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German Pages 151 Year 2000
GEORG BORGES
Die Inhaltskontrolle von Verbraucherverträgen
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 233
Die Inhaltskontrolle von Verbraucherverträgen
Von Georg Borges
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Borges, Georg: Die Inhaltskontrolle von Verbrauchervenrägen / Georg Borges. Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Schriften zum bürgerlichen Recht; Bd. 233) ISBN 3-428-10030-1
Alle Rechte vorbehalten 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübemahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ~
ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-10030-1 Gedruckt auf allerungsbestiudi.gem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
e
Vorwort Die Kontrolle von Verbraucherverträgen nach dem AGB-Gesetz unterliegt seit der AGBG-Novelle 1996 mit der Einführung des § 24a AGBG besonderen Regeln. Die Auswirkungen des § 24a AGBG auf die Praxis der Klauselkontrolle sind noch weitgehend ungeklärt. Die Klauselrichtlinie von 1993 und ihre Umsetzung durch die AGBG-Novelle 1996 haben in der Literatur eine intensive und sehr kontroverse Diskussion über die Kontrolle von Verbraucherverträgen nach dem ABG-Gesetz ausgelöst. Vor allem in bezug auf den Kontrollrnaßstab sind zahlreiche Fragen umstritten, eingehende Erörterungen der Problematik jedoch selten. Dies gab Anlaß, die Besonderheiten der Klauselkontrolle von Verbraucherverträgen nach dem reformierten AGB-Gesetz zu erörtern. Die Untersuchung entstand während meiner Tätigkeit am Institut für Bankrecht an der Universität zu Köln. Dem Direktor des Instituts, meinem verehrten Lehrer Herrn Professor Dr. Norbert Horn, der mir hierfür den nötigen Freiraum gewährt hat und dem ich wichtige Anregungen verdanke, sei herzlich gedankt. Dank sage ich auch dem Verein zur Förderung des Instituts für Bankwirtschaft und Bankrecht an der Universität zu Köln, der den DruckkostenzuschuS übernommen hat, und meiner Frau, die trotz hoher beruflicher Belastung das Manuskript gelesen hat. Köln, im November 1999
Georg Borges
I~altsverzeic~s
Eint"ührung ...........................................................................
13
1. Kapitel Klauselrlchtlinie und AGB-Gesetz
15
I. Die Umsetzung der Klauselrichtlinie . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . .. . .
15
11. Der Kontrollmaßstab des § 9 AGBG ..............................................
18
I. Der Kontrollmaßstab im Verbandsklageverfahren ..............................
18
a) Die Elemente der überindividuellen Betrachtungsweise.....................
19
b) Die Berücksichtigung der Umstände des Vertragsabschlusses...............
21
2. Der Kontrollmaßstab im IndividuaIprozeß .....................................
22
a) Die Maßgeblichkeit des generellen KontrollmaBstabs ................. ; . . . . .
22
b) Die Tatsachenbasis der Klauselkontrolle ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
24
c) Keine weiteren Unterschiede zur Verbandsklage ............................
26
III. Der Kontrollmaßstab der Richtlinie ...............................................
27
1. Die Kriterien der Interessenabwägung .........................................
27
2. Der doppelte Kontrollmaßstab der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
3. Die Tatsachenbasis der Interessenabwägung ...................................
29
4. Vertragsumstände und individuelle Interessenlage .............................
30
IV. Die Elemente des konkreten KontrollmaBstabs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
V. Unvereinbarkeit des konkreten KontrollmaBstabs mit § 9 AGBG ..................
33
VI. Die Übernahme des einzelfallbezogenen Kontrollkonzepts durch den deutschen Gesetzgeber ......................................................................
34
VII. Die Kombinationslösung .........................................................
36
8
Inhaltsverzeichnis
2. Kapitel Die zweistuftge KlauselkontroUe von Verbraucherverträgen
38
I. Klauselkontrolle und Verbraucherleitbild .........................................
38
1. Die Bedeutung des Verbraucherleitbildes für die Klauselkontrolle .. . . . . . . . . . . . .
38
2. Die Bedeutung der Gruppenzugehörigkeit nach AGB-Gesetz und Klauselrichtlinie ...........................................................................
40
3. Das Verbraucherleitbild des AGB-Gesetzes und der Klauselrichtlinie
43
H. Die unterschiedlichen Modelle der Klauselkontrolle ..............................
44
III. Einheitlicher Kontrollrnaßstab für AGB und Einmalklauseln ......................
46
IV. Das Verhältnis der Kontrollstufen .................................................
49
1. Keine Rechtfertigung nachteiliger Klauseln durch die Vertragsumstände .......
49
2. Die Voraussetzungen der Klauselkontrolle auf der zweiten Stufe ...............
52
3. Funktion und Tatsachenbasis der zweiten Kontrollstufe ........................
53
a) Trennung der Kontrollstufen und Tatsachenbasis der Interessenabwägung ..
53
b) Die ergänzende Funktion der zweiten Kontrollstufe .........................
54
aal Die Trennung der beiden Kontrollstufen ...............................
54
bb) Keine doppelte Tatsachenbewertung ...................................
54
c) Die Tatsachenbasis der zweiten Kontrollstufe ...............................
55
3. Kapitel Die Umstände des Vertrapabschlusses
58
I. Keine allgemeine Billigkeitskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58
1. Fallgruppen der berücksichtigungsfähigen Umstände ..........................
58
2. Einschränkungen der berücksichtigungsfähigen Umstände .....................
60
H. Das Kräfteverhältnis zwischen den Verhandlungspositionen der Parteien..........
61
1. Die Faktoren des Kräfteverhältnisses ..........................................
61
2. Die Abhängigkeit des Verbrauchers vom Leistungsangebot des Unternehmers
62
a) Fallgruppen der Abhängigkeit ..............................................
62
b) Die Berücksichtigung auf der ersten Kontrollstufe ..........................
63
aal Die Abhängigkeit aufgrund fehlenden Wettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
bb) Abhängigkeit aufgrund sonstiger Umstände............................
65
Inhaltsverzeichnis
9
c) Die Berücksichtigung auf der zweiten Kontrollstufe ........................
66
aa) Eingeschränkte Berücksichtigung der Marktrnacht des Unternehmers ..
66
bb) Persönliche Umstände des Verbrauchers...............................
67
cc) Abhängigkeit aufgrund der besonderen Situation.......................
69
3. Sonstige Aspekte des Kräfteverhältnisses ......................................
69
III. Wissensstand und Geschäftserfahrenheit des Verbrauchers ........................
70
IV. Das Verhalten der Parteien bei Vertragsabschluß ..................................
73
1. Das Verhalten des Unternehmers ............................... ". . . . . . . . . . . . . . . .
73
2. Das Verhalten des Verbrauchers. .. . . . . ... . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
V. Sonstige Umstände ...............................................................
75
4. Kapitel
Die europarechtlichen Bindungen des AGB-Gesetzes
78
I. Vorabentscheidungsverfahren und AGB-Kontrolle ................................
78
1. Gegenstand des Vorabentscheidungsverfahrens ................................
78
2. Die Voraussetzungen der Vorlage ..............................................
83
3. Vorlagen betreffend das AGB-Gesetz ..........................................
84
11. Die richtlinienkonforme Auslegung des AGB-Gesetzes ...........................
85
1. Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung ...............................
85
2. Die Voraussetzungen der richtlinienkonformen Auslegung .....................
86
3. Grenzen der richtlinienkonformen Auslegung des AGB-Gesetzes ..............
88
5. Kapitel
Sonstige Aspekte der AngemessenheitskontroUe von Verbraucherverträgen
90
I. Der Anwendungsbereich der besonderen Kontrolle von Verbraucherverträgen . . . . .
90
1. Der Begriff des Verbrauchervertrags ...........................................
90
a) Der Unternehmerbegriff i. S. d. § 24 AGBG ................................
90
b) Der Begriff des Verbrauchers...............................................
92
10
Inhaltsverzeichnis c) Gemischte Nutzung des Vertragsgegenstandes ..............................
92
d) Darlegungs- und Beweislast ................................................
93
e) Mehrheit von Personen.....................................................
94
aa) Der Grundsatz der getrennten AGB-Kontrolle .........................
94
bb) Bürgschaften ....................................................... . ..
94
2. Die Verwendung von Drittklauseln, § 24a Nr. 1 AGBG ........................
99
a) ,,stellen" von Vertragsbedingungen und Drittklauseln ......................
99
aa) Die Bedeutung des Stellens von Vertragsbedingungen nach dem AGBGesetz..... .... ... ... ...... ...... ..... ......... ...... ........ ..........
99
bb) Die Anpassung an die Richtlinie durch § 24a Nr. 1 AGBG ............. 101 cc) Der sog. beiderseitige Einbeziehungsvorschlag ........................ 102 b) Der AGB-Begriffi. S; d. § 24a Nr. 1 AGBG ................................ 102 aa) Die Voraussetzung der mehrfachen Verwendung bei Drittklauseln . . . . .. 103 bb) Aushandeln und "Verwendung" von Klauseln.......................... 105 c) Notarverträge .............................................................. 106 3. Einmalklauseln, § 24a Nr. 2 AGBG ............................................ 110 a) Die Voraussetzungen der Inhaltskontrolle bei Einmalklauseln . . . . . . . . . . . . . . . 110 b) Keine Anwendung des § 24a Nr. I AGBG auf Einmalklauseln .............. 111 c) Die Zurechnung von Drittklauseln .......................................... 112 aa) Wortlaut ............................................................... 112 bb) Richtlinienkonforme Auslegung....................................... 112 cc) Gesetzessystematik .................................................... 113 dd) Sinn und Zweck der Klauselkontrolle .................................. 114 d) Die Kriterien rur die Zurechnung der Klausel...............................
115
e) Ergebnis ................................................................... 116 f) Beweislast .................................................................
116
11. Die Anwendung des § 10 AGBG bei Verbraucherverträgen ....................... 116 1. Der Meinungsstand ............................................................ 117 2. Keine zwei stufe Klauselkontrolle nach § 10 AGBG ............................ 118 3. Das Verhältnis des § 10 AGBG zu § 9 AGBG bei Verbraucherverträgen ........ 118 111. Der Verbrauchervertrag in der Verbandsklage ..................................... 119
Inhaltsverzeichnis
11
IV. Das Verhältnis der Klauselkontrolle zur Vertragskontrolle nach dem BGB ......... 121 1. Das Verhältnis zu § 138 BGB .................................................. 121 2. Das Verhältnis zu § 242 BGB .................................................. 121 3. Das Verhältnis zur culpa in contrahendo ....................... .. ...... .... .... 123 6. Kapitel
Das Transparenzgebot
125
I. Die allgemeinen Grundsätze der Transparenzkontrolle ............................ 126
1. Die maßgeblichen Umstände.................................................. 126 2. Der Verständnishorizont des konkreten Vertragspartners ....................... 128 11. Das Transparenzgebot bei Verbraucherverträgen .................................. 130 1. Der Durchschnittskunde als Maßstab des Transparenzgebotes .................. 131 2. Intransparenz als Unwirksamkeitsgrund ....................................... 132 a) Erfordernis einer Benachteiligung des Vertragspartners ..................... 132 b) Intransparenz nicht kontrollfähiger Klauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 134 3. Keine Besonderheiten bei der Transparenzkontrolle von Verbraucherverträgen 136
Zusammenfassung der Ergebnissse .................................................. 137 Literaturverzeichnis .. .. .. .. . .. . . .. . .. . .. . .. . .. . .. .. .. .. .. . .. . .. . .. .. .. .. . .. . .. .. . .. .. 140
Sachwortverzeichnis .................................................................. 147
Abkürzungsverzeichnis c.c.
D. FS HWiG ffil. JCP
NWB RefE RegE RL
Slg. U/B/H W/H/L
codice ci vile Recueil Dalloz Sirey Festschrift Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften Juristische Blätter (Österr.) La Semaine Juridique Neue Wirtschaftsbriefe Referentenentwurf Regierungsentwurf Klauselrichtlinie Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofs Ulmer I Brandner I Hensen Wolf I Horn I Lindacher
Einführung Verträge zwischen Unternehmern und Verbrauchern (sog. Verbraucherverträge) unterliegen seit der AGBG-Novelle 1996 1 einer neuen Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz. Nunmehr sind auch Klauseln, die nur für einen einzelnen Vertrag formuliert werden (Einmalklauseln) und auch solche Klauseln, die von unparteiischen Dritten vorgeschlagen werden (Drittklauseln), der Kontrolle nach dem AGB-Gesetz unterworfen, sofern sie nicht zwischen den Parteien ausgehandelt werden. Vor allem gilt für Verbraucherverträge gemäß § 24a Nr. 3 AGBG ein besonderer Maßstab der Inhaltskontrolle, denn danach sind bei der Kontrolle gemäß § 9 AGBG "auch die den Vertragsabschluß begleitenden Umstände zu berücksichtigen". § 24a, der zur Umsetzung der EG-Richtlinie über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen v. 5. 4. 1993 ("Klauselrichtlinie,,)2 in das AGB-Gesetz eingefügt wurde,3 führt mit dem Begriff der "den Vertragsabschluß begleitenden Umstände" ("Vertragsumstände") den konkreten Vertrag und die Verhältnisse der konkreten Vertrags parteien in die Inhaltskontrolle ein. Dieses Element ist der Inhaltskontrolle nach den §§ 9 ff. AGBG, die bisher nach einem generellen, überindividuellen Maßstab erfolgte, fremd. Für den praktisch wichtigsten Bereich der Kontrolle nach dem AGB-Gesetz, die Verträge zwischen Unternehmern und Verbrauchern, wird damit ein in seinem systematischen Ausgangspunkt geradezu entgegengesetzter Maßstab in die Inhaltskontrolle eingeführt. Die Einführung des neuen Kontrollrnaßstabs durch § 24a Nr. 3 AGBG ist durchaus geeignet, das Kontrollkonzept des AGB-Gesetzes grundlegend in Frage zu stellen. Außerdem stellt sich die Frage nach dem Verhältnis der Kontrolle nach dem AGBG zu den Bestimmungen des BGB, die ebenfalls eine Vertragskontrolle anhand der Umstände des Einzelfalles ermöglichen. Dies sind insbesondere § 242 BGB und § 138 BGB, aber auch das Institut der c.i.c., durch das die den Vertragsabschluß begleitenden Umstände, namentlich das Verhalten der Parteien vor und bei Vertragsabschluß, berücksichtigt werden. Die konkrete Bedeutung des 24a Nr. 3 und seine Bedeutung für die Klauselkontrolle nach dem AGBG sind sehr umstritten. Umstritten ist etwa, ob § 24a Nr. 3 nur auf Einmalklauseln oder auch auf AGB anwendbar ist, ob im VerbandsklageI Gesetz zur Änderung des AGB-Gesetzes und der Insolvenzordnung v. 24. 7. 1996, BGB\. I 1013. 2 ABlEG Nr. L 95 v. 21.4. 1994, S. 29 ff. 3 Siehe dazu W f Hf L-Horn. § 24a Rz. 3.
14
EinfUhrung
verfahren ein grundlegend anderer Kontrollrnaßstab gilt als im Individualprozeß, ob die Berücksichtigung der Einzelfallumstände sich auch zulasten oder aber nur zugunsten des Verbrauchers auswirken kann, und nicht zuletzt, welche Umstände zu den maßgeblichen "Umständen des Vertragsabschlusses" gehören. Schwierige Fragen ergeben sich auch durch die Erstreckung der Inhaltskontrolle auf Einmalklauseln nach § 24a Nr. 2, vor allem bei den Voraussetzungen der Inhaltskontrolle, und durch die Erweiterung auf Drittklauseln, § 24a Nr. I, die vor allem in bezug auf notarielle Verträge intensiv diskutiert wird. Umstritten sind auch die Folgen, die sich aus der Klauselrichtlinie für die Anwendung des AGBGesetzes ergeben, insbesondere durch eine richtlinienkonforme Auslegung. Die nachfolgende Untersuchung entwickelt ein Konzept der Inhaltskontrolle von Verbraucherverträgen, das die Berücksichtigung der konkreten Vertrags umstände unter Wahrung der Anforderungen der Klauselrichtlinie in die Systematik des AGB-Gesetzes integriert, und erörtert die Anwendung des novellierten AGBGesetzes auf Verbraucherverträge.
1. Kapitel
Klauselrichtlinie und AGB-Gesetz I. Die Umsetzung der Klauselrichtlinie Mit der Klauselrichtlinie vom 5. 4. 1993 hat der europäische Gesetzgeber den Mitgliedstaaten eine detaillierte Regelung zum Schutz des Verbrauchers vor mißbräuchlichen Vertragsklauseln vorgegeben. Da das deutsche Recht durch das AGB-Gesetz bereits über ein Instrument zum Schutz vor mißbräuchlichen Klauseln verfügte, ergab sich für die Umsetzung der Klauselrichtlinie die Alternative zwischen einer Anpassung des AGB-Gesetzes an die Richtlinie und dem Erlaß einer Spezialregelung für Verbraucher. Da das AGB-Gesetz allgemein als bewährtes Schutzinstrument angesehen wurde!, wollte der Gesetzgeber, soweit möglich, am AGBG festhalten. 2 Außerdem wiesen Richtlinie und AGB-Gesetz wesentliche Gemeinsamkeiten auf,3 da die Richtlinie, wie sich aus dem Inhalt und aus der Entstehungsgeschichte ergibt, stark vom deutschen AGB-Gesetz beeinflußt ist. 4 Aus diesem Grund entschloß sich der Gesetzgeber, entsprechend dem nahezu einstimmigen Votum der Literatur,S die Richtlinie in das AGB-Gesetz zu integrieren und auf die Umsetzung durch ein separates Gesetz zu verzichten. 6 I Begr.RegE, BT-Drucks. 13/2713, S. 6; Bunte, NJW 1987,921 ff.; Damm. JZ 1994, 161, 177; Eckert, WM 1993, 1070; ders., ZIP 1994, 1986; Heinrichs, NJW 1993, 1817, 1818, 1822; Schlosser, JR 1988, 1,7; Ulmer, EuZW 1993, 337, 347; ders., AGB-Gesetz nach der Umsetzung, S. 9. Siehe auch die ausführ!. Würdigung bei U IB/H-Ulmer, Ein!. Rz. 57 ff. 2 Bunte, DB 1996, 1389; Coester, FS Heinrichs (1998) 99, 100; Ecken, ZIP 1994, 1986; ders., ZIP 1995,1460; W IH/L-Horn, § 24a Rz. 56. 3 Allg. Einschätzung; Begr.RegE, BT-Drucks. 13/2713, S. 1; Damm, JZ 1994,161,176 f.; Eckert, ZIP 1996, 1238, 1241; Heinrichs, NJW 1996,2190,2195; W IH/L-Hom, § 24a Rz. 56; Remien, ZEuP 1994, 35, 51; Ulme" EuZW 1993, 337 f. 4 Grundmann, S. 252 f.; Ulme" EuZW 1993,337 f. Siehe auch Joerges, ZEuP 1995, 171, 193; Paisant, D. 1995,99, 100. S Vg!. Damm, JZ 1994, 161, 177; Eckert, WM 1993, 1070; Heinrichs, NJW 1993, 1817, 1818; ders., NJW 1995, 153; Remien, ZEuP 1994, 34, 65; Ulme" EuZW 1993, 337, 347. A.A. Hommelhoffl Wiedenmann, die die Umsetzung durch ein Spezialgesetz neben dem AGBG vorschlugen; ZIP 1993,562,571. 6 Vg!. Begr.RegE, BT-Drucks. 13/2713, S. 6. Siehe auch Eckert, ZIP 1994, 1986, 1988. Den gleichen Weg wählte etwa auch der französische Gesetzgeber, der die Klauselrichtlinie durch Anpassung des code de la consommation umsetzte; vg!. Gesetz Nr. 95 - 96 v. 1. 2. 1995
16
1. Kap.: Klauselrichtlinie und AGB-Gesetz
Die Integration der Klauselrichtlinie in das AGB-Gesetz warf schwierige Probleme auf, die auf dem unterschiedlicher Schutzkonzept und der unterschiedlichen dogmatischen Grundlage von Richtlinie und AGB-Gesetz beruhen: Während die Richtlinie den Schutz des Verbrauchers (und nur dessen) vor mißbräuchlichen Klauseln bezweckte, 7 wendet sich das AGB-Gesetz allgemein gegen den Mißbrauch der VertragsgestaItungsfreiheit, schützt also jeden Vertragspartner, der mit AGB konfrontiert wird. 8 Diese Schutzzwecke sind freilich keine unvereinbaren Gegensätze. 9 Das AGBGesetz war seit jeher und ganz bewußt lO ein Instrument des Verbraucherschutzes, 11 wie sich aus seiner Entstehungsgeschichte eindrucksvoll ergibt,12 und es hat sich nach allg. Einschätzung gerade als solches bewährt. 13
(D. 1995, 119); siehe dazu auch Berger-Walliser. RIW 1996,459,461; Ghestin, JCP 1995, 275 ff.; Paisant, D. 1995,99 ff. 7 Borges, DZWir 1997,402,403; Heinrichs, NJW 1993, 1817, 1818; W IH/L-Hom, § 24a Rz. 4; Micklitz. ZEuP 1993, 522, 524; Slaudinger-Schlosser. § 24a AGBG Rz. 5; Ulmer. EuZW 1993,337,338. 8 Borges, DZWir 1997, 402, 403; Heinrichs, NJW 1996,2190,2194; HommelhofflWiedenmann, ZIP 1993, 562, 563; W 1 H 1L-Hom, § 24a Rz. 4; Locher. JuS 1997, 389, 390; SlaUdinger-Schlosser. § 24a AGBG Rz. 5. 9 Damm, JZ 1994,161, 175f.; W IH/L-Hom, § 24a Rz. 5. 10 Dieser Aspekt war allerdings sehr umstritten (siehe zu diesem Streit etwa Damm, JZ 1994, 161, 167, 176). Nach einer Ansicht war der Verbraucherschutz ein eigenständiger Zweck des AGBG (Damm, JZ 1978, 173, 178 ff.; Pflug, S. 28; E. Schmidt, JuS 1987,929, 932; siehe auch die Nachw. bei Damm, JZ 1994, 161, 167), nach anderer Ansicht jedoch mehr eine zufällige Wirkung (,,Reflex") des AGBG (so etwa Hommelhoffl Wiedenmann, ZIP 1993, 562,570). 11 So bereits die Gesetzesbegründung; BT-Drucks. 7/3919 S. 43; heute allg. Auff.; Brors, ZIP 1998, 1663, 1665; Heinrichs, NJW 1993, 1817, 1818; ders., NJW 1995, 153; W IH/LHorn, § 24a Rz. 5; Schwerdtfeger. DStR 1997,499. 12 Der konkrete Ausgangspunkt der Entstehung des AGBG war der Bericht der Bundesregierung zur Verbraucherpolitik vom 18. 10. 1971 (BT-Drucks. 6/2724), der den Schutz des Verbrauchers gegen unangemessene Vertragsbedingungen als Ziel nennt (S. 8), und dem die Berufung einer Arbeitsgruppe durch den Bundesminister der Justiz folgte, deren Auftrag darin besland, Vorschläge zum Schutz des Verbrauchers gegen AGB zu erarbeiten (U 1B 1 H-Ulmer. Ein!. Rz. 12). Auch der 50. Deutsche Juristenlag, dessen Empfehlungen erheblichen Einfluß auf das Gesetzgebungsverfahren hatten (U IB 1 H-Ulmer. Einl Rz. 20), diskutierte die AGB-Problematik unter dem Gesichtspunkt des Schutz des Verbrauchers (U 1B 1H-Ulmer. Ein!. Rz. 11). Die Ausweitung des Schutzes auf jedermann beruht wohl auf einem dahingehenden Vorschlag im Gesetzesentwurf des Bundesarbeitskreises Christlich-Demokratischer Juristen (abgedr. in BB 1974, Beil 9), der ohne wesentliche Änderungen von der CDU 1CSUFraktion übernommen und im Bundeslag eingebracht wurde (CDU ICSU-Entwurf, BTDrucks. 7/3200). Siehe zur Bedeutung des Verbraucherschutzes bei der Entstehung des AGBG auch HommelhofflWiedenmann, ZIP 1993,562,565; Kretschmar. S. 49 ff.; 1ilmann, ZHR 142 (1978) 52, 53 f.; U/B/H-Ulmer. Ein!. Rz. 14). \3 Kretschmar. S. 45; Schwerdtfeger. DStR 1997,499; Soergel-Stein, Ein!. AGBG Rz. 11; siehe auch H. Schmidt, Diskussionsbericht, S. 214 f.
I. Die Umsetzung der Klauselrichtlinie
17
Ihren unterschiedlichen Zielen entsprechend unterscheiden sich AGB-Gesetz (a.F.) und Klauselrichtlinie vor allem in ihrem Anwendungsbereich: Wahrend das AGBG jedermann schützt, ist der Schutz der Richtlinie auf Verbraucher beschränkt; 14 das AGBG (a.F.) ist nur auf mehrfach verwendete Klauseln anwendbar, die Richtlinie hingegen auch auf Klauseln in Verträgen, die nur in einem einzelnen Fall verwendet werden. 15 Ein weiterer, wesentlicher Unterschied zwischen AGB-Gesetz und Richtlinie betrifft den Maßstab der Inhaltskontrolle. 16 Die Kontrolle nach den §§ 9 ff. AGBG erfolgt anhand eines generellen, überindividuellen Maßstabs, bei dem die Besonderheiten des Einzelfalles außer Betracht bleiben. Die Richtlinie hingegen ordnet in ihrem Art. 4 I an, daß bei der Inhaltskontrolle "auch die den Vertragsabschluß begleitenden Umstände" zu berücksichtigen sind (dazu unten 1. Kap. lli.). Damit verbindet die Richtlinie die Geltung (auch) eines individuellen, konkreten Kontrollmaßstabs. 17 Dieser Gegensatz ist freilich keine zwingende Folge der unterschiedlichen Schutzkonzepte: Schutz des Verbrauchers vor mißbräuchlichen Klauseln ist auch bei Verwendung eines generellen Kontrollrnaßstabs denkbar, und der generelle Maßstab, insbesondere dessen ausschließliche Geltung, ist keine logische Konsequenz aus der Beschränkung des AGB-Gesetzes auf allgemeine Bedingungen, sondern läßt sich auch auf Einmalklauseln anwenden. Wegen der beträchtlichen Gemeinsamkeiten von Richtlinie und AGB-Gesetz beschränkte der deutsche Gesetzgeber sich darauf, die - wenigen - konkreten Unterschiede zwischen Richtlinie und AGB-Gesetz aufzugreifen und das AGB-Gesetz durch den neuen § 24a entsprechend zu ändern. 18 So wird durch § 24a Nr. 2 die Kontrolle auf Klauseln, die nur in einem einzelnen Vertrag verwendet werden (Einmalklauseln) und gemäß § 24a Nr. 1 auch auf solche allgemeinen Bedingungen erstreckt, die von einem Dritten in die Vertragsverhandlungen eingeführt werden (Drittklauseln). Durch § 24a Nr. 3 wird die Berücksichtigung der Vertragsumstände angeordnet und dadurch der Kontrollrnaßstab der Klauselrichtlinie in das AGBGesetz eingeführt. Mit dieser - gesetzestechnisch sehr eleganten - Lösung erreichte es der Gesetzgeber, das AGB-Gesetz zumindest dem Text nach nur wenig zu ändern und gleichwohl die Richtlinie bewußt genau umzusetzen. Den Konflikt zwischen dem konkreten Kontrollrnaßstab der Richtlinie und der generellen Betrachtungsweise des 14 Eckert, WM 1993, 1070 f.; Staudinger-Schlosser. § 24a AGBG Rz. 3; Schmidt-Salzer. JZ 1995,223. 15 Borges, DZWir 1997,402,405 f.; Heinrichs, NJW 1993, 1817, 1818, 1819 ff.; ders., NJW 1996,2190,2192; Schmidt-Salzer. JZ 1995,223. 16 Habersack I Kleindiekl Wiedenmann, ZlP 1993, 1670, 1673. 11 Borges, DZWir 1997,402, 406; Coester-Waltjen, Jura 1997, 272; Ecken, WM 1993, 1070, 1075; ders., ZlP 1994, 1986, 1988; HabersacklKleindieklWiedenmann, ZIP 1993, 1670,1673; v. Westphalen, ZlP 1995, 546, 547. Siehe dazu auch unten ßI.2. 18 Siehe dazu auch Borges, DZWir 1997,402,403. Außerdem wurde § 12 neu gefaSt.
2 Borges
18
I. Kap.: Klauselrichtlinie und AGB-Gesetz
§ 9 AGBG hat der Gesetzgeber damit freilich nicht gelöst. Dieses Problem ist nach insoweit allg. Auffassung durch die Verwendung beider Kontrollmaßstäbe zu lösen (sog. Kombinationslösung; siehe dazu unten Vll.).19 Danach wird die Inhaltskontrolle von Verbraucherverträgen durch eine zweistufige Kontrolle durchgeführt, die auf der ersten Stufe anhand eines generellen Maßstabs, auf der zweiten Stufe anhand eines konkreten Maßstabs erfolgt.
Mit der Einführung einer zweiten Kontrollstufe und der Kombination unterschiedlicher Kontrollmaßstäbe stellt sich die Frage nach der jeweiligen Bedeutung der einzelnen Kontrollstufen für das (Gesamt-)Ergebnis der Klauselkontrolle und nach ihrem Verhältnis zueinander. Dabei kommt es nicht zuletzt darauf an, ob und inwieweit bei § 9 AGBG einerseits, der Richtlinie andererseits, die Umstände des konkreten Vertrages zu berücksichtigen sind.
11. Der Kontrollmaßstab des § 9 AGBG 1. Der KontroUmaßstab im Verbandsklageverfahren Der Maßstab der Inhaltskontrolle von AGB ist in § 9 I AGBG geregelt. Danach sind Klauseln unwirksam, die eine mit Treu und Glauben nicht zu vereinbarende Benachteiligung des Vertragspartners enthalten. Damit beruht die Inhaltskontrolle von Vertragsklauseln nach dem AGBG wesentlich auf einer Interessenabwägung?O Bei dieser Interessenabwägung ist - jedenfalls bei der Verbandsklage - eine überindividuelle, generalisierende Betrachtungsweise ("generalisierende, typisierende Betrachtungsweise,,21, "abstrakt-genereller Maßstab,,22, "generell-abstrakte Betrachtung,,23) maßgeblich. 24
19 Borges. DZWir 1997.402,407; U/B/H-Brandner, MDR 1997,312,314; U/B/HBrandner, § 9 Rz. 178; Coester-Waltjen. Jura 1997, 272, 274; Palandt-Heinrichs. § 24a AGBG Rz. 15; ders .• NJW 1996, 2190, 2193; Imping, WiB 1997, 337, 340; Locher, JuS 1997,389,391; v. Westphalen. BB 1996,2101,2104. A.A. wohl W IH/L-Wolf, Art. 4 RL Rz. 3; wohl auch: Michalski, DB 1999, 677, 678, der ein dreistufiges Kontrollverfahren be-
fürwortet. 20 Vgl. U/B/H-Brandner, § 9 Rz. 59, 71; Brors, ZIP 1998,1663,1664; Staudinger-Coester, § 9 AGBG Rz. 79; W I H I L- Wolf, § 9 Rz. 50. 21 Staudinger-Coester, § 9 AGBG Rz. 80; Heinrichs. NJW 1996,2190,2193. 22 Damm, JZ 1994, 161, 172; Staudinger-Schlosser, § 24a AGBG Rz. 52. 23 U I B I H-Ulmer, § 24a Rz. 24. 24 U/B/H-Brandner, § 9 Rz. 78 f.; Staudinger-Coester, § 9 AGBG Rz. 80; Damm, JZ 1994, 161, 172 f.; Habersack I Kleindiekl Wiedenmann, ZIP 1993, 1670, 1673; Palandt-Heinrichs, § 9 AGBG Rz. 4; MünchKomm-Kötz, § 9 AGBG Rz. 5; Remien, ZEuP 1994, 34,52 ff.; 7ilmann. ZHR 142 (1978) 62; W IH/L-Wolf, § 9 Rz. 51. So schon zur Rechtslage vor Inkrafttreten des AGB-Gesetzes: Raiser, Anm. zu LG Düsseldorf, 2. 8.1955. NJW 1956, 304, 305.
D. Der Kontrollmaßstab des § 9 AGBG
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a) Die Elemente der überindividuellen Betrachtungsweise
Diese überindividuelle, generalisierende Betrachtungsweise enthält bei der Verbandsklage zwei Elemente: Zum einen ist für die Frage, ob eine unangemessene Benachteiligung vorliegt, auf die "typischen Interessen der beteiligten Verkehrskreise" abzustellen, nicht etwa auf die Interessenlage der konkreten Vertragsparteien (es gibt auch keine).2 5 Präzise gesagt sind in der Verbandsklage die Interessenlage des Klauselverwenders gegenüber der (fiktiven) typischen Interessenlage des durchschnittlichen Vertragspartners abzuwägen. 26 Das zweite Element der überindividuellen, generalisierenden Betrachtungsweise betrifft die Tatsachenbasis der Interessenabwägung. Insoweit kann es wiederum nicht auf ein bestimmtes Vertragsverhältnis ankommen;27 dies folgt aus der Natur des Verbandsklageverfahrens. 28 Vielmehr sind im Verbandsklageverfahren die tatsächlichen Umstände aller typischerweise denkbaren Vertragsverhältnisse zu berücksichtigen. 29 Dies kann sinnvollerweise nur durch die Berücksichtigung fiktiver Umstände, der "typischen" oder "generellen,,3o Umstände, erfolgen. 3! Die Maßgeblichkeit der überindividuellen Betrachtungsweise schließt eine differenzierte Betrachtungsweise je nach den Umständen, unter denen die Klausel eingesetzt wird, nicht aus. Dies folgt schon daraus, daß bei der Beurteilung der jeweiligen Klausel auch im Verbandsklageverfahren ggf. nach verschiedenen Verkehrskreisen, gegenüber denen die Klausel verwandt wird, zu differenzieren ist. 32 Als Kriterien für eine differenzierte Betrachtungsweise sind vor allem die Art des Geschäfts und die maßgeblichen Verkehrskreise anerkannt. So kann die Interessenabwägung bei Klauseln, die für verschiedene Arten von Geschäften verwandt werden, je nach der Art des Geschäfts zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. 33 2S U I B I H-Brandner. § 9 Rz. 80; Staudinger-Coester. § 9 AGBG Rz. 80; Damm, JZ 1994, 161,172 f.; Palandt-Heinrichs, § 9 AGBG Rz. 4. 26 BGHZ 98,303,308; 117,374,379; BGH, NJW 1982,765; NJW 1987,487,489; NJW 1989,3010,3011; NJW 1997,3022,3024; U/B/H-Brandner. § 9 Rz. 78; Staudinger-Coester. § 9 AGBG Rz. 80; Fastrich, § 10 DI.2.a.bb (S. 310); Heinrichs, NJW 1996,2190,2193; ders., in PaIandt, § 9 AGBG Rz. 4. 21 Allg. Auff.; siehe nur BGH, NJW 1982,1391,1392; NJW 1982,765; Brandnerl U1mer. BB 1991,701,707; Staudinger-Coester. § 9 AGBG Rz. 80. 28 Vgl. Brandnerl Ulmer. BB 1991,701,707; Staudinger-Coester. § 9 AGBG Rz. 80. 29 W IH/L-Wolf, § 9 Rz. 52. 30 BGH, NJW 1982, 1391, 1392. 31 Vgl. BGH, NJW 1982, 1391, 1392. 32 Allg. Auff.; BGHZ 110, 241, 244; BGH, NJW 1982, 765; Staudinger-Coester. § 9 AGBG Rz. 82; PaIandt-Heinrichs, § 9 AGBG Rz. 4; Soergel-Stein, § 9 AGBG Rz. 11; W I H I L- Wolf, § 9 Rz. 52. 33 BGHZ 74,383,392 f.; 101,253,264; BGH, WM 1985,24,30 f.; BGH, NJW 1986, 2102,2103; U/B/H-Brandner. § 9 Rz. 80; Staudinger-Coester. § 9 AGBG Rz. 82; Damm,
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1. Kap.: Klauselrichtlinie und AGB-Gesetz
Dies fUhrt etwa dazu, daß die Untersagung der Verwendung auf eine konkrete Art von Geschäften bezogen sein muß. 34 Entsprechend kann die Wirksamkeit von AGB, die gegenüber verschiedenen Verkehrskreisen, mit (generell) unterschiedlichen Interessen und unterschiedlichem Schutzbedürfnis verwandt werden, bei den verschiedenen Verkehrskreisen unterschiedlich zu beurteilen sein. 35 Allerdings ist die praktische Bedeutung dieser Differenzierung, wenn man von der im Gesetz schon getroffenen Unterscheidung von Unternehmern und Verbrauchern absieht, recht gering. Voraussetzung ist nämlich, daß die Verkehrskreise sich eindeutig abgrenzen lassen. Eine Aufteilung der Vertragspartner in nicht eindeutig homogene (Unter-)Gruppen kommt nicht in Betracht,36 Daher hat diese Differenzierung auch nicht zu einer Zersplitterung der Klauselkontrolle nach den verschiedenen Verkehrskreisen gefUhrt. Sie ist auch keine Ausnahme vom Grundsatz der generellen Betrachtungsweise, sondern folgt daraus, daß die Interessenlage je nach den beteiligten Verkehrskreisen unterschiedlich sein kann, und beruht somit letztlich aus der Natur der vom Gesetz geforderten Interessenabwägung. Gegenstand der Inhaltskontrolle nach § 9 ist immer die einzelne Klausel. 37 Bei der Frage, ob diese die Interessen des Vertragspartners unangemessen benachteiligt, ist die Klausel jedoch nicht isoliert zu bewerten. 38 Vielmehr ist die Klausel stets im Zusammenhang mit den übrigen Vertragsbestimmungen zu betrachten. 39 Dies gilt auch im Verbandsklageverfahren. 40 JZ 1994, 161, 174; Palandt-Heinrichs, § 9 AGBG Rz. 8; Schmidt-Salzer. BB 1995, 1493, 1495; W IH/L-Wolf, § 9 Rz. 52. So schon vor Inkrafttreten des AGBG: BGHZ 22, 90, 98. Ein illustratives Beispiel hierfür stellt die Entscheidung BGHZ 132, 383 dar. Hier verneinte der BGH die Unangemessenheit einer Verlängerung der VeIjährungsfrist von 5 (§ 638 I BGB) auf 10 Jahre speziell für ,,Flachdacharbeiten" aufgrund der für diesen Vertragsgegenstand typischen Interessenlage (S. 387 f.) 34 BGH, WM 1985,24,30 f.; NJW 1992,503,504; TIlmann, ZHR 142 (1978) 52, 66. 3S BGHZ 110,241,244; BGH, NJW 1986,2102,2103; U/B/H-Brandner § 9 Rz. 80; Staudinger-Coester. § 9 AGBG Rz. 82; Damm. JZ 1994, 161, 174; Palandt-Heinrichs, § 9 AGBG Rz. 4, 8; Soergel-Stein, § 9 AGBG Rz. 11; W I H I L- Wolf, § 9 Rz. 52. 36 U/B/H-Brandner § 9 Rz. 80 mit Hinweis auf BGH, NJW 1992, 1097, 1098, der bei der Beurteilung einer TIlgungsverrechnungsklausel eine Differenzierung zwischen privaten Klein- und Großkreditnehmern ablehnte). Dagegen hält Staudinger-Coester. § 9 AGBG Rz. 82, auch ,Jeine Differenzierungen" für zulässig. 37 U/B/H-Brandner. § 9 Rz. 85; Staudinger-Coester. § 9 AGBG Rz. 51, 90. 38 U I B I H-Brandner. § 9 Rz. 85. 39 BGHZ 82, 238, 240 f.; 106,259,263; 116, 1,4; BGH, NJW 1982, 1820, 1821; NJW 1992, 1097, 1099; U/B/H-Brandner. § 9 Rz. 85; Staudinger-Coester. § 9 AGBG Rz. 90; Heinrichs NJW 1993, 1817, 1820; ders., in Palandt, § 9 AGBG Rz. 9; MünchKomm-Kötz, § 9 AGBG Rz. 4; Schmidt-Salzer. BB 1995, 1493, 1495; W IH/L-Wolf, § 9 Rz. 52,132. 40 BGHZ 106, 259, 263; BGH, NJW 1990, 761, 764; OLG Karlsruhe, NJW 1991, 362, 363; U/B/H-Brandner. § 9 Rz. 85; Soergel-Stein, § 9 AGBG Rz. 7. A.A.: BGHZ 101, 307, 313 f.; BGH, NJW-RR 1990, 1141. Ein deutliches Beispiel für diese Unterscheidung ergibt sich etwa aus der Entscheidung BGHZ 130, 50, in der der BGH die Beurteilung des Aus-
11. Der Kontrollmaßstab des § 9 AGBG
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b) Die Berücksichtigung der Umstände des Vertragsabschlusses
Der Begriff der "Umstände des Vertragsabschlusses", der für den Kontrollmaßstab der Richtlinie von entscheidender Bedeutung und nunmehr in § 24a Nr. 3 ausdrücklich genannt ist, wurde im Rahmen der herkömmlichen Inhaltskontrolle nach den §§ 9 ff. nicht verwendet. Dies ist wohl damit zu erklären, daß die Richtlinie diesen Begriff als Verweis auf die Umstände des konkreten Vertrages versteht und die Berücksichtigung der konkreten Vertragsverhältnisse mit der Maßgeblichkeit eines konkreten Kontrollmaßstabes verbindet (dazu unten ill.) Dies bedeutet jedoch nicht, daß die Umstände des Vertragsabschlusses nach § 9 ohne jede Bedeutung wären. 41 Bei der Berücksichtigung der Umstände des Vertragsabschlusses ist allerdings zwischen der Angemessenheitskontrolle und der Transparenzkontrolle zu unterscheiden. Die Angemessenheitskontrolle beurteilt die inhaltliche Angemessenheit der Klausel anband der o.g. Interessenabwägung. Die Transparenzkontrolle, die ebenfalls Bestandteil der Inhaltskontrolle nach § 9 ist,42 betrifft nicht den Regelungsgehalt der Klausel, sondern deren Verständlichkeit für den typischen Vertragspartner des Klauselverwenders. Bei der Transparenzkontrolle sind die Umstände des Vertragsabschlusses, soweit sie für das Verständnis der Klausel von Bedeutung sind - z. B. erklärende Hinweise außerhalb des Vertragstextes etc. -, jedenfalls im Individualprozeß zu berücksichtigen. 43 Ob dasselbe auch im Verbandsklageverfahren gilt, ist umstritten. 44 In jedem Fall ergibt sich beim Verbandsklageverfahren eine wesentliche Einschränkung daraus, daß dort nur generell bestehende, typische Umstände berücksichtigt werden können, und dies ist bei erklärenden Hinweisen etc. meist nicht der Fall. Auch bei der Angemessenheitskontrolle scheitert die Berücksichtigung der "Umstände des Vertragsabschlusses" in der Praxis meist schon daran, daß im Rahmen der Verbandsklage nicht die Umstände eines konkreten Vertrages, sondern immer nur generell auftretende Umstände berücksichtigt werden können. 4s Entscheidend aber ist, daß die Umstände des Vertragsabschlusses für die inhaltliche Angemessenheit oder Unangemessenheit einer Klausel regelmäßig nichts hergeben und aus diesem Grund nicht berücksichtigt werden können. Etwa anderes gilt freilich, wenn und soweit die Umstände für die inhaltliche Angemessenheit der Klausel schlusses des Sonderkündigungsrecht bei Verweigerung der Untervermietungserlaubnis ausdrücklich auf die Geschäftsraummiete beschränkt und diesen Fall mit sorgfältiger Begründung gegenüber dem Finanzierungsleasing und der Pacht abgrenzt; vgl. BGHZ 130, 50, 55 ff. 41 Vgl. Ecken, WM 1993, 1070, 1073; W IH/L-Hom, § 24a Rz. 46. 42 H.M. Siehe die Nachw. sowie zum Transparenzgebot allg. 6. Kap. 43 Siehe dazu unten 6. Kap. LI. 44 Siehe dazu unten 6. Kap. 1.1. 4S Allg. Auff.; Staudinger-Coester. § 9 AGBG Rz. 82; W IH/L-Hom, § 24a Rz. 47; W I H/L-Wolf, § 9 Rz. 52.
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1. Kap.: Klauselrichtlinie und AGB-Gesetz
von Bedeutung sind. Dies ist bei solchen Umständen der Fall, die die Interessenlage der Parteien beeinflussen.46 Die Ansicht, im Verbandsklageverfahren könnten nur solche Umstände berücksichtigt werden, die Bestandteil der AGB seien,47 geht daher zu weit. Die für die Interessenabwägung nach § 9 entscheidenden Parteiinteressen sind, wie soeben dargelegt, wesentlich von der Art des Geschäfts geprägt. Neben der Art des Geschäfts wirken sich aber auch andere Elemente der (Gesamt-)Situation auf die Interessenlage und damit auf die Interessenabwägung aus. Dies gilt beispielsweise für Abhängigkeitsverhältnisse und sonstige Ungleichgewichte der Verhandlungspositionen. 48 Diese Elemente kann man teilweise auch unter den Begriff der ,,Art des Geschäfts" in einem weiten Sinne fassen. So kann man etwa MonopolsteIlungen, die ganz sicher unter den Begriff der Vertragsumstände fallen, jedenfalls in den wichtigsten Teilbereichen auch dadurch berücksichtigen, daß man Leistungen, die im Rahmen einer MonopolsteIlung erbracht werden (z. B. Straßenbahn, Wasserversorgung von Privathaushalten etc.), als eine eigene Geschäftsart definiert (z. B. im Gegensatz zur Wasserversorgung von industriellen Großabnehmern) und auf diese Weise die spezifische Interessenlage einer Monopolsituation berücksichtigt. In der Tat wird etwa der Aspekt der MonopolsteIlung, dessen Bedeutung für die Angemessenheitskontrolle freilich sehr umstritten ist (dazu unten 3. Kap. II.2.b», bisher ohne Bezug auf den Begriff der Vertragsumstände diskutiert. Damit ist nicht gesagt, daß die "Umstände des Vertragsabschlusses" i.S. des Art. 4 I der Klauselrichtlinie bisher schon (in vollem Umfang) Bestandteil der Angemessenheitskontrolle von AGB in der Verbandsklage waren. Die Erörterung dieses Begriffes und des Kontrollrnaßstabs der Klauselrichtlinie kann hier nicht vorweggenommen werden. An dieser Stelle geht es nur darum, die Reichweite des generellen Kontrollrnaßstabs i. S. d. 9 AGBG zu beschreiben. Die Erörterung einzelner Elemente der Vertragsumstände und ihrer Berücksichtigung nach dem AGBGesetz ist der Untersuchung des § 24a Nr. 3 (unten 3. Kap.) vorbehalten.
2. Der KontroUmaßstab im Individuaiprozeß a) Die Maßgeblichkeit des generellen Kontrollmaßstabs
Der überindividuelle Prüfungsmaßstab gilt nach wohl allg. Auff. auch im Individualprozeß. 49 Dies beruht wesentlich auf der Rationalisierungsfunktion von 46 In der Sache ähnlich: Schmidt-Salzer, NJW 1977, 129, 138, der bei der Interessenabwägung im Rahmen des § 9 eine "wertende Beurteilung sämtlicher Umstände" verlangt. So auch W IH/L-Wolf, § 9 Rz. 54. 47 So BGHZ 116, 1, 5 (zum Transparenzgebot; siehe zu dieser Entscheidung auch unten Fn. 525); Heinrichs, NJW 1998, 1447. 48 Siehe dazu unten 3. Kap., 0.2. 49 BGHZ 98,303,308; 110,241,244; BGH, NJW 1986,2102,2103; NJW 1996, 2155, 2156; NJW 1998,2600,2601; OLG Frankfurt, BB 1998,2230; Palandt-Heinrichs. § 9 AGBG
11. Der Kontrollrnaßstab des § 9 AGBG
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AGB 5o, nicht zuletzt aber auch auf dem Verhältnis zwischen Individualprozeß und Verbandsklage. 51 Das AGB-Gesetz ging jedenfalls bis zur Umsetzung der Klauselrichtlinie von einem einheitlichen Prüfungsmaßstab für beide Verfahren aus. 52 Die Geltung desselben Kontrollrnaßstabs ist Voraussetzung dafür, daß sich die Ergebnisse aus dem Verbandsklageverfahren auf das einzelne Vertragsverhältnis übertragen lassen.53 Die Verwertbarkeit der Ergebnisse eines Verbandsklageverfahrens im Individualprozeß begünstigt deren allgemeine Beachtung, denn jeder Klauselverwender, der eine im Verbandsklageverfahren für unwirksam erklärte Klausel verwendet, muß damit rechnen, daß sein Vertragspartner sich im Streitfall erfolgreich auf die im Verbandsklageverfahren ergangene Entscheidung beruft. In der Tat ist - jedenfalls bei Wirtschaftszweigen, die im Interesse einer breiten Öffentlichkeit stehen seit vielen Jahren zu beobachten, daß die Beanstandung einer Klausel im Verbandsklageverfahren zur Anpassung inhaltsgleicher Klauseln auch durch nicht betroffene Unternehmer führt, oft sogar branchenweit. 54 Gälte im Individualprozeß ein unterschiedlicher Kontrollrnaßstab, ließe sich dieser aus Sicht eines effektiven Verbraucherschutzes und des allgemeinen Ziels der Bekämpfung mißbräuchlicher AGB wesentliche Effekt55 kaum erklären. Die Maßgeblichkeit des überindividuellen Kontrollrnaßstabs bedeutet, daß für die Beurteilung einer unangemessenen Benachteiligung auch im Individualprozeß die Interessen des Verwenders gegenüber denen des typischerweise beteiligten Vertragspartners abzuwägen sind.56 Die Interessen des konkreten Vertragspartners bleiben grundSätzlich außer Betracht. 57 Unerheblich ist die Handhabung einer Klausel im Einzelfall,58 ebenso, ob sich die unangemessene Benachteiligung im konkreten Fall auswirkt. 59 Für die Auslegung der Klausel gilt auch im Individualprozeß ein objektiver Maßstab, d. h. die Klausel ist anhand des Wissensstandes Rz. 4; Schmidt-Salzer, BB 1995,733,735; Soergel-Stein. § 9 AGBG Rz. 8; W IH/L-Wolf, § 9 Rz.51. so Schmidt-Salzer, BB 1995, 733, 735; W I H I L- Wolf, § 9 Rz. 51. SI W IH/L-Wolf, § 9 Rz. 51. S2 Vgl. Palandt-Heinrichs. § 9 AGBG Rz. 4. Siehe auch die Nachw. oben Fn. 24 u. 49. S3 Vgl. Borges. DZWir 1997,402.408. S4 Vgl. Bunte. NJW 1987.921,922. ss Vgl. Bunte. NJW 1987,921,922; Kretschmar, S.47. S6 BGHZ 98. 303. 308; 105. 24. 31; llO. 241, 244; BGH, NJW 1987. 487, 489; NJW 1989.3010, 30ll; U/B/H-Brandner, § 9 Rz. 78; Michalski, OB 1994,665,666; S7 Börner, JZ 1997,595,596; Soergel-Stein. § 9 AGBG Rz. 8. In der Sache auch: BGH, Z1P 1996, 2075. 2078 (unbeachtlich sind ..die besonderen Verhältnisse" des konkreten Vertragspartners). A.A. offenbar Michalski. OB 1994.665.666; W IH/L-Wolf, § 9 Rz. 53. S8 BGH. ZIP 1996, 2075, 2078; U/B/H-Brandner, § 9 Rz. 78; Staudinger-Coester, § 9 AGBG Rz. 81; MünchKomm-Kötz. § 9 AGBG Rz. 5; Soergel-Stein. § 9 AGBG Rz. 8. S9 Staudinger-Coester, § 9 AGBG Rz. 81; W I H I L- Wolf, § 9 Rz. 51. A.A. offenbar W I H I L-Wolf, § 9 Rz. 53.
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l. Kap.: Klauselrichtlinie und AGB-Gesetz
und der Verständnismöglichkeiten des rechtlich nicht vorgebildeten vertragstypischen Durchschnittsvertragspartners auszulegen. 60
b) Die Tatsachenbasis der Klauselkontrolle
Unterschiede zwischen Verbandsklage und Individualprozeß bestehen allerdings in bezug auf die tatsächliche Grundlage der Inhaltskontrolle. 6 ! Im Verbandsklageverfahren sind, wie gesagt, bei der im Rahmen des § 9 gebotenen Interessenabwägung die Umstände aller typischerweise denkbaren Vertragsverhältnisse zu berücksichtigen. 62 Dagegen erfolgt die Klauselkontrolle im Individualprozeß vor dem Hintergrund des konkreten Vertragsverhältnisses. Dies bedeutet zunächst, daß sich die Kontrolle im Individualprozeß nur auf die konkrete Art des Geschäfts und auf die Verkehrskreise der beteiligten Parteien bezieht.63 Der mit einer AGB konfrontierte Unternehmer kann sich also nicht etwa darauf berufen, daß die Klausel gegenüber Verbrauchern unwirksam ist.64 Im übrigen differieren die Auffassungen. Nach einer Ansicht sind im Individualprozeß auch die Umstände des konkreten Falles zu berücksichtigen - soweit sie für die inhaltliche Angemessenheit der Klauseln von Bedeutung sind. 65 Meist wird jedoch gesagt, auch im Individualprozeß könnten nur generelle Umstände berücksichtigt werden, auf die Umstände des Einzelfalles komme es nicht an. 66 Diese Formulierung ist allerdings zu weit. In der Sache ist jedenfalls weitgehend anerkannt, daß im Individualprozeß in recht weitem Umfang Elemente in die Inhaltskontrolle einzubeziehen sind, die man als Umstände des Einzelfalles bezeichnen muß, weil sie nicht generell bestehen. So erstreckt sich die gebotene Berücksichtigung des Vertragskontextes auf den konkreten Vertrag insgesamt, und zwar einschließlich der nur einmal verwendeten Klauseln und der ausgehandelten Klauseln. 67 Daher ist die erstgenannte Ansicht in der Sache zutreffend: Im Individualprozeß ist in bezug auf die Tatsachenbasis der Inhaltskontrolle der konkrete Fall maßgebBGHZ 84, 268, 272; Heinrichs, NJW 1995, 1381, 1384. W IH/L-Wolf, § 9 Rz. 54. 62 Siehe die Nachw. oben Fn. 29. 63 BGHZ 1l0, 241, 244; BGH, WM 1985,24,30 f.; Staudinger-Coester, § 9 AGBG Rz. 83; W IH/L-Wolf, § 9 Rz. 53. 64 Vgl. OLG Frankfurt, BB 1998,2230; Staudinger-Coester, § 9 AGBG Rz. 83; W IH/LWolf, § 9 Rz. 52. 65 W IH/L-Wolf, § 9 Rz. 53, 116; wohl auch: Damm, JZ 1994, 161, 174; Eckert, WM 1993, 1070, 1075. 66 BGHZ 132, 383, 388 f.; BGH, NJW 1992,2626; Heinrichs, NJW 1993, 1817, 1820; tiers., NJW 1996,2190,2193. 67 Allg. Auff.; BGHZ 106, 259, 263; 116, 1,4; U/B/H-Brandner, § 9 Rz. 85; StaudingerCoester, § 9 AGBG Rz. 84; Damm, JZ 1994, 161, 174; Heinrichs, NJW 1993, 1817, 1820; W IH/L-Wolf, § 9 Rz. 132. 60 61
11. Der Kontrollmaßstab des § 9 AGBG
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lich und sind alle Umstände des konkreten Falles zu berücksichtigen. Allerdings gilt eine wesentliche Einschränkung, die aus der Maßgeblichkeit des überindividuellen Prüfungsmaßstabs folgt: Auch im Individualprozeß sind, wie gesagt, die (fiktiven) Interessen des vertragstypischen Durchschnittsvertragspartners maßgeblich, nicht die Interessenlage des konkreten Vertragspartners. Dies bedeutet, daß insbesondere die Verhältnisse des konkreten Vertragspartners nicht von Bedeutung sind. Nicht von Bedeutung sind also etwa die persönliche Schutzbedürftigkeit sowie - wenn es denn überhaupt für die Angemessenheitskontrolle darauf ankommen sollte - die Geschäftserfahrenheit und der Wissensstand und der Verständnishorizont des konkreten Vertragspartners. 68 Daraus folgt auch, daß es nicht darauf ankommt, wie sich die .Klausel im Einzelfall auswirkt, denn die Auswirkungen einer Klausel sind letztlich nur unter Berücksichtigung der Interessenlage sicher zu beurteilen, und dies ist eben die fiktive Interessenlage des vertragstypischen durchschnittlichen Vertragspartners. Damit nicht zu verwechseln ist der Aspekt, daß es nicht auf die (spätere) tatsächliche Handhabung einer Klausel69 und auch nicht darauf ankommt, ob sich eine Klausel (in der Vertragsdurchführung) tatsächlich negativ auswirkt70 etc. Dies folgt schon daraus, daß für die Tatsachengrundlage der Angemessenheitskontrolle auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen ist,11 und hat mit der angeblichen Unbeachtlichkeit der Einzelfallumstände nichts zu tun. Im Ergebnis dürfte sich die h.M. auch nicht wesentlich von der hier vertretenen Ansicht unterscheiden, denn die h.M. nennt als Beleg für ihre Auffassung, daß es auf die Umstände des Einzelfalls nicht ankomme, oft gerade Umstände, die die persönlichen Verhältnisse des Vertragspartners betreffen.72 Es zeigt sich also, daß sich die Klauselkontrolle in der Verbandsklage und im Individualprozeß in bezug auf die Tatsachenbasis der Angemessenheitskontrolle erheblich unterscheiden. Unterschiede bestehen auch in bezug auf das Transparenzgebot, 73 das aber ohnehin Besonderheiten bei der Berücksichtigung der bei Vertragsabschluß bestehenden Situation aufweist (siehe dazu unten 6. Kap.).
68 Dies ist im Ergebnis unstreitig; vgl. BGHZ 106,42,49; 112, 115, 119; 116, 1,7; BGH, WM 1992,395,396; BGH, NJW 1995,2286 f.; Rabe, NJW 1987, 1978, 1979; Schmidt-Salzer; BB 1995, 1493, 1498. 69 Allg. Auff.; siehe die Nachw. oben Fn. 58. 70 Allg. Auff.; siehe die Nachw. oben Fn. 59. 71 Allg. Auff.; Staudinger-Coester; § 9 AGBG Rz. 76; Palandt-Heinrichs, § 9 AGBG Rz. 2; Ulmer; EuZW 1993,337,345; W IH/L-Wolf, § 9 Rz. 55. 72 Siehe etwa die Beispiele bei Staudinger-Coester; § 9 AGBG Rz. 81. 73 Siehe dazu W IH/L-Wolf§ 9 Rz. 54.
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1. Kap.: Klauselrichtlinie und AGB-Gesetz
c) Keine weiteren Unterschiede zur Verbandsklage Im übrigen sind die Unterschiede zwischen Verbandsklage und Individualprozeß gering. Wolf nennt als Unterschied, daß etwa die Ergänzung und Modifikation der AGB durch Einzelvereinbarungen nur im Individualprozeß, nicht aber im Verbandsklageverfahren berücksichtigt werden könnten. 74 Darüber hinausgehend wird häufig vertreten, im Verbandsklageverfahren könnten nur solche Umstände bewertet werden, die Inhalt der AGB seien. 7s Sofern damit gemeint sein sollte, daß die Berücksichtigung der übrigen Vertragsumstände - d. h. das Zusammenwirken der beanstandeten Klauseln mit den übrigen Vertragsbestandteilen - auf AGB beschränkt sein soll, ist dem zu widersprechen. Dieser Aspekt wird vor allem bei ergänzungsbedürftigen Formularverträgen relevant, und insbesondere dann, wenn gerade die beanstandete Klausel unvollständig ist. 76 In diesen Fällen sind im Verbandsklageverfahren die verschiedenen in Betracht kommenden Ergänzungen zu berücksichtigen und ggf. die Wirksamkeit differenziert zu beurteilen,77 genauso wie die Klauselkontrolle in bezug auf die Verwendung bei verschiedenen Arten von Geschäften oder gegenüber verschiedenen Verkehrskreisen zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann. Die übrigen Bestimmungen des Vertrages und der Zusammenhang der zu beurteilenden Klausel mit dem Vertrag im übrigen sind also auch zu berücksichtigen, wenn es sich dabei nicht um AGB handelt. Dies gilt im Verbandsklageverfahren wie im Individualprozeß. Der Unterschied besteht nur darin, daß beim Individualprozeß die Konkretisierung der Klauselkontrolle in bezug auf die Art des Rechtsgeschäfts, die maßgeblichen Verkehrskreise, und die Umstände des Vertragsabschlusses durch den konkreten Vertrag vorgegeben sind und nicht etwa durch den Klageantrag und den Urteilstenor spezifiziert werden müssen. Damit ergibt sich, daß sich die AGB-Kontrolle beim Verbandsklageverfahren vom Individualprozeß dadurch unterscheidet, daß beim Individualprozeß die tatsächlichen Grundlagen der Betrachtung durch den zugrunde liegenden Sachverhalt bestimmt sind, wogegen bei der Verbandsklage zunächst alle nach der Formulierung und dem Einsatzgebiet der AGB in Betracht kommenden Konstellationen berücksichtigt werden und sich Einschränkungen auf bestimmte Sachverhalte erst 14 1S
W IH/L-Wolf, § 9 Rz. 52.
Heinrichs, NJW 1998, 1447; Wandt, VersR 1999,917,918; W IH/L-Wolf, § 9 Rz. 52.
So lag es in dem vom W IH/L-Wolf(§ 9 Rz. 52 S. 344, Fn. 1) zitierten Fall BGH, NJW 1992, 503, der eine ergänzungsbedürftige Zinsberechnungsklausel betraf. Der klagende Verband hatte einen konkreten Vertrag vorgelegt, in dem die umstrittene Klausel in bedenklicher Weise ausgefüllt worden war. Der BGH stellt klar, daß bei ergänzungsbedürftigen Fonnularklauseln grundSätzlich auf eine oder mehrere bestimmte Ergänzungen abzustellen ist - etwa die eines konkreten Vertrages - und das ggf. auszusprechende Verwendungsverbot auf bestimmte Ergänzungen zu beschränken ist, wenn die Klausel nicht bei jeder sinnvollerweise in Betracht kommenden unwirksam ist; BGH, NJW 1992,503,504. 11 BGH, NJW 1992,503,504; OLG Celle, NJW-RR 1995,370. 16
ßI. Der Kontrollmaßstab der Richtlinie
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durch Klageantrag und Urteilstenor ergeben. Insoweit besteht eine unterschiedliche Tatsachenbasis der Angemessenheitskontrolle. Die entscheidende Gemeinsamkeit beider Verfahren ist der generelle Kontrollrnaßstab, d. h. das Abstellen auf eine typische Interessenlage anstatt auf eine konkrete, tatsächlich vorliegende.
111. Der Kontrollmaßstab der Richtlinie 1. Die Kriterien der Interessenabwägung Der Kontrollrnaßstab der Richtlinie ist in den Artt. 3 I und 4 I geregelt. Gemäß
Art. 3 I ist eine Klausel mißbräuchlich LS. der Richtlinie, "wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Mißverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht." Für die Beurteilung der Mißbräuchlichkeit der Klausel kommt es gemäß Art. 4 I auf den Vertragsgegenstand, den Zusammenhang mit den übrigen Bestandteilen des Vertrages und eben auf die den Vertragsabschluß begleitenden Umstände (Vertragsumstände) an. Die Regelung des Art. 3 I entspricht, trotz der leicht abweichenden Formulierung, inhaltlich der des § 9 I AGBG. 78 Auch die in Art. 4 I genannten Kriterien sind, wie oben ausgeführt, im Rahmen des § 9 zu berücksichtigen - ausgenommen "die Umstände des Vertragsabschlusses".79 Der Begriff der "den Vertragsabschluß begleitenden Umstände" läßt mehrere Deutungen zu. In der Diskussion zur Umsetzung des Klauselrichtlinie warf Ulmer etwa die Frage auf, ob dieses Kriterium als Schutz gegen die Gefahren aus der Verhandlungssituation 8o, also gegen Veranlassung des Verbrauchers zum Vertragsschluß durch Täuschung, Drohung oder Ausnutzung eines Machtgefälles, zu deuten sei und lehnte dieses Verständnis wegen systematischer Unvereinbarkeit mit der im deutschen Recht geltenden Unterschei78 U/B/H-Brandner, § 9 Rz. 170; Damm, JZ 1994, 161, 171; Heinrichs, NJW 1993, 1817, 1819; ders., NJW 1996,2190,2196; W IH/L-Horn, § 24a Rz. 58. Wohl auch: Ulmer, EuZW 1993,337 f. u. 345. In der Sache auch: Eckert, ZIP 1994, 1986, 1988. Ähnlich Staudinger-Coester, § 9 AGBG Rz. 78; Palandt-Heinrichs, § 24a AGBG Rz. 18; ders .• NJW 1996, 2190, 2196; (jew. "weitgehend deckungsgleich"); Locher, JuS 1997, 392, 398. A.A. Brandner, MDR 1997, 312, 313. Umstritten ist allerdings, ob Art. 3 I einen "gemeinschaftsrechtlichen Begriff von Treu und Glauben" vorgibt (so Schmidt-Kessel, WM 1997, 1732, 1738; wohl auch: Nassall. WM 1994, 1645, 1649 ff.; ders.• JZ 1995,689,690 f.) oder ob die Mitgliedstaaten frei sind, auf den Begriff von Treu und Glauben ihrer Rechtsordnung zu verweisen (so etwa W IH/L-Horn, § 24a Rz. 59). Siehe dazu auch Joerges. ZEuP 1995, 181, 191, der zu Recht darauf hinweist. daß keine Grundlage für die Annahme europaweit einheitlicher Vorstellungen über die konkreten Inhalte des Gebotes von Treu und Glauben besteht. 79 U/B/H-Brandner, § 9 Rz. 8130 171; Damm, JZ 1994,161,171 f.; Eckert, WM 1993, 1070,1075; Heinrichs, NJW 1993,1817,1819 f.; W IH/L-Hom, § 24a Rz. 58. 80 So nunmehr Drexl, S. 354, der die Umstände des Vertragsabschlusses als "besondere Form der Einbeziehungskontrolle" versteht und damit aus der Inhaltskontrolle ausklammert.
l. Kap.: Klauselrichtlinie und AGB-Gesetz
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dung zwischen Inhaltskontrolle und Vertragsabschlußkontrolle entschieden ab. 81 Die alternative, vorzuziehende Auslegungsmöglichkeit sah Ulmer darin, das Abstellen auf die Umstände bei Vertragsabschluß (ausschließlich) als Verweis auf ,,konkret-individuelle" Umstände zu verstehen, die somit neben den abstrakt-generellen Maßstab des § 9 treten könnten. 82 Nach der ganz herrschenden Meinung hingegen folgt aus der von Art. 4 I der Richtlinie angeordneten Berücksichtigung der Vertragsumstände zweierlei 83 : zum einen die Maßgeblichkeit der Umstände des einzelnen Vertrages (einschließlich der Verhältnisse des konkreten Vertragspartners), also die Geltung (auch) eines konkreten Maßstabes,84 zum anderen aber auch - im Vergleich zu § 9 AGBG eine Ausweitung der bei der Inhaltskontrolle maßgeblichen Umstände auf die Si. tuation des Vertragsabschlusses.85
2. Der doppelte Kontrollmaßstab der Richtlinie Nach der Richtlinie ist bei der Klauselkontrolle zunächst ein genereller Maßstab anzulegen: 86 Im 15. Erwägungsgrund der Richtlinie heißt es, daß die Mißbräuchlichkeit anhand ..generell festgelegter Kriterien" bestimmt werden muß. Diesem generell-überindividuellen Maßstab entspricht es, daß die Richtlinie im Anhang eine beispielhafte Liste mißbräuchlicher Klauseln enthält, die ohne Bezugnahme auf die Interessen der konkreten Vertrags partner für mißbräuchlich erklärt werden können. 81 Dieser generelle Maßstab ist jedoch, wie der 16. Erwägungsgrund ausdrücklich sagt, durch die "Bewertung der Interessenlagen der Parteien" zu ..ergänzen" (Satz 1). Bei dieser Berücksichtigung der Interessenlage ist nach dem 16. Erwägungsgrund ..besonders zu berücksichtigen, welches Kräfteverhältnis zwischen den Verhandlungspositionen der Parteien bestand, ob auf den Verbraucher in irgendeiner Weise eingewirkt wurde, seine Zustimmung zu der Klausel zu geben, und ob die EuZW 1993, 337, 345 f. Ulmer, EuZW 1993,337,345 f. 83 Brandner, MDR 1997,312,313. 84 Brandner, MDR 1997,312,313; Coester-Waltjen, Jura 1997,272,274; Damm, JZ 1994, 161, 173; Eckert, WM 1993, 1070, 1074; Heinrichs, NJW 1990, 2190, 2193 f.; W IH/LHorn, § 24a Rz. 43; Joerges, ZEuP 1995, 181, 189 f. 8S U/B/H-Brandner, § 9 Rz. 177; Heinrichs, NJW 1993, 1817, 1820; ders., NJW 1996, 2190,2193 f.; W IH/L-Hom, § 24a Rz. 43; Nassall, WM 1994, 1645, 1649; Niebling, WiB 1994, 863, 864. Siehe auch die Nachw. unten Fn. 95. Kritisch bereits Brandnerl Ulmer, BB 1991,701,707 (zur entsprechenden Bestimmung des Richtlinienvorschlags). 86 Borges, DZWir 1997,402,407; U/B/H-Brandner, § 9 Rz. 178; Eckert, WM 1993, 1070, 1075; W I H I L-Hom, § 24a Rz. 43. 87 Heinrichs, NJW 1996,2190,2193; U/B/H-H. Schmidt, § IONr. 1 Rz. la. Wohl auch: Trochu, D. 1993,315,318. 81
82
III. Der Kontrollmaßstab der Richtlinie
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Güter oder Dienstleistungen auf eine Sonderbestellung des Verbrauchers hin verkauft bzw. erbracht wurden" (Satz 2). Diese Umstände, etwa das "Einwirken" auf den Verbraucher, sind solche des konkreten Falles. Mit dem Begriff "die Parteien" im ersten Satz können daher nur die konkreten Vertragspartner gemeint sein. 88 Man muß daher zu dem Schluß kommen, daß die Richtlinie auch auf die Interessen der konkreten Parteien abstellt, d. h. sowohl einen generellen als auch einen konkreten, individuellen Kontrollrnaßstab vorsieht. 89 Die Richtlinie regelt allerdings nicht, wie sich der konkrete und der generelle Maßstab zueinander verhalten. Diese Frage ist sehr umstritten. Nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht enthält die Richtlinie unterschiedliche Kontrollrnaßstäbe für Einmalklauseln und Standardklauseln. 90 Danach gilt für Einmalklauseln ein "individueller", für Standardklauseln hingegen ein abstrakt-genereller PfÜfungsmaßstab. 91 Nach einer anderen Ansicht ordnet die Richtlinie eine Kombination der beiden Maßstäbe im Sinne der Kombinationslösung92 an. 93 Nach einer extremen Mindermeinung schließlich kommt es nach der Richtlinie vor allem auf "individuell-konkrete Kriterien" an. 94
3. Die Tatsachenbasis der Interessenabwägung Die Richtlinie versteht die Einbeziehung der Umstände des Vertragsabschlusses in die Inhaltskontrolle (zumindest auch), wie sich aus dem 16. Erwägungsgrund ergibt, als Verweis auf die Situation bei Vertragsabschluß einschließlich der Vertragsverhandlungen etc. Daraus kann man nur schließen, daß die Situation des VertragsVgl. Damm, JZ 1994,161,173. Borges, DZWir 1997,402, 407f.; Brandner, MDR 1997,312.314; ders., in VIB/H, § 9 Rz. 178; Damm, JZ 1994,161,172 ff.; Eckert, WM 1993. 1070, 1075; Heinrichs, NJW 1996, 2190,2193 f.; W IH/L-Horn, § 24a Rz. 43; Kretschmar, S. 218; Michalski, DB 1999.677, 678; Staudinger-Schlosser, § 24a AGBG Rz. 53. A.A. HommelhofflWiedenmann, ZIP 1993. 562,568. 90 Grundmann, S. 264 f.; Heinrichs, NJW 1993, 1817, 1820; W IH/L-Wolf, Art. 4 RL Rz. 3; wohl auch: Brandner, MDR 1997.312.314; Kreienbaum, S. 303; Ulmer, EuZW 1993. 337,346. 91 Brandner, AnwBI. 1994, 335, 337; Grundmann, S. 264 f.; W IH/L-Wolf, Art. 4 RL Rz. 3; wohl auch: Ulmer, EuZW 1993.337,346. 92 Siehe dazu unten VII. 93 Borges, DZWir 1997, 402, 407f.; Brandner, MDR 1997, 312, 314;ders., in VIB/H, § 9 Rz. 178; Damm, JZ 1994. 161, 174; Heinrichs, NJW 1996,2190,2193 f.; Kretschmar. S. 218; wohl auch: Michalski, DB 1994, 665, 666 f. 94 Hommelhoffl Wiedenmann, ZIP 1993, 562. 568 f.; wohl auch: Berger-Walliser, RIW 1996, 459, 462. Im Ergebnis wohl ebenso Schmidt-Salzer, BB 1995, 733, 736 f., der von einer Vertragskontrolle "nach Kriterien der ,Jndividuellen" Vertragsgerechtigkeit" (S. 736) ausgeht. 88
89
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1. Kap.: Klauselrichtlinie und AGB-Gesetz
abschlusses einschließlich der Vertragsverhandlungen in die Interessenabwägung nach Artt. 3 I, 4 I einzubeziehen sind. Dieser Aspekt betrifft (auch) die Tatsachenbasis der Interessenabwägung. Insoweit geht die h.M., wie schon angesprochen, von der Einschätzung aus, daß Art. 4 I der Richtlinie mit dem ausdrücklichen Verweis auf die Vertragsumstände Umstände einbezieht, die im Rahmen des § 9 AGBG auch im Individualprozeß nicht zu berücksichtigen sind. 9s Dagegen vertritt eine Mindermeinung der Literatur die Ansicht, daß der Verweis auf die Vertragsumstände nicht zu einer nennenswerten Ausweitung der Tatsachenbasis führt. 96 Diese Frage kann und muß an dieser Stelle nicht näher erörtert werden, da der deutsche Gesetzgeber den Verweis des Art. 4 I auf die Vertragsumstände in § 24a Nr. 3 aufgenommen hat. Insoweit ist auf die Erörterung der Berücksichtigung der Vertragsumstände gemäß § 24a Nr. 3 (3. Kap.) zu verweisen. Auch in bezug auf die Umstände des Vertragsabschlusses kann man allerdings zwischen "generellen" und ,.konkreten" Umständen unterscheiden. Diese Unterscheidung ist ja, wie oben (ll.l). erörtert, bei der Anwendung des § 9 AGBG im Verbandsklageverfahren von großer Bedeutung. Der Verweis der Richtlinie auf die Umstände des Vertragsabschlusses, bezieht sich, wie soeben dargestellt, zumindest auch auf die Umstände des konkreten Vertrages. Dies gilt freilich nur im Individualprozeß. Art. 4 I enthält einen eindeutigen Hinweis darauf, daß seine Vorgaben für das Verbandsklageverfahren nicht uneingeschränkt gelten97 • In der Tat gilt im Verbandsklageverfahren auch für Verbraucherverträge, daß nur generelle Umstände zu berücksichtigen sind. 98 Insoweit trifft die Richtlinie dieselbe Unterscheidung wie § 9 AGBG: 99 Im Verfahren nach Art. 7 (Verbandsklage) sind nur generelle Umstände zu berücksichtigen, im Individualprozeß kommt es ggf. auch auf die Umstände des konkreten Vertrages an. 4. Vertragsumstände und individuelle Interessenlage Da die Richtlinie sowohl einen generellen als auch einen konkret-individuellen Kontrollmaßstab verwendet, führt dies zu der Frage, ob die Umstände des Vertragsabschlusses anhand des konkreten oder, ggf. auch, anband des generellen Kontrollmaßstab zu berücksichtigen sind. Die Berücksichtigung der Vertragsumstände ist grundsätzlich anhand eines konkreten Kontrollmaßstabes (Interessen des konkreten Vertragspartners) wie anhand 9S Eckert, ZIP 1996, 1238, 1240; Heinrichs. NJW 1996, 2190, 2192; HommelhofftWiedenmann, ZIP 1993,562,569; Roth, JZ 1999,529,530. 96 W tHtL-Horn, § 24a Rz. 45 f.; W tHtL-Wolf, § 9 Rz. 54. 97 Siehe dazu unten 5. Kap. ßI. 98 Siehe dazu unten 5. Kap. ßI. 99 Siehe die Nachw. unten 5. Kap. Pn. 131.
IV. Die Elemente des konkreten Kontrollmaßstabs
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einer generellen Betrachtungsweise (typische Interessenlage des Durchschnittsverbrauchers) möglich. Die h.M. der Literatur sieht, wie oben dargestellt, die Geltung des konkreten Kontrollmaßstabs und die Berücksichtigung der bei Vertragsabschluß bestehenden Umstände als Einheit, d. h. die Berücksichtigung der Vertragsumstände ist verknüpft mit der Geltung des konkreten Kontrollmaßstabs (,,konkret-individueller Kontrollmaßstab"). Es ist allerdings fraglich, ob diese Aussage so allgemein zutrifft. Immerhin sind im Rahmen des § 9 im Individualprozeß ebenfalls die Umstände des konkreten Falles maßgeblich, werden aber anband der Interessen des vertragstypischen Durchschnittskunden berücksichtigt. Zutreffend ist die Verknüpfung aber zumindest insoweit, als die Geltung des konkreten Kontrollmaßstabs mit der Berücksichtigung der Umstände des konkreten Vertrages einhergeht. Die Abwägung der Interessen der konkreten Vertragsparteien macht nur Sinn vor dem Hintergrund des konkreten Sachverhalts, ebenso wie im Rahmen .des § 9 im Individualprozeß der konkrete Sachverhalt zugrundegelegt wird. Von einer solchen Verknüpfung zwischen dem konkreten Kontrollmaßstab und den Umständen des konkreten Vertragsabschlusses geht auch der 16. Erwägungsgrund der Richtlinie aus. Damit ist aber im Ergebnis nicht viel gewonnen, denn im Individualprozeß kommt es ohnehin auf die Umstände des konkreten Vertrages an, und im Verbandsklageverfahren ist der konkrete Kontrollmaßstab auch nach der Richtlinie nicht anwendbar. 1oo Man muß daher wohl davon ausgehen, daß die Richtlinie insoweit keine zwingenden Vorgaben enthält, insbesondere nicht vorschreibt, daß Umstände des Vertragsabschlusses, die bisher im Rahmen des § 9 anhand eines generellen Kontrollmaßstabs berücksichtigt wurden, nunmehr anhand der Interessen des konkreten Vertragspartners zu berücksichtigen sind.
IV. Die Elemente des konkreten Kontrollmaßstabs Bei der Berücksichtigung der Umstände des Vertragsabschlusses gemäß § 24a Nr. 3 sind die beiden Aspekte des Kontrollmaßstabs und der Tatsachenbasis begrifflich zu unterscheiden. Die genaue Bedeutung und das Verhältnis dieser beiden Aspekte ist, wie die Darstellung der Richtlinie gezeigt hat, schon in bezug auf Art. 4 I der Richtlinie umstritten und genauso in bezug auf § 24a Nr. 3 AGBG (dazu unten 2. Kap. ll.). Für die Berücksichtigung der Vertragsumstände kommt es daher darauf an, was mit dem Begriff des ,,konkreten" oder "individuellen" Kontrollmaßstabs gemeint ist.
100
Rz.3.
Damm, JZ 1994, 161, 174; Heinrichs, NJW 1993, 1817, 1820; W IH/L-Wolf, Art. 4
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I. Kap.: Klauselrichtlinie und AGB-Gesetz
Das wesentliche Merkmal des konkreten Kontrollrnaßstabs wird nur selten näher beschrieben, was zum Teil auch daran liegen dürfte, daß die h.M. die Ausdehnung der Tatsachenbasis und die Geltung des konkreten Kontrollrnaßstabs als Einheit sieht. 101 Diese beiden Aspekte sind jedoch zu trennen. Wie die Erörterung des Kontrollrnaßstabs des § 9 AGBG und des Art. 3 I der Klauselrichtlinie gezeigt hat, betrifft der Kontrollrnaßstab zunächst nur die Frage, ob fUr die Interessenabwägung die Interessen des konkreten Vertragspartners oder die des "vertragstypischen Durchschnittsvertragspartners" zugrundezulegen sind. 102 Die Frage nach der Ausdehnung der Tatsachenkontrolle durch § 24a Nr. 3 AGBG ist hiervon unabhängig. Die Beschreibung des Kontrollrnaßstabs als Maßgeblichkeit der Interessenlage des konkreten Vertragspartners oder der (fiktiven) Interessen des geschäftstypischen Vertragspartners kann und muß weiter präzisiert werden. Dafür kann auf anerkannte Grundsätze zum Kontrollrnaßstab des § 9 AGBG zurückgegriffen werden. Der überindividuelle Kontrollrnaßstab wird definiert als Maßgeblichkeit der typischen Interessen der beteiligten Verkehrskreise (s.o. 11. La). Der dabei verwandte Begriff des "Interessenlage" ist in gewisser Hinsicht unvollständig. Es kommt nicht nur auf die Interessen oder Interessenlage der Parteien, sondern auf alle fUr die Interessenabwägung nach § 9 relevanten Umstände an, die sich auf den Vertragspartner des Verwenders beziehen. Dies entspricht anerkannten Grundsätzen. So stellt etwa der BGH für die Differenzierung der Klauselkontrolle nach Verkehrskreisen auf die (generellen, d. h. fiktiven) "Interessen, Verhältnisse und Schutzbedürfnisse" der verschiedenen Verkehrskreise ab. 103 Maßgeblich sind also nicht nur die "Interessen" oder die Interessenlage in einem engen Sinne, sondern ist eine Interessenlage in einem weiteren Sinne. Auch die Literatur versteht den Begriff der ,,Interessen" oder "Interessenlage" in einem umfassenden Sinne, die insbesondere die Verhältnisse und Schutzbedürfnisse der einzelnen Kundenkreise einschließt. I04 Dies gilt nicht etwa nur fUr die Differenzierung nach Verkehrskreisen, sondern vor allem fUr die Klauselbewertung als solche. Gerade die "Schutzbedürfnisse" des Vertragspartners sind dafUr von Bedeutung, ob eine treuwidrige Benachteiligung i. S. d. § 9 I vorliegt, und die "Interessen" und "Schutzbedürfnisse" lassen sich nicht bestimmen, ohne auf die "Verhältnisse" des Vertragspartners bzw. der Verkehrskreise zu rekurrieren. Von zentraler Bedeutung fUr den konkreten Kontrollrnaßstab ist somit der Begriff der "Verhältnisse" des Vertragspartners. Mit diesem Begriff sind vor allem persönliche Eigenschaften des Vertragspartners im weitesten Sinne gemeint, etwa Wissensstand, Ausbildung, wirtschaftliche und soziale "Verhältnisse" etc.
101 102 103 104
Siehe dazu unten 2. Kap., 11. Siehe dazu oben 11.2. BGHZ 110, 241, 244. Vgl. Staudinger-Coester, § 9 AGBG Rz. 80.
V. Unvereinbarkeit des konkreten Kontrollmaßstabs mit § 9 AGBG
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Mit dem Begriff der "Interessen" oder ..Interessenlage" sind also alle auf den Vertragspartner bezogenen Umstände gemeint, die für die Interessenabwägung im Rahmen des § 9 I notwendig sind. Individueller Kontrollrnaßstab im Gegensatz zum überindividuellen Kontrollrnaßstab bedeutet also, daß es auf die Interessen, Verhältnisse und Schutzbedürfnisse des konkreten Vertragspartners ankommt, nicht auf die des vertragstypischen Durchschnittsvertragspartners. In diesem Sinne wird in dieser Untersuchung vom ,.konkreten" Kontrollrnaßstab gesprochen und dem "generellen" Kontrollrnaßstab des § 9 AGBG gegenübergestellt. Deutlicher ist der Begriff der "individuellen" im Gegensatz zur "überindividuellen" Betrachtungsweise. Diese Begriffe werden in dieser Untersuchung synonym verwendet.
V. Unvereinbarkeit des konkreten Kontrollmaßstabs mit §9AGBG Die von der Richtlinie geforderte Berücksichtigung der Umstände des Vertragsabschlusses muß im Rahmen des § 9 AGBG auf Schwierigkeiten stoßen. Insbesondere ist der konkrete Kontrollrnaßstab der Richtlinie mit dem generellen Maßstab des § 9 unvereinbar. lOS Insoweit besteht ein unmittelbarer Widerspruch zwischen der Maßgeblichkeit der (tatsächlichen) Interessen des konkreten Vertragspartners einerseits und der Interessen des vertragstypischen Durchschnittsvertragspartners, d. h. dem Abstellen auf eine fiktive Interessenlage andererseits. Auch die Ausweitung der zu berücksichtigenden Vertragsumstände (Tatsachenbasis) ist problematisch. Zwar ist die Berücksichtigung der Vertragsumstände freilich anhand eines generellen Maßstabs - dem deutschen AGB-Gesetz nicht fremd, wie oben dargestellt. Jedoch ist die Bedeutung der Berücksichtigung von Vertragsumständen, vor allem der Vertragsverhandlungen, im Rahmen der Angemessenheitskontrolle denkbar gering, da diese zum einen meist nicht generell vorliegen, und zum anderen für die inhaltliche Angemessenheit wenig hergeben. Schwierigkeiten ergeben sich insbesondere dann und insoweit, wenn und insofern die Umstände der Vertragsverhandlungen umfassend in die Inhaltskontrolle (Angemessenheitskontrolle ) einbezogen werden, worauf die o.g. Kritik von Ulmer zu Recht hinweist. 106 Grundlage der Interessenabwägung nach § 9 ist, wie oben dargestellt, der Inhalt (Regelungsgehalt) der Klausel unter Berücksichtigung der Art des Geschäfts, des Zusammenhangs mit anderen Klauseln sowie sonstiger Umstände, die sich auf die inhaltliche Angemessenheit der Klausel auswirken können.
Niebling, WiB 1994,863,864. Vgl. Ulmer, EuZW 1993, 337, 345 f.; siehe dazu auch Heinrichs, NJW 1996,2190, 2194. In diesem Sinne auch schon Raiser, Anm. zu LG Düsseldorf, 2. 8. 1955, NJW 1956, lOS
106
304,305.
3 Borges
1. Kap.: Klauselrichtlinie und AGB-Gesetz
34
In diese Interessenabwägung läßt sich das Verhalten des Parteien bei Vertragsabschluß sachlich nicht integrieren. Dies wird anhand der vom 16. Erwägungsgrund genannten Beispiele unmittelbar deutlich. Für die Frage, ob etwa der Ausschluß der Haftung für leichte Fahrlässigkeit inhaltlich angemessen LS. des § 9 ist, gibt der Umstand, daß der Unternehmer auf den Verbraucher "eingewirkt" hat, seine Zustimmung zu dem betreffenden Vertrag zu geben, nichts her. Dasselbe gilt etwa für das Kräfteverhältnis zwischen den Verhandlungspositionen der Parteien. 107 Dieses Kriterium, das sich für eine Typisierung hervorragend eignet und daher sogar im Verbandsklageverfahren berücksichtigt werden könnte, hat in der AGBKontrolle bisher nur eine sehr geringe Rolle gespielt. Zu Recht, denn beispielsweise ein Haftungsausschluß kann nach dem Verständnis des AGB-Gesetzes nicht deswegen angemessen oder unangemessen sein, weil der Klauselverwender eine besonders schwache oder starke Verhandlungsposition hat. In der Literatur wird auch die Rechtsfolge des treuwidrigen Parteiverhaltens nach § 24a Nr. 3 kritisiert, denn § 24a Nr. 3 ordnet in diesen Fällen die Nichtigkeit derjenigen Klausel an, auf die sich das mißbilligte Parteiverhalten bezieht. In der Praxis bezieht sich das Parteiverhalten aber meist auf den Vertrag insgesamt, nicht nur auf eine bestimmte Klausel. Insbesondere wird das Einwirken des Unternehmers auf den Verbraucher regelmäßig auf die Zustimmung zum Vertrag als solchem bezogen sein. In diesem Fall ist nach dem Verständnis des deutschen Rechts eher die Rückgängigmachung des Vertrages als die Nichtigkeit einer (oder mehrerer) einzelner Klauseln die angemessene Rechtsfolge. 108
VI. Die Übernahme des einzelfallbezogenen Kontrollkonzepts durch den deutschen Gesetzgeber Diese Probleme sind in der Konzeption der Richtlinie angelegt. Die Richtlinie verfolgt ein doppeltes Schutzkonzept und vereint dabei aus deutscher Sicht gegensätzliche Elemente: Zum einen richtet sich die Richtlinie gegen allgemeine Geschäftsbedingungen und geht jedenfalls insoweit von generellen Maßstäben aus. 109 Dies ergibt sich, wie schon erwähnt, aus dem in Art. 7 vorgesehenen Verbandsklageverfahren gegen allgemeine Geschäftsbedingungen und dem 15. Erwägungsgrund sowie dem Klauselanhang. Zum anderen ist die Richtlinie dem Konzept eines Verbraucherschutzes durch umfassende Einzelfallbewertung verhaftet,110 wie der 16. Erwägungsgrund deutlich macht.
107
108
109 110
Vgl. Ulmer, EuZW 1993,337,338. Heinrichs. NJW 1996.2190,2194. Vgl. Kretschmar, S. 217; Micklitz. ZIP 1998,937,939; Remien. ZEuP 1994. 35. 53. Schmidt-Salzer, NJW 1995. 1641, 1642.
VI. Die Übernahme des einzelfallbezogenen Kontrollkonzepts
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Der deutsche Gesetzgeber hat Art. 4 I der Richtlinie weitgehend wörtlich in § 24a Nr. 3 übernommen. Damit hat er auch die in der Richtlinie angelegten Probleme des konkreten Kontrollmaßstabs in das deutsche Recht transformiert. Diese Lösung ist bereits während der Umsetzungsdiskussion kritisiert worden. III SO wurde in der Literatur die Ansicht vertreten, eine Änderung des § 9 AGBG wegen des Art. 4 I der Richtlinie sei nicht notwendig. ll2 Auf dieser Einschätzung beruht auch der Referentenentwurfll3 , der auf die Einführung eines besonderen Kontrollmaßstabs verzichtete. 114 Da der RetE gerade in diesem Punkt erheblicher Kritik seitens der Literatur ausgesetzt war,115 wurde die Berücksichtigung der Vertragsumstände bereits im RegE ausdrücklich in § 24a Nr. 3 angeordnet. 116 Für die Ansicht der Mindermeinung und die Lösung des RetE spricht, daß das deutsche Recht die Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles durch das Transparenzgebot sowie durch andere Schutzinstrumente außerhalb des AGBG, etwa die §§ 123, 138 BGB sowie § 242 BGB, das Rechtsinstitut der c.i.c. etc., bereits hinreichend gewährleistete. 117 Es spricht daher in der Tat einiges dafür, daß der deutsche Gesetzgeber auf die Umsetzung des Art. 4 I der Richtlinie hätte verzichten und dadurch die in § 24a Nr. 3 angelegten Probleme vermeiden können. Nach dem von Ulmer vorgeschlagenen Verständnis des Begriffs der Vertragsumstände als bloßen Verweis auf einen konkreten, individuellen Kontrollmaßstab wäre insbesondere das Verhalten der Parteien bei Vertragsabschluß im Rahmen der Inhaltskontrolle nicht zu berücksichtigen. 118 Diese würde einige der o.g. Probleme lösen, da sich die Frage nach einer Ausweitung der Tatsachenbasis der Inhaltskontrolle nicht stellt. Diese Ansicht ist aber mit dem 16. Erwägungsgrund, der das Parteiverhalten ausdrücklich nennt, nicht vereinbar. 119 Angesichts des Wortlautes des § 24a Nr. 3 und der eindeutigen Absicht des deutschen Gesetzgebers zur genauen Umsetzung der Richtlinie l20 kann man auch nicht annehmen, daß § 24a Nr. 3 von der Richtlinie abweichen sollte. 121
In der Sache genauso Ulmer; EuZW 1993,337,346. Ulmer; EuZW 1993, 337, 346. So auch Drexl. S. 355; Kreienbaum. S. 305 f.; W tHtLWolf. § 9 Rz. 54. 113 Abgedruckt in ZIP 1994. 1989 ff. 114 Eckert. ZIP 1994, 1986. 1988 f.; ders .• ZIP 1995. 1460. 1462. llS Eckert. ZIP 1994, 1986. 1988 f.; siehe auch die Nachw. bei Eckert. ZIP 1995, 1460, 1462 Fn. 16. 116 Eckert. ZIP 1995. 1460. 1462. 117 V g1. Ulmer; EuZW 1993, 337, 346. 118 Ulmer; EuZW 1993,337,345 f. Siehe auch oben III.l. 119 Borges. DZWir 1997,402,406. 120 Siehe dazu Eckert. ZIP 1995. 1460. 121 Borges. DZWir 1997.402.406. II1
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1. Kap.: Klauselrichtlinie und AGB-Gesetz
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Der Maßstab der Inhaltskontrolle von Verbraucherverträgen ist daher, auch wenn der deutsche Gesetzgeber auf § 24a Nr. 3 hätte verzichten können, in Übereinstimmung mit der Richtlinie zu bestimmen.
VII. Die Kombinationslösung Der konkrete Kontrollmaßstab der Klauselrichtlinie ist nach der Kombinationslösung dadurch mit dem abstrakten Kontrollmaßstab des § 9 zu vereinbaren, daß der generelle Kontrollmaßstab des § 9 auf einer separaten Kontrollstufe durch den konkreten Maßstab der Richtlinie ergänzt wird. 122 Danach erfolgt die Klauselkontrolle bei Verbraucherverträgen nach § 24a Nr. 3 auf zwei Stufen. Ausgangspunkt ist die Kontrolle der Klausel anhand des generellen Maßstabs des § 9, d. h. anband der Abwägung der Interessen des Unternehmers gegenüber denjenigen des typischerweise beteiligten Verbrauchers. 123 Diese Kontrollstufe entspricht voll und ganz der bisherigen AGB-Kontrolle und der Kontrolle von Klauseln in allen Verträgen, die nicht Verbraucherverträge sind, also etwa Verträgen zwischen Unternehmern und unter Verbrauchern. Diese Kontrolle wird auf einer zweiten Stufe der Kontrolle durch die Maßgeblichkeit des konkreten Kontrollmaßstabs ergänzt. 124 Das Konzept der Kombinationslösung, diese Verbindung der beiden Kontrollmaßstäbe durch die Einführung einer zweiten, nur für Verbraucherverträge maßgeblichen Kontrollstufe in das AGB-Gesetz einzufügen, wurde in der Diskussion zur Umsetzung der Klauselrichtlinie entwickelt. Dieses zweistufige Kontrollmodell hat in der Literatur schon in der Umsetzungsdiskussion große Zustimmung erfahren 125 und entspricht heute der ganz h.M. 126 Die Kombinationslösung kann sich auf die Richtlinie berufen, denn der 16. Erwägungsgrund spricht ausdrücklich von einer ,,Ergänzung" der generellen Betrachtungsweise durch die Berücksichtigung der Einzelfallumstände. Möglicherweise schwebte dem Richtliniengesetzgeber eine Kombination in Art der Kombinationslösung vor.
Siehe die Nachw. oben Fn. 19. U/B/H-Brandner. § 9 Rz. 178; Palandt-Heinrichs. § 24a AGBG Rz. 15; ders .• NJW 1996,2190.2193. 124 Brandner. MDR 1997, 312, 314; ders .• in U IB/H, § 9 Rz. 178; Staudinger-Coester. § 9 AGBG Rz. 85; Palandt-Heinrichs. § 24a AGBG Rz. 15; Hoppen, NWB Fach 19 S. 2243, 2246. 125 Heinrichs. NJW 1996,2190.2193; HabersacklKleindieklWiedenmann. ZIP 1993, 1670, 1673; v. Westphalen, BB 1996.2101,2104; Eckert. ZIP 1995, 1460, 1462. A.A. wohl W IH/L-Wolf, Art. 4 RL Rz. 3. 126 Siehe die Nachw. oben Fn. 19. 122 123
VII. Die Kombinationslösung
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Der entscheidende Vorzug der zweistufigen Kontrolle liegt darin, daß sie den logischen Widerspruch zwischen dem generellen und dem konkreten Kontrollmaßstab vermeidet und somit die von der Richtlinie geforderte Berücksichtigung beider Maßstäbe überhaupt erst möglich macht. Das Zweistufenmodell weist noch weitere, wichtige Vorzüge auf. Insbesondere gewährleistet es - jedenfalls bei vollständiger Trennung der beiden Stufen - , daß die erste Stufe der Klauselkontrolle für alle Verträge und alle Verfahren gleich ist. Damit wird die Gefahr, daß für Verbraucherverträge eine von der AGB-Kontrolle im übrigen wesentlich abweichende Klauselkontrolle gilt, erheblich verringert. Zudem ist es möglich, die Ergebnisse des Verbandsklageverfahrens in den Individualprozeß einzubringen, da der Kontrollmaßstab der ersten Stufe in beiden Fällen gleich ist und im Individualprozeß lediglich die zweite Stufe hinzugefügt wird. Auch wenn das Konzept des Kombinationsmodells unstreitig ist, sind noch wesentliche Fragen ungeklärt und umstritten. Dies gilt vor allem für die Ausgestaltung der neuen zweiten Stufe. Hier stellt sich vor allem die Frage, welche Umstände im einzelnen zu berücksichtigen sind. Mit der Existenz zweier Kontrollstufen ist zudem das Verhältnis der beiden Stufen zueinander zu klären. Der wichtigste Aspekt ist insoweit, inwieweit die zweite Stufe die Ergebnisse der ersten Stufe ,,korrigieren" kann, also etwa auch eine nach dem generellen Beurteilungsmaßstab unwirksame Klausel rechtfertigen kann. Dazu gehört auch die Frage, ob für die Prüfung auf der zweiten Stufe eigenständige Voraussetzungen bestehen, etwa dahin, daß nach der ersten Stufe bereits "Bedenken" gegen die Klausel bestehen müssen.
2. Kapitel
Die zweistufige K1auselkontroUe von Verbraucherverträgen J. Klauselkontrolle und Verbraucherleitbild Mit dem besonderen Kontrollmaßstab für Verträge zwischen Unternehmern und Verbrauchern kommt dem Begriff des "Verbrauchers" erhebliche Bedeutung zu. Damit wird die Diskussion des Verbraucherbegriffs, der erst durch die Umsetzung der Klauselrichtlinie in das AGB-Gesetz eingefügt wurde, rur das AGB-Gesetz relevant. l Ein Schwerpunkt dieser Diskussion gilt den Bemühungen, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten in den zwar ähnlichen, aber dennoch nicht unerheblich divergierenden Definitionen des Verbrauchers in den verschiedenen Verbraucherschutzrichtlinien 2 und in den entsprechenden nationalen Gesetzen der EU-Mitgliedstaaten herauszuarbeiten. 3 Ein damit eng verknüpfter Aspekt dieser Diskussion betrifft das den verschiedenen Definitionen zugrundeliegende Verbraucherleitbild. Hier wird etwa diskutiert, ob den Verbraucherdefinitionen das Leitbild eines "unmündigen", uninformierten Verbrauchers oder das des "verständigen", "mündigen" Verbrauchers zugrundegelegt oder -zulegen ist.4
1. Die Bedeutung des Verbraucberleitbildes für die K1auselkontroUe Mit dem wenig erklärenden Begriffspaar "mündiger" I "unmündiger" Verbraucher wird vor allem eine Grundsatzfrage des Verbraucherschutzes im rechtsge1 Siehe zur Bedeutung des Verbraucherschutzgedankens für das AGB-Gesetz Drexl, S. 329 ff. 2 Dies sind etwa die Haustürgeschäftewiderrufs-Richtlinie v. 20. 12. 1985, ABlEG L 372/ 31 v. 31. 12. 1985, die Verbraucherkredit-Richtlinie v. 22. 12. 1986, ABlEG L 42/48 v. 12. 12. 1987, die Pauschalreise-Richtlinie v. 13.6. 1990, ABlEG L 158/59 v. 23. 6. 1990, die TImesharing-Richtlinie v. 26. 10. 1994, ABlEG L 280/83 v. 29. 10. 1994, die Femabsatz-Richtlinie v. 20. 5. 1997, ABlEG L 144/19 v. 4. 6. 1997. 3 Siehe dazu etwa Dick, S. 12 ff.; Dreher. JZ 1997, 167, 169 ff.; Drexl, S. 90 ff.; Faber. ZEuP 1998, 854 ff.; Hommelhoff, S. 6 ff.; ders., AcP 192 (1992) 71, 93 f.; Lüderitz. FS Riesenfeid (1983) 147, 153 ff.; Remien. ZEuP 1994, 34, 38 ff.; Roth, JZ 1999, 529, 531 f. -4 Siehe dazu Dreher. JZ 1997, 167, 172 ff.; Faber. ZEuP 1998,854; Hommelhoff, S. 6 ff.
I. Klauselkontrolle und Verbraucherleitbild
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schäftlichen Verkehr gekennzeichnet. Traditionell stehen sich hier die Konzeption eines Verbraucherschutzes durch Wettbewerb und eines Verbraucherschutzes durch materielle Schutzvorschriften gegenüber. 5 Soweit der Schutz des Verbrauchers vor allem durch den Wettbewerb der Anbieter erfolgen soll, sind das Wettbewerbsund auch das Kartellrecht von entscheidender Bedeutung für den Verbraucherschutz und kann dem spezifischen Verbraucherschutzrecht im Extremfall nur noch die Aufgabe zukommen, insbesondere durch Informations- und Aufklärungspflichten, die Markttransparenz zu sichem. 6 Dieses Modell setzt die Annahme voraus, daß der Verbraucher in der Lage ist, unter den Voraussetzungen eines funktionierenden Wettbewerbs im Rahmen seines rechtsgeschäftlichen Handelns seine Interessen selbst und eigenverantwortlich wahrzunehmen. Das Modell eines materiellen Verbraucherschutzes 7 hingegen will den Verbraucher dadurch schützen, daß durch zwingendes Gesetzesrecht materielle Schutzstandards gesetzt werden, die für bestimmte Geschäftstypen oder für bestimmte, bei verschiedenen Geschäften relevante Vertragsbedingungen gelten. 8 Dieses Modell beruht auf der Annahme, daß der Verbraucher - auch bei funktionierendem Wettbewerb - beim Vertragsschluß mit einem aufgrund seiner (Markt-)Macht, seines Wissensvorsprungs oder aus sonstigen Gründen überlegenen Vertragspartner seine Interessen nicht selbst ausreichend schützen kann. 9 Soweit die Verbraucherschutzgesetze eines dieser Schutzinstrumente (Informationspflichten einerseits, materielle Vorgaben andererseits) oder beide - die Schutzinstrumente schließen einander nicht aus - verwenden, können die damit einhergehenden ,,Leitbilder" des Verbrauchers auch für die Auslegung der Gesetze von Bedeutung sein. Diese Diskussion berührt auch die Erörterung der Klauselkontrolle von Verbraucherverträgen. Für den hier interessierenden Maßstab der Inhaltskontrolle ist vor allem das dem AGB-Gesetz und der Klauselrichtlinie zugrundeliegende Verbraucherleitbild von Interesse. So kann es bei der im Rahmen der Inhaltskontrolle erforderlichen Interessenabwägung darauf ankommen, ob das Gesetz den Verbraucher gerade aufgrund und in seiner Uninformiertheit ("Unmündigkeit") schützt, denn danach richten sich u.U. die bei der Interessenabwägung maßgeblichen Umstände. Vor allem aber kann das Verbraucherleitbild auf die zweite Stufe der Klauselkontrolle Auswirkungen haben. Wenn hier die Umstände des konkreten VerSiehe zu den unterschiedlichen Modellen Dick, S. 24 ff. Sog. ,,Informationsmodell"; vgl. Dick, S. 25 f.; Koller. FS Steindorff (1990) 667,674. In diese Richtung versteht etwa Grundmann auch die Klauselrichtlinie (S. 271 f.), der von einem "Vorrang des Transparenzmodells vor dem Verbotsmodell" ausgeht und daher bei "völliger Transparenz" einer Klausel einen Ausschluß der Inhaltskontrolle erwägt. 7 Insoweit wird z.T. von einem "sozialen Verbraucherschutz" gesprochen; vgl. Dick, S. 34 ff. 8 Siehe etwa Knops. VuR 1998, 107, 108 f., der die deutschen Verbraucherschutzgesetze in diesem Sinne deutet. 9 Siehe dazu Dick, S. 36 f. m.w.Nachw.; Knops. VuR 1998, 107, 109 ff. S
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2. Kap.: Die zweistufige Klauselkontrolle von Verbraucherverträgen
tragsabschlusses umfassend zu berücksichtigen sind, stellt sich ja die Frage, ob die anhand der Interessen des vertragstypischen ,,Durchschnittsverbrauchers" getroffenen Wertungen anhand der Umstände des Einzelfalles zu präzisieren oder korrigieren sind. Wenn dann der Schutz des AGB-Gesetzes maßgeblich auf der "Unmündigkeit" oder der Uninformiertheit des Verbrauchers beruht, führt dies zu der konkreten Frage, ob diese Eigenschaft (Uninformiertheit, "Unmündigkeit") im konkreten Fall vorliegen muß, damit der Schutz des AGB-Gesetzes in vollem Umfang oder überhaupt eingreift.
2. Die Bedeutung der Gruppenzugehörigkeit nach AGB-Gesetz und Klauselrichtlinie Die Frage nach der Grundlage für den Schutz des Vertragspartners durch die Klauselkontrolle stellte sich natürlich genauso für die bisherige AGB-Kontrolle und dessen unterschiedlichen Kontrollrnaßstäbe für Kaufleute einerseits, NichtKaufleute andererseits. Das AGB-Gesetz wendet sich gegen den Mißbrauch der Vertragsgestaltungsfreiheit lO und bezweckt nicht den Schutz gegen vertragliche Unterlegenheit als solche. 11 Der Schutz des AGB-Gesetzes besteht also unabhängig davon, ob zwischen den Vertrags parteien ein wirtschaftliches oder intellektuelles Machtgefälle besteht. l2 Daher kann auch nicht von einem Rechtsprinzip des "Verbraucherschutzes" als für das AGBG maßgeblichen Auslegungsgrundsatz ausgegangen werden. l3 Die unterschiedlichen Kontrollmaßststäbe für Kaufleute und Nichtkaufleute beruhen nach der Intention des historischen Gesetzgebers und nach herrschender Auffassung jedenfalls nicht vorrangig auf einem verringerten Schutzbedürfnis der Kaufleute, sondern auf der Erwägung, daß im kaufmännischen Rechtsverkehr bestimmte Risiken u.U. eher tragbar sind, weil sie durch andere Umstände des Geschäfts oder durch wirtschaftliche Lösungen, etwa den Abschluß von Versicherungen oder Preisgestaltung, eher aufgefangen werden können. l4 Die Unterscheidung zwischen der Tätigkeit als Kaufmann und der Tätigkeit im Privatbereich beruht damit auf der Wertung, daß es demjenigen, der am kaufmännischen Geschäftsverkehr 10 Allg. Auff.; Heinrichs, NJW 1995, 153; Hommelhoff, S. 7 f.; HommelhofflWiedenmann, ZIP 1993,562,565; Kretschmar. S. 52; Michalski, OB 1994,665,666. 11 Allg. Auff.; Damm, JZ 1978, 173, 178; Heinrichs, NJW 1993, 1817, 1818; HommelhofflWiedenmann, ZIP 1993, 562, 565; Michalski, OB 1994,665,666; Schmidt-Salzer. NJW 1977, 129, 130, 133; ders., BB 1995, 1493, 1497. 12 Heinrichs, NJW 1993, 1817, 1820; HommelhofflWiedenmann, ZIP 1993, 562, 568; Remien, ZEuP 1994,35,52. 13 Schmidt-Salzer. NJW 1977, 129, 130. Dafür aber etwa Pflug, S. 28. Siehe zu dieser in den 70er lahren intensiv diskutierten Frage Damm, lZ 1978,173,176 ff. 14 BegrRegE,BT-Drucks. 7/3919,S.43;W/H/L-Horn, § 24Rz. 4; Kretschmar. S.111 f.
I. Klauselkontrolle und Verbraucherleitbild
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teilnimmt, zuzumuten ist, sich zum Schutz seiner Interessen der spezifischen Möglichkeiten des kaufmännischen Geschäftsverkehrs zu bedienen mit der Folge eines verringerten Schutzbedürfnisses. Dazu gehört auch, wie sich etwa aus der Nichtanwendbarkeit des § 3 AGBG ergibt, ein gesteigertes Maß an Geschäftsgewandheit und Sorgfalt im rechtsgeschäftlichen Verkehr. Andererseits war die Erwägung maßgeblich, daß die starren Klauselverbote der §§ 10 und 11 AGBG im kaufmännischen Geschäftsverkehr aufgrund besonderer
(geschäftsbedingter) Interessenlagen möglicherweise nicht in jedem Fall angemessen sein könnten. 15 Dies zeigt, daß die primäre Grundlage auch für die Unterscheidung zwischen Kaufleuten und Nichtkaufleuten die Orientierung der Klauselkontrolle an der Art des Geschäfts und die daran anknüpfenden Interessen darstellt, die ggf. nach Verkehrskreisen differieren können. Dagegen hat die Zugehörigkeit der Vertragspartner zu einer bestimmten Gruppe für den Kontrollrnaßstab des AGB-Gesetzes eine untergeordnete Bedeutung. Seinen ursprünglichen Ansatz, den Schutz gegenüber AGB auf Verbraucher zu beschränken, hat der Gesetzgeber des AGB-Gesetzes im weiteren Gesetzgebungsverfahren bewußt aufgegeben. Dabei spielte auch der Gesichtspunkt eine wichtige Rolle, daß die Unterscheidung zwischen Kaufleuten und Nichtkaufleuten viel zu grob ist, um einen gruppenspezifisch definierten Schutz vor mißbräuchlichen Klauseln zu rechtfertigen. 16 Das AGB-Gesetz verfolgt also nicht etwa das Konzept einer gruppenspezifischen Differenzierung des Kontrollrnaßstabs, sondern stellt auf die Besonderheiten der jeweiligen Geschäftsart ab. Diese Tendenz des Gesetzes wurde insbesondere von der Rechtsprechung aufgegriffen und konsequent weiterentwickelt, indem sie die Kriterien der Klauselkataloge der §§ 10, 11 im Rahmen des § 9 AGBG verwendete und dabei eben nicht vorrangig der Gruppenzugehörigkeit des Vertragspartners (etwa der Art Minderkaufmann bzw. kleine Gewerbetreibende, Großunternehmen etc.), sondern die sachliche Angemessenheit der einzelnen Klausel angesichts der besonderen Möglichkeiten des kaufmännischen Geschäftsverkehrs und vor allem je nach den Besonderheiten des jeweiligen Geschäfts beurteilte. Diese Wertungen liegen in ähnlicher Weise der Klauselrichtlinie zugrunde. Die Richtlinie will den Verbraucher in seiner sog. ,,rollenspezifischen Unterlegenheit" schützenY Damit stellt die Richtlinie klarer, aber in der Sache genauso wie das AGBG a.F., auf den situativen Zusammenhang des Vertragsabschlusses (die ,,Rolle" der jew. Vertragspartner) ab, unterscheidet also zwischen dem Geschäftabschluß im Privatbereich und im Rahmen einer selbständigen beruflichen Tätigkeit. 18 Dabei kommt es nicht auf die Person der Vertragsschließenden und deren W IH/L-Horn, § 24 Rz. 4. Vgl. W IH/L-Horn, § 24 Rz. 4. 17 Allg. Auff.; Heinrichs, NJW 1993, 1817, 1818; ders., NJW 1995, 153; Hommelhojfl Wiedenmann, ZIP 1993, 562, 565; Knops, VuR 1998, 363, 364; Michalski. DB 1994,665, 666; Micklitz. ZIP 1998,937,939. 15
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2. Kap.: Die zweistufige Klauselkontrolle von Verbraucherverträgen
Gruppenzugehörigkeit an. 19 Die berufliche Qualifikation und die persönlichen Kenntnisse und Erfahrungen des Verbrauchers sind unerheblich. 2o Dasselbe gilt für den Unternehmer. Insbesondere ist dessen wirtschaftliche Stärke ohne Bedeutung. 21 Die Abgrenzung dieser Tätigkeitsbereiche hat nach der Richtlinie sogar noch weitaus schärfere Konsequenzen als nach dem AGB-Gesetz, da die Richtlinie nur den Geschäftsschluß im Privatbereich und nur den Vertragsabschluß mit einem Unternehmer schützt. 22 Die Richtlinie trifft damit eine eindeutige Wertung: Schutzbedürftig ist vor allem der Geschäftsschluß im privaten Bereich. Wer sich im Rahmen seiner unternehmerischen Tätigkeit bewegt, muß sich um die Wahrung seiner Interessen selbst kümmern. Grundlage ist auch hier die Einschätzung, daß der Unternehmer typischerweise bessere Möglichkeiten zum Schutz seiner Interessen hat als der Verbraucher. Daß er über diese verkehrsüblichen Möglichkeiten verfügt, muß der Unternehmer sich als seinen Risikobereich zurechnen lassen. Trotz dieser scharfen Unterscheidung zwischen der beruflichen und der außerberuflichen Tätigkeit ist auch die Richtlinie nicht etwa einem personenbezogenen, gruppenspezifischen Schutzkonzept23 verhaftet, wie sich aus der situationsbezogenen (rollenspezifischen) Definition des "Unternehmers" und des "Verbrauchers" ergibt. Vor allem ist der maßgeblicher Faktor für die Inhaltskontrolle, wie Art. 4 I klarstellt, die Art des jeweiligen Geschäfts und die sich daraus ergebende Interessenlage. Die beiden Kriterien (rollenspezifischer Schutz einerseits, geschäftsbezogene Interessenlage) stehen freilich in einem gewissen Spannungsverhältnis zueinander. Die Maßgeblichkeit der Art des Geschäfts paßt schlecht zu dem rigorosen Ausschluß des Schutzes für jegliche selbständige Tätigkeit. Der Ausschluß des Schutzes für jegliche selbständige Tätigkeit ist angesichts der oft ungleichen Machtverhältnisse zwischen Unternehmern und des offensichtlichen Schutzbedürfnisses ,,kleiner" Unternehmer durchaus fragwürdig24 • Diese Grundentscheidung des "Ver18 Vgl. Coester-Waltjen. Jura 1997,272,273; Knops, VuR 1998,363,364; Roth, JZ 1999, 529,531; U/B/H-Ulmer, § 24a Rz. 12 19 Schmidt-Salzer, BB 1995, 1493, 1498; Roth, JZ 1999,529,531. 20 Coester-Waltjen, Jura 1997,272,273. 21 Vgl. W IH/L-Hom. § 24a Rz. 50 (zu § 24a Nr. 3); Paisant, D. 1995,99,100. Dies war auch die Auffassung des französischen Gesetzgebers bei Umsetzung der Richtlinie. Bei der Umsetzung wurde eines der Kriterien des "alten" code de la consommation für die Mißbräuchlichkeit einer Klausel, der Mißbrauch der wirtschaftlichen Machtstellung durch den Unternehmer ("I'abus de puissance economique du professionnel", Art. L. 132-1), ersatzlos gestrichen, da diese Voraussetzung der Richtlinie fremd sei. Siehe dazu Paisant, D. 1995,99, 100 m.w.Nachw. 22 Eckert, WM 1993, 1070, 1071. 23 In diese Richtung wird die Klauselrichtlinie allerdings z.T. gedeutet, etwa bei Knops, VuR 1998, 107; in diese Richtung auch Hommelhoffl Wiedenmann, ZIP 1993, 562, 567. 24 Vgl. Remien, ZEuP 1994, 34, 39 ff.
I. Klauselkontrolle und Verbraucherleitbild
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braucherschutzes" ist daher in der Literatur immer wieder kritisch diskutiert worden. Dessen ungeachtet ergibt sich, daß die Klauselrichtlinie und das AGB-Gesetz trotz ihrer unterschiedlichen Schutzkonzepte auch darin zumindest teilweise überstimmen, daß es für den Schutz gegen vorformulierte Klauseln darauf ankommt, ob der Vertragspartner des Klauselverwenders als Unternehmer (Kaufmann) generell besonderes hohen Anforderungen an die Sorgfalt bei seiner Interessenwahrung im Rechtsverkehr unterliegt, und daß der Schutz sich im übrigen nach den für das jeweilige Geschäft üblichen Standards richtet. Daher ergeben sich durch die Umsetzung der Klauselrichtlinie keine wesentlichen Änderungen in bezug auf die Grundlagen der Klauselkontrolle. Insbesondere dürfte dem Umstand, daß das novellierte AGB-Gesetz nunmehr explizit auf den Begriff des Verbrauchers abstellt, keine entscheidende Bedeutung zukommen. Zum einen ist das AGB-Gesetz, wie oben ausgeführt, seit jeher ein ..Verbraucherschutzgesetz", und zum anderen beruht die Unterscheidung zwischen der unternehmerischen und privaten Tätigkeit auf denselben Erwägungen wie die Unterscheidung zwischen Kaufleuten und Nichtkaufleuten. Es war daher nur folgerichtig, daß der Gesetzgeber die überkommene Unterscheidung des § 24 a.F. zwischen Kaufleuten und Nichtkaufleuten aufgegeben hat2S und das Gesetz nunmehr in § 24 i. V.m. § 24a zwischen Unternehmern und Verbrauchern unterscheidet. 26
3. Das Verbraucherleitbild des AGB-Gesetzes und der Klauselrichtlinie Aus den o.g. Wertungen des AGB-Gesetzes und der Klauselrichtlinie ergibt sich ein recht klar konturiertes ..Verbraucherleitbild": Dem AGB-Gesetz wie der Klauselrichtlinie liegt das Bild eines sog. mündigen Verbrauchers zugrunde. 27 Dies gilt vor allem in zweifacher Hinsicht: Dem Verbraucher wird zugetraut und zugemutet, seine Interessen im rechtsgeschäftlichen Verkehr selbst zu wahren, soweit er dazu nach den Umständen des Vertragsabschlusses in der Lage ist. Daher entfällt der Schutz des AGB-Gesetzes, soweit der Verbraucher Vertragsbedingungen ..stellt" oder der Klauselverwender den durch die Vorformulierung in Anspruch genommenen Vorteil wieder aufgibt, d. h. die Klausel ausgehandelt28 ist. 29 Voraussetzung 25 Die Änderung erfolgte durch das Handelsrechtsreforrngesetz v. 22. 6. 1998, BGBI. I 1474. Siehe auch unten 5. Kap., I. La. 26 Die Gleichbehandlung der kaufmännischen mit den nichtkaufmännischen Unternehmern ist in der Literatur immer wieder gefordert worden; siehe aus jüngerer Zeit etwa Habersackl Kleindiekl Wiedenmann, ZIP 1993, 1670, 1674; Micklitz. ZIP 1998,937,938. 27 Allg. Auff.; siehe zur Richtlinie: Coester, FS Heinrichs (1998), 99, 110; Micklitz, ZIP 1998,937. Siehe zu § 24a: Palandt-Heinrichs, § 24a AGBG Rz. 22; ders., NJW 1996,2190, 2197. 28 Zu den Voraussetzungen des Au'shandelns siehe unten 5. Kap., 1.2.a.aa. 29 Vgl. Schwerdtjeger, DStR 1997,499,501.
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2. Kap.: Die zweistufige Klauselkontrolle von Verbraucherverträgen
einer eigenverantwortlichen Interessenwahrung ist natürlich, daß der Verbraucher die vorfonnulierte Klausel verstehen kann. Zu Recht betont daher die Klauselrichtlinie, in sachlicher Übereinstimmung mit dem AGB-Gesetz, die Bedeutung des Transparenzgebotes. AGB-Gesetz und Klauselrichtlinie erteilen dem Konzept des mündigen Verbrauchers aber insoweit eine Absage, als der Schutz nicht auf die Transparenz etc. beschränkt wird. Vielmehr wird durch die Angemessenheitskontrolle (der §§ 9 ff. AGBG) ausdrücklich anerkannt, daß - jedenfalls der zu privaten Zwecken Handelnde - gegenüber der einseitigen Inanspruchnahme der Vertragsgestaltungsfreiheit eines weiteren, den Inhalt des konkreten Vertrages betreffenden Schutzes bedarf. Die doppelte Schutzrichtung des AGB-Gesetzes ergibt in bezug auf die mißglückte Fragestellung eines unmündigen oder mündigen Verbrauchers als Leitbild des Verbraucherschutzes ein eindeutiges "sowohl als auch". Dieses "Verbraucherleitbild" der Klauselkontrolle nach dem AGB-Gesetz ist bei den einzelnen Aspekten der Inhaltskontrolle durchaus von Bedeutung. Das situationsbezogene ("rollenspezifische") Verbraucherbild beschränkt vor allem die Möglichkeit, die Klauselkontrolle von personenspezifischen Merkmalen der Vertragsparteien abhängig zu machen. Dies hat Bedeutung etwa für die Frage, ob und inwieweit der Kaufmann oder Unternehmer beim Geschäftsabschluß außerhalb seines Unternehmens vom Schutz der Inhaltskontrolle profitiert. Es zeigt auch Grenzen auf für die Berücksichtigung der personenbezogenen Merkmale als Umstände des Vertragsabschlusses und auch für die Berücksichtigung des Verhaltens bei Vertragsabschluß, indem der rollenspezifische Schutz dort endet, wo der Verbraucher seine Interessen selbst wahren kann, insbesondere einen gleichgewichtigen Einfluß auf die Vertragsgestaltung hat.
11. Die unterschiedlichen Modelle der Klauselkontrolle Seit Einführung des § 24a durch die AGB-Novelle wird die besondere Klauselkontrolle von Verbraucherverträgen, wie eingangs gesagt, kontrovers diskutiert. Sowohl grundsätzliche Fragen als auch zahlreiche Details sind umstritten, das Meinungsbild ist kaum noch zu übersehen. Aus den Stellungnahmen zu den unterschiedlichen Aspekten der zweiten Stufe der Klauselkontrolle ergeben sich letztlich verschiedene konkurrierende Modelle der Inhaltskontrolle von Verbraucherverträgen. Nach h.M. erfolgt die gemäß § 24a Nr. 3 erforderliche Berücksichtigung der Vertragsumstände auf der zweiten Kontrollstufe am Maßstab der Interessen der konkreten Vertragsparteien. 30 "Berücksichtigung der Vertragsumstände" bedeutet die umfassende Würdigung der bei Vertragsabschluß bestehenden Situation ein30
Siehe die Nachw. oben 1. Kap. Fn. 89.
11. Die unterschiedlichen Modelle der Klauselkontrolle
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schließlich des Verhaltens der Parteien vor und bei Vertragsabschluß?l Dadurch wird die Tatsachenbasis der Interessenabwägung gegenüber § 9 erweitert. 32 Die Berücksichtigung der Vertragsumstände kann sich zugunsten wie zulasten des Verbrauchers auswirken,33 d. h. sowohl eine bedenkliche Klausel rechtfertigen als auch zur Unwirksamkeit einer Klausel führen. 34 Die so definierte zweite Kontrollstufe ist bei allen Vertragsbedingungen erforderlich, also sowohl bei EinmalklauseIn wie bei AGB. 3s Nach diesem Modell kommt der zweiten Stufe unter Umständen große Bedeutung zu, denn ihr Anwendungsbereich (Einmalklauseln wie AGB) und der Bereich der zu berücksichtigenden Umstände (gesamte Situation bei Vertragsabschluß) sind jeweils umfassend, und sie kann sich in beide Richtungen, also zugunsten wie zulasten des Verbrauchers auswirken. Dies kann, je nachdem, wie stark sich die einzelnen Vertragsumstände auf das Ergebnis der Inhaltskontrolle auswirken sollen, zu einer wesentlichen Modifikation der Inhaltskontrolle für Verbraucherverträge führen. Allerdings werden auch innerhalb dieses Konzeptes Einschränkungen in bezug auf die Bedeutung der konkreten Umstände angenommen. So wird etwa die Ansicht vertreten, daß die Vertragsumstände nur dann den Ausschlag zugunsten der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit der Klausel geben könnten, wenn nach deren Inhalt die Wirksamkeit "zweifelhaft" sei. 36 Nach einer Mindermeinung der Literatur hingegen ist § 24a Nr. 3 nur auf Einmalklauseln anwendbar?7 Bei AGB bleibt es nach dieser Ansicht also bei der einstufigen Kontrolle anhand des generellen Beurteilungsmaßstabs. 38 Nach dieser Konzeption ist die praktische Bedeutung des § 24a Nr. 3 denkbar gering,39 denn Verträge zwischen Unternehmern und Verbrauchern werden ganz überwiegend in standardisierter Form geschlossen. 4o 31 Brandner; MDR 1997, 312, 313 f.; Heinrichs, NJW 1996, 12190,2193; W IH/L-Hom, § 24a Rz. 45; Nassall, WM 1994, 1645, 1649 (zu Art. 4 I RL); Niebling, WiB 1994,863,864 (zu Art. 4 I RL); Schwerdtfeger; DStR 1997,499,502; v. Westphalen, BB 1996,2101,2104. 32 Heinrichs, NJW 1996,2190,2193. 33 Heinrichs, NJW 1993, 1817, 1820 (zu Art. 4 I RL); ders., NJW 1996,2190,2194; Locher; JuS 1997,389,392; Schwerdtfeger; DStR 1997,499,502; W/H/L-Wolf, Art. 4 RL Rz. 3 (zu Art. 4 I RL). 34 Bömer; JZ 1997, 595; Brandner; MDR 1997, 312, 314; Coester-Waltjen, Jura 1997, 272,274; Heinrichs, NJW 1996,2190,2194; ders., in Palandt, § 24a AGBG Rz. 17; Staudinger-Schlosser; § 24a AGBG Rz. 55. 35 Brandner; MDR 1997,312,314; ders. in U/B/H, § 9 Rz. 176; Palandt-Heinrichs, § 24a AGBG Rz. 16; ders., NJW 1996,2190,2193; Imping, WiB 1997,337,340; v. Westphalen, BB 1996,2101,2105. So auch Habersack I Kleindiekl Wiedenmann, ZIP 1993, 1670, 1673. 36 W IH/L-Horn, § 24a Rz. 54. Siehe dazu unten 111.1. 37 W IH/L-Wolf, § 9 Rz. 51, Art. 4 RL Rz. 3; wohl auch: Michalski, DB 1999,677,678. In diese Richtung auch Brandner; AnwBI. 1994,334,337, der die Berücksichtigung der Umstände bei AGB für unpassend hält. 38 W IH/L-Wolf, § 9 Rz. 51. 39 Vgl. W/H/L-Wolf, § 9Rz. 54.
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2. Kap.: Die zwei stufige Klauselkontrolle von Verbraucherverträgen
Ein anderes Konzept unterwirft AGB und Einmalklauseln gleichennaßen der zweistufigen Klauselkontrolle, jedoch ist die Bedeutung der zweiten Stufe dadurch einzuschränken, daß eine nach dem Ergebnis der generellen Betrachtungsweise unwirksame Klausel nicht aufgrund der auf der zweiten Stufe zu berücksichtigenden Umstände gerechtfertigt sein kann.41 Damit bleibt der Schutz des § 9 dem Verbraucher in vollem Umfang erhalten. Zudem kann dadurch ein Auseinanderfallen der Ergebnisse von Verbandsklage und Individualprozeß weitgehend vennieden werden. Dieses Konzept führt also letztlich zu einer bedeutenden Einschränkung des § 24a Nr. 3. Allerdings beruht diese Einschränkung bei den verschiedenen Stellungnahmen auf unterschiedlichen dogmatischen Konzepten. So ist dieser Grundsatz nach der Ansicht von Schlosser auf AGB beschränkt. Bei Einmalklauseln hingegen können nach seiner Ansicht die Vertragsumstände auch eine nach dem generellen Maßstab unwirksame Klausel rechtfertigen. 42 Nach dieser Ansicht ist die Klauselkontrolle bei AGB und bei Einmalklauseln in entscheidenden Punkten unterschiedlich. Nach anderer Ansicht gilt die O.g. Einschränkung für AGB und Einmalklauseln gieichennaßen,43 die vorfonnulierte und nicht ausgehandelte Einmalklausel wird also AGB gleichgestellt. Das Spektrum der Meinungen zeigt, daß es für die Inhaltskontrolle von Verbraucherverträgen entscheidend auf das Gewicht des konkreten Kontrollmaßstabs gegenüber der generellen Betrachtungsweise des § 9 sowie auf die nähere Beschreibung der auf der zweiten Stufe zu berücksichtigenden Umstände ankommt. Von ganz wesentlicher Bedeutung ist auch, ob Einmalklauseln und AGB einer gleichartigen Klauselkontrolle unterliegen oder ob unterschiedliche Kontrollmaßstäbe und verschiedene Tatsachenbasen maßgeblich sind.
111. Einheitlicher Kontrollmaßstab für AGB und Einmalklauseln In der Literatur wird nicht selten eine unterschiedliche Inhaltskontrolle für AGB einerseits, vorfonnulierte Einmalklauseln andererseits angenommen. Die Unterschiede werden allerdings sehr uneinheitlich gesehen. Die weitestgehende Ansicht wird insofern von Wolfvertreten. Nach seiner Ansicht sind die Umstände des Vertragsabschlusses nur bei der Inhaltskontrolle von Einmalklauseln, nicht aber bei AGB zu berücksichtigen. 44 Diese Auffassung vertritt Wolf ebenso in bezug auf Art. 4 I der Richtlinie. 45 Es ist aber nicht klar, ob Wolfim Rahmen des § 24a Nr. 3 Remien, ZEuP 1994,34,53; Ulmer. EuZW 1993,337,342. Borges, DZWir 1997,402,408; Staudinger-Schlosser. § 24a AGBG Rz. 53; wohl auch: Coester-Waltjen, Jura 1997,272,274 f. 42 Staudinger-Schlosser. § 24a AGBG Rz. 53. 43 Borges, DZWir 1997,402,408. 44 W IH/L-Wolf, § 9 Rz. 51. 40
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III. Einheitlicher Kontrollmaßstab für AGB und Einmalklauseln
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überhaupt einen individuellen Kontrollrnaßstab i.S. der Zugrundelegung der invididuellen Interessenlage annehmen will, da er zwar einerseits annimmt, es komme gemäß § 24a Nr. 3 auf "persönliche Fähigkeiten und Eigenschaften" und "Sonderinteressen" der Vertragsparteien an,46 andererseits aber die Ansicht vertritt, § 24a Nr. 3 betreffe ausschließlich die tatsächliche Grundlage der Kontrolle, nicht aber den Kontrollmaßstab. 47 Nach der Ansicht von Schlosser hingegen unterliegen AGB und Einmalklauseln zunächst einer einheitlichen Kontrolle, jedoch wird die Rechtsfolge der zweiten Kontrollstufe bei AGB einschränkt, indem sie nur bei Einmalklauseln, nicht aber bei AGB zur Rechtfertigung einer nach der ersten Stufe unwirksamen Klausel fUhren kann.48 Die h. M. geht von einem einheitlichen Kontrollrnaßstab fUr Einmalklauseln und AGB aus.49 Die hier interessierende Frage ist, ob die Berücksichtigung der Umstände des Vertragsabschlusses nach § 24a Nr. 3 AGBG auf Einmalklauseln beschränkt ist, wie Wolf offenbar annimmt. Die von Schlosser vertretene Differenzierung der Rechtsfolgen der zweiten Kontrollstufe nach AGB und Einmalklauseln wird im Zusammenhang mit dem Verhältnis der beiden Kontrollstufen (unten IV.) erörtert. Die h. M. begründet die Gleichbehandlung von AGB und Einmalklauseln mit dem eindeutigen Wortlaut des § 24a Nr. 3 und des Art. 4 I der Richtlinie. 5o Wolf bezieht sich bei der Differenzierung zwischen AGB und Einmalklauseln im wesentlichen auf die Berücksichtigung von Einzelfallumständen, also auf die Tatsachenbasis der Klauselkontrolle. 51 Dies beruht wesentlich auf der Annahme, daß der Kontrollrnaßstab notwendig ein genereller sei, insofern also eine Differenzierung nicht denkbar sei. 52 Dies ist freilich nur insoweit zutreffend, als in beiden Fällen der Maßstab von Treu und Glauben gilt, der natürlich nicht von den Vertragspartnern abhängt, sondern überindividuell zu bestimmen ist. Man kann aber sehr wohl zwischen der Interessenlage der konkreten Vertragspartner und der (fiktiven) Interessenlage des vertragstypischen Durchschnittskunden unterscheiden. W IH/L-Wolf, Art. 4 Rz. 3. W IH/L-Wolf, § 9 Rz. 54. 47 W I H I L- Wolf, § 9 Rz. 54; siehe auch soeben 11. 48 Siehe auch soeben 11. 49 Vgl. Borges, DZWir 1997,402,408; Brandner. MDR 1997,312,314; ders., in U/B/H, § 9 Rz. 176; Staudinger-Coester. § 9 AGBG Rz. 85; Damm, JZ 1994, 161, 173 (zu Art. 4 RL); Habersack I Kleindiekl WiedenrrwM, ZlP 1993, 1670, 1673 f. (zu Art. 4 I RL); Heinrichs, NJW 1996,2190,2194; ders., in Palandt, § 24a AGBG Rz. 16; Imping, WiB 1997, 337,341; U/B/H-Ulmer. § 24aRz. 52. so Borges, DZWir 1997,402,408; Damm, JZ 1994, 161, 173 f.; Heinrichs, NJW 1996, 2190,2194. SI Vgl. W IH/L-Wolf, Art. 4 RL Rz. 3. S2 Vgl. W IH/L-Wolf, Art. 4 RL Rz. 3. 4S
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2. Kap.: Die zwei stufige KlauselkontroIle von Verbraucherverträgen
In bezug auf die Tatsachenbasis nimmt Wolf an, daß der generelle Beurteilungsmaßstab des § 9 sich auch auf die tatsächlichen Umstände beziehe und daher (auch im Individualprozeß) die tatsächlichen Umstände des ..typischen Durchschnittsfalls" zugrundezulegen seien. 53 Die davon abweichende Berücksichtigung individueller Umstände gemäß § 24a Nr. 3 hält Wolf bei AGB für ungeeignet. Er verweist darauf, daß die Richtlinie für AGB von einem generellen Prüfungsmaßstab ausgeht, etwa in Art. 7 TI (Verbandsklage) und im Klauselkatalog des Anhangs. 54 Außerdem sei die Berücksichtigung individueller Umstände im Rahmen der Klausei verbote der §§ 10, 11 ungeeignet. 55 Vor allem aber stützt sich Wolf auf den Vergleich mit der - auf AGB beschränkten - Verbandsklage, bei der die Umstände des Vertragsabschlusses nach allgemeiner Auffassung ohne Bedeutung sind.56 Nach seiner Ansicht würde das Verbandsklageverfahren stark entwertet, wenn man sich auf dessen Ergebnisse - wegen der Modifikation der Inhaltskontrolle auf der zweiten Stufe - im Individualprozeß nicht mehr verlassen könnte. 57 Dieses Argument ist von Gewicht, denn es ist wenig überzeugend, wenn eine Klausel, die in einem Verbandsklageverfahren für unwirksam erklärt wurde, im Einzelfall dann doch wieder wirksam sein soll. Die h. M. lehnt eine unterschiedliche Behandlung von AGB und Einmalklauseln jedoch zu Recht ab. Der Wortlaut der Richtlinie und des § 24a Nr. 3 sehen keine Beschränkung auf Einmalklauseln vor. Dies ist kein Redaktionsversehen. Es gibt keinen Hinweis darauf, daß die nach der Richtlinie erforderliche Berücksichtigung der Vertragsumstände im praktisch bedeutendsten Bereich der Verbraucherverträge, den Standardverträgen, nicht gelten sollte, sondern nur beim Ausnahmefall der Einmalklausel. Die nach der Mindermeinung erforderliche teleologische Reduktion des § 24a Nr. 3 widerspricht auch dem Sinn und Zweck des Gesetzes. Die mißbräuchliche einseitige Inanspruchnahme der Vertragsgestaltungsfreiheit ist bei Standardverträgen genauso möglich wie bei Klauseln, die nur in einem einzelnen Fall gestellt werden. 58 Die Ausweitung der Inhaltskontrolle durch den Begriff der Vertragsumstände, auf die Vertragsverhandlungen etc. 59 muß daher dem Verbraucher nach dem Schutzzweck der Richtlinie auch bei AGB zugute kommen. 60 Hinzu kommt, daß die Mindermeinung zu Wertungswidersprüchen führt. Nach ihrer Ansicht wird der Verbraucher - durch die Berücksichtigung der VertragsumW IH/L-Wolf, § 9 Rz. 51. W IH/L-Wolf, Art. 4 RL Rz. 3. ss W IH/L-Wolf, Art. 4 RL Rz. 3. 56 Siehe dazu unten 5. Kap., III. 57 W IH/L-Wolf, § 9 Rz. 51, Art. 4 RL Rz. 3. 58 Darauf weist Schuhmann, JZ 1998, 127, zu Recht hin. 59 So die Annahme der h.M, siehe dazu oben I. Kap., 111.3. 60 Vgl. Borges, DZWir 1997,402,408. 53
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IV. Das Verhältnis der Kontrollstufen
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stände - gegenüber Einmalklauseln besser geschützt als gegen AGB. 61 Dieses paradoxe Ergebnis ist mit der Richtlinie, vor allem aber mit dem AGB-Gesetz nicht vereinbar. 62 Daher ist von einem einheitlichen Kontrollrnaßstab für Einmalklauseln und AGB auszugehen. Das von Wolf zu Recht hervorgehobene Problem der Vergleichbarkeit der Ergebnisse von Verbandsklageverfahren und Individualprozeß ist auf anderem Wege zu lösen.
IV. Das Verhältnis der Kontrollstufen 1. Keine Rechtfertigung nachteiliger Klauseln durch die Vertragsumstände Die Umstände des Vertragsabschlusses (zweite Kontrollstufe) können sich nach der h. M. in beide Richtungen, d. h. sowohl zugunsten wie zulasten des Verbrauchers auswirken. 63 Nach der Gegenmeinung hingegen kann sich die zweite Kontrollstufe nur zugunsten des Verbrauchers auswirken, d. h. eine am generellen Maßstab des § 9 unwirksame Klausel kann nicht aufgrund der Umstände des Vertragsabschlusses gerechtfertigt sein.64 Auch nach dieser Ansicht sind Vertragsumstände freilich insoweit auch zugunsten des Unternehmers zu berücksichtigen, als sie andere, auf der zweiten Stufe maßgebliche, Umstände des Einzelfalles, die gegen die Wirksamkeit der Klausel sprechen, aufwiegen können. 6s Die aus der h. M. folgende Konsequenz, daß eine nach dem Ergebnis der ersten Stufe unwirksame Klausel auf der zweiten Stufe aufgrund der Umstände des Vertragsabschlusses wirksam sein kann, wird allerdings von zahlreichen Vertretern der h. M. abgelehnt. So wird etwa vertreten, die Rechtfertigung der Klausel durch die Vertragsumstände sei auf die Fälle beschränkt, in denen nach dem Inhalt der Klausel "Zweifel" bestünden, ob sie wirksam oder unwirksam sei. 66 Diese Einschränkung ist problematisch. Die erste Stufe der Klauselkontrolle von Verbraucherverträgen entspricht ja der herkömmlichen, weiterhin rur alle anderen Verträge maßgeblichen Klauselkontrolle nach §§ 9 ff. und der Klauselkontrolle von Verbraucherverträgen im Verbandsklageverfahren. In diesen Fällen lautet das Ergebnis der Klauselkontrolle auf Wirksamkeit oder Unwirksamkeit der Klausel. Die o.g. EinBorges. DZWir 1997,402,408. Borges. DZWir 1997, 402, 408. 63 U/B/H-Brandner. § 9 Rz. 180; Heinrichs. NJW 1996, 2190, 2194. Siehe dazu die Nachw. oben Fn. 33 f. 64 Borges. DZWir 1997,402,408; Habersack I Kleindiekl Wiedenmann, ZIP 1993, 1670. 1674; Staudinger-Schlosser. § 24a AGBG Rz. 53. M Vgl. Borges. DZWir 1997,402,408. 66 So etwa W I H I L-Horn, § 24a Rz. 55. 61
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4 Borges
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2. Kap.: Die zweistufige Klauselkontrolle von Verbraucherverträgen
schränkung führt in die erste Kontrollstufe im Ergebnis die neue Kategorie der "bedenklichen Klausel" ein, offenbar mit der Folge, daß auf der ersten Stufe offenbleiben kann, ob die Klausel nach dem generellen Maßstab wirksam oder unwirksam ist. Dieselben Fragen werden auch in bezug auf Art. 4 I der Richtlinie diskutiert. Auch Art. 4 I der Richtlinie sieht nach h. M. die Möglichkeit vor, unangemessene Klauseln durch die Vertragsumstände zu rechtfertigen. 61 Die Gegenmeinung68 verweist auf den Schutzzweck der Richtlinie, der der Berücksichtigung zulasten des Verbrauchers entgegenstehe. 69 Der Wortlaut des § 24a Nr. 3 und des Art. 4 I der Richtlinie, auf den die h. M. sich beruft,10 schließt die Deutung des Gegenmeinung nicht aus. Der Begriff "Berücksichtigen" bedeutet keineswegs notwendig, daß die Einzelfallumstände auch zur Rechtfertigung einer nach dem generellen Kontrollrnaßstab unwirksamen Klausel führen können. 11 Einwände gegen die h. M. ergeben sich vor allem aus dem schon erwähnten Vergleich der Verbandsklage mit dem Individualprozeß. Mehrere Aspekte sind hier von Bedeutung: Wenn eine im Verbandsklageprozeß für unwirksam erklärte Klausel aufgrund der Umstände des Vertragsabschlusses wirksam sein kann, kann der Verbraucher sich auf die Ergebnisse der Verbandsklage nicht mehr verlassen, die h. M. führt also zu einer starken Entwertung der Verbandsklage. 12 Es ist auch im Ergebnis wenig überzeugend, wenn der Verwender einer Klausel verurteilt werden kann, generell die Verwendung einer Klausel zu unterlassen, die in bestimmten (,,Einzel"-)Fällen wirksam vereinbart werden kann?3 Gegen die h. M. spricht auch der Vergleich mit der Kontrolle von Verträgen zwischen Verbrauchern oder unter Unternehmern, die ausschließlich nach dem generellen Maßstab des § 9 zu beurteilen sind. Nach der h. M. kann der Verbraucher, der mit vorformulierten Klauseln konfrontiert wird, beim Vertragsschluß mit einem Unternehmer u. U. schlechter gestellt sein als beim Vertragsschluß mit einem Ver61 Heinrichs, NJW 1993, 1817, 1820; W IH/L-Wolf, Art. 4 RL Rz. 3. Wohl auch: Damm, JZ 1994, 161, 174, der aber zutreffend darauf hinweist, daß in jedem Fall das nationale Recht - wegen Art. 8 der Richtlinie - eine Berücksichtigung der Vertragsumstände zulasten des Verbrauchers ausschließen kann. 68 Borges, DZWir 1997, 402, 408. 69 Borges, DZWir 1997, 402, 408. 10 Vgl. Börner, JZ 1997,595. 11 Borges, DZWir 1997,402,408; Damm, JZ 1994, 161, 174. 12 Borges, DZWir 1997, 402, 408. 73 Etwas anderes gilt nach der Rechtsprechung des BGH beim Transparenzgebot. Hier hat der BGH etwa zu erläuternden Hinweisen zu einer intransparenten Klausel entschieden, daß die Verurteilung zur Unterlassung nicht einzuschränken sei, der Klauselverwender im Vollstreckungsverfahren aber geltend machen könne, wegen des Hinweises liege ein Verstoß gegen das Unterlassungsverbot nicht vor; vgl. BGH 116, 1 (Siehe dazu auch unten 6. Kap., I.l.).
IV. Das Verhältnis der Kontrollstufen
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braucher, nämlich dann, wenn die Vertragsumstände zur Rechtfertigung der Klausel führen. Ebenso wäre der Unternehmer, wenn er als AGB-Verwender mit einem Unternehmer kontrahiert, u.U. einer schärferen Kontrolle unterworfen als beim Vertrags schluß mit einem Verbraucher, da hier (Vertrag zwischen Unternehmern) keine Rechtfertigung durch die Vertrags umstände möglich ist. Dieses paradoxe Ergebnis ist mit dem AGB-Gesetz und der Richtlinie nicht vereinbar. Entscheidend ist, daß die h.M dem Sinn und Zweck der Klauselrichtlinie und der besonderen Inhaltskontrolle nach § 24a Nr. 3 widerspricht. Der Schutz der Inhaltskontrolle nach § 24a Nr. 3 und nach der Richtlinie richtet sich zunächst und primär gegen das Stellen - und Verweigern des Aushandeins - unangemessener (i. S. d. § 9) Vertragsklauseln. Dies entspricht dem klassischen Schutzzweck des AGB-Gesetzes und genauso der Richtlinie. Entscheidende Voraussetzung der Klauselkontrolle ist in bei den Fällen das Vorformulieren und Nicht-Aushandeln einer nachteiligen Klausel. Zum anderen richtet sich § 24a Nr. 3 - das ist die entscheidende Änderung gegenüber § 9 - auch gegen das Ausnutzen der - vom Gesetz unterstellten - stärkeren Stellung des Unternehmers als solche. Diesen Schutz gewährleistet § 24a Nr. 3 dadurch, daß eine am generellen Maßstab nicht unwirksame Klausel dennoch, wegen der Umstände des konkreten Vertrages, unwirksam sein kann. Dieser doppelten Stoßrichtung des Verbraucherschutzes gegenüber mißbräuchlicher Vertragsgestaltung wird die Mindermeinung, nicht aber die h. M. gerecht. Nach der Mindermeinung kann eine nach dem allgemeinen Maßstab des § 9 unwirksame Klausel nicht gerechtfertigt werden. Dieses Ergebnis ist systemkonform, denn der Unternehmer kann die Unwirksamkeit der Klausel vermeiden, indem er die Klausel "aushandelt", d. h. seine Bereitschaft zur Änderung der Klausel anzeigt. 74 Die h. M., die dem Verbraucher trotz Verweigerns des Aushandelns in bestimmten Fällen den vollen Schutz des § 9 verweigert, bleibt hierfür die Erklärung letztlich schuldig. Wenn die Klausel nicht unangemessen i. S. d. § 9, aber für den Verbraucher nachteilig ist - d. h. zu Lasten des Verbrauchers vom Gesetz abweicht - , wird der Verbraucherschutz dadurch ergänzt, daß der Unternehmer sich auch bei der Anbahnung und beim Abschluß des konkreten Vertrages gegenüber den berechtigten IntereSSen des Verbrauchers loyal verhalten muß. Er darf z. B. nicht unangemessen auf den Verbraucher "einwirken" (Verhaltenskomponente). Diese Anforderungen an den Unternehmer bestehen nach beiden Ansichten. Die h. M. führt aber zu einer Übergewichtung dieser Komponente der Klauselkontrolle, wenn sie die Ergebnis der ersten Stufe auf der zweiten Stufe in beide Richtungen ,,korrigieren" will. Dadurch verschiebt sich das Gewicht der Klauselkontrolle bei Verbraucherverträgen von einer Inhaltskontrolle zu einer Kontrolle des Parteiverhaltens bei Vertragsabschluß oder gar zu einer Billigkeitskontrolle 74
Zu den Voraussetzungen des Aushandelns siehe unten 5. Kap., I.2.a.aa.
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2. Kap.: Die zweistufige Klauselkontrolle von Verbraucherverträgen
"aller Umstände" des Vertrages. Dazu besteht aber nach dem Schutzzweck der Richtlinie und des § 24a Nr. 3 kein Anlaß. Im Ergebnis ist somit daran festzuhalten, daß die Berücksichtigung der Umstände des Vertragsabschlusses nicht zur Wirksamkeit einer Klausel führen kann, die nach dem generellen Kontrollrnaßstab des § 9 unwirksam wäre. Dies bedeutet natürlich nicht, daß stets nur die gegen die Wirksamkeit der Klausel sprechenden Umstände zu berücksichtigten wären. Auf der zweiten Stufe der Klauselkontrolle sind den Umständen, die für die Unwirksamkeit der Klausel sprechen, ggf. auch die Umstände gegenüberzustellen, die für die Wirksamkeit sprechen. Diese können eben nur nicht eine auf der ersten Stufe bereits festgestellte Unwirksamkeit der Klausel aufheben.
2. Die Voraussetzungen der Klauselkontrolle auf der zweiten Stufe Die Klauselkontrolle auf der zweiten Stufe hat zunächst dieselben Voraussetzungen wie auf der ersten Stufe. Der Klauselkontrolle unterliegen also nur Klauseln, die nicht vom Verbraucher gestellt und nicht ausgehandelt sind, zu Lasten des Verbrauchers vom dispositiven Recht abweichen und keine nach § 8 AGBG kontrollfreie Leistungsbeschreibung etc. darstellen. Ob weitere Voraussetzungen bestehen, wird nur selten im einzelnen erörtert. Vielfach wird allerdings gesagt, die Berücksichtigung der Vertragsumstände erfolge nur, wenn nach dem Ergebnis der ersten Stufe ,,Bedenken" gegen die Klausel bestünden. 75 Der Begriff der ,,Bedenken" ist unklar. Möglicherweise ist damit nur das Erfordernis gemeint, daß die Klausel zum Nachteil des Verbrauchers vom dispositiven Recht abweicht. Darüber hinausgehende Voraussetzungen sind nicht anzunehmen. Sonst würde der Zweck der zweistufigen Klauselkontrolle, auch solche Klauseln anhand des konkret-individuellen Maßstabs zu überprüfen, die nach dem generellen Maßstab wirksam sind, zumindest teilweise vereitelt. Eine Einschränkung des Anwendungsbereichs der zweiten Stufe ergibt sich aus ihrer Wirkungsweise: Da die Berücksichtigung des individuellen Maßstabs eine nach dem generellen Maßstab unwirksame Klausel nicht rechtfertigen kann, unterbleibt die zweite Kontrollstufe, wenn die Klausel nach dem Ergebnis der ersten Stufe unwirksam ist. 76 Nach der h. M. ist dagegen auch in diesen Fällen die zweite Stufe durchzuführen.
75 76
Heinrichs, NJW 1993, 1817, 1820 Fn. 42. Ähnlich W IH/L-Hom, § 24a Rz. 52 f. So auch Staudinger-Schlosser. § 24a AGBG Rz. 53.
IV. Das Verhältnis der Kontrollstufen
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3. Funktion und Tatsachenbasis der zweiten KontroUsture a) Trennung der Kontrollstufen und Tatsachenbasis der Interessenabwägung
Nach dem Konzept der Kombinationslösung sind die beiden Kontrollstufen getrennt voneinander durchzuführen. Zwischen den Kontrollstufen besteht, wie soeben erörtert, insofern eine Rangfolge, als die zweite Stufe nicht durchzuführen ist, wenn die Kontrolle anhand des generellen Maßstabs zur Unwirksamkeit der Klausel führt. Im übrigen gilt somit, daß die beiden Kontrollstufen zu einer doppelten Prüfung von Vertragsbestimmungen führen: Eine Klausel ist nur wirksam, wenn sie sowohl anband der generellen Betrachtungsweise (erste Stufe) als auch anband des konkreten Maßstabs (zweite Stufe) wirksam ist. Damit ist aber nur das Verhältnis der unterschiedlichen Kontrollrnaßstäbe beschrieben. Eine andere Frage ist, welches Verhältnis zwischen den Kontrollstufen in bezug auf die zu berücksichtigenden Vertragsumstände, insbesondere in bezug auf die Tatsachenbasis der Interessenabwägung, besteht. Diese Frage ist für die Funktion und die praktische Bedeutung der zweiten Kontrollstufe von wesentlicher Bedeutung. Insoweit bestehen zwei Möglichkeiten. Zum einen ist eine doppelte Berücksichtigung denkbar. Danach wäre ein Umstand des Vertragsabschlusses, der - ausnahmsweise17 - auf der ersten Kontrollstufe berücksichtigt werden kann, auf beiden Kontrollstufen in die Interessenabwägung einzubeziehen. Dies hätte etwa zur Folge, daß der jeweilige Umstand, der am Maßstab der typisierten Interessenlage eines vertragstypischen Durchschnittsverbrauchers nicht zur Unwirksamkeit der Klausel führt, auf der zweiten Stufe zur Unwirksamkeit der Klausel führen kann, wenn er am Maßstab der Interessen des konkreten Vertragspartners die Klausel unangemessen erscheinen läßt. Die andere Möglichkeit wäre die einer alternativen Berücksichtigung der Vertragsumstände. Danach wäre in den Fällen, in denen ein Umstand des Vertragsabschlusses (ausnahmsweise) auf der ersten Stufe berücksichtigungsfähig ist, dieser auf der zweiten Stufe nicht mehr heranzuziehen. Ein Widerspruch zwischen den beiden Kontrollrnaßstäben ist nach diesem Modell ausgeschlossen, die Bedeutung der zweiten Kontrollstufe wäre freilich vermindert. Nach diesem Modell hätte die zweite Kontrollstufe ein lediglich ergänzende Funktion in bezug auf solche Einzelfallumstände, die im Rahmen der ersten Stufe nicht berücksichtigt werden können. Ein Beispiel für diese Fragestellung ist etwa das Kräfteverhältnis zwischen den Verhandlungspositionen der Parteien. Einige Aspekte des Kräfteverhältnisses sind, wie noch im einzelnen zu erörtern ist, auf der ersten Stufe durchaus zu berücksichtigen. Von Bedeutung sind etwa Rücksichtnahmepflichten aufgrund der Monopolstellung eines Anbieters, z.B eines Unternehmens des öffentlichen Personennah77 Im Rahmen der Angemessenheitskontrolle des § 9 (genereller Maßstab) sind die Umstände des Vertragsabschlusses regelmäßig ohne Bedeutung; siehe oben 1. Kap., 11.
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2. Kap.: Die zweistufige Klauselkontrolle von Verbraucherverträgen
verkehrs. Bei einer vollständigen Prüfung auf der zweiten Stufe ist die etwaige Verletzung einer Rücksichtnahmepflicht erneut, diesmal anband des konkreten Kontrollmaßstabs zu überprüfen. Nimmt man hier eine Sperrwirkung der ersten Stufe an, so kann die Verletzung der Rücksichtnahmepflicht auf der zweiten Stufe nicht mehr berücksichtigt werden. Diese so wichtige Frage wird als allgemeiner Aspekt der Klauselkontrolle praktisch nicht diskutiert. Lediglich zu einzelnen Fragen finden sich - meist implizit Stellungnahmen hierzu. So wird etwa zu den Klauselverboten des § 10 die Ansicht vertreten, die Begriffe seien sowohl anband des generellen wie auch anband des konkreten Maßstabs zu beurteilen, die Klausel müsse beiden Maßstäben standhalten. 78 b) Die ergänzende Funktion der zweiten Kontrollstufe aa) Die Trennung der beiden Kontrollstufen Soweit man eine umfassende doppelte Prüfung erwägt, ist die Trennung der Kontrollstufen zu beachten. Sonst könnte die doppelte Berücksichtigung leicht zu einer Verzerrung der Inhaltskontrolle fiihren. Oft wird es ja so sein, daß der Umstand auf der ersten Kontrollstufe ,,Bedenken" gegen die Wirksamkeit der Klausel begründet. Wenn derselbe Umstand am Maßstab der Interessenlage des konkreten Vertragspartners (2. Kontrollstufe) ebenfalls Anlaß zu ,,Bedenken" gibt, etwa weil die Interessenlage des konkreten Vertragspartners genau der des vertragstypischen Durchschnittsverbrauchers entspricht, dann wäre es offensichtlich falsch, die Bedenken der ersten und der zweiten Kontrollstufe sozusagen zu addieren und auf diesem Wege zur Unwirksamkeit der Klausel zu gelangen. Es kann also auch bei der doppelten Kontrolle nur darum gehen, daß der Umstand auf der zweiten Stufe ungeachtet der ersten Stufe (wegen Treuwidrigkeit gegenüber den Interessen des konkreten Vertragspartners) zur Unwirksamkeit der Klausel führt.
bb) Keine doppelte Tatsachenbewertung Aus der Sicht eines effektiven Verbraucherschutzes läßt sich eine umfassende Abwägung auf der zweiten Stufe, d. h. eine erneute Berücksichtigung der auf der ersten Stufe herangezogenen Umstände, durchaus begründen, denn der einzelne Verbraucher ist ideal geschützt, wenn seine Verhältnisse und Interessen ausschlaggebend sind. Auf der anderen Seite aber hätte dies fiir die Verwendung von AGB fatale Folgen: Sollte es tatsächlich umfassend auf die Interessen des konkreten Vertragspartners ankommen, kann der Unternehmer gegenüber Verbrauchern AGB kaum verwenden, und seien sie am Maßstab des § 9 noch so unverdächtig, denn in 78
Siehe dazu unten 5. Kap., 11.1.
IV. Das Verhältnis der Kontrollstufen
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jedem einzelnen Fall kann es ihm passieren, daß die Klausel aufgrund der konkreten Interessenlage des Verbrauchers unwirksam ist. Der Unternehmer wäre also letztlich gezwungen, nahezu in jedem Einzelfall zu prüfen, welche Klausel er seinem Vertragspartner am Maßstab dessen Interessenlage zumuten kann, und seine Vertragsbedingungen entsprechend zu differenzieren. Im übrigen spricht auch das Konzept der Kombinationslösung gegen eine doppelte Berücksichtigung. Wie oben dargestellt, setzt die Kombinationslösung darauf, den Gegensatz zwischen dem abstrakten und dem konkreten Kontrollrnaßstab durch eine Trennung der Maßstäbe zu vermeiden. Dies gelingt in der Sache aber nur dann, wenn eine doppelte Berücksichtigung der Umstände vermieden wird. Soweit Umstände, die bereits auf der ersten Kontrollstufe von Bedeutung waren, auf der zweiten Stufe erneut berücksichtigt werden, kommt es im Ergebnis wieder zur Konfrontation der Kontrollrnaßstäbe, denn wenn die Ergebnisse divergieren, kann sich letztlich nur einer der Maßstäbe durchsetzen. Damit ergibt sich, daß das in der Kombinationslösung angelegte Modell einer konsequenten Trennung der beiden Kontrollstufen vorzuziehen ist. Eine in tatsächlicher Hinsicht umfassende erneute Überprüfung der Klausel anhand der konkreten Interessenlage ist nicht Gegenstand der zweiten Kontrollstufe. Dies gilt nicht nur für AGB, sondern auch für Einmalklauseln, denn auch bei Einmalklauseln gilt, daß der generelle Kontrollrnaßstab durch den konkreten Maßstab nicht überlagert, sondern nur ergänzt werden soll. Im übrigen gelten die sonstigen für die Gleichbehandlung von AGB und Einmalklauseln sprechenden Gesichtspunkte (oben ill.) auch hier. c) Die Tatsachenbasis der zweiten Kontrollstufe
Die Funktion der zweiten Kontrollstufe als bloße Ergänzung der ersten Stufe bedeutet im Ergebnis, daß alle Umstände, die bereits in die Interessenabwägung auf der ersten Stufe eingeflossen sind, auf der zweiten Stufe nicht mehr berücksichtigt werden können. Für die Berücksichtigung anhand des konkreten Kontrollmaßstabs (zweite Stufe) bleiben dann nur noch solche Umstände, die auf der ersten Stufe nicht berücksichtigt werden konnten. Daraus folgt, daß auf der zweiten Stufe eine eigenständige Interessenabwägung im Sinne einer umfassenden Prüfung gar nicht erfolgen kann, denn die interessenabwägung muß entsprechend ihrem Gegenstand - Angemessenheit der Klausel natürlich auch den Inhalt der Klausel, den Zusammenhang mit dem Vertrag im übrigen etc. beachten, hängt also wesentlich von Umständen ab, die auf der ersten Stufe zu berücksichtigen sind. Vielmehr geht es nur um eine Ergänzung. Es ist auf der zweiten Stufe nur zu prüfen, ob die Klausel aufgrund der zusätzlich - im Lichte der Interessenlage der konkreten Vertragspartner zu wertenden - maßgeblichen Umstände abweichend vom Ergebnis der ersten Stufe unwirksam ist. Dabei erfolgt keine Neubewertung der auf der ersten Stufe bereits berücksichtigten Umstände,
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2. Kap.: Die zweistufige Klauselkontrolle von Verbraucherverträgen
d. h. die auf der ersten Stufe betrachteten Umstände gehen mit der dort erzielten Bewertung in die Interessenabwägung der zweiten Stufe ein. Diese Methode soll an zwei Beispielen näher beschrieben werden: Als erstes Beispiel sei angenommen, daß der Unternehmer in einem formularmäßigen Verbrauchervertrag über die Nutzung eines Sportstudios eine vergleichsweise lange feste Vertragslaufzeit vorgesehen hat, z. B. ein Jahr. Bei den Vertragsverhandlungen im Geschäftslokal des Unternehmers redet der Unternehmer massiv auf den Verbraucher ein (die Kündigungsfrist sei ganz üblich, sei noch von niemandem beanstandet worden, außerdem werde die Frist nicht so eng gehandhabt, etc. pp.), damit der Verbraucher den Vertrag trotz der Klausel schließt. Die Beeinflussung des Verbrauchers durch den Unternehmer ist in der Angemessenheitskontrolle nach § 9 nicht zu berücksichtigen, da das Einwirken auf den Verbraucher für die inhaltliche Angemessenheit der Klausel nichts hergibt. 79 Die erste Stufe der Klauselkontrolle ergibt daher möglicherweise, daß die Vertragslaufzeit nicht unangemessen lang ist. 80 Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob der Umstand, daß der Unternehmer so massiv auf den Verbraucher eingeredet hat, zu einem anderen Ergebnis führt. Unterstellt man an dieser Stelle einmal, daß dieses Einwirken - entsprechend dem Wortlaut des Gesetzes - zu berücksichtigen ist, so muß dieser Umstand auf der zweiten Stufe in die Angemessenheitskontrolle einfließen. Wenn nicht weitere Umstände - im Beispiel sind keine genannt - vorliegen, ist dies der einzige Umstand, der auf der zweiten Stufe hinzutritt. Bei der nun erforderlichen Interessenabwägung auf der zweiten Stufe ist nicht etwa zu prüfen, ob die Frist nach der Interessenlage des konkreten Verbrauchers angemessen lang ist. Insoweit bleibt es bei der Maßgeblichkeit der Interessen des vertragstypischen Durchschnittsverbrauchers, wonach (Ergebnis der ersten Stufe) die Dauer der festen Vertragslaufzeit vielleicht bedenklich, aber nicht treuwidrig i. S. d. § 9 ist. Zu berücksichtigen ist aber, ob die Einflußnahme am Maßstab der Interessen und der persönlichen Verhältnisse des konkreten Verbrauchers etc. treuwidrig war. Würde man auch insoweit auf den vertragstypischen Durchschnittsverbraucher abstellen, so könnte es dazu kommen, daß die Klausel wirksam wäre, obwohl man im konkreten Fall wegen der Interessenlage und der Beeinflußbarkeit des (konkreten) Verbrauchers einen Treueverstoß oder, in der Sprache der Richtlinie, ein illoyales Verhalten des Unternehmers gegenüber den Interessen des Verbrauchers bejahen müßte. Hier ist das Abstellen auf die Verhältnisse und Interessen des konSiehe dazu unten 3. Kap., IV. I. So etwa v. Westphalen. AGB-Klauselwerke, Fitness- und Sportstudiovertrag Rz. 8. A.A. wohlOLG Hamm, NJW-RR 1992,444,445. Enger etwa U/B/H-Hemen. Anh. §§ 9-11 Rz. 673 (Erst-)Laufzeiten von 6 Monaten unbedenklich). Dagegen will der BGH offenbar Erstlaufzeiten von bis zu 2 Jahren zulassen; vgl. BGH, NJW 1997,739 f., dazu krit. U /B/HHemen. Anh. §§ 9-11. Rz. 673 m.w.Nachw. 79
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IV. Das Verhältnis der Kontrollstufen
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kreten Verbrauchers der sachgerechte Maßstab. Nicht von Bedeutung ist natürlich, ob der Verbraucher die Einwirkung für treuwidrig hält oder nicht. Die zusätzliche Berücksichtigung dieses Umstandes kann dann nach dem Modell der zweistufigen Klauselkontrolle zur Unwirksamkeit der Klausel führen. Ein weiteres Beispiel für diese Fragestellung ist das oben schon angesprochene Kräfteverhältnis zwischen den Verhandlungspositionen der Parteien, das vom 16. Erwägungsgrund ausdrücklich als berücksichtigungsfähiger Umstand bezeichnet wird. Das Kräfteverhältnis zwischen den Verhandlungspositionen ist auf der ersten Stufe regelmäßig nicht zu berücksichtigen (siehe 3. Kap., 11.2.). Wenn man einmal unterstellt, daß es aber auf der zweiten Stufe zu berücksichtigen ist (dazu 3. Kap., 1I.2.c), dann kommt es insoweit auf die Interessen und Verhältnisse des konkreten Verbrauchers und nicht auf die des vertragstypischen Durchschnittsverbrauchers an. Im übrigen bleibt es bei der Maßgeblichkeit der Interessen des vertragstypischen Durchschnittsverbrauchers. Damit ergibt sich, daß die beiden Stufen der Angemessenheitskontrolle von Verbraucherverträgen nicht nur in bezug auf den Kontrollmaßstab, sondern auch auf der Ebene der Tatsachenbasis konsequent zu trennen sind. Die zweite Stufe hat eine rein ergänzende Funktion. Sie bedeutet nicht mehr, aber auch nicht weniger, als daß die Umstände des konkreten Falles, die nicht auf der ersten, wohl aber auf der zweiten Stufe berücksichtigt werden können (dazu sogleich 3. Kap.), anhand der Interessenlage und der Verhältnisse des konkreten Vertragspartners ergänzend in eine erneute Interessenabwägung einzubringen sind.
3. Kapitel
Die Umstände des Vertragsabschlusses I. Keine allgemeine Billigkeitskontrolle 1. FaUgruppen der berucksichtigungsrähigen Umstände Der Begriff der den Vertragsabschluß begleitenden Umstände umfaßt nach h. M. die gesamte, bei Vertragsabschluß bestehende Situation. Dies bedarf der Konkretisierung. Mit dem Verweis auf die Gesamtsituation ist noch nicht geklärt, welche Umstände im einzelnen zu berücksichtigen sind und welche Bedeutung ihnen jeweils für die Wirksamkeit einer bestimmten Vertragsklausel zukommt. Die Richtlinie enthält naturgemäß nur wenig konkrete Vorgaben. Immerhin gibt der 16. Erwägungsgrund zur näheren Konkretisierung die schon genannten drei Beispiele des Kräfteverhältnisses der Verhandlungspositionen, des Einwirkens auf den Verbraucher sowie das Beispiel der SonderbesteIlung des Verbrauchers. Die Stellungnahmen der Literatur gehen darüber meist nicht aus. Oft beschränken sich die Stellungnahmen auf einen Verweis auf den 16. Erwägungsgrund oder auf die Aufzählung einiger Beispiele. Häufig genannte Beispiele für Umstände, die im Rahmen der zweiten Stufe zu berücksichtigen sind, sind etwa das Kräfteverhältnis zwischen den Verhandlungspositionen der Parteien', "das intellektuelle und wirtschaftliche Kräfteverhältnis zwischen den Parteien,,2, das Ausnutzen einer Überrumpelungssituation oder der geschäftlichen Unerfahrenheit des Verbrauchers durch den Unternehmer,3 aber auch die "geschäftliche Unerfahrenheit,,4 oder jedenfalls die "besondere Unerfahrenheit"s des Verbrauchers als solche, eine "besondere Notlage" des Verbrauchers, 6 Täuschung oder sonstiges irreführendes VerhalHoppen, NWB, Fach 19, S. 2243, 2246; Locher. JuS 1997,389,391. Heinrichs, NJW 1993, 1817, 1820 (zu Art. 4 I RL). In der Sache genauso: Roth. JZ 1995, 529, 530 (zu § 24a Nr. 3). 3 Heinrichs, NJW 1996,2190,2194; ders., in Palandt, § 24a AGBG Rz. 17; Locher. JuS 1997,389,391; Staudinger-Schlosser. § 24a AGBG Rz. 55; wohl ebenso: Bunte, DB 1996, 1
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1389,1390.
4 Locher. JuS 1997, 389, 391; Michalski, DB 1999, 677; Staudinger-Schlosser. § 24a AGBGRz.55. S Coester-Waltjen, Jura 1997,272,274. 6 Coester-Waltjen, Jura 1997,272,274.
I. Keine allgemeine Billigkeitskontrolle
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ten seitens des Untemehmers7, darunter auch verharmlosende Erldärungen8 und das ,,Einwirken,,9 oder das "intensive Einwirken"lo auf den Verbraucher, seine Zustimmung zu dem Vertrag oder zu einer bestimmten Klausel zu geben. Ebenso soll die Geschäftserfahrenheit des Verbrauchers 11 oder das darauf beruhende Fehlen der ,,rollenspezifischen Unterlegenheit" zu berücksichtigen sein. 12 Von Bedeutung soll auch sein, ob der Verbraucher den Vertrag ,,nach sorgfältiger Prüfung von Vergleichsangeboten,,13 oder nach "intensiver Aufldärung,,14 schließt. Zur weiteren Konkretisierung des Begriffs der Vertragsumstände lassen sich nach der Ansicht von Horn die im Rahmen des § 138 BGB und der c.i.c. von Rechtsprechung und Literatur entwickelten Fallgruppen heranziehen, etwa die Verletzung von Aufklärungs- und Beratungspflichten. 15 Viele der in der Literatur genannten Beispiele und Fallgruppen stimmen in der Sache weitgehend überein und lassen sich, entsprechend den Beispielen des 16. Erwägungsgrundes, in wenige Gruppen zusammenfassen. Von Bedeutung ist demnach das "Kräfteverhältnis zwischen den Verhandlungspositionen der Parteien". Zu dieser Fallgruppe gehört etwa der Gesichtspunkt des ,,Fehlens der strukturellen Unterlegenheit", generell alle persönlichen Eigenschaften der konkreten Vertragspartner, die ihre Verhandlungsposition beeinflussen. 16 Als weitere Gruppe der berücksichtigungsfähigen Umstände ist das Verhalten der Parteien bei Vertragsabschluß zu nennen l7, also etwa das in der Richtlinie genannte Beispiel des Einwirkens auf den Verbraucher. Schließlich können die Umstände in einer Gruppe zusammengefaßt werden, die die individuelle Interessenlage der konkreten Vertragspartner beeinflussen. 18 Dazu gehört etwa das von der Richtlinie genannte Beispiel der "SonderbesteIlung" .
W IH/L-Hom. § 24a Rz. 49. Bunte. DB 1996,1389,1390; W IH/L-Hom, § 24a Rz. 49. 9 Locher, JuS 1997, 389, 391. 10 Heinrichs, NJW 1996,2190,2194. 11 Locher, JuS 1997,389,392. 12 Heinrichs. NJW 1996,2190,2194; ders., in Palandt, § 24a AGBG Rz. 17; StaudingerSchlosser, § 24a AGBG Rz. 55. 13 Bunte, DB 1996, 1389, 1390; Heinrichs. NJW 1993, 1817, 1820 (zu Art. 4 I RL); ders., NJW 1996,2190,2194. 14 Locher, JuS 1997, 389, 392. IS W IH/L-Horn, § 24a Rz. 48 f. 16 U I B I H-Brandner, § 9 Rz. 179. 11 Ähnlich U I B I H-Brandner, § 9 Rz. 179 (..Besonderheiten der konkreten Vertragsabschlußsituation"). 18 Vgl. U I B I H-Brandner, § 9 Rz. 179; W I H I L-Horn, § 24a Rz. 45. 1
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3. Kap.: Die Umstände des Vertragsabschlusses
2. Einschränkungen der berücksichtigungsfähigen Umstände
Der weit gefaßte Verweis der h. M. auf eine "umfassende" Betrachtung "aller" Umstände bedarf der Einschränkung. Nach dem Sinn und Zweck der Klauselkontrolle können nicht "alle" Umstände berücksichtigt werden, sondern nur solche, welche sich auf die Angemessenheit der Klausel auswirken. Diese Einschränkung ist notwendig, denn § 24a Nr. 3 führt keine "allgemeine Billigkeitskontrolle" von Verträgen ein. 19 Genau darauf liefe eine uneingeschränkte Berücksichtigung der bei Vertragsabschluß bestehenden "Gesamtsituation" aber hinaus. So weist etwa Horn darauf hin, daß die absolute Größe eines Unternehmens kein berücksichtigungsfähiger Umstand ist, auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Kräfteverhältnisses. 2o Im Kern geht es bei dieser Einschränkung darum, daß die absolute Größe eines Unternehmens keinerlei Rückschluß darauf zuläßt, ob eine bestimmte Klausel in dem vom Unternehmer gestellten Vertrag inhaltlich zu mißbilligen ist. Selbst auf das Kräfteverhältnis zwischen den Verhandlungspositionen der Parteien läßt dieser Gesichtspunkt keinen Rückschluß zu. Es ist also für die einzelnen Umstände, deren Berücksichtigung infrage steht, immer zu prüfen, ob sich dieser Umstand auf die Angemessenheit der Klausel, unmittelbar oder mittelbar, auswirken kann. Zwar kann im Rahmen der zweiten Stufe nicht gefordert werden, daß der Umstand in unmittelbarem sachlichen Zusammenhang mit der Gestaltung der Klausel steht, da die Richtlinie ausdrücklich die Berücksichtigung auch solcher Umstände verlangt, die typischerweise ohne unmittelbaren Einfluß auf die konkrete Formulierung einer bestimmten Klausel sind, wie etwa das Kräfteverhältnis zwischen den Verhandlungspositionen und das Partei verhalten bei Vertragsabschluß. Ein sachlicher Zusammenhang mit der Vertragsgestaltung muß aber bestehen. Dies folgt aus dem spezifischen Gegenstand der Inhaltskontrolle (mißbräuchliche Vertragsbestimmungen, nicht etwa Störungen des Wettbewerbs etc.) und ergibt sich indirekt auch aus den Beispielen des 16. Erwägungsgrundes: Eine unangemessene Beeinflussung des Verbrauchers bei Vertragsabschluß begründet nach der Lebenserfahrung den Verdacht, daß der Verbraucher eine ihm nachteilige Klausel nicht ohne die Inanspruchnahme der Vertragsgestaltungsfreiheit durch den Unternehmer akzeptiert hätte. Ähnliches gilt für eine ungleichgewichtige Verhandlungslage. Aus dem Schutzzweck der Klauselkontrolle ergibt sich die weitere Einschränkung, daß nur solche Umstände berücksichtigt werden können, die sich auf kontrollfähige Vertragsbestimmungen beziehen. Damit fallen etwa Umstände aus, die sich ausschließlich auf solche Vertragsbestandteile beziehen, die keiner Kontrolle nach dem AGB-Gesetz unterliegen. Dies sind etwa alle Umstände, die sich auf die
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Brors, ZIP 1998, 1663, 1665. W IH/L-Horn, § 24a Rz. 50.
11. Das Kräfteverhältnis zwischen den Verhandlungspositionen der Parteien
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Beschreibung der Leistung oder auf das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung beziehen. Eine weitere, wichtige Einschränkung gilt für die Berücksichtigung des Parteiverhaltens bei Vertragsabschluß. Das Parteiverhalten wird vom AGB-Gesetz im Vorfeld der Inhaltskontrolle berücksichtigt, vor allem durch das Kriterium des AushandeIns. Kontrollfähig sind gemäß § 1 11 AGBG nur Klauseln, die nicht ausgehandelt sind. 21 Dasselbe gilt nach Art. 3 I, 11 der Klauselrichtlinie. 22 Das Verweigern des AushandeIns ist also Voraussetzung, nicht Bestandteil der Inhaltskontrolle. Das bedeutet, daß das Verhalten des Unternehmers nicht berücksichtigt werden kann, soweit es sich auf das Vorformulieren der Klausel und das Verweigern des AushandeIns beschränkt. Die wichtigste Einschränkung ergibt sich aus dem Verhältnis zwischen der ersten und der zweiten Kontrollstufe. Wie oben dargestellt, bezieht sich der konkrete Kontrollrnaßstab (zweite Kontrollstufe) nur auf solche Umstände des Vertragsabschlusses, die nicht schon auf der ersten Stufe berücksichtigt wurden. Die Berücksichtigung der Umstände bei Vertragsabschluß wird im folgenden flir die verschiedenen Gruppen der Umstände näher untersucht.
11. Das Kräfteverhältnis zwischen den Verhandlungspositionen der Parteien 1. Die Faktoren des Kräfteverhältnisses Nach dem 16. Erwägungsgrund der Klauselrichtlinie ist bei der AGB-Kontrolle u. a. das Kräfteverhältnis zwischen den Verhandlungspositionen der Parteien zu berücksichtigen. Die Auslegung dieses Begriffs und die Bedeutung dieses Kräfteverhältnisses für die Wirksamkeit vorformulierter Klauseln ist noch weitgehend unklar. Das Kräfteverhältnis zwischen den Verhandlungspositionen wird von vielen Faktoren bestimmt, sowohl von allgemeinen Umständen, etwa der Größe oder der Marktrnacht des Unternehmers, als auch von Umständen, die sich aus der jeweiligen Situation ergeben und nur in dieser vorliegen. Die Mehrheit der Umstände, die ftir das Kräfteverhältnis von Bedeutung sind, sind ftir die Berücksichtigung im Rahmen der Klauselkontrolle nicht geeignet. So ist etwa die absolute Größe des Unternehmens nicht von Bedeutung. 23 Nach gelegentlich vertretener Ansicht ist aber die Marktrnacht des Unternehmers zu berücksichtigen. 24 Nach anderer Ansicht kommt es nicht auf die Marktrnacht des Unter21 22
Siehe zum Begriff und zu den Voraussetzungen des Aushandelns unten 5. Kap., I.2.a.aa. Eckert, ZIP 1996, 1238, 1240; Heinrichs, NJW 1995, 153, 155; W IH/L-Horn, § 24a
Rz.4. 23
Siehe die Nachw. oben Pn. 20.
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3. Kap.: Die Umstände des Vertragsabschlusses
nehmers als solche an, da diese durch Wettbewerb ausgeglichen werden könne. 2s Nach dieser Ansicht ist vielmehr die Abhängigkeit des Verbrauchers vom Leistungsangebot des Unternehmers, das insbesondere bei einer MonopolsteIlung gegeben ist, im Rahmen des § 24a Nr. 3 von Bedeutung. 26 Die Ansichten liegen möglicherweise nicht weit auseinander. Für die Berücksichtigung der Marktrnacht spricht, daß sie das Fehlen eines funktionierenden Wettbewerbs und damit die Abhängigkeit des Verbrauchers vom Leistungsangebot des Unternehmers indiziert. Im Falle der MonopolsteIlung kommen daher beide Ansichten zu dem Ergebnis, daß dieser Umstand zugunsten des Verbrauchers zu berücksichtigen ist. In den übrigen Fällen ist die zweite Ansicht möglicherweise enger und zugleich präziser. Dem Begriff der Marktmacht läßt sich nur wenig dazu entnehmen, welche Art von Marktposition - etwa eine marktbeherrschende Stellung i. S. d. Kartellrechts - der Unternehmer innehaben muß, damit sie in der Klauselkontrolle zugunsten des Verbrauchers herangezogen werden kann. Dagegen weist das Kriterium der Abhängigkeit vom Leistungsangebot, obgleich im Kern mit dem Bestehen von Marktrnacht übereinstimmend, deutlicher auf den Schutzzweck der Klauselkontrolle hin, die sich gegen den - in einer Abhängigkeitssituation zu befürchtenden Mißbrauch der Vertragsgestaltungsfreiheit richtet.
Als ein wesentlicher Faktor des im Rahmen des § 24a Nt. 3 zu berücksichtigenden Kräfteverhältnisses erscheint danach die Abhängigkeit des Verbrauchers vom Leistungsangebot des Unternehmers (unten 2.). Denkbar sind aber auch sonstige Umstände, die für das Kräfteverhältnis zwischen den Verhandlungspositionen von Bedeutung sein können (unten 3.), etwa auch eine besonders starke Position des Verbrauchers.
2. Die Abhängigkeit des Verbrauchers vom Leistungsangebot des Unternehmers a) Fallgruppen der Abhängigkeit
Die Abhängigkeit des Verbrauchers vom Leistungsangebot des Unternehmers kann auf ganz verschiedenen Ursachen beruhen. Sie kann sich vor allem aus dem Fehlen von Wettbewerb ergeben, insbesondere im Falle einer MonopolsteIlung des Unternehmers, die etwa im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs oder der Versorgung mit Energie, Wasser etc. häufig besteht. Eine solche Abhängigkeit ist 24 Vgl. Bömer, JZ 1997,595,599; Bunte. OB 1996. 1389. 1390 (Berücksichtigung der "wirtschaftlichen Stärke" der Parteien). 25 Bunte. OB 1996. 1389, 1390; W IH/L-Horn. § 24a Rz. 50. 26 U/B/H-Brandner, § 9 Rz. 179; Bunte. OB 1996, 1389, 1390; W/H/L-Hom. § 24a Rz. 50; Roth. JZ 1999,529,530. Wohl auch: Börner, JZ 1997,595,599.
11. Das Kräfteverhältnis zwischen den Verhandlungspositionen der Parteien
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freilich nicht auf Fälle eines Monopols beschränkt. Eine Abhängigkeit besteht immer dann, wenn der Verbraucher keine realistische Alternative zum Leistungsangebot des Unternehmers hat. 27 Die Abhängigkeit vom Leistungsangebot des Unternehmers kann auch auf Besonderheiten der Interessenlage des Verbrauchers beruhen. Ein Beispiel hierfür ist etwa der Verbraucher, der aufgrund Alters oder aus sonstigen Gründen in seiner Mobilität stark eingeschränkt ist und daher auf lokale Anbieter angewiesen ist, obwohl diese keine MonopolsteIlung besitzen. Die Abhängigkeit des Verbrauchers vom Leistungsangebot eines bestimmten Unternehmers kann sich auch aus einer bestimmten Situation ergeben, in der der Verbraucher keine realistische Ausweichmöglichkeit hat. Ein· bewußt einfaches Beispiel ist gegeben, wenn der Verbraucher auf einer Reise wegen einer Autopanne auf die Dienste der einzigen Werkstatt weit und breit angewiesen ist. In allen Fällen stellt sich die Frage, ob und inwieweit derartige Abhängigkeitsverhältnisse im Rahmen der Klauselkontrolle nach § 9 AGBG (erste Kontrollstufe) oder ggf. auf der zweiten Kontrollstufe zu berücksichtigen sind.
b) Die Berücksichtigung auf der ersten Kontrollstufe aa) Die Abhängigkeit aufgrund fehlenden Wettbewerbs Die Berücksichtigung der Abhängigkeit des Verbrauchers vom Leistungsangebot des Unternehmers wegen fehlenden Wettbewerbs läßt sich unter dem Gesichtspunkt eines effektiven Verbraucherschutzes gut begründen. Dieses Kriterium fügt sich jedoch in die Inhaltskontrolle von Vertragsbestimmungen, insbesondere bei AGB, nur schlecht ein. Im Kern geht es bei der Berücksichtigung des Angewiesenseins auf die Leistung des Unternehmers darum, einen Ausgleich für fehlenden Wettbewerb zu schaffen. Dieser Ausgleich kann aber auf der Ebene der Kontrolle einzelner Vertragsbestimmungen nicht sachgerecht geschaffen werden, denn es fehlt an einem unmittelbaren Bezug zwischen dem fehlenden Wettbewerb und dem konkreten Inhalt einer bestimmten Vertragsklausel. Dies wird offensichtlich, sowie man sich Beispiele vorstellt: Kann es für die Wirksamkeit einer nicht wettbewerbsrelevanten Klausel, z. B. der Höhe der Verzugszinsen, darauf ankommen, ob der Verbraucher generell oder in der konkreten Situation auf einen anderen Anbieter ausweichen kann oder nicht? Die Bedeutung der Marktrnacht des Klauselverwenders für die Klauselkontrolle ist natürlich nicht notwendig auf Verbraucherverträge beschränkt, sondern eine allgemeine Frage der Klauselkontrolle, die sich genauso im Rahmen des § 9 AGBG stellt.
r7
Siehe dazu auch Bömer; JZ 1997,595,599.
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3. Kap.: Die Umstände des Vertragsabschlusses
Die Frage nach der Bedeutung des Vorhandenseins oder Fehlens eines funktionierenden Wettbewerbs für die Inhaltskontrolle von AGB stellt sich in zwei Richtungen: Zum einen ist zu fragen, ob es - zugunsten des Klauselverwenders - von Bedeutung ist, daß der Vertragspartner bei einem Konkurrenten einen Vertrag über die gleiche Leistung ohne die betreffende Klausel schließen kann, und zum anderen, ob die Klauseln eines AGB-Verwenders, der über eine marktbeherrschende Stellung oder gar ein Monopol verfügt, einer schärferen Inhaltskontrolle unterliegen als die eines AGB-Verwenders mit einer schwachen Marktposition. Der Umstand, daß der Vertragspartner aufgrund des Wettbewerbs zwischen mehreren Anbietern mit unterschiedlichen Klauseln die beanstandete Klausel vermeiden kann, ist nach allgemeiner Auffassung ohne Bedeutung für die Inhaltskontrolle. 28 Umstritten ist jedoch, ob die Abhängigkeit des Vertragspartners vom AGB-Verwender zu einer schärferen Inhaltskontrolle der AGB führt. Das OLG Frankfurt hat in einem Urteil betreffend die Ausschreibungsbedingungen der Deutschen Bundesbahn die Ansicht vertreten, bei der Inhaltskontrolle nach § 9 sei die MarktsteIlung des AGB-Verwenders zu berücksichtigen29 und hielt u. a. aus diesem Grund die beanstandete Vertragsstraferegelung für unwirksam. 3o Dagegen rechtfertigt die marktbeherrschende Stellung des AGB-Verwenders nach ganz h. M. keine Verschärfung der Inhaltskontrolle. 31 Nach dieser Ansicht ist der Kontrollrnaßstab des § 9 unabhängig von der MarktsteIlung des AGB-Verwenders. 32 Das OLG Frankfurt verweist darauf, daß der Monopolist in besonderem Maße verpflichtet sei, bei der Gestaltung der AGB auf die Interessen seiner potentiellen Vertrags partner Rücksicht zu nehmen. 33 Da im Rahmen des § 9 eine Interessenabwägung erfolgt, scheint die Berücksichtigung dieser Pflicht nahezuliegen. Dies kann jedoch nicht bedeuten, daß die AGB des Monopolisten allein aufgrund dessen MonopolsteIlung einer schärferen Inhaltskontrolle unterliegen, als es im Wettbewerb der Fall wäre, denn darin läge eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung. Dies wird besonders deutlich beim Unternehmer mit einer marktbeherrschenden Stellung: Unterlägen seine AGB einer schärferen Inhaltskontrolle, hätte der Wettbewerber, dessen Klauseln wegen seiner schwachen Marktposition einer weniger scharfen Inhaltskontrolle ausgesetzt wäre, einen Wettbewerbsvorteil. Derartige Eingriffe in den Wettbewerb sind nicht das Ziel der AGB-Kontrolle. 28 29
324.
U/B/H-Brandner, § 9 Rz. 127; W /H/L-Wolf, § 9 Rz. 140. OLG Frankfurt/M, NJW-RR 1986, 895, 897; ebenso wohl Bunte, EWiR 1986, 323,
OLG Frankfurt, NJW-RR 1986,895,897. W / H / L- Wolf, § 9 Rz. 140; Medicus S. 24 (Angewiesensein auf die Leistung des AGBVerwenders ist unerheblich). 32 U / B / H-Brandner, § 9 Rz. 32; Hommelhoff/ Wiedenmann, ZIP 1993, 562, 568; W / H / L-Wolf, § 9 Rz. 140. 33 OLG Frankfurt, NJW-RR 1986,895,897. 30 31
11. Das Kräfteverhältnis zwischen den Verhandlungspositionen der Parteien
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Im übrigen ist zu bedenken, daß die Durchführung der Interessenabwägung im Rahmen des § 9 die einseitige Inanspruchnahme der VertragsgestaItungsfreiheit durch das Stellen der AGB bereits voraussetzt. Damit ist der Umstand, an den die Berücksichtigung der Marktrnacht des Monopolisten geknüpft wird, nämlich die Möglichkeit, die Bedingungen einseitig durchzusetzen,34 bereits erfaßt. Für eine nochmalige Berücksichtigung im Rahmen des § 9 ist kein Raum.
Die MonopolsteIlung hat aber natürlich Bedeutung ftir die Vertragskontrolle, auch im Zusammenhang mit dem AGB-Gesetz: Wenn und soweit aufgrund der MonopolsteIlung oder einer marktbeherrschenden Stellung eine - gesetzliche Rücksichtnahmepflicht (aus § 242 BGB) besteht, sind AGB, die dieser Rücksichtnahmepflicht in einer gegen Treu und Glauben verstoßenden Weise entgegenstehen, gemäß § 9 unwirksam. Eine rechtliche Besonderheit der Kontrolle von AGB eines Monopolisten gegenüber sonstigen Fällen liegt darin aber nicht, der Kontrollrnaßstab (Benachteiligung entgegen Treu und Glauben, Abweichung vom dispositiven Gesetzesrecht als Indiz) ist vielmehr unabhängig von der MarktsteIlung des AGB-Verwenders. Damit gilt für die Angemessenheitskontrolle der AGB eines Monopolisten nach § 9 folgendes: Im Rahmen der Inhaltskontrolle sind auch Abweichungen von gesetzlichen Rücksichtnahmepflichten, die sich aus der besonderen Marktposition des Klauselverwenders ergeben, zu berücksichtigen. Dies kommt vor allem bei Klauseln in Betracht, die das Leistungsangebot inhaltlich beeinflussen, etwa die Verpflichtung, mit der gewünschten zugleich auch andere Leistungen in Anspruch zu nehmen etc. Für alle übrigen Klauseln, die mit der Marktrnacht nicht in inhaltlichem Zusammenhang stehen (z. B. Verzugszinsklauseln), ist die MarktsteIlung auch nicht mittelbar von Bedeutung.
bb) Abhängigkeit aufgrund sonstiger Umstände Die Abhängigkeit des Verbrauchers vom Leistungsangebot des Unternehmers, die auf der besonderen Interessenlage oder auf (regelmäßig die Interessenlage beeinflussenden) persönlichen Umständen auf Seiten des Verbrauchers beruht, ist für die Klauselkontrolle nach den §§ 9 ff. ohne Bedeutung. Dies folgt aus dem überindividuellen Kontrollrnaßstab des § 9, der, wie oben erörtert, die persönlichen Umstände und die besonderen Interessen des konkreten Vertragspartners ausblendet und auf die Interessen und Umstände des vertragstypischen Durchschnittsvertragspartners abstellt. Wenn die Abhängigkeit vom Leistungsangebot des Unternehmers sich lediglich aus einer konkreten Situation ergibt, ist dieser Umstand auf der ersten Kontrollstufe jedenfalls bei AGB natürlich nicht zu berücksichtigen, soweit man dort nur "ge34
Vgl. OLG Frankfurt, NJW-RR 1986, 895, 897.
5 Borges
3. Kap.: Die Umstände des Vertragsabschlusses
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nerell" bestehende Umstände berücksichtigen will. Wie oben erörtert, sind aber auch im Rahmen des § 9 im Individualprozeß in weitem Umfang die Umstände der konkreten Situation zu berücksichtigen. Daher ist die Berücksichtigung der in einer konkreten Situation bestehenden Abhängigkeit vom Leistungsangebot des Unternehmers nicht von vornherein ausgeschlossen. Der Fall, daß der Verbraucher in einer bestimmten Situation auf das Leistungsangebot des Unternehmers angewiesen ist und daher keine realistische Ausweichmöglichkeit hat, kann in vielgestaltiger Art auftreten. Meist wird die Abhängigkeit auf Gründen beruhen, die vom Unternehmer nicht beeinflußt sind, weil sie auf unvorhergesehenen Ereignissen oder gar Umständen beruhen, die eindeutig in der Sphäre des Verbrauchers liegen. Soweit der Anbieter die Abhängigkeit seines Vertragspartners von seinem Angebot nicht verursacht hat, ist dieser Umstand im Rahmen des § 9 (erste Kontrollstufe) nicht zu berücksichtigen. Dies muß auch bei Verbraucherverträgen gelten. 3s So wäre also beispielsweise für die Wirksamkeit der AGB einer Autowerkstatt ohne Bedeutung, ob der Verbraucher aufgrund einer Autopanne auf die Dienste gerade dieser Werkstatt angewiesen ist, oder ob er "freiwillig" gerade diese Werkstatt aufsucht. Etwas anderes gilt, wenn der Unternehmer die Abhängigkeit des Verbrauchers ausnutzt. Dieser Aspekt wird unter dem Gesichtspunkt des Verhaltens der Parteien erörtert. Darüber hinaus kommt eine Berücksichtigung der situationsbedingten Abhängigkeit des Verbrauchers vom Leistungsangebot des Unternehmers grundsätzlich auch dann in Betracht, wenn der Unternehmer diese Abhängigkeit herbeigeführt hat bzw. diese auf einem Umstand aus der Sphäre des Unternehmers beruht. In der bisherigen Diskussion wird allerdings kein Beispiel für eine solche Konstellation genannt, und derartige Fälle sind auch schwer vorstellbar.
c) Die Berücksichtigung auf der zweiten Kontrollstufe
aa) Eingeschränkte Berücksichtigung der Marktrnacht des Unternehmers Die Feststellung, daß die Marktrnacht des Unternehmers - auch eine MonopolsteIlung - als solche im Rahmen der §§ 9 ff. ohne Bedeutung ist, schließt deren Berücksichtigung auf der zweiten Stufe, wie oben erörtert, nicht notwendig aus. Der Aspekt der Abhängigkeit vom Leistungsangebot ist durch das fehlende Aushandeln nicht vollständig erfaßt, und er steht auch in einem sachlichen Zusammenhang mit der Klausel, denn es läßt sich vermuten, daß die nachteilige Klausel in einer Wettbewerbssituation nicht oder nicht so gestellt worden wäre bzw. der Ver-
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Im Ergebnis genauso: Schmidt-Salzer, DB 1995, 1493, 1498 (zu Art. 4 I RL).
11. Das Kräfteverhältnis zwischen den Verhandlungspositionen der Parteien
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braucher den Vertrag mit dieser Klausel abgelehnt hätte. Auf der zweiten Stufe ist dieser Umstand also durchaus sachgerecht. Die Berücksichtigung dieses Umstandes kann sich nur zugunsten des Verbrauchers auswirken, d. h. das Fehlen einer Abhängigkeitssituation kann nicht zulasten des Verbrauchers gewertet werden und womöglich eine nach dem allgemeinen Maßstab unwirksame Klausel rechtfertigen. Die Berücksichtigung der Abhängigkeit vom Angebot des Unternehmers unterliegt aber auch auf der zweiten Stufe erheblichen Einschränkungen, da die Klauselkontrolle sonst zu der vom Gesetz nicht gewollten allgemeinen Billigkeitskontrolle führen würde. Insoweit gilt im wesentlichen dasselbe wie im Rahmen des § 9 (erste Kontrollstufe). So kann die Berücksichtigung der Abhängigkeit vom Angebot des Unternehmers nicht dazu führen, daß eine inhaltlich angemessene Klausel nur wegen des Fehlens hinreichenden Wettbewerbs unwirksam ist. Die Abhängigkeit vom Leistungsangebot kann daher wohl nur im Zusammenhang mit weitere Umständen zur Unwirksamkeit der Klausel führen. Eine weitere Einschränkung ergibt sich, wenn die Abhängigkeit des Verbrauchers vom Leistungsangebot des Unternehmers zu entsprechenden Rücksichtnahmepflichten führt, deren Beachtung im Rahmen der ersten Stufe geprüft wurde. In diesem Fall kann, wie oben ausgeführt, die Abhängigkeit nicht auf der zweiten Stufe erneut berücksichtigt werden. Dies ist gerade bei dem scheinbaren Paradebeispiel, dem Monopolisten, oft der Fall. Hier ist, etwa bei Versorgungsunternehmen, die Abhängigkeit vom Leistungsangebot oft bereits auf der ersten Stufe zu berücksichtigen, und es ist kaum ein Fall denkbar, in dem die Abhängigkeit des konkreten Verbrauchers im konkreten Fall noch berücksichtigt werden kann. Damit bleibt für die Berücksichtigung der Marktrnacht des Unternehmers oder der daraus resultierenden Abhängigkeit des Verbrauchers vom Leistungsangebot des Unternehmers auch auf der zweiten Kontrollstufe im Ergebnis kein nennenswerter Anwendungsbereich. Die Marktrnacht des Unternehmers kann aber unter dem Gesichtspunkt des Verhaltens der Parteien vor und bei Vertragsabschluß zu würdigen sein (dazu unten IV.I.). Dies gilt insbesondere dann, wenn der Unternehmer die Abhängigkeit des Verbrauchers ausnutzt.
bb) Persönliche Umstände des Verbrauchers Die Berücksichtigung der Abhängigkeit vom Leistungsangebot aufgrund besonderer persönlicher Umstände sowie der besonderen Interessen des jeweiligen Verbrauchers auf der zweiten Kontrollstufe scheint nahezuliegen, denn der dort maßgebliche individuelle Kontrollrnaßstab verweist ja gerade auf die Verhältnisse und Interessen des jeweiligen Verbrauchers. Auf der zweiten Kontrollstufe erfolgt jedoch, wie erörtert, keine umfassende erneute Interessenabwägung, sondern lediglich eine Ergänzung der ersten Kontroll-
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3. Kap.: Die Umstände des Vertragsabschlusses
stufe. Daher sind Umstände. die bereits in die erste Kontrollstufe eingeflossen sind. nicht erneut zu bewerten. Erst recht bedeutet der individuelle Kontrollrnaßstab keine Änderung von Verantwortungs- und Risikobereichen. die sich aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen ergeben. zugunsten des Verbrauchers. Daher sind die Grundsätze. aufgrund derer im Rahmen der ersten Kontrollstufe eine eigenständige Berücksichtigung der Abhängigkeit des Verbrauchers vom Leistungsangebot des Unternehmers ausgeschlossen ist. auch auf der zweiten Stufe maßgeblich. d. h. wenn der Verbraucher aus Gründen. die in seiner Sphäre liegen. auf die Leistung des Unternehmers angewiesen ist. muß er dieses Risiko grundsätzlich selbst tragen. Letztlich ergibt sich diese Wertung auch aus dem Grundsatz von Treu und Glauben. der der AGB-Kontrolle zugrundeliegt: Nach Treu und Glauben gibt es keine Rechtfertigung dafür. daß eine Klausel. die am Maßstab des § 9 I (erste Stufe) unbedenklich ist. nur deswegen unwirksam sein sollte. weil der konkrete Verbraucher - im Gegensatz zur Mehrheit der Kunden - aus Gründen. die in seinem Risikobereich liegen. auf die Leistung des Unternehmers angewiesen ist. Dies gilt auch fUr Einmalklauseln. Wenn die Klausel auf der ersten Stufe wirksam ist. d. h. nach dem generellen Maßstab nicht mißbräuchlich ist. dann besteht regelmäßig kein Anlaß. daß sie deswegen unwirksam sein soll. weil beim konkreten Vertragspartner eine besondere Situation vorliegt. Dieses Ergebnis wird bestätigt durch die Überlegung. daß eine abweichende Beurteilung von AGB und Einmalklauseln auf der zweiten Stufe zu dem höchst unerwünschten Ergebnis fUhrt. daß der Unternehmer durch die schwer widerlegbare Behauptung. er wolle die Klausel künftig mehrfach verwenden. die Einmalklausel ..zur AGB machen" kann und somit die nur bei Einmalklauseln maßgebliche Berücksichtigung der Angewiesenheit des Verbrauchers auf die Leistung venneiden kann. Dieses Ergebnis stimmt auch mit der Klauselrichtlinie überein. Die Richtlinie nennt zwar das Kräfteverhältnis zwischen den Parteien als einen im Rahmen der Klauselkontrolle zu berücksichtigenden Umstand. stellt diesen Umstand aber eindeutig in den Kontext des Grundsatzes von Treu und Glauben. Nach Treu und Glauben ist es aber nicht geboten. die Abhängigkeit des Verbrauchers vom Leistungsangebot des Unternehmers auch dann bei der Klauselkontrolle zu berücksichtigen. wenn diese auf Gründen im Risikobereich des Verbrauchers beruht. 36 Damit ergibt sich. daß die Abhängigkeit des Verbrauchers vom Leistungsangebot des Unternehmers. soweit sie auf den persönlichen Verhältnissen und Interessen des Verbrauchers beruht. kein Umstand ist. der auf der zweiten Stufe der Klauselkontrolle zur Unwirksamkeit einer Klausel führen kann. Etwas anderes gilt möglicherweise unter dem Gesichtspunkt des Verhaltens der Parteien bei Vertragsabschluß. also etwa dann. wenn der Unternehmer das Angewiesensein des Verbrauchers auf seine Leistung ausnutzt. 36
Im Ergebnis genauso: Schmidt-Salzer. OB 1995. 1493. 1498 (zu Art. 41 RL).
11. Das Kräfteverhältnis zwischen den Verhandlungspositionen der Parteien
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cc) Abhängigkeit aufgrund der besonderen Situation Wenn die Abhängigkeit vom Leistungsangebot des Unternehmers sich lediglich aus einer konkreten Situation ergibt, gilt das zu den zuvor erörterten Fallgruppen Gesagte entsprechend. Meist wird die Abhängigkeit auf Gründen beruhen, die vom Unternehmer nicht beeinflußt sind, weil sie auf unvorhergesehenen Ereignissen oder gar Umständen beruhen, die eindeutig in der Sphäre des Verbrauchers liegen. Soweit der Anbieter die Abhängigkeit seines Vertragspartners von seinem Angebot nicht verursacht hat, ist dieser Umstand auch auf der zweiten Kontrollstufe nicht zu berücksichtigen. Dagegen kommt die Berücksichtigung der situationsbedingten Abhängigkeit des Verbrauchers vom Leistungsangebot des Unternehmers dann in Betracht, wenn der Unternehmer diese Abhängigkeit herbeigeführt hat bzw. diese auf einem Umstand aus der Sphäre des Unternehmers beruht. In der bisherigen Diskussion wird allerdings kein Beispiel für eine solche Konstellation genannt, und derartige Fälle sind auch schwer vorstellbar. Letztlich wird die Abhängigkeit des Verbrauchers daher auch in dieser Fallgruppe nur unter dem Gesichtspunkt des Parteiverhaltens (Ausnutzen der Abhängigkeit) von Bedeutung sein können.
3. Sonstige Aspekte des Kräfteverhältnisses Unter dem Aspekt des Kräfteverhältnisses zwischen den Verhandlungspositionen der Parteien sind noch zahlreiche weitere Umstände denkbar, die von Bedeutung sein können. Dazu kann auch eine besonders starke Stellung des Verbrauchers gehören, etwa aufgrund einer besonderen sozialen Stellung oder einer besonders großen Nachfragemacht. Diese kann sich aber nicht auswirken, solange die Klausel vorformuliert ist und nicht ausgehandelt wird. Somit wäre es wenig sachgerecht, dem Verbraucher, dem seine starke Stellung nicht zugute kommt, deshalb eine Verminderung seines AGB-rechtlichen Schutzes zuzumuten. Somit kann unabhängig von der Frage, ob sich die Berücksichtigung der Vertragsumstände auf der zweiten Stufe überhaupt zu lasten des Verbrauchers auswirken kann, eine besonders starke Stellung des Verbrauchers nicht berücksichtigt werden. Dasselbe gilt im Ergebnis für eine besonders schwache Stellung des Verbrauchers, z. B. aufgrund einer besonders schwachen sozialen Stellung oder einer besonders geringen Nachfragemacht. Hier ist die Versuchung natürlich besonders groß, dem offensichtlich besonders schutzbedürftigen Verbraucher dadurch zu helfen, daß die Vertragsgestaltung durch den Unternehmer besonders streng auf ihre Angemessenheit überprüft wird.
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3. Kap.: Die Umstände des Vertragsabschlusses
Dies hätte jedoch zur Folge, daß der Unternehmer letztlich gezwungen wäre, nahezu in jedem Einzelfall zu prüfen, welche Klausel er seinem Vertragspartner nach dessen Position "zumuten" kann, und seine Vertragsbedingungen entsprechend zu differenzieren. Eine solche Pflicht läßt sich weder dem AGB-Gesetz noch der Richtlinie entnehmen. Sie ist bei Massengeschäften unzumutbar und unsachgemäß. Bekanntlich kommt der Rationalisierungseffekt von AGB auch dem Verbraucher zugute und wird dieser positive Effekt von AGB auch vom AGB-Gesetz ausdrücklich anerkannt. 37 Bei Einmalklauseln scheint es anders zu liegen, und man kann durchaus dahin argumentieren, da der Unternehmer die Klausel ja ohnehin für den bestimmten Vertrag formuliere, sei es ihm auch zumutbar, die besondere Situation des Verbrauchers zu berücksichtigen. Dies ist sicherlich vertretbar. Auch insoweit gilt aber der o. g. Einwand, daß dann die Verwendung von Einmalklauseln für den Unternehmer ungünstiger wäre als die von AGB, und daß er sich in der Prozeßsituation durch die schwer widerlegbare Behauptung, die Klauseln künftig mehrfach verwenden zu wollen, sich in den Kontrollrnaßstab für AGB ,,retten" könnte. Jedenfalls im Regelfall ist daher eine besonders starke oder besonders schwache Stellung des Verbrauchers, sei sie allgemein gegeben oder auf einer besonderen Situation beruhend, im Rahmen der §§ 9, 24a Nr. 3 nicht zu berücksichtigen.
III. Wissensstand und Geschäftserfahrenheit des Verbrauchers In der Literatur werden gelegentlich der Wissensstand und die Beurteilungsfähigkeit des Verbrauchers als Umstände genannt, die auf der zweiten Stufe zu berücksichtigen seien. 38 So soll ein überdurchschnittlich hoher Wissensstand eine Verringerung des Schutzes rechtfertigen, andererseits eine besonders schwache Beurteilungsfahigkeit sich zugunsten des Verbrauchers auswirken. 39 Andere Stellungnahmen beschränken die Maßgeblichkeit dieses Umstandes auf das Transparenzgebot.40 Entsprechendes gilt für die Geschäftserfahrenheit oder die geschäftliche Unerfahrenheit des Verbrauchers. Wie schon erwähnt, werden in der Literatur nicht selten die Geschäftserfahrenheit41 oder die Geschäftsunerfahrenheit des Verbrauchers42 oder gar beides43 als Umstände genannt, die im Rahmen des § 24a Nr. 3 zu 31 So bereits die Gesetzesbegründung des AGBG; BT-Drucks. 7/3919 S. 9. Ebenso die allg. Auff. der Lit.; Brors. ZIP 1998, 1663, 1665; Bunte. NJW 1987,921,924; Joerges. ZEuP 1995, 181, 189; Soergel-Stein. § 9 AGBG Rz. 16. 38 U/B/H-Brandner. § 9 Rz. 180; Locher. JuS 1997, 389. 392. Ebenso zur Richtlinie: Brandner. AnwBI. 1994,335,337; Heinrichs. NJW 1993, 1817, 1820. 39 U 1B 1H-Brandner. § 9 Rz. 180; Bunte. OB 1996. 1389, 1390. .w Siehe dazu unten 6. Kap., 11.1. Siehe die Nachw. oben Fn. 11 f. 42 Siehe die Nachw. oben Fn. 4 f.
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III. Wissensstand und Geschäftserfahrenheit des Verbrauchers
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berücksichtigen seien. Nach der h. M. hingegen sind der Wissensstand und die Geschäftserfahrenheit des konkreten Verbrauchers im Rahmen der Angemessenheitskontrolle nach §§ 9, 24a Nr. 3 unerheblich. 44 Dasselbe gilt seit jeher im Rahmen des § 9 AGBG.4s Die Berücksichtigung des Wissensstandes hätte für die Klauselkontrolle nach dem AGB-Gesetz gravierende Auswirkungen. So wird in der Literatur als Beispiel für die Bedeutung der Umstände des Vertragsabschlusses genannt, daß etwa eine Freizeichnungsklausel ..gegenüber einem der deutschen Sprache kaum mächtigen Aussiedler mißbräuchlich, gegenüber einem im Verbraucherrecht erfahrenen Rechtsanwalt oder Hochschullehrer aber unbedenklich" sei.46 Generell müßte also beispielsweise ein Jurist, bei dem man in bezug auf Vertragsbestimmungen einen hohen Wissensstand unterstellen muß, schärfere Klauseln gegen sich gelten lassen als ein ..normaler" oder besonders geschäftsunerfahrener Verbraucher. Leider wird die Maßgeblichkeit des Wissensstandes nicht näher erläutert oder begründet. Dieses Kriterium ist für die Klauselkontrolle, auch auf der zweiten Stufe, offensichtlich nicht sachgerecht, denn der Wissensstand des Verbrauchers hat mit den Kriterien des § 9 AGBG nichts zu tun. Dies wird an dem oben zitierten Beispiel sehr deutlich: Warum soll die Angemessenheit eines Haftungsausschlusses davon abhängen, ob der Vertragspartner, dem die Klausel einseitig auferlegt wird, die Bedeutung der Klausel versteht? Der Wissensstand des Verbrauchers ist regelmäßig auch für die Verhandlungspositionen der Parteien ohne Bedeutung, denn solange der Unternehmer die Klausel nicht verhandelt47 , nützt dem Verbraucher sein Wissen um die Nachteiligkeit der Klausel wenig. Natürlich ist der Verbraucher mit unterdurchschnittlichem Wissensstand oder unterdurchschnittlicher Auffassungsgabe besonders schutzbedürftig, wenn er mit vorformulierten Vertragsklauseln, womöglich in Form umfangreicher AGB, konfrontiert wird. Die Angemessenheitskontrolle der Klausel nach §§ 9, 24a Nr. 3 ist aber für die Berücksichtigung eines unterdurchschnittlichen Wissensstandes des Verbrauchers ungeeignet. Die Angemessenheitskontrolle setzt an der Benachteiligung des Verbrauchers durch den Unternehmers an und nicht daran, ob der Verbraucher mit oder ohne Wissen benachteiligt wird. Wissen und Auffassungsgabe des Verbrauchers sind vielmehr ausschließlich für das Verständnis der Klausel von Bedeutung, und hier hat der Verbraucherschutz anzusetzen. Daher sind der individuelle Wissensstand und die individuelle Auffassungsgabe des Verbrauchers, wenn sie für die Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz 43 So bei Staudinger-Coester. § 9 AGBG Rz. 86; Coester-Waltjen. Jura 1997, 272, 274; Heinrichs. NJW 1996,2190,2194; Staudinger-Schlosser. § 24a AGBG Rz. 55. 44 Heinrichs. NJW 1993, 1817, 1818; Schmidt-Salzer. BB 1995, 1493, 1498. 4S Heinrichs. NJW 1993, 1817, 1818. 1820. Siehe auch die Nachw. oben 1. Kap. Fn. 68. 46 Heinrichs. NJW 19993, 1817, 1820. 47 Die bloße Erläuterung der Klausel ist nach allg. Auff. kein Aushandeln; siehe dazu die Nachw. unten 5. Kap. Fn. 51.
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3. Kap.: Die Umstände des Vertragsabschlusses
von Bedeutung sein sollen, ausschließlich im Rahmen des Transparenzgebotes zu berücksichtigen. Diese Erwägungen gelten in gleiche Weise für die Geschäftserfahrenheit oder unerfahrenheit des Verbrauchers. Mit diesem Kriterium ist meist die allgemeine Geschäftserfahrenheit gemeint, nicht etwa eine spezifische Erfahrung mit Geschäften der betreffenden Art, denn regelmäßig wird der zu privaten Zwecken handelnde Kaufmann als Beispiel für einen geschäftserfahrenen Verbraucher genannt. 48 Leider wird auch hier nicht erläutert, warum der Kaufmann, der Jurist, der Unternehmer etc. auch außerhalb seines Tätigkeitsbereiches nur einen verminderten Schutz vor unangemessenen Vertragsbedingungen genießen soll. Dem AGBG a.F. war eine solche Differenzierung aus gutem Grund fremd, der privat handelnde Kaufmann konnte sich also etwa auch auf die §§ 10, 11 AGBG stützen. 49 Diese Differenzierung ist auch mit dem Schutzzweck der Klauselrichtlinie und Grundgedanken der Verbraucherschutzgesetze nicht vereinbar. Der Ausschluß des Schutzes des beruflichen Handeins durch die Richtlinie beruht auf der Erwägung, daß der Unternehmer beim rechtsgeschäftlichen Handeln in seinem beruflichen Tätigkeitsbereich typischerweise bessere Möglichkeiten zum Schutz seiner Interessen hat als außerhalb dieses Bereiches.50 Auch die übrigen Verbraucherschutzgesetze, die meist auf europäischen Verbraucherschutzrichtlinien beruhen und die den "Verbraucher" meist ebenfalls als natürliche Person, die zu privaten Zwecken handelt, definieren,51 schützen bei privaten Geschäften auch Kaufleute und sonstige Unternehmer. 52 Mit dieser Wertung ist es nicht vereinbar, den Schutz des Unternehmers vor unangemessenen Klauseln bei privaten Geschäften zu vermindern. Genauso ist auch die Berücksichtigung der Geschäftsunerfahrenheit problematisch. Die Stellungnahmen lassen im übrigen meist auch im unklaren, ob hier nur eine "überdurchschnittliche" oder "besondere" oder jegliche Geschäftsunerfahrenheit von Bedeutung sein soll. Die o.g. Einwände zur Berücksichtigung einer unterdurchschnittlichen Auffassungsgabe gelten hier entsprechend. Gerade bei der Geschäftsunerfahrenheit ist zudem offensichtlich, daß dieses Kriterium auch überflüssig ist, denn nach unbestrittener Ansicht ist das Ausnutzen der geschäftlichen Unerfahrenheit auf der zweiten Stufe zu berücksichtigen (s. dazu unten IV.l.). Wenn So bei Staudinger-Schlosser. § 24a AGBG Rz. 55. Allg. Auff.; siehe nur W tHtL-Hom, 3. Aufl., § 24 Rz. 7; Soergel-Stein. § 24 AGBG Rz.5. so Siehe oben 2. Kap. 1.2. SI Vgl. § 1 I VerbrKrG, § 1 TzWrG. So auch § 1 des RefE zum FernabsatzG. S2 Vgl. zu § 1 I VerbrKrG: Bülow, § I Rz. 31; Staudinger-Kessal-Wulf, § I VerbrKrG Rz. 32 ff. In der Sache genauso: § 6 Nr. I HWiG, wonach die Anwendung des HWiG ausgeschlossen ist, wenn der Kunde, der auch ein Unternehmer oder auch eine jur. Person sein kann, das Geschäft "in Ausübung" seiner selbständigen Erwerbstätigkeit abschließt; siehe dazu auch Staudinger-Werner. § 6 HWiG Rz. 14. 48
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IV. Das Verhalten der Parteien bei Vertragsabschluß
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der Unternehmer die Unerfahrenheit des Verbrauchers nicht ausgenutzt hat, etwa weil er davon weder wußte noch wissen konnte, dann erscheint es auch unter keinem Gesichtspunkt sachgerecht, daß die bloße Unerfahrenheit des Verbrauchers den Ausschlag für die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit einer Klausel geben soll. Der Wissensstand und die allgemeinen intellektuellen Fähigkeiten des Verbrauchers, ebenso seine Geschäftserfahrenheit oder -unerfahrenheit, sind also auch auf der zweiten Stufe der Klauselkontrolle ohne Bedeutung für die Wirksamkeit einer Klausel gemäß §§ 9, 24a Nr. 3.
IV. Das Verhalten der Parteien bei Vertragsabschluß Zu den Umständen, die auf der zweiten Stufe zu berücksichtigen sind, gehört nach h. M. auch das Verhalten der Parteien bei Vertragsabschluß. Die Richtlinie nennt insoweit ein wichtiges Beispiel, das ,.Einwirken" des Unternehmers auf den Verbraucher. Freilich ist zumindest im Grundsatz nicht nur das Verhalten des Unternehmers, sondern genauso das Verhalten des Verbrauchers zu berücksichtigen.
1. Das Verhalten des Unternehmers
Die Berücksichtigung des Einwirkens auf den Verbraucher - wie des Verhaltens der Parteien generell - fügt sich in die Kategorien des § 9 nicht ein und ist daher auf der ersten Stufe (außer beim Transparenzgebot) nicht von Bedeutung. Ihre Berücksichtigung ist aber aus dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes als allgemeinem Ziel durchaus sachgerecht, denn der Verbraucher, der in seiner Vertragsfreiheit durch das Einwirken des Unternehmers unangemessen beeinträchtigt wird, ist besonders schutzwürdig, der Unternehmer als Verursacher wird dadurch nicht unangemessen belastet. Die Berücksichtigung des Einwirkens ist auch unter dem speziellen Aspekt des Mißbrauchs der Vertragsgestaltungsfreiheit sachgerecht, denn es besteht durchaus eine Vennutung, daß der Verbraucher den Vertrag nicht oder nicht so geschlossen hätte, wenn die Einwirkung nicht erfolgt wäre. Der spezifische Bezug zwischen dem Einwirken und der Vertragsgestaltung ist also gegeben. Das Einwirken auf den Verbraucher ist regelmäßig auch nicht durch die Verweigerung des Aushandelns erfaßt, sondern geht in seiner Intensität noch darüber hinaus. Freilich ergibt sich hieraus eine Präzisierung für die unter dem Aspekt des Einwirkens auf den Verbraucher zu berücksichtigenden Umständen. Die "Drohung" des Unternehmers, der Vertrag werde mit der betreffenden Klausel oder gar nicht geschlossen, ist also kein unzulässiges "Einwirken" auf den Verbraucher. Generell ist natürlich nicht jede Beeinflussung des Verbrauchers zu berücksichtigen, sondern nur eine mit Treu und Glauben nicht vereinbare Beeinflussung, wie bereits
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3. Kap.: Die Umstände des Vertragsabschlusses
die o.g. Beispiele zeigen. 53 Maßstab für die Abgrenzung der zulässigen von der unzulässigen, im Rahmen der zweiten Stufe zu berücksichtigenden Beeinflussung ist, wie generell, die Verkehrsanschauung. 54 Die Literatur verweist zur Konkretisierung der Umstände, die unter dem Gesichtspunkt des Verhaltens der Parteien vor und bei Vertragsabschluß zur Unwirksamkeit einer Klausel führen können, auf Fallgruppen, die von Rechtsprechung und Literatur im Rahmen der c.i.c. und des § 138 BGB herausgearbeitet wurden. 55 Danach soll etwa die Verletzung von Informations-, Aufklärungs- und Beratungspflichten nicht nur eine Schadensersatzhaftung nach den Grundsätzen der c.i.c. auslösen, sondern auch nach § 24a Nr. 3 AGBG zur Unwirksamkeit einer von der Pflichtverletzung betroffenen Klausel führen können. 56 Nach § 24a Nr. 3 ist es also etwa, unter dem Gesichtspunkt des Einwirkens auf den Verbraucher, von Bedeutung, wenn der Unternehmer den Verbraucher durch Drohung oder Tauschung dazu bewegt, eine bestimmte Klausel oder den Vertrag insgesamt zu akzeptieren. 57 Auch andere Umstände, die aus der Rechtsprechung zu § 138 BGB bekannt sind, sind im Rahmen des § 24a Nr. 3 AGBG zu berücksichtigen, etwa das Ausnutzen der Unerfahrenheit des Verbrauchers. 58 Fraglich ist, ob auch ein Verhalten des Unternehmers denkbar ist, das auf der zweiten Stufe zu seinen Gunsten zu berücksichtigen ist, etwa eine besonders gute Aufklärung und Information des Verbrauchers. 59 Soweit man den Wissensstand des Verbrauchers berücksichtigen will, muß auch dieser Gesichtspunkt von Bedeutung sein, denn eine besonders gute Aufklärung ist geeignet, das Informationsdefizit auf Seiten des Verbrauchers auszugleichen. Nach der hier vertretenen Auffassung hingegen kommt es für die Klauselkontrolle nach §§ 9, 24a Nr. 3 nicht auf den Wissensstand des konkreten Verbrauchers an, und daher besteht auch kein Bedürfnis, im Rahmen der Angemessenheitskontrolle die Aufklärung etc. zu berücksichtigen. 60 Das bloße Erläutern der nachteiligen Klausel reicht also nicht aus, der Unternehmer muß die Klauseln vielmehr "aushandeln", d. h. seine Änderungsbereitschaft anzeigen. 61 Etwas anderes gilt freilich für die Transparenzkontrolle, für die die Aufklärung des Verbrauchers durch den Unternehmer von großer Bedeutung ist (siehe dazu unten 6. Kap., 1.).
W IH/L-Horn, § 24a Rz. 51. Palandt-Heinrichs, § 9 AGBG Rz. 8. ss W I H I L-Horn, § 24a Rz. 48 f. S6 W I H I L-Horn, § 24a Rz. 48. S7 W I H I L-Horn, § 24a Rz. 51; Schmidt-Salzer. BB 1995, 733, 736. 58 W IH/L-Horn, § 24a Rz. 49. 59 Dafür etwa U I BI H-Brandner. § 9 Rz. 180. 60 Im Ergebnis auch: W I H I L-Horn, § 24a Rz. 53. 61 Siehe Nachw. unten 5. Kap. Fn. 51. S3
S4
v. Sonstige Umstände
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Im übrigen ist es nicht grundsätzlich ausgeschlossen, daß das Verhalten des Unternehmers zu dessen Gunsten zu berücksichtigen ist, denn es ist stets eine Gesamtwürdigung des Parteiverhaltens erforderlich. Große praktische Bedeutung hat diese Möglichkeit aber sicherlich nicht, da das Verhalten des Unternehmers bereits unter dem Aspekt des Aushandeins bzw. der Vorformulierung ohne Aushandeln der Klausel in einem wesentlichen Aspekt erfaßt ist.
2. Das Verhalten des Verbrauchers Bei der Berücksichtigung des Verhaltens des Verbrauchers vor und bei Vertragsabschluß ist zu differenzieren. Relevant ist das Verhalten des Verbrauchers natürlich insoweit, als die Berücksichtigung des Verhaltens des Unternehmers maßgeblich vom Verhalten des Verbrauchers abhängen kann. So kommt es etwa ftir die Frage, ob eine Klausel ausgehandelt wurde, auch auf das Verhalten des Verbrauchers an, wenn der Unternehmer seine grundsätzliche Abänderungsbereitschaft signalisiert hat. Im Rahmen der Transparenzkontrolle kann etwa eine unterlassene Aufklärung nicht zum Nachteil des Unternehmers berücksichtigt werden, wenn diese nur deswegen unterblieben ist, weil der Verbraucher sich als bereits informiert dargestellt hat. Insoweit gelten ganz ähnliche Grundsätze wie im Rahmen der §§ 138, 242 BGB und vor allem der c.i.c. Eine andere Frage ist, inwieweit das Verhalten des Verbrauchers als ein Gesichtspunkt zu werten ist, der andere Umstände, z. B. eine Abhängigkeit vom Leistungsangebot des Unternehmers, im Rahmen der zweiten Stufe ausgleichen kann. Im Grundsatz ist diese Möglichkeit sicherlich zu bejahen; es ist aber kaum ein Beispiel für ein solchermaßen relevantes Verhalten denkbar. Wenn etwa der Verbraucher durch Täuschung etc. Einfluß auf die Vertragsgestaltung nimmt, ist die Klausel regelmäßig ausgehandelt oder gar vom Verbraucher gestellt. Wenn der Verbraucher die Einflußnahme vergeblich versucht, wird jedenfalls im Regelfall kein Anlaß bestehen, dem Verhalten Bedeutung ftir die Angemessenheitskontrolle beizumessen. Daher wird dem Verhalten des Verbrauchers auf der zweiten Stufe der Klauselkontrolle wohl nur insoweit praktische Bedeutung zukommen, als es die Bewertung des Verhaltens des Unternehmers beeinflußt.
v. Sonstige Umstände Unter den Begriff der Umstände des Vertragsabschlusses lassen sich eine Vielzahl weiterer Umstände fassen, die die Interessen der Vertragspartner berühren und damit für die Angemessenheit der Klausel von Bedeutung sein können. Die Richtlinie nennt als Beispiel ftir einen die Interessenlage berührenden Umstand die ..Sonderbestellung" des Verbrauchers.
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3. Kap.: Die Umstände des Vertragsabschlusses
Wie oben dargestellt, wird die bei Vertragsabschluß bestehenden Situation bereits im Rahmen der Interessenabwägung nach § 9 berücksichtigt, wenngleich, soweit es um die Interessen des Vertragspartners geht, in Form der (fiktiven) Interessenlage und der (fiktiven) Verhältnisse des Durchschnittskunden. Die umfassende Berücksichtigung der Vertragsumstände ist also kein Privileg der Klauselkontrolle von Verbraucherverträgen. Die hier zu erörternde Frage, ob bei Verbraucherverträgen gemäß § 24a Nr. 3 AGBG insoweit Besonderheiten bestehen, stellt sich wiederum in zweierlei Hinsicht, in bezug auf den Kontrollrnaßstab wie in bezug auf die Tatsachenbasis der Interessenabwägung. Die Berücksichtigung der konkreten Vertragsumstände nach § 24a Nr. 3 bedeutet, wie gesagt, keine Neubewertung der Umstände anhand einer anderen Interessenlage. Dies gilt auch für alle sonstigen, durch die bisher genannten Gruppen nicht erfaßten Umstände des Vertragsabschlusses. In bezug auf die Erweiterung der Tatsachenbasis durch sonstige Umstände nennt die Klauselrichtlinie die "Sonderbestellung" des Verbrauchers als einen Umstand, der bei die Angemessenheitskontrolle von Verbraucherverträgen zu berücksichtigen sei. Die Richtlinie geht offenbar davon aus, daß der Verbraucher in diesem Fall weniger schutzwürdig ist, und daß dieser Umstand in die Bewertung mit einfließen muß. Der Begriff der "Sonderbestellung" ist allerdings unklar. Nach einer Deutung liegt eine Sonderbestellung vor, wenn der Vertrag "objektiv einen ungewöhnlichen Gegenstand" hat. 62 Im übrigen wird der Fall der Sonderbestellung in der Literatur interessanterweise kaum einmal aufgegriffen. Stellungnahmen, die diese Umstand und seine Bedeutung für die Klauselkontrolle näher beschreiben, fehlen gänzlich. 63 Die Deutung der Sonderbestellung als Vertrag mit ungewöhnlichem Gegenstand - im Gegensatz zu Verträgen zur ,,Deckung des typischen Bedarfs,,64 - ist vom Wortlaut des Gesetzes (Sonderbestellung; commande speciale) allerdings recht weit entfernt. Nach dem Wortlaut der Richtlinie ist möglicherweise der Fall gemeint, daß die Initiative für das Geschäft vom Verbraucher ausgeht, dieser also nicht lediglich auf das Leistungsangebot des Unternehmers reagiert. 65 In diesem Fall liegt immerhin in bezug auf die Vertragsverhandlungen - und regelmäßig auch in bezug auf die Vertragsgestaltung - eine atypische Situation vor. Die Berücksichtigung dieses Umstands ist allerdings in beiden Deutungen nicht sachgerecht. Die Richtlinie gibt keinen Anlaß für die Annahme, daß dem Verbraucher nur bei der Deckung seines "typischen Bedarfs" der volle Schutz der Klauselkontrolle zukommen soll. Auch bei einer Initiative des Verbrauchers in bezug auf das Leistungsangebot besteht, solange die Klausel nicht ausgehandelt ist, keine 62 63
64
6S
Bömer, JZ 1997,595,599. Bömer, JZ 1997,595,599. Bömer, JZ 1997, 595, 599. So Ulmer, AGB-Gesetz nach der Umsetzung, S. 30.
V. Sonstige Umstände
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Grundlage für einen verringerten Schutz des Verbrauchers gegenüber den vom Unternehmer gestellten Klauseln. Bei Einmalklauseln scheint es, gerade bei der SonderbesteIlung anders zu liegen, etwa dann, wenn der Unternehmer auf Wunsch des Verbrauchers ein Angebot zu einer Leistung außerhalb seines üblichen Leistungsangebotes macht. Aber auch dann ist es dem Unternehmer zumutbar, die Klauseln aushandeln. Die "Sonderbestellung" des Verbrauchers ist daher auch auf der zweiten Stufe nicht zu berücksichtigen. Ähnliches wird für die meisten sonstigen denkbaren Umstände des Vertragsabschlusses gelten. Auch wenn auf der zweiten Kontrollstufe eine Ausweitung der zu berücksichtigenden Umstände erfolgt, gelten insoweit die oben (I.) genannten allgemeinen Voraussetzungen, insbesondere muß ein sachlicher Bezug zur Klauselgestaltung vorliegen. Auch nach Umsetzung der Klauselrichtlinie ist das AGBG ein Gesetz gegen den Mißbrauch der Vertragsgestaltungsfreiheit und dient dem Verbraucherschutz durch diesen spezifischen Aspekt. Eine allgemeine Billigkeitskontrolle von Verträgen oder eine Herabsetzung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 138 BGB oder des § 242 BGB ist nicht Inhalt des 24a Nr. 3 AGBG.
4. Kapitel
Die europarechtlichen Bindungen des AGB-Gesetzes Seit der Klauselrichtlinie ist die Inhaltskontrolle von Verbraucherverträgen keine ausschließliche Domäne des nationalen Gesetzgebers mehr. Die Vorgaben des europäischen Gesetzgebers sind auch nach Umsetzung der Klauselrichtlinie uneingeschränkt verbindlich und wirken sich auch auf die Anwendung des AGB-Gesetzes aus. Auf der Ebene der Anwendung des AGB-Gesetzes äußert sich die Bindung an die Klauselrichtlinie vor allem durch das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 EGV 1 (Art. 177 a. F.) und durch das Institut der richtlinienkonformen Auslegung.
I. Vorabentscheidungsverfahren und AGB-Kontrolle Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 EGV bezieht sich auch auf Richtlinien 2 und gewinnt dadurch Bedeutung für das nationale Recht in deren Anwendungsbereich. 3 Das Vorabentscheidungsverfahren wird innerhalb laufender Rechtsstreitigkeiten vor nationalen Gerichten relevant. Gemäß Art. 234 m EGV (Art. 177 TI a. F.) kann jedes nationale Gericht Fragen über die Gültigkeit oder über die Auslegung einer Richtlinie dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegen, wenn diese Frage entscheidungserheblich ist; letztinstanzliche Gericht sind dazu gemäß Art. 234 m EGV (Art. 177 m a. F.) verpflichtet. 1. Gegenstand des Vorabentscheidungsverfahrens
Gegenstand des Vorabentscheidungsverfahrens sind gemäß Art. 234 I b) EGV (Art. 177 I b) a. F.) auch Fragen über die Gültigkeit und die Auslegung von sekundärem EG-Recht. 4 Der EuGH hat jedoch keine Befugnis zur Beurteilung der AusI.d.F. des Vertrags von Amsterdarn. Geiger. Art. 177 Rz. 6. 3 Staudinger-Coester. § 9 AGBG Rz. 55. 4 Unter den Begriff der "Handlungen der Organe" fallen alle Rechtsakte, die einem Gemeinschaftsorgan zuzurechnen und geeignet sind, Rechtswirkungen zu erzeugen; EuGH. Urt. 1
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I. Vorabentscheidungsverfahren und AGB-Kontrolle
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legung des nationalen Rechts,S der Vereinbarkeit nationalen Rechts mit dem EGRecht6 und genausowenig über die Anwendung des Gemeinschaftsrechts auf den konkreten Fall.7 Fragen über die Auslegung von Gemeinschaftsrecht i. S. d. Art. 234 I b) EGV betreffen damit ausschließlich die Auslegung der Klauselrichtlinie selbst, und weder die Auslegung des AGB-Gesetzes 8 noch die Vereinbarkeit des AGB-Gesetzes mit der Klauselrichtlinie noch z. B. die Subsumtion einer bestimmten Klausel unter die Artt. 3 I, 4 I der Klauselrichtlinie. 9 Obwohl diese Grundsätze unstreitig sind, wird die Reichweite der Prüfungskompetenz des EuGH im Vorabentscheidungsverfahren im konkreten Fall oft sehr unterschiedlich beurteilt. Dies gilt nicht zuletzt in bezug auf die Klauselrichtlinie. 10 Dies dürfte darauf beruhen, daß die Abgrenzung zwischen der Auslegung des EGRechts und der Beurteilung eines konkreten Sachverhalts oder des nationalen Rechts schwierig ist,1l denn die Auslegung kommt ohne einen Bezug auf den Sachverhalt nicht aus. 12 Insoweit gilt der Grundsatz, daß die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den EuGH nicht so konkret gefaßt sein darf, daß sie die Anwendung des Gemeinschaftsrechts auf den konkreten Sachverhalt vorwegnimmt. 13 Der EuGH selbst neigt bei Vorlagen betreffend Richtlinien dazu, seine Prüfungsbefugnis weit zu fassen. 14 In der Praxis führt dies dazu, daß der EuGH - nicht selten veraniaßt durch entsprechende Vorlagefragen - seine Auslegung von Richtlinienbestimmungen bisv. 24. 10. 1973, Rs. 9/73, Tz. 27, Slg. 1973, 1135, 1156 - Schlüter; Grabitz/Hilf-Wohlfahrt, Art. 177 Rz. 17. S EuGH, Vrt. v. 29. 4. 1982, Rs. 17/81, Tz. 12, Sig. 1982, 1331, 1346 - Pabst & Richarz; Vrt. v. 10.3.1983, Rs. 232/82, Tz. 11, Sig. 1983,583,595 - Baccini; Vrt. v. 13.3.1986, Rs. 54/85, Tz. 6, Sig. 1986, 1067, 1076 - Mirepoix; Vrt. v. 24. 9. 1987, Rs. 37/86, Tz. 8, Sig. 1987,3589, 3607 - Coenen; Staudinger-Coester. § 9 AGBG Rz. 55; W IH/L-Hom. § 24a Rz. 12; Koenig/Sander. Rz. 490; Schweitzer/Hummer. Rz. 522; Grabitz 1Hilf-Wohlfahrt. Art. 177 Rz. 24. 6 EuGH in st. Rspr.; Vrt. v. 15.7. 1964, Rs. 6/64, Sig. 1964. 1251. 1268 - Costa/E.N.E.L.; Vrt. v. 13.3. 1986. Rs. 54/85. Tz. 6, Sig. 1986, 1067, 1076 - Mirepoix; Staudinger-Coester. § 9 AGBG Rz. 55; Koenig/Sander. Rz. 491; Grabitz/Hilf-Wohlfahrt. Art. 177 Rz. 25. 7 EuGH, Vrt. v. 24. 9. 1987, Rs. 37/86, Tz. 8, Slg. 1987,3589,3607 - Coenen; Staudinger-Coester. § 9 AGBG Rz. 55; Grabitz/Hilf-Wohlfahrt. Art. 177 Rz. 24. 8 W IH/L-Hom. § 24a Rz. 12. 9 W 1 HI L-Hom. § 24a Rz. 12. 10 Vgl. Coester-Waltjen. Jura 1997,272.275 m. Nachw. zu den verschiedenen Ansichten. 11 Grabitz/Hilf-Wohlfahrt. Art. 177 Rz. 27. 12 Vgl. Geiger. Art. 177 Rz. 5: ,.Auslegung ist Ermittlung des Inhalts einer Vorschrift mit Blick auf einen bestimmten Sachverhalt". 13 Grabitz 1 Hilf- Wohlfahrt. Art. 177 Rz. 27. Der EuGH formuliert diesen Grundsatz dahin, daß er lediglich zur Beantwortung von Rechtsfragen berufen sei und daß es Sache des nationalen Gerichts sei, die dem Rechtsstreit zugrundeliegende Tatsachen festzustellen und daraus die Schlußfolgerungen für die von ihm zu erlassende Entscheidung zu ziehen; Vrt. v. 29.4. 1982. Rs. 17/81, Tz. 12, Slg. 1982, 1331, 1346 - Pabst & Richarz. 14 Coester-Waltjen. Jura 1997, 272, 275.
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4. Kap.: Die europarechtlichen Bindungen des AGB-Gesetzes
weilen so eng und speziell faßt, daß die Auslegung der Subsumtion eines bestimmten Sachverhaltes gleichkommt. 15 In bezug auf die Klauselrichtlinie nimmt die Literatur z.T. eine sehr weite Prüfungskompetenz des EuGH an. 16 So nennt etwa Coester als Beispiel für eine korrekte Vorlagefrage betreffend die Auslegung der Klauselrichtlinie, ob die Erstlaufzeit von einem Jahr in einem Verbrauchervertrag über die Nutzung eines Sportstudios ein gegen Treu und Glauben verstoßendes, erhebliches und ungerechtfertigtes Mißverhältnis der vertraglichen Rechts und Pflichten i. S. d. Art. 3 I der Richtlinie begründet. 17 Wenn man den Begriff der "Auslegung" i. S. d. 234 EGV derart weit versteht, dann besteht praktisch bei jeder Klauselprüfung Gelegenheit (und U.U. die Pflicht) zu einer Anfrage beim EuGH, wenn die Frage entscheidungsrelevant ist. Das Problem von Vorlagefragen der Art des von Coester genannten Beispiels liegt darin, daß die Frage zu einer Subsumtion im konkreten Fall zwingt. Die Frage nach der Mißbräuchlichkeit einer Laufzeitklausel in einem Sportstudiovertrag kann ohne Rücksicht auf die Interessen des Klauselverwenders und die des typischen Nutzers des Sportstudios nicht beurteilt werden, und wenn der EuGH diese Frage beantwortet, ist nicht (nur) über eine abstrakte Rechtsfrage, sondern auch über die Anwendung des Art. 3 I auf einen konkreten Fall entschieden. Die Ansicht, derartige Fragen "zur Klauselrichtlinie" seien vorlagefahig, ist abzulehnen. 18 Die Subsumtion ist dem nationalen Gericht vorbehalten, und sie erfolgt nicht anhand der Richtlinie, sondern anhand des nationalen Rechts. 19 Diese Grenze ist in diesem Beispiel eindeutig überschritten. Das Beispiel weist immerhin sehr deutlich auf die Schwierigkeiten hin, die das Vorabentscheidungsverfahren bei Generalklauseln, insbesondere bei Artt. 3, 4 der Klauselrichtlinie aufwirft. Diese beruhen wesentlich darauf, daß der Tatbestand (Obersatz) von Generalklauseln entsprechend ihrem Wesen erst in der Anwendung auf einen konkreten Fall konkretisiert werden kann. IS Ein typisches Beispiel hierfür ist etwa die Entscheidung EuGH, Urt. v. 17.3. 1998, Rs. 45/96, Sig. 1998, 1199 - Dietzinger DZWir 1998, 276. Hier hatte der EuGH aufgrund einer bereits sehr eng gefaßte Vorlagefrage des BGH (zit. unter Nr. 10 der Entscheidungsgrtinde) differenziert und dahin beantwortet, daß ein Bürgschaftsvertrag, der von einer nicht im Rahmen einer Erwerbstätigkeit handelnden natürlichen Person geschlossen wird, nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie [fällt], wenn er die Rückzahlung einer Schuld sichert, die der Hauptschuldner im Rahmen seiner Erwerbstätigkeit eingegangen ist." Da der EuGH in der Entscheidung den vom BGH zu entscheidenden Sachverhalt ausführlich wiedergibt (in Nrn. 6-8 der Gründe), stellt die Beantwortung der Vorlagefrage der Sache nach eine Subsumtion des Sachverhalts unter die Richtlinie dar. 16 So etwa Nassall, WM 1994, 1645, 1646 ff.; ders., JZ 1995,689 ff. 17 Staudinger-Coester. § 9 AGBG Rz. 55. 18 Vgl. Heinrichs, NJW 1996,2190,2196; Roth, JZ 1999,529,536. 19 Heinrichs, NJW 1996,2190,2196 f.
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I. Vorabentscheidungsverfahren und AGB-Kontrolle
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Diese Schwierigkeit kann es aber nicht rechtfertigen, bei Generalklauseln auch die Rechtsanwendung zum Gegenstand einer Vorabentscheidung zu machen. Genau darauf läuft die Ansicht von Coester aber hinaus, und dies offenbar ganz bewußt, denn Coester empfiehlt, "bei Verbraucherverträgen regelmäßig gemäß Art. 234 EGV den EuGH ein[zu]schalten, wenn die fragliche Klausel nach deutschem AGB-Recht wirksam wäre .. ".2° Diese Empfehlung und die ihr zugrundeliegende Ansicht ist schon deswegen abzulehnen, weil sie unpraktikabel 21 ist bzw. höchst problematische Konsequenzen hätte. Schon in Deutschland sind derartig viele Gerichtsverfahren über Verbraucherverträge anhängig, daß allein die deutschen Vorabanfragen zur Klauselkontrolle zu einer völligen Überlastung des EuGH führen würden. Abgesehen von dem (auch verfassungsrechtlich bedenklichen) Problem der damit verbundenen Verzögerung von Gerichtsverfahren 22 - das innerstaatlichen Verfahren muß im Falle einer Vorlage an den EuGH ausgesetzt werden - wäre mit einer solchen Verlagerung der Rechtsanwendung auf den EuGH auch nicht viel gewonnen. Im Gegenteil, der EuGH könnte seine eigentliche Funktion im Vorabentscheidungsverfahren, die Wahrung der einheitlichen Auslegung des Gemeinschaftsrechts 23 , nicht mehr sinnvoll wahrnehmen. Im übrigen soll das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 EGV je gerade zu einer arbeitsteiligen Zusammenarbeit des EuGH mit den mitgliedstaatlichen Gerichten 24 führen und nicht zur Bildung einer umfassenden Gerichtstätigkeit auf europäischer Ebene. 2s Die Beschränkung des EuGH auf die Auslegung des Gemeinschaftsrechts unter Verzicht auf die Anwendung des Rechts auf den konkreten Fall bedeutet nicht, daß Vorabentscheidungen des EuGH zu GeneralklauseIn nicht möglich wären. 26 Aufgrund des Charakters von GeneralklauseIn ist aber eine Beschränkung notwendig27 - und möglich: Zur ,,Auslegung" einer Norm i.S. von Art. 234 I b) EGV können ohnehin nur solche Fragen gehören, die über den einzelnen Fall hinausgehen und insoweit abstrakter Art sind. Bei Generalklauseln, jedenfalls bei der Auslegung der Artt. 3 I, 4 I der Klauselrichtlinie, geht die Einschränkung noch weiter. Hier gehört die Fallgruppenbildung, die den generellen Beurteilungsmaßstab ausmacht, und die Bewertung der Fallgruppe als mißbräuchlich i.S.d Art. 3 I RL zur Rechtsanwendung und nicht zur Auslegung i.S.v. Art. 234 I b) EGV. 28
Staudinger-Coester. § 9 AGBG Rz. 56. Vgl. Brandner. MDR 1997,312,314; Joerges, ZEuP 1995,181,199. 22 Vgl. Brandner. MDR 1997,312,314; Joerges, ZEuP 1995, 181, 199. 23 Geiger. Art. 177 Rz. I. 24 Dieser Zweck des An. 234 EGV ist allg. anerkannt; vgl. Geiger. An. 177 Rz. I; Koenig / Sander. Rz. 454 f. 25 Vgl. Canaris, EuZW 1994, 417 ("Gefahr der Superrevision"). 26 Staudinger-Coester. § 9 AGBG Rz. 56. 27 Vgl. Heinrichs, NJW 1998, 1447, 1455; in diesem Sinne auch Canaris, EuZW 1994, 417, der eine restriktive Handhabung der Prilfungskompetenz durch den EuGH vorschlägt. 28 Ähnlich Heinrichs, NJW 1998, 1447, 1455. 20 21
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4. Kap.: Die europarechtlichen Bindungen des AGB-Gesetzes
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Die Ansicht von Coester geht insoweit zu weit. Dies wird besonders deutlich am Beispiel der Verbandsklage: Die von Coester als Beispiel genannte Frage (Erstlaufzeit in Sportstudiovertrag) wäre etwa der Sache nach ein geeigneter Gegenstand einer Verbandsklage, die, ließe man derartige Fragen im Vorabentscheidungsverfahren zu, letztlich allein vom EuGH entschieden würde. In der Literatur wird über diese Einschränkungen hinaus z.T. angenommen, Vorlagefragen betreffend Art. 3 I der Richtlinie kämen generell nicht in Betracht, da das Gemeinschaftsrecht keine Maßstäbe enhalte, an denen die Angemessenheit von Vertragsbestimmungen gemessen werden könne. 29 Dem ist nur insoweit zu folgen, als die Angemessenheit oder Unangemessenheit einer bestimmten Klausel kein tauglicher Gegenstand des Vorabentscheidungsverfahrens ist (s.o.). Ein genereller Ausschluß von Vorlage betreffen Artt. 3 I, 4 I folgt hieraus jedoch nicht, da es durchaus sonstige Auslegungsfragen betreffen die Artt. 3 1,4 I gibt (s.u.). Die hier vertretene Abgrenzung führt zu einer sachgerechten Arbeitsteilung oder Zusammenarbeit zwischen dem EuGH und den nationalen Gerichten. Für die Auslegung der Artt. 3 I, 4 I der Klauselrichtlinie i. S. d. Art. 234 I b) EGV bleibt auch mit dieser Abgrenzung zwischen Auslegung und Rechtsanwendung ein weiter Bereich. Dies zeigen schon die zahlreichen, in dieser Untersuchung angesprochenen Streitfragen, die sich nahezu alle nicht nur in bezug auf §§ 9, 24a Nr. 3 AGBG, sondern genauso in bezug auf Art. 3 I, 4 I der Richtlinie stellen. So könnte der EuGH etwa darüber entscheiden, ob nach Artt. 3 I, 4 I für Einmalklauseln und AGB ein einheitlicher Prüfungsmaßstab gilt, ob die Richtlinie ein zweistufiges Kontrollverfahren vorgibt oder den Mitgliedstaaten insoweit freie Hand läßt, ob die Richtlinie einen konkreten Kontrollrnaßstab LS. der Maßgeblichkeit der Interessen des konkreten Vertrags partners erfordert etc. In diesem Rahmen kann der EuGH seine rechtsvereinheitlichende Funktion erfüllen und entscheidende Hinweise zur Auslegung der Richtlinie und damit auch für die des deutschen Rechts geben. Wenn der EuGH etwa entscheiden sollte, daß Art. 4 - ggf. auch - von der Maßgeblichkeit der Interessen des konkreten Vertragspartners ausgeht, so wäre diese Auslegung möglicherweise ohne weiteres auf §§ 9, 24a Nr. 3 AGBG übertragbar, da der deutsche Gesetzgeber Art. 4 I bewußt genau umsetzen wollte.
Für die Praxis wäre viel gewonnen, wenn der EuGH bald zu den schwierigen Auslegungsfragen der Richtlinie Stellung nehmen sollte. Dem EuGH die Aufgabe der Klauselbeurteilung im Einzelfall zu übertragen, besteht nach dem klaren Wortlaut des Art. 234 I a) EGV sowie nach dem Sinn und Zweck des Vorabentscheidungsverfahrens kein Anlaß.
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Roth. JZ 1999,529,535; Staudinger-Schlosser. § 24a AGBG Rz. 57.
I. Vorabentscheidungsverfahren und AGB-Kontrolle
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2. Die Voraussetzungen der Vorlage
Voraussetzung der Vorlage ist gemäß Art. 234 TI EGV, daß sich eine Auslegungsfrage stellt. Im übrigen sind die Voraussetzungen der Vorlage im EG-Vertrag nicht geregelt. 30 Es besteht aber im Ergebnis Einigkeit darin, daß die Vorlage nur dann zulässig ist, wenn die Vorlagefrage entscheidungserheblich ist. 31 Entscheidungserheblichkeit bedeutet, daß die Entscheidung des vorlegenden Gerichts von der zu beantwortenden Frage über die Auslegung des Gemeinschaftsrecht abhängig sein muß. 32 Über die Entscheidungserheblichkeit entscheidet grundSätzlich das nationale Gericht selbst. 33 Der EuGH weist allerdings Vorabentscheidungsersuchen, die diese Voraussetzungen offensichtlich nicht erfüllen, zurück. 34 In bezug auf die Voraussetzungen der Auslegungsbedüftigkeit des Gemeinschaftsrechts und der Entscheidungserheblichkeit ist der EuGH bisher aber stets sehr großzügig gewesen. 3S Im Vordergrund des Interesses steht freilich nicht die Vorlagebefugnis, sondern die Vorlagepflicht der letztinstanzlichen Gerichte nach Art 234 m EGV. Die Voraussetzungen der Vorlagepflicht sind im einzelnen sehr umstritten. Unstreitig ist, daß die Vorlagepflicht des letztinstanzlichen Gerichts unter den Voraussetzungen der Vorlagefähigkeit gegeben ist, d. h. grundSätzlich ist eine entscheidungserhebliche Auslegungsfrage dem EuGH vorab vorzulegen. 36 Der Streit entzündet sich um die notwendigen Einschränkungen der Vorlagepflicht. Unstreitig ist die Vorlage dann nicht erforderlich, wenn der EuGH über eine gleichlautende Frage in einem anderen Verfahren bereits entschieden hat,37 und auch dann, wenn eine gesicherte Rechtsprechung des EuGH zu der betreffenden Rechtsfrage besteht. 38 Die Vorlage ist auch dann entbehrlich, wenn an der Entscheidung der Auslegungsfrage - durch den EuGH - keine vernünftigen Zweifel bestehen (sog. acteclair-Doktrin).39 Die Reichweite dieser Ausnahme, die sich inhaltlich mit dem Erv.d.Groeben-KTÜck, Art. 177 Rz. 52. Coester; FS Heinrichs (1998) 99, 103; v.d.Groeben-KTÜck, Art. 177 Rz. 57; Grabitzl Hilf- Wohlfahrt, Art. 177 Rz. 58. 32 Vgl. Geiger, Art. 177 Rz. 12; KoeniglSander; Rz.479. 33 EuGH, Vrt. v. 10.3. 1983, Rs 232182, Tz. 11, Slg. 1983,583,595 - Baccini; Geiger; Art. 177 Rz. 12; Koenig I Sander, Rz. 479; v.d.Groeben-KTÜck, Art 177 Rz. 56 f.; Schweitzer I Hummer; Rz. 543; Grabitz/Hilf-Wohlfahrt, Art. 177 Rz. 58. 34 Vgl. EuGH, Vrt. v. 11. 3. 1990, Rs. 104/79, Slg. 1980, 745 - Foglia Novello I; Rs. 244/80, Sig. 1991, 3045 - Foglia Novello 11; siehe dazu auch KoeniglSander; Rz. 480; v.d.Groeben-KTÜck, Art. 177 Rz. 61 ff.; SchweitzerlHummer. Rz. 543. 35 So v.d.Groeben-Krück, Art. 177 Rz. 57. 36 v.d.Groeben-KTÜck, Art. 177 Rz. 72; Schweitzer I Hummer; Rz. 529. 37 v.d.Groeben-KTÜck, Art, 177 Rz. 72; SchweitzerlHummer; Rz. 529. 38 v.d.Groeben-KTÜck, Art 177 Rz. 72. 30
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4. Kap.: Die europarechtlichen Bindungen des AGB-Gesetzes
fordernis des Vorliegens einer ,,Frage" oder von "Zweifeln" über die Auslegung des Gemeinschaftsrechts deckt oder zumindest eng damit zusammenhängt, wird sehr unterschiedlich beurteilt. Einigkeit besteht aber zumindest darin, daß es nicht genügt, wenn das letztinstanzliehe Gericht eine bestimmte Auslegung des Gemeinschaftsrecht für zweifellos richtig hält. 40 Andererseits genügt die nur hypothetisch oder von den Parteien im Prozeß vorgetragene Möglichkeit einer abweichenden Auslegung nicht;41 dies folgt schon daraus, daß es auf "vernünftige" Zweifel ankommt. Ein klarer Fall für Auslegungszweifel sind allerdings durch Gerichtsentscheidungen belegte Auslegungsdivergenzen. 42 Die Entscheidung über die Vorlage liegt, wie gesagt, beim nationalen Gericht. Bei Verletzung der Vorlagepflicht liegt aus der Sicht des Europarechts eine Verletzung des EG-Vertrags durch den Mitgliedstaat dar, das ein Vertragsverletzungsverfahren auslösen kann.43 Dies ist bisher allerdings reine Theorie. 44 Eher von praktischer Bedeutung ist dagegen die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde, da der EuGH in seiner Funktion nach Art. 234 EGV gesetzlicher Richter i.S.d Art. 101 I 2 GG ist.4s Jedenfalls willkürliche Verletzungen der Vorlagepflicht stellen daher eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter dar. 46 3. Vorlagen betreffend das AGB-Gesetz Bei Gerichtsverfahren betreffend die Wirksamkeit von Klauseln in Verbraucherverträgen besteht die Zulässigkeit und ggf. die Pflicht zur Vorlage unter den allgemeinen Voraussetzungen. Dabei ist zu beachten, daß die Richtlinie im deutschen Prozeß kein unmittelbar anwendbares Recht ist. Eine Vorlage kann daher am ehesten durch die Möglichkeit einer richtlinienkonformen Auslegung (dazu sogleich 11.) ausgelöst werden, näm-
39
EuGH, Urt. v.6. 10. 1982, Rs 283/81, Slg. 1982, 3415 ff. - C.I.L.F.I.T.; Staudinger-
Coester; § 9 AGBG Rz. 56; v.d.Groeben-Krück, Art. 177 Rz. 72; Schweitzer/Hummer; Rz. 529; Grabitz 1Hilf-Wohlfahrt, Art. 177 Rz. 52 f. 40 Staudinger-Coester; § 9 AGBG Rz. 56; v.d.Groeben-Krück, Art. 177 Rz. 72. 41 Canaris, EuZW 1994,417; Staudinger-Coester; § 9 AGBG Rz. 56. 42 Coester; FS Heinrichs (1998) 99, 104; ders., in Staudinger, § 9 AGBG Rz. 56. Enger: Canaris, EuZW 1994, 417 (Nur bei abweichenden Entscheidungen des höchsten Gerichts ei-
nes anderen Mitgliedstaates). 43 Staudinger-Coester; § 9 AGBG Rz. 61; v.d.Groeben-KTÜck, Art. 177 Rz. 78; Grabitzl Hilf-Wohlfahrt, Art. 177 Rz. 55. 44 Siehe dazu v.d.Groeben-Krück, Art. 177 Rz. 78; Grabitz/Hilf-Wohlfahrt. Art. 177 Rz.56. 4~ BVerfGE 75, 223, 233 ff.; Coester; FS Heinrichs (1998) 99, 103; v.d.Groeben-KTÜck, Art. 177 Rz. 79 m. w.N; Grabitz 1Hilf- Wohlfahrt, Art. 177 Rz. 56. 46 Coester; FS Heinrichs (1998) 99,103; ders., in Staudinger, § 9 AGBG Rz. 61; v.d.Groeben-KTÜck, Art. 177 Rz. 79.
11. Die richtlinienkonfonne Auslegung des AGB-Gesetzes
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lich dann, wenn sich im deutschen Rechtsstreit Zweifel ergeben, ob eine bestimmte, vom Gericht erwogene Auslegung des deutschen Rechts aufgrund einer richtlinienkonformen Auslegung zu korrigieren ist.47 In diesem Fall kann es zulässig und geboten sein, bei Zweifeln über den Inhalt der Klauselrichtlinie den EuGH anzurufen. 48 Weitere Voraussetzung der Vorlage ist, daß die Auslegungsfrage entscheidungserheblich ist. Dies ist nur dann der Fall, wenn die Wirksamkeit der zu beurteilenden Klausel bei den unterschiedlichen in Betracht kommenden Auslegungen unterschiedlich zu beurteilen ist. Wird die Vorlage im Vorfeld einer richtlinienkonformen Auslegung erwogen, muß also die Klausel nach der vom Gericht erwogenen und nach der Auslegung, die sich aufgrund einer etwaigen richtlinienkonformen Auslegung ergibt, unterschiedlich zu beurteilen sein. Eine weitere Hürde für die Vorlage ergibt sich aus Art. 8 der Klauselrichtlinie, wonach es den Mitgliedstaaten freisteht, über das Schutzniveau der Richtlinie hinauszugehen. Entscheidungserheblich sind daher nur Auslegungsvarianten, aufgrund derer die Richtlinie zu einem höheren Schutzniveau führt als das AGB-Gesetz. Für die Vorlage wegen einer richtlinienkonformen Auslegung ist also im Ergebnis regelmäßig erforderlich, daß die betreffende Klausel nach der vom Gericht erwogenen Auslegung des deutschem Rechts wirksam, nach der richtlinienkonformen Auslegung unwirksam ist.49
11. Die richtlinienkonConne Auslegung des AGB-Gesetzes 1. Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung, die z.T. auf einen Grundsatz vom Vorrang des Gemeinschaftsrechts50, überwiegend unmittelbar auf Art. 189 m EGV51 und ergänzend auf die Pflicht der Mitgliedstaaten zur Gemeinschaftstreue (Art. 5 EGV) gestützt wird,52 ist heute nahezu allgemein anerkannt. 53 Diese Vgl. W IH/L-Horn, § 24a Rz. 12. W IH/L-Horn. § 24a Rz. 12. 49 Coester. FS Heinrichs (1998) 99, 101; Heinrichs, NJW 1996, 2190, 2196; ders., NJW 1999, 1447, 1454. 50 So Staudinger-Coester. § 9 AGBG Rz. 53 m.w.Nachw. SI SO Brechmann, S. 250 ff., 289; Heinrichs. NJW 1995, 153, 154; W IH/L-Horn. § 24a Rz.IO. S2 Brechmann. S. 289; Staudinger-Coesrer. § 9 AGBG Rz. 62 m.w.Nachw.; Ehricke, RabelsZ 59 (1995) 598, 614; W IH/L-Horn. § 24a Rz. 10. S3 BeyerlMöllers. JZ 1991,24,26; Brechmann. S. 128 ff. mit umfangr. Nachw. zu den einzelnen Auffassungen; Staudinger-Coester. § 9 AGBG Rz. 62; Ehricke. RabelsZ 59 (1995) 598, 614; Hommelhoff, AcP 192 (1992) 71, 95; W I H/L-Horn. § 24a Rz. 10; Sreindorff, S.445. 47 48
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4. Kap.: Die europarechtlichen Bindungen des AGB-Gesetzes
Pflicht, der alle mitgliedstaatlichen Gerichte unterliegen, 54 besagt, daß die Gerichte Auslegungsspielräume des nationalen Rechts so zu nutzen haben, daß Konformität des nationalen Rechts mit den Vorgaben der Richtlinie erreicht wird. 55 Diese Pflicht besteht natürlich auch für die Auslegung des AGB-Gesetzes in bezug auf die K1auselrichtlinie,56 und sie bezieht sich nach h. M. nicht nur auf die in Umsetzung der Richtlinie erlassenen Vorschriften, sondern auf das gesamte deutsche Recht. 51
2. Die Voraussetzungen der richtlinienkonfonnen Auslegung Die allgemeinen Voraussetzungen der richtlinienkonformen Auslegung sind zum einen die Auslegungsfähigkeit und -bedürftigkeit des nationalen Rechts 58 und zum anderen die Gewißheit über den Inhalt der Richtlinie. 59 Die Auslegungsfähigkeit in diesem Sinne fehlt, wenn der - anhand der allgemeinen Auslegungsmethoden des jeweiligen nationalen Rechts zu ermittelnde60 - Inhalt der nationalen Vorschrift eindeutig iSt. 61 Die richtlinienkonforme Auslegung wird in der deutschen Literatur meist in der Weise verstanden, daß sie eine Anwendung der Richtlinie auf den konkreten Sachverhalt einschließt. 62 Bei diesem Verständnis führt die richtlinienkonforme Auslegung regelmäßig zu einem zweistufigen Auslegungsverfahren. 63 Auf der ersten Stufe wird - nach den allgemeinen Auslegungsregeln - ermittelt, weIche Auslegungsalternativen der nationalen Norm in bezug auf den Sachverhalt in Betracht Vgl. Staudinger-Coester, § 9 AGBG Rz. 62. EuGH, Urt. v. 13.11. 1990, Tz. 8, Slg. 1990,4135,4159 - Marleasing; EuGH, Urt. v. 14.7. 1994, Rs. 91/92, Tz. 28, Slg. 1994,3325 - Dori; Brechmann. S. 259; Staudinger-Coester, § 9 AGBG Rz. 62; W 1H 1L-Horn. § 24a Rz. 10. 56 Unstreitig; siehe nur Coester, FS Heinrichs (1998) 99, 108; ders. in Staudinger, § 9 AGBG Rz. 62; Heinrichs. NJW 1996,2190,2196; W/H/L-Hom. § 24a Rz. 10; Ulmer, EuZW 1993,337,339 f. ~1 Vgl. EuGH, Urt. v. 13.11. 1990, Tz. 8, Slg. 1990,4135,4159 - Marleasing; Brechmann. S. 72 ff., 273; Brandner, MDR 1999, 6. 7 f.; Coester, FS Heinrichs (1998) 99, 100 f.; ders .• in Staudinger, § 9 AGBG Rz. 62. ~8 Brechmann, S. 161; Staudinger-Coester, § 9 AGBG Rz. 63; SteindorjJ. S. 451. 59 Staudinger-Coester, § 9 AGBG Rz. 63. 60 SteindorjJ. S. 451. Wohl enger: W IH/L-Wolf, Art. 1 RL Rz. 14 (Grenze beim Wortlaut der Norm). 61 BAG, NJW 1990,65,66; BFH, OB 1991, 1966; Beyerl Möllers. JZ 1991, 24, 26; Staudinger-Coester, § 9 AGBG Rz. 63; Ehric/ce, RabelsZ 59 (1995) 598, 635 ff.; W IH/L-Hom, § 24a Rz. 10; SteindorjJ. S. 451 f. A.A. Luller, JZ 1992,593,607 (dann ggf. Verdrängung der nat. Norm durch die Richtlinie oder Rechtsfortbildung des nat. Rechts). 62 Vgl. Brechmann. S. 259; Staudinger-Coester, § 9 AGBG Rz. 63 (,.Auslegung [der Richtlinie] im Hinblick auf die konkrete Fragestellung"). 63 Vgl. Brechmann. S. 259. 54
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11. Die richtlinienkonfonne Auslegung des AGB-Gesetzes
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kommen, auf der zweiten Stufe erfolgt dasselbe anhand der entsprechenden Norm der Richtlinie. 64 Ergeben sich für die nationale Norm mehrere in Betracht kommende Auslegungen, sind diejengen auszuscheiden, die mit dem Ergebnis der Richtlinie kollidieren. 65 Auf beiden Stufen können sich Schwierigkeiten ergeben. So ist auf der ersten Stufe (bei der Auslegung des nationalen Rechts) fraglich - und durchaus umstritten -, wie bei der Ermittlung der Auslegungsvarianten vorzugehen ist bzw. unter welchen Voraussetzungen ein eindeutiger Sinn der Norm anzunehmen ist, der eine richtlinienkonforme Auslegung ausschließt. Auf der zweiten Stufe ist erforderlich, daß die entsprechenden Richtlinienbestimmung jedenfalls so weit bestimmt ist, daß eine Subsumtion des konkreten Falles möglich ist. Dieses Erfordernis ist die o.g. Voraussetzung der Gewißheit über den Inhalt der Richtlinie. Dabei sind zwei Elemente von Bedeutung, die sich aus der Funktion der Richtlinie ergeben. Die Richtlinie gibt gemäß Art. 249 EGV (Art. 189 a.F.) grundsätzlich nur das Ziel vor und überläßt es den Mitgliedstaaten, in welcher Form und mit welchen Mitteln das Ziel zu erreichen ist. Freilich läßt Art. 249 EGV (Art. 189 a.F.), soweit notwendig und mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar, auch detaillierte Regelungen in Richtlinien zu; dies ist im Ergebnis unstreitig. 66 Insoweit kommen für eine richtlinienkonforme Auslegung nur solche Bestimmungen in Betracht, hinsichtlich deren Umsetzung der Mitgliedstaat keine Gestaltungsmöglichkeit hat. 67 Das zweite Element betrifft die Detailgenauigkeit der Richtlinienbestimmung. Erforderlich ist insoweit, daß die Bestimmung so genau ist, daß sie eine Subsumtion erlaubt. Beide Aspekte sind eng miteinander verbunden und letztlich kaum zu trennen, da gerade die Detailgenauigkeit der Richtlinie den Umsetzungsspielraum der Mitgliedstaaten einschränkt. Voraussetzung der richtlinienkonformen Auslegung ist also, daß die Richtlinienbestimmung so detailliert ist, daß sie eine Subsumtion des konkreten Falles erlaubt, und daß der nationale Gesetzgeber hinsichtlich dieser Bestimmung keinen Spielraum bei der Umsetzung hat. Wenn die Richtlinienbestimmung dieses Maß an Klarheit und Verbindlichkeit nicht aufweist, kommt eine richtlinienkonforme Auslegung nicht in Betracht; dies ist im Grundsatz unstreitig. 68 In bezug auf die einzelnen Richtlinienbestimmungen werden allerdings oft sehr unterschiedliche Auffassung zur Eindeutigkeit der Richtlinienbestimmung in diesem Sinne vertreten.
64
M 66
67 68
Brechmann, S. 259. Brechmann, S. 259. Grundmann, IZ 1996, 274, 275 Fn. 6 m.Nachw. zu den verschiedenen Ansichten. Heinrichs, NIW 1995, 153, 155. Staudinger-Coester, § 9 AGBG Rz. 63; Heinrichs, NIW 1996,2190,2197.
4. Kap.: Die europarechtlichen Bindungen des AGB-Gesetzes
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3. Grenzen der ricbtlinienkonfonnen Auslegung des AGB-Gesetzes Diese Grundsätze der richtlinienkonfonnen Auslegung gelten im Rahmen der Inhaltskontrolle von Verbraucherverträgen auch für die Vorschriften des AGB-Gesetzes. Eine richtlinienkonfonne Auslegung ist auch bei Generalklauseln möglich. 69 Grundsätzlich kommt also eine richtlinienkonfonne Auslegung des §§ 9, 24a Nr. 3 AGBG in Betracht. 70 Allerdings werden die Voraussetzungen der richtlinienkonfonnen Auslegung möglicherweise nur in seltenen Fällen gegeben sein, denn es ist durchaus zweifelhaft, ob die Klauselrichtlinie hinsichtlich der Einzelheiten der Klauselkontrolle bindende und hinreichend genaue Vorgaben für die Mitgliedstaaten enthält.71 Für die Praxis wird es freilich darauf ankommen, ob und in welchem Umfang der EuGH in Verfahren nach Art. 234 EGV Aussagen über den verbindlichen Gehalt der Richtlinie macht. Eine wichtige Schranke für die richtlinienkonfonne Auslegung ergibt sich auch aus dem Vorbehalt des Art. 8 der Richtlinie zugunsten des strengeren mitgliedstaatlichen Rechts. Danach kommt eine richtlinienkonfonne Auslegung nicht in Betracht, wenn die Bestimmungen des deutschen Rechts - nicht nur des AGB-Gesetzes - über den Schutzstandard der Richtlinie zugunsten des Verbrauchers hinausgehen. Dies bedeutet für die richtlinienkonfonne Auslegung des AGBG bei Verbraucherverträgen folgendes: Wenn in einem Rechtsstreit über die Wirksamkeit einer Klausel in einem Verbrauchervertrag Zweifel über die Auslegung des deutschen Rechts bestehen, ist die Möglichkeit einer richtlinienkonfonnen Auslegung zu berücksichtigen. Dies setzt u. a. voraus, daß Gewißheit über den Inhalt der Richtlinie besteht. Diese Gewißheit kann, wie gesagt, ggf. durch Vorlage beim EuGH nach Art. 234 EGV erreicht werden. Wenn dies möglich ist, kann durch das o.g. zweistufige Verfahren ggf. eine Divergenz zwischen dem deutschen Recht und den Vorgaben der Klauselrichtlinie ennittelt werden. Wenn und soweit das Gericht diese Bestimmungen abweichend von den Vorgaben der Artt. 3 I, 4 I der RL erwägt, kommt es wegen Art. 8 der Klauselrichtlinie darauf an, ob das deutsche Recht nach dieser Auslegung ein höheres Schutzniveau aufweist als die Richtlinie. Ein Indiz hierfür ist gegeben, wenn die nicht-richtlinienkonfonne Auslegung zur Unwirksamkeit der Klausel führt, die nach der richtlinienkonfonnen Auslegung
70
Staudinger-Coester. § 9 AGBG Rz. 56. Unstreitig; vgl. Staudinger-Coester. § 9 AGBG Rz. 63.
71
Siehe dazu etwa oben 1. Kap., 1II.4.
69
11. Die richtlinienkonfonne Auslegung des AGB-Gesetzes
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wirksam wäre. Ist das Schutzniveau nach der nicht-richtlinienkonformen Auslegung höher, scheidet eine richtlinienkonforme Auslegung aus. Im übrigen ist bei derartigen Divergenzen eine richtlinienkonforme Auslegung der §§ 9, 24a Nr. 3 geboten.
5. Kapitel
Sonstige Aspekte der Angemessenheitskontrolle von Verbraucherverträgen I. Der Anwendungsbereich der besonderen Kontrolle von Verbraucherverträgen 1. Der Begriff des Verbrauchervertrags Die besonderen Grundsätze der Inhaltskontrolle nach § 24a AGBG gelten nur rlir Verbraucherverträge LS.v. § 24a 1. Halbs. Dies entspricht der Richtlinie, die sich entsprechend ihrem Art. 1 nur auf Verträge zwischen Unternehmern 1 und Verbrauchern bezieht.
a) Der UntemehmerbegrifJ i. S. d. § 24 AGBG § 24 S. 1 Nr. 1 AGBG enthält eine Legaldefinition des Begriffs des Unternehmers. 2 Unternehmer ist danach eine Person, die den Vertrag in Ausübung ihrer gewerblichen oder sonstigen selbständigen beruflichen Tätigkeit schließt. Der Begriff der "Person" ist weit zu fassen 3 und umfaßt jede Einheit, die Träger vertraglicher Rechte und Pflichten sein kann4 , also etwa auch die unternehmenstragende BGBGesellschaft. 5 Die gewerbliche Tätigkeit i. S. d. § 24 S. 1 Nr. 1 stellt ab auf das Bestehen eines gewerblichen Unternehmens, das mit der h. M. als eine selbständige, auf Dauer angelegte entgeltliche Tätigkeit, die sich als Beteiligung am allgemeinen WirtschaftsI Die Richtlinie spricht insoweit vom "Gewerbetreibenden"; vgl. Art. 1, 2 Iit. cl. Der Begriff des "Gewerbetreibenden" entspricht inhaltlich dem des "Unternehmers"; Borges, DZWir 1997,402,403. 2 Diese Definition war zunächst in § 24a AGBG enthalten. Durch das Handelsrechtsreformgesetz v. 22. 6. 1998 wurde die frühere Unterscheidung des § 24 AGBG zwischen Kaufleuten und Nichtkaufleuten aufgegeben und der Begriff des Kaufmanns durch den des Unternehmers ersetzt. Gleichzeitig wurde die Legaldefinition des Unternehmerbegriffs aus § 24a herausgelöst und in § 24 S. I Nr. I eingefügt. Siehe dazu auch W IH/L-Horn, § 24 Rz. I. 3 Vgl. U/B/H-Ulmer, § 24a Rz. 15. 4 Vgl. U/B/H-Ulmer. § 24a Rz. 15. S Braunjels, DNotZ 1997, 356, 369; U I B I H-Ulmer, § 24a Rz. 15.
I. Der Anwendungsbereich der besonderen Kontrolle von Verbraucherverträgen
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verkehr darstellt, beschrieben werden kann. 6 Das Merkmal der sonstigen selbständigen beruflichen Tätigkeit soll vor allem die freiberufliche Tätigkeit und sonstige entgeltliche, auf Dauer angelegte und nach außen hervortretende Tätigkeiten erfassen, die nicht unter den Gewerbegriff fallen. 7 Im Ergebnis soll also jede auf Dauer angelegte, entgeltliche Tätigkeit in eigener wirtschaftlicher und rechtlicher Verantwortung als unternehmerische Tätigkeit von § 24 S. I Nr. 1 erfaßt und von der privaten Tätigkeit abgegrenzt werden. Die Unternehmereigenschaft i. S. d. § 24 S. I Nr. 1 AGBG setzt weiterhin voraus, daß der Vertrag der unternehmerischen Sphäre der handelnden Partei zuzuordnen ist. 8 Die Anwendung sowohl des § 24 als auch des § 24a zulasten des Unternehmers ist also, genauso wie bei § 24 AGBG a.F. (und z. B. bei Anwendung der besonderen Regeln des HGB für Handelsgeschäfte auf Kaufleute), auf den unternehmerischen Bereich beschränkt. Der Begriff des Handeins in Ausübung der unternehmerischen Tätigkeit ist weit zu fassen. 9 Erforderlich und ausreichend ist ein sachlicher Zusammenhang des betreffenden Geschäfts mit der unternehmerischen Tätigkeit. 10 Praktische Bedeutung hat dieses zweite Kriterium im wesentlichen bei natürlichen Personen, die ein Unternehmen im O.g. Sinne betreiben. Bei jur. Personen sowie Personenhandelsgesellschaften gibt es, entsprechend den allgemeinen Grundsätzen, auch für die Anwendung des AGB-Gesetzes keine private Sphäre, jur. Personen und Personenhandelsgesellschaften handeln also stets als Unternehmer i. S. d. § 24. 11 Dasselbe gilt für unternehmenstragende BGB-Gesellschaften. Bei natürlichen Personen, die ein Unternehmen im o.g. Sinne betreiben, ist ein Vertrag im Zweifel der unternehmerischen Sphäre zuzuordnen. Bei Kaufleuten folgt dies aus der Vermutung des § 344 I HGB, die nach allg. Auff auch im Rahmen des § 24 AGBG gilt,12 bei sonstigen Unternehmern ist § 344 I HGB entsprechend anzuwenden. 13
6 Vgl. Borges, DZWir 1997,402,403 f.; Palandt-Heinrichs, § 24 AGBG Rz. 3; U/B/HUlmer. § 24a Rz. 16. Nach der h.M. ist zusätzlich eine Gewinnerzielungsabsicht erforderlich; Coester-Waltjen, 1ura 1997, 272, 273; Heinrichs, NJW 1996, 2190, 2191; W IH/L-Hom, § 24Rz. 6a. 7 W IH/L-Hom, § 24 Rz. 6b; U/B/H-Ulmer. § 24a Rz. 16. 8 W/H/L-Hom, §24Rz.9. 9 Vgl. U/B/H-Ulmer. § 24a Rz. 17. JO W IH/L-Horn. § 24 Rz. 9; U/B/H-Ulmer. § 24a Rz. 17. 11 Ulmer. AGB-Gesetz nach der Umsetzung, S. 16. 12 W IH/L-Horn, § 24a Rz. 9; U IB/H-Ulmer. § 24a Rz. 17. 13 Allg. Auff.; Braun/eis, DNotZ 1997, 356, 369; Heinrichs, N1W 1996,2190,2191; W I H/L-Hom, § 24 Rz. 9; Locher. 1uS 1997,389, 391; Staudinger-Schlosser. § 24a AGBG Rz. 29; U/B/H-Ulmer. § 24aRz. 17.
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5. Kap.: Aspekte der Angemessenheitskontrolle von Verbraucherverträgen
b) Der Begriff des Verbrauchers Der Begriff des Verbrauchers ist in § 24a 1. Halbs. gesetzlich definiert: Verbraucher ist eine natürliche Person, die bei Abschluß des Vertrages nicht im Rahmen einer gewerblichen oder sonstigen selbständigen beruflichen Tatigkeit handelt. Mit dieser zur Unternehmerdefinition des § 24 korrespondierenden Beschreibung wird also der zu privaten Zwecken geschlossene Vertrag als Gegenstand des besonderen Schutzes nach § 24a definiert. Dem privaten Zweck wird der Vertragsschluß für Zwecke einer unselbständigen beruflichen Tätigkeit l4 gleichgestellt. Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben sich für die Anwendung des § 24a nur bei natürlichen Personen, die ein Unternehmen i. S. d. § 24 S. 1 Nr. 1 betreiben. Hier kommt es, genauso wie im Rahmen des § 24, auf den Vertragsgegenstand an. ls Dabei ist der objektivierte Verständnishorizont des Vertragspartners entscheidend, d. h. maßgeblich ist, ob aus der Sicht des Unternehmers der Vertragsschluß der privaten oder der unternehmerischen Sphäre zuzurechnen ist. 16 Wesentliches Kriterium hierfür ist der Vertragsgegenstand,I7 beim Sachkauf etwa die beabsichtigte Nutzung der Sache. Die Zuordnung erfolgt nach den allgemeinen Kriterien, die etwa im Rahmen des HGB zur Ermittlung einer gewerblichen Tätigkeit entwickelt worden sind. Danach ist etwa die Vermögensanlage durch eine natürliche Person regelmäßig der privaten Sphäre zuzuordnen. 18 Dazu gehört auch die Vermögensanlage in Wertpapieren und Immobilien. 19
c) Gemischte Nutzung des Vertragsgegenstandes
Bei natürlichen Personen, die Unternehmer i. S. d. § 24 sind, wird die Zuordnung eines Vertrages zur unternehmerischen oder zur privaten Sphäre Schwierigkeiten bereiten, wenn der Vertragsgegenstand teils zur privaten, teils aber zur Nutzung im Unternehmen bestimmt ist. Diese Abgrenzungsproblematik stellt sich nicht nur für § 24a, sondern genauso für die Anwendung des § 24. Als Beispiel wird in der Literatur etwa der Fall genannt, daß ein Unternehmer (natürliche Person), einen PKW zur beruflichen, aber auch privaten Nutzung erwirbt. 2o 14 Das schon klassische Lehrbuchbeispiel für diesen Fall ist der Kauf von Arbeitskleidung durch einen Arbeitnehmer; vgl. Coester-Waltjen, Jura 1997,272,273; Heinrichs, NJW 1996, 2190,2191; W IH/L-Hom, § 24a Rz. 19. 15 Allg. Auff.; W I H I L-Hom, § 24 Rz. 23; U I B I H-Ulmer. § 24a Rz. 24. 16 Borges, DZWir 1997, 402, 404; Braun/eis, DNotZ 1997, 356, 370; Heinrichs, NJW 1996,2190,2191; Imping, WiB 1997,337,338. 17 Vgl. Heinrichs, NJW 1996,2190,2191; U/B/H-Ulmer. § 24a Rz. 24. 18 V gl. Staudinger-Schlosser. § 24a AGBG Rz. 29; U I B I H-Ulmer. § 24a Rz. 25. 19 Braun/eis, DNotZ 1997, 356, 369; Heinrichs, NJW 1996, 2190, 2192; StaudingerSchlosser. § 24a AGBG Rz. 29.
I. Der Anwendungsbereich der besonderen Kontrolle von Verbraucherverträgen
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Nach ganz h. M. kommt es in diesen Fällen darauf an, ob die gewerbliche oder die private Zweckbestimmung überwiegt. 21 Nach der Gegenmeinung ist der Vertrag bei gemischter Nutzung des Vertragsgegenstandes der privaten Sphäre des Leistungsempfängers zuzuordnen 22 mit der Folge, daß der Unternehmer bei gemischter Nutzung als Verbraucher i. S. d. § 24a anzusehen ist und somit den vollen Schutz des § 24a genießt. Die Mindermeinung überzeugt nicht. Nach dem Zweck der Differenzierung zwischen Unternehmern und Verbrauchern muß der Unternehmer jedenfalls bei einem überwiegenden unternehmerischen Charakter des Geschäfts sich auch an den für Unternehmer geltenden Standards messen lassen. Aus den Wortlaut des Art 3 Abs. 21it b) und c) der Klauselrichtlinie, auf den sich die Mindermeinung beruft,23 ergibt sich für diese Frage gar nichts, denn Art. 2 lit b) und c) der Richtlinie sagt über die Zuordnung bei gemischter Nutzung des Vertragsgegenstandes genausowenig etwas aus wie § 24a l. Hs. AGBG. 24 In der Praxis dürfte sich das Problem nur selten stellen, da es wesentlich auf die dem Vertragspartner erkennbare Zweckbestimmung ankommt. Bei gemischter Nutzung wird häufig die überwiegende Nutzung im Rahmen des Unternehmensaus der Sicht des Vertragspartners - im Vordergrund stehen und der untergeordnete private Nutzungszweck nicht erkennbar sein.
d) Darlegungs- und Beweislast
Die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen eines Verbrauchervertrags ist in § 24a AGBG nicht geregelt. 25 Daher obliegt entsprechend den allgemeinen Grundsätzen die Darlegungs- und Beweislast der Partei, die sich auf die Anwendung des § 24a AGBG beruft. 26 Die Partei, die zu ihren Gunsten die Kontrolle nach § 24a AGBG in Anspruch nehmen will, muß also darlegen und beweisen, daß der Vertragsabschluß auf Seiten ihres Vertragspartners der unternehmerischen Sphäre und auf der eigenen Seite der privaten Sphäre zuzuordnen (bei natürlichen Personen jeweils aus der objektivierten Sicht des Vertragspartners) ist. 20 Etwa bei Borges, DZWir 1997,402,404; Imping, WiB 1997,337,338; v. Westphalen, BB 1996,2101. 21 Borges, DZWir 1997,402,404; Heinrichs, NJW 1996,2190,2191; ders., in Pa1andt, § 24a AGBG Rz. 6; Hoppen, NWB Fach 19,2243,2244; W IH/L-Horn, § 24a Rz. 23; Imping, WiB 1997,337,338; Locher; JuS 1997, 389, 391; Ulmer; AGB-Gesetz nach der Umsetzung, S. 18; ders., in U I B I H, § 24a Rz. 26. 22 V. Westphalen, BB 1996,2101. 23 V. Westphalen, BB 1996,2101. 24 Borges, DZWir 1997,402,404; Imping, WiB 1997,337,338. 25 Vgl. U I B I H-Ulmer; § 24a Rz. 27. 26 Vgl. Braun/eis, DNotZ 1997, 356, 370; Pa1andt-Heinrichs, § 24a AGBG Rz. 6; U/BI H-Ulmer; § 24a Rz. 27; Staudinger-Schlosser; § 24a AGBG Rz. 33.
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5. Kap.: Aspekte der Angemessenheitskontrolle von Verbraucherverträgen
e) Mehrheit von Personen Das AGB-Gesetz enthält weder in § 24a noch in § 24 eine Regelung über den anwendbaren Kontrollrnaßstab in Fällen, in denen auf einer Seite des Vertrages mehrere Personen beteiligt sind. Von Interesse ist vor allem der Fall, daß einem Unternehmer zwei oder mehr Vertragspartner gegenüberstehen, von denen nur einer Verbraucher i. S. d. § 24a ist. Ein Auseinanderfallen der Verbrauchereigenschaft der Vertragspartner hat praktische Bedeutung vor allem bei Formen einer Mitverpflichtung des Verbrauchers aus einem Vertrag, den der Dritte mit dem Unternehmer schließt, oder für der Haftung für Verbindlichkeiten aus dem Vertrag. Zu erörtern sind daher neben der gleichartigen Beteiligung mehrerer Personen die Mitverpflichtung sowie die Bürgschaft.
aa) Der Grundsatz der getrennten AGB-Kontrolle Der Fall der gleichrangigen Beteiligung eines Verbrauchers und eines Unternehmers auf einer Seite des Vertrages ist sehr selten. Insoweit ist, entsprechend dem Rechtsgedanken des § 425 BGB, von einer getrennten oder gespaltenen Vertragskontrolle auszugehen. Wenn von mehreren auf einer Seite des Vertrages stehenden Personen eine Verbraucher, die andere Unternehmer ist, erfolgt die Vertragskontrolle nach dem AGB-Gesetz rür jede Person anhand des für diese anwendbaren Maßstabs. Wenn auf der anderen Seite des Vertrags ein Unternehmer i. S. d. § 24 handelt, erfolgt die Kontrolle also in bezug auf den Verbraucher nach § 24a, in bezug auf den Unternehmer anhand des § 24. Der Grundsatz der Spaltung des Kontrollrnaßstabs gilt erst recht bei der bloßen Mitverpflichtung eines Verbrauchers aus einem Vertrag, der dem Interesse eines Unternehmers dient. 27 Dies Fälle sind bei Darlehensverträgen besonders häufig, etwa bei einer Mitverpflichtung des Ehepartners für den Darlehensvertrag, der in bezug auf das Unternehmen des anderen Ehegatten geschlossen wird.
bb) Bürgschaften Bei Bürgschaften stellen sich andere Fragen als bei einer Mehrheit von Beteiligten auf einer Seite des Vertrages, die mit der rechtlichen Selbständigkeit des Bürgschaftsvertrages zusammenhängen. Da die Bürgschaft, die eine Person für die Verbindlichkeiten einer anderen absichert, ein selbständiger Vertrag ist, bereitet es keine Schwierigkeiten, Bürgschaftsvertrag und Hauptvertrag einer getrennten AGB-Kontrolle ggf. mit unterschiedlichen Kontrollrnaßstäben zu unterwerfen. Der enge Zusammenhang zwischen Bürgschaft und Hauptverbindlichkeit wirft aber in zweierlei Hinsicht Schwierigkeiten auf: Zum einen stellt sich die Frage, ob 27
U/B/H-Ulmer, § 24aRz. 29.
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es für die Zuordnung der Bürgschaft zur privaten oder zur unternehmerischen Sphäre auf den Bürgen ankommt, oder ob aufgrund des Zusammenhangs mit der Hauptverbindlichkeit die Zuordnung des Hauptvertrages (z. B. Darlehensvertrag) zur unternehmerischen oder privaten Sphäre des Hauptschuldners maßgeblich ist. Zum anderen stellt sich die Frage, ob der Bürge sich auf die Unwirksamkeit von Klauseln des Hauptvertrages anhand des für ihn selbst maßgeblichen Kontrollmaßstabes berufen kann, wenn diese Klauseln Einfluß auf den Umfang der Bürgenverpflichtung haben. Die Frage, ob der Charakter der Bürgschaft als Verbrauchervertrag von der Zuordnung des Hauptvertrages abhängig ist, ist vor allem für ähnliche Fragestellungen im Rahmen des § 1 VerbrI