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German Pages 370 [378] Year 2014
Michele Sarfatti Die Juden im faschistischen Italien Judaica Band 4
Juristische Zeitgeschichte Herausgegeben von Prof. Dr. Dr. Thomas Vormbaum (FernUniversität in Hagen)
Abteilung 8: Judaica – Jüdisches Recht, Judenrecht, Recht und Antisemitismus Herausgegeben von Prof. Dr. Dr. Thomas Vormbaum Band 4 Redaktion: Zekai Dag˘as¸an
Michele Sarfatti
Die Juden im faschistischen Italien Geschichte, Identität, Verfolgung Aus dem Italienischen von Thomas Vormbaum und Loredana Melissari
De Gruyter
Michele Sarfatti ist Historiker und Leiter des Dokumentationszentrums jüdischer Zeitgeschichte (Centro di Documentazione Ebraica Contemporanea) in Mailand. Gedruckt mit finanzieller Unterstützung des Zentralrats der Juden in Deutschland
ISBN 978-3-11-036768-3 e-ISBN 978-3-11-034610-7
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis ..................................................................................VII Vorwort zur deutschen Ausgabe ..................................................................... IX Erstes Kapitel Die Juden zu Beginn der Herrschaft des Faschismus........................................ 1 Zweites Kapitel Städte, Textilien und Bücher........................................................................... 27 Drittes Kapitel Die Zeit der Verfolgung der Gleichheit des Judentums (1922–1936).................................................................................................... 49 Viertes Kapitel Die Zeit der Verfolgung der Rechte der Juden (1936–1943).................................................................................................. 113 Fünftes Kapitel Die Zeit der Verfolgung des Lebens der Juden (1943–1945).................................................................................................. 267 Der (misslungene) Versuch des World Jewish Congress zur Rettung der italienischen Juden im Jahre 1943 ....................................... 335 Karten und Tabellen.......................................................................................343
Abkürzungsverzeichnis ACDEC ACS Adei AdS AG AGR ASMAE AUCEI AUSSME CR DGDR DGPS Fondo UCII MAE MAI MCP MF MI PCM Pfr Pnf PP RMI RSI SBE SPD UC
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Vorwort zur deutschen Ausgabe Dieses Buch erzählt eine einzigartige Geschichte. Es ist die Geschichte einer jüdischen Gemeinschaft, die im 20. Jahrhundert eine der kleinsten unter denen der großen Staaten Europas war, aber auch die einzige, die sich einer seit zwanzig Jahrhunderten ununterbrochenen Präsenz rühmen konnte. Es ist die Geschichte einer faschistischen Partei, die vielen ähnlichen Bewegungen in Europa als Vorbild diente, die sich aber – anders als diese – erst 19 Jahre nach ihrem Entstehen zum Antisemitismus bekannte. Es ist die Geschichte eines Landes, das am Anfang des 20. Jahrhunderts in Rom (der Hauptstadt des Katholizismus) einen Juden und Freimaurer zum Bürgermeister wählte, während man in Wien einen antisemitischen Christen wählte. Es ist die Geschichte einer jüdischen Bevölkerungsgruppe, die aus Antifaschisten, Nicht-Faschisten und (ein Einzelfall in Europa, der allerdings nur bis 1938 andauerte) Faschisten bestand. Es ist die Geschichte eines Diktators, der seinem „Jünger“ (nicht erbetene und nicht befolgte) Ratschläge darüber erteilte, wie eine antisemitische Aktion seitens der Regierung umzusetzen sei, der 1938 einen selbstständigen Verfolgungsplan entwickelte, der 1943 die fatale Richtung übernahm, die sein ehemaliger „Jünger“ inzwischen der Verfolgung gegeben hatte. Es ist die Geschichte von Juden, von denen einige laizistisch und einige religiös eingestellt waren, einige Zionisten mit linker oder rechter Ausrichtung waren, die Industriekapitäne oder ambulante Kurzwarenhändler, königstreue Generäle oder am Aufbau des „Duce“-Mythos Beteiligte oder Widerstandskämpfer waren. Das Buch erzählt, was in den Jahren von der Machterlangung des Faschismus (1922) bis zu seiner endgültigen Niederlage (1945) mit ihnen in Italien geschah. Es handelt sich um einen relativ kurzen Zeitabschnitt, der durch Daten begrenzt ist, welche sowohl für das gesamte Land als auch für die in ihm lebenden Juden epochale Übergänge darstellen. Die Geschichte der Juden setzt sich zusammen aus der Verknüpfung der Aufeinanderfolge chronologischer Einschnitte, die ihren rechtlichen und gesellschaftlichen Status betreffen, und dem Fluss der „jüdischen“ historischen Gegebenheiten von sehr viel längerer Dauer, wie beispielsweise – für die gegenwärtige Epoche – die Konzentration in den großen Städten, die beruflichen Eigenarten, die Entwicklung der Religiosität und der Observanz, die Änderungen in der Selbstwahrnehmung usw. Um alles dies zu berücksichtigen, beginnt das Buch mit einem Blick auf die Zeit vor 1922. Hingegen meinte ich, dass die Zerstörungen von Leben, Identität und Eigentum der Opfer durch die
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Vorwort zur deutschen Ausgabe
Shoah es angemessen erscheinen ließen, die Erzählung mit dem Sieg der alliierten Truppen und der Partisanen enden zu lassen. Im Verlauf der 20 Jahre des Faschismus sahen die Juden zunächst ihre Gleichheit – als Gruppe – mit den anderen Bürgern, sodann ihr Recht auf Studium, auf Arbeit und, schrittweise, auf Wohnsitz im Lande und schließlich sogar ihr Existenzrecht bedroht und bestritten. Dies geschah in mitunter nicht linearer Form und in einem sich entwickelnden Prozess, in dem die verschiedenen Schritte jeweils durch den vorhergehenden ausgelöst wurden, jedoch nicht in der Weise, dass sie durch ihn notwendig geworden wären. Der gesamte Prozess hatte breit angelegte Wurzeln, die auch in die vorhergehenden Jahrzehnte zurückreichten; er erlebte jedoch Anfang, „Leben“ und Ende unter den Regierungen des Faschisten Benito Mussolini. Diese zunehmende Verfolgungstätigkeit wird in diesem Buch auch dadurch deutlich gemacht, dass die chronologischen Kapitel unterschiedlich lang sind und die Erzählung zwischen Ereignissen, in denen die Juden Herren über ihr eigenes Leben waren, und solchen, in denen sie Opfer fremder Entscheidungen waren, unterschiedlich aufgeteilt ist. Um die einen wie die anderen deutlich zu machen, habe ich das doppelte Mittel der zahlenmäßigen Quantifizierung der verschiedenen spezifischen Realitäten und Erfahrungen und der Zitierung von Passagen aus möglichst zeitgenössischen Zeugnissen und Reflexionen benutzt. Ihre Verknüpfung soll die kollektiven und die individuellen Aspekte der erzählten Ereignisse wieder erstehen lassen. Sowohl das Leben als auch die Verfolgung der Juden bilden einen integrierenden und unverzichtbaren Teil der italienischen Geschichte. Jede historische Rekonstruktion ist das Ergebnis zahlreicher, mitunter bewusster, mitunter unbewusster Entscheidungen des Verfassers. Von den Entscheidungen der ersten Art kann ich hier diejenige erwähnen, dem Nebenthema der Herausbildung einer rassistischen Politik gegen die Afrikaner eine gewisse Aufmerksamkeit zu widmen; tatsächlich habe ich es für unerlässlich gehalten, zu untersuchen, ob der rassenbiologische Ansatz der antijüdischen Gesetzgebung Vorläufer gehabt hat oder nicht. Da das Buch aber der Geschichte der Juden gewidmet ist, habe ich mich entschlossen, mich nicht mit den Entwicklungen des Antisemitismus im „realen Land“ jener Jahre oder mit den heutigen Mythologien derjenigen zu befassen, die immer noch die allgemeinen Entscheidungen Benito Mussolinis, das Gesamtverhalten Giovanni Gentiles, die antisemitischen Schriften zahlreicher Journalisten und die von vielen Italienern durchgeführten Verhaftungen vergessen.
Vorwort zur deutschen Ausgabe
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Diese Übersetzung in deutscher Sprache hat die zweite italienische Ausgabe von Gli ebrei nell’Italia fascista. Vicende, identità, persecuzione, Turin (Einaudi) 2007 zur Grundlage, der eine englische Ausgabe unter dem Titel The Jews in Mussolini’s Italy: from Equality to Persecution, translated by John and Anne C. Tedeschi, Madison (The University of Wisconsin Press) 2006, vorausgegangen ist. Der Band ist ohne Änderungen übersetzt, nur die Angaben über Werke, die sich 2007 noch im Druck befanden, wurden ergänzt. Um die deutsche Ausgabe nicht unnötig zu erschweren, wurde auf den Anhang mit den in jenen Jahren vom italienischen Judentum hervorgebrachten Texten und Dokumenten verzichtet. Hinzugefügt wurde stattdessen ein Anhang über die vom internationalen Judentum unternommenen Versuche, die Deportierung der italienischen Juden zu verhindern; dieser war bisher nur in der englischen Ausgabe erschienen. Die Übersetzung ist von Thomas Vormbaum und wurde von Loredana Melissari revidiert. Ich danke beiden, so wie es mir eine Pflicht und eine Freude ist, den vielen Forschern, mit denen ich einen Gedankenaustausch hatte, und meinen Kollegen bei der Fondazione Centro di Documentazione Ebraica Contemporanea in Mailand zu danken. Ein Dank geht schließlich an Ginevra, Manuele und Valeria. Ich möchte der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass aus dieser deutschen Ausgabe ein Impuls sowohl zu weiterführender Forschung als zur Diskussion ausgehen möge. Mailand, Juli 2013
Erstes Kapitel Die Juden zu Beginn der Herrschaft des Faschismus 1. Das Erbe des 19. Jahrhunderts Seht die erniedrigten, die verstoßenen, die missachteten Israeliten, wie sie zur Würde von Bürgern, zu unserer Bruderschaft erhoben worden sind von unserem obersten Reformer, von unserem gemeinsamen Vater, dem König! [...] Jetzt ist die Erniedrigung von uns gewichen, uns als Eure Verfolger empfinden zu müssen; für Euch dauert noch die Ehre an und wird stets andauern, die Verfolgungen standhaft ertragen zu haben, bereit zum Vergessen, großmütig im Verzeihen. Wir waren schlecht zu Euch, nun wollen wir gute Brüder sein! [...] Und wir wollen uns auch im Namen einer gemeinsamen Religion lieben: der Religion des Vaterlandes!1
Dieser Kommentar des Piemontesen Roberto d’Azeglio zu dem längst fälligen Königlichen Dekret Nr. 688, mit dem am 29. März 1848 während des sechs Tage zuvor ausgebrochenen Krieges gegen Österreich König Karl Albert von Savoyen den piemontesischen und ligurischen Juden die bürgerlichen Rechte zugestanden hatte, drückt Haltungen und Gefühle aus, die knapp neunzig Jahre späte von der damaligen Regierung des „gemeinsamen Vaterlandes“ und vom damaligen Herrscher des Hauses Savoyen wieder aufgegeben wurden. Die 1938 erneut einsetzende Verfolgung fand ihr Ende ebenfalls während eines Krieges; diesmal jedoch wurde ihre rechtliche Aufhebung und ihre materielle Beendigung dem „gemeinsamen Vater, dem König“ von einem Zusammenschluss aufgezwungen, die sowohl Italiener als auch Ausländer umfasste (die Zurücknahme der antijüdischen Gesetzgebung bildete eine der Waffenstillstandsbedingungen der Allianz der antifaschistischen Staaten). Offenkundig war es der „Vaterlandsreligion“ des 19. Jahrhunderts nicht gelungen, die von D’Azeglio verkündete und begeistert begrüßte Bruderschaft im 20. Jahrhundert der Nationalismen unbezweifelbar und allgemein anerkannt werden zu lassen. 1
R. D’Azeglio, Agli elettori, in: Concordia I, Nr. 80 (1. April 1848), S. 1. Mitgeteilt in: G. Arian Levi / G. Disegni, Fuori dal ghetto. Il 1848 degli ebrei. Rom (Editori Riuniti) 1998, S. 117. Zu Roberto d’Azeglio s. A.M. Ghisalberti, Massimo e Roberto d’Azeglio per l’emancipazione degli Israeliti in Piemonte, in: RMI XLV, Nr. 8–9 (August– September 1979), S. 289–327. Die Juden des Königreichs Sardinien erhielten das aktive Wahlrecht durch Kgl. Dekret vom 17. März 1848, Nr. 680, die bürgerlichen Rechte mit Kgl. Dekret vom 29. März 1848 Nr. 688, den Zugang zum Militärdienst mit statthalterlichem Dekret vom 15. April 1848, Nr. 700, die übrigen politischen Rechte mit Gesetz vom 19. Juni 1848, Nr. 735.
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Voll und ganz anerkannt blieb diese Bruderschaft hingegen von den „zur Würde erhobenen“ jüdischen „Brüdern“. So kommentierte beispielsweise der Oberrabbiner von Mantua Marco Mortara das Ende des Krieges von 1866, durch den die Stadt mit Italien vereinigt worden war, folgendermaßen: Als Söhne des alten Judäa, als Bürger des wieder erstandenen Italien werden wir uns der großen Aufgabe, welche uns die Göttliche Vorsehung übertragen hat, würdig zu erweisen wissen. Die mittlere Zeit, die vom großen Meer vergangener Zeiten verschlungen worden ist, entwickelte unter großen Schmerzen die Zeit der Nationalitäten, aus der schließlich die ersehnte Morgenröte aufgestiegen ist. Doch in der ruhigen Entwicklung der Künste des Friedens, der Wissenschaften, der Gewerbe, der Handelsfreiheit und durch den Austausch der Reichtümer und der Empfindungen, der Erkenntnisse und der Gesinnungen zwischen verbrüderten Völkern besitzt diese für uns begonnene Zeit der Nationalitäten die großartige Sendung, das Mannesalter der Menschheit, die Ära allgemeiner Brüderlichkeit aller Kinder Adams, die uns die Weisen Israels prophezeit haben, vorzubereiten. Die Religion, ewige Begründerin und Fördererin der Kultur, Leiterin zur Entwicklung und Band der Harmonie aller Teil-Fortschritte, oberste Lehrerin der Moralität, muss jene erhabenste aller Tugenden beseelen, die alle anderen krönt, die Liebe zum Vaterland [...]. Und wir nun insbesondere, wir Israeliten, die wir zu den ältesten Bürgern dieses Italien gehören [...], werden, nachdem mit der Fremdherrschaft auch die Barriere gefallen ist, die uns an der Ausübung unserer politischen Pflichten und Rechte hinderte, mit unseren Brüdern zusammenzuwirken verstehen, um in den Streitkräften und in den bürgerlichen Verwaltungen, in den Künsten und in den Universitäten das Vaterland zu verteidigen und zum Erblühen zu bringen, das Gott uns zugewie2 sen hat, die große Nation, von der wir ein Teil sind .
Für den Rabbiner Mortara konnte die Vaterlandsliebe nicht zu einer Religion aufsteigen; doch abgesehen davon ist das von ihm gezeichnete Identitätsbild geeignet, die Gesamtheit der italienischen Juden der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu charakterisieren – ob sie nun die neue „Religion“ dem Glauben der Väter unterordneten oder ihr – teilweise und im Verlauf von Jahrzehnten – eine mehr oder weniger gleichgewichtige oder gar ersetzende Rolle zuerkannten. Der junge Piemontese Arnaldo Momigliano, der in diesem Judentum aufgewachsen war, erklärte 1933, dass „die Geschichte der Juden jeder beliebigen italienischen Stadt [...] vom 17. bis zum 19. Jahrhundert im wesentlichen [...] die Geschichte der Herausbildung ihres italienischen Nationalbewusstseins“ gewesen sei3. 2 3
[M. Mortara], Italia redenta. Lodato Iddio! Ufficio di grazie celebrato nel tempio maggiore israelitico. A reverenza di Dio, il rabbino maggiore Marco Mortara interprete dei sentimenti della sua Comunione. Mantua (Tipografia Benvenuti) 1866, S. 8, 11. A. Momigliano, Rezension zu C. Roth, Gli Ebrei in Venezia (Rom 1933), in: La nuova Italia IV, Nr. 4 (20. April 1933), S. 142 f.; jetzt auch in: Ders., Pagine ebrai-
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Er bezeichnete diese Herausbildung als eine „parallele“ (und nicht als eine „nachträgliche“) im Verhältnis zu derjenigen, die sich bei den Nichtjuden vollzogen hatte, sowohl in Piemont als auch in Sizilien; er fügte allerdings noch hinzu, dass „im gesamten Risorgimento die Juden zur Avantgarde gehört“ hätten4. Letztlich bildet die Frage des Verhältnisses zwischen den beiden Begriffen („parallele“ Herausbildung und Juden „als Avantgarde“) immer noch ein problematisches und offenes Thema bei der Rekonstruktion der italienisch-jüdischen Zeitgeschichte. Der Prozess der Errichtung eines unabhängigen nationalen Einheitsstaates und der Prozess der rechtlichen Emanzipation der Juden fanden tatsächlich „parallel“ statt – besser gesagt: sie fielen zusammen und waren miteinander verwoben. Auf die Vereinigung Roms mit dem neuen Staat folgte der Erlass des königlichen Dekrets vom 13. Oktober 1870, Nr. 5916, mit dem Vittorio Emanuele II. anordnete, „jede Ungleichheit unter den Bürgern [...] in Rom und in den Römischen Provinzen“ zu beseitigen; und die neue Wirklichkeit veranlasste die Leiter der jüdischen Gemeinden der Halbinsel, die Reihe ihrer nationalen Kongresse zu unterbrechen (die 1863 und 1867 stattgefunden hatten) und sogar die Koordinierungskommission, die aus ihnen hervorgegangen war, aufzulösen5: Die italienischen Juden hatten das Empfinden, dass sie keine spezifischen nationalen Probleme mehr hätten, jedenfalls wollten sie keine mehr haben; ihr „italienisches Nationalbewusstsein“ war ja nunmehr eine Tatsache und nicht mehr bloß eine Perspektive. Bereits 1865 hatten beispielsweise mehrere Juden („aus Gründen hoher Politik“, wie Marco Mortara es ausdrückte) darin eingewilligt, dass in das neue Bürgerliche Gesetzbuch des Königreichs Italien das Verbot der Scheidung aufgenommen werde (ein Rechtsinstitut, das im jüdischen Recht vorgesehen
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che. Turin (Einaudi) 1987, S. 237–39 (Kursivierung von mir). In einem ein halbes Jahrhundert später erschienenen Aufsatz beschreibt der Historiker hingegen die „Entwicklung“ der „jüdischen Gesellschaft Italiens“ und der „jüdischen Variante von Italienern“, sowohl als spezielle Geschichtsabläufe als auch im Verhältnis zur Gesamtgeschichte der Halbinsel: Ders., The Jews of Italy, in: The New York Review of Books, 24. Oktober 1985 [it. Übers.: Gli Ebrei d’Italia, in: Ders., Pagine, a.a.O., S. 129–42; Zitate auf S. 140–41]. Ders., Rezension, a.a.O. Zu erwähnen ist, dass in der 45 Jahre später erschienenen Schrift Arnaldo Momigliano den italienischen Juden (bzw. den jüdischen Italienern) erneut eine Vorreiterrolle zuwies: „Als die Stunde der Rebellion gekommen war, traten die Juden in die Resistenza ein, führten sie an und starben in ihrem Namen“ (Ders., Gli Ebrei, a.a.O., S. 141 (Hervorhebung von mir). T. Catalan, L’organizzazione delle Comunità ebraiche italiane dall’Unità alla prima Guerra mondiale, in: C. Vivanti (Hrsg.), Gli ebrei in Italia. Turin (Einaudi) 1997, Bd. II, S. 1264–65; S. 1249–63 zu den Kongressen von 1863 und 1867.
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war und bis dahin auch von den Zivilgesetzbüchern der präunitarischen Staaten anerkannt war)6. War also dieser Prozess in einer Weise vollzogen und abgeschlossen worden, die man als „parallel“ bezeichnen kann, so war der jüdische Bevölkerungsteil Italiens doch – zumindest in der Zeit, um die es hier geht, also im 19. Jahrhundert – durch verschiedene Besonderheiten gekennzeichnet. Was das demographische Verhalten angeht, ist festgestellt worden, dass die Juden der Bevölkerungsmehrheit in der Senkung der Mortalitäts- und der Geburtenrate um mehr als hundert Jahre voraus waren7. Im Hinblick auf die Bildung wissen wir, dass noch 1901 die über 15jährigen Analphabeten unter den Juden nur 5,7% ausmachten, in der Gesamtbevölkerung hingegen 49,9%8. Ein sehr partieller, aber interessanter Indikator für das Verhalten in wirtschaftlicher Hinsicht bildet die „intensive Mobilisierung“, die unter den jüdischen Gewerbetreibenden im Bereich Reggio Emilia zu Gunsten der Einführung in Guastalla im Jahre 1864 des metrischen Dezimalsystems bei Maßen und Gewichten registriert wurde9. Was die Teilnahme am politischen und gesellschaftlichen Leben angeht, ist festgestellt worden, dass gegen Ende des 19. Jahrhunderts und in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts die jüdischen Frauen mit einem proportional größeren Engagement an der weiblichen Emanzipationsbewegung und allgemeiner an philanthropischen Aktivitäten beteiligt waren10. Schließlich sei noch der erhöhte Anteil der Juden am beschränkten Kreis der Wahlberechtigten des Königreiches in der Mitte des 19. Jahrhunderts erwähnt – eine direkte Folge der Gruppeneigenschaften und gleichzeitig Signal und Ansporn für die Herausbildung eines allgemeineren Selbstverständnisses. Denn wie sich herausstellte, besaßen die Juden mehr als 6
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G. Fubini, La condizione giuridica dell’ebraismo italiano. Turin (Rosenberg & Sellier) 1982, S. 41, 43–44; zum Zitat von Marco Mortara s. S. Mazzamuto, Ebraismo e diritto dalla prima emancipazione all’età repubblicana, in: C. Vivanti (Hrsg.), Gli ebrei, a.a.O., Bd. II, S. 1774, Anm. 7. S. Della Pergola, Precursori, convergenti, emarginati. Trasformazioni demografiche degli ebrei in Italia, 1870–1945, in: Italia Judaica. Gli ebrei nell’Italia unita 1870–1945. Atti del IV convegno internazionale (Siena, 12–16 giugno 1989). Rom (Ministero per i Beni culturali e ambientali) 1993, S. 58. E. Raseri, La popolazione israelitica in Italia, in: Atti della società romana di antropologia X (1904), S. 88; Ministero di agricoltura, industria e commercio – Direzione generale della statistica, Censimento della popolazione del Regno d’Italia al 10 febbraio. Rom 1904, Bd. V, S. CXXIV. M. Fincardi, L’estinzione dei ghetti padani. La laicizzazione delle Comunità israelitiche nella bassa pianura reggiana e mantovana, in: Storia in Lombardia XVI, Nr. 2 (Juni 1996), S. 11. M. Miniati, Les „émancipées“. Les femmes juives italiennes aux XIXe et XXe siècles (1848–1924). Paris (Champion) 2003, S. 161–65.
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andere jene Eigenschaften, die das piemontesische Wahlgesetz vom 17. März 1848 für das aktive Wahlrecht aufstellte (im wesentlichen: die Fähigkeit zum Schreiben, den Besitz eines bestimmten „Census“ oder die Ausübung eines qualifizierten Berufes)11, und in den Wahlkollegien ihrer Wohnorte übte ihr Votum Einfluss aus (in Casale Monferrato bildeten sie mehr als 10% der Wahlberechtigten)12 oder war sogar bestimmend: der Historiker Ermanno Loevinson – der später in der Deportation den Tod fand – hat beispielsweise auf die Bedeutung der Stimmabgabe der „Ghettobewohner“ für die Wiederwahl von Camillo Cavour im Wahlkreis Turin I im Dezember 1853 hingewiesen13. Diese Verhaltensweisen, die als „avantgardistisch“ für die Bewegung des Risorgimento und als „Vorläufer“ im demographischen Bereich bezeichnet worden sind14, konvergieren wohl in der Interpretation, die für die Geschehnisse in Guastalla vorgeschlagen worden ist: die Juden hätten dort eine „nationale Berufung“ an den Tag gelegt, die Ausdruck einer „nationalen Gesinnung“ sei, welche sich bei ihnen „rascher als beim Rest der padanischen Bevölkerung“ gebildet habe15. Die Juden Italiens wurden somit parallel zum Rest der Bevölkerung, jedoch im Durchschnitt rascher zu Italienern. Auch aus diesem Grunde spielten sie im Prozess der politischen und gesellschaftlichen Herausbildung der Nation zumindest in deren erstem Lebensabschnitt eine wichtige Rolle – eine Rolle, die größer war, als es ihrer numerischen Größe entsprochen hätte. Natürlich stand diese Geschwindigkeit in enger Verbindung mit der Tatsache, dass bereits im Verlauf des Risorgimento und mehr noch nach der laizistischen Einigung Italiens sich den Juden „die Perspektive“ bot, „sich mit einem Bündel von Werten zu identifizieren, welche im höchsten Maße die Bedeutung der Moderne ohne ersichtliche Gegenleistung betonten“16. Und diese Perspektive 11 12
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S. P. Pombeni, La rappresentanza politica, in: R. Romanelli (Hrsg.), Storia dello Stato italiano dall’Unità a oggi. Rom (Donzelli) 1995, S. 75. R. Viale, La Comunità ebraica a Casale fra integrazione ed emigrazione (1870–1930), in: S. Gallo / R. Viale, Ebrei di Casale, una storia importante. Casale Monferrato (Città di Casale Monferrato) 2000, S. 105 (Die Juden machten drei Prozent der gesamten städtischen Bevölkerung aus). E. Loevinson, Camillo Cavour e gli Israeliti, in: Nuova antologia Nr. 927 (1. August 1910), S. 463. Zum Tod Loevisons in der Deportation und zu weiteren im Folgenden erwähnten Deportierten s. L. Picciotto, Il libro della memoria. Gli Ebrei deportati dall’Italia (1943–1945). Ricerca della Fondazione Centro di Documentazione Ebraica Contemporanea. Mailand (Mursia). 3. Aufl. 2002, ad nomen. S. Della Pergola, Precursori, a.a.O. M. Fincardi, L’estinzione, a.a.O., S. 11. F. Sofia, Su assimilazione e autocoscienza ebraica nell’Italia liberale, in: Italia Judaica. Gli ebrei nell’Italia unita, a.a.O., S. 38.
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war dadurch möglich geworden, dass Italien – wie Eugenio Artom in den Jahren der Verfolgung der Rechte der Juden anmerkte – „die einzige europäische Nation war [...], welche ihre Einigung im Kampf gegen die eigene Religion erreicht und den Sieg ohne irgend eine religiöse Unterdrückung zu erlangen verstanden hatte“17. Zu erwähnen ist ferner, dass der Prozess der Italianisierung sich, wenn auch in weniger allgemeinem Maß und mit besonderer Chronologie und mit besonderen Eigenschaften, auch in der jüdischen Gemeinde von Triest bemerkbar machte18, welche zur Zeit der Vereinigung der Stadt mit der Halbinsel im Jahre 1918 vielleicht die zweitgrößte des Königreichs Italien war. Der Entwicklung der Teilhabe am gesellschaftlichen und politischen Leben des Landes korrespondierten eine Veränderung und eine Verringerung der Teilnahme am jüdischen Religionsleben. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, zu einer Zeit also, als die Veränderung, die sich im 19. Jahrhundert vollzogen hatte, eine feste Tatsache bildete, brachten die Antworten verschiedener Gemeinden auf einen Fragebogen des neu gegründeten Komitees der italienischen israelitischen Gemeinden über die Teilnahme am religiösen Leben ans Licht, dass, wie einer der Auswerter schrieb, „es zwar nicht am jüdischen Empfinden fehlt, die rituelle Observanz und die Teilnahme an Gottesdiensten jedoch ziemlich vernachlässigt werden“19. Genauer gesagt, bezog sich das „jüdische Empfinden“, da alle Antworten eine nur spärliche Beachtung der jüdischen Speisegebote und eine substantielle Beachtung der Beschneidung deutlich machten20, mehr auf die Sphäre der Identität als auf den Bereich des Gemeinschaftslebens. Dieser Prozess der Säkularisierung geschah ohne ersichtliche Einflüsse der Reformbewegung, welche sich im 19. Jahrhundert im deutschen Judentum vollzogen hatte. Tatsächlich war das Rabbinat der Halbinsel meistens dazu auf Abstand gegangen; und die Änderungen am Ritual, die sich gerade in der Mitte 17 18
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E. Artom, Per una storia degli Ebrei nel Risorgimento, in: Rassegna storica Toscana XXIV, Nr. 1 (Januar–Juni 1978), S. 144 (zum Datum der Abfassung vgl. ebd., S. 137). A. Ara, Gli ebrei di Trieste tra emancipazione e problema nazionale, in: F. Sofia / M. Toscano (Hrsg.), Stato nazionale ed emancipazione ebraica. Rom (Bonacci) 1992, S. 41–55; T. Catalan, La Comunità Ebraica di Trieste (1781–1914). Politica, società e cultura. Triest (Lint) 2000; Ders., Una scelta difficile: gli ebrei triestini fra identità ebraica e identità nazionale (1848–1914), in: Annali dell’Istituto storico italo-germanico in Trento XXIII (1997), S. 335–57. M. Toscano, Ebraismo e antisemitismo in Italia. Dal 1848 alla guerra dei sei giorni. Mailand (Franco Angeli) 2003, S. 142 (Antwort der Gemeinde Mantua). Ebd.
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des Jahrhunderts ausbreiteten (wie die Einführung von Orgeln und Chorgesang in der Synagoge) scheinen eher eine Art von Modernisierung bzw. von Anpassung an die umgebende Gesellschaft als wirklich reformistische Akte gewesen zu sein21. Der Umfang, den diese Neuerungen erreichten, wird recht anschaulich anhand der restaurativen Bestrebungen, welche in den ersten Jahrzehnten des folgenden Jahrhunderts aufkamen und im – in anderen Hinsichten schicksalhaften – Jahre 1938 von dem Mitteilungsblatt der Union der israelitischen Gemeinden Italiens folgendermaßen zusammengefasst wurden: Der Rabbinische Rat hat in einer seiner letzten Sitzungen neben anderen Entscheidungen diese getroffen, dass er den Rabbinern und den Gemeinden empfiehlt, in den Tempeln, in denen es zur Zeit noch keine Orgeln gibt, und in den neu zu errichtenden Synagogen keine Orgeln einzuführen, und dass, dort, wo sie bereits existieren, Überzeugungsarbeit für ihre Beseitigung geleistet wird, auf jeden Fall aber vermieden werden soll, sie in den Gottesdiensten der zehn Bußtage und in den drei Wochen vom 17. Tamuz bis zum 9. Av, in den Tagen des Rosch Haschana und des Jom Kippur zu spielen, und dass sie an den Sabbath-Tagen nicht von Israeliten gespielt wird. Außerdem hat er die Auffassung geäußert, dass der Chor in den Gemeinden nur aus Männerstimmen bestehen soll22.
In Italien kam es nicht zu einer ideologischen und organisatorischen Spaltung zwischen Reformierten und Orthodoxen23. Die einzelnen Juden jedoch gingen im Verlauf des 19. Jahrhunderts dazu über, „ihr eigenes Judentum auf faktisch reformierte Weise oder doch jedenfalls fern von der Rechtgläubigkeit zu leben“ und die Bewahrung der letzteren den Rabbinern zu überlassen. Alle jedoch nahmen, ungeachtet tausender Unterschiede, an demselben Prozess teil, bemerkte doch 1937 der 27jährige Vittorio Foa, als er auf die „Erläuterungen“ der biblischen und jüdischen Geschichte zu sprechen kam, die ihm in der Kindheit vom Großrabbiner von Turin Giacomo Bolaffio und seinem Großvater Giuseppe Foa, dessen Vorgänger, zuteil geworden waren, , dass „der scheinbare Triumph des Positivismus und des wissenschaftlichen Denkens damals auch für die Juden die Verpflichtung hervorzubringen schien, die Tradition ‘wissenschaftlich’ zu interpretieren und alle Widersprüchlichkeiten zu tilgen“24. 21
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G. Luzzatto Voghera, Il prezzo dell’eguaglianza. Il dibattito sull’emancipazione degli ebrei in Italia (1781–1848). Mailand (Angeli) 1998, S. 179–85; B. Di Porto, „Il Vessillo Israelitico“. Un vessillo ai venti di un’epoca tra Otto e Novecento, in: Materia giudaica, Nr. VII/2 (2002), S. 351–53; T. Catalan, La Comunità Ebraica, a.a.O., S. 117–19. Unione delle comunità israelitiche italiane, Notiziario per le comunità israelitiche del Regno, di Rodi e dell’Africa italiana, Nr. 9 (Juli 1938), S. 3. G. Luzzatto Voghera, Il prezzo, a.a.O., S. 185. V. Foa, Lettere della giovinezza. Dal carcere 1935–1943. Turin (Einaudi) 1998, S. 239– 40.
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Erstes Kapitel
Es ist errechnet worden, dass die Juden Italiens zwischen 1800 und 1900, obwohl ihre Zahl von 34.000 auf 43.000 anstieg, von 10% auf 4% der jüdischen Bevölkerung Westeuropas zurückfielen – und dies, obwohl die letztere von 13% auf 11% der jüdischen Weltbevölkerung zurückfiel25. Dem bescheidenen zahlenmäßigen Wachstum und vor allem der deutlichen prozentualen Verminderung lag zum einen die bereits erwähnte niedrige natürliche demographische Wachstumsrate und andererseits die „äußerst marginale“26 Rolle Italiens im Hinblick auf die breiten jüdischen Migrationsbewegungen des späten 19. Jahrhunderts zugrunde. Sowohl der geringe Umfang des nach Italien gerichteten Flusses (welcher der Halbinsel von 1871 bis 1900 einen Migrationssaldo von geschätzten 4.000 Personen einbrachte)27 als auch die Tatsache, dass die Mehrheit davon nicht aus Osteuropa, sondern aus dem östlichen und südlichen Mittelmeerraum stammte, also nicht aus konkurrierenden Nationen, sondern aus dem schon bestehenden oder potenziellen italienischen Einflussbereich, trugen dazu bei, die nationale Akzeptanz der italienischen Juden zu vergrößern und verminderten zugleich die Vorwände für antijüdische Agitation gegen „fremde“ oder „vaterlandslose“ Juden. Andererseits änderte und verschärfte zur selben Zeit – auch infolge der Vereinigung Roms mit dem Königreich Italien und der endgültigen Emanzipation der Juden des untergegangenen Kirchenstaates – der Heilige Stuhl das Urteil über die Rolle, die den Juden im Zusammenhang mit der Revolution zugeschrieben wurde, welche die christliche Gesellschaft seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert fortdauernd veränderte. Wie bemerkt worden ist, stellte sie diese vor allem seit den 70er Jahren nicht nur als bloße „Begünstigte“ oder „Verbündete“ dieses komplexen Vorgangs hin, sondern als dessen „Förderer“ bzw. Hauptverantwortliche und faktische Nutznießer hin28. Diese Revision war unter anderem auch eine Reaktion auf die Entstehung und auf das rasche Erstarken der Alliance israélite universelle, der Solidaritäts- und Unterstützungs-Vereinigung, die 1860 auch auf der Welle der Proteste gegen den Raub des jüdischen Knaben Edgardo Mortara durch die Behörden des 25 26 27 28
S. Della Pergola, Precursori, a.a.O., S. 52. Ebd., S. 54. Ebd. G. Miccoli, Santa Sede, questione ebraica e antisemitismo fra Otto e Novecento, in: C. Vivanti (Hrsg.), Gli ebrei, a.a.O., Bd. II, S. 1394–401. Zur judenfeindlichen Polemik und Aktion der katholischen Hierarchie und einiger Publizisten in einer italienischen Stadt in jener Zeit s. F. Piazza, L’antisemitismo tra Otto e Novecento nel Trevigiano. Treviso (Istituto per la storia della Resistenza e della società contemporanea della Marca trevigiana) 1996.
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damals noch päpstlichen Bologna gegründet worden war und die erste internationale (bzw. programmatisch universale) von Juden gegründete Organisation war und sogleich einen gewissen Einfluss auf die Regierungen und die öffentlichen Meinungen des liberalen Europa ausübte. Diese Eigenschaften lösten im antijüdischen christlichen Europa Empfindungen tiefer Irritation hervor, so dass die Alliance ziemlich bald – und zumindest bis zum ersten Zionistischen Kongress im Jahre 1897 – als der organisatorische Ort der angeblichen „jüdischen Welteroberung“29 bezeichnet wurde. (Ähnliche Reaktionen zeigten sich im antijüdischen Vorstellungsbild Europas abermals z.B. anlässlich des Treffens eines World Jewish Congress / Congrès Juif Mondial im Jahre 1936 und seiner Umwandlung in eine echte ständige Organisation im darauf folgenden Jahr). Der neue politische Antijudaismus in der Katholischen Kirche unterschied sich von dem vorher bestehenden religiösen bzw. theologischen und bildete vielleicht im Italien des ausgehenden 19. Jahrhunderts den Hauptbezugspunkt auch für andere feindliche oder ablehnende Richtungen und Tendenzen – dies wohl auch, weil die herrschende bürgerliche Schicht der Nation oft über lange Zeit hinweg die ursprüngliche „anti-antijüdische“ Prägung beibehielt. Die zuletzt genannte Einstellung wurde im neuen Jahrhundert offiziell vom Ministerpräsidenten Giovanni Giolitti in einer Botschaft an den Herausgeber der Zeitschrift Il vessillo israelitico während des italienisch-türkischen Krieges 1911/12 bekräftigt. Am 14. Juli 1912 hatte dieser im Gefolge eines Vorfalls, der sich unmittelbar nach der italienischen Besetzung von Rhodos zwischen dem örtlichen Großrabbiner und dem Chef der neuen Militärregierung ereignet hatte, den Staatsmann gebeten, den „Israeliten der neuen italienischen Provinzen“ (auch Libyen war im vorhergehenden Herbst erobert worden, und auch dort hatten sich Missverständnisse und Spannungen zugetragen) die italienischen Absichten von „vollkommener Gleichheit“ zwischen den verschiedenen Glaubensbekenntnissen zu bestätigen. Giolittis Antwort war eben so rasch (sie wurde am 17. Juli geschrieben) wie eindeutig: 29
A. Chouraqui, Cent ans d’histoire. L’Alliance Israélite Universelle et la renaissance juive contemporaine (1860–1960). Paris (Puf) 1965, S. 132, 137; N. Cohn, Warrant for genocide. The Myth of the Jewish World-conspiracy and the Protocols of the Elders of Zion. London (Eyre and Spottiswoode) 1967 [it. Übers.: Licenza per un genocidio. I „Protocolli degli Anziani di Sion“: storia di un falso. Turin (Einaudi) 1969, S. 32–36, 44–46]; G. Mosse, Il razzismo in Europa dalle origini all’olocausto. Rom, Bari (Laterza) 1980, S. 130–32. Zu einem Hinweis auf die „Tentakeln“ der Allianz in einem Roman des beginnenden 20. Jahrhundert von einem italienischen Priester s. R. Bonavita, Grammatica e storia di un’alterità. Stereotipi antiebraici cristiani nella narrativa italiana 1827–1938, in: C. Brice / G. Miccoli (Hrsg.), Les racines chrétiennes de l’antisémitisme politique (fin XIXe–XXe siècle). Rom (Ecole française de Rome) 2003, S. 105.
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Erstes Kapitel Ich kann mich nur auf die Grundsätze beziehen, die, vom liberalen Piemont ausgehend, die Verfassung des Königreichs Italien geleitet haben, auf den Geist der Gleichheit und des tief greifenden Respekts vor allen Religionen, an der sich seit mehr als 50 Jahren die Arbeit unserer Gesetzgebung und Regierung stets ausgerichtet hat, auf die Behandlung, die wir gegenüber den nichtkatholischen Untertanen der Kolonie Eritrea und Somalia anzuwenden pflegen, und schließlich auf das Zeugnis aller italienischen Israeliten, von denen viele verdientermaßen in hohe Ämter gelangt sind und denen das Vertrauen der öffentlichen Gewalten gilt30.
Und die durch den Politiker beschriebene hierarchische Verkettung – allgemeine Grundsätze, eine diesen gemäße Tätigkeit in Gesetzgebung und Regierung, positive Auswirkungen dessen auf die gleichgestellten Bürger – bildete selbst einen Grundsatz oder doch wenigstens einen Wert (auch er sollte mit dem Aufstieg des Faschismus untergehen).
2. Nation, Religion und Politik am Vorabend des Faschismus In den ersten zwanzig Jahren des 20. Jahrhunderts erreichte die Präsenz von Juden in den höchsten politischen Positionen der italienischen Gesellschaft eine zahlenmäßige Größe und eine qualitative Bedeutung, die wahrhaft beachtlich waren, und betraf auch höchst delikate und eifersüchtig gehütete nationale Stellungen – wie diejenige des Ministerpräsidenten (Luigi Luzzatti, März 1910 bis März 1911), des Kriegsministers (Giuseppe Ottolenghi, Mai 1902 bis November 1903), des Justiz- und Kultusministers – der für alle Kulte zuständig war – (Lodovico Mortara, Juni 1919 bis Mai 1920) sowie die eben so wichtigen Positionen des Bürgermeisters von Rom (Ernesto Nathan, November 1907 bis November 1913), des juristischen Hauslehrers des 17jährigen Kronprinzen Umberto von Savoyen (Vittorio Polacco, 1921). Erwähnenswert ist auch, dass Nathan in den Jahren 1896 bis 1904 und 1917 bis 1919 Großmeister der Freimaurer vom Palazzo Giustiniani war31, und dass Giuseppe Emanuele Modigliani und Claudio 30
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U. Nahon, Una lettera di Giolitti del 1912 sugli „israeliti delle nuove provincie italiane“ in: RMI XXXVIII, Nr. 9 (September 1972), S. 430–37. Vgl. auch E. Fintz Menascè, Gli ebrei a Rodi. Storia di un’antica comunità annientata dai nazisti. Mailand (Guerini e Associati) 1992, S. 207–210; R. De Felice, Ebrei in un paese arabo. Gli ebrei nella Libia contemporanea tra colonialismo, nazionalismo arabo e sionismo (1835–1970). Bologna (Il Mulino) 1978, S. 47–54. Untersuchung der Politik gegenüber den Nichtkatholiken in den afrikanischen Kolonien b. C. Marongiu Bonaiuti, Politica e religioni nel colonialismo italiano (1882–1941). Mailand (Giuffrè) 1982, S. 12–22, 90–102; vgl. auch N. Buonasorte, La politica religiosa italiana in Africa Orientale dopo la conquista (1936–1941), in: Studi piacentini, Nr. 17 (1995), S. 53–60. Als ersten Hinweis auf das Vorhandensein von Juden in der Freimaurerei s. A. M. Canepa, Cattolici ed ebrei nell’Italia liberale (1870–1915), in: Comunità XXXII, Nr. 179 (April 1978), S. 90–91; E. Capuzzo, Gli ebrei italiani dal Risorgimento alla scelta sionista. Florenz (Le Monnier) 2004, S. 95. Zur Periode des Risorgimento
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Treves zwei der bedeutendsten Vertreter des Sozialismus in ihrer Zeit waren32. Um einen anderen Tätigkeitsbereich zu bezeichnen und um das familiäre Umfeld zu beleuchten, von dem noch die Rede sein wird, sei noch erwähnt, dass die beiden zuletzt Genannten Bruder des Malers Amedeo Modigliani bzw. Onkel des jüngeren Malers und Schriftstellers Carlo Levi waren. Frauen konnten am institutionellen Leben des Landes nicht teilhaben; doch kam es nicht selten vor, dass einzelne jüdische Frauen mit der Erfindung und Umsetzung von Erziehungsprojekten befasst waren, wie z.B. Aurelia Josz (die später in der Deportation ums Leben kam) und Emma Modena, von denen zu Beginn des Jahrhunderts die eine in Mailand die erste Landwirtschaftsschule für Frauen in Italien, die andere eine Zeitschrift für Frauen- und Kindergesundheitspflege gründete33. In der Zeit, in der Luzzatti und Giolitti Ministerpräsidenten waren, waren die italienischen Juden in eine komplexe Phase der Neudefinition und Entwicklung ihrer jüdischen und italienischen Identität eingetreten. Am Ende des 19. Jahrhunderts lebt der Jude meistens, wie Eugenio Artom bemerkt hat, sein eigenes Arbeitsleben und Gedankenleben ausschließlich, uti singulus, im Rahmen der Nation und nicht als Mitglied der jüdischen Gemeinde, denn er folgt in Politik, in Kunst und in Philosophie jenen Parteien und Schulen, die seinen eigenen persönlichen Neigungen am besten entsprechen“, während andere sogar „sich weigern, der Religion ihrer Väter anzugehören, und aus der Gemeinde aus34 treten und den Laizismus ihres Denkens und ihres Lebens proklamieren .
Wenn aber an den jüdischen Gemeinden, die in der Zwischenzeit immer mehr zu bloßen Kultusgemeinden geworden waren, nur die Juden des ersteren Typs teilnahmen, so bildeten doch die einen wie die anderen häufig auch weiterhin einen familiären Zusammenhang, denn sie sind viel zu stolz auf sich selbst, um ihre Vergangenheit zu leugnen, wenngleich sie nicht mehr die alten Riten befolgen; sie sind untereinander durch
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vgl. ebd., S. 1–50; Ders., Gli ebrei nella società italiana. Comunità e istituzioni tra Ottocento e Novecento. Rom (Carocci) 1999, S. 83, Fußn 7. Im Sommer 1917 schloss Claudio Treves eine Rede vor dem Parlament mit den Worten: „Nächsten Winter nicht mehr im Schützengraben“ (A. Casali, Socialismo e internazionalismo nella storia d’Italia. Claudio Treves 1869–1933. Neapel (Guida) 1985, S. 88). Dieser Spruch war eine Anspielung auf den jüdischen Ostergruß „Nächstes Jahr in Jerusalem“. S. P. D’Annunzio, Aurelia Josz (1869–1944): un’opera di pionierato a favore dell’istruzione agraria femminile, in: Storia in Lombardia XIX (1999), Nr. 2, S. 61–96; A. P. Jeraci, Emma Modena medico socialista. Vita privata e attività professionale (1875– 1953), ebd., Nr. 3, S. 57–86. E. Artom, Per una storia, a.a.O., S. 141.
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Erstes Kapitel Bande der Verwandtschaft, der Nachbarschaft, der Freundschaft verbunden die viel zu fest sind, um nicht dauerhaft zu sein, wenngleich die neuen Bedingungen das Leben in einer weiteren Umwelt und die Vervielfachung der Mischehen ermöglichen und begünstigen; vor allem aber haben sie ein Erbe an Traditionen, an Idealen, an moralischen Vorschriften mitbekommen, das viel zu reich ist, als dass jemand, der es als Kind empfangen hat, es jemals ganz aufgeben könnte35.
Im neuen Jahrhundert erwies dieses einheitliche Gewebe sich als immer weniger in der Lage, die zwar minoritären, doch wachsenden entjudaisierenden Vorgänge einzudämmen: „Ich war“, erinnerte sich ein Betroffener, „in der Vorstellung aufgezogen worden, dass die Religion, welche auch immer, nicht nur mit einem wirklich rationalen Denken nicht zu vereinbaren sei, sondern für ein ordentliches bürgerliches Leben auch gar nicht nötig sei“36. Zugleich aber begünstigte gerade das Bestehen des besagten Gewebes die Konkretisierung von neuen Erfahrungen einer Entwicklung moderner jüdischer Identitäten, die ihren Ursprung in den Jahren unmittelbar vor Beginn des italienisch-türkischen Krieges hatten und von kleinen Gruppen von meist jungen Intellektuellen angeführt wurden, unter denen bereits Persönlichkeiten wie Alfonso Pacifici und Dante Lattes hervorzustechen begannen. Diese neuen jüdischen Identitäten waren jeweils als nationale, als religiöse oder als „integrale“ gekennzeichnet und standen mitunter in einem Näheverhältnis zur vielgestaltigen zionistischen Gärung (genauer gesagt zu derjenigen, die sich politisches oder nationales oder kulturelles Projekt kennzeichnete), mitunter waren sie auch Teil von ihr. Bei verschiedenen Gelegenheiten entsprangen daraus konkrete Initiativen zugunsten der jüdischen Kultur und zur Unterstützung einer größeren Bedeutung des Rabbinertums im Leben der Gemeinden37. Im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts sahen sich sowohl jene Juden, die den Weg der Säkularisierung eingeschlagen hatten, als auch jene, die durch die neuen Erfahrungen geprägt waren, mit dem weiteren Heranreifen der nationalistischen Ideen im italienischen und im jüdischen Bereich und mit den allgemeineren politischen und kriegerischen Ereignissen in Italien und in Europa 35 36 37
Ebd., S. 142 G. Enriques, Via d’Azeglio 57. Bearbeitet von L. Viezzi. Bologna (Zanichelli) 1983, S. 20. Vgl. M. Toscano, Ebraismo e antisemitismo, a.a.O., S. 69–109; D. Bidussa / A. Luzzatto / G. Luzzatto Voghera, Oltre il ghetto. Momenti e figure della cultura ebraica in Italia tra l’Unità e il fascismo. Brescia (Morcelliana) 1992; D. Bidussa, Il sionismo in Italia nel primo quarto del Novecento. Una „rivolta“ culturale?, in: Bailamme, Nr. 5–6 (Dezember 1989), S. 168–244, und ebd., Nr. 7 (Juni 1990), S. 95–172. Vgl. auch M. Miniati, Tra emancipazione ebraica ed emancipazione femminile: il dibattito della stampa ebraica dall’Unità alla grande guerra, in: Storia contemporanea XX, Nr. 1 (Februar 1989), S. 71–76.
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und im Mittelmeerbereich konfrontiert. Die volle geistige und materielle Teilhabe zahlreicher europäischer Juden an dem – nationalen und nationalistischen – Engagement der einzelnen Staaten im Krieg 1914–18 (im italienischen Heer kämpften mindestens 3.727 Juden, darunter 2.387 Offiziere, mit mindestens 397 Gefallenen und 539 Dekorierten)38; die öffentliche und spektakuläre Anerkennung des Bestehens eines regelrechten „jüdischen Volkes“ (Jewish people) mit dem Recht auf Errichtung einer „nationalen Heimstätte“ (national home) in Palästina, wie sie von Großbritannien im November 1917 erfolgte [sechs Monate später sprach sich auch Italien offiziell zugunsten eines „nationalen jüdischen Zentrums“ (centro nazionale ebraico) aus 39]; die neue bedeutende Stellung, welche sich für den italienischen Staat im Hinblick auf die Juden des mittleren und östlichen Mittelmeers in Folge des italienischtürkischen Krieges und des nachfolgenden Weltkrieges ergeben hatte (zum historischen Kern der Juden des Königreiches, zu dem bereits jüdische Gruppen von Tunesien bis Ägypten und bis zu den Küsten der nördlichen Ägäis hinzugekommen waren, schlossen sich im Verlauf eines Jahrzehnts noch die jüdischen Bevölkerungen von Triest und Fiume – welche die Zahl der Juden innerhalb der Grenzen des Königsreichs auf insgesamt 44–45.000 ansteigen ließen – sowie die libyschen und rhodiotischen an, welche 20.000 bzw. 4.500 Personen ausmachten)40; diese Vorgänge bildeten für die Juden Italiens moderne und konkrete Anstöße zur Neubestimmung ihrer jüdischen, italienischen und jüdisch-italienischen Zugehörigkeit. 38
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P. Briganti, Il contributo militare degli ebrei italiani alla grande guerra (1915–1918), in: Clio XLI, Nr. 4 (Oktober–Dezember 2005), S. 675–76, 685–86, 691 (Der Verf. ist der Auffassung, dass seine Forschungsergebnisse, obwohl minutiös erhoben, noch unvollständig seien). Vgl. auch M. Toscano, Ebraismo e antisemitismo, a.a.O., S. 110, 123–54; Ders., Religione, patriottismo, sionismo: il rabbinato militare nell’Italia della grande guerra (1915–1918), in Zakhor VII (2005), S. 77–133; E. Capuzzo, Gli ebrei nella società, a.a.O., S. 119–43. Anfang 1915 schrieb ein führender italienischer Zionist an einen seiner Kameraden, dass der Oberrabbiner von Florenz, Samuel Zevi Margulies, deutscher Herkunft, „über alles im Dunkeln bleiben muss“, und er fügte hinzu: „Wir wünschen weder jetzt noch in der Folgezeit Beziehungen zu diesem Ausländer“ (Angelo Sullam an Felice Ravenna, 22. März 1915, aufbewahrt in: Central Zionist Archives, Jerusalem, und zitiert b. T. Catalan, La Comunità Ebraica, a.a.O., S. 328 und Fußn. 112, S. 339). U. Nahon, Gli echi della Dichiarazione Balfour in Italia e la Dichiarazione Imperiali del maggio 1918, in: RMI XXXIV, Nr. 6 (Juni 1968), S. 334–50; S. Minerbi, L’Italie et la Palestine 1914–1920. Paris (Puf) 1970, S. 72–79. Für Italien s. das folgende Kapitel; für Libyen und Rhodos s. auch R. Bachi, Gli ebrei delle Colonie Italiane. Note Statistiche sul Censimento 1931, in: RMI X, Nr. 9–10 (Januar/Februar 1936), S. 385–96; S. Della Seta, Gli ebrei del Mediterraneo nella strategia politica fascista sino al 1938: il caso di Rodi, in: Storia contemporanea XVII, Nr. 6 (Dezember 1986), S. 997. Vgl. auch R. De Felice, Ebrei in un paese arabo, a.a.O., S. 97, 252.
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Erstes Kapitel
Es war daher kein Zufall, dass die beiden Zeitschriften, welche Ausdruck der vorhergehenden jüdischen Einstellungen gewesen waren (L’idea sionista und Il vessillo israelitico) – erstere als Wortführerin der Konzeption des Jahrhundertbeginns, die einen „philanthropischen“ Zionismus unterstütze, dem es allein darum ging, den entrechteten und einem unaufhörlichen Antisemitismus ausgesetzten Juden „zu Hilfe zu kommen“, die zweite eine solche des liberalen Patriotismus des 19. Jahrhunderts im emanzipierten piemontesischen Judentum – ihr Erscheinen 1911 und 1922, also am Anfang und am Ende dieses komplizierten Jahrzehnts, einstellten. Der 80jährige Luigi Luzzatti bekräftigte im Januar 1922 öffentlich die besondere Identität, die er bereits am Ende des vorhergehenden Jahrhunderts bekundet hatte und die gewissermaßen noch innerhalb des vielgestaltigen Bogens der Identität jüdischer Herkunft, den seine Generation entwickelt hatte, positioniert war: Der Schreiber dieser kurzen Mitteilung ist vor vielen Jahren aus der Kirche seiner Vorfahren ausgetreten, da ihm ein Gott ohne konkrete Formen genügte; er hat jedoch sein öffentliches Leben der Aufgabe geweiht, die religiöse Freiheit zu verteidigen, und wird jedes Mal wieder zum Juden, wenn ihm dies vorgeworfen wird, so, wie er zum Katholiken, Protestanten, Buddhisten wird, wenn diese Glaubensrichtungen verfolgt werden41.
Freilich hatten sich die Zeiten und damit auch die kursierenden Gedanken deutlich verändert. In jenen Jahren fanden sich „Judentum“ und „Nation“ auch in einen Prozess eingebunden, in dem die große Mehrheit der israelitischen „Universitates“ (wie damals die Gemeinden des Königsreichs vorwiegend bezeichnet wurden) zur Schaffung einer ersten nationalen Organisation gelangten. 1909 – mehr als vierzig Jahre nach ähnlichen Versammlungen in den Jahren 1863 und 1867 – trat ein neuer Kongress der jüdischen Gemeinden der Halbinsel zusammen, und auf dem Kongress von 1914 wurde dann beschlossen, eine Vereinigung (Consorzio) der jüdischen Universitäten bzw. Gemeinden Italiens zu gründen, 41
Zitiert b. A. Segre, Luigi Luzzatti tra ebraismo e sionismo, in: F. Del Canuto (Hrsg.) Israel „Un decennio“ 1974–1984. Numero unico dell’„Israel“. Saggi sull’Ebraismo italiano. Rom (Carucci) 1984, S. 313–14; vgl. auch G. Luzzatto Voghera, Cenni storici per una ricostruzione del dibattito sulla riforma religiosa nell’Italia ebraica, in: RMI LX, Nr. 1–2 (Januar–August 1993), S. 60. S. ferner M. Berengo, Luigi Luzzatti e la tradizione ebraica, in: P. L. Ballini / P. Pecorari (Hrsg.), Luigi Luzzatti e il suo tempo. Atti del convegno internazionale di studio (Venezia, 7–9 novembre 1991). Venedig (Istituto veneto di scienze, lettere e arti) 1994, S. 527, 540–41. Ihr ähnlich, aber überwiegend jüdisch, war die Identität des Zeitgenossen Alessandro D’Ancona; s. M. Moretti, La dimensione ebraica di un maestro pisano. Documenti su Alessandro D’Ancona, in: M. Luzzati (Hrsg.), Gli ebrei di Pisa (secoli ix–xx). Atti del Convegno internazionale (Pisa, 3–4 ottobre 1994). Pisa (Pacini) 1998, S. 274–81.
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welche unter der Leitung des Komitees der Gemeinden stehen sollte und auf der freiwilligen Zugehörigkeit nahezu sämtlicher jüdischer Einrichtungen des Königreichs sowie derjenigenvon Tripolis beruhte. Das Konsortium, durch Königliches Dekret vom 6. Mai 1920, Nr. 611, als juristische Person errichtet, hatte die Aufgabe, sich um jene Gemeinden zu kümmern, die aufgrund der Verstädterung des Judentums im End- oder Anfangsstadium ihrer Existenz standen, ferner um alles, was „für das Judentum von allgemeinem Interesse“ war42. Damit nahmen die führenden Personen des italienischen Judentums ein halbes Jahrhundert nach der Errichtung des Einheitsstaates die substantielle Gleichheit der jeweiligen lokalen Probleme konkret zur Kenntnis und traten mit einem Vaterland, das nunmehr zur Nation geworden war, in organisatorische Entsprechung. Unterdessen hatte das Außenministerium im Zusammenhang mit der expansionistischen Politik Italiens im Mittelmeerraum eine umfassende „jüdische“ Politik auf den Weg gebracht, zu der auch die Absicht gehörte, eine italianisierende Vereinigung der sephardischen Juden zu bilden, mit der den konkurrierenden deutschen, französischen und britischen Einflüssen entgegengetreten werden sollte. Diese Politik, die Zustimmung und Anregungen auch aus anderen jüdischen Kreisen im Mittelmeerraum erhielt (im Juli 1918 forderte der Vorsteher der Gemeinde von Alexandria in Ägypten die Regierung in Rom direkt auf, „alle Juden dieser blühenden sephardischen Gemeinden in Ägypten, in der Türkei und in Griechenland zu vereinigen“), geriet im Frühjahr/Sommer 1920 ins Stocken, hinterließ allerdings einige beachtliche Spuren im Außenministerium wie auch im italienischen Judentum43. Im Oktober 1918 hatte der 42 43
T. Catalan, L’organizzazione delle Comunità, a.a.O., S. 1272–86; sowie, zum Text des Kgl. Dekrets und des Statuts, Il vessillo israelitico LXVIII, Nr. 13–14 (15.–31. Juli 1920), S. 261–63. S. Minerbi, L’Italie, a.a.O.; Ders., L’azione diplomatica italiana nei confronti degli ebrei sefarditi durante e dopo la I guerra mondiale (1915–1929), in: RMI XLVII, Nr. 7– 12 (Juli–Dezember 1981), S. 86–119; Zit. auf S. 90. Zu Beginn des Jahres interessierte sich das Außenministerium für die Ernennung Dario Disegnis zum Großrabbiner von Bulgarien, und dieser wurde, bevor er sich an seinen Sitz begab, offiziell im Quirinalspalast vom König empfangen; G. Luzzatto Voghera, Dario Disegni: un rabbino „ottocentesco“ nell’Italia fascista, in: B. Gariglio / R. Marchis (Hrsg.), Cattolici, ebrei ed evangelici nella guerra. Vita religiosa e società 1939–1945. Mailand (Angeli) 1999, S. 96. Zur Ernennung von David Prato zum Hauptrabbiner von Alexandria in Ägypten wenige Jahre später s.u. S. 67. In einer Denkschrift vom März 1914 hatte ein jüdischer Vertreter die Notwendigkeit dargelegt, dass „diejenigen, welche an der Spitze der Außenpolitik Italiens stehen“, eine „judenfreundliche Politik“ in Italien und vor allem in den afrikanischen Kolonien („indem sie für die wirtschaftliche, moralische und intellektuelle Verbesserung [jener] Juden sorgen“) sowie im östlichen Mittelmeerraum („indem sie unter [jenen] Juden die Sprache und Kultur verbreiten“) betreiben sollten, so
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selbe Vorsteher der Regierung in Rom die Gründung einer ItalienischOrientalischen Bank (Banca Italo Orientale) vorgeschlagen, die von den größeren Kreditinstituten der Halbinsel unterstützt werden sollte und die Aufgabe haben sollte, eine bedeutsame Stellung in Ägypten und Palästina zu erlangen; doch auch dieses Vorhaben fand keine Verwirklichung44. Andererseits verschaffte gerade der italienische Expansionismus im Mittelmeerraum dem Antisemitismus neue Nahrung (und bewirkte damit Störungen neuer Art in jenem Wandlungsprozess, den die jüdischen Identitäten gerade damals erfuhren). Schon auf dem Höhepunkt des italienisch-türkischen Konflikts bemerkte Felice Ravenna, der damalige Vorsteher der Zionistischen Föderation Italiens (Federazione sionistica italiana), dass „in Italien die Juden im allgemeinen beschuldigt werden, den Krieg abzulehnen [... und] die Zionisten im Besonderen, Türkenfreundlichkeit zur Schau zu tragen“ (Er begründete übrigens die Aussetzung eines großen Teil der öffentlichen Tätigkeit der Zionistischen Föderation Italiens auch mit der Notwendigkeit, „alle Energien, alle Gedanken dort [einzusetzen] wo ein Krieg für die politische Größe Italiens geführt wird“)45.
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dass „die italienische Sprache, die italienische Kultur und die italienischen Handelswaren jene Position behalten, welche sie haben müssen und haben können“; A. Sullam, Gli ebrei d’Africa e del Levante e la politica coloniale ed estera dell’Italia. Memoriale presentato a S. E. L. Luzzatti nel Marzo 1914 dall’Avv. Angelo Sullam di Venezia. ASMAE, Carte Primo Levi, b. 42, fasc. 8 (mitgeteilt in: A. Gabellini, L’Italia e l’assetto della Palestina [1916–1924]. Florenz [SeSaMo] 2000, S. 52–53). R. Di Quirico, La banca e la razza. Riflessioni sulle conseguenze del varo delle leggi razziali sull’attività delle banche italiane all’estero, in: I. Pavan / G. Schwarz (Hrsg.), Gli ebrei in Italia tra persecuzione fascista e reintegrazione postbellica. Florenz (Giuntina) 2001, S. 62. ACDEC, Fondo Angelo Sullam, b. 3 (vorläufige Nummerierung): Rundschreiben der Federazione sionistica italiana Nr. 5 vom 31. März 1912, unterschrieben vom Vorsitzenden Felice Ravenna. Zum Antisemitismus im italienischen Nationalismus jener Jahre vgl. S. Caviglia, L’identità salvata. Gli ebrei di Roma tra fede e nazione. 1870–1938. Bari (Laterza) 1996, S. 139–51; T. Catalan, L’antisemitismo nazionalista italiano visto da un ebreo triestino. Carlo Morpurgo ed il „caso Coppola“, in: Qualestoria XXII, Nr. 1–2 (April–August 1994), S. 95–118; M. Toscano, Ebraismo e antisemitismo, a.a.O., S. 41–47. Im Frühjahr 1914 meldete Angelo Sullam sowohl auf dem II. Kongress der israelitischen Gemeinden als auch in einer Denkschrift für Luigi Luzzatti antisemitische Vorkommnisse seitens italienischer Behörden in Libyen; vgl. T. Catalan, L’organizzazione delle Comunità, a.a.O., S. 1281; A. Sullam, Gli ebrei d’Africa e del Levante, a.a.O. Zu Äußerungen von Judenfeindlichkeit in italienischen Militärkreisen während des I. Weltkrieges s. P. N. Di Girolamo, Dalla colonia alla fabbrica. La manodopera libica a Milano durante la prima guerra mondiale, in: Studi piacentini Nr. 17 (1995), S. 131–37. Ende 1911 berichtete eine jüdische Zeitung von „den Versuchen einer ultranationalistischen Presse, die unter uns den Antisemitismus anheizen möchte“ und erwiderte darauf, dass „die Bank weder eine Religion noch der Vertreter einer Ras-
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Im Übrigen fand der Antisemitismus eine weitere Nahrung, die sich von der zuvor genannten unterschied, aber eben so neu war, in den heftigen Unruhen der Nachkriegszeit. So behauptete ein Aufruf des italienischen Kommandanten der Stadt Fiume an die Kroaten aus dem Herbst 1919, dass der verabscheute Völkerbund „von internationalen jüdischen Banquiers als Maskierung ihrer Spekulationen gegen alle Völker der Welt erfunden“ worden sei. Hierzu ist zu bemerken, dass Gabriele D’Annunzio, das Haupt der politisch-militärischen Initiative für den Anschluss jener Stadt an Italien, einigen jüdischen Mitkämpfern gegenüber seine gänzliche Verurteilung des Antisemitismus und seine Nichtbeteiligung an der Abfassung der Proklamation bekundete, allerdings der an ihn gerichteten Aufforderung des Komitees der Gemeinden, öffentlich ein „Wort der Gerechtigkeit für den Namen Israels“ einzulegen, nicht nachkam (Wenige Tage später übrigens sprach sich die Mehrheit der Juden von Fiume – mit Ausnahme der kroatischen – für die Annexion der Stadt durch Italien aus)46. Israel, eine Wochenzeitschrift, die 1916 von Dante Lattes mit dem Ziel gegründet worden war, einen festen Bezugspunkt für die Bewegung jüdischer Erweckung zu schaffen, reagierte alarmiert auf diesen Vorgang. Unter anderem erhob sie Vorwürfe gegen die „jüdischen Soldaten, die unter dem Kommando von D’Annunzio stehen“, und vertrat die Auffassung, dass diese die Pflicht gegenüber allen Juden besäßen, von ihrem Anführer einen „ebenso öffentlichen und universellen [...] förmlichen Widerruf“ zu fordern und zu erreichen, „wie die Beschuldigung öffentlich gewesen ist“47. Dass diese Forderung nicht erfüllt wurde, macht deutlich, dass der Prozess der Säkularisierung und der Einbindung in die kulturellen, ideologischen und politischen Bewegungen der Zeit einige Juden bereits dahin geführt hatte, die Empfindlichkeit gegenüber dem Antisemitismus zu verlieren.
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se ist“ [G. Lattes, Non protestiamo, in: Il vessillo israelitico LIX Nr. 12 (Dezember 1911), S. 41]. Der Vorfall ist in verschiedenen Artikeln dokumentiert in: Israel IV Nr. 38–39 (20. Oktober 1919), 42 (13. November 1919), 43–44 (20. November 1919), sowie in: Il vessillo israelitico LXVII Nr. 19–20 (15.–31. Oktober 1919), S. 418–20, 422; Nr. 21– 22 (15.–30. November 1919), S. 476; Nr. 23–24 (15.–31. Dezember 1919), S. 523–24. Vgl. auch S. I. Minerbi, Un ebreo fra D’Annunzio e il sionismo: Raffaele Cantoni. Rom (Bonacci) 1992, S. 16; Il vessillo israelitico, LXVIII Nr. 9–10 (15.–31. Mai 1920), S. 205–6, 211. Bereits am Beginn des Jahrhunderts hatte Dante Lattes einen Artikel mit „D’Annunzio antisemita“ betitelt [Il corriere israelitico XXXIX Nr. 1 (30. Mai 1900), S. 10; Nr. 2 (30. Juni 1900), S. 35–37; Nr. 3 (30. Juli 1900), S. 51–52]. Vgl. auch M. Michaelis, Gli ebrei italiani sotto il regime fascista dalla marcia su Roma alla caduta del fascismo (1922–1945). I: Dall’affermarsi del fascismo alla legislazione razziale (’19 –’38). Teil I, in: RMI XXVIII Nr. 5 (Mai 1962), S. 216–17. Kommentar ohne Titel und Namensangabe in: Israel IV Nr. 42 (13. November 1919).
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Ebenso ist zu erwähnen, dass im Februar/März 1921 der Faschist Giovanni Preziosi die erste italienische Übersetzung der antisemitischen Schrift Die Protokolle der „Weisen von Zion“ veröffentlichte, von der 15.000 Exemplare gedruckt wurden (davon im Jahr 1921 mindestens 13.000)48. Fast gleichzeitig wurden die Protokolle (in einer weiteren Übersetzung) in Fortsetzungen in der integralistischen katholischen Zeitschrift Fede e ragione veröffentlicht (der gesamte Text wurde sodann in einem selbständigen Band herausgegeben)49.
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S. Nilus, L’internazionale ebraica. Protocolli dei „Savi Anziani di Sion“. Rom (La vita italiana) 1921 (Das antisemitische Büchlein enthielt eine Einleitung von Giovanni Preziosi sowie einen Anhang mit einigen Artikeln, die er in seiner Zeitschrift „La vita italiana“ veröffentlicht hatte). Zum Monat der Veröffentlichung s. La vita italiana IX, Nr. 98 (15. Februar 1921), S. 104. Die Angaben zur Auflagenhöhe stützen sich auf den Hinweis „13. Tausend“ auf dem Umschlag eines 1921 erschienenen Exemplars, das Mauro Raspanti entdeckt und mir freundlicher Weise zur Kenntnis gebracht hat; dazu, dass im Heft vom 15. Februar 1936 Preziosi behauptet, dass die Ausgabe von 1921 „stets erhältlich“ gewesen sei (S. 181), und dazu, dass die von Preziosi 1937 veröffentlichte Ausgabe mit dem Titel L’internazionale ebraica. I „Protocolli“ dei „Savi Anziani“ di Sion („Die jüdische Internationale. Die ‘Protokolle’ der ‘Weisen’ von Zion“) auf dem Umschlag den Hinweis „Neudruck 16.–25. Tausend“ enthielt. Zu allen italienischen Ausgaben der Protokolle s. Centro Furio Jesi (Hrsg.), La menzogna della razza. Documenti e immagini del razzismo e dell’antisemitismo fascista. Bologna (Grafis) 1994, S. 261–265, 380; sowie u. 4. Kap., Fußn. 69. S. auch C. G. De Michelis, Il manoscritto inesistente. I „Protocolli dei savi di Sion“: un apocrifo del xx secolo. Venedig (Marsilio) 1998, S. 162–64. Am 10. Mai 1921 kündigte die Società generale delle messaggerie italiane (die wichtigste italienische Auslieferungsfirma für Bücher und Periodika) den Vertrieb der Ausgaben von „La vita italiana“ mit der Begründung, dass die Zeitschrift „Artikel gegen die Israeliten“ publiziert habe, und „wegen des Bandes von Nilus“; vgl. La vita italiana IX Nr. 105 (15. September 1921), S. 256– 257. Es könnte sein, dass damit, genauer: mit der Nichtauslieferung des Pamphlets an die Buchhandlungen, zusammenhängt, dass im Mai 1922 die Rivista di Milano ihren Abbonenten die Protokolle als kostenlose Beilage ankündigte – Vgl. F. Germinario, Liberismo e antisemitismo. Aristide Raimondi e la „Rivista di Milano“ (1918– 1926), in: Il presente e la storia Nr. 63 (Juni 2003), S. 185 – und vielleicht auch die Entscheidung Preziosis, die Protokolle in La vita italiana, XII, Nr. 137 (15. Mai 1924), S. 345–421, neu zu publizieren. I Protocolli dei saggi Anziani di Sion, in: Fede e ragione II. Nuova serie Nrn. 13–26. (27. März–26. Juni 1921); ferner in dem Band: FER (Hrsg.), I documenti della conquista ebraica del mondo. Florenz, Rom (Fede e ragione) 1921. Zugeschrieben worden ist die Ausgabe sowohl dem Monsignore Umberto Benigni (E. Poulat, Catholicisme, démocratie et socialisme. Le mouvement catholique et Mgr. Benigni de la naissance du socialisme à la victoire du fascisme. Tournai (Casterman) 1977, S. 501; M. T. Pichetto, Alle radici dell’odio. Preziosi e Benigni antisemiti. Mailand (Angeli) 1983, S. 103, 117–118, 131), als auch Don Paolo De Töth, dem Herausgeber des Periodikums [G. Vannoni, Integralismo cattolico e fascismo: „Fede e Ragione“, in: F. Margiotta Broglio (Hrsg.), La Chiesa del Concordato. Anatomia di una diocesi. Firenze 1919– 1943. Bologna (Il Mulino) 1977, Bd. I, S. 453].
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Die Protokolle, die 1902/1903 in Russland verfasst worden waren50 und seit 1919 in den anderen europäischen Sprachen verbreitet wurden, bestehen im Wesentlichen aus (erfundenen) Protokollen einer (erfundenen) Versammlung von (nicht existenten) Führern des „Weltjudentums“ zum Zwecke der Verwirklichung (des Gespenstes) der „Weltherrschaft“; sie bildeten – und bilden bis heute – den wichtigsten Bezugstext für die antisemitischen Mythen einer jüdischen Internationale, einer jüdischen (Welt-) Verschwörung und eines jüdischen Machtwillens. Nachdem die Kriegsmobilmachung beendet war, trat das jüdische Leben auf der Halbinsel in eine Phase ein, die ebenso reich an neuen Diskussionen wie an neuen Spannungen war. So wurde das Komitee der Gemeinden mit den widersprüchlichen Problemen befasst, die in der gerade hinzu gekommenen Gemeinde von Triest sowie in der Gemeinde von Florenz entstanden waren, und zwar in Folge der Entscheidung des Verwaltungsrates der ersteren, ihren Tempel für ein öffentliches Orgelkonzert zur Verfügung zu stellen, und der Entscheidung des Verwaltungsrates der letzteren, Ausdruck einer „demokratischen“ und „nationaljüdischen“ Wählerliste, dem Großrabbiner die Rechte zu geben, ein Veto gegen praktisch sämtliche Beschlüsse des Rates einzulegen und an den wichtigsten Jahrestagen die Flagge mit den jüdischen Farben neben der italienischen zu hissen. Die Menschen, die im vorangegangenen Jahrzehnt ihre Energien noch der Gründung und dem ersten Leben des Konsortiums gewidmet hatten, sprachen sich im wesentlichen immer noch zugunsten des traditionellen mittleren Weges aus, der für das jüdische Leben der Halbinsel charakteristisch war: einerseits unterstützten sie die Opposition, die unter den Triester Orthodoxen entstanden war, und andererseits bemerkten sie gegenüber den Florentinern, dass die „volle und vollständige Unabhängigkeit“ der Rabbiner nur „alle Fragen der Liturgie und des Gottesdienstes“ betreffen dürfe51. Die Juden der beiden Städte stimmten hingegen bei der Einführung der Wählbarkeit von Frauen für die Gemeinderäte überein; Florenz hielt im Dezember 1911 ein Referendum über diese Frage ab, das von den Emanzipationsbefür50 51
C. G. De Michelis, Il manoscritto, a.a.O., S. 15–76. Zum Inhalt der Protokolle s. N. Zapponi, I sigilli sul frontespizio. Il mito dei „Protocolli dei savi anziani di Sion“, in: Prospettive settanta Nr. 1 (Januar–März 1984), S. 77–123. Il vessillo israelitico LXVIII, Nr. 9–10 (15.–31. Mai 1920), S. 203 f.; Nr. 11–12 (15.– 30. Juni 1920), S. 243; Israel V, Nr. 6 (12. Februar 1920), Beilage mit dem Titel Il comune ebraico („Die jüdische Gemeinde“); A. Astrologo / F. Del Canuto, Firenze 1920: storia del „Comune Ebraico“, in: RMI XLIV Nr. 1 (Januar 1978), S. 6–42; F. Del Canuto, Firenze 1920: il „Comune Ebraico“, in: ebd. XLVII Nr. 7–12 (Juli–Dezember 1981), S. 143–58.
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wortern gewonnen wurde, jedoch wegen der hohen Zahl der Wahl- und Stimmenthaltungen für ungültig erklärt wurde; der Triester Rat sprach sich im Oktober 1922 „einstimmig und ohne Diskussionen“ dafür aus52. Doch schon im März 1920 war Emma Cavalieri Padova zum Ratsmitglied der Gemeinde von Venedig gewählt worden. „Es ist das erste Mal, dass in die jüdischen Verwaltungsversammlungen Italiens eine Frau berufen worden ist“, schrieb Angelo Sullam53. Zehn Jahre später jedoch legte das Gesetz zur Vereinheitlichung der Ordnung in den jüdischen Gemeinden Italiens fest, dass nur „männliche Wähler“ in die Räte gewählt werden könnten54. Diese Diskussionen drehten sich auch um die Vorsteher der kleinen jüdischen Glaubensgemeinschaft Italiens. Nach einem stürmischen Kongress im Juni 1920 trafen sich die Vertreter der Gemeinden aufs Neue im März 1921 und bestimmten ein neues Komitee mit dem Präsidenten Angelo Sereni, der kein Zionist war und jenem Teil des alten Leitungskerns angehörte, der darauf bedacht war, sich der Realität anzupassen, und mit den Vizepräsidenten Felice Ravenna und Angelo Sullam, die beide auch zur Führung der Zionistischen Union Italiens gehörten und von denen der eine Befürworter eines tatkräftigen Zusammengehens zwischen der moderaten Linie Serenis und der Radikalität Pacificis, der andere dafür eintrat, das jüdische Leben und die zionistische Tätigkeit im Rahmen der italienischen Nationalität zu halten55. Ravenna selbst entschloss sich allerdings, zuerst im Mai 1921 und dann endgültig im Februar 1922, als Präsident der Zionistischen Föderation Italiens zurückzutreten, und zwar wegen der Unmöglichkeit, auch in jener Organisation (die sich aus Aktivisten und nicht – wie das Konsortium – aus Vertretern zusammensetzte) eine wirksame Vermittlung zwischen den italienischen und jüdischen nationalen Neigungen herzustellen56. Im Januar 1922 rief das Konsortium ein italienisches Komitee zur Unterstützung jüdischer Emigranten ins Leben, die erste moderne Organisation dieser 52 53 54 55 56
M. Miniati, Les „émancipées“, a.a.O., S. 257–258. S. Levis Sullam, Una Comunità immaginata. Gli ebrei a Venezia (1900–1938). Mailand (Unicopli) 2001, S. 76. Kgl. Dekret vom 30. Oktober 1930 Nr. 1731, „Norme sulle Comunità israelitiche e sulla Unione delle Comunità medesime“, Art. 9. Zu den Daten der Kongresse vgl. A. Segre, 1861–1961 I congressi delle Comunità israelitiche italiane. Rom (Unione delle Comunità israelitiche italiane) 1961, hektographiert, S. 20–25. L. Picchi, Dante Lattes nell’ebraismo e nel sionismo italiani: la prima fase 1876–1922 (Diplomarbeit an der Università degli Studi di Milano, ak. Jahr 1987–88), S. 184–228. Vgl. auch S. Della Seta, Dal primo dopoguerra alla guerra d’Etiopia. Teil I von S. Della Seta / D. Carpi, Il movimento sionistico, in: C. Vivanti (Hrsg.), Gli ebrei, a.a.O., Bd. II, S. 1329–1330.
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Art auf nationaler Ebene. Dieses besaß seine Hauptsitze, einen Verwaltungssitz und einen operativen Sitz, in Venedig und Triest und wurde Angelo Sullam als Präsidenten unterstellt. Die Entscheidung für Triest ergab sich aus dem intensiven Transit, der aus diesem Hafen stattfand (1920 hatten sich 2.577 Juden in Richtung Nord- und Südamerika und 4.081 Juden in Richtung Palästina eingeschifft), sowie aus dem Umstand, dass das dortige örtliche Judentum bereits eine wirksame und tatkräftige Unterstützungstätigkeit ins Werk gesetzt hatte; diese bildete im übrigen einen besonderen jüdischen Beitrag für den Wiederaufschwung des wirtschaftlichen Lebens der Stadt durch den Zustrom von weiteren Passagieren und die Entwicklung neuer Verbindungen mit dem östlichen Mittelmeer und mit Nord- und Mitteleuropa57. Außer am eigenen jüdischen Sonderleben nahmen die Juden Italiens in jenen Jahren mit vielleicht noch größerem Schwung am allgemeinen politischen Leben des Landes teil. Ihre sozialen Merkmale (hoher Bildungsgrad, ausschließlich städtischer Wohnsitz, durchgängige Zugehörigkeit zur Mittelschicht) und ihre traditionelle Neigung zum Eifer bei Veränderungen waren von einer Art, welche sie zu erhöhter Präsenz in verschiedenen politischen Bewegungen (außer natürlich in der neuen katholischen Partei) prädestinierte. Es gab sie auch in der im November 1921 gegründeten Nationalen Faschistischen Partei (PNF)58, die über viele Jahre hinweg nicht als antisemitisch hervortrat (obwohl sie seit ihren Anfängen „einen unverkennbar antisemitischen Flügel“ besaß)59. Für sie verfügen wir auch über einen zahlenmäßigen Bezugspunkt, der auf den Angaben der Juden in der Volkszählung vom 22. August 1938 beruht; unter den Juden italienischer Staatsangehörigkeit, die zu dieser Zeit auf der Halbinsel wohnten (also noch am Leben waren), befanden sich etwa 600, die bereits in der Zeit vor dem 28. Oktober 1922 (d.h. vor dem 57
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59
Comitato italiano di assistenza agli emigranti ebrei, Per gli emigranti ebrei. Venedig 1921, S. 9; Dass., Relazione al R. Commissariato Generale dell’Emigrazione. Trieste 1924, S. 6–7; T. Catalan, L’emigrazione ebraica in Palestina attraverso il porto di Trieste (1908–1938), in: Qualestoria XIX Nr. 2–3 (August–Dezember 1991), S. 57–107, insbes. S. 88. Vgl. auch M. Leone, Le organizzazioni di soccorso ebraiche in età fascista (1918–1945). Rom (Carucci) 1983, S. 31–63. Nach den Untersuchungen von Giorgio Fabre waren die Juden, die an der Versammlung vom 23. März 1919 teilgenommen haben, welche als Gründungsakt der faschistischen Bewegung gilt, sechs bis acht, von denen nicht mehr als drei mit Sicherheit Faschisten waren. Dies waren Salvatore Attal, Piero Jacchia, (der später auf Abstand ging, dazu noch u. S. 147) sowie (falls wirklich anwesend) Margherita Grassini Sarfatti [G. Fabre, Mussolini razzista. Dal socialismo al fascismo: la formazione di un antisemita. Mailand (Garzanti) 2005, S. 233–39]. Ebd., S. 471.
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„Marsch auf Rom“) beim PNF eingeschrieben waren60. Diese Zahl betrug 2,4 Promille der über 250.000 Mitglieder des PNF im Sommer 192261. Wahrscheinlich muss dieser Prozentsatz noch erhöht werden – vielleicht bis auf 3 Promille (d.h. auf das Dreifache dessen, was dem Anteil der Juden an der Gesamtbevölkerung entsprach) –, wenn man die in den 16 Jahren seither eingetretenen Todesfälle und die Verschiebung zwischen Zonen größerer jüdischer Einwohnerschaft und Zonen größerer Entwicklung des PNF berücksichtigt. Doch auch so scheint er nicht so sehr eine besondere Neigung der italienischen Juden zum Faschismus zu bezeugen als vielmehr, im Lichte ihrer besonders intensiven Teilnahme an den politischen Auseinandersetzungen, die besondere Art der jüdischen Italiener, sich wie die nichtjüdischen Italiener zu verhalten. Diesen Zahlenwerten korrespondiert keine entsprechende Präsenz einzelner Juden in den Führungszirkeln. Es gab praktisch keinen einzigen in der Spitze des PNF62 und nur ein einziges Mitglied in den Regierungen Mussolinis (Gui60
61 62
ACS, MI, DGDR (1938–43), b. 13, fasc. 43, Übersicht „Ebrei italiani classificati secondo la data di iscrizione al P.N.F“. Ich weise darauf hin, dass die Einschätzung „ca. 600“ das Ergebnis meiner eigenen Berechnung ist und genauer gesagt ca. 77,5% der in der Übersicht enthaltenen Zahl (761) ausmacht. Die Entscheidung, diese prozentuale Reduzierung vorzunehmen, resultiert daraus, dass – wie zu Beginn des nächsten Kapitels näher dargelegt werden wird – nahezu alle Teildaten der Zählung vom 22. August, die heute verfügbar sind, die Gesamtheit der Erfassten mit mindestens einem jüdischen oder ehemals jüdischen Elternteil betreffen, während diese Untersuchung nur die Gesamtheit der Personen betrifft, die effektiv Juden waren (und diese machten 79,9% der ersteren, und noch genauer 77,5% derjenigen mit italienischer Staatsbürgerschaft und 90,7% der Ausländer aus). E. Gentile, Storia del partito fascista. Bd. I. 1919–1922. Movimento e milizia, Rom, Bari (Laterza) 1989, S. 550. Der einzige, der in dieser Hinsicht mitunter erwähnt wird, Aldo Finzi, ein squadristischer Organisator und Unterstaatssekretär im Innenministerium von Oktober 1922 bis Juni 1924, kann in Wirklichkeit nicht als Jude angesehen werden, denn er war der Sohn aus einer Mischehe, bei der Geburt getauft und seit 1923 katholisch verheiratet (u.a. wurde er weder bei der rassistischen Zählung von 1938 noch bei seinem Ausschluss aus dem PNF und seiner Internierung 1942 wegen Defätismus als Jude klassifiziert, eben so wenig bei seiner Tötung in den Ardeatinischen Höhlen als Mitarbeiter der Resistenza). Zu Geburt, Taufe und Hochzeit vgl. Corte d’appello di Venezia. Decisione 30 aprile 1896. Auszug aus: Temi Veneta XXI, Nr. 23, o.J.; Brief von Angelo Fano in: Israel XLVII, Nr. 33 (7. Juni 1962); E. Rossi, Il manganello e l’aspersorio. Bari (Laterza) 1968 (Neuausgabe), S. 64; für die Zeit von 1938–1944 vgl. ACS, MI, DGPS, AGR, cat. A5G II g. m., fasc. 32, sfasc. Aldo Finzi; S. Carolini (Hrsg.), „Pericolosi nelle contingenze belliche“. Gli internati dal 1940 al 1943. Rom (Anppia) 1987, S. 138; S. Levi Cavaglione, Guerriglia nei Castelli romani. Rom (Einaudi) 1945, S. 144–145; A. Ascarelli, Le Fosse ardeatine. 3. Aufl. Rom (Anfim) 1984, S. 133; vgl. jetzt G. Fabre, Mussolini razzista, a.a.O., S. 50. Ivo Levi war von Mai 1922 bis in die ersten Monate des folgenden Jahres Sekretär der neugegründeten Federazione nazionale fascista universitaria
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do Jung, Finanzminister von Juli 1932 bis Januar 1935). Auch lässt sich feststellen, dass an der Tagung über faschistische Kultur, die am 29./30. März 1925 in Bologna abgehalten wurde, von 24 Referenten drei Juden waren (Gino Arias, Margherita Grassini-Sarfatti und Angelo Oliviero Olivetti) und unter den mehr als 250 Teilnehmern bzw. Anhängern sich fünf (außer den Vorgenannten noch Carlo Foà und Guido Jung) oder doch wenig mehr befanden63. Die ersten drei waren wahrscheinlich auch jene Juden, die am meisten an der Konstruktion der faschistischen Ideologie und Mythologie mitwirkten; indes lassen die späteren Konversionen von zwei von ihnen zum Katholizismus (Grassini Sarfatti 1928, Arias 1932; auch Jung und Foà ließen sich 1935 bzw. 1938 taufen)64 auf das Entstehen einer unauflösbaren Spannung zwischen diesem Engagement und der Beibehaltung einer jüdischen Identität (bzw. zwischen dem Engagement und der Nichtzugehörigkeit zur nationalen Mehrheitsreligion) schließen. Was die quantitative Einschätzung der engagierten jüdischen Intellektuellen und politischen Organisatoren auf der Gegenseite angeht, kann nur darauf hingewiesen werden, dass die jährlichen Verzeichnisse der Autoren der Jahre 1921 bis 1924 in der sozialistischen Zeitschrift Critica sociale und die Listen der Unterzeichner des am 1. Mai 1925 veröffentlichten antifaschistischen Manifests von Benedetto Croce zahlreiche Namen von Juden enthielten (etwa 10% der Gesamtzahl unter den letzteren und eine sehr viel höhere Prozentzahl in den ersteren). Unter den zahlreichen Namen verdienen Erwähnung diejenigen von Claudio Treves, Giuseppe Emanuele Modigliani, Fabio Luzzatto, Gustavo Sacerdote, Ugo Guido Mondolfo, Carlo Rosselli und Enrico Sereni für die Critica sociale, die von Giorgio Levi della Vida, Mario Falco, Ludovico Limentani, Vito Volterra, Riccardo Bachi, Giorgio Errera und Giuseppe
63 64
[L. La Rovere, Storia dei Guf. Organizzazione, politica e miti della gioventù universitaria fascista 1919–1943. Turin (Bollati Boringhieri) 2003, S. 48–59; G. Fabre, Mussolini razzista, a.a.O., S. 396–403]. E. R. Papa, Storia di due manifesti. Il fascismo e la cultura italiana. Mailand (Feltrinelli) 1958, S. 42–49. S. Marzorati, Margherita Sarfatti. Saggio biografico. Como (Nodo libri) 1990, S. 14, 86–89; Ph. V. Cannistraro / B. R. Sullivan, Margherita Sarfatti. L’altra donna del Duce. Mailand (Mondadori) 1993, S. 384; G. Fabre, Mussolini e gli ebrei alla salita al potere di Hitler, in: RMI Bd. LXIX Nr. 1 (Januar–April 2003; Sondernummer, hrsg. von Liliana Picciotto unter dem Titel „Saggi sull’ebraismo italiano del Novecento“), S. 209. Zu Gino Arias s. ACS, MI, DGPS, AGR, cat. G1, b. 80, fasc. 394, sfasc. 34, Comunità israelitica di Firenze, „Elenco delle dichiarazioni di abiura ricevute o notificate“. Angelo Oliviero Olivetti starb am 17. November 1931. Zu Foa und Jung s. A. Capristo, L’espulsione degli ebrei dalle accademie italiane. Turin (Zamorani) 2002, S. 253, 271.
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Levi für das Manifest Croces; und die von Alessandro Levi, Gino Luzzatto und Rodolfo Mondolfo für beide Namenslisten65. Nichts wissen wir hingegen über die quantitativen Dimensionen der Anhängerschaft von Juden zu den politischen Bewegungen marxistischer oder liberaler Richtung in jenen Jahren. Zwei Zeugen, Guido Lodovico Luzzatto und Pietro Treves, haben hierzu geschrieben: Fast alle jüdischen Freunde, junge wie alte, Politiker, Händler und Geschäftsleute, empfanden einen Widerwillen gegen die faschistischen Gewalttaten, gegen das Rizinusöl, gegen den Schlagstock, gegen die Unterdrückung der Freiheiten in dieser ersten Phase, bis zum Marsch auf Rom, und in den Monaten danach, und dann in 66 den Tagen Matteottis ; Die antifaschistischen Juden machten, verglichen mit den faschistischen und den philofaschistischen Juden, einen weit über dem „nationalen“ Durchschnitt liegen67 den Bruchteil aus .
Tatsächlich scheinen diese beiden Beurteilungen das besondere Umfeld zu beschreiben, dem die beiden Autoren angehörten; immerhin bezeugen sie, dass die intellektuellen Mitarbeiter der Critica oder Unterzeichner des CroceManifests keineswegs eine isolierte Splittergruppe im Bereich des italienischen Judentums bildeten. Wenn daher auch die weitere Bemerkung von Treves zweifelhaft erscheint (er meinte, die faschistischen Juden seien „proportional sehr viel weniger [...] als der ‘nationale’ Durchschnitt“)68, erscheint doch die Annahme berechtigt, dass in den Jahren um 1922 die antifaschistischen Positionen unter den Juden in beachtlichem Ausmaß verbreitet waren, jedenfalls einem größeren, als es sich nur aus der größeren Teilnahme der Juden am politischen Leben ergeben hätte. In aller Kürze lässt sich sagen, dass die italienischen Juden Faschisten wie die anderen Italiener, aber mehr Antifaschisten als die anderen Italiener waren. Auf der anderen Seite gab es auch viele Juden, die den Ereignissen jener Jahre zusahen, ohne eine genaue Stellung oder Ausrichtung erkennen zu lassen. Für einige bildete diese Haltung in Wirklichkeit eine Verpflichtung, da sie sich in erster Linie durch ihre Stellung als hohe Staatsbedienstete gebunden fühlten. Zwei von ihnen, der Vizepräfekt Dante Almansi und der Generalmajor Ema65 66 67 68
Zum Manifest Croces vgl. E. R. Papa, Storia, a.a.O., S. 92–102. G. L. Luzzatto, La partecipazione all’antifascismo in Italia e all’estero dal 1918 al 1938, in: G. Valabrega (Hrsg.), Gli Ebrei in Italia durante il fascismo. Mailand (Quaderni del Centro di documentazione ebraica contemporanea) 1962 Nr. 2, S. 35–36. P. Treves, Antifascisti ebrei o antifascismo ebraico?, in: RMI XLVII Nr. 1–6 (Januar– Juni 1981), S. 139. Ebd.
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nuele Pugliese, die zur Zeit des „Marsches auf Rom“ am 28. Oktober 1922 Ämter innehatten, zu denen institutionell die Verteidigung von Gesetzlichkeit und öffentlicher Ordnung gehörten (der erste war faktisch stellvertretender Oberbefehlshaber der Polizei, der zweite war verantwortlich für den militärischen Schutz der Hauptstadt), sahen sich zur Umsetzung der Entscheidung König Vittorio Emanueles III. verpflichtet, sich der faschistischen Kundgebung nicht entgegenzustellen69. Sowohl diese unterschiedlichen politischen Positionen der italienischen Juden am Vorabend des Faschismus als auch die Wandlungen, die sich in ihrem patriotischen Empfinden während des 19. Jahrhunderts vollzogen hatten, als auch schließlich die „Italianità“ ihres Handelns selbst sind durch die beiden folgenden blutigen Vorgänge bezeugt (von denen hier nur die jüdischen Teilnehmer Erwähnung finden sollen), die sich im Rahmen der faschistischen Gewaltmaßnahmen abspielten, welche dem „Marsch auf Rom“ vorangingen und diesen vorbereiteten. In Pisa lockte am 13. April 1921 eine Gruppe von faschistischen Schülerinnen, begleitet von Mary Rosselli Nissim (der Tochter von Pellegrino Rosselli und Janet Nathan, die Giuseppe Mazzini bis zu seinem Tode geschützt und unterstützt hatten), den 24jährigen Lehrer und sozialistischen Führer Carlo Cammeo aus der Schule, der daraufhin von weiteren Faschisten umringt und durch einen Pistolenschuss getötet wurde70. Am 26. September 1921 befehligte in Modena der Polizeikommissar Guido Cammeo, ein Monarchist und (nach einem zeitgenössischen Zeitungsbericht) Vetter den oben genannten Carlo und Sohn des Großrabbiners der israelitischen Gemeinde von Modena Giuseppe Cammeo, eine Abteilung der königlichen Garden, die einer faschistischen Kundgebung 69
70
Über Dante Almansi vgl. G. Tosatti, Il Ministero dell’interno, in: G. Melis (Hrsg.), L’amministrazione centrale dall’Unità alla Repubblica. Le strutture e i dirigenti II. Bologna (Il Mulino) 1992, ad nomen; M. Missori, Governi, alte cariche dello stato, alti magistrati e prefetti del regno d’Italia. Rom (Ministero per i Beni culturali e ambientali) 1989, ad nomen; G. Rossini (Hrsg.), Il delitto Matteotti tra il Viminale e l’Aventino. Bologna (Il Mulino) 1966, S. 534–35; R. Almansi, Mio padre, Dante Almansi, in: RMI XLII Nr. 5–6 (Mai/Juni 1976), S. 236. Über Emanuele Pugliese vgl. M. Michaelis, Il Generale Pugliese e la difesa di Roma, in: RMI XXVIII Nr. 6–7 (Juni/Juli 1962), S. 262–83. Im Zeitpunkt der Ermordung des sozialistischen Abgeordneten Giacomo Matteotti war Dante Almansi abermals – nach kurzer Versetzung – Vizechef der Polizei; doch Giuseppe Emanuele Modigliani, Advokat der Familienangehörigen des Getöteten, hat eine Verantwortung seinerseits für das Verbrechen ausgeschlossen; vgl. R. Cantoni, Dante Almansi, in: Israel XXXIV Nr. 14–15 (13. Januar 1949). B. Di Porto, 75 anni dal sacrificio di Carlo Cammeo, in: Il tempo e l’idea IV, Nr. 8 (zweite Hälfte April 1996), S. 39–44; vgl. auch C. Forti, Il caso Pardo Roques. Un eccidio del 1944 tra memoria e oblio. Turin (Einaudi) 1998, S. 88–89.
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gegenüber stand, an deren Spitze sich unter anderen der 24jährige Anführer der „Aktionskommandos“ (squadre d’azione) Duilio Sinigaglia befand. Nach einigen Momenten der Spannung (darunter der Versuch der Faschisten, die Wohnung des sozialistischen Abgeordneten Pio Donati zu verwüsten) mündete die Auseinandersetzung in der Forderung der Faschisten, die Ordnungskräfte sollten den Hut abnehmen, um die faschistische Fahne zu „ehren“. In den erregten Augenblicken, die darauf folgten, wurde Cammeo (der sich wie andere geweigert hatte, der Aufforderung nachzukommen) verprügelt und zu Boden geschlagen; die Polizisten, die ihm am nächsten waren, eröffneten das Feuer und töteten acht Faschisten oder verletzten sie tödlich, unter ihnen auch Sinigaglia71. Der Vorfall von Modena hatte ein Echo in Il vessillo israelitico, dessen Bericht mehr Sympathie mit dem Kommissar als mit dem Toten („übertrieben faschistisch“) bezeugte und darauf hinwies, dass Il popolo d’Italia (die Tageszeitung Benito Mussolinis) nicht nur Cammeo zu Unrecht beschuldigte, geschossen zu haben, sondern auch unerwähnt gelassen hatte, dass „auch der verstorbene Sinigaglia Jude war“72. 71
72
P. Alberghi, Il fascismo in Emilia Romagna. Dalle origini alla marcia su Roma. Modena (Mucchi) 1989, S. 428–434; vgl. auch E. Levi, Memorie di una vita (1889–1947) Modena (Stem Mucchi) 1972, S. 61–62. Die Zahl der von 1919 bis zum 31. Oktober im Verlauf der von ihnen selbst ausgelösten Gewalttätigkeiten getöteten Faschisten beträgt 425; die Juden waren Sinigaglia und Bruno Mondolfo, auch er von italienischen Soldaten während einer Auseinandersetzung in Fiume im Juni 1921 getötet [M. Franzinelli, Squadristi. Protagonisti e tecniche della violenza fascista 1919–1922. Mailand (Mondadori) 2003, S. 169, 340]; in diesem Zeitraum von vier Jahren gab es möglicher Weise unter den toten Antifaschisten keinen anderen Juden als Cammeo. Il vessillo israelitico LXIX Nr. 19–20 (15.–31. Oktober 1921), S. 317–18; Il popolo d’Italia, 28. September 1921, S. 1 („La cronaca dell’eccidio“ mit dem Hinweis auf das Judentum von Guido Cammeo und Pio Donati), und 29. September 1921, S. 1 („Una losca figura: il Cammeo“, mit Hinweis auf dessen Verwandtschaft mit dem in Pisa getöteten Sozialisten). Dieselbe jüdische Zeitschrift hatte die faschistische Aggression vom 20. Juli 1920 auf Giuseppe Emanuele Modigliani und Alceste Della Seta folgendermaßen kommentiert: „Habt ihr die letzten Ereignisse aus Rom wahrgenommen? Modigliani und Della Seta sind zwei sozialistische Abgeordnete und mehr noch zwei jüdische Abgeordnete, die, nachdem sie im Kammerplenum gegen alle Gewalttaten und vor allem gegen die Plünderung und Verwüstung des Avanti! protestiert hatten, mit weiteren vier oder fünf Abgeordneten der extremen Linken hinauszogen, und mit ihnen machten sich ruhige, friedliche Bürger zur Epoca auf. Sie wurden angegriffen, in der Menge ‘erkannt’ und im Gewimmel der Stimmen, der Beleidigungen, des vielleicht vom Volk ausgehenden, vielleicht aber auch stählern-nationalistischen Furors ‘geschlagen’ – die einzigen Geschlagenen und Misshandelten von allen. Wollte man, indem man sie schlug, zwei der aktivsten Abgeordneten der sozialistischen Fraktion schlagen? Oder wollte man zwei jüdische Sozialisten schlagen? Dies ist die Frage, die wir uns stellen und die wir uns gerade deshalb stellen, weil die Antwort auf sie in unserem Innern, unter uns vielleicht bereits formuliert ist“ (Notiz von A. Revere, in: Il vessillo israelitico LXVIII Nr. 13–14, 15.–31. Juli 1920, S. 283).
Zweites Kapitel Städte, Textilien und Bücher 1. Demographie der italienischen Juden in den 20er und 30er Jahren In den Jahren des Faschismus bildeten die Juden Italiens eine äußerst kleine Minderheit, die in ihrem Innern relativ gegliedert und dem Rest der Gesellschaft gegenüber ziemlich deutlich gekennzeichnet war. Die hauptsächlichen demographischen und gesellschaftlichen Gesichtspunkte dieser Verhältnisse werden hier auf der Grundlage verschiedener statistischer Erhebungen und Zahlenreihen, überwiegend aus den Jahren 1931 bis 1938, dargestellt; nur für die demographischen Angaben wird auch auf Zahlen aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurückgegriffen.
1. Die Daten über den zahlenmäßigen Bestand der Juden Italiens von 1910 bis 1943, über ihre Staatsangehörigkeit und über ihre Verteilung auf der Halbinsel nach den in den 30er Jahren geltenden territorialen Grenzen der israelitischen Gemeinden sind in Tabelle 1 wiedergegeben. Hierzu bedarf es der Präzisierung, dass a) einige Erhebungen nicht besonders genau waren (insbesondere die Zahlen aus jüdischer Quelle für die Jahre 1913/14 basierten auf Schätzungen, nicht auf Registrierungen, während die italienische Volkszählung von 1911 die Zahl der Juden in Süditalien überschätzt und diejenige in anderen Regionen unterschätzt zu haben scheint); b) die Erhebungen auf unterschiedlichen Definitionen des Ortes der „Zugehörigkeit“ beruhten (ein Jude konnte in einer bestimmten Gemeinde eingeschrieben sein, melderechtlich aber – und damit für die Volkszählung – in einem ganz anderen Bereich Italiens seinen Wohnsitz haben); c) die Erhebungen auf unterschiedlichen Definitionen des Juden beruhten (sowohl die österreichisch-ungarischen Zahlenwerte von 1910 als auch diejenigen aus jüdischer Quelle betrafen nur solche Personen, die in einer israelitischen Gemeinde eingeschrieben waren oder ihr doch irgendwie angehörten; die italienischen Zahlen von 1911 und 1931 erfassten auch Juden –
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Zweites Kapitel darunter mehr ausländische als italienische –, die nicht in einer Gemeinde eingeschrieben waren, und schlossen andererseits Juden aus, die zwar eingeschrieben waren, es aber vorgezogen hatten, ihre Identität nicht anzugeben – 1911 scheinen dies nicht wenige gewesen zu sein)1.
Einige Hinweise sind ferner anzubringen zur besonderen Zählung der Juden, welche die Generaldirektion für Demographie und Rasse (Direzione generale per la demografia e la razza) am 22. August 1938 durchführen ließ. Sie ging von einem rassistischen, nicht von einem religiösen Verständnis aus, betraf also, genau gesagt, alle jene, die, unabhängig von ihrer religiösen Identität und Überzeugung, zumindest einen jüdischen oder ehemals jüdischen Elternteil hatten; das Erhebungsformular fragte ferner ab, welcher Religion die Erfassten bei ihrer Geburt „zugerechnet“ worden seien und ob später Austritte oder Konversionen stattgefunden hätten. Um die verschiedenen von der Zählung erfassten Personengruppen unterscheiden zu können, wird hier stets die Formulierung „effektive Juden“ verwendet, um jene Erfassten zu bezeichnen, die sich selbst in den Erhebungsbögen als Juden bezeichneten, und die Formulierung „jüdischer Abstammung“ (oder ähnlich), um alle Erfassten mit mindestens einem jüdischen oder ehemals jüdischen Elternteil zu bezeichnen. Tatsächlich wurden bei der Zählung die letzteren als „von jüdischer Rasse“ (und zwar „rein“ oder „gemischt“, je nach der Zugehörigkeit der Eltern) bezeichnet; da allerdings die rechtliche Definition des „Angehörigen der jüdischen Rasse“, die im darauf folgenden November durch die Verfolgungs-Gesetzgebung eingeführt wurde, außer den von zwei jüdischen oder ehemals jüdischen Eltern abstammenden Personen nur einen bestimmten Teil der von einem einzigen jüdischen oder ehemals jüdischen Elternteil abstammenden Personen erfasste, wurde vorliegend die Formulierung „von jüdischer Rasse“ denjenigen vorbehalten, die im November 1938 als solche klassifiziert (und demzufolge den Verfolgungs-Gesetzen unterworfen) wurden. Zum zweiten muss folgendes präzisiert werden: Da in den heute noch verfügbaren statistischen Zahlenwerken der Volkszählung fast niemals die Zahl der „effektiven“ Juden besonders ausgewiesen worden ist, wird vorliegend mitunter eine annähernde Angabe gemacht, die auf der Grundlage des prozentualen Verhältnisses zwischen den 1
Zu den Bemerkungen zu den Zählungen von 1911 und von 1931, s. R. Bachi, La demografia degli ebrei italiani negli ultimi cento anni, in: G. Gini (Hrsg.), Atti del Congresso internazionale per gli studi sulla popolazione (Roma, 7–10 settembre 1931). Rom (Comitato italiano per lo studio dei problemi della popolazione) 1934, VI, S. 87; T. Catalan, L’organizzazione delle comunità, a.a.O., S. 1278–1289; R. Bachi, Le migrazioni interne degli ebrei dopo l’emancipazione, in: RMI XII Nr. 10–12 (Juli–September 1938), S. 332–334; M. Sarfatti, Mussolini contro gli ebrei. Cronaca dell’elaborazione delle leggi del 1938. Turin (Zamorani) 1994, S. 134–135.
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„effektiven“ Juden und sämtlichen Personen „jüdischer Abstammung“ errechnet ist (die ersteren bildeten 79,9% der letzteren, genauer gesagt 77,5% bei den italienischen Juden und 90,7% bei den ausländischen Juden). Im Hinblick auf die heute zugänglichen statistischen Auswertungen der Zählung ist schließlich noch zu präzisieren, dass nur wenige von ihnen die effektive Gesamtzahl der Erfassten betreffen, dass vielmehr viele aus zwei provisorischen Klassifikationen hervorgehen, die auf der Basis von 94 bzw. 98% der Gesamtzahl errechnet worden sind (vgl. Tabelle 2). Auf einer allgemeinen Ebene ergibt sich, wenn man nur die Erfassten betrachtet und ferner von der Vermutung einer größeren Genauigkeit der Volkszählung von 1939 – die freilich ebenfalls etwas unvollständig sein könnte2 – gegenüber derjenigen von 1931 und der letzteren gegenüber derjenigen von 1911 ausgeht, folgendes: Die Zahl der „effektiven“ Juden mit Wohnsitz im Staatsgebiet des Königreichs Italien in den Grenzen der 30er Jahre bewegt sich um 44.000 im Jahre 1911, um 45.000 im Jahre 1931 und um 47.000 im Jahre 1938. In diesem Jahr kamen auf 37.241 „effektive“ Juden italienischer Staatsangehörigkeit etwa 2.300, welche diese erst nach ihrer Geburt erlangt hatten (etwas weniger als die Hälfte von ihnen waren ursprünglich Österreicher oder Ungarn und lebte höchstwahrscheinlich in Triest und Fiume)3. Bei den Zahlen zur jüdischen Abstammung ist vor allem zu beachten, dass diese bis zum Erlass des Kgl. Dekrets vom 19. November 1931 Nr. 1561 (dessen Artikel 2 alle israelitischen Gemeinden verpflichtete, „ein Verzeichnis der jüdischen Bevölkerung in ihrem Bezirk zu führen“) häufig nur den Charakter von Schätzungen mit größerer oder geringerer Annäherung besitzen; daher müssen an dieser Stelle die Zahlen von 1913/14 vernachlässigt werden. Für die 30er Jahre (an deren Beginn eine Vermehrung der Einschreibungen in den israelitischen Gemeinden infolge der neuen rechtlichen Bestimmungen stattfand) wird von den Zahlen für die Jahre 1932 und 1936 ausgegangen, wobei zu berücksichtigen ist, dass einige Gemeinden zögerten, sich ein Mitgliederverzeichnis zuzulegen (die Zahlen für Genua von 1932 und 1936 und diejenigen von Bologna von 1932 waren Schätzungen, die eindeutig zu hoch lagen)4, erscheint es realistisch, die wirkliche Gesamtzahl der 1931 und 1938 den Gemeinden angehörenden Mitglieder mit etwa 44.000 und etwa 45.000 anzusetzen. 2 3 4
Ebd., S. 166–168. ACS, MI, DGDR (1938–43), b. 14, fasc. 47, Schaubild über die Juden, welche nach der Geburt italienische Staatsbürger geworden sind. M. Sarfatti, Mussolini, a.a.O., S. 137–38.
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Zweites Kapitel
Jedenfalls bildeten die Juden Italiens in den 30er Jahren weniger als 1,1 Promille der gesamten im Lande lebenden Bevölkerung (und etwas weniger als 3 Promille der jüdischen Weltbevölkerung)5.
2. Das leichte, aber gleichmäßige Anwachsen der jüdischen Bevölkerungsgruppe der Halbinsel in der Zeit vom Vorabend des I. Weltkrieges bis zum Sommer 1938 war in Wirklichkeit das Ergebnis des Zusammentreffens einer Stockung, gefolgt von einer deutlichen Abnahme der italienischen oder italianisierten Juden und einer zunächst verhaltenen und dann fast stürmischen Zunahme der ausländischen Juden. Was die letzteren angeht, lässt sich weiter präzisieren, dass die Gesamtzahl der gelegentlich Anwesenden und der dauerhaften Einwohner in Italien – in den Grenzen vom Anfang des 20. Jahrhunderts – von 1.499 im Jahre 1911 auf 4.726 im Jahre 1931 stieg (in diesem Jahre wurden übrigens im Veneto und in Julisch-Venetien 1.114 bzw. 2.873 gezählt)6 und dass die Gesamtzahl nur der Einwohner in Italien – in den Grenzen der 30er Jahre – von 5.395 im Jahre 1931 auf 9.415 im Jahre 1938 anstieg. Diese Zahlen betreffen die Situation, die jeweils am Tage der Volkszählung ermittelt wurde; es muss bedacht werden, dass ein Teil der jüdischen Migranten seinen Aufenthalt auf der Halbinsel auf eine geringe Anzahl von Jahren, in welche keine Volkszählung fiel, begrenzten (was beispielsweise bei einigen Juden der Fall ist, welche infolge des Brandes im Judenviertel von Thessaloniki vom August 1917 oder infolge der beginnenden Verfolgung in Deutschland hier eintrafen) und dass die Zahlen der Volkszählungen natürlich nicht den Höchst- und Mindestzahlen dieser Anwesenheiten entsprechen. (Es steht fest, dass gerade in den Wochen vor dem 22. August 1938 die Gruppe der aus Deutschland stammenden Juden sich zu verringern begonnen hatte7). Gemessen an der breiten jüdischen Migrationsbewegung jener Jahre (allein die Juden, welche von 1933 bis 1940 mehr oder weniger kurz in Triest als Zwischenstation verweilten, um sich nach Palästina einzuschiffen, betrug 121.391)8, handelt es sich um geringe Zahlen, also nicht 5 6 7
8
S. Della Pergola, Precursori, a.a.O., S. 70. Istituto Centrale di Statistica del Regno d’Italia, VII censimento generale della popolazione 21 aprile 1931–IX. Rom 1934, IV, Teil II, S. 284–287. K. Voigt, Zuflucht auf Widerruf. Exil in Italien 1933–1945. 2 Bde. Stuttgart (KlettCotta) 1989–93, Bd. I, S. 144–145 [It. Übers.: Il rifugio precario. Gli esuli in Italia dal 1933 al 1945. Florenz (La Nuova Italia) 1993–96, Bd. I (1993), S. 143–144]; vgl. auch R. Bachi, Le migrazioni interne, a.a.O., S. 345. K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. I, S. 147; Zuflucht, a.a.O., Bd. I, S. 148.
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um solche, welche Italien als besonders anziehungskräftig erscheinen lassen könnten. Bezogen auf Italien selbst allerdings war dieses Anwachsen recht bedeutsam; vor allem im Siebenjahreszeitraum von 1931–1938 stiegen die Ausländer von 12% auf 21,5% der Gesamtzahl der jüdischen Einwohner. Zu diesem Wachstum traten ständig Änderungen in der Zusammensetzung nach Nationalitäten der Bevölkerungsgruppe hinzu. 1911 stammten 15% der als „im Inland befindliche Ausländer“ Erfassten (= 228 Personen) aus Griechenland und der europäischen und asiatischen Türkei und 55% (= 826 Personen) aus Österreich, Ungarn, Deutschland und Russland9. 1931 machten diese beiden Herkunftsbereiche 77% der ausländischen Bewohner aus, Griechen und Türken stellten aber nunmehr 32% der Gesamtzahl (1.727 Personen), Österreicher, Ungarn, Deutsche, Russen, Tschechoslowaken und Polen dagegen 45% (2.437 Personen); namentlich betrug der Anteil der Polen 11,6% (627 Personen) und jener der Deutschen 4,5% (245 Personen)10. 1938 machten die beiden zuletzt genannten nationalen Gruppen jeweils 18% und 29% der Gesamtzahl (ca. 1.800 die ersteren, ca. 2.800 die letzteren) aus. Berücksichtigt man noch, dass eine beachtliche Quote der ca. 500 gezählten Staatenlosen ursprünglich gerade eine dieser beiden Nationalitäten besaß, so waren dies über 50% der ausländischen Juden (es war somit ihre spezifische zahlenmäßige Zunahme – ohne Berücksichtigung der aus Österreich nach dem Anschluss angekommenen Flüchtlinge, die nicht als „Bewohner“ klassifiziert werden können –, auf welche die Zunahme der gesamten Bevölkerungsgruppe in diesem Siebenjahreszeitraum auf 2.020 Personen zurückzuführen ist)11. Der neue Strom von deutschen Juden hatte natürlich seinen Ursprung im Jahre 1933; und die Gesamtzahl der Bewohner (auch solcher für begrenzte Zeit) auf der Halbinsel wuchs im Durchschnitt um ein halbes Tausend Personen pro Jahr; zwei Erhebungen mit unterschiedlichen Methoden und von geringer Genauigkeit ergaben, dass sie sich im Oktober 1936 auf etwa 1.000 und im Oktober 1936 auf etwa 2.000 erhöhten (bei der Bewertung dieses Wachstums muss berücksichtigt werden, dass die Zahl der Juden, welche Deutschland 9 10 11
Ministero per l’Industria, il Commercio e il Lavoro – Direzione Generale della Statistica e del Lavoro, Censimento della popolazione del Regno d’Italia al 10 giugno 1911. Rom 1916, VI, S. 370–375 (eigene Berechnungen). Istituto Centrale di Statistica del Regno d’Italia, VII censimento, a.a.O., IV, Teil II, S. 284–287 (eigene Berechnungen). ACS, MI, DGDR (1938–43), b. 13, fasc. 43, Zusammenfassung des Schaubilds über die ausländischen Juden je nach Staatsbürgerschaft; ebd., b. 14, fasc. 47, verschiedene Schaubilder (eigene Berechnungen).
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verließen, 1933 etwa 37.000 betrug, 1934 bis 1937 etwa 21.000 bis 25.000 pro Jahr und 1938 etwa 40.000)12. Die Migrationsbewegung der italienischen Juden aus der Halbinsel oder in diese kann derzeit nicht quantifiziert werden, da es vollständig an einschlägigen Daten fehlt. Im Übrigen muss beachtet werden, dass in jenen Jahren die Städte des südlichen und östlichen Mittelmeerraums von mitunter beachtlichen Gruppen von Juden italienischer Staatsangehörigkeit bewohnt wurden, welche von Gruppen abstammten, die im vorhergehenden Jahrhundert aus Livorno ausgewandert waren oder doch jener Stadt verbunden waren, die im 18. Jahrhundert Sitz einer jüdischen Bevölkerungsgruppe war, die sehr zahlreich war und von der viele Mitglieder in mediterrane Handelsgeschäfte verwickelt waren13. Sie waren 6.000 bis 7.000 in Ägypten (hauptsächlich in Alexandria), etwas mehr als 3.000 in Tunesien (Tunis), etwa 1.500 in der Türkei (Istanbul), mehrere hundert in Griechenland (Thessaloniki), über 400 Familienoberhäupter in Bulgarien (1901) usw.14, und sie bewirkten einen gewissen demographischen Austausch sowohl 12 13
14
K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. I, S. 141; Zuflucht, a.a.O., Bd. I, S. 143; H. A. Strauss, Jewish Emigration from Germany. Nazi Policies and Jewish Responses (1), in: Leo Baeck Institute Year Book XXV (1980), S. 326. A. Milano, Storia degli ebrei italiani nel Levante. Florenz (Israel) 1949, S. 184–200; J.-P. Filippini, La nazione ebrea di Livorno, in: C. Vivanti (Hrsg.), Gli ebrei, a.a.O., Bd. II, S. 1045–1066; A. Molho, Ebrei e marrani fra Italia e Levante ottomano, in: C. Vivanti (Hrsg.), Gli ebrei, a.a.O., Bd. II, S. 1009–1043. A. Scarantino, La comunità ebraica in Egitto fra le due guerre mondiali, in: Storia contemporanea XVII Nr. 6 (Dezember 1986), S. 1040; ASMAE, MAE, AP 1931–45, Palestina, b. 19, fasc. 2, sfasc. Sionismo, Italienische Botschaft in Ägypten an Außenministerium: Comunità israelitiche in Egitto, 20. August 1937; M. Eisenbeth, Les Juifs de l’Afrique du nord. Démographie et onomastique. Algier (Lycée) 1936, S. 19; S. Sebag, Histoire des Juifs de Tunisie des origines a nos jours. Paris (L’Harmattan) 1991, S. 208; ASMAE, MAE, AP 1931–45, Palestina, b. 19, fasc. 2, sfasc. Sionismo, Italienisches Generalkonsulat Tunis an Außenministerium, Comunità israelitiche [Mai 1937]; G. Saban, Ebrei di Turchia (2). Gli anni difficili, in: RMI LVI Nr. 1–2 (Januar–August 1990), S. 177; ASMAE, MAE, AP 1931–45, Turchia, b. 24, fasc. 2, Italienische Botschaft in der Türkei an Außenministerium, Ebrei turchi di cittadinanza italiana, 19. Dezember 1938; ASMAE, MAE, Consolato di Salonicco, b. 87, Italienischer Generalkonsul in Thessaloniki an Außenminister, 5. Juni 1942, Durchschlag (das Schreiben erwähnt 276 italienische Juden in der Stadt; es kann vermutet werden, dass weitere italienische Juden nach der italienischen Besetzung Athens und der deutschen Besetzung Thessalonikis nach Athen zurückgeströmt waren; außerdem werden im Zeitpunkt der militärischen Aggression Italiens im Oktober 1940 Verzichte auf die italienische Staatsbürgerschaft gemeldet; vgl. Ph. Constantopoulou / Th. Veremis, Documents on the History of the Greek Jews. Records from the Historical Archives of the Ministry of Foreign Affairs. Athen (Kastaniotis) 1998, S. 315–317). Zur (evtl. überhöhten) Zahl für Bulgarien und zu ihrer Herkunft s. D. J. Grange, L’Italie et la Méditerranée (1896–1911). Les fondements d’une politique étrangère. Rom (Ecole française de Rome) 1994, Bd. I, S. 469. Ein Hinweis auf einen einzigartigen Fall der Gewährung der italienischen Staatsbürgerschaft an ägyptische
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auf der Halbinsel als auch zwischen den genannten Ländern oder weiteren (1941, d.h. nach dem Beginn der Verfolgungen und des Krieges auf dem Kontinent, wohnten ca. 1.500 italienische Juden in Frankreich, davon ein Drittel in Paris)15. Das einzige Land, für welches diese komplexe Realität gut dokumentiert ist, ist Palästina: Die Zahl der Juden mit italienischer Staatsbürgerschaft und (ehemaligem) italienischem Wohnsitz, die vom Beginn des Migrationsstroms im Jahre 1926 bis zum Sommer 1938 von der Halbinsel dorthin gelangten, betrug zwischen hundert und hundertfünfzig16, während bereits 1931 die palästinensische Volkszählung 318 Personen dieser Nationalität zählte. (Nach Auskunft des italienischen Konsulats zählten die italienischen Juden zu Beginn des Jahres 1937 „nicht mehr als 500“ [...], vornehmlich aus Tripolis und Rhodos“17.) Die Juden mit italienischer Staatsangehörigkeit, die 1931 in den italienischen Kolonien gezählt wurden, waren: 385 in Libyen (Tripolitanien und Cyrenaika), 16 in Eritrea; 2 in Somalia; 108 auf Rhodos; von ihnen waren einige in jüngerer Zeit von der Halbinsel dorthin gekommen, andere wohnten bereits seit längerer Zeit dort, andere wiederum waren vor kurzer Zeit aus anderen Gegenden des Mittelmeerraums zugewandert (wie 18 Familienverbände, welche aus der Türkei und von Rhodos hergekommen waren). In jenem Jahr gab es ferner:
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Juden in den 30er Jahren findet sich b. J. Hassoun, Chroniques de la vie quotidienne, in: Ders., (Hrsg.), Juifs du Nil. Paris (Le Sycomore) 1981, S. 116–117. Für rhodiotische Juden im Besitz der „kleinen italienischen Staatsbürgerschaft“, die sich im Kongo befanden oder nach 1938 von der Insel nach Argentinien emigrierten, s. A. Morelli, Les Juifs italiens et la Belgique avant 1938, in: Los muestros, Sonderheft „Italia“, Februar 1993, S. 105; L. Senkman, Argentina, la Segunda Guerra Mundial y los refugiados indeseables, 1933–1945. Buenos Aires (Grupo Editor Latinoamericano) 1991, S. 89–90, Hinweis b. S. R. Fanesi, Gli ebrei italiani rifugiati in America Latina e l’antifascismo (1938–1945), in: Storia e problemi contemporanei VII Nr. 14 (Juli–Dezember 1994), S. 27. Archiv des Centre de Documentation Juive Contemporaine. Paris XLVIIIa/1, Handschriftliches Blatt, aufbewahrt zusammen mit einem Brief des italienischen Konsulats zu Paris an das Commissariat Général aux Questions Juives, 21. November 1941 (für die Zahl von 499 italienischen Juden im Département der Seine, davon 464 in Paris); ebd., XLVIII/1–26, italienisches Konsulat in Paris an die italienische Botschaft in Paris, 29. Januar 1943 (für die geschätzte Zahl 1.500). A. Fano, L’Alijah dall’Italia dal 1928 al 1955, in: RMI XXI Nr. 7 (Juli 1955), S. 270 (hunderteinundfünfzig). A. Marzano, Una terra per rinascere. Gli ebrei italiani e l’emigrazione in Palestina prima della guerra (1920–1940). Genua, Mailand (Marietti) 2003, S. 78 (ca. hundert). S. Della Pergola, Anatomia dell’ebraismo italiano. Caratteristiche demografiche, economiche, sociali, religiose e politiche di una minoranza. Assisi, Rom (Carucci) 1976, S. 295; ASMAE, MAE, AP 1931–45, Palestina, b. 19, fasc. 2, sfasc. Sionismo, Italienisches Generalkonsulat Jerusalem an Außenministerium, Comunità israelitica della Palestina, März 1937.
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24.024 örtliche Juden und 694 ausländische Juden (überwiegend Engländer und Franzosen) in Libyen; 193 örtliche und 10 ausländische Juden in Eritrea; 11 örtliche und 2 ausländische Juden auf den Inseln Rhodos und Kos. Die Eroberung von Äthiopien im Jahre 1936 brachte unter die Kontrolle Italiens eine große Zahl örtlicher Juden (nach dem Geographen Roberto Almagià 50.000 bis 60.000) – die Beta Esrael, genannt Falaschen – und sehr viel kleinere Gruppen von jemenitischen, adenitischen und europäischen Juden18. Im allgemeinen erscheint die Annahme berechtigt, dass die Auswanderung und die Einwanderung von italienischen Juden zwischen dem I. Weltkrieg und dem Jahre 1938 von spärlichem Umfang war, und zwar sowohl im Vergleich mit den Immigrantenflüssen ausländischer Juden als auch mit den Zahlen des jüdischen Bevölkerungsanteils in Italien19.
3. Die zahlenmäßige Abnahme, welche für die italienische Bevölkerungsgruppe in der Zeit vor 1938 kennzeichnend ist, verdankte sich dem Zusammentreffen unterschiedlicher Prozesse: der negative Saldo der natürlichen Bevölkerungsentwicklung, die vorherrschende nichtjüdische Erziehung, welche die Kinder der (im Übrigen zunehmenden) Mischehen erfuhren, und die tatsächliche Abkehr vieler vom Judentum. Der Überschuss der Todesfälle gegenüber den Geburten hatte sich bereits am Ende des 19. Jahrhunderts gezeigt und im zweiten und dritten Jahrzehnt des 20. Jahrhundert den Charakter der Dauerhaftigkeit angenommen, als das fortwährende Wachstum in Rom und – mitunter – in Mailand nicht mehr ausreichte, den stürmischen demographischen Alterungsprozess fast sämtlicher anderen Gemeinden auszugleichen. (Es ist geschätzt worden, dass die natürliche Bevölkerungsentwicklung der Juden auf der Halbinsel letztmals einen leicht positiven Saldo – 0,1 Promille – in der Zeit von 1921 bis 1925 gehabt habe und Negativsaldi – zwischen 1 und 3 Promille – in den folgenden Jahrfünften20.) Die Geburtenstärke war auch unter den strenggläubigeren Familien größer. In Fiume wurde 1933 ermittelt, dass in 201 nichtorthodoxen Familien die durchschnittliche Kinderzahl 1,46 betrug, während sie in den 61 orthodoxen Familien 18 19 20
R. Bachi, Gli Ebrei delle Colonie Italiane, a.a.O., S. 385–386; E. Trevisan Semi, Allo specchio dei Falascià. Ebrei ed etnologi durante il colonialismo fascista. Florenz (Giuntina) 1987, S. 82. Vgl. R. Bachi, Le migrazioni interne, a.a.O., S. 347. S. Della Pergola, Anatomia, a.a.O., S. 139–44. Vgl. auch Ders. Precursori, a.a.O., S. 65, 76.
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2,87 betrug, also praktisch doppelt so hoch war, und dass dies nicht etwa vom Alter, von den Berufen oder von anderen Faktoren abhing, so dass „einzige Erklärung die tief greifende und aufrichtige Religiosität der Orthodoxen ist“21. Die „gemischtreligiösen“ Ehen (d.h. solche zwischen zwei Personen, welche sich unter Beibehaltung ihrer jeweiligen Religionszugehörigkeit verbanden) nahmen über den gesamten Zeitraum hinweg ständig zu. Auf der gesamten Halbinsel machten von allen Juden, die in einem bestimmten Zeitraum heirateten, diejenigen, die sich mit Nichtjuden vermählten, in 1930–31 29%, in 1932– 34 31%, in 1935–37 knapp über 33% aus: Am Vorabend des Inkrafttretens der antijüdischen Gesetzgebung wählte einer von drei Juden seinen Ehegatten außerhalb des Bereichs des Judentums22. Diese auf das gesamte Land bezogenen Prozentzahlen bildeten den Durchschnitt zwischen sehr unterschiedlichen örtlichen Gegebenheiten. Rom hatte stets unter der Schwelle von 10% gelegen, die anderen Gemeinden bewegten sich auf einer Linie, die von Werten knapp unterhalb oder oberhalb des Landesdurchschnitts (wie beispielsweise der Wert von 36% für Mailand in den Jahren 1935–37) bis zu deutlich höheren reichte (bereits 1922–27 betrug der Wert für Triest 42%)23. Nach der Zählung vom August 1938 hatten von den 5.011 „rassisch gemischten“ Paaren (d.h. solche, die aus zwei Personen bestanden, welche auch dieselbe Religion haben konnten, von denen aber eine als „arisch“, die andere als „nicht arisch“ qualifiziert wurde) mit Kindern (oder vielleicht: mit zusammenlebenden Kindern) 77% Kinder von nichtjüdischer Religion (insgesamt 6.935, fast 1,8 pro Paar), 2% hatten Kinder mit teilweise jüdischer, teilweise nichtjüdischer Religion (insgesamt 267, fast 2,7 pro Paar) und 21% hatten nur Kinder 21 22
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P. Battara, Fattori psicologici e morali di denatalità. Florenz (Le Monnier) 1935, S. 111–112 [Hinweis b. A. Treves, Le nascite e la politica nell’Italia del Novecento. Mailand (LED) 2001, S. 208]. Istituto Centrale di Statistica del Regno d’Italia, Annuario statistico italiano 1932, Rom 1932, S. 34; Dass., Annuario statistico italiano 1933. Rom 1933, S. 35; Dass., Annuario statistico italiano 1934, Rom 1934, S. 25; Dass., Annuario statistico italiano 1935. Rom 1935, S. 28; Dass., Annuario statistico italiano 1936. Rom 1936, S. 22; Dass., Annuario statistico italiano 1937. Rom 1937, S. 20; Dass., Annuario statistico italiano 1938. Rom 1938, S. 30; Dass., Annuario statistico italiano 1939. Rom 1939, S. 33 (eigene Berechnungen). R. Bachi, Le migrazioni interne, a.a.O., S. 359–61; S. 360 für Triest; Ders., The Demographic Development of Italian Jewry from the Seventeenth Century, in: The Jewish Journal of Sociology IV Nr. 2 (Dezember 1962), S. 180–183; Comune di Milano – Ufficio Studi e Statistica, Annuario statistico. Anno 1935 – XIII. Mailand 1937, S. 39; Dass., Annuario statistico. Anno 1936 – XIV. Mailand 1938, S. 39; Dass., Annuario statistico. Anno 1937 – XV. Mailand 1939, S. 37. Vgl. auch S. Della Pergola, Jewish and mixed marriages in Milan 1901–1968. Jerusalem (The Institute of Contemporary Jewry) 1972, S. 38, 111–112.
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mit jüdischer Religion (insgesamt 2.045, fast 2,0 pro Paar)24. Bedenkt man, das viele „rassisch gemischte“ Paare in Wirklichkeit „religiös homogen“ waren (weil es sich um Ehen zwischen einem „arischen“ Christen und einer getauften Person „jüdischer Abstammung“ oder um Ehen zwischen einer Person, die „von der Abstammung her“ und „effektiv“ jüdisch war, und einer „arischen“ Person mit jüdischer Religion handelte) und dass unter diesen Paaren die rein katholischen zweifellos viel zahlreicher waren als die rein jüdischen, so kann man nach meinem Dafürhalten sagen, dass unter den „rassisch gemischten“ Paaren, die „religiös gemischten“ Paare mit ausschließlich jüdischen Kindern mehr als 21% ausmachten; vermutlich liegt die Zahl zwischen 25 und 33%. Schließlich sei bemerkt, dass die ausländischen Juden anscheinend verhältnismäßig weniger zur Erscheinung der Mischehen beigetragen haben als die italienischen: Nach den Zahlen von 1938 entsprach einer – absolut und prozentual – größeren Anwesenheit von ausländischen Juden stets (außer in Triest) eine geringere Zahl von „rassisch gemischten“ Ehen im Verhältnis zur Gesamtzahl der Erfassten25. Das Phänomen des Austritts aus dem Judentum hatte bereits am Ende des 19. Jahrhunderts Bedeutung gewonnen und hielt während der gesamten faschistischen Ära an. Es muss allerdings gesagt werden, dass für deren ersten Teil bis heute genaue quantitative Angaben fehlen, während wir für den Siebenjahreszeitraum 1931–1937 über zwei Zahlenreihen verfügen, die belastbar sind und hinreichend übereinstimmen. Noch für die gesamten 20er Jahre, d.h. bis zum Erlass der neuen Ordnung für das italienische Judentum von 1930/31, waren die einzelnen israelitischen Gemeinden der Halbinsel durch sehr unterschiedliche Rechtsgrundlagen und Satzungsbestimmungen gekennzeichnet. Was unsere Frage angeht, bildete die Eintragung der einzelnen Juden bei den zuständigen territorialen Gemeinden an einigen Orten einen fast oder gänzlich freiwilligen Akt, in anderen einen gesetzlich vorgeschriebenen Akt26. Im ersten Fall bildete der Austritt aus der Gemeinde (d.h. die Beendigung der Einschreibung) einen relativ schlichten Akt, der deshalb auch nur spärliche Spuren hinterließ; daher konnte er auch 24 25 26
ACS, MI, DGDR (1938–43), b. 14, fasc. 47, Schaubild über die Mischehen je Provinz (eigene Erarbeitung). Ebd., Schaubild über die ausländischen Juden nach Wohnsitzen (eigene Erarbeitung). G. Bachi, Il regime giuridico delle Comunità israelitiche in Italia dal 1848 ai giorni nostri, in: RMI XII Nr. 7–9 (April–Juni 1938), S. 196–238; G. Fubini, La condizione giuridica, a.a.O., S. 25–50; M. F. Maternini Zotta, L’ente comunitario ebraico. La legislazione negli ultimi due secoli. Mailand (Giuffrè) 1983; E. Capuzzo, Gli ebrei nella società, a.a.O., S. 93–118; S. Caviglia L’identità salvata, a.a.O., S. vii–xiii, 97–104.
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bloß vorübergehenden Charakter besitzen und bedeutete noch nicht einen endgültigen und vollständigen Austritt aus dem Judentum. Im zweiten Fall bedurfte der Austritt mitunter einer förmlichen Erklärung der Konversion zu einer anderen Religion, des Abschwörens gegenüber dem Judentum oder doch zumindest des Verleugnens desselben und entsprach daher häufiger einer endgültigen Abkehr. Nun lebte allerdings die Mehrheit der Juden Italiens während des hier betrachteten Zeitraums an Orten, wo die Gemeinden nach dem ersten Kriterium geregelt waren (insbesondere in Rom und in Mailand als Städten, für deren Gemeinden kennzeichnend war, dass sie die mitgliederstärksten, die mit dem stärksten demographischen Wachstum und die mit den beträchtlichsten Einwandererströmen waren). Angesichts dieser recht komplexen Situation verfügen wir für die 20er Jahre derzeit nur über folgendes partielle Datum: Die Austritte, die Abschwörungen und die Konversionen im Zeitraum von 1921 bis 1930, die der Union der italienischen israelitischen Gemeinden in der Zeit von 1931 bis 1942 offiziell mitgeteilt wurden, betrugen insgesamt 368 und verteilten sich ziemlich gleichmäßig über das gesamte Jahrzehnt27. Natürlich ist es nicht möglich, zu schätzen, wie groß die effektive Gesamtzahl der Austritte war, die in dieser Zeit stattgefunden haben, noch weniger, zu berechnen, wie viel hundert endgültig Austritte in jenen Jahren heranreiften. Der neue rechtliche Rahmen von 1930/31 setzte für ganz Italien die Kriterien einer scheinbar verpflichtenden Einschreibung und des formellen Austritts fest. Bei 44.000–50.000 Juden, die in jener Zeit in einer jüdischen Gemeinde eingeschrieben waren, erhielt die Union in den Jahren 1931 bis 1942 die Mitteilung von 747 Austritten, Abschwörungen und Konversionen für die Zeit von 1931– 1937 (die Zahlen für die einzelnen Jahre lauteten 61, 187, 117, 80, 79, 90 und 133)28. Nach der Zählung von 1938 betrug die Zahl der formellen Abschwörungen und Konversionen in Italien oder von Juden „italienischer Abstammung“ im Ausland, egal ob in einer italienischen Gemeinde eingeschrieben oder nicht, 227 von August 1929 bis August 1932, 547 von August 1932 bis August 1937 (unterteilt in 12-Monats-Abschnitte: 74, 85, 104, 119 und 165) und schließlich 521 bis August 1938 (diese Angaben wurden ermittelt, als die Auswertung der Volkszählung bei 98% der Gesamtmenge angelangt war)29. 27 28 29
F. Del Regno, Gli ebrei a Roma tra le due guerre mondiali: fonti e problemi di ricerca, in: Storia contemporanea XXIII Nr. 1 (Februar 1992), S. 62–65. Ebd. ACS, MI, DGDR (1938–43), b. 14, fasc. 47, Schaubilder zu den italienischen und ausländischen Juden, welche abgeschworen haben. Vgl. auch M. Sarfatti, Mussolini, a.a.O., S. 166.
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Zweites Kapitel
Diese beiden Zahlenreihen erlauben es, ungeachtet ihrer Inhomogenität, von einer vorübergehenden Zunahme zu Beginn der 30er Jahre zu sprechen (als die Verkündung des neuen Rechtszustandes und die Wiedereinschreibungspolitik der Gemeinden viele dazu veranlassten, ihre Stellung endgültig – im einen oder im anderen Sinne – zu bestimmen), von einer anschließenden Abnahme bis hin zur Rückkehr (um 1934) zu einer Zahl von weniger als 100 Fällen jährlich, und von einer abermaligen Zunahme in den Jahren danach. Die erste Zahlenreihe betraf nur die Rücknahme von Einschreibungen in den Gemeinden, die zweite nur die formellen Absagen an das Judentum in Italien sowie im Ausland durch Personen, die 1938 vom Zensus erfasst worden waren (Eingeschriebene, Nichteingeschriebene und auch solche Personen, die niemals „effektiv“ Juden gewesen waren); ihre Gesamtuntersuchung drängt zu der Annahme, dass die Gesamtzahl der in den Jahren 1931 bis 1937 vollzogenen Austritte 800–900 betragen habe, von denen, ebenfalls hypothetisch, 75% auf Italiener entfielen, die in einer Gemeinde eingeschrieben waren, 5% auf nicht eingeschriebene Italiener, 10% auf eingeschriebene Ausländer und 10% auf nicht eingeschriebene Ausländer. Im August 1938 wurde insgesamt die Anwesenheit von 2.600 Personen „jüdischer Abstammung“ auf der Halbinsel (2.100 Italiener, 500 Ausländer), die formell zu irgendeinem Zeitpunkt aus dem Judentum ausgetreten waren30, registriert, was etwa 5,7% der „effektiven“ Juden – sowohl bei Italienern als auch bei Ausländern – entspricht. Für die gegenteilige Erscheinung der Konversionen zum Judentum verfügen wir über folgende drei Daten, die sich allesamt auf den August 1938 beziehen: Die Zahl der Juden „per Abstammung“, die bei der Geburt nicht dem Judentum „angegliedert“ worden waren, später jedoch „effektive“ Juden wurden, betrug in ganz Italien 47 (vgl. Tabelle 2), in den Städten Triest (der drittgrößten jüdischen Gemeinde und vielleicht, auch wegen der umfassenden EheGesetzgebung der österreichischen Zeit, die größte nach der Zahl der Konversionen zum Judentum) und Ferrara betrugen die Zahlen derjenigen, die von Eltern jeglicher Religion und „Rasse“ geboren waren und sich bei der Volkszählung als Personen erklärt hatten, die nicht von Geburt her Juden seien, aber zum Judentum konvertiert seien, 89 (nur Konversionen von 1900 bis 1938) und 431. Als bloße Bezugsgröße kann für August 1938 eine Gesamtzahl von 30 31
Ebd. E. Ginzburg Migliorino, Il censimento degli ebrei a Trieste nel 1938, in: Storia e problemi contemporanei V Nr. 10 (Oktober 1992), S. 47–51; AdS Ferrara, Prefettura, Gabinetto-riservato, b. 139, fasc. 3, sfasc. 2, Bericht des Ufficio statistica e censimento der Stadt Ferrara über die Zählung der Juden, 5. November 1938.
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Konversionen jeglicher Art zum Judentum (einschließlich der bereits erwähnten 47) von etwa einem Zehntel der Zahl der umgekehrten Konversionen, also um die 260, angenommen werden.
4. Es wurde bereits gesagt, dass die Juden in den 30er Jahren etwa 1,1 Promille der gesamten Bevölkerung Italiens ausmachten. Ihre Verteilung auf der Halbinsel war jedoch alles andere als gleichmäßig. Einerseits wohnten sie weiterhin in jenen Regionen, in denen sie traditionell ansässig waren – so wurden sowohl 1931 als auch 1938 mehr als 97% von ihnen in Nord- und Mittelitalien gezählt, genauer gesagt im Bereich zwischen den Alpen und den Städten Rom und Ancona. Andererseits setzten sich zwei Prozesse fort, die ihren Anfang im vorher gehenden Jahrhundert genommen hatten, denn sie verließen weiter in großem Umfang die kleinen Städte und die Hauptstädte der kleineren Provinzen zugunsten der mittleren und großen Städte und konzentrierten sich insbesondere in den „größeren regionalen und nationalen Produktions- und Handelszentren“32. 1931 waren die neun größten Städte des Landes – in abnehmender Reihenfolge – Rom, Mailand, Neapel, Genua, Turin, Palermo, Florenz, Venedig und Triest (die ersten beiden mit einer Einwohnerzahl von etwa je einer Million, die letzte mit fast 250.000 Einwohnern); zur selben Zeit beherbergten just sieben von ihnen die größten jüdischen Gemeinschaften des Landes: Rom (mit 11.280 Juden), Mailand, Triest, Turin, Florenz, Venedig und Genua (mit 1.741 Juden)33. Zu jener Zeit lebten in Warschau 350.000 Juden, in Berlin, Paris, Wien und Budapest je 150.000 bis 200.000 Juden, während in Prag, Istanbul, Thessaloniki und Jerusalem drei bis fünfmal so viele Juden wie in Rom lebten34. Die Prozesse der Urbanisierung und der Konzentration hatten zwar bewirkt, dass 1931 die italienischen Juden, die 0,1% der Bevölkerung des Landes ausmachten, etwas mehr als 0,5% der Gesamtzahl der Einwohner der Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern ausmachten35. Unter den letzteren waren 32
33 34 35
R. Bachi / S. Della Pergola, Gli ebrei italiani nel quadro della demografia della diaspora, in Quaderni storici XIX Nr. 55 (April 1984), S. 181. Vgl. auch S. Della Pergola, Precursori, a.a.O., S. 55–58; R. Finzi, Gli ebrei nella società italiana dall’Unità al fascismo, in: Il ponte XXXIV Nr. 11–12 (November–Dezember 1978), S. 1398–1399. R. Bachi, La distribuzione geografica e professionale degli ebrei secondo il censimento italiano 1931, in: Israel XX Nr. 1 (13. September 1934); Ders., Le migrazioni interne, a.a.O., S. 337–338. E. Friesel, Atlas of Modern Jewish History. New York, Oxford (Oxford University Press) 1990, S. 14 und passim. Istituto centrale di Statistica del Regno d’Italia, Annuario statistico italiano 1936, a.a.O., S. 15.
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sie proportional am meisten vertreten in Triest, Livorno und Rom, wo sie jeweils 1,9, 1,3 und 1,1% der Einwohner ausmachten (1910/11 betrugen die drei Werte jeweils 2,4, 1,9 und 1,2%); in den mittleren Städten waren sie proportional am häufigsten vertreten in Fiume, Mantua und Ancona, wo sie jeweils 2,1, 1,1 und 0,9% ausmachten (3,4, 2,3 und 1,7% in den Jahren 1910/11)36. Diejenigen jüdischen Gemeinschaften, welche in der Zeit von 1911 bis 1931 das größte demographische Wachstum erfahren hatten, waren jene in den Provinzen Mailand und Rom; beachtliche Steigerungen gab es auch in den Provinzen Genua, Venedig und Turin; fast alle anderen Bereiche Italiens waren gekennzeichnet durch einen leichten oder deutlichen Rückgang (vgl. Tab. 1). Für die „effektiven“ Juden ist in den sieben Jahren von 1931 bis 1938 die einzige zweifelsfreie Veränderung diejenige ihrer beachtlichen Zunahme im Bereich Mailand. 1931 waren die ausländischen Juden besonders zahlreich in Julisch Venetien (2.873 Personen, was 42% der Juden der Region ausmacht), Lombardei (2.245, entspr. 28,5%) und Veneto (1.114, entspr. 86%); die erste und die dritte Region beherbergten fast die Hälfte aller ausländischen Juden, die zweite etwa ein Viertel37. 1938 lebte mehr als ein Drittel der Erfassten mit deutscher Staatsangehörigkeit in der Provinz Mailand und zusammen fast eben so viele in den Provinzen Rom, Bozen, Genua und Fiume38.
36
37 38
Dass., VII censimento, a.a.O., II, Teil I; II, Teil II; III, Fascicoli per provincia [Zusammenfassung der Daten in: ACS, SPD, CR (1922–43), cat. 169/R, b. 140, fasc. 14], Israeliti censiti nel Regno, Übersicht, am 3. März 1934 vom Leiter des Istituto centrale di statistica del Regno d’Italia Franco Savorgnan auf Wunsch Benito Mussolinis diesem übersandt); Ministero per l’industria, il commercio e il lavoro – direzione generale della statistica e del lavoro, Censimento della popolazione del Regno d’Italia al 10 giugno 1911, a.a.O., VI, S. 12–13; Kaiserlich-königliche Statistische Zentralkommission, Oesterreichische Statistik. Neue Folge. Die Ergebnisse der Volkszählung vom 31. Dezember 1910 in den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern, Wien (Kaiserlich-königliche Hof- und Staatsdruckerei) I, Heft 1. 1912, S. 52–53; T. Morgani, Ebrei di Fiume e di Abbazia 1441–1945. Rom (Carucci) 1979, S. 55 (eigene Berechnung). Die zahlenmäßig starke und heterogene Anwesenheit von Juden in Meran und Abbazia (in den Provinzen Bozen und Fiume) kann nicht präzise beziffert werden, sie muss sich aber um vier Prozent im Jahre 1931 bewegt haben (zu einigen Orientierungsdaten s. die beiden ersten in dieser Fußn. erwähnten Bände). Istituto Centrale di Statistica del Regno d’Italia, VII censimento, a.a.O., IV, Teil II, S. 284–287 (eigene Berechnungen). K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. I, S. 518–519; Zuflucht, a.a.O., Bd. I, S. 607–608.
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2. Soziale und berufliche Lage der italienischen Juden in den 20er und 30er Jahren 1. Die Juden waren nicht nur in Mittel- und Norditalien konzentriert und stark urbanisiert, sie waren auch außerordentlich alphabetisiert. Bereits 1901 betrug die Zahl der über 15jährigen Analphabeten bei den Juden nur 5,7% gegenüber einer nationalen Gesamtzahl von 49,9% (und unter den Knaben von 6 bis 14 Jahren betrugen die beiden Zahlen jeweils etwa 1,5 und 41,8%)39. Von einer Gesamtzahl von 224 Mädchen, die in den Jahren 1877 bis 1900 den akademischen Abschluss erlangten, waren 21 Jüdinnen40, was ein Hundertfaches im Vergleich zu dem Anteil der Juden an der Gesamtbevölkerung ausmacht.
2. Auch was die berufliche Lage und den wirtschaftlichen Tätigkeitsbereich angeht, wiesen die Juden besondere Merkmale auf, welche häufig direkt mit ihrer höheren Bildung und mit ihrem städtischen Wohnsitz korrelierten. Die einzige, aus dem Jahre 1931 stammende Statistik zu diesen Aspekten (vgl. Tabelle 3) klassifizierte alle Juden nach der sozialen Lage des Familienoberhaupts. Die durch die Anwendung dieses Kriteriums bedingten Verzerrungen (bspw. waren in der Gesamtzahl der „Offiziere“ sowohl diejenigen einbezogen, welche tatsächlich diesen Grad in der Armee bekleideten, als auch ihre Gattinnen und die mit ihnen zusammenlebenden Kinder, während die von diesen etwa ausgeübten Tätigkeiten völlig verborgen blieben) gestatten nicht, sich einer detaillierten Untersuchung der verschiedenen Daten zu widmen; aus ihrer Gesamtheit jedoch und aus ähnlichen Daten, welche die gesamte italienische Bevölkerung betreffen, gehen eindeutig die auch tief greifenden Unterschiede sowohl zwischen den Juden und der Gesamtheit der Bevölkerung als auch innerhalb der italienischen jüdischen Gemeinschaft selbst hervor. Die erste Gegenüberstellung macht einerseits vor allem deutlich, dass fast die Hälfte der Bevölkerung der Halbinsel im Einzugsbereich der Landwirtschaft lebte und dass mehr als 20% einen Arbeiter als Familienoberhaupt hatte, ande39
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E. Raseri, La popolazione israelitica in Italia, a.a.O., S. 88; Ministero di Agricoltura, Industria e Commercio – Direzione Generale della Statistica, Censimento della popolazione del Regno d’Italia al 10 febbraio 1901, a.a.O., S. CXXIV; E. F. Sabatello, Trasformazioni economiche e sociali degli ebrei in Italia nel periodo dell’emancipazione, in Italia Judaica. Gli ebrei nell’Italia unita, a.a.O., S. 117 (eigene Berechnungen). M. Miniati, Les ‘émancipées’, a.a.O., S. 150.
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rerseits, dass unter den Juden diese Kategorien weniger als 10% ausmachten, während 70% von ihnen einem Haushalt angehörte, dessen Familienoberhaupt Händler, Angestellter oder Freiberufler war. Auch wenn man berücksichtigt, dass einer bestimmten gesellschaftlichen Tätigkeit nicht eine einzige ökonomische Position entsprach (bspw. umfasste die Kategorie der Händler sowohl die Eigentümer florierender Großhandelsfirmen als auch Inhaber von elenden ambulanten Karren) und dass die Kategorien, in denen es einen geringen Unterschied zwischen den Prozentzahlen bei Juden und der Gesamtbevölkerung gab, jene der Industriellen und des Dienstleistungspersonals waren, so zeigt die Gesamtheit der Zahlen, dass das soziale Niveau der italienischen Juden durchschnittlich deutlich oberhalb desjenigen ihrer Landsleute lag. Örtlich betrachtet war die Lage der Juden jedoch sehr diversifiziert; beispielsweise zeichneten die Juden des Piemont und Julisch Venetiens sich durch einen jeweils größeren bzw. geringeren Wohlstand im Vergleich mit dem nationalen Durchschnitt aus. Dieser Unterschied konnte sich auch innerhalb einer Region zeigen, wie die Daten für Livorno und Florenz im Hinblick auf Grundeigentümer und Rentiers und auf Arbeiter und Dienstleistende zeigen. Der Umfang, den diese Unterschiede erreichen konnten, ist gut ersichtlich aus der Gegenüberstellung der großen jüdischen Bevölkerungsgruppe von Rom (wo fast sämtliche Juden Latiums wohnten) und der mittleren bis kleinen Gruppe in Padua: Die Gesamtheit der Familienangehörigen von Industriellen, Freiberuflern, Grundeigentümern und Rentiers bildete im ersten Falle 11,4%, im zweiten Fall 41,2% gegenüber einem nationalen Durchschnittswert von 21,9%. Die für 1938 verfügbaren Statistiken weichen von denen des Jahres 1931 ab, weil a) sie nur die italienischen Staatsbürger erfassen; b) sie Einzelpersonen und nicht Familien betreffen; c) sie – wie gesagt – alle jene zum Gegenstand haben, die zumindest einen jüdischen oder ehemals jüdischen Elternteil haben (also nicht nur die „effektiven“ Juden) und daher durchschnittlich 22,5% Nichtjuden einschließen. Wegen dieser zuletzt genannten Besonderheit dürfen die genannten Zahlen, ungeachtet ihrer Genauigkeit, hier nur in allgemeiner Form und stark approximativ erörtert werden. Die Gegenüberstellung dieser Daten und derjenigen für die Gesamtbevölkerung der Halbinsel für 1936 (vgl. Tabelle 4) bestätigt in erster Linie die massive Zugehörigkeit der Gesamtheit der Italiener zur agrarischen Tätigkeit und der italienischen Juden zur Handelstätigkeit. Die beiden Gruppen erscheinen weniger unterschiedlich in der Industrie und am nächsten beieinander in den Bereichen der geistlichen Berufe und des Transportwesens; doch in denen der
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Kredit- und Versicherungswirtschaft sowie der freien Berufe und Künste ist die Präsenz der Juden proportional betrachtet zehnmal so hoch wie der italienische Durchschnitt. Die Zahlen für einige Kategorien von Nichtberufstätigen (Grundeigentümer und Rentiers, Schüler über 10 Jahre) und Untergruppen der Fabrikbesitzer und Freiberufler (in Tabelle 4 sind nur die Untergruppen mit größerer jüdischer Prozentzahl angegeben) bestätigen die bereits beobachtete bessere soziale Durchschnittslage der Juden; doch die besonders starke jüdische Präsenz im ambulanten Handel bestätigt ihrerseits, dass auch elende Lage in nicht unbedeutendem Maße vorhanden war, wenn auch mit ganz speziellen Konkretisierungen41. Die weitere Unterteilung der „Abstammungsjuden“ italienischer Staatsbürgerschaft nach den wichtigsten Untergruppen ökonomischer Tätigkeit (vgl. Tabelle 5) gestattet u.a. eine Aufschlüsselung der Daten nach dem Gegenstand der Tätigkeit der erfassten Personen. Danach ergibt sich, dass 20–25% der aktiven Italiener, von denen wenigstens ein Elternteil jüdisch oder ehemals jüdisch war, sich – mit verschiedenen Aufgaben –mit der Produktion von Textilien und mit dem Handel von Textilprodukten und von Kleidung befassten und dass weitere 9–10% in der Produktion und im Verkauf von Druckwerken und vor allem mit ihrer Anwendung im Lehrbereich beschäftigt waren. Im Wesentlichen konzentrierte sich die Tätigkeit der italienischen Juden (der „Abstammungsjuden“, doch scheint es berechtigt, dies auch für die „effektiven“ Juden anzunehmen) in den 30er Jahren auf Textilien und Bücher. Für die Gemeinde Genua sind höhere proportionale Werte für Verwaltungsangestellte und Angehörige freier Berufe unter den jungen Juden und im Handel Tätige unter den älteren Juden erhoben worden, und es ist bemerkt worden, dies belege, dass eine „Entwicklung im Gange“ gewesen sei42. Tatsächlich scheint diese „spürbare Transformation“ auf der gesamten Halbinsel vor sich gegangen zu sein und zwischen dem Ende des 19. Jahrhunderts und dem Beginn der Verfolgungsperiode ein starkes Anwachsen der Präsenz der Juden gerade und nur in den Bereichen der öffentlichen Verwaltung und der freien Berufe hervorgerufen zu haben43. 41 42 43
Zu dieser Lage s. jetzt auch I. Pavan, La presenza ebraica nell’economia italiana alla vigilia delle leggi antiebraiche. Prime note, in: RMI LXIX Nr. 1 (Januar–April 2003), S. 287–320. L. Parodi, Gli ebrei di Genova nel 1938. Demografia di una Comunità, in: RMI LIV Nr. 1–2 (Januar–August 1988), S. 327. G. Luzzatto, Gli Ebrei in Italia dalla marcia su Roma alle leggi razziali. Appunti sulla loro situazione economica, sociale e politica, in: Gli Ebrei in Italia durante il fascismo.
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Kehren wir zu der tatsächlichen sozialen Lage der aktiven jüdischen Bevölkerung in Italien zurück, so können wir feststellen, dass sie eine im Durchschnitt höhere berufliche Position einnahm als die italienische Gesamtbevölkerung (vgl. Tabelle 5) und dass diese Verschiebung deutlicher war in der mittleren Ständen und deren der oberen Mittelschicht (Freiberufler und leitende Angestellte) als in den Schichten der Unternehmer und der Arbeiter und Lohnabhängigen. Rechnen wir zu den letzten beiden Kategorien die ambulanten Händler und die zahlreichen Personen hinzu, die im Handel als Kommis beschäftigt waren, so können die Angehörigen der Volksstände mit etwa 25% der aktiven Juden angesetzt werden44. In geometrischen Begriffen kann die Gesamtsituation als ein Zylinder dargestellt werden, der in drei Abschnitte unterteilt ist, von denen der unterste etwas schmaler ist, und an dessen Spitze ein kleiner Kegel steht45. Im Jahre 1938 bildeten die „effektiven“ Juden mit italienischer Staatsbürgerschaft weniger als 0,1% der Gesamtbevölkerung des Landes (vgl. Tabelle 1). Für drei berufliche Positionen mittlerer Größe – freie Berufe, Kleinhändler von Textilprodukten und ambulante Händler – kann man annehmen, dass sie (wenn man einmal die Verminderung von 22,5% vornimmt, um eben nur die „effektiven“ Juden zu erfassen), 1%, 1,4% und 0,6% der jeweiligen Gesamtzahl ausmachten (vgl. Tabelle 4). Die Präsenz der Juden erreichte noch höhere Werte in speziellen beruflichen und in begrenzten territorialen Bereichen. Im August 1938 gab es unter den Börseneignern und Inhabern von Geldwechselgeschäften 32 Personen, die wenigstens einen jüdischen oder ehemals jüdischen Elternteil besaßen, was 6,6% in diesem Bereich ausmacht (vgl. Tabelle 4). Die ordentlichen und außerordentlichen Professoren, welche im Herbst 1938 der „jüdischen Rasse“ zugeordnet wurden und aus den Universitäten vertrieben wurden, waren 97,
44 45
Quaderni della Federazione giovanile ebraica d’Italia. Turin 1961, Nr. 1, S. 12; vgl. auch E. F. Sabatello, Le conseguenze sociali ed economiche delle persecuzioni sugli ebrei in Italia, in: Camera dei Deputati, La legislazione antiebraica in Italia e in Europa. Atti del Convegno nel cinquantenario delle leggi razziali (Roma, 17–18 ottobre 1988). Rom (Camera dei deputati) 1989, S. 84–87, 89; Ders., Trasformazioni economiche e sociali degli ebrei, a.a.O., S. 122–123. P. L. Orsi, La comunità ebraica di Livorno dal censimento del 1938 alla persecuzione, in: M. Luzzati (Hrsg.), Ebrei di Livorno tra due censimenti (1841–1938). Memoria familiare e identità, Livorno (Belforte) 1990, S. 215–16. Erste Betrachtungen zum Verhalten und zur Identität der Juden oder der ehemaligen Juden, welche wichtige Rollen in der italienischen Wirtschaft in der Zeit des Faschismus ausgefüllt haben, finden sich b. I. Pavan, „Ebrei“ in affari tra realtà e pregiudizio. Paradigmi storiografici e percorsi di ricerca dall’Unità alle leggi razziali, in: Quaderni storici XXXVIII Nr. 3, Dezember 2003, S. 777–821.
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was 7% dieser Personengruppe ausmacht46 (an der Universität Bologna waren es 12,8%)47. In Turin wurden 1938/39 mehr als 4,5% der im Anwaltsregister eingetragenen Personen in Anwendung der Verfolgungsgesetzgebung oder wegen Demission der Juden selbst aus demselben gestrichen48. In Rom gehörten 1939 fast 6,5% der Handelsgesellschaften unterschiedlichen Typs (Großhandel, Einzelhandel und ambulanter Handel) Personen, welche unter die antijüdische Gesetzgebung fielen49. Diese Hinweise auf relativ markante jüdische Präsenz sind die bedeutendsten unter den heute bekannten, und es erscheint unwahrscheinlich, dass in jener Zeit es noch viele andere mit gleichem oder größerem Anteil gegeben habe.
3. Zu allen Angaben ist zu ergänzen, dass in der jüdischen Gemeinschaft der Halbinsel die Situationen beachtlichen Reichtums und beachtlicher Armut mitunter innerhalb der hier beschriebenen Struktur, mitunter außerhalb ihrer lagen. Gino Luzzatto ist auf der Grundlage eigener Kenntnisse der jüdischen Welt und der sozioökonomischen Lage des Landes zu der Auffassung gelangt, dass die extremsten Gruppen der jüdischen Gesamtpopulation in den größeren Gemeinden von ca. 10% gebildet wurden, die „ausschließlich von Almosen“ lebten und von vielleicht weniger als 5% Juden, die man als „mäßig reich“ definieren könnte50. Trotz des Fehlens spezieller Untersuchungen erscheinen diese Werte auch heute noch im großen und ganzen plausibel. Man muss sich jedoch bewusst bleiben, dass ein kleiner Teil der Reichen Reichtümer besaß, die über einen „maßvollen“ Reichtum hinausgingen, und dass die Zahl der 46 47 48 49
50
R. Finzi, L’università italiana e le leggi antiebraiche. 2. Aufl. Rom (Editori Riuniti) 2003, S. 62; vgl. auch M. Sarfatti, L’espulsione degli ebrei dall’università italiana, in: Italia contemporanea Nr. 209–210 (Dezember 1997–März 1998), S. 256–257. R. Finzi, L’università, a.a.O., S. 62; Ders., Undici „vacanze“ nel DCCCL annuale della fondazione dell’Università di Bologna, in: W. Tega (Hrsg.), Lo studio e la città. Bologna 1888–1988. Bologna (Nuova Alfa Editoriale) 1987, S. 351. P. De Benedetti, Una legge, una professione, una città e quarantacinque ebrei, in: RMI LIV Nr. 1–2 (Januar–August 1988), S. 275–77. E. F. Sabatello, Aspetti economici ed ecologici dell’Ebraismo romano prima, durante e dopo le leggi razziali (1928–1965), in: D. Carpi / A. Milano / U. Nahon (Hrsg.), Scritti in Memoria di Enzo Sereni. Saggi sull’Ebraismo Romano. Jerusalem (Fondazione Sally Mayer) 1970, S. 260–262. G. Luzzatto, Gli Ebrei, a.a.O., S. 10. Zu den Bereichen mit jüdischer Armut im 19. Jahrhundert s. F. Levi, Gli ebrei nella vita economica italiana dell’Ottocento, in: C. Vivanti (Hrsg.), Gli ebrei, a.a.O., Bd. II, S. 1185–1187.
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Zweites Kapitel
Armen von Stadt zu Stadt sehr unterschiedlich war; sie war bestimmt beachtlich in Rom und wahrscheinlich auch beträchtlich in Livorno und Triest (wo die niedrigen Einkommen vor allem bei einem Teil der zahlreichen Gruppe der 1891 und in den Jahren danach aus Korfu Geflohenen anzutreffen waren)51. In Venedig machten die gelegentlich oder regelmäßig von der Gemeinde Unterstützten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts 800 Personen aus, ebenso viele waren es 1917, 1937 vermutlich 400 (die exakte Angabe ist: 100 Familien). Diese Anfangs- und Endwerte entsprachen grob gerechnet 31 und 23% der in der jüdischen Gemeinde Eingeschriebenen52. Was die in jüngerer Zeit auf die Halbinsel gelangten Flüchtlinge anging, so hat Klaus Voigt berechnet, dass ca. 60% der nach 1933 eingetroffenen deutschen Emigranten sich in recht bescheidenen Verhältnissen befanden und dass weitere 20% „in äußerster Bedürftigkeit am Rande des Existenzminimums“ lebten53. Die Zustände des Wohlstands und des Reichtums sind statistisch immer noch nur spärlich dokumentiert. Die ersten heute verfügbaren Daten über Immobiliarbesitz von Personen, die als „rassische Juden“ klassifiziert waren, für das Jahr 1939 weisen, obwohl sie eine Situation abbilden, die partiell ist und an den Erlass der ersten antijüdischen Aktionen anschließt, weder eine konstante Relation zwischen der Gesamtheit der Juden einer Provinz und dem Gesamtwert ihres Immobiliarbesitzes aus, noch eine proportional ähnliche Verteilung des letzteren unter den ersteren in jeder Provinz54. Was das Verhältnis zwischen dem Eigentum der Juden und dem der anderen Italiener angeht, können wir zur Zeit nur hervorheben, dass nach Auskunft eines Leiters der Steuerbehörde im November 1938 in der Provinz Ferrara das erstere über 3% des Gesamtwertes bildete55 und dass in Turin die Juden, die Eigentümer von Immobilien waren, weniger als 2% aller Grundeigentümer der 51
52 53 54
55
T. Catalan, La Comunità Ebraica, a.a.O., S. 186–188. Y. Kerem, Corfiote Triestians: a Jewish diasporic community from Greece, in: Proceedings of the Eleventh World Congress of Jewish Studies. B. The History of the Jewish People. Bd. III. Jerusalem 1994, S. 187–194. S. Levis Sullam, Una comunità, a.a.O., S. 61, 80–81. K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. I, S. 185; Zuflucht, a.a.O., Bd. I, S. 182. F. Levi, I sequestri e le confische dei beni immobiliari agli ebrei. Il contesto normativo e la realtà torinese, in: Ders. (Hrsg.), Le case e le cose. La persecuzione degli ebrei torinesi nelle carte dell’EGELI 1938–1945. Turin (Compagnia di San Paolo) 1998, S. 35–41. AdS Ferrara, Prefettura, Gabinetto-riservato, b. 139, fasc. 3, sfasc. 2, Direktor des Bezirksamts für Direkte Steuern von Ferrara an örtliches Fianzamt, 23. November 1938.
Städte, Textilien und Bücher
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Stadt ausmachten56. Es handelt sich um Prozentwerte, die mehr als das Dreifache des proportionalen Anteils der Juden in beiden Städten ausmachten, in einer vielgestaltigen Gesellschaft aber nichts Ungewöhnliches bedeuten.
56
D. Adorni / G. Genovese, La persecuzione contro le proprietà degli ebrei nel capoluogo piemontese. Uno studio quantitativo, in: F. Levi (Hrsg.), Le case e le cose, a.a.O., S. 130.
Drittes Kapitel Die Zeit der Verfolgung der Gleichheit des Judentums (1922–1936) 1. Leben, Einordnung und neue Gefahren in einer nicht mehr gleichen Nation Die erste Regierung Italiens unter faschistischer Führung wurde am 31. Oktober 1922 gebildet; an ihr waren weder Juden noch antisemitische Propagandisten beteiligt. Allerdings besaß – wie Giorgio Fabre herausgearbeitet hat – der neue Ministerpräsident Benito Mussolini ausgeprägte antijüdische Überzeugungen und Vorurteile, die sich bereits in den Jahren seiner sozialistischen Militanz und später Führerschaft gezeigt hatten1. Im Juni 1919, wenige Wochen nach der Gründung der faschistischen Kampfbünde (Fasci di combattimento) hatte er in seiner Zeitung Il popolo d’Italia Angriffe gegen „die großen jüdischen Banquiers in London und New York“ gerichtet, „die durch rassische Bande mit den Juden verbunden sind, welche in Moskau wie in Budapest auf Rache gegen die arische Rasse sinnen“2. Nur ein Antisemit konnte solche Äußerungen von sich geben („Ignorant und Antisemit“ kommentierte Leone Carpi in einer demokratischen Zeitschrift3); jedoch erlaubten sein Pragmatismus und der unsystematische Charakter seines Antisemitismus es Mussolini, kein antisemitisches politisches Programm zu entwickeln und sogar Beziehungen, auch solche der Zusammenarbeit, mit Jüdinnen und Juden zu unterhalten. Im Oktober 1920 schrieb er, abermals im Popolo d’Italia, der Bolschewismus sei „nicht, wie man glaubt, eine jüdische Erscheinung“, und korrigierte damit seine Äußerung vom vorhergehenden Jahr, die er freilich nicht zurücknahm; im selben Text jedoch fügte er, nachdem er die Aufmerksamkeit vom Bolschewismus auf den Zionismus verlagert hat, hinzu: „Wir hoffen, dass die italienischen Juden auch weiterhin intelligent genug sind, den Antisemitismus nicht in dem einzigen Lande zu erwecken, in dem es ihn bisher niemals gege-
1 2 3
G. Fabre, Mussolini razzista, a.a.O. B. Mussolini, Opera omnia. 36 Bde. Florenz (La Fenice) 1951–1963, Bd. XIII (1954), S. 169 (Artikel vom 4. Juni 1919). Zitiert b. G. Fabre, Mussolini razzista, a.a.O., S. 255.
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Drittes Kapitel
ben hat“4. Damit wurden sie vorgewarnt und für eine etwaige Verfolgung selbst verantwortlich gemacht. Zu denen, die sich über diesen Artikel empörten, gehörte Dante Lattes, der im Namen der italienischen Zionistischen Union einen Protestbrief verfasste und sodann gegenüber Felice Ravenna das Ergebnis dieser Aktion mit folgenden Worten beschrieb: Mussolini hat den Brief nicht veröffentlichen wollen. Er sagt, das Publikum lebe von Eindrücken, und das Zurückkommen auf die Frage könnte für den Zionismus und für das Judentum schädlich sein; viele Juden seien zwar heldenhaft für Italien gestorben, es gebe aber auch die Treves und die Modigliani sowie die Juden, welche die russische, die deutsche und die ungarische Revolution unterstützt hätten, und dies kränke seinen italienischen Rassestolz. Alles dies hat natürlich mit dem Zionismus nichts zu tun; und man sieht darin den guten Glauben und die Intelligenz dessen, der der Zionismus deshalb angreift, weil er keine Sympathie für die 5 russische und für die deutsche Revolution empfindet“ .
Letztlich gab es für Mussolini ohnehin eine Verbindung zwischen allen Juden und allen ihren politischen Einstellungen, wie er im September 1921 abermals schrieb6. Im folgenden Jahr, am Vorabend des „Marsches auf Rom“, erklärte sogar die Leitung der Faschistischen Partei (Partito nazionale fascista – PNF): „Eine Judenfrage gibt es in unserem Lande nicht, und wir hoffen, dass es sie nie geben wird, oder wenigstens so lange nicht, wie der Zionismus die Israeliten Italiens nicht in die Verlegenheit bringt, zwischen dem italienischen und einem anderen Vaterland wählen zu müssen“7; diesmal wurde diese Hoffnung nur mit dem Zionismus verbunden, doch war ihr Inhalt nicht weniger bedrohlich. Am 16. November 1922 sprach Mussolini bei der Vorstellung seiner Ministermannschaft vor der Kammer Worte, die sich sehr deutlich über die Rechte ausließen, welche die Regierung den verschiedenen Religionen zuerkannte: „Alle religiösen Bekenntnisse werden respektiert; dies gilt ganz besonders für dasjenige, das herrschend ist, nämlich für den Katholizismus“8.
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6 7 8
B. Mussolini, Opera omnia, a.a.O., Bd. XV, 1954, S. 269, 271. ACDEC, Fondo Leone e Felice Ravenna, b. 7, fasc. 5/C: Brief von Dante Lattes an Felice Ravenna v. 9. November 1920 (vgl. auch L. Picchi, Dante Lattes, a.a.O., S. 186). „Il popolo d’Italia“ veröffentlichte übrigens andere Briefe von Juden; vgl. G. Fabre, Mussolini razzista, a.a.O., S. 357–361. Vgl. ebd., S. 370–73. Il fascismo italiano e le sue imitazioni all’estero, in: Il popolo d’Italia, 23. September 1922; zitiert b. G. Fabre, Mussolini razzista, a.a.O., S. 46. B. Mussolini, Opera omnia, a.a.O., Bd. XIX (1956), S. 22.
Verfolgung der Gleichheit des Judentums (1922–1936)
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Dies war ein Hinweis – mit einer besonders intoleranten Auslegung – auf Artikel 1 des Statuts des Königreichs Sardinien vom 4. März 1848: „Die römisch-katholische apostolische Religion ist die einzige Staatsreligion. Die anderen derzeit bestehenden Kulte werden im Rahmen der Gesetze toleriert“. Damit wurde der egalitäre Geist, der einen großen Teil der nachfolgenden Gesetzgebung geprägt hatte (beginnend mit dem Strafgesetzbuch von 1889, der in den Artikeln 140 bis 142 über die Verbrechen gegen die Religionen diese alle in der einzigen Kategorie der „im Staat zugelassenen Kulte“ erfasst hatte)9 zerstört. Der Osservatore Romano nahm am folgenden Tag die Neuigkeit deutlich zur Kenntnis: „Der Katholizismus wird von einer Religion, die den von unbedeutenden Minderheiten vertretenen Bekenntnissen ‘gleich’ steht, zu der ‘herrschenden Religion des Staates’“10. Diese Wende wurde ausgelöst durch das Zusammentreffen vielfacher Gründe, die verbunden waren mit dem Anwachsen der Präsenz der Katholiken und ihrer Forderungen im Lande, mit dem Kampf des PNF gegen ihre Organisationen, mit der Konstruktion einer national-katholischen Ideologie und mit der Rolle, welche Mussolini der römischen Kirche zudachte, und die er in seiner Rede vom 8. November 1921 auf dem Gründungskongress des PNF offen angekündigt hatte: „Der Katholizismus kann für die nationale Expansion genutzt werden“11. Betraf die neue Politik im Bereich der Religion auch in gleicher Weise die Gesamtheit der Nichtkatholiken, so war es doch den Juden bestimmt, die meisten Konsequenzen daraus zu ertragen, und zwar wegen ihrer größeren Unterschiedlichkeit sowie deswegen, weil diese Politik eine weitere Rechtfertigung und einen weiteren Anstoß zum Anwachsen des Vorurteils und der Feindlichkeit ihnen gegenüber lieferte. Mussolinis Verkündung vom 16. November 1922 erfuhr ein unmittelbares Echo im schulischen Bereich; am 22. November ordnete der Unterstaatssekretär für öffentliche Bildung, Dario Lupi, das Kruzifix, das als Symbol der „herrschenden Religion des Staates“ bezeichnet wurde, in allen Schulklassen der Elementarschulen, aus denen es entfernt worden war, wieder anzubringen12. 9 10 11 12
G. Fubini, La condizione giuridica, a.a.O., S. 36, 45. Zitiert b. E. Rossi, Il manganello, a.a.O., S. 55. B. Mussolini, Opera omnia, a.a.O., Bd. XVII (1955), S. 221. Vgl. auch ebd., Bd. XVI (1955), S. 444 (Rede vor der Kammer am 21. Juni 1921). Ministero della pubblica istruzione, Rundschreiben Nr. 68, „Immagine del Crocefisso e ritratto di S. M. il Re nelle aule delle Scuole elementari e popolari“, in: Bollettino ufficiale del Ministero dell’istruzione pubblica 1922, Nr. 49, S. 2188–89; s. auch D. Lupi, La riforma Gentile e la nuova anima della scuola. Mailand (Mondadori) 1924, S. 183–203.
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Drittes Kapitel
Wie mit Befriedigung bemerkt wurde, „kehrte das Kruzifix in weniger als fünf Jahren auf das Kolosseum, auf das Kapitol, in die Schulen, in die Kasernen, in die Gerichte, in die öffentlichen Büros und, nach ihrem Beispiel, in zahlreiche private Büros zurück“13. Einen Monat später, am 26. Dezember 1922, kündigte der neue Minister für öffentliche Bildung Giovanni Gentile an, dass er beabsichtige, aus dem katholischen Religionsunterricht „das hauptsächliche Fundament der öffentlichen Erziehung und der gesamten moralischen Restauration des italienischen Geistes zu machen“14. Am 1. Oktober 1923 bestimmte seine Gesetzesverordnung zur Reform des Primarunterrichts, die das, was bis dahin fakultativ gewesen war, in eine Verpflichtung umwandelte und eine „mit dem Heiligen Stuhl vereinbarte“ Formel benutzte15, dass „als Grundlage und Krönung des Elementarunterrichts in allen seinen Stufen die Unterweisung in der christlichen Lehre gemäß der in der katholischen Tradition übernommenen Form“ genommen werden solle16. Und die Ausführungsverordnung vom 11. November präzisierte: Der Religion […] wird ein wichtiger Platz in vielen Lehrfächern insoweit eingeräumt, als sie diese notwendigerweise mit ihrem Geist versieht. […] Deshalb sind die speziellen Stunden, welche der Religion gewidmet sind, nicht zahlreich, und sie müssen dazu bestimmt sein, über die im speziellen Programm bezeichneten Probleme nachzudenken, welche wie der Punkt sind, auf den sich alle in den verschiedenen Lehrfächern verstreuten Kulturelemente konzentrieren17. 13
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15 16 17
A. Giannini, La legislazione ecclesiastica fascista preconcordataria, in Chiesa e Stato. Studi storici e giuridici per il decennale della Conciliazione tra la Santa Sede e l’Italia, B. I.: Studi storici. Mailand (Vita e Pensiero) 1939, S. 499–500. Vgl. auch E. Rossi, Il manganello, a.a.O., S. 55. G. Gentile, Il fascismo al governo della scuola (novembre ’22–aprile ’24). Discorsi e interviste. Palermo (Sandron) 1924, S. 35. Zu den Vorschlägen und zu den Erklärungen Gentiles in diesen Monaten s. G. Turi, Giovanni Gentile. Una biografia. Florenz (Giunti) 1995, S. 316–326, und L. Ambrosoli, Libertà e religione nella riforma Gentile. Florenz (Vallecchi) 1980, S. 66–80. In einem Interview mit der Zeitschrift La tribuna vom 5. Januar 1923 erklärte Minister Gentile: „Wie man ein französisches Kind die französische Sprache lehrt und das englische Kind die angelsächsische, so halte ich es für notwendig, dass für ein italienisches Kind, das sich in einer überwiegend katholischen Nation heranbildet, die Unterweisung in der katholischen Religion unerlässlich ist“ (G. Gentile, Il fascismo, a.a.O., S. 37). A. Giannini, La legislazione ecclesiastica, a.a.O., S. 500. Kgl. Dekret vom 1. Oktober 1923 Nr. 2185: Ordinamento dei gradi scolastici e dei programmi didattici dell’istruzione elementare (Art. 3). Zu der Debatte in den Jahren 1922–1924 s. L. Ambrosoli, Libertà, a.a.O., passim. Die Verordnung fuhr folgendermaßen fort: „Das Lied-Programm schreibt religiöse Lieder vor; das Programm des Italienischen bietet zahlreiche Gelegenheiten, der Helden des Glaubens zu gedenken und sie zu verherrlichen. Das Programm der geistigen Freizeitbeschäftigung benennt als Elemente der Erzählungen des Lehrers auch religiöse
Verfolgung der Gleichheit des Judentums (1922–1936)
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Auf diese Weise nahm die Verordnung Gentiles im Übrigen dem Recht auf Befreiung von den speziellen Stunden, das in seinem Reformgesetz sanktioniert worden war, noch weiter seine Bedeutung. (Die Freistellung betraf nur die Teilnahme an den besagten Stunden und nicht die katholische Unterweisung; d.h. sie erlaubte, dass diese den Schülern direkt von den Eltern statt „in der Schule“ erteilt wurde)18. Parallel zu der religiösen bedeuteten die Reform Gentile und die nachfolgenden Regierungsakte einen harten Schlag auch für die sprachliche Differenzierung (mit größeren Konsequenzen für diejenige der slowenischen und kroatischen Bevölkerung): Die Neuordnung der Elementarschule vom 1. Oktober 1923 stellte den verpflichtenden Charakter des Unterrichts in italienischer Sprache fest und richtete „Zusatzstunden“ für die Unterweisung in der nichtitalienischen Muttersprache ein; ein Erlass vom November 1925 ordnete die Aufhebung dieses Ergänzungsunterrichts an19. Trotz ihrer Unterschiedlichkeit gehörten die Angriffe auf die Minderheitsreligionen und Minderheitssprachen und die Verherrlichung derjenigen der Mehrheit einer politischen Phase an, die dadurch gekennzeichnet war – wie damals von einem Mitarbeiter Gentiles bemerkt wurde –, dass die neue Konzeption der „Vorherrschaft“ an die Stelle derjenigen des „Zusammenlebens“ und/oder „friedlichen Konkurrenz“ trat20.
18
19 20
Motive; und welch bedeutenden Teil des Geschichtsunterrichts Personen und Ereignisse, die für die religiöse Kultur bedeutend waren, ausmachen, bedarf keiner Erwähnung“. Die Verordnung erinnerte ferner daran, dass das Kruzifix ein obligatorisches Element der Einrichtung aller Schulklassen sei, legte die Anzahl der Wochenstunden für Religion fest (eine oder zwei, je nach Klasse) und stellte klar, dass unabhängig von ihnen der „schulische Tagesablauf“ stets mit einem „kurzen religiösen Lied“ oder mit einem Gebet zu beginnen habe (Ordinanza ministeriale relativa agli orari, ai programmi e alle prescrizioni didattiche, in applicazione del Regio Decreto 1° ottobre 1923, n. 2185. Vom 11. November 1923, in: Bollettino ufficiale del Ministero dell’istruzione pubblica 1923, Nr. 51, S. 4590–4627; Zitate auf den Seiten 4594–95. Vgl. auch L. Ambrosoli, Libertà, a.a.O., S. 128–30) „Von der religiösen Unterweisung in der Schule sind die Kinder ausgenommen, deren Eltern erklären, sie persönlich unterweisen zu wollen“ (Kgl. Dekret v. 1. Oktober 1923 Nr. 2185, Art. 3). Vor dem Erlass des Dekretes war der obligatorische Charakter der religiösen Unterweisung in der Schule „für alle Schüler“ angekündigt worden: vgl. A. Carlini, L’insegnamento religioso nella scuola, in: L’educazione nazionale V Nr. 5– 6 (Mai–Juni 1923), S. 14–19; Nr. 10 (Oktober 1923), S. 4–6, sowie die Erwiderungen von R. Mondolfo, Scuola e libertà, in: Critica sociale XXXIII Nr. 13 (1.–15. Juli 1923), S. 195–196 und von L. Limentani, La religione nella scuola, in: Studi politici I Nr. 6–7 (Juni/Juli 1923), S. 161–166. Vgl. S. Stranj, La questione scolastica delle minoranze slave nella Venezia Giulia tra le due guerre, in: Storia contemporanea in Friuli XVII (1987), Nr. 18, S. 105–35. M. Graziussi, La politica scolastica del governo nazionale nei riguardi degli alloglotti, in: Annali della Pubblica Istruzione II. (Istituti medi e superiori I) Nr. 6 (5. Juli 1926),
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Drittes Kapitel
Und der Oberrabbiner von Rom Angelo Sacerdoti berichtete 1924, dass die Regierung sich geweigert habe, die Proteste des Konsortiums gegen das neue Schulgesetz zu berücksichtigen, „mit der Erklärung, man habe nicht vor, irgendeine besondere Verfügung zugunsten der Minderheiten zu erlassen, denn diese müssten sich als solche der Mehrheit unterordnen“21. 1923 und 1924 führte die Politik der „besonderen Beachtung“ gegenüber dem Katholizismus unter anderem zur Wiederverleihung der Eigenschaft als „gesetzliche Feiertage“ an einige katholische Festtage22, zur Beseitigung des Rechts auf Ehescheidung, das die Nichtkatholiken von Triest und Trient und alle Bewohner von Fiume besaßen23, zu der von Mussolini persönlich gewünschten Einreihung nur der Verunglimpfung der „Staatsreligion“ unter die durch das neue Pressegesetz besonders bestraften Verunglimpfungen24. In den fünf Jahren danach fand diese Politik ihren Ausdruck in einigen Regelungen organischen und allgemeinen Charakters: Der Einheitstext der Gesetze über die öffentliche Sicherheit vom November 1926 und das neue Strafgesetzbuch (bekannt gemacht 1927 und erlassen 1930), die endgültig den unterschiedlichen Rechtsschutz der einen Glaubensrichtung und der anderen Glaubensrichtungen25 festschrieben, und vor allem der am 11. Februar 1929 zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Königreich Italien abgeschlossene
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S. 31–32; zitiert b. A. Andri, Fascismo, scuola e minoranze etniche nella Venezia Giulia, Maschinenschrift eines 1998 gehaltenen Vortrages. Israel IX Nr. 46 (20. November 1924). Kgl. Gesetzesdekret v. 30. Dezember 1923 Nr. 2859: Elenco dei giorni festivi a tutti gli effetti civili, delle feste nazionali e delle solennità civili; vgl. E. Rossi, Il manganello, a.a.O., S. 88–89. Kgl. Dekret v. 20. März 1924 Nr. 352: Estensione al territorio di Fiume dell’ordinamento dello stato civile ed estensione a tutti i territori annessi al Regno delle disposizioni del Codice civile italiano in materia di matrimonio [...]; vgl. E. Capuzzo, Dal nesso asburgico alla sovranità italiana. Legislazione e amministrazione a Trento e Trieste (1918–1928). Mailand (Giuffrè) 1992, S. 143–148, 159–162; Ders., Gli ebrei, a.a.O., S. 149–152. Kgl. Gesetzesdekret v. 15. Juli 1923 Nr. 3288 (Art. 2); vgl. A. Aquarone, L’organizzazione dello stato totalitario. Turin (Einaudi) 1965, S. 39–41, 344–346. Zum Eingreifen von Mussolini vgl. R. De Felice, Mussolini il fascista. Bd. I: La conquista del potere 1921–1925. Turin (Einaudi) 1966, S. 531–532, Fußn. 2. Kgl. Dekret v. 6. November 1926 Nr. 1848 (Art. 114, 232); Codice penale vom 19. Oktober 1930 (Buch II, Titel IV, Kap. I, Art. 402–406). Vgl. A. C. Jemolo, Elementi di diritto ecclesiastico. Florenz (Vallecchi) 1927, S. 267; G. Fubini, La condizione giuridica, a.a.O., S. 53. Am 6. Mai 1928 beschloss das Komitee des Konsortiums ein Papier für den Justiz- und Kultusminister, worin gesagt wurde, dass der Entwurf des Strafgesetzbuchs „den Grundsatz der Rechtsgleichheit aller Bürger beeinträchtigt“ (AUCEI, Fondo UCII, Attività fino al 1933, b. 36, fasc. 135; ACS, Ministero di grazia e giustizia, Gabinetto, b. 7, fasc. 5).
Verfolgung der Gleichheit des Judentums (1922–1936)
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Vertrag, der zur Bezeichnung des Katholizismus als „einzige Staatsreligion“ zurückkehrte, sowie das gleichzeitig abgeschlossene Konkordat, das „die Unterweisung in der christlichen Lehre in der in der katholischen Tradition überlieferten Form“ zur „Grundlage und Krönung der gesamten öffentlichen Erziehung“ machte26. Zur Abrundung dieser Regelungen unterwarf die zwischen Juni 1929 und Februar 1930 ergangene Gesetzgebung über die anderen, als „im Königreich zugelassen“ bezeichneten Kulte diese Kontrollen, Beschränkungen und Verboten, die sehr viel härter waren als die für den Katholizismus vorgesehenen (u.a. machte sie die Ernennung der Religionsdiener jener Glaubensrichtungen von der Genehmigung der Regierungsbehörde abhängig und räumte der letzteren die Befugnis ein, die Verwaltung einer Kultusgemeinde aufzulösen und einen Kommissar nach eigener freier Wahl zu ernennen, der nicht unbedingt der betreffenden Religion angehören musste)27. Diese und andere Bestimmungen schafften eine Situation, welche deutliche Züge der Verfolgung religiöser Gleichheit trug. Und solange die Möglichkeit bestand, die faschistische Regierung offen zu kritisieren, brachten die Juden ihre Proteste und Besorgnisse zum Ausdruck. Der Senator Vittorio Polacco nannte im Februar 1925 während der Debatte über die Reform Gentile im Senat diese einen „moralischen Pogrom“28. Im Laufe des Jahres 1923, noch vor ihrem tatsächlichen Erlass, stellte sich im Februar Felice Momigliano die Frage nach dem Schicksal des jüdischen Lehrers; im Juni brachte Benvenuto Terracini die Befürchtung zum Ausdruck, dass „in der neuen italienischen Elementarschule es keinen Platz für jüdische Schüler und erst recht nicht für jüdische Lehrer mehr geben“ werde; im September schrieb Angelo Sacerdoti noch prophetischer: „Die Annahme ist erlaubt, dass den Juden in nicht vielen Jahren die Ausübung des Lehramts an öffentlichen Schulen verschlossen sein 26
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Gesetz vom 27. Mai 1929 Nr. 810: Esecuzione del Trattato, dei quattro allegati annessi e del Concordato, sottoscritti in Roma, fra la Santa Sede e l’Italia, l’11 febbraio 1929 (Art. 1 des Vertrages und Art. 36 des Konkordats). Der katholische Religionsunterricht in den Mittelschulen wurde sodann durch Gesetz vom 5. Juni 1930 Nr. 824 geregelt. Gesetz vom 24. Juni 1929 Nr. 1159: Disposizioni sull’esercizio dei culti ammessi nello Stato e sul matrimonio celebrato davanti ai ministri dei culti medesimi (insb. Art. 3); Kgl. Dekret v. 28. Februar 1930 Nr. 289: Norme per l’attuazione della legge 24 giugno 1929, n. 1159, sui culti ammessi nello Stato e per il coordinamento di essa con le altre leggi dello Stato (insb. Art. 14). Vgl. G. Fubini, La condizione giuridica, a.a.O., S. 53– 55. Kritische zeitgenössische Untersuchung der Vorschriften von 1929/30 b. U. Della Seta, La Legge fondamentale sui Culti ammessi (valutazione etica). Modena (Guanda) 1937. V. Polacco, Per la libertà di coscienza e la tutela delle minoranze religiose. Rom (Tipografia del Senato) 1925, S. 13.
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Drittes Kapitel
wird“, mit der Begründung, dass es ihnen nicht möglich sei, diese gemäß den Gentilianischen Vorschriften zu „begründen“ und zu „krönen“29. Zehn Tage vor den Wahlen vom 6. April 1924 gab es einen Polizeibericht, wonach die Möglichkeit einer breiten Wahlenthaltung der Juden Roms aus Protest gegen die Religionspolitik der Regierung bestand30; und am Ende jenes Jahres zog in einer Sitzung des Rates der israelitischen Gemeinde von Rom ein Ratsmitglied, das über die Einführung von katholischen Predigten mit obligatorischer Teilnahme in den Kasernen berichtet hatte, den Schluss: „Wir sind in einer schlechteren Lage als unter dem Papst“31. Mag diese Äußerung übertrieben gewesen sein, so bildete sie doch einen guten Indikator für die jüdische Empörung über die Rückwärtsentwicklung im ganzen Lande innerhalb von kaum zwei Jahren. Zusammenfassend wurde festgestellt: Mit dem Aufstieg des Faschismus zur Regierung begann das vorher bestehende Gebäude der italienischen Kirchenpolitik und -gesetzgebung immer schneller und tiefgreifender zu zerbröckeln, da es an seinen Grundmauern angegriffen wurde von den geänderten, konfessionalistischen und auf Kollaboration gerichteten Einstellungen und Prinzipien der neuen Regierung, welche die, von denen es bisher getragen war und welche sein ideologisches Fundament bildeten, völlig entgegengesetzt waren. […] Man kehrte dahin zurück, dem Katholizismus einen besonderen Stellenwert einzuräumen als einem Glauben und einer Glaubenslehre, welche die gesamte Geschichte, Bildung und Kultur des italienischen Volkes innig durchdrungen hatte, und vor allem als „offizielle Staatsreligion“32. 29
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A. Cavaglion, Felice Momigliano (1866–1924). Una biografia. Bologna (Il Mulino) 1988, S. 199; B. Terracini, Il dibattito sulla questione della scuola ebraica, in: Israel VIII Nr. 26 (28. Juni 1923); A. Sacerdoti, Un grido d’allarme, ebd., Nr. 38 (17. September 1923). Anfang Juni dieses Jahres hatte Gentile erklärt: „Falls jemand sich nicht in der Lage sieht, als Lehrer in der Schule tätig zu sein [d.h. diese Grundlage und Krönung zu vermitteln], wird er etwas anderes machen können“ (G. Gentile, Il fascismo, a.a.O., S. 149); einige Wochen später ergänzte er, dass jene Lehrer in der Schule würden bleiben könnten, da „es nicht nötig ist, dass jeder Lehrende Religionsunterricht erteilt und auch kein Zweifel darüber besteht, dass die Zahl derer, die bereit sind, ihn zu erteilen, stets weiter ansteigen wird“ (ebd., S. 193), doch auch diese letzte Formel behielt einen unbestimmt drohenden und gegenüber den Rechten der Lehrer gänzlich gleichgültigen Ton bei. R. De Felice, Mussolini il fascista. Bd. I, a.a.O., S. 578, Fußn 4. Israel X Nr. 1 (1. Januar 1925). P. A. D’Avack, Trattato di diritto ecclesiastico italiano. Parte generale. 2. Aufl. Mailand (Giuffrè) 1978, S. 127. F. Margiotta Broglio, Italia e Santa Sede dalla grande guerra alla Conciliazione. Aspetti politici e giuridici. Bari (Laterza) 1966, S. 249, hat seine Ablehnung eines entsprechenden Urteils von D’Avack über einen bereits 1922/23 erfolgten „radikalen Bruch“ des Faschismus gegenüber der vorherigen Politik und Gesetzgebung in Bezug auf die Kirche erklärt, während S. Scoppola, La Chiesa e il fascismo. Documenti e interpretazioni. Bari (Laterza) 1971, S. 64, jene ersten Akte als „Gunstbeweise der faschistischen Regierung an Religion und Kirche“
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Seit Frühjahr 1925 nahmen, parallel zur Errichtung der Diktatur, die öffentlichen jüdischen Proteste eine immer gedämpftere Form an. Im Jahre 1930 schloss Mario Falco seine technische Kritik an dem, was das neue Strafgesetzbuch für die religiösen Minderheiten bestimmte, mit der bitteren Bemerkung: „Wenn denn dieses Problem nicht gemäß der Logik des Rechts, sondern gemäß den politischen Bedürfnissen gelöst werden muss, so ist klar, dass die Juristen nichts mehr zu sagen haben“33. Die oben erwähnten Besorgnisse und Proteste kamen aus der Gemeinde von Rom, aus dem Kreis um die Wochenzeitschrift Israel und aus dem gebildeten Bürgertum. Es ist interessant festzustellen, dass die erstere gerade einmal ein halbes Jahrhundert seit dem Abschluss des Prozesses der Emanzipation zurückgelegt hatte und dass gerade aus den beiden anderen Bereichen jene Gruppe von leitenden Personen hervorging, die in den 30er Jahren die Faschisierung der nationalen jüdischen Organisation Italiens vereitelte. Der beschriebene Kampf wurde indessen nicht nur von Angehörigen der älteren und mittleren Generation geführt – in dieser veränderten Lage der Juden in Italien sind wahrscheinlich die Gründe zu suchen, welche den 33jährigen Sabatino genannt Nello Rosselli (der später auf faschistischen Befehl getötet wurde) bestimmten, sich im November 1924 zum jüdischen Jugendkongress in Livorno zu begeben und den anderen Kongressmitgliedern gegenüber die besondere, von ihm ausgebildete Identität anzusprechen, welche stark laizistisch war, sich aber doch innerhalb der Judentums bewegte und konsequenter als diejenige Luigi Luzzattis war 34; und bereits Mitte 1923 hatte – fast als Echo auf die jüngsten
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bezeichnet hat. Im Ergebnis sind diese Erörterungen zutreffend, soweit sie auf die großen Knotenpunkte der Kirchengesetzgebung und auf die Frage der Beziehungen zwischen Italien und dem Heiligen Stuhl bezogen sind, was jedoch die umfassende Frage der Religionspolitik der neuen italienischen Regierung und die Bedingungen, denen die letztere die Gläubigen von Minderheitsreligionen unterwarf, finden die Urteile von D’Avack Bestätigung sowohl in den jüdischen Reaktionen als auch in den Kommentaren der katholischen Presse und in den Äußerungen von Gentile und Mussolini (s. dazu neben dem im Text Berichteten E. Rossi, Il manganello, a.a.O., S. 55– 60). Zu Kirche und Faschismus s. auch G. Miccoli, Fra mito della cristianità e secolarizzazione. Studi sul rapporto chiesa-società nell’età contemporanea. Casale Monferrato (Marietti) 1985, S. 112–130. M. Falco, Le minoranze religiose e il progetto del nuovo codice penale, in: RMI V Nr. 4 (August 1930), S. 227. Vgl. D. Bidussa, Tra avanguardia e rivolta. Il sionismo in Italia nel primo quarto del Novecento, in: D. Bidussa / A. Luzzatto / G. Luzzatto Voghera, Oltre il ghetto, a.a.O., S. 244–274. Zum Kongress von Livorno und zu Nello Rosselli vgl. auch M. Toscano, Ebraismo e antisemitismo, a.a.O., S. 99–107; B. Di Porto, Il problema ebraico in Nello Rosselli, in: Giustizia e Libertà nella lotta antifascista e nella storia d’Italia. Attualità dei fratelli Rosselli a quaranta anni dal loro sacrificio. Florenz (La Nuova Italia) 1978,
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Erklärungen des letzteren über seine jüdische „Heimkehr“ angesichts der „Vorwürfe“ und „Verfolgungen“35 – Ludovico Limentani in einer Polemik gegen einen Vertreter der faschistischen Schulreform sich öffentlich zu seiner jüdischen Identität bekannt: „Herr Prof. Carlini wird gewiss nichts als abschätzige Ausdrücke für diese Kritik übrig haben, die ihm von einem Mann der Linken und obendrein noch von einem Juden entgegengehalten wird“36. Nicht zufällig gab es gerade auf dem Felde der Schulpolitik eine jüdische Erwiderung auf die Mussolinische Politik. Im Dezember 1912 hatte Elia Samuel Artom auf dem jüdischen Jugendkongress in Turin vorgetragen, dass die jüdischen Elementarschulen auf der Halbinsel zwar sehr verbreitet seien, in Wirklichkeit aber nur sehr wenige, meistens arme Schüler besäßen; außerdem böten nur diejenigen von Florenz und Livorno den gesamten Zyklus von sechs Klassen an, welchen die Regierungsprogramme vorsähen37. Insgesamt bilde das jüdische Unterrichtswesen, ob nun ergänzend oder ersetzend im Verhältnis zum öffentlichen Schulwesen, wenig mehr als eine teilweise Ausdehnung des Grundsatzes der Unterstützung und Wohltätigkeit. Die Vertreter der Bewegung der (religiösen, nationalen oder auch kulturellen) Wiedergeburt des Judentums waren jedoch von der Notwendigkeit ihres qualifizierten und allgemeinen Aufbaus überzeugt und setzten sich im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts in diesem Sinne in den jüdischen Gemeinden und in der jüdischen Presse ein. Als die Reform Gentile eingetreten war, verband sich dieser programmatische Einsatz mit der neuen Notwendigkeit, die Freiheit, die eigenen Kinder zum Judentum zu erziehen, zu verteidigen (Angelo Sereni und Angelo Sacerdoti berichteten, dass Gentile ihnen gesagt habe, er könne nicht garantieren, dass es in der neuen Schule keinen Proselytismus seitens der katholischen Lehrer gegenüber jüdischen Kindern geben werde)38, und diese Verknüpfung führte
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S. 491–499; G. Belardelli, Nello Rosselli uno storico antifascista. Florenz (Passigli) 1982, S. 44–48; Z. Ciuffoletti (Hrsg.), Nello Rosselli. Uno storico sotto il fascismo. Lettere e scritti vari (1924–1937). Florenz (La Nuova Italia) 1979, S. XI–XIV, 1–5. Auch R. De Felice, Storia degli ebrei italiani sotto il fascismo. 4. Aufl. Turin (Einaudi) 1988, S. 78–91, hebt die Anwesenheit von Rosselli in Livorno hervor, erkennt ihr aber die Bedeutung einer Antwort auf die faschistische Politik schlechthin und nicht diejenige einer Reaktion speziell auf die Religionspolitik der neuen Regierung zu. S.o. Kap. I, S. 10–11. L. Limentani, La religione, a.a.O., S. 165; zu Carlini vgl. o. Fußn. 18. E. S. Artom, La scuola ebraica in Italia. Relazione letta al 2 Convegno giovanile ebraico (Torino, 24. dicembre 1912). Florenz (Tipografia Giuntina) 1913, S. 11, 13, 20. Zur Lage in Triest in jenen Jahren vgl. T. Catalan, La Comunità Ebraica, a.a.O., S. 162–63. Im Frühjahr 1924 berichtete Angelo Sereni, dass der Minister „nicht einmal die Möglichkeit eines katholischen Proselytenmachens seitens der Lehrer bei den jüdischen
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zu Ergebnissen von großer Bedeutung – von denen an erster Stelle die Errichtung der israelitischen Elementarschule in Rom im Sommer 1924 steht39. Weil die faschistische Schulreform auf der Gleichsetzung von Nation und Mehrheitsreligion beruhte, waren in der Debatte, die sich innerhalb des Judentums entspann, die besondere Frage der Schule und die allgemeine Frage der jüdischen Identität mit einander verknüpft. So trafen im Juni 1927 in Venedig der Oberrabbiner Adolfo Ottolenghi, der eine jüdische Schule befürwortete, „weil es kein Separatismus ist, gute Juden und gute Bürger heranzubilden“ und das Ratsmitglied Paolo Errera, der erwiderte „Wir wollen vor allem Italiener sein, und keine Handlungen begehen, die gefährlich sein könnten“, aufeinander40. Eines der Probleme, mit denen die Bewegung für die Wiedergeburt des Judentums sich konfrontiert sah, war dasjenige der geringen Zahl italienischer Rabbiner. Das Problem gewann besondere Bedeutung in der Gemeinde von Gorizia, die schon seit langer Zeit das Italienische übernommen hatte und Abramo Vita Reggio und Isacco Samuele Reggio zu Führern gehabt hatte. 1926 berichtete einer ihrer Vertreter an die Gemeinschaft: „Rabbiner in Italien gibt es nicht. Die Leute in Gorizia würden sich auch mit einem ‘Lehrer’ begnügen. Eine geeignete Person wurde nicht gefunden; doch ist in den kleinen Gemeinden die Rabbinerfrage eine Frage von Leben und Tod“; daher habe Gorizia, „das in der Zeit der Knechtschaft dem freien Italien die Rabbiner lieferte“, sich entschlossen, „einen ausländischen Rabbiner zu berufen“41.
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Schülern ausgeschlossen hat“; s. Israel IX Nr. 22 (5. Juni 1924). Vgl. auch ebd., Nr. 46 (20. November 1924). Vgl. F. Del Regno, Gli ebrei a Roma, a.a.O., S. 10, 56–61. Die jüdische Elementarschule von Mailand wurde 1920 um die Klassen IV und V ergänzt; 1926 begann die Suche nach einem größeren Standort (vgl. A. Jarach, Storia di ier l’altro: le origini, in: Comunità israelitica di Milano, La scuola ebraica di Milano. Mailand 1955, S. 16–17). Zur Haltung der jüdischen Institutionen s. auch A. Sereni, Relazione al Congresso (1925), in: Consorzio delle comunità israelitiche italiane, Relazione al Congresso (1925). Rom (Tipografia La Professionale) 1925, S. 19–23. Die schulische Tätigkeit beförderte die Begegnung der jüdischen Frauen: „Diese Reform [Gentiles] hat gewiss zu einem nicht geringen Teil zur Förderung der Bildung unserer Organisation beigetragen“ [E. Polacco, La fondazione e l’attività nel primo quinquennio, in: Associazione donne ebree d’italia, Dalla nascita ai giorni nostri. Breve storia della Federazione italiana della WIZO. Venedig (Adei) 1971, S. 30]. S. Levis Sullam, Una comunità, a.a.O., S. 112–13. A. Cedarmas, La Comunità Israelitica di Gorizia (1900–1945). Udine (Istituto friulano per la storia del movimento di liberazione) 1999, S. 67–68. Der neue Leiter war Isidoro Kahan aus Frankfurt am Main, also ein „deutscher Rabbiner“, wie Angelo Sullam bemerkte (ebd., S. 69). Erst nach den Verfolgungsgesetzen von 1938 und mit der Vertreibung der ausländischen Juden und der weiteren Verarmung der Gemeinde kehrte Gori-
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Die politische Wende vom Herbst 1922 führte nicht nur zu der von Regierungsseite betriebenen Verfolgung der religiösen Gleichheit. Sie wurde flankiert und begleitet von einer gewissen Verbreitung der antijüdischen Propaganda im Lande und von einigen Vorkommnissen von Gewaltausübung, die noch ganz isoliert waren und von der neuen Staatsführung nicht unterstützt – und auch nicht gebilligt – wurden, aber doch von einigem Gewicht waren. Die letzteren ereigneten sich in Tripolis in der zweiten Augusthälfte 1923 und in Padua in der Nacht vom 1. zum 2. Dezember 1926. In der afrikanischen Kolonie brachte das Klima der Spannung zwischen libyschen Juden und italienischen Behörden und faschistischen Organisationen unvermittelt eine Kette von Zwischenfällen hervor (in deren Verlauf ein italienischer Soldat getötet wurde), zu denen auch eine faschistische „Strafexpedition“ in das jüdische Wohnviertel gehörte. Wie Renzo De Felice bemerkt hat, muss die Verantwortlichkeit dafür dem „unruhigsten und extremsten Teil des faschistischen Elements“ zugeschrieben werden42; doch gerade die Existenz dieses „Teils“ und seine Fähigkeit zur Aktion verdienen registriert zu werden wegen ihrer Neuheit gegenüber der vorherigen Zeit und weil – wovon noch die Rede sein wird – zwanzig Jahre später von neuem die Juden von zwei Städten außerhalb der Halbinsel (Bengasi und Split) die schlimmsten faschistischen Gewalttätigkeiten (vor der Deportation) über sich ergehen lassen mussten. Der Soziologe Robert Michels hatte 1924 von der Existenz einer regelrechten „antisemitischen Strömung“ im „faschistischen Bereich“ gesprochen43. Der Vorfall in der Stadt im Veneto war weniger blutig, aber nicht weniger gewichtig: Im Rahmen der breiten Gewaltwelle im Gefolge des Attentats auf Mussolini vom 31. Oktober 1926 brach eine Gruppe von 50 Squadristen die Tore der Hauptsynagoge von Padua und eines kleinen in der Nähe gelegenen Tempels, der damals nur für Vorträge benutzt wurde, auf und richtete schwere Schäden an den Einrichtungsgegenständen und an heiligen Gegenständen an – unter anderem wurden „einige Bücher (Bibeln, Tefilod) einige Taledod und Tefilim“ und andere Paramente auf die Straße geworfen oder jedenfalls entwendet44. Auch für die Ereignisse in Padua kann man dieselbe Verantwortlich-
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zia zur Leitung durch einen Italiener zurück, der allerdings nicht den Rabbinertitel besaß: Aldo Orvieto, der dann in der Deportation getötet wurde (ebd., S. 70). R. De Felice, Ebrei in un paese arabo, a.a.O., S. 188–92; Zitat auf S. 191. Zitat b. G. Fabre, Mussolini razzista, a.a.O., S. 444. AUCEI, Fondo UCII, Attività fino al 1933, b. 29, fasc. „Stampa antisemita“, Brief des Vorsitzenden der israelitischen Gemeinde Padua an den Vorsitzenden des Konsortiums der italienischen israelitischen Gemeinden vom 8. November 1926 (auf das Dokument wurde ich freundlicherweise hingewiesen von Pier Cesare Ioly Zorattini); von Zorattini vgl.: Una salvezza che viene da lontano. I purim della comunità ebraica di Padova. Flo-
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keit wie für diejenigen in Tripolis drei Jahre zuvor annehmen, doch muss, was deren Gewicht angeht, hervorgehoben werden, dass bis dahin nichts Derartiges im vereinten Italien vorgefallen war (Der letzte Angriff auf eine Synagoge der Halbinsel war fast ein halbes Jahrhundert vorher geschehen, und dies im damals noch habsburgischen Triest)45. Zu ergänzen ist noch, dass Israel über die Verwüstung von Padua berichtete, jedoch präzisierte, dass „irgendein politischer oder antijüdischer Charakter in dieser Tat auszuschließen ist“46; diese Äußerung bildete das Ergebnis der Handlungslinie, welche von Angelo Sullam und dem damaligen Herausgeber der Zeitung Alfonso Pacifici verabredet worden war: Dieser sollte – „um keine Überraschungen zu erleben – Vereinbarungen mit dem Präfekten von Florenz über die Veröffentlichung eines kurzen Berichts zu den Vorfällen von Padua“ schließen47. Auch hinsichtlich erlittener Gewalt vermied man nun das Mittel der öffentlichen Denunziation und griff bzw. griff erneut zu demjenigen der jüdischen defensiven Selbstzensur. Was die Gewalt angeht, so ist zu erwähnen, dass im Jahre 1929 Carlo Sforza in einer US-amerikanischen jüdischen Zeitschrift behauptete, in Livorno 1923 und in Florenz 1925 hätten squadristische Aktionen „eine spezifisch antisemitische Form angenommen“48. Tatsächlich hatte es in den beiden toskanischen Städten faschistische Aggressionen und Gewalttaten gegen Giuseppe Emanue-
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renz (Olschki) 2000, S. 89–101. Ein etwas ungenauer Hinweis findet sich b. U. Nahon, Batte Keneseth d’Italia in Israele, in: Ders. (Hrsg.), Scritti in memoria di Sally Mayer (1875–1953). Saggi sull’ebraismo italiano. Jerusalem (Fondazione Sally Mayer) 1956, S. 270. Im August 1882 hatten einige Leute aus dem Pöbel unter dem Ruf „Tod den Juden“ versucht, in die Synagoge des damals österreichischen Triest einzudringen, und dabei die Türen und Fenster zerbrochen [T. Catalan, Società e sionismo a Trieste fra XIX e XX secolo, in: G. Todeschini / P. C. Ioly Zorattini (Hrsg.), Il mondo ebraico. Gli ebrei tra Italia nord-orientale e impero asburgico dal Medioevo all’Età contemporanea. Pordenone (Studio Tesi) 1991, S. 466–467]. Israel XII Nr. 9 (11. November 1926). ACDEC, Fondo Angelo Sullam, b. 1 (vorläufige Nummerierung), fasc.: „Devastazione sinagoga di Padova 1926“, Durchschlag eines Briefes von Angelo Sullam an Dante Lattes vom 12. November 1926. „Carlo Sforza, brilliant exiled statesman, sees Fascism a menace to the intellectual contribution by Jews to the welfare of Italy, a barrier to their national status“, in: The American Hebrew, 22. November 1929, S. 39, 93, 97, 100; Zitat auf S. 97. Derzeit ist jedoch nicht bekannt, welches die „wenig zahlreichen antisemitischen Vorfälle“ waren, auf die Eliezer Ben David (Guido Bedarida) in einem umfassenden Artikel hinweist, der 1928 in „The Reflex“ in Chicago und später unter dem Titel Les Juifs et Mussolini, in: La revue littéraire juive III, Nr. 1–2 (Januar/Februar 1929), S. 63–73, erschien, Zitat auf S. 73.
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le Modigliani, Uberto Mondolfi und die Brüder Rosselli gegeben49; indessen waren zusammen mit ihnen auch viele nichtjüdische Antifaschisten verletzt (und in einigen Fällen auch getötet) worden, so dass man anscheinend sagen kann, der Antisemitismus habe wahrscheinlich eine „zusätzliche“ Motivation des Angriffs auf die jüdischen Oppositionellen gebildet, nicht aber das hauptsächliche Merkmal dieser Taten. Über die Ereignisse von Tripolis und über die Realität des Antisemitismus in Italien drückte sich Angelo Sullam in einem Brief vom September 1923 an Angelo Sereni anlässlich des plötzlichen Todes des Florentiners Raffaello Della Pergola, seit 1910 Großrabbiner von Alexandria in Ägypten, folgendermaßen aus: Ich erlaube mir, Sie zu fragen, ob man daran gedacht hat, Exz. Della Pergola irgendwie zu ersetzen und damit die italienische Tradition im größten Handelsplatz Ägyptens fortzuführen. Ebenso weiß ich nicht, ob es möglich gewesen ist, jemanden zu finden, den man nach Korfu senden kann. Ich verhehle mir gewiss nicht, dass der Augenblick alles andere als leicht ist und dass es vielmehr Vorfälle, wie diejenigen von Tripolis gibt, welche lebhafte Besorgnisse wecken und daran zweifeln lassen, ob der italienische Charakter der Gemeinden von Alexandria, von Korfu und anderen nicht problematisch werden kann angesichts des Ausbruchs des 50 Antisemitismus sogar im Schatten der italienischen Flagge .
Und nachdem Sereni ihn darüber informiert hatte, dass er vom Außenministerium gebeten worden sei „Vorschläge für den rabbinischen Stuhl von Alexandria in Ägypten zu machen, weil Frankreich sich bereits eifrig bemüht, ihn einem französischen Rabbiner anzuvertrauen“, bekräftige Sullam: Man könnte bei dieser Gelegenheit dem Außenministerium gegenüber klar machen, dass, wenn man so großen Wert auf den italienischen Charakter der Juden von Alexandria lege, man als erste und besonders dringende Angelegenheit, dem Antisemitismus, der in Tripolis im Namen der Regierung und auch in Italien offiziell stattfinde, Einhalt, und zwar deutlichen Einhalt, gebieten sollte51. 49
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Vgl. F. Pieroni Bortolotti, Comunisti e fronte operaio nella lotta contro il fascismo, in: N. Badaloni / F. Pieroni Bortolotti, Movimento operaio e lotta politica a Livorno 1900– 1926. Rom (Editori Riuniti) 1977, S. 150; G. Salvemini, Il „Non Mollare“, in: Non Mollare (1925). Florenz (La Nuova Italia) 1955, S. 19, 25–26, 32; G. Fiori, Casa Rosselli. Vita di Carlo e Nello, Amelia, Marion e Maria. Turin (Einaudi) 1999, S. 51–54. ACDEC, Fondo Angelo Sullam, b. 1 (vorläufige Nummerierung), fasc. „Corrispondenza 1923“, Durchschlag eines Briefes von Angelo Sullam an Angelo Sereni vom 12. September 1923. Auch im Jahre 1914 hatte Sullam antisemitische Episoden in Libyen gemeldet; vgl. o. S. 15. Das Amt in Korfu wurde 1924 von dem Ungarn Abraham Schreiber übernommen; A. Cedarmas, La Comunità Israelitica, a.a.O., S. 79. ACDEC, Fondo Angelo Sullam, b. 1 (vorläufige Nummerierung), fasc. „Corrispondenza 1923“, Durchschlag des Briefes von Angelo Sullam an Angelo Sereni vom 27. September 1923 (und Brief von Angelo Sereni an Angelo Sullam vom 24. September 1923).
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Es ist nicht genau bekannt, welche Bedeutung er dem Wort „Antisemitismus“ beilegte. Berücksichtigt man seine gute Kenntnis der materiellen Feindlichkeit, welche so viele europäische Juden veranlasste, sich an das Unterstützungskomitee, das er leitete, zu wenden, so könnten wir annehmen, dass die letzteren Worte Sullams auf einen Brandanschlag von bescheidenem Umfang anspielten, der am 20. September 1923 auf ein jüdisches Vereinslokal in Triest verübt worden war52. Aber auch die Annahme einer allgemeineren Bedeutung wäre berechtigt gewesen. Tatsächlich hatte die antisemitische Presse dem „Marsch auf Rom“ und seinem Ausgang applaudiert oder ihn direkt unterstützt. So schrieb der Herausgeber der Rivista di Milano ausgerechnet im Editorial, worin er seinen Glückwunsch zur Ernennung Mussolinis zum Ministerpräsidenten aussprach: Heute ist gegen alle jene Feinde nur ein einziges Mittel gut. Befehlen und, wenn es sein muss, erschießen! Es sind zu viele naive Sozialisten erschossen worden, aber es ist kein einziger jüdischer Finanzmann erschossen worden, der in einer Stunde Italien mehr Schaden zufügen kann als es hundert Sozialisten vermögen. Mussolini weiß besser als wir, dass der Sozialismus der Prügelknabe des Finanzjuden war. Hat man den Prügelknaben beseitigt, so gilt es jetzt denjenigen zu liquidieren, der ihn in Bewegung gesetzt hat53.
Das Wachstum (an Menge und vor allem an Bedeutung) der antijüdischen Propaganda war auch im Ausland wahrgenommen worden. Im März 1923 äußerte Chaim Weizmann – Präsident des Zionistischen Weltkongresses (der damals einzigen internationalen Organisation der jüdischen Welt, nachdem die Alliance israélite universelle des 19. Jahrhunderts viel von ihrer Bedeutung eingebüßt hatte), der in dieser Eigenschaft zu Beginn des Jahres Mussolini bereits getroffen hatte54 – in einer Rede seine Besorgnis über den Antisemitis52 53
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Vgl. Israel VIII Nr. 39 (4. Oktober 1923) und Nr. 46 (22. November 1923); die jungen Attentäter erklärten, sie seien von den judenfeindlichen Reden eines Priesters aufgeheizt worden. A. Raimondi, Mussolini al governo, in: Rivista di Milano V Nr. 87 (10. November 1922), S. 100. Der Antisemitismus des Periodikums (dazu auch o. Kap. I, Fußn. 48, sowie A. Sereni, Relazione, a.a.O., S. 6) wurde auch außerhalb Italiens registriert: J. Starr, Italy’s Antisemites, in: Jewish Social Studies I Nr. 1 (Januar 1939), S. 109, stellt ihn für jene frühen 20er Jahre an die zweite Stelle nach demjenigen von Giovanni Preziosis La vita italiana. Vgl. auch F. Germinario, Liberismo e antisemitismo, a.a.O., S. 195–96, 213–19. Vgl. Israel VIII Nr. 1 (4. Januar 1923); das Treffen fand am 3. Januar statt. Am Tag zuvor hatte Mussolini den Präsidenten des Konsortiums der Gemeinden und der Gemeinde von Rom Angelo Sereni empfangen (ebd.). Am 20. Dezember 1922 hatte er zur Vorbereitung des Besuchs von Weizmann die zionistischen Vertreter Dante Lattes und Moisè Beilinson, begleitet von Angelo Sacerdoti, empfangen [M. Michaelis, Gli ebrei italiani, a.a.O., Teil IX, in: RMI XXXII Nr. 1 (Januar 1966), S. 28–30 und das Dokument nach S. 24].
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mus, der in Italien von der „schrecklichen politischen Welle namens Faschismus“ ausgelöst worden sei55. Diese und andere Nachrichten bestimmten Mussolini, ein entschiedenes Dementi zu verbreiten. Am 30. November 1923 empfing er Angelo Sacerdoti und erklärte ihm – wie das offizielle Kommuniqué der Begegnung klarstellte – „in aller Form, dass die Regierung und der italienische Faschismus niemals die Absicht gehabt haben, eine antisemitische Politik zu betreiben und diese auch nicht betreiben“. Diese Erklärung wurde von Israel als „beruhigend“ bezeichnet, und es wurde der Hoffnung Ausdruck gegeben, dass sie auch eine „Ermahnung an eine gewisse italienische Kleinpresse“ sein werde, „die sich mitunter an antisemitischen Nachahmungen delektiert“56; doch die von Claudio Treves herausgegebene La Giustizia bemerkte (vielleicht sogar aus seiner Feder): Tatsächlich hat es antisemitische Äußerungen – vielleicht vermischt mit Antisozialismus – bereits häufig in der faschistischen Presse gegeben. Doch das, was man in offenen Bekundungen der Presse oder der Versammlungen nicht sieht, erfährt man in anderen Umfeldern und auf andere Weise. So ist zum Beispiel auf einen wachsenden systematischen „Boykott“ von jüdischen Lehrern im Universitätsbereich hingewiesen worden. Dass dies sich direkt mit dem Neospiritualismus und mit dem Katechismus von Ew. Gentile deckt, darf man nicht behaupten. Doch stehen einige Formen und einige Orientierungen und Haltungen in einer ungewollten, einer unbewussten Verbindung untereinander, in einem spontanen und unterschwelligen Verhältnis wie das Gleichgewicht der Flüssigkeiten in kommunizierenden Röhren, wie das Niveau der Brunnen in den Bereichen entlang der großen Flüsse. Wenn die Missachtung der Freiheit triumphiert, dann kehrt […] die weltliche 57 Macht zurück und kehrt der Antisemitismus zurück .
Drei Jahre später informierte Angelo Sacerdoti Mussolini direkt über die Verwüstung von Padua und kam erneut auf die Bedeutung der antijüdischen Angriffe in der faschistischen Presse zu sprechen: Dieser Akt des Sakrilegs muss nach meiner bescheidenen Ansicht vielleicht und zum Teil seinen Ursprung in der Kampagne finden, die in der letzten Zeit von einigen Zeitungen betrieben worden ist, die eine angebliche jüdische Internationale, welche es 55
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C. Weizmann, American Addresses. New York (Palestine Foundation Fund) 1923, S. 49; zitiert in: M. Michaelis, Mussolini and the Jews. German-Italian Relations and the Jewish Question in Italy 1922–1945. London (The Institute of Jewish Affairs) 1978 [it. Übers. u.d.T.: Mussolini e la questione ebraica. Mailand (Edizioni di Comunità) 1982], S. 47–48. „Fascismo e antisemitismo. Le rassicuranti dichiarazioni dell’on. Mussolini in un colloquio col Rabbino Maggiore di Roma“, in: Israel VIII Nr. 48 (6. Dezember 1923); ebd. auch die Meldung. „Niente antisemitismo“, in: La giustizia, 2. Dezember 1923.
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nicht gibt und die es nie gegeben hat, sowie die Hochfinanz attackieren, die man, ich weiß nicht warum, mit dem Judentum als Gegner des Faschismus und Italiens identifiziert, und eine Verwirrung in den Augen der Massen hervorrufen und damit, gewiss 58 unwillentlich, auch den Hass auf die italienischen Juden richten .
Auch Sacerdoti befasste sich – wie schon 1923 Sullam – mit der Lage im Mittelmeerraum, doch nunmehr wurde das Thema in einer ganz anderen Bedeutung angesprochen: Eine antisemitische Kampagne wäre nicht nur ungerecht und unsinnig, sondern auch nutzlos und schädlich. Der kleine italienische Kern von Juden könnte, wenn man sich seiner nur zu bedienen wüsste und dies auch wollte, ein wertvolles Verbindungselement zu allen anderen jüdischen Kernen sein, die an den Gestaden des Mittelmeers leben, und sein Wirken könnte, wenn es nur richtig gelenkt wird, sehr bei der wirtschaftlichen und politischen Durchdringung Italiens im Mare Nostrum hilfreich sein. Die italienischen Juden und ihre Führer sind stets bereit, dieses Werk unter der Leitung der Regierung zu verrichten.
Der einflussreiche Rabbiner war somit, wie uns scheint, von der Möglichkeit einer offiziellen antijüdischen Wende überzeugt59, und er bezeichnete dem faschistischen Führer einen „nützlichen und segensreichen“ Weg, der jenem nachempfunden war, den Mussolini selbst 1921 der Mehrheitsreligion zugedacht hatte („Der Katholizismus kann für die nationale Expansion genutzt werden“)60, und mit dem seine Feindlichkeit gegenüber dem Zionismus um58
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AdS Padova, Prefettura, Gabinetto, b. 311, fasc. XV/2, Kopie des Schreibens von Angelo Sacerdoti an Benito Mussolini, 11. November 1926, vom Innenministerium an den Präfekten von Padua zur Kenntnis übersandt (auf das Dokument wurde ich freundlicher Weise von Pier Cesare Ioly Zorattini hingewiesen). Die Worte von Sacerdoti geben wieder, was in Israel XII Nr. 8 v. 5. November 1926 veröffentlicht worden war: „Auch in diesen letzten Tagen, gleich nach dem Attentat auf Ew. Mussolini, legten sich Zeitungen, und nicht gerade die kleineren, fest und sprachen von einer angeblichen Komplizenschaft der sog. „Internationalen Bank“ und nannte sie eine ‘jüdische’“; doch die Zeitschrift sprach von einer Fortführung der von dem Rabbiner angezeigten Kampagne. Kurz zuvor noch hatte das Blatt eine „antisemitische Tendenz in der gegenwärtigen Regierung“ ausgeschlossen und nur „einige sporadische sprachliche Unbeherrschtheiten oder Akte des Unverständnisses […] seitens einiger verantwortungsloser Mitläufer“ anerkannt, in Israel XII Nr. 1 (16. September 1926); diese Worte des zionistischen Wochenblatts scheinen indes als Vorbereitung auf das Treffen zwischen Mussolini und Weizmann formuliert worden zu sein. Sacerdoti selbst schrieb am 29. Mai 1927 an Angelo Sereni, dass am Ende des vorhergehenden Jahres „zu meinem großen Erstaunen und mitunter Missfallen unsere Glaubensgenossen anscheinend auf jeden Moment einen Pogrom oder etwas nur weniger Schlimmes erwarteten“, zitiert b. A. Calò, La genesi della legge del 1930, in: RMI LI Nr. 3 (September–Dezember 1985), S. 344; doch diese Äußerung war offenkundig auf die Merkmale der befürchteten antisemitischen Wende und nicht auf die Möglichkeit ihres realen Eintretens bezogen. S.o. Fußn 11. In diesen Monaten versuchte ein Exponent der Slowenen in Italien Mussolini zu überzeugen, dass eine Politik des Schutzes der slowenischen Minderheit „die
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gangen werden konnte, indem dieser – in diesem Rahmen – ins Innere der neuen Politik verlegt und damit – wenigstens teilweise – von seinen Verbindungen mit den Aktivitäten Großbritanniens im Mittelmeer gereinigt wurde. Der Vorschlag Sacerdotis schloss sich an Forderungen an, die im italienischen Judentum präsent waren61 und in den vorangegangenen Jahren mehrfach den neuen faschistischen Machthabern vor Augen geführt worden waren62, er unterschied sich von ihnen jedoch durch die Klarheit und durch die direkte antithetische Verknüpfung mit dem Antisemitismus. Der Oberrabbiner von Rom entwickelte diesen Vorschlag in zwei Denkschriften, die er Mussolini im Januar und im April 1927 übersandte. In der ersten unterbreitete er dem Diktator einen ins Einzelne gehenden Plan für eine proitalienische Aktion unter den Juden des mittleren und östlichen Mittelmeerraumes durch das Judentum der Halbinsel, für deren Realisierung eine entsprechende italienisch-jüdische „Zentralorganisation“ aufgebaut werden sollte, welche dem frankophilen Einfluss der Alliance israélite universelle begegnen sollte63. In der zweiten, die er auf Verlangen nach Klarstellungen übersandte, änderte er den vorhergehenden Plan tiefgreifend und sprach sich gegen die „Errichtung einer Körperschaft“ aus, „welche den erklärten Zweck hätte, ein Werk der Propaganda und der geistigen Durchdringung bei den erwähnten jüdischen Einheiten zu verrichten“ und befürwortete stattdessen eine zentralistische Reform des Konsortiums der jüdischen Gemeinden, damit diese selbst das „Werk“ verrichten könne64.
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Interessen Italiens fördern würde und dem Land die Straße zum Balkan ebnen würde“ [M. Kacin Wohinz / J. Pirjevec, Storia degli sloveni in Italia 1866–1998. Venedig (Marsilio) 1998, S. 48]. Zu der Denkschrift Angelo Sullams aus dem Jahre 1914 s.o., Kap. I, Fußn. 43. Bei dem Treffen, das vielleicht das erste offizielle zwischen Mussolini als Ministerpräsident mit jüdischen Vertretern war (es handelte sich um die Besprechung vom 20. Dezember 1922 mit Lattes, Beilinson und Sacerdoti), erklärten diese, dass das Judentum der Halbinsel gewiss zur Entwicklung des italienischen Handels im östlichen Mittelmeerraum beitragen werde (s.o. Fußn. 54); im September 1926 legte Angelo Sereni dem Außenministerium die positiven Folgen der Anwesenheit von Rabbinern im östlichen Mittelmeerraum dar, die zwar vor Ort geboren, jedoch in jüdischen Institutionen in Italien ausgebildet seien (S. Della Seta, Gli ebrei del Mediterraneo, a.a.O., S. 1011). ASMAE, MAE, AP 1919–30, Palestina, b. 1460, fasc. 1, Denkschrift Angelo Sacerdotis an Benito Mussolini vom 24. Januar 1927. Ebd., Denkschrift von Angelo Sacerdoti an Benito Mussolini vom 25. April 1927.
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Doch weder dieser letzte Plan – der übrigens mit weiteren Reformvorschlägen verbunden war – noch der vom Januar wurde von Mussolini übernommen65. Allerdings machte der Diktator sich den ursprünglichen Vorschlag Sacerdotis zu eigen, den Juden eine positive Rolle in seiner eigenen internationalen Politik zuzuweisen. Im ersten Halbjahr 1927 empfing er David Prato, der schließlich zum Oberrabiner von Alexandria in Ägypten ernannt worden war, und sprach ihm seine Befriedigung über die „italienische Behauptung“ aus; zugleich betonte er „die Bedeutung des äußerst treuen jüdisch-italienischen Elements im Orient“66 und gestattete die Errichtung des Komitees ItalienPalästina auf der Halbinsel67 sowie die Eröffnung eines rabbinischen Kollegs auf Rhodos68.
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Vgl. die von Mussolini verfasste Notiz vom 14. August 1927, in: Ministero degli affari esteri, I documenti diplomatici italiani, Serie VII. 1922–1935. Rom 1967, V, 7. Februar–31. Dezember 1927, S. 344–46. Israel XII Nr. 35 (12. Mai 1927). Der rabbinische Lehrstuhl war vakant seit 1923. Zur Ernennung Pratos s. A. Scarantino, La Comunità ebraica in Egitto fra le due guerre mondiali, in: Storia contemporanea XVII, Nr. 6 (Dezember 1986), S. 1047–48; vgl. auch S. Della Seta, Gli ebrei del Mediterraneo, a.a.O., S. 1008, sowie die Denkschrift von Angelo Sacerdoti an Benito Mussolini vom 24. Januar 1927, zitiert o. Fußn. 63. Die Bestätigung der Ernennung Pratos könnte Teil eines umfassenderen Regierungshandelns gewesen sein angesichts der Tatsache, dass ein hoher griechischer Beamter im Juni 1928 den Erziehungsminister des eigenen Landes darauf hinwies, dass die jüdische Gemeinde auf Korfu vor kurzem den Hauptrabbiner Abraham Schreiber entlassen und ihn, auf „Anstiftung der italienischen Propaganda“, durch einen „Nicht-Pro-Griechen“ des italienischen rabbinischen Kollegiums – damals in Florenz – ersetzt habe (vgl. Ph. Constantopoulou / Th. Veremis, Documents on the History of the Greek Jews, a.a.O., S. 131–34). S. Della Seta, Gli ebrei del Mediterraneo, a.a.O., S. 1007; R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 93–94; D. Carpi, Il problema ebraico nella politica italiana fra le due guerre mondiali, in: Rivista di studi politici internazionali XXVIII Nr. 1 (Januar–März 1961), S. 46–49; G. Carocci, La politica estera dell’Italia fascista. 1925–1928. Bari (Laterza) 1969, S. 211–13. S. Della Seta, Gli ebrei del Mediterraneo, a.a.O., S. 1009–1013. Der Italienische Gouverneur von Rhodos bemerkte, dass es seine Sorge sein würde, darauf zu achten „dass das Seminar sich nicht in eine ausschließlich jüdische Einrichtung verwandelt, denn seine Daseinsberechtigung besteht für uns darin, dass es seine Italianità bewahrt und akzentuiert“; der Sekretär der neuen Körperschaft erläuterte seinerseits dem Konsortium der Gemeinden, dass „das Rabbiner-Kollegium von Rhodos nicht eine Leerstelle im italienischen Judentum ausfüllen wolle, sondern im Judentum des Mittelmeerraums“; ebd., S. 1010, 1013.
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2. Die Union der jüdischen Gemeinden und das jüdische Leben zu Beginn der 30er Jahre Mit der Wende vom Januar 1925 hatte Mussolini endgültig die Errichtung der diktatorischen Struktur und das allgemeinere Werk der Faschisierung des Landes begonnen, bis er schließlich am 26. Mai 1927 vor der Abgeordnetenkammer in seiner Rede, die dann als die „Himmelfahrtsrede“ bezeichnet wurde, erklärte: „Alle Oppositionszeitungen sind beseitigt worden, alle antifaschistischen Parteien sind aufgelöst worden“69. Was eine Frage betrifft, die noch nicht mit der Lage der Juden in Verbindung stand, sei bemerkt, dass er bei jener Gelegenheit bekräftigte, es sei seine Absicht, die „italienische Rasse, das heißt das italienische Volk in seiner physischen Erscheinungsform“ zu „heilen“70. Da diese Verkündung auf die „demographische Potenz“ der Nation ausgerichtet und auf Mutterschaft und Kindschaft bezogen war, war sie Ausdruck der Geburten fördernden Position, die er kurz zuvor eingenommen hatte71. Hinter der letzteren wurde eine rassistische Position sichtbar: „Wenn man, meine Herren, sich vermindert, so schafft man nicht ein Reich, sondern man wird zur Kolonie“72; denn – wie er im September des darauf folgenden Jahres präzisierte – infolge des demographischen Rückgangs könne „die ganze weiße Rasse, die Rasse des Abendlandes, überflutet werden von den andersfarbigen Rassen, die sich in einem Rhythmus vermehren, welcher der unsrigen unbekannt ist. Stehen also Schwarze und Gelbe vor unseren Toren?“73 Man muss sich vor Augen halten, dass der Rassismus kolonialer Art in italienischen Gesetzestexten und im öffentlichen institutionellen Leben bereits präsent war. Das Wort „Rasse“ hatte seine erste offizielle Erscheinung wahrscheinlich in einem Gesetz von 1903 über die Kolonie Eritrea (welche von „Europäern“
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B. Mussolini, Opera omnia, a.a.O., Bd. XXII (1957), S. 376. Ebd., S. 361–64. Mussolini hatte sich gegenüber dem Gründungskongress des PNF im November 1921 fast mit den selben Worten geäußert; vgl. G. Fabre, Mussolini razzista, a.a.O., S. 296–297. A. Treves, Le nascite, a.a.O., S. 125–39; C. Ipsen, Dictating demography. The problem of population in Fascist Italy. Cambridge (England), New York (Cambridge University Press) 1996 [it. Übers.: Demografia totalitaria. Il problema della popolazione nell’Italia fascista. Bologna (Il Mulino) 1997, S. 87–88]. Vgl. auch S. Dogliani, L’Italia fascista 1922–1940. Mailand (Sansoni) 1999, S. 239–40. B. Mussolini, Opera omnia, a.a.O., Bd. XXII (1957), S. 367. Ders., Il numero come forza, in: Gerarchia VIII Nr. 9 (September 1928), S. 677, später auch in: Ders., Opera omnia, a.a.O., Bd. XXIII (1957), S. 210.
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und von „eingeborenen Rassen“ bewohnt war) erfahren74; 1909/10 war es Kolonialbeamten in Eritrea und Somalia bei Strafe der Entlassung verboten worden, mit „eingeborenen Frauen zusammen zu wohnen“75; 1914 war dieses Verbot in Eritrea auf die „Ehe mit einer Einheimischen“ ausgedehnt worden, während offiziell den Mischlingen mit italienischer Staatsangehörigkeit der Zugang zum Eingangsgrad des Kolonialbeamten verschlossen wurde76. Schließlich gibt es aus dem Jahre 1921 eine Äußerung des Regierenden Gouverneurs von Eritrea über „das Ansehen, welche die herrschende Rasse gegenüber dem eingeborenen Element umgeben muss“77. Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts hatte es eine gewisse Verbreitung von Gesetzen und Bestimmungen gegeben, welche in den Kolonien – vor allem in den englischen und den deutschen – „gemischte“ Ehen, Lebensgemeinschaften und auch bloße sexuelle Beziehungen verboten78. Die italienischen Normen nahmen völlig teil an diesem Prozess, hatten jedoch partiellen Charakter (denn sie betrafen nur die Kolonialbeamten und nicht, beispielsweise, die Militärs). Die rassistischen Alarmrufe des Diktators fanden ihre Erklärung in den deutlicheren öffentlichen Bekundungen einiger Gelehrter (1928 hatte der angesehene Universitätsprofessor Edoardo Zavattari die Notwendigkeit einer strengen und bewussten Trennung in den Kolonien zwischen „herrschender Rasse und beherrschter Rasse“ behauptet)79 und in konkreten Aktionen einzelner Minister: im selben Jahr zeigte der für die Kolonien verantwortliche Minister Luigi Federzoni Mussolini die Mitgliedschaft eines eritreischen Untertanen in einer faschisti-
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Gesetz vom 24. Mai 1903 Nr. 205, Art. 4. Kgl. Dekret v. 19. September 1909 Nr. 839, Art. 43; Kgl. Dekret v. 4. Juli 1910 Nr. 562, Art. 65. Kgl. Dekret v. 10. Dezember 1914 Nr. 1510, Art. 9, 42. C. De Camillis, La Questione dei Meticci nelle nostre colonie, in: Società antischiavista d’Italia, Terzo congresso antischiavista nazionale, Roma 21–22–23 aprile 1921. Relazioni e documenti. Rom 1921, S. 270 (Hervorhebung von mir), zit. in G. Barrera, Patrilinearità, razza e identità: l’educazione degli italo-eritrei durante il colonialismo italiano (1885–1934), in: Quaderni storici XXXVII Nr. 1 (April 2002), S. 39; zur gesamten Problematik s. Ders., The Construction of Racial Hierarchies in Colonial Eritrea. The Liberal and Early Fascist Period (1897–1934), in: S. Palumbo (Hrsg.), A Place in the Sun. Africa in Italian Colonial Culture from Post-Unification to the Present. Berkeley (University of California Press) 2003, S. 81–115. N. Macmaster, Racism in Europe 1870–2000. Basingstoke (Palgrave) 2001, S. 124–29. Die Aussage ist enthalten in der Einführungsansprache für das akademische Jahr 1928/29 der Universität Pavia; zitiert in E. Signori, La „conquista fascista“ dell’Università. Libertà d’insegnamento e autonomia nell’Ateneo pavese dalla riforma Gentile alle leggi razziali, in: Il politico LXII Nr. 3 (Juli–September 1997), S. 468.
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schen Organisation der Halbinsel an und bezeichnete sie als „eine Minderung der Ehre und der Würde unseres Ansehens als herrschaftliche Nation“80. Allerdings erfasste diese rassistische Einstellung, wie erwähnt, nicht die Juden, noch wurden sie überhaupt als eine Rasse klassifiziert. Insofern ist bemerkenswert, dass, ebenfalls in Eritrea, im Jahre 1911 die aus dem Jemen stammenden Juden Protest erhoben, weil die Behörden sie als „Eingeborene“ und nicht als „Europäer“ behandelten, wie es mit den aus Smyrna stammenden geschah. Tatsache ist, dass infolge des Gesetzes von 1903 ein Dekret aus dem Jahre 1908 eine erste Bestimmung der „kolonialen Untertanen“ gegeben hatte: ein solcher war, kurz gesagt, derjenige, der nicht italienischer Staatsbürger, Europäer oder Gleichgestellter war und in Eritrea oder einem anderen Gebiet Afrikas oder des Roten Meeres geboren war oder generell „einer Bevölkerung angehört, die nicht eine der europäischen vergleichbare Kultur besitzt“81. Kehren wir nun zu den diktatorischen und freiheitsfeindlichen Vorschriften von 1925/27 zurück, so betraf keine von ihnen ausdrücklich die Juden. Man kann indes annehmen, dass das Gesetz vom November 1925, das Vereine jeglicher Art einer strengen polizeilichen Kontrolle unterwarf und insbesondere den öffentlichen Bediensteten die Zugehörigkeit zu einer geheimen Gesellschaft untersagte, die Quelle mancher spezieller Besorgnis war, da sie vor allem gegen die Freimaurervereinigung gerichtet war, welche die antisemitischen Publizisten regelmäßig dem „Judentum“ an die Seite stellten82. Eine 80
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ACS, PCM, 1928–30, fasc. 17.1.5012, Luigi Federzoni an Benito Mussolini, 12. November 1928, zitiert bei G. Gabrielli, Africani in Italia negli anni del razzismo di Stato, in: A. Burgio (Hrsg.), Nel nome della razza. Il razzismo nella storia d’Italia 1870–1945. Bologna (Il Mulino) 1999, S. 201–202. Im Jahre 1927 hatte die Generaldirektion für öffentliche Sicherheit des (von Mussolini geleiteten) Innenministeriums die Präfekten darüber informiert, dass der „Einsatz von Neger-Kapellen“ eine „schädliche Konkurrenz“ für die italienischen Orchestermusiker und eine „Beleidigung der Würde und des Anstands der Kunst“ bilde, AdS Livorno, fondo Questura, b. 1358, fasc. 47, Generaldirektion für öffentliche Sicherheit an die Präfekten, 29. März 1927. Kgl. Dekret v. 2. Juli 1908 Nr. 325, Art. 2. Vgl. M. Cavallarin, Ebrei in Eritrea, in: Studi piacentini 2003, Nr. 34, S. 99, 106–107, 114–115; G. Barrera, The Construction, a.a.O., S. 91; die Briefe sind publiziert in: Il vessillo israelitico LIX Nr. 2 (Februar 1911), S. 53–54, und Nr. 3 (März 1911), S. 104–106; E. Capuzzo, Sudditanza e cittadinanza nell’esperienza coloniale italiana dell’età liberale, in: Clio XXXI Nr. 1 (Januar– März 1995), S. 72–73. Zum Gesetz und zu den antifreimaurerischen Gewalttaten s. L. Pruneti, La Sinagoga di Satana. Storia dell’antimassoneria 1725–2002. Bari (Edizioni Giuseppe Laterza) Bari 2002, S. 141–155; A. Aquarone, L’organizzazione, a.a.O., S. 68–70, 393–94. Die Annäherung wurde auch von faschistischen Führern betrieben, wie z.B. dem Generalsekretär der italienischen Faschisten im Ausland Giuseppe Bastianini. Dieser wies am 16. September 1926 den Verantwortlichen in den USA darauf hin, dass das faschistische Italien sich im Kampf gegen „die schreckliche Koalition der demokratisch-frei-
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zweifelsfreie (und andere) Bedeutung besaßen hingegen die Vorschriften vom Februar und September 1926, welche die Wählbarkeit der Gemeinderäte abschaffte (und die Figur der Podestà einführte, die alle fünf Jahre durch königliches Dekret ernannt wurden); in ihrem Gefolge wurden die jüdischen Gemeinden gleichsam zu absonderlichen Inseln, in denen das System der Wahlen überlebt hatte, und die zugleich unversehens die Rechtsquelle ihrer eigenen Wahlordnung wegbrechen sahen83. Der Prozess der Faschisierung hatte im Übrigen begonnen, auch den jüdischen Teil der italienischen Bevölkerung zu erfassen. Bei den Wahlen, die am 19. November 1926 zwecks Erneuerung des Rates der Gemeinde von Florenz abgehalten wurden, wurde eine Liste vorgelegt, die sich „faschistisch“ nannte, deshalb die einzige blieb und siegreich war84. Damals verbreitete sich unter den führenden Juden die Überzeugung von der Notwendigkeit aus, zu einer Art von neuem Pakt mit dem Staat zu gelangen,
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maurerisch-jüdischen Welt“ befand (zitiert b. I. Guerrini / M. Pluviano, La propaganda antisemita fascista nell’America del Sud, in: A. Burgio [Hrsg.], Nel nome della razza, a.a.O., S. 349–50). Und am 24. September schrieb er, dass die Italienische Kreditbank in Tunis, welches das einzige italienische Bankinstitut dieser Stadt war, „heute vollständig in die Hände des freimaurerisch-jüdischen Clans gefallen ist, an dessen Spitze [Salvatore] Calò und seine freimaurerischen Freunde stehen – Antifaschisten aus Temperament und Knechte Frankreichs aus Ambition und Interesse“ (in: ASMAE, MAE, Direzione generale affari commerciali, Tunisia [1924–26], pos. 28; Auf das Dokument hat mich freundlicher Weise Nerio Naldi hingewiesen). Vgl. auch E. Gentile, La politica estera del partito fascista. Ideologia e organizzazione dei Fasci italiani all’estero (1920–1930), in: Storia contemporanea XXVI Nr. 6 (Dezember 1995), S. 915–16, 944. Es ist von einigem Interesse – wenn auch außerhalb des italienischen Kontextes der Zeit liegend – dass Adolf Hitler 1926 bemerkte, das faschistische Italien bekämpfe auf seine Weise das Judentum, indem es gegen dessen drei Hauptwaffen kämpfe: die Freimaurerei, die internationale Presse und den Marxismus [vgl. A. Hitler, Mein Kampf. München (Eher) 1927, Bd. II (it. Übers.: La mia battaglia. Mailand (Bompiani) 1934, S. 360–61)]; auf diese Äußerung, zusammen mit einer ähnlichen Aussage von Hermann Göring vom März 1926, wird hingewiesen in: W. Schieder, Fascismo e nazionalsocialismo nei primi anni Trenta, in: A. Del Boca / M. Legnani / M. G. Rossi (Hrsg.), Il regime fascista. Storia e storiografia. Rom, Bari (Laterza) 1995, S. 48. Zur Übersetzung von Mein Kampf 1933 s. G. Fabre, Il contratto. Mussolini editore di Hitler. Bari (Dedalo) 2004. Das Gesetz vom 4. Juli 1857 Nr. 2325 (bekannt als „Legge Rattazzi“), dessen Normen verschiedene mittlere und kleine jüdische Gemeinden der Halbinsel regelten, bezog sich ausdrücklich auf die geltenden Wahlbestimmungen für die Kommunen (z.B. auf Art. 29). „Angesichts der Bedeutung, welche den Wahlen beigelegt wurde, wurde keine Gegenliste vorgelegt“; Israel XII Nr. 14 (20. Dezember 1926). In den folgenden Heften berichtete das Wochenblatt über starke, durch das Wirken des neuen Rates ausgelöste Streitigkeiten über Themen des Zionismus und der religiösen Tradition.
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indem eine einzige gesetzliche Regelung für alle Gemeinden der Halbinsel – die bis dahin durch verschiedene Ordnungen gekennzeichnet waren85 – erlassen wurde und eine nationale jüdische Körperschaft gegründet wurde, die stärker und zentralisierter war als das „alte“ Konsortium. Einige, wie die neu gewählten Florentiner sowie der Venezianer Angelo Sullam, traten mit dem Vorschlag hervor, auch in den jüdischen Gemeinden das System des Podestà einzuführen86. Die Florentiner selbst erarbeiteten einige Monate später einen Reformentwurf, der unter anderem der neuen nationalen Körperschaft die Aufgabe übertrug, „die Tätigkeiten der israelitischen Universitäten oder Gemeinden mit den allgemeinen politischen Anweisungen der italienischen Regierung zu koordinieren“87. Ähnliche, teilweise aber auch entgegen gesetzte Prinzipien unterbreitete Sacerdoti unmittelbar Mussolini in seiner bereits erwähnten Denkschrift vom April 1927. Für den Oberrabbiner von Rom sollte die neue zentrale Körperschaft im wesentlichen oligarchische Eigenschaften besitzen, die aus einer Verknüpfung zwischen einem Wahlsystem und einem Podestà-System resultieren sollten, und sie sollte vor allem das neue Amt eines Großrabbiners von Italien erschaffen, der mit erheblich größeren Befugnissen ausgestattet sein sollte als diejenigen der Leitungen der Gemeindeverwaltungen88. Dieser Vorschlag eiferte einerseits den hierarchisch-autoritären Grundsätzen des Faschismus nach und bildete andererseits eine weitere Episode der Auseinandersetzung, in der sich die Vertreter der jüdischen Wiedergeburt und das Rabbinat einerseits und die immer mehr säkularisierten Präsidenten und Räte der Gemeinden gegenüber standen89. So protestierte Sullam selbst sogleich gegen „den Vorrang, den dieser Entwurf dem rabbinischen Element einräumen würde“, während einige Zeit später Felice Ravenna – kein Faschist und später Präsident des italienischen Judentums – bemerkte, dass Sacerdoti „mit seiner streng faschistischen Konzeption völlig von den säkularen Traditionen des italienischen Judentums absieht“90. Mussolini urteilte, dass „ein Eingreifen des faschistischen Gesetzgebers, das auf die Stärkung der Organisation des israelitischen Kultes in Italien gerichtet ist“,
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Zu den rechtlichen Bestimmungen über die bis 1930 existierenden israelitischen Gemeinden s.o. Kap. II, Fußn. 26. A. Calò, La genesi, a.a.O., S. 337–40. Ebd., S. 365, 405–408. S.o. Fußn 64; vgl. auch ebd., S. 341–346. Vgl. auch die Beiträge zur neuen rechtlichen Regulierung des Judentums, in: Israel XII Nr. 27 (17. März 1927) und Nr. 29 (3. April 1927). Zitate in: A. Calò, La genesi, a.a.O., S. 351, 375.
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in der katholischen Kirche „Missstimmung“ hervorrufen würde, und griff daher den Vorschlag von Sacerdoti nicht auf91. Die führenden Persönlichkeiten des italienischen Judentums setzten ihrerseits eine scharfe innere Auseinandersetzung fort, in der sie im Oktober 1927 mit der Annahme eines Entwurfs für eine gesetzliche Regelung durch eine einschlägige Kommission an einen ersten Durchbruch gelangten; der Entwurf wies folgende Merkmale auf: 1) Einheitlichkeit der Lage und der Regulierung für alle israelitischen Gemeinden; 2) Anerkennung derselben als juristische Personen des öffentlichen Rechts und ausgestattet mit dem Recht der Besteuerung; 3) Obligatorische Zugehörigkeit eines jeden Juden zu einer (und zwar der örtlich zuständigen) Gemeinde, so lange er nicht seine Abwendung von der jüdischen Religion durch einen förmlichen Akt erklärt hatte; 4) Wahlsystem (bei dem das Stimmrecht den über 21jährigen Steuerzahlern zustehen sollte) für die Wahl der Mitglieder des Verwaltungsrates und für die Wahl des Präsidenten durch diese; 5) Erfordernis der italienischen Staatsbürgerschaft für den letzteren, für mindestens zwei Drittel der Ratsmitglieder, für die Rabbiner (die ebenfalls durch die Räte ernannt werden sollten) sowie für die Sekretäre der Gemeinden; 6) Obligatorische Einbeziehung (die Gemeinde von Bologna war dem Konsortium noch nicht beigetreten)92 aller Gemeinden in einen Bund der israelitischen Gemeinden, der den Auftrag haben sollte, die religiösen Interessen der Juden zu schützen und sie gegenüber der Regierung zu vertreten; er sollte von einem Bundesrat geleitet werden, welcher sich aus Personen mit italienischer Staatsangehörigkeit zusammensetzte und entsprechend in jeder Gemeinde gewählt wurde; 7) Einsetzung eines Großrabbiners von Italien, der von dem genannten Rat ernannt werden sollte;
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S.o. Fußn. 65. Vgl. auch ebd., S. 346–349. 1925 „umfasst[e] das Konsortium fast sämtliche Juden Italiens und der Kolonien außer Bologna (A. Sereni, Relazione, a.a.O., S. 8); die Errichtung einer „regulären israelitischen Universität“ in dieser Stadt, die mit dem Konsortium in Verbindung stand, erfolgte 1928 („Consorzio delle Comunità Israelitiche Italiane“, Israel XIV n. 7, 31. Oktober 1928).
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8) Anerkennung der ausschließlichen oder vorrangigen Zuständigkeit des Rabbinats in den Bereichen der Religion, des Kultus und des Unterrichts (also unter Ausschluss derjenigen für Wohltätigkeit und Unterstützung, für die Verwaltung, für die Außenvertretung usw.); 9) Notwendigkeit der Bestätigung des Präfekten oder des Ministeriums zur Wahl der Gemeinde- und Bundespräsidenten sowie der Bestätigung des Generalstaatsanwalts oder des Ministeriums zur Ernennung der Oberrabbiner der Gemeinden und des Großrabbiners93. Der Entwurf machte zwar nicht wenige Zugeständnisse an jene Strömungen, die im Begleitbericht als die „neuen Strömungen des italienischen öffentlichen Rechts“ bezeichnet wurden94, sowie an die Forderungen des Rabbinats, er hielt jedoch Abstand sowohl von radikaleren Forderungen des letzteren als auch von denen der jüdischen Faschisten. Dreizehn Monate später, am 25. November 1928, nachdem die interne Diskussion endgültig abgeschlossen war, legte der Präsident des jüdischen Konsortiums Angelo Sereni dem Justiz- und Kultusminister Alfredo Rocco einen förmlichen Antrag auf Reform der Gesetzgebung über die rechtliche Ordnung des italienischen Judentums vor95. Die Regelung, die dann wirklich von der Regierung durch Kgl. Dekret vom 30. Oktober 1930, Nr. 1731 (Bestimmungen über die israelitischen Gemeinden und über die Union dieser Gemeinden) und durch Kgl. Dekret vom 19. November 1931, Nr. 1561 (Erlass über die Anwendung des Kgl. Dekrets vom 30. Oktober 1930 […]) verabschiedet wurde, änderte den oben geschilderten jüdischen Vorschlag folgendermaßen ab. Zu Punkt 3 wurde der Widerruf der Einschreibung in eine Gemeinde auch demjenigen gestattet, der erklären sollte, „nicht mehr als Israelit im Sinne des gegenwärtigen Dekrets angesehen werden zu wollen“; zu Punkt 5 wurde der Besitz der italienischen Staatsbürgerschaft seitens der Oberrabbiner als „vorzugswürdig“ bezeichnet; bei Punkt 6 wurde die Zentralkörperschaft als Union der italienischen israelitischen Gemeinden bezeichnet; zu Punkt 7 wurde an93 94
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Vgl. A. Calò, La genesi, a.a.O., S. 409–17. Im Begleitbericht wurde aseptisch erläutert, dass „den neuen Strömungen des italienischen öffentlichen Rechts sowohl bei der Forderung nach italienischer Staatsbürgerschaft für die Ausübung von Ämtern in den israelitischen Einrichtungen Rechnung getragen wird, als auch bei der Forderung nach staatlicher Bestätigung für Wahlen, bei der Beseitigung umfangreicher Beratungskörperschaften, bei der Aufhebung des Rechts der Mitglieder der Gemeinden zur Wahl der Rabbiner sowie bei der allseitigen Erweiterung der Befugnisse der Exekutivorgane bei gleichzeitiger Verminderung der Befugnisse der Beratungsorgane“ (zitiert ebd., S. 354–55). Ebd., S. 367.
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stelle des Großrabbiners von Italien eine rabbinische Ratsversammlung eingerichtet, die in einem Verfahren gewählt wurde, in das sowohl die Rabbiner als auch die Ratsmitglieder einbezogen waren, und die weitgehende, wenn auch meistens nur beratende Zuständigkeiten besaß; zu Punkt 8 wurde der Umfang der Zuständigkeit des Oberrabbiners umfassend als „geistliche Führung der Gemeinde“ bezeichnet; zu Punkt 9 wurde für die Bestätigung der Ernennung der Oberrabbiner und der Vorsitzenden der Gemeinden die Ministerialbehörde für zuständig erklärt. Schließlich stellte das Kgl. Dekret Nr. 1731 in Artikel 36 klar, dass zu den Aufgaben der Union u.a. die „Aufrechterhaltung der geistlichen und kulturellen Kontakte mit den israelitischen Gemeinden im Ausland, besonders mit denjenigen, welche traditionell Beziehungen zum italienischen Judentum und zu Italien unterhalten“ gehörte; ferner in Artikel 57, dass im Falle der Krise und Auflösung des Rates einer Gemeinde oder der Union, die vorläufige Führung der Körperschaft einem Regierungskommissar zustand, der „möglichst israelitischer Religion“ sein sollte (die Artikel 67 und 68 ordneten im Übrigen die Auflösung aller bestehenden Räte an und übertrugen die anfängliche Geschäftsführung der Gemeinden nach der neuen Rechtslage Regierungskommissaren „israelitischer Religion“)96. Die lange Dauer des Prozesses der Erarbeitung der neuen Bestimmungen hing vor allem davon ab, dass ihr Erlass dem Abschluss der Einigungen und dem Erlass der Gesetze über den Katholizismus und über die Gesamtheit der anderen Kulte nicht vorhergehen, sondern nachfolgen sollte. So wurde erst am 22. März 1929 – nachdem am 11. Februar die Lateranverträge unterzeichnet worden waren – offiziell die paritätische Kommission (die auf Seiten der Juden aus Mario Falco, Sacerdoti und Sereni bestand) mit dem Auftrag eingesetzt, den endgültigen Reformentwurf abzufassen; erst am 17. Oktober – nachdem am 27. Mai die Lateranverträge Gesetzesform erhalten hatten und das Gesetz vom 24. Juni 1929, Nr. 1159, die neue Lage der anderen, als „zugelassen“ bezeichneten Kulte geregelt hatte – setzte ein Dekret des Justiz- und Kultusministers die auf dem Programm stehenden Wahlen in einigen Gemeinden aus und gab somit zu erkennen, dass das neue Gesetz näher rückte. Erst im Laufe des Jahres 1930, nachdem das Kgl. Dekret vom 28. Februar 1930, Nr. 289, Vorschriften zur Umsetzung des Gesetzes über die zugelassenen Kulte erlassen
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Die Möglichkeit, dass der Regierungskommissar ein Nichtjude sein konnte, stimmte mit dem überein, was für alle „zugelassenen Kulte“ durch das Gesetz vom 24. Juni 1929 Nr. 1159 (Art. 13 und 14) bestimmt war; hingegen hatte das vorherige Gesetz über die jüdischen Gemeinden vom 4. Juli 1857 Nr. 2325 in Artikel 16 bestimmt, dass er unter den größten Beitragszahlern der Gemeinde zu wählen sei.
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Drittes Kapitel
hatte, konnte schließlich das neue Gesetz abgeschlossen werden97. Auf diese Weise konnte übrigens die faschistische Regierung, wie Guido Fubini bemerkt hat, leicht ihre Politik der unterschiedlichen Behandlung der verschiedenen Kulte konkretisieren, indem sie für den katholischen eine Konkordatsregelung traf und für die anderen zur innerstaatlichen Rechtsetzung zurückkehrte98. Mit den neuen Bestimmungen gewann das italienische Judentum beachtliche Anerkennung und Rechte, denn einerseits bedeutete das Regelwerk der Regierung schon als solches eine beruhigende offizielle Erklärung des „Existenzrechts“ für die Juden im faschistischen Regime; andererseits gestattete die gleichsam obligatorische Gemeinderegistrierung, die Wirkungen des Säkularisierungsprozesses einzudämmen und dank der damit verbundenen Beitragseinnahmen die schwankenden Gemeindeverwaltungen wieder zu stärken. All dieses war konsolidiert durch die Schaffung einer zentralen Körperschaft und durch den obligatorischen Charakter der Mitgliedschaft der einzelnen Gemeinden in ihr. Die – wenn auch begrenzte – Aufrechterhaltung des „nicht mehr aktuellen“ Wahlsystems bildete sodann ein weiteres positives (und vielleicht nicht erhofftes) Merkmal der neuen Bestimmungen. Im Austausch dafür mussten die Gemeinden ihre spezifischen säkularen Merkmale aufgeben und wurden zahlreichen politischen Kontrollen unterworfen, im Grunde verloren sie ihre Autonomie und wurden in gewissem Sinne Staatsorgane und nicht mehr ausschließlicher Ausdruck des freien Willens und der freien Existenz der einzelnen jüdischen Gruppen. Dies wurde kürzlich folgendermaßen zusammengefasst: Es sind jetzt nicht mehr die einzelnen Gemeinden, die sich autonom selber schützen indem sie ihr inneres Leben regulieren und als notwendiges Element den Aufprall des Einzelnen mit der äußeren Gesellschaft nach jenen überkommenen Regeln, welche die jüdische Rechtsordnung vorschreibt, filtern; jedoch ist es der Staat selbst, der vermittelnde Strukturen schafft und diese den bereits vorher existierenden überordnet und sie nach eigenen Normen regelt, vor allem aber versucht, mit einer homogenen 99 Regelung jene Aspekte zu schützen, die sie vorher gekennzeichnet hatten .
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Zum Verfahrensgang bei der Erarbeitung und beim Erlass des neuen Gesetzes A. Calò, La genesi, a.a.O., S. 371–439. s. auch R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 103– 104. Zum Dekret über die Aussetzung der geplanten Wahlen in einigen Gemeinden s. ferner: Israel XV Nr. 5 (7. November 1929). G. Fubini, La condizione giuridica, a.a.O., S. 54. M. F. Maternini Zotta, L’ente comunitario ebraico, a.a.O., S. 157. Vgl. auch die umfangreiche Untersuchung b. G. Fubini, La condizione giuridica, a.a.O., S. 54–62, sowie die Betrachtungen von G. Disegni, Ebraismo e libertà religiosa in Italia. Dal diritto all’uguaglianza al diritto alla diversità. Turin (Einaudi) 1983, S. 115–22.
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Die führenden Personen des Judentums schätzten lange Zeit die positiven Merkmale als überwiegend ein und gaben daher lobende Bewertungen ab oder brachten doch wenigstens volle Zustimmung zu dem Gesetz zum Ausdruck100. Die begrenzten Kritiken, die Angelo Sacerdoti und wenige andere in Israel formulierten, entfernten sich nicht von den traditionellen Forderungen nach einer größeren Anerkennung der Rolle der Rabbiner und (seitens des Oberrabbiners von Rom) nach einer echten „rabbinischen Zentralleitung“101. Andererseits wäre angesichts des bestehenden Systems der Diktatur eine weiter gehende einschlägige Kritik nicht empfehlenswert gewesen. Piero Sraffa erörterte in seiner Korrespondenz mit Antonio Gramsci und dessen Schwägerin Tatiana Schucht die Bedeutung und die Auswirkungen der neuen Bestimmungen für diejenigen, welche die religiöse jüdische Identität aufgegeben hatten oder im Begriff waren, dies zu tun, ohne doch andererseits endgültig aufzuhören, sich als Juden zu fühlen: Wer sich hingegen in einer (in Wirklichkeit eher komischen als tragischen) fatalen Lage befindet, sind gerade jene Juden, welche das Judentum stillschweigend verlassen oder dazu neigen, dies zu tun, und sich mit den anderen Italienern zu verschmelzen, indem sie zum Atheismus oder zu einem allgemeinen Deismus übergehen; sie befinden sich vor einem unvermeidlichen Dilemma, gerade sie, die doch die Dinge im Ungewissen lassen und die Lösung der Zeit überlassen wollten. […] Doch heute ist man entweder Jude oder man ist es nicht – einen Mittelweg gibt es 102 nicht .
Dino Gentili hat erzählt: Damals schrieb ich, der ich zwar nach der Abstammung Jude, jedoch Atheist war, einen Brief an die israelitische Gemeinde und erklärte, dass ich nicht die Absicht habe, irgendeinen Akt des Abschwörens vorzunehmen. Ich erklärte, dass ich der sei, der ich sei, dass ich eine laizistische Eheschließung im Rathaus von Mailand vollzogen habe (Guido Mondolfo hatte uns getraut), dass meine Kinder Atheisten
100 Im Mai 1931 überreichte eine Vertretung der jüdischen Führung dem König, Mussolini und anderen Autoritäten eine zur Feier des neuen Gesetzes geprägte Goldmedaille; vgl. Israel XVI Nr. 33 (12. Mai 1931) und ACS, PCM, 1931–33, fasc. 2.5.1206. 101 Vgl. das Editorial La nuova legge delle Comunità („Das neue Gesetz der Gemeinden“) und das Interview L’opinione del Rabbino Capo di Roma Dott. Sacerdoti („Die Meinung des Hauptrabbiners von Rom Dr. Sacerdoti“) in: Israel XVI Nr. 17–18 (20. Januar 1931). 102 P. Sraffa, Lettere a Tania per Gramsci. Rom (Editori Riuniti) 1991, S. 53, Brief vom 1. März 1932; vgl. auch F. Izzo, I due mondi. Tatiana Schucht, Antonio Gramsci e Piero Sraffa sulla questione ebraica, in: A. Di Meo (Hrsg.), Cultura ebraica e cultura scientifica in Italia, Rom (Editori Riuniti) 1994, S. 202; L. Fausti, Intelletti in dialogo. Antonio Gramsci e Piero Sraffa. Celleno (La Piccola editrice) 1998, S. 108.
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Drittes Kapitel seien und dass ich nicht die Absicht hätte, mich bei der israelitischen Gemeinde 103 einzuschreiben .
Es ist nach dem derzeitigen Forschungsstand schwierig zu beweisen, mit welcher Einstellung und mit welcher Absicht die faschistische Regierung diese Gesetzesinitiative begann und abschloss. Immerhin steht fest, dass die schließlich verabschiedete Reform eine zentralistische, autoritäre, reglementierende und eine solche war, welche den endgültigen und autonomen Beginn der Selbstfaschistisierung von jüdischer Seite beförderte104. Die Legitimität, welche die neue Rechtslage den „spirituellen und kulturellen Kontakten“ der Union mit den anderen jüdischen Gruppierungen im Ausland, vor allem den traditionell mit Italien verbundenen, verschaffte, bildete weniger eine Bezugnahme auf den Entwurf von Sacerdoti (auch wenn er im Regierungsbericht zum Dekret benannt wurde)105, als vielmehr die Bestimmung der operativen Grenzen, welche der Union selbst gezogen waren. Diese Redewendung schloss nämlich sowohl die Herstellung von mehr oder weniger organischen Beziehungen als auch gemeinsame Aktionen im administrativen Bereich bzw. in jenem Bereich, der als „politisch“ qualifiziert werden konnte, aus (einschließlich desjenigen, der die „jüdische Nationalität“, egal ob als religiöse oder als zionistische, betraf). Gerade in dieser Hinsicht gab es Ende 1928 einen sehr erhellenden Vorgang: Am 29. November ließ Mussolini im Gefolge des zionistischen Kongresses, der zu Beginn des Monats (und vier Tage nach der Vorlage des förmlichen Antrages auf Reform der Rechtsordnung des italienischen Judentums durch Sereni bei der Regierung) in Mailand stattgefunden hatte, in der römischen Zeitung Il popolo di Roma anonym einen selbst verfassten Artikel über den Zionismus veröffentlichen. Der Text, der am Tag darauf von anderen Tageszeitungen übernommen wurde, enthielt u.a. Betrachtungen, die denen sehr ähnlich waren, welche er anlässlich des vorherigen, im Oktober 1920 in Triest abgehaltenen zionistischen Kongresses in Il popolo d’Italia angestellt hatte: 103 N. Conenna / A. Jacchia (Hrsg.), Tra politica e impresa. Vita di Dino Gentili. Florenz (Passigli) 1988, S. 276. Zu zwei weiteren bekannten Distanzierungen vgl. S. Gerbi, Raffaele Mattioli e il filosofo domato. Turin (Einaudi) 2002, S. 74–76. 104 Hierzu ist daran zu erinnern, dass das Kgl. Dekret vom 20. Juli 1932 Nr. 884 alle Zuständigkeiten in Fragen des Kultus vom Justizministerium auf das Innenministerium übertragen worden waren (welch letzteres bis zum 25. Juli 1943 von Benito Mussolini selbst geleitet wurde). Zu zwei Interventionen dieses Ministeriums gegen die Pentecostali („Pfingstler“) und eine Gruppe der Zeugen Jehovas im April 1935 und im September 1936 s. G. Rochat, Regime fascista e chiese evangeliche. Direttive e articolazioni del controllo e della repressione. Turin (Claudiana) 1990, S. 36–37, 245–48, 278–79. 105 Vgl. R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 490.
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„Wir hoffen, dass die italienischen Juden auch weiterhin intelligent genug sind, den Antisemitismus nicht in dem einzigen Lande zu erwecken, in dem es ihn bisher niemals gegeben hat“106, und im September 1922 in der Führung der PNF wiederholt hatte. Er bekräftigte nämlich 1928: „Wir wollen lieber den Wunsch formulieren, dass der Antisemitismus nicht von den in Italien lebenden Juden hervorgerufen wird. […] Italien ist eine der wenigen Nationen der Welt ohne antisemitische Bewegungen oder Parteien“107. Damit drohte Mussolini, inzwischen Diktator geworden, ein weiteres Mal mit einer Politik gegen die Juden als solche108. Im November 1928 fragte der Diktator schließlich seine Gesprächspartner direkt: „Seid ihr eine Religion oder seid ihr eine Nation?“ Die Antworten ließen nicht auf sich warten, und sie kamen – soweit sie in der Presse publiziert wurden – größtenteils von antifaschistischen und zionistischen Juden. Von den drei jüdischen Körperschaften, die sich äußerten, erklärte die Gemeinde von Venedig, „ihr Denken und Handeln eindeutig vom Denken und Handeln derjenigen zu trennen, die nicht das Vaterland allem anderen voranstellen“; der italienische Zionistische Bund bekräftigte hingegen, dass es für ihn „keinen Widerspruch jemals gegeben hat noch geben kann zwischen der Treue zur gesamten jüdischen Tradition, von der die Idee von Zion ein wesentlicher Teil ist, und der Liebe zu Italien“, während das Konsortium der jüdischen Gemeinden den gleichen Patriotismus aller „italienischen Juden, Zionisten und Nicht106 Zitiert o. S. 50, Fußn. 4. 107 Zur Geschichte dieses Vorgangs s. U. Nahon, La polemica antisionista del „Popolo di Roma“ nel 1928, in: D. Carpi / A. Milano / U. Nahon, Scritti in Memoria di Enzo Sereni, a.a.O., S. 216–53; Zitat auf S. 221. Vgl. auch Ph. V. Cannistraro / B. R. Sullivan, Margherita Sarfatti. a.a.O., S. 384–87. 108 Mussolinis Antisemitismus ist bezeugt durch das (anscheinend gleichzeitige und daher recht glaubwürdige) Tagebuch von Federzoni, damals Minister für die Kolonien: im Februar 1927 registriert er „seinen [Mussolinis] mir bestens bekannten Antisemitismus: einer der weniger bekannten, aber besonders interessanten und intelligenten Seiten dieses außergewöhnlichen Geistes“ [L. Federzoni, 1927. Diario di un ministro del fascismo. Florenz (Passigli) 1993, S. 92; ich danke Nicola Labanca und Albertina Vittoria für den Hinweis auf diesen Satz und die Überprüfung des Originals]. Mussolini benutzte auch Formulierungen von Hochmut und Spott, wie in einem Brief (übrigens auf Papier mit dem Briefkopf „Der Regierungschef“) an Margherita Grassini Sarfatti vom 9. Juli 1929 in dem der Diktator sie kritisiert, weil sie abermals „an der Apologie des sog. Novecento gewoben [habe] und sich dabei des Deckmantels des Faschismus und des Unterzeichneten bedient [habe]“, und er erinnerte sie u.a. daran, dass „der Faschismus sehr klug und wenig messianisch war“ (wiedergegeben b. S. Salvagnini, Mussolini le intimò: „Smetta di confondere Novecento con fascismo“, in: Arte XXI Nr. 223, November 1991, S. 72–75; „messianisch“ ist das einzige unterstrichene Wort des Briefes).
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zionisten“, betonte109. Mussolini selbst setzte der Diskussion mit einem neuen, abermals anonym veröffentlichten Artikel im Popolo di Roma vom 15. Dezember 1928 ein Ende, der mit den Worten schloss: „Ich wollte eine Klärung unter den italienischen Juden hervorrufen und den christlichen Italienern die Augen öffnen. […] Dieser Zweck ist erreicht worden. Das Problem besteht, und es befindet sich nicht mehr in jener „Schattenzone“, in die es von den einen schlau, von den anderen naiv verbannt worden war“110. Die vom Diktator erhoffte „Klärung“ betraf vor allem die Unvereinbarkeit zwischen der Zugehörigkeit zur italienischen Nation und der Zugehörigkeit zur jüdisch-zionistischen Nation, so wie er sich diese vorstellte, sowie die Tatsache, dass die Unterstützung der Regierung für die italophile und parazionistische Tätigkeit der italienischen Juden im Mittelmeerraum (deren Resultate übrigens im Artikel vom 15. Dezember in Zweifel gezogen wurden) nicht unbedingt nach sich zog, dass die Zugehörigkeit zum Zionismus der Juden in Italien gebilligt wurde. Es ist auch möglich, dass er die „Treue“ des Judentums in seiner Gesamtheit auf die Probe stellen wollte, bevor er konkret zu den Verhandlungen über die neue Ordnung schritt, doch zur Zeit fehlt es noch an Belegen, die für diese Hypothese sprechen111. Wenn allerdings die „Klärung 109 U. Nahon, La polemica, a.a.O., S. 223, 235, 244, 251. 110 Ebd., S. 247. 111 Zu erwähnen ist, dass wenige Wochen nach dem Ende dieses Vorgangs die Wochenzeitschrift „Israel“ die Veröffentlichungen für etwa 3 Monate aussetzte (es erschien von ihr keine Nummer zwischen denen vom 28. Februar und vom 30. Mai 1929). In der Tat wurde im Editorial des Heftes vom 21. März 1929 von La rassegna mensile di Israel die Aussetzung begründet mit „der absoluten ökonomischen Unmöglichkeit, die gleichzeitige Veröffentlichung von zwei Periodika bei den aktuellen Kosten fortzusetzen“; vgl. auch die Editorials der Hefte der Monatszeitschrift und der Wochenzeitschrift vom 18. April 1929 bzw. vom 30. Mai 1929 sowie A. Luzzatto, „La rassegna mensile d’Israel“ (1925–1938), in: Bailamme II Nr. 3 (Juni 1988), S. 204. Allerdings ist dazu zu erwähnen, dass am 18. Januar 1929 der Präfekt von Turin mit der Bemerkung, dass „die zionistische Bewegung die Aufmerksamkeit dieses Ew. Ministeriums erweckt hat“, von seinen römischen Vorgesetzten einen Hinweis erbat, ob er tätig werden solle, „um den Antrag auf Eintragung des Dr. Bachi [Guido Bachi, Herausgeber der Wochenzeitschrift] in das Berufsregister der Journalisten in Hinsicht auf die Fortsetzung oder Nichtfortsetzung der Zeitschrift“ positiv oder negativ zu bescheiden, und dass elf Tage später das Innenministerium antwortete und ihn aufforderte, sich „dafür einzusetzen, dass der Antrag auf Eintragung [...] nicht genehmigt wird“ (ACS, MI, DGPS, AGR, cat. F1, b. 43, fasc. 66, sfasc. 274; diese und andere Gruppen von Dokumenten werden mitgeteilt von G. Tosatti, Comunità israelitica ed amministrazione pubblica nei documenti dell’Archivio centrale dello Stato, in: Italia Judaica. Gli ebrei nell’Italia unita, a.a.O., S. 142–51). Ab 30. Mai 1929 ging „Israel“ dazu über, wieder Alfonso Pacifici als verantwortlichen Herausgeber anzugeben. Übrigens setzte im folgenden Juni/Juli eine harte Auseinandersetzung zwischen dem führenden Sozialisten Filippo Turati (unterstützt von Guido Lodovico Luzzatto und Claudio Treves) und dem Hauptrabbiner
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unter den Juden“ sich speziell auf die Zugehörigkeit einiger von ihnen zum Zionismus bezog, so betraf das Öffnen der Augen der „christlichen Italiener“ die Juden als solche ohne Differenzierung. Im folgenden Jahr gab es in den beiden größten von der Regierung kontrollierten Kulturinstituten (der gerade errichteten Akademie von Italien und dem gerade neu organisierten Nationalen Forschungsrat) zwei Vorgänge des Ausschlusses jüdischer Wissenschaftler und antijüdischer Polemik112. Im Laufe des Jahres 1931 ergingen verschiedene Regierungsdekrete zur Umsetzung der neuen Ordnung. Im März wurde Felice Ravenna (1925 als Vizepräsident des jüdischen Konsortiums bestätigt und im Januar 1931 an Stelle von Sereni Präsident geworden) zu Regierungskommissar der schließlich errichteten Union ernannt. Im September wurden die Zahl und die territorialen Zuschnitte der israelitischen Gemeinden im Sinne des neuen Gesetzes festgelegt. Die 25 anerkannten Gemeinden (tatsächlich hatte das Dekret eine sechsundzwanzigste Gemeinde in Palermo vorgesehen, die aber nie errichtet wurde) waren die von Turin, Alessandria, Casale Monferrato, Vercelli, Genua, Maivon Rom Angelo Sacerdoti ein, und zwar gerade wegen der antijüdischen Begründung der Aussetzung der Veröffentlichungen: vgl. die Dokumente und die Berichte b. A. Schiavi, Esilio e morte di Filippo Turati (1926–1932). Rom (Opere nuove) 1956, S. 271–77, 305–306; G. L. Luzzatto, La partecipazione all’antifascismo, a.a.O., S. 39; A. Cavaglion, Einführung zu: G. L .Luzzatto, Scritti politici. Ebraismo e antisemitismo. Mailand (Angeli) 1996, S. 19–20; beim gegenwärtigen Kenntnisstand kann jedoch nicht festgestellt werden, ob Mussolini „Israel“ vorübergehend Schwierigkeiten bereiten wollte, oder ob er anfangs entschlossen war, die Schließung herbeizuführen, und dann seine Auffassung geändert hat. In den von Schiavi und Cavaglion veröffentlichten Dokumenten (s. aber den vollständigen Text des Briefes von Turati an Luzzatto im Archiv der Fondazione Feltrinelli) wird auf Artikel von Carlo Sforza und Giuseppe Emanuele Modigliani über den Antisemitismus im Faschismus hingewiesen. Der zweite muss für die Zeitschrift „The New Palestine“ geschrieben worden sein, doch habe ich in den Heften des zweiten Halbjahres 1929 und des ersten Halbjahres 1930 davon keine Spur gefunden. Der erste wurde im November 1929 von „The American Hebrew“ veröffentlicht: Carlo Sforza, brilliant exiled statesman, sees Fascism, a.a.O.; auf die Schrift wurde sodann hingewiesen in der antifaschistischen italienischen Wochenzeitschrift in Frankreich „Italia“ Nr. 57 (21. September 1931): „Les Israélites et le fascisme“ (es war Angelo Sacerdoti – auch er Verfasser eines Artikels in jenem Heft der USamerikanischen Zeitschrift – der den italienischen Behörden die Entstehung des Artikels in „Italia“ erläuterte; bei dieser Gelegenheit soll er erklärt haben, „sich sehr gern dafür einzusetzen, die Nachricht […], dass der Antisemitismus in Italien an Boden gewinne [zu] widerlegen“; ASMAE, MCP, b. 4, fasc. „Affari generali 1931“). 112 A. Capristo, L’esclusione degli ebrei dall’Accademia d’Italia, in: La rassegna mensile di Israel LXVII Nr. 3 (September–Dezember 2001), S. 3–4; R. Simili, Una comunità scientifica „discriminata, non perseguitata“, passo dopo passo, in: S. Arieti / D. Mirri (Hrsg.), La cattedra negata. Dal giuramento di fedeltà al fascismo alle leggi razziali nell’Università di Bologna, Bologna (Clueb) 2002, S. 44–45.
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land, Mantua, Verona, Padua, Venedig, Meran, Gorizia, Triest, Abbazia, Fiume, Parma, Modena, Bologna, Ferrara, Florenz, Pisa, Livorno, Ancona, Rom und Neapel. Kraft desselben Dekrets hörten die anderen kleinen jüdischen Gemeinden (1925 zählten die zum jüdischen Konsortium gehörenden Gemeinden der Halbinsel – ohne, wie erwähnt, Bologna – achtunddreißig113) auf, selbständige Einheiten zu sein und wurden zu Sektionen einer Gemeinde. Asti wurde eine Sektion von Alessandria, Reggio Emilia eine solche von Modena, Siena von Florenz usw. (erwähnenswert ist, dass in den folgenden Jahren die Sektion von Asti den Wunsch äußerte, ihre Autonomie zurück zu erhalten, während die Gemeinde Gorizia Sektion von Venedig werden wollte; doch weder den Interessierten noch der Union gelang es, diese Wünsche zu konkretisieren); es gab jedoch mindestens eine Errichtung einer neuen Sektion, nämlich derjenigen von San Remo, die zur Gemeinde Genua gehörte114. Anders und komplizierter war das Problem, das durch die neue Rechtslage in Fiume geschaffen wurde. Dort hatten sich in der Zeit der Zugehörigkeit der Stadt zu Ungarn, ebenso wie in anderen Örtlichkeiten Ungarns, zwei jüdische Gemeinden gebildet: die eine – zahlreichere – umfasste die italienischen Juden und jene, die in Ungarn als „Neologen“ bezeichnet wurden, die andere war die israelitisch orthodoxe Union, die aus Juden strengerer Observanz bestand. Der letzteren konnten nur volljährige Männer beitreten, die „nicht öffentlich den Sabbat und die anderen Feiertage verletzen“, und in ihre Ämter konnten nur jene „in Fiume wohnhaften verheirateten Mitglieder“ gewählt werden, die „nicht öffentlich den Sabbat und die anderen Feiertage verletzen und ein orthodoxes Leben gemäß den Shulchan Aruch führen“ (Artikel 5 und 8 des Statuts)115. Diese Grundsätze waren tatsächlich strenger als die neue italienische Gesetzgebung von 1930/31, die auf einer nicht selektiven Mitgliedschaft beruhte und von den Gewählten lediglich eine „ordentliche religiöse Lebensführung“ verlangte (Artikel 9 des Kgl. Dekrets vom 30. Oktober 1930, Nr. 1731). Nun führte aber die umfassende Anwendung dieser Bestimmungen zur Auflösung der Verwaltung der beiden Gemeinden von Fiume und zur Zusammenfassung aller Juden in der Mehrheitsgemeinde. Im April 1932 vereinbarten 113 S.o. Fußn. 92. Dem Konsortium gehörten auch die Gemeinden von Rhodos, Bengasi und Tripolis an. 114 „L’attività dell’Unione delle Comunità Israelitiche Italiane nel quinquennio 1933–XI / 1938–XVI“. Relazione del Presidente al II Congresso delle Comunità (1938–XVI). Rom 1938, S. 18; P. Veziano, San Remo. Una piccola comunità ebraica nella riviera dei fiori degli anni trenta, in: RMI, Bd. LXIX Nr. 1 (Januar–April 2003), S. 269–82. 115 „Statuti della Unione Israelitica Ortodossa di Fiume“ (beschlossen am 8. August 1920). Fiume 1925. Der Shulchan Arukh ist die Kodifikation der jüdischen Rechtstradition und Richtlinie der strenggläubigen Juden.
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deren Kommissar und die Vertreter der ehemaligen orthodoxen Union, die letztere in eine Sektion der ersteren umzuwandeln, wobei sie als „in religiösen Fragen“ und in der Führung ihrer eigenen Synagoge „völlig autonom“ anerkannt wurde, während im finanziellen Bereich sie das Recht auf eine – weitgehende, aber nicht vollständige – Restitution der von den Orthodoxen an die Zentralgemeinde geleisteten Beiträge haben sollte116. 1937 gab es nach verschiedenen Auseinandersetzungen und schließlich dem Eingreifen der Präfektur von Fiume, welche die Vereinbarung als „im Widerspruch zum Willen des Gesetzes stehend“ ansah, zwischen den beiden Gruppen erneut heftige Auseinandersetzungen, die im Dezember dank der Vermittlung der Union der Gemeinden mit der Entscheidung endeten, die Sektion in eine KultusBruderschaft umzuwandeln117. Damit wurde faktisch die organisatorische Autonomie der Orthodoxen noch weiter eingeschränkt; doch die Regelungen von 1930/31 ließen (erst recht Ende 1937) wirklich wenig Raum für andere Lösungen. Allerdings erklärten die Führer der Orthodoxen, keine separatistischen Absichten zu hegen; damit unterschieden sie sich von ihrer ungarischen Herkunftssituation und berücksichtigten die vom italienischen Judentum entwickelte spezifische Kennzeichnung. Uns kommt es gar nicht auf eine orthodoxe Gemeinde mit einem eigenen Zentralorgan, wie in Ungarn, an, vielmehr sind wir die treuesten Unterstützer und Anhänger der Union und ihrer Führer. In Ungarn entstand der getrennte politische Charakter der beiden Gemeinden gerade aus der Tatsache, dass sowohl die Neologen als auch die Orthodoxen ihr eigenes besonderes Zentralorgan haben. Unterdessen ist die Einheit des italienischen Judentums durch die Existenz der Union als einziges höchstes Organ vollständig gesichert118. 116 ACDEC, Fondo Comunità israelitica di Milano, fasc. 8, sfasc. „Comunità di Abbazia e Fiume“, Kopie der Vereinbarung vom 13. April 1932 zwischen dem Regierungskommissar der israelitischen Gemeinde Fiume und den „bevollmächtigten Beauftragten“ der Generalversammlung der aufgelösten orthodoxen Union. Vgl. auch: Unione delle comunità israelitiche italiane, I Congresso delle Comunità (1933–XI). Relazione del commissario governativo Avv. Felice di L. Ravenna. Rom [1933], S. 14–15; F. Ravenna, Relazione sull’attività dell’Unione delle Comunità israelitiche italiane dal giugno 1933 al settembre 1934. Rom (Unione delle Comunità israelitiche italiane – Tipografia La Professionale) 1934, S. 5–6. 117 ACDEC, Fondo Comunità israelitica di Milano, fasc. 8, sfasc. „Comunità di Abbazia e Fiume“, Kopie der Denkschrift der orthodoxen Abteilung der israelitischen Gemeinde Fiume vom Sommer 1937; Kopie der Vereinbarung zwischen den Leitern der israelitischen Gemeinde Fiume, den Leitern der ehemaligen orthodoxen Abteilung und den Vertretern der Union der Gemeinden Mario Falco und Alfredo Sabato Toaff vom 27. Dezember 1937. Vgl. auch AUCEI, Fondo UCII, Attività 1933–47, b. 62, fasc. 6, sfascc. „1936/Fiume“ und „1938/Fiume“. 118 ACDEC, Fondo Comunità israelitica di Milano, fasc. 8, sfasc. „Comunità di Abbazia e Fiume“,Alberto Engelsrath Vorsitzender der orthodoxen Sektion der israelitischen Ge-
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Im Frühjahr 1932, als die verschiedenen Gemeinden ohne allgemeine Auseinandersetzungen politischer oder religiöser Art die neuen Gemeinderäte wählten, erklärte Mussolini Emil Ludwig gegenüber: „Antisemitismus existiert nicht in Italien. […] Die jüdischen Italiener haben sich als Bürger stets bewährt und als Soldaten tapfer geschlagen. Sie sitzen in hervorragenden Stellungen an Universitäten, in der Armee, in den Banken.“119. Diese Erklärung wurde von der jüdischen Presse mit großer Zustimmung aufgenommen. Niemand betonte – jedenfalls in öffentlicher Form –, dass sie sich nicht auf ein automatisch geltendes Prinzip der Gleichheit und des Respekts, sondern auf das Verhalten der einzelnen Juden bezog. Und niemand auf der Halbinsel scheint Überlegungen angestellt zu haben wie diejenigen, welche 1935 in Buenos Aires von dem exilierten Anarchisten Camillo Berneri gerade im Hinblick auf das Interview mit Emil Ludwig formuliert wurden: „Wenn der Antisemitismus für die Erfordernisse des italienischen Faschismus notwendig würde, dann würde Mussolini, ärger als ein Machiavelli, Gobineau, Chamberlain und Woltmann folgen, und auch er würde von reiner Rasse sprechen“120. Niemand scheint schließlich öffentlich die unmittelbar anschließende Bemerkung Mussolinis diskutiert zu haben: es sei „absurd“, ihm vorzuwerfen, er habe die Ernennung von Juden für die Akademie von Italien bekämpft, wo doch gerade Alessandro della Seta Kandidat für sie geworden sei (eine Kandidatur, die der Diktator jedoch, wie Annalisa Capristo rekonstruiert hat, kurz zuvor abgelehnt hatte: kein Jude wurde jemals zum Mitglied der Akademie von Italien berufen)121. So fragte Lodovico Mortara in einem Briefwechsel vom April 1931 mit Mario Falco über die Reformgesetze zum Judentum, unter Bezugnahme auf das von ihm zehn Jahre zuvor innegehabte Amt: „Was meinen Sie, wann wird es geschehen, dass der Sohn eines Rabbiners Kultusminister des Königreichs Italien und oberster italienischer Richter wird?“122 Und dieser antwortete: „Es braucht
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meinde Fiume an Gustavo Castelbolognesi Oberrabbiner der Gemeinde Mailand, 9. September 1937. E. Ludwig, Colloqui con Mussolini. Mailand (Mondadori) 1932, S. 75–76 (erste Aufl. datiert mit „23. Juni 1936“; in der folgenden Auflage datiert mit „1936“, die zitierte Stelle auf S. 73–74). Mussolinis Gespräche mit Emil Ludwig. Berlin-Wien-Leipzig (P. Zsolnay Verlag) 1932, S. 76. Vergleich des italienischen mit dem deutschen Text b. A. Capristo, L’esclusione, a.a.O., S. 1–3. C. Berneri, El delirio racista. Buenos Aires (Imam) 1935 [it. Übers. „Mussolini ‘normalizzatore’e Il delirio razzista“. Pistoia (Edizioni Archivio Famiglia Berneri) 1986, S. 39]. A. Capristo, L’esclusione, a.a.O., S. 1–36. Vgl. auch G. Fabre, Mussolini e gli ebrei, a.a.O., S. 205–206. AUCEI, Carteggio Mario Falco, fasc. „Carteggio con senatore Lodovico Mortara“, Brief von Lodovico Mortara an Mario Falco vom 7. April 1931.
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nicht gesagt zu werden, dass ich mit Eurer Exzellenz in der Vermutung, ja in der Sicherheit übereinstimme, dass nunmehr die hohen Staatsämter den Juden verschlossen sind“123. Diese Äußerung war allzu drastisch bzw. allzu verfrüht, denn im Juli 1932 wurde Guido Jung zum Finanzminister ernannt (bis Januar 1935). Bezogen auf das Fortschreiten war jedoch das von Mortara und Falco gezeichnete Bild völlig richtig und wurde gerade in den Tagen des Interviews von Emil Ludwig von einem anderen Juden, ebenfalls in einem Privatbrief, folgendermaßen beschrieben: „Der Hitlerismus der verschiedenen Länder [...] erblickt in Rom das Mekka des Antisemitismus“124. Zu Beginn der 30er Jahre bildeten die 44–45.000 Juden der Halbinsel auch weiterhin ein recht heterogenes Gebilde. Was die Antifaschisten angeht, so befand sich die ältere Generation der Militanten schon in vielen Fällen im Exil oder im Gefängnis. Verschiedene Jüngere waren jedoch ihrem moralischen und politischen Beispiel gefolgt, wobei sich häufig ihre Anfangsausbildung – wie im Grunde Nello Rosselli angedeutet hatte – innerhalb des Judentums vollzog. Dieser Werdegang führte beispielsweise die Brüder Enzo Sereni (der später in der Deportation starb) und Emilio Sereni, zur Zeit des „Marsches auf Rom“ 17 bzw. 15 Jahre alt, dazu, 1927 ihre eigenen komplexen Identitäten zu entwickeln, indem – zugleich im Gegensatz und in Ergänzung – der eine beschloss, in Palästina seinen eigenen zionistischen Sozialismus zu leben, der andere, in Italien Mitglied der kommunistischen Partei zu werden125. Unter den italienischen Zionisten machte sich indessen das Vorhandensein einer ganz anderen politischen Ausrichtung bemerkbar. Neben den Sozialisten, den Liberalen („allgemeine Zionisten“) und den Religiösen gab es seit einigen Jahren auch die „Revisionisten“, die sehr stark im nationalistischen Sinne geprägt waren. Diese Strömung besaß mit dem Faschismus einerseits reale ideologische Übereinstimmungen (auf der Konferenz der italienischen Landesgruppe der Union der revisionistischen Zionisten vom 14. Februar 1932 betonte Leone Carpi, dass „in dem Geiste, der seit einigen Jahren in Italien weht, könnte der Revisionismus seinerseits vollständig passen“)126, anderer123 Ebd., Kopie des Schreibens von Mario Falco an Lodovico Mortara vom 9. April 1931. 124 Brief von Isacco Sciaky an Vladimir Jabotinsky vom 25. April 1932; wiedergegeben b. V. Pinto (Hrsg.), Stato e Libertà. Il carteggio Jabotinsky-Sciaky (1924–1939). Soveria Mannelli (Rubbettino) 2002, S. 70. 125 Das Geflecht ihrer Lebensentscheidungen wird erzählt b. C. Sereni, Il gioco dei regni. Florenz (Giunti) 1993. In der vorhergehenden Zeit war jeder der beiden Brüder von der jeweils anderen Ideologie angezogen worden; vgl. Emilio e Enzo Sereni, Lettere 1926– 1943. Florenz (La Nuova Italia) 2000, S. 53, 64. 126 L’idea sionistica II, Nr. 10–11 (Februar/März 1932), S. 14. Vgl. auch C. L. Ottino, Jabotinsky e l’Italia, in: G. Valabrega (Hrsg.), Gli Ebrei in Italia durante il fascismo
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seits aber einen unauflösbaren Widerspruch, der aus der Ablehnung jedes anderen Nationalismus in Italien seitens der Faschisten folgte. Bei den Wahlen der italienischen Delegierten zu den zionistischen Weltkongressen erlangten die Kandidaten der Gruppe 1927 und 1929 ungefähr 25% der Stimmen und 1931 und 1933 etwa 30%127. Derweil hatte seit 1927 die italienische zionistischen Föderation mit der Ernennung von Umberto Nahon begonnen, sich mit einer organisierteren und „moderneren“ Struktur zu versehen, die handlungsfähiger war und geeigneter, Propaganda zu betreiben und Proselyten zu machen128. Die Zahl der italienischen Juden, die von der Mitte der 20er Jahre bis zum Sommer 1938 nach Palästina emigrierten, betrug 100 bis 150129. Am 10. September 1929 fanden auf Anweisung des Konsortiums der jüdischen Gemeinden in allen Synagogen Totengedenken und Zeremonien für die zahlreichen in den vorhergehenden Wochen in Palästina getöteten Juden statt130. Da der Chef der Polizei die Präfekten ersucht hatte, darüber zu berichten, wissen wir, dass die Teilnehmerzahl in Triest etwa 450, in Mailand 400, in Livorno 300, in Ferrara und Ancona 200, in Neapel 100 und in Genua 50 betrug131. Im Mai 1930 brachten die Revisionisten die Monatszeitschrift L’idea sionistica heraus. In denselben Tagen nahm auch La rassegna mensile di Israel regelmäßig die Publikationen wieder auf, und im Dezember folgte Israel dei ragazzi. Diese beiden Periodika bildeten eine Art kulturelles und jugendliches Supplement der schon erwähnten zionistischen Wochenschrift Israel, welche die „allgemeine“ Richtung unterstützte und die am weitesten verbreitete jüdische Zeitschrift war (gemäß einem Zeugnis brachte sie es auf eine Höchstverbreitung von 2.500 Exemplaren)132. An ihre Seite traten: seit Dezember 1932 das
127
128 129 130 131 132
(Quaderni del Centro di documentazione ebraica contemporanea, Nr. 3). Mailand 1963, S. 71–72, 81. U. Nahon, La polemica, a.a.O., S. 221; E. Levi, Episodi di vita ebraica milanese fra le due guerre mondiali, in: D. Carpi / A. Milano / A. Rofè (Hrsg.), Scritti in memoria di Leone Carpi. Saggi sull’Ebraismo italiano. Jerusalem (Fondazione Sally Mayer) 1967, S. 236–37. G. Romano, Il Sionismo in Italia fino alla seconda guerra mondiale, in: RMI XLII Nr. 7–8 (Juli/August 1976), S. 349–50. Vgl. o., Kap. II, S. 33; A. Marzano, Una terra, a.a.O., S. 78–91. „Le commemorazioni in tutte le Comunità d’Italia“, in: Israel XIV Nr. 50 (19. September 1929). ACS, MI, DGPS, AGR, cat. G1, b. 18, fasc. 220, sfasc. 2, ins. „Federazione Sionistica. Funzioni religiose“ (die Berichte der anderen Städte enthalten keine Zahlenangaben). T. Eckert, Il movimento sionistico-chalutzistico in Italia fra le due guerre mondiali. Tel Aviv (Kevuzat) 1970, S. 54.
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vierteljährlich erscheinende römische Bulletin La comunità israelitica; seit September 1933 die Mailänder Monatszeitschrift Davar, die dem revisionistischen Zionismus nahe stand und die – für Italien neuen – Merkmale einer Zeitschrift in Verbindung mit einem umfassenden Werbe-Projekt aufwies und sich auch an nichtjüdische Leser richtete; ab Mai 1934 das Turiner Wochenblatt La nostra bandiera, das Sprachrohr der Juden mit faschistischer Überzeugung. Im folgenden Jahr gab das italienische Rabbinerkollegium (das die Union gerade von Florenz nach Rom verlegt hatte) das erste Jahrbuch für jüdische Studien (Annuario di studi ebraici) mit der Jahresangabe 1934 in den Druck. Diese Art von kleiner publizistischer Explosion133 signalisiert – jenseits dessen, was später über die Ereignisse des Jahres 1934 zu berichten sein wird – eine größere Lebhaftigkeit, Öffnung und Diversifizierung des italienischen Judentums oder doch wenigstens einiger seiner Bereiche; unter anderem seien zumindest erwähnt die Übersetzungen jiddischer Lesestücke, die sich in Davar fanden, und vor allem diejenigen von jüdischen Essays und Romanen, die in La rassegna mensile di Israel veröffentlicht wurden oder selbständig vom Verlag Israel herausgebracht wurden134. Diesem Wachstum war dasjenige der kulturellen Kreise vorausgegangen, die als Convegni di studi ebraici (Treffen über jüdische Studien) bekannt wurden und sich besonders in den Jahren 1923 bis 1927 entwickelten und sich bald in der Föderation der jüdischen Kulturvereine (Face) vereinigten135. Am Ende des Jahres 1928 stellte die letztere fest, dass die Tätigkeit der Zirkel vor allem in Abendvorträgen bestand, sodann in Kursen des Hebräischen und der jüdischen Geschichte und in Initiativen anlässlich von Festlichkeiten; sie stellte jedoch besorgt fest, dass die Vereine noch „zu häufig auf dem guten Willen einer einzigen Person beruhen“136. Und gerade mit dem darauf folgenden Jahr lässt Attilio Milano ihren Niedergang 133 Zur jüdischen italienischen Presse in den 30er Jahren s. A. Milano, Un secolo di stampa periodica ebraica in Italia, in: RMI XII Nr. 7–9 (April–Juni 1938), S. 96–136; s. auch M. Sarfatti, L’antisemitismo fascista e l’interruzione della stampa ebraica italiana nel 1938 […], in: Bailamme Nr. 11–12 (Januar–Dezember 1992), S. 165–213 (beide Untersuchungen sind im Lichte des hier Berichteten zu revidieren). 134 K. Voigt, Israel Kalk e i figli dei profughi ebrei in Italia, in: Storia in Lombardia IX (1990), Nr. 2, S. 205–6; A. Luzzatto, Il rinnovamento culturale dell’ebraismo italiano tra le due guerre, in: D. Bidussa / A. Luzzatto / G. Luzzatto Voghera, Oltre il ghetto, a.a.O., S. 112–28; T. Eckert, Il movimento, a.a.O., S. 55–58; B. Di Porto, „La Rassegna Mensile di Israel“ in epoca fascista, in: RMI LXI Nr. 1 (Januar–April 1995), S. 7–60. 135 „Il Convegno ebraico in Italia e le sue direttive. Un interessante rapporto della F.A.C.E., in: Israel XIV Nr. 11, 29. November 1928; A. Milano, Gli enti culturali ebraici in Italia nell’ultimo trentennio (1907–1937), in: RMI XII Nr. 6 (Februar/März 1938), S. 260–64. 136 Il Convegno ebraico, a.a.O.
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beginnen137. Allerdings geht die Entstehung einer gänzlich neuen Organisation auf das Jahr 1927 zurück: die Vereinigung der jüdischen Frauen Italiens (Adei), die sich auf den Gebieten der Unterstützung, der Erziehung und der Selbstbildung betätigte und sich 1931 der Women’s International Zionist Organisation (Wizo) anschloss138. Viele Juden verwandten in jenen frühen 30er Jahren ihre Energien auf das umfassende Werk der Reorganisation der jüdischen Körperschaften und ihrer Tätigkeit im Rahmen der neuen Rechtslage139. Nahezu alle Gemeinden mussten ihren Verwaltungsaufbau und ihre rabbinischen Strukturen revidieren, die komplizierte Frage der Beiträge bestimmen oder neu bestimmen, Gewohnheiten und Traditionen ändern. Diejenigen, die sich bis dahin auf die freiwillige Zugehörigkeit Einzelner gestützt hatten (allen voran die mitgliederstarken Gemeinden von Rom und Mailand), begannen ein umfassendes Werk der Erfassung derer, die in den vorangegangenen Jahren, als Ortsansässige oder als Zugewanderte, eine Identität entwickelt hatten, welche von einer „gemeinschaftlichen“ Identität mehr oder weniger entfernt war140. Die daraus folgende zahlenmäßige Vermehrung der eingeschriebenen Mitglieder (die Zahl der Steuerzahler der Gemeinde Rom wuchs von 1332 im Jahre 1925 auf 1745 im Jahre 1933, die der Gemeinde Venedig von 320 im Jahre 1923 auf 371 im Jahre 1931141) brachte eine Verstärkung der örtlichen Körperschaften, aber auch ein Anwachsen der Anzahl der weniger Überzeugten in ihrem Inneren. Das proportionale Wachstum der Mischehen im Lauf der 30er Jahre und die beachtliche Zahl der Austritte im Zeitpunkt des Einsetzens der Verfolgung der Rechte waren mit aller Wahrscheinlichkeit auch ein Spiegelbild dieser Lage. 137 A Milano, Gli enti, a.a.O., S. 261. 138 M. Miniati, „Non dimenticare. Il ruolo formativo e culturale dell’Adei (Associazione donne ebree d’Italia) dal dopoguerra a oggi, in: A. M. Piussi (Hrsg.), Presto apprendere, tardi dimenticare: l’educazione ebraica nell’Italia contemporanea. Mailand (Angeli) 1998, S. 167–69. Vgl. auch o. Fußn. 39. 139 Vgl. dazu die Sonderhefte von Israel, XVI Nr. 17–18 (20. Januar 1931) und ebd., XVII Nr. 18–19 (14.–21. Januar 1932). Am 17. Januar 1933 schilderte der Regierungskommissar der Union Felice Ravenna Mussolini die vollbrachte Arbeit und erreichte von ihm das Versprechen der Teilnahme eines Mitglieds der Regierung am bevorstehenden 1. Kongress der Union (AUCEI, Fondo UCII, Attività fino al 1933, b. 43, fasc. 155: „Capo del Governo“); als allerdings am 19. März die förmliche Einladung erfolgte, entschied der Diktator sich ablehnend (ACS, PCM, 1931–33, fasc. 14.3.8704). 140 Vgl. unterdessen A. Minerbi, La Comunità ebraica di Firenze (1931–1943), in: E. Collotti (Hrsg.), Razza e fascismo. La persecuzione contro gli ebrei in Toscana (1938–1943). Rom (Carocci) 1999, Bd. I, S. 126–27, 129–30. 141 Vgl. F. Del Regno, Gli ebrei a Roma, a.a.O., S. 68; Israel XVIII Nr. 20 (24. Februar– 4. März 1933); S. 4; S. Levis Sullam, Una Comunità, a.a.O., S. 75.
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Überhaupt war die Teilnahme der Einzelnen am Gemeindeleben sehr begrenzt, was das institutionelle Leben anging, während es in den verschiedenen Tätigkeiten im Bereich von Erziehung, Kultur, Erholung, Gottesdienst, Wohltätigkeit usw. sehr beachtlich werden konnte142. Die neue Zentralorganisation widmete sogleich der Erziehung der Kinder und Jugendlichen in den jüdischen und den öffentlichen Schulen große Aufmerksamkeit. Bereits 1932 wurde die Erarbeitung von programmatischen Linien für Ergänzungskurse in Kultur, Religion und hebräischer Sprache für Jugendliche auf öffentlichen Mittelschulen abgeschlossen, und 1936 wurde ein umfangreiches Handbuch für Leitungen und Lehrer von jüdischen Elementarschulen erstellt143. Da das faschistische Regime unterdessen, beginnend mit dem Schuljahr 1930/31, das Einheitslesebuch in den Elementarschulen eingeführt hatte, stellte sich – mit erheblich größerer Bedeutung als in den Jahren zuvor – das Problem, die Erlaubnis zu erlangen, in den jüdischen Elementarschulen eine entkatholisierte Version dieses Buches zu benutzen, d.h. jene zahlreichen Abschnitte zu ersetzen oder wenigstens auszuschließen, welche die den Kindern von der jüdischen Familie vermittelte Religion verächtlich machten oder sie sogar – zusammen mit der von Gentile vorgeschriebenen allgemeinen katholischen Prägung – zur Konversion drängten. Die Union erreichte aber nur (und mit einiger Verzögerung) die Befugnis, Streichungen vorzunehmen, nicht aber Ersetzungen144; war das erste Zugeständnis immerhin beachtlich, so symbolisierte die Weigerung im zweiten Punkt (die zum Druck von lückenhaften Büchern führte) gut den Zustand der Inferiorität derer, die das nationale Projekt der Regierung nicht widerspiegelten. Ansonsten hatten sich die jüdischen Schulen vollständig den faschistischen Direktiven und Ritualen der Faschisten angepasst, und in dieser Hinsicht zeigte man sich stolz, die „Lesebücher […] des Staates“ zu benutzen145. Gleichzeitig setzte sich der Prozess der Nationalisierung in den Synagogen fort: In Venedig wurde beispielsweise das Gebet für den König auf den Duce ausgedehnt, und es wurden das 25jährige Thronjubiläum König Vittorio Emanueles III. (1925) und die Gründung des Kaiserreichs (1936) gefeiert: 142 Für Venedig vgl. S. Levis Sullam, Una comunità, a.a.O., S. 75–78. 143 A. Minerbi, Tra nazionalizzazione e persecuzione. La scuola ebraica in Italia, 1930– 1943, in: Contemporanea II Nr. 4 (Oktober 1998), S. 710–14. 144 Ebd., S. 708–710; Vgl. auch Israel XVI Nr. 32 (30. April 1931) und ebd. XVII Nr. 9 (8. Oktober 1931). 145 L. Ventura, Ebrei con il Duce. „La nostra bandiera“ (1934–1938). Turin (Zamorani) 2002, S. 74–75 (Zitat aus: „I 140 anni della Scuola di Torino antesignana dell’istruzione pubblica, in: La nostra bandiera I Nr. 5, 31. Mai 1934).
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Drittes Kapitel Der traditionellen Liturgie wurden der „Königsmarsch“ und die „Giovinezza“ oder, bei sich bietender Gelegenheit, das „Lied von der Piave“ angefügt. Man wählte passende Psalmen aus, deren Jahrtausende alter Text von den neuen Verhältnissen und den neuen Idealen wieder aktualisiert zu werden schien. Man beging und repräsentierte bei diesen Gelegenheiten unter Teilnahme einer besonders großen Zahl von venezianischen Juden nicht nur den jüdischen Kult, sondern auch die Verschmelzung der jüdischen und der italienischen Ideale, welche durch die Ergebenheit gegenüber der Monarchie und dem Duce sowie durch das Opfer der Söhne der Gemeinde in den Kriegen der Nation bekräftigt wurde146.
Außerhalb der jüdischen Organisationen behielt das Engagement der Einzelnen im Bereich der Arbeit häufig die traditionelle Intensität bei. Um als Beispiel im Bereich des Buches zu bleiben und um uns nochmals die Vielfältigkeit des Einsatzes der Frauen vor Augen zu führen, sei der „fundamentale Beitrag“ erwähnt, den Anita Mondolfo, die Leiterin der Nationalbibliothek von Florenz, die diesen Posten 1937 räumen musste, weil sie Jüdin war, zu den Initiativen zur nationalen bibliographischen Standardisierung und Katalogisierung erbrachte147. Was die Faschistische Partei anging, so zeigt der ungenaue, jedoch nicht abwegige Vergleich zwischen der Gesamtzahl der eingeschriebenen Mitglieder in bestimmten Jahren und den Angaben über das Jahr des Beitritts der in der Zählung von 1938 erfassten Juden mit italienischer Staatsbürgerschaft, dass die „effektiven“ Juden ungefähr 1,9 Promille der Gesamtzahl der Mitglieder im Jahre 1929 und ungefähr 4,1 Promille im Oktober 1933 betrug (die entsprechenden Zahlenwerte betrugen jeweils rund 2.000 und rund 5.800 Personen)148. Die Angabe zum Jahr 1929 scheint, wenn man es mit den 2,3 Promille für 1922 vergleicht, zu belegen, dass generell die Juden fortfuhren, sich auf ihre spezifische Weise wie die anderen Italiener zu verhalten, macht aber zugleich deutlich, dass in jenen sieben Jahren der Zuwachs an jüdischen Mitgliedern geringer war als der nationale Durchschnitt; die Angabe zu 1933 zeigt hingegen eine anschließende beachtliche Vermehrung gerade bei den Juden. Sie verdankte sich – so viel wird man sagen können – dem Zusammentreffen 146 S. Levis Sullam, Una comunità, a.a.O., S. 126. Es gab auch manchen Rabbiner, der sich lobend über den Faschismus äußerte; s. L. Ventura, Ebrei, a.a.O., S. 38–39, 111–12 (doch anders als von ihm behauptet, kann die Mehrzahl der von ihm berichteten „Proklamationen“ nicht als „faschistischen Glaubens“ oder „liktorischen Glaubens“ bezeichnet werden). 147 E. Francioni, Bibliotecari al confino: Anita Mondolfo, in: Bollettino AIB XXXVIII Nr. 2 (Juni 1998), S. 174; G. Fabre, Una biblioteca di fronte alla censura fascista, in: Milleottocentosessantanove Nr. 23 (Dezember 1999), S. 15. 148 Zu den die Juden betreffenden Angaben s.o. Kap. I, Fußn. 60; zu den Gesamtangaben s. M. R. Di Simone, L’organizzazione del Partito nazionale fascista, in: Il Parlamento italiano 1861–1988. Mailand (Nuova CEI Informatica) 1990, Bd. XII, Teil I, S. 66.
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von drei verschiedenen Gründen: das beachtliche jüdische Element in den Kategorien (öffentliche Bedienstete einschließlich der Universitätslehrer und allgemein Personen mit einer Beziehung zur öffentlichen Verwaltung), die förmlich oder faktisch aufgefordert wurden, ihre Treue zum Regime zum Ausdruck zu bringen149; das Gefühl der Beruhigung, das viele infolge des Erlasses der neuen Rechtsordnung beherrschte, sowie das vor allem unter den neuen Gemeindeadministratoren verbreitete Bewusstsein, doch irgendwie Teil der Gliederung des totalitären Staates und nicht mehr von völlig autonomen Organisationen zu sein (freilich konnte es noch im Frühjahr 1934 geschehen, dass nur ein einziger der fünf Gemeinderatsmitglieder von Mantua Mitglied des PNF war)150; und schließlich die Distanzierung Mussolinis von der Art der von Hitler, der am 30. Januar 1933 Kanzler geworden war, ausgelösten antijüdischen Kampagne.
3. Die „antifaschistischen und antiitalienischen Juden“ Die neue Lage in Deutschland veränderte auf radikale Weise die Einschätzung vieler Juden über ihre eigene Situation – angesichts der Bedrohungen und 149 A. Aquarone, L’organizzazione, a.a.O., S. 257–58. Unter 1.213 Universitäts-Professoren machten diejenigen, welche sich offen weigerten, den 1931 von der Regierung geforderten Treueeid „auf das Faschistische Regime“ zu leisten, mindestens 12 aus, darunter waren die Juden Giorgio Errera, Giorgio Levi Della Vida, Fabio Luzzatto und Vito Volterra; H. Goetz, Der freie Geist und seine Widersacher. Die Eidesverweigerer an den italienischen Universitäten im Jahre 1931. Frankfurt (Haag) 1993 [it. Übers.: Il giuramento rifiutato. I docenti universitari e il regime fascista. Florenz (La Nuova Italia) 2000]; G. Boatti, Preferirei di no. Le storie dei dodici professori che si opposero a Mussolini. Turin (Einaudi) 2001; „Per ricordare Giorgio Errera. Il rifiuto del giuramento fascista.“ Pavia (Università degli studi di Pavia) 1998. Einige weitere reagierten auf die Verpflichtung dadurch, dass sie ihren Abschied nahmen; einer von ihnen war Piero Sraffa (vgl. L. Fausti, Intelletti in dialogo, a.a.O., S. 179). 1933 wurde der obligatorische Eid auf Privatdozenten ausgedehnt; unter den Eidesverweigerern war Leone Ginzburg (ACS, Ministero della Pubblica Istruzione, Direzione generale dell’istruzione superiore, Divisione I „Liberi docenti“, III serie (1930–1950), b. 241, fasc. „Ginzburg Leone“, Kopie des Briefes von Leone Ginzburg an den Dekan der Fakultät für Literatur und Philosophie der Universität Turin, 8. Januar 1934). Im selben Jahr wurde er auch auf die Mitglieder der Akademien ausgedehnt; zu den (zehn) Eidesverweigerern der Accademia dei Lincei und den (mindestens drei) der Accademia delle scienze von Turin gehörte Vito Volterra (A. Capristo, L’espulsione, a.a.O., S. 14–16). Es versteht sich von selbst, dass die 1938 von den Universitäten und aus den Akademien vertriebenen Juden den Eid geleistet hatten. 150 ACDEC, Fondo Leone e Felice Ravenna, b. 9, fasc. 1, „lettera del presidente della Comunità israelitica di Mantova al presidente dell’Unione delle Comunità israelitiche italiane, 11 giugno 1934“. Schreiben des Vorsitzenden der israelitischen Gemeinde Mantua an den Vorsitzenden der Union der italienischen israelitischen Gemeinden, 11. Juni 1934.
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direkten Verfolgungen, die über die Juden Deutschlands hereingebrochen waren, gewannen die Bedrängung der religiösen Gleichheit und der Prozess der totalitären Einengung durch den Faschismus plötzlich eine fast positive Bewertung. Und dies, obwohl die faschistische Presse die antijüdische Aktion der Nazis abwechselnd mit Zustimmung und Differenzierung darstellte151; daneben tauchten von einflussreicher Stelle sporadische Denunziationen über die „Unverhältnismäßigkeit“ der jüdischen Präsenz auf: am 26. Mai 1933 äußerte das Kampfblatt Il regime fascista den Wunsch, dass die Juden „verantwortliche Positionen […] im Verhältnis zu ihrer numerischen Größe“ innehaben sollten152; am 4. Oktober machte das offizielle Organ Il popolo d’Italia darauf aufmerksam, dass in einer Stadt [Triest] die Juden „Ämter, Führungspositionen und Kontrollstellen im Verhältnis von eins zu eins 100%-ig“ innehätten, und forderte den Präfekten und den Sekretär des PNF auf, zu kontrollieren und „etwas zu unternehmen“153. Giorgio Fabre hat kürzlich dargestellt, wie diesen öffentlichen Erklärungen die Entfernung aller seiner „jüdischen Untergebenen oder solcher mit jüdischen Namen“ durch Mussolini entsprach, und wie, ebenfalls in jenen ersten Monaten des Jahres 1933, der italienische Diktator mehrfach Hitler auf vertraulichem Weg aufforderte, bei der Entfernung der deutschen Juden aus verantwortungsvollen Stellungen ohne heftige Stöße und ohne die Verfolgung allzu offensichtlich zu machen vorzugehen154. Auf diplomatischer Ebene betrieb Mussolini eine komplexe und nicht immer geradlinige Politik, die sich einerseits zum Ziele setzte, zwischen Verfolgern und Verfolgten zu vermitteln, wobei er für sich und für Italien eine Hauptrolle beanspruchte, andererseits die Diskussion über die Mittelmeerfrage durch 151 M. Michaelis, Mussolini e la questione ebraica, a.a.O., S. 76–77. G. Fabre, Mussolini e gli ebrei, a.a.O., S. 195–96; K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. I, S. 17–18; Zuflucht, a.a.O., S. 32 weist darauf hin, dass die Berichterstattung in Il popolo d’Italia über den antijüdischen Boykott vom 1. April 1933 und über die damit verbundenen antisemitischen Maßnahmen „sich durchgehend den nationalsozialistischen Standpunkt zu Eigen“ machte. 152 [R. Farinacci], Nota di commento a una lettera, in: Il regime fascista, 26. März 1933; zitiert b. G. Fabre, Mussolini e gli ebrei, a.a.O., S. 216. 153 Farinata [O. Dinale], Discussioni, in: Il popolo d’Italia, 4. Oktober 1933. Die Stadt ist als Triest zu identifizieren wegen des Hinweises, dass die Juden „zwei Prozent der Bevölkerung“ ausmachten. Der Artikel steht möglicherweise in Beziehung zur Ernennung Enrico Paolo Salems zum Podestà; vgl. den antisemitischen Bericht des Korrespondenten der Nachrichtenagentur Stefani in Triest vom 23. Oktober 1933 in: E. Ginzburg Migliorino, L’applicazione delle leggi antiebraiche a Trieste: aspetti e problemi, in: Qualestoria XVII Nr. 1 (April 1989), S. 99–100; vgl. auch Ders., Il censimento degli ebrei, a.a.O., S. 35–36. 154 G. Fabre, Mussolini e gli ebrei, a.a.O., S. 187–222 (Zitat auf S. 221).
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Schaffung konkreter Hilfsmaßnahmen für eine kräftige Präsenz Italiens in Palästina wieder zu eröffnen155. Damit zeigte er, dass er sich der Komplexität bewusst war, welche die „antijüdische Frage“ in allen Zusammenhängen (im speziell italienischen, im europäischen und im mediterranen) angenommen hatte. Am 17. Februar 1934 veröffentlichte Il popolo d’Italia einen Beitrag von ihm mit der Überschrift Una soluzione („Eine Lösung“), der die gesamte Problematik abhandelte156. Der Artikel, der ohne Namensangabe erschien, schlug indirekt, doch eindrucksvoll vor, in einem Teil Palästinas nicht mehr bloß eine „Heimstatt“, sondern einen „wirklichen Staat“ zu schaffen und infolgedessen zu einer Aufteilung aller Juden in vier Kategorien zu gelangen: 1) Die im jüdischen Staat in Palästina lebenden Juden, die damit im Besitz der jüdischen Staatsangehörigkeit sein würden. 2) Die Juden, die sich in anderen Staaten aufhalten, denen auf ihren Antrag die Staatsangehörigkeit des neuen jüdischen Staates verliehen werden sollte. 3) Die Juden, die Bürger anderer Staaten sind, jedoch einer nationalen Minderheit angehören, die durch internationale Verträge geschützt ist. 4) Die assimilierten Juden, die im Besitz der Staatsangehörigkeit des Landes sind, in dem sie ihren Wohnsitz haben, und gleiche Rechte und Pflichten mit allen anderen haben.
Mussolini stellte klar, dass sein Vorschlag „eher einfallsreich als praktisch sei“, schloss aber: „Immerhin ist er eine Lösung“. Für den Abend desselben Tages stand ein Treffen zwischen dem Diktator und dem zionistischen Führer Chaim Weizmann auf dem Programm157, und es liegt nahe anzunehmen, dass dieser der erste Adressat der vorgeschlagenen „Lösung“ gewesen sei; doch bildete diese, insbesondere in ihren Punkten 2) und 4), auch eine Erwiderung auf das Kommuniqué der Union der italienischen israelitischen Gemeinden, das am 14. Februar in der Presse veröffentlicht worden war, und bekräftigte, dass dieselben Empfindungen des „Patriotismus“, des „reinen Italienertums“ und der „absoluten Liebe zu Italien“ für „alle italienischen Juden, egal ob Zionisten oder nicht“, kennzeichnend seien. Und das 155 R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 119–121, 127–138, 164–166; S. I. Minerbi, Gli ultimi due incontri Weizmann-Mussolini (1933–1934), in: Storia contemporanea V Nr. 3 (September 1974), S. 431–77; M. Michaelis, Mussolini e la questione ebraica, a.a.O., S. 75–81. Vgl. aber auch R. De Felice, Il fascismo e l’Oriente. Arabi, ebrei e indiani nella politica di Mussolini. Bologna (Il Mulino) 1988, S. 146–150. 156 Zur Zuschreibung des Artikels (der am folgenden Tag in zahlreichen Tageszeitungen nachgedruckt wurde) s. B. Mussolini, Opera omnia, a.a.O., Bd. XXVI (1958), S. 171–172. Weil der Artikel kritische Reaktionen in arabisch-palästinensischen Kreisen hervorgerufen hatte, wurde der italienische Konsul in Jerusalem beauftragt, die Zuschreibung des Textes an Mussolini zu bestreiten (R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 166). 157 S. I. Minerbi, Gli ultimi, a.a.O., S. 466–477.
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Kommuniqué der Union war seinerseits eine ausdrückliche Antwort auf die Polemik, welche Telesio Interlandis Tageszeitung Il Tevere am 30. Januar mit einem Artikel begonnen hatte, worin die zionistischen Juden und überhaupt alle jene Juden, die nicht gewillt waren, „sich völlig zu assimilieren“, beschuldigt wurden, „dem Land, in dem sie leben und gedeihen und dessen Staatsbürgerschaft sie erhalten haben, fremd bleiben“ zu wollen158. Mit dem Artikel Eine Lösung forderte Mussolini im Grunde die Juden abermals auf, eine „Klärung“ vorzunehmen, wozu er sie bereits im Dezember 1928 gedrängt hatte, nämlich möglichst rasch zur vollen politischen und nationalen „Assimilation“ an das faschistische Italien zu gelangen und ihre Verschiedenheit von den anderen Italienern auf einen – nicht näher präzisierten – religiösen Bereich zu beschränken159. Im Unterschied zu dem, was sechs Jahre vorher geschehen war, hörte jedoch die Polemik in der Presse mit dem Beitrag Mussolinis nicht auf und setzte sich mit abnehmender Intensität noch einige Wochen in verschiedenen Zeitungen fort160, womit nicht nur belegt wurde, dass es im Faschismus eine wirkliche antisemitische Tendenz gab, sondern auch, dass diese Tendenz, wenn sie sich auch nicht der öffentlichen Zustimmung des Diktators rühmen konnte, doch eine von seiner Seite legitimierte und anerkannte Existenz besaß. Die führenden Personen der Union (im März 1933 war der erste Kongress der neuen Organisation abgehalten worden, und der dort gewählte Rat hatte einen 158 Zur Polemik in „Il Tevere“ von Januar–Februar 1934 vgl. R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 141–43. 159 Nach dem, was der Vorsitzende der Gemeinde von Turin am 23. Januar 1934 an den Vorsitzenden der Union der Gemeinden schrieb, war es die „Absicht S.E. des Regierungschefs, dafür zu sorgen, dass fünf Juden in die Liste für die nächsten politischen Wahlen [vom 25. März] aufgenommen werden“ (ACDEC, Fondo Leone e Felice Ravenna, b. 9, fasc. 1). Diese Tatsache, sollte sie bestätigt werden, würde die Bedeutung dessen, was im Artikel „Una soluzione“ angekündigt wurde, noch steigern (tatsächlich wurden Riccardo Luzzati, Gino Jacopo Olivetti und Guido Jung – bei dem freilich nicht sicher ist, ob er sich selbst als Jude ansah – in die „Liste“ aufgenommen und damit automatisch gewählt; hinzu kam noch Gino Arias, der seit kurzem getauft war). Zu ergänzen ist noch, dass am 8. März 1934 Mussolini bei dem Präfekten von Triest wegen der Möglichkeit nachfragte, den Präsidenten und Geschäftsführer der Assicurazioni Generali Edgardo Morpurgo zum Senator zu machen (ACS, MI, UC, Telegrammi in partenza, 8 marzo 1934); die Ernennung fand dann zwar nicht statt, es ist aber nicht bekannt, aus welchem Grunde [jedenfalls fehlte es nicht an Hinweisen auf sein Judentum; vgl. A. Millo, Trieste, le assicurazioni, l’Europa. Arnoldo Frigessi di Rattalma e la RAS. Mailand (Franco Angeli) 2004, S. 168]. 160 R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 143–45. Anfang März fragte Mussolini beim Zentralinstitut für Statistik nach, welches die zahlenmäßige Größe der Juden in Italien sei [ACS, SPD, CR (1922–43), cat. 169/R, b. 140, fasc. 14].
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Vorstand, bestehend aus dem Präsidenten Felice Ravenna, dem Vizepräsidenten Angelo Sereni und aus Federico Jarach, Angelo Orvieto, Max Ravà und – als Vertreter des Rabbinats – Angelo Sacerdoti gebildet), wegen der Aufforderung Mussolinis und der Fortsetzung der Pressekampagne besorgt, ergriffen Initiativen zur Kontrolle der jüdischen Presse, welche vielleicht die erste Konkretisierung der durch die neue Ordnung eingeführten Konzentration waren. Am 22. März 1934 verpflichtete sich der Vorstand der Union, „jene Aufsicht über die Presse auszuüben und dort, wo es nötig ist, einzugreifen, um zu verhindern, dass neue Angriffe das jüdische Publikum beunruhigen“161; kurz danach kam es, auch infolge von weiteren¸ vom Vorstand im darauffolgenden Monat getroffenen Entscheidungen, von denen noch die Rede sein wird, zu einem zeitweisen Verbot der Veröffentlichung der Idea sionistica (die mit dem Heft von März/April 1934 zu erscheinen aufhörte und mit demjenigen von August 1935 wieder erschien) und des Davar (der während des ganzen vierten Quartals des Jahres nicht erschien; bereits mit dem Heft von Mai/Juni jedoch hatte sich ein unüblicher Wechsel in der Herausgeberschaft vollzogen, die jetzt vom Faschisten Federico Ottolenghi übernommen wurde)162. Bei Israel hingegen versuchte die Union, das Eigentum an der Zeitung zu übernehmen oder wenigstens die beiden verantwortlichen Redakteure Alfonso Pacifici und Umberto Nahon durch den zwar ebenfalls zionistischen, aber friedlicheren und bedächtigeren Politiker Dante Lattes zu ersetzen; die Verhandlungen zogen sich über mehrere Monate hin, um schließlich ohne Ergebnis zu enden, als der Alarm, der sie ausgelöst hatte, nunmehr aufgehört hatte (oder aufgehört zu haben schien). In der Zwischenzeit erfuhr die Gesamtsituation eine überraschende und ernsthafte Wende infolge eines Vorfalls, in den verschiedene Turiner, teils Juden, die im Gemeindeleben aktiv waren, teils Aktivisten der antifaschistischen Bewegung Giustizia e libertà, von denen einige jüdische Identität oder jüdische Familiennamen besaßen, verwickelt waren. Am 11. März 1934 wurden an dem italienisch-schweizerischen Grenzposten von Ponte Tresa zwei Turiner, die nach Italien zurückkehrten und heimlich verschiedene Publikationen jener Organisation mit sich führten, sowie zahlreiche Flugblätter, in denen dazu aufgerufen wurde, bei dem von der Diktatur für den 25. März angesetzten 161 AUCEI, Fondo UCII, Protokollbuch Rat und Ausschuss, Nr. 1, S. 196, Sitzung Ausschuss vom 22. März 1934; vgl. auch R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 151; F. Del Regno, Gli ebrei a Roma, a.a.O., S. 33. 162 Über „Davar“ und Federico Ottolenghi s. G. Valabrega, Per la storia degli ebrei sotto il fascismo: prime notizie su „Davar“ (1934–1938), in: Il movimento di liberazione in Italia, Nr. 107 (April–Juni 1972), S. 101–20; Vgl. auch M. Sarfatti, L’antisemitismo fascista, a.a.O., S. 177–183, 192–193.
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Plebiszit mit „Nein“ zu stimmen, zufällig von Finanzbeamten, die auf der Suche nach „nicht deklarierten Zigaretten“ waren, angehalten und durchsucht. Einem der beiden, Mario Levi, gelang es, wieder schweizerisches Gebiet zu erreichen; der von Ponte Tresa nach Rom geschickte Polizeibericht enthielt unter anderem die (falsche) Mitteilung, dass er fliehend „Italiener, Schweinehunde“ ausgerufen habe. Der zweite, Sion Segre, wurde verhaftet und nach Varese gebracht; der nach Rom gesandte Bericht enthielt die Information, dass eine neuerliche Durchsuchung zur Entdeckung von Exemplaren des Rundschreibens eines Komitees zur Organisation von Versammlungen jüdischer Jugendlicher“ von Turin geführt habe und dass er „jüdischer Religionszugehörigkeit“ sei163. (Das fragliche Komitee nannte sich Onegh Shabbath und war eine von starkem Empfinden jüdischer Identität erfüllte und von Tendenzen, die dem Faschismus fern standen, beseelte Gruppe)164. In der Polizeizentrale von Rom wurde auf der Grundlage einer völligen Unkenntnis der tatsächlichen jüdischen Verhältnisse und auch – offenkundig – in völliger Bereitschaft, die Juden entschieden als Antifaschisten anzusehen165, 163 Die beiden Berichte vom 11. März 1934 aus Ponte Tresa und aus Varese finden sich in: ACS, MI, UC, Telegrammi in arrivo; der Bericht aus Ponte Tresa an Varese vom 12. März 1934 mit der Klarstellung des Verdachts wegen Zigaretten findet sich in: ACS, MI, DGPS, PP, Materia, b. 114, fasc. 3. Zum gesamten Vorgang s. auch S. Segre Amar, Lettera al duce. Dal carcer tetro alla mazzetta. Florenz (Giuntina) 1994; insb. S. 39 zum Zufall des Vorhandenseins des Rundschreibens in seinen Taschen, und S. 30 zur „unpolitischen“ Motivation der Durchsuchung durch die Zollbeamten. 164 Vgl. L. Levi, Antifascismo e Sionismo: convergenze e contrasti (note e ricordi sui „fermi“ e sui fermenti torinesi del 1934), in: Gli Ebrei in Italia durante il fascismo Nr. 1, a.a.O., S. 52–55; S. Segre Amar, Sopra alcune inesattezze storiche intorno alle passate vicende degli Ebrei d’Italia, in: RMI XXVII Nr. 5 (Mai 1961), S. 236–38; Ders., Sui „fatti“ di Torino del 1934..., in: G. Valabrega (Hrsg.), Gli Ebrei in Italia durante il fascismo, Nr. 2, a.a.O., S. 125–27. 165 Man muss sich vor Augen halten, dass der Informant, welcher die italienische Polizei über Carlo Rosselli in Paris und über die Turiner Gruppe von Giustizia e libertà auf dem Laufenden hielt, im Dezember 1933 und im darauf folgenden Februar mehrfach berichtet hatte, dass sie „alle miteinander Juden“ seien, und dass ein schriftlicher Bericht seines Verantwortlichen in Italien vom Dezember Aussagen enthielt, die noch ausdrücklicher feststellten: „Sie haben u.a. ein charakteristisches Merkmal gemeinsam, nämlich die Rasse: sie sind allesamt Juden. Sie wirken daher in voller Übereinstimmung untereinander gegen das Regime unter dem Mantel des Semitismus, der sie vereint und sie solidarisch untereinander sein lässt“, und dass schließlich eben am 11. März – aber natürlich vor Kenntniserlangung von den Verhaftungen – ein weiterer Informant schrieb: „Auch in Florenz sind die Lebhaftesten und Eifrigsten in der dumpfen Kampagne die Juden [in: J. Blatt, The Battle of Turin, 1933–1936: Carlo Rosselli, Giustizia e Libertà, OVRA and the Origins of Mussolini’s Anti-Semitic Campaign, in: Journal of Modern Italian Studies I Nr. 1 (Herbst 1995), S. 28–29, 37; die Dokumente werden verwahrt in: ACS, MI, DGPS, PP, Materia, b. 114, fasc. 3, sfasc. „Giustizia e
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am folgenden Tag der Entwurf eines Telegramms formuliert, der die Festnahme und Durchsuchung von sechzehn Militanten von Giustizia e libertà anordnete, die schon seit einiger Zeit in der Kartei standen (zur guten Hälfte wirklich Juden oder Träger jüdischer Nachnamen) sowie diejenige von vier Juden, die in dem aus Varese eingetroffenen Bericht genannt waren; ferner wurde die Durchsuchung des Sitzes des „Komitees“ angeordnet. Der Entwurf ordnete ferner an, zur Durchsuchung der „Mitglieder des Komitees selbst und aller seiner jungen Anhänger“ sowie der „Sitze aller jüdischen Organisationen in der Stadt Turin und eventuell in der Provinz“ zu schreiten, und „reichlich Verhaftungen unter den Mitgliedern, vor allem unter den Führern und jugendlichen Elementen vorzunehmen“. Diese zuletzt genannten beiden schwerwiegenden Befehle wurden dann jedoch mit einem Federstrich aus dem maschinenschriftlichen Entwurf des Telegramms ausgeschieden und erschienen damit nicht in dessen endgültigem Text166. Sei es aber, weil in ihm der Befehl zur Durchsuchung des Sitzes des „Komitees“ bestehen geblieben war, sei es infolge von Hinweisen und Anweisungen, welche direkt per Telefon oder persönlich übermittelt worden waren, jedenfalls verstanden die befassten Präfekten und Polizeipräsidenten, dass man in Rom eine gewisse Verwicklung des Judentums in die antifaschistische politische Aktivität für sicher hielt. So telegrafierte am 13. März der Polizeipräsident von Aosta nach Rom, er habe vielleicht einen der Gesuchen identifiziert, präzisierte aber, dass dieser „nicht Jude ist, nicht als Jude bekannt ist und auch keinen jüdischen Umgang pflegt“; am selben Tag wurde Riccardo Levi vom Polizeipräsidenten von Aosta verhört und berichtete darüber folgendermaßen: „Ich hatte mit Fragen über Giustizia e libertà, über Mario [Levi] oder sogar über Tec [sein Pseudonym] gerechnet, zumindest aber über die italienische Politik. Er fragte mich hingegen, ob ich Zionist sei“167. Die unmittelbar angeordneten Festnahmen und Durchsuchungen betrafen demnach auch eine nicht geringe Anzahl von Juden – meistens Jugendliche und Turiner –, welche gänzlich unterschiedliche jüdische und politische Identitäten hatten, und diese Tatsache, die sie über vertrauliche Kanäle erfuhren, Libertà in Italia. Servizio Togo n. 1“; ebd., sfasc. „Arresti dei responsabili 12–13 marzo ’34. Comunicazioni. Disposizioni“; ebd., b. 122, fasc. „Relazioni fiduciario Cesare“]. 166 Entwurf und endgültiger Text des Telegramms des Chefs der Polizei vom 12. März 1934 in: ACS, MI, DGPS, PP, Materia, b. 114, fasc. 3, sfasc. „Giustizia e Libertà in Italia. Servizio Togo n. 1“, und ACS, MI, UC, Telegrammi in partenza; vgl. auch S. Segre Amar, Lettera, a.a.O., S. 46, 108–9. 167 ACS, MI, DGPS, PP, Materia, b. 114, fasc. 3, Präfekt von Aosta an Innenministerium, 13. März 1934; R. Levi, Ricordi politici di un ingegnere. Mailand (Vangelista) 1981, S. 31.
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alarmierte die führenden Personen des Judentums. Freilich bewirkten nach einigen Tagen die fehlende Ausdehnung der Verfolgsaktion und die ersten Entlassungsanordnungen ein Abflauen der Spannung. Doch unversehens verschärfte die Situation sich wieder, als (nach Durchführung des Plebiszits) einige Nachmittagszeitungen vom 30. März und alle Morgenzeitungen des nächsten Tages mit großer Aufmachung eine Mitteilung brachten, in der der Vorgang vom 11. März und die Verhaftung Sion Segres, die anschließenden Verhaftungen (Barbara Allason, Cesare Colombo, Leone Ginzburg, Giovanni Guaita, Carlo Mussa Ivaldi Vercelli, Carlo Levi, Gino Levi, Giuseppe Levi, Leo Levi, Riccardo Levi, Camillo Pasquali, Attilio Segre, Giuliana Segre und Marco Segre) und die (falsche) Äußerung Mario Levis geschildert wurden. Die Mitteilung – die von der Polizei auf Anweisung von Mussolini verfasst worden war168 – enthielt nicht das Wort „Jude“, doch wurden – infolge einer präzisen Weisung des Pressebüros des Diktators an die Herausgeber der Zeitungen169 – in allen Titelzeilen die Begriffe „Juden“ und „Antifaschisten“ in Verbindung gebracht. Il Tevere vom 31. März brachte neben der Mitteilung einen äußerst harten Kommentar zu „diesem Grüppchen von antifaschistischen und antiitalienischen Juden“, das gezeigt habe, dass alle Juden, also nicht nur die Zionisten, „Fremde in einem 168 Der Entwurf und die fast endgültige Fassung (datiert vom 27. März) der später veröffentlichten Mitteilung in: ACS, MI, DGPS, PP, Materia, b. 122, fasc. „Inchiesta“; Bericht des Chefs der Polizei über die gesamte Aktion (datiert vom 26. März und mit dem Hinweis „fast alle Jugendlichen, die der Gruppe von Turin angehörten, sind Juden“) und ein Vermerk von ihm vom folgenden Tage mit dem Hinweis: „S. E. der Regierungschef hat zugestimmt. […] Mitteilung an die Presse vorbereiten“ finden sich ebd., fasc. „Levi Mario e compagni“. Soweit ich es habe überprüfen können, hatten die italienischen Tageszeitungen bis dahin noch keine Mitteilung über die Verhaftungen gebracht, und nur die Gazzetta del popolo in Turin hatte am 14. März einen Korrespondentenbericht aus Lugano über den Vorfall in Ponte Tresa vom 11. und insbesondere über den Übertritt Mario Levis in die Schweiz gebracht. 169 Einer der sieben Punkte des Berichts des Pressebüros des Regierungschefs an die Zeitungen vom 30. März 1934 war: „Es wird eine Mitteilung betreffend die Verhaftung von 20 Personen, überwiegend Einwohner von Turin, darunter 18 Israeliten, wegen der Straftat der antifaschistischen Verschwörung ergehen. Der Mitteilung eine gewisse typographische Hervorhebung geben“ (ACS, Agenzia Stefani – Manlio Morgagni, b. 69, fasc. IX, sfasc. 2). Auf der Grundlage dieser Anweisung, der Mitteilung und – vielleicht – weiterer vertraulicher Nachrichten schrieb die antifaschistische Zeitung La Libertà in Paris bereits am 5. April 1934: „Auf Grund unserer Informationen sind wir in der Lage zu versichern, dass die Mitteilung von Mussolini persönlich verfasst worden ist, dass es Mussolini gewesen ist, der über das Datum und die Umstände der Veröffentlichung entschieden hat, indem er den Zeitungen die Anweisung erteilt hat, im Titel das religiöse Bekenntnis einiger der Verhafteten hervorzuheben – ein Bekenntnis, auf das in der Nachricht selbst gar nicht direkt hingewiesen worden ist“.
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fremden Land sind und sich auch so fühlen“; am folgenden Tag berichteten weitere Tageszeitungen, offenbar infolge einer neuen Anweisung, in langen Auszügen von diesem Kommentar. Der Vorfall war von großer Bedeutung: Zu ersten Mal waren „einige Juden“ oder „die Juden“ (die Unterscheidung war alles andere als klar) öffentlich von der gesamten Presse des Landes als Antifaschisten bezeichnet worden170, und Polizei und Carabinieri waren offiziell darüber informiert worden, dass es zumindest erlaubt sei, die Juden als ein Problem der öffentlichen Ordnung und des Antifaschismus anzusehen171. Drei Tage nach den antijüdischen Presseartikeln entwickelte sich eine weitere Affäre, welche ursprünglich nur eine einzige Stadt betraf, recht bald aber auf die ganze Halbinsel ausgedehnt wurde und bezeugt, dass die „antijüdische Frage“ einen neuen Qualitätssprung erfahren hatte. Am 4. April 1934 wies der Kabinettschef des Innenministeriums den Präfekten von Ferrara trocken an, den Bürgermeister dieser Stadt zu ersetzen. „Es wird berichtet, dass deren Bürgerschaft unzufrieden darüber sei, an der Spitze der Gemeindeverwaltung einen Bürgermeister israelitischer Religion zu haben. Sie wünsche sich daher die Ersetzung durch einen katholischen Bürgermeister“172. Der Bürgermeister, um den es ging, war Enzo Ravenna, ein treuer Gefolgsmann von Italo Balbo; und hier empfiehlt sich der Hinweis, dass im vorhergehenden November dessen Ersetzung als Leiter des Luftfahrtministeriums durch Mussolini selbst in Ferrara Missstimmung und Proteste ausgelöst hatte, darunter zwei große Mauerinschriften („W [evviva = hoch lebe] Balbo“ und „M [abbasso = nieder mit] Mussolini“) im Stadtzentrum, die teilweise von 170 Die Neuigkeit wurde auch im Ausland sofort verstanden: In einer Kundgebung gegen den Antisemitismus in Paris vom 8. April erinnerte der Redner daran, dass „die Verfolgung der Juden auch in Italien Fuß zu fassen im Begriff ist“, in: La libertà VIII Nr. 15 (12. April 1934). 171 Im Juni dieses Jahres vermerkte ein Offizier der Carabinieri, dass Cesare Colombo „am 13. März 1934 von der örtlichen Kgl. Polizeibehörde als in eine jüdische Bewegung gegen den Faschismus Verwickelter festgenommen worden ist“ (ACS, Casellario politico centrale, b. 1416, fasc. „Cesare Colombo“, Kopie des Berichts des Kommandanten der Abteilung Turin der territorialen Legion der Kgl. Carabinieri von Turin an das Generalkommando der Kgl. Carabinieri von Turin vom 12. Juni 1934). Und im Juni zwei Jahre später bezeichnete ein internes Dokument der Polizei Carlo Rosselli als „niederträchtigen Juden Rosselli“ (J. Blatt, The Battle, a.a.O., S. 45). 172 AdS Ferrara, Prefettura, Gabinetto riservato, b. 167, fasc. 3, ins. C, cat. 42: „Podestà di Ferrara“, Kabinettschef des Innenministers an den Präfekten von Ferrara, 4. April 1934; die Existenz dieser römischen Aufforderung war bereits mitgeteilt worden b. P. Ravenna, L’arcivescovo e il podestà ebreo, in: A. M. Quarzi (Hrsg.), L’Arcivescovo Ruggero Bovelli e la Resistenza ferrarese. Ferrara (Corbo) 1997, S. 62.
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einem Polizeiinformanten fotografiert worden waren, wenngleich sie vom Präfekten entschieden bestritten wurden173. Vielleicht war gerade die Bezugnahme auf das „unerschütterliche [...] politische Vertrauen“, das Balbo in Ravenna setzte, der entscheidende Punkt der Antwort, welche der Präfekt am 10. April nach Rom sandte, um seine ablehnende Haltung zu dem an ihn ergangenen Ersuchen zu übermitteln; diese Bezugnahme wurde ergänzt um einen Hinweis auf den Beitrag, den Ravenna zum Faschismus in Ferrara während der Zeit der Unsicherheit nach der Ermordung des Don Giovanni Minzoni im Jahre 1923 erbrachte hatte, um die scharfe Unterscheidung zwischen dem Bürgermeister und den gerade in der Presse denunzierten antifaschistischen Juden und um die Beschreibung seiner vorzüglichen Beziehungen zu den katholischen Behörden der Stadt174. Am 21. April nahm Rom von dieser Verteidigung Kenntnis und forderte den Präfekten auf, die Entscheidung „aufzuschieben […] und auf weitere Mitteilungen dieses Ministeriums zu warten“175. In der Zwischenzeit hatte am 11. April der Unterstaatssekretär des Inneren Guido Buffarini Guidi im Namen des Ministers (also Mussolinis) alle Präfekten ersucht, zu berichten, welche Verwalter örtlicher Körperschaften nicht-katholisch seien, und zu welcher Religion sie sich bekennten, sowie stets die Religionszugehörigkeit neuer Kandidaten für die betreffenden Ämter mitzuteilen“176. Die beiden Rundschreiben enthielten keine direkten antijüdischen Äußerungen, doch eine Anweisung vom 19. Mai aus dem Kabinett des Innenministeriums an die zuständige Ministerialabteilung für kommunale Bürgermeister, Provinzchefs und andere örtliche Verwalter klärte über die tatsächliche Zielsetzung des Vorgangs auf: „Das Bekenntnis zur jüdi-
173 ACS, MI, DGPS, PP, Persone, b. 6/A, fasc. „Italo Balbo“, sfasc. 1, Präfekt von Ferrara an den Unterstaatssekretär im Innenministerium, 20. November 1933, sowie Informationen eines anonymen Vertrauensmannes an den Chef der Polizei, datiert vom 16., 22. und 25. November; vgl. auch AdS Ferrara, Prefettura, Gabinetto riservato, b. 137, Berichte des Polizeipräsidenten und des Präfekten, datiert vom 29. November und 3. Dezember 1933. 174 Der Durchschlag und verschiedene Kopien der Antwort des Präfekten von Ferrara an den Kabinettschef des Innenministeriums vom 10. April 1934, finden sich in: ACS, MI, Direzione generale dell’amministrazione civile, Podestà, b. 150, fasc. 999 „Ferrara“, sfasc. 8 „Podestà“. 175 Ebd., Kabinettschef des Innenministeriums an den Präfekten von Ferrara, 21. April 1934. 176 ACS, MI, UC, Telegrammi in partenza, Unterstaatssekretär Guido Buffarini Guidi an die Präfekten, 11. April 1934, Nr. 10806 (betreffend die Kandidaten) und Nr. 10807 (betreffend die, welche schon im Amt waren); Kopien: ebd., Direzione generale dell’amministrazione civile, Podestà, b. 27, fasc. 239.
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schen Religion darf nicht als ein Element angesehen werden, das stets die Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter nach sich zieht“177. Die Redewendung „nicht … stets“ wies auf Lösungsmöglichkeiten zugunsten der Juden, wie im Fall Ferrara, hin, qualifizierte sie jedoch als Ausnahmen wegen besonderer Gründe. Für die bedeutsamste von ihnen, nämlich die von Ferrara, ist derzeit allerdings schwierig festzustellen, inwieweit ihr (vorläufiger) Abschluss durch die Reaktionsfähigkeit des Präfekten (und vielleicht weiterer Männer in Balbos Umfeld) bestimmt worden ist und inwieweit davon, dass Mussolini die Entlassung des jüdischen Bürgermeisters zwar wünschte, sie aber nicht befehlen wollte. In den wenigen Tagen zwischen der Veröffentlichung der Artikel, in denen die „jüdischen Antifaschisten“ denunziert wurden, und der Anweisung zur Entlassung des Bürgermeisters von Ferrara ereignete sich ein schwerwiegender Vorgang anderer Art, der mit der Geschichte des Rassismus, nicht mit derjenigen der Judenfeindlichkeit in Verbindung stand, der aber wegen der anschließenden Verschlingung der beiden Feindlichkeiten interessant ist. Am 2. April 1934 bekam Mussolini einen Roman zu Gesicht, dessen Titel, Umschlag und Handlung die Liebesbeziehung zwischen einem schwarzen Mann und einer weißen Frau betraf; er befahl die sofortige Beschlagnahme des Buches, und am folgenden Tag ordnete er – gerade im Hinblick auf diesen Vorgang – die Einführung der Vorzensur an (Verleger und Setzer konnten auch weiterhin frei ihre Erzeugnisse drucken, doch ihre Verbreitung unterlag nunmehr einer dreifachen präventiven Bewertung durch die Präfektur, durch die Leitung der Polizei und durch das Pressebüro Mussolinis)178. Die Bestimmungen vom 2. und 3. April bezeugen die tiefe Verwurzelung der rassistischen Absichten des Diktators – Absichten die auch belegt werden durch zahlreiche Hinweise auf die Notwendigkeit einer „demographischen Politik“ zur Rettung der „weißen Rasse“ (September 1934) oder für die „Verteidigung der Rasse“ (18. März 1934)179. Diese Hinweise standen im allgemeinen im Zusammenhang mit der bereits erwähnten Geburtenförderung und der Eugenik; doch für den Diktator war die eine wie die andere darüber hinaus noch verbunden mit dem Rassis177 Ebd., Kabinettschef des Innenministeriums an die Generaldirektion der Zivilverwaltung, 19. Mai 1934. Zur Umsetzung der Anweisung und über ähnliche Bestandsaufnahmen aus jener Zeit in anderen Bereichen s. G. Fabre, Il contratto, a.a.O., S. 100–14. 178 G. Fabre, L’elenco. Censura fascista, editoria e autori ebrei. Turin (Zamorani) 1998, S. 22–28. 179 B. Mussolini, La razza bianca muore?, Artikel vom September 1934, später auch in: Ders., Opera omnia, a.a.O. Bd. XXVI (1958), S. 312–315; Ders., Rede vom 18. März 1934 [später auch in: ebd., Bd. XXVI (1958), S. 185–93; Zitat auf S. 191].
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mus, was sich daraus ergibt, dass die Zensurbestimmungen vom 2./3. April nichts anderes waren (wie man m.E. sagen kann) als eine technische Umsetzung dessen, was er in der bereits erwähnten Rede zwei Wochen vorher ausgeführt hatte: „Die militärische Macht des Staates, die Zukunft und die Sicherheit der Nation sind verbunden mit dem demographischen Problem, das alle Länder weißer Rasse, also auch das unsere, quält“180. Im Übrigen geht gerade auf das Jahr 1933 jenes Gesetz zurück, das derzeit als die erste (und als solche noch begrenzte und partielle) italienische gesetzliche Regelung mit ausdrücklich und effektiv rassistischem Inhalt gilt, weil es, im Unterschied zu den Gesetzen von 1909/1914, eine ganze Gruppe von Personen betraf. Das im Juli jenes Jahres ergangene organische Gesetz für Eritrea und Somalia führte offiziell die Redewendung „weiße Rasse“ in die nationale Gesetzgebung ein und bestimmte, dass der in der Kolonie geborene Mischling eines unbekannt gebliebenen Erzeugers „weißer Rasse“ nicht automatisch die italienische Staatsbürgerschaft erhielt, sondern sie erst mit der Vollendung des 18. Lebensjahres erwerben konnte, falls er bestimmte kulturelle und Verhaltenseigenschaften aufwies181. Mit diesem kurzen Artikel wurde die Notwendigkeit eingeführt, eine „anthropologisch ethnische Diagnose“ zu erstellen zum Zweck der „Feststellung der Rasse“ (um zu vermeiden, dass ein Mischling mit einem dunklen Weißen oder mit einem hellen Schwarzen verwechselt würde182), und es wurde eine qualitative Schwelle für den Zugang einiger Mischlinge zur italieni180 Ebd., S. 190. 181 Der Richter musste „feststellen“, dass der Antragsteller „nicht polygam ist und niemals wegen Straftaten verurteilt worden ist, die nach den gesetzlichen Bestimmungen des Königreichs den Verlust der politischen Rechte nach sich ziehen, dass er die Prüfung zur Versetzung der dritten Elementarklasse bestanden hat, dass er eine vollständig italienische Bildung besitzt“; die Bestimmung fand Anwendung, sowohl wenn der andere Elternteil kolonialer Untertan und bekannt war als auch wenn er unbekannt war (Gesetz vom 6. Juli 1933 Nr. 999, Ordinamento organico per l’Eritrea e la Somalia, Art. 18). Vgl. B. Sorgoni, Parole e corpi. Antropologia, discorso giuridico e politiche sessuali interrazziali nella colonia Eritrea (1890–1941). Neapel (Liguori) 1998, S. 91–114, 144– 150; G. Gabrielli, Un aspetto della politica razzista nell’impero: il „problema dei meticci“, in: Passato e presente XV Nr. 41 (Mai–August 1997), S. 79–80, 85–87; s. ferner Ders., Il matrimonio misto negli anni del colonialismo italiano, in: I viaggi di Erodoto XIII Nr. 38–39 (Juni–November 1999), S. 80–89; E. Capuzzo, Sudditanza, a.a.O., S. 73–77; G. Barrera, Patrilinearità, a.a.O. 182 Vgl. E Cucinotta, La prova della razza, in: Rivista delle colonie italiane VIII Nr. 8 (September 1934), S. 743–751; Zitate auf S. 748–749. Das 1914 erlassene Verbot für Mischlinge, die Karriere eines Kolonialbeamten in Eritrea einzuschlagen, betraf Personen, die nicht nur notwendiger Weise italienische Staatsbürger waren sondern auch eine angemessene Ausbildung für diese Tätigkeit besaßen – eine Bedingung, welche am meisten auf jene Mischlinge zutraf, die von ihrem weißen Erzeuger anerkannt worden waren.
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schen Staatsbürgerschaft errichtet („Sind alle Mischlinge von Rechts wegen Italiener? […] Wer die italienische Staatsbürgerschaft erlangen will, muss beweisen, dass er ihrer würdig ist“183); es nahm somit zugleich eine Politik der Beschränkung der Zahl der nicht gänzlich weißen Staatsbürger ihren Anfang. Wenn auch das Gesetz von 1933 keine Entmutigung für die Erzeugung neuer Mischlinge bewirkte, so müssen dieses und die Entscheidungen Mussolinis aus dem Jahre 1934 doch auf das bezogen werden, was 1932 von dem jungen Anthropologen Lidio Cipriano veröffentlicht worden war, und nicht mehr auf die im Vorwort zu diesem Buch hinzugefügten Präzisierungen seitens des älteren Demografen Corrado Gini: Der erstere nämlich hatte geäußert, dass „die höheren Rassen von jetzt an mit Kreuzungen mit niedre Rassen zurückhaltend sein sollten, und das Gesetz sollte eingreifen, um sie zu verhindern“, und er hatte hinzugefügt, dass „jene Nationen, die auch heute noch unterschiedslos minderwertige Rassen in ihren Schoß aufnehmen und deren Angehörige ‘citoyens’ mit gleichen Rechten wie die Menschen weißer Rasse nennen, meiner Meinung nach unweigerlich zu baldigem Niedergang verurteilt“ wären; insbesondere müsse man „die Eheschließung von weißen Frauen mit Negern und Mulatten vermeiden“. Der letztere hingegen hatte darauf hingewiesen, dass trotz allem – insbesondere für die „höheren Rassen – „die Notwendigkeit von Kreuzungen für die Erhaltung der Geschlechter anerkannt werden muss“ (wenngleich gerade aus der Anerkennung des „unvermeidlichen Charakters“ dieser Erscheinung die „Notwendigkeit“ folge, „sie zu regeln“)184. Im Sommer 1935, kurz vor dem Beginn der Invasion in Äthiopien, äußerte Mussolini eine rassistische Überzeugung, die noch radikaler war als die vom vorhergehenden Jahr, und er begann Vorschriften gegen die Rassenmischung zu erörtern. Ende Juli schrieb er: „Wir Faschisten erkennen die Existenz von Rassen, ihre Unterschiede und ihre Rangfolge an“185; acht Tage später verlangte er vom
183 E. De Bono, Presentazione del disegno di legge: Ordinamento organico per l’Eritrea e la Somalia, 20 aprile 1933; zitiert in: G. Gabrielli, Un aspetto, a.a.O., S. 86. De Bono war seinerzeit Minister für die Kolonien. 184 G. Gabrielli, Prime ricognizioni sui fondamenti teorici della politica fascista contro i meticci, in: A. Burgio / L. Casali (Hrsg.), Studi sul razzismo italiano. Bologna (Clueb) 1996, S. 61–88; Zitate auf S. 75–76, 78; der betreffende Band ist: L. Cipriani, Considerazioni sopra il passato e l’avvenire delle popolazioni africane, Vorwort von C. Gini. Florenz (Bemporad) 1932. Vgl. auch R. Maiocchi, Scienza italiana e razzismo fascista. Florenz (La Nuova Italia) 1999, S. 83–97, 160–65. 185 [B. Mussolini], Il dato irrefutabile, in: Il popolo d’Italia, 31. Juli 1935, später auch in: Ders., Opera omnia, a.a.O., Bd. XXVII (1959), S. 110–11.
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Minister für die Kolonien, „dringend einen Aktionsplan [zu entwerfen], um zu verhindern, dass sich in Ostafrika eine Generation von Mulatten bildet“186. Bei diesem Lage der Dinge müssen die öffentlichen Angriffe Mussolinis gegen den deutschen Rassismus korrekterweise – wie er selbst im Mai 1934 präzisierte – auf die Tatsache bezogen werden, dass dieser „gegen alles und gegen alle“ gerichtet war, und dass ihm der „Sinn für Ausgewogenheit“ fehlte187, nicht aber gegen seine Grundsubstanz, gegen seine Auffassung von der qualitativen Unterschiedlichkeit und der Hierarchie unter den menschlichen Gruppen. Kehren wir zu den Artikeln in der Tagespresse über die „antifaschistischen und antiitalienischen Juden“ vom 30. März und 1. April zurück, so ist darauf hinzuweisen, dass ihnen keine nennenswerten weiteren folgten. Mussolini wollte somit den verallgemeinerten Angriff auf die Juden nicht fortsetzen (im Übrigen ist zu bemerken, dass der Prozess im folgenden November als Angeklagte nur die politischen Militanten Leone Ginzburg und Sion Segre hatte und dass in seinem Verlauf keine besondere Betonung auf ihr Judentum oder auf die Gruppe Onegh Shabbath gelegt wurde)188. Freilich konnte kein Jude – egal ob Faschist, Antifaschist oder Nichtfaschist – über das neue öffentliche Bild in der Presse froh sein. Alle hatten sehr wohl vor Augen, was der Faschismus mit denen machte, die er als seine Feinde bezeichnete, und was gerade nicht weit von den italienischen Grenzen entfernt mit anderen Juden geschah, die als Feinde des deutschen Diktators bezeichnet wurden. Man kann sagen, dass damals jene relative Beruhigung, welche sich in weiten Teilen des italienischen Judentums infolge der jüngsten Reformgesetzgebung entwickelt hatte, zu Ende ging. Dieser Verlust an Sicherheit und das verbreitete – wenn auch unbestimmte – Gefühl der Verunsicherung begleitete auch zwei weitere Wendungen: die endgültige Konzentrierung des jüdischen Gemeinschaftslebens seitens der Gemeinden und der Union, sowie das Heranreifen des Bedürfnisses unter den Juden mit faschistischen Überzeugungen, sich innerhalb der jüdischen Strukturen zusammenzuschließen und in organisierter Form tätig zu werden. 186 AUSSME, rep. D1, rac. 110, fasc. 7, sfasc. 64, Unterstaatssekretär im Außenministerium an Minister für die Kolonien, mit Kopie an den Kriegsminister und an den Minister für Presse und Propaganda, 8. August 1935; mitgeteilt in: G. Barrera, Colonial Affairs: Italian Men, Eritrean Women and the Construction of Racial Hierarchies in Colonial Eritrea (1885–1941), Ph.D.-Dissertation, Northwestern University 2002, S. 1. 187 [B. Mussolini], Teutonica, in: Il popolo d’Italia, 26. Mai 1934, später auch in: Ders., Opera omnia, a.a.O., Bd. XXVI (1958), S. 232–33. 188 S. Segre Amar, Sui „fatti“, a.a.O., S. 132. Zum Herunterfahren der Pressepolemik vgl. R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 146–47.
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Die Konzentration mündete in eine Art von Entmachtung aller anderen jüdischen Kultur- und Fürsorgeorganisationen auf lokaler und nationaler Ebene. Insbesondere wurden jene „Konferenzen für jüdische Studien“, die nicht selten Treffen und Gedankenaustausch zu „politischen“ Themen (Zionismus, jüdische und italienische Identität und Nationalität, Freiheit und Gerechtigkeit im Judentum usw.) organisiert hatten, in direkte Abhängigkeit von den Präsidenten der Gemeinden oder von den von ihnen bestimmten Personen gestellt189. Im April 1934 beschlossen einige Juden mit faschistischen Überzeugungen, sich – zunächst noch auf informelle Weise – zusammenzuschließen, um eine Zeitung, La nostra bandiera, ins Leben zu rufen und für die Leitung der Gemeinden und der Union zu kandidieren. Diese „Bandieristi“ zeichneten sich durch verschiedene politische Akzentsetzungen (einige waren ehemalige Squadristen, andere hatten nationalistische Neigungen) und durch unterschiedliche religiöse Positionen aus (einige beschränkten sich darauf, ein Ritual zu praktizieren, das sie als eine Art Variante des Katholizismus ansahen, andere besaßen eine starke kulturelle oder religiöse Identität). Sie bekannten sich zu einer strengen Opposition schon gegen die Existenz von internationalen jüdischen Organisationen, gegen die zionistische Bewegung, gegen nicht-kultische Tätigkeiten des Rabbinats und wandten sich nicht gegen die Politik des Regimes, welche die religiöse Gleichheit und die Autonomie des Judentums verfolgte und zunehmend den Zugang zu öffentlichen Ämtern beschränkte. Hingegen standen sie ganz und gar an der Seite der anderen Juden in der heftigen Ablehnung des nazistischen Antisemitismus und der günstigen Reaktionen, auf welche dieser im faschistischen Milieu traf, sowie in der Verherrlichung des Beitrages, den frühere Generationen zum Risorgimento und zu Errichtung des nationalen Staates erbracht hatten. Epizentrum ihrer Aktion war Turin, wo seit dem 1. Mai ihr Periodikum (das den Untertitel „Wochenzeitung der Italiener jüdischer Religion“ trug) erschien und wo sie am 17. Juni ihren wichtigsten Sieg bei den Wahlen zur Erneuerung der 189 Ungenau erscheint daher die Aussage von R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 157, dass „Mussolini […] entschied“, die Union „zu faschisieren“. Allerdings soll der Diktator immerhin die Zionistische Föderation zur Selbstauflösung gedrängt haben (ebd., S. 156; M. Michaelis, Mussolini e la questione ebraica, a.a.O., S. 78), und die Union selbst erbat von der Regierung „Instruktionen und Direktiven“ im Hinblick auf die zionistischen Gruppierungen (AUCEI, Fondo UCII, Protokollbuch Rat, Nr. 2, S. 6– 8, Sitzung vom 24. April 1934); doch scheint es nach alledem, dass die Föderation und deren lokale Gruppierungen ihre Autonomie beibehalten konnten. Für die „Einordnung“ der Assoziation der jüdischen Frauen Italiens in die Union s. E. Polacco, La progressiva espansione fino alla persecuzione razziale e alla seconda guerra mondiale (1933–1939), in: Associazione Donne Ebree d’Italia, Dalla nascita, a.a.O., S. 43–44; für diejenige von zwei Kulturzirkeln s. C. Forti, Il caso Pardo Roques, a.a.O., S. 89–90; A. Minerbi, La Comunità, a.a.O., S. 158.
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Gemeinderäte errangen (wobei allerdings auch diesmal, wie schon 1926 in Florenz, keine konkurrierenden Listen aufgestellt worden waren)190. In der Folgezeit schwächte sich infolge von Misserfolgen in anderen (insbesondere den mitgliederstärksten) Gemeinden ihr Kampf gegen die leitenden Personen und die Politik der Union ab, bis am Ende des Jahres ihre Initiative in einen Kompromiss mündete: Am 9. Januar 1935 wurden die „Bandieristi“ Guido Liuzzi (der neue Präsident der Gemeinde Turin), Ettore Ovazza (Mitdirektor von La nostra bandiera, später Opfer eines nazistischen Massenmords) und Dario Nunes Franco (neuer Präsident der Gemeinde von Livorno) in den Rat der Union kooptiert; der erstere wurde ferner in den Vorstand kooptiert; zugleich wandelten sie ihre politische Wochenzeitung in eine kulturelle Monatszeitschrift um. Architekt dieses Kompromisses war der Oberrabbiner von Rom und Leiter der Union Angelo Sacerdoti191, der sich in dieser Angelegenheit engagiert hatte, weil er es aus jüdischer Sicht für richtig und aus politischer Sicht für angezeigt hielt, die Einheit des italienischen Judentums zu wahren192. Er wollte außerdem die modernistischen Ergebnisse bekämpfen, zu denen ihm die „bandieristischen“ Bestrebungen zu tendieren schien193 – Ergebnisse, die sich in Reformvorschlägen zum Gottesdienst äußerten, wie: größerer Anteil von Musik und Gesang, Reduzierung des Gebrauchs der hebräischen Sprache, „Beseitigung einer beachtlichen Zahl der Kaddischim, die auf Schritt und Tritt wiederholt werden; Beseitigung eines beachtlichen Teil des 190 L. Ventura, Ebrei, a.a.O.; C. Pavoncello Piperno, „La nostra bandiera“: l’adesione agli „ideali“ fascisti di un gruppo di ebrei italiani, in: RMI XLVIII Nr. 7–12 (Juli– Dezember 1982), S. 15–22; R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 151–57; G. Valabrega, Prime notizie su „La nostra bandiera“ (1934–1938), in: Gli Ebrei in Italia durante il fascismo, Nr. 1, a.a.O., S. 21–33 (allerdings kann, im Gegensatz zu dem, was dort auf S. 21–22 ausgeführt wird, „La nostra bandiera“ nicht den Erscheinungsformen der von den Nazis während des II. Weltkriegs erzwungenen jüdischen Kollaboration in den Ghettos „an die Seite gestellt werden“). Vgl. ferner M. Sarfatti, L’antisemitismo fascista, a.a.O., S. 174–175, 210–213. 191 F. Del Regno, Gli ebrei a Roma, a.a.O., S. 33–34; R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 157. 192 In einem Brief vom 22. Oktober 1933 an Ettore Ovazza hatte der römische Rabbiner geschrieben: „Daran gewöhnt, stets die Realität zu berücksichtigen, bemühe ich mich seit Jahren darum, eine Lösung des Judenproblems im Rahmen der neuen politischen Postulate zu finden, um zu einer vollständigen Versöhnung meines vollkommenen integralen Italienertums und meines ebenso vollkommenen Judentums zu gelangen“ (ACDEC, Fondo Ettore Ovazza, b. 1). 193 In einem Brief an Ovazza vom 16. Juni 1934 erhoffte sich Sacerdoti, dass dieser „Besorgnisse religiöser und geistlicher Art zerstreuen“ könne, „die in der rabbinischen Welt Italiens durch einige Äußerungen der Zeitung, die Sie herausgeben und durch den Lebenslauf einiger Männer, die in einigen Gemeinden sich als treue Gefolgsleute der Bewegung bezeichnen, welche Sie leiten, verbreitet sind“; (ACDEC, Fondo Ettore Ovazza, b. 1).
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Morgengebets, bei dem stets Lobgesänge gesprochen werden; Verringerung der Lesung des Pentateuch beim Sabbat-Gottesdienst in der Synagoge auf ein Drittel“194. Die von der Union vorgenommene Zentralisierung und der Einsatz der neuen Gruppierung ergänzten und widersprachen sich zugleich – einerseits bildeten beide eine Reaktion auf den Vorwurf des mangelnden Faschismus, andererseits ging es der einen darum, gerade jene eindeutig politischen Elemente aus dem jüdischen Leben zu verbannen, die der zweite mit seinem Kampf wieder einführen wollte. Im Übrigen führte die erste mitunter in den Gemeindestrukturen zum Wachsen des Einflusses von Personen, die bis dahin mit freieren (und weniger faschistischen) Nebentätigkeiten befasst gewesen waren. Der Kompromiss vom Januar 1935 versöhnte diese beiden Wendepunkte: Der Einzug der „Bandieristi“ in die heikle Leitungsstruktur der Union bedeutete auch deren Eingliederung in das Werk der Zentralisierung. Doch hatte dieser Kompromiss – worauf noch einzugehen sein wird – nur eine kurze Lebensdauer. Der nazistische Antisemitismus führte unter den Juden Italiens auch zu Aktionen konkreter Solidarität. Die Union initiierte sogleich eine Spendenaktion, welche eine „für jene Zeiten außerordentlich hohe Summe“ erbrachte195, die aber auf Anweisung Mussolinis nur „im jüdischen Bereich“ stattfand und ohne dass die Solidarität mit den Verfolgten von der Verurteilung der Verfolger begleitet wurde196. Sie initiierte auch die Errichtung einer entsprechenden Hilfsorganisation, das Zentralkomitee zur Unterstützung der Juden Deutschlands (Comitato centrale di assistenza per gli ebrei di Germania), dem lokale Komitees angehörten. Dieses geriet jedoch rasch in eine Krise wegen der „Unfähigkeit der Union zu entschiedenem Handeln“, wegen des hartnäckigen „Partikularismus der Gemeinden“197 und auch deshalb, weil die Härte der gemeinschaftspolitischen Auseinandersetzungen sich auf die Gestaltung der Unterstützung auswirkte. Immerhin setzte das stets effiziente Italienische Komitee für die Unterstützung jüdischer Emigranten (Comitato italiano di assistenza agli emigranti ebrei) seine 194 L. Ventura, Ebrei, a.a.O., S. 28–29 (zitiert in: D. B. [Donato Bachi], Riforme nel culto, in: La nostra bandiera II Nr. 31, 13. Dezember 1934). 195 K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. I, S. 247; Zuflucht, a.a.O., Bd. I, S. 237. 196 A. Minerbi, Tra solidarietà e timori: gli ebrei italiani di fronte all’arrivo dei profughi ebrei dalla Germania nazista, in: A. Burgio (Hrsg.), Nel nome della razza, a.a.O., S. 310–13; A. Cedarmas, La Comunità Israelitica, a.a.O., S. 41; S. Bon, Gli Ebrei a Trieste 1930– 1945. Identità, persecuzione, risposte. Gorizia (Libreria editrice goriziana) 2000, S. 37. 197 K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. I, S. 255; Zuflucht, a.a.O., Bd. I, S. 244.
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Tätigkeit mit erhöhter Intensität fort (Die Einschiffungen von Triest nach Palästina stiegen von 2.000 bis 5.000 jährlich in den Jahren 1920–1931 auf 17.000 bis 26.000 jährlich in den Jahren 1933–1936)198, während das Komitee zur Unterstützung der aus Deutschland geflüchteten Juden (Comitato di assistenza per gli ebrei profughi dalla Germania) in Mailand (wo sich die größte Zahl der Emigranten versammelte) rasch eine gute Arbeitskapazität entwickelte und 1935 die Aufgabe übernahm, die Unterstützung auf nationaler Ebene zu koordinieren199. Das Mailänder Komitee wurde zu jener Zeit geleitet von dem unermüdlichen Raffaele Cantoni; im September 1936 jedoch ordnete das Innenministerium an, ihn zu ersetzen, und beschuldigte ihn, er benutze seine Reisen im Lande, um „eine arglistige Tätigkeit der Diffamierung und Defätismus gegen die Regierung“ auszuüben200. Einreisen und Aufenthalte wurden von der italienischen Regierung nicht unterbunden, da sie – wie Klaus Voigt bemerkt hat – Ausländern auf der Halbinsel die gleiche Behandlung zuteilwerden zu lassen beabsichtigte, die sie auch für die zahlreichen Italiener forderte, die zur Arbeitssuche ausgewandert waren201. Gerade seit dem Jahre 1933 jedoch wurden Maßnahmen zur Eindämmung und Auswahl bei der Zulassung von „Jugendlichen, die aus Gründen politischer Art die Universitäten in ihrem Herkunftsland nicht besuchen können“202. Wenige Monate nach den Angriffen gegen die „antiitalienischen Juden“ gestattete Mussolini Angelo Sacerdoti und Angiolo Orvieto, an der dritten Vorbereitungskonferenz für einen jüdischen Weltkongress teilzunehmen, die vom 198 T. Catalan, L’emigrazione, a.a.O.,S. 107. 199 Vgl. K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. I, S. 244–264; Zuflucht, a.a.O., Bd. I, S. 234–352. Vgl. auch M. Leone, Le organizzazioni, a.a.O., S. 77–124, der jedoch nur das spärliche Engagement des Vorsitzenden der Union Felice Ravenna bei der Unterstützungstätigkeit herb kritisiert. 200 S. I. Minerbi, Un ebreo, a.a.O., S. 49. Zur Verhaftung wegen Antifaschismus und zur späteren Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Cantoni 1930–31 vgl. ebd., S. 42–46; C. Rosselli, Dall’esilio. Lettere alla moglie 1929–1937. Florenz (Passigli) Firenze 1997, S. 101; Ministero della Difesa – Stato Maggiore dell’Esercito – Ufficio storico, Tribunale speciale per la difesa dello Stato. Decisioni emesse nel 1931. Rom 1985, S. 238–240. 201 K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. I, S. 40, 46; Zuflucht, a.a.O., Bd. I, S. 52–53, 57. 202 So ein Rundschreiben vom 20. November 1933 des Ministers für nationale Erziehung, zitiert in: E. Signori, Una „peregrinatio academica“ in età contemporanea. Gli studenti ebrei stranieri nelle università italiane tra le due guerre, in: Annali di storia delle università italiane Nr. 4, 2000, S. 155; zur Aktion des Abratens seitens der Union infolge besonderer „Anreize“ der Regierung vgl. A. Minerbi, Tra solidarietà e timori, a.a.O., S. 315–17. Zu einigen Schwierigkeiten für ausländische Berufstätige vgl. E. Signori, Una „peregrinatio academica“, a.a.O., S. 157–158; K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. I, S. 40, 46, 167–168; Zuflucht, a.a.O., Bd. I, S. 52–53, 57, 166–169.
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20. bis 23. August 1934 in Genf stattfand203; ebenso hatte er im vorhergehenden Jahr Angelo Sacerdoti und Dante Lattes gestattet, an der zweiten Vorbereitungskonferenz vom 5. bis 8. September 1933 in Genf teilzunehmen204. Am 13. November 1934 empfing er Nahum Goldmann, den Präsidenten des Comité des Délégations Juives und des Executive Committee for the World Jewish Congress, der seine diplomatische Unterstützung erbat im Hinblick auf die Lage der Juden im Saargebiet, das kurz vor seiner Wiedervereinigung mit dem nunmehr nazistischen Deutschland stand, in Österreich und überhaupt dort, wo sie durch den Status als nationale Minderheit, wie er in den Friedensverträgen bestimmt war, geschützt waren. (An dem Gespräch nahm auch Angelo Sacerdoti teil). Nach einem anscheinend von Goldmann verfassten Bericht sagte der Diktator unter anderem: „Herr Hitler sait très bien ce que le monde civilisé pense de sa législation antisemite“ („Herr Hitler weiß sehr gut, was die zivilisierte Welt über seine antisemitischen Gesetzgebung denkt“) und „c’est une folie du gouvernement autrichien, qui est un gouvernement faible, de se quereller avec les juifs“ („es ist eine Dummheit von der österreichischen Regierung, schwach wie sie ist, sich mit den Juden zu zanken“). Mussolini sicherte sein eigenes Eingreifen zugunsten der Juden in allen drei dargelegten Fällen zu205. All dieses stand jedoch nicht im Zusammenhang mit seinen Absichten 203 Angelo Sacerdoti fragte ausdrücklich beim Unterstaatssekretär im Außenministerium an: „Macht die italienische jüdische Gemeinschaft etwas für die nationalen Interessen Nützliches und damit für die Regierung Erwünschtes, wenn Sie an der Bewegung teilnimmt, die ihren Mittelpunkt im Komitee für den jüdischen Weltkongress besitzt?“; auf diesem Brief – datiert vom 12. Juli 1934 – merkte Mussolini an: „Können teilnehmen“ (ASMAE, MAE, AP 1931–45, Palestina, b. 10, fasc. 3, sfasc. 6; vgl. auch F. Del Regno, Gli ebrei a Roma, a.a.O., S. 32–33). 204 F. Ravenna, Relazione sull’attività, a.a.O., S. 27; vgl. R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 133–34. Die erste Vorbereitungskonferenz fand in Genf vom 14. bis zum 17. August 1932 auf Initiative des American Jewish Congress statt, der vorgeschlagen hatte, „die jüdische Situation in der Welt und die Beschließung von Maßnahmen zu ihrer Erleichterung“ zu beraten, „unter ihnen die Erhaltung der Sicherheit der Massen des jüdischen Volkes, die Erleichterung und Regulierung der Einwanderung von Juden und die Neuorganisation und Rekonstruktion des ökonomischen Lebens der Juden auf solideren und sichereren Grundlagen“ (World Jewish Congress, Unity in Dispersion. A History of the World Jewish Congress. New York 1948, S. 31 ff.). Vgl. auch D. Vital, A people apart. The Jews in Europe 1789–1939. Oxford, New York (Oxford University Press) 1999, S. 849–856. 205 American Jewish Historical Society, New York, Stephen Samuel Wise Papers, series X, box 83, folder Italy, „Unterredung mit Mussolini am 13. Nov. 1934, 6 Uhr nachmittags im Palazzo Venezia in Rom“, Maschinenschrift ohne Datum und Unterschrift, m.E. aber verfasst von Nahum Goldmann gleich nach dem Treffen. Vgl. auch die Beschreibung der Unterredung in: [N. Goldmann], The Autobiography of Nahum Goldmann. Sixty Years of Jewish Life. New York (Holt, Rinehart and Winston) 1969, S. 155–63; auch in: J. Draenger, Nahoum Goldmann. Paris (Meteore) 1956, Bd. II, S. 217–234 (die bei-
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im Hinblick auf Italien, sondern mit seiner öffentlichen internationalen Politik. In diesem Rahmen sind die freundschaftlichen Kontakte zwischen der italienischen Regierung und den revisionistischen Zionisten angesiedelt, insbesondere die Vereinbarung, die zur Gründung einer jüdischen Abteilung der Marineschule zu Civitavecchia Ende 1934 führte, die bis August 1938 von Dutzenden von jungen Leuten besucht wurde, welche dieser Bewegung nahe standen206. Im Übrigen nahmen auf dem Kongress vom 16./17. Dezember 1934 in Montreux, der von den Aktionskomitees für die Universalität Roms von Eugenio Coselschi organisiert worden war, 16 faschistische oder dem Faschismus nahe stehende europäische Bewegungen (es fehlten die deutschen Nationalsozialisten und die englischen Oswald Mosleys) eine Erklärung an, die zwar eine „allgemeine Hasskampagne gegen die Juden“ ablehnte, jedoch die Existenz „jüdischer Gruppen“ an „vielen Orten“ verurteilte, die „offen oder heimlich einen für die materiellen und moralischen Interessen des sie beherbergenden Vaterlands schädlich Einfluss“ ausübten und sich „dafür einsetzt[e], sie zu bekämpfen“. Ettore Ovazza lehnte in La nostra bandiera eine Passage des Beschlusses ab, äußerte aber die Bewertung, dass dieser „eine Verurteilung des Nazismus“ bedeute, und fügte hinzu: „Gerade zur Bekämpfung derartiger Gruppen ist unsere Zeitung entstanden“; doch wenige Wochen später übernahm dieselbe Zeitung einen Artikel von Ezio Garibaldi, der die Erklärung für „eindeutig antisemitisch“, für „ein regelrechtes faschistisches Programm“, „für eine Kampagne der Aufstachelung zum Hass gegen die Israeliten“ bezeichnete207. Ebenfalls zwischen 1934 und dem Sommer 1938 riefen verschiedene jüdische Bewegungen in Nord- und Mittelitalien einige hachsharot ins Leben, landwirtschaftliche Betriebe, in denen junge ausländische Juden (insgesamt 6–7.000, meistens deutsche) sich mit landwirtschaftlicher Arbeit vertraut machten und sich auf die Auswanderung nach Palästina vorbereiteten208. Eine andere Art von Erfahrung kollektiven Lebens unter Juden war jene der jugendlichen „Zeltlager“, die von 1931 bis 1940 ausgerichtet wurden, zuerst den Texte enthalten den Satz über die österreichische Regierung, nicht aber denjenigen über Hitler). 206 Vgl. R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 167–74; K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. I, S. 227; Zuflucht, a.a.O., Bd. I, S. 219. 207 E. Ovazza, Il I congresso europeo fascista e la questione antisemita, in: La nostra bandiera I Nr. 32, 27. Dezember 1934; E. Garibaldi, Il convegno di Montreux e la questione ebraica, in: La nostra bandiera II Nr. 5, Mai 1935 (wieder abgedruckt in „Camicia rossa“). Der offizielle französische Text der Erklärung findet sich in: Comités d’action pour l’universalité de Rome, Réunion de Montreux 16–17 décembre 1934–XIII. [Rom] (Bureau de presse des Comités d’action pour l’universalité de Rome [1935], S. 86–87. 208 K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. I, S. 229–44; Zuflucht, a.a.O., Bd. I, S. 220–233.
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im Sommer, später auch während der Winter-Schulferien. Sie gingen unmittelbar aus der Erfahrung der Kongresse hervor und waren Orte, an denen viele Dutzende von Jugendlichen, die im Italien Mussolinis geboren oder doch wenigstens aufgewachsen waren, sich selbst und andere frei über ihr Judentum, über ihre Gläubigkeit und über ihren Zionismus befragen konnten209.
209 M. Savaldi, I campeggi ebraici (1931–1939), in: Storia contemporanea XIX Nr. 6 (Dezember 1988), S. 1121–1152; A. Marzano, Una terra, a.a.O., S. 70–77.
Viertes Kapitel Die Zeit der Verfolgung der Rechte der Juden (1936–1943) 1. Die faschistische Entscheidung und der Beginn der „Zersetzung“ Das Zusammenhalten divergierender Richtungen zwischen den Führern der Union der Gemeinden war nur von kurzer Dauer: Im April/Mai 1935 reichten Luizzi, Ovazza, Nunes Franco (die drei neu Kooptierten) und Max Ravà ihre Demissionen aus dem Vorstand und aus dem Rat ein, und im Februar 1936 wurden diese nach ergebnislosen Verhandlungen endgültig und öffentlich, womit der Kampf um die Kontrolle der Union von neuem begann. Zum politischen Kampf (dem jüdischen wie dem italienischen), der sich im Schoße des italienischen Judentums zwischen 1934 und 1938 abspielte1 – einem Kampf, der unter anderem noch komplizierter wurde durch den Tod von Angelo Sacerdoti (Februar 1935), Angelo Sereni (September 1936) und Felice Ravenna (März 1937) – bleibt manches noch zu erforschen. Doch in den mittleren Monaten des Jahres 1936 verkündeten die Führer der beiden gegenüber stehenden Gruppierungen selbst ausdrücklich ihr Programm. Im Mai verbreitete Liuzzi ein Schriftstück mit dem Titel „Für die jüdische Pflichterfüllung im faschistischen Italien“ (Per il compimento del dovere ebraico nell’Italia fascista), worin er unter anderem seinen ehemaligen Ratskollegen „freimaurerische Wurzeln“ und „internationale Verbindungen“ vorwarf und im Namen einer „festen jüdisch-faschistischen Treue“ vorschlug, zu einer modernisierenden Reform des Gottesdienstes, zur hierarchischen Reorganisation des Rabbinats, zum Abbruch nahezu sämtlicher internationaler Beziehungen zu schreiten (ohne allerdings aufzuhören, „den Brüdern im religiösen Glauben, die sich ungerecht des Mutterlandes beraubt sehen oder irgendwie verfolgt werden, Hilfe zu leisten“)2. Im Juli gab Ravenna einen von ihm verfassten Bericht in den Druck, worin er das „Italienertum“ der gesamten Führungsgruppe der Union bekräftigte (die 1 2
Zu einem ersten Überblick über das Jahr 1935, eines der entscheidenden Jahre, vgl. R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 221–24. G. Liuzzi, Per il compimento del dovere ebraico nell’Italia fascista. Turin 1936, S. 15.
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Viertes Kapitel
nach Kooptationen zur Ersetzung der Ausgeschiedenen wieder vollständig war) und bemerkte: Man möchte eine Art von jüdischer Synagoge von Italien errichten, losgelöst vom Leib und von der Geschichte Israels, indem man, um die Trennung zu vollenden, die Formen jüdischen Lebens verändert und die erzieherische Richtung der Schulen umwandelt […], so als ob es so viele Arten von jüdischer Religion geben könnte, wie es Länder gibt, in denen Israel lebt; und es bedeutet eine Schmähung unseres Glaubens, wenn man von jüdischem Aberglauben oder von der Notwendigkeit spricht, unseren äußeren Kult mit den Zeiten und mit dem italienischen gesellschaftlichen Umfeld in Einklang zu bringen, als ob er ein Überrest barbarischer Gebräuche wäre3.
Und er fuhr fort: Die Union glaubt, dass es für freie Juden, wie wir es sind, eine Pflicht gebe, mit Einverständnis der Regierung an Versammlungen und Konferenzen teilzunehmen, in denen die Juden der Welt einvernehmlich untersuchen, wie man für die Rettung des eigenen Stammes und der eigenen Ideen sorgen kann, indem man Maßnahmen ökonomischer, sozialer und politischer Art ergreift, die geeignet sind, das Elend der verfolgten Massen zu mindern und ihr schweres moralisches und materielles Problem zu lösen.
Während die innerjüdische Auseinandersetzung solche Radikalisierung erlebte, war der Faschismus mit der Kampagne für die Eroberung Äthiopiens beschäftigt. Das neue kolonialistische Unternehmen (das im Oktober 1935 begann und im Mai 1936 mit dem Einmarsch der italienischen Truppen in Addis Abeba und der Ausrufung des Kaiserreichs endete) erfuhr seitens der Mehrheit der italienischen Juden volle und – in Synagogen und in der Presse – öffentliche Zustimmung4, die sich von derjenigen der anderen Italiener nicht unterschied und Mal für Mal von Faschismus, Nationalismus, Patriotismus, Treue zum Hause Savoyen und Konformismus motiviert war. So hielt beispielsweise am 10. Mai ein Militärrabbiner bei den italienischen Truppen eine Ansprache im jüdischen Tempel von Asmara, um den glücklichen Ausgang der „Mission zur Befreiung der Sklaven und zur Verbreitung der Kultur“ zu feiern5. Andere 3 4 5
Unione delle Comunità Israelitiche Italiane, Relazione del Presidente. Rom 1936, S. 13. Vgl. V. Piattelli, „Israel“ e il sionismo in Toscana negli anni Trenta, in: E. Collotti (Hrsg.), Razza e fascismo, a.a.O., Bd. I, S. 61–62; F. Del Regno, Gli ebrei a Roma, a.a.O., S. 35–36. Zitiert ebd., S. 36 (Rede von Aldo Sonnino). Zur Ernennung von zwei Militärrabbinern bei den italienischen Truppen vgl. auch M. Franzinelli, Il clero e le colonie: i cappellani militari in Africa Orientale, in: Rivista di storia contemporanea XXI Nr. 4 (Oktober 1992), S. 583–586; M. A. Vitale, L’opera dell’esercito (1885–1943), I. Ordinamento e reclutamento. Rom (Ministero degli Affari esteri – Comitato per la documentazione dell’opera dell’Italia in Africa) 1960, S. 43.
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Juden, in kleinerer Anzahl, bezeugten ihre Gedanken fernab von öffentlichen Zusammenkünften und von den Zeremonien in der Synagoge: Ich erinnere mich des Tages, an dem Mussolini Äthiopien den Krieg erklärte. Ich legte weinend die Straße von der Piazza XX Settembre, wo ich mich befunden hatte, zum Haus von Bassano gegenüber dem Teatro Goldoni zurück; ich fühlte, dass daraus nicht anderes hervorgehen könne als Schlimmes für alle, doch konnte ich mir nicht das Gewicht der Ereignisse vorstellen. Als Tochter eines antimilitaristischen Vaters par excellence hasste ich den Krieg. Seit meiner Kindheit machte ich in meiner Lage als Jüdin keinen Unterschied zwischen verschiedenen Völkern: alle waren menschliche Wesen6.
Schon vor Beginn des Krieges hatte die italienische Regierung auf verschiedene Weise englische (zionistische wie nichtzionistische) und palästinensische jüdische Kreise ermuntert, eine Aktion zugunsten Italiens oder wenigstens gegen den Erlass der antiitalienischen Sanktionen des Völkerbundes zu unternehmen. Die bedeutendste Initiative war diejenige einer offiziösen Mission zweier Vertreter des italienischen Judentums, Angiolo Orvieto und Dante Lattes, bei verschiedenen englischen Persönlichkeiten Ende Oktober 19357. All dies hatte – dem Anschein nach – eine Verbesserung des Ansehens Italiens im Hinblick auf die „antijüdische Frage“ zur Folge, nicht jedoch im Hinblick auf die „antiäthiopische Frage“. Während des Krieges und, noch konkreter, nach seiner Beendigung, begünstigte und unterstützte die Regierung die Aktion der Annäherung – und Italianisierung – seitens der Union bei der jüdischen äthiopischen Bevölkerung der Beta Esrael (der sog. Falaschen)8. Auch diese Operation war jedoch eine Sache der auswärtigen Politik und nicht der Innenpolitik.
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L. Castelfranchi, I Tedesco e i Castelfranchi tra storia e memoria, in: M. Luzzati (Hrsg.), Ebrei di Livorno, a.a.O., S. 148. R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 174–180; M. Michaelis, Mussolini e la questione ebraica, a.a.O., S. 96–100. Vgl. L. Goglia, La propaganda italiana a sostegno della guerra contro l’Etiopia svolta in Gran Bretagna nel 1935–36, in: Storia contemporanea XV Nr. 5 (Oktober 1984), S. 897–900; D. Lattes, Angiolo Orvieto, poeta ebreo, in: A. Orvieto, Il vento di Sion e i canti dell’escluso. Rom (Fondazione per la gioventù ebraica) 1961, S. 12; C. Del Vivo (Hrsg.), Fondo Orvieto, I, Gabinetto G.-P. Vieusseux. Florenz 1994, S. 15–16. E. Trevisan Semi, Allo specchio dei Falascià. Ebrei ed etnologi durante il colonialismo fascista. Florenz (Giuntina) 1987, S. 9–10. Zu den Annäherungsaktionen vgl. ebd., S. 51–59; F. Del Canuto, Come si giunse alla missione in Etiopia presso i Falascia, in: Ders. (Hrsg.), Israel „Un decennio“, a.a.O., S. 23–45; C. A. Viterbo, Relazione al Ministero dell’Africa Italiana dell’opera svolta in A.O.I. in rappresentanza dell’Unione delle Comunità Israelitiche Italiane, ebd., S. 47–113; F. Del Canuto, I Falascià fra politica antisemita e politica razziale, in: Storia contemporanea XIX Nr. 6 (Dezember 1988),
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Was die letztere betrifft, so vollzog sich gerade im Verlauf des äthiopischen Unternehmens der Übergang von der Verfolgung der religiösen Gleichheit und Autonomie des Judentums (und von der zunehmenden Entfernung der Juden aus den öffentlichen Ämtern) zur Verfolgung der einzelnen Juden (und insbesondere ihrer Rechte). Der Vollzug dieses Übergangs, der vielleicht auch die vorhergehenden und nachfolgenden Monate in Anspruch nahm, war (und ist bis heute) nur spärlich erforscht9. Das einzige Zeugnis für seinen wesentlichen Abschluss bildet die effektive Entstehung der neuen Verfolgungsphase. Und die einzige konkrete Spur für ihre Herausbildung, die derzeit identifizierbar ist, bildet eine Anweisung Mussolinis aus dem Februar 1936 an die leitenden Personen des Innenministeriums: „Es ist nicht empfehlenswert, eingewanderten Juden die Staatsbürgerschaft zu verleihen“10. (Im Juli 1937 drückte die Polizeidirektion sich im Hinblick auf die Eingabe von Giorgina Levi betreffend die Verleihung der italienischen Staatsbürgerschaft an Enzo Arian folgendermaßen aus: „Vielfache und gewichtige Schwierigkeiten stehen der Verleihung der italienischen Staatsbürgerschaft an ihren Verlobten entgegen – Schwierigkeiten, die ich auch deshalb als unüberwindlich bezeichnen möchte, weil beide israelitischer Religion sind. […] Nur Seine Exzellenz der Chef der Regierung hat die Befugnis, die Sache im absoluten Ausnahmewege zustimmend entscheiden zu können“11). Die Anordnung vom Februar 1936 enthielt kein klares Verbot und betraf auch nur einen quantitativ sehr begrenzten Bereich der jüdischen Bevölkerung, noch bildete sie auch notwendig den Beginn einer fortschreitenden Verfolgung12; dennoch war sie zweifellos eine bezeichnende Maßnahme dafür,
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S. 1267–1285; vgl. auch M. Toscano, Gli ebrei in Italia dall’emancipazione alle persecuzioni, ebd, XVII Nr. 5 (Oktober 1986), S. 927–929. Doch die Politik des Ausschlusses von öffentlichen Ämtern war aufmerksamen Beobachtern auch weiterhin bekannt: „Ich weiß [...] von dem systematischen Ausschluss der Juden von Ämtern, z.B. vom Vorsitz der Hutmacherkorporation, für welche alle einen gewissen Loria bestimmt hatten“ [Arturo Carlo Jemolo an Mario Falco, 27. September 1936; in: M. Vismara Missiroli, Dalle leggi „fasciste“ alle leggi razziali nelle lettere di Jemolo, in: Nuova antologia v. 596, Nr. 2237 (Januar–März 2006), S. 79]. K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. I, S. 41; Zuflucht, a.a.O., Bd. I, S. 54; das Dokument hat heute folgenden archivalischen Standort: ACS, MI, DGPS, AGR, Massime, C6, b. 22, fasc. 4, sfasc. 2. ACDEC, Fondo Giorgina Levi, b. 1, fasc. n.n., segretario particolare del capo della polizia a un dirigente del ministero dell’Educazione nazionale, 17 luglio 1937 Privatsekretär des Polizeichefs an einen leitenden Beamten des Ministeriums für nationale Erziehung, 17. Juli 1937. Im folgenden April, im Verlauf von Verhandlungen zwischen der deutschen und der italienischen Polizei über ein Geheimabkommen, war die letztere nicht damit einver-
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dass eine antisemitische Wandlung im Gange war, denn sie zeugte von Feindschaft und Misstrauen gegenüber den ausländischen Juden und bewirkte eine Begrenzung der Anzahl der jüdischen Bürger. Wenige Wochen später gab der Diktator dem italienischen Botschafter in London den Befehl, einem jüdischen Journalisten der „Financial Times“ mitzuteilen, dass das „Weltjudentum ein äußerst schlechtes Geschäft macht, wenn es sich mit dem die Sanktionen befürwortenden Antifaschismus gegen das einzige Land in Europa zusammen tut, das – zumindest bis jetzt – den Antisemitismus weder praktiziert noch verkündet“13. Diese umfassende Erklärung schrieb die Verantwortlichkeit für den sich vollziehenden Umschwung – und dessen Ausmaß und Intensität – den Juden selbst und, genauer gesagt, ihrer kollektiven und verallgemeinerten Haltung zugunsten des angegriffenen Äthiopien zu; doch dokumentiert diese Erklärung natürlich – insbesondere in Bezug auf die Ursachen der Wendung – nur das, was Mussolini seinem Sprecher mitzuteilen beschlossen hatte. Im Ergebnis trugen verschiedene Ereignisse und Faktoren auf unterschiedliche Weise zur Auslösung des erwähnten Übergangs bei:
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standen, die Juden den gemeinsamen politischen Gegnern zuzurechnen; K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. I, S. 109; Zuflucht, a.a.O., Bd. I, S. 113–104. Der Regierungschef und Außenminister Mussolini an den Botschafter in London Dino Grandi, 20. April 1936; wiedergegeben in: Ministero degli affari esteri, I documenti diplomatici italiani, Serie VIII, Bd. III., 1. Januar–9. Mai 1936, Rom 1993, S. 762. Am vorhergehenden 31. Januar hatte der Diktator angeblich zu dem italienischen Konsul in Jerusalem geäußert, dass das „Judentum“ eine „antiitalienische Einstellung“ besitze; ASMAE, MAE, Gabinetto segreto, II sc., fasc. „Rivolta in Palestina“, Italienischer Generalkonsul in Jerusalem Mariano De Angelis, Denkschrift, datiert vom 2. Februar 1936; wiedergegeben in: L. Goglia, Il Mufti e Mussolini: alcuni documenti italiani sui rapporti tra nazionalismo palestinese e fascismo negli anni Trenta, in: Storia contemporanea XVII Nr. 6 (Dezember 1986), S. 1211–1212. Diese Einstellung wurde zu Beginn des Jahres 1937 auch von einem jüdischen Beobachter registriert; vgl. V. Pinto (Hrsg.), Stato, a.a.O., S. 180, 183. Seit Herbst 1935 bezeichneten die antisemitischen italienischen Zeitschriften die Juden als die Verantwortlichen für die antiitalienische (bzw. antifaschistische) Feindlichkeit in Europa; Georges Batault, Verfasser einer äußerst heftigen Schrift in diesem Sinne in La revue hebdomadaire vom 16. und vom 23. November 1935, wurde von Mussolini am 31. März 1936 nach Vorstellung des Präsidenten des Comitato d’azione per l’universalità di Roma („Aktionskomitee für die Universalität Roms“) Eugenio Coselschi in Audienz empfangen; vgl. ASMAE, MAE, Gabinetto 1930–43, Udienze 1923–43, b. 54, fasc. „Georges Batault“; P. Aloisi, Journal (25 Juillet 1932–14 Juin 1936). Paris (Plon) 1957, S. 364 (die Audienz dauerte 50 Minuten). Erste Hinweise auf die italienische Pressekampagne (die zumindest teilweise die von der französischen Zeitschrift angesprochenen Themen aufgriff) b. M. Michaelis, Mussolini e la questione ebraica, a.a.O., S. 102–103.
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1) Die Niederlage der „Bandieristi“ im Frühjahr 1935 und die von ihnen Anfang 1936 ausgelöste neue Auseinandersetzung um die Führung der Union zeigten noch einmal, dass die Mehrheit der Vertreter des italienischen Judentums (einschließlich verschiedener faschistischer Juden) nicht bereit war, auf ihre jüdische Identität zu verzichten, und dahin gelangt war, öffentlich den erzfaschistischen Juden entgegenzutreten. Ravenna ging sogar so weit, in seiner öffentlichen Antwort an Liuzzi sich niemals als „Faschist“ zu qualifizieren). Im Übrigen hatten die „Bandieristi“ einerseits eine Niederlage erlitten und hatten sie ohne Furcht offenbart (und dies, während Italien mit der Eroberung Äthiopiens beschäftigt war und sich in Reaktion auf die Sanktionen um einen starken, geschlossenen und siegreichen Faschismus scharte), sie hielten aber andererseits an dem Ziel der Eroberung der Führung des gesamten Judentums fest (ohne sich jedoch dasjenige einer Spaltung der jüdischen Gemeinschaft zu setzen und eine nationalfaschistische Organisation der „assimilierten“ Juden im Sinne Mussolinis zu gründen). Im Grunde zeigten die Juden in ihrer Gesamtheit, dass sie entweder keine Faschisten waren oder doch wenigstens nicht geeignet waren, eine effektive Faschistisierung durchzuführen. 2) Der mangelnde Erfolg der antisanktionistischen Aktionen im jüdischen Bereich wurde von den faschistischen Führern als ein Beweis für die Tatsache aufgefasst, dass das Judentum der Halbinsel der Nation oder dem Regime nicht nützlich sein konnte oder dies nicht wollte. Die von Angelo Sacerdoti neun Jahre zuvor aufgezeigte Perspektive („Nützlichkeit“ der Juden für die nationale Expansion und demnach „Nutzlosigkeit“ des Antisemitismus) begann sich somit aufzulösen. 3) Die langsame, komplexe und nicht lineare italienische Politik einer Annäherung von Rom und Berlin, die gerade während der äthiopischen Ereignisse herangereift war14, verwandelte auch für die Regierung selbst die zuvor tolerierte Solidarität der (faschistischen und nichtfaschistischen) Juden der Halbinsel mit den Opfern des nazistischen Antisemitismus (der inzwischen mit der Verkündung der bekannten „Nürnberger Gesetze“ im September 1935 eine umfassende Intensivierung erfahren hatte) in ein Problem. Die Verurteilung des potentiellen Alliierten, die mehr oder weniger ausdrücklich von allen Juden ausgesprochen wurde, bildete das genaue Gegenteil der von Angelo Sacerdoti beschriebenen Perspektive. 14
Vgl. J. Petersen, Hitler-Mussolini. Die Entstehung der Achse Berlin-Rom 1933–1936. Tübingen (Niemeyer) 1973 [it. Übers.: Hitler e Mussolini. La difficile alleanza. Rom, Bari (Laterza) 1975, S. 379–444].
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Im Übrigen gilt es sich vor Augen zu halten, dass mit der Ausrufung des Kaiserreichs am 9. Mai 1936, der Übergang von einer „kolonialen“ Rassenpolitik zu einer „reinen“ Rassenpolitik vollzogen wurde. Während das militärische Unternehmen der Eroberung Äthiopiens im Zeichen des populären Schlagers „Faccetta nera, bella abissina [schwarzes Gesichtchen, schöne Abessinierin]“ vonstatten gegangen war, die den männlichen italienischen Soldaten „erwartete“, folgte auf seinen Abschluss sogleich eine Flut vom Artikeln und Erklärungen eindeutig rassistischen Charakters und insbesondere eine Kampagne gegen den „Mestizismus“ (meticciato). In diesem Rahmen schloss die neue Verordnung über Italienisch Ostafrika (Africa Orientale Italiana – Aoi), die durch Königliches Gesetzesdekret vom 1. Juni 1936, Nr. 1019, erlassen wurde und an die Stelle des vorherigen Textes von 1933 trat, die Möglichkeit der Verleihung der italienische Staatsbürgerschaft an Mischlinge, die von einem unbekannt geblieben Erzeuger „weißer Rasse“ stammten, aus („auf Wunsch des Duce“, wie es in einer ministeriellen Quelle aus dem Jahre 1939 heißt)15. Unterdessen hatte Mussolini bereits am 11. Mai 1936 an den Vizekönig von Äthiopien, Pietro Badoglio, und an den General Rodolfo Graziani telegraphiert: „Um von Anfang an den schrecklichen und nicht fern liegenden Folgen des Mestizismus zu begegnen, bestimme ich, dass kein Italiener – ob Militär oder Zivilist – länger als sechs Monate ohne Ehegattin im Vizekönigreich verbleiben darf“16. Und am 26. Mai hatte der Minister für Presse und Propaganda Galeazzo Ciano die Zeitungen erinnert: „Notwendig ist eine klare Trennung zwischen herrschender Rasse und beherrschter Rasse. Die italienische Rasse darf keinerlei Annäherung an die Negerrasse erfahren und muss ihre völlige Reinheit bewahren“17. Alle diese Faktoren verwoben bzw. (im Falle der Entwicklung der rassistischen Propaganda und Politik) beeinflussten sich in der Weise, dass in einem 15 16
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B. Sorgoni, Parole e corpi, a.a.O., S. 150–52; [R. Meregazzi], Lineamenti della legislazione per l’Impero, in: Gli annali dell’Africa italiana, hrsg. vom Ministerium für das italienische Afrika. Rom 1939, II, Bd. III, S. 70 (zur Zuschreibung an Mussolini). ACS, Fondo Graziani, b. 18, fasc. 21, sfasc. 6, ins. „1936: maggio 22–31“; mitgeteilt in: G. Gabrielli, La persecuzione delle „unioni miste“ (1937–1940) nei testi delle sentenze pubblicate e nel dibattito giuridico, in: Studi piacentini Nr. 20 (1996), S. 126, Fußn. 4 [mit geringfügigen Änderungen mitgeteilt in: Centro Furio Jesi (Hrsg.), La menzogna, a.a.O., S. 290; auch in: B. Mussolini, Opera omnia, a.a.O., Bd. XXVIII (1959), S. 263]. ACS, Agenzia Stefani – Manlio Morgagni, b. 70, fasc. IX, sfasc. 3: „1936“; vgl. auch R. Pankhurst, Lo sviluppo del razzismo nell’impero coloniale italiano (1935–1941), in: Studi piacentini Nr. 3 (Juli 1988), S. 178–179; zu Ciano s. M. Michaelis, Mussolini e la questione ebraica, a.a.O., S. 125.
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bislang noch nicht genau identifizierten Augenblick zwischen Ende 1935 und Sommer 1936 die „antijüdische Frage“ für das Regime die Qualität einer nicht mehr aufschiebbaren innenpolitischen Frage gewann, und Mussolini entschied – in völliger Selbständigkeit gegenüber der Realität auf dem Kontinent und zugleich als Anreger und Vermittler in der herrschenden faschistischen Gruppe handelnd – sie in der Weise zu lösen, dass das Regime das Land mit einer „modernen“ antijüdischen Politik versah. Der Faschismus ging von der Verfolgung der Gleichheit und der Autonomie des Judentums zur Verfolgung der einzelnen Juden über, weil diese, unabhängig von der politischen Überzeugung jedes Einzelnen, eine Gruppe bildeten, deren Verhalten (vom Regime und im Hinblick auf seine Zielsetzungen) als gefährlich, antagonistisch, alternativ, unklar oder auch nutzlos beurteilt wurde. Der Übergang bildete das logische Resultat der vorhergehenden Verfolgungsphase und – warum es leugnen? – der gesamten umfassenden Wende des Jahres 1922; er bildete jedoch nicht ihr zwangsläufiges Ergebnis: er war ein bewusster Akt. Ungeachtet dieser Willentlichkeit scheinen ihm jedoch keine besonders intensiven Reflexionen vorangegangen zu sein; der Prozess des Heranwachsens des Antisemitismus in Europa, in Italien, im Faschismus und in Mussolini hatte die einschlägigen operativen Entscheidungen von beachtlichen in banale verwandelt. Während dieses Übergangs und nach seinem Abschluss fanden einige Ereignisse statt, welche formal betrachtet zwar untereinander getrennt waren, jedoch eine Gemeinsamkeit darin hatten, dass sie einerseits die Juden und andererseits entweder Ferrara oder den Farraresen Italo Balbo, Mitglied des Großen Faschistischen Rates und damals Gouverneur von Libyen, betrafen. Sie bezeugen die Komplexität und die Verschiedenartigkeit der Äußerungsformen, in denen sich der Übergang vollzog, die Benutzung des Antisemitismus in den Auseinandersetzungen zwischen den führenden Personen des Faschismus, das Vorhandensein einer Unterschiedlichkeit der antijüdischen Absichten unter ihnen, die freilich von ihnen selbst als nicht bedeutsam angesehen wurde. In der Nacht vom 22. auf den 23. Juni 1936 wurden an die Mauern einiger Gebäude und Geschäfte in Ferrara Texte mit folgendem Tenor geschrieben: „Hoch Mussolini – Nieder mit den Juden“ nach Auskunft der Polizei und damit der Präfektur; nach Auskunft der Carabinieri „Es lebe der Duce – Tod den Juden“; nach einer späteren anonymen Denunziation gegen den Bürgermeister Enzo Ravenna „Nieder mit dem Bürgermeister – Nieder mit den Juden – Es lebe der Duce – Es lebe der König – Es lebe Rossoni“. Die Texte – die auch diesmal nicht amtlich und damit in der Zeit der Diktatur ganz ungewöhnlich waren – wurden sogleich entfernt, doch wenige Nächte danach wurden weitere gleichartige angebracht. Zu diesem Vorfall erhielt der Innenminister
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(d.h. Mussolini) zwei Berichte: denjenigen – wie es in solchen Fällen üblich war – des Präfekten und denjenigen, den ihm auf sein (ganz unüblich erscheinendes) Ersuchen hin der kommandierende General der Carabinieri übersandt hatte. Beide Berichterstatter wiesen auf die vollständige Integration der Juden in das städtische Leben, auf die Anhängerschaft vieler von ihnen zum Faschismus und auf die Präsenz vieler von ihnen in örtlichen „öffentlichen Ämtern“ hin. Die Carabinieri führten sodann drei mögliche Erklärungen für die Wandschriften an: ein Schüler-Protest gegen die Direktoren (beides Juden) der beiden städtischen Gymnasien; ein Akt der „Feinde des Bürgermeisters“; der „Beginn einer feindlichen Kampagne gegen die Juden wegen ihres Einflusses auf das städtische Leben“. Der Präfekt schloss zunächst ausdrücklich derartige Gründe aus und zog den Schluss, dass die Tat „das Werk irgend eines Unzufriedenen oder irgend eines einzelgängerischen bzw. unzufriedenen Aspiranten auf öffentliche Ämter“ sei18. Allerdings äußerte der Präfekt sich in demselben Bericht folgendermaßen über die bedeutende Präsenz der Juden in diesen Ämtern: „Von meiner Seite und derjenigen des Bundessekretärs [des PNF] findet eine ununterbrochene aber nüchterne Tätigkeit der Auflösung dieser Lage auf eine Weise statt, die nicht auffällt und somit nicht die einträchtigen Verhältnisse des Umfeldes stört“. In den zahlreichen nachfolgenden Berichten über die Lage der Juden zu Ferrara, die stets an das Kabinett des Innenministeriums gingen, schilderte der Präfekt den Fortschritt dieser „Auflösungs“-Aktion und bemerkte dazu, dass sie bereits vor 1936 begonnen worden sei (Bericht vom 9. November 1936) und erinnerte daran, dass sie Gegenstand direkter Besprechungen mit „den höheren Organen eines Ew. Ministeriums“ (Bericht vom 31. Dezember 1936) und mit „Seiner Exzellenz dem Chef der Regierung“ (Bericht vom 5. Dezember 1937) 18
Der am 8. Juli 1936 vom Generalkommando der Carabinieri an das Kabinett des Innenministeriums gesandte Bericht (den dieses am 24. Juni mit einem von mir nicht aufgefundenen Brief erbeten hatte) befindet sich in: ACS, SPD, CR (1922–43), fasc. 242/R, sfasc. 14, ins. C (und ist teilweise inhaltlich wiedergegeben in: R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 210, sowie in: G. Rochat, Italo Balbo. Turin (Utet) 1986, S. 196–97). Ein Original und ein Durchschlag des Berichts des Präfekten von Ferrara an das Kabinett des Innenministeriums sowie an die Generaldirektion für öffentliche Sicherheit des selben Ministeriums vom 11. Juli 1936 befinden sich in: ACS, MI, DGPS, AGR, 1938, b. 2/D, fasc. 5, bzw. AdS Ferrara, Prefettura, cat. 30, b. 2, fasc. „Situazione degli ebrei“. Die Kopien (in Ausgang und Eingang) des am 24. Juni 1936 vom Präfekten von Ferrara an die Generaldirektion für öffentliche Sicherheit des Innenministeriums gesendeten Telegramms befinden sich ebd.; Kopie der anonymen Denuntiation vom 26. Juni 1936 gegen den Bürgermeister in: AdS Ferrara, ebd. Zu Renzo Ravenna vgl. M. Missori, Gerarchie e statuti del P.N.F. Gran consiglio, Direttorio nazionale, Federazioni provinciali: quadri e biografie. Rom (Bonacci) 1986, ad nomen.
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gewesen seien. In einem Brief vom 28. November 1937 an den Generaldirektor für höhere Bildung des Ministeriums für nationale Erziehung stellte der Präfekt den Antrag, keine Versetzungen und Ernennungen von jüdischen Dozenten an jene Universität zu genehmigen, und präzisierte sein Anliegen dahin, dass diese „höhere Anweisung“ speziell die Provinz Ferrara betreffe, und ersuchte den Empfänger, „nicht zuzulassen, dass der Eindruck entsteht, es gebe aktuell eine Abneigung gegenüber den Juden, und damit in Italien, wo diese Frage keinerlei Besorgnis erweckt, ein politisches Problem zu schaffen“, beziehungsweise ersuchte er – so die Korrekturen, welche sodann am ersten Entwurf des Briefes angebracht wurden – darum, „nicht die Überzeugung oder die Vorstellung eines Kampfes gegen die Juden nach außen gelangen zu lassen und damit in Italien ein Problem zu schaffen, das derzeit keinerlei Besorgnisse erweckt“ (Die Hinzufügung der Wendung „derzeit“ beschreibt sehr gut die Situation der Erwartung von Entscheidungen Mussolinis, in der sich die Verantwortlichen an der Peripherie des Staates im Herbst 1937 befanden)19. Erst weitere spezielle Forschungen werden die gesamte Geschichte und die effektive örtliche und nationale Bedeutung dieses langsamen, aber nachdrücklichen „Werkes der Auflösung“ ans Licht bringen können. So scheint beispielsweise die Datierung seines Beginns auf die Zeit vor 1936 auf die fast vollständige Entfernung der Juden aus kommunalen und provinziellen Ämtern vom April 1934 zu verweisen20. Allerdings war Ravenna im Januar 1936 auf Vorschlag des Präfekten von Ferrara und nach positiver Stellungnahme des Bundessekretärs des PNF „durch höhere Anordnung“ als Bürgermeister bestätigt worden21; allerdings trat er dann – wie noch zu berichten sein wird – im Januar 1938 zurück, nachdem auch der Präfekt von Ferrara ersetzt worden war. Schließlich müsste vielleicht auch noch die Mitteilung eines Polizeiinformanten vom 16. Juni 1936 in die Betrachtung einbezogen werden, worin über die Absicht des PNF-Sekretärs von Venedig berichtet wurde, sich der Bestätigung des „bekannten Juden Max Ravà“ (des bereits erwähnten „bandieristischen“ Exponenten) zum Chef des Instituts für Bodenkredit zu widersetzen, und hinzugefügt wurde: „Es wird gelingen, auch diesen höchst einflussreichen Juden aus der erstrangigen Position, derer er sich in Venedig noch erfreut, zu entfer19 20 21
Die Entwürfe und die Durchschläge der zitierten Berichte befinden sich in: AdS Ferrara, Prefettura, cat. 30, b. 2, fasc. „Situazione degli ebrei“. S.o. S. 101–102. ACS, MI, Direzione generale dell’amministrazione civile, Podestà, b. 150, fasc. 999 „Ferrara“, sfasc. 8 „Podestà“, Präfekt von Ferrara an die Generaldirektion der Zivilverwaltung des Innenministeriums, 15. Dezember 1935, und Kabinettschef des Innenministeriums an dieselbe, 8. Januar 1936.
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nen“22, womit der Antisemitismus des Verfassers (den er im Übrigen, wie schon dargestellt, mit anderen Informanten und leitenden Personen der Polizei teilte) und vielleicht auch die Existenz eines heute weitgehend unbekannten allgemeinen Umfeldes bezeugt wird23. Allerdings lag es nach meinem Dafürhalten gerade in der Konsequenz des allgemeinen „Werkes der Auflösung“ (und nicht an dem besonderen Vorkommnis der Inschriften vom 22./23. Juni), dass der Bericht der Carabinieri vom 8. Juli über die Mauerinschriften, den Mussolini zwei Tage später zu Gesicht bekam, zunächst längere Zeit im Auge behalten wurde, und dann zu den Unterlagen der Sitzung des Großen Faschistischen Rates vom 18. November 1936 genommen wurde. (Es handelte sich um die erste Sitzung seit derjenigen vom 9. Mai, welche ganz kurz und ausschließlich der Eroberung Äthiopiens und der Ausrufung des Kaiserreichs gewidmet war)24. Vier Tage vor dem 18. November und nach ungefähr einem Jahr, das ohne besondere Spannungen verlaufen war, wurde in Tripolis eine Verordnung erlassen, welche den jüdischen Inhabern von Geschäften, die außerhalb der Altstadt oder in einem bestimmten Abschnitt des Corso Vittorio Emanuele II gelegen waren, vorschrieb, am Samstag zu öffnen. Der Gouverneur Balbo persönlich ließ die Leiter der örtlichen jüdischen Gemeinde wissen, das „Tripolis nicht Tel Aviv ist. […] Das moderne, zweifach italienische Tripolis darf 22 23 24
ACS, MI, DGPS, PP, Persone, b. 1138, fasc. „Max Ravà“, anonyme Benachrichtigung, 16. Juni 1936. Zu den vom Präfekten von Triest vor 1938 ergriffenen Maßnahmen gegen die „jüdische Infiltration in die öffentlichen Ämter“ vgl. S. Bon, Gli ebrei, a.a.O., S. 101 (auch S. 39– 40). Der offizielle Bericht über die Versammlung des Großen Faschistischen Rates enthält keinerlei Hinweis auf den Vorgang; Partito Nazionale Fascista, „Foglio d’ordini“ Nr. 170, 19. November 1936. Man muss sich vor Augen halten, dass auch in den Papieren über die Versammlung des Großen Faschistischen Rates, in der die „Erklärung über die Rasse“ vom 6. Oktober 1938 verabschiedet wurde, ein Schriftstück betreffend die Juden von Ferrara enthalten ist (vgl. R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 301–303); das fragliche Schriftstück ist: N. Quilici, La difesa della razza, in: Nuova antologia LXXIII Heft 1596 (16. September 1938), S. 133–140. Dieses wiederholte Auftreten scheint zu belegen, dass der Komplex Juden-FerraraBalbo-Mussolini-Faschismus-Antisemitismus eine beachtliche, vielleicht sogar entscheidende Bedeutung für den gesamten hier beschriebenen Vorgang besaß. Allerdings ist zu bedenken, dass es auch in Ferrara Juden mit unterschiedlichen oder sogar gegensätzlichen politischen Auffassungen gab: zu einem antifaschistischen Industriellen s. R. Parisini, La ricostituzione dei gruppi dirigenti a Ferrara dopo la Liberazione, in: Italia contemporanea Nr. 192 (September 1993), S. 446, Fußn. 15; zu ihm und seiner Firma s. auch S. Carolini (Hrsg.), „Pericolosi nelle contingenze belliche“, a.a.O., S. 162; Gazzetta ufficiale del Regno d’Italia, 23. September 1939, S. 4551; ebd., 22. Februar 1940, S. 789.
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nur italienisch sein“ und wies den Antrag auf eine zeitweise Aussetzung ab. Die Verordnung trat wie vorgesehen am Samstag, dem 5. Dezember, in Kraft; diejenigen, die sie nicht befolgten, wurden mit zwölf Widerrufen von Lizenzen und drei Auspeitschungen (von denen eine in drei Monate Gefängnis umgewandelt wurde) bestraft25. Das plötzliche strenge antijüdische Vorgehen Balbos in Tripolis muss mit der in seinem Ferrara vor sich gehenden „Auflösung“ und auch mit dem Zusammentreten des Großen Faschistischen Rates in Verbindung gebracht werden – d.h. die tripolitanische Verordnung bildete eine Art von „amtlicher Mitteilung“ über seine – zumindest formelle – Anpassung wenn schon nicht an das in der Stadt am Po vor sich gehende „Werk“, so doch wenigstens an die neuen allgemeinen Richtlinien, die der Faschismus im Hinblick auf die Juden hervorgebracht hatte. Auch wenn unser aktueller Kenntnisstand uns nicht gestattet, den Ablauf dieser Sitzung zu rekonstruieren, so bezeugen doch im Ergebnis die begleitenden und vor allem die nachfolgenden Ereignisse, dass an jenem Tag der Große Faschistische Rat sich mit allen Juden der Halbinsel befasste und nicht bloß mit denen von Ferrara, und dass er von der Entscheidung Mussolinis erfuhr (oder sie vielleicht diskutierte und billigte), auf der Halbinsel eine spezielle, jedoch noch alles andere als klar definierte, antijüdische Politik einzuführen. Und der Umstand, dass gerade am 17. November die Agentur Stefani die (von den Zeitungen vom 18. November veröffentlichte) Nachricht von der handgreiflichen Reaktion zweier italienischer Faschisten auf „schwerwiegende Beleidigungen Italiens und des Faschismus“ seitens einiger „antifaschistischer Juden“ in Litauen verbreitete, scheint nicht auf einem Zufall zu beruhen; eben so wenig die Tatsache, dass Il regime fascista (jedoch – anders als 1934 – nicht der Corriere della sera und auch nicht Il popolo d’Italia) den Artikel „Die Lektion zweier Faschisten für neun Juden in Litauen“ titelte und ihm einen Kommentar (mit der Überschrift „Gratta, gratta …“, was etwa bedeutet: „Fühlt man ihnen auf den Zahn…“) über einen ähnlichen Vorfall an die Seite stellte, der sich in Tanger ereignet haben sollte. Vier Tage vor dieser Sitzung informierte der italienische Botschafter in Berlin Bernardo Attolico den Außenminister Galeazzo Ciano, er habe zusammen mit dem italienischen Marineattaché und mit Zustimmung des Marineministeriums dafür gesorgt, „zu verhindern, dass der General der Marinepioniere Giorgio Rabbeno nach Deutschland komme, da er ein Jude ist“, und er bat den Minister „verfügen zu wollen, dass jüdische Mitbürger nicht 25
R. De Felice, Ebrei in un paese arabo, a.a.O., S. 234–37; Ders., Storia degli ebrei, a.a.O., S. 539–40.
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mit Aufgaben in Deutschland betraut werden“26. Zwei Tage nach der Sitzung ließ Ciano einen Brief aufsetzen (der dann am 23. November abgeschickt wurde), mit dem er seine Kollegen aufforderte, „Mitbürger israelitischen Glaubens“ nicht mehr mit Ämtern oder Missionen in Deutschland zu betrauen“27. Attolico hatte sein Ersuchen mit der Notwendigkeit begründet, „unsere Vertreter nicht in eine schwierige und peinliche Situation zu versetzen“; und die Anordnung war natürlich eine Geste der Rücksicht gegenüber dem Verbündeten. (Am 1. November hatte Mussolini öffentlich die Bildung der „Achse“ Rom – Berlin verkündet), sie bildete aber auch wegen der beachtlichen Bedeutung des neuen Paktes vor allem einen Akt der allgemeinen Entfernung der Juden von der Nation. Erwähnt werden kann ferner, dass – im Unterschied zu dem, was 1934 für die kommunalen und provinziellen Ämter geschehen war – die Entfernung nunmehr eine totale und halböffentliche war. Die Anordnung Cianos bildete auch eine Ermächtigung an die anderen Minister, ohne Bedenken religiöse Diskriminierungen ins Werk zu setzen28. Dieselbe Bedeutung hatte eine Aufforderung des Unterstaatssekretärs im Außenministerium Giuseppe Bastianini vom 5. Januar 1937 an alle italienischen diplomatischen Vertretungen, über „Umfang […], Charakter […], Bedeutung […], wirtschaftliche Aktivitäten […], politische Tendenzen […], Kriminalität […], unerlaubte Tätigkeiten […], Presse“ der verschiedenen „israelitischen Populationen“ zu berichten29. Der Übergang zur Verfolgung der Rechte der italienischen Juden betraf natürlich auch die Beziehungen zwischen nationaler Regierung und der zentralen jüdischen Vereinigung. Wie schon berichtet, hatte schon vor der Machterlangung des Nazismus der Prozess der Errichtung einer repräsentati26 27 28
29
ASMAE, MAE, AP 1931–45, Germania, b. 36, fasc. 2, Botschafter Italiens in Berlin an das Außenministerium, 14. November 1936. ASMAE, MAE, AP 1931–45, Germania, b. 34, fasc. 1, Außenminister an den Präsidenten des Ministerrats und an verschiedene Ministerien, Entwurf datiert vom 20. November 1936 und mit Ausgangsstempel vom 23. November. Zu den kleineren Zeugnissen dieser Aktion gehört die Entscheidung der Regierung in Rom – ebenfalls vom November – die Namen der Juden aus einer Liste Rhodiotischer Persönlichkeiten zu streichen, denen die italienische Regierung dieser Insel vorschlug, Anerkennungen zu gewähren [H. M. Franco, Les martyrs juifs de Rhodes et de Cos. Elisabethville (Congregation Israélite du Katanga) 1952, S. 17–18]. ASMAE, MAE, Ambasciata d’Italia a Londra, b. 992, fasc. „Sionismo 1937“, Unterstaatssekretär im Außenministerium Giuseppe Bastianini an alle italienischen Botschaften und Gesandtschaften und an verschiedene Konsulate, 5. Januar 1937. Das Rundschreiben, als „vertraulich“ klassifiziert, war von der Generaldirektion für allgemeine Angelegenheiten – Amt IV erstellt, deren Papiere nicht zugänglich sind; viele Berichte der Konsuln und der Botschafter wurden in Kopie an das Innenministerium gesandt; ACS, MI, DGPS, AGR, cat. G1, b. 14, fasc. 172, sfasc. 2.
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Viertes Kapitel
ven internationalen jüdischen Organisation begonnen, welche das Ziel verfolgte, zur Verteidigung der rechtlichen und der sozialen Lage der Juden einzugreifen, wo sie durch eine Regierung oder von der ökonomischen Konkurrenz bedroht wurden, die antisemitische Propaganda zu bekämpfen, die Flüchtlinge und ihre Emigration zu beschützen und die Entwicklung der „Jewish national home“ in Palästina zu fördern30. Das letzte Vorbereitungstreffen des Comité des Délégations Juives und des Executive Committee for the World Jewish Congress fand am 22./23. Februar 1936 in Paris statt; dort wurde beschlossen, den letzteren im August nach Genf einzuberufen. Die Union der italienischen israelitischen Gemeinden sandte zur Pariser Tagung Dante Lattes und Angiolo Orvieto – auf der Grundlage eines nihil obstat von Mussolini persönlich in seiner Eigenschaft als Außenminister31 und der folgenden ministeriellen Direktiven: Die italienischen jüdischen Delegierten können zwar als Juden den Empfehlungen und Beschlüssen, welche bei der Tagung in Paris eingebracht werden sollten, soweit sie die Diskriminierungen beklagen, die von Rechts wegen oder auch nur faktisch zum Nachteil der Juden in einigen der genannten Staaten [Deutschland, Österreich, Polen und Rumänien] ausgeübt werden, beipflichten, sie sollen jedoch vermeiden, eine vorrangige Rolle zu spielen oder Initiativen zu ergreifen, vielmehr nach Möglichkeit eine mäßigende Aktion durchführen32.
Nach Abschluss der Tagung berichtete der Vorsitzende Ravenna am 3. März schriftlich an Mussolini über die Tätigkeit zugunsten der „italienischen Sache“ (d.h. gegen die Sanktionen), die von den Vertretern der Union unter den anderen Delegierten und allgemeiner unter den französischen jüdischen Persönlichkeiten entfaltet worden war33. Wenige Monate später wählte die Union Ravenna selbst, Lattes, Orvieto und Guido Zevi als ihre Vertreter in den World Jewish Congress / Congrès Juif Mondial, der vom 8. bis 15. August in Genf stattfinden sollte34. Das entspre30
31 32 33 34
Zur Entwicklung dieser Themen in der Versammlung des jüdischen Weltkongresses von August 1936 vgl. World Jewish Congress, Unity in Dispersion, a.a.O., S. 45 ff. An dieser Versammlung nahmen 280 Delegierte als Vertreter der jüdischen Gemeinschaften in 31 europäischen, amerikanischen und nordafrikanischen Ländern sowie Palästinas teil (die bedeutendsten Abwesenheiten waren diejenigen Deutschlands und der UdSSR). ASMAE, MAE, AP 1931–45, Palestina, b. 13, fasc. 4, sfasc. 2, Vorsitzender der Union Felice Ravenna an den Unterstaatssekretär im Außenministerium Fulvio Suvich, 9. Februar 1936, mit handschriftlichem Vermerk von Mussolini. Ebd., Direzione Affari politici – III, „Appunto per S. E. il sottosegretario di Stato [Suvich]“, 18 febbraio 1936. Ebd., Vorsitzender der Union Felice Ravenna an den Regierungschef Benito Mussolini, 3. März 1936. Ebd., Vorsitzender der Union Felice Ravenna an das Außenministerium, 2. Juli 1936.
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chende nihil obstat wurde vom neuen Außenminister Ciano erteilt35. Diesem sandte Ravenna am 3. September einen kurzen Bericht über den Kongress und über seine Beschlüsse, wobei er präzisierte, dass der italienischen Delegation ein Posten im Exekutivkomitee, einer im Verwaltungskomitee und zwei oder drei im Zentralrat angeboten worden seien; er berichtete ferner, dass die Delegation die letzteren angenommen habe, sich aber die Entscheidung über die ersten beiden vorbehalten habe. Und im Hinblick auf eben diese „etwaige künftige Teilnahme […] an den Leitungsgremien“ erbat Ravenna „die hohe Ehre, vom Duce empfangen zu werden“36. Dieser Brief blieb jedoch unbeantwortet, und dasselbe negative Ergebnis hatte sein Antrag vom 21. September, „zusammen mit den Vertretern der Israelitischen Gemeinden des Königreichs, welche die Empfindungen der Treue zu Italien und die Loyalität aller italienischen Juden [...] zum Ausdruck bringen möchten“, vom Regierungschef empfangen zu werden37. Zum ersten Brief gibt es die ministerielle Anmerkung: „von S.E. dem Minister bei sich behalten und mir sodann zur Ablage in den Akten zurückverfügt am 23. Oktober“; der zweite Vorgang veranlasste am 29. September das Ersuchen des Kabinettschefs Mussolinis an den Präfekten von Rom, Informationen über die Union und über ihren Vorsitzenden einzuholen und „dabei ihre eigene Auffassung darüber zum Ausdruck zu bringen, welcher Fortgang dem vorgenannten Antrag [auf Audienz] zu geben sei“38; worauf der Präfekt (endlich) am 5. Dezember antwortete, seine Informationen mit einem „nihil obstaret“ versah und sodann fortfuhr: Ich halte es allerdings für zweckmäßig, die Aufmerksamkeit eines Ew. Amtes auf die polemischen Artikel zu lenken, welche gerade in der letzten Zeit im „Regime Fascista“ über die unterschiedliche Art des Nationalitätsverständnisses der Juden, auch derjenigen mit italienischer Staatsbürgerschaft, erschienen sind. Ich füge zu 35 36
37 38
Ebd., Außenminister Galeazzo Ciano an den Vorsitzenden der Union Felice Ravenna, 14. Juli 1936. Ebd., Vorsitzender der Union Felice Ravenna an das Außenministerium, 3. September 1936, und ministerielle Zusammenfassung seines „kurzen Berichts“; Durchschlag des Briefs in: AUCEI, Fondo UCII, Attività 1933–47, b. 82, fasc. „1936 / Capo del governo“. Ein erster mündlicher Bericht war von Angiolo Orvieto dem italienischen Konsul in Lausanne erstattet worden; vgl. ASMAE, MAE, AP 1931–1945, Palestina, b. 30, fasc. „Palestina 1936–XIV“, sfasc. 2, ins. „Congresso ebraico mondiale (1936– XIV), Außenministerium an Innenministerium und andere Empfänger, 8. September 1936. ACS, PCM, Gabinetto, 1934–36, fasc. 2.5.7677, Vorsitzender der Union Felice Ravenna an den Kabinettschef des Regierungschefs Benito Mussolini, 21. September 1936; Durchschlag des Briefes in: AUCEI (wie vorige Fußn.). Ebd., Briefentwurf des Kabinettschefs des Ministerpräsidenten an den Präfekten von Rom, 29. September 1936.
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Viertes Kapitel diesem Zwecke die Nummern 228 und 232 des laufenden Jahrgangs der genannten 39 Zeitung bei .
Infolge dieses Schreibens forderte Mussolini den Präfekten von Rom auf, Ravenna mitzuteilen, dass eine Audienz nicht möglich sei, da er „äußerst beschäftigt“ sei40. Der Übergang vom „nihil obstat“ zum „nihil obstaret“ und zum „Nein“ beschreibt recht gut den Umschwung, der sich in jenen Monaten vollzog. Zu ergänzen ist noch, dass fünf Jahre zuvor der Präfekt von Mailand dem Sekretär des Diktators die Absicht der obersten Vertreter des Judentums mitgeteilt hatte, dem König und dem Duce persönlich eine künstlerische Medaille zur Erinnerung an das neue Gesetz über die Reform der jüdischen Gemeinden zu überreichen, und unbesorgt seine eigene „zustimmende Stellungnahme“ zum Ausdruck gebracht hatte41, und dass der Diktator im Januar 1933 Ravenna eine Audienz von zwanzig Minuten gewährt hatte, in der über die neue Union und über Ravenna selber gesprochen worden war42. Im Verlaufe weniger Monate waren die führenden Persönlichkeiten des italienischen Judentums von nützlichen (oder doch nicht nutzlosen) Propagandisten der nationalen Interessen zu Personen geworden, deren Eigenschaft als Italiener in Zweifel gezogen wurde. Im Grunde genommen war es so, dass Mussolini am 29. September Informationen ersucht hatte, welche er gar nicht benötigte, und dass somit die Bedeutung seines Briefes nicht darin lag, dass er etwas über Ravenna und über die Union erfahren wollte, sondern darin, dass er offiziell vermitteln wollte, er wisse nicht (oder er wisse nicht mehr) wer diese seien. Und infolge dessen war es geschehen, dass ein hoher Staatsbeamter dem Diktator offiziell mitgeteilt hatte, er habe einige antisemitische Artikel gelesen und er stimme tendenziell mit diesen überein, und sich beeilt hatte, ihm eine Kopie von ihnen zu schicken 39 40
41 42
Ebd., Präfekt von Rom an das Kabinett des Ministerpräsidenten, 5. Dezember 1936. Ebd., Briefentwurf des Unterstaatssekretärs beim Ministerpräsidenten an den Präfekten von Rom, 14. Dezember 1936; AUCEI, Fondo UCII, Attivita 1933–47, b. 82, fasc. „1936 / Capo del governo“, Präfekt von Rom an den Vorsitzenden der Union, 21. Dezember 1936. ACS, PCM, Gabinetto, 1931–33, fasc. 2.5.1206, Präfekt von Mailand an den Privatsekretär des Regierungschefs, 22. April 1931. AUCEI, Fondo UCII, Attività fino al 1933, b. 43, fasc. 155, Bericht von Felice Ravenna m.d.T. „Udienza con S. E. il capo del governo“, 17. Januar 1933. Während dieses Treffens bat Ravenna Mussolini um die Teilnahme am nächsten Kongress der Union, und dieser antwortete, er werde sich von einem Unterstaatssekretär vertreten lassen; als ihm aber Ravenna eine förmliche Bitte in diesem Sinne unterbreitete, antwortete Mussolini „Nein“; ACS, PCM, Gabinetto, 1931–33, fasc. 14.3.8704, „Appunto per S. E. il capo del governo“ des Kabinetts des Ministerpräsidenten 19. März 1933, mit handschriftlichem Vermerk von Mussolini.
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(ausgerechnet ihm, der sie mit Sicherheit kannte und der – soviel der Präfekt wusste – wahrscheinlich ihre Veröffentlichung genehmigt hatte). Und so war es geschehen, dass der Präfekt dem Diktator mitgeteilt hatte, er stimme mit der von diesem beschlossenen Wende überein, und dass der letztere wiederum sich als Empfänger von Forderungen der Basis nach Antisemitismus hinstellen konnte. Auf dem Tisch des Diktators lagen somit zwei Briefe Ravennas: jener an Mussolini vom 21. September und jener an Roberto Farinacci, wohl vom selben Tage, den dieser am 24. September in Nr. 228 seiner Zeitung Il regime fascista (einer der zwei, vom Präfekten „aus gegebenem Anlass“ beigefügten Ausgaben) veröffentlicht hatte. Am Anfang beider stand die von Farinacci am 12. September mit dem Editorial „Eine schreckliche Anklage“ initiierte antijüdische Kampagne, welches schon mit seiner Überschrift auf die Überschrift eines Artikels vom vorhergehenden Tag über den Parteitag der NSDAP in Nürnberg „Schonungslose Anklage von Goebbels gegen den Bolschewismus“ Bezug nahm (Für den deutschen Minister sei der Jude – so berichtete die Zeitung – „das tödliche Unheil der Welt“ und sogar die Diktatur des Proletariat in der Sowjetunion sei nichts anderes als die „Diktatur des Judentums“). Das Editorial von Farinacci bemerkte zunächst, dass die Demokratie „für immer zum Tode verurteilt ist“ und nur noch „zwei Kräfte sich die Zukunft streitig machen: der Faschismus und der Kommunismus“ ; es ging sodann zur Prüfung des Verhaltens der Juden in Italien über, warnte sie, denn „es entsteht der Eindruck, dass über kurzem ganz Europa Schauplatz eines Religionskrieges sein werde“, und forderte sie auf, ihre „Verantwortlichkeiten“ von denen „aller Juden der Welt zu trennen und „den mathematischen Beweis zu liefern, dass sie erst Faschisten, dann Juden sind“. Die Kommentare der folgenden Tage (häufig begleitet von einschlägigen Briefen von Juden) forderten sie auf, „dafür zu sorgen, dass ihre Vertreter eine größeren faschistischen Geist an den Tag legen“ (17. September) und verlangten von der Union der Gemeinden, „nach den Reden von Goebbels und Rosenberg zu erklären, dass die italienischen Juden nichts mit der jüdischen Internationale zu tun haben“ (17. September), d.h. mit dem „jüdischen Weltparlament von Genf“, bzw. der „Internationale der jüdischen Gemeinden, die unter dem Vorwand der internationalen Verteidigung gegen den Antisemitismus und der internationalen Ermutigung des Zionismus vor allem – wir betonen: vor allem – Politik machen“ (24. September). Farinacci hob sodann hervor, dass Mussolini nicht gezögert habe, die italienischen Vertreter beim Völkerbund zurückzuziehen, „als Genf eine Beleidigung für Italien darstellte“ (24. September), und am 29. September beendete er (in der zweiten, vom Präfekten „aus gegebenem Anlass“ übermittelten Ausgabe) die Kampagne mit drei
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Viertes Kapitel
Briefen unter der – mit Blick auf die Ziele der erzfaschistischen Juden gegenüber der Union gewählten – gemeinsamen Überschrift „Spaltung“ und mit einem Kommentar, der folgendermaßen schloss: „Falls es nicht allen gelungen ist, unsere Haltung zu verstehen – umso schlimmer für sie. Wir möchten nur nicht, dass sie es eines Tages bereuen müssten, es nicht verstanden zu haben, eine so großzügig gebotene Gelegenheit zu nutzen“43. Es macht fast den Eindruck, als ob gerade der Brief Ravennas an Farinacci, der von diesem in der Ausgabe vom 24. September veröffentlicht wurde, den Übergang zu der ausdrücklichen Verkündung des Zieles einer Spaltung markiere. Daneben und begleitend dazu brachten die Artikel in Il regime fascista allerdings Anklagen politischer und religiöser Art gegen alle Juden und vertraten somit – und mit einer für die Halbinsel neuen Härte – einen undifferenzierten Antisemitismus. Im Lichte des Geschilderten kann man zusammenfassen, dass Mussolini es ablehnte, die erste und dann auch die zweite von Ravenna erbetene Audienz zu gewähren, weil er mit der Kampagne von Il regime fascista gegen die Juden und gegen die Union einverstanden war – und sie wahrscheinlich angeregt, vielleicht sogar befohlen hatte44. Der soeben geschilderte Übergang löste im Ausland bei einigen Gelegenheiten Alarm und Reaktionen aus. So hatte beispielsweise am 2. Juli 1936 der Minister für nationale Erziehung Cesare Maria De Vecchi di Val Cismon der Union die Genehmigung verweigert, für die jüdischen Elementarschulen die bis dahin üblichen, von den Passagen direkter oder indirekter katholischer Indoktrination bereinigten „Sonderausgabe“ der „Staatsbücher“ zu veröffentlichen45; Ravenna musste daher die Lehrer auffordern, „bei der Lektüre und im Unterricht jene Seiten oder jene Passagen, welche mit den Ideen oder dem Glauben Israels nicht übereinstimmen sollten, fortzulassen“46. In der Mitteilung, welche Nahum Goldmann Stephen Wise (die beiden waren Präsident des Verwaltungskomitees bzw. des Exekutivkomitees des World Jewish Congress) 43 44 45
46
[R. Farinacci], Chiusura, in: Il regime fascista, 29. September 1936. Zum Kontakt zwischen Farinacci und Mussolini vgl. jetzt ACS, MCP, Gabinetto, 2° versamento, b. 12, fasc. „Regime fascista“, Roberto Farinacci an den Minister für Volkskultur Dino Alfieri, 26. September 1936. AUCEI, Fondo UCII, Attività 1933–47, b. 51B, fasc. „Libri di testo“, sfasc. „1936“, Durchschlag des Briefes des Vorsitzenden der Union Ravenna an den Minister für nationale Erziehung De Vecchi di Val Cismon, 3. Juni 1936; ebd., Minister für nationale Erziehung an den Vorsitzenden der Union, 2. Juli 1936. Ebd., Vorsitzender der Union an die Vorsitzenden der israelitischen Gemeinden, 1. September 1936.
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darüber zukommen ließ, wies er darauf hin, dass man im Begriff stehe, in den italienischen Schulen einen „Skandal“ zu verwirklichen, „der nicht einmal im heutigen Deutschland geschehen könnte, nämlich jüdische Kinder zu verpflichten, Bücher mit christlichen Texten zu benutzen“, und forderte ihn auf, beim neuen italienischen Botschafter Italiens in Washington Fulvio Suvich zu intervenieren47. Es ist derzeit noch nicht bekannt, ob Wise dann so vorging; ich bin jedoch überzeugt, dass es gerade dieser internationale Protest oder Widerhall war, der bewirkte, dass im darauf folgenden Jahr der neue Minister für nationale Erziehung Giuseppe Bottai die Genehmigung zur Änderung der Lektüretexte in drei Klassen erteilte48. In zwei weiteren Fällen ging die italienische Regierung in der Weise vor (und begann damit ein Verhalten, dass sie in der Folgezeit noch mehrmals wiederholen sollte), dass sie Präzisierungen verteilte, in denen einige Aspekte der antijüdischen Agitation und natürlich die Verwicklung der Regierung in diese dementiert wurden. Am 15. September telegrafierte der Minister für Presse und Propaganda Dino Alfieri, der von den besorgten Reaktionen von Harry Warner und Ernst Lubitsch auf den ersten Artikel in Il regime fascista informiert worden war, an den italienischen Konsul in New York: „Es trifft nicht zu, dass italienische Presseorgane eine antijüdische Kampagne eröffnet hätten“49. Zehn Tage später berichtete die Presse in den Vereinigten Staaten (wohl infolge eines offenkundig erscheinenden, wenn auch bisher nicht dokumentierten Eingreifens des besagten Ministeriums), dass die Artikel von Farinacci dessen Standpunkt und nicht denjenigen der Regierung wiedergäben, die – wie 47
48
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Nahum Goldmann an Stephen Wise, 28. Oktober 1936; Brief in den Central Zionist Archives von Jerusalem, L22/351 und auszugsweise in it. Übersetzung veröffentlicht in: S. Minerbi, I prodromi dell’antisemitismo fascista nei documenti dell’Archivio sionistico, in Italia Judaica. Gli ebrei nell’Italia unita, a.a.O., S. 337. Zur Verbreitung dieser Nachricht (v.a., wie es scheint, im Zusammenhang mit dem Eingreifen von Goldmann) vgl. The American Jewish Year Book XXXIX. 5698 (6. September 1937–25. September 1938). Philadelphia 1937, S. 375. AUCEI, Fondo UCII, Attività 1933–47, b. 51B, fasc. Libri di testo, sfasc. „1936“, Minister für nationale Erziehung an die Union der italienischen israelitischen Gemeinden, 29. Mai 1937. Allerdings: „Schwierigkeiten verschiedener Art gestatteten der Union nicht, sich dieser begrenzten Erlaubnis zu bedienen, und deshalb haben seit zwei Jahren die Schulen der Gemeinschaft die Bücher des Staates in der gewöhnlichen Ausgabe übernehmen müssen“ ([F. Jarach], L’attività dell’Unione delle Comunità Israelitiche Italiane nel quinquennio 1933–XI – 1938–XVI. Relazione del Presidente al II Congresso delle Comunità (1938–XVI). Rom 1938, S. 8–9). ACS, MCP, Gabinetto, b. 314, fasc. 78, sfasc. 11, Italienisches Konsulat zu New York an das Außenministerium und an das Ministerium für Presse und Propaganda, 14. September 1936; ebd., Minister für Presse und Propaganda an das italienische Konsulat zu New York, 15. September 1936.
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die New York Times berichtete – „keinerlei Absicht hegt, die Juden anders als irgendwelche anderen Mitglieder der Bevölkerung anzusehen“50. Am Ende des Jahres 1936 schrieb jedoch dasselbe US-amerikanische Blatt in einem Kommentar zu den jüngsten Verordnungen Balbos: The present episode in Tripoli is the first case, in which any government authority either in Italy or her colonies has taken any overt action against the Jews as a group51.
2. Die umfassende Vorbereitung seitens der Regierung und die schwierige Vorbereitung seitens der Juden Der Abschluss dieses Übergangs war nicht etwa Gegenstand amtlicher Verkündungen. Von Anfang an war die Periode der Verfolgung der Rechte der Juden (wie später auch diejenige der Verfolgung ihres Lebens) durch eine komplizierte Mischung aus Öffentlichkeit und Heimlichkeit gekennzeichnet. Ende 1936 allerdings machte Mussolini dann doch ziemlich deutlich die neue Lage klar. In einem nicht gezeichneten Artikel „Il troppo storpia“ [„Was zu viel ist, ist zu viel“] in seiner Zeitschrift Il popolo d’Italia vom 31. Dezember 1936 bezeichnete er erneut – wie schon 1920 und 1928 – den Antisemitismus als „unausweichliche Konsequenz“ von allzu viel „Jüdischem“; diesmal jedoch formulierte er nicht die „Hoffnung“ oder den „Wunsch“, dass sich all dieses in Italien nicht konkretisieren möge52.
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Hostility to Jews not Rome’s policy, in: The New York Times, 26. September 1936; La Campagna di Farinacci non Tende a Creare in Italia l’Antisemitismo, in: Il progresso italo-americano, 27. September 1936; vgl. ASMAE, MAE, AP 1931–45, Stati Uniti, b. 6, fasc. 16. Tripoli flogs Jews to enforce a Curb, in: The New York Times, 21. Dezember 1936. Am folgenden Tag berichtete die Zeitung, dass verlässliche römische Quellen die Möglichkeit einer „anti-Jewish policy on the part of the Italian Government“ ausschlössen („Bias against Jews is denied in Italy“). Wenige Tage später verbreitete die italienische Botschaft in Rom auf Anweisung des Außenministers Ciano dieselbe Auffassung an örtliche Vertreter einer zionistischen Organisation (ASMAE, MAE, Ambasciata d’Italia a Londra, b. 992, fasc. Sionismo 1937, Denkschrift von Benjamin Akzin als Anlage an seinen Brief an die italienische Botschaft in London, 31. Dezember 1936); doch am folgenden 9. Februar überschrieb The Manchester Guardian einen Korrespondentenbericht über Auspeitschungen in Tripolis „Anti-Semitism in Lybia“. Jetzt in B. Mussolini, Opera omnia, a.a.O., Bd. XXVIII (1959), S. 98.
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Diese spärliche Öffentlichkeit53 macht er schwierig, die Merkmale und Absichten, welche die heute bekannten Verfolgungsaktionen jener Monate kennzeichnen, zu rekonstruieren. Im Ergebnis erscheint es – jedenfalls nach Ansicht des Verfassers – nicht immer deutlich, ob die 1936 beschlossene Verfolgung bereits von Anfang an gegen sämtliche Juden gerichtet war oder nicht (so verbreiteten beispielsweise die erwähnten Artikel von Farinacci vom September zwar einen undifferenzierten Antisemitismus, förderten aber gleichzeitig die Bildung einer von der Union abgespalteten nationalfaschistischen jüdischen Gruppierung). Und es ist auch wenig darüber bekannt, von welchen Parteifunktionären und bis zu welchem Punkt die Spaltung nicht nur als Zielsetzung verkündet, sondern tatsächlich als eine solche und nicht bloß als ein divertissement bzw. als ein nützliches Instrument zur weiteren Untergrabung des Judentums oder als eine Art, fürs erste die immer „störenderen“ Besorgnisse und Proteste der faschistischen Juden zu besänftigen oder als eine vorübergehende Lösung (die also nur wenige Generationen von Juden betreffen sollte) angesehen wurde54. Andererseits ist auch nicht immer klar, inwieweit die Befürworter eines undifferenzierten Antisemitismus zu jener Zeit eine rassistische Auffassung auszuarbeiten im Begriff waren oder sich bereits angeeignet hatten, und inwieweit diese – ebenfalls zu jener Zeit – bereits als eine solche nationalen Typs (wobei einer seiner Flügel ja ebenfalls eine Spaltung der Union erhoffen konnte), esoterisch-traditionalistischen Typs oder biologischen Typs gekennzeichnet werden konnte55. 53
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The New York Times hob hervor, dass es das erste Mal sei, dass die Zeitung Mussolinis „a strongly worded article against Jews“ veröffentlicht habe, registrierte aber auch, dass „well-informed circles in Rome say the article was printed on the private initiative of the Popolo d’Italia and can in no way be considered inspired“ („Italian Paper hits Jews, 1. Januar 1937). Gerade für Farinacci galt beispielsweise, dass „da es unvermeidlich sein wird, dass gegen diese treulose Rasse man eines Tages wird Position beziehen müssen, es besser ist, auch als Deckmantel die Aussage bereitzuhalten, dass gegen die ungetreue Haltung der italienischen Juden auch einige Glaubensgenossen selbst aufgetreten sind“; ACS, MCP, Gabinetto, 2° versamento, b. 12, fasc. Regime fascista, Roberto Farinacci an den Minister für Volkskultur Dino Alfieri, 26. September 1936. Zu diesem systematischen Rahmen s. M. Raspanti, I razzismi del fascismo, in: Centro Furio Jesi (Hrsg.), La menzogna, a.a.O., S. 73–89. Vgl. auch Ders., Le correnti del razzismo fascista, in: A. Capelli / R. Broggini (Hrsg.), Antisemitismo in Europa negli Anni Trenta. Legislazioni a confronto. Mailand (Franco Angeli) 2001, S. 238–251. Beschreibung der drei ideologischen (bzw. auch nur rhetorischen) Standpunkte in den rassistischen Zeitschriften der Zeit b. F. Cassata, Molti sani e forti. L’eugenetica in Italia. Turin (Bollati Boringhieri) 2006, S. 20–21, 220–257. Vgl. auch A. Gillette, Racial Theories in Fascist Italy. London (Routledge) 2002.
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Im Hinblick auf diese Haltung der Judenfeindlichkeit ist ergänzend zu erwähnen, dass in der Zwischenzeit die Entwicklung und die Umsetzung des Rassismus sowohl gegenüber den Schwarzen als auch gegen Afrikaner im allgemeinen und gegen die Bewohner von Italienisch Ostafrika (Äthiopien, Eritrea und Somalia) im besonderen, Fortschritte gemacht hatte. Die Politik der Unterscheidung, der Definition als minderwertig, der Hierarchisierung, der Separation und der Entziehung von Rechten (und, dies nur in Italien, der Ausweisung aus dem Territorium) wurde auf unterschiedliche Weise konkretisiert. So wurde beispielsweise im Dezember 1936 endgültig die Aufführung von „mit Negern besetzten Varietédarbietungen“ auf der Halbinsel verboten56. Im folgenden Monat gelangte man sodann zur definitiven Vollendung der politischen und gesetzlichen Wende und zu ihrer völligen Offenbarung: Am 4. Januar legte der Minister für die Kolonien Alessandro Lessona seinen Kollegen den Entwurf eines Gesetzes vor, das – in Italien und in den Kolonien – „eheähnliche Verhältnisse“ zwischen einem „italienischen Staatsbürger“ und einem „Untertanen“ Italienisch Ostafrikas oder einer gleichgestellten Person verbot (d.h. die gemischten Lebensgemeinschaften, die als „madamato“ bekannt waren)57. Der Entwurf wurde in der Sitzung des Ministerrates vom 9. Januar angenommen; bei dieser Gelegenheit wurde beschlossen, die Überschrift des Gesetzes von „Bestimmungen über die Integrität der Rasse“ (wie von Lessona vorgeschlagen) in „Bestimmungen über die Beziehungen zwischen Staatsbürgern und Eingeborenen“ umgeändert58; allerdings tauchte die Redewendung „Verteidigung der Rasse“ in der Pressemitteilung des Ministerrates und damit auch in den Artikeln und oft auch in den Schlagzeilen der Tagespresse vom 10. Januar auf. Der Minister für Presse und Propaganda forderte einen ausgewählten Kreis von Zeitungen auf, die neuen Bestimmungen zu kommentie56 57
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AdS Livorno, Questura, b. 1358, fasc. 47, Telegramm des Chefs der Polizei, welcher „für den Minister“ schreibt, an die Präfekten des Königreiches, 26. Dezember 1936. ACS, PCM, Atti, 1937, MAI, fasc. 135, Entwurf des Kgl. Gesesetzesdekrets „Provvedimenti per l’integrità della razza“ mit zugehörige Bericht und Begleitschreiben vom 4. Januar 1937 des Kabinettschefs des Ministeriums für die Kolonien Meregazzi. Die Verordnung wurde erlassen als Kgl. Gesesetzesdekret vom 19. April 1937 Nr. 880, „Sanzioni per i rapporti d’indole coniugale fra cittadini e sudditi“ und wurde mit Änderungen in das Gesetz vom 30. Dezember 1937 Nr. 2590 überführt. Zur Verordnung und zum „Madamato“ s. insb. B. Sorgoni, Parole e corpi, a.a.O.; G. Gabrielli, La persecuzione, a.a.O., S. 83–140; Ders., Un aspetto della politica, a.a.O. Vgl. auch G. Neppi Modona / M. Pelissero, La politica criminale durante il fascismo, in: L. Violante (Hrsg.), La criminalità. Turin (Einaudi) 1997, S. 797–802. Der Titel wurde auf Wunsch des Finanzministers Paolo Thaon di Revel geändert; ACS, PCM, Atti, 1937, MAI, fasc. 135, Notiz des Ministers der Finanzen, 9. Januar 1937.
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ren59; zu ihnen gehörte La Stampa, die am 9. Januar auf der ersten Seite unter dem Titel „Die Italiener im Kaiserreich. Rassenpolitik“ einen rabiaten Gastbeitrag von Lessona über „die klare und absolute Trennung der beiden Rassen“ veröffentlichte60; auch Mussolinis Il popolo d’Italia schrieb am 10. Januar unter der Überschrift „Energische Maßnahmen zum Schutze der Rasse in den eroberten Ländern“ dem Dekret, das „dem Schutze der Integrität der Rasse“ diene, „außerordentliche Bedeutung“ zu: Das faschistische Italien wünscht in seinen überseeischen Gebieten keine Mestizen-Generationen. […] Heute wird dieses Problem mit einer radikalen und strengen gesetzlichen Maßnahme angegangen, welche durch die höchste Notwendigkeit, die Rasse gegen irreparable Befleckungen zu verteidigen, geboten ist. […] Die italienischen Mütter werden die ungetrübte Gewissheit haben, dass die Söhne, welche ausgesandt sind, das Kaiserreich zu schützen und fruchtbar zu machen, nicht in ihrer physischen und moralischen Gesundheit befleckt werden. Und alle Italiener, die sich in Ostafrika niederlassen, werden den Stolz haben, stets die Überlegenheit ihrer eigenen Rasse zu spüren, sie zu bewahren, sie zu verteidigen, sie in ihrer tausendjährigen reinen Kraft fortzuführen.
Mit dem Erlass von Bestimmungen, die von „reinem“ Rassismus geprägt waren und ausdrücklich (gleichsam bis in den Titel hinein) zur „Verteidigung der Rasse“ bestimmt waren, hatten Mussolini, der Faschismus, die Monarchie und das Land in aller Form eine schreckliche Wende vollzogen. Die nachfolgenden Vorgänge um den Rassismus und um die Verfolgung der Schwarzen gehören nur insofern zum Gegenstand dieser Untersuchung, als sie direkt verwoben sind mit der Verfolgung der Juden, die kurz darauf ebenfalls zu einer „Rasse“ wurden, gegen die man sich natürlich „verteidigen“ musste61. Insofern ist auch darauf hinzuweisen, dass in dem begleitenden Bericht zum Gesetzentwurf vom Januar 1937 Lessona zum Ausdruck brachte, dass das fehlende Verbot von echten „ehelichen Verbindungen“, also von Ehen, „Opportunitätserwägungen in Hinblick auf den grundlegenden Geist der Lateranverträge“ geschuldet sei62, und dass diese „Erwägungen“ offen59 60 61
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„Nur einige Zeitungen sind aufgefordert worden, die Verordnungen über die Kolonien auch zu kommentieren“; ACS, Agenzia Stefani – Manlio Morgagni, b. 70, fasc. IX, sfasc. 2/4. Vgl. L. Goglia, Note sul razzismo coloniale fascista, in: Storia contemporanea XIX Nr. 6 (Dezember 1988), S. 1238–40, und G. Gabrielli, La persecuzione, a.a.O., S. 84–85. Zur Entwicklung des Rassismus gegenüber Schwarzen vgl. immerhin R. Pankhurst, Lo sviluppo del razzismo, a.a.O.; G. Barrera, Mussolini’s colonial race laws and statesettler relations in Africa Orientale Italiana (1935–41), in: Journal of Modern Italian Studies Bd. 8 (2003), Nr. 3, S. 425–43; ferner die beiden in der vorigen Fußn. genannten Aufsätze. ACS, PCM, Atti, 1937, MAI, fasc. 135, Entwurf eines Kgl. Gesesetzesdekrets „Provvedimenti per l’integrità della razza“ und zugehöriger Bericht (dieser fuhr mit der Aus-
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kundig im Laufe des November 1938 ihr Ende fanden, als nämlich der Faschismus ein allgemeines Verbot jeglicher gemischten Eheschließung erließ. Zu erwähnen ist ferner, dass die Diskussion, die sich im April/Mai 1937 in der Parlamentskommission zur Reform des ersten Buches des Zivilgesetzbuches über die Zweckmäßigkeit entwickelte, derartige „eheliche Beziehungen“ (und ebenso die Legitimation und die Adoption von Mischlingen durch Italiener) radikal zu verbieten, mit der Anregung an die Regierung endete, diese Fragen „weniger nach rechtlichen Kriterien [...] als nach politischen Kriterien“ zu regeln, d.h. „eher mit Spezialbestimmungen als feierlich im Zivilgesetzbuch“63; ferner, dass vielleicht gerade infolge dessen die Artikel 1 und 89 des ersten Buches des neuen Zivilgesetzbuches, das dann vom Ministerrat am 9. November 1938 angenommen wurde, die Möglichkeit schufen, „Beschränkungen der Rechtsfähigkeit aufgrund der Zugehörigkeit zu bestimmten Rassen“ und „Beschränkungen [...für] Eheschließungen zwischen Personen, die verschiedenen Rassen angehören“ einzuführen, deren Regelung an „Spezialgesetze“ verwiesen wurde. Und schließlich ist noch zu erwähnen, dass im ersten Halbjahr 1937 förmlich das Bestehen der Regierungsabteilung bestätigt wurde, welcher zwölf Monate später förmlich auch die „Rassen“-Politik übertragen werden sollte. Eigentlich war bereits 1935 auf Aufforderung von Mussolini64 im Innenministerium beim Generaldirektorium für öffentliches Gesundheitswesen eine Spezialbehörde für die Untersuchung demographischer Probleme eingerichtet worden, welche den offiziellen Auftrag hatte, sich mit Eheschließungszif-
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sage fort, dass die besagten Ehen ohnehin mit „polizeilichen Maßnahmen, […] politischen Sanktionen, [...] Disziplinarmaßnahmen“ behindert werden würden). Il popolo d’Italia v. 10. Januar 1937 erläuterte das fehlende Verbot von Misch-Ehen mit Hinweis auf „Erörterungen verschiedener Art“, hinter denen das wirkliche Motiv zu erkennen freilich nicht schwer war. Tatsächlich hatte 1937 der Heilige Stuhl offiziell bei der italienischen Regierung wegen der „Beziehungen zwischen Weißen und Schwarzen“ interveniert und auf die „von der Kirche geäußerten Sorgen im Hinblick auf die Entstehung von Mischlingen“ hingewiesen; doch derzeit sind das Datum, der Kontext und die genauen Inhalte dieser Intervention noch nicht bekannt [A. Martini, Studi sulla questione romana e la conciliazione. Rom (Cinque Lune) 1963, S. 185]. „Atti della commissione parlamentare chiamata a dare il proprio parere sul progetto del libro primo del Codice civile „delle persone“ (Akten der Parlamentskommission zur Stellungnahme zum ersten Buch des Zivilgesetzbuchs „Von den Personen“). Rom 1937, S. 349–351, 359, 483, 761; Zitat auf S. 483. Die Diskussion in der Kommission ist von beachtlicher Bedeutung für die Geschichte des italienischen Rassismus, auch deshalb, weil sie die einzige heute noch dokumentierte Gelegenheit der Auseinandersetzung mit diesem Thema zu sein scheint. ACS, SPD, CO (1922–43), b. 825, fasc. 500.014/1, Kopie des Vermerks des Regierungschefs für den Unterstaatssekretär des Innenministeriums, 15. Juli 1935.
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fern, Fehlgeburten, Kindersterblichkeit usw. und allgemeiner mit „Bevölkerungsproblemen“ zu befassen65. Am 3. März 1937 bemerkte dann der Große Faschistische Rat, dass „das demographische Problem [...] in Wirklichkeit das Problem aller Probleme ist“, und beschloss, die betreffende Aktion zu erneuern und zu intensivieren, indem er der Regierung verschiedene Regelungen empfahl, darunter die Bewilligung von wirtschaftlicher Unterstützung für frisch Verheiratete und für kinderreiche Paare, die Zuerkennung des Vorrangs für Familienväter bei Anstellungen, die Errichtung eines „zentralen Organs zur Kontrolle und zur Beförderung der Politik des Regimes im demographischen Bereich“66. So wurde mit Kgl. Dekret vom 7. Juni, Nr. 1128, die im Jahre 1935 eingerichtete Spezialbehörde förmlich in „Demographisches Zentralamt“ umbenannt, mit deutlich erweiterter Autonomie, Struktur und Funktion versehen und weiterhin mit Untersuchungs- und Handlungsaufgaben im demographischen Bereich ausgestattet67. In der Zwischenzeit hatte am 17. April 1937 der Corriere della sera einige Regierungsentscheidungen zur Konkretisierung der jüngsten Anweisungen des Großen Faschistischen Rates über die oben genannten wirtschaftlichen Unterstützungen unter der über die ganze Breite reichenden Schlagzeile „Der Ministerrat für die Verteidigung der Rasse“ bekannt gemacht. Die Förderung der weißen Geburten und die Unterdrückung der gemischten Geburten waren somit durch eine einheitliche Terminologie bezeichnet. Dies deshalb, weil Mussolini sich sehr wohl der Tatsache bewusst war, dass sie nichts anderes als die entgegengesetzten Seiten einer einzigen, immer stärker zusammenhängenden Politik waren68.
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G. Tosatti, Il Ministero dell’interno, a.a.O., S. 172. Vgl. auch A. Treves, Le nascite, a.a.O., S. 269–270. Zitiert b. C. Ipsen, Demografia totalitaria, a.a.O., S. 244–47. Vgl. auch A. Treves, Le nascite, a.a.O., S. 260–62. C. Ipsen, Demografia totalitaria, a.a.O., S. 247; G. Tosatti, Il Ministero dell’interno, a.a.O., S. 190; A. Treves, Le nascite, a.a.O., S. 270–72. Ende Mai 1937 begab sich auf Einladung vom Februar 1936 [sic.] des Chefs des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP eine Delegation zu Besuch nach Deutschland; doch hatte dies keinerlei Einfluss auf die Entwicklung der italienischen antijüdischen Politik; die betreffenden Dokumente finden sich in: ASMAE, MAE, AP 1931–45, Germania, b. 56, fasc. 3; ACS, MCP, Direzione generale propaganda, b. 324 bis, fasc. „Germania“, sfasc. „1936“, ins. 19 e 41; G. Della Chiesa d’Isasca, La visita di una delegazione italiana in Germania per questioni demografico-razziali (maggio–giugno 1937), in: Clio XXXIX Nr. 1 (Januar–März 2003), S. 103–121; M. Toscano, Ebraismo e antisemitismo, a.a.O., S. 177–178, Fußn. 9. Gleiche Bewertung verdient der Besuch des deutschen Amtes in Italien im Juni 1938 auf Einladung des Zentralamtes für Demographie des Innenministeriums; s. neben dem oben Ausgeführten M. Michaelis, Mussolini e la
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In diesem Zusammenhang wurden Ende März 1937 – während die Buchhandlungen dazu übergingen, die antisemitischen Protokolle auszulegen (und zu verkaufen)69 – zwei antijüdische Schriften veröffentlicht, welche beide von prominenten Autoren stammten, jedoch durch unterschiedliche Ausrichtung gekennzeichnet waren. Das erste war die Kampfschrift Gli ebrei in Italia von Paolo Orano, in dessen Text u.a. die anscheinend nicht nützliche Bemerkung enthalten war, es sei zumindest im September 1936 (also zur Zeit der Artikel in Il regime fascista) entworfen worden70. Die nahezu einzige Zielsetzung des
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questione ebraica, a.a.O., S. 155–56; United Restitution Organisation, Judenverfolgung in Italien und den italienisch besetzten Gebieten in Nordafrika. Frankfurt am Main 1962, S. 14. „Der Antisemitismus in Italien verschärft und verbreitet sich mit offenkundigem Wohlwollen der Regierung. Gäbe es dieses Wohlwollen, mitunter offen, mitunter verschwiegen, nicht, so könnte man gewiss nicht in allen Buchgeschäften des Königreiches gewisse verleumderische Publikationen gegen die Juden verkaufen. Ich nenne Dir nur zwei davon; Ich weiß nicht, ob es noch weitere gibt. 1. „Protokolle der Weisen von Zion“, Verlag Vita Italiana in Rom. 2. „Gold“, Roman von H. Wast. […] Mein Buchhändler sagt mir, dass die beiden Publikationen reißenden Absatz finden, und er glaubt, dass von den „Protokollen“ (die in italienischer Übersetzung bereits vor ca. 10 Jahren veröffentlicht worden sind) bereits eine Neuauflage in Vorbereitung ist (AUCEI, Fondo UCII, Attività 1933–47, b. 85C, fasc. „1940“, sfasc. „Professionisti“, Giuseppe Cheftel an Federico Jarach, 15. April 1937). Es handelte sich um Exemplare die zur Ausgabe von 1921 gehörten, die beim Verleger im Februar 1937 und bei den Buchhandlungen im darauf folgenden Juli vergriffen war (vgl. G. Fabre, L’elenco, a.a.O., S. 41, Fußn. 2). Der vom Buchhändler gegenüber Cheftel angekündigte Neudruck wurde in der ersten Oktoberhälfte veröffentlicht: „L’internazionale ebraica. I ‘Protocolli’ dei ‘Savi Anziani’ di Sion, ‘16°–25° migliaio’“. Rom. La vita italiana 1937. Zu den verschiedenen Ausgaben der Protokolle in Italia vgl. o. Kap. I, Fußn 48 und die dort angegebenen Bücher; zu den Ausgaben des Jahres 1938 s. auch A. Goldstaub, Rassegna bibliografica dell’editoria antisemita nel 1938, in: RMI LIV Nr. 1–2 (Januar–August 1988, Sonderheft, hrsg. von M. Sarfatti unter dem Titel „1938 le leggi contro gli ebrei“), S. 427–28, 430, sowie C. G. De Michelis, Il manoscritto, a.a.O., S. 161. Am 12. Mai 1938 forderte das Generalkommando der Freiwilligen Miliz für die nationale Sicherheit die „Schwarzhemden“ auf, es zu kaufen (mit 30% Nachlass); vgl. R. Segre (Hrsg.), Gli ebrei a Venezia 1938–1949. Una Comunità tra persecuzione e rinascita. Venedig (Il Cardo) 1995, S. 29; La lumière, 5. August 1938 (verwahrt in: Archivio della Fondazione Feltrinelli, Fondo Angelo Tasca, Italia, Italia fascista/Politica, b. 17, fasc. 2). Im Sommer 1938 wurde eine Auflage von 15.000 Exemplaren zu einem mäßigen Preis veröffentlicht, die für die Sitze des PNF, für militärische Vereine, für Schulbibliotheken usw. bestimmt waren [„L’internazionale ebraica. I ‘Protocolli’ dei ‘Savi Anziani’ di Sion“, 36°–50° migliaio. Rom (La vita italiana) 1938, S. 7; G. Fabre, L’elenco, a.a.O., S. 85]. P. Orano, Gli ebrei in Italia. Rom (Pinciana) 1937; zur Bezugnahme auf den September 1936 vgl. S. 79. Zum Datum des Drucks vgl. M. Michaelis, Mussolini e la questione ebraica, a.a.O., S. 121; U. Nahon, Rapporto confidenziale all’Esecutivo Sionistico, giugno 1937, in: D. Carpi / A. Milano / A. Rofè (Hrsg.), Scritti in memoria di Leone Carpi, a.a.O., S. 263 (die erste Rezension ist m.W. die vom 4. April 1937 in der Gazzetta del popolo). Das Büchlein erlebte eine veränderte und erweiterte Neuauflage in der
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schmalen Buches war es, die Eigenschaft als unveränderliche Feinde des totalitären faschistischen Italiens (die schon seit einiger Zeit den zionistischen Juden zugeschrieben wurde) auch den „judaisierenden“ Juden zuzuschreiben, also jenen Juden, die sich nicht ausschließlich über die Beachtung der religiösen jüdischen Rituale definierten, sondern eine jüdische Identität und ein gewisses kollektives Bewusstsein bewahrt hatten und daher u.a. den deutschen Flüchtlingen zu Hilfe kamen, das nazistische Deutschland kritisierten und sich gegen das Bündnis zwischen den beiden Diktaturen aussprachen71. An diese wandte Orano sich aus einer Sicht, die derjenigen, welche Il regime fascista eingenommen hatte, nicht unähnlich war, mit folgenden Worten: Jetzt ist die Stunde der Klärung gekommen, die nicht mehr dieselbe sein kann, wie die erwähnte der jüdischen Gemeinden vom Februar 1934, dem Jahre 12. Töricht und unmenschlich sind die Prahlereien der Judaisierenden. Was ich sage und verlange, wird von vielen Juden Italiens gefordert, die verstehen, dass bei Fortdauern der Unklarheit, bei Aufschiebung des Problems sich noch strengere Beschlüsse vorbereiten, denn das Schicksal ist streng. Es ist das Problem, das behoben werden muss. Das faschistische Italien will es nicht. Jedes weitere Reden wäre überflüssig72.
Die zweite Schrift war ein Artikel von Telesio Interlandi mit dem Titel „An den Rändern des Rassismus. Der Mischling als Abweichler“ in seiner Tageszeitung Il Tevere vom 29. März 1937 (vielleicht gerade an dem Tag, an dem auch die ersten Exemplare der Kampfschrift von Orano ausgeliefert wurden).
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ersten Dezemberhälfte 1937 [vgl. A. Calò, Stampa e propaganda antisemita del regime fascista prima delle leggi razziali (1936–1938)], in: F. Del Canuto (Hrsg.), Israel „Un decennio“, a.a.O., S. 156–57. Vgl. z.B. P. Orano, Gli ebrei, a.a.O., S. 166–167, 188–189. Von den beiden hauptsächlichen – untereinander widersprüchlichen – Rezensionen des Buches von Orano unterstrich die eine den Angriff auf die „judaisierenden“ Juden – [D. Lattes], Un libro sugli ebrei in Italia, in: Israel XXII Nr. 27 (15. April 1937); zur Zuschreibung vgl. U. Nahon, Rapporto confidenziale, a.a.O., S. 264 – und die andere die Unmöglichkeit für den Faschismus, „den offenen Protest der Juden Italiens gegen den deutschen Rassismus“ zu akzeptieren. (O. De Gregorio, Gli ebrei in Italia, in: Il popolo d’Italia, 25. Mai 1937). In seiner Antwort auf eine Rezension des Buches von Orano bekräftigte der „Bandierist“ Ettore Ovazza: „Es bleibt das Problem der in ihren Ländern verfolgten Israeliten. Wir haben stets die Auffassung vertreten, dass diese Unglücklichen auf internationalem Terrain, in ihren Herkunftsländern, in ihren jeweiligen Vaterländern verteidigt werden müssen, denn niemand kann aus seiner Nation nur deshalb vertrieben werden, weil er sich zu einer anderen Religion bekennt als die Mehrheit“ (Gazzetta del popolo, 8. April 1937). P. Orano, Gli ebrei, a.a.O., S. 221. Der Autor hatte diese Warnung bereits während der Abfassung des Buches Ettore Ovazza mitgeteilt: „Es ist ein strenges und rohes Buch, wie es sich für einen Faschisten und für eine Dokumentation des Interesses gehört, das ich seit 40 Jahren dem Problem der Juden in Italien widme, welches aufhören muss, ein Problem darzustellen“ (ACDEC, Fondo Ettore Ovazza, b. 1, fasc. IX, Paolo Orano an Ettore Ovazza, 4. November 1936).
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Formal richtete der Artikel sich gegen jene „Dissidenten“, die den Rassismus gegen die Schwarzen ablehnten; im letzten Teil freilich behauptete er, dass diese mehr durch ihr „Blut“ als durch Gedanken motiviert würden, und dass es sich um Juden oder um Halbjuden oder um als Christen verkappte Juden [...] oder um Vierteljuden oder um Italiener, die mit Jüdinnen verheiratet sind, oder um Jüdinnen, die einen italienischen Ehemann und damit einen italienischen Namen haben, handelt. [...] Leute [, die] sich gefragt haben, ob in einem bestimmten Zeitpunkt und aus höheren und „kaiserlichen“ Notwendigkeiten eine rassistische Politik, d.h. eine Politik der Verteidigung und Stärkung der Rasse, nicht zu einer Politik der „Säuberung der Rasse“, auch durch gesetzliche Maßnahmen, werden könnte [d.h. „Leute“, die aus Angst oder aus Abneigung gegenüber dieser „Säuberung“ zu „Dissidenten“ geworden sind].
Die beiden Schriften zeigten unterschiedliche Einstellungen: Orano schien an die Möglichkeit zu glauben, dass die Juden selbst (nämlich die erzfaschistischen) zur „Beseitigung des Problems“ beitragen könnten, Interlandi hingegen zeigte sich überzeugt von der biologischen Verschiedenheit des jüdischen Blutes, auch wenn es sich nur um ein „Viertel“ handelte, und er kündigte „gesetzliche Maßnahmen“ gegen diejenigen an, die es besaßen. Der Einfluss dieser Positionen wurde bereits damals von einem ausländischen Juden73 wahrgenommen, während ihre Abweichung voneinander von einem italienischen Juden, der wegen Antifaschismus im Gefängnis saß, bemerkt wurde74. Die beiden Positionen waren Ausdrucksformen einer Debatte, eines Gegensatzes, vielleicht auch von Spannungen, welche sehr kompliziert waren und noch immer darauf warten, rekonstruiert zu werden. Insoweit muss man sich vor Augen führen, dass einerseits das Buch von Orano ein solches Echo und solche Zustimmung fand, dass es als direkt von Mussolini in Auftrag gegeben angesehen wurde75, dass aber andererseits in einer Tagebuch-Quelle bemerkt wird, 73 74 75
J. Starr, Italy’s Antisemites, a.a.O., S. 114, 118–123. Vgl. auch M. Michaelis, Mussolini e la questione ebraica, a.a.O., S. 121–122, 126–127; G. Fabre, L’elenco, a.a.O., S. 43–47. V. Foa, Lettere della giovinezza, a.a.O., S. 220–21 (16. April 1937), 225–226 (30. April). Umfassend zur antijüdischen Pressekampagne inzwischen R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 214–217; A. Calò, Stampa, a.a.O., S. 128–132, 146 ff. Vgl. A. Spinosa, Le persecuzioni razziali in Italia, Parte I: Origini, in: Il ponte VIII Nr. 7 (Juli 1952), S. 975; M. Michaelis, Mussolini e la questione ebraica, a.a.O., S. 121. Dieses Urteil war von mir in dem Aufsatz übernommen worden, welche der Ursprung des gegenwärtigen Buches gewesen ist; M. Sarfatti, Gli ebrei negli anni del fascismo: vicende, identità, persecuzione, in: C. Vivanti (Hrsg.), Gli ebrei, a.a.O., Bd. II, S. 1674; es ist jedoch bestritten worden von G. Fabre, L’elenco, a.a.O., S. 44–47. In der Tat scheint mir heute (auf der Grundlage einer Neubewertung der bekannten Dokumente und dessen, was weiter unten im Text ausgeführt werden wird, und auch der Worte, mit denen Orano eine Rezension von Il popolo d’Italia forderte: „[das Buch] wurde im Vo-
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der Diktator habe geäußert, er stimme weder mit Orano noch mit der positiven Rezension von dessen Buch in seinem Il popolo d’Italia überein76, und er habe hinzugefügt, dass die Frage „auf rassischer Ebene“ behandelt werden müsse und nicht auf der „politischen oder religiösen“77. In der Tat war dies die in ihm selbst herangereifte Einstellung, und in diesem Sinne äußerte er sich in einem anonymen Artikel mit der Überschrift „Davar“ in der Ausgabe derselben Zeitung vom 19. Juni 1937: Indem es die Rasse mit der Religion und die Religion mit der Rasse hat zusammenfallen lassen, hat Israel sich von der „Befleckung“ durch die anderen Völker gerettet. [...] Der Rassismus Israels ist ein besonders erfolgreiches Beispiel, das seit Jahrtausenden anhält, und er ist ein Phänomen, das tiefe Bewunderung hervorruft. Die Juden haben aber keinerlei Recht, sich zu beklagen, wenn auch die anderen 78 Völker ihren Rassismus haben .
Diese Worte beweisen noch keine Entscheidung zwischen den verschiedenen Rassismen, also auch nicht eine Befürwortung des mehr esoterischen als biologischen Rassismus Interlandis. Allerdings stehen sie in völliger Übereinstimmung mit dem ersten politischen Akt gegenüber den Juden in jener Zeit: Am 21. Mai 1937 lehnte Buffarini Guidi auf Anweisung von Mussolini die infolge des Todes von Ravenna erfolgten Rücktritte der Ratsmitglieder der Union vom vorher gehenden 6. April ab und forderte sie auf, bis zum natürlichen Ablauf ihres Mandats im März 1938 im Amt zu bleiben79. Bedenkt man, dass die „Bandieristi“ – die sich seit dem 24. Januar 1934 im Komitee der Italiener jüdischen Glaubens konstituiert hatten“ – bereits am 21. März die Auflösung des Rates der Union und die Ernennung eines ihrer Vertreter zum Kommissar gefordert hatten und dass sie sich am 8. April erneut an das Innenministerium gewandt hatten und dabei die Annahme der gerade erfolgten Rücktritte und die daraus folgende kommissarische Verwaltung der Union als
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raus in einschlägigen Gesprächen mit dem Duce besprochen“; ACS, Fondo Giorgio Pini, sc. 13, Paolo Orano an Giorgio Pini, 27. Aprile 1937) die Annahme möglich, dass der Autor, nachdem er 1936 einen tatsächlichen Auftrag oder eine ausdrückliche Ermutigung von Mussolini erhalten hatte, das Buch zu schreiben, entweder das Denken des Diktators oder dessen weitere Entwicklung falsch verstanden habe. G. Pini, Filo diretto con Palazzo Venezia. 2. Aufl. Mailand (Fpe) 1967, S. 127 (Anmerkung vom 31. Mai 1937), 116 (7. April 1937). Zur Rezension s.o. Fußn. 71. Ebd. und S. 112 (23. März 1937), 130 (8. Juni 1937, für das Zitat). Jetzt auch in: B. Mussolini, Opera omnia, a.a.O., Bd. XXVIII (1959), S. 202–203. U. Nahon, Rapporto confidenziale, a.a.O., S. 272–273; R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 230. Der von Buffarini Guidi unternommene Schritt wurde unmittelbar dem Innenminister (d.h. Mussolini) zugeschrieben; vgl. den diesbezüglichen Artikel und die darauf folgende Erklärung der Union in: Israel XXII Nr. 34–35 (4.–11. Juni 1937), 36– 37 (17.–24. Juni 1937).
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sicher vorausgesetzt hatten80, so erscheint es offenkundig, dass Mussolini keinerlei Interesse an einer Änderung der Personallage und der politischen Linie an der Spitze dieser Organisation hatte. In der Zwischenzeit hatten die Vertreter des neuen Komitees, als Antwort auf die schwerwiegenden Folgerungen der Rezension des Buches von Orano in Il popolo d’Italia vom 25. Mai – die Juden Italiens müssten sich „entweder als Feinde (wohlgemerkt: als Feinde) des freimaurerischen, subversiven und umstürzlerischen und vor allem antifaschistischen internationalen Judentums erklären […] oder auf die italienische Staatsbürgerschaft und auf den Wohnsitz in Italien verzichten“ – sich am 30. Mai in Florenz versammelt und eine Resolution angenommen, in der sie erklärten, sie seien „eindeutig Feinde jeglicher, jüdischen oder nichtjüdischen, freimaurerischen, subversiven [usw.] Internationale“, sie betrachteten das Judentum als ein „bloßes religiöses Faktum“ und sie hätten „nichts gemein mit dem Zionismus und der Wochenzeitschrift „Israel“81. Die Resolution war an Il popolo d’Italia und an den Corriere della sera gerichtet, die sie am 5. Juni veröffentlichten; doch dürfte dies nur eine positive Bewertung der Aktion der Unterzeichner, nicht aber eine Unterstützung für deren Projekt zur Führung der Union bezeugen. Indessen hatte die Gleichsetzung Juden = Rasse begonnen, sich in der Führung der Partei und des Landes zu verbreiten. Gerade auf jenen Juni 1937 geht zum einen die Aushändigung einer langen Liste durch den Präsidenten der Provinz Triest an Mussolini zurück, worin die von den Juden der Stadt Triest (die auf der Grundlage „der Rasse und nicht der von ihnen bekannten Religion“ identifiziert worden waren82) vertretenen politischen, administrativen, ökonomischen und sozialen Positionen aufgeführt waren; zum anderen die Äußerung seitens des Verantwortlichen der Generaldirektion der italieni80
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ACS, SPD, CR (1922–43), cat. 480/R, b. 146, fasc. 398, Kopie des Briefes des Komitee der Italiener jüdischen Glaubens an die Generaldirektion für die Kulte des Innenministeriums, 8. April 1937, und beiliegende Dokumente. Im September 1936 hatten die „Bandieristi“ öffentlich die Tatsache beklagt, dass die Regierung noch nicht eingegriffen habe, um sie gegen die Leitung der Union zu unterstützen und diese zum Rücktritt zu zwingen; La nostra bandiera III Nr. 17 (16. September 1936), S. 4. ACDEC, AG, cat. 13B, fasc. „Generale“, gedrucktes Rundschreiben des Komitee der Italiener jüdischen Glaubens mit der Überschrift A tutti i Correligionari d’Italia („An alle Glaubensgenossen Italiens“), 30. Juni 1937; zur Rezension s.o. Fußn. 71. AdS Trieste, Prefettura, Gabinetto, b. 363, Verzeichnis und begleitende Anmerkung Per memoria, datiert vom 17. Juni 1937, daraus das Zitat; Vgl. auch E. Ginzburg Migliorino, Il censimento degli ebrei, a.a.O., S. 33–34; G. Fabre, A proposito dell’antisemitismo amministrativo fascista dell’inizio del 1938, in: L. Canfora (Hrsg.), Studi sulla tradizione classica per Mariella Cagnetta. Rom, Bari (Laterza) 1999, S. 230.
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schen Presse beim Ministerium für Volkskultur, die Juden seien gekennzeichnet durch einen „Internationalismus, der ihrer Rasse angeboren ist“83. Und in der Zwischenzeit setzte sich die Ansammlung von einflussreichen Zustimmungserklärungen gegenüber der neuen antijüdischen Orientierung84 sowie die umfassende Aktion der Blockierung von Übertragungen neuer Positionen an Juden oder von Beförderungen von Juden fort. Interessant ist in diesem Zusammenhang die besondere Anwendung der Automatismen auf die Karriere eines hohen Offiziers, welche 1938 folgendermaßen formuliert wurde: „Der General der Pioniere Levi Ugo wurde bei der Beförderung zum Divisionsgeneral (1. Juli 1937) aus offenkundigen Gründen nicht mit dem Kommando einer Division betraut, sondern ist weiterhin dem Inspektorat der Pioniere zugeteilt“85. Im April 1937 hatte der Minister für die Kolonien Lessona an Graziani telegraphiert: […] ohne dass man in einen eigentlichen Antisemitismus verfällt, soll verhindert werden, dass Juden Posten und Ämter von größerer Bedeutung bekleiden86.
Man muss sich auch weiterhin vor Augen halten, dass diese Verbreitung von oben und diese „angespornte Anpassung“ sich mit einer gleichen Bewegung in entgegen gesetzter Richtung kreuzten. Es ist bemerkt worden, dass
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ACS, MCP, Gabinetto, b. 12 (neue Nummerierung), fasc. „Razzismo – appunti vari, Appunto per il Duce“ der Generaldirektion für die italienische Presse des Ministeriums für Volkskultur, 9. Juni 1937; berichtet in: G. Fabre, L’elenco, a.a.O., S. 48. Die Notiz wies darauf hin (ohne jedoch eine ausdrückliche Antwort zu erlangen), dass entschieden werden müsse, ob „man nur eine besondere Atmosphäre um die Juden schaffen will [… oder auf sie] moralischen Druck ausüben will [… oder] das Terrain bereiten will für die Entfernung der Juden aus jenen Befehlspositionen, welche sie im nationalen Leben einnehmen“. Am 20. März 1937, kurz vor der Veröffentlichung des Buches von Paolo Orano, machte der Gouverneur der Banca d’Italia Vincenzo Azzolini seine eigene Position deutlich indem er dem Regierungschef zwei in der deutschen Presse erschienene antisemitische Artikel zur Kenntnis brachte; der Brief Azzolinis begann mit den Worten: „Ich habe die Ehre, Eurer Exzellenz – in der Annahme, dass es für Sie nicht ohne Interesse sein könnte – den Auszug … beizufügen“ [S. Gerbi, Beniamino Franklin antisemita? Un falso della propaganda nazista, in: Passato e presente XII Nr. 36 (September–Dezember 1995), S. 129]. AUSSME, rep. H9, rac. 2, „Promemoria per S. E. il capo del governo“, verfasst vom Kabinettschef des Kriegsministers, 28. Juni 1938. Fondo Rodolfo Graziani, sc. 46, fasc. 41, sfasc. 13, Lessona a Graziani, 16 aprile 1937. Lessona schrieb „Ich wäre der Auffassung“ und „gern werde ich auch die Ansicht Eurer Exzellenz zur Kenntnis nehmen“; Graziani wandte die Direktive jedoch ohne Zögern an.
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Viertes Kapitel die antisemitische rassistische Politik durch den autonomen Willen Mussolinis angeordnet worden ist, sie aber auch den Druck aufgriff, der von den im Apparat und in den Rängen der Partei verbreiteten Stimmungen ausging87.
Was die Juden anging, so nahmen sie die zunehmende Verschlechterung ihrer Lage in der italienischen Gesellschaft wahr, akzeptierten aber nur schwer den Gedanken, dass die Verfolgung sich ihnen immer mehr näherte. Zur Verhinderung der Einsicht in ihre Lage leisteten einen Beitrag die in den 15 Jahren der Diktatur gewachsene Abstumpfung, ein unkritisches Vertrauen in die zunehmende Zivilisierung der Menschheit, das tiefsitzende Selbstverständnis aller als Italiener, der Faschismus einiger und der Patriotismus vieler von ihnen, das unklare öffentliche Verhalten des Diktators (der nicht nur gegenüber der Union die bereits erwähnte Haltung einnahm, sondern auch beschloss, keine offiziellen Maßnahmen gegen die zionistische Vereinigung zu ergreifen). Eines der wenigen heute bekannten Zeugnisse darüber, wie die damaligen Juden dachten, zeigt jedoch, dass Voraussicht zwar schwierig, aber nicht unmöglich war. Vittorio Foa, der wegen Antifaschismus im Gefängnis saß, schrieb bereits im April 1937 in einem Brief an seine Eltern von der Möglichkeit „mancher amtlicher Maßnahmen, manches numerus clausus, mancher grundlosen Kränkung“. Acht Monate später wurde er genauer: Es ist gut, wenn man auf manche liebenswerte Neuigkeit vorbereitet ist (es sei denn, was nicht unmöglich ist, dass eine Änderung der Richtung eintritt). Keine schwerwiegenden Dinge: Einschränkungen und Ausschlüsse vom öffentlichen Dienst, numerus clausus bei freien Berufen und in höheren Schulen, ein wenig Geschrei, einige Mauerinschriften, ein wenig zerbrochenes Glas von Geschäften. Wir werden im klassischen Stil des Abendlandes bleiben – es ist schwer vorzustellen, 88 dass Blut fließen wird .
Diese warnenden Hinweise sind das Ergebnis einer Hellsichtigkeit und einer Fähigkeit zur Analyse, die nicht durch Eisengitter eingesperrt werden konnten. Von gleicher Qualität sind auch die Hinweise, die Foa zehn und zwanzig Monate später erneut an seine Eltern sandte: Ich habe große Angst, dass im Falle eines Krieges die antisemitische Verfolgung sehr viel heftiger betrieben werden wird und zu spürbaren Beschränkungen der persönlichen Freiheit führen wird, die eine gefährliche Entwicklung nehmen könnten. In einem Roman von Franz Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, habe ich eine ziemlich getreue Beschreibung dessen gefunden, was die Behandlung der Juden in Mitteleuropa und vielleicht auch in seinen Ausläufern [Italien] wäre, wenn es 87 88
A. Ventura, La svolta antiebraica nella storia del fascismo italiano, in: A. Capelli / R. Broggini (Hrsg.), Antisemitismo, a.a.O., S. 233. V. Foa, Lettere della giovinezza, a.a.O., S. 227 (30. April 1937), 331–332 (17. Dezember 1937).
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zum Ausbruch eines Krieges gegen das Abendland kommen sollte. Es ist die Beschreibung der Deportation und der Massaker an den Armeniern seitens der Türken im Sommer 191589.
Wie der antifaschistische italienische Jude war auch der leitende Zionist David Ben Gurion in eben jenem Sommer 1939 der Meinung, dass der kurz bevorstehende Krieg schwerwiegende Folgen haben werde: There may be a war which will visit upon us catastrophe [shoah]. If there is a world war […] he [Hitler] will do this thing, destroying first of all the Jews of Eu90 rope .
Im Laufe des Jahres 1937 verbreitete das Komitee der Italiener jüdischer Religion (zu dessen Exekutivausschuss auch Max Ravà und Ettore Ovazza gehörten) sich weit über die Halbinsel, wobei es Anhänger sowohl unter den einfachen Mitglieder als auch unter der Mehrheit der Gemeinderäte gewann. Von diesen hatten sich Ende Juni diejenigen der mitgliederstärksten Gemeinde (Rom), eine der drei mittelgroßen (Turin, nicht aber Mailand und Triest), zwei der fünf mittleren (Florenz und Livorno, nicht aber Genua und Fiume; Venedig bildete einen Sonderfall) sowie etwa die Hälfte der mittelkleinen und kleinen Gemeinden angeschlossen91. Da der Anhängerschaft oder Nicht-Anhängerschaft der Ratsmehrheiten der acht größten Gemeinden regelmäßig eine niedrige (2–6%) bzw. hohe (15–30%) prozentuale Zahl an Juden Mittel- und Osteuropas entsprach92, scheint die Aussage erlaubt, dass gerade das beachtliche Vorhandensein von Flüchtlingen mit ihrem stets unterschiedlichen Verständnis vom Jude-Sein und mit ihren schmerzlichen Zeugnissen von weit mehr entwickelten nationalen Antisemitismen dazu beitrug, in den führenden jüdischen Kreisen die Prozesse zunehmender Abschwächung der jüdischen Identität und ihres Zurücktretens hinter der nationalitalienischen Identität zu behindern.
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Ebd., S. 491 (28. September 1938), 645 (2. Juli 1939). S. Teveth, Ben-Gurion and the Holocaust. New York, San Diego, London (Harcourt, Brace and Co) 1996, S. XXXVI (Ansprache vom 26. Juni 1939 vor dem Zionist Actions Committee). Vgl. das o. Fußn. 81 zitierte Rundschreiben. Zum Beitritt einer Gruppe von italienischen Juden in Kairo s. A. Scarantino, La Comunità ebraica in Egitto, a.a.O., S. 1070– 1071. Zum Wachstum der „Bandieristi“ in Florenz von 1934 bis 1937 s. A. Minerbi, La Comunità, a.a.O., S. 135–147; zu ihrer Aktion in Rom s. F. Del Regno, Tendenze politiche, religiose e culturali nella Comunità ebraica di Roma tra il 1936 e il 1941, in: Zakhor Nr. V (2001–2002), S. 88–95. K. Voigt, Considerazioni sugli ebrei immigrati in Italia, in: F. Sofia / M. Toscano (Hrsg.), Stato nazionale, a.a.O., S. 232–33. Vgl. auch K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. I, S. 518–519; Zuflucht, a.a.O., Bd. I, S. 607–608.
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Letztlich war der Erfolg des Komitees einem Bündel von Faktoren allgemeiner und lokaler Art geschuldet. Allgemein lässt sich sagen, dass es eine Art von Floß bildete, das aus „Bandieristen“ bestand, aber auch weniger faschistisch gesinnte Juden aufnahm und, ohne aus dem stürmischen faschistischen Meer hinaus zu gelangen, das Recht der Einzelnen auf gleichzeitige Beibehaltung ihres Italienertums, ihres Faschismus und ihres Judentums zu bewahren versuchte. Einige von ihnen formulierten ihre Positionen in Briefen, welche von Il regime fascista im September 1926 und von Il popolo d’Italia im Juni 1937 veröffentlicht wurden93. Hierzu ist zu bemerken, dass die faschistischen Juden, indem sie auf keines dieser Merkmale verzichten wollten, sich praktisch gezwungen sahen, für die Judenfeindlichkeit außerfaschistische und außeritalienische Gründe anzunehmen. Insoweit ist von großem Interesse das Editorial mit der ausdrücklichen Überschrift „Offensive ausländischer Pressionen, den Antisemitismus in Italien anzuheizen, zeichnet sich ab“, das im Sommer 1936 (kurz vor den Artikeln in Il regime fascista) in La nostra bandiera erschienen war: einige „internationale antifaschistische Zentren“ seien schon „seit längerer Zeit damit beschäftigt, Italien in eine antisemitische Politik hineinzuziehen“, indem sie die Juden außerhalb Italiens gegen das faschistische Italien und den Faschismus gegen ein Judentum, das als gänzlich kommunistisch dargestellt wird, aufhetzten, um, „den Faschismus in manche antisemitische Abwege zu treiben, um dann aus vollem Halse schreien zu können: Drauf auf den Faschismus!“ – eine reichlich phantasievolle Erklärung, die bereits im Editorial des nächsten Heftes durch eine gegenteilige ersetzt wurde, die jedoch den Faschismus ebenfalls freisprach (und welche dieser – natürlich ohne Schuld der „Bandieristi“ – sich nach beendetem und verlorenem Krieg zu eigen gemacht hat): Der moderne Antisemitismus, eine politische Plage nicht nur der heutigen Zeit, die allen Ländern Mittel- und Osteuropas gemeinsam ist, bezieht in diesen Gebieten seine Nahrung aus besonderen Umständen und Bedingungen der Klassenverhältnisse und des gesellschaftlichen Lebens. In Deutschland entspricht er außerdem, woran wir haben erinnern wollen, einer präzisen taktischen Vorgabe des Nazismus. Die italienischen Juden wissen alles dieses, und sie bedauern zwar als Juden und als Italiener jeden Exzess, haben aber viel zu viel historischen Sinn, um dies nicht zu verstehen. Als Italiener und als Faschisten lassen sie aber nicht zu und können nicht zulassen, dass der Antisemitismus von einem Land, das sich in besonderen Verhältnissen befindet, nicht als eigene Notwendigkeit, sondern als unsinnige Parole mit internationalem Bezug verkündet wird.
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Zu den zweiten s. A. Calò, Stampa, a.a.O., S. 141–143.
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Da es in Italien an den besonderen ökonomischen, politischen, gesellschaftlichen und psychologischen Verhältnissen der Länder fehlt, in denen der Antisemitismus sich zu beachtlichen Ausmaßen entwickelt hat, wäre er hier eine geschichtswidrige, ungerechtfertigte, ungerechte und grausame Erscheinung. Warum sollte man bei uns einem Kreuzzug nacheifern, der aus bloßen Gründen der internationalen und inneren Politik eines Landes, das nicht Italien ist, ausgerufen worden ist?94
In den fünf Jahren von 1933 bis 1938 war die Mitgliederzahl der „effektiven“ Juden im PNF weiter gestiegen (von ca. 5.000 auf ca. 6.900) und umfasste damit annähernd 27% aller Juden über 21 Jahre mit italienischer Staatsbürgerschaft; dieser Anstieg war allerdings deutlich geringer als derjenige, der in jenen Jahren in der Gesamtbevölkerung der Halbinsel stattfand (und auch geringer als derjenige unter den Juden in den vorhergehenden fünf Jahren), so dass der Gesamtanteil der Juden, die Mitglieder des PNF waren, von 4,1 Promille im Jahre 1933 auf 2,6 Promille im Jahre 1938 zurückgegangen war95. Von den 21 Rabbinern, die am Ende des Jahres 1937 als Gemeindevorsteher im Amt waren, waren fünf, d.h. 24%, Mitglied im PNF96. Da sie auch repräsentative und öffentliche Funktionen ausübten, hätte dieser Wert sehr viel höher ausfallen können als der Durchschnittswert aller Juden. Auch die anderen politischen Positionen wurden weiterhin vertreten, gelegentlich in einer zahlenmäßig nicht unerheblichen Größe. Unter den 4.000 Italienern, die sich nach Spanien begaben, um an der Seite der Antifranchisten zu kämpfen, waren Rita Montagnana, Leo Valiani, Cesare Colombo, Alessandro Sinigaglia (der später während der Resistenza in Florenz getötet wurde), Piero Jacchia (der am 14. Januar im Kampf um Madrid fiel) und Carlo Rosselli (der dann am 9. Juni 1937 zusammen mit seinem Bruder Nello in Bagnoles de l’Orne von Aktivisten der französischen Rechten, die im Auftrag des italienischen Faschismus handelten, ermordet wurde)97. Es gab allerdings auch italie94
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La nostra bandiera III Nr. 15–16 (1. September 1936), 17 (16. September 1936). Zu den Urteilen der Faschisten in der Nachkriegszeit über ihren eigenen Antisemitismus (einschließlich verschiedener Formen kindischer, verbrecherischer und natürlich antisemitischer Leugnung) s. F. Germinario, L’altra memoria. L’Estrema destra, Salò e la Resistenza. Turin (Bollati Boringhieri) 1999, S. 58–73. Zu den Daten über die Mitgliedschaft von Juden im PNF s.o. Kap. I, Fußn. 60; zu den Daten über die Gesamtheit der Mitglieder in den Jahren 1933 und 1939 vgl. jeweils o. Kap. III, Fußn. 148 und M. Palla, Mussolini e il fascismo. Florenz (GiuntiCasterman) 1993, S. 112. G. Rigano, I rabbini italiani nelle carte della pubblica sicurezza, in: Zakhor VIII (2005), S. 152 (meine eigenen Berechnungen). M. Sarfatti, Il romanzo vero dei combattenti di Spagna, in: Bollettino della Comunità ebraica di Milano, November 1996, S. 17.
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Viertes Kapitel
nische Juden, die auf der Seite Francos kämpften; von ihnen bekannt sind, solange es an einer umfassenden Untersuchung fehlt, die beiden Stabsoffiziere Umberto Beer und Giorgio Morpurgo (der letztere am 23. Dezember 1938 im Verlauf einer selbstmörderischen Aktion gefallen, die er unmittelbar nach dem Empfang der Nachricht unternahm, dass er als Jude aus dem Heer ausgestoßen worden sei), Paolo Vita Finzi, Angelo Angeli und Alberto Spizzichino (beide 1937 gefallen, der eine auf einem italienischen Kriegsschiff, der andere bei Guadalajara)98. Was das eigentliche jüdische Leben angeht, so ist zu berichten, dass Umberto Nahon als Vertreter der zionistischen Föderation im Frühjahr 1937 Ansprachen bei verschiedenen örtlichen Versammlungen hielt, an denen ein immer zahlreicheres Publikum teilnahm99, und dass die Jüdinnen, die Mitglieder bei der Adei waren, die nicht unbedeutende Zahl von 1.334 erreichten100. Ebenfalls in jenem Jahr 1938 erlangte Emanuele Menachem Artom den Titel eines hakam (Oberrabbiners) beim italienischen rabbinischen Kollegium zu Rom, das von seinem Vater Elia Samuel geleitet wurde101. Dieses Ereignis wurde sehr positiv aufgenommen, weil seit 10 Jahren kein italienischer Jude diesen Titel erlangt hatte (der letzte war zu einer Zeit, als das Kollegium noch in Florenz residierte, Riccardo Pacifici gewesen, der später in der Deportation getötet wurde)102. Die regierungsseitige „Bestätigung“ der Führungsgruppe der Union (die jetzt vom Vorsitzenden der Gemeinde von Mailand Federico Jarach, einem faschistischen, aber nicht „bandieristischen“ Juden, geleitet wurde) im Mai 1937 bewirkte keine Unterbrechung der Kampagne des Komitees, und in den Gemeinden begannen immer deutlichere Anzeichen einer Krise sichtbar zu werZu den ersteren s. J. F. Coverdale, Italian intervention in the Spanish Civil War. Princeton (N.J.) (Princeton University Press), 1975 [it. Übers.: I fascisti italiani alla guerra di Spagna. Rom, Bari (Laterza) 1977, S. 308, 393]; R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 336–37 (auf S. 194 wird auch Alberto Liuzzi, gefallen und mit der Goldmedaille dekoriert, erwähnt). Zu den anderen P. Vita Finzi, Giorni lontani. Appunti e ricordi. Bologna (Il Mulino) 1989, S. 380; „In memoria del tenente Angelo Angeli, caduto nel bombardamento del „Barletta“, in: La nostra bandiera IV Nr. 15 (1. August 1937); „Lezihron Nefesh (in memoria)“, in: La Comunità israelitica VI Nr. 1 (April 1938), S. 30. Zur Zählung im Jahre 1938 s. ASMAE, MAE, Gabinetto, Ufficio Spagna, b. 91, fasc. 2. 99 U. Nahon, Rapporto confidenziale, a.a.O., S. 271–272. 100 M. Miniati, „Non dimenticare“, a.a.O., S. 169. 101 Israel XXII Nr. 40–41 (15.–22. Juli 1937). 102 A. Luzzatto, Biografia del Rabbino Capo dr. Riccardo Pacifici, in A perpetua ricordanza di Riccardo Pacifici. Genua (Comunità israelitica di Genova) 1967, S. 7. 98
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den. Die faschistischen Juden nahmen die zunehmende Schwächung der öffentlichen Akzeptanz ihrer besonderen Identität wahr, doch gerade die letztere machte es ihnen unmöglich, den wirklichen Gehalt und die Perspektive der Wende Mussolinis zu begreifen, und da sie gleichzeitig abgeneigt waren, sich von den anderen Juden zu trennen, übertrugen sie alle diese Widersprüchlichkeiten auf das Leben und auf die Führung der Gemeinden. Anfang September wandte sich das gesamte italienische Rabbinat, das sich unter Leitung von David Prato (der im Januar zuvor zum Hauptrabbiner von Rom ernannt worden war und sogleich Angriffen vonseiten des Komitees ausgesetzt war) versammelt hatte103, an alle Juden mit einem kurzen gedruckten Text, der formell durch das jüdische neue Jahr (5698) und dessen erste, der Erforschung des eigenen Inneren und der eigenen Lebensführung gewidmeten Tage veranlasst war. Die Schrift rief dazu auf, die jüdische Identität und Tradition gegen das Komitee zu verteidigen und zeigte eine starke Beunruhigung aufgrund der Perspektiven der Lage in Italien; es stellte klar, dass das Judentum „Herkunft, Geschichte, Lehre und Bewusstsein von diesen ist“, dass derjenige, der dieses Bewusstsein schwäche, nicht „das gesamte Judentum nach seinem Ebenbild reduzieren“ könne, denn „es genügt nicht, dass man als Jude geboren ist und äußerlich Riten, Dokumente und Bücher gesehen hat, um vorschnelle Urteile und Aussagen über das Judentum und über seine Natur abzugeben“, und es genüge „nicht einmal, irgendetwas studiert zu haben, um sich die Autorität anmaßen zu können, grob missverstandene heilige Riten und Institute für antiquiert und überholt zu verurteilen“. Dann kam die Warnung: Die jüngste und weniger junge Geschichte lehrt uns, dass in der Welt allzu viele Länder, in denen Juden sich aufhalten, Ausbrüche eines judenfeindlichen Furors erleben. Häufig genügt schon eine geringfügige innere Notlage, die ganz andere Ursachen hat, um in uns den Ursprung der Übel und den Sündenbock für diese zu suchen. Dann zählen nicht mehr die langen Jahrhunderte treuen Untertanentums, der bereitwilligen Zusammenarbeit, der fast bis zur Selbstvergessenheit getriebenen inneren Vereinigung. Das Hèp-hèp und die Schreie Tötet sie sind allzu häufig an allzu verschiedenen Orten ertönt, um nicht eine angemessene Lösung für die Verfolgten von heute und morgen zu fordern104.
Abschließend forderte die Schrift zu innerer Eintracht, zur Gerechtigkeit und Wohltätigkeit gegenüber den Verfolgten und zur Unterstützung derer auf, die den Weg nach Palästina einschlugen. 103 F. Del Regno, Gli ebrei a Roma, a.a.O., S. 38–39. 104 Vgl. „I rabbini d’Italia ai loro fratelli. Jamim Noraim 5698. Rom (Tipografia Zamperini e Lorenzini) 1937, S. 6, 8, 10–11. Erste Hinweise auf die Vorbereitung (im Juli) des Textes in: G. Rigano, I rabbini, a.a.O., S. 139–40.
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Wie von den Rabbinern beklagt, betraf die Tätigkeit der Vertreter des Komitees auch die Form des jüdischen religiösen Lebens. Gerade zu Beginn jenes Septembers hatte der neue Rat der Gemeinde von Florenz (der aus Männern des Komitees bestand) einige weibliche Stimmen in den Chor der Synagoge aufgenommen und damit – so der Bericht in Israel – „diejenigen, die eine größere jüdische Kompetenz und Autorität besitzen“, veranlasst, die Hauptsynagoge zu verlassen und sich in zwei kleineren Tempeln zu versammeln. Dieser Vorgang belegt sowohl den Willen der faschistischen Juden, sich um das gesellschaftliche und religiöse Gemeindeleben zu kümmern, als auch ihren reformerischen Ansatz (der diesmal freilich eher ein assimilatorischer als ein modernisierender war). Andererseits stand auf diese Weise nicht mehr nur das politisch-organisatorische Feld, sondern auch das religiöse vor einer Situation, die, wie die Wochenzeitschrift es ausdrückte, „den Beginn einer gefährlichen Spaltung bezeichnen könnte“105. Einige Wochen zuvor waren ebenfalls die Rabbiner Gegenstand des (nach heutigem Kenntnisstand) ersten Vorfalls von Diskriminierung durch die faschistische Gesetzgebung gewesen – einer begrenzten und unbemerkten (und – wüsste man nicht, was noch kommen sollte – lächerlichen) Gesetzgebung: Anfang Juli hatte der Minister für nationale Erziehung Bottai den Entwurf eines Dekrets zur Reform der Bibliotheksausleihe abgezeichnet, der die Oberrabbiner aus dem Kreis derjenigen ausschloss, die das Recht zur Ausleihe automatisch besaßen, und statt ihrer die Äbte und die Kardinäle aufnahm106. Unterdessen hatte, wie schon im September 1936, der Artikel vom 25. Mai in Il popolo d’Italia im Ausland Aufsehen erregt107. Und die obersten Stellen waren damit beschäftigt, im Ausland (insbesondere in den USA) zu dementieren, dass man antisemitische Absichten hege. Am 6. Juni hatte Außenminister Ciano gegenüber dem italienischen Botschafter in Washington klargestellt: „Den antisemitischen Tönen einiger italienischer Zeitungen entspricht keinerlei entsprechendes Handeln der Kgl. Regierung“108; und er fügte mit Blick auf 105 „Un’errata innovazione“, in: Israel XXIII Nr. 1 (9. September 1937). Einige Monate später äußerte sich die rabbinische Ratsversammlung im selben Sinne über den Chor; vgl. o. S. 7. 106 G. Fabre, L’elenco, a.a.O., S. 105 (der Entwurf wurde schließlich zum Kgl. Dekret Nr. 774 v. 25. April 1938). 107 Die Associated Press verbreitete einen langen Auszug aus dem Artikel; zu den Tageszeitungen, welche die Nachricht brachten, gehörten The New York Times („Italian Jews told to uphold Fascism or leave country“) und New York Post („Mussolini orders Italian Jews to stop opposing Hitler’s aims“) vom 26. Mai. 108 ASMAE, MAE, AP 1931–45, Palestina, b. 19, fasc. 2, sfasc. „Sionismo“, Außenminister Ciano an den Botschafter Italiens in Washington Suvich, 6. Juni 1937; vollstän-
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den von Stephen Wise angedrohten Protest hinzu109: „Sollte eine jüdische Organisation Entscheidungen treffen, die sich als schädlich […] für unsere Interessen erweisen, so würde die faschistische Regierung ihre Haltung gegenüber den Juden revidieren, und es würden Vergeltungsmaßnahmen und Repressalien daraus folgen“. Am 11. Juni hatte der Diktator Generoso Pope, den Verleger der verbreiteten New Yorker Zeitung Corriere d’America empfangen110 und ihm mit deutlichen Worten versichert (wie die New York Times vom 25. Juni in ihrem Bericht über die Rückkehr Popes berichtete), dass es solange keine Verfolgung von Juden in Italien geben werde, wie diese die Gesetze beachteten; vielmehr hatte er gesagt (wie der Italo-Amerikaner in seiner eigenen Zeitung am 4. Juli berichtete): „Ich ermächtige Dich, den Juden in Amerika gleich nach Deiner Rückkehr nach New York zu erklären und sie wissen zu lassen, dass jegliche Sorge auf ihrer Seite über die Lage ihrer in Italien lebenden Rassen- und Religionsbrüder nur das Ergebnis böswilliger Informationen sein kann. Ich ermächtige Dich, zu erklären, dass die Juden Italiens dieselbe Behandlung erfahren haben, erfahren und auch weiterhin erfahren werden, wie jeder andere italienische Staatsbürger, und dass es in meinem Denken keine Form der Diskriminierung von Rasse oder Religion gibt, der ich der Politik der Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz ergeben und treu bleibe, der ich der Freiheit der religiösen Kulte ergeben und treu bleibe“ (Die Präzision der Aussagen kennzeichnet diese als grundsätzlich amtlich; es ist möglich, dass sie von Mussolini buchstäblich diktiert worden sind; das „gleich nach Deiner Rückkehr“ war ein Hinweis darauf, dass sie nicht in Italien verbreitet werden sollten)111.
dig wiedergegeben in: Ministero degli Affari Esteri, I documenti diplomatici italiani, Serie VIII, Bd. VI: 1. Januar–30. Juni 1937. Rom 1997, S. 916. Ähnliche Mitteilungen waren von Ciano an Nahum Goldmann am 4. Mai gegeben worden und wurden von ihm und anderen italienischen Autoritäten im folgenden Monat gegenüber verschiedenen Gesprächspartnern wiederholt; vgl. M. Sarfatti, La preparazione delle leggi antiebraiche del 1938. Aggiornamento critico e documentario, in: I. Pavan / G. Schwarz (Hrsg.), Gli ebrei, a.a.O., S. 44–45. 109 Vgl. ebd., S. 45–46. 110 Zum Datum der Begegnung Popes mit Mussolini s. Corriere della Sera, 12. Juni 1937. 111 Soweit ich es habe ermitteln können, wurde in Italien der Artikel von Pope nur in dereb jüdischen faschistischen Zeitschrift La nostra bandiera IV Nr. 15 (1. August 1937) wiedergegeben; darin fehlten jedoch die Worte „der Politik der Gleichheit aller Bürger [...] ergeben und treu“, statt dessen erschien der Hinweis: „im Text fehlt eine Zeile“. Am 26. Mai 1937 hatte der Minister für Presse und Propaganda (eine Bezeichnung, welche am Tag danach in „Volkskultur“ abgeändert wurde) die Tageszeitungen an „die Bestimmung“ erinnert, „vom Duce ausländischen Zeitungen gewährte Interviews nicht
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3. 1938 Im Herbst 1937 war der Antisemitismus schon hinreichend im Lande und vor allem (wenn auch nicht gleichmäßig) im Apparat des Innenministeriums verbreitet. Am 5. November instruierte der Polizeipräsident von Bari schriftlich Beamte, Kommissare der Polizei und Kommandanten der Carabinieri: „Juden – eine höchst zerstörerische Sekte, verbreitet in der ganzen Welt, getrieben von ökonomischen Interessen, führt – wie bekannt – einen verbissenen Kampf, offen gegen den deutschen Nazismus und heimtückisch gegen den Faschismus“112. Am 20. Januar 1938 forderte der Schulamtsleiter von Gorizia die Leiter des Gymnasiums und des Lehrerseminars auf, „wachsame und kluge Aufmerksamkeit“ über die Lehrer „israelitischer Religion“ ihrer Schulen zu üben und ihn sogleich mündlich zu informieren, „falls diese eine Tätigkeit nationaler Zersetzung ausübten oder sich den nationalen Problemen entfremden“113. Zwischen den letzten Monaten des Jahres 1937 und den ersten Wochen des Jahres 1938 wurde eine neue Phase der Verfolgung der Rechte eingeleitet, nämlich diejenige der erforderlichen (und als solche bereits Verfolgungscharakter besitzenden) Vorbereitungsarbeiten zum Erlass der neuen gesetzlichen Regelung: Identifizierung und Zählung der Juden, Erlass von ersten Maßnahmen zur sektoralen Arisierung, offizielles Vorgehen der obersten Regierungsund Parteiorgane, Ausarbeitung einer gesetzlichen Definition des Juden und Ansatz zur endgültigen Verfolgungsgesetzgebung. Diese Aktionen vollzogen sich in einer Verknüpfung von Öffentlichkeit und Heimlichkeit, Autonomie und Zusammenspiel innerhalb eines allgemeinen Rahmens von fortschreitender und nicht homogener Zuspitzung. Da es unmöglich ist, sie vollständig aufzuzählen, lässt sich nur beispielhaft eine Auswahl der im Februar 1938 durchgeführten Aktionen darstellen: Am 10. Februar geht die neue antisemitische humoristische PropagandaWochenschrift Il giornalissimo in den Verkauf (die u.a. ein Interview mit Giovanni Preziosi unter der Überschrift „Gibt es in Italien ein Judenproblem?“ enthält). wiederzugeben, soweit sie nicht von der ‘Stefani’ gebracht sind“; ACS, Agenzia Stefani – Manlio Morgagni, b. 70, fasc. IX, sfasc. 2/4. 112 Das Dokument wird wiedergegeben in: M. Pansini, Provvedimenti razziali e propaganda antisemita, in: V. A. Leuzzi / M. Pansini / F. Terzulli, Fascismo e leggi razziali in Puglia. Censura, persecuzione antisemita e campi di internamento (1938–43). Bari (Irrsae-Puglia / Progedit) 1999, S. 20–21. 113 Das Dokument ist wiedergegeben in: A. Cedarmas, La Comunità Israelitica, a.a.O., S. 161–162.
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Am 11. Februar legt Gino Jacopo Olivetti einige repräsentative Funktionen in der Textilindustrie (nicht aber diejenige des Abgeordneten) nieder. Die italienischen Tageszeitungen sprechen von „persönlichen Gründen“. United Press fügt in einer Mitteilung, die, soviel ich weiß, auf der Halbinsel nicht verbreitet worden ist, hinzu: „Offiziöse Stimmen erklären jedoch, dass Olivetti geäußert habe, er habe seinen Verzicht erklärt, weil seine hohen Funktionen nicht mehr mit der aktuellen Lage vereinbar seien, welche für die Juden entsteht“114. In der ersten Februarhälfte lässt Mussolini das Vorhandensein von jüdischen Familiennamen in den Namenslisten der höheren Offiziersränge der Streitkräfte überprüfen115. 14. Februar: Der Minister für nationale Erziehung verlangt von den Rektoren der Universitäten, die Juden unter den Studierenden sowie den italienischen und ausländischen Professoren zu ermitteln116. 114 Popolo e libertà, Lugano, 12. Februar 1938 (auch Neue Zürcher Zeitung vom selben Tag; vgl. ferner The New York Times, 12. und 13. Februar 1938); Corriere della Sera, 12. Februar 1938 und Il popolo d’Italia vom selben Tag. Die Rücktritte wurden in zahlreichen Berichten von Vertrauensleuten der Polizei kommentiert (ACS, MI, DGPS, PP, Persone, b. 958, fasc. „Gino Olivetti“). Einige berichteten von einem umfassenden internationalen Szenario betreffend die Baumwollindustrie und die Ehrbarkeit von Olivetti; es wird als das Wahrscheinlichste bezeichnet von A. Staderini, Gino Olivetti e l’industrialismo in Italia. Al di sopra delle parti, in: Storia e dossier VII Nr. 59 (Februar 1992), S. 56. Andere Berichte entwarfen ein Szenario, das der Information der United Press entsprach: einer (übersandt am 12. Februar aus Ancona) berichtete, dass einige nichtjüdische Faschisten (eine hier wichtige Charakterisierung) den Rücktritt von Olivetti mit „dem Ostrazismus über den Direktor des Corriere adriatico Prof. Avv. Dott. Ascoli“ in Verbindung gebracht hätten (zu dessen Rücktritt s. im Text); ein anderer (übersandt am 13. Februar aus Mailand) berichtete, dass einige Mailänder Juden „fürchteten, dass der Rücktritt mit dem Umstand in Verbindung stehe, dass der Ew. Olivetti Jude ist, äußern daher die Einschätzung, dass dies ein erstes Zeichen für die Behinderungen sei, welche man jenen jüdischen Elementen in den Weg legen wird, die öffentliche Ämter bekleiden“. Es kann sein, dass die Informationen über das erste Szenario von der Regierung selbst verbreitet worden sind. Zu den jüdischen Abgeordneten s. weiter unten im Text. Olivetti trat aus dem Obersten Rat für Statistik und aus dem Verwaltungskomitee der Istat [Nationales Institut für Statistik] am 22. Oktober 1938 zurück [G. Leti, L’Istat e il Consiglio superiore di statistica dal 1926 al 1945, in: Annali di statistica, Serie X, Bd. 8 (1996), Nr. 125, S. 306]. 115 Die Auflistungen der höheren Beamten mit Hervorhebung der (wirklichen? angenommenen?) jüdischen Familiennamen finden sich in: ACS, SPD, CR (1922–43), cat. 480/R, b. 145, fasc. 390, sfascc. 2–7. Im vorhergehenden November hatte Mussolini in seiner Eigenschaft als Kriegsminister, Minister der Marine und der Luftwaffe den Befehl erlassen, keine Juden in die Militärakademien zuzulassen (M. Sarfatti, Mussolini, a.a.O., S. 75). 116 A. Galbani, Provvedimenti razziali: un documento inedito del febbraio 1938, in: RMI LVII Nr. 3 (September–Dezember 1991), S. 533–536. Am 19. Januar hatte der Mi-
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14. und 15. Februar: Das Innenministerium verlangt von den Generaldirektoren des Ministeriums und von den Präfekten die Mitteilung über etwa vorhandene Beschäftigte „israelitischer Religion“ in den verschiedenen Ämtern und insbesondere in den Polizeipräsidien (am 17. Februar wird das Verlangen auf die Polizisten und Unteroffiziere der Sicherheitsbehörde ausgedehnt)117. 16. Februar: Verteilung der Informazione diplomatica Nr. 14 an die Presse mit der ersten offiziellen Erklärung des Regimes zur „Judenfrage“, verfasst von Mussolini. Die Mitteilung beginnt mit der Feststellung, dass „der Eindruck, die faschistische Regierung beabsichtige, eine antisemitische Politik zu beginnen [...] gänzlich irrig“ sei; sie fährt fort mit dem Bestreiten, dass „politische, ökonomische, moralische Maßnahmen gegen die Juden als solche“ zu erwarten seien, und sie endet mit der förmlichen Bekanntmachung: „Die faschistische Regierung behält sich freilich vor, die Tätigkeit der Juden, die in jüngster Zeit in unser Land gekommen sind, zu überwachen und dafür zu sorgen, dass der Anteil der Juden am gesamten Leben der Nation nicht in einem Missverhältnis zu den tatsächlichen Verdiensten der Einzelnen und der zahlenmäßigen Bedeutung ihrer Gemeinden steht“. Die Mitteilung verkündet im Übrigen, dass die Regierung gegen Pressionen „zur Erzwingung religiöser Abschwörungen oder künstlicher Assimilationen“ sei118. 16./17. Februar: Am selben Tag, an dem die Informazione verbreitet wird, weist der Minister für Volkskultur die Zeitungen darauf hin, dass diese auf der ersten Seite veröffentlicht werden müsse, und zwar in einer Spalte und ohne Kommentare, und er fügt hinzu: „Mit dieser Mitteilung sollen sämtliche Diskussionen über das Judenproblem in Italien aufhören“, bzw. – wie Minister Alfieri noch am selben Tag an die Präfekten telegraphiert – „es gibt ein absolunister die Rektoren ersucht, die „jüdischen Studenten ausländischer Staatsangehörigkeit“ zu zählen: vgl. G. Tanti, L’applicazione delle leggi razziali a Pisa: il caso dell’Università, in: M. Luzzati (Hrsg.), Gli ebrei di Pisa, a.a.O., S. 382; R. Finzi, L’università italiana, a.a.O., S. 52; F. Cavarocchi / A. Minerbi, Politica razziale e persecuzione antiebraica nell’ateneo fiorentino, in: E. Collotti (Hrsg.), Razza e fascismo, a.a.O., Bd. I, S. 480; G. P. Brizzi, Bologna, 1938: il silenzio e la memoria. Le leggi razziali e gli studenti ebrei stranieri dell’Università di Bologna, in: S. Arieti / D. Mirri (Hrsg.), La cattedra, a.a.O., S. 58–59. 117 ACS, MI, UC, Telegramme Nr. 4744 vom 14. Februar 1938 und Nr. 4822 vom 15. Februar 1938. Zur Ausdehnung s. G. Fabre, A proposito dell’antisemitismo, a.a.O., S. 230. 118 M. Sarfatti, Mussolini, a.a.O., S. 17–18, 88–91; Ders., La preparazione, a.a.O., S. 25– 28. Die Informazione diplomatica antwortete auf verschiedene Artikel der englischund französischsprachigen Presse, in denen das Anwachsen des Antisemitismus in Italien kritisiert wurde; ebd., S. 34–43.
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tes Verbot, sich mit der Judenfrage in Italien zu befassen“119. Tatsächlich bringt Mussolinis Il popolo d’Italia am 17. Februar neben der Informazione einen (antisemitischen) Artikel über die Juden in Rumänien120, fast alle anderen Zeitschriften vermeiden eine „Befassung“ oder eine „Diskussion“ jeglicher Art. Die beiden Tageszeitungen, welche die antijüdische Kampagne anführen, bringen allerdings zwei Kommentare. Interlandis Il Tevere hebt die Ablehnung der Regierung gegenüber dem „assimilatorischen Manöver“ hervor, welches „das Problem nicht lösen würde“, und bemerkt, dass „alle Juden erst kürzlich hergekommen sind; [...] alle sind, gemessen an der antiken italienischen Rasse, Gäste“ (und er bringt als Beispiel, dass der gerade verstorbene Giuseppe Toeplitz „erst seit 1895 italienischer Staatsbürger war“. Auch für Il regime fascista sind die Juden „eine andere Rasse“ (sowie alle Antifaschisten), und daher könnten „in die Kommandopositionen der italienischen Nation, in die Institute, an denen die studentische Jugend erzogen wird, im Generalsstab des Heeres, in der Presse, an der Börse usw. nicht mehr Menschen einer anderen Rasse und mit einem anderen Vaterland berufen werden“. Und dies gelte – womit Farinacci eine andere Position vertrat als noch im September 1936 – „ohne Rücksicht auf die Personen“, d.h. unabhängig von der Tatsache, dass diese Menschen, auch heldenhaft, für das Land gekämpft hatten, das sie „mein Vaterland“ nannten. 17. Februar: Verbreitung der Nachricht vom Rücktritt Ferruccio Ascolis (der später während der Deportation starb) vom Posten des Direktors der Tageszeitung des PNF in Ancona Corriere adriatico121. ... Februar: Im Verlauf des Monats verlangt Mussolini – wie sich aus einem einige Zeit danach geschriebenen brieflichen Hinweis ergibt – von Dino Alfieri, in seinem Ministerium für Volkskultur ein Amt einzurichten, das sich der rassistischen Forschung und Propaganda widmet122.
119 ACS, Agenzia Stefani – Manlio Morgagni, b. 70, fasc. IX, sfasc. 2/5; ACS, MCP, Gabinetto, b. 12, fasc. „Questione ebraica“, Minister für Volkskultur an die Präfekten, 16. Februar 1938. 120 Die Aufmerksamkeit verschiedener faschistischer Anführer und Zeitungen für die antijüdischen Maßnahmen in Rumänien von Anfang 1938 ist noch nicht untersucht worden; zu einigen zeitgenössischen Hinweisen vgl. S. Bon, Gli ebrei, a.a.O., S. 45–51; S. Levis Sullam, Una Comunità, a.a.O., S. 180. 121 G. Fabre, L’elenco, a.a.O., S. 71. 122 ACS, SPD, CO (1922–43), b. 476, fasc. 183.506, Guido Landra an Benito Mussolini, 27. September 1940; das Dokument ist mitgeteilt b. M. Raspanti, I razzismi, a.a.O., S. 74–75 und vollständig wiedergegeben ebd., S. 367–368.
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24. Februar: Der Minister für Italienisch Afrika teilt dem Außenministerium mit, dass einer „etwaigen Einwanderung jüdischer Massen jeglicher Nationalität in die Territorien des Kaiserreiches“ nicht zugestimmt werden könne123. 1. März: Das Kabinett des Innenministeriums fordert den neuen Präfekten von Ferrara auf, den Bürgermeister Ravenna (der zwei Wochen später demissioniert) zu ersetzen124. Obwohl einige dieser Aktionen teilweise heimlich durchgeführt wurden, nahmen die Juden deutlich wahr, dass sie es mit einer „spürbaren und schmerzhaften Ausweitung des Antisemitismus“ und mit einem „schon festgelegten und weithin organisierten Plan“ zu tun hatten125, „dessen Ziel nicht bloße Einschüchterung ist, sondern dem es um konkrete Resultate geht. Ich glaube nicht einmal jetzt, dass es zu Ausnahmegesetzen kommt; doch zu irgendeiner Beschränkung in der einen oder anderen Form wird es gewiss kommen“126. Das Jahr 1938 war ein „entscheidendes und schreckliches Jahr für das europäische Judentum“127; zu seinem Beginn gab es nur im nazistischen Deutschland eine antijüdische Gesetzgebung, an seinem Ende war diese bereits zu einer solchen mit kontinentalen Ausmaßen geworden. Seit den ersten Wochen erfolgten nacheinander die Ankündigung (30. Dezember 1937) und sodann der Erlass (am 21. Januar 1938) der gesetzlichen Verfolgungsmaßnahmen in Rumänien, die Ankündigung (16. Februar) der italienischen, die Ankündigung (5. März der ungarischen; die deutsche Besetzung Österreichs (12. März), die schon als solche die Vorbotin der Ausdehnung der nazistischen antijüdischen Gesetzgebung bedeutete. Diese Gleichzeitigkeit war nicht das Ergebnis irgendeiner Koordinierung (jedenfalls ist dafür bis heute keinerlei Zeugnis gefunden worden), sondern ein Zeichen dafür, dass jenseits der Prozesse des Anwachsens der nationalen Antisemitismen, sich eine Art von kontinentaler Reife der „Judenfrage“ vollzogen hatte – eine Reife der Verfolgung, die sich 123 S. I. Minerbi, Il progetto di un insediamento ebraico in Etiopia (1936–1943), in: Storia contemporanea XVII Nr. 6 (Dezember 1986), S. 1101–1102; vgl. auch S. 1107–1108. 124 AdS Ferrara, Prefettura, cat. 30, b. 2, fasc. „Situazione degli ebrei“, Kabinettschef des Innenministeriums an den Präfekten von Ferrara, 1. März 1938; G. Fabre, A proposito dell’antisemitismo, a.a.O., S. 231. 125 B.R. Bellomo, Elisa di Corrado (Le opere e i giorni di Elisa Ricci), in: Ravenna. Studi e ricerche IX (2002), Nr. 1, S. 43 (Brief von Elisa Guastalla, 5. Februar 1938). 126 S. Levis Sullam, Una Comunità, a.a.O., S. 180 (Brief von Gino Luzzatto, 23. Januar 1938). 127 E. Mendelsohn, Gli ebrei dell’Europa orientale tra le due guerre mondiali, in: Camera dei Deputati, La legislazione antiebraica in Italia e in Europa. Atti del Convegno nel cinquantenario delle leggi razziali, a.a.O., S. 350.
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mit besonderem Nachdruck gegenüber den jüdischen Flüchtlingen bemerkbar machte, deren Zahl eben wegen der Vervielfachung der von den verschiedenen Regierungen ergriffenen Maßnahmen der Ausweisung und der Entziehung der Staatsbürgerschaft (und der wirtschaftlichen Verfolgung) ständig zunahm128. Ein nationales Beispiel für diese Spirale bildet der folgende Auszug aus einer Reihe von Verordnungen und Entscheidungen der faschistischen Regierung: 14. März (drei Tage nach der Besetzung Österreichs): Der Polizeipräsident von Novara ordnet an, stets das „religiöse Bekenntnis von Ausländern“ zu registrieren129 (Auch wenn nichts Ausdrückliches dazu gesagt wird, dürfte die Bestimmung auf ministeriellen Ursprung zurückgehen). 18. März: Der Innenminister übermittelt den Präfekten der „Grenzgebiete“ das Verbot der Einreise für „jüdische ehemals österreichische Staatsbürger“130. 24. März: Außenminister Ciano teilt dem US-amerikanischen Botschafter mit, dass Italien aus politischen Gründen nicht an der gerade ausgerufenen internationalen Initiative teilnehmen werde, welche den Zweck verfolgt, „politischen Flüchtlingen“ aus Österreich und Deutschland die Auswanderung zu „erleichtern“ (und die dann auf der Konferenz von Évian im darauf folgenden Juli Gestalt annehmen sollte)131. Die italienischen Tageszeitungen zeigten sich einige Tage später informiert darüber, dass unter der Formulierung „politische Flüchtlinge“ vor allem die Juden verstanden würden132. 20. April: Das Ministerium für die Korporationen entzieht unter Berufung auf „höhere Anordnung“ den Provinzialräten für die Korporationen die Befugnis zur Erteilung neuer Handelslizenzen für „Ausländer, welche erklären, dass sie deutscher, polnischer, rumänischer, österreichischer usw. Nationalität seien“ 128 M. Sarfatti, Mussolini, a.a.O., S. 81–89. 129 AdS Novara, Prefettura, Gabinetto, b. 121, Polizeipräsident von Novara an die nachgeordneten Behörden und an die Kommandos der Carabinieri, 15. März 1938. 130 M. Sarfatti, Mussolini, a.a.O., S. 77. Am 14. Juni wird die Anweisung den Präfekten der „Meeresgrenze“ übermittelt, am 20. August wird das Verbot auf diejenigen ausgedehnt „die zugunsten der katholischen Religion abgeschworen haben“. 131 Foreign Relations of the United States. Diplomatic Papers 1938. Washington 1955, Bd. I, S. 741: Botschafter der USA in Rom an den Staatssekretär (Außenminister) in Washington, 24. März 1938. Zur US-amerikanischen Initiative vgl. D. S. Wyman, Paper Walls. America and the Refugee Crisis 1938–1941. Amherst (University of Massachussetts Press) 1968, S. 43–51. 132 „L’Italia non aderisce all’iniziativa americana per i profughi politici ed ebrei“, in: Corriere della Sera, 30. März 1938; Il rifiuto di Ciano ad una proposta di Roosevelt sulla emigrazione degli ebrei del Reich, in: Il regime fascista vom selben Tag (wo Il giornale d’Italia zitiert wird).
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und legt sie sich selber bei; zugleich ersucht es die Präfekten, ihm zusammen mit den Anträgen „den Herkunftsort und die Religion des Antragstellers zu übermitteln“133. 31. Mai: Das Außenministerium ersucht „in Übereinstimmung mit dem Minister für nationale Erziehung“ die italienischen Repräsentanten, auch „die ethnische Herkunft“ und die Religion der Ausländer zu registrieren, welche den Antrag auf Immatrikulation in den italienischen Universitäten stellen, um „den Zustrom von jungen Menschen“ zu verhindern „die in der Absicht nach Italien kommen, auch nach dem Examen hier zu bleiben, weil sie aus ethnischen oder ökonomischen Motiven getrieben werden, welche es schwierig, mitunter sogar unmöglich machen, in ihren Ländern das Studium zu beenden oder einen Beruf auszuüben“134. In diesem europäischen Rahmen und in diesem Jahr erließ Italien ein antijüdisches Normensystem, das nach dem deutschen das ausgefeilteste war und einige spezielle Normen enthielt (beispielsweise diejenigen vom Ende September, welche die Ausweisung jüdischer Studenten aus den öffentlichen Schulen und von jüdischen Ausländern aus dem Staatsgebiet anordneten), welche in jenem Zeitpunkt (kurz darauf änderte sich die Lage) sogar noch größere Verfolgungsintensität aufwiesen als die damals in Deutschland geltenden135. Die Betrachtung der Stellungnahmen Mussolinis, die in jenen neun Monaten des Jahres 1938 aufeinander folgten, macht deutlich, dass er die Gestaltung der Verfolgung zwischen ihrer ersten Ankündigung und ihrer endgültigen Umsetzung mehrfach verändert hat. Zunächst (nämlich in der zitierten Informazione diplomatica Nr. 14 vom 16. Februar und dann in der Informazione diplomatica 133 AdS La Spezia, Prefettura, b. 28, fasc. 2, Ministerium für die Korporationen an die Präfekten, 20. April 1938 (ein Rundschreiben vom 21. Oktober stellte klar, dass sich die Anordnung vom April „nur auf Ausländer jüdischer Rasse“ bezogen habe; ebd.). 134 ASMAE, MAE, Gabinetto 1923–43, b. 171, fasc. „Ordini di servizio. Circolari“, sfasc. „Circolari 1938“, Minister des Auswärtigen an die diplomatischen und konsularischen Vertretungen, 31. Mai 1938. Am 2. April hatte der Minister für nationale Erziehung von einer nicht näher spezifizierten „Notwendigkeit einer Kontingentierung der Gesamtzahl der Ausländer“ gesprochen (G. Tanti, L’applicazione, a.a.O., S. 387), am 6. August erließ er das Verbot der Einschreibung an Universitäten für alle ausländischen Juden (M. Sarfatti, Mussolini, a.a.O., S. 32–33). 135 Ebd., S. 84–85. Zu einer zeitgenössischen Wahrnehmung dieses italienischen „Primats“ s. G. L. Luzzatto, Scritti politici. Ebraismo, a.a.O., S. 83. Am 25. Oktober 1938 schrieb der nationalsozialistische Völkische Beobachter, dass die vom Faschismus erlassenen Gesetze „teilweise sogar über die deutschen Maßnahmen hinausgehen“; vgl. auch die italienischen Tageszeitungen vom folgenden Tag.
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Nr. 18 vom 5. August) war sie als eine teilweise, genauer gesagt als eine nach quantitativen und qualitativen Klassen gegliederte Verfolgung gekennzeichnet gewesen (d.h. sie sollte in unterschiedlichem Ausmaß auf eine jüdische Bevölkerung angewandt werden, die zuvor in zahlenmäßige Quoten aufgeteilt worden war – unter Anwendung des Kriteriums der „Proportionalität“ bzw. des numerus clausus – und in Kategorien zerlegt worden war: italienische Juden im Besitz von Verdiensten militärischer, nationaler oder faschistischer Art, andere italienische Juden, ausländische Juden)136. In einem zweiten Zeitabschnitt – nämlich mit den gesetzlichen Maßnahmen von Anfang September und der Erklärung über die Rasse des Großen Faschistischen Rates vom 6. Oktober und auch im Lichte der Ergebnisse der Zählung der Juden vom 22. August137 – bestätigte Mussolini ihren partiellen Charakter, beschränkte diesen aber auf die qualitativen Klassen. Schließlich reduzierte er mit der endgültigen Abfassung der gesetzlichen Bestimmungen vom November138 die konkreten Wirkungen dieser Unterteilung der italienischen Juden auf einen so winzigen Punkt, dass die beiden Gruppen, in die sie eingeteilt worden waren, einer weitgehend einheitlich gewordenen Verfolgung unterworfen waren. Insofern war die Entscheidung vom 19. November 1938, alle Juden, also auch die Juden mit faschistischen Verdiensten, aus dem PNF auszustoßen139, der konsequente Schlussakt eines kurzen, aber intensiven Prozesses, in dessen Verlauf Mussolini – der dabei stets der Herr seiner Entschlüsse blieb, aber auch der von seiner eigenen Konstruktion faszinierte, jedoch ohne jede theoretische Kenntnis von ihr ausgestattete Zauberlehrling war – Schritt für Schritt erkannte, dass es ihm möglich war, Verfolgungsmaßnahmen zu erarbeiten und durchsetzen zu lassen, die jeweils noch härter, noch totalitärer und noch schlüssiger biologisch-rassistisch waren als die des vorhergehenden Monats. 136 M. Sarfatti, Mussolini, a.a.O., S. 23–24, 95–97. Die Note vom 5. August besagte: „Das Verhältnis wäre demnach ein Jude auf 1.000 Italiener. Es ist klar, dass von nun an die Teilnahme der Juden am allgemeinen Leben des Staates diesem Verhältnis entsprechen muss und entsprechen wird“. In denselben Wochen begann der Faschismus eine weitere „Verhältnismäßigkeit“ einzuführen: auf Initiative Mussolinis wurde ein Kgl. Gesesetzesdekret vorbereitet (das dann vom Ministerrat am 1. September 1938 zusammen mit den ersten antijüdischen Gesetzen verabschiedet wurde) das, in Fortsetzung einiger Beschränkungen aus dem Jahre 1934, „die Zahl der in den meisten öffentlichen Einrichtungen und privaten Unternehmen beschäftigten Frauen „auf höchstens 10%“ beschränkte [vgl. V. De Grazia, Le donne nel regime fascista. Venedig (Marsilio) 1993, S. 247–248, 262]. 137 M. Sarfatti, Mussolini, a.a.O., S. 28–45, 97–115. 138 Ebd., S. 48–74, 119–122. 139 Ebd., S. 55–56.
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Während so das Anschwellen von Kontroll- und Verbotsbestimmungen auch die zunehmende konkrete Ausrichtung der gesamten Verwaltungsstruktur des Landes auf die judenfeindliche Praxis bestimmte, wurde unterdessen das Bestehen zweier ministerieller Hauptämter, die sich speziell mit der rassistischen Verfolgung befassten, offiziell bekannt gegeben. Am 17. Juli wurde die vollzogene Umwandlung des Zentralamtes für Demographie in die Generaldirektion für Demographie und Rasse – als „organische Abteilung“ des Innenministeriums – mitgeteilt; diese sollte die Zuständigkeiten im demographischen Bereich und in „allen Bereichen, die mit der Untersuchung und der Umsetzung der Vorschriften [...] über die Rasse zu tun haben“ besitzen140. (Der Entwurf des Dekrets über diese Umwandlung war am 27. Mai vorbereitet worden und wurde vom Ministerrat am 1. September angenommen)141. Was die Haltung betrifft, welche das demographische Zentralamt zu dieser Thematik einnahm, so lässt sich feststellen, dass es im Dezember 1937 einen Vorschlag zur Zählung der „in Italien lebenden farbigen Personen“ angenommen hatte, der ihm von der Italienischen Gesellschaft für Anthropologie und Ethnologie unterbreitet worden war, und dass es sich bereit erklärt hatte, „ihr in der Forschung Unterstützung zu gewähren und sie in ihrer Arbeit zu kontrollieren“142. Im August wurde im Kabinett des Ministeriums für Volkskultur offiziell ein Amt für die Erforschung des Rassenproblems ins Leben gerufen, das mit beratenden und operativen Aufgaben und Funktionen ausgestattet war (jedoch keine effektiven Verwaltungskompetenzen besaß)143. 140 M. Sarfatti, Le „carte di Merano“: la persecuzione antiebraica nell’Italia fascista, in: Passato e presente XII (1994), Nr. 32, S. 119–128; G. Tosatti, Il Ministero dell’interno, a.a.O., S. 190–191. 141 M. Sarfatti, Mussolini, a.a.O., S. 28–29. 142 ACS, MI, DGDR (1938–43), b. 13, fasc. 43, sfasc. 4/VI, Italienische Gesellschaft für Anthropologie und Ethnologie an Zentralamt für Demographie, 5. Dezember 1937 und Zentralamt für Demographie an den Unterstaatssekretär im Innenministerium (Durchschlag), 11. Dezember 1937. Vgl. auch G. Gabrielli, Africani in Italia, a.a.O., S. 204. 143 Die Transformation der Arbeitsabteilung des Kabinetts des Ministers für Volkskultur in ein regelrechtes Büro scheint Ende Juni 1938 beschlossen worden zu sein und wurde nicht später als am 16. August umgesetzt; vgl. M. Raspanti, I razzismi, a.a.O., S. 73–89 (s. auch ebd., S. 227, 367–368); ACS, MI, DGDR (1938–43), b. 4, fasc. 15, sfasc E, Brief des Ministers für Volkskultur Dino Alfieri an den Unterstaatssekretär im Innenministerium Guido Buffarini Guidi, 17. August 1938, betreffend das „Amt für Erforschung des Rassenproblems“. Ebenfalls in jenen Tagen erklärte der Minister für Volkskultur gegenüber Mussolini, sein „Aktions“-Programm im Bereich der Rasse bestehe in der Gewinnung von Unterstützung für das Dokument „Der Faschismus und das Rassenproblem“, der Errichtung einer speziellen Bibliothek und Photothek beim Ministerium selbst, der Förderung von Konferenzen, Artikel in Periodika und Initiativen für Propagandafilme,der Gründung einer Zeitschrift populären Charakters,
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Die erstere (bekannt als „Demorazza“, der im September ein Höherer Rat für Demographie und Rasse an die Seite gestellt wurde) verrichtete die Arbeit der Vorbereitung und dann der Durchführung der Rassegesetzgebung; das zweite (mitunter auch als Rasseamt bezeichnet) arbeitete hauptsächlich in den Bereichen der Beratung, der Propaganda und der Dokumentation144, in deren Rahmen es u.a. seit 1941 in verschiedenen Städten die Zentren für die Erforschung des Judenproblems organisierte145. In der Zeit der Italienischen Sozialrepublik wurden die nicht-demographischen Zuständigkeiten der Demorazza und diejenigen des Rassenbüros dem Generalinspektorat für die Rasse übertragen, das dem Ministerpräsidenten unterstellt war146. Was die konzeptionelle und operative Kapazität der Demorazza und des Rassenbüros angeht, ist darauf hinzuweisen, dass die erstere bereits Anfang September die Schemata erarbeitet hatte, anhand derer die Anteile an „jüdischem Blut“ und „italienischem Blut“ [sic] bei Abkömmlingen eines gemischten Paares quantifiziert werden sollten147, während der zweite die Generaldirektion
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der Aufnahme von Kontakten zu anderen Ländern; ACS, MCP, Gabinetto, b. 151, fasc. „Appunti e relazioni al duce“, Durchschlag des Briefes an den Regierungschef, ohne Unterschrift – jedoch zweifellos Alfieri zuzuordnen –, datiert vom 19. Juli 1938; nahezu vollständig wiedergegeben b. M. Toscano, Ebraismo e antisemitismo, a.a.O., S. 183–184. Am 5. April 1939 ordnete eine „Dienstanweisung“ von Alfieri an: „Das beim Kabinett dieses Ministeriums eingerichtete besondere Büro mit Zuständigkeiten im Bereich der Rasse, trägt ab heute die Bezeichnung „Amt für Rassenforschung und Rassenpropaganda“; Ministero della Cultura Popolare, Bollettino ufficiale III Nr. 8 (16. April 1939), S. 349; bereits mitgeteilt in: P. Ferrara, Il Ministero della cultura popolare, in: G. Melis (Hrsg.), L’amministrazione centrale, a.a.O., Bd. IV, S. 71–72. Vgl. aber auch A. Gillette, Guido Landra and the Office of Racial Studies in Fascist Italy, in: Holocaust and Genocide Studies, Bd. 16, Nr. 3 (Winter 2002), S. 357–375. Im Dezember 1938 übersandte das Rasseamt an verschiedene diplomatische Vertretungen Italiens einen Fragebogen über Juden und Antisemitismus in verschiedenen Ländern; das Formular und die Antworten aus Thessaloniki und Tirana befinden sich in: ASMAE, MAE, Consolato Salonicco, b. 77; ebd., AP 1931–45, Albania, b. 82, fasc. 8. Centro Furio Jesi (Hrsg.), La menzogna, a.a.O., S. 256–58; G. Mayda, Ebrei sotto Salò. La persecuzione antisemita 1943–1945. Mailand (Feltrinelli) 1978, S. 45–49; S. Bon, Gli ebrei, a.a.O., S. 255–62; C. Bencini, La campagna di stampa, in: E. Collotti (Hrsg.), Razza e fascismo, a.a.O., Bd. II, S. 12–15. Zum Centro in Mailand s. ACS, SPD, CO (1922–43), b. 1144, fasc. 509.485. S.u., S. 289–291. ACS, MI, DGDR (1938–43), b. 3, fasc. 13, handschriftlicher Entwurf mit der Überschrift „Definizione di ebreo“ („Definition des Juden“) [September 1938]; teilweise wiedergegeben b. M. Sarfatti, Mussolini, a.a.O., S. 112; der handschriftliche Entwurf ist aufbewahrt in: ACS, MI, DGDR (1915–44), b. 1, fasc. 13; die dem Entwurf beigefügten genealogischen Tafeln sind verwahrt in: ebd., fasc. 12, und wiedergegeben
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für öffentliche Sicherheit „wegen wichtiger rassistischer Studien“ um die „Übersendung einiger Photographien mit kurzen biographischen Angaben über verdächtige Juden, vor allem der Unterzeichner des bekannten CroceManifests“ ersuchte148. Am 5. August nahm die von Telesio Interlandi herausgegebene ZweiwochenZeitschrift La difesa della razza, das erste auf diese Thematik spezialisierte Periodikum, ihr Erscheinen auf. Bis dahin war die antisemitische Kampagne vor allem – wenn auch nicht ausschließlich – von der Tageszeitung Il Tevere, ebenfalls von Interlandi herausgegeben, und der Monatszeitschrift La vita italiana, herausgegeben von Giovanni Preziosi, sowie – seit Februar 1938 – von der bereits erwähnten neuen Wochenzeitschrift Il giornalissimo, herausgegeben von Oberdan Cotone, betrieben worden; die wichtigsten Spezialzeitschriften, die später gegründet wurden, waren: Il diritto razzista („Das Rasserecht“), herausgegeben von Stefano Maria Cutelli (Mai/Juni 1939), Razza e civiltà („Rasse und Kultur“), herausgegeben von Antonio Le Pera (März 1940) und Il problema ebraico („Das Judenproblem“), herausgegeben von Aniceto Del Massa (April 1942)149. Am 22. August 1938 wurde eine besondere Zählung der Juden zwecks Feststellung potentiell zu Verfolgender durchgeführt. Diese Aktion, welche von der Demorazza organisiert wurde und sich auf rassische Kriterien stützte, führte zu der Feststellung, dass es im Königreich 58.412 Einwohner mit mindestens einem jüdischen oder ehemals jüdischen Elternteil gab; sie teilten sich auf in 48.032 Italiener und 10.380 Ausländer, die seit mehr als sechs Monaten ihren Wohnsitz in Italien hatten (s. 2. Kapitel, Tabelle 2). Von ihnen waren 46.656 (37.241 Italiener und 9.415 Ausländer) „effektive Juden“ (d.h. sie waren Mitglieder einer jüdischen Gemeinde oder hatten zumindest erklärt, dem Judentum anzugehören), und 11.756 gehörten verschiedenen Kategorien an, darunter bildeten die größten Gruppen diejenigen, die sich vom Judentum verabschiedet hatten (ca. 2.600) und diejenigen, die nichtjüdische Kinder aus
b. V. Galimi / A. Minerbi / L. Picciotto / M. Sarfatti, Dalle leggi antiebraiche alla shoah. Sette anni di storia italiana 1938–1945. Mailand (Skira) 2004, S. 115. 148 ACS, MI, DGPS, AGR, 1939, cat. C1, b. 7G, fasc. 7, Verantwortlicher des Rasseamtes Guido Landra an die Generaldirektion für öffentliche Sicherheit, 3. September 1938. 149 Zu den antisemitischen Periodika s. einstweilen: R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 272–274, 385; M. Sarfatti, Documenti della legislazione antiebraica. Il commento delle riviste razziste, in: RMI LIV Nr. 1–2 (Januar–August 1988), S. 199; Centro Furio Jesi (Hrsg.), La menzogna, a.a.O., S. 75–76, 148, 258; C. Bencini (Hrsg.), La campagna, a.a.O., S. 12–17.
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„rassisch gemischten“ Ehen waren (etwas mehr als 7.000)150. Wie noch dargestellt werden wird, wurde im darauf folgenden November eine rechtliche Definition des „Angehörigen der jüdischen Rasse“ erlassen, die eine Gesamtheit von Verfolgungsunterworfenen festlegte, welche zwischen den beiden oben genannten Geamtzahlen lag. (Es gilt zu bedenken, dass die in den beiden Gesetzesdekreten von Anfang September über Ausländer und Schulen enthaltene Definition – die bis zum November angewendet wurde – eine geringere Gesamtzahl von Verfolgten provisorisch bezeichnet hatte). Währenddessen hatte sich die Entwicklung der Verfolgung in zahlreichen Akten unterschiedlicher Natur fortgesetzt; von ihnen ist wenigstens die Entscheidung Mussolinis vom 8. April zu erwähnen, zur endgültigen Beendigung der Mitarbeit von Juden an Zeitungen und Zeitschriften fortzuschreiten151. Der Staatsbesuch Hitlers auf der Halbinsel im Mai war kein Anlass für eine besondere Steigerung der Verfolgungsmaßnahmen im Innern, abgesehen von den hunderten von vorübergehenden Festnahmen von jüdischen und nichtjüdischen Ausländern bei dieser Gelegenheit152. Am 17. August hatte der Unterstaatssekretär im Innenministerium die Anordnung erlassen, welche vielleicht die erste allgemeine Entfernung von Juden aus einem bestimmten Bereich bedeutete: Niemand von ihnen konnte mehr öffentliche Ämter in nachgeordneten Körperschaften im Bereich des Ministeriums des Innern bekleiden153. Zugleich (und wenige Monate nachdem ein Absolvent des Rabbiner-Kollegiums von Rhodos Vizerabbiner von Alexandria in Ägypten geworden war)154, erklärte die Regierung das Projekt der jüdischen „Nützlichkeit“, das zwölf Jahre zuvor vom 150 M. Sarfatti, Mussolini, a.a.O., S. 129–182; Das Formular der Zählung ist auch abgedruckt b. V. Galimi / A. Minerbi / L. Picciotto / M. Sarfatti, Dalle leggi antiebraiche alla shoah, a.a.O., S. 109. Zum Ablauf der Erhebung in einer Stadt s. F. Levi, Il censimento antiebraico del 22 agosto 1938, in: Ders., (Hrsg.), L’ebreo in oggetto. L’applicazione della normativa antiebraica a Torino 1938–1943. Turin (Zamorani) 1991, S. 13–38. 151 G. Fabre, L’elenco, a.a.O., S. 75–78; am 20. Juli war für die Zeitungen das Ziel „die Ausschaltung aller judaisiernden Restbestände auch aus dem Feuilleton“ geworden; ebd., S. 92–93. 152 K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. I, S. 118–138; Zuflucht, a.a.O., Bd. I, S. 122–140. Die Beschlagnahme von Büchern deutsch-jüdischer Autoren in jenen Wochen stand nicht mit jenem Besuch im Zusammenhang; vgl. jetzt G. Fabre, L’elenco, a.a.O., S. 31–32, 66–69, 73–74, 81–84. 153 M. Sarfatti, Mussolini, a.a.O., S. 76. 154 ASMAE, MAE, AP 1931–45, Egitto, b. 24, fasc. 2, sfasc. „Nomina Gran rabbino a Alessandria“, David Prato an das Außenministerium, 5. Juli 1938; Prato teilte mit, er habe die Ernennung des Rabbiners Angel „empfohlen“, um „die italienische Tradition im Großrabbinat von Alexandria fortzusetzen“, und fügte hinzu, dass diese „u.a. […] die große Nützlichkeit der Schule von Rhodos beweist“. Zu einigen Einstellungen von Absolventen aus Rhodos im Jahre 1933 vgl. F. Ravenna, Relazione sull’attività, a.a.O., S. 24.
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Hauptrabbiner Sacerdoti unterstützt worden war, für erledigt: Am 27. August ordnete der Gouverneur der italienischen Inseln im Ägäischen Meer, nachdem er eine ausdrückliche Erklärung Mussolinis über dessen Desinteresse erhalten hatte, die Schließung des Kollegiums an155. Unterdessen waren seit vielen Monaten Tageszeitungen und Periodika mit einer wachsenden Kampagne der Verleumdung und der Vorbereitung der Verfolgung beschäftigt; im September und im darauf folgenden November stellten ein Jude und eine Nichtjüdin, die gewohnt waren, ihre Worte zu wägen, fest: […] die schädlichen Auswirkungen dieses Aussäens von Hass, das die Presse verrichtet, und das, auch wenn es sehr unfähig durchgeführt wird, doch einige Wirkung wird haben müssen, wenn auch eine geringere als die, welche seine Urheber sich wünschen156. Die Presse, welche ganz in staatlicher Hand ist und einen antijüdischen Geist haben will, gibt ein erbärmliches und widerliches Schauspiel voller Inkonsequenzen und Widersprüche, grober historischer Fehler und der Niedertracht von Aasgeiern […]. Das Schauspiel eines betrunkenen Narren. Doch nach und nach wird vielleicht (zu unserer Schande) das Gefühl des Misstrauens und des Hasses haften bleiben und sich verbreiten. Es fehlt schon jetzt nicht an Papageien und Gau157 nern . 155 S. Della Seta, Gli Ebrei del Mediterraneo, a.a.O., S. 1030–1031. 156 V. Foa, Lettere della giovinezza, a.a.O., S. 490 (23. September 1938). 157 E. Bittanti-Battisti, Israel-Antisrael (Diario 1938–1943). 2. Aufl. Trient (Manfrini) 1986, S. 62. Allgemeiner Überblick über die antijüdische Pressekampagne b. R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 259–73; zur Analyse der „unabhängigen“ Zeitungen und der faschistischen Organisationen einer einzelnen Region (der Toskana) s. die Untersuchungen von C. Bencini / F. Balloni / S. Duranti in: E. Collotti (Hrsg.), Razza e fascismo, a.a.O., Bd. I, S. 225–414. Zur antisemitischen Publizistik s. A. Goldstaub, Rassegna, a.a.O., S. 409–33; Centro Furio Jesi (Hrsg.), La menzogna, a.a.O. – Es gibt keine vertieften Untersuchungen über den Beitrag der Publizisten und Journalisten zur rassistischen und antisemitischen Kampagne (viele von ihnen waren damals jung und haben ihre Tätigkeit in der Nachkriegszeit fortgesetzt); es gibt auch keine Untersuchungen über die Auseinandersetzungen, welche verursacht wurden durch die – freilich nur begrenzten – einschlägigen Berichte in den Jahren 1952/53 von A. Spinosa, Le persecuzioni razziali in Italia, in: Il ponte VIII Nr. 7, 8, 11 (Juli, August, November); ebd., IX Nr. 7 (Juli) und 1961 von R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O. Zu einem Fall eifrigen Gehorsams eines Mitarbeiters und des Herausgebers einer Tageszeitung auf eine Bitte von Giovanni Preziosi s. S. Gerbi, Ricciardetto e gli uccellini circoncisi, in: Belfagor LIV Nr. 6 (November 1999), S. 693–707. Zur „enthusiastischen Teilnahme der Guf [Gruppi universitari fascisti (Faschistische Universitätsgruppen)] an der rassistischen Kampagne“, s. L. La Rovere, Storia dei Guf. Organizzazione, politica e miti della gioventù universitaria fascista 1919–1943. Turin (Bollati Boringhieri) 2003, S. 339–349 (Zitat auf S. 340). Zum Beitrag der Wissenschaftler s. G. Israel / P. Nastasi, Scienza e razza nell’Italia fascista. Bologna (Il Mulino) 1998; R. Maioc-
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Am 13. Juli war das theoretische Dokument Il fascismo e i problemi della razza („Der Faschismus und die Probleme des Rasse“) vollendet worden, das auch unter dem irreführenden Titel Manifesto degli scienziati razzisti („Manifest der rassistischen Wissenschaftler“) bekannt ist und als das Werk „einer Gruppe von faschistischen Gelehrten […] unter der Ägide des Ministeriums für Volkskultur“ vorgestellt wurde, in Wirklichkeit aber von Guido Landra unter Beratung von einigen weiteren Gelehrten auf der Grundlage von präzisen Anleitungen, die ihm am 25. Juni direkt von Mussolini erteilt worden waren, und von weiteren Hinweisen Alfieris verfasst worden war158. Zwölf Tage später verpflichtete Achille Starace, Sekretär des PNF, in einer Mitteilung über seine Begegnung mit den Unterzeichnern des Dokuments die Partei offiziell zur Unterstützung des „faschistischen Rassismus“159. Das Dokument befasste sich mit dem Rassismus in seinem ganzen Umfang und innerhalb dessen auch mit dem antijüdischen Rassismus. Es postulierte die Existenz von „menschlichen Rassen“, insbesondere einer „reinen italienischen Rasse“, die als eine solche „arischen Ursprungs“ und „arischer Kultur“ bestimmt wurde; es stellte unmissverständlich die Behauptung auf, dass „der chi, Scienza italiana, a.a.O., A. Treves, Le nascite, a.a.O., S. 310–347; s. auch B. Raggi, La variabile dipendente dell’antisemitismo, in: Il manifesto, 3. Oktober 1998. Zur vorhergehenden Verbreitung von antijüdischen Stereotypen, Vorurteilen und Feindseligkeiten in der Literatur (vor allem der Massenliteratur) s. L. M. Gunzberg, Strangers at Home. Jews in the Italian Literary Imagination. Berkeley, Los Angeles, Oxford (University of California Press) 1992; R. Bonavita, Grammatica, a.a.O., S. 89– 119. Es ist hervorgehoben worden, dass „seit der ersten Hälfte der 30er Jahre bezeugt die Konsum-Belletristik, die auf die Notwendigkeiten der Propaganda aufmerksamer eingeht, das Vorhandensein einer rassistischen Mentalität“ [Ders., Un percorso nell’immaginario del ventennio, in: I viaggi di Erodoto XIII Nr. 38–39 (Juni– November 1999), S. 68]. Zum Antisemitismus unter den Italienern in den USA im Jahre 1938 s. S. Luconi, The response of Italian Americans to Fascist antisemitism, in: Patterns of Prejudice, Bd. 35, Nr. 3 (Juli 2001), S. 3–23. 158 M. Sarfatti, Mussolini, a.a.O., S. 18–20; Ders., La preparazione, a.a.O., S. 28–32, 50– 54. Die 1993 vom Mitunterzeichner des Dokuments Marcello Ricci verfasste Denkschrift und die Vorläufer-Version des Dokuments werden jetzt verwahrt in: ACS, Fondo Renzo De Felice, b. 3, fasc. 6. Das Dokument wurde publiziert von Il giornale d’Italia unter dem Datum des 15. Juli 1938 und verbreitet am 14., von allen Tageszeitungen am 15. Juli datiert und verbreitet; Die letzteren veränderten jedoch infolge einer besonderen Anweisung den ursprünglichen Text des Satzes „Die Bevölkerung des gegenwärtigen Italien ist in der Mehrheit arischer Herkunft“ (so berichtet von Il giornale d’Italia) indem sie die Worte „in der Mehrheit“ wegließen; vgl. ebd., S. 29, Fußn. 13. 159 M. Sarfatti, Mussolini, a.a.O., S. 20–21; M. Raspanti, I razzismi, a.a.O., S. 74–75, 78. Die zehn „faschistischen Gelehrten, Dozenten an den italienischen Universitäten“, die das Dokument „verfasst oder ihm zugestimmt“ hatten, waren: Lino Businco, Lidio Cipriani, Arturo Donaggio, Leone Franzi, Guido Landra, Nicola Pende, Marcello Ricci, Franco Savorgnan, Sabato Visco, Edoardo Zavattari.
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Begriff des Rasse ein rein biologischer Begriff ist“160; es verkündete die Ansicht, dass „die Juden nicht der italienischen Rasse angehören“ (und dass daher mit ihnen auch keine „Kreuzungen“ möglich seien). Die Mitteilung des PNF wies darauf hin, dass der „theoretischen Formulierung“ noch „eine weitere präzise politische Aktion folgen würde“, und fügte hinzu, dass „die Juden in jeder Nation – mit ihren Menschen und mit ihren Mitteln – die stärkste Kraft des Antifaschismus gewesen sind“. Die beiden Texte proklamierten ganz offen, dass die Verfolgung der Juden (neben derjenigen der Afrikaner) offiziell in Italien eingeführt werden könne und müsse. Am 6. Oktober griff der Große Faschistische Rat das Thema mit einer Erklärung über die Rasse auf, worin mit einer Vorstellung der nächsten gesetzlichen Maßnahmen die erste genauere Definition der „Zugehörigkeit zur jüdischen Rasse“ eingeführt wurde und des Weiteren behauptet wurde, dass die italienischen Juden das Regime nicht „aufrichtig“ akzeptierten, weil dieses „antithetisch zur Psychologie, zur Politik und zum Internationalismus Israels“ sei. Der Text kündigte eine teilweise, auf „qualitative Kriterien“ beschränkte Verfolgung an: Juden, welche sich Verdienste erworben hätten, sollten davon ausgenommen sein (nur die Entfernung aus dem Lehramt würde eine „rigorose“ sein)161. Allerdings bemerkte der Große Faschistische Rat, dass diese unterschiedlichen Bedingungen „annulliert oder erschwert werden können, je nach dem Verhalten, welches das Judentum gegenüber dem faschistischen Italien einnehmen wird“162. 160 Wie noch dargestellt werden wird, besaß die antijüdische Gesetzgebung einen rassistisch-biologischen Ansatz, blieb somit dem Dokument des 14. Juli treu. Es ist interessant festzustellen, dass ein Teil der Propaganda, in der Annahme, dass diese „materielle“ Grundlage stabil und nicht mehr umstritten sei, sie mit „geistigen“ Analysen und Perspektiven umgab und perfektionierte (die letzteren dürfen also nicht mit dem tatsächlich rassistisch-spirituellen Ansatz gleichgesetzt werden, der anscheinend im PNF und in der Regierung eine Minderheitsposition geblieben war). 161 M. Sarfatti, Mussolini, a.a.O., S. 39–45, 105–117, 187–189. Soweit heute bekannt ist, sprachen sich Italo Balbo, Emilio De Bono und Luigi Federzoni während der Versammlung des Großen Faschistischen Rates – ohne damit Erfolg zu haben – für die Ausweitung der Ausnahmen für Juden aus, die im Besitz von Verdiensten waren (sie verlangten also nicht, die Verfolgung nicht einzuführen); R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 302–304; A. Vittoria, Dal carduccianesimo all’Accademia d’Italia: Federzoni e la cultura italiana, in: B. Coccia / U. Gentiloni Silveri (Hrsg.), Federzoni e la storia della destra italiana nella prima metà del Novecento. Bologna (Il Mulino) 2001, S. 131–32. 162 Zum Boykott italienischer Produkte an der Obst- und Gemüsebörse in London im September 1938, s. M. Sarfatti, La preparazione, a.a.O., S. 48–50. In den vorhergehenden Wochen hatte es Boykottfälle in Südafrika gegeben; vgl. ASMAE, MAE, AP 1931–45, Italia, b. 50, fasc. 5, verschiedene Dokumente. Im September 1938 gab es ei-
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Mit diesen Worten nahm der Aspekt der internationalen Erpressung eindeutig die Stelle der vorhergehenden Maskierung des Regierungshandelns ein (welche ja auch infolge des endgültigen Beginns der Verfolgungsgesetzgebung sinnlos geworden war). Die Juden in den Vereinigten Staaten, die am meisten in die Sache verwickelt waren, antworteten durch Stephen Wise: In Amerika sind die Juden nicht bereit und unfähig, auf die Bedingungen Mussolinis einzugehen, d.h. sich dem Faschismus in ihrer Eigenschaft als Amerikaner nicht entgegen zu stellen. Es genügt uns nicht, ehrbare Anhänger der Demokratie zu sein, vielmehr empfinden wir in Amerika das Bedürfnis, uns dem Nazismus und dem Faschismus ebenso entgegen zu stellen, wie diese sich der Demokratie entgegen stellen und sie bekämpfen. Eines können wir für die Juden Italiens nicht tun. Wir werden nicht unserem demokratischen Glauben abschwören, nur um die 163 Macht der Schläge, welche auf sie herabfallen könnten, zu mildern .
4. Merkmale und Verlauf der Verfolgung Am 1. und 2. September 1938 nahm der Ministerrat des Königreichs Italien die gesetzlichen Regelungen über die Ausweisung der ausländischen Juden (Kgl. Gesetzesdekret 1381/1938), die Arisierung der öffentlichen Schulen (Kgl. Gesetzesdekret 1390/1938, Kgl. Gesetzesdekret 1630/1938), die Einrichtung der staatlichen Ämter für die Verfolgung usw. an; am 7., am 9. und am 10. November nahm er diejenige allgemeiner Art (Kgl. Gesetzesdekret 1728/1938), die zusammenfassende über die Schulen (Kgl. Gesetzesdekret 1779/1938) usw. an; im Dezember und sodann in den folgenden Jahren folgte eine Anzahl weiterer Vorschriften, welche fast stets die Einzelheiten der Verfolgung in einzelnen Bereichen regelten164. Keine dieser antijüdischen Regenige Rücknahmen von Bankeinlagen bei palästinensischen und syrischen Filialen des Banco di Roma; R. Di Quirico, La Banca, a.a.O., S. 63–64. Zu verschiedenen Nachrichten zu diesem Thema seitens des Gouverneurs der Banca d’Italia Azzolini an Mussolini s. A. Roselli, Il governatore Vincenzo Azzolini 1931–1944. Rom, Bari 2001, S. 249–50. 163 Zitiert b. S. Wise, Challenging Years. New York (Putnam’s sons) 1949, S. 263. 164 Die gesetzlichen Bestimmungen von besonderer Bedeutung waren: Kgl. Gesesetzesdekret vom 7. September 1938 Nr. 1381 („Vorschriften gegenüber den ausländischen Juden“); Kgl. Gesesetzesdekret vom 5. September 1938 Nr. 1390 („Vorschriften zur Verteidigung der Rasse in der faschistischen Schule“); Kgl. Dekret vom 5. September 1938 Nr. 1531 („Umwandlung des Zentralamtes für Demographie in die Generaldirektion für Demographie und Rasse“); Kgl. Gesesetzesdekret vom 5. September 1938 Nr. 1539, („Einrichtung des Obersten Rates für Demographie und Rasse beim Ministerium des Innern“); Kgl. Gesesetzesdekret vom 23. September 1938 Nr. 1630 („Einrichtung von Elementarschulen für Kinder jüdischer Rasse“); Kgl. Gesesetzesdekret vom 17. November 1938 Nr. 1728 („Vorschriften zur Verteidigung der italienischen Rasse“); Kgl. Gesesetzesdekret vom 15. November 1938 Nr. 1779 („Ergänzung und Koor-
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Viertes Kapitel dinierung in einem einheitlichen Text der bereits erlassenen Bestimmungen über die Verteidigung der Rasse in der italienischen Schule“); Kgl. Gesesetzesdekret vom 22. Dezember 1938 Nr. 2111 („Vorschriften über die Versetzung in den endgültigen Ruhestand und über die Leistungen im Ruhestand des Militärpersonals jüdischer Rasse der Streitkräfte“); Kgl. Dekret vom 21. November 1938 Nr. 2154 (Änderungen des Parteistatuts der Nationalen Faschistischen Partei“); Kgl. Gesesetzesdekret vom 9. Februar 1939 Nr. 126 („Vorschriften zur Ausführung und Ergänzung der Bestimmungen nach Art. 10 des Kgl. Gesetzesdekrets vom 17. November 1938 – XVII, Nr. 1728 […]“); Gesetz vom 13. Juli 1939 Nr. 1024 („Vorschriften zur Ergänzung des Kgl. Gesetzesdekrets vom 17. November 1938 – XVII Nr. 1728 über die Verteidigung der italienischen Rasse“); Gesetz vom 29. Juni 1939 Nr. 1054 („Regelung der Berufsausübung durch die Bürger jüdischer Rasse“); Gesetz vom 13. Juli 1939 Nr. 1055 („Bestimmungen über testamentarische Angelegenheiten sowie über die Regelung der Familiennamen der Angehörigen der jüdischen Rasse“); Gesetz vom 28. September 1940 Nr. 1459 („Ergänzungen zum Gesetz vom 13. Juli 1939 – XVII, Nr. 1055 […]“); Gesetz vom 19. April 1942 Nr. 517 („Ausschluss der jüdischen Elemente aus dem Bereich des Schauspiels“); Gesetz vom 9. Oktober 1942 Nr. 1420 („Beschränkungen der Rechtsfähigkeit der in Libyen wohnen Angehörigen der jüdischen Rasse“). Es verdient erwähnt zu werden, dass mitunter die in den gesetzlichen Vorschriften enthaltenen Normen einige Tage nach der Veröffentlichung in der Gazzetta ufficiale in Kraft traten und dass diese häufig einige Tage nach der im Titel der Vorschriften selbst angegebenen Datum erfolgte (Das Kgl. Gesesetzesdekret 1728/1938, welches das Datum des 17. November trägt, wurde am 19. November veröffentlicht und trat am 4. Dezember in Kraft). Die Texte der verschiedenen antijüdischen gesetzlichen Bestimmungen und ein Hinweis auf weitere in anderen Gesetzen und im neuen Zivilgesetzbuch enthaltene Normen finden sich in: M. Sarfatti, Documenti della legislazione antiebraica. I testi delle leggi, in: RMI LIV Nr. 1–2 (Januar–August 1988), S. 49–167; zu zwei Berichtigungen an den Texten s. Ders., Nota al: 1938 le leggi contro gli ebrei, ebd., Nr. 3 (September–Dezember 1988), S. 617–18. Eine Auflistung weiterer kleinerer Bestimmungen, d.h. solcher mit Bezügen zu speziellen Themen oder mit Regelungsgehalt, findet sich b. V. Di Porto, Le leggi della vergogna. Florenz (Le Monnier) 2000, S. 249–56. Zu zwei gesetzlichen Vorschriften, die zwar ausgearbeitet waren, dann aber nicht mehr erlassen wurden (eine davon betraf die Ausweisung aller Juden aus Italien, die andere ihre Zusammenfassung in Zwangsarbeitslagern) s. weiter unten im Text; zu einem dritten nicht mehr erlassenen Regelungswerk (betreffend den Ausschluss der Juden aus der Gewerkschaft), s. G. Parlato, Polemica antiborghese, antigermanesimo e questione razziale nel sindacalismo fascista, in: Storia contemporanea XIX Nr. 6 (Dezember 1988), S. 1215–1218. Bei weiteren Gesetzesvorhaben blieb die Ausarbeitung in der Anfangsphase stecken; s. z.B. den Entwurf eines „Einheitstextes der Rassegesetze“, vorgeschlagen und aufgegeben im Laufe des Jahres 1940; ACS, MF, SBE, aa, b. 18, fasc. 4. Zur Entstehung der Bestimmungen von 1938 s. M. Sarfatti, Mussolini, a.a.O., S. 28–36, 48–74. Zum damit geschaffenen „antisemitischen Recht“, s. O Camy, La doctrine italienne, in: Le genre humain Nr. 28 (Mai 1996, Sonderheft mit dem Titel „Le droit antisémite de Vichy“), S. 497–539. Zur Rechtsprechung jener Zeit s. G. Fubini, La legislazione razziale. Orientamenti giurisprudenziali e dottrina giuridica, in: Il ponte, XXXIV, Nr. 11–12 [November–Dezember 1978, Sonderheft mit dem Titel: „La difesa della razza“ („Die Verteidigung der Rasse“)]; M. R. Lo Giudice, Razza e giustizia nell’Italia fascista, in: Rivista di storia contemporanea XII Nr. 1 (Januar 1983), S. 70–90; S. Mazzamuto, Ebraismo e diritto, a.a.O., S. 1788–94; Vgl. auch G. Alpa, La cultura delle regole. Storia del diritto civile italiano. Bari, Rom (Laterza) 2000, S. 270–87.
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lungen enthielt Normen gegen die anderen „Rassen“ oder insbesondere gegen die Afrikaner, mit der einzigen Ausnahme des Kgl. Gesetzesdekrets 1728/1938, worin das Verbot der Ehe zwischen einem italienischen Staatsbürger „arischer Rasse“ und einer „einer anderen Rasse angehörenden Person“ ausgesprochen wurde (und das somit eines jener „Spezialgesetze“ war, welche 1937 von der Parlamentskommission für das Zivilgesetzbuch vorgeschlagen und – wie dargestellt – vom letzteren in den Artikeln 1 und 89 in Bezug genommen worden waren)165. Die antijüdische Gesetzgebung in Italien wurde automatisch auf die Territorien ausgedehnt, welche 1940/41 an Italien angeschlossen worden waren (Mentone, Slowenien, Susak und Dalmatien). Auf die Dodekannes wurde sie mit entsprechenden unmittelbaren Vorschriften der Regierung der italienischen Inseln der Ägäis ausgedehnt (M. Sarfatti, Documenti della legislazione antiebraica. I testi delle leggi, a.a.O., S. 60; Vgl. auch E. Fintz Menascé, Gli ebrei a Rodi, a.a.O., S. 268–80) auf Libyen durch das bereits erwähnte Gesetz 1420/1942 (Das Gesetz bedeutete – wie auch die Verwaltungsbestimmungen über die Internierung und über die obligatorische Arbeit, die vorangegangen waren – eine beachtlich härtere Verfolgung als die in Italien geltende; sie trat übrigens am 17. Dezember 1942 in Kraft, d.h. wenig mehr als einen Monat vor dem Einmarsch der Alliierten in Tripolis; vgl. R. De Felice, Ebrei in un paese arabo, a.a.O., S. 259–284). Für erste Hinweise auf die Ausdehnung der antijüdischen Gesetzgebung in Italienisch Ostafrika (das bis in die ersten Monate des Jahres 1941 in italienischem Besitz blieb) s. M. Cavallarin, Ebrei in Eritrea, a.a.O., S. 121–25. In Albanien (das von Italien 1939 unterworfen wurde und dem 1941 das Kosovo angegliedert wurde) führte Italien eine der auf der Halbinsel geltenden ähnliche Gesetzgebung ein oder ließ sie verkünden; A. Kotani, Hebreite ne Shqiperi gjate shekujve. The Hebrews in Albania during centuries. Tirana (Dituria) 1996, S. 172 ff.; S. Trani, L’Unione fra l’Italia e l’Albania (1939–1943), in: Clio XXX Nr. 1 (Januar–März 1994), S. 154–56. Am 17. September 1942 erließ die Republik San Marino ein „Gesetz über Regelungen im Bereich des Eherechts und zur Verteidigung der Rasse“ (Legge contenente provvedimenti in materia matrimoniale e in difesa della razza), welches sowohl „die Eheschließung des San Mariner Bürgers arischer Rasse mit Personen anderer Rasse“ als auch die Schließung einer in Italien durch das Kgl. Gesesetzesdekret 1728/1938 verbotenen Ehe italienischer Staatsbürger in San Marino verbot (vgl. Bollettino Ufficiale della Repubblica di San Marino Nr. 7, 30. September 1942. Das Gesetz ist mitgeteilt in einem unveröffentlichten Manuskript von Roberto Tamagnini über die jüdische Präsenz in der Republik San Marino). Beide Verbote könnten durch folgenden Vorgänge veranlasst worden sein: Im Dezember 1939 feierte und registrierte ein Stadtpfarrer in San Marino die Schließungen einer in Italien verbotenen „Mischehe“; die Brautleute und der Priester wurden in Italien angezeigt, das betreffende Verfahren wurde eingestellt, doch der gerichtliche Vorgang erlangte ein gewisses Echo in den juristischen Zeitschriften des Jahres 1942 [G. Bontempo, Il matrimonio concordatario ed acattolico in relazione ai provvedimenti razziali. Sulmona (Labor) 1987, S. 18–20; die Abhandlung schildert verschiedene Urteile mit antijüdischem Unterton im eherechtlichen Bereich]. 165 Zur Entwicklung der rassistischen Apartheid-Gesetzgebung gegen die Afrikaner vgl. R. Pankhurst, Lo sviluppo del razzismo, a.a.O., S. 182–195; L. Goglia, Note sul razzis-
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Der Erlass dieser gesetzlichen Regelungen unterbrach nicht etwa denjenigen von Verwaltungsvorschriften. Diese folgten im Laufe der Jahre einander; mitunter enthielten sie technische oder sachliche Änderungen (meistens Verschärfungen) gegenüber früheren gesetzlichen oder administrativen Bestimmungen, mitunter führten sie gänzlich neue Verfolgungsmaßnahmen ein (die dann manchmal durch nachfolgende Gesetze bestätigt wurden)166. In einigen Fällen erfuhren die im Entstehen begriffenen oder bereits erlassenen Normen noch Einschränkungen, welche dem Willen oder der Notwendigkeit geschuldet waren, anderen Rechtsgrundsätzen oder ökonomischen und politischen Vorteilen Vorrang einzuräumen. So wurde beispielsweise – wie noch darzustellen sein wird – im Jahre 1939 beschlossen, beim Kind eines „arischen“ Ausländers und eines „jüdischen“ Ausländers die automatische Klassifizierung „jüdischer Rasse“ zurückzunehmen, weil dies im Widerspruch zur Bestimmung des Zivilgesetzbuchs stand, wonach der Stand, die Rechtsfähigkeit und die Familienverhältnisse des Ausländers durch das Rechts seines Landes und nicht durch das italienische Recht geregelt würden. Auch wurde im Sommer 1938 entschieden, den ausländischen Juden die Einreise in das Königreich nur dann zu verbieten, wenn sie zum Zwecke der „Begründung des Wohnsitzes“ erfolgte, nicht aber dann, wenn er dem „Aufenthalt“ (Tourismus, Studium usw.) oder dem „Transit“ diente, um nicht den Interessen der Tourismus-Örtlichkeiten und der italienischen Schifffahrtsgesellschaften zu schaden167. Schließlich forderte Ciano, ebenfalls in jenen Tagen, die diplomatischen Vertreter des Königreichs in den entlang einem breiten Streifen von Casablanca bis Kabul gelegenen Staaten auf, die neue antisemitische Politik mo, a.a.O., S. 1250–1266; Ders., L’imperialismo coloniale fascista, in: L. Goglia / F. Grassi, Il colonialismo italiano da Adua all’impero. 2. Aufl. Rom, Bari (Laterza) 1993, S. 211–220, 333–335, 401–421; Centro Furio Jesi (Hrsg.), La menzogna, a.a.O., S. 286–97 (mit ersten Hinweisen zur Behandlung der Afrikaner auf der Halbinsel; weiter entwickelt b. G. Gabrielli, Africani in Italia, a.a.O.); A. Del Boca, Le leggi razziali nell’impero di Mussolini, in: A. Del Boca / M. Legnani / M. G Rossi, Il regime fascista, a.a.O., S. 337–351. Vgl. auch G. Rochat, Il colonialismo italiano. Turin (Loescher) 1974, S. 222–23. 166 Einige Auflistungen von administrativen Vorschriften finden sich b. M. Sarfatti, Documenti della legislazione antiebraica. Le circolari, in: RMI LIV Nr. 1–2 (Januar– August 1988), S. 169–198; S. Caviglia, Un aspetto sconosciuto della persecuzione: l’antisemitismo amministrativo del Ministero dell’Interno, ebd., S. 233–273. Vgl. auch M. L. San Martini Barrovecchio, Documenti dell’Archivio di Stato di Roma nel periodo della persecuzione fascista (1939–1944), in: Italia Judaica. Gli ebrei nell’Italia unita, a.a.O., S. 152–66 sowie (zu den Büchern) G. Fabre, L’elenco, a.a.O. 167 K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. I, S. 311–312, 285; Zuflucht, a.a.O., Bd. I, S. 293–294, 269.
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mit „aller Klugheit“ umzusetzen, wenn es eine beachtliche Anzahl von Juden in der italienischen Gemeinde vor Ort gebe168. Dieses komplexe Normenensemble und die hauptsächlichen Verfolgungsaktivitäten nicht normativer Art werden im Folgenden zusammenfassend dargestellt und in sechs Themenbereiche unterteilt, welche alle nur den Fünfjahreszeitraum von 1938 bis 1943 betreffen169. Die Verfolgungsgesetze wurden vom Staatsoberhaupt – König Vittorio Emanuele III. von Savoyen – ausnahmslos unterzeichnet170. Am 16. Dezember 1938 bestätigte die Abgeordnetenkammer – in Abwesenheit der Abgeordneten „jüdischer Rasse“ und in Anwesenheit Mussolinis – einstimmig die ersten fünf Dekrete vom September und November171. Am 20. Dezember stimmte der vom König ernannte Senat – in Abwesenheit der Senatoren „jüdischer Rasse“ – mit großer Mehrheit zu (von 164 Stimmen wurden zehn gegen das erste Kgl. Gesetzesdekret und neun gegen die weiteren abgegeben; offenbar hatte in der ersten Abstimmung ein Senator sich bei der Stimmabgabe geirrt)172. Für seinen Teil erreichte das Oberhaupt der katholischen Kirche – Papst Pius XI. – am 168 ASMAE, MAE, AP 1931–45, Italia, b. 50, fasc. 5, Außenminister Ciano an 18 italienische Botschaften und Konsulate Nordafrikas und Westasiens, 10. August 1938; jetzt auch in: Ministero degli Affari Esteri, I documenti diplomatici italiani, Serie VIII, Bd. IX: 24. April–11. September 1938. Rom 2001, S. 538. 169 Wenn in den Fußnoten nicht anders vermerkt, stützen sich die thematischen Zusammenfassungen auf die gesetzlichen oder administrativen Bestimmungen, welche o. in den Fußnoten 164 und 166 aufgeführt oder erwähnt sind. 170 Zum Gespräch vom 10. September 1938 zwischen dem König und dem Unterstaatssekretär im Innenministerium Guido Buffarini Guidi, in dessen Verlauf der erstere „sich vollständig beruhigte“, vgl. M. Sarfatti, Mussolini, a.a.O., S. 36–37. 171 Der stenographische Bericht über die Sitzung ist nunmehr wiedergegeben in: Camera dei Deputati, La persecuzione degli ebrei durante il fascismo. Le leggi del 1938. Rom 1998, S. 148–153 (die Versammlung beschloss die „Umwandlung zum Gesetz“ der vom Ministerrat erlassenen Kgl. Gesetzesdekrete). Zu den jüdischen Abgeordneten s. weiter unten im Text. In der selben Sitzung beschloss die Kammer ihre eigene Auflösung und die Einsetzung der neuen Camera dei fasci e delle corporazioni. 172 Der stenographische Bericht über die Sitzung ist jetzt wiedergegeben in: ebd., S. 164– 170. Ein einziger Senator ergriff das Wort: er kündigte seine Zustimmung an, erklärte, dass „der Komplex von Regelungen ein Bild von Vorsichtsmaßregeln“ ergebe, äußerte den Wunsch, dass es nicht zu „irgendeiner Verfolgung“ [sic] kommen werde, und forderte, dass bei seiner Anwendung jegliche „Trübung“ der Lateranverträge vermieden werde. Zur späteren Erklärung ein negatives Votum abgegeben zu haben, und zu einem (nicht dokumentierten) Versuch der Identifikation der anderen acht ablehnenden Senatoren s. D. Musielak, Lo stato fascista e la sua classe politica (1922–1943). Bologna (Il Mulino) 2003, S. 419. Vgl. auch B. Di Porto, La temuta protesta dei senatori ebrei per le leggi antiebraiche, in: RMI LXIV Nr. 2 (Mai–August 1998), S. 70. Zu den jüdischen Senatoren s. weiter unten im Text.
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Viertes Kapitel
Ende von komplizierten Verhandlungen, die im August stattfanden und im Oktober wieder aufgenommen wurden, dass die Verfolgungsgesetzgebung keine Strafen für das gemischtrassige Konkubinat vorsah (d.h. beispielsweise für die rassisch gemischte Lebensgemeinschaft, die nur durch eine kirchliche Eheschließung sanktioniert war), nicht aber, dass sie die Registrierung wenigstens eines Teils dieser neuen Ehen bei den Gemeinden gestattete173; was hingegen die Juden aufgrund Identität und „Rasse“ anging, hielt er es für richtig, sich nicht damit zu befassen oder zumindest darüber zu schweigen174. So endete jenes „entscheidende und schreckliche“ Jahr. 173 Vgl. M. Sarfatti, Mussolini, a.a.O., S. 25–28, 48–53. Ende November/Anfang Dezember 1938 (d.h. zwischen der Verabschiedung des Kgl. Gesesetzesdekrets 1728/1938 und dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens) erlangte der Präfekt von Brescia die Zusammenarbeit des Vikars des Bischofs jener Stadt bei der Aussetzung (und damit Verhinderung) einer rassisch gemischten Eheschließung in der Kirche; M. Ruzzenenti, La capitale della Rsi e la Shoah. La persecuzione degli ebrei nel Bresciano (1938–1945), in: Studi bresciani Nr. 15 (2006), S. 48–50. 174 Nach Verabschiedung des Gesetzes protestierte der Osservatore romano vom 14./15. November 1938 denn auch einzig und allein gegen das Verbot der Eintragung von rassisch gemischten Eheschließungen, die von der Kirche vorgenommen worden waren. Der Protest hatte zum Gegenstand den vulnus, welcher den Konkordatsvereinigungen zugefügt worden war, betraf aber allgemein betrachtet die regierungsseitige Beschränkung des Rechts (der Katholiken) auf Eheschließung; auch im Fall der antijüdischen Gesetzgebungen in Ungarn, der Slowakei und Vichy-Frankreich, wandte der Heilige Stuhl sich vor allem anderen gegen die Eheverbote; s. M. Sarfatti, Legislazioni antiebraiche nell’Europa degli anni Trenta e Chiesa cattolica. La „nuova“ classificazione di ebreo e il divieto di matrimoni „razzialmente misti“. Primi elementi di sistematizzazione e comparazione, in: C. Brice / G. Miccoli (Hrsg.), Les racines, a.a.O., S. 268–73. Tatsächlich hatte Pius XI. im Jahre 1937/38 ausdrücklich und eindeutig den Rassismus im allgemeinen verurteilt (Enzyklika Mit brennender Sorge vom 14. März 1937; Ansprache an eine Gruppe von Mitarbeitern der Katholischen Aktion vom 21. Juli 1938; Ansprache an Studenten des Kollegiums „de Propaganda fide“ vom 28. Juli 1938 usw.) und – sehr viel seltener – den antijüdischen Rassismus bzw. den Antisemitismus (Ansprache an eine Wallfahrergruppe des belgischen katholischen Radios vom 6. September 1938); er hat sich jedoch, während er notwendiger Weise gegen die antijüdische Verfolgung im Sinne des Hasses bzw. des von Gewalt begleitenden Kampfes gegen sie war, niemals gegen die antijüdische Verfolgung im Sinne der Einführung oder der Wiedereinführung von Verboten und Maßnahmen der Absonderung und der Verminderung ihrer Rechte, vor allem des Rechts auf Gleichheit, gewandt. In dieser Hinsicht sind die einzigen von ihm bekannt gewordenen Worte diejenigen vom 6. September 1938: „Nein, den Christen ist es nicht möglich, Partei für den Antisemitismus zu ergreifen. Wir erkennen jedem das Recht zu, sich zu verteidigen, Maßnahmen zu seinem Schutz gegen alles zu ergreifen, was seine legitimen Interessen bedroht. Doch der Antisemitismus ist unannehmbar. Wir sind geistig Semiten [zum originalen französischen Text vgl. G. Passelecq / B. Suchecky, L’encyclique cachée de Pie XI. Une occasion manquée de l’Eglise face à l’antisémitisme. Paris (La Decouverte) 1995, S. 181]; Überblick über die amtlichen katholischen Äußerungen jener Jahre b. G. Miccoli, Santa Sede e Chiesa italiana di fronte alle leggi antiebraiche del 1938, in: Camera dei Deputati,
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4.1 Rechtliche Definition des Juden Nachdem die Entscheidung gefallen war, die Juden als „Rasse“ zu verfolgen, musste die faschistische Regierung sich eine rechtliche Definition des Juden einfallen lassen und musste die (genealogischen und sonstigen) Kriterien formulieren, die für die Klassifizierung der Gemischtrassigen, d.h. der aus einer gemischtrassigen Verbindung Stammenden angewandt werden sollten. Das Klassifikationssystem, das schließlich erlassen wurde, bestimmte die „Rasse“ einer Person vor allem auf der Grundlage der „Rasse“ ihrer Eltern und in zweiter Linie – falls diese unterschiedlichen „Rassen“ angehörten – auf der Grundlage zunächst der Staatsangehörigkeit der Eltern selbst und sodann der individuellen Eigenschaften der betreffenden Person. Dieses System wurde auch zur Bestimmung der „Rasse“ jedes Elternteils und ebenso – falls erforderlich – weiter zurückgehend auf einige weitere Generation so lange angewandt175, bis man zu einem Punkt gelangte (der allerdings niemals öffentlich bestimmt wurde), an dem man das Zusammenfallen von christlicher Religion und „arischer Rasse“ und jüdischer Religion und „jüdischer Rasse“ als selbstverständlich betrachtete. Im Unterschied zum nazistischen System sah das faschistische System keine entsprechende Kategorie für die „Gemischtrassigen“ vor – eine Person wurde daher entweder als eine solche „von jüdischer Rasse“ oder „von arischer Rasse“ eingeordnet176. Das Amt, das die Klassifikationen bestimmte, war die Demorazza; sie untersuchte die Lage der sicheren La legislazione antiebraica, a.a.O., S. 184–228; G. Vecchio, Antisemitismo e coscienza cristiana, in: L. Pazzaglia (Hrsg.), Chiesa, cultura e educazione in Italia tra le due guerre. Brescia (La Scuola) 2003, S. 447–58. 175 In mindestens einem Fall führte die Demorazza eine Untersuchung über sechs „Taufscheine von Vorfahren mütterlicher Linie von […]“ durch, welche sich auf Taufen bezogen, die zu verschiedenen Zeitpunkten zwischen 1764 und 1833 erfolgt waren; AdS Reggio Emilia, Prefettura, Gabinetto, b. 70, fasc. „Richiesta di informazione sulla razza da parte di Enti vari“, Demorazza an die Präfektur von Mantua, 12. Juni 1943. 176 In Deutschland waren die „Mischlinge“, je nach Fallgestaltung, als „reine Juden“ oder „jüdische Mischlinge“ unterschiedlichen „Grades“ klassifiziert. Vgl. J. Noakes, The Development of Nazi Policy towards the German-Jewish „Mischlinge“ 1933–1945, in: Leo Baeck Institute Year Book XXXIV (1989), S. 291–354; s. anche U. Buettner, The Persecution of Christian-Jewish Families in the Third Reich, ebd., S. 267–289; R. Hilberg, The Destruction of the European Jews. New York, London (Holmes & Meier) 1985 [it. Übers.: La distruzione degli Ebrei d’Europa. Turin (Einaudi) 1999 (Neuausg.), S. 67–80, 453–465]; G., M. und G. Cardosi, Sul confine. La questione dei „matrimoni misti“ durante la persecuzione antiebraica in Italia e in Europa (1935–1945). Turin (Zamorani) 1998, S. 167–206. Zusammenfassende Beschreibung der ersten klassifizierenden deutschen Gesetze jetzt b. J. Noakes, Il problema di determinare il nemico: le definizioni naziste del termine „ebreo“, 1933–1935, in: A. Capelli / R. Broggini (Hrsg.), Antisemitismo, a.a.O., S. 11–24.
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Juden und der mutmaßlichen Juden177, ohne aber allgemein die Bevölkerung der Halbinsel zu durchforsten. Das Klassifikationssystem wurde durch das Kgl. Gesetzesdekret 1728/1938 fixiert178 und teilweise durch einige interpretierende ministerielle Vorschriften 177 Das Kgl. Gesesetzesdekret 1728/1938 erlegte den einzelnen Personen die Pflicht auf, ihre etwaige „Zugehörigkeit zur jüdischen Rasse“ selber festzustellen und sie – bejahendenfalls – den Kommunalbehörden anzuzeigen. Es ordnete ferner an, dass „die Fragen der Anwendung des gegenwärtigen Dekrets“ in die Zuständigkeit des Innenministeriums fielen, während das erläuternde Rundschreiben zum Kgl. Gesesetzesdekret klarstellte, dass „alle Zweifelsfragen […] und alle Streitfragen“ bei der „rassischen“ Klassifizierung der Demorazza vorzulegen seien; im März 1940 ordnete das Innenministerium an, dass „alle zentralen und nachgeordneten Verwaltungsbehörden, insbesondere die Personenstandsämter sich der direkten Entscheidung von zweifelhaften rassischen Positionen zu enthalten haben, insbesondere in Fällen der Abkömmlinge aus Mischehen, und sie stets diesem Ministerium vorzulegen haben“; das erläuternde Rundschreiben des Innenministeriums zum Kgl. Gesesetzesdekret 1728/1938, datiert vom 22. Dezember 1938, ist aufbewahrt in: ACS, MI, DGDR (1938–43), b. 4, fasc. 17, und wiedergegeben in: M. Sarfatti, Documenti della legislazione antiebraica. Le circolari, a.a.O., S. 174–183; das Rundschreiben der Demorazza vom 9. März 1940 an die Minister und an die Präfekten unter dem Titel: „Accertamento di razza. Discendenti di matrimonio misto. R.D.L. 17.XI.1938 – XVII n. 1728 [Feststellung der Rasse. Abkömmlinge aus Mischehen. Kgl. Gesesetzesdekret 17.XI.1938 – XVII Nr. 1728]“, wird aufbewahrt in: ACS, MI, DGDR (1938–43), b. 2, fasc. 5. Die von der Demorazza auf eigene Initiative oder auf Hinweis anderer Ämter angestellten Untersuchungen zur „Feststellung der Rasse“, sowie die bis Februar 1942 erfolgten Initiativen zur „Feststellung der Rasse“ (s.u. Fußn. 139) auf Antrag der Betroffenen, hatte genau den Zweck, eine zuvor von der fraglichen Person oder von der Demorazza selbst vorgenommene „rassische Klassifizierung“ zu kontrollieren und gegebenenfalls zu berichtigen; s. M. L. San Martini Barrovecchio, Documenti, a.a.O., S. 153; R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 364–65; M. Sarfatti, „Le ‘carte di Merano’“, a.a.O., S. 119–28 (auf S. 128 wird das vorgedruckte Formular mit zwei Stammbäumen, das zur Klassifizierung der Großeltern, der Eltern und der fraglichen Person auf Grund ihrer „biologischen Lage“ und ihrer „rechtlichen Lage“ benutzt wurde, wiedergegeben). 178 Art. 8 des Kgl. Gesesetzesdekret 1728/1938 besagte: „Im Sinne des Gesetzes: a) ist jüdischer Rasse derjenige, der von zwei Eltern jüdischer Rasse geboren ist, auch wenn diese anderer Religion als der jüdischen angehören; b) wird als jüdischer Rasse derjenige angesehen, der von Eltern geboren ist, von denen der eine jüdischer Rasse und der andere ausländischer Staatsangehörigkeit ist; c) wird als jüdischer Rasse derjenige angesehen, der von einer Mutter jüdischer Rasse geboren ist, wenn der Vater unbekannt ist; d) wird als jüdischer Rasse derjenige angesehen, der zwar von Eltern italienischer Staatsangehörigkeit geboren ist, von denen nur einer jüdischer Rasse ist, der aber der jüdischen Religion angehört oder zumindest Mitglied einer israelitischen Gemeinde ist oder sich in irgend einer anderen Weise zum Judentum bekannt hat. Nicht als jüdischer Rasse angesehen wird derjenige, der von Eltern italienischer Staatsangehörigkeit geboren ist, von denen nur einer jüdischer Rasse ist, jedoch am 1. Oktober 1938 einer anderen als der jüdischen Religion angehört hat“. Diese Definition erweiterte die vorläufige, die zwei Monate vorher in den Kgl. Gesesetzesdekreten 1381/1938 und 1390/1938 über ausländische Juden und über die Schule festgelegt worden war; sie änderte überdies die
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verschärft, welche so gut wie nie der Öffentlichkeit bekannt wurden179. Das System kann folgendermaßen zusammengefasst werden: a.1) Das Kind von Eltern „jüdischer Rasse“ wurde stets als „jüdischer Rasse“ klassifiziert, auch wenn es nicht jüdischen Glaubens war. a.2) Das Kind von Eltern „arischer Rasse“ wurde stets als „arischer Rasse“ klassifiziert, auch wenn es jüdischen Glaubens war180.
in der „Erklärung über die Rasse“ des Großen Faschistischen Rats vom 6. Oktober 1938 festgelegte Definition; vgl. M. Sarfatti, Mussolini, a.a.O., S. 185–89. 179 ACS, MI, DGDR (1938–43), b. 2, fasc. 6, (maschinenschriftliche Leitsatzsammlung mit handschriftlichen Korrekturen der Demorazza über die Mischlinge, ohne Titel, mit den Eingangsworten „1) In gemischter italienischer Ehe Geborene“, verfasst vermutlich gleich nach dem 23. Juni 1939 [im Folgenden zitiert als „Massimario 1“]; ebd., b. 3, fasc. 14, sfasc. 6, Rundschreiben der Demorazza an die Minister und Präfekten mit dem Titel „Feststellung der Rasse der nach dem 1. Oktober 1938 – XVI in gemischter Ehe Geborenen“, 23. September 1939; ebd., b. 3, fasc. 14, sfasc. 2, maschinenschriftliche Leitsatzsammlung der Demorazza mit dem Titel: „Feststellung der Rasse“, verfasst vermutlich nach dem 27. Oktober 1939 [im Folgenden zitiert als „Massimario 2“]; weiteres maschinenschriftliches Exemplar mit gleichem Text, doch mit anderer Seitengestaltung, unter dem Titel „Feststellung der Rasse“, ebd., b. 2, fasc. 6). Die Leitsatzsammlungen waren Zusammenfassungen der Auslegungsentscheidungen der Behörden im Laufe der Zeit; gewöhnlich dienten sie nur dem inneren Dienstgebrauch. R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 583, hat eine in neun Punkte gegliederte Leitsatzsammlung der Demorazza mit dem Titel „Feststellung der Rasse“ publiziert; sie ist teilweise (nämlich in den Punkten 1 bis 7) identisch mit Massimario 2 und teilweise (nämlich in den Punkten 8 und 9 einschließlich handschriftlicher Korrekturen) mit Massimario 1. Es ist jedoch nicht möglich, Hypothesen über das Datum der Abfassung (zwischen den beiden oben genannten, nach dem zweiten?) aufzustellen – auch deshalb nicht, weil das Originaldokument heute nicht in der vom Historiker angegebenen Archivfundstelle aufzufinden ist [Ebd., S. 350, Fußn. 1; vgl. ACS, MI, DGDR (1938–43), b. 2, fasc. 10]. 180 Dieser Grundsatz wird ausdrücklich in einem Rundschreiben des Ministers für nationale Erziehung an die Rektoren und an die Schulamtsleiter vom 1. Juli 1939 bekräftigt, worin Bottai den folgenden Text mitteilt, der ihm vom Innenministerium zugegangen ist: „Im Fall des von arischen Eltern Geborenen und Getauften, der dann zum Judentum konvertiert ist, geht das rassische Kriterium demjenigen des Bekenntnisses vor; der Genannte ist daher nicht als Jude anzusehen“, und es wird hinzugefügt, dass „als Arier auch anzusehen ist derjenige, der von arischen Eltern geboren ist, von denen einer aber zur jüdischen Religion übergetreten ist“; das Dokument wird verwahrt im Historischen Archiv der Universität Florenz, es wird wiedergegeben in: A. Minerbi, La persecuzione razziale nell’ateneo fiorentino, in: E. Collotti (Hrsg.), Razza e fascismo, a.a.O., Bd. II, S. 77. Somit behandelte die Verfolgungsbürokratie als „Nichtangehörige der jüdischen Rasse“ sowohl die „Arier“, die zum Judentum übergetreten und Mitglied einer israelitischen Gemeinde geworden war (hierzu habe ich die Klassifizierung einiger Ferrareser Frauen mit Ehegatten und Kindern, die als „jüdischer Rasse“ klassifiziert waren, ermittelt), als auch die ca. 40 Bewohner eines apulischen Dorfes, die, ohne jüdische Vorfahren und ohne Kontakte mit den „regulären“ jüdischen Gemeinden der Halbinsel, gerade in jenen Jahren beschlossen, sich dem Judentum anzuschließen und sich zu Juden zu erklären; vgl. die Dokumentation in: ACS, MI, DGPS, AGR, cat. G1, b. 83, fasc. 396,
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Viertes Kapitel a.3) Das Kind eines „unbekannten Vaters“ erhielt stets die rassische Klassifizierung der („arischen“ oder „jüdischen“) Mutter, unabhängig von seiner Religion.
Alles in allem war für den Faschismus, wenn keine gemischte Ehe vorlag, die „rassische“ Klassifizierung der Kinder automatisch durch diejenige ihrer Aszendenten bestimmt. Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass dieser Automatismus – der bereits durch die antijüdische deutsche Gesetzgebung vorgeformt war – in anderen judenfeindlichen Gesetzgebungen der Jahre 1938/39, beispielsweise in Rumänien, Ungarn und der Slowakei, nicht vorhanden war und von anderen Staaten erst ab 1940 (in Rumänien im August, danach im VichyFrankreich usw.) eingeführt wurde181. Stammte hingegen die zu klassifizierende Person aus einer gemischten Verbindung, so wurden in erster Linie die Staatsangehörigkeiten der beiden Eltern geprüft182. b.1) Das Kind eines italienischen Elternteils „jüdischer Rasse“ und eines ausländischen Elternteils „arischer Rasse“ wurde stets als „jüdischer Rasse“ klassifiziert. b.2) Das Kind eines ausländischen Elternteils „jüdischer Rasse“ und eines ausländischen Elternteils „jüdischer Rasse“ wurde anfangs stets als „jüdischer Rasse“ klassifiziert – wie im Falle b.1; seit Mitte 1939 wurde jedoch infolge von Überlegungen zur Behandlung der Ausländer im allgemeinen entschieden, es wie im Falle b.3 zu klassifizieren183.
sfasc. 13; E. Cassin, „San Nicandro.“ Histoire d’une conversion. Paris (Quai Voltaire) 1993 (Neuausgabe) [it. Übers.: San Nicandro. Un paese del Gargano si converte all’ebraismo. Mailand (Corbaccio) 1995, S. 44–49]. 181 M. Sarfatti, Legislazioni antiebraiche, a.a.O., S. 263–68. 182 Das Rundschreiben zur Erläuterung des Kgl. Gesesetzesdekrets 1728/1938 stellte klar, dass die Eltern auf der Grundlage ihrer ursprünglichen Staatsangehörigkeit – also unabhängig davon, ob einer von ihnen oder beide „eventuell (durch Verleihung oder durch Heirat) die italienische Staatsbürgerschaft erworben haben“ – klassifiziert werden müssten. 183 Die erste Klassifizierung ergab sich implizit aus Punkt b) des Kgl. Gesesetzesdekrets 1728/1938 und ausdrücklich aus dem erläuternden Rundschreiben zu diesem: „Das Kind eines (italienischen oder ausländischen) Juden wird als Jude angesehen […], wenn der andere – nichtjüdische – Elternteil eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzt“. Einige Monate später stellte die Demorazza klar, dass diese Klassifizierung im Widerspruch zur Bestimmung des Zivilgesetzbuches (Codice civile) stand, wonach der Personenstand, die Rechtsfähigkeit der Personen und die familiären Beziehungen von Ausländern sich nach dem Recht des Staates bestimmten, dem sie angehörten; und am 23. Juni 1939 bewilligte Mussolini, dass das Kind aus einer Mischehe zwischen zwei Ausländern in bestimmten Fällen als „arischer Rasse“ klassifiziert werden könne; ACS, MI, DGDR (1938–43), b. 2, fasc. 5, sfasc. „Accertamento razza figli di genitori stranieri di cui uno ebreo. Appunto [Feststellung der Rasse von Kindern ausländischer Eltern, von denen einer Jude ist. Notiz]“ des Unterstaatssekretärs für Mussolini, undatiert,
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Das Kind eines italienischen oder ausländischen Elternteils „jüdischer Rasse“ und eines italienischen Elternteils „arischer Rasse“ (und später ebenso das Kind ausländischer Eltern unterschiedlicher „Rasse“) wurde auf der Grundlage folgender Kriterien (die hier aus Vereinfachungsgründen nicht mehr anhand eines Kindes und seiner Eltern, sondern anhand eines Enkels und seiner Großeltern dargestellt werden) klassifiziert. b.3/I) Der Enkel von drei Großeltern „jüdischer Rasse“ hätte nach dem Kgl. Gesetzesdekret 1728/1938 als „jüdischer Rasse“ oder „arischer Rasse“ klassifiziert werden können, je nachdem ob er bestimmte Eigenschaften aufwies oder nicht. Die Demorazza entschied jedoch sogleich, als „jüdischer Rasse“ jeden zu klassifizieren, der „mehr als 50% jüdischen Blutes“ hatte184. b.3/II) Der Enkel von zwei Großeltern „jüdischer Rasse“ konnte als „jüdischer Rasse“ oder „arischer Rasse“ klassifiziert werden. Für die Klassifizierung als „arischer Rasse“ war erforderlich, dass er und (falls die vier Großeltern zwei gemischte Paare gebildet hatten) zumindest einer seiner gemischten Elternteile vor dem 1. Oktober 1938 offiziell einer nicht jüdischen Religion angehört hatte (wer zu diesem Zeitpunkt Agnostiker oder noch Katechumene war, wurde als „jüdischer Rasse“ klassifiziert), und es durfte weder der eine noch der andere nach dem Beginn dieser offiziellen Zugehörigkeit „Zeichen des Judentums“ von sich gegeben haben (dazu gehörten beispielsweise die Mitgliedschaft in einer jüdischen Gemeinde oder auch das Bekenntnis zum jüdischen Glauben, sowie – wie von der Demorazza entschieden wurde – die Eheschließung mit einer als „jüdischer Rasse“ klassifizierten Person oder das Vor185 handensein von Kindern die als „jüdischer Rasse“ klassifiziert waren) . Das Einbemit zwei genealogischen Schaubildern als Anlage, mit dem Vermerk „gesehen“ von Mussolini, datiert vom 23. Juni 1939. 184 Punkt 8 des Massimario 1 besagte, dass Kinder mit „75% jüdischen Blutes […] daher nicht zu Ariern erklärt werden können, da ihr jüdisches Blut überwiegt“; Punkt 3 des Massimario 2 besagte: „Kinder aus gemischten Ehen, die mehr als 50% jüdisches Blut haben, sind in jedem Fall als Angehörige der jüdischen Rasse anzusehen“. Es bleibt festzuhalten, dass die automatische Klassifizierung für die Mischlinge mit 75% „jüdischen Blutes“ von der Demorazza bereits in einem Dokument zur Vorbereitung der antijüdischen Gesetzgebung formuliert worden war; vgl. o. Fußn. 147. 185 Punkt 8 des Massimario 1 besagte: „Bei in italienischer oder ausländischer Mischehe Geborenen mit 50% jüdischen Blutes, die bis zum 1. Oktober 1938 getauft worden sind, jedoch Bekenntnisse zum Judentum abgelegt haben indem sie eine Ehe mit einer jüdischen Person eingegangen sind, ist zu unterscheiden: a) ist die Ehe vor dem Empfang der Taufe erfolgt und gibt es weder Kinder noch entschieden ungünstige Elemente, so gehören sie nicht zur jüdischen Rasse; b) ist die Eheschließung nach dem Empfang der Taufe erfolgt und gibt es keine Kinder, so sind sie im allgemeinen zu Juden zu erklären; c) ist die Ehe vor oder nach Empfang der Tauf geschlossen und gibt es Kinder, die somit 75% jüdisches Blut besitzen und daher wegen des Überwiegens jüdischen Blutes nicht zu Ariern erklärt werden können, so wird im Allgemeinen auch der Elternteil zum Angehörigen der jüdischen Rasse erklärt“ (Hervorhebungen von mir). Punkt 8 des Massimario 2 fasste zusammen: „Die in einer Mischehe Geborenen, welche eine Ehe mit Personen jüdischer Rasse eingegangen sind, sind als Angehörige dieser Rasse anzusehen, denn es ist davon auszugehen, dass sie mit dieser Eheschließung
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Viertes Kapitel ziehen der Überprüfung des individuellen Verhaltens führte in verschiedenen Fällen zur Zuordnung zweier Brüder zu unterschiedlichen „Rassen“186. b.3/III) Der Enkel eines Großelternteils „jüdischer Rasse“ konnte als „jüdischer Rasse“ oder als „arischer Rasse“ klassifiziert werden. Für die Klassifizierung als „arischer Rasse“ war erforderlich, dass entweder sein gemischter Elternteil oder er selbst offiziell einer nicht jüdischen Religion nach den unter dem vorigen Punkt angegebenen Kriterien angehörte.
Dieses Klassifizierungssystem berücksichtige unterschiedliche Faktoren und war sehr kompliziert; da allerdings seine Angelpunkte von den Automatismen der Fälle unter a) bestimmt waren, war sein Hauptbezugspunkt zweifellos der biologische Rassismus. Die automatischen Klassifikationskriterien der Mischlinge der Fälle b.1, b.2 (erste Version) und b.3/I (endgültige Version) bildeten – vom technischen Gesichtspunkt aus betrachtet – eine Verzerrung dieser Bezugsachse im verschlechternden Sinne, während diejenigen der Fälle b.3/II und b.3/III nichts anderes waren als einer der möglichen Kompromisse zwischen den entgegengesetzten rassistischen Notwendigkeiten, das „jüdische Blut“ zu bekämpfen oder das „arische Blut“ zu verteidigen. Die unterschiedliche Behandlung des Falles b.I (und auch des Falles b.2) gegenüber den Fällen b.3/I (erste Version), b.3/II und b.3/III weist auf das Bestehen einer xenophoben Haltung hin, die allerdings der biologisch-rassistischen Auffassung untergeordnet wurde. Die letztere war demnach die der rechtlichen Definition des Juden zugrundeliegende Auffassung und, infolge dessen, die Auffassung der ganzen antijüdischen Gesetzgebung187. Die einzige Änderung an diesem Klassifikationssystem war die Einführung eines als „Arisierung“ bekannt gebliebenen Verfahrens durch das Gesetz 1024/1939. Es bestimmte, dass eine Person nachweisen könne, dass sie einen biologischen Elternteil (oder einen anderen Aszendenten) besitze, der nicht mit demjenigen übereinstimme, der in den offiziellen Geburtsdokumenten registein Bekenntnis zum Judentum abgegeben haben. Über Fälle, in denen die Taufe nach der Eheschließung empfangen worden ist, wird von Fall zu Fall entschieden“. 186 Zu einem dieser Fälle s. „Due fratelli e le contraddizioni delle leggi razziali fasciste. A Gualtiero la medaglia d’oro, mentre Amelia…“ in: Shalom XXVIII Nr. 10 (November 1994), S. 17: Die Schwester, die zunächst wie der Bruder „arischer Rasse“ klassifiziert worden war, wurde infolge ihrer Ehe mit einem „Juden“ als „jüdischer Rasse“ umklassifiziert. 187 Zu Beginn des Jahres 1943 war die Demorazza mit der Erarbeitung eines Reformgesetzes zu den Dekreten der Jahre 1930/31 über das italienische Judentum befasst; danach „hört der Israelit, der zu einer anderen Religion übergetreten ist, nicht auf, ein Mitglied der [israelitischen] Gemeinde als rassischer Gruppe zu sein“; vgl. F. Margiotta Broglio, Beitrag zu „A sessant’anni dalle leggi razziali“, in: Annali della Pubblica Istruzione XLIV (1998), Nr. 5–6, S. 21.
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riert sei. Wegen seiner Merkmale wurde dieses Verfahren faktisch nur von Personen christlicher Religion genutzt, die ursprünglich als „jüdischer Rasse“ klassifiziert worden waren und als gemischte anerkannt werden wollten, um sodann als „arischer Rasse“ klassifiziert werden zu können. Die Untersuchung erfolgte durch eine Kommission, die als „Rassegericht“ (tribunale della razza) bekannt war und deren Verhandlungen geheim waren; ihre Entscheidungen besaßen Wirkung nur im Hinblick auf die rassische Neuklassifizierung der Personen und zogen keine Änderung der offiziellen Geburtsdokumente nach sich. Bis Mitte 1942 waren beim „Rassegericht“ 163 Anträge eingegangen, von denen es 146 geprüft und 104 (betreffend 145 Personen) angenommen hatte; in 55 Fällen wurde ein vom gemeldeten Elternteil „jüdischer Rasse“ verschiedener biologischer Elternteil „arischer Rasse“ anerkannt, in 44 Fällen wurde ein biologischer Elternteil „arischer Rasse“ (in 26 Fällen ein Vater, in 18 Fällen eine Mutter) anerkannt, der im Geburtsregister als „unbekannt“ bezeichnet gewesen war, die übrigen fünf Fälle betrafen „auf höheren Befehl“ – d.h. auf Befehl Mussolinis – „arisierte Juden“188. Nun, die nicht zu bezweifelnde Existenz zumindest eines Teils der 99 genannten Fälle, die winzige Zahl der rechtswidrigen „Arisierungen“, die vom Diktator ausdrücklich hinzugefügt wurden, und erst recht die begrenzte Gesamtzahl der „Arisierungen“ belegen, dass das Gesetz nicht erlassen worden war, um das erwähnte Klassifizierungssystem zu unterlaufen, und führen zu der Annahme, dass die Erläuterungen zum neuen Gesetz, welche der Nuntius des Heiligen Stuhls in Italien im August 1939 vom Unterstaatssekretär des Innenministeriums Guido Buffarini Guidi erhielt, der Wahrheit entsprachen: „Weil das rassistische Gesetz [das Kgl. Gesetzesdekret 1728/1938] mehr auf ein biologisches als auf ein gesetzliches Kriterium abstellt, hat die Regierung in Befolgung der Logik diese Ausnahmen zulassen müssen“189. Allerdings blie188 ACS, MI, DGDR (1938–43), b. 13, fasc. 44, Entwurf eines Berichts der Demorazza ohne Titel mit Bezugnahmen auf Mitte des Jahres 1942. Es empfiehlt sich, vor Augen zu halten, dass auf der Grundlage einer Bestimmung von November 1935, die Hitler ermächtigte, ähnliche Dispense zu erteilen, bis Oktober 1942 in Deutschland 394 „reine“ Juden oder „jüdische Mischlinge“ den „Bürgern deutschen Blutes“ gleichgestellt wurden; 339 „reine“ Juden wurden als „Mischlinge“ neu klassifiziert, und einige Hundert der letzteren konnten eine Anstellung im Heer erlangen; J. Noakes, The Development, a.a.O., S. 318–19, 336; vgl. auch R. Hilberg, La distruzione, a.a.O., S. 76–77. 189 Briefkonzept des Nuntius in Italien Borgongini Duca an Kardinal Maglione, 30. August 1939, berichtet in: Actes et documents du Saint Siège relatifs à la seconde guerre mondiale, 11 Bde., (1965–81), Bd. VI: Le Saint Siège et les victimes de la guerre. Mars 1939–décembre 1940. Città del Vaticano (Libreria editrice vaticana) 1972, S. 126–127. Vgl. auch den Begleitbericht zum Gesetz 1024/1939, aufbewahrt in: ACS, PCM, Atti, 1938–39, MI, fasc. 88.
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ben die „Arisierten“ nicht endgültig von dem Strudel der Verfolgungen unberührt: Im Januar 1942 ordnete der Sekretär des PNF ihren Ausschluss aus der Partei an (und damit von den Tätigkeiten und Ämtern, welche den Mitgliedern vorbehalten waren)190. Die genaue Zahl derjenigen, welche als „jüdischer Rasse“ klassifiziert und damit der Verfolgung ausgesetzt wurden, ist nicht bekannt; geht man von den Daten der Zählung vom 22. August 1938 aus, so kann man annehmen, dass die Verfolgtenzahl sich – bezogen auf dieses Datum – auf rund 51.000 belief, von denen 46.656 effektive Juden191 und rund 4.500 Nicht-Juden waren (d.h. einer anderen oder keiner Religion, meistens aber der katholischen Religion angehörten). Anfangs waren sie unterteilt in vielleicht 41.300 Italiener und vielleicht 9.800 Ausländer; später, infolge der gesetzlichen Bestimmungen vom September und November 1938 über den Entzug der Staatsbürgerschaft und über die Aufenthaltsgenehmigung für Ausländer, in vielleicht 39.900 Italiener, 3.100 Ausländer mit Aufenthaltsgenehmigung und 8.100 Ausländer ohne Aufenthaltsgenehmigung192 (vgl. Tabelle 6). Mischlinge, die als „arischer Rasse“ klassifiziert wurden, waren keinen Verfolgungsbestimmungen unterworfen. Doch kontrollierte die Demorazza ständig ihr Verhalten, um etwaige „Manifestationen des Judentums“ festzustellen und damit von Amts wegen zu ihrer „rassischen“ Neuklassifizierung zu schreiten; 1942 beschloss sie erstmals, alle in den vorherigen Jahren vorgenommenen Klassifizierungen zu überprüfen, und führte sodann die offizielle Definition des „nichtjüdischen Mischlings“ ein, womit sie – wenn auch ohne daraus folgende Verfolgungsmaßnahmen – ihre Unterscheidung von den anderen „Ariern“ bestimmte193.
190 AdS Milano, Prefettura, Gabinetto, cat. 029, b. 1, fasc. 1, sfasc. A, Exemplar des Rundschreibens des Sekretärs des PNF Aldo Vidussoni an die Bundessekretäre, 30. Januar 1942. 191 Zu den effektiven Juden s.o. Kap. II, S. 28. 192 M. Sarfatti, Mussolini, a.a.O., S. 113–15. K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. I, S. 299–300; Zuflucht, a.a.O., Bd. I, S. 283, schlägt für die beiden Gruppen der ausländischen Juden Zahlen um 3.500 bzw. 8.400 vor. 193 Zur Entscheidung vom Februar 1942, die Klassifizierungen zu überprüfen, vgl. R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 362–63; zur Entscheidung vom Juli 1942, von den Präfekturen zwei verschiedene Namenslisten, eine für „Juden“ und eine für „nichtjüdische Mischlinge“ sowie für solche, deren rassische Position noch nicht geklärt war, drucken zu lassen, s. AdS Milano, Prefettura, Gabinetto, cat. 029, b. 1, fasc. 1, sfasc. A, Rundschreiben der Abteilung „Feststellung der Rasse“ der Demorazza an die Präfekten, datiert vom 1. und 29. Juli 1942.
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Dies war die von der Regierung offiziell eingeführte Rechtslage; bislang ist nur ein einziger Fall von noch restriktiverer Regelung in einem Bereich bekannt: Am 14. Februar 1939 ordnete die Freiwillige Miliz für die nationale Sicherheit (ein vom Faschismus gewünschtes militärisches Polizeikorps, das in die Streitkräfte eingebaut war und unter der Leitung des Ministerrats stand) an, dass Personal und Mitglieder der Schützenabteilungen der Miliz „ausschließlich reinrassige Arier sein müssen; Hybride (Vater und Mutter von unterschiedlicher Rasse) sind nicht zu berücksichtigen“194. Ebenfalls durch das Kgl. Gesetzesdekret 1728/1938 wurde die Bewilligung einer partiellen Ausnahme von der Verfolgung geregelt (bekannt unter dem Namen „Diskriminierung“ und gegenüber dem, was in der Erklärung über die Rasse angekündigt worden war stark eingeschränkt) für jene Familien, von denen ein Mitglied im Krieg oder für die Sache des Faschismus gefallen war oder sich (auch wenn es vor dem November 1938 verstorben war) besondere Verdienste kriegerischer Art (Freiwilliger, Verwundeter, Dekorierter), politischer Art (Mitglied des PNF vor 1932 oder im zweiten Halbjahr 1924, d.h. vor der Bildung der Regierung Mussolini oder sogleich nach der Ermordung Giacomo Matteottis) oder anderer „außerordentlicher“ Art erworben hatten. Die „Diskriminierung“ – die bis zum 30. März 1939 beantragt werden musste195 – wurde fakultativ und auf jeden Fall nur auf Antrag des Betroffenen ausgesprochen; ebenfalls fakultativ konnte sie auf Aszendenten und Abkömmlinge des Berechtigten bis zum zweiten Grade einschließlich erstreckt werden (von dieser Ausdehnung konnten auch die Juden profitieren, die mit einem „Arier“ verwandt waren, der solche „Verdienste“ besaß). Die Erlangung dieser „Diskriminierung“ bedeutete in der Sache: Auf Grund des Kgl. Gesetzesdekrets 1728/1938 konnte man städtische Gebäude, Grundstücke und Betriebe in größerem Umfang besitzen (und die letzteren leiten), als dies für die anderen Juden bestimmt war (Das Dekret gestattete auch, Militärdienst zu leisten und bei Versicherungsgesellschaften angestellt zu sein, doch diese Ausnahmen wurden sehr bald wieder beseitigt)196; auf der Grundlage des Kgl. Gesetzes194 Freiwillige Miliz für nationale Sicherheit – Generalkommando, Rundschreiben Nr. 3290/V–2, datiert vom 14. Februar 1939; wiedergegeben in: Shalom XXXI Nr. 8 (September 1997), S. 28, Brief von Izhack Arditti. 195 ACS, MI, DGDR (1938–43), b. 3, fasc. 14, sfasc. 2, Unterstaatssekretär im Innenministerium an die Präfekten, 5. März 1939. 196 Zu den Versicherungsunternehmen s. M. Sarfatti, Documenti della legislazione antiebraica. Le circolari, a.a.O., S. 193. Bereits am 17. Dezember 1938 teilte das Generalinspektorat für die Einziehung von Unteroffizieren und Truppen des Kriegsministeriums in einem Rundschreiben betr. die Ausreiseerlaubnisse mit, dass alle der „jüdischen Rasse“ Angehörigen „vom Militärdienst ausgeschlossen“ seien (AUSSME, rep. M7,
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dekrets 1779/1938 wurde man für die Lehrämter in den Juden vorbehaltenen Elementar- und Mittelschulen „bevorzugt“ berücksichtigt; auf Grund des Kgl. Gesetzesdekret 1954/1939 konnte man auf Antrag den Beruf des Journalisten ausüben (jedoch waren in der Zwischenzeit die jüdischen Periodika zur Einstellung gezwungen worden, und sehr bald wurde auch den „Diskriminierten“ jegliche Möglichkeit untersagt, Herausgeber von Periodika zu sein197), ebenso den des Apothekers auch in solchen Apotheken, die nichtjüdischen Firmen gehörten, und den des Advokaten, des Arztes, der Geburtshelferin, des Buchhalters, des Gutachters, des Agronomen usw., auch für „arische“ Klienten (nicht aber für öffentliche Körperschaften, nicht zusammen mit nichtjüdischen Kollegen usw.); hinzu kamen, auf der Grundlage verschiedener Verwaltungsvorschriften, praktisch nur noch das Tragen von Jagdwaffen, der Besitz von Kriegstrophäen (falls nicht mehr funktionstüchtig) und der Zugang zu staatlichen öffentlichen Bibliotheken. Konkret gesprochen ermöglichte also die „Diskriminierung“ (für höchstens zwei weitere Generationen) sein Vermögen ungeschmälert zu behalten und die Stellung einer Führungskraft in der Wirtschaft oder – schon sehr viel eingeschränkter – des freiberuflich Tätigen zu behalten; die Verfolgten erblickten jedoch in ihr eine Art von Bestätigung der „Zugehörigkeit zu Italien“ oder glaubten zumindest, sie beantragen zu sollen, da „man ja niemals wissen kann“. So stellten sie denn ungefähr 9.000 Anträge für einen Kreis von etwa 15.000 Personen. Bis Januar 1943 wurden davon 2.486 bewilligt (darunter 234 wegen „außerordentlicher Verdienste“), welche 6.494 Personen betrafen (etwa 90% von ihnen wurden in Zweijahreszeitraum 1939/40, fast keiner nach dem Februar 1942 bewilligt)198. rac. 237, cart. 1); fünf Tage danach bestimmte das Kgl. Gesesetzesdekret 2111/1938 über die Arisierung des Heeres die „absolute Beurlaubung“ aller aktiven Soldaten „jüdischer Rasse“, Offiziere wie einfache Soldaten, „Diskriminierte“ wie nicht „Diskriminierte“; damit waren, wie ein abschließendes Rundschreiben des Inspektorats vom 3. September 1939 klarstellte, die „Staatsbürger jüdischer Rasse […] ohne Unterschied in die Einberufungslisten einzutragen“, sodann waren aber die nicht „Diskriminierten“ „nicht verpflichtet, sich der Einberufung zu stellen und es darf ihnen auch nicht der Einberufungsbefehl zugestellt werden“, während die „Diskriminierten“ „einberufen werden müssen“, d.h. sie unterlagen der Musterung, und wenn sie als „tauglich gemustert“ waren, wurden sie in die Musterungsrollen eingetragen und sogleich wieder aus ihnen gestrichen (!) mit der Bemerkung: „In endgültigen Urlaubsstand versetzt im Sinne des Rundschreibens Nr. 4065 vom 3. September 1939 – XVII; AdS Viterbo, Prefettura, s. 27, cat. 3, fasc. 1. 197 M. Sarfatti, L’antisemitismo fascista, a.a.O., S. 165–213. 198 Vgl. R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 366–367, 584–585 sowie verschiedene Entwürfe zu Berichten der Demorazza, in: ACS, MI, DGDR (1938–43), b. 13, fasc. 44.
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Schließlich ist noch erwähnenswert, dass von Herbst 1940 bis zum Sommer 1941 ein umfassender Entwurf zur Lösung der „Judenfrage“ auf der Grundlage einer neuen Einteilung der „Angehörigen der jüdischen Rasse“ in zwei Gruppen entwickelt und formuliert wurde (dann jedoch nicht mehr erlassen wurde); die erste dieser beiden Gruppen – bei weitem die größte – wäre letztlich innerhalb von zehn Jahren aus dem Lande verwiesen worden und hätte im Vorgriff darauf eine beachtliche Intensivierung der Verfolgung erlitten; die zweite Gruppe – die aus Personen „jüdischer Rasse“ bestand, welche christlichen Glaubens waren und „arische“ Ehegatten und christliche Kinder hatten, ferner aus den Familienangehörigen aufsteigender Linie und der Nebenlinie der ersteren, wenn sie ihrerseits getauft waren – hätte, ohne die rassische Klassifizierung zu ändern, das Recht auf Wohnsitz auf der Halbinsel behalten und alle in den vorangehenden Jahren verlorenen Rechte zurückerhalten199. Wie erwähnt hatte das Kgl. Gesetzesdekret 1728/1938 die Eingehung neuer rassisch gemischter Ehen verboten, womit es natürlich der zweiten oben geEin Blick auf eine örtliche Umsetzung findet sich in: A. Osimo, Documenti sugli ebrei nell’Archivio di Stato di Milano, in: Italia Judaica. Gli ebrei nell’Italia unita, a.a.O., S. 173–176. Vor dem Erlass des Kgl. Gesesetzesdekrets 1728/1938 war die Vorlegung von ca. 3.500 Anträgen für einen Bereich von ca. 10.000 Personen vorgesehen gewesen; M. Sarfatti, Mussolini, a.a.O., S. 169–170; s. auch ebd., S. 114–115. 199 Die Entwürfe für die gesetzliche Regelung sind aufbewahrt in ACS, MI, DGDR (1938–43), b. 2, fasc. 10; ihre letzte Version (datiert vom Juli 1941) ist wiedergegeben in: R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 589–590 (Der Historiker bezeichnet auf S. 356 diesen Entwurf als „Endlösung auf Italienisch“, doch bis zu diesem Zeitpunkt verfolgte auch das nazistische Deutschland das Ziel der Entfernung der Juden aus dem Lande). Die erste Überlegung zu dieser „radikalen Lösung des Judenproblems, die es gestatten würde, das Judenproblem in Italien in einem kurzen Zeitraum und endgültig zu lösen“, taucht im Entwurf zu einem Vermerk des Unterstaatssekretärs im Innenministeriums Buffarini Guidi mit der Überschrift „Für den Duce“ auf (ohne Datierung, aber mit Sicherheit kurz vor einem Bericht des selben Verfassers, datiert vom 14. Oktober 1940, dessen Schlussabschnitt er bildet); die beiden Dokumente werden verwahrt in: ACS, MI, DGDR (1938–43), b. 2, fasc. 10 e ebd., b. 13, fasc. 44; das zweite wird – mit der Zeitangabe August – wiedergegeben b. R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 584–588. Die letzte derzeit bekannte regierungsseitige Erwähnung einer solchen Regelung (und eines angeblichen Verzichts darauf) ist enthalten in einem Bericht desselben Staatssekretärs ohne Datumsangabe, aber mit Hinweisen bis zum 28. Oktober 1941; ACS, MI, DGDR (1938–43), b. 13, fasc. 44; wiedergegeben in: R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 591–594. Vgl. auch Actes et documents du Saint Siège, Bd. VI, a.a.O., S. 323 (Fußn. 2), 521–522; Bd. VIII (1974). „Le Saint Siège et les victimes de la guerre. Janvier 1941–décembre 1942“, S. 180–181, 198–200, 211–212, 483 (Fußn. 1); Bd. IX (1975). „Le Saint Siège et les victimes de la guerre. Janvier–décembre 1943, S. 423–424, 459–462. Im Sommer 1941 erschien in der ausländischen Presse (vielleicht auf vatikanischen Hinweis hin) die Meldung: „Final Jewish Law is drafted in Italy“: The New York Times, 5. Juli 1941.
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nannten Gruppe aufgrund der normalen demographischen Prozesse bestimmt war, auszusterben. Was hingegen die gemischtrassigen Lebensgemeinschaften anging, so stellte die Demorazza sie zunächst 1942 unter Beobachtung200 und entschied sodann im Benehmen mit der Polizei, Vorschriften gegen die Zusammenlebenden zu erlassen, da sie schuldig seien, „Verletzungen des Geistes des Gesetzes zur Verteidigung der Rasse“ zu begehen201. Allerdings hatte bereits 1941 der Minister für nationale Erziehung bestimmt, dass eine Aushilfslehrerin in Monfalcone, die sich mit einer Person „jüdischer Rasse“ hatte religiös trauen lassen, „entlassen werden muss, weil sie sich in Widerspruch zu den rassischen Vorgaben des Staates gesetzt“ hatte202.
4.2 Die allgemeine Lage des Juden Im September/Oktober 1938 erwog Mussolini, einem Teil der italienischen Juden oder allen die Staatsbürgerschaft zu entziehen203; dann jedoch setzte er diese Absicht nur bei jenen ausländischen Juden um, welche die Staatsbürgerschaft nach 1918 erworben hatten (Kgl. Gesetzesdekret 1381/1938, 1728, 1038), mit Ausnahme derjenigen, welche sie „mit vollem Recht“ erworben hatten (weil sie im Ersten Weltkrieg im italienischen Heer gekämpft hatten, weil es sich um eine Ausländerin handelte, die einen Italiener geheiratet 200 ACS, MI, DGDR (1938–43), b. 3, fasc. 14, sfasc. 6, Rundschreiben an die Präfekten „Accertamenti di razza. Provvedimenti per la difesa della Razza italiana [Feststellung der Rasse. Maßnahmen zur Verteidigung der Rasse]“, 6. März 1942, worin u.a. ersucht wurde, „alle zur Kenntnis der Präfekten gelangten Fälle von Eheschließungen zwischen Ariern und Juden (auch solche mit bloß religiöser Trauung) und von freien Lebensgemeinschaften zwischen denselben mitzuteilen“. 201 ACS, MI, DGPS, AGR, Massime (parte non riordinata), R9, b. 80, fasc. 16, Entwurf eines Rundschreibens an die Präfekten, vorgelegt von Generaldirektion für Demographie und Rasse an die Generaldirektion für öffentliche Sicherheit, 5. Oktober 1942 und Durchschlag eines Antwortbriefes der letzteren, abgesandt am 13. Oktober (mit „zustimmender Stellungnahme“ und einigen zweitrangigen Änderungen). In der Akte ist kein Exemplar des endgültigen Textes des Rundschreibens enthalten, doch der formale Inhalt des Briefwechsels und der Umstand, dass die Demorazza klarstellt, sie habe „die Anweisungen des Unterstaatssekretärs empfangen“, lassen wenig Zweifel im Hinblick auf seinen endgültigen Erlass. 202 AdS Trieste, Fondo Prefettura Gabinetto, b. 424, Kabinett des Ministers für nationale Erziehung an Schulamtsleiter Triest, Präfektur Triest und andere Adressaten, 20. Mai 1941; Dokument mitgeteilt b. S. Bon, Gli ebrei, a.a.O., S. 251. 203 M. Sarfatti, Mussolini, a.a.O., S. 106–109. Am 21. August 1939 ging die Zuständigkeit für die „Angelegenheiten betreffend die Nationalität und Staatsbürgerschaft“ vom Personalbüro des Innenministeriums auf die Generaldirektion für Demographie und Rasse desselben Ministeriums über: ACS, MI, DGPS, AGR, Massime, C6, b. 22, fasc. 1, sfasc. 6, comunicazione del capo della segreteria della Sezione II della DGPS, 22. August 1939.
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hatte usw.) oder „wegen der Ausübung des Optionsrechts“ (als Einwohner von Triest, Gorizia oder Fiume zur Zeit ihrer Vereinigung mit Italien und im Besitz der Eigenschaften, die in den jeweiligen internationalen Verträgen festgelegt worden waren, usw.)204. Diese Ausnahme wurde freilich nicht immer angewendet205. Im Übrigen kennzeichnete die Unterscheidung zwischen Juden und Italienern die gesellschaftliche und rechtliche Verfolgung faktisch von Anfang an: Die mündliche und schriftliche Propaganda verkündete in aller Deutlichkeit, dass die „Angehörigen der jüdischen Rasse“ eine Gruppe bildeten, die von dem Gebilde „Regime-Staat-Volk-Nation“ „italienisch-faschistisch-katholisch“ verschieden und ihm gegenüber feindlich gesinnt sei206; die Gesetze ergingen zur „Verteidigung der Rasse“; bei verschiedenen Gelegenheiten wurde der „Jude“ dem „Italiener“ oder dem „Arier“ gegenüber gestellt; die polizeilichen Maßnahmen zur Überwachung gegenüber allen Juden nahmen Bezug auf die Möglichkeit von „Protest- oder antinationalen Bekundungen“ gegen die „rassistische Politik der faschistischen Regierung“ oder gegen „das Regime und seine Institutionen“207. Mussolini selbst bezeichnete am 18. September 1938 in Triest das Weltjudentum als „unversöhnlichen Feind des Faschismus“; die Erklärung über die Rasse vom 6. Oktober stellte fest, dass „das Weltjudentum […] der Anstifter des Antifaschismus“ gewesen sei und dass das Regime von den italienischen Juden nicht „aufrichtig akzeptiert“ werden könne; die Informazione diploma204 Zu den Bestimmungen über Ausnahmen s. ebd., Ministerium des Innern an die Präfekten von Triest, Trient, Bozen, Gorizia, Pola, Zara, Udine und Fiume, 29. Oktober 1938 (an die anderen Präfekten ebenfalls gesandt am 26. November; vgl. AdS Viterbo, Prefettura, s. 27, cat. 3, fasc. 1); ACS, MI, DGPS, AGR, Massime, C6, b. 22, fasc. 1, sfasc. 6, Innenministerium an die Präfekten des Königreiches, 10. März 1939 (mit ausdrücklicher Bezugnahme auf die Friedensverträge von 1919 und von 1920 und auf die Konvention von Nettuno von 1925). Auch die „kleinen Staatsbürgerschaften, die den ehemals türkischen Einwohnern von Rhodos gewährt worden waren, wurden nicht widerrufen: ACS, MI, DGPS, AGR, Massime (parte non riordinata), S11, fasc. 87, sfasc. 17, Innenministerium an den Präfekten von Zara, 28. Februar 1939. 205 Zu einigen Rücknahmen in Gorizia und zu den vom Innenministerium befolgten Grundsätzen s. A. Cedarmas, La Comunità Israelitica, a.a.O., S. 189–190. 206 Zur Pressekampagne und zu weiteren Propaganda-Initiativen nach 1938 s. vorerst R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 379–397; Zur Lage in der Toskana vgl. die Untersuchungen von F. Balloni / C. Bencini / S. Duranti, in: E. Collotti (Hrsg.), Razza e fascismo, a.a.O., Bd. I, S. 225–414. Vgl. auch M. Raspanti, I razzismi, a.a.O.; U. Caffaz, L’antisemitismo italiano sotto il fascismo. Florenz (La Nuova Italia) 1975. 207 AdS Ferrara, Prefettura, cat. 30, b. 4, fasc. Carte della questura, sfasc. s.n., Polizeipräsident von Ferrara an nachgeordnete Behörden, 3. September 1938; m.E. wendet diese Anweisung eine von mir nicht aufgefundene Regierungsdirektive an (zu einer Anweisung, welche die Präfekten zu „verschärfter Wachsamkeit auf Juden“ ermahnt, s. M. Sarfatti, Mussolini, a.a.O., S. 126).
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tica Nr. 23 vom 12. Oktober, ebenfalls vom Diktator verfasst, verdeutlichte, dass „am Anfang dieser kriegshetzerischen Strömungen überall die Juden stehen“208. Und schließlich bedeutete der völlige Ausschluss der Juden vom Heeresdienst209 nichts anderes als ihren materiellen Ausschluss aus dem Vaterland (auf diese Weise setzte der Faschismus dem nationalen Einigungsprozess, der mit dem Risorgimento begonnen hatte, ein Ende, indem er den Tod jenes Vaterlandes bzw. des Vaterlandes verordnete)210. Die Juden waren, kurz gesagt, faktisch ohne Wenn und Aber deklassiert211; der fehlende förmliche Widerruf ihres Staatsbürgerrechts scheint daher nur Zweckmäßigkeitsgründen zuzurechnen zu sein, wie beispielsweise dem Bewusstsein, dass die Nachbarstaaten die Einreise dieser neuen staatenlosen Juden nicht gestattet hätten, oder dem Wunsch, nicht die Verbindungen zu den einflussreichen Kreisen italienischer Juden an den Ufern des Mittelmeers zu verlieren. Ein Plan, Palästina und Transjordanien für Italien zu erwerben, der 1940 im Außenministerium entwickelt wurde, besagte, dass der „gesamte Rand des Mittelmeeres von Juden besiedelt ist, auf welche so lange Rücksicht genommen werden muss, wie sie existieren“, denn man könne sie nicht „aus dem Mittelmeerraum vertreiben“, solange sie immer noch Funktionen ausübten, für welche die Araber „unvorbereitet“ seien und noch nicht geklärt sei „in welchem Lande die Juden der Diaspora versammelt werden könnten“212. Zwei Jahre später formulierte eine Zeitschrift des Regimes ganz offen den „Aus208 Ebd., S. 39, 42, 46; Ders., La preparazione, a.a.O., S. 33–34, 54. 209 S.o. Fußn. 196. 210 Im September 1847 wurde der Widerruf des den Juden soeben gewährten Rechtes auf Zugang zur Bürgerwehr von Ferrara durch den Kirchenstaat von einem von ihnen als „rückwärtsgewandte und blinde Aktion“ bezeichnet; vgl. A. M. Canepa, L’atteggiamento degli ebrei italiani davanti alla loro seconda emancipazione: premesse e analisi, in: RMI XLIII Nr. 9 (September 1977), S. 431. 211 Die Zugehörigkeit zur „arischen Rasse“ bildete neben der italienischen Staatsbürgerschaft, der guten Führung und dem Fehlen von Vorstrafen ein weiteres Element zur Erlangung der Bescheinigung über den Besitz der politischen Rechte; ACS, PCM, Gabinetto, 1937–39, fasc. 2/4.1, n. 6586, sfasc. „Certificato di godimento di diritti politici“. Vgl. auch das Rundschreiben des Innenministeriums vom 26. Juni 1939, wiedergegeben in: A. Osimo, Documenti, a.a.O., S. 184. 212 Regio Consolato Generale d’Italia per la Palestina e la Transgiordania [Königliches Generalkonsulat für Palästina und Transjordanien] – Ufficio stralcio, Palestina e Transgiordania. Cenni storici – Periodo mandatario – Possibile assetto futuro. Rom, August 1940, S. 4–5; mitgeteilt und teilweise wiedergegeben in: V. Pinto, L’Italia fascista e la questione palestinese, in: Contemporanea VI Nr. 1 (Januar 2003), S. 93– 125.
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schluss des Zionismus und der Juden aus dem Mittelmeerraum“ im Zusammenhang mit den „Grundsätzen der Achse“213. In Übereinstimmung mit der neuen Lage der Juden wurde das alte Verbot neu belebt, in ihren Haushalten nichtjüdische Angestellte (die jetzt als „italienische Arier“ bezeichnet wurden; Kgl. Gesetzesdekret 1728/1938) zu halten214; außerdem wurde gleichzeitig die Kündigung jüdischer Führungskräfte aus großen Unternehmen angeordnet, und 1942 wurde bestimmt, dass die Juden, welche der Arbeitspflicht unterlagen, keine „arischen“ Arbeiter beschäftigen dürften. Die Juden wurden von zahllosen Behörden immer wieder gezählt oder zur Selbstanzeige verpflichtet; insbesondere Gemeinden, Polizeibehörden und Präfekten waren im Besitz von ständig aktualisierten Informationen über Eigenschaften, Bewegungen und Familienverhältnisse jedes einzelnen Verfolgten. Die Zugehörigkeit zur „jüdischen Rasse“ wurde auf sämtlichen Bescheinigungen und im Arbeitsbuch vermerkt, sie musste überdies von Hotelbesitzern und Zimmervermietern registriert (und der Polizei gemeldet) werden215. Sie sollte nicht im Pass vermerkt werden (um die Auswanderung zu erleichtern), auch nicht (abgesehen von einigen örtlichen und zeitlichen Ausnahmen) in den Personalausweisen216; doch wurde sie in den Einreisegenehmigungen in die 213 R. Sertoli Salis, L’elemento antropico e il nuovo ordine mediterraneo, in: Gerarchia XXI Nr. 2 (Februar 1942), S. 71; s. auch Ders., La condizione degli ebrei nella comunità imperiale italiana, in: Rassegna italiana Bd. LVI (1942), Nr. 25, S. 251; mitgeteilt in: D. Rodogno, Il nuovo ordine mediterraneo. Le politiche di occupazione dell’Italia fascista in Europa (1940–1943). Turin (Bollati Boringhieri) 2003. 214 S. dazu aber auch D. Adorni, Modi e luoghi della persecuzione (1938–1943), in: F. Levi (Hrsg.), L’ebreo in oggetto, a.a.O., S. 90–95. 215 Vgl. das Rundschreiben des Polizeipräsidiums von Bologna an die nachgeordneten Behörden, 18. August 1939, mit Hinweis auf den ministeriellen Ursprung der Bestimmung, mitgeteilt in: Centro Furio Jesi (Hrsg.), La menzogna, a.a.O., S. 305. 216 Diese „Nichterwähnungen“ waren Gegenstand verschiedener Rundschreiben seitens der Generaldirektion für öffentliche Sicherheit. Im Januar 1940 befahl Mussolini der Demorazza, ein Gesetz zur Einrichtung von getrennten Hotels und Stränden für Juden vorzubereiten, in: ACS, MI, DGDR (1938–43), b. 8 fasc. 31, sfasc. „Divieto agli ebrei a frequentare alberghi gestiti da ariani“, Kabinettschef des Innenministers an die Generaldirektion für Demographie und Rasse, 7. Januar 1940; die Demorazza fügte in ihren Gesetzentwurf auch die Verpflichtung ein, die „jüdische Rasse“ in allen Personaldokumenten anzugeben, doch die Öffentliche Sicherheit erwiderte: „Was die in Reisepässen und Personalausweisen anzugebenden besonderen Merkmale angeht, wird im Hinblick auf die ersteren bemerkt, dass dies die Ausreise von Juden behindern würde, die auf diese Weise identifiziert und von den Staaten, in die sie sich begeben wollen, zurückgewiesen werden könnten, während man sie doch im Gegenteil zur Ausreise auf jede Weise ermutigen und ihnen diese erleichtern sollte. Was die Personalausweise angeht, so könnten die besonderen Hinweise für Juden diese dazu veranlassen, sich entweder nicht mit einem Personalausweis zu versehen oder, wenn sie dazu gezwungen
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Kolonien vermerkt217 (was die in den ersten Kriegsjahren eroberten und an Italien angeschlossenen Territorien angeht – Mentone, Slowenien, Dalmatien – so scheint der Zugang für italienische Juden dorthin prinzipiell verboten gewesen zu sein218). Im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit auf der Halbinsel wurde ihnen seit 1940 der Aufenthalt in den wichtigsten Touristenörtlichkeiten verboten219, im Mai 1942 wurde denen, die der Arbeitspflicht unterworfen werden konnten, jeglicher „sommerliche Umzug“ verboten220; im Dezember 1942 wurden erste Beschränkungen für den Wechsel des Wohnsitzes beschlossen221. Der Faschismus führte nicht die Verpflichtung zum Tragen eines Er-
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würden, diese zu fälschen. Und dies würde die Organe der öffentlichen Sicherheit behindern und ihnen schwere Unannehmlichkeiten bereiten“: ACS, MI, DGPS, AGR, Massime (parte non riordinata), R9, b. 80, fasc. 6, Appunto der Generaldirektion für öffentliche Sicherheit, 15. März 1940; zum Gesetzentwurf und zu seiner späteren Aufgabe s. die zuvor zitierte Teilakte. AdS Livorno, Questura, b. 1346, fasc. 1/5, Innenministerium an die Polizeipräsidenten, 12. Oktober 1941. Ebd., fasc. 1/4, Rundschreiben des Innenministers vom 30. November 1941, 18. Januar und 17. April 1942. C. Villani, Ebrei fra leggi razziste e deportazioni nelle province di Bolzano, Trento e Belluno. Trient (Società di studi trentini di scienze storiche) 1996, S. 158–164. Im ersten Jahr wurde das Verbot in „diskreter“ Form eingeführt; vgl. das Rundschreiben des Unterstaatssekretärs des Innenministeriums an die Präfekten vom 17. August 1940, mitgeteilt in: M. Pansini, Provvedimenti razziali, a.a.O., S. 38. Rundschreiben des Polizeipräsidenten von Livorno vom 5. Juni 1942 mit Bericht über ein Rundschreiben des Innenministeriums vom 26. Mai 1942; wiedergegeben in: A. Minerbi (Hrsg.), La precettazione, in: E. Collotti (Hrsg.), Razza e fascismo, a.a.O., Bd. II, S. 123. Ein „streng vertrauliches“ Telegramm des Innenministeriums vom 5. Dezember 1942 wies die Präfekten darauf hin, dass „in einigen Provinzen Juden dazu übergehen, Häuser und Wohnungen häufig in abgelegenen oder ländlichen Örtlichkeiten zu mieten, um sie zu bewohnen oder unterzuvermieten“ und forderte sie auf, „solche Hamstereien und Spekulationen [von] Räumlichkeiten, die vor allem für Arier reserviert bleiben müssen, zu verhindern“ (ACS, MI, UC, Telegrammi in partenza; mitgeteilt – nach einer Quelle, welche kleine Abweichungen enthält – in: S. Caviglia, Un aspetto, a.a.O., S. 271). Die Bedeutung der Depesche wird deutlicher, wenn man sie im Zusammenhang mit dem liest, was am 12. Dezember 1942 das Periodikum des PNF von Arezzo Giovinezza schrieb: „Nach der Aufforderung, die Stadt zu räumen, haben die Juden sich als erste auf die Jagd nach den besten Villen gemacht und sich so angeschickt, in unseren gesunden ländlichen Gegenden den Schmutz ihrer Personen und die kriminellen Bazillen ihres antifaschistischen Rassenhasses zu verbreiten. Man begreift nicht, warum man auch dies noch ertragen soll. Wir würden es gerecht finden, die Evakuierung aller Juden, der reinen, der halbreinen oder diskriminierten und auch der sogenannten arisierten (der schlimmsten) zu verhindern. Erst nach erfolgter Evakuierung aller unserer Frauen und aller unserer Kinder sollte man den Auszug dieser Meister der Italienfeindlichkeit gestatten“, berichtet in S. Duranti, Federazioni di provincia: Arezzo, Grosseto, Pisa e Siena, in: E. Collotti (Hrsg.), Razza e fascismo,
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kennungszeichens ein; es bestand allerdings die Überzeugung, dass die Juden leicht an dem Familiennamen zu erkennen seien, weshalb den nicht „diskriminierten“ Juden vorgeschrieben wurde, etwaige neue Familiennamen, welche nicht auf die „jüdische Herkunft“ hinwiesen, wieder zu beseitigen (eine Anordnung, die in der Praxis die Juden von Triest und Fiume betraf, die – ebenso wie die Nichtjuden – ihren ausländischen Familiennamen italianisiert hatten; ausgenommen aber jene Juden, denen die italienische Staatsbürgerschaft entzogen worden war)222, den als „Arier“ klassifizierten Mischlingen, und die Kinder eines Vaters „jüdischer Rasse“ waren, wurde gestattet, den mütterlichen Familiennamen anzunehmen, allen „Ariern“ wurde gestattet, „notorisch“ jüdische Familiennamen abzulegen (Ges. 1055/1939)223. Das Verbot, ihren Kindern „nichtjüdische Namen“ zu geben, wurde nur für libysche Juden eingeführt (Ges. 1420/1942). Die „Angehörigen der jüdischen Rasse“ – egal ob „effektive“ Juden oder nicht – wurden unmittelbar aus allen öffentlichen Ämtern und Funktionen des Landes vertrieben, mit der einzigen Ausnahme der Senatoren und Abgeordneten. Der fehlende Verlust des Mandats im Falle der Ersteren (es handelte sich – soweit ich es ermitteln konnte – um Gino Arias, Guido Jung, Riccardo Luzzati und Gino Jacopo Olivetti) hatte seinen Grund offenbar darin, dass im Dezember 1938 die gesamte Kammer der Abgeordneten aufgelöst wurde224. Im Falle Bd. I, S. 358. Am 24. März 1943 veröffentlichte die Gazzetta ufficiale das Kgl. Gesesetzesdekret vom 15. März 1943 Nr. 107, „Disciplina degli alloggi per gli sfollati [Regelung der Unterkünfte für Evakuierte]“; es erwähnte in keiner Weise die Juden, doch am 28. März schrieb der Präfekt von Florenz an mindestens einen Bürgermeister: „Ich bitte Sie, alle Juden, die ihren Wohnsitz in dieser Gemeinde genommen haben, darauf hinzuweisen, dass im Falle, dass die Stadt Florenz evakuiert werden muss, sie sofort die von ihnen innegehabten Räumlichkeiten räumen müssen“; ACDEC, Fondo Arnaldo Tedeschi, Bürgermeister von San Casciano in Val di Pesa an Arnalda Tedeschi, 5. April 1943. 222 M. E. Hametz, The Ambivalence of Italian Antisemitism: Fascism, Nationalism and Racism in Trieste, in: Holocaust and Genocide Studies, Bd. 16, Nr. 3 (Winter 2002), S. 390. 223 Die Zitate sind entnommen dem Begleitbericht des Gesetzes (ACS, PCM, Atti, 1938– 39, MI, fasc. 89). Der erste Entwurf der Regelung betraf keine Ermächtigungen für „Arier“, sah vielmehr für die „diskriminierten“ Juden vor, „ihrem Familiennamen den Namen Monti oder Montini, Bianchi oder Bianchini“ hinzuzufügen. Die Änderungen des Familiennamens der „arischen“ Mischlinge betrugen bis Frühjahr 1942 mindestens 351 Fälle; vgl. die Verzeichnisse in: Il problema ebraico I Nr. 3–7 (Juni–Oktober 1942). Zur Bedeutung, die den Nachnamen der Juden beigelegt wurde, vgl. G. Fabre, L’elenco, a.a.O., passim. 224 Am 28. Dezember 1938 war Gino Arias formal noch „Abgeordneter des Parlaments für die XXIX Legislaturperiode“; Archivio storico della Camera dei deputati, Monarchia, Incarti di segreteria, b. 152, fasc. 131.
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der Senatoren (es handelte sich um Salvatore Barzilai, Enrico Catellani, Adriano Diena, Isaia Levi, Achille Loria, Teodoro Mayer, Elio Morpurgo – der später während der Deportation starb –, Salvatore Segrè Sartorio und Vito Volterra)225, fanden der Diktator und der König es offenbar angebracht – seitens des Ersteren – die königliche Natur ihrer Ernennung und – seitens des Letzteren – die Lebenslänglichkeit ihres Amtes zu berücksichtigen. Die Senatoren behielten somit ihren Status während der gesamten Zeit226, doch wurden sie von der Versendung der Parlamentsakten ausgeschlossen, und die Türsteher des Senats wurden angewiesen, sie zum Nichtbetreten des Gebäudes zu überreden227. Wie bereits bemerkt worden ist, wurde seit dem Kgl. Gesetzesdekret 1728/1938 „der Einzelne in seinen individuellen Rechten getroffen, egal ob es sich um persönliche Rechte oder Vermögensrechte handelte, während man niemals ein Gesetz finden wird, das die rechtlichen Strukturen des Judentums im kollektiven Sinne, wie sie im Kgl. Dekret vom 30. Oktober 1930, Nr. 1731, festgelegt waren, beseitigte oder zumindest im negativen Sinne erneuerte“228; die Regierung wollte, anders ausgedrückt, die religiösadministrative Organisation der Juden nicht verfolgen. Zu den individuellen Rechten, die verletzt wurden, gehörte allerdings auch dasjenige, „auf jüdische Weise zu leben“: Am 19. Oktober 1938 wurde das Schlachten von Tieren nach jüdischem Brauch verboten; bis zum Ende jenes Jahres mussten alle jüdischen Periodika auf die eine oder andere Weise ihr Erscheinen einstellen, und im Jahr darauf lehnten die Behörden den Antrag der Union ab, wenigstens eines von ihnen wieder zu beleben um einzig und allein die „religiösen Bedürfnisse“ der Einzelnen und die Informationsnotwendigkeiten der Gemeinden zu befriedigen229; 1942 wurde den Juden, die der Arbeitspflicht
225 ACS, MI, DGDR (1938–43), b. 4, fasc. 21, Protokoll der ersten Sitzung (27. Januar 1939) der Kommission für außerordentliche Verdienste. Die Angabe von „elf jüdischen Senatoren“ durch den Vizepräsidenten des Senats am 8. Dezember 1938 wäre daher Ergebnis eines Irrtums oder, wahrscheinlicher, von noch unvollständigen Feststellungen, ACS, SPD, CR (1922–43), cat. 480/R, b. 146, fasc. 399. Barzilai, Catellani, Diena, Loria und Volterra waren nicht Mitglieder des PNF. 226 ACS, PCM, 1940–43, fasc. 1/5–1, n. 22 851, Brief des Präsidenten des Senats an den Ministerpräsidenten, 16. August 1943. 227 Vgl. die Zeugnisse b. A. C. Jemolo, Anni di prova. Vicenza (Neri Pozza) 1969, S. 163; P. Calamandrei, Diario 1939–1945. Florenz (La Nuova Italia) 1997 (Neuausgabe), Bd. I, S. 50. 228 M. F. Maternini Zotta, L’ente comunitario ebraico, a.a.O., S. 171. 229 S. M. Sarfatti, L’antisemitismo fascista, a.a.O., S. 165–213.
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unterlagen, verboten, auch die jüdischen Hauptfesttage zu beachten230; die Anwendung der Vorschrift zwang mitunter die Leiter und Repräsentanten der Gemeinden, ihre Beschäftigung oder sogar das Land zu verlassen. Was das letztere angeht, seien die Zwangsauswanderung der Hauptrabbiner von Florenz Kalman Friedman und von Meran Giosuè Grünwald, des Gottesdienstvorstehers von Abbazia Giuseppe Küstlinger, des Rabbiners der orthodoxen Gruppe von Fiume Avraham Schreiber, sowie diejenige des Professors am Rabbinerkolleg Rom Isidoro Kahan erwähnt231, ferner die Internierung des Rabbiners des orthodoxen Tempels von Fiume Davide Wachsberger und des Offizianten des deutschen Tempels derselben Stadt Giulio Fleischmann im Jahre 1940232, die sofortige Festnahme und anschließende Internierung in Ferramonti des Hauptrabbiners von Susak (einer im April 1941 besetzten und im folgenden Monat an die Provinz Fiume angeschlossenen Stadt) Otto Deutsch, der beschuldigt wurde, „heftige antiitalienische und antifaschistische Gefühle“ zu hegen und den aus Kroatien geflüchteten Juden zu helfen233.
230 ACS, MI, DGDR (1938–43), b. 9, fasc. 38, sfasc. 1, Brief des Unterstaatssekretärs im Innenministerium an den Präfekten von Mailand, 5. September 1942; M. L. San Martini Barrovecchio, Documenti, a.a.O., S. 161. 231 AUCEI, Fondo UCII, Attività 1933–47, b. 32E, fasc. 1938, sfascc. „Abbazia, Firenze, Merano“; ACS, MI, DGPS, AGR, A16 ebrei stranieri, 1939, b. 49, fasc. „Gruenwald Giosuè“; A. Cedarmas, La Comunità Israelitica, a.a.O., S. 70, 156. Kahan, der Direktor des Rabbinerkollegiums von Rhodos gewesen war, wurde zum Leiter der sephardischen Gemeinde von Seattle berufen; in seinem Bericht über diesen Vorgang nach Rom fügte der örtliche italienische Konsul hinzu, dass jene Gemeinde vorwiegend aus Juden mit Herkunft aus Rhodos bestehe; ASMAE, MAE, AP 1931–45, Stati Uniti, b. 55, fasc. 1, italienischer Konsul zu Seattle an die Botschaft in Washington (Kopie), 29. März 1939. 232 ACS, MI, DGPS, AGR, A4 bis, b. 117, fasc. „Fleischmann Giulio“. Zu dem Brief mit Datum vom 9. September 1940, mit dem die Union der italienischen israelitischen Gemeinden bei der Generaldirektion für öffentliche Sicherheit die Rückkehr der beiden Offizianten nach Fiume beantragte, vermerkte ein Beamter der Generaldirektion: „Auf Anweisung S.E. des Chefs [der Polizei] zu den Akten [d.h. Ablage]. Die Union soll sich nur mit Fragen der Auswanderung befassen“; ebd. 233 Otto Deutsch wurde im August 1943 im Lager Ferramonti von einer manischen Krise befallen und in eine staatliche psychiatrische Anstalt verbracht, wo er im folgenden November 32jährig verstarb. Archivio statale di Rjieka, Carte amministrazione italiana, Questura, serie internati, fasc. „Deutsch Otto“; ACS, MI, DGPS, AGR, A4bis, b. 93, fasc. „Deutsch Otto“; S. Sorani, L’assistenza ai profughi ebrei in Italia (1933– 1947). Contributo alla storia della Delasem. Rom (Carucci) 1983, S. 96–98; K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. II (1996), S. 229, 254; Zuflucht, a.a.O., Bd. II (1993), S. 190–191, 209–210.
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4.3 Konkrete Zielsetzung und allgemeine Durchführung der Verfolgung der ausländischen Juden Der Wunsch des Faschismus war es, die ausländischen Juden aus dem italienischen Staatsgebiet rasch und endgültig zu entfernen. Zunächst verbot er neue Einreisen von ausländischen Juden mit dem Ziel der „Niederlassung“ und ordnete – mit einigen Ausnahmen – die Entfernung derjenigen, die ihren Wohnsitz in Italien nach dem 1. Januar 1919 genommen hatten, aus dem Lande zum 12. März 1939 an (Kgl. Gesetzesdekret 1381/1938, 1728/1938)234; sodann verbot er am 19. August 1939 die Einreise zwecks „Aufenthalt“ für deutsche oder aus Deutschland stammende Juden sowie für polnische, ungarische, rumänische und (seit dem 24. Oktober) auch für slowakische Juden; am 18. Mai 1940 verbot er Juden der genannten Nationalitäten und staatenlosen Juden auch Einreisen zum Zwecke des „Transits“235. Wie bereits erwähnt, gab es im Herbst 1938 noch ca. 3.100 ausländische Juden mit Aufenthaltserlaubnis und etwa 8.100 Juden, die verpflichtet waren, das Land zu verlassen; infolge von zehn- bis elftausend Wegzügen und fünf- bis sechstausend Zuzügen waren im Juni 1940 noch 3.500 bis 4.000 Juden ohne Aufenthaltsgenehmigung und schätzungsweise 2.000 mit Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung übrig geblie-
234 Die Vorschrift betraf auch diejenigen, denen die italienische Staatsbürgerschaft entzogen worden war; davon ausgenommen waren die über 65jährigen, die mit italienischen Staatsbürgern Verheirateten und – zeitweise – die Universitätsstudenten (außer den deutschen), die bereits im akademischen Jahr 1937/38 eingeschrieben gewesen waren (zu diesen letzteren s. M. Sarfatti, Mussolini, a.a.O., S. 32–33). Im Februar 1939 beschloss die Regierung, die Ausweisung der türkischen Juden auszusetzen, weil die Türkei damit gedroht hatte, „eben so viele italienische Israeliten“ aus ihrem Territorium auszuweisen; ACS, MI, DGPS, AGR, A16 ebrei stranieri, b. 2, fasc. 13, Information des Außenministeriums an den Innenminister vom 23. Februar 1939 und weitere Dokumente. Die ausgewiesenen Juden wurden daran gehindert, ihr Vermögen ins Ausland zu verbringen; vgl. Commissione per la Ricostruzione delle vicende che hanno caratterizzato in Italia le attività di acquisizione dei beni dei cittadini ebrei da parte di organismi pubblici e privati, Rapporto generale. Rom (Presidenza del Consiglio dei ministri) 2001, S. 82–83. Das Ausweisungsdekret stand nicht in Verbindung mit dem zeitweisen Interesse Mussolinis für eine begrenzte jüdische Einwanderung in Äthiopien; vgl. S. I. Minerbi, Il progetto di un insediamento, a.a.O., S. 1104–29; R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 284–90, S. 429 (Fußn. 1); M. Michaelis, Mussolini e la questione ebraica, a.a.O., S. 195–202; s. auch o. Fußn. 123. 235 Detaillierte Rekonstruktion des gesamten Vorgangs b. K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. I, S. 300–349; Zuflucht, a.a.O., Bd. I, S. 283–327. Auch die bulgarischen Juden waren von dem Verbot vom 18. Mai 1940 erfasst, doch am darauf folgenden 9. Juni wurden sie davon ausgenommen; ACS, MI, DGPS, AGR, Massime (parte non riordinata), S11, fasc. 87, sfasc. 12.
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ben236. In jenen Jahren waren in ganz Europa die Juden, welche sich – legal oder heimlich – über die Grenzen bewegten, entweder von der Suche nach einem Land, in dem gerade weniger Verfolgung stattfand (und das mitunter nur durch Überqueren mehrerer Grenzen zu erreichen war), oder von einem Ausweisungsbefehl getrieben237. Die Entscheidung, die Einreise von Juden aus dem antisemitischen Europa völlig zu blockieren (ein Zustrom von Juden aus Ländern, welche der Achse feindlich gesinnt oder jedenfalls nicht antisemitisch waren, war praktisch nicht vorhanden), stand in Verbindung mit den Vorbereitungen zur Internierung der ausländischen Juden ohne Aufenthaltsgenehmigung für Italien; beide Maßnahmen waren verbunden mit der Intensivierung der Judenfeindlichkeit im Lande, mit dem Eintritt Italiens in den Zweiten Weltkrieg (10. Juni 1940) und mit der Ausdehnung der Verfolgung auf den ganzen Kontinent. Die Internierung, die von der Regierung seit dem Beginn der Verfolgung angedroht worden war238, scheint am 16. Mai 1940 beschlossen worden zu sein239. In den darauf folgenden Tagen ordnete Mussolini an, dass die ausländischen Juden in
236 K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. I, S. 332–333, 341, 349; Zuflucht, a.a.O., Bd. I, 312, 19– 320, 326–327. 237 Zur Verzweiflung einer Gruppe von Flüchtlingen, die im Juli 1939 von Italien nach Frankreich gelangt waren und damit bedroht waren, nach Italien ausgewiesen zu werden, s. P. Veziano, Ombre di confine. L’emigrazione clandestina degli ebrei stranieri dalla Riviera dei fiori verso la Costa azzurra (1938–1940), Pinerolo (Alzani) 2001, S. 203–204. 238 Vgl. K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., S. 302; Zuflucht, a.a.O., Bd. I, S. 285–286; C. Villani, Ebrei fra leggi razziste, a.a.O., S. 37. Am 16. September 1939 schloss der Direktor der Demorazza, dem der Vizepräsident der Union die schwierige Lage der Flüchtlinge geschildert hatte, seine Antwort mit dem Vorschlag, als letzte Lösung „sie nach Libyen zu verbringen und sie dort mit dem Spaten arbeiten zu lassen“; AUCEI, Fondo UCII, Attività 1933–47, b. 12, fasc. „1938–39“, sfasc. „Mario Falco“, Durchschlag eines Briefes Aldo Ascoli an diesen, 17. September 1939. 239 ACS, MI, DGPS, AGR, Massime, I4, b. 59, fasc. 60, sfasc. 1A, Entwurf eines Rundschreibens des Innenministeriums an die Präfekten betr. die Unterwerfung aller „ausländischen Juden“ und aller „Untertanen von Feindstaaten“ unter die Maßnahme des Zwangswohnsitzes oder der Internierung, sobald Italien in den Krieg eintreten sollte, 16. Mai 1940. Der endgültige Text des Rundschreibens, abgesandt am 20. Mai, beschränkt sich darauf, bei den Präfekturen ein Verzeichnis der ausländischen Juden, „denen es gelungen ist, ins Königreich zu gelangen“, anzufordern (ebd., Nr. 443/35615; vgl. auch K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. II, S. 5–6; Zuflucht, a.a.O., Bd. II, 18–19). Ein weiteres Rundschreiben, sieben Tage später abgesandt, nahm jedoch ausdrücklich auf die Internierung der „ausländischen Juden, von denen in den vorigen Rundschreiben die Rede war“, Bezug; ACS, MI, DGPS, AGR, Massime, M4, b. 99, fasc. 16, sfasc. 1, ins. 1, parte I, Innenministerium an die Präfekten, 27. Mai 1940, Nr. 442/37214.
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für sie vorbehaltene Lager, also getrennt, interniert werden sollten240, und er ließ der Union der Gemeinden amtlich mitteilen, dass zunächst die Männer in Konzentrationslagern, die Frauen und Kinder in den Gemeinden interniert würden, um sodann alle „an einem Ort in Süditalien, nämlich in Tarsia (Provinz Cosenza) konzentriert zu werden, wo sie auch nach dem Ende des Krieges verbleiben sollen, um von dort aus in Länder¸ die sich zur Aufnahme bereit erklären sollten, überstellt zu werden“241. Schließlich ordnete am 15. Juni das Innenministerium „Fahndungsaktionen gegen Juden [an], welche Staaten angehören, die Rassenpolitik betreiben“ und befahl die Internierung der deutschen, ehemals tschechoslowakischen, polnischen und staatenlosen Juden in „eigens errichteten Konzentrationslagern, die sich bereits in Vorbereitung befinden“, sowie die Ausweisung der rumänischen, ungarischen und (mit Anordnung vom darauf folgenden Juli) der slowakischen Juden242. Diese Regelung hatte besonders weitreichende Folgen in Fiume und Abbazia, wo viele Juden ihren Wohnsitz hatten, welche ausländische Staatsbürgerschaft besaßen oder denen die italienische Staatsbürgerschaft entzogen worden war, und wo der Präfekt besonders antisemitisch eingestellt war – in der Nacht des 20. Juni 240 Dies ist nach derzeitigem Kenntnisstand die Interpretation, die man m.E. dem folgenden Vermerk des Unterstaatssekretärs im Innenministerium an den Chef der Polizei geben kann: „Der Duce wünscht, dass im Falle des Krieges Konzentrationslager auch für Juden vorbereitet werden. Ich bitte Dich um direkten Bericht“; ACS, MI, DGPS, AGR, Massime, M4, b. 100, fasc. 16, sfasc. 1, ins. 1, parte II; jetzt auch in: Centro Furio Jesi (Hrsg.), La menzogna, a.a.O., S. 337. Zu früheren unterschiedlichen Interpretationen – von anderen Forschern und von mir – s. A. Bonelli, L’internamento, in: S. Carolini (Hrsg.), „Pericolosi nelle contingenze belliche“, a.a.O., S. 10; M. Sarfatti, L’internamento nei campi degli ebrei italiani antifascisti e degli ebrei stranieri (1940–1943). Rassegna bibliografica e spunti di ricerca, in: F. Volpe (Hrsg.), Ferramonti: Un lager nel Sud. Atti del convegno internazionale di studi 15–16 maggio 1987. Cosenza (Editoriale Orizzonti Meridionali) 1990, S. 54; G. Tosatti, Gli internati civili in Italia nella documentazione dell’Archivio centrale dello Stato, in: Istituto Storico della Resistenza in Piemonte, Una storia di tutti. Prigionieri, internati, deportati italiani nella seconda guerra mondiale. Mailand (Angeli) 1989, S. 39; K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. II, S. 11; Zuflucht, a.a.O., Bd. II, S. 22. 241 AUCEI, Fondo UCII, [Protokollbuch Ausschuss, Sitzung vom 30. Mai 1940]. Der 30. Mai ist auch der Tag, an dem der Chef der Polizei der mit der Einrichtung beauftragten Firma die Entscheidung über die Errichtung des Konzentrationslagers von Ferramonti mitteilte; ACS, MI, DGPS, AGR, Massime, M4, b. 121, fasc. 16, sfasc. 2, ins. 13/6/III/3. 242 Vgl. K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. II, S. 5–9; Zuflucht, a.a.O., Bd. II, S. 21. Die Verfügung vom 15. Juni ist wiedergegeben in: Akademie der Künste, Rifugio precario. Zuflucht auf Widerruf. Artisti e intellettuali tedeschi in Italia. 1933–1945. Deutsche Künstler und Wissenschaftler in Italien. Mailand (Mazzotta) 1995, S. 41. Am 22. Juni wurde erläutert, dass die erwähnten Maßnahmen nicht auf Juden angewendet werden sollten, denen 1938 gestattet worden war, den Wohnsitz zu behalten.
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1940 wurden ca. 300 Männer im Alter von 18 bis zu 60 Jahren verhaftet, und 1942 waren immerhin 134 der 761 Mitglieder der jüdischen Gemeinde Fiume noch interniert243. In den beiden folgenden Jahren beschloss die faschistische Regierung im Widerspruch zur Politik der Blockierung der Einreise (die im Gebiet von Fiume allein in viele hundert Ausweisungen oder Zurückweisungen an der Grenze umgesetzt worden war244) und im Gefolge von Einschätzungen im Hinblick auf die Sicherheit bzw. die Versorgung, Gruppen von Juden, die bereits in anderen italienischen Besitzungen des Mittelmeerraums interniert (oder zu internieren) waren, (es handelte sich um 3.000 bis 3.100 jugoslawische Juden, um 796 mitteleuropäische Juden, die auf der Reise nach Palästina 1940 in Bengasi gestrandet waren oder in Rhodos Schiffbruch erlitten hatten, sowie um mehr als 380 libysche Juden mit englischem Pass; die erste Gruppe wollte nach Italien gelangen, die letztere wurde regelrecht deportiert), vorläufig in Lager in Italien zu verlegen245. Infolge dieser Zugänge und einiger Abgänge (Entfernungen aufgrund der Rundverfügung vom 15. Juni 1940, Repatriierung der Mehrheit der griechischen Juden in den Jahren 1941/42, des Weiteren ca.
243 ACS, MI, DGPS, AGR, A16 ebrei stranieri, b. 10, fasc. 31/1, Kopie der Denkschrift der Juden von Fiume „L’attuale situazione degli Ebrei nella Provincia del Carnaro“ [Die aktuelle Lage der Juden in der Provinz Carnaro] [Juni–Juli 1940] und kommentierender Brief des Präfekten von Fiume an das Innenministerium, 16. September 1940; AUCEI, Fondo UCII, Attività 1933–47, b. 71B, fasc. 1940–43, sfasc. „Fiume“, Mitteilung der israelitischen Gemeinde Fiume an die Union der italienischen israelitischen Gemeinden, 11. Juli 1943. Vgl. auch K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. II, S. 15–16; Zuflucht, a.a.O., Bd. II, S. 26; T. Morgani, Ebrei di Fiume ed Abbazia 1441–1945. Rom (Carucci) 1979, S. 121–122. 244 K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. II, S. 255; Zuflucht, a.a.O., Bd. II, S. 210–211; zu den italienischen Meerespatrouillen und zu den daraus folgenden Abfangen von Booten und Zurückweisungen von Flüchtlingen vgl. S. Bon, Le Comunità ebraiche della Provincia italiana del Carnaro: Fiume e Abbazia (1924–1945). Triest (Società di studi fiumani) 2004, S. 101–102. Zum besonderen Fall der Einwanderung einer kleinen Gruppe von jüdischen Kindern in die neue italienische Provinz Lubljana s. K. Voigt, Villa Emma. Ragazzi ebrei in fuga 1940–1945. Florenz (La Nuova Italia) 2002, S. 78–81 S. Villa Emma. Jüdische Kinder auf der Flucht 1940–1945, Berlin (Metropol) 202, S. 100–101. 245 Zu den Jugoslawen und Mitteleuropäern s. Ders., Il rifugio, a.a.O., Bd. II, S. 30–44; Zuflucht, a.a.O., Bd. II, S. 37–48; zu den Anglolibyern vgl. ACS, MAI, Direzione generale affari politici – Archivio segreto (1906–44), b. 18, fasc. 9 (von Januar bis Juli 1942 wurden ca. 400 in Libyen wohnende Juden nach Italien deportiert, fast allesamt Libyer mit englischem Reisepass); L. Picciotto, Gli ebrei in Libia sotto la dominazione italiana, in: M. Contu / N. Melis / G. Pinna, Ebraismo e rapporti con le culture del Mediterraneo nei secoli XVIII–XX. Florenz (Giuntina) 2003, S. 95–96.
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700 legale Auswanderungen, fast alle nach Übersee)246 betrug die Zahl der ausländischen Juden im April/Mai 1943 ca. 9.000 (vgl. Tabelle 6). Die Internierten zählten 6.386, davon 4.339 in den Gemeinden und 2.047 in Lagern, davon wiederum 1.465 in Ferramonti di Tarsia, das somit weder das einzige Lager für Juden noch – angesichts von ca. 200 Nichtjuden – ein eigenes Lager für Juden geworden war. Die weiteren 2.500 waren seit jeher berechtigt, sich frei niederzulassen oder, in geringerem Maße, aus unterschiedlichen Gründen aus der Internierung entlassen worden247. Die Juden, welche der Internierung unterlagen, waren nicht besonderen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt (so wurde ihnen beispielsweise in den wichtigsten Lagern gestattet, einige Räume als Synagoge einzurichten). Doch die Verflechtung in Regeln und Verbote besaß ein solches Ausmaß, dass eine Internierte schrieb: „Ich finde es unnütz, dass man uns das, was verboten ist, besonders bekanntmacht – es sind zu viele. Es wäre einfacher, wenn man uns das mitteilte, was erlaubt ist“248. Im Ergebnis bildete die Internierung eine Art von Gefangenschaft, die etwas milder war als das eigentliche Gefängnis; allerdings besaß das Lager von Ferramonti – wie Klaus Voigt bemerkt hat – wegen der Größe seiner Population, der daraus folgenden Verschiedenheit seines inneren Lebens und der Möglichkeiten der Internierten, Formen von Selbstorganisation zu entwickeln – nicht wenige Berührungspunkte mit einem Ghetto249. Diese umfassende Aktion des faschistischen Italien gegenüber den ausländischen Juden trat im Juni/Juli 1943 in eine hektische Phase der Verschlechterung ein, ähnlich der Politik gegenüber den italienischen Juden auf der Halbinsel und den ausländischen Juden in den von Italien besetzten Gebieten. Beleg dafür sind die folgenden beiden Dokumente. Am 14. Juni 1943 beantragte das Direktorium des PNF von Mussolini die „Repatriierung aller Ausländer, die ihre Anwesenheit in Italien nicht zu rechtfertigen vermögen, und, wo dies nicht möglich sein sollte, ihre Isolierung an Orten, welche keine Sommerfrische 246 K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. II, S. 18–19, 44–51, 78, 97; Zuflucht, a.a.O., Bd. II, S. 28, 48–54, 75, 90. 247 Ebd., S. 89–95, 599; Zuflucht, a.a.O., Bd. II, S. 83–88, 828–829. 248 M. Eisenstein, L’internata numero 6. Donne fra i reticolati del campo di concentramento. Rom (De Luigi) 1944, S. 69; jetzt auch Mailand (Tranchida) 1994, S. 63. 249 K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. II, S. 239; Zuflucht, a.a.O., Bd. II, S. 199. Zum Lager s. auch C. S. Capogreco, Ferramonti. La vita e gli uomini del più grande campo d’internamento fascista (1940–1945). Florenz (Giuntina) 1987; F. Folino, Ferramonti. Un lager di Mussolini. Gli internati durante la guerra. Cosenza (Brenner) 1985. Zu allen Lagern s. C. S. Capogreco, I campi del duce. L’internamento civile nell’Italia fascista (1940–1943). Turin (Einaudi) 2004, S. 124–35, 177–247.
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bedeuten“250. Wie Klaus Voigt bemerkt hat, hatte dieser Antrag in Wirklichkeit die Repatriierung der Juden Mittel- und Osteuropas in die jeweiligen Länder, in denen die Deportationen im Gange waren, im Auge251. Allerdings vermied Mussolini es in seiner Antwort vom 24. Juni auf die verschiedenen ihm vom Direktorium unterbreiteten Anträge, sich für oder gegen diesen speziellen Antrag auszusprechen252. Das zweite Dokument trägt das Datum des 25. Juli 1943, des Tages der Absetzung und der Verhaftung des Diktators, jedoch wurde es offenkundig verfasst und abgesandt, bevor seinen Verfassern der sich vollziehende Wandel bekannt war. Am 12. Juli hatte der Präfekt von Cosenza an den Unterstaatssekretär des Innenministeriums Umberto Albini telegraphiert: „Es wäre zweckmäßig […] das Konzentrationslager von Ferramonti […] in eine andere Provinz des Königreichs zu verlegen“253. Diese Depesche gelangte am 15. Juli an das Innenministerium; zehn Tage später signalisierte der Kabinettschef dieses Ministeriums (also die Person, die mit Albini und dem Minister Mussolini in engstem Kontakt stand) dem Polizeichef die „Zweckmäßigkeit, jene 2.000 Elemente (darunter 40 Kommunisten), die zur Zeit im Lager Ferramonti di Mongassano (Cosenza) interniert sind, nach Möglichkeit in die Provinz Bozen zu verlegen, um sie aus möglichen militärischen Operationszonen zu entfernen“254. An diesem in üblicher farbloser bürokratischer Sprache abgefassten Brief fällt der Hinweis auf Bozen, einer am anderen Ende der Halbinsel gelegenen Provinz, auf, aus der genau vier Jahre zuvor die Entfernung aller ausländischen Juden befohlen worden war (so dass vielleicht Südtirol das erste Territorium des Kontinents war, welches von Juden „gereinigt“ war)255. Ich meine, dass dieser 250 Das Dokument ist wiedergegeben in: B. Mussolini, Opera omnia, a.a.O., Bd. XXXI (1960), S. 292. Zum Alarm, der im US-amerikanischen Judentum ausgelöst wurde, s. Actes et documents du Saint Siège, a.a.O., Bd. IX, S. 407, 413; K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. II, S. 391–393; Zuflucht, a.a.O., Bd. II, S. 320–322. 251 Ebd., S. 388–389, S. 317–318; vgl. auch S. 179–180, S. 152. 252 Der stenographische Text der Rede Mussolinis in: ACS, MCP, Gabinetto, parte II, b. 80, fasc. 7; später auch in: L. Cortesi, Mussolini e il fascismo alla vigilia del crollo. Il testo integrale inedito del „discorso del bagnasciuga“ (24 giugno 1943). Rom (Editrice Cooperativa) 1975. 253 ACS, MI, UC, Telegrammi in arrivo. 254 ACS, MI, DGPS, AGR, Massime, M4, b. 124, fasc. 16, sfasc. 2, ins. 13/10; wiedergegeben in: C. S. Capogreco, L’internamento degli ebrei stranieri ed apolidi dal 1940 al 1943: il caso di Ferramonti-Tarsia, in Italia Judaica. Gli ebrei nell’Italia unita, a.a.O., S. 561. 255 C. Villani, Ebrei fra leggi razziste, a.a.O., S. 35–46 (Die Entfernung war im Zusammenhang mit der italienisch-deutschen Vereinbarung über das Optionsrecht der Bewohner von Südtirol / Alto Adige angeordnet worden); Vgl. auch F. Steinhaus,
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Brief eine echte Handlungsanweisung darstellte, die teilweise camoufliert war, weil sie ein „nicht aussprechbares“ Ziel verfolgte – nämlich entweder die Aushändigung der ausländischen Juden an das nazistische Deutschland (die einen Monat vorher vom Direktorium des PNF beantragte „Repatriierung) oder die Anlegung einer „Reserve“, die vielleicht genutzt werden konnte, um prominente italienische Gefangene freizukaufen oder vielleicht die faschistischen Führer selbst zu schützen256.
4.4 Konkrete Zielsetzung und allgemeine Handhabung der Verfolgung der italienischen Juden Der Faschismus plante, die italienischen Juden vom Territorium der Halbinsel zu entfernen. Wegen der tiefgreifenden (auch durch Heiraten bewirkten) Integration zwischen ihnen und den anderen Italienern wurde diese Zielsetzung jedoch nicht unmittelbar proklamiert und öffentlich verfolgt. Das Regierungshandeln war daher zunächst darauf gerichtet, die Juden aus dem nationalen Leben zu entfernen (Vertreibung aus öffentlichen Ämtern und aus dem Erziehungs- und Kultursektor) und sie von den Nichtjuden abzusondern (Verbot von Mischehen usw.); während andere Verfolgungsmaßnahmen (Entziehung oder Beschränkung der Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten) „objektiv“ die „separierten“ Verfolgten zur Auswanderung drängten. Jedenfalls bemühte die Regierung sich seit Herbst 1938, das Verlassen des Landes seitens der italienischen Juden nach Möglichkeit zu erleichtern: Im September forderte der Innenminister dazu auf, den Pass auch solchen italienischen Juden auszuhändigen, die verdächtig waren, im Ausland „Tätigkeiten gegen die Regierung“ entfalten zu können257; im November (gerade an dem Tag, an dem Vittorio Emanuele III. seine Unterschrift unter das wichtigste gesetzliche Verfolgungsdokument setzte) bekräftigte der Minister des Äußeren, dass „grundsätzlich der Auswanderung der oben genannten Elemente [d.h. der italienischen Juden] keine Hindernisse in den Weg gelegt werden solEbrei/Juden. Gli ebrei dell’Alto Adige negli anni trenta e quaranta. Florenz (Giuntina) 1994, S. 65. 256 Zur ersten Hypothese vgl. K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. II, S. 389–391; Zuflucht, a.a.O., Bd. II, S. 318–320. In den vorhergehenden Wochen war in Voraussicht des Rückzuges aus Tunis ernsthaft erwogen worden, 50 jüdische Vertreter dieser Stadt als Geiseln nach Italien zu bringen (ACS, MI, DGPS, AGR, Massime, M4, b. 111, fasc. 16, sfasc. 1, ins. 55). 257 ACS, MI, DGPS, AGR, Massime (parte non riordinata), P3, fasc. 94, Anfrage des Präfekten von Livorno an das Innenministerium vom 8. September 1938, und Antwort des letzteren vom 16. September 1938.
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len“258; im Dezember stellte der Innenminister klar, dass zu eben diesem Zwecke in den Reisepässen der Juden die „Zugehörigkeit zur jüdischen Rasse“ nicht erwähnt werden solle259; im Januar 1939 fügte Mussolini den Hinweis „Nach Kräften erleichtern“ einem Bericht des Polizeipräsidenten von Mailand an, der den Titel Juden – Ausreise aus dem Königreich trug und sich sowohl auf die ausländischen als auch auf die italienischen Juden bezog, ein Hinweis, der allen Präfekten übermittelt wurde260; im August 1939 wurden zweitweise alle Ausreisen von Italienern ausgesetzt, mit Ausnahme derjenigen von Juden261. Diese schriftlichen Verordnungen wurden wohl vervollständigt durch mündliche Anordnungen, welche den örtlichen Behörden die Rolle des Antreibens und nicht bloß des Vereinfachens übertrugen; beispielsweise berichtete der Präfekt von Mantua im Januar 1939 folgendermaßen über seine Tätigkeit und seine Betrachtungen zur Gesamtsituation nach Rom: Es ist daher geboten, Mittel und Wege zu finden, die Auswanderung der Juden zu erleichtern, und in diesem Sinne habe ich gemäß der mir mündlich erteilten Ermächtigung mit dem Hauptrabbiner dieser Gemeinde gesprochen, um ihn zu veranlassen, Überzeugungsarbeit bei den seiner Jurisdiktion unterfallenden Glaubensgenossen zu leisten, das Staatsgebiet zu verlassen. Die Schwierigkeiten, welche sich stellen, sind jedoch nicht gering: 1) weil, obwohl man im Ausland mit Worten die Lage der Juden in Deutschland und Italien beklagt, kein Land bereit zu sein scheint, ihnen Gastfreundschaft zu gewähren; 2) weil die Bestimmungen über die Valuta-Beschränkung denen, die durchaus bereit zur Ausreise sind, es schwer machen, Geld und Staatspapiere in einem Umfang ins Ausland zu verbringen, der es möglich macht, die ersten Lebensbedürfnis zu decken; 3) weil in vielen Fällen die hier lebenden Juden familiäre Bindungen zu arischen Elementen eingegangen sind, die wegen der blutsmäßigen Bande in gewissem Umfang in der Lage sind, den Juden die neu geschaffene Lage irgendwie zu erleichtern262.
Soweit heute bekannt ist, hat Mussolini erst am 9. Februar 1940 den Verfolgten (genauer gesagt: Dante Almansi, der seit wenigen Wochen Präsident der Union der italienischen jüdischen Gemeinden war) offiziell mitteilen lassen, 258 ACS, MI, DGPS, AGR, Massime (parte non riordinata), S11, fasc. 87, sfasc. 14, Rundschreiben des Innenministeriums vom 25. November 1938 worin über ein Telespresso des Außenministeriums vom 17. November 1938 berichtet wird. 259 Ebd., Innenministerium an Präfekten vom 7. Dezember 1938. 260 ACS, MI, DGPS, AGR, cat. A16, ebrei stranieri, b. 1, fasc. A1, sfasc. 5, Polizeipräsident von Mailand an Innenministerium, 20. Januar 1939, mit handschriftlichem Vermerk von Mussolini; Rundschreiben des Ministers an die Präfekten, 28. Januar 1939 („in Chiffre“) und 8. Februar 1939 („in Klartext“). 261 AdS Livorno, Questura, b. 1347, fasc. „Passaporti per l’estero“, sfasc. 20/2/8, Innenministerium an die Präfekten, 24. August 1939. 262 ACS, MI, DGPS, AGR, 1939, cat. C1, b. 7F, fasc. „Mantova“, Präfekt von Mantua an das Kabinett des Innenministeriums, 16. Januar 1939.
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dass die italienischen Juden schrittweise, aber definitiv, die Halbinsel zu verlassen hätten263. Dieser Befehl wurde mündlich übermittelt, und ebenfalls mündlich wurde er innerhalb der jüdischen Körperschaften verbreitet; es hat aber den Anschein, dass es den Führern des italienischen Judentums gelang, seine zwangsweise Umsetzung zu vermeiden, indem sie nachwiesen, dass schon seit Monaten eine beachtliche freiwillige Auswanderung der italienischen Juden vor sich ging264. Zu diesem Zwecke sammelte die Union bei den Gemeinden die Daten über alle ausgewanderten Juden, sowohl italienische als auch ausländische (mitunter auch solche, die nicht Mitglieder der Gemeinden gewesen waren) und teilte sie periodisch dem Innenministerium mit. Sie stellte diese Daten so dar, als ob sie sich nur auf Mitglieder der italienischen israelitischen Gemeinden bezögen, doch das Ministerium, das sie empfing, qualifizierte sie – aus heute nicht bekannten Gründen, vielleicht bloß aus Oberflächlichkeit – als solche, die sich auf die „italienischen Juden“ bezogen. Nach diesen Zusammenfassungen hatte es zwischen 1938 und dem Frühjahr 1940 5.424 Auswanderungen gegeben, 495 bis Mitte Mai 1941, 47 in den fünf darauf folgenden Monaten; die Abfahrten erfolgten in etwas mehr als 1.000 Fällen aus Mailand und Rom, in etwa 800 aus Triest und Turin. Auf der Grundlage einiger Namensverzeichnisse kann man annehmen, dass die Juden mit italienischer Staatsangehörigkeit etwas weniger als die Hälfte der ganzen Gruppe bildeten, d.h. etwas weniger
263 D. Almansi, La progettata espulsione. Contributo alla storia delle persecuzioni razziali in Italia, in: Israel XXXI Nr. 8 (18. Oktober 1945). Die Nachricht von der Entscheidung der Regierung wurde vom Vorsitzenden der Union selbst verbreitet (vgl. P. Calamandrei, Diario, a.a.O., Bd. I, S. 137–38, zum Datum 6. März 1940) und gelangte dann auch an eine jüdische Presseagentur in New York (Jewish Telegraphic Agency, 24. März 1940, mit Datum 22. März). Aus Gründen, die ich nicht habe ermitteln können, hatte am 18. Januar 1940 die Grenzpolizei die Präfekten aufgefordert, „die Entziehung der Reisepässe für im Königreich lebenden Juden anzuordnen“ und dem Innenministerium etwaige Ausnahmegenehmigungen zur Ausreise vorzubehalten; am 20. Februar betonte dieselbe Behörde zwar die Notwendigkeit einer Erlaubnis aus Rom, erklärte nun aber wieder, dass es „Wunsch des Ministeriums ist, die Ausreise jener italienischen Juden möglichst zu erleichtern, die sich ins Ausland begeben wollen, um sich dort endgültig einzurichten“; die beiden Rundschreiben an die Präfekten befinden sich in: ACS, MI, DGPS, AGR, Massime (parte non riordinata), P3, fasc. 94. Am 5. Februar 1941 verbot die Grenzpolizei erneut die „endgültigen“ Ausreisen von italienischen Juden, um dann am darauf folgenden 16. März die Möglichkeit wieder zu eröffnen; die beiden Rundschreiben an die Polizeipräsidenten befinden sich in: AdS Livorno, Questura, b. 1347, fasc. „Passaporti per l’estero“, sfasc. 20/2/8. 264 AUCEI, Fondo UCII, Protokollbuch Ausschuss Sitzungen vom 25. Februar und 30. Mai 1940; ebd., Protokollbuch Rat, Sitzung vom 28. Januar 1941.
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als 3.000265 (vgl. Tabelle 6). Nach Ankunftsländern der letzteren aufgeteilt ist bekannt, dass von Juli 1938 bis Juni 1940 von ihnen 400 bis 500 nach Palästina gelangten und dass ebenso große oder größere Gruppen sich in den Vereinigten Staaten und in Argentinien niederließen266.
265 Vgl. die Rundschreiben, die Antworten der Gemeinden und die Auflistungen in: AUCEI, Fondo UCII, Attività 1933–47, b. 71b, fasc. „1940–43“ und b. 71C, fasc. „Censimento“, sfasc. „Varie 1944–45“. Vgl. ferner die auf der Grundlage der bei der UCII eingegangenen Daten erarbeiteten Übersichten in: ACS, MI, DGPS, AGR, cat. G1, b. 14, fasc. 172, sfasc. 1, ins. 2; ACS, SPD, CR (1922–43), cat. 169/R, b. 140, fasc. 14; ACS, MI, DGDR (1938–43), b. 13, fasc. 44, Bericht „Lage der Juden am 28. Oktober 1941“. Zu berücksichtigen ist, dass diese Werte so gut wie nie die Auswanderungen der verfolgten „nicht effektiven Juden“ einschlossen (wie z.B. Gino Arias und Margherita Grassini Sarfatti) und dass die mehr als dreitausend Auswanderungen von Ausländern und ehemaligen italienischen Staatsangehörigen häufig auch in den im vorigen Abschnitt aufgeführten Übersichten berücksichtigt sind. Die Verfolgung veranlasste auch die Emigration von gemischten Familien wie derjenigen des Nichtjuden Enrico Fermi: gleich nach der Verkündung der ersten antijüdischen Vorschriften am 4. September 1938 schrieb er an den Präsidenten einer amerikanischen Universität, dass die „reasons“, deretwegen er zwei Jahre zuvor das ihm angebotene Amt abgelehnt habe, „do not exist any more“; das Dokument ist (unter Herstellung eines irrigen Zusammenhangs) veröffentlicht in: P. Odifreddi, Così Fermi disse addio all’Italia, in: La repubblica, 4. Dezember 2004. 266 M. Toscano, Ebraismo e antisemitismo, a.a.O., S. 185–207; Zahlen zu Palästina in: A. Fano, L’Alijàh, a.a.O., S. 267 (504), sowie in: A. Marzano, Una terra, a.a.O., S. 78 („etwas weniger als vierhundert“); nach dem Artikel „A Year of Racialism in Italy“, in: Contemporary Jewish Record II Nr. 4 (Juli–August 1939), S. 41, betrug die Zahl der Juden, welche die Genehmigung zur Ausreise in die USA erlangt hatten, bereits 500; für Argentinien s. E. M. Smolensky / V. Vigevani Jarach, Tante voci, una storia. Italiani ebrei in Argentina 1938–1948. Bologna (Il Mulino) 1998 (auf S. 25 wird ein Orientierungswert von „gut einem Tausend“ angegeben, der jedoch auch die nichtjüdischen Angehörigen, nicht auf der Halbinsel wohnende Juden usw. einschließt); B. Groppo, L’emigrazione ebraica in Argentina 1938–1943, in: Azzurra VIII (2000), Nr. 19–21, S. 5–55. Weitere Daten (mitunter jedoch solche, die auch ehemals in Italien wohnende ausländische Juden, Juden aus Rhodos im Besitz der „kleinen Staatsbürgerschaft“ und außerhalb der Halbinsel wohnhafte italienische Juden einschließen), in: P. R. Fanesi, Gli ebrei italiani a.a.O., S. 23–36. S. ferner A. R. Campagnano Bigazzi, History of the Jews of Italy; Migration to Brazil During the Holocaust Period, in: Avotaynu XV Nr. 3 (Herbst 1999), S. 29–32; L. Musetti, Ebrei italiani in Cile 1939–1947. Maschinenschrift. Santiago del Cile 2005 (weist auf mindestens 75 Namen von italienischen Juden hin, die in den Jahren 1939–1942 nach Chile gelangt oder dort registriert waren); M. Montagnana, I rifugiati ebrei italiani in Australia e il movimento antifascista „Italia libera“ (1942–1946), in: Notiziario dell’Istituto storico della Resistenza in Cuneo e provincia Nr. 31 (Juni 1987), S. 5–114; L. Sponza, Jewish Refugees from Fascist Italy to Britain, in B. D. Cooperman / E. B. Garvin (Hrsg.), The Jews of Italy. Memory and Identity. Bethesda (University Press of Maryland) 2000, S. 425–542 (auf S. 425 wird ein Höchstwert von hundert nach Staatsbürgerschaft oder Kultur italienischen Flüchtlingen angegeben). Vgl. auch F. Coen, Italiani ed ebrei: come eravamo. Le leggi razziali del 1938. Genua (Marietti) 1988, S. 81–93.
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Der Befehl vom Februar 1940 scheint das auf den vorangehenden Seiten erwähnte umfassende Projekt der Lösung der „Judenfrage“ (Vertreibung der Mehrzahl der Italiener „jüdischer Rasse“ aus dem Lande und die Freistellung der Getauften mit „arischem“ christlichen Ehepartner und christlichen Kindern von der gesamten gesetzlichen Regelung) vorwegzunehmen. Im Laufe des Jahres 1941 wurde dieses Projekt zurückgestellt – zweifellos deshalb, weil man sich der Einsicht nicht verschließen konnte, dass die Ausdehnung des Krieges die Möglichkeiten der Auswanderung auf äußerst enge Grenzen reduziert hatte. Immerhin wurde im März 1941 beschlossen, die Reisepässe der italienischen Juden im Augenblick der Ausreise mit dem Stempel „Im Ausland nicht erneuerbar ohne vorherige Genehmigung des Innenministeriums“ zu versehen267. Allerdings entschloss sich die faschistische Regierung während des Krieges, auch für die italienischen Juden einen umgekehrten Migrationsstrom, nämlich einen Einwanderungsstrom auf die Halbinsel, zu genehmigen. Es handelte sich in der Mehrzahl um Juden, die im Ausland geboren waren und stets dort gelebt hatten und in Deutschland oder den von ihm besetzten oder kontrollierten Ländern (Nord- und Mittelfrankreich, Belgien, Nordgriechenland usw.) ihren Wohnsitz hatten. Rom bemühte sich darum, sie in den jeweiligen Ländern ihres Wohnsitzes zurückzuhalten268, doch im Laufe des Jahres 1942 wurde 267 AdS Livorno, Questura, b. 1347, fasc. „Passaporti per l’estero“, sfasc. 20/2/8, Innenministerium an die Polizeipräsidenten, 16. März 1941. 268 Beispielsweise schrieb im September 1942 Außenminister Ciano an eine italienische diplomatische Vertretung: „Repatriierung dort lebender nichtarischer italienischer Familien kann nicht verhindert werden. Doch sollte sie auch nicht erleichtert werden“; ASMAE, MAE, P.R. telegrammi in partenza, 1942, Bd. 31501–32400, Außenminister Ciano an italienische Botschaft in Sofia, 11. September 1942. Das Dokument ist wiedergegeben in: Relazione sull’opera svolta dal Ministero degli Affari Esteri per la tutela delle comunità ebraiche (1938–1943). [Rom] ([Ministero degli Affari Esteri]) [1946], S. 14, jedoch ohne den Satz „Doch sollte sie auch nicht erleichtert werden“ und ohne dass auf dieses Fehlen hingewiesen wird. Dieses Fehlen passt zu der im – zur Zeit der Friedensverhandlungen publizierten – „Bericht“ vertretenen Theorie: das Ministerium „hielt es freilich für seine Pflicht, im Rahmen der Möglichkeiten, die seine Zuständigkeit eröffnete, die Anwendung dieser Gesetze und dieser [von der faschistischen Regierung erlassenen antijüdischen] Direktiven soweit wie möglich zu behindern. […] In diesem Bemühen fand das Ministerium Verständnis und Unterstützung bei verschiedenen staatlichen Behörden, so dass man guten Gewissens sagen kann, dass die öffentliche Verwaltung insgesamt ihr Mögliches getan hat, um die gesetzlichen Vorschriften abzumildern und die Umsetzung der Rassenpolitik in dem Bereich, der Gegenstand dieses Berichtes ist, zu behindern (S. 1, Hervorhebungen von mir). Ciano forderte die italienische Vertretung in Sofia auf, ein „kräftige und angemessene Aktion“ zur Verteidigung der ökonomischen Interessen und der „persönlichen Garantien“ der italienischen Juden durchzuführen; diese Aktion ist noch nicht untersucht worden, doch wurde sie damals von einer deutschen Quelle vor Ort zur Kenntnis genommen [F. B. Chary, The
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man mit der deutschen Entscheidung konfrontiert, alle Juden, auch solche, die Bürger neutraler und verbündeter Staaten waren, zu deportieren, falls sie nicht schnellstens von diesen repatriiert wurden. Da die faschistische Regierung – in diesem Zeitpunkt – die Politik der Vernichtung nicht teilte und die durch diese Juden repräsentierten nationalen Interessen schützen wollte269, beschloss sie, Ende 1942 und Anfang 1943 ihrer Evakuierung zuzustimmen (im Juli 1943 wurde dieselbe Politik auch von der Schweiz, von Spanien, Portugal, Dänemark, Schweden, Finnland, Ungarn, Rumänien und der Türkei verfolgt)270. Bulgarian Jews and the Final Solution 1940–1944. London (University of Pittsburgh Press) 1972, S. 58]. 269 So äußerte sich beispielsweise im März 1942 der örtliche italienische Konsul zu „einigen besonderen Konsequenzen“ der Dekrete zur Verfolgung der Juden und der Arisierung ihrer Besitztümer in Tunesien: „Passend zum Klima und zum Geist der Stunde und in Übereinstimmung mit den Maßstäben, welche die gegenwärtige Politik Frankreichs im Protektorat beherrschen und in einer Reihe von präzisen Handlungen ihren Ausdruck finden, erweisen diese Dekrete sich mehr als Instrumente des ökonomischen Hamsterns in Funktion einer möglichst absoluten Vorherrschaft, denn als Maßnahmen zur Verteidigung der Rasse. [… In Tunesien leben] nicht weniger als 65.000 Juden, davon sind mehr als 5.000 unsere Untertanen. […] Die fraglichen Dekrete mit der ausdrücklichen Zielsetzung, ‘jeglichen jüdischen Einfluss auszuschalten’, haben zweifellos auch die stillschweigende, aber nicht weniger klare Zielsetzung, die jüdischen Aktiva der französischen Masse einzuverleiben – um so mehr, als das endgültige Schicksal der bei der Depositenkasse eingezahlten Summen, abgesehen von den Vorauszahlungen, welche vom Generalsekretär der Regierung genehmigt werden können, unbestimmt bleibt – und die durch die Verdrängung der Juden vakant gewordenen Posten mit Franzosen zu besetzen. […] Das Problem, das die Dekrete vom 12. März aufwerfen, ist daher für Italien weniger ein Problem der Verteidigung von Interessen und Rechten einer Kategorie unserer Bürger, die im übrigen ja auch in Italien einer besonderen Behandlung unterworfen werden, als vielmehr ein schwerwiegendes mediterranes Problem von nationalpolitischer Bedeutung, dessen Regelung entscheidende Elemente im Kampf um den Einfluss, der seit ca. 60 Jahren in dieser Region zwischen Italien und Frankreich stattfindet, hervorbringen kann“; ASMAE, MAE, AP 1931–45, Tunisia, b. 14, fasc. 8, Generalkonsul Italiens in Tunesien an das Außenministerium, 26. März 1942. Vgl. auch die Dokumente in: ASMAE, MAE, AP 1931–45, Italia, b. 87, pos. 1, fasc. 6. 270 Zum gesamten Vorgang s. L. Picciotto Fargion, Italian Citizens in Nazi-Occupied Europe: Documents from the Files of the German Foreign Office, 1941–1943, in: Simon Wiesenthal Center Annual VII (1990), S. 93–141; vgl. auch D. Carpi, Between Mussolini and Hitler. The Jews and the Italian Authorities in France and Tunisia. Hanover, London (Brandeis University Press) 1994; Ders., Notes on the History of the Jews in Greece during the Holocaust Period. The Attitude of the Italians (1941–1943), in: Festschrift in Honor of Dr. George S. Wise. Tel Aviv (Tel Aviv University) 1981 [später auch mit einem Dokumentenanhang „Nuovi documenti per la storia dell’Olocausto in Grecia. L’atteggiamento degli italiani (1941–1943)“, in: Michael. On the History of the Jews in the Diaspora VII (1981), S. 119–200]; Ders., (Hrsg.), Italian Diplomatic Documents on the History of the Holocaust in Greece (1941–1943), Tel Aviv (Tel Aviv University) 1999; J. Steinberg, All or nothing. The Axis and the Holocaust 1941–1943. London, New York (Routledge) 1990. Verzeichnis der Länder, welche ihre eigenen Ju-
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Nach heutigem Kenntnisstand lässt sich schätzen, dass die evakuierten italienischen Juden mindestens 1.800 ausmachten, davon fast zwei Drittel aus Frankreich271. Rom erreichte, dass die Juden von Thessaloniki nach Athen gingen, den repatriiert haben, b. R. Hilberg, La distruzione, a.a.O., S. 480–81; E. Kolb, Bergen Belsen. Hannover (Verlag für Literatur und Zeitgeschehen) 1962, S. 24–25. 271 Für Frankreich ist bezeugt, dass „ca. 500“ Juden in den Monaten vor dem Frühjahr 1943 „einzeln“ wieder eingereicht waren (ASMAE, MAE, AP 1931–45, Francia, b. 80, fasc. 7, verschiedene Depeschen), dass weitere 407 zwischen März und Mai 1943 aus Paris über Bardonecchia heimkehrten (wenige von ihnen kamen aus anderen westlichen und nördlichen Städten) (ACS, MI, DGPS, AGR, cat. A5G IIg.m., b. 397, fasc. 49, sfasc. 14), dass es im in März 123 Rückkehrer aus Marseilles gab und für den darauffolgenden Monat 40 erwartet wurden (ASMAE, MAE, AP 1931–45, Francia, b. 80, fasc. 7, Botschaft in Paris an das Außenministerium, 31. März 1943; ebd., ambasciata Parigi, b. 325, fasc. 3, sfasc. „Consolato Marsiglia“, italienischer Konsul in Marseilles an das Außenministerium und an die italienische Botschaft in Paris – wo jedoch 121 Repatriierte „jüdischer Rasse“ und sechs ihrer Familienangehörigen angegeben sind), dass aus Paris weitere 70 Juden auf eigene Kosten zurückgekehrt waren oder sich in das von Italien besetzte Frankreich begeben hatten (Archivio del Centre de Documentation Juive Contemporaine, Parigi, XLVIIIa/1, Konsul von Italien in Paris an den Botschafter Italiens in Paris, 12. April 1943), insgesamt also mindestens 1.140 Personen. Nach dem März 1943 wurden mindestens 252 italienische Juden (davon 217 am 15. Juli 1943) sowie 105 ausländische Juden, welche Verwandte der vorgenannten oder sonstwie von Italien geschützt waren (allesamt am 15. Juli) von Thessaloniki nach Athen evakuiert; zu diesem Transport s. ASMAE, MAE, Consolato Salonicco, b. 84, fasc. „Razza ebraica“, italienischer Konsul in Thessaloniki an den Vertreter Italiens in Athen und an das Außenministerium, 15. Juli 1943 (Durchschlag, wiedergegeben in: D. Carpi (Hrsg.), Italian Diplomatic Documents, a.a.O., S. 257–269. Zu drei weiteren Abreisen von italienischen Juden vgl. verschiedene Dokumente in: ebd., S. 175–176 und 188–190 (Abreise vom 26. April), 247 (Abreise vom 5. Juli), 251–254 (für die am 1. August abgereiste Gruppe, zu ihr L. Merci, Appunti di diario compilato a Salonicco [jedoch nach dem Krieg geändert], in: Yad Vashem Archives, 31/3). Es ist zu vermuten, dass die aus Belgien Evakuierten mehr als hundert waren; A. Morelli, Les diplomates italiens en Belgique et la „question juive“, 1938–1943, in: Bulletin de l’Institut historique belge de Rome LIII–LIV (1983–84), S. 383. Die italienischen Juden im Reich und im Protektorat waren 1942 ca. 200, L. Picciotto Fargion, Italian Citizens, a.a.O., S. 99, 121. Weitere waren schließlich noch in Holland, Polen usw.; ebd., passim; „Relazione sull’opera svolta“, a.a.O., passim. Im Verzeichnis der Erklärungen zur „Zugehörigkeit zur jüdischen Rasse“, die im Personenstandsarchiv der Gemeinde Mailand verwahrt werden, gibt es einige Eintragungen von italienischen Juden, die 1943 vom Brenner oder von Ljubljana herübergekommen sind; L. Picciotto Fargion, Italian Citizens, a.a.O., S. 99, hat – gestützt auf eine weit niedrigere Zahl für Frankreich –, eine Gesamtzahl von 1.000/1.500 vorgeschlagen. Die Gesamtzahl von 4.000, die in „Relazione sull’opera svolta“ [Bericht über die durchgeführte Arbeit]“, a.a.O., S. 6–8, vorgetragen wird, ist ohne jeden dokumentarischen Beleg. Es ist darauf hinzuweisen, dass einige italienische diplomatische Vertreter in Rom oder in den Deportationszonen mit unterschiedlichem Erfolg versuchten, die Anzahl der Fälle zu vermehren, in denen ein formal ausländischer Jude auf allgemeiner Ebene als „Italiener“ definiert werden konnte; generell betraf jedoch der Schutz nur die Juden, welche effektive italienische Staatsbürger
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musste aber akzeptieren, dass ein großer Teil der anderen (mindestens zwei Drittel aller Evakuierten) nach Italien gelangte272. Unterdessen hatte die faschistische Regierung im Hinblick auf den bevorstehenden Kriegseintritt des Landes (10. Juni 1940) beschlossen, diejenigen italienischen Juden, die als „reale Gefahr“ für die öffentliche Ordnung angesehen wurden oder „defätistische Propaganda und Spionagetätigkeit“ entfalten konnten, zusammen mit den Juden, die Staatsbürger verbündeter antisemitischer Staaten oder staatenlos waren, mit den Angehörigen von Feindstaaten und mit „höchst gefährlichen Personen, egal ob Italiener oder Ausländer, jedweder Rasse“, zu internieren273. Diese Entscheidung schloss die Namhaftmachung waren, einschließlich also der ursprünglich jugoslawischen Juden der 1941 an Italien angeschlossenen Gebiete (L. Picciotto Fargion, Italian Citizens, a.a.O., S. 103; zu diesen s. auch u. Fußn. 376), nicht aber beispielsweise die griechischen Juden aus der von Italien besetzten Zone. Zur Entscheidung, die letzteren nicht zu schützen, vgl. D. Carpi (Hrsg.), Italian Diplomatic Documents, a.a.O., S. 107–112; A. Morelli, Les diplomates a.a.O., S. 377–380; zu ihrer Verhaftung in Frankreich im November 1942 vgl. S. Klarsfeld, Le Memorial de la déportation des Juifs de France. Paris (Klarsfeld) 1978 (Transporte Nr. 44–45); dabei hatte das Außenministerium im Jahre 1941 Anweisung erteilt, im Allgemeinen „griechischen Untertanen, welche Schutz beantragen, diesen zuteil werden zu lassen“ (ASMAE, MAE, AP 1931–45, Italia, b. 87, pos. 1, fasc. 6, Außenminister an alle italienischen Vertretungen, 29. Oktober 1941). Zu den am 15. Juli aus Thessaloniki nach Athen evakuierten von Italien geschützten Juden gehörten auch Personen, die zur Zeit des Angriffs auf Griechenland im Jahre 1940 auf die italienische Staatsbürgerschaft verzichtet hatten (ebd., Consolato Salonicco, b. 84, fasc. „Ebrei di Salonicco“, Vertretung Italiens in Athen an das Konsolat in Thessaloniki, 10. Juni 1943). 272 Zu den Schwierigkeiten, welche Italien diesen Einreisen in den Weg legte, s. D. Carpi, Between Mussolini and Hitler, a.a.O., S. 35–36, 64–65; Ders. (Hrsg.), Italian Diplomatic Documents, a.a.O., passim. Zumindest für Bulgarien war der Transfer der Habe nach Italien kompliziert und ungewiss; vgl. F. Bientinesi, Commercio estero e persecuzione antiebraica: la vicenda del trasferimento di beni ebraici attraverso il „clearing“ italo-bulgaro nel 1943, in: I. Pavan / G. Schwarz (Hrsg.), Gli ebrei, a.a.O., S. 73–84. 273 ACS, MI, DGPS, AGR, Massime, M4, b. 99, fasc. 16, sfasc. 1, ins. 1/1, parte I, Rundschreiben des Innenministeriums an die Präfekten mit Datum 27. Mai und 6. Juni 1940. Zur Internierung der italienischen Juden s. M. Toscano, L’internamento degli ebrei italiani 1940–1943: tra contingenze belliche e politica razziale, in: C. Di Sante (Hrsg.), I campi di concentramento in Italia. Dall’internamento alla deportazione (1940–1945). Mailand (Franco Angeli) 2001, S. 95–112; C. S. Capogreco, L’internamento degli ebrei italiani nel 1940 e il campo di Urbisaglia – Abbadia di Fiastra, in: RMI Bd. LXIX Nr. 1 (Januar–April 2003), S. 347–367; S. Carolini (Hrsg.), „Pericolosi nelle contingenze belliche“, a.a.O.; F. Terzulli, Il campo di concentramento per ebrei a Gioia del Colle (agosto 1940–gennaio 1941), in: Gioia. Una città nella storia e civiltà di Puglia. Fasano (Schema) 1992, Bd. III, S. 493–593; G. Tosatti, Gli internati, a.a.O.; G. Antoniani Persichilli, Disposizioni normative e fonti archivistiche per lo studio dell’internamento in Italia (giugno 1940–luglio 1943), in: Rassegna degli archivi di Stato XXXVIII Nr. 1–3
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der „gefährlichsten“ Juden in jeder Provinz ein und konstruierte ihr Judentum teils schlicht als Erschwerungsgrund, teils als einen für sich allein schon für die öffentliche Ordnung (zu der jetzt auch die Anwendung der Verfolgungsgesetzgebung gehörte) gefährlichen Umstand. Und so schlug der Präfekt von Venedig die Internierung eines Gastwirts vor und erreichte sie auch, weil er trotz der Entziehung der Lizenz seine Pension weiter betrieben hatte, womit er einen Beweis für die „typische jüdische Hartnäckigkeit in der Missachtung des Gesetzes und der Verwaltungsbestimmungen“ geliefert habe; und der Präfekt von Grosseto schlug vor und erreichte die Internierung eines Juden aus Pitigliano, der „einen innigen Glauben an die Auferstehung eines jüdischen Staates und an die Erhaltung der jüdischen Kultur“ hegte, „die, wie er sagt, sich für alle Schikanen rächen muss, die sie in diesen zweitausend Jahren erfahren hat“274. Allerdings ging jede Präfektur auf der Grundlage ihrer eigenen Kriterien vor, so dass es in jeder Provinz einen anderen Anteil von internierten italienischen Juden, sowohl im Verhältnis zur Gesamtzahl der jüdischen Einwohner als auch im Verhältnis zur Gesamtheit der internierten Italiener, gab275. Die Juden, welche dieser Maßnahme – für mehr oder weniger lange Zeit und bis Juli 1943 – unterworfen wurden, waren mehr als 400, was mehr als zehn Prozent jener Italiener „jedweder Rasse“ entspricht, die als für die öffentliche Ordnung gefährlich interniert worden waren276. Einige wurden in Gemeinden, andere in Lagern interniert: zunächst in demjenigen in Urbisaglia in der Provinz Macerata und in demjenigen in Campagne in der Provinz Salerno (kurz danach aber wurden sie aus dem letzteren nach Goia del Colle in der Provinz Bari und dann nach Isola del Gran Sasso in der Provinz Teramo überführt). Später wurden im Gefolge der zunehmenden organisatorischen Verwirrung einzelne Personen oder kleine Gruppen in andere Lager eingewiesen; es scheint jedoch sicher, dass die anfängliche Entscheidung für die Einrichtung (Januar–Dezember 1978), S. 77–96. Konkretisierung für eine Region b. V. Galimi, L’internamento in Toscana, in: E. Collotti (Hrsg.), Razza e fascismo, a.a.O., Bd. I, S. 517–23. 274 ACS, MI, DGPS, AGR, cat. A5G II g. m., b. 344, fasc. 32, sfasc. 3, ins. „Vivante Giacomo“; ebd., b. 251, fasc. 32, sfasc. 3, ins. „Paggi Manlio“. 275 M. Toscano, L’internamento, a.a.O., S. 107. 276 Vgl. das Verzeichnis der Internierten, rekonstruiert b. S. Carolini (Hrsg.), „Pericolosi nelle contingenze belliche“, a.a.O. (mindestens 326 Juden auf eine Gesamtzahl von 2.711; teilweise dieser Maßnahme erst nach dem Oktober 1940 unterworfen), sowie die Auflistung zum 25. Oktober 1940, in: ACS, MI, DGPS, AGR, cat. A5G II g. m., b. 65, fasc. 32, sfasc. 1, ins. 5 (331 Juden zu diesem Zeitpunkt interniert). M. Toscano, L’internamento, a.a.O., S. 105–107, gelangt zu einer Mindestgesamtzahl von 397.
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von getrennten Lagern auch diese italienischen Juden, nicht nur die ausländischen betraf277. Allerdings wurden auch die internierten italienischen Juden keinen zusätzlichen antisemitischen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt (doch muss man sich vor Augen halten, dass sie fast automatisch ihre Arbeitsstelle und ihr entsprechendes Einkommen verloren). Die Lage der italienischen Juden insgesamt war jedoch weiteren Vorschriften allgemeinerer Art unterworfen. Das Projekt der Ausweisung der Mehrheit der Italiener „jüdischer Rasse“ sah vor, dass diejenigen, die nicht freiwillig innerhalb der angegebenen Frist (10 Jahre für die „Diskriminierten“, fünf Jahre für die Nicht-„Diskriminierten“ und eines für die mittelosen Nicht-„Diskriminierten“) zur Grenze verbracht werden sollten oder – falls dies nicht möglich war – in „Arbeitskolonien zwecks Verrichtung von Arbeiten im öffentlichen Interesse“ interniert werden sollten278. Als im Jahre 1941 sowohl das Projekt als auch überhaupt die Möglichkeit der Auswanderung ins Stocken geraten war, setzte die Regierung die erwähnte Alternative ins Werk, indem sie 1942 die „obligatorische Arbeit“ und 1943 (doch glücklicherweise unmittelbar vor dem 25. Juli) regelrechte „Internierungs- und Zwangsarbeitslager“ einrichtete. Die Verpflichtung eines großen Teils der Verfolgten zu obligatorischer Arbeit (auch als „Einberufung“ bekannt) wurde durch Verwaltungsverordnung (also nicht durch Gesetz) vom 6. Mai 1942 angeordnet279. Diese neue Maßnahme wurde der Bevölkerung als ein erster spezieller Anwendungsfall des allgemeinen „Arbeitsdienstes“ hingestellt, der sich in jenen Tagen für alle männlichen Italiener zwischen 18 und 55 Jahren, die vom Militärdienst freigestellt waren, in der Phase der Einführung befand280; in Wirklichkeit besaß sie tiefgreifenden Verfolgungscharakter und stand zumindest teilweise in Verbindung mit der Frage der Lager. So forderte das Ministerium für die Korporationen im Mai 1942 die Präfekten auf, „die Juden und die aufgelisteten professionellen Nichtstuer für den Arbeitsdienst einzuberufen und damit Personen, die im italienischen Leben eine nutzlose 277 Zur Entscheidung, separate Lager für ausländische Juden einzurichten, s.o. Fußn. 240. 278 Vgl. o. Fußn. 199. 279 Vgl. D. Adoni, Modi, a.a.O., S. 95–102; R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 372– 375, 597–598. 280 Am 6. Mai 1942 forderte das Ministerium für Volkskultur die Presse auf, die neue Regelung „in dem Sinne“ zu kommentieren, „dass diejenigen [die Juden], die von den Militärpflichten befreit sind, wenigstens der Verpflichtung zu Kriegsarbeiten unterworfen werden sollen“; ACS, Agenzia Stefani – Manlio Morgagni, b. 72, fasc. IX, sfasc. 3.
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Last bilden und mit ihrer müßigen Existenz beleidigen, endlich aus dem Verkehr zu ziehen“281, und im darauf folgenden August schrieb er an die Demorazza: Vor allem bedarf der Klärung, ob das Problem, wie kürzlich mit Exzellenz Buffarini, dem Unterstaatssekretär im Innenministerium diskutiert, ausschließlich unter dem politischen Aspekt betrachtet werden soll, in dem Sinne, dass die Juden in eigenen Konzentrationslagern an vorher festgelegten Orten gesammelt werden sollen, oder ob man es vielmehr als ein gemeinsames Projekt von Politik und Beschäftigung von Arbeitskräften für Arbeiten im öffentlichen Nutzen betrachtet 282 werden soll .
Die Verordnung von Mai 1942 wurde erlassen gegenüber italienischen Personen „jüdischer Rasse“ beiderlei Geschlechts, „Diskriminierte“ und Nicht„Diskriminierte“, von 18 bis 55 Jahren; ausgenommen waren jedoch jene, die „arische“ Ehepartner und Kinder hatten, Behinderte und Kranke, schwangere Frauen und solche mit minderjährigen Kindern, sowie Ärzte. Die Arbeit konnte auch außerhalb der Provinz des Wohnsitzes verrichtet werden, musste vorzugsweise Handarbeit sein und auf alle Fälle keine Arbeit sein, die den Juden bereits verboten war; außerdem durften sie keine „Arier“ als Untergebene haben noch gemischt mit solchen arbeiten. Bis Juli 1943 waren 15.517 Personen nach Alter ausgewählt und ärztlich untersucht worden; von ihnen waren 1.301 endgültig freigestellt, 2.410 waren es vorläufig; 1.235 (der verblieben 11.806) waren in ihrer eigenen Provinz zur Arbeit eingesetzt, und 703 hätten sie in einer Nachbarprovinz verrichten sollen283. Mangels Spezialuntersuchungen zu diesem Komplex ist es nicht möglich, die Gründe für diese teilweise Realisierung zu benennen oder genauer anzugeben, welche Kategorien von Juden vornehmlich dieser Anordnung unterworfen wurden. Es erscheint sicher, dass die örtlichen Behörden, die mit der Durchführung befasst waren, sehr unterschiedlich vorgingen. Es könnte sein, dass einige von ihnen eine Art passiven Widerstandes geleistet haben. In Rovigo
281 ACS, MI, DGDR (1938–43), b. 2, fasc. 6, Ministerium für die Korporationen an die Präfekten, 15. Mai 1942; s. auch P. Ferrazza, La mobilitazione civile in Italia 1940– 1943, in: Italia contemporanea Nr. 214 (März 1999), S. 34. 282 ACS, MI, DGDR (1938–43), b. 9, fasc. 38, sfasc. 1, Ministerium für die Korporationen an die Generaldirektion für Demographie und Rasse, 6. August 1942. 283 Ebd., sfasc. „Precettazione. Situazione generale“, tabella „Situazione al 31/7/1943“, mit beigefügter Übersicht mit Angaben zu den Provinzen (eine am 25. Mai 1942 von der Tagespresse veröffentlichte ministerielle Mitteilung hatte hingegen die unmittelbar bevorstehende Verpflichtung von 5.000 Juden zu Eisenbahn-, Straßenbau- und Flussarbeiten gemeldet).
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wurde kein Jude zur Arbeit einberufen284. In Neapel hingegen ging man so weit, dass man den Juden einen Arbeitsplatz zuwies, der so weit entfernt vom Wohnsitz war, dass sie gezwungen waren, sich – infolge dessen zusammen mit einigen Familienangehörigen – in eine Art „freiwilliges Lager“ zu begeben285. Die Männer wurden mit Erdarbeiten, Holzhacken, Müllsortierung, Laden- und Entladen von Waren, Feldarbeiten und Bauarbeiten beschäftigt; die Frauen mit der Herstellung von Schachteln, von Hüten und von Uniformen für Soldaten286. In Florenz erhielten sie „fünf Lire Tageslohn; wer kein Fahrrad besaß oder die Straße von Florenz bis über Sesto hinaus [d.h. bis zu den urbar zu machenden Feldern] nicht zu Fuß zurücklegen wollte, musste drei Lire für die Tram ausgeben“287. In Rom erhielten die zur Arbeit eingesetzten Juden zunehmend – bis hin zu einem Viertel des Üblichen – reduzierte Entlohnungen, so dass es zwischen Juli und September (in Verbindung mit dem im letzteren Monat verhängten Verbot, jüdische Festtage zu beachten) verschiedene Vorfälle von Protest und Streiks von Einzelnen oder kleinen Gruppen gab288, während zumindest in einem Fall, wie aus einem Polizeibericht hervorgeht, alle Juden „die Absicht bekundet haben, die Arbeit niederzulegen, was aber dank des Eingreifens der Aufsichtskräfte doch nicht geschah“289. Nach schweren italienischen militärischen Niederlagen beschlossen im Frühjahr 1943 im Zusammenhang mit der Radikalisierung der faschistischen Politik und mit der Absicht, einen Sündenbock zu benennen, der PNF und die Regierung, die Verfolgung zu intensivieren. Am 15. Juni erinnerte der Vizesekretär des PNF Alfredo Cucco die Parteisekretäre daran, dass „der Kampf gegen das 284 O. Pasello, La persecuzione antiebraica a Rovigo 1938–1945, in: A. Ventura (Hrsg.), Sulla crisi del regime fascista 1938–1943. La società italiana dal „consenso“ alla Resistenza. Venedig (Marsilio) 1996, S. 504–505. 285 G. Gribaudi, Guerra totale. Tra bombe alleate e violenze naziste. Napoli e il fronte meridionale 1940–44. Turin (Bollati Boringhieri) 2005, S. 445–472. 286 P. Ferrazza, La mobilitazione, a.a.O., S. 35. 287 N. Bucaria, Al Tempio di Palermo non c’era il „Sefer Torah“. Le lettere di Meir Artom al padre, in: N. Bucaria / M. Luzzati / A. Tarantino (Hrsg.), Ebrei e Sicilia. Palermo (Flaccovio) 2002, S. 286 (Brief vom 14. Mai 1944). 288 Im Juli 1942 protestierte Giacomo Di Porto, der zu Arbeiten am Tiberufer eingesetzt war, gegen den Baustellenführer, der „versuchte, ihm verständlich zu machen, dass er, weil seine Arbeitsleistung mit 25% gegenüber derjenigen der ‘Arier’ eingestuft sei, einen Anspruch auf einen Stundenlohn von 0,90 Lire habe [d.h. auch dieses auf ein Viertel reduziert]“; deshalb wurde er verhaftet und dann „als Exempel für andere, die sich in derselben Lage befinden“, interniert; F. Terzulli, La casa rossa. Un campo di concentramento ad Alberobello. Mailand (Mursia) 2003, S. 103. 289 ACS, MI, DGPS, AGR, cat. A5G II g. m., b. 423, fasc. 160, „Denkschrift“ ohne Unterschrift, 15. September 1942. Einige erste Auskünfte finden sich in: M. L. San Martini Barrovecchio, Documenti, a.a.O., S. 160–161.
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Judentum heute mehr als je zuvor eine Forderung des Tages der im Kriege befindlichen Nation ist“; er empfahl eine größere Verbreitung der Zeitschrift La vita italiana von Giovanni Preziosi und forderte dazu auf, sich vor Augen zu halten, dass der Motor der Gegenpropaganda zum Schaden Italiens im Ausland wie im Inland ein jüdischer ist. Jeder Parteisekretär soll mit besonderem Bericht Auskunft über die durchgeführten antijüdischen Aktivitäten geben und auch in diesem Bereich für die notwendige Mobilisierung der Geister für die Verteidigung – mehr noch als der rassischen Ziele – des inneren Widerstandes, der Voraussetzung des Sieges ist, zu sorgen290.
Unterdessen hatte am 14. Juni das Direktorium des PNF bei Mussolini neben der Repatriierung der Ausländer beantragt, „das Gesetz über die obligatorische Arbeit streng und vollständig umzusetzen, dabei jedoch diejenigen, die zu ihr aus einer hohen und edlen nationalen Verpflichtung berufen sind, und denjenigen, die dazu durch Maßnahmen der Polizei oder der sozialen Vorsorge verpflichtet sind, zu unterscheiden“291. Zehn Tage später antwortete der Diktator: Auch der letzte Teil dieser Adresse, der sich auf die obligatorische Arbeit bezieht, trifft absolut zu. Es gilt das gesamte Menschenmaterial der Nation einzusetzen. Bislang ist es nicht in vollem Umfang ausgenutzt worden. Es hat mehr oder weniger erfolgreiche Versuche gegeben, doch was beispielsweise die Juden betrifft, hat man nicht besonders viel erreicht. Eines schönen Tages sahen alle Römer zum ersten Mal die Bewohner des Ghettos an den Ufern des Tibers arbeiten. Man machte auch Fotos. Alles dies war sehr interessant. Danach hat man nichts mehr davon gehört. Jetzt wird es darum gehen, die totale Mobilisierung dieser Leute durchzuführen, einschließlich der Advokaten, einschließlich der Ärzte. Das bedeutet, dass die Ärzte zu Ärzten des jüdischen Bataillons werden, welches, angenommen, die Eisenbahn nach Pietra baut … Und die Advokaten werden die Streitigkeiten abwickeln können, welche unter diesen Massen entstehen, die, wenn sie unter sich sind, sich verabscheuen, wenn es aber darum geht, eine Einheitsfront gegen die „Gojim“ zu bilden, wirklich eine Einheitsfront sind, die in Widerstand und 292 Hartnäckigkeit beachtlich ist .
Die Worte Mussolinis wie auch der Antrag des Direktoriums betrafen in Wirklichkeit eine bereits getroffene Entscheidung: Das Ministerium für die Korporationen, das seit einigen Wochen von Tullio Cianetti geleitet wurde, hatte im Mai mit der Ausarbeitung einer gesetzlichen Regelung begonnen, die angesichts des Aufrufs an breite Teile der italienischen Bevölkerung zum „Arbeits290 AdS Milano, Prefettura, Gabinetto, II versamento, b. 370, fasc. „Centro milanese per lo studio del problema ebraico“. Das Dokument ist wiedergegeben in: G. Bianchi, 25 luglio. Crollo di un regime. Mailand (Mursia) 1964; eingefügt nach S. 290. 291 S.o. Fußn. 250. 292 S.o. Fußn. 252.
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dienst“ von diesen „einige Kategorien von Personen“ abtrennte, die „sich in besonderer Lage der Unterwerfung unter die Obrigkeit befinden“, d.h. die Juden, die bedingt entlassenen Straftäter und weitere Gruppen. Bei ihnen sollte nicht mehr von „Arbeitsdienst“ (servizio del lavoro) die Rede sein, sondern nur von „Arbeitseinsatz“ (avviamento al lavoro), und es sollten besondere „Entlohnungsbedingungen“ und „Besonderheiten der Beschäftigung“ geregelt werden293. Die Verordnung wurde in ihren Grundzügen vom Ministerrat am 19. Juni 1943 angenommen; sie wurde jedoch niemals förmlich erlassen, weil die Krise des 25. Juli eintrat, als das Gesetzgebungsverfahren noch nicht beendet war. Die in ihr enthaltenen antijüdischen Verfügungen wurden freilich durch Verwaltungsbestimmungen sogleich operativ umgesetzt. So übersandte am 17. Juni der neue Unterstaatssekretär im Innenministerium Umberto Albini – nach einem Gespräch zwischen Cianetti und dem neuen Polizeichef Renzo Chierici, in dessen Verlauf die beiden auf Wunsch Mussolinis übereinkamen, die „eingesetzten“ Juden „in zwei oder drei Aufnahmezonen“ zu konzentrieren294 – den Präfekten die Anweisung, mit den Aussonderungsaktionen der „physisch geeigneten“ Juden beiderlei Geschlechts zu beginnen, ausgenommen die Frauen mit minderjährigen Kindern und eingeschlossen die „Diskriminierten“ sowie die Mitglieder gemischter Familien295. Die Anweisung bezog sich auf Personen von 18 bis 30 Jahren, doch zwei Tage danach dehnte Albini selbst die Anwendung unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Entscheidungen des Ministerrats auf Juden bis zu 36 Jahren aus296. Am Ende des Monats be-
293 ACS, PCM, Atti, 1942–43, ministero delle Corporazioni, fasc. 80. In einem „Vermerk für den Duce“ vom 15. Juni 1943 erläutert Cianetti in aller Deutlichkeit, dass die neue Maßnahme in erster Linie die „Bürger jüdischer Rasse“ betreffe: ACS, Fondo Tullio Cianetti, b. 8, fasc. 7/94. Zu ihr s. R. Ropa, Appendice III, in: Centro Furio Jesi (Hrsg.), La menzogna, a.a.O., S. 369–372; Ders., La mobilitazione totale degli ebrei al servizio del lavoro (1943), in: A. Burgio / L. Casali (Hrsg.), Studi sul razzismo italiano, a.a.O., S. 106–139; C. S. Capogreco, Internamento, precettazione, mobilitazione forzata: l’“escalation“ persecutoria degli ebrei italiani dal 1940 al 1943, in: Qualestoria XXIII Nr. 1–2 (April–August 1995), S. 8–15, und Nr. 3 (Dezember 1995), S. 139–143. Einige Hinweise in: G. Parlato, Polemica, a.a.O., S. 1219. Zwei Dokumente sind mit irriger Verbindung zur „Einberufung“ von 1942 wiedergegeben b. R. De Felice, Storia degli ebrei a.a.O., S. 373–74, 598–99. 294 ACS, MI, DGPS, AGR, cat A5G II g. m., b. 423, fasc. 160, Vermerk des Chefs der Polizei für Mussolini, 17. Juni 1943. 295 Ebd., Unterstaatssekretär des Innenministeriums an die Präfekten, 17. Juni 1943; wiedergegeben b. C. S. Capogreco, Internamento, precettazione, a.a.O., S. 142. 296 ACS, MI, DGPS, AGR, cat A5G II g. m., b. 423, fasc. 160, Kopie der Depesche der Generaldirektion für Demographie und Rasse vom 21. Juni 1943, mit Wiedergabe des
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richtete Cianetti dem Diktator, dass die neuen „Lager“ für Juden in Latium, in der Lombardei, in Piemont und im Veneto eingerichtet würden297, während Mitte Juli die Demorazza zusammenfassend mitteilte, dass die der neuen Bestimmung Unterworfenen 9.146 Personen ausmachten298. Die Krise des 25. Juli 1943 blockierte die Anwendung auch dieser Bestimmungen, und nach dem 8. September 1943 ging die Verfolgung der Juden andere Wege. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass in einem Augenblick, in dem der Krieg verhinderte, die Juden aus Italien zu vertreiben, mit der Einrichtung von Internierungslagern und obligatorischer Arbeit der Faschismus den äußersten Punkt einer „Verfolgung der Rechte der Juden“ erreichte.
4.5 Die Verfolgungsgesetzgebung in den Bereichen Arbeit, Eigentum, Schule und Kultur Die Verbote und Exklusionen, die im Laufe eines Zeitraums von fünf Jahren gegen die „Angehörigen der jüdischen Rasse“ verhängt wurden, betrafen alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Grundsätzlich handelte es sich um den – auch erniedrigenden – „Ausschluss“; nur selten waren es Akte, deren Zweck die „Erniedrigung“ an sich war. Die Entlassung299 aus allen öffentlichen und vergleichbaren Stellungen wurde bereits Ende 1938 angeordnet (Kgl. Gesetzesdekret 1728/1938); die Juden konnten danach weder als Schreibkraft noch als Ministerialdirigenten, weder als Straßenbahnfahrer noch als Feuerwehrleute, weder als Offiziere noch als Bibliothekare tätig sein. Zugleich begann die zunehmende Vertreibung aus privaten Tätigkeiten und Beschäftigungen: 1938 wurde ihnen verboten, leitende Stellungen in Großbetrieben zu besetzen und bei Banken und Versicherungsfirmen zu arbeiten (Kgl. Gesetzesdekret 1728/1938300); zwischen 1938 und 1942 wurde ihnen die Erneuerung und die Erteilung von Konzessionen
297 298 299
300
Textes einer Anweisung des Unterstaatssekretärs im Innenministerium an die Präfekten vom 19. Juni 1943. ACS, Fondo Tullio Cianetti, b. 8, fasc. 7/94, Vermerk an Mussolini mit der Überschrift: „Manovra della manodopera [Manöver der Arbeitskräfte]“, 26. Juni 1943. Nach einer anderen Berechnung 9151; Auflistungen in: ACS, MI, DGDR (1938–43), b. 11, fasc. 41. Für ein vollständiges Bild der Verfolgungsgesetzgebung über das Eigentum und die Arbeitstätigkeiten der Juden s. jetzt Commissione per la ricostruzione delle vicende che hanno caratterizzato in Italia le attività di acquisizione dei beni dei cittadini ebrei da parte di organismi pubblici e privati, Rapporto, a.a.O., S. 61–87. Die „diskriminierten“ Juden wurden zu einem bislang unbekannten Datum zwischen 1939 und 1942 aus Versicherungsgesellschaften ausgeschlossen; vgl. o. Fußn. 196.
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vorenthalten, welche der Genehmigung durch die Polizei unterlagen (u.a. diejenigen für Tourismus- und Hotelbetriebe und für ambulantes Gewerbe); 1939 wurden sie grundsätzlich von allen selbständigen Berufen ausgeschlossen, welche durch Eintragung in Register geregelt waren, d.h. denjenigen des Arztes, der Geburtshelferin, des Veterinärs, des Advokaten, des Ingenieurs, des Geometers, des Agronomen etc. (die Nicht-„Diskriminierten“ „mit vorbildlicher Führung“ konnten weiterarbeiten, aber nur für jüdische Klienten – wenn diese sie bezahlen konnten; die „Diskriminierten“ auch für Nichtjuden – wenn diese bereit waren, ihnen ihre Sache oder ihr Haus anzuvertrauen; Ges. 1054/1939); zwischen 1938 und 1942 wurde ihnen (wie noch dazustellen sein wird) jegliche Betätigung im Bereich der Unterhaltung und des Theaters verboten; 1942 wurde ihnen verboten, auf Schiffswerften und in „kriegswichtigen Betrieben“ zu arbeiten – wie Fiat, die Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft usw. Mitunter türmten sich die Verbote auf wie im Falle der Beschäftigten im öffentlichen Dienst; in anderen Fällen war ihr Umfang so unbestimmt abgegrenzt, dass sie schließlich die Belegschaft von Industrieunternehmen mit öffentlichem Kapital oder die Handelsunternehmen, welche arisierte Bereiche belieferten, oder besondere Lehrtätigkeiten wie Tanz- und Nähunterricht umfassten301. Im Februar 1942 befahl dann das Ministerium für die Korporationen den Unternehmen und den Stellenvermittlungsbehörden, stets der Beschäftigung von „Arbeitnehmern arischer Rasse“ den Vorzug zu geben, und zwar 301 Einige erste Berechnungen über die Zahl der Ausgewiesenen b. M. Sarfatti, Il lavoro negato. Dati e spunti di riflessione sulla normativa antiebraica in Italia, in: Qualestoria XVII Nr. 1 (April 1989), S. 33–42. Zu den Entlassungen von mindestens 11 (oder 12) Richtern s. N. Picardi, La storia della Cassazione, la Cassazione nella storia (1944– 1956), Rivista trimestrale di diritto e procedura civile 2 (1996), Nr. 4, S. 1248; G. D’Amico, Quando l’eccezione diventa norma. La reintegrazione degli ebrei nell’Italia postfascista. Turin (Bollati Boringhieri) 2006, S. 85, 188. Zur Entziehung der Lizenz für ambulante Händler und zur gesamten Problematik der polizeilichen Erlaubnisse s. S. Caviglia, Un aspetto, a.a.O., S. 233–273. Zu den Freiberuflern vgl. auch D. Adorni, Modi, a.a.O., S. 70–82; P. De Benedetti, Una legge, a.a.O., S. 275–277; in Rom wurden 111 Ärzte aus der Berufsliste gestrichen und weitere 21 in dasjenige der „Diskriminierten“ neu eingetragen (zu den Gestrichenen gehörte auch Erwin Stückgold, über den sich Vittorio Emanuele III. im Gespräch mit Guido Buffarini Guidi vom September 1938 so ausdrückte: „Der König bezeichnete [... ihn] als einen der größten derzeit in Italien lebenden Kliniker und wünschte sich, dass man ihn in unserem Lande belassen und ihn seinen Beruf weiter ausüben lassen könne“). ACS, Ministero della Pubblica istruzione, Direzione generale antichità e belle arti, Divisione II, 1935–40, b. 137, fasc. „Disposizioni per la difesa della razza“, faschistisches Provinzsyndikat der Ärzte in Rom, Rundschreiben Nr. 340, 29. Februar 1940; M. Sarfatti, Mussolini, a.a.O., S. 37; K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. I, S. 168–171; Zuflucht, a.a.O., Bd. I, S. 167–169. Zu den Schiffswerften und „kriegswichtigen“ Betrieben vgl. ACS, MI, DGPS, AGR, Massime (parte non riordinata), R9, fasc. 14.
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sowohl bei Neuanstellungen als auch beim Personalabbau302. Andere Entlassungen oder Einstellungen von Tätigkeiten traten infolge der im Jahre 1940 eingeführten Internierung und besonders infolge der 1942 eingeführten obligatorischen Arbeit ein; und die Dokumente vom Frühjahr 1943 über die Internierungslager und die obligatorische Arbeit scheinen zu belegen, dass diese Maßnahme die Juden fast endgültig aus der „gewöhnlichen“ Welt der Arbeit ausgegrenzt hätte. Die ausländischen Juden wurden, soweit sie zur Ausübung dieser Arbeitstätigkeiten zugelassen waren, denselben Bestimmungen unterworfen, doch verlor der größere Teil von ihnen das Recht zu arbeiten bereits infolge des Verlustes ihres Niederlassungsrechts303. Dieses Bild wurde vervollständigt durch seltene Abmilderungen (auf Grund der „besonderen Verhältnisse einiger Schifffahrtslinien wie derjenigen nach Palästina“, wurde „wegen der besonderen Bedürfnisse der Passagiere jüdischer Rasse“ die Einstellung von jüdischen Beschäftigten im Mannschaftsgrad genehmigt304) und durch nicht wenige lokale Verschärfungen (im Mai 1943 wurde den „der jüdischen Rasse angehörigen Arbeitern […] die Genehmigung, den Hafen von Livorno aus Gründen der Arbeit zu betreten“ verweigert305). Es wurde schon gesagt, dass einige Arbeitsverbote unmittelbar durch die Verwaltungsbehörden ausgesprochen wurden. Im Ergebnis verfügte die Polizeidirektion zwischen Dezember 1938 und Dezember 1942 mit Unterstützung der Demorazza neben dem Verbot des ambulanten Gewerbes Dutzende von Verboten jeglicher Art. Den Juden wurde verboten, Inhaber von folgenden Tätigkeiten zu sein: Geschäfts-, Patent- und ähnliche Agenturen; Handel mit Wertsachen; Ausübung des Fotografenhandwerks; Makler; Handelsvertreter; Kommissionär; Schriftsetzer; Verwendung von Giftgasen; Sammlung von Metallschrott und Metallen; Sammlung von Abfällen; Sammlung und Verkauf von nicht mehr in Gebrauch befindlichen militärischen Kleidungsstücken; Verkauf von Antiquitäten und Kunstgegenständen, von Büchern, von Gebrauchtwaren, von Kinderartikeln, von Spielkarten, von optischen Artikeln, von Sakralgegenständen, von 302 AdS Ferrara, Prefettura, cat. 30, b. 1, fasc. „Precettazione ebrei“, Minister für die Korporationen an die Konföderationen und an die Präfekten, 23. Februar 1942. 303 K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. I, S. 42–44, 367; Zuflucht, a.a.O., Bd. II, S. 54–56, 342. 304 Rundschreiben des Kommunikationsministeriums über die „Seeleute jüdischer Rasse“, 15. März 1939 (das Dokument wurde vom Transportminister Claudio Burlando im Juni 1997 in Kopie an Italo Vascotto und von diesem dem CDEC übergeben; die „besonderen Bedürfnisse“ beziehen sich ersichtlich auf die jüdische rituelle Küche, deren Fehlen zur Wahl anderer Schifffahrtsgesellschaften geführt hätte; Kursiv im Original). Zu den Entlassungen von Seeleuten in Triest s. S. Bon, Gli ebrei, a.a.O., S. 140. 305 AdS Livorno, Questura, cat. A/13 II guerra mondiale, fasc. 196, Präfekt von Livorno an Polizeipräsident Livorno, 26. Mai 1943.
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Schreibwaren und von Calciumcarbid. Verboten wurde ihnen das Führen von Taxis; der Besitz eines Jagdreviers; die Lizenz als Amateurfischer; der Verkauf und der Besitz von Radiogeräten; das Tragen von Waffen; die Stellung als Verwalter oder Portier in Häusern, die von „Ariern“ bewohnt waren; das Vermieten von Zimmern an Nichtjuden; die Teilhaberschaft an Kooperativen; die Genehmigung zur Erforschung von Erzlagern; die Tätigkeit beim Zoll; das Fliegen von Flugzeugen jeglicher Art; das Züchten von Brieftauben. Allen Juden wurde verboten, „in das Armenregister aufgenommen zu werden“, d.h. die entsprechende öffentlicher Unterstützung zu erhalten306. Den nicht „diskriminierten“ Juden mit italienischer Staatsbürgerschaft (und seit 1940 den Staatenlosen307) wurde verboten, Handels- und Industrieunternehmen auch nur teilweise zu besitzen, die „von Interesse für die nationale Verteidigung“ waren oder mehr als 99 Angestellte beschäftigten; das Verbot erstreckte sich nicht auf die Aktiengesellschaften. Unternehmen, die „nicht erhaltbar“ waren (und nicht an etwaige als „arisch“ klassifizierte Nachkommen durch Schenkung abgegeben worden waren), mussten liquidiert oder an neue „arische“ Eigentümer abgegeben werden, und die – vom Staat festgesetzte – Vergütung musste an die ehemaligen Eigentümer in konsolidierten Namenspapieren entrichtet werden (Kgl. Gesetzesdekret 1728/1938, 126/1939308). Zu diesem Zweck wurde eine detaillierte Zählung aller auch nur teilweise im Eigentum von nicht (oder noch nicht) „diskriminierten“ italienischen Juden stehenden Unternehmen, die nicht Handwerksbetriebe oder Aktiengesellschaften waren, durchgeführt309. Am Ende 306 ACS, MI, Direzione generale dell’amministrazione civile, Divisione assistenza e beneficenza pubblica, 1940–42, b. 7, cat. 25274, fasc. 6, Kabinettschef des Innenministeriums an die Demorazza und an die Generaldirektion für die Zivilverwaltung, 16. Dezember 1940. 307 Archiv der Handelskammer Pisa (Archivio della Camera di commercio di Pisa), Affari generali 1940, cat. A.26.5, Minister für die Korporationen an die Korporationsräte, 30. Mai 1940. 308 Commissione per la ricostruzione delle vicende che hanno caratterizzato in Italia le attività di acquisizione dei beni dei cittadini ebrei da parte di organismi pubblici e privati, Rapporto, a.a.O., S. 72–73. 309 Die Provinzlisten – die in die Kategorien a, b und c aufgegliedert waren (jeweils für die nicht zu erhaltenden Unternehmen des ersten Typs, für die des zweitens Typs und für sonstige Unternehmen) – wurden in der Gazzetta ufficiale del Regno d’Italia zwischen August 1939 und Januar 1940 veröffentlicht (anschließend wurden ebenfalls in der Gazzetta verschiedene Erläuterungen und Berichtigungen veröffentlicht). Die Gesamtzahl der erfassten Unternehmen (unter Ausschluss derjenigen, welche im Besitz von Italienern, die bereits die „Diskriminierung“ erlangt hatten, von Ausländern oder von Staatenlosen standen) belief sich auf etwa 3.300; I. Pavan, Tra indifferenza e oblio. Le conseguenze economiche delle leggi razziali in Italia 1938–1970. Florenz (Le Monnier) 2004, S. 42–46. Zu den 1.387 Unternehmen des Typs c, die in der Provinz Rom gezählt
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dieser Kontrollen erwiesen sich vierzehn Unternehmen als „nicht erhaltbar“, alle mit mindestens 100 Arbeitnehmern (mehr als die Hälfte von ihnen gehörten dem Textilgewerbe an, drei standen im Eigentum einer einzigen Person); von ihnen wurden fünf übergeben, und neun wurden verkauft oder liquidiert310. Das gesetzliche Verbot erfuhr somit de facto eine äußerst spärliche Anwendung, doch gerade die beträchtlichen Ausnahmen für die Fälle der „Diskriminierung“ oder der Schenkung bezeugen, dass es sich hauptsächlich um ein Signal bzw. ein Symbol handelte (für die Verfolger erwies sich auf die Dauer die damit verbundene Zählung als weitaus „nützlicher“). Die Aktiengesellschaften waren nicht Gegenstand einer entsprechenden umfassenden Gesetzgebung (und das Regime ließ rasch von dem ursprünglichen Projekt ab, das Stimmrecht der von Juden gehaltenen Aktienanteile zu beschränken311). Solange nicht nähere Untersuchungen dazu vorliegen, erscheint es im Kern berechtigt, anzunehmen, dass der Faschismus nicht nur das liberale Eigentumsrecht nicht auf gesetzlichem Wege verletzen wollte, sondern auch „Ungleichgewichte und Rückwirkungen“ auf die italienische Volkswirtschaft sowie die „Flucht des investierten jüdischen Kapitals“ vermeiden wollte, und dass man sich deshalb das Ziel setzte, „das Kapital der Juden unter strenge arische Kontrolle im Dienste der Nation zu stellen“, und sich vornahm, vorsichtig und schrittweise vorzugehen, um die jüdische Beteiligung und die Mitarbeit der jüdischen Fachleute zu minimieren […] oder ganz auszuschalten“312. wurden, s. E. F. Sabatello, Aspetti economici, a.a.O.; zu den 173 florentinischen Unternehmen s. F. Cavarocchi, Il censimento del 1938 a Firenze, in: E. Collotti (Hrsg.), Razza e fascismo, a.a.O., Bd. I, S. 459–60. 310 I. Pavan, Tra indifferenza, a.a.O., S. 113–23. 311 M. Sarfatti, Mussolini, a.a.O., S. 57–59, 68 312 Die ersten beiden Zitate sind entnommen aus einer „Denkschrift“ (Promemoria) von Ende 1938 / Anfang 1939 über das „Problem der Großhandelsunternehmen und großen Einzelhandelsunternehmen im Besitz von Juden, insbesondere im Textilbereich“, in: ACS, MI, DGDR (1938–43), b. 8, fasc. 32 und mit langen Auszügen berichtet b. D. Adorni, Modi, a.a.O., S. 44–46; die letzten beiden Zitate aus dem Bericht „Per l’arianizzazione delle ditte ebraiche [Für die Arisierung der jüdischen Firmen]“, verfasst in Triest Ende 1938, aufbewahrt in: AdS Trieste, Prefettura, Gabinetto, b. 363, auch wiedergegeben in: Commissione per la ricostruzione delle vicende che hanno caratterizzato in Italia le attività di acquisizione dei beni dei cittadini ebrei da parte di organismi pubblici e privati, Prima relazione intermedia. Rom (Presidenza del Consiglio dei ministri), 11. Juni 1999, Anhang (in Fotokopie verteilt). Diese Haltung der Regierung veranlasste einige jüdische Unternehmer, ihre Unternehmen in Aktiengesellschaften umzuwandeln. Zur Ersetzung von jüdischen oder jüdischstämmigen Verwaltern in den Räten der Aktiengesellschaften in Triest s. E. Ginzburg, Note sugli esiti dell’applicazione delle leggi razziali a Trieste (1938–1942), in: A. Vinci (Hrsg.), Trieste
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Das einzige allgemeine Verbot des Besitzes von Unternehmen, das in jenen Jahren für alle Juden ausgesprochen wurde, scheint jenes aus dem Jahre 1940 gewesen zu sein, das die „Ausübung des Kreditgeschäfts und aller benachbarten oder mit ihm verbundenen Tätigkeiten“ verbot313. Davon abgesehen und unabhängig vom Fehlen gesetzlicher Bestimmungen und von der etwaigen Diskriminierung des Unternehmensbesitzers schritt die Arisierung der Wirtschaft de facto fort: zahlreiche kleine und mittlere Firmen wurden wegen des administrativen Widerrufs der Lizenzen, oder wegen des Verbots an die öffentliche Verwaltung, Aufträge und Bestellungen an Juden zu vergeben, oder wegen der Auswirkungen der Verfolgung insgesamt geschlossen oder abgetreten. Die Geschäftsaufgaben betrafen zwischen Ende 1938 und Sommer 1943 ein Drittel der Firmen314. Die Geschäftsüberlassungen, die bereits im Laufe des Jahres 1938 begonnen hatten315, besaßen mitunter den Charakter regelrechter Verschleuderungen und manchmal den von Scheinverkäufen an „arische“ Strohmänner (von denen ein Teil später die Rückgabe verweigerte). In Turin ging von 1938 bis 1939 die Zahl der jüdischen Unternehmungen um 15% und die Zahl ihrer Arbeitnehmer um 21% zurück316. Den Juden italienischer Staatsangehörigkeit (und ab 1940 den Staatenlosen)317, die nicht „diskriminiert“ waren, wurde überdies verboten, Immobilien in einem Wert von mehr als 5.000 Lire Schätzwert für Grundstücke und mehr als 20.000 Lire Besteuerungswert für städtische Gebäude zu besitzen; die „überschießenden“ Güter (soweit sie nicht etwaigen als „arisch“ klassifizierten Abkömmlingen übertragen worden waren) mussten an die neue „Gesellschaft für die Verwaltung und Liquidierung von Immobilien“ (Ente di gestione e liquidazione immobiliare – Egeli) übertragen werden, und der Verkaufspreis – der durch Multiplizierung des Schätzwertes der Grundstücke um 80 und des Besteuerungswertes der Gebäude um 20 berechnet wurde – musste in Namenspapieren mit dreißigjähriger Laufzeit und einem Jahres-Zinssatz von 4% bezahlt werden
313 314 315 316 317
in guerra. Gli anni 1938–1943. Triest (Istituto regionale per la storia del movimento di liberazione nel Friuli – Venezia Giulia) 1992, S. 312, 317–335. Vgl. ACS, MF, SBE, aa, b. 19, fasc. 26. Commissione per la ricostruzione delle vicende che hanno caratterizzato in Italia le attività di acquisizione dei beni dei cittadini ebrei da parte di organismi pubblici e privati, Rapporto, a.a.O., S. 72–78; I. Pavan, Tra indifferenza, a.a.O., S. 138–39. Ein zweifelsfreier Fall vorgesetzlicher Arisierung war derjenige der Triester Tageszeitung Il piccolo; S. Bon, Gli ebrei, a.a.O., S. 155–156. D. Adorni / G. Genovese, La persecuzione contro le proprietà, a.a.O., S. 139. ACS, MI, DGDR (1938–43), b. 3, fasc. 14, sfasc. 6, Rundschreiben Nr. 117 des Finanzministeriums – Generaldirektion des Katasters und der staatlichen Vermessungsämter, 22. Mai 1940.
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(Kgl. Gesetzesdekret 1728/1938, 125/1939)318. Auch in diesem Falle wurde eine detaillierte Zählung aller auch nur teilweise in der Hand nicht„diskriminierter“ (oder noch nicht „diskriminierter“) italienischer Juden befindlichen Besitztümer durchgeführt. Auf der Grundlage mehr oder weniger vorläufiger Berechnungen für das zweite Halbjahr 1939 kann man schätzen, dass die Verfolgten, welche Immobilien besaßen, annähernd 7.500 (und damit, grob gerechnet 15% der Gesamtzahl) ausmachten; dass der Gesamtwert ihres Eigentums (berechnet nach den gesetzlichen Koeffizienten) sich um einen Betrag von 2 Milliarden Lire bewegte, davon ein Drittel in Grundstücken und zwei Drittel in Gebäuden; dass vielleicht zehn Prozent der Eigentümer „überschießende“ Quoten besaß; dass die letzteren 40 bis 50% des Gesamtwertes der Grundstücke und 25 bis 35% des Gesamtwertes der Gebäude ausmachten319. Am 31. Dezember 1943 (im zweiten Halbjahr hatte es aber keine bedeutsamen Veränderungen gegeben) beliefen sich die gezählten „überschießenden“ Quoten auf über 726 Millionen Lire, d.h. – wenn man die den „Diskriminierten“ gehörigen, die rasch übertragenen usw. abzieht – auf über 272 Millionen Lire. Von ihnen waren 401 Anteile im geschätzten Werte von insgesamt etwa 170 Millionen Lire nach einem komplizierten bürokratischen Verfahren an die Egeli gelangt320; diese hatte die Ankaufverfahren für 265 von ihnen im Werte von insgesamt 55.632.217 Lire abgeschlossen und – ebenfalls bis zum Dezember 1943 – bereits den Verkauf einzelner Güter in einem geschätzten (d.h. an den ehemaligen jüdischen Eigentümer gezahlten) Wert von 9.794.122 Lire durchgeführt321. Angesichts dieser Preise hatte die Egeli einen Bruttoerlös von 29.758.500 Lire mit speziellen Kosten von höchstens 220.744 Lire erzielt322 und damit einen 318 Commissione per la ricostruzione delle vicende che hanno caratterizzato in Italia le attività di acquisizione dei beni dei cittadini ebrei da parte di organismi pubblici e privati, Rapporto, a.a.O. S. 80–81. 319 S. verschiedene Aufstellungen und Mitteilungen in: ACS, MF, SBE, aa, b. 18, fasc. 10 (eine von ihnen ist wiedergegeben b. F. Levi, I sequestri e le confische, a.a.O., S. 37– 39). 320 Darstellung dieses Verfahrensganges s. ebd., Tafel auf S. 52. 321 Ente di Gestione e Liquidazione immobiliare, Relazione al ministro delle finanze sull’esercizio 1943. San Pellegrino (Grafica moderna Giuliani) 1944, S. 4–5. Zur Zahl von 265 s. Ders., L’Egeli e la sua attività. San Pellegrino, Mai 1945, S. 3 (maschinenschriftlicher Bericht), in Kopie in: ACDEC, AG, cat. AI, fasc. Egeli; vgl. auch A. Scalpelli, L’Ente di Gestione, a.a.O., S. 95. 322 Ente di Gestione e Liquidazione immobiliare, Relazione al ministro delle finanze, a.a.O., S. 10–11. Im April 1943 wies ein Oberst Mussolini darauf hin, er habe der Egeli 80.000 Lire für den Kauf eines Büros in der via Margutta in Rom angeboten, doch die Egeli habe einen höheren Preis verlangt, und zwar einen „mehrfach höheren“ Betrag als
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höchst beachtlichen Verfolgungsgewinn erlangt. Und dieser war umso größer, als es zu jenem hinzugezählt werden muss, der sich aus dem Zinssatz der an die ehemaligen Eigentümer ausgegebenen Papiere betraf: Vittorio Foa bemerkte seinerzeit: „Ich glaube, dass, wenn der Zinssatz nicht geringer als vier Prozent sein wird, grob gerechnet im Durchschnitt (also wenn man die enormen Unausgeglichenheiten nivelliert), die Beschlagnahme sich auf rund 50% des enteigneten Teils belaufen wird“323. Auch beim Immobilienbesitz fanden Verkäufe angesichts des bevorstehenden Erlasses des Gesetzes statt, Verschleuderungen, (mehr oder minder vorteilhafte) Scheinverkäufe, Schenkungen (in den gesetzlich vorgesehenen Fällen) usw. Und auch für sie ergab sich daraus eine „beachtliche Vergeudung von Ressourcen“324. Was hingegen die Politik der Regierung angeht, lässt sich sagen, dass diese zwar, was die Ausnahmen für die „Diskriminierten“ anging, die gleiche wie bei den Unternehmen war, sich also nicht durch Radikalität kennzeichnete, jedoch größere (und gewinnträchtigere) Erfolge der Verfolgung zeitigte. Im April 1939 übertrug der Finanzminister sämtliche Zuständigkeiten für die „Beschränkungen“ bei Unternehmen und Vermögen auf das Amt für steuerliche Koordinierung und Gesetzgebungsstudien (Ufficio di coordinamento tributario e studi legislativi), das kurze Zeit später in der Generaldirektion für steuerliche Koordinierung, allgemeine Angelegenheiten und Personal (Direzione generale per il coordinamento tributario, gli affari generali e il personale) aufging. Die letztere erklärte im Jahre 1943, sie habe zur Lösung von „Rechtsfragen von besonderem Gewicht und beachtlicher praktischer Bedeutung“ beigetragen, und sich überdies zu verhindern bemüht habe, dass bei der Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen dem Staat „Schaden“ zugefügt werde325. Die Egeli ihrerseits arbeitete mit ähnlichem Einsatz, indem sie beispielsweise dem Minister versicherte, sie habe „keine Gelegenheit vorübergehen lassen, die Übertragung der überschüssigen jüdischen Güter zu beschleunigen. Viel ist bereits erreicht, doch ein wirklich beachtliches Resultat wird nur durch eine Änderung des im geltenden Recht vorgeschriebenen Verfahrens den, der dem ehemaligen jüdischen Eigentümer gezahlt worden sei; die Egeli ihrerseits ließ wissen: „Wir besitzen bereits verschiedene andere Angebote, welche allesamt höher liegen, darunter eines von 130.000 Lire, und es ist wahrscheinlich, dass das Angebot noch weiter steigen wird“; ACS, MF, SBE, aa, b. 19, fasc. 45. 323 V. Foa, Lettere della giovinezza, a.a.O., S. 541 (2. Januar 1939). 324 F. Levi, I sequestri e le confische, a.a.O., S. 71. 325 ACS, MF, SBE, aa, b. 18, fasc. 7, Bericht der Generaldirektion für steuerliche Koordinierung, allgemeine Angelegenheiten und Personal an den Minister, April 1943.
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erreicht werden können, welche dieses Amt seinerzeit zu signalisieren für richtig gehalten hat“326. Die Minister, welche in der Leitung der Ministerien für nationale Erziehung und für Volkskultur einander ablösten (insbesondere Giuseppe Bottai und Dino Alfieri) führten in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich eine Arisierung durch, die als eine totalitäre bezeichnet werden kann. In den Schulen und in den Universitäten wurden die folgenden hauptsächlichen Maßnahmen gegen Personen oder Präsenzen „jüdischer Rasse“ ergriffen: 1) Ausschluss (d.h. Verweisung der schon vorhandenen und Verbot neuer Zugänge) der Schüler an den Elementarschulen und Mittelschulen, welche von „arischen“ Schülern besucht wurden (die Ausgeschlossenen konnten, wenn sie getauft waren, die Schulen katholischer Organisationen besuchen, oder – dort, wo sie eingerichtet waren – die „Spezialklassen“ der staatlichen Elementarschulen oder die Schulen der israelitischen Gemeinden; diese Zugeständnisse waren von dem Wunsch der Regierung geleitet, den Grundsatz der Schulpflicht nicht zu verletzen); 2) Ausschluss der Studenten von den Universitäten (mit der befristeten, mit Rücksicht auf internationale Vereinbarungen über Gegenseitigkeit beschlossenen Ausnahme für diejenigen, die – als Italiener oder Ausländer, nicht aber als Deutsche –, bereits im akademischen Jahr 1937–38 eingeschrieben gewesen waren und nicht die vorgeschriebene Studiendauer überschritten hatten); 3) Ausschluss der Lehrer aus öffentlichen und privaten Schulen jeglicher Art und jeglichen Grades (mit Ausnahme etwaiger jüdischer Schulen und „Spezialschulen“); 4) Ausschluss der Beschäftigten aus Schulen, Ministerialämtern usw.; 5) Verbot der Einführung von Büchern in Mittelschulen mit Texten, die von Autoren „jüdischer Rasse“ verfasst, kommentiert oder überarbeitet waren, auch wenn dies in Zusammenarbeit mit „arischen“ Autoren geschehen war, sowie von Büchern, in welchen das Denken von Juden, die nach 1850 gestorben waren, Erwähnung fand (Kgl. Gesetzesdekret 1390/1938, 1728/1938, 1779/1938)327.
326 Ente di Gestione e Liquidazione immobiliare, Relazione al ministro delle finanze sull’esercizio 1941. Rom 1942, S. 11. Am 9. April 1940 schrieb der Generaldirektor der Egeli an die Demorazza, um „auf den Eindruck, den wir nach den gewonnenen Erfahrungen haben, hinzuweisen, dass seitens der Vermessungsämter rassische Feststellungen nicht immer streng durchgeführt werden“; ACS, MI, DGDR (1938–43), b. 8, fasc. 30. Vgl. auch D. Adorni, Modi, a.a.O., S. 65. 327 Eingehende Beschreibung b. M. Sarfatti, La scuola, gli ebrei e l’arianizzazione attuata da Giuseppe Bottai, in: I licei G. Berchet e G. Carducci durante il fascismo e la resistenza. Mailand (Liceo classico statale Carducci) 1996, S. 42–46. S. ferner G. Turi, Ruolo e destino degli intellettuali nella politica razziale del fascismo, in: Camera dei Deputati, La legislazione antiebraica, a.a.O., S. 95–121; D. Adorni, „Il furbissimo giu-
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Konkret wurden mehr als hundert Leiter und Lehrer von Elementarschulen vertrieben328; mindestens 279 Direktoren und Professoren von Mittelschulen deo“: legislazione razziale e propaganda nella scuola fascista, in: B. Maida (Hrsg.), 1938. I bambini e le leggi razziali in Italia. Florenz (Giuntina) 1999, S. 35–63. Zu den Lesebüchern s. auch G. Fabre, L’elenco, a.a.O., S. 114–128, 255–257. Ein Beispiel für das Buch eines als „arisch“ klassifizierten Autors (ein Lehrbuch der Philosophie von Guido Calogero), neu aufgelegt ohne Hinweise auf Personen „jüdischer Rasse“, b. A. Piccioni (Hrsg.), Una casa editrice tra società, cultura e scuola. La Nuova Italia 1926–1986. Florenz (La Nuova Italia) 1986, S. 76–79, 222. Der Band „Il Medioevo [Das Mittelalter]“ des Corso di storia per i licei e gli istituti magistrali [Lehrbuchs der Geschichte für Gymnasien und Lehrerausbildungsschulen]“, Mailand (Signorelli) erschien nicht mehr unter der Mitautorschaft von Gino Luzzatto, sondern nur unter der Autorschaft von Augusto Lizier; unter den zahlreichen Anpassungen des Textes an die neuen Prinzipien ist die folgende erwähnenswert: Im Abschnitt über das Römische Reich wurde die ursprüngliche Redeweise „der ausschließliche Monotheismus, der die Christen, wie ja auch die Juden, verpflichtete, jede andere Gottheit zu leugnen“ (Ausgabe von 1938, S. 18) wurde reduziert und nur noch auf die Christen bezogen, ohne dass noch erwähnt wurde, wer ihnen diese Einstellung übermittelt hatte (Ausgabe von 1940, S. 18). Verzeichnis der Ersetzungen von Lehrbüchern in einer Handelsschule s. V. Cinquini / M. Minelli, Con la massima sollecitudine. A scuola nell’anno delle leggi razziali. Bologna (Clueb) 2000, S. 125. In die Einheitsbücher für die Elementarschulen wurden antisemitische Abschnitte wie die folgenden eingefügt: „Die Juden. Doch unter die neuen Eroberer [der außereuropäischen Länder] hatte sich die jüdische Rasse gemischt, welche sich entlang den Ufern des Persischen Golfes und an den Küsten Arabiens ausgebreitet hatte, also weit vom Land ihrer Herkunft, wie durch einen göttlichen Fluch, verstreut worden war und voller Schläue in die Länder der Arier eingesickert war. Sie hatte den nordischen Völkern einen neuen Geist aus Geschäftssinn und Gewinnsucht eingeimpft, ein Geist, der ausschließlich darauf aus war, die größten Reichtümer der Erde zu erschleichen. Das Italien Mussolinis, Erbe der glorreichen römischen Kultur, konnte nicht untätig bleiben angesichts dieser Vereinigung von Geschäftsinteressen und Zwietrachtsäen, der Feindin jedes Idealismus. Rom reagierte rasch und sorgte dafür, dass der edle italienische Stamm vor jeder Gefahr der Befleckung durch Juden und andere minderwertige Rassen bewahrt wurde“; in: Il libro della V classe elementare. Letture. Rom (Libreria dello Stato) 1940, S. 183–184. Zwei rassistische und antijüdische geographische Wandkarten sind wiedergegeben in: L’educazione spezzata. Scuole ebraiche a Trieste e Fiume durante le leggi razziali (1938–1943), Triest (La Mongolfiera Libri) 2006, S. 56–59 [zu ihrer Veröffentlichung seitens des Schulamtsleiters in Lucca im Jahre 1939 s. S. Q. Angelini, Quella scuola in una stanza. L’applicazione delle leggi razziali nella scuola a Viareggio, in: Quaderni di storia e cultura viareggina Nr. 2 (2001), S. 110]. 328 I diritti della scuola XL Nr. 11 (6. Januar 1939) berichtete vom Ausschluss „einer Inspektorin, zweier Direktorinnen, dreier Direktoren und etwas mehr als hundert Lehrern“. Diese Zahl stellt vielleicht ein Teilergebnis dar, denn im August 1938 betrug die Zahl der Lehrer mit mindestens einem jüdischen Elternteil etwas mehr als 350 (M. Sarfatti, La scuola, a.a.O., S. 41), also könnten bis zu 250–290 von ihnen als „jüdischer Rasse“ klassifiziert und entlassen worden sein. In Turin betrug die Zahl der Entlassenen 17, in Triest 15, in Bologna 4, in Pesaro 2; zu diesen Fällen s. jeweils G., M. und G. Cardosi, Sul confine, a.a.O., S. 49; S. Bon, La persecuzione razziale fascista e la scuola media ebraica di Trieste (1938–1943), in: La scuola media ebraica di Trieste negli
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(173 in solchen mit klassischer und wissenschaftlicher Ausbildung und in der Unterstufe der Lehrerausbildungsschulen, 106 in solchen mit technischer Ausbildung)329; 96 ordentliche und außerordentliche Universitätsprofessoren, mehr als 123 Oberassistenten und Assistenten und viele Dutzend Lehrbeauftragte und Lektoren330; mehr als zweihundert Privatdozenturen wurden entzogen331; 114 Autoren von Schulbüchern wurden verbannt332, ferner zahlreiche geographische Wandkarten, die Lehrbüchern gleichgestellt waren333; mehrere Tausend Schüler und Studenten334 und einige Dutzend Angestellte wurden ausgeschlossen.
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anni 1938–1943. Storia e memorie. Triest (Lint) 1999, S. 38–39, 84 (dort eine Auflistung); U. Mazzone, „Non è anch’essa una scuola speciale?“ Le scuole per ebrei a Bologna nei fondi del Provveditorato agli studi, in: V. Marchetti (Hrsg.), L’applicazione della legislazione antisemita in Emilia Romagna. Bologna (Il nove) 1999, S. 114; A. Bianchini, La persecuzione razziale nel pesarese, 1938–1944, in: R. P. Uguccioni (Hrsg.), Studi sulla Comunità ebraica di Pesaro. Pesaro (Fondazione Scavolini) 2003, S. 104. M. Sarfatti, La scuola, a.a.O., S. 41–42, 53–55 (Namensverzeichnis der ersten Gruppe). Zu den Gekündigten ist mindestens ein Zurückgetretener noch hinzuzuzählen; vgl. M. Chiaron Roncarati, Il professore Emilio Teglio. Profilo di un preside di Liceo negli anni 1922–1938, Ferrara (Liceo-Ginnasio Ariosto) 2001, S. 21, 57–59. Vgl. jeweils R. Finzi, L’università, a.a.O., S. 62, 147–151 (für die Professoren); A. Ventura, La persecuzione fascista contro gli ebrei nell’università italiana, in: Rivista storica italiana CIX (1997), fasc. 1, S. 192–97 (zu Oberassistenten und Assistenten) und S. 149 (zu Lehrbeauftragte und Lektoren); s. jetzt auch F. Cavarocchi / A. Minerbi, Politica razziale, a.a.O., S. 467–510; E. Signori, Le leggi razziali e le comunità accademiche. Casi, problemi, percorsi nel contesto lombardo, in: A. Casella u.a. (Hrsg.), Una difficile modernità. Tradizioni di ricerca e comunità scientifiche in Italia 1890–1940. Pavia (La giuridica pavese) 2000, S. 431–486. Einem Professor gelang es, seine Forschungen für etwas mehr als in Jahr innerhalb der Universität fortzusetzen; A. Ventura, Tullio Terni, l’Università di Padova e l’epurazione all’Accademia dei Lincei, in: La memoria ritrovata. Giornata in ricordo di Tullio Terni e Mario Camis. Atti dei Convegni Lincei Nr. 212. Rom 2005, S. 19. Zu einem Gesamtbild der Präsenz und der Bedeutung der jüdischen oder „jüdischrassigen“ Universitätsdozenten und Gelehrten vgl. auch G. Turi, Ruolo e destino, a.a.O.; G. Israel, Politica della razza e persecuzione antiebraica nella comunità scientifica italiana, in: Camera dei Deputati, La legislazione antiebraica, a.a.O., S. 123–161; Convegno sul tema „Conseguenze culturali delle leggi razziali in Italia“. Accademia nazionale dei Lincei. Rom 1990; A. Di Meo (Hrsg.), Cultura ebraica, a.a.O., S. Mazzamuto, I giuristi dell’ateneo pisano e la questione ebraica, in: M. Luzzati (Hrsg.), Gli ebrei di Pisa, a.a.O., S. 211–39. M. Sarfatti, La scuola, a.a.O., S. 56–60 (amtliches Verzeichnis von 195 Entziehungen); A. Ventura, La persecuzione, a.a.O., S. 148, 161 (zu weiteren Entziehungen in Padua). M. Sarfatti, La scuola, a.a.O., S. 51–52 (Namensverzeichnis). G. Fabre, L’elenco, a.a.O., S. 254. E. Momigliano, Storia tragica e grottesca del razzismo fascista. Mailand (Mondadori) 1946, S. 71–72, hat geschrieben, dass die jüdischen Lernenden 4.400 an den Elementarschulen, 1.000 an den Mittelschulen und 200 an den Universitäten waren, eine Zahl,
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Der Leiter eines Verlages schrieb damals an einen Briefpartner: Denken Sie nicht schlecht von mir, wenn ich mich wie ein Schakal auf dieses von Kadavern übersäte Feld stürze, welches die italienische Schule bildet. Ich weiß aber, dass alle anderen Verleger im Begriff sind, es zu tun, denn im kommenden Jahr wird ein großes Feld abzuernten sein335.
Die im Theater, in der Musik, im Kino, im Radio usw. tätigen Gesellschaften, welche direkt oder indirekt Bezug zum Staat hatten, kündigten sofort alle fest angestellten Juden (vom Leiter bis zum letzten Arbeiter) und annullierten sämtliche Zeitverträge mit jüdischen Künstlern (Kgl. Gesetzesdekret 1728/1938); im Juni 1940 wurde diese Gesetzesbestimmung amtlich auf private Gesellschaften ausgedehnt336. Die Werke jüdischer Autoren wurden von den Programmen der Opern- und Schauspielhäuser abgesetzt337, 1938 wurden sie von den musikalischen Radioübertragungen ausgeschlossen und 1940 aus den Katalogen der Schallplattenfirmen entfernt338, zunehmend wurden sie von den Filmtheatern gemieden339, bis sie dann im Juni 1940 aus dem gesamten Unterhaltungs- und Theaterbetrieb verbannt wurden. Zwei Jahre später wurden
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die wiederholt wird von A. Spinosa, Le persecuzioni, a.a.O., Il ponte IX Nr. 7 (Juli 1953), S. 962; dann auch von R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 335. Nach meinem Dafürhalten sind die effektiven Mindestzahlen 2.500 für die Elementarschulen, 4.000 für die unteren und höheren Mittelschulen und 2.000 für die Universitäten (die zuletzt genannte Zahl stützt sich auf G. P. Brizzi, Bologna, 1938, a.a.O., S. 59 – zu den 1.344 im Januar 1938 gezählten Ausländern; R. Finzi, L’università, a.a.O., S. 73–74; A. Ventura, La persecuzione, a.a.O., S. 168–70). M. Galfrè, Il regime degli editori. Libri, scuola e fascismo. Rom, Bari (Laterza) 2005, S. 155–156 (Brief von Federico Gentile an Luigi Russo, 26. August 1938; in: AdS Firenze, Archivio Casa editrice Sansoni, b. 77, fasc. 1). ACS, MI, DGDR (1938–43), b. 3, fasc. 14, sfasc. 6, Generaldirektion für Demographie und Rasse an die Präfekten, 18. Juni 1940. H. Sachs, Music in Fascist Italy. London (Weidenfeld and Nicolson) 1987 [it. Übers.: Musica e regime. Mailand (Il Saggiatore) 1995, S. 241–244]; F. Nicolodi, Musica e musicisti nel ventennio fascista. Fiesole (Discanto) 1984, S. 26–30. Zum Theater s. die Zeugnisse b. D. Falconi, Un bel viale col suo nome a Livorno, in: Epoca II Nr. 57 (10. November 1951), S. 67 (zu Sabatino Lopez) und A. Perrini, Un „gran signore“ del teatro, in: A. De Benedetti, Teatro. Mailand (Edizioni del Borghese) 1974, S. 21. Am 25. März 1939 schrieb Lopez an seinen Bruder: „Wie vorherzusehen und wie vorhergesehen war, habe ich die deutliche Mitteilung erhalten, dass die Komödien usw. nicht aufgeführt oder gedruckt werden können“ (Privatarchiv Guido Lopez). Centro Furio Jesi (Hrsg.), La menzogna, a.a.O., S. 211, 218; H. Sachs, Musica, a.a.O., S. 240–241. Zur Ziehung aus dem Verkehr des Films Una notte all’opera der Brüder Marx im Oktober 1938 vgl. ACS, MI, DGPS, AGR, 1939, b. 7G, fasc. 8. Zum Kino s. jetzt M. Argentieri, Le leggi razziali e il cinema. Maschinenschrift des Berichtes an die Tagung „C’erano una volta le leggi razziali“, gehalten Agrigent, 19. März 1999. Akten nicht veröffentlicht.
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alle diese Verwaltungsanordnungen durch eine entsprechende gesetzliche Regelung bestätigt und ausgeweitet (Ges. 517/1942). Ende 1938/Anfang 1939 stellten die Verlage nahezu vollständig die Publikation neuer Werke jüdischer Autoren ein, während die Herausnahme der bereits verlegten Werke aus dem Vertrieb sich verworren – und stillschweigend – zwischen Januar 1938 (als einige Bücher von Arnold Zweig beschlagnahmt wurden), August 1939 (als die Entscheidung, die gesamte „jüdische“ Produktion“ aus dem Verkehr zu ziehen, fiel) und Februar 1940 (als den Verlegern amtlich das fast vollständige Verbot des Drucks, der Verbreitung und der Aufnahme in Kataloge mitgeteilt wurde) vollzog340. Beschlagnahmt wurden 340 Umfassende Chronologie der Regierungserlasse und der „autonomen“ Entscheidungen der Verleger (durchgeführt mit einer gewissen Verschärfung im Jahre 1942 und einer gewissen Abmilderung im Jahre 1943) b. G. Fabre, L’elenco, a.a.O.; Ders., A proposito dell’antisemitismo amministrativo fascista dell’inizio del 1938, in: L. Canfora (Hrsg.), Studi sulla tradizione classica. Per Mariella Cagnetta. Rom, Bari (Laterza) 1999, S. 231. Die Anordnung vom Februar 1940 (erarbeitet von der Kommission für die Bibliotheksbereinigung, überprüft vom Minister für Volkskultur Alessandro Pavolini und genehmigt durch Mussolini) legte folgende Maßstäbe fest: Verbot des Drucks, des Vertriebs und der Aufnahme in die Verlagskataloge von Werken italienischer und ausländischer zeitgenössischer jüdischer Autoren mit „einigen Ausnahmen für rein wissenschaftliche Werke, wenn sie nicht Lesebücher für die Schulen bilden“ und mit großzügigeren Ausnahmen – jedoch stets nach Ermessen des Ministeriums und begrenzt auf den reinen „Vertrieb“ – für jene Bücher, die „zur allgemeinen Kultur gehören und gewissermaßen ‘klassisch’ sind“, sowie für „traditionelle Texte der jüdischen Religion und Literatur“, „soweit sie nicht eine Verherrlichung des jüdischen Denkens enthalten“; diese Werke und diese Themen konnten auch Artikel in Enzyklopädien, Lexika und Werken mit historischen Kompilationen bilden, wenn „die Eintragungen auf das strikt Notwendige beschränkt“ wurden und nicht die oben erwähnte „Verherrlichung“ enthielten; Rundschreiben der Nationalen Vereinigung der Verlagsunternmehmer an die Verlage, 26. Februar 1940, mit der Wiedergabe der „Entscheidungen“ des Ministers für Volkskultur auf Vorschlag der Kommission für die Bibliotheksbereinigung, zitiert in: A. Piccioni (Hrsg.), Una casa editrice, a.a.O., S. 222; vgl. Auch G. Fabre, L’elenco, a.a.O., S. 288–293. Ein Sonderfall der Anwendung dieser Kriterien war derjenige des Buches von S. Dubnow, Breve storia di Israele. Dalle origini ai nostri giorni. Florenz (Israel) 1941, ins Italienische übersetzt aus der französischen Ausgabe „Précis d’histoire juive. Des origines à nos jours“. Paris (Cahiers Juifs) 1936. Das Buch, das für den Gebrauch in jüdischen Schulen bestimmt war, erlangte die Genehmigung der Veröffentlichung erst am Ende eines langen Verfahrensganges und nachdem es zensorischen Eingriffen des Ministeriums für Volkskultur (denen wahrscheinlich auch die Beseitigung einiger Textabschnitte zuzurechnen sind, die als „Verherrlichung des Judentums“ beurteilt werden konnten) und der Demorazza unterworfen worden war (die letztere interessierte sich nach Kenntnis der Union für „einige Bemerkungen über die deutsche Haltung gegenüber den Juden“); AUCEI, Fondo UCII, Attività 1933–47, b. 51, fasc. „1938“, sfasc. „Storia Dubnow“ und fasc. „1940–43“, sfasc. „Testi scuole medie“, ins. „Storia Dubnow“; ebd., Protokollbuch Ausschuss, Sitzungen vom 11. Februar 1940 und 27. Januar 1941; ebd., Protokollbuch Rat, Sitzung vom 28. Januar 1941.
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auch nichtrassistische Bücher, beispielsweise ein seit langem im Handel befindliches Wörterbuch, das die Definition „Antisemiten = wenig gebildete Leute, welche den Juden feindlich gesinnt sind und sie bekämpfen“ enthielt341, sowie das 1942 von dem mutigen Antifaschisten Ernesto Orrei veröffentlichte Buch, das mit den Worten endete: „‘Ich arbeite aus allen Kräften daran’ – schrieb [Wilhelm von Humboldt] am 17. Januar 1815 an seine Gattin – ‘den Juden alle bürgerlichen Rechte zu geben’“342. Im Lauf des Jahres 1938 waren die Juden nahezu vollständig von der Tagespresse und den Periodika ausgeschlossen; im Dezember dieses Jahres hörte auch die jüdische periodische Presse vollständig zu existieren auf343. Schließlich wies der Minister für nationale Erziehung im Mai 1942 die Bibliotheken an, die Werke jüdischer Autoren vollständig aus den Lesesälen und vom Verleih auszuschließen; allerdings ermächtigte er im darauf folgenden September die Direktoren, einige Ausnahmen zugunsten von „bestimmten Kategorien von Gelehrten“ zuzulassen344. Jüdische Maler und Bildhauer wurden von Ausstellungen ausgeschlossen und zensiert und sahen plötzlich ihre beruflichen Verhältnisse zerrüttet345. Es ist 341 Das Buch war V. Manfredi, Nuovissimo dizionario tascabile della lingua italiana. Mailand (Bietti) 30. Tausend; zur Beschlagnahme s. Il popolo d’Italia, 21. und 22. Januar 1939. Die selbe Zeitung meldete, dass die „Nuovissima enciclopedia italiana illustrata“ des Istituto Editoriale Moderno di Milano (herausgegeben von Armando Curcio) auf S. 739 folgende Definition enthielt: „Den Juden, die in früheren Zeiten verfolgt wurden und gezwungen wurden, in Ghettos zu leben, gelang es nunmehr, beseelt von einem starken Willen, auf allen Feldern Hervorragendes zu leisten“; in diesem Falle teilte der Verleger unmittelbar mit, er habe „bereits dafür gesorgt, in den im Magazin befindlichen Exemplaren die inkriminierte Passage zu beseitigen“; Il popolo d’Italia, 28. und 29. Januar 1939. Das Vocabolario della lingua italiana, das 1941 von der Accademia d’Italia herausgegeben wurde, erklärte: „Antisemitismus: Gegnerschaft gegen die Juden, gegen die jüdische Vorherrschaft im Leben einer Nation“ (Bd. I: A–C, S. 204). 342 Das Buch war E. Orrei, Intorno alla questione ebraica. Lineamenti di storia e di dottrina. Rom 1942. Zur Beschlagnahme vgl. Ders., La questione ebraica. Lineamenti di storia e di dottrina. 2. erw. Aufl. Rom (Edizioni del Lavoro) 1947, S. 5–6; vgl. auch A. Allocati (Hrsg.), Carteggio Loria-Graziani (1888–1943). Rom (Ministero per i Beni culturali e ambientali) 1990, S. 351–353. 343 M. Sarfatti, L’antisemitismo fascista, a.a.O., S. 165–213. 344 G. Fabre, L’elenco, a.a.O., S. 351–59. 345 E. Braun, From the Risorgimento to the Resistance: one hundred years of Jewish artists in Italy, in: V. B. Mann (Hrsg.), Gardens and Ghettos. The Art of Jewish Life in Italy. Berkeley (University of California Press) 1989 [it. Übers. Dal Risorgimento alla Resistenza: cent’anni di artisti ebrei in Italia, in: Ders., I TAL YA. Isola della rugiada divina. Duemila anni di arte e vita ebraica in Italia. Mailand (Mondadori) 1990, S. 135– 137]. Zur Zählung und zum Ausschluss der Juden von der III. Quadriennale von Rom
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nicht bekannt, ob es ministerielle Bestimmungen über die Ausstellung ihrer Werke in Museen gegeben hat; gewiss ist aber, dass im September 1940 ein kommunales Museum in Triest beschloss, sie aus den „öffentlichen Räumen“ zu entfernen (und den allgemeinen Katalog, der sie im Präsenzbestand verzeichnete, aus dem Verkehr zu ziehen)346. Vertrieben wurden die Juden auch aus allen Akademien und wissenschaftlichen Gesellschaften der Halbinsel (die Zahl der ausgeschlossenen italienischen und ausländischen Mitglieder betrug mindestens 672; die Accademia dei Lincei schloss 30 aus, während die Accademia d’Italia niemals einen Juden aufgenommen hatte)347 und es wurde ihnen – wenn sie nicht zu den „Diskriminierten“ gehörten, der Zugang zu öffentlichen Bibliotheken verboten348. Wenigstens zu erwähnen ist schließlich auch noch die erneute Kampagne gegen die Psychoanalyse, die als „Verbündete des Judentums“ bezeichnet wurde – eine Kampagne, die einen gewissen Erfolg erzielte und zu deren Auswirkungen die Auswanderung nahezu sämtlicher jüdischer Psychoanalytiker aus Italien gehörte349 – und die Artikel gegen die Homosexualität und den „schlüpfrigen sexuellen Psychologismus“ der Juden350 und gegen die Jazzmusik, die nunmehr (freilich nicht von allen) als „demokratisch-jüdischplutokratisch-freimaurerisch“ sowie verächtlich als „Negermusik“ bezeichnet wurde351. Im September 1938 endete die Tätigkeit der wichtigen Abteilung Triest der Anthroposophischen Gesellschaft Italiens, deren Mitglieder
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1939 s. L. Fusco, Effetti delle leggi razziali nelle istituzioni artistiche italiane. I casi di Antonietta Raphael e Corrado Cagli, in: RMI Bd. LXVI Nr. 3 (September–Dezember 2000), S. 8–13. M. Masau Dan, Einleitung zu Artisti triestini di origine ebraica, in: A. Dugulin (Hrsg.), Shalom Trieste. Gli itinerari dell’ebraismo. Triest (Comune di Trieste) 1998, S. 361– 362; vgl. auch G. Montenero, Vicende del civico museo Revoltella durante il fascismo, in: Archeografo triestino LI (1991), S. 448. A. Capristo, L’espulsione, a.a.O.; Ders., L’esclusione, a.a.O. G. Fabre, L’elenco, a.a.O., S. 352–53. M. David, La psicanalisi nella cultura italiana. Turin (Bollati Boringhieri) 1970, S. 62– 67; vgl. auch A. Ventura, La persecuzione, a.a.O., S. 186. Erste Hinweise auf Artikel in La difesa della razza b. D. Petrosino, Traditori della stirpe. Il razzismo contro gli omosessuali nella stampa del fascismo, in: A. Burgio / L. Casali (Hrsg.), Studi sul razzismo italiano, a.a.O., S. 103. R. Schwamenthal, Postfazione, in: M. Zwerin, Musica degenerata. Il jazz sotto il nazismo. Turin (EDT) 1993, S. 186; vgl. auch M. Filippa, Popular Song and Musical Cultures, in: D. Forgacs / R. Lumley, Italian Cultural Studies: an Introduction. Oxford (Oxford University Press) 1996, S. 332–334.
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vor allem Juden waren352. Die italienischen Gruppen des Rotary Club lösten sich auf, weil ihre Regeln Diskriminierungen unter den Mitgliedern nicht zuließen353. Weitere Bestimmungen betrafen das Vorhandensein oder die Tätigkeit von Juden in anderen Bereichen der Gesellschaft. Da es hier nicht möglich ist, alle auch nur summarisch darzustellen, muss der Hinweis genügen, dass den Juden verboten wurde, in kulturellen und Freizeitvereinigungen Mitglied zu werden (ein entsprechendes Rundschreiben ordnete den Ausschluss aus den Tierschutzvereinen an)354; dass Freizeit- und Berufssportler (darunter der Trainer des „großen“ Turin Egri Erbstein) aus Sportvereinen und von Sportwettbewerben ausgeschlossen wurden, während das Gesetz vom 16. Februar 1942, Nr. 426, über das italienische Nationale Olympische Komitee (Coni), diesem die Aufgabe der „physischen und moralischen Verbesserung der Rasse“ stellte355.
4.6 Die Gewalt Die ganze antijüdische Pressekampagne, die im Herbst 1936 begann, und die ganze Verfolgungsgesetzgebung, die im September 1938 begann, wurden als Gewaltakte durchgeführt und von den Opfern auch fast immer als solche empfunden. Die Schilder „Arisches Geschäft“ und „In diesem Lokal sind Juden nicht willkommen“, die im Dezember 1938 auf der ganzen Halbinsel in den Schaufenstern der Geschäfte und Bars angebracht wurden (und in den Tageszeitungen
352 M. Beraldo, Il movimento antroposofico italiano durante il regime fascista, in: Dimensioni e problemi della ricerca storica 2002 Nr. 1, S. 158. 353 V. De Grazia, Rotary Club, in: V. De Grazia / S. Luzzatto (Hrsg.), Dizionario del fascismo. Bd. II. Turin (Einaudi) 2003, S. 557. 354 Vgl. die in den Auflistungen mitgeteilten oder transkribierten Rundschreiben b. M. Sarfatti, Documenti della legislazione antiebraica. Le circolari, a.a.O., S. 193; S. Caviglia, Un aspetto, a.a.O., S. 268. 355 A. Cavaglion, 1938–1988: qualche considerazione in ordine sparso, in: A. Lovatto (Hrsg.), Dalle leggi razziali alla deportazione. Ebrei tra antisemitismo e solidarietà. Atti della giornata di studi Torrazzo, 5. Mai 1989. Borgosesia (Istituto per la storia della Resistenza e della società contemporanea in provincia di Vercelli) 1992, S. 39–40; S. Giuntini, Sport e fascismo: le leggi razziali del 1938, in: Patria indipendente XLIV Nr. 10–11 (11.–25. Juni 1995), S. 43–44; s. jetzt aber auch P. Renna, Le vessazioni del regime fascista in Italia contro gli sportivi ebrei: il caso degli ungheresi. Maschinenschrift des Vortrages auf dem VI. Kongress der International Society for the History of Physical Education and Sport, Budapest Juli 1999.
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abgebildet wurden)356, waren dann auch regelrechte Messerstiche für die „unerwünschten“ Passanten (und Leser). Die eigentliche physische Gewalt schein zunächst von oben abgelehnt worden zu sein: im September 1938 erinnerte der Polizeipräsident von Ferrara den Präfekten daran, dass „in einem ersten Moment kleine Scharen, die den faschistischen Ortsgruppen angehörten, kleinen Gruppen von Juden, denen sie zufällig begegneten, nachschlichen, und auf die Mauern der Wohnungen einiger von ihnen Parolen wie ‘Nieder mit den Juden, Tod den Juden’ anbrachten, was zu Protesten führte“, und er stellte klar, dass diese „Unzuträglichkeiten“ aufgehört hätten, nachdem „in dieser Hinsicht strenge Befehle seitens der Leitung des PNF eingegangen sind“357. In der Tat sind für die ersten Jahre vorwiegend vereinzelte Vorfälle mit Ohrfeigen und Schlägen bekannt358; die Opfer dieser Vorfälle vermieden es im allgemeinen jedoch, darüber zu sprechen, weil die erniedrigende Wirkung der Gewalt schmerzhafter war als die Gewalt selbst, und weil man es auch nicht zweckmäßig fand, den Behörden Mitteilung zu machen oder Anzeige zu erstatten; an beachtlichen Vorfällen sind die folgenden bekannt: eine Serie von Anschlägen auf Schaufenster, Angriffe und Prügel in der Gegend von Ancona 356 R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., fotographische Einfügung nur in der 1. Auflage von 1961 (für Ancona und Cortina d’Ampezzo); R. De Felice / L. Goglia, Storia fotografica del fascismo. Rom, Bari (Laterza) 1982, S. 242 (für Mailand); Il popolo d’Italia, 14. Dezember 1938 (ebenfalls für Mailand); M. Sarfatti, Mussolini, a.a.O., S. 198–199 (für Turin und Triest); L’italiano, 8. Dezember 1938 (ebenfalls für Turin); Centro Furio Jesi (Hrsg.), La menzogna, a.a.O., S. 312–313 (für Rom und Bologna); E. Collotti (Hrsg.), Razza e fascismo, a.a.O., Bd. I, Fotografie vor S. 321 (für Florenz). In Ancona wurde das Schild auch am Eingang eines Kinos angebracht; L. Garbini, Ancona 1938–1940. Note e percorsi di ricerca sull’antisemitismo delle istituzioni, in: Storia e problemi contemporanei VII Nr. 14 (Juli–Dezember 1994), S. 54; M. G. Salonna, La comunità israelitica anconetana al tempo delle leggi razziali: testimonianze, ebd., S. 100. Vgl. auch A. Cedarmas, La Comunità Israelitica, a.a.O., S. 171–72; M. Coslovich, I percorsi della sopravvivenza. Storia e memoria della deportazione dall’“Adriatisches Küstenland“. Mailand (Mursia) 1994, S. 327–328. Ein ähnliches Schild war im Sommer 1941 in Harry’s Bar in Venedig angebracht, die in Arrigo Bar umbenannt worden war; R. Segre (Hrsg.), Gli ebrei, a.a.O., S. 88. Zu Schildern in Triest im Februar 1939, vgl. S. Bon, Gli ebrei, a.a.O., S. 143. 357 AdS Ferrara, Prefettura, cat. 30, b. 2, fasc. „Situazione degli ebrei“, Polizeipräsident von Ferrara an den Präfekten von Ferrara, 14. September 1938. 358 Zu Venedig s. R. Segre (Hrsg.), Gli ebrei, a.a.O., S. 55; zu Ancona s. M. G. Salonna, La comunità, a.a.O., S. 100–103; zu Rom s. A. Stille, Uno su mille. Cinque famiglie ebraiche durante il fascismo. Mailand (Mondadori) 1991, S. 205, und „Pacifico Anticoli: I fascisti arrivarono in ghetto e pestarono tutti quelli che trovarono“, in: Shalom XXVII Nr. 11 (Dezember 1993), S. 22; zu Triest Y. Kerem, Corfiote Triestians, a.a.O., S. 189.
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anlässlich von „Pro Krieg“-Kundgebungen von faschistischen Studenten im Mai 1940359, die Plünderung von Geschäften und die Tötung von zwei Juden in Bengasi, sowie die körperlichen Angriffe auf Juden in Tripolis im April/Mai 1941360. Im September/Oktober 1941 fand dann jedoch an verschiedenen Orten der Halbinsel eine Reihe von squadristischen Gewaltaktionen gegen Synagogen statt. Am 21. September wurden in Ferrara die „fanesische“ Synagoge sowie diejenige nach deutschem Ritus verwüstet (am 5. Oktober fürchtete man erneute schwere Gewalttaten, die dann aber nicht eintraten); in der Nacht vom 14. auf den 15. Oktober wurde Feuer an das Tor der Synagoge von Turin gelegt, die Flammen wurden jedoch sogleich gelöscht; im selben Monat gelang es einigen Juden aus Casale Monferrato in letzter Minute, einen zerstörerischen Einbruch in die Synagoge zu verhindern, indem sie deren Tor von innen verstärkten; am 8. Oktober begann in Triest eine Reihe von antisemitischen Akten und Beschädigungen jüdischer Einrichtungen, welche am 28. Oktober in der Anzündung der Synagoge hätte enden sollen, die dann aber nicht stattfand, weil darüber zu viel geredet worden war. In den drei größten Städten wurden diese Taten nicht nur von den üblichen Texten (auf Mauern und Flugblättern) „Tod den Juden“ begleitet, sondern auch von Schlägen und Verprügelungen gegen Juden (u.a. den Hauptrabbiner von Ferrara)361. 359 L. Garbini, Ancona 1938–1940, a.a.O., S. 46–47. Auch in Triest waren die Kundgebungen gegen Frankreich und Großbritannien im Mai 1940 gekennzeichnet durch antijüdische Slogans und Akte des Rowdytums; A. Andri, Scuola, guerra e fascismo a Trieste (1935–1943), in: A. Vinci (Hrsg.), Trieste in guerra, a.a.O., S. 66. S. Bon, Gli ebrei, a.a.O., S. 203–4. Zwölf Monate zuvor hatten einige modenesische Studenten im Laufe einer Kundgebung zum Fall von Barcelona das Geschäft eines Juden beschädigt; C. Silingardi, Una provincia partigiana. Guerra e Resistenza a Modena 1940–1945. Mailand (Angeli) 1998, S. 151. 360 R. De Felice, Ebrei in un paese arabo, a.a.O., S. 271–273. 361 ACS, MI, DGPS, AGR, 1941, b. 5B, fasc. „Razzismo“, sfascc. „Ferrara, Torino e Trieste“; AdS Ferrara, Prefettura, cat. 30, b. 3, fasc. „Sinagoga. Danneggiamenti“; ebd., Questura, Ebrei, b. 4, fasc. „Ebrei residenti in provincia di Ferrara. Discriminazione“, sfasc. „Manifestazione antiebraica. Devastazione Comunità israelitica di via Mazzini“; AUCEI, Fondo UCII, Attività 1933–47, b. 38, fasc. „1941. Ferrara“; R. Bonfiglioli, Gli ebrei a Ferrara dal fascismo alla liberazione, in: Competizione democratica I Nr. 2 (April 1955), S. 16–18; G. Bassani, L’assalto fascista alla Sinagoga di Ferrara, in: L. Arbizzani / A. Caltabiano (Hrsg.), Storia dell’antifascismo italiano. Rom (Editori Riuniti) 1964, Bd. II, S. 166–167; G. Zamorani, Gli ebrei a Ferrara dalle leggi razziali alle deportazioni, in: P. Alberighi (Hrsg.), Partiti politici e CLN. Atti del Convegno sull’Emilia Romagna nella Guerra di Liberazione. Bari (De Donato) 1976, Bd. II, S. 635–41; E. Artom, Diari gennaio 1940–febbraio 1944. Mailand (Centro di documentazione ebraica contemporanea) 1966, S. 31–34 (für Turin); A. Segre, Memorie di vita ebraica. Casale Monferrato – Roma – Gerusalemme 1918–1960. Rom (Bonacci) 1979,
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Diese Serie von Gewalttaten ereignete sich in einer begrenzten Zahl von Orten; doch muss erwähnt werden, dass sie mit anderen Taten radikal antisemitischen Inhalts zusammenfielen (die allesamt das Ergebnis der Initiative des Ministeriums für Volkskultur waren): die Verbreitung des antisemitischen deutschen Films Jud Süß in den Kinos (die Aktionen von Casale und Triest nahmen ihren Ausgang gerade anlässlich seiner Vorführung)362; die im September vorbereitete und im Oktober durchgeführte Radioübertragung von Gesprächen über die Themen der Protokolle der Weisen von Zion363, die Eröffnung der ersten Zentrums für die Erforschung der Judenfrage in Ancona am 28. Oktober364. Die fehlgeschlagene Brandstiftung an der Synagoge von Triest bezeichnete auch den Abschluss dieser Gewaltwelle. In den folgenden Monaten setzten sich jedoch die Vorfälle mit squadristischen Taten fort, die zwar ebenfalls isoliert, mitunter aber doch von beträchtlichem Gewicht waren: Im April 1942 fand ein Überfall auf das Ghetto von Venedig statt, bei dem der (alte und blinde) Rabbiner geschlagen wurde und jüdische Einrichtungen beschädigt wurden365; im Juni 1942 fand die völlige Verwüstung und systematische Plünderung der Synagoge des damals italienischen Split mit Prügeln und – auch schweren – Verletzungen aller anwesenden Juden und Verwüstungen weiterer jüdischer Gemeinschaftsorte und jüdischer Geschäfte statt366; im Juli 1942
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S. 268–269; AUCEI, Fondo UCII, Attività 1933–47, b. 38, fasc. „1940. Trieste“; S. Bon, Gli ebrei, a.a.O., S. 214–20; vgl. auch R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 398–400. Zu sehr viel weniger schweren Taten in Padua vgl. R. Segre (Hrsg.), Gli ebrei, a.a.O., S. 93. Die Fotographie der Schrift „morte agli ebrei“ (Tod den Juden), die an der Synagoge von Triest angebracht war, wurde zumindest in Decima regio I Nr. 1 (28. Oktober 1941), einer Zweiwochenschrift der örtlichen faschistischen Hochschulgruppe, veröffentlicht. Ein Jude, der die Vorführung von „Jud Süß“ gesehen hatte, sagte anschließend zu seiner Frau: „Eugenia, es ist ein schrecklicher und nie da gewesener Hass, es ist unvorstellbar, was sie denken. Und was werden sie nun tun? Für die sind wir nicht einmal Kakerlaken“; A. Zargani, Per violino solo. La mia infanzia nell’Aldiqua. 1938–1945. Bologna (Il Mulino) 1995, S. 68. Zum Film vgl. Centro Furio Jesi (Hrsg.), La menzogna, a.a.O., S. 219–22. Ebd., S. 211, 216–217. S.o. Fußn. 145. R. Segre (Hrsg.), Gli ebrei, a.a.O., S. 95–96. ACS, MI, DGPS, AGR, 1943, b. 22, fasc. „Razzismo II“, sfasc. „Spalato“; ebd., PCM, 1940–41, b. 2655, fasc. 1/1–13, n. 16452, sfasc. 31; AUCEI, Fondo UCII, Attività 1933–47, b. 44M, fasc. II, 1940, sfasc. „Ebrei croati“, ins. „Fatti di Spalato“; S. Sorani, L’assistenza, a.a.O., S. 94–96, 227–31; L. Morpurgo, Caccia all’uomo! Vita, sofferenze e beffe. Pagine di diario 1938–1944. Rom (Dalmatia) 1946, S. 76–79. S. auch G. Ferrari, Verità che scottano VI, in: Il regime fascista, 30. November 1943 (es handelt sich um eine Chronik der Ereignisse, die wahrscheinlich von einem der Aggressoren verfasst wurde und in der Zeit der RSI am demselben Tage veröffentlicht wurde, an dem
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wurden die Synagoge von Triest und weitere Gebäude der jüdischen Gemeinde verwüstet, und es gab erneut Angriffe (mit Schlägen und einigen Pistolenschüssen) auf einzelne Juden367; im Oktober 1942 die Zerstörung von Firmenschildern und Schaufenstern jüdischer Geschäfte in Pisa368; im Mai 1943 den Brand der Hauptsynagoge von Padua369 und die Verwüstung und Plünderung zahlreicher jüdischer Geschäfte in Triest370; im März 1943 – und bis zum 25. Juli – die Ausrufung einer Art von Ausgangssperre für Juden in Mantua, verbunden mit Drohungen oder Schlägen für jene, die nach Sonnenuntergang auf der Straße angetroffen wurden371. Gerade zwischen September und Oktober 1941 hatte der nazistische Verbündete beschlossen, die Politik der Entfernung der Juden aufzugeben und stattdessen zu ihrer völligen Vernichtung überzugehen372. Es ist nicht bekannt,
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der Innenminister die Verordnung zur Verhaftung der Juden und zur Beschlagnahme ihrer Güter erließ). ACS, MI, DGPS, AGR, 1943, b. 22, fasc. „Razzismo I“, sfasc. „Trieste“; AUCEI, Fondo UCII, Attività 1933–47, b. 38, fasc. „1942. Trieste“; S. Bon, Gli ebrei, a.a.O., S. 227–231. Wenige Tage später gab es Beschädigungen an der Synagoge in Venedig; vgl. R. Segre (Hrsg.), Gli ebrei, a.a.O., S. 96. V. Lupo Berghini, A quarant’anni dalla legislazione razziale. Persecuzioni a Pisa. Pisa (Pacini) 1987, S. 28–29; C. Forti, Il caso Pardo Roques, a.a.O., S. 228–229. AUCEI, Fondo UCII, Attività 1933–47, b. 38, fasc. „1943. Padova“; ebd., fasc. „1947. Arredi sacri“, Israelitische Gemeinde Padua an die Union der italienischen israelitischen Gemeinden, 29. April 1947; U. Nahon, Batte Keneseth, a.a.O., S. 270–271; Il Veneto, Ausgabe Padua, 14. und 15. Mai 1943; Il gazzettino, Ausgabe Padua, 15. Mai 1943. S. jetzt auch G. Schvarcz, Edificio ex Sinagoga di rito tedesco. Progetto e intervento, in: C. De Benedetti (Hrsg.), Hatikvà. Il cammino della speranza. Gli Ebrei e Padova. Padua (Papergraf) 1998, Bd. I, S. 105. Zur Anbringung von Schriften „Tod den Juden – Spione“ im Juli 1943 in Padua s. ACDEC, Fondo Luxardo Servadio, Durchschlag eines Briefes von Luxardo Servadio an den Präfekten von Padua, 14. August 1943. S. Bon, Gli ebrei, a.a.O., S. 273–278. Ende Januar / Anfang Februar 1943 gab es weitere Fälle von Angriffen auf Juden (ebd., S. 272–73; ACS, MI, DGPS, AGR, 1943, b. 22, fasc. „Razzismo I“; sfasc. „Triest“; AUCEI, Fondo UCII, Attività 1933–47, b. 38, fasc. „1943. Fatti di Trieste“); zu einem Fall von Zusammenschlagen eines Juden in Livorno in jenen Tagen s. C. Sonetti, Ebrei e città dal fascismo alla fine della guerra, in: M. Luzzati (Hrsg.), Le tre sinagoghe. Edifici di culto e vita ebraica a Livorno dal Seicento al Novecento. Turin (Comune di Livorno – Allemandi) 1995, S. 94. C. Vivanti, Un ragazzo negli anni del razzismo fascista, in: Bollettino storico mantovano, Nuova Serie, Nr. 1 (2002), S. 22. Zur Belästigung eines jüdischen Mädchens durch Jugendliche im Frühjahr 1943 in Florenz s. E. Salmon, Diario di un ebreo fiorentino 1943–1944. Florenz (Giuntina) 2002, S. 25. R. Hilberg, La distruzione, a.a.O., S. 436–440; Ph. Burrin, Hitler et les Juifs. Genèse d’un génocide. Paris (Seuil) 1989 [it. Übers.: Hitler e gli ebrei. Genesi di un genocidio. Genua (Marietti 1994), insb. S. 113–130 deutsche Übers. Hitler und die Juden: Die Entscheidung für den Völkermord, Frankfurt am Main (Fischer) 1993]. S. aber auch
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wann Mussolini die ersten Informationen über die Vervielfachung der Massaker an Juden oder darüber, dass eine systematische Vernichtungsaktion im Gange sei, erhalten hat; doch die Nachrichten, von denen wir wissen, dass sie aus italienischen und deutschen Quellen zwischen August und November 1942 an ihn gelangt sind, waren, was die ersteren betraf, eindeutig, und sie reichten – in ihrer Gesamtheit – aus, um sich die zweite vorzustellen373. Im Übrigen C. R. Browning (with contributions by Jürgen Matthaus), The Origins of the Final Solution. The Evolution of Nazi Jewish Policy, September 1939–March 1942. Lincoln (University of Nebraska Press und Yad Vashem) 2004, insb. S. 371. 373 L. Picciotto, Il libro, a.a.O., S. 906–909; K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. II, S. 374–78; Zuflucht, a.a.O., Bd. II, S. 305–309; vgl. auch J. Steinberg, Tutto o niente, a.a.O., S. 83–86. Am 24. Oktober 1942 informierte der Sekretär des PNF Aldo Vidussoni Mussolini darüber, dass an der russischen Front „die Erschießungen [von Juden] an der Tagesordnung sind und an großen Gruppen von Personen jedes Alters und Geschlechts vollzogen werden. […] Ganze Städte und Dörfer haben ein Drittel oder auch die Hälfte ihrer Bevölkerung verloren, besonders durch die Vernichtung der Juden“; ACS, SPD, CR (1922–43), fasc. 242/R, sfasc. „Aldo Vidussoni“, sein Bericht über den Besuch an der Ostfront, 24. Oktober 1942; zit. in: R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 412. Am 11. Oktober 1942 traf Heinrich Himmler Mussolini in Rom und informierte ihn unter anderem darüber, dass die Juden zum Teil „zum Strassenbau im Osten [verwendetet würden], wobei allerdings die Sterblichkeit eine sehr hohe sei, da die Juden ja im Leben noch niemals gearbeitet hätten“; er fügte hinzu, dass „[wir] in Russland […] eine nicht unerhebliche Anzahl von Juden, und zwar Mann und Weib, [hätten] erschießen müssen, da dort selbst die Frauen und halbwüchsigen Kinder Nachrichtenträger für die Partisanen gewesen wären“; „Un resoconto di Himmler sulla sua visita a Mussolini dall’11 al 14 ottobre 1942“, in: Il movimento di liberazione in Italia, Nr. 47 (April–Juni 1957), S. 51. Am Tag zuvor hatte der Sekretär der deutschen Botschaft in Rom Otto von Bismarck ihm „mündlich“ mitgeteilt, dass „innerhalb des Jahres 1943 alle Juden Europas vernichtet werden sollen“; Fondazione Luigi Einaudi, Fondo Luca Pietromarchi, Luca Pietromarchi, „Diario 1943–1944“, 18. Januar 1943; bereits zitiert in: D. Rodogno, Il nuovo ordine, a.a.O., S. 458. Im Oktober überreichten in der Schweiz Vertreter der Jewish Agancy und des Jüdischen Weltkongresses dem örtlichen Vertreter der Vereinigten Staaten (der alles dem Außenminister nach Washington berichtete) eine Denkschrift, worin gesagt wurde, dass die Vernichtung von vier Millionen Juden in den von den Deutschen kontrollierten Gebieten in Gang sei, und forderten Maßnahmen, um die Juden der „halbunabhängigen“ Staaten – Italien, Frankreich (Vichy), Ungarn, Rumänien und Bulgarien – zu retten; R. Hilberg, Perpetrators, Victims, Bystanders. The Jewish Catastrophe 1933–1945. New York (Aaron Asher Books) 1992 [it. Übers.: Carnefici, vittime, spettatori. La persecuzione degli ebrei 1933–1945. Mailand (Mondadori) 1994, S. 231–232]; vgl. auch W. Laqueur, The terrible secret. An investigation into the suppression of information about Hitler’s „final solution“. London (Weidenfeld and Nicolson) 1980 [it. Übers.: Il terribile segreto. La congiura del silenzio sulla „soluzione finale“. Florenz (Giuntina) 1983, S. 104]. Zu den Nachrichten, die an den Heiligen Stuhl gelangten, vgl. G. Miccoli, La Santa Sede e le deportazioni, in: Spostamenti di popolazione e deportazioni in Europa 1939–1945. Bologna (Cappelli) 1987, S. 236 ff.; S. Zuccotti, Under His Very Windows. The Vatican and the Holocaust in Italy. New Haven, London (Yale University Press) 2000 [it. Übers.: Il Vaticano e l’Olocausto in Italia. Mailand (Bruno Mondadori) 2001, S. 108–130].
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waren zumindest die systematischen Deportationen, welche in Frankreich (wo es aber bereits im Frühjahr einzelne Transporte gegeben hatte) im Juli 1942, in Kroatien im August 1942 und in Nordgriechenland im März 1943 begannen, leicht wahrzunehmen374. Bei wenigstens einer Gelegenheit ließ Mussolini Hitler Worte zukommen, die zeigen, dass er dessen neue antijüdische Politik akzeptierte: Am 8. März 1943, rund einen Monat nachdem der Botschafter in Deutschland einen endgültigen Bericht über die Vernichtung nach Rom gesandt hatte, schrieb der italienische Diktator an seinen deutschen Kollegen: „Feuer und Schwert werden [die] Krankheiten heilen, welche die plutokratischen Demokratien und das Judentum der Menschheit zugefügt haben“375. Doch bis zum 25. Juli 1943 übernahm das faschistische Italien nicht den Gedanken, noch – soweit wir wissen – erwog er ihn, in diesem Sinne gegen die italienischen Juden vorzugehen (vielmehr evakuierte er, wie schon geschildert, jene von ihnen, die sich im nazistischen Herrschaftsbereich befanden). Rom verfolgte also weiterhin das Ziel ihrer Emigration und – in der Zeit bis zur Realisierung dieses Ziels – der schrittweisen Verschlechterung ihrer Behandlung; die Politik gegenüber den ausländischen Juden, die sich auf der Halbinsel aufhielten, war durch dieselbe Zielsetzung gekennzeichnet, war allerdings in der Durchführung härter; wie schon ausgeführt, erfuhr sie gerade gegen Ende des hier betrachteten Zeitabschnitts eine höchst gefährliche Verschärfung, die wohl letztlich auf die Deportation zielte, deren Umsetzung jedoch durch die Krise des 25. Juli verhindert wurde. 374 Zur Shoah in Europa s. R. Hilberg, La distruzione, a.a.O. Zusammenfassendes Bild, das jedoch die Verhältnisse in Italien genauer wiedergibt, b. M. Sarfatti, La Shoah in Italia. La persecuzione degli ebrei sotto il fascismo. Turin (Einaudi) 2005. 375 B. Mussolini, Opera omnia, a.a.O., Bd. XXXI (1960), S. 250 (genauer gesagt schrieb Mussolini, nachdem er über seinen Gesundheitszustand berichtet hatte: „Die kleinen persönlichen Krankheiten sind bedeutungslose Episoden im Vergleich mit den Krankheiten, welche die Plutodemokraten und das Judentum der Menschheit zugefügt haben – Krankheiten, welche Feuer und Schwert heilen werden“). Am 3. Februar 1943 sandte der italienische Botschafter in Berlin Dino Alfieri an den Minister des Auswärtigen Galeazzo Ciano einen Bericht über die von den Nazis abgegebenen ausdrücklichen Erklärungen, „die jüdische Rasse vollständig vernichten zu wollen“, sowie über zahlreiche Massentötungen mit dem Zusatz, dass diese auch Kinder einschlössen, und der Erklärung, dass über das Schicksal der aus Deutschland und aus den von ihm besetzten Gebieten deportierten Juden „wir uns keinen Zweifeln hingeben können“. Der Bericht trägt Mussolinis Vermerk „Gesehen“; (das Dokument wird wiedergegeben b. R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 602–605; es befindet sich in: Ministero degli Affari Esteri, I documenti diplomatici italiani, Serie IX, Bd. IX. 21. Juli 1942–6. Februar 1943. Rom 1989, S. 580–583). Auf der Grundlage einiger Tagebucheintragungen ist angenommen worden, dass dieser Bericht Mussolini am 17. März ausgehändigt worden sei (K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. II, S. 309–310; Zuflucht, a.a.O., Bd. II, S. 253–254), doch erscheint dieses Datum von dem der Abfassung des Dokuments zu weit entfernt.
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Wieder anders lag der Fall der einheimischen und ausländischen Juden in den an Italien angeschlossenen Gebieten Jugoslawiens sowie in Albanien und in den Gebieten Westkroatien, Südgriechenland und Südostfrankreich, die von der italienischen Armee besetzt waren. Die auf der Halbinsel geltende Verfolgungsgesetzgebung wurde automatisch auf die angeschlossenen Gebiete (Slowenien, Susak, Dalmatien376) ausgedehnt, nicht aber auf die besetzten Gebiete. Die gegenüber den Flüchtlingen befolgte Politik wechselte zwischen Anordnungen zu ihrer Aufnahme und zu ihrer Zurückweisung377; 376 In Split, Susak und Ljubljana lebten jeweils ca. 425, 92 und 45 Juden (zu Split und Ljubljana s. ebd., S. 244; zu Ljubljana s. auch T. Ferenc, Fašisti brez krinke. Dokumenti 1941–1942, Maribor (Založba Obzorja) 1988 [it. Übers.: La provincia „italiana“ di Lubiana. Documenti 1941–1942. Udine (Istituto friulano per la storia del movimento di liberazione) 1994, S. 36]; zu Susak s. Archivio statale di Rijeka, Fondo Questura di Fiume, cat. A3b, fasc. „Comunità israelitica di Sussak“,Dokument „Elenco delle famiglie israelitiche di Sussak“,18. Juni 1941, mit den Namen von 36 Familienoberhäuptern und der Angabe von 56 Familienangehörigen); dazu kam eine weitaus höhere Anzahl von Flüchtlingen. Zu Mentone, das 1940 annektiert wurde, ist eine Präsenz von Juden weder bei J.-L. Panicacci, L’occupazione italiana di Mentone (giugno 1940–settembre 1943), in: Notiziario dell’Istituto storico della Resistenza in Cuneo e provincia Nr. 24 (Dezember 1983), S. 3–18, noch bei D. Carpi, Between Mussolini and Hitler, a.a.O, erwähnt. In Dalmatien verfolgte das Regime eine aktive Politik der „Entjudung“, die sich u.a. im Verbot der Wiedereinreise der dalmatischen Juden aus Serbien konkretisierte (AdS Livorno, Fondo Questura, Massime Q2,1344, Chef der Polizei, „für den Minister“, an das Hochkommissariat Ljubljana und die Präfekturen, 11. September 1941) und in der Verbringung der jüdischen Flüchtlinge ex-jugoslawischer Nationalität „die im annektierten Territorium Güter und Eigentum besitzen“ auf die Halbinsel (in die Internierung), (ASMAE, MAE, Gabinetto, Armistizio e Pace, b. 40, fasc. „AG. Croazia 19. Trasferimenti di popolazioni (giugno–dicembre 1941), Gouverneur von Dalmatien an Außenminister und Innenminister, 29. August 1941). 377 Für Dalmatien s. K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. II, S. 241–268; Zuflucht, a.a.O., Bd. II, S. 200–220. Für Frankreich ebd., S. 293–322, S. 241–364; am Ende des Jahres 1942 stellte Rom klar, dass „es nicht in unserem Interesse liegt, einen Zustrom unerwünschter Elemente [=ausländische Juden] in die von italienischen Truppen besetzten Gebiete zu begünstigen“ (ACS, MI, DGPS, AGR, 1943, b. 22, fasc. „Razzismo I“, sfasc. „Francia“, Außenministerium an das Kommando der 4. Armee, das Innenministerium und andere Empfänger, 29. Dezember 1942); am 26. März 1943 schlossen die italienischen Militärbehörden in Frankreich (wahrscheinlich auf Grund einer zwei Wochen vorher in Rom getroffenen Entscheidung) mit den Deutschen (auf deren Wunsch) ein Abkommen über die Auslieferung von Juden, welche die italienisch-deutsche Demarkationslinie nach diesem Datum überschreiten sollten [vgl. ACS, MI, DGPS, AGR, Massime (parte non riordinata), S11, fasc. 87, sfasc. 37, Außenministerium an das Kommando der 4. Armee, an das Innenministerium und an weitere Empfänger, 13. März 1943; ebd., Generalinspekteur der Polizei Guido Lospinoso an den Chef der Polizei, 5. April 1943; D. Carpi, Between Mussolini and Hitler, a.a.O., S. 136–37; K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. II, S. 312; Zuflucht, a.a.O., Bd. II, S. 256; D. Rodogno, Il nuovo ordine, a.a.O., S. 473]. Für Albanien s.: Actes et documents du Saint Siège, a.a.O., Bd. IX, S. 101, 323–24; A. Matkovski, The Destruction of Macedonian Jewry in 1943, in: Yad Washem Studies Bd. III (1959), S. 227–228, 230, 252, 257–258; D. Carpi (Hrsg.), Italian
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in den besetzten Gebieten entwickelte sich jedoch eine Haltung, die man zusammengefasst als „widerwilliges aber zunehmend operatives Eingehen“ auf die deutschen Wünsche, der Deportation von Juden deutscher „Angehörigkeit“ in Westkroatien (August 1942) und Südostfrankreich (Ende 1942) zuzustimmen, und in Südgriechenland Initiativen im Zusammenhang mit der bevorstehenden Deportation der Juden Nordgriechenlands zu ergreifen (Februar 1943) bezeichnen kann378. Im Einzelnen: Seit August 1942 gab Mussolini (mit Zustimmung oder doch ohne Widerstand des Außenministers Ciano) sein Plazet zur Überstellung der kroatischen Juden an die Deutschen379; Diplomatic Documents, a.a.O., S. 143. Zu 51 mitteleuropäischen Juden, die im März 1942 von den italienischen Behörden in Pristina an die deutschen Behörden in Serbien ausgeliefert wurden und von diesen umgebracht wurden, s. J. Romano, Jevreji Jugoslavije 1941–1945. Zrtve genocida i ucesnici nor. Belgrad (Saveza Jevrejskih Opstina Jugoslavije) 1980, S. 151–154, 199, 581; D. Rodogno, Il nuovo ordine, a.a.O., S. 459– 460; vgl. auch S. Sorani, L’assistenza, a.a.O., S. 273–74; Z. Loker, The Testimony of Dr. Edo Neufeld: The Italians and the Jews of Croatia, in: Holocaust and Genocide Studies VII Nr. 1 (Frühjahr 1993), S. 71. Keine Information zu dieser Auslieferung findet sich in: F. Jacomoni Di San Savino, La politica dell’Italia in Albania nelle testimonianze del Luogotenente del Re. Bologna (Cappelli) 1965, insb. S. 170, 288–289, und in dem in Fußn. 268 zitierten Bericht, s. insb. S. 17. 378 Zu den französischen und kroatischen Territorien s. K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. II, S. 268–322; Zuflucht, a.a.O., Bd. II, S. 220–264; D. Carpi, Between Mussolini and Hitler, a.a.O.; Ders., The Rescue of Jews in the Italian Zone of Occupied Croatia, in: Y. Gutman / E. Zuroff (Hrsg.), Rescue Attempts During the Holocaust. Proceedings of the Second Yad Vashem International Historical Conference, April 1974. Jerusalem 1977, S. 465–525; J. Steinberg, Tutto o niente, a.a.O. Zu den griechischen Territorien s. D. Carpi, Nuovi documenti a.a.O., S. 119–200; Ders., (Hrsg.), Italian Diplomatic Documents, a.a.O.; Ministero degli affari esteri, I documenti diplomatici italiani, Serie IX, Bd. IX, a.a.O., S. 575; ebd., Serie IX, vol. X (1990). 7 febbraio–8 settembre 1943, S. 6; R. Hilberg, La distruzione, a.a.O., S. 721–722. Zu allen Territorien s. auch C. R. Browning, The Final Solution and the German Foreign Office. A Study of Referat D III of Abteilung Deutschland 1940–43. New York, London (Holmes and Meier) 1978. Vgl. auch D. Rodogno, Il nuovo ordine, a.a.O., S. 432–84. 379 ASMAE, MAE, Gabinetto 1930–43, Ufficio armistizio-pace, b. 42 (AG Croazia 35), gabinetto del ministero degli Affari esteri, „Appunto per il duce“, 21. August 1942, mit dem handschriftlichen Vermerk Mussolinis „nihil obstat M.“; das Dokument ist reproduziert b. V. Galimi / A. Minerbi / L. Picciotto / M. Sarfatti, Dalle leggi antiebraiche, a.a.O., S. 181; J. Steinberg, Tutto o niente, a.a.O., S. 8; Ministero degli affari esteri, I documenti diplomatici italiani, serie IX , vol. IX, a.a.O., S. 61. Die Frage war Ciano vom Kabinett des Ministeriums mit einem „Vermerk“ vorgelegt worden, datiert vom 18. August 1942, worin auch der Vorschlag enthalten war, die Juden nicht den Deutschen auszuliefern; zu diesem Test wurde (wahrscheinlich auf Hinweis von Ciano) die Anmerkung hinzugefügt: „Vermerk an den Duce [fertigen] ohne Kommentare oder Vorschläge des Außenministeriums“ (ebd.). Zu einigen (ebenfalls indirekten und mitunter zweifelhaften) Hinweisen auf die Absichten Mussolinis im Februar/April 1943 die Juden der besetzten Territorien den Deutschen auszuliefern s. die Berichte des deutschen Botschafters in Rom nach Berlin vom 18. und 20. März 1943 betreffend Frank-
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Viertes Kapitel
einige italienische Verantwortliche in den Streitkräften und in der Diplomatie stellten mit der Begründung, dass Mussolinis „nihil obstat“ keinen Befehl darstelle, diese Überstellung zurück bis nach einer – äußerst langsam vorgenommenen – Zählung der „nationalen Angehörigkeiten“ der fraglichen Juden, während derer ihre Internierung verstärkt wurde; in den folgenden Monaten wurden auch in Frankreich und in Griechenland derartige Zählungen und Internierungen durchgeführt oder vorbereitet. Schließlich gelangte die gesamte Angelegenheit wenige Tage vor dem 25. Juli 1943 zu einem Reifepunkt; der Vorgang spielte sich in Südostfrankreich ab, wohin Mussolini am 19. März 1943 den Polizeiinspektor Guido Lospinoso mit dem Auftrag geschickt hatte, eine Beschleunigung der Zählung und der Internierung der ausländischen Juden zu bewirken380; er wurde zum Chef eines Königlichen Inspektorats der Rassenpolizei ernannt (eine Bezeichnung, welche in keiner anderen Abteilung der italienischen Polizei verwendet wurde). Am 10. Juli berichtete Lospinoso nach Rom, dass die deutsche Polizei von Marseilles um die Überstellung der in den genannten Gebieten vorhandenen deutschen Juden ersucht habe381; am 15. Juli antwortete der Chef der Polizei Chierici: „Bitte dem Ersuchen der deutschen Polizei auf Überstellung der deutschen Juden nachkommen“382; an einem der folgenden zehn Tage teilte, wie ein reich, berichtet b. S. Klarsfeld, Vichy-Auschwitz. Die Zusammenarbeit der Deutschen und Französischen Behörden bei der „Endlösung der Judenfrage“ in Frankreich. Nördlingen (Delphi Politik) 1989, S. 510–512; Der Brief des italienischen Generalbevollmächtigten in Athen vom 30. April 1943 an seinen Referenten beim italienischen Außenministerium, berichtet in: D. Carpi (Hrsg.), Italian Diplomatic Documents, a.a.O., S. 179–181, sowie einen Bericht, verfasst von einem italienischen Oberst auf Grund der Zeugenaussage eines italienischen Generals bezügl. Kroatien, berichtet in: R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 415–16. 380 K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. II, S. 311–312; Zuflucht, a.a.O., Bd. II, S. 255–256; D. Rodogno, Il nuovo ordine, a.a.O., S. 473. 381 ACS, MI, UC, Telegrammi in arrivo, Leiter des in Nizza eingerichteten Königlichen Inspektorats der Rassenpolizei Guido Lospinoso an den Chef der Polizei Renzo Chierici, 10. Juli 1943, wiedergegeben b. M. Sarfatti, Fascist Italy and German Jews in southeastern France in July 1943, in: Journal of Modern Italian Studies III Nr. 3 (Herbst 1998), S. 322–323; Ders., La Shoah, a.a.O., S. 146. Der Inspekteur erläuterte, die Auslieferung sei erbeten worden „in Wechselseitigkeit“ mit der Auslieferung von italienischen Juden, die in dem von den Deutschen besetzten Frankreich wohnten, an die italienischen Behörden. 382 ACS, MI, UC, Telegrammi in partenza, Chef der Polizei Chierici an Lospinoso, 15. Juli 1943, wiedergegeben in: M. Sarfatti, Fascist Italy, a.a.O., S. 323; Ders., La Shoah, a.a.O., S. 146; reproduziert in: Ders., Consegnate gli ebrei, in: L’unità, 27. April 1996. Existenz und Inhalt dieses Telegramms waren nach dem Krieg durch Lospinoso selbst bekannt geworden, jedoch in einen zum Teil falschen und phantasievollen Zusammenhang gestellt; vgl. J. Rochlitz, The Righteous Enemy. Document Collection. Rom 1988, S. 52–53, 59–60 (vom Autor in Fotokopie verbreitet). Einige interessante Berichte Los-
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deutsches Zeugnis belegt, der italienische Inspektor der „verbündeten“ Polizei die Zustimmung zur Überstellung mit und ließ ihr „einige Listen“ von Juden, die sich an der Côte d’Azur aufhielten, zukommen (zweifellos, um anhand dieser Listen die Juden deutscher Staatsangehörigkeit festzustellen)383. Die Anordnung vom 15. Juli 1943 trägt die Unterschrift Chiericis, angesichts ihrer Bedeutung geht sie jedoch zweifellos auf Mussolini zurück. Sie bestärkt die Annahme, dass die Anordnung vom 25. Juli 1943, die Internierten von Ferramonti nach Bozen zu überstellen, ein Vorspiel zu ihrer Auslieferung an die Nazis sein sollte. Die Krise des 25. Juli 1943 hinderte die faschistische Regierung daran, diese beiden Maßnahmen durchzuführen und zur Eröffnung der Internierungs- und Zwangsarbeitslager für die italienischen Juden zu schreiten; damit sind diese Entscheidungen nur ein Teil der Biographie Mussolinis und des faschistischen Regimes, nicht aber auch der Biographie der Opfer.
5. Die Verfolgten Fünf Jahre lang, von 1938 bis 1943, unterlagen die Juden Italiens einer harten, umfassenden und immer intensiver werdenden Verfolgung; während für den Faschismus die endgültige Lösung der „Judenfrage“ in der Entfernung der Juden von der Halbinsel bestand. Wie aber bereits ausgeführt, waren die von den Gemeinden zwischen 1938 und 1941 – größtenteils allerdings zwischen den Sommern der ersten beiden Jahre – registrierten Ausgewanderten etwa 6.000 von 45.000 Registrierten (also etwa 13%) und speziell etwas weniger als 3.000 von 36–37.000 italienischen Juden (also etwa 8%)384. Einer von ihnen hat kurz nach seiner Ausreise die Gründe für seine Entscheidung folgendermaßen zusammengefasst: Ich habe zum wiederholten Male denen, die mich zur Rede stellten, gesagt, dass ich nicht imstande gewesen sei, die Erniedrigungen, die Verletzungen der Würde, die dauernde Kränkung, welche die gesetzlichen Vorschriften meinen Kindern zufügten, zu ertragen […]. Nicht zu reden von den Schwierigkeiten, für die erwachsenen Kinder und für meinen Schwiegersohn Arbeit zu finden. Ich sah voraus, dass pinosos über seine Mission in Frankreich werden erwähnt in: K. Voigt, Il rifugio a.a.O., Bd. II, passim; Zuflucht, a.a.O., Bd. II, passim. 383 Mitteilung des Befehlshabers der deutschen Polizei von Marseilles Mühler an seine vorgesetzte Dienststelle in Paris, 19. und 28. August 1943, wiedergegeben b. S. Klarsfeld, Vichy-Auschwitz, a.a.O., S. 554; vgl. auch M. Sarfatti, Fascist Italy, a.a.O., S. 325–327. 384 S.o. S. 188.
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Viertes Kapitel diese Lage sich wenigstens einige Jahre lang hinziehen würde, und es schien mir keinem Zweifel zu unterliegen, dass es auf jedem Fall noch Erschwerungen geben werde385.
Ein anderer teilte seinen Eltern im September 1938 aus dem Gefängnis mit: Bislang habe ich nur Nachrichten über die Vertreibung der ausländischen Juden und vom Ausschluss aus den Schulen. Diese an und für sich schwerwiegenden Vorschriften berühren Euch direkt nicht; doch macht Euch keine Illusionen darüber, dass auch Ihr an die Reihe kommen werdet, bereitet Euch geistig auf die Möglichkeit vor, dass es nötig werden könnte, sein Bündel zu schnüren386.
Doch abgesehen davon, dass ein derartiger Schritt hohe Kosten verursachte387, von familiären Bindungen und von weiteren Faktoren, war die große Mehrheit der italienischen Juden gar nicht in der Lage, Italien für immer zu verlassen, und auch nicht, den Gedanken zu akzeptieren, dass die Regierung – welches auch ihre Ideologie sein mochte – wünschen könnte, sie aus ihrem Land zu vertreiben. Primo Levi, der auch darauf hinweist, dass es den Opfern nicht gelang, „die Zukunft vorherzusehen“, weil „beunruhigende Folgerungen ein schweres Leben haben“, hat das Denken, dass sich der Entscheidung zur Auswanderung in den Weg stellte, folgendermaßen beschrieben: Dieses Dorf, diese Stadt, diese Region oder diese Nation ist mein; hier bin ich geboren, hier ruhen meine Vorfahren. Ich spreche ihre Sprache, ich habe ihre Sitten und ihre Kultur erworben; zu dieser Kultur habe ich vielleicht selbst beigetragen. Ich habe ihre Steuern gezahlt, ich habe ihre Gesetze beachtet. Ich habe seine Schlachten mitgekämpft, ohne danach zu fragen, ob sie gerecht oder ungerecht seien; ich habe mein Leben für seine Grenzen riskiert, einige meiner Freunde oder Angehörigen liegen auf den Soldatenfriedhöfen, ich selbst habe mich, in Befolgung der gängigen Rhetorik, bereit erklärt, fürs Vaterland zu sterben. Ich will und
385 E. Levi, Memorie, a.a.O., S. 103. Zur Auswanderung von Jugendlichen s. einige zeitgenössische Zeugnisse b. E. Bittanti-Battisti, Israel-Antisrael, a.a.O., passim. Es bleibt festzuhalten, dass auch die Auswanderung von erwachsenen Fachkräften auf Schwierigkeiten stieß: als er einer ausländischen Tochtergesellschaft einen Namensvorschlag vorlegte, wies der Geschäftsführer der italienischen Muttergesellschaft auch auf die rassische Klassifizierung hin, „damit Sie entscheiden können, ob dies nicht eine Unzuträglichkeit darstellt“; S. Gerbi, Raffaele, a.a.O., S. 84. 386 V. Foa, Lettere della giovinezza, a.a.O., S. 476 (5. September 1938). Zwei Tage danach schrieb Emilio Sereni an seinen Bruder Enzo: „Ich glaube, dass auch Du Papa und Mama, Lea und Alberto raten solltest, sich so schnell wie möglich davon zu machen. Die Lage in Italien wird unmöglich werden: und dann der Krieg. Sie mögen sich sogleich entscheiden, denn schon sehr bald wird es zu spät sein“; Emilio Sereni / Enzo Sereni, Lettere, a.a.O., S. 157. 387 Beim argentinischen Konsulat „die Räder schmieren“ entsprach drei Jahreseinkommen eines Angestellten; Anmerkung von M. Pavia in: E. M. Smolensky / V. Vigevani Jarach, Tante voci, a.a.O., S. 385.
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kann es nicht verlassen: wenn ich sterbe, sterbe ich „im Vaterland“, dies wird mei388 ne Art sein, „fürs Vaterland“ zu sterben .
Anders lagen natürlich die Dinge bei jenen, die sich in das damalige Palästina aufmachten; für sie bildete die umfassende Vorbereitung der faschistischen Verfolgung und ihre gesetzliche Umsetzung häufig einen weiteren Anstoß zur zionistischen Entscheidung oder doch einen Beschleunigungsfaktor für die alijah (den Aufbruch) nach Eretz Israel (ins Land Israel)389. Von 1938 bis 1941 (zum größten Teil aber im ersten und auch noch im zweiten dieser Jahre) traten weitere Tausende von Personen (zwischen 4.528 und 5.429) förmlich aus den Gemeinden aus390. Für die Juden mit faschistischer und nationalistischer Gesinnung wurde diese Entscheidung vor allem von dem Wunsch bestimmt, sich von einer Gruppe abzusetzen, die als Feind des Faschismus, Mussolinis und Italiens bezeichnet wurde; mancher von diesen belehrte sich jedoch mit der Zeit eines Besseren, wie beispielsweise Ettore Ovazza – der später Opfer eines Massakers wurde –, der, nachdem er im Dezember 1938 aus der Gemeinde von Turin ausgetreten war, zehn Monate später um Wiederaufnahme „wegen seiner Verbundenheit mit der Religion Israels“ bat391. Für andere Mitglieder war der Austritt aus den Gemeinden, der häufig, wie auch in einem Teil der zuvor genannten Fälle, mit der Taufe ein-
388 P. Levi, I sommersi e i salvati. Turin (Einaudi) 1986, S. 133–134. Zum illusorischen Vertrauen, das in den ersten Jahren von vielen dieser Verfolgten genährt wurde, s. A. Mortara, In attesa di miracoli. Gli ebrei in Italia dal 1938 al 1940, in: RMI LIV Nr. 1–2 (Januar–August 1988), S. 37–47. Zu den Hunderten von Briefen des Protestes, des Ausdrucks der Würde oder (häufiger) der Bitte um Erleichterungen und Ausnahmen, die von Verfolgten an Mussolini gesandt wurden, s. I. Nidam Orvieto, Lettere a Mussolini: gli ebrei italiani e le leggi antiebraiche, in: RMI LXIX Nr. 1 (Januar–April 2003), S. 320–346. Zu zwei Fällen von nach 1938 aus Arbeitsgründen ausgewanderten und dann auf die Halbinsel zurückgekehrten italienischen Juden s. N. Ginzburg, Lessico famigliare. Turin (Einaudi) 1963, S. 146, 162; R. Levi Montalcini, Elogio dell’imperfezione. Mailand (Garzanti) 1987, S. 89–90. 389 A. Marzano, Una terra, a.a.O., S. 92–102. 390 Vgl. jeweils F. Del Regno, Gli ebrei a Roma, a.a.O., S. 62–65; D. Lattes, Coloro che son partiti, in: RMI XXVI Nr. 8–9 (August–September 1960), S. 347–348. Der erste Wert bezieht sich auf den formellen (manchmal zurückdatierten) Zeitpunkt der Austritte, der zweite auf den formellen (manchmal vordatierten) Zeitpunkt, in dem sie offiziell den Gemeinden mitgeteilt wurden. Zu den vorhergehenden Jahren s.o. Kap. II, S. 35– 37. 391 Zum Austritt s. AUCEI, Fondo UCII, Attività 1933–47, b. 11D, fasc. „1938–39“, sfasc. „Federico Jarach“, Kopie des Protokolls der Versammlung des Rates der israelitischen Gemeinde von Turin vom 21. Dezember 1938; zum Wiedereintritt s. ACDEC, Fondo Ettore Ovazza, b. 1, fasc. 5, Durchschlag des Briefes Ettore Ovazzas an den Vorsitzenden der israelitischen Gemeinde von Turin, 9. Oktober 1939.
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Viertes Kapitel
herging392, eine Ausdrucksform für einen Prozess tatsächlicher Entfernung von jüdischer Religion und Identität. Es gab ferner Austritte, die allein durch die schwere Belastung durch die Verfolgungssituation, und in einigen Fällen auch dadurch bedingt waren, dass das Kind einer gemischten Ehe nicht mehr zu den Verfolgten gehörte, wenn es nachweisen konnte, vor dem Oktober 1938 getauft worden war zu sein, oder dadurch, dass eine Taufe die Möglichkeit eröffnete, in eine katholische Schule eingeschrieben zu werden oder mit geringerer Schwierigkeit das Einreisevisum in einige Länder Lateinamerikas zu erlangen393. Es kam auch vor, dass ein jüdisches Paar sich entschloss, seine 1939 geborene Tochter taufen zu lassen394 (aber auch, dass ein gemischtes Paar – mit nichtjüdischer Mutter – beschloss, das rituelle jüdische Bad für die im Jahre 1941 geborene Tochter durchzuführen395). Die Verfolgungsgesetzgebung führte noch zu weiteren zahlenmäßigen Verringerungen der jüdischen Gemeinden. Es gab eine eindeutige Geburtenvermeidung; nach den Schätzungen von Sergio Della Pergola ging die durchschnittliche Zahl der jährlichen jüdischen Geburten, die von 1921 bis 1938 594 betrug, 1939/40 auf 425 und 1941 bis 1945 auf 224 züruck396; was zwei besondere Fälle angeht, kann erwähnt werden, dass von den 432 Personen, die im November 1943 in Ferrara, und von den 354, die im April 1944 in Mantua als „jüdischer Rasse“ registriert waren, diejenigen, die in den fünf Jahren nach dem März 1939 geboren waren (d.h. Ergebnis einer Zeugung nach Juni 1938 waren), drei bzw. elf waren, diejenigen aber, die im Fünfjahreszeitraum April 1934 bis März 1939 geboren waren, zwanzig bzw. sechzehn, die in den fünf Jahren von April 1929 bis März 1934 Geborenen siebzehn bzw. zwanzig ausmachten397. 392 Zur Haltung der katholischen Kirche gegenüber dem Anstieg der Konversionen vgl. G. Miccoli, Santa Sede e Chiesa, a.a.O., S. 228–231. Zu den Taufen in einer Stadt im Jahre 1938/39 s. E. Ginzburg Migliorino, L’applicazione, a.a.O., S. 106–112. 393 Zur hohen Zahl der Taufen von Kindern und Jugendlichen in einer Stadt s. ebd., S. 107. Zusammenfassung der Bedingungen für die Einreise nach Lateinamerika b. H. A. Strauss, Jewish Emigration, a.a.O., S. 363–382; vgl. auch K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. I, S. 404–405; Zuflucht, a.a.O., Bd. I, S. 375–376. 394 D. Levi, Vuole sapere il nome vero o il nome falso? Padua (Il lichene) 1995, S. 96, 122. 395 C. Forti, Il caso Pardo Roques, a.a.O., S. 246. 396 S. Della Pergola, Precursori, a.a.O., S. 76; vgl. auch o. Kap. II, S. 34–35. Im Fünfjahreszeitraum 1939–43 sank die Gesamtzahl der Geburten auf der Halbinsel um drei Prozent gegenüber den vorhergehenden fünf Jahren; vgl. Istat, Istituto Centrale di Statistica, Sommario di statistiche storiche 1926–1985. Tivoli 1986, S. 36. 397 AdS Ferrara, Prefettura, cat. 30, b. 4, fasc. „Ebrei residenti in provincia di Ferrara. Discriminazione“. Maschinenschrift mit der Überschrift: „Elenco degli ebrei integrali compresi i discriminati (Verzeichnis der Volljuden einschließlich der Diskriminierten)“
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Im Übrigen hatte die Rassengesetzgebung ausdrücklich die Schließung von „rassisch“ gemischten Ehen verboten (dies waren sowohl fast alle „religiös“ gemischten Ehen – 202 jährlich im den Jahren 1935 bis 1937 – als auch die „religiös“ homogenen, weil im Anschluss an eine Konversion geschlossenen Ehen) und hatte fast zur Halbierung der „religiös“ homogenen Ehen zwischen zwei Juden (1935 bis 1937 199 jährlich, 1939 156, 1940 116) geführt398. Schließlich beschloss ein kleiner Teil der Verfolgten, die Unerträglichkeit der Verfolgung dadurch zu beenden, dass sie das Leben selbst aufgaben. Die Fälle der Selbstmorde, die ich für den Zeitraum der Verfolgung der Rechte (d.h. von Ende 1938 bis Juli 1943) ermittelt habe, betragen mehr als dreißig, fast alles Männer, davon mehr als die Hälfte bis Juni 1939399. Die wirkliche Gesamtzahl mit Daten nach dem Stand vom 14. November 1943 und Datumsstempel vom 26. November 1943; AdS Mantova, Prefettura, Gabinetto, b. 15, fasc. „Razza ebraica“, sfasc. „Elenco generale degli ebrei“, rubrica „A“: Verzeichnis der reinen und halbblütigen, als „jüdischer Rasse“ klassifizierten Juden, verfasst im Juli 1942 mit Angaben nach dem Stand vom 19. April 1944 (eigene Berechnungen). 398 Istituto Centrale di Statistica del Regno d’Italia, Annuario statistico italiano 1937 a.a.O., S. 20; Dass., Annuario statistico italiano 1938, a.a.O., S. 30; Dass., Annuario statistico italiano 1939. Rom 1939, S. 33; sowie – nur für die „rassisch“ homogenen Ehen – Dass., Annuario statistico italiano 1941. Rom 1941, S. 33; Dass., Annuario statistico italiano 1942. Rom 1942, S. 33. 1938 hatte es 369 Mischehen (offenkundig hatten viele ihre Entscheidungen beschleunigt) und 223 Ehen zwischen zwei Juden gegeben; Dass., Annuario statistico italiano 1940. Rom 1940, S. 3 (vgl. auch o. Kap. II, S. 34–36). 399 F. Levi, L’identità imposta. Un padre ebreo di fronte alle leggi „razziali“ di Mussolini. Turin (Zamorani) 1996, S. 143 und passim (zu zwei Fällen); E. Milano, Angelo Fortunato Formiggini. Rimini (Luise) 1987; A. Piromalli, Guido Da Verona. Neapel (Guida) 1975, S. 180 (vgl. auch G. Fabre, L’elenco, a.a.O., S. 229); A. Zambonelli, Ebrei reggiani tra leggi razziali e Shoah. 1938–1945, in: Ricerche storiche XXXV Nr. 91–2 (Dezember 2001), S. 37–41; G. P. Marchi, La scala. Un fatto di cronaca veronese del 1939. Verona 1989. Zum selben Fall: C. Polacco, Mi par di udire ancora.... Venedig (Helvetia) 1987, S. 146–147; R. Segre (Hrsg.), Gli ebrei, a.a.O., S. 221, Fußn. 25; J. F. Coverdale, I fascisti, a.a.O., S. 308, 393 (auch R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 336– 337); P. Calamandrei, Diario, a.a.O., Bd. I, S. 302–3; G. L. Luzzatto, Scritti politici. Ebraismo a.a.O., S. 94–95 (zu drei Fällen); K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. I, S. 372– 373; Zuflucht, a.a.O., Bd. I, S. 347–348 (zu drei Fällen); ebd., Bd. II, S. 17, 163–164, S. 27, 139 (zu zwei Fällen; zum ersten von ihnen s. auch: Interview mit Leo Valiani, in: Pensare Auschwitz. Con un’intervista a Leo Valiani. Mailand (Edizioni Thalassa De Paz, Luca Gentili, Tranchida Inchiostro) 1995, S. 314); E. Momigliano, Storia, a.a.O., S. 90 [zum Selbstmord eines hohen Offiziers, der vielleicht mit denen zusammenfällt, die in G. Formiggini, Stella d’Italia Stella di David. Gli ebrei dal Risorgimento alla Resistenza. Mailand (Mursia) 1970, S. 59, und E. Bittanti-Battisti, Israel-Antisrael, a.a.O., S. 72–73 erwähnt sind, über die aber keine Sicherheit besteht]; M. Finzi, Cronache della speranza. Bologna (Nuova Alfa editoriale) 1987, S. 33; L. Morpurgo, Caccia all’uomo!, a.a.O., S. 15; F. Della Seta, L’incendio del Tevere. Trapani (Celebes) 1969, S. 16 [jetzt Udine (Il portico) 1996]; zum selben Fall: M. Tagliacozzo, Metà della vita.
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für jenen Fünfjahreszeitraum war gewiss größer und entsprach vielleicht etwa einem Promille der 51.000 Verfolgten. Infolge dieser Rückgänge verminderte sich die Zahl der Mitglieder der jüdischen Gemeinden von ca. 45.000 im Januar 1938 auf wenig mehr als 35.000 im Januar 1940 und auf weniger als 33.000 im Januar 1943 Tab. 1, S. 347)400. Selbst wenn man berücksichtigt, dass ein Teil der Ausgeschiedenen weiterhin als „jüdischer Rasse“ klassifiziert wurde (zur Gesamtzahl der der Verfolgung ausgesetzten Personen vgl. Tab. 6), ist doch offensichtlich, dass der Faschismus bei der Verfolgung des gesetzten Zieles vorangekommen war. Auch unter diesem Aspekt kann daher das faschistische Vorgehen gegen die Juden als ein totalitäres bezeichnet werden. Am 21. März 1938, also noch bevor die Verfolgung konkrete Formen und Öffentlichkeit erlangt hatte, hatte die Union der italienischen israelitischen Gemeinden ihren satzungsmäßigen Fünfjahres-Kongress abgehalten. Er dauerte nur zweieinhalb Stunden reiner Zeit und hatte im Grunde den einzigen Zweck, die Vereinbarung über eine einheitliche Leitung, die zwischen der scheidenden Führungsgruppe und dem Komitee der Italiener jüdischer Religion geschlossen worden war, zu bestätigen: Sowohl die Ernennung des neuen Rates als auch die Bestätigung Federico Jarachs als Präsident erfolgten per Ricordi della campagna razziale 1938–1944. Mailand (Baldini & Castoldi) 1998, S. 75; F. Marcella, Avrei capovolto le montagne. Giorgina Levi in Bolivia, 1939–1946. Florenz (Giunti) 1990, S. 21–22; B. Di Porto, Gli ebrei a Pisa dal Risorgimento al Fascismo tra identità e integrazione, in: M. Luzzati (Hrsg.), Gli ebrei di Pisa, a.a.O., S. 338; S. Lombroso, Si può stampare. Pagine vissute 1938–1945. Rom (Dalmatia) 1945, S. 55–58, 63–64 (zu zwei Fällen, auf die vielleicht bereits von anderen Autoren hingewiesen worden ist); A. Labanca, Vite spezzate. La lunga durata della mentalità antisemita e l’internamento in tempo di guerra, in: L. Guastaferri (Hrsg.), Le leggi razziali del 1938 e i campi di concentramento nel Molise. Campobasso (IRRE Molise) 2004, S. 68– 69 [auch: M. Colabella, I campi di concentramento nel Molise 1940–1943, in: L. Guastaferri (Hrsg.), Le leggi, a.a.O., S. 122–124]. ACDEC, AG, cat. 5HB, fasc. „Walter Windspach“. Maschinenschrift Dess.: Per la storia delle persecuzioni ebraiche in Italia dal 1938 al 1945, S. 2–3; ebd., fasc. „Giorgio Maylander“; P. Veziano, Ombre, a.a.O., S. 164–167 (fünf Fälle, von denen einer bereits erwähnt wurde). Außerhalb der italienischen Halbinsel ereigneten sich: die Suizide einiger ausländischer Juden im Jahre 1942 in den von Italien besetzten jugoslawischen Zonen (K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. II, S. 284; Zuflucht, a.a.O., Bd. II, S. 233); der Suizid eines Juden aus Rhodos im Jahre 1939 auf dieser Insel (H. M. Franco, Les martyrs juifs, a.a.O., S. 66–67); der Suizid eines italienischen Juden im Jahre 1940 in London (Zeugnis im Besitz des Verf.) und zweier italienischer Juden 1940 in Lugano und 1942 in Buenos Aires (ACDEC, AG, nuove accessioni). 400 Zu weiteren Erörterungen der demographischen Folgen der Verfolgung s. S. Della Pergola, Appunti sulla demografia della persecuzione antiebraica in Italia, in: RMI XLVII Nr. 1–3 (Januar–Juni 1981), S. 129–132; Ders., Precursori, a.a.O., S. 65–67.
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Akklamation und ohne Debatte, während das Komitee beschloss, sich aufzulösen. In seiner kurzen Stellungnahme, welche am Ende des Kongresses abgegeben wurde, erklärte Jarach, seine Absicht sei es, die Tätigkeit der Union und aller anderen jüdischen Formationen innerhalb der gesetzlich gezogenen Grenzen fortzusetzen, und dass, „was den Zionismus betrifft, [die Union] die Anweisungen der faschistischen Regierung befolgen“ würde401. Diese Erklärung bildete offensichtlich den Kompromiss, der zwischen den beiden Gruppierungen erzielt worden war, doch war sie (wie übrigens auch jegliche weitere Erklärung) gänzlich unfähig, den einmal in Gang gesetzten Verfolgungsmechanismus aufzuhalten. Dieser erwies sich hingegen einschneidend für das institutionelle jüdische Leben: Im Herbst 1938 legten verschiedene Ratsmitglieder der Gemeinden und der Union, fast alle radikale Vertreter des ehemaligen Komitees, ihre besonderen Ämter oder sogar ihr Mandat als Ratsmitglied nieder. Unter ihnen waren vier Ratsmitglieder der Union (darunter Max Ravà, Mitglied der neuen Führung, und Giacomo Russi, der später während der Deportation umkam) sowie Piero Chimichi, Ratsmitglied der Gemeinde von Florenz, ebenfalls während der Deportation umgekommen), der am 15. November 1938 so weit ging, zusammen mit vier weiteren florentinischen faschistischen Juden (darunter Umberto Angelo Volterra, später in der Deportation umgekommen) einen squadristischen Überfall auf die Druckerei des Wochenblattes Israel zu unternehmen, um seine „Empfindungen echten und wahren Italienertums, die mit jeder Form von jüdischer rassischer Solidarität unvereinbar ist“, zum Ausdruck zu bringen402. Unterdessen hatte, wahrscheinlich ebenfalls wegen der Verschärfung der Verfolgung, auch La nostra bandiera ihr Erscheinen eingestellt. Die letzte veröffentlichte Ausgabe datierte vom 16. April und enthielt Hinweise bis zum 29. Mai; die weiteren 401 Zur Vereinbarung zwischen den beiden Gruppierungen s. inzwischen AUCEI, Fondo UCII, Attività 1933–47, bb. 11 D und 12, verschiedene Hefte. Zum Kongress s. AUCEI, Fondo UCII, Protokollbuch des Rates, Nr. 3, S. 155–165, Protokoll des II. Kongresses; G. S., Il secondo Congresso dell’Unione delle Comunità, in: La nostra bandiera V Nr. 6 (31. März 1938); G. S., Il II Congresso delle Comunità Israelitiche Italiane, in: La comunità israelitica VI Nr. 1 (April 1938), S. 9–12 (die beiden Artikel unterscheiden sich geringfügig); Il II Congresso delle Comunità Israelitiche Italiane, in: Israel XXIII, Nr. 24 (24. März 1938); Notiziario per le comunità israelitiche del Regno, di Rodi e dell’Africa Italiana Nr. 8 ([April] 1938), S. 2–4. Die Bestätigung von Jarach und die Ernennung von Aldo Ascoli zum Vizepräsidenten wurden vom Rat in der Sitzung vom 22. März beschlossen; ebd., S. 5. 402 M. Sarfatti, L’antisemitismo fascista, a.a.O., S. 188–189, 204 und 186–87 Fußn. 15 (das Zitat entstammt einem Bericht des Präfekten von Florenz, der die Erklärungen der Squadristen wiedergibt).
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Hefte, die von einigen Bandieristen für Juli und August angekündigt worden waren, sind niemals erschienen403. Nun sah sich die Union in die Enge getrieben zwischen dem Bewusstsein der Bedeutung des sich vollziehenden Umschwungs und der Unmöglichkeit, diesen offen zu kritisieren (noch hätte sie nach Art einer politischen Bewegung „in den Untergrund gehen“ können). Als beispielsweise der Große Faschistische Rat die Erklärung über die Rasse beschloss, verlangte sie im Wesentlichen nur, dass „allen Jugendlichen, die im Klima Mussolinis geboren und herangewachsen sind, der äußerste Schmerz erspart bleiben möge, nicht ihren Arm anbieten und das Leben für das Vaterland einsetzen zu können“404. Anfang 1939 ersetzte die Union die ausgeschiedenen Räte durch Personen, die im Hinblick auf ihr Judentum besonders ausgewiesen waren; doch eine neue Krise machte deutlich, dass die neue Politik der Regierung nicht nur Auswirkungen auf das innere Gleichgewicht, sondern auch auf das Verhältnis zur Regierung gezeitigt hatte. Infolge der Ausweitung der Verfolgung in Europa und in Italien hatte das „Komitee zur Unterstützung der aus Deutschland geflüchteten Juden“ (das in Mailand tätig war und seit September 1936 unter dem Vorsitz von Federico Jarach und der Leitung von Renzo Luisada stand) seinen Aktionsradius erweitert, wofür es zunächst nach der deutschen Besetzung Österreichs die Bezeichnung „Komitee zur Unterstützung der jüdischen Flüchtlinge“ und dann am 20. November 1938 diejenige als „Komitee zur Unterstützung der Juden in Italien“ (Comasebit) annahm405. Es war auch weiterhin für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Juden auf der Halbinsel tätig und arbeitete sogar an der Schaffung von jüdischen Fluchtwegen aus Mitteleuropa nach Italien und von dort nach Frankreich mit (Es ist vermutet 403 L. Ventura, Ebrei, a.a.O., S. 130–131. 404 AUCEI, Fondo UCII, Libro verbali consiglio [Protokollbuch Rat], S. 189–190, Sitzung vom 12. Oktober 1938. Im Zeitpunkt des Eintritts Italiens in den Krieg stellten viele Juden einen Antrag auf Einberufung; die Gemeinde von Ferrara verbreitete am 11. Juni 1940 das folgende Rundschreiben (das sie auch dem Präfekten übersandte): „In dieser feierlichen Stunde für die Größe Italiens ist der Rat der Israelitischen Gemeinde gewiss, dass die Glaubensbrüder von Ferrara auch in diesem Augenblick, so wie es stets getan haben, ihre Pflicht als Italiener mit Bereitschaft, Disziplin und Selbstlosigkeit erfüllen werden. Die Juden von Ferrara werden in den aktuellen Ereignissen jenen Patriotismus bewähren, der Tradition der italienischen jüdischen Familien ist“; AdS Ferrara, Prefettura, cat. 30, b. 3, fasc. „Ebrei di Ferrara. Domande di arruolamento volontario“. 405 K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. I, S. 377; Zuflucht, a.a.O., Bd. I, S. 350–351. Zur Geschichte der jüdischen Unterstützungskomitees in den Jahren 1938–43 s. ebd., S. 375– 398, S. 349–369, Bd. II, S. 335–353, S. 275–288; Ders., Israel Kalk, a.a.O., S. 201– 250; M. Leone, Le organizzazioni, a.a.O. Vgl. auch S. Sorani, L’assistenza, a.a.O.
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worden, dass von 1938 bis 1940 auf dem Seewege 2.000 und über Land 1.500 Flüchtlinge illegal aus Italien nach Frankreich eingereist sind)406. Dies stand in offenem Widerspruch zu den Zielen der Regierung, so dass Ende 1939 die Demorazza bei Mussolini die Auflösung der Organisation erreichte – eine Entscheidung, die am 29. August 1939 vom Präfekten von Mailand amtlich vollzogen wurde407. Zwei Tage später trat Jarach als Präsident der Union (nicht aber als Ratsmitglied) zurück. Wahrscheinlich fasste er die Entscheidung der Regierung als Akt des persönlichen Misstrauens seitens des Regimes auf (dessen Anhänger er ja war) und hielt es für ratsam, dass die Juden der Halbinsel nicht von einer Person repräsentiert wurden, die bereits die Missbilligung der Regierung erfahren hatte; daneben aber bildete sein Rücktritt aber auch eine Art von Kenntnisnahme der Tatsache, dass die Regierung der Union eine Rolle als Zuschauerin der Verfolgung und nicht als deren Kritikerin (oder, schlimmer noch, als deren Saboteurin) zugedacht hatte. Wenige Wochen später, am 9. Oktober, übertrug die Union Lelio Vittorio Valobra, einem Mitglied der Führung, die Aufgabe, die Unterstützungstätigkeit neu zu organisieren, indem ein entsprechendes Ressort eingerichtet wurde, dem die Aufgabe zufiel, „mit allen Mitteln die Auswanderung aus Italien der ausländischen Juden, die sich noch im Königreich aufhalten, zu erleichtern“, und infolge dessen, „diesen alle Unterstützung während der Zeit, in der sie, in Erwartung der Auswanderung, noch zum Verbleiben in Italien gezwungen sind, zu gewähren“; das Ministerium des Innern akzeptierte diese Aufgabenstellung408. Am 1. Dezember nahm die neue Delegation zur Unterstützung der Emigranten (Delasem) der Union der italienischen israelitischen Gemeinden offiziell ihre Tätigkeit unter der Leitung von Valobra als „Delegiertem“ und Enrico Luzzatto als Sekretär mit Sitz in Genua und Repräsentanten bei allen jüdischen Gemeinden auf. (Im Januar kam es zu einem Arbeitsabkommen mit dem immer noch aktiven Italienischen Komitee zur Unterstützung der jüdischen Auswanderer in Triest, das eine teilweise Selbständigkeit beibehielt)409. 406 P. Veziano, Ombre, a.a.O., S. 111, 157, 222. 407 Vgl. K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. I, S. 323–325, 379–382; Zuflucht, a.a.O., Bd. I, S. 304–305. 408 Vgl. ebd., S. 386–388, S. 359–361. Die beiden Programmpunkte sind hier zitiert nach dem Rundschreiben Comunicazioni n. 1, das Ende 1939 von der Delasem an die Vorsitzenden und Hauptrabbiner der Gemeinden verschickt wurde; ACDEC, AG, cat. 8A1, fasc. „Delasem“. 409 Vgl. K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. I, S. 388–393; Zuflucht, a.a.O., Bd. I, S. 361–365. Zur Delasem s. auch ebd., Bd. II, S. 335–351, S. 274–288; Ders., La ricostruzione virtuale dell’archivio della Delasem, in: RMI Bd. LXIX Nr. 2 (Mai–August 2003),
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Währenddessen schritt der Rat der Union zu einer Änderung der Ämter in ihrem Inneren, indem am 13. November die Vizepräsidentschaft auf Valobra und die Präsidentschaft auf Dante Almansi übertragen wurde – einen Präfekten, der auch stellvertretender Chef der Polizei gewesen war, und der die neue Aufgabe mit Hingabe und ohne die Verteidigung der eigenen Würde und derjenigen der anderen Verfolgten aus dem Auge zu verlieren, versah410. Im Allgemeinen waren die Leiter der Gemeinden in der Lage – wenn sie wollten und konnten411 – sich für diese Verteidigung stärker zu exponieren. Einer von ihnen, der Vorsitzende der Gemeinde von Venedig Giuseppe Jona (der am 17. September 1943 Selbstmord beging), wandte sich am 18. Oktober 1941 folgendermaßen an den Leiter der lokalen Tageszeitung: Ich bin nicht so naiv, Sie um Widerruf oder Berichtigung zu ersuchen. Ich wende mich an Sie, um Sie um etwas viel Einfacheres zu ersuchen. Ich ersuche Sie, in Zukunft größere Mäßigung in Ihrer Verfolgungskampagne einzuhalten. Sie wissen recht gut, dass wir eine Zielscheibe ohne Verteidigungsmöglichkeit sind. Wir können nicht gewaltsam reagieren, weil dies bedeuten würde, ein Massaker hervorzurufen. Wir können nicht auf legalem Wege reagieren, weil wir damit nicht erhört würden. Daher kann man täglich, der Straflosigkeit sicher, mit schrecklichen Beleidigungen auf uns einstechen. Doch wende ich mich nicht an Sie, um Sie um Großzügigkeit oder Gerechtigkeit anzurufen. Ich wiederhole, ich bitte nur um eines: Sie sollten in Zukunft aus Achtung vor sich selbst größere 412 Mäßigung beachten . S. 395–413; S. Antonini, L’ultima diaspora. Soccorso ebraico durante la seconda guerra mondiale. Genua (De Ferrari) 2005, S. 40–93. Zu einer kleineren, in Mailand von dem lettischen Juden Israel Kalk gegründeten Organisation s. K. Voigt, Israel Kalk e i figli dei profughi ebrei in Italia, in: Storia in Lombardia IX Nr. 2 (1990), S. 201–250; L. Realini, La Mensa dei bambini a Milano 1939–1943, in: Italia contemporanea Nr. 232 (September 2003), S. 365–400. 410 Zur Person von Dante Almansi und zu seiner Ernennung s. R. Cantoni, Dante Almansi, a.a.O.; s. auch o. Kap. I Fußn. 69; zur Tätigkeit der Union unter seinem Vorsitz s. zumindest D. Almansi, Attività svolta dal Consiglio della Unione delle Comunità Israelitiche Italiane dal 13 novembre 1939 al 17 novembre 1944, in: RMI XLIII Nr. 10 (Oktober 1977), S. 507–524. Es fehlt noch eine genaue Rekonstruktion der Verwirrung und deren Überwindung in der Union 1938/39. Einige Hinweise b. R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 331–332, 422–427; seine Bemerkung, dass damals die Leitung der Union „die Regierung nicht mit ihrer Verantwortung“ habe konfrontieren wollen oder können (S. 425), erscheint jedoch unrealistisch; die Ernennung von Almansi scheint allerdings auch nicht die Merkmale eines „Staatsstreichs“ innerhalb der Union gehabt zu haben (S. 426). 411 Zu erwähnen ist, dass besonders in den ersten Monaten einige Gemeinden, die sich in Schwierigkeiten befanden, von „arischen“ Kommissaren geführt wurden, welche vom Staat ernannt worden waren – ein Umstand, der die offiziellen Beziehungen zwischen der Union und den Gemeinden selbst noch weiter erschwerte. 412 G. Jona, Relazione alla Giunta della Comunità israelitica di Venezia, 23 ottobre 1941, in: R. Segre (Hrsg.), Gli ebrei, a.a.O., S. 95.
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Was sie selbst anging, so konnten die einzelnen Juden sich grundsätzlich derartige ausdrückliche Manifestationen von Würde nicht erlauben; sie wurden aufmerksam überwacht, und sie wurden beispielsweise verhaftet, weil sie im Besitz von „Manuskripten mit Propaganda gegen die Rassenpolitik der Regierung“ angetroffen wurden413. Es lässt sich nicht feststellen, ob die Worte „einstechen“ und „Massaker“, welche Jona benutzte, nur die verbalen und materiellen antijüdischen Gewalttaten im Auge hatten, die in jenen Wochen in Italien geschahen, oder auch jene Exzesse, die bereits während des Vorrückens der Deutschen in Osteuropa stattfanden. Wir wissen aber, dass am Ende des Jahres 1942 die Kenntnis von der organisierten Vernichtung die ausländischen Juden von Ferramonti erreicht hatte: Almost everybody among them [the foreign Jews prisoners in Italy] has near relatives who had been deported to Poland some months ago and they know that there is no hope to see them any more because there is no way back from that Hell of Despair. […] There is reasonable doubt whether the miserable Jews will be able to survive the process of systematical physical annihilation. In a short time there will remain only the tombs of Jewish European population414.
Und im darauf folgenden März war eine italienische Jüdin, die mit der Tätigkeit der Delasem befasst war, sich darüber klar, dass „eine wissenschaftlich organisierte Vernichtung der polnischen Juden“ im Gange war415. Um die Zeiten und den Umfang der Verbreitung dieser Kenntnisse zu ermessen, genügt es im Übrigen, den folgenden Abschnitt aus einem Bericht zu be413 Vgl. E. Profico, L’Abruzzo di fronte alle leggi razziali (1938–1945). Diplomarbeit an der Universität Teramo, ak. Jahr 1996–97, S. 124 (der Vorgang ereignete sich in Pescara am 23. August 1939). 414 „Fast alle unter ihnen [die in Italien gefangenen ausländischen Juden] haben enge Verwandte, die vor einigen Monaten nach Polen deportiert worden sind; sie wissen, dass es keinerlei Hoffnung gibt, sie wiederzusehen, weil es aus der Hölle der Verzweiflung keine Rückkehr gibt. […] Es gibt begründete Zweifel, dass die unglücklichen Juden den Prozess der systematischen Vernichtung überleben können. Binnen kurzem werden von den europäischen Juden nur die Gräber übrig bleiben“. Roosevelt Library, Hyde Park (N.Y.), War Refugee Board Records, box 14, fasc. „Italy I“, sfasc. 1, „Memorandum about emigration of alien Jews from Italy“, gerichtet von einer Gruppe von in Ferramonti Internierten an den Präsidenten und einen Minister der USA, datiert „Christmas 1942“; auch, mit dem Datum „january 1943“, in: ACDEC, Fondo Israel Kalk, b. VII/2/13; bereits angezeigt b. K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. II, S. 391; Zuflucht, a.a.O., Bd. II, S. 320. Grundlage dieser Denkschrift waren gewiss die tragischen Informationen von drei jungen polnischen Juden aus Siedlce, die in jenem Dezember nach Ferramonri gelagt waren (ebd., Bd. II, S. 28–29, S. 36–37); der Ton der Denkschrift scheint darauf hinzuweisen, dass sie in Wirklichkeit andere Nachrichten, die in den vorhergehenden Monaten eingetroffen waren, bestätigt hatten und ihnen einen allgemeinen Sinn verliehen hatten. 415 S. Lombroso, Si può stampare, a.a.O., S. 112 (zum Datum des 23. März 1943).
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trachten, der in den letzten Tagen des Jahres 1942 oder den ersten des Jahres 1943 in Santa Valpurga geschrieben wurde (also in jenem Südtirol, wo es keinen ausländischen – ansässigen oder auf der Durchreise befindlichen – Juden mehr gab); Verfasser war der Vertrauensmann derjenigen, die für die deutsche Staatsbürgerschaft „optiert“ hatten und im Begriff standen, zu emigrieren: In den Kreisen der Wahlitaliener wird jetzt vielfach erzählt, die Leute im Reich werden nicht mehr menschlich behandelt, d.h. diejenigen, die nicht arischen Blutes sind. Juden, die z.B. von den besetzten nördlichen Ländern kommen und angeblich in Lager untergebracht werden sollen, werden in die Züge hineingepfercht und abtransportiert. Irgendwo draussen, wenn der Zug in voller Fahrt ist, wird durch eine Öffnung Gas in die Waggons gelassen und müssen die Juden so jämmerlich zugrunde gehen416.
Die – nach den oben beschriebenen verschiedenartigen Abreisen und Lossagungen – verbliebenen Juden richteten sich allmählich in einer Welt ein, die der vorherigen glich und doch auf befremdende Weise neu war. Diejenigen, die „arische“ Familienangehörige oder enge Freundschaften mit „richtigen“ Nichtjuden hatten, hielten einige Verbindungen zur Umgebungsgesellschaft aufrecht, und in einigen Fällen wurden sie auch darin unterstützt, anonym oder unter falschem Namen in der Tätigkeit fortzufahren, die ihnen verboten war417. 416 Walter Pichler, Carlo Pomeo, Paul Rösch, Martha Verdorfer, Dableiber und Dagebliebene in: Benedikt Erhard (Hrsg.), Option – Heimat – Opzioni. Eine Geschichte Südtirols Una storia dell’Alto Adige, Bozen (Tiroler Geschichtsverein) 1989, S. 272. 417 Die Kategorie der nichtjüdischen „Gerechten“ umfasst natürlich nicht jene, die einzelne von ihnen ausgewählte Juden vor der Verfolgung geschützt haben (oder zu schützen versucht haben oder den Eindruck erweckt haben, zu schützen) und zugleich die Verfolgung aller anderen Juden billigten oder wenigstens akzeptierten. Der bekannteste dieser „nicht Gerechten“ ist wahrscheinlich Giovanni Gentile, der seine Unterstützung einigen von ihm geschätzten Gelehrten zuteil werden ließ, sich aber weder vom Regime wegen dessen Judenfeindlichkeit distanzierte, noch öffentlich die Verfolgsgesetzgebung kritisierte, noch irgend eine andere Initiative ergriff, die auch nur minimal der bedeutenden Rolle entsprach, die er in der faschistischen Gesellschaft ausübte. Zu einer dieser Unterstützungshandlungen (zugunsten von Paul Oskar Kristeller) s. P. Simoncelli, Cantimori, Gentile e la Normale di Pisa. Profili e documenti. Mailand (Angeli) 1994, S. 75–88; dieser Vorgang rechtfertigt jedoch in keiner Weise, Gentile einen überhaupt nicht feststellbaren „intellektuellen Mut“ zuzusprechen – vgl. S. 89; vielmehr wurde die Übersiedlung Kristellers nach Amerika im Februar 1939 möglich gemacht durch seine akademische Bedeutung und durch die Hilfe von Delio Cantimori [vgl. J. Tedeschi (Hrsg.), The correspondence of Roland H. Bainton and Delio Cantimori 1932–1966. An enduring transatlantic friendship between two historians of religious toleration. Florenz (Olschki) 2002, S. 38–41, 89–102; Ders., Paul Oskar Kristeller and Elisabeth Feist Hirsch: a lifetime connection, in: J. Monfasani (Hrsg.), Kristeller reconsidered. New York (Itaca Press) 2006, S. 236–238]. Zu einer nicht gewährten Unterstützung kann folgender Vorgang geschildert werden: als der Minister Bottai – mit welcher Aufrichtigkeit, spielt hier
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Die übrigen, insbesondere die Jüngsten, zogen sich in die Familie und in das Gemeinschaftsleben zurück. Der 50jährige Emilio Artom stellte in jenen Jahren fest: „Während ich meinen nichtjüdischen Freunden weder Unhöflichkeit noch Beleidigungen vorwerfen kann, war ich verbittert über die Gleichgültigkeit – ich weiß nicht ob sie echt oder scheinbar war – die sie an den Tag legten“418. Und der junge Primo Levi hat später bemerkt: Vor einigen Monaten waren die Rassegesetze verkündet worden, und auch ich begann ein Isolierter zu werden. Die christlichen Freunde waren gebildete Leute, niemand von ihnen und auch niemand von den Professoren hatte mir gegenüber ein feindliches Wort oder eine feindliche Geste geäußert, doch ich fühlte sie auf Abstand gehen, und gemäß einem althergebrachten Verhalten ging auch ich zu ihnen auf Abstand. Jeder Blick, der zwischen mir und ihnen gewechselt wurde, war begleitet von einem winzigen, aber wahrnehmbaren Blitz des Misstrauens und des Verdachts. Was denkst Du von mir? Was bin ich für Dich? Noch derselbe wie vor
keine Rolle – den Rektoren am 11. Oktober 1938 berichtet hatte, dass einigen jüdischen Universitätsprofessoren „eine bezahlte Tätigkeit (Bibliotheken, Büros etc.) besorgt werde, die auch eine wissenschaftliche sein könne, wenn sie nur nicht in die Lehre münde (A. Ventura, La persecuzione, a.a.O., S. 137; vgl. auch G. Fabre, L’elenco, a.a.O., S. 127, Fußn. 3) und nachdem einer von ihnen – Paolo D’Ancona – Gentile kurz vor dem 23. Oktober gebeten hatte, dem Centro di studi manzoniani zugewiesen zu werden (G. Turi, Giovanni Gentile, a.a.O., S. 477), fertigte Gentile ihn am 27. Oktober kühl mit dem folgenden Brief ab: „Lieber Paolo, ich habe heute selbst mit dem Minister über den Wunsch gesprochen, den Du mir gegenüber erwähnt hast; er meint jedoch, dass man leicht einen Posten finden könnte, der besser zu Deiner vorherigen Tätigkeit und zu Deiner Gelehrsamkeit passt. Andererseits bekenne ich Dir, dass ich, was mich angeht, keinen Weg gesehen habe, einen Professor von Deinen Graden dem Konservator des Zentrums unterzuordnen, dem die unmittelbare Leitung aller Arbeiten zusteht, welche im Centro selbst durchgeführt werden. Wenn Du die zu beantragende Zuweisung besser bestimmt haben wirst, rechne auf mich, um die Angelegenheit hier im Centro zu erleichtern. In alter Zuneigung und mit vielen herzlichen Grüßen Dein Giovanni Gentile“ (Privat-Archiv Elisa Benaim; Hervorhebungen von mir). Man hat auch Fälle von Personen ermittelt, die öffentlich als „Gerechte“ klassifiziert worden sind, trotz der Fragezeichen der historischen Forschung für das ihnen zugeschriebene Verhalten; s. z.B. die von M. Coslovich, Il caso Palatucci. Il poliziotto che salvò gli ebrei?, in: Contemporanea V Nr. 1 (Januar 2002), S. 59–84, und von A. Ballarini, Giovanni Palatucci: favole e storia, in: Fiume XXIII Nr. 1–6 (Januar–Juni 2003), S. 48–77 aufgeworfenen Fragen; vgl. auch K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. I, S. 357–360; Zuflucht, a.a.O., Bd. I, S. 333–334. 418 E. Artom, Dalle memorie autobiografiche (1940–1941), in: B. Treves (Hrsg.), Tre vite dall’ultimo ’800 alla metà del ’900. Studi e memorie di Emilio, Emanuele, Ennio Artom. Florenz (Israel) 1954, S. 62. Antologische Zusammenstellung der Reaktionen der Juden auf die Verfolgung s. A. Cavaglion / G. P. Romagnani, Le interdizioni del Duce. A cinquant’anni dalle leggi razziali in Italia (1938–1988). Turin (Albert Meynier) 1988, S. 243–330.
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Viertes Kapitel sechs Monaten, ein Dir Gleichgestellter, der bloß nicht zur Messe geht, oder der Jude, der „nicht offen euch verlache“?419
Die jüdischen Vereinigungen intensivierten (soweit möglich, und natürlich vor allem in den großen Städten) die Kultur- und Unterhaltungsprogramme: Im Oktober 1939 kündigte der jüdische Kongress in Milano Zyklen von Vorträgen (am 4. März einer von Ludovico Limentani über „Gerechtigkeitsgefühl und Gerechtigkeitsidee“), Treffen zu religiösen Themen, Kurse in Hebräisch, Englisch, Stenographie und Maschinenschreiben, Ausflüge, sportliche Aktivitäten (Fechten, Gymnastik, Tennis, Radfahren, Tischtennis) und Unterhaltung (Schach, Dame, Bridge) usw. an420. 1938/39 hatte die Mailänder Sektion der Adei einen Kurs in Hauswirtschaft für weibliche österreichische Flüchtlinge, die als Hausangestellte arbeiten wollten, organisiert, ferner die Einrichtung einer Kinderkrippe vor allem für Kinder von Flüchtlingen, Lektionen im Schneidern und Nähen, einen Zyklus von kulturellen Vorträgen („die intellektuelle Montagsstunde“), Kinderfeste an jüdischen Feiertagen, Geld- und Kleidersammlungen für Flüchtlinge, Verteilung von Milch an Kleinkinder usw.421 Das religiöse Empfinden nahm zu; doch die Rabbinerkollegien von Rom und 419 P. Levi, Il sistema periodico. Turin (Einaudi) 1975, S. 48. Das abschließende Zitat ist entnommen aus einem Abschnitt Dantes, der auf der Titelseite des Periodikums La difesa della razza auftaucht: „Uomini siate, e non pecore matte / sì ché ‘l Giudeo di voi tra voi non rida [Bleibt Menschen, lässt euch nicht wie Tiere sehen, / Dass nicht der Jude offen euch verlache]“ (Paradiso V, 81). Zur Verbreitung des Antisemitismus unter nichtjüdischen Italienern s. die grauenhafte Auswahl von Stellen aus Briefen, die 1940–42 von einigen Juden an Briefpartner im Ausland geschickt wurden, veröffentlicht in: A. Minerbi (Hrsg.), Lo „spirito pubblico“ di fronte alla persecuzione razziale, in: E. Collotti (Hrsg.), Razza e fascismo, a.a.O., Bd. II, S. 164–169. Zu antisemitischen Reden im Zug im Jahre 1942 s. E. Rocca, Diario degli anni bui. Udine (Gaspari) 2005, S. 180–184. Zu Aktionen und Worten der Hilfe oder des Hasses seitens italienischer Militärs in Lemberg und an der russischen Front vgl. Thomas Schlemmer, „Gefühlsmäßige Verwandtschaft“?: Zivilisten, Kriegsgefangene und das königlich-italienische Heer im Krieg gegen die Sowjetunion 1941 bis 1943, in: Lutz Klinkhammer, Amedeo Osti Guerrazzi, Thomas Schlemmer (Hrsg.), Die „Achse“ im Krieg. Politik, Ideologie und Kriegführung 1939–1945, Paderborn (Schöningh) 2010, pp. 368–397; G. Rochat, Leopoli 1942–1943. Militari italiani dinanzi alla Shoà, in: RMI Bd. LXIX Nr. 2 (Mai– August 2003), S. 387–91; M. Colabella, I campi a.a.O., S. 95, B. Rivlin / L. Picciotto (Hrsg.), I giusti d’Italia. I non ebrei che salvarono gli ebrei 1943–1945. Mailand (Mondadori) 2006, S 20–21, 114–115. 420 ACDEC, Fondo Emilio Ernesto Canarutto, fasc. „Associazioni israelitiche“, verschiedene Rundschreiben. 421 ACS, MI, DGPS, AGR, 1941, b. 5B, fasc. „Razzismo“, sfasc. „Parma, Relazione della Sezione di Milano“ beigefügt dem Bericht der Nationalversammlung der Adei vom 16. April 1940 (in fotografischer Kopie). In Mailand wurde auch ein Sprechzimmer für Flüchtlinge eingerichtet; M. Miserendino, L’assistenza ai profughi in fuga dall’olocausto, in: Doctor Nr. 10 (Juni 1999), S. 40–48.
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Livorno mussten ihre Tätigkeit entweder reduzieren oder völlig einstellen (die letzte rabbinische Promotion jener Zeit wurde im Herbst 1939 im Kolleg von Livorno von Elio Toaff erlangt)422. Aus den Berichten der Polizei (welche die Juden und deren Tätigkeiten ständig beobachtete)423, wissen wir, dass anlässlich des jüdischen Neujahrsfestes die Synagogen von den Juden stark frequentiert waren: etwa 250 waren es in der Synagoge von Ferrara am Abend des 25. September 1938 und etwa 5.000 in derjenigen von Rom (sowie weitere 500 in zwei kleineren Gebetsstätten) am Abend des 11. September 1942424. Die Gemeinden organisierten weiterhin die gewohnten Wahlen für die periodische Erneuerung der Räte (bzw. 1939 für die Ersetzung der zurückgetretenen erzfaschistischen Ratsmitglieder); gerade wegen der Verfolgung, die sich nunmehr gefestigt hatte, waren die Gemeinderäte freilich nicht mehr der Ort von Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten; in Rom verringerten sich zunächst die Sitzungen (auf diejenige vom 27. Dezember 1939 folgte die vom 5. März 1940 und dann diejenige vom 1. Januar 1941), später wurden sie überhaupt nicht mehr einberufen oder es wurden zumindest keine Protokolle mehr geführt425. Dem italienischen Judentum gelang es auch, einige besondere Initiativen in Tätigkeit zu behalten, wie beispielsweise den Verlag Israel; dieser fristete freilich in jenen Jahren eine „wahrlich bescheidene“ Existenz und war – wie Giorgio Fabre bemerkt hat – „eine Art
422 D. Almansi, Attività svolta, a.a.O., S. 512–513; s. auch E. Toaff, Perfidi giudei, fratelli maggiori. Mailand (Mondadori) 1987, S. 3, 15–17. 423 In Turin waren die Juden zu jener Zeit Gegenstand „geeigneter Beobachtung“, „intensive Beobachtung“, „aktiver und wachsamer Beobachtung“, „unermüdlicher Beobachtung“, „strenger Beobachtung“ usw.; F. Levi, Il signor questore e gli ebrei. Dalle relazioni periodiche del questore di Torino al capo della polizia (1938–1942), in: Ders. (Hrsg.), L’ebreo in oggetto, a.a.O., S. 147–157. Aus einem der wenigen Dokumente über die Tätigkeit der Carabinieri, die ich gefunden habe, geht hervor, dass Anfang Oktober 1939 auch diese Streitkräfte die Aufgabe hatten, eine „genaue Überwachung der Juden durchzuführen“; Kommando Sacile der Territoriallegion der kgl. Carabinieri von Padua an die nachgeordneten Kommandos, 4. Oktober 1939; von den Partisanen von Claut während der Resistenza aufgefundenes Dokument, in Kopie aufbewahrt in: ACDEC, AG, nuove accessioni. 424 AdS Ferrara, Prefettura, cat. 30, b. 2, fasc. „Situazione degli ebrei“, Polizeipräsident von Ferrara an den Präfekten von Ferrara über „religiöse Aktivität der Juden von Ferrara“, 7. Oktober 1938; ACS, MI, DGPS, AGR, 1943, b. 22, fasc. „Razzismo II“, sfasc. „Roma“, Bericht eines Polizeiagenten, Rom, 12. September 1942. Zu einem Juden, welcher der Gemeinde angehörte, sich aber erst nach dem Erlass der Rassegesetze beschneiden ließ, s. M. Montagnana (Hrsg.), „Perché tu sappia“. Diario di Giulio Iona dal campo di concentramento di Fossoli, marzo–giugno 1944, in: Notiziario dell’Istituto storico della Resistenza in Cuneo e provincia Nr. 37 (Juni 1990), S. 92. 425 F. Del Regno, Tendenze, a.a.O., S. 107–108.
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von winzigem ‘Ghetto-Verlag’ ähnlich jenen, von denen man aus Deutschland weiß“426. Das Verbot des Schlachtens nach jüdischem Ritus zwang die Religiösen unter den Verfolgten auf den Verzehr von Rindfleisch zu verzichten und denjenigen von Hähnchen und Puten einzuschränken. Von einer jüdischen Kinderhilfsorganisation wegen der Möglichkeit, Kindern in gefährdetem Gesundheitszustand nichtkoscheres (also nicht nach jüdischem Ritus geschlachtetes) Fleisch zu geben, angerufen, antwortete der Rabbiner Nathan Cassuto (später in der Deportation gestorben) nach sorgfältiger Erörterung der Frage: es müsse eine Gefahr für das Leben oder für ein Organ des Kranken vorliegen, es müsse unmöglich sein, alternative Nahrung einzunehmen, jede Situation müsse von einem Arzt geprüft werden, das endgültige Urteil stehe dem örtlichen Rabbiner zu usw.427. Kurz gesagt, die obligatorische Beachtung des staatlichen Verfolgungsgesetzes hatte das jüdische Leben beeinflusst, hatte aber nicht die freiwillige Beachtung des jüdischen Gesetzes beseitigt. Das wichtigste Problem, mit dem die Gemeinden sich zu Beginn der Verfolgung auseinandersetzen mussten, war das Schulproblem428. In einem Zeitraum von wenigen Wochen (mitunter, was die Mittelschulen anging, von wenigen Tagen) widmeten sich Räte und in aller Eile errichtete Komitees einer hektischen Tätigkeit, um die tatsächliche rechtliche und bürokratische Sachlage zu erfassen, Lokalitäten ausfindig zu machen und einzurichten, die Schüler zu zählen, die Lehrer zu finden, für die Eigenfinanzierung zu sorgen, kurz: eine vollständige Struktur zu organisieren (nur in seltenen Fällen konnten die neuen Schulen sich auf der Grundlage von bereits bestehenden jüdischen Strukturen entwickeln). Die angestrebten Ziele waren: die Fortsetzung des Unterrichts der 426 G. Fabre, L’elenco, a.a.O., S. 379. 427 M. Longo Adorno, Gli ebrei fiorentini dall’emancipazione alla Shoà. Florenz (Giuntina) 2003, S. 89–91. 428 Zu den jüdischen Schulen s. D. Fishman, Una risposta ebraica alle leggi: l’organizzazione delle scuole, in: RMI LIV Nr. 1–2 (Januar–August 1988), S. 335–364; sowie die Bibliografie in: A. M. Piussi, Perché una ricerca sull’educazione ebraica?, in: Ders. (Hrsg.), Presto apprendere a.a.O., S. 24 Fußn. 7. S. auch A. Minerbi, Tra nazionalizzazione e persecuzione, a.a.O.; U. Mazzone, „Non è anch’essa una scuola speciale?“ a.a.O.; S. Bon, La persecuzione razziale, a.a.O.; Ders., Le Scuole ebraiche di Trieste negli anni della persecuzione razziale fascista, in: Qualestoria XXIX Nr. 1 (Juni 2001), S. 69–79; S. Q. Angelini, Quella scuola, a.a.O., S. 71–116; C. Callegari, Identità, cultura e formazione nella Scuola ebraica di Venezia e di Padova negli anni delle leggi razziali. Padua (Cleup) 2002; „L’educazione spezzata“, a.a.O.; C. Bonino, La scuola ebraica di Torino, 1938–1943, in: B. Maida (Hrsg.), 1938. I bambini, a.a.O., S. 65–92. Zur Verfolgungsgesetzgebung s. M. Sarfatti, La scuola, a.a.O.
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Kinder und Jugendlichen zu gewährleisten, die traumatischen Folgen der plötzlichen Vertreibung aus der „arischen“ Jugendwelt zu begrenzen oder doch zu lindern, den Kindern jüdische Kenntnisse – und Identität – zu vermitteln. Die Organisatoren stachelten die Schüler so gut wie möglich an, auch technische, praktische Materien sich anzueignen, also solche, die für ihr immer wahrscheinlicher werdendes Schicksal als Emigranten nützlich sein würden. Die zahllosen Schwierigkeiten wurden teilweise ausgeglichen durch das besonders hohe Niveau des Lehrkörpers, zu dem auch entlassene Universitätsdozenten gehörten, bekannte Künstler, die aus allen Tätigkeiten vertrieben worden waren, renommierte Gelehrte, die aus Instituten und Redaktionen entlassen worden waren (und die es beispielsweise in Triest übernahmen, „ihre Arbeit als Aushilfslehrer zu leisten und sich mit jenem Monatsgehalt zu begnügen, das man ihnen zu zahlen in der Lage sei“429. Fast überall fand eine umfassende Debatte über den „jüdischen“, „italienischen“ und „faschistischen“ Charakter der neuen Schulen statt. Die Situation, wie sie sich in Rom ergab, wo zur Förderung der Mittelschule ein aus Mitgliedern der Gemeinde bestehendes, aber selbständiges Komitee gebildet worden war, wurde folgendermaßen rekonstruiert: Es gibt solche, die die Bemühungen des Komitees unterstützen, solche, die in der Unsicherheit des Augenblicks zu Kompromissen mit der eigenen jüdischen Identität finden und es vorziehen, die Kinder bei katholischen, von Geistlichen geleiteten Lehranstalten anzumelden, und schließlich solche, die die Eröffnung von Schulen fürchten, welche nicht faschistisch genug sind und „ausgeprägt jüdisch-klerikalen Charakter“ besitzen, so dass sie unter dem Einfluss „der Herren Rabbiner, deren Geist durchdrungen ist von zionistischen, d.h. internationalistischen Vorstellung“ stehen. Um die Gemüter zu besänftigen und Brüche zu vermeiden, meldet sich der Rabbiner Prato zu Worte und erklärt dem Komitee, dass „die Schule nicht eine Art von Konfessionsschule sein wird; es wird kein Gebet zu Beginn der Unterrichtsstunden geben; der Religion werden wöchentlich zwei Stunden gewidmet sein; der Unterricht in der hebräischen Sprache wird fakultativ sein“; schließlich weist er noch darauf hin, dass „die Schule sowohl am Samstag als auch am Sonntag geschlossen sein wird“. Die ideologisch-religiöse Problematik kommt in einer Sitzung am 1. November erneut auf, und dieses Mal ist es Prof. Umberto Cassuto, der sich durchsetzt: Einige Mitglieder des Komitees diskutieren über die Möglichkeit der Befreiung der Kinder vom Unterricht über jüdische Religion und Kultur. Cassuto erwidert, er halte es für eine „Ehrensache“ – für eine jüdische Schule – „dass die religiöse Unterweisung obligatorisch sei“430. 429 Zitiert b. B. Schreiber (Hrsg.), La scuola media ebraica di Trieste durante il periodo razziale. Triest (Comunità israelitica di Trieste) 1982, S. 9. 430 B. Migliau, Relazione, in: B. Migliau / M. Procaccia, La documentazione della scuola media ebraica di Roma del 1938, in: Italia Judaica. Gli ebrei nell’Italia unita, a.a.O., S. 455–56.
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Doch zumindest in Ferrara setzte der Schulamtsleiter fest, dass in der örtlichen jüdischen Schule „am Samstag normaler Unterricht stattfindet“431. Die von den jüdischen Gemeinden auf der Halbinsel eingerichteten Schulen und Kurse (21 Grundschulen und 13 Mittelschulen432) bildeten eine Tatsache von außergewöhnlicher Bedeutung; sie bedeuteten einen Akt der Selbstorganisation, eine Demonstration der Fähigkeit, auf den erfahrenen Schlag zu reagieren, ein Äußerung der Würde. Sie waren auch merkwürdige Schulen, die eine nationalistische, mitunter sehr imperiale, jedoch zwangsläufig nicht faschistische Ideologie vermittelten (Schon ihre Einrichtung war für Schüler und Lehrer eine Demonstration, dass das Regime und der Diktator nicht gerecht seien). Doch für den Faschismus waren sie faktisch nur provisorisch – wie alles, was er erlaubt bzw. noch nicht verboten hatte. Im Übrigen handelte es sich ja auch um Ghetto-Schulen. Unabhängig von ihrer Bedeutung und von den Früchten, welche sie für diejenigen zeitigten, welche sie besuchten, ist bemerkt worden, dass alles in allem die faschistische Verfolgung „eine klare Verlangsamung und sogar einen Rückschritt innerhalb gewisser Generationen“ für das Bildungsniveau der Juden auf der Halbinsel bedeutete433. Daneben ist betont worden, dass die kindlichen und jugendlichen Verfolgten sich in Lebensumständen befanden, für welche „die Erwachsenen selbst keine rationale Erklärung liefern konnten; [...] dies war ein Umstand, der zu echter Verzweiflung führte“: Seit dem Erlass der Rassegesetze war es unmöglich, Vertrauen in einen Staat, in irgendeine Institution zu setzen, obwohl man wünschte, ihnen anzugehören, und so stürzten denn allmählich alle Grundsätze ein, auf denen eine Erziehung sich hätte stützen können; die einzige Möglichkeit bestand darin, sich defensiv in die Familie einzukapseln, die aber ebenfalls ein Ort unsicherer Zuflucht und prekärer Zugehörigkeit geworden war, wo nur noch die Bande des Blutes auch weiterhin Bezugspunkt bleiben konnten, in einer „vorpolitischen“ Regression, welche die Persönlichkeitsentwicklung der ganz Kleinen und der Heranwachsenden verbiegen musste. Alle hingen, was ihre Erziehung, Unterhalt und Aufwachsen anging, von denen ab, welche der Ursprung ihres Elends waren434. 431 Brief des Leiters des Schulamtes von Ferrara an den Vorsitzenden der israelitischen Gemeinde von Ferrara, 26. Juni 1942; berichtet in: A. M. Quarzi, La scuola media israelitica di via Vignatagliata 79, in: Ders. (Hrsg.), Una scuola nella guerra 1940– 1945. Ferrara (Corbo) 1996, S. 294. 432 D. Fishman, Una risposta, a.a.O., S. 339. 433 E. F. Sabatello, Le conseguenze sociali ed economiche, a.a.O., S. 83. 434 D. Levi, La psicoanalisi italiana e il trauma dei sopravvissuti. Il caso italiano che non c’è, in: B. Maida (Hrsg.), 1938. I bambini, a.a.O., S. 94, 99. S. aber auch S. V. Di Pal-
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Für einen wachsenden Teil der Eltern bedeutete die Verfolgungsgesetzgebung hingegen vor allem den Verlust der Arbeitsstelle, häufig ohne die Möglichkeit einer Neubeschäftigung (ein Beispiel: eine Jüdin, die im Dezember 1938 von einer Versicherungsgesellschaft gekündigt worden war, wurde im Februar 1943 von einer metallverarbeitenden Firma entlassen, als diese als „kriegswichtiger Betrieb“ eingestuft wurde435). Zwei Verfolgte haben ihr berufliches Schicksal folgendermaßen dargestellt: Ich war von der Ausübung des Berufs des Advokaten ausgeschlossen worden, mit dem ich so viel verdiente, wie ich zum Unterhalt meiner zahlreichen Familienmitglieder benötigte. Von meinen sieben Kindern hatte die älteste, mit abgeschlossenem Studium und verheiratet, die Ausschreibung für ein Lehreramt gewonnen, doch das Gesetz verschloss ihr dieses; ihr Ehemann, der beim Gericht beschäftigt war und sich auf die Prüfungen für den Eintritt in den Richterbruf vorbereitete, wurde mit einer lächerlichen Entschädigung entlassen. Weitere zwei meiner Kinder, mit naturwissenschaftlichen und juristischen Hochschulabschlüssen, wurde es unmöglich gemacht, eine Tätigkeit im Bereich des öffentlichen Dienstes auszuüben, und hatten große Schwierigkeiten, Beschäftigung in privaten Unternehmen zu finden. Meine weiteren Kinder befanden sich noch in der Ausbildung und wurden von den öffentlichen Schulen verjagt. [...] Wirtschaftlich befand ich mich in einer denkbar schlechten Lage, da ich von allen Einkommensquellen ausgeschlossen war; nur ein äußerst bescheidener Immobilienbesitz bot mir zusammen mit der Einziehung der Außenstände aus meiner beruflichen Tätigkeit die Möglichkeit, unter Erschöpfung des Vermögens soviel zu realisieren, wie ich zum Leben brauchte und wie voraussichtlich nötig war, um allen uns Elf zu ermöglichen, Italien zu ver436 lassen . Die Gesetze gegen die Juden [von 1938] stürzen in den Abgrund und bringen Elend und Schmerz mit sich. Wir sind fürs erste nicht betroffen, doch sehen wir die Zukunft bereits voraus. Ich arbeite bei der FIAT. Es ist ein kriegswichtiger Betrieb, man arbeitet für den Krieg! […] Im Mai [1942] verbietet der Minister für Kriegsproduktion allen Juden, egal ob Leiter, Angestellte oder Arbeiter, die Arbeit in diesen Betrieben. Dies ist der erste große Schlag gegen den Haushaltsbetrieb [d.h. gegen das Familienbudget]. Am 30. Juni 1942 kann ich nicht mehr bei der FIAT arbeiten; ich bin fristlos gekündigt. Auch Benedetto [ein Bruder] erleidet mein Schicksal. Paglieri hat ihn entlassen. Wir suchen unabhängige Arbeit. Ich finde eine Beschäftigung bei der Kfz-Werkstatt Dotta, Benedetto bei Foà und Emilio [ein weiterer Bruder] in einer Werkstatt. Wir arbeiten ca. zwei Monate lang, als ein neues Gesetz alle jungen Juden verpflichtet, sich auf einen Gestellungsbefehl hin beim Rathaus zur obligatorischen Arbeit zu melden. Die Schläge folgen mit beängstigender Frequenz aufeinander. Emilio legt eine Unfallbescheinigung vor, und die Gestellung wird bis zur Heilung verschoben. Benedetto legt, nachdem er zwei ma, Bambini e adolescenti nella shoah. Storia e memoria della persecuzione in Italia. Mailand (Unicopli) 2004. 435 ACDEC, AG, nuove accessioni, fasc. Marini Iginia. 436 E. Levi, Memorie, a.a.O., S. 85–86.
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Viertes Kapitel Tage als Erdarbeiter gearbeitet hat, eine Unbeweglichkeitsbescheinigung vor und bleibt zu Hause; ich hingegen werde auf ein großes Grundstück geschickt, wo wir alle Erde ausheben und mit Handkarren abtransportieren müssen. Wir sind etwa 200 Leute, die von einem Arbeiter bewacht werden. Wir versuchen so wenig wie möglich und möglichst wenig mühsam zu arbeiten, doch die tägliche Inspektion des Chefingenieurs zwingt uns, uns für die wahrlich einträgliche Entlohnung von etwa 22 Lire pro Tag und mit 150 Gramm Brot pro Tag abzurackern437.
Am Ende des Jahres 1938 sprach ein Vertreter der Union bereits von „dringenden schmerzhaften Bedürfnissen zahlreicher ausländischer Glaubensbrüder, die plötzlich notleidend geworden sind, während das Schreckgespenst der Bedürftigkeit von italienischen Glaubensbrüdern, die von den jüngsten gesetzlichen Bestimmungen getroffen worden sind, immer näher rückt“438. Unter den Italienern wurde der Punkt des größten Elends wahrscheinlich in Rom erreicht, wo allein schon der Widerruf der Genehmigungen zur Ausübung des ambulanten Gewerbes im Jahre 1940 „viele Hunderte Familienväter der Unterschicht, allesamt mit zahlreichen Kindern und anderen unterhaltenen Familienangehörigen“ traf439; doch auch anderswo ereignete sich das, was in Venedig als „eine große Arbeitslosigkeit in der Arbeiterklasse der Juden“ bezeichnet wurde440. Im November 1940 beantragte eine kranke römische Jüdin, die keine Arbeitserlaubnis mehr besaß, und deren Ehemann interniert war, bei der Polizeibehörde von Rom eine Unterstützung mit folgender Begründung: „Die Familie befindet sich jetzt im düstersten Elend, die Kinder verkümmern wegen des Mangels an Nahrung immer mehr“441. Und zwei Jahre später formulierte es der Vorsitzende der Hilfsorganisation jener Gemeinde folgendermaßen: Die Leiden unserer Armen werden nicht durch zehn, fünfzehn oder zwanzig Lire gemildert, die wir jetzt zu geben genötigt sind. Abgesehen von den Schwierigkeiten der Kontingentierung fehlt es ihnen an allem: von Kleidern und anderen Kleidungsstücken bis zu Betttüchern, zu Matratzen, zu (häufig erbetener) finanzieller Unterstützung, um Mietrückstände zu bezahlen und schmerzhafte Zwangsräumungen zu vermeiden. Häufig kommen Glaubensbrüder aus anderen Gemeinden zu 437 ACDEC, AG, cat. A4, fasc. „Poggetto Scipione“; S. Poggetto, Diario (Maschinenschrift), S. 9–10. 438 AUCEI, Fondo UCII, Attività 1933–47, b. 11D, fasc. „1938–39“, sfasc. „Federico Jarach“, Brief Aldo Ascolis an Federico Jarach, Rom, 29. Dezember 1938. 439 Aus einem Brief von Dante Almansi, zitiert in: S. Caviglia, Un aspetto, a.a.O., S. 247. Almansi spricht von „circa 900“ ambulanten Händlern; nach E. F. Sabatello, Aspetti economici, a.a.O., S. 262–266, waren es Anfang 1939 circa 600. 440 Aus einem Rundschreiben der israelitischen Gemeinde von Venedig, 16. Februar 1942, berichtet in: R. Segre (Hrsg.), Gli ebrei, a.a.O., S. 135. 441 Zitiert b. F. Terzulli, Il campo di concentramento, a.a.O., S. 553.
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uns, welche um die Mittel zur Rückkehr nach Hause erbitten, ganz zu schweigen 442 von der Unterstützung für politisch Verbannte usw. usf. .
Zu den ausländischen Juden ist bemerkt worden: Nach dem Beginn des Arbeitsverbots schritt die Verelendung rasch fort und nahm erschreckende Ausmaße an. Die Unterstützungsbedürftigen bildeten jetzt die überwiegende Mehrheit. Im November 1939 waren es in Mailand 1.434 und in ganz Italien rund 3.000 von mindestens 4.000 Einwanderern und Flüchtlingen, die 443 nicht fortgekommen waren .
Allgemein ausgedrückt führte die Verfolgung zu einer deutlichen durchschnittlichen Verarmung der jüdischen Bevölkerungsgruppe in ihrer Gesamtheit und zu einer starken Verarmung breiter Schichten von ihnen. Zu diesem Phänomen trug auch die Unterstützung der bedürftigen Juden durch die Wohlhabenden bei oder durch jene, die im Augenblick von der Verfolgung weniger betroffen waren (wenngleich einige von ihnen sich zunächst dieser Hilfe entzogen, wie ein in Venedig von einer Gruppe „armer Glaubensbrüder“ verteiltes Flugblatt anprangerte444). Sahen sich alle Juden unvermittelt von der Monarchie und von Mussolini als Regierungschef zurückgestoßen und erniedrigt, so sahen die faschistischen Juden sich auch von der faschistischen Partei und Mussolini als Duce zurückgestoßen und erniedrigt und erlebten damit eine noch größere Tragödie. Auf einer anderen Ebene führte das Engagement in der Unterstützungstätigkeit und für die Schule viele Juden, die der Politik fernstanden, zur Erkenntnis und Hochschätzung der Werte der Solidarität als Vorgriff auf Gerechtigkeit, auf Selbstorganisation, auf das Festhalten an der eigenen Würde. Sie gelangten damit auf konstruktive Weise und nicht bloß aus einer Opposition gegen die antijüdischen Gesetze heraus zum Antifaschismus und verbanden sich erst in einem zweiten Schritt mit denen, in denen diese Position schon seit langem herangereift war. Dieses Ferment, das bis heute noch nicht hinreichend erforscht ist, erwies sich als sehr bedeutend nicht bloß zum Zeitpunkt der bewaffneten Erhebung, sondern auch bei dem nachfolgenden demokratischen Aufbau. Zur Entscheidung für den Antifaschismus ist ferner darauf hinzuweisen, dass einige junge Männer, die ins Ausland gegangen waren, sich bereits 1940 als Freiwillige in die Einheiten der anti-nazifaschistischen Truppen ein442 Deputazione Ebraica di Assistenza e Servizio Sociale di Roma, Curiosando … nei verbali della deputazione dal 1886 al 1953. Florenz (Giuntina) 1991, S. 166. 443 K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. I, S. 367, Zuflucht, a.a.O., Bd. 1, S. 342–343. 444 Das – wahrscheinlich aus dem zweiten Halbjahr 1940 stammende – Flugblatt verlangte von ihnen „eine Geste der menschlichen, jüdischen Solidarität“ [R. Segre (Hrsg.), Gli ebrei, a.a.O., S. 82].
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reihten445 (Im März 1939 hatte der antifaschistische und zionistischen Anführer Raffaele Cantoni sogar der britischen Botschaft in Rom ein – von dieser nicht angenommenes – Projekt einer kollektiven Mitgliedschaft im französischen oder englischen Heer unterbreitet446). Auch die zionistischen Sympathien scheinen zugenommen zu haben; doch die Auswanderung einiger leitender Personen und Aktivisten nach Palästina verminderte die Entwicklungsmöglichkeiten dieser Bewegung. Allerdings füllten die Teilnehmer dieser Bewegung nunmehr eine erheblich bedeutsamere Rolle in der Führung der Gemeinden und besonders der schulischen und Unterstützungsaktivitäten aus447.
6. Die „fünfundvierzig Tage“ des Sommers 1943 Am 10. Juli 1943 landeten die ersten angloamerikanischen Einheiten auf Sizilien. Zwei Tage danach dekretierte das Allied Military Government die Aufhebung „sämtlicher Gesetze, welche gegenüber irgendeiner Person oder irgendwelchen Personen eine Unterscheidung wegen ihrer Rasse, ihrer Hautfarbe oder ihres Glaubens treffen“448. In jenen ersten noch recht begrenzten Zipfeln des befreiten Italien gab es keine Juden (auf ganz Sizilien wahrscheinlich weniger als hundert), doch dieses Dekret bildete ein Versprechen der Befreiung für alle Verfolgten Italiens. Vielleicht berücksichtigte auch die faschistische Regierung dieses Versprechen, als es die Verschärfung der Verfolgung von Ende Juli beschloss. 445 Elio Di Gioacchino und Giorgio Lattes, die nach Frankreich und Argentinien ausgewandert waren, traten in französische Verbände ein; Giacomino Sarfatti, Auswanderer nach England, in einen britischen Verband; cfr. jeweils ACDEC, AG, cat. 4A, fasc. „Elio Di Gioacchino“; E. M. Smolensky / V. Vigevani Jarach, Tante voci, a.a.O., S. 171–174; Privat-Archiv Elisa Benaim. 446 S. I. Minerbi, Un ebreo, a.a.O., S. 77–79. 447 Zum Zionismus s. A. Segre, Movimenti giovanili ebraici in Italia durante il periodo razziale, in: RMI XXXI Nr. 8–9 (August–September 1965), S. 382–393; Ders., Sionismo e sionisti in Italia (1933–1943), in: D. Carpi / A. Segre / R. Toaff (Hrsg.), Scritti in memoria di Nathan Cassuto. Jerusalem (Kedem – Yad Leyakkirenu) 1986, S. 176–208. Zur alijah [Auswanderung nach Palästina] der leitenden Personen s. auch D. Carpi, La politica razzistica del fascismo e dell’immediato dopoguerra, in: S. Della Seta / D. Carpi, Il movimento sionistico, in: C. Vivanti (Hrsg.), Gli ebrei in Italia, a.a.O., Bd. II, S. 1343, 1349. 448 Allied Military Government of Occupied Territory, Proclama n. 7, veröffentlicht in: Sicily Gazette Nr. 1 (Juli 1943); zum Tag des Erlasses s. The American Jewish Year Book XLVI. 5705 (September 18, 1944 to September 7, 1945). Philadelphia 1944, S. 232.
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Zwei Wochen später, am 25. Juli, wurde Mussolini abgesetzt und verhaftet, und der König beauftragte Pietro Badoglio, eine neue Regierung zu bilden. Diese hielt am Bündnis mit Deutschland fest, begann aber mit den Alliierten über einen Waffenstillstand zu verhandeln, der schließlich auch am 3. September abgeschlossen und am 8. September über den Rundfunk verkündet wurde. Im Hinblick auf die Juden beließ die Regierung im Verlauf dieser „fünfundvierzig Tage“ die gesamte Verfolgungsgesetzgebung in Kraft, widerrief einige Bestimmungen formeller Art oder solche, die propagandistische Zielsetzungen verfolgten, und betrieb eine Politik der Nichtauslieferung der auf der Halbinsel und in den besetzten Gebieten befindlichen ausländischen Juden an Deutschland. Die Fortgeltung der Gesetzgebung zog sich auch nach dem 8. September und der Flucht des Königs und Badoglios in den Süden noch hin. Das früheste bisher entdeckte Dokument, in dem Badoglio offiziell (von Brindisi aus) die bevorstehende Aufhebung der judenfeindlichen Gesetzgebung ankündigte, trägt das Datum des 22. September 1943449; die erste Sitzung des Ministerrates, in der offiziell über die Formulierung der betreffenden Vorschrift gesprochen wurde, fand am 24. November statt, und die Grundsatzentwürfe für die Aufhebungsgesetze wurden schließlich vom Ministerrat in den Sitzungen vom 27. und 28. Dezember 1943 angenommen450. Es verdient Erwähnung, dass diese Chronologie die Besonderheit aufweist, dass sie nach jenem Datum (nämlich den ersten Septembertagen) beginnt, an dem Badoglio den zweiten (und längeren) von den Alliierten vorbereiteten Text des Waffenstillstandsabkommens zu Gesicht bekam, dessen Artikel 31 bestimmte: „Alle italienischen Gesetze, welche Diskriminierungen wegen Rasse, Hautfarbe, Religion oder politischer Ansichten enthalten, werden, soweit dies nicht bereits geschehen 449 M. Toscano, Ebraismo e antisemitismo, a.a.O., S. 254; G. D’Amico, Quando l’eccezione, a.a.O., S. 38–39; der in Bari empfangene Text (mit gleichem Wortlaut, jedoch mit anderer Protokollnummer und unter dem Datum vom 23. September) wird berichtet in: M. Pansini, Provvedimenti razziali, a.a.O., S. 45. 450 A. G. Ricci (Hrsg.), Verbali del Consiglio dei Ministri luglio 1943–maggio 1948. Edizione critica, Bd. I: Governo Badoglio 25 luglio 1943–22 aprile 1944. Rom (Presidenza del Consiglio dei ministri) 1994, S. 68–70, 85–89, 97–111, 114–19; M. Toscano, Ebraismo e antisemitismo a.a.O., S. 255–261; G. D’Amico, Quando l’eccezione, a.a.O., S. 33–47. Reaktionen aus Mittel- und Norditalien auf das Dokument vom 22. September habe ich nicht gefunden; am 28. November notierte ein antifaschistischer Jude: „Radio Bari meldet das Ende der Rassegesetze und die Wiederzulassung der betroffenen Personen zu ihren Posten; „Il ’44 ed il ’45 a Firenze nel diario di Giulio Supino (I)“, in: Lettera ai compagni XVI Nr. 7 (Juni 1984), S. III der Beilage.
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ist, aufgehoben“, und vor dem Datum (29. September), an dem die italienische Regierung dieses Abkommen unterschrieb451. Nach dem Krieg hat Badoglio geschrieben: „Es war zu jenem Zeitpunkt nicht möglich, zu einer offenen Abschaffung der Rassegesetze zu gelangen, ohne sich mit den Deutschen in offenen Widerspruch zu setzen. […] Ich ließ verschiedene jüdische Vertreter zu mir rufen und teilte ihnen mit, dass […] jene Gesetze nicht mehr angewendet würden“452. Gleichwohl übten natürlich mangels einer förmlichen Aufhebung jene Gesetze weiterhin ihre volle Wirkung aus (um nur ein Beispiel zu nennen: die „der jüdischen Rasse Angehörenden“ blieben auch weiterhin aus den Streitkräften ausgeschlossen)453. Und indem er es vermied, diesen Akt zu vollziehen, verlangsamte Badoglio die Entfaschistifizierung des Landes noch weiter, dämpfte den Enthusiasmus der Antifaschisten und der „anständigen“ Italiener und steigerte das Misstrauen der Alliierten, womit er die Wende vom 8. September erschwerte. Während im Übrigen die antifaschistischen Parteien und viele einzelne Italiener sofort diese Aufhebung verlangt hatten454, waren andere Kreise anderer 451 M. Toscano, Dal 25 luglio all’8 settembre (nuove rivelazioni sugli armistizi fra l’Italia e le Nazioni Unite). Florenz (Le Monnier) 1966, insb. S. 69–71, 84; vgl. auch E. Aga Rossi, L’inganno reciproco. L’armistizio tra l’Italia e gli angloamericani del settembre 1943. Rom (Ministero per i Beni culturali e ambientali) 1993, insb. S. 45, 49; der Text des „langen Waffenstillstandes“ wird von den beiden Autoren jeweils auf S. 93–106 und 326–336 wiedergegeben. 452 P. Badoglio, L’Italia nella seconda guerra mondiale (memorie e documenti). Mailand (Mondadori) 1946, S. 92. Am 9. Dezember 1938 hatte Badoglio anlässlich der Veröffentlichung des monographischen Heftes Razza e impero (Rasse und Kaiserreich) der Zeitschrift Etiopia eine Zuschrift geschickt, worin „die umfassende Anwendung der bereits beschlossenen Regelungen in allen Bereichen“ erhofft wurde; Etiopia II Nr. 11–12 (November–Dezember 1938), S. 4; wenige Monate später sandte er eine zustimmende Botschaft an Il diritto razzista; ebd., I Nr. 1–2 (9 maggio–giugno 1939), S. 5. Justizminister der Regierung Badoglio war übrigens bis Februar 1944 jener Gaetano Azzariti, der in den drei Jahren zuvor der als Tribunale della razza bekannten Kommission vorgesessen hatte (1956 wurde er zum Richter am Verfassungsgericht ernannt, und wurde im darauf folgenden Jahr dessen Präsident; vgl. N. Tranfaglia, Dallo stato liberale al regime fascista. Problemi e ricerche. Mailand (Feltrinelli) 1973, S. 211, 217). 453 Zu verschiedenen negative Antworten seitens des Kabinettschefs des Kriegsministeriums an ehemalige jüdische Offiziere, welche die Wiederaufnahme ihres Dienstes beantragt hatten, s. AUSSME, rep. H1, rac. 1, cart. 14. Zur substantiellen Haltlosigkeit des Versprechens einer Aufhebung der Rassegesetze s. auch R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 441–42. 454 Einige Erklärungen der antifaschistischen Parteien finden sich in: Gruppo di ricerca per la raccolta generale di fonti e notizie e rappresentazione cartografica della storia d’Italia dal 1943 al 1945 (Hrsg.), L’Italia dei quarantacinque giorni. Studio e do-
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Auffassung: so informierte beispielsweise der Heilige Stuhl den Minister des Innern, dass die fragliche Gesetzgebung „nach den Grundsätzen und der Tradition der katholischen Kirche zwar einige Bestimmungen enthält, die aufzuheben sind, aber auch andere, welche beibehalten zu werden verdienen“455. Im Verlauf der 45 Tage hob die Regierung Badoglio hingegen verschiedene Bestimmungen nichtgesetzlicher Natur auf: Der Regierungschef selbst forderte den Präsidenten des Senats auf, die jüdischen Senatoren wieder in ihre vollen Rechte einzusetzen456; der Minister für Volkskultur löste das Amt für Rasseforschung und Rassepropaganda (und damit auch die Zentren für das Studium des Judenproblems) auf457; der Minister des Innern hob alle Bestimmungen über die Entziehung von „Konzessionen“ und „polizeilichen Genehmigungen“ (d.h. die Erlaubnisse zur Ausübung des ambulanten Gewerbes, das Betreiben von Bars, von Fotoateliers usw.) auf, welche die Generaldirektion für öffentliche Sicherheit und die Generaldirektion für Demographie und Rasse erlassen hatten, diese Aufhebung schloss aber ausdrücklich „jede Rückwirkung“ aus, und die Betroffenen wurden aufgefordert, neue Anträge zu stellen, welche „ex novo geprüft und beschieden“ würden458. Schließlich hob die Regierung die Bestimmungen über Internierungslager und über obligatorische Arbeit auf oder betrachtete sie jedenfalls als ausgelaufen459.
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cumenti. Mailand (Istituto nazionale per la storia del movimento di liberazione in Italia) 1969, S. 277–344 (z.B. war die „Abschaffung der Rassegesetze“ einer der sieben Punkte des Koordinierungs-Programms der Mailänder antifaschistischen Parteien; ebd., S. 310–12). Erste Hinweise auf Erklärungen von Einzelpersonen b. L. Guerrini, La Toscana dal 25 luglio all’8 settembre, in: La Resistenza in Toscana Nr. 9–10 (1974), S. 204; R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 443; M. Toscano, Ebraismo e antisemitismo a.a.O., S. 252–253. Die faschistische Propaganda ihrerseits verkündete: „Die antiitalienische Kanaille des Ghettos und der Logen im Dienste der Angloamerikaner und Stalins wird nicht den Sieg davontragen“; cfr. L’Italia dei quarantacinque giorni, a.a.O., S. 344–346. Bericht von Padre Tacchi Venturi an den Staatssekretär des Heiligen Stuhls, Kardinal Maglione, 29. August 1943, wiedergegeben in: Actes et documents du Saint Siège, a.a.O., Bd. IX, S. 458–462, Zitat auf S. 459; bereits erwähnt b. G. Mayda, Ebrei sotto Salò, a.a.O., S. 56–57. S.o. S. 190. AdS Milano, Prefettura, Gabinetto, II versamento, b. 370, fasc. „Centro milanese per lo studio del problema ebraico“, Ministerium für Volkskultur an den Präfekten von Mailand, Rom, 3. September 1943; S. Bon, Gli ebrei, a.a.O., S. 259. Zu den Büchern jüdischer Autoren s. G. Fabre, L’elenco a.a.O., S. 414–415. S. Caviglia, Un aspetto, a.a.O., S. 252, 272–273. Nach M. L. San Martini Barrovecchio, Documenti, a.a.O., S. 161, wurden die Juden (alle oder vielleicht nur die römischen) zwischen dem 2. und 6. September „demobilisiert“. Zu den widersprüchlichen Verhaltensweisen der örtlichen Behörden, die zu-
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Im Hinblick auf die Juden, welche der 1940 eingeführten Internierung unterlagen, befahl der Polizeichef am 29. Juli die Freilassung der italienischen Juden an460; am 10. September wurde mit ausdrücklichem Hinweis auf den „abgeschlossenen Waffenstillstand“ (also unmittelbar bevor die Faschisten und die Deutschen das Innenministerium in Besitz nahmen), die allgemeine Freilassung der „Untertanen feindlicher Staaten“ befohlen461, ferner, nur für das Lager Ferramonti (das allerdings drei Viertel der in einem Lager internierten ausländischen Juden beherbergte), am 29. Mai die Freilassung der staatenlos gewordenen ehemaligen Italiener (d.h. jener, denen die Staatsbürgerschaft 1938 entzogen worden war) und nahezu aller ausländischen Juden („mit Ausnahme besonderer Fälle“)462, sowie am 10. September die allgemeine Freilassung der letzteren463.
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nächst ohne regierungsseitige Anweisungen waren, s. L. Guerrini, La Toscana, a.a.O., S. 204–205; R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 442–443. ACS, MI, DGPS, AGR, 1943, b. 27, fasc. C2, sfasc. „Affari generali“, ins. „Scarcerazione detenuti politici“, Chef der Polizei an die Polizeipräsidenten und die Zonenleiter der OVRA, 29. Juli 1943 (berichtet in: L’Italia dei quarantacinque giorni, a.a.O., S. 196, sowie in: G. Antoniani Persichilli, Disposizioni, a.a.O., S. 92) ACS, MI, DGPS, AGR, Massime, M4, b. 111, fasc. 16, sfasc. 1, ins. 54, Chef der Polizei an die Präfekten, 10. September 1943, Nr. 53 247 (berichtet in: K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. II, S. 398–399; Zuflucht, a.a.O., Bd. II, S. 325, vgl. auch S. 209, S. 174; Der Autor meint jedoch, dass die Depesche auch die „nichtfeindlichen“ Ausländer betroffen habe). Das Rundschreiben gelangte nicht in alle Provinzen (oder wurde zumindest nicht in allen umgesetzt); vgl. C. S. Capogreco, I campi, a.a.O., S. 172. Zur Weiterleitung dieser Bestimmung durch die Polizeipräsidenten an die Bürgermeister s. R. Cruciani (Hrsg.), E vennero… 50 anni di libertà 1943–1993. Campi di concentramento, prigionieri di guerra, internamento libero nelle Marche 1940–1945. Aktualisierte Neufaufl. Macerata (Cooperativa Artivisive) 2000, S. 92; V. Galimi, L’internamento degli ebrei in Toscana, in: E. Collotti (Hrsg.), Razza e fascismo, a.a.O., Bd. II, S. 112, 116. ACS, MI, DGPS, AGR, Massime, M4, b. 124, fasc. 16, sfasc. 2, ins. 13/10, Chef der Polizei an den Leiter des Lagers von Ferramonti und andere, 29. August 1943 (berichtet in: F. Folino, Ferramonti a.a.O., S. 284–85). Vgl. K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. II, S. 208–209; Zuflucht, a.a.O., Bd. II, S. 174. ACS, MI, DGPS, AGR, Massime, M4, b. 124, fasc. 16, sfasc. 2, ins. 13/10, Chef der Polizei an den Präfekten von Cosenza und an den Leiter des Lagers von Ferramonti, 10. September 1943, Nr. 53 261 (berichtet in: F. Folino, Ferramonti, a.a.O., S. 285). Die Sendung dieser telegraphischen Depesche wurde von einem Vertreter der Juden in Ferramonti, Herbert Landau, gefordert, der – zusammen mit dem Lagerleiter Mario Fraticelli vor der Verkündung des Waffenstillstandes nach Rom abgereist – sich persönlich am 9. September zur Abteilung „Internierte“ im Innenministerium begab (dort jedoch „weder Beamte noch Amtsdiener“ antraf), und erneut am 10. September; Fraticelli hatte übrigens am 5. September (noch nicht über die Depesche vom 29. August informiert) die Tore des Lagers öffnen lassen, und am 14. September (vor Eintreffen der Depesche vom 10. September) wurde das Lager von einer englischen Abteilung er-
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Betreffs der besetzten Territorien wurde sogleich die Auslieferung der in Frankreich befindlichen deutschen Juden an Deutschland unterbunden464, und das Außenministerium brachte deutlich seinen Willen zum Ausdruck, alle Juden in den französischen, kroatischen und griechischen Gebieten zu schützen465. Den italienischen oder ehemals italienischen Juden, die sich in Frankreich aufhielten, wurde gestattet, frei nach Italien einzureisen, und eine gleiche Maßnahme wurde für diejenigen in Griechenland geplant466, während für die ausländischen Juden einerseits im allgemeinen das Verbot der Einreise nach Italien aufrecht erhalten wurde und andererseits ihr weiterer Aufenthalt auf der jugoslawischen Insel Arbe oder ihre Verlagerung nach Nizza und Korfu bestimmt bzw. geplant wurde (lauter Orte, die zu jener Zeit nicht von dem vorgesehenen Rückzug der italienischen Streitkräfte erfasst waren)467. Die Verlagerung nach Nizza stand auch in Verbindung mit einem von Angelo Donati – einem italienischen Juden, der in der Hilfstätigkeit in Südfrankreich aktiv war – entworfenen Plan zur Verschiffung der etwa 15.000 dort anwesenden ausländischen Juden nach Afrika; die Regierung Badoglio machte sich diesen Plan zu eigen, stellte aber die Bedingung, die Zustimmung der Deutschen zu erlangen, und die Verzögerungen und das Unverständnis waren so groß, dass, wie bemerkt worden ist, „am Tag des Waffenstillstandes […] Donatis Rettungsplan noch weit von seiner Verwirklichung entfernt [war]“468. Der wohl entscheidende Test für das Handeln der Regierung Badoglio war jedoch die Frage der Verlagerung der italienischen Juden aus nördlichen Regionen Italiens in jene Gebiete, die kurz vor der Befreiung durch die Angloamerikaner standen: Am 2. und am 11. August forderte der Jüdische Weltkongress den Heiligen Stuhl an, in diesem Sinne auf die neuen italienischen Machthaber
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reicht und materiell befreit; C. S. Capogreco, Ferramonti, a.a.O., S. 146–152; K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. II, S. 207–209; Zuflucht, a.a.O., Bd. II, S. 173–174. Vgl. M. Sarfatti, Fascist Italy, a.a.O., S. 321–22. Zu Kroatien s. die Dokumente b. D. Carpi, The Rescue, a.a.O., S. 522–525, sowie in: Ministero degli Affari Esteri, I documenti diplomatici italiani, Serie IX, Bd. X, a.a.O., S. 851, 899. Zu Griechenland s. die Dokumente ebd., S. 896–899 sowie in: D. Carpi (Hrsg.), Italian Diplomatic Documents, a.a.O., S. 297–98. Zu Frankreich s. D. Carpi, Between Mussolini and Hitler, a.a.O., S. 167–168; s. auch die Dokumente in: ACS, MI, DGPS, AGR, Massime (parte non riordinata), S11, fasc. 87, sfasc. 12. Zu Griechenland s. die vorige Fußn. Zu Griechenland und Kroatien s. die vorigen Fußnoten; Zu Frankreich s. die folgende Fußn. K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. II, S. 322–334; Zitat auf S. 334; Zuflucht, a.a.O., Bd. II, S. 264–274, Zitat auf S. 273. Vgl. auch D. Carpi, Between Mussolini and Hitler, a.a.O., S. 169–182.
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Druck auszuüben, „um sie vor Verfolgung und Tod zu bewahren“469, und auch einige führende Personen der Union waren von der Notwendigkeit einer solchen Verlagerung überzeugt470. Rom verstand jedoch diese Forderung nicht oder wollte sie sich nicht zu eigen machen. Das einzige bislang bekannte Dokument – der italienische Vertreter beim Heiligen Stuhl antwortete am 12. August auf eine Note des letzteren mit der Versicherung, dass „den Betroffenen alle möglichen Versicherungen [dass man sie schützen werde] gegeben worden sind, und […] es wird auch deren Verlegung in Zonen erleichtert, die bei ihnen die Besorgnisse zu verringern vermögen“471 – bestätigt den umfassenden Eindruck, dass die Regierung, während sie die Waffenstillstandsverhandlung führte und abschloss, nur darum besorgt war, sich selbst und das königliche Haus in den Süden zu verlagern und sowohl die Bevölkerung Nordund Mittelitaliens in ihrer Gesamtheit als auch deren notorisch der größten 469 Actes et documents du Saint Siège, a.a.O., Bd. IX, S. 417–418, 437; Zitat auf S. 418 („for saving them from persecution and death“); zu einer ähnlichen Aufforderung in den Tagen unmittelbar vor dem 25. Juli vgl. ebd., S. 406–408 (dieser Schritt war das Ergebnis des Alarms, den das Ersuchen des Direktoriums des PNF vom 14. Juni ausgelöst hatte; s.o. S. 196–198). Eine identische Forderung war Mitte August vom Jüdischen Weltkongress bei der Schweizer Regierung erhoben worden, die jedoch entschied, das geforderte Einschreiten nicht durchzuführen (Documents diplomatiques suisses 1848–1945, Bd. XIV. 1er janvier 1941–8 septembre 1943. Bern (Berteli Verlag) 1997, S. 1318–1319). Es ist nicht bekannt, ob der jüdische Weltkongress ähnliche Schritte unmittelbar bei der italienischen Regierung unternommen hat. Hingegen ist sicher, dass am 29. Juli die Delegaciòn de Asociaciones Israelitas Argentinas an Badoglio telegraphierte und ihn um „Rücknahme der Rassegesetze und Schutz der italienischen jüdischen Gemeinschaft“ bat (ACS, PCM, 1937–39, b. 2297, fasc. 3/2– 2, n. 5441, sfasc. 10), und dass ferner am 5. August der Großrabbiner von Genf den italienischen Konsul in dieser Stadt darum bat, dass Italien den Eintritt der Juden Südostfrankreichs in die Halbinsel (oder, hilfsweise, den in die Schweiz) unterstütze (ASMAE, MAE, AP 1931–45, Francia, b. 80, fasc. 7 „Sionismo“, Italienischer Konsul in Genf an das Außenministerium, 5. August 1943). 470 AUCEI, Fondo UCII, Attività fino al 1933, b. 44P, fasc. „Rapporto con i Ministeri. 1941“, Lelio Vittorio Valobra an Dante Almansi, 5. August 1943; ebd., Angelo Sullam an Dante Almansi, 16. August 1943; bereits erwähnt b. K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. II, S. 491–493; Zuflucht, a.a.O., Bd. II, S. 401–402; vgl. auch S. Sorani, L’assistenza, a.a.O., S. 111–112. 471 Brief des Geschäftsträgers des Königreichs Italien, Babuscio Rizzo, an den Staatssekretär des Heiligen Stuhls, Kardinal Maglione, 12. August 1943, in: Actes et documents du Saint Siège, a.a.O., Bd. IX, S. 427. Am 5. August war das Aufenthaltsverbot für Juden in den wichtigsten touristischen Örtlichkeiten der Halbinsel aufgehoben worden (C. Villani, Ebrei fra leggi razziste, a.a.O., S. 164); am Ende des Monats wurden sämtliche „von der ehemaligen Regierung erlassenen beschränkenden Vorschriften über die Ausreise, den Grenzübertritt und den Aufenthalt im Ausland von Staatsangehörigen jüdischer Rasse“ widerrufen. (AdS Livorno, Questura, b. 1347, fasc. „Passaporti. Norme generali“, sfasc. 28, Chef der Polizei, der „im höheren Auftrag“ schreibt, an die Polizeipräsidenten, 27. August 1943).
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Gefahr ausgesetzten Teil der wachsenden militärischen deutschen Präsenz preiszugeben472.
472 Im Hinblick auf die Preisgabe ist zu erwähnen, dass das Innenministerium die Präfekten ermächtigte, (auf Antrag) die beschlagnahmten Radios den Juden zurückzugeben, außer in den Fällen der Beschlagnahme wegen „Abhörens von Feindsendern“ (AdS Reggio Emilia, Prefettura, Documenti riguardanti la razza, b. 2, fasc. „Razza ebraica. Disposizioni generali“, Chef der Polizei an die Präfekten, 13. August 1943).
Fünftes Kapitel Die Zeit der Verfolgung des Lebens der Juden (1943–1945) 1. Die neue Lage Am 8. September wurde die Nachricht von der erfolgten Unterzeichnung des Waffenstillstandes zwischen dem Königreich Italien und den Alliierten verbreitet. Von diesem Tag an war in Folge der raschen Ersetzung der italienischen Behörden durch deutsche Behörden auf Rhodos, in Albanien, in den 1941 angeschlossenen dalmatischen Provinzen, in Westkroatien, in Südgriechenland und in Südostfrankreich das Schicksal der Juden in diesen Gebieten allein durch die Auseinandersetzung zwischen den operativen Fähigkeiten der deutschen Deportatoren und denen der örtlichen Oppositionskräfte und der alliierten Befreier bestimmt1. Das eigentliche italienische Territorium war in zwei Teile geteilt, die durch die sich bewegende Front voneinander getrennt waren. Anfang Oktober 1943 umfasste die von den Alliierten kontrollierte Zone Sizilien, Sardinien, Kalabrien, die Basilicata, Apulien und Kampanien. In diesen Gebieten hatten Nazis und Faschisten nicht die Zeit gehabt, neue antijüdische Maßnahmen zu ergreifen, und die dort lebenden Juden wurden endgültig freigelassen – einschließlich jener Ausländer oder staatenlosen ehemaligen Italiener, die noch interniert waren, weil sie nicht von den in den „45 Tagen“ erlassenen Bestimmungen über die Freilassung erfasst waren, oder weil diese sie wegen des Verwaltungsund Kommunikationschaos noch nicht erreicht hatten2. Es handelte sich um 200 bis 400 Italiener3 und ca. 2.200 Ausländer, darunter ca. 1.500 damals im 1 2
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S. R. Hilberg, La distruzione, a.a.O. Zu Rhodos s. auch L. Picciotto, Il libro, a.a.O., S. 57, 676–678. Zum umfassenden Prozess der Aufhebung der Verfolgungsgesetzgebung s. M. Toscano, Ebraismo e antisemitismo, a.a.O., S. 251–275; vor allem aber G. D’Amico, Quando l’eccezione, a.a.O., sowie A. G. Ricci (Hrsg.), Verbali del Consiglio, a.a.O., Bd. I. S. auch G. Fubini, Dalla legislazione antiebraica alla legislazione riparatoria. Orientamenti giurisprudenziali nell’Italia postfascista, in: RMI LIV Nr. 1–2 (Januar–August 1988), S. 477–493. Einige erste Informationen zu den Juden, die in Bari vor dem Waffenstillstand wohnten oder gleich danach dorthin gelangten, b. F. Terzulli, Il campo di concentramento, a.a.O., S. 514–517.
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Lager von Ferramonti in der Provinz Cosenza Internierte und 150 Freigelassene im Lager von Campagna in der Provinz Salerno4. In den nördlich dieser Zone gelegenen Gebieten begann am 8. September 1943 die Periode der Verfolgung des Lebens der Juden5. Zu denen, die sich bereits auf der Halbinsel befanden, kamen im Verlauf weniger Tage 1.300–1.500 ausländische Juden hinzu, die zusammen mit Dutzenden italienischer Juden überstürzt aus Südostfrankreich geflohen waren und meistens im Bereich von Cuneo Halt gemacht oder sich nach Genua, Florenz und Rom begeben hatten6. Insgesamt betrug die Zahl der Personen „jüdischer Rasse“, die in Mittel- und Norditalien der Verfolgung des Lebens ausgesetzt waren, rund 43.000, davon ca. 8.000 Ausländer oder staatenlose ehemalige Italiener7 und wahrscheinlich 35.000 Italiener (zu den Zahlen für das gesamte Staatsgebiet bis Juli 1943 vgl. Tabelle 6, S. 358). Von diesen machten die „effektiven“ Juden ungefähr 33.000 aus, davon etwa 7.200 Ausländer und rund 25.500 Italiener; doch aus verschiedenen Gründen (nicht zuletzt dem, dass die Gewalt der Verfolgung auch die Autonomie der Identität der Opfer in voller Härte traf), werde ich im Folgenden den Begriff
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K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. II, S. 400; Zuflucht, a.a.O., Bd. II, S. 326–327. Zur Befreiung des Lagers von Ferramonti s.o., Kap. IV, Fußn. 462, 463. Zur Periode der Verfolgung des Lebens s. vor allem L. Picciotto, Il libro, a.a.O.; vgl. auch K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. II; Zuflucht, a.a.O., Bd. II. Das Buch von Liliana Picciotto enthält auch ein Verzeichnis der aus Italien Deportierten sowie Kurzbiographien zu jedem Opfer; die dort veröffentlichten numerischen Auflistungen modifizieren und ergänzen die 17 Jahre vorher – ebenfalls im Jüdischen Zeitgeschichtlichen Dokumentationszentrum in Mailand – erarbeiteten und von G. Donati veröffentlichten Zahlen: G. Donati, Persecuzione e deportazione degli Ebrei dall’Italia durante la dominazione nazifascista, in: Centro di Documentazione Ebraica Contemporanea, Ebrei in Italia: deportazione, Resistenza. Florenz (Tipografia Giuntina) 1974, S. 5–32. Was hingegen die von Eloisa Ravenna vom Jüdischen Zeitgeschichtlichen Dokumentationszentrum erstellte Aufstellung der Deportierten nach ihren jüdischen Gemeinden angeht [veröffentlicht in: R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O. ab der 3. Auflage von 1972 (4. Aufl. S. 465)], so ist zu berücksichtigen, dass die dort angegebenen Daten bislang noch darauf warten, der in der Anmerkung zur Aufstellung erwähnten Überprüfungen und Ergänzungen unterworfen zu werden. Zur Geschichte der Listen der Deportierten s. L. Picciotto, Il libro, a.a.O., S. 17–26. Zu den Zeugnissen der aus der Deportation Zurückgekehrten s. A. Bravo / D. Jalla (Hrsg.), Una misura onesta. Gli scritti di memoria della deportazione dall’Italia 1944–1993. Mailand (Angeli – Consiglio regionale del Piemonte – Aned) 1994. K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. II, S. 400, 413–421; Zuflucht, a.a.O., Bd. II, S. 326–327, 337–343. Ebd., S. 399–400, S. 326–327.
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Juden für alle 43.000 Verfolgten verwenden8. Sie waren in allen Regionen unterschiedlich verteilt, hielten sich aber insbesondere in Rom auf, wo mehr als ein Viertel der italienischen Juden lebte; in dieser Stadt dauerte die Zeit der Verfolgung des Lebens neun Monate, in Florenz elf Monate, in Norditalien zwanzig Monate. Etwa 500 Verfolgten gelang es, die Frontlinie zu überschreiten (mitunter durch deren Umgehen über die Adria) und die südlichen Gegenden der Halbinsel zu erreichen9. Weitere 5.500–6.000 (davon ein Drittel Ausländer) schafften es, in die Schweiz zu gelangen und sich dort eine Aufenthaltserlaubnis zu besorgen, während nicht weniger als 300 abgewiesen wurden und nach Italien zurückkehren mussten (insgesamt wurden mindestens 250–300 Juden verhaftet, bevor sie die Schweiz erreichten oder nachdem sie dort abgewiesen worden waren)10. In der Zeit von September bis Dezember 1943 registrierte ein Tessiner Grenzposten 94 aufgenommene und 53 abgewiesene Juden; von den letzteren gelang es mindestens zwölf später doch noch, in der Schweiz Aufnahme zu finden, während acht in Italien verhaftet und nach Auschwitz deportiert wurden, von wo nur einer zurückkehrte11 (es ist sehr wahrscheinlich, dass neben den „registrierten“ Abgewiesenen es noch verschiedene „nicht registrierte“ Abgewiesene ge8 9
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Die beiden hier angegeben umfassenden Zahlen unterscheiden sich von der Gesamtzahl von 38.807 „Juden im Herrschaftsbereich der RSI und der deutschen Besatzung im September 1943“ in: L. Picciotto, Il libro, a.a.O., S. 855. Ebd., S. 857. Die Zahl stimmt überein mit den gegenwärtig bekannten Mindestzahlen: mindestens 120 Ausländer (K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. II, S. 487–489; Zuflucht, a.a.O., Bd. II, S. 379–399) und mindestens 140 Italiener; s. „Distinta degli ebrei emigrati dall’Italia dopo il luglio 1943 e rifugiatisi sia nella Svizzera che nell’Italia Meridionale“, veröffentlicht vom Italian Jewish Representative Committee von New York und als Anlage dem Bollettino d’informazione, herausgegeben vom Comitato rappresentativo italiano des World Jewish Congress, September 1944 beigefügt; zum Schicksal eines von ihnen s. V. Sacerdoti, Morire come un fesso? No grazie, in: Shalom XXII Nr. 11 (Dezember 1988), S. 25. Meir Artom hat seine Fahrt von Florenz (13. September 1943) nach Messina (8. Oktober) in einigen Briefen aus den Jahren 1943 und 1944 beschrieben, wiedergegeben in: N. Bucaria, Al Tempio, a.a.O., S. 282–89. Die Angaben zu den Eingelassen und zu den Abgewiesenen (und die betreffenden Namensverzeichnisse) finden sich b. R. Broggini, La frontiera della speranza. Gli ebrei dall’Italia verso la Svizzera 1943–1945. Mailand (Mondadori) 1998, S. 7, 451–517. Zu den Übertritten und zum Leben in der Schweiz vgl. ebd.; s. auch M. Sarfatti, Dopo l’8 settembre: gli ebrei e la rete confinaria italo-svizzera, in: RMI XLVII Nr. 1–3 (Januar–Juni 1981), S. 150–173; K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. II, S. 480–86; Zuflucht, a.a.O., Bd. II, S. 392–397; dieser schätzt die Festnahmen (S. 392) auf 300 bis 400, doch die Zahlen, auf die er sich stützt, umfassen auch Verhaftete, die einen festen Wohnsitz in der Nähe der Grenze hatten. A. Bazzocco, Fughe, traffici, intrighi. Alla frontiera italo-elvetica dopo l’armistizio dell’8 settembre 1943, in: Rivista storica svizzera Bd. 52 (2002), S. 199.
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geben hat)12. Einige dieser Fluchten geschahen in den Tagen unmittelbar nach dem 8. September, doch die große Mehrzahl spielte sich nach dem Beginn der Verhaftungen und der Massaker ab. Einige Gruppen von Alten und Kindern bezahlten für den heimlichen Übertritt in die Schweiz von 3.000 bis über 10.000 Lire pro Person13; solche Summen waren für andere Familien zu hoch, die schon immer arm gewesen oder es durch die Verfolgung geworden waren. Am 10. September traf Hitler einige grundlegende Entscheidungen über die neue Organisation jener italienischen Gebiete; sie wurden in drei „Operationszonen“ und in eine Besatzungszone aufgeteilt. Im Einzelnen wurden eingerichtet: Die Operationszone Alpenvorland (umfassend die Provinzen Bozen, Trient und Belluno), die Operationszone Adriatisches Küstenland (umfassend die Provinzen Udine, Gorizia, Triest, Pola, Fiume und Ljubljana), eine Operationszone, welche das Hinterland der Front (und – bis zum 10. Oktober – die Zentralgebiete) umfasste und eine Besatzungszone, welche die übrigen nördlichen und – seit dem 10. Oktober – auch die zentralen Bereiche umfasste. In allen Zonen übernahmen die Deutschen die militärische Verantwortlichkeit; in den Operationszonen Alpenvorland und Adriatisches Küstenland übernahmen sie auch die zivile Verantwortlichkeit (welche zwei deutschen „Obersten Kommissaren“ übertragen wurde, die Hitler unmittelbar unterstanden), während in den andren drei Zonen (d.h. im größten Teil der Halbinsel) die zivilen Verantwortlichkeiten von der neuen faschistischen italienischen Verwaltung übernommen wurden14. Die letztere begann am 23. September, sich förmlich zu konstituieren, als Mussolini von Deutschland aus die Zusammenstellung der Regierung des neuen republikanischen faschistischen Staates verkündete, der am 1. Dezember 1943 den Namen Italienische Sozialrepublik (Repubblica sociale italiana – RSI) annahm, und dessen Vertreter und Anhänger den Spitznamen „Repubblichini“ erhielten. Die neue Regierung betrachtete den von der Regierung Badoglio (die übrigens Deutschland erst am 13. Oktober den Krieg erklärte) unterzeichneten Waffenstillstand als null und nichtig und erneuerte die früheren Militärbündnisse; am 28. September wurde sie von Deutschland offiziell anerkannt. Mussolini übernahm die Ämter des Regierungschefs und des Außenministers und überließ die gesamte Verantwortlichkeit für die inneren Angelegenheiten zunächst Guido Buffarini Guidi und dann – seit dem 12 13 14
Commissione Indipendente d’Esperti Svizzera – Seconda Guerra Mondiale, La Svizzera, il nazionalsocialismo e la Seconda Guerra Mondiale. Rapporto finale. Locarno (Dado) 2002, S. 114–115. R. Broggini, La frontiera, a.a.O., S. 44–45 und passim. L. Klinkhammer, L’occupazione tedesca in Italia 1943–1945. Turin (Bollati Boringhieri) 1993, S. 51–56.
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21. Februar 1945 – Valerio Paolo Zerbino. Das Amt des Polizeichefs, das Carmine Senise noch bis zum 23. September 1943 bekleidete, wurde ab dem 1. Oktober 1943 von Tullio Tamburini, ab dem 24. Juni 1944 von Eugenio Cerutti und ab dem 4. Oktober von Renzo Montagna wahrgenommen15. Auf deutscher Seite lagen die Operationen gegen die Juden in der Zuständigkeit einer polizeilichen Spezialabteilung, der Abteilung B 4 des Amtes IV (Geheime Staatspolizei – Gestapo) der Sicherheitspolizei (SicherheitspolizeiSicherheitsdienst – SIPO-SD), einer Abteilung, die unmittelbar dem Reichssicherheitshauptamt (RSHA) unterstand. Die italienische Gliederung der SIPOSD nahm ihren Sitz in Verona unter dem Oberkommando von Wilhelm Harster; direkt verantwortlich für die Aktionen gegen die Juden waren Theodor Dannecker bis Dezember 1943 und Friedrich Bosshammer ab dem folgenden Januar. Im Adriatischen Küstenland wurde eine teilweise autonome SIPO-SDGliederung eingerichtet, die unter dem Oberkommando von Odilo Globocnik stand; dem letzteren war neben der Abteilung IVB4 auch eine weitere antijüdische Einsatzgruppe, genannt Abteilung R oder Aktion R unterstellt16. Die Ereignisse des 8. September und der unmittelbar darauf folgenden Tage bedeuteten für die Juden Mittel- und Norditaliens die sofortige Wiederaufnahme der Verfolgungen der Rechte und den sofortigen Beginn der Verfolgung des Lebens, obgleich die letztere an den unterschiedlichen Orten zu verschiedenen Zeiten einsetzte. Sie wurde in den Operationszonen Alpenvorland und Adriatisches Küstenland allein von den Deutschen durchgeführt, in den anderen Gebieten zunächst von den Deutschen allein, danach von diesen gemeinsam mit den Italienern. Alles in allem gelang es, wie Liliana Picciotto zusammenfassend festgestellt hat, den Juden niemals, „in dem subtilen Gegenspiel der Behauptung der Souveränität zwischen dem Besatzer und dem besetzten Verbündeten, der verzweifelten Lage von Opfern der ‘illegalen’ und brutalen deutschen Durchkämmungsaktionen einerseits und der ‘legalen’ italienischen Verhaftungen andererseits zu entkommen“17. Was die „Durchführbarkeit“ der Verhaftungen angeht, muss bedacht werden, dass im Verlauf der vorhergehenden fünf Jahre die Juden der Halbinsel wiederholt identifiziert, gezählt, aufgelistet und registriert worden waren und dass 15 16 17
Die Angaben zum Eintritt von Cerruti und Montagna in ihr Amt stützen sich auf den Artikel „Eugenio Cerruti“ von M. Missori, Gerarchie, a.a.O., S. 187. Zur Abteilung IVB4 und generell zur deutschen Polizei in Italien s. L. Picciotto, Il libro, a.a.O., S. 858–866, 881, 889, 911–915, 932–933. Vgl. auch L. Klinkhammer, L’occupazione, a.a.O., S. 84–93. L. Picciotto, Il libro, a.a.O., S. 11.
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auch nach dem 25. Juli 1943 die Gemeinden damit fortgefahren hatten, die Geburten, Todesfälle und Wohnortwechsel zu registrieren und den Präfekten und der Demorazza zu melden. So nahm beispielsweise die Gemeinde Mailand im Juli/August 1943 dreizehn weitere Erklärungen der „Angehörigkeit zur jüdischen Rasse“ auf (es handelte sich um italienische Juden, die über Bardonecchia oder über Ljubljana repatriiert worden waren) und eine weitere am 15. November 1943; ebenfalls um dieses Datum herum stellte sie Ermittlungen über die Klassifizierung der Tochter aus einer Mischehe an, wozu sie diese aufforderte, persönlich bei den Gemeindebehörden zu erscheinen (am 3. Dezember wurde der jüdische Vater von der italienischen Polizei verhaftet und einige Monate später nach Auschwitz deportiert und dort ermordet)18. Ebenso teilte die Gemeinde Mantua im Mai 1944 mit, dass seit Oktober 1943 drei Todesfälle und eine Geburt (am 19. April) eingetreten seien19. Die Antifaschisten waren sich der Gefahr bewusst, die von diesen Verzeichnissen für die Juden ausging. Anfang Oktober richtete ein Flugblatt folgende Aufforderung „an die höheren Beamten und Exekutivorgane der Sicherheitsbehörden“ von Mailand: „Ihr müsst verhindern, dass die Liste der Antifaschisten und der Israeliten, die im Polizeipräsidium aufbewahrt werden, in die Hände der Hitlerianer oder der Faschisten fallen. Ihr müsst rechtzeitig auf kluge Weise die von Verhaftung bedrohten Italiener warnen und ihnen dabei helfen, sich in Sicherheit zu bringen“20. 18 19
20
Archivio corrente del Comune di Milano, registri delle „dichiarazioni di razza“, sowie Dokumentenmappe „Confermati di razza ebraica“; L. Picciotto, Il libro, a.a.O., zum deportierten Vater. AdS Mantova, Prefettura, Gabinetto, b. 15, fasc. „Razza ebraica“, sfasc. Elenco generale degli ebrei, ins. „Aggiornamento schedario ebrei“, Formular mit der Überschrift „Variazioni verificatesi tra la popolazione di razza ebraica [Festgestellte Veränderungen in der Bevölkerung jüdischer Rasse“ betreffend die Zeit von Oktober 1943 bis April 1944. AdS Milano, Prefettura, Gabinetto, II versamento, c. 254, Anonymes Flugblatt, 2. Oktober 1943; hier zitiert aus dem Auszug in: „Che c’è di nuovo? Niente: la guerra. Donne e uomini del milanese di fronte alle guerre 1885–1945“. Mailand (Mazzotta) 1997, S. 274. Die Mailänder Ausgabe der kommunistischen Untergrundzeitung l’Unità vom 12. Oktober berichtete, dass der Polizeipräsident von Mailand den Deutschen und den Faschisten bereits „die Liste der Kommunisten“ ausgehändigt habe und „jetzt dabei ist, diejenige der Juden und anderer Antifaschisten zu erstellen und auszuhändigen“. In Befolgung von Vorschriften, die im August 1943 erlassen worden waren, vernichteten am 8. und am 9. September einige Polizeipräsidenten (zumindest diejenigen von Cremona und Parma) sämtliche Grenzberichte einschließlich des Spezialberichts über ausländische Juden (vgl. ACS, MI, DGPS, AGR, cat. A5G II g. m., b. 431, fasc. „Distruzione carteggio riservato“); die Anordnung und die Vernichtung betrafen jedoch nicht die anderen zahlreichen, „nicht speziellen“ Verzeichnisse von italienischen und ausländischen Juden in den Polizeipräsidien.
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Auch die Faschisten waren sich dessen bewusst. Giovanni Pestalozza (später zum Privatsekretär des Generalinspektors für die Rasse Giovanni Preziosi und sodann zum Chef der Italienischen Rassezentren ernannt)21 hatte bereits am 14. September die deutschen Behörden von Genua aufgefordert, „dafür zu sorgen, dass alle Juden, die hier wohnen, nach Polen geschickt werden“; am 23. September äußerte er sich ihnen gegenüber: „Ich schlage vor, sofort die Einwohnermeldeämter zu besetzen, bevor die Listen der Juden verbrannt werden können. Außerdem müsste man den Bürgermeistern die Aufstellung und Aushändigung der Listen der evakuierten Juden verlangen“22.
2. Die judenfeindliche Politik des deutschen Verbündeten und Besatzers Die deutschen Aktionen gegen die Juden begannen sogleich nach dem 8. September. In der Zone Bozen wurde seitens der neu konstituierten lokalen Sicherheits- und Ordnungspolizei (SOD) und von SIPO-SD sogleich mit den Verhaftungen begonnen, und in Folge des Erlasses des förmlichen Befehls des deutschen Polizeichefs von Bozen vom 12. September, die Volljuden zu verhaften, wurden sie noch intensiviert23. Insgesamt wurden in jenen Tagen in Meran, in Bozen und an anderen Orten 35 italienische und ausländische Juden verhaftet; 22 von ihnen (im Wesentlichen alles Ausländer) wurden am 16. September in das österreichische Sammellager Reichenau, das Vorzimmer für Auschwitz, deportiert; weitere 10 (im Wesentlichen alles Italiener) wurden am 28. September deportiert24. Ab dem 18. September gingen Abteilungen des Heeres und der Militärpolizei, die im Bereich von Cuneo stationiert waren, dazu über, 350 bis 400 ausländische Juden, welche zu der aus Frankreich gekommenen Gruppe gehörten, systematisch aufzuspüren und im Lager Borgo San Dalmazzo unterzubringen; 329 von ihnen wurden am 21. November in das 21 22 23 24
ACS, RSI-PCM, Pratiche 1943–45, b. 4, fasc. 3096, sfasc. 5; ACDEC, AG, cat. 1AV, Tabelle des Personals beim Inspektorat für die Rasse. C. Gentile, September 1943. Documenti sull’attività della divisione „LeibstandarteSS-Adolf Hitler“ in Piemonte, in: Il presente e la storia Nr. 47 (Juni 1995), S. 77, 120–123. Österreichisches Institut für Zeitgeschichte, Wien, Chef der deutschen Polizei in Bozen an den Verantwortlichen der AdO, 12. September 1943; wiedergegeben in: Option Heimat Opzioni, a.a.O., it. Ausgabe, S. 285. C. Villani, Ebrei fra leggi razziste, a.a.O., S. 165–179. Zur Feststellung der Nationalität der Deportierten stütze ich mich auf ebd., S. 200–205; ACS, MI, DGPS, AGR, A16 ebrei stranieri, b. 9, fasc. 15, vari elenchi; Ministero dell’Interno, „Rubrica speciale degli ebrei stranieri“, Rom 1938. Zu dieser und zu allen folgenden Deportationsaktionen s. ferner, wie bereits erwähnt, L. Picciotto, Il libro, a.a.O., passim.
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französische Lager Drancy (und sodann nach Auschwitz) deportiert25; am 28. September verhafteten sie auch 21 bis 24 italienische Juden aus dem Gebiet um Cuneo, die jedoch am 9. November allesamt mit der Auflage entlassen wurden, in ihren Wohnungen zu verbleiben (wie es scheint, sind alle den folgenden Razzien entkommen)26. Vom 15. bis zum 23. September und dann noch einmal vom 9. bis zum 11. Oktober verhafteten andere Militärs 56 italienische und ausländische Juden zwischen dem piemontesischen Ufer des Lago Maggiore und der Stadt Novara; alle wurden ihrer Habe beraubt und sodann ermordet27. Am 5. Oktober begann das örtliche deutsche Militärkommando eine Razzia nach den Juden der Provinz Ascoli Piceno, überließen dann aber einige Tage später deren Weiterführung den italienischen Polizeikräften und ordneten ihre Konzentration im Lager von Servigliano an (am Ende des Monats waren nach der Flucht von etwa 10 von ihnen 14 italienische Juden und 46 ausländische Juden interniert; im folgenden Frühjahre wurden sie – wie noch zu schildern sein wird – bei der Flucht aus dem Lager unterstützt, doch 25
26
27
Zur Zahl der am 18. September Verhafteten (216) s. C. Gentile, September 1943, a.a.O., S. 85, 111, 119. Der vom Präfekten eingesetzte stellvertretende Bürgermeister von Borgo San Dalmazzo erläuterte in einem Schreiben vom 28. Oktober 1943, dass im Lager 412 internierte Juden seien, „die aus Frankreich gekommen seien“ oder „in der Provence aufgelesen“ worden seien – diejenigen aus Cuneo waren, wie noch ausgeführt werden wird, wenig mehr als zwanzig; A. Cavaglion, Nella notte straniera. Gli ebrei di St.-Martin-Vésubie 8 settembre–21 novembre 1943. 3. Aufl. Cuneo (L’Arciere) 1998, S. 76–77. Undatiertes Verzeichnis von 349 Ausländern, fast allesamt Juden und Deportierte, ebd., S. 73, 129–155. Die einzigen bekannten Namen sind diejenigen der elf Männer über 18 Jahren; insgesamt betrug die Zahl der Verhafteten 24 nach L. Picciotto, Il libro, a.a.O., S. 868; 21 oder 23 nach A. Cavaglion, La deportazione dall’Italia. Borgo San Dalmazzo, in: Spostamenti di popolazione, a.a.O., S. 365; 21 nach A. Muncinelli, Even. Pietruzza della memoria. Ebrei 1938–1945. Turin (Gruppo Abele) 1995, S. 1661–67 (zu den – angeordneten, aber nicht durchgeführten – Verhaftungen der Juden von Saluzzo und Mondovì s. ebd., S. 168–169). Das Formular zur Entlassung aus dem Lager stellte klar, dass der ehemals Internierte seinen Wohnsitz nicht ohne Erlaubnis des deutschen Militärkommandos ändern durfte und dass er sich dreimal wöchentlich bei der örtlichen Station der Carabinieri vorstellen musste; ACDEC, AG, cat. 5F, fasc. „Borgo San Dalmazzo“, Fotokopie der zweisprachigen Bescheinigung über die Entlassung aus dem Lager, unterschrieben vom Militärkommandanten und von einem „Stabsfeldwebel der Kavallerie“, datiert vom 9. November 1943 und betreffend Laura Lattes; vgl. Auch: Le vicende degli ebrei di Cuneo, in: Israel XXX Nr. 39–40 (6. September 1945). Zu dem Umstand, dass die Entlassenen nicht erneut verhaftet wurden, s. A. Cavaglion, La deportazione, a.a.O., S. 358; A. Muncinelli, Even, a.a.O., S. 172. L. Picciotto, Il libro, a.a.O., S. 818–819; M. Nozza, Hotel Meina. La prima strage di ebrei in Italia. Mailand (Mondadori) 1993. Übrigens informierte das örtliche deutsche Kommando seine vorgesetzte Dienststelle am 17. und 18. September, dass die Juden jener Zone „in Sicherheit gebracht werden“ oder „in Lagern konzentriert werden“; C. Gentile, September 1943, a.a.O., S. 85, 109.
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etwa die Hälfte wurde erneut verhaftet und über Fossoli nach Auschwitz deportiert)28. Schließlich durchkämmten am Samstag, dem 9. Oktober deutsche Kräfte, die nicht mehr genau bezeichnet werden können, die Stadt Ancona nach Juden; die Operation schloss jedoch ohne jede Verhaftung, weil in den unmittelbar vorhergehenden Tagen der Vorsitzende und der Oberrabbiner der jüdischen Gemeinde beschlossen hatten, die letztere zu „schließen“ (sic) und die Juden aufgefordert hatten, sich zu verbergen29. Die erste dieser Aktionen gegen die Juden scheint hauptsächlich durch die Politik der Annexion an das Dritte Reich motiviert gewesen zu sein, welche von den neuen Behörden in Bozen sogleich in Gang gesetzt wurde. Bei den anderen standen wahrscheinlich Gründe der „Sicherheit“ im Vordergrund, allerdings wurden sie nicht auf Anordnung und unter Kontrolle der Sonderpolizei durchgeführt, und dies erklärt auch das unterschiedliche Schicksal der Gruppen von Verhafteten (es kam auch vor, dass Soldaten der Wehrmacht am 9. September in Finale Emilia die ausländischen Juden dieser Ortschaft verhafteten, sie aber am folgenden Tage wieder entließen)30. Wahrscheinlich ebenfalls zum Zwecke der „Sicherheit“ bestätigten oder erneuerten die örtlichen deutschen Militärkommandos – zusammen mit den italienischen Behörden – die Internierung aller Ausländer in Lagern nördlich der Frontlinie; die davon betroffenen Juden waren ca. 400; sie waren verteilt auf die Lager Urbisaglia und Sforzacosta in der Provinz Macerata, Civitella della Chiana in der Provinz Arezzo und Civitella del Tronto und Nereto in der Provinz Teramo (in den zuletzt genannten beiden Lagern wurden die männlichen Internierten, egal ob Juden oder nicht, vom 26. Oktober bis zum 5. De28
29
30
C. Di Sante, L’internamento civile nell’Ascolano e il campo di concentramento di Servigliano (1940–1944). Documenti e testimonianze dell’internamento fascista. Ascoli Piceno (Istituto provinciale per la storia del Movimento di Liberazione nelle Marche) 1998, S. 58–61; AdS Ascoli Piceno, Questura, Fondo Ebrei, b. 1/13, fasc. „Internati provincia di Ascoli Piceno“, Durchschlag eines Briefes mit Übermittlung des deutschen Befehls durch den Polizeipräsidenten von Ascoli Piceno an verschiedene Kommandos, Kompanien und Unterkommandos der Carabinieri, 8. Oktober 1943; ebd., Entwurf eines Briefes des Polizeipräsidiums von Ascoli Piceno an die Präfektur von Ascoli Piceno, 31. Oktober 1943. E. Toaff, Perfidi giudei, a.a.O., S. 52; Comunità Israelitica di Ancona, Relazione del consiglio di amministrazione 10 marzo 1940–11 maggio 1946, Ancona o. D., S. 6 (zur Entscheidung der Verantwortlichen der Gemeinde). Am 13. September war aus Furcht vor einer deutschen Aktion auch in Florenz die „Schließung“ der Gemeinde beschlossen worden; s. Eugenio Artom an den Verwaltungsrat der israelitischen Gemeinde von Florenz: Bericht, datiert vom 10. Mai 1945, in: ACDEC, AG, cat. 13B, „Firenze“. K. Voigt, Deportazione e salvataggio degli ebrei nel modenese, in: G. Procacci / L. Bertucelli (Hrsg.), Deportazione e internamento militare in Germania. La provincia di Modena. Mailand (Unicopli) 2001, S. 497.
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zember 1943 bzw. vom 22. Dezember bis zum 23. Januar 1944 von den Deutschen zur Zwangsarbeit herangezogen)31. Während andere Einheiten der deutschen Polizei – beispielsweise die an der Front stationierten – während der gesamten Besatzungszeit zur Verhaftung einzelner Juden und zu deren Auslieferung an die Sonderabteilung der Gestapo schritten32, empfing die letztere im September den förmlichen Befehl, die seit vielen Monaten in anderen Ländern Europas durchgeführten antijüdischen Maßnahmen auf die italienischen Juden und auf das italienische Territorium auszudehnen. Es sind nur wenige Einzelheiten bekannt über den äußerst raschen Prozess, mit dem Deutschland die mit der vorherigen faschistischen Regierung getroffene Vereinbarung annullierte, die Juden italienischer Staatsbürgerschaft, die sich in den von ihnen kontrollierten Ländern aufhielten, von der Deportation auszunehmen. Es ist bloß bekannt, dass Adolf Eichmann am 16. September diese Ausnahme bereits als widerrufen ansah33. Und es ist sicher, dass am 23. September 1943 das Reichssicherheitshauptamt „im Einvernehmen“ mit dem deutschen Außenministerium seinen nachgeordneten Behörden und Nebenbehörden mitteilte, dass die Juden italienischer Staatsangehörigkeit „ab sofort“ der „Ausweisung in Richtung Osten“ (d.h. der Deportati31
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K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. II, S. 403–412, 437–441; Zuflucht, a.a.O., Bd. II, S. 329–336, S. 355–359. Voigt hat festgestellt, dass infolge einer Aufforderung des Präfekten von Arezzo vom 25. Oktober 1943 das Innenministerium am 1. November förmlich das Rundschreiben vom 10. September zurücknahm, das die Freilassung der internierten Untertanen von Feindstaaten angeordnet hatte; ebd., S. 398–399, 412– 413; S. 324–325, 336. sowie o. Kap. IV, Fußn. 461, 463; die beiden Dokumente sind aufbewahrt in: ACS, MI, DGPS, AGR, cat. A4bis, b. 1, fasc. 4; ACS, MI, DGPS, AGR, Massime, M4, b. 111, fasc. 16, sfasc. 1, ins. 54. Nach meiner Ansicht wurden jene Freilassungen zumindest faktisch bereits im Laufe des September widerrufen (schon am 13. September erklärte der Polizeipräsident von Florenz die Anordnung der Freilassung für „ausgesetzt“; s. V. Galimi, L’internamento in Toscana, a.a.O., Bd. I, S. 541 und Bd. II, S. 116); vielleicht gab es auch eine besondere ministerielle Anordnung, aus der die folgende, am 27. September erlassene Anordnung des Polizeipräsidenten von Macerata an einen Bürgermeister der Provinz abgeleitet worden sein könnte: „Die vom 26. Juli bis zum 26. September entlassenen Zivilpersonen, die immer noch in der Gemeinde wohnen, sind erneut als interniert mit allen daraus folgenden Wirkungen anzusehen“; das Dokument ist wiedergegeben in: R. Cruciani (Hrsg.), E vennero…, a.a.O., S. 93. Vgl. das Tagebuch „Chronik über den Kriegseinsatz des Zollgrenzschutzes in Italien. Bz.Kom. G-Varese“, aufbewahrt beim Museum für Zeitgeschichte Mailand [Museo di storia contemporanea di Milano], it. Übers. In: A. De Bortoli, A fronte alta. Varese (Tipografia G.C.B.) 1975, S. 193–225; mit Hinweis auf mehr als 60 Verhaftungen zwischen dem Lago Maggiore und dem Luganer See von September 1943 bis Februar 1944 (davon zwei Drittel im Dezember) L. Klinkhammer, L’occupazione, a.a.O., S. 605 Fußn. 119.
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on) unterlägen34. Schon am Tag darauf empfing der oberste Verantwortliche der deutschen Sicherheitspolizei in Rom, Herbert Kappler, den Befehl, mit den Vorbereitungen für die Verhaftung und die Deportation aller Juden jener Stadt zu beginnen35 (und im Oktober stellte der Kommandant des II. SSPanzer-Korps, zu denen einige Divisionen gehörten, die nach dem 8. September nach Italien verlegt worden waren, gegenüber seinen Untergebenen klar, dass die Verhaftung von Juden und die Einziehung ihrer Wertsachen – die als antijüdische Maßnahmen, nicht als „Sicherheits“- oder ähnliche Vor34
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Rundschreiben, unterschrieben vom Chef der Gestapo Heinrich Müller im Namen des Chefs der Sipo-SD Ernst Kaltenbrunner, an die Polizeiverantwortlichen in den kontrollierten europäischen Territorien, 23. September 1943; berichtet in: Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof. Nürnberg 14. November 1945–1. Oktober 1946. Nürnberg 1948, Bd. XXXII, S. 185– 188 (Nr. 3319 – PS/XV): „Im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt können nunmehr sämtliche nach Abschluss der sog. Heimschaffungsaktion im Deutschen Machtbereich verbliebenen Juden mit der Staatsangehörigkeit der nachstehend aufgeführten Länder: 1) Italien […] in die Abschiebungsmaßnahmen einbezogen werden. […] Die erforderlichen Maßnahmen sind bezüglich: a) der Juden Italienischer Staatsangehörigkeit sofort […] durchzuführen“ Vgl. auch E. Kolb, Bergen Belsen, a.a.O., S. 26; R. Hilberg, La distruzione, a.a.O., S. 481, 691–692; L. Picciotto, Il libro, a.a.O., S. 876–877. Das lange Verzeichnis der Empfänger des Rundschreibens umfasste nicht die in Italien tätigen Verantwortlichen; ersichtlich erhielten diese eine besondere Direktive. Von diesem Befehl ist bislang nur eine heimliche italienische Übersetzung bekannt, die teilweise mitgeteilt wird in: M. Tagliacozzo, La Comunità di Roma sotto l’incubo della svastica. La grande razzia del 16 ottobre 1943, in: G. Valabrega (Hrsg.), Gli Ebrei in Italia durante il fascismo, Nr. 3, a.a.O., S. 9–10 [zur Herkunft des Dokumentes s. R. Katz, Black Sabbath. A Journey Through a Crime Against Humanity. New York (Macmillan) 1969 (it. Übers.: Sabato nero. Mailand {Rizzoli} 1973, S. 344–345)]. Tagliacozzo berichtet, dass der Befehl einige Tage zuvor Kappler telefonisch vorangekündigt worden sei und dass er die Überführung „aller Juden ohne Unterscheidung nach Staatsangehörigkeit, Alter, Geschlecht oder Gesundheitszustand“ nach Deutschland (sic) anordnete, und er gibt den Abschnitt, der Kappler auffordert „die Vornahme etwaiger antijüdischer Maßnahmen individuellen Charakters aufzuschieben“, wörtlich wieder. Zu bemerken ist noch, dass Existenz und Inhalt des Befehls und des Telefonats vollkommen übereinstimmen mit dem Rundschreiben des RSHA vom 23. September, mit den von Kappler abgegebenen Erklärungen anlässlich des Verhörs im Amtshilfeverfahren vom 27. Juni 1961 im Rahmen des Strafverfahrens gegen Adolf Eichmann – s. „Il XVIII anniversario di una data tristissima. Il 16 ottobre come ce lo racconta Kappler“, in: Israel XLVII Nr. 3 (12. Oktober 1961) –, mit den vorbereitenden Aktionen zur Razzia gegen die römischen Juden (vom 16. Oktober), die ebenfalls von Kappler (Befehl zur Auslieferung von 50 Kilogramm Gold und Beschlagnahme des laufenden Archivs der jüdischen Gemeinde) und von einer Sondereinheit (Verwüstung der wertvollen jüdischen Bibliotheken) durchgeführt wurden, sowie mit dem Eintreffen des Verantwortlichen des IVB4, Dannecker, in Rom Anfang Oktober, der mit dem Abschluss der Vorbereitungen zur Razzia und der Leitung der Verhaftungen und der Deportation beauftragt war; s. L. Picciotto, Il libro, a.a.O., insb. S. 877, 881.
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kehrungen verstanden wurden – zur „ausschließlichen Zuständigkeit“ von SIPO-SD gehörten36). Mit der Verhaftung wurden zunächst die Staatsbürger jener Staaten verschont, die mit Deutschland eine Vereinbarung über die Befreiung von Deportationen unter der Bedingung einer raschen Repatriierung vereinbart hatten (doch der ursprünglich zehn Staaten umfassenden Gruppe gehörte neben Italien auch Dänemark nicht mehr an)37. Die Fristabläufe für die Repatriierung, die durch eine deutsche Verordnung vom 23. September 1943 für Türken auf den 10. Oktober, für die anderen auf den 20. Oktober festgesetzt worden war, wurden schließlich allesamt auf den 31. Dezember fixiert. Ab Januar hörte auch für diese Juden die Verschonung mit der Verhaftung, bzw. – wie es meistens der Fall war – die Freilassung aus der Haft auf38. Hingegen hatten die Deutschen sogleich mit der Verhaftung der jüdischen Staatsbürger von Feindstaaten begonnen. Zwischen Ende Januar und Mai 1944 wurden zahlreiche Dutzend Juden der ersten Kategorie (hauptsächlich Türken, später Schweizer, Ungarn, Südamerikaner usw.) und auch einige Dutzend der zweiten Kategorie (in erster Linie solche lybischer Herkunft mit englischem Pass) nach Bergen Belsen oder in andere Lager deportiert, von wo beide Gruppen dank dem Ver36
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Bundesarchiv-Militararchiv, Freiburg, RS 2 – 2/21, Teil 2, Befehl des Generals der SS Paul Hausser, 7. Oktober 1943: „Nach Meldung des Höheren SS- und Polizeiführers im adriatischen Küstenland [Globocnik] soll es vorkommen, dass von der Truppe Inhaftierungen von Fremdvölkischen und Juden durchgeführt und vorgefundene Werte unkontrollierbar vereinnahmt werden. Inhaftierungen solcher Elemente und Vereinnahmungen von Vermögenswerten sind ausschließlich Sache der Sicherheitspolizei und des S.D. und daher verboten. Ich werde Übertretungen dieses Befehls bestrafen. Jeder Mann ist hierüber eingehend zu belehren“ (das Dokument wurde mir freundlicherweise von Carlo Gentile zugesandt). Tatsächlich hatte am 20. September das Kommando der im Bereich von Cuneo operierenden Einheiten berichtet: „In Borgo S. Dalmazzo 216 Juden verhaftet. [Ankunft des] SD erwartet“, C. Gentile, September 1943, a.a.O., S. 111; und am 6. Oktober hatte das Militärkommando von Florenz berichtet, man habe die Absicht, die feindlichen Ausländer sowie „die hier wohnenden Juden in Zusammenarbeit mit dem SD“ zu internieren, Istituto Storico della Resistenza in Toscana, Toscana occupata. Rapporti delle Militärkommandanturen (1943–1944). Florenz (Olschki) 1997, S. 6, 430. Zur Entlassung einer Familie von acht ungarischen Juden, die am 6. November 1943 in Florenz festgenommen worden war, s. L. Goldman, Amici per la vita. Florenz (SP44) 1993, S. 43–44. R. Hilberg, La distruzione, a.a.O., S. 481. Eichmann hatte am 15. November 1943 persönlich im deutschen Außenministerium interveniert, um die Verhaftung und vorläufige Internierung der ausländischen Juden dieser Nationalitäten, die sich in Italien aufhielten, in Deutschland zu verlangen; er beschuldigte sie, sie seien „Unterstützer von Badoglio“, und behauptete, er könne keine Feststellungen über ihren Status in Italien treffen; der Befehl, zu ihrer Deportation zu schreiten, gelangte am 17. Januar 1944 an Harster; L. Klinkhammer, L’occupazione, a.a.O., S. 610, Fußn. 150.
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halten ihrer jeweiligen Staaten (außer Ungarn) und auch auf Grund des chronologischen Zufalls des Verlaufs ihrer Gefangenschaft, in ihrer großen Mehrheit lebend zurückkehrten39. Auch Juden, die einen Ehegatten oder einen Elternteil „arischer Rasse“ hatten, wurden von der deutschen Polizei anfangs nicht verhaftet oder sogleich wieder freigelassen, später aber, seit Mitte Februar 1944, wurden sie überwiegend in Lagern auf der Halbinsel interniert und in verschiedenen Fällen nach Bergen Belsen oder auch nach Auschwitz deportiert40. Alter, Geschlecht und Gesundheitszustand waren niemals ein Grund für Ausnahmen oder Verschonungen. Wegen der Knappheit der zur Verfügung stehenden Kräfte war beschlossen worden, eine Reinigungsaktion direkt hinter der Front durchzuführen und sodann „schrittweise nach Norden“ fortzufahren41; die erste Razzia war deshalb für Neapel vorgesehen, konnte jedoch wegen der Befreiung der Stadt nicht mehr ausgeführt werden42. Die Verhaftungsaktionen der Abteilung IVB4 begannen daher am Samstag, dem 9. Oktober, in Triest, wo, wie schon erwähnt, ein selbständiger Apparat tätig war, und am Samstag, dem 16. Oktober, in Rom. Diese Stadt war innerhalb des von der RSI verwalteten Gebietes die wichtigste und „delikateste“ (wegen des Sitzes des Papstes), die mit der mitgliederstärksten jüdischen Gemeinde und die einzige, in der eine gewisse jüdische Wohnkonzentration überlebt hatte. Aus diesen Gründen plante die Sonderabteilung unter der Führung von Dannecker eine präzise und umfangreiche Razzia, deren Ergebnis bei weitem das beträchtlichste jener zwanzig Monate auf der Halbinsel war: 1.259 Verhaftete am 16. Oktober 1943 und (nach der Entlassung von 236 ausländischen Juden, die damals noch verschont 39 40
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Zu einem türkischen Protest und zur deutschen Antwort im Sommer 1944 s. ebd. L. Picciotto, Il libro, a.a.O., S. 53–55, 898; s. auch G., M. und G. Cardosi, Sul confine, a.a.O. Zu einem Fall von Arrest, Freilassung, erneutem Arrest und Deportation nach Auschwitz s. A. Valech Capozzi, A 24029 (1946), Siena (Istituto Storico della Resistenza Senese) 1995. Zur Definition des „Mischlings“ durch die italienische Gesetzgebung und Verwaltung s.o. S. 180 ff.; zu einer ersten Gegenüberstellung – beschränkt auf den gesetzgeberischen Bereich – zwischen den italienischen und den deutschen Definitionen s. M. Sarfatti, Mussolini, a.a.O., S. 124–26. Abteilungschef Inland II des deutschen Außenministeriums Horst Wagner an [Außenminister Joachim von Ribbentrop] mit Wiedergabe von Informationen des Chefs der Gestapo Heinrich Müller, Berlin 22. Oktober 1943; in: Judenverfolgung in Italien, den italienisch besetzten Gebieten und in Nordafrika. Frankfurt am Main (United Restitution Organization) 1962, S. 195–96. Teilweise Entschlüsselung und Übersetzung ins Englische einer telegraphischen Mitteilung vom römischen Sitz der deutschen Polizei an das RSHA vom 6. Oktober 1943 in Berlin; U.S. National Archives and Records Administration, OSS, Record Group 236, Entry 126, box 1; in: L. Picciotto, Il libro a.a.O., S. 878.
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waren, Juden mit einem „arischen“ Ehegatten oder Elternteil sowie Nichtjuden, welche in der Eile zusammen mit jüdischen Familienangehörigen oder Mitbewohnern verhaftet worden waren) 1.023, die am 18. Oktober nach Auschwitz deportiert wurden (darunter ein Kleinkind, das gleich nach der Verhaftung der Mutter geboren worden war)43. Nach Norden verlegt, organisierte die Einheit Danneckers verschiedene Aktionen in Florenz, in anderen toskanischen Ortschaften und in Bologna (5.– 8. November) sowie im Dreieck Turin – Genua – Mailand (27. Oktober– 8. November). An einer Razzia in Siena am 5./6. November nahmen auch Männer der faschistischen Miliz teil. Eine Verhaftete, die überlebt hat, erinnert sich, dass einer von ihnen sagte: „Hier gibt es nur zwei Wege: den der Ehre und den der Unehre, ich habe mich für den Weg der Ehre entschieden“44. Die erfolgreichste Razzia wurde in der toskanischen Hauptstadt durchgeführt, wo am Samstag, dem 6. November 300 bis zu 500 Juden verhaftet wurden (es handelte sich zu einem großen Teil um aus Frankreich geflohenen Ausländer, deren Identität bis heute noch weitgehend unbekannt ist). Die beiden Gruppen von Verhafteten (die insgesamt gleich groß oder fast gleich groß wie die der römischen Razzia waren) wurden mit zwei Transporten nach Auschwitz deportiert, welche am 9. November bzw. 6. Dezember abgingen. Der letztere wurde mit dem ersten Transport aus Triest vereinigt, der am 7. Dezember mit mindestens 160 Juden abging, welche hauptsächlich in dieser Stadt und in Gorizia verhaftet worden waren45. 43
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L. Picciotto, Il libro, a.a.O., S. 44, 881–882; S. 254 zum deportierten Neugeborenen. Zu einigen Entlassungen s. E. Servi Machlin, Child of the Ghetto. Coming of Age in Fascist Italy: 1926–1946. A Memoir. Croton-on-Hudson (Giro Press) 1995, S. 148; G. M. und G. Cardosi, Sul confine, a.a.O., S. 120–22. Beim gegenwärtigen dokumentarischen Kenntnisstand ist nicht sicher, ob der Heilige Stuhl „Erleichterungen“ der deutschen Entscheidungen betr. den Umfang der römischen Razzia, der Kategorien der Entlassenen, der Deportation der anderen Festgenommenen hat erreichen können A. Valech Capozzi, A 24029, a.a.O., S. 27 ; Zitat auf S. 10; A. Nugel, Perseguitati e patrioti, in: S. Amidei (Hrsg.), Infamia e gloria in terra di Siena. Siena (Tipografia Cantagalli) 1945, S. 30. Die Tatsache, dass die Seneser Juden „von den Deutschen und von der Miliz festgenommen worden sind“, wird auch in einem Brief des Polizeipräsidenten von Siena an den Chef der Provinz Siena vom 16. Dezember 1943 bestätigt (AdS Siena, Prefettura, Gabinetto, b. 295, fasc. 6). L. Picciotto, Il libro, a.a.O., passim (zu den Transporten s. im einzelnen S. 45, 46, 56, 58–59, 62–63, 885, 889). Die Gesamtzahl der am 6. November in Florenz durchgeführten Verhaftungen wird auf „etwa 300“ geschätzt b. E. Artom, Relazione al Consiglio di amministrazione della Comunità israelitica di Firenze, 10. Mai 1945 (in ACDEC, AG, cat. 13B, fasc. „Firenze“) und auf 600 (aber wohl einschließlich einiger Dutzend in anderen toskanischen Ortschaften verhafteter Juden) b. L. Goldman, Amici, a.a.O., S. 47. Zu bemerken ist, dass in mindestens zwei Städten die Vorbereitung der Razzia von
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In den folgenden Wochen weiteten die Deutschen die Verhaftungen auf der Halbinsel aus, doch die Zahl und Intensität der Razzien verringerte sich beachtlich. Gerade in jenen Tagen gelangte die italienische Entscheidung, die Verhaftungen direkt vorzunehmen, zur Reife. Unterdessen hatten die ersteren mit der parallelen Aktion der Inbesitznahme der Güter der Juden begonnen – einer Aktion, die aus regelrechten Raubzügen, (von denen diejenigen erwähnenswert sind, die im Zusammenhang mit den Massakern am Lago Maggiore im September 1943 und im Hause Pardo Roques in Pisa im August 1944 standen46) und aus systematischen Besitzentziehungen in den Operationszonen Alpenvorland und vor allem Adriatisches Küstenland (auch noch nach Erlass der Bestimmungen der RSI) bestand47. Die Razzien und Beschlagnahmen wiesen zahllose Formen auf, einschließlich der
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deutscher Seite auch Schritte zur „Orientierung“ der öffentlichen Meinung einschloss: Am 16. Oktober veröffentlichte die römische Tageszeitung Il Messaggero den antisemitischen Leitartikel „Il nemico numero uno“ („Der Feind Nummer eins“), und am 6. November veröffentlichte die neue Florentiner Zeitschrift Repubblica den antisemitischen Artikel „La razza nemica“ („Die feindliche Rasse“), worin die Juden als „Feind Nummer eins“ bezeichnet wurden; s. L. Picciotto Fargion, L’occupazione tedesca e gli ebrei di Roma. Documenti e fatti. Rom, Mailand (Carucci-CDEC) 1979, S. 20; P. Pandolfi, Ebrei a Firenze nel 1943, persecuzione e deportazione. Florenz (Sea Dupliart) 1980, S. 52. Am 12. Oktober berichtete der schweizerische Konsul in Como nach Bern, er habe erfahren, dass „un ordre venant de très haut prescrit de réunir d’urgence la documentation nécessaire pour entreprendre dans les journaux italiens une campagne de presse contre les Juifs et provoquer des massacres“; Documents diplomatiques suisses 1848–1945, Bd. XV. 8 septembre 1943 – 8 mai 1945, Bern (Berteli Verlag) 1992, S. 49. S. jeweils M. Nozza, Hotel Meina, a.a.O.; C. Forti, Il caso Pardo Roques, a.a.O. Vgl. jeweils C. Villani, Ebrei fra leggi razziste, a.a.O., S. 180; S. Bon Gherardi, La persecuzione antiebraica, a.a.O., S. 228–238; A. Walzl, Die Juden in Kärnten und das Dritte Reich. Klagenfurt (Universitätsverlag Carinthia) 1987 [it. Übers.: „Gli ebrei sotto la dominazione nazista. Carinzia Slovenia Friuli – Venezia Giulia. Udine (Istituto friulano per la storia del movimento di liberazione) 1991, S. 254–66, 275 ff.]. Nach den Informationen, die an den Finanzminister der RSI gelangten, hatte am 7. Oktober 1943 der Chef der deutschen Polizei für das Adriatische Küstenland Anweisung gegeben, die Konten und Depositen der Juden auf den Banken zu beschlagnahmen, und am 14. Oktober hatte der deutsche Oberste Kommissar die Beschlagnahme aller beweglichen Güter und Immobilien der Juden angeordnet, um „den größtmöglichen Nutzen aus den Gütern der Juden im Interesse der Kriegsführung zu ziehen“ (ASMAE, MAE, RSIGabinetto, b. 164, fasc. IV-1, sfasc. 6, Finanzminister an den Außenminister, 6. April und 10. Juli 1944; Eine Besprechung vom 16. Dezember 1943 bedeutete den Übergang von der etwas chaotischen Anfangsphase zu einem besser strukturierten Vorgehen; A. Walzl, Gli ebrei sotto la dominazione nazista, a.a.O., S. 257–258. Ein Gesamtbild der in den Zonen angewandten Enteignungs-Gesetzgebung jetzt in: Commissione per la ricostruzione delle vicende che hanno caratterizzato in Italia le attività di acquisizione dei beni dei cittadini ebrei da parte di organismi pubblici e privati, Rapporto, a.a.O., S. 107–114.
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Erpressung von fünfzig Kilogramm Gold von den Juden Roms durch Kappler, zwei Tage nachdem er den Befehl erhalten hatte, deren Deportation vorzubereiten, und nach meinem Dafürhalten mit dem Ziel, von den Opfern selbst die Kosten für ihre bevorstehende Verfrachtung mit der Eisenbahn zu erlangen48, aber auch einschließlich der Plünderung des Geschäftes eines Juden in Russi (Prov. Ravenna) am 18. Oktober, dem eine öffentliche Bekanntmachung des vom Präfekten eingesetzten stellvertretenden Bürgermeisters der Gemeinde folgte, welche „die im Armenregister Eingeschriebenen [zur] Gratisverteilung von Kleidungsstücken, die vom Deutschen Kommando beschlagnahmt worden sind“, einlud49.
3. Die judenfeindliche Politik der Italienischen Sozialrepublik Die Eingangsphase der neuen italienischen Politik gegen die Juden ist immer noch verhältnismäßig wenig bekannt. Sie begann zweifellos gleichzeitig mit der Geschichte der Sozialrepublik überhaupt, weshalb wir – trotz des Fehlens dokumentarischer Zeugnisse – als gewiss annehmen können, dass im Verlauf der Gespräche, welche im September 1943 in Deutschland zur Vorbereitung der Errichtung der neuen faschistischen Regierung stattfanden, einer der hochrangigen Gesprächspartner Mussolinis diesem eröffnete, dass man die Juden für verantwortlich für die Vorfälle des 25. Juli und des 8. September halte und dass Deutschland ihm helfen werde, sie zu bekämpfen50. In dieser Hinsicht sticht das gleiche Datum der Errichtung der Regierung der faschistischen Republik und der „Freigabe“ zur Deportation der Juden italienischer Staatsangehörigkeit ins Auge. Die bislang ermittelten dokumentarischen Spuren sagen aus, dass die neue Regierung einerseits die volle Wiederaufnahme der Internierung und der „ge-
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Kappler sandte das Gold an den Sitz des RSHA in Berlin; M. Tagliacozzo, La Comunità di Roma, a.a.O., S. 13–15. P. Zerbinati, Gli ebrei nella provincia di Ravenna. Diplomarbeit Universität Urbino, ak. Jahr 1995–96, S. 270–272. Zu den Gesprächen Mussolinis in Deutschland s. L. Klinkhammer, L’occupazione, a.a.O., S. 48–51; M. Michaelis, Mussolini e la questione ebraica, a.a.O., S. 331–332; F. W. Deakin, The brutal friendship. Mussolini, Hitler, and the fall of Italian fascism. New York (Harper & Row) 1962 [it. Übers.: Storia della repubblica di Salò. Turin (Einaudi) 1963, Bd. II, S. 739–761]; R. De Felice, Mussolini l’alleato 1940–1945, Bd. II.: La guerra civile 1943–1945. Turin (Einaudi) 1997, S. 43–62. Gerade die beiden von der italienischen Presse anlässlich der deutschen Razzien in Rom und Florenz veröffentlichten Artikel enthielten Hinweise auf die Rolle bzw. auf den „Vorteil“ der Juden bei den Ereignissen des Sommers 1943; vgl. o. Fußn. 45.
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ringeren“ Bestimmungen aus den Jahren 1938 bis 1943 in die Wege leitete51, und auch weiterer Sonderbestimmungen einführte52, andererseits die Einrichtung der Internierungslager und der Arbeitspflicht, die im vorhergehenden Frühjahr angeordnet worden war, zurückstellte und sich mit der Ausarbeitung eines neuen Gesetzes allgemeiner Art befasste. Am 10. und 11. November meldete die Tagespresse, dass die nach dem 25. Juli abgeschafften antijüdischen Bestimmungen (die nicht weiter spezifiziert wurden) wieder in Kraft gesetzt worden seien, und teilte den kurz bevorstehenden Erlass weiterer Maßnahmen mit, mit denen „die Juden endgültig in eine Lage versetzt werden, in der sie den nationalen Interessen nicht mehr schaden können“53. Am 5. und 6. November berichtete sie, dass der Minister des Inneren einen Gesetzentwurf erarbeitet habe und im Begriff stehe, ihn Mussolini und sodann dem Ministerrat vorzulegen. Ziel des Gesetzes sei es, „die Rassenfrage nach dem Vorbild der einschlägigen deutschen Gesetzgebung zu regeln, die unter dem Namen ‘Nürnberger Gesetze’ bekannt sind“; geregelt werde in ihm unter anderem „die Konfiskation der beweglichen und unbeweglichen Güter der Juden, die Beschränkung ihrer beruflichen Tätigkeit sowie eine eindeutige rassische Abgrenzung“54. Einige örtliche Behörden begannen, erste restriktive Bestimmun51
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Zur Wiederaufnahme der Internierung der ausländischen Juden s. o. Fußn. 31. Die weiteren derzeit erforschten Wiederaufnahmeanordnungen sind der Befehl des Chefs der Polizei von Mitte September, die „besonders eifrigen Kommunisten“ und die „generell Unruhe Stiftenden, einschließlich der für die öffentliche Ordnung gefährlichen Juden“, zu verhaften (AdS Rieti, Fondo Questura, b. 27, fasc. 1, Kopie der Depesche des Chefs der Polizei, eingegangen am 13. September 1943, Nr. 53 267/441; der Befehl wurde bekräftigt mit den Depeschen Nr. 53 311/441 und Nr. 59 392/441 vom 14. und 15. September; die vom 14. September ist wiedergegeben b. L. Picciotto Fargion, L’occupazione, a.a.O., nach S. 207) sowie die Befehle des Ministers für Volkskultur vom 3. und vom 19. November, die Bücher von jüdischen Autoren und natürlich die „bereits verbotenen“ aus dem Verkehr zu ziehen und „jegliche Tätigkeit von jüdischen Theater- und Kinokünstlern“ zu verhindern; G. Fabre, L’elenco, a.a.O., S. 417; AdS Viterbo, Prefettura, s. 27, cat. 3/1, fasc. „Beni appartenenti a famiglie ebraiche“. Minister für Volkskultur an die Chefs der Provinzen, 19. November 1943. Das Gesetz zur Neuorganisation der Streitkräfte vom 27. Oktober 1943 erklärte, dass die Juden vom Militärdienst dispensiert seien (Art. 10); es handelte sich jedoch um eine bloße Bestätigung einer Vorschrift, die niemals aufgehoben worden war. Die Gazzetta ufficiale d’Italia (der RSI) vom 28. April 1944 listete vierzehn römische Firmen von Handelsvertretern und Handelsagenten auf mit dem Vermerk: „aus dem Amt entfernt gem. Rundschreiben des Ministers für Korporative Wirtschaft Nr. 80 065/11 vom 12. November 1943“; das Rundschreiben konnte bis heute nicht aufgefunden werden. Il regime fascista, 10. Oktober 1943; Corriere della Sera, 11. Oktober 1943, und weitere Tageszeitungen. Il regime fascista, 5. November 1943; Corriere della sera und La Stampa, 6. November 1943 und weitere Tageszeitungen (im Artikel der erstgenannten hat ein Druckfehler „Norimberga“ in „origine“ verändert.
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gen zu erlassen – sei es in Folge dieser Ankündigungen, aus vorauseilendem Gehorsam, oder um den deutschen Behörden nachzueifern, oder weil sie von ihnen dazu gedrängt wurden55; unterdessen verlangten auch die neu organisierten Instanzen des örtlichen Faschismus den Erlass einer härteren Gesetzgebung (die Juden „wissen, dass sie von uns niemals eine Geste der Milde werden erwarten können“, schrieb Il regime fascista am 12. Oktober 194356) und ins55
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Am 8. November erließ der Polizeipräsident von Piacenza einige „Verwarnungen“ an die Juden, unter anderem die, „sich nicht ohne Erlaubnis dieser Behörde von der Wohnsitzgemeinde zu entfernen“; AdS Piacenza, Questura, cat. „Campagna antiebraica 1938–45“, fasc. „Varie“, Polizeipräsident von Piacenza an die nachgeordneten Behörden, 8. November 1943; Hinweis auf das Dokument in: G. Zucchini, La via al lager degli ebrei del Piacentino. Storie di vita e di deportazione, in: Studi piacentini Nr. 15 (1994), S. 22–23, mir von der Autorin freundlicherweise übersandt. Am 19. Oktober erteilte der Präfekt von Como den Kreditinstituten die Anweisung, ihm die Summe der Einlagen jeder Art auf den Namen von Juden mitzuteilen und eine Grenze von 30 Lire pro Tag für Abhebungen festzusetzen; AdS Como, Prefettura, Gabinetto, II vers., b. 109, fasc. „Blocco conti ebraici“. Zu ergänzen ist, dass, wahrscheinlich im Rahmen einer ganzen Reihe von Anordnungen der Präfekturen zur Gewinnung von Räumlichkeiten für die aufgrund von Bombenangriffen Obdachlosen und Evakuierten (zu den Anordnungen von Mailand vom 16. und von Turin vom 25. Oktober s. Corriere della Sera, 17. Oktober 1943, und La Stampa, 27. Oktober), am 5. November der Chef der Provinz Grosseto bei den Bürgermeistern die „Zahl der Juden in jeder Gemeinde“, ferner „die Art, wie sie in ihren Unterkünften eingerichtet sind“, und für jede Familie „die Zahl der Mitglieder sowie die Zahl der belegten Zimmer“ erfragte; Dokument reproduziert in: L. Rocchi (Hrsg.) , La persecuzione degli ebrei nella provincia di Grosseto nel 1943–44. 2. Aufl. Grosseto (Istituto storico grossetano della Resistenza e dell’età contemporanea – Amministrazione provinciale di Grosseto) 2002, S. 18. Das Polizeipräsidium von Asti führte in jenen Tagen eine ähnliche Untersuchung durch, welche in eine Auflistung mündete, in der angezeigt war, welche jüdischen Familien abwesend waren und ob ihre Wohnungen frei oder bereits an Evakuierte übergeben worden waren; AdS Asti, Questura, cat. Ebrei, fasc. s.n., „Elenco delle famiglie ebree della città di Asti che hanno lasciato disabitato il loro appartamento“, 10. November 1943. Für Il fascio vom 4. Oktober „werden nunmehr die Maßnahmen sehr viel schwerwiegender sein [...], vielleicht werden auch einige Exzesse unvermeidlich sein“; für Il popolo di Alessandria vom 7. Oktober „soll man ihre gesamte Habe beschlagnahmen, [...] alle ihre Nester in Brand stecken, […] und sie aus dem Lande verjagen, sofort!“ [zitiert in U. Alfassio Grimaldi, La stampa di Salò. Mailand (Bompiani) 1979, S. 51]. Zu weiteren Zeugnissen des Antisemitismus (mit Hinweisen auch auf generelle physische Vernichtung) der Republikanischen Nationalgarde und der Schwarzen Brigaden s. M. Raspanti, La razza degli eletti. Il corso di cultura politico-razziale per gli allievi ufficiali della G.N.R. a Fontanellato (1944). Maschinenschriftlicher Vortragstext, verbreitet vom Seminario permanente per la storia del razzismo italiano presso l’Università degli Studi di Bologna (Ständiges Seminar für die Geschichte des italienischen Rassismus an der Universität Bologna). Bologna 1996; P. Ferrari / M. Franzinelli, A scuola di razzismo. Il corso allievi ufficiali della Gnr di Fontanellato, in: Italia contemporanea, Nr. 211 (Juni 1998), S. 417–444; L. Ganapini, La repubblica delle camicie nere. Mailand (Garzanti) 1999, S. 145–151; D. Gagliani, Brigate nere. Mussolini e la militarizzazione del Partito fascista repubblicano. Turin (Bollati Boringhieri) 1999, S. 81, 210.
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besondere die allgemeine Internierung der Juden57. Am 14. November nahm in Verona die erste Versammlung der am 15. September 1943 neu errichteten Republikanischen Faschistischen Partei (Partito fascista repubblicano – PFR) ein „programmatisches Manifest“ an, das von den führenden Persönlichkeiten vorbereitet und von Mussolini überarbeitet worden war; dessen Punkt 7 legte fest, dass „die Angehörigen der jüdischen Rasse Fremde [sind]. Während dieses Krieges gehören sie einer feindlichen Nation an“58. Damit wurde unter anderem verkündet, dass der neue Staat ein programmatisch antisemitischer Staat sei. In derselben Versammlung verkündete der Sekretär des PFR Alessandro Pavolini, dass man im Begriff stehe, „für die Abhebung der jüdischen Vermögen zu sorgen, um für die Bedürfnisse der durch die Bombardierungen Betroffenen zu sorgen“59. Noch am Tage der Versammlung des PFR wurde der faschistische Federale (Parteisekretär auf Provinzebene) von Ferrara ermordet. Die faschistischen Behörden reagierten mit verschiedenen Maßnahmen, darunter dem Befehl zur Verhaftung „aller männlichen Juden“ von Ferrara60. Zu den zehn Juden, die sich bereits seit dem 7. Oktober in Haft befanden (anscheinend wegen ihres Antifaschismus), kamen damit 36 weitere hinzu; von ihnen wurden einige wieder freigelassen, einige verblieben bis zu ihrer Deportierung in Haft, vier 57
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Am 21. Oktober verlangte der Exekutivausschuss der Gruppe Aktionskommandos Ettore Muti in Padova „die Internierung aller Juden“ (L. Ganapini, La repubblica, a.a.O., S. 139); am Ende des Monats verlangte die Versammlung des Fascio repubblicano von Rom, das „alle Juden unverzüglich in Konzentrationslager eingesperrt werden“ [Il giornale d’Italia, 30. Oktober 1943; E. De Rossi Castelli, Pensieri e diario giugno 1943–novembre 1945, in: Nei tempi oscuri. Diari di Lea Ottolenghi e Emma de Rossi Castelli. Due donne ebree tra il 1943 e il 1945. Livorno (Belforte, Comune di Livorno) 2000, S. 179–180]. Zu vermerken ist ferner, dass am 7. Oktober Arturo Loria notierte: „Vielleicht voreilige Nachricht, dass ein Befehl eingetroffen sei, alle Juden zu verhaften und sie in Konzentrationslager einzuliefern“ [F. Celli Olivagnoli, Avventure personali. Biografia di Arturo Loria attraverso gli scritti. Florenz (Ponte alle Grazie) 1990, S. 138, hier mitgeteilt dank der Mitarbeit von Maria Cristina Chiesi]. B. Mussolini, Opera omnia, a.a.O., Bd. XXXV, o.J., S. 410; vgl. auch die Tageszeitungen vom 17. November 1943; eine Version des Manifests ist wiedergegeben b. V. Galimi / A. Ninerbi / L. Picciotto / M. Sarfatti, Dalle leggi antiebraiche, a.a.O., S. 191. V. Paolucci, La Repubblica sociale italiana e il partito fascista repubblicano, settembre 1943–marzo 1944. Urbino (Argalia) 1979, S. 157. P. Ravenna, Il sequestro dei beni delle sinagoghe e altre notizie sulla Comunità ebraica di Ferrara dal 1943 al 1945, in: RMI Bd. LXIX Nr. 2 (Mai–August 2003), S. 532, Fußn. 7.
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wurden im Massaker vom 15. November zusammen mit einigen nichtjüdischen Bürgern von Ferrara getötet61. Den beiden Pressemitteilungen von Oktober und November und den beiden Deklarationen von Verona (denn das „Manifest“ als solches war ja nur eine politische Grundsatzforderung, nicht ein Gesetzgebungsakt) folgten einige Tage später zwei gesetzliche Regelungen. 1) Am 30. November bestimmte der Minister des Inneren durch die „Polizeiverordnung Nr. 5: a) die Verhaftung aller Juden, […] jeglicher Staatsangehörigkeit“, und ihre Internierung „in provinziellen Konzentrationslagern in Erwartung ihrer Zusammenführung in eigens zu diesem Zweck eingerichteten Konzentrationslagern“; b) die Beschlagnahme (als Maßnahme mit vorläufigem Charakter) „aller ihrer Güter, der beweglichen und der unbeweglichen“, die später (als endgültige Maßnahme) konfisziert und „zum Wohle der bedürftigen Opfer der feindlichen Bombenangriffe“ bestimmt werden sollten; c) die Beobachtung einer „besonderen Wachsamkeit“ der Polizei gegenüber jenen Kindern aus gemischter Ehe, die in den vorhergehenden fünf Jahren als „arischer Rasse“ klassifiziert worden waren62.
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Ebd., S. 532–533; G. Zamorani, Gli ebrei, a.a.O., S. 644–46; C. I. De Benedetti, Anni di rabbia e di speranze 1938–1949. Florenz (Giuntina) 2003, S. 51–70. ACS, MI, DGPS, AGR, Massime (parte non riordinata), R9, b. 80, fasc. 19, Innenminister an die Chefs der Provinzen, 30. November 1943: „Es wird zu sofortigem Vollzug folgende Polizeiverordnung übermittelt, die im gesamten Gebiet der dortigen Provinz Anwendung finden soll: 1. Alle Juden, auch die diskriminierten, jeglicher Staatsangehörigkeit, die wie auch immer im Staatsgebiet wohnhaft sind, sind in entsprechende Konzentrationslager einzuliefern. Ihre sämtlichen Besitztümer, bewegliche und unbewegliche, sind in Erwartung ihrer Konfiskation im Interesse der Italienischen Sozialrepublik, welche sie zum Wohle der der bedürftigen Opfer der feindlichen Bombenangriffe einsetzen wird, der sofortigen Beschlagnahme zu unterwerfen. 2. Alle, die in einer Mischehe geboren sind und in Anwendung der geltenden italienischen Rassegesetze die Anerkennung als Angehörige der arischen Rasse besitzen, sind besonderer Beobachtung durch die Polizeiorgane zu unterwerfen. Die Juden sind vorläufig in provinzielle Konzentrationslager einzuweisen, um demnächst in eigens eingerichteten Konzentrationslagern zusammengeführt zu werden“; ein Exemplar des Dokuments, das am 1. Dezember versandt wurde, ist wiedergegeben b. V. Galimi / A. Minerbi / L. Picciotto / M. Sarfatti, Dalle leggi antiebraiche, a.a.O., S. 192. Die Anweisung wurde von der Presseagentur Stefani am 30. November um 23 Uhr verbreitet – ACS, MI, DG DR (1915–44), b. 1, fasc. 12 –, später auch über Radio; die Tagespresse wurde aufgefordert, „die Mitteilung angemessen zu kommentieren“ [F. Giannantoni, La notte di Salò (1943–1945). L’occupazione nazifascista di Varese dai documenti delle camicie nere. Varese (Arterigere) 2001, Bd. I, S. 261]. Diese weite Verbreitung bildete nicht nur eine Antwort auf Forderungen der „repubblichinischen“ Basis, sondern hing auch mit dem Umstand zusammen, dass in der RSI der Antisemitismus ein Grundelement des Staates bildete und einen Faktor der Mobilisierung der faschistischen Partei und der gesamten
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2) Am 4. Januar 1944 wurde ein Gesetzesdekret des Duce erlassen (dessen Entwurf am 16. Dezember 1943 vom Ministerrat angenommen worden war), wonach die Chefs der Provinzen „sofort“ zur Konfiskation der Güter jeglicher Art (Firmen, Grundstücke, Gebäude, Wertpapiere, bewegliche Pfandrechte, Depotwerte bei Banken, Einrichtungsgegenstände, Nippsachen, Geschirr, Bettwäsche, Kleidung usw.) der Personen „jüdischer Rasse“ zu schreiten hatten. Das Dekret betraf sowohl die ausländischen Juden als auch „italienische Staatsbürger“; die letzteren wurden sogar als die vorrangigen Adressaten der neuen Regelung bezeichnet. Damit war also der Grundsatz des Widerrufs der Staatsbürgerschaft, wie er in Verona verkündet worden war, nicht in eine gesetzliche Bestimmung überführt worden; angesichts des derzeitigen Fehlens von dokumentarischen Quellen kann man lediglich vermuten, dass die republikanische faschistische Führung der Auffassung war, dass die Durchführung tausender formeller Widerrufsakte eine nutzlose Zeitvergeudung bedeute und daher beschlossen hatte, diesen Grundsatz bloß im Manifest von Verona zu verkünden, oder auch, dass sie am „italienischen“ Charakter der jüdischen Besitztümer festhalten wollte, um den gleichzeitig begonnenen Raubzügen der Nazis besser entgegentreten zu können. Die konfiszierten Wertgegenstände sollten von der Egeli (dem 1939 gegründeten Institut) verwahrt, verwaltet und dann verkauft werden; die dabei erzielten Beträge sollten „dem Staat als teilweiser Ersatz der Kosten, die ihm durch Unterstützung, Hilfsgelder und Ersatz von Kriegsschäden der von feindlichen Luftangriffen Betroffenen entstanden sind, ausgekehrt werden“. Die Bestimmung erklärte ferner alle Vermögensübertragungen, die nach dem 30. November 1943 vorgenommen worden waren, für nichtig, sah die Möglichkeit vor, auch diejenigen Übertragungen für nichtig zu erklären, die vor diesem Datum erfolgt waren, und drohte harte Strafen an für die Verantwortlichen von „Handlungen, die der Verbergung, der Beseitigung, der Zerstörung, der Verstreuung, der Verwahrlosung, der Ausführung aus dem Staatsgebiet von Gegenständen, die Personen jüdischer Rasse gehören, dienen“63. Jedoch wurde niemals eine Strafe wegen „Ausführung“,
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Bevölkerung darstellte. Wir wissen nicht, ob die Verantwortlichen des Innenministeriums sich gefragt haben, ob die Verbreitung der Nachricht einige Juden dazu veranlassen könne, sich zu verbergen (zu einigen Beschwerden von Provinzchefs in diesem Sinne s. Istituto storico della Resistenza in Toscana, Toscana occupata, a.a.O., S. 246); falls dies der Fall war, werden sie gedacht haben, dass sie diese mit der Zeit wohl entdecken und verhaften würden. Gesetzesdekret vom 4. Januar 1944 Nr. 2 „Nuove disposizioni concernenti i beni posseduti dai cittadini di razza ebraica“, veröffentlicht in der Gazzetta ufficiale d’Italia unter dem Datum vom 10. Januar, in Kraft getreten am selben Tag (die Gazzetta wurde jedoch am Ende des Monats gedruckt); wiedergegeben in: M. Sarfatti, Documenti della legislazione antiebraica. I testi delle leggi, a.a.O. Erste Betrachtungen dazu, insbeson-
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„Beseitigung“, „Zerstörung“ und „Verbergung“ der lebenden Körper „die Personen jüdischer Rasse gehören“, verhängt; etwa 2.000 derartiger Handlungen waren vor dem Erlass dieses Gesetzesdekrets begangen worden und weitere Tausende folgten ihnen in den folgenden Wochen. Bevor man sich näher mit der Jagd nach dem Leben und den Besitztümern der Juden befasst, gilt es drei weitere gesetzliche Instrumente der antijüdischen
dere im Hinblick auf die Immobilien, b. F. Levi, I sequestri e le confische, a.a.O., S. 26–28, 57 ff. Die Mitteilung der Sitzung des Ministerrates vom 16. Dezember 1943 wurde in den Tageszeitungen vom 18. Dezember veröffentlicht. In der vorhergehenden Sitzung vom 24. November hatte der Ministerrat den Entwurf eines Dekrets über die „Sicherungsbeschlagnahme“ der Kunstwerke im Besitz von Juden oder jüdischen Körperschaften gebilligt. Er wurde jedoch niemals beschlossen und verkündet, es wurde allerdings das zu ihm verfasste erläuternde Rundschreiben verbreitet (M. Sarfatti, Documenti della legislazione antiebraica. I testi delle leggi, a.a.O., S. 54–55) so dass auch er angewendet wurde. Um die Konfiskation von Aktien besser durchführen zu können, wurde sodann das Gesetzesdekret vom 29. Juni 1944 Nr. 501, „Norme integrative e modificative per la nominatività dei titoli azionari“ erlassen, welches die Anlegung der Allgemeinen Kartei der Aktientitel anordnete und die Verpflichtung begründete, in ihr die „Rasse“ der Inhaber bzw. der tatsächlichen Eigentümer anzugeben. Zu diesen Dekreten und zu einem Gesamtbild der von der RSI angewandten Enteignungsgesetzgebung s. jetzt Commissione per la ricostruzione delle vicende che hanno caratterizzato in Italia le attività di acquisizione dei beni dei cittadini ebrei da parte di organismi pubblici e privati, Rapporto, a.a.O., S. 89–107. Sowohl die Beschlagnahmedekrete als auch die Konfiskationsdekrete wurden in der Gazzetta ufficiale d’Italia veröffentlicht. Im April 1944 wies der Minister für nationale Erziehung den Ministerpräsidenten darauf hin, dass die Lektüre von Dekreten, in denen „2 Paar benutzte Strümpfe“ oder „1 Nationalflagge; 1 Bidet; 1 Darmeinlaufgerät“, oder gar „ein wollenes Unterhemd außer Gebrauch; 3 gebrauchte beschmutzte Unterhosen“ usw. „negative Bemerkungen“ hervorrief; am 25. Juni ordnete der Ministerpräsident an, dass die besagten Dekrete in einem regelmäßigen vierzehntätigen Supplement der Gazzetta veröffentlicht werden sollten (ACS, RSI-PCM, Pratiche 1943–45, b. 67, fasc. 2823); das erste Supplement wurde am 6. September publiziert (die zweite der drei Gruppen von oben erwähnten „Besitztümern“ war in einem am 18. April veröffentlichten Dekret, betreffend den Hauptrabbiner von Genua Riccardo Pacifici, enthalten; er war inzwischen am 3. November 1943 festgenommen, am 6. Dezember nach Auschwitz deportiert und dort bei der Ankunft am 11. Dezember getötet worden). Unterdessen hatten die zuständigen Ministerien den Chefs der Provinzen bekannt gemacht, dass „eine sehr ins Einzelne gehende Auflistung der Besitztümer […] überhaupt nicht passend erscheint“ und dass „die Beschreibung derartiger Gegenstände zu detailliert und minutiös ist, wenn sie auch intime Kleidungsstücke einschließt – Gegenstände von höchst geringem Wert oder streng persönlicher Art, bei denen die Mitteilung Kommentare hervorrufen kann und hervorruft, die besser vermieden werden sollten“; AdS L’Aquila, Prefettura, nuovo versamento, b. „Confisca dei beni degli ebrei“, parte I, Finanzministerium an die Chefs der Provinzen, 21. April 1944; AdS Verona, Prefettura, b. „Beni ebraici“, Innenministerium an die Chefs der Provinzen, 13. Mai 1944, mit Bericht über einen Brief des Justizministeriums.
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Verfolgungsmaßnahmen zu erwähnen64. Zunächst einmal wurde im November/Dezember 1943 der Entwurf einer Verfassungsurkunde der RSI erarbeitet dann aber aufgegeben, welche unter anderem die Unterscheidung zwischen „Staatsbürgern arischer italienischer Abstammung“ und „Untertanen nichtitalienischer Rasse“ besiegelte65. Am 28. Januar 1944 erteilte der Chef der Polizei den Chefs der Provinzen den Befehl, die israelitischen Gemeinden aufzulösen und ihre Vermögen zu beschlagnahmen (das Dekret vom 4. Januar betraf nur die Besitztümer der natürlichen Personen)66, und am 16. April 1945 beschloss der Ministerrat einen Gesetzentwurf (der nicht mehr zum Gesetz wurde, weil der Faschismus kurz darauf besiegt war), der die besagte Auflösung bestätigte (und sie noch auf jüdische Unterstützungs- und Wohlfahrtseinrichtungen ausdehnte) und die Konfiskation der Vermögen anordnete67. Auch in diesem Falle wurden Sanktionen gegen die Verantwortlichen von „Handlungen der Verbergung, Beseitigung usw.“ angedroht, jedoch wurde diesmal keine besondere Beziehung zwischen den so geraubten Summen und den Opfern der Bombenangriffe hergestellt. Schließlich ordnete Mussolini – nachdem er zunächst (im März 1944) entschieden hatte, die Generaldirektion für Demographie und Rasse des Innenministeriums in ein von Giovanni Preziosi geleitetes Generalinspektorat für Rasse 64
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Was die „sekundären“ Anordnungen angeht, möge hier als Beispiel die Erwähnung derjenigen vom 12. Februar 1944 genügen, welche zum 1. Dezember 1943 die „Schließung der von den jüdischen Gemeinden oder von Privatpersonen, die der jüdischen Rasse angehören, betriebenen oder wie auch immer für israelitische Schüler bestimmten Schulen und Kurse“ anordnete, zitiert in: U. Mazzone, „Non è anch’essa una scuola speciale?“, a.a.O., S. 118–119; vgl. auch: La scuola media ebraica di Trieste, a.a.O., S. 90. L. Garibaldi, Mussolini e il professore. Vita e diari di Carlo Alberto Biggini. Mailand (Mursia) 1983, S. 106–107, 371–372. ACS, MI, DGPS, AGR, cat. A5G II g. m., b. 437, fasc. 230, sfasc. III, Chef der Polizei an die Chefs der Provinzen, 28. Januar 1944; Dokument wiedergegeben in: M. Sarfatti, Documenti della legislazione antiebraica. Le circolari, a.a.O., S. 197 (die Regelung nahm ihren Ausgang von einer Anregung des Chefs der Provinz Alessandria, der bereits am 25. Januar vom Innenminister die Ermächtigung erlangt hatte, in diesem Sinne gegenüber den Gemeinden von Alessandria und Casale Monferrato vorzugehen). Sieben Tage später ordnete der Chef der Polizei an, zu untersuchen, welches „Schicksal“ den Kunstwerken, die „sich in den Synagogen befanden“ widerfahren sei; ACS, MI, DGPS, AGR, cat. A5G II g. m., b. 437, fasc. 230, sfasc. III, Chef der Polizei an die Polizeipräsidenten, 5. Februar 1944. Das Formular ist erhalten in: ACS, RSI-PCM, Atti del consiglio 1943–45, b. 150, fasc. 159, und ist wiedergegeben in: M. Sarfatti, Documenti della legislazione antiebraica. I testi delle leggi a.a.O., S. 57–59.
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und Demographie als nachgeordnete Behörde des Kabinetts des Ministerpräsidenten umzuwandeln68 – im April an, eine Generaldirektion für Demographie beizubehalten und ein Generalinspektorat für die Rasse, geleitet von einem Generalinspekteur für die Rasse, (Preziosi) einzurichten; ihm wurden die Zuständigkeiten im Hinblick auf die Rasse übertragen, die bis dahin von der Demorazza ausgeübt worden waren, ferner diejenigen des Büros für Rasseforschung und Rassepropaganda des Ministeriums für Volkskultur69. Was die Juden anging, hatte die Tätigkeit des Inspektorats (die sich u.a. in der Einrich68
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Gemäß einem Telegramm vom 8. März 1944 von Giovanni Preziosi an Adolf von Steengracht, den Staatssekretär im deutschen Auswärtigen Amt, hatte gerade an jenem Tag die Regierung von Salò nach Abschluss der Voruntersuchung der Frage ihn „ermächtigt“, von der Gründung eines neuen, für Rasse und Demographie zuständigen Amtes „offizielle Nachricht zu geben“; N. Cospito / H. W. Neulen, Salò-Berlino: l’alleanza difficile. La Repubblica Sociale Italiana nei documenti segreti del Terzo Reich. Mailand (Mursia) 1992, S. 182. Preziosi wurde bescheinigt, dass er „faktisch seine Tätigkeit als Generalinspekteur für die Rasse seit dem 13. März begonnen hat“; ACS, RSIPCM Categorie, b. 4, sfasc. 1, „Vermerk für den Duce“ von Ende April 1944. S. ferner Il regime fascista, 16. und 17. März 1944; ACS, RSI-PCM, Pratiche 1943–45, b. 4, fasc. 3096, sfasc. 5, „Vermerk für den Duce“ von Giovanni Preziosi, 20. September 1944; vgl. auch ebd., sfasc. 1, vari documenti. Nach Bericht der Tagung des Ministerrates vom 12. Februar 1944 wäre die Gründung des neuen Amtes bei dieser Gelegenheit beschlossen worden [Verbali del Consiglio dei Ministri della Repubblica Sociale Italiana, settembre 1943–aprile 1945, hrsg. von Francesca Romana Scardaccione. Rom (Ministero per i Beni e le attività culturali – Direzione generale per gli archivi) 2002, S. 299]; weil aber das Protokoll von „Generalinspektorat für die Rasse“ spricht und weil die Entscheidung, dem Inspektorat nur die Zuständigkeit für die Rasse, nicht auch diejenige für die Demographie zu übertragen, im April 1944 getroffen wurden, kann man daraus ableiten, dass die Genehmigung des Dekrets nachträglich in das Protokoll eingetragen wurde. Zum Inspektorat vgl. M. Sarfatti (Hrsg.), La Repubblica Sociale Italiana a Desenzano: Giovanni Preziosi e l’Ispettorato generale per la razza. Atti del Convegno, Florenz (Giuntina) 2008; M. Raspanti, Giovanni Preziosi e l’Ispettorato Generale per la Razza (1944–1945), in: F. Gentile / R. M. Grillo / L. Parente (Hrsg.), Giovanni Preziosi e la questione della razza in Italia. Atti del Convegno di studi (Avellino-Torella dei Lombardi, 30 novembre–2 dicembre 2000). Soveria Mannelli (Rubbettino) 2005, S. 267–293. S. ACS, RSI-PCM, Atti del consiglio 1943–45, b. 150, fasc. 159, auch b. 144, fascc. 69, 97; ferner Gesetzesdekret vom 18. April 1944 Nr. 171, „Istituzione dell’Ispettorato generale per la razza“; wiedergegeben in: M. Sarfatti, Documenti della legislazione antiebraica. I testi delle leggi, a.a.O. Die Ernennung von Preziosi zum Generalinspekteur für die Rasse geschah durch ein Dekret des Duce (ebd., S. 53–54) mit demselben Datum, unterschrieben allerdings erst am 28. desselben Monats. Die Neustrukturierung wurde abgeschlossen durch Ministerialdekret vom 16. April, Nr. 136, „Trasformazione della Direzione generale per la demografia e la razza in Direzione generale per la demografia“; wiedergegeben ebd. Die Generaldirektion für Demographie behielt die Zuständigkeit für die Staatsbürgerschaft und über die Ehen mit Ausländern, deshalb erhielt sie auch weiterhin Ersuchen um Stellungnahme über die bei der Judenverfolgung anzuwendenden Maßstäbe; mit diesem Dekret verlor auch der Oberste Rat für Demographie und Rasse diese zweite Zuständigkeit.
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tung von Regionalzentren für die Rasse an Stelle der Zentren für die Erforschung der Judenfrage konkretisierte)70, entgegen dem Anschein nicht die wahrlich unmögliche Steigerung der Verfolgung derjenigen, die fünf Jahre zuvor als „jüdischer Rasse“ klassifiziert worden waren, sondern die Vermehrung der Zahl der Verfolgten zum Hauptziel. Im Mai 1944 erarbeitete Preziosi einige Gesetzentwürfe, welche die Verfolgung faktisch auf alle Personen mit mehr als einem jüdischen Urgroßelternteil ausweitete; andere führende „Repubblichini“ widersprachen jedoch diesen Vorschlägen; und so wurden diese Gesetze zwar angekündigt, aber nicht erlassen, und die Verfolgung betraf damit nach wie vor „nur“ die bereits beschlossenen Opfer, d.h. all jene, die acht, sieben oder sechs jüdische Urgroßeltern hatten, so gut wie alle, die fünf solche Großelternteile hatten, einen nicht bestimmbaren, aber beachtlichen Teil derer, die vier solche Großelternteile hatten sowie eine kleine Gruppe derer, die drei oder zwei davon hatten71. Um die weiteren zu verfolgenden Personen zu ermitteln, wollte Preziosi sich auf die Unterlagen über die Zählung der Juden vom 22. August 1938 sowie auf weitere Dokumente, die von der ehemaligen Demorazza und vom ehemaligen Büro für Rassestudien und Rassepropaganda auf ihn übergegangen waren, sowie auf die Archive jüdischer Institutionen und Persönlichkeiten stützen, die in Folge einer Anordnung von Buffarini Guidi vom 11. Oktober 1944 an ihn gelangt waren72. Der Sekre70
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ACS, RSI-PCM, Pratiche 1943–45, b. 4, fasc. 3096, sfasc. 5, „Vermerk für den Duce“ von Giovanni Preziosi, 22. August 1944; AdS Milano, Prefettura, Gabinetto, II versamento, b. 370, fasc. „Centro regionale per la razza della Lombardia“. Zur Tätigkeit des Triestiner Zentrums s. S. Bon, Gli ebrei, a.a.O., S. 294–300. Zur kritischen Edition der Gesetzentwürfe Preziosis vgl. M. Sarfatti, Le leggi antiebraiche proposte nel 1944 da Giovani Preziosi, in: Ders., (Hrsg.), La Repubblica Sociale, a.a.O.; R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 446 und 452, schreibt Preziosi die Verantwortlichkeit für eine drastische Verschärfung der Verfolgung der Juden zu; tatsächlich gestatten die von ihm mitgeteilten Dokumente und die weiteren bis heute bekannt gewordenen es nicht, diese Aussage zu bestätigen, überdies hatte die regierenden Repubblichini eine äußerst hohe Stufe der Verfolgung bereits lange vor der Ernennung Preziosis erklommen. Vorher hatte dieser sich im Sinne einer Ausschaltung der „Ehegatten von Jüdinnen“ sowie derjenigen, die „Tropfen jüdischen Blutes besitzen“, aus dem „nationalen Leben“ ausgesprochen (ebd., S. 455); doch seine Gesetzesvorschläge enthielten dann nicht solche Grundsätze. Zu seiner Ernennung zum Inspekteur und zu seinen Vorschlägen s. auch M. Michaelis, Mussolini e la questione ebraica, a.a.O., S. 333–335; zu seiner Tätigkeit in den letzten Monaten der RSI s. auch G. Mayda, Ebrei sotto Salò, a.a.O., S. 246–249; vgl. ferner L. Klinkhammer, L’occupazione, a.a.O., S. 408. AdS Milano, Fondo Prefettura Varese, Gabinetto, b. 4, fasc. „DGPS. Divisione polizia frontiera“, Innenminister an die Präfekten, 11. Oktober 1944: „Dem Inspektorat für die Rasse beim Ministerpräsidenten sind unverzüglich alle bei den israelitischen Gemeinden, in den Synagogen und bei etwaigen Privatleuten konfiszierten Archive zu übersenden. Ich bitte um Bestätigung“. Zu den an das Inspektorat übersandten und heute
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tär des PFR Alessandro Pavolini stellte seinerseits im November 1944 klar, dass aus der Partei nicht nur die Juden, sondern auch „die halbblütigen Juden, d.h. die in einer Mischehe Geborenen“ und die „mit einem jüdischen oder halbblütig jüdischen Ehepartner zusammen Lebenden“ ausgeschlossen seien73. Der Verhaftungs- und Beschlagnahmebefehl vom 30. November war von den Polizeipräsidenten und den Präfekten, die nunmehr Chefs der Provinzen genannt wurden, bereits erwartet worden. Nach der Versammlung von Verona vom 14. November hatten einige von ihnen schon begonnen, erste Initiativen in dieser Richtung zu ergreifen – mitunter auch in Folge von vorbereitenden Instruktionen, die sie vom Innenministerium erhalten hatten74. Dem Erlass des
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größtenteils unauffindbaren Dokumenten der Demorazza s. M. Sarfatti, Le „carte di Merano“, a.a.O., S. 119–128; Zu zwei Gemeindearchiven, die vielleicht an sie gelangt sind s. ebd., S. 123. Was ich a.a.O. zum Archiv der „Razza“ (außer der Zählung) dargestellt habe, ist nunmehr zu ergänzen durch zwei „Vermerke“ Preziosis für Mussolini, der eine über die Nichteinhaltung der Zusage Buffarini Guidis, eben am 11. Oktober 1944 120 Dokumentenkästen auszuhändigen, der zweite betreffend die erfolgte Aushändigung „einiger dieser Kästen“ Mitte November und mit dem Text einer von beiden unterzeichneten Vereinbarung vom 1. Dezember, in dem die „sofortige“ Aushändigung von 42 Kästen und diejenige der restlichen Kästen „bis zum 15. Dezember“ festgelegt wurde; ASMAE, MAE, RSI-Gabinetto, b. 21, fasc. „Preziosi Giovanni“. ACS, PCM, 1944–47, fasc. 3.2.2, n. 10 181/1/2, Kopie des Rundschreibens des Sekretärs des PFR an die Bundeskommissare, 27. November 1944, als Anhang zu einem Schreiben des Chefs der italienischen Zentren für die Rasse, 9. April 1945. Die Ausschlüsse waren auch im „Einheitstext“ der die schwarzen Brigaden betreffenden Bestimmungen, veröffentlicht nach dem Januar 1945, deutlich gemacht; vgl. D. Gagliani, Brigate nere, a.a.O., S. 281; S. 164 zum Datum. Der Chef der Provinz Grosseto war möglicherweise der einzige, der sofort Maßnahmen allgemeiner Art gegen die neuen „Feinde“ anordnete. Was die Besitztümer anging, befahl er am 16. und 17. November „die unverzügliche Beschlagnahme aller Grundbesitztümer“, „die Anlegung eines Inventars über die gesamte in Magazinen befindliche Ware“ und deren „strenge Bewachung“, die Zählung – zum Zwecke der „Sperre“ – der Versicherungspolicen, die „unverzügliche Sperrung aller bei den Postkassen, Kreditinstituten, Banken, Firmen und Privatleuten bestehenden Kredite, AdS Grosseto, Prefettura, bb. 698, 765, fascc. vari; das zuletzt genannte Dekret ist wiedergegeben in: L. Rocchi (Hrsg.), La persecuzione, a.a.O., S. 24. Was die Personen anging, entschied er an denselben Tagen, „alle Juden der Provinz in einem Sammellager zu konzentrieren“; in diesem Sinne schrieb der kommandierende deutsche Offizier von Livorno an den kommandierenden General der Wehrmacht in Italien in einem Bericht vom 18. November 1943, betreffend die Lage am 15. November – aus der Gesamtheit des Dokuments entsteht der Eindruck, dass der hier zitierte Satz im letzten Augenblick hinzugefügt worden sei, d.h. zwischen dem 15. und dem 18. November; Istituto storico della Resistenza in Toscana, Toscana occupata, a.a.O., S. 217. Die Vorschriften über die Einrichtung eines Konzentrationslagers (in Roccatederighi in der Gemeinde Roccastrada) zum 28. November, „in dem alle italienischen Juden, auch die Diskriminierten, der Provinz zu internieren sind“, wurde vom Präfekten von Grosseto am 24. November verbreitet; einen Monat später stellte er klar, er habe in Befolgung einer wenige Tage vorher vom
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Befehls ging eine Intensivierung der Propaganda voraus75. Ab dem 1. Dezember 1943 begannen die Provinzchefs der RSI, die provinziellen Internierungslager einzurichten76, und die Polizeipräsidenten, die Verhaftungen zu planen. Die Operationen begannen in den Wohnungen der Juden, die auf der Suche nach zu verhaftenden Personen durchsucht und sodann beschlagnahmt und versiegelt wurden. Die Verhaftungen wurden im Allgemeinen von nicht „spezialisierten“ Einheiten der gewöhnlichen Polizei vorgenommen77. Der
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Innenminister in einer Sitzung in Florenz erhaltenen mündlichen Weisung gehandelt (K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. II, S. 432–433; Zuflucht, a.a.O., Bd. II, 352–352; V. Galimi, L’internamento in Toscana, a.a.O., Bd. I, S. 540–541; ACS, MI, DGPS, AGR, Massime, M4, b. 142, fasc. 18, sfasc. 2, ins. 33, Chef der Provinz Grosseto an das Innenministerium, 24. November, 25. November und 25. Dezember 1943; jetzt auch wiedergegeben in: L. Rocchi, La persecuzione, a.a.O., S. 41–43, 48). Am 19. November erklärte der Polizeipräsident von Piacenza die Juden zu „Verbannten in den Gemeinden, in denen sie gegenwärtig ihren Wohnsitz haben“ (AdS Piacenza, Questura, cat. „Campagna antiebraica 1938–45“, fasc. „Varie“, Polizeipräsident von Piacenza an die nachgeordneten Behörden, 19. November 1943; Dokument mitgeteilt in: G. Zucchini, La via al lager, a.a.O., S. 23, mir freundlicherweise von der Autorin übersandt). Am 25. November beantragte der Chef der Provinz Rieti beim Ministerium die Genehmigung, die neun in jener Provinz wohnhaften internierten Juden zu verhaften (ACS, MI, DGPS, AGR, Massime, M4, b. 111, fasc. 16, sfasc. 1, ins. 58, Chef der Provinz Rieti an das Innenministerium, 25. November 1943). Am 24. November erbat der Polizeipräsident von Ferrara von den Bürgermeistern der Provinz ein Verzeichnis der Juden, „nach Familien unterschieden“, mit dem Hinweis, es handele sich um ein vom „vorgesetzten Ministerium“ an ihn ergangene Anweisung; AdS Ferrara, Prefettura, cat. 30, b. 4, fasc. „Carte della Questura“, sfasc. „Ebrei residenti in provincia di Ferrara. Discriminazione“, darin: „Movimento ebraico. Vigilanza“, Entwurf eines Briefes „mit höchster Dringlichkeit“ des Polizeipräsidenten an die Bürgermeister der Provinz, 24. November 1943; zu einem ähnlichen, aus Venedig berichteten Fall – dessen Datierung auf November 1943 aber noch nicht bestätigt ist – s. R. Segre (Hrsg.), Gli Ebrei, a.a.O., S. 148. Zu einigen Artikeln vom 25. und 26. November s. L. Ganapini, La repubblica, a.a.O., S. 401–403; am 30. November veröffentlichte Il regime fascista den Beitrag von G. Ferrari, Verità che scottano, a.a.O., eine Chronik der Verwüstung der jüdischen Gemeinde von Split durch Angehörige der faschistischen Miliz im Juni 1942; am 29. November übertrug das Radio einen antisemitischen Vortrag von Lino Cappuccio, bei dessen Anhören – wie ein Verfolgter bemerkte – „wir von Entsetzen erfasst wurden“; M. Tagliacozzo, Metà della vita, a.a.O., S. 166–167; der Text des Vortrages wurde unter dem Titel „La Repubblica contro gli ebrei“ („Die Republik gegen die Juden“) zumindest in der Gazzetta dell’Emilia vom 30. November 1943 veröffentlicht. In mindestens 25 Provinzen wurden echte Konzentrationslager eingerichtet (in Kasernen, Schulen, Hotels, Sitzen von jüdischen Einrichtungen usw.), in anderen wurden die Juden in Gefängnissen eingesperrt (wie in Rom und Mailand) oder in Lager und Gefängnisse der umliegenden Provinzen verbracht (s. L. Picciotto, Il libro, a.a.O., S. 900– 902). Wie noch dargestellt werden wird, wurden die Juden des Adriatischen Küstengebietes von den Deutschen in Triest konzentriert, zuerst im Gefängnis des Coroneo, später in der Risiera di San Sabba. Ebd. S. 890–891, 893.
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Chef der Provinz Vercelli fand es ganz selbstverständlich, die Bürgermeister in ihrer Eigenschaft als Beamte der öffentlichen Sicherheit aufzufordern, „in vollem Umfang mit den anderen Polizeiorganen“ zusammenzuarbeiten78. In Florenz erwies sich das kommunale Amt für die Verteilung von Lebensmittelkarten als regelrechte „Falle“ für die Juden, die „gejagt und verhaftet“ wurden79. Auch von italienischer Seite gehörten zu den Einrichtungen, die einen verhältnismäßig beachtlichen speziellen Beitrag zur Verhaftung der Juden leisteten, diejenigen, die mit der Überwachung der Staatsgrenze zur Schweiz befasst waren. Am 12. Dezember 1943 schrieb das Kommando der II. Legion „Monte Rosa“ der republikanischen Nationalgarde für die Grenzüberwachung voller Stolz über 58 Verhaftungen „von Anfang Oktober bis heute“ und über die bei dieser Gelegenheit beschlagnahmten „beachtlichen Werte“ an den Chef der Provinz Como: Auf diese Weise wird der Ansturm in Richtung Grenze seitens der Juden, die mit der Flucht in das gastliche helvetische Land – den Zufluchtsort der Rabbiner – versuchen, sich den fürsorglichen und lapidaren faschistischen Gesetzen zu entziehen, durch die wachsamen Patrouillen der Republikanischen Nationalgarde behindert, die unermüdlichen auf allen Wegen, auch den gefährlichsten, bei jedem Wetter und zu jeder Stunde mit freiwillig verlängerten Einsatzzeiten wachen, um jede finstere und bedrohliche Tätigkeit dieser verfluchten Kinder Judas aufzudecken80.
In den folgenden Wochen und Monaten trafen der Innenminister und Mussolini eine Reihe von Entscheidungen gegenüber einigen besonderen Kategorien von Juden. 1) Einige Staaten hatten sogleich interveniert, um die Rechte ihrer in Italien lebenden jüdischen Staatsbürger zu verteidigen, und der RSI ähnliche Vereinbarungen wie die von ihnen (und der früheren faschistischen Regierung) mit dem Dritten Reich abgeschlossenen vorgeschlagen. Solange genaue einschlägige Untersuchungen noch ausstehen, lässt sich sagen a) dass derartige Proteste und Vorschläge am 1. Dezember vom Schweizerischen Konsul in Mailand 78 79 80
AdS Torino, serie ebrei Torino-Novara, Prefettura di Novara, fasc. 25/9, Chef der Provinz Vercelli an die Bürgermeister, 9. Dezember 1943. Vgl. E. Salmon, Diario, a.a.O., S. 202–20; Zitate auf S. 217, 219. AdS Como, Prefettura, Gabinetto, II versamento, b. 109, fasc. 192 und weitere Hefte. Zur Verhaftung von fünf Juden (die dann in der Deportation umkamen) am 28. Dezember 1943 durch eine Abteilung der Hundertschaft Domodossola der „Monte Rosa“ s. P. Bologna, Processo a una famiglia ebrea, in: Almanacco ossolano 1998. Novara 1997, S. 48–56. Zwischen Oktober 1943 und Juli 1944 verhaftete die Zollpolizei etwa 40 Juden wegen „des Versuchs des heimlichen Grenzübertritts“ in die Schweiz; ACS, RSI, SPD, CR (1943–45), b. 77, fasc. 648, sfasc. 5, „Elenco degli arresti operati al confine dai reparti della Guardia Repubblicana di Finanza dal 25 luglio 1943 in poi“.
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an die Chefs der Provinzen seines Zuständigkeitsbereiches, am 9. und am 18. Dezember von den Außenministern Ungarns und Rumäniens an diplomatische Vertreter der RSI in den beiden Hauptstädten und zu verschiedenen Zeitpunkten vom türkischen Konsul in Mailand adressiert wurden; b) dass im Hinblick auf die Juden der drei zuerst genannten Staaten Mussolini zunächst auf eine Notiz des Außenministers vom 20. Januar 1944 mit der Frage geantwortet hatte, wie sich Deutschland dazu verhalte, auf eine zweite Notiz, die ihm am 16. Mai zugesandt wurde, antwortete er, dass er die Politik der Repatriierungsvereinbarungen, die Berlin in der Vergangenheit verfolgt hatte, zur Kenntnis nehme und dem Vorschlag des Außenministeriums zustimme, „eine Verhaltenslinie zu verfolgen, die der von Deutschland verfolgten nicht unähnlich und auf keinen Fall strenger ist als jene“81 (der Vorschlag betraf allerdings nur die Schweizer und Rumänen, da Ungarn seine Politik gegenüber den Juden nach der deutschen Invasion vom März 1944 geändert hatte)82; c) dass schließlich, nachdem einige örtliche Entscheidung über die Entlassung aus der Internierung ergangen waren, am 23. Juli 1944 der Innenminister endgültig die Repatriierung aller „in Italien wohnenden türkischen Staatsbürger jüdischer Rasse“ genehmigte83. Auch für die spanischen Juden gab es mindestens zwei Repatriierungsaktionen aus Rom und aus Mailand84. 81
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ASMAE, MAE, RSI-Gabinetto, b. 164, fasc. IV-1, sfasc. 2, „Appunto per il Duce [Vermerk für den Duce]“, 16. Mai 1944, mit dem Vermerk „gesehen“, Signatur und Unterstreichungen Mussolinis sowie weitere Dokumente. Am 23. Mai 1944 teilte das Außenministerium dem Generalinspektorat für die Rasse und dem Innenministerium mit, dass Mussolini ihrem Vorschlag, die Regierung der Sozialrepublik solle gegenüber den Juden nicht eine Verhaltenslinie verfolgen, die strenger sei als die in Deutschland befolgte, zugestimmt habe, ebd.; weitere Dokumente zu diesem Vorgang ebd., sfasc. 3, sowie in: ACS, MI, DGPS, AGR, cat. A16 ebrei stranieri, b. 3, fascc. vari (die Dokumente zu den türkischen Juden finden sich in fasc. 13) e b. 5, fasc. 11; am 15. Juni schlug der Chef der Polizei dem Kabinett seines Ministeriums vor, diese Direktive förmlich zu übernehmen; ich habe jedoch keinerlei Hinweis auf das Ergebnis dieses Vorschlages finden können. Betr. Ungarn ist das letzte von mir aufgefundene Dokument die Ermächtigung, den „Austausch der jeweiligen reinen Juden zwischen Italien und Ungarn“ durchzuführen, abgesandt am 21. August 1944 vom Außenministerium der RSI an die Gesandtschaft Italiens in Budapest; ASMAE, MAE, RSI Gabinetto, b. 164, fasc. IV-1, sfasc. 2. ACS, MI, DGPS, AGR, A16 ebrei stranieri, 1944–45, b. 8, fasc. „Avrameto Michele“, Außenministerium an die Generaldirektion für öffentliche Sicherheit, 23. Juli 1944. I. Papo, L’immigrazione ebraica in Italia dalla Turchia, dai Balcani e dal Mediterraneo orientale nella prima metà del XX secolo, in: RMI Bd. LXIX Nr. 1 (Januar–April 2003), S. 123. Zum Schutz einer in Salò wohnenden Spanierin (keine Verhaftung, keine Güterbeschlagnahme) s. M. Ruzzunenti, La capitale, a.a.O., S. 112–113; zur Freilassung eines Spaniers s. R. Marchesi, Como ultima uscita. Storie di Ebrei nel capoluogo laria-
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2) Bestimmte Kategorien italienischer Juden wurden schon bald mit den Verhaftungen verschont; bei einigen von ihnen handelte es sich um eine vorläufige Verschonung, welche dann zu einer dauernden wurde, später dann aber wieder in Zweifel gezogen wurde (mit welchem Ergebnis, ist nicht bekannt). Am 10. Dezember 1943 teilte der Chef der Polizei Tamburini den Chefs der Provinzen mit, dass von den Verhaftungen endgültig die „schwerkranken“ und über 70jährigen Juden ausgenommen werden sollten, sowie „fürs erste“ die italienischen Juden, die einen „arischen“ Elternteil oder Ehegatten hatten85 (auf Grund dieser Anordnung wurden in Venedig mehr als 60 der 163 am 5./6. Dezember Verhafteten entlassen)86. Am 28. Dezember stellte Buffarini Guidi klar, dass die zuletzt genannten Bestimmungen keine Änderung des Befehls vom 30. November bedeuteten und nur den Zweck hätten, „ein schrittweises Vorgehen bei der Einweisung in Konzentrationslager zu erreichen“87; doch am 20. Januar 1944 gab derselbe Minister, anscheinend in Folge
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no 1943–1944. Como (Nodo Libri) 2004, S. 26–27; vgl. auch ACS, MI, DGPS, AGR, cat. A16 Affari generali (1930–56), b. 49, fasc. 73 und b. 51, fasc. 125. ACS, MI, DGPS, AGR, Massime (parte non riordinata), R9, b. 80, fasc. 19, Chef der Polizei an die Chefs der Provinzen, 10. Dezember 1943: „In Umsetzung jüngst ergangener Anweisungen müssen sämtliche ausländischen Juden in Konzentrationslager eingeliefert werden. Dieselbe Bestimmung ist anzuwenden auf italienische reine Juden, außer bei schweren Krankheiten und Alten über 70 Jahren. Vorläufig ausgenommen sind Mischlinge und gemischte Familien, unbeschadet angemessener Überwachungsmaßnahmen“. ACS, MI, DGPS, AGR, Massime, M4, b. 111, fasc. 16, sfasc. 1, ins. 58, Chef der Provinz Venedig an das Innenministerium, 6. Dezember 1943: Mitteilung der durchgeführten Verhaftungen mit der Erläuterung, dass in Übereinstimmung mit dem „örtlichen deutschen Kommando“ die Juden mit arischen Ehegatten nicht verhaftet worden seien. Ebd., Chef der Provinz Venedig an das Innenministerium, 3. Januar 1944: Mitteilung über die Verbringung von 39 Juden in das Lager von Fossoli am 31. Dezember und über die erfolgte Entlassung fast aller anderen, weil über 70jährig oder schwer erkrankt. Am 18. Januar wurden weitere vier Juden (allesamt Kinder) nach Fossoli verbracht, vgl. R. Segre (Hrsg.), Gli Ebrei, a.a.O., S. 151–156. Anfang Dezember war die jüdische Gemeinde von Venedig die größte noch nicht von Verhaftungen betroffene Gemeinde; die von den Italienern am 5./6. Dezember durchgeführte Razzia war nach den von den Deutschen in Rom, im Bereich Cuneo und in Florenz durchgeführten Razzien die viertgrößte; in Mailand – das bereits von deutschen Durchkämmungsaktionen betroffen gewesen war – „verhafteten in den ersten zehn Dezembertagen die Vertreter der öffentlichen Sicherheit etwa siebzig Personen in ihren Wohnungen“, L. Picciotto Fargion, Ebrei in Lombardia 1943–1945, in: Storia in Lombardia XVIII (1998) Nr. 2–3, S. 613. ACS, MI, DGPS, AGR, cat. A5G II g. m., b. 437, fasc. 230, sfasc. III, Innenminister an die Chefs der Provinzen, 28. Dezember 1943: „Die durch Polizeiverordnung vom 1. des Monats [in Wirklichkeit vom 30. November] Nr. 5 erlassenen Bestimmungen gegenüber den Juden haben keine, ich wiederhole: keine Änderungen auf Grund der mit Telegramm des Chefs der Polizei erlassenen Bestimmungen erfahren. Diese letzteren Bestim-
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eines Gesprächs mit Mussolini, Anweisungen, von der Verhaftung der Mitglieder gemischter Familien, ohne Bezug auf die Staatsangehörigkeit, „vorerst abzusehen“88; und zwei Tage später teilte der Chef der Polizei den Chefs der Provinzen mit, dass die Verhaftung der letzteren „fürs erste ausgesetzt“ sei89. Am 7. März bestätigte ein neues Rundschreiben Tamburinis, dass alle Mitglieder gemischter Familien – Ausländer eingeschlossen – von der Internierung „ausgenommen“ seien und bekräftigte die Verschonung der Schwerkranken und über 70Jährigen und dehnte auch sie auf die ausländischen Juden aus90. Schließlich schlug am 16. Oktober 1944 der neu ernannte Chef der Polizei Montagna dem Minister des Inneren vor, die Verschonung von der Internierung auf Juden mit „arischen“ Ehegatten zu begrenzen (sie also für Erwachsene mit einem „arischen“ Elternteil zu widerrufen)91; es ist jedoch nicht bekannt, ob dieser Vorschlag in eine Handlungsanweisung übergegangen ist.
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mungen besitzen Durchführungscharakter und wollen ein schrittweises Vorgehen bei der Einweisung der Juden in Konzentrationslager erreichen angesichts der Notwendigkeit, Unterkünfte nach allen Regeln der Hygiene und der Funktionalität bereitzustellen“. S. die Dokumente vom 17. und vom 21. Januar 1944, zitiert u. Fußn. 112. S. das zweite der beiden Telegramme vom 22. Januar 1944, wiedergegeben u. S. 305. ACS, MI, DGPS, AGR, Massime (parte non riordinata), R9, b. 80, fasc. 19, Chef der Polizei an die Chefs der Provinzen, 7. März 1944: „Infolge entsprechender Mitteilung seitens der Generaldirektion für Demographie und Rasse und unter Hinweis auf das telegraphische Rundschreiben vom 22. Januar d.J., Nr. 1412/442 [s. vorhergehende Fußn.] wird bestätigt, dass reine Juden, und zwar sowohl italienische als auch ausländische, in Konzentrationslager eingewiesen werden müssen, mit Ausnahme über 70jähriger Alter und Schwerkranker. Ausgeschlossen von dieser Anordnung sind Juden aus gemischter Familie einschließlich ausländischer Juden, die mit arischen Staatsangehörigen oder mit arischen Staatsbürgern egal welcher Nationalität verheiratet sind. Nicht dieser Anordnung unterliegen ferner jede, die im Sinne des immer noch in Kraft befindlichen Gesetzes vom 13. Juli 1939 – XVII Nr. 1024 die förmliche Erklärung erlangt haben, dass sie nicht – ich wiederhole: nicht – der jüdischen Rasse angehören. Ergänzend wird bemerkt, dass die Eigentumsverhältnisse der Juden in die Zuständigkeit des Finanzministers übergegangen sind und durch ein Gesetzesdekret des Duce vom 4. Januar d.J. geregelt worden sind“. ACS, MI, DGPS, AGR, cat. A5G II g. m., b. 437, fasc. 230, sfasc. I, Chef der Polizei an die Generaldirektion für Demographie und an das Kabinett des Innenministeriums, 16. Oktober 1944: „Mit Bezug auf das oben bezeichnete Aktenzeichen wird mitgeteilt, dass diese Generaldirektion [der Polizei] der Ansicht ist, dass in die Konzentrationslager nicht nur die reinen Juden eingewiesen werden müssen, sondern auch jene, die zwar gemischten Ursprungs sind, jedoch als der jüdischen Rasse angehörend angesehen wurden, wovon gemäß den geltenden Normen – im Hinblick auf den Grundsatz der familiären Einheit – der Ausschluss der mit Ariern verheirateten und mit ihnen zusammenlebenden Juden unberührt bleibt – unabhängig von der Konfiskation ihrer Besitztümer. Es steht jedoch fest, dass, abgesehen von wenigen Ausnahmen, seitens der deutschen Behörden zur Festnahme aller Juden, einschließlich der Schwerkranken und über 70jährigen sowie der Mitglieder gemischter Familien, und zu ihrer Einweisung in Kon-
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3) Was Kinder und Jugendliche anging, wurde am 30. Januar 1944 dem Chef der Provinz Aosta telegraphiert, dass „die minderjährigen Juden das Schicksal ihrer Familien teilen“, und am 5. Februar erhielt das Polizeipräsidium in Rom die telefonische Auskunft, dass „Familien mit Kleinkindern“ auf die Abreise in die Internierung in einer vom Gefängnis unterschiedenen Einrichtung warten konnten92. Im Hinblick auf die Bestimmungen über die Besitztümer sind zwei besondere Vorkommnisse erwähnenswert: 1) Das Rundschreiben des Finanzministers Domenico Pellegrini Giampietro vom 12. Februar 1944, betreffend die Anwendung des Gesetzesdekrets des Duce vom 4. Januar, stellte klar: „Da zu den der Konfiskation zu unterwerfenden Gegenständen auch Kleidungsstücke, Bettwäsche, Decken wie auch verderbliche Waren, häufig in kleinen Mengen oder von bescheidenem Wert, gehören, deren Aufbewahrung und Erhaltung Kosten verursachen würden, die in keinem Verhältnis zu ihrem Wert stehen, wird die Egeli ermächtigt, jene Gegenstände bzw. Waren, die aufzubewahren nach ihrer eigenen Beurteilung nicht angemessen erscheint, zu möglichst günstigen Bedingungen zu veräußern, es sei denn, dass der Chef der Provinz genehmigt, sie den Betroffenen zum Gebrauch zu belassen“; er fügte hinzu, dass die Egeli, „wenn der Verkauf sich als schwierig erweisen sollte“, sie an die kommunalen Fürsorgeämter aushändigen könne93. Am 30. März fragte der Innenminister selbst angesichts einiger Anfragen, die ihm von den Präfekturen und von der noch bestehenden Demorazza unterbreitet worden waren, bei der letzteren (die sich im Zuge der Umwandlung in ein Inspektorat befand) an, ob die Möglichkeit bestehe, die Chefs der Provinzen zu ermächtigen, von den Konfiskationen auch die Renten „von Personen in vorgeschrittenem Alter“, Pensionen und „bescheidene Monatsraten von Guthaben bei Kreditinstituten“ auszunehmen; auf diese Anfrage gab der Generalinspekteur für die Rasse Giovanni Preziosi am 5. Mai („in Erwartung der bevorstehenden gesetzlichen Bestimmungen“) eine zustimmende Antwort94. Infolge dessen erließ der Finanzminister am 13. Mai ein Rundschreiben, welches den Chefs der Provinzen erlaubte, „zu gestatten, dass die
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zentrationslager in Deutschland oder in Lager in Italien, die aber ausschließlich unter der Kontrolle deutscher Militärbehörden stehen, geschritten wird“. ACS, MI, DGPS, AGR, Massime (parte non riordinata), R9, b. 80, fasc. 19, Vizechef der Polizei an den Chef der Provinz Aosta (Konzept), 30. Januar 1944; ebd., Vizechef der Polizei an den Polizeipräsidenten von Rom, 5. Februar 1944. Diese und weitere Rundschreiben des Finanzministeriums werden verwahrt in: ACS, Fondo Egeli, b. 20; vgl. auch ACS, MF, SBE, aa, b. 14, fasc. 48. ACS, MF, SBE, aa, b. 13, fasc. 33.
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Zahlung von monatlichen Pensionen und Renten“ und von „bescheidenen Monatsraten“ aus Abfindungen und aus Bank- oder Postguthaben „zugunsten des jüdischen Berechtigten oder seiner Familienangehörigen […] in vollem Umfang oder zum Teil wieder aufgenommen wird“ – als „vorläufige“ Regelung und auf „dokumentierten Antrag der Betroffenen“, wobei „streng nach dem Prinzip der Alimente“ und „nach eingehender Prüfung der jeweiligen Lebenslage“ entschieden werden sollte; und der Generalinspekteur für die Rasse erließ am 15. Mai an die Chefs der Provinzen ein Rundschreiben, worin auf „die Zweckmäßigkeit“ hingewiesen wurde, „Beträge, Wertsachen und generell für die Lebensführung unerlässliche Gegenstände von der Konfiskation auszunehmen“, eingeschlossen die Renten und Abfindungen, die „im wesentlichen die Merkmale von Alimenten“ besitzen“ sowie „von Fall zu Fall und nach sorgfältiger Schätzung […] auch einen Teil der beweglichen Güter“95. Über die Gültigkeit der beiden Anweisungen und über die Berechtigung zu ihrem Erlass entwickelte sich ein heftiger Disput zwischen dem Finanzministerium und dem Inspektorat, der (soweit dies anhand der heute vorliegenden Dokumente festgestellt werden kann) im Dezember 1944 von dem Ministerium in der Weise beendet wurde, dass er zur Kenntnis nahm, dass, da das Rundschreiben vom 15. Mai nach demjenigen vom 13. Mai ergangen war, „das letztere als von jenem überholt angesehen werden muss“96. Was freilich die Umsetzung angeht, so ist zu bemerken, dass das Archivmaterial nur eine kleine Zahl von „Konzessionen“ und Ablehnungen ergibt, zum anderen ist festzustellen, dass von den „Konzessionen“ nur diejenigen profitieren konnten, die weder deportiert noch untergetaucht waren. Wie es in einem Rundschreiben des Präsidenten der Egeli vom 25. Januar 1945 in streng bürokratischer Sprache und ohne irgendeinen impliziten oder ausdrücklichen Hinweis auf die rundherum stattfindende Shoah hieß, werde es „nach hiesiger Ansicht sehr schwierig sein, dass die Pension oder die Rente einkassiert wird, wenn der 95
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Ebd. Das Rundschreiben des Generalinspektorats für die Rasse wurde vom Innenministerium am 19. Mai 1944 an die Chefs der Polizei übersandt (ACS, MI, DGPS, AGR, cat. A5G II g. m., b. 437, fasc. 230, sfasc. I); Il regime fascista publizierte seinen Text am 24. Mai. Zumindest in einem Fall wurde die „Ermächtigung“ zur Zahlung einer Pension, wie sie im Rundschreiben des Finanzministers vom 13. Mai vorgesehen war, vom deutschen Obersten Kommissar der Operationszone Alpenvorland bestätigt; ACS, MF, SBE, aa, b. 14, fasc. 48, Finanzamt Trient an das Finanzministerium, 23. August 1944, mit beigefügter Übersetzung eines Briefes des o.g. Kommissars an den deutschen Berater bei der Präfektur Trient vom 29. Juni. Ebd., Durchschlag des Briefes des Generaldirektors für allgemeine Angelegenheiten und Personal an das Finanzamt Verona, 27. Dezember 1944. Zur Debatte vgl. auch die Dokumentation ebd., b. 13, fasc. 33; ACS, RSI-PCM, Pratiche 1943–45, b. 67, fasc. 1032; ebd., b. 4, fasc. 3096, sfasc. 5.
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Berechtigte unauffindbar ist, denn man wird nicht ein Zertifikat, dass er noch am Leben sei, beibringen können“97. 2) Was den Umgang mit den konfiszierten Gütern (der auf Grund des Gesetzesdekrets des Duce vom 4. Januar 1944 der Egeli oblag) und ihre endgültige Bestimmung (laut Dekret vom 30. November 1943 die Versorgung „der bedürftigen Opfer der feindlichen Bombenangriffe“ und laut dem vom 4. Januar 1944 der Staat selbst als „teilweiser Ersatz der Kosten, die ihm […] für die] von feindlichen Luftangriffen Betroffenen entstanden sind“) anging, so beweisen verschiedene Mitteilungen die Existenz einer abweichenden und damit, gemessen am eigenen Gesetz der RSI, illegalen Verwendung. So wurde beispielsweise ein beachtlicher Teil der Wertsachen und Geldbeträge von der Präfektur von Como an den Sitz der Generaldirektion für öffentliche Sicherheit in Valdagno verbracht. Eine recht beachtliche Menge an Wertsachen und Gegenständen eines Juden aus Mantua, ersichtlich der gesamte Inhalt seines Hausstandes, wurde von der Egeli innerhalb des Sonderamts der Polizei beim Sitz des Innenministeriums in Maderno konfisziert; der Innenminister Buffarini Guidi informierte schroff den Chef der Provinz Brescia, dass eine Partie Strümpfe und Handschuhe (mehr als 30.000), die in jener Provinz direkt vom erwähnten Sonderpolizeiamt konfisziert worden war, zum Gegenstand eines „Volksverkaufs“ gemacht worden sei und dass „die dabei erzielte Summe […] auf höhere Weisung für Angehörige der bei politischen Attentaten getöteten bestimmt worden ist“98. Angesichts dessen erlangt die „autonome Handhabung“ (bei der Durchführung der Konfiskation und mitunter auch mit den konfiszierten Besitztümern) vonseiten einiger Provinzchefs fast schon geringere Bedeutung99. In einem speziellen Fall brachte ein Polizeibeamter in Brescia „unerlaubte Vorteile“ von „Mitgliedern der Egeli“ zur Anzeige; sie seien dadurch erzielt worden, dass bei der Inventarisierung und Bewertung der Besitztümer „ein Gegenstand, der einen Wert von 100 Lire haben könnte, von ihnen mit 10 Lire bewertet wird“100.
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ACS, Fondo Egeli, b. 20, Vorstand der Egeli an die beauftragten Kreditinstitute, 25. Januar 1945. 98 Commissione per la ricostruzione delle vicende che hanno caratterizzato in Italia le attività di acquisizione dei beni dei cittadini ebrei da parte di organismi pubblici e privati, Rapporto, a.a.O., S. 104–105. 99 Ebd., S. 105–107. 100 ACS, MI, DGPS, AGR, RSI, Sekretariat des Chefs der Polizei, b. 24, fasc. 16, Vizebrigadier Romano an Hauptkommissar Grillo, 5. Dezember 1944. Der Anzeigenerstatter erläuterte, dass alles dies „dem Staat zum Schaden gereicht“.
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Die italienischen Bestimmungen über die Verhaftung von ausländischen, „gemischten“, alten oder schwerkranken Juden deckten sich nicht immer mit den deutschen (die gewöhnlich – aber nicht immer – härter waren). So gab es mehrere Fälle von Personen, die von den einen nicht verhaftet oder freigelassen wurden und anschließend von den anderen verhaftet wurden; und es sind andererseits einige italienische Proteste und ein deutscher Protest wegen einzelner vom anderen Verbündeten durchgeführter Verhaftungen dokumentiert101. Nach dem Stand der bis heute zugänglichen Dokumente hat die RSI niemals irgendeinen umfassenden Protest wegen der „nicht deckungsgleichen“ Verhaftungen gegenüber dem Dritten Reich erhoben – und erst recht nicht (worauf noch einzugehen sein wird) angesichts der Deportation aller Verhafteten. Wie erwähnt, hatte der deutsche Besatzer eine eigene Politik der Aneignung von Besitztümern von Juden entwickelt, insbesondere im Adriatischen Küstenland (wo sie auch die von der Egeli seit 1939 eingezogenen Immobilienbesitze betraf102). Was diese Zone anging, protestierte die RSI (in den Grenzen, welche ihr der Status als besetzter Verbündeter zog) gegen das, was sie als einen „Raub“ von nunmehr „eigenen“ Besitztümern ansah, indem sie – nach der Verordnung vom 4. Januar 1944 – verschiedene Noten an die deutsche Bot101 Zu einigen namentlichen Anträgen auf Freilassung seitens der italienischen Behörden s. L. Klinkhammer, L’occupazione, a.a.O., S. 605, Fußn. 119 (drei bewilligte Anträge mit unbestimmtem Datum, ein abgelehnter vom November 1943); R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 452, und M. Michaelis, Mussolini e la questione ebraica, a.a.O., S. 456, Fußn. 20 (ein nicht bewilligter Antrag, betr. einen nahezu sicher nicht in Italien inhaftierten Juden); ebd., S. 365–367 (sechs nicht bewilligte Anträge aus April–Juli 1944). Zu einigen der oben genannten Vorgänge und zum Fall der Clara Pirani Cardosi (die dann in der Deportation umkam) s. G., M. und G. Cardosi, Sul confine, a.a.O. Von deutscher Seite ist der Fall zweier Schwestern mit jüdischem Vater (der dann in der Deportation umkam) und „arischer“ Mutter dokumentiert. Die italienischen Behörden hatten sie zusammen mit dem Vater am 2. Dezember 1943 in Gardone verhaftet und sie in Salò festgesetzt, weil sie als „jüdischer Rasse“ klassifiziert waren, da „von Eltern geboren, von denen der eine jüdischer Rasse ist und der andere eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzt“. Am 4. Januar 1944 beantragte die deutsche Botschaft ihre Freilassung, weil sie „Mischlinge ersten Grades deutscher Staatsangehörigkeit“ seien. Am 5. Februar forderte die Direktion der Polizei der RSI den Chef der Provinz Brescia auf, ihre Freilassung anzuordnen; diese war, wie dessen Antwort zu entnehmen ist, bereits am 21. Januar „auf Bemühen der deutschen Behörden“ erfolgt; die Dokumentation ist aufbewahrt in: ASMAE, MAE, RSI-Gabinetto, b. 65, fasc. 6; ebd., b. 164, fasc. IV1, sfasc. 2 – mit der „Verbalnote“ des deutschen Beauftragten für Italien vom 4. Januar 1944; ACS, MI, DGPS, AGR, A16 stranieri in genere, 1944–45, b. 29, fasc. „Loewy Max e famiglia“ – mir den Briefen des Chefs der Provinz Brescia an das Innenministerium vom 13. Januar und 22. Februar 1944, denen die weiteren Zitate in der Fußnote entnommen sind; L. Picciotto, Il libro, a.a.O., zum deportierten Vater. 102 Ente di Gestione e Liquidazione Immobiliare, L’Egeli, a.a.O., S. 43.
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schaft richtete; diese antwortete schließlich am 16. September, wobei sie sich darauf beschränkte, klarzustellen, dass in der besagten Zone die „gesetzgebende Gewalt“ dem Obersten Kommissar zustehe, und hinzufügte, dass „die Frage der Übertragung der konfiszierten jüdischen Eigentums […] gründlich untersucht werden sollte“103. Diese Unterschiedlichkeit im Verhalten der RSI gegenüber dem Dritten Reich wird durch folgende Dokumente gut veranschaulicht, die zwei Opfer der nazistischen Übergriffe vom Lago Maggiore betreffen. Am 5. Dezember 1943 schrieb der Privatsekretär Mussolinis an den Chef der Provinz Mailand: Mit dem Brief, den ich Dir zur Einsicht weiterleite, hat sich der Advokat Mario Mazzuchelli, wohnhaft in Mailand, via Filzi 45, an den DUCE gewandt, um die Freilassung seiner Ehefrau [Lotte Fröhlich, die in Meina verhaftet worden war], die jüdischer Rasse und wahrscheinlich in einem Konzentrationslager in Deutschland interniert ist, zu erlangen. Ich bitte Dich, dem Mazzuchelli auf passende Weise zu verstehen zu geben, dass man für sein Problem Verständnis hat, dass aber in der Sache keinerlei Möglichkeit eines Eingreifens besteht104.
Am 8. Januar 1945 schrieb in Folge eines Hinweises des Finanzministers vom 16. Dezember 1944 der Außenminister folgendermaßen an die Botschaft Deutschlands: Am 18. September nahmen Soldaten der deutschen SS-Formationen in Arona folgende Mengen von Pelzen aus Pelzgeschäften an sich […], die einen Wert von insgesamt 541.000 Lire besaßen, sowie verschiedene persönliche Effekten, die im Eigentum der jüdischen Firma Giacomo Modiano standen. […] Das Ministerium des Äußeren bittet daher die Botschaft Deutschlands, sich freundlicherweise bei den zuständigen deutschen Militärbehörden verwenden zu wollen, damit der Egeli die entzogenen Waren zurückgegeben werden oder deren entsprechender Wert ausgezahlt wird105.
103 Die Dokumentation ist aufbewahrt in: ASMAE, MAE, RSI-Gabinetto, b. 164, fasc. IV-1, sfasc. 6; das Zitat ist dem amtlichen italienischen Text des „Vermerks für das Außenministerium“ der deutschen Botschaft in Italien vom 16. September 1944 entnommen; die Noten des Außenministeriums der RSI tragen das Datum des 10. Februar, des 11. April, des 29. Mai und des 11. August 1944; zumindest die beiden ersten wurden Mussolini zur Kenntnis vorgelegt. S. auch Commissione per la ricostruzione delle vicende che hanno caratterizzato in Italia le attività di acquisizione dei beni dei cittadini ebrei da parte di organismi pubblici e privati, Rapporto, a.a.O., S. 112–114. 104 Der Durchschlag des Briefes ist reproduziert in: „Che c’è di nuovo? Niente: la guerra“, a.a.O., S. 380 (vgl. auch S. 275). 105 ASMAE, MAE, RSI-Gabinetto, b. 164, fasc. IV-1, sfasc. 6, „Appunto per l’ambasciata di Germania“ (Vermerk für die Botschaft Deutschlands) des Außenministeriums, 8. Januar 1945, und Finanzminister an den letzteren, 16. Dezember 1944.
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4. Ein „schreckliches Geheimnis“? Am 4. Dezember 1943 informierten die für Italien Verantwortlichen des RSHA das Auswärtige Amt (das mit der Frage deshalb befasst wurde, weil die RSI formell als souveräner Staat und Verbündeter angesehen wurde) darüber, dass man nicht ausreichend Kräfte zur Verfügung habe, um alle Juden der Halbinsel zu verhaften, und sie forderten ihn auf, die Regierung der RSI zu drängen, rasch die Verordnung vom 30. November umzusetzen, und von ihr die unverzügliche Auslieferung (zwecks Deportation) der von den Italienern nach und nach verhafteten Juden zu verlangen. Das Auswärtige Amt entschied, die Forderung nach Auslieferung bis zu dem (als kurz bevorstehend angesehenen) Abschluss der italienischen Verhaftungsaktionen zurückzustellen, und telegraphierte am 14. Dezember an den Bevollmächtigten des Dritten Reichs bei der RSI: „Exekutivkommando des Reichsführers SS zur Erfassung versteckter Juden nicht ausreichend. Daher Durchführung mit faschistischen Kräften in eigener Verantwortung erforderlich“106. Danach hätten – wenn mir nicht ein Interpretationsfehler unterlaufen ist – die beiden Regierungen bis Mitte Dezember 1943 noch keine Vereinbarung über die Deportation der von Italienern verhafteten Juden getroffen (hingegen wissen wir nichts über die Deportation der von Deutschen verhafteten Juden, wenn auch die fehlende Nachweisbarkeit von italienischen Protesten in dieser Hinsicht zu belegen scheint, dass die RSI zumindest eine Haltung „stillschweigender Zustimmung“ einnahm). Die Ende Dezember von einigen örtlichen deutschen Verantwortlichen – vor allem in der Emilia – erhobenen Forderungen nach Auslieferung der nach dem 30. November von den Italienern verhafteten Juden107 könnte daher örtlichen Initiativen ohne ausdrückliche Billigung 106 Auswärtiges Amt, PP AA, Inland II g., Bd. 192, Die Judenfrage in Italien (R 100872), Auswärtiges Amt des Dritten Reichs – Abteilungschef Inland II Horst Wagner an den Botschafter des Dritten Reichs bei der Italienischen Sozialrepublik Rudolf Rahn, 14. Dezember 1943: „Exekutivkommando des Reichsführers-SS zur Erfassung versteckter Juden nicht ausreichend. Daher Durchführung mit faschistischen Kräften in eigener Verantwortung erforderlich“; Übersetzung des Dokuments in: M. Sarfatti, La Shoah, a.a.O., S. 156. Die anderen Dokumente zu diesem Vorgang sind wiedergegeben in: United Restitution Organisation, Judenverfolgung in Italien, a.a.O., S. 201–4; Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik 1918–1945, Serie E: 1941–1945, Bd. VII, Göttingen 1979, S. 218–219; it. Übersetzung zweier von ihnen in: L. Picciotto Fargion, Per ignota destinazione. Gli ebrei sotto il nazismo. Mailand (Mondadori) 1994, S. 221–224. 107 In den letzten zehn Tagen des Dezember teilten alle Polizeipräsidenten oder Chefs der emilianischen Provinzen dem Innenministerium mit, dass die örtlichen Kommandanten der deutschen Polizei vorstellig geworden seien und das Verzeichnis der verhafteten Juden und deren anschließende Auslieferung, versehen mit warmer Kleidung und Le-
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durch Berlin zuzuschreiben sein (oder vielleicht auch Befehlen der zentralen Führer des RSHA, die ganz bewusst die Anweisungen des Auswärtigen Amts nicht beachteten). Nichts ist auch bekannt über die tatsächlichen Absichten der RSI zwischen Mitte November und Mitte Dezember betreffend das endgültige Schicksal jener Juden, welche Zielgruppe des Haftbefehls vom 30. November waren108. Die Entwicklung der Dinge in den nachfolgenden Wochen gestattet jedoch die Ausformulierung einer Hypothese, für die es zwar keine eigentliche „dokumentarische“ Bestätigung gibt, die jedoch die einzige ist, die mit allen Ereignissen und allen bekannten Dokumenten zusammenpasst. Zu einem Zeitpunkt, der wahrscheinlich später als die oben erwähnten Berliner Dokumente anzusetzen ist und mit Sicherheit vor dem 6. Februar 1944 liegt, gelangten die Regierungen des Dritten Reichs und der RSI zu einer Vereinbarung über die Auflieferung der von den Italienern verhafteten Juden an die Deutschen mit der daraus folgende Deportation (und Ermordung). Die bekannt gewordenen Elemente sind folgende: a) Ungeachtet der breit angelegten Nachforschungen errichtete die RSI nur ein einziges „eigens eingerichtetes Konzentrationslager“, in dem die Juden der „Provinz-Konzentrationslager“ gesammelt werden sollten; es handelte sich um das Lager von Fossoli (einem Ortsteil von Carpi in der Provinz Modena), das Anfang Dezember eingerichtet wurde und kurz vor Ende dieses Monats Juden aufzunehmen begann109. b) Am 1. Januar 1944 berichtete der Polizeipräsident von Modena dem Chef der Polizei, dass der örtliche deutsche Kommandant von ihm die Auslieferung der am Orte verhafteten Juden verlangt habe, sowohl der internierten als auch bensmitteln für zehn Tage, verlangt hätten; eine vergleichbare Forderung wurde in Varese ausgesprochen, die Schriftwechsel sind verwahrt in: ACS, MI, DGPS, AGR, cat. A5G II g. m., b. 437, fasc. 230, sfasc. III, sowie ebd., Massime (parte non riordinata), R9, b. 80, fasc. 19. 108 Einige Dokumente zeigen, dass noch Ende Dezember die Generaldirektion der Polizei ernsthaft damit befasst war, „eigens eingerichtete Lager“ für die Juden ausfindig zu machen (vgl. K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. II, S. 447–448; Zuflucht, a.a.O., Bd. II, S. 363–364); dies beweist freilich nur, dass der Chef der Polizei seinen Untergebenen eine Anordnung in diesem Sinne erteilt hatte. 109 Über das Lager von Fossoli s. L. Picciotto, Il libro, a.a.O., S. 903–904, 913–921; L. Casali, La deportazione dall’Italia. Fossoli di Carpi, in: Spostamenti di popolazione, a.a.O., S. 382–406. S. auch K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. II, S. 444–447; Zuflucht, a.a.O., Bd. II, S. 361–363; auf den S. 447–448; 363–364 dokumentiert dieser, dass die italienische Polizei bis Mitte Januar damit beschäftigt war, zusätzlich zu Fossoli weitere Lager zu suchen, ohne jedoch letztlich eines einzurichten.
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der noch in Fossoli zu internierenden, wobei er klar gemacht habe, dass er zu ihrer „Verbringung nach Deutschland“ schreiten wolle110; es ist nicht bekannt, ob der Chef der Polizei jemals eine Antwort geschrieben hat, sicher ist jedoch, dass er mit der kollektiven Verlegung der Juden nach Fossoli fortfuhr. c) Im Januar begannen die Verantwortlichen des RSHA in Italien, einen neuen Transport vorzubereiten, der dann am 30. dieses Monats von den Bahnhöfen von Mailand und Verona abging, und sie nahmen in ihn sowohl von ihnen selbst verhaftete Juden als auch Juden aus einigen der neuen italienischen Provinz-Konzentrationslager auf111. d) Am 22. Januar sandte der Chef der Polizei – der von zahlreichen lokalen Behörden bedrängt worden war, welche um Anweisungen im Hinblick auf die deutschen Forderungen auf Auslieferung baten – den Chefs der Provinzen die folgenden beiden Telegramme: Es wird ersucht, Vereinbarungen mit den örtlichen deutschen Behörden zu treffen, denen die auf Anordnung des Duce ergangenen Bestimmungen zu erläutern sind. Deshalb wird ersucht, Konzentrationslager alle Juden zufließen zu lassen, auch wenn diskriminiert. Bitte um Mitteilung der erfolgten Vereinbarungen. Unter Verweis auf frühere Anordnungen wird bestätigt, dass italienische wie ausländische reine Juden in Konzentrationslager einzuweisen sind. Man wird an zentrale deutsche Behörden herantreten zwecks Bestimmungen, mit denen Verbleib von Juden in italienischen Lagern sichergestellt wird. Anordnung ist fürs erste ausgesetzt für gemischtrassige Familien. Wegen Beschlagnahme beweglicher und unbeweglicher Besitztümer ergehen auf Initiative des Finanzministers noch 112 einschlägige Ausführungsvorschriften . 110 ACS, MI, DGPS, AGR, cat. A5G II g. m., b. 437, fasc. 230, sfasc. III, Polizeipräsident von Modena an den Chef der Polizei, 1. Januar 1944. S. auch o. Fußn. 107. 111 Vgl. L. Picciotto, Il libro, a.a.O., S. 46–47, 900–902, 904–905. 112 Die Originaltexte der beiden Telegramme sind jeweils erhalten in: ACS, MI, DGPS, AGR, cat. A5G II g. m., b. 437, fasc. 230, sfasc. III, sowie in: ACS, MI, DGPS, AGR, Massime (parte non riordinata), R9, b. 80, fasc. 19. Das erste (nummeriert 316 oder bisweilen 416) wurde am 22. Januar um 13:30 Uhr versandt; das zweite (nummeriert 1412/442) um 22 Uhr. Das erste wurde mit Sicherheit vom Chef der Polizei Tamburini ausgearbeitet, das zweite wurde vielleicht verfasst und unter seinem Namen versandt vom Vize-Chef der Polizei; es ist jedoch nicht klar, ob die beiden Texte als komplementär oder (infolge eines operativen Missverständnisses auf Grund von Kommunikationsschwierigkeiten) als teilweise sich überlagernd anzusehen sind. Am 17. Januar berichtete der Vize-Chef der Polizei telefonisch dem Chef der Polizei die Bitten, die von verschiedenen lokalen Behörden an ihn gelangt waren; auf der Transkription dieses Telefonats schrieb Tamburini die folgende Botschaft für Buffarini Guidi: „Ich habe darüber mit dem Duce gesprochen, und er hat mich beauftragt zu sagen, dass er es mit dir besprechen wird“ (ACS, MI, DGPS, AGR, cat. A5G II g. m., b. 437, fasc. 230, sfasc. III); am 20. Januar sprach Buffarini Guidi über diese Frage mit dem Vize-Chef der Polizei und dieser verfasste das folgende „Promemoria für Exz. Pagnozzi“: „S.E.
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Zu diesen Telegrammen ist zu bemerken, dass sie, da sie an die Chefs der Provinzen gerichtet sind, nur die ihnen nachgeordneten Lager betrafen, nicht aber das „eigens eingerichtete Konzentrationslager“ in Fossoli, das zwar den örtlichen Behörden für die gewöhnliche Geschäftsführung anvertraut war, jedoch wegen der wichtigsten Aspekte seiner Betriebs (Ernennung des Leiters, Durchführung des – durch die genannten Telegramme nicht eingestellten – Zuflusses von Juden aus Provinz-Konzentrationslagern, Provinz-Gefängnissen usw.) dem Innenministerium direkt unterstellt war113. e) Nachdem der Transport vom 30. Januar abgefahren war, gab es ein sofortiges und endgültiges Nachlassen der deutschen Pressionen auf die örtlichen italienischen Behörden; von da an erhielten die letzteren im Wesentlichen nur noch eine lange Reihe von wiederholten Anweisungen des Chefs der Polizei, in denen – mit einer einzigen Ausnahme – die Einweisung von Juden nach Fossoli angeordnet wurde. Die Ausnahme bildete folgender Befehl, der am der Minister hat in der Besprechung von gestern Abend die Judenfrage im Hinblick auf die jüngste Polizeiverordnung erörtert und die folgenden Punkte klargestellt: 1) reine Juden, egal ob Italiener oder Ausländer, müssen in Provinz-Konzentrationslager eingewiesen werden. Er hat sich vorbehalten, im Hinblick auf Anträge, die seitens der deutschen Behörden an einige Chefs der Provinzen gelangt sind, die besagten Juden in Verwahrung zu nehmen, bei den zentralen deutschen Behörden anzuregen, dass entsprechend dem aufgestellten Prinzip geeignete Bestimmungen erlassen werden, damit die Juden in italienischen Lagern verbleiben; 2) was die gemischten Familien angeht, hat S.E. der Minister angeordnet, jegliche Entscheidung aufzuschieben, um nicht die familiäre Einheit zu zerstören; 3) was die Beschlagnahme der beweglichen und unbeweglichen Güter angeht, hat S.E. der Minister sich vorbehalten, beim Finanzminister den Erlass geeigneter gesetzlicher Vorschriften anzuregen. – Im Hinblick auf das Ausgeführte wird um Mitteilung gebeten, ob dortiges Ew. Kabinett die Verbreitung eines entsprechenden Rundschreibens an die Chefs der Provinzen besorgen wird oder ob die Generaldirektion für öffentliche Sicherheit dies besorgen soll; ACS, MI, DGPS, AGR, Massime (parte non riordinata), R9, b. 80, fasc. 19; weiteres Exemplar in: ACS, MI, DGPS, AGR, cat. A5G II g. m., b. 437, fasc. 230, sfasc. I; s. auch die folgende Fußnote. 113 Zur Abhängigkeit der provinziellen Lager von den Chefs der Provinzen s. K. Voigt, Il rifugio a.a.O., Bd. II, S. 429–430; Zuflucht, a.a.O., Bd. II, S. 349–350. Zur Zuständigkeit des Ministeriums zur Ernennung des Lagerleiters von Fossoli s. L. Picciotto, Il libro, a.a.O., S. 915, und L. Casali, La deportazione, a.a.O., S. 385; zur Zuständigkeit des Ministeriums für Entscheidungen über die Überstellung der Juden von den provinziellen Lagern und Gefängnissen nach dem Lager von Fossoli siehe beide o. zitierten Texte, passim. Renzo De Felice zitiert nur die Schlusspassage des ersten Punktes des in der vorigen Fußnote wiedergegebenen „Promemoria“ und bezieht diese auf alle Lager, hat aber nicht berücksichtig, dass dieser Punkt in seinem vollen Umfang ausschließlich die provinziellen Lager betraf, nicht aber auch das Lager Fossoli; damit hat er irrig den Schluss gezogen, dass „die faschistischen Behörden versuchten, ihre [der Juden] Deportation aus Italien zu vermeiden“, R. De Felice, Storia degli ebrei, a.a.O., S. 451; zur irrigen Folgerung s. S. 452 und passim.
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5. Februar 1944 an den Präfekten von Reggio Emilia erging: „Es wird ersucht, der Aufforderung des deutschen Kommandos auf Auslieferung von Juden nachzukommen“114. Auch auf diesen Befehl folgte allerdings die übliche Antwort, dass die betreffenden Juden „gestern in das Konzentrationslager Fossoli verlegt worden sind“115. f) Am 26. Januar und am 19. und 22. Februar ließen die Deutschen die ersten Transporte aus diesem Lager abgehen116; etwa Mitte Februar wurde ein „deutsches Lagerkommando“ eingerichtet117; am 28. Februar teilte der Polizeipräsident von Modena dem Chef der Polizei ohne Verwunderung und ohne Protest den erfolgten Abtransport des 22. mit, sowie – ebenfalls ohne Verwunderung und ohne Prostest –, dass der SS-Befehlshaber in Italien ihm „mitgeteilt“ habe, er werde „am kommenden 15. März das Lager selbst übernehmen“118. 114 ACS, MI, DGPS, AGR, Massime (parte non riordinata), R9, b. 80, fasc. 19, Chef der Polizei an die Präfektur Reggio Emilia, 5. Februar 1944; Dokument wiedergegeben in: [M. Sarfatti], Date gli ebrei ai tedeschi, in: l’Unità, 10. Oktober 1993; wiedergegeben in: M. Sarfatti, La Shoah, a.a.O., S. 165. 115 ACS, MI, DGPS, AGR, Massime (parte non riordinata), R9, b. 80, fasc. 19, Chef der Provinz Reggio Emilia an das Innenministerium, 17. Februar 1944; Dokument wiedergegeben in: M. Sarfatti, La Shoah, a.a.O., S. 165. Von den 29 Juden, um die es ging, wurden 15 anglolybische (aus denen infolge einer Geburt in Carpi am 21. Februar 16 wurden) mit den Transporten vom 19. Februar und 16. Mai nach Bergen Belsen deportiert und überlebten; zehn aus Reggio Emilia und vier Polen wurden mit dem Transport vom 22. Februar nach Auschwitz deportiert und wurden dort umgebracht; s. das Namensverzeichnis im Anhang an den oben zitierten Brief, sowie L. Picciotto, Il libro, a.a.O., ad nomen. 116 Ebd., S. 47–49, passim; zur Ermittlung im Jahre 2003 des Transports von anglolibyschen Juden vom 26. Januar 1944 in das Lager Reichenau in Österreich s. L. Picciotto, Gli ebrei in Libia, a.a.O., S. 99–100. 117 Am 20. Februar hatten die Deutschen eine genaue Untersuchung des Lagers durchgeführt; vgl. P. Levi, Se questo è un'uomo. Turin (Einaudi) 1973, S. 19–20. In den Briefen an seine Frau vom 23. und 25. Februar erwähnt Raffaele Jaffe, am 17. Februar in Fossoli interniert (und später in der Deportation gestorben), die Anwesenheit eines „deutschen Kommandos“ bzw. eines „deutschen Lagerkommandos“ (ACDEC, Fondo Raffaele Jaffe). Nach einem Bericht der Carabinieri von Carpi, der kurz nach der Befreiung verfasst wurde, hatten die deutschen Behörden die Leitung des „Neuen Lagers“ (d.h. die Abteilung des Lagers von Fossoli, in der die Juden interniert waren) im Februar 1944 übernommen; ACDEC, AG, nuove accessioni, schriftliche Antwort des Verteidigungsministers Beniamino Andreatta auf eine parlamentarische Anfrage, August 1996, S. 2–3. 118 ACS, MI, DGPS, AGR, RSI, segreteria del capo della polizia, b. 60, fasc. Modena, Polizeipräsident von Modena an den Chef der Polizei, 28. Februar 1944; Dokument mitgeteilt b. L. Casali, La deportazione, a.a.O., S. 386 und 401, Fußn. 32. Im Hinblick auf den Transport schrieb der Polizeipräsident: „Abgeholt von Kräften der deutschen Polizei sind am 22. d. M. 540 in Fossoli internierte Juden in Richtung Deutschland abgefahren“ (ebd., S. 402, Fußn. 42). Zu beachten ist ferner der am 1. Februar 1944 vom
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g) In den folgenden Monaten sorgte die RSI weiter für den Zufluss der in den Provinzen verhafteten Juden nach Fossoli, das nunmehr Polizei- und Durchgangslager genannt wurde119, und die deutschen Behörden fuhren fort, sie in Empfang zu nehmen und sie sodann zu deportieren (die weiteren Transporte gingen am 5. April, am 16. Mai, am 26. Juni und schließlich am 1. August ab, als das Lager geschlossen wurde und die letzten Juden nach Verona verbracht und von dort deportiert wurden; insgesamt wurden von Fossoli aus etwa 2.500 Juden deportiert)120. h) Am 1. Juli begab sich der Minister des Inneren der RSI Buffarini Guidi zu einer offiziellen Visite in das Lager121. Zu all diesen Vorgängen kann noch eine Gruppe von Dokumenten hinzugefügt werden, die teilweise hier bereits erwähnt worden sind. Am 9. Dezember 1943 hatte der italienische Botschafter in Budapest nach Salò berichtet, dass der ungarische Außenminister gegen die Verhaftung und gegen die Beschlagnahme der Besitztümer von ungarischen Juden in Italien protestiert habe122. Hierauf angesprochen, berichtete die deutsche Botschaft bei der RSI am 11. Mai 1944, dass die eigene frühere Politik der Repatriierung dieser Juden „vermutlich angesichts der jüngsten Ereignisse in Ungarn nicht weiter in Erwägung
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Chef der Provinz Modena an die Direktion der Polizei geschriebene Brief (den aber an seiner Stelle der Polizeipräsident unterschrieb): „Es wird diesem Ministerium zur Kenntnis gegeben, dass am vergangenen 26. Januar aus dem Lager Fossoli in Carpi von der deutschen Polizei 83 Internierte jüdischer Rasse und anglomaltesischer [recte: anglolibyscher] Nationalität abgeholt worden sind, um in einem Konzentrationslager in Deutschland interniert zu werden“; ACS, MI, DGPS, AGR, cat. A4bis, b. 5, fasc. 26. Zugleich mit der Inbesitznahme des Lagers Fossoli ordnete das RSHA die Internierung der Bürger einiger Feindstaaten (Großbritannien, USA und UdSSR) „in deutschen Konzentrationslagern“ an; die RSI leitete die Anordnung an die Chefs der Provinzen weiter; ACS, RSI, SPD, CO (1943–45), b. 38, fasc. 2124, Chef der Polizei an die Chefs der Provinzen, 16. März 1944. So teilte am 22. April 1944 der Chef der Provinz Modena dem Innenministerium mit, dass „das Lager [Fossoli] Kapazität besitzt, um weitere Internierte aufzunehmen“; ACS, MI, DGPS, AGR, RSI, Sekretariat des Chefs der Polizei, b. 60, fasc. „Modena“. L. Picciotto, Il libro, a.a.O., S. 31, 49–54 und passim (zu 2.461 Deportierten von Februar bis August); Dies., Gli ebrei in Libia, a.a.O., S. 99–100 (zu 83 Deportierten im Januar). Zum Zeitpunkt des Besuchs s. G., M. und G. Cardosi, Sul confine, a.a.O., S. 42, 94. Weitere Zeugnisse sind mitgeteilt b. G. Mayda, Ebrei sotto Salò, a.a.O., S. 187 und 182, Fußn. 49; S. Zuccotti, The Italians and the Holocaust. Persecution, Rescue and Survival. New York (Basic Books) 1987 [it. Übers.: L’Olocausto in Italia. Mailand (Mondadori) 1988, S. 188]; L. Picciotto, Il libro, a.a.O., S. 978, Fußn. 240. Italienischer Botschafter in Budapest Raffaele Casertano an das Außenministerium der Italienischen Sozialrepublik, 9. Dezember 1943; ASMAE, MAE, RSI-Gabinetto, b. 164, fasc. IV-1, sfasc. 2.
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gezogen werden sollte“123. In ihrem Bericht über diese Mitteilung an Mussolini schrieb die Generaldirektion für allgemeine Angelegenheiten des Außenministeriums der RSI: „Auch für die ungarischen Juden galt seinerzeit eine begünstigende Behandlung [= die Repatriierung], doch höchstwahrscheinlich werden die Vorgänge, welche sich kürzlich in Ungarn ereignet haben, zu einer Umkehrung der Lage in diesem Bereich führen, mit der Folge der Einziehung der Güter und der Verbringung in Konzentrationslager in Polen“124. Diese neuen Ereignisse waren denjenigen ganz ähnlich, die sich im September 1943 in Italien abgespielt hatten; sie bestanden in dem Einmarsch der Deutschen in das Land (in Ungarn am 19. März 1944), das aber eine nominell autonome Regierung behielt. Und aus diesem Grunde stützten sich – wie ich meine – die leitenden italienischen Ministerialbeamten, obwohl sie die Lage in Ungarn scheinbar nur auf der Grundlage der deutschen Information zu beschreiben schienen, in Wirklichkeit auch auf die Lage in Italien, und konnten daher die präzise Aussage treffen, dass das Schicksal jener Juden „die Verbringung in Konzentrationslager in Polen“ sei. Ein Schicksal, das sie sehr gut kannten. Wie schon erwähnt, hat niemand bislang ein Protokoll über die Vereinbarung zwischen den obersten Behörden der RSI und des Dritten Reiches oder eine schriftliche Verfügung Mussolinis oder Buffarini Guidis an Tamburini gefunden, welche diese Rekonstruktion stützen. Indessen haben wir es mit einem ähnlichen Fehlen von Dokumenten auch bei der ursprünglichen Entscheidung der Nazis, zur Massenvernichtung der Juden überzugehen, zu tun125. Die faschistische Entscheidung scheint daher ein „schreckliches Geheimnis“ gewesen zu sein, das formal (wenn auch nicht faktisch) nur einem beschränkten Kreis von zentralen und örtlichen Behörden bekannt war126. 123 Deutsche Botschaft in Italien: Aufzeichnung – Behandlung ausländischer Juden in Italien und der ehemals von ital. Truppen besetzten Zone Griechenlands, mit handschriftlichem Vermerk „erhalten von Reichert am 11. Mai 1944“; ebd. 124 Außenministerium – Generaldirektion für allgemeine Angelegenheiten: Vermerk für den Duce, 16. Mai 1944; ebd. 125 „Uns ist kein Dokument überliefert, das einen von Hitler unterschriebenen Vernichtungsbefehl enthält, kein Dokument, das die Existenz eines solchen Befehls bestätigt. Aller Wahrscheinlichkeit nach wurden die Befehle mündlich erteilt; es ist gesichert, dass eine Schweigegebot das Unternehmen umgab; jedenfalls gibt es nichts, das uns über das Wie und Wann der Entscheidung aufklärt. Völlige Dunkelheit herrscht nach wie vor insbesondere über die Gespräche, die zwischen Hitler und seinem Polizeichef Himmler im Verlaufe des schicksalhaften Jahres 1941 stattfanden“; Ph. Burrin, Hitler e gli ebrei, a.a.O., S. 14–15. 126 Am 28. Februar 1944 händigte der Polizeipräsident von Genua dem Chef dieser Provinz den Entwurf eines Briefes an Buffarini Guidi aus, der den Vermerk trägt „zur Vorlage an den Chef der Provinz zur Genehmigung und für etwaige Änderungen“; ich habe keinerlei
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Ende Juli / Anfang August 1944 verlagerten die Deutschen angesichts des alliierten Vormarsches durch die Halbinsel das Polizei- und Durchgangslager von Fossoli nach Bozen im Ortsteil Gries, wo es für neun weitere Monate in Betrieb blieb. Der neue Standort lag im Gebiet der Operationszone Alpenvorland. Die Behandlung in Bozen war härter als diejenige in Fossoli; unter anderem wurde die Pflicht zum Tragen eines farbigen Dreiecks (gelb für die Juden) auf der Kleidung eingeführt. Das Schicksal der Juden hingegen erfuhr keine Änderung: Italiener und Deutsche verhafteten die Opfer und verbrachten sie ins Lager, die Deutschen nahmen sie in Verwahrung und deportierten sie sodann (am 24. Oktober und am 14. Dezember 1944 wurden zwei Transporte zusammengestellt, welche mehrere hundert Juden wegbrachten; Ende Februar 1945 wurde ein dritter Transport zusammengestellt, jedoch im letzten Moment annulliert, weil der Schienenweg bombardiert worden war)127. Im Adriatischen Küstenland wurden die von den Deutschen verhafteten Juden stets in Triest konzentriert, und zwar zunächst bis Januar 1944 im Gefängnis des Coroneo und danach in dem in der Reisfabrik von San Sabba eingerichteten Lager. Für die Juden versah die Reisfabrik die Funktion des Sammellagers für die Deportation (doch einige Dutzend von ihnen wurden an Ort und Stelle getötet). Alles in allem wurden mindestens 1.200 Juden von Triest aus in 23 großen oder kleinen Transporten deportiert, welche zwischen dem 7. Dezember 1943 und dem 24. Februar 1945 periodisch aufeinander folgten128. Die Verhaftungen und Internierungen zum Zwecke der Deportation und Ermordung in Auschwitz bildeten den wichtigsten Aspekt der Verfolgung des Lebens der Juden. Dieser wurde flankiert von einigen Massakern und vereinzelten Morden, welche direkt auf der Halbinsel geschahen und jeweils spezielle Motive von Raub, Zorn oder Repressalie besaßen. Der schwerste Fall war derjenige der von den Deutschen am 24. März 1944 in den Ardeatinischen Dokument auffinden können, aus dem sich feststellen ließe, ob der Brief verändert worden ist oder nicht und ob er abgesandt worden ist oder nicht, es ist jedoch interessant, dass der Polizeipräsident, nachdem er mehrfach erklärt hatte, dass kein Verwandter und keine italienische Behörde jemals auch nur ein winzige Mitteilung von den von den Deutschen oder Italienern verhafteten und im Januar von den Deutschen abgeholten Juden empfangen habe, schrieb. „Es ist schließlich notwendig, den Eindruck zu entkräften, der sich in den Kreisen der mit den Juden Verwandten gebildet hat, dass alle Deportierten, egal ob Juden oder Mischlinge, getötet worden seien, weil von ihnen keine Nachrichten mehr eingetroffen sind“; AdS Genova, Prefettura, Atti della Rsi, b. 35, fasc. 10. 127 L. Picciotto, Il libro, a.a.O., S. 54–55, 929–932; s. aber auch C. Giacomozzi (Hrsg.), L’ombra del buio. Lager a Bolzano 1945–1995. Schatten, die das Dunkel wirft. Lager in Bozen 1945–1995. Bolzano (Comune di Bolzano) 1995. 128 L. Picciotto, Il libro, a.a.O., S. 55–57, 62–65, 823–824, 932–939 (zu 1.197 Deportierten).
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Höhlen bei Rom als Vergeltungsaktion zusammen mit 260 Nichtjuden getöteten 75 Juden; der zweitschwerste – in der zeitlichen Folge der erste – war der bereits erwähnte der 56 Juden, die aus Raubmotiven von den Deutschen zwischen dem 15. September und dem 11. Oktober 1943 am piemontesischen Ufer des Lago Maggiore, am Lago d’Orta und in Novara ermordet wurden; verschiedene Tötungsaktionen wurden von den Deutschen im Sommer 1944 in unmittelbarer Nähe der Frontlinie (19 Getötete in Forlì im September und fest eben so viele im vorhergehenden Monat in der Toskana); das schwerste von Italienern begangene Massaker – das zeitlich auch das Letzte war – war dasjenige vom 26. April 1945, bei dem sechs im Gefängnis von Cuneo inhaftierte Juden aus Wut umgebracht wurden 129. Auf der Grundlage von genauen und noch nicht abgeschlossenen Untersuchungen hat Liliana Picciotto im Jahre 2002 den Komplex der aus Italien deportierten (getöteten oder überlebenden) Personen und der auf der Halbinsel Getöteten mit 8.028 bis 8.128 beziffert. Zieht man davon die 200 oder 300 Opfer ab, die in den jugoslawischen Territorien Arbe und Susak verhaftet und nach Triest verbracht worden sind, und fügt man die Deportation weiterer 83 Anglolybier aus Fossoli, die von der Historikerin im Jahre 2003 ermittelt worden sind, hinzu, so gelangt man zu dem Ergebnis, dass die Zahl der als zur „jüdischen Rasse“ gehörig klassifizierten Personen, die auf der Halbinsel verhaftet und sodann deportiert oder in Italien ermordet worden sind, ca. 7.900 bis 8.000 beträgt130. Diese Gesamtzahl umfasst die 83 Anglolybier, deren Schicksal die Forschung noch beschäftigt, 6.765 identifizierte Deportierte (davon 5.939 Ermordete und 826 Überlebende), ca. 720 bis 820 nicht identifizierte Deportierte (vermutlich in den meisten Fällen Ermordete), 318 in Italien Getötete (einschließlich zehn Suizide)131; die Zahl der Männer und Frauen,
129 Ebd. (zu allen Tötungen), S. 818–826; A. Cavaglion, Nella notte, a.a.O., S. 106. 130 Zu umfassenden Angaben über die in Italien verhafteten Opfer oder über diejenigen, deren Weg in die Deportation irgendwie über Italien führte (7.128 Identifizierte und 900–1.000 nicht Identifizierte) s. L. Picciotto, Il libro, a.a.O., S. 27–28, 826. Zur Verbringung der Juden von Arbe nach Triest s. ebd., S. 937–938. Liliana Picciotto hat 45 Opfer (41 aus Triest deportierte und vier in Italien getötete), die in den jugoslawischen Territorien von Arbe und Susak verhaftet worden waren, identifizieren können (ebd., S. 30, 33 und Informationen an den Verfasser); J. Romano, Jevreji, a.a.O., S. 151, hat die Zahl der aus Arbe verbrachten Juden auf 204 berechnet; auf der die Grundlage dieser Zahlenangaben habe ich hypothetisch die Zahl der nicht identifizierten Opfer von Arbe und Susak mit 180 angegeben. Zu den Anglolibyern s.o., sowie L. Picciotto, Gli ebrei in Libia, a.a.O., S. 99–100. 131 Die Zahlenangaben beruhen auf L. Picciotto, Il libro, a.a.O., S. 27–28, 30, 33 sowie auf der vorigen Fußnote.
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Kinder und Alten, die in der Deportation oder direkt in Italien ermordet worden sind, beträgt demnach insgesamt etwa 7.000. Nimmt man nur die Deportierten, von denen Liliana Picciotto sowohl den Namen als auch das Bestimmungslager ermittelt hat, so gelangten 91% von ihnen nach Auschwitz, und von diesen überlebten 94% nicht132. Zu erwähnen ist noch, dass weiteren Juden, die stets in den Lagern und Gefängnissen der Halbinsel verblieben waren, die Flucht gelang oder sie von der Resistenza oder den Alliierten befreit wurden. Diejenigen, denen vereinzelt oder in winzigen Gruppen die Flucht aus den Internierungsorten und den Zügen gelang, waren wenige Dutzend (wahrscheinlich weniger als 50)133; weiteren etwa 20 Juden gelang es am 1. und am 2. August 1944 während der Verbringung der letzten Internierten von Fossoli nach Verona zu fliehen134. In Pisa zwangen im Gefolge des alliierten Bombenangriffs vom 20. Juni die gewöhnlichen Häftlinge die Aufseher, die Tore des Gefängnisses zu öffnen und befreiten damit zugleich etwa 30 Juden aus Livorno und Pisa135. Am 3. Mai 1944 ermöglichte eine alliierte Bombardierung auf das Internierungslager Servigliano (eine Aktion, die von der Resistenza der Marken gefordert worden war) die Flucht vieler Internierter, darunter etwa 50 Juden (von denen 30 jedoch wieder ergriffen und sogleich nach Fossoli und sodann nach Auschwitz verbracht wurden); am 8. Juni wurde das Lager direkt von Partisanen angegriffen, welche alle Internierten befreiten, darunter 44 Juden, die kurz vorher aus einem anderen Lager dorthin verbracht worden waren136; weitere Aktionen der Resistenza führten zur Befreiung von zehn Juden aus den Lagern von Scipione, Salsomaggiore und Pollenza137. Die Ankunft der Alliierten und der 132 Ebd., S. 31. Zu den unmenschlichen Lebens- und Todesumständen in Auschwitz und in den anderen Deportationslagern s. unterdessen ebd., passim; P. Levi, Se questo è un uomo, a.a.O. 133 Zu zwei Schicksalen s. L. Goldman, Amici, a.a.O., S. 41–56; I. Minerbi, Un ebreo, a.a.O., S. 127–130. 134 L. Picciotto, Il libro, a.a.O., S. 928–929. 135 C. Forti, Il caso Pardo Roques, a.a.O., S. 106–107; C. Sonetti, Ebrei e città, a.a.O., S. 95–96. 136 C. Di Sante, L’internamento civile, a.a.O., S. 67–72; K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. II, S. 441–444; Zuflucht, a.a.O., Bd. II, S. 359–361. Außer den dort zitierten Quellen s. ferner M. Salvadori, La Resistenza nell’anconetano e nel piceno. Rom (Opere nuove) 1962, S. 69, 173; G. O. Viozzi, Il campo prigionieri di guerra di Servigliano (AP), in: R. Cruciani (Hrsg.), E vennero…, a.a.O., S. 79–80 (dieser erwähnt auch einen Partisanenüberfall vom 24. März 1944). 137 K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. II, S. 434–435, 440–441; Zuflucht, a.a.O., S. 358–359, S.357–358. Der Verfasser meint, dass es „wahrscheinlich“ keine Juden unter den von den Partisanen im Juli 1944 befreiten Internierten im Lager von Bagno a Ripoli gege-
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Partisanenaufstand führten wahrscheinlich zur Befreiung von mehr als 200 noch im Gefängnis oder im Lager Festgehaltenen; davon mit Sicherheit mehr als zehn in den Gefängnissen von Mailand und Genua und 136 im Lager von Bozen (wegen der Freilassung der letzteren intervenierte auch das Rote Kreuz)138. Parallel zu den Verhaftungen fand die Entziehung der Besitztümer statt, die sich aus „legalen“ Konfiskationen139 und Raubaktionen an „transportierbaren“ Gütern seitens Einzelner oder örtlicher Behörden beider Nationalitäten zusammensetzte140. Dieses Vorgehen wurde begleitet von Zerstörungen aus Wut oder als Vergeltung; was die Kultstätten angeht, waren die schwerwiegendsten Vorfälle die Verwüstung der Synagoge von Alessandria durch „Repubblichini“ am 13. Dezember 1943 und die Brandstiftung der Synagoge an der Via Pomerio in Fiume durch die Nazis am 30. Januar 1944141.
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ben habe; zu einer gegenteiligen zeitgenössischen Information s. „Il ‘44 ed il ‘45 a Firenze nel diario di Giulio Supino (II)“, in: Lettera ai compagni XVI Nr. 8–9 (Juli– August 1984), S. V der Beilage. K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. II, S. 522–523; Zuflucht, a.a.O., S. 425–426. Einige allgemeine Erörterungen und solche zu ihrer Durchführung in Turin b. F. Levi, I sequestri e le confische, a.a.O., S. 57–69; zu Rovigo s. O. Pasello, La persecuzione antiebraica, a.a.O., S. 506–511; zu Varese s. F. Giannantoni, Fascismo, guerra e società nella Repubblica Sociale Italiana (Varese 1943–1945). Mailand (Angeli) 1984, S. 243– 253, 263–266. Beispiele für die Diebstähle und Plünderungen jetzt in: Commissione per la ricostruzione delle vicende che hanno caratterizzato in Italia le attività di acquisizione dei beni dei cittadini ebrei da parte di organismi pubblici e privati, Rapporto, a.a.O., S. 115–142. Zu den Abgaben, die den Juden von Ancona (400.000 Lire im September/Oktober 1943) und von Asti (1.000.000, die später auf 300.000 Lire reduziert wurden, im Oktober 1943) von den Präfekturen auferlegt wurden, vgl. Comunità Israelitica di Ancona, Relazione, a.a.O., S. 6; ACDEC, AG, cat. 13B, fasc. „Alessandria“, maschinenschriftlicher Bericht ohne Unterschrift „Persecuzioni subite dalla comunità di Alessandria nel periodo 1938–1945; N. Fasano, La comunità ebraica astigiana tra storia e memoria: dalle leggi razziali alla shoah, in: R. Bordone / N. Fasano / M. Forno / D. Gnetti / M. Renosio (Hrsg.), Tra sviluppo e marginalità. L’Astigiano dall’Unità agli anni Ottanta del Novecento. Asti (Istituto per la storia della Resistenza e della società contemporanea) 2006, Bd. II, S. 558–562. Zu Alessandria s. ebd.; G. Pansa, Guerra partigiana tra Genova e il Po. La Resistenza in provincia di Alessandria. Rom, Bari (Laterza) 1967, S. 47–48, 61–64; s. auch C. Brizzolari, Gli ebrei nella storia di Genova. Genua (Sabatelli) 1971, S. 341. Zu Fiume s. ACS, MI, DGPS, AGR, cat. A5G II g. m., b. 437, fasc. 230, sfasc. III, Polizeipräsidium Fiume an das Innenministerium, 16. März 1944; Corriere della Sera, 3. Februar 1944. Zu den weiteren ausgeraubten Synagogen (mitunter, nachdem sie von Laufangriffen getroffen worden waren, in jedem Falle aber, nachdem die Juden untergetaucht waren oder verhaftet worden waren) gehörten die von Ferrara, Reggio Emilia und Turin. In Florenz wurden am 27. Juli 1944 (d.h. zwei Wochen vor der Befreiung), „von den Faschisten Röhren mit Sprenggelatine in die Säulen und die Pfeiler des Tempels eingeführt, mit der erkennbaren
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Die größten Schäden an archivarischem und bibliographischem Vermögen der jüdischen Gemeinden wurden außer in Fiume und Alessandria in Ferrara, Rom, Gorizia und Reggio Emilia angerichtet; an einigen weiteren Orten wurden Zerstörungen und Diebstähle in begrenzterem Umfang registriert. In der Hauptstadt wurde die Bibliothek der Gemeinde zusammen mit derjenigen des Italienischen Rabbinerkollegs nach Deutschland verbracht, doch nur ein Teil der letzteren konnte nach dem Kriege zurückerlangt werden. Tatsächlich waren fast überall Bücher und Dokumente von den Behörden der RSI beschlagnahmt und konfisziert worden, die sich somit um ihre Erhaltung zum Vorteil des antisemitischen Staates kümmerten142. Und was die Egeli angeht, so wissen wir, dass am 31. Dezember 1944 bei ihr 6.768 Konfiskationserlasse eingegangen waren, die sich auf Grundstücke, Gebäude, Wertpapiere und Bankeinlagen mit einem Zeitwert von insgesamt einer Milliarde und 900 Millionen sowie auf Firmen (182), Wertgegenstände, Möbel, Bettwäsche und verschiedene Gegenstände mit nicht beziffertem Wert bezogen143; ferner wissen wir, dass im April 1945 die Zahl der Dekrete auf 7.847 gestiegen war und diejenige der konfiszierten Firmen auf 220144. In den 20 Monaten der RSI verkaufte die Egeli ein einziges „überschüssiges“ Immobilienstück, das sie vor dem 25. Juli 1943 erworben hatte145, etwa 70 der 1944/45
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Absicht, ihn zu zerstören“; die Explosion richtete schwere Schäden an, ließ aber die tragende Struktur unberührt; ACDEC, AG, cat. 13B, fasc. „Firenze“, Israelitische Gemeinde Florenz an das Jüdische Zeitgeschichtliche Dokumentationszentrum, 2. Juli 1956 (Für die Mitteilung des Datums danke ich Daniela Heimler). M. Sarfatti, Contro i libri e i documenti delle Comunità israelitiche italiane, 1938–1945, in; RMI, Bd. LXIX Nr. 2 (Mai–August 2003, Sondernummer hrsg. von Liliana Picciotto, mit dem Titel: „Saggi sull’ebraismo italiano del Novecento“), S. 369–386. ACS, RSI, SPD, CR (1943–45), b. 84, fasc. 656, sfasc. 4, „Vermerk für den Duce“ des Finanzministers, 12. März 1945: das Dokument benennt ausdrücklich sowohl die Gesamtzahl (6.768) als auch ihre Unterteilungen (deren Summe freilich 5.768 ergibt); wenn auch manche Zweifelsfragen verbleiben, erschien es doch angemessen, sich für den erstgenannten Zahlenwert zu entscheiden. Zuvor hatte der Minister erklärt, dass die Neueinschätzung der bis Juni 1944 konfiszierten Immobiliargüter nach sehr konservativen Maßstäben“ deren Bewertung von ca. 240 Millionen Lire auf fast dreieinhalb Milliarden Lire führen würde; ACS, RSI, PCM, Pratiche del consiglio 1943–45, b. 67, fasc. 1302, „Vermerk für den Duce“ des Finanzministers, 29. Juni 1944. Eine Verfügung konnte nur einen Teil der Besitztümer einer Person oder auch Besitztümer mehrerer Personen betreffen: Miterben einer Immobilie, Konteninhaber derselben Bank usw. Ente di gestione e liquidazione immobiliare, L’Egeli, a.a.O., S. 41. S. auch Commissione per la ricostruzione delle vicende che hanno caratterizzato in Italia le attività di acquisizione dei beni dei cittadini ebrei da parte di organismi pubblici e privati, Rapporto, a.a.O., S. 100, 102–103. Ente di gestione e liquidazione immobiliare, L’Egeli, a.a.O., S. 49. Im März 1945 erklärte die Egeli, dass „das Finanzministerium es, abgesehen von Ausnahmefällen,
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konfiszierten Firmen (oder Firmenanteile)146 sowie eine unbestimmbare Menge von Waren und Gegenständen. Doch unabhängig davon und auch unabhängig von den Verkäufen und den endlosen örtlichen Räubereien, die von anderen begangen wurden, bleibt doch das, was ein Turiner Jude im Jahre 1948 schrieb: Ich meine, dass die Egeli in der Zeit der Verfolgung [von 1943 bis 1945] schlicht und einfach die Funktion eines Konzentrationslagers für unsere Besitztümer war, so wie Fossoli und – leider – Auschwitz für die Personen derjenigen von uns, denen es nicht gelungen ist zu fliehen147.
5. Die Juden zwischen Deportation, Untertauchen und Resistenza Die etwa 7.000 Juden, die in der Deportation starben oder auf der Halbinsel ermordet wurden, machen 16,3% der vielleicht 43.000 als „jüdischer Rasse“ klassifizierten Personen (egal ob Juden, Katholiken oder Agnostiker) aus, die sich direkt nach dem 8. September 1943 in Mittel- und Norditalien aufhielten148 – ein Prozentsatz, der auf 18,3 steigt, wenn wir zu den Opfern auch die weniger als 1.000 Personen zählen, welche die Deportation überlebten. Diese Zahlen bieten ein arithmetisches Mittel zwischen höchst unterschiedlichen Situationen. Im Allgemeinen erscheint die Aussage berechtigt, dass die Deportation die „effektiven“ Juden und diejenigen mit Eltern und Ehegatten derselben Klassifizierung schwerer traf als die getauften Juden und die mit einem als „arisch“ klassifizierten Elternteil oder Ehegatten149; die Gruppe der ausländischen Juden wurde gegenüber derjenigen der italienischen Juden im Verhältnis doppelt so hoch dezimiert150. Von den wenig mehr als 100 türkischen und griechischen Juden (die aber häufig von alters her die italienische Staatsbürgerschaft besaßen), die zwischen 1924 und 1935 in Livorno eingewandert
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nicht für angebracht hält, dass man zum Verkauf des jüdischen Immobiliarbesitzes schreitet“, zitiert b. F. Levi, I sequestri e le confische a.a.O., S. 66. Ente di gestione e liquidazione immobiliare, L’Egeli, a.a.O., S. 56, 58. ACDEC, AG, cat. 5Hb, fasc. „Vita Arrigo“, Durchschlag von dessen Brief an die Union der italienischen israelitischen Gemeinden, 4. April 1948. Zur Einteilung der Opfer nach Alter, Geschlecht, Provinz und Monat der Verhaftung, Bestimmungslager usw. s. L. Picciotto, Il libro, a.a.O., S. 27–33. Obwohl keine exakten Vergleiche angestellt werden können, muss bemerkt werden, dass die Transporte, die für Verhaftete vorbehalten waren, welche einen als „Arier“ klassifizierten Elternteil oder Ehegatten hatten, verhältnismäßig klein waren (s. ebd., S. 53–55), so wie auch die Zahl der Verfolgten dieser Kategorie, die mit anderen Transporten deportiert worden sind, klein gewesen zu sein scheint (vgl. auch o. S. 297). K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. II, S. 461, 465; Zuflucht, a.a.O., Bd. II, S. 375, 378–379. Zum Schicksal der italienischen und ausländischen Juden in einer Provinz s. Ders., Deportazione, a.a.O., S. 488–505.
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waren, wurde die Hälfte deportiert151. Auch innerhalb der jüdischen Gemeinden sind Unterschiede zu erkennen: In Triest stellten die korfiotischen Juden, die etwa ein Drittel der Mitgliedschaft ausmachten, mehr als die Hälfte der Deportierten152. Dies war auch die Folge ihrer größeren Armut – ein Faktor, der überall eine beachtliche Hilfe für die Verfolger bildete (am 22. Februar 1944 erfuhr ein jüdischer Vertreter des Antifaschismus zu Florenz – und konnte verhindern –, dass eine Familie „sich den Deutschen ausliefern wollte, weil sie alle ihre Unterhaltsmittel erschöpft hatte“153; und die Zeugnisse der nicht verhafteten römischen Juden zeigen, dass die Möglichkeiten der Rettung in der Verfügbarkeit über Geld oder Wertsachen im eigenen Besitz oder im Besitz von hilfsbereiten Freunden verankerte waren154. Bei den Italienern wissen wir, dass Deportation (und Tod) in einem unter dem Landesdurchschnitt liegenden Ausmaß die ehemaligen Mitglieder der Akademien und wissenschaftlichen Gesellschaften trafen (6–7%)155 und überdurchschnittlich die römischen Händler (20%)156. Die Gruppe, welche mehr als alle anderen der nazifaschistischen Vernichtungspolitik zum Opfer fiel, war mit größter Wahrscheinlichkeit die der Juden par excellence, nämlich die der geistigen Führer der jüdischen Gemeinden – von den 21 Hauptrabbinern oder die Funktion des Hauptrabbiners wahrnehmenden Personen, welche im September 1943 tätig waren, wurden mindestens neun verhaftet, nach Auschwitz deportiert und dort ermordet157. Von den 48 Kindern aus Fiume und Abbazia, welche 1938/39 in der Staatlichen Elementarschule für Juden in Fiume eingeschrieben waren, wurden elf verhaftet und deportiert, alle im Jahre 1944 (wir wissen nicht, ob und wie viele aus der Ursprungsgruppe zwischenzeitlich emigriert waren). Sie waren zwischen Juli 1926 und August 1932 geboren. Sechs wurden in Fiume verhaftet, drei in der Provinz Varese, die anderen beiden in der Gegend von Piacenza
I. Papo, L’immigrazione, a.a.O., S. 114. Y. Kerem, Corfiote Triestians, a.a.O., S. 190. „Il ’44 ed il ’45 a Firenze nel diario di Giulio Supino (I)“, a.a.O., S. VI der Beilage. F. Barozzi, I percorsi della sopravvivenza. Salvatori e salvati durante l’occupazione nazista di Roma (8 settembre 1943–4 giugno 1944), in: RMI LXIV Nr. 1 (Januar–April 1998), S. 95–144. 155 A. Capristo, L’espulsione, a.a.O., S. 57. 156 I. Pavan, Tra indifferenza, a.a.O., S. 234. 157 M. Sarfatti, La deportazione e l’annientamento dei rabbini e dei hazanim d’Italia, in Memoria della persecuzione degli ebrei. Con particolare riguardo alla Toscana. Florenz (Anfim) 1989, S. 21–23. Vgl. auch S. Sierra, Intervento, in: Aspetti religiosi della Resistenza. Atti del convegno nazionale (Torino, 18–19 aprile 1970). Turin (Aiace) 1972, S. 57–62.
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und Vicenza. Eines wurde nach Ravensbrück deportiert, die anderen nach Auschwitz. Zehn wurden getötet, eines überlebte158. Der Gesamtprozentsatz an Verhafteten eignet sich schlecht für vergleichende internationale Betrachtungen, denn diese würden sehr komplexe Vorbereitungsarbeiten voraussetzen, um für jedes einzelne von der Shoah betroffene Land die Dauer der Verhaftungsperiode, die Proportion (d.h. die Möglichkeit der Zerstreuung) der Juden zur Gesamtbevölkerung, die „Trennung“ der einen von der anderen (in Folge der vorhergehenden historischen Entwicklung und der von der „modernen“ Judenfeindlichkeit der 30er Jahre erzielten Ergebnisse), den Vorrang, den die Polizeikräfte den großen Razzien einräumten (in Italien hörten diese im wesentlichen im Dezember 1943 mit der Zerstreuung der Verfolgten auf), den Zusammenhalt der Gesellschaft und die Fähigkeit des an der Macht befindlichen antisemitischen Regimes oder des Besatzungsregimes zur Herrschaft – vor allem im Verhältnis zum Kriegsverlauf –, die Bereitschaft der Bevölkerung zum Antisemitismus (und deren Ausmaß) und zur Hilfsbereitschaft (und deren Ausmaß), den Umlauf von (mehr oder weniger genauen) Nachrichten über die Realität der Vernichtung und weitere Faktoren abzuwägen. Die Mehrzahl der Juden zögerte, sich die tragische Perspektive klarzumachen, welche sich seit dem 8. September plötzlich eröffnete; viele von denen, welche sie rechtzeitig erkannten, sahen sich behindert durch das Fehlen von Geldmitteln als Folge der spürbaren Verarmung in den vorangegangenen fünf Jahren der Verfolgung, durch das Fehlen von Unternehmungsgeist, durch das Vorhandensein von kranken oder alten Familienangehörigen usw.159. Wenn sich auch am 8. September 1943 die gesamte italienische Bevölkerung in einem Zustand der mangelnden Informiertheit und Anweisung befand, so waren doch die Juden völlig auf sich allein gestellt160 und auf Grund der in den vorherge158 S. Dukic, La legislazione antisemita nella scuola fascista della Provincia del Carnaro (1938–1943). L’istituzione delle scuole per gli alunni „di razza ebraica“ a Fiume, in L’educazione spezzata, a.a.O., S. 159–61. 159 Zu den römischen Juden, die sich nur zu einer „winzigen Minderheit“ vor dem 16. Oktober 1943 in Sicherheit bringen konnten, s. F. Barozzi, I percorsi, a.a.O., S. 97– 107; Zitat auf S. 101. Zum Einfluss der Razzien von Rom und Florenz auf die Entscheidung einer florentinischen Familie, „so schnell wie möglich ihr Bündel zu schnüren“, s. E. Salmon, Diario, a.a.O., S. 106–127; Zitat auf S. 127. 160 Im Auftrag des italienischen Delegierten beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz Hans Wolf De Salis, untersuchte Bruno Beretta, ob die Juden, die am 16. Oktober in Rom verhaftet worden waren, sich in Norditalien befänden; hierzu traf er sich im März 1944 in Verona mit dem Verantwortlichen der Abteilung IVB4 der deutschen Polizei Bosshammer; am 23. Juni begab er sich in das Lager Fossoli, erlangte aber nicht die Erlaubnis, jene Abteilung zu betreten, in der die Juden zusammengefasst waren, und zwar auch deshalb nicht, weil die Genfer Zentrale des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz ihn nach-
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henden fünf Jahre praktizierten Politik der Trennung schwächer und hilfloser als andere Italiener161. Es darf angenommen werden, dass, wenn die Nazis, vor allem im September, Oktober und November 1943 eine größere Anzahl von Menschen zur Durchführung der Verhaftungen hätten einsetzen können und wenn die Faschisten, vor allem im darauf folgenden Dezember, dasselbe hätten tun können, die Bilanz der Shoah auf der Halbinsel eine noch viel schrecklichere gewesen wäre. Der Übergang der Juden in den Untergrund geschah im Wesentlichen schrittweise, angestoßen vor allem durch die Aufeinanderfolge und zunehmende Dichte der Massaker und Verhaftungen. Erst nach Ablauf von Wochen verbargen oder tarnten sich die meisten – außer den Hochbetagten, den Schwerkranken, den hartnäckig Sorglosen und den hoffnungslos Unbemittelten – und gaben ihr Haus, ihre Gewohnheiten und häufig auch ihren Namen auf.
drücklich aufgefordert hatte, sich nur um Kriegsgefangene und zivile Internierte zu kümmern (eine Kategorie, welche die Juden nicht einschloss); S. Picciaredda, Diplomazia umanitaria. La Croce Rossa nella Seconda Guerra mondiale. Bologna (il Mulino) 2003, S. 169–171; J.-C. Favez, Une mission impossible? Le CICR, les dèportations et les camps de concentration Nazis. Lausanne (Payot) 1988, S. 305–314. 161 Auch nach dem Stande der Dokumentation, die vom Heiligen Stuhl selbst bekannt gemacht worden ist, hat dieser keinerlei allgemeinen öffentlichen Protest wegen der Opfer der römischen Razzia vom 16. Oktober 1943 erhoben, sondern sich auf eine unklare offiziöse Verbalnote vom selben Tag an den deutschen Botschafter beschränkt (Actes et documents du Saint Siège, a.a.O., Bd. IX , S. 505–6; der ebd. S. 507 erwähnte Vermerk Nr. 370 mit dem Datum „Oktober 1943“ ist m.E. nicht vor dem 27. Oktober verfasst worden: vgl. ebd., S. 525–526). Am 26. November legte er dem Botschafter selbst eine schriftliche „vertrauliche“ Note vor, worin der offizielle schriftliche Protest unterstützt wurde („es sind nicht meine Glaubensbrüder, doch die Liebe Christi und das Gefühl der Menschlichkeit kennen keine Grenzen“), der vom Bischof von Triest Antonio Santin an die deutschen Behörden des Adriatischen Küstenlandes gerichtet worden war; P. Zovatto, Il vescovo Antonio Santin e il razzismo nazifascista a Trieste (1938–1945). Quarto d’Altino (Rebellato) 1977, S. 51–54; Zitat auf S. 52; Actes et documents du Saint Siège, a.a.O., Bd. IX, S. 578. Zur italienischen Entscheidung vom 30. November, zu den Verhaftungen zu schreiten, wird von dem Auftrag des Kardinals Maglione an einen General berichtet, er möge „den Marschall Graziani bitten, bei Mussolini zugunsten der Juden zu intervenieren“, und von der schließlich eingegangenen Mitteilung des Beauftragten vom 19. Dezember: „Mussolini hat bestimmt, dass die gemischten Familien nicht behelligt werden sollen“; weitere Änderung seien noch geplant (ebd., S. 611). Ohne jede Polemik und mit Bezug auf die „effektiven“ Juden, muss festgestellt werden, dass der vom Heiligen Stuhl den oben beschriebenen diplomatischen Schritten verliehene Charakter nicht die Auffassung gestatten, dass diese irgendeine „Verteidigung der Juden“ gewesen seien; hingegen verdient, ungeachtet ihrer Ergebnisse, die Initiative des Triester Bischofs „in Erinnerung behalten zu werden“ (s. Bon Gherardi, La persecuzione antiebraica, a.a.O., S. 242). Zum Osservatore romano vom 3. Dezember 1943 s.u. Fußnote 172.
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Dieser fortschreitende Mechanismus wird in der folgenden Passage des Tagebuchs eines Juden deutlich, der dem Massaker am Lago Maggiore entronnen war: [Mittwoch, 15. September 1943] Schon in den vorigen Tagen hatten wir [mit Freunden] darüber gesprochen, ob es zweckmäßig sei, dass ich mich aus Stresa entferne […]. Am Vormittag hatte ich über diese Frage mit dem Advokat Massarani gesprochen, der nicht sehr überzeugt war! Um 17 Uhr versuchen wir das Radio einzuschalten, das nicht mehr funktioniert. Ich lasse es von Umberto zu Prini bringen und folge ihm mit dem Fahrrad. Mir begegnet die Signora Ottolenghi, die mich anhält. Sie berichtet mir, dass eine Dame um 12 Uhr zum Hotel von Baveno gekommen sei und über die Grausamkeiten berichtet habe, welche die SS bereits an der Familie Serman sowie an zwei jüdischen Frauen, die verhaftet worden seien, während sie beim Friseur waren¸ begangen hat. Ihr Ehemann sei davon so entsetzt gewesen, dass er mit dem 13 Uhr-Boot nach Luino gefahren sei. Ich begegne Ing. Levi, er sagt, es scheine so, dass sie Personen über 60 Jahren nicht behelligen! Aber wer vertraut schon darauf? […] Signor Giannoni, der aus Mailand zurückkommt […] berichtet […], was er mitbekommen hat: in Arona Verhaftung von sieben Personen, darunter die Cantoni. In Meina Verhaftung von 12 Personen, darunter viele Ausländer. Er besteht darauf, dass ich so bald wie möglich fliehe, weil man meint, dass die SS morgen früh in Stresa ankommt. Ich kehre allein nach Hause zurück, […] Ich telefoniere sogleich mit T[onino]. Er antwortet mir, dass er bereits wisse, was ich sagen wolle, und fordert mich auf, mich morgen früh um sechs vor seinem Haus einzufinden, um gegen 6.30 Uhr mit seiner Frau abzureisen, die mich in Sicherheit bringen werde. […] Donnerstag, 16. September. Wir treffen uns um sechs vor seinem Haus … [Am selben Tag verhafteten die Deutschen in Stresa Tullo Massarani mit seiner 162 Schwester Olga und Lina Ottolenghi mit ihrem Vater Giuseppe] .
Eine Turiner Leiterin der Hilfsaktion beschreibt gegenüber der Zentralorganisation in der Schweiz die Lage der Juden im Februar 1945: Seit mehr als einem Jahr sind die Juden aus dem Verkehr verschwunden. Es darf sie in der Ital. Sozialrep. nicht mehr geben. Und doch geschieht es dann und wann, dass man auf der Straße einem Verwandten, einem Freund begegnet. Die Mienen beleben sich, die Freude sich wiederzusehen strahlt aus den Augen. Instinktiv und wechselseitig ist der Gedanke: „Du bist noch am Leben?“ Man erzählt sich kurz die eigenen Erlebnisse und die erfahrenen Schwierigkeiten. Es sind meistens die gleichen: große erlittene Gefahren, Umherziehen von Ort zu Ort, immer in der Angst, entdeckt zu werden, plötzliche Trennungen von der Familie, Erdulden moralischer Leiden und körperlicher Entbehrungen. Und leider gibt es unfehlbar irgendeine schlechte Nachricht: „Weißt du, dass sie Sergio im Kampf getötet haben. Sie haben Guido und seine Frau ergriffen. Das Baby von wenigen Monaten ist von Verwandten aufgenommen worden!“ Die Gedanken gehen zu lieben Freunden von ehemals, an manchen vergangenen Abend, den man fröhlich und sorglos miteinander verbracht hat. Freunde, die wir nicht mehr wiedersehen werden. Ob getötet 162 ACDEC, AG, nuove accessioni, „Diario“ Salvatore Segres; mitgeteilt in „gekürzter Fassung“ in: E. M. Smolensky / V. Vigevani Jarach, Tante voci, a.a.O., S. 300–301.
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Fünftes Kapitel oder deportiert, macht keinen Unterschied. Im Gegenteil: Der Getötete hat im Allgemeinen sein Leben für ein Ideal gegeben; er stirbt sofort oder fast sofort; er empfängt, wenn auch nur höchst verborgen und bescheiden, ein Begräbnis. Die Gefährten berichten über seine letzten Augenblicke, sie reden über seinen Tod. Von dem nach Deutschland Deportierten erfährt man nichts; er stirbt in irgend einem obskuren Konzentrationslager nach grausamen moralischen und körperlichen Leiden, womöglich auf einen Status tierischer Verrohung reduziert. Die beiden trennen sich. Natürlich verschweigt der eine dem anderen seine Adresse, seine neuen Personalien. Und wer weiß, wann sie sich wieder begegnen, wenn sie sich überhaupt wieder 163 begegnen .
Auch in den Internierungsorten, in den Transporten nach Auschwitz, „geht der Gedanke zu den teuren Freunden von damals“. So schreibt am 7. Dezember 1943 Abramo Segre auf einen Zettel, den er dann aus dem Zug wirft: Cara Lucia, ich vertraue diese Zeilen dem Wohlwollen dessen an, der sie in einen Briefkasten werfen möge. Es ist nun der zweite Tag, dass ich mich in einen Viehwaggon mit den Meinen und mit weiteren 200 Personen eingesperrt befinde, auf der Reise in ein Konzentrationslager. Ich lebe mit der schrecklichen Perspektive von acht Tagen Fahrt, um Krakau in Polen zu erreichen. Ich habe leider das Vorgefühl, dass diese Reise für mich und die Meinen eine Reise ohne Rückkehr sein wird, denn wenn wir nicht dem Hunger und den Mühen, denen wir ausgesetzt sein werden, erliegen, so werden wir doch nicht der schrecklichen Kälte widerstehen können, spärlich bekleidet und mit unzureichendem Schuhwerk wie wir sind. Unsere letzte Hoffnung ruht in Gott, der uns leider bislang nicht geholfen hat, zu dem wir aber auch weiter beten, denn wenn in diesem so schrecklichen Moment die Tröstung des Glaubens fehlt, dann kann man auch gleich dem Leben ein Ende setzen. Die Leiden des Gefängnisses waren ein Paradies im Vergleich mit dem, was uns bevorsteht, und ich versichere Dir, ich beneide sogar den Zuchthäusler. Natürlich ist unser Schicksal besiegelt, und wenn nicht ein Wunder geschieht, werde ich nicht nach Hause zurückkehren. Ich bin völlig resigniert, ebenso meine Mutter und meine Schwester (die Ärmsten!). Ich würde nicht einmal erschrecken, wenn sie mich innerhalb einer Stunde erschießen sollten…
163 ACDEC, Fondo Raffaele Jona, b. 1, fasc. 1, Bericht über „Gli ebrei nella Repubblica sociale Italiana“ (Die Juden in der Italienischen Sozialrepublik), enthalten in einem Bericht von Raffaele Jona vom 2. März 1945; der Bericht über die RSI wurde verfasst von Giorgina Segre. Vgl. auch M. Sarfatti, Raffaele Jona ed il soccorso agli ebrei del Piemonte durante la Repubblica sociale italiana, in: A. Lovatto (Hrsg.), Dalle leggi razziali, a.a.O., S. 55–573.
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Das Schicksal hat es gewiss nicht sehr günstig mit mir gemeint, und nachdem es mich ohnehin schon sehr harten Prüfungen unterzogen hat, hat es nun gewollt, dass ich durch die Bosheit der Menschen dem Schlimmsten ausgesetzt werde, was man sich vorstellen kann. Ich beuge mich in Demut dem Willen des Schicksals und Gottes; mehr als um mich leide ich um meine Mutter und meine Schwester, denn obwohl sie dieselbe hohe und gottergebene Moral haben wie die meine, verdienten sie nicht ein so schreckliches Schicksal. Das Leben hat mir bislang keine großen Freuden geboten, und obwohl ich vielen Schwierigkeiten begegnet bin, war ich mir doch gewiss, dass auch diese Lebensprüfung ein Ende haben würde und ich mich auch der Schönheiten des Lebens würde erfreuen können. Nun befinde ich mich ganz im Gegenteil hier und schreibe mein geistiges Testament. Hier haben wir nicht einmal mehr einen Namen, sondern nur noch eine Nummer, wie die Tiere. Die im Gefängnis verbrachten Tage hatten mich gar nicht geschmerzt, weil sie mich eine große und nützliche Erfahrung machen ließen, aber jetzt … fast würde ich mein Leben beweinen, das mit 23 Jahren an seine äußerste Grenze gelangt, wenn es nicht so wäre, dass ich mit dem Tod im Herzen die Meinen und die anderen Unglücklichen, die mit mir sind (darunter sogar 90jährige), heiter erhalten und ihnen Mut machen muss. Ich denke sogar, dass der Tod denn doch nicht so schrecklich ist, auch wenn man ihm mit nüchternem Verstande, aber mit Ergebenheit entgegengeht. Der Zug fährt nicht allzu schnell, doch er fährt unerbittlich der Grenze entgegen. Liebe Lucia, freue Dich des Lebens, so lange Du kannst; und so intensiv Du kannst, damit Du später möglichst nichts zu bereuen hast! Du siehst, wie der Tod sich jederzeit unerwartet einstellen kann. Da ist es besser, keine Bedauern zu haben; niemals habe ich so wie jetzt die Wahrheit des horazischen carpe diem verstanden. Du siehst, wie im Leben die Gedanken und Grundsätze sich ändern! Nun muss ich dieses kurze Schreiben schließen, von dem wenig wahrscheinlich ist, dass es Dich erreicht. Ich füge Dir eine kurze Notiz bei, die als mein förmliches Testament gelten soll, und ich bitte Dich, es freundlicherweise zu vollstrecken. Grüße mir noch einmal ganz Chivasso und die Freunde, und lass alle von unserem Tod wissen. Falls ich noch Zeit haben sollte, werde ich auch eine kurze Zeile für Giulio hinzufügen, den von ganzem Herzen zu grüßen ich Dich bitte, denn er hat in der nur kurzen Zeit unserer Freundschaft es verstanden, mir zu zeigen, dass er mein bester Freund ist. Dir schicke ich meinen letzten zärtlichen Gruß und denke an die schönen Stunden, die für einen Augenblick das Grau meines Lebens mit ihrem Strahl erleuchtet haben. Addio, Lucia, addio… Mino
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Wenn Abramo Segre, der in Auschwitz umkam, „nicht einmal mehr einen Namen, sondern nur noch eine Nummer, wie die Tiere“ hatte, so hing für fast 164 Brief verwahrt in: ACDEC, AG, nuove accessioni, und wiedergegeben b. L. Picciotto Fargion, Ultime lettere di ebrei deportati dall’Italia, in: A. L. Carlotti (Hrsg.), Italia 1939–1945. Storia e memoria. Mailand (Vita e Pensiero), 1996, S. 469–470. Weitere „letzte Briefe“ b. L. Picciotto Fargion, L’occupazione, a.a.O., S. 117–148.
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alle Juden das Überleben im Verborgenen auch von ihrer Fähigkeit ab, die eigene Identität zu verfälschen: ein falscher „arischer“ Name (im Allgemeinen von Personen, die südlich der Frontlinie lebten), falscher Zustand (krank, wenn fälschlich in einem Krankenhaus untergebracht; Haushaltshilfe, wenn bei einer Familie verborgen; entfernter kleiner Vetter, wenn in einer Familie mit Kindern untergekommen, usw.) und häufig falsche Religion (deren Gebete und Riten von den in Klöstern untergebrachten Kindern rasch bis zur Perfektion übernommen wurden)165. Die Identität – die melderechtliche und, für die „effektiven“ Juden, die persönliche – bildete in gewissem Sinne die größte Gefahr; ihre Aufdeckung – durch Irrtum, eigene Ermüdung oder Naivität, durch Schlechtigkeit Anderer, durch List des Verhaftenden – konnte automatisch zum Tode, zum Ende aller echten und falschen Identitäten führen. Außer den Deportiertem und jenen, denen es gelang, die Schweiz zu erreichen oder südlich der Frontlinie zu gelangen, gab es etwa 29.000 als „jüdischer Rasse“ klassifizierte Personen, die bis zur Befreiung der Städte und Landstriche, die sie beherbergten, im Verborgenen lebten (mitunter nach einer kurzen Zeit der Haft). Von ihnen nahmen etwa 1.000 am Partisanenkampf teil. Jedes individuelle oder familiäre Schicksal war ähnlich und unterschied sich doch von den anderen infolge der stets andersartigen Verknüpfung zwischen persönlichem Unternehmungsgeist, jüdischer Hilfe, nichtjüdischer Hilfe und Zufällen. Angesichts des Fehlens umfassender Untersuchungen erscheint es nicht unangebracht, die ersten Ergebnisse einer noch laufenden Untersuchung vorzulegen, die sich der systematischen Analyse der Schicksale von 149 geretteten Juden von unterschiedlichem Alter und unterschiedlicher körperlicher Verfassung widmet – mit dem notwendigen Hinweis, dass, weil es sich um nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Vorgänge handelt, die Ergebnisse eine Exemplifizierung der Wirklichkeit und nicht ihre proportionale Wiedergabe bedeuten. Von diesen 149 Geretteten wurden 21 verhaftet, dann aber, weil sie nicht als Juden erkannt wurden oder aus anderen Gründen, wieder freigelassen (sechs Fälle) oder blieben bis zur Befreiung in Haft (15 Fälle); 35 benutzten ein einziges Versteck, 65 mehrere Verstecke; 36 verfügten über falsche Personalpapiere; 39 waren einmal zur Flucht gezwungen, zehn mehr als einmal; 26 gelang die Flucht in die Schweiz (sechs von ihnen beim zweiten Versuch), weitere zehn versuchten es, wurden aber zurückgewiesen; 17 wurden Partisanen, und fünf wirkten bei der Unterstützung
165 Genauere Beschreibung b. F. Barozzi, I percorsi, a.a.O., S. 139–140.
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anderer Juden mit, 42 profitierten von der entscheidenden Hilfe eines oder mehrerer nichtjüdischer Helfer166. Weil alle Juden intensiv damit befasst waren, ihr Recht auf Leben zu verteidigen, und weil der politische Entwurf des Dritten Reichs und de RSI gerade darin bestand, ihnen dieses Recht zu nehmen, lässt sich sagen, dass die Juden faktisch in einer antifaschistischen und antinazistischen Aktion tätig waren. Einige von ihnen widmeten sich darüber hinaus der kollektiven Verteidigung des Lebens anderer Juden oder dem direkten Kampf gegen die Nazifaschisten. An der ersteren nahmen in besonderer Weise einige Rabbiner teil (u.a. Nathan Cassuto und Riccardo Pacifici, die später auch aufgrund dieser Tätigkeit verhaftet wurden und in der Deportation umkamen), sowie eine Gruppe von Aktivisten, die sich um die Delasem vereinigt hatten. Dieser, von Lelio Vittorio Valobra und (nach dessen Übertritt in die Schweiz im November 1943) von dem Genuesen Massimo Teglio geleitet, gelang es, einen gewissen Zufluss von Mitteln aus der Schweiz und deren Verteilung in verschiedene Orte zwecks Verschaffung von falschen Papieren, Lebensmitteln, Medikamenten, Wollkleidung, Brennholz usw. zu garantieren. In den einzelnen Städten stützte die Hilfe sich auf alte Mitarbeiter der Delasem oder auf neue Unterstützer; vor allem in Rom (das von Genua teilweise isoliert war, aber von besonders vielen bedürftigen Juden bewohnt war) war Settimio Sorani tätig. Von den anderen sind zumindest zu erwähnen Raffaele Jona, der verschiedene heimliche Reisen zwischen Turin und der Schweiz unternahm, und der Verantwortliche für Bologna Mario Finzi, der später in der Deportation starb. Ihre Tätigkeit ermöglichte das Überleben und das Verbleiben im Verborgenen von einigen Tausend Verfolgten, insbesondere ausländischen Juden und arme oder völlig allein stehende italienischen Juden167. 166 Ich danke Gigliola Colombo Lopez dafür, dass sie mir gestattet, diese ersten Ergebnisse der von ihr angestellten Untersuchung zu verwenden. Von den zahlreichen Berichten jüdischen Überlebens im republikanisch-faschistischen Italien, beschreibt diejenige von K. Elsberg, Come sfuggimmo alla Gestapo e alle SS. Racconto autobiografico. Aosta (Le Chateau) 1999, S. 64–78, über ein ausländisches Paar mit einem Neugeborenen sehr gut die Verwicklung von Freude und Verzweiflung, sowie die allgemeine Lage „quälender Ungewissheit“. Zur Chronik des verborgenen Lebens einer Florentiner Familie auf dem Lande s. E. Salmon, Diario, a.a.O. 167 Historische Übersicht über die Tätigkeit der Delasem 1943–45 b. K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. II, S. 491–511; Zuflucht, a.a.O., Bd. II, S. 401–417; s. auch S. Antonini, L’ultima diaspora, a.a.O., S. 106–124, 143–188. Zu einigen ihrer Vertreter s. A. Stille, Uno su mille, a.a.O., S. 253–318 (über Teglio); S. Sorani, L’assistenza, a.a.O.; R. Peri, Mario Finzi (Bologna, 1913–1945, Auschwitz) o del buon impiego della propria vita. Bologna (Barghigiani) 1995; M. Sarfatti, Raffaele Jona, a.a.O. Gänzlich entgegengesetzt war die Tätigkeit zweier Juden, die Dutzende ihrer Bekannten bei den faschisti-
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Man muss sich jedoch vor Augen halten, dass diese jüdischen Helfer nur deshalb mit einigem Erfolg wirksam sein konnten, weil andere Italiener in unterschiedlichen Lebensverhältnissen, die von den faschistischen Gesetzen als „arischer Rasse“ klassifiziert waren, das brüchige und zerstreute Netz der Delasem ergänzten und aufrecht erhielten. In Rom forderte im Januar 1944 der PFR den Chef der Provinz auf, das zu „beheben“, was der letztere als „die Existenz einer breit angelegten Organisation, die in Rom tätig ist, von Ariern befehligt wird und die Unterstützung von Juden zum Ziele hat“ beschrieb168. Den beachtlichsten Beitrag leisteten einige katholische Vertreter, beginnend mit dem Erzbischof von Genua Pietro Boetto (der einige Anweisungen direkt von Valobra empfing und die Durchführung seinem persönlichen Sekretär Francesco Repetto übertrug) und mit dem Kapuziner Benoît-Marie in Rom169.
schen und den deutschen Polizeibehörden anzeigten (vgl. S. Zuccotti, L’Olocausto, a.a.O., S. 205–210); Wie Cesare Musatti bemerkt hat: „es sind schreckliche Situationen, doch wenn sie eintreten, finden sie ihre Erklärung. Obwohl die Juden es seit Jahrhunderten gewohnt sind, ist es doch ein sehr schwieriges Geschäft, die Rolle des Verfolgten zu spielen. Und es gibt solche, die eine derartige Situation nicht beherrschen und nach einem Ausweg suchen, auch indem sie sich mit den Verfolgern solidarisieren“, C. Musatti, Mia sorella gemella la psicoanalisi. Rom (Editori Riuniti) 1982, S. 150. Zu den Denuntiationen von Celeste Di Porto und zu ihrem Prozess im Jahre 1947 s. jetzt M. Procaccia, La spia di Piazza Giudía, in: P. Garribba (Hrsg.), Ebrei sul confine. Rom (Com Nuovi Tempi) 2003, S. 171–181. 168 AdS Roma, Prefettura, cat. Ebrei, b. 1515, fasc. 34, sfasc. 6, Republikanisch-Faschistische Partei – Delegation Rom an den Chef der Provinz Rom, 13. Januar 1944, und Chef der Provinz Rom an den Polizeipräsidenten von Rom, 15. Januar 1944. 169 Die großzügige und wirkungsvolle Hilfsaktion der hier erwähnten und weiterer Vertreter der katholischen Kirche (darunter die Erzbischöfe von Turin Maurilio Fossati und von Florenz Elia Dalla Costa) stützte sich auf keine päpstliche „Direktive“; vgl. S. Zuccotti, Pius XII and the Rescue of Jews in Italy. Evidence of a Papal Directive, in: Holocaust and genocide studies, Bd. 18 Nr. 2 (Herbst 2004), S. 255–273 [it. Übers.: Papa Pio XII e il salvataggio degli ebrei in Italia: esistono prove di una direttiva papale?, in: A. Chiappano / F. Minazzi (Hrsg.), Il paradigma nazista dell’annientamento. La Shoah e gli altri stermini. Florenz (Giuntina) 2006, S. 189–206]; vgl. auch S. Zuccotti, Under His Very Windows. The Vatican and the Holocaust in Italy. New Haven, London (Yale University Press) 2000; [it. Übers.: Il Vaticano e l’Olocausto in Italia. Mailand (Bruno Mondadori) 2001]. Auch ein von der Existenz einer päpstlichen Direktive überzeugter Autor hat zugegeben, dass von der angeblichen „geheimen, von Pius XII. unterschriebenen und an alle Bischöfe versandten Direktive aus dem Jahre 1943 […] sich bislang noch keine Spur in den der Forschung zugänglichen Archiven des Heiligen Stuhls und der verschiedenen bischöflichen Kurien gefunden hat“ (A. Bobbio, Oltre la barriera del pericolo, in: „Jesus“, Februar 2004, S. 65). Infolge wiederholter englischer und US-amerikanischer Pressionen forderte der Heilige Stuhl, der keine diplomatischen Beziehungen zur RSI unterhielt, am 9. September 1944 den Apostolischen Nuntius in Bern auf, sich bei der RSI für die Freilassung der von ihr verhafteten und internierten Juden zu verwenden; der Nuntius aber wählte schließlich
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Liliana Picciotto hat die 387 nichtjüdische Italiener vorgestellt, denen, weil sie das Leben eines oder mehrerer Juden selbstlos und unter eigenen Gefahren gerettet haben, von Yad Vashem der Titel „Gerechter unter den Völkern“ verliehen worden ist, und hat dazu bemerkt: „Wir finden Gerechte in jeder sozialen Schicht und mit jedem Bildungsstand, Lehrer, Kleriker, Dienstmädchen, Hausmeister, Angestellte, öffentliche Amtsträger, Schmuggler, Ärzte, politische Aktivisten, Handwerker, Stationsvorsteher“; sie handelten autonom oder innerhalb von heimlichen und parzellierten Netzen170. Die Rettungsaktionen waren zahllos und betrafen mitunter sehr zahlreiche Familien. Bei der Beschreibung eines Vorgangs mit etwa 70 ausländischen jüdischen Jungen und Mädchen, welche die Delasem nach Italien hatte verbringen und in einer Villa der modeneser Gemeinde Nonantola unterbringen können, hat Klaus Voigt bemerkt: Zu Beginn der deutschen Besetzung begriffen viele Menschen ihre Angst und standen ihnen bei. Die Priester im Seminar der Abteikirche und die Nonnen naheinen Mittelsmann (Bruno Kiniger) aus, der nicht geeignet war, diesen Auftrag im Interesse der zu deportierenden Juden durchzuführen (er reiste von der Schweiz nach Italien volle fünfzig Tage nachdem er den Auftrag des Nuntius erhalten hatte!), und die Initiative zeitigte keinerlei Ergebnis; vgl. S. Zuccotti, Under His Very, a.a.O., S. 295– 299 (it. Übers.: Il Vaticano, a.a.O., S. 333–337); L. Picciotto, Gli interventi del mondo libero in favore degli ebrei in Italia. 1943–1945, in: RMI Bd. LXIX Nr. 2 (Mai–August 2003), S. 497–506; B. Kiniger, 1939–1945. Da Tripoli a Salò. Dall’Africa alla Missione in Svizzera: un Diario. Mailand (Angeli) 2000. Klöster und andere katholische Institutionen verbargen und retteten Tausende von Juden. In Rom, einer Stadt, in der die einen wie die anderen in hohem Maße präsent waren, leisteten die religiösen Einrichtungen in insgesamt mehr als 4.000 Fällen Hilfe, doch bleibt festzuhalten, dass die Zahl der unterstützten Personen geringer ist, da ein Teil von ihnen von mehreren Konventen nacheinander beherbergt wurde (s. dazu im Hinblick auf eine Tagung des Coordinamento storici religiosi zu diesem Thema G. Santamaria, Roma ’43: 4.000 ebrei salvati in convento, in: Avvenire, 23. September 2003). Zur Auflistung der in einer religiösen Einrichtung geretteten Juden (70 Personen) s. F. Motto, „Non abbiamo fatto che il nostro dovere“. Salesiani di Roma e del Lazio durante l’occupazione tedesca (1943–1944). Rom (Las) 2000, S. 104–109. Zu berücksichtigen ist, dass einige römische Juden bezeugt haben, nicht von katholischen religiösen Einrichtungen aufgenommen worden zu sein, im allgemeinen mit der Begründung, dass „wir keine Möglichkeit hatten, zu bezahlen“ (F. Barozzi, I percorsi, a.a.O., S. 130; auch M. Scialoja, Quelle suore pagate io le ho, in: l’Espresso, 2. April 1998, S. 76–77). Solche Episoden scheinen zwar „selten“ gewesen zu sein (F. Barozzi, I percorsi a.a.O., S. 132), doch bildeten auch sie – neben der verweigerten Unterstützung durch nicht Religiöse – einen Teil der tragischen Situation der Zeit. Zur komplexen Attraktion der in die Klöster aufgenommenen Kinder gegenüber dem Katholizismus vgl. S. V. Di Palma, Bambini, a.a.O., insb. S. 121–127. 170 L. Picciotto, Il soccorso agli ebrei durante la Repubblica Sociale Italiana e l’occupazione tedesca 1943–1945, in: B. Rivlin / L. Picciotto (Hrsg.), I giusti, a.a.O., S. 254– 269 (Zitat auf S. 268). Zu einigen Juden, denen beim Ausbruch aus dem Gefängnis von Como verholfen wurde s. R. Marchesi, Como ultima a.a.O., S. 13–18.
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Der Einsatz dieser und vieler weiterer Personen172 gestattet heute die Feststellung, dass in der Bevölkerung der Halbinsel, die zu 999 Promille als „arisch“
171 K. Voigt, Villa Emma, a.a.O., S. XI–XII, S. 9. Eine andere Situation für breite und unmittelbare Hilfe gab es am 16. Oktober 1943 in Roma; sie unterschied sich jedoch von der hier beschriebenen, weil sie anlässlich einer Razzia stattfand – und ohne sie verhindern zu können. Kürzlich ist ein Vorfall von beachtlicher kollektiver Solidarität aufgehellt worden (ein Verhalten im Vorfeld aktiver Hilfe), das in Tora in Kampanien stattfand, wo sich einige Dutzend neapolitanische Juden, welche der obligatorischen Arbeit unterworfen waren, und einige ihrer Familienangehörigen befanden. Die Wehrmacht überwachte die Gegend bis Anfang November 1943 und führte verschiedene Razzien durch, allerdings niemals solche, die sich speziell gegen die Juden richteten, doch die örtliche Bevölkerung machte weder Angaben über die Anwesenheit von Verfolgten, noch weigerte sie sich „mit den Juden die Zuflucht, die Höhle, die Hütte mitten im Wald zu teilen“ (G. Gribaudi, Guerra totale, a.a.O., S. 471). Der nichtjüdische Italiener, der die größte Zahl von Juden rettete, war Giorgio Perlasca, aktiv in Budapest Ende 1944 und Anfang 1945. Faschist und freiwilliger Franchist in Spanien, aber kein „Repubblichino“, schützte er wirksam mehrere tausend Juden vor der Deportation; E. Deaglio, La banalità del bene. Storia di Giorgio Perlasca. Mailand (Feltrinelli) 1991; G. Perlasca, L’impostore. Bologna (Il Mulino) 1997. Auch für die Halbinsel sind Fälle von Faschisten bezeugt, die Juden retteten; F. Barozzi, I percorsi a.a.O., S. 111–13, 118; U. Terracini, Intervista sul comunismo difficile. Bari (Laterza) 1978, S. 129–130. Zur Hilfe, die Giovanni Palatucci zugeschrieben wird, und zu den von der Geschichtsschreibung aufgeworfenen Fragen vgl. o. Kap. IV, Fußn. 417. In Dachau wurde der Unterstützer Calogero Marrone ermordet, s. dazu F. Giannantoni / I. Paolucci, Un eroe dimenticato. Varese (Arterigere) 2002. 172 Die Hilfsaktion wurde angeregt und unterstützt von Artikeln der antifaschistischen Untergrundpresse. Im Gefolge der Razzia vom 16. Oktober 1943 in Rom, schrieb L’Italia libera, Organ des Partito d’azione, am 17. Oktober: „Die Deutschen möchten uns davon überzeugen, dass diese Leute für uns Fremde sind, dass sie einer anderen Rasse angehören; doch für uns sind sie unser Fleisch und Blut; stets haben sie mit uns gelebt, gekämpft und gelitten. Nicht nur gesunde Männer, sondern auch Alte, Kleinkinder, Frauen, Säuglinge, alle sind in bedeckte Lastwagen zusammengepfercht worden und so ihrem Schicksal entgegen gefahren. Es gibt kein Herz, das nicht bebt beim Gedanken an dieses Schicksal“; und die römische Ausgabe der kommunistischen Zeitung l’Unità vom 26. Oktober schrieb: „Der Geist der Solidarität des italienischen Volkes gegenüber diesen Unglücklichen, der sich bereits in verschiedenen Formen zur Zeit der faschistischen Rassenkampagne kundgetan hat, verlangt nach Gerechtigkeit und Rache angesichts dieses fürchterlichen Verbrechens gegen unbewaffnete unschuldige Menschen, die man vom Rest der Bevölkerung unter dem barbarischen Vorwand einer ras-
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klassifiziert war, in jenen Monaten eine harte Auseinandersetzung zwischen den Italiani mala gente („Italiener schlechte Leute“) – den Verhaftenden, den Denunzianten, den Fügsamen, den Gleichgültigen – und den Italiani brava gente („Italiener brave Leute“) – den aktiven Unterstützern, den Mitleidigen, den Solidarischen, den Gerechten – stattfand. Man kann demnach die Gesamtheit der Bevölkerung weder mit der einen noch mit der anderen Bezeichnung belegen (auch würde in beiden Fällen eine schwere Beleidigung derjenigen stattfinden, die der zweiten Gruppe angehörten). Weitere Juden engagierten sich im direkten offensiven Kampf gegen die „Repubblichini“ und die Nazis. Bereits am 9. September 1943 notierte Emanuele Artom (der später nach seiner Verhaftung getötet wurde) in seinem Tagebuch: „Das deutsche Radio kündigt an, dass sie kommen werden, um Mussolini zu rächen. Man muss sich daher in die Kräfte der Partisanen einreihen, und ich habe mich bereits gemeldet“173. Wie er schlossen sich zahlreiche Juden den Formationen der Partisanen im Gebirge an oder nahmen, in geringerer Zahl, an der antifaschistischen Aktion in den Städten teil174. Einige füllten bedeutsame Posten in den Führungsstruksischen Minderwertigkeit isolieren will, die es nur in den perversen Obsessionen Hitlers gibt“. Infolge des Verhaftungsbefehls vom 30. November 1943 schrieb die zuletzt genannte Zeitung am 7. Dezember unter der Überschrift „Die antijüdischen Verfolgungen müssen verhindert werden“: „Die Römer können nicht zulassen, dass dieser Plan umgesetzt wird, und die römischen Katholiken können sich nicht darauf beschränken, ihn zu beklagen. Man darf nicht zulassen, dass sich in Rom die schreckliche Untat wiederholt, dass ganze unschuldige Familien voneinander getrennt werden und deportiert werden, um – wer weiß wo – an Kälte oder an Hunger zu sterben. Es gibt ein Gefühl für menschliche Solidarität, das man nicht ungestraft beleidigen kann. Diese unglücklichen Opfer der bestialischen nazifaschistischen Wut müssen nicht nur Hilfe erfahren, damit sie den Nachforschungen und der Festnahme entzogen werden, sondern auch aktiv und mutig verteidigt werden“. Zum selben Thema hatte der Osservatore romano vom 3. Dezember – nach der Bemerkung, dass „Verantwortlichkeit nicht aus der Geburt, sondern aus dem Willen entsteht und aus den Taten hervorgeht“, und dass unter den von der Regelung Betroffenen „viele, und zwar die große Mehrheit, sind, denen keine Verantwortung angelastet werden kann“ – einen gleichermaßen präzisen wie zarten Hinweis gegeben: „Es ist unvermeidbar, sich die Güte und den Schutz Gottes zu verdienen durch Barmherzigkeit gegenüber allen seinen Geschöpfen“ und „Wir bedürfen des Schutzes Gottes, seiner Nachsicht und seiner unbesiegbaren Hilfe. Alle, Einzelwesen und Völker. Sehen wir zu, dass wir gerecht und barmherzig sind, dass wir unseren Schuldigern vergeben, auf dass auch uns unsere Schulden mit Gerechtigkeit und Barmherzigkeit vergeben werden“. 173 E. Artom, Diari, a.a.O., S. 73, 76. 174 Zur Teilnahme der Juden an der Resistenza in Italien s. G. Formiggini, Stella d’Italia, a.a.O.; L. Picciotto Fargion, Sul contributo di ebrei alla Resistenza italiana, in: RMI XLVI Nr. 3–4 (März–April 1980), S. 132–146; M. Sarfatti, Ebrei nella Resistenza ligure, in: La Resistenza in Liguria e gli Alleati. Atti del convegno di studi. Genua (Consig-
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turen der Resistenza aus: der Aktionist Leo Valiani und der Kommunist Emilio Sereni wurden am 29. März 1945 zum Vollmitglied und Ersatzmitglied für ihre jeweiligen Parteien im Exekutivkomitee für den Aufstand ernannt, das vom Nationalen Befreiungskomitee für Oberitalien damit betraut war, den nunmehr unmittelbar bevorstehenden Aufstand zu leiten175; der Kommunist Umberto Terracini war Sekretär des Provisorischen Regierenden Rates, der im September/Oktober 1944 befreiten Ossola errichtet worden war (später, im Juni 1946, wurde er in die Verfassungsgebende Versammlung gewählt und wurde einer ihrer Vizepräsidenten und dann – seit Februar 1947 – ihr Präsident). Die Mehrzahl der im Widerstand tätigen Juden gehörte der Aktionspartei und der Kommunistischen Partei an und wurde daher Mitglied der Formationen „Giustizia e libertà“ oder „Garibaldi“ mit einer Aufteilung zwischen den beiden, die zumindest unter den 180 piemontesischen Partisanen exakt paritätisch war176. Diese brachten zwar in die Befreiungsbewegung ihre eigenen spezifischen Bedürfnisse an Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität und ihre Reflexionen über diese Probleme ein, doch meldeten sie sich als Kämpfer wie alle anderen und wurden als solche auch aufgenommen, ohne Vorurteile irgendwelcher Art. Mit der Annahme der „Einschreibung“ von Emanuele Artom und der anderen Juden in diese Art von nationalem Freiwilligen-Heer, das die Partisanenbewegung darstellte, stellten die „Parteien“, d.h. die antifaschistischen politischen Bewegungen, den nationalgeschichtlichen Fortgang Italiens wieder her, den der Faschismus und die Monarchie durch die Gesetzgebung von 1938 zerschlagen und zertreten hatten177. Dieses Bedürfnis und diese Versicherung der Gleichheit (für sich selbst und für alle) bildeten vielleicht das (zugleich materielle und ideelle) Hauptmotiv, lio regionale della Liguria, Istituto storico della Resistenza in Liguria) 1988, S. 75–92. Zur Thematik „Resistenza und Hilfe für die Juden“ s. M. Toscano, Gli ebrei in Italia, a.a.O., S. 937–943; M. Sarfatti, Raffaele Jona, a.a.O. 175 P. Secchia, Aldo dice: 26 x 1. Cronistoria del 25 aprile. Mailand (Feltrinelli) 1963, S. 43–44. 176 V. Ravaioli, Gli ebrei italiani nella Resistenza. Prima indagine quantitativa sui partigiani del Piemonte, in: RMI, Bd. LXIX Nr. 2 (Mai–August 2003), S. 574. 177 Die besondere jüdisch-italienische Situation hindert folglich daran, im 8. September 1943 den „Tag des Todes des Vaterlandes“ zu erblicken (es sei denn, man bezieht sich auf das „antisemitische Vaterland“). Aus diesem Grunde und wegen der „technischen“ Tatsache, dass die jüdischen Italiener (aus offenkundigen Gründen) nicht die Möglichkeit hatten, zu wählen, bei welcher der beiden kämpfenden Seiten sie sich einreihen sollten, muss man den Schluss ziehen, dass für die Gesamtheit der Italiener die fragliche Zeit nicht die Merkmale eines „Bürgerkrieges“ besaß.
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welches viele Juden dahin drängte, zu den Waffen zu greifen. Einige von ihnen kehrten zu diesem Zwecke aus den Orten ihrer Emigration oder Flucht zurück (Enzo Sereni, der später in der Deportation umkam, befand sich in Palästina, Gianfranco Sarfatti, der später im Kampfe starb, war in der Schweiz, und wie sie verschiedene Andere)178; und diese Radikalität der Beteiligung war vielleicht das wesentliche Merkmal des Beitrags der Juden zur Resistenza. Nach meiner Ansicht bildet sie auch die Erklärung dafür, dass unter den Juden des Widerstandes – bezogen auf die Gesamtheit der Partisanenbewegung – einen größeren Anteil älterer Jahrgänge gab179. Allerdings war der jüdische Beitrag zur bewaffneten Resistenza ein Beitrag, den Einzelne leisteten, und niemals gekennzeichnet als ein kollektiv jüdischer. Insgesamt betrug die Zahl dieser Juden (einschließlich derer, die an britischen und US-amerikanischen geheimen Missionen teilnahmen oder Teil der Truppen wurden, welche die Halbinsel zurückeroberten, nicht gerechnet die anderen Juden, d.h. die amerikanischen, englischen usw. sowie die palästinensischen, welche die Jüdischen Brigade bildeten) etwa 1.000180, darunter einige Dutzend ausländische Juden181. Die Zahl der kämpfenden jüdischen Frauen war besonders niedrig, was sich m.E. damit erklärt, dass auf ihnen größtenteils 178 Ein ähnliches Schicksal ist dasjenige von Franco Luzzatto und Claudio Paggi, die im September 1943 die Front durchquerten und Bari erreichten, von wo aus sie sich einer jugoslawischen Partisanenbrigade anschlossen und zum Kampfeinsatz auf den Balkan gingen (Paggi starb in Bosnien an einer Krankheit, die er sich im Dienst zugezogen hatte); vgl. V. Paggi, Claudio – una storia ritrovata. La vicenda di Claudio Paggi, ebreo italiano sfuggito alle persecuzioni razziali, morto partigiano in Jugoslavia. Online-Edition, www.anpi.it, 2003; s. Q. Angelini / O. Guidi / P. Lemmi, L’orizzonte chiuso. L’internamento ebraico a Castelnuovo di Garfagnana 1941–1943. Lucca (Pacini Fazzi) 2002, S. 152–153. Corrado Cagli hingegen trat im Ausland in den Militärdienst (im Heer der USA) ein und kämpfte im Ausland (Frankreich und Belgien, im April 1945 erreichte er Buchenwald); s. L. Fusco, Effetti delle leggi, a.a.O., S. 30–33. 179 Die italienischen Partisanen gehörten zu 46,3% den Geburtsjahrgängen 1920–25 und zu 40,8% den Jahrgängen 1910–19 und 1926–27 an; L. Valiani, La Resistenza italiana, in: Ders., Scritti di storia. Movimento socialista e democrazia. Mailand (SugarCo) 1983, S. 453. Was die besondere Gruppe der Juden angeht, so habe ich zeigen können, dass unter den Gefallenen die in den drei Zeitabschnitten Geborenen jeweils um die 29, 35 und 6% ausmachten; auch die Gruppe der ligurischen jüdischen Partisanen weist diese Merkmale auf; M. Sarfatti, Ebrei nella Resistenza ligure, a.a.O., S. 89. 180 Ebd., S. 76, Fußn. 2. Die Bescheinigungen als „kämpfender Partisan“, die nach dem Krieg in Italien ausgestellt wurden, zählten 233.000; vgl. L. Ceva, Considerazioni su aspetti militari della Resistenza (1943–1945), in: Il presente e la storia Nr. 46 (Dezember 1994), S. 55. Die von mir vorgeschlagene Zahl vom „ca. einem Tausend“ umfasst – zum geringeren Teil – auch andere Kategorien von Widerstandskämpfern. 181 S. K. Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. II, S. 489–491; Zuflucht, a.a.O., S. 399–401.
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Fünftes Kapitel
das Familienleben lastete und weil gerade der Umstand, dass sie im Versteck leben mussten, ihren Einsatz als „staffetta“ (Kurier) behinderte (aus dem selben Grund waren wenige Juden Widerstandskämpfer in den Städten). Es gab 97 Gefallene (einschließlich der Triesterinnen Silvia Elfer und Rita Rosani und der Turinerin Vanda Maestro), überwiegend im Kampf oder kurz nach der Gefangennahme getötet, aber auch in den Lagern von Mauthausen und Dachau, wohin sie aus politischen Gründen deportiert worden waren, und in jenen von Auschwitz und (seit Dezember 1944) Flossenburg, wohin diejenigen deportiert wurden, die nach der Gefangennahme als Juden identifiziert wurden182. Einer von ihnen hat seine Zukunft und diejenige der anderen in einem Brief an die Eltern in der Schweiz, als er sich anschickte, zu den Partisanen ins Gebirge zu gehen, so beschrieben: Ihr wisst schon, dass ich das, was ich tue, nicht aus einer Laune heraus oder aus Abenteuerlust tue – meine Art zu leben und das Wozu meines Lebens verlangt seit Monaten nach nichts anderem, als danach, mich in die Menschheit zu vertiefen, indem ich an ihrem Leben, sei es hart oder fröhlich, teilnehme. Würde ich nicht so handeln, so würde ich mich selbst verleugnen, ich bliebe führerlos, verzagt, vernichtet; und damit würde ich auch Euch verleugnen, die Ihr mir Leben und Bildung gegeben habt. […] Denkt daran, dass, während die ganze Welt einzustürzen scheint und die Trümmer alles unter sich zu begraben scheinen, Eure Söhne, gewiss auf unterschiedliche Weise, auf die Zukunft und auf den zukünftigen Wiederaufbau blicken und diesem all ihre Kräfte widmen. Ihr leidet, doch Millionen von Eltern lebten und leben noch in Angst; und dies soll nicht mehr so sein. Und wie ich Euren Schmerz im Schmerz aller leidenden Väter und Mütter erkannt habe, so müsst Ihr Eure Söhne in allen Kindern und in allen jungen Leuten erkennen, welche in dieser zerrissenen Welt geboren sind183.
Im April und Mai 1945 setzten die Alliierten und die europäischen Widerstandsbewegungen endgültig dem Faschismus, dem Nazismus und den schrecklichen Entwicklungen ihrer Politik gegenüber den Juden ein Ende. Zerrissen vom Widerspruch zwischen dem Schmerz über die Getöteten und
182 Ein erstes Verzeichnis von 94 Gefallenen b. M. Sarfatti, Gli ebrei nella Resistenza, in: Bollettino della comunità ebraica di Milano L Nr. 4 (April 1995), S. 26. 183 G. Formiggini, Stella d’Italia, a.a.O., S. 357–358; Brief von Gianfranco Sarfatti an die Eltern, 13. August 1944. Zur Angst und zum Leiden der Eltern traten spiegelbildlich diejenigen der Kinder; ein Partisan, dessen Familienangehörige in Italien waren, kommentierte in seinem Tagebuch die Nachricht der von den „Repubblichini“ erlassenen Verordnung für die allgemeine Verhaftung der Juden folgendermaßen: „Was wird aus meiner Familie werden? Vielleicht sehe ich weder meinen Vater noch meine Mutter jemals wieder. In diesem Falle werde ich den Kommandanten bitten, mich in eine Mission mit tödlichem Ausgang zu senden“, E. Artom, Diari, a.a.O., S. 97 (1. Dezember 1943).
Verfolgung des Lebens der Juden (1943–1945)
331
der Freude über die Lebenden, besaßen die Juden Italiens wieder die Freiheit zu Leben, Gleichheit und eigener Identität184.
184 Zur anschließenden Geschichte der italienischen Juden s. inzwischen M. Sarfatti (Hrsg.), Il ritorno alla vita: vicende e diritti degli ebrei in Italia dopo la seconda guerra mondiale. Florenz (Giuntina) 1998; G. Schwarz, Ritrovare se stessi. Gli ebrei nell’Italia postfascista. Rom, Bari (Laterza) 2004.
ANHANG
Der (misslungene) Versuch des World Jewish Congress zur Rettung der italienischen Juden im Jahre 1943 Was wäre geschehen, wenn vor dem 8. September 1943 alle Juden Italiens, italienische und ausländische, in den südlichen Bereichen der Halbinsel zusammengezogen worden wären? Wären alle der Deportation entgangen? Man kann es nicht wissen. Wir können das wissen, was wirklich geschehen ist, nicht das, was hätte geschehen können. Die richtige Frage lautet daher: Wie sieht die Geschichte des Vorschlags aus, alle Juden Italiens nach Süditalien zu schaffen? Auf diese Frage kann man eine Antwort geben. Alles geschah auf Initiative der freien Juden, die in Großbritannien und in den USA lebten. An sie ergingen Appelle und Informationen über die Lage der Juden in dem von der Vernichtung mit Blut befleckten Europa, und sie reagierten mit der einzigen Waffe, die ihnen zur Verfügung stand: Briefe an die Regierungen der Feindstaaten der Achse und neutraler Staaten. sich für die Rettung der von der Shoah noch nicht erfassten Gruppen der Juden einzusetzen. Im folgenden wird von diesen Appellen und von den Reaktionen, welche sie erfuhren, berichtet1. Um die Vorgänge zu verstehen, muss in aller Kürze die Chronologie des Krieges im Mittelmeerraum in jener Zeit in Erinnerung gerufen werden: 4. November 1942: Sieg der Alliierten bei El Alamein (Ende der Gefahr für Ägypten und Palästina); 21. Januar 1943: Befreiung von Tripolis durch die Alliierten (Ende der italienischen Kolonien in Afrika); 7. Mai 1943: Befreiung von Tunesien durch die Alliierten (Ende der nazifaschistischen Präsenz in Afrika); 10. Juli 1943: Landung der Alliierten in Sizilien (Anfang vom Ende des faschistischen 1
Einige Dokumente dieses Anhangs sind bereits in der vorherigen Darstellung erwähnt worden; auf eine erste Gruppe von ihnen war – zusammen mit weiteren Dokumente – bereits hingewiesen worden b. Klaus Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. II, S. 391–394; Zuflucht, a.a.O., Bd. II, S. 320–323. Die Dokumente sind verwahrt bzw. publiziert in: American Jewish Archives (Cincinnati), World Jewish Congress Collection [im folgenden: AJA-WJCC; ich danke der Archivarin der AJA Kathy Spray für Unterstützung und Gefälligkeit]; Franklin D. Roosevelt Library (Hyde Park, NY), Papers of Myron C. Taylor, box 11, Report by Mr. Myron C. Taylor, personal representative of the President of the United States to his holiness Pope Pius XII. 1943 [im folgenden: FDRL-PMT/11/1943]; Actes et documents du Saint Siège relatifs à la seconde guerre mondiale, Bd. 9: Le Saint Siège et les victimes de la guerre. Janvier–décembre 1943. Città del Vaticano (Libreria editrice vaticana) 1975 [im folgenden: ADSS-9]; Documents diplomatiques suisses 1848–1945, Bd. 14: 1er janvier 1941–8 septembre 1943. Bern (Berteli Verlag) 1997 [im folgenden: DDS–14].
336
Anhang
Italien). In diesem Zusammenhang entwickelte sich die Möglichkeit eines Zustroms zahlreicher deutscher militärischer Kräfte auf italienischen Boden, um an der europäischen Mittelmeerfront zu kämpfen. Diese Perspektive löste bei den freien Juden starke Besorgnis über das aus, was die Nazis oder die Faschisten selbst über das Schicksal der italienischen und ausländischen Juden auf der Halbinsel beschließen könnten. Dies war die Situation, in der die Juden von London und New York einen Plan zur Verlegung ihrer Brüder in jene Zone Italiens erdachten, welche als erste von den vorrückenden Alliierten erreicht werden würden. Es handelte sich um eine schlichte, sinnvolle Überlegung. Sie entwickelte sich im Herbst des Jahres 1943. Es hatte jedoch schon sechs Monate zuvor ein Vorspiel gegeben. Schauen wir zu, wie sich die beiden Episoden auf der Grundlage der heute zur Verfügung stehenden Dokumente darstellen. Ende Dezember 1942 richteten die ausländischen Juden, welche die faschistische Regierung im Lager Ferramonti in Tarsia in Kalabrien interniert hatte, einen Appell an die Regierung der Vereinigten Staaten. Sie befürchteten, an die Deutschen ausgeliefert und deportiert zu werden, und zeigten damit, dass sie gut informiert waren über das, was damals mit ihren Verwandten in Osteuropa geschah: „Almost everybody among them [der Appell ist in der dritten Person geschrieben] has near relatives who had been deported to Poland some months ago and they know that there is no hope to see them any more because there is no way back from that Hell of Despair. […] There is reasonable doubt whether the miserable Jews will be able to survive the process of systematical physical annihilation. In a short time there will remain only the tombs of Jewish European population”2. Deshalb forderten sie die Alliierten auf, mit der italienischen Regierung unter Einschaltung des Heiligen Stuhls ein Abkommen über ihre Verlegung nach Afrika oder in den Nahen Osten zu treffen. Wir kennen nicht genau die wechselhaften Schicksale dieses Appells, der zwei Monate gebraucht zu haben scheint, um den Atlantik zu überqueren. Wir wissen nur, dass Stephen Wise, Präsident des World Jewish Congress und des American Jewish Congress, am 26. Februar 1943 Myron Taylor, dem USamerikanischen Vertreter beim Heiligen Stuhl (der sich aber zu jener Zeit in Washington aufhielt) mit einem Fernschreiben bekannt machte, das ihn aus London erreicht hatte und das auf eine ernsthafte Gefahr der Deportation für die in Italien internierten Juden hinwies und ihm um eine Intervention bei der
2
FDRL, War Refugee Board records, box 14, fasc. „Italy I“, sfasc. 1, „Memorandum about emigration of alien Jews from Italy“ adressiert von einer Gruppe von in Ferramonti Internierten an den Präsidenten und an einen Minister der USA, datiert „Christmas 1942“.
Der misslungene Versuch zur Rettung der italienischen Juden
337
italienischen Regierung bat3. Am 1. März leitete Taylor die Bitte an Amleto Cicognani, den Vertreter des Heiligen Stuhls in den USA, weiter4. Am 6. März schrieb Cicognani an Luigi Maglione, den Staatssekretär des Heiligen Stuhls, und erklärte, es sei auch von dem jugoslawischen Botschafter in den USA an ihn appelliert worden; er fügte hinzu, dass die Deportation der jugoslawischen Juden aus Italien und aus den von Italien besetzten Gebieten „ihre Verurteilung zum Tode bedeutet“5. Am 17. März antwortete der Heilige Stuhl Cicognani, man werde sich „weiterhin lebhaft zugunsten der besagten Juden einsetzen“6; am 18. März übermittelte Cicognani die Antwort an Taylor7. Am 10. April forderte Giovanni Montini, Substitut im Staatssekretariat des Heiligen Stuhls (ob infolge eines erneuten Ersuchens oder infolge einer verzögerten Umsetzung der Antwort vom 17. März, ist nicht bekannt) Francesco Borgongini Duca, den Nuntius des Heiligen Stuhls in Italien, auf, bei der italienischen Behörde wegen der Deportation der Juden von Ferramonti nach Polen zu intervenieren, „welche unmittelbar bevorstehen soll“8; drei Tage später antwortete dieser ihm: „Dieses Gerücht entbehrt jeglicher Grundlage“9. Hier bricht die Dokumentation, die ich habe ermitteln können, ab. Aus ihr geht hervor, dass alle Regierungen wussten, dass die freien Juden zu handeln versuchten, dass das Tempo der Diplomatie keine besondere Beschleunigung erfuhr, dass der Heilige Stuhl als der einzige verwendbare Vermittler/Fürsprecher zur Rettung der Juden angesehen wurde, dass weder er noch die Regierung der Vereinigten Staaten sich als der Situation gewachsen erwiesen. Die zweite Episode begann zwei Monate nach dem Ende der ersten. Am 14. Juni 1943 beantragte das Direktorium des PNF bei Mussolini die „Repatriierung aller Ausländer, die ihre Anwesenheit in Italien nicht zu rechtfertigen vermögen, und, wo dies nicht möglich sein sollte, ihre Isolierung an Orten, welche keine Sommerfrische bedeuten“10. Am Tag darauf wurde diese Nachricht auch von The Times veröffentlicht11. Am 19. Juni teilten Noah Barou und Alexander Easterman von der englischen Sektion des World Jewish Congress, Wise die drohende 3 4 5 6 7 8 9 10 11
FDRL-PMT/11/1943, Stephen S. Wise an Myron C. Taylor, 26. Februar 1943. Ebd., Myron C. Taylor an Amleto Cicognani, 1. März 1943. ADSS-9, p. 171: Amleto Cicognani an Luigi Maglione, 6. März 1943. Ebd.: Staatssekretariat des Hl. Suhls an Amleto Cicognani, 17. März 1943. FDRL-PMT/11/1943, Amleto Cicognani an Myron C. Taylor, 18. März 1943. ADSS-9, S. 245: Giovanni Montini an Francesco Borgongini Duca, 10. April 1943. Ebd., Francesco Borgongini Duca an Staatssekretariat des Hl. Stuhls, 13. April 1943. Das Dokument ist wiedergegeben in: B. Mussolini, Opera omnia, a.a.O., Bd. XXXI (1960), S. 292. „Italy told to be harder“, in: The Times, 15. Juni 1943.
338
Anhang
„Deportation“ mit und baten ihn, bei der Regierung der Vereinigten Staaten und bei der vatikanischen Vertretung vorstellig zu werden12. Am 24. Juni bat Wise die US-amerikanische Regierung, die Schweiz zu bitten, die Juden von Ferramonti aufzunehmen13, und am Tag darauf bat er Taylor, beim Heiligen Stuhl vorstellig zu werden14. Am 29. Juni sandte Taylor den Brief von Wise und das Fernschreiben aus London an Cicognani und bat ihn um Intervention15; dieser antwortete am 3. Juli, er schätze die Information als „falsch“ ein, werde jedoch bei Maglione intervenieren16 (der in der Zwischenzeit eine ähnliche Bitte des britischen Botschafters beim Heiligen Stuhl empfangen und – so der Bericht des Botschafters – geantwortet hatte, dass, „in view of assurances he [Maglione] had given, there was no need for further representation to the Italian authorities. They might in fact do more harm than good“)17. Am 19. Juli nahm Easterman erneut einen Anlauf, indem er William Godfrey, den Vertreter des Heiligen Stuhls in London, aufforderte, bei der italienischen Regierung zu intervenieren, dringlich die italienischen und ausländischen Juden der Halbinsel und die Juden Dalmatiens im Süden zusammenzuziehen: „There is only one hope for our people in Italy: that they be removed as speedily as possible to Southern areas of Italy where, in the event of an Allied invasion, they may come under the protection of the Allied Forces“18. Es ist das erste Mal, dass diese Zielsetzung in der von mir aufgefundenen Dokumentation erwähnt wird. Auch wenn ihr Ursprung früher liegen könnte, bleibt doch die Tatsache, dass ihre Erwähnung auf die alliierte Landung in Sizilien folgte (und vielleicht deren Konsequenz war?). Easterman besaß keine Sicherheiten – sein Projekt war nur eine „hope“, aber es gab keine anderen. In einem Zeitraum von sechs Monaten war Ferramonti von einem Ort möglicher Gefahr für die dort internierten Juden zu einem Ort möglicher Rettung für die Juden anderswo geworden! Das Tempo des Wandels war schnell in der Zeit der Shoah (das Tempo der Diplomaten war nicht ebenso schnell). 12 13 14 15 16 17 18
FDRL-PMT/11/1943, Noah Barou und Alexander Easterman an Stephen S. Wise, 19. Juni 1943. AJA-WJCC, folder H205/1, Relief and Rescue Department, 1940–1944, Staatssekretariat USA an Stephen S. Wise, 3. Juli 1943. FDRL-PMT/11/1943, Stephen S. Wise an Myron C. Taylor, 25. Juni 1943. Ebd., Myron C. Taylor an Amleto Cicognani, 29. Juni 1943. Ebd., Amleto Cicognani an Myron C. Taylor, 3. Juli 1943. Public Record Office, Foreign Office 371, General 1943/Refugees W9895, Botschafter Großbritanniens beim Hl. Stuhl an Foreign Office, 1. Juli 1943; zitiert in: Klaus Voigt, Il rifugio, a.a.O., Bd. II, S. 394; Zuflucht, a.a.O., Bd. II, S.322. ADSS-9, S. 407–8: Alexander Easterman an William Godfrey, 19. Juli 1943.
Der misslungene Versuch zur Rettung der italienischen Juden
339
Am 20. Juli leitete Godfrey den Appell von Easterman an Maglione weiter19. Am 23. informierte Cicognani Maglione, dass Wise abermals über Taylor eine Intervention des Heiligen Stuhls erbeten habe20 (es scheint sich um den Brief von Wise handeln, den Taylor am 29. Juni an Cicognani gesandt hatte, und den dieser spätestens am 3. Juli erhalten hatte!). Am 25. Juli wurde Mussolini abgesetzt; am 26. Juli antwortete der Heilige Stuhl Cicognani, er solle Taylor versichern, man werde, sollte es notwendig sein, alles Mögliche tun, um die Verwirklichung der befürchteten Maßnahme zu verhindern“21. Die vatikanische Gelassenheit überzeugte die jüdischen Führer nicht. Am 2. August wandte Easterman sich direkt an Pius XII. und bat ihn, „to use your high authority by suggesting Italian authorities may remove as speedily as possible to Southern Italy or other safer areas twenty thousand Jews refugees and Italian nationals“; der Papst sei „the only hope for saving them from persecution and death“22. Die Antwort, datiert vom 6. August, lautete: „Der Heilige Stuhl wird auch weiterhin alles Mögliche zugunsten der Juden unternehmen“23. Sechs Tage später interpellierte Maglione bei Francesco Babuscio Rizzo, dem Geschäftsträger der neuen italienischen Regierung Pietro Badoglios beim Heiligen Stuhl, der ihm antwortete, „dass seitens der italienischen Behörden den Betroffenen alle möglichen Versicherungen gegeben worden sind und dass auch deren Verlegung in Zonen, welche in ihnen geringere Besorgnisse wecken können, erleichtert wird“24. Inzwischen hatte am 20. Juli das Staatssekretariat der Vereinigten Staaten Wise25 (den Eingang dessen Briefes vom 24. Juni es am 3. Juli bestätigt hatte) mitgeteilt26, dass die Botschaft der USA in Bern das Bestehen von Gefahren für die italienischen Juden verneine – auch auf Grund der Tatsache, dass die Turiner Tageszeitung La Stampa vom 10. Juli die in The Times publizierte Nachricht vom 15. Juli dementiert hatte27. Doch am 4. August schrieb James Wise, Vertreter des World Jewish Congress in Washington (und Sohn von Stephen), an den Staatssekretär der USA, dass allein die Tatsache, dass die 19 20 21 22 23 24 25 26 27
Ebd., S. 406: William Godfrey an Luigi Maglione, 20. Juli 1943. Ebd., S. 413: Amleto Cicognani an Luigi Maglione, 23. Juli 1943. Ebd., S. 413: Staatssekretariat des Hl. Stuhls an Amleto Cicognani, 26. Juli 1943. Ebd., S. 417–418: Alexander Easterman an Pius XII., 2. August 1943. Ebd., S. 418: Staatssekretariat des Hl. Stuhls an William Godfrey, 6. August 1943. Ebd., S. 427: Francesco Babuscio Rizzo an Luigi Maglione, 12. August 1943. AJA-WJCC, folder H205/1, Relief and Rescue Department, 1940–1944, Staatssekretariat USA an Stephen S. Wise, 20. Juli 1943. Ebd., Staatssekretariat USA an Stephen S. Wise, 3. Juli 1943. „Sciocchezzaio nemico“ („Feindlicher Blödsinn“), in: La Stampa, 10. Juli 1943.
340
Anhang
Aufhebung der antijüdischen italienischen Gesetze nach dem 25. Juli möglich geworden sei, nichts an der Gefahr für die Juden Norditaliens ändere, in die Hände der Nazis zu fallen; die USA müssten daher, über die Vermittlung eines neutralen Staates, auf die italienische Regierung Druck ausüben, dass „all Jews, whether nationals or otherwise, in Northern Italy, be transferred immediately to Southern Italy“28. Am 11. August sandte er einen ähnlichen, aber noch verzweifelteren Brief an die vatikanische Vertretung in Washington, worin er klar stellte, dass die neuesten Informationen „the destruction of four million Jews in Nazi dominated Europe“, beschrieben29. Einige Tage später wandte sich Stephen Wise – auch er unter Erwähnung der Zahl von vier Millionen bereits Getöteten – an den schweizerischen Botschafter in den USA, und bat ihn, die Schweizerische Eidgenossenschaft möge die italienische Regierung auffordern, die Juden Norditaliens in den Süden zu verbringen, und ihnen auf jeden Fall die eigenen Grenzen öffnen30. Am 26. August antwortete Maglione Cicognani31 (der ihm am 20. den Appell von James Wise vom 11. mitgeteilt hatte)32 er solle berichten, dass „der Heilige Stuhl sich bereits zugunsten der besagten Juden eingesetzt hat“. Am 3. September antwortete Bern der eigenen Botschaft in Washington, dass eine Intervention bei der italienischen Regierung „ohne Zweifel keinerlei praktisches Ergebnis erzielen“ würde und dass „eine Lockerung“ der Vorschriften über die Aufnahme von Flüchtlingen „nicht tunlich“ erscheine33. Fünf Tage später bezogen die Vorgänge des 8. September die italienischen und ausländischen Juden Mittel- und Norditaliens in die Shoah ein: der immer verzweifeltere Druck der freien Juden von London und Washington zu ihrer Rettung hatte keine angemessene Reaktion erfahren. Wurden auch die Juden, welche in Süditalien wohnten oder interniert waren, von der Shoah ergriffen? Nein. Die Stadt Bari wurde niemals von der deutschen Besatzung bzw. derjenigen der Italienischen Sozialrepublik erreicht. 28 29 30 31 32 33
AJA-WJCC, folder H205/8, Political Department, James W. Wise, 1943–1945, James W. Wise an Sumner Welles, 4. August 1943. AJA-WJCC, folder D101/7, ACEJA-Italy (Italian JRC) – Form, letters and misc., 1942–1943, James W. Wise n die Apostolische Delegation in den USA, 11. August 1943. DDS-14, p. 1318: Botschafter der Schweiz in den USA an Außenministerium Schweiz, 26. August 1943. ADSS-9, S. 437: Staatssekretariat des Hl. Stuhls an Amleto Cicognani, 26. August 1943. Ebd.: Amleto Cicognani an Luigi Maglione, 20. August 1943. DDS-14, S. 1319: Schweizerische Regierung an den Botschafter der Schweiz in den USA, 3. September 1943.
Der misslungene Versuch zur Rettung der italienischen Juden
341
Das Lager von Ferramonti wurde befreit, bevor die Nazis oder die Faschisten Zeit gefunden hätten, sich der dort internierten Juden zu bemächtigen. Die Stadt Neapel wurde befreit, bevor die deutsche Polizei die bereits geplante Verhaftung der Juden in die Tat umsetzen konnte.
KARTEN UND TABELLEN
Karten und Tabellen
345
Karte 1 – Die Juden in Italien Jüdische Gemeinden in Italien zu Beginn des Jahres 1938 (25 israelitische Gemeinden und die drei größten Gemeindesektionen: Asti, Siena, Viareggio); jüdische Gemeinden in den von 1941 bis 1943 von Italien annektierten jugoslawischen Gebieten (Split, Susak)
–-–-–................
■ ▲ ●
Italienische Grenze im Jahre 1938 1941 annektierte jugoslawische Gebiete Anzahl der Juden: 12.000–13.000 4.000–6.000 1.000–2.500 500–1.000 100–500
346
Anhang
Karte 2 – Die Shoah in Italien
–-–-–…………. ▲ ------------●
Italienische Grenze im Jahre 1938 Grenze der 1943 von Deutschland eingerichteten „Operationszonen“ Abfahrtsorte der Deportationstransporte der Juden (Gefängnisse oder Lager) Gewöhnliche Strecken der Deportationstransporte Strecke eines Deportationstransports Orte mit den wichtigsten Massakern an Juden
Abbazia*
mit Fiume
–
–
–
828
5.777
–
Padua (Padua, Rovigo)
1.405
622
2.149
–
Venedig (Venedig, Belluno, Treviso)
Triest (Triest, Pola*)
–
Verona (Verona, Vicenza)
1.028
Fiume* (Fiume*, Zara*)
–
Mantua (Mantua, Bergamo, Brescia, Cremona)
3.409
Gorizia (Gorizia, Udine)
–
Mailand (Mailand, Como, Pavia, Sondrio, Varese)
1.595
Udine 109
–
Genua (Liguria, Massa e Carrara)
421
Gorizia 338
–
Vercelli (Vercelli, Novara)
305
–
–
Casale Monferrato
621
1.154
–
Alessandria (Alessandria, Asti)
3.548
B 10.6.1911
Meran (Tridentinisches Venetien)
–
A 31.12.1910
Turin (Turin, Aosta, Cuneo)
Israelitische Gemeinden (entsprechende Provinzen und Regionen)
–
–
–
Udine 60
–
860
2.387
820
1.067
3.362
1.332
414
308
639
5.618
C 1913/1914
(Erläuterungen und Quellenangaben im Anschluss an die Tabelle)
mit Fiume
1.880
4.788
323
1.293
673
1.943
377
690
7.186
2.191
292
mit Aless.
591
4.075
D 21.4.1931
225
1.150
5.025
214
332
610
1.711
429
625
5.548
3.000
245
157
455
3.836
E 1.1.1932
169
1.118
5.000
**202
**321
586
1.700
405
601
6.205
2.600
260
144
413
4.048
F 1.1.1936
mit Fiume
1.831
6.215
368
989
857
2.365
471
905
10.654
2.848
495
mit Aless.
599
4.345
G1
G2
unbek.
unbek.
unbek.
unbek.
unbek.
unbek.
unbek.
unbek.
unbek.
unbek.
unbek.
unbek.
unbek.
unbek.
G 22.8.1938
106
822
2.850
242
79
503
1.324
231
417
5.000
1.350
187
82
276
2.918
H 1.1.1940
98
761
2.462
108
80
463
1.203
182
356
5.142
1.051 oo
185
73
259
2.700
I 1.1.1943
Jüdische Bevölkerung im Königreich Italien von 1910 bis 1943 (in den Grenzen zwischen den beiden Weltkriegen) auf Grund der nationalen Zählungen (A, B, D), der rassistischen Zählung (G) und der jüdischen Schätzungen und Registrierungen (C, E, F, H, I).
Tabelle 1
Karten und Tabellen 347
–
–
9.418
italienische und ausl. e.J. m. Wohnsitz
ital. Bevölk. m. Wohnsitz (in Tsd.)
unbek.
anwesende ital. Bevölk. (in Tsd.)
unbek.
–
ausl. e.J. m. zufälligem Aufenthalt
italienische e.J.
9.418
davon „effektive“ Juden. (e.J.)
ausl. e.J. m. Wohnsitz
9.418
Gesamtzahl
–
–
Livorno (Livorno, Grosseto)
– (Apulien, Lukanien, Kalabrien, Sizilien)
–
Pisa (Pisa, Lucca)
–
–
Florenz (Florenz, Arezzo, Pistoia, Siena)
Neapel (Kampanien)
–
Ancona (Marken)
–
–
Ferrara (Ferrara, Forlí, Ravenna)
–
–
Bologna (Bologna)
– (Abruzzen und Molise, Sardinien)
–
Modena (Modena, Reggio Emilia)
Rom (Latium, Umbrien)
–
A 31.12.1910
Parma (Parma, Piacenza)
Israelitische Gemeinden (entsprechende Provinzen und Regionen)
35.845
34.671
(?)33.925
32.825
–
–
41.578
unbek.
unbek.
–
incl. mit Wohns. 1.499
41.578
41.578
–
600
–
11.284
4.141
464
2.778
1.439
1.245
1.500
945
315
C 1913/1914
34.324
34.324
2.197
966
469
7.168
2.160
614
2.633
1.436
1.161
629
606
394
B 10.6.1911
41.652
41.177
44.507
39.112
5.395
3.318
47.825
47.825
293
876
95
11.712
1.861
561
2.834
970
767
818
500
236
D 21.4.1931
–
–
45.412
unbek.
unbek.
–
45.412
45.412
–
858
–
12.316
1.941
481
2.730
835
822
1.300
469
98
E 1.1.1932
42.994
–
–
42.445 O
O
46.185
36.928
9.257
–
46.185
57.425
358
714
205
13.171
2.481
731
2.641
1.218
917
1.000
676
371
G1
G2
46.656
37.241
9.415
–
46.656
58.412
unbek.
unbek.
unbek.
unbek.
unbek.
unbek.
unbek.
unbek.
unbek.
unbek.
unbek.
unbek.
G 22.8.1938
45.998
unbek.
unbek.
–
45.998
45.998
–
867
–
13.268
2.029
511
**2.630
796
743
862
410
110
F 1.1.1936
–
–
36.156.
unbek.
unbek.
–
35.156
35.156
–
530
–
11.700
1.300
351
2.800
675
525
550
278
60
H 1.1.1940
508
–
–
–
**38.802
unbek.
unbek.
–
32.802
32.802
–
350 oo
118
1.569
319
1.862 oo
413
oo
500
211
92
I 1.1.1943
348 Anhang
G 2: endgültiges Gesamtergebnis
G 1: zweites vorläuges Gesamtergebnis
G: Zählung der Generaldirektion für die Rasse Verschiedene Tabellen in: ACS, MI, DGDR (1938–43), b. 13, fascc. 43, 44, e b. 14, fasc. 47 (eigene Berechnungen).
E, F, H, I: Union der israelitischen Gemeinden AUCEI, Fondo UCII, Attività 1933–47, b. 71/C, fasc. Censimento (jährliche, von den israelitischen Gemeinden übersandte Mitteilungen); Istituto centrale di statistica del Regno d’Italia, Annuario statistico italiano 1939. Rom 1939, S. 9 (für die italienische Gesamtbevölkerung).
D: Zählung des Zentralinstituts für Statistik Istituto centrale di statistica del Regno d’Italia, VII censimento generale della popolazione 21 aprile 1931–IX. Roma 1933–36, III. Fascicoli per provincia (Zusammenfassung der Daten in: ACS, SPD, CR (1922–43), cat. 169/R, b. 140, fasc. 14, „Israeliti censiti nel Regno“, Übersicht, am 3. März vom Präsidenten des Zentralinstituts für Statistik des Königreichs Italien Franco Savorgnan an Benito Mussolini auf Wunsch des letzteren gesandt); Istituto centrale di statistica del Regno d’Italia, Annuario statistico italiano 1935. Rom 1935, S. 5 (für die italienische Gesamtbevölkerung).
C: Daten und Schätzungen des Komitees der israelitischen Gemeinden Comitato delle comunità israelitiche italiane, Notizie statistiche delle comunità israelitiche italiane. Rom 1914 (für einige südliche Regionen ohne jüdische Gemeinden übernimmt diese Aufstellung unverändert die Zahlen der Volkszählung von 1911; vorliegend erschien es angebracht, diese nicht wiederzugehen oder zu berücksichtigen).
B: Volkszählung der Statistischen Generaldirektion Ministero per l’industria, il commercio e il lavoro – Direzione generale della statistica e del lavoro, Censimento della popolazione del Regno d’Italia al 10 giugno 1911. Rom 1916, VI, S. 11–13, 24–28, 33–34, 47–52.
A: Österreich-ungarische Zählung : K.K. Statistische Zentralkommission, Österreichische Statistik. Neue Folge. Die Ergebnisse der Volkszählung vom 31. Dezember 1910 in den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern. Wien (Kaiserlich-königliche Hof- und Staatsdruckerei) 1912 I, Heft 1, S. 50–59, 92–95; E. Laszlo, Hungary’s Jewry: a Demographic Overwiev. 1918–1945, in: R. L. Braham (Hrsg.), Hungarian-Jewish Studies. New York (World Federation of Hungarian Jews) 1962, S. 142.
Quellen:
Karten und Tabellen 349
(°°) Angabe bezogen auf den 1. Januar 1942.
(°) Angabe bezogen auf den 21. April 1936.
(***) 1943 gab es ferner ca. 3.000 ausländische Juden, die nicht in den israelitischen Gemeinden eingetragen waren (s. Tabelle 6).
(**) Angabe bezogen auf den 1. Januar 1935.
(*) Die Angaben in den Spalten E, F, H, I beziehen sich auf die gesamten räumlichen Einziehungsbereiche der israelitischen Gemeinden, wie sie durch Kgl. Dekret vom 24. September 1931, Nr. 1279, festgelegt worden sind; vgl. Israel XVII, Nr. 8 (5. November 1931); für die Spalten A, B, C sind die notwendigen Zuordnungen vorgenommen worden; normalerweise wohnte die große Mehrheit der Juden im Hauptort der Gemeinde. Die Angaben in den Spalten D (Zählung Istat von 1931) und G (rassistische Zählung von 1938, zweite vorläuge Gesamtzahl) sind das Ergebnis der Aggregierung der folgenden provinziellen Angaben: Turin (3.870; 4.060), Alessandria (einschl. Asti 591; 449), Aosta (41; 103), Asti (einschl. Alessandria 591; 150), Cuneo (164; 182), Novara (71; 170), Vercelli (221; 325), Genua (1.824; 2.263), Imperia (172; 193), La Spezia (117; 219), Savona (41; 95), Mailand (6.949; 10.219), Bergamo (25; 73), Brescia (125; 195), Como (128; 197), Cremona (29; 48), Mantua (511; 589), Pavia (44; 62), Sondrio (5; 13), Varese (60; 163), Bozen (1.251; 938), Trient (42; 51), Venedig (1.873; 2.189), Belluno (17; 29), Padua (618; 748), Rovigo (55; 109), Treviso (53; 147), Udine (108; 129), Verona (351; 414), Vicenza (26; 57), Triest (4.680; 6.085), Fiume (1.869; 1.782), Gorizia (215; 239), Pola (108; 130), Zara (11; 49), Bologna (818; 1.000), Ferrara (686; 733), Forlì (35; 98), Modena (406; 547), Parma (165; 247), Piacenza (71; 124), Ravenna (46; 86), Reggio Emilia (94; 129), Florenz (2.633; 2.326), Arezzo (18; 34), Grosseto (110; 149), Livorno (1.751; 2.332), Lucca (218; 315), Massa e Carrara (37; 78), Pisa (343; 416), Pistoia (36; 62), Siena (147; 219), Ancona (843; 1.031), Ascoli Piceno (32; 27), Macerata (27; 51), Pesaro e Urbino (68; 109), Perugia (82; 180), Terni (30; 48), Rom (mit Littoria 11.543; 12.799), Frosinone (21; 35), Littoria (mit Rom 11.543; 34), Rieti (2; 9), Viterbo (34; 66), Cagliari (9; 49), Nuoro (3; 7), Sassari (2; 11), L’Aquila (26; 66), Campobasso (1; 20), Chieti (25; 20), Pescara (25; 29), Teramo (4; 3), Neapel (858; 678), Avellino (3; 3), Benevent (0; 0), Salerno (15; 33), Bari (38; 59), Brindisi (3; 14), Foggia (5; 12), Lecce (11; 11), Taranto (7; 26), Matera (2; 4), Potenza (0; 6), Catanzaro (6; 15), Cosenza (4; 9), Reggio Calabria (1; 0), Palermo (103; 96), Agrigent (2; 4), Caltanissetta (2; 0), Catania (41; 75), Enna (2; 3), Messina (64; 21), Ragusa (0; 0), Syrakus (1; 3), Trapani (1; 0). Das Territorium von Abbazia, die Gegend von Pola (Istrien), die Stadt di Fiume und die Stadt Zara gehören seit dem Ende des II. Weltkrieges nicht mehr dem italienischen Stasatsgebiet an.
Erläuterungen und Ergänzungen
350 Anhang
351
Karten und Tabellen Tabelle 2
Bevölkerung des Königreichs Italien mit Abstammung von mindestens einem jüdischen oder ehemals jüdischen Elternteil, 22. August 1938 (rassistische Zählung) Art und Datum der Klassifizierungen der Ergebnisse der Zählung durch die ISTAT Gesamtzahl
Erste prov. Klassifizierung 13.9.1938
Zweite prov. Klassifizierung 1.10.1938
Endgültige Klassifizierung 24.10.1938
55.103
57.425
58.412
davon Italiener
45.361
47.252
48.032
Ausländer (mit Aufenthalt seit mehr als 6 Monaten
9.742
10.173
10.380
44.585
46.139
46.609
42
46
47
für Juden nur bei Geburt
2.009
2.130
2.215
für Nicht-Juden sowohl bei Geburt als bei der Zählung
8.468
9.110
9.541
44.626
46.185
46.656
Italiener
35.727
36.928
37.241
Ausländer (mit Aufenthalt seit mehr als 6 Monaten)
8.899
9.257
9.415
davon erklärten sich für Juden bei Geburt und bei der Zählung (a) für Juden nur bei der Zählung (b)
Gesamtzahl der „effektiven Juden“ (a + b) davon
Hinweis: Die Gruppe der Juden, die nur für die Zählung als Juden galten, umfasst nur diejenigen, die von mindestens einem jüdischen oder ehemals jüdischen Elternteil abstammten, nicht diejenigen, die von zwei „arischen“ Eltern abstammten. Quellen: Verschiedene Tabellen in: ACS, MI, DGDR (1938–1943), b. 13, fasc. 43, 44 und b. 14, fasc. 47 (eigene Ausarbeitung)
2.461
1.826
8.563
1.040
267
72
Kaueute (dto)
Handwerker (einschl. Heimarbeiter)
Arbeiter (einschl. handwerkl. Arbeiter)
Mägde und Dienstboten
Streitkräfte (ohne Ofziere und Wehrpichtige)
Ofziere
2.005
1.587
Industrielle (Eigentümer, Direktoren usw.)
Angestellte (öffentliche und private)
19.714
absolut (Tsd.)
Landwirtschaft (Eigentümer, Landarbeiter usw.)
Soziale Lage des Familienoberhauptes
4,9
0,2
0,7
2,6
21,1
4,5
6,1
3,9
48,5
%
Italienische Bevölkerung
11.043
246
87
814
2.460
731
15.006
2.695
327
absolut
25,2
0,6
0,2
1,9
5,6
1,7
34,3
6,2
0,8
%
a) gesamt
2.527
60
*27
281
*892
224
*5.176
460
55
absolut
Latium
*2.276
18
4
53
192
89
2.379
*657
21
absolut
Lombardei
*1.617
12
10
*201
*445
*146
2.136
383
14
absolut
Julisch Venetien, Zara
1.051
21
11
92
*374
83
1.521
272
*46
absolut
Toskana
b) in den Regionen mit der größten jüdischen Bevölkerung
1.195
*37
*12
45
226
79
1.011
*386
23
absolut
Piemont
Jüdische Bevölkerung Italiens
20,7
0,7
0,1
3,9
14,9
2,8
26,7
4,0
0,4
%
Livorno
22,9
0,4
0,4
0,6
3,5
1,2
28,3
6,6
0,6
%
Florenz
c) in einzelnen Städten
Jüdische Bevölkerung und Gesamtbevölkerung des Königreichs Italien im Jahre 1931 nach sozialer Stellung des Familienoberhauptes
Tabelle 3
18,3
–
0,2
1,7
3,3
0,2
17,4
8,1
2,9
%
Padua
352 Anhang
–
138
41.177
–
–
–
–
–
8.713
47.825
4.171
43.654
3.387
2.134
4.724
–
–
–
–
100,0
7,7
4,9
10,8
Rom 11.280
401
11.600
365
11.235
658
192
683
*2.873 Triest 4.627 Fiume 1.135
Mailand 6.865 Mantua 480
6.883
*758
6.125
449
172
540
2.245
7.876
594
7.282
393
340
860
Florenz 2.586 Livorno 1.660
348
5.293
310
4.983
*507
355
650
Turin 3.758
238
4.958
374
4.684
*494
*451
*725
1.660
–
–
–
100,0
10,4
3,9
11,4
2.586
–
–
–
100,0
9,5
11,0
14,9
597
–
–
–
100,0
14,7
12,5
20,6
Quellen: Istituto centrale di statistica del Regno d’Italia, VII censimento generale della popolazione 21 aprile 1931–IX. Rom 1934, IV, Teil II, S. 32, 276–283; R. Bachi, La distribuzione geograca e professionale degli ebrei secondo il censimento italiano 1931, in: Israel XX, Nr. 1 (13. September 1934 (eigene Ausarbeitung)
(*) Soziale Situation, die in einzelnen regionalen jüdischen Populationen unverhältnismäßig hoch ist.
Juden in den wichtigsten Städten
davon Ausländer
Gesamtzahl
602
40.575
Lage unbekannt
4,6
1.868
Nicht beruich Tätige
Alle bekannten sozialen Lagen
100,0
1,0
412
Grundeigentümer und Wohlhabende
1,9
760
Geistliche, freie Berufe, freie Künste
Karten und Tabellen 353
354
Anhang
Tabelle 4 Bevölkerung des Königreichs Italien mit Abstammung von mindestens einem jüdischen oder ehemals jüdischen Elternteil und mit italienischer Staatsangehörigkeit (im Jahre 1938) und Gesamtbevölkerung des Königreichs Italien (im Jahre 1936) nach Klassen der wirtschaftlichen Tätigkeit und nichtberuflicher Tätigkeit Berufe und nichtberufliche Tätigkeiten
Landwirtschaft Jagd und Fischerei Industrie Druckereibesitzer, Verleger, Papierfabrikanten Transport und Kommunikation Handel
Gesamtzahl Italien. Bevölkerung */1936
Personen „jüdischer Abstammung“ mit ital. Staatsangehörigkeit **/1938
Absolut (in Ts.)
%
8.756
47,7
252
1,5
87
0,5
5.375
29,3
–
3.788
–
22,1
21,7
7
0,04
105
0,6
11,8
702
3,8
624
3,6
11,1
1.505
8,2
7.417
43,3
18,2
Alle absol. und % aller Tätigkeiten
Weibliche in % der einzelnen Tätigkeiten 12,9
–
Kleinhandel m. Textilien
76
0,4
1.381
8,1
25,71
ambulante Händler
151
0,8
1.094
6,4
14,2
100
0,6
1.007
5,9
12,3
0,5
0,003
32
0,2
3,3
143
0,8
1.601
9,4
10,8
108
0,6
1.508
11,6
9,0
809
4,4
1.985
5,0
39,5
Kredit und Versicherung Börsenhandel, Geldwechsel Freie Tätigkeiten und Künste Freiberufler Öffentliche Verwaltung
158
0,9
853
1,4
65,7
Private Beratung und Verwaltung
Lehrer (einschl. Schulleiter)
81
0,4
243
0,8
61,3
Religionsdiener
126
0,7
153
0,4
13,0
Hauswirtschaft
661
3,6
67
2
0,01
18.347
100,0
–
–
70,8
17.117
20,8
Grundeigentümer u. Wohlhabende
365 503
– – – – – – – –
1.381
Pensionäre
– – – – – – – – –
Unbekannte Tätigkeit Gesamtzahl Erwerbstätige
Studenten und Schüler
3.007
Häusliche Arbeit
9.857
Andere nicht beruflich Tätige
1.582
Ohne Angabe der Berufstätigkeit
67
Gesamtzahl Personen ab 10 Jahre
33.728
Gesamtzahl alle Altersklassen
42.445
Erläuterungen zu Tabelle 4: (*) Einschließlich 109.000 Ausländer:
939 6.704 12.250 1.420 645 40.456 47.252
100,0
–
51,5 38,3 44,1 100,0 34,2 24,2 50,6
–
Karten und Tabellen
355
(**) Die Angaben in der Spalte „Alle“ betreffen 47.252 Gezählte, diejenigen in der Spalte „weiblich“ betreffen 45.361 Gezählte; es handelt sich jeweils um 98,4 und um 94,4% der 48.032 italienischen Staatsbürger, die von wenigstens einem jüdischen oder ehemals jüdischen Elternteil abstammen (s. Tabelle 2). Zahlen, die sich nur auf die „effektiven Juden“ beziehen, gibt es nicht. Quellen: Verschiedene Tabellen in: ACS, MI, DGDR (1938–1943), b. 13, fasc. 43, 44 und b. 14, fasc. 47; Istituto centrale di statistica del Regno d’Italia, VIII censimento generale della popolazione 21 aprile 1936–XIV, IV, Teil III. Rom 1939, S. 1–33 (eigene Ausarbeitung).
356
Anhang
Tabelle 5 Bevölkerung des Königreichs Italien mit Abstammung von mindestens einem jüdischen oder ehemals jüdischen Elternteil und mit italienischer Staatsangehörigkeit und 10 Jahre und älter (im Jahre 1938) nach Berufstätigkeit und beruflicher Stellung.
_
7
22
_
5
_
264
267
1.527
41
1.027
Papierproduktion
97
28
_
_
17
40
10
2
Druck und Verlag
293
77
_
10
19
93
3
91
Metall und Maschinenbau
797
77
_
49
50
348
2
271
Arbeiter absol.
_
662
Lohnempf. absol.
218
Industrie
Angestellt absol.
Freiberufler absol.
252 3.788
Landwirtschaft
Leit. Ang. absol.
Arbeitgeber absol.
Handwerker absol.
Nach beruflicher Stellung Gesamt. absol.
Gruppen und wichtigste Untergruppen ökonomischer Tätigkeit
Baugewerbe
417
56
_
20
31
152
1
157
Textilien, Bekleidung usw.
818
194
_
156
27
162
4
275
Chemie Transport und Kommunikation Transport
451
74
_
_
51
281
5
40
624
85
_
4
28
311
28
168
533
85
_
4
24
241
15
164
7.417
4.785
_
_
71
2.304
118
139
1.736
758
_
_
33
876
31
38
699
302
_
_
17
345
19
16
Einzelhandel
3.600
2.474
_
_
27
1.015
51
33
Textilien, Bekleidung
2.017
1.381
_
_
14
591
24
7
146
103
_
_
1
37
4
1
1.097
1.094
_
_
_
2
_
1
Ohne Lebensmittel und Gebrauchtwaren
734
733
_
_
_
1
_
_
Hotels, Bars usw.
222
129
_
_
4
24
15
50
Vertreter
339
226
_
_
7
97
7
2
1.007
32
_
_
93
861
16
5
78
32
_
_
7
39
_
_
Handel Großhandel Textilien, Bekleidung
Papier, Druckerzeugn. ambulante Händler
Kredit u. Versicherungen Börsenhandel, Geldwechsel Versich., Vorsorge
569
_
_
_
55
509
5
_
1.601
1
1.508
_
_
86
5
1
Mediziner
435
1
417
_
_
11
5
1
Juristen
609
_
554
_
_
55
_
_
Schriftsteller
40
_
40
_
_
_
_
_
1.985
_
_
_
216
1.655
59
55
Freie Tätigkeiten und Künste
Öffentliche Verwaltung
357
Karten und Tabellen Lehre
859
_
_
_
134
719
5
1
157
_
_
_
128
29
_
_
Verteidigung
198
_
_
_
20
147
1
30
Offiziere
131
_
_
_
20
111
_
_
137
_
_
_
8
125
3
1
Hochschullehrer
Gewerkschaften und politische Organisationen Private Verwaltung
243
3
91
_
5
131
11
2
171
1
77
_
2
81
10
_
Religionsdiener
233
_
_
_
11
93
27
2
Hauswirtschaft
67
_
_
_
1
11
54
1
Gesamt (absolut)
17.117
5.786
1.599
268
699
7.001
359
1.405
Gesamt (prozentual)
100,0
33,8
9,3
1,6
4,1
40,9
2,1
8,2
Italienische Gesamtbevölkerung 1936 (prozentual)
100,0
8,6
0,6
39,2
0,3
7,8
5,3
38,2
Lehre
Erläuterungen zu Tabelle 5: Die Angaben betreffen 47.252 Gezählte, d.h. 98,4% der 28.032 von mindestens einem jüdischen oder ehemals jüdischen Elternteil abstammenden Italiener (vgl. Tabelle 2). Zählungen, welche allein die „effektiven Juden“ betreffen, gibt es nicht. Quellen: Verschiedene Tabellen, aufbewahrt in: ASC, MI, DGDR (1938–1943), b. 13, fasc. 43, 44 und b. 14 Fasc. 47; Istituto centrale di statistica del Regno d’Italia, VIII censimento generale della popolazione 21 aprile 1936–XIV. IV, Teil II. Rom 1939, S. 1–33 (eigene Ausarbeitungen).
358
Anhang
Tabelle 6 Jüdische oder jüdischstämmige Bevölkerung, die in Italien von 1938 bis 1943 von der Verfolgung betroffen war.
Personen, die August 1938 der Verfolgung unterworfen werden konnten
41.300
9.800
Widerruf der italienischen Staatsbürgerschaft
–1.400
+1.400
Personen, die Herbst 1938 der Verfolgung unterworfen wurden
39.900
11.200
Änderungen in Folge offiziellen Ausscheidens aus dem Judentum 1938–1943
–1.000?
Saldo der Migrationsbewegung 1938 bis Juni 1940 Saldo der Migrationsbewegung Juni 1940 bis 1943*) Hervorhebung der Eintritte nach Italien auf Grund von Repatriierungen und Überstellungen, Juni 1940 bis 1943
Gesamt
Ausländer
37.341
9.415
–1.200?
+1.200?
51.100
36.000
10.600
46.656
?
–1.000?
–4.500?
– 500?
–5.000?
–3.000
–5.700
–8.700
–2.700
–5.400
–8.100
+800
+3.300
+4.100
+700
+3.000
+3.700
(1.200)
(4.100)
(5.300)
(.....)
(.....)
(.....)
–1.500?
–1.500?
44.000
28.000?
Saldo der Geburten und Todesfälle
–1.500?
Personen, die der Verfolgung ausgesetzt waren, Juli 1943
35.200
8.800
51.100
Davon „effektive“ Juden
Italiener
Gesamt
Ausländer
Italiener
Nach den Normen vom Herbst 1938 als „Angehörige der jüdischen Rasse“ Klassifizierte
46.656
–1.500? 7.700?
*35.700?
* Die Zahl ist größer als die entsprechende in Tabelle 1, weil diese nur einen Teil der ausländischen Juden umfasst. Quellen: Die einzigen sicheren Zahlen in dieser Tabelle sind diejenigen der „effektiven Juden“, welche im August 1938 der Verfolgung ausgesetzt waren (s. Tabelle 2); alle anderen Zahlenangaben sind das Ergebnis von annähernden Berechnungen oder (wenn mit Fragezeichen versehen) von Schätzungen
Juristische Zeitgeschichte Herausgeber: Prof. Dr. Dr. Thomas Vormbaum, FernUniversität in Hagen Abteilung 1: Allgemeine Reihe 1 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Die Sozialdemokratie und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Quellen aus der sozialdemokratischen Partei und Presse (1997) 2 Heiko Ahlbrecht: Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert (1999) 3 Dominik Westerkamp: Pressefreiheit und Zensur im Sachsen des Vormärz (1999) 4 Wolfgang Naucke: Über die Zerbrechlichkeit des rechtsstaatlichen Strafrechts. Gesammelte Aufsätze zur Strafrechtsgeschichte (2000) 5 Jörg Ernst August Waldow: Der strafrechtliche Ehrenschutz in der NS-Zeit (2000) 6 Bernhard Diestelkamp: Rechtsgeschichte als Zeitgeschichte. Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts (2001) 7 Michael Damnitz: Bürgerliches Recht zwischen Staat und Kirche. Mitwirkung der Zentrumspartei am Bürgerlichen Gesetzbuch (2001) 8 Massimo Nobili: Die freie richterliche Überzeugungsbildung. Reformdiskussion und Gesetzgebung in Italien, Frankreich und Deutschland seit dem Ausgang des 18. Jahrhunderts (2001) 9 Diemut Majer: Nationalsozialismus im Lichte der Juristischen Zeitgeschichte (2002) 10 Bianca Vieregge: Die Gerichtsbarkeit einer „Elite“. Nationalsozialistische Rechtsprechung am Beispiel der SS- und Polizeigerichtsbarkeit (2002) 11 Norbert Berthold Wagner: Die deutschen Schutzgebiete (2002) 12 Milosˇ Vec: Die Spur des Täters. Methoden der Identifikation in der Kriminalistik (1879–1933), (2002) 13 Christian Amann: Ordentliche Jugendgerichtsbarkeit und Justizalltag im OLG-Bezirk Hamm von 1939 bis 1945 (2003) 14 Günter Gribbohm: Das Reichskriegsgericht (2004) 15 Martin M. Arnold: Pressefreiheit und Zensur im Baden des Vormärz. Im Spannungsfeld zwischen Bundestreue und Liberalismus (2003) 16 Ettore Dezza: Beiträge zur Geschichte des modernen italienischen Strafrechts (2004) 17 Thomas Vormbaum (Hrsg.): „Euthanasie“ vor Gericht. Die Anklageschrift des Generalstaatsanwalts beim OLG Frankfurt/M. gegen Werner Heyde u. a. vom 22. Mai 1962 (2005) 18 Kai Cornelius: Vom spurlosen Verschwindenlassen zur Benachrichtigungspflicht bei Festnahmen (2006) 19 Kristina Brümmer-Pauly: Desertion im Recht des Nationalsozialismus (2006) 20 Hanns-Jürgen Wiegand: Direktdemokratische Elemente in der deutschen Verfassungsgeschichte (2006) 21 Hans-Peter Marutschke (Hrsg.): Beiträge zur modernen japanischen Rechtsgeschichte (2006)
22 Katrin Stoll: Die Herstellung der Wahrheit (2011) 23 Thorsten Kurtz: Das Oberste Rückerstattungsgericht in Herford (2013) 24 Sebastian Schermaul: Die Umsetzung der Karlsbader Beschlüsse an der Universität Leipzig 1819–1848 (2013)
Abteilung 2: Forum Juristische Zeitgeschichte 1 Franz-Josef Düwell / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Themen juristischer Zeitgeschichte (1) – Schwerpunktthema: Recht und Nationalsozialismus (1998) 2 Karl-Heinz Keldungs: Das Sondergericht Duisburg 1943–1945 (1998) 3 Franz-Josef Düwell / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Themen juristischer Zeitgeschichte (2) – Schwerpunktthema: Recht und Juristen in der Revolution von 1848/49 (1998) 4 Thomas Vormbaum: Beiträge zur juristischen Zeitgeschichte (1999) 5 Franz-Josef Düwell / Thomas Vormbaum: Themen juristischer Zeitgeschichte (3), (1999) 6 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Themen juristischer Zeitgeschichte (4), (2000) 7 Frank Roeser: Das Sondergericht Essen 1942–1945 (2000) 8 Heinz Müller-Dietz: Recht und Nationalsozialismus – Gesammelte Beiträge (2000) 9 Franz-Josef Düwell (Hrsg.): Licht und Schatten. Der 9. November in der deutschen Geschichte und Rechtsgeschichte – Symposium der Arnold-Freymuth-Gesellschaft, Hamm (2000) 10 Bernd-Rüdiger Kern / Klaus-Peter Schroeder (Hrsg.): Eduard von Simson (1810–1899). „Chorführer der Deutschen“ und erster Präsident des Reichsgerichts (2001) 11 Norbert Haase / Bert Pampel (Hrsg.): Die Waldheimer „Prozesse“ – fünfzig Jahre danach. Dokumentation der Tagung der Stiftung Sächsische Gedenkstätten am 28. und 29. September in Waldheim (2001) 12 Wolfgang Form (Hrsg.): Literatur- und Urteilsverzeichnis zum politischen NS-Strafrecht (2001) 13 Sabine Hain: Die Individualverfassungsbeschwerde nach Bundesrecht (2002) 14 Gerhard Pauli / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Justiz und Nationalsozialismus – Kontinuität und Diskontinuität. Fachtagung in der Justizakademie des Landes NRW, Recklinghausen, am 19. und 20. November 2001 (2003) 15 Mario Da Passano (Hrsg.): Europäische Strafkolonien im 19. Jahrhundert. Internationaler Kongreß des Dipartimento di Storia der Universität Sassari und des Parco nazionale di Asinara, Porto Torres, 25. Mai 2001 (2006) 16 Sylvia Kesper-Biermann / Petra Overath (Hrsg.): Die Internationalisierung von Strafrechtswissenschaft und Kriminalpolitik (1870–1930). Deutschland im Vergleich (2007) 17 Hermann Weber (Hrsg.): Literatur, Recht und Musik. Tagung im Nordkolleg Rendsburg vom 16. bis 18. September 2005 (2007) 18 Hermann Weber (Hrsg.): Literatur, Recht und (bildende) Kunst. Tagung im Nordkolleg Rendsburg vom 21. bis 23. September 2007 (2008) 19 Francisco Muñoz Conde / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Transformation von Diktaturen in Demokratien und Aufarbeitung der Vergangenheit (2010)
Abteilung 3: Beiträge zur modernen deutschen Strafgesetzgebung. Materialien zu einem historischen Kommentar 1 Thomas Vormbaum / Jürgen Welp (Hrsg.): Das Strafgesetzbuch seit 1870. Sammlung der Änderungen und Neubekanntmachungen; Vier Textbände (1999–2002) und drei Supplementbände (2005, 2006) 2 Christian Müller: Das Gewohnheitsverbrechergesetz vom 24. November 1933. Kriminalpolitik als Rassenpolitik (1998) 3 Maria Meyer-Höger: Der Jugendarrest. Entstehung und Weiterentwicklung einer Sanktion (1998) 4 Kirsten Gieseler: Unterlassene Hilfeleistung – § 323c StGB. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870. (1999) 5 Robert Weber: Die Entwicklung des Nebenstrafrechts 1871–1914 (1999) 6 Frank Nobis: Die Strafprozeßgesetzgebung der späten Weimarer Republik (2000) 7 Karsten Felske: Kriminelle und terroristische Vereinigungen – §§ 129, 129a StGB (2002) 8 Ralf Baumgarten: Zweikampf – §§ 201–210 a.F. StGB (2003) 9 Felix Prinz: Diebstahl – §§ 242 ff. StGB (2003) 10 Werner Schubert / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Entstehung des Strafgesetzbuchs. Kommissionsprotokolle und Entwürfe. Band 1: 1869 (2002); Band 2: 1870 (2004) 11 Lars Bernhard: Falsche Verdächtigung (§§ 164, 165 StGB) und Vortäuschen einer Straftat (§ 145d StGB), (2003) 12 Frank Korn: Körperverletzungsdelikte – §§ 223 ff., 340 StGB. Reformdiskussion und Gesetzgebung von 1870 bis 1933 (2003) 13 Christian Gröning: Körperverletzungsdelikte – §§ 223 ff., 340 StGB. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1933 (2004) 14 Sabine Putzke: Die Strafbarkeit der Abtreibung in der Kaiserzeit und in der Weimarer Zeit. Eine Analyse der Reformdiskussion und der Straftatbestände in den Reformentwürfen (1908–1931), (2003) 15 Eckard Voßiek: Strafbare Veröffentlichung amtlicher Schriftstücke (§ 353d Nr. 3 StGB). Gesetzgebung und Rechtsanwendung seit 1851 (2004) 16 Stefan Lindenberg: Brandstiftungsdelikte – §§ 306 ff. StGB. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2004) 17 Ninette Barreneche†: Materialien zu einer Strafrechtsgeschichte der Münchener Räterepublik 1918/1919 (2004) 18 Carsten Thiel: Rechtsbeugung – § 339 StGB. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2005) 19 Vera Große-Vehne: Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB), „Euthanasie“ und Sterbehilfe. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2005) 20 Thomas Vormbaum / Kathrin Rentrop (Hrsg.): Reform des Strafgesetzbuchs. Sammlung der Reformentwürfe. Band 1: 1909 bis 1919. Band 2: 1922 bis 1939. Band 3: 1959 bis 1996 (2008) 21 Dietmar Prechtel: Urkundendelikte (§§ 267 ff. StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2005) 22 Ilya Hartmann: Prostitution, Kuppelei, Zuhälterei. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2006)
23 Ralf Seemann: Strafbare Vereitelung von Gläubigerrechten (§§ 283 ff., 288 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2006) 24 Andrea Hartmann: Majestätsbeleidigung (§§ 94 ff. StGB a.F.) und Verunglimpfung des Staatsoberhauptes (§ 90 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2006) 25 Christina Rampf: Hausfriedensbruch (§ 123 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2006) 26 Christian Schäfer: „Widernatürliche Unzucht“ (§§ 175, 175a, 175b, 182, a.F. StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1945 (2006) 27 Kathrin Rentrop: Untreue und Unterschlagung (§§ 266 und 246 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2007) 28 Martin Asholt: Straßenverkehrsstrafrecht. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts (2007) 29 Katharina Linka: Mord und Totschlag (§§ 211–213 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2008) 30 Juliane Sophia Dettmar: Legalität und Opportunität im Strafprozess. Reformdiskussion und Gesetzgebung von 1877 bis 1933 (2008) 31 Jürgen Durynek: Korruptionsdelikte (§§ 331 ff. StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2008) 32 Judith Weber: Das sächsische Strafrecht im 19. Jahrhundert bis zum Reichsstrafgesetzbuch (2009) 33 Denis Matthies: Exemplifikationen und Regelbeispiele. Eine Untersuchung zum 100-jährigen Beitrag von Adolf Wach zur „Legislativen Technik“ (2009) 34 Benedikt Rohrßen: Von der „Anreizung zum Klassenkampf“ zur „Volksverhetzung“ (§ 130 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2009) 35 Friederike Goltsche: Der Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches von 1922 (Entwurf Radbruch) (2010) 36 Tarig Elobied: Die Entwicklung des Strafbefehlsverfahrens von 1846 bis in die Gegenwart (2010) 37 Christina Müting: Sexuelle Nötigung; Vergewaltigung (§ 177 StGB) (2010) 38 Nadeschda Wilkitzki: Entstehung des Gesetzes über Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) (2010) 39 André Brambring: Kindestötung (§ 217 a.F. StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2010) 40 Wilhelm Rettler: Der strafrechtliche Schutz des sozialistischen Eigentums in der DDR (2010) 41 Yvonne Hötzel: Debatten um die Todesstrafe in der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 1990 (2010) 42 Dagmar Kolbe: Strafbarkeit im Vorfeld und im Umfeld der Teilnahme (§§ 88a, 110, 111, 130a und 140 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2011)
Abteilung 4: Leben und Werk. Biographien und Werkanalysen 1 Mario A. Cattaneo: Karl Grolmans strafrechtlicher Humanismus (1998) 2 Gerit Thulfaut: Kriminalpolitik und Strafrechtstheorie bei Edmund Mezger (2000) 3 Adolf Laufs: Persönlichkeit und Recht. Gesammelte Aufsätze (2001) 4 Hanno Durth: Der Kampf gegen das Unrecht. Gustav Radbruchs Theorie eines Kulturverfassungsrechts (2001) 5 Volker Tausch: Max Güde (1902–1984). Generalbundesanwalt und Rechtspolitiker (2002) 6 Bernd Schmalhausen: Josef Neuberger (1902–1977). Ein Leben für eine menschliche Justiz (2002) 7 Wolf Christian von Arnswald: Savigny als Strafrechtspraktiker. Ministerium für die Gesetzesrevision (1842–1848), (2003) 8 Thilo Ramm: Ferdinand Lassalle. Der Revolutionär und das Recht (2004) 9 Martin D. Klein: Demokratisches Denken bei Gustav Radbruch (2007) 10 Francisco Muñoz Conde: Edmund Mezger – Beiträge zu einem Juristenleben (2007) 11 Whitney R. Harris: Tyrannen vor Gericht. Das Verfahren gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher nach dem Zweiten Weltkrieg in Nürnberg 1945–1946 (2008) 12 Eric Hilgendorf (Hrsg.): Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft in Selbstdarstellungen (2010) 13 Tamara Cipolla: Friedrich Karl von Strombeck. Leben und Werk – Unter besonderer Berücksichtigung des Entwurfes eines Strafgesetzbuches für ein Norddeutsches Staatsgebiet (2010) 14 Karoline Peters: J. D. H. Temme und das preußische Strafverfahren in der Mitte des 19. Jahrhunderts (2010)
Abteilung 5: Juristisches Zeitgeschehen Rechtspolitik und Justiz aus zeitgenössischer Perspektive Mitherausgegeben von Gisela Friedrichsen („Der Spiegel“) und RA Prof. Dr. Franz Salditt 1 Diether Posser: Anwalt im Kalten Krieg. Ein Stück deutscher Geschichte in politischen Prozessen 1951–1968. 3. Auflage (1999) 2 Jörg Arnold (Hrsg.): Strafrechtliche Auseinandersetzung mit Systemvergangenheit am Beispiel der DDR (2000) 3 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Vichy vor Gericht: Der Papon-Prozeß (2000) 4 Heiko Ahlbrecht / Kai Ambos (Hrsg.): Der Fall Pinochet(s). Auslieferung wegen staatsverstärkter Kriminalität? (1999) 5 Oliver Franz: Ausgehverbot für Jugendliche („Juvenile Curfew“) in den USA. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2000) 6 Gabriele Zwiehoff (Hrsg.): „Großer Lauschangriff“. Die Entstehung des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 26. März 1998 und des Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung vom 4. Mai 1998 in der Presseberichterstattung 1997/98 (2000)
7 Mario A. Cattaneo: Strafrechtstotalitarismus. Terrorismus und Willkür (2001) 8 Gisela Friedrichsen / Gerhard Mauz: Er oder sie? Der Strafprozeß Böttcher/ Weimar. Prozeßberichte 1987 bis 1999 (2001) 9 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2000 in der Süddeutschen Zeitung (2001) 10 Helmut Kreicker: Art. 7 EMRK und die Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze (2002) 11 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2001 in der Süddeutschen Zeitung (2002) 12 Henning Floto: Der Rechtsstatus des Johanniterordens. Eine rechtsgeschichtliche und rechtsdogmatische Untersuchung zum Rechtsstatus der Balley Brandenburg des ritterlichen Ordens St. Johannis vom Spital zu Jerusalem (2003) 13 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2002 in der Süddeutschen Zeitung (2003) 14 Kai Ambos / Jörg Arnold (Hrsg.): Der Irak-Krieg und das Völkerrecht (2004) 15 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2003 in der Süddeutschen Zeitung (2004) 16 Sascha Rolf Lüder: Völkerrechtliche Verantwortlichkeit bei Teilnahme an „Peace-keeping“-Missionen der Vereinten Nationen (2004) 17 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2004 in der Süddeutschen Zeitung (2005) 18 Christian Haumann: Die „gewichtende Arbeitsweise“ der Finanzverwaltung. Eine Untersuchung über die Aufgabenerfüllung der Finanzverwaltung bei der Festsetzung der Veranlagungssteuern (2008) 19 Asmerom Ogbamichael: Das neue deutsche Geldwäscherecht (2011) 20 Lars Chr. Barnewitz: Die Entschädigung der Freimaurerlogen nach 1945 und nach 1989 (2011) 21 Ralf Gnüchtel: Jugendschutztatbestände im 13. Abschnitt des StGB (2013)
Abteilung 6: Recht in der Kunst Mitherausgegeben von Prof. Dr. Gunter Reiß 1 Heinz Müller-Dietz: Recht und Kriminalität im literarischen Widerschein. Gesammelte Aufsätze (1999) 2 Klaus Lüderssen (Hrsg.): »Die wahre Liberalität ist Anerkennung«. Goethe und die Juris prudenz (1999) 3 Bertolt Brecht: Die Dreigroschenoper (1928) / Dreigroschenroman (1934). Mit Kommentaren von Iring Fetscher und Bodo Plachta (2001) 4 Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche (1842) / Die Vergeltung (1841). Mit Kommentaren von Heinz Holzhauer und Winfried Woesler (2000) 5 Theodor Fontane: Unterm Birnbaum (1885). Mit Kommentaren von Hugo Aust und Klaus Lüderssen (2001) 6 Heinrich von Kleist: Michael Kohlhaas (1810). Mit Kommentaren von Wolfgang Naucke und Joachim Linder (2000) 7 Anja Sya: Literatur und juristisches Erkenntnisinteresse. Joachim Maass’ Roman „Der Fall Gouffé“ und sein Verhältnis zu der historischen Vorlage (2001)
8 Heiner Mückenberger: Theodor Storm – Dichter und Richter. Eine rechtsgeschichtliche Lebensbeschreibung (2001) 9 Hermann Weber (Hrsg.): Annäherung an das Thema „Recht und Literatur“. Recht, Literatur und Kunst in der NJW (1), (2002) 10 Hermann Weber (Hrsg.): Juristen als Dichter. Recht, Literatur und Kunst in der NJW (2), (2002) 11 Hermann Weber (Hrsg.): Prozesse und Rechtsstreitigkeiten um Recht, Literatur und Kunst. Recht, Literatur und Kunst in der NJW (3), (2002) 12 Klaus Lüderssen: Produktive Spiegelungen. 2., erweiterte Auflage (2002) 13 Lion Feuchtwanger: Erfolg. Drei Jahre Geschichte einer Provinz. Roman (1929). Mit Kommentaren von Theo Rasehorn und Ernst Ribbat (2002) 14 Jakob Wassermann: Der Fall Maurizius. Roman (1928). Mit Kommentaren von Thomas Vormbaum und Regina Schäfer (2003) 15 Hermann Weber (Hrsg.): Recht, Staat und Politik im Bild der Dichtung. Recht, Literatur und Kunst in der Neuen Juristischen Wochenschrift (4), (2003) 16 Hermann Weber (Hrsg.): Reale und fiktive Kriminalfälle als Gegenstand der Literatur. Recht, Literatur und Kunst in der Neuen Juristischen Wochenschrift (5), (2003) 17 Karl Kraus: Sittlichkeit und Kriminalität. (1908). Mit Kommentaren von Helmut Arntzen und Heinz Müller-Dietz (2004) 18 Hermann Weber (Hrsg.): Dichter als Juristen. Recht, Literatur und Kunst in der Neuen Juristischen Wochenschrift (6), (2004) 19 Hermann Weber (Hrsg.): Recht und Juristen im Bild der Literatur. Recht, Literatur und Kunst in der Neuen Juristischen Wochenschrift (7), (2005) 20 Heinrich von Kleist: Der zerbrochne Krug. Ein Lustspiel (1811). Mit Kommentaren von Michael Walter und Regina Schäfer (2005) 21 Francisco Muñoz Conde / Marta Muñoz Aunión: „Das Urteil von Nürnberg“. Juristischer und filmwissenschaftlicher Kommentar zum Film von Stanley Kramer (1961), (2006) 22 Fjodor Dostojewski: Aufzeichnungen aus einem Totenhaus (1860). Mit Kommentaren von Heinz Müller-Dietz und Dunja Brötz (2005) 23 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Anton Matthias Sprickmann. Dichter und Jurist. Mit Kommentaren von Walter Gödden, Jörg Löffler und Thomas Vormbaum (2006) 24 Friedrich Schiller: Verbrecher aus Infamie (1786). Mit Kommentaren von Heinz Müller-Dietz und Martin Huber (2006) 25 Franz Kafka: Der Proceß. Roman (1925). Mit Kommentaren von Detlef Kremer und Jörg Tenckhoff (2006) 26 Heinrich Heine: Deutschland. Ein Wintermährchen. Geschrieben im Januar 1844. Mit Kommentaren von Winfried Woesler und Thomas Vormbaum (2006) 27 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Recht, Rechtswissenschaft und Juristen im Werk Heinrich Heines (2006) 28 Heinz Müller-Dietz: Recht und Kriminalität in literarischen Spiegelungen (2007) 29 Alexander Puschkin: Pique Dame (1834). Mit Kommentaren von Barbara Aufschnaiter/Dunja Brötz und Friedrich-Christian Schroeder (2007)
30 Georg Büchner: Danton’s Tod. Dramatische Bilder aus Frankreichs Schreckensherrschaft. Mit Kommentaren von Sven Kramer und Bodo Pieroth (2007) 31 Daniel Halft: Die Szene wird zum Tribunal! Eine Studie zu den Beziehungen von Recht und Literatur am Beispiel des Schauspiels „Cyankali“ von Friedrich Wolf (2007) 32 Erich Wulffen: Kriminalpsychologie und Psychopathologie in Schillers Räubern (1907). Herausgegeben von Jürgen Seul (2007) 33 Klaus Lüderssen: Produktive Spiegelungen: Recht in Literatur, Theater und Film. Band II (2007) 34 Albert Camus: Der Fall. Roman (1956). Mit Kommentaren von Brigitte Sändig und Sven Grotendiek (2008) 35 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Pest, Folter und Schandsäule. Der Mailänder Prozess wegen „Pestschmierereien“ in Rechtskritik und Literatur. Mit Kommentaren von Ezequiel Malarino und Helmut C. Jacobs (2008) 36 E.T.A. Hoffmann: Das Fräulein von Scuderi – Erzählung aus dem Zeitalter Ludwigs des Vierzehnten (1819). Mit Kommentaren von Heinz Müller-Dietz und Marion Bönnighausen (2010) 37 Leonardo Sciascia: Der Tag der Eule. Mit Kommentaren von Gisela Schlüter und Daniele Negri (2010) 38 Franz Werfel: Eine blaßblaue Frauenschrift. Novelle (1941). Mit Kommentaren von Matthias Pape und Wilhelm Brauneder (2011) 39 Thomas Mann: Das Gesetz. Novelle (1944). Mit Kommentaren von Volker Ladenthin und Thomas Vormbaum (2013)
Abteilung 7: Beiträge zur Anwaltsgeschichte Mitherausgegeben von Gerhard Jungfer, Dr. Tilmann Krach und Prof. Dr. Hinrich Rüping 1 Babette Tondorf: Strafverteidigung in der Frühphase des reformierten Strafprozesses. Das Hochverratsverfahren gegen die badischen Aufständischen Gustav Struve und Karl Blind (1848/49), (2006) 2 Hinrich Rüping: Rechtsanwälte im Bezirk Celle während des Nationalsozialismus (2007)
Abteilung 8: Judaica 1 Hannes Ludyga: Philipp Auerbach (1906–1952). „Staatskommissar für rassisch, religiös und politisch Verfolgte“ (2005) 2 Thomas Vormbaum: Der Judeneid im 19. Jahrhundert, vornehmlich in Preußen. Ein Beitrag zur juristischen Zeitgeschichte (2006) 3 Hannes Ludyga: Die Rechtsstellung der Juden in Bayern von 1819 bis 1918. Studie im Spiegel der Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des bayerischen Landtags (2007) 4 Michele Sarfatti: Die Juden im faschistischen Italien. Geschichte, Identität, Verfolgung (2014)