − qA(r; t).
(3.444)
Diese (und damit die Geschwindigkeit) kann man also berechnen, wenn r und p bekannt sind. Auch alle anderen Teilchengr¨oßen wie die kinetische Energie, der Drehimpuls usw. werden im Hamilton-Formalismus als Funktionen der dynamischen Variablen r und p (und evtl. der Zeit t) ausgedr¨uckt. Schließlich lauten die Hamilton-Gleichungen d r(t) = ∇p H[r(t), p(t); t], dt d p(t) = −∇r H[r(t), p(t); t]. dt
(3.445)
Darin ist H die durch Gl. (3.442) gegebene Hamilton-Funktion. Sind die Anfangsbedingungen bekannt, so liefert die Integration dieses Gleichungssystems die Werte der dynamischen Variablen f¨ur jeden Zeitpunkt. Um die Hamilton-Gleichungen anschreiben zu k¨onnen, muss man eine bestimmte Eichung E, d. h. ein bestimmtes Paar {U (r; t), A(r; t)} von Potentialen w¨ahlen. Was 16 Wir
geben hier eine Reihe von Ergebnissen der analytischen Mechanik aus dem Anhang III an.
•
292
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
geschieht nun, wenn man statt dieser Eichung f¨ur dasselbe elektromagnetische Feld eine davon verschiedene Eichung E mit den Potentialen U (r; t) und A (r; t) nimmt? Wir kennzeichnen die dynamischen Gr¨oßen des Teilchens in dieser Eichung durch einen Strich. In der Newtonschen Formulierung sind der Ort r und die Geschwindigkeit v von der gew¨ahlten Eichung unabh¨angig: r (t) = r(t), π (t) = π(t).
(3.446)
Nun ist nach Gl. (3.444) π(t) = p(t) − qA[r(t); t],
π (t) = p (t) − qA [r (t); t],
(3.447) (3.448)
also m¨ussen die verallgemeinerten Impulse p(t) und p (t) in den beiden Eichungen verschieden sein, da sie ja der Beziehung p (t) − qA [r (t); t] = p(t) − qA[r(t); t]
(3.449)
zu gen¨ugen haben. Ist χ(r; t) die Funktion, mit der man von der einen zur anderen Eichung gelangt, s. Gl. (3.437), so transformieren sich bei diesem Wechsel die fundamentalen dynamischen Variablen gem¨aß den Gleichungen r (t) = r(t), p (t) = p(t) + q∇χ(r(t); t).
(3.450)
Im Hamilton-Formalismus h¨angen sie also von der Wahl der Eichung ab. Dies ist jedoch nicht u¨ berraschend, weil in diesem Formalismus das skalare und das Vektorpotential in den Bewegungsgleichungen f¨ur Ort und Impuls explizit auftreten (Gleichungen (3.442) und (3.445)). Wahre physikalische“ und nichtphysikalische“ Gr¨oßen. 1. Definitionen: Wir se” ” hen, dass wir dem Teilchen zwei Arten von Gr¨oßen zuordnen k¨onnen: Zum einen gibt es Gr¨oßen wie r oder π, die bei zwei verschiedenen Eichungen zu einem bestimmten Zeitpunkt dieselben Werte annehmen, zum anderen aber Gr¨oßen wie z. B. p, deren Werte von der Wahl der Eichung abh¨angen. Man f¨uhrt daher folgende allgemeine Definition ein: – H¨angt der Wert einer dem System zugeordneten Gr¨oße (bei einer gegebenen Bewegung) nicht davon ab, in welcher Eichung man das elektromagnetische System beschreibt, so nennt man sie eine wahre physikalische Gr¨oße . ¨ – Andern sich dagegen bei einer Eichtransformation die Werte einer Gr¨oße, so heißt sie eine nichtphysikalische Gr¨oße. Sie erscheint dann wie das Potential als eine Rechengr¨oße, die nicht wirklich beobachtbar ist. Weil jede Gr¨oße eines Systems als Funktion von r und p ausgedr¨uckt wird, stellt sich die Frage, wie man erkennt, ob es sich um eine (wahre) physikalische Gr¨oße oder um eine nichtphysikalische Gr¨oße handelt. 2. Charakteristische Beziehung f¨ur (wahre) physikalische Gr¨oßen: Wir nehmen zun¨achst an, eine dem Teilchen zugeordnete Gr¨oße werde in der Eichung E durch eine Funktion von r und p (und eventuell der Zeit t) beschrieben; wir wollen sie mit F (r, p; t) bezeichnen. Entspricht dieser Gr¨oße in einer anderen Eichung E dieselbe Funktion
3.13 Eichinvarianz
293
•
F (r , p ; t), so stellt man sofort fest, dass es sich um eine nichtphysikalische Gr¨oße handeln muss (wenn wir von dem Fall absehen, bei dem F nur von r und nicht von p abh¨angig ist, s. Gl. (3.450)). Weil bei zwei verschiedenen Eichungen der generalisierte Impuls p verschieden ist, muss dies auch f¨ur die Werte von F gelten. Um zu den (wahren) physikalischen Gr¨oßen eines Systems zu gelangen, m¨ussen wir Funktionen GE (r, p; t) betrachten, deren Form von der jeweils gew¨ahlten Eichung abh¨angt. Hierf¨ur haben wir mit der Bewegungsgr¨oße π ein Beispiel bereits kennengelernt, denn diese ist u¨ ber das Vektorpotential A (s. Gl. (3.444)) eine mittelbare Funktion von r und p. Wenn daher die Funktion GE (r, p; t) eine (wahre) physikalische Gr¨oße beschreiben soll, so muss sie der Bedingung GE [r(t), p(t); t] = GE [r (t), p (t); t]
(3.451)
gen¨ugen. Darin sind r(t) und p(t) die Werte von Ort und Impuls in der Eichung E und r (t) und p (t) die Werte in der Eichung E . Setzt man die Beziehungen (3.450) in Gl. (3.451) ein, so erh¨alt man den Zusammenhang GE [r(t), p(t); t] = GE [r(t), p(t) + q∇χ (r(t); t) ; t],
(3.452)
der zu jedem Zeitpunkt und f¨ur alle m¨oglichen Bewegungen des Systems gelten muss. Weil man bei festem t die Werte von Ort und Impuls unabh¨angig voneinander vorgeben kann, m¨ussen die beiden Seiten in dieser Gleichung hinsichtlich der Abh¨angigkeit von r und p dieselbe Funktion darstellen, es muss also GE [r, p; t] = GE [r, p + q∇χ (r; t) ; t]
(3.453)
sein. Diese Beziehung ist f¨ur Funktionen charakteristisch, die (wahre) physikalische Gr¨oßen beschreiben. Betrachtet man also die Funktion GE [r, p; t] in der Eichung E und wird ¨ in ihr p durch p + q∇χ(r; t) ersetzt (χ(r; t) definiert den Ubergang von der Eichung E zur Eichung E ), so erh¨alt man eine neue Funktion von r und p, die mit GE [r, p; t] identisch ist. Ist dies nicht der Fall, so entspricht die Funktion einer nichtphysikalischen Gr¨oße. 3. Beispiele: Wir geben einige Beispiele f¨ur Funktionen, die (wahre) physikalische Gr¨oßen beschreiben. F¨ur den Ort und die Bewegungsgr¨oße haben wir sie bereits kennengelernt: Die erste ist einfach r, w¨ahrend die zweite durch π E (r, p; t) = p − qA(r; t)
(3.454)
gegeben ist. Wegen der Beziehungen (3.446) wissen wir schon von vornherein, dass die zugeh¨origen Funktionen die Gl. (3.453) erf¨ullen. Um uns mit dem Gebrauch dieser Beziehung vertraut zu machen, wollen wir dies auch direkt beweisen. Was r betrifft, so handelt es sich um eine Funktion, die von p und damit von der Wahl der Eichung17 nicht abh¨angt; sie erzwingt also sofort das Bestehen von Gl. (3.453). F¨ur die Bewegungsgr¨oße liefert Gl. (3.454) π E (r, p; t) = p − qA (r; t).
(3.455)
17 Ubrigens ¨ ist es nicht schwer zu beweisen, dass allgemein jede nur von r (und vielleicht von t) abh¨angende Funktion G(r; t), deren Form in jeder Eichung dieselbe ist, eine (wahre) physikalische Gr¨oße beschreibt.
•
294
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
Ersetzt man hierin p durch p + q∇χ(r; t), so erhalten wir die Funktion p + q∇χ(r; t) − qA (r; t) = p − qA(r; t).
(3.456)
Dies ist aber nichts anderes als π ε (r, p; t), die Beziehung (3.453) ist also erf¨ullt. Weiter nennen wir unter den physikalischen Gr¨oßen die kinetische Energie γE (r, p; t) =
1 [p − qA(r; t)]2 2m
(3.457)
und den Drall (in Bezug auf den Ursprung) λE (r, p; t) = r×[p − qA(r; t)].
(3.458)
Allgemeiner kann man feststellen, dass man immer dann eine physikalische Gr¨oße erh¨alt, wenn man eine Funktion in der Form GE (r, p; t) = F [r, p − qA(r; t)]
(3.459)
konstruiert, wobei F eine Funktion bezeichnet, die von der gew¨ahlten Eichung unabh¨angig ist.18 Dies ist physikalisch befriedigend, weil mit Gl. (3.459) zum Ausdruck kommt, dass sich die Werte der betrachteten Gr¨oße aus denen von r und π ergeben, die beide eichunabh¨angig sind. Schließlich geben wir Beispiele f¨ur Funktionen an, die nichtphysikalische Gr¨oßen beschreiben. Neben dem verallgemeinerten Impuls p ist die Funktion C(p) =
p2 2m
(3.460)
zu nennen, die man nicht mit der kinetischen Energie verwechseln darf, und allgemeiner jede Funktion, die nur von p (und eventuell der Zeit) abh¨angt. Ebenso muss der Drehimpuls L(r, p) = r × p
(3.461)
als eine nichtphysikalische Gr¨oße angesehen werden. Als Letztes f¨uhren wir die Hamilton-Funktion an, die nach Gl. (3.442) die Summe aus der kinetischen Energie γE (r, p; t) und der potentiellen Energie qU ist. Genauer sollte man U als UE (r; t) schreiben, weil sie von der Eichung abh¨angt und damit eine nichtphysikalische Gr¨oße darstellt. Damit ist auch die Hamilton-Funktion eine nichtphysikalische Gr¨oße.
3.13.3 Eichinvarianz in der Quantenmechanik In diesem Kapitel haben wir die Postulate der Quantenmechanik eingef¨uhrt, indem wir vom Hamilton-Formalismus der klassischen Mechanik ausgingen. Dabei war das Problem 18 Man k¨ onnte auch Funktionen konstruieren, bei denen die Potentiale in verwickelterer Gestalt als in Gl. (3.459) auftreten (z. B. im Skalarprodukt der Teilchengeschwindigkeit mit dem elektrischen Feld am Teilchenort usw.).
3.13 Eichinvarianz
295
•
der Eichinvarianz wegen der Existenz der Newtonschen Bewegungsgleichung einfach zu l¨osen. In der Quantenmechanik liegen die Dinge verwickelter, und wir stellen uns die Frage, ob die Postulate in jeder beliebigen oder nur in einer bestimmten Eichung E gelten. Zur Beantwortung lassen wir uns von den Ergebnissen des vorstehenden Abschnitts leiten. Wir werden sehen, dass zwischen den Folgen einer Eichtransformation im klassischen und im quantenmechanischen Formalismus eine enge Analogie besteht, und k¨onnen so die Eichinvarianz der Quantenmechanik formulieren. Hierzu untersuchen wir zun¨achst die Ergebnisse, die wir erhalten, wenn wir die Quantisierungsregeln in zwei verschiedenen Eichungen durchf¨uhren. Weil in der klassischen Mechanik die dynamischen Variablen bei einem Wechsel der Eichung im Allgemeinen ihre Werte a¨ ndern, werden wir ein physikalisches System durch einen mathematischen ¨ Zustandsvektor |ψ charakterisieren m¨ussen, der von der Eichung abh¨angt. Der Ubergang von einer Eichung E zu einer anderen E geschieht durch eine unit¨are Transformation, doch bleibt die Form der Schr¨odinger-Gleichung dabei stets dieselbe (so wie in der klassischen Mechanik die Hamilton-Gleichungen ihre Form nicht a¨ ndern). Schließlich untersuchen wir das Verhalten der Observablen des Systems bei einem Wechsel der Eichung. ¨ Wir werden sehen, dass die gleichzeitige Anderung des Zustandsvektors und der Observablen so geartet sind, dass der physikalische Gehalt der Quantenmechanik von der gew¨ahlten Eichung nicht abh¨angt. Dies werden wir zeigen, indem wir die Eichinvarianz der Wahrscheinlichkeitsdichte und des Wahrscheinlichkeitsstromes beweisen.
Quantisierungsregeln Der Zustandsraum eines Teilchens (ohne Spin) ist stets der Raum Hr . Dagegen erwartet ¨ man nach den vorstehenden Uberlegungen (s. Abschnitt 3.13.2), dass der einer Gr¨oße zugeordnete Operator in zwei verschiedenen Eichungen unterschiedlich sein kann. Wir kennzeichnen daher die Operatoren mit einem Index E. Die Quantisierungsregeln ordnen dem Ort r und dem Impuls p des Teilchens die Operatoren R und P in Hr zu, die den Vertauschungsrelationen [X, Px ] = [Y, Py ] = [Z, Pz ] = i¯ h
(3.462)
gen¨ugen (alle anderen Kommutatoren zwischen den Komponenten von R und P sind gleich null). In der Ortsdarstellung wirkt der Operator R wie die Multiplikation mit r ¯h und P wie der Differentialoperator ∇. Diese Regeln sind in jeder Eichung dieselben. i Wir k¨onnen daher schreiben RE = RE , P E = P E .
(3.463)
Der Index erweist sich bei diesen beiden Operatoren als u¨ berfl¨ussig und wird im Folgenden fortgelassen. Die Quantisierung aller anderen dem Teilchen zugeordneten Gr¨oßen ergibt sich aus den Quantisierungsregeln f¨ur Ort und Impuls. Man verwendet in einer bestimmten Eichung die Funktion von r und p, die klassisch die betrachtete Gr¨oße liefert, und ersetzt
•
296
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
darin (nachdem man unter Umst¨anden symmetrisiert hat) r durch R und p durch P . Dies ergibt (in der gew¨ahlten Eichung) den Operator, der zu der betreffenden Gr¨oße geh¨ort. Wir nennen einige Beispiele: – Der Drehimpulsoperator, den man aus dem klassischen Ausdruck r × p erh¨alt, ist in jeder Eichung gleich: LE = LE .
(3.464)
– Dagegen h¨angt der der Bewegungsgr¨oße zugeordnete Operator von der Wahl der Eichung ab. Ist er n¨amlich in der Eichung E durch Π E = P − qA(R; t)
(3.465)
gegeben, so wird er in der Eichung E Π E = P − qA (R; t).
(3.466)
Dessen Wirkung in Hr ist von der Wirkung von Π E verschieden, weil sich die beiden Operatoren wegen Π E = Π E − q∇χ(R; t)
(3.467)
unterscheiden. – Auch im Operator19 ΛE = R × Π E = R×[P − qA(R; t)]
(3.468)
f¨ur den Drall des Teilchens tritt das Vektorpotential explizit auf. – Schließlich erh¨alt man den Hamilton-Operator, indem man von Gl. (3.442) ausgeht: HE =
1 [P − qA(R; t)]2 + qU (R; t). 2m
(3.469)
Offensichtlich a¨ ndert sich dieser Operator, wenn man die Eichung wechselt: HE =
1 [P − qA (R; t)]2 + qU (R; t) = HE . 2m
(3.470)
Unit¨are Transformation des Zustandsvektors und Forminvarianz der Schr¨odinger-Gleichung Der unit¨are Operator Tχ (t). In der klassischen Mechanik haben wir die Werte der fundamentalen dynamischen Variablen, mit denen wir den Zustand des Teilchens in den beiden verschiedenen Eichungen E und E charakterisierten, mit {r(t), p(t)} und {r (t), p (t)} bezeichnet. Entsprechend sind in der Quantenmechanik |ψ(t) und |ψ (t) 19 Beachtet man die Vertauschungsrelationen f¨ ur R und Π E , so kann man zeigen, dass die Symmetrisierung des Ausdrucks (3.468) nicht erforderlich ist.
3.13 Eichinvarianz
297
•
die Zustandsvektoren in Bezug auf diese beiden Eichungen, und in Analogie zu den Beziehungen (3.450) gilt f¨ur die Erwartungswerte ψ (t)|RE |ψ (t) = ψ(t)|RE |ψ(t), ψ (t)|P E |ψ (t) = ψ(t)|P E + q∇χ(R; t)|ψ(t).
(3.471) (3.472)
Bei Beachtung von Gl. (3.463) erkennt man sofort, dass dies nur m¨oglich ist, wenn |ψ(t) und |ψ (t) zwei verschiedene Vektoren sind. Wir suchen daher nach einer unit¨aren Trans¨ formation Tχ (t), die den Ubergang von |ψ(t) nach |ψ (t) erlaubt: |ψ (t) = Tχ (t)|ψ(t),
(3.473)
Tχ† (t)Tχ (t) = Tχ (t)Tχ† (t) = 1.
(3.474)
Nach Gl. (3.463) scheinen die Gleichungen (3.471) und (3.472) f¨ur einen beliebigen Ket |ψ(t) erf¨ullt zu sein, wenn Tχ† (t)RTχ (t) = R
(3.475)
Tχ† (t)P Tχ (t) = P + q∇χ(R; t)
(3.476)
und
ist. Multiplizieren wir die erste Gleichung von links mit Tχ (t), so wird RTχ (t) = Tχ (t)R.
(3.477)
Der gesuchte unit¨are Operator kommutiert also mit den drei Komponenten von R, und wir k¨onnen ihn mit einem hermiteschen Operator F (R; t) in der Form Tχ (t) = eiF (R; t)
(3.478)
schreiben. In Verallgemeinerung der Beziehung (2.420) aus Abschnitt 2.8.4 gilt dann weiter ¯ ∇{F (R; t)}Tχ (t). [P , Tχ (t)] = h
(3.479)
Multiplizieren wir dies von links mit Tχ† (t) und setzen in Gl. (3.476) ein, so erhalten wir den einfachen Zusammenhang h∇{F (R; t)} = q∇χ(R; t), ¯
(3.480)
der erf¨ullt wird, wenn F (R; t) = F0 (t) +
q χ(R; t) ¯ h
(3.481)
ist. Unterdr¨ucken wir hier den Term F0 (t), weil er beim Zustandsvektor |ψ(t) zu einem (physikalisch) bedeutungslosen globalen Phasenfaktor f¨uhrt, so ergibt sich der gesuchte Operator zu q
Tχ (t) = ei h¯ χ(R; t) .
(3.482)
•
298
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
Geschieht die Transformation von |ψ(t) durch diesen Operator, so sind die Gleichungen (3.471) und (3.472) automatisch erf¨ullt. Bemerkungen 1. In der Ortsdarstellung folgt aus den Gleichungen (3.473) und (3.482), dass die Wellenfunktionen ψ(r, t) = r|ψ(t) und ψ (r, t) = r|ψ (t) u¨ ber die Gleichung q
ψ (r, t) = ei h¯ χ(r, t) ψ(r, t)
(3.483)
zusammenh¨angen. F¨ur die Wellenfunktion bedeutet daher die Eichtransformation einen ortsabh¨angigen Phasenwechsel, so dass die Eichinvarianz der physikalischen Aussagen nicht von vornherein klar ist, wenn wir sie mit ψ(r, t) und ψ (r, t) formulieren. 2. Besteht das zu untersuchende System aus mehreren Teilchen mit den Ladungen q1 , q2 , . . . und den Orten r 1 , r 2 , . . . , so muss Gl. (3.482) durch Tχ (t) = Tχ(1) (t) Tχ(2) (t) . . . i
= e h¯ [q1 χ(R 1 , t)+q2 χ(R 2 , t)+...]
(3.484)
ersetzt werden.
Zeitliche Entwicklung des Zustandsvektors. in der Eichung E der Schr¨odinger-Gleichung
Wir zeigen jetzt: Gen¨ugt der Ket |ψ(t)
d |ψ(t) = HE (t)|ψ(t), (3.485) dt so erf¨ullt der durch Gl. (3.473) gegebene Zustandsvektor |ψ (t) in der Eichung E eine Gleichung derselben Form: i¯ h
d |ψ (t) = HE (t)|ψ (t). dt Darin ist der Hamilton-Operator HE (t) durch Gl. (3.470) gegeben. Hierzu berechnen wir die linke Seite von Gl. (3.486). Es ist i¯ h
i¯ h
d d |ψ (t) = i¯ h {Tχ (t)|ψ(t)} dt dt d d hTχ (t) |ψ(t), = i¯ h{ Tχ (t)}|ψ(t) + i¯ dt dt
d. h. wegen Gl. (3.482) und Gl. (3.485)20 ' $ ∂ d χ(R; t) Tχ (t)|ψ(t) + Tχ (t)HE (t)|ψ(t) i¯ h |ψ (t) = −q dt ∂t $ ' ∂ ˜ E (t) |ψ (t), = −q χ(R; t) + H ∂t
(3.486)
(3.487)
(3.488)
∂ χ(R; t). Darum k¨onnen ∂t wir Tχ (t) ableiten, wie wenn χ(R, t) eine gew¨ohnliche Funktion und kein Operator w¨are (s. die Bemerkung in Abschnitt 2.8.5). 20 Die
Funktion χ h¨angt von R, aber nicht von P ab und vertauscht folglich mit
3.13 Eichinvarianz
299
•
˜ E (t) durch die Transformation Tχ (t) aus HE (t) hervorgeht: worin H ˜ E (t) = Tχ (t)HE (t)T † (t). H χ
(3.489)
Danach wird Gl. (3.486) erf¨ullt, wenn ˜ E (t) − q ∂ χ(R; t) HE (t) = H ∂t ˜ E (t) durch ist. Nun ist H ˜ E (t) = 1 [P ˜ − qA(R; ˜ t)]2 + qU (R; ˜ t) H 2m gegeben, worin ˜ = Tχ (t)R Tχ† (t) = R, R ˜ = Tχ (t)P T † (t) = P − q∇χ(R; t) P χ
(3.490)
(3.491)
(3.492) (3.493)
sich durch die unit¨are Transformation Tχ (t) aus R bzw. P ergeben. Setzt man diese Beziehungen in Gl. (3.491) ein, so wird ˜ E (t) = 1 [P − qA(R; t) − q∇χ(R; t)]2 + q U (R; t). H 2m
(3.494)
Ersetzt man mit Gl. (3.437) die Potentiale der Eichung E durch die der Eichung E , so erh¨alt man unter Beachtung von Gl. (3.470) die Beziehung (3.490). Also kann die Schr¨odinger-Gleichung unabh¨angig von der gew¨ahlten Eichung stets auf die gleiche Weise angeschrieben werden.
Eichinvarianz der physikalischen Aussagen Verhalten der Observablen. jede Observable K in
Unter der Wirkung der unit¨aren Operation Tχ (t) wird
˜ = Tχ (t)K Tχ† (t) K
(3.495)
˜ einfach gleich R, w¨ahrend P ˜ transformiert. Nun ist nach Gl. (3.492) und Gl. (3.493) R ˜ von P verschieden ist. Ebenso unterscheidet sich Π ε von Π ε , denn es ist ˜E = P ˜ − qA(R; ˜ t) Π = P − q∇χ(R; t) − qA(R; t) = Π E − q∇χ(R; t).
(3.496)
Bei Beachtung von Gl. (3.463) und Gl. (3.467) folgt hieraus und aus Gl. (3.492), dass die den wahren physikalischen Gr¨oßen Ort und Bewegungsgr¨oße zugeordneten Observablen R und Π E die Eigenschaft ˜ E = RE , R ˜ Π E = Π E
(3.497)
•
300
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
besitzen. Dagegen gilt f¨ur den Impuls, der keine wahre physikalische Gr¨oße ist, nach Gl. (3.463) und Gl. (3.493) ˜ E = P E . P
(3.498)
Hierbei handelt es sich um ein allgemeines Ergebnis: In der Quantenmechanik ist jeder wahren physikalischen Gr¨oße ein Operator GE (t) so zugeordnet, dass die Beziehung ˜ E (t) = GE (t) G
(3.499)
besteht. Diese ist das quantenmechanische Analogon zur Relation (3.452). Sehen wir von dem Sonderfall ab, dass der zu einer wahren physikalischen Gr¨oße geh¨orige Operator nur eine Funktion von R oder R selbst ist, so h¨angt seine Form also von der jeweils gew¨ahlten Eichung ab. Beispiele erkannten wir bereits in den Gleichungen (3.465) und (3.468). Zum Beweis von Gl. (3.499) gen¨ugt es, die Quantisierungsregeln auf eine Funktion GE (r, p; t) anzuwenden und die Beziehung (3.453) zu ber¨ucksichtigen, die f¨ur klassische wahre physikalische Gr¨oßen charakteristisch ist. Man ersetzt demnach r und p durch die Operatoren R und P und erh¨alt (falls erforderlich, nach einer passenden Symmetrisierung) den Operator GE (t). H¨angt die Form der Funktion GE von der Eichwahl ab, so gilt dies auch f¨ur GE (t). Beschreibt GE eine wahre physikalische Gr¨oße, so gilt nach Gl. (3.453) GE [R, P ; t] = GE [R, P + q∇χ(R; t); t].
(3.500)
Wenden wir auf diese Gleichung die unit¨are Transformation Tχ (t) an, so erhalten wir G˜E [R, P ; t] = G˜E [R, P + q∇χ(R; t); t] ˜ P ˜ + q∇χ(R; ˜ t); t]. = GE [R,
(3.501)
Beachten wir die Gleichungen (3.492) und (3.493), so ergibt sich also G˜ε [R, P ; t] = GE [R, P ; t].
(3.502)
Nach einer gegebenenfalls erforderlichen Symmetrisierung gelangt man hiermit zur Gl. (3.499). Als Beispiele f¨ur wahre physikalische Gr¨oßen sind neben R und Π E der Drall ΛE (s. Gl. (3.468)) und die kinetische Energie 1 Π 2E = [P − qA(R; t)]2 (3.503) 2m 2m zu nennen. Dagegen sind der Impulsoperator P und der Drehimpulsoperator L keine wahren physikalischen Gr¨oßen. Dasselbe gilt auch f¨ur den Hamilton-Operator, denn nach Gl. (3.490) gilt im Allgemeinen KE =
˜ E (t) = HE (t). H
(3.504)
Bemerkung In der klassischen Mechanik ist die Gesamtenergie eines Teilchens, das sich in einem zeitunabh¨angigen elektromagnetischen Feld bewegt, eine Konstante der Bewegung. In diesem Fall kann
3.13 Eichinvarianz
301
•
man sich n¨amlich auf Potentiale beschr¨anken, die ebenfalls nicht von der Zeit abh¨angen. Dann ist aber nach Gl. (3.490) ˜ E = HE . H
(3.505)
In diesem Sonderfall ist HE eine wahre physikalische Gr¨oße , und man darf sie als die Gesamtenergie des Teilchens interpretieren.
Eichunabh¨angigkeit der Messergebnisse. Wir nehmen an, dass wir zu einem bestimmten Zeitpunkt t eine wahre physikalische Gr¨oße messen wollen. In der Eichung E werde der Zustand zu diesem Zeitpunkt durch den Ket21 |ψ und die Gr¨oße selbst durch die Observable GE beschrieben. Es sei |ϕn ein Eigenvektor von GE zum Eigenwert gn (der Einfachheit halber setzen wir ihn als nichtentartet voraus): GE |ϕn = gn |ϕn .
(3.506)
Aufgrund der quantenmechanischen Postulate ist die Wahrscheinlichkeit, bei der Messung in der Eichung E den Wert gn zu erhalten, Pn = |ϕn |ψ|2 .
(3.507)
Wie lautet die Voraussage, wenn wir die Eichung wechseln? Nach Gl. (3.499) ist der Eigenvektor des Operators GE , der der physikalischen Gr¨oße in der neuen Eichung E zugeordnet ist, durch |ϕn = Tχ |ϕn
(3.508)
gegeben. Er geh¨ort zum selben Eigenwert gn wie der Vektor |ϕn in Gl. (3.506). Es gilt n¨amlich GE |ϕn = Tχ GE Tχ† Tχ |ϕn = Tχ gn |ϕn = gn |ϕn .
(3.509)
In der Eichung E tritt also der Wert gn stets als ein m¨ogliches Messergebnis auf. Weiter ist die zugeh¨orige Wahrscheinlichkeit dieselbe wie in der Eichung E, weil nach Gl. (3.473) und Gl. (3.508) ϕn |ψ = ϕn |Tχ† Tχ |ψ = ϕn |ψ
(3.510)
ist. Somit haben wir gezeigt, dass die Postulate der Quantenmechanik zu physikalischen Aussagen f¨uhren, die von der Wahl der Eichung unabh¨angig sind: Die m¨oglichen Ergebnisse einer beliebigen Messung und die zugeh¨origen Wahrscheinlichkeiten sind gegen¨uber einer Eichtransformation invariant. 21 Wir unterdr¨ ucken die Angabe der Zeitabh¨angigkeit, weil alle Gr¨oßen zu der Zeit t genommen werden m¨ussen, zu der man die Messung ausf¨uhren will.
•
302
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
Wahrscheinlichkeitsstromdichte. Ausgehend von den Gleichungen (3.117) und (3.128) aus Abschnitt 3.4 berechnen wir die Wahrscheinlichkeit und die Wahrscheinlichkeitsstromdichte in zwei verschiedenen Eichungen E und E . In der ersten Eichung ist ρ(r, t) = |ψ(r, t)|2 und J (r, t) =
$ ' ¯h 1 Re ψ ∗ (r, t) ∇ − qA(r; t) ψ(r, t) . m i
(3.511)
(3.512)
Wegen Gl. (3.483) erkennen wir sofort, dass ρ (r, t) = |ψ (r, t)|2 = ρ(r, t)
(3.513)
ist. Weiter folgt, dass J (r, t)
$ ' q q ¯h 1 Re e−i h¯ χ(r; t) ψ ∗ (r, t) ∇ − qA (r; t) ei h¯ χ(r; t) ψ(r, t) m i $ ' ¯h 1 = Re ψ ∗ (r, t) ∇ − qA (r; t) + q∇χ(r; t) ψ(r, t) , (3.514) m i
=
also bei Ber¨ucksichtigung von Gl. (3.437) J (r, t) = J (r, t)
(3.515)
ist. Dichte und Wahrscheinlichkeitsstrom sind daher gegen¨uber einem Wechsel der Ei¨ chung invariant. Dies war u¨ brigens aufgrund der vorhergehenden Uberlegungen zu erwarten. Sowohl ρ(r, t) als auch J (r, t) k¨onnen als die Erwartungswerte der Operatoren |rr| und 1 (3.516) [|rr|Π E + Π E |rr|] 2m aufgefasst werden. Von beiden Operatoren kann man zeigen, dass sie der Beziehung (3.499) gen¨ugen. Sie beschreiben darum wahre physikalische Gr¨oßen, deren Erwartungswerte eichunabh¨angig sind.22 K E (r) =
3.14 Der Propagator der Schr¨odinger-Gleichung 3.14.1 Der physikalische Grundgedanke Wir betrachten ein Teilchen, das durch die Wellenfunktion ψ(r, t) beschrieben werde. ∂ ¨ Mit der Schr¨odinger-Gleichung k¨onnen wir ψ(r, t), also die Anderungsgeschwindig∂t keit von ψ(r, t), bestimmen. Man erh¨alt somit die zeitliche Entwicklung der Wellenfunktion, indem man von einem differentiellen Standpunkt ausgeht. Hier stellt sich nun 22 Die Frage der Eichinvarianz auch bei anderen Feldern spielt in der Physik der Elementarteilchen eine große Rolle.
3.14 Der Propagator der Schr¨odinger-Gleichung
303
•
die Frage, ob man den Wert der Wellenfunktion an einer Stelle r 0 und zum Zeitpunkt t unmittelbar aus der Kenntnis der gesamten Wellenfunktion ψ(r, t) zu einem fr¨uheren Zeitpunkt ermitteln kann, ohne dass diese infinitesimal benachbart sein muss. Hier l¨asst man sich zweckm¨aßig von einem anderen Bereich der Physik leiten. In der Elektrodynamik sind beide Standpunkte m¨oglich. In der differentiellen Form liefern die ¨ Maxwellschen Gleichungen die Anderungsgeschwindigkeiten der elektrischen und magnetischen Feldkomponenten. Bei der Anwendung des Huygensschen Prinzips (die globale Sicht) bestimmt man das Feld in einem beliebigen Punkt M unmittelbar aus der Kenntnis des monochromatischen Feldes auf einer Fl¨ache Σ , indem man im Punkt M die von den fiktiven Quellen N1 , N2 , . . . ausgehenden Elementarwellen summiert. Diese Strahlung h¨angt dabei von den Werten der Feldgr¨oßen in den Punkten N1 , N2 , . . . ab, s. Abb. 3.21.
Abb. 3.21 Bei einem Beugungsversuch ergibt sich das elektrische Feld im Punkt M nach dem Huygensschen Prinzip als Summe von Elementarwellen, die von den Punkten N1 , N2 , . . . auf der Fl¨ache Σ ausgehen.
In diesem Abschnitt wollen wir nun zeigen, dass es in der Quantenmechanik zum Huygensschen Prinzip ein Analogon gibt. Genauer kann man f¨ur die Wellenfunktion an der Stelle r 2 und zur Zeit t2 > t1 die Beziehung ψ(r 2 , t2 ) =
d3 r1 K(r 2 , t2 ; r 1 , t1 )ψ(r 1 , t1 )
(3.517)
anschreiben und sie in folgender Weise physikalisch interpretieren: Man erh¨alt die Wahrscheinlichkeitsamplitude daf¨ur, dass sich das Teilchen zur Zeit t2 an der Stelle r2 befindet, durch Summation aller Elementarwellen, die von den Stellen (r 1 , t1 ), (r 1 , t1 ), . . . auf der Raum-Zeit-Fl¨ache t = t1 ausgehen. Dabei besitzt jede Elementarquelle das Gewicht ψ(r 1 , t1 ), ψ(r 1 , t1 ), . . . (Abb. 3.22). Wir wollen diesen Zusammenhang herleiten, den sogenannten Propagator K der Schr¨odinger-Gleichung berechnen und einige seiner Eigenschaften untersuchen. Danach werden wir wenigstens qualitativ skizzieren, wie man von K ausgehend die gesamte Quantenmechanik formulieren kann. Dieser Formalismus geht auf Feynman zur¨uck.
•
304
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
Abb. 3.22 Man kann die Wahrscheinlichkeitsamplitude ψ(r 2 , t2 ) erhalten, indem man die Beitr¨age der verschiedenen zum selben fr¨uheren Zeitpunkt t1 geh¨orenden Amplituden ψ(r 1 , t1 ), ψ(r 1 , t1 ), . . . addiert. Jedem Pfeil wird ein Propagator K(r 2 , t2 ; r 1 , t1 ), K(r 2 , t2 ; r 1 , t1 ), . . . zugeordnet.
3.14.2 Existenz und Eigenschaften des Propagators Existenz Das Problem besteht darin, zwischen den Zust¨anden des Systems zu zwei verschiedenen Zeitpunkten einen direkten Zusammenhang herzustellen. Dies ist mit Hilfe des in Abschnitt 3.11 eingef¨uhrten Entwicklungsoperators m¨oglich. Mit ihm gilt |ψ(t2 ) = U (t2 , t1 )|ψ(t1 ).
(3.518)
Weiter ist dann die Wellenfunktion ψ(r 2 , t2 ) = r 2 |ψ(t2 ).
(3.519)
Setzt man Gl. (3.518) in Gl. (3.519) ein und ber¨ucksichtigt die Vollst¨andigkeitsrelation (3.520) d3 r1 |r 1 r1 | = 1, so wird
ψ(r 2 , t2 ) = =
d3 r1 r 2 |U (t2 , t1 )|r 1 r 1 |ψ(t1 ) d3 r1 r 2 |U (t2 , t1 )|r 1 ψ(r 1 , t1 ).
(3.521)
Diese Beziehung stimmt mit Gl. (3.517) u¨ berein, wenn man r 2 |U (t2 , t1 )|r 1 = K(r 2 , t2 ; r1 , t1 ) setzt. Nun braucht man Zusammenh¨ange wie in Gl. (3.517) nur f¨ur Zeiten t2 > t1 . Daher w¨ahlt man K so, dass er f¨ur t2 < t1 gleich null ist. Mit Hilfe der Stufenfunktion $ 1, wenn t2 > t1 , (3.522) θ(t2 − t1 ) = 0, wenn t2 < t1 ,
3.14 Der Propagator der Schr¨odinger-Gleichung
305
•
lautet dann die genaue Definition K(r2 , t2 ; r 1 , t1 ) = r 2 |U (t2 , t1 )|r 1 θ(t2 − t1 ).
(3.523)
Die Einf¨uhrung der Stufenfunktion ist sowohl physikalisch als auch mathematisch von Interesse. In physikalischer Hinsicht hat sie einfach zur Folge, dass die auf der Fl¨ache t = t1 befindlichen Sekund¨arwellen nur in die Zukunft strahlen“. Die durch Gl. (3.523) ” definierte Gr¨oße wird aus diesem Grund als retardierter Propagator bezeichnet. Mathematisch werden wir weiter unten sehen, dass K(r2 , t2 ; r1 , t1 ) wegen des Faktors θ(t2 − t1 ) einer partiellen Differentialgleichung gen¨ugt, deren Inhomogenit¨atsglied eine Deltafunktion aufweist. Dies ist aber die Definitionsgleichung f¨ur eine Greensche Funktion. Bemerkungen 1. Wir stellen fest, dass Gl. (3.521) auch f¨ur t2 < t1 g¨ultig bleibt. Andererseits k¨onnten wir mathematisch auch einen avancierten“ Propagator einf¨uhren, der nur f¨ur t2 < t1 von null verschieden ist ” und der ebenfalls einer Differentialgleichung f¨ur eine Greensche Funktion gen¨ugt. Weil sich seine physikalische Bedeutung nicht als ganz so einfach erweist, werden wir aber auf ihn an dieser Stelle nicht eingehen. 2. Im Folgenden schreiben wir f¨ur K(r 2 , t2 ; r 1 , t1 ) zur Abk¨urzung einfach K(2, 1).
Physikalische Deutung Die physikalische Bedeutung des Propagators K(2, 1) ergibt sich aus Gl. (3.523): K(2, 1) repr¨asentiert die Wahrscheinlichkeitsamplitude daf¨ur, dass das zur Zeit t1 an der Stelle r 1 befindliche Teilchen zur sp¨ateren Zeit t2 an der Stelle r 2 ist. W¨ahlen wir n¨amlich zum Anfangszeitpunkt t1 einen Zustand, der im Punkt r1 lokalisiert ist, also |ψ(t1 ) = |r1 ,
(3.524)
so ist der Zustand zur Zeit t2 |ψ(t2 ) = U (t2 , t1 ) |ψ(t1 ) = U (t2 , t1 ) |r 1 .
(3.525)
Somit ist die Wahrscheinlichkeitsamplitude f¨ur das Auffinden des Teilchens zur Zeit t2 im Punkt r 2 r 2 |ψ(t2 ) = r 2 |U (t2 , t1 )|r 1 ,
(3.526)
und dies ist gerade K(2, 1).
Propagator und Eigenzust¨ande des Hamilton-Operators Wir setzen voraus, dass der Hamilton-Operator von der Zeit nicht explizit abh¨angt, |ϕn seien seine Eigenzust¨ande zu den Eigenwerten En : H |ϕn = En |ϕn .
(3.527)
•
306
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
Nach Gl. (3.417) ist U (t2 , t1 ) = e−iH(t2 −t1 )/¯h .
(3.528)
Mit der Vollst¨andigkeitsrelation |ϕn ϕn | = 1
(3.529)
n
k¨onnen wir dies in der Form U (t2 , t1 ) = e−iH(t2 −t1 )/¯h
|ϕn ϕn |
(3.530)
n
schreiben, also ist bei Beachtung von Gl. (3.527) e−iEn (t2 −t1 )/¯h |ϕn ϕn |. U (t2 , t1 ) =
(3.531)
n
Zur Berechnung von K(2, 1) gen¨ugt es daher, auf beiden Seiten das Matrixelement zwischen r 2 | und |r1 zu bilden und das Ergebnis mit θ(t2 − t1 ) zu multiplizieren. Weil aber r 2 |ϕn = ϕn (r 2 )
(3.532)
ϕn |r1 = ϕ∗n (r 1 )
(3.533)
und
ist, erhalten wir schließlich K(r2 , t2 ; r 1 , t1 ) = θ(t2 − t1 )
ϕ∗n (r 1 )ϕn (r 2 )e−iEn (t2 −t1 )/¯h .
(3.534)
n
Differentialgleichung fur ¨ den Propagator Der Ausdruck ϕn (r2 )e−iEn t2 /¯h ist L¨osung der Schr¨odinger-Gleichung. In der Ortsdarstellung gilt also h ¯ ∂ − H r2 , ∇2 ϕn (r 2 )e−iEn t2 /¯h = 0. (3.535) i¯ h ∂t2 i Dabei haben wir die drei Differentialoperatoren ∂/∂x2 , ∂/∂y2 und ∂/∂z2 mit ∇2 abgek¨urzt. Wenden wir auf Gl. (3.534) den Operator ∂ h ¯ i¯ h − H r 2 , ∇2 ∂t2 i an und beachten die Beziehung (s. Anhang II, Gl. (44)) ∂ θ(t2 − t1 ) = δ(t2 − t1 ), ∂t2
(3.536)
•
3.14 Der Propagator der Schr¨odinger-Gleichung
307
so ergibt sich weiter ∂ ¯ h i¯ h − H r2 , ∇2 K(r 2 , t2 ; r1 , t1 ) = ∂t2 i ϕ∗n (r 1 )ϕn (r 2 )e−iEn (t2 −t1 )/¯h . i¯ h δ(t2 − t1 )
(3.537)
n
Auf der rechten Seite kann man wegen des Faktors δ(t2 − t1 ) in der Summe t2 − t1 durch null, also den Exponentialausdruck durcheins ersetzen, w¨ahrend wegen der Gleichungen (3.529), (3.532) und (3.533) der Term n ϕ∗n (r 1 )ϕn (r 2 ) gleich δ(r 2 − r1 ) ist. Dies erkennt man, wenn man bei Gl. (3.529) das Matrixelement zwischen r 2 | und |r 1 bildet. Somit erhalten wir schließlich f¨ur den Propagator K die Differentialgleichung ∂ h ¯ i¯ h − H r2 , ∇2 K(r 2 , t2 ; r1 , t1 ) = i¯ h δ(t2 − t1 )δ(r 2 − r 1 ). (3.538) ∂t2 i Allgemein nennt man die L¨osungen einer Gleichung, deren Inhomogenit¨atsglied eine vierdimensionale“ Deltafunktion enth¨alt, Greensche Funktionen. Wie man zeigen kann, ” gen¨ugt es, zur vollst¨andigen Bestimmung von K(2, 1) zu Gl. (3.538) die Bedingung K(r2 , t2 ; r 1 , t1 ) = 0, wenn t2 < t1
(3.539)
hinzuzuf¨ugen. Die Gleichungen (3.538) und (3.539) erweisen sich insbesondere in der St¨orungstheorie (s. Kapitel 11) als besonders n¨utzlich.
3.14.3 Pfadintegral-Formulierung der Quantenmechanik Weltlinie in der Raum-Zeit Wir betrachten in der Raum-Zeit die beiden Punkte mit den Koordinaten (r 1 , t1 ) und (r 2 , t2 ), s. Abb. 3.23, in der die Ordinate die drei Raumkoordinaten schematisch vertritt. Wir w¨ahlen N zwischen t1 und t2 liegende Zeitpunkte tαi (i = 1, 2, . . . , N ): t1 < tα1 < tα2 < . . . < tαN −1 < tαN < t2
(3.540)
und zu jedem einen Ort r αi . Mit N −→ ∞ konstruiert man so eine (als stetig angenommene) Funktion r(t) mit r(t1 ) = r1 ,
(3.541)
r(t2 ) = r2 .
(3.542)
Man sagt, dass r(t) in der Raum-Zeit eine Weltlinie zwischen (r 1 , t1 ) und (r 2 , t2 ) definiert: Zun¨achst k¨onnte es sich dabei um die Trajektorie eines Massenpunktes handeln, der zur Zeit t1 vom Punkt r1 ausgeht und zur Zeit t2 zum Punkt r 2 gelangt.
•
308
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
Abb. 3.23 Zur Konstruktion einer Weltlinie in der Raum-Zeit. Man nimmt N zwischen t1 und t2 liegende Zeitpunkte tαi (i = 1, 2, . . . , N ) und w¨ahlt f¨ur jeden von ihnen einen Wert r αi .
Zerlegung des Propagators Wir beginnen mit dem Fall, bei dem die Anzahl N der Zwischenzeiten endlich ist. Nach Gl. (3.409) aus Abschnitt 3.11 d¨urfen wir f¨ur den Zeitentwicklungsoperator U (t2 , t1 ) = U (t2 , tαN )U (tαN , tαN −1 ) . . . U (tα2 , tα1 )U (tα1 , t1 )
(3.543)
schreiben. Bilden wir von beiden Seiten dieser Gleichung das Matrixelement zwischen r 2 | und |r 1 und schieben f¨ur jede Zwischenzeit die Vollst¨andigkeitsrelation ein, so erhalten wir bei Beachtung von Gl. (3.523) und Gl. (3.540) 3 3 3 d rαN −1 . . . d rα2 d3 rα1 K(2, αN ) K(2, 1) = d rαN × K(αN , αN −1 ) . . . × K(α2 , α1 )K(α1 , 1).
(3.544)
Den Integranden K(2, αN )K(αN , αN −1 ) . . . K(α2 , α1 )K(α1 , 1)
(3.545)
k¨onnen wir nun als die Wahrscheinlichkeitsamplitude daf¨ur interpretieren, dass das Teilchen – vom Raum-Zeitpunkt 1(r1 , t1 ) ausgehend – zum Punkt 2(r 2 , t2 ) gelangt, indem es s¨amtliche Zwischenpunkte αi (r αi , tαi ) wie in Abb. 3.23 passiert. Dabei beachten wir, dass in Gl. (3.544) u¨ ber alle m¨oglichen Orte r αi zu den Zeitpunkten tαi summiert wird. Wir lassen jetzt N gegen unendlich gehen.23 Dann definiert eine Punktfolge αi eine Weltlinie zwischen 1 und 2, und das zugeh¨orige Produkt (Gl. (3.545)) wird die Wahrscheinlichkeitsamplitude daf¨ur, dass das Teilchen sich l¨angs dieser Linie bewegt. Wir halten fest, dass jetzt in Gl. (3.544) unendlich oft zu integrieren w¨are. Es ist jedoch verst¨andlich, dass die Summation u¨ ber die Gesamtheit der m¨oglichen Orte f¨ur jeden Zeitpunkt auf eine Summation u¨ ber die verschiedenen m¨oglichen Wege hinausl¨auft. K(2, 1) erscheint daher als eine Summe (tats¨achlich als ein Integral), die der koh¨arenten Superposition der Amplituden f¨ur alle zwischen 1 und 2 m¨oglichen Wege entspricht. 23 Wir
stellen hier keinerlei Anspruch auf mathematische Strenge.
3.14 Der Propagator der Schr¨odinger-Gleichung
309
•
Feynman-Postulate Die Begriffe des Propagators und der Weltlinie erlauben es, das Postulat hinsichtlich der zeitlichen Entwicklung eines physikalischen Systems in anderer Weise zu formulieren. F¨ur ein spinloses Teilchen wollen wir den grunds¨atzlichen Gedankengang hier skizzieren. Der Propagator K(2, 1) wird unmittelbar als die Wahrscheinlichkeitsamplitude daf¨ur definiert, dass das Teilchen zur Zeit t1 von der Stelle r 1 ausgeht und zur Zeit t2 zur Stelle r 2 gelangt. Man postuliert also: 1. K(2, 1) ist die Summe der unendlich vielen Teilamplituden f¨ur die Weltlinien, die (r 1 , t1 ) und (r 2 , t2 ) verbinden. 2. Ist SΓ die klassische Wirkung l¨angs des Weges Γ , d. h. SΓ = L(r, p, t)dt (3.546) (Γ )
mit der Lagrange-Dichte L(r, p, t) des Teilchens (s. Anhang III), so ist KΓ (2, 1) durch i
KΓ (2, 1) = N e h¯ SΓ
(3.547)
gegeben; N ist eine Normierungskonstante (die man u¨ brigens explizit bestimmen kann). Aus diesen beiden Postulaten l¨asst sich die Schr¨odinger-Gleichung als Folgerung herleiten. Das Gleiche gilt f¨ur die kanonischen Vertauschungsrelationen zwischen den Komponenten der Observablen R und P : Die beiden Postulate erweisen sich somit als eine a¨ quivalente Formulierung der Quantenmechanik.
Quasi-klassischer Grenzfall. Zusammenhang mit dem Hamilton-Prinzip Die Pfadintegral-Methode ist besonders interessant, wenn es um den Zusammenhang zwischen der klassischen und der Quantenmechanik geht. Betrachten wir die Situation, in der die Wirkungen SΓ gegen¨uber ¯h groß sind. In diesem Fall ist n¨amlich die Variation ΔSΓ der Wirkung zwischen zwei verschiedenen Weltlinien im Allgemeinen selbst dann sehr viel gr¨oßer als ¯h, wenn die relative Variation ΔSΓ /SΓ 1 ist. Folglich a¨ ndert sich die Phase von KΓ (2, 1) sehr rasch, so dass sich die Beitr¨age zur Gesamtamplitude K(2, 1) f¨ur die meisten Wege Γ durch Interferenz aufheben. Nehmen wir jedoch an, dass es einen Weg Γ0 gibt, f¨ur den die Wirkung ¨ station¨ar ist (sich also beim Ubergang zu einem infinitesimal benachbarten Weg in erster Ordnung nicht a¨ ndert), so interferiert die Amplitude KΓ0 (2, 1) mit allen Amplituden zu benachbarten Amplituden konstruktiv, weil jetzt die Phasen praktisch gleich sind. Sind also die Wirkungen SΓ groß gegen¨uber ¯h, so befindet man sich in einer quasiklassi” schen“ Situation: Bei der Berechnung von K(2, 1) kann man alle Wege bis auf den Weg Γ0 und seine infinitesimalen Nachbarn vernachl¨assigen, das Teilchen folgt zwischen den Punkten 1 und 2 der Trajektorie Γ0 . Dies ist aber gerade die klassische Bahn, weil sie nach dem Hamilton-Prinzip als der Weg definiert ist, auf dem die Wirkung minimal ist. Die Feynman-Postulate schließen also im klassischen Grenzfall das Hamilton-Prinzip der kleinsten Wirkung ein. Sie erlauben dar¨uber hinaus auch eine anschauliche Erkl¨arung:
•
310
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
Die dem Teilchen zugeordnete Welle tastet“ die verschiedenen m¨oglichen Wege ab und ” w¨ahlt den Weg aus, f¨ur den die Wirkung am geringsten ist. Die Pfadintegral-Methode der Quantenmechanik bietet eine Reihe weiterer Vorteile, auf die wir hier nicht im Einzelnen eingehen. So erlaubt sie auf einfache Weise eine relativistische Verallgemeinerung, weil sie unmittelbar in der Raum-Zeit formuliert wird. Ferner kann man sie auf jedes klassische (und erst recht auf jedes mechanische) System anwenden, das durch ein Variationsprinzip bestimmt wird, so z. B. auf ein Feld. Schwierigkeiten ergeben sich dagegen auf mathematischer Ebene (Summation u¨ ber unendlich viele Wege, Grenz¨ubergang N −→ ∞ usw.).
3.15 Instabile Niveaus. Lebensdauer 3.15.1 Einfuhrung ¨ Wir betrachten ein konservatives System, dessen Hamilton-Operator also zeitunabh¨angig ist. Zur Zeit t = 0 sei es in einem Eigenzustand |ϕn des Hamilton-Operators zum Eigenwert En : |ψ(0) = |ϕn
(3.548)
H|ϕn = En |ϕn .
(3.549)
mit
In diesem Fall bleibt das System dauernd in diesem Zustand (der Zustand ist station¨ar, s. Abschnitt 3.4.2). In Kapitel 7 werden wir das Wasserstoffatom behandeln, indem wir die Eigenwertgleichung seines (zeitunabh¨angigen) Hamilton-Operators l¨osen. Die sich dabei ergebenden Energieniveaus stimmen mit den Messungen gut u¨ berein. Allerdings weiß man, dass die meisten dieser Niveaus in Wirklichkeit instabil sind: Befindet sich das Atom zur Zeit t = 0 in einem angeregten Zustand, also in einem Eigenzustand |ϕn zu einer Energie En , die h¨oher liegt als die am niedrigsten liegende Energie des Grundzustands, so f¨allt“ es ” im Allgemeinen unter Aussendung von einem oder mehreren Photonen in diesen Grundzustand. Der Zustand |ϕn ist in diesem Fall nicht station¨ar. Diese Schwierigkeit r¨uhrt daher, dass man bei den Rechnungen in Kapitel 7 das Wasserstoffatom als ein v¨ollig isoliertes System behandelt, obwohl es in st¨andiger Wechselwirkung mit dem elektromagnetischen Feld steht. Wenn man die zeitliche Entwicklung des Gesamtsystems Atom + elektromagnetisches Feld“ vollst¨andig durch einen ” Hamilton-Operator beschreiben kann, ist es in Strenge nicht m¨oglich, f¨ur das Wasserstoffatom allein einen Hamilton-Operator zu definieren (s. die entsprechende Bemerkung (5) in Abschnitt 3.10.5 ). Nur weil die Kopplung zwischen Atom und Feld gering ist (man kann zeigen, dass die Kraft“ durch die in Kapitel 7 eingef¨uhrte Feinstrukturkonstante ” α ≈ 1/137 charakterisiert ist), erweist es sich als eine sehr gute N¨aherung, wenn man die Existenz des elektromagnetischen Feldes insoweit vollst¨andig vernachl¨assigt, als man sich nicht f¨ur die Instabilit¨at der Niveaus interessiert.
3.15 Instabile Niveaus. Lebensdauer
311
•
Bemerkungen 1. Ist der Anfangszustand eines strikt konservativen und isolierten Systems eine Linearkombination aus station¨aren Zust¨anden, so a¨ ndert es sich zeitlich. Sein Hamilton-Operator ist jedoch eine Konstante der Bewegung, und folglich die Wahrscheinlichkeit, einen bestimmten Energiewert zu messen, zeitunabh¨angig genau wie der Energieerwartungswert, s. Abschnitt 3.4.2. Bei einem insta¨ bilen Niveau geschieht dagegen ein irreversibler Ubergang von einem Zustand in einen anderen. Das System verliert dabei Energie, die von den emittierten Photonen fortgetragen wird.24 2. Die Instabilit¨at der angeregten Niveaus eines Atoms r¨uhrt von der spontanen Photonenemission her, w¨ahrend der Grundzustand stabil ist, weil es kein tieferes Energieniveau gibt. Dagegen k¨onnen Atome auch Licht absorbieren und so in h¨ohere Energiezust¨ande gelangen.
Wir wollen an dieser Stelle andeuten, wie man der Instabilit¨at eines Niveaus wenigstens ph¨anomenologisch Rechnung tragen kann. Dabei kann es sich nicht um eine Beschreibung in Strenge handeln, weil wir das System weiterhin als isoliert betrachten. Genauer werden wir auf diese Frage in Abschnitt 13.7 eingehen und dann die hier vorgestellte N¨aherung rechtfertigen.
3.15.2 Definition der Lebensdauer Die Erfahrung zeigt, dass die Instabilit¨at eines Niveaus h¨aufig durch einen eindeutigen Parameter τ mit der Dimension einer Zeit charakterisiert werden kann; man nennt ihn die Lebensdauer des Niveaus. Genauer: Wenn man das System zum Zeitpunkt t = 0 in den instabilen Zustand |ϕn pr¨apariert, so stellt man fest, dass die Wahrscheinlichkeit, es zu einem sp¨ateren Zeitpunkt t noch in diesem Zustand zu finden, durch P(t) = e−t/τ
(3.550)
gegeben ist. Diese Tatsache kann man auch in folgender Weise beschreiben: Wir betrachten eine große Zahl N von identischen und unabh¨angigen Systemen, die alle zur Zeit t = 0 in den Zustand |ϕn pr¨apariert werden. Dann sind zum Zeitpunkt t noch N (t) = N e−t/τ Systeme in diesem Zustand. Zwischen den Zeiten t und t + dt verl¨asst eine bestimmte Zahl dn(t) = N (t) − N (t + dt) = −
dt dN (t) dt = N (t) dt τ
(3.551)
den instabilen Zustand. F¨ur alle N (t) Systeme, die sich zur Zeit t noch im Zustand |ϕn befinden, kann man darum eine Wahrscheinlichkeit d(t) =
dt dn(t) = N (t) τ
(3.552)
daf¨ur definieren, dass sie diesen Zustand w¨ahrend des auf t folgenden Zeitintervalls dt verlassen. Wie man sieht, h¨angt d(t) nicht von der Zeit ab: Man sagt, dass das System die Wahrscheinlichkeit durch Zeit 1/τ besitzt, das instabile Niveau zu verlassen. 24 Diese
k¨onnen u¨ brigens auch Impuls und kinetische Energie mit sich f¨uhren.
•
312
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
Bemerkungen 1. Berechnen wir die mittlere Zeit, in der das System im instabilen Zustand verbleibt, so erhalten wir ∞
t e−t/τ
0
dt = τ. τ
(3.553)
Das ist der Grund, weshalb man den Parameter τ die Lebensdauer des betreffenden Zustands nennt. 2. Die Lebensdauer τ besitzt eine bemerkenswerte Eigenschaft. Sie h¨angt n¨amlich nicht davon ab, wie man das System in den instabilen Zustand pr¨apariert hat, also nicht von seiner Vorgeschich” te“: Die Lebensdauer ist ein Charakteristikum des instabilen Zustands selbst. 3. Aufgrund der Energie-Zeit-Unsch¨arferelation (s. Abschnitt 3.4.2) entspricht der Zeit τ , die f¨ur die Entwicklung eines instabilen Niveaus charakteristisch ist, eine Energieunsch¨arfe ΔE ≈
¯ h . τ
(3.554)
Die Energie eines instabilen Niveaus kann also nicht mit beliebiger Genauigkeit bestimmt werden, sondern h¨ochstens mit einer Unsch¨arfe ΔE. Diese nennt man die (nat¨urliche) Linienbreite des betrachteten Niveaus. Im Fall des Wasserstoffatoms ist die Linienbreite der verschiedenen Niveaus gegen¨uber ihrem jeweiligen Abstand vernachl¨assigbar. Dies erkl¨art, weshalb man die Niveaus in erster Ordnung als stabil behandeln kann.
3.15.3 Ph¨anomenologische Beschreibung Wir betrachten zun¨achst ein konservatives System, das wir zum Anfangszeitpunkt in den Eigenzustand |ϕn des Hamilton-Operators H pr¨aparieren. Dann ist nach der Regel (3.163) aus Abschnitt 3.4 das System zur Zeit t im Zustand |ψ(t) = e−iEn t/¯h |ϕn .
(3.555)
Wird zu diesem Zeitpunkt eine Messung vorgenommen, so findet man das System im Zustand |ϕn mit der Wahrscheinlichkeit Pn (t) = |e−iEn t/¯h |2 .
(3.556)
Weil die Energie En eine reelle Gr¨oße ist (H ist eine Observable), ist diese Wahrscheinlichkeit konstant gleich eins. Wieder ergibt sich, dass |ϕn ein station¨arer Zustand ist. Ersetzen wir dagegen En durch den komplexen Ausdruck En = En − i¯ h
γn , 2
(3.557)
so wird die Wahrscheinlichkeit Pn (t) = |e−i(En −i¯h
γn h 2 2 )t/¯ |
= e−γn t .
(3.558)
In diesem Fall nimmt also die Wahrscheinlichkeit, das System im Zustand |ϕn zu finden, zeitlich wie in Gl. (3.550) exponentiell ab. Will man daher der Instabilit¨at eines Zustands
3.16 Aufgaben zu Kapitel 3
313
•
|ϕn mit der Lebensdauer τn ph¨anomenologisch Rechnung tragen, so gen¨ugt es wie in Gl. (3.557), zu seiner Energie einen Imagin¨arteil hinzuzuf¨ugen, wobei man γn =
1 τn
(3.559)
zu setzen hat. Bemerkung Ersetzt man En durch En , so wird die Norm des Zustandsvektors aus Gl. (3.555) zeitabh¨angig: e−γn t/2 . Das ist nicht u¨ berraschend: In Abschnitt 3.4.1 hatten wir gesehen, dass die Normerhaltung des Zustandsvektors von der Hermitezit¨at des Hamilton-Operators herr¨uhrt. Nun kann aber ein Operator mit komplexen Eigenwerten nicht hermitesch sein. Wir stellten bereits in Abschnitt 3.15.1 fest, dass das von uns untersuchte System Teil eines gr¨oßeren Systems ist (es steht ja in Wechselwirkung mit dem elektromagnetischen Feld) und dass wir in Strenge seine zeitliche Entwicklung nicht mit Hilfe eines Hamilton-Operators beschreiben k¨onnen. Bemerkenswert ist daher schon, dass dies einfach durch Einf¨uhrung eines Hamilton-Operators“ mit komplexen Eigenwerten gelingt. ”
3.16 Aufgaben zu Kapitel 3 1. Bei einem eindimensionalen Problem sei einem Teilchen die Wellenfunktion eip0 x/¯h ψ(x) = N √ x2 + a2 zugeordnet, wobei a und p0 reelle Konstanten und N ein Normierungsfaktor sind. a) Man bestimme N so, dass ψ(x) normiert ist. b) Wie √ groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass bei einer Ortsmessung das Ergebnis zwi√ schen −a/ 3 und +a/ 3 liegt? c) Man berechne den Impulserwartungswert des Teilchens. 2. Bei einem eindimensionalen Problem sei ψ(x, t) die Wellenfunktion eines Teilchens mit der Masse m zur Zeit t. a) Zu diesem Zeitpunkt werde der Abstand d dieses Teilchens vom Ursprung O gemessen. Man gebe in Abh¨angigkeit von ψ(x, t) die Wahrscheinlichkeit P(d0 ) daf¨ur an, dass das Resultat gr¨oßer als eine bestimmte Entfernung d0 ist. Welche Grenzen gelten f¨ur P(d0 ), wenn d0 −→ 0 und d0 → ∞ geht? b) Statt der Ortsmessung wie in a) beobachtet man die Geschwindigkeit v des Teilchens zur Zeit t. Welcher Ausdruck in Abh¨angigkeit von ψ(x, t) ergibt sich f¨ur die Wahrscheinlichkeit, dass das Ergebnis gr¨oßer als ein gegebener Wert v0 ist? 3. Bei einem eindimensionalen Problem sei die Wellenfunktion eines freien Teilchens zum Anfangszeitpunkt +∞ dk e−|k|/k0 eikx ; ψ(x, 0) = N −∞
•
314
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
darin sind k0 und N Konstanten. a) Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit P(p1 , 0) daf¨ur, dass man bei einer Impulsmessung zum Zeitpunkt t = 0 ein Ergebnis erh¨alt, das zwischen −p1 und +p1 liegt? Man diskutiere die Funktion P(p1 , 0). b) Wie lautet die Wahrscheinlichkeit P(p1 , t), wenn die Messung zur Zeit t durchgef¨uhrt wird? Deutung? c) Welche Form hat das Wellenpaket zur Zeit t = 0? Man berechne f¨ur diesen Zeitpunkt das Produkt ΔX · ΔP ; Schlussfolgerung? Man beschreibe qualitativ die weitere Entwicklung des Pakets. 4. Zerfließen eines freien Wellenpakets Man untersuche das Verhalten eines freien Teilchens. a) Man zeige mit Hilfe des Ehrenfest-Theorems, dass der Erwartungswert X linear von der Zeit abh¨angt, der Impulserwartungswert P dagegen konstant bleibt. b) Man formuliere die Bewegungsgleichungen f¨ur die Erwartungswerte X 2 und XP + P X und integriere sie. c) Man leite her, dass bei geeigneter Wahl des Zeitursprunges die Standardabweichung ΔX durch 1 (ΔX)2 = 2 (ΔP )20 t2 + (ΔX)20 m gegeben ist, wobei (ΔX)0 und (ΔP )0 die Standardabweichungen zur Zeit t = 0 sind. Wie a¨ ndert sich die Breite des Wellenpakets zeitlich (s. Abschnitt 1.11.3)? Physikalische Deutung? 5. Teilchen in einem konstanten Kraftfeld Bei einem eindimensionalen Problem betrachte man ein Teilchen mit der potentiellen Energie V (x) = −f X, f positiv und konstant ( z. B. ein Teilchen im Schwerefeld oder unter der Wirkung eines konstanten elektrischen Feldes). a) Wie lautet das Ehrenfest-Theorem f¨ur den Erwartungswert des Ortes X und des Impulses P des Teilchens? Man integriere diese Gleichungen und vergleiche die Ergebnisse mit der klassischen Bewegung. b) Man zeige, dass sich die Standardabweichung ΔP zeitlich nicht a¨ ndert. c) Wie lautet die Schr¨odinger-Gleichung in der Impulsdarstellung? Man leite mit ihr ∂ ∂ |p|ψ(t)|2 her. Man integriere die erhaleine Beziehung zwischen |p|ψ(t)|2 und ∂t ∂p tene Gleichung; physikalische Deutung? 6. Man betrachte im Dreidimensionalen die Wellenfunktion ψ(x, y, z) = N e
|x| − 2a
+
|y| 2b
+
|z| 2c
,
worin a, b und c drei L¨angen bedeuten. a) Man bestimme N so, dass ψ normiert ist. b) Man berechne die Wahrscheinlichkeit daf¨ur, dass eine Messung von X ein Ergebnis zwischen 0 und a liefert.
3.16 Aufgaben zu Kapitel 3
315
•
c) Man berechne die Wahrscheinlichkeit daf¨ur, dass bei der gleichzeitigen Messung von Y und Z die Resultate zwischen −b und +b bzw. −c und +c liegen. d) Man berechne die Wahrscheinlichkeit daf¨ur, dass bei einer Impulsmessung das Ergebnis in dem um den Punkt px = py = 0; pz = h ¯ /c zentrierten Element dpx dpy dpz liegt. 7. Es sei ψ(x, y, z) = ψ(r) die normierte Wellenfunktion eines Teilchens. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit daf¨ur, dass man a) bei einer Messung der Abszisse X einen Wert zwischen x1 und x2 findet? b) bei einer Messung der x-Komponente des Impulses P einen Wert zwischen p1 und p2 findet? c) bei der gleichzeitigen Messung von X und Pz x1 ≤ x ≤ x2 , pz ≥ 0 findet? d) bei der gleichzeitigen Messung von Px , Py und Pz die Ergebnisse p1 ≤ px ≤ p2 , p3 ≤ py ≤ p4 , p5 ≤ pz ≤ p6 erh¨alt? Man zeige, dass man f¨ur p3 , p5 −→ −∞ und p4 , p6 −→ +∞ wieder das Ergebnis von Fall b) erh¨alt. 1 e) Man zeige, dass man bei einer Messung der Komponente U = √ (X + Y + Z) 3 des Ortes ein zwischen u1 und u2 liegendes Ergebnis erh¨alt. 8. Es sei ψ(r) die Wellenfunktion f¨ur den Zustand eines Teilchens mit der Masse m und J(r) der zugeh¨orige Wahrscheinlichkeitsstrom (s. Gl. (3.125) und Gl. (3.127) aus Abschnitt 3.4). a) Man zeige, dass m d3 r J (r) = P ist, worin P den Impulserwartungswert bedeutet. b) Man pr¨ufe, ob die drei Komponenten des Bahndrehimpulses L = R × P hermitesch sind. Man beweise, dass m d3 r [r × J (r)] = L.
•
316
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
9. Wir wollen zeigen, dass der physikalische Zustand eines Teilchens (ohne Spin) durch die Angabe der Wahrscheinlichkeitsdichte ρ(r) = |ψ(r)|2 und der Wahrscheinlichkeitsstromdichte J (r) vollst¨andig bestimmt ist. a) Die Funktion ψ(r) sei durch ψ(r) = ρ(r)eiξ(r) gegeben. Man zeige, dass J (r) =
¯ h ρ(r)∇ξ(r) m
ist. Hiermit leite man weiter her: Zwei Funktionen, die dieselbe Dichte ρ(r) und denselben Strom J(r) ergeben, k¨onnen sich nur um einen globalen Phasenfaktor unterscheiden. b) Es seien zwei beliebige Funktionen ρ(r) und J (r) gegeben. Man zeige, dass man ihnen nur dann einen quantenmechanischen Zustand ψ(r) zuordnen kann, wenn ∇ × v(r) = 0 ist, wobei v(r) = J (r)/ρ(r) die Geschwindigkeit des zugeh¨origen Wahrscheinlichkeitsfluids bedeutet. c) Man nehme an, dass das Teilchen der Wirkung eines Magnetfeldes B(r) = ∇ × A(r) unterworfen ist (s. Gl. (3.128) in Abschnitt 3.4). Man zeige, dass J (r) =
ρ(r) [¯ h∇ξ(r) − qA(r)] m
und ∇ × v(r) = −
q B(r) m
ist. 10. Der Virialsatz a) Bei einem eindimensionalen System betrachte man den Hamilton-Operator f¨ur ein Teilchen H=
P2 + V (X) 2m
mit V (X) = λ X n . Man berechne den Kommutator [H, XP ]. Man zeige: Existieren im Potential V ein oder mehrere station¨are Zust¨ande |ϕ, so besteht f¨ur die Erwartungswerte der kinetischen Energien und des Potentials in diesen Zust¨anden die Beziehung 2T = nV . b) F¨ur ein dreidimensionales Problem laute der Hamilton-Operator H=
P2 + V (R). 2m
Man berechne den Kommutator [H, R · P ]. Man nehme an, dass V (R) in den Variablen X, Y und Z eine homogene Funktion n-ten Grades ist. Welche Beziehung besteht notwendig zwischen den Erwartungswerten der kinetischen und der potentiellen Energie des Teilchens in einem station¨aren Zustand? Man wende das Ergebnis auf ein Teilchen im Potential V (r) = −e2 /r an (Wasserstoffatom).
3.16 Aufgaben zu Kapitel 3
317
•
Erinnerung: Eine Funktion V heißt in den Variablen x, y und z homogen vom Grade n, wenn sie der Gleichung V (αx, αy, αz) = αn V (x, y, z) gen¨ugt. Es gilt dann der Satz von Euler: x
∂V ∂V ∂V +y +z = n V (x, y, z). ∂x ∂y ∂z
c) Bei einem N -Teilchensystem sei die potentielle Energie in den Variablen Xi , Yi , Zi , i = 1, 2, . . . , N eine homogene Funktion vom Grade n. Kann man die eben erhaltenen Ergebnisse verallgemeinern? Anwendung: Man untersuche ein Molek¨ul, das aus Kernen mit den Ladungen −Zi q und Elektronen mit der Ladung q besteht. S¨amtliche Teilchen wirken paarweise durch Coulomb-Kr¨afte aufeinander. Welche Beziehung besteht in einem station¨aren Zustand des Molek¨uls zwischen der kinetischen Energie der Teilchen und ihrer Wechselwirkungsenergie? 11. Zweiteilchen-Wellenfunktion Bei einem eindimensionalen Problem bestehe das System aus zwei Teilchen (1) und (2), die zugeh¨orige Wellenfunktion sei ψ(x1 , x2 ). a) Welche Wahrscheinlichkeit besteht daf¨ur, dass bei einer Messung der Orte X1 und X2 die Ergebnisse zwischen x ≤ x1 ≤ x + dx und α ≤ x2 ≤ β liegen? b) Welche Wahrscheinlichkeit besteht daf¨ur, das Teilchen (1) zwischen x und x + dx zu finden, wenn man am Teilchen (2) keine Beobachtung vornimmt? c) Man gebe die Wahrscheinlichkeit daf¨ur an, dass man wenigstens ein Teilchen zwischen α und β findet. d) Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, genau ein Teilchen zwischen α und β zu finden? e) Welche Wahrscheinlichkeit besteht, f¨ur den Impuls des Teilchens (1) einen Wert zwischen p und p und f¨ur den Ort des Teilchens (2) ein Ergebnis zwischen α und β zu finden? f) Man misst die Impulse P1 und P2 der beiden Teilchen. Welche Wahrscheinlichkeit besteht, dass sich p ≤ p1 ≤ p und p ≤ p2 ≤ p ergibt? g) Es werde nur der Impuls P1 des ersten Teilchens gemessen. Ausgehend von den Ergebnissen in Fall e), danach in Fall f) bestimme man die Wahrscheinlichkeit, f¨ur diesen Impuls einen Wert zwischen p und p zu erhalten. Man vergleiche die beiden Ergebnisse. h) Man misst den (algebraischen) Abstand X1 − X2 der beiden Teilchen. Wie lautet die Wahrscheinlichkeit f¨ur ein Ergebnis zwischen −d und +d? Wie groß ist der Erwartungswert dieses Abstands?
•
318
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
12. Eindimensionaler, unendlich tiefer Potentialtopf Ein Teilchen mit der Masse m unterliege dem Potential V (x) = 0,
wenn 0 ≤ x ≤ a,
V (x) = +∞,
wenn x < 0 oder x > a.
n2 π 2 ¯h2 Die Eigenfunktionen zu den Eigenwerten (s. Abschnitt 1.12) nennen wir |ϕn . 2ma2 Zum Anfangszeitpunkt t = 0 sei der Zustand des Teilchens |ψ(0) = a1 |ϕ1 + a2 |ϕ2 + a3 |ϕ3 + a4 |ϕ4 . a) Mit welcher Wahrscheinlichkeit findet man bei einer Messung der Teilchenenergie 3π 2 ¯h2 ? im Zustand |ψ(0) einen Wert kleiner als ma2 b) Wie groß sind Erwartungswert und Standardabweichung der Energie im Zustand |ψ(0)? c) Man berechne den Zustandsvektor |ψ(t) zum Zeitpunkt t. Gelten die in a) und b) erhaltenen Ergebnisse f¨ur jeden Zeitpunkt t? 8π 2 ¯h2 . In welchem Zustand ist das d) Bei einer Energiemessung erh¨alt man den Wert ma2 System nach der Messung? Wo befindet man sich, wenn man die Energie noch einmal misst? 13. Zweidimensionaler unendlich tiefer Potentialtopf (s. Abschnitt 2.13) Bei einem zweidimensionalen Problem sei der Hamilton-Operator eines Teilchens mit der Masse m H = Hx + H y mit Hx =
Px2 + V (X), 2m
Hy =
Py2 + V (Y ). 2m
Die potentielle Energie V (x) bzw. V (y) sei gleich null, wenn x bzw. y zum Intervall [0, a] geh¨ort, und sonst gleich unendlich. a) Welche der folgenden Operatormengen bilden einen vollst¨andigen Satz kommutierender Observabler (v. S. k. O.): {H}, {Hx }, {Hx , Hy }, {H, Hx }? b) Die Wellenfunktion eines Teilchens sei πy 2πx 2πy πx cos sin sin , a a a a wenn 0 ≤ x ≤ a und 0 ≤ y ≤ a, und sonst gleich null (N ist eine Konstante). α) Man bestimme den Erwartungswert H der Teilchenenergie. Welche Ergebnisse findet man bei einer Energiemessung und mit welchen Wahrscheinlichkeiten? β) Welche Resultate kann man bei einer Messung der Observablen Hx erhalten und π 2 ¯h2 liefern. Welche mit welchen Wahrscheinlichkeiten? Diese Messung m¨oge den Wert 2ma2 ψ(x, y) = N cos
3.16 Aufgaben zu Kapitel 3
319
•
Ergebnisse erh¨alt man dann bei einer nachfolgenden Messung von Hy und mit welchen Wahrscheinlichkeiten? γ) An Stelle der vorstehenden Messungen beobachtet man jetzt gleichzeitig Hx und Py . Mit welchen Wahrscheinlichkeiten ergibt sich dann, dass Ex =
h2 9π 2 ¯ 2ma2
und p0 ≤ py ≤ p0 + dp gemessen wird? 14. Der dreidimensionale Zustandsraum eines physikalischen Systems werde von der orthonormierten Basis {|u1 , |u2 , |u3 } aufgespannt. Der Hamilton-Operator H und die beiden Observablen A und B lauten in dieser Basis: ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ 1 0 0 1 0 0 0 1 0 H =h ¯ ω0 ⎝ 0 2 0 ⎠ ; A = a ⎝ 0 0 1 ⎠ ; B = b ⎝ 1 0 0 ⎠ , 0 0 2 0 1 0 0 0 1 worin ω0 , a und b reelle, positive Konstanten sind. Zur Zeit t = 0 befinde sich das System im Zustand 1 1 1 |ψ(0) = √ |u1 + |u2 + |u3 . 2 2 2 a) Zum Zeitpunkt t = 0 misst man die Energie des Systems. Welche Werte k¨onnen sich mit welchen Wahrscheinlichkeiten ergeben? Man berechne f¨ur den Fall, dass sich das System im Zustand |ψ(0) befindet, den Erwartungswert H und die Standardabweichung ΔH. b) Statt H misst man zum Anfangszeitpunkt die Observable A. Welche Ergebnisse kann man mit welchen Wahrscheinlichkeiten erhalten? In welchem Zustand befindet sich das System unmittelbar nach der Messung? c) Man berechne den Zustandsvektor |ψ(t) zur Zeit t. d) Man berechne die Erwartungswerte A(t) und B(t). Was kann man feststellen? e) Welche Resultate erh¨alt man, wenn man zur Zeit t die Observable A bzw. B misst? Deutung? 15. Das Wechselwirkungsbild (Man beachte bei dieser Aufgabe Abschnitte 3.11 und 3.12.) Bei einem beliebigen physikalischen System sei H0 (t) der Hamilton-Operator und U0 (t, t0 ) der zugeh¨orige Entwicklungsoperator: ∂ U0 (t, t0 ) = H0 (t)U0 (t, t0 ), ∂t U0 (t0 , t0 ) = 1.
i¯ h
•
320
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
Das System werde in der Weise gest¨ort, dass sein Hamilton-Operator nun H(t) = H0 (t) + W (t) lautet. Ist |ψS (t) der Zustandsvektor des Systems im Schr¨odinger-Bild, so nennt man den Vektor |ψI (t) = U0† (t, t0 )|ψS (t) den Zustandsvektor im Wechselwirkungsbild 25 . a) Man zeige, dass die zeitliche Entwicklung von |ψI (t) durch die Differentialgleichung i¯ h
d |ψI (t) = WI (t)|ψI (t) dt
bestimmt wird. Darin ist WI (t) = U0† (t, t0 )W (t)U0 (t, t0 ) der aus W (t) hervorgehende transformierte Operator. Man erkl¨are qualitativ, warum sich bei einer gegen¨uber H0 (t) sehr kleinen St¨orung W (t) der Zustandsvektor |ψI (t) sehr viel langsamer a¨ ndert als |ψS (t). b) Man zeige, dass die vorstehende Differentialgleichung zur Integralgleichung 1 t |ψI (t) = |ψI (t0 ) + dt WI (t )|ψI (t ) i¯ h t0 mit |ψI (t0 ) = |ψS (t0 ) a¨ quivalent ist. c) Man l¨ose diese Gleichung durch Iteration und zeige, dass man den Vektor |ψI (t) in eine Potenzreihe entwickeln kann: |ψI (t) = 1+
1 i¯ h
t t0
1 dt WI (t ) + (i¯ h)2
t
t
dt WI (t ) t0
dt WI (t ) + . . . |ψI (t0 ).
t0
16. Korrelationen zwischen zwei Teilchen (Zur Beantwortung von Teil e) beachte man Abschnitt 3.10.) Wir betrachten ein System aus den beiden Teilchen (1) und (2) mit der Masse m, die sich in einem unendlich tiefen Potentialtopf der Breite a befinden, aber nicht miteinander in Wechselwirkung stehen (s. Abschnitt 1.12.2). Die Hamilton-Operatoren der beiden Teilchen seien H(1) bzw. H(2) und |ϕn (1) bzw. |ϕq (2) die zugeh¨origen Eigenfunktionen 25 Der Index I ist wegen des englischen bzw. franz¨ osischen Ausdrucks interaction f¨ur Wechselwirkung auch im Deutschen u¨ blich.
3.16 Aufgaben zu Kapitel 3
321
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h2 n2 π 2 ¯ q 2 π 2 ¯h2 zu den Energiewerten bzw. . Im Zustandsraum des Gesamtsystems sei 2 2ma 2ma2 die Basis definiert durch |ϕn ϕq = |ϕn (1) ⊗ |ϕq (2). a) Man ermittle die Eigenzust¨ande und die Eigenwerte des Operators H = H(1) + H(2), also des Hamilton-Operators des Gesamtsystems, und bestimme den Entartungsgrad der beiden niedrigsten Energiezust¨ande. b) Zum Zeitpunkt t = 0 sei das System im Zustand 1 1 1 1 |ψ(0) = √ |ϕ1 ϕ1 + √ |ϕ1 ϕ2 + √ |ϕ2 ϕ1 + √ |ϕ2 ϕ2 . 6 3 6 3 α) In welchem Zustand befindet sich das System zur Zeit t? β) Welche Ergebnisse sind bei einer Energiemessung mit welchen Wahrscheinlichkeiten m¨oglich? γ) Was ergibt sich entsprechend, wenn man H(1) statt H beobachtet? c) α) Man zeige, dass der Zustandsvektor |ψ(0) als ein tensorielles Produkt geschrieben werden kann. F¨ur diesen Zustand berechne man die Erwartungswerte H(1), H(2) sowie H(1) H(2) und vergleiche sie. Wie kann man sich dieses Resultat erkl¨aren? β) Man zeige, dass die Ergebnisse auch gelten, wenn sich das System im Zustand |ψ(t) (Fall b)α)) befindet. d) Man nehme an, das System sei zur Zeit t = 0 im Zustand 3 1 1 |ϕ1 ϕ2 + √ |ϕ2 ϕ1 . |ψ(0) = √ |ϕ1 ϕ1 + 5 5 5 Man zeige, dass |ψ(0) jetzt nicht mehr als ein tensorielles Produkt geschrieben werden kann. Was wird in diesem Fall aus den unter c) gegebenen Antworten? (Die folgenden Aufgaben befassen sich mit dem Begriff des Dichteoperators. Man beachte hierzu Abschnitt 3.10.) e) α) Wie lautet in der von den Vektoren |ϕn ϕq aufgespannten Basis die Matrix, die den Dichteoperator ρ(0) zum Zustand |ψ(0) aus b) darstellt? Wie lautet die Dichtematrix ρ(t) zum Zeitpunkt t? F¨ur t = 0 bilde man die Teilspuren ρ(1) = Sp2 {ρ}
und
ρ(2) = Sp1 {ρ}.
Beschreiben die Dichteoperatoren ρ, ρ(1) und ρ(2) reine Zust¨ande? Man vergleiche ρ mit ρ(1) ⊗ ρ(2); Deutung? β) Man beantworte die gleichen Fragen wie in α) f¨ur den unter d) gegebenen Zustand |ψ(0). 17. Es sei ρ der Dichteoperator (s. Abschnitt 3.10) eines beliebigen Systems, |χl die Eigenvektoren und πl die zugeh¨origen Eigenwerte von ρ. Wie lauten ρ und ρ2 in Abh¨angigkeit von |χl und πl ? Welche Gestalt haben diese Matrizen in der {|χl }-Darstellung zum einen f¨ur den Fall, dass ρ einen reinen Zustand beschreibt, und zum anderen f¨ur ein statistisches Gemisch? (Es ergibt sich, dass f¨ur den reinen Fall ρ nur ein einziges von
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322
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
null verschiedenes Diagonalelement mit dem Wert eins besitzt, w¨ahrend beim gemischten Fall in der Diagonalen mehrere von null verschiedene Elemente mit Werten stehen, die zwischen 0 und 1 liegen.) Man zeige, dass ρ genau dann zu einem reinen Zustand geh¨ort, wenn die Spur von ρ2 gleich eins ist. 18. Die Entwicklung eines Systems mit dem Dichteoperator ρ(t) werde durch den Hamilton-Operator H(t) bestimmt. Man zeige, dass die Spur von ρ2 zeitlich konstant ist. Schlussfolgerung: Kann sich das System in der Weise a¨ ndern, dass es sich nacheinander in einem reinen und in einem gemischten Zustand befindet? 19. Ein Gesamtsystem (1) + (2) bestehe aus den beiden Teilsystemen (1) und (2). Ferner seien A und B zwei Operatoren, die im Zustandsraum H(1) ⊗ H(2) wirken. Man zeige, dass die beiden Teilspuren Sp1 {AB} und Sp1 {BA} gleich sind, wenn A bzw. B tats¨achlich nur im Raum H(1) wirken, wenn man also f¨ur A bzw. B A = A(1) ⊗ 1(2)
bzw.
B = B(1) ⊗ 1(2)
schreiben kann. Anwendung: Man berechne f¨ur den Fall, dass der Hamilton-Operator H des Gesamtsystems die Summe H = H(1) + H(2) ¨ zweier Operatoren ist, die nur in H(1) bzw. H(2) wirken, die zeitliche Anderung des Dichteoperators ρ(1). Man interpretiere das Ergebnis physikalisch.
d ρ(1) dt
3.17 Gebundene Zust¨ande in einem Potentialtopf Nachdem wir uns mit dem mathematischen Formalismus und dem physikalischen Inhalt der Quantenmechanik etwas vertraut gemacht haben, k¨onnen wir eine Reihe von Aussagen aus Kapitel 1 pr¨azisieren und vervollst¨andigen. In diesem und den beiden folgenden Abschnitten wollen wir allgemein die quantenmechanischen Eigenschaften eines Teilchens untersuchen, das einem skalaren Potential26 beliebiger Form unterliegt, und beschr¨anken uns dabei der Einfachheit halber auf eindimensionale Probleme. Zun¨achst befassen wir uns mit den gebundenen (station¨aren) Zust¨anden eines Teilchens, dessen Energien ein diskretes Spektrum bilden, danach mit den nichtgebundenen Zust¨anden, die zu einem kontinuierlichen Spektrum geh¨oren, und schließlich mit einem sehr wichtigen Sonderfall des periodischen Potentials, der vor allem in der Festk¨orperphysik eine Rolle spielt. In Abschnitt 1.12 behandelten wir bereits die gebundenen Zust¨ande eines Teilchens, das sich in einem rechteckigen endlich oder unendlich tiefen Potentialtopf befindet. Dabei 26 Auf
den Fall eines Vektorpotentials werden wir sp¨ater, vor allem in Abschnitt 6.9 eingehen.
3.17 Gebundene Zust¨ande in einem Potentialtopf
323
•
ergaben sich bestimmte Eigenschaften dieser Zust¨ande: Das Energiespektrum ist diskret, wobei die Energie des Grundzustandes oberhalb des Minimums der klassischen Energie liegt. Dies gilt ganz allgemein und hat zahlreiche physikalische Konsequenzen, wie wir in diesem Abschnitt sehen werden. Weist die potentielle Energie eines Teilchens ein Minimum wie in Abb. 3.24 auf, so sagt man, das Teilchen befinde sich in einem Potentialtopf“.27 Bevor wir qualitativ auf ” die station¨aren Zust¨ande eines Quantenteilchens in einem derartigen Potential eingehen, erinnern wir uns an die Bewegung des zugeh¨origen klassischen Teilchens. Hier ruht das Teilchen im Punkt M0 mit der Abszisse x0 , wenn seine Energie bei einer Potentialtiefe V0 den kleinstm¨oglichen Wert EKl = −V0 annimmt. Gilt −V0 < EKl < 0, so oszilliert das Teilchen im Topf mit einer Amplitude, die mit wachsender Energie EKl gr¨oßer wird. Ist schließlich EKl > 0, so bleibt das Teilchen nicht im Potentialtopf, sondern entfernt sich ins Unendliche. Die gebundenen“ Zust¨ande des klassischen Teilchens geh¨oren also ” s¨amtlich zu den zwischen −V0 und 0 liegenden (negativen) Energiewerten. Ganz anders stellt sich die Situation f¨ur ein Quantenteilchen dar. Die Zust¨ande mit wohlbestimmter Energie sind station¨are Zust¨ande, und ihre Wellenfunktionen ϕ(x) sind L¨osungen der Eigenwertgleichung des Hamilton-Operators H: h2 d 2 ¯ + V (x) ϕ(x) = E ϕ(x). (3.560) − 2m dx2 Eine derartige Differentialgleichung zweiter Ordnung erlaubt f¨ur jeden beliebigen Wert E unendlich viele L¨osungen: Gibt man f¨ur einen beliebigen Punkt einen beliebigen Wert f¨ur die Funktion ϕ(x) und ihre Ableitung vor, so liegt ϕ(x) f¨ur alle x fest. Es ist also nicht Gl. (3.560) allein, die zu einer Einschr¨ankung der m¨oglichen Energiewerte f¨uhrt. Erst wenn man der Funktion ϕ(x) zus¨atzlich gewisse Randbedingungen auferlegt, bleibt eine bestimmte Zahl von erlaubten Energiewerten u¨ brig (Quantisierung der Energieniveaus).
3.17.1 Quantisierung der gebundenen Energiezust¨ande Wir erinnern daran, dass wir unter gebundenen Teilchenzust¨anden“ solche Zust¨ande ver” stehen, bei denen die zugeh¨orige Wellenfunktion der Eigenwertgleichung (3.560) gen¨ugt und quadratisch integrierbar ist. Auf diese Bedingung kann man nicht verzichten, wenn ϕ(x) den physikalischen Zustand eines Teilchens beschreiben soll. Es handelt sich also um station¨are Zust¨ande, f¨ur die die Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte |ϕ(x)|2 nur in einem begrenzten Bereich des Raumes wesentlich von null verschiedene Werte annimmt. +∞
(Damit das Integral −∞
dx |ϕ(x)|2 konvergiert, muss |ϕ(x)|2 f¨ur x −→ ±∞ gen¨ugend
schnell gegen null gehen.) In gewisser Weise erinnern die gebundenen Zust¨ande an die Bewegung eines klassischen Teilchens, das in einem Potentialtopf oszilliert, ohne diesen 27 Man beachte, dass die potentielle Energie nur bis auf eine Konstante bestimmt ist. Ublicherweise ¨ setzt man diese so fest, dass das Potential im Unendlichen gleich null ist.
•
324
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
Abb. 3.24 Ein zwischen den Punkten x = x1 und x = x2 liegender Potentialtopf mit der Tiefe V0 (a). Wir nehmen eine L¨osung ϕ(x) der Eigenwertgleichung von H, die f¨ur x < x1 exponentiell verschwindet, falls x −→ −∞, und setzen diese L¨osung auf der gesamten x-Achse fort. ˜ F¨ur einen beliebigen Wert der Energie E divergiert ϕ(x) wie B(E) eρx , falls x −→ +∞: b) ˜ ˜ zeigt den Fall B(E) > 0, d) den Fall B(E) < 0. Wird der Energiewert aber so gew¨ahlt, dass ˜ B(E) = 0 ist, so strebt ϕ(x) f¨ur x −→ +∞ gegen null (c) und ϕ(x) ist quadratisch integrierbar.
3.17 Gebundene Zust¨ande in einem Potentialtopf
325
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jemals zu verlassen, das also negative (aber oberhalb −V0 liegende) Energiewerte EKl besitzt. Wenn wir in der Quantenmechanik an die Wellenfunktion ϕ(x) die Bedingung stellen, dass sie quadratisch integrierbar ist, so werden wir sehen, dass dies nur f¨ur eine diskrete Folge von Energiewerten m¨oglich ist (wobei diese u¨ brigens auch zwischen −V0 und 0 liegen). Wir betrachten hierzu das Potential, das in Abb. 3.24a dargestellt ist. Zur Vereinfa¨ chung nehmen wir an, dass V (x) im Außeren des Intervalls [x1 , x2 ] in Strenge gleich null ist. F¨ur x < x1 (Bereich I) gilt dann V (x) = 0, und man hat als L¨osung von Gl. (3.560) sofort, – wenn E > 0: ϕI (x) = Aeikx + A e−ikx mit
k=
(3.561)
2mE ; h2 ¯
(3.562)
– wenn E < 0: ϕI (x) = Beρx + B e−ρx mit
ρ=
−
(3.563)
2mE . h2 ¯
(3.564)
Wenn wir nun nach einer quadratisch integrierbaren L¨osung suchen, so kommt die Form ¨ (3.561) nicht in Frage, weil es sich dabei um eine Uberlagerung ebener Wellen mit konstantem Betrag handelt, das Integral x1 dx |ϕI (x)|2 (3.565) −∞
also divergieren w¨urde. Daher bleibt nur die M¨oglichkeit von Gl. (3.563), und wir gelangen zu einem ersten Resultat: Die gebundenen Zust¨ande des Teilchens geh¨oren alle zu negativen Energiewerten. In Gl. (3.563) muss der Term mit e−ρx fortgelassen werden, weil er f¨ur x −→ −∞ divergiert. Es bleibt ϕI (x) = eρx ,
wenn
x < x1 .
(3.566)
Dabei haben wir den Proportionalit¨atsfaktor B weggelassen, weil ϕ(x) wegen der Homogenit¨at von Gl. (3.560) nur bis auf eine multiplikative Konstante bestimmt ist. Durch Fortsetzung von ϕI (x) erhalten wir die Wellenfunktion im Intervall [x1 , x2 ] (Bereich II): Wir suchen nach der L¨osung von Gl. (3.560), die f¨ur x = x1 den Wert eρx1 hat und deren erste Ableitung an dieser Stelle gleich ρ eρx1 ist. Diese Funktion ϕII (x) h¨angt von ρ und nat¨urlich vom genauen Verlauf des Potentials V (x) ab. Jedenfalls ist ϕII (x) als L¨osung einer Differentialgleichung zweiter Ordnung durch die vorstehenden Randbedingungen eindeutig bestimmt. Dar¨uber hinaus sieht man, dass sie reell ist. Dies erlaubt ihre grafische Veranschaulichung wie in Abb. 3.24 (b, c und d).
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326
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
F¨ur x > x2 (Bereich III) schließlich k¨onnen wir die L¨osung in der Form ˜ ρx + B ˜ e−ρx ϕIII (x) = Be
(3.567)
˜ und B ˜ zwei reelle Konstante sind, die durch die Stetigkeitsbedingung schreiben, wobei B f¨ur ϕ(x) und dϕ/dx im Punkt x = x2 festgelegt werden. Sie h¨angen von ρ und vom Verlauf des Potentials ab. Somit haben wir eine L¨osung von Gl. (3.560) konstruiert, wie sie z. B. durch Abb. 3.24b veranschaulicht werden k¨onnte. Ist diese L¨osung nun quadratisch integrierbar? Gleichung (3.567) zeigt sofort, dass dies im Allgemeinen nicht der Fall sein wird, es ˜ ist gleich null (wie es in Abb. 3.24c dargestellt ist). Nun h¨angt sei denn, die Konstante B bei gegebenem V (x) diese Konstante u¨ ber ρ von der Energie E ab. Die einzigen Werte von E, f¨ur die ein gebundener Zustand existiert, sind daher die L¨osungen der Gleichung ˜ B(E) = 0. Diese bilden ein diskretes Spektrum E1 , E2 , . . . (s. Abb. 3.25), das nat¨urlich vom gew¨ahlten Potential V (x) abh¨angt. Im Folgenden werden wir sehen, dass s¨amtliche Ei oberhalb von −V0 liegen.
˜ Abb. 3.25 Grafische Darstellung der Funktion B(E). Die Nullstellen liefern die Energiewerte, f¨ur die die Wellenfunktion ϕ(x) quadratisch integrierbar ist (wie bei Abb. 3.24c), das sind also die Energien E1 , E2 , E3 , . . . der gebundenen Zust¨ande. Sie liegen alle zwischen −V0 und 0.
Wir stellen also fest: Befindet sich ein Teilchen in einem Potential beliebiger Form, so bilden die m¨oglichen Werte der Energie der gebundenen Zust¨ande eine diskrete Folge; man umschreibt das gew¨ohnlich mit dem Satz, die Energie der gebundenen Zust¨ande sei quantisiert. Dieses Ergebnis ist mit der Quantisierung der elektromagnetischen Hohlraumstrahlung (Schwingungsmoden) zu vergleichen. In der klassischen Mechanik gibt es hierzu kein Analogon: Hier sahen wir, dass zwischen −V0 und 0 alle Werte erlaubt sind. Man nennt in der Quantenmechanik den Zustand mit der niedrigsten Energie E1 den Grundzustand, den mit der n¨achsth¨oheren Energie E2 den ersten angeregten Zustand usw. Man kann dies durch ein Schema verdeutlichen: Im Innern des Potentialtopfes, mit dem man V (x) darstellt, zeichnet man ein horizontales Geradenst¨uck, dessen vertikaler Abstand von der Abszisse der Energie des betreffenden Niveaus entspricht und dessen L¨ange eine Vorstellung von der r¨aumlichen Ausdehnung der Wellenfunktion liefert (tats¨achlich gibt dieses Geradenst¨uck den Bereich auf der x-Achse an, auf dem sich ein klassisches Teilchen derselben Energie bewegen w¨urde). F¨ur die ganze Folge der Energieniveaus erh¨alt man dann ein Schema von der Art wie in Abb. 3.26.
3.17 Gebundene Zust¨ande in einem Potentialtopf
327
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Wie wir bereits in Kapitel 1 feststellten, ist die Energiequantisierung ein spezifisch quantenmechanisches Ph¨anomen. Es tritt bei zahlreichen physikalischen Systemen wie den Atomen (z. B. dem Wasserstoffatom, s. Kapitel 7), dem harmonischen Oszillator (Kapitel 5), den Atomkernen usw. auf.
3.17.2 Energie des Grundzustandes Wir zeigen jetzt, dass die Energien E1 , E2 , . . . der gebundenen Zust¨ande alle oberhalb von −V0 , dem kleinsten Wert der potentiellen Energie V (x), liegen. Wir werden sehen, wie man dieses Ergebnis aufgrund der Heisenbergschen Unsch¨arferelation leicht verstehen kann.
Abb. 3.26 Schematische Darstellung der gebundenen Zust¨ande eines Teilchens in einem Potentialtopf. F¨ur jeden station¨aren Zustand zeichnet man ein horizontales Geradenst¨uck, dessen Ordinate gerade der Energie des betreffenden Niveaus entspricht. Es wird dabei von den Schnittpunkten mit der Potentialkurve V (x) begrenzt und beschreibt somit den Bereich, in dem sich ein klassisches Teilchen derselben Energie aufhalten w¨urde. Dies liefert eine ungef¨ahre Vorstellung von der Ausdehnung der zugeh¨origen Wellenfunktion.
Multipliziert man Gl. (3.560) mit ϕ∗ (x) und integriert, so erh¨alt man +∞ +∞ h2 ¯ d2 ∗ − dx ϕ (x) 2 ϕ(x) + dx V (x)|ϕ(x)|2 2m −∞ dx −∞ +∞ = E dx |ϕ(x)|2 . −∞
(3.568)
Bei einem gebundenen Zustand kann man ϕ(x) normieren. Dann lautet diese Gleichung einfach E = T + V . Es ist n¨amlich +∞ +∞ h2 ¯ d2 ¯2 h ∗ − dx ϕ (x) 2 ϕ(x) = dx 2m −∞ dx 2m −∞
(3.569) 2 d ϕ(x) = T , dx
(3.570)
•
328
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
wobei wir partiell integriert und die Tatsache ber¨ucksichtigt haben, dass ϕ(x) f¨ur |x| −→ ∞ gegen null geht, und +∞ dx V (x)|ϕ(x)|2 = V . (3.571) −∞
E ist demnach die Summe des Erwartungswerts der kinetischen Energie T = ϕ|
P2 |ϕ 2m
(3.572)
und des Erwartungswerts der potentiellen Energie V = ϕ|V (X)|ϕ.
(3.573)
Man erkennt sofort, dass T > 0 und
(3.574)
V ≥
+∞
−∞
dx (−V0 )|ϕ(x)|2 = −V0 ,
(3.575)
also E = T + V > V ≥ −V0
(3.576)
ist. Wie wir oben sahen, ist E negativ, so dass wie in der klassischen Mechanik die Energie der gebundenen Zust¨ande zwischen −V0 und 0 liegt. Es gibt aber einen wichtigen Unterschied zwischen der klassischen und der Quantenmechanik: W¨ahrend das klassische Teilchen die Energie −V0 (das Teilchen ruht im Punkt M0 ) oder ein wenig dar¨uber (das Teilchen f¨uhrt kleine Schwingungen aus) annehmen kann, ist das f¨ur ein Quantenteilchen nicht m¨oglich. Die niedrigstm¨ogliche Energie E1 (des Grundzustandes) ist in Strenge gr¨oßer als −V0 (s. Abb. 3.26). Ein physikalisches Verst¨andnis dieser Tatsache erm¨oglichen die Unsch¨arferelationen von Heisenberg. Versucht man n¨amlich, einen Zustand zu konstruieren, f¨ur den der Erwartungswert der potentiellen Energie m¨oglichst klein ist, so sieht man mit Gl. (3.571), dass man hierzu eine Wellenfunktion w¨ahlen muss, die praktisch im Punkt M0 lokalisiert ist. Die Standardabweichung ΔX ist also sehr klein, die Standardabweichung ΔP daf¨ur entsprechend groß. Weil aber P 2 = (ΔP )2 + P 2 ≥ (ΔP )2
(3.577)
ist, gilt dies auch f¨ur die kinetische Energie T = P 2 /2m. N¨ahert sich daher die potentielle Energie des Teilchens ihrem Minimum, so w¨achst die kinetische Energie ins Unendliche. Die Wellenfunktion des Grundzustands entspricht einem Kompromiss, bei dem die Summe dieser beiden Energien minimal ist. Der Grundzustand des Quantenteilchens wird somit durch eine Wellenfunktion mit einer gewissen r¨aumlichen Ausdehnung charakterisiert (Abb. 3.26), und seine Energie liegt oberhalb von −V0 : Im Gegensatz zur
3.17 Gebundene Zust¨ande in einem Potentialtopf
329
•
klassischen Mechanik gibt es in der Quantenmechanik keinen Zustand mit wohldefinierter Energie, bei dem sich das Teilchen am Boden des Potentialtopfes in Ruhe“ befindet. ” Bemerkung Weil die Energie der gebundenen Zust¨ande zwischen −V0 und 0 liegt, k¨onnen derartige Zust¨ande nur dann existieren, wenn das Potential V (x) in einem oder in mehreren Bereichen auf der x-Achse negative Werte annimmt. Das ist der Grund, weshalb wir uns in diesem Abschnitt mit einem Potentialtopf wie in Abb. 3.24 befasst haben. Erst im folgenden Abschnitt werden wir diese Einschr¨ankung fallen lassen. Dagegen wird auch hier der Fall nicht ausgeschlossen, dass V (x) f¨ur bestimmte Werte von x positiv ist. Zum Beispiel kann der Topf“ von Potential w¨anden“ oder - w¨allen“ umgeben sein, ” ” ” s. z. B. Abb. 3.27, wobei allerdings das Potential weiterhin im Unendlichen gen¨ugend rasch verschwindet. In diesem Fall bleiben klassisch bestimmte Bewegungen mit positiver Energie be¨ schr¨ankt, w¨ahrend man in der Quantenmechanik durch dieselbe Uberlegung wie weiter oben zeigen kann, dass gebundene Zust¨ande stets eine Energie besitzen, die zwischen −V0 und 0 liegt. Physikalisch beruht dieser Unterschied darauf, dass ein Potentialwall endlicher H¨ohe ein Quantenteilchen nie vollst¨andig zur Umkehr zwingen kann: Wegen des Tunneleffekts besteht stets eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass es diesen Wall passiert.
Abb. 3.27 Ein Potentialtopf mit der Tiefe −V0 ist von zwei W¨allen mit den H¨ohen V1 bzw. V2 umgeben (wobei als Beispiel V1 ≤ V2 sei). Klassisch gibt es Bewegungen mit Energien, die zwischen −V0 und V1 liegen und bei denen das Teilchen zwischen den W¨allen bleibt. In der Quantenmechanik kann dagegen ein Teilchen mit einer Energie zwischen 0 und V1 die Potentialw¨alle durchtunneln. Folglich besitzen die gebundenen Zust¨ande stets eine Energie, die zwischen −V0 und 0 liegt.
•
330
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
3.18 Nichtgebundene Zust¨ande Im vorangegangenen Abschnitt sahen wir, dass gebundene Zust¨ande eines Teilchens in einem Potential V (x) nur existieren, wenn das Potential anziehend ist und im klassischen Fall r¨aumlich begrenzte Bewegungen erlaubt; die zugeh¨origen Energien sind dann negativ.28 Positive Energiewerte mussten wir verwerfen, weil sie zu Eigenfunktionen des Hamilton-Operators H f¨uhrten, die sich im Unendlichen wie die nicht quadratisch integrierbaren Exponentialfunktionen e±ikx verhalten. Andererseits wissen wir aber aus Kapitel 1, dass man durch Superposition derartiger Funktionen quadratisch integrierbare Wellenfunktionen ψ(x) (die Wellenpakete) konstruieren kann, die f¨ur die Beschreibung eines physikalischen Teilchenzustandes geeignet sein k¨onnen. Weil bei ihnen aber mehrere Werte der Wellenzahl k, also mehrere Energiewerte ins Spiel kommen, sind sie mit Sicherheit keine station¨aren Zust¨ande: Die Wellenfunktion ψ(x) a¨ ndert sich zeitlich, sie ¨ breitet sich aus und verformt sich. Diese Anderung kann nun sehr leicht berechnet werden, weil ψ(x) eine Entwicklung nach den Eigenfunktionen ϕk (x) des Hamilton-Operators darstellt. Wir hatten dies z. B. in Abschnitt 1.13 getan, als wir von den Eigenschaften der ϕk (x) ausgingen, um die Transmissions- und Reflexionskoeffizienten f¨ur einen Potentialwall, die Reflexionsverz¨ogerung usw. zu bestimmen. Daher erweist es sich als sinnvoll, auch die Eigenfunktionen von H zu positiven Eigenwerten29 zu behandeln, wie es in Abschnitt 1.12 f¨ur bestimmte Rechteckpotentiale bereits geschehen ist. In diesem Abschnitt untersuchen wir nun allgemein (f¨ur eindimensionale Probleme) den Zusammenhang zwischen einem Potential V (x) und den Eigenfunktionen ϕk (x) zu positiver Energie. Dabei unterlegen wir V (x) nur der Einschr¨ankung, dass es außerhalb eines endlichen Intervalls [x1 , x2 ] gleich null ist. Ansonsten darf es von beliebiger Form sein, es d¨urfen also z. B. mehrere W¨alle, T¨opfe usw. auftreten. Wir werden in allen F¨allen zeigen, dass man den Einfluss des Verlaufes von V (x) auf die Funktion ϕk (x) durch eine 2 × 2-Matrix M (k) beschreiben kann, die eine Reihe allgemeiner Eigenschaften aufweist. Wir gelangen dabei zu Ergebnissen, die von der speziellen Gestalt des Potentials unabh¨angig sind. So sind z. B. die Transmissions- und Reflexionskoeffizienten an einem (symmetrischen, aber auch nichtsymmetrischen) Wall dieselben, wenn das Teilchen von links und wenn es von rechts auf diesen Wall trifft. Der Abschnitt ist weiter Ausgangspunkt f¨ur den dann folgenden Abschnitt, in dem wir uns mit dem Verhalten eines Teilchens in einem periodischen Potential befassen werden.
hatten f¨ur die Energie den Ursprung so gew¨ahlt, dass V (x) im Unendlichen verschwindet. k¨onnte auch an die nicht quadratisch integrierbaren Eigenfunktionen des Hamilton-Operators zu negativen Energien denken, die nicht zu dem im vorigen Abschnitt ermittelten diskreten Spektrum geh¨oren. Diese divergieren aber im Unendlichen sehr rasch und sind f¨ur eine Konstruktion eines quadratisch integrierbaren Wellenpakets nicht geeignet. 28 Wir
29 Man
3.18 Nichtgebundene Zust¨ande
331
•
3.18.1 Transmissionsmatrix M(k) Definition Bei einem eindimensionalen Problem betrachten wir ein Potential V (x), das außerhalb eines Intervalls [x1 , x2 ] von der L¨ange l gleich null ist, in seinem Inneren aber eine beliebige Form besitzen kann, s. Abb. 3.28. Den Ursprung der x-Achse legen wir in den Mittelpunkt des Intervalls. F¨ur einen station¨aren Zustand mit der Energie E muss jede Wellenfunktion ϕ(x) der Differentialgleichung ' $ 2 d 2m + [E − V (x)] ϕ(x) = 0 (3.578) dx2 h2 ¯ gen¨ugen. Wir f¨uhren mit 2mE k= h2 ¯
(3.579)
einen Parameter ein, der im Folgenden die Energie charakterisieren soll. Im Bereich x < − l/2 gen¨ugt die Funktion eikx der Gl. (3.578). Mit vk (x) bezeichnen wir die L¨osung, die f¨ur x < − l/2 mit eikx zusammenf¨allt. Ist x > + l/2, so ist vk (x) notwendig eine Linearkombination der beiden unabh¨angigen L¨osungen eikx und e−ikx , so dass wir zu vk (x) = eikx , vk (x) = F (k) e
wenn x < − l/2, ikx
+ G(k) e
−ikx
, wenn x > + l/2,
(3.580)
zusammenfassen k¨onnen. Darin sind F (k) und G(k) Koeffizienten, die von k und vom speziellen Verlauf des Potentials abh¨angen. Entsprechend kann man die L¨osung vk (x) einf¨uhren, die f¨ur x < − l/2 gleich e−ikx ist: vk (x) = e−ikx , vk (x)
= F (k) e
wenn x < − l/2, ikx
+ G (k) e
−ikx
, wenn x > + l/2.
(3.581)
Die allgemeine L¨osung ϕk (x) von Gl. (3.578) (sie ist eine Differentialgleichung 2. Ordnung) ist dann eine Linearkombination von vk und vk : ϕk (x) = A vk (x) + A vk (x).
(3.582)
Aus den Gleichungen (3.580) und (3.581) folgt, dass einerseits ϕk (x) = A eikx + A e−ikx ,
wenn x < − l/2,
(3.583)
wenn x > + l/2,
(3.584)
und andererseits ϕk (x) = A˜ eikx + A˜ e−ikx ,
sein muss, wobei die Konstanten A˜ und A˜ durch die Beziehungen A˜ = F (k)A + F (k)A , A˜ = G(k)A + G (k)A
(3.585)
•
332
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
Abb. 3.28 Das Potential V (x) zeigt im Innern des Intervalls [x1 , x2 ] einen beliebigen Verlauf, w¨ahrend es außerhalb gleich null ist.
gegeben sind. F¨uhrt man die Matrix F (k) F (k) M (k) = G(k) G (k)
(3.586)
ein, so kann man dies auf die Form A A˜ = M (k) A A˜
(3.587)
bringen. Mit Hilfe von M (k) kann man also aus der Wellenfunktion f¨ur die linke Seite des Potentials, Gl. (3.583), die Wellenfunktion f¨ur die rechte Seite, Gl. (3.584), bestimmen. Man nennt darum M (k) die Transmissionsmatrix des Potentials V (x). Bemerkung Der einer Wellenfunktion ϕ(x) zugeordnete Strom ist
J(x) =
dϕ∗ dϕ ¯ h − ϕ(x) ϕ∗ (x) . 2mi dx dx
Differentiation nach x liefert
(3.588)
h ¯ d2 ϕ d2 ϕ∗ d J(x) = ϕ∗ (x) 2 − ϕ(x) . dx 2mi dx dx2
(3.589)
Mit Ber¨ucksichtigung von Gl. (3.578) erh¨alt man d J(x) = 0. dx
(3.590)
Der zu einem station¨aren Zustand geh¨orende Strom J(x) ist daher auf der ganzen x-Achse konstant. Diese Gleichung steht in Analogie zu der Beziehung divJ (r) = 0,
(3.591)
3.18 Nichtgebundene Zust¨ande
333
•
die sich f¨ur den station¨aren Zustand eines Teilchens ergibt, das sich im dreidimensionalen Raum bewegt, s. Gl. (3.119) in Abschnitt 3.4. Wegen Gl. (3.590) kann man daher Jk (x) f¨ur jedes x entweder nach Gl. (3.583) oder nach Gl. (3.584) berechnen. Es ist Jk (x) =
¯k h ¯k ˜ 2 h ˜ |2 ]. [|A|2 − |A |2 ] = [|A| − |A m m
(3.592)
Eigenschaften von M (k) Weil die Funktion V (x) reell ist, kann man leicht zeigen, dass mit ϕ(x) als einer L¨osung von Gl. (3.578) auch ϕ∗ (x) L¨osung dieser Gleichung ist. Betrachten wir darum die Funktion vk∗ (x) als eine spezielle L¨osung von Gl. (3.578). Der Vergleich von Gl. (3.580) und Gl. (3.581) zeigt, dass sie f¨ur x < −1/2 mit vk (x) zusammenf¨allt. Darum gilt f¨ur jedes x vk∗ (x) = vk (x).
(3.593)
Setzt man hierin jeweils die zweite Zeile von Gl. (3.580) bzw. (3.581) ein, so ergibt sich F ∗ (k) = G (k),
(3.594)
G∗ (k) = F (k).
(3.595)
Wir k¨onnen also die Transmissionsmatrix in der einfacheren Form F (k) G∗ (k) M (k) = G(k) F ∗ (k)
(3.596)
schreiben. Wie wir eben sahen, h¨angt der Wahrscheinlichkeitsstrom J(x) f¨ur einen station¨aren Zustand nicht von x ab. Darum ist, s. Gl. (3.592), ˜ 2 − |A˜ |2 |A|2 − |A |2 = |A|
(3.597)
f¨ur beliebige A und A . Damit erh¨alt man, wenn man Gl. (3.596) in Gl. (3.587) einsetzt, ˜ 2 − |A˜ |2 = [F (k)A + G∗ (k)A ][F ∗ (k)A∗ + G(k)A∗ ] |A| −[G(k)A + F ∗ (k)A ][G∗ (k)A∗ + F (k)A∗ ] = [|F (k)|2 − |G(k)|2 ][|A|2 − |A |2 ].
(3.598)
Daher ist Gl. (3.597) zur Beziehung |F (k)|2 − |G(k)|2 = Det M (k) = 1
(3.599)
a¨ quivalent. Bemerkungen ¨ 1. Uber die Form des Potentials haben wir nichts vorausgesetzt. Ist es gerade, d. h. ist V (x) = V (−x), so besitzt die Matrix M (k) eine weitere Eigenschaft: Man kann n¨amlich zeigen, dass G(k) rein imagin¨ar ist. ˜ die Koeffizienten von einlau2. Die Gleichungen (3.583) und (3.584) zeigen, dass A und A fenden ebenen Wellen sind, d. h. sie geh¨oren zu Teilchen, die sich aus dem negativen bzw. positiven
•
334
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
Unendlichen auf den Wirkungsbereich des Potentials zu bewegen (einfallende Teilchen). Dagegen ˜ und A die zu auslaufenden Wellen geh¨orenden Koeffizienten, sie beschreiben also die Teilsind A chen, die sich vom Potential entfernen (transmittierte oder reflektierte Teilchen). Mit
˜ A A
= S(k)
A ˜ A
(3.600)
f¨uhren wir eine Matrix ein, mit der wir die Amplituden der auslaufenden Wellen in Abh¨angigkeit von den Amplituden der einlaufenden Wellen darstellen k¨onnen. Ihre Elemente lassen sich leicht durch die Elemente der Transmissionsmatrix ausdr¨ucken. So folgt zun¨achst aus den Gleichungen A˜ = F (k)A + G∗ (k)A , ˜ = G(k)A + F ∗ (k)A , A
(3.601) (3.602)
dass A =
1 ˜ − G(k)A]. [A F ∗ (k)
(3.603)
Setzen wir dies in Gl. (3.601) ein, so erhalten wir ˜= A
1 ˜ ]. [(F (k)F ∗ (k) − G(k)G∗ (k))A + G∗ (k)A F ∗ (k)
(3.604)
Beachten wir Gl. (3.599), so ergibt sich f¨ur die S-Matrix schließlich S(k) =
1 F ∗ (k)
1 −G(k)
G∗ (k) 1
.
(3.605)
Wiederum mit Gl. (3.599) l¨asst sich rasch zeigen, dass S(k)S † (k) = S † (k)S(k) = 1
(3.606)
ist: Die S-Matrix ist unit¨ar. Diese Matrix spielt besonders in der Streutheorie eine große Rolle. Ihre Unitarit¨at k¨onnte man auch beweisen, indem man von der Unitarit¨at des Entwicklungsoperators (s. Abschnitt 3.11) ausgeht. Sie dr¨uckt ja lediglich die Tatsache aus, dass die Wahrscheinlichkeit, das Teilchen irgendwo auf der x-Achse zu finden, zeitlich konstant ist (Normierung der Wellenfunktion).
3.18.2 Transmissions- und Reflexionskoeffizienten Zur Ermittlung der Reflexions- und Transmissionskoeffizienten f¨ur ein Teilchen, das auf ein Potential V (x) trifft, muss man im Prinzip (wie in Abschnitt 1.13) aus den eben behandelten Eigenfunktionen des Hamilton-Operators H ein Wellenpaket konstruieren. Betrachten wir z. B. ein von links kommendes Teilchen mit der Einfallsenergie Ei , dann erh¨alt man das zugeh¨orige Wellenpaket durch Superposition der Funktionen ϕk (x), f¨ur g(k) besitzt dabei ein ausgepr¨agtes die A˜ = 0 gesetzt wurde; die Amplitudenfunktion
Maximum an der Stelle k = ki = 2mEi /¯h2 . Da die Rechnung in allen Punkten analog zu der in Abschnitt 1.13 verl¨auft, wollen wir sie hier nicht im Einzelnen ausf¨uhren, sondern nur zeigen, dass der Reflexionskoeffizient gleich |A (ki )/A(ki )|2 und der Trans˜ i )/A(ki )|2 ist. missionskoeffizient gleich |A(k
3.18 Nichtgebundene Zust¨ande
335
•
Weil A˜ = 0 ist, liefern die Gleichungen (3.600) und (3.605) 1 A(k), F ∗ (k) G(k) A (k) = − ∗ A(k). F (k)
˜ A(k)
=
Somit wird f¨ur den Reflexions- und den Transmissionskoeffizienten A (ki ) 2 G(ki ) 2 = R1 (ki ) = F (ki ) , A(ki ) 2 A(k 1 ˜ i) T1 (ki ) = . = A(ki ) |F (ki )|2
(3.607)
(3.608) (3.609)
Mit Gl. (3.599) ist gesichert, dass R1 (ki ) + T1 (ki ) = 1 ist. Wenn jetzt das Teilchen von rechts kommen soll, muss man A = 0 setzen. Dies f¨uhrt dann zu G∗ (k) ˜ ˜ A (k), A(k) = ∗ F (k)
(3.610)
1 ˜ A (k), A (k) = ∗ F (k)
so dass der Transmissions- und der Reflexionskoeffizient durch A (k) 2 1 = T2 (k) = |F (k)|2 A˜ (k) und
2 A(k) G(k) 2 ˜ R2 (k) = = A˜ (k) F (k)
(3.611)
(3.612)
gegeben sind. Der Vergleich der Gleichungen (3.608) und (3.609) mit den Gleichungen (3.611) und (3.612) zeigt, dass T1 (k) = T2 (k) und R1 (k) = R2 (k) ist: Bei gegebener Energie ist die Durchl¨assigkeit einer (symmetrischen oder nichtsymmetrischen) Potentialbarriere stets dieselbe, gleichg¨ultig von welcher Seite die Teilchen auf sie treffen. Andererseits ist nach Gl. (3.599) |F (k)| ≥ 1.
(3.613)
Gilt hier das Gleichheitszeichen, so ist der Reflexionskoeffizient null und der Transmissionskoeffizient gleich eins (Resonanz). Die umgekehrte Situation ist dagegen nicht m¨oglich: Wegen Gl. (3.599) ist |F (k)| > |G(k)|, so dass T = 0 und R = 1 nur m¨oglich ist, wenn F und G gleichzeitig gegen unendlich streben. Man kann zeigen, dass dies nur f¨ur k = 0 geschehen k¨onnte. Hierzu dividiere man die in Gl. (3.580) eingef¨uhrte Funktion vk (x) durch F (k). Mit F (k) −→ ∞ w¨urde die Wellenfunktion auf der linken Seite identisch gleich null werden und somit notwendig auch ihre Fortsetzung auf der rechten Seite. Das ist aber außer f¨ur k = 0 und F = −G nicht m¨oglich.
•
336
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
3.18.3 Beispiel Wir kehren zu dem in Abschnitt 1.12.2 behandelten Rechteckpotential zur¨uck: Im Intervall −1/2 < x < +1/2 ist V (x) gleich einer Konstanten V0 (s. Abb. 3.29, in der V0 positiv gew¨ahlt wurde).30
Abb. 3.29 Rechteckpotential
Wir nehmen zun¨achst an, dass E unterhalb von V0 liegt und setzen 2m (V0 − E). ρ= h2 ¯
(3.614)
Eine elementare Rechnung wie die in Abschnitt 1.12 liefert f¨ur die Transmissionsmatrix ⎛ ⎞ k 2 − ρ2 k02 −ikl sinh ρl −i ⎜ cosh ρl + i 2kρ sinh ρl e ⎟ 2kρ ⎜ ⎟ ⎟, M (k)=⎜ ⎜ ⎟ ⎝ ⎠ k02 k 2 − ρ2 ikl i sinh ρl cosh ρl − i sinh ρl e 2kρ 2kρ (3.615) wobei
k0 =
2mV0 h2 ¯
ist (V0 ist hier notwendig positiv, weil wir E < V0 vorausgesetzt haben). F¨ur den Fall E > V0 setzen wir 2m (E − V0 ) k = h2 ¯ 30 Gegen¨ uber
(3.616)
(3.617)
dem in Abschnitt 1.12.2 vorgestellten Beispiel ist hier die Potentialbarriere verschoben worden.
3.19 Eindimensionales periodisches Potential und
k0 =
ε
2mV0 . h2 ¯
337
•
(3.618)
Darin ist ε = +1, wenn V0 > 0, und −1, wenn V0 < 0. Wir erhalten dann ⎛ k 2 + k 2 k2 −ikl −iε 0 sin k l ⎜ cos k l + i 2kk sin k l e 2kk ⎜ M (k) = ⎜ ⎜ ⎝ k02 k 2 + k 2 iε sin k l cos k l − i sin k l eikl 2kk 2kk
⎞ ⎟ ⎟ ⎟. ⎟ ⎠
(3.619) Die Elemente der Transmissionsmatrix erf¨ullen, wie es sein muss, in beiden F¨allen die Beziehungen (3.594), (3.595) und (3.599).
3.19 Eindimensionales periodisches Potential In diesem Abschnitt wollen wir die quantenmechanischen Eigenschaften eines Teilchens untersuchen, das sich in einem periodischen Potential V (x) befindet. Die in diesem Zusammenhang betrachteten Funktionen V (x) m¨ussen dabei nicht im strengen Sinne periodisch sein; es gen¨ugt, wenn sie in einem endlichen Intervall auf der x-Achse ein periodisches Verhalten zeigen (Abb. 3.30), also ein bestimmter Verlauf N -mal regelm¨aßig aufeinanderfolgt (im eigentlichen Sinn periodisch w¨are V (x) nur f¨ur den Grenzfall, dass N gegen unendlich geht).
Abb. 3.30 Ein Potential V (x) mit periodischer Struktur: Ein bestimmter Verlauf folgt N -mal aufeinander. Hier ist N = 4.
Derartigen periodischen Strukturen begegnet man z. B. bei der Untersuchung eines linearen Molek¨uls, das aus N identischen und regelm¨aßig angeordneten Atomen (oder Atomgruppen) besteht, aber auch in der Festk¨orperphysik, wenn man in einem eindimensionalen Modell das Energiespektrum eines Kristallelektrons verstehen will. Ist N sehr
•
338
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
groß (wie bei einem linearen Makromolek¨ul oder einem makroskopischen Kristall), so wird das Potential V (x) in einem bestimmten Raumbereich durch eine periodische Funktion beschrieben, und man erwartet, dass das Teilchen praktisch dieselben Eigenschaften wie bei einem im strengen Sinne periodischen Potential aufweist. Physikalisch kann nun aber der Grenzfall N −→ ∞ nie realisiert werden, so dass wir uns f¨ur das Problem mit beliebigem endlichen N interessieren m¨ussen. F¨ur die Beschreibung der Abh¨angigkeit der Eigenfunktionen ϕ(x) des HamiltonOperators H vom Potential V (x) f¨uhren wir die 2 × 2-Iterationsmatrix Q ein. Ihre Eigenwerte k¨onnen reell oder imagin¨ar sein. Wir werden zeigen, dass ϕ(x) in den beiden F¨allen ein v¨ollig verschiedenes Verhalten aufweist. Weil diese Eigenwerte von der Energie E abh¨angen, werden wir Energiebereiche zu reellen Eigenwerten von Q von denen unterscheiden m¨ussen, die zu imagin¨aren Eigenwerten geh¨oren: Es treten erlaubte und verbotene Energieb¨ander auf. Bemerkungen 1. Den sich N -mal wiederholenden Potentialverlauf werden wir einfach Potentialbarriere“ nennen, ” obwohl es sich dabei auch um einen beliebig geformten Potentialtopf“ handeln kann. ” 2. Bisher haben wir den Buchstaben k f¨ur einen Parameter benutzt, der proportional zur Quadratwurzel aus der Energie E ist. In der Festk¨orperphysik ist es jedoch u¨ blich, diesen Buchstaben in einem anderen Sinne zu verwenden. Darum a¨ ndern wir die Bezeichnungen aus dem vorigen Abschnitt und schreiben
α=
2mE . h2 ¯
(3.620)
Den Buchstaben k f¨uhren wir erst sp¨ater ein (Er h¨angt dort mit den Eigenwerten der Matrix Q zusammen).
3.19.1 Durchgang durch mehrere identische Potentialbarrieren Wir betrachten ein Potential von der Art, wie es in Abb. 3.30 skizziert ist: Die erste Barriere ist um x = 0 zentriert, die zweite um x = l, die dritte um x = 2l, . . . , die letzte schließlich um x = (N − 1)l. Wir fragen nach dem Verhalten einer Eigenfunktion ϕα (x) des Hamilton-Operators, also einer L¨osung der Eigenwertgleichung ' $ 2 2m d + 2 [E − V (x)] ϕα (x) = 0, (3.621) dx2 h ¯ worin E und α durch Gl. (3.620) miteinander verkn¨upft sind.
Schreibweisen F¨ur x ≤ −1/2 ist V (x) = 0 und die allgemeine L¨osung der Gl. (3.621) lautet ϕα (x) = A0 eiαx + A0 e−iαx ,
l wenn x ≤ − . 2
(3.622)
3.19 Eindimensionales periodisches Potential
339
•
Bei den in Abschnitt 3.18.1 eingef¨uhrten Funktionen vk (x) und vk (x) ersetzen wir den Index k durch α. Mit ihnen lautet die allgemeine L¨osung von Gl. (3.621) im Bereich der ersten Barriere ϕα (x) = A1 vα (x) + A1 vα (x),
wenn −
l l ≤x≤+ . 2 2
(3.623)
Entsprechend erh¨alt man im Bereich der zweiten um x = l zentrierten Barriere ϕα (x) = A2 vα (x − l) + A2 vα (x − l),
wenn
3l l ≤x≤ 2 2
(3.624)
und allgemeiner im Bereich der n-ten um x = (n − 1)l zentrierten Barriere ϕα (x) = An vα [x − (n − 1)l] + An vα [x − (n − 1)l], l l wenn (n − 1)l − ≤ x ≤ (n − 1)l + . 2 2
(3.625)
Rechts von der N -ten Barriere schließlich, also f¨ur x ≥ (N − 1)l + l/2, ist wieder V (x) = 0, und wir haben l ϕα (x) = C0 eiα[x−(N −1)l] + C0 e−iα[x−(N −1)l] , wenn x ≥ (N − 1)l + .(3.626) 2 Im folgenden Abschnitt werden wir diese verschiedenen Ausdr¨ucke f¨ur ϕα (x) an den Stellen x = − l/2, + l/2, . . . , (N − 1)l + l/2 anpassen.
Anpassungsbedingungen Die Funktionen vα (x) und vα (x) h¨angen von der jeweiligen Form des Potentials ab. Mit Hilfe der Ergebnisse aus dem vorangegangenen Abschnitt 3.18 k¨onnen wir jedoch ihre Werte und die ihrer Ableitung an den R¨andern jeder Barriere leicht berechnen. Hierzu stellen wir uns vor, dass alle Barrieren bis auf die n-te, die um die Stelle x = (n − 1)l zentriert ist, entfernt seien. Die L¨osung (3.625), die ja im Inneren dieser ¨ Barriere stets g¨ultig ist, m¨usste dann nach links und rechts durch Uberlagerungen ebener Wellen fortgesetzt werden. Diese erh¨alt man aus den Beziehungen (3.583) und (3.584) in Abschnitt 3.18, indem man x durch x − (n − 1)l sowie k durch α ersetzt und außerdem an den Koeffizienten A, A , A˜ und A˜ den Index n anbringt. Es ergibt sich so f¨ur x ≤ (n − 1)l − l/2 An eiα[x−(n−1)l] + An e−iα[x−(n−1)l]
(3.627)
und f¨ur x ≥ (n − 1)l + l/2 A˜n eiα[x−(n−1)l] + A˜n e−iα[x−(n−1)l] . Dabei gilt A˜n An = M (α) , An A˜n
(3.628)
(3.629)
•
340
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
worin M (α) die in Abschnitt 3.18 eingef¨uhrte Matrix bedeutet. Folglich hat die in Gl. (3.625) definierte Funktion ϕα (x) am linken Rand der n-ten Barriere denselben Wert und dieselbe Ableitung wie die Superposition ebener Wellen (3.627) und am rechten Rand denselben Wert und dieselbe Ableitung wie Gl. (3.628). Damit k¨onnen wir f¨ur die periodische Struktur die Anpassungsbedingungen auf einfache Weise formulieren. So gen¨ugt es, f¨ur den linken Rand der ersten Barriere (also an der Stelle x = − l/2) anzuschreiben, dass der Ausdruck (3.622) denselben Wert und dieselbe Ableitung wie A1 eiαx + A1 e−iαx hat, woraus sich sofort A0 = A1 ,
(3.630)
A0 = A1
ergibt. F¨ur den rechten Rand der ersten Barriere, die mit dem linken Rand der zweiten Barriere zusammenf¨allt, m¨ussen A˜1 eiαx + A˜1 e−iαx und A2 eiα(x−l) + A2 e−iα(x−l) denselben Wert und dieselbe Ableitung haben. Dies f¨uhrt zu A2 = A˜1 eiαl , (3.631) A2 = A˜1 e−iαl . Setzt man f¨ur die Verbindungsstelle x = nl − l/2 der n-ten mit der (n + 1)-ten Barriere den Wert des Ausdrucks (3.628) und den seiner Ableitung mit den entsprechenden Werten gleich, die man aus Gl. (3.627) durch Ersetzen von n durch (n + 1) erh¨alt, so findet man auf die gleiche Weise An+1 = A˜n eiαl , (3.632) An+1 = A˜n e−iαl . F¨ur den rechten Rand der letzten Barriere (x = (N − 1)l + l/2) muss schließlich der Wert des Ausdrucks (3.626) und der seiner Ableitung dem Wert von Gl. (3.628) und dem der Ableitung gleichgesetzt werden, wobei man hier n durch N zu ersetzen hat. Dann ergibt sich C0 = A˜N , (3.633) C0 = A˜N .
Iterationsmatrix Q(α) Wir f¨uhren die Matrix iαl e D(α) = 0
0
e−iαl
ein. Mit ihr kann man die Anpassungsbedingungen (3.632) in der Form An+1 A˜n = D(α) An+1 A˜n
(3.634)
(3.635)
3.19 Eindimensionales periodisches Potential
341
schreiben oder bei Ber¨ucksichtigung von Gl. (3.629) auch als An+1 An = D(α)M (α) . An+1 An
•
(3.636)
Wiederholte Anwendung dieser Beziehung und Beachtung von Gl. (3.630) liefert dann An+1 A1 n = [D(α) M (α)] An+1 A1 A0 n = [D(α) M (α)] . (3.637) A0 Schließlich kann man wegen Gl. (3.629) und Gl. (3.637) die Bedingung (3.633) in der Form AN A0 C0 N −1 = M (α) = M (α)[D(α) M (α)] (3.638) C0 AN A0 oder auch A0 C0 = M (α) D(α) M (α) D(α) . . . D(α) M (α) C0 )* + A0 ( N Matrizen M (α)
(3.639)
ausdr¨ucken. In dieser Beziehung ist jeder Barriere eine Matrix M (α) und jedem Intervall zwischen zwei aufeinanderfolgenden Barrieren eine Matrix D(α) zugeordnet. Die Gleichungen (3.636) und (3.637) zeigen, welche wichtige Rolle die Matrix Q(α) = D(α) M (α)
(3.640) , also bei einer Translation um nl
An+1 A1 zu A1 An+1 l¨angs der periodischen Struktur, tritt sie in der n-ten Potenz auf. Aus diesem Grunde nennen wir Q(α) die Iterationsmatrix. Mit Gl. (3.596) aus Abschnitt 3.18 und dem Ausdruck (3.634) f¨ur D(α) erh¨alt man iαl e F (α) eiαl G∗ (α) Q(α) = . (3.641) e−iαl G(α) e−iαl F ∗ (α) ¨ spielt. Beim Ubergang von
Die Berechnung von [Q(α)]n vereinfacht sich, wenn man durch einen Basiswechsel Q(α) auf Diagonalform bringt. Wir fragen daher nach den Eigenwerten dieser Matrix.
Eigenwerte von Q(α) Es sei λ ein Eigenwert von Q(α). Dann lautet die charakteristische Gleichung [eiαl F (α) − λ][e−iαl F ∗ (α) − λ] − |G(α)|2 = 0.
(3.642)
Mit der Beziehung (3.599) aus Abschnitt 3.18, und wenn X(α) = Re{eiαl F (α)} =
1 Sp{Q(α)} 2
(3.643)
•
342
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
f¨ur den Realteil von eiαl F (α) geschrieben wird, erh¨alt man λ2 − 2λX(α) + 1 = 0.
(3.644)
Da F (α) einen Betrag gr¨oßer als eins hat (s. Gl. (3.599)), gilt dies auch f¨ur eiαl F (α). Die Diskriminante dieser quadratischen Gleichung ist Δ = [X(α)]2 − 1.
(3.645)
Zwei F¨alle sind m¨oglich: 1. Hat die Energie E einen Wert, so dass |X(α)| ≤ 1
(3.646)
ist (wenn z. B. wie in Abb. 3.31 α zwischen α0 und α1 liegt), so kann man X(α) = cos[k(α)l]
(3.647)
mit 0 ≤ k(α) ≤
π l
(3.648)
Abb. 3.31 Die komplexe Zahl eiαl F (α) = X(α)+iY (α) in Abh¨angigkeit von α. Weil |F (α)| > 1 ist, liegt die Bildkurve in der komplexen Ebene außerhalb des Einheitskreises. Die Diskussion zeigt, dass f¨ur |X(α)| < 1, wenn also die Wahl von α zu einem zwischen den gestrichelten Geraden liegenden Kurvenpunkt f¨uhrt, die zugeh¨orige Energie in ein erlaubtes Band f¨allt, sonst in ein verbotenes Band.
3.19 Eindimensionales periodisches Potential
343
•
setzen. Die einfache Rechnung zeigt dann, dass die Eigenwerte von Q(α) λ = e±ik(α)l
(3.649)
sind, also zwei zueinander konjugiert komplexe Zahlen mit dem Betrag eins. 2. Liefert dagegen die Energie E einen Wert von α, so dass |X(α)| > 1
(3.650)
ist (α liegt z. B. zwischen α1 und α2 ), so setzt man X(α) = ε cosh[ρ(α)l]
(3.651)
ρ(α) ≥ 0
(3.652)
mit
und ε = +1, falls X(α) positiv, und ε = −1, falls X(α) negativ ist. Es wird dann λ = εe±ρ(α)l .
(3.653)
Die Eigenwerte von Q(α) sind in diesem Fall beide reell und zueinander invers.
3.19.2 Erlaubte und verbotene Energieb¨ander Verhalten der Wellenfunktion ϕα (x) Zur Anwendung von Gl. (3.637) beginnt man mit der Berechnung der beiden Spaltenmatrizen Λ1 (α) und Λ2 (α), die die Eigenvektoren von Q(α)darstellen und zu den EigenA1 werten λ1 und λ2 geh¨oren; danach zerlegt man die Matrix in die Form A1 A1 (3.654) = c1 (α)Λ1 (α) + c2 (α)Λ2 (α), A1 womit man sofort An c1 (α)Λ1 (α) + λn−1 c2 (α)Λ2 (α) = λn−1 1 2 An
(3.655)
erh¨alt. An diesem Ausdruck erkennen wir, dass das Verhalten der Wellenfunktion ganz verschieden ist, je nachdem in welchem Energiebereich man sich befindet, ob also |X(α)| kleiner oder gr¨oßer als eins ist. Im ersten Fall zeigt Gl. (3.649), dass der Durchgang durch die Barrieren inGl. (3.655) zu einer Phasenverschiebung der Komponenten der Spalten An matrix bez¨uglich Λ1 (α) und Λ2 (α) f¨uhrt. Das Verhalten von ϕα (x) ist also mit An dem einer Superposition von imagin¨aren Exponentialausdr¨ucken vergleichbar. Liegt E dagegen in einem Bereich, so dass |X(α)| > 1 ist, so ist nach Gl. (3.653) genau einer der
•
344
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
beiden Eigenwerte (z. B. λ1 ) dem Betrage nach gr¨oßer als eins, und f¨ur gen¨ugend große n gilt An (3.656) ≈ εn−1 e(n−1)ρ(α)l c1 (α)Λ1 (α). An Die Koeffizienten An und An wachsen daher mit n exponentiell (falls nicht c1 (α) = 0 ist): Die Wellenfunktion ϕα (x) wird dem Betrage nach immer gr¨oßer, je weiter sie die aufeinanderfolgenden Potentialbarrieren durchquert; ihr Verhalten erinnert an eine ¨ Uberlagerung von reellen Exponentialausdr¨ucken.
Bragg-Reflexion. M¨ogliche Energiewerte Aufgrund des unterschiedlichen Verhaltens der Wellenfunktion ϕα (x) verstehen wir, dass auch die erkennbaren Ph¨anomene ganz verschieden sein k¨onnen. Wenn wir z. B. den Transmissionskoeffizienten TN (α) f¨ur die Gesamtheit der N identischen Barrieren bestimmen, so zeigt Gl. (3.638), dass dabei die Matrix M (α)[Q(α)]N −1 eine analoge Rolle spielt wie M (α) bei einer einzigen Barriere. Nun wird nach Gl. (3.609) aus Abschnitt 3.18 der Transmissionskoeffizient T (α) durch dasjenige Element dieser Matrix ausgedr¨uckt, das dort in der ersten Zeile und ersten Spalte steht (TN (α) ist gleich dem Kehrwert des Betragsquadrats dieses Elements). Was geschieht daher, wenn die Energie E des Teilchens so gew¨ahlt wird, dass die Eigenwerte der Matrix Q(α) reell, d. h. durch Gl. (3.653) gegeben sind? F¨ur gen¨ugend große N u¨ berwiegt dann der Eigenwert λ1 = ε eρ(α)l und die Matrix [Q(α)]N −1 w¨achst mit N exponentiell (s. auch Gl. (3.656)). Folglich nimmt der Transmissionskoeffizient exponentiell ab: TN (α) ∝ e−2N ρ(α)l .
(3.657)
F¨ur gr¨oßere N reflektiert das aus N Barrieren bestehende Potential das Teilchen praktisch sofort. Dies erkl¨art sich aus der Tatsache, dass die an den einzelnen Barrieren gestreuten Wellen f¨ur die transmittierte Welle vollst¨andig destruktiv interferieren, f¨ur die reflektierte Welle dagegen in konstruktiver Weise. Dieses Ph¨anomen ist mit der Bragg-Reflexion zu vergleichen. Wir halten u¨ brigens fest, dass sich diese beim transmittierten Anteil auftretende destruktive Interferenz auch dann zeigt, wenn E oberhalb der Barrierenh¨ohe liegt; klassisch w¨urde das Teilchen in diesem Fall transmittieren. Jedenfalls stellen wir fest: Ist der Transmissionskoeffizient einer isolierten Barriere nur wenig von eins verschieden, so ist |F (α)| ≈ 1 (so geht in Abb. 3.31 |F (α)| gegen eins, wenn α, also die Energie, gegen unendlich geht); der die komplexe Zahl eiαl F (α) repr¨asentierende Punkt liegt dann sehr nahe am Einheitskreis. Mit Hilfe der Abb. 3.31 kann man dann erkennen, ob die Energiebereiche zu |X(α)| > 1, d. h. die Bereiche, f¨ur die Totalreflexion auftritt, sehr schmal sind und praktisch als isolierte Werte erscheinen. Physikalisch wird dies durch die Tatsache erkl¨art, dass das Teilchen einen wohlbestimmten Impuls und eine wohlbestimmte Wellenl¨ange besitzt, wenn seine Einfallsenergie gegen¨uber den Schwankungen des Potentials V (x) groß ist; die Bragg-Bedingung ergibt dann wohlbestimmte Energiewerte.
3.19 Eindimensionales periodisches Potential
345
•
Wenn dagegen die Teilchenenergie E in einen Bereich f¨allt, in dem die Eigenwerte wie in Gl. (3.649) vom Betrag eins sind, so streben die Elemente der Matrix [Q(α)]N −1 nicht mehr mit N gegen unendlich; der Transmissionskoeffizient TN (α) geht bei einer Vergr¨oßerung der Anzahl der Barrieren nicht gegen null. Jetzt handelt es sich jedoch um ein rein quantenmechanisches Ph¨anomen, das mit dem Wellencharakter der Materie zusammenh¨angt: Die Wellenfunktion kann sich in einer periodischen Struktur ausbreiten, ohne exponentiell ged¨ampft zu werden. So stellen wir insbesondere fest, dass der Transmissionskoeffizient TN (α) und das Produkt der Transmissionskoeffizienten jeder einzelnen Barriere ganz verschieden sind (dieses geht f¨ur N −→ ∞ gegen null, weil alle Faktoren kleiner als eins sind). Eine weitere Frage, die vor allem in der Festk¨orperphysik von Interesse ist, behandelt die Quantisierung der Energieniveaus eines Teilchens, das sich in einer Folge identischer und gleichm¨aßig angeordneter Potentialt¨opfe, also einem Potential mit periodischer Struktur, befindet. Wir werden im folgenden Abschnitt darauf eingehen, doch k¨onnen wir u¨ ber das grunds¨atzliche Verhalten des Energiespektrums schon an dieser Stelle eine Aussage machen. Nehmen wir n¨amlich an, das Teilchen besitzt eine Energie, so dass |X(α)| > 1 ist, dann zeigt Gl. (3.656), dass die Koeffizienten An und An f¨ur n −→ ∞ gegen unendlich gehen. Die Wellenfunktion ist nicht beschr¨ankt, und man versteht, weshalb man diese M¨oglichkeit verwerfen muss: Die zugeh¨origen Energien sind also verboten, woraus sich der Name verbotene B¨ander f¨ur die Energiebereiche ergeben hat, f¨ur die |X(α)| > 1 ist. Hat dagegen das Teilchen eine Energie, f¨ur die |X(α)| < 1 ist, so bleiben An und An f¨ur n −→ ∞ beschr¨ankt; man spricht bei den entsprechenden Bereichen auf der Energieachse von erlaubten B¨andern. Das Energiespektrum besteht demnach aus endlichen Intervallen mit erlaubten Werten, die durch Bereiche getrennt sind, bei denen alle Energiewerte verboten sind.
3.19.3 Energiequantisierung bei einem periodischen Potential. Einfluss der R¨ander Wir betrachten ein Teilchen mit der Masse m, das sich in dem in Abb. 3.32 abgebildeten Potential V (x) befindet: Im Bereich − l/2 ≤ x ≤ N l + l/2 zeigt V (x) den Verlauf einer periodischen Funktion, die aus einer Kette von N + 1 aufeinanderfolgenden Barrieren der H¨ohe V0 besteht. Diese sind um die Punkte x = 0, l, 2l, . . . , N l zentriert. Außerhalb ¨ dieses Bereichs unterliegt V (x) beliebigen Anderungen u¨ ber Entfernungen, die mit l vergleichbar sind, um schließlich gegen einen konstanten und positiven Wert Ve zu gehen. Im Folgenden nennen wir [0, N l] das Innere der Kette“ und die Bereiche x ≈ − l/2 und ” x ≈ N l + l/2 die R¨ander der Kette“. ” Physikalisch kann ein solches Modell ein Elektron in einem linearen Molek¨ul oder auch (eindimensional) in einem Kristall beschreiben. Die an den Stellen x = l/2, 3l/2, . . . befindlichen Potentialt¨opfe entsprechen dann der Anziehung, die das Elektron durch die verschiedenen Ionen erf¨ahrt. Weiter außerhalb des Kristalls (oder des Molek¨uls) unterliegt das Elektron keiner anziehenden Kraft mehr: Das Potential wird rasch konstant, sobald man sich von dem Bereich − l/2 ≤ x ≤ N l + l/2 entfernt.
•
346
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
Abb. 3.32 Potentialverlauf f¨ur ein Elektron in einem eindimensionalen Kristall“ mit seinen ” R¨andern. Im Kristallinnern hat das Potential eine periodische Struktur. Zwischen den Ionen (die Barrieren an den Stellen x = 0, l, 2l, . . .) ist das Potential am gr¨oßten, an den Ionenpl¨atzen (T¨opfe an den Stellen x = l/2, 3l/2, . . .) dagegen am kleinsten. An den Kristallgrenzen a¨ ndert sich V (x) u¨ ber eine mit l vergleichbare Distanz mehr oder weniger verwickelt, darauf strebt es rasch gegen einen konstanten Wert Ve .
¨ Bis auf eine Anderung des Energienullpunkts f¨allt das von uns gew¨ahlte Potential V (x) ganz in den Rahmen von Abschnitt 3.17: Wir wissen daher schon, dass die gebundenen Zust¨ande des Teilchens ein diskretes und unterhalb von V0 liegendes Energiespektrum liefern. Dar¨uber hinaus besitzt V (x) eine periodische Struktur, wie wir sie in Abschnitt 3.19.1 untersucht haben. Ber¨ucksichtigen wir die dort erhaltenen Ergebnisse, so k¨onnen wir die Schlussfolgerungen aus Abschnitt 3.17 in eine besondere Form bringen. So stellten wir z. B. fest, dass gerade die Randbedingungen (ϕ(x) −→ 0 f¨ur x −→ ±∞) zur Quantisierung der Energieniveaus f¨uhrten. So k¨onnte man denken, dass auch hier der Potentialverlauf an den Kettenr¨andern f¨ur die Bestimmung der m¨oglichen Energien eine kritische Rolle spielte. Dies ist jedoch nicht der Fall: Wir werden feststellen, dass diese Energien praktisch allein von den Potentialwerten im periodischen Bereich abh¨angen (falls nur die Anzahl der Potentialt¨opfe gen¨ugend groß ist). Wir werden ferner unsere Behauptung aus dem vorstehenden Abschnitt best¨atigen, wonach sich die meisten m¨oglichen Energiewerte zu erlaubten Energieb¨andern gruppieren. Lediglich einige an den R¨andern lokalisierte Zust¨ande h¨angen kritisch vom Potentialverlauf in diesem Bereich ab und k¨onnen eine Energie aufweisen, die in ein verbotenes Band f¨allt. Wir werden im Wesentlichen wie in Abschnitt 3.17 vorgehen und untersuchen zun¨achst die Bedingungen, die f¨ur die Wellenfunktion ϕα (x) eines station¨aren Zustands gelten.
3.19 Eindimensionales periodisches Potential
347
•
Bedingungen an die Wellenfunktion Im Bereich, in dem sich V (x) periodisch verh¨alt, liefert Gl. (3.625) die Form der Wellenfunktion ϕα (x), w¨ahrend die Koeffizienten An und An u¨ ber Gl. (3.655) ermittelt werden. Um diese Beziehung explizit anschreiben zu k¨onnen, setzen wir c1 (α)Λ1 (α) = c2 (α)Λ2 (α) =
f1 (α) f1 (α) f2 (α) f2 (α)
,
(3.658) .
Wir erhalten dann + f2 (α)λn−1 , An = f1 (α)λn−1 1 2 An = f1 (α)λn−1 + f2 (α)λn−1 . 1 2
(3.659)
Untersuchen wir jetzt die Randbedingungen f¨ur die Wellenfunktion ϕα (x). Zun¨achst ist links in großer Entfernung von der Kette das Potential gleich Ve und ϕα (x) hat die Form ϕα (x) = Beμ(α)x mit
μ(α) =
2m (Ve − E) h2 ¯
(3.660)
(3.661)
(die mit e−μ(α)x gehende L¨osung verwerfen wir, weil sie f¨ur x −→ −∞ divergiert). Der zu dieser Funktion geh¨orende Wahrscheinlichkeitsstrom ist null (s. Abschnitt 3.7.1). Weil nun der Strom f¨ur einen station¨aren Zustand ortsunabh¨angig ist (s. Abschnitt 3.18, Gl. (3.590)), bleibt er es f¨ur alle x, insbesondere also auch im Ketteninneren. Nach der Beziehung (3.592) haben daher die Koeffizienten An und An notwendig denselben Betrag. Will man also die Randbedingungen zur Linken durch eine Beziehung zwischen den Koeffizienten A1 und A1 ausdr¨ucken (indem man ber¨ucksichtigt, dass der im Intervall − l/2 ≤ x ≤ l/2 g¨ultige Ausdruck von ϕα (x) die Fortsetzung der Funktion (3.660) ist), so findet man eine Gleichung der Form A1 = eiχ(α) . A1
(3.662)
Darin ist χ(α) eine reellwertige Funktion von α und somit der Energie E, die durch das Verhalten des Potentials am linken Kettenrand bestimmt ist. Hierauf gehen wir jedoch nicht im Einzelnen ein, der f¨ur uns wesentliche Punkt ist allein die Form (3.662) der Randbedingung. ¨ Die gleiche Uberlegung gilt offensichtlich auch f¨ur den rechten Rand (x −→ +∞). Hier ist AN +1 = eiχ (α) , AN +1
(3.663)
•
348
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
in der die reellwertige Funktion χ (α) vom Potentialverlauf am rechten Kettenrand abh¨angt. Zur Quantisierung der Energieniveaus gelangt man daher auf folgende Weise: – Man geht von zwei Koeffizienten A1 und A1 aus, die der Gl. (3.662) gen¨ugen. Damit ist die Beschr¨anktheit der Funktion ϕα (x) f¨ur x −→ −∞ gesichert. Weil ϕα (x) bis auf einen Faktor definiert ist, kann man z. B. setzen A1 = eiχ(α)/2 , A1 = e−iχ(α)/2 .
(3.664)
– Mit Hilfe von Gl. (3.659) berechnet man dann die Koeffizienten An und An und setzt so die Wellenfunktion durch den gesamten Kristall fort. Wir stellen fest, dass ϕα (x) aufgrund der Bedingung (3.664) (s. Abschnitt 3.18.1) reell ist; darum gilt notwendig An = A∗n .
(3.665)
– Schließlich schreibt man die Bedingung (3.663) f¨ur die Koeffizienten AN +1 und ¨ AN +1 an; mit ihr wird die Beschr¨anktheit von ϕα (x) f¨ur x −→ +∞ gesichert. Ubrigens zeigt bereits Gl. (3.665), dass das Verh¨altnis AN +1 /AN +1 eine komplexe Zahl vom Betrag eins ist, und die Bedingung (3.663) reduziert sich auf eine Gleichung f¨ur die Phasen zweier komplexer Zahlen. Man erh¨alt so eine reelle Gleichung in α, die eine bestimmte Anzahl reeller L¨osungen zul¨asst. Diese liefern die erlaubten Energiewerte. Wir wenden diese Methode an, indem wir zwei F¨alle unterscheiden: die Eigenwerte der Matrix Q(α) sind reell (Fall |X(α)| > 1) oder imagin¨ar (Fall |X(α)| < 1).
Erlaubte Energieb¨ander: Station¨are Zust¨ande im Innern der Kette Zun¨achst nehmen wir an, dass sich die Energie in einem Bereich befindet, f¨ur den |X(α)| < 1 ist. Quantisierungsgleichung. Beachtet man Gl. (3.649), so wird aus den Beziehungen (3.659) An = f1 (α)ei(n−1)k(α)l + f2 (α)e−i(n−1)k(α)l , An = f1 (α)ei(n−1)k(α)l + f2 (α)e−i(n−1)k(α)l .
(3.666)
Andererseits f¨uhrte der Ansatz (3.664) f¨ur A1 und A1 zu An = A∗n f¨ur jeden Wert von n. Nun zeigt man leicht, dass die Beziehungen (3.666) nur dann zwei zueinander konjugiert komplexe Zahlen ergeben, wenn f1∗ (α) = f2 (α), f2∗ (α) = f1 (α)
(3.667)
ist. Die Bedingung (3.663) lautet dann f1 (α)e2iN k(α)l + f2 (α) = eiχ (α) . ∗ ∗ 2iN k(α)l f2 (α)e + f1 (α)
(3.668)
3.19 Eindimensionales periodisches Potential
349
•
Diese Gleichung in α liefert die Quantisierung der Energieniveaus. Zu ihrer L¨osung setzen wir f1∗ (α)eiχ (α)/2 − f2 (α)e−iχ (α)/2 Θ (α) = arg (3.669) f1 (α)e−iχ (α)/2 − f2∗ (α)eiχ (α)/2 (man kann Θ (α) im Prinzip berechnen, indem man von χ(α), χ (α) und der Matrix Q(α) ausgeht). Die Gl. (3.668) lautet dann einfach e2iN k(α)l = eiΘ(α) .
(3.670)
Die Energieniveaus sind also durch die Bedingung k(α) =
Θ (α) π +p 2N l Nl
(3.671)
mit p = 0, 1, 2, . . . , (N − 1)
(3.672)
gegeben. Weitere Werte von p werden durch die Bedingung (3.648) ausgeschlossen, nach der sich k(α) nur in einem Intervall der Breite π/l a¨ ndern darf. Im Folgenden halten wir fest, dass man f¨ur sehr große N Gl. (3.671) in der einfacheren Form k(α) ≈ p
π Nl
(3.673)
ausdr¨ucken kann. Grafische L¨osung. Setzt man in Gl. (3.671) die Definition (3.647) f¨ur k(α) ein, so ergibt sich f¨ur α eine Gleichung, aus der man die erlaubten Energien erh¨alt. Zur grafischen L¨osung zeichnen wir zun¨achst die Bildkurve der Funktion X(α) = Re{eiαl F (α)}, f¨ur die man wegen des imagin¨aren Exponentialfaktors eiαl einen oszillatorischen Verlauf erwartet (s. Abb. 3.33a). Weil |F (α)| sehr viel gr¨oßer als eins ist (s. Gl. (3.613) in Abschnitt 3.18), ist die Amplitude gr¨oßer als eins, so dass die Kurve die beiden Geraden X(α) = ±1 an bestimmten Stellen α0 , α1 , α2 , . . . schneidet. Wir eliminieren daher alle von diesen Stellen begrenzten Bereiche auf der α-Achse, f¨ur die die Bedingung |X(α)| < 1 nicht erf¨ullt ist. Die Menge der auf diese Weise f¨ur X(α) erhaltenen Kurvenst¨ucke bilden den Ausgangspunkt f¨ur die Darstellung der Funktion k(α) =
1 arccos X(α). l
(3.674)
Wegen der Form der Arcusfunktion (s. Abb. 3.34) erhalten wir eine Kurve, wie sie in Abb. 3.33b skizziert ist. Nach Gl. (3.671) gelangen wir zu den Energieniveaus, wenn wir Θ (α) π diese Kurve mit den Bildkurven der Funktionen +p schneiden, d. h. (f¨ur N 2N l Nl π (p = 0, 1, 2, . . . , N − 1). Es 1) n¨aherungsweise mit den horizontalen Geraden y = p Nl erscheinen dann Gruppen von jeweils N Niveaus , die zu a¨ quidistant liegenden Werten von k(α) geh¨oren und in erlaubten B¨andern zwischen α0 ≤ α ≤ α1 , α2 ≤ α ≤ α3
•
350
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
usw. angeordnet sind. Zwischen diesen B¨andern befinden sich die verbotenen B¨ander. Ihre Eigenschaften werden wir weiter unten genauer behandeln. Interessiert man sich f¨ur ein bestimmtes erlaubtes Band, so kann man jedes Niveau durch den zugeh¨origen Wert k(α) kennzeichnen. Damit w¨ahlt man k als unabh¨angige Variable und betrachtet α und folglich auch E als Funktionen dieser Variablen. W¨ahrend man α(k) direkt aus Abb. 3.33 erh¨alt, gelangt man zur Funktion E(k) u¨ ber den Zusammenhang E = h ¯ 2 α2 /2m; ihr Verlauf ist in Abb. 3.35 gezeigt.
Abb. 3.33 Verlauf der Funktionen X(α) = Re{F (α)eiαl } (s. Abb. 3.31) und k(α) = 1 arccos X(α). F¨ur N 1 erh¨alt man die zu den station¨aren Zust¨anden geh¨orenden Werte l von α in guter N¨aherung, indem man die Bildkurve von k(α) mit den horizontalen Geraden y = pπ/N l (p = 0, 1, . . . , N − 1) zum Schnitt bringt. Es ergeben sich erlaubte B¨ander, die jeweils N sehr eng beieinanderliegende Niveaus enthalten (die Intervalle α0 ≤ α ≤ α1 usw.) und verbotene B¨ander (die schraffierten Bereiche α1 < α < α2 usw.). Die gestrichelten Kurven geh¨oren zum Sonderfall V (x) = 0 (freies Teilchen).
3.19 Eindimensionales periodisches Potential
351
•
Abb. 3.34 Verlauf der Arcuscosinusfunktion. Aufgetragen ist der Hauptwert.
Abb. 3.35 Die Energie in Abh¨angigkeit vom Parameter k. Die ausgezogenen Kurven repr¨asentieren die Energien f¨ur die beiden ersten erlaubten B¨ander (die zugeh¨origen Werte von k liegen a¨ quidistant im Intervall 0 ≤ k ≤ π/l). Die gestrichelten Kurven entsprechen dem Sonderfall V (x) = 0 (freies Teilchen); die erlaubten B¨ander ber¨uhren sich dann, und es gibt kein verbotenes Band mehr.
Bemerkung Nach Abb. 3.33b entsprechen einem bestimmten Wert von k mehrere Werte von α. Das ist der Grund, weshalb in Abb. 3.35 mehrere Kurvenzweige auftreten. W¨achst X(α) gleichm¨aßig von −1 bis +1 (bzw. f¨allt gleichm¨aßig von +1 bis −1), so entspricht f¨ur dieses Band jedem Wert von k genau ein Energieniveau, und dieses Band enth¨alt N Niveaus.
•
352
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
Physikalische Diskussion. Unsere Rechnungen zeigen, wie man von einem Ensemble diskreter Niveaus zu erlaubten Energieb¨andern gelangt, wenn man N von eins bis zu großen Werten wachsen l¨asst. Diese B¨ander bestehen streng genommen auch aus diskreten Niveaus. Ihr Abstand ist jedoch bei einer makroskopischen Kette sehr gering, so dass man es praktisch mit einem Kontinuum zu tun hat. W¨ahlt man k als Parameter, so ist die Zustandsdichte (das ist die Anzahl der m¨oglichen Energien im Einheitsintervall von k ) konstant und gleich N l/π. Diese Eigenschaft macht verst¨andlich, weshalb man k als unabh¨angige Variable w¨ahlt. ¨ Ein wichtiger Punkt ergab sich beim Ubergang von Gl. (3.671) zu Gl. (3.673): Ist die Anzahl N der Potentialt¨opfe sehr groß, so spielen die Verh¨altnisse an den Enden der Kette, die nur u¨ ber die Funktionen χ(α), χ (α) und Θ (α) zum Tragen kommen, u¨ berhaupt keine Rolle mehr. F¨ur die Bestimmung der m¨oglichen Energien ist allein die Form des periodischen Potentials innerhalb der Kette von Bedeutung. Zwei Grenzf¨alle sind von besonderem Interesse: 1. Ist V (x) = 0 (freies Teilchen), so gilt F (α) = 1, (3.675)
X(α) = cos αl, und man hat k(α) = α, k(α) =
wenn 0 ≤ α ≤
2π − α, l
usw.
wenn
π , l
π 2π ≤α≤ l l (3.676)
(dies wird in Abb. 3.33b durch die gestrichelten Geradenst¨ucke dargestellt). Nach Gl. (3.675) ist die Bedingung |X(α)| ≤ 1 immer realisiert: Es ergibt sich wieder, dass f¨ur ein freies Teilchen keine verbotenen B¨ander existieren. Den Einfluss des Potentialverlaufs V (x) auf die Kurve E(k) erkennt man auch an der Abb. 3.35: Sobald verbotene B¨ander in Erscheinung treten, verformen sich die Energiekurven so, dass sie an den Bandr¨andern k = 0 und k = π/l waagerechte Tangenten aufweisen. Im Gegensatz zum Fall des freien Teilchens gibt es f¨ur jedes Band einen Wendepunkt, an dem sich die Energie linear mit k a¨ ndert. 2. Ist der Transmissionskoeffizient T (α) praktisch null, so ist (s. Abschnitt 3.18, Gleichungen (3.608), (3.609) und (3.599)) |F (α)| |G(α)|
1, 1.
(3.677)
In Abb. 3.31 liegt dann der Punkt, der die komplexe Zahl eiαl F (α) repr¨asentiert, vom Ursprung sehr weit entfernt, und die Bereiche auf der α-Achse sind extrem schmal, f¨ur die |X(α)| < 1 ist. Mit abnehmendem Transmissionskoeffizienten der Elementarbarriere schrumpfen daher die erlaubten B¨ander zusammen, um sich im Grenzfall einer verschwindenden Transmission auf die Niveaus eines isolierten Potentialtopfes zu reduzie¨ ren. Sobald umgekehrt der Tunneleffekt dem Teilchen den Ubergang von einem Topf zum
3.19 Eindimensionales periodisches Potential
353
•
n¨achsten erlaubt, entsteht aus jedem diskreten Niveau der T¨opfe ein Energieband, das mit wachsendem Transmissionskoeffizienten immer breiter wird. Auf diese Eigenschaft werden wir in Abschnitt 11.9 zur¨uckkommen. Verbotene B¨ander: Station¨are Zust¨ande an den R¨andern Form der Gleichungen. Energieniveaus. Wir nehmen jetzt an, α geh¨ore zu einem Bereich, f¨ur den |X(α)| > 1 ist. Dann lauten nach Gl. (3.653) die Beziehungen (3.659) An = εn−1 [f1 (α)e(n−1)ρ(α)l + f2 (α)e−(n−1)ρ(α)l ], An = εn−1 [f1 (α)e(n−1)ρ(α)l + f2 (α)e−(n−1)ρ(α)l ].
(3.678) (3.679)
Weil nun An = A∗n f¨ur jedes n gilt, muss notwendig f1 (α) = f1∗ (α), f2 (α) = f2∗ (α)
(3.680) (3.681)
sein. Die Quantisierungsbedingung nimmt somit die Form AN +1 f1 (α) + f2 (α)e−2N ρ(α)l = ∗ = eiχ (α) ∗ −2N ρ(α)l AN +1 f1 (α) + f2 (α)e
(3.682)
an. Wenn wir
L(α) = −
f1∗ (α)eiχ (α)/2 − f1 (α)e−iχ (α)/2 f2∗ (α)eiχ (α)/2 − f2 (α)e−iχ (α)/2
(3.683)
setzen, k¨onnen wir diese Gleichung auch e−2N ρ(α)l = L(α)
(3.684)
schreiben. F¨ur N 1 wird e−2N ρ(α)l ≈ 0 und Gl. (3.684) reduziert sich auf L(α) = 0.
(3.685)
Die in den verbotenen B¨andern liegenden Energieniveaus sind also durch die Nullstellen der Funktion L(α) gegeben (s. Abb. 3.36). Die Anzahl dieser Niveaus h¨angt im Gegensatz zu einem erlaubten Band nicht von der Zahl N der Potentialt¨opfe ab, da diese Zahl weder in Gl. (3.683) noch in Gl. (3.685) auftritt. Man kann daher sagen, dass f¨ur N 1 praktisch alle Niveaus in den erlaubten B¨andern liegen. Physikalische Diskussion. Die Situation unterscheidet sich grunds¨atzlich von der im vorangegangenen Abschnitt: Falls die Zahl N , d. h. die Kettenl¨ange, nur gen¨ugend groß ist, spielt sie keine Rolle mehr. Dagegen zeigt die Definition (3.683), dass die Funktionen χ(α) und χ (α) wesentlich zum Tragen kommen. Sie h¨angen vom Potentialverlauf an den R¨andern der Kette ab, und man erwartet deshalb in diesen Bereichen lokalisierte Zust¨ande.
•
354
Erg¨anzungen zu Kapitel 3
Abb. 3.36 Verlauf von L(α) in einem verbotenen Band. Die Nullstellen liefern die an den Kettenenden lokalisierten station¨aren Zust¨ande.
Das ist auch der Fall. Aus den Gleichungen (3.683) und (3.685) ergeben sich n¨amlich zwei M¨oglichkeiten: 1. Ist f1 (α) = 0, so verlangt das Verschwinden von L(α), dass f1 (α) f1 (α) = = eiχ (α) . ∗ f1 (α) f1 (α)
(3.686)
Erinnern wir uns an die Definition (3.658) von f1 (α) und f1 (α). Dann besagt Gl. (3.686) einfach, dass die mit dem ersten Eigenvektor der Matrix Q(α) konstruierte Wellenfunktion die Bedingungen am rechten Kettenende erf¨ullt. Das ist gut zu verstehen: Wenn man von der Stelle x = 0 mit einer beliebigen Wellenfunktion ausgeht, die die BedingunA1 gen am linken Ende erf¨ullt, so besteht die Matrix aus Komponenten bez¨uglich A1 der beiden Eigenvektoren von Q(α). Dann sind (falls N 1) die Koeffizienten AN +1 undAN+1 praktisch durch Gl. (3.656) gegeben; diese dr¨uckt aber die Proportionalit¨at der AN +1 Matrix mit der Spaltenmatrix des ersten Eigenvektors von Q(α) aus. AN +1 Wir bemerken, dass die Wellenfunktion exponentiell mit x w¨achst, wenn der Eigenwert λ1 (α) gr¨oßer als eins ist. Der durch den ersten Eigenvektor von Q(α) gegebene station¨are Zustand ist daher am rechten Kettenende lokalisiert. 2. Mit f1 (α) = 0 liefert Gl. (3.680) f1 (α) = 0 und die Definitionen (3.658) verlangen, dass c1 (α) = 0 sein muss: Der entsprechende station¨are Zustand ist dem zweiten Eigenvektor von Q(α) zugeordnet. Abgesehen von der Tatsache, dass dieser Zustand jetzt am linken Kettenrand lokalisiert ist, bleiben die Schlussfolgerungen unter Punkt 1 auch hier g¨ultig.
4
Einfache Systeme
In diesem Kapitel wollen wir die in Kapitel 3 eingef¨uhrten und diskutierten Postulate der Quantenmechanik auf einfache Systeme anwenden, f¨ur die der Zustandsraum endlich, und zwar zweidimensional ist. Das Interesse an diesen Beispielen beschr¨ankt sich nicht nur auf ihre mathematische Einfachheit, die uns ein besseres Verst¨andnis der Postulate und ihrer Konsequenzen erlaubt. Sie haben auch grunds¨atzlich physikalische Bedeutung: Es treten typische Quanteneffekte auf, die man auch experimentell verifizieren kann. In Abschnitt 4.1 und 4.2 untersuchen wir ein System mit dem Spin 1/2 (worauf wir dann vollst¨andiger in Kapitel 9 zur¨uckkommen werden). Zun¨achst beschreiben wir (Abschnitt 4.1.1) ein fundamentales Experiment, mit dem man die Quantisierung des Drehimpulses aufzeigen kann. Wir werden sehen, dass die z-Komponente des Drehimpulses eines neutralen paramagnetischen Atoms nur bestimmte, zu einer diskreten Menge geh¨orende Werte annehmen kann; so besitzt die z-Komponente Sz des Drehimpulses eines Silberatoms im Grundzustand nur die beiden m¨oglichen Werte +¯ h/2 und −¯h/2. Man sagt, im Grundzustand sei ein Silberatom ein Spin-1/2-Teilchen. Danach zeigen wir in Abschnitt 4.1.2, wie die Quantenmechanik die Spinvariablen eines derartigen Teilchens beschreibt: In Situationen, in denen man von einer quantenmechanischen Behandlung der a¨ ußeren Variablen r und p absehen kann, ist der Zustandsraum des Teilchens (der Spinraum) nur zweidimensional. In Abschnitt 4.2 k¨onnen wir dann die Postulate der Quantenmechanik auf diesen besonders einfachen Fall anwenden und verdeutlichen. So werden wir sehen, wie man durch ein bestimmtes Experiment Silberatome so pr¨aparieren kann, dass sie einen beliebigen, im Voraus gegebenen Spinzustand aufweisen. Dann zeigen wir, wie durch die Messung der Spingr¨oßen derartiger Silberatome die quantenmechanischen Postulate experimentell best¨atigt werden. Weiter untersuchen wir durch Integration der entsprechenden Schr¨odinger-Gleichung die zeitliche Entwicklung eines Spin-1/2Systems in einem konstanten Magnetfeld (Larmor-Pr¨azession). So gelangen wir schließlich zur Behandlung von Systemen mit zwei Niveaus. Obwohl diese Systeme im Allgemeinen nicht Spin-1/2-Systeme sind, sind die Rechnungen zu denen in Abschnitt 4.1 und 4.2 sehr a¨ hnlich. Im Einzelnen untersuchen wir den Einfluss einer a¨ ußeren St¨orung auf die station¨aren Zust¨ande eines Zwei-Niveau-Systems und erl¨autern an diesem sehr einfachen Modell die physikalisch wichtigen Ph¨anomene.
356
4 Einfache Systeme
4.1 Spin-1/2-Teilchen. Quantisierung des Drehimpulses 4.1.1 Experimenteller Nachweis Zun¨achst werden wir den Stern-Gerlach-Versuch beschreiben, mit dem man die Quantisierung der Komponenten eines Drehimpulses aufzeigen kann (manchmal auch Raumquantelung genannt).
Stern-Gerlach-Anordnung Beim Stern-Gerlach-Versuch beobachtet man die Ablenkung eines neutralen paramagnetischen Atomstrahls (Silberatome) in einem stark inhomogenen Magnetfeld. Die Anordnung ist in Abb. 4.1 skizziert.1 ¨ Silberatome in einem hocherhitzten Ofen E entweichen durch eine enge Offnung und breiten sich geradlinig in der hochevakuierten Apparatur aus. Ein kollimierender Spalt F w¨ahlt die Atome mit einer zur vorgegebenen y-Richtung parallelen Geschwindigkeit aus. Sie durchqueren den Luftspalt eines Elektromagneten A, bevor sie sich auf einer Platte P niederschlagen. Das vom Elektromagneten erzeugte Magnetfeld B besitzt eine Symmetrieebene (hier die y, z-Ebene) und hat in allen Punkten parallel zur y-Richtung denselben Wert (die Polschuhe liegen zur y-Richtung parallel, Randeffekte vernachl¨assigen wir). Die y-Komponente von B ist null, in z-Richtung ist das Feld am gr¨oßten und stark ver¨anderlich: In Abb. 4.1 liegen die Feldlinien in der Umgebung des Nordpols sehr viel enger als in der des S¨udpols. Weil der Fluss des Magnetfeldes konstant ist (es ist divB = 0), muss dieses auch eine von null verschiedene x-Komponente besitzen; sie h¨angt von x ab.
Klassische Berechnung der Strahlablenkung Zun¨achst2 halten wir fest, dass die Silberatome wegen ihrer Neutralit¨at keine LorentzKraft erfahren. Dagegen besitzen sie ein magnetisches Moment M (es handelt sich um paramagnetische Atome) und damit eine potentielle Energie W = − M · B.
(4.1)
Bei einem Atom gibt es zwei Urspr¨unge f¨ur das elektronische magnetische Moment M und den Drehimpuls S: die Elektronenbewegung um den Kern, die f¨ur das Auftreten eines magnetischen Bahnmoments verantwortlich ist, und der eingepr¨agte Drehimpuls bzw. Spin (s. Kapitel 9) der Elektronen, zu dem ebenfalls ein magnetisches (Spin-)Mo1 Wir geben hier nur die wichtigsten Charakteristika dieser Anordnung wieder. Eine genauere Beschreibung der Versuchstechnik findet man in der Literatur zur Atomphysik. 2 Hier begn¨ ugen wir uns mit einer Rechenskizze und verweisen f¨ur Einzelheiten auf die einschl¨agige Literatur zur Atomphysik.
4.1 Spin-1/2-Teilchen. Quantisierung des Drehimpulses
357
Abb. 4.1 Schema des Stern-Gerlach-Versuchs. a) zeigt die Bahn eines Silberatoms, das aus dem hocherhitzten Ofen E austritt. Dieses Atom wird durch den Gradienten des Magnetfeldes abgelenkt, das man mit dem Elektromagneten A erzeugt, und kondensiert dann im Punkt N auf der Platte P . b) zeigt einen Schnitt in der x, z-Ebene des Elektromagneten A. die Feldst¨arkelinien sind gestrichelt gezeichnet. Bz ist hier positiv und ∂Bz /∂z negativ. Folglich entspricht die Trajektorie in (a) einer negativen Komponente Mz des magnetischen Moments, d. h. einer positiven Spinkomponente Sz (γ ist f¨ur ein Silberatom negativ).
ment geh¨ort. Man kann zeigen (an dieser Stelle nehmen wir dies ohne Beweis an), dass M und S zueinander proportional sind:3 M = γ S.
(4.2)
Die Proportionalit¨atskonstante γ wird gyromagnetisches Verh¨altnis des betrachteten Niveaus genannt. Silberatom im Grundzustand ist der Drehimpuls S einfach gleich dem Spin des Valenzelektrons, der deshalb f¨ur die Existenz des magnetischen Moments M allein verantwortlich ist. Dieses a¨ ußere Elektron hat n¨amlich den Bahndrehimpuls null. Weiter verschwindet die Summe der Bahn- und Spindrehimpulse der Elektronen auf den inneren Schalen. Schließlich sind bei den in der Praxis realisierten experimentellen Verh¨altnissen die auf den Kernspin zur¨uckgehenden Einfl¨usse vernachl¨assigbar. Aus diesen Gr¨unden besitzt das Silberatom im Grundzustand wie das Elektron den Spin 1/2. 3 Beim
358
4 Einfache Systeme
Vor dem Durchgang der Silberatome durch den Elektromagneten sind ihre magnetischen Momente (isotrop) zufallsverteilt. Wir fragen nach der Wirkung des Magnetfeldes auf ein Atom, dessen magnetisches Moment M beim Eintritt in den Luftspalt eine bestimmte Richtung besitzt. Aus dem Ausdruck (4.1) f¨ur die potentielle Energie ergibt sich durch Gradientenbildung die auf das Atom wirkende Kraft F = ∇(M · B)
(4.3)
(die f¨ur ein konstantes Magnetfeld gleich null ist), w¨ahrend das Drehmoment in Bezug auf den Ort des Atoms Γ =M×B
(4.4)
ist. Der Drehimpulssatz lautet dS = Γ, dt
(4.5)
also gilt dS = γ S × B. dt
(4.6)
Das Atom verh¨alt sich demnach wie ein Gyroskop oder Kreisel (s. Abb. 4.2): dS/dt steht auf S senkrecht, und der Drehimpuls bewegt sich um das magnetische Feld, wobei der Winkel θ zwischen S und B konstant bleibt. Die Winkelgeschwindigkeit ist gleich dem Produkt aus dem gyromagnetischen Verh¨altnis und dem Betrag des Magnetfeldes. Die zum Magnetfeld senkrechten Komponenten von M oszillieren daher um null, w¨ahrend die zu B parallele Komponente konstant bleibt.
Abb. 4.2 Das Silberatom besitzt einen Drehimpuls und ein dazu proportionales magnetisches Moment M. Folglich bewirkt ein homogenes Magnetfeld B eine Drehung von M um B mit einer konstanten Winkelgeschwindigkeit (Larmor-Pr¨azession).
4.1 Spin-1/2-Teilchen. Quantisierung des Drehimpulses
359
F¨ur die Berechnung der Kraft nach Gl. (4.3) kann man in sehr guter N¨aherung die zu Mx und My proportionalen Terme in W vernachl¨assigen und Mz als konstant ansehen. Die Drehfrequenz von M ist so groß, dass die Komponenten Mx und My nur u¨ ber ihre Mittelwerte auftreten; diese sind aber null. Folglich kann man F = grad(Mz Bz ) = Mz gradBz
(4.7)
als die allein wirkende Kraft ansehen. Andererseits verschwinden die x- und die y-Komponente des Gradienten von Bz : Es ist ∂Bz /∂y = 0, weil das Magnetfeld von y unabh¨angig ist (s. weiter unten), w¨ahrend ∂Bz /∂x = 0 in allen Punkten der y, z-Ebene gilt. Die auf das Atom wirkende Kraft ist daher parallel zur z-Richtung und zu Mz proportional. Damit ist aber auch die Ablenkung HN (Abb. 4.1) zu Mz und weiter zu Sz proportional. Die Messung von HN erm¨oglicht also die Bestimmung von Mz bzw. Sz . Die Momente der aus der Ofen¨offnung austretenden Atome sind isotrop verteilt (Mz nimmt s¨amtliche Werte zwischen −|M| und |M| an). Man erwartet daher, dass der auf die Platte auftreffende Strahl dort einen um H symmetrisch liegenden Fleck bildet; die Grenzen N1 und N2 dieses Flecks sollten dann dem maximalen Wert |M| und dem minimalen Wert −|M| von Mz entsprechen. Tats¨achlich f¨uhren die Geschwindigkeitsverteilung und die endliche Breite des Spalts F dazu, dass die Atome mit einem bestimmten Wert Mz nicht im selben Punkt kondensieren, sondern einen um diese Stelle zentrierten Fleck entstehen lassen.
Ergebnisse und Schlussfolgerungen Die experimentellen Ergebnisse (die von Stern und Gerlach im Jahre 1922 das erste Mal erhalten wurden) stehen nun in v¨olligem Gegensatz zu den eben skizzierten Vorhersagen. Statt eines einzigen um H zentrierten Flecks beobachtet man zwei um die Punkte N1 und N2 zentrierte Flecken (s. Abb. 4.3), die zu H symmetrisch liegen (ihre Breite steht mit der Geschwindigkeitsverteilung und der Breite des Spalts F in Zusammenhang). Die Aussagen der klassischen Mechanik werden vom Experiment nicht best¨atigt. Wie ist dieser Sachverhalt zu interpretieren? Unter den physikalischen Gr¨oßen, mit denen man ein Silberatom beschreibt, gibt es einerseits solche, die zu seinen a¨ ußeren Freiheitsgraden geh¨oren (die also von seinem Ort r und seinem Impuls p abh¨angen), und andererseits solche, die seinen inneren Freiheitsgraden (auch Spinfreiheitsgrade genannten) M bzw. S entsprechen. Zun¨achst zeigen wir, dass es bei den experimentellen Bedingungen nicht notwendig ist, die a¨ ußeren Freiheitsgrade quantenmechanisch zu behandeln. Hierzu m¨ussen wir nachweisen, dass man zur Beschreibung der Bewegung der Silberatome Wellenpakete konstruieren kann, bei denen die Breite Δz und die Impulsverteilung Δpz vollst¨andig vernachl¨assigbar ist. Δz und Δpz m¨ussen der Unsch¨arferelation h Δz · Δpz ≥ ¯
(4.8) −25
kg, Δz und gen¨ugen. Die Masse M eines Silberatoms hat einen Wert von 1.8 × 10 die Geschwindigkeitsunsch¨arfe Δvz = Δpz /M m¨ussen daher so gew¨ahlt sein, dass h ¯ ≈ 10−9 J s/kg Δz · Δvz ≥ (4.9) M
360
4 Einfache Systeme
Abb. 4.3 Die beim Stern-Gerlach-Versuch auf der Platte P beobachteten Flecken. Die magnetischen Momente der aus dem Ofen E austretenden Atome sind in allen Raumrichtungen zufallsverteilt, f¨ur eine Messung von Mz sagt die klassische Mechanik die gleiche Wahrscheinlichkeit f¨ur alle Werte zwischen +|M| und −|M| voraus. Man m¨usste also einen einzigen (in der Abbildung gestrichelt gezeichneten) Fleck beobachten. Das Experiment zeigt aber etwas ganz anderes: Es entstehen zwei um N1 und N2 zentrierte Flecken. Bei einer Messung von Mz gibt es also nur zwei m¨ogliche Resultate (Quantisierung des Messergebnisses).
ist. Welche L¨angen und Geschwindigkeiten treten nun im vorliegenden Fall auf? Die Spaltbreite betr¨agt ungef¨ahr 0.1 mm, der Abstand zwischen N1 und N2 einige Millimeter. Die Entfernungen, u¨ ber die sich das Magnetfeld nennenswert a¨ ndert, kann aus den Werten der Feldgr¨oße (B ≈ 104 Gauß) und seines Gradienten (∂B/∂z ≈ 105 Gauß/cm) ermittelt werden; man erh¨alt B/(∂B/∂z) ≈ 1 mm. Weiter ist die Geschwindigkeit, mit der die Atome einen Ofen mit einer Temperatur von 1000 ◦K verlassen, von der Gr¨oßenordnung 500 m/s. Wie genau der Strahl auch definiert sein mag, so wird die Geschwindigkeitsstreuung doch kaum geringer als einige Meter/Sekunde sein. Darum sind Δz und Δvz beim Stern-Gerlach-Versuch vernachl¨assigbar: Hinsichtlich der a¨ ußeren Variablen r und p ist daher ein R¨uckgriff auf die Quantenmechanik nicht notwendig. Man darf seine ¨ Uberlegungen auf der Grundlage nahezu punktf¨ormiger Wellenpakete anstellen, die sich entlang der klassischen Bahn bewegen. Damit f¨uhrt auch eine Messung der Ablenkung HN auf eine Messung von Mz bzw. Sz . Die Ergebnisse beim Stern-Gerlach-Versuch zwingen uns zu folgenden Schlussfolgerungen: Misst man die Komponente Sz des Spins eines Silberatoms in seinem Grundzustand, so gibt es nur zwei m¨ogliche Werte, die den Ablenkungen HN1 oder HN2 entsprechen. Wir m¨ussen daher das klassische Bild eines Vektors S verwerfen, der mit dem Magnetfeld einen beliebigen Winkel θ einschließen kann: Sz ist eine quantisierte physikalische Gr¨oße, deren diskretes Spektrum nur aus zwei Eigenwerten besteht. Bei der Behandlung der Quantentheorie des Drehimpulses in Kapitel 6 werden wir sehen, dass diese Eigenwerte +¯ h/2 und −¯ h/2 sind. Schon an dieser Stelle halten wir fest, dass der Spin des Silberatoms im Grundzustand 1/2 ist.
4.1 Spin-1/2-Teilchen. Quantisierung des Drehimpulses
361
4.1.2 Theoretische Beschreibung Wir wollen jetzt zeigen, wie die Quantenmechanik die (inneren) Freiheitsgrade eines Silberatoms, also seinen Spin beschreibt. Eine strenge deduktive Theorie zum Spin 1/2 werden wir erst im Rahmen der allgemeinen Theorie des Drehimpulses (s. Kapitel 9) geben k¨onnen. An dieser Stelle m¨ussen wir ohne Beweis von einer (geringen) Zahl von Aussagen aus Kapitel 9 Gebrauch machen. Sinn des gegenw¨artigen Kapitels ist die Anwendung des quantenmechanischen Formalismus auf ein einfaches und konkretes Beispiel und nicht so sehr die Behandlung des halbzahligen Spins: Wir wollen f¨ur Ketvektoren und Observable pr¨azise Beispiele vorstellen, zeigen, wie man zu physikalischen Vorhersagen kommt, und die verschiedenen Schritte bei einem Experiment (Pr¨aparation, zeitliche Entwicklung, Messung usw.) kennenlernen. In Kapitel 3 hatten wir gesehen, dass man in der Quantenmechanik jeder messbaren physikalischen Gr¨oße eine Observable zuordnen muss, also einen hermiteschen Operator, dessen Eigenvektoren im Zustandsraum eine Basis bilden. Wir m¨ussen also den Zustandsraum und die Observablen angeben, die zu den Komponenten von S (das sind Sx , Sy und Sz oder allgemeiner Su = S · u, wobei u ein beliebiger Einheitsvektor ist) geh¨oren. Nach dem vorangegangenen Abschnitt wissen wir, dass diese Gr¨oßen messbar sind.
Die Observable Sz und der Spinraum Wir ordnen der Spinkomponente Sz eine Observable Sz zu, die aufgrund der eben beschriebenen experimentellen Ergebnisse die beiden entgegengesetzten Eigenwerte +¯ h/2 und −¯ h/2 besitzen soll. Wir setzen voraus, dass diese Eigenwerte nicht entartet sind (s. Kapitel 9), und bezeichnen mit |+ und |− die zugeh¨origen orthonormierten Eigenvektoren: h ¯ Sz |+ = + |+, 2 (4.10) h ¯ Sz |− = − |− 2 mit +|+ = −|− = 1, +|− = 0.
(4.11)
Also bildet Sz f¨ur sich allein einen vollst¨andigen Satz kommutierender Observabler (v. S. k. O.), und der Raum HS der Spinzust¨ande ist zweidimensional und wird von den Eigenvektoren |+ und |− aufgespannt. Die Tatsache, dass diese beiden Vektoren in HS eine Basis bilden, wird durch die Vollst¨andigkeitsrelation |++| + |−−| = 1
(4.12)
ausgedr¨uckt. Der allgemeine (normierte) Vektor im Spinraum HS ist eine (lineare) Superposition der Ketvektoren |+ und |−: |ψ = α|+ + β|−
(4.13)
362
4 Einfache Systeme
mit |α|2 + |β|2 = 1. In der {|+, |−}-Basis wird Sz offensichtlich durch die Matrix h ¯ 1 0 (Sz ) = 0 −1 2
(4.14)
(4.15)
dargestellt.
Die weiteren Spinvariablen Der x- und der y-Komponente von S werden die Observablen Sx und Sy zugeordnet. In der {|+, |−}-Basis m¨ussen sie durch hermitesche 2 × 2-Matrizen dargestellt werden. In Kapitel 6 werden wir sehen, dass in der Quantenmechanik die drei Komponenten eines Drehimpulses nicht miteinander kommutieren, sondern dass sie bestimmten Vertauschungsrelationen gen¨ugen. Damit k¨onnen wir dann zeigen, dass f¨ur den hier behandelten Fall des Spins 1/2 die Darstellungsmatrizen von Sx und Sy in der Basis aus den Eigenvektoren |+ und |− h ¯ 0 1 (Sx ) = , (4.16) 1 0 2 h ¯ 0 −i (Sy ) = (4.17) i 0 2 lauten. F¨ur den Augenblick nehmen wir dies einfach an. F¨ur die Komponente Su von S in Richtung des Einheitsvektors u, der durch die Polarwinkel θ und ϕ (s. Abb. 4.4) charakterisiert ist, erhalten wir zun¨achst Su = S · u = Sx sin θ cos ϕ + Sy sin θ sin ϕ + Sz cos θ.
Abb. 4.4 Definition der Polarwinkel θ und ϕ zur Festlegung des Einheitsvektors u
(4.18)
4.2 Die Postulate am Beispiel des Spins 1/2
363
Mit den Gleichungen (4.15), (4.16) und (4.17) wird dann die Matrix, die in der {|+, |−}-Basis die Observable Su = S · u darstellt, (Su ) = (Sx ) sin θ cos ϕ + (Sy ) sin θ sin ϕ + (Sz ) cos θ h ¯ cos θ sin θ e−iϕ = . sin θ eiϕ − cos θ 2
(4.19)
Im Folgenden ben¨otigen wir die Eigenwerte und Eigenvektoren der Observablen Sx , Sy und Su . Sie erhalten wir, wenn wir von den Matrizen (4.16), (4.17) und (4.19) ausgehen. Wir geben sie hier einfach an. Die Operatoren Sx , Sy und Su haben dieselben Eigenwerte +¯ h/2 und −¯h/2 wie Sz . Dies ist physikalisch befriedigend: Man kann n¨amlich die gesamte Stern-GerlachApparatur so drehen, dass die durch das Magnetfeld definierte Achse parallel zur x-, yoder zur u-Richtung verl¨auft. Bei diesen Drehungen m¨ussen die auf der Platte beobachteten Ph¨anomene unver¨andert bleiben, weil alle Raumrichtungen dieselben Eigenschaften h/2 und besitzen: Eine Messung von Sx , Sy oder Su kann nur eine der beiden Resultate +¯ −¯ h/2 ergeben. Die Eigenvektoren von Sx , Sy und Su bezeichnen wir jeweils mit |±x , |±y und |±u (die im Ket auftretenden Vorzeichen beziehen sich auf den zugeh¨origen Eigenwert). Ihre Entwicklungen nach den Eigenvektoren |± von Sz lauten 1 |±x = √ [|+ ± |−], 2 1 |±y = √ [|+ ± i|−], 2 θ θ |+u = cos e−iϕ/2 |+ + sin eiϕ/2 |−, 2 2 θ −iϕ/2 θ |+ + cos eiϕ/2 |−. |−u = − sin e 2 2
(4.20) (4.21) (4.22) (4.23)
4.2 Die Postulate am Beispiel des Spins 1/2 Wir sind jetzt in der Lage, die Postulate der Quantenmechanik auf eine Reihe von Versuchen an Silberatomen mit der Stern-Gerlach-Apparatur anzuwenden und so an einem konkreten Fall die Folgerungen zu diskutieren, die sich aus diesen Postulaten ergeben.
4.2.1 Pr¨aparation der verschiedenen Spinzust¨ande Um Vorhersagen u¨ ber ein Messergebnis formulieren zu k¨onnen, m¨ussen wir den Zustand des Systems (hier also den Spin des Silberatoms) unmittelbar vor der Messung kennen. Wir werden sehen, wie man einen Strahl von Silberatomen in einen bestimmten Spinzustand pr¨aparieren kann.
364
4 Einfache Systeme
Abb. 4.5 Bohrt man an der Stelle N1 der Platte P ein Loch, so sind die hier hindurchgehenden Atome im Spinzustand |+ ; die Stern-Gerlach-Apparatur wirkt also wie ein Polarisator.
Pr¨aparation der Zust¨ande |+ und |− Wir nehmen an, dass man in die Platte P (s. Abb. 4.1a) an der Stelle N1 (s. Abb. 4.3) ein Loch gebohrt hat, so dass die nach unten abgelenkten Atome sich weiterhin auf der Platte niederschlagen, die nach oben abgelenkten dagegen die Platte durchqueren k¨onnen (Abb. 4.5). Jedes Atom, das sich rechts von der Platte befindet, ist ein System, das bei einer h/2 liefert. Nach dem f¨unften Postulat aus Messung der Observablen Sz das Resultat +¯ Kapitel 3 befindet sich dieses Atom im Eigenzustand |+ zu diesem Eigenwert (Sz bildet f¨ur sich allein einen v. S. k. O.; daher gen¨ugt f¨ur die Bestimmung des Systemzustands dieses Messergebnis). Mit der in Abb. 4.5 skizzierten Anordnung kann man demnach einen Strahl von Atomen erzeugen, die sich s¨amtlich im Spinzustand |+ befinden. Sie spielt die Rolle eines Atom-Polarisators“. ” Will man einen Strahl erzeugen, f¨ur den sich die Atome alle im Spinzustand |− befinden, so muss man entsprechend an der Stelle N2 ein Loch anbringen.
Pr¨aparation der Zust¨ande |±x , |±y und |±u Auch die Observable Sx bildet einen v. S. k. O., weil ihre Eigenwerte nicht entartet sind. Zur Pr¨aparation eines ihrer Zust¨ande gen¨ugt es daher, nach einer Messung von Sx die Atome auszuw¨ahlen, f¨ur die diese Messung den entsprechenden Eigenwert ergeben hat. Dreht man also die Apparatur der Abb. 4.5 mit dem Winkel π/2 um die y-Achse, so gelangt man zu einem Atomstrahl mit dem Spinzustand |+x (Abb. 4.6). Diese Methode l¨asst sich sofort verallgemeinern: Man stellt die Stern-Gerlach-Apparatur so auf, dass die Achse des Magnetfeldes parallel zu einem beliebigen Einheitsvektor u ist. Durchbohrt man die Platte entweder an der Stelle N1 oder an der Stelle N2 , so kann man Silberatome pr¨aparieren, die sich entweder im Spinzustand |+u oder im Spinzustand |−u befinden.4 4 Der Strahl muss jetzt nicht mehr in y-Richtung verlaufen, doch ist dies f¨ ur unsere augenblickliche ¨ Uberlegung ohne Bedeutung.
4.2 Die Postulate am Beispiel des Spins 1/2
365
Abb. 4.6 Dreht man die Anordnung aus Abb. 4.5 mit 90◦ um die y-Achse, so erh¨alt man einen Polarisator zur Pr¨aparation von Atomen im Zustand |+ x .
Pr¨aparation in den allgemeinsten Zustand Der allgemeine (normierte) Ketvektor im Raum der Spinzust¨ande hat, wie wir bereits feststellten, die Form |ψ = α |+ + β |−
(4.24)
|α|2 + |β|2 = 1.
(4.25)
mit
Ist eine Pr¨aparation der Atome in den zu diesem Ket geh¨orenden Spinzustand m¨oglich? Wir wollen zeigen, dass zu jedem Ket |ψ ein Einheitsvektor u existiert, so dass |ψ zum Ket |+u kollinear ist. Hierzu geben wir zwei komplexe Zahlen α und β vor, die zwar die Bedingung (4.25) erf¨ullen, aber sonst beliebig sind. Mit Gl. (4.25) existiert notwendig ein Winkel θ, so dass θ = |α|, 2 θ sin = |β| 2
cos
(4.26)
ist. Verlangen wir ferner, dass 0 ≤ θ ≤ π,
(4.27) θ β so legt die Gleichung tan = den Winkel θ eindeutig fest. Wie wir wissen, gehen 2 α die Argumente von α und β in die physikalischen Vorhersagen nur u¨ ber ihre Differenz ein. Setzen wir daher ϕ = arg β − arg α, χ = arg β + arg α,
(4.28) (4.29)
366
4 Einfache Systeme
ist also 1 χ+ 2 1 arg α = χ − 2 arg β =
1 ϕ, 2 1 ϕ, 2
so k¨onnen wir den Ket |ψ in der Form χ θ iϕ θ −i ϕ i2 2 2 |ψ = e |+ + sin e |− cos e 2 2
(4.30)
(4.31)
schreiben. Setzt man diesen Ausdruck in Gl. (4.22) ein, so sieht man, dass sich |ψ vom Ket |+u (der zum Einheitsvektor u mit den Polarwinkeln θ und ϕ geh¨ort) nur um den Phasenfaktor eiχ/2 unterscheidet, der jedoch keine physikalische Bedeutung hat. Um Silberatome in den Zustand |ψ zu pr¨aparieren, gen¨ugt es daher, die SternGerlach-Apparatur (mit einem Loch in N1 ) so anzuordnen, dass ihre Achse in Richtung von u weist, wobei sich die zugeh¨origen Polarwinkel aus α und β u¨ ber die Gl. (4.26) und Gl. (4.28) ergeben.
4.2.2 Messung des Spins Wir sahen, wie man bei Silberatomen mit einer Stern-Gerlach-Apparatur die Drehimpulskomponente l¨angs einer vorgegebenen Richtung messen kann, und wir konnten weiter zeigen, dass eine derartige Vorrichtung auch zur Pr¨aparation eines Atomstrahls in einen bestimmten Zustand geeignet ist. Damit sind wir in der Lage, die aus den Postulaten folgenden Vorhersagen experimentell zu u¨ berpr¨ufen, indem wir den Strahl nacheinander durch zwei Stern-Gerlach-Magneten schicken. Der erste Apparat dient als Polarisator: Der austretende Strahl besteht aus einer großen Anzahl von Silberatomen, die sich alle im selben Spinzustand befinden. Dieser Strahl tritt dann in einen zweiten Apparat ein, mit dem wir eine bestimmte Komponente des Drehimpulses S messen k¨onnen: In gewisser Weise ist er ein Analysator (man beachte die Analogie zur Optik, s. Abschnitt 1.1.3). Wir wollen im jetzigen Abschnitt voraussetzen, dass sich der Spinzustand der Atome zwischen dem Verlassen des Polarisators“ und dem Eintritt in den Analysator“, also zwi” ” schen der Pr¨aparation und der Messung, zeitlich nicht a¨ ndert. Von dieser Einschr¨ankung k¨onnten wir uns jedoch leicht befreien: Es w¨urde gen¨ugen, die Entwicklung des Spinzustands zwischen dem Augenblick der Pr¨aparation und dem Zeitpunkt der Messung u¨ ber die Schr¨odinger-Gleichung zu berechnen (s. Abschnitt 4.2.3).
Erster Versuch Die Achsen beider Apparaturen seien zur z-Richtung parallel (Abb. 4.7): Die erste pr¨apariert die Atome in den Zustand |+, die zweite misst Sz . Was beobachtet man auf der Platte der zweiten Anordnung? Weil der Zustand, in dem sich das System befindet,
4.2 Die Postulate am Beispiel des Spins 1/2
367
Abb. 4.7 Der erste Apparat (bestehend aus der Quelle, also dem Ofen E1 und dem kollimierenden Spalt F1 , dem Polarisator mit dem Magneten A1 und der durchlochten Platte P1 ) pr¨apariert die Atome in den Zustand |+ ; der zweite (der Analysator mit dem Magneten A2 und der Platte h/2). P2 ) misst die Komponente Sz : Das Resultat ist mit Sicherheit (+¯
Eigenzustand der zu messenden Observablen Sz ist, besagen die Postulate, dass das Resultat der Messung sicher ist: Man findet mit Bestimmtheit den zugeh¨origen Eigenwert (+¯ h/2). Folglich m¨ussen sich alle Atome des Strahls auf der zweiten Platte in einem einzigen Fleck kondensieren, dessen Lage zu diesem Wert +¯ h/2 geh¨ort. Genau dies stellt man im Experiment auch fest: S¨amtliche Atome treffen in der Umgebung von N1 auf die zweite Platte und kein einziges in der N¨ahe von N2 .
Zweiter Versuch Wir drehen jetzt die Achse des ersten Apparats in Richtung des Einheitsvektors u mit den Polarwinkeln θ und ϕ = 0 (u liegt somit in der x, z-Ebene); die Achse des zweiten Apparats bleibt parallel zur z-Richtung (Abb. 4.8).
Abb. 4.8 Der erste Apparat pr¨apariert die Spins in den Zustand |+ u (u ist der Einheitsvektor in der x, z-Ebene, der mit der z-Achse den Winkel θ einschließt); der zweite Apparat misst h/2 (Wahrscheinlichkeit cos2 θ/2) und die Komponente Sz : Die m¨oglichen Ergebnisse sind +¯ 2 −¯ h/2 (Wahrscheinlichkeit sin θ/2).
368
4 Einfache Systeme
Nach Gl. (4.22) ist der Spinzustand der Atome beim Verlassen des Polarisators“ ” θ θ (4.32) |ψ = cos |+ + sin |−. 2 2 Der Analysator“ misst an diesen Atomen die Komponente Sz . Wie sind jetzt die Ergeb” nisse? Dieses Mal stellt man fest, dass sich Atome sowohl um N1 als auch um N2 niederschlagen, obwohl sie alle auf dieselbe Weise pr¨apariert wurden: W¨ahrend des Messprozesses tritt im Verhalten jedes einzelnen Atoms eine Unbestimmtheit auf. Nach dem Postulat der Spektralzerlegung kann man nur die Wahrscheinlichkeiten angeben, mit denen jedes Atom die Stellen N1 und N2 erreichen. Weil Gl. (4.32) die Entwicklung des Spinzustands eines Atoms nach den Eigenzust¨anden der zu messenden Observablen angibt, kann man diese Wahrscheinlichkeiten sofort zu cos2 θ/2 bzw. sin2 θ/2 errechnen. Sobald gen¨ugend viele Atome auf der Platte kondensiert sind, entspricht die Intensit¨at der Flecken um N1 und N2 der Zahl der dort auftreffenden Atome, und diese ist proportional zu cos2 θ/2 bzw. sin2 θ/2. Bemerkung h/2 und Bei einer Messung von Sz findet man f¨ur jeden Wert von θ immer die beiden Ergebnisse +¯ −¯ h/2, falls θ nicht genau null oder π ist. Diese Aussage erscheint zun¨achst paradox: Ist z. B. θ sehr klein, so weist der Spin am Ausgang des ersten Apparats praktisch in die z-Richtung. Trotzdem kann man bei einer Messung von Sz genauso gut den Wert −¯ h/2 wie den Wert +¯ h/2 erhalten (w¨ahrend nach der klassischen Mechanik das Ergebnis (¯ h/2) cos θ ≈ ¯ h/2 w¨are); doch ist die ¨ Wahrscheinlichkeit f¨ur den Wert −¯ h/2 umso geringer, je kleiner θ ist. Uberdies werden wir sehen (Gl. (4.35)), dass der Erwartungswert Sz , den man f¨ur die Ergebnisse einer großen Anzahl identischer Versuche berechnet, gleich (¯ h/2) cos θ ist, und dies entspricht genau der klassischen Aussage.
Dritter Versuch Wir nehmen einen Polarisator“ wie eben, der Atome in den Zustand (4.32) pr¨apariert, ” und drehen den Analysator“ so, dass seine Achse in die x-Richtung weist, wir mit ihm ” also die Drehimpulskomponente Sx messen. F¨ur die Formulierung der Vorhersagen m¨ussen wir jetzt den Zustandsvektor |ψ nach den Eigenzust¨anden der Observablen Sx entwickeln (Gl. (4.20)). Wir finden θ π θ 1 θ √ + sin − +|ψ = cos = cos , (4.33) x 2 2 2 2 4 θ π θ 1 θ − = sin . (4.34) cos − sin x −|ψ = √ 2 2 4 2 2 Den Eigenwert +¯ h/2 von Sx beobachten wir also mit der Wahrscheinlichkeit cos2 (π/4 − θ/2) und den Eigenwert −¯ h/2 mit der Wahrscheinlichkeit sin2 (π/4 − θ/2). Diese Vorhersagen werden best¨atigt, wenn man die Intensit¨aten der Flecken auf der Platte des zweiten Stern-Gerlach-Apparats misst.
4.2 Die Postulate am Beispiel des Spins 1/2
369
Bemerkung Es ist nicht u¨ berraschend, dass hier der Ausdruck (π/4 − θ/2) auftritt: Beim zweiten Versuch ist der Winkel zwischen den Achsen der beiden Apparate θ. Nach der Drehung des zweiten Apparats wird er (π/2 − θ).
Mittelwerte Beim zweiten Versuch gelangen von einer großen Anzahl von N Atomen N cos2 θ/2 an die Stelle N1 und N sin2 θ/2 an die Stelle N2 . Daher liefert die Messung von Sz f¨ur jedes Atom im ersten Fall den Wert +¯ h/2 und im zweiten Fall −¯h/2. Berechnet man den Mittelwert aller Ergebnisse, so erh¨alt man h h θ ¯ θ 1 ¯ N cos2 − N sin2 Sz = N 2 2 2 2 h ¯ (4.35) = cos θ. 2 Mit den Beziehungen (4.32) und (4.10) weist man nach, dass dies gleich dem Matrixelement ψ|Sz |ψ ist. Entsprechend ist der Mittelwert der Messergebnisse beim dritten Versuch π π h θ θ 1 ¯ ¯h 2 2 N cos − − Sx = − N sin N 2 4 2 2 4 2 h ¯ (4.36) Sx = sin θ. 2 F¨ur die Berechnung des Matrixelements ψ|Sx |ψ kann man die Matrix (4.16) verwenden, die Sx in der darstellt. In dieser Basis wird der Ketvektor durch den {|+, |−}-Basis cos θ/2 Spaltenvektor dargestellt und der Bravektor durch den zugeh¨origen Zeilensin θ/2 vektor. Damit wird h ¯ 0 1 cos θ/2 ψ|Sx |ψ = ( cos θ/2 sin θ/2 ) 1 0 sin θ/2 2 h ¯ = sin θ. (4.37) 2 Wieder ist der Mittelwert von Sx gleich dem Matrixelement der zugeh¨origen Observablen Sx im Zustand |ψ. In diesem Zusammenhang ist eine Feststellung von Interesse: Ein klassischer Drehimpuls mit dem Betrag ¯ h/2 und einer Richtung parallel zur Achse des Polarisators“ ” bes¨aße die x-Komponente (¯ h/2) sin θ und die z-Komponente (¯ h/2) cos θ. Berechnet man allgemeiner die Erwartungswerte von Sx , Sy und Sz im Zustand |+u (Gl. (4.22)), so findet man
370
4 Einfache Systeme
u +|Sx |+u u +|Sy |+u u +|Sz |+u
¯ h sin θ cos ϕ, 2 h ¯ = sin θ sin ϕ, 2 h ¯ = cos θ. 2 =
(4.38)
Das sind gerade wieder die Komponenten eines klassischen Drehimpulses mit dem Betrag ¯ h/2, der in Richtung des Einheitsvektors u mit den Polarwinkeln θ und ϕ orientiert ist. Daher ergibt sich auch hier wieder u¨ ber die Erwartungs- bzw. Mittelwerte eine Verbindung zwischen der klassischen und der Quantenmechanik. Man muss jedoch beachten, dass eine Messung z. B. von Sx an einem bestimmten Atom niemals den Wert (¯ h/2) sin θ cos ϕ liefern w¨urde. Hierbei erhielte man allein die Werte +¯ h/2 und −¯ h/2. Erst der Mittelwert einer großen Anzahl identischer Messungen (der Zustand, hier |+u , ist derselbe, und es wird dieselbe Observable, hier Sx , gemessen) ist dann (¯ h/2) sin θ cos ϕ. Bemerkung An dieser Stelle ist es zweckm¨aßig, noch einmal auf die Frage der a¨ ußeren Freiheitsgrade (Ort und Impuls) einzugehen. Wir sahen: Wenn ein Silberatom in dem durch Gl. (4.32) gegebenen Zustand den zweiten SternGerlach-Apparat durchquert, so ist es nicht m¨oglich, mit Sicherheit vorherzusagen, an welcher Stelle, N1 oder N2 , es auftreffen wird. Diese Unbestimmtheit ist mit der Vorstellung einer klassischen Bahn, die bei Vorgabe des Anfangszustands vollst¨andig determiniert ist, nur schwer in Einklang zu bringen. Der Widerspruch ist jedoch nur scheinbar: Die M¨oglichkeit einer klassischen Behandlung der a¨ ußeren Freiheitsgrade bedeutet lediglich, dass man Wellenpakete konstruieren kann, die im Vergleich zu den Dimensionen der Versuchsanordnung von sehr geringer Ausdehnung sind. Daraus folgt aber nicht notwendig, dass das Teilchen selbst eine klassische Bahn beschreibt. Wir wollen dies zeigen. Betrachten wir zun¨achst ein Silberatom, das sich beim Eintritt in den Apparat im Anfangszustand |+ befindet. Die Wellenfunktion, mit der die a¨ ußeren Freiheitsgrade dieses Teilchens beschrieben werden, ist ein Wellenpaket sehr geringer Ausdehnung, dessen Schwerpunkt sich auf der in Abb. 4.9a skizzierten klassischen Bahn bewegt. Tritt dagegen das Silberatom im Zustand |− in den Apparat ein, so ist die Bahn des Paketschwerpunkts durch die klassische Kurve der Abb. 4.9b gegeben. Wenn wir nun ein Atom betrachten, das sich beim Eintritt in einem Spinzustand befindet, wie er durch Gl. (4.32) gegeben ist, so handelt es sich um eine v¨ollig definierte Superposition der beiden eben genannten Anfangszust¨ande. Wegen der Linearit¨at der Schr¨odinger-Gleichung ist die Wellen¨ funktion des Teilchens zu einem sp¨ateren Zeitpunkt (Abb. 4.9c) eine Uberlagerung der beiden Pakete aus Abb. 4.9a und Abb. 4.9b. F¨ur das Teilchen besteht demnach eine gewisse Wahrscheinlichkeit, sich in dem einen oder dem anderen Paket zu befinden. Damit beschreibt es aber im Gegensatz zu den Paketschwerpunkten in keiner Weise eine klassische Trajektorie. Auf der Platte hat die Wellenfunktion in beiden (eng begrenzten) Bereichen um N1 und N2 von null verschiedene Werte. Das Teilchen kann sich daher in der N¨ahe von N1 oder von N2 manifestieren, ohne dass man im Voraus mit Sicherheit sagen kann, an welcher Stelle dies geschehen wird.
4.2 Die Postulate am Beispiel des Spins 1/2
371
Abb. 4.9 F¨ur den Spinzustand |+ (a) bzw. den Zustand |− (b) folgt der Schwerpunkt des Wellenpakets einer wohldefinierten Bahn, die man klassisch berechnen kann. Ist der Spinzustand ¨ eine Uberlagerung der Zust¨ande |+ und |− , so spaltet sich das Paket in zwei Teile. Man kann jetzt nicht mehr von einer klassischen Bahn des Atoms sprechen (obwohl die Ausdehnung der beiden Pakete auch weiterhin gegen¨uber den Abmessungen der Versuchsanordnung sehr gering ist).
Man beachte insbesondere, dass die beiden Wellenpakete in Abb. 4.9c nicht zwei verschiedene, sondern ein einziges Teilchen repr¨asentieren. Seine Wellenfunktion besteht aus zwei Teilen, die in verschiedenen Punkten stark lokalisiert sind. Zwischen den beiden Paketen besteht u¨ brigens eine wohldefinierte Phasenbeziehung, weil sie aus demselben Anfangspaket hervorgehen, das unter der Wirkung des Gradienten des Magnetfeldes B aufgespalten wird. Man k¨onnte die beiden Teile wieder zu einem Paket zusammenbringen, indem man die Platte entfernt (also keine Messung durchf¨uhrt) und sie einem neuen Feldgradienten mit entgegengesetztem Vorzeichen aussetzt.
4.2.3 Spin 1/2 und homogenes Magnetfeld Hamilton-Operator und Schr¨odinger-Gleichung Ein Silberatom gelange in ein homogenes Magnetfeld B 0 . Wir legen die z-Achse in Richtung von B 0 . Dann ist klassisch die potentielle Energie des magnetischen Moments M = γ S dieses Atoms W = − M · B 0 = − Mz B0 = − γ B0 Sz ,
(4.39)
372
4 Einfache Systeme
worin B0 der Betrag des Magnetfeldes ist. Wir setzen ω0 = − γ B0 .
(4.40)
Man erkennt, dass ω0 die Dimension einer Frequenz hat. Weil wir die inneren Freiheitsgrade des Teilchens auf eindeutige Weise quantisiert haben, m¨ussen wir Sz durch den Operator Sz ersetzen, so dass auch die klassische Energie (4.39) zu einem Operator wird. Dieser Hamilton-Operator H = ω 0 Sz
(4.41)
bestimmt die zeitliche Entwicklung des Spins im Feld B 0 . Er ist zeitunab¨angig, so dass sich die L¨osung der Schr¨odinger-Gleichung auf die L¨osung der Eigenwertgleichung von H reduziert. Man sieht sofort, dass die Eigenvektoren von H die gleichen sind wie die von Sz : hω 0 ¯ H|+ = + |+, 2 (4.42) hω 0 ¯ |−. (4.43) H|− = − 2 Es gibt also zwei Energieniveaus: E+ = +¯ hω0 /2 und E− = −¯hω0 /2 (Abb. 4.10). Ihr Abstand ¯ hω0 ist zur St¨arke des Magnetfeldes proportional, und sie bestimmen eine BohrFrequenz ν+− =
1 ω0 (E+ − E− ) = . h 2π
(4.44)
Abb. 4.10 Energieniveaus f¨ur ein Teilchen mit dem Spin 1/2 und dem gyromagnetischen Verh¨altnis γ in einem Magnetfeld B 0 parallel zur z-Richtung. Es ist ω0 = − γB0 .
Bemerkungen 1. Liegt das Feld B 0 in Richtung des Einheitsvektors u mit den Polarwinkeln θ und ϕ, so muss die Beziehung (4.41) durch H = ω 0 Su
(4.45)
ersetzt werden; darin ist Su = S · u die Komponente von S in Richtung von u. 2. F¨ur ein Silberatom ist γ negativ und damit ω0 positiv, woraus sich die Lage der Energieniveaus in Abb. 4.10 erkl¨art.
4.2 Die Postulate am Beispiel des Spins 1/2
373
Larmor-Pr¨azession Wir nehmen an, dass sich das System zum Zeitpunkt t = 0 im Zustand θ −iϕ/2 θ e |+ + sin eiϕ/2 |− (4.46) 2 2 befindet (weiter oben zeigten wir, dass wir einen beliebigen Zustand auf diese Form bringen k¨onnen). Zur Berechnung des Zustands |ψ(t) zu einem beliebigen Zeitpunkt t wenden wir die Regel (3.163) aus Kapitel 3 an. Im Ausdruck (4.46) ist |ψ(0) bereits nach den Eigenzust¨anden des Hamilton-Operators entwickelt worden, so dass wir f¨ur ψ(t) erhalten |ψ(0) = cos
θ θ −iϕ/2 −iE+ t/¯h e e |+ + sin eiϕ/2 e−iE− t/¯h |− 2 2 oder auch, wenn wir E+ und E− einsetzen, |ψ(t) = cos
|ψ(t) = cos
θ θ −i(ϕ+ω0 t)/2 e |+ + sin ei(ϕ+ω0 t)/2 |−. 2 2
(4.47)
(4.48)
Das Magnetfeld B 0 bewirkt daher zwischen den Koeffizienten von |+ und |− eine zur Zeit t proportionale Phasenverschiebung. Vergleicht man den Ausdruck (4.48) f¨ur |ψ(t) mit dem Eigenket |+u der Observablen S · u (Gl. (4.22)), so sieht man, dass die Richtung u(t), in der die Spinkomponente mit Sicherheit +¯ h/2 ist, durch die Polarwinkel θ(t) = θ, (4.49) ϕ(t) = ϕ + ω0 t gegeben ist. Der Winkel zwischen u(t) und der z-Richtung (der Richtung des Magnetfeldes B 0 ) bleibt demnach konstant, doch dreht sich u(t) mit der zum Magnetfeld proportionalen Winkelgeschwindigkeit ω0 um die z-Achse: Wie in der klassischen Mechanik finden wir auch hier wieder das Ph¨anomen der Larmor-Pr¨azession. Nach dem Ausdruck (4.41) f¨ur den Hamilton-Operator ist die Observable Sz offen¨ sichtlich eine Konstante der Bewegung. Uber Gl. (4.48) weist man leicht nach, dass bei einer Messung dieser Observablen die Wahrscheinlichkeiten, die Werte +¯ h/2 oder −¯h/2 zu erhalten, von der Zeit unabh¨angig sind: Weil der Betrag von e±i(ϕ+ω0 t)/2 gleich eins ist, sind diese Wahrscheinlichkeiten cos2 θ/2 und sin2 θ/2. Auch der Erwartungswert von Sz ist zeitlich konstant: ¯ h cos θ. (4.50) 2 Dagegen vertauschen Sx und Sy nicht mit H. Man sieht dies am einfachsten, wenn man von den Darstellungsmatrizen (4.15), (4.16) und (4.17) f¨ur Sx , Sy und Sz ausgeht. Die Beziehungen (4.38) lauten jetzt ψ(t)|Sz |ψ(t) =
¯ h sin θ cos(ϕ + ω0 t), 2 h ¯ ψ(t)|Sy |ψ(t) = sin θ sin(ϕ + ω0 t). 2
ψ(t)|Sx |ψ(t) =
(4.51)
374
4 Einfache Systeme
In diesen Ausdr¨ucken tritt wieder die Bohr-Frequenz ω0 /2π des Systems auf. Ferner verhalten sich die Erwartungswerte von Sx , Sy und Sz wie die Komponenten eines klassischen Drehimpulses mit dem Betrag ¯h/2, der zu einer Larmor-Drehung angeregt wird.
4.3 Systeme mit zwei Niveaus Die vorstehenden Rechnungen gestalteten sich deshalb so leicht, weil der Zustandsraum nur zweidimensional war. Nun gibt es eine Reihe weiterer F¨alle in der Physik, die man in erster N¨aherung genauso einfach behandeln kann. Betrachten wir z. B. ein physikalisches System, das zwei Zust¨ande mit benachbarten Energien besitzt, die sich aber von den Energien der anderen Zust¨ande sehr unterscheiden. Will man nun die Wirkung einer a¨ ußeren St¨orung (oder der bis jetzt nicht angesprochenen inneren Wechselwirkungen) auf diese beiden Niveaus untersuchen, so kann man bei hinreichend geringer St¨arke der St¨orung zeigen (Kapitel 11), dass diese Wirkung in erster N¨aherung ohne Ber¨ucksichtigung der anderen Energieniveaus bestimmt werden kann. Man darf also die Rechnungen in einem zweidimensionalen Unterraum des Zustandsraums durchf¨uhren. In diesem Abschnitt behandeln wir die allgemeinen Eigenschaften eines Systems, das nur zwei Niveaus besitzt (es m¨ussen nicht unbedingt Spin-1/2-Niveaus sein). Mit diesem mathematisch sehr einfachen Modell k¨onnen wir uns grundlegende physikalische Ph¨anomene (wie die quantenmechanische Resonanz oder die Oszillation zwischen zwei Niveaus) verdeutlichen.
4.3.1 Problemstellung Bezeichnungen Wir betrachten ein System mit einem zweidimensionalen Zustandsraum (Wie wir bereits bemerkten, handelt es sich dabei h¨aufig um eine N¨aherung: Man kann sich unter bestimmten Voraussetzungen auf einen zweidimensionalen Unterraum des allgemeinen Zustandsraums beschr¨anken). Als Basis w¨ahlen wir die beiden Eigenzust¨ande |ϕ1 und |ϕ2 des Hamilton-Operators H0 zu den Eigenwerten E1 und E2 : H0 |ϕ1 = E1 |ϕ1 , H0 |ϕ2 = E2 |ϕ2 .
(4.52)
Diese Basis ist orthonormiert: ϕi |ϕj = δij ;
i, j = 1, 2.
(4.53)
Wollen wir jetzt eine a¨ ußere St¨orung oder innere Wechselwirkungen im System ber¨ucksichtigen, die wir anf¨anglich im Hamilton-Operator H0 vernachl¨assigt haben, so lautet der Hamilton-Operator H = H0 + W.
(4.54)
4.3 Systeme mit zwei Niveaus
375
Die Eigenzust¨ande und Eigenwerte von H bezeichnen wir mit |ψ± und E± : H|ψ+ = E+ |ψ+ , H|ψ− = E− |ψ− .
(4.55)
H¨aufig nennt man H0 den ungest¨orten Hamilton-Operator und W die St¨orung oder auch Kopplung. Wir werden voraussetzen, dass W zeitunabh¨angig ist. In der {|ϕ1 , |ϕ2 }Basis der Eigenzust¨ande von H0 (wir nennen sie die ungest¨orten Zust¨ande) wird W durch eine hermitesche Matrix dargestellt: W11 W12 . (4.56) (W ) = W21 W22 W11 undW22 sind reell, und es gilt weiter ∗ . W12 = W21
(4.57)
Bei Abwesenheit der Kopplung sind E1 und E2 die m¨oglichen Energien des Systems und die Zust¨ande |ϕ1 und |ϕ2 sind station¨ar (Bringt man das System in einen von diesen Zust¨anden, so bleibt es auf Dauer in ihm). Das Problem besteht also in der Bestimmung ¨ der Anderungen, die durch die Einf¨uhrung der Kopplung W auftreten.
Konsequenzen der Kopplung 1. E1 und E2 sind nicht mehr m¨ogliche Energien des Systems. Eine Energiemessung kann nur einen der beiden Eigenwerte E+ und E− von H liefern, die sich im Allgemeinen von E1 und E2 unterscheiden. Die erste Aufgabe ist also die Berechnung von E+ und E− in Abh¨angigkeit von E1 , E2 und den Matrixelementen Wij von W : Wie verschieben sich durch die Kopplung die Energieniveaus? 2. |ϕ1 und |ϕ2 sind keine station¨aren Zust¨ande mehr. Im Allgemeinen werden die Zust¨ande |ϕ1 und |ϕ2 keine Eigenzust¨ande des GesamtHamilton-Operators H sein. Ist z. B. das System f¨ur t = 0 im Zustand |ϕ1 , so besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit P12 (t), es zur Zeit t im Zustand |ϕ2 zu finden: Die ¨ Kopplung induziert also Uberg¨ ange zwischen den beiden ungest¨orten Zust¨anden. Dies ist der Grund, weshalb man die St¨orung W auch Kopplung (zwischen |ϕ1 und |ϕ2 ) nennt. Die zweite Aufgabe befasst sich mit dem dynamischen Aspekt des Kopplungseffektes. Bemerkung In Abschnitt 4.6 werden beide Fragen durch die Einf¨uhrung eines fiktiven Spins gel¨ost werden. Man kann n¨amlich zeigen, dass der zu diagonalisierende Hamilton-Operator H dieselbe Form hat wie im Falle eines Teilchens mit dem Spin 1/2, das sich in einem statischen Magnetfeld B bewegt. Die Komponenten dieses Feldes sind dann einfach Funktionen von E1 , E2 und den Matrixelementen Wij . Man kann mit anderen Worten jedem System mit nur zwei Niveaus (und nicht nur einem Spin-1/2-System) einen Spin 1/2 (einen fiktiven Spin) zuordnen. Alle Aussagen, die wir in diesem Abschnitt u¨ ber das System formulieren werden, erlauben eine geometrisch einfache Interpretation,
376
4 Einfache Systeme
in der die f¨ur ein Spin-1/2-System g¨ultigen Begriffe (wie magnetisches Moment, Larmor-Pr¨azession usw.) verwendet werden.
4.3.2 Statischer Aspekt Eigenzust¨ande und Eigenwerte In der {|ϕ1 , |ϕ2 }-Basis lautet die Matrix des Hamilton-Operators H E1 + W11 W12 (H) = . W21 E2 + W22
(4.58)
Die Diagonalisierung dieser Matrix bietet keine Schwierigkeit; sie wird in Abschnitt 4.5 ausgef¨uhrt. Man erh¨alt f¨ur die Eigenwerte 1 (E1 + W11 + E2 + W22 ) + 2 1 = (E1 + W11 + E2 + W22 ) − 2
E+ = E−
1 (E1 + W11 − E2 − W22 )2 + 4|W12 |2 , 2 1 (E1 + W11 − E2 − W22 )2 + 4|W12 |2 . 2 (4.59)
F¨ur W = 0 fallen E+ und E− mit E1 bzw. E2 zusammen.5 Die zu E+ und E− geh¨orenden Eigenvektoren sind θ −iϕ/2 θ |ϕ1 + sin eiϕ/2 |ϕ2 , e 2 2 θ −iϕ/2 θ |ϕ1 + cos eiϕ/2 |ϕ2 , |ψ− = − sin e 2 2 |ψ+ = cos
(4.60) (4.61)
worin die Winkel θ und ϕ durch die Beziehungen 2|W12 | E1 + W11 − E2 − W22 = |W21 | eiϕ
tan θ = W21
mit 0 ≤ θ < π,
(4.62) (4.63)
definiert sind.
Physikalische Diskussion Grafische Darstellung des Kopplungseffektes. Die im Folgenden diskutierten Effekte basieren s¨amtlich auf der Tatsache, dass die St¨orung W nichtverschwindende Nichtdiago∗ nalelemente W12 = W21 besitzt. F¨ur W12 = 0 w¨aren die Eigenzust¨ande von H dieselben 5 Ist E > E , so strebt E gegen E und E gegen E , wenn W gegen null geht. Ist dagegen E < E , 1 2 + 1 − 2 1 2 so geht E+ gegen E2 und E− gegen E1 .
4.3 Systeme mit zwei Niveaus
377
wie die von H0 und die neuen Eigenwerte einfach E1 + W11 und E2 + W22 . Zur Ver¨ einfachung unserer Uberlegungen nehmen wir im Weiteren an, dass W11 = W22 = 0 6 ist. Aus den Gleichungen (4.59) und (4.62) wird dann 1 (E1 + E2 ) + 2 1 = (E1 + E2 ) − 2
E+ = E−
tan θ =
2|W12 | , E1 − E2
1 (E1 − E2 )2 + 4|W12 |2 , 2 1 (E1 − E2 )2 + 4|W12 |2 ; 2
0 ≤ θ < π.
(4.64)
(4.65)
Wir wollen jetzt untersuchen, wie die Kopplung W die Abh¨angigkeit der Energien E+ und E− von E1 und E2 beeinflusst. Wir nehmen W12 als fest an und setzen Em = Δ=
1 (E1 + E2 ), 2
1 (E1 − E2 ). 2
(4.66)
Dann erkennen wir aus den Beziehungen (4.64) sofort die einfache Abh¨angigkeit von ¨ sich Em , so wird nur der Energienullpunkt verschoben. Weiter zeigen die Em : Andert Gleichungen (4.60) bis (4.63), dass die Vektoren |ψ+ und |ψ− von Em unabh¨angig sind. Darum interessieren wir uns nur f¨ur den Einfluss von Δ. Wir tragen in derselben Grafik die vier Energien E1 , E2 , E+ und E− als Funktion von Δ auf (Abb. 4.11). F¨ur E1 und E2 erh¨alt man zwei (gestrichelt gezeichnete) Geraden mit den Steigungen +1 und −1. Setzt man Gl. (4.66) in Gl. (4.64) ein, so erh¨alt man
(4.67) E+ = Em + Δ2 + |W12 |2 ,
2 2 E− = Em − Δ + |W12 | . (4.68) ¨ Andert sich Δ, so beschreiben E+ und E− die beiden Zweige einer zu den Achsen symmetrischen Hyperbel, deren Asymptoten den ungest¨orten Niveaus entsprechen. Ihre Scheitel haben den Abstand 2|W12 |.7
˜1 = E1 + W11 und E ˜2 = E2 + W22 zu die Diagonalelemente ungleich null, so braucht man nur E ˜1 und E ˜2 ersetzt. setzen. Alle Resultate dieses Abschnitts bleiben dann g¨ultig, wenn man E1 und E2 durch E 7 An der Abbildung erkennt man, weshalb f¨ ur W −→ 0 6 Sind
E+ −→ E1 , E− −→ E2 , wenn E1 > E2 , E+ −→ E2 , E− −→ E1 , wenn E1 < E2 gilt.
378
4 Einfache Systeme
Abb. 4.11 Die Energien E+ und E− in Abh¨angigkeit von der Energiedifferenz Δ = (E1 − E2 )/2. Bei fehlender Kopplung kreuzen sich die Niveaus im Ursprung (gestrichelte Geraden). Unter dem Einfluss der nichtdiagonalen Kopplung W treten die gest¨orten Niveaus auseinander. Die Bildkurven f¨ur E+ und E− sind Hyperbelzweige mit den nicht gest¨orten Niveaus als Asymptoten.
Kopplung und Lage der Energieniveaus. Bei abwesender Kopplung kreuzen“ sich ” die Energien f¨ur Δ = 0. Wie aus der Abbildung hervorgeht, bewirkt die Kopplung eine Abstoßung“ der Niveaus, die Energiewerte entfernen sich voneinander. ” Andererseits sieht man, dass f¨ur beliebiges Δ |E+ − E− | > |E1 − E2 | ist. Dies ist ein Ergebnis, das man auch in anderen Gebieten der Physik antrifft (z. B. in der Theorie der elektrischen Stromkreise): Eine St¨orung verbreitert die Eigenfrequenzen. In der N¨ahe der Asymptoten, also f¨ur |Δ| |W12 |, kann man die Beziehungen (4.67) und (4.68) in eine Potenzreihe nach |W12 /Δ| entwickeln: 2 1 W12 + ... , E+ = Em + Δ 1 + 2 Δ (4.69) 2 1 W12 E− = Em − Δ 1 + + ... . 2 Δ Dagegen ergeben die Gleichungen (4.67) und (4.68) im Hyperbelmittelpunkt, also f¨ur E2 = E1 (Δ = 0), E+ = Em + |W12 |, E− = Em − |W12 |.
(4.70)
Die St¨orung kommt also viel st¨arker zum Tragen, wenn die beiden ungest¨orten Niveaus dieselbe Energie besitzen. Der Effekt macht sich dann in erster Ordnung bemerkbar, w¨ahrend er f¨ur Δ |W12 | erst in zweiter Ordnung auftritt (s. Gl. (4.69)).
4.3 Systeme mit zwei Niveaus Kopplung und Eigenzust¨ande. Gl. (4.65) tan θ =
379 Bei Verwendung der Bezeichnungen (4.66) wird aus
|W12 | . Δ
(4.71)
Daraus folgt, dass f¨ur Δ |W12 | (starke Kopplung) θ ≈ π/2 ist, f¨ur Δ |W12 | (schwache Kopplung) dagegen θ ≈ 0 (wir setzen Δ > 0 voraus). F¨ur E2 = E1 (d. h. Δ = 0) hat man 1 |ψ+ = √ [e−iϕ/2 |ϕ1 + eiϕ/2 |ϕ2 ], 2
(4.72)
1 |ψ− = √ [−e−iϕ/2 |ϕ1 + eiϕ/2 |ϕ2 ], 2
(4.73)
w¨ahrend in der N¨ahe der Asymptoten, also f¨ur Δ |W12 |, in erster Ordnung in |W12 |/Δ |W12 | |ϕ2 + . . . , |ψ+ = e−iϕ/2 |ϕ1 + eiϕ 2Δ (4.74) |W12 | |ϕ1 + . . . |ψ− = eiϕ/2 |ϕ2 − e−iϕ 2Δ gilt. Bei einer schwachen Kopplung (E1 − E2 |W12 |) unterscheiden sich daher die gest¨orten Zust¨ande nur sehr wenig von den ungest¨orten: Bis auf einen globalen Phasenfaktor e−iϕ/2 ist |ψ+ gleich dem Zustand |ϕ1 mit einem kleinen Anteil des Zustands |ϕ2 . Dagegen zeigen die Gleichungen (4.72) und (4.73), dass bei einer starken Kopplung (E1 − E2 |W12 |) die Zust¨ande |ψ+ und |ψ− von den Zust¨anden |ϕ1 und |ϕ2 betr¨achtlich verschieden sind, weil bei der Superposition die Betr¨age der Koeffizienten denselben Betrag haben. So unterliegen die Eigenzust¨ande ebenso wie die Energien in der Umgebung des Kreuzungspunktes Δ = 0, E1 = E2 wesentlichen Modifizierungen.
Resonanzph¨anomene F¨ur E1 = E2 = Em ist die Energie des ungest¨orten Systems zweifach entartet. Die Kopplung W12 hebt diese Entartung auf, und es entsteht insbesondere ein Niveau, dessen Energie um den Betrag |W12 | abgesenkt ist. Ist mit anderen Worten der Grundzustand eines physikalischen Systems doppelt entartet (und hinreichend weit von den anderen Niveaus entfernt), senkt jede (rein nichtdiagonale) Kopplung zwischen den beiden zugeh¨origen Zust¨anden die Energie dieses Grundzustands ab; er wird also stabiler. Als erstes Beispiel f¨ur dieses Ph¨anomen erw¨ahnen wir die Stabilisierung des Benzolmolek¨uls C6 H6 durch Resonanz. Man weiß, dass sich die sechs Kohlenstoffatome an den Ecken eines regelm¨aßigen Sechsecks befinden. Man erwartet daher, dass der Grundzustand drei Doppelbindungen zwischen benachbarten Kohlenstoffatomen aufweist. Die Abb. 4.12 zeigt zwei m¨ogliche Konfigurationen. W¨ahrend man die Kerne wegen ihrer
380
4 Einfache Systeme
großen Masse als ruhend annimmt, sind die zu den beiden Konfigurationen geh¨orenden Elektronenzust¨ande unterschiedlich. W¨are nur die Struktur wie in Abb. 4.12a m¨oglich, so h¨atte der Grundzustand des Elektronensystems die Energie Em = ϕ1 |H|ϕ1 , wenn H der Hamilton-Operator der Elektronen in dem von den Kernen erzeugten Potential ist. Doch k¨onnen die Bindungen auch wie in Abb. 4.12b angeordnet sein: Aus Symmetriegr¨unden muss offensichtlich ϕ2 |H|ϕ2 = ϕ1 |H|ϕ1 sein, so dass man auf eine zweifache Entartung des Grundzustands schließen k¨onnte. Nun ist aber das nichtdiagonale Matrixelement ϕ2 |H|ϕ1 des Hamilton-Operators H von null verschieden. Diese Kopplung zwischen den Zust¨anden |ϕ1 und |ϕ2 f¨uhrt zu zwei verschiedenen Niveaus, von denen das eine tiefer als Em liegt. Das Benzolmolek¨ul ist daher stabiler, als man zun¨achst erwarten k¨onnte. Ferner kann die Konfiguration in seinem eigentlichen Grundzustand weder durch Abb. 4.12a noch durch Abb. 4.12b dargestellt werden: Dieser Zustand ist viel¨ mehr eine Uberlagerung von |ϕ1 und |ϕ2 , wobei die Koeffizienten wie in Gl. (4.72) und Gl. (4.73) denselben Betrag besitzen. In der Chemie symbolisiert man dies gew¨ohnlich durch den Doppelpfeil.
Abb. 4.12 Zwei m¨ogliche Konfigurationen eines Benzolmolek¨uls
Ein weiteres Beispiel ist das ionisierte Wasserstoffmolek¨ul H+ 2 , das aus den beiden Protonen p1 und p2 und einem Elektron besteht. Wegen ihrer großen Masse kann man die Protonen wieder als ruhend ansehen. Ihren Abstand bezeichnen wir mit R; |ϕ1 sei der Zustand, in dem sich das Elektron bei p1 , und |ϕ2 der Zustand, in dem es sich bei p2 aufh¨alt. Die zugeh¨orige Wellenfunktion ist jeweils die eines Wasserstoffatoms, das mit p1 bzw. p2 gebildet wurde (Abb. 4.13). Wie beim vorigen Beispiel sind die Diagonalelemente ϕ1 |H|ϕ1 und ϕ2 |H|ϕ2 des Hamilton-Operators aus Symmetriegr¨unden gleich; wir bezeichnen sie mit Em (R). Die beiden Zust¨ande |ϕ1 und |ϕ2 sind jedoch nicht station¨ar, weil das Matrixelement ϕ1 |H|ϕ2 von null verschieden ist. Wieder erh¨alt man ein Niveau, dessen Energie geringer als Em (R) ist, und im Grundzustand ist die Wellenfunktion des Elektrons eine Linearkombination aus den zu Abb. 4.13a und Abb. 4.13b geh¨orenden Funktionen: Das Elektron ist nicht mehr um ein Proton lokalisiert. Diese Delokalisierung ist es, die unter Absenkung seiner potentiellen Energie f¨ur die chemische Bindung verantwortlich ist. Eine genauere Untersuchung des ionisierten Wasserstoffmolek¨uls findet man in Abschnitt 11.10.
4.3 Systeme mit zwei Niveaus
381
Abb. 4.13 In einem H+ achst in der Umgebung des Protons p1 (a) 2 -Ion kann das Elektron zun¨ oder in der des Protons p2 lokalisiert sein (b). Im Grundzustand des Ions ist die Wellenfunktion des Elektrons eine Linearkombination der beiden zu (a) bzw. (b) geh¨orenden Wellenfunktionen. Seine Aufenthaltswahrscheinlichkeit ist zur Mittelebene von p1 p2 symmetrisch.
4.3.3 Dynamischer Aspekt Entwicklung des Zustandsvektors Es sei |ψ(t) = a1 |ϕ1 + a2 |ϕ2
(4.75)
der Zustandsvektor des Systems zum Zeitpunkt t. Seine zeitliche Entwicklung wird bei Gegenwart der Kopplung W durch die Schr¨odinger-Gleichung i¯ h
d |ψ(t) = (H0 + W )|ψ(t) dt
(4.76)
bestimmt. Wir projizieren diese Gleichung auf die Basisvektoren |ϕ1 und |ϕ2 . Unter Beachtung von Gl. (4.56) (in der wir W11 = W22 = 0 setzen) und Gl. (4.75) erhalten wir d a1 (t) = E1 a1 (t) + W12 a2 (t), dt d i¯ h a2 (t) = W21 (t)a1 (t) + E2 a2 (t). dt i¯ h
(4.77)
Ist |W12 | = 0, so bilden diese Gleichungen ein gekoppeltes System linearer homogener Differentialgleichungen. Die klassische L¨osungsmethode f¨ur ein derartiges System besteht in der Anwendung der Regel (3.163) (s. Kapitel 3): Man sucht die Eigenvektoren ψ+ (zum Eigenwert E+ ) und |ψ− (zum Eigenwert E− ) des Operators H = H0 + W (seine Matrixelemente sind die Koeffizienten des Gleichungssystems (4.77)) und zerlegt |ψ(0) nach |ψ+ und |ψ− : |ψ(0) = λ|ψ+ + μ|ψ− ,
(4.78)
worin λ und μ durch die Anfangsbedingungen festgelegt werden. Man erh¨alt dann |ψ(t) = λ e−iE+ t/¯h |ψ+ + μ e−iE− t/¯h |ψ− .
(4.79)
Projiziert man |ψ(t) auf |ϕ1 und |ϕ2 , so erh¨alt man die Koeffizienten a1 (t) und a2 (t). Wir k¨onnen nun zeigen, dass ein System mit dem durch Gl. (4.79) gegebenen Zustandsvektor |ψ(t) eine Schwingung zwischen den beiden ungest¨orten Zust¨anden |ϕ1
382
4 Einfache Systeme
und |ϕ2 ausf¨uhrt. Hierzu nehmen wir an, dass das System zum Zeitpunkt t = 0 im Zustand |ϕ1 ist, |ψ(0) = |ϕ1 ,
(4.80)
und berechnen die Wahrscheinlichkeit P12 (t), es zur Zeit t im Zustand |ϕ2 zu finden.
Berechnung von P12 (t) Die Entwicklung des Kets |ψ(0) = |ϕ1 nach der Basis {|ψ+ , |ψ− } erhalten wir, indem wir das Gleichungssystem (4.60), (4.61) umstellen. Es ergibt sich θ θ |ψ(0) = |ϕ1 = eiϕ/2 cos |ψ+ − sin |ψ− . (4.81) 2 2 Hieraus folgt mit Gl. (4.79) θ θ |ψ(t) = eiϕ/2 cos e−iE+ t/¯h |ψ+ − sin e−iE− t/¯h |ψ− . 2 2
(4.82)
Damit lautet die Wahrscheinlichkeitsamplitude, das System zur Zeit t im Zustand |ϕ2 zu finden, θ θ ϕ2 |ψ(t) = eiϕ/2 cos e−iE+ t/¯h ϕ2 |ψ+ − sin e−iE− t/¯h ϕ2 |ψ− 2 2 & % θ θ = eiϕ sin cos (4.83) e−iE+ t/¯h − e−iE− t/¯h . 2 2 F¨ur die Wahrscheinlichkeit P12 (t) = |ϕ2 |ψ(t)|2 selbst erhalten wir daher 1 E+ − E− 2 t P12 (t) = sin θ 1 − cos 2 ¯h E+ − E− = sin2 θ sin2 t 2¯ h oder auch bei Ber¨ucksichtigung der Ausdr¨ucke (4.64) und (4.65)
4|W12 |2 t 2 2 + (E − E )2 P12 (t) = sin 4|W | . 12 1 2 4|W12 |2 + (E1 − E2 )2 2¯h
(4.84)
(4.85)
Physikalische Diskussion Nach Gl. (4.84) oszilliert die Wahrscheinlichkeit P12 (t) zeitlich mit der Frequenz (E+ − E− /h), also mit der Bohr-Frequenz dieses Systems. Sie variiert zwischen null und dem maximalen Wert sin2 θ, den sie jeweils zu den Zeitpunkten t = (2k + 1)π¯h/(E+ − E− ), k = 0, 1, 2, . . . erreicht (Abb. 4.14). Die Frequenz (E+ −E− )/h h¨angt ebenso wie der Maximalwert sin2 θ und P12 (t) von |W12 | und E1 − E2 ab, deren wesentliche Charakteristika wir nun beschreiben wollen.
4.3 Systeme mit zwei Niveaus
383
Ist E1 = E2 , so wird (E+ − E− )/h gleich 2|W12 |/h, und sin2 θ nimmt seinen gr¨oßtm¨oglichen Wert eins an: Zu den Zeitpunkten t = (2k + 1)π¯h/2|W12 | ist das (von |ϕ1 ausgegangene) System im Zustand |ϕ2 . Somit f¨uhrt jede Kopplung zwischen zwei Zust¨anden derselben Energie zu einer vollst¨andigen Oszillation des Systems von einem Zustand in den anderen; die Frequenz ist dabei zur Kopplung proportional.8 Mit wachsender Differenz E1 − E2 nimmt auch (E+ − E− )/h zu, sin2 θ also ab. Bei einer schwachen Kopplung (E1 − E2 |W12 |) unterscheidet sich E+ − E− sehr wenig von E1 − E2 und sin2 θ wird sehr klein. Das ist nicht u¨ berraschend, denn bei einer schwachen Kopplung liegt der Zustand |ϕ1 sehr nahe beim Zustand |ψ+ (s. Gl. (4.74)): Das vom Zustand |ϕ1 ausgehende System wird sich zeitlich nur sehr wenig a¨ ndern.
Abb. 4.14 Zeitabh¨angigkeit der Wahrscheinlichkeit P12 (t), mit der man das System im Zustand |ϕ2 findet, wenn es anf¨anglich im Zustand |ϕ1 war. Haben die Zust¨ande |ϕ1 und |ϕ2 dieselbe (ungest¨orte) Energie, so kann die Wahrscheinlichkeit den Wert eins annehmen.
Ein Beispiel Wir kehren zum Beispiel des ionisierten Wasserstoffatoms zur¨uck und nehmen an, dass das Elektron zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Umgebung des Protons p1 lokalisiert ist, etwa im Zustand wie in Abb. 4.13a. Aufgrund unserer Ergebnisse wissen wir, dass das Elektron zwischen den beiden Protonen mit einer Frequenz schwingen wird, die gleich der Bohr-Frequenz der beiden station¨aren Molek¨ulzust¨ande |ψ+ und |ψ− ist. Dieser Oszillation zwischen den beiden in Abb. 4.13 veranschaulichten Zust¨anden entspricht eine Oszillation des Erwartungswerts des elektrischen Dipolmoments des Molek¨uls (das Dipolmoment ist ungleich null, wenn das Elektron bei einem der beiden Protonen loka8 Man
findet das gleiche Ph¨anomen auch in anderen Gebieten der Physik. Betrachten wir z. B. zwei gleiche Pendel (1) und (2) derselben Frequenz, die an derselben Halterung befestigt sind. Lenkt man zur Zeit t = 0 das Pendel (1) aus, so weiß man (s. Abschnitt 5.12), dass man wegen der Kopplung u¨ ber die gemeinsame Halterung nach einer bestimmten Zeit (die umso k¨urzer ist, je st¨arker die Kopplung wird) die umgekehrte Situation vorfindet: Jetzt schwingt das Pendel (2) und das Pendel (1) bleibt in Ruhe, und dies wiederholt sich immer aufs Neue.
384
4 Einfache Systeme
lisiert ist und a¨ ndert sein Vorzeichen, je nachdem ob es sich um das Proton p1 oder um das Proton p2 handelt). Wir erkennen, wie ein nichtstation¨arer Molek¨ulzustand zu einem oszillierenden elektrischen Dipolmoment f¨uhren kann. Man weiß weiter, dass durch einen solchen schwingenden Dipol ein Energieaustausch mit einem elektromagnetischen Feld derselben Frequenz m¨oglich wird. Daher muss diese Frequenz im Absorptionsspektrum des H+ 2 -Ions auftreten. Weitere Beispiele f¨ur die Oszillation zwischen zwei Zust¨anden behandeln wir in den Abschnitten 4.9 bis 4.11.
Erg¨anzungen zu Kapitel 4
Abschnitte 4.4 und 4.5 behandeln die Technik von 2 × 2-Matrizen. (Einfach und f¨ur die L¨osung zahlreicher quantenmechanischer Fragen wichtig) Abschnitt 4.6 weist die enge Verbindung zwischen den Inhalten von Abschnitt 4.2 und Abschnitt 4.3 auf. Er erm¨oglicht eine einfache geometrische Interpretation der Eigenschaften von Systemen mit zwei Niveaus. (Leicht, jedoch f¨ur das Folgende nicht unbedingt notwendig) Abschnitt 4.7 vermittelt den Begriff des Tensorprodukts und die Postulate (Kann als eine Sammlung gel¨oster Aufgaben verstanden werden) Abschnitt 4.8 illustriert am Beispiel des Spin 1/2 die in Abschnitt 3.10 eingef¨uhrten Begriffe. Abschnitt 4.9 untersucht mit der magnetischen Resonanz ein (vor allem wegen seiner Anwendungen) sehr wichtiges physikalisches Ph¨anomen. (Kann auch sp¨ater gelesen werden) Abschnitt 4.10 befasst sich mit einem physikalischen System, dessen Behandlung in erster N¨aherung auf ein System mit zwei Niveaus zur¨uckgef¨uhrt werden kann. (Von mittlerer Schwierigkeit) Abschnitt 4.11 untersucht den Einfluss einer Kopplung zwischen zwei Niveaus mit verschiedenen Lebensdauern. (Leicht, ben¨otigt aber die Begriffe aus Abschnitt 3.15) Abschnitt 4.12 enth¨alt schließlich die Aufgaben zu Kapitel 4.
4.4 Die Pauli-Matrizen In Abschnitt 4.1.2 gaben wir die Darstellungsmatrizen der Komponenten Sx , Sy und Sz eines Spins S in der {|+, |−}-Basis (den Eigenvektoren von Sz ) an. In der Quantenmechanik erweist es sich nun als zweckm¨aßig, einen zu S proportionalen Operator σ mit der Dimension eins einzuf¨uhren. Er ist durch S=
¯ h σ 2
(4.86)
definiert. Die Darstellungsmatrizen seiner drei Komponenten in der {|+, |−}-Basis heißen die Pauli-Matrizen.
4.4.1 Definition, Eigenwerte und Eigenvektoren Erinnern wir uns an die Gleichungen (4.15) bis (4.17) in Abschnitt 4.1 und beachten Gl. (4.86), so ergibt sich f¨ur die Pauli-Matrizen sofort 0 1 0 −i 1 0 σx = , σy = , σz = . (4.87) 1 0 i 0 0 −1
•
386
Erg¨anzungen zu Kapitel 4
Es sind hermitesche Matrizen. Die charakteristische Gleichung ist f¨ur alle drei Matrizen gleich: λ2 − 1 = 0.
(4.88)
Die Eigenwerte von σx , σy und σz sind daher λ = ±1,
(4.89)
woraus sich f¨ur Sx , Sy und Sz wieder die Eigenwerte ±¯h/2 ergeben. Die Eigenwerte sind dieselben wie die von Sx , Sy und Sz . Diese wurden in Abschnitt 4.1.2 eingef¨uhrt. Mit 1 |±x = √ [|+ ± |−], 2 1 |±y = √ [|+ ± i|−] 2
(4.90)
gilt σx |±x = ±|±x , σy |±y = ±|±y ,
(4.91)
σz |± = ±|±.
4.4.2 Einfache Eigenschaften Aus der Definition (4.87) folgen f¨ur die Pauli-Matrizen die folgenden Beziehungen: det(σj ) = −1,
j = x, y oder z,
Sp{σj } = 0, σx2 = σy2 = σz2 = I, σx σy = −σy σx = iσz
(4.92) (4.93)
I ist die 2 × 2-Einheitsmatrix,
(4.94) (4.95)
sowie die aus Gl. (4.95) durch zyklische Vertauschung von x, y und z sich ergebenden Gleichungen. Die Gleichungen (4.94) und (4.95) werden gelegentlich in der Form εjkl σl + δjk I (4.96) σj σk = i l
zusammengefasst; darin ist εjkl gegen¨uber einer Vertauschung von irgendzwei Indizes antisymmetrisch und hat den Wert ⎧ ⎨ 0, wenn die Indizes j, k, l nicht alle verschieden sind, 1, wenn j, k, l eine gerade Permutation von x, y, z ist, εjkl = (4.97) ⎩ −1, wenn j, k, l eine ungerade Permutation von x, y, z ist.
4.4 Die Pauli-Matrizen
387
•
Aus Gl. (4.95) folgt sofort (4.98)
[σx , σy ] = 2iσz
und zwei weitere Beziehungen, die sich hieraus durch zyklische Vertauschung ergeben. Damit erh¨alt man weiter h Sz , [Sx , Sy ] = i¯ h Sx , [Sy , Sz ] = i¯
(4.99)
[Sz , Sx ] = i¯ h Sy . In Kapitel 6 werden wir sehen, dass diese Zusammenh¨ange f¨ur einen Drehimpuls charakteristisch sind. Weiter erkennt man aus Gl. (4.95), dass (4.100)
σx σy + σy σx = 0
gilt. Man sagt, dass die Pauli-Matrizen antivertauschen. Bei Ber¨ucksichtigung von Gl. (4.94) ergibt sich ferner (4.101)
σx σy σz = iI.
Wir nennen schließlich noch eine Identit¨at, die sich in der Quantenmechanik als n¨utzlich erweist. Sind A und B zwei Vektoren, deren Komponenten Zahlen sind (oder aber wieder Operatoren, die jedoch mit allen anderen im zweidimensionalen Spinraum wirkenden Operatoren vertauschen), so gilt (σ · A)(σ · B) = A · BI + iσ·(A × B).
(4.102)
Man kann n¨amlich bei Beachtung von Gl. (4.96) und der Tatsache, dass A und B mit σ vertauschen, schreiben (σ · A)(σ · B) =
σj Aj σk Bk
j,k
=
j,k
=
l
Aj Bk i ⎡ iσl ⎣
l
j,k
εjkl σl + δjk I ⎤
εjkl Aj Bk ⎦ +
Aj Bj I.
(4.103)
j
Darin ist der Term j,k εjkl Aj Bk nichts anderes als die l-Komponente des Vektorprodukts A × B und der Term j Aj Bj gerade das Skalarprodukt A · B. Falls A und B nicht miteinander vertauschen, m¨ussen sie auf beiden Seiten der Identit¨at in derselben Reihenfolge stehen.
•
388
Erg¨anzungen zu Kapitel 4
4.4.3 Eine zweckm¨aßige Basis Eine beliebige 2 × 2-Matrix m11 m12 M= m21 m22
(4.104)
kann man stets als eine Linearkombination der vier Matrizen I, σx , σy , σz
(4.105)
schreiben. Es ist n¨amlich, wenn wir die Definition der Pauli-Matrizen beachten, M=
m11 + m22 m11 − m22 m12 + m21 m12 − m21 I+ σz + σx + i σy (4.106) 2 2 2 2
oder abgek¨urzt M = a0 I + a · σ
(4.107)
mit den von den Matrixelementen mij abh¨angenden komplexen Zahlen a0 , ax , ay und az . Vergleicht man Gl. (4.106) mit Gl. (4.107), so sieht man, dass M genau dann hermitesch ist, wenn die Koeffizienten a0 und a reell sind. Man kann sie in der Form a0 =
1 Sp{M }, 2
(4.108)
a=
1 Sp{M σ} 2
(4.109)
schreiben, wie man mit Hilfe der Beziehungen (4.93) bis (4.95) beweisen kann.
4.5 Diagonalisierung einer hermiteschen 2 × 2-Matrix 4.5.1 Einfuhrung ¨ In der Quantenmechanik muss man sehr h¨aufig 2×2-Matrizen diagonalisieren. Interessiert man sich nur f¨ur die Eigenwerte, so ist die Aufgabe einfach, weil die charakteristische Gleichung nur vom zweiten Grade ist. Grunds¨atzlich bietet auch die Ermittlung der normierten Eigenvektoren keinerlei Schwierigkeiten, doch kann man hier unter Umst¨anden zu unn¨otig verwickelten Ausdr¨ucken kommen. Wir wollen in diesem Abschnitt eine einfache, allgemeing¨ultige Rechenmethode vorstellen. Hierzu a¨ ndern wir zun¨achst den Bezugspunkt f¨ur die Kennzeichnung der Eigenwerte und f¨uhren dann zwei von den Matrixelementen abh¨angende Winkel θ und ϕ ein, mit denen wir die normierten Eigenvektoren auf eine zweckm¨aßige Gestalt bringen k¨onnen. Wie wir in dem dann folgenden Abschnitt 4.6 sehen werden, k¨onnen die beiden Winkel im Zusammenhang mit der Behandlung von Systemen mit zwei Niveaus physikalisch interpretiert werden.
4.5 Diagonalisierung einer hermiteschen 2 × 2-Matrix
389
•
4.5.2 Wechsel des Bezugspunktes In der hermiteschen Matrix H11 H12 (H) = H21 H22
(4.110)
sind die Diagonalelemente H11 und H22 reell, und es gilt weiter ∗ H12 = H21 .
(4.111)
Die Matrix (H) stellt also in einer orthonormierten Basis {|ϕ1 , |ϕ2 } einen bestimmten hermiteschen Operator dar.9 F¨uhrt man die halbe Summe und die halbe Differenz der Diagonalelemente H11 und H22 ein, so kann man (H) in der Form ⎞ ⎛ 1 0 ⎟ ⎜ (H11 + H22 ) (H) = ⎝ 2 ⎠ 1 (H11 + H22 ) 0 2 ⎞ ⎛ 1 (H − H ) H 11 22 12 ⎟ ⎜ +⎝ 2 ⎠ (4.112) 1 H21 − (H11 − H22 ) 2 schreiben. Hieraus folgt, dass der Operator H selbst in 1 1 (H11 + H22 )1 + (H11 − H22 )K (4.113) 2 2 zerlegt werden kann, wobei 1 der Einheitsoperator und K der hermitesche Operator ist, der in der {|ϕ1 , |ϕ2 }-Basis die Matrix ⎞ ⎛ 2H12 1 ⎜ H11 − H22 ⎟ (4.114) (K) = ⎝ ⎠ 2H21 −1 H11 − H22 H=
zur Darstellung hat. Nach Gl. (4.113) haben H und K dieselben Eigenvektoren. Es seien |ψ± diese Vektoren, sowie E± und κ± die zugeh¨origen Eigenwerte von H bzw. K: H|ψ± = E± |ψ± ,
(4.115)
K|ψ± = κ± |ψ± .
(4.116)
Aus Gl. (4.113) folgt sofort E± =
1 1 (H11 + H22 ) + (H11 − H22 )κ± . 2 2
(4.117)
9 Wir verwenden hier den Buchstaben H f¨ ur den hermiteschen Operator, weil es h¨aufig darum geht, den ¨ Hamilton-Operator zu diagonalisieren. Die folgenden Uberlegungen gelten aber f¨ur jede hermitesche 2 × 2Matrix.
•
390
Erg¨anzungen zu Kapitel 4
Die erste Matrix auf der rechten Seite von Gl. (4.112) spielt eine wichtige Rolle: W¨ahlt man f¨ur die Eigenwerte den neuen Bezugspunkt (H11 + H22 )/2, kann man sie zum Verschwinden bringen.10
4.5.3 Eigenwerte und Eigenvektoren Die Winkel θ und ϕ Die Winkel θ und ϕ werden u¨ ber die Matrixelemente Hij durch die Beziehungen tan θ =
2|H21 | H11 − H22
H21 = |H21 | eiϕ
mit 0 ≤ θ < π, mit 0 ≤ ϕ < 2π
(4.118) (4.119)
definiert. Der Winkel ϕ ist das Argument der komplexen Zahl H21 . Nach Gl. (4.111) ist |H12 | = |H21 | und H12 = |H12 | e−iϕ . Damit erh¨alt man f¨ur die Matrix (K) 1 tan θ e−iϕ . (K) = tan θ eiϕ −1
(4.120)
(4.121)
Eigenwerte von K Aus der charakteristischen Gleichung der Matrix (4.121) ergeben sich sofort die Eigenwerte κ+ und κ− von (K): 1 , cos θ 1 . = − cos θ
κ+ = +
(4.122)
κ−
(4.123)
Wie es sein muss, sind sie als Eigenwerte einer hermiteschen Matrix (s. Abschnitt 2.4.2) reell. Um 1/ cos θ durch die Matrixelemente Hij ausdr¨ucken zu k¨onnen, muss man nur auf Gl. (4.118) zur¨uckgehen und beachten, dass cos θ und tan θ f¨ur 0 ≤ θ < π dasselbe Vorzeichen haben. Es ergibt sich
(H11 − H22 )2 + 4|H12 |2 1 . (4.124) = cos θ H11 − H22 10 Dieser neue Bezugspunkt ist u ¨ brigens immer derselbe, welche Basis {|ϕ1 , |ϕ2 } man auch zu Beginn der ¨ Uberlegungen gew¨ahlt hat. Gegen¨uber dem Wechsel einer orthonormierten Basis ist n¨amlich H11 + H22 = Sp{H} invariant.
4.5 Diagonalisierung einer hermiteschen 2 × 2-Matrix
391
•
Eigenwerte von H Aus den Gleichungen (4.117), (4.122), (4.123) und (4.124) erhalten wir unmittelbar 1 1 E+ = (H11 + H22 ) + (H11 − H22 )2 + 4|H12 |2 , (4.125) 2 2
1 1 E− = (H11 + H22 ) − (H11 − H22 )2 + 4|H12 |2 . (4.126) 2 2 Bemerkungen 1. Die Eigenwerte (4.125) und (4.126) kann man u¨ ber die charakteristische Gleichung der Matrix (H) erhalten. Wenn man sich also nur f¨ur sie interessiert, ist die Einf¨uhrung der Winkel θ und ϕ unn¨otig. Dagegen werden wir sehen, dass diese Methode sich als praktisch erweist, wenn man die normierten Eigenvektoren von H braucht. 2. Aus den Beziehungen (4.125) und (4.126) folgt E+ + E− = H11 + H22 = Sp{H},
(4.127)
E+ E− = H11 H22 − |H12 |2 = det(H).
(4.128)
3. Damit E+ = E− ist, muss (H11 − H22 )2 + 4|H12 |2 = 0 sein, also H11 = H22 und H12 = H21 = 0. Eine hermitesche Matrix mit einem entarteten Spektrum ist darum notwendig zur Einheitsmatrix proportional.
Die normierten Eigenvektoren von H Sind a und b die Komponenten von |ψ+ in Bezug auf |ϕ1 und |ϕ2 , so gen¨ugen sie nach den Gleichungen (4.116), (4.121) und (4.122) der Gleichung 1 1 tan θ e−iϕ a a = , (4.129) tan θ eiϕ −1 b b cos θ woraus sich 1−
1 cos θ
a + tan θ e−iϕ b = 0
oder auch θ iϕ/2 θ −iϕ/2 − sin e a + cos e b=0 2 2
(4.130)
(4.131)
ergibt. Somit ist der normierte Eigenvektor |ψ+ = cos
θ −iϕ/2 θ e |ϕ1 + sin eiϕ/2 |ϕ2 . 2 2
(4.132)
Eine analoge Rechnung f¨uhrt zu dem dazu orthogonalen Vektor |ψ− = − sin
θ −iϕ/2 θ e |ϕ1 + cos eiϕ/2 |ϕ2 . 2 2
(4.133)
•
392
Erg¨anzungen zu Kapitel 4
Bemerkung W¨ahrend sich die trigonometrischen Funktionen f¨ur den Winkel θ verh¨altnism¨aßig einfach durch die Matrixelemente Hij ausdr¨ucken lassen (s. z. B. Gl. (4.118) und Gl. (4.124)), ist dies f¨ur den Winkel θ/2 nicht mehr m¨oglich. So ergeben sich in den Ausdr¨ucken f¨ur die orthonormierten Eigenvektoren |ψ+ und |ψ− unbequeme Zusammenh¨ange, wenn man dort cos θ/2 und sin θ/2 durch ihre Abh¨angigkeit von den Matrixelementen von (H) ersetzt. Darum sollte man bei Rechnungen, in denen die orthonormierten Eigenvektoren von H ben¨otigt werden, die Funktionen cos θ/2 und sin θ/2 beibehalten. Ohnehin tritt im Endergebnis einer Rechnung oft nur die Abh¨angigkeit vom ganzen Winkel θ auf (s. z. B. Abschnitt 4.3.3). Wenigstens die Zwischenrechnungen gestalten sich mit den Beziehungen (4.132) und (4.133) sehr elegant, und dies ist der eine Vorteil der hier vorgestellten Methode. Auf einen zweiten wollen wir im folgenden Abschnitt eingehen.
4.6 System mit zwei Niveaus. Fiktiver Spin 4.6.1 Einfuhrung ¨ Ein System besitze nur zwei Niveaus und sein Hamilton-Operator H werde in einer orthonormierten Basis {|ϕ1 , |ϕ2 } durch die hermitesche Matrix (H) dargestellt (s. Gl. (4.110) aus Abschnitt 4.5).11 Wenn wir (H11 + H22 )/2 als neuen Ursprung f¨ur die Energie nehmen, wird die Matrix ⎞ 1 H12 ⎟ ⎜ (H11 − H22 ) (H) = ⎝ 2 ⎠. 1 H21 − (H11 − H22 ) 2 ⎛
(4.134)
Das betrachtete System mit den beiden einzigen Niveaus braucht nicht notwendig ein Spin-1/2-System zu sein; trotzdem kann man ihm stets einen fiktiven Spin zuordnen, wobei der zugeh¨orige Hamilton-Operator H in der {|+, |−}-Basis der Eigenzust¨ande der z-Komponente Sz dieses Spins durch dieselbe Matrix (H) dargestellt wird. (H) l¨asst sich dann als die Wechselwirkungsenergie dieses fiktiven Spins mit einem statischen Magnetfeld B interpretieren. Betrag und Richtung dieses Magnetfeldes“ h¨angen auf sehr ” einfache Weise mit den Parametern zusammen, die im vorigen Abschnitt bei der Diagonalisierung von (H) eingef¨uhrt wurden und denen man daher eine physikalische Deutung geben kann. Wenn ferner der Hamilton-Operator H als die Summe H = H0 + W von zwei Operatoren auftritt, so kann man H, H0 und W drei Magnetfelder B, B 0 und b so zuordnen, dass B = B 0 + b ist: Die Einf¨uhrung der Kopplung W l¨auft darauf hinaus, dass man im Bild des fiktiven Spins das Feld b zu B 0 hinzuf¨ugt. Unter diesem Gesichtspunkt lassen sich die in Abschnitt 4.3 untersuchten Effekte sehr einfach interpretieren.
11 Wir
verwenden dieselben Bezeichnungen wie im vorangegangenen Abschnitt.
4.6 System mit zwei Niveaus. Fiktiver Spin
393
•
4.6.2 Interpretation des Hamilton-Operators In Abschnitt 4.1 hatten wir gesehen, dass der Hamilton-Operator f¨ur die Kopplung eines Spins 1/2 mit einem Magnetfeld B ˜ = −γ B · S = −γ(Bx Sx + By Sy + Bz Sz ) H
(4.135)
lautet. Zur Bestimmung der zu diesem Operator geh¨orenden Matrix gen¨ugt es, die zu Sx , Sy und Sz geh¨orenden Matrizen (Gleichungen (4.15) bis (4.17)) einzusetzen. Man erh¨alt γ¯ h Bx − iBy Bz ˜ (H) = − . (4.136) Bx + iBy −Bz 2 ˜ identifizieren, so gen¨ugt es, ein fiktives Feld“ Will man daher die Matrix (4.134) mit (H) ” B mit den Komponenten 2 Re H12 , γ¯ h 2 Im H12 , By = γ¯ h 1 (H22 − H11 ) Bz = γ¯ h
Bx = −
(4.137)
zu w¨ahlen. Der Betrag B⊥ der Projektion B ⊥ von B auf die x, y-Ebene ist dann 2 H12 . (4.138) B⊥ = h γ ¯ Nach den Beziehungen (4.118) und (4.119) aus Abschnitt 4.5.2 sind dann die der Matrix (4.136) zugeordneten Winkel θ und ϕ gegeben durch tan θ =
|γB⊥ | , − γBz
0 ≤ θ < π,
− γ(Bx + iBy ) = |γB⊥ | eiϕ ,
0 ≤ ϕ < 2π.
(4.139)
Der gyromagnetische Faktor γ ist hier einfach eine Hilfsgr¨oße, der man zun¨achst jeden beliebigen Wert geben kann. W¨ahlt man ihn negativ, so stellen θ und ϕ die Polarwinkel f¨ur die Richtung des Magnetfeldes B dar (bei positivem γ w¨are diese Richtung entgegengesetzt). So kann man also die Matrix (H) des urspr¨unglich betrachteten Zwei-Niveau-Systems ˜ auffassen, der ein Spin-1/2-Teilchen in als die Darstellung eines Hamilton-Operators H einem Magnetfeld B beschreibt. Die Komponenten dieses Feldes sind durch Gl. (4.137) gegeben, und die Eigenzust¨ande |+ und |− von Sz bilden die Basis der Darstellung. Der Hamilton-Operator lautet dann ˜ = ω Su . H
(4.140)
Su = S · u ist die Spinkomponente in Richtung von u mit den Polarwinkeln θ und ϕ und ω die Larmor-Frequenz“ ” ω = |γ||B|. (4.141)
•
394
Erg¨anzungen zu Kapitel 4
Die folgende Tabelle fasst die Zusammenh¨ange zwischen dem Zwei-Niveau-System und dem fiktiven Spin-1/2-System zusammen: Tab. 3.1
Zwei-Niveau-System
←→
Fiktives Spin-1/2-System
|ϕ1 |ϕ2 |ψ+ |ψ− E+ − E− Winkel aus Abschnitt 4.5 H11 − H22 |H21 |
←→ ←→ ←→ ←→ ←→ ←→ ←→ ←→
|+ |− |+u |−u ¯hω Polarwinkel des fiktiven B − γ¯hBz − γ¯hB⊥ /2
4.6.3 Interpretation der Effekte Fiktive Magnetfelder Wie in Abschnitt 4.3 habe der Hamilton-Operator die Gestalt H = H0 + W.
(4.142)
In der {|ϕ1 , |ϕ2 }-Basis wird der ungest¨orte Hamilton-Operator H0 bei geeigneter Wahl des Energienullpunktes durch die Matrix ⎛ ⎞ E1 − E2 0 ⎜ ⎟ 2 (H0 ) = ⎝ (4.143) E1 − E2 ⎠ 0 − 2 dargestellt. F¨ur die Kopplung W nehmen wir wie in Abschnitt 4.3 an, dass nur ihre Nichtdiagonalelemente ungleich null sind: 0 W12 . (4.144) (W ) = W21 0 Den Matrizen (H0 ) und (W ) k¨onnen wir nach dem vorangegangenen Abschnitt zwei Felder B 0 und b mit E2 − E1 , B0⊥ = 0 (4.145) B0z = γ¯ h und bz = 0,
2 W12 b⊥ = h γ ¯
(4.146)
4.6 System mit zwei Niveaus. Fiktiver Spin
395
•
zuordnen. Das Feld B 0 ist zur z-Achse parallel und zu (E1 − E2 )/2 proportional; b steht senkrecht zur z-Achse und ist zu |W12 | proportional. Wegen (H) = (H0 ) + (W ) ist das dem Gesamt-Hamilton-Operator zugeordnete Feld B gleich der (Vektor-)Summe von B 0 und b: B = B 0 + b.
(4.147)
In der Abb. 4.15 sind die Verh¨altnisse skizziert: Der in Abschnitt 4.3.2 eingef¨uhrte Winkel θ liegt zwischen B 0 und B, weil B 0 zur z-Richtung parallel ist.
Abb. 4.15 Relative Orientierung der fiktiven Felder. B 0 ist dem ungest¨orten Hamilton-Operator H0 , b der Kopplung W und B = B 0 + b dem Gesamt-Hamilton-Operator H = H0 + W zugeordnet.
Die Voraussetzung starker Kopplung (s. Abschnitt 4.3.2), f¨ur die |W12 | |E1 − E2 | sein muss, geht in die Bedingung |b| |B 0 | (Abb. 4.16a) u¨ ber; f¨ur die schwache Kopplung (|W12 | |E1 − E2 |) erhalten wir |b| |B 0 | (Abb. 4.16b).
Abb. 4.16 Relative Orientierung der drei fiktiven Felder B 0 , b und B f¨ur eine starke Kopplung (a) bzw. eine schwache Kopplung (b).
•
396
Erg¨anzungen zu Kapitel 4
Eigenwerte und Eigenvektoren bei Kopplung Die Energiedifferenzen E1 − E2 und E+ − E− entsprechen den Larmor-Frequenzen ω0 = |γ||B 0 | bzw. ω = |γ||B| der Felder B 0 bzw. B. In Abb. 4.15 sieht man, dass B 0 , b und B ein rechtwinkliges Dreieck bilden, dessen Hypotenuse bei B liegt. Es ist demnach immer |B| ≥ |B 0 |. Daraus ergibt sich wieder, dass E+ − E− stets gr¨oßer als |E1 − E2 | ist. Bei einer schwachen Kopplung (Abb. 4.16b) weichen |B| und |B 0 | in ihrem relativen Wert erst in zweiter Ordnung in |b|/|B 0 | voneinander ab. Damit unterscheiden sich E+ − E− und E1 − E2 durch Terme zweiter Ordnung in |W12 |/(E1 − E2 ). Dagegen ist bei einer starken Kopplung (Abb. 4.16a) |B| sehr viel gr¨oßer als |B 0 | und praktisch gleich |b|. E+ − E− ist dann im Vergleich zu |E1 − E2 | sehr groß und praktisch gleich |W12 |. So erhalten wir die Resultate aus Abschnitt 4.3.2. Auch den Einfluss der Kopplung auf die Eigenvektoren kann man mit Abb. 4.15 und Abb. 4.16 verstehen. Die Eigenvektoren von H und H0 sind jeweils den Eigenvektoren der Komponenten von S in u- bzw. z-Richtung zugeordnet. Bei einer schwachen Kopplung sind diese beiden Richtungen nahezu parallel (Abb. 4.16b), bei einer starken fast senkrecht aufeinander (Abb. 4.16a). Die Eigenvektoren von Su und Sz und folglich die von H und H0 sind im ersten Fall fast gleich und im zweiten sehr verschieden voneinander.
¨ Geometrische Interpretation der Ubergangswahrscheinlichkeit Im Spinbild stellt sich das Problem in Abschnitt 4.3.3 wie folgt dar: Zum Zeitpunkt t = 0 ist der dem Zwei-Niveau-System zugeordnete fiktive Spin im Eigenzustand |+ von Sz . Man f¨ugt nun zu B 0 das Feld b hinzu und fragt nach der Wahrscheinlichkeit P+− (t), zur Zeit t den Spinzustand |− zu finden. Nach Tab. 3.1 muss man P12 (t) mit P+− (t) identifizieren. Die Berechnung von P+− (t) wird nun einfach, weil sich die Spinbewegung auf eine Larmor-Pr¨azession um B reduziert (Abb. 4.17). W¨ahrend dieser Pr¨azession bleibt der Winkel θ zwischen dem Spin und der u-Richtung von B konstant. Zur Zeit t weist der Spin in die n-Richtung, die mit der z-Richtung den Winkel α einschließt. Der Winkel zwischen der z, u- und der u, n-Ebene ist ωt. Zwischen den drei Winkeln besteht der Zusammenhang cos α = cos2 θ + sin2 θ cos ωt.
(4.148)
Folglich ist die Wahrscheinlichkeit, den Zustand |− von Sz zu finden, gleich sin2 α/2 = (1 − cos α)/2 (s. Abschnitt 4.2.2). Mit Gl. (4.148) ergibt sich hieraus P+− (t) = sin2
α 1 = sin2 θ(1 − cos ωt). 2 2
(4.149)
Ersetzt man hierin ω durch (E+ − E− )/¯h, so erh¨alt man wieder die Beziehung (4.84) aus Abschnitt 4.3.3, die somit eine rein geometrische Deutung erh¨alt.
4.7 Systeme mit zwei Spins 1/2
397
•
¨ Abb. 4.17 Geometrische Interpretation der Ubergangswahrscheinlichkeit im Bild des fiktiven Spins: Durch die Kopplung (sie wird durch b repr¨asentiert) pr¨azessiert der anf¨anglich in zRichtung orientierte Spin um B; folglich ist die Wahrscheinlichkeit, bei einer Messung seiner z-Komponente den Wert −¯ h/2 zu finden, eine zeitlich oszillierende Funktion.
4.7 Systeme mit zwei Spins 1/2 In diesem Abschnitt wollen wir den in Abschnitt 4.1.2 eingef¨uhrten Formalismus auf ein System anwenden, das aus zwei Teilchen mit dem Spin 1/2 besteht. Unser Interesse hinsichtlich der Postulate beruht darauf, dass bei diesem System keine Spinvariable f¨ur sich einen vollst¨andigen Satz kommutierender Observabler bildet. Darum werden wir bei diesem Beispiel sowohl die Messung einer Observablen mit einem entarteten Spektrum, als auch die gleichzeitige Messung von zwei Observablen betrachten k¨onnen. Weiter dient dieses System zur Illustration des in Abschnitt 2.6 vorgestellten Begriffs des Tensorprodukts. Wie in Kapitel 4 fragen wir nur nach den inneren Freiheitsgraden (den Spinzust¨anden) und setzen ferner voraus, dass die beiden Teilchen unterscheidbar sind (Systeme identischer Teilchen behandeln wir in Kapitel 14).
4.7.1 Quantenmechanische Beschreibung Wir wissen, wie man den (Spin-)Zustand eines Teilchens mit dem Spin 1/2 quantenmechanisch beschreibt. Zur Behandlung eines Systems, das aus zwei Teilchen mit dem Spin 1/2 besteht, k¨onnen wir daher die Ergebnisse aus Abschnitt 2.6 anwenden.
•
398
Erg¨anzungen zu Kapitel 4
Zustandsraum Die beiden Teilchen unterscheiden wir durch die Indizes 1 und 2. G¨abe es nur das Teilchen (1), so w¨are sein Spinzustand durch einen Ketvektor bestimmt, der zu einem zweidimensionalen Zustandsraum HS (1) geh¨orte. Entsprechend bilden die Spinzust¨ande des Teilchens (2) f¨ur sich einen zweidimensionalen Raum HS (2). Mit S 1 und S 2 bezeichnen wir die Spinobservablen der Teilchen (1) und (2). Im Raum HS (1) bzw. HS (2) w¨ahlen wir als Basis die Eigenkets von S1z bzw. S2z und bezeichnen sie mit |1 : + und |1 : − bzw. mit |2 : + und |2 : −. Dann hat der allgemeine Ket in HS (1) die Form |ϕ(1) = α1 |1 : + + β1 |1 : −
(4.150)
und der im Raum HS (2) |χ(2) = α2 |2 : + + β2 |2 : −,
(4.151)
wobei α1 , β1 , α2 und β2 beliebige komplexe Zahlen sind. Vereinigen wir jetzt die beiden Teilchen zu einem System, so ist der Zustandsraum HS dieses Systems das Tensorprodukt aus den R¨aumen HS (1) und HS (2): HS = HS (1) ⊗ HS (2).
(4.152)
So gelangen wir als Erstes zu einer Basis in HS , indem wir die beiden eben definierten Basen der R¨aume HS (1) und HS (2) tensoriell multiplizieren. Wir verwenden die Bezeichnungen | + + = |1 : +|2 : +, | + − = |1 : +|2 : −,
(4.153)
| − + = |1 : −|2 : +, | − − = |1 : −|2 : −.
So ist z. B. im Zustand |+− die z-Komponente des Spins des Teilchens (1) mit Sicherheit +¯ h/2 und die z-Komponente des Spins des Teilchens (2) mit Sicherheit −¯h/2. Den zum Ket | + − konjugierten Bra werden wir hier + − | nennen; die Reihenfolge der Symbole ist also beim Bra und Ket dieselbe: Das erste Symbol geh¨ort stets zum Teilchen (1), das zweite immer zum Teilchen (2). Der Raum HS ist vierdimensional. Weil die Basen {|1 : ±} und {|2 : ±} in HS (1) und HS (2) orthonormiert sind, ist auch die Basis (4.153) in HS orthonormiert: ε1 ε2 |ε1 ε2 = δε1 ε1 δε2 ε2 .
(4.154)
Darin sind ε1 , ε2 , ε1 und ε2 je nach Fall durch das Symbol + oder − zu ersetzen; δεε ist eins, wenn ε und ε gleich sind, sonst null. F¨ur das Vektorsystem (4.153) besteht in HS die Vollst¨andigkeitsrelation |ε1 ε2 ε1 ε2 | = | + ++ + | + | + −+ − | ε1 ,ε2
+ | − +− + | + | − −− − | = 1.
(4.155)
4.7 Systeme mit zwei Spins 1/2
399
•
Vollst¨andiger Satz kommutierender Observabler (v. S. k. O.) Die Observablen S 1 und S 2 , die wir zun¨achst in HS (1) und HS (2) definiert haben, setzen wir in den Raum HS fort und behalten f¨ur diese Fortsetzungen (wie in Abschnitt 2.6) die Bezeichnungen S 1 und S 2 bei. Ihre Wirkung auf die Kets der Basis (4.153) ist einfach: So wirken z. B. die Komponenten von S 1 nur auf den Teil des Kets, der zum Teilchen (1) geh¨ort. Darum sind die Basisvektoren (4.153) gemeinsame Eigenvektoren von S1z und S2z : ¯ h ε1 |ε1 ε2 , 2 (4.156) h ¯ S2z |ε1 ε2 = ε2 |ε1 ε2 . 2 F¨ur die anderen Komponenten von S 1 und S 2 wendet man die Beziehungen aus Abschnitt 4.1.2 an. Aufgrund der Gl. (4.16) weiß man z. B., wie S1x auf die Kets |1 : ± wirkt. Danach ist h ¯ S1x |1 : + = |1 : −, 2 (4.157) h ¯ S1x |1 : − = |1 : +. 2 Hieraus ergibt sich dann die Wirkung von S1x auf die Kets (4.153): S1z |ε1 ε2 =
¯ h | − +, 2 h ¯ S1x | + − = | − −, 2 (4.158) h ¯ S1x | − + = | + +, 2 h ¯ S1x | − − = | + −. 2 Hiermit l¨asst sich dann zeigen, dass eine beliebige Komponente von S 1 mit einer beliebigen Komponente von S 2 vertauscht, obwohl die drei Komponenten von S 1 bzw. S 2 untereinander nicht vertauschen. Im Raum HS (1) bildet die Observable S1z f¨ur sich einen vollst¨andigen Satz kommutierender Observabler, und das Gleiche gilt f¨ur die Observable S2z im Raum HS (2). Die Eigenwerte von S1z und S2z im Raum HS bleiben zwar ±¯h/2, doch ist jeder zweifach entartet: So geh¨oren z. B. zum Eigenwert +¯ h/2 von S1z die beiden orthogonalen Vektoren | + + und | + − (s. Gl. (4.156)) und alle ihre Linearkombinationen. Daher bilden in HS weder S1z noch S2z (einzeln genommen) einen vollst¨andigen Satz kommutierender Observabler. Dagegen ist die Menge {S1z , S2z } ein v. S. k. O. in HS , wie man aus dem Bestehen der Vollst¨andigkeitsrelation (4.156) erkennt. Offensichtlich ist diese Observablenmenge aber nicht der einzige v. S. k. O. Ein weiterer wird z. B. durch die Menge {S1z , S2x } gebildet. Beide Observable vertauschen n¨amlich miteinander, und jede bildet in dem Raum, in dem sie urspr¨unglich definiert wurde, einen v. S. k. O. Die gemeinsamen Eigenvektoren von S1z und S2x erh¨alt man durch S1x | + + =
•
400
Erg¨anzungen zu Kapitel 4
Bildung des Tensorprodukts aus den jeweiligen Eigenvektoren in HS (1) und HS (2). Mit Gl. (4.20) findet man 1 |1 : +|2 : +x = √ [| + + + | + −], 2 1 |1 : +|2 : −x = √ [| + + − | + −], 2 1 |1 : −|2 : +x = √ [| − + + | − −], 2 1 |1 : −|2 : −x = √ [| − + − | − −]. 2
(4.159)
Allgemeiner Zustand Die Vektoren (4.153) erhielten wir durch tensorielle Multiplikation eines Kets aus HS (1) mit einem Ket aus HS (2). Allgemeiner kann man einen beliebigen Ket des Raumes HS konstruieren, indem man von einem beliebigen Ket aus HS (1) (wie z. B. dem Ket (4.150)) und einem beliebigen Ket aus HS (2) (z. B. dem Ket (4.151)) ausgeht: |ϕ(1)|χ(2)
=
α1 α2 | + + + α1 β2 | + − + α2 β1 | − + + β1 β2 | − −.
(4.160)
Die Komponenten eines solchen Kets in Bezug auf die Basis (4.153) sind die Produkte der Komponenten von |ϕ(1) und |χ(2) bez¨uglich der Basen aus HS (1) und HS (2), mit denen wir die Vektoren (4.153) konstruiert haben. Es sind jedoch nicht alle Kets aus HS tensorielle Produkte. Der allgemeinste Ket in HS ist eine beliebige Linearkombination der Basisvektoren |ψ = α| + + + β| + − + γ| − + + δ| − −.
(4.161)
Will man |ψ normieren, so muss |α|2 + |β|2 + |γ|2 + |δ|2 = 1
(4.162)
sein. Bei gegebenem Ket |ψ ist es im Allgemeinen nicht m¨oglich, zwei Kets |ϕ(1) und |χ(2) zu finden, so dass ihr tensorielles Produkt gleich diesem Ket ist. Damit der Ket (4.161) die Form (4.160) hat, muss n¨amlich γ α = (4.163) β δ sein, was sicher nicht immer der Fall ist.
4.7.2 Vorhersage von Messergebnissen Wir wollen jetzt auf einige Messungen an einem System eingehen, das aus zwei Teilchen mit dem Spin 1/2 besteht, und die aufgrund der Postulate m¨oglichen Vorhersagen be-
4.7 Systeme mit zwei Spins 1/2
401
•
rechnen. Dabei werden wir jedesmal voraussetzen, dass das System unmittelbar vor der Messung durch den normierten Ket (4.161) beschrieben wird.
Gleichzeitige Messung der beiden Spins Weil eine beliebige Komponente von S 1 mit einer beliebigen Komponente von S 2 vertauscht, kann man sie gleichzeitig messen (s. Abschnitt 3.3.6). Zur Berechnung der Vorhersagen derartiger Messungen gen¨ugt die Verwendung der gemeinsamen Eigenvektoren der beiden Observablen. Erstes Beispiel. Wir nehmen als erstes an, dass wir S1z und S2z gleichzeitig messen. Welche Wahrscheinlichkeiten erh¨alt man f¨ur die verschiedenen Resultate? Weil die Menge {S1z , S2z } einen v. S. k. O. bildet, existiert zu jedem Messergebnis nur ein einziger Zustand. Wenn daher das System vor der Messung im Zustand (4.161) ist, so sind die m¨oglichen Resultate +¯ h/2
f¨ur S1z und
+¯ h/2
f¨ur S2z , Wahrscheinlichkeit
| + + |ψ |2 = |α|2 ,
+¯ h/2
“
−¯ h/2
“
| + − |ψ |2 = |β|2 ,
−¯ h/2
“
+¯ h/2
“
| − + |ψ |2 = |γ|2 ,
−¯ h/2
“
−¯ h/2
“
| − − |ψ |2 = |δ|2 .
(4.164)
Zweites Beispiel. Man misst jetzt S1y und S2z . Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass man f¨ur beide Observable den Wert +¯ h/2 erh¨alt? Auch die Observablenmenge {S1y , S2z } bildet einen v. S. k. O. Der gemeinsame und zu den Eigenwerten +¯ h/2 und +¯ h/2 geh¨orende Eigenvektor von S1y und S2z ist das tensorielle Produkt der Vektoren |1 : +y und |2 : +: 1 |1 : +y |2 : + = √ [| + + + i| − +]. 2 Nach dem vierten Postulat aus Kapitel 3 ist die gesuchte Wahrscheinlichkeit 2 1 P = √ [+ + | − i− + |] |ψ 2 1 = |α − iγ|2 . 2
(4.165)
(4.166)
Das Ergebnis ist daher das Quadrat einer Summe“.12 ” Nach der Messung findet man tats¨achlich +¯ h/2 f¨ur S1y und +¯ h/2 f¨ur S2z , das System befindet sich im Zustand (4.165). 12 Man beachte den Vorzeichenwechsel von i, wenn man von Gl. (4.165) zum konjugierten Bra u ¨ bergeht. Man beginge eine Fehler, wenn man dies vergisst. Weil α/γ im Allgemeinen nicht reell ist, ist |α+iγ|2 = |α−iγ|2 .
•
402
Erg¨anzungen zu Kapitel 4
Messung eines Spins Es ist offensichtlich m¨oglich, nur eine Komponente von einem der beiden Spins zu messen. Weil in diesem Fall keine dieser Komponenten f¨ur sich einen v. S. k. O. bildet, existieren zu ein und demselben Messergebnis mehrere Eigenvektoren, und die zugeh¨orige Wahrscheinlichkeit wird eine Summe von Quadraten“ sein. ” Erstes Beispiel. Man misst nur S1z . Welche Resultate erh¨alt man mit welchen Wahrscheinlichkeiten? Die m¨oglichen Ergebnisse sind die Eigenwerte ±¯h/2 von S1z . Jeder Eigenwert ist zweifach entartet. Im zugeh¨origen Eigenraum w¨ahlt man eine orthonormierte Basis: Dies k¨onnte z. B. {| + +, | + −} f¨ur +¯ h/2 und {| − +, | − −} f¨ur −¯h/2 sein. Man erh¨alt dann h ¯ P + = |+ + |ψ|2 + |+ − |ψ|2 2 = |α|2 + |β|2 ,
h ¯ P − = |− + |ψ|2 + |− − |ψ|2 2
(4.167)
= |γ|2 + |δ|2 . Bemerkung Weil man am Spin (2) keine Messung ausf¨uhrt, ist die Wahl der Basis in HS (2) beliebig. Zum h/2 die Vektoren Beispiel kann man als Basis des Eigenraums von S1z zum Eigenwert +¯ 1 |1 : + |2 : ± x = √ [| + + ± | + − ] 2
(4.168)
nehmen, und man erh¨alt auch dann
P
+
¯ h 2
=
1 1 |α + β|2 + |α − β|2 2 2
= |α|2 + |β|2 .
(4.169)
Der allgemeine Beweis daf¨ur, dass (bei einem entarteten Eigenwert) die Wahrscheinlichkeit von der Wahl der Basis im zugeh¨origen Eigenraum unabh¨angig ist, wurde in Abschnitt 3.2.3 gegeben.
Zweites Beispiel. Schließlich wollen wir die Komponente S2x messen. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, den Wert −¯ h/2 zu erhalten? Der zum Eigenwert −¯ h/2 von S2x geh¨orende Eigenraum ist zweidimensional. Man kann die Vektoren 1 |1 : +|2 : −x = √ [| + + − | + −], 2 1 |1 : −|2 : −x = √ [| − + − | − −] 2
(4.170)
4.8 Dichtematrix f¨ur einen Spin 1/2
403
•
als Basis w¨ahlen. Dann erh¨alt man 2 2 1 1 P = √ [+ + | − + − |]|ψ + √ [− + | − − − |]|ψ 2 2 1 1 = |α − β|2 + |γ − δ|2 . (4.171) 2 2 In diesem Ergebnis ist jeder Term der Summe von Quadraten“ selbst das Quadrat einer ” ” Summe“. Misst man tats¨achlich −¯ h/2, so ist der Zustand |ψ des Systems unmittelbar nach dieser Messung die (normierte) Projektion von |ψ auf den zugeh¨origen Eigenraum. Wir berechneten die Komponenten von |ψ in Bezug auf die Basisvektoren (4.170) dieses 1 1 Eigenraums: Sie sind gleich √ (α − β) und √ (γ − δ). Folglich ist 2 2 1 1 |ψ = (α − β)(| + + − | + −) 2 1 1 2 2 |α − β| + |γ − δ| 2 2 1 + (γ − δ)(| − + − | − −) . (4.172) 2 Bemerkung In diesem Abschnitt betrachteten wir die Komponenten von S 1 und S 2 in Richtung der Koordinatenachsen. F¨ur die Messungen der Komponenten S 1 ·u und S 2 ·v in zwei beliebigen Richtungen u ¨ und v sind aber die Uberlegungen dieselben.
4.8 Dichtematrix fur ¨ einen Spin 1/2 4.8.1 Einfuhrung ¨ Ziel dieses Abschnitts ist es, an dem einfachen Beispiel eines Systems mit dem Spin ¨ 1/2 die allgemeinen Uberlegungen aus Abschnitt 3.10 zu verdeutlichen. Wir werden uns mit den Dichtematrizen befassen, die f¨ur verschiedene F¨alle den Spin 1/2 beschreiben, und zwar einmal mit dem vollkommen polarisierten Spin (reiner Fall) und zum anderen mit dem unpolarisierten bzw. teilweise polarisierten Spin (statistisches Gemisch). Dabei werden wir unter anderem feststellen, dass die Entwicklung der Dichtematrix nach den Pauli-Matrizen als Funktion der Erwartungswerte der verschiedenen Spinkomponenten ausgedr¨uckt werden kann.
4.8.2 Dichtematrix bei vollst¨andiger Polarisation des Spins Wir betrachten ein System mit dem Spin 1/2, das aus einem Atompolarisator“ austritt, ” wie er etwa in Abschnitt 4.2 beschrieben wurde. Das System sei im Eigenzustand |+u
•
404
Erg¨anzungen zu Kapitel 4
(Eigenwert +¯ h/2) der Spinkomponente S · u (die Polarwinkel des Einheitsvektors u werden weiterhin mit θ und ϕ bezeichnet). Der Spinzustand ist dann vollst¨andig bekannt und der zugeh¨orige Zustandsvektor (s. Gl. (4.22) aus Abschnitt 4.1) lautet θ −iϕ/2 θ e |+ + sin eiϕ/2 |−. (4.173) 2 2 Eine derartige Situation definierten wir in Abschnitt 3.10 als einen reinen Fall. Wir werden im Weiteren sagen, dass der den Polarisator“ verlassende Strahl vollst¨andig polarisiert ” ¯h ist. Weiter erinnern wir daran, dass f¨ur jeden Spin der Erwartungswert S gleich u ist 2 (s. Gl. (4.38)). In der {|+, |−}-Basis kann die zum Zustand (4.173) geh¨orende Dichtematrix ρ(θ, ϕ) sofort angeschrieben werden: ⎛ ⎞ θ θ θ sin cos e−iϕ cos2 ⎜ ⎟ 2 2 2 ⎟. ρ(θ, ϕ) = ⎜ (4.174) ⎝ ⎠ θ iϕ θ θ 2 sin cos e sin 2 2 2 Sie ist im Allgemeinen nichtdiagonal. Die Besetzungen ρ++ und ρ−− haben eine sehr einfache physikalische Bedeutung: Ihre Differenz ist gleich cos θ = 2Sz /¯h (s. Gl. (4.38) in Abschnitt 4.2) und ihre Summe ganz sicher gleich eins. Die Besetzungen sind also mit der longitudinalen Polarisation Sz verbunden. Entsprechend gilt f¨ur die Betr¨age der 1 1 Koh¨arenzen ρ+− und ρ−+ , dass |ρ+− | = |ρ−+ | = sin θ = |S ⊥ | (worin S ⊥ 2 ¯h die Projektion von S auf die x, y-Ebene bedeutet). Das Argument von ρ−+ ist ϕ, d. h. der Winkel zwischen S ⊥ und der x-Achse. Die Koh¨arenzen h¨angen demnach mit der transversalen Polarisation S ⊥ zusammen. Schließlich l¨asst sich zeigen, dass ρ die Eigenschaft |ψ = cos
[ρ(θ, ϕ)]2 = ρ(θ, ϕ)
(4.175)
besitzt, die f¨ur einen reinen Zustand charakteristisch ist.
4.8.3 Beispiel fur ¨ ein statistisches Gemisch: Unpolarisierter Spin Wir interessieren uns jetzt f¨ur den Spin eines Silberatoms, das einen Ofen wie in Abb. 4.1 verl¨asst, ohne anschließend einen atomaren Polarisator zu durchqueren (dieser Spin wird also nicht in einen bestimmten Zustand pr¨apariert). Man besitzt daher u¨ ber ihn nur die folgende Information: Er kann grunds¨atzlich in jede beliebige Richtung weisen, und alle Richtungen sind gleichwahrscheinlich. Nach Abschnitt 3.10 geh¨ort hierzu ein statistisches Gemisch von Zust¨anden |+u mit gleichen Gewichten. Die entsprechende Dichtematrix ρ ist in diesem Fall durch Gl. (3.357) aus Abschnitt 3.10.4 definiert. Dabei muss die Summe durch eine Integration u¨ ber die verschiedenen Richtungen ersetzt werden. Wir erhalten π 2π 1 1 dϕ sin θ dθ ρ(θ, ϕ) (4.176) ρ= dΩ ρ(θ, ϕ) = 4π 4π 0 0
4.8 Dichtematrix f¨ur einen Spin 1/2
405
•
(der Faktor sorgt f¨ur die Normierung der Wahrscheinlichkeiten f¨ur die verschiedenen Richtungen). F¨uhrt man f¨ur die Elemente der Matrix ρ die Integrationen aus, so wird 1/2 0 ρ= . (4.177) 0 1/2 Man kann sofort zeigen, dass f¨ur diese Matrix ρ2 = ρ/2 gilt, dass also bei einem statistischen Gemisch ρ2 von ρ verschieden ist. Berechnet man andererseits mit Gl. (4.177) die Erwartungswerte der Spinkomponenten, so ergibt sich Si = Sp{ρSi } =
1 Sp{Si } = 0, 2
i = x, y, z.
(4.178)
Der Spin ist unpolarisiert: S¨amtliche Richtungen sind gleichgewichtig, der Mittelwert des Spins ist gleich null. Bemerkungen 1. An diesem Beispiel wird verst¨andlich, warum die Nichtdiagonalelemente von ρ bei der Summation u¨ ber die verschiedenen Zust¨ande des Gemischs verschwinden k¨onnen: Wie wir eben in Abschnitt 4.8.2 gesehen haben, sind die Elemente ρ+− und ρ−+ mit der transversalen Polarisation
S ⊥ des Spins verbunden. Summiert man die Vektoren S ⊥ u¨ ber alle (gleichwahrscheinlichen) Richtungen der x, y-Ebene, so ist das Resultat offensichtlich null. 2. Am Fall des unpolarisierten Spins wird auch klar, weshalb man ein statistisches Gemisch nicht durch einen mittleren Zustandsvektor“ beschreiben kann. Hierzu versuchen wir, zwei kom” plexe Zahlen α und β so zu finden, dass der Vektor |ψ = α|+ + β|−
(4.179)
|α|2 + |β|2 = 1
(4.180)
mit
einen Zustand mit unpolarisiertem Spin repr¨asentiert, f¨ur den die Erwartungswerte Sx , Sy und
Sz gleich null sind. Die Rechnung liefert dann
Sx =
¯ ∗ h ¯ h ¯ h (α β + αβ ∗ ), Sy = (α∗ β − αβ ∗ ), Sz = (α∗ α − β ∗ β). 2 2i 2
(4.181)
Damit Sx null wird, m¨ussen α und β so gew¨ahlt werden, dass α∗ β rein imagin¨ar ist, soll dagegen
Sy verschwinden, so m¨usste α∗ β reell sein. Also muss α∗ β = 0 sein. Dies bedeutet: Ist α = 0, so muss |β| = 1 und Sz = −¯ h/2 sein; h/2 sein. ist β = 0, so muss |α| = 1 und Sz = ¯
Sz kann demnach nicht zusammen mit Sx und Sy null werden. Folglich kann der Vektor (4.179) keinen Zustand mit unpolarisiertem Spin repr¨asentieren. ¨ Ubrigens zeigt die Diskussion in Abschnitt 4.2.1, dass man zwei beliebigen komplexen Zahlen α und β, die die Bedingung (4.180) erf¨ullen, stets zwei Winkel θ und ϕ zuordnen kann, die eine Richtung u so auszeichnen, dass |ψ ein Eigenvektor von S · u zum Eigenwert +¯ h/2 ist. In einem Zustand, der durch einen Vektor wie den in Gl. (4.179) repr¨asentiert wird, ist also der Spin immer in einer bestimmten Richtung vollst¨andig polarisiert.
•
406
Erg¨anzungen zu Kapitel 4
3. Die Dichtematrix (4.177) repr¨asentiert ein statistisches Gemisch der verschiedenen Zust¨ande |+ u , f¨ur die s¨amtliche Richtungen u gleichwahrscheinlich sind. Es gibt nun weitere Gemische, die zur selben Dichtematrix f¨uhren, z. B. ein Gemisch, in dem die Zust¨ande |+ und |− zu gleichen Teilen vertreten sind, oder ein Gemisch mit gleichen Anteilen von drei Zust¨anden |+ u , bei denen die Spitzen der drei Vektoren u ein gleichseitiges Dreieck mit dem Mittelpunkt im Ursprung bilden. Man kann demnach ein und dieselbe Dichtematrix auf verschiedene Weise erhalten. Weil aber s¨amtliche physikalischen Vorhersagen letztlich nur von der Dichtematrix abh¨angen, kann man physikalisch die verschiedenen Typen statistischer Gemische unm¨oglich unterscheiden, die jeweils zur selben Dichtematrix f¨uhren. Man muss sie als verschiedene Ausdr¨ucke derselben unvollst¨andigen Information betrachten, die man u¨ ber das System besitzt.
4.8.4 Thermodynamisches Gleichgewicht in einem statischen Feld Ein System mit dem Spin 1/2 befinde sich in einem statischen, in z-Richtung weisenden Magnetfeld B 0 . Aus Abschnitt 4.2.3 wissen wir, dass die station¨aren Spinzust¨ande dieses Systems die Vektoren |+ und |− mit den Eigenwerten +¯ hω0 /2 und −¯hω0 /2 sind (es ist ω0 = − γB0 und darin γ das gyromagnetische Verh¨altnis des Spins). Weiß man nur, dass sich das System bei der Temperatur T im thermodynamischen Gleichgewicht befindet, so kann man sagen, es gebe eine Wahrscheinlichkeit Z −1 e−¯hω0 /2kT daf¨ur, dass es sich im Zustand |+, und eine Wahrscheinlichkeit Z −1 e+¯hω0 /2kT daf¨ur, dass es sich im Zustand |− befindet. Der Faktor Z = e−¯hω0 /2kT + e+¯hω0 /2kT dient zur Normierung und heißt Zustandssumme. Wir haben hier ein weiteres Beispiel f¨ur ein statistisches Gemisch, jetzt mit der Dichtematrix ρ=Z
−1
e−¯hω0 /2kT 0
0
e+¯hω0 /2kT
.
(4.182)
Auch hier l¨asst sich zeigen, dass ρ2 = ρ ist. Das Verschwinden der Nichtdiagonalelemente r¨uhrt von der Tatsache her, dass alle (durch den Winkel ϕ gekennzeichneten) Richtungen senkrecht zu B 0 , d. h. senkrecht zur z-Achse, a¨ quivalent sind. Mit Gl. (4.182) berechnet man leicht Sx = Sp{ρSx } = 0, Sy = Sp{ρSy } = 0, ¯ h Sz = Sp{ρSz } = − tanh 2
¯ ω0 h 2kT
(4.183)
.
Der Spin wird also parallel zur Feldrichtung polarisiert, und zwar umso st¨arker, je gr¨oßer ω0 (also B 0 ) und je niedriger die Temperatur T ist. Wegen tanh x < 1 liegt diese Polarisation unter dem Wert ¯ h/2, wie er sich bei einer vollst¨andigen Polarisation des Spins in z-Richtung ergibt. Man kann sich so ausdr¨ucken, dass die Dichtematrix (4.182) einen partiell“ in z-Richtung polarisierten Spin beschreibt. ”
4.8 Dichtematrix f¨ur einen Spin 1/2
407
•
Bemerkung Die Magnetisierung Mz ist gleich γ Sz . Ber¨ucksichtigt man Gl. (4.183), so kann man die paramagnetische Suszeptibilit¨at χ des Spins berechnen. Sie ist durch die Beziehung
Mz = γ Sz = χ B0 definiert. Man erh¨alt hγB0 ¯ hγ ¯ tanh . χ= 2B0 2kT
(4.184)
(4.185)
4.8.5 Zerlegung nach Pauli-Matrizen In Abschnitt 4.4 hatten wir gesehen, dass im Raum der 2 × 2-Matrizen die Einheitsmatrix I und die Pauli-Matrizen σx , σy , σz eine Basis bilden. F¨ur die Zerlegung der Dichtematrix eines Systems mit dem Spin 1/2 schreiben wir daher ρ = a0 I + a · σ,
(4.186)
worin die Koeffizienten ai (s. Abschnitt 4.4, Gleichungen (4.108) und (4.109)) durch 1 1 1 ax = Sp{ρσx } = Sp{ρSx }, a0 = Sp ρ, 2 2 ¯h (4.187) 1 1 1 1 ay = Sp{ρσy } = Sp{ρSy }, az = Sp{ρσz } = Sp{ρSz } 2 h ¯ 2 ¯h gegeben sind. Wir haben somit 1 a0 = , 2 (4.188) 1 a = S, h ¯ so dass 1 1 ρ = I + S·σ (4.189) 2 h ¯ wird, ein in seiner Abh¨angigkeit vom Spinerwartungswert S sehr einfacher Ausdruck. Bemerkung Quadrieren wir den Ausdruck (4.189), so ergibt sich bei Ber¨ucksichtigung der Identit¨at (4.102 ) aus Abschnitt 4.4 1 1 1 (4.190) ρ2 = I + 2 S 2 I + S ·σ. 4 h ¯ h ¯ Die Bedingung ρ2 = ρ f¨ur den reinen Fall ist daher bei einem Spin 1/2 zu ¯2 h (4.191) 4 a¨ quivalent. Diese Beziehung ist offensichtlich weder f¨ur einen unpolarisierten Spin ( S w¨are dann null) noch f¨ur einen partiell polarisierten Spin im thermodynamischen Gleichgewicht (hier w¨are
S < ¯ h/2) erf¨ullt. Dagegen kann man mit Hilfe der Gl. (4.38) aus Abschnitt 4.2 zeigen, dass bei einem Spin im Zustand (4.173) S 2 gleich ¯ h2 /4 ist.
S 2 =
•
408
Erg¨anzungen zu Kapitel 4
4.9 Magnetische Resonanz Bisher zeigten wir, wie die Quantenmechanik die zeitliche Entwicklung eines Systems mit dem Spin 1/2 beschreibt, wenn es sich in einem statischen Magnetfeld befindet. Wir interessieren uns jetzt f¨ur den Fall, dass das System mehreren Feldern gleichzeitig unterliegt, wobei diese auch zeitabh¨angig sein k¨onnen. Eine derartige Situation finden wir bei Versuchen zur magnetischen Resonanz. Vor der quantenmechanischen Behandlung rekapitulieren wir in K¨urze die Ergebnisse aus der klassischen Mechanik.
4.9.1 Klassische Behandlung: Rotierendes Bezugssystem Bewegung im statischen Feld: Larmor-Pr¨azession Ein System mit dem Drehimpuls j besitze ein magnetisches Moment m = γ j (γ ist das gyromagnetische Verh¨altnis des Systems) und gelangt in ein statisches Magnetfeld B 0 . Dieses Feld u¨ bt auf das System eine Kopplung m × B 0 aus, so dass die klassische Bewegungsgleichung f¨ur j dj = m × B0 dt
(4.192)
oder auch d m(t) = γ m(t)×B 0 dt
(4.193)
lautet. Multipliziert man beide Seiten dieser Gleichung skalar mit m(t) bzw. mit B 0 , so erh¨alt man d [m(t)]2 = 0, dt
(4.194)
d [m(t)·B 0 ] = 0. dt
(4.195)
Das magnetische Moment m(t) bewegt sich also unter Erhaltung seines Betrages mit einem konstanten Winkel um die Richtung von B 0 . Um diese Larmor-Pr¨azession mit der Winkelgeschwindigkeit ω0 = − γB0 zu erkennen, gen¨ugt es daher, Gl. (4.193) auf die Ebene senkrecht zu B 0 zu projizieren (f¨ur positives γ erfolgt die Drehung entgegen dem Uhrzeiger).
Rotierendes Feld: Resonanz Zum statischen Feld B 0 komme jetzt ein senkrecht auf B 0 stehendes zeitabh¨angiges Feld B 1 (t) hinzu, dessen Betrag konstant ist und das sich mit der Winkelgeschwindigkeit ω um B 0 dreht (Abb. 4.18).
4.9 Magnetische Resonanz
409
•
Abb. 4.18 Das x, y, z-System ist fest und die z-Achse in Richtung des statischen Magnetfeldes B 0 . Das X, Y, Z-System, dessen X-Achse mit der Richtung von B 1 (t) zusammenf¨allt, dreht sich mit der Winkelgeschwindigkeit ω um die z-Achse.
Wir setzen ω0 = − γ B0 , ω1 = − γ B1 .
(4.196)
Mit den Einheitsvektoren ex , ey , ez f¨uhren wir ein festes Bezugssystem ein, dessen zRichtung durch B 0 bestimmt ist, und mit den Einheitsvektoren eX , eY , eZ ein um die z-Achse mit dem Winkel ωt gedrehtes System; seine X-Achse liegt in Richtung des rotierenden Feldes B 1 . Die Bewegungsgleichung f¨ur m(t) lautet jetzt d m(t) = γ m(t)×[B 0 + B 1 (t)]. (4.197) dt Zur L¨osung dieser Gleichung ist es zweckm¨aßig, sich ins X, Y, Z-System zu begeben, in dem die Relativgeschwindigkeit des Vektors m(t) durch dm dm − ω eZ ×m(t) = (4.198) dt rel dt gegeben ist. Wir schreiben Δω = ω − ω0 und setzen Gl. (4.197) in Gl. (4.198) ein. Wir erhalten dm = m(t)×[Δω eZ − ω1 eX ]. dt rel
(4.199)
(4.200)
•
410
Erg¨anzungen zu Kapitel 4
Diese Gleichung l¨asst sich leichter als Gl. (4.197) l¨osen, weil die auf der rechten Seite auftretenden Koeffizienten nicht von der Zeit abh¨angen; ferner hat sie eine zu Gl. (4.193) analoge Form: Die Relativbewegung des Vektors m(t) ist eine Drehung um das effektive Feld B eff =
1 [Δω eZ − ω1 eX ], γ
(4.201)
das im rotierenden Bezugssystem statisch ist (Abb. 4.19). F¨ugt man zu dieser Pr¨azession um B eff eine Drehung um die z-Achse mit der Winkelgeschwindigkeit ω hinzu, so erh¨alt man die absolute Bewegung von m(t).
Abb. 4.19 Im rotierenden X, Y, Z-System hat das effektive Feld B eff eine feste Richtung, um die sich das magnetische Moment m(t) mit einer konstanten Winkelgeschwindigkeit dreht (Pr¨azession im bewegten System).
Mit diesen Ergebnissen k¨onnen wir das Ph¨anomen der magnetischen Resonanz bereits grunds¨atzlich verstehen. Wir betrachten ein magnetisches Moment zum Zeitpunkt t = 0 parallel zum Feld B 0 (ein Beispiel ist ein magnetisches Moment im thermodynamischen Gleichgewicht bei sehr niedriger Temperatur: Es befindet sich im Zustand mit der niedrigsten Energie, die bei Anwesenheit des Feldes B 0 m¨oglich ist). Was bewirkt nun ein zus¨atzliches schwaches, rotierendes Feld B 1 (t)? Ist die Drehfrequenz ω dieses Feldes von der Eigenfrequenz ω0 sehr verschieden (ist also Δω = ω − ω0 gegen¨uber ω1 sehr groß), so f¨allt das effektive Feld praktisch in die z-Richtung; die Pr¨azession von m(t) besitzt dann eine sehr geringe Amplitude und a¨ ndert die Richtung des magnetischen Moments nur wenig. Ist dagegen die Resonanzbedingung ω ≈ ω0 realisiert (Δω ω1 ), so beschreibt das Feld B eff um die z-Achse einen großen Winkel; die Pr¨azession des magnetischen Moments besitzt eine große Amplitude, und f¨ur den Resonanzfall (Δω = 0) kann das magnetische Moment selbst vollst¨andig umklappen.
4.9 Magnetische Resonanz
411
•
4.9.2 Quantenmechanische Behandlung Schr¨odinger-Gleichung Sind |+ und |− die beiden Eigenvektoren der Spinkomponente Sz zu den Eigenwerten +¯ h/2 und −¯ h/2, so kann man den Zustandsvektor des Systems in der Form |ψ(t) = a+ (t) |+ + a− (t) |−
(4.202)
schreiben. Der Hamilton-Operator des Systems lautet H(t) = − M · B(t) = − γ S·[B 0 + B 1 (t)]
(4.203)
oder nach Ausschreiben des Skalarprodukts13 H(t) = ω0 Sz + ω1 [Sx cos ωt + Sy sin ωt].
(4.204)
Mit den Ausdr¨ucken (4.16) und (4.17) aus Abschnitt 4.1 erh¨alt man die Darstellungsmatrix von H in der {|+, |−}-Basis: h ¯ ω1 e−iωt ω0 . (4.205) (H) = ω1 eiωt −ω0 2 Hiermit und mit Gl. (4.202) ergibt sich die Schr¨odinger-Gleichung in der Form d ω0 ω1 −iωt a+ (t) = a+ (t) + e a− (t), dt 2 2 d ω1 iωt ω0 i a− (t) = e a+ (t) − a− (t). dt 2 2 i
(4.206)
¨ Ubergang zum rotierenden Bezugssystem Das Gleichungssystem (4.206) ist ein gekoppeltes lineares und homogenes Differentialgleichungssystem mit zeitabh¨angigen Koeffizienten. Man f¨uhrt zweckm¨aßig durch b+ (t) = eiωt/2 a+ (t),
(4.207)
b− (t) = e−iωt/2 a− (t)
(4.208)
zwei neue Funktionen ein. Sie f¨uhren n¨amlich zu einem Gleichungssystem mit konstanten Koeffizienten: d Δω ω1 i b+ (t) = − b+ (t) + b− (t), dt 2 2 (4.209) d ω1 Δω b+ (t) + b− (t). i b− (t) = dt 2 2 13 Im Ausdruck (4.203) ist M · B(t) = M B (t) + M B (t) + M B (t). Darin sind M , M und M x x y y z z x y z Operatoren (die Observablen des Systems), Bx (t), By (t) und Bz (t) dagegen Zahlen, weil wir das Magnetfeld als eine klassische Gr¨oße behandeln, dessen a¨ ußere Quelle vom untersuchten System unabh¨angig ist.
•
412
Erg¨anzungen zu Kapitel 4
Wenn man den Ketvektor ˜ |ψ(t) = b+ (t)|+ + b− (t)|− und den Hamilton-Operator h −Δω ω1 ˜ =¯ H w1 Δω 2
(4.210)
(4.211)
einf¨uhrt, lautet dieses System i¯ h
d ˜ ˜ ˜ ψ(t). |ψ(t) = H| dt
(4.212)
˜ die WechselIn dieser Gleichung beschreibt der zeitunabh¨angige Hamilton-Operator H wirkung des Spins mit dem festen effektiven Feld, das oben im X, Y, Z-Bezugssystem eingef¨uhrt wurde (s. Gl. (4.211)). Man kann daher die Transformation (4.207) und (4.208) ¨ ¨ als das quantenmechanische Aquivalent zum Ubergang vom ruhenden x, y, z-System zum rotierenden XY Z-System ansehen. Dies kann man in Strenge beweisen. Nach Gl. (4.207) und Gl. (4.208) kann man n¨amlich mit Einf¨uhrung des Operators R(t) = eiωtSz /¯h
(4.213)
˜ |ψ(t) = R(t)|ψ(t)
(4.214)
f¨ur
schreiben. Wir werden in Abschnitt 6.6 sehen, dass R(t) eine Drehung des Bezugssystems um die z-Achse mit dem Winkel ωt beschreibt. Damit ist Gl. (4.212) nichts anderes als die Schr¨odinger-Gleichung im rotierenden X, Y, Z-System. ˜ Ihre L¨osung gestaltet sich nun sehr einfach. Zur Bestimmung von |ψ(t) entwickelt ˜ ˜ man den gegebenen Anfangszustand |ψ(0) nach den Eigenvektoren von H (sie sind exakt ˜ ist nicht berechenbar). Danach wendet man die Regel (3.163) aus Abschnitt 3.4.2 an (H explizit zeitabh¨angig). Zum Ket |ψ(t) gelangt man schließlich u¨ ber die Beziehungen (4.207) und (4.208).
¨ Ubergangswahrscheinlichkeit Zur Zeit t = 0 sei das System im Zustand |ψ(0) = |+.
(4.215)
Nach Gl. (4.207) und Gl. (4.208) entspricht dies ˜ |ψ(0) = |+.
(4.216)
Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit P+− (t), es zur Zeit t im Zustand |− zu finden? Da a− (t) und b− (t) denselben Betrag haben, kann man schreiben 2 ˜ P+− (t) = |−|ψ(t)|2 = |a− (t)|2 = |b− (t)|2 = |−|ψ(t)| .
(4.217)
4.9 Magnetische Resonanz
413
•
˜ Darin ist |ψ(t) die L¨osung der Schr¨odinger-Gleichung (4.212) mit der Anfangsbedingung (4.216). Dieses Problem wurde bereits in Abschnitt 4.3.3 behandelt. Um die Rechnungen u¨ bernehmen zu k¨onnen, setzen wir |ϕ1 −→ |+, h ¯ E1 −→ − Δω, 2
|ϕ2 −→ |−, E2 −→
¯ h Δω, 2
W12 −→
¯ h ω1 . 2
(4.218)
Dann wird Gl. (4.85) aus Abschnitt 4.3.3 P+− (t) =
ω12 sin2 2 ω1 + (Δω)2
t ω12 + (Δω)2 . 2
(4.219)
¨ Die Ubergangswahrscheinlichkeit P+− (t) ist nat¨urlich f¨ur t = 0 gleich null und a¨ ndert ω12 sich mit der Zeit sinusf¨ormig zwischen dem Wert 0 und 2 . Auch diesmal tritt ω1 + (Δω)2 das Resonanzph¨anomen auf. W¨ahrend f¨ur |Δω| |ω1 | die Wahrscheinlichkeit praktisch konstant gleich null bleibt (Abb. 4.20a), wird die Amplitude von P+− (t) in der N¨ahe der Resonanz groß. Falls schließlich die Bedingung Δω = 0 exakt erf¨ullt ist, ist P+− (t) = 1 f¨ur die Zeitpunkte t = (2n + 1)π/ω1 (Abb. 4.20b).
¨ Abb. 4.20 Zeitliche Abh¨angigkeit der Wahrscheinlichkeit f¨ur den Ubergang zwischen den Zust¨anden |+ und |− unter dem Einfluss eines rotierenden Magnetfeldes B 1 (t). a) Fern vom Resonanzfall ist diese Wahrscheinlichkeit gering; b) bei Resonanz gibt es Zeitpunkte, f¨ur die sie bei noch so kleinem Feld B 1 den Wert eins besitzt.
Das Ergebnis ist also das gleiche wie bei der klassischen Behandlung: Im Resonanzfall ist auch ein sehr schwaches rotierendes Feld in der Lage, die Spinrichtung umzukehren. Wir stellen u¨ brigens fest, dass die Frequenz, mit der sich P+− (t) a¨ ndert, gleich
ω12 + (Δω)2 = |γ B eff | ist. Diese Schwingung geh¨ort zur Z-Komponente der Pr¨azession des magnetischen Moments um das effektive Feld.
•
414
Erg¨anzungen zu Kapitel 4
Zwei instabile Niveaus Wir wollen jetzt annehmen, dass die beiden Zust¨ande |+ und |− zu zwei Unterniveaus eines angeregten Atomniveaus (mit dem Drehimpuls 1/2) geh¨oren. In der Zeiteinheit werden n Atome angeregt, indem man sie in den Zustand |+ bringt. Die Wahrscheinlichkeit durch Zeit, mit der ein angeregtes Atom durch spontane Emission in den Grundzustand zur¨uckkehrt, ist 1/τ und f¨ur beide Unterniveaus |± gleich. Unter diesen Bedingungen weiß man, dass ein zur Zeit −t angeregtes Atom sich zum Zeitpunkt t = 0 noch mit einer Wahrscheinlichkeit e−t/τ (τ ist die Lebensdauer des Niveaus) im angeregten Zustand befindet (s. Abschnitt 3.15).14 Der Versuch soll station¨ar verlaufen, bei Gegenwart der Felder B 0 und B 1 (t) sollen konstant in der Zeiteinheit n Atome in den Zustand |+ angeregt werden. Wie groß ist dann nach einer im Vergleich zur Lebensdauer τ sehr langen Zeit die Anzahl N der Atome, die in der Zeiteinheit aus dem Zustand |− in den Grundzustand fallen? Wird ein Atom zum Zeitpunkt −t angeregt, so ist die Wahrscheinlichkeit, es zur Zeit t = 0 im Zustand |− zu finden, gleich e−t/τ P+− (t), wobei P+− (t) durch Gl. (4.219) gegeben ist. Die Gesamtzahl der Atome im Zustand |− erh¨alt man durch Summation u¨ ber alle zu fr¨uheren Zeiten −t angeregten Atome; das ist aber das Integral ∞ e−t/τ P+− (t) n dt. (4.220) 0
Seine Berechnung bietet keine Schwierigkeit. Multipliziert man die so erhaltene Zahl mit der Zerfallswahrscheinlichkeit durch Zeit 1/τ , so ergibt sich N=
n ω12 . 2 2 (Δω) + ω12 + (1/τ )2
(4.221)
Die Abh¨angigkeit der Zahl N von Δω entspricht einer Lorentz-Kurve mit der Halbwertsbreite (4.222) L = ω12 + (1/τ )2 . Bei unserem Versuch messen wir f¨ur verschiedene Werte des Magnetfeldes B0 (bei festem ω also f¨ur verschiedene Δω) die Zahl der Atome, die aus dem Zustand |− zerfallen. Man muss dann eine Resonanzkurve wie in Abb. 4.21 erhalten. Aus der Messung einer solchen Kurve ergeben sich mehrere Parameter: – Aus dem Wert B0m des Feldes B0 an der Stelle des Kurvenmaximums erh¨alt man bei bekanntem ω den Wert des gyromagnetischen Verh¨altnisses u¨ ber die Beziehung γ = −ω/B0m . – Ist umgekehrt γ bekannt, so kann man aus der Resonanzfrequenz ω/2π das magnetische Feld B0 ermitteln. Auf diesem Prinzip basieren verschiedene Magnetometer hoher 14 Man kann diese Anregung z. B. realisieren, indem man auf die Atome einen Lichtstrahl schickt: Sind die einfallenden Atome polarisiert, so verlangt die Impulserhaltung in bestimmten F¨allen, dass die absorbierenden Atome nur den Zustand |+ (und nicht |−) erreichen. Durch Untersuchung der Polarisation der reemittierten Photonen weiß man entsprechend, ob die Atome vor dem R¨uckgang in den Grundzustand im Zustand |+ oder im Zustand |− waren.
4.9 Magnetische Resonanz
415
•
Abb. 4.21 Resonanzkurve. Zum Nachweis des Resonanzph¨anomens werden bei einem Versuch in der Zeiteinheit n Atome in den angeregten Zustand |+ gebracht. Unter dem Einfluss eines mit der Frequenz ω/2π rotierenden Magnetfeldes B 1 (t) gehen die Atome in den Zustand |− u¨ ber. Misst man im station¨aren Fall die Anzahl N der Atome, die in der Zeiteinheit von |− in den Grundzustand fallen, so ergibt sich beim Variieren des statischen Feldes B0 um die Stelle −ω/γ ein resonanzf¨ormiger Verlauf.
Genauigkeit. In bestimmten F¨allen liefern Messungen dieser Art weitere Aufschl¨usse: Handelt es sich z. B. um den Spin eines Atomkerns, der sich in einem Molek¨ul oder in einem Kristallgitter befindet, so kann man das vom Kern gesehene lokale Feld und seine ¨ Anderungen bei einem Platzwechsel dieses Kerns usw. erfahren. – Tr¨agt man das Quadrat der Halbwertsbreite L u¨ ber ω12 auf, so erh¨alt man eine Gerade, die bei Extrapolation nach ω1 = 0 die Lebensdauer τ des angeregten Niveaus liefert (Abb. 4.22).
Abb. 4.22 Extrapoliert man die Bildkurve f¨ur das Quadrat der Halbwertsbreite L der Resonanzkurve aus Abb. 4.21 in Abh¨angigkeit von ω12 bis zu ω12 = 0, so ergibt sich die Lebensdauer des untersuchten Niveaus.
Zusammenhang zwischen klassischer und quantenmechanischer Behandlung Die Ergebnisse aus Abschnitt 4.9.1 und Abschnitt 4.9.2 erweisen sich als sehr a¨ hnlich, obwohl wir sie einmal auf klassischem und einmal auf quantenmechanischem Wege erhalten haben. Wir wollen jetzt zeigen, dass dies nicht zuf¨allig so ist: Die quantenmechanischen
•
416
Erg¨anzungen zu Kapitel 4
Bewegungsgleichungen f¨ur den Erwartungswert des magnetischen Moments in einem beliebigen Magnetfeld sind identisch mit den zugeh¨origen klassischen Gleichungen. Der Erwartungswert des zum Spin 1/2 geh¨orenden magnetischen Moments ist M (t) = γ S(t).
(4.223)
Zur Berechnung der Zeitabh¨angigkeit von M (t) verwenden wir die Gl. (3.135) aus Abschnitt 3.4.1: d (4.224) i¯ h M (t) = [M , H(t)], dt worin H(t) der Hamilton-Operator H(t) = − M · B(t)
(4.225)
ist. Wir berechnen z. B. den Kommutator [Mx , H(t)], wobei wir ber¨ucksichtigen, dass die Feldkomponenten By (t) und Bz (t) Zahlen und keine Operatoren sind. Es wird [Mx , H(t)] = − γ 2 [Sx , Sx Bx (t) + Sy By (t)Sz Bz (t)] = − γ 2 By (t)[Sx , Sy ] − γ 2 Bz (t)[Sx , Sz ].
(4.226)
Mit den Beziehungen (4.99) aus Abschnitt 4.4.2 wird daraus [Mx , H(t)] = i¯ hγ 2 [Bz (t)Sy − By (t)Sz ].
(4.227)
Setzen wir dies in Gl. (4.224) ein, so erhalten wir d Mx (t) = γ[Bz (t)My (t) − By (t)Mz (t)]. (4.228) dt Zyklische Vertauschung liefert die Ausdr¨ucke f¨ur die y- und die z-Komponente und somit die Vektorgleichung d M (t) = γM (t)×B(t). (4.229) dt Wir vergleichen diese Gleichung mit Gl. (4.197): Der Erwartungswert gen¨ugt f¨ur ein beliebiges zeitabh¨angiges Magnetfeld der klassischen Bewegungsgleichung.
4.9.3 Bloch-Gleichungen In der Praxis beobachtet man bei einer Resonanzmessung nicht das magnetische Moment eines einzelnen Spins, sondern einer großen Zahl identischer Spins (wie bei dem ¨ eben beschriebenen Experiment). Man interessiert sich auch nicht nur f¨ur die Ubergangswahrscheinlichkeit P+− (t), sondern ebenso f¨ur das Gesamtmoment M der untersuchten Probe, also f¨ur die Summe der Erwartungswerte der zu den einzelnen Spins geh¨orenden Observablen M .15 Dazu ben¨otigt man die Bewegungsgleichung f¨ur M. An einem einfachen und konkreten Fall wollen wir die physikalische Bedeutung der in dieser Gleichung auftretenden Terme verstehen lernen. Die Ergebnisse lassen sich dann f¨ur verwickeltere Situationen verallgemeinern. 15 Man
misst z. B. die Spannung, die in einer Spule durch das zeitlich ver¨anderliche M induziert wird.
4.9 Magnetische Resonanz
417
•
Ein Beispiel Ein Atomstrahl tritt aus einem Polarisator, wie wir ihn in Abschnitt 4.2.1 beschrieben haben. S¨amtliche Atome dieses Strahls16 seien im Spinzustand |+, haben ihr magnetisches ¨ Moment also parallel zur z-Achse. Durch eine kleine Offnung dringen sie in eine Zelle C ein (Abb. 4.23), prallen mehrere Male auf deren innere Wandung und verlassen die Zelle ¨ schließlich wieder durch dieselbe Offnung.
Abb. 4.23 Skizze der Anordnung, durch die man die Zelle C mit Atomen im Zustand |+ beschicken kann.
Mit n bezeichnen wir die Anzahl der polarisierten Atome, die in der Zeiteinheit in die Zelle gelangen. Im Allgemeinen ist diese Zahl so klein und die Dichte der Atome in der Zelle so gering, dass Wechselwirkungen zwischen den Atomen vernachl¨assigt werden k¨onnen. Weiter stellt man bei geeigneter Beschichtung der Zelleninnenwand fest, dass der Spinzustand der Atome bei ihrem Stoß auf die Wandung nur sehr wenig beeinflusst wird.17 Wir wollen eine Wahrscheinlichkeit durch Zeit 1/TR daf¨ur zulassen, dass die in die Zelle durch ein polarisiertes Atom eingebrachte elementare Magnetisierung wieder verschwindet (dies kann bei einem Stoß auf die Wand geschehen oder einfach dadurch, dass das Atom die Zelle wieder verl¨asst). TR nennt man die Relaxationszeit. Die Zelle selbst befindet sich in einem Magnetfeld B(t), das sich aus einem statischen und einem rotierenden Anteil zusammensetzen kann. Die Aufgabe besteht darin, f¨ur das Gesamtmoment M(t) der Atome, die sich zur Zeit t in der Zelle befinden, die Bewegungsgleichung aufzustellen. Der genaue Ausdruck f¨ur M(t) lautet M(t) =
N N ψ (i) (t)|M |ψ (i) (t) = M(i) (t). i=1
(4.230)
i=1
Die Summe erstreckt sich u¨ ber die N Atome, die bereits in die Zelle gelangten, diese zur Zeit t noch nicht verlassen und auch ihre Polarisation noch nicht ge¨andert haben. Der Spinzustand des i-ten Atoms zur Zeit t ist |ψ (i) (t) (wir ber¨ucksichtigen nicht die in der 16 Das sind z. B. Silber- oder Wasserstoffatome im Grundzustand. Der Einfachheit halber vernachl¨ assigen wir alle Effekte, die mit dem Spin des Atomkerns zusammenh¨angen. 17 Treffen z. B. Wasserstoffatome auf eine Teflonwand, so a ¨ ndert das magnetische Moment des Wasserstoffatoms erst nach etwa zehn Millionen St¨oßen seine Richtung.
•
418
Erg¨anzungen zu Kapitel 4
Zelle befindlichen Atome, die durch einen Stoß mit der Wand depolarisiert wurden, denn deren Spinrichtung ist zufallsverteilt und gibt zur Summe keinen Beitrag). Zwischen t und t + dt a¨ ndert sich M(t) aus drei Gr¨unden: 1. Der Anteil dt/TR der N Spins wird depolarisiert oder verl¨asst die Zelle. Sie verschwinden aus der Summe (4.230) und verringern daher M(t) um dM(t) = −
dt M(t). TR
(4.231)
2. Die anderen Spins bewegen sich frei im Magnetfeld B(t). Der Erwartungswert f¨ur das magnetische Moment des i-ten Spins ist nach Abschnitt 4.8.3 M(i) (t) = ψ (i) (t)|M |ψ (i) (t) und gen¨ugt der klassischen Bewegungsgleichung dM(i) (t) = γ M(i) (t)×B(t) dt.
(4.232)
Hierin ist die rechte Seite in M(i) (t) linear, so dass der Anteil dieser Spins zu M(t) dM(t) = γ M(t)×B(t)dt
(4.233)
ist. 3. Schließlich gelangen ndt neue Spins in die Zelle. Jeder Spin liefert zur Gesamtmagnetisierung einen Anteil m0 , der gleich dem Erwartungswert von M im Zustand |+ ist (m0 ist parallel zur z-Achse und hat den Betrag |m0 | = |γ|¯h/2). M(t) vergr¨oßert sich somit um dM(t) = nm0 dt.
(4.234)
¨ Addiert man die Gleichungen (4.231), (4.233) und (4.234), so erh¨alt man die Anderung von M(t), die sich insgesamt ergibt, und hieraus die Bloch-Gleichung d 1 M(t) = n m0 − M(t) + γ M(t)×B(t). (4.235) dt TR Aufgestellt wurde sie zun¨achst nur f¨ur ein spezielles Beispiel und bestimmte Annahmen. Sie beh¨alt jedoch ihre Grundz¨uge bei vielen anderen Experimenten, falls sich die ¨ Anderungsgeschwindigkeit von M(t) als eine Summe aus den drei folgenden Termen darstellt: – einem Quellterm (in unserem Beispiel ist dies n m0 ), der die Pr¨aparation des Systems beschreibt. Ohne eine vorherige Polarisation der Spins k¨onnte man die magnetische Resonanz nicht beobachten. Die Pr¨aparation kann dabei durch den Gradienten eines Magnetfeldes, durch optische Anregung, durch das Einfrieren der Probe in einem starken statischen Magnetfeld usw. geschehen; 1 M(t) , der das Abnehmen oder – einem D¨ampfungsterm bei uns ist dies − TR auch die Relaxation der Gesamtmagnetisierung aufgrund verschiedener Prozesse ber¨uck¨ sichtigt. Dies k¨onnen St¨oße oder das Verschwinden von Atomen, aber auch Anderungen des Niveaus durch spontane Emission und anderes sein; – einem Term, der auf die Pr¨azession von M(t) im Feld B(t) zur¨uckgeht (in unserer Gleichung ist dies der dritte Summand).
4.9 Magnetische Resonanz
419
•
Rotierendes Feld Setzt sich das Magnetfeld B(t) aus einem statischen Feld B 0 und einem rotierenden Feld B 1 (t) zusammen, wie wir es weiter oben bereits behandelt haben, so kann man Gl. (4.235) exakt l¨osen. Dabei geht man wieder zu dem rotierenden X, Y, Z-System u¨ ber, ¨ in dem die Anderungsgeschwindigkeit von M(t) durch d 1 = nm0 − M + γ M × B eff (4.236) M dt T R rel gegeben ist. Ihre station¨are L¨osung (die also f¨ur Zeiten sehr viel gr¨oßer als TR g¨ultig ist) lautet ω1 Δω , (MX )S = −n |m0 |TR (Δω)2 + ω12 + (1/TR )2 ω1 , (4.237) (MY )S = −n |m0 | (Δω)2 + ω12 + (1/TR )2 ω12 (MZ )S = n |m0 | TR 1 − . (Δω)2 + ω12 + (1/TR )2 Variiert man den Betrag B0 des statischen Feldes, so zeigt (M)S f¨ur B0 = −ω/γ Resonanzverhalten (Abb. 4.24): (MY )S und (MZ )S liefern Absorptionskurven (Lorentz-
Abb. 4.24 Die Komponenten von M S als Funktion von Δω = ω − ω0 im rotierenden Bezugssystem. F¨ur (MX )S erh¨alt man eine Dispersionskurve, f¨ur (MY )S und (MZ )S Absorptionskurven. Alle drei Kurven haben dieselbe Breite 2 ω12 + (1/TR )2 /|γ|, die sich mit ω1 vergr¨oßert. Sie sind hier f¨ur den Fall der Halbs¨attigung“ (ω1 = 1/TR ) gezeichnet. ”
•
420
Kurven mit der Breite 2 selben Breite).
Erg¨anzungen zu Kapitel 4
ω12 + (1/TR )2 /|γ|) und (MX )S eine Dispersionskurve (der-
4.10 Modell des Ammoniakmolekuls ¨ 4.10.1 Beschreibung des Modells Beim Ammoniakmolek¨ul NH3 bilden die drei Wasserstoffatome die Basis einer Pyramide mit dem Stickstoffatom als Spitze (Abb. 4.25). Wir wollen dieses Molek¨ul in einem vereinfachten Modell behandeln: Weil das Stickstoffatom sehr viel schwerer als seine Partner ist, wollen wir es als ruhend annehmen; die Wasserstoffatome sollen ein gleichseitiges Dreieck mit unver¨anderlicher Seitenl¨ange bilden, dessen Normale stets durch das Stickstoffatom geht. Die potentielle Energie V des Systems h¨angt dann nur von einem einzigen Parameter ab, dem (algebraischen) Abstand x des Stickstoffatoms von der durch die Wasserstoffatome gebildeten Ebene.18
Abb. 4.25 Modell des Ammoniakmolek¨uls; x ist der algebraische Abstand zwischen der von den Wasserstoffatomen aufgespannten Ebene und dem als unbeweglich angenommenen Stickstoffatom.
Der Verlauf von V (x) wird durch die ausgezogene Kurve in Abb. 4.26 wiedergegeben. Wegen der Symmetrie des Modells in Bezug auf die Ebene x = 0 muss V (x) eine gerade Funktion von x sein. Die beiden Minima von V (x) entsprechen zwei symmetrischen Konfigurationen des Molek¨uls, in denen es (klassisch) stabil ist; den Energieursprung w¨ahlen wir so, dass die Energie dort gleich null ist. Die bei x = 0 befindliche Potentialbarriere mit der H¨ohe V1 beschreibt den Umstand, dass das Stickstoffatom die Wasserstoffatome abst¨oßt, wenn es sich in ihrer Ebene befindet. Schließlich entspricht das Anwachsen von V (x) f¨ur |x| > b der chemischen Bindung, die f¨ur den Zusammenhalt des Molek¨uls sorgt. Mit diesem Modell gelangen wir also zu einem eindimensionalen Problem f¨ur ein Teilchen mit der fiktiven Masse m in einem Potential V (x) (man kann zeigen, dass die 18 Mit diesem eindimensionalen Modell kann man offensichtlich die Rotation des Molek¨ uls nicht ber¨ucksichtigen.
4.10 Modell des Ammoniakmolek¨uls
421
•
3mH mN ist). Welche Energieniveaus werden 3mH + mN unter diesen Voraussetzungen von der Quantenmechanik vorausgesagt? Im Vergleich zur klassischen Mechanik k¨onnen sich zwei grunds¨atzliche Unterschiede ergeben:
reduzierte Masse des Systems gleich
1. Die Heisenbergsche Unsch¨arferelation verbietet dem Molek¨ul eine Energie gleich dem Minimum Vmin des Potentials V (x). Wir haben bereits in Abschnitt 1.7 und Abschnitt 3.17 gesehen, warum diese Energie gr¨oßer als Vmin = 0 sein muss. 2. Klassisch ist die Potentialbarriere bei x = 0 f¨ur ein Teilchen mit einer Energie kleiner als V1 undurchdringlich: Das Stickstoffatom bleibt stets auf derselben Seite der von den Wasserstoffatomen gebildeten Ebene. Quantenmechanisch kann das Teilchen auch bei noch so geringer Energie durch diese Barriere tunneln (s. Abschnitt 1.4.2): Eine Inversion des Molek¨uls ist immer m¨oglich. Die Konsequenzen dieses Effekts sollen uns im Folgenden besch¨aftigen. Wir sind hier nur an einer qualitativen Diskussion der physikalischen Ph¨anomene interessiert, weil eine quantitative Rechnung bei diesem N¨aherungsmodell keine gr¨oßere Bedeutung h¨atte. So zeigen wir nur die Existenz einer Inversionsfrequenz f¨ur das Ammoniakmolek¨ul, ohne weder den exakten noch einen N¨aherungswert f¨ur sie anzugeben. Weiter wollen wir das Problem zus¨atzlich vereinfachen, indem wir das Potential V (x) durch ein Rechteckpotential ersetzen, wie es in Abb. 4.26 durch die gestrichelte Kurve gegeben ist (zwei unendlich hohe Potentialstufen bei x = ±(b + a/2) sowie eine um x = 0 zentrierte Potentialbarriere mit der H¨ohe V0 und der Breite (2b − a)).
Abb. 4.26 Verlauf der potentiellen Energie V (x) des Molek¨uls. V (x) besitzt zwei Minima (die klassischen Gleichgewichtslagen), die f¨ur kleine |x| durch eine Barriere getrennt werden, die der Abstoßung des Stickstoffatoms von den drei Wasserstoffatomen entspricht. Die gestrichelte Kurve beschreibt ein Rechteckpotential, das als N¨aherung f¨ur V (x) verwendet wird.
•
422
Erg¨anzungen zu Kapitel 4
4.10.2 Eigenfunktionen und Eigenwerte des Hamilton-Operators Unendlich hohe Potentialbarriere Bevor wir die Eigenfunktionen und Eigenwerte des Hamilton-Operators f¨ur das Rechteckpotential aus Abb. 4.26 berechnen, wollen wir in einem ersten Schritt annehmen, dass die Barriere unendlich hoch ist (in diesem Fall gibt es keinen Tunneleffekt). Wir k¨onnen dann die Konsequenzen besser verstehen, die sich aus dem Tunneleffekt an der Barriere in Abb. 4.26 ergeben. Das Teilchen sei also zun¨achst einem Potential V˜ (x) unterworfen, das aus zwei um x = ± b zentrierten und unendlich tiefen T¨opfen mit der Breite a besteht (Abb. 4.27). Befindet sich das Teilchen in einem dieser T¨opfe, so kann es offensichtlich nicht in den anderen gelangen.
Abb. 4.27 Ist die H¨ohe V0 der Potentialbarriere in Abb. 4.26 groß, so steht sie zwei praktisch unendlich tiefen Potentialt¨opfen der Breite a gegen¨uber, deren Mittelpunkte um 2b voneinander entfernt sind.
Beide T¨opfe gleichen dem in Abschnitt 1.12.2 behandelten. Wir k¨onnen die Resultate u¨ bernehmen und erhalten f¨ur die m¨oglichen Energien En =
¯ 2 kn2 h 2m
(4.238)
kn =
nπ a
(4.239)
mit
(n ist eine positive ganze Zahl). Jeder Eigenwert ist zweifach entartet, denn zu ihm geh¨oren die beiden Wellenfunktionen ⎧ %
& ⎪ a 2 a a ⎪ ⎨ sin kn b + − x , wenn b − ≤ x ≤ b + , n a 2 2 2 ϕ1 (x) = ⎪ ⎪ ⎩ 0 sonst; (4.240)
4.10 Modell des Ammoniakmolek¨uls
423
•
⎧ %
& ⎪ a a a 2 ⎪ ⎨ sin kn b + + x , wenn b − ≤ −x ≤ b + , n a 2 2 2 ϕ2 (x) = ⎪ ⎪ ⎩ 0 sonst. Im Zustand |ϕn1 befindet sich das Teilchen im rechten, im Zustand |ϕn2 im linken Topf. In Abb. 4.28 sind die beiden ersten zweifach entarteten Energieniveaus des Molek¨uls ¨ aufgetragen. Wenn sein Zustand eine Uberlagerung von |ϕ11 und |ϕ21 (bzw. von |ϕ12 und 2 |ϕ2 ) ist, so entspricht die Bohr-Frequenz (E2 −E1 )/h (s. Abschnitt 3.6.2) der Bewegung des Teilchens zwischen den W¨anden des rechten (bzw. des linken) Topfes. Physikalisch repr¨asentiert eine derartige Schwingung eine molekulare Vibration der Ebene der drei Wasserstoffatome um die stabile Gleichgewichtslage x = +b (bzw. x = −b). Die Frequenz liegt im Infrarotbereich.
Abb. 4.28 Die beiden ersten Energieniveaus f¨ur die Potentialt¨opfe aus Abb. 4.27. Die Oszillation des Systems in einem der beiden T¨opfe mit der Bohr-Frequenz ν = (E2 − E1 )/h entspricht der Molek¨ulvibration um eine der beiden klassischen Gleichgewichtslagen.
F¨ur die folgende Rechnung ist in beiden Eigenr¨aumen des Hamilton-Operators ein Basiswechsel zweckm¨aßig. Da die Funktion V (x) gerade ist, vertauscht der HamiltonOperator H mit dem Parit¨atsoperator Π (s. Abschnitt 2.12.4). Darum kann man eine Basis aus Eigenfunktionen von H finden, die entweder gerade oder ungerade sind. Die zu diesen Vektoren geh¨orenden Wellenfunktionen sind die symmetrischen oder antisymmetrischen Linearkombinationen 1 ϕns (x) = √ [ϕn1 (x) + ϕn2 (x)], 2 (4.241) 1 n n n ϕa (x) = √ [ϕ1 (x) − ϕ2 (x)]. 2 In diesen Zust¨anden |ϕns und |ϕna kann man das Teilchen in einem Topf finden. Im Folgenden befassen wir uns nur mit dem Niveau des Grundzustands, f¨ur den die Wellenfunktionen ϕ11 (x), ϕ12 (x), ϕ1s (x) und ϕ1a (x) in Abb. 4.29 grafisch angegeben sind.
•
424
Erg¨anzungen zu Kapitel 4
Abb. 4.29 a) ϕ11 (x) und ϕ12 (x) sind station¨are Zust¨ande derselben Energie und im rechten bzw. linken Topf lokalisiert (Abb. 4.27). b) Es ist zweckm¨aßig, als station¨are Zust¨ande den symmetrischen ϕ1s (x) und den antisymmetrischen Zustand ϕ1a (x) zu nehmen.
Endliche Potentialbarriere Wir untersuchen die Eigenfunktionen zu den ersten Niveaus, wenn die H¨ohe V0 der Potentialbarriere endlich ist (sie soll jedenfalls u¨ ber diesen Niveaus liegen). Im Innern der beiden (in Abb. 4.26 gestrichelt gezeichneten) Potentialt¨opfe ist V (x) = 0. Die Wellenfunktion lautet daher %
& a a a χ(x) = A sin k b + − x , wenn b − ≤ x ≤ b + , 2 2 2
& % a a a χ(x) = A sin k b + + x , wenn b − ≤ −x ≤ b + , 2 2 2
(4.242)
4.10 Modell des Ammoniakmolek¨uls
425
•
worin k mit der Energie u¨ ber die Beziehung E=
¯ 2 k2 h 2m
(4.243)
zusammenh¨angt. Wieder ist χ(x) f¨ur x = ±(b+a/2) stets null, denn V (x) wird an diesen beiden Stellen unendlich groß. Dagegen verschwindet χ(x) an den Stellen x = ±(b−a/2) nicht mehr, weil V0 endlich ist. Folglich erf¨ullt auch k nicht l¨anger die Beziehung (4.239). Da V (x) gerade ist, k¨onnen wir auch diesmal die Eigenfunktionen χs (x) und χa (x) des Hamilton-Operators suchen, die gerade bzw. ungerade sind. Bezeichnen wir die in Gl. (4.242) eingef¨uhrten Koeffizienten A und A mit As und As bzw. mit Aa und Aa , so ist offensichtlich As = As , Aa = −Aa .
(4.244)
Die zu χs und χa geh¨orenden Eigenwerte seien Es und Ea , aus denen wir mit Gl. (4.243) zu den Werten ks und ka des Parameters k gelangen. Im Intervall −(b − a/2) ≤ x ≤ (b − a/2) ist die Wellenfunktion nicht wie im vorhergehenden Fall gleich null, denn V0 ist jetzt endlich: Je nachdem ob es sich um χs oder χa handelt, muss sie eine gerade oder eine ungerade Linearkombination mit den Exponentialfaktoren eqs,a x und e−qs,a x sein, wobei qs und qa durch Es,a und V0 festgelegt sind. Es ist 2m 2 ; (V − E ) = α2 − ks,a (4.245) qs,a = 0 s,a h2 ¯ α ergibt sich aus der Beziehung V0 =
¯ 2 α2 h . 2m
(4.246)
Somit lauten die Funktionen χs und χa im Intervall −(b − a/2) ≤ x ≤ (b − a/2) χs (x) = Bs cosh(qs x),
(4.247)
χa (x) = Ba sinh(qa x). Es verbleibt das Anpassen der Eigenfunktionen und ihrer Ableitungen in den Punkten x = ±(b − a/2). Die gerade L¨osung χs (x) muss den Bedingungen % a & , As sin(ks a) = Bs cosh qs b − 2 (4.248) % a & −As ks cos(ks a) = Bs qs sinh qs b − 2 gen¨ugen. As und Bs k¨onnen nicht gleichzeitig null sein. Wir dividieren die beiden Gleichungen und erhalten % a & ks . (4.249) tan(ks a) = − coth qs b − qs 2
•
426
F¨ur die ungerade L¨osung χa (x) ergibt sich entsprechend % ka a & tan(ka a) = − tanh qa b − . qa 2
Erg¨anzungen zu Kapitel 4
(4.250)
Diese beiden Beziehungen lauten, wenn man qs und qa durch ks und ka ausdr¨uckt, % a & ks (4.251) tan(ks a) = − coth α2 − ks2 b − 2 α2 − ks2 und
% a & ka tan(ka a) = − . tanh α2 − ka2 b − 2 α2 − ka2
(4.252)
Damit ist das Problem grunds¨atzlich gel¨ost: Die beiden Gleichungen bringen die Quantisierung der Energie zum Ausdruck, weil sie die m¨oglichen Werte f¨ur ks und ka und u¨ ber Gl. (4.243) die Energien Es und Ea liefern (unter der Bedingung, dass sie unterhalb V0 liegen). Die L¨osung der transzendenten Gleichungen (4.251) und (4.252) kann auf grafischem Wege erfolgen. Man erh¨alt eine bestimmte Anzahl von Wurzeln: ks1 , ks2 , . . . , ka1 , ka2 , . . . Die Wurzel ksn ist von kan verschieden, weil die beiden Gleichungen nicht gleich sind: Daher sind auch die Energien verschieden. Wird V0 sehr groß, so gehen nat¨urlich ksn und kan beide gegen den Wert nπ/a, wie wir im vorangegangenen Abschnitt gefunden haben. Dies erkennt man, indem man in Gl. (4.251) und Gl. (4.252) den Parameter α gegen unendlich gehen l¨asst. Man bekommt dann tan(ks a) = 0, was wieder zur Beziehung (4.239) f¨uhrt. Mit V0 −→ ∞ streben die Energien Esn und Ean gegen den Wert ¯ 2 n2 π 2 /2ma2 , wie wir ihn im vorstehenden Abschnitt gefunden haben. SchließEn = h lich sieht man auch, dass sich die beiden Energien Esn und Ean mit wachsendem V0 immer n¨aher kommen. Uns interessiert hier nicht der genaue Wert von Esn und Ean . Wir begn¨ugen uns mit einer Skizze des Energiespektrums (Abb. 4.30), um zu sehen, was aus den Energieniveaus E1 und E2 in Abb. 4.28 wird, wenn die Potentialbarriere nur eine endliche H¨ohe V0 besitzt. Man erkennt, dass der Tunneleffekt an dieser Barriere die Entartung von E1 und E2 aufhebt und zu den beiden Dubletts (Es1 , Ea1 ) und (Es2 , Ea2 ) f¨uhrt (wobei alle Energien unter V0 liegen). Das Dublett (Es1 , Ea1 ) ist das niedrigste, so dass |Es1 − Ea1 | < |Es2 − Ea2 | ist. Schließlich ist der Abstand zwischen den Dubletts viel gr¨oßer als die Trennung innerhalb eines Dubletts (experimentell findet man einen Faktor von der Gr¨oßenordnung tausend). Den Abst¨anden innerhalb eines Dubletts kann man u¨ brigens neue Bohrsche Frequenzen Ea1 − Es1 E 2 − Es2 , Ω2 = a , ... h ¯ ¯h zuordnen, deren physikalische Bedeutung wir im folgenden Abschnitt untersuchen wer¨ den (die zugeh¨origen Uberg¨ ange sind in der Abbildung durch die Doppelpfeile gekennzeichnet). In Abb. 4.31 ist schließlich der Verlauf der Eigenfunktionen χ1s (x) und χ1a (x) skizziert, wie sie durch die Gleichungen (4.242), (4.244) und (4.247) gegeben sind und nachdem man ks1 und ka1 aus Gl. (4.251) und Gl. (4.252) ermittelt hat. Man erkennt, dass sie Ω1 =
4.10 Modell des Ammoniakmolek¨uls
427
•
Abb. 4.30 Ber¨ucksichtigt man die endliche H¨ohe V0 der Potentialbarriere, so a¨ ndert sich das Energiespektrum der Abb. 4.28: Jedes Niveau spaltet in zwei Niveaus auf. Der Tunneleffekt be¨ wirkt einen Ubergang von einem Topf zum anderen; die zugeh¨origen Bohr-Frequenzen Ω1 /2π und Ω2 /2π sind Inversionsfrequenzen des Ammoniakmolek¨uls f¨ur die beiden ersten Vibrationsniveaus. Im oberen Vibrationsniveau ist der Tunneleffekt bedeutsamer, so dass Ω2 > Ω1 ist.
den Funktionen ϕ1s (x) und ϕ1a (x) a¨ hnlich sind. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass die Wellenfunktion im Intervall −(b − a/2) ≤ x ≤ (b − a/2) nicht mehr gleich null ist. Man versteht jetzt auch das Interesse an der Einf¨uhrung der Basis ϕ1s und ϕ1a : Bei Ber¨ucksichtigung des Tunneleffekts entsprechen die Eigenfunktionen χ1s und χ1a viel eher ϕ1s und ϕ1a als den Funktionen ϕ11 und ϕ12 .
Abb. 4.31 Die Wellenfunktionen zu den Energieniveaus Es1 und Ea1 in Abb. 4.30. Man beachte ¨ die Ahnlichkeit mit dem Funktionsverlauf in Abb. 4.29b. Im Intervall −b + a/2 ≤ x ≤ b − a/2 sind sie jetzt aber ungleich null.
•
428
Erg¨anzungen zu Kapitel 4
Inversionsfrequenz Zum Anfangszeitpunkt t = 0 sei das Molek¨ul im Zustand 1 |ψ(t = 0) = √ [|χ1s + |χ1a ]. 2
(4.253)
Den Zustandsvektor |ψ(t) zum Zeitpunkt t erhalten wir u¨ ber Gl. (3.163) aus Abschnitt 3.4.2. Danach ist 1
1
Es +Ea 1 |ψ(t) = √ e−i 2¯h t [e+iΩ1 t/2 |χ1s + e−iΩ1 t/2 |χ1a ]. 2
(4.254)
Hieraus erhalten wir die Wahrscheinlichkeitsdichte 1 1 |ψ(x, t)|2 = [χ1s (x)]2 + [χ1a (x)]2 + cos(Ω1 t)χ1s (x)χ1a (x). (4.255) 2 2 Die grafische Veranschaulichung ihrer Zeitabh¨angigkeit erh¨alt man u¨ ber die Bildkurven in Abb. 4.31. F¨ur t = 0 (Abb. 4.32a) entspricht dem Anfangszustand (4.253) eine Wahrscheinlichkeitsdichte, die im rechten Potentialtopf konzentriert ist (im linken Topf haben die Funktionen χ1s und χ1a entgegengesetztes Vorzeichen und nur wenig unterschiedliche Absolutwerte, so dass ihre Summe fast gleich null ist). Zu Beginn ist daher das Teilchen praktisch im rechten Topf, gelangt aber durch den Tunneleffekt in der Zeit t = π/2Ω1 auch in den linken Topf (Abb. 4.32b), so dass es zur Zeit t = π/Ω1 fast ausschließlich in diesem zu finden ist (Abb. 4.32c); darauf kehrt es dann seine Bewegung um (Abb. 4.32d und Abb. 4.32e). Das fiktive Teilchen bewegt sich also mit der Frequenz Ω1 /2π von der einen Seite der Potentialbarriere auf die andere. Dies heißt aber nichts anderes, als dass das Stickstoffatom von der einen Seite der Ebene mit den Wasserstoffatomen auf die andere wechselt. Daher nennt man die Frequenz Ω1 /2π die Inversionsfrequenz des Molek¨uls. Da diese Frequenz wesentlich mit dem Tunneleffekt f¨ur das fiktive Teilchen zusammenh¨angt, gibt es f¨ur sie kein klassisches Analogon. Das Stickstoffatom wirkt auf die Wasserstoffelektronen anziehend. Deshalb besitzt das Ammoniakmolek¨ul ein elektrisches Dipolmoment, das zum Erwartungswert X der Lage des fiktiven Teilchens proportional ist und sich (s. Abb. 4.32) periodisch mit der Zeit a¨ ndert. Unter diesen Umst¨anden vermag das Ammoniakmolek¨ul elektromagnetische Strahlung der Frequenz Ω1 /2π zu emittieren oder zu absorbieren. Experimentell wird dies best¨atigt; der Wert von Ω1 f¨allt in den Bereich der Zentimeterwellen. In der Radioastronomie beobachtet man die Emission und Absorption elektromagnetischer Wellen durch die Ammoniakmolek¨ule des interstellaren Raumes. Auch das Prinzip des Ammoniakmasers beruht auf der stimulierten Emission dieser Wellen durch das NH3 -Molek¨ul.
4.10.3 Das Ammoniakmolekul ¨ als Zwei-Niveau-System Wie wir in Abb. 4.30 sehen k¨onnen, haben wir es beim NH3 -Molek¨ul mit einer Situation zu tun, wie wir sie in der Einf¨uhrung zu Abschnitt 4.3 angesprochen haben: Das System
4.10 Modell des Ammoniakmolek¨uls
429
•
Abb. 4.32 Zeitliche Entwicklung eines Wellenpaketes, das aus den beiden station¨aren Zust¨anden der Abb. 4.31 besteht. Zu Anfang ist das Teilchen im rechten Topf (a), gelangt durch den Tunneleffekt auch in den linken (b), um nach einer bestimmten Zeit dort fast vollst¨andig lokalisiert zu sein (c). Darauf kehrt es seine Bewegung um und erreicht schließlich wieder den rechten Topf usw.
besitzt zwei unmittelbar benachbarte Niveaus Es1 und Ea1 , die von den anderen Niveaus Es2 , Ea2 , . . . weit entfernt sind. Falls man sich nur f¨ur die beiden Niveaus Es1 und Ea1 interessiert, so kann man die anderen vergessen“ (eine genaue Rechtfertigung f¨ur dieses ” Vorgehen werden wir in Kapitel 11 im Rahmen der St¨orungstheorie geben). ¨ Wir wollen daher unsere eben durchgef¨uhrten Uberlegungen unter einem leicht ver¨anderten Gesichtspunkt wieder aufgreifen und zeigen, dass die allgemeinen Ergebnisse u¨ ber Systeme mit zwei Niveaus auch auf das Ammoniakmolek¨ul u¨ bertragen werden k¨onnen. Dies erlaubt uns dann auch, auf sehr einfache Weise den Einfluss eines zeitlich konstanten a¨ ußeren elektrischen Feldes auf dieses Molek¨ul zu behandeln.
Zustandsraum Der Zustandsraum wird von den beiden orthogonalen Vektoren |ϕ11 und |ϕ12 aufgespannt; die zugeh¨origen Wellenfunktionen sind durch Gl. (4.240) gegeben. Die anderen Zust¨ande |ϕn1 und |ϕn2 f¨ur n > 1 ber¨ucksichtigen wir nicht. In den Zust¨anden |ϕ11 und |ϕ12 ist das Stickstoffatom entweder oberhalb oder unterhalb der von den Wasserstoff-
•
430
Erg¨anzungen zu Kapitel 4
atomen gebildeten Ebene. Mit Gl. (4.241) f¨uhrten wir eine zweite orthonormierte Basis des Zustandsraums ein, die von dem geraden und dem ungeraden Vektor 1 |ϕ1s = √ [|ϕ11 + |ϕ12 ], 2
1 |ϕ1a = √ [|ϕ11 − |ϕ12 ] 2
(4.256)
gebildet wird. F¨ur diese beiden Zust¨ande ist die Wahrscheinlichkeit, das Stickstoffatom oberhalb bzw. unterhalb der Ebene der Wasserstoffatome zu finden, dieselbe.
Energieniveaus und Aufhebung der Entartung Ist die Potentialbarriere unendlich hoch, so haben die Zust¨ande |ϕ11 und |ϕ12 dieselbe Energie (wie u¨ brigens auch die Zust¨ande |ϕ1s und |ϕ1a ), so dass der Hamilton-Operator H0 lautet (4.257)
H0 = E1 1
(mit 1 als dem Einheitsoperator im zweidimensionalen Zustandsraum). Um ph¨anomenologisch zu ber¨ucksichtigen, dass die Barriere nicht unendlich hoch ist, f¨ugen wir zu H0 eine St¨orung W hinzu, die in der {|ϕ11 , |ϕ12 }-Basis durch die Matrix 0 1 W = −A (4.258) 1 0 mit einem reellen und positiven Koeffizienten A dargestellt wird.19 Zur Ermittlung der station¨aren Zust¨ande des Molek¨uls m¨ussen wir den GesamtHamilton-Operator H = H0 + W mit der Matrix E1 −A H= (4.259) −A E1 diagonalisieren. Eine elementare Rechnung liefert die Eigenwerte und die Eigenvektoren von H: E1 + A
mit dem Eigenket
|ϕ1a ,
E1 − A
mit dem Eigenket
|ϕ1s .
(4.260)
Wir sehen, dass die beiden (f¨ur A = 0 entarteten) Niveaus unter dem Einfluss der St¨orung W aufspalten. Es tritt ein Energieunterschied von der Gr¨oße 2A auf, und die neuen Eigenzust¨ande sind |ϕ1s und |ϕ1a . Dies ist das Resultat aus Abschnitt 4.10.2. Ist das Molek¨ul zu Anfang im Zustand |ϕ11 , 1 |ψ(t = 0) = |ϕ11 = √ [|ϕ1s + |ϕ1a ], 2
(4.261)
19 Die Voraussetzung A > 0 ist erforderlich, damit wir wieder die relative Lage der Energieniveaus E 1 und s Ea1 in Abb. 4.30 erhalten (s. die Eigenwerte (4.260)).
4.10 Modell des Ammoniakmolek¨uls
431
•
so lautet der Zustandsvektor zum Zeitpunkt t 1 |ψ(t) = √ e−iE1 t/¯h [eiAt/¯h |ϕ1s + e−iAt/¯h |ϕ1a ] 2 At At = e−iE1 t/¯h cos |ϕ11 + i sin |ϕ12 . h ¯ ¯h
(4.262)
F¨uhren wir zu diesem Zeitpunkt eine Messung durch, so ist die Wahrscheinlichkeit, das Molek¨ul im Zustand |ϕ11 zu finden (das Stickstoffatom also oberhalb der Ebene der Wasserstoffatome), gleich cos2 (At/¯h) und die Wahrscheinlichkeit, es im Zustand |ϕ12 (also das Stickstoffatom unterhalb der Ebene) zu finden, gleich sin2 (At/¯h). Wieder ergibt sich die periodische Inversion des Ammoniakmolek¨uls. Bemerkung Die (ph¨anomenologische) Beschreibung der Wirkung einer endlich hohen Potentialbarriere durch eine St¨orung von der Form (4.258) ist weniger genau als die Behandlung im vorangegangenen Abschnitt, weil wir hier Eigenfunktionen ϕ1s (x) und ϕ1a (x) erhalten, die im Unterschied zu χ1s und χ1a im Intervall (−b + a/2) ≤ x ≤ (b − a/2) verschwinden. Sie ist aber sehr viel einfacher und erkl¨art trotzdem die beiden wesentlichen physikalischen Effekte, n¨amlich die Aufhebung der Entartung des Niveaus E1 und die Oszillation des Molek¨uls zwischen den Zust¨anden |ϕ11 und |ϕ12 .
Einfluss eines statischen elektrischen Feldes Wir hatten gesehen, dass das elektrische Dipolmoment des Molek¨uls in den beiden Zust¨anden |ϕ11 und |ϕ12 zwei entgegengesetzte Werte annimmt; wir bezeichnen sie mit +η und −η. Ist D die zu dieser physikalischen Gr¨oße geh¨orende Observable, so kann man sie in der {|ϕ11 , |ϕ12 }-Basis durch eine Diagonalmatrix mit den Eigenwerten +η und −η darstellen: η 0 D= . (4.263) 0 −η Gelangt das Molek¨ul in ein statisches elektrisches Feld E 20 , so lautet die Wechselwirkungsenergie W (E) = −ED.
(4.264)
Dieser Anteil des Hamilton-Operators21 wird in der {|ϕ11 , |ϕ12 }-Basis durch die Matrix 1 0 W (E) = −ηE (4.265) 0 −1 20 Zur
Vereinfachung soll dieses Feld parallel zur x-Achse in Abb. 4.25 gerichtet sein (eindimensionales Modell). 21 In W (E) ist D eine Observable, E jedoch eine von außen angreifende klassische Gr¨ oße.
•
432
Erg¨anzungen zu Kapitel 4
dargestellt. Die Matrix des Gesamt-Hamilton-Operators H0 + W + W (E) ist daher E1 − η E −A H0 + W + W (E) = . (4.266) −A E1 + η E Sie kann leicht diagonalisiert werden. Ihre Eigenwerte sind
E+ = E1 + A2 + η 2 E 2 ,
E− = E1 − A2 + η 2 E 2
(4.267)
und ihre Eigenvektoren θ θ |ψ+ = cos |ϕ11 − sin |ϕ12 , 2 2 θ θ |ψ− = sin |ϕ11 + cos |ϕ12 ; 2 2
(4.268)
hierbei haben wir tan θ = −
A , ηE
0≤θ γ1 , 4 so erh¨alt man bei Ber¨ucksichtigung von Gl. (4.296) sofort 2 h ¯ 2 k1 = −k2 = |W12 | − γ1 , 4 und die Eigenwerte sind ε1
= E1 +
|W12
|2
−
ε2 = E1 −
|W12 |2 −
¯ h γ1 4 ¯ h γ1 4
2 2
¯h − i γ1 , 4
(4.302)
(4.303)
(4.304)
(4.305)
¯ h − i γ1 . 4
Der Imagin¨arteil ist bei beiden Eigenwerten gleich, nur die Realteile unterscheiden sich. Somit haben die Zust¨ande |ψ1 und |ψ2 dieselbe Lebensdauer 2τ1 , aber verschiedene Energien. Setzen wir Gl. (4.304) in Gl. (4.302) ein, so erh¨alt man ⎛ ⎞ 2 h ¯ t |W12 |2 2 −γ t/2 ⎠ . (4.306) γ1 P21 (t) = 2 e 1 sin ⎝ |W12 |2 − 4 ¯h h ¯ 2 γ1 |W12 | − 4 Dieses Ergebnis erinnert in seiner Form an die Gl. (4.85) aus Abschnitt 4.3.3. Die Funktion P21 (t) stellt eine Sinusschwingung dar, die mit der Zeitkonstanten 2τ1 ged¨ampft ist (Abb. 4.34). Die Bedingung (4.303) dr¨uckt n¨amlich aus, dass die Kopplung stark genug ist, um das System zwischen den Zust¨anden |ϕ1 und |ϕ2 oszillieren zu lassen, bevor es die Instabilit¨at des Zustands |ϕ1 sp¨uren kann. 2. Ist h ¯ (4.307) |W12 | < γ1 , 4 so gilt 2 h ¯ γ1 − |W12 |2 k1 = −k2 = i (4.308) 4
4.11 Kopplung zwischen stabilem und instabilem Zustand
439
•
Abb. 4.34 Starke Kopplung zwischen einem stabilen Zustand |ϕ2 und einem instabilen Zustand |ϕ1 : Ist das System zu Anfang im Zustand |ϕ2 , so zeigt die Wahrscheinlichkeit P21 (t), es zur Zeit t im Zustand |ϕ1 zu finden, die Form einer ged¨ampften Sinusschwingung.
und
⎡ ¯ h ε1 = E1 − i ⎣ γ1 − 4 ⎡ ¯ h ε2 = E1 − i ⎣ γ1 + 4
¯ h γ1 4 ¯ h γ1 4
2
2
⎤ − |W12 |2 ⎦ , ⎤
(4.309)
− |W12 |2 ⎦ .
Die Zust¨ande |ψ1 und |ψ2 haben jetzt dieselbe Energie, aber verschiedene Lebensdauern. Aus Gl. (4.302) wird ⎛ ⎞ 2 h ¯ t |W12 |2 γ1 − |W12 |2 ⎠ . (4.310) P21 (t) = e−γ1 t/2 sinh2 ⎝ 2 4 ¯h h ¯ γ1 − |W12 |2 4 Diesmal ist P21 (t) eine Summe von Exponentialausdr¨ucken (Abb. 4.35).
Abb. 4.35 Bei schwacher Kopplung fehlt zum Entstehen einer Oszillation zwischen den Zust¨anden |ϕ1 und |ϕ2 die Zeit.
Auch dies ist physikalisch verst¨andlich. Die Bedingung (4.307) dr¨uckt die Tatsache aus, dass die Lebensdauer hinreichend kurz ist, so dass das System ged¨ampft wird, bevor es durch die Kopplung W zu einer Oszillation zwischen den Zust¨anden |ϕ1 und |ϕ2 veranlasst werden kann.
•
440
Erg¨anzungen zu Kapitel 4
3. Schließlich sei |W12 | =
¯ h γ1 . 4
(4.311)
Nach den Beziehungen (4.298) haben die Zust¨ande |ψ1 und |ψ2 dann dieselbe Energie E1 und dieselbe Lebensdauer 2τ1 . Die Gleichungen (4.306) und (4.310) zeigen sich hier zun¨achst in unbestimmten Formen; beseitigt man sie, so erh¨alt man in beiden F¨allen P21 (t) =
|W12 |2 2 −γ1 t/2 t e . h2 ¯
(4.312)
Bemerkung ¨ Unsere Uberlegungen stehen in enger Analogie zur Behandlung der klassischen Bewegung eines ged¨ampften harmonischen Oszillators: So entsprechen die Bedingungen (4.303), (4.307) und (4.311) jeweils der schwachen bzw. der starken D¨ampfung und dem asymptotischen Grenzfall.
4.12 Aufgaben zu Kapitel 4 1. F¨ur ein Teilchen mit dem Spin 1/2 und dem magnetischen Moment M = γ S werde der Raum der Spinzust¨ande von den Eigenvektoren |+ und |− der z-Komponente Sz des Spins zu den Eigenwerten +¯ h/2 und −¯h/2 aufgespannt. Zum Zeitpunkt t = 0 sei das System im Zustand |ψ(t = 0) = |+. a) Mit welchen Wahrscheinlichkeiten kann man welche Resultate erhalten, wenn man zur Zeit t = 0 die Observable Sx misst? b) Statt diese Messung auszuf¨uhren, soll sich das System unter dem Einfluss eines in y-Richtung wirkenden Magnetfeldes mit dem Betrag B0 entwickeln. Man bestimme den Zustand des Systems zum Zeitpunkt t in der {|+, |−}-Basis. c) Zu diesem Zeitpunkt misst man die Observablen Sx , Sy und Sz . Mit welchen Wahrscheinlichkeiten kann man welche Werte finden? Welcher Zusammenhang muss zwischen B0 und der Zeit t bestehen, damit man bei einer Messung ein vorgegebenes Ergebnis mit Sicherheit erh¨alt? Physikalische Deutung? 2. Ein System mit dem Spin 1/2 sei wie in der vorstehenden Aufgabe gegeben. a) Zur Zeit t = 0 misst man Sy und findet den Wert +¯ h/2. Wie lautet der Zustandsvektor |ψ(0) unmittelbar nach der Messung? b) Unmittelbar nach dieser Messung schaltet man ein in z-Richtung wirkendes homogenes und zeitabh¨angiges Magnetfeld ein. Der Hamilton-Operator H(t) des Spins lautet dann H(t) = ω0 (t) Sz .
4.12 Aufgaben zu Kapitel 4
441
•
Die Funktion ω0 (t) sei f¨ur t < 0 und t > T null und wachse f¨ur 0 ≤ t ≤ T linear an (T ist ein gegebener Parameter mit der Dimension einer Zeit). Man zeige, dass der Zustandsvektor zur Zeit t in der Form 1 |ψ(t) = √ [eiθ(t) |+ + ie−iθ(t) |−] 2 mit einer reellwertigen Funktion θ(t) geschrieben werden kann. Man bestimme diese Funktion. c) Zu einem Zeitpunkt t = τ > T misst man Sy . Mit welchen Wahrscheinlichkeiten kann man welche Ergebnisse finden? Welcher Zusammenhang muss zwischen ω0 und T bestehen, damit ein Resultat sicher ist? Physikalische Deutung? 3. Ein Spin 1/2 befinde sich in einem Magnetfeld mit den Komponenten 1 1 Bx = √ B0 , By = 0, Bz = √ B0 . 2 2 Wir verwenden wieder die Bezeichnungen aus Aufgabe 1. a) Wie lautet die Matrix, die in der {|+, |−}-Basis den Hamilton-Operator H des Systems darstellt? b) Man berechne die Eigenwerte und Eigenvektoren von H. c) Zur Zeit t = 0 befinde sich das System im Zustand |−. Welche Werte kann man mit welchen Wahrscheinlichkeiten bei einer Energiemessung finden? d) Man berechne den Zustandsvektor |ψ(t) zur Zeit t. Man misst zu diesem Zeitpunkt Sx . Man bestimme den Erwartungswert der m¨oglichen Ergebnisse. Geometrische Deutung? 4. Man betrachte die in Abschnitt 4.2.2 (Abb. 4.8) beschriebene Versuchsanordnung: Ein Strahl aus Atomen mit dem Spin 1/2 durchquert zun¨achst einen Polarisator“ in einer ” Richtung, die in der x, z-Ebene mit der z-Achse den Winkel θ einschließt, um dann einen Analysator“ zu passieren, der die z- Komponente Sz des Spins misst. Zwischen dem ” Polarisator und dem Analysator wirke auf den Atomstrahl u¨ ber eine L¨ange L und in xRichtung ein homogenes Magnetfeld B 0 . Die Geschwindigkeit der Atome sei v und die Zeit, in der das Feld auf sie wirkt, T = L/v. Man setze ferner ω0 = −γ B0 . a) Wie lautet der Zustandsvektor |ψ1 eines Spins beim Eintritt in den Analysator? b) Man zeige, dass bei einer Messung im Analysator die Wahrscheinlichkeit f¨ur den Wert +¯ h/2 gleich (1 + cos θ cos ω0 T )/2 und f¨ur −¯h/2 gleich (1 − cos θ cos ω0 T )/2 ist. Physikalische Deutung? c) (F¨ur diese und die n¨achste Frage wird der Begriff des Dichteoperators ben¨otigt, Abschnitt 3.10; empfohlen wird auch die Kenntnis von Abschnitt 4.8). Man zeige, dass in der {|+, |−}-Basis die Dichtematrix ρ1 eines in den Analysator eintretenden Spins gleich 1 sin θ + i cos θ sin ω0 T 1 + cos θ cos ω0 T ρ1 = 1 − cos θ cos ω0 T sin θ − i cos θ sin ω0 T 2 ist. Man berechne Sp{ρ1 Sx }, Sp{ρ1 Sy } und Sp{ρ1 Sz }. Deutung? Beschreibt der Dichteoperator einen reinen Zustand?
•
442
Erg¨anzungen zu Kapitel 4
d) Die Geschwindigkeit v eines Atoms sei jetzt zufallsverteilt, so dass die Zeit T nur mit der Genauigkeit ΔT bekannt ist. Weiter sei der Betrag B0 des Feldes so groß, dass ω0 ΔT 1; ω0 T kann dann alle Werte zwischen 0 und 2π (modulo 2π) annehmen, und zwar mit derselben Wahrscheinlichkeit. Wie lautet in diesem Fall der Dichteoperator ρ2 f¨ur ein Atom im Augenblick seines Eintritts in den Analysator? Beschreibt ρ2 einen reinen Fall? Man berechne Sp{ρ2 Sx }, Sp{ρ2 Sy } und Sp{ρ2 Sz }. Deutung? In welchem Fall beschreibt der Dichteoperator einen vollst¨andig polarisierten Spin, in welchem einen vollst¨andig unpolarisierten? Man beschreibe qualitativ die Vorg¨ange am Ausgang des Analysators, wenn man ω0 von null bis zu einem Wert a¨ ndert, f¨ur den ω0 ΔT 1 ist. 5. Entwicklungsoperator fur ¨ einen Spin 1/2 Ein System mit dem Spin 1/2 und dem magnetischen Moment M = γ S bewegt sich in einem Magnetfeld B 0 mit den Komponenten Bx = −ωx /γ, By = −ωy /γ, Bz = −ωz /γ. Man setze ω0 = −γ |B 0 |. a) Man zeige, dass mit dem Operator M=
1 1 [ωx Sx + ωy Sy + ωz Sz ] = [ωx σx + ωy σy + ωz σz ] h ¯ 2
(σx , σy und σz sind die Pauli-Matrizen, s. Abschnitt 4.4) der Entwicklungsoperator dieses Spins die folgende Form hat: U (t, 0) = e−iMt . Man berechne die Matrix von M in der von den Eigenvektoren von Sz aufgespannten Basis {|+, |−}. Man zeige, dass M2 =
ω 2 1 2 0 [ωx + ωy2 + ωz2 ] = . 4 2
b) Man bringe den Entwicklungsoperator auf die Form ω0 t ω0 t 2i U (t, 0) = cos M sin − . 2 ω0 2 c) Zur Zeit t = 0 sei das System im Spinzustand |ψ(0) = |+. Man zeige, dass die Wahrscheinlichkeit, es zur Zeit t im Zustand |+ zu finden, P++ (t) = |+|U (t, 0)|+|2 ist, und verifiziere die Beziehung
4.12 Aufgaben zu Kapitel 4 P++ (t) = 1 −
ωx2 + ωy2 sin2 ω02
443
ω0 t 2
•
.
Geometrische Deutung? 6. Ein System bestehe aus zwei 1/2-Spins S 1 und S 2 . Die vier in Abschnitt 4.7 definierten Vektoren |±, ± bilden eine Basis. Zu Beginn sei das System im Zustand |ψ(0) =
1 1 1 | + + + | + − + √ | − −. 2 2 2
a) Man misst zur Zeit t = 0 die Spinkomponente S1z . Mit welcher Wahrscheinlichkeit ergibt sich der Wert −¯ h/2? Wie lautet der Zustandsvektor nach dieser Messung? Mit welchen Wahrscheinlichkeiten erh¨alt man welche Resultate, wenn man darauf S1x misst? Man beantworte die gleichen Fragen f¨ur den Wert +¯ h/2 und eine Messung von S1z . b) Das System sei wieder im Zustand |ψ(0) und man misst gleichzeitig S1z und S2z . Mit welcher Wahrscheinlichkeit erh¨alt man entgegengesetzte, mit welcher identische Ergebnisse? c) Statt der vorstehenden Messungen u¨ berl¨asst man das System einer Entwicklung unter dem Einfluss des Hamilton-Operators H = ω1 S1z + ω2 S2z . Wie lautet der Zustandsvektor |ψ(t) zur Zeit t? F¨ur diesen Zeitpunkt berechne man die Erwartungswerte S 1 und S 2 . Physikalische Interpretation? d) Man zeige, das die Betr¨age der Vektoren S 1 und S 2 kleiner als ¯h/2 sind. Wie m¨usste der Ausdruck f¨ur |ψ(0) lauten, damit beide den Betrag +¯ h/2 haben? 7. F¨ur dasselbe System wie in der vorangegangenen Aufgabe sei der Zustandsraum durch die vier Vektoren |±, ± aufgespannt. a) Man schreibe die 4 × 4-Matrix an, die in dieser Basis den Operator S1y darstellt. Welche Eigenwerte und welche Eigenvektoren besitzt diese Matrix? b) Der normierte Zustand des Systems laute |ψ = α| + + + β| + − + γ| − + + δ| − − mit gegebenen komplexen Koeffizienten α, β, γ und δ. Man misst gleichzeitig S1x und S2y . Mit welchen Wahrscheinlichkeiten erh¨alt man welche Ergebnisse? Was wird aus diesen Wahrscheinlichkeiten, wenn |ψ das tensorielle Produkt eines Vektors aus dem Zustandsraum des ersten mit einem Vektor aus dem Zustandsraum des zweiten Spins ist? c) Man beantworte die gleichen Fragen, wenn S1y und S2y gemessen werden. d) Statt der vorstehenden Messungen beobachtet man nur S2y . Von den Ergebnissen unter b), danach unter c) ausgehend, berechne man die Wahrscheinlichkeit daf¨ur, dass der Wert −¯ h/2 gemessen wird. 8. Man betrachte ein Elektron in einem linearen Molek¨ul, das aus drei a¨ quidistanten Atomen gebildet wird. Mit |ϕA , |ϕB und |ϕC bezeichnen wir die drei orthonormierten
•
444
Erg¨anzungen zu Kapitel 4
Zust¨ande dieses Elektrons, die zu den drei um die Kerne der Atome A, B und C lokalisierten Wellenfunktionen geh¨oren. Im Folgenden beschr¨anke man sich auf den von |ϕA , |ϕB und |ϕC aufgespannten Zustandsraum. Vernachl¨assigt man die M¨oglichkeit, dass das Elektron von einem Kern zum anderen zu wechseln vermag, so kann es durch den Hamilton-Operator H0 beschrieben werden, der als Eigenzustand die drei Vektoren |ϕA , |ϕB und |ϕC zum selben Eigenwert E0 zul¨asst. Durch einen zus¨atzlichen Hamilton-Operator W wird die Kopplung dieser drei Zust¨ande beschrieben. Er ist (mit einer reellen positiven Konstante a) durch die Gleichungen definiert W |ϕA = −a|ϕB , W |ϕB = −a|ϕA − a|ϕC , W |ϕC = −a|ϕB . a) Man berechne die Energien und die station¨aren Zust¨ande des Hamilton-Operators H = H0 + W . b) F¨ur t = 0 sei das Elektron im Zustand |ϕA . Man beschreibe qualitativ die Lokalisierung des Elektrons zu sp¨ateren Zeiten. Gibt es Zeiten, in denen es vollst¨andig um das Atom A, um B oder um C lokalisiert ist? c) Es sei D die Observable mit den Eigenzust¨anden |ϕA , |ϕB und |ϕC zu den Eigenwerten −d, 0 und +d. Man misst D zum Zeitpunkt t. Mit welchen Wahrscheinlichkeiten kann man welche Werte finden? d) Welche Bohr-Frequenzen k¨onnen bei einem beliebigen Anfangszustand des Elektrons in der Entwicklung von D auftreten? Man gebe der Observablen D eine physikalische Deutung. Bei welchen Frequenzen werden vom Molek¨ul elektromagnetische Wellen absorbiert oder emittiert? 9. Ein Molek¨ul bestehe aus sechs identischen und in einem regelm¨aßigen Sechseck angeordneten Atomen A1 , A2 , . . . , A6 . Man betrachte ein Elektron, das bei jedem Atom lokalisiert sein kann. Mit |ϕn (n = 1, 2, . . . , 6) bezeichnen wir den Zustand, in dem das Elektron beim n-ten Atom lokalisiert ist. Weiter beschr¨anken wir uns auf den von diesen sechs (orthonormierten) Vektoren aufgespannten Zustandsraum.
Abb. 4.36
a) Ein Operator R werde durch die Beziehungen definiert R|ϕ1 = |ϕ2 ; R|ϕ2 = |ϕ3 ; . . . ; R|ϕ6 = |ϕ1 .
4.12 Aufgaben zu Kapitel 4
445
•
Man ermittle die Eigenwerte und Eigenzust¨ande von R. Man zeige, dass die Eigenvektoren von R eine Basis im Zustandsraum bilden. b) Bei Vernachl¨assigung der M¨oglichkeit, dass das Elektron von einem Platz zum n¨achsten gelangen kann, wird seine Energie durch einen Hamilton-Operator H0 beschrieben, bei dem die sechs Zust¨ande |ϕn Eigenzust¨ande zum selben Eigenwert E0 sind. Der Wechsel von einem Atom zum anderen wird wie in der vorstehenden Aufgabe durch Einf¨uhrung einer St¨orung W erfasst, die man durch W |ϕ1 = −a|ϕ6 − a|ϕ2 ; W |ϕ2 = −a|ϕ1 − a|ϕ3 ; . . . ; W |ϕ6 = −a|ϕ5 − a|ϕ1 definiert. Man zeige, dass R mit dem Gesamt-Hamilton-Operator H = H0 + W vertauscht. Hieraus leite man die Eigenzust¨ande und Eigenwerte von H her. Ist das Elektron ¨ in diesen Eigenzust¨anden lokalisiert? Man wende diese Uberlegungen auf das Benzolmolek¨ul an.
5
Der harmonische Oszillator
5.1 Einfuhrung ¨ 5.1.1 Bedeutung des harmonischen Oszillators In diesem Kapitel befassen wir uns mit dem eindimensionalen harmonischen Oszillator, einem physikalischen System, das in der Physik besondere Bedeutung hat. Das einfachste Beispiel f¨ur ein solches System ist ein Teilchen mit der Masse m, das sich in einem nur von der Koordinate x abh¨angenden Potential V (x) =
1 2 kx 2
(5.1)
bewegt (k ist eine reelle positive Konstante). Das Teilchen wird mit einer Kraft Fx = −
dV = −kx dx
(5.2)
zur Ebene x = 0 hingezogen (Minimum von V (x), stabile Gleichgewichtslage). Man weiß, dass in der klassischen Mechanik die Projektion der Teilchenbewegung auf die x-Achse eine Sinusschwingung mit der Frequenz k ω= (5.3) m um die Gleichgewichtslage x = 0 darstellt. Die Bewegung vieler Systeme wird (zumindest n¨aherungsweise) durch die Gleichungen f¨ur den harmonischen Oszillator beschrieben. Untersucht man n¨amlich das Verhalten eines Systems in der N¨ahe seiner stabilen Gleichgewichtslage, so wird man zu Gleichungen gef¨uhrt, die f¨ur den Grenzfall kleiner Schwingungen mit denen eines harmonischen Oszillators u¨ bereinstimmen (s. Abschnitt 5.1.2). Daher k¨onnen wir die Resultate, zu denen wir in diesem Kapitel gelangen werden, auf eine ganze Reihe physikalisch wichtiger Ph¨anomene anwenden. Wir nennen z. B. die Schwingungen von Atomen, die diese in einem Molek¨ul um ihre Gleichgewichtslage ausf¨uhren, oder die Schwingungen von Atomen oder Ionen in einem Kristallgitter (Phononen).1 Der harmonische Oszillator spielt auch bei der Behandlung elektromagnetischer Felder eine Rolle. So weiß man, dass in einem Strahlungshohlraum unendlich viele station¨are Wellen (die Eigenmoden) m¨oglich sind. Das elektromagnetische Feld kann nach 1 In
Abschnitt 5.5 werden einige Beispiele qualitativ untersucht.
448
5 Der harmonische Oszillator
den Moden entwickelt werden. Setzt man diese Entwicklung in die Maxwellschen Gleichungen ein, so ergeben sich f¨ur die Entwicklungskoeffizienten Differentialgleichungen, die mit der Bewegungsgleichung des harmonischen Oszillators identisch sind. Man kann daher das Feld formal als ein Ensemble unabh¨angiger harmonischer Oszillatoren ansehen (s. Abschnitt 5.14). Die Feldquantisierung geschieht dann einfach dadurch, dass man die zu Eigenmoden des Hohlraums geh¨orenden Oszillatoren quantisiert. In diesem Zusammenhang erinnern wir daran, dass Max Planck die nach ihm benannte Konstante zum ersten Mal in die Physik einf¨uhrte, als er das Verhalten dieser Oszillatoren im thermischen Gleichgewicht (Strahlung Schwarzer K¨orper) zu erkl¨aren versuchte. In Abschnitt 5.15 werden wir n¨amlich sehen, dass im thermischen Gleichgewicht bei der Temperatur T die mittlere Energie eines klassischen harmonischen Oszillators von der eines quantenmechanischen Oszillators verschieden ist. Weiter hat der harmonische Oszillator bei der Beschreibung eines Systems identischer Teilchen, die sich alle im selben Zustand befinden, Bedeutung (dabei kann es sich nur um Bosonen handeln, s. Kapitel 14). Das hat seinen Grund darin, dass die Energieniveaus eines harmonischen Oszillators a¨ quidistant sind, wobei der Abstand benachbarter Niveaus gleich ¯ hω ist. Man kann dann dem durch die ganze Zahl n gekennzeichneten Niveau (das also mit dem Abstand n¯ hω u¨ ber dem Grundniveau liegt) ein Ensemble von n identischen Teilchen oder Quanten zuordnen, von denen jedes die Energie ¯hω besitzt. Dem ¨ Ubergang des Oszillators vom Niveau n zum Niveau n + 1 bzw. n − 1 entspricht die Erzeugung bzw. Vernichtung eines Quants der Energie ¯hω. Zur Beschreibung derartiger ¨ Uberg¨ ange werden wir die Operatoren a† und a einf¨uhren. Diese Erzeugungs- bzw. Vernichtungsoperatoren treten gew¨ohnlich in der statistischen Quantenmechanik und in der Quantenfeldtheorie auf.2 In physikalischer Hinsicht ist daher eine detaillierte Behandlung des harmonischen Oszillators in der Quantenmechanik ganz besonders wichtig. Dar¨uber hinaus handelt es sich bei ihm um ein Quantensystem, f¨ur das die Schr¨odinger-Gleichung in Strenge l¨osbar ist. Nach der Untersuchung eines Systems mit dem Spin 1/2 und der Zwei-NiveauSysteme lernen wir somit ein weiteres Beispiel kennen, mit dem wir den allgemeinen Formalismus der Quantenmechanik illustrieren k¨onnen. So werden wir insbesondere zeigen, wie man eine Eigenwertgleichung unter der ausschließlichen Verwendung von Operatoren und auf der Basis der Vertauschungsrelationen l¨osen kann (diese Methode werden wir auch beim Drehimpuls anwenden, s. Kapitel 6). Schließlich gehen wir auf die Bewegung von Wellenpaketen, vor allem f¨ur den (quasi)klassischen Grenzfall, im Einzelnen ein (s. Abschnitt 5.11). In Abschnitt 5.1.2 erinnern wir an einige Aussagen u¨ ber den klassischen Oszillator, bevor wir in Abschnitt 5.1.3 auf bestimmte allgemeine Eigenschaften der Eigenwerte des Hamilton-Operators eingehen. Darauf bestimmen wir in den Abschnitten 5.2 und 5.3 diese Eigenwerte und die zugeh¨origen Eigenvektoren, indem wir die Erzeugungs- und Vernichtungsoperatoren einf¨uhren und ausschließlich von den Folgerungen ausgehen, die 2 Die Quantenfeldtheorie beschreibt die Wechselwirkung von Teilchen, vor allem die von Elektronen, Positronen und Photonen, im relativistischen Bereich. Dabei k¨onnen die Operatoren f¨ur die Erzeugung oder Vernichtung von Teilchen eine wichtige Rolle spielen, weil man derartige Prozesse experimentell beobachtet (Absorption und Emission von Photonen, Paarerzeugung usw.).
5.1 Einf¨uhrung
449
sich aus der (kanonischen) Vertauschungsrelation [X, P ] = i¯ h und aus der Form des Hamilton-Operators H ergeben. In Abschnitt 5.4 befassen wir uns mit den station¨aren Zust¨anden des Oszillators und mit Wellenpaketen, die aus diesen Zust¨anden gebildet werden.
5.1.2 Klassischer harmonischer Oszillator Der Verlauf der potentiellen Energie V (x) (Gl. (5.1)) ist in Abb. 5.1 wiedergegeben.
Abb. 5.1 Potentielle Energie V (x) eines eindimensionalen harmonischen Oszillators. Die Amplitude einer klassischen Bewegung mit der Energie E ist xM .
Die Bewegungsgleichung f¨ur das Teilchen lautet m
dV d2 x = −kx. =− 2 dt dx
(5.4)
Die allgemeine L¨osung dieser Gleichung kann in der Form x = xM cos(ωt − ϕ)
(5.5)
geschrieben werden, wobei die Frequenz durch Gl. (5.3) definiert wird und xM und ϕ Integrationskonstanten sind, die durch die Anfangsbedingungen festgelegt werden. Das Teilchen wird also zu einer harmonischen Schwingung um den Punkt O mit der Amplitude xM und der (Kreis-)Frequenz ω angeregt. Die kinetische Energie des Teilchens ist T =
1 m 2
dx dt
2 =
p2 2m
mit dem Teilchenimpuls p = m E =T +V =
(5.6) dx . Somit ist die Gesamtenergie dt
p2 1 + mω 2 x2 . 2m 2
(5.7)
450
5 Der harmonische Oszillator
Setzt man hier die L¨osung (5.5) ein, so erh¨alt man E=
1 mω 2 x2M . 2
(5.8)
Die Energie des Teilchens ist unabh¨angig von der Zeit (eine allgemeine Eigenschaft konservativer Systeme) und kann jeden nichtnegativen Wert annehmen, weil xM beliebig gew¨ahlt werden kann. Gibt man die Gesamtenergie E vor, so erh¨alt man f¨ur die klassische Bewegung die gr¨oßten Auslenkungen x = ± xM , wenn man in Abb. 5.1 die Parabel und die Parallele zur x-Achse mit der Ordinate E zum Schnitt bringt. In diesen Punkten ist die potentielle Energie am gr¨oßten und gleich E, w¨ahrend die kinetische Energie gleich null ist. F¨ur x = 0 dagegen ist die potentielle Energie null und die kinetische Energie maximal. Bemerkung Wir betrachten ein Potential V (x), das im Punkt x = x0 ein Minimum aufweist, sonst aber beliebig ist (Abb. 5.2).
Abb. 5.2 Jedes Potential V (x) kann an der Stelle x = x0 seines Minimums durch ein parabelf¨ormiges Potential (gestrichelte Kurve) approximiert werden. Ein klassisches Teilchen mit der Energie E schwingt zwischen den Punkten x1 und x2 .
Wir entwickeln die Funktion V (x) an der Stelle x = x0 in eine Taylor-Reihe: V (x) = a + b(x − x0 )2 + c(x − x0 )3 + . . . Darin sind die Koeffizienten a = V (x0 ),
b=
1 2
d2 V dx2
, x=x0
c=
1 3!
(5.9)
d3 V dx3
.
(5.10)
x=x0
Der in (x − x0 ) lineare Term verschwindet, weil V (x) f¨ur x0 ein Minimum besitzt. F¨ur die Kraft gilt dann in der Umgebung von x0 Fx = −
dV = −2b(x − x0 ) − 3c(x − x0 )2 + . . . dx
Der Koeffizient b ist positiv, weil V (x) an der Stelle x0 ein Minimum hat.
(5.11)
5.1 Einf¨uhrung
451
Dieser Punkt x = x0 geh¨ort zu einer stabilen Gleichgewichtslage des Teilchens: Fx ist f¨ur x = x0 null; ferner haben Fx und (x − x0 ) f¨ur gen¨ugend kleines (x − x0 ) entgegengesetztes Vorzeichen (b ist positiv). Haben die Bewegungen des Teilchens um x0 eine so kleine Amplitude, dass man in Gl. (5.9) den Term mit (x − x0 )3 (und folglich in Gl. (5.11) den Term mit (x − x0 )2 ) vernachl¨assigen kann, so hat man es mit einem harmonischen Oszillator zu tun, weil die Bewegungsgleichung jetzt n¨aherungsweise lautet m
d2 x ≈ −2b(x − x0 ). dt2
(5.12)
Die zugeh¨orige Frequenz ω h¨angt mit der zweiten Ableitung von V (x) an der Stelle x = x0 u¨ ber die Beziehung
ω=
2b = m
1 m
d2 V dx2
(5.13) x=x0
zusammen. Die Energie dieses harmonischen Oszillators ist sicher gering, weil die Amplitude klein bleiben muss. F¨ur h¨ohere Energien E wird das Teilchen zu einer periodischen Bewegung zwischen den Stellen x1 und x2 (s. Abb. 5.2) angeregt, doch ist diese nicht mehr sinusf¨ormig. Entwickelt man die Funktion x(t), die die Lage des Teilchens zum Zeitpunkt t angibt, in eine Fourier-Reihe, so erh¨alt man mehrere sinusf¨ormige Terme, deren Frequenzen das Vielfache einer Grundfrequenz sind. Man ¨ spricht dann von einem anharmonischen Oszillator. Ubrigens ist in diesem Fall die Periode im Allgemeinen von 2π/ω (Gl. (5.13)) verschieden.
5.1.3 Allgemeine Eigenschaften des Hamilton-Operators In der Quantenmechanik werden die klassischen Gr¨oßen x und p durch die Observablen X und P ersetzt. Diese gen¨ugen der Vertauschungsrelation [X, P ] = i¯ h.
(5.14)
Aus Gl. (5.7) schließt man sofort auf den Hamilton-Operator. Er lautet H=
P2 1 + mω 2 X 2 2m 2
(5.15)
und ist zeitunabh¨angig (konservatives System). Die quantenmechanische Behandlung des harmonischen Oszillators f¨uhrt also auf die L¨osung der Eigenwertgleichung H|ϕ = E|ϕ. In der Ortsdarstellung ist das die Differentialgleichung h2 d 2 ¯ 1 2 2 − + mω x ϕ(x) = Eϕ(x). 2m dx2 2
(5.16)
(5.17)
Bevor wir Gl. (5.16) im Einzelnen untersuchen, nennen wir einige wichtige Eigenschaften, die sich aus der Form (5.1) des Potentials ergeben:
452
5 Der harmonische Oszillator
1. Die Eigenwerte des Hamilton-Operators sind positiv. Man kann n¨amlich allgemein zeigen (s. Abschnitt 3.17): Ist die Potentialfunktion V (x) nach unten beschr¨ankt, so sind P2 + V (X) gr¨oßer als das Minimum die Eigenwerte E des Hamilton-Operators H = 2m von V (x): V (x) ≥ Vm erzwingt E > Vm .
(5.18)
In unserem Fall w¨ahlten wir den Energieursprung so, dass Vm gleich null ist. 2. Die Eigenfunktionen von H haben eine wohlbestimmte Parit¨at. Das ergibt sich daraus, dass das Potential V (x) eine gerade Funktion ist: V (−x) = V (x).
(5.19)
Man kann darum (s. Abschnitte 2.12 und 5.7) die Eigenfunktionen von H in der Ortsdarstellung unter den Funktionen mit bestimmter Parit¨at suchen. (Wie wir sehen werden, sind die Eigenwerte von H nicht entartet. Darum sind die zu den station¨aren Zust¨anden geh¨orenden Wellenfunktionen notwendig gerade oder ungerade.) 3. Das Energiespektrum ist diskret. Die klassische Bewegung des Teilchens ist f¨ur jeden Wert der Gesamtenergie auf einen endlichen Bereich der x-Achse beschr¨ankt (Abb. 5.1). F¨ur diesen Fall kann man aber zeigen (s. Abschnitt 3.17), dass die Eigenwerte des Hamilton-Operators eine diskrete Menge bilden. In den folgenden Abschnitten werden sich diese Eigenschaften (in einer genaueren Form) wieder ergeben. Hier erhielten wir sie, indem wir einfach allgemeine S¨atze u¨ ber eindimensionale Probleme auf den harmonischen Oszillator u¨ bertrugen.
5.2 Eigenwerte des Hamilton-Operators Wir untersuchen jetzt die Eigenwertgleichung (5.16). Als Erstes ermitteln wir das Spektrum des Hamilton-Operators (5.15), indem wir nur die Vertauschungsrelation (5.14) verwenden.
5.2.1 Bezeichnungen ˆ und Pˆ Die Operatoren X Die Observablen X und P sind offensichtlich mit einer Dimension behaftet (einer L¨ange bzw. eines Impulses). Weil ω die Dimension 1/Zeit und ¯h die einer Wirkung (Energie mal Zeit) hat, kann man zu Operatoren mit der Dimension eins u¨ bergehen: mω ˆ X = X, h ¯ (5.20) 1 ˆ P = √ P. m¯ hω
5.2 Eigenwerte des Hamilton-Operators
453
F¨ur diese Operatoren lautet die Vertauschungsrelation ˆ Pˆ ] = i, [X,
(5.21)
w¨ahrend der Hamilton-Operator die Form ˆ H =h ¯ ωH
(5.22)
ˆ = 1 (X ˆ 2 + Pˆ 2 ) H 2
(5.23)
mit
annimmt. Wir suchen daher nach den L¨osungen der Eigenwertgleichung ˆ = |ϕi = εν |ϕi , H ν ν
(5.24)
ˆ und εν die Dimension eins besitzen. Zun¨achst kann der Index ν eine diskreworin H te oder eine kontinuierliche Menge bezeichnen; der weitere Index i erlaubt gegebenenfalls die Unterscheidung der orthogonalen Eigenvektoren, die zum selben Eigenwert εν geh¨oren.
Die Operatoren a, a† und N ˆ und Pˆ Zahlen und keine Operatoren, so k¨onnte man die in Gl. (5.23) auftretende W¨aren X ˆ − iPˆ )(X ˆ + iPˆ ). Weil aber X ˆ Summe als ein Produkt aus Linearfaktoren schreiben: (X 2 2 ˆ ˆ ˆ und P Operatoren sind, die nicht vertauschen, ist der Ausdruck X + P nicht gleich ˆ − iPˆ )(X ˆ + iPˆ ). Nun werden wir jedoch zeigen, dass wir mit der Einf¨uhrung von (X ˆ +iPˆ und X ˆ −iPˆ proportional sind, die Suche nach den Eigenwerten Operatoren, die zu X ˆ von H betr¨achtlich vereinfachen k¨onnen. Wir setzen3 1 ˆ + iPˆ ), a = √ (X 2 1 ˆ a† = √ (X − iPˆ ). 2
(5.25) (5.26)
Stellen wir diese Gleichungen um, so erhalten wir ˆ = √1 (a† + a), X 2 i Pˆ = √ (a† − a). 2
(5.27) (5.28)
ˆ und Pˆ sind hermitesch. a und a† sind dies wegen des Faktors i nicht, daf¨ur sind sie X aber zueinander adjungiert. 3 Bis jetzt haben wir Operatoren mit Großbuchstaben bezeichnet. Es ist jedoch allgemein u ¨ blich, f¨ur die folgenden Operatoren kleine Buchstaben zu verwenden
454
5 Der harmonische Oszillator
Bilden wir f¨ur a und a† den Kommutator, so erhalten wir mit den Gleichungen (5.25), (5.26) und (5.21) 1 ˆ ˆ − iPˆ ] [X + iPˆ , X 2 i ˆ − i [X, ˆ Pˆ ] = [Pˆ , X] 2 2
[a, a† ] =
(5.29)
d. h. [a, a† ] = 1.
(5.30)
Diese Beziehung ist zur Vertauschungsrelation (5.14) a¨ quivalent. Wir verschaffen uns schließlich einige Zusammenh¨ange, die wir im Folgenden ben¨otigen. Zun¨achst berechnen wir a† a: 1 ˆ ˆ + iPˆ ) (X − iPˆ )(X 2 1 ˆ 2 ˆ2 ˆ Pˆ − iPˆ X) ˆ = (X + P + iX 2 1 ˆ 2 ˆ2 = (X + P − 1). 2
a† a =
(5.31)
Ein Vergleich mit dem Ausdruck (5.23) liefert ˆ = a† a + 1 = 1 (X ˆ − iPˆ )(X ˆ + iPˆ ) + 1 . H 2 2 2
(5.32)
ˆ nicht in ein Produkt aus LinearIm Unterschied zur klassischen Mechanik kann man H ˆ und Pˆ f¨uhrt auf der rechten Seite zu faktoren zerlegen. Die Nichtvertauschbarkeit von X einem zus¨atzlichen Term 1/2. Man kann ebenso zeigen, dass ˆ = aa† − 1 H 2
(5.33)
ist. Wir f¨uhren nun den Operator N = a† a
(5.34)
ein. Er ist hermitesch, weil N † = a† (a† )† = a† a = N
(5.35)
ist. Weiter ist wegen Gl. (5.32) ˆ = N + 1, H 2 ˆ auch Eigenvektoren von N und umgekehrt sind. so dass die Eigenvektoren von H
(5.36)
5.2 Eigenwerte des Hamilton-Operators
455
Wir berechnen zum Schluss die Kommutatoren von N mit a und a† : [N, a] = [a† a, a] = a† [a, a] + [a† , a]a = −a, [N, a† ] = [a† a, a† ] = a† [a, a† ] + [a† , a† ]a = a† ,
(5.37)
[N, a] = −a,
(5.38)
[N, a† ] = a† .
(5.39)
d. h.
Die folgende Behandlung des harmonischen Oszillators basiert auf der Verwendung der Operatoren a, a† und N . In gewisser Weise haben wir die Eigenwertgleichung von H, die wir zun¨achst in der Form (5.24) angeschrieben hatten, durch die Eigenwertgleichung f¨ur den Operator N ersetzt: N |ϕiν = ν|ϕiν .
(5.40)
Haben wir diese Gleichung gel¨ost, so wissen wir, dass der Eigenvektor |ϕiν von N auch Eigenvektor von H zum Eigenwert Eν = (ν + 1/2)¯ hω (Gleichungen (5.22) und (5.36)) ist: hω|ϕiν . H|ϕiν = (ν + 1/2)¯
(5.41)
Zur L¨osung von Gl. (5.40) gehen wir von der Vertauschungsrelation (5.30), die zur Relation (5.14) a¨ quivalent ist, und von den Beziehungen (5.38) und (5.39) aus, die sich daraus als Folgerungen ergeben.
5.2.2 Das Spektrum Lemmata Lemma I (Eigenschaft der Eigenwerte von N ). Die Eigenwerte ν des Operators N sind positiv oder null. Denn f¨ur einen beliebigen Eigenvektor |ϕiν von N ist das Quadrat der Norm des Vektors a|ϕiν nichtnegativ: ||a|ϕiν ||2 = ϕiν |a† a|ϕiν ≥ 0.
(5.42)
Mit der Definition (5.34) f¨ur N wird ϕiν |a† a|ϕiν = ϕiν |N |ϕiν = νϕiν |ϕiν .
(5.43)
Weil aber ϕiν |ϕiν positiv ist, zeigt der Vergleich von Gl. (5.42) und Gl. (5.43), dass ν ≥ 0.
(5.44)
456
5 Der harmonische Oszillator
Lemma II (Eigenschaften des Vektors a|ϕiν ). Es sei |ϕiν ein (nichtverschwindender) Eigenvektor von N zum Eigenwert ν. 1. Ist ν = 0, so ist der Ketvektor a|ϕiν=0 gleich null. 2. Ist ν > 0, so ist der Ketvektor a|ϕiν ein nichtverschwindender Eigenvektor von N zum Eigenwert ν − 1. Zum Beweis: 1. Nach Gl. (5.43) ist das Quadrat der Norm von a|ϕiν gleich null, wenn ν = 0 ist. Nun ist die Norm eines Vektors dann und nur dann null, wenn dieser Vektor der Nullvektor ist. Ist daher ν = 0 Eigenwert von N , so erf¨ullen alle Eigenvektoren |ϕi0 zu diesem Eigenwert die Gleichung a|ϕi0 = 0.
(5.45)
Man kann u¨ brigens zeigen, dass die Gleichung f¨ur diese Eigenvektoren charakteristisch ist. Betrachten wir hierzu einen Vektor |ϕ, der der Gleichung (5.46)
a|ϕ = 0 †
gen¨ugt. Multiplizieren wir beide Seiten dieser Gleichung von links mit a , so erhalten wir a† a|ϕ = N |ϕ = 0.
(5.47)
Jeder Vektor, der die Beziehung (5.46) erf¨ullt, ist darum Eigenvektor von N zum Eigenwert ν = 0. 2. Es sei jetzt ν streng positiv. Nach Gl. (5.43) ist dann der Vektor a|ϕiν ungleich dem Nullvektor, weil das Quadrat seiner Norm von null verschieden ist. Wir zeigen, dass a|ϕiν Eigenvektor von N ist. Hierzu wenden wir die Operatorgleichung (5.38) auf den Vektor |ϕiν an: [N, a]|ϕiν = −a|ϕiν , N a|ϕiν = aN |ϕiν − a|ϕiν
(5.48)
= aν|ϕiν − a|ϕiν , also ist N [a|ϕiν ] = (ν − 1)[a|ϕiν ],
(5.49)
womit wir gezeigt haben, dass a|ϕiν Eigenvektor von N zum Eigenwert ν − 1 ist. Lemma III (Eigenschaften des Vektors a† |ϕiν ). Es sei |ϕiν ein (nichtverschwindender) Eigenvektor von N zum Eigenwert ν. 1. a† |ϕiν ist stets ungleich null. 2. a† |ϕiν ist Eigenvektor von N zum Eigenwert ν + 1. Zum Beweis: 1. Mit Gl. (5.30) und Gl. (5.34) kann man die Norm des Vektors a† |ϕiν berechnen: ||a† |ϕiν ||2 = ϕiν |aa† |ϕiν = ϕiν |(N + 1)|ϕiν = (ν + 1)ϕiν |ϕiν .
(5.50)
5.2 Eigenwerte des Hamilton-Operators
457
Weil nach Lemma I ν positiv oder null ist, ist die Norm des Ketvektors a† |ϕiν stets von null verschieden und darum dieser Vektor nie gleich dem Nullvektor. 2. Der Beweis verl¨auft wie bei Lemma II. Es gen¨ugt, von der Operatorgleichung (5.39) auszugehen. Man erh¨alt [N, a† ]|ϕiν = a† |ϕiν , N a† |ϕiν = a† N |ϕiν + a† |ϕiν = (ν + 1)a† |ϕiν .
(5.51)
Spektrum von N Gegeben sei ein beliebiger Eigenwert ν von N und ein nichtverschwindender Eigenvektor zu diesem Eigenwert. Nach Lemma I ist ν notwendig positiv oder null. Wir zeigen zun¨achst, dass die Annahme, ν sei keine ganze Zahl, im Widerspruch zu Lemma I steht. Ist n¨amlich ν nicht ganzzahlig, so kann man stets eine ganze Zahl n ≥ 0 finden, so dass n n, s. Gl. (5.52)).
Abb. 5.3 Die wiederholte Wirkung des Operators a auf den Ketvektor |ϕiν ergibt die Eigenvektoren von N zu den Eigenwerten ν − 1, ν − 2, . . .
Lassen wir jetzt den Operator a auf den Ket an |ϕiν , einem Eigenvektor von N zum Eigenwert ν − n > 0, wirken. Weil nach Gl. (5.52) ν − n > 0 ist, liefert das einen nichtverschwindenden Vektor (Lemma II); weiter ist (immer nach Lemma II) an+1 |ϕiν Eigenvektor von N zum Eigenwert ν − n− 1, der nach Gl. (5.52) negativ ist. W¨are ν nicht ganzzahlig, so k¨onnten wir einen nichtverschwindenden Eigenvektor von N zu einem
458
5 Der harmonische Oszillator
(streng) negativen Eigenwert konstruieren. Weil dies aber nach Lemma I nicht m¨oglich ist, muss die Annahme eines nichtganzzahligen ν verworfen werden. Was geschieht, wenn ν=n
(5.54)
mit einer nichtnegativen ganzen Zahl n ist? In der Vektorfolge (5.53) ist an |ϕin verschieden vom Nullvektor und Eigenvektor von N zum Eigenwert 0. Nach Lemma II ist dann an+1 |ϕin = 0.
(5.55)
F¨ur ganzzahliges n ist daher die Folge der Vektoren, die man durch wiederholte Anwendung des Operators a auf |ϕin erh¨alt, beschr¨ankt; zu einem negativen Eigenwert von N kann man also nie einen vom Nullvektor verschiedenen Eigenvektor erhalten. Folglich kann ν nur eine nichtnegative ganze Zahl n sein. Mit Lemma III kann man zeigen, dass das Spektrum von N alle nichtnegativen ganzen Zahlen enth¨alt. Wir haben eben einen Eigenvektor von N zum Eigenwert null konstruiert (an |ϕin ). L¨asst man auf einen solchen Vektor den Operator (a† )k wirken, so erh¨alt man einen Eigenvektor von N zum Eigenwert k, wobei k beliebig positiv ganz ist. Man gelangt mit Ber¨ucksichtigung von Gl. (5.41) zu dem Schluss, dass die Eigenwerte von H von der Form 1 En = n + hω ¯ (5.56) 2 mit n = 0, 1, 2, . . . sind. In der Quantenmechanik ist daher die Energie des harmonischen Oszillators quantisiert und kann nicht jeden beliebigen Wert annehmen. Weiter stellen wir fest, dass der kleinstm¨ogliche Wert (das Grundniveau) nicht gleich null ist, sondern den Wert ¯ hω/2 hat (s. Abschnitt 5.4.2).
Interpretation der Operatoren a und a† Von einem Eigenvektor |ϕin von H zum Eigenwert En = (n + 1/2)¯ hω gelangt man durch Anwendung des Operators a auf einen Eigenvektor zum Eigenwert En−1 = (n + 1/2)¯ hω − ¯ hω; die Anwendung von a† liefert einen Eigenvektor zum Eigenwert En+1 = (n + 1/2)¯ hω + h ¯ ω. Aus diesem Grund nennt man a einen Vernichtungsoperator und a† einen Erzeugungsoperator: Ihre Anwendung auf einen Eigenvektor von N l¨asst ein Energiequant ¯ hω verschwinden oder umgekehrt entstehen.
5.2.3 Entartung der Eigenwerte Wir wollen zeigen, dass die Energieniveaus (5.56) des eindimensionalen harmonischen Oszillators nichtentartet sind.
5.2 Eigenwerte des Hamilton-Operators
459
Das Grundniveau ist nichtentartet Alle Eigenzust¨ande von H zum Eigenwert E0 = h ¯ ω/2, d. h. die Eigenzust¨ande von N zum Eigenwert n = 0 m¨ussen nach Lemma II die Gleichung a|ϕi0 = 0
(5.57)
erf¨ullen. Zur Bestimmung der Entartung des Niveaus E0 gen¨ugt es daher, die Anzahl der linear unabh¨angigen Ketvektoren zu ermitteln, f¨ur die diese Gleichung richtig ist. Mit der Definition (5.25) von a und den Beziehungen (5.20) kann man Gl. (5.57) auf die Form i 1 mω √ P |ϕi0 = 0 X+√ (5.58) h ¯ 2 m¯ hω bringen. In der Ortsdarstellung lautet sie mω d x+ ϕi0 (x) = 0, h ¯ dx
(5.59)
worin ϕi0 (x) = x|ϕi0 .
(5.60)
Die allgemeine L¨osung dieser Differentialgleichung erster Ordnung ist 1 mω 2 h ¯ x
ϕi0 (x) = c e− 2
(5.61)
mit der Integrationskonstanten c. Die L¨osungen von Gl. (5.59) sind also zueinander proportional. Darum existiert (von einem Faktor abgesehen) nur ein Ketvektor |ϕ0 , der ¯ ω/2 ist nichtentartet. Gl. (5.57) erf¨ullt: Das Grundniveau E0 = h
Kein Niveau ist entartet Durch Rekursion beweisen wir, dass auch alle anderen Niveaus nichtentartet sind. Hierzu gen¨ugt es zu zeigen, dass das Niveau En+1 = (n + 1 + 1/2)¯ hω nichtentartet ist, wenn sein Vorg¨anger En = (n + 1/2)¯ hω nichtentartet ist. Wir nehmen somit an, dass (bis auf einen Faktor) genau ein Ketvektor |ϕn existiert, f¨ur den N |ϕn = n|ϕn
(5.62)
gilt. Wir betrachten nun einen Eigenvektor |ϕin+1 zum Eigenwert n + 1: N |ϕin+1 = (n + 1)|ϕin+1 .
(5.63)
Wir wissen, dass der Ketvektor a|ϕin+1 nicht null und Eigenvektor von N zum Eigenwert n ist (s. Lemma II). Weil dieser nach Voraussetzung nichtentartet ist, gibt es eine Zahl ci , so dass a|ϕin+1 = ci |ϕn .
(5.64)
460
5 Der harmonische Oszillator
Wendet man auf die beiden Seiten dieser Gleichung den Erzeugungsoperator a† an, a† a|ϕin+1 = ci a† |ϕn ,
(5.65)
so wird mit Ber¨ucksichtigung von Gl. (5.34) und Gl. (5.63) |ϕin+1 =
ci † a |ϕn . n+1
(5.66)
Nun ist aber a† |ϕn Eigenvektor von N zum Eigenwert (n + 1); somit sind alle Ketvektoren |ϕin+1 zum Eigenwert (n + 1) proportional zu a† |ϕn , also auch zueinander proportional: Der Eigenwert (n + 1) ist nichtentartet. Weil schließlich der Eigenwert n = 0 nichtentartet ist, sind dies auch die Eigenwerte n = 1, 2, . . . : Kein Eigenwert von N und daher auch kein Eigenwert von H ist entartet. hω einfach mit Wir k¨onnen also den Eigenvektor von H zum Eigenwert En = (n + 1/2)¯ |ϕn bezeichnen.
5.3 Eigenzust¨ande des Hamilton-Operators Wir untersuchen jetzt die grunds¨atzlichen Eigenschaften des Operators N und des Hamilton-Operators H.
5.3.1 {|ϕn }-Darstellung Wir setzen voraus, dass die Operatoren N und H Observable sind, ihre Eigenvektoren also im Zustandsraum Hx f¨ur ein Teilchen und f¨ur ein eindimensionales Problem eine Basis bilden (wir k¨onnten dies u¨ ber die weiter unten angegebenen Wellenfunktionen beweisen, die zu den Eigenvektoren von N geh¨oren). Weil kein Eigenwert von N (bzw. H) entartet ist (s. Abschnitt 5.2.3), bilden N (bzw. H) f¨ur sich einen vollst¨andigen Satz kommutierender Observabler in Hx .
Basisvektoren in Abh¨angigkeit von |ϕ0 F¨ur den Vektor |ϕ0 ∈ Hx zum Eigenwert n = 0 von N gilt a|ϕ0 = 0.
(5.67)
Er ist bis auf einen Faktor bestimmt. Nehmen wir |ϕ0 als normiert an, so reduziert sich die Unbestimmtheit auf einen globalen Phasenfaktor eiθ (θ reell). Nach Lemma III aus Abschnitt 5.2.2 ist der zu n = 1 geh¨orende Vektor |ϕ1 zu a† |ϕ0 proportional: |ϕ1 = c1 a† |ϕ0 .
(5.68)
5.3 Eigenzust¨ande des Hamilton-Operators
461
Wir bestimmen c1 , indem wir |ϕ1 normieren und die Phase von |ϕ1 (in Bezug auf |ϕ0 ) so w¨ahlen, dass c1 reell und positiv ist. Nach Gl. (5.68) gilt f¨ur das Quadrat der Norm von |ϕ1 ϕ1 |ϕ1 = |c1 |2 ϕ0 |aa† |ϕ0 = |c1 |2 ϕ0 |(a† a + 1)|ϕ0 ,
(5.69)
wobei wir Gl. (5.30) verwendet haben. Weil |ϕ0 normierter Eigenvektor von N = a† a zum Eigenwert null ist, finden wir ϕ1 |ϕ1 = |c1 |2 = 1.
(5.70)
Mit unserer Phasenvereinbarung ist c1 = 1 und folglich |ϕ1 = a† |ϕ0 .
(5.71)
Den Vektor |ϕ2 kann man aus |ϕ1 ebenso konstruieren: |ϕ2 = c2 a† |ϕ1 .
(5.72)
Wir verlangen, dass |ϕ2 normiert ist und w¨ahlen seine Phase so, dass c2 reell und positiv ist: ϕ2 |ϕ2 = |c2 |2 ϕ1 |aa† |ϕ1 = |c2 |2 ϕ1 |(aa† + 1)|ϕ1 = 2|c2 |2 = 1.
(5.73)
Somit ist 1 1 |ϕ2 = √ a† |ϕ1 = √ (a† )2 |ϕ0 , 2 2
(5.74)
wenn man Gl. (5.71) ber¨ucksichtigt. Dieses Vorgehen l¨asst sich leicht verallgemeinern. Kennt man den (normierten) Vektor |ϕn−1 , so lautet der normierte Vektor |ϕn = cn a† |ϕn−1 .
(5.75)
ϕn |ϕn = |cn |2 ϕn−1 |aa† |ϕn−1 = n|cn |2 = 1
(5.76)
Weil
ist, w¨ahlt man mit denselben Phasenvereinbarungen wie oben 1 cn = √ . n
(5.77)
Auf diese Weise kann man von |ϕ0 ausgehend alle Vektoren |ϕn erhalten: 1 |ϕn = √ a† |ϕn−1 = n 1 1 = √ √ ... n n−1
1 1 √ √ (a† )2 |ϕn−2 = . . . n n−1 1 √ (a† )n |ϕ0 2
(5.78)
462
5 Der harmonische Oszillator
oder 1 |ϕn = √ (a† )n |ϕ0 . n!
(5.79)
Orthonormierungsbedingungen und Vollst¨andigkeitsrelation Weil der Hamilton-Operator H hermitesch ist, sind die Ketvektoren zu verschiedenen n orthogonal. Da sie u¨ berdies normiert sind, erf¨ullen sie die Orthonormierungsbedingungen ϕn |ϕn = δnn .
(5.80)
Andererseits ist H eine Observable (wie wir hier ohne Beweis voraussetzen). Die Menge der |ϕn bildet daher eine Basis in Hx und es gilt die Vollst¨andigkeitsrelation
|ϕn ϕn | = 1.
(5.81)
n
Bemerkung ¨ Uber den Ausdruck (5.79) kann man direkt beweisen, dass die Vektoren |ϕn orthonormiert sind. Zun¨achst ist
ϕn |ϕn = √
1
ϕ0 |an a†n |ϕ0 . n!n !
(5.82)
Nun gilt aber
−1
(aa† )a†n−1 |ϕ0
−1
(a† a + 1)a†n−1 |ϕ0
an a†n |ϕ0 = an = an
= n an
−1 †n−1
a
|ϕ0
(5.83)
(a†n−1 |ϕ0 ist Eigenzustand von N = a† a zum Eigenwert n − 1). Verringert man so schrittweise die Exponenten von a und a† , so ergibt sich schließlich
ϕ0 |an a†n |ϕ0 = n × (n − 1) × . . . 2 × 1 ϕ0 |an −n |ϕ0 , wenn n < n ;
(5.84)
ϕ0 |an a†n |ϕ0
= n × (n − 1) × . . . (n − n + 1) ϕ0 |(a† )n−n |ϕ0 , wenn n > n ;
ϕ0 |an a†n |ϕ0 = n × (n − 1) × . . . 2 × 1 ϕ0 |ϕ0 , wenn n = n .
(5.85) (5.86)
Der Ausdruck (5.84) ist null, weil a|ϕ0 = 0 ist. Auch der Ausdruck (5.85) verschwindet, weil wir ϕ0 |(a† )n−n |ϕ0 als das Skalarprodukt von |ϕ0 mit dem Bravektor zu an−n |ϕ0 auffassen k¨onnen; dieser ist aber f¨ur n > n null. Setzt man zuletzt Gl. (5.86) in Gl. (5.82) ein, so sieht man, dass ϕn |ϕn = 1 ist.
5.3 Eigenzust¨ande des Hamilton-Operators
463
Wirkung verschiedener Operatoren Die Observablen X und P sind Linearkombinationen der Operatoren a und a† (Gleichungen (5.20), (5.27) und (5.28)). Folglich k¨onnen s¨amtliche physikalische Gr¨oßen als Funktionen von a und a† ausgedr¨uckt werden. Nun wissen wir (und werden dies auch pr¨azisieren), dass die Wirkung von a und a† auf die Vektoren |ϕn besonders einfach ist. Aus diesem Grund ist man in vielen F¨allen daran interessiert, die Matrixelemente und Erwartungswerte der verschiedenen Observablen in der {|ϕn }-Darstellung zu berechnen. Mit der oben eingef¨uhrten Phasenwahl ist die Wirkung der Operatoren a und a† auf die Vektoren der Basis {|ϕn } gegeben durch √ a† |ϕn = n + 1 |ϕn+1 , (5.87) √ (5.88) a|ϕn = n |ϕn−1 . Die erste Gleichung haben wir bereits bewiesen: Man muss nur in Gl. (5.75) und Gl. (5.77) n durch n + 1 ersetzen. Um Gl. (5.88) zu erhalten, multiplizieren wir beide Seiten von Gl. (5.75) von links mit dem Operator a und ber¨ucksichtigen Gl. (5.77). Dann wird √ 1 1 a|ϕn = √ aa† |ϕn−1 = √ (a† a + 1)|ϕn−1 = n|ϕn−1 . n n
(5.89)
Bemerkung Die zu Gl. (5.87) und Gl. (5.88) adjungierten Beziehungen sind √
ϕn |a = n + 1 ϕn+1 |,
ϕn |a† =
√
n ϕn−1 |.
(5.90) (5.91)
Man beachte, dass a den Wert n um eins verringert oder erh¨oht, je nachdem ob er auf den Ketvektor |ϕn oder auf den Bravektor ϕn | wirkt. Entsprechend erh¨oht oder erniedrigt a† den Wert von n um eins, je nachdem ob er auf den Ketvektor |ϕn oder auf den Bravektor ϕn | wirkt.
Geht man von den Gleichungen (5.87) und (5.88) aus und verwendet die Gleichungen (5.20), (5.27) und (5.28), so ergeben sich die Ausdr¨ucke f¨ur X|ϕn und P |ϕn unmittelbar: h 1 † ¯ √ (a + a)|ϕn X|ϕn = mω 2 √ h √ ¯ [ n + 1|ϕn+1 + n|ϕn−1 ], (5.92) = 2mω √ i m¯ hω √ (a† − a)|ϕn 2 √ m¯ hω √ = i [ n + 1|ϕn+1 − n|ϕn−1 ]. 2
P |ϕn =
(5.93)
464
5 Der harmonische Oszillator
Damit sind dann die Matrixelemente der Operatoren a, a† , X und P in der {|ϕn }Darstellung √ ϕn |a|ϕn = nδn ,n−1 , (5.94) ϕn |a† |ϕn =
√ n + 1δn ,n+1 ,
(5.95)
√ h √ ¯ [ n + 1δn ,n+1 + nδn ,n−1 ], 2mω √ m¯ hω √ [ n + 1δn ,n+1 − nδn ,n−1 ]. ϕn |P |ϕn = i 2
ϕn |X|ϕn =
(5.96)
(5.97)
Die Darstellungsmatrizen von a und a† sind zueinander hermitesch konjugiert. Sie lauten √ ⎛ ⎞ 1 √0 0 ... ... ... 0 ⎜ 0 0 2 √0 . . . . . . . . . ⎟ ⎜ ⎟ ⎜ 0 0 3 ... ... ... ⎟ 0 ⎜ ⎟ ⎟, .. .. .. (a) = ⎜ (5.98) ⎜ ... ⎟ . . . ⎜ ⎟ √ ⎜ 0 0 n ... ⎟ 0 0 0 ⎝ ⎠ .. .. .. .. .. .. . . . . . . ⎛
√0 1 0 0 .. .
⎜ ⎜ ⎜ ⎜ ⎜ (a† ) = ⎜ ⎜ ⎜ ⎜ ⎜ 0 ⎝ .. .
0 0 0 √0 2 √0 0 3 .. .. . . 0 0 .. .. . .
... ... ... ...
... ... ... ...
√ n+1 .. .
0 .. .
... ... ... ...
⎞
⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟ ⎟. ⎟ ⎟ ⎟ ... ⎟ ⎠
(5.99)
Die Matrizen f¨ur X und P sind beide hermitesch: Bis auf einen Faktor ist die Darstellungsmatrix von X die Summe von (a) und (a† ), die Darstellungsmatrix von P ist proportional zur Differenz von (a† ) und (a); dabei sichert der Faktor i ihre Hermitezit¨at.
5.3.2 Wellenfunktionen zu den station¨aren Zust¨anden Wir schreiben jetzt f¨ur die Eigenzust¨ande |ϕn des Hamilton-Operators die Wellenfunktionen ϕn (x) = x|ϕn an, begeben uns also in die Ortsdarstellung. F¨ur den Grundzustand |ϕ0 (s. Abschnitt 5.2.3, Gl. (5.61)) haben wir die Funktion ϕ0 (x) bereits angegeben. Sie lautet ϕ0 (x) = x|ϕ0 =
mω 1/4 π¯ h
1 mω 2 h ¯ x .
e− 2
(5.100)
5.3 Eigenzust¨ande des Hamilton-Operators
465
Der Faktor vor der e-Funktion sorgt f¨ur die Normierung von ϕ0 (x). Um die Funktionen ϕn (x) zu den anderen station¨aren Zust¨anden des harmonischen Oszillators zu erhalten, braucht man nur den Ausdruck (5.79) f¨ur den Ketvektor |ϕn und den Operator a† in der Ortsdarstellung. Er lautet mω h d ¯ 1 √ x− , h ¯ mω dx 2 ¯h d weil X durch die Multiplikation mit x und P durch den Differentialoperator i dx (Gl. (5.26)) dargestellt werden. Es ergibt sich 1 ϕn (x) = x|ϕn = √ x|(a† )n |ϕ0 n! n 1 1 mω ¯h d = √ √ x− ϕ0 (x), h ¯ mω dx n! 2n also
1 ϕn (x) = n 2 n!
¯ h mω
n 1/2
(5.101)
n 1 mω 2 mω 1/4 mω d x− e− 2 h¯ x . π¯h ¯h dx 1 mω
2
(5.102)
ϕn (x) ist demnach das Produkt aus dem Exponentialausdruck e− 2 h¯ x und einem Polynom n-ten Grades mit der Parit¨at (−1)n ; man nennt es ein hermitesches Polynom oder Hermite-Polynom (s. Abschnitte 5.6 und 5.7). Eine einfache Rechnung liefert die ersten Funktionen 1/4 1 mω 2 4 mω 3 x e− 2 h¯ x , ϕ1 (x) = π h ¯ mω 1/4 % mω & 1 mω 2 ϕ2 (x) = 2 x2 − 1 e− 2 h¯ x . (5.103) 4π¯ h h ¯ Ihr Verlauf ist in Abb. 5.4 wiedergegeben, Abb. 5.5 zeigt die zugeh¨origen Wahrscheinlichkeitsdichten. Abb. 5.6 stellt das Verhalten der Wellenfunktion ϕn (x) und die zugeh¨orige Wahrscheinlichkeitsdichte f¨ur n = 10 dar. An diesen Abbildungen erkennt man, dass der Bereich auf der x-Achse, f¨ur den ϕn (x) nennenswert von null verschiedene Werte annimmt, mit steigendem n immer gr¨oßer wird. Das entspricht dem Verhalten in der klassischen Mechanik, wonach die Amplitude der Teilchenbewegung mit der Energie w¨achst (s. Abb. 5.1 und die Beziehung (5.8)). Damit wird auch der Erwartungswert der potentiellen Energie mit n gr¨oßer (s. Bemerkung 2 in Abschnitt 5.4.1), denn ϕn (x) nimmt in den Bereichen auf der x-Achse wesentlich von null verschiedene Werte an, in denen das Potential V (x) groß ist. Weiter stellen wir in den Abbildungen fest, dass die Zahl der Nullstellen von ϕn (x) gleich n ist (dies wird in Abschnitt 5.6 bewiesen). Damit w¨achst aber auch die mittlere kinetische Energie des Teilchens mit n (s. Bemerkung 2 in Abschnitt 5.4.1). Sie ist gegeben durch +∞ h2 ¯ d2 1 2 P = − ϕ∗n (x) 2 ϕn (x) dx. (5.104) 2m 2m −∞ dx
466
5 Der harmonische Oszillator
Abb. 5.4 Wellenfunktionen f¨ur die drei ersten Niveaus des harmonischen Oszillators
Abb. 5.5 Wahrscheinlichkeitsdichten f¨ur die drei ersten Niveaus des harmonischen Oszillators
Abb. 5.6 Verlauf der Wellenfunktion (a) und der Wahrscheinlichkeitsdichte (b) f¨ur ein hoch angeregtes Niveau n = 10 des harmonischen Oszillators
5.4 Physikalische Diskussion
467
Mit wachsender Anzahl der Nullstellen w¨achst auch die Kr¨ummung der Bildkurve von ϕn (x), so dass die zweite Ableitung von ϕn (x) immer gr¨oßere Werte annimmt. Schließlich ist f¨ur große n die Wahrscheinlichkeitsdichte |ϕn (x)|2 an den Stellen x ≈ ± xM groß (xM ist die Amplitude der klassischen Bewegung mit der Energie En , s. Gl. (5.8)). Dieses Ergebnis erinnert an ein Charakteristikum, wie es von der klassischen Mechanik vorausgesagt wird: Das klassische Teilchen hat in den Umkehrpunkten x = ± xM die Geschwindigkeit null, h¨alt sich also im Mittel in der Umgebung dieser Punkte l¨anger als im Zentrum des Intervalls −xM ≤ x ≤ xM auf.
5.4 Physikalische Diskussion 5.4.1 Erwartungswert und Standardabweichung von X und P Mit dem Hamilton-Operator H vertauschen weder der Ortsoperator X noch der Impulsoperator P , und die Eigenzust¨ande |ϕn von H sind keine Eigenzust¨ande von X oder P . Befindet sich daher der harmonische Oszillator in einem station¨aren Zustand |ϕn , so kann die Messung der Observablen X oder der Observablen P von vornherein ein beliebiges Resultat liefern (die Spektren von X und P enthalten alle reelle Zahlen). Wir berechnen in diesem Abschnitt die Erwartungswerte und die Standardabweichungen der beiden Observablen und gelangen dann zur Unsch¨arferelation f¨ur den Fall des harmonischen Oszillators. Wir wollen die Rechnungen mit Hilfe der Operatoren a und a† ausf¨uhren. Aus den Gleichungen (5.92) und (5.93) folgt sofort, dass die Erwartungswerte von X und P gleich null sind, denn beide Operatoren haben keine von null verschiedenen Diagonalelemente: ϕn |X|ϕn = 0, ϕn |P |ϕn = 0.
(5.105)
Zur Bestimmung der Standardabweichungen ΔX und ΔP ben¨otigen wir die Erwartungswerte von X 2 und P 2 : (ΔX)2 = ϕn |X 2 |ϕn − (ϕn |X|ϕn )2 = ϕn |X 2 |ϕn , (ΔP )2 = ϕn |P 2 |ϕn − (ϕn |P |ϕn )2 = ϕn |P 2 |ϕn .
(5.106)
Nach Gl. (5.20), (5.27) und (5.28) ist ¯ h (a† + a)(a† + a) 2mω h ¯ (a†2 + aa† + a† a + a2 ), = 2mω m¯ hω † (a − a)(a† − a) = − 2 m¯ hω †2 (a − aa† − a† a + a2 ). = − 2
X2 =
P2
(5.107)
468
5 Der harmonische Oszillator
Die Terme mit a2 und a†2 liefern zu den Diagonalelementen keinen Beitrag, weil a2 |ϕn zu |ϕn−2 und a†2 |ϕn zu |ϕn+2 proportional ist; beide sind aber orthogonal zu |ϕn . Dagegen liefert ϕn |(a† a + aa† )|ϕn = ϕn |(2a† a + 1)|ϕn = 2n + 1.
(5.108)
Folglich ist ¯h 1 (ΔX) = ϕn |X |ϕn = n + , 2 mω 1 (ΔP )2 = ϕn |P 2 |ϕn = n + m¯hω. 2 2
2
Damit wird das Produkt 1 ¯. h ΔX · ΔP = n + 2
(5.109) (5.110)
(5.111)
Wieder ergibt sich (s. Abschnitt 3.8), dass es gr¨oßer oder gleich ¯h/2 ist. Die untere Schranke wird f¨ur n = 0, also f¨ur den Grundzustand erreicht (s. Abschnitt 5.4.2). Bemerkungen 1. Ist xM die Amplitude der klassischen Bewegung mit der Energie En = (n + 1/2)¯ hω, so erkennt man unter Beachtung von Gl. (5.8) und Gl. (5.109), dass 1 ΔX = √ xM 2
(5.112)
ist. Ist entsprechend pM die Amplitude des klassischen Impulses, pM = mω xM ,
(5.113)
so erh¨alt man 1 ΔP = √ pM . 2
(5.114)
Es ist nicht u¨ berraschend, dass ΔX von der Gr¨oßenordnung der Breite des Intervalls [−xM , +xM ] ist, in dem die klassische Bewegung verl¨auft (s. Abb. 5.1). Wie wir am Ende von Abschnitt 5.3 gesehen haben, nimmt n¨amlich ϕn (x) (wenigstens ann¨ahernd) gerade in diesem Intervall nicht vernachl¨assigbare Werte an. Andererseits ist leicht einzusehen, warum ΔX mit gr¨oßer werdendem n w¨achst: Die Wahrscheinlichkeitsdichte |ϕn (x)|2 weist f¨ur große n in der N¨ahe der Stellen x = ± xM zwei symmetrisch liegende Maxima auf; die Standardabweichung kann dann nicht sehr viel kleiner als der Abstand dieser Maxima sein (s. Abschnitt 3.3.5 und die Diskussion in ¨ Abschnitt 3.6.1). Eine analoge Uberlegung kann f¨ur ΔP (s. Abschnitt 5.8) angestellt werden. 2. Der Mittel- oder Erwartungswert der potentiellen Energie eines Teilchens im Zustand |ϕn ist
V (X) =
1 mω 2 X 2 , 2
(5.115)
5.4 Physikalische Diskussion
469
d. h. weil X null ist (s. Gl. (5.105)), 1 mω 2 (ΔX)2 . 2
V (X) =
(5.116)
F¨ur den Erwartungswert der kinetischen Energie dieses Teilchens erhalten wir entsprechend
P2 1 = (ΔP )2 . 2m 2m
(5.117)
Setzen wir in diese beiden Gleichungen die Gleichungen (5.109) und (5.110) ein, so wird
1 P2 = 2m 2
1 2
V (X) =
1 2
n+
n+
1 2
hω = ¯
hω = ¯
En , 2
En . 2
(5.118)
Die Erwartungswerte der potentiellen und der kinetischen Energie sind gleich. Das ist die Aussage des Virialsatzes f¨ur einen Sonderfall (s. Aufgabe 10 in Abschnitt 3.16). ¨ Ob3. Zu einem station¨aren Zustand |ϕn gibt es in der klassischen Mechanik kein Aquivalent. wohl die Erwartungswerte X und P null sind, gilt dies nicht f¨ur die Energie dieses Zustands. Dennoch besteht eine gewisse Analogie zwischen dem Zustand |ϕn und einem klassischen Teilchen, dessen Ort durch Gl. (5.5) beschrieben wird (die Amplitude xM h¨angt mit der Energie En u¨ ber die Beziehung (5.8) zusammen), wobei die Anfangsphase ϕ aber zufallsverteilt ist (also mit derselben Wahrscheinlichkeit jeden Wert zwischen null und 2π annimmt). In diesem Fall w¨aren die Mittelwerte von x und p null, weil xkl = xM
1 2π
pkl = −pM
2π 0
cos(ωt − ϕ) dϕ = 0,
2π
1 2π
0
sin(ωt − ϕ) dϕ = 0.
(5.119)
Weiter stimmen die Standardabweichungen von Ort und Impuls mit den Werten f¨ur den Zustand |ϕn (Gl. (5.112) und Gl. (5.114)) u¨ berein. Es ist n¨amlich x2kl = x2M
1 2π
p2M
1 2π
p2kl =
2π 0 2π 0
cos2 (ωt − ϕ) dϕ =
x2M , 2
sin2 (ωt − ϕ) dϕ =
p2M , 2
(5.120)
d. h. aber
δpkl
xM x2kl − (xkl )2 = √ , 2 p M 2 = pkl − (pkl )2 = √ . 2
δxkl =
(5.121)
470
5 Der harmonische Oszillator
5.4.2 Eigenschaften des Grundzustands In der klassischen Mechanik ergibt sich die tiefstm¨ogliche Energie des harmonischen Oszillators, wenn das Teilchen ruht (Impuls und kinetische Energie sind dann null). In der Quantenmechanik ist das grundlegend anders: Die Energie des Grundzustands |ϕ0 ist ungleich null, und die zugeh¨orige Wellenfunktion besitzt eine gewisse r¨aumliche Aus dehnung, die durch die Standardabweichung ΔX = ¯h/2mω charakterisiert ist. Als Ursprung dieses wesentlichen Unterschieds zwischen den Aussagen der klassischen und der Quantenmechanik kann man die Unsch¨arferelationen ansehen, nach denen eine gleichzeitige Minimierung von kinetischer und potentieller Energie verboten ist. Der Grundzustand entspricht, wie wir bereits in Abschnitt 1.7 und 3.17 festgestellt hatten, einem Kompromiss, bei dem die Summe der beiden Energien so gering wie m¨oglich ist. F¨ur den Sonderfall des harmonischen Oszillators kann man die qualitativen Betrachtungen wenigstens zum Teil quantitativ pr¨azisieren, indem man die Gr¨oßenordnung der Energie und der r¨aumlichen Ausdehnung des Grundzustands ermittelt. Ist ξ die L¨ange, die diese r¨aumliche Ausdehnung charakterisiert, so wird die potentielle Energie im Mittel von der Gr¨oßenordnung V ≈
1 mω 2 ξ 2 2
(5.122)
sein. Dann betr¨agt die Impulsbreite ΔP ungef¨ahr ¯h/ξ, so dass die mittlere kinetische Energie ungef¨ahr T =
h2 ¯ p2 ≈ 2m 2mξ 2
(5.123)
ist. Somit ergibt sich f¨ur die Gesamtenergie im Mittel E =T +V ≈
¯2 h 1 + mω 2 ξ 2 . 2mξ 2 2
(5.124)
Den Verlauf von T , V und E in Abh¨angigkeit von ξ gibt Abb. 5.7 wieder. F¨ur kleine Werte von ξ liegt T u¨ ber V , f¨ur große ξ ist dagegen V gr¨oßer als T . N¨aherungsweise entspricht der Grundzustand dem Minimum der Funktion (5.124). Es liegt bei h ¯ (5.125) ξm ≈ mω und hat den Wert Em ≈ ¯ hω.
(5.126)
Wieder ergibt sich die Gr¨oßenordnung von E0 und ΔX f¨ur den Zustand |ϕ0 . Der harmonische Oszillator besitzt die besondere Eigenschaft, dass das Produkt ΔX · ΔP der Unsch¨arfen im Grundzustand seine untere Schranke tats¨achlich annimmt (Gl. (5.111)), weil dann die Wellenfunktion eine Gauß-Funktion ist (s. Abschnitt 3.8).
5.4 Physikalische Diskussion
471
Abb. 5.7 Mittlere potentielle Energie V und kinetische Energie T in Abh¨angigkeit vom Parameter ξ, mit dem man die r¨aumliche Ausdehnung der Wellenfunktion um den Ursprung x = 0 charakterisiert. Weil das harmonische Potential f¨ur x = 0 sein Minimum annimmt, ist V eine mit ξ steigende Funktion (V ∝ ξ 2 ). Dagegen f¨allt T aufgrund der Heisenbergschen Unsch¨arferelation mit gr¨oßer werdendem ξ. Die kleinstm¨ogliche Gesamtenergie ergibt sich f¨ur ξ = ξm als ein Kompromiss, bei dem die Summe T + V minimal wird.
5.4.3 Entwicklung der Erwartungswerte Der Anfangszustand eines harmonischen Oszillators sei |ψ(0) =
∞
cn (0)|ϕn
(5.127)
n=0
(|ψ(0) normiert). Der Zustand zur Zeit t ist dann nach Kapitel 3 (Gl. (3.163)) |ψ(t) = =
∞ n=0 ∞
cn (0) e−iEn t/¯h |ϕn cn (0) e−i(n+1/2)ωt |ϕn .
(5.128)
n=0
Somit ist der Erwartungswert einer beliebigen physikalischen Gr¨oße A ψ(t)|A|ψ(t) =
∞ ∞
c∗m (0)cn (0)Amn ei(m−n)ωt
(5.129)
m=0 n=0
mit Amn = ϕm |A|ϕn .
(5.130)
Da m und n ganze Zahlen sind, treten in der zeitlichen Entwicklung der Erwartungswerte nur die Frequenz ω/2π und ihre h¨oheren Harmonischen auf, die somit die BohrFrequenzen des harmonischen Oszillators bilden. Wir untersuchen insbesondere die Erwartungswerte der Observablen X und P . Nach Gl. (5.92) und Gl. (5.93) sind nur die Matrixelemente Xmn und Pmn f¨ur m = n ± 1
472
5 Der harmonische Oszillator
von null verschieden. Folglich enthalten die Erwartungswerte von X und P allein Terme mit e±iωt . Es sind also sinusf¨ormige Funktionen der Zeit mit der Kreisfrequenz ω. Dies erinnert an die klassische L¨osung des Problems. Bereits bei der Diskussion des EhrenfestTheorems (Abschnitt 3.4.1) hatten wir darauf hingewiesen, dass die Erwartungswerte von X und P wegen der Form des Oszillatorpotentials f¨ur jeden beliebigen Zustand |ψ den klassischen Bewegungsgleichungen in Strenge gen¨ugen m¨ussen. Nach den allgemeinen Beziehungen (3.142) und (3.143) aus Abschnitt 3.4 ist n¨amlich 1 P d X = [X, H] = , dt i¯ h m
(5.131)
d 1 P = [P, H] = −mω 2 X. dt i¯ h
(5.132)
Die Integration dieser Gleichungen liefert 1 P (0) sin ωt, mω P (t) = P (0) cos ωt − mω X(0) sin ωt.
X(t) = X(0) cos ωt +
(5.133) (5.134)
Das entspricht genau der sinusf¨ormigen Form, wie sie Gl. (5.129) angibt. Bemerkung Diese Analogie zum klassischen Fall tritt allerdings nur auf, wenn der Anfangszustand |ψ(0) eine ¨ Uberlagerung der Zust¨ande |ϕn (Gl. (5.127)) ist und mehrere Koeffizienten cn (0) von null verschieden sind. W¨aren alle Koeffizienten bis auf einen gleich null, so w¨are der Oszillator in einem station¨aren Zustand und die Erwartungswerte aller Observablen w¨aren Konstanten der Bewegung. In einem station¨aren Zustand |ϕn verh¨alt sich demnach ein harmonischer Oszillator selbst f¨ur große n (Grenzfall großer Quantenzahlen) g¨anzlich anders, als es die klassische Mechanik vorhersagt. Will man ein Wellenpaket konstruieren, dessen Schwerpunkt zeitlich oszilliert, so muss man verschiedene Zust¨ande |ϕn superponieren (s. Abschnitt 5.11).
Erg¨anzungen zu Kapitel 5
Abschnitt 5.5 zeigt an einigen Beispielen aus verschiedenen Gebieten der Physik die Bedeutung des quantenmechanischen harmonischen Oszillators auf. (Halbquantitativ und verh¨altnism¨aßig leicht. Wird f¨ur das erste Lesen empfohlen) Abschnitt 5.6 befasst sich mit den station¨aren Wellenfunktionen des harmonischen Oszillators. (Dient als Referenz f¨ur die folgenden Abschnitte) Abschnitt 5.7 stellt eine andere Methode vor, mit der die Resultate des Kapitel 5 auch erhalten werden k¨onnen. Er zeigt den Zusammenhang zwischen der Energiequantisierung und dem Verhalten der Wellenfunktionen im Unendlichen. (Von mittlerer Schwierigkeit) Abschnitt 5.8 weist nach, dass die Wahrscheinlichkeitsverteilung des Impulses dieselbe Form wie die des Ortes hat. (Verh¨altnism¨aßig leicht) Abschnitt 5.9 verallgemeinert die Ergebnisse aus Kapitel 5 auf den dreidimensionalen Fall. (Wird zum ersten Lesen empfohlen, da leicht und physikalisch wichtig) Abschnitt 5.10 befasst sich mit einer direkten und einfachen Anwendung der Resultate des Kapitel 5 (abgesehen von Abschnitt 5.10.3, in dem der in Abschnitt 2.11 eingef¨uhrte Translationsoperator verwendet wird). (Wird f¨ur das erste Lesen empfohlen) Abschnitt 5.11 ist die detaillierte Untersuchung der quasiklassischen Zust¨ande des harmonischen Oszillators. Mit ihnen kann man den Zusammenhang zwischen der klassischen und der Quantenmechanik herstellen. (Wichtig f¨ur die Anwendungen in der Quantentheorie der Strahlung. Von mittlerer Schwierigkeit, kann zun¨achst u¨ bersprungen werden) Abschnitt 5.12 untersucht in dem sehr einfachen Fall von zwei gekoppelten harmonischen Oszillatoren die Eigenschwingungen eines Systems. (Leicht und physikalisch wichtig) Abschnitte 5.13 und 5.14 liefern im Rahmen einfacher Modelle eine Einf¨uhrung von Begriffen, die in der Physik besonders wichtig sind. (Verh¨altnism¨aßig schwierig, kann auch sp¨ater gelesen werden) Abschnitt 5.13 untersucht die Eigenschwingungen einer linearen Kette von eindimensionalen Oszillatoren. F¨uhrt mit dem Phonon einen Grundbegriff der Festk¨orperphysik ein. Abschnitt 5.14 befasst sich mit den Eigenschwingungen eines kontinuierlichen Systems und macht auf einfache Weise verst¨andlich, wie in der quantentheoretischen Behandlung des elektromagnetischen Feldes die Photonen eingef¨uhrt werden. Abschnitt 5.15 wendet den (in Abschnitt 3.10 eingef¨uhrten) Begriff des Dichteoperators auf einen harmonischen Oszillator im thermodynamischen Gleichgewicht an. (Physikalisch wichtig, setzt aber die Kenntnis von Abschnitt 3.10 voraus) Abschnitt 5.16 enth¨alt die Aufgaben zu Kapitel 5.
•
474
Erg¨anzungen zu Kapitel 5
5.5 Beispiele fur ¨ harmonische Oszillatoren Wir hatten bereits in der Einleitung zu Kapitel 5 bemerkt, dass die Aussagen, zu denen man bei der Untersuchung des harmonischen Oszillators gelangt, in der Physik auf zahlreiche F¨alle angewendet werden k¨onnen. Insbesondere gilt dies, wenn das System um eine stabile Gleichgewichtslage (f¨ur die seine potentielle Energie ein Minimum annimmt) schwingt. In diesem Abschnitt stellen wir einige Beispiele hierzu vor und zeigen ihre physikalische Bedeutung: Das sind die Kernschwingungen in einem zweiatomigen Molek¨ul oder einem Kristallgitter, die Torsionsschwingungen eines Molek¨uls und die Bewegung eines μ− -Mesons im Innern eines schweren Kerns. Wir beschr¨anken uns dabei auf eine einfache und qualitative Diskussion.
5.5.1 Kernschwingungen in einem zweiatomigen Molekul ¨ Wechselwirkungsenergie von zwei Atomen
Abb. 5.8 Verlauf des Wechselwirkungspotentials von zwei Atomen, die ein stabiles Molek¨ul bilden k¨onnen. Klassisch ist V0 die Dissoziationsenergie des Molek¨uls und re der Abstand der beiden Kerne im Gleichgewicht. Quantenmechanisch erh¨alt man Schwingungsniveaus (horizontale Geradenst¨ucke im Potentialtopf) mit Energien oberhalb von −V0 .
Bildet sich aus zwei neutralen Atomen ein Molek¨ul, so hat das seine Ursache darin, dass die Wechselwirkungsenergie V (r) der beiden Atome (r ist ihr Abstand) ein Minimum aufweist. Den Verlauf von V (r) gibt Abb. 5.8 wieder. F¨ur sehr große r wirken die beiden Atome nicht aufeinander und V (r) geht gegen ein Konstante, die wir als Energieursprung nehmen. Dann a¨ ndert sich V (r) mit kleiner werdendem r n¨aherungsweise wie −1/r6 : Die Anziehung geht auf Van-der-Waals-Kr¨afte zur¨uck (mit diesen befassen wir uns in Abschnitt 11.6). Wird r so klein, dass sich die Elektronenwellenfunktionen beider Atome u¨ berlappen, so w¨achst V (r) rascher, geht f¨ur r = re durch ein Minimum, um schließlich f¨ur r gegen null sehr groß zu werden. Das Minimum von V (r) ist f¨ur das Ph¨anomen der chemischen Bindung der beiden Atome verantwortlich: Bereits in Abschnitt 4.3.2 stellten wir am Beispiel des H+ 2-
5.5 Beispiele f¨ur harmonische Oszillatoren
475
•
Ions fest, dass eine derartige Energieabsenkung auf eine Delokalisierung der Elektronenzust¨ande zur¨uckgeht (Quantenresonanz), was dann die Anziehung der Elektronen durch beide Kerne erm¨oglicht. Das rasche Ansteigen von V (r) f¨ur kurze Abst¨ande umschreibt dann die Abstoßung der Kerne. W¨aren die Kerne klassische Teilchen, so h¨atten sie f¨ur r = re stabile Gleichgewichtslagen. Die Tiefe V0 des Potentialtopfes an dieser Stelle wird in der klassischen Physik die Dissoziationsenergie des Molek¨uls genannt: Es ist die Energie, die man zur Trennung der beiden Atome aufwenden muss. Je gr¨oßer V0 ist, desto stabiler ist das Molek¨ul. Die theoretische und experimentelle Bestimmung der Kurve in Abb. 5.8 ist eine in der Atom- und Molek¨ulphysik sehr wichtige Aufgabe. Wir zeigen, dass eine Untersuchung der Kernschwingungen u¨ ber diese Kurve Aufschluss verschaffen kann. Bemerkung (Born-Oppenheimer-N¨aherung) F¨ur die Quantenmechanik erweist sich die Beschreibung eines zweiatomigen Molek¨uls als ein sehr komplexes Problem: Man muss die station¨aren Zust¨ande eines Systems von miteinander wechselwirkenden Elektronen und Kernen ermitteln. Im Allgemeinen ist die strenge L¨osung der Schr¨odinger-Gleichung f¨ur ein solches System unm¨oglich. Eine wichtige Vereinfachung ergibt sich dadurch, dass die Elektronenmasse gegen¨uber den Kernmassen klein ist, so dass sich die Elektronen sehr viel schneller als die Kerne bewegen. Daher kann man in erster N¨aherung die beiden Bewegungen getrennt voneinander untersuchen. Man beginnt damit, dass man die Bewegung der Elektronen f¨ur einen festen Kernabstand r bestimmt, und erh¨alt f¨ur das Elektronensystem eine Folge von station¨aren Zust¨anden mit den Energien E1 (r), E2 (r), . . . Wir betrachten nun den Grundzustand des ¨ sich r aufgrund der Bewegung der Kerne, so Elektronensystems mit der Energie E1 (r). Andert bleibt das Elektronensystem stets im Grundzustand. Dies bedeutet, dass die zu ihm geh¨orende Wel¨ lenfunktion sich jeder Anderung von r augenblicklich anpasst; man sagt, dass die sehr beweglichen Elektronen der Kernbewegung adiabatisch folgen. Untersucht man jetzt diese Bewegung, so spielt die Elektronenenergie E1 (r) die Rolle einer (potentiellen) Wechselwirkungsenergie zwischen den beiden Kernen. Sie ist vom Abstand r der Kerne abh¨angig und muss zu ihrer elektrostatischen Abstoßung addiert werden Z1 Z2 e2 /r (Z1 und Z2 sind die Atomzahlen der Kerne; ferner setzen wir e2 = q 2 /4πε0 , worin q die Elektronladung ist). Somit ist die potentielle Energie des aus den beiden Kernen bestehenden Systems insgesamt V (r) = E1 (r) +
Z1 Z2 e2 . r
(5.135)
Diese Funktion ist in Abb. 5.8 dargestellt.
Bewegung der Kerne Separation von Rotation und Schwingung. Wir gelangen somit zum Problem der Bewegung von zwei Teilchen mit den Massen m1 und m2 , die u¨ ber das Potential V (r) (Abb. 5.8) miteinander in Wechselwirkung stehen. Wegen der Existenz mehrerer miteinander gekoppelter Freiheitsgrade ist dieses Problem immer noch kompliziert: Es gibt ¨ ¨ Schwingungen (Anderungen von r) und Rotationen (Anderungen der Polarwinkel θ und ϕ), mit denen die Richtung der Molek¨ulachse festgelegt wird). Durch die Schwingung a¨ ndert sich mit r das Tr¨agheitsmoment des Molek¨uls und damit die Rotationsenergie.
•
476
Erg¨anzungen zu Kapitel 5
F¨ur Schwingungen geringer Amplitude kann man zeigen, dass die Kopplung zwischen den Schwingungs- und den Rotationsfreiheitsgraden vernachl¨assigbar ist, weil sich das Tr¨agheitsmoment nur wenig ver¨andert. Man hat es dann mit zwei unabh¨angigen Problemen zu tun (wie wir genauer in Abschnitt 7.9 sehen werden): an erster Stelle mit der Rotation einer Hantel“, die aus zwei Massenpunkten m1 und m2 mit dem Abstand re ” besteht4 , und dann mit dem eindimensionalen Problem (hier ist r die einzige Variable) eines fiktiven Teilchens der reduzierten Masse m=
m1 m2 m1 + m2
(5.136)
(s. Abschnitt 7.2), das sich im Potential V (r) (Abb. 5.8) bewegt. Hier muss man die Eigenwertgleichung −
¯ 2 d2 h + V (r) ϕ(r) = Eϕ(r) 2m dr2
(5.137)
l¨osen. Wir wollen uns auf dieses Problem konzentrieren.
Schwingungsniveaus. F¨ur Schwingungen kleiner Amplitude kann man V (r) an der Stelle r = re nach Taylor entwickeln: 1 1 V (r) = −V0 + V (re )(r − re )2 + V (re )(r − re )3 + . . . 2 6
(5.138)
Vernachl¨assigt man die Glieder dritter und h¨oherer Ordnung, so gelangt man zum Potential f¨ur einen harmonischen Oszillator, das um die Stelle r = re zentriert ist. Die zugeh¨orige Kreisfrequenz ist ω=
V (re ) . m
(5.139)
Die Energie des Schwingungszustands |ϕv ist dann (s. auch die horizontalen Geradenst¨ucke in Abb. 5.8) 1 Ev = v + ¯ ω − V0 h 2
(5.140)
mit v = 0, 1, 2, . . . Nach der Diskussion in Abschnitt 5.4.3 oszilliert der Erwartungswert R des Kernabstands um re mit der Frequenz ω/2π, der Vibrationsfrequenz des Molek¨uls.
4 Die quantenmechanische Behandlung dieses Systems, das man auch starrer Rotator nennt, erfolgt in Abschnitt 6.7.
5.5 Beispiele f¨ur harmonische Oszillatoren
477
•
Bemerkungen 1. Die Wellenfunktion eines harmonischen Oszillators hat selbst im Grundzustand eine endliche h/2mω (s. Abschnitt 5.4.2). Deshalb ist f¨ur den GrundAusdehnung von der Gr¨oßenordnung ¯ zustand der Molek¨ u lschwingung der Abstand der Kerne h¨ochstens mit einer Genauigkeit von h/2mω definiert. Damit die Schwingungs- von den Rotationsfreiheitsgraden entkoppelt sind, ¯ muss also
h ¯ re 2mω
(5.141)
sein. 2. Ist die reduzierte Masse m bekannt, so liefert die Messung von ω nach Gl. (5.139) die zweite Ableitung V (re ). Mit wachsender Quantenzahl v darf man den Term mit (r−re )3 in der Entwicklung (5.138) (also die Abweichung des Potentials von der Parabelform) nicht mehr vernachl¨assigen; der Oszillator wird anharmonisch. Mit Hilfe der St¨orungsrechnung (s. Abschnitt 11.4) ergibt sich dann, dass der Abstand Ev+1 − Ev von zwei aufeinanderfolgenden Niveaus f¨ur große und f¨ur kleine v verschieden ist. Untersucht man daher die Abh¨angigkeit der Differenz Ev+1 − Ev von der Quantenzahl v, erh¨alt man Aufschluss u¨ ber die dritte Ableitung V (re ) des Potentials. Das macht verst¨andlich, wie man u¨ ber die Frequenzen der Molek¨ulschwingungen die Form des Potentials in der Umgebung seines Minimums bestimmen kann.
Gr¨oßenordnung der Vibrationsfrequenzen. Es ist u¨ blich, bei Molek¨ulschwingungen die Vibrationsfrequenzen in cm−1 , d. h. als Kehrwert der (in cm gemessenen) Wellenl¨ange λ einer elektromagnetischen Strahlung mit derselben Frequenz ν anzugeben. 1 cm−1 entspricht dabei einer Frequenz von 3 × 1010 Hz und einer Energie von 1.24 × 10−4 eV. F¨ur zweiatomige Molek¨ule liegen die verschiedenen Vibrationsfrequenzen zwischen einigen zehn bis zu einigen tausend cm−1 . Die entsprechenden Wellenl¨angen fallen daher in den Infrarotbereich. Aus Gl. (5.139) ersieht man, dass ω umso gr¨oßer ist, je kleiner die Masse und je gr¨oßer V (re ), also die Kr¨ummung des Potentialtopfs an der Stelle r = re , ist. Da re stets dieselbe Gr¨oßenordnung von einigen 10−8 cm aufweist, w¨achst V (re ) mit der Tiefe V0 des Topfes: ω wird somit mit der chemischen Stabilit¨at gr¨oßer. Wir betrachten einige konkrete Beispiele. Die Vibrationsfrequenzen des Wasserstoff- und des Deuteriummolek¨uls (H2 und D2 ) sind (ohne Ber¨ucksichtigung der Anharmonizit¨at) νH2 = 4 401 cm−1 , νD2 = 3 112 cm−1 .
(5.142)
Die Potentialkurve ist in beiden F¨allen dieselbe: Die chemische Bindung zwischen den beiden Atomen h¨angt nur von der elektronischen Umgebung ab. Dagegen ist die reduzierte Masse des H2 -Molek¨ √ uls nur halb so groß wie die des D2 -Molek¨uls. Darum muss nach Gl. (5.139) νH2 = 2νD2 sein, wie es die experimentellen Werte auch anzeigen. Wir nehmen jetzt ein Beispiel, bei dem die beiden Molek¨ule ungef¨ahr die gleiche reduzierte Masse besitzen, sich jedoch in ihrer chemischen Stabilit¨at unterscheiden. Das Molek¨ul 79 Br85 Rb ist chemisch stabil (Verbindung zwischen einem Alkalimetall und einem Halogen). Es besitzt eine Vibrationsfrequenz von 181 cm−1 . Bei Versuchen zum op-
•
478
Erg¨anzungen zu Kapitel 5
tischen Pumpen beobachtete man 84 Kr85 Rb-Molek¨ule. Ihre chemische Stabilit¨at ist wesentlich schw¨acher, weil das Krypton als Edelgas in chemischer Hinsicht praktisch tr¨age ist (tats¨achlich geht die Koh¨asion des Molek¨uls allein auf Van-der-Waals-Kr¨afte zur¨uck). Man findet f¨ur diese Molek¨ule eine Vibrationsfrequenz von 13 cm−1 . Dieser betr¨achtliche Unterschied beruht allein auf der unterschiedlichen chemischen Bindung der beiden Molek¨ularten, weil ihre reduzierten Massen bis auf wenige Prozent praktisch gleich sind.
Experimentelle Hinweise auf die Kernschwingungen Wir wollen jetzt erkl¨aren, wie sich die Kernschwingung in einem Molek¨ul experimentell manifestiert. Dabei betrachten wir insbesondere die Wechselwirkung des Molek¨uls mit einer elektromagnetischen Welle. Absorption und Emission im Infrarotbereich. Wir nehmen zun¨achst an, dass das Molek¨ul heteropolar ist, d. h. dass es aus zwei verschiedenen Atomen besteht. Weil die Elektronen vom Atom mit der gr¨oßeren Elektronegativit¨at angezogen werden, wird das Molek¨ul im Allgemeinen ein permanentes Dipolmoment D(r) besitzen, das vom Abstand r der beiden Kerne abh¨angt. Wir entwickeln D(r) um die Gleichgewichtslage r = re : D(r) = d0 + d1 (r − re ) + . . .
(5.143)
mit zwei reellen Konstanten d0 und d1 . Weil das Molek¨ul durch eine Superposition |ψ(t) mehrerer station¨arer Schwingungszust¨ande beschrieben wird, oszilliert der Erwartungswert ψ(t)|D(R)|ψ(t) seines elektrischen Dipolmoments mit der Frequenz ω/2π um den Wert d0 . Der oszillierende Term r¨uhrt vom Erwartungswert des Terms d1 (R − re ) in Gl. (5.143) her (R − re spielt hier dieselbe Rolle wie die Observable X des in Abschnitt 5.4.3 untersuchten harmonischen Oszillators). Nun hat (R − re ) nur zwischen solchen Zust¨anden |ϕv und |ϕv nichtverschwindende Matrixelemente, f¨ur die v − v = ±1 ist. Mit dieser Auswahlregel k¨onnen wir verstehen, weshalb beim Zeitverhalten D(R)(t) des Dipolmoments nur eine Bohr-Frequenz ω/2π auftritt (die h¨oheren Harmonischen findet man offensichtlich erst dann, wenn man die Anharmonizit¨at des Potentials und weitere Terme in der Entwicklung (5.143) ber¨ucksichtigt; sie sind jedenfalls von sehr viel geringerer Intensit¨at). Diese Schwingung des elektrischen Dipolmoments erkl¨art die Kopplung des Molek¨uls mit dem elektromagnetischen Feld: Das Molek¨ul kann Strahlung mit der Frequenz ν = ω/2π absorbieren oder emittieren. Im Photonenbild kann das Molek¨ul ein Photon mit der Energie hν absorbieren und vom Zustand |ϕv in den Zustand |ϕv+1 gelangen (Abb. 5.9a), oder es emittiert umgekehrt ein Photon hν und f¨allt vom Zustand |ϕv in den Zustand |ϕv−1 (Abb. 5.9b). Raman-Effekt. Wir betrachten jetzt ein hom¨oopolares Molek¨ul, das aus zwei identischen Atomen besteht. Aus Symmetriegr¨unden ist dann das permanente elektrische Dipolmoment f¨ur jedes r null; das Molek¨ul ist im Infraroten inaktiv. Wir stellen uns jetzt vor, dass wir auf das Molek¨ul eine elektromagnetische Welle mit der optischen Frequenz Ω /2π schicken. Sie ist sehr viel h¨oher als die bis jetzt betrachteten
5.5 Beispiele f¨ur harmonische Oszillatoren
479
•
Abb. 5.9 Absorption (a) bzw. Emission (b) eines Photons mit der Energie hν durch ein heteropolares Molek¨ul, das vom Schwingungszustand |ϕv in den Zustand |ϕv+1 bzw. |ϕv−1 u¨ bergeht.
Frequenzen und in der Lage, die Elektronenh¨ulle des Molek¨uls anzuregen. Dadurch werden die Elektronen zu erzwungenen Schwingungen angeregt, so dass sie Strahlung derselben Frequenz in den Raum reemittieren. Es handelt sich um das bekannte Ph¨anomen der Lichtstreuung an Molek¨ulen (Rayleigh-Streuung).5 Welche neuen Erscheinungen treten nun durch die Molek¨ulschwingung auf? Qualitativ kann man wie folgt u¨ berlegen. Die elektronische Suszeptibilit¨at6 des Molek¨uls ist im Allgemeinen eine Funktion des Abstandes r der beiden Kerne. Mit der (im ¨ Vergleich zur Elektronenbewegung) langsamen Anderung von r a¨ ndert sich die Amplitude des mit der Frequenz Ω /2π schwingenden induzierten elektrischen Dipols. Die zeitliche Abh¨angigkeit des Dipolmoments ist also eine mit der Molek¨ulschwingung ω/2π modulierte harmonische Schwingung der Frequenz Ω /2π (Abb. 5.10). Die Fourier-Transformierte dieser Bewegung liefert die Frequenzverteilung des vom Molek¨ul emittierten Lichts. Es ergibt sich eine zentrale Frequenz Ω /2π (Rayleigh-Streuung) und zwei Seitenlinien, von denen eine die Frequenz (Ω − ω)/2π besitzt (Raman-Stokes-Streuung) und die andere die Frequenz (Ω + ω)/2π (Raman-Anti-Stokes-Streuung) (Abb. 5.11). Im Photonenbild kann man die verschiedenen Linien sehr leicht interpretieren. Wir betrachten ein Photon mit der Energie ¯hΩ , das auf das Molek¨ul im Zustand |ϕv trifft (Abb. 5.12a). Wechselt das Molek¨ul sein Vibrationsniveau nicht, so haben wir es mit einer elastischen Streuung zu tun: Das Photon wird mit derselben Energie gestreut, die das einfallende Teilchen besitzt (Abb. 5.12b; Rayleigh-Linie). Das Molek¨ul kann aber auch w¨ahrend des Streuvorgangs vom Zustand |ϕv in den Zustand |ϕv+1 gelangen. Das Molek¨ul gewinnt auf Kosten des gestreuten Photons die Energie ¯hω, dieses hat also die Energie ¯ h(Ω − ω) (Abb. 5.12c). Die Streuung ist inelastisch (Stokes-Linie). Schließlich kann 5 Die quantenmechanische Behandlung der durch ein Strahlungsfeld erzwungenen Bewegung von Atomelektronen erfolgt in Abschnitt 13.4. 6 Das Feld E eiΩ t der einfallenden Lichtwelle induziert in der Elektronenh¨ ulle des Molek¨uls ein Dipolmo0 ment
D = χ(Ω ) E0 eiΩ t . Darin ist χ(Ω ) die elektronische Suszeptibilit¨at des Molek¨uls. In unserem Zusammenhang ist die rAbh¨angigkeit von χ wichtig.
•
480
Erg¨anzungen zu Kapitel 5
Abb. 5.10 Die Amplitude des mit der Frequenz der einfallenden Lichtwelle schwingenden induzierten elektrischen Dipols wird durch die Schwingung eines Molek¨uls moduliert.
Abb. 5.11 Spektrum der amplitudenmodulierten Schwingung aus Abb. 5.10. Neben der zentralen Linie mit der Frequenz des einfallenden Lichts (Rayleigh-Streuung), treten zwei seitlich verschobene Linien auf (Stokes- und Anti-Stokes-Linie). Ihr Abstand von der zentralen Linie ist gleich der Vibrationsfrequenz des Molek¨uls.
Abb. 5.12 Schematische Darstellung der Streuung eines Photons mit der Energie ¯ hΩ an einem Molek¨ul, das sich anf¨anglich im Schwingungszustand |ϕv befindet (a); Rayleigh-Streuung ohne Zustands¨anderung des Molek¨uls (b); Raman-Stokes-Streuung bzw. Raman-Antistokes-Streuung ¨ mit einem Ubergang des Molek¨uls vom Zustand |ϕv in den Zustand |ϕv+1 (c) bzw. in den Zustand |ϕv−1 (d).
5.5 Beispiele f¨ur harmonische Oszillatoren
481
•
das Molek¨ul auch vom Zustand |ϕv in den Zustand |ϕv−1 gelangen, und das gestreute Photon hat die Energie ¯ h(Ω + ω) (Abb. 5.12d; Anti-Stokes-Linie). Bemerkungen 1. Man kann den Raman-Effekt auch an heteropolaren Molek¨ulen beobachten. 2. Der Raman-Effekt hat unter anderem f¨ur die Erzeugung von Laserstrahlung Bedeutung. Bringt man in einen Laserresonator mit der Frequenz Ω /2π ein Gef¨aß, das mit einer Raman-aktiven Substanz gef¨ullt ist, so kann man in bestimmten F¨allen eine Verst¨arkung (stimulierter RamanEffekt), also Laserstrahlung mit der Frequenz (Ω − ω)/2π erhalten, wobei ω die Vibrationsfrequenz der im Gef¨aß befindlichen Molek¨ule ist (Raman-Laser). Durch Auswechseln der Substanz ¨ erh¨alt man eine bequeme Methode zur Anderung der Laserfrequenz. 3. Die Untersuchung der Raman- und Infrarotspektren hat besondere Bedeutung in der Chemie, da sie eine Indentifizierung der verschiedenen Bindungszust¨ande in einem komplexen Molek¨ul erm¨oglicht. So ist z. B. die Vibrationsfrequenz eines Kohlenstoffpaars verschieden, je nachdem ob es sich um eine Einfach-, Doppel- oder Dreifachbindung handelt.
5.5.2 Schwingungen von Kernen in einem Kristall Einstein-Modell Bei einem Kristall sind die Atome oder Ionen in einem periodischen Gitter regelm¨aßig angeordnet. Wir beschr¨anken uns der Einfachheit halber auf ein eindimensionales Modell und betrachten eine lineare Kette von (identischen) Atomen. Die mittlere Lage des Kerns des q-ten Atoms ist x0q = qd,
(5.144)
worin d die Gitterkonstante (von der Gr¨oßenordnung einiger 10−10 m) darstellt. Die potentielle Energie U (x1 , x2 , . . . , xq , . . .) dieses Systems von Kristallkernen h¨angt von ihren Lagen x1 , x2 , . . . , xq . . . ab. Ist xq − x0q nicht zu groß, entfernen sich also die Kerne nur wenig aus ihrer Gleichgewichtslage, so kann man das Potential in bestimmten F¨allen nach Taylor entwickeln: U (x1 , x2 , . . . , xq , . . .) ≈ U0 +
1 q
2
(xq − x0q )2 U0 + . . .
(5.145)
mit zwei reellen Konstanten U0 und U0 > 0. Lineare Terme treten nicht auf, weil x0q f¨ur den Kern (q) eine stabile Gleichgewichtslage ist. F¨ugt man zum Ausdruck (5.145) die Summe der kinetischen Energien der Kerne T =
p2q 2m q
(5.146)
•
482
Erg¨anzungen zu Kapitel 5
hinzu (pq ist der Impuls des Kerns (q) mit der Masse m), so ist der Gesamt-HamiltonOperator des Systems bis auf die Konstante U0 die Summe von Hamilton-Operatoren eindimensionaler harmonischer Oszillatoren: p2q 1 + (xq − x0q )2 U0 . (5.147) H = U0 + 2m 2 q In diesem vereinfachten Modell schwingt demnach jeder Kern unabh¨angig von seinen Nachbarn um seine Gleichgewichtslage mit der (Kreis-)Frequenz U0 . (5.148) ω= m Wie beim zweiatomigen Molek¨ul ist ω umso gr¨oßer, je geringer die Masse m des einzelnen Kerns und je gr¨oßer die Kr¨ummung des Potentials ist, das den Kern in seine Gleichgewichtslage zieht. Bemerkung In diesem einfachen Modell schwingt, wie wir feststellten, jeder Kern unabh¨angig von den anderen. Dies ergibt sich daraus, dass der N¨aherungsausdruck f¨ur das Potential U keine Terme enth¨alt, die von mehr als einer Ver¨anderlichen xq abh¨angen; zwischen den einzelnen Kernen besteht bei diesem Potential keine Wechselwirkung. Das Modell ist darum unrealistisch, und wir werden in Abschnitt 5.13 ein etwas aufwendigeres Modell behandeln, das die Kopplung der Kerne mit ihren n¨achsten Nachbarn ber¨ucksichtigt. Dabei werden wir sehen, dass man auch in diesem Fall den Hamilton-Operator des Gesamtsystems als eine Summe von Hamilton-Operatoren unabh¨angiger harmonischer Oszillatoren schreiben kann.
Quantencharakter der Kristallschwingungen Das Einstein-Modell ist sehr schematisch. Trotzdem kann man mit ihm einige Ph¨anomene verstehen, die mit dem quantenmechanischen Charakter der Kristallschwingungen zusammenh¨angen. Das Verhalten der spezifischen W¨arme bei konstantem Volumen kann f¨ur niedrige Temperaturen von der klassischen Mechanik nicht erkl¨art werden. Darauf werden wir in Abschnitt 5.15 im Zusammenhang mit den Eigenschaften eines harmonischen Oszillators im thermodynamischen Gleichgewicht eingehen. Hier wollen wir einen besonders auff¨alligen Effekt diskutieren, der seine Ursache in der endlichen Ausdehnung der Wellenfunktionen f¨ur den Grundzustand der einzelnen Atome hat. Unter Atmosph¨arendruck sind alle Substanzen am absoluten Nullpunkt bis auf Helium fest. Damit auch Helium erstarrt, muss man einen Druck von wenigstens 25 Atmosph¨aren aufbringen. Kann man diese Besonderheit des Heliums qualitativ erkl¨aren? Wir versuchen zun¨achst, den Schmelzvorgang einer normalen Substanz zu verstehen. Am absoluten Nullpunkt sind die Atome praktisch in ihrer Gleichgewichtslage lokalisiert, wobei die Ausdehnung ihrer Wellenfunktion um x0q durch (s. Gl. (5.109) aus Abschnitt 5.4) 1/4 h2 ¯ h ¯ = (5.149) ΔX ≈ 2mω 4mU0
5.5 Beispiele f¨ur harmonische Oszillatoren
483
•
gegeben ist (wir haben hier Gl. (5.148) ber¨ucksichtigt). Im allgemeinen ist ΔX sehr klein. Wird der Kristall erw¨armt, so erlangen die Kerne immer h¨ohere Schwingungsniveaus: Klassisch schwingen sie mit immer gr¨oßerer Amplitude, quantenmechanisch verbreitert sich ihre Wellenfunktion (wie die Quadratwurzel aus der Schwingungsquantenzahl, s. Gl. (5.109)). Ist ihre Ausdehnung gegen¨uber dem Abstand d der Atome nicht mehr vernachl¨assigbar, so schmilzt der Kristall (s. Abschnitt 5.15.4 f¨ur die quantitative Behandlung). Die Tatsache, dass Helium bei normalem Druck selbst am absoluten Nullpunkt nicht erstarrt, wird nun damit erkl¨art, dass auch in diesem Zustand die Ausdehnung der Wellenfunktion in Bezug auf d nicht vernachl¨assigt werden kann. Das wiederum liegt an der geringen Masse des Heliums und an seiner chemischen Tr¨agheit (die Kr¨ummung der Potentialkurve ist an den Minima sehr schwach und somit U0 sehr klein, weil die Potentialt¨opfe sehr flach sind). In Gl. (5.149) wirken beide Faktoren im selben Sinn, so dass sich eine große Ausdehnung ΔX ergibt. Durch eine Druckerh¨ohung w¨achst U0 , also ω, und ΔX wird kleiner: Bei hohem Druck werden n¨amlich die Heliumatome gewissermaßen von ihren Nachbarn eingeklemmt“, das Potentialminimum wird umso ausgepr¨agter (U0 ” umso gr¨oßer), je geringer der mittlere Abstand zu diesen Nachbarn ist, so dass schließlich auch das Helium fest werden kann.
5.5.3 Torsionsschwingungen eines Molekuls: ¨ Beispiel Ethylen Struktur des Ethylenmolekuls ¨ Die Struktur des Ethylenmolek¨uls mit der Summenformel C2 H4 ist wohlbekannt: Die sechs Atome liegen in einer Ebene (Abb. 5.13), und die Winkel zwischen den C – H Bindungen und der C – C -Bindung betragen 120◦ .
Abb. 5.13 Ebene Struktur des Ethylenmolek¨uls
Wir stellen uns jetzt vor, dass sich eine der CH2 -Gruppen um die C – C-Achse mit dem Winkel α gegen¨uber der anderen Gruppe dreht, ohne dass dabei die H-Atome ihre Abst¨ande zum C-Atom a¨ ndern. Eine Ansicht des Molek¨uls, wenn man in Richtung der C – C-Achse blickt, gibt Abb. 5.14 wieder: Die C – H-Bindungen der einen CH2 -Gruppe sind durchgezogen, die der anderen gestrichelt gezeichnet. Wie a¨ ndert sich die potentielle Energie V (α) mit dem Winkel α?
•
484
Erg¨anzungen zu Kapitel 5
Abb. 5.14 Torsion des Ethylenmolek¨uls (Ansicht in Richtung der C – C-Achse): Eine CH2 Gruppe hat sich gegen¨uber der anderen um die C – C-Achse mit dem Winkel α gedreht.
Da das Molek¨ul in seinem stabilen Zustand eine Ebene bildet, geh¨ort der Winkel α = 0 zu einem Minimum von V (α). Andererseits entspricht auch der Winkel α = π einem Minimum, weil die zu diesen beiden Winkeln geh¨orenden Strukturen nicht unterscheidbar sind. V (α) wird also (im Intervall −π/2 ≤ α ≤ 3π/2) wie in Abb. 5.15 verlaufen, wobei wir V (0) als Energieursprung gew¨ahlt haben. Die beiden stabilen Lagen α = 0 und α = π sind durch eine Potentialbarriere von der H¨ohe V0 getrennt. Oft ersetzt man das Potential in Abb. 5.15 durch den einfachen Zusammenhang V (α) =
V0 (1 − cos 2α). 2
(5.150)
Abb. 5.15 Die potentielle Energie des Molek¨uls in Abh¨angigkeit vom Torsionswinkel α. F¨ur α = 0 und α = π hat das Potential ein Minimum.
Bemerkung Die Quantenmechanik vermag alle hier angesprochenen Charakteristika des Ethylenmolek¨uls zu erkl¨aren. In diesem Molek¨ul besitzt jedes Kohlenstoffatom vier Valenzelektronen. Drei Elektronen (die σ-Elektronen) besitzen Wellenfunktionen, die in Bezug auf drei in einer Ebene liegende und miteinander den Winkel 120◦ bildende Achsen rotationssymmetrisch sind; sie bestimmen die ¨ Richtung der chemischen Bindungen (Abb. 5.13). Weiter ist die Uberlappung dieser Wellenfunktionen mit den Elektronenwellenfunktionen der Nachbaratome wichtig, weil sie die Stabilit¨at der C – H-Bindungen und eines Teils der C – C-Bindung sichert (man nennt dieses Ph¨anomen die sp2 Hybridisierung; wir werden in Abschnitt 7.8 n¨aher darauf eingehen). Das vierte Valenzelektron des Kohlenstoffatoms ist ein π-Elektron. Seine Wellenfunktion ist rotationssymmetrisch in Bezug auf
5.5 Beispiele f¨ur harmonische Oszillatoren
485
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eine Achse, die durch C geht und senkrecht auf der von C und seinen drei Nachbarn aufgespann¨ ten Ebene steht. Die Uberlappung der Wellenfunktionen der beiden π-Elektronen ist maximal, und die Doppelbindung hat folglich die gr¨oßtm¨ogliche Stabilit¨at, wenn die zu den beiden π-Elektronen geh¨orenden Achsen parallel sind, also die sechs Atome in einer Ebene liegen.
Kann man V (α) in der Umgebung seiner beiden Minima durch eine Parabel approximieren, so wird das Molek¨ul um die beiden stabilen Gleichgewichtslagen Torsionsschwingungen ausf¨uhren. Wir wollen sie untersuchen, nachdem wir uns die entsprechenden klassischen Zusammenh¨ange in Erinnerung gerufen haben.
Klassische Bewegungsgleichungen Wir bezeichnen mit α1 und α2 die Winkel, die die beiden CH2 -Gruppen mit einer festen, durch die C – C-Achse gehenden Ebene einschließen (Abb. 5.16). Offensichtlich gilt dann f¨ur den Winkel α in Abb. 5.14 α = α1 − α2 .
(5.151)
Abb. 5.16 Die Lage der beiden CH2 -Gruppen wird durch die Winkel α1 und α2 in Bezug auf eine feste Ebene bestimmt.
Es sei I das Tr¨agheitsmoment einer CH2 -Gruppe in Bezug auf die C – C-Achse. Die potentielle Energie h¨angt nur von α = α1 − α2 ab, so dass die Bewegungsgleichungen f¨ur die beiden Gruppen lauten d2 α1 ∂ d = − V (α1 − α2 ) = − V (α), dt2 ∂α1 dα d2 α2 ∂ d I 2 = − V (α1 − α2 ) = + V (α). dt ∂α2 dα I
(5.152)
Addition und Subtraktion der beiden Gleichungen liefert d2 (α1 + α2 ) = 0, dt2 I
d2 α d = −2 V (α). dt2 dα
(5.153)
(5.154)
•
486
Erg¨anzungen zu Kapitel 5
Nach Gl. (5.153) kann sich das Molek¨ul unabh¨angig von der Torsionsbewegung frei um die C – C-Achse drehen: Der Winkel (α1 + α2 )/2, der die Winkelhalbierende zwischen den Lagen der beiden CH2 -Gruppen kennzeichnet, ist eine lineare Funktion der Zeit. Durch Gl. (5.154) wird die eigentliche Torsionsbewegung, also die Drehung der einen Gruppe relativ zur anderen, beschrieben. Wir untersuchen diese Bewegung in der unmittelbaren Umgebung der stabilen Gleichgewichtslage α = 0 und entwickeln hierzu den Ausdruck (5.150) an dieser Stelle: V (α) ≈ V0 α2 .
(5.155)
Setzen wir dies in Gl. (5.154) ein, so erhalten wir d2 α 4V0 α = 0. + dt2 I
(5.156)
Das ist wieder die Bewegungsgleichung eines eindimensionalen harmonischen Oszillators (α ist die einzige Variable) mit der (Kreis-)Frequenz V0 ωT = 2 . (5.157) I F¨ur das C2 H4 -Molek¨ul ist ωT von der Gr¨oßenordnung 825 cm−1 .
Quantenmechanische Behandlung In der Umgebung der beiden Gleichgewichtslagen α = 0 und α = π besitzt das Molek¨ul hωT und n = 0, 1, 2, . . . Torsionszust¨ande mit der quantisierten Energie En = (n + 1/2)¯ In erster N¨aherung ist jedes Niveau zweifach entartet, weil zu ihm zwei Zust¨ande |ϕn und |ϕn mit den Wellenfunktionen ϕn (α) und ϕn (α) geh¨oren, die sich voneinander nur dadurch unterscheiden, dass die eine in α = 0 und die andere in α = π konzentriert ist (Abb. 5.17). Nun m¨ussen wir aber als einen typischen Quanteneffekt beachten, dass die Potentialbarriere zwischen den beiden Minima in Abb. 5.15 durchtunnelt werden kann. Einer a¨ hnlichen Situation sind wir bereits in Abschnitt 4.10 im Zusammenhang mit der Inversion des Ammoniakmolek¨uls begegnet. Bei einer analogen Rechnung w¨urde sich wieder zeigen, dass die Entartung der beiden Zust¨ande |ϕn und |ϕn durch den Tunneleffekt n n und |ψ− aufgehoben wird: Es treten f¨ur jeden Wert von n zwei station¨are Zust¨ande |ψ+ auf (in erster N¨aherung sind es die symmetrische und die antisymmetrische Linearkombination von |ϕn und |ϕn ), die durch eine Energiedifferenz ¯hδn voneinander getrennt sind. Diese ist umso gr¨oßer, je gr¨oßer n ist, d. h. je n¨aher En an V0 liegt. Dagegen ist ¯hδn im Vergleich zum Abstand ¯ hωT , der zwischen den beiden aufeinanderfolgenden Niveaus zu n und n ± 1 besteht (Abb. 5.18), stets sehr klein. Daher beschreibt der Erwartungswert des Winkels eine Schwingung mit der hohen Frequenz ωT um α = 0 oder um α = π, der sich viel langsamere Schwingungen mit den Bohr-Frequenzen δ0 /2π, δ1 /2π und δ2 /2π, . . . u¨ berlagern.
5.5 Beispiele f¨ur harmonische Oszillatoren
487
•
Abb. 5.17 Wird der Tunneleffekt f¨ur die Potentialbarrieren bei α = π/2 und α = 3π/2 nicht ber¨ucksichtigt, so erh¨alt man die Torsionszust¨ande des Molek¨uls, die in den Potentialt¨opfen bei α = 0 (a) und α = π (b) lokalisiert sind.
Abb. 5.18 Der Tunneleffekt hebt die Entartung der Energieniveaus in Abb. 5.17 auf und dies 0 0 1 , |ψ− , |ψ+ und umso st¨arker, je n¨aher das Niveau beim Barrierengipfel liegt (δ1 > δ0 ). |ψ+ 1 |ψ− sind die neuen station¨aren Zust¨ande.
•
488
Erg¨anzungen zu Kapitel 5
Bemerkung Es existieren auch Niveaus, f¨ur die die Energie oberhalb der maximalen Barrierenh¨ohe V0 in Abb. 5.15 liegt. Diese Niveaus geh¨oren zu einer so großen Rotationsenergie, dass man eine der beiden CH2 -Gruppen gegen¨uber der anderen fast als frei auffassen kann (wobei sie allerdings durch das Potential der Abb. 5.15 periodisch gebremst und beschleunigt wird). Das Ethanmolek¨ul C2 H6 zeigt ein derartiges Verhalten. Bei ihm fehlen die π-Elektronen, so dass sich eine CH3 -Gruppe in Bezug auf die andere viel leichter drehen kann (die Potentialbarriere hat eine viel geringere H¨ohe V0 ). Aus Symmetriegr¨unden hat das Potential V (α), das die freie Drehung einer CH3 -Gruppe zu behindern versucht, in diesem Fall die Periode 2π/3.
5.5.4 Schwere Myonenatome Das Myon μ− (aus historischen Gr¨unden nennt man es auch das μ-Meson) ist ein Teilchen7 , das bis auf die 207-fach gr¨oßere Masse dieselben Eigenschaften wie das Elektron hat. Es unterliegt insbesondere nicht der starken Wechselwirkung und koppelt mit den Kernen im Wesentlichen elektromagnetisch. Ein in Materie gebremstes Myon kann vom Coulomb-Feld eines Atomkerns angezogen werden und mit diesem einen gebundenen Zustand bilden. Ein derartiges System nennt man ein Myonenatom.
Vergleich mit dem Wasserstoffatom In Abschnitt 7.3 werden wir die gebundenen Zust¨ande von zwei Teilchen mit entgegengesetzter Ladung und dabei vor allem das Wasserstoffatom behandeln. Wir werden sehen, dass die Ergebnisse der Quantenmechanik hinsichtlich der Energien der gebundenen Zust¨ande mit den Aussagen u¨ bereinstimmen, die sich aus dem Bohrschen Atommodell ergeben. Auch die Ausdehnung der Wellenfunktionen ist von der Gr¨oßenordnung des Bohrschen Radius. Wir wollen daher in diesem einfachen Modell die Energien und Ausdehnungen der ersten gebundenen Zust¨ande eines Myons im Coulomb-Feld eines schweren Kerns (Z = 82, A = 207) berechnen. Behandelt man den Kern als unendlich schwer, so ist die Energie der n-ten Bohrschen Bahn En = −
Z 2 me4 1 , 2¯ h2 n2
(5.158)
worin Z die Ordnungszahl des Kerns, e2 = q 2 /4πε0 (q die Elektronladung) und m die Masse des Elektrons bzw. des Myons ist. Geht man vom Wasserstoffatom zum hier betrachteten Myonenatom u¨ ber, so wird En mit dem Faktor Z 2 mμ /me = (82)2 · 207 = 1.4 · 106 multipliziert. F¨ur das Myonenatom ist demnach E1 = −19 MeV, E2 = −4.7 MeV. 7 Das
Myon ist instabil. Es zerf¨allt in ein Elektron und zwei Neutrinos.
(5.159)
5.5 Beispiele f¨ur harmonische Oszillatoren
489
•
Mit dem Ausdruck rn =
n2 ¯ h2 Zme2
(5.160)
f¨ur den Radius der n-ten Bohrschen Bahn erhalten wir beim Wasserstoff f¨ur r1 ≈ 0.5 × 10−8 cm. Diese Zahl m¨ussen wir durch Zmμ /me teilen, um f¨ur das Myon zu erhalten r1 = 3 × 10−13 cm, r2 = 12 × 10−13 cm.
(5.161)
Hierbei haben wir stillschweigend den Kern als punktf¨ormig angenommen (sowohl beim Bohrschen Modell als auch in der Theorie, die wir in Abschnitt 7.3 vorstellen, wird f¨ur das Potential −Ze2 /r gesetzt). Wie wir aber an der geringen Gr¨oße von r1 und r2 in Gl. (5.161) sehen, kann diese Annahme bei einem schweren Myonenatom auf keinen Fall g¨ultig sein. So hat der Bleikern einen nicht zu vernachl¨assigenden Radius ρ0 von der Gr¨oßenordnung 8.5 × 10−13 cm (wir erinnern daran, dass der Kernradius mit A1/3 geht). Wir m¨ussen also in Erw¨agung ziehen, dass die Ausdehnung der Wellenfunktionen geringer als die des Kerns sein kann.8 Darum m¨ussen wir das Problem aufs neue angehen und zun¨achst das Potential berechnen, das das Myon sowohl außerhalb als auch im Innern der Kernladungsverteilung sp¨urt“. ” Schweres Myonenatom als Oszillator In einem groben Modell f¨ur den Bleikern nehmen wir an, dass seine Ladung in einer Kugel mit dem Radius ρ0 = 8.5 × 10−13 cm gleichm¨aßig verteilt ist. Ist der Abstand r des Myons vom Mittelpunkt dieser Kugel gr¨oßer als ρ0 , so ist seine potentielle Energie V (r) = −
Ze2 r
f¨ur r ≥ ρ0 .
(5.162)
F¨ur r < ρ0 kann man die auf das Myon wirkende elektrostatische Kraft u¨ ber das Gaußsche Gesetz berechnen. Sie ist zum Kugelmittelpunkt gerichtet und hat den Betrag 3 Ze2 r 1 = 3 r. (5.163) Ze2 2 ρ0 r ρ0 Diese Kraft ergibt sich aus der Ableitung des Potentials V (r) =
1 Ze2 2 r +C 2 ρ30
f¨ur r ≤ ρ0 .
(5.164)
8 Beim Wasserstoffatom hat die Wellenfunktion eine Ausdehnung von einigen 10−8 cm und ist ungef¨ ahr 105 -mal gr¨oßer als die Gr¨oße des Protons. Darum d¨urfen wir es als punktf¨ormig ansehen. Die neue Situation resultiert aus Faktoren, die alle im gleichen Sinn wirken: Vergr¨oßerung der Masse m, Vergr¨oßerung von Z, was sowohl zu einer st¨arkeren elektrostatischen Anziehung als auch zu einem viel gr¨oßeren Kernradius f¨uhrt.
•
490
Erg¨anzungen zu Kapitel 5
Die Konstante C wird durch die Bedingung festgelegt, dass die Ausdr¨ucke (5.162) und (5.164) f¨ur r = ρ0 gleich sein m¨ussen: C=−
3 Ze2 . 2 ρ0
(5.165)
In Abb. 5.19 ist der Verlauf der potentiellen Energie des Myons in Abh¨angigkeit von r wiedergegeben.
Abb. 5.19 Verlauf des Potentials f¨ur ein Myon μ− , das von einem Kern mit dem Radius ρ0 angezogen wird. Ist r < ρ0 , so ist das Potential (bei konstanter Dichte der Kernladung) parabelf¨ormig; ist r > ρ0 , so a¨ ndert sich V (r) wie 1/r (Coulomb-Gesetz).
Im Innern des Kerns ist das Potential parabelf¨ormig. Aus den obigen Absch¨atzungen m¨ussen wir schließen, dass die Annahme eines reinen Coulomb-Potentials unrealistisch w¨are, denn die Wellenfunktion ist u¨ berwiegend in dem Bereich konzentriert, in dem das Potential die Form einer Parabel hat. Es ist in diesem Fall viel eher gerechtfertigt, das Myon als ein Teilchen zu betrachten, das elastisch“ an den Kern gebunden ist. Man ” hat es dann mit einem dreidimensionalen harmonischen Oszillator (s. Abschnitt 5.9) der Frequenz Ze2 (5.166) ω= mμ ρ30 zu tun. Wir werden indessen sehen, dass die Wellenfunktion f¨ur den Grundzustand dieses Oszillators außerhalb des Kerns nicht verschwindet, so dass sich die harmonische N¨aherung als unzureichend erweist. Bemerkung ¨ Das hier untersuchte System weist viele Ahnlichkeiten mit dem ersten Atommodell von J. J. Thomson auf. Er hatte n¨amlich vorgeschlagen, dass die positive Ladung des Atoms in einer Kugel mit einem Radius von einigen 10−8 cm verteilt sein soll und die Elektronen sich in dem von dieser Ladung hervorgerufenen parabolischen Potential bewegen (Modell des elastisch gebundenen Elektrons). Erst seit den Versuchen von Rutherford weiß man, dass der Kern viel kleiner ist und das Thomsonsche Modell nicht der Wirklichkeit entspricht.
5.5 Beispiele f¨ur harmonische Oszillatoren
491
•
Gr¨oßenordnung der Energien und Ausdehnung der Wellenfunktionen Tr¨agt man in den Ausdruck (5.166) die Werte Z = 82,
c = 3 × 108 m/s,
1 e2 ≈ , hc ¯ 137
mμ = 207 me = 1.86 × 10−28 kg,
h ≈ 1.05 × 10−34 J s, ¯
ρ0 = 8.5 × 10−15 m
ein, so findet man ω ≈ 1.3 × 1022 rad s−1 ,
(5.167)
was einer Energie hω ≈ 8.4 MeV ¯ entspricht. Diesen Wert kann man mit der Tiefe des Potentialtopfes Diese ist 3 Ze2 ≈ 21 MeV. 2 ρ0
(5.168) 3 Ze2 vergleichen. 2 ρ0 (5.169)
Man sieht, dass ¯ hω kleiner ist, jedoch nicht klein genug, als dass man den nichtparabolischen Anteil von V (r) vernachl¨assigen d¨urfte. Entsprechend erhalten wir f¨ur die Ausdehnung des Grundniveaus bei einem vollkommen parabolischen Potentialtopf die Gr¨oßenordnung h ¯ ≈ 4.7 × 10−13 cm. (5.170) 2mμ ω Unsere obigen qualitativen Angaben werden also best¨atigt: Ein wesentlicher Teil der Myonenwellenfunktion befindet sich im Innern des Kerns. Man darf trotzdem nicht v¨ollig vernachl¨assigen, was außerhalb des Kerns geschieht. Aus diesen Gr¨unden ist die exakte Berechnung der Energien und Wellenfunktionen viel verwickelter als bei einem einfachen harmonischen Oszillator. Man muss die Schr¨odinger-Gleichung mit dem in Abb. 5.19 angegebenen Potential l¨osen (und hierbei zus¨atzlich den Spin, die relativistischen Korrekturen usw. ber¨ucksichtigen). Derartige Rechnungen haben ihre Bedeutung, weil die Energie der von einem schweren Myonenatom emittierten Photonen Aufschluss u¨ ber die Kernstruktur liefert, so unter anderem u¨ ber die tats¨achliche Ladungsverteilung im Kernvolumen. Bemerkung Bei gew¨ohnlichen Atomen (mit Elektronen statt Myonen) darf man die Abweichung des Potentials von der Coulomb-Form −Ze2 /r vernachl¨assigen. Man kann sie jedoch im Rahmen der St¨orungsrechnung (s. Kapitel 11) ber¨ucksichtigen. In Abschnitt 11.7 werden wir diesen Volumeneffekt des Kerns untersuchen.
•
492
Erg¨anzungen zu Kapitel 5
5.6 Station¨are Zust¨ande. Hermitesche Polynome Wir wollen in diesem Abschnitt etwas genauer als in Abschnitt 5.3.2 die zu den station¨aren Zust¨anden |ϕn des harmonischen Oszillators geh¨orenden Wellenfunktionen ϕn (x) = x|ϕn untersuchen. Hierzu definieren wir zun¨achst die hermiteschen Polynome und besprechen ihre grunds¨atzlichen Eigenschaften.
5.6.1 Hermitesche Polynome Definition und einfache Eigenschaften Wir betrachten die Gauß-Funktion 2
F (z) = e−z .
(5.171)
Ihr Bild ist die Glockenkurve (Abb. 5.20). Ihre ersten beiden Ableitungen sind 2
F (z) = −2z e−z ,
(5.172) 2
F (z) = (4z 2 − 2) e−z .
(5.173)
Abb. 5.20 Verlauf der Gauß-Funktion F (z) und ihrer ersten Ableitungen
Allgemein kann die n-te Ableitung F (n) (z) in der Form F (n) (z) = (−1)n Hn (z) e−z
2
(5.174)
geschrieben werden, worin Hn (z) ein Polynom n-ten Grades in z ist. Der Beweis erfolgt durch Rekursion. Die Aussage ist f¨ur n = 1 und n = 2 richtig (s. Gleichungen (5.172) und (5.173)). Wir machen die Annahme, dass sie f¨ur n − 1 richtig ist: F (n−1) (z) = (−1)n−1 Hn−1 (z) e−z
2
(5.175)
5.6 Station¨are Zust¨ande. Hermitesche Polynome
493
•
mit dem Polynom (n − 1)-ten Grades Hn−1 (z). Leitet man diese Gleichung nach z ab, so erh¨alt man mit Gl. (5.174) sofort, dass man d Hn (z) = 2z − (5.176) Hn−1 (z) dz setzen muss. Weil Hn−1 (z) ein Polynom (n − 1)-ten Grades ist, ist Hn (z) ein Polynom n-ten Grades. Man nennt es das hermitesche Polynom vom Grade n. Seine Definition ist daher 2 dn (5.177) Hn (z) = (−1)n n e−z . dz An Gl. (5.172) und Gl. (5.173) erkennt man, dass H1 (z) gerade und H2 (z) ungerade sind. Andererseits zeigt die Beziehung (5.176), dass Hn (z) die entgegengesetzte Parit¨at zu Hn−1 (z) besitzt (falls diese von bestimmter Parit¨at ist). Hieraus ergibt sich, dass Hn (z) die Parit¨at (−1)n hat. Man kann zeigen, dass Hn (z) genau n reelle Nullstellen besitzt, unter denen sich die Nullstellen von Hn−1 (z) befinden. F¨ur n = 1, 2, 3 erkennt man dies an Abb. 5.20 und den Gleichungen (5.171) bis (5.173). Durch Rekursion kann man das Ergebnis verallgemeinern: Hn−1 (z) habe n − 1 Nullstellen. Sind z1 und z2 zwei aufeinanderfolgende Nullstellen von Hn−1 (z), also auch von F (n−1) (z), so gibt es nach dem Satz von Rolle zwischen z1 und z2 wenigstens eine Stelle z3 , so dass die Ableitung von F (n−1) (z), also F (n) (z) gleich null ist. Also ist Hn (z3 ) = 0. Weil weiter F (n−1) (z) f¨ur z −→ −∞ und z −→ +∞ verschwindet, haben F (n) (z) und Hn (z) wenigstens n Nullstellen (aber auch nicht mehr, da Hn (z) vom Grade n ist), zu denen die Nullstellen von Hn−1 (z) geh¨oren.
Erzeugende Funktion Wir betrachten die von z und λ abh¨angige Funktion 2
F (z + λ) = e−(z+λ) .
(5.178)
Ihre Taylor-Entwicklung in Bezug auf λ lautet F (z + λ) = =
∞ λn (n) F (z) n! n=0 ∞ 2 λn (−1)n Hn (z) e−z . n! n=0
(5.179)
2
Multiplizieren wir mit ez und ersetzen λ durch −λ, so erhalten wir 2
ez F (z − λ) =
∞ λn Hn (z), n! n=0
(5.180)
d. h. wenn wir hier den Ausdruck f¨ur F (z − λ) einsetzen, 2
e−λ
+2λz
=
∞ λn Hn (z). n! n=0
(5.181)
•
494
Erg¨anzungen zu Kapitel 5
Die hermiteschen Polynome ergeben sich also aus einer Entwicklung der Funktion 2 e−λ +2λz nach Potenzen von λ. Sie heißt deshalb die erzeugende Funktion der hermiteschen Polynome. Aus der Beziehung (5.181) ergibt sich eine weitere Definition der hermiteschen Polynome. Sie lautet n ∂ −λ2 +2λz e . (5.182) Hn (z) = ∂λn λ=0
Rekursionsbeziehungen. Differentialgleichung Eine erste Rekursionsbeziehung ergab sich bereits mit Gl. (5.176). Durch Differenzieren von Gl. (5.181) ergeben sich sofort weitere. Leitet man sie nach z ab, so wird ∞ 2 λn d Hn (z), (5.183) 2λe−λ +2λz = n! dz n=0 2
woraus, wenn wir f¨ur e−λ +2λz die Entwicklung (5.181) einsetzen und die Koeffizienten mit gleicher Potenz in λ vergleichen, d Hn (z) = 2nHn−1 (z) (5.184) dz wird. Leitet man Gl. (5.181) entsprechend nach λ ab, so erh¨alt man Hn (z) = 2zHn−1 (z) − 2(n − 1)Hn−2 (z).
(5.185)
Schließlich k¨onnen wir eine Differentialgleichung aufstellen, der die hermiteschen Polynome gen¨ugen. Hierzu differenzieren wir Gl. (5.184) nach z und ber¨ucksichtigen Gl. (5.176). Es ergibt sich d d2 Hn (z) = 2n Hn−1 (z) 2 dz dz = 2n[2zHn−1 (z) − Hn (z)], d. h. wenn wir Hn−1 (z) durch Gl. (5.184) ersetzen, 2 d d + 2n Hn (z) = 0. − 2z dz 2 dz
(5.186)
(5.187)
Beispiele Mit der Definition (5.177) oder, was auf das Gleiche hinausl¨auft, mit der Rekursionsbeziehung (5.176) kann man die ersten hermiteschen Polynome leicht berechnen. Wir erhalten H0 (z) = 1, H1 (z) = 2z, H2 (z) = 4z 2 − 2, H3 (z) = 8z 3 − 12z.
(5.188)
5.6 Station¨are Zust¨ande. Hermitesche Polynome
495
•
Allgemein ist n d Hn (z) = 2z − 1. dz
(5.189)
5.6.2 Eigenfunktionen des Hamilton-Operators fur ¨ den harmonischen Oszillator Erzeugende Funktion Wir betrachten die Funktion K(λ, x) =
∞ 1 √ λn x|ϕn . n! n=0
(5.190)
Mit der Beziehung (s. Gl. (5.79) in Abschnitt 5.3) 1 |ϕn = √ (a† )n |ϕ0 n!
(5.191)
erh¨alt man K(λ, x) =
∞
x|
n=0
(λa† )n |ϕ0 n!
†
= x|eλa |ϕ0 .
(5.192)
ˆ und Pˆ mit der Dimension eins ein: Wir f¨uhren wie in Kapitel 5 die Operatoren X ˆ = βX, X P Pˆ = , β¯ h worin der Parameter β die Dimension einer L¨ange hat und durch mω β= h ¯
(5.193)
(5.194)
definiert ist. Der Operator †
eλa = e
λ ˆ √ (X−iPˆ ) 2
(5.195)
kann mit Verwendung der Beziehung (2.435) aus Abschnitt 2.8 berechnet werden, wenn man λ ˆ A = √ X, 2 iλ B = − √ Pˆ 2
(5.196)
•
496
Erg¨anzungen zu Kapitel 5
setzt. Man erh¨alt †
eλa = e = e
λ ˆ iλ √ X − √ Pˆ i λ2 [X, ˆ Pˆ ] 2 e 2 e4 λ ˆ iλ √ X − √ Pˆ −λ2 /4 2 e 2 e .
(5.197)
Setzt man dies in Gl. (5.192) ein, so ergibt sich 2
K(λ, x) = e−λ = e
/4
√ √ ˆ (−iλ/ 2)Pˆ 2)X
x|e(λ/
√ −λ2 /4 βλx/ 2
e
e
x|e
|ϕ0
√ (−iλ/ 2)P/β¯ h
|ϕ0 .
(5.198)
Nun ist (s. Abschnitt 2.11.2, Gl. (2.539)) x|e
−i
λP √ β¯ h 2
√ = x − λ/β 2|
(5.199)
und Gl. (5.198) lautet
√ x − λ/β 2|ϕ0 √ √ 2 = e−λ /4 eβλx/ 2 ϕ0 (x − λ/β 2). 2
K(λ, x) = e−λ
√ /4 βλx/ 2
e
Beachtet man Gl. (5.100) aus Abschnitt 5.3.2, so wird schließlich 2 1/4 √ β β 2 x2 λ2 K(λ, x) = + βλx 2 − exp − . π 2 2
(5.200)
(5.201)
Aufgrund der Definition (5.190) gen¨ugt es, diesen Ausdruck nach Potenzen von λ zu entwickeln, wenn man die Wellenfunktion ϕn (x) = x|ϕn erhalten will: K(λ, x) =
∞ λn √ ϕn (x). n! n=0
(5.202)
K(λ, x) heißt die erzeugende Funktion der ϕn (x).
Eigenfunktionen und hermitesche Polynome √ Ersetzen wir in Gl. (5.181) λ durch λ/ 2 und z durch βx, so erhalten wir 2 n ∞ √ λ 1 λ √ Hn (βx). exp − + βλx 2 = 2 n! 2 n=0 Diesen Ausdruck setzten wir in Gl. (5.201) ein: 2 1/4 n ∞ β λ 1 −β 2 x2 /2 √ K(λ, x) = e Hn (βx). π n! 2 n=0
(5.203)
(5.204)
Der Koeffizientenvergleich zwischen den Ausdr¨ucken (5.202) und (5.204) liefert dann 2 1/4 2 2 β 1 √ e−β x /2 Hn (βx). (5.205) ϕn (x) = n π 2 n!
5.6 Station¨are Zust¨ande. Hermitesche Polynome
497
•
Die Funktion ϕn (x) verh¨alt sich also wie die n-te Ableitung der Gauß-Funktion F (x). Sie hat die Parit¨at (−1)n und besitzt n Nullstellen. In Abschnitt 5.3.2 wiesen wir bereits darauf hin, dass diese Eigenschaft mit der Zunahme der mittleren kinetischen Energie f¨ur wachsendes n in Zusammenhang steht.
Rekursionsbeziehungen Wir dr¨ucken die Gleichungen √ a|ϕn = n|ϕn−1 , a† |ϕn =
√ n + 1|ϕn+1
(5.206)
in der Ortsdarstellung aus. Mit den Definitionen der Operatoren a und a† (s. Gleichungen (5.25) und (5.26) in Abschnitt 5.2) sieht man, dass diese Operatoren durch β β 1 d 1 d a ⇒ √ x+ 2 , a† ⇒ √ x − 2 (5.207) β dx β dx 2 2 gegeben sind. Damit wird aus Gl. (5.206) √ 1 d β √ x+ 2 ϕn (x) = n ϕn−1 (x), β dx 2 √ β 1 d √ x− 2 ϕn (x) = n + 1 ϕn+1 (x). β dx 2
(5.208)
Bilden wir aus diesen beiden Gleichungen die Summe und die Differenz, so ergibt sich √ √ √ xβ 2ϕn (x) = nϕn−1 (x) + n + 1ϕn+1 (x), (5.209) √ √ √ 2 d ϕn (x) = nϕn−1 (x) − n + 1ϕn+1 (x). β dx
(5.210)
Bemerkung Ersetzen wir in diesen Gleichungen die Funktionen ϕn (x) durch die in Gl. (5.205) gegebenen Ausdr¨ucke, so erh¨alt man nach Vereinfachung (und der Setzung x ˆ = βx) x) = 2nHn−1 (ˆ x) + Hn+1 (ˆ x), 2ˆ xHn (ˆ
2 −ˆ xHn (ˆ x) +
(5.211)
d Hn (ˆ x) = 2nHn−1 (ˆ x) − Hn+1 (ˆ x). dˆ x
(5.212)
Bildet man hiervon die Summe bzw. die Differenz, so ergeben sich wieder die Beziehungen (5.184) bzw. (5.176).
•
498
Erg¨anzungen zu Kapitel 5
5.7 L¨osung der Eigenwertgleichung mit der Polynommethode Die Methode, mit der wir in Abschnitt 5.2 die Energien der station¨aren Zust¨ande |ϕn des harmonischen Oszillators berechnet haben, basierte auf der Verwendung der Operatoren a, a† , N und ihrer Vertauschungsrelationen. Man kann zu denselben Ergebnissen auch auf eine ganz andere Weise gelangen, indem man die Eigenwertgleichung des HamiltonOperators H in der Ortsdarstellung l¨ost. Dies soll in diesem Abschnitt geschehen.
5.7.1 Wechsel der Variablen In der Ortsdarstellung lautet die Eigenwertgleichung des Hamilton-Operators 1 h2 d 2 ¯ 2 2 + mω x ϕ(x) = E ϕ(x). − 2m dx2 2
(5.213)
Wir f¨uhren wie in Kapitel 5 die Operatoren ˆ = βX, X P Pˆ = β¯ h
(5.214)
mit der Dimension eins ein, wobei der Parameter β mit der Dimension einer L¨ange durch mω (5.215) β= h ¯ ˆ zum Eigenwert x definiert ist. Den Eigenvektor von X ˆ nennen wir |ξxˆ : ˆ xˆ = xˆ|ξxˆ . X|ξ
(5.216)
Die Orthonormierungsbedingungen und die Vollst¨andigkeitsrelation f¨ur die Kets |ξxˆ lauten dann x−x ˆ ), ξxˆ |ξxˆ = δ(ˆ
+∞
−∞
dˆ x|ξxˆ ξxˆ | = 1.
(5.217) (5.218)
Offensichtlich ist der Ketvektor |ξxˆ Eigenvektor von X zum Eigenwert x ˆ/β. Weil x ˆ = βx
(5.219)
ist, sind die Kets |x und |ξxˆ zueinander proportional. Sie m¨ussen aber nicht gleich sein. Die Vollst¨andigkeitsrelation f¨ur die Vektoren |x lautet n¨amlich +∞ dx|xx| = 1. (5.220) −∞
5.7 L¨osung der Eigenwertgleichung mit der Polynommethode
499
•
F¨uhren wir in diesem Integral den Variablenwechsel (5.219) durch, so erhalten wir
+∞
−∞
dˆ x |x = x ˆ/βx = x ˆ/β| = 1. β
(5.221)
Der Vergleich mit Gl. (5.218) zeigt, dass man z. B.
|x = x ˆ/β = β|ξxˆ
(5.222)
setzen kann, damit die Kets |x in Bezug auf x und die Kets |ξxˆ in Bezug auf x ˆ orthonormiert sind. Es sei |ϕ ein beliebiger Vektor, ϕ(x) = x|ϕ seine Wellenfunktion in der Ortsdarstellung und ϕ(ˆ ˆ x) = ˆ x|ϕ seine Wellenfunktion in der {|ξxˆ }-Darstellung. Nach Gl. (5.222) ist 1 ϕ(ˆ ˆ x) = ξxˆ |ϕ = √ x = x ˆ/β|ϕ, β
(5.223)
1 ϕ(ˆ ˆ x) = √ ϕ(x = x ˆ/β). β
(5.224)
d. h.
Ist |ϕ normiert, so liefert Gl. (5.220) ϕ|ϕ = ϕ|
+∞ −∞
dx|xx| |ϕ =
+∞
ϕ∗ (x)ϕ(x)dx = 1
(5.225)
−∞
und Gl. (5.218) ϕ|ϕ = ϕ|
+∞ −∞
dˆ x|ξxˆ ξxˆ | |ϕ =
+∞
−∞
ϕˆ∗ (ˆ x)ϕ(ˆ ˆ x)dˆ x = 1.
(5.226)
Die Wellenfunktion ϕ(x) wird also in Bezug auf x und die Funktion ϕ(ˆ ˆ x) in Bezug auf xˆ normiert (dies kann man u¨ brigens auch unmittelbar sehen, indem man im Integral in Gl. (5.225) den Variablenwechsel (5.219) vornimmt und Gl. (5.224) beachtet). Setzen wir nun Gl. (5.219) und Gl. (5.224) in Gl. (5.213) ein und setzen ε=
E , ¯ω h
(5.227)
so erhalten wir die Differentialgleichung 1 d2 ˆ2 ϕ(ˆ ˆ x) = εϕ(ˆ ˆ x). − 2 +x 2 dˆ x
(5.228)
Sie l¨asst sich bequemer als Gl. (5.213) behandeln, weil in ihr alle Gr¨oßen die Dimension eins haben.
•
500
Erg¨anzungen zu Kapitel 5
5.7.2 Polynommethode Asymptotische Form von ϕ(ˆ ˆ x) Gleichung (5.228) kann man in der Form 2 d 2 − (ˆ x − 2ε) ϕ(ˆ ˆ x) = 0 dˆ x2
(5.229)
schreiben. Wir fragen nach dem Verhalten von ϕ(ˆ ˆ x) f¨ur große x ˆ. Hierzu betrachten wir die Funktionen x) = e±ˆx G± (ˆ
2
/2
(5.230)
.
Sie sind L¨osungen der Differentialgleichungen 2 d 2 − (ˆ x ± 1) G± (ˆ x) = 0. dˆ x2
(5.231)
Geht xˆ gegen unendlich, so wird x ˆ2 ± 1 ∼ xˆ2 ∼ x ˆ2 − 2ε,
(5.232)
und die Gleichungen (5.229) und (5.231) nehmen asymptotisch dieselbe Form an. Man 2 erwartet also, dass sich die L¨osungen von Gl. (5.229) f¨ur große xˆ wie exˆ /2 oder wie 2 ˆ x), e−ˆx /2 verhalten.9 Physikalisch interessieren uns nur die beschr¨ankten Funktionen ϕ(ˆ d. h. die L¨osungen von Gl. (5.229), die sich (f¨ur den Fall ihrer Existenz) im Unendlichen 2 wie e−ˆx /2 verhalten. Wir setzen darum ϕ(ˆ ˆ x) = e−ˆx
2
/2
(5.233)
h(ˆ x).
Damit erhalten wir aus Gl. (5.229) die Differentialgleichung d2 d x) + (2ε − 1)h(ˆ x) = 0. h(ˆ x) − 2ˆ x h(ˆ dˆ x2 dˆ x
(5.234)
Sie kann man u¨ ber eine Potenzreihenentwicklung von h(ˆ x) l¨osen.
Berechnung von h(ˆ x) durch Potenzreihenentwicklung In Abschnitt 5.1.3 wiesen wir darauf hin, dass wir die L¨osungen von Gl. (5.213) (bzw. die von Gl. (5.229)) unter den Funktionen mit gerader oder ungerader Parit¨at suchen k¨onnen. 2 Weil die Funktion e−ˆx /2 gerade ist, k¨onnen wir ˆ4 + . . . + a2m x ˆ2m + . . .) h(ˆ x) = xˆp (a0 + a2 xˆ2 + a4 x
(5.235) 2
2
x /2 gehen. ist nicht zwingend, dass die L¨osungen von Gl. (5.229) f¨ur x ˆ −→ ∞ gegen exˆ /2 oder e−ˆ 2 x ˆ /2 x2 /2 ¨ Unsere intuitiven Uberlegungen schließen z. B. nicht aus, dass ϕ(ˆ ˆ x) gegen das Produkt von e oder e−ˆ mit einer Potenz von x ˆ geht. 9 Es
5.7 L¨osung der Eigenwertgleichung mit der Polynommethode
501
•
mit a0 = 0 setzen (a0 xˆp ist dann der erste nichtverschwindende Term in der Entwicklung). Schreiben wir k¨urzer h(ˆ x) =
∞
a2m xˆ2m+p ,
(5.236)
m=0
so erhalten wir f¨ur die erste Ableitung ∞ d h(ˆ x) = (2m + p)a2m x ˆ(2m+p−1) dˆ x m=0
(5.237)
und f¨ur die zweite Ableitung ∞ d2 h(ˆ x ) = (2m + p)(2m + p − 1)a2m x ˆ(2m+p−2) . dˆ x2 m=0
(5.238)
Wir setzen die drei letzten Ausdr¨ucke in Gl. (5.234) ein. Damit diese Gleichung identisch in xˆ erf¨ullt ist, m¨ussen die Koeffizienten in der Entwicklung (auf der linken Seite der Gleichung) einzeln gleich null sein. F¨ur den allgemeinen Term in x ˆ2m+p bedeutet dies, dass (2m + p + 2)(2m + p + 1)a2m+2 = (4m + 2p − 2ε + 1)a2m
(5.239)
sein muss. Der niedrigste Term ist der mit x ˆp−2 . Damit sein Koeffizient verschwindet, muss p(p − 1)a0 = 0
(5.240)
sein. Da a0 nicht gleich null ist, muss entweder p = 0 (die Funktion ϕ(x) ist dann gerade) oder p = 1 sein (sie ist dann ungerade). Gleichung (5.239) kann man schreiben als a2m+2 =
4m + 2p + 1 − 2ε a2m . (2m + p + 2)(2m + p + 1)
(5.241)
Dies liefert eine Rekursionsbeziehung zwischen den Koeffizienten a2m . Da a0 = 0 ist, kann man a2 aus a0 , a4 aus a2 usw. berechnen. F¨ur beliebiges ε kennen wir somit die Reihenentwicklungen von zwei linear unabh¨angigen L¨osungen der Gl. (5.234), die zu p = 0 bzw. p = 1 geh¨oren.
Quantisierung der Energie Unter den eben erhaltenen L¨osungen w¨ahlen wir nun die aus, f¨ur die als physikalische Bedingung die Funktion ϕ(ˆ ˆ x) u¨ berall beschr¨ankt ist. F¨ur die meisten Werte von ε verschwindet der Z¨ahler in der Beziehung (5.241) f¨ur eine beliebige positive ganze Zahl m oder 0 nicht. Da dann kein Koeffizient a2m null ist, enth¨alt die Entwicklung unendlich viele Summanden.
•
502
Erg¨anzungen zu Kapitel 5
Man kann nun zeigen, dass in diesem Fall das asymptotische Verhalten physikalisch nicht akzeptabel ist. Nach Gl. (5.241) gilt n¨amlich a2m+2 a2m
m→∞ ∼
1 . m
(5.242) 2
Wir betrachten andererseits die Entwicklung der Funktion eλˆx mit einem reellen Parameter λ. Es ist 2
eλˆx =
∞
b2m x ˆ2m
(5.243)
m=0
mit b2m =
λm . m!
(5.244)
F¨ur diese zweite Reihe ist daher b2m+2 m! λm+1 λ = = b2m (m + 1)! λm m+1
m→∞ ∼
λ . m
(5.245)
W¨ahlen wir nun f¨ur den Parameter λ einen Wert, so dass (5.246)
0 >0 a2m b2m ist. Unter der Bedingung (5.246) kann man dann zeigen, dass a2M λˆx2 −p |e |ˆ x h(ˆ x) − P (ˆ x)| ≥ − Q(ˆ x)| b2M
(5.247)
(5.248)
gilt, wobei P (ˆ x) und Q(ˆ x) Polynome vom Grade 2M sind, deren erste M + 1 Terme durch die Entwicklungen (5.235) und (5.243) gegeben sind. Geht x ˆ gegen unendlich, so folgt aus dieser Ungleichung 2 x ˆ→∞ a2M p λˆ x ˆ e x |h(ˆ x)| ≥ (5.249) b2M und damit |ϕ(ˆ ˆ x)|
x ˆ→∞ ≥
a2M p (λ−1/2)ˆx2 . b2M xˆ e
(5.250)
Weil man λ so w¨ahlen kann, dass 1/2 < λ < 1
(5.251)
5.7 L¨osung der Eigenwertgleichung mit der Polynommethode
503
•
ist, kann |ϕ(ˆ ˆ x)| f¨ur x ˆ −→ ∞ nicht beschr¨ankt sein. Wir m¨ussen daher diese L¨osung als physikalisch nicht brauchbar verwerfen. Es bleibt nur die eine M¨oglichkeit, dass der Z¨ahler in Gl. (5.241) f¨ur einen bestimmten Wert m0 von m gleich null wird. Man hat in diesem Fall a2m = 0,
wenn
m ≤ m0 ,
a2m = 0,
wenn
m > m0 .
(5.252)
Die Reihenentwicklung von h(ˆ x) reduziert sich dann auf ein Polynom vom Grade 2m0 + 2 p. Das Verhalten von ϕ(ˆ ˆ x) wird im Unendlichen durch den Exponentialausdruck e−ˆx /2 bestimmt; ϕ(ˆ ˆ x) ist quadratintegrabel und daher physikalisch sinnvoll. Damit der Z¨ahler in Gl. (5.241) verschwindet, muss die Bedingung 2ε = 2(2m0 + p) + 1
(5.253)
gelten. Setzt man (5.254)
2m0 + p = n, so lautet diese Gleichung ε = εn = n + 1/2,
(5.255)
worin n eine beliebige nichtnegative ganze Zahl ist (m ist nichtnegativ ganz, und p liegt zwischen null und eins). Durch Gl. (5.255) wird die Energie des harmonischen Oszillators quantisiert; sie liefert n¨amlich mit Gl. (5.227) 1 En = n + hω. ¯ (5.256) 2 Es ergibt sich somit wieder Gl. (5.56) aus Abschnitt 5.2.2.
Station¨are Wellenfunktionen Mit der Polynommethode erh¨alt man auf elegante Weise die zu den verschiedenen Energien En geh¨orenden Eigenfunktionen in der Form ϕˆn (ˆ x) = e−ˆx
2
/2
hn (ˆ x),
(5.257)
x) ein Polynom vom Grad n ist. Nach Gl. (5.235) und Gl. (5.254) ist hn (ˆ x) f¨ur worin hn (ˆ gerades n gerade und f¨ur ungerades n ungerade. x) ist also eine Den Grundzustand erh¨alt man f¨ur n = 0, d. h. f¨ur m0 = p = 0; h0 (ˆ Konstante und ϕˆ0 (ˆ x) = a0 e−ˆx
2
/2
.
(5.258)
x) in Bezug auf x ˆ normiert ist, gen¨ugt es, Damit ϕˆ0 (ˆ a0 = π −1/4
(5.259)
•
504
Erg¨anzungen zu Kapitel 5
zu w¨ahlen. Mit Gl. (5.224) findet man folglich 2 1/4 2 2 β e−β x /2 , ϕ0 (x) = π
(5.260)
und das ist der Ausdruck (5.100) aus Abschnitt 5.3.2. Das erste angeregte Niveau E1 = 3¯ hω/2 geh¨ort zu n = 1, d. h. zu m0 = 0 und p = 1; h1 (ˆ x) besteht nur aus einem Term. Durch eine entsprechende Rechnung wie eben ergibt sich 1/4 2 4 x) = x ˆe−ˆx /2 , ϕˆ1 (ˆ π (5.261) 6 1/4 2 2 4β ϕ1 (x) = xe−β x /2 . π F¨ur n = 2 hat man m0 = 1 und p = 0. Die Beziehung (5.241) liefert dann a2 = −2a0 , so dass wir schließlich 1/4 2 1 x) = (2ˆ x2 − 1)e−ˆx /2 , ϕˆ2 (ˆ 4π 2 1/4 2 2 β (2β 2 x2 − 1)e−β x /2 . ϕ2 (x) = 2π
(5.262)
(5.263)
haben. x) die Polynoml¨osung von Gl. (5.234). Diese lautet bei BeF¨ur beliebiges n ist hn (ˆ achtung der Quantisierungsbedingung (5.255) 2 d d + 2n h(ˆ x) = 0. (5.264) − 2ˆ x dˆ x2 dˆ x Dies ist die Differentialgleichung f¨ur die hermiteschen Polynome Hn (ˆ x) (Gl. (5.187) in Abschnitt 5.6 ). Darum ist das Polynom hn (ˆ x) zu Hn (ˆ x) proportional; der Proportionax) festgelegt. Es ergibt sich wieder der lit¨atsfaktor wird durch die Normierung von ϕˆn (ˆ Ausdruck (5.205).
5.8 Station¨are Zust¨ande in der Impulsdarstellung Die Verteilung der m¨oglichen Impulswerte eines Teilchens im Zustand |ϕn wird durch die Wellenfunktion ϕn (p) in der Impulsdarstellung gegeben; es ist die Fourier-Transformierte der Wellenfunktion ϕn (x) in der Ortsdarstellung. In diesem Abschnitt wollen wir zeigen, dass f¨ur den harmonischen Oszillator die Funktionen ϕn und ϕn (bis auf einen Faktor) gleich sind, so dass in einem station¨aren Zustand die Wahrscheinlichkeitsverteilung des Impulses zur Verteilung des Ortes a¨ hnlich ist.
5.8 Station¨are Zust¨ande in der Impulsdarstellung
505
•
5.8.1 Wellenfunktion im Impulsraum Variablen- und Funktionswechsel Im Abschnitt 5.7 haben wir zur Vereinfachung den Operator ˆ = βX X mit
β=
(5.265)
mω h ¯
(5.266)
ˆ eingef¨uhrt, zu denen in der {|ξxˆ }-Darstellung die Wellenund die Eigenkets |ξxˆ von X funktionen ϕ(ˆ ˆ x) geh¨oren. Hier wollen wir entsprechend f¨ur den Operator P Pˆ = β¯ h
(5.267)
vorgehen. Seine Eigenkets nennen wir |πpˆ: Pˆ |πpˆ = pˆ|πpˆ.
(5.268)
ˆ p): Die Wellenfunktion in der {|πpˆ}-Darstellung bezeichnen wir mit ϕ(ˆ ˆ (ˆ ϕ p) = πpˆ|ϕ.
(5.269)
ˆ/β ist, ist der Ket |πpˆ proporSo wie der Ketvektor |ξxˆ proportional zum Ket |x = x tional zum Ket |p = β¯ hpˆ. Ersetzt man β durch 1/β¯h (s. Gl. (5.265) und Gl. (5.267)), so folgt nach Gl. (5.222) aus Abschnitt 5.7
h|p = β¯ hpˆ. (5.270) |πpˆ = β¯ ˆ (ˆ p) in der {|πpˆ}-Darstellung h¨angt darum mit der Wellenfunktion Die Wellenfunktion ϕ ϕ(p) in der Impulsdarstellung u¨ ber die Beziehung
ˆ p) = β¯ ϕ(ˆ h ϕ(p = β¯ hpˆ) (5.271) zusammen. Andererseits erh¨alt man mit den Beziehungen (5.218) und (5.222) ˆx eipˆ ξxˆ |πpˆ = √ . 2π
(5.272)
Unter Beachtung der Definition (5.269) und der Vollst¨andigkeitsrelation f¨ur die Basis {|ξxˆ } wird +∞ ˆ ϕ(ˆ p) = πpˆ|ξxˆ ξxˆ |ϕ dˆ x −∞
1 = √ 2π
+∞
ˆx e−ipˆ ϕ(ˆ ˆ x)dˆ x.
−∞
ˆ ist demnach die Fourier-Transformierte von ϕ. Die Funktion ϕ ˆ
(5.273)
•
506
Erg¨anzungen zu Kapitel 5
ˆ n (ˆ Bestimmung von ϕ p) Wir haben bereits gesehen (Gl. (5.228) in Abschnitt 5.7), dass die station¨aren Wellenfunktionen ϕ(ˆ ˆ x) des harmonischen Oszillators der Differentialgleichung 1 d2 ˆ2 ϕ(ˆ ˆ x) = εϕ(ˆ ˆ x) (5.274) − 2 +x 2 dˆ x gen¨ugen. Nun ist die Fourier-Transformierte von
d2 ˆ p) und ϕ(ˆ ˆ x) der Ausdruck −ˆ p2 ϕ(ˆ dˆ x2
d2 ˆ ϕ(ˆ p) die Fourier-Transformierte von x ˆ2 ϕ(ˆ ˆ x). So ergibt sich aus Gl. (5.274) durch dˆ p2 Fourier-Transformation die Gleichung 1 2 d2 ˆ ˆ p). p) = ε ϕ(ˆ (5.275) pˆ − 2 ϕ(ˆ 2 dˆ p −
ˆn Vergleichen wir Gl. (5.274) und Gl. (5.275), so sehen wir, dass die Funktionen ϕˆn und ϕ derselben Differentialgleichung gen¨ugen. Weiter wissen wir, dass diese Gleichung nur f¨ur ε = n + 1/2 (n nichtnegativ ganz) eine quadratintegrable L¨osung erlaubt (die Eigenwerte εn sind nichtentartet, s. Abschnitt 5.2.3). Daher k¨onnen wir schließen, dass ϕˆn und ˆ n zueinander proportional sind. Sind beide Funktionen normiert, so ist der Proportionaϕ lit¨atsfaktor eine komplexe Zahl mit dem Betrag eins. Wir schreiben daher ˆ n (ˆ ϕ p) = eiθn ϕˆn (ˆ x = pˆ),
(5.276)
worin eiθn ein Phasenfaktor ist, den wir jetzt berechnen wollen.
Berechnung des Phasenfaktors Die Wellenfunktion des Grundzustands ist (s. Gleichungen (5.258) und (5.259)) ϕˆ0 (ˆ x) = π −1/4 e−ˆx
2
/2
.
(5.277)
Es ist eine Gauß-Funktion. Ihre Fourier-Transfomierte ist daher (s. Anhang I, Gl. (I.50)) 2
ˆ 0 (ˆ ϕ p) = π −1/4 e−pˆ
/2
,
woraus folgt, dass θ0 null sein muss. Um θn zu finden, schreiben wir die Gleichung √ a† |ϕn = n + 1|ϕn+1
(5.278)
(5.279)
in der {|ξxˆ }- und in der {|πpˆ}-Darstellung. In der{|ξxˆ }-Darstellung wirken die Ope d 1 1 d ˆ und Pˆ wie x x ˆ− ratoren X ˆ und , a† also wie √ . In der {|ˆ p}-Darstellung i dˆ x x dˆ 2 d ˆ wie i d und Pˆ wie pˆ, a† also wie √i − pˆ . wirkt X dˆ p p 2 dˆ
5.8 Station¨are Zust¨ande in der Impulsdarstellung In der {|ξxˆ }-Darstellung lautet daher Gl. (5.279) 1 d ϕˆn+1 (ˆ x) = x), x ˆ− ϕˆn (ˆ dˆ x 2(n + 1) w¨ahrend wir in der {|πpˆ}-Darstellung d i ˆ n (ˆ ˆ n+1 (ˆ − pˆ ϕ ϕ p) = p) p 2(n + 1) dˆ
507
•
(5.280)
(5.281)
erhalten. Darum ist eiθn+1 = −ieiθn ,
(5.282)
d. h. weil θ0 = 0 ist, eiθn = (−i)n .
(5.283)
Somit ist ˆ n (ˆ ϕ p) = (−i)n ϕˆn (ˆ x = pˆ) oder auch, wenn wir zu den Funktionen ϕn und ϕn zur¨uckkehren, p n 1 ϕn (p) = (−i) √ ϕn x = 2 . β ¯h h β ¯
(5.284)
(5.285)
5.8.2 Physikalische Diskussion Wir betrachten ein Teilchen im Zustand |ϕn . Misst man die x-Koordinate des Teilchens, so ist die Wahrscheinlichkeit, es im Intervall zwischen x und x + dx zu finden, durch ρn (x)dx = |ϕn (x)|2 dx
(5.286)
gegeben. Entsprechend ist bei einer Impulsmessung die Wahrscheinlichkeit, einen Wert zwischen p und p + dp zu erhalten, ρn (p)dp = |ϕn (p)|2 dp.
(5.287)
Die Beziehung (5.285) ergibt somit p
1 ρn x = . (5.288) ρn (p) = mω mω Dies zeigt, dass die Impulsverteilung in einem station¨aren Zustand dieselbe Form wie die Ortsverteilung hat. So weist z. B. ρn (p) f¨ur gr¨oßere n an den Stellen p = ±mωxM = ±pM
(5.289)
(s. Abb. 5.6) zwei Maxima auf, wobei pM der gr¨oßtm¨ogliche Impulswert f¨ur ein klassisches Teilchen ist, das sich im Potentialtopf mit der Energie En bewegt. Durch eine
•
508
Erg¨anzungen zu Kapitel 5
¨ Uberlegung wie am Ende von Abschnitt 5.3.2 k¨onnen wir dieses Ergebnis verstehen: Hat der Impuls des klassischen Teilchens die Werte ±pM , so ist seine Beschleunigung null, und diese Werte sind im zeitlichen Mittel die wahrscheinlichsten. Die Bemerkung 1 in Abschnitt 5.4.1 u¨ ber die Wahrscheinlichkeitsdichte ρn (x) kann hier u¨ bernommen werden. So kann man z. B. bei großen n die Standardabweichung ΔP als eine Absch¨atzung f¨ur den Abstand der bei p = ±pM liegenden Maxima von ρn (p) interpretieren. ¨ Ubrigens kann man an Abb. 5.6a direkt verstehen, weshalb diese Impulswerte f¨ur große n so wahrscheinlich sind. Die Wellenfunktion f¨uhrt dann n¨amlich zwischen den beiden a¨ ußersten Maxima eine große Zahl von (sinus¨ahnlichen) Schwingungen aus. Dies r¨uhrt daher, dass die Differentialgleichung, der die Wellenfunktion gen¨ugen muss (s. Gl. (5.17) in Abschnitt 5.1.3), f¨ur E mω 2 x2 /2 n¨aherungsweise zu d2 2mE ϕ(x) + 2 ϕ(x) ≈ 0 dx2 h ¯ wird. Nach der Definition von pM ist dann ϕ(x) ≈ A eipM x/¯h + A e−ipM x/¯h .
(5.290)
(5.291)
Die Wellenfunktion ist also in einem relativ ausgedehnten Bereich auf der x-Achse (f¨ur ¨ gr¨oßere n) a¨ hnlich einer Sinuswelle mit der Wellenl¨ange h/pM . Sie kann als die Uberlagerung von zwei fortschreitenden Wellen mit entgegengesetzten Impulsen +pM und −pM aufgefasst werden (entsprechend der Hin- und Herbewegung des Teilchens im Potentialtopf). Darum ist es nicht u¨ berraschend, dass die Wahrscheinlichkeitsdichte ρn (p) in der Umgebung von p = ±pM groß ist. Auf die gleiche Weise kann man die Gr¨oßenordnung des Produkts ΔX · ΔP erkl¨aren. Nach den Beziehungen (5.111), (5.112) und (5.114) in Abschnitt 5.4.1 ist xM pM 1 . (5.292) h= ¯ ΔX · ΔP = n + 2 2 Mit wachsendem n nehmen auch die Amplituden xM und pM der Schwingungen zu, und das Produkt ΔX · ΔP wird sehr viel gr¨oßer als sein Minimalwert ¯h/2. Man kann sich nun fragen, warum dies so ist, haben wir doch an mehreren Beispielen gesehen, dass die Breite ΔP der Fourier-Transformierten einer Funktion abnimmt, wenn die Breite ΔX der Funktion selbst w¨achst. Tats¨achlich w¨urde sich das auch bei den Funktionen ϕn (x) zeigen, wenn sich diese in einem Intervall −xM ≤ x ≤ +xM , in dem sie wesentlich von null verschiedene Werte annehmen, nur langsam a¨ ndern und z. B. nur ein Extremum aufweisen. F¨ur kleine n ist dies der Fall, und das Produkt ΔX · ΔP liegt nahe bei seinem kleinstm¨oglichen Wert. Dagegen zeigen die Funktionen ϕn (x) mit gr¨oßer werdendem n im Intervall −xM ≤ x ≤ +xM zahlreiche Schwingungen mit n Nullstellen. Man kann ihnen daher Wellenl¨angen von der Gr¨oßenordnung λ ≈ xM /n ≈ ΔX/n zuordnen, zu denen Werte des Teilchenimpulses geh¨oren, die in einem Bereich von der Breite h nh ≈ λ ΔX liegen. Jetzt ergibt sich f¨ur das Produkt ΔP ≈
(5.293)
ΔX · ΔP ≈ nh.
(5.294)
5.9 Dreidimensionaler isotroper harmonischer Oszillator
509
•
In gewisser Hinsicht befinden wir uns in einer Situation, der wir im Zusammenhang mit dem eindimensionalen unendlich tiefen Potentialtopf (Abschnitt 3.6.1) begegnet sind.
5.9 Dreidimensionaler isotroper harmonischer Oszillator Bisher untersuchten wir den eindimensionalen harmonischen Oszillator. Wir wollen jetzt zeigen, wie man unter Ber¨ucksichtigung der dabei erlangten Aussagen und Ergebnisse den dreidimensionalen harmonischen Oszillator behandeln kann.
5.9.1 Hamilton-Operator Gegeben sei ein spinloses Teilchen mit der Masse m, das im (dreidimensionalen) Raum einer Zentralkraft, d. h. einer stets zum Koordinatenursprung O gerichteten Kraft ausgesetzt ist. Der Betrag dieser Kraft sei proportional zum Abstand des Teilchens von O. Dann gilt F = −kr
(5.295)
(k ist eine positive Konstante). Die potentielle Energie ist in diesem Fall V (r) =
1 2 1 kr = mω 2 r2 , 2 2
(5.296)
wenn die Kreisfrequenz ω wie beim eindimensionalen harmonischen Oszillator definiert wird: k . (5.297) ω= m Die klassische Hamilton-Funktion lautet dann H(r, p) =
p2 1 + mω 2 r 2 . 2m 2
(5.298)
Nach den Quantisierungsregeln (Abschnitt 3.2.5) erhalten wir damit sofort den HamiltonOperator H=
1 P2 + mω 2 R2 . 2m 2
(5.299)
Er ist zeitunabh¨angig, und wir suchen nach den L¨osungen der Eigenwertgleichung H|ψ = E|ψ, worin |ψ zum Zustandsraum Hr des Teilchens geh¨ort.
(5.300)
•
510
Erg¨anzungen zu Kapitel 5
Bemerkung Weil V (r) tats¨achlich nur vom Abstand r = |r| des Teilchens vom Ursprung O abh¨angt (V (r) ist folglich gegen¨uber beliebigen Drehungen invariant), sagt man, dass man es mit einem isotropen harmonischen Oszillator zu tun habe. Die folgenden Rechnungen k¨onnen jedoch auf einen anisotropen harmonischen Oszillator verallgemeinert werden. F¨ur diesen ist die potentielle Energie V (r) =
m 2 2 (ωx x + ωy2 y 2 + ωz2 z 2 ) 2
(5.301)
mit drei verschiedenen Konstanten ωx , ωy und ωz .
5.9.2 Separation der Variablen Wir erinnern uns daran, dass wir den Zustandsraum Hr (s. Abschnitt 2.6) als ein Tensorprodukt schreiben k¨onnen: Hr = Hx ⊗ Hy ⊗ Hz ,
(5.302)
worin Hx der Zustandsraum eines Teilchens ist, das sich l¨angs der x-Achse bewegt, d. h. der Raum, der den Wellenfunktionen ϕ(x) zugeordnet ist; die R¨aume Hy und Hz sind entsprechend definiert. Nun kann der Ausdruck (5.299) f¨ur den Hamilton-Operator in der Form 1 1 (Px2 + Py2 + Pz2 ) + mω 2 (X 2 + Y 2 + Z 2 ) 2m 2 = Hx + Hy + Hz
H =
(5.303)
geschrieben werden. Darin ist 1 Px2 + mω 2 X 2 ; (5.304) 2m 2 zwei entsprechende Definitionen gelten f¨ur Hy und Hz . Hx h¨angt nur von X und Px ab, ist also die Fortsetzung eines nur im Raum Hx wirkenden Operators in den Raum Hr . Entsprechendes gilt f¨ur die Operatoren Hy und Hz . Im Raum Hx ist Hx der HamiltonOperator f¨ur einen eindimensionalen harmonischen Oszillator. Das Gleiche gilt f¨ur Hy in Hy und Hz in Hz . Die drei Operatoren Hx , Hy und Hz kommutieren paarweise. Daher vertauscht auch jeder mit der Summe H. Folglich kann man zur L¨osung der Eigenwertgleichung (5.300) die Eigenvektoren von H suchen, die gleichzeitig Eigenvektoren von Hx ,Hy und Hz sind. Die Eigenvektoren und Eigenwerte von Hx in Hx , Hy in Hy und Hz in Hz kennen wir aber schon: 1 Hx |ϕnx = nx + (5.305) hω|ϕnx ; |ϕnx ∈ Hx , ¯ 2 1 (5.306) Hy |ϕny = ny + hω|ϕny ; |ϕny ∈ Hy , ¯ 2 1 Hz |ϕnz = nz + (5.307) hω|ϕnz ; |ϕnz ∈ Hz ¯ 2 Hx =
5.9 Dreidimensionaler isotroper harmonischer Oszillator
511
•
(nx , ny und nz sind ganzzahlig positiv oder null). Hieraus ergibt sich (s. Abschnitt 2.6), dass die gemeinsamen Eigenvektoren von H, Hx , Hy und Hz die Form |ψnx ,ny ,nz = |ϕnx |ϕny |ϕnz haben. Nach den Gleichungen (5.303) und (5.305) bis (5.307) gilt dann 3 H|ψnx ,ny ,nz = nx + ny + nz + ¯hω|ψnx ,ny ,nz , 2
(5.308)
(5.309)
d. h. dass die Eigenvektoren von H als tensorielle Produkte der Eigenvektoren von Hx , Hy und Hz auftreten und die Eigenwerte als Summe der Eigenwerte dieser drei Operatoren. So sind also die Energieniveaus En des dreidimensionalen isotropen harmonischen Oszillators 3 En = n + hω ¯ (5.310) 2 mit n positiv ganz oder null,
(5.311)
weil n die Summe von drei Zahlen nx , ny , nz ist, deren Werte alle nichtnegativen ganzen Zahlen sein k¨onnen. Weiter erlaubt Gl. (5.308), die Eigenschaften der Vektoren |ψnx ,ny ,nz aus den in Abschnitt 5.3.1 erhaltenen Eigenschaften der Eigenvektoren |ϕnx von Hx (die dann auch f¨ur die Vektoren |ϕny und |ϕnz gelten) herzuleiten. Wir f¨uhren drei Paare von Erzeugungs- und Vernichtungsoperatoren ein: i i mω mω Px , Px , X+√ X−√ a†x = (5.312) ax = 2¯ h 2¯h 2m¯ hω 2m¯hω i i mω mω Y +√ Y −√ Py , Py , a†y = (5.313) ay = 2¯ h 2¯h 2m¯ hω 2m¯hω i i mω mω † Z+√ Z−√ az = Pz , Pz . az = (5.314) 2¯ h 2¯ h 2m¯ hω 2m¯hω Diese Operatoren sind die Fortsetzungen der in Hx bzw. Hy und Hz wirkenden Operatoren in den Raum Hr . Aus den kanonischen Vertauschungsrelationen f¨ur die Komponenten des Ortsoperators R und des Impulsoperators P ergeben sich dann als einzige nichtverschwindende Kommutatoren dieser sechs Operatoren [ax , a†x ] = [ay , a†y ] = [az , a†z ] = 1
(5.315)
(man beachte, dass zwei Operatoren mit verschiedenen Indizes stets vertauschen; letztlich wirken sie ja auch in verschiedenen R¨aumen). Die Wirkung der Operatoren ax und a†x auf die Zust¨ande |ψnx ,ny ,nz ist durch die Beziehungen ax |ψnx ,ny ,nz = (ax |ϕnx )|ϕny |ϕnz √ = nx |ϕnx −1 |ϕny |ϕnz √ = nx |ψnx −1,ny ,nz ,
(5.316)
•
512
Erg¨anzungen zu Kapitel 5
a†x |ψnx ,ny ,nz = (a†x |ϕnx )|ϕny |ϕnz √ = nx + 1 |ϕnx +1 |ϕny |ϕnz √ = nx + 1 |ψnx +1,ny ,nz
(5.317)
gegeben und entsprechende Beziehungen f¨ur die Operatoren ay , a†y und az , a†z . Wir wissen ferner (s. Gl. (5.79) in Abschnitt 5.3.1), dass |ϕnx = √
1 (a†x )nx |ϕ0 , nx !
(5.318)
wobei |ϕ0 der Vektor aus Hx ist, der die Bedingung ax |ϕ0 = 0
(5.319)
erf¨ullt. F¨ur |ϕny und |ϕnz gelten entsprechende Ausdr¨ucke. Nach Gl. (5.308) ist daher stets 1 |ψnx ,ny ,nz = (a†x )nx (a†y )ny (a†z )nz |ψ0,0,0 . nx !ny !nz !
(5.320)
Darin ist |ψ0,0,0 das tensorielle Produkt der Grundzust¨ande von drei eindimensionalen Oszillatoren, gen¨ugt also den Beziehungen ax |ψ0,0,0 = ay |ψ0,0,0 = az |ψ0,0,0 = 0.
(5.321)
Schließlich ergibt sich f¨ur die zu |ψnx ,ny ,nz geh¨orende Wellenfunktion r|ψnx ,ny ,nz = ϕnx (x) ϕny (y) ϕnz (z),
(5.322)
wobei ϕnx , ϕny und ϕnz die station¨aren Wellenfunktionen des eindimensionalen harmonischen Oszillators sind (s. Abschnitt 5.3.2). So ist z. B. mω 3/4 mω 2 2 2 r|ψ0,0,0 = e− 2¯h (x +y +z ) . (5.323) π¯ h
5.9.3 Entartung der Energieniveaus In Abschnitt 5.2.3 zeigten wir, dass der Hamilton-Operator Hx einen vollst¨andigen Satz kommutierender Observabler (v. S. k. O.) im Zustandsraum Hx bildet. Das Gleiche gilt nat¨urlich auch f¨ur Hy in Hy und Hz in Hz . Nach Abschnitt 2.6 bildet dann die Menge {Hx , Hy , Hz } in Hr einen v. S. k. O. Es existiert daher zu einem gegebenen Eigenwerttripel von Hx , Hy , Hz (bis auf einen Faktor) genau ein Ket |ψnx ,ny ,nz ∈ Hr . Dagegen stellt der Hamilton-Operator H f¨ur sich allein keinen v. S. k. O. dar, denn seine Energieniveaus En sind entartet. W¨ahlen wir n¨amlich einen Eigenwert En = (n + 3/2)¯ hω, so l¨auft das auf das Festlegen einer nichtnegativen ganzen Zahl n hinaus. S¨amtliche Kets der Basis {|ψnx ,ny ,nz }, die die Beziehung nx + ny + nz = n
(5.324)
5.10 Geladener harmonischer Oszillator im konstanten elektrischen Feld
513
•
erf¨ullen, sind Eigenvektoren von H zum Eigenwert En . Der Grad gn der Entartung von En ist gleich der Anzahl der verschiedenen Zahlentripel {nx , ny , nz }, die dieser Bedingung gen¨ugen. Um diese Zahl zu finden, kann man wie folgt vorgehen: F¨ur festes n w¨ahlt man zun¨achst nx aus den Werten (5.325)
nx = 0, 1, 2, . . . , n. Dann ist ny + nz = n − nx .
(5.326)
F¨ur das Zahlenpaar {ny , nz } gibt es (n − nx + 1) M¨oglichkeiten: {ny , nz } = {0, n − nx }, {1, n − nx − 1}, . . . , {n − nx , 0}.
(5.327)
Somit ergibt sich f¨ur den Entartungsgrad gn des Energieniveaus En gn =
n
(n − nx + 1).
(5.328)
nx =0
Diese Summe l¨asst sich leicht auswerten: gn = (n + 1)
n nx =0
1−
n nx =0
nx =
(n + 1)(n + 2) . 2
Folglich ist allein der Grundzustand mit der Energie E0 =
(5.329) 3 ¯hω nichtentartet. 2
Bemerkung Das System der orthonormierten Eigenkets |ψnx ,ny ,nz von H bildet in Hr eine Basis. Wegen der Entartung der Eigenwerte En ist dieses System nicht eindeutig. Wir werden insbesondere in Abschnitt 7.5 sehen, dass man zur L¨osung von Gl. (5.300) eine Menge von Konstanten der Bewegung verwenden kann, die von der Menge {Hx , Hy , Hz } verschieden ist: Man erh¨alt so eine von der vorstehenden verschiedene Basis in Hr , obwohl sie aus Eigenvektoren von H besteht. Die Kets dieser neuen Basis sind orthonormierte Linearkombinationen der |ψnx ,ny ,nz und geh¨oren zu den verschiedenen Eigenr¨aumen von H, d. h. zu einem festen Wert der Summe nx + ny + nz .
5.10 Geladener harmonischer Oszillator im konstanten elektrischen Feld Der in diesem Kapitel untersuchte eindimensionale harmonische Oszillator besteht aus einem Teilchen mit der Masse m und dem Potential10 1 V (X) = mω 2 X 2 . (5.330) 2 10 Wir
vereinbaren wie u¨ blich, dass das Potential im Ursprung x = 0 null gesetzt wird.
•
514
Erg¨anzungen zu Kapitel 5
Wir nehmen jetzt zus¨atzlich an, dass das Teilchen eine Ladung q tr¨agt und sich in einem konstanten, parallel zur x-Achse gerichteten elektrischen Feld E bewegt. Klassisch ist die potentielle Energie eines Teilchens in einem derartigen Feld w(E) = −qEx.
(5.331)
Um den Hamilton-Operator H (E) f¨ur diesen Fall zu erhalten, muss man daher zur potentiellen Energie (5.330) des harmonischen Oszillators den Term W (E) = −qEX
(5.332)
hinzuf¨ugen. Damit ist 1 P2 + mω 2 X 2 − qEX. (5.333) 2m 2 Zur Bestimmung der Eigenwerte und Eigenfunktionen dieses Operators werden wir zwei verschiedene Methoden anwenden: Zuerst l¨osen wir die Eigenwertgleichung von H (E) in der Ortsdarstellung; die Ergebnisse erlauben eine sehr einfache physikalische Interpretation. Danach werden wir dann zeigen, wie man das Problem auch behandeln kann, wenn man von einem reinen Operatorkalk¨ul ausgeht. H (E) =
5.10.1 Eigenwertgleichung von H (E) in der Ortsdarstellung Es sei |ϕ ein Eigenvektor von H (E): H (E)|ϕ = E |ϕ . Mit Gl. (5.333) lautet diese Gleichung in der Ortsdarstellung 1 h2 d 2 ¯ 2 2 mω + x − qEx ϕ (x) = E ϕ (x). − 2m dx2 2 In der Klammer auf der linken Seite bilden wir die quadratische Erg¨anzung: 2 h2 d2 ¯ 1 q2 E 2 qE 2 − + mω x − − ϕ (x) = E ϕ (x). 2m dx2 2 mω 2 2mω 2
(5.334)
(5.335)
(5.336)
Wir ersetzen die Variable x durch die Variable u, u=x−
qE , mω 2
(5.337)
so dass die Funktion ϕ mittelbar u¨ ber x von u abh¨angt. Gleichung (5.336) wird dann 1 h2 d 2 ¯ 2 2 + mω u ϕ (u) = E ϕ (u) (5.338) − 2m du2 2 mit E = E +
q2 E 2 . 2mω 2
(5.339)
5.10 Geladener harmonischer Oszillator im konstanten elektrischen Feld
515
•
Sie hat somit in der Ortsdarstellung dieselbe Form wie die Eigenwertgleichung eines harmonischen Oszillators ohne das elektrische Feld (s. Gl. (5.17) in Abschnitt 5.1). Wir k¨onnen also die L¨osung sofort angeben und erhalten f¨ur die Energiewerte die Beziehung En
1 = n+ ¯ω h 2
(5.340)
(n nichtnegativ ganz). Durch das elektrische Feld werden demnach die Energien E der station¨aren Zust¨ande des harmonischen Oszillators modifiziert: En (E)
1 q2 E 2 = n+ ; ¯ω − h 2 2mω 2
(5.341)
das Spektrum des harmonischen Oszillators wird als Ganzes“ um den Betrag ” q 2 E 2 /2mω 2 verschoben. Was die Eigenfunktionen ϕn (x) zu den Energien (5.341) angeht, so erh¨alt man sie s¨amtlich aus den Funktionen ϕn (x) durch ein und dieselbe Translation. Zu einem bestimmten Wert von n ist die L¨osung n¨amlich ϕn (u) (wobei die Funktion ϕn z. B. durch Gl. (5.205) aus Abschnitt 5.6 gegeben ist), und nach Gl. (5.337) ist dann ϕn (x)
= ϕn
qE x− mω 2
.
(5.342)
Physikalisch hat diese Translation ihre Ursache darin, dass das elektrische Feld auf das Teilchen eine Kraft aus¨ubt.11 Bemerkung Der durch Gl. (5.337) gegebene Variablenwechsel erm¨oglichte uns, den Fall eines beliebigen (konstanten) elektrischen Feldes auf ein bereits gel¨ostes Problem (mit dem Feld E = 0) zur¨uckzuf¨uhren. Die einzige Wirkung dieses Feldes besteht in einer Verschiebung des Ursprungs auf der x- (s. Gl. (5.342)) und auf der Energieachse (Gl. (5.341)). Dieses Ergebnis kann man u¨ brigens auch grafisch gut verstehen (Abb. 5.21): F¨ur E = 0 wird das Potential V (x) durch eine Parabel mit dem Scheitelpunkt im Ursprung O beschrieben. Ist das elektrische Feld E ungleich null, muss zu diesem Potential die Gr¨oße −qE x (die gestrichelte Gerade in der Abbildung) hinzugef¨ugt werden. Die Kurve V + W ist wieder eine Parabel, so dass man es auch bei Anwesenheit des Feldes mit einem harmonischen Oszillator zu tun hat. Die beiden Parabeln k¨onnen zur Deckung gebracht werden. Darum geh¨oren sie zum selben Wert von ω, so dass auch die Abst¨ande der Energieniveaus dieselben bleiben. Die Scheitelpunkte der beiden Parabeln sind jedoch gegeneinander verschoben: Man gelangt wieder zu den Beziehungen (5.341) und (5.342).
11 Aus Gl. (5.342) ersieht man, dass die Funktion ϕ (x) aus der Funktion ϕ (x) durch die Translation um n n qE/mω 2 hervorgeht. Ist das Produkt qE positiv, so erfolgt die Translation in positiver x-Richtung, also in Richtung der elektrischen Kraft.
•
516
Erg¨anzungen zu Kapitel 5
Abb. 5.21 Wirkt ein konstantes elektrisches Feld E , so kommt zur potentiellen Energie V des harmonischen Oszillators der in x lineare Term W hinzu. Das Gesamtpotential V + W wird durch die verschobene Parabel dargestellt.
5.10.2 Physikalische Diskussion Elektrische Suszeptibilit¨at eines elastisch gebundenen Elektrons In bestimmten F¨allen verhalten sich die Elektronen eines Atoms oder Molek¨uls in guter N¨aherung wie elastisch gebundene Teilchen, stellen also harmonische Oszillatoren dar. F¨ur Atome zeigen wir dies in Abschnitt 13.4 im Zusammenhang mit der zeitabh¨angigen St¨orungstheorie. Den Anteil eines Elektrons zum elektrischen Dipolmoment des Atoms beschreibt der Operator (5.343)
D = qX
mit der Elektronenladung q < 0 und der Ortsobservablen X. Wir wollen den Erwartungswert von D im Modell von elastisch gebundenen Elektronen bestimmen. Ohne elektrisches Feld ist der Erwartungswert des elektrischen Dipolmoments in einem station¨aren Zustand des Oszillators null: D = qϕn |X|ϕn = 0
(5.344)
(s. Gl. (5.105)). Wir wollen jetzt annehmen, dass das Feld E hinreichend langsam eingeschaltet wird, so dass das Elektron allm¨ahlich vom Zustand |ϕn in den Zustand |ϕn (mit gleich bleibendem n) gelangt. Das mittlere Dipolmoment ist nun von null verschieden, denn mit Gl. (5.337) und Gl. (5.342) wird +∞ dx x|ϕn (x)|2 (5.345) D = qϕn |X|ϕn = q
−∞
+∞
= q −∞
q2 E u|ϕn (u)| du + mω 2 2
+∞
−∞
|ϕn (u)|2 du =
q2 E , mω 2
(5.346)
5.10 Geladener harmonischer Oszillator im konstanten elektrischen Feld
517
•
weil das erste Integral aus Symmetriegr¨unden verschwindet. D ist in diesem Modell also zu E proportional, und die elektrische Suszeptibilit¨at des Atomelektrons wird χ=
D q2 = . E mω 2
(5.347)
Sie ist unabh¨angig vom Vorzeichen der Ladung q stets positiv. Physikalisch ist dieses Ergebnis einfach zu erkl¨aren. Das elektrische Feld bewirkt die Verschiebung der klassischen Gleichgewichtslage des Elektrons, d. h. quantenmechanisch des Erwartungswerts seines Orts (s. Gl. (5.342)). Dies f¨uhrt zu einem induzierten Dipolmoment. Die Abnahme von χ mit wachsendem ω entspricht der Eigenschaft des Oszillators, nach der er umso schwerer deformiert werden kann, je st¨arker die zu (ω 2 proportionale) elastische Kraft ist.
Interpretation der Energieverschiebung Im Rahmen des hier betrachteten Modells kann man auch Gl. (5.341) interpretieren, in¨ dem man die Anderung der Erwartungswerte der kinetischen und der potentiellen Energie ¨ berechnet, die sich beim Ubergang vom Zustand |ϕn in den Zustand |ϕn ergibt. ¨ F¨ur die kinetische Energie erhalten wir keine Anderung (was auch an der Abb. 5.21 anschaulich klar wird). Es ist wegen Gl. (5.342) 7
P2 2m
7
8 −
P2 2m
8
¯2 h = − 2m
+∞
ϕ∗ n (x)
−∞
−
d2 ϕ (x)dx dx2 n
+∞
−∞
ϕ∗n (x)
d2 ϕ (x)dx = 0. (5.348) n dx2
¨ Die Anderung der potentiellen Energie kann man in zwei Terme zerlegen: – Der erste Term W (E) entspricht der potentiellen Energie des Dipols im elektrischen Feld E. Weil Dipol und Feld zueinander parallel sind, hat man nach Gl. (5.346) W (E) = −ED = −
q2E 2 . mω 2
(5.349)
– Der zweite Term V (X) − V (X) geht auf die Modifizierung der Wellenfunktion zur Quantenzahl n durch das elektrische Feld zur¨uck: Der elastische“ Anteil der ” potentiellen Energie des Teilchens a¨ ndert sich daher um V (X) − V (X) =
1 mω 2 2
+∞
−∞
x2 |ϕn (x)|2 dx −
+∞
−∞
x2 |ϕn (x)|2 dx . (5.350)
Hierin kann das erste Integral unter Beachtung von Gl. (5.342) und dem Variablenwechsel (5.337) ausgewertet werden:
•
518
Erg¨anzungen zu Kapitel 5
+∞
−∞
x2 |ϕn (x)|2 dx =
+∞
−∞
+
u2 |ϕn (u)|2 du +
qE mω 2
2
+∞
−∞
2qE mω 2
+∞
−∞
|ϕn (u)|2 du.
u|ϕn (u)|2 du (5.351)
Weil ϕn (u) normiert ist und das Integral u¨ ber u|ϕn (u)|2 aus Symmetriegr¨unden verschwindet, erhalten wir schließlich V (X) − V (X) =
q2 E 2 . 2mω 2
(5.352)
¨ Diese Anderung ist positiv, weil das elektrische Feld das Teilchen aus dem Ursprung O in einen Bereich auslenkt, in dem der elastische“ Anteil V (x) des Potentials viel gr¨oßer ” ist. Addieren wir die beiden Terme (5.349) und (5.352), so ergibt sich, dass die Energie des Zustands |ϕn um den Betrag q 2 E 2 /2mω 2 niedriger als die Energie des Zustands |ϕn liegt.
5.10.3 Anwendung des Translationsoperators Zu den Eigenwerten und Eigenfunktionen eines geladenen harmonischen Oszillators in einem konstanten elektrischen Feld kann man auch auf einem anderen Weg gelangen. Hierzu geht man unmittelbar vom Hamilton-Operator H (E) in Gl. (5.333) aus. Man kann n¨amlich zeigen, dass man durch eine unit¨are Transformation (mit der man die Translation der Wellenfunktion auf der x-Achse bewirkt) vom Operator H = H (E = 0) zum Operator H (E) gelangen kann (bis auf eine additive Konstante, die jedoch die Eigenvektoren nicht beeinflusst). Die Eigenwerte und Eigenfunktionen von H f¨ur den feldfreien Fall haben wir aber bereits bestimmt. Wir betrachten den Operator †
U (λ) = e−λ(a−a
)
(5.353)
mit einer reellen Konstanten λ. Der dazu adjungierte Operator ist †
U † (λ) = eλ(a−a ) .
(5.354)
Man sieht leicht, dass U (λ)U † (λ) = U † (λ)U (λ) = 1
(5.355)
ist. U (λ) ist also ein unit¨arer Operator. Mit der durch ihn bewirkten unit¨aren Transformation wird aus dem Hamilton-Operator H der Operator ˜ = U (λ)HU † (λ) H 1 † † + U (λ)a aU (λ) . = h ¯ω 2
(5.356)
5.10 Geladener harmonischer Oszillator im konstanten elektrischen Feld
519
•
Wir berechnen den Operator ˜† a ˜ U (λ)a† aU † (λ) = a
(5.357)
mit a ˜ = U (λ)aU † (λ), (5.358) †
†
†
a ˜ = U (λ)a U (λ). Um a ˜ und a ˜† zu erhalten, verwenden wir die Beziehung (2.435) (wir d¨urfen dies hier tun, weil der Kommutator von a und a† gleich eins ist) und erhalten †
†
2
U (λ) = e−λa+λa = e−λa eλa eλ †
U † (λ) = e−λa
+λa
†
/2 2
= e−λa eλa e−λ
, (5.359)
/2
.
Andererseits d¨urfen wir nach Gl. (2.423) setzen [e−λa , a† ] = −λ e−λa , †
†
[eλa , a] = −λ eλa ,
(5.360)
d. h. e−λa a† eλa = a† − λ, †
†
eλa a e−λa = a − λ.
(5.361)
Damit wird †
†
a ˜ = e−λa eλa a e−λa eλa = e−λa (a − λ)eλa = a − λ
(5.362)
und entsprechend a ˜† = a† − λ.
(5.363)
Darum ist
1 ˜ = h H ¯ω + (a† − λ)(a − λ) 2 1 = h ¯ω + a† a − λ(a + a† ) + λ2 2 = H − λ¯ hω(a + a† ) + λ2 ¯hω.
(5.364)
Weil (a + a† ) zum Ortsoperator X proportional ist (s. Gleichungen (5.20), (5.27) und (5.28) aus Abschnitt 5.2), gen¨ugt es, qE 1 λ= (5.365) ω 2m¯ hω
•
520
Erg¨anzungen zu Kapitel 5
zu setzen, um f¨ur den Hamilton-Operator bei Anwesenheit des elektrischen Feldes 2 2 2 2 ˜ = H − qEX + q E = H (E) + q E H 2 2mω 2mω 2
(5.366)
˜ und H (E) haben daher dieselben Eigenvektoren, zu erhalten. Die beiden Operatoren H 2 2 w¨ahrend sich ihre Eigenwerte um q E /2mω 2 unterscheiden. Sind nun die Kets |ϕn die ˜ Eigenvektoren von H, so weiß man (s. Abschnitt 2.9.2), dass die Eigenvektoren von H die Kets |ϕ˜n = U (λ)|ϕn
(5.367)
˜ und H dieselben Eigenwerte. Die station¨aren Zust¨ande |ϕn des sind. Weiter haben H harmonischen Oszillators im elektrischen Feld E werden also die durch Gl. (5.367) gegebenen Zust¨ande |ϕ˜n sein, und die zugeh¨origen Eigenwerte von H (E) sind 1 q2 E 2 . (5.368) En (E) = n + hω − ¯ 2 2mω 2 Es ergibt sich wieder die Beziehung (5.341). Den Ausdruck (5.367) kann man auf die Form qE
|ϕn = |ϕ˜n = e−i m¯hω2 P |ϕn
(5.369)
bringen, wenn man Gl. (5.353) und Gl. (5.365) sowie die Beziehungen (5.20), (5.27) und (5.28) verwendet. In Abschnitt 2.11 hatten wir den Operator e−iaP/¯h als den Translationsoperator f¨ur eine (algebraische) Verschiebung um a l¨angs der x-Achse interpretiert. So ist also |ϕn der Zustand, den man aus |ϕn durch eine Translation um qE/mω 2 erh¨alt. Genau dies zeigt Gl. (5.342) an.
5.11 Quasiklassische Zust¨ande des Oszillators Bei der Untersuchung der station¨aren Zust¨ande |ϕn des harmonischen Oszillators stellten wir unter anderem fest (Abschnitt 5.4), dass die Erwartungswerte von Ort und Impuls in einem solchen Zustand null sind. Nun ist aus der klassischen Mechanik bekannt, dass Ort und Impuls sich zeitlich periodisch a¨ ndern und nur dann konstant gleich null sein k¨onnen, wenn das auch f¨ur die Energie der Fall ist (s. Gl. (5.5) und Gl. (5.8) in Abschnitt 5.1.2). Andererseits weiß man, dass die Quantenmechanik f¨ur den Grenzfall großer Quantenzahlen, wenn also die Energie des Oszillators sehr viel gr¨oßer als ¯hω ist, zu denselben Ergebnissen wie die klassische Mechanik gelangen muss. Es ergibt sich somit die folgende Frage: Kann man Quantenzust¨ande konstruieren, f¨ur die die physikalischen Voraussagen der Quantenmechanik zumindest bei einem makroskopischen Oszillator mit den Aussagen der klassischen Mechanik praktisch identisch sind? Wir werden in diesem Abschnitt sehen, dass derartige Zust¨ande tats¨achlich exis¨ tieren. Es sind dies die koh¨arenten Uberlagerungen aller station¨aren Zust¨ande |ϕn . Wir werden sie quasiklassische oder auch koh¨arente Zust¨ande nennen.
5.11 Quasiklassische Zust¨ande des Oszillators
521
•
An dieser Frage besteht in der Quantenmechanik ein ganz allgemeines Interesse. Wie wir bereits in der Einf¨uhrung zum Kapitel 5 und in Abschnitt 5.5 feststellten, gibt es zahlreiche Systeme, die wenigstens in erster N¨aherung als ein harmonischer Oszillator behandelt werden k¨onnen. Bei ihnen will man nun im Rahmen der Quantenmechanik verstehen, wie man von dem Fall, in dem sich die Aussagen der klassischen N¨aherung als hinreichend genau erweisen, zu dem Fall gelangt, bei dem die Quanteneffekte zum Tragen kommen. Die elektromagnetische Strahlung ist ein sehr wichtiges Beispiel f¨ur ein solches System: Je nach der Art des Experiments zeigt sie Quantencharakter (z. B. beim Doppelspaltversuch f¨ur sehr geringe Lichtintensit¨at) oder kann einfach klassisch behandelt werden. So spielen heute die (von Glauber eingef¨uhrten) koh¨arenten Zust¨ande in der Quantenoptik eine wichtige Rolle. Ort, Impuls und Energie eines harmonischen Oszillators werden in der Quantenmechanik durch nichtvertauschbare Operatoren beschrieben; es sind nichtkompatible physikalische Gr¨oßen. Daher kann man keinen Zustand konstruieren, in dem alle drei vollst¨andig bestimmt sind. Wir begn¨ugen uns deshalb mit der Suche nach einem Vektor, f¨ur den zu einem beliebigen Zeitpunkt t die Erwartungswerte X, P und H m¨oglichst nahe an den entsprechenden klassischen Werten liegen. Das f¨uhrt uns zu einem Kompromiss, bei dem keine der drei Observablen vollst¨andig bekannt ist; jedoch wird sich herausstellen, dass man im makroskopischen Grenzfall die Standardabweichungen ΔX, ΔP und ΔH g¨anzlich vernachl¨assigen darf.
5.11.1 Quasiklassische Zust¨ande Charakterisierung der klassischen Bewegung Die klassischen Bewegungsgleichungen eines eindimensionalen harmonischen Oszillators mit der Masse m und der Kreisfrequenz ω lauten 1 d x(t) = p(t), dt m d p(t) = −m ω 2 x(t). dt
(5.370) (5.371)
F¨ur die folgenden quantenmechanischen Rechnungen ist es einfacher, wenn wir zwei Gr¨oßen mit der Dimension eins einf¨uhren. Wir setzen x ˆ(t) = β x(t), 1 p(t) pˆ(t) = hβ ¯ mit
β=
mω . h ¯
Die Gleichungen (5.370) und (5.371) lauten dann:
(5.372)
(5.373)
•
522
Erg¨anzungen zu Kapitel 5
d x ˆ(t) = ω pˆ(t), dt d pˆ(t) = −ω x ˆ(t). dt
(5.374) (5.375)
Klassisch ist der Zustand des Oszillators zur Zeit t bestimmt, wenn man zu diesem Zeitpunkt seinen Ort x(t) und seinen Impuls p(t) bzw. die Gr¨oßen x ˆ(t) und pˆ(t) kennt. Wir fassen diese beiden reellen Zahlen zu einer komplexen Zahl α(t) zusammen, indem wir definieren 1 x(t) + iˆ p(t)]. (5.376) α(t) = √ [ˆ 2 Das Gleichungssystem (5.374) und (5.375) ist dann zu einer einzigen Gleichung, d α(t) = −iω α(t), dt
(5.377)
a¨ quivalent. Ihre L¨osung ist α(t) = α0 e−iωt ,
(5.378)
wobei wir 1 x(0) + iˆ p(0)] α0 = α(0) = √ [ˆ 2
(5.379)
gesetzt haben. Wir betrachten jetzt in der komplexen Ebene die zu den Zahlen α0 bzw. α(t) geh¨orenden Punkte M0 bzw. M (Abb. 5.22). Der Punkt M f¨allt zur Zeit t = 0 mit M0 zusammen und beschreibt mit der Winkelgeschwindigkeit −ω um O einen Kreis mit dem Radius OM0 . √ √ Weil die Koordinaten von M nach Gl. (5.376) gleich x ˆ(t)/ 2 und pˆ(t)/ 2 sind, erh¨alt man eine sehr einfache geometrische Darstellung der zeitlichen Entwicklung des Systems. Eine Bewegung mit bestimmten Anfangsbedingungen ist durch den Punkt M0 , d. h. durch die komplexe Zahl α0 vollst¨andig charakterisiert (der Betrag von α0 gibt die Amplitude der Schwingung und das Argument ihre Phase an). Nach Gl. (5.376) und Gl. (5.378) gilt u¨ brigens 1 x ˆ(t) = √ [α0 e−iωt + α∗0 eiωt ], 2 i pˆ(t) = − √ [α0 e−iωt − α∗0 eiωt ]. 2
(5.380) (5.381)
Die klassische Energie H des Systems ist zeitlich konstant: 1 1 [p(0)]2 + m ω 2 [x(0)]2 2m 2 hω ¯ {[ˆ x(0)]2 + [ˆ = p(0)]2 }, 2
H =
(5.382)
5.11 Quasiklassische Zust¨ande des Oszillators
523
•
Abb. 5.22 Die komplexe Zahl α(t) charakterisiert den Zustand des harmonischen Oszillators zur Zeit t. Ihr Bild M (t) beschreibt mit der Winkelgeschwindigkeit −ω einen Kreis. Die Abszisse dieses Punktes liefert den Ort und die Ordinate den Impuls des Oszillators.
also gilt wegen Gl. (5.379) H=h ¯ ω|α0 |2 .
(5.383)
F¨ur einen makroskopischen Oszillator ist die Energie H sehr viel gr¨oßer als ¯hω, denn bei ihm ist |α0 | 1.
(5.384)
Definition der quasiklassischen Zust¨ande Wir suchen nach einem Quantenzustand, in dem die Erwartungswerte X, P und H zu jedem Zeitpunkt praktisch gleich den Werten x, p und H der zugeh¨origen klassischen Bewegung sind. Zur Berechnung der Erwartungswerte verwenden wir die Ausdr¨ucke ˆ = β X = √1 (a + a† ), X 2 1 i Pˆ = P = − √ (a − a† ) hβ ¯ 2 sowie
1 H =h ¯ ω a† a + . 2
(5.385)
(5.386)
F¨ur einen beliebigen Zustand |ψ(t) ist die zeitliche Entwicklung des Matrixelements a(t) = ψ(t)|a|ψ(t) durch die Differentialgleichung i¯ h
d a(t) = [a, H](t) dt
(5.387)
•
524
Erg¨anzungen zu Kapitel 5
gegeben (s. Abschnitt 3.4.1). Nun ist [a, H] = h ¯ ω[a, a† a] = h ¯ ω a,
(5.388)
woraus d a(t) = ωa(t), dt
(5.389)
a(t) = a(0) e−iωt
(5.390)
i d. h.
folgt. Die Entwicklung von a† (t) = ψ(t)|a† |ψ(t) gehorcht der konjugiert komplexen Gleichung a† (t) = a† (0) eiωt = a∗ (0) eiωt .
(5.391)
Die Gleichungen (5.390) und (5.391) entsprechen der klassischen Gl. (5.378). Wir setzen Gl. (5.390) und Gl. (5.391) in Gl. (5.385) ein und erhalten 1 ˆ X(t) = √ [a(0)e−iωt + a∗ (0)eiωt ], 2 i Pˆ (t) = − √ [a(0)e−iωt − a∗ (0)eiωt ]. 2
(5.392)
Vergleichen wir diese Ergebnisse mit den Gleichungen (5.380) und (5.381), so sehen wir: Damit f¨ur einen beliebigen Zeitpunkt t ˆ X(t) = x ˆ(t),
(5.393)
Pˆ (t) = pˆ(t) gilt, ist es notwendig und hinreichend f¨ur t = 0, a(0) = α0
(5.394)
zu setzen. Dabei ist α0 der komplexe Parameter zur Charakterisierung der klassischen Bewegung, die man quantenmechanisch so gut wie m¨oglich zu reproduzieren versucht. So muss also der normierte Zustandsvektor |ψ(t) des Oszillators als Erstes die Bedingung ψ(0)|a|ψ(0) = α0
(5.395)
erf¨ullen. Weiter muss der Erwartungswert H = h ¯ ωa† a(0) +
¯ω h 2
(5.396)
gleich der durch Gl. (5.383) gegebenen klassischen Energie H sein. Weil f¨ur einen klassischen Oszillator |α0 | sehr groß gegen eins ist, vernachl¨assigen wir den Term ¯hω/2 (er ist
5.11 Quasiklassische Zust¨ande des Oszillators
525
•
rein quantenmechanischen Ursprungs, s. Abschnitt 5.4.2) gegen¨uber ¯hω|α0 |2 , so dass die zweite Bedingung an den Zustandsvektor a† a(0) = |α0 |2 ,
(5.397)
ψ(0)|a† a|ψ(0) = |α0 |2
(5.398)
d. h.
lautet. Wir werden sehen, dass die Bedingungen (5.395) und (5.398) zur Bestimmung des normierten Vektors |ψ(0) ausreichen (von einem Phasenfaktor abgesehen).
Quasiklassische Zust¨ande und Vernichtungsoperator Wir f¨uhren den Operator b(α0 ) = a − α0
(5.399)
ein. Es ist b† (α0 )b(α0 ) = a† a − α0 a† − α∗0 a + α∗0 α0
(5.400)
und weiter das Quadrat der Norm des Kets b(α0 )|ψ(0) ψ(0)|b† (α0 )b(α0 )|ψ(0) = ψ(0)|a† a|ψ(0) − −
α0 ψ(0)|a† |ψ(0) α∗0 ψ(0)|a|ψ(0) + α∗0 α0 .
(5.401)
Setzen wir hier die Bedingungen (5.395) und (5.398) ein, so wird ψ(0)|b† (α0 )b(α0 )|ψ(0) = α∗0 α0 − α0 α∗0 − α∗0 α0 + α∗0 α0 = 0.
(5.402)
Hieraus folgt, dass b(α0 )|ψ(0) = 0,
(5.403)
a|ψ(0) = α0 |ψ(0)
(5.404)
d. h.
ist. Gen¨ugt umgekehrt der normierte Vektor |ψ(0) dieser Gleichung, so sind die Bedingungen (5.395) und (5.398) offensichtlich erf¨ullt. Wir sind somit zu folgendem Ergebnis gelangt: Der zu einer klassischen Bewegung mit dem Parameter α0 geh¨orende quasiklassische Zustandsvektor |ψ(0) ist Eigenvektor des Vernichtungsoperators a zum Eigenwert α0 . Im Folgenden bezeichnen wir den Eigenvektor von a zum Eigenwert α mit |α: a|α = α|α
(5.405)
(weiter unten werden wir zeigen, dass diese Gleichung eine bis auf einen Faktor eindeutige L¨osung hat).
•
526
Erg¨anzungen zu Kapitel 5
5.11.2 Eigenschaften der Zust¨ande |α Entwicklung nach den station¨aren Zust¨anden Wir bestimmen die L¨osung |α der Eigenwertgleichung (5.405), indem wir |α nach den Zust¨anden |ϕn entwickeln: |α =
cn (α)|ϕn .
(5.406)
n
Damit ist a|α =
√ cn (α) n|ϕn−1 ,
(5.407)
n
und wenn wir dies in Gl. (5.405) einsetzen, α cn+1 (α) = √ cn (α). n+1
(5.408)
Mit dieser Beziehung k¨onnen wir durch Rekursion alle Koeffizienten cn (α) durch c0 (α) ausdr¨ucken. Es ist αn cn (α) = √ c0 (α). n!
(5.409)
Mit c0 (α) sind somit auch alle anderen Koeffizienten cn (α) festgelegt. Der Vektor |α ist daher bis auf einen Faktor eindeutig. Wir vereinbaren, dass c0 (α) reell und positiv und der Ket |α normiert sein soll, womit er dann vollst¨andig bestimmt ist. In diesem Fall erf¨ullen die cn (α) die Gleichung
|cn (α)|2 = 1,
(5.410)
n
d. h. es ist |c0 (α)|2
|α|2n n!
n
2
= |c0 (α)|2 e|α| = 1,
(5.411)
also wegen unserer Vereinbarung c0 (α) = e−|α|
2
/2
.
(5.412)
Das gesuchte Ergebnis lautet somit |α = e−|α|
2
/2
αn √ |ϕn . n! n
(5.413)
5.11 Quasiklassische Zust¨ande des Oszillators
527
•
Energiewerte im Zustand |α Wir betrachten einen Oszillator im Zustand |α. Wir ersehen aus Gl. (5.413), dass eine hω mit der Wahrscheinlichkeit Energiemessung den Wert En = (n + 1/2)¯ |α|2n −|α|2 e n! ergibt. Es handelt sich um eine Poisson-Verteilung. Weil Pn (α) = |cn (α)|2 =
Pn (α) =
|α|2 Pn−1 (α) n
(5.414)
(5.415)
ist, kann man zeigen, dass Pn (α) f¨ur n = ganzzahliger Teil von |α|2
(5.416)
am gr¨oßten ist. Zur Berechnung des Energieerwartungswerts Hα k¨onnte man Gl. (5.414) und den Ausdruck 1 Pn (α) n + ¯hω (5.417) Hα = 2 n verwenden. Man gelangt jedoch viel schneller zum Ergebnis, wenn man unter Beachtung der zu Gl. (5.405) adjungierten Beziehung α|a† = α∗ α|
(5.418)
feststellt, dass α|a† a|α = α∗ α und damit
(5.419)
1 1 2 ¯ ω α| a a + Hα = h |α = h ¯ ω |α| + 2 2 †
(5.420)
ist. Ein Vergleich mit Gl. (5.416) zeigt, dass sich f¨ur |α| 1 der Energieerwartungswert Hα relativ nur wenig von der zum maximalen Wert von Pn (α) geh¨orenden Energie En unterscheidet. Wir berechnen den Erwartungswert von H 2 im Zustand α: 2 1 H 2 α = h ¯ 2 ω 2 α| a† a + |α. (5.421) 2 Verwendet man Gl. (5.405) und beachtet, dass [a, a† ] = 1 ist, so ergibt sich sofort 1 ¯ 2 ω 2 |α|4 + 2|α|2 + H 2 α = h , (5.422) 4 so dass f¨ur die Standardabweichung ¯ ω|α| ΔHα = h
(5.423)
•
528
Erg¨anzungen zu Kapitel 5
gilt. F¨ur sehr große |α| ist dann die relative Standardabweichung ΔHα 1 1. ≈ Hα |α|
(5.424)
Relativ ist die Energie im Zustand |α sehr gut bestimmt. Bemerkung Weil
H=
1 N+ 2
hω ¯
(5.425)
ist, erh¨alt man mit Gl. (5.420) und Gl. (5.423) sofort
N α = |α|2 , ΔNα = |α|.
(5.426)
Man muss also f¨ur die Konstruktion eines quasiklassischen Zustands eine sehr große Zahl von station¨aren Zust¨anden |ϕn u¨ berlagern, denn es ist ΔNα 1. Dagegen ist die relative Streuung von N sehr gering, weil 1 ΔNα 1 =
N α |α|
(5.427)
ist.
Erwartungswerte und Streuungen im Zustand |α Zur Berechnung des Orts- und des Impulserwartungswerts dr¨ucken wir X und P durch die Operatoren a und a† (Gl. (5.385)) aus und beachten Gl. (5.405) und Gl. (5.418). Dann wird 2¯ h Re(α), Xα = α|X|α = mω (5.428) √ P α = α|P |α = 2m¯ hω Im(α). Eine analoge Rechnung liefert h ¯ [(α + α∗ )2 + 1], 2mω mω¯ h [1 − (α − α∗ )2 ], P 2 α = 2 so dass wir f¨ur die Standardabweichungen der beiden Gr¨oßen erhalten h ¯ , ΔXα = 2mω m¯ hω . ΔPα = 2 X 2 α =
(5.429)
(5.430)
5.11 Quasiklassische Zust¨ande des Oszillators
529
•
Sie h¨angen nicht von α ab. Wir stellen andererseits fest, dass ihr Produkt ΔX · ΔP den minimalen Wert annimmt: ΔXα · ΔPα = h ¯ /2.
(5.431)
Operator D(α) und Wellenfunktion ψα (x) Wir definieren †
D(α) = eαa
−α∗ a
(5.432)
.
Dieser Operator ist unit¨ar, weil ∗
D† (α) = eα
a−αa†
(5.433)
ist und dies zu D(α)D† (α) = D† (α)D(α) = 1
(5.434)
f¨uhrt. Der Kommutator der Operatoren αa† und α∗ a ist gleich der Zahl α∗ α. Wir k¨onnen also die Identit¨at (2.435) aus Abschnitt 2.8 verwenden und D(α) = −|α|
2
/2 αa†
e
∗
e−α
a
(5.435)
schreiben. Wir berechnen den Ket D(α)|ϕ0 . Weil α∗2 2 −α∗ a ∗ a + . . . |ϕ0 |ϕ0 = 1 − α a + e 2! = |ϕ0
(5.436)
ist, ergibt sich D(α)|ϕ0 = e−|α|
2
= e−|α|
2
/2 αa† /2
e |ϕ0 (αa† )n n
= e−|α|
2
/2
n!
|ϕ0
αn √ |ϕn . n! n
(5.437)
Vergleichen wir Gl. (5.413) mit Gl. (5.437), so sehen wir, dass |α = D(α)|ϕ0
(5.438)
ist. D(α) ist also die unit¨are Transformation, die aus dem Grundzustand |ϕ0 den quasiklassischen Zustand |α erzeugt. Mit Gl. (5.438) k¨onnen wir die Wellenfunktion ψα (x) = x|α
(5.439)
•
530
Erg¨anzungen zu Kapitel 5
erhalten, die den quasiklassischen Zustand |α in der Ortsdarstellung angibt. Zur Berechnung von ψα (x) = x|D(α)|ϕ0
(5.440)
dr¨ucken wir den Operator αa† − α∗ a durch X und P aus: α + α∗ mω α − α∗ i † ∗ √ √ αa − α a = X−√ P. h ¯ 2 2 m¯hω
(5.441)
Wenn wir wiederum Gl. (2.435) aus Abschnitt 2.8 verwenden, erhalten wir αa† −α∗ a
D(α) = e
=e
mω α−α∗ √ X −√ i h ¯ 2
e
m¯ hω
∗ ∗2 2 α+α √ P α −α 2 e 4
.
(5.442)
Setzen wir dies in Gl. (5.440) ein, so wird ψα (x) =
α∗2 −α2 e 4
= e
α∗2 −α2 4
x|e e
mω α−α∗ √ X −√ i h ¯ 2
mω α−α∗ √ x h ¯ 2
e
x|e
−√
m¯ hω
∗ α+α √ P 2 |ϕ0
∗ α+α i √ P 2 m¯ hω |ϕ0 .
(5.443)
Nun ist der Operator e−iλP/¯h der Translationsoperator um λ l¨angs der x-Achse (s. Abschnitt 2.11). Darum gilt ∗ α+α i √ P ¯h −√ 2 m¯ h ω (α + α∗ )|. x|e = x − (5.444) 2mω Aus Gl. (5.443) wird somit ψα (x) =
α∗2 −α2 e 4
mω α−α∗
e
h ¯
√
2
x
ϕ0
x−
¯ h ∗ (α + α ) . 2mω
(5.445)
Wenn wir hierin α und α∗ durch Xα und P α ausdr¨ucken (Gl. (5.428)), so gelangt ψα (x) auf die Form ψα (x) = eiθα eiP α x/¯h ϕ0 (x − Xα )
(5.446)
mit dem Phasenfaktor eiθα = e
α∗2 −α2 4
.
(5.447)
Man kommt also zur Wellenfunktion f¨ur den Zustand |α, indem man die Wellenfunktion ϕ0 (x) des Oszillatorgrundzustands um Xα l¨angs der x-Achse verschiebt und sie mit dem oszillierenden Faktor eiP α x/¯h multipliziert (den Faktor eiθα k¨onnen wir fortlassen, da er physikalisch keine Rolle spielt).12 12 Da der Exponentialausdruck eiP α x/¯ h von x abh¨ angt, ist er offensichtlich kein globaler Phasenfaktor. Durch sein Auftreten in Gl. (5.446) ist gesichert, dass der Erwartungswert von P im Zustand ψα (x) gleich P α ist.
5.11 Quasiklassische Zust¨ande des Oszillators
531
•
Schreibt man in Gl. (5.446) die Wellenfunktion ϕ0 aus, so erh¨alt man schließlich 2
1/4 x − Xα x iθα mω . (5.448) ψα (x) = e exp − + iP α π¯ h ΔXα ¯h Damit ist die Form des zum Zustand |α geh¨orenden Wellenpakets 2 1 mω x − X α |ψα (x)|2 = exp − . π¯ h 2 ΔXα
(5.449)
Man erh¨alt f¨ur jeden |α-Zustand ein Gauß-Paket. Dieses Ergebnis vergleiche man mit der Tatsache, dass das Produkt ΔXα · ΔPα der Standardabweichungen stets ein Minimum ist (s. Abschnitt 3.8).
Skalarprodukt von zwei |α-Zust¨anden. Vollst¨andigkeitsrelation Die |α-Zust¨ande sind Eigenvektoren des nichthermiteschen Operators a. Darum besteht zun¨achst kein Grund zu der Annahme, dass diese Zust¨ande die Orthogonalisierungsbedingungen und die Vollst¨andigkeitsrelation erf¨ullen. Wir wollen daher pr¨ufen, ob sie gerechtfertigt ist. Zun¨achst betrachten wir zwei Eigenkets |α und |α des Operators a. Mit Gl. (5.413) erhalten wir sofort ihr Skalarprodukt. Weil α|α =
c∗n (α)cn (α )
(5.450)
n
ist, wird α|α = e−|α|
2
= e−|α|
2
/2 −|α |2 /2
e
(α∗ α )n n!
n 2
∗
/2 −|α | /2 α α
e
e
,
(5.451)
woraus sich 2
|α|α |2 = e−|α−α |
(5.452)
ergibt. Das Skalarprodukt wird also niemals null. Dagegen k¨onnen wir zeigen, dass die |α-Zust¨ande eine Vollst¨andigkeitsrelation erf¨ullen. Sie lautet 1 |αα|d{Re(α)}d{Im(α)} = 1. (5.453) π Zum Beweis ersetzen wir auf der linken Seite |α durch seinen Ausdruck (5.413): n α∗m 2 α 1 √ |ϕn √ ϕm |d{Re(α)}d{Im(α)}. e−|α| (5.454) π n! m! n m
•
532
Erg¨anzungen zu Kapitel 5
Gehen wir in der komplexen α-Ebene zu Polarkoordinaten u¨ ber (man setze α = ρ eiϕ ), so wird 2π 2 1 ∞ ρn+m |ϕn ϕm |. ρ dρ dϕ e−ρ ei(n−m)ϕ √ (5.455) π 0 n!m! 0 n,m Die Integration u¨ ber ϕ ergibt
2π
0
ei(n−m)ϕ dϕ = 2πδnm ,
(5.456)
so dass wir f¨ur den Ausdruck (5.455) n
In
1 |ϕn ϕn | n!
erhalten, wenn wir ∞ −ρ2 2n ρ dρ e ρ = In = 2 0
(5.457)
∞ 0
du e−u un
(5.458)
setzen. Durch partielle Integration gelangen wir zu einer Rekursionsformel f¨ur die In : In = nIn−1
(5.459)
mit der L¨osung In = n! I0 = n!.
(5.460)
Setzen wir dies in den Ausdruck (5.457) ein, so wird aus ihm
|ϕn ϕn |,
(5.461)
n
und die Vollst¨andigkeitsrelation (5.453) ist bewiesen.
5.11.3 Zeitliche Entwicklung eines quasiklassischen Zustands Ein harmonischer Oszillator sei zum Anfangszeitpunkt in einem bestimmten |α-Zustand: |ψ(0) = |α0 .
(5.462)
Wie a¨ ndern sich seine physikalischen Eigenschaften im Laufe der Zeit? Wir wissen bereits, dass die Erwartungswerte X(t) und P (t) gleich den Werten der zugeh¨origen klassischen Gr¨oßen bleiben, und untersuchen daher weitere Eigenschaften des Zustandsvektors |ψ(t).
5.11 Quasiklassische Zust¨ande des Oszillators
533
•
Quasiklassischer Zustand als Eigenvektor von a Da der Hamilton-Operator nicht von der Zeit abh¨angt, kann man unter Ber¨ucksichtigung von Gl. (5.413) die allgemeine Regel aus Abschnitt 3.4.2 anwenden, um den Zustandsvektor |ψ(t) zu einem beliebigen Zeitpunkt zu erhalten: αn 2 √ 0 e−iEn t/¯h |ϕn |ψ(t) = e−|α0 | /2 n! n αn e−inωt 2 0 √ = e−iωt/2 e−|α0 | /2 (5.463) |ϕn . n! n Vergleichen wir dieses Ergebnis mit der Beziehung (5.413), so sehen wir: Um vom Anfangszustand |ψ(0) = |α0 zum Zustand |ψ(t) zu gelangen, gen¨ugt es, α0 durch α0 e−iωt zu ersetzen und den so erhaltenen Ketvektor mit e−iωt/2 zu multiplizieren (einem globalen Phasenfaktor ohne physikalische Konsequenzen): |ψ(t) = e−iωt/2 |α = α0 e−iωt .
(5.464)
Ein quasiklassischer Zustand bleibt also stets ein Eigenvektor von a zu einem Eigenwert α0 e−iωt , der nichts anderes als der Parameter α(t) in Abb. 5.22 ist, mit dem der Punkt M festgelegt, also der Zustand des klassischen harmonischen Oszillators charakterisiert wird.
Zeitliche Entwicklung der physikalischen Eigenschaften Setzen wir in Gl. (5.428) f¨ur α = α0 e−iωt und verwenden Gl. (5.464), so erhalten wir sofort 2¯ h Re[α0 e−iωt ], X(t) = mω (5.465) √ P (t) = 2m¯ hω Im[α0 e−iωt ]. Wie vorauszusehen, entsprechen diese Gleichungen den klassischen Beziehungen (5.380) und (5.381). Der Erwartungswert der Energie des Oszillators ist zeitunabh¨angig: 1 2 H = h ¯ ω |α0 | + . (5.466) 2 Die Standardabweichungen ΔH, ΔX und ΔP sind nach Gl. (5.423) und Gl. (5.430) ΔH = h ¯ ω|α0 | und
ΔX = ΔP =
h ¯ , 2mω m¯ hω . 2
(5.467)
(5.468)
•
534
Erg¨anzungen zu Kapitel 5
ΔX und ΔP h¨angen nicht von der Zeit ab; zu jedem Zeitpunkt bleibt das Wellenpaket minimal.
Bewegung des Wellenpakets Wir berechnen die Wellenfunktion zur Zeit t. Es ist ψ(x, t) = x|ψ(t),
(5.469)
wobei |ψ(t) durch Gl. (5.464) gegeben ist. Wenn wir von Gl. (5.448) ausgehen, erhalten wir % &2
1/4 xP (t) − x−X (t) iθα mω −iωt/2 i 2ΔX e e h¯ e . (5.470) ψ(x, t) = e π¯ h Dies ist zu allen Zeiten ein Gaußsches Wellenpaket. Weil |ψ(x, t)|2 = |ϕ0 [x − X(t)]|2
(5.471)
ist, a¨ ndert sich seine Form zeitlich nicht. Es bleibt (s. Gl. (5.468)) zu jedem Zeitpunkt minimal. In Abb. 5.23 ist die Bewegung des Pakets veranschaulicht. Es f¨uhrt entlang der xAchse eine harmonische Schwingung mit der Periode T = 2π/ω aus. Wir hatten in Abschnitt 1.11 gesehen, dass sich ein freies Gauß-Paket bei seiner Bewegung verformt: Es verbreitert sich oder zerfließt“. Hier stellen wir fest, dass dies bei einem Paket in ” einem parabelf¨ormigen Potential nicht der Fall ist. Physikalisch hat dies seine Ursache darin, dass das Potential das Wellenpaket aus Bereichen mit großem V (x) zum Ursprung zur¨uckdr¨angt und so der Verbreiterung entgegenwirkt. Was ergibt sich nun f¨ur sehr große |α|? Die Standardabweichungen ΔX und ΔP a¨ ndern sich nach Gl. (5.468) nicht. Dagegen werden die Amplituden X(t) und P (t) im Vergleich zu ΔX und ΔP groß. Mit wachsendem |α| kann man daher eine quantenmechanische Bewegung erhalten, f¨ur die der Ort und der Impuls des Oszillators relativ so genau bestimmt ist, wie man es nur w¨unscht. Ist daher |α| 1, so beschreibt ein |αZustand die Bewegung eines makroskopischen harmonischen Oszillators, f¨ur den Ort, Impuls und Energie als klassische Gr¨oßen angesehen werden k¨onnen, sehr gut.
5.11.4 Beispiel eines makroskopischen Oszillators Ein makroskopischer K¨orper mit der Masse m = 1 kg h¨ange im Erdfeld (Fallbeschleunigung g ≈ 10 m/s2 ) an einem Faden der L¨ange l = 0.1 m. Wir wissen, dass f¨ur kleine Schwingungen die Schwingungsdauer durch l (5.472) T = 2π g
5.11 Quasiklassische Zust¨ande des Oszillators
535
•
Abb. 5.23 Bewegung des zum Zustand |α geh¨orenden Wellenpakets: Unter dem Einfluss des parabolischen Potentials V (x) oszilliert das Paket, ohne dabei seine Form zu a¨ ndern.
gegeben ist. In unserem Fall erhalten wir T ≈ 0.63 s,
(5.473)
ω = 10 rad/s. Wir nehmen nun an, dass dieser Oszillator eine periodische Bewegung mit der Amplitude xM = 1 cm ausf¨uhrt. Welcher Quantenzustand beschreibt diese Schwingung am besten? Wie wir sahen, ist dieser Zustand ein |α-Zustand, wobei α nach Gl. (5.465) der Beziehung mω xM (5.474) |α| = 2¯ h gen¨ugt. Hier ist √ |α| ≈ 5 × 1015 ≈ 2.2 × 1015 1 (das Argument von α ist durch die Nullphase der Bewegung bestimmt). Die Standardabweichungen ΔX und ΔP sind dann h ¯ ≈ 2.2 × 10−18 m xM , ΔX = 2mω
(5.475)
•
536
Erg¨anzungen zu Kapitel 5
ΔP =
(5.476) m¯ hω ≈ 2.2 × 10−17 kg m/s. 2
F¨ur die Standardabweichung Δv der Geschwindigkeit erhalten wir Δv ≈ 2.2 × 10−17 m/s.
(5.477)
Die maximale Geschwindigkeit des Oszillators betr¨agt 0.1 m/s, so dass die Orts- und Geschwindigkeitsunsch¨arfe gegen¨uber den bei diesem Problem auftretenden Gr¨oßen v¨ollig vernachl¨assigt werden k¨onnte. So ist z. B. ΔX kleiner als ein durchschnittlicher Kerndurchmesser (etwa 10−15 m). Es ist u¨ berhaupt keine Frage, dass man eine makroskopische L¨ange nicht mit einer derartigen Genauigkeit messen kann. Die relative Genauigkeit der Oszillatorenergie schließlich ist nach Gl. (5.424) 1 ΔH ≈ ≈ 0.4 × 10−15 1, H |α|
(5.478)
also ausgezeichnet. F¨ur die Beschreibung eines makroskopischen Oszillators sind also die Gesetze der klassischen Mechanik in weitem Maße ausreichend.
5.12 Eigenschwingungen gekoppelter Oszillatoren In diesem Abschnitt untersuchen wir die Bewegung von zwei gekoppelten (eindimensionalen) harmonischen Oszillatoren. Im Zusammenhang mit diesem einfachen Beispiel k¨onnen wir den in der Physik wichtigen Begriff der Eigenschwingungen eines Systems einf¨uhren. Er begegnet uns bei zahlreichen Problemen in der klassischen genau so wie in der Quantenmechanik, so z. B. bei den Schwingungen von Atomen in einem Kristall (Abschnitt 5.13) und bei den Schwingungen elektromagnetischer Strahlungsfelder (Abschnitt 5.14). Wir betrachten also zwei Teilchen mit derselben Massse m, die sich auf der x-Achse bewegen k¨onnen; ihre Abszissen nennen wir x1 und x2 . Zun¨achst nehmen wir an, dass ihre potentielle Energie durch U0 (x1 , x2 ) =
1 1 mω 2 (x1 − a)2 + mω 2 (x2 + a)2 2 2
(5.479)
gegeben ist. F¨ur x1 = a und x2 = −a besitzt die potentielle Energie U0 (x1 , x2 ) ein Minimum, und die beiden Teilchen befinden sich in einem stabilen Gleichgewicht. Werden sie aus ihren Gleichgewichtslagen ausgelenkt, so wirken auf sie jeweils die Kr¨afte F1 = −
∂ U0 (x1 , x2 ) = −mω 2 (x1 − a), ∂x1
∂ F2 = − U0 (x1 , x2 ) = −mω 2 (x2 + a), ∂x2
(5.480)
5.12 Eigenschwingungen gekoppelter Oszillatoren
537
•
und ihre Bewegungsgleichungen lauten m
d2 x1 (t) = −mω 2 (x1 − a), dt2
d2 m 2 x2 (t) = −mω 2 (x2 + a). dt
(5.481)
Die beiden Teilchen f¨uhren also unabh¨angig voneinander um ihre jeweilige Gleichgewichtslage harmonische (d. h. sinusf¨ormige) Schwingungen aus, wobei die Amplituden durch geeignete Anfangsbedingungen beliebig gew¨ahlt werden k¨onnen.13 Als potentielle Energie der beiden Teilchen geben wir jetzt den Ausdruck U (x1 , x2 ) = U0 (x1 , x2 ) + V (x1 , x2 )
(5.482)
V (x1 , x2 ) = λmω 2 (x1 − x2 )2
(5.483)
mit
an (λ ist eine Konstante mit der Dimension eins, die wir die Kopplungskonstante nennen). Zu den in Gl. (5.481) angegebenen Kr¨aften F1 und F2 m¨ussen wir die Kr¨afte F1 = −
∂ V (x1 , x2 ) = 2λmω 2 (x2 − x1 ), ∂x1
F2 = −
∂ V (x1 , x2 ) = 2λmω 2 (x1 − x2 ) ∂x2
(5.484)
hinzuf¨ugen. Die Einf¨uhrung von V (x1 , x2 ) ber¨ucksichtigt somit eine Anziehungskraft zwischen den beiden Teilchen, die zu ihrem gegenseitigen Abstand proportional ist. Die Teilchen sind nicht mehr unabh¨angig voneinander, und wir fragen, wie sie sich jetzt bewegen. Bevor wir auf die Antwort der Quantenmechanik eingehen, erinnern wir an die klassischen Ergebnisse.
5.12.1 Gekoppelte Schwingungen in der klassischen Mechanik L¨osung der Bewegungsgleichungen Die Bewegungsgleichungen lauten jetzt m
d2 x1 (t) = −mω 2 (x1 − a) + 2λmω 2 (x2 − x1 ), dt2
d2 m 2 x2 (t) = −mω 2 (x2 + a) + 2λmω 2 (x1 − x2 ). dt
(5.485)
13 Bei der Wahl des Potentials (5.479) sind allerdings die bei großen Amplituden m¨ oglichen St¨oße nicht ber¨ucksichtigt.
•
538
Erg¨anzungen zu Kapitel 5
Wir wissen, wie man dieses gekoppelte Differentialgleichungssystem l¨osen kann (s. z. B. Abschnitt 4.3.3). Wir diagonalisieren die Koeffizientenmatrix K der rechten Seite: 1 + 2λ −2λ 2 K = −mω . (5.486) −2λ 1 + 2λ Dann f¨uhrt man mit den Eigenvektoren von K Linearkombinationen aus x1 (t) und x2 (t) ein, deren zeitliches Verhalten durch ein entkoppeltes System von Differentialgleichungen (mit den Eigenwerten von K als Koeffizienten) bestimmt wird. In unserem Fall sind diese Linearkombinationen zum einen xS (t) =
1 [x1 (t) + x2 (t)] 2
(5.487)
(Koordinate des Schwerpunkts des Zweiteilchensystems) und zum anderen xR (t) = x1 (t) − x2 (t)
(5.488)
(Koordinate des Relativteilchens“). Bildet man beim System (5.485) die Summe und die ” Differenz und setzt die Ausdr¨ucke f¨ur xS (t) und xR (t) ein, so erhalten wir d2 xS (t) = −ω 2 xS (t), dt2 d2 xR (t) = −ω 2 [xR (t) − 2a] − 4λω 2 xR (t). dt2
(5.489)
Diese Gleichungen kann man sofort integrieren: xS (t) = x0S cos(ωS t + θS ), xR (t) =
2a + x0R cos(ωR t + θR ) 1 + 4λ
(5.490)
mit ωS = ω, √ ωR = ω 1 + 4λ.
(5.491)
Die Integrationskonstanten x0S , x0R , θS und θR werden durch die Anfangsbedingungen festgelegt. Um die Bewegung der beiden Teilchen selbst zu erhalten, m¨ussen wir nur die Beziehungen (5.487) und (5.488) umstellen, 1 x1 (t) = xS (t) + xR (t), 2 1 x2 (t) = xS (t) − xR (t), 2 und hierin Gl. (5.490) einsetzen.
(5.492)
5.12 Eigenschwingungen gekoppelter Oszillatoren
539
•
Physikalische Interpretation Wir haben also die Bewegungsgesetze f¨ur die beiden gekoppelten Teilchen gefunden, indem wir ihnen zwei fiktive Teilchen (S) und (R) zugeordnet haben, die nicht miteinander wechselwirken. Deren Bewegungen h¨angen nicht voneinander ab, und wir k¨onnen durch geeignete Anfangsbedingungen je eine Amplitude und eine Phase festlegen. So k¨onnen wir ein fiktives Teilchen als ruhend annehmen, ohne dass dies f¨ur das andere Teilchen der Fall zu sein braucht. Man spricht dann von einer Eigenschwingung des angeregten Systems. Man beachte, dass sich bei einer Eigenschwingung des Systems beide reellen Teilchen (1) und (2) bewegen, und zwar mit derselben Frequenz (ωS oder ωR ). Es gibt keine L¨osung der Bewegungsgleichungen, bei der ein reelles Teilchen in Ruhe bleibt und nur das andere schwingt. Erteilt man einem Teilchen eine Anfangsgeschwindigkeit, bringt die Kopplungskraft auch das andere in Bewegung. Der einfachste Fall ist sicher der, bei dem keine der beiden Eigenschwingungen angeregt wird. In dieser Situation sind in den Beziehungen (5.490) die Konstanten x0S und x0R gleich null. Die Funktionen xS (t) und xR (t) sind dann konstant gleich null bzw. gleich 2a/(1 + 4λ). Dies gibt nach Gl. (5.492) x1 = −x2 =
a . 1 + 4λ
(5.493)
Das System oszilliert nicht, und die beiden Teilchen (1) und (2) bleiben in ihren neuen Gleichgewichtslagen (5.493). Man kann zeigen, dass die auf die Teilchen wirkende Kraft f¨ur diese Werte von x1 und x2 verschwindet. Dabei r¨ucken die Teilchen aufgrund ihrer gegenseitigen Anziehung im Vergleich zu λ = 0 n¨aher zusammen. Will man nur die zu xS (t) geh¨orende Schwingung anregen, so muss man nur die Teilchen (1) und (2) in denselben Abstand 2a/(1 + 4λ) wie beim vorhergehenden Fall bringen und ihnen die gleiche Anfangsgeschwindigkeit erteilen. Man findet dann, dass xR (t) konstant gleich 2a/(1 + 4λ) bleibt (aus diesen Anfangsbedingungen folgt x0R = 0). Die ¨ Teilchen bewegen sich en bloc“ und f¨uhren ohne Anderung ihres Abstands dieselbe Be” wegung aus. F¨ur diese Mode kann man das Teilchensystem als einen nichtdeformierbaren K¨orper mit der Masse 2m auffassen, auf den die Kraft F1 + F2 = −2mω 2 xS (t) wirkt. Man versteht, warum in diesem Fall die Frequenz ωS = ω ist (s. Gl. (5.3)). Will man dagegen nur die zu xR (t) geh¨orende Schwingung anregen, so gen¨ugt die Wahl eines Anfangszustands, bei dem die Lagen und Geschwindigkeiten der beiden Teilchen entgegengesetzt sind. Dann gilt f¨ur jeden sp¨ateren Zeitpunkt xS (t) = 0, und die Bewegung der beiden Teilchen ist in Bezug auf den Ursprung symmetrisch. In diesem Fall a¨ ndert sich der Abstand x2 − x1 , und in den Bewegungsgleichungen tritt die Anziehungskraft zwischen den beiden Teilchen auf.√Das ist der Grund, weshalb die Frequenz dieser Mode nicht mehr ω, sondern ωR = ω 1 + 4λ ist. Die zu den unabh¨angigen Eigenschwingungen geh¨orenden Variablen xS (t) und xR (t) heißen die Normalvariablen.
Bewegung im allgemeinen Fall Allgemein werden beide Moden angeregt, und die Zeitfunktionen x1 (t) und x2 (t) sind ¨ Uberlagerungen von zwei Schwingungen mit den Frequenzen ωS und ωR (s. Gl. (5.492)).
•
540
Erg¨anzungen zu Kapitel 5
Die Bewegung ist dann u¨ brigens nur noch periodisch, wenn das Verh¨altnis ωS /ωR rational ist.14 Als Beispiel fragen wir, was geschieht, wenn zum Anfangszeitpunkt t0 das Teilchen (1) in seiner Gleichgewichtslage x1 = a/(1 + 4λ) ruht und das zweite eine nichtverschwindende Geschwindigkeit besitzt (das ist das klassische Analogon zum Problem in Abschnitt 4.3.3). Ohne Kopplung w¨urde nur das Teilchen (2) schwingen, w¨ahrend das Teilchen (1) in Ruhe bliebe. Durch die Kopplung wird auch das Teilchen (1) in Bewegung gesetzt. In der zeitlichen Entwicklung von x1 (t) und x2 (t) treten die beiden verschiede¨ nen Frequenzen ωS und ωR auf. Die Uberlagerung der dazu geh¨orenden Schwingungen f¨uhrt zu einer Schwebung (s. Abb. 524) mit der Frequenz ν=
ω √ ωR − ωS = [ 1 + 4λ − 1]. 2π 2π
(5.494)
Abb. 5.24 Schwingungen des zur Zeit t = 0 in seiner Gleichgewichtslage ruhenden Teilchens (1), w¨ahrend das Teilchen (2) eine von null verschiedene Anfangsgeschwindigkeit besitzt. Es entsteht eine Schwebung mit der Frequenz (5.494), und die Amplitude des Teilchens (1) wird zeitabh¨angig.
Bei schwacher Kopplung (λ 1) ist diese Frequenz ν ≈ λω/π und gegen¨uber ωR und ωS vernachl¨assigbar. Solange (t − t0 ) 1/ν ist, schwingt praktisch nur das Teilchen (2). Dann geht die Schwingungsenergie langsam auf das Teilchen (1) u¨ ber, seine Amplitude w¨achst, w¨ahrend die des Teilchens (2) abnimmt. Nach einer gewissen Zeit ist die Ausgangssituation umgekehrt: Jetzt schwingt das Teilchen (1) stark, und das Teilchen (2) ist praktisch in Ruhe. Darauf nimmt die Amplitude von (1) allm¨ahlich ab, die von (2) nimmt zu, bis die Energie von neuem beim Oszillator (2) lokalisiert ist. Dieser Vorgang wiederholt sich immer wieder. Eine schwache Kopplung bewirkt also einen periodischen Energie¨ubergang zwischen den beiden Oszillatoren mit einer zur Kopplungskonstanten proportionalen Frequenz. √ ωS /ωR = 1/ 1 + 4λ gleich einem irreduziblen rationalen Bruch p1 /p2 , so ist die Periode T = 2πp1 /ωS = 2πp2 /ωR . 14 Ist
5.12 Eigenschwingungen gekoppelter Oszillatoren
541
•
Bemerkungen 1. Sind p1 und p2 die Impulse der Teilchen (1) und (2), so lautet die Hamilton-Funktion des Systems H(x1 , x2 , p1 , p2 ) =
p21 p2 + 2 + U0 (x1 , x2 ) + V (x1 , x2 ). 2m 2m
(5.495)
Setzt man pS (t) = p1 (t) + p2 (t), pR (t) =
(5.496)
1 [p1 (t) − p2 (t)] 2
und μS = 2m, m , 2 so kann man H auf die Form bringen
(5.497)
μR =
2
1 p2 1 2a p2S 2 + μS ωS2 x2S + R + μR ωR xR − 2μS 2 2μR 2 1 + 4λ 4λ + m ω 2 a2 . (5.498) 1 + 4λ Durch einen Wechsel des Energieursprungs kann man den letzten (konstanten) Term zum Verschwinden bringen. Dann ist H die Summe aus zwei zu den beiden Eigenschwingungen geh¨orenden Energien. Im Unterschied zu Gl. (5.495) gibt es keinen Kopplungsterm: Die beiden fiktiven Teilchen sind voneinander unabh¨angig. 2. Der Einfachheit halber haben wir angenommen, dass die Massen der beiden Teilchen gleich sind. Will man sich von dieser Einschr¨ankung befreien, so muss man mit den Teilchenmassen m1 und m2 folgende Ersetzungen vornehmen: H =
m1 x1 (t) + m2 x2 (t) , m1 + m2 pS (t) = p1 (t) + p2 (t),
xS (t) =
(5.499)
μS = m1 + m2 (f¨ur Lage, Impuls und Masse des Schwerpunkts) und xR (t) = x1 (t) − x2 (t), m2 p1 (t) − m1 p2 (t) pR (t) = , (5.500) m1 + m2 m1 m2 μR = m1 + m2 (f¨ur Lage, Impuls und Masse des Relativteilchens“). Man erh¨alt dann ein zu Gl. (5.498) analoges ” Ergebnis. 3. Ohne Kopplung haben beide Schwingungsmoden dieselbe Frequenz ω; mit Kopplung treten dagegen zwei verschiedene Frequenzen ωS und ωR auf. Ein solches Ph¨anomen finden wir in der Physik h¨aufig: Eine Kopplung zwischen zwei Schwingungen f¨uhrt in der Mehrzahl der F¨alle zu einer Trennung der Eigenfrequenzen (dieselbe Erscheinung w¨urden wir beobachten, wenn die beiden Oszillatoren zu Anfang verschiedene Frequenzen aufweisen). F¨ur den Fall unendlich vieler Oszillatoren (die isoliert dieselbe Frequenz bes¨aßen) bewirkt eine Kopplung das Auftreten einer unendlichen Folge verschiedener Frequenzen (s. Abschnitt 5.13).
•
542
Erg¨anzungen zu Kapitel 5
5.12.2 Schwingungszust¨ande des Systems in der Quantenmechanik Wenn wir jetzt das Problem quantenmechanisch behandeln, so m¨ussen wir die Orte x1 (t) und x2 (t) sowie die Impulse p1 (t) und p2 (t) der beiden Teilchen durch Operatoren ersetzen. Wir bezeichnen sie mit X1 , X2 , P1 und P2 . In Analogie zu Gl. (5.487), Gl. (5.488) und Gl. (5.496) f¨uhren wir die folgenden Observablen ein: 1 (X1 + X2 ), 2 = P1 + P2 ,
XS = PS
(5.501) XR = X1 − X2 , 1 PR = (P1 − P2 ). 2 Um zu sehen, ob wir den Hamilton-Operator auf eine zu Gl. (5.498) analoge Form bringen k¨onnen, untersuchen wir zun¨achst die Vertauschungsrelationen dieser vier Operatoren.
Vertauschungsrelationen Weil alle Observablen des Teilchens (1) mit den Observablen des Teilchens (2) vertauschen, sind die einzigen nichtverschwindenden Kommutatoren h, [X1 , P1 ] = i¯
(5.502)
h. [X2 , P2 ] = i¯ Insbesondere vertauscht X1 mit X2 , so dass sofort [XS , XR ] = 0
(5.503)
folgt. Entsprechend gilt [PS , PR ] = 0.
(5.504)
F¨ur den Kommutator [XS , PS ] erhalten wir 1 {[X1 , P1 ] + [X1 , P2 ] + [X2 , P1 ] + [X2 , P2 ]} 2 1 h + i¯ h} = i¯ h. = {i¯ 2
[XS , PS ] =
(5.505)
Ebenso ist [XR , PR ] = i¯ h.
(5.506)
Es bleiben die beiden Kommutatoren [XS , PR ] und [XR , PS ]. F¨ur sie ergibt sich einerseits 1 [XS , PR ] = {[X1 , P1 ] − [X1 , P2 ] + [X2 , P1 ] − [X2 , P2 ]} 4 1 h − i¯ h} = 0 (5.507) = {i¯ 4
5.12 Eigenschwingungen gekoppelter Oszillatoren
543
•
und andererseits (5.508)
[XR , PS ] = 0.
Wir k¨onnen daher XS und PS bzw. XR und PR als die Orts- und Impulsoperatoren von zwei verschiedenen Teilchen“ auffassen. F¨ur diese sind Gl. (5.505) bzw. Gl. (5.506) die ” kanonischen Vertauschungsrelationen. Dar¨uber hinaus dr¨ucken die Beziehungen (5.503), (5.504), (5.507) und (5.508) aus, dass die Observablen des einen Teilchens“ mit allen ” Observablen des anderen Teilchens“ vertauschen. ” Transformation des Hamilton-Operators Liegt eine Kopplung V (X1 , X2 ) vor, so ist der Hamilton-Operator (5.509)
H =T +U mit 1 (P 2 + P22 ) 2m 1 (dem Operator der kinetischen Energie) und T =
U=
1 mω 2 [(X1 − a)2 + (X2 + a)2 + 2λ(X1 − X2 )2 ] 2
(5.510)
(5.511)
(dem Operator der potentiellen Energie). Weil P1 und P2 miteinander vertauschen, kann man Gl. (5.510) transformieren, wie wenn sie Zahlen w¨aren, und findet T =
1 2 1 P + P 2, 2μS S 2μR R
(5.512)
worin μS und μR in Gl. (5.497) definiert sind. Weil auch X1 und X2 kommutieren, erh¨alt man wie oben (Gl. (5.498)) 2 4λ 1 2a 1 2 2 2 , (5.513) + mω 2 a2 U = μS ωS XS + μR ωR XR − 2 2 1 + 4λ 1 + 4λ worin ωS und ωR durch Gl. (5.491) gegeben sind. Wir sehen, dass der Hamilton-Operator in Analogie zu Gl. (5.498) auf eine Form gebracht werden kann, in der ein Kopplungsterm nicht mehr auftritt. Es ist H = HS + HR + mω 2 a2
4λ 1 + 4λ
(5.514)
mit PS2 1 + μS ωS2 XS2 , 2μS 2 2 PR2 1 2a 2 = + μR ωR XR − . 2μR 2 1 + 4λ
HS = HR
(5.515)
•
544
Erg¨anzungen zu Kapitel 5
Station¨are Zust¨ande Der Zustandsraum des Systems ist das Tensorprodukt H(1) ⊗ H(2) der Zustandsr¨aume der Teilchen (1) und (2). Er ist auch das Tensorprodukt H(S) ⊗ H(R) der beiden (zu den beiden Eigenmoden geh¨orenden) fiktiven Teilchen. Weil H die Summe aus den beiden Operatoren HS und HR ist, die nur in HS bzw. nur in HR wirken (die Konstante 4λ f¨uhrt nur zu einer Verschiebung des Energieursprungs), darf man (s. Abmω 2 a2 1 + 4λ schnitt 2.6) eine Basis von Eigenvektoren von H in der Form |ϕ = |ϕS |ϕR
(5.516)
suchen. Darin sind |ϕS Eigenvektoren von HS in H(S) und |ϕR Eigenvektoren von HR in H(R). Nun sind HS und HR Hamilton-Operatoren f¨ur eindimensionale harmonische Oszillatoren, von denen wir die Eigenwerte und Eigenvektoren kennen. Sind a†S und a†R die durch μS ωS 1 PS XS − i √ a†S = √ , h ¯ μS ¯hωS 2 (5.517) μR ωR 1 PR † XR − i √ aR = √ h ¯ μR ¯hωR 2 mit XR = XR −
2a 1 + 4λ
(5.518)
ande von HS und HR , so definierten Operatoren, und sind |ϕS0 und |ϕR 0 die Grundzust¨ sind die Eigenvektoren von HS zu den Eigenwerten 1 S En = n + (5.519) hωS ¯ 2 die Vektoren 1 |ϕSn = √ (a†S )n |ϕS0 , n! und die Eigenvektoren von HR zu den Eigenwerten 1 EpR = p + hω R ¯ 2
(5.520)
(5.521)
sind 1 † p R |ϕR p = √ (aR ) |ϕ0 . p!
(5.522)
Die Situation ist a¨ hnlich wie bei einem anisotropen zweidimensionalen harmonischen Oszillator (weil ωS = ωR ist). Diese station¨aren Zust¨ande des Systems sind |ϕn,p = |ϕSn |ϕR p=
(a†S )n (a†R )p √ |ϕ0,0 n! p!
(5.523)
5.12 Eigenschwingungen gekoppelter Oszillatoren
545
•
mit den Energien En,p
4λ EnS + EpR + mω 2 a2 1 + 4λ 1 4λ 1 = n+ . hω S + p + ¯ ¯hωR + mω 2 a2 2 2 1 + 4λ =
(5.524)
Somit sind die Operatoren aS und a†S (bzw. aR und a†R ) Vernichtungs- oder Erzeugungsoperatoren f¨ur ein Energiequant des Schwingungsmodus (S) (bzw. (R)). Wie man an Gl. (5.523) sieht, kann man durch wiederholte Anwendung von a†S und a†R die station¨aren Zust¨ande des Systems f¨ur beliebige Quantenzahlen der beiden Eigenmoden erhalten. Die Wirkung dieser vier Operatoren auf die Zust¨ande |ϕn,p ist sehr einfach: √ a†S |ϕn,p = n + 1 |ϕn+1,p , √ aS |ϕn,p = n |ϕn−1,p , (5.525)
a†R |ϕn,p = p + 1 |ϕn,p+1 , √ aR |ϕn,p = p |ϕn,p−1 . Im Allgemeinen ist kein Niveau entartet, denn es gibt keine zwei verschiedenen Paare {n, p} und {n , p }, so dass n ω S + p ω R = n ω S + p ω R
√ (bis auf den Fall, dass das Verh¨altnis ωR /ωS = 1 + 4λ rational ist).
(5.526)
Zeitliche Entwicklung der Erwartungswerte ¨ Der allgemeinste Zustand des Systems ist eine Uberlagerung der station¨aren Zust¨ande |ϕn,p : cn,p (t)|ϕn,p (5.527) |ϕ(t) = n,p
mit cn,p (t) = cn,p (0)e−iEn,p t/¯h .
(5.528)
Nach den Beziehungen (5.517) und (5.518) und ihren Adjungierten sind XS bzw. XR Linearkombinationen von aS und a†S bzw. aR und a†R . Darum stellt man bei Beachtung von Gl. (5.525) fest, dass XS nur zwischen den Zust¨anden |ϕn,p und |ϕn ,p von null verschiedene Matrixelemente aufweist, f¨ur die n − n = ±1 und p = p ist (und f¨ur XR , wenn n = n und p − p = ±1 ist). Hieraus leitet man her, dass in der zeitlichen Entwicklung der Erwartungswerte XS (t) und XR (t) nur die Bohr-Frequenzen En±1,p − En,p = ±ωS , h ¯ En,p±1 − En,p = ±ωR h ¯
(5.529)
•
546
Erg¨anzungen zu Kapitel 5
auftreten. XS (t) und XR (t) schwingen demnach mit den Frequenzen ωS und ωR ; man vergleiche dies mit dem klassischen Ergebnis in Abschnitt 5.12.1.
5.13 Lineare Oszillatorenkette. Phononen Im vorangegangenen Abschnitt untersuchten wir ein System aus zwei gekoppelten harmonischen Oszillatoren. Als Grundgedanke ergab sich dabei die M¨oglichkeit der Einf¨uhrung neuer dynamischer Variablen (der Normalvariablen), die im Gegensatz zu den Variablen des einzelnen Oszillators voneinander unabh¨angig, also entkoppelt sind. Sie beschreiben die Eigenschwingungen des Systems mit wohldefinierten Frequenzen. In diesen Variablen ist der Hamilton-Operator des Gesamtsystems die Summe von zwei Hamilton-Operatoren f¨ur unabh¨angige Oszillatoren, so dass sich die Quantisierung als einfach erweist. Wir wollen diesen Gedanken jetzt auf eine unendliche Folge identischer harmonischer Oszillatoren anwenden, die regelm¨aßig auf einer Achse angeordnet und paarweise miteinander gekoppelt sind. Hierzu werden wir die verschiedenen Eigenmoden des Systems bestimmen und zeigen, dass jede von ihnen einer kollektiven Schwingung des Teilchensystems entspricht, die durch eine Frequenz Ω und einen Wellenvektor k charakterisiert wird. Die Eigenzust¨ande und Eigenwerte des Gesamt-Hamilton-Operators lassen sich dann sehr einfach ermitteln, weil dieser sich als eine Summe der Energien der verschiedenen Eigenmoden darstellt. Mit den Ergebnissen k¨onnen wir zeigen, wie sich Schwingungen in einem Kristall ausbreiten, und wir k¨onnen den in der Festk¨orperphysik grundlegenden Begriff des Phonons einf¨uhren (auf die Eigenschaften der Phononen werden wir allerdings in diesem Buch nicht im Einzelnen eingehen).
5.13.1 Klassische Behandlung Bewegungsgleichungen Wir betrachten eine unendliche Kette von eindimensionalen harmonischen Oszillatoren, die wir durch einen ganzzahligen Index q kennzeichnen. Die Gleichgewichtslage des Oszillators (q), also des Teilchens Mq mit der Masse m, ist der Punkt ql auf der x-Achse (Abb. 5.25).
Abb. 5.25 Unendliche Oszillatorenkette. Mit xq bezeichnen wir die Auslenkung des q-ten Teilchens aus seiner Gleichgewichtslage ql.
5.13 Lineare Oszillatorenkette. Phononen
547
•
Gibt es unter den Teilchen keine Wechselwirkung, so ist die potentielle Energie des Systems U (. . . , x−1 , x0 , x+1 , . . .) =
+∞ 1 mω 2 x2q 2 q=−∞
(5.530)
(jeder Oszillator besitzt die Frequenz ω). Die Bewegungsgleichungen lauten dann m
d2 xq (t) = −mω 2 xq (t), dt2
q = . . . , −1, 0, +1, . . .
(5.531)
Ihre allgemeinen L¨osungen sind xq (t) = xM q cos(ωt − ϕq ),
(5.532)
in denen die Integrationskonstanten xM q und ϕq durch die Anfangsbedingungen festgelegt werden. Die Oszillatoren schwingen unabh¨angig voneinander. Wir stellen uns jetzt vor, dass die Teilchen miteinander in Wechselwirkung stehen. Der Einfachheit halber wollen wir annehmen, dass man nur die Kr¨afte ber¨ucksichtigen muss, die auf ein Teilchen von seinen n¨achsten Nachbarn ausge¨ubt werden. Ferner sollen sie anziehend und proportional zum Abstand sein. Somit unterliegt das Teilchen (q) zwei neuen Anziehungskr¨aften, die von den Teilchen (q + 1) und (q − 1) herr¨uhren und proportional zu |Mq Mq+1 | bzw. |Mq Mq−1 | sind (in beiden F¨allen soll die Proportionalit¨atskonstante dieselbe sein). Auf das Teilchen (q) wirkt dann insgesamt die Kraft Fq = −mω 2 xq − mω12 [ql + xq − (q + 1)l − xq+1 ] −mω12 [ql + xq − (q − 1)l − xq−1 ]
= −mω 2 xq − mω12 (xq − xq+1 ) − mω12 (xq − xq−1 ),
(5.533)
worin ω1 eine Konstante mit der Dimension 1/Zeit ist, die die St¨arke der Kopplung charakterisiert. Die Bewegungsgleichungen lauten dann m
d2 xq (t) = −mω 2 xq (t) − mω12 [2xq (t) − xq+1 (t) − xq−1 (t)]. dt2
(5.534)
Die Wechselwirkungskraft (also der zweite Term auf der rechten Seite) ergibt sich u¨ brigens aus dem Kopplungspotential V (. . . , x−1 , x0 , x+1 , . . .) =
+∞ 1 mω12 (xq − xq+1 )2 . 2 q=−∞
(5.535)
Die Gl. (5.534) stellt ein unendliches System von gekoppelten Differentialgleichungen dar; die zeitliche Entwicklung von xq h¨angt von xq+1 und xq−1 ab. Bevor wir neue Variable einf¨uhren, um dieses System zu entkoppeln, wollen wir nach einfachen L¨osungen suchen und den physikalischen Sachverhalt pr¨azisieren.
•
548
Erg¨anzungen zu Kapitel 5
Einfache L¨osungen Existenz einfacher L¨osungen. Die unendliche Kette gekoppelter Oszillatoren ist ein Bild f¨ur eine makroskopische, unendlich ausgedehnte Feder. Auf dieser aber k¨onnen sich (durch Dilatation und Kompression) longitudinale fortschreitende Wellen ausbreiten. Bei einer Sinuswelle mit dem Wellenvektor k und der Frequenz Ω befindet sich der Punkt auf der Feder, der im Gleichgewicht die Koordinate x hat, zum Zeitpunkt t an der Stelle x + u(x, t), wobei u(x, t) = μ ei(kx−Ω t) + μ∗ e−i(kx−Ω t) .
(5.536)
L¨osungen dieser Art existieren auch f¨ur das Gleichungssystem (5.534). Weil aber die Oszillatorenkette kein kontinuierliches Medium ist, beobachtet man den Welleneffekt nur an einer Reihe von Punkten mit den Koordinaten x = ql. Dann repr¨asentiert u(ql, t) die Auslenkung des Oszillators (q) zur Zeit t: xq (t) = u(ql, t) = μ ei(kql−Ω t) + μ∗ e−i(kql−Ω t) .
(5.537)
Dieser Ausdruck erf¨ullt das System (5.534) dann, wenn Ω und k der Bedingung −mΩ 2 = −mω 2 − mω12 [2 − eikl − e−ikl ] gen¨ugen. Somit h¨angt Ω mit k u¨ ber das Dispersionsgesetz kl 2 2 2 Ω (k) = ω + 4ω1 sin 2
(5.538)
(5.539)
zusammen. Wir werden es weiter unten diskutieren. Physikalische Interpretation. In der L¨osung (5.537) der Bewegungsgleichungen schwingen alle Oszillatoren mit derselben Frequenz Ω und derselben Amplitude |2μ|, w¨ahrend ihre Phase periodisch von der Gleichgewichtslage abh¨angt. Die Auslenkungen der verschiedenen Oszillatoren werden durch eine fortschreitende Sinuswelle mit dem Wellenvektor k und der Phasengeschwindigkeit vϕ (k) =
Ω (k) k
bestimmt. Geht man von Gl. (5.537) aus, so kann man zeigen, dass q2 l xq1 +q2 (t) = xq1 t − vϕ
(5.540)
(5.541)
ist. Der Oszillator (q1 + q2 ) f¨uhrt zeitlich verschoben dieselbe Bewegung wie der Oszillator (q1 ) aus, und zwar um die Zeit, die die Welle mit der Geschwindigkeit vϕ zum Durchlaufen des Abstands q2 l der beiden Oszillatoren braucht. Weil dabei alle Oszillatoren in Bewegung sind, nennt man die L¨osungen (5.537) kollektive Schwingungsmoden.
5.13 Lineare Oszillatorenkette. Phononen
549
•
M¨ogliche Werte des Wellenvektors. Wir betrachten zwei Werte k und k des Wellenvektors, die sich um ein ganzzahliges Vielfaches von 2π/l unterscheiden: k = k +
2nπ l
mit n ganz.
(5.542)
Offensichtlich ist
eik ql = eikql , Ω (k ) = Ω (k),
(5.543)
wobei sich die zweite Beziehung unmittelbar aus Gl. (5.539) ergibt. Mit Gl. (5.537) sehen wir, dass die beiden fortschreitenden Wellen zu denselben Bewegungen der Oszillatoren f¨uhren, also nicht unterscheidbar sind. Daher reicht es aus, den Wellenvektor k auf ein Intervall der Breite 2π/l einzuschr¨anken. Wir w¨ahlen aus Symmetriegr¨unden −
π π 0.
Die Bewegung des Punkts Q, also der Projektion von M auf die x, y-Ebene, beschreiben wir durch den Vektor ρ = xex + yey
(6.512)
(wobei ex und ey die Einheitsvektoren in x- bzw. y-Richtung sind). Die Geschwindigkeit von Q ist dρ . (6.513) dt Es ist zweckm¨aßig, die Komponenten x und y des Vektors C0 Q einzuf¨uhren: v⊥ =
x = x − x0 , y = y − y0 .
(6.514)
Da Q eine gleichf¨ormige Kreisbewegung um den Punkt C0 ausf¨uhrt, haben wir v ⊥ = ω c ez × C 0 Q
(6.515)
(ez ist der Einheitsvektor in z-Richtung). Daraus ergibt sich f¨ur die Koordinaten x0 und y0 von C0 der Zusammenhang 1 x0 = x − vy , ωc 1 y0 = y + vx , (6.516) ωc
6.9 Geladenes Teilchen im Magnetfeld. Landau-Niveaus
701
•
worin vx und vy die Komponenten von v ⊥ bedeuten.
Das Vektorpotential. Lagrange- und Hamilton-Funktion Das Magnetfeld B(r) kann mit Hilfe eines Vektorpotentials A(r) beschrieben werden. Nach Definition ist B(r) = ∇ × A(r).
(6.517)
Zum Beispiel kann ein homogenes Magnetfeld B durch das Potential 1 A(r) = − r × B 2
(6.518)
beschrieben werden. Dabei ist zu beachten, dass f¨ur ein gegebenes B(r) die Bedingung (6.517) das Potential A(r) nicht eindeutig festlegt: Zu A(r) kann der Gradient einer beliebigen Ortsfunktion addiert werden, ohne dass sich B(r) a¨ ndert.25 Nach Anhang III.4 ist die Lagrange-Funktion des Teilchens Z(r, v) =
1 2 μv + q v · A(r). 2
(6.519)
Daraus folgt f¨ur den zum Ort r kanonisch konjugierten Impuls p = ∇v Z(r, v) = μv + qA(r).
(6.520)
Die klassische Hamilton-Funktion H(r, p) ist dann H(r, p) =
1 [p − qA(r)]2 . 2μ
(6.521)
Es erweist sich als zweckm¨aßig, H(r, p) = H⊥ (r, p) + H (r, p) mit
6 1 5 2 2 [px − qAx (r)] + [py − qAy (r)] , 2μ 1 2 H (r, p) = [pz − qAz (r)] 2μ
(6.522)
H⊥ (r, p) =
(6.523)
zu setzen. Bemerkung Unterliegt das Teilchen einem Vektorpotential, so zeigt Gl. (6.520), dass der Impuls p nicht mehr gleich dem mechanischen Impuls μv ist (wie bei einem skalaren Potential). Weiter ergibt sich aus dem Vergleich von Gl. (6.520) mit Gl. (6.521), dass H gleich der kinetischen Energie μv 2 /2 des 25 F¨ ur ein homogenes Feld in z-Richtung k¨onnten wir anstelle des Vektors A(r) aus Gl. (6.518) z. B. den Vektor mit den Komponenten Ax = 0, Ay = xB, Az = 0 w¨ahlen.
•
702
Erg¨anzungen zu Kapitel 6
Teilchens ist: Die Lorentz-Kraft (6.507) steht stets senkrecht auf v und verrichtet somit w¨ahrend der Teilchenbewegung keine Arbeit. Schließlich haben wir zu beachten, dass sich der Drehimpuls L =r×p
(6.524)
vom Drall λ = r × μv
(6.525)
unterscheidet.
Konstanten der Bewegung im homogenen Magnetfeld Wir betrachten den Spezialfall eines homogenen Feldes B. Die Bewegung des Teilchens verl¨auft so, dass H und H⊥ (Gl. (6.523)) Konstanten der Bewegung sind.26 Wir setzen Gl. (6.520) in (6.516) ein und erhalten 1 [py − qAy (r)] , μωc 1 y0 = y + [px − qAx (r)] . μωc
x0 = x −
(6.526)
Daraus folgt, dass f¨ur den Radius σ der spiralf¨ormigen Bahn gilt σ 2 = (x − x0 )2 + (y − y0 )2 2 5 6 1 2 2 = [py − qAy (r)] + [px − qAx (r)] μωc 2 = H⊥ ; μωc2
(6.527)
σ 2 ist also proportional zur Hamilton-Funktion H⊥ . Den Drehimpuls des mechanischen Impulses μv bez¨uglich des Mittelpunkts C0 des Kreises bezeichnen wir mit θ: θ = C0 M × μv.
(6.528)
Die Komponente θz dieses Drehimpulses l¨asst sich mit Gl. (6.526) schreiben: θz = μ [(x − x0 )vy − (y − y0 )vx ] 6 1 5 2 2 [py − qAy (r)] + [px − qAx (r)] = μωc 2 H⊥ ; = ωc
(6.529)
26 Das folgt daraus, dass nach Gl. (6.520) und (6.523) H bzw. H gleich der kinetischen Energie μv2 /2 ⊥
⊥ bzw. μvz2 /2 der Bewegung senkrecht bzw. parallel zur z-Achse ist.
6.9 Geladenes Teilchen im Magnetfeld. Landau-Niveaus
703
•
θz ist demnach, wie zu erwarten, eine Konstante der Bewegung. Die Komponente λz des Drehimpulses des mechanischen Impulses μv bez¨uglich O bleibt jedoch im Allgemeinen nicht erhalten, da λz = θz + μ [x0 vy (t) − y0 vx (t)]
(6.530)
gilt, nach Gl. (6.510) λz also einen zeitlich sinusf¨ormigen Verlauf hat. Wir betrachten schließlich die Projektion Lz des Drehimpulses L auf die z-Achse: Lz = xpy − ypx .
(6.531)
Nach Gl. (6.520) lautet sie Lz = x [μvy + qAy (r)] − y [μvx + qAx (r)] .
(6.532)
Sie h¨angt damit explizit von der gew¨ahlten Eichung ab, d. h. vom Vektorpotential A, das wir zur Beschreibung des Magnetfelds verwendet haben. In den meisten F¨allen ist Lz keine Konstante der Bewegung. W¨ahlt man jedoch die Eichung (6.518), so folgt aus Gl. (6.510) Lz =
2 qB 1 2 x0 + y02 − σ 2 , 2
(6.533)
so dass dann Lz eine Konstante der Bewegung ist. F¨ur Gl. (6.533) l¨asst sich keine einfache physikalische Erkl¨arung angeben, da sie nur in einer bestimmten Eichung gilt. Sie wird sich allerdings in den folgenden Abschnitten bei der quantenmechanischen Untersuchung des Problems als hilfreich erweisen.
6.9.2 Allgemeine Eigenschaften Quantisierung. Hamilton-Operator Wir betrachten ein Teilchen in einem beliebigen Magnetfeld, das durch das Vektorpotential A(x, y, z) beschrieben wird. In der Quantenmechanik wird das Vektorpotential zu einer Operatorfunktion der drei Observablen X, Y und Z. Den Hamilton-Operator H des Teilchens erh¨alt man aus Gl. (6.521): H=
1 2 [P − qA(X, Y, Z)] . 2μ
(6.534)
Nach Gl. (6.520) wird der Operator V , der die Geschwindigkeit des Teilchens beschreibt, gegeben durch V =
1 [P − qA(X, Y, Z)] , μ
(6.535)
μ 2 V . 2
(6.536)
so dass H=
•
704
Erg¨anzungen zu Kapitel 6
Vertauschungsrelationen Die Observablen R und P erf¨ullen die kanonischen Vertauschungsrelationen [X, Px ] = [Y, Py ] = [Z, Pz ] = i¯ h;
(6.537)
die anderen Kommutatoren zwischen den Komponenten von R und P verschwinden. Zwei Komponenten von P vertauschen also miteinander. Aus Gl. (6.535) sehen wir jedoch, dass das f¨ur die Komponenten von V nicht erf¨ullt ist. Zum Beispiel gilt [Vx , Vy ] = −
q {[Px , Ay (R)] + [Ax (R), Py ]} . μ2
(6.538)
Dieser Ausdruck l¨asst sich mit Hilfe der in Abschnitt 2.8.4 (s. Gl. (2.420)) angegebenen Regeln leicht berechnen: $ ' ∂Ax iq¯ h ∂Ay iq¯h − [Vx , Vy ] = 2 = 2 Bz (R) μ ∂X ∂Y μ und analog iq¯ h Bx (R), μ2 iq¯ h [Vz , Vx ] = 2 By (R). μ [Vy , Vz ] =
(6.539)
Das Magnetfeld geht also explizit in die Vertauschungsrelationen der Geschwindigkeitskomponenten ein. Da A(R) mit X, Y und Z vertauscht, folgt aus Gl. (6.535) [X, Vx ] =
1 i¯ h [X, Px ] = μ μ
und ebenso [Y, Vy ] = [Z, Vz ] =
i¯ h μ
(6.540)
(die anderen Kommutatoren zwischen einer Komponente von R und einer Komponente von V verschwinden). Aus diesen Beziehungen l¨asst sich ableiten, dass (s. Abschnitt 3.8) ΔX ΔVx ≥
h ¯ 2μ
(6.541)
ist (mit entsprechenden Ungleichungen f¨ur die y- und z-Komponenten). Die physikalischen Folgerungen aus den Heisenbergschen Unsch¨arferelationen werden also durch die Gegenwart eines Magnetfelds nicht beeinflusst. Schließlich berechnen wir die Vertauschungsrelationen zwischen den Komponenten des Operators Λ = μR × V ,
(6.542)
6.9 Geladenes Teilchen im Magnetfeld. Landau-Niveaus
705
•
also dem Drehimpuls des mechanischen Impulses bez¨uglich O.27 Wir erhalten [Λx , Λy ] = μ2 [Y Vz − ZVy , ZVx − XVz ] = μ2 Y {[Vz , Z] Vx + Z [Vz , Vx ]} − μ2 Z 2 [Vy , Vx ] +μ2 X {Z [Vy , Vz ] + [Z, Vz ] Vy } , d. h. mit Gl. (6.539) und (6.540) : 9 h −μY Vx + qY ZBy + qZ 2 Bz + qXZBx + μXVy . [Λx , Λy ] = i¯
(6.543)
(6.544)
Wir haben also [Λx , Λy ] = i¯ h [Λz + qZR · B(R)]
(6.545)
(die anderen Kommutatoren ergeben sich durch zyklisches Vertauschen der Indizes x, y und z). Wenn das Feld B ungleich null ist, sind die Vertauschungsrelationen von Λ vollst¨andig anders als die von L. Der Operator Λ besitzt daher a priori nicht die in diesem Kapitel bewiesenen Eigenschaften von Drehimpulsen.
Physikalische Folgerungen Die Zeitentwicklung von R. Die zeitliche Abh¨angigkeit des Erwartungswerts des Teilchenorts wird durch das Ehrenfest-Theorem gegeben: μ2 2 d i¯ h R = [R, H] = R, V (6.546) dt 2 (nach Gl. (6.536)). Die Beziehungen (6.540) sind unschwer zu interpretieren. Werden sie in Gl. (6.546) eingesetzt, so ergibt sich: d R = V . dt
(6.547)
Wie f¨ur ein verschwindendes Magnetfeld ist also der Erwartungswert der Geschwindigkeit gleich der Ableitung von R. Somit stellt Gl. (6.547) das quantenmechanische Analogon zu Gl. (6.508) dar. Die zeitliche Entwicklung von V . Lorentz-Kraft. Wir berechnen die Zeitableitung des Erwartungswerts der Geschwindigkeit V : μ2 2 d i¯ h V = V , V . (6.548) dt 2 27 Die Komponenten des Drehimpulses L = R × P erf¨ ullen nat¨urlich immer die u¨ blichen Vertauschungsrelationen.
•
706
Erg¨anzungen zu Kapitel 6
Nach Gl. (6.539) gilt : 9 : 9 2 V , Vx = Vx2 + Vy2 + Vz2 , Vx = Vy [Vy , Vx ] + [Vy , Vx ] Vy + Vz [Vz , Vx ] + [Vz , Vx ] Vz iq¯ h = 2 [−Vy Bz (R) − Bz (R)Vy + Vz By (R) + By (R)Vz ] ; (6.549) μ daraus ersieht man, dass d (6.550) μ V = F (R, V ) dt gilt, worin der Operator F (R, V ) definiert wird durch q F (R, V ) = [V × B(R) − B(R) × V ] . (6.551) 2 Die beiden Beziehungen entsprechen den klassischen Gleichungen (6.507) und (6.509). Allerdings erhalten wir hier einen symmetrisierten Ausdruck f¨ur F (R, V ) (s. Abschnitt 3.2.5), weil R und V nicht vertauschen. Die Zeitentwicklung von Λ. Nun wollen wir d i¯ h Λ = [Λ, H] dt berechnen. Dazu betrachten wir z. B. den Kommutator [XVy − Y Vx , H]:
(6.552)
[XVy − Y Vx , H] = X [Vy , H] + [X, H] Vy − Y [Vx , H] − [Y, H] Vx i¯ h (XFy − Y Fx ) + i¯ = h (Vx Vy − Vy Vx ) . (6.553) μ Die Operatoren X und Vy vertauschen aber ebenso wie Y und Vx . Der Kommutator ist daher gleich [Vy X − Vx Y, H] = Vy [X, H] + [Vy , H] X − Vx [Y, H] − [Vx , H] Y i¯ h (Fy X − Fx Y ) + i¯ = h (Vy Vx − Vx Vy ) . (6.554) μ Bilden wir die H¨alfte der Summe dieser beiden Ausdr¨ucke, so ergibt sich dΛz /dt in der Form 1 d Λz = XFy − Y Fx − Fx Y + Fy X. (6.555) dt 2 Die Ableitungen von Λx und Λy lassen sich entsprechend bestimmen, so dass wir schließlich erhalten 1 d Λ = R × F (R, V ) − F (R, V ) × R. (6.556) dt 2 Das klassische Analogon dieser Beziehung lautet d λ = r × f (r, v) (6.557) dt und dr¨uckt ein wohlbekanntes Theorem aus: Die Zeitableitung des Drehimpulses eines mechanischen Impulses bez¨uglich eines festen Punkts O ist gleich dem Drehmoment bez¨uglich O der auf das Teilchen wirkenden Kraft.
6.9 Geladenes Teilchen im Magnetfeld. Landau-Niveaus
707
•
6.9.3 Homogenes Magnetfeld ¨ F¨ur ein homogenes Magnetfeld lassen sich die obigen Uberlegungen leicht weiterf¨uhren. Wir w¨ahlen das Feld B in z-Richtung. Die Vertauschungsrelationen (6.539) werden dann unter Verwendung von Definition (6.511) zu ¯ ωc h , μ [Vy , Vz ] = [Vz , Vx ] = 0.
[Vx , Vy ] = −i
(6.558) (6.559)
Bemerkung Bei Anwendung der Ergebnisse von Abschnitt 3.8 auf Vx und Vy folgt aus Gl. (6.558), dass die Standardabweichungen die Ungleichung ΔVx ΔVy ≥
h|ωc | ¯ 2μ
(6.560)
erf¨ullen. Die Komponenten der Geschwindigkeit V ⊥ sind somit nicht kompatibel.
Eigenwerte des Hamilton-Operators In Analogie zu Gl. (6.522) kann H in der Form H = H⊥ + H geschrieben werden mit 2 μ1 2 H⊥ = V + Vy2 , 2 x μ H = Vz2 . 2 Nach Gl. (6.559) gilt 9 : H⊥ , H = 0.
(6.561)
(6.562)
(6.563)
Wir k¨onnen nun nach einer Basis aus gemeinsamen Eigenvektoren von H⊥ (Eigenwerte E⊥ ) und H (Eigenwerte E ) suchen; ihre Vektoren sind dann automatisch Eigenvektoren von H mit den Eigenwerten E = E⊥ + E .
(6.564)
Eigenwerte von H . Die Eigenvektoren des Operators Vz sind ebenso Eigenvektoren von H . Bei Z und Vz handelt es sich um zwei hermitesche Operatoren, die die Beziehung [Z, Vz ] =
i¯ h μ
(6.565)
erf¨ullen. Wir k¨onnen daher die Ergebnisse von Abschnitt 2.11 auf sie anwenden; insbesondere enth¨alt das Spektrum von Vz alle reellen Zahlen.
•
708
Erg¨anzungen zu Kapitel 6
Folglich haben die Eigenwerte von H die Form μ 2 v , (6.566) 2 z wobei vz eine beliebige reelle Konstante ist. Das Spektrum von H ist also kontinuierlich: Die Energie E kann jeden nichtnegativen Wert annehmen. Die Interpretation dieses Ergebnisses ist klar: H beschreibt die kinetische Energie eines Teilchens, das sich frei in z-Richtung bewegt (wie in der klassischen Mechanik, s. Abschnitt 6.9.1). E =
Eigenwerte von H⊥ . Wir wollen annehmen, dass das Teilchen eine negative Ladung q tr¨agt; die Zyklotronfrequenz ωc ist dann positiv (Gl. (6.511)).28 Wir setzen μ ˆ = Q Vy , hω c ¯ μ Sˆ = Vx . (6.567) hω c ¯ Gleichung (6.558) wird damit zu % & ˆ Sˆ = i, Q,
(6.568)
w¨ahrend H⊥ lautet hωc ˆ 2 ˆ2
¯ (6.569) Q +S ; H⊥ = 2 H⊥ hat also dieselbe Form wie der Hamilton-Operator eines eindimensionalen harmoniˆ und S, ˆ die Gl. (6.568) erf¨ullen, schen Oszillators (s. Abschnitt 5.2.1). Die Operatoren Q ˆ und des Impulses Pˆ dieses Oszillators ein. nehmen dabei die Rolle des Orts X ˆ und Sˆ dieselben Uberlegungen ¨ Wir k¨onnen dann f¨ur die Operatoren Q anstellen wie ˆ und Pˆ . Zum Beispiel l¨asst sich leicht zeigen, dass f¨ur einen in Abschnitt 5.2.2 f¨ur X Eigenvektor |ϕ⊥ von H⊥ , H⊥ |ϕ⊥ = E⊥ |ϕ⊥ ,
(6.570)
die Vektoren
1 ˆ |ϕ⊥ = √ Q + iSˆ |ϕ⊥ , 2
1 ˆ |ϕ⊥ = √ Q − iSˆ |ϕ⊥ 2
(6.571)
ebenfalls Eigenvektoren von H⊥ sind: H⊥ |ϕ⊥ = (E⊥ − ¯ hωc ) |ϕ⊥ ,
H⊥ |ϕ⊥ = (E⊥ + h ¯ ωc ) |ϕ⊥ .
(6.572)
28 F¨ ur eine positive Ladung q kann man die Konvention eines positiven Werts von ωc aufrechterhalten, indem man die z-Achse antiparallel zum Magnetfeld w¨ahlt.
6.9 Geladenes Teilchen im Magnetfeld. Landau-Niveaus
709
•
Daraus schließen wir, dass die m¨oglichen Werte von E⊥ gegeben werden durch 1 (6.573) E⊥ = n + hω c , ¯ 2 worin n eine nichtnegative ganze Zahl ist. Eigenwerte von H. Aus den vorstehenden Ergebnissen ergeben sich die Eigenwerte des Gesamt-Hamilton-Operators H in der Form 1 1 (6.574) E(n, vz ) = n + hωc + μvz2 . ¯ 2 2 Die zugeh¨origen Niveaus bezeichnet man als Landau-Niveaus. F¨ur einen vorgegebenen Wert vz treten alle m¨oglichen Werte von n (nichtnegative ˆ ganze √Zahlen) tats¨achlich auf. Durch die wiederholte Anwendung des Operators (Q ± ˆ iS)/ 2 auf einen Eigenvektor von H mit dem Eigenwert E(n, vz ) kann man nach Gl. (6.572) einen Zustand mit der Energie E(n , vz ) erhalten, wobei n eine beliebige ganze ˆ und Sˆ mit H vertauschen). Die Projektion Zahl ist und vz sich nicht ge¨andert hat (da Q der Bewegung in die x, y-Ebene ist also im Gegensatz zur Bewegung l¨angs der z-Achse quantisiert. Bemerkung Wir zeigten in Abschnitt 5.2.3, dass die Energieniveaus des eindimensionalen harmonischen Oszillators in Hx nichtentartet sind. Hier haben wir es mit einer anderen Situation zu tun, da sich das betrachtete Teilchen im dreidimensionalen Raum bewegt. Da
μ 1 ˆ √ Q (Vy + iVx ) + iSˆ = 2¯ hωc 2 der Vernichtungsoperator eines Quants ¯ hωc ist, handelt es sich bei den Eigenvektoren von H⊥ mit n = 0 um L¨osungen der Gleichung (Vy + iVx ) |ϕ = 0.
(6.575)
Vektoren, die Gl. (6.575) erf¨ullen, k¨onnen aber Eigenvektoren von H mit einem beliebigen (positiven) Eigenwert sein. Und selbst f¨ur einen festen Wert von vz handelt es sich bei Gl. (6.575) um eine partielle Differentialgleichung in x und y mit einer unendlichen Anzahl von L¨osungen. Die Energien E(n = 0, vz ) sind somit unendlichfach entartet. Unter Verwendung des Erzeugungsoperators f¨ur ein Quant l¨asst sich dann leicht zeigen, dass dasselbe f¨ur s¨amtliche Niveaus E(n, vz ) (mit einer beliebigen nichtnegativen ganzen Zahl n) gilt.
Observable und Eichung Wir pr¨azisieren die vorstehenden Ergebnisse und bestimmen die station¨aren Zust¨ande des Systems, damit wir ihre physikalischen Eigenschaften untersuchen k¨onnen. Dazu ist es
•
710
Erg¨anzungen zu Kapitel 6
notwendig, eine bestimmte Eichung zu w¨ahlen: Wir w¨ahlen die durch Gl. (6.518) gegebene. Die Komponenten der Geschwindigkeit lauten dann Px − μ Py Vy = + μ Pz . Vz = μ
Vx =
ωc Y, 2 ωc X, 2 (6.576)
Die Hamilton-Operatoren H⊥ und H . Wir setzen Gl. (6.576) in (6.562) ein und erhalten (mit Lz als der z-Komponente des Drehimpulses) 2 Px2 + Py2 ωc μωc2 1 2 + Lz + X +Y2 , 2μ 2 8 P2 H = z . 2μ
H⊥ =
(6.577)
In der Ortsdarstellung ist H ein Operator, der nur auf die Variable z wirkt; H⊥ wirkt hingegen nur auf x und y. Man kann daher eine Basis von Eigenzust¨anden von H finden, indem man in Hz die Eigenwertgleichung von H und dann in Hxy die von H⊥ l¨ost. Danach bilden wir das tensorielle Produkt der beiden sich ergebenden Vektoren. Die Eigenwertgleichung von H f¨uhrt auf die Wellenfunktionen 1 eipz z/¯h ϕ(z) = √ 2π¯ h
(6.578)
mit E =
p2z 2μ
(6.579)
(erneut ergibt sich Gl. (6.566)). Wir m¨ussen nun noch die Eigenwertgleichung von H⊥ in Hxy l¨osen; die betrachteten Wellenfunktionen h¨angen von x und y, aber nicht von z ab. Aus einem Vergleich von Gl. (6.577) mit (6.429) (Abschnitt 6.8.1) ersehen wir, dass H⊥ in Abh¨angigkeit von dem Hamilton-Operator Hxy eines zweidimensionalen harmonischen Oszillators ausgedr¨uckt werden kann: H⊥ = Hxy +
ωc Lz , 2
(6.580)
wenn wir f¨ur den Wert der in Hxy eingehenden Konstanten ω=
ωc 2
(6.581)
setzen. In Abschnitt 6.8 haben wir gezeigt, dass Hxy und Lz einen v. S. k. O. in Hxy bilden und konstruierten eine Basis von gemeinsamen Eigenvektoren |χnd ,ng der beiden Observablen (s. Gl. (6.464)). Die Vektoren |χnd ,ng sind auch Eigenvektoren von H⊥ ; Abschnitt 6.8 gibt also bereits die L¨osungen der Eigenwertgleichung von H⊥ an.
6.9 Geladenes Teilchen im Magnetfeld. Landau-Niveaus
711
•
Bemerkungen 1. Wir haben oben gesehen, dass H⊥ in einer Form geschrieben werden kann, die analog zum Hamilton-Operator eines eindimensionalen harmonischen Oszillators ist. Hier haben wir nun in einer bestimmten Eichung festgestellt, dass derselbe Operator H⊥ ebenso einfach mit dem HamiltonOperator Hxy eines zweidimensionalen harmonischen Oszillators zusammenh¨angt. Diese beiden Ergebnisse widersprechen sich nicht: Sie resultieren aus zwei verschiedenen Zerlegungen des Hamilton-Operators und m¨ussen offenbar auf die gleichen physikalischen Ergebnisse f¨uhren. 2. Man darf nicht aus dem Auge verlieren, dass der Hamilton-Operator H⊥ ein physikalisches Problem beschreibt, das von dem eines zweidimensionalen harmonischen Oszillators grundlegend verschieden ist. Das geladene Teilchen unterliegt hier einem Vektorpotential (das ein homogenes Magnetfeld beschreibt) und keinem harmonischen Skalarpotential (das z. B. einem nichthomogenen elektrischen Feld entspricht). In der hier gew¨ahlten Eichung lassen sich allerdings die Effekte des Magnetfelds mit Hilfe eines fiktiven harmonischen Skalarpotentials beschreiben.
Observable in Abh¨angigkeit von den Erzeugungs- und Vernichtungsoperatoren zirkularer Quanten. Wir wollen die Observablen, die die physikalischen Gr¨oßen des Teilchens beschreiben, mit Hilfe der in Gl. (6.457) (Abschnitt 6.8.3) definierten Operatoren ad und ag und ihrer Adjungierten a†d und a†g ausdr¨ucken (dabei werden wir auch die Operatoren Nd = a†d ad und Ng = a†g ag verwenden). Wir setzen Gl. (6.463) in Gl. (6.580) ein und erhalten29 1 H⊥ = N d + (6.582) hω c . ¯ 2 Die Energie des Zustands |χnd ,ng ist demnach 1 E⊥ = nd + hω c , ¯ 2
(6.583)
wie wir bereits in Gl. (6.573) festgestellt haben. Da E⊥ unabh¨angig von ng ist, sind s¨amtliche Eigenwerte von H⊥ unendlichfach entartet. Mit Gl. (6.440) und (6.457) k¨onnen wir schreiben
1 X = ad + a†d + ag + a†g , 2β
i Y = (6.584) ad − a†d − ag + a†g , 2β wobei β definiert ist durch (s. Gl. (6.581)) μωc β= . 2¯ h
(6.585)
29 Wir haben ω als positiv angenommen. Wenn ω negativ w¨ are, w¨urden in einigen Gleichungen die Indizes c c d und g vertauscht werden. Zum Beispiel lautete Gl. (6.582)
H⊥ = (Ng + 1/2)¯ h|ωc |.
•
712
Entsprechend gilt
i¯ hβ −ad + a†d − ag + a†g , Px = 2
hβ ¯ Py = ad + a†d − ag − a†g . 2 Das Einsetzen dieser Ausdr¨ucke in Gl. (6.576) ergibt
iωc Vx = − ad − a†d , 2β
ωc Vy = ad + a†d . 2β
Erg¨anzungen zu Kapitel 6
(6.586)
(6.587)
Da ad und a†d nicht mit Nd vertauschen, folgt aus Gl. (6.582), dass Vx und Vy wie in der klassischen Mechanik keine Konstanten der Bewegung sind. Außerdem erhalten wir, wenn wir nun die Vertauschungsrelationen von ad und a†d verwenden, wieder Gl. (6.558). Es ist interessant, die quantenmechanischen Operatoren zu untersuchen, die den verschiedenen Variablen entsprechen, die wir oben bei der Beschreibung der klassischen Bewegung eingef¨uhrt haben (Abschnitt 6.9.1): die Koordinaten (x0 , y0 ) des Mittelpunkts der klassischen Bahn, die Komponenten (x , y ) des Vektors C0 Q usw. Wie u¨ blich bezeichnen wir die entsprechenden Operatoren mit Großbuchstaben und die klassischen Variablen mit Kleinbuchstaben. In Analogie zu Gl. (6.516) setzen wir also 2 1 1 1 ag + a†g , X0 = X − Vy = ωc 2β 2 1 i 1 † ag − ag . (6.588) Y0 = Y + Vx = ωc 2β Die Operatoren ag und a†g vertauschen mit Nd ; demnach sind X0 und Y0 Konstanten der Bewegung. Aus Gl. (6.588) folgt weiterhin i i¯ h = . (6.589) [X0 , Y0 ] = 2 2β μωc Folglich sind X0 und Y0 inkompatible physikalische Gr¨oßen, und ihre mittleren quadratischen Abweichungen h¨angen u¨ ber h ¯ ΔX0 ΔY0 ≥ (6.590) 2μωc zusammen. Weiter definieren wir
1 X = X − X0 = ad + a†d , 2β
i Y = Y − Y0 = (6.591) ad − a†d . 2β Offenbar sind X und Y wie in der klassischen Mechanik keine Konstanten der Bewegung, vielmehr sind sie wie die klassischen Variablen (Gl. (6.515)) proportional zu Vy bzw. Vx : Vx = −ωc Y , Vy = ωc X .
(6.592)
6.9 Geladenes Teilchen im Magnetfeld. Landau-Niveaus
713
•
Mit Gl. (6.560) folgt dann ΔX ΔY ≥
¯ h . 2μωc
(6.593)
Den Operator zu σ 2 (das Quadrat des klassischen Bahnradius) wollen wir mit Σ 2 bezeichnen: 2
2
Σ 2 = (X − X0 ) + (Y − Y0 ) . Nach Gl. (6.588) gilt also 2 1 2 2 1 2 Vx + Vy2 = H⊥ ; Σ2 = ωc μωc2
(6.594)
(6.595)
Σ 2 ist demnach wie σ 2 in der klassischen Mechanik eine Konstante der Bewegung. Der Operator des Drehimpulses bez¨uglich O des mechanischen Impulses μv lautet schließlich Θz = μ [(X − X0 ) Vy − (Y − Y0 ) Vx ] ,
(6.596)
wobei dann mit Gl. (6.588) wie in Gl. (6.529) folgt Θz =
2 H⊥ ; ωc
(6.597)
Θz ist also eine Konstante der Bewegung. Der Operator Λz jedoch, die z-Komponente von μR × V , wird gegeben durch
2 H⊥ + h ¯ ad ag + a†d a†g (6.598) Λz = ωc und vertauscht demnach nicht mit H⊥ .
Die station¨aren Zust¨ande Wir haben oben festgestellt, dass die Eigenwerte des Hamilton-Operators H⊥ in Hxy unendlichfach entartet sind. Zu jeder nichtnegativen ganzen Zahl n gibt es einen unend(n) lichdimensionalen Unterraum Hxy von Hxy , dessen Vektoren alle Eigenvektoren von H⊥ mit demselben Eigenwert (n + 1/2)¯ hωc sind. In diesem Abschnitt wollen wir unterschiedliche Basen untersuchen, die in diesen Unterr¨aumen gew¨ahlt werden k¨onnen. Dazu geben wir zun¨achst die allgemeinen Eigenschaften der Zust¨ande an, die f¨ur jede beliebige Basis aus Eigenzust¨anden von H⊥ g¨ultig sind. Allgemeine Eigenschaften. Aus Gl. (6.595) und (6.597) folgt, dass jeder station¨are Zustand notwendig Eigenvektor von Σ 2 und Θz ist; die entsprechenden physikalischen Gr¨oßen sind also in einem solchen Zustand wohldefiniert und haben die Werte (2n + 1)¯ h/μωc (2n + 1)¯ h
f¨ur Σ 2 , f¨ur Θz .
(6.599)
•
714
Erg¨anzungen zu Kapitel 6
Diese Werte sind proportional zur Energie, was mit der klassischen Beschreibung der Bewegung u¨ bereinstimmt (s. Abschnitt 6.9.1). Aus Gl. (6.587) und (6.591) ersehen wir, dass X , Y , Vx und Vy innerhalb eines (n) bestimmten Unterraums Hxy keine nichtverschwindenden Matrixelemente besitzen. F¨ur einen station¨aren Zustand folgt somit Vx = Vy = 0, X = Y = 0.
(6.600)
Da jedoch Vx und Vy (und damit X und Y ) keine Konstanten der Bewegung sind, besitzen die entsprechenden physikalischen Gr¨oßen in einem station¨aren Zustand keine genau festgelegten Werte. Vielmehr l¨asst sich mit Gl. (6.587), (6.591) und unter Verwendung der Eigenschaften des eindimensionalen harmonischen Oszillators (s. Abschnitt 5.4.1) ¨ zeigen, dass in Ubereinstimmung mit Gl. (6.560) 1 ¯hωc , n+ ΔVx = ωc ΔY = 2 μ 1 ¯hωc (6.601) ΔVy = ωc ΔX = n+ 2 μ gilt. Dar¨uber hinaus sehen wir, dass der einzige station¨are Zustand, in dem das Produkt ΔVx ΔVy (oder ΔX ΔY ) seinen minimalen Wert annimmt, der Grundzustand (n = 0) ist. Bemerkung Die verschiedenen Grundzust¨ande sind L¨osungen der Gleichung ad |ϕ = 0,
(6.602)
d. h. mit Gl. (6.587) (Vy + iVx ) |ϕ = 0.
(6.603)
Dieses Ergebnis fanden wir bereits in Gl. (6.575).
Die Zust¨ande |χnd ,ng . In Abschnitt 6.8 verwendeten wir die Tatsache, dass H⊥ und Lz in Hxy einen v. S. k. O. bilden, um eine Basis aus gemeinsamen Eigenvektoren dieser beiden Observablen zu konstruieren. Diese Basis wird aus den Vektoren |χnd ,ng gebildet, da nach Gl. (6.582) und (6.463) gilt 1 H⊥ |χnd ,ng = nd + hωc |χnd ,ng , ¯ 2 Lz |χnd ,ng = (nd − ng )¯ h |χnd ,ng . (n)
(6.604)
Der Unterraum Hxy , der durch die Angabe einer nichtnegativen ganzen Zahl n definiert wird, wird somit durch die Menge von Vektoren |χnd ,ng mit nd = n aufgespannt.
6.9 Geladenes Teilchen im Magnetfeld. Landau-Niveaus
715
•
Die Eigenwerte von Lz , die zu diesen Vektoren geh¨oren, sind von der Form m¯h, wobei m f¨ur festes n Werte zwischen −∞ und n annehmen kann (die Grundzust¨ande entsprechen also negativen Werten von m; das liegt an unserer oben gestellten Bedingung ωc > 0). Die zu diesen Zust¨anden |χnd ,ng geh¨orenden Wellenfunktionen wurden in Abschnitt 6.8.3 berechnet. Zu beachten ist, dass die Zust¨ande |χnd ,ng zwar Eigenzust¨ande des Operators Lz , nicht aber des Operators Λz des Drehimpulses des mechanischen Impulses sind. Das ergibt sich direkt aus Gl. (6.598). In einem Zustand |χnd ,ng sind die Erwartungswerte X0 und Y0 nach Gl. (6.588) gleich null. Weder X0 noch Y0 aber sind wohldefinierte physikalische Gr¨oßen: Aus den Eigenschaften des eindimensionalen harmonischen Oszillators zeigt man leicht, dass in einem Zustand |χnd ,ng gilt h ¯ 1 ΔX0 = , ng + 2 μωc h ¯ 1 . (6.605) ΔY0 = ng + 2 μωc Der minimale Wert des Produkts ΔX0 ΔY0 wird somit f¨ur die Zust¨ande |χnd ,ng =0 angenommen, d. h. f¨ur die Zust¨ande mit einer Energie E⊥ = (n + 1/2)¯ hωc , f¨ur die Lz seinen maximalen Wert n¯ h hat (s. Gl. (6.604)). Wir betrachten nun den Operator Γ 2 = X02 + Y02 .
(6.606)
Er entspricht dem Quadrat des Abstands vom Mittelpunkt C0 der Bahn zum Ursprung. Mit Gl. (6.588) finden wir leicht 2 ¯ 1 h ag a†g + a†g ag μωc h ¯ (2Ng + 1) . = μωc
Γ2 =
(6.607)
Der Zustand |χnd ,ng ist demnach ein Eigenzustand von Γ 2 mit einem Eigenwert (2ng + 1)¯ h/μωc ; der Umstand, dass dieser Eigenwert nie null werden kann, h¨angt damit zusammen, dass X0 und Y0 nicht vertauschen. Bemerkung Der Operator Lz wird nach Gl. (6.582) und (6.607) gegeben durch
Lz = ¯ h(Nd − Ng ) = ¯ h
μωc 2 1 1 H⊥ Γ + − − , h ωc ¯ 2 2¯ h 2
(6.608)
d. h. mit Gl. (6.595) Lz =
qB 2 μωc 2 Σ − Γ2 = Γ − Σ2 ; 2 2
hierbei handelt es sich um das Analogon zur klassischen Gl. (6.533).
(6.609)
•
716
Erg¨anzungen zu Kapitel 6
Andere Typen station¨arer Zust¨ande. Jede Linearkombination der Kets |χnd ,ng mit demselben Wert von nd ist wieder ein Eigenzustand von H⊥ und besitzt daher die oben angegebenen Eigenschaften. Durch entsprechende Wahl der Koeffizienten in der Linearkombination lassen sich Zust¨ande konstruieren, die weitere interessante Eigenschaften besitzen. Zum Beispiel wissen wir, dass X0 und Y0 Konstanten der Bewegung sind (s. o.). Da diese beiden Operatoren jedoch nicht vertauschen, besitzen sie keine gemeinsamen Eigenzust¨ande. Das heißt aber in der Quantenmechanik, dass es unm¨oglich ist, einen Zustand zu erhalten, in dem beide Koordinaten des Punkts C0 bekannt sind. Um gemeinsame Eigenzust¨ande von H⊥ und X0 zu konstruieren, verwenden wir die Eigenschaften des eindimensionalen harmonischen Oszillators; aus Gl. (6.588) geht hervor, dass X0 bis auf einen konstanten Faktor durch denselben Ausdruck gegeben wird wie der Ortsoperator Xg eines eindimensionalen Oszillators, dessen Vernichtungsoperator gleich ag ist: 1 ˆ √ X g. β 2
X0 =
(6.610)
x) der station¨aren Zust¨ande |ϕˆk eines eindimensionalen Da wir die Wellenfunktionen ϕˆk (ˆ harmonischen Oszillators kennen (s. Abschnitt 5.6.2), k¨onnen wir die Eigenvektoren |ˆ x des Ortsoperators als Linearkombinationen der Zust¨ande |ϕˆk schreiben: |ˆ x = =
∞ k=0 ∞
|ϕˆk ϕˆk |ˆ x ϕˆ∗k (ˆ x) |ϕˆk .
(6.611)
k=0
Um die gemeinsamen Eigenzust¨ande von H⊥ und X0 zu erhalten, wendet man einfach dieses Ergebnis auf die Zust¨ande |χnd ,ng =k an; der Vektor |ξn,x0 =
∞
√
ϕˆ∗k β 2x0 |χnd =n,ng =k
(6.612)
k=0
hωc und ist ein gemeinsamer Eigenvektor von H⊥ und X0 mit den Eigenwerten (n + 1/2)¯ x0 . Die gemeinsamen Eigenzust¨ande |ηn,y0 von H⊥ und Y0 lassen sich genauso bestimmen. Gleichung (6.588) besagt, dass Y0 proportional zum Impulsoperator Pg des fiktiven eindimensionalen Oszillators ist: Y0 =
1 √ Pˆg . β 2
(6.613)
Folglich (s. Abschnitt 5.8.1, Gl. (5.284)) gilt |ηn,y0 =
∞ k=0
√
ik ϕˆ∗k β 2y0 |χnd =n,ng =k .
(6.614)
6.9 Geladenes Teilchen im Magnetfeld. Landau-Niveaus
717
•
Wir haben soeben die Zust¨ande konstruiert, in denen entweder X0 oder Y0 einen wohldefinierten Wert haben. Wir k¨onnen ebenso die station¨aren Zust¨ande bestimmen, in denen das Produkt ΔX0 ΔY0 seinen in Gl. (6.590) gegebenen minimalen Wert annimmt. F¨ur den eindimensionalen harmonischen Oszillator untersuchten wir in Abschnitt 5.11 die ˆ Pˆ minimal wird; dabei handelt es sich um die quasiklassischen Zust¨ande, f¨ur die ΔXΔ Zust¨ande |α =
∞
ck (α) |ϕk
(6.615)
k=0
mit 2 αk ck (α) = √ e−|α| /2 . k!
(6.616)
In diesen Zust¨anden ist ˆ = ΔPˆ = √1 . ΔX 2
(6.617)
F¨ur unseren Fall folgt daraus, dass im Zustand |θn,α0 =
∞
ck (α0 ) |χnd =n,ng =k
(6.618)
k=0
die Standardabweichungen f¨ur X0 und Y0 durch ΔX0 = ΔY0 =
1 2β
(6.619)
gegeben werden. Das Produkt ΔX0 ΔY0 ist somit minimal. Bemerkung Das hier behandelte physikalische Problem ist invariant in Bezug auf Translationen, da das Magnetfeld homogen ist. Bisher ist diese Symmetrie jedoch durch die spezielle Wahl der Eichung (6.518), in der der Ursprung O den anderen Raumpunkten gegen¨uber ausgezeichnet ist, verdeckt worden. Folglich sind weder der Hamilton-Operator H noch seine Eigenzust¨ande translationsinvariant. Wir wissen jedoch (s. Abschnitt 3.13), dass die physikalischen Aussagen der Quantenmechanik eichinvariant sind. Die Vorhersagen m¨ussen gleich bleiben, wenn wir durch einen Wechsel der Eichung einen anderen Punkt als O auszeichnen. Die Translationssymmetrie muss also zum Vorschein kommen, wenn wir die physikalischen Eigenschaften der Zust¨ande untersuchen. Um das genauer zu erkennen, nehmen wir an, zu einem gegebenen Zeitpunkt werde der Zustand des Teilchens in der Eichung (6.518) durch den Vektor |ψ mit der Wellenfunktion r|ψ = ψ(r) beschrieben. Wir f¨uhren dann eine Translation T aus, die durch den Vektor a definiert wird, und betrachten den Zustandsvektor |ψT = e−iP ·a/¯h |ψ ;
(6.620)
zu diesem Vektor geh¨ort den Ergebnissen in Abschnitt 2.11 zufolge die Wellenfunktion ψT (r) = r|ψT = ψ(r − a).
(6.621)
•
718
Erg¨anzungen zu Kapitel 6
Dieselbe Translation kann auch auf das Vektorpotential angewandt werden, das dann 1 AT (r) = A(r − a) = − (r − a) × B 2
(6.622)
heißt. AT (r) beschreibt offenbar dasselbe Magnetfeld wie A(r). Da die physikalischen Eigenschaften eines bestimmten Zustandsvektors nur von diesem Vektor und dem gew¨ahlten Potential A abh¨angen, m¨ussen diese Eigenschaften der Translation T unterworfen werden, wenn ψ(r) und A(r) durch die Ausdr¨ucke (6.621) bzw. (6.622) ersetzt werden. Aus diesen Beziehungen erh¨alt man leicht die Ausdr¨ucke f¨ur die Wahrscheinlichkeitsdichte des Zustands |ψT , ρT (r) = |ψT (r)|2 = |ψ(r − a)|2 = ρ(r − a),
(6.623)
und den entsprechenden Strom J T (r), berechnet aus dem Vektorpotential AT (r), J T (r) =
1 2μ
∗ ψT (r)
!
q ¯ h ∇ + (r − a) × B ψT (r) + k.k. i 2
!
1 ¯ h q ψ ∗ (r − a) ∇ + (r − a) × B ψ(r − a) + k.k. 2μ i 2 = J (r − a) =
(6.624)
(J (r) ist der Wahrscheinlichkeitsstrom von ψ(r) in der Eichung (6.518)). Der Vektor |ψT beschreibt also in der neuen Eichung AT (r) einen Zustand, dessen physikalische Eigenschaften mit denen des Zustands |ψ in der Eichung A(r) u¨ ber die Translation T zusammenh¨angen. Dar¨uber hinaus wollen wir nun zeigen, dass die Translation einer m¨oglichen Bewegung wieder zu einer m¨oglichen Bewegung f¨uhrt; damit ist dann der Beweis der Translationsinvarianz des Problems abgeschlossen. Dazu betrachten wir die Schr¨odinger-Gleichung in der Ortsdarstellung und in der Eichung A(r):
i¯ h
1 h ¯ ∂ ψ(r, t) = ∇ − qA(r) ∂t 2μ i
2
ψ(r, t).
(6.625)
Gehen wir in dieser Gleichung von r nach r − a u¨ ber, so erhalten wir mit Gl. (6.621) und (6.622)
i¯ h
∂ 1 h ¯ ψT (r, t) = ∇ − qAT (r) ∂t 2μ i
2
ψT (r, t).
(6.626)
Der Operator auf der rechten Seite dieser Gleichung ist der Hamilton-Operator in der Eichung AT (r). Wenn also ψ(r, t) in der Eichung A(r) eine m¨ogliche Bewegung beschreibt, stellt ψT (r, t) in der a¨ quivalenten Eichung AT (r) wiederum eine m¨ogliche Bewegung dar; diese Bewegung ist einfach das Ergebnis einer Translation der ersten Bewegung. Wenn insbesondere ψ(r, t) = ϕ(r) e−iEt/¯h
(6.627)
ein station¨arer Zustand (in der Eichung A(r)) ist, so ist ψT (r, t) = ϕT (r) e−iEt/¯h
(6.628)
wiederum ein station¨arer Zustand (in der Eichung AT (r)). Wollen wir nach einer Translation T des physikalischen Zustands des Teilchens weiter in der beEichung (6.518) bleiben, so m¨ussen wir den transformierten Zustand durch einen Vektor |ψT schreiben, der von |ψT verschieden ist. Nach den Ergebnissen in Abschnitt 3.13.3 ergibt sich der durch eine unit¨are Transformation aus |ψT : Vektor |ψT = Tχ |ψT . |ψT
(6.629)
6.9 Geladenes Teilchen im Magnetfeld. Landau-Niveaus
719
•
Der Operator Tχ wird durch Tχ = eiqχ(R)/¯h
(6.630)
gegeben, worin χ(r) die Funktion ist, die die Eichtransformation beschreibt. Hier lautet das Potential nach der Eichtransformation 1 1 A(r) = − r × B = AT (r) − a × B, 2 2
(6.631)
so dass wir haben 1 χ(r) = − r · (a × B). 2
(6.632)
Wir setzen die Gleichungen (6.620), (6.630) und (6.632) in Gl. (6.629) ein und erhalten schließlich = U (a) |ψ |ψT
(6.633)
U (a) = e−iqR·(a×B )/2¯h e−iP ·a/¯h .
(6.634)
mit
Wenn wir also in der Eichung A(r) bleiben wollen, wird der Translationsoperator durch U (a) gegeben (Gl. (6.634)). In Gl. (6.634) gehen die Komponenten von R und P in Bezug auf zwei aufeinander senkrecht stehende Achsen ein; sie vertauschen somit, so dass wir schreiben k¨onnen U (a) = e−iqR·(a×B )/2¯h−iP ·a/¯h .
(6.635)
Wenn a ein Vektor der x, y-Ebene ist, ergibt eine einfache Rechnung mit Hilfe von Gl. (6.516) und (6.576) U (a) = eiq(a×R 0 )·B /¯h
(6.636)
R0 = X0 ex + Y0 ey .
(6.637)
mit
Die Operatoren X0 und Y0 (die Koordinaten des Kreismittelpunkts) stehen also in Zusammenhang mit infinitesimalen Translationen in Richtung der x- bzw. y-Achse.
Zeitliche Entwicklung Erwartungswerte der Observablen. Wir haben bereits eine Reihe von physikalischen Gr¨oßen kennengelernt, die Konstanten der Bewegung sind: X0 , Y0 , Θz , Σ 2 . Unabh¨angig vom Zustand des Systems sind ihre Erwartungswerte nicht von der Zeit abh¨angig. Wir betrachten nun die zeitliche Entwicklung der Erwartungswerte X, Y , Vx , Vy und X , Y . Die entsprechenden Operatoren haben nur Matrixelemente zwischen den Zust¨anden |χnd ,ng , deren Werte von nd sich um ±1 (oder 0) unterscheiden. Die Zeitentwicklung dieser Erwartungswerte enth¨alt somit nur eine Bohr-Frequenz, bei der es sich um die in Gl. (6.511) definierte Zyklotronfrequenz ωc /2π handelt. Dieses Ergebnis ist analog zu dem der klassischen Mechanik.
•
720
Erg¨anzungen zu Kapitel 6
Quasiklassische Zust¨ande. chens gleich
Wir nehmen an, zur Zeit t = 0 sei der Zustand des Teil-
|ψ⊥ (0) = |αd , αg ,
(6.638)
wobei der Vektor |αd , αg durch Gl. (6.488) definiert ist. Da der Ausdruck (6.582) f¨ur H⊥ nur Nd , aber nicht Ng enth¨alt, ergibt sich der Zustandsvektor |ψ⊥ (t) zur Zeit t durch den Wechsel von αd nach αd e−iωc t (s. Abschnitt 5.11.3, Gl. (5.464)): |ψ⊥ (t) = e−iωc t/2 |αd e−iωc t , αg .
(6.639)
Wir setzen αd = |αd | eiϕd , αg = |αg | eiϕg .
(6.640)
Aus den Gleichungen (6.587), (6.588) und (6.591) erhalten wir dann 1 2β i Y0 = 2β
X0 =
1 2 |αg | αg + α∗g = cos ϕg , β 1 ∗ 2 |αg | sin ϕg ; αg − αg = β
1 2β i Y (t) = 2β
X (t) =
1 2 |αd | cos(ωc t − ϕd ), αd e−iωc t + α∗d eiωc t = β 1 2 |αd | sin(ωc t − ϕd ) αd e−iωc t − α∗d eiωc t = β
(6.641)
(6.642)
und |αd | ωc sin(ωc t − ϕd ), β |αd | Vy (t) = ωc cos(ωc t − ϕd ). β
Vx (t) = −
Aus den Eigenschaften der Zust¨ande |α folgt dar¨uber hinaus 1 2 ¯ ωc |αd | + H⊥ = h , 2 1 h |αd |2 + Θz = 2¯ , 2 1 1 Σ 2 = 2 |αd |2 + . β 2
(6.643)
(6.644)
Diese Ergebnisse sind denen aus der klassischen Mechanik (s. Gl. (6.510)) sehr a¨ hnlich. Wie wir sehen, h¨angt |αd | mit dem Radius σ der klassischen Bahn und ϕd mit der Anfangsphase ϕ0 zusammen, w¨ahrend |αg | dem Abstand OC0 und ϕg dem Polarwinkel des Vektors OC0 entspricht.
6.9 Geladenes Teilchen im Magnetfeld. Landau-Niveaus
721
•
Weiterhin l¨asst sich mittels der Eigenschaften der Zust¨ande |α zeigen ΔX0 = ΔY0 = ΔX = ΔY = ΔVx = ΔVy =
1 , 2β
ωc 2β
(6.645)
(die Produkte ΔX0 ΔY0 , ΔX ΔY und ΔVx ΔVy nehmen demnach ihre minimalen Werte an) und ¯ ωc |αd |, ΔH⊥ = h h |αd |, ΔΘz = 2¯ ΔΣ 2 =
1 |αd |. β2
(6.646)
Die Abweichungen ΔX und ΔY lassen sich unter Verwendung der Beziehung |ψ⊥ (t) = e−iωc t/2 | αx =
αd e−iωc t + αg iαd e−iωc t − iαg √ √ , αy = 2 2
berechnen (dabei ist |αx , αy definiert durch Gl. (6.484)); es ergibt sich h ¯ 1 ΔX = ΔY = = √ μωc β 2
(6.647)
(6.648)
(ΔPx und ΔPy ergeben sich analog). Wenn die Bedingungen |αd | 1, |αg | 1
(6.649)
erf¨ullt sind, liegen die verschiedenen physikalischen Gr¨oßen (Ort, Geschwindigkeit, Energie usw.) mit ihrem relativen Wert sehr genau fest. Bei den Zust¨anden (6.639) handelt es sich also um quasiklassische“ Zust¨ande eines geladenen Teilchens in einem homogenen ” Magnetfeld. Bemerkung F¨ur αd = 0 erhalten wir 1 hωc , ¯ 2 = 0.
H⊥ = ΔH⊥
Die Zust¨ande |αx , αy = −iαx entsprechen daher dem Grundzustand.
(6.650)
•
722
Erg¨anzungen zu Kapitel 6
6.10 Aufgaben zu Kapitel 6 1. Man betrachte ein System mit dem Drehimpuls j = 1, dessen Zustandsraum durch die Basis {| + 1, |0, | − 1} der drei gemeinsamen Eigenvektoren von J 2 (Eigenwert 2¯h2 ) und Jz (Eigenwerte +¯ h, 0 bzw. −¯h) aufgespannt wird. Das System befinde sich im Zustand |ψ = α | + 1 + β |0 + γ | − 1, wobei α, β, γ drei gegebene komplexwertige Parameter sind. a) Man berechne den Erwartungswert J des Drehimpulses in Abh¨angigkeit von α, β und γ. b) Man gebe den Ausdruck f¨ur die drei Erwartungswerte Jx2 , Jy2 und Jz2 in Abh¨angigkeit von diesen Gr¨oßen an. 2. Wir betrachten ein beliebiges physikalisches System, dessen vierdimensionaler Zustandsraum durch eine Basis von vier gemeinsamen Eigenvektoren |j, mz von J 2 und Jz (j = 0 oder 1; −j ≤ mz ≤ +j) mit den Eigenwerten j(j + 1)¯ h2 bzw. mz ¯h aufgespannt werde. Dabei gelte
¯ j(j + 1) − mz (mz ± 1) |j, mz ± 1, J± |j, mz = h J+ |j, j = J− |j, −j = 0. a) Man dr¨ucke die gemeinsamen Eigenzust¨ande |j, mx von J 2 und Jx durch die Vektoren |j, mz aus. b) Man betrachte ein System in dem normierten Zustand |ψ = α |j = 1, mz = 1 + β |j = 1, mz = 0 +γ |j = 1, mz = −1 + δ |j = 0, mz = 0. α) Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, bei einer gleichzeitigen Messung von J 2 und h2 und ¯ h zu finden? Jz die Werte 2¯ β) Man berechne den Erwartungswert von Jz , wenn sich das System im Zustand |ψ befindet, und die Wahrscheinlichkeiten f¨ur die verschiedenen m¨oglichen Ergebnisse bei einer Messung nur dieser Observablen. γ) Dieselbe Frage beantworte man f¨ur die Observable J 2 und f¨ur Jx . δ) Nun werde Jz2 gemessen. Wie lauten die m¨oglichen Ergebnisse, ihre Wahrscheinlichkeiten und der Erwartungswert? 3. Es sei L = R × P der Drehimpuls eines Systems mit dem Zustandsraum Hr . Man beweise die Vertauschungsrelationen [Li , Rj ] = i¯ h εijk Rk , [Li , Pj ] = i¯ h εijk Pk , 9 : 9 : Li , P 2 = Li , R2 = [Li , R · P ] = 0,
6.10 Aufgaben zu Kapitel 6
723
•
wobei Li , Rj , Pj beliebige Komponenten von L, R, P in einem Orthonormalsystem sind und εijk definiert wird durch ⎧ f¨ur zwei (oder drei) gleiche Indizes i, j, k, ⎨ 0 1 f¨ur eine gerade Permutation von x, y, z, εijk = ⎩ −1 f¨ur eine ungerade Permutation. 4. Drehung eines mehratomigen Molekuls ¨ Man betrachte ein System aus N verschiedenen Teilchen an den Orten R1 ,. . . , Rm ,. . . , RN und mit den Impulsen P 1 ,. . . , P m ,. . . , P N . Wir setzen J= Lm m
mit Lm = R m × P m . a) Man zeige, dass der Operator J die Vertauschungsrelationen erf¨ullt, durch die Drehimpulse definiert werden. Daraus folgere man, dass f¨ur zwei unterschiedliche Vektoren V und V des Ortsraums gilt : 9 h(V × V ) · J. J · V , J · V = i¯ b) Man berechne die Kommutatoren von J mit den drei Komponenten von Rm und mit denen von P m . Man zeige, dass [J , Rm · Rp ] = 0. c) Man beweise, dass [J , J · Rm ] = 0 und schließe daraus, dass [J · Rm , J · Rm ] = i¯ h (Rm × Rm ) · J = i¯ hJ · (Rm × Rm ) . Wir setzen W =
am R m ,
m
W =
am Rm ,
m
wobei die Koeffizienten am und am bekannt seien. Man zeige 9 : 1 2 J · W , J · W = −i¯ h W × W · J. Schlussfolgerung: Worin besteht der Unterschied zwischen den Vertauschungsrelationen der Komponenten von J in Richtung fester Achsen und denen der Komponenten von J in Richtung von bewegten Achsen des betrachteten Systems?
•
724
Erg¨anzungen zu Kapitel 6
d) Wir betrachten ein Molek¨ul, dessen N nicht auf einer Linie angeordneten Atome sich in einem festen Abstand zueinander befinden (ein starrer Rotator). Der Drehimpuls J ist dann die Summe der Drehimpulse der Atome bez¨uglich des Massenmittelpunkts des Molek¨uls, der sich an dem festen Punkt O befindet; mit diesem Punkt ist ein starres x, y, zOrthonormalsystem verbunden. Die drei Haupttr¨agheitsachsen des Systems bezeichnen wir mit α-, β- bzw. γ-Achse, und wir nehmen das Tr¨agheitsellipsoid als rotationssymmetrisch um die γ-Achse (symmetrischer Rotator) an. Die Rotationsenergie des Molek¨uls lautet dann Jα2 + Jβ2 1 Jγ2 ; + H= 2 I I⊥ dabei sind Jα , Jβ , Jγ die Komponenten von J l¨angs der Einheitsvektoren wα , w β , wγ der mit dem Molek¨ul verbundenen bewegten Achsen α, β, γ und I und I⊥ die entsprechenden Tr¨agheitsmomente. Es gilt Jα2 + Jβ2 + Jγ2 = Jx2 + Jy2 + Jz2 = J 2 . α) Man leite aus den Ergebnissen von c) die Vertauschungsrelationen von Jα , Jβ , Jγ her. β) Wir f¨uhren die Operatoren N± = Jα ± iJβ ein. Mit Hilfe der allgemeinen Ergebnisse dieses Kapitels zeige man, dass sich gemeinsame Eigenwerte von J 2 und Jγ mit den Eigenwerten J(J + 1)¯ h2 und K¯h finden lassen, K = −J, −J + 1,. . . , J − 1, J. γ) Man dr¨ucke den Hamilton-Operator H des Rotators in Abh¨angigkeit von J 2 und 2 Jγ aus und bestimme seine Eigenwerte. δ) Man zeige, dass sich gemeinsame Eigenzust¨ande von J 2 , Jz und Jγ finden lassen, die wir mit |J, M, K bezeichnen wollen (die entsprechenden Eigenwerte sind J(J + h, K¯ h). Man zeige, dass diese Zust¨ande auch Eigenzust¨ande von H sind. 1)¯ h2 , M ¯ ε) Man berechne die Kommutatoren von J± und N± mit J 2 , Jz , Jγ . Daraus leite man die Wirkung von J± und N± auf |J, M, K her. Man zeige, dass die Eigenwerte von H f¨ur K = 0 mindestens 2(2J + 1)-fach und f¨ur K = 0 mindestens (2J + 1)-fach entartet sind. ζ) Man zeichne ein Energiediagramm des starren Rotators (J ist eine ganze Zahl, da J eine Summe von Bahndrehimpulsen ist; s. Kapitel 10). Wie a¨ ndert sich das Diagramm, wenn I = I⊥ (kugelsymmetrischer Rotator) gilt? 5. Ein System mit dem Zustandsraum Hr habe die Wellenfunktion ψ(x, y, z) = N (x + y + z) e−r
2
/α2
mit vorgegebenem reellen α und einer Normierungskonstanten N . a) Die Observablen Lz und L2 werden gemessen. Wie lautet die Wahrscheinlichkeit, 0 und 2¯ h2 zu finden? Man beachte 3 0 cos θ. Y1 (θ, ϕ) = 4π
6.10 Aufgaben zu Kapitel 6
725
•
b) Wir verwenden zus¨atzlich die Beziehung 3 ±1 sin θ e±iϕ . Y1 (θ, ϕ) = ∓ 8π Ist es m¨oglich, die Wahrscheinlichkeiten f¨ur die m¨oglichen Ergebnisse einer Messung von L2 und Lz an einem System mit der Wellenfunktion ψ(x, y, z) direkt vorherzusagen? 6. Man betrachte ein System mit dem Drehimpuls l = 1. Die drei Eigenvektoren von Lz | + 1, |0, | − 1 mit den Eigenwerten +¯ h, 0, −¯h bilden eine Basis des Zustandsraums. Dabei gelte √ ¯ 2 |m ± 1, L± |m = h L+ |1 = L− | − 1 = 0. Das System besitze ein elektrisches Quadrupolmoment und sei einem elektrischen Feldgradienten ausgesetzt, so dass sein Hamilton-Operator lautet 2 ω0 1 2 Lu − L2v . H= h ¯ Dabei sind Lu und Lv die Komponenten von L bez¨uglich der Richtungen u und v der x, z-Ebene, die einen Winkel von 45◦ mit der x- bzw. der z-Achse einschließen; ω0 ist eine reelle Konstante. a) Man gebe die Matrix an, die H in der Basis {| + 1, |0, | − 1} beschreibt. Welche station¨aren Zust¨ande hat das System, und wie lauten ihre Energien? (Man bezeichne diese Zust¨ande mit |E1 , |E2 , |E3 in der Reihenfolge fallender Energien.) b) Zur Zeit t = 0 befinde sich das System im Zustand 1 |ψ(0) = √ (| + 1 − | − 1) . 2 Wie lautet der Zustandsvektor |ψ(t) zur Zeit t? Zur Zeit t werde Lz gemessen; welches sind die Wahrscheinlichkeiten f¨ur die verschiedenen m¨oglichen Ergebnisse? c) Man berechne die Erwartungswerte Lx (t), Ly (t) und Lz (t) zur Zeit t. Welche Bewegung vollzieht der Vektor L? d) Zur Zeit t werde L2z gemessen: α) Gibt es Zeiten, zu denen nur ein Ergebnis m¨oglich ist? β) Man nehme an, diese Messung habe ¯h2 ergeben. Wie lautet der Zustand des Systems unmittelbar nach der Messung? Man gebe ohne Rechnung seine nachfolgende zeitliche Entwicklung an. 7. Wir betrachten Drehungen im dreidimensionalen Raum und bezeichnen sie mit Ru (α), wobei u der Einheitsvektor, der die Drehachse definiert, und α der Drehwinkel ist. a) Die Transformierte von M bei einer infinitesimalen Drehung mit dem Winkel ε sei M . Man zeige, dass gilt OM = OM + εu × OM .
•
726
Erg¨anzungen zu Kapitel 6
Wie lautet die Matrix, die Ru (ε) beschreibt, wenn OM durch den Spaltenvektor ⎛ b) ⎞ x ⎝ y ⎠ dargestellt wird? Daraus leite man die Matrizen her, die die Komponenten des z durch Ru (ε) = 1 + ε M · u definierten Operators M darstellen. c) Man berechne die Kommutatoren [Mx , My ] , [My , Mz ] , [Mz , Mx ] . Wie lauten die quantenmechanischen Ausdr¨ucke, die den rein geometrischen Beziehungen entsprechen? d) Ausgehend von der Matrix, die Mz darstellt, berechne man die Matrix f¨ur eαMz . Man zeige, dass Rz (α) = eαMz gilt. Wie sieht diese Beziehung in der Quantenmechanik aus? 8. Wir betrachten ein Teilchen im dreidimensionalen Raum mit dem Zustandsvektor |ψ und der Wellenfunktion ψ(r) = r|ψ. Es sei A eine Observable, die mit dem Bahndrehimpuls L = R × P des Teilchens vertauscht. Wir nehmen an, dass A, L2 und Lz einen v. S. k. O. in Hr bilden und bezeichnen ihre gemeinsamen Eigenvektoren mit |n, l, m; zu ihnen geh¨oren die Eigenwerte an (n sei ein diskreter Index), l(l + 1)¯ h2 und m¯h. Es sei U (ϕ) der unit¨are Operator, definiert durch U (ϕ) = e−iϕLz /¯h mit einem reellen Parameter ϕ der Dimension eins. F¨ur einen beliebigen Operator K ; die Transformierte von K durch den unit¨aren Operator U (ϕ): bezeichne K ; = U (ϕ)KU † (ϕ). K ; + |n, l, m und a) Wir setzen L+ = Lx + iLy , L− = Lx − iLy . Man berechne L ; zeige, dass L+ und L+ proportional zueinander sind; man bestimme die Proportiona;− . lit¨atskonstante. Dieselbe Frage beantworte man f¨ur L− und L ; y und L ; z durch Lx , Ly und Lz aus. Welche geometrische Trans;x, L b) Man dr¨ucke L ; formation entspricht der Transformation von L nach L? c) Man berechne die Kommutatoren [X ± iY, Lz ] und [Z, Lz ]. Man zeige, dass die Vektoren (X ± iY )|n, l, m und Z|n, l, m Eigenvektoren von Lz sind und bestimme ihre Eigenwerte. Welcher Beziehung m¨ussen m und m gen¨ugen, damit das Matrixelement n , l , m |X ± iY |n, l, m von null verschieden ist? Dieselbe Frage beantworte man f¨ur n , l , m |Z|n, l, m. ; mit denen von X ± d) Durch einen Vergleich der Matrixelemente von X < ± iY und Z ; ; ; iY und Z berechne man X, Y , Z in Abh¨angigkeit von X, Y , Z. Wie l¨asst sich das Ergebnis geometrisch interpretieren?
6.10 Aufgaben zu Kapitel 6
727
•
9. Wir betrachten ein physikalisches System mit dem festen Drehimpuls l und dem Zustandsraum Hl , das sich in einem Zustand |ψ befindet; der Drehimpulsoperator werde mit L bezeichnet. Die 2l + 1 Eigenvektoren |l, m von Lz (−l ≤ m ≤ +l) bilden eine Basis von Hl ; zu ihnen geh¨oren die Wellenfunktionen f (r)Ylm (θ, ϕ). L = ψ|L|ψ bezeichne den Erwartungswert von L. a) Zun¨achst nehmen wir an, dass Lx = Ly = 0. F¨ur welche Zust¨ande des Systems wird die Summe (ΔLx )2 +(ΔLy )2 +(ΔLz )2 minimal? Man zeige, dass f¨ur diese Zust¨ande die Standardabweichung ΔLα der Komponente von L in Richtung einer Achse, die mit der z-Achse einen Winkel α einschließt, durch l sin α. ¯ ΔLα = h 2 gegeben wird. b) Wir nehmen nun an, L habe eine beliebige Richtung bez¨uglich des x, y, z-Systems. Zus¨atzlich betrachten wir ein X, Y, Z-System, dessen Z-Achse in Richtung von L orientiert ist, wobei seine Y -Achse in der x, y-Ebene verl¨auft. α) Man zeige, dass f¨ur den Zustand |ψ0 des Systems, in dem (ΔLx )2 + (ΔLy )2 + (ΔLz )2 minimal wird, (Lx + iLy ) |ψ0 = 0, h |ψ0 Lz |ψ0 = l¯ ist. β) Es sei θ0 der Winkel, den die z- und Z-Achse miteinander einschließen, und ϕ0 der Winkel zwischen der y- und der Y -Achse. Man beweise die Beziehungen LX + iLY = cos2 LZ = sin Wir setzen |ψ0 =
θ0 −iϕ0 θ0 iϕ0 e e L− − sin θ0 Lz , L+ − sin2 2 2
θ0 θ0 θ0 θ0 cos e−iϕ0 L+ + sin cos eiϕ0 L− + cos θ0 Lz . 2 2 2 2
dm |l, m;
m
man zeige, dass dm
θ0 = tan eiϕ0 2
l+m+1 dm+1 l−m
gilt. Man dr¨ucke dm durch dl , θ0 , ϕ0 und l aus.
•
728
Erg¨anzungen zu Kapitel 6
γ) Wir wollen nun dl berechnen. Dazu zeige man, dass die Wellenfunktion zu |ψ0 durch ψ0 (X, Y, Z) = cl (X + iY )l f (r)/rl gegeben wird (der Koeffizient cl ist wie in Abschnitt 6.4.1, Gl. (6.103) definiert), wobei die Wellenfunktion zu |l, l cl (x + iy)l f (r)/rl lautet. Indem man in diesem Ausdruck f¨ur ψ0 (X, Y, Z) die Operatoren X, Y , Z durch ihre in x, y, z ausgedr¨uckten Werte ersetzt, bestimme man dl und beweise die Gleichung l−m l+m (2l)! θ0 θ0 −imϕ0 . dm = sin e cos 2 2 (l + m)!(l − m)! δ) Am System im Zustand |ψ0 werde Lz gemessen. Wie lauten die Wahrscheinlichkeiten f¨ur die verschiedenen m¨oglichen Ergebnisse? Welches Ergebnis ist am wahrscheinlichsten? Man zeige, dass f¨ur l viel gr¨oßer als eins die Ergebnisse dem klassischen Grenzfall entsprechen. 10. Es sei J der Drehimpulsoperator eines beliebigen physikalischen Systems mit dem Zustandsvektor |ψ. a) Gibt es Zust¨ande des Systems, in denen die Standardabweichungen ΔJx , ΔJy und ΔJz gleichzeitig verschwinden? b) Man beweise die Beziehung ΔJx ΔJy ≥
¯ h |Jz | 2
und die daraus durch zyklische Vertauschung von x, y, z hervorgehenden Beziehungen. Es sei J der Erwartungswert des Drehimpulses des Systems. Wir legen das x, y, zKoordinatensystem so, dass Jx = Jy = 0 gilt. Man beweise die Ungleichung h|Jz |. (ΔJx )2 + (ΔJy )2 ≥ ¯ c) Man zeige, dass die beiden Ungleichungen aus Frage b) genau dann in Gleichungen u¨ bergehen, wenn J+ |ψ = 0 oder J− |ψ = 0 gilt. d) Wir betrachten nun ein spinloses Teilchen, f¨ur das J = L = R × P gilt. Man zeige, dass nur dann gleichzeitig ¯ |Lz |/2 und (ΔLx )2 + (ΔLy )2 = h ¯ |Lz | ΔLx ΔLy = h erf¨ullt sein kann, wenn die Wellenfunktion des Systems die Form hat 1 2 ψ(r, θ, ϕ) = F r, sin θ e±iϕ . 11. Wir betrachten einen dreidimensionalen harmonischen Oszillator mit dem Zustandsvektor |ψ = |αx ⊗ |αy ⊗ |αz , wobei |αx , |αy , |αz quasiklassische Zust¨ande (s. Abschnitt 5.11) eines eindimensionalen harmonischen Oszillators in x-, y- bzw. z-Richtung sind. Es sei L = R × P der Bahndrehimpuls des dreidimensionalen harmonischen Oszillators.
6.10 Aufgaben zu Kapitel 6
729
•
a) Man beweise 2 1 h αx α∗y − α∗x αy , Lz = i¯ ¯ |αx |2 + |αy |2 ΔLz = h und die analogen Beziehungen f¨ur die x- und die y-Komponente von L. b) Wir nehmen an, dass Lx = Ly = 0,
Lz = λ¯h > 0.
Man zeige, dass αz null sein muss. Wir geben nun einen festen Wert f¨ur λ vor. Man weise nach, dass wir zur Minimierung von ΔLx + ΔLy λ iϕ0 e αx = −iαy = 2 w¨ahlen m¨ussen (wobei ϕ0 eine beliebige reelle Zahl ist). Sind die Minimalwerte von ΔLx ΔLy und (ΔLx )2 + (ΔLy )2 f¨ur diesen Fall mit den Ungleichungen aus Frage b) der vorherigen Aufgabe vertr¨aglich? c) Man zeige, dass die Zust¨ande des Systems, f¨ur die die vorstehenden Bedingungen erf¨ullt sind, notwendig die folgende Form haben: ck (αd ) |χnd =k,ng =0,nz =0 |ψ = k
mit
2k 1 † ax + ia†y √ |ϕnx =0,ny =0,nz =0 , |χnd =k,ng =0,nz =0 = 2k k! √ 2 αk ck (α) = √ e−|α| /2 , αd = eiϕ0 λ k!
(die Ergebnisse von Abschnitt 5.11 und Abschnitt 6.8.4 d¨urfen verwendet werden). Man zeige, dass die Winkelabh¨angigkeit von |χnd =k,ng =0,nz =0 durch (sin θ eiϕ )k gegeben wird. An einem System im Zustand |ψ werde L2 gemessen. Man weise nach, dass die Wahrscheinlichkeiten f¨ur die verschiedenen m¨oglichen Ergebnisse einer Poisson-Verteilung entsprechen. Welche m¨oglichen Ergebnisse liefert eine Messung von Lz , die nach h2 erfolgt? der Messung von L2 mit dem Ergebnis l(l + 1)¯
Einige Fundamentalkonstanten der Physik
Name
Zahlenwert
SIEinheit
relative Standardabweichung (in 10−6 )
Vakuumlichtgeschwindigkeit c Elementarladung e Ruhemasse des Elektrons me Ruhemasse des Protons mp Ruhemasse des Neutrons mn Ruhemasse des Myons mμ Ruhemasse Wasserstoff∗ m(1 H) Ruhemasse Deuterium∗ m(2 H) Ruhemasse Helium∗ m(4 He) Spezifische Elektronenladung e/me Verh¨altnis Ruhemasse des Protons zur Ruhemasse des Elektrons mp /me Elektrische Feldkonstante ε0 Magnetische Feldkonstante μ0 Planck-Konstante h Compton-Wellenl¨ange des Elektrons λc,e Avogadro-Konstante NA Boltzmann-Konstante k Bohr-Radius a0 Rydberg-Konstante R∞ Magnetisches Moment des Elektrons μe Magnetisches Moment des Protons μp Bohr-Magneton μB Kernmagneton μN Feinstrukturkonstante α
2.99792458 × 108 1.60217733 × 10−19 9.1093897 × 10−31 1.6726231 × 10−27 1.6749286 × 10−27 1.8835327 × 10−28 1.007825035 2.014101779 4.00260324 1.75881962 × 1011
m/s C kg kg kg kg u u u C/kg
exakt 0.30 0.59 0.59 0.59 0.61 0.011 0.012 0.012 0.30
1.836152701 × 103 8.85418781762 × 10−12 1.25663706143 × 10−6 6.6260755 × 10−34 2.42631058 × 10−12 6.0221367 × 1023 1.3806508 × 10−23 5.29177249 × 10−11 1.0973731571 × 107 9.2847701 × 10−24 1.41060761 × 10−26 9.2740154 × 10−24 5.0507866 × 10−27 1/137.0359895
F/m H/m Js m mol−1 J/K m m−1 J/T J/T J/T J/T
0.020 exakt exakt 0.60 0.089 0.59 1.8 0.045 0.00036 0.34 0.34 0.34 0.34 0.045
∗ Masse
in atomaren Masseeinheiten; 1 u = 1.6605402 × 10−27 kg
Sach- und Namenverzeichnis
Abschneidefrequenz, 550 Absorption, 577 Additionstheorem der Kugelfl¨achenfunktionen, 646 adjungierter Operator, 101 akustischer Zweig, 563 Ammoniakmaser, 428, 434 Ammoniakmolek¨ul, 420 Analysator, 366 Antivertauschung, 387 Atommodell - Bohrsches, 37, 488 - Thomsonsches, 490 a¨ ußere Variable, 355 Auswahlregel, 178, 228 Bahndrehimpuls, 600 Band - erlaubtes, 338, 348, 349, 550 - verbotenes, 338, 350, 550 Basis, 80, 105 - kontinuierliche, 86, 96 - orthonormierte, 80, 105 Benzol, 379 Besetzung, 279, 404 Bewegungskonstante, 226 Bloch-Gleichung, 418 Blockdiagonalmatrix, 124 Bohr, N., 10 Bohr-Frequenz, 228, 280 Bohrsche Bahn, 37 Bohrsches Atommodell, 37, 488 Born-Oppenheimer-N¨aherung, 475, 561 Bose-Einstein-Verteilung, 584 Bragg-Reflexion, 344 Bravektor, 93 Brechzahl, 28 Brillouin-Streuung, 563 Brillouin-Zone, 549
charakteristische Funktion, 591 charakteristische Gleichung, 118 Darstellung, 104 - der Kets und Bras, 108 - Drehgruppe, 654 - von Operatoren, 109 Darstellungswechsel, 113 Davisson, C. J., 10 de Broglie, L., 10 de-Broglie-Wellenl¨ange, 34, 75 Dichtematrix, 274 - gemischter Fall, 404 - reiner Fall, 403 Dichteoperator, 274, 276 Differentialoperator, 79 Dipolmoment - elektrisches, 434, 516 - heteropolares Molek¨ul, 478 Dirac-Schreibweise, 92 Dispersionsgesetz, 23, 548 - Phononen, 562 Dissoziationsenergie, 475 Drehimpuls, 599 Drehoperator, 651 Drehungen, 648 dreidimensionaler Oszillator, 509 dualer Raum, 93 Dulong-Petit-Regel, 585 ebene Welle, 15, 84, 218 Ehrenfest-Theorem, 220, 289, 314 Eichinvarianz, 290 Eichtransformation, 290 Eichung, 289 Eigenfunktion, 11, 25 Eigenraum, 116 - invarianter, 123 Eigenschwingung, 539
734 Eigenwert, 11, 25, 116 - einfacher, 116 - entarteter, 116 - harmonischer Oszillator, 452 - nichtentarteter, 116 Eigenwertgleichung, 25, 115 Eigenzustand, 9, 11, 25 Einschr¨ankung, 152 Einstein, A., 2 Einstein-de-Broglie-Beziehung, 3, 11, 34 Einstein-Modell, 481, 584, 586 Einstein-Podolsky-Rosen-Paradoxon, 270 Einstein-Temperatur, 591 Einteilchensystem, 216 elektrische Suszeptibilit¨at, 434, 516, 517 elektrisches Dipolmoment, 434, 516 elektronische Suszeptibilit¨at, 479 Elementarwelle, 303 Emission - induzierte, 577 - spontane, 577 Energie-Zeit-Unsch¨arfe, 228, 231 Energieband - erlaubtes, 338, 348, 349, 550 - verbotenes, 338, 350, 550 Energieerhaltung, 223 Energieniveau, 349 Energiequantisierung, 2, 26, 31 - harmonischer Oszillator, 503 Entartung, 171 - systematische, 183 - wesentliche, 668 - zuf¨allige, 183 Entartungsgrad, 116 Entartungsordnung, 116 Entwicklungsoperator, 284 erlaubtes Band, 338, 348, 349, 550 Erwartungswert, 205, 219, 226 - Zeitabh¨angigkeit, 219 erzeugende Funktion, 493, 494 Erzeugungsoperator, 458 Euler
Sach- und Namenverzeichnis - Satz von , 317 Fabry-P´erot-Interferometer, 61 Fall - gemischter, 276 - reiner, 272, 273, 275 Feinstrukturkonstante, 310 Feynman, 303 Feynman-Postulate, 309 fiktive Teilchen, 539 fiktiver Spin, 392 Fortsetzung - eines Operators, 139 Fourier-Reihe, 228 Fourier-Transformation, 230 Fourier-Transformierte, 15, 18, 46, 84 Franck-Hertz-Versuch, 10 freies Teilchen, 14 Frequenz - Bohr-, 228, 280 Gauß-Funktion, 266, 492 Gauß-Verteilung, 49 - Breite, 50 Gaußsches Wellenpaket, 49, 266 gekoppelte Oszillatoren, 536 Gemisch - statistisches, 232, 271, 404 gemischter Fall, 276 Germer, L. H., 10 Gesamtwahrscheinlichkeit, 196 Glauber-Formel, 158 Gleichgewicht - thermodynamisches, 406, 578 Glockenkurve, 50 Gr¨oße - nichtphysikalische, 292 - wahre physikalische, 292 Greensche Funktion, 305, 307 Grenzfall - quasiklassischer, 222 Grundzustand, 38, 182, 326 Gruppengeschwindigkeit, 23, 219, 549, 562 gute Quantenzahl, 226
Sach- und Namenverzeichnis gyromagnetisches Verh¨altnis, 357, 408, 414 Hamilton-Funktion, 191, 200, 201, 291 Hamilton-Gleichungen, 191, 291 Hamilton-Operator, 180, 200, 201, 223, 310 - ungest¨orter, 375 Hamilton-Prinzip, 309 harmonischer Oszillator, 222, 586 - im elektrischen Feld, 513 Heisenberg-Bild, 287 Heisenbergsche Unsch¨arferelation, 20, 47, 51, 209, 231, 257, 264 Helium, 482 hermitesche Matrix, 113 hermitescher Operator, 104 hermitesches Polynom, 465, 493 Hermitezit¨at - Impulsoperator, 135 heteropolares Molek¨ul, 478 Hilbert-Raum, 77, 91 Hohlraumstrahlung, 2, 326, 572 hom¨oopolares Molek¨ul, 478 homogene Funktion, 317 Huygenssches Prinzip, 303 Idealmessung, 204 Impuls - konjugierter, 191 Impulsdarstellung, 129, 132, 168 Impulsoperator, 133, 136, 166, 168, 179 - Hermitezit¨at, 135 induzierte Emission, 577 Infrarotabsorption, 478 invarianter Eigenraum, 123 Inversionsfrequenz, 427, 428 Iterationsmatrix, 338, 340, 341 Kastenpotential - zweidimensionales, 180 Ket, 92, 192 - verallgemeinerter, 96 Ketvektor, 92 klassische N¨aherung, 24
735 koh¨arenter Zustand, 520, 576 Koh¨arenz, 279 Kommutator, 80, 97, 151, 155 kommutierende Observable, 123 - vollst¨andiger Satz, 127, 361, 399 kompatible Observable, 209 Komplementarit¨at, 39 konservatives System, 223, 286 Konstante der Bewegung, 223, 226 kontinuierliche Basis, 86, 96 Kontinuit¨atsgleichung, 217 Kopplung, 375 - schwache, 540 Kopplungskonstante, 537 Korrespondenzregeln, 200 Kristall, 481 Kristallschwingungen, 560 Kronecker-Produkt, 137 Kugelfl¨achenfunktionen, 621, 635 - Additionstheorem, 646 Kugelkoordinaten, 618 Lagrange-Dichte, 309 Lagrange-Funktion, 191, 291 Lamb-Shift, 578 Landau-Niveau, 709 Laplace-Operator, 12 Larmor-Pr¨azession, 358, 373, 408 Laser, 481 Lebensdauer, 311, 435 Legendre-Funktion - zugeordnete, 644 Legendre-Polynom, 644 Lichtgeschwindigkeit, 2 lineares Funktional, 92 Linienbreite, 312 L2 -Raum, 77 magnetische Resonanz, 408, 410 Magnetometer, 415 Malus-Gesetz, 8 Matrix - hermitesche, 113 - unit¨are, 162 Matrixelement, 97
736 Matrizenmechanik, 288 Maxwellsche Gleichungen, 303 Messprozess, 204 Messung, 193 Mittelwert, 205, 369 Multiplikationsoperator, 79 Myonenatom, 488 Neutron, 34 Newton, I., 2 Newtonsche Bewegungsgleichung, 32, 290 Newtonsche Mechanik, 1 nichtphysikalische Gr¨oße, 292 Niveauschema, 326 Norm, 79, 216 Normalvariable, 539, 552, 566, 572, 573 - Saite, 565 Nullpunktsenergie, 581 Observable, 121, 193 - kommutierende, 123 - kompatible, 209 - vektorielle, 663 - vollst¨andiger Satz kommutierender Observabler, 127 Operator, 193 - Ableitung, 156 - adjungierter, 101 - Einschr¨ankung, 152 - gerader, 177 - hermitescher, 104 - infinitesimaler unit¨arer, 165 - linearer, 79, 97 - orthogonaler, 160 - Parit¨ats-, 174 - Spur, 150 - ungerader, 177 - unit¨arer, 159 Operatorfunktion, 155 optische Analogie, 28 orthogonal, 79 orthogonaler Operator, 160 orthonormierte Basis, 80, 105
Sach- und Namenverzeichnis Orthonormierungsbedingungen, 82, 105, 129 Ortsdarstellung, 129, 166 Ortsoperator, 136, 166, 168, 178 Oszillator - anharmonischer, 451 - anisotroper harmonischer, 510 - dreidimensionaler, 580 - dreidimensionaler harmonischer, 509 - Eigenwerte des harmonischen -, 452 - gekoppelter, 536 - harmonischer, 222, 586 - harmonischer O. im elektrischen Feld, 513 - im thermodynamischen Gleichgewicht, 578 - isotroper harmonischer, 510 - klassischer harmonischer, 449 Oszillatorenkette, 546 paramagnetische Suszeptibilit¨at, 407 Parit¨at, 643 Parit¨atsoperator, 79, 174 partielle Reflexion, 70 Pauli-Matrizen, 385 periodisches Potential, 337 Pfadintegral-Formulierung, 307 Pfadintegral-Methode, 309 Phonon, 561 Photon, 3, 7, 575, 584 Planck, M., 2 Planck-Konstante, 3 Poisson-Verteilung, 527 Polarisation - vollst¨andige, 404 Polarisator, 366 Polynommethode, 500 Potential - periodisches, 337 - skalares, 289 - Vektor-, 289 Potentialoperator, 154 Potentialstufe, 29, 66, 259
Sach- und Namenverzeichnis - zweidimensionale, 260 Potentialtopf, 31, 62, 323 Potentialwall, 30, 60 potentielle Energie, 24 Pr¨aparation, 214, 364 Projektoren, 97 Propagator, 303 - retardierter, 305 Pseudoteilchen, 561 Quantenzahl - gute, 226 Quantisierung, 204 Quantisierungsregeln, 295 quasiklassischer Grenzfall, 222 quasiklassischer Zustand, 520, 523 Raman-Anti-Stokes-Linie, 682 Raman-Anti-Stokes-Streuung, 479 Raman-Effekt, 478, 680 Raman-Laser, 481 Raman-Stokes-Linie, 682 Raman-Stokes-Streuung, 479 Raum - dualer, 93 Raumquantelung, 356 Rayleigh-Jeans-Gesetz, 583 Rayleigh-Linie, 682 Rayleigh-Streuung, 479 Rechteckpotential, 24, 27, 55 Reduktion, 198 - eines Wellenpakets, 245 Reflexion - partielle, 70 Reflexionskoeffizient, 71, 259 Reichweite, 59 reiner Fall, 272, 273, 275 Rekursionsbeziehungen - hermitesche Polynome, 494 Relaxationszeit, 417 Renormierung, 578 Resonanz, 379 - magnetische, 408, 410 Resonanzenergie, 32 Resonanzph¨anomene, 379
737 retardierter Propagator, 305 Rotation, 648 Rotationskonstante, 673 Rotationsspektrum - reines, 677 Rotator - starrer, 670 S¨akulargleichung, 118 Saite, 564 Saitengleichung, 565 Satz von Euler, 317 Schallgeschwindigkeit, 562 Schmelztemperatur, 590 Schottky-Anomalie, 586 Schr¨odinger-Bild, 287 Schr¨odinger-Gleichung, 12, 24, 167, 169, 200, 202, 214, 309 Schwarzer K¨orper, 582 Schwarzsche Ungleichung, 79, 150 Schwebung, 540 Schwingung - harmonische, 449 Selektivit¨at, 239 Separation der Variablen, 24 σ-Elektron, 484 Skalar, 662 Skalarprodukt, 78, 92, 131, 139 S-Matrix, 334 Sommerfeld, A., 10 Spektralzerlegung, 8, 9, 11, 194 Spektrum - diskretes, 194 - eines Operators, 116 - kontinuierliches, 196 spezifische W¨arme fester K¨orper, 584 Spin, 600 - fiktiver, 392 Spin-1/2-Teilchen, 355 Spindrehimpuls, 600 Spinraum, 355, 361 Spinvariable, 355 spontane Emission, 577 Spur, 150 St¨orung, 374
738 Standardabweichung, 208, 263, 314 Standardbasis, 612 station¨are L¨osung, 25 station¨arer Zustand, 24, 26, 225 statistisches Gemisch, 232, 271, 404 Stern-Gerlach-Versuch, 356 stimulierter Raman-Effekt, 481 Strahlung Schwarzer K¨orper, 582 Strahlungsgesetz von Planck, 583 Streuresonanz, 61 Streuung, 207 Superposition, 26 Superpositionsprinzip, 12, 14, 193, 215 - Maxwellsche Gleichungen, 7 Suszeptibilit¨at - elektrische, 434, 516, 517 - elektronische, 479 Symmetrisierungsregel, 201 System - konservatives, 223, 286 System mit zwei Niveaus, 374 Teilspur, 281 tensorielles Produkt, 138 Tensorprodukt, 137, 138 - von Operatoren, 139 Theorem von Ehrenfest, 220, 289, 314 thermodynamisches Gleichgewicht, 406, 578 Thomsonsches Atommodell, 490 Torsionsschwingungen, 483 Totalreflexion, 67 Translationsoperator, 172 Transmissionskoeffizient, 259, 344 Transmissionsmatrix, 332 Tunneleffekt, 30, 62, 329, 428, 486 ¨ Ubergangswahrscheinlichkeit, 396, 412 unit¨are Matrix, 162 unit¨arer Operator, 159 Unsch¨arferelation, 35, 257, 263, 328 - Heisenbergsche, 20, 47, 51, 209, 231, 257, 264 v. S. k. O., 127, 361, 399
Sach- und Namenverzeichnis Vakuum, 570, 575 Vakuumschwankungen, 577 Van-der-Waals-Kraft, 474 Variable - a¨ ußere, 355 Vektor, 663 Vektoroperator, 133 Vektorpotential, 289 Vektorraum, 78 - dualer, 93 verallgemeinerter Ket, 96 verbotenes Band, 338, 350, 550 Vernichtungsoperator, 458 Vertauschungsrelationen, 134, 170, 309 - kanonische, 134 Verz¨ogerung, 68 Vibrationsfrequenz, 476 - Deuteriummolek¨ul, 477 - Wasserstoffmolek¨ul, 477 Virialsatz, 316 vollst¨andiger Satz kommutierender Observabler (v. S. k. O.), 127, 361, 399 Vollst¨andigkeitsrelation, 82, 85, 88, 105–107, 121, 129, 398, 531 wahre physikalische Gr¨oße, 292 Wahrscheinlichkeit, 7, 9, 77, 194, 216, 226, 231, 406 - durch Zeit, 311 - lokale Erhaltung, 217 Wahrscheinlichkeitsamplitude, 7, 11, 232, 237 Wahrscheinlichkeitsdichte, 11, 19, 203, 216 Wahrscheinlichkeitsstrom, 217, 258 Wasserstoffatom, 37 Wechselwirkungsbild, 319, 320 Welle - ebene, 15, 84, 218 Welle-Teilchen-Dualismus, 7 Wellenfunktion, 7, 11, 24, 77, 169, 192, 203 Wellengruppe, 15 Wellenpaket, 15, 19, 66, 221
Sach- und Namenverzeichnis - eindimensionales, 46 - freies, 45 - Gaußsches, 49, 266 - Reduktion, 198, 245 - zweidimensionales, 43 Weltlinie, 307 Winkeldispersion, 43 Young, Th., 3 Youngscher Doppelspaltversuch, 39 Youngscher Spaltversuch, 3, 237, 242 Zentralkraft, 509 Zerfließen eines freien Wellenpakets, 314 Zerlegung - von 2 × 2-Matrizen, 407 Zerlegung nach Eigenzust¨anden, 26 Zustand - Photon, 7 - angeregter, 182 - eines klassischen Systems, 192 - eines Quantensystems, 192 - koh¨arenter, 520, 576 - quasiklassischer, 520, 523 - station¨arer, 24, 26, 225 Zustandsdichte, 352 Zustandspr¨aparation, 214 Zustandsraum, 91, 193 - System mit zwei Spins 1/2, 398 Zustandssumme, 280, 406 - harmonischer Oszillator, 579 Zustandsvektor, 91 zweidimensionales Wellenpaket, 43 Zweig - akustischer, 563 Zweiteilchensystem, 146 Zwischenzust¨ande, 235 Zyklotronfrequenz, 699
739