Die Infrastrukturabgabe: Eine Untersuchung der Verfassungsmäßigkeit und Unionsrechtskonformität der ersten Straßenbenutzungsabgabe für Personenkraftwagen in der Bundesrepublik Deutschland [1 ed.] 9783428554539, 9783428154531

Das Infrastrukturabgabengesetz war eines der umstrittensten Gesetzesvorhaben seit langer Zeit. Damit wurde die erste Str

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Die Infrastrukturabgabe: Eine Untersuchung der Verfassungsmäßigkeit und Unionsrechtskonformität der ersten Straßenbenutzungsabgabe für Personenkraftwagen in der Bundesrepublik Deutschland [1 ed.]
 9783428554539, 9783428154531

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1374

Die Infrastrukturabgabe Eine Untersuchung der Verfassungsmäßigkeit und Unionsrechtskonformität der ersten Straßenbenutzungsabgabe für Personenkraftwagen in der Bundesrepublik Deutschland

Von

Matthias Heffinger

Duncker & Humblot · Berlin

MATTHIAS HEFFINGER

Die Infrastrukturabgabe

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1374

Die Infrastrukturabgabe Eine Untersuchung der Verfassungsmäßigkeit und Unionsrechtskonformität der ersten Straßenbenutzungsabgabe für Personenkraftwagen in der Bundesrepublik Deutschland

Von

Matthias Heffinger

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität des Saarlandes hat diese Arbeit im Jahre 2018 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2018 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: CPI buchbücher.de, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-15453-1 (Print) ISBN 978-3-428-55453-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-85453-0 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinem Vater

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2017 / 2018 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität des Saarlandes als Disser‑ tation angenommen. Literatur und Rechtsprechung konnten für die Veröffent‑ lichung bis Februar 2018 berücksichtigt werden. Besonders danken möchte ich meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Christoph Gröpl für seine hervorragende Betreuung und seine stets wert‑ vollen Hinweise und Anmerkungen bei der Erstellung dieser Arbeit. Die Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl war für das Gelingen dieser Dissertation ein wesentlicher Baustein. Mein Dank gilt auch Herrn Professor Dr. Roberto Bartone für die Erstellung des Zweitgutachtens und sein großes Interesse an der Thematik meiner Arbeit. Meiner Frau Katharina danke ich von Herzen für die Unterstützung in al‑ len Höhen und Tiefen und ihr Verständnis für meine häufige Abwesenheit während der Promotionsphase. Darüber hinaus gebührt meinen Eltern ein großer Dank für ihren vorbe‑ haltlosen Rückhalt und Zuspruch während des Studiums und der Promotions‑ zeit. Mein Vater konnte den Abschluss der Dissertation leider nicht mehr er‑ leben. Diese Arbeit ist ihm gewidmet. Riegelsberg, im Februar 2018

Matthias Heffinger

Inhaltsübersicht 1. Teil

Einführung, Abgrenzung und dogmatische Grundlagen 

29

A. Einleitung und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 B. Dogmatische Grundlagen der Infrastrukturabgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 2. Teil

Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz 

97

A. Formelle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes . . . . . . . . . 97 B. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes . . . . . . . . 133 3. Teil

Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit dem Recht der Europäischen Union 

196

A. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 B. Verstoß gegen Art. 92 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 C. Verstoß gegen die Grundfreiheiten des Unionsrechts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 D. Verstoß gegen Art. 18 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 E. Verstoß gegen Art. 107 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 F. Fazit zur Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit dem Recht der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318

Inhaltsverzeichnis 1. Teil

Einführung, Abgrenzung und dogmatische Grundlagen 

A. Einleitung und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Entwicklung der Straßenbenutzungsabgaben für Personen‑ und Last‑ kraftwagen in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geschichte der Straßenbenutzungsabgaben für Personenkraftwagen und der Kraftfahrzeugsteuer in Deutschland im späten 19. und 20. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) 1871 bis 1933  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Deutsches Kaiserreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) 1933 bis 1945  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) 1945 bis 1969  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) 1969 bis 1990  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Regelungen zu Straßenbenutzungsgebühren in der DDR . . . . . . . . . f) 1990 bis heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Politische Initiativen für Straßenbenutzungsgebühren für Personenkraftwagen bis zum Jahr 2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Änderung der Ertragskompetenz für das Aufkommen aus der Kraftfahrzeugsteuer im Jahr 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Historie der Einführung der Infrastrukturabgabe . . . . . . . . . . . . 2. Kurzer Abriss zur Lkw-Maut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das Infrastrukturabgabengesetz und die Änderung des Kraftfahrzeug‑ steuergesetzes im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Infrastrukturabgabengesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Infrastrukturabgabenpflicht und Höhe der Infrastrukturabgabe . . . . b) Begriff des Kraftfahrzeugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schuldner der Infrastrukturabgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Infrastrukturabgabebehörde und Überwachung der Infrastruktur­ abgabenpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Verfahren bei der Erhebung der Infrastrukturabgabe . . . . . . . . . . . . f) Beginn der Erhebung der Infrastrukturabgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29 29 29 31 33 33 33 33 34 36 37 38 40 42 43 44 44 45 47 47 47 48 49 49 49 50 50

12 Inhaltsverzeichnis V. Bewertung dieser Entwicklungen und Vorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 B. Dogmatische Grundlagen der Infrastrukturabgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Abgabe  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Infrastrukturabgabe als Abgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Steuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Steuerbegriffe und Lenkungsteuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgangspunkt: Definition der Steuer im einfachen Recht . . . . . . . b) Übertragbarkeit auf den verfassungsrechtlichen Steuerbegriff . . . . . c) Lenkungsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Merkmale des verfassungsrechtlichen Steuerbegriffs . . . . . . . . . . . . aa) Geldleistungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Leistung an eine Körperschaft des öffentlichen Rechts . . . . . . cc) Hoheitliche Auferlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Deckung des Finanzbedarfs der Körperschaften des öffent­ lichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Kein Zusammenhang mit einer öffentlichen Leistung – „Voraussetzungslosigkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Sonderabgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Definition des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abgrenzung zur Steuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Infrastrukturabgabe als Steuer oder Sonderabgabe . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Infrastrukturabgabe als Steuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Hoheitlich auferlegte Geldleistung zur Deckung des allgemeinen Finanzbedafs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Lenkungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Öffentliche Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Infrastrukturabgabe als Sonderabgabe und Ergebnis . . . . . . . . . . . V. Vorzugslast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gebühr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gebührenbegriffe aus jüngerer Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Traditioneller Gebührenbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtfertigung der Gebühr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Abgrenzung zur Steuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Einfachrechtliche Kategorisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beitrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53 53 54 54 56 56 57 57 58 59 59 60 60 60 61 62 62 63 64 65 65 66 66 67 67 69 69 70 70 70 72 73 74 77 79 79 79 80



Inhaltsverzeichnis13 b) Abgrenzung zur Gebühr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . bb) Die Auffassung Dieter Wilkes und die Kritik daran . . . . . . . . . cc) Gründe für die Unterscheidung von Beitrag und Gebühr . . . . . c) Abgrenzung zur Steuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtfertigung des Beitrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis zum Begriff der Gebühr und des Beitrags . . . . . . . . . . . . . . . VI. Die Infrastrukturabgabe als Gebühr oder Beitrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Exkurs: Erhebungsformen von Straßenbenutzungsgebühren . . . . . . . . . a) Vignette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Maut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Folgerungen für das Infrastrukturabgabengesetz . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abgrenzung zwischen Gebühr und Beitrag anhand der Infrastruktur‑ abgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Doppelnatur der Infrastrukturabgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Doppelnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Dogmatische Probleme der Doppelnatur  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einordnung der Infrastrukturabgabe als Gebühr . . . . . . . . . . . . bb) Einordnung der Infrastrukturabgabe als Beitrag . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80 81 82 84 85 86 87 87 88 88 89 90 90 92 92 93 93 94 96

2. Teil

Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz 

97

A. Formelle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes . . . . . . . . . 97 I. Zuständigkeit des Bundes für den Erlass des Infrastrukturabgabengeset‑ zes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 1. Gesetzgebungskompetenz für Steuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 2. Gesetzgebungskompetenz für die Erhebung und Verteilung von Straßenbenutzungsgebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 a) Grammatische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 b) Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 c) Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 aa) Einfügung in das Grundgesetz im Jahr 1969 . . . . . . . . . . . . . . . 101 bb) Änderung im Jahr 2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 d) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 e) Erforderlichkeit des Infrastrukturabgabengesetzes . . . . . . . . . . . . . . 104 aa) Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse . . . . . . . . . . . . . 104 bb) Wahrung der Rechtseinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 cc) Vergleich zur Wahrung der Wirtschaftseinheit . . . . . . . . . . . . . . 105 dd) Rechtszersplitterung als Merkmal der Wahrung der Rechts‑ einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

14 Inhaltsverzeichnis f) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 g) Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 aa) Beschränkung auf Bundesfernstraßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 bb) Sperrwirkung durch Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG . . . . . . . . 110 h) „Ungeschriebene“ Gesetzgebungskompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . 111 aa) Kompetenz kraft Natur der Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 bb) Annexkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 cc) Kompetenz kraft Sachzusammenhangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 i) Inhaltliche Bindung des Gesetzgebers für die Ertragsverteilung . . . 113 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 4. Negative Kompetenzabgrenzungsvorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 a) Regelungen zur Ausführung des Infrastrukturabgabengesetzes . . . . 115 b) Merkmale des Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG und die Einordnung des Infrastrukturabgabengesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 c) Umgehung des Schutzzwecks des Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG . . . . . 117 aa) Hauptzwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 bb) Umgehung der Organisationshoheit der Länder . . . . . . . . . . . . 119 cc) Umgehung des Schutzes für die Kommunen vor finanziellen Belastungen ohne Ausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 (1) Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern . . . . . . . . . . 120 (2) Lastenverteilung zwischen Ländern und Kommunen . . . . . 121 dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 II. Verfahren bei Erlass des Infrastrukturabgabengesetzes . . . . . . . . . . . . . . . 122 1. Zustimmungsbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 a) Art. 105 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 b) Art. 87 Abs. 3 Satz 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 c) Art. 84 Abs. 1 Satz 5 und 6 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 aa) Das Verwaltungsverfahren und die Einrichtung der Behörden . 125 bb) § 9 Abs. 3 und 4 InfrAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 cc) § 9 Abs. 5 InfrAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 dd) § 9 Abs. 6 InfrAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 ee) Abweichungsverbot nach Art. 84 Abs. 1 Satz 5 GG . . . . . . . . . 130 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 2. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 III. Einhaltung der Formvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 B. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes . . . . . . . . I. Vereinbarkeit mit Grundrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Berufsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

133 133 133 133 134



Inhaltsverzeichnis15 aa) Unmittelbarer Berufsbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 bb) Objektiv berufsregelnde Tendenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 (1) Rechtsprechungsentwicklung und Literaturmeinung zu Lenkungsabgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 (2) Anwendung auf das Infrastrukturabgabengesetz . . . . . . . . . 136 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 c) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 2. Eigentumsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 a) Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 aa) Eigentumsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 bb) Schutz des Vermögens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 (1) Meinungen innerhalb des Bundesverfassungsgerichts . . . . 140 (2) Meinungen in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 (3) Eigene Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 cc) Schutz vermögenswerter Rechtspositionen . . . . . . . . . . . . . . . . 142 (1) Kritik an diesem Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 (2) Belastungs- und Gestaltungswirkungen von Abgaben . . . . 144 (3) Erdrosselnde Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 (4) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 b) Eingriff in den Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 aa) Innehaben einer vermögenswerten Rechtsposition bei Haltern und Führern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 bb) Erdrosselnde Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 cc) Druck zur Verhaltensänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 (1) Halter in Deutschland zugelassener Kraftfahrzeuge . . . . . . 148 (2) Halter und Führer im Ausland zugelassener Kraftfahr­ zeuge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 (3) Bestimmung der Erheblichkeitsschwelle für einen Eingriff bei Haltern und Führern im Ausland zugelassener Kraftfahrzeuge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 (4) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 c) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 3. Allgemeine Handlungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 a) Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 b) Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 c) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 aa) Legitimer Zweck der Kostendeckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 (1) Verfolgung dieses Zwecks durch den Gesetzgeber . . . . . . . 156 (2) Ermittlung der Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 (3) Geeignetheit zur Erreichung dieses Zwecks . . . . . . . . . . . . 159 bb) Legitimer Zweck des Vorteilsausgleichs und Geeignetheit . . . . 160

16 Inhaltsverzeichnis (1) Verfolgung dieses Zwecks durch den Gesetzgeber . . . . . . . 160 (2) Geeignetheit zur Erreichung dieses Zwecks . . . . . . . . . . . . 161 cc) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 dd) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 (1) Angemessenheit der Infrastrukturabgabe insgesamt . . . . . . 162 (2) Zumutbarkeit für Halter im Inland zugelassener Kraft‑ fahrzeuge  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 (3) Zumutbarkeit für Halter und Führer im Ausland zugelas‑ sener Kraftfahrzeuge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 (4) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 4. Allgemeiner Gleichheitssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 a) Keine Anwendbarkeit eines besonderen Gleichheitssatzes . . . . . . . . 166 b) Ungleichbehandlung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 aa) Relative Unterschiede innerhalb der einzelnen Vignettenarten . 170 bb) Unterschiedliche Geltungsbereiche der Vignetten . . . . . . . . . . . 170 cc) Abgabepflicht bei Zulassung des Kraftfahrzeugs und ver‑ pflichtender Erwerb einer Jahresvignette . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 dd) Weitere Ungleichbehandlungen im Infrastrukturabgabengesetz. 171 ee) Einbeziehung der Kraftfahrzeugführer in die Ungleichbehand‑ lung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 ff) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 c) Rechtfertigung der Ungleichbehandlungen und Typisierungen . . . . 172 aa) Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 bb) Unterschiede bei den Vignettenpreisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 cc) Differenzierung beim Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 (1) Beeinträchtigung des kleinen Grenzverkehrs . . . . . . . . . . . 175 (2) Reduzierung der Kontrollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 (3) Ausdehnung der Abgabenpflicht auf Bundesstraßen . . . . . . 177 (4) Benachteiligung durch die Ungleichbehandlung . . . . . . . . . 177 dd) Verpflichtender Erwerb der Jahresvignette . . . . . . . . . . . . . . . . 178 (1) Gründe für die Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 (2) Anforderungen an die Typisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 (3) Genauigkeit der Typisierung im Infrastrukturabgaben­ gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 (4) Verhältnismäßigkeit der Typisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 (5) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 ee) Fehlende Auswahl bei Vignetten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 ff) Weitere Ungleichbehandlungen im Infrastrukturabgabengesetz. 185 d) Ungleichbehandlung nach der Fahrzeugart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 aa) Leichte Lastkraftwagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 bb) Busse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188



Inhaltsverzeichnis17 II. Vereinbarkeit mit sonstigem Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verstoß gegen Art. 90 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausführung des Infrastrukturabgabengesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Reichweite der Bundesauftragsverwaltung in Art. 90 Abs. 3 GG . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot für Verordnungsermächtigun‑ gen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Tatbestand des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verordnungsermächtigungen des Infrastrukturabgabengesetzes . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

188 188 189 189 191 191 192 193 195 195

3. Teil

Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit dem Recht der Europäischen Union 

196

A. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 B. Verstoß gegen Art. 92 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 I. Geschichte der Vorschrift und Auslegung durch den EuGH . . . . . . . . . . . 199 II. Anwendbarkeit des Art. 92 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 1. Sachliche Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 2. Persönliche Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 a) Verkehrsunternehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 aa) Anwendungsbereich des Infrastrukturabgabengesetzes . . . . . . . 202 bb) Unerheblichkeit der konkreten Nutzung des Kraftfahrzeugs  . . 203 b) Zulässigkeit einer typisierenden Betrachtung des Art. 92 AEUV . . 204 c) Voraussetzungen für eine typisierende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . 205 d) Typisierung durch das Infrastrukturabgabengesetz . . . . . . . . . . . . . . 205 aa) Sachgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 bb) Verwaltungsvereinfachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 (1) Erhöhter Verwaltungsaufwand im Infrastrukturabgaben­ gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 (2) Vermeidung der Typisierung durch Ausnahmen für ausländische Verkehrsunternehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 (3) Vermeidung der Typisierung durch Belastung der inländi‑ schen Verkehrsunternehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 (4) Vermeidung der Typisierung durch Wegfall der Steuerent‑ lastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 (5) Typisierung und effet utile des Unionsrechts . . . . . . . . . . . 210 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 III. Inhaltliche Voraussetzungen des Art. 92 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 1. Unmittelbare oder mittelbare Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211

18 Inhaltsverzeichnis a) Wirtschaftliche Gesamtbetrachtung mehrerer Maßnahmen . . . . . . . 211 b) Infrastrukturabgabengesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 c) Zweites Verkehrsteueränderungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 aa) Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer nach § 3 Nr. 13 Satz 1 KraftStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 bb) Ausnahme von der Befreiung nach § 3 Nr. 13 Satz 2 Kraft‑ StG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 cc) Befreiung durch Doppelbesteuerungsabkommen . . . . . . . . . . . . 215 dd) Zulässigkeit einer alleinigen Senkung der Kraftfahrzeugsteuer  216 d) Gesamtbetrachtung beider Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 aa) Offensichtliche Gründe für eine Gesamtbetrachtung . . . . . . . . . 217 bb) Inhaltliche Verknüpfungen beider Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . 218 cc) Erwägungen gegen eine wirtschaftliche Gesamtbetrachtung  . 219 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 2. Ungünstigere Gestaltung von Vorschriften im Vergleich von ausländi‑ schen zu inländischen Verkehrsunternehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 a) Statische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 b) Dynamische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 aa) Verhinderung von Übergriffen der Union in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 bb) Möglichkeit der Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen . . 224 cc) Isolierte Senkung der Kraftfahrzeugsteuer als Verstoß gegen Art. 92 AEUV in der statischen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . 225 dd) Erhöhung der Kompromissbereitschaft der Mitgliedstaaten . . . 225 ee) Kein Bedürfnis für die statische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . 226 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 aa) Bedeutung des Art. 92 AEUV bei der dynamischen Ausle‑ gung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 bb) Verhältnis zwischen in- und ausländischen Verkehrsunterneh‑ mern  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 cc) Auswirkungen auf die Rechtsetzung durch die EU . . . . . . . . . . 230 dd) Problematik einer isolierten Senkung der Kraftfahrzeugsteuer . 230 d) Zeitpunkt für den Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 aa) Mehrere mögliche Vergleichszeitpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 bb) Statische und dynamische Auslegung bei der Rechtslage des Jahres 1958 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 3. Inhaltliche Vereinbarkeit der Maßnahmenkombination mit Art. 92 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 a) Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 aa) Einbeziehung verschiedener Steuern in die Betrachtung der Lage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235



Inhaltsverzeichnis19 bb) Auswirkungen der wirtschaftlichen Gesamtbetrachtung auf die Einbeziehung von Steuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 b) Aktuelle Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 aa) Verkehrsunternehmer mit im Ausland zugelassenen Kraftfahr‑ zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 bb) Verkehrsunternehmer mit im Inland zugelassenen Kraftfahr‑ zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 c) Statische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 aa) Verkehrsunternehmer mit im Ausland zugelassenen Kraftfahr‑ zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 bb) Verkehrsunternehmer mit im Inland zugelassenen Kraftfahr‑ zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 d) Stellungnahme: Vorzug der dynamischen Auslegung . . . . . . . . . . . . 241 e) Rechtfertigung einer Beeinträchtigung des Art. 92 AEUV . . . . . . . . 242 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243

C. Verstoß gegen die Grundfreiheiten des Unionsrechts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Warenverkehrsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ein- und Ausfuhrzölle sowie Abgaben gleicher Wirkung . . . . . . . . . . . 2. Mengenmäßige Beschränkung oder Maßnahme gleicher Wirkung . . . . a) Dassonville und Cassis de Dijon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Keck-Rechtsprechung und deren Fortentwicklung . . . . . . . . . . aa) Das Urteil des EuGH im Fall Keck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einschränkung durch den EuGH im Jahr 2009 . . . . . . . . . . . . . cc) Beurteilung der Infrastrukturabgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verstoß gegen das Verbot der Erhebung höherer Abgaben für Waren aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . a) Abgabe auf Waren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beeinträchtigung der Wettbewerbsneutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Arbeitnehmerfreizügigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Arbeitnehmersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Arbeitgebersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zuzug von Unionsbürgern nach Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wegzug aus Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Dienstleistungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausschluss der Dienstleistungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beschränkungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Diskriminierungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

244 244 245 247 247 248 248 248 248 250 250 250 252 253 254 254 255 255 256 257 257 258 258 259 259

20 Inhaltsverzeichnis D. Verstoß gegen Art. 18 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anwendbarkeit auf das Infrastrukturabgabengesetz . . . . . . . . . . . . . . . . II. Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unmittelbare Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Infrastrukturabgabengesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zweites Verkehrsteueränderungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gesamtbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mittelbare Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gleichzeitige Entlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer . . . . . . . . . . . aa) Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Benachteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Benachteiligung durch die staatliche Gewalt . . . . . . . . . . . (2) Gesamtbetrachtung und kritische Würdigung . . . . . . . . . . . (3) Die Motivation des Gesetzgebers als Argument für das Vorliegen einer Benachteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Preisgestaltung der Kurzzeitvignetten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gültigkeit der Vignette nur für Bundesautobahnen . . . . . . . . . . . . . d) Erhebung der Infrastrukturabgabe bei Ausländern . . . . . . . . . . . . . . e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtfertigung der Preisgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Objektiver Grund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Maßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Infrastrukturabgabengesetz in der Fassung bis Mai 2017 . . . . . (1) Niedrigste Preiskategorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Mittlere Preiskategorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Höchste Preiskategorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Infrastrukturabgabengesetz in der Fassung ab Mai 2017 . . . . . (1) Niedrigste Preiskategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Mittlere Preiskategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Höchste Preiskategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtfertigung der gleichzeitigen Entlastung durch die Kraftfahr‑ zeugsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

260 260 260 260 261 262 263 263 264 265 265 265 266 266 268 268 268 270 271 272 273 274 275 275 276 276 277 277 278 279 279 280 280 281 281 282 283 283 284 284



Inhaltsverzeichnis21 a) Lastenausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundgedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kohärenz als Rechtfertigungsgrund im Unionsrecht und Ver‑ gleichbarkeit zum Lastenausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Unmittelbarer Zusammenhang zwischen Be- und Entlastung . . (1) Maßstab  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Zusammenhang im Unionsrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Wirtschaftliche und rechtliche Betrachtung . . . . . . . . . . . . . (4) Keine Beseitigung einer Inländerdiskriminierung durch Lastenausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Belastungsgleichheit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

E. Verstoß gegen Art. 107 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begünstigung ohne Gegenleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Selektivität der Begünstigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

285 285 285 287 287 288 288 290 291 291 292 293 293 295 295 295 297 298

F. Fazit zur Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit dem Recht der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318

Abkürzungsverzeichnis a. A.

andere Ansicht

ABl.

Amtsblatt

ABMG

Gesetz über die Erhebung von streckenbezogenen Gebühren für die Benutzung von Bundesautobahnen mit schweren Nutz‑ fahrzeugen (Autobahnmautgesetz für schwere Nutzfahrzeuge)

Abs. Absatz Abt. Abteilung ADAC

Allgemeiner Deutscher Automobil-Club

a. E.

am Ende

AEUV

Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

a. F.

alte Fassung

Änd.

Änderung / en

AO

Abgabenordnung

AöR

Archiv für öffentliches Recht

Apr. April Art. Artikel Aufl. Auflage Ausschuss-Drs.

Ausschussdrucksache

BAG

Bundesamt für Güterverkehr

BAnz.

Bundesanzeiger

BASt

Bundesanstalt für Straßenwesen

BB

Betriebsberater

Bd. Band Bearb.

Bearbeitung

BeckOK AuslR

Kluth / Heusch (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Auslän‑ derrecht

BeckOK GG

Epping / Hillgruber (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Grundgesetz

BeckOK MedienR

Gersdorf / Paal (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Infor‑ mations- und Medienrecht

Begr.

Begründer

Bek.

Bekanntmachung

Beschl.

Beschluss

BFH

Abkürzungsverzeichnis23 Bundesfinanzhof

BFHE

Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs

BFStrMG

Gesetz über die Erhebung von streckenbezogenen Gebühren für die Benutzung von Bundesautobahnen und Bundesstraßen (Bundesfernstraßenmautgesetz)

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGBl. Bundesgesetzblatt BGebG

Gesetz über Gebühren und Auslagen des Bundes (Bundesge‑ bührengesetz)

BGH

Bundesgerichtshof

BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen

BHO

Bundeshaushaltsordnung

BImSchG

Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (Bundes-Immissionsschutzgesetz)

BMF

Bundesministerium der Finanzen

BMVI

Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur

BoKo GG

Kahl / Waldhoff / Walter, (Hrsg.) Bonner Kommentar zum Grundgesetz

BR-Drs.

Drucksachen des Bundesrats

BRH

Bundesrechnungshof

BR-Prot.

Plenarprotokolle der Sitzungen des Bundesrates

bspw.

beispielsweise

BStBl.

Bundessteuerblatt

BT-Drs.

Drucksachen des Deutschen Bundestages

BT-Prot.

Plenarprotokolle der Sitzungen des Deutschen Bundestages

Buchst.

Buchstabe

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

BVerwGE

Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts

bzw.

beziehungsweise

CDU

Christlich Demokratische Union Deutschlands

CSU

Christlich-Soziale Union in Bayern e. V.

d.

der

DBA

Doppelbesteuerungsabkommen

DDR

Deutsche Demokratische Republik

ders.

derselbe

Destatis

Statistisches Bundesamt

24 Abkürzungsverzeichnis d. h.

das heißt

dies.

dieselbe / n

DM

Deutsche Mark

Doppelbuchst.

Doppelbuchstabe

DÖV

Die Öffentliche Verwaltung

DStZ / A

Deutsche Steuer-Zeitung Ausgabe A

DVBl.

Deutsches Verwaltungsblatt

EG

Europäische Gemeinschaft / en

EGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft

endg.

endgültig

EStG

Einkommensteuergesetz

EU

Europäische Union

EuGH

Gerichtshof der Europäischen Union

EuR

Europarecht (Zeitschrift)

EUV

Vertrag über die Europäische Union

EUV / AEUV-Komm. Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zum Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union EWGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemein‑ schaft

EWR

Europäischer Wirtschaftsraum

EuZW

Zeitschrift für Europäisches Wirtschaftsrecht

f. / ff.

folgende

FAG

Finanzausgleichsgesetz

FDP

Freie Demokratische Partei

Fn. Fußnote Fortf.

Fortführung

FS

Festschrift

FStrG

Bundesfernstraßengesetz

FStrPrivFinG

Gesetz über den Bau und die Finanzierung von Bundesfern‑ straßen durch Private (Fernstraßenbauprivatfinanzierungsge‑ setz)

FVG

Gesetz über die Finanzverwaltung

FZV

Verordnung über die Zulassung von Fahrzeugen zum Straßen‑ verkehr (Fahrzeug-Zulassungsverordnung)

GBl. DDR

Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik

GebBeitrG Bln

Gesetz über Gebühren und Beiträge (Berlin)

gem.

gemäß

GewArch

Gewerbearchiv

GG

Grundgesetz

GG-Komm. GO GO GVBl. GVOBl. Halbs. HFinW II HGR HGrG HStR i. d. F. InfrAG

i. S. d. IStR i. V. m. IVV JöR JURA JuS JZ KAG KBA km KommJur KonnexAG KraftStG krit. KrWG

KStZ KSVG LHO

Abkürzungsverzeichnis25 Kommentar zum Grundgesetz, Grundgesetzkommentar Bayern Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern (Gemein‑ deordnung) NRW Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen Gesetz- und Verordnungsblatt (Berlin) Gesetz- und Verordnungsblatt (Schleswig-Holstein) Halbsatz Neumark (Hrsg.), Handbuch der Finanzwissenschaft, Band II Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutsch‑ land und Europa Gesetz über die Grundsätze des Haushaltsrechts des Bundes und der Länder (Haushaltsgrundsätzegesetz) Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bun‑ desrepublik Deutschland in der Fassung Gesetz über die Erhebung einer zeitbezogenen Infrastrukturab‑ gabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen (Infrastruktur‑ abgabengesetz) im Sinne des / der Internationales Steuerrecht in Verbindung mit GmbH Ingenieurgruppe für Verkehrswesen und Verfahrensent‑ wicklung GmbH, Aachen Jahrbuch des Öffentlichen Rechts Juristische Ausbildung Juristische Schulung JuristenZeitung Kommunalabgabengesetz Kraftfahrt-Bundesamt Kilometer Kommunaljurist Konnexitätsausführungsgesetz Kraftfahrzeugsteuergesetz kritisch Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Bewirtschaftung von Abfällen (Kreis‑ laufwirtschaftsgesetz) Kommunale Steuer-Zeitschrift Kommunalselbstverwaltungsgesetz (Saarland) Haushaltsordnungen der Länder

26 Abkürzungsverzeichnis lit. litera LKV Landes- und Kommunalverwaltung Lkw Lastkraftwagen LKW-MautV Verordnung zur Erhebung, zum Nachweis der ordnungsgemä‑ ßen Entrichtung und zur Erstattung der Maut (LKW-MautVerordnung) LV BW Verfassung des Landes Baden-Württemberg m Meter Mio. Million Mrd. Milliarde m. w. N. mit weiteren Nachweisen NdsVerf Niedersächsische Verfassung n. F. neue Fassung N.F. neue Folge NJW Neue Juristische Wochenschrift Nov. November Nr. Nummer NRW Nordrhein-Westfalen NuR Natur und Recht NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NVwZ-RR Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht – Rechtsprechungs-Re‑ port NZA Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht NZV Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht o. Hrsg. ohne Herausgeber ÖPNV Öffentlicher Personennahverkehr PBefG Personenbeförderungsgesetz Pkw Personenkraftwagen Preuß. GS Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten RAO Reichsabgabenordnung RG Reichsgericht RGBl. Reichsgesetzblatt RGZ Entscheidungssammlungen der Entscheidungen des Reichsge‑ richts in Zivilsachen RL Richtlinie Rn. Randnummer RP Rheinland-Pfalz Rs. Rechtssachen RStBl. Reichssteuerblatt



Abkürzungsverzeichnis27

RT-Drs.

Reichstagsdrucksachen

s.

siehe

S. Seite SED

Sozialistische Einheitspartei Deutschlands

SEPA

Single Euro Payments Area

Sept. September SEW

Sociaal Economische wetgeving

SH

Schleswig-Holstein

Slg.

Sammlung

sog.

sogenannt / e / er

sogl.

sogleich

spät.

späterer / n

SPD

Sozialdemokratische Partei Deutschlands

StBW

Steuerberater Woche

StR

Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland

StrBG

Gesetz über Gebühren für die Benutzung von Bundesfernstra‑ ßen mit schweren Lastfahrzeugen (Straßenbenutzungsgebüh‑ rengesetz)

st. Rspr.

ständige Rechtsprechung

StudKGG

Grundgesetz – Studienkommentar –

StuW

Steuer und Wirtschaft

StVG

Straßenverkehrsgesetz

StrVRZustVO

Landesverordnung über die zuständigen Behörden und Stellen nach dem Straßenverkehrsrecht (Schleswig-Holstein)

StVRZustV

Landesverordnung über Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Straßenverkehrsrechts (Rheinland-Pfalz)

StVZO

Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung

StVZustG

Straßenverkehrszuständigkeitsgesetz (Saarland)

SVR

Straßenverkehrsrecht

ThürStVRZustÜV

Thüringer Verordnung zur Übertragung von Ermächtigungen und über Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Straßenverkehrs‑ rechts

TranspR

Transportrecht

u. a.

und andere

Urt.

Urteil

UVPG

Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung

UVR

Umsatz- und Verkehrsteuer-Recht

v.

vom

verb.

verbundene

28 Abkürzungsverzeichnis Verf Verfassung VerkehrStÄndG 2, Zweites Gesetz zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes 2. VerkehrStÄndG und des Versicherungsteuergesetzes (Zweites Verkehrsteuerän derungsgesetz) VerwR II Wolff / Bachof / Stober / Kluth, Verwaltungsrecht II vgl. vergleiche VkRZustV Verordnung zur Bestimmung verkehrsrechtlicher Zuständigkei‑ ten (Hessen) Vorb. Vorbemerkungen VR Verwaltungsrundschau VwVG Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz WRV Weimarer Reichsverfassung z. B. zum Beispiel ZG Zeitschrift für Gesetzgebung zit. zitiert ZJS Zeitschrift für das Juristische Studium ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik ZustVVerk Verordnung über Zuständigkeiten im Verkehrswesen (Bayern)

1. Teil

Einführung, Abgrenzung und dogmatische Grundlagen A. Einleitung und Gang der Untersuchung I. Einleitung „Mit mir wird es keine Pkw-Maut geben“. Diesen Satz sagte Bundes‑ kanzlerin Angela Merkel im Fernsehduell am 1. September 2013 mit ih‑ rem damaligen Herausforderer Peer Steinbrück. Bereits einen Tag später stellte der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer seine Position klar: „Das einfachste Modell für mich wäre: Die Ausländer bezahlen für die Benutzung unserer Straßen.“ Letztlich hat sich die CSU mit ihren Forde‑ rungen durchgesetzt. Am 27. März 2015 beschloss der Bundestag auf Vor‑ lage der Bundesregierung das Gesetz zur Einführung einer Infrastrukturab‑ gabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen mit einigen Änderungen.1 Nur wenige Wochen später  – am 8.  Mai 2015  – unterließ es der Bundesrat dann, die Einberufung des Vermittlungsausschusses nach Art. 77 Abs. 2 GG durch den Bundesrat zu verlangen.2 Das Gesetz kam damit gem. Art. 78 Fall  2 GG zustande. Der damalige Bundespräsident Joachim Gauck fertigte das Gesetz am 8.  Juni 2015 aus.3 Es trat gem. seinem Art. 5 am Tag nach seiner Verkündung im Bundesgesetzblatt, d. h. am 12. Juni 2015, in Kraft. Bereits im Dezember 2014 – noch vor Einleitung des Gesetzgebungsver‑ fahrens zum Infrastrukturabgabengesetz – kritisierte Verkehrskommissarin Violeta Bulc, dass die geplante Infrastrukturabgabe gegen das Unionsrecht verstoße.4 Auch von mehreren Regierungen anderer Mitgliedstaaten der EU wurde und wird die Infrastrukturabgabe als Verstoß gegen das Unionsrecht 1  BR-Drs.

154 / 15 v. 17.4.2015, S. 1. 154 / 15 (B) v. 8.5.2015. 3  BGBl. I S. 904. 4  Funk / Meyer / Ziedler, Alexander Dobrindt im Zwist mit Brüssel, http: /  / www.ta gesspiegel.de / wirtschaft / pkw-maut-alexander-dobrindt-im-zwist-mit-bruessel /  11123962.html (zuletzt abgerufen am 7.2.2018). 2  BR-Drs.

30

1. Teil: Einführung, Abgrenzung und dogmatische Grundlagen

abgelehnt.5 Kurz nach dem Inkrafttreten des Gesetzes leitete die Europäi‑ sche Kommission am 18. Juni 2015 deswegen ein Vertragsverletzungsver‑ fahren nach Art. 258 AEUV gegen die Bundesrepublik Deutschland ein.6 Die Infrastrukturabgabe wurde kritisiert, weil durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes und des Versicherungsteuergeset‑ zes7 gleichzeitig eine Senkung der Kraftfahrzeugsteuer erfolgte. Das Ver‑ fahren führte zu langwierigen Verhandlungen und zahlreichen Schriftwech‑ seln zwischen dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruk‑ tur und der Europäischen Kommission. Am 29. September 2016 beschloss die Kommission – wegen der fortgesetzten Vertragsverletzung durch die Bundesrepublik Deutschland – den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) nach Art. 258 Abs. 2 AEUV anzurufen.8 Daraufhin fanden erneut Verhandlungen statt, die schließlich am 1. Dezember 2016 zu einer Eini‑ gung des Bundesverkehrsministeriums mit der Kommission über notwen‑ dige Änderungen des Infrastrukturabgabengesetzes zur Beseitigung der Vertragsverletzung führten.9 Zur Umsetzung dieser Vereinbarung brachte die Bundesregierung am 20. Februar 2017 einen Gesetzentwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Infrastrukturabgabengesetzes in den Bundestag ein.10 Der Bundestag beschloss am 24. März 2017 diesen Gesetzentwurf ohne Veränderungen.11 Nur eine Woche später lehnte der Bundesrat die Anrufung des Vermittlungsausschusses nach Art. 77 Abs. 2 Satz 1 GG ab,12 sodass das Gesetz nach Art. 78 Fall 2 GG zustande kam. Am 18. Mai 2017 unterzeichnete Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dieses Gesetz, das am 24. Mai 2017 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurde und einen Tag nach der Verkündung in Kraft trat.13 Vor allem die Republik Österreich kündigte an, nach Einstellung des Ver‑ tragsverletzungsverfahrens durch die Europäische Kommission selbst ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland nach Art. 259 AEUV vor 5  Schwenn, Deutschlands Nachbarn lehnen die Pkw-Maut ab, http: /  / www.faz. net / aktuell / wirtschaft / wirtschaftspolitik / niederlande-und-oesterreich-deutschlandsnachbarn-lehnen-die-pkw-maut-ab-12687208.html (zuletzt abgerufen am 7.2.2018). 6  Europäische Kommission, http: /  / europa.eu / rapid / press-release_IP-15-5200_ DE.htm (zuletzt abgerufen am 7.2.2018). 7  Zweites Verkehrsteueränderungsgesetz v. 8.6.2015, BGBl. I S. 901. 8  Europäische Kommission, http: /  / europa.eu / rapid / press-release_IP-16-3130_DE. htm (zuletzt abgerufen am 7.2.2018). 9  Europäische Kommission, http: /  / europa.eu / rapid / press-release_IP-16-4221_de. htm (zuletzt abgerufen am 7.2.2018). 10  BR-Drs. 70 / 17 v. 27.1.2017, S. 1. 11  BR-Drs. 240 / 17 v. 24.3.2017. 12  BR-Drs. 240 / 17 (B) v. 31.3.2017. 13  BGBl. I S. 1218.



A. Einleitung und Gang der Untersuchung31

dem EuGH anzustrengen. Am 12. Oktober 2017 schließlich reichte die Repu‑ blik Österreich die Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland ein.14 Nicht nur auf europäischer Ebene wurden Bedenken gegen die Unionsrechtskon‑ formität der geplanten Infrastrukturabgabe laut. Auch von Seiten des Bun‑ desrates und den Oppositionsfraktionen im Deutschen Bundestag wurde in beiden Gesetzgebungsverfahren teils heftige Kritik vorgebracht. Der Bundes‑ rat äußerte im ersten Gesetzgebungsverfahren im Jahr 2015 die Befürchtung, dass das Infrastrukturabgabengesetz in Verbindung mit der Senkung der Kraftfahrzeugsteuer nicht mit dem Unionsrecht vereinbar sei.15 Daneben monierte der Bundesrat im Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Infra‑ strukturabgabengesetz auch mehrere Verstöße gegen das Grundgesetz.16 Schließlich versuchte der Bundesrat vergeblich, die Zustimmungsbedürftig‑ keit des Gesetzes geltend zu machen.17 Die parlamentarische Opposition im Deutschen Bundestag war ebenfalls der Auffassung, dass die Infrastrukturab‑ gabe nicht mit Unionsrecht vereinbar sei.18 Die Fraktion Die Linke lehnte das Vorhaben ganz ab und brachte in beiden Gesetzgebungsverfahren jeweils einen Entwurf zur Aufhebung des Infrastrukturabgabengesetzes ein. Die Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen legte einen erfolglosen Änderungsvor‑ schlag zum Infrastrukturabgabengesetz vor, der ein automatisches Außer‑ krafttreten des Gesetzes enthielt, falls der Gerichtshof der Europäischen Union die Unvereinbarkeit des Gesetzes mit dem Unionsrecht feststellt.19 Die Kritik von vielen Seiten am Infrastrukturabgabengesetz war also groß. Die Infrastrukturabgabe wurde meist deshalb kritisch gesehen, weil gleich‑ zeitig durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergeset‑ zes eine Senkung der Kraftfahrzeugsteuer erfolgte.

II. Gang der Untersuchung Die vorliegende Arbeit soll deshalb einen Beitrag zur Klärung der Frage leisten, ob das Infrastrukturabgabengesetz und die Änderung des Kraftfahr‑ zeugsteuergesetzes mit dem Grundgesetz und dem Unionsrecht vereinbar sind. Zu Beginn der Untersuchung – im 1. Teil – soll ein Blick auf die Ent‑ wicklung der Straßenbenutzungsabgaben in Deutschland im 19. und 20. Jahr‑ hundert stehen, um die historische Tragweite der Regelungen zur Infrastruk‑ 14  Aktenzeichen des EuGH: C-591 / 17. Das Verfahren war bis zum Redaktions‑ schluss (Februar 2018) noch nicht abgeschlossen. 15  BT-Drs. 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 43. 16  BT-Drs. 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 44 f. 17  BT-Drs. 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 43 f. 18  Siehe nur BT-Drs. 18 / 4455 v. 25.3.2015, S. 23. 19  BT-Drs. 18 / 4455 v. 25.3.2015, S. 22.

32

1. Teil: Einführung, Abgrenzung und dogmatische Grundlagen

turabgabe besser verstehen zu können. Dabei soll auch die Entwicklung der Lkw-Maut kurz beleuchtet werden. Anschließend werden die Regelungen des Infrastrukturabgabengesetzes und die Änderung des Kraftfahrzeugsteuer‑ gesetzes jeweils in der aktuellen Fassung ausführlich dargestellt. Daran schließt sich eine Betrachtung verschiedener Abgabentypen an, in deren Rahmen die Infrastrukturabgabe dogmatisch eingeordnet wird. Im zweiten Teil der Arbeit soll geklärt werden, ob das Infrastrukturabga‑ bengesetz mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Neben einer Prüfung des Vor‑ liegens einer Gesetzgebungskompetenz für den Bund und der Zustimmungs‑ bedürftigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes wird in diesem Teil vor allem die Vereinbarkeit des Gesetzes mit Grundrechten zu prüfen sein. Im Mittel‑ punkt stehen dabei die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG, der allgemeine Gleichheitssatz in Art. 3 Abs. 1 GG sowie die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG und die Eigentumgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG. Schließlich wird geprüft, ob das Infrastrukturabgabengesetz mit Art. 90 Abs. 3 GG vereinbar ist und ob die Verordnungsermächtigungen im Infra‑ strukturabgabengesetz hinreichend bestimmt genug sind. Die Problematik der Vereinbarkeit der datenrechtlichen Regelungen im Infrastrukturabgaben‑ gesetz mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung soll in dieser – vorwiegend finanzverfassungsrechtlichen – Untersuchung außer Acht bleiben. Diese Regelungen sind wohl unter Berücksichtigung der jün‑ geren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts20 zur informationellen Selbstbestimmung entwickelt worden. Zudem geht die Erhebung, Speiche‑ rung und Verarbeitung der Daten an keiner Stelle über das für die Ausfüh‑ rung des Infrastrukturabgabengesetzes notwendige Maß hinaus, sodass die Regelungen wohl verfassungsrechtlich unbedenklich sind. Den dritten Teil der Untersuchung soll die Prüfung der Unionsrechtskon‑ formität des Infrastrukturabgabengesetzes bilden. Dabei wird zunächst aus der Perspektive der EU die Kompetenz der Bundesrepublik Deutschland zum Erlass von Regelungen auf dem Gebiet der Straßenbenutzungsabgaben ge‑ klärt. Dann geht es vor allem um die Vereinbarkeit des Infrastrukturabgaben‑ gesetzes und des Zweiten Verkehrsteueränderungsgesetzes mit Art. 92 AEUV, Art. 18 AEUV und den Grundfreiheiten des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Zum Schluss dieses Teils soll eine Prüfung der Vereinbarkeit mit dem Beihilfenverbot aus Art. 107 AEUV erfolgen. Den Abschluss der Arbeit bilden die in Thesen zusammengefassten Ergebnisse.

20  Siehe vor allem BVerfG, Beschl. v. 4.4.2006, 1  BvR 518 / 02, BVerfGE 115, 320 ff.; BVerfG, Urt. v. 11.3.2008, 1  BvR 2074 / 05 u. a., BVerfGE 120, 378 ff.; BVerfG, Urt. v. 24.4.2013, 1 BvR 1215 / 07, BVerfGE 133, 277 ff.



A. Einleitung und Gang der Untersuchung33

III. Entwicklung der Straßenbenutzungsabgaben für Personen‑ und Lastkraftwagen in Deutschland 1. Geschichte der Straßenbenutzungsabgaben für Personenkraftwagen und der Kraftfahrzeugsteuer in Deutschland im späten 19. und 20. Jahrhundert Dem Gesetzgebungsverfahren und den Gesetzesbeschlüssen zur Infrastruk‑ turabgabe in den Jahren 2015 und 2017 gingen viele Jahre der Diskussion über die Notwendigkeit und den Sinn der Einführung einer Abgabe für die Benut‑ zung von Autobahnen und Bundesstraßen mit Kraftfahrzeugen voraus. a) 1871 bis 1933 aa) Deutsches Kaiserreich Die Erhebung von Straßenbenutzungsabgaben für Personenkraftwagen, zur Finanzierung des Straßenbaus und der Straßenerhaltung ist keine grundle‑ gend neue Idee, die erst in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg aufkam. In Preußen und anderen deutschen Staaten wurden schon im 19. Jahrhundert sog. Wege- oder Chausseegelder erhoben. Dabei handelte es sich um eine Art von Abgabe, die für die Benutzung bestimmter Straßen entrichtet werden musste.21 Das Chausseegeld wurde von staatlichen oder privaten Chaussee‑ geldeinnehmern erhoben.22 Die Wege- und Chausseegelder sind damit Vor‑ läufer der heutigen Maut – einer Form der Straßenbenutzungsgebühr.23 Mit dem Aufkommen der Kraftfahrzeuge in den 1890er Jahren wurden diese in die damals noch bestehenden landesrechtlich geregelten Chaussee‑ oder ­Wegegelder einbezogen.24 Bis zum Jahr 1875 wurden in Preußen auch auf Staatsstraßen Chausseegelder erhoben.25 Auf Kreis- und Kommunalchaus‑ 21  In Preußen wurde der Tarif für eine Meile (2000 Ruthen und damit ungefähr 7,5 km) durch die Verordnung v. 29.2.1840 festgelegt, Preuß. GS S. 95. Durch Erlass v. 6.6.1904 wurde das Chausseegeld auf die Benutzung von Chausseen mit Kfz aus‑ gedehnt, Preuß. GS S. 139. 22  Vgl. Selmer / Brodersen, in: Selmer / Brodersen / Nicolaysen, Straßenbenutzungs‑ abgaben, S. 17. 23  A. A. Wiskott, Besteuerung der Kraftfahrzeuge, der die Chausseegelder auf S. 6 unter den Begriff der Kraftfahrzeugsteuer fasst und in Fn. 19 Chausseegelder als Zwecksteuer definiert. 24  Für Preußen s. Preuß. GS S. 139; i.Ü. Selmer / Brodersen, in: Selmer / Brodersen /  Nicolaysen, Straßenbenutzungsabgaben, S. 17. 25  Gesetz v. 27.5.1874, Preuß. GS S. 313; s. dazu auch Gador, Straßenbau in Preu‑ ßen, S. 152.

34

1. Teil: Einführung, Abgrenzung und dogmatische Grundlagen

seen war die Erhebung von Wegegeldern in Preußen und in anderen Bundes‑ staaten des Deutschen Reiches noch bis 1922 möglich. bb) Weimarer Republik Die Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 191926 dagegen regelte in ihrem Art. 11 Nr. 3, dass das Reich im Wege der Gesetzgebung Grund‑ sätze über die Zulässigkeit und Erhebungsart von Landesabgaben aufstellen konnte, soweit sie erforderlich waren, um übermäßige oder verkehrsbehin‑ dernde Belastungen der Benutzung öffentlicher Verkehrswege und Einrich‑ tungen mit Gebühren auszuschließen. Im Wortlaut dieser Vorschrift war be‑ reits die Grundentscheidung erkennbar, den Erhalt von Straßen künftig nicht mehr durch Gebühren zu finanzieren, sondern ausschließlich durch Steuern. Im Jahr 1906 wurde auf Reichsebene durch eine Änderung des Reichsstem‑ pelgesetzes eine Abgabe27 auf private Kraftfahrzeuge eingeführt, die zu‑ nächst nur als Finanzierungsquelle für das Reich und zur Herbeiführung ei‑ nes gerechten Steuersystems diente.28 Das Kraftfahrzeugsteuergesetz (Kraft‑ StG 192229) vom 8. April 1922 löste die Abgabe auf private Kraftfahrzeuge im Reichsstempelgesetz ab.30 Im Jahr 1922 gab es damit erstmals eine Kraftfahrzeugsteuer, die der heutigen Kraftfahrzeugsteuer ähnlich war. Sie wurde gem. § 4 KraftStG 192231 bis April 1928 auf Basis der Pferdestärken der Kraftfahrzeuge berechnet, seit April 1928 dann auf der Basis des Hub‑ raums.32 Die neu eingeführte Kraftfahrzeugsteuer ersetzte fortan sämtliche Wegegelder: § 18 Abs. 1 Satz 3 KraftStG 1922 untersagte die Erhebung von Chaussee- oder ähnlichen Wegegeldern von Kraftfahrzeugen für die ge‑ wöhnliche Benutzung öffentlicher Wege.33 Die grundlegende Entscheidung zu steuerfinanzierten Straßen, die in Art. 11 Abs. 3 WRV angelegt war, hatte in Deutschland bis zur Einführung der Infrastrukturabgabe im Jahr 2015 Be‑

26  RGBl.

S. 1383. Einordnung dieser Abgabe als Steuer erscheint problematisch. Aufgrund der Ausgestaltung der Abgabe könnte auch eine Gebühr vorliegen. Es war eine Erlaubnis‑ karte pro Jahr für jedes Fahrzeug zu lösen, um mit dem Kfz öffentliche Wege und Plätze befahren zu dürfen. 28  Gesetz v. 3.6.1906, RGBl. S. 695 (708 ff.); RT-Drs. 1905 / 06, Nr. 10, S. 945 f., S. 1040 ff.; näher dazu Selmer / Brodersen, in: Selmer / Brodersen / Nicolaysen, Stra‑ ßenbenutzungsabgaben, S.  17 ff. 29  Abkürzung nicht amtlich. 30  Gesetz v. 8.4.1922, RGBl. I S. 335 (396). 31  RGBl. I S. 335 (397). 32  Gesetz v. 21.12.1927, RGBl. I S. 509. 33  RGBl. I S. 335 (400). 27  Die



A. Einleitung und Gang der Untersuchung35

stand34 – trotz vielfacher politischer und rechtlicher Umbrüche. Diese lange Zeit ohne nennenswerte Erhebung von Straßenbenutzungsabgaben mag unter anderem ein Grund sein, warum die Infrastrukturabgabe heute in Deutsch‑ land mit Skepsis aufgenommen wird. Dennoch gab es auch nach der voll‑ ständigen Systemumstellung im Jahr 1922 viele Versuche, Straßenbenut‑ zungsgebühren für Kraftfahrzeuge einzuführen. Gerade der hohe Finanzbe‑ darf für den Autobahnbau ab Mitte der 1920er Jahre ließ Diskussionen über eine Straßenbenutzungsgebühr aufkommen.35 Letztlich scheiterten aber sämtliche Versuche der Einführung einer Straßenbenutzungsabgabe an § 13 Satz 4 des Finanzausgleichsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. April 1926 (fortan: FAG 1926).36 Diese Vorschrift war weitgehend inhaltsgleich zu § 18 Abs. 1 Satz  3 KraftStG 1922, der mit Wirkung vom 1. April 1923 aufgehoben37 und durch § 12 Satz 4 des Finanzausgleichsge‑ setzes38 ersetzt wurde. Es durften danach lediglich Chaussee- oder ähnliche Wegegelder für selbständige Verkehrsanlagen erhoben werden. In Preußen wurden auf Grund dieser Ausnahme bis 1927 Brückengelder erhoben.39 Mehrmals wurde in der Zeit zwischen 1926 und 1933 vergeblich versucht, das Verbot durch eine Gesetzesänderung aufheben zu lassen oder Ausnah‑ megenehmigungen vom Verbot der Erhebung von Straßenbenutzungsabga‑ ben nach § 13 Satz 6 FAG 1926 zu erhalten.40 Statt einer Aufhebung oder Abschwächung des Verbots wurde im Jahr 1927 das Verbot der Erhebung von Wegegeldern durch eine Änderung des § 13 Satz 4 FAG 1926 auf Brü‑ cken ausgedehnt und damit sogar noch verschärft.41 Die Weimarer Republik war also durch steuerfinanzierte Straßen geprägt. Insbesondere die Kraftfahrzeugsteuer bildete einen Eckpfeiler der Finanzie‑ rung der Straßen, da das Aufkommen stets zumindest teilweise zweckgebun‑ den für die Wegeunterhaltung war.42 Seit dem Jahr 1924 verpflichtete § 45 34  Zur näheren Einordnung der Infrastrukturabgabe s. in diesem Teil unter B. IV. und VI. 35  Kaftan, Kampf um die Autobahnen, S. 111 ff. 36  Gesetz über den Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden, RGBl. I S. 203. 37  Art. IX des Gesetzes zur Änderung des Landessteuergesetzes v. 23.6.1923, RGBl. I S. 483 (494). 38  Gesetz v. 23.6.1923 (fortan: FAG 1923), RGBl. I S. 494. § 12 Satz 4 FAG 1923 wurde im Jahr 1926 inhaltsgleich zu § 13 Satz 4 FAG 1926. 39  Aufhebung durch Gesetz v. 29.12.1927, Preuß. GS S. 295. 40  Ausführlich zu diesen Bemühungen Kaftan, Der Kampf um die Autobahnen, S.  113 f., S.  124 ff. 41  Gesetz v. 9.4.1927, RGBl. I S. 91. 42  Baumeister, Geschichte des Straßen- und Wegerechts, S. 24; ausführlich zur Zweckbindung Adamek / Saake, Straßenkosten und Finanzierung, S. 109 ff.

36

1. Teil: Einführung, Abgrenzung und dogmatische Grundlagen

Abs. 2 FAG 1923 die Länder, mindestens die Hälfte des Kraftfahrzeugsteuer‑ aufkommens zweckgebunden zur Unterhaltung öffentlicher Wege zu verwen‑ den.43 1926 wurde die Zweckbindung auf das volle Kraftfahrzeugsteuerauf‑ kommen der Länder erstreckt.44 Diese Änderungen und das fast vollständige Verbot von Wegegeldern im Jahr 1927 besiegelten endgültig die Grundentscheidung zur Steuerfinanzie‑ rung des Straßenunterhalts in der Weimarer Republik. b) 1933 bis 1945 Die Regierungszeit der Nationalsozialisten brachte einige rechtliche Ände‑ rungen bei der Frage der Straßenfinanzierung. Das Verbot zur Erhebung von Wegegeldern aus § 13 FAG 1926 wurde zwar formal nicht aufgehoben. Den‑ noch durfte das Unternehmen „Reichsautobahnen“ – in Abweichung zu die‑ ser Vorschrift – auf Autobahnen nach § 7 Satz 1 des Gesetzes zur Errichtung eines Unternehmens „Reichsautobahnen“ Benutzungsgebühren erheben.45 Die Rechtfertigung dafür bildete der besondere Charakter der Autobahnen, da diese ausschließlich mit Kraftfahrzeugen nutzbar waren.46 Letztlich blieb es aber bei der Gebührenfreiheit der Reichsautobahnen, denn es sollten ­erheblicher Verwaltungsaufwand sowie Verkehrsbehinderungen an den An‑ schlussstellen vermieden werden.47 Das Kraftfahrzeugsteuergesetz, das erst 1922 eingeführt worden war, wurde durch mehrere Änderungen im Jahr 1933 faktisch bedeutungslos. Be‑ reits im April 1933 befreite ein Gesetz48 der Reichsregierung Motorräder und Pkw von der Kraftfahrzeugsteuer, die nach dem 31. März 1933 erstmals zu‑ gelassen waren. Nur einen Monat später beschloss die Reichsregierung ein Gesetz über die Ablösung der Kraftfahrzeugsteuer.49 Dieses Gesetz sah vor, dass für alle Motorräder und Personenkraftwagen, die vor dem 1. April 1933 erstmals zugelassen wurden, die Kraftfahrzeugsteuer durch einmalige Zah‑ lung eines Betrages abgelöst werden konnte. Somit war ab 1934 aus der 43  Art. 5

der Dritten Steuernotverordnung v. 14.2.1924, RGBl. I S. 74 (82 f.). zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes v. 15.5.1926, RGBl. I

44  Gesetz

S. 223. 45  Gesetz v. 27.6.1933, RGBl. 1933 II, 509. Diese Vorschrift wurde durch Gesetz v. 29.5.1941, RGBl. I S. 313, inhaltlich unverändert in § 6 Reichsautobahngesetz übernommen. 46  Amtl. Begründung, zit. nach Hoche, Gesetzgebung Hitlers, Heft 3, S. 676. 47  So Marschall, Das Straßenbaurecht, S. 42, im Jahr 1951 über die Motive der Gebührenfreiheit. 48  Gesetz v. 10.4.1933, RGBl. I S. 192, 195. 49  Gesetz v. 31.5.1933, RGBl. I S. 315.



A. Einleitung und Gang der Untersuchung37

Kraftfahrzeugsteuer kein Aufkommen mehr vorhanden. Die Nationalsozialis‑ ten finanzierten den Autobahnbau über eine Erhöhung des Mineralölzolls und die erneute Erhebung der Beförderungsteuer bei der gewerbsmäßigen Personen- und Güterbeförderung.50 Die Beförderungsteuer wurde 191751 auch für die Personen- und Güterbeförderung auf Straßen eingeführt, aller‑ dings 1922 mit Einführung der Kraftfahrzeugsteuer wieder abgeschafft. Durch die faktische Abschaffung der Kraftfahrzeugsteuer 1933 war die Wie‑ dereinführung der Beförderungsteuer im Jahr 193652 folgerichtig, um eine Finanzierungsquelle für den Autobahnbau zu erschließen. c) 1945 bis 1969 In der Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und vor dem Inkraft‑ treten des Grundgesetzes schaffte der Alliierte Kontrollrat im Jahr 1946 durch das Gesetz Nr. 14 die Steuerbefreiung für Kraftfahrzeuge ab, die 1933 eingeführt worden war.53 Damit wurde das Halten von Kraftfahrzeugen in Deutschland ab dem Jahr 1946 wieder besteuert. Unter dem Grundgesetz wurde im Jahr 1950 von der Bundesregierung ein Vorstoß für die Einführung einer Straßenbenutzungsgebühr auf Autobahnen gewagt. Auf der Grundlage des § 6 des Reichsautobahngesetzes vom 29. Mai 1941, der gem. Art. 123 Abs. 1, Art. 125 Nr. 1, Art. 74 Nr. 22 GG nach dem 23. Mai 1949 als Bundesrecht fortgalt, legte die Bundesregierung dem Bun‑ desrat einen Verordnungsentwurf vor.54 Der Entwurf wurde im Bundesrat am 10. November 1950 von der Tagesordnung abgesetzt55 und danach nicht mehr behandelt. Der Bundestag beschloss nämlich am 25. Januar 1951, das Reichsautobahngesetz zu ändern und die Ermächtigung zur Gebührenerhe‑ bung im § 6 zu streichen.56 Damit gewann auch für die Bundesautobahnen die Regelung des § 13 FAG 1926 wieder Bedeutung, denn auch diese Rege‑ lung galt nach Art. 123 Abs. 1 GG in der Bundesrepublik fort. Das Verbot der Erhebung von Wegegeldern überdauerte demnach die Zeit des National‑ sozialismus und wurde erst durch § 8 des Vierten Überleitungsgesetzes vom 50  Geschäftsberichte der Reichsautobahnen für die Jahre 1937 bis 1941, zit. nach Adamek / Saake, Straßenkosten und Finanzierung, S. 11 f. 51  Gesetz v. 8.4.1917, RGBl. S. 329. 52  Gesetz v. 2.7.1936, RGBl. I S. 531. 53  Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland, Nr. 4 v. 28.2.1946, S. 74. 54  BR-Drs. 872 / 50 v. 20.10.1950. 55  BR-Prot. v. 10.11.1950, S. 746. Der Bundesrat hätte – im Falle einer Beschluss‑ fassung der Bundesregierung – dieser Rechtsverordnung zustimmen müssen. 56  BT-Prot. 1 / 114 v. 25.1.1951, S. 4321; s. auch das Gesetz v. 4.4.1951, BGBl. I S. 235.

38

1. Teil: Einführung, Abgrenzung und dogmatische Grundlagen

27. April 1955 aufgehoben.57 Damit war zwischen dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Reichsautobahngesetzes am 16. April 195158 und dem 27. April 1955 die Erhebung einer Benutzungsgebühr auf Autobahnen ohne eine besondere gesetzliche Regelung nicht möglich. Die Bundesregie‑ rung hielt aber trotz der Streichung der Ermächtigungsgrundlage aus dem Reichsautobahngesetz an ihrer Idee einer Gebührenerhebung auf Autobahnen fest. Sie legte im November 1951 dem Bundesrat einen Entwurf für ein Ge‑ setz über Gebühren für die Benutzung der Bundesautobahnen vor, der aber dort unter anderem wegen der zu erwartenden Verkehrsverlagerungen abge‑ lehnt wurde.59 Diesen Entwurf leitete die Bundesregierung nicht an den Bundestag weiter, sondern gab das Vorhaben auf, obwohl die Ablehnung des Bundesrates zunächst keine Auswirkungen auf das Gesetzgebungsverfahren gehabt hätte. Im Zusammenhang mit dem Verkehrsfinanzgesetz 1954 wagte die Bundesregierung erneut einen Vorstoß, Straßenbenutzungsgebühren ein‑ zuführen.60 Es sollte eine privatrechtliche Gesellschaft mit der Finanzierung des Autobahnbaus betraut und die Finanzierung teilweise durch die Erlöse einer Autobahnbenutzungsgebühr gesichert werden. Der Bundesrat erklärte sich mit dem Gesetzentwurf einverstanden – unter der Bedingung, dass die Rechtsverordnung über die Gebühren seiner Zustimmung bedarf.61 Der Bun‑ destag hingegen lehnte die Autobahnbenutzungsgebühr weiterhin ab und strich in den Ausschussberatungen die Ermächtigungsgrundlage für die Erhe‑ bung aus dem Gesetzentwurf.62 Damit war die Bundesregierung erneut mit der Einführung einer Autobahnbenutzungsgebühr gescheitert. In den folgenden Jahren bis 1969 gab es keine weiteren Gesetzentwürfe für die Einführung einer Autobahnbenutzungsgebühr. Dennoch wurde in der Öffentlichkeit weiterhin über die Notwendigkeit einer solchen Benutzungs‑ abgabe diskutiert.63 d) 1969 bis 1990 Im Jahr 1969 fand im Hinblick auf die heutige Infrastrukturabgabe eine entscheidende Weichenstellung statt. Mit Wirkung vom 15. Mai 1969 wurde 57  Gesetz zur Regelung finanzieller Beziehungen zwischen dem Bund und den Ländern, BGBl. I S. 189. 58  Gesetz v. 4.4.1951, BGBl. I S. 235. 59  BR-Prot. v. 9.11.1951, S. 764 ff. 60  BT-Drs. 2 / 573 v. 4.6.1954, S. 7 f. 61  BT-Drs. 2 / 573 v. 4.6.1954, S. 25, 32. 62  BT-Drs. 2 / 1252 v. 12.3.1955, S. 11, mit Begründung. 63  Im Einzelnen dazu Selmer / Brodersen, in: Selmer / Brodersen / Nicolaysen, Stra‑ ßenbenutzungsabgaben, S.  36 f.



A. Einleitung und Gang der Untersuchung39

in den damaligen Art. 74 Nr. 22 GG eine Gesetzgebungskompetenz des Bun‑ des für die Erhebung und Verteilung von Gebühren für die Straßenbenutzung mit Fahrzeugen eingefügt.64 Ein Jahr zuvor war es im Zuge der Einführung einer Straßenbenutzungsabgabe, die auf den Güterkraftverkehr beschränkt bleiben sollte, zu Diskussionen gekommen, ob der Bund überhaupt die Kom‑ petenz zur Einführung einer Straßenbenutzungsabgabe für das gesamte Stra‑ ßennetz habe.65 Diese hatten daher gerührt, dass Art. 74 Nr. 22 GG in der Fassung bis zum 14. Mai 1969 die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf den Straßenverkehr, das Kraftfahrwesen sowie den Bau und die Unterhaltung von Landstraßen für den Fernverkehr beschränkt hatte. Um Klarheit über die Gesetzgebungskompetenz für Straßenbenutzungsgebühren zu schaffen, hatten die damaligen Regierungskoalitionsfraktionen der CDU / CSU und der SPD eine Gesetzesvorlage zur Änderung des Grundge‑ setzes erarbeitet und in den Bundestag eingebracht.66 Der Rechtsausschuss des Bundestages hatte diesen Gesetzentwurf umformuliert, sodass nicht nur die Erhebung, sondern auch die Verteilung der Gebühren von der Kompetenz umfasst war.67 Mit der Änderung des Art. 74 Nr. 22 GG sollte aber nach Meinung des Berichterstatters „keine Vorentscheidung für eine gebühren‑ rechtliche oder steuerrechtliche Regelung getroffen werden“.68 Der Bundes‑ tag hatte dann die Änderung des Art. 74 Nr. 22 GG in der Ausschussfassung angenommen.69 Der Bundesrat war mit der Formulierung des vom Bundestag beschlossenen Entwurfs nicht einverstanden und hatte gem. Art. 77 Abs. 2 GG beschlossen, den Vermittlungsausschuss anzurufen.70 Nach dem Willen des Bundesrates hätte die Neufassung des Art. 74 Nr. 22 GG auf Gebühren für die Benutzung öffentlicher Straßen durch Fahrzeuge des Straßengüterver‑ kehrs beschränkt bleiben sollen, wobei diese Einschränkung als „Klarstel‑ lung“ des Willens des Bundestages angesehen worden war.71 Der Vermitt‑ lungsausschuss hatte aber letztlich die Fassung des Bundestages gebilligt; anschließend hatte der Bundesrat die Gesetzgebungskompetenz für die Erhe‑ bung und Verteilung von Gebühren für die Benutzung öffentlicher Straßen durch alle Fahrzeuge akzeptiert. Diese Formulierung findet sich im Wesent‑

64  Zweiundzwanzigstes

Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes, BGBl. I S. 363. DStZ / A 1968, 156 (158 f.); Schmidt-Bleibtreu, BB 1968, 261 (263); Selmer / Brodersen, in: Selmer / Brodersen / Nicolaysen, Straßenbenutzungsabga‑ ben, S. 38. 66  BT-Drs. 5 / 3483 v. 12.11.1968. 67  BT-Drs. 5 / 3605 v. 5.12.1968. 68  Zu BT-Drs. 5 / 3605 v. 6.12.1968, S. 4. 69  BT-Prot. 5 / 204 v. 11.12.1968, S. 11094. 70  BT-Drs. 5 / 3826 v. 7.2.1969, S. 1. 71  BT-Drs. 5 / 3826 v. 7.2.1969, S. 2 f. 65  Heidekrüger,

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1. Teil: Einführung, Abgrenzung und dogmatische Grundlagen

lichen72 auch im heutigen Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG73. Bis zum Jahr 1990 wurde von der Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG kein Gebrauch gemacht, sondern stattdessen beim motorisierten Verkehr aus‑ schließlich auf steuerrechtliche Lösungen gesetzt.74 Der motorisierte Verkehr wurde durch die Kraftfahrzeug- und die Mineralölsteuer belastet. Zusätzlich zu diesen war von 1969 bis 1971 eine Güterbeförderungsteuer75 erhoben worden, die die 1936 wieder eingeführte und zum 1.  Januar 1968 aufgeho‑ bene Beförderungsteuer fortführte. e) Regelungen zu Straßenbenutzungsgebühren in der DDR In der DDR waren Straßenbenutzungsgebühren durch eine Verordnung vom 6. September 1951 eingeführt worden.76 Im Osten Deutschlands exis‑ tierten Straßenbenutzungsgebühren somit fast 40 Jahre früher als im Westen. Denn im Westen Deutschlands gab es die ersten gesetzlichen Regelungen zu Straßenbenutzungsgebühren zunächst nur für Lastkraftwagen und auch erst im Jahr 1990, also kurz vor der Wiedervereinigung.77 Wie einige Gesprächs‑ dokumente78 beweisen, waren von der Gebührenzahlung vor allem Bürger aus der Bundesrepublik betroffen, die auf Transitwegen und im stark einge‑ schränkten gewöhnlichen Grenzverkehr in der DDR Straßen benutzten. Fahr‑ zeuge, die Kennzeichen der DDR oder Ost-Berlins führten, unterlagen gem. § 1 Abs. 2 Nr. 3 der Verordnung vom 6. September 1951 nicht der Gebühren‑ pflicht. Nach einem Entwurf des SED-Zentralkomitees sollten die Gebühren für Personenkraftwagen bis 200 Kilometer Wegstrecke auf dem Gebiet der DDR 10 Ostmark betragen.79 Diese Erhöhung der Straßenbenutzungsgebüh‑ ren ab 1. April 1955 gab der Minister für Verkehrswesen am 30. März 1955 72  Durch Art. 1 Nr. 7 Buchst. a Doppelbuchst. ll des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes v. 28.8.2006, BGBl. I S. 2034, wurde die Erhebung und Verteilung von Entgelten für die Benutzung öffentlicher Straßen in die Gesetzgebungskompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG aufgenommen. 73  Durch Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes v. 27.10.1994, BGBl. I S. 3146, wurde Art. 74 GG mit zwei Absätzen versehen. 74  Ausführlich dazu Selmer / Brodersen, in: Selmer / Brodersen / Nicolaysen, Stra‑ ßenbenutzungsabgaben, S.  39 ff. 75  Gesetz v. 28.12.1968, BGBl. I S. 1461; Gesetz v. 23.12.1970, BGBl. I S. 1869. 76  Verordnung über die Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren für Kraftfahr‑ zeuge, GBl. DDR S. 865. 77  Siehe dazu sogl. in diesem Teil unter A. III. 1. f). 78  Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1971, S. 411, 946. 79  Protokoll über die Sitzung des Politbüros des Zentralkomitees der SED v. 22.3.1955, Nr. 15 / 55, S. 8.



A. Einleitung und Gang der Untersuchung41

bekannt.80 Wie Protokolle des Bundeskabinetts nahelegen, senkte die DDR bereits am 10. Juni 1955 die Gebührensätze wieder ab81 und veränderte sie danach offenbar bis zum Jahr 1976 nicht mehr.82 Im sog. Transitabkommen vom 17. Dezember 1971 wurden die Straßenbe‑ nutzungsgebühren auf Transitstrecken für Bürger der Bundesrepublik durch eine Transitpauschale ersetzt, die die Bundesrepublik an die DDR jährlich überwies.83 Dadurch waren sämtliche Straßenbenutzungsgebühren, die für Bürger der Bundesrepublik auf diesen Straßen der DDR anfielen, abgegolten. Daneben vereinbarten die Bundesrepublik und die DDR für die sonstigen Straßenbenutzungsgebühren, die auf anderen Verkehrswegen als Transitstre‑ cken in der DDR erhoben wurden, eine Abgeltung durch einen Pauschalbe‑ trag im Rahmen des sog. Verkehrsvertrags vom 26. Mai 1972.84 Ab dem 1. März 1977 erhob die DDR auch Straßenbenutzungsgebühren in Höhe von 10 Ostmark für jede Fahrt von Bürgern der Bundesrepublik und anderer westlicher Staaten nach Ost-Berlin.85 Die Erhebung dieser Straßen‑ benutzungsgebühr erfolgte auf der Grundlage der Verordnung vom 6. Sep‑ tember 1951.86 Am 28.  Februar 1980 trat ein Abkommen zwischen der Bundesrepublik und der DDR in Kraft, nach dessen Art. 1 Abs. 1 für Lastkraftwagen und Busse, die in der Bundesrepublik zugelassen waren, keine Straßenbenut‑ zungsgebühren mehr auf dem Gebiet der DDR zu zahlen waren.87 Nach dem 80  28.  Sitzung des Kabinettsausschusses für Wirtschaft v. 18.4.1955, Die Kabi‑ nettsprotokolle der Bundesregierung, Kabinettsausschuss für Wirtschaft, 1954–1955, S. 344 (350). 81  85. Kabinettssitzung v. 8.6.1955, Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, 1955, S. 351 (356); 30. Sitzung des Kabinettsausschusses für Wirtschaft v. 24.6.1955, Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, Kabinettsausschuss für Wirtschaft, 1954–1955, S. 365 (372). 82  Vgl. Dokumente zur Deutschlandpolitik 1975 / 1976, S. 116, 370. 83  Art. 18 des Abkommens zwischen der Regierung der Deutschen Demokrati‑ schen Republik und der Regierung der Bundesrepublik Deutschland über den Transit‑ verkehr von zivilen Personen und Gütern zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West), GBl. DDR 1972 I S. 349, 353. 84  Art. 6 des Vertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deut‑ schen Demokratischen Republik über Fragen des Verkehrs, BGBl. 1972 II S. 1449, 1450; GBl. DDR I S. 257, 258; zur näheren Ausgestaltung s. BGBl. 1979 II S. 1227, 1228. 85  Vgl. Dokumente zur Deutschlandpolitik 1977 / 1978, S. 74 f.; Dokumente zur Deutschlandpolitik 1979 / 1980, S. 140. 86  Verordnung über die Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren für Kraftfahr‑ zeuge, GBl. DDR 1951, S. 865. 87  Abkommen v. 31. Oktober 1979 zwischen der Regierung der Deutschen Demo‑ kratischen Republik und der Regierung der Bundesrepublik Deutschland über die

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1. Teil: Einführung, Abgrenzung und dogmatische Grundlagen

Art. 4 des Abkommens blieb das Transitabkommen vom 17. Dezember 1971 aber unberührt, sodass davon kein Einfluss auf die Höhe der Transitpauschale ausging. Mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland wurden durch den Einigungsvertrag vom 31. August 199088 sämtliche Regelungen zu Stra‑ ßenbenutzungsgebühren auf dem Gebiet der ehemaligen DDR und die völ‑ kerrechtlichen Verträge zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR über die pauschale Abgeltung der Straßenbenutzungsgebühren gegen‑ standslos.89 f) 1990 bis heute Noch kurz vor der Wiedervereinigung Deutschlands im Jahr 1990 war in der Bundesrepublik das Gesetz über Gebühren für die Benutzung von Bun‑ desfernstraßen mit schweren Lastfahrzeugen90 verabschiedet worden. Dieses Gesetz war das erste für den fließenden Verkehr, das auf die 1969 eingeführte Kompetenzvorschrift des Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG gestützt wurde. Das Gesetz wurde aber vom EuGH durch das Urteil vom 19. Mai 1992 für gemeinschaftsrechtswidrig erachtet,91 da gleichzeitig mit der Einführung der Gebühren die deutsche Kraftfahrzeugsteuer für Lastkraftwagen gesenkt wor‑ den war. Bereits vor Verkündung dieses Urteils war die Gebührenerhebung ausgesetzt worden; das Gesetz wurde also niemals vollzogen.92 Auch die Senkung der Kraftfahrzeugsteuer, die im selben Mantelgesetz eingeführt worden war, nahm die Bundesregierung durch Rechtsverordnung vom 7. Juni 1991 zurück.93 Da das Urteil des EuGH vom 19. Mai 1992 für die unions‑ rechtliche Zulässigkeit der Infrastrukturabgabe eine besondere Bedeutung hat, wird darauf im Fortgang der Untersuchung nochmals umfassend zurück‑ zukommen sein.94

Befreiung von Straßenfahrzeugen von Steuern und Gebühren, GBl. DDR 1980  II S. 51. 88  Gesetz v. 23.9.1990, BGBl. 1990 II, S. 885, 889. 89  Vgl. Art. 40 Abs. 2 des Einigungsvertrags, BGBl. II 1990, 889 (903). 90  Gesetz v. 30.4.1990, BGBl. I S. 826 (830). 91  EuGH, Urt. v. 19.5.1992, C-195 / 90, NJW 1992, 1949 – Kommission / Deutsch‑ land. 92  Gesetz v. 6.12.1990, BGBl. I S. 2597; Rechtsverordnung v. 19.7.1991, BGBl. I S. 1573. 93  BGBl. I S. 1223; s. auch BR-Drs. 137 / 91 v. 28.2.1991 und BR-Drs. 312 / 91 v. 17.5.1991. 94  Siehe im 3. Teil unter B. I.



A. Einleitung und Gang der Untersuchung43

aa) Politische Initiativen für Straßenbenutzungsgebühren für Personenkraftwagen bis zum Jahr 2014 Gesetzgeberische Initiativen auf dem Gebiet der Straßenbenutzungsgebüh‑ ren für Personenkraftwagen gab es zwischen 1990 und 2014 nur in einem Fall: Im Jahr 1994 wurde das Gesetz über den Bau und die Finanzierung von Bundesfernstraßen durch Private verabschiedet.95 Dadurch wollte der Gesetz‑ geber den Neu- und Ausbau von Bundesfernstraßen durch Private auf der Grundlage einer Mautgebührenfinanzierung ermöglichen. Bis heute wurden auf der Grundlage dieses Gesetzes allerdings nur zwei Projekte mit einer Gesamtlänge von rund drei Kilometern fertiggestellt.96 Im Jahr 2000 forderte die Kommission Verkehrsinfrastrukturfinanzierung – Pällmann-Kommission97 –, die vom Bundesverkehrsministerium eingesetzt worden war, die Einführung von Benutzungsentgelten auf Bundesfernstraßen auch für Personenkraftwagen. Der politische Widerstand gegen eine solche Abgabe war zu dieser Zeit allerdings zu groß.98 Wissenschaft, Wirtschaft und Politik forderten danach aber immer wieder die Einführung von Straßenbenutzungsgebühren für Personenkraftwagen, um zusätzliche Einnahmen für die Erhaltung und den Ausbau der Straßen gene‑ rieren zu können.99 Auch das Umweltbundesamt sprach sich im Jahr 2010 für die Einführung einer Straßenbenutzungsgebühr für Personenkraftwagen aus.100

95  Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz (FStrPrivFinG) v. 30.8.1994, BGBl. I S. 2243, i. d. F. d. Bek. v. 6.1.2006, BGBl. I S. 49 mit spät. Änd. 96  Dabei handelt es sich um den Bau des Warnowtunnels in Rostock mit einer Länge von 790 m und den Bau des Herrentunnels in Lübeck mit einer Länge von 2,1 km. 97  Der Kommissionvorsitzende Wilhelm Pällmann war Jurist und von 1982 bis 1991 Mitglied im Vorstand der Deutschen Bundesbahn, im Anschluss bis 1995 im Vorstand der Deutschen Telekom. Er leitete die Kommission von ihrer Einberufung im September 1999 bis zum Abschluss im September 2000. 98  Dazu auch Krapf, Verkehrslenkung, S. 49. 99  Siehe dazu z. B. Eisenkopf, Wirtschaftsdienst 2001, 525 (531); Hartwig / Marner, Wirtschaftsdienst 2005, 102 (109); Kossak, Internationales Verkehrswesen 2004, 536. Zu weiteren Initiativen s. Krapf, Verkehrslenkung, S. 48 f. 100  Umweltbundesamt, Pkw-Maut in Deutschland?, https: /  / www.umweltbundes amt.de / sites / default / files / medien / publikation / long / 3929.pdf (zuletzt abgerufen am 7.2.2018).

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1. Teil: Einführung, Abgrenzung und dogmatische Grundlagen

bb) Änderung der Ertragskompetenz für das Aufkommen aus der Kraftfahrzeugsteuer im Jahr 2009 Ein weiterer entscheidender Schritt zur Einführung einer Straßenbenut‑ zungsabgabe wurde im März 2009 durch die Änderung des Art. 106 Abs. 1 Nr. 3 GG unternommen.101 Seit der Änderung dieser Vorschrift hat der Bund die Ertragskompetenz für das Aufkommen aus der Kraftfahrzeugsteuer al‑ lein; das Aufkommen hatte bis dahin den Ländern zugestanden. Diese Ände‑ rung machte es möglich, eine Straßenbenutzungsabgabe zugunsten des Bun‑ des einzuführen, ohne dabei – mit Blick auf die zuvor den Ländern zuste‑ hende Kraftfahrzeugsteuer – eine Mehrbelastung der deutschen Autofahrer oder Steuermindereinnahmen zulasten der Länder in Kauf zu nehmen. Nach dieser Änderung des Grundgesetzes wurde die Einführung einer Straßenbe‑ nutzungsabgabe vor allem auf Bundesebene immer wieder politisch disku‑ tiert. Im November 2009 brachte der damalige Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer die Einführung einer Pkw-Maut ins Gespräch. Er griff diesen Vorschlag erneut im Oktober 2011 auf. Allerdings war eine solche Pkw-Maut nicht im Koalitionsvertrag vorgesehen und innerhalb der damaligen Regie‑ rungsfraktionen von CDU / CSU und FDP nicht mehrheitsfähig. cc) Historie der Einführung der Infrastrukturabgabe Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD aus dem Jahr 2013 enthielt dann die Einführung einer „europarechtskonforme[n] Pkw-Maut“.102 Auf dieser Grundlage entwarf das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur zunächst ein Eckpunktepapier, das der damalige Minister Alex‑ ander Dobrindt am 7. Juli 2014 der Öffentlichkeit vorstellte. Dobrindt legte einen Gesetzentwurf zur Einführung der Infrastrukturabgabe am 31. Oktober 2014 vor, den die Bundesregierung am 17. Dezember 2014 in den Bundestag einbrachte. Nach intensiven, mehrmonatigen Ausschussberatungen empfahl der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur dem Bundestag am 25. März 2015, den Gesetzentwurf der Bundesregierung mit einigen Ände‑ rungen zu beschließen.103 Unter anderem waren auch die Abgabensätze für die Zehntages- und die Zweimonatsvignette im Laufe der Ausschussberatun‑ gen verändert worden.104 101  Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 106, 106b, 107, 108) v. 19.3.2009, BGBl. I S. 606. 102  Koalitionsvertrag „Deutschlands Zukunft gestalten“ zwischen CDU, CSU und SPD für die 18. Legislaturperiode, S. 8. 103  BT-Drs. 18 / 4455 v. 25.3.2015, S. 3 ff. 104  Vgl. BT-Drs. 18 / 4455 v. 25.3.2015, S. 14 f.



A. Einleitung und Gang der Untersuchung45

Am 27. März 2015 beschloss der Bundestag das Gesetz zur Einführung einer Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen.105 Der Bundesrat sah in seiner Sitzung vom 8. Mai 2015 davon ab, die Einberufung des Vermittlungsausschusses nach Art. 77 Abs. 2 GG zu verlangen.106 Damit kam das Gesetz nach Art. 78 Fall  2 GG zustande. Bundespräsident Joachim Gauck fertigte es am 8. Juni 2015 aus und im Anschluss daran wurde es im Bundesgesetzblatt vom 11. Juni 2015 verkündet. Gem. seinem Art. 5 trat das Gesetz am Tag nach seiner Verkündung im Bundesgesetzblatt, d. h. am 12. Juni 2015, in Kraft. Die Umsetzung der Infrastrukturabgabe hatte der damalige Bundesver‑ kehrsminister Dobrindt am 18. Juni 2015 – also nur wenige Tage nach dem Inkrafttreten des Gesetzes – in rechtsstaatlich bedenklicher Weise ausge‑ setzt. Für über zwei Jahre herrschte ein Schwebezustand, der in einem Rechtsstaat nicht hinnehmbar ist,107 zumal das Infrastrukturabgabengesetz selbst nur die Herstellung der technischen Einsatzbereitschaft als Vorausset‑ zung für den Beginn der Abgabenerhebung vorsieht. Nach der Einigung mit der Europäischen Kommission am 1. Dezember 2016 und dem Inkrafttreten des Ersten Gesetzes zur Änderung des Infrastrukturabgabengesetzes am 25. Mai 2017, mit dem die Abgabensätze für die Zehntages- und Zweimo‑ natsvignetten geändert wurden, begann die Umsetzung des Infrastrukturab‑ gabengesetzes. Im Juni 2017 begann die Suche nach einem privaten Betrei‑ ber (§ 4 Abs. 1 Satz 2 InfrAG)108 für das Infrastrukturabgabesystem. Nach und nach wird damit die Einsatzbereitschaft hergestellt und anschließend das System – voraussichtlich 2019 oder 2020 – in Betrieb genommen wer‑ den.109 2. Kurzer Abriss zur Lkw-Maut Bereits im Jahr 1990 wurde in der Bundesrepublik Deutschland durch das Straßenbenutzungsgebührengesetz (StrBG)110 erstmals eine Lkw-Maut111 eingeführt. Durch einen weiteren Artikel im selben Mantelgesetz wurde da‑ 105  BR-Drs.

154 / 15 v. 17.4.2015, S. 1. 154 / 15 (B) v. 8.5.2015. 107  Siehe dazu auch Gröpl / Heffinger, EuZW 2015, 529. 108  Siehe dazu sogl. in diesem Teil unter A. IV. 1. d). 109  Der BRH, Bericht über die Infrastrukturabgabe, S. 3 f., geht von einer Zeit von zweieinhalb bis drei Jahren für die Herstellung der technischen Einsatzbereitschaft aus, während das BMVI mit nur 19 Monaten rechnet. 110  Verkündet als Art. 1 des Gesetzes über Gebühren für die Benutzung von Bun‑ desfernstraßen mit schweren Lastfahrzeugen v. 30.4.1990, BGBl. I S. 826. 111  Zu den Begriffen Maut und Vignette s. in diesem Teil unter B. VI. 1. a) und b). 106  BR-Drs.

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1. Teil: Einführung, Abgrenzung und dogmatische Grundlagen

mals auch eine Entlastung für Lastkraftwagen bei der Kraftfahrzeugsteuer beschlossen.112 Der EuGH erachtete das Gesetz aber mit Urteil vom 19. Mai 1992 als gemeinschaftsrechtswidrig,113 da gleichzeitig mit der Einführung der Gebühren die deutsche Kraftfahrzeugsteuer für Lastkraftwagen gesenkt wurde. Daher erfolgte bereits Ende 1990 die Außerkraftsetzung des Gesetzes, die endgültig blieb.114 Auf dieses Urteil wird später aufgrund der Bedeutung für die unionsrechtliche Zulässigkeit der Infrastrukturabgabe nochmals aus‑ führlich einzugehen sein.115 Nach dem Scheitern dieses Vorstoßes Deutschlands auf dem Gebiet der Straßenbenutzungsabgaben erreichte die Europäische Wirtschaftsgemein‑ schaft durch die Einführung der Richtlinie über die Besteuerung bestimmter Kraftfahrzeuge zur Güterbeförderung sowie die Erhebung von Maut- und Benutzungsgebühren für bestimmte Verkehrswege durch die Mitgliedstaaten (RL  93 / 89 / EWG)116 vom 25. Oktober 1993 eine gewisse Harmonisierung auf dem Gebiet der Straßenbenutzungsabgaben. Art. 8 dieser Richtlinie er‑ laubte den Mitgliedstaaten die Zusammenarbeit bei der Einführung eines Eurovignetten-Systems. Durch ein Übereinkommen (ein völkerrechtlicher Vertrag) vom 9. Februar 1994117 wurde diese Möglichkeit der Zusammen‑ arbeit umgesetzt: Fünf europäische Staaten (Belgien, Dänemark, Deutsch‑ land, Luxemburg und die Niederlande) führten ursprünglich eine einheitli‑ che Vignette (sog. Eurovignette) für die Straßenbenutzung mit schweren Lastfahrzeugen ein. Dieses Eurovignetten-System wurde in Deutschland von einer Lkw-Maut mit dem Gesetz über die Erhebung von streckenbezo‑ genen Gebühren für die Benutzung von Bundesautobahnen mit schweren Nutzfahrzeugen zum 1. Januar 2005118 abgelöst. Dabei machte Deutschland von der Ausstiegsklausel aus dem Eurovignetten-System nach Art. 17 Abs. 1 des Übereinkommens vom 9. Februar 1994 Gebrauch. Deutschland stellte damit das System von einer zeitbezogenen auf eine streckenbezogene Erhe‑ bung von Straßenbenutzungsgebühren für Lastkraftwagen um.119 Im Juli 112  Art. 2 des Gesetzes über Gebühren für die Benutzung von Bundesfernstraßen mit schweren Lastfahrzeugen v. 30.4.1990, BGBl. I S. 826 (830). 113  EuGH, Urt. v. 19.5.1992, C-195 / 90, NJW 1992, 1949 – Kommission / Deutsch‑ land. 114  Gesetz v. 6.12.1990, BGBl. I S. 2597; Rechtsverordnung v. 19.7.1991, BGBl. I S. 1573. 115  Siehe im 3. Teil unter B. I. 116  ABl. EG L 279 v. 12.11.1993, S. 32. 117  BGBl. 1994 II S. 1765, 1768; heute ist die Eurovignette in Dänemark, Luxem‑ burg, der Niederlande und Schweden gültig. 118  Gesetz v. 5.4.2002, BGBl. I S. 1234. 119  Auch Belgien hat seit dem 1.4.2016 die Eurovignette durch eine streckenbezo‑ gene Straßenbenutzungsgebühr für Lkw ersetzt.



A. Einleitung und Gang der Untersuchung47

2011 wurde die Lkw-Maut durch eine Neuregelung auch auf Bundesstraßen erstreckt.120 Damit muss für die Benutzung von Bundesautobahnen und Bundesfernstraßen mit Lastkraftwagen generell eine Gebühr entrichtet wer‑ den.

IV. Das Infrastrukturabgabengesetz und die Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes im Einzelnen 1. Das Infrastrukturabgabengesetz a) Infrastrukturabgabenpflicht und Höhe der Infrastrukturabgabe Nach § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Erhebung einer zeitbezogenen Inf‑ rastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen (Infrastrukturab‑ gabengesetz – InfrAG), welches als Art. 1 des Gesetzes zur Einführung einer Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen vom 8.  Juni 2015 verkündet wurde,121 müssen Halter in Deutschland zugelassener Kraft‑ fahrzeuge für die Benutzung von Bundesfernstraßen i. S. d. § 1 des Bundes‑ fernstraßengesetzes (FStrG)122 die Infrastrukturabgabe entrichten123. Für die Benutzung von Bundesstraßen mit Kraftfahrzeugen, die nicht in Deutschland zugelassen sind, ist gem. § 1 Abs. 2 InfrAG keine Infrastrukturabgabe zu entrichten. Die Infrastrukturabgabepflicht des § 1 InfrAG ist nach § 14 Abs. 1 und 2 InfrAG bußgeldbewehrt. Für die Benutzung von Bundesautobahnen mit nicht in Deutschland zu‑ gelassenen Kraftfahrzeugen wird gem. § 8 Satz 1 InfrAG i. V. m. der Anlage Abgabensätze in der Fassung des Ersten Gesetzes zur Änderung des Infra‑ strukturabgabengesetzes124 für Zehntagesvignetten ein Betrag zwischen 2,50 und 25 Euro, für Zweimonatsvignetten ein Betrag zwischen sieben und 50 Euro und für Jahresvignetten ein Betrag – nach Hubraum und Emissions‑ klassen gestaffelt – von bis zu 130 Euro zu zahlen sein. Dabei werden die 120  Gesetz über die Erhebung von streckenbezogenen Gebühren für die Benutzung von Bundesautobahnen und Bundesstraßen (Bundesfernstraßenmautgesetz – BFStr­MG) v. 12.7.2011, BGBl. I S. 1378. 121  BGBl. I S. 904. 122  Bundesfernstraßengesetz i. d. F. d. Bek. v. 28.6.2007, BGBl. I S. 1206. 123  Das Wort „entrichten“ passt an dieser Stelle nicht, da es gewöhnlich im Gesetz für die Begleichung fremder Verbindlichkeiten verwendet wird. Bei der Infrastruktur‑ abgabe handelt es sich aber um eine eigene Schuld des Halters des Kraftfahrzeugs. Es wäre also der Begriff der „Zahlung“ treffender gewesen. 124  Gesetz v. 18.5.2017, BGBl. I S. 1218.

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1. Teil: Einführung, Abgrenzung und dogmatische Grundlagen

Zehntages- und Zweimonatsvignetten in sechs verschiedenen Stufen – ab‑ hängig vom Preis125 einer fiktiven Jahresvignette – angeboten. Für in Deutschland zugelassene Kraftfahrzeuge ist nach § 7 Abs. 1 Satz 1 InfrAG zwingend die Infrastrukturabgabe jeweils für ein Jahr zu entrichten, sodass der Höchstbetrag von 130  Euro pro Jahr gem. § 8 Satz  1 InfrAG i. V. m. der Anlage Abgabensätze auch für in Deutschland zugelassene Kraft‑ fahrzeuge gilt. Für inländische Kraftfahrzeughalter besteht keine Möglich‑ keit, eine Zehntages- oder Zweimonatsvignette zu erwerben. b) Begriff des Kraftfahrzeugs Der Begriff des Kraftfahrzeugs wird unter Verweis auf die Klassen M1 und M1G nach der Richtlinie 2007 / 46 / EG126 festgelegt: Grundsätzlich ist damit für die Benutzung von Bundesfernstraßen mit Fahrzeugen, die zur Personen‑ beförderung dienen und nicht mehr als acht Sitzplätze außer dem Fahrersitz aufweisen, sowie mit Wohnmobilen die Infrastrukturabgabe zu entrichten. Dadurch wird aber nur auf die Zahl der Sitzplätze und die Zweckbestimmung als Kraftfahrzeug abgestellt, ohne ein zulässiges Gesamtgewicht zu bestim‑ men.127 Für die Infrastrukturabgabepflicht ist damit nicht auf das Gesamtge‑ wicht des Fahrzeugs, sondern nur auf die Zweckbestimmung und die Anzahl der Sitzplätze des Fahrzeugs abzustellen.128

125  Das Wort „Preis“ deutet zwar auf ein privatrechtliches Entgelt hin, wird aber hier für die Höhe der öffentlich-rechtlichen Infrastrukturabgabe verwendet, da auch eine Vignette einen Preis haben kann. 126  Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraft‑ fahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge, ABl. EU L 263 v. 9.10.2007, S. 1. 127  Eine Beschränkung auf ein zulässiges Gesamtgewicht von 3,5 Tonnen ergibt sich auch nicht aus der lediglich für Lkw geltenden Richtlinie 1999 / 62 / EG, ABl. EG L  187 v. 20.7.1999, S. 42, die durch die Richtlinie 2011 / 76 / EU, ABl. EU L  269 v. 14.10.2011, S. 1, wesentlich geändert wurde. Dort werden nur Vorgaben für Straßen‑ benutzungsgebühren für Fahrzeuge gemacht, die für den Güterverkehr bestimmt sind und deren zulässiges Gesamtgewicht mehr als 3,5 Tonnen beträgt. Daraus lässt sich aber für Straßenbenutzungsgebühren für Pkw keine Beschränkung auf ein zulässiges Gesamtgewicht von 3,5 Tonnen ableiten. 128  Ohne Grundlage ist damit die Behauptung von Zabel, NVwZ 2015, 1241 (1242), der nur Fahrzeuge bis zu einem zulässigen Gesamtgewicht von 3,5 Tonnen als vom Infrastrukturabgabengesetz erfasst ansieht.



A. Einleitung und Gang der Untersuchung49

c) Schuldner der Infrastrukturabgabe Halter und Führer von Kraftfahrzeugen, die im Ausland zugelassen sind, sind Schuldner der Infrastrukturabgabe nach § 3 Satz 1 InfrAG, wobei die kumulative Inanspruchnahme von Halter und Führer nach § 3 Satz 3 InfrAG ausgeschlossen ist. Bei im Inland zugelassenen Kraftfahrzeugen sind nur die Halter nach § 3 Satz 2 InfrAG die Schuldner der Infrastrukturabgabe. d) Infrastrukturabgabebehörde und Überwachung der Infrastrukturabgabenpflicht Für der Ausführung des Infrastrukturabgabengesetzes sind hauptsächlich das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) als Infrastrukturabgabebehörde nach § 4 Abs. 1 Satz 1 InfrAG und das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) zuständig. Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 InfrAG kann das KBA einem privaten Dritten die Erhebung der Infrastrukturabgabe, die Durchführung von Mahnungen und den Erlass von Vollstreckungsanordnungen übertragen. Der private Dritte (Betreiber) gilt dann für diese Aufgaben als Infrastrukturabgabebehörde und wird bei hoheitlichen Aufgaben beliehen.129 Die Überwachung der Einhaltung der Abgabepflicht wird gem. § 11 Abs. 1 Satz 1 InfrAG durch das BAG durchgeführt. Zudem ist das BAG auch für die nachträgliche Erhebung der Abgabe gem. § 12 Abs. 4 InfrAG zuständig, sofern die Erhebung im Rahmen der Überwachung nach § 11 InfrAG statt‑ findet. In allen übrigen Fällen bleibt es nach § 12 Abs. 1 Satz 1 InfrAG für die nachträgliche Erhebung bei der Zuständigkeit der Infrastrukturabgabebe‑ hörde. Daneben kann sich auch das BAG gem. § 11 Abs. 1 Satz 2 InfrAG bei der Überwachung der Einhaltung der Abgabepflicht der Mitwirkung eines privaten Dritten bedienen. e) Verfahren bei der Erhebung der Infrastrukturabgabe Die Infrastrukturabgabe ist grundsätzlich vor der Benutzung der in § 1 Abs. 1 InfrAG bezeichneten abgabepflichtigen Straßen durch Erwerb einer elektronischen Vignette zu entrichten (§ 5 Abs. 1 Satz 1 InfrAG). Die Infra‑ strukturabgabe wird für in Deutschland zugelassene Kraftfahrzeuge nach § 5 Abs. 1 Satz 3, § 7 Abs. 6 Satz 1 InfrAG – durch die Infrastrukturabgabebe‑ hörde – durch einen Bescheid unbefristet festgesetzt. Die Vignette (§ 5 Abs. 1 129  Eine umfassende Auseinandersetzung mit dem Institut der Beleihung findet sich bei Steiner, Öffentliche Verwaltung, S. 9 ff.; knapper ist die Darstellung von Stober, in: Wolff / Bachof / Stober / Kluth, Verwaltungsrecht II, § 90.

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1. Teil: Einführung, Abgrenzung und dogmatische Grundlagen

Satz 1 InfrAG) gilt aus diesem Grund nach § 5 Abs. 1 Satz 5 InfrAG für in Deutschland zugelassene Kraftfahrzeuge mit der Zulassung als erworben. Um ein Fahrzeug in Deutschland zulassen zu können, wird deshalb künftig gem. § 9 Abs. 3 Satz 1 InfrAG die Erteilung eines SEPA-Lastschrift-Manda‑ tes gegenüber der nach Landesrecht zuständigen Behörde erforderlich sein. Diese werden die erteilten Lastschriftmandate gem. § 9 Abs. 3 Satz 3 InfrAG an die Infrastrukturabgabebehörde weitergeben. Halter und Führer von Kraftfahrzeugen, die nicht im Inland zugelassen sind, müssen die Vignette – wie es § 5 Abs. 1 Satz 1 InfrAG vorschreibt – erwerben. Für sie gilt die Buchungsbestätigung bei Erwerb der Vignette nach § 5 Abs. 1 Satz 4 InfrAG als Bescheid. Für diese Halter und Führer wird die Vignette über das Internet oder an Vertriebsstellen, z. B. Tankstellen, zu er‑ werben sein.130 Um die Zahlung der Infrastrukturabgabe feststellen und die Einhaltung der Abgabenpflicht kontrollieren zu können, wird vom KBA ein Infrastrukturab‑ gabenregister gem. § 6 InfrAG eingerichtet, in das die für die Erhebung der Infrastrukturabgabe notwendigen Daten nach § 6 Abs. 2 InfrAG aufgenom‑ men werden. f) Beginn der Erhebung der Infrastrukturabgabe Die Erhebung der Infrastrukturabgabe beginnt nach § 16 Abs. 2 Satz 1 InfrAG vier Monate nach Bekanntmachung der technischen Einsatzbereit‑ schaft im Bundesanzeiger (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 InfrAG). Um die vier Monate zwischen der Bekanntmachung des Erhebungsbeginns zu nutzen, muss die Infrastrukturabgabebehörde nach § 16 Abs. 3 InfrAG unverzüglich nach Be‑ kanntmachung der technischen Einsatzbereitschaft mit der Festsetzung der Infrastrukturabgabe für zu diesem Zeitpunkt in Deutschland zugelassene Kraftfahrzeuge beginnen. 2. Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes Für inländische Kraftfahrzeuge beschloss der Bundestag am 27. März 2015 – gleichzeitig mit der Einführung der Infrastrukturabgabe – mit Art. 1 Nr. 7 lit. b des Zweiten Verkehrsteueränderungsgesetzes131, eine Steuerermä‑ ßigung bei der Kraftfahrzeugsteuer in § 9 Abs. 6 KraftStG einzuführen. Das Zweite Verkehrsteueränderungsgesetz fertigte der ehemalige Bundespräsident 130  Siehe

dazu BT-Drs. 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 3. v. 8.6.2015, BGBl. I S. 901.

131  Gesetz



A. Einleitung und Gang der Untersuchung51

Joachim Gauck am 8. Juni 2015 – also am gleichen Tag wie das Infrastruk‑ turabgabengesetz – aus und es trat in weiten Teilen am 12. Juni 2015 in Kraft. § 9 Abs. 6 KraftStG tritt nach Art. 3 Abs. 2 des Gesetzes allerdings erst an dem Tag in Kraft, an dem die Erhebung der Infrastrukturabgabe beginnt. Das gilt auch nach der Änderung des § 9 Abs. 6 KraftStG und der Erhöhung der Steuerermäßigung durch das Gesetz zur Änderung des Zweiten Verkehrsteu‑ eränderungsgesetzes vom 6. Juni 2017132. Dessen Änderungen am Zweiten Verkehrsteueränderungsgesetz – und damit auch an § 9 Abs. 6 KraftStG – traten zwar nach Art. 2 zwei Tage nach der Verkündung des Sechsten Geset‑ zes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes133 und damit am 11. Juni 2017 in Kraft. Dennoch bleibt die Inkrafttretensregelung in Art. 3 Abs. 2 des Zweiten Verkehrsteueränderungsgesetzes in Kraft, sodass § 9 Abs. 6 Kraft‑ StG in der geänderten Fassung erst mit Beginn der Erhebung der Infrastruk‑ turabgabe in Kraft tritt. Dadurch werden die Kosten für die Infrastrukturab‑ gabe für inländische Kraftfahrzeuge vollständig kompensiert, sodass für deutsche Autofahrer keine Mehrbelastung entsteht. Die Höhe der Steuerer‑ mäßigung richtet sich daher nach der Höhe der Infrastrukturabgabe für das jeweilige Fahrzeug und ist gem. § 9 Abs. 6 Nr. 1 a. E. KraftStG auf maximal 130 Euro begrenzt. Durch die Einführung der Infrastrukturabgabe und die gleichzeitige Steu‑ erentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer erwartet das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur im Ergebnis Mehreinnahmen in Höhe von rund 500 Mio. Euro.134 Von den geplanten Einnahmen aus der Infrastruktur‑ abgabe von etwa 3,8  Mrd. Euro sollen etwa 3  Mrd. Euro auf inländische Kraftfahrzeuge und 800  Mio. auf ausländische Kraftfahrzeuge entfallen.135 Dem gegenüber stehen Mindereinnahmen von rund 3,1 Mrd. Euro durch den Steuerentlastungsbetrag nach § 9 Abs. 6 KraftStG n. F.136 Darüber hinaus müssen rund 202 Mio. Euro an jährlichen Kosten für die Umsetzung der ­Infrastrukturabgabe berücksichtigt werden.137 Ab dem zweiten Jahr nach der Einführung stünden nach dieser Rechnung rund 500 Mio. Euro zur Verfü‑ gung, die nach § 15 Abs. 1 Satz 3 InfrAG zweckgebunden für die Verbesse‑ 132  BGBl. I

S. 1493. v. 6.6.2017, BGBl. I S. 1491, verkündet am 9.6.2017. 134  Die Berechnung der Einnahmen und Kosten durch die Einführung der Infra‑ strukturabgabe hält der Bundesrechnungshof für nicht nachvollziehbar und mit hohen Risiken behaftet, s. BRH, Bericht über die Infrastrukturabgabe, S. 11 ff. 135  BT-Drs. 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 20; BT-Drs. 18 / 4455 v. 25.3.2015, S. 25; BTDrs. 18 / 11237 v. 20.2.2017, S. 10. 136  BT-Drs. 18 / 3991 v. 11.2.2015, S. 2; BT-Drs. 18 / 11235 v. 20.2.2017, S. 2. 137  BT-Drs. 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 3.; BT-Drs. 18 / 4455 v. 25.3.2015, S. 25 f. 133  Gesetz

52

1. Teil: Einführung, Abgrenzung und dogmatische Grundlagen

rung der Verkehrsinfrastruktur verwendet würden.138 Aus diesen Einnahmen müssen aber noch einmalige Kosten von rund 370 Mio. Euro für die Einfüh‑ rung der Infrastrukturabgabe finanziert werden.139 Ein Jahr und acht Monate nach Einführung der Infrastrukturabgabe ist eine Überprüfung gem. § 18 ­InfrAG vorgesehen. Dabei werden die Netto-Einnahmen, die wirtschaftlichen Auswirkungen auf Grenzregionen und die Bürokratiekosten in einem Bericht aufgelistet.

V. Bewertung dieser Entwicklungen und Vorschläge Es zeigt sich, dass die Entwicklungen im Bereich der Straßenbenutzungs‑ gebühren für Personen‑ und Lastkraftwagen sehr unterschiedlich verlaufen sind. In den vorangegangenen 80 Jahren waren – mit Ausnahme der Straßen‑ benutzungsgebühren in der DDR – nur Initiativen für die Einführung von Straßenbenutzungsgebühren für Lastkraftwagen in Deutschland erfolgreich. Zwar hatten die Straßenbenutzungsgebühren in der DDR – ebenso wie die Gebühren der heutigen Zeit – einen fiskalischen Hintergrund, da die DDR auch auf diesem Weg westdeutsche Devisen erlangte. Allerdings ging es wohl in erster Linie darum, Hürden für Bürger aus der Bundesrepublik und aus Westberlin bei der Durchquerung der DDR zu errichten, ohne dabei den Zugang ganz zu verbieten. Auch im Recht der EU ist nur der Bereich der Gebühren für Lastkraftwa‑ gen weit entwickelt. Für Personenkraftwagen hat die Europäische Kommis‑ sion in einer Mitteilung bisher nur Grundsätze für Straßenbenutzungsgebüh‑ ren aufgestellt.140 Am 31. Mai 2017 legte sie einen Vorschlag für eine Richtlinie vor, nach der auch Straßenbenutzungsgebühren für Personenkraft‑ wagen zumindest teilweise harmonsisiert werden sollen.141 Die weitere Ent‑ wicklung bleibt abzuwarten. Diese insoweit zaghaften Ansätze sind kritisch 138  Nach dem Inkrafttreten des § 15 Abs. 2 InfrAG am 1.1.2021 muss der Bund der Infrastrukturgesellschaft für Autobahnen und andere Bundesstraßen das verlei‑ bende Aufkommen nach § 15 Abs. 1 Satz 3 InfrAG zweckgebunden zur Verfügung stellen, vgl. BT-Drs. 18 / 12589 v. 31.5.2017, S. 113, 117. Zur Infrastrukturgesellschaft für Autobahnen und andere Bundesstraßen, die ab dem 1.1.2021 die Planung, den Bau, den Betrieb, die Erhaltung, die vermögensmäßigen Verwaltung und der Finan‑ zierung der Bundesautobahnen übernimmt, näher Gröpl, ZG 2017, 114 (114 ff.). 139  BT-Drs. 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 3; BT-Drs. 18 / 4455 v. 25.3.2015, S. 25 f. 140  Mitteilung der Kommission über die Erhebung nationaler Straßenbenutzungs‑ gebühren auf leichte Privatfahrzeuge v. 14.5.2012, KOM(2012) 199 endg. 141  Zumindest sollen damit die Erhebungssysteme für Straßenbenutzungsgebühren bei Pkw auf streckenbezogene Gebühren vereinheitlicht und Höchstpreise für Kurz‑ zeitvignetten im Verhältnis zu Jahresvignetten festgelegt werden, KOM(2017) 275 endg.; dazu näher im 3. Teil unter B. III. 2. c) bb).



B. Dogmatische Grundlagen der Infrastrukturabgabe53

zu sehen, da sich die rechtlichen Modelle, die bei Straßenbenutzungsgebüh‑ ren für Personenkraftwagen in Europa entstanden sind und entstehen, sehr stark unterscheiden.142 Auch die eben genannte Richtlinie würde im Falle ihrer Verabschiedung nur partiell Abhilfe schaffen. Dadurch kann eine Ver‑ einheitlichung dieser Rechtsrahmen und ein Zusammenwachsen des „Ver‑ kehrsraums Europa“ kaum erreicht werden.143 Daneben bleiben auch – wie im Fall der Infrastrukturabgabe – Beschwerden der Mitgliedstaaten der EU über Diskriminierungen und Verschlechterungen eines anderen Mitgliedstaa‑ tes weiterhin wahrscheinlich.

B. Dogmatische Grundlagen der Infrastrukturabgabe Bevor geprüft werden kann, ob die Infrastrukturabgabe mit dem Grundge‑ setz und dem Recht der EU vereinbar ist, muss zunächst die Frage geklärt werden, wie sich die Infrastrukturabgabe in das System der Abgaben einord‑ nen lässt. Die Einordnung in das finanzverfassungsrechtliche System der Abgaben ist wesentlich für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Infra‑ strukturabgabe. Vor allem dient die Einordnung der Beantwortung der Frage, auf welche Gesetzgebungskompetenz sich der Bund bei Erlass des Infra‑ strukturabgabengesetzes stützen konnte. Hinzu kommt, dass auch materiell an die unterschiedlichen Abgabenarten unterschiedlich hohe Anforderungen für die Erhebung gestellt werden. Die Untersuchung sowohl der formellen als auch der materiellen Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabenge‑ setzes wird sich deshalb unmittelbar an diese Einordnung in die Abgabenart anschließen.

I. Abgabe Schon die Bezeichnung „Infrastrukturabgabe“ enthält bereits als Wort­ bestandteil den Begriff der Abgabe. Um aber beurteilen zu können, ob es sich bei der Infrastrukturabgabe tatsächlich um eine Abgabe im finanzver‑ fassungsrechtlichen Sinne handelt, wird der Begriff der Abgabe nun darge‑ legt.

142  Zu den verschiedenen Systemen von Straßenbenutzungsgebühren in der Euro‑ päischen Union Baumgarten / Huld / Hartwig, Mautsysteme, S. 32 ff.; Hering, SVR 2012, 329 (329 ff.). 143  Vgl. auch BR-Drs. 436 / 1 / 17 v. 4.12.2017, S. 2.

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1. Teil: Einführung, Abgrenzung und dogmatische Grundlagen

1. Begriff Im Folgenden wird versucht, den Begriff der Abgabe vom Wortsinn her aufzuschlüsseln. Abgabe enthält das Wort abgeben. Abgeben bedeutet, dass jemand etwas abgibt und ein anderer es annimmt. Für den hier maßgeblichen juristischen Zweck geben natürliche und juristische Personen Geld ab und der Staat nimmt es ein. Damit sind Abgaben zunächst sämtliche Leistungen in Geld, die der Staat von natürlichen und juristischen Personen erhält. Dar‑ unter können allerdings auch Darlehen und andere Kredite sowie Kaufpreis‑ zahlungen und andere Entgelte fallen, denn auch bei diesen erhält der Staat von natürlichen oder juristischen Personen Geld. Wenn der Begriff der Abga‑ ben auch im finanzverfassungsrechtlichen Sinne so weit zu verstehen wäre, ginge die Begrenzungsfunktion des Begriffs verloren. Erkennbarer Unter‑ schied zwischen Entgelten und den anderen Geldleistungen an den Staat ist, dass die Zahlung von Entgelten auf der Basis eines gleichgeordneten Vertra‑ ges zwischen Staat und Privatem erfolgt. Steuern, Vorzugslasten und Sonder‑ abgaben (Abgaben) werden dagegen dem Privaten vom Staat auferlegt.144 Aus diesem Grund muss der Begriff der Abgabe im finanzverfassungsrecht‑ lichen Sinne durch das Merkmal der hoheitlichen Auferlegung der Geldleis‑ tung eingehegt werden.145 Abgaben sind demnach der Oberbegriff für sämt‑ liche öffentlichen Einnahmen, die auf der Finanzhoheit des Staates beruhen. Zu den Abgaben zählen Steuern, Sonderabgaben, Vorzugslasten (Gebühren und Beiträge) und andere Abgaben.146 2. Die Infrastrukturabgabe als Abgabe Materiell sind Abgaben also sämtliche öffentlichen Einnahmen, die auf der Finanzhoheit des Staates beruhen. Die Infrastrukturabgabe ist nach § 1 Abs. 1 InfrAG eine Abgabe, die für die Benutzung von Bundesfernstraßen mit Kraftfahrzeugen zu entrichten ist. Der Staat (Bund) erlegt diese Last einseitig durch gesetzliche Anordnung dem Benutzer von Bundesfernstraßen auf. Da‑ raus möchte der Staat auch Einnahmen erzielen, wie die Existenz der Vertei‑ lungsnorm für das Aufkommen in § 15 Abs. 1 InfrAG zeigt. Somit liegt – nicht nur vom Namen her – eine Abgabe vor. Der Name Infrastrukturabgabe trägt darüber hinaus zur näheren Einordnung in eine Abgabenkategorie nichts 144  Siehe die Definitionen in diesem Teil unter B. II. 2., B. III., B. V. 1. f) und B. V. 3. 145  Vgl. Heintzen, in: von  Münch / Kunig, GG-Komm., Art. 105 Rn. 10; Shin, Öf‑ fentliche Abgaben, S. 10. 146  Das BVerfG geht offenbar im Urt. v. 10.12.1980, 2  BvF 3 / 77, BVerfGE 55, 274 (297), von diesem Abgabenbegriff aus.



B. Dogmatische Grundlagen der Infrastrukturabgabe55

bei.147 Die Qualifikation einer Abgabe richtet sich grundsätzlich ohnehin nicht nach der Bezeichnung, sondern nur nach der materiellen Ausgestaltung des jeweiligen Abgabengesetzes.148 Dennoch kann auch die Bezeichnung Anhaltspunkte für die Einordnung geben.149 Angesichts der Verwendung des Oberbegriffs „Abgabe“ kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich der Gesetzgeber über die genaue Einordnung der Infrastrukturabgabe selbst nicht im Klaren gewesen ist oder dass er die Kategorisierung bewusst offenhalten wollte. Die folgenden Ausführungen sollen diese Unklarheit des Gesetzge‑ bers beseitigen. Die genaue Einordnung wird zunächst dadurch erschwert, dass das Grund‑ gesetz nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ein Abgabensystem statuiert, welches nicht abschließend ist.150 Neben den im Grundgesetz be‑ reits angelegten Abgabentypen seien demnach auch andere zulässig, sofern sie sich hinreichend von den hergebrachten Abgabentypen abgrenzen lie‑ ßen.151 Zwar kann es damit beliebig viele Arten von Abgaben geben. Den‑ noch erscheint es aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit erfor‑ derlich, neue Abgaben soweit wie möglich in das System der hergebrachten Abgabentypen einzuordnen. Daher werden im Folgenden lediglich die Steuer, die Sonderabgabe, die Gebühr und der Beitrag als besondere Abgabentypen vorgestellt.152 Dabei wird versucht, die Infrastrukturabgabe einer dieser Ab‑ gabenarten zuzuordnen.

147  Überdies ist auch der Namensbestandteil „Infrastruktur“ zu weit geraten, da er sich nicht ausschließlich auf das Netz der Bundesstraßen beschränkt, angedeutet bei Gröpl / Heffinger, EuZW 2015, 529 (529), und Gröpl, ZG 2017, 114 (123). Dieser Begriff wurde wohl in Anlehnung an den Begriff der „Infrastrukturgebühr“ in Art. 2 Buchst. b Doppelbuchst. ba der Richtlinie 1999 / 62 / EG, ABl. EG L 187 v. 20.7.1999, S. 42, gewählt, die zuletzt durch die Richtlinie 2013 / 22 / EU, ABl. EU L  158 v. 10.6.2013, S. 356, geändert wurde. 148  BVerfG, Beschl. v. 4.2.1958, 2  BvL 31 / 56 u. a., BVerfGE 7, 244 (251 f.); BVerfG, Urt. v. 10.12.1980, 2 BvF 3 / 77, BVerfGE 55, 274 (304 f.); BVerfG, Beschl. v. 24.1.1995, 1 BvL 18 / 93 u. a., BVerfGE 92, 91 (114); BVerfG, Beschl. v. 18.5.2004, 2 BvR 2374 / 99, BVerfGE 110, 370 (384). 149  Vgl. BVerfG, Beschl. v. 4.2.1958, 2 BvL 31 / 56 u. a., BVerfGE 7, 244 (255). 150  BVerfG, Beschl. v. 7.11.1995, 2  BvR 413 / 88 u. a., BVerfGE 93, 319 (342); BVerfG, Beschl. v. 31.5.1990, 2 BvL 12 / 88 u. a., BVerfGE 82, 159 (181). 151  Vgl. BVerfG, Urt. v. 10.12.1980, 2 BvF 3 / 77, BVerfGE 55, 274 (298); BVerfG, Urt. v. 27.1.1965, 1 BvR 213 / 58 u. a., BVerfGE 18, 315 (328). 152  Daneben existieren auch sonstige Abgaben, wie Sonderabgaben ohne Finanzie‑ rungsfunktion (Sonderabgaben im weiteren Sinne) oder auch Sozialversicherungsbei‑ träge und Verbandslasten, die aber wegen der Beschränkung auf die hergebrachten Abgabetypen im Folgenden keine Relevanz mehr für die Arbeit haben.

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1. Teil: Einführung, Abgrenzung und dogmatische Grundlagen

II. Steuer Begonnen werden soll bei der Vorstellung der Abgabentypen mit der Steuer. Um ermitteln zu können, wer die Gesetzgebungskompetenz für das Infrastrukturabgabengesetz hat, muss eine Einordnung zwingend vorgenom‑ men werden. Dabei müssen die verfassungsrechtlichen Begriffe der einzelnen Abgaben zugrunde gelegt werden, denn für die Steuern sieht das Grundge‑ setz eine eigene Vorschrift über die Gesetzgebungskompetenz in Art. 105 GG vor. Dagegen richtet sich die Zuständigkeit für Gesetze über Sonderabgaben, Gebühren und Beiträge nach den allgemeinen Gesetzgebungskompetenzvor‑ schriften der Art. 70 ff. GG. Aus diesem Grunde wird im Folgenden vor allem der Begriff der Steuer im verfassungsrechtlichen Sinne dargelegt. Dabei muss auch geklärt werden, ob auch sog. Lenkungssteuern vom verfassungs‑ rechtlichen Steuerbegriff umfasst sind, da der Infrastrukturabgabe neben der Finanzierungsfunktion auch eine Lenkungsfunktion zukommen kann. Der Begriff der Steuer wurde in den Jahren 1948 und 1949 bei der Er­ arbeitung des Grundgesetzes von den „Müttern und Vätern des Grundgeset‑ zes“, d. h. von den Mitgliedern des Parlamentarischen Rates, an mehreren Stellen verwendet.153 Eine Definition des Begriffs der Steuer enthält das Grundgesetz jedoch nicht. Dennoch gestaltet es in der Finanzverfassung der Art. 104a ff. – als einzigen Abgabentyp – die Steuer ausführlich aus.154 1. Steuerbegriffe und Lenkungsteuern Die Art. 105 bis 108 GG enthalten Regelungen zur Gesetzgebung, Verwal‑ tung und vor allem zur Verteilung der Steuern in Deutschland. Darüber hi­ naus entwickelte sich die Steuer in jüngerer Zeit zum politischen Lenkungs‑ mittel, insbesondere im Rahmen des Umweltschutzes (sog. Ökosteuern155). Mangels einer Definition der Steuer im Grundgesetz soll zunächst die Defi‑ 153  Bspw. in Art. 105 Abs. 2, Abs. 3, Art. 106 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, Art. 107, Art. 108 und in Art. 111 Abs. 2 GG. Der Begriff findet sich außerdem in Art. 137 Abs. 6 WRV, der wegen Art. 140 GG Bestandteil des Grundgesetzes ist. 154  Diese Ausgestaltung hat vielfach zur Bezeichnung „Steuerstaat des Grundge‑ setzes“ beigetragen, vgl. Isensee, in: FS H. P. Ipsen, S. 409 (409 ff.); allgemein zum Begriff des Steuerstaates Schäffle, Die Steuern, Allgemeiner Teil, in: Frankenstein (Hrsg.) Hand- und Lehrbuch der Staatswissenschaften, 1895, 2. Abt., 2. Bd., S. 74 ff.; Schumpeter, Die Krise des Steuerstaats, in: Schneider / Spiethoff, Aufsätze zur Sozio‑ logie, 1953, S. 1–71; Goldscheid, Staatssozialismus oder Staatskapitalismus, in: Hi‑ ckel, Die Finanzkrise des Steuerstaats, 1976, S. 72 f. 155  Vgl. das Gesetz zum Einstieg in die ökologische Steuerreform v. 24.3.1999, BGBl. I S. 378, durch das die Stromsteuer eingeführt und das Mineralölsteuergesetz im Sinne einer Lenkungswirkung geändert wurde.



B. Dogmatische Grundlagen der Infrastrukturabgabe57

nition der Steuer im einfachen Recht beleuchtet und anschließend ihre Über‑ tragbarkeit auf den verfassungsrechtlichen Steuerbegriff diskutiert werden. a) Ausgangspunkt: Definition der Steuer im einfachen Recht Die erste deutschlandweite Definition der Steuer fand sich in § 1 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung vom 13. Dezember 1919 (RAO 1919).156 Steuern waren danach einmalige oder laufende Geldleistungen, die nicht eine Gegen‑ leistung für eine besondere öffentliche Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einkünften allen auf‑ erlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leis‑ tungspflicht knüpft. Diese Definition hatte bis zum 1. Januar 1977 unverän‑ dert Bestand. Mit Wirkung vom 1. Januar 1977 ersetzte der Gesetzgeber die Reichsabgabenordnung durch eine neue Abgabenordnung – die AO 1977,157 die seit dem 19. Dezember 2006 nur noch als Abgabenordnung bezeichnet wird.158 Dort findet sich die Definition der Steuer in § 3 Abs. 1 AO. Sie stimmt bis auf die Änderung des Wortes „Einkünfte“ in „Einnahmen“ mit der Definition aus der Reichsabgabenordnung überein. Allerdings wurde in § 3 Abs. 1 AO der bisherigen Definition ein Teilsatz angefügt, wonach die Erzie‑ lung von Einnahmen Nebenzweck sein kann. Gerade dieser Teilsatz bringt zum Ausdruck, dass Steuern auch Lenkungsmittel sein dürfen, bei denen die Einnahmeerzielung gleichsam beiläufig erfolgt. Aufgrund der Erwähnung der Einnahmeerzielung als Nebenzweck muss aber trotz anderer vordergründiger Zwecke die Erzielung von Einnahmen beabsichtigt sein. § 3 Abs. 1 AO enthält demnach fünf wesentliche Merkmale der Steuer: Es muss sich um (1) eine Geldleistung handeln, (2) die hoheitlich (3) zur Erzie‑ lung von Einnahmen auferlegt wird. Für diese Geldleistung darf (4) keine besondere öffentliche Leistung erbracht werden. Schließlich muss (5) der gesetzliche Tatbestand der Leistungspflicht erfüllt sein. b) Übertragbarkeit auf den verfassungsrechtlichen Steuerbegriff Dieser einfachrechtliche Steuerbegriff wird zwar für sämtliche einfach‑ rechtlichen Sachverhalte als Grundlage herangezogen. Bei der Ermittlung des verfassungsrechtlichen Steuerbegriffs dagegen gilt das Prinzip des Vor‑ rangs der Verfassung, welches sich unmittelbar aus Art. 20 Abs. 3 GG er‑ 156  Gesetz v. 13.12.1919, RGBl. S. 1993. Die letzte Neubekanntmachung der RAO stammt v. 22.5.1931, RGBl. I S. 161. 157  Gesetz v. 16.3.1976, BGBl. I S. 613. 158  Jahressteuergesetz 2007, BGBl. 2006 I S. 2878 (2901).

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1. Teil: Einführung, Abgrenzung und dogmatische Grundlagen

gibt.159 Somit kann zunächst der Steuerbegriff des § 3 Abs. 1 AO nicht ohne Weiteres als verfassungsrechtlicher Steuerbegriff übernommen werden.160 Dennoch darf § 3 Abs. 1 AO als Auslegungshilfe bei der Entwicklung eines verfassungsrechtlichen Steuerbegriffs herangezogen werden, denn die Verfas‑ sungsgeber des Grundgesetzes haben diesen Steuerbegriff – damals noch in § 1 Abs. 1 RAO geregelt – beim Entwurf des Grundgesetzes vorgefunden.161 c) Lenkungsteuer Allerdings verfolgt das Grundgesetz nach der Rechtsprechung des Bundes‑ verfassungsgerichts durch den Steuerbegriff andere Zielsetzungen als das einfache Recht, sodass der verfassungsrechtliche Steuerbegriff über den ­einfachgesetzlichen Begriff des § 3 Abs. 1 AO hinausgehen könne.162 Es sei nach dem Grundgesetz eine Funktion der Steuer, Mittel für den allgemeinen Finanzbedarf zu gewinnen.163 Daneben müsse der Steuerbegriff des Grund‑ gesetzes auch Abgrenzungen zu anderen Formen staatlicher Einnahmen leis‑ ten und „dem Funktionszusammenhang der bundesstaatlichen Finanzverfas‑ sung […] Rechnung tragen“.164 Schließlich sei in den verfassungsrechtlichen Steuerbegriff auch die Entwicklung hin zur Steuer als Lenkungsmittel im Rahmen der staatlichen Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik einzubezie‑ hen.165 Das Bundesverfassungsgericht konstatiert sogar, dass der Zweck von Steuern, Einkünfte für staatliche Haushalte zu erzielen, nicht selten eine völlig untergeordnete Rolle spielt.166 In einem Gutachten vom 16. Juni 1954 öffnete das Bundesverfassungsgericht den verfassungsrechtlichen Steuerbe‑ griff erstmals auch für Lenkungsteuern, indem es feststellte, dass „es genügt, dass die Erzielung von Einkünften einer von mehreren Zwecken ist“.167 Im Urteil vom 22. Mai 1963 stellte es fest, dass „ein verfassungswidriger Form‑ 159  Vgl. Vogel / Waldhoff, in: BoKo GG, Vorb. zu Art. 104a–115, Rn. 366, 369 f. (Stand d. Bearb.: Nov. 1997). 160  Anders noch unter Verkennung des Vorrangs der Verfassung BVerfG, Gutach‑ ten v. 16.6.1954, 1 PBvV 2 / 52, BVerfGE 3, 407 (435); BVerfG, Beschl. v. 4.2.1958, 2 BvL 31 / 56 u. a., BVerfGE 7, 244 (251). 161  Vogel / Waldhoff, in: BoKo GG, Vorb. zu Art. 104a–115 Rn. 361, 371 (Stand d. Bearb.: Nov. 1997); Waldhoff, in: HStR V, § 116 Rn. 85. 162  BVerfG, Urt. v. 10.12.1980, 2 BvF 3 / 77, BVerfGE 55, 274 (299); BVerfG, Urt. v. 6.11.1984, 2 BvL 19 / 83 u. a., BVerfGE 67, 256 (282). 163  BVerfG, Urt. v. 10.12.1980, 2 BvF 3 / 77, BVerfGE 55, 274 (299). Diese Funk‑ tion findet sich auch in § 3 Abs. 1 AO durch die Passage „zur Erzielung von Einnah‑ men“. 164  BVerfG, Urt. v. 10.12.1980, 2 BvF 3 / 77, BVerfGE 55, 274 (299). 165  BVerfG, Urt. v. 6.11.1984, 2 BvL 19 / 83 u. a., BVerfGE 67, 256 (282). 166  BVerfG, Urt. v. 10.12.1980, 2 BvF 3 / 77, BVerfGE 55, 274 (299). 167  BVerfG, Gutachten v. 16.6.1954, 1 PBvV 2 / 52, BVerfGE 3, 407 (436).



B. Dogmatische Grundlagen der Infrastrukturabgabe59

mißbrauch“ nicht vorläge, wenn der Gesetzgeber mit einem Steuergesetz in erster Linie wirtschaftspolitische Ziele verfolge.168 Mit diesen Aussagen stellt das Bundesverfassungsgericht die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der sog. Lenkungsteuern klar.169 Lenkungsteuern sind – wie es auch § 3 Abs. 1 Halbs. 2 AO festhält – solche Steuern, bei denen die Einnahmeerzielung nur Nebenzweck ist. Mit ihnen soll in erster Linie der Steuerpflichtige zu einem bestimmten Verhalten gebracht werden.170 Die (Verhaltens-)Lenkung darf auch der Hauptzweck, allerdings niemals der einzige Zweck der Steuererhe‑ bung sein.171 d) Merkmale des verfassungsrechtlichen Steuerbegriffs Aus den gerade herausgearbeiteten Erkenntnissen lassen sich die Merk‑ male eines verfassungsrechtlichen Steuerbegriffs gewinnen, der wesentlich an den Merkmalen des Begriffs aus § 3 Abs. 1 AO übereinstimmt. aa) Geldleistungen Dass es sich bei Steuern um Geldleistungen handeln muss, ergibt sich be‑ reits daraus, dass das Grundgesetz die Steuergesetzgebungs- und Verwal‑ tungskompetenzen in seinem X. Abschnitt regelt, der mit „Das Finanzwesen“ überschrieben ist. Der Begriff „Finanzen“ kommt vom mittellateinischen „finantia“172, was so viel wie (Geld-)Zahlung bedeutet. Da in den Art. 105 ff. GG immer wieder der Begriff „Aufkommen“ verwendet wird,173 betreffen die Vorschriften, die Steuern zum Gegenstand haben, Geldzahlungen an den Staat. Somit sind Steuern im Sinne des Grundgesetzes Zahlungen in Geld. 168  BVerfG, Urt. v. 22.5.1963, 1 BvR 78 / 56, BVerfGE 16, 147 (161); s. dazu auch Knies, Steuerzweck, S. 81 f. 169  Siehe auch BVerfG, Beschl. v. 11.2.1992, 1  BvL 29 / 87, BVerfGE 85, 238 (244); BVerfG, Urt. v. 7.5.1998, 2  BvR 1991 / 95 u. a., BVerfGE 98, 106 (118); BVerfG, Beschl. v. 15.1.2014, 1  BvR 1656 / 09, BVerfGE 135, 126 (142 Rn. 47); BVerfG, Urt. v. 17.12.2014, 1 BvL 21 / 12, BVerfGE 138, 136 (181 f. Rn. 124). 170  Siehe nur BVerfG, Urt. v. 5.11.2014, 1  BvF 3 / 11, BVerfGE 137, 350 (367 Rn. 43); BVerfG, Urt. v. 20.4.2004, 1  BvR 905 / 00 u. a., BVerfGE 110, 274 (292); BVerfG, Urt. v. 7.5.1998, 2 BvR 1991 / 95 u. a., BVerfGE 98, 106 (117); P. Kirchhof, in: HStR V, § 118 Rn. 46; Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 2 Rn. 11. 171  BVerfG, Urt. v. 7.5.1998, 2  BvR 1991 / 95 u. a., BVerfGE 98, 106 (118); BVerfG, Beschl. v. 15.1.2014, 1  BvR 1656 / 09, BVerfGE 135, 126 (142 Rn. 47); so auch BVerwG, Beschl. v. 19.8.1994, 8 N 1 / 93, BVerwGE 96, 272 (278). 172  Duden, Die deutsche Rechtschreibung, http: /  / www.duden.de / rechtschreibung /  Finanzen (zuletzt abgerufen am 7.2.2018). 173  Bspw. in Art. 105 Abs. 2, Art. 106 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 106a, 106b, 107 Abs. 1 GG.

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1. Teil: Einführung, Abgrenzung und dogmatische Grundlagen

bb) Leistung an eine Körperschaft des öffentlichen Rechts In diesem Zusammenhang wird auch das zweite Merkmal der Steuern deutlich: Sie müssen an eine öffentlich-rechtliche Körperschaft geleistet wer‑ den. Die Ertragskompetenz steht je nach Art der Steuer dem Bund, den Ländern, den Gemeinden oder nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 6 WRV auch den Religionsgesellschaften zu, die Körperschaften des öffent­ lichen Rechts sind.174 cc) Hoheitliche Auferlegung Die Regelung der Gesetzgebungskompetenzen im Bereich der Steuern gem. Art. 105 GG zeigt, dass Steuern im Sinne des Grundgesetzes mit ho‑ heitlichem Zwang auferlegt werden. Dies ist das dritte Merkmal der Steuern. Für eine freiwillige Leistung des Bürgers an den Staat bedürfte es keiner Gesetzgebung des Staates.175 Hinzu kommt, dass der Staat nach dem Grund‑ satz des Vorbehalts des Gesetzes, der Teil des Rechtsstaatsprinzips aus Art. 20 Abs. 2 und 3 GG ist, immer dann eine gesetzliche Grundlage braucht, wenn er in die Rechte des Bürgers eingreifen will.176 Das Grundgesetz geht also davon aus, dass es im Bereich des Steuerrechts regelmäßig – aufgrund von Eingriffen in die Vermögensrechte des Bürgers – eines Gesetzes bedarf, da ansonsten eine besondere Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen auf dem Gebiet des Steuerrechts überflüssig wäre. Allein durch die Existenz der Steuergesetzgebungskompetenzen wird deutlich, dass Steuern im Sinne des Grundgesetzes hoheitlich auferlegt werden. dd) Deckung des Finanzbedarfs der Körperschaften des öffentlichen Rechts Betrachtet man die Art. 104a ff. GG genauer, so wird erkennbar, dass das Grundgesetz – als viertes Merkmal der Steuern – davon ausgeht, dass diese zur Deckung des öffentlichen Finanzbedarfs erhoben werden. Bereits die Überschrift des X. Abschnitts des Grundgesetzes – „Das Finanzwesen“ – verdeutlicht, dass in diesem Abschnitt staatliche Einnahmen und Ausgaben 174  Näher dazu Vogel / Waldhoff, in: BoKo GG, Vorb. zu Art. 104a–115 Rn. 377 f. (Stand d. Bearb.: Nov. 1997). 175  Vogel / Waldhoff, in: BoKo GG, Vorb. zu Art. 104a–115 Rn. 376 (Stand d. ­Bearb.: Nov. 1997). 176  BVerfG, Urt. v. 5.8.1966, 1  BvF 1 / 61, BVerfGE 20, 150 (157 f.); BVerfG, ­Beschl. v. 8.8.1978, 2  BvL 8 / 77, BVerfGE 49, 89 (126); BVerfG, Urt. v. 24.9.2003, 2 BvR 1436 / 02, BVerfGE 108, 282 (311).



B. Dogmatische Grundlagen der Infrastrukturabgabe61

geregelt werden sollen. Damit staatliche Einnahmen erzielt werden können, müssen die Geldzahlungen dem Staat endgültig zufließen: Es darf keine Rückzahlungsverpflichtung wie beim Darlehen oder anderen Kreditarten be‑ stehen.177 Die Finanzverfassung des Grundgesetzes will die Deckung des staatlichen Finanzbedarfs sicherstellen. Darüber hinausgehende Ziele, die mit der Erhebung von Steuern verfolgt werden sollen, sind dem Grundgesetz aber nicht fremd.178 Lediglich dann, wenn eine Steuer keine oder eine sehr untergeordnete Finanzierungsfunktion aufweist, ist sie keine Steuer im Sinne des Grundgesetzes.179 ee) Kein Zusammenhang mit einer öffentlichen Leistung – „Voraussetzungslosigkeit“ Das fünfte Merkmal, das den grundgesetzlichen Steuerbegriff determiniert, lässt sich nicht ohne Weiteres aus den Vorschriften der Finanzverfassung des Grundgesetzes ableiten. Das Grundgesetz kennt außerhalb der Finanzverfas‑ sung andere Abgabenarten als Steuern – auch ohne dass diese ausdrücklich erwähnt werden.180 Der verfassungsrechtliche Steuerbegriff muss eine Ab‑ grenzung zu diesen anderen Abgabenarten leisten können. Als einzige Abga‑ benart wird die Gebühr181 ausdrücklich im Grundgesetz erwähnt. Diese Er‑ wähnung in den Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 und Art. 80 Abs. 2 GG ist aber  – im Gegensatz zur Ausgestaltung der Vorschriften über die Steuern in der Finanz‑ verfassung – beiläufiger Natur. In diesen beiden Vorschriften wird der Begriff der Gebühr stets final mit der Benutzung öffentlicher Güter durch den Ein‑ zelnen verbunden. Daraus lässt sich schließen, dass einer Gebühr stets eine öffentliche Leistung gegenüber steht. Dagegen ist die Steuer im Grundgesetz so ausgestaltet, dass mit ihr keine Leistung des Staates entgolten wird. Der Begriff der Steuer wird im Grundgesetz an keiner Stelle in Zusammenhang mit einer öffentlichen Leistung gebracht. Daher liegt eine Steuer im Sinne 177  BVerfG,

Urt. v. 6.11.1984, 2 BvL 19 / 83 u. a., BVerfGE 67, 256 (282 f.). in diesem Teil unter B. II. 1. c). 179  Vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.7.1974, 1  BvR 51 / 69 u. a., BVerfGE 38, 61 (81); BVerfG, Urt. v. 7.5.1998, 2  BvR 1991 / 95 u. a., BVerfGE 98, 106 (118); BVerfG, Beschl. v. 15.1.2014, 1 BvR 1656 / 09, BVerfGE 135, 126 (142 Rn. 47); so wohl auch BVerwG, Beschl. v. 19.8.1994, 8 N 1 / 93, BVerwGE 96, 272 (278). 180  Vgl. BVerfG, Beschl. v. 31.5.1990, 2 BvL 12 / 88 u. a., BVerfGE 82, 159 (181); BVerfG, Beschl. v. 7.11.1995, 2 BvR 413 / 88 u. a., BVerfGE 93, 319 (342); BVerfG, Beschl. v. 17.7.2003, 2 BvL 1 / 99 u. a., BVerfGE 108, 186 (215); BVerfG, Beschl. v. 25.6.2014, 1 BvR 668 / 10 u. a., BVerfGE 137, 1 (17 f. Rn. 42), zum nichtabschließen‑ den Kanon der Abgabenarten. 181  Näher zum Begriff und der Funktion der Gebühr sogl. in diesem Teil unter B. V. 1. a). 178  Siehe

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1. Teil: Einführung, Abgrenzung und dogmatische Grundlagen

des Grundgesetzes nur dann vor, wenn der Geldleistung keine konkrete Leis‑ tung des Staates an den Bürger gegenüber steht.182 Freilich muss dieses Merkmal der „Voraussetzungslosigkeit“183 in gewis‑ sem Maße eingeschränkt werden. Steuern sollen gerade dazu verwendet werden, staatliche Aufgaben zu finanzieren.184 Insoweit erhält der Bürger, der Steuern zahlt, doch eine Leistung in Form der staatlichen Aufgabenerfül‑ lung. Dennoch kann ihm diese staatliche Leistung nicht individuell zugerech‑ net und schon gar nicht konkret bemessen werden.185 Erst dann, wenn eine besondere Leistung vorliegt – wie es auch das Verständnis des § 3 Abs. 1 AO ist –, kann nicht mehr von einer Steuer ausgegangen werden, sondern es liegt eine Gebühr oder ein Beitrag (d. h. eine Vorzugslast186) vor. 2. Ergebnis Dem verfassungsrechtlichen Steuerbegriff kommen somit fünf Merkmale zu:187 Eine Steuer im Sinne des Grundgesetzes liegt vor, wenn (1) eine Geld‑ leistung, die (2) hoheitlich auferlegt wurde, (3) an eine juristische Person des öffentlichen Rechts (4) zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs erbracht wird und wenn (5) dieser Geldleistung keine besondere öffentliche Leistung gegenübersteht. Reine Lenkungsteuern werden nicht vom verfassungsrecht­ lichen Steuerbegriff erfasst.188

III. Sonderabgabe Die Sonderabgabe steht als Abgabenart neben den drei klassischen Abga‑ benarten Steuer, Gebühr189 und Beitrag190. Sie ist vom Bundesverfassungsge‑ richt seit dem Urteil zum Investitionshilfegesetz im Jahr 1951 entwickelt 182  Ebenso BVerfG, Beschl. v. 7.11.1995, 2  BvR 413 / 88 u. a., BVerfGE 93, 319 (346 f.). 183  BVerfG, Beschl. v. 25.6.2014, 1  BvR 668 / 10, BVerfGE 137, 1 (17 Rn. 41); BVerfG, Beschl. v. 13.4.2017, 2 BvL 6 / 13, NVwZ 2017, 1037 (1042 Rn. 100). 184  BVerfG, Beschl. v. 11.10.1994, 2 BvR 633 / 86, BVerfGE 91, 186 (201). 185  Vgl. dazu Vogel / Waldhoff, in: BoKo GG, Vorb. zu Art. 104a–115 Rn. 383 (Stand d. Bearb.: Nov. 1997); näher dazu sogl. in diesem Teil bei B V. 186  Siehe dazu sogl. in diesem Teil unter B. V. 187  Zit. nach Vogel / Waldhoff, in: BoKo GG, Vorb. zu Art. 104a–115 Rn. 373 ff. (Stand d. Bearb.: Nov. 1997); teilweise anders BVerfG, Beschl. v. 12.10.1978, 2 BvR 154 / 74, BVerfGE 49, 343 (353). 188  Siehe in diesem Teil unter B. II. 1. d). 189  Siehe in diesem Teil unter B. V. 1. 190  Siehe in diesem Teil unter B. V. 2.



B. Dogmatische Grundlagen der Infrastrukturabgabe63

worden.191 Dennoch wurde der Begriff der Sonderabgabe erst im Urteil vom 10. Dezember 1980 zum Berufsausbildungsgesetz ausdrücklich verwendet.192 Seitdem hat das Bundesverfassungsgericht den Begriff und die Grenzen der Sonderabgabe in zahlreichen Entscheidungen konkretisiert.193 Dabei wird stets zwischen Sonderabgaben mit Finanzierungsfunktion – auch als Sonder‑ abgaben im engeren Sinne bezeichnet194 – und sonstigen Sonderabgaben unterschieden. 1. Definition des Bundesverfassungsgerichts Sonderabgaben mit Finanzierungsfunktion sind öffentliche Abgaben, die nicht für die potentielle oder tatsächliche Inanspruchnahme öffentlicher Leis‑ tungen195 erhoben werden. Sie sind also wie Steuern „voraussetzungslos“ geschuldet.196 Im Unterschied zu Steuern belasten sie aber nicht die Allge‑ meinheit, sondern es werden Angehörige einer bestimmten homogenen Gruppe zur Finanzierung besonderer öffentlicher Aufgaben herangezogen.197 Die Abgabepflichtigen müssen zur Finanzierung dieser Aufgaben eine deut‑

191  BVerfG, Urt. v. 20.7.1954, 1  BvR 459 / 52, BVerfGE 4, 7 (13 f.). Danach war die Investitionshilfe zwar einer Steuer ähnlich, wies allerdings auch steuerfremde Züge auf. So diente das Investitionshilfegesetz, BGBl. 1952 I, S. 7, dazu, durch Zah‑ lungen aller deutschen Gewerbebetriebe in ein Sondervermögen, Investitionshilfen für den Bergbau, die Eisenindustrie und die Energiewirtschaft aufzubringen. Diese Investitionen stellten keine Gegenleistung für einen Großteil der Betriebe dar, wes‑ halb das BVerfG die Investitionshilfe als steuerähnlich ansah. Dennoch fiel das Auf‑ kommen des Fonds nicht dem Staat zu, sondern wurde für den Investitionsbedarf der genannten Industrien verwendet. Daher lag keine Steuer vor. 192  BVerfG, Urt. v. 10.12.1980, 2  BvF 3 / 77, BVerfGE 55, 274 (297); s. zur Ent‑ wicklung der Sonderabgabe Puwalla, Qualifikation von Abgaben, S. 57 ff. 193  Vgl. die Aufzählung bei Gröpl, Staatsrecht I, Rn. 713. 194  BVerfG, Beschl. v. 17.7.2003, 2 BvL 1 / 99 u. a., BVerfGE 108, 186 (217, 219); BVerfG, Beschl. v. 12.5.2009, 2  BvR 743 / 01, BVerfGE 123, 132 (141); BVerfG, Beschl. v. 24.11.2009, 2 BvR 1387 / 04, BVerfGE 124, 348 (365). 195  BVerfG, Urt. v. 10.12.1980, 2 BvF 3 / 77, BVerfGE 55, 274 (298); BVerfG, Urt. v. 6.7.2005, 2  BvR 2335 / 95 u. a., BVerfGE 113, 128 (148); BVerfG, Beschl. v. 12.5.2009, 2  BvR 743 / 01, BVerfGE 123, 132 (140); BVerfG, Beschl. v. 24.11.2009, 2 BvR 1387 / 04, BVerfGE 124, 348 (365). 196  BVerfG, Urt. v. 10.12.1980, 2 BvF 3 / 77, BVerfGE 55, 274 (298); BVerfG, Urt. v. 6.11.1984, 2 BvL 19 / 83 u. a., BVerfGE 67, 256 (275); BVerfG, Beschl. v. 17.7.2003, 2  BvL 1 / 99 u. a., BVerfGE 108, 186 (217); BVerfG, Beschl. v. 16.9.2009, 2  BvR 852 / 07, BVerfGE 124, 235 (244); BVerfG, Beschl. v. 24.11.2009, 2  BvR 1387 / 04, BVerfGE 124, 348 (365). 197  BVerfG, Beschl. v. 17.7.2003, 2  BvL 1 / 99 u. a., BVerfGE 108, 186 (223); BVerfG, Urt. v. 6.7.2005, 2  BvR 2335 / 95 u. a., BVerfGE 113, 128 (146); BVerfG, Beschl. v. 24.11.2009, 2 BvR 1387 / 04, BVerfGE 124, 348 (364).

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1. Teil: Einführung, Abgrenzung und dogmatische Grundlagen

lich größere Nähe als die Allgemeinheit aufweisen.198 Im Gegenzug zu dieser Sonderfinanzierung muss zumindest sichergestellt sein, dass das Aufkommen für Gruppenzwecke verwendet wird (Gruppennützigkeit).199 2. Abgrenzung zur Steuer Aufgrund der engen Verwandtschaft der Sonderabgabe zur Steuer besteht die Gefahr, dass durch diese Abgabenart vor allem die Kompetenzvorschrif‑ ten der Finanzverfassung umgangen werden.200 So erheben die Länder Son‑ derabgaben aufgrund von Art. 70 GG und der Bund aufgrund der Art. 71 ff. GG. Der Staat des Grundgesetzes ist aufgrund der Regelungen der Finanz‑ verfassung ein Steuerstaat.201 Die Erhebung nichtsteuerlicher Abgaben – also insbesondere von Sonderabgaben – bedarf deshalb bereits aus diesem Grund besonderer finanzverfassungsrechtlicher Rechtfertigungsgründe.202 Mithin sind Sonderabgaben aufgrund ihrer „Voraussetzungslosigkeit“ und damit Steuerähnlichkeit besonders zu rechtfertigen und müssen die Ausnahme ge‑ genüber Steuern bleiben.203 Zudem muss der Gesetzgeber ebenfalls aufgrund des Ausnahmecharakters der Sonderabgaben in regelmäßigen Zeitabständen überprüfen, ob die Erhebung der Sonderabgabe noch gerechtfertigt ist.204 Schließlich tritt noch hinzu, dass Sonderabgaben auch im Haushalt hinrei‑ chend dokumentiert werden müssen, weil nur dadurch eine parlamentarische wie auch eine öffentliche Kontrolle möglich ist, die das Demokratieprinzip 198  St. Rspr. seit BVerfG, Urt. v. 10.12.1980, 2 BvF 3 / 77, BVerfGE 55, 274 (298); s. zuletzt BVerfG, Beschl. v. 6.5.2014, 2 BvR 1139 / 12 u. a., BVerfGE 136, 194 (242 Rn. 116). 199  BVerfG, Urt. v. 10.12.1980, 2  BvF 3 / 77, BVerfGE 55, 274 (307); s. zuletzt BVerfG, Beschl. v. 6.5.2014, 2 BvR 1139 / 12 u. a., BVerfGE 136, 194 (242 Rn. 116). 200  Vgl. BVerfG, Urt. v. 10.12.1980, 2  BvF 3 / 77, BVerfGE 55, 274 (301 f., 304); BVerfG, Beschl. v. 17.7.2003, 2  BvL 1 / 99 u. a., BVerfGE 108, 186 (217); BVerfG, Beschl. v. 12.5.2009, 2 BvR 743 / 01, BVerfGE 123, 132 (141 f.). 201  Siehe die Nachweise in diesem Teil in Fn. 154. 202  St. Rspr. seit BVerfG, Urt. v. 10.12.1980, 2 BvF 3 / 77, BVerfGE 55, 274 (308); s. zuletzt BVerfG, Urt. v. 28.1.2014, 2  BvR 1561 / 12 u. a., BVerfGE 135, 155 (206 Rn. 121). 203  BVerfG, Urt. v. 10.12.1980, 2  BvF 3 / 77, BVerfGE 55, 274 (308); BVerfG, Beschl. v. 11.10.1994, 2  BvR 633 / 86, BVerfGE 91, 186 (202 f.); BVerfG, Urt. v. 6.7.2005, 2 BvR 2335 / 95 u. a., BVerfGE 113, 128 (149 f.); BVerfG, Urt. v. 28.1.2014, 2  BvR 1561 / 12 u. a., BVerfGE 135, 155 (207 Rn. 122). Angesichts der Vielzahl der Sonderabgaben, die in den letzten 60 Jahren erhoben wurden, stellt sich zwangsläufig die Frage, ob Sonderabgaben überhaupt noch seltene Ausnahmen gegenüber Steuern darstellen. 204  St. Rspr. seit BVerfG, Urt. v. 10.12.1980, 2 BvF 3 / 77, BVerfGE 55, 274 (308); s. zuletzt BVerfG, Beschl. v. 6.5.2014, 2 BvR 1139 / 12 u. a., BVerfGE 136, 194 (243 Rn. 117).



B. Dogmatische Grundlagen der Infrastrukturabgabe65

des Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG fordert.205 Diese Forderung ist vor allem deshalb notwendig, da das Aufkommen von Sonderabgaben häufig in Son‑ dervermögen verwaltet wird.206 3. Ergebnis Eine Sonderabgabe mit Finanzierungsfunktion liegt demnach vor, wenn (1) durch eine hoheitlich auferlegte (2) Geldleistung (3) eine homogene und (4) sachnahe Gruppe von Abgabenpflichtigen belastet wird, (5) um eine be‑ sondere öffentliche Aufgabe unabhängig von der tatsächlichen oder poten­ tiellen Inanspruchnahme einer öffentlichen Leistung (6) gruppennützig zu finanzieren.207

IV. Die Infrastrukturabgabe als Steuer oder Sonderabgabe Die Infrastrukturabgabe ist als Steuer im verfassungsrechtlichen Sinne zu qualifizieren, wenn sie eine Geldleistung darstellt, die hoheitlich auferlegt wurde, an eine juristische Person des öffentlichen Rechts zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs erbracht wird und ihr keine besondere öffentliche Leistung gegenübersteht.208 Sofern der Infrastrukturabgabe eine solche öf‑ fentliche Leistung gegenübersteht, kann sie auch nicht als Sonderabgabe eingeordnet werden.

205  Erstmals gefordert in BVerfG, Beschl. v. 17.7.2003, 2 BvL 1 / 99 u. a., BVerfGE 108, 186 (218 f.); s. auch BVerfG, Beschl. v. 18.5.2004, 2  BvR 2374 / 99, BVerfGE 110, 370 (393); BVerfG, Beschl. v. 24.11.2009, 2  BvR 1387 / 04, BVerfGE 124, 348 (366); BVerfG, Beschl. v. 6.5.2014, 2  BvR 1139 / 12 u. a., BVerfGE 136, 194 (242 f. Rn. 117). 206  Vgl. BVerfG, Beschl. v. 31.5.1990, 2 BvL 12 / 88 u. a., BVerfGE 82, 159 (178); BVerfG, Beschl. v. 18.5.2004, 2  BvR 2374 / 99, BVerfGE 110, 370 (385, 387, 389); BVerfG, Urt. v. 6.7.2005, 2  BvR 2335 / 95 u. a., BVerfGE 113, 128 (146); BVerfG, Beschl. v. 24.11.2009, 2 BvR 1387 / 04, BVerfGE 124, 348 (364); BVerfG, Beschl. v. 6.5.2014, 2 BvR 1139 / 12 u. a., BVerfGE 136, 194 (243 Rn. 121). 207  Vgl. BVerfG, Urt. v. 10.12.1980, 2  BvF 3 / 77, BVerfGE 55, 274 (305 ff.); BVerfG, Beschl. v. 24.11.2009, 2 BvR 1387 / 04, BVerfGE 124, 348 (366). 208  Siehe oben in diesem Teil bei B. II. 2.

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1. Teil: Einführung, Abgrenzung und dogmatische Grundlagen

1. Die Infrastrukturabgabe als Steuer a) Hoheitlich auferlegte Geldleistung zur Deckung des allgemeinen Finanzbedafs Eine hoheitlich auferlegte Geldleistung, die an eine juristische Person des öffentlichen Rechts erbracht wird, liegt bei der Infrastrukturabgabe vor. Sie wird an den Bund oder an den privaten Dritten erbracht, der die Einnahmen aus der Erhebung nach § 4 Abs. 2 Satz 1 InfrAG taggleich an die Bundes‑ kasse abzuführen hat. Dem Bund steht nach § 15 Abs. 1 Satz 1 InfrAG das Aufkommen aus der Erhebung der Infrastrukturabgabe zu. Darüber hinaus ist aber das Merkmal „zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs“ proble‑ matisch. Durch Steuern soll der gesamte Finanzbedarf gedeckt werden. Eine Zweckbindung des Aufkommens aus der Infrastrukturabgabe könnte einer Qualifikation als Steuer entgegenstehen. Das Aufkommen aus der Infra‑ strukturabgabe wird nach Abzug der Ausgaben (§ 15 Abs. 1 Satz 2 InfrAG) gem. § 15 Abs. 1 Satz 3 InfrAG zweckgebunden dem Verkehrshaushalt zu‑ geführt und zur Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur verwendet. Diese Zweckbindung des Aufkommens schließt aber die Einordnung als Steuer grundsätzlich nicht aus.209 Dafür sprechen auf einfachgesetzlicher Ebene bereits § 7 Satz  2 HGrG und § 8 Satz  2 BHO / LHO, die Ausnahmen vom Grundsatz der Gesamtdeckung zulassen. So ist seit mehreren Jahrzehnten ein Teil des Aufkommens aus der ehemaligen Mineralölsteuer und jetzigen Energiesteuer210 zweckgebunden zu verwenden211, ohne dass dadurch deren Charakter als Steuer zu bezweifeln wäre. Die Deckung des allgemeinen ­Finanzbedarfs wird auch durch eine zweckgebundene Abgabe erfüllt. Die Infrastrukturabgabe genügt trotz der Zweckbindung ihres Aufkommens gem. § 15 Abs. 1 Satz 3 InfrAG dem Merkmal der Deckung des allgemeinen ­Finanzbedarfs.

Hartmann, Pkw-Maut, S. 22. dem 1.8.2006 wurde die Mineralölsteuer durch die Energiesteuer abgelöst. Das Mineralölsteuergesetz wurde durch Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Neurege‑ lung der Besteuerung von Energieerzeugnissen und zur Änderung des Stromsteuerge‑ setzes, BGBl. I S. 1534, aufgehoben. 211  Art. 1 Satz  1 Straßenbaufinanzierungsgesetz v. 28.3.1960, BGBl. I S. 201, in der Fassung des Gesetzes v. 20.12.1963, BGBl. I S. 995, zuletzt geändert durch Ver‑ ordnung v. 31.8.2015, BGBl. I S. 1474. Seit dem Jahr 2004 wird durch § 6 Abs. 8 des jeweiligen Haushaltsgesetzes die Zweckbindung für das Straßenwesen auf alle ver‑ kehrspolitischen Zwecke im Geschäftsbereich des BMVI ausgedehnt. 209  A. A. 210  Seit



B. Dogmatische Grundlagen der Infrastrukturabgabe67

b) Lenkungswirkung Handelte es sich bei der Infrastrukturabgabe um eine Abgabe mit aus‑ schließlicher Lenkungswirkung, so könnte sie nicht dem Steuerbegriff im verfassungsrechtlichen Sinne unterfallen. Abgaben mit ausschließlicher Len‑ kungswirkung sind dabei solche, bei denen die Einnahmeerzielung keine oder eine nur sehr untergeordnete Rolle spielt.212 Die Infrastrukturabgabe hat aber ausweislich der Regierungsbegründung zum Gesetzentwurf als Haupt‑ zweck die Einnahmeerzielung.213 Deutlich wird dies auch an der Verteilungs‑ vorschrift des § 15 Abs. 1 InfrAG. Neben den Zweck der Einnahmeerzielung kann bei der Infrastrukturabgabe auch der Umweltschutz und die Reduzie‑ rung des Straßenverkehrs treten, denn durch eine Erhebung einer Abgabe zur Straßenbenutzung wird die Straßenbenutzung grundsätzlich unattraktiver, was zu einer geringeren Fahrleistung führt. Allerdings wird die Infrastruktur‑ abgabe gem. § 7 Abs. 1 und 2 InfrAG für bestimmte Benutzungszeiträume gezahlt und kann – aufgrund der Unabhängigkeit von der konkreten Fahrleis‑ tung – keinen Beitrag zum Umweltschutz und zur Verringerung der Fahrleis‑ tung auf Bundesfernstraßen leisten.214 Ein positiver Effekt auf die Umwelt oder auf die Stauhäufigkeit kann daher nicht erreicht werden.215 Somit kann von der Infrastrukturabgabe allenfalls nebenbei eine Lenkungswirkung aus‑ gehen.216 Der Hauptzweck der Infrastrukturabgabe bleibt somit die Erzielung von Einnahmen. Damit sind die übrigen Voraussetzungen des verfassungs‑ rechtlichen Steuerbegriffs zu prüfen. c) Öffentliche Leistung Entscheidendes Merkmal für die abgabenrechtliche Einordnung der Infra‑ strukturabgabe ist die Frage der Abhängigkeit von der öffentlichen Haupt‑ leistung. Steuern und Sonderabgaben sind nicht von einer besonderen öffent‑ lichen Leistung abhängig. Sie werden vielmehr „voraussetzungslos“ geschul‑ det.217 Falls der Infrastrukturabgabe keine konkrete öffentliche Leistung ge‑ genübersteht, handelte es sich bei ihr entweder um eine Steuer oder um eine Sonderabgabe. 212  Siehe

oben in diesem Teil bei B. II. 1. c). 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 1; ebenso Hillgruber, Ausschuss-Drs. 18(15)193-A, S. 2. 214  Vgl. Fehling, ZG 2014, 305 (320, 324) vgl. auch Münzing, NZV 2014, 197 (199). 215  Ebenso Reimer, DVBl. 2015, 1405 (1410 Fn. 98). 216  Siehe zu möglichen Lenkungseffekten auch im 2. Teil unter B. I. 3. c) dd) und 4. c) bb). 217  Nachweise in diesem Teil in Fn. 183 unter B. II. 1. d) und in Fn. 203 unter B. III. 213  BT-Drs.

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1. Teil: Einführung, Abgrenzung und dogmatische Grundlagen

Bei der Leistung muss es sich jedenfalls um eine konkrete öffentliche Leistung handeln.218 Leistung in diesem Sinne ist jedes Tun, Dulden und Unterlassen des Staates.219 Durch das Infrastrukturabgabengesetz soll die Benutzung von Bundesfernstraßen mit Kraftfahrzeugen mit einer Abgabe belegt werden (§ 1 Abs. 1 InfrAG). Der Staat handelt bei der Bereitstellung der Straßen nicht positiv, sondern erlaubt nur die Benutzung durch den je‑ weiligen Kraftfahrer. Allerdings liegt der Bau der Autobahnen und Bundes‑ straßen oft schon Jahrzehnte zurück und steht mit der Abgabenerhebung nicht mehr in Zusammenhang. Direkt in Zusammenhang damit steht dafür aber die laufende Instandhaltung der Bundesfernstraßen. Die öffentliche Leistung besteht vorliegend nicht nur in der Duldung der Straßenbenutzung durch den Staat, sondern auch in der Erhaltung befahrbarer Bundesfernstra‑ ßen.220 Diese Duldung knüpft aber darüber hinaus auch an den Bau und die Erhaltung der abgabepflichtigen Straßen an, da ohne ein positives Tun des Staates die Erhebung einer solchen Abgabe nicht möglich wäre. Selbst wenn man also ein Dulden oder Unterlassen des Staates nur dann als gebührenoder beitragsfähige Leistung ansieht, wenn es an ein positives Tun anknüpft,221 kann hier in beiden Varianten eine öffentliche Leistung ange‑ nommen werden. Somit liegt nicht nur in der Erhaltung der Benutzbarkeit der Bundesfernstraßen eine öffentliche Leistung, sondern auch in der Erlaub‑ nis, Bundesfernstraßen zu benutzen. Es muss aber auch eine Beziehung zwischen der Abgabe und der öffent­ lichen Leistung vorliegen, damit die Infrastrukturabgabe nicht als Steuer oder Sonderabgabe einzuordnen ist. Gemeinhin ist anerkannt, dass zumindest Kausalität zwischen der Abgabe und der öffentlichen Leistung bestehen muss.222 Das bedeutet, dass die Abgabe erhoben wird, weil eine öffentliche Leistung potentiell oder tatsächlich in Anspruch genommen wird. § 1 Abs. 1 InfrAG macht deutlich, dass die Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen mit Kraftfahrzeugen zu entrichten ist. Das bedeutet, dass die Bundesfernstraßen tatsächlich oder potentiell benutzt werden müssen, damit die Abgabepflicht ausgelöst wird. Somit besteht ein hinreichender Zu‑ sammenhang zwischen der Infrastrukturabgabe und der Duldung der Benut‑ zung der Bundesfernstraßen. Die Infrastrukturabgabe wird somit leistungsab‑ hängig geschuldet.

218  Siehe

unten in diesem Teil bei B. V. 1. a). in diesem Teil bei B. V. 1. a). 220  Vgl. auch Jachmann, NVwZ 1992, 932 (936). 221  Wilke, Gebühr und Grundgesetz, S. 57. 222  Nachweise in diesem Teil bei B. V. 1. a). 219  Nachweise



B. Dogmatische Grundlagen der Infrastrukturabgabe69

2. Die Infrastrukturabgabe als Sonderabgabe und Ergebnis Aufgrund der Abhängigkeit der Infrastrukturabgabe von einer öffentlichen Leistung kann sie nicht als Sonderabgabe eingeordnet werden. Aus dem glei‑ chen Grund kann sie auch keine Steuer sein.

V. Vorzugslast Da die Infrastrukturabgabe keine Steuer oder Sonderabgabe ist, bleibt nun noch zu klären, ob es sich dabei um eine Gebühr oder einen Beitrag, also eine Vorzugslast, handelt. Im Folgenden werden deshalb die Begriffe Vor‑ zugslast, Gebühr und Beitrag dargelegt und die Gebühr und der Beitrag voneinander abgegrenzt. Schließlich wird die Infrastrukturabgabe in diese Abgabenkategorien eingeordnet werden. Das Grundgesetz verwendet den Begriff der Vorzugslast nicht. Der Begriff wurde aber in § 1 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 RAO223 legaldefiniert. § 1 Abs. 1 Satz 2 RAO lautete: „Zölle fallen darunter; nicht darunter fallen Gebühren für besondere Inanspruchnahme der Verwaltung und Beiträge (Vorzugslas‑ ten)“. Mit „darunter“ meinte § 1 Abs. 1 Satz 2 RAO Steuern, die in Satz 1 RAO definiert worden waren. Die Verfassungsgeber des Grundgesetzes fan‑ den neben dem Steuerbegriff aus § 1 Abs. 1 Satz 1 RAO auch die Begriffe der Vorzugslast, der Gebühr und des Beitrags vor, wenngleich in § 1 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 RAO die Gebühr nur unvollständig und der Beitrag gar nicht definiert worden waren. Keiner dieser Begriffe wurde allerdings in das Grundgesetz übernommen. Der Begriff Vorzugslast besteht aus zwei Teilen, nämlich aus dem Bestim‑ mungswort „Vorzug“ und dem Grundwort „Last“. Auf den ersten Blick wi‑ dersprechen sich diese beiden Begriffe, weil ein Vorzug Vorteile mit sich bringt, während eine Last negative Folgen in sich trägt.224 Allerdings bewirkt die Zusammensetzung der beiden Wörter ein Gegenseitigkeitsverhältnis, wo‑ nach für einen gewährten Vorzug eine Last getragen werden muss.225 Da‑ durch wird der Aspekt der Vorteilsabschöpfung zum Ausdruck gebracht. 223  Gesetz v. 13.12.1919, RGBl. S. 1993, i. d. F. d. Bek. v. 22.5.1931, RGBl. I S. 161. 224  Vgl. Duden, Die deutsche Rechtschreibung, Begriffe „Vorzug“ und „Last“, http: // www.duden.de/rechtschreibung/Vorzug_Eigenschaft_Vorrecht_Ehrung und http: //  www.duden.de/rechtschreibung/Last (zuletzt abgerufen am 7.2.2018). 225  Vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.5.2004, 2 BvR 2374 / 99, BVerfGE 110, 370 (388); BVerfG, Urt. v. 6.7.2005, 2  BvR 2335 / 95 u. a., BVerfGE 113, 128 (146); BVerfG, Beschl. v. 7.11.1995, 2  BvR 413 / 88 u. a., BVerfGE 93, 319 (344); P.  Kirchhof, in: HStR V, § 119 Rn. 17, 21.

70

1. Teil: Einführung, Abgrenzung und dogmatische Grundlagen

Wenn jemand aus staatlichen Leistungen oder Einrichtungen einen besonde‑ ren Vorteil zieht, soll dieser durch die Vorzugslast ausgeglichen werden. Der Aspekt der Vorteilsabschöpfung spielt sowohl für die Rechtfertigung der Gebühr als auch des Beitrags eine wesentliche Rolle.226 Gegenbegriff dazu ist die Gemeinlast. In diesem Begriff kommt zum Aus‑ druck, dass die Allgemeinheit eine Last trägt und nicht der Einzelne. Zu den Gemeinlasten zählt vor allem die Steuer, da diese „voraussetzunglos“, d. h. ohne einen Bezug zu einer konkreten öffentlichen Leistung erhoben wird.227 Somit wird bereits in den beiden Begriffen die grundlegende Unterscheidung zwischen Steuern und Vorzugslasten deutlich.228 1. Gebühr a) Begriff Das Grundgesetz erwähnt die Gebühr nur an zwei Stellen – Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 und Art. 80 Abs. 2 GG  – ohne dabei näher auf den Gebührenbegriff einzugehen. Auf Ebene des einfachen Bundesrechts findet sich seit August 2013 eine Definition der Gebühr, und zwar in § 3 Abs. 4 des Bundesgebüh‑ rengesetzes (BGebG)229. Danach sind Gebühren öffentlich-rechtliche Geld‑ leistungen, die der Gebührengläubiger vom Gebührenschuldner für indivi­ duell zurechenbare öffentliche Leistungen erhebt.230 Auch Landesgesetze231 enthalten Gebührenbegriffe, die aber aufgrund der Normenhierarchie und des Vorrangs der Verfassung weder für den Gebührenbegriff im einfachen Bun‑ desrecht noch für den grundgesetzlichen Gebührenbegriff maßgeblich sein können. aa) Gebührenbegriffe aus jüngerer Zeit Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Beschluss vom 6. Februar 1979 im Anschluss an Dieter Wilke232 eine Begriffsbestimmung vorgenom‑ 226  Siehe

dazu unten in diesem Teil bei B. V. 1. b). Beschl. v. 25.6.2014, 1  BvR 668 / 10, BVerfGE 137, 1 (17 Rn. 41); BVerfG, Beschl. v. 13.4.2017, 2 BvL 6 / 13, NVwZ 2017, 1037 (1042 Rn. 100). 228  Siehe näher dazu in diesem Teil unter B. V. 1. d) und 2. c). 229  Gesetz über Gebühren und Auslagen des Bundes v. 7.8.2013, BGBl. I S. 3154. Mit diesem Gesetz wurde das Verwaltungskostengesetz v. 23.6.1970, BGBl. I S. 823, abgelöst. 230  Vgl. auch §§ 1, 3 Abs. 1 BGebG. 231  Bspw. § 4 Abs. 2 KAG Saarland; § 4 Abs. 2 KAG NRW; § 4 Abs. 1 KAG SH. 232  Gebühr und Grundgesetz, S. 89. 227  BVerfG,



B. Dogmatische Grundlagen der Infrastrukturabgabe71

men: Gebühren sind danach öffentlich-rechtliche Geldleistungen, die aus Anlass individuell zurechenbarer, öffentlicher Leistungen dem Gebühren‑ schuldner durch öffentlich-rechtliche Norm oder sonstige hoheitliche Maß‑ nahme auferlegt werden und dazu bestimmt sind, in Anknüpfung an diese Leistung deren Kosten ganz oder teilweise zu decken.233 Offenbar lehnt sich der Bundesgesetzgeber in § 3 Abs. 4 BGebG an die vorstehende Definition an. Wilke knüpfte in Bezug auf die Bestimmung der öffentlichen Leistung an eine individuelle Zurechnung an.234 Damit prägte er den formellen Gebüh‑ renbegriff.235 Das stets formal zu ermittelnde Kriterium der Zurechnung der öffentlichen Leistung soll ausreichen, da eine inhaltliche Beschreibung sämt‑ licher gebührenpflichtiger Leistungen nicht möglich sei. Öffentliche Leistung konnte danach jedes Tun, Dulden und auch Unterlassen des Staates sein.236 Auf den Gegenbegriff, den sog. materiellen Gebührenegriff wird sogleich im Rahmen der Rechtfertigung der Gebühr eingegangen werden, da bei diesem Begriff Elemente der Gebührenrechtfertigung als Begriffsmerkmale verstan‑ den werden.237 Klaus Vogel hat einen anderen verfassungsrechtlichen Gebührenbegriff, den sog. zweigliedrigen Gebührenbegriff, entwickelt. Für ihn sind Gebühren „einseitig auferlegte Abgaben, die entweder an einen dem einzelnen als Folge des Verhaltens eines Hoheitsträgers (im weitesten Sinne) zugeflossenen indi‑ viduellen Vorteil oder an von dem einzelnen individuell zu verantwortende Kosten anknüpfen und die diesen Vorteil ganz oder teilweise abschöpfen bzw. diese Kosten ganz oder teilweise ausgleichen sollen.“238 Vogel be‑ schreibt also die individuell zurechenbare öffentliche Leistung von Wilke mit zwei bestimmten Merkmalen – einem individuellen Vorteil oder individuell zu verantwortenden Kosten. Diese Merkmale verlangen im Gegensatz zu Wilke eine inhaltliche Bewertung der öffentlichen Leistung. Dabei ist die Definition, die Vogel wählt, nur auf den ersten Blick enger als die von Wilke. Zwar erfasst Wilke mit seiner Definition des Gebührenbegriffs sämtliche in‑ 233  BVerfG,

Beschl. v. 6.2.1979, 2 BvL 5 / 76, BVerfGE 50, 217 (226). Wendt, Gebühr als Lenkungsmittel, S. 49 f.; zur Abgrenzung zwischen formellem und materiellem Gebührenbegriff siehe sogl. in diesem Teil unter B. V. 1. b). 235  Siehe dazu näher sogl. in diesem Teil unter B. V. 1. b). 236  Wilke, Gebühr und Grundgesetz, S. 56 ff. Auch F. Kirchhof, Die Höhe der Ge‑ bühr, S. 18, vertritt einen weiten Leistungsbegriff, wobei er ein Dulden oder Unterlas‑ sen nur dann als Leistung ansieht, wenn der Staat in seinem wirtschaftlichen oder ideellen Vermögen gemindert ist oder er zumindest vorübergehend von der Selbstnut‑ zung seines Vermögens ausgeschlossen ist. Weiter ist sogar noch Meyer, Gebühren für Umweltressourcen, S. 72 f., die jedes Dulden und Unterlassen des Staates ohne weitere Bedingung als gebührenfähige Leistung ansieht. Vgl. auch die Definitionen in § 3 Abs. 1 und 2 BGebG, v. a. in § 3 Abs. 2 Nr. 4 BGebG. 237  Siehe sogl. in diesem Teil unter B. V. 1. b). 238  Vogel, in: FS Geiger, S. 518 (536). 234  Ebenso

72

1. Teil: Einführung, Abgrenzung und dogmatische Grundlagen

dividuell zurechenbaren öffentlichen Leistungen, und zwar vor allem auch solche, die gerade für den Bürger von Nachteil sind. Allerdings weitet Vogel seinen engeren Begriff dadurch aus, dass er beim Merkmal der individuellen Kostenverantwortung auch solche Kosten erfasst, die durch ein schuldhaftes oder pflichtwidriges Unterlassen entstanden sind.239 Schließlich will er auch dann eine Verantwortlichkeit annehmen, wenn überhaupt keine Pflichtverlet‑ zung zu erkennen ist. Damit rückt er das Merkmal der Verantwortlichkeit sehr in die Nähe des Merkmals der Zurechenbarkeit und nimmt auch die in‑ haltlichen Wertungen des Gegenleistungsmerkmals teilweise wieder zurück. Einig sind sich beide aber, dass neben dem Merkmal einer Zurechnung – sei sie bloß formell oder auch materiell zu verstehen – eine kausale Verknüpfung zwischen Leistung und Gegenleistung bestehen muss: Deutlich wird dies dadurch, dass beide eine Anknüpfung an die öffentliche Leistung als Merk‑ mal des Gebührenbegriffs ansehen.240 bb) Traditioneller Gebührenbegriff Diese beiden Gebührendefinitionen von Wilke und Vogel sind weiter als der traditionelle Gebührenbegriff.241 § 4 Abs. 2 des Preußischen Kommunal‑ abgabengesetzes vom 14.  Juli 1893242 bestimmte, dass Gebühren dann zu erheben sind, wenn Gemeindeangehörigen ein besonderer Vorteil durch die Benutzung der öffentlichen Einrichtung zukommt und soweit der Ausgleich nicht durch andere Abgaben oder Mehr- und Minderbelastungen erfolgt. Un‑ bestritten ist aber, dass auch dann Gebühren erhoben werden können, wenn keine freiwillige Inanspruchnahme der Verwaltung vorliegt oder auch wenn der Bürger, ohne einen Vorteil davon zu haben, Kosten verursacht. Traditio‑ nell wurden und werden Gebühren aber nicht nur zur Abschöpfung eines Vorteils erhoben, sondern auch dann, wenn der Bürger Kosten verursacht hat.243 Daher muss ein weiter Gebührenbegriff, wie ihn unter anderem Wilke und Vogel verwenden, gewählt werden, der dieses weite Verständnis auch klar zum Ausdruck bringt.244

239  Vogel,

in: FS Geiger, S. 518 (532). Gebühr und Grundgesetz, S. 89; Vogel, in: FS Geiger, S. 518 (536). Meyer, Gebühren für Umweltressourcen, S. 81 ff., verlangt ebenfalls Kausalität und individuelle Zurechenbarkeit als Charakteristika des Gegenleistungsmerkmals. 241  Vgl. Sacksofsky, Umweltschutz durch Abgaben, S. 105 f. 242  Preuß. GS S. 152. 243  Siehe bereits § 13 der preußischen Verwaltungsgebührenordnung v. 30.12.1926, Preuß. GS S. 327, der ausdrücklich auch denjenigen, der eine Amtshandlung veran‑ lasst hat, als Gebührenschuldner nennt. 244  Vgl. auch Sacksofsky, Umweltschutz durch Abgaben, S. 111. 240  Wilke,



B. Dogmatische Grundlagen der Infrastrukturabgabe73

b) Rechtfertigung der Gebühr Die Begriffe von Wilke und Vogel unterscheiden sich nur hinsichtlich der Rechtfertigung der Gebühr. Wilke erfasst lediglich den Kostenersatz in seiner Definition, wohingegen Vogel auch den Vorteilsausgleich als Rechtfertigung für die Gebühr ansieht.245 Auch das Bundesverfassungsgericht verlangt bei jeder nicht-steuerlichen Abgabe eine Rechtfertigung für ihre Erhebung, da die Finanzverfassung grundsätzlich die Staatsfinanzierung über Steuern ge‑ biete.246 Vor diesem Hintergrund erhebt sich die Frage, ob diese Rechtfertigungs‑ gründe Teil des verfassungsrechtlichen Gebührenbegriffs sein sollen. In Ab‑ hängigkeit davon ist dann die Frage zu beantworten, ob eine Gebühr bei Überschreitung der nach den Rechtfertigungsgründen zulässigen Höhe eine Gebühr bleibt oder zur Steuer wird.247 Die Vertreter eines sog. formellen Gebührenbegriffs – allen voran Michael Kloepfer und Dieter Wilke248 – leh‑ nen die Aufnahme der Rechtfertigungsgründe in den Gebührenbegriff ab.249 Für sie kommt es nicht auf den Inhalt der öffentlichen Leistung, sondern nur darauf an, wie der Gesetzgeber den Tatbestand der Abgabe ausgestaltet.250 Dagegen schreiben vor allem Gerhart Kreft und Rudolf Wendt dem Ge‑ bührenbegriff einen materiellen Gehalt zu (sog. materieller Gebührenbegriff).251 Der Sache nach hat Adolph Wagner vermutlich als Erster diesen Gebühren‑ 245  Vogel, in: FS Geiger, S. 518 (533, 536); ebenso nach eingehender verfassungs‑ rechtlicher Prüfung Heimlich, Verleihungsgebühr, S. 159; s. auch Wernsmann, in: FS Wendt, S. 1053 (1057, 1066 f.). 246  BVerfG, Beschl. v. 8.6.1988, 2 BvL 9 / 85 u. a., BVerfGE 78, 249 (267); BVerfG, Beschl. v. 7.11.1995, 2 BvR 413 / 88 u. a., BVerfGE 93, 319 (342 f.). 247  Dazu ausführlich Kreft, Abgrenzung von Steuer und Gebühr S. 46 ff., der dabei den Begriff der Gebührensteuer für solche Abgaben verwendet, die die zulässige Ge‑ bührenhöhe überschreiten. 248  Kloepfer, AöR 97 (1972), S. 232 (246, 251 f.); Wilke, Gebühr und Grundgesetz, S. 89. Wilke relativiert durch seine Ausführungen zum Kostendeckungsprinzip auf S. 282 ff. und S. 292 die Aufnahme dieses Prinzips in den vorläufigen Gebührenbe‑ griff wieder. Offenbar versteht Heimlich, Verleihungsgebühr, S. 113 und 126, den vorläufigen Begriff Wilkes als endgültig und kritisiert daher dessen Inkonsequenz. 249  Wilke, Gebühr und Grundgesetz, S. 287; s. auch F. Kirchhof, DVBl. 1987, 554 (555); Meyer, Gebühren für Umweltressourcen, S. 57, 63 ff.; Heimlich, Verleihungs‑ gebühr, S.  125 f.; Sacksofsky, Umweltschutz durch Abgaben, S. 112 ff.; BVerfG, Urt. v. 19.3.2003, 2 BvL 9 / 98 u. a., BVerfGE 108, 1 (13 f.). 250  Kloepfer, AöR 97 (1972), S. 232 (251  f.); Wilke, Gebühr und Grundgesetz, S. 88; Meyer, Gebühren für Umweltressourcen, S. 61. 251  Kreft, Abgrenzung von Steuer und Gebühr, S. 46 ff., 72 ff., 207; Wendt, Gebühr als Lenkungsmittel, S. 54 ff.; s. auch Kruse, Steuerrecht, § 3 II 3. Vogel, in: FS Gei‑ ger, S. 518 (533 ff.), legt sich zwar auf S. 530 und 536 auf einen materiellen Gebüh‑ renbegriff fest, lässt dann aber insoweit inkonsequent die Frage der Rechtsnatur einer

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1. Teil: Einführung, Abgrenzung und dogmatische Grundlagen

begriff vertreten.252 Die Festlegung der Gebührenhöhe ist in diesem Fall nicht mehr Gegenstand der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Gebühr, sondern eine Frage, ob eine Gebühr im verfassungsrechtlichen Sinne über‑ haupt vorliegt.253 c) Stellungnahme Es erscheint höchst problematisch, den Gebührenbegriff durch materielle Erwägungen zu begrenzen. Eine trennscharfe Abgrenzung zwischen Steuer und Gebühr, die aber die Finanzverfassung verlangt, wäre nicht mehr mög‑ lich. Besonders deutlich wird dieses Abgrenzungsproblem bei Gerhart Kreft, der – in Anlehnung an Wagner254 – für den Teil der Gebühren, die die zuläs‑ sige Höhe überschreiten, den Begriff der Gebührensteuern verwendet.255 Eine Abgrenzung kann damit auf begrifflicher Ebene mit dieser Vermengung nicht gelingen. In diesem Fall könnte eine Gebühr selbst bei einer nur ge‑ ringfügigen Erhöhung in eine Steuer umschlagen und damit ein völlig ande‑ res verfassungsrechtliches Rechtsregime greifen.256 Insbesondere die Gesetz‑ gebungskompetenz für das Abgabengesetz wäre nicht mehr in den Art. 70 ff. GG, sondern in Art. 105 GG zu finden. Die Vertreter des materiellen Gebüh‑ renbegriffs führen an dieser Stelle durch die Einbeziehung der Höhe der Gebühr in den Gebührenbegriff erst eine Abgrenzungsproblematik zwischen Steuer und Gebühr herbei. Dagegen können die Vertreter des formellen Ge‑ bührenbegriffs diese Abgrenzungsschwierigkeiten vermeiden, da eine Ge‑ bühr, die die zulässige Höhe überschreitet, rechts- oder sogar verfassungs‑ widrig ist und damit nicht erhoben werden darf.257 Die vorhandenen materiellen Grenzen für die Gebührenhöhe verkennen die Vertreter des materiellen Gebührenbegriffs. Das Bundesverfassungsge‑ richt leitet diese materiellen Anforderungen aus den Gebührenzwecken ab und verortet sie im Bereich der Kompetenznormen und der Finanzverfas‑ zu hoch bemessenen Abgabe offen; s. dazu auch Meyer, Gebühren für Umweltres‑ sourcen, S. 63. 252  Wagner, Finanzwissenschaft, Teil 2, S. 25 f. 253  BVerfG, Urt. v. 19.3.2003, 2 BvL 9 / 98 u. a., BVerfGE 108, 1 (14). 254  Finanzwissenschaft, Teil 2, S. 25 f. 255  Kreft, Abgrenzung von Steuer und Gebühr, S. 47, 53 f. 256  F.  Kirchhof, DVBl. 1987, 554 (555); Sacksofsky, Umweltschutz durch Abga‑ ben, S. 113; vgl. auch BVerfG, Urt. v. 19.3.2003, 2  BvL 9 / 98 u. a., BVerfGE 108, 1 (14). 257  F.  Kirchhof, DVBl. 1987, 554 (555); Meyer, Gebühren für Umweltressourcen, S. 63; Vogel, in: FS Geiger, S. 518 (534 ff.); Wernsmann, in: FS Wendt, S. 1053 (1064).



B. Dogmatische Grundlagen der Infrastrukturabgabe75

sung, die insoweit auch den Bürger schützen sollen.258 Nach Ferdinand Kirchhof ergeben sich materielle Grenzen der Gebührenbemessung auch aus den Grundrechten – insbesondere aus Art. 3 Abs. 1 GG.259 Schließlich müsse die Gebührenhöhe dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen.260 Legi‑ time Zwecke und damit Rechtfertigungsgründe der Gebührenerhebung kön‑ nen dabei sowohl die Kostendeckung als auch der Vorteilsausgleich sein.261 Für Wilke zählt auch die Gewinnerzielung dazu.262 Das Bundesverfassungs‑ gericht nennt auch die Verfolgung sozialer Ziele als Gründe.263 Die Frage, ob auch andere Zwecke, insbesondere die Verhaltenslenkung die Gebührenerhe‑ bung rechtfertigen, führt hier wegen der gewonnenen Erkenntnisse zur Infra‑ strukturabgabe264 zu weit und wird deshalb nicht näher ausgeführt.265 Er‑ kennbar wird daraus, dass einerseits die Gebührenhöhe auch ohne ein mate‑ rielles Element des Gebührenbegriffs verfassungsrechtlichen Grenzen unter‑ liegt, die das Bundesverfassungsgericht auch im Einzelfall konkret prüft. Andererseits wird dem Gesetzgeber durch die Anwendung des Verhältnismä‑ ßigkeitsgrundsatzes ein weiter Spielraum bei der Gebührenbemessung gege‑ ben, denn die Kosten einer Leistung oder auch der Vorteil, den ein Einzelner aus einer öffentlichen Leistung hat, sind kaum zu bestimmen.266 In diesem Zusammenhang vermag auch das Äquivalenzprinzip keine Begrenzung der Gebührenhöhe zu schaffen, denn ihm kommt – wie Jörn Heimlich zu Recht 258  BVerfG,

Urt. v. 19.3.2003, 2 BvL 9 / 98 u. a., BVerfGE 108, 1 (17 ff.). Die Höhe der Gebühr, S. 42 ff.; für die Verleihungsgebühr ders., DVBl. 1987, 554 (560 f.); vgl. auch BVerwG, Urt. v. 25.7.2001, 6 C 8 / 00, BVerwGE 115, 32 (46 f.). 260  BVerfG, Beschl. v. 6.2.1979, 2  BvL 5 / 76, BVerfGE 50, 217 (227), BVerfG, Beschl. v. 12.2.1992, 1  BvL 1 / 89, BVerfGE 85, 337 (346); dem BVerfG folgend Heimlich, Verleihungsgebühr, S. 166 ff.; s. bereits im Jahr 1973 Wilke, Gebühr und Grundgesetz, S.  302 ff. 261  Vogel, in: FS Geiger, S. 518 (534); BVerfG, Urt. v. 19.3.2003, 2 BvL 9 / 98 u. a., BVerfGE 108, 1 (18 f.); vgl. für eine Orientierung an den Kosten der Leistung auch BVerfG, Beschl. v. 12.2.1992, 1 BvL 1 / 89, BVerfGE 85, 337 (346); für die Vorteils‑ abschöpfung BVerfG, Beschl. v. 7.11.1995, 2  BvR 413 / 88 u. a., BVerfGE 93, 319 (345 f.). 262  Wilke, Gebühr und Grundgesetz, S. 303; a. A. F.  Kirchhof, Die Höhe der Ge‑ bühr, S. 128; Meyer, Gebühren für Umweltressourcen, S. 212. 263  BVerfG, Urt. v. 19.3.2003, 2  BvL 9 / 98 u. a., BVerfGE 108, 1 (18); BVerfG, Beschl. v. 6.11.2012, 2 BvL 51 / 06 u. a., BVerfGE 132, 334 (349 Rn. 49). 264  Siehe in diesem Teil unter B. IV. 1. b). 265  Siehe insoweit ausführlich Kloepfer, AöR 97 (1972), S. 232 ff.; Wendt, Gebühr als Lenkungsmittel, S. 65 ff.; F.  Kirchhof, DVBl. 1987, 554 (557, 560); Meyer, Ge‑ bühren für Umweltressourcen, S. 203 ff. Diese Frage bejaht das BVerfG bereits in seinem Beschl. v. 6.2.1979, 2 BvL 5 / 76, BVerfGE 50, 217 (226 f.). 266  Ebenso Vogel, in: FS Geiger, S. 518 (534 ff.); Meyer, Gebühren für Umweltres‑ sourcen, S. 64; s. dazu auch Wilke, Gebühr und Grundgesetz, S. 271 ff. 259  F.  Kirchhof,

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1. Teil: Einführung, Abgrenzung und dogmatische Grundlagen

aufzeigt, neben dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz keinerlei eigenständige Bedeutung zu.267 Zwar ist das Äquivalenzprinzip in Relation zum Verhältnis‑ mäßigkeitsgrundsatz spezieller,268 weil es lediglich eine angemessene Ge‑ bührenhöhe fordert.269 Allerdings kann diese Angemessenheit bei der Gebüh‑ renbemessung auch auf der dritten Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung erreicht werden, sodass das Äquivalenzprinzip inhaltlich nicht über diesen Teil der Verhältnismäßigkeitsprüfung hinausgeht.270 Neben diesem weiten Spielraum bei der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes kommt eine Begrenzung der Gebührenhöhe auch durch Art. 3 Abs. 1 GG in Betracht. Wie Ferdinand Kirchhof richtigerweise feststellt, legt Art. 3 Abs. 1 GG für die Gebühr keine bestimmten Zweck fest.271 Erst wenn der Gesetzgeber dies getan hat, kann – ebenso wie bei der Steuer – das aus Art. 3 Abs. 1 GG ge‑ wonnene Gebot der folgerichtigen Ausgestaltung der Gebührenhöhe anhand des festgelegten Zwecks als Maßstab angelegt werden.272 Im Ergebnis bietet damit auch Art. 3 Abs. 1 GG keine weitergehende Begrenzung der Gebüh‑ renhöhe. Dieses Ergebnis der Offenheit der Gebührenhöhe trotz Begrenzung durch verschiedene Maßstäbe stellt im Bereich des formellen Gebührenbegriffs al‑ lerdings keine Schwierigkeit dar. Eine Abgabe, die die begrifflichen Voraus‑ setzungen für eine Gebühr erfüllt, bleibt – unabhängig von ihrer Höhe – eine Gebühr. Vor wesentlich größere Probleme stellt diese Offenheit den materiel‑ len Gebührenbegriff. Vogel leistet mit der Feststellung der Offenheit der Gebührenhöhe eine Bankrotterklärung des materiellen Gebührenbegriffs. Da er die Höhe der Gebühr faktisch nicht begrenzt und nicht begrenzen kann,273 macht er eine Abgrenzung zur Steuer, wie sie der materielle Gebührenbegriff erreichen will, unmöglich.

267  Heimlich, Verleihungsgebühr, S. 166 ff. Dabei geht er auf den S. 166 und 167 auf die zunehmende Tendenz in der Rechtsprechung des BVerfG und des BVerwG ein, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Gebührenbegrenzung anzuwenden. Siehe z. B. BVerfG, Beschl. v. 12.10.1994, 1 BvL 19 / 90, BVerfGE 91, 207 (225); BVerwG, Urt. v. 3.3.1994, 4 C 1 / 93, BVerwGE 95, 188 (202); BVerwG, Urt. v. 25.7.2001, 6 C 8 / 00, BVerwGE 115, 32 (44 ff.); s. zuletzt BVerwG, Beschl. v. 17.11.2015, 9  B 21 / 15, juris Rn. 16. 268  Kloepfer, AöR 97 (1972), S. 232 (255); Heimlich, Verleihungsgebühr, S. 173. 269  BVerwG, Urt. v. 24.3.1961, VII C 109.60, BVerwGE 12, 162 (169); BVerwG, Urt. v. 15.7.1988, 7  C 5 / 87, BVerwGE 80, 36 (39); Heimlich, Verleihungsgebühr, S.  172 f. 270  Wilke, Gebühr und Grundgesetz, S. 268 f.; Heimlich, Verleihungsgebühr, S. 173. 271  F. Kirchhof, Die Höhe der Gebühr, S. 43. 272  F. Kirchhof, Die Höhe der Gebühr, S. 43. 273  Eine Bemessungsgrenze will Vogel, in: FS Geiger, S. 518 (536), nur dann an‑ nehmen, wenn die Höhe des Vorteils bzw. der Kosten eindeutig überschritten wird.



B. Dogmatische Grundlagen der Infrastrukturabgabe77

Hinzu kommt, dass die begriffliche Abgrenzung der Gebühr zur Steuer – wie gleich noch zu zeigen sein wird274 – ohne die Annahme eines materiellen Gebührenbegriffs erfolgen kann und dann sogar trennschärfer gelingt.275 Deshalb ist es nur konsequent, die Rechtfertigungsgründe für die Gebühr nicht in den Gebührenbegriff aufzunehmen.276 d) Abgrenzung zur Steuer Aus den bisher gewonnenen Erkenntnissen zeigt sich, dass zwei Merkmale des verfassungsrechtlichen Steuerbegriffs eine Abgrenzung zur Gebühr zulie‑ ßen. Steuern sollen den allgemeinen Finanzbedarf decken. Offen ist aber, ob dies auch für Gebühren gilt. Zunächst könnte man meinen, dass Gebühren, die für eine konkrete Leistung erhoben werden, auch stets nur zur Deckung der Kosten des verursachten Aufwands oder des in Anspruch genommenen Vorteils verwendet werden dürften. Ihnen käme damit also gerade keine all‑ gemeine Finanzierungsfunktion zu. Dieser Auffassung ist Paul Kirchhof überzeugend entgegengetreten277: Auch für Gebühren gelte der haushalts‑ rechtliche Grundsatz der Nonaffektation (Gesamtdeckung), der für Bund und Länder in § 7 Satz  1 HGrG vorgegeben und durch § 8 Satz  1 BHO / LHO umgesetzt wird. Gebühren stellten staatliche Einnahmen im Sinne dieser Vorschriften dar.278 Hinzu komme, dass die staatliche Leistung oder Einrich‑ tung bereits vor Erhebung der Gebühr bestehe. Insoweit verwende der Staat im Voraus Haushaltsmittel für die Finanzierung der Einrichtung oder Leis‑ tung, bevor überhaupt eine Gebühr erhoben werden könne. Überdies müsse die Unterhaltung der staatlichen Einrichtungen sowie die Bereitstellung von Leistungen unabhängig von der tatsächlichen Inanspruchnahme gewährleistet werden, sodass nur eine Finanzierung aus dem Gesamthaushalt in Betracht komme. Somit komme Vorzugslasten – wie auch Steuern – eine allgemeine Finanzierungsfunktion zu. Deshalb bleibt die individuell zurechenbare staatliche Leistung damit die einzige Abgrenzungsmöglichkeit der Gebühr zur Steuer. Diese Abgrenzung 274  Siehe

sogl. in diesem Teil unter B. V. 1. d). Wilke, Gebühr und Grundgesetz, S. 282 ff.; Meyer, Gebühren für Um‑ weltressourcen, S. 57, 62 ff.; Heimlich, Verleihungsgebühr, S. 118; Sacksofsky, Um‑ weltschutz durch Abgaben, S. 112 ff.; a. A. Wendt, Gebühr als Lenkungsmittel, S. 54. 276  Ebenso Heimlich, Verleihungsgebühr, S. 118, 125. 277  P.  Kirchhof, in: HStR V, § 119 Rn. 57 f. Ähnlich begründet Heimlich, Verlei‑ hungsgebühr, S. 106 ff., die Geltung des Nonaffektationsprinzips im Gebührenrecht; im Ergebnis ebenso aber ohne nähere Begründung Wendt, Gebühr als Lenkungsmit‑ tel, S.  43 f. 278  Siehe auch BVerwG, Urt. v. 8.12.1961, VII  C 2.61, BVerwGE 13, 214 (224), zum wortgleichen § 29 RHO. 275  Ebenso

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1. Teil: Einführung, Abgrenzung und dogmatische Grundlagen

ist aufgrund der detaillierten Regelungen der Finanzverfassung der Art. 105 bis 108 GG zu Gesetzgebungs-, Ertrags-, Verwaltungs- und Rechtsprechungs‑ kompetenzen erforderlich, die nur für Steuern gelten. Offen und umstritten ist aber, wie die öffentliche Leistung ausgestaltet sein muss. Daran ist vor allem problematisch, dass auch der Steuer faktisch eine Gegenleistung ge‑ genüberstehen kann. Der Staat gewährleistet vor allem durch das Steuerauf‑ kommen die innere und äußere Sicherheit als eine seiner traditionellen Kern‑ aufgaben.279 Dennoch ist bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts anerkannt, dass Steuern voraussetzungslos erhoben werden.280 Im Liberalismus wurde die Steuer noch als Gegenleistung für die Gewährleistung von persönlicher Freiheit und Sicherheit gerechtfertigt.281 Mittlerweile wird diese Ansicht aber grundsätzlich abgelehnt, denn die allgemeine Gewährleistung der inneren und äußeren Sicherheit ist grundsätzlich niemandem individuell zurechenbar. Sie kommt allen in Deutschland lebenden Personen ohne Unterschied zugute, ohne dass ein Einzelner der Finanzierung dieser Aufgabe erkennbar näher‑ stünde als andere. Wenn allerdings ein Bürger durch sein Verhalten einen Polizeieinsatz auslöst, erscheint es gerechtfertigt, ihm für diesen Einsatz Gebühren aufzuerlegen, da er dieser öffentlichen Leistung der Polizei als Polizeipflichtiger erkennbar nähersteht als jeder andere.282 An diesem Bei‑ spiel wird deutlich, dass der Gesetzgeber einen weiten Spielraum bei der Bestimmung der individuellen Zurechenbarkeit hat.283 Letztlich wird die Grenze der Bestimmbarkeit der individuellen Zurechenbarkeit dort zu ziehen sein, wo die Individualisierung der Leistung nicht möglich erscheint, wie zum Beispiel bei Militäreinsätzen284 oder Umweltschutzmaßnahmen.285 Damit bleibt festzuhalten, dass es sich immer dann um eine Gebühr han‑ delt, wenn nach dem Gesetz eine individuelle Zurechenbarkeit der staatlichen Leistung vorliegt. Fehlt eine solche individuelle Zurechenbarkeit der Gegen‑ leistung oder ist eine individuelle Zurechnung unmöglich, handelt es sich – unter Berücksichtigung der anderen Voraussetzungen – um eine Steuer.

279  Vgl. BVerfG, Beschl. v. 1.8.1978, 2 BvR 1013 / 77 u. a., BVerfGE 49, 24 (56 f.); P. Kirchhof, in: HStR V, § 119 Rn. 27. 280  Rau, Grundsätze der Finanzwissenschaft, 2. Abt., S. 10 f. 281  Sog. Assekuranztheorie, s. Mann, Steuerpolitische Ideale, S. 105 f.; P. Kirchhof, in: HStR V, § 119 Rn. 27. 282  Wilke, Gebühr und Grundgesetz, S. 88; P. Kirchhof, in: HStR V, § 119 Rn. 35. 283  Wilke, Gebühr und Grundgesetz, S. 88; F.  Kirchhof, Die Höhe der Gebühr, S. 17; P. Kirchhof, in: HStR V, § 119 Rn. 42. 284  Wilke, Gebühr und Grundgesetz, S. 88. 285  Meyer, Gebühren für Umweltressourcen, S. 85.



B. Dogmatische Grundlagen der Infrastrukturabgabe79

e) Einfachrechtliche Kategorisierung In den Kommunalabgabengesetzen der Länder wird und in § 1 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 RAO wurde auf Ebene des einfachen Rechts eine Kategori‑ sierung der Gebühren in Verwaltungs- und Benutzungsgebühren vorgenom‑ men. Diese Kategorisierung ist aber – wie das Bundesverfassungsgericht zu Recht festgestellt hat286 – keine Frage des verfassungsrechtlichen Gebühren‑ begriffs. Deshalb sind nähere Ausführungen zur einfachrechtlichen Katego­ rienbildung hier bei den finanzverfassungsrechtlichen Erwägungen nicht er‑ forderlich und führten daher auch hier zu weit.287 f) Ergebnis Die Gebühr wird als hoheitlich auferlegte Geldleistung verstanden, die aus Anlass individuell zurechenbarer öffentlicher Leistungen erhoben wird.288 Unter dem Begriff der Leistung wird im Folgenden – im Anschluss an Su‑ sanne Meyer – jedes Tun, Dulden und Unterlassen des Staates verstanden.289 Die Funktionen der Gebühr – die Kostendeckung sowie der Vorteilsaug‑ leich – sind nicht Teil des Gebührenbegriffs, sondern rechtfertigen lediglich die Erhebung. Die Gebührenhöhe kann nur im jeweiligen Sachbereich unter Heranziehung der vom Gesetzgeber verfolgten Zwecke eingegrenzt werden, ohne dass allgemein vorab für alle Gebührentypen aus Verfassungsprinzipien eine Obergrenze abgeleitet werden könnte. 2. Beitrag Das Grundgesetz verwendet den Begriff des Beitrags – im Gegensatz zur Gebühr – an keiner Stelle. Beitragsdefinitionen finden sich nur auf lan‑ desgesetzlicher Ebene, insbesondere im Kommunalabgabenrecht.290 Im Fol­ genden soll nur der Beitragsbegriff im finanz- oder abgabenrechtlichen Sinne Gegenstand der Untersuchung sein. Die Qualifikation von Sozialver‑ sicherungsbeiträgen und sogenannten Verbandslasten ist weithin umstrit‑ 286  BVerfG,

Beschl. v. 7.11.1995, 2 BvR 413 / 88 u. a., BVerfGE 93, 319 (345). dazu etwa F.  Kirchhof, DVBl. 1987, 554; Murswiek, NuR 1994, 170; Meyer, Gebühren für Umweltressourcen, S. 125 ff., 181 ff.; s. auch Waldhoff, in: HStR V, § 116 Rn. 86. 288  Vgl. auch die Definition in § 3 Abs. 4 BGebG. 289  Meyer, Gebühren für Umweltressourcen, S. 73, s. auch § 3 Abs. 1 und 2 BGebG. 290  Bspw. in § 8 Abs. 2 KAG Saarland; Art. 5 Abs. 1 Satz  1 KAG Bayern; § 8 Abs. 2 KAG NRW; § 7 Abs. 2 KAG RP. 287  Ausführlich

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1. Teil: Einführung, Abgrenzung und dogmatische Grundlagen

ten.291 Sie fördert aber die Untersuchung an dieser Stelle nicht, sodass hier von weiteren Ausführungen zu diesen Abgaben abgesehen wird. a) Begriff Das Bundesverfassungsgericht nimmt für Beiträge an, dass sie die Merk‑ male einer Gebühr292 erfüllen, allerdings im Unterschied zu Gebühren für die „potentielle Inanspruchnahme einer öffentlichen Einrichtung oder Leistung erhoben“ werden.293 In Anlehnung an das Bundesverfassungsgericht könnte man Beiträge im finanz- oder abgabenrechtlichen Sinne zunächst wie folgt definieren: Beiträge sind hoheitlich auferlegte Abgaben, die als Gegenleis‑ tung für eine öffentliche Leistung von einem Interessentenkreis erhoben werden, dem diese öffentliche Leistung potentiell besondere wirtschaftliche Vorteile oder einen besonderen wirtschaftlichen Nutzen bringt.294 Diese enge Anbindung des Beitrags an die Gebühr rührt wohl aus § 1 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 RAO her, in dem Gebühren und Beiträge gleichrangig nebeneinan‑ der genannt wurden. Die Anknüpfung an die öffentliche Leistung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – wie bei der Gebühr – das prägende Merkmal für die Rechtfertigung des Beitrags.295 b) Abgrenzung zur Gebühr Wenn Gebühr und Beitrag offenbar einander sehr ähnlich sind, stellt sich zwangsläufig die Frage, ob man diese beiden Begriffe auf verfassungsrecht‑ 291  Siehe z. B. BVerfG, Beschl. v. 16.10.1962, 2  BvL 27 / 60, BVerfGE 14, 312 (317 ff.); Patzig, DÖV 1981, 729 (736); Puwalla, Qualifikation von Abgaben, S. 51 f.; Ubber, Beitrag, S. 304 ff.; P. Kirchhof, in: HStR V, § 119 Rn. 66. 292  Siehe oben in diesem Teil unter B. V. 1. a). 293  BVerfG, Beschl. v. 25.6.2014, 1  BvR 668 / 10 u. a., BVerfGE 137, 1 (18); vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 24.1.1995, 1 BvL 18 / 93 u. a., BVerfGE 92, 91 (115); BVerfG, Beschl. v. 18.5.2004, 2  BvR 2374 / 99, BVerfGE 110, 370 (388); BVerfG, Beschl. v. 16.9.2009, 2  BvR 852 / 07, BVerfGE 124, 235 (243); Waldhoff, in: HStR V, § 116 Rn. 90. 294  Vgl. BVerfG, Beschl. v. 4.2.1958, 2  BvL 31 / 56 u. a., BVerfGE 7, 244 (254); BVerfG, Beschl. v. 20.5.1959, 1 BvL 1 / 58, BVerfGE 9, 291 (297 f.); BVerfG, Beschl. v. 18.12.1974, 1  BvR 430 / 65 u. a., BVerfGE 38, 281 (311); BVerfG, Beschl. v. 25.6.2014, 1  BvR 668 / 10 u. a., BVerfGE 137, 1 (18); Wilke, Gebühr und Grundge‑ setz, S.  117 m. w. N. 295  BVerfG, Beschl. v. 20.5.1959, 1  BvL 1 / 58, BVerfGE 9, 291 (298); BVerfG, Beschl. v. 16.6.1976, 2  BvR 995 / 75, BVerfGE 42, 223 (228); BVerfG, Beschl. v. 18.5.2004, 2  BvR 2374 / 99, BVerfGE 110, 370 (388); BVerfG, Beschl. v. 25.6.2014, 1 BvR 668 / 10 u. a., BVerfGE 137, 1 (18 Rn. 43).



B. Dogmatische Grundlagen der Infrastrukturabgabe

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licher Ebene voneinander unterscheiden kann. Sowohl die Abgrenzung zwi‑ schen Beiträgen und Gebühren als auch zwischen Beiträgen und Steuern macht im Ergebnis nur dann Sinn, wenn der Beitrag von diesen anderen Abgabenarten zu unterscheiden ist. Dieter Wilke sah den Beitragsbegriff als „Etikett“296, da es zwischen Steuern und Gebühren keinen Grenzbereich gebe, der nicht von einer dieser beiden Abgabenarten erfasst sei.297 Für den Beitrag als eigenständige Abgabenform sei somit kein Platz. Adolph Wagner hatte bereits im Jahr 1890 die Beiträge als Unterfall der Gebühren eingeord‑ net und ihnen somit eine selbständige Bedeutung abgesprochen.298 aa) Die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts Im Gegensatz zu diesen Auffassungen, die die Bedeutung eines eigenstän‑ digen Beitragsbegriffs negieren, steht die Rechtsprechung des Bundesverfas‑ sungsgerichts: Das Gericht betont zwar die Nähe von Gebühr und Beitrag als wichtigste nichtsteuerliche Abgabenarten. Dennoch werden Steuern, Gebüh‑ ren und Beiträge als die „klassischen Abgabenarten“ bezeichnet, die die deutsche Rechtsordnung kenne.299 Der Beitrag wird also offensichtlich nicht der Gebühr untergeordnet, sondern als eigenständige, wenn auch mit der Gebühr verwandte Form der Vorzugslast angesehen.300 Trotz der Gemein‑ samkeiten zwischen Gebühr und Beitrag prüft das Bundesverfassungsgericht den Beitrag daher selbständig301 und grenzt ihn auch von der Steuer ab.302 Würde das Bundesverfassungsgericht Wilke und Wagner folgen und dem Beitrag die Eigenständigkeit absprechen, wären die gerade genannten Ent‑ scheidungen nicht nachvollziehbar. Zwar lehnt das Bundesverfassungsgericht die Entwicklung eigenständiger verfassungsrechtlicher Begriffe der Gebüh‑ 296  Wilke, Gebühr und Grundgesetz, S. 139; a.  A. Waldhoff, in: HStR V, § 116 Rn. 90. 297  Wilke, Gebühr und Grundgesetz, S. 134. 298  Wagner, Finanzwissenschaft, Teil 2, S. 42 f. 299  BVerfG, Beschl. v. 24.1.1995, 1 BvL 18 / 93 u. a., BVerfGE 92, 91 (113). Auch das BVerwG bezeichnet in einem Urt. v. 13.9.2006, 6 C 10 / 06, NVwZ-RR 2007, 192 (195), die Gebühr und den Beitrag als „klassische Abgabetypen“; s. auch Patzig, DÖV 1981, 729; F. Kirchhof, DVBl. 1987, 554 (555). 300  Beitrag und Gebühr werden vom BVerfG meist zusammen geprüft, s. BVerfG, Beschl. v. 24.1.1995, 1  BvL 18 / 93 u. a., BVerfGE 92, 91 (115); BVerfG, Beschl. v. 18.5.2004, 2 BvR 2374 / 99, BVerfGE 110, 370 (388 f.). 301  BVerfG, Beschl. v. 20.5.1959, 1 BvL 1 / 58, BVerfGE 9, 291. Diese Auffassung teilt auch v. Weschpfennig, Studienabgaben, S. 185 f., unter Analyse des Urt. des BVerfG v. 19.3.2003, 2 BvL 9 / 98 u. a., BVerfGE 108, 1. 302  BVerfG, Beschl. v. 4.2.1958, 2  BvL 31 / 56 u. a., BVerfGE 7, 244 (254 ff.); BVerfG, Beschl. v. 25.6.2014, 1 BvR 668 / 10 u. a., BVerfGE 137, 1 (18).

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1. Teil: Einführung, Abgrenzung und dogmatische Grundlagen

ren und Beiträge ausdrücklich ab.303 Dennoch sollen sowohl Beiträge als auch Gebühren Merkmale aufweisen, durch die sie verfassungsrechtlich von der Steuer unterschieden werden können.304 bb) Die Auffassung Dieter Wilkes und die Kritik daran Dieter Wilke lehnt den Beitrag als eigenständige Abgabenkategorie vor allem deshalb ab, weil er nur einfachrechtlich definiert sei und diese Defini‑ tion nach seinen Beispielen durch die Landesgesetzgeber nicht konsequent umgesetzt werde.305 Dem scheint § 3 Abs. 1 Nr. 2 BGebG Recht zu geben, wonach der Bund für seine Behörden Gebühren – und nicht Beiträge – für die Ermöglichung der Inanspruchnahme von Einrichtungen und Anlagen so‑ wie von Bundeswasserstraßen erheben darf. Er definiert insoweit die Ermög‑ lichung der Inanspruchnahme als individuell zurechenbare öffentliche Leis‑ tung. Diese Formulierung scheint aber unglücklich geraten zu sein, da die Bundesregierung in ihrer Begründung zum Gesetzentwurf nur auf die tat‑ sächliche Benutzung der öffentlichen Leistung abstellt.306 Überdies steht es den Landesgesetzgebern weiterhin frei, den Beitrag in ihren Landesgesetzen für ihren Hoheitsbereich zu definieren. Bei einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht wird letztlich aber weder auf die landesrechtliche noch auf die bundesrechtliche Definition oder die Bezeichnung der Abgabe in einfachen Bundes- oder Landesgesetzen abgestellt, sondern nur auf den materiellen Gehalt des Abgabengesetzes.307 Diesen materiellen Gehalt stellt das Bundesverfassungsgericht bundeseinheitlich im Einzelfall fest. Zwar wird betont, dass diese Kategorisierung ohne Festlegung auf einen verfas‑ sungsrechtlichen Gebühren- oder Beitragsbegriff erfolge.308 Durch die Ein‑ grenzung des Beitrags und der Gebühr auf bestimmte Merkmale und die Zuordnung des Bundesverfassungsgerichts haben die Entscheidungen aber 303  BVerfG, Beschl. v. 25.6.2014, 1 BvR 668 / 10 u. a., BVerfGE 137, 1 (18 Rn. 43); s. auch BVerfG, Beschl. v. 6.2.1979, 2 BvL 5 / 76, BVerfGE 50, 217 (225 f.). 304  BVerfG, Beschl. v. 25.6.2014, 1 BvR 668 / 10 u. a., BVerfGE 137, 1 (18 Rn. 43). 305  Wilke, Gebühr und Grundgesetz, S. 124 ff., S. 142 ff.; s. z. B. § 6 Abs. 1 Satz 2 KAG SH und § 3 Abs. 2 Fall 2 GebBeitrG Bln. 306  BT-Drs. 17 / 10422 v. 2.8.2012, S. 94. 307  Siehe nur BVerfG, Beschl. v. 4.2.1958, 2  BvL 31 / 56 u. a., BVerfGE 7, 244 (251 f.); BVerfG, Beschl. v. 17.7.2003, 2  BvL 1 / 99 u. a., BVerfGE 108, 186 (212); BVerfG, Beschl. v. 18.5.2004, 2  BvR 2374 / 99, BVerfGE 110, 370 (384); BVerfG, Beschl. v. 25.6.2014, 1 BvR 668 / 10 u. a., BVerfGE 137, 1 (17 Rn. 40); BVerwG, Urt. v. 22.11.2000, 6 C 8 / 99, BVerwGE 112, 194 (199); BVerwG, Urt. v. 21.4.2004, 6 C 20 / 03, BVerwGE 120, 311 (314); vgl. bereits OVG NRW, Urt. v. 25.5.1955, III  A 326 / 53, DÖV 1955, 701 (702); OVG RP, Urt. v. 16.2.1970, 6 A 7 / 69, KStZ 1970, 137. 308  BVerfG, Beschl. v. 25.6.2014, 1 BvR 668 / 10 u. a., BVerfGE 137, 1 (18 Rn. 43).



B. Dogmatische Grundlagen der Infrastrukturabgabe

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eine unitarische Wirkung im Bundesstaat. Somit überzeugt bereits die Prä‑ misse von Wilke, der von einer verbreiteten Uneinheitlichkeit der Verwen‑ dung von Gebühren und Beiträgen ausgeht, nicht restlos. Hinzu kommt, dass Wilke Urteile zitiert, die in Fällen, in denen nach hier vertretenen Begriff‑ lichkeit ein Beitrag vorläge, eine Gebühr annehmen.309 Statt diese Urteile als begrifflich unsystematisch zu kritisieren, hängt er an diesem Umstand die Ablehnung des Beitrags als eigenständiger Kategorie auf. Letztlich zeigen die von Wilke herangezogenen Urteile310 allerdings nur, dass das (Landes‑) Recht Abgaben als Gebühren einordnet, die nach den Merkmalen des Bun‑ desverfassungsgerichts – und im Übrigen auch des Bundesverwaltungsge‑ richts311 – eindeutig als Beiträge zu qualifizieren wären. Gleiches gilt für § 3 Abs. 2 Fall 2 GebBeitrG Bln312 und § 6 Abs. 1 Satz 2 KAG SH313, die eben‑ falls Beiträge im begrifflichen Sinne zu Gebühren „umetikettieren“. Auch bei den einfachgesetzlichen Gebührenbegriffen, die teilweise voneinander ab‑ weichen, würde niemand die Schlussfolgerung ziehen, dass deshalb eine Abgrenzung dieser Abgabenart – anhand bestimmter aus den Gesetzen gefol‑ gerter Kriterien – zu anderen Abgaben nicht möglich sei. Trotz dieser Kritik an der Auffassung Wilkes erscheinen sowohl die strikte Trennung von Gebühr und Beitrag als auch ein sehr weiter Gebührenbegriff, der den Beitrag mit einschließt, kaum begründbar. Beide Ansichten müssen sich vorwerfen lassen, jeweils eine willkürliche Zuordnung zu treffen. Au‑ ßerhalb der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundes‑ verwaltungsgerichts sowie der §§ 1 und 3 BGebG existiert auf Bundesebene kein einheitlicher Kanon an Begriffsmerkmalen für Gebühren und Beiträge. Für die Unterscheidung von Gebühr und Beitrag lassen sich mehr oder min‑ der geeignete Abgrenzungsmerkmale finden.314 Andererseits werden auch die Befürworter eines weiten Gebührenbegriffs als eines einheitlichen Begriffs für alle nichtsteuerlichen, von einer öffentlichen Leistung abhängigen Abga‑ ben gute Argumente gegen die Trennung von Gebühr und Beitrag vorbringen können.

309  Wilke,

Gebühr und Grundgesetz, S. 125 f. Fn. 54. Gebühr und Grundgesetz, S. 125 Fn. 54. 311  BVerwG, Urt. v. 19.10.1966, IV C 99.65, BVerwGE 25, 147 (149); BVerwG, Urt. v. 23.5.1973, IV C 21.70, BVerwGE 42, 210 (216); BVerwG, Urt. v. 14.11.1985, 3 C 44 / 83, BVerwGE 72, 212 (219). 312  Gesetz über Gebühren und Beiträge v. 25.5.1957, GVBl. S. 516, mit spät. Änd. 313  Kommunalabgabengesetz des Landes Schleswig-Holstein v. 10.1.2005, GVOBl. S. 27, mit spät. Änd. 314  Ebenso Puwalla, Qualifikation von Abgaben, S. 54. 310  Wilke,

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1. Teil: Einführung, Abgrenzung und dogmatische Grundlagen

cc) Gründe für die Unterscheidung von Beitrag und Gebühr Wenn der Beitrag im Folgenden von der Gebühr unterschieden wird, erfolgt dies aus zwei Gründen: Zum einen werden Gebühr und Beitrag bereits seit mehr als einem Jahrhundert getrennt betrachtet.315 Zum anderen gibt es in der tatsächlichen Wirkung zwischen Gebühr und Beitrag Unterschiede. Der Bei‑ trag als „Mittelding zwischen Gebühr und Steuer“316 ist einerseits zwar von einer staatlichen Leistung abhängig, andererseits muss diese Leistung für das Entstehen der Beitragspflicht noch nicht oder sogar überhaupt nicht in An‑ spruch genommen worden sein. Während also eine Gebühr grundsätzlich erst bei der tatsächlichen Inanspruchnahme der öffentlichen Leistung erhoben werden darf, kann beim Beitrag bereits im Vorfeld eine Abgabepflicht entste‑ hen.317 Das kann sogar soweit führen, dass trotz der Abgabepflicht und der Zahlung des Beitrags die Leistung gar nicht in Anspruch genommen wird. Gebühren und Beiträge werden daneben aber auch durch den Grad der Individualisierung unterschieden: Bei Gebühren kann einem Einzelnen eine öffentliche Leistung zugerechnet werden, während beim Beitrag lediglich eine bestimmte Gruppe von Interessenten festgelegt werden kann, bei der ein Vorteil von der Möglichkeit der Inanspruchnahme der öffentlichen Leistung vermutet wird318 oder die einen Vorteil oder Nutzen an der öffentlichen Leis‑ tung haben muss.319 Daran wird deutlich, dass die Gebühr für die tatsächliche Inanspruchnahme einer Leistung erhoben wird, während beim Beitrag bereits die potentielle Inanspruchnahme der öffentlichen Leistung ausreicht und in‑ soweit beim Beitragsschuldner durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme ein Vorteil vermutet wird oder festgestellt werden muss. Dem Gesetzgeber wird zumindest abverlangt werden können, den Kreis der Interessenten an der öffentlichen Leistung anhand von nachprüfbaren Kriterien in nachvoll‑ ziehbarer Weise vorab festzulegen. Solche Kriterien können die Sachnähe oder die räumliche Nähe des Beitragsschuldners zur öffentlichen Leistung sein.320 Daneben reicht es aus, wenn ein Vorteil für die vom Gesetzgeber festgelegte Gruppe der Beitragsschuldner aus der öffentlichen Leistung zu‑ treffend vermutet wird.321 Somit ist eine Unterscheidung zwischen Gebühr 315  Grundlegend zum Beitragsbegriff Neumann, Die progressive Einkommen‑ steuer, S. 65, 209; sehr deutlich Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 391. 316  Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 391; Wilke, Gebühr und Grundgesetz, S. 135. 317  Vgl. dazu OVG RP, Urt. v. 16.2.1970, 6 A 7 / 69, KStZ 1970, 137 (138). 318  P. Kirchhof, in: HStR V, § 119 Rn. 67 f. 319  Vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.5.1959, 1  BvL 1 / 58, BVerfGE 9, 291 (297 f.); Waldhoff, in: HStR V, § 116 Rn. 90. 320  P. Kirchhof, in: HStR V, § 119 Rn. 67. 321  P. Kirchhof, in: HStR V, § 119 Rn. 62, 67; Ubber, Beitrag, S. 272, 303, aus fi‑ nanzwissenschaftlicher Sicht Terhalle, Finanzwirtschaft, S. 120.



B. Dogmatische Grundlagen der Infrastrukturabgabe

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und Beitrag dergestalt möglich, dass die Gebühr sich stets auf eine konkrete, individuell zurechenbare öffentliche Leistung bezieht, während beim Beitrag die öffentliche Leistung nur einer bestimmten Gruppe zugerechnet werden kann, ohne dass eine Individualisierung der Leistung erfolgen kann.322 Die Darstellung weiterer Abgrenzungsmöglichkeiten zwischen Gebühr und Beitrag wie der Hervorhebung eines besonderen Vorteils oder des Kriteriums der Ausschließbarkeit323 mag anderen speziellen Darstellungen zur Abgren‑ zung von Gebühr und Beitrag vorbehalten bleiben. Für den Zweck der vor‑ liegenden Untersuchung genügt die soeben dargelegte Abgrenzungsmöglich‑ keit. c) Abgrenzung zur Steuer Von der Steuer ist der Beitrag – anders als die Gebühr324 – weniger trenn‑ scharf abzugrenzen.325 Ebenso wie bei der Steuer kann der Kreis der Bei‑ tragspflichtigen unbegrenzt ausgedehnt werden, solange noch eine gewisse Finanzierungsverantwortlichkeit und eine Nähe zur öffentlichen Leistung angenommen werden kann. Je weiter dieser Kreis der Interessenten an der öffentlichen Leistung gezogen wird, umso schwieriger wird die Abgren‑ zung.326 Durch den immer größeren Interessentenkreis löst sich die Bindung des Einzelnen immer stärker von der Möglichkeit der Nutzung der öffentli‑ chen Leistung.327 Das Bundesverfassungsgericht verlangt aber für den Bei‑ trag – in Abgrenzung zur Zwecksteuer – die Begrenzung des Kreises der Beitragsschuldner auf diejenigen, die „einen wirtschaftlichen Vorteil aus dem Vorhaben ziehen“.328 Die Abgrenzung zur Zwecksteuer ist deshalb schwierig, weil die Zweckbindung des Steueraufkommens einen gewissen Zusammen‑ hang zwischen dem Steuerschuldner und der finanzierten öffentlichen Leis‑ tung schafft.329 Allerdings bleiben bei Zwecksteuern – dem Wesen der Steuer 322  In diesem Sinne Bohley, in: HFinW II, S. 924; Puwalla, Qualifikation von Ab‑ gaben, S. 98 ff.; wohl auch P. Kirchhof, in: HStR V, § 119 Rn. 68. 323  Puwalla, Qualifikation von Abgaben, S. 56, und Ubber, Beitrag, S. 188 ff., im Anschluss an Bohley, in: HFinW II, S. 924. 324  Siehe oben in diesem Teil unter B. V. 1. d). 325  Vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.5.1959, 1 BvL 1 / 58, BVerfGE 9, 291 (300). 326  P. Kirchhof, in: HStR V, § 119 Rn. 64. 327  P. Kirchhof, in: HStR V, § 119 Rn. 64, 67. 328  BVerfG, Beschl. v. 4.2.1958, 2 BvL 31 / 56 u. a., BVerfGE 7, 244 (254); BVerfG, Beschl. v. 12.10.1978, 2  BvR 154 / 74, BVerfGE 49, 343 (354); BVerfG, Beschl. v. 6.12.1983, 2 BvR 1275 / 79, BVerfGE 65, 325 (344). 329  BVerfG, Beschl. v. 4.2.1958, 2 BvL 31 / 56 u. a., BVerfGE 7, 244 (254); BVerfG, Beschl. v. 12.10.1978, 2 BvR 154 / 74, BVerfGE 49, 343 (353 f.); BVerfG, Beschl. v. 6.12.1983, 2 BvR 1275 / 79, BVerfGE 65, 325 (344).

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1. Teil: Einführung, Abgrenzung und dogmatische Grundlagen

entsprechend – Einnahmen- und Ausgabenseite (d. h. die Höhe der Steuer und die staatlichen Kosten) trotz Zweckbindung voneinander getrennt, wäh‑ rend der Beitrag als nichtsteuerliche Abgabe dem Grund und der Höhe nach mit den Kosten für die öffentliche Leistung verknüpft ist.330 Für die Unter‑ scheidung ist auf den Wortlaut und die Ausgestaltung der konkreten Abgabe durch das Abgabengesetz abzustellen.331 Diese Abgrenzungsversuche zwischen Beiträgen und Steuern machen deutlich, dass bei Beiträgen stets eine Abhängigkeit von einer öffentlichen Leistung gegeben sein muss. Für die beitragsbelastete Gruppe muss der Ge‑ setzgeber ein Interesse an der Inanspruchnahme darlegen und darüber hinaus einen gruppenbezogenen Vorteil zurecht vermuten, da ansonsten der Beitrag als gegenleistungsabhängige Abgabe nicht gerechtfertigt werden kann und eine Steuer vorliegt. d) Rechtfertigung des Beitrags Aufgrund der Abhängigkeit von Gebühr und Beitrag von der öffentlichen Leistung zieht das Bundesverfassungsgericht für Beiträge die gleichen Rechtfertigungsgründe wie für Gebühren heran. Beiträge kommen demnach vor allem zum Vorteilsausgleich, aber auch zur Kostendeckung in Be‑ tracht.332 Daneben können Beiträge aber auch zur Verhaltenslenkung und zu sozialen Zwecken erhoben werden.333 Insoweit beanspruchen die Ausführun‑ gen zur Rechtfertigung der Gebühr334 entsprechende Geltung auch für Bei‑ träge. Sowohl die Erhebung des Beitrags als auch seine Höhe werden also vor allem durch die Zwecke des Vorteilsausgleichs und die Kostendeckung begrenzt.

330  BVerfG, Beschl. v. 25.6.2014, 1 BvR 668 / 10 u. a., BVerfGE 137, 1 (18 Rn. 43); P.  Kirchhof, in: HStR V, § 119 Rn. 64; Wernsmann, in: FS Wendt, S. 1053 (1055 f.); vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 18.5.2004, 2  BvR 2374 / 99, BVerfGE 110, 370 (384); BVerfG, Beschl. v. 24.11.2009, 2 BvR 1387 / 04, BVerfGE 124, 348 (364). 331  Ein Beispiel für die Abgrenzung von Steuer und Beitrag anhand des Abgaben‑ gesetzes ist die badische Abgabe über die Aufbringung von Mitteln zur Reblausbe‑ kämpfung, die das BVerfG mit Beschl. v. 4.2.1958, 2  BvL 31 / 56 u. a., BVerfGE 7, 244 (255), getroffen hat. 332  BVerfG, Beschl. v. 31.5.1990, 2  BvL 12 / 88 u. a., BVerfGE 82, 159 (178); BVerfG, Beschl. v. 25.6.2014, 1  BvR 668 / 10 u. a., BVerfGE 137, 1 (21 Rn. 49); s. auch Ubber, Beiträge, S. 302 f.; P.  Kirchhof, in: HStR  V, § 119 Rn. 68; Wernsmann, in: FS Wendt, S. 1053 (1057 ff.). 333  BVerfG, Beschl. v. 25.6.2014, 1 BvR 668 / 10 u. a., BVerfGE 137, 1 (21 Rn. 49). 334  Siehe in diesem Teil unter B. V. 1. b) und c).



B. Dogmatische Grundlagen der Infrastrukturabgabe

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3. Ergebnis zum Begriff der Gebühr und des Beitrags Aus den dargestellten Erwägungen lässt sich ein Beitragsbegriff ableiten, der zur Abgrenzung von der Gebühr auf eine Gruppenbezogenheit der öffent‑ lichen Leistung abheben muss und daneben – zur Abgrenzung von der Steuer – einen eindeutigen Bezug zu einer öffentlichen Leistung aufweisen muss. Diese Leistung muss jedoch nur zur Verfügung gestellt werden und nicht auch tatsächlich in Anspruch genommen werden. Beiträge sind danach (1) Geldleistungen, die (2) hoheitlich auferlegt werden und die (3) von einem sachnahen Interessentenkreis (4) für die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer öffentlichen Leistung erhoben werden. Dabei reicht es aus, wenn der gruppenbezogene Vorteil aus der potentiellen Inanspruchnahme der öffent­ lichen Leistung zutreffend vermutet wird. Die Untersuchung zeigt, dass die Gebühr nach dem weiten Gebührenbe‑ griff nur teilweise unter den Begriff der Vorzugslast eingeordnet werden kann, wohingegen der Beitrag die klassische Form einer Vorzugslast darstellt. Um die Abgrenzung zwischen Gebühr und Beitrag auch in der Gebühren­ definition deutlich zu machen, ist die oben gegebene Umschreibung335 wie folgt zu verengen: Gebühren sind hoheitlich auferlegte Geldleistungen, die aus Anlass der Inanspruchnahme einer individuell zurechenbaren öffentli‑ chen Leistung erhoben werden. Anhand der entwickelten Begriffe kann im Folgenden die Infrastrukturabgabe eingeordnet werden.

VI. Die Infrastrukturabgabe als Gebühr oder Beitrag Da die Qualifikation der Infrastrukturabgabe als Steuer und Sonderab‑ gabe ausscheidet,336 bleibt zu klären, ob es sich bei ihr um eine Gebühr oder einen Beitrag handelt. Auch diese Unterscheidung kann Auswirkungen auf die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Infrastrukturabgaben‑ gesetz haben.337 Allgemein werden Gebühr und Beitrag danach unterschie‑ den, ob das Abgabengesetz die Abgabepflicht von einer tatsächlichen Inan‑ spruchnahme der öffentlichen Leistung abhängig macht oder ob bereits die Bereitstellung der öffentlichen Leistung und damit eine Nutzungsmöglich‑ keit die Abgabepflicht auslöst.338 Darüber hinaus kommt eine Unterschei‑ dung zwischen Gebühr und Beitrag auch danach in Betracht, ob das Abga‑ bengesetz eine individuelle Zurechnung der öffentlichen Leistung vornimmt

335  Siehe

in diesem Teil bei B. V. 1. a). in diesem Teil unter A. IV. 337  Dazu ausführlich im 2. Teil unter A. I. 2. 338  Nachweise oben in diesem Teil bei B. V. 2. b). 336  Siehe

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1. Teil: Einführung, Abgrenzung und dogmatische Grundlagen

oder ob bloß eine Gruppe von potentiellen Leistungsempfängern festgelegt wird.339 1. Exkurs: Erhebungsformen von Straßenbenutzungsgebühren Gerade im Bereich der Straßenbenutzungsabgaben deuten auch die Be‑ messungsgrundlagen der Abgaben an, die von der jeweiligen Erhebungsform abhängen, ob eine Gebühr oder ein Beitrag vorliegt. Unionsrechtlich wird zwischen der Erhebungsform der Benutzungsgebühr und der Maut unter‑ schieden.340 Die Begriffe finden sich aber nicht im Grundgesetz.341 Der Be‑ griff der Maut wird auf Bundesebene in § 1 Abs. 1 BFStrMG342 legaldefi‑ niert. a) Vignette Auf Ebene des Unionsrechts finden sich Definitionen in der Richtlinie 1999 / 62 / EG, der sog. Eurovignetten-Richtlinie.343 Bei einer „Benutzungsge‑ bühr“, die auch als Vignette344 bezeichnet wird,345 handelt es sich gem. Art. 2 lit. c RL 1999 / 62 / EG um eine zu leistende Zahlung, die während eines be‑ stimmten Zeitraums zur Benutzung von Straßen berechtigt. Eine „Benut‑ zungsgebühr“ ist also eine zeitabhängige Erhebungsform einer Straßenbenut‑ zungsabgabe.346 Durch den Erwerb einer Vignette wird in pauschalierter Form 339  Nachweise

oben in diesem Teil bei B. V. 2. b). auch Kainer / Ponterlitschek, ZRP 2013, 198; Münzing, NZV 2014, 197 (198); Welz, UVR 2014, 119 (120). 341  So auch Münzing, NZV 2014, 197 (198). 342  Gesetz über die Erhebung von streckenbezogenen Gebühren für die Benutzung von Bundesautobahnen und Bundesstraßen (Bundesfernstraßenmautgesetz) v. 12.7.2011, BGBl. I S. 1378. 343  Richtlinie 1999 / 62 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 1999 über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Ver‑ kehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge, ABl. EG L 187 v. 20.7.1999, S. 42, zuletzt geändert durch die Richtlinie 2013 / 22 / EU des Rates vom 13.  Mai 2013, ABl. EU L 158 v. 10.6.2013, S. 356. 344  Vignette kommt vom französischen „vigne“, was Weinrebe bedeutet. Ursprüng‑ lich war Vignette die Bezeichnung für ein Weinrankenornament oder die Kenn­ zeichnung der Weinrebe am Rand des Weinbergs, vgl. Duden, Die deutsche Recht‑ schreibung, http: /  / www.duden.de / rechtschreibung / Vignette (zuletzt abgerufen am 7.2.2018). 345  Europäische Kommission, KOM(2012) 199 endg., S. 4; Kainer / Ponterlitschek, ZRP 2013, 198 (198); Münzing, NZV 2014, 197 (198). 346  Kainer / Ponterlitschek, ZRP 2013, 198 (198); Münzing, NZV 2014, 197 (198); Hillgruber, DVBl. 2016, 73. 340  Siehe



B. Dogmatische Grundlagen der Infrastrukturabgabe

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eine Abgabe für die Berechtigung zur Nutzung einer Straße für eine bestimmte Zeit erhoben. Bei der „Benutzungsgebühr“ handelt es sich aber nicht unbe‑ dingt um eine Gebühr im abgabenrechtlichen Sinne. Die zeitabhängige Be‑ messung kann sowohl auf eine Gebühr als auch auf einen Beitrag im abgaben‑ rechtlichen Sinn hindeuten.347 Die pauschalierte Erhebung einer Straßenbe‑ nutzungsabgabe für einen bestimmten Zeitraum durch die Vignette kann näm‑ lich bereits ohne tatsächliche Straßenbenutzung erfolgen und nur an die potentielle Straßenbenutzung anknüpfen. Dann handelt es sich bei ihr um ei‑ nen Beitrag im abgabenrechtlichen Sinne. Muss dagegen die Vignette erst er‑ worben werden, wenn tatsächlich die Straße genutzt wird, liegt eine Gebühr vor. In diesem Fall wird die Abgabepflicht erst bei der tatsächlichen Benut‑ zung der Straße ausgelöst. Die Zeitabhängigkeit bei der Erhebungsform der Vignette deutet somit nicht eindeutig auf eine der beiden Abgabenarten hin. b) Maut Bei einer Mautgebühr – auch teilweise nur als Maut bezeichnet348 – han‑ delt es sich gem. Art. 2 lit. b der Eurovignetten-Richtlinie349 um eine für eine Fahrt eines Fahrzeugs auf einem bestimmten Verkehrsweg zu leistende Zah‑ lung, deren Höhe sich nach der zurückgelegten Wegstrecke und dem Fahr‑ zeugtyp richtet. Eine Maut ist demnach also eine entfernungsabhängige Er‑ hebungsform der Straßenbenutzungsabgabe350 und wird stets nur für die konkret zurückgelegte Strecke, insb. an Mautstationen, erhoben.351 Da eine Maut immer nur an die konkrete Inanspruchnahme einer öffentlichen Leis‑ tung anknüpft, liegt bei der Erhebung einer Straßenbenutzungsabgabe in dieser Form eine Gebühr im abgabenrechtlichen Sinne vor. Diesen Befund bestätigt auch die Legaldefinition des § 1 Abs. 1 BFStrMG, da Maut dort als eine Gebühr definiert wird, die für die Benutzung von bestimmten Straßen mit schweren Lastkraftwagen zu zahlen ist. In Verbindung mit § 3 Abs. 1 BFStrMG, der anordnet, dass sich die geschuldete Maut nach der zurückge‑ legten Strecke bestimmt, zeigt sich, dass es sich bei einer Maut auch im na‑ tionalen Recht um eine streckenbezogene Straßenbenutzungsgebühr handelt. 347  A. A. wohl Kainer / Ponterlitschek, ZRP 2013, 198 (198); Boehme-Neßler, NVwZ 2014, 97 (99). Wie hier wohl Reimer, DVBl. 2015, 1405 (1410). 348  Siehe die Nachweise in diesem Teil Fn. 340. 349  Siehe in diesem Teil Fn. 343. 350  Europäische Kommission, KOM(2012) 199 endg., S. 4; Kainer / Ponterlitschek, ZRP 2013, 198; a. A. Welz, UVR 2014, 119 (120), der unter Maut sowohl die entfer‑ nungsabhängige wie die zeitabhängige Erhebung einer Straßenbenutzungsabgabe versteht. 351  Europäische Kommission, KOM(2012) 199 endg., S. 4; s. auch Hof, Straßen‑ verkehrsabgaben, S. 145.

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1. Teil: Einführung, Abgrenzung und dogmatische Grundlagen

c) Folgerungen für das Infrastrukturabgabengesetz Somit ergibt sich Folgendes: Würde die Infrastrukturabgabe streckenbezo‑ gen als Maut erhoben, läge eine Gebühr vor, würde sie zeitbezogen durch eine Vignette erhoben werden, müsste anhand der oben bereits dargelegten anderen Kriterien geklärt werden, ob die Infrastrukturabgabe eine Gebühr oder ein Beitrag ist. Diese Frage lässt sich bereits mit dem Gesetzestitel des Gesetzes beant‑ worten, mit dem die Infrastrukturabgabe beschlossen wurde. Das Gesetz über die Erhebung einer zeitbezogenen Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen gibt Aufschluss darüber, dass die Infrastrukturabgabe für bestimmte Nutzungszeiträume erhoben wird und somit ein Vignettensystem gewählt wurde. Dieses Ergebnis bestätigt auch § 5 Abs. 1 Satz 1 InfrAG, der den Erwerb einer Vignette vor Benutzung der abgabepflichtigen Straßen vor‑ schreibt. Der Zeitbezug wird insbesondere in § 7 Abs. 1 und 2 InfrAG deut‑ lich, da dort die Entrichtungszeiträume näher geregelt werden. Zudem wird in § 1 Abs. 3 InfrAG die Entrichtungspflicht auf solchen Strecken ausge‑ schlossen, auf denen Maut nach § 2 FStrPrivFinG erhoben wird. Daran wird deutlich, dass die Infrastrukturabgabe als „Benutzungsgebühr“ ausgestaltet ist, da der Gesetzgeber ansonsten wohl den Begriff der Maut im Infrastruk‑ turabgabengesetz verwendet hätte. Ein Streckenbezug findet sich im Infra‑ strukturabgabengesetz an keiner Stelle. Die Infrastrukturabgabe wird also für bestimmte Nutzungszeiträume durch Erwerb einer Vignette352 entrichtet und kann demzufolge sowohl Gebühr als auch Beitrag sein. 2. Abgrenzung zwischen Gebühr und Beitrag anhand der Infrastrukturabgabe Die abgabenrechtliche Einordnung der Infrastrukturabgabe hängt demnach davon ab, ob sie allgemein die Kriterien für eine Gebühr oder für einen Bei‑ trag erfüllt. Für eine Gebühr spricht der Wortlaut des § 1 Abs. 1 Satz 1 InfrAG, der von der Entrichtung einer Abgabe für die Benutzung von Bundesfernstra‑ ßen – und nicht für die Möglichkeit der Benutzung – spricht. Zudem geht aus § 10 Abs. 2 Satz 3 InfrAG hervor, dass die Infrastrukturabgabe zurückzuer‑ statten ist, wenn glaubhaft gemacht wird, dass das Kraftfahrzeug im ganzen Jahr nicht auf Autobahnen oder Bundesstraßen eingesetzt wurde. Inhaltlich dagegen entsteht die Verpflichtung zur Entrichtung der Infrastrukturabgabe für Halter von in Deutschland zugelassenen Kraftfahrzeugen gem. § 5 Abs. 2 InfrAG nicht mit der ersten tatsächlichen Benutzung einer Autobahn oder 352  Ebenso

(186).

Rathke, Ausarbeitung für den Bundestag, S. 5; Zabel, NVwZ 2015, 186



B. Dogmatische Grundlagen der Infrastrukturabgabe91

Bundesstraße, sondern bereits zum Zeitpunkt des Beginns der Abgabenerhe‑ bung (§ 16 InfrAG)353 oder gem. § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InfrAG mit der Zu‑ lassung. Deshalb ist auch nur der Halter nach § 3 Satz 2 InfrAG bei in Deutschland zugelassenen Kraftfahrzeugen der Schuldner der Infrastrukturab‑ gabe.354 Die Infrastrukturabgabe knüpft also für in Deutschland zugelassene Kraftfahrzeuge nicht an die tatsächliche Straßenbenutzung, sondern nur an die Zulassung des Kraftfahrzeugs an.355 Hinzu kommt, dass die Infrastrukturab‑ gabe für in Deutschland zugelassene Kraftfahrzeuge nach § 7 Abs. 1 InfrAG hinsichtlich des Entrichtungszeitraums von jeder tatsächlichen Benutzung ent‑ koppelt wird, da für diese Kraftfahrzeuge stets die Abgabe für ein Jahr zu entrichten ist. Es spielt also für Halter deutscher Kraftfahrzeuge keine Rolle, ob sie mit dem Fahrzeug nicht, nur wenige Tage oder jeden Tag im Jahr auf Bundesfernstraßen fahren. Halter von in Deutschland zugelassenen Kraftfahr‑ zeugen müssen demnach bereits für die Möglichkeit der Benutzung einer ab‑ gabepflichtigen Straße die Infrastrukturabgabe jeweils für ein Jahr entrich‑ ten.356 All dies spricht dafür die Infrastrukturabgabe als Beitrag im abgaben‑ rechtlichen Sinne und nicht als Gebühr einzuordnen.357 Dazu tritt, dass es sich bei § 10 Abs. 2 Satz 3 InfrAG um einen Härtefalltatbestand mit zweifelhafter Praxisrelevanz handelt, der an der grundsätzlichen Einordnung als Beitrag nichts zu ändern vermag. Die Ausnahmen in § 10 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 7 Abs. 1 InfrAG knüpfen nicht unmittelbar an die tatsächliche Nutzung der ab‑ gabenpflichtigen Straßen an, sondern statuieren eine anteilige Rückerstattung zumindest in den Fällen der Nummern 1 und 2 bereits bei Verlust der Nut‑ zungsmöglichkeit des Halters als Abgabenschuldners. Sie sprechen somit eher für einen Beitrag als für eine Gebühr. § 10 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 InfrAG sieht eine anteilige Erstattung der Infrastrukturabgabe vor, wenn die Voraussetzun‑ gen für eine Ausnahme nach § 2 InfrAG eintreten. Eine Rückerstattung einer Vorzugslast bei Eintritt eines Befreiungstatbestands während des Abgaben‑ zeitraums ist keine Besonderheit der Gebühr oder des Beitrags, sondern viel‑ mehr bei allen Abgabenarten möglich. Somit spricht § 10 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 InfrAG weder für eine Gebühr noch für einen Beitrag. 353  Siehe

dazu in diesem Teil unter A. IV. 1. f). DVBl. 2015, 1405 (1410). 355  Ebenso Reimer, DVBl. 2015, 1405 (1410). 356  Siehe dazu BT-Drs. 18 / 3990, S. 1. Dort heißt es, dass davon auszugehen sei, „dass nahezu alle abgabepflichtigen Halter von im Inland zugelassenen Fahrzeugen das Bundesfernstraßennetz im Jahresverlauf nutzen“ werden. Insoweit wird also nicht an die tatsächliche Benutzung einer Bundesfernstraße angeknüpft. 357  So auch Schwemer, Ausschuss-Drs. 18(15)193-E, S. 4; Reimer, DVBl. 2015, 1405 (1410); Hartmann, Pkw-Maut, S. 22. Auch im Koalitionsvertrag „Deutschlands Zukunft gestalten“ zwischen CDU, CSU und SPD für die 18. Legislaturperiode findet sich auf S. 29 der Begriff des Beitrags. Es ist aber davon auszugehen, dass dieser Begriff dort nicht im finanzverfassungsrechtlichen Sinne verwendet wird. 354  Reimer,

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1. Teil: Einführung, Abgrenzung und dogmatische Grundlagen

Anders aber ist die Entrichtungspflicht gem. § 5 Abs. 4 InfrAG bei Kraft‑ fahrzeugen geregelt, die nicht in Deutschland zugelassen sind. Für diese Kraftfahrzeuge entsteht die Verpflichtung zur Entrichtung der In­frastruktur­ abgabe erst mit der ersten Benutzung einer abgabepflichtigen Straße nach einem Grenzübertritt. Hier wird also für die Entrichtungspflicht an eine tat‑ sächliche Inanspruchnahme der abgabepflichtigen Straßen angeknüpft. Deut‑ lich wird dies daran, dass bei nicht in Deutschland zugelassenen Kraftfahr‑ zeugen nicht nur der Halter des Kraftfahrzeugs Schuldner der Infrastruktur‑ abgabe (§ 3 Satz 1 Nr. 1 InfrAG) ist, sondern auch der Kraftfahrzeugführer gem. § 3 Satz 1 Nr. 2 InfrAG während der Benutzung von abgabepflichtigen Straßen. Hier wird nicht nur an die Zulassung des Kraftfahrzeugs und damit nicht nur an die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Autobahnen und Bundesstraßen mit Kraftfahrzeugen angeknüpft. Dazu kommt der Umstand, dass gem. § 7 Abs. 2 InfrAG für nicht in Deutschland zugelassene Kraftfahr‑ zeuge die Infrastrukturabgabe als Zehntages‑, Zweimonats‑ oder als Jahres­ vignette zu entrichten ist. Halter und Führer ausländischer Kraftfahrzeuge haben demnach die Möglichkeit, eine Vignette passend zu ihrer tatsächlichen Nutzung zu erwerben. Die Pauschalierung wirkt sich weit weniger als bei in Deutschland zugelassenen Kraftfahrzeugen aus. Auch hinsichtlich des Zeit‑ bezugs liegt somit eine Gebühr näher als ein Beitrag. 3. Doppelnatur der Infrastrukturabgabe a) Doppelnatur Erkennbar wird aus den vorstehenden Ausführungen, dass die Ausgestal‑ tung der Infrastrukturabgabe für Kraftfahrzeuge, die in Deutschland zugelas‑ sen sind und solchen, die außerhalb Deutschlands zugelassen sind, deutliche Unterschiede aufweist. Vor diesem Hintergrund kann meiner Meinung nach eine Doppelnatur der Infrastrukturabgabe in abgabenrechtlicher Hinsicht an‑ genommen werden. Sie ist einerseits Gebühr und andererseits Beitrag.358 Eine solche Doppelnatur ist einzigartig bei einer Abgabe, da durch zahlrei‑ che gemeinsame Regelungen in einem Gesetz zwei unterschiedliche Abga‑ benarten miteinander verbunden werden. Die Infrastrukturabgabe stellt daher eine abgabenrechtliche Besonderheit dar.

358  So auch Schwemer, Ausschuss-Drs. 18(15)193-E, S. 4; Hartmann, Pkw-Maut, S. 22. Ähnlich wohl auch Reimer, DVBl. 2015, 1405 (1410).



B. Dogmatische Grundlagen der Infrastrukturabgabe93

b) Dogmatische Probleme der Doppelnatur Diese Doppelnatur mag dogmatische Bedenken hervorrufen. Es könnte vorgebracht werden, dass an jede Abgabenart unterschiedliche Anforderun‑ gen hinsichtlich ihrer Rechtfertigung gestellt werden. Allerdings liegen Ge‑ bühr und Beitrag hinsichtlich der Rechtfertigungsgründe eng beieinander.359 Da sich die beiden Tatbestände im Infrastrukturabgabengesetz – wie gerade aufgezeigt – voneinander trennen lassen, ist es auch möglich, jeweils die Rechtfertigungsgründe hinsichtlich des jeweiligen Tatbestandes gesondert zu prüfen. Auf die Problematik, die sich wegen der Doppelnatur hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenz gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG ergibt, wird später näher einzugehen sein.360 aa) Einordnung der Infrastrukturabgabe als Gebühr Die Annahme einer Doppelnatur, die die vorgenannten Probleme mit sich bringt, könnte man umgehen, indem die Infrastrukturabgabe einheitlich als Gebühr oder als Beitrag angesehen wird.361 Betrachtet man die rechtliche Lage, könnte die Infrastrukturabgabe insgesamt als Gebühr anzusehen sein. Dagegen spricht zwar die tatsächliche Betrachtung. Rechtlich gesehen wäre aber die Einordnung als Gebühr naheliegend. Teils wird der Beitrag gar nicht als eigenständige Abgabenkategorie anerkannt und insgesamt der Gebühr untergeordnet.362 Insbesondere Dieter Wilke meint, dass selbst bei Vorverle‑ gung der Zahlungspflicht für bloße Nutzungsmöglichkeiten ohne tatsächliche Inanspruchnahme der Leistung die Erhebung einer Gebühr möglich sei.363 Diese Ansicht ist aber – wie bereits ausführlich dargelegt – abzulehnen, da sie eine Abgrenzung zwischen Gebühr und Beitrag unmöglich macht und ein selbständiger Beitrag seine Berechtigung hat.364 Nach der hier vertretenen Ansicht kommt damit die einheitliche Einordnung der Infrastrukturabgabe als Gebühr nicht in Betracht.

359  Siehe

in diesem Teil unter B. V. 2. d). im 2. Teil unter A. I. 2. 361  Einordnung ohne nähere Prüfung als Gebühr bei Kainer / Ponterlitschek, ZRP 2013, 198; Korte / Gurreck, EuR 2014, 420 (421); Windoffer, GewArch 2015, 377 (378); Hillgruber, DVBl. 2016, 73. Offen gelassen wird die Rechtsnatur von Rathke, Ausarbeitung für den Bundestag, S. 5. 362  Siehe oben in diesem Teil bei B. V. 2. b). 363  Wilke, Gebühr und Grundgesetz, S. 125 f.; s. auch § 3 Abs. 1 Nr. 2 BGebG. 364  Siehe oben in diesem Teil bei B. V. 2. b). 360  Siehe

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1. Teil: Einführung, Abgrenzung und dogmatische Grundlagen

bb) Einordnung der Infrastrukturabgabe als Beitrag Betrachtet man das tatsächliche Verhältnis von Kraftfahrzeugen, so ließe sich die Infrastrukturabgabe womöglich einheitlich als Beitrag qualifizieren, da inländische Kraftfahrzeuge in wesentlich größerem Umfang die abgabe‑ pflichtigen Straßen nutzen als ausländische.365 Ordnete man die Infrastruk‑ turabgabe insgesamt als Beitrag ein, träten allerdings die von Peter Selmer und Carsten Brodersen angesprochenen Probleme hinsichtlich der Einbezie‑ hung der ausländischen Kraftfahrzeughalter auf:366 Eine genaue Bestimmung der Gruppe der beitragspflichtigen Halter sei bei Einbeziehung sämtlicher ausländischen Kraftfahrzeughalter unmöglich. Die Beitragspflicht könne im Ausland nicht durchgesetzt werden, da deutsches Recht grundsätzlich nur auf deutschem Staatsgebiet gelte. Eine generelle Einordnung der Infrastrukturab‑ gabe als Beitrag scheiterte danach aus rechtlichen Gründen. Selmer und Brodersen äußern darüber hinaus die Befürchtung, dass eine Straßenbenutzungsabgabe, die von jedem inländischen Kraftfahrzeughalter erhoben werden soll, als Beitrag nicht zulässig sei.367 Der Gesetzgeber müsse die Gruppe der Beitragspflichtigen bereits vor Beitragserhebung so genau wie möglich erfassen. Es fehle aber in jedem Fall an der Bereitstellung eines individuell zurechenbaren Vorteils, wenn der Gesetzgeber einen Beitrag von jedem inländischen Kraftfahrzeughalter erheben wolle. Regelmäßig sei eine solche Abgabe, bei der nur eine Teilhabe an nicht individuell zurechenbaren Vorteilen gewährt werde, eine Steuer.368 Sie sprechen in diesem Zusammen‑ hang vom „Allerweltsverhalten der Straßennutzung in seiner allgemeinsten Form“.369 Eine Abgrenzung zur Steuer ist nach dieser Meinung für einen Straßenbenutzungsbeitrag, der von jedem Halter eines Kraftfahrzeugs erho‑ ben wird, nicht möglich. Diese Befürchtungen sind hinsichtlich der Infrastrukturabgabe unbegrün‑ det. Zum einen gilt die Infrastrukturabgabe gem. § 1 Abs. 1 InfrAG nur auf Bundesfernstraßen nach § 1 FStrG, also nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FStrG ausschließlich auf Bundesautobahnen und Bundesstraßen, nicht aber auf al‑ len deutschen Straßen. Erhoben wird die Infrastrukturabgabe darüber hinaus 365  Lensing,

Ausländischer Kraftfahrzeugverkehr 2008, S. 3, 18. in: Selmer / Brodersen / Nicolaysen, Straßenbenutzungsabga‑

366  Selmer / Brodersen,

ben, S. 108 f. 367  Hier und im Folgenden Selmer / Brodersen, in: Selmer / Brodersen / Nicolaysen, Straßenbenutzungsabgaben, S. 108. Gawel, Die Verwaltung 2014, 467 (480), betont dagegen die besondere Eignung der Inanspruchnahme der Verkehrsinfrastruktur zur Nutzerfinanzierung. 368  Dabei nehmen sie Bezug auf Wilke, Gebühr und Grundgesetz, S. 135. 369  Selmer / Brodersen, in: Selmer / Brodersen / Nicolaysen, Straßenbenutzungsabga‑ ben, S. 108; vgl. auch Wendt, Gebühr als Lenkungsmittel, S. 71.



B. Dogmatische Grundlagen der Infrastrukturabgabe95

gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 InfrAG in Verbindung mit Anhang II der Richt­ linie 2007 / 46 / EG370 nur für Kraftfahrzeuge mit höchstens neun Sitzplätzen, die für die Personenbeförderung ausgelegt und gebaut sind, sowie für Wohn‑ mobile und für besonders beschussgesicherte Kraftfahrzeuge zur Personenbe‑ förderung mit höchstens neun Sitzplätzen. Dadurch wird also zum einen die Gruppe der Abgabepflichtigen beschränkt, sodass nicht jeder Kraftfahrzeug‑ halter die Infrastrukturabgabe zahlen muss. Zum anderen wird auch die öffentliche Leistung auf die Nutzung von Bundesfernstraßen begrenzt.371 ­ Die Gruppe der Halter von Kraftfahrzeugen zur Personenbeförderung stellt aber – neben der Gruppe der Halter von schweren Nutzfahrzeugen – eine Hauptgruppe der Nutzer von Autobahnen und Bundesstraßen dar. Wenn aber nach der Ansicht von Selmer und Brodersen die Nutzungsmöglichkeit mit schweren Nutzfahrzeugen einen individuell zurechenbaren Vorteil und damit eine beitragsfähige öffentliche Leistung darstellen soll,372 dann muss das auch für die andere Hauptgruppe gelten, nämlich für die Straßenbenutzung mit Kraftfahrzeugen zur Personenbeförderung. Insoweit liegt auch für diese Gruppe ein besonderer Vorteil in der Benutzung der Bundesfernstraßen. Da‑ her steht der Qualifikation der Infrastrukturabgabe als Beitrag insoweit nichts im Wege. Sie ist zur Steuer durch einen besonderen Vorteil abgrenzbar.373 Die Bedenken hinsichtlich der Eingrenzung der Gruppe durch den Gesetz‑ geber sind ebenfalls unbegründet. Eine Analyse der tatsächlichen Gegeben‑ heiten ergibt, dass mindestens 99 % der abgabepflichtigen Kraftfahrzeughal‑ ter einmal im Jahr eine Autobahn oder Bundesstraße nutzen.374 Eine noch nähere und bessere Eingrenzung der Gruppe der Abgabepflichtigen kann vom Gesetzgeber nicht verlangt werden. Er hat somit den sachnahen Interes‑ sentenkreis zutreffend bestimmt. Zudem wird dadurch der Bezug zur Leis‑ tung für die meisten Abgabepflichtigen deutlich.

370  Richtlinie 2007 / 46 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraft‑ fahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbst‑ ständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge, ABl. EU L 263 v. 9.10.2007, S. 1. 371  Vgl. dazu P.  Kirchhof, in: Straßenrechtsgesetzgebung, S. 225 (233 f.); zu bei‑ den Aspekten Krapf, Verkehrslenkung, S. 87. 372  Selmer / Brodersen, in: Selmer / Brodersen / Nicolaysen, Straßenbenutzungsabga‑ ben, S. 108. 373  A. A. Fehling, ZG 2014, 305 (312); krit. Reimer, DVBl. 2015, 1405 (1410 Fn. 96). Mangels besonderem Vorteil ordnet Wendt, Gebühr als Lenkungsmittel, S. 70 f., eine Autobahnbenutzungsabgabe, die nur an die Möglichkeit der Autobahn‑ benutzung anknüpft, als Steuer ein. 374  IVV GmbH, Ausschuss-Drs. 18(15)193-G, S. 2.

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1. Teil: Einführung, Abgrenzung und dogmatische Grundlagen

4. Ergebnis Letztlich hat sich der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Infrastruktur‑ abgabengesetzes daran orientiert, was Selmer und Brodersen aufzeigen.375 Die Erhebung eines Beitrags von ausländischen Kraftfahrzeughaltern ist mangels deutscher Hoheitsgewalt im Ausland ausgeschlossen. Für ausländi‑ sche Kraftfahrzeughalter und -führer ist aber die Infrastrukturabgabe nicht als Beitrag, sondern als Gebühr ausgestaltet, was die Autoren als unproble‑ matisch erachten.376 Eine Zusammenfassung der Infrastrukturabgabe unter den Begriff der Gebühr kommt nach der hier vertretenen Ansicht nicht in Betracht. Aufgrund der gesetzlichen Ausgestaltung weist die Infrastrukturabgabe eine Doppelnatur auf, die als solche grundsätzlich hinzunehmen ist. Gebühr und Beitrag sind eng miteinander verwandte Abgabenarten, sodass sich keine Probleme aus der Finanzverfassung ergeben.377 Der Gesetzgeber wollte die Abgabe für inländische Kraftfahrzeughalter anders ausgestalten als für aus‑ ländische Kraftfahrzeughalter und -führer. Die Infrastrukturabgabe ist also je nach Adressatenrichtung ein Beitrag oder eine Gebühr. Es zeigt sich somit, dass die Bezeichnung als Abgabe durchaus ihren Sinn hat, weil die Bezeich‑ nung Infrastrukturbeitrag oder Infrastrukturgebühr den doppelten Abgaben‑ charakter der Infrastrukturabgabe außer Acht gelassen hätte. Überdies macht durch die Doppelnatur auch die Kurzbezeichnung des Gesetzes als „Infra‑ strukturabgabengesetz“ Sinn, da in diesem Gesetz zwei Abgaben geregelt werden. Bei einer Abgabe hätte die Kurzbezeichnung konsequenterweise „Infrastrukturabgabegesetz“ lauten müssen. Die ausführliche Gesetzesbe‑ zeichnung als „Gesetz über die Erhebung einer zeitbezogenen Infrastruktur‑ abgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen“ lässt aber darauf schlie‑ ßen, dass die Kurzbezeichnung wohl unabsichtlich auf mehrere Abgaben hindeutet. Der Gesetzgeber hat also wohl die Doppelnatur nicht erkannt. An dieser gleichwohl vorhandenen Doppelnatur wird die weitere Prüfung der Verfassungsmäßigkeit ausgerichtet werden.

375  Selmer / Brodersen, in: Selmer / Brodersen / Nicolaysen, Straßenbenutzungsabga‑ ben, S. 108 f. 376  Selmer / Brodersen, in: Selmer / Brodersen / Nicolaysen, Straßenbenutzungsabga‑ ben, S. 105 f., S. 109. 377  Problematisch wäre der Fall, wenn man die Infrastrukturabgabe für Halter in‑ ländischer Kfz einerseits als Steuer und für Halter und Führer ausländischer Kfz an‑ dererseits als Gebühr ansehen würde, wie es wohl Fehling, ZG 2014, 305 (312), tut. Dann stünden sich zwei konträre Abgabenarten der Finanzverfassung in einem ein‑ heitlichen Gesetz gegenüber.

2. Teil

Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz Die Regelungen des Infrastrukturabgabengesetzes weisen nicht nur – wie bereits im ersten Teil der Untersuchung angedeutet – zahlreiche Probleme hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem Recht der EU auf.1 Auch das deut‑ sche Verfassungsrecht setzt formelle und materielle Grenzen für die Erhe‑ bung von Abgaben sowie für Ermächtigungen zum Erlass von Rechtsverord‑ nungen.

A. Formelle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes I. Zuständigkeit des Bundes für den Erlass des Infrastrukturabgabengesetzes Die Zuständigkeit des Bundes für den Erlass des Infrastrukturabgabenge‑ setzes und auch des Ersten Gesetzes zur Änderung des Infrastrukturabgaben‑ gesetzes2 bestimmt sich maßgeblich danach, welche Zuständigkeitsvor‑ schrift des Grundgesetzes Anwendung findet. 1. Gesetzgebungskompetenz für Steuern Gem. Art. 105 Abs. 2 GG steht dem Bund die Gesetzgebungskompetenz über „die übrigen Steuern“ zu, wenn ihm das Aufkommen ganz oder zum Teil zusteht oder die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG erfüllt sind. Damit die Kompetenz aus Art. 105 Abs. 2 GG für das Infrastrukturabgaben‑ gesetz eingreifen kann, müsste es sich bei Infrastrukturabgabe um eine Steuer handeln. Im ersten Kapitel wurde aber bereits festgestellt, dass die Infra‑ 1  Hierzu

ausführlich im 3. Teil der Untersuchung. folgenden Abschnitt wird nur die Bezeichnung Infrastrukturabgabengesetz verwendet. Aufgrund der geringfügigen Änderungen durch das Erste Gesetz zur Än‑ derung des Infrastrukturabgabengesetzes bei den Abgabensätzen können beide Ge‑ setze nur einheitlich auf eine Gesetzgebungskompetenz gestützt werden. 2  Im

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2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

strukturabgabe eine nichtsteuerliche Abgabe mit Doppelnatur ist.3 Die Ge‑ setzgebungskompetenz aus Art. 105 Abs. 2 GG scheidet somit als Grundlage für das Infrastrukturabgabengesetz aus. 2. Gesetzgebungskompetenz für die Erhebung und Verteilung von Straßenbenutzungsgebühren Für den Erlass des Infrastrukturabgabengesetzes durch den Bund bleiben somit noch die außersteuerlichen Gesetzgebungskompetenzen. Hier gerät Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG in den Blick. Die Begründung der Bundesregierung zum Gesetzentwurf für das Infrastrukturabgabengesetz stützt sich auf diese Vorschrift.4 Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG gibt dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für den Straßenverkehr, das Kraftfahrwesen, den Bau und die Unterhaltung von Landstraßen für den Fernverkehr sowie die Erhebung und Verteilung von Gebühren oder Entgelten für die Benutzung öffentlicher Straßen mit Fahrzeugen. Zunächst scheint eindeutig, dass das Infrastrukturabgabengesetz unter Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG subsumiert werden kann. Diese Auffassung vertreten – neben der gerade zitierten Bundesregierung – zahlreiche Stim‑ men in der Literatur5, denn mit dem Gesetz soll eine Abgabe für die Benut‑ zung von Autobahnen und Bundesstraßen mit Kraftfahrzeugen eingeführt werden. Allerdings hat die Untersuchung am Ende des vorangegangenen Kapitels gezeigt, dass die Infrastrukturabgabe offenbar nicht eindeutig dem Abgabe­ typus der Gebühr zuzuordnen ist, sondern eine Doppelnatur aufweist:6 Sie ist sowohl Beitrag als auch Gebühr. Hinsichtlich der Abgabe für Kraftfahrzeuge, die nicht in Deutschland zugelassen sind, ist eine Gebühr anzunehmen. So‑ mit kann die Infrastrukturabgabe teilweise bereits unter Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG subsumiert werden und das Gesetz teilweise darauf gestützt werden. Eine nähere Auslegung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG wird zeigen, ob das Infrastrukturabgabengesetz als Ganzes auf diese Kompetenzvorschrift gestützt werden kann. Diese Auslegung wird anhand des Wortlauts, der Sys‑ 3  Siehe

im 1. Teil unter B. VI. 3. 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 23. Auch das Erste Gesetz zur Änderung des Infrastrukturabgabengesetzes wird auf diese Vorschrift gestützt, s. BT-Drs. 18 / 11237 v. 20.2.2017, S. 11. 5  Reimer, DVBl. 2015, 1405 (1409); Wittreck, in: Dreier, GG-Komm., Art. 74 Rn. 113; vgl. auch Langeloh, DÖV 2014, 365 (366). Allgemein nimmt auch Uerpmann-Wittzack, in: HStR  IV, § 89 Rn. 16, die Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG für „streckenunabhängige Vignettenlösungen“ an. 6  Siehe im 1.Teil unter B. VI. 3. 4  BT-Drs.



A. Formelle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 99

tematik, der Gesetzeshistorie sowie dem Sinn und Zweck der Norm durchge‑ führt.7 a) Grammatische Auslegung Folgt man dem Wortlaut des Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG so erfasst diese Gesetzgebungskompetenz die Erhebung und Verteilung von Gebühren. Die Abgabe für die Benutzung von Bundesautobahnen und Bundesstraßen mit Kraftfahrzeugen, die in Deutschland zugelassen sind, ist aber ein Beitrag im abgabenrechtlichen Sinne. Der Wortlaut „Gebühr“ in Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG ist jedoch nicht so eindeutig, wie es auf den ersten Blick scheint. Beitrag und Gebühr sind als Abgabenarten sehr eng miteinander verwandt und unterscheiden sich nur in geringem Umfang voneinander.8 Das spricht dafür, auch im Grundgesetz die beiden Abgabenarten unter einen Begriff zu fassen. Hinzu kommt, dass das Grundgesetz den Begriff des Beitrags im ­finanzrechtlichen Sinne nicht kennt. Durch die Erwähnung der Gebühr sind dem Grundgesetz aber gegenleistungsabhängige Abgaben nicht fremd. Die Gebühr könnte demnach im Grundgesetz den Gegenbegriff zur Steuer bilden, die gerade „voraussetzungslos“ (gegenleistungsunabhängig) geschuldet wird. Der Beitrag ist als Abgabentyp allerdings einfachgesetzlich anerkannt und hat in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch verfassungs‑ rechtliche Bedeutung und Anerkennung erfahren.9 Außerdem würde der Begriff der Gebühr im Grundgesetz ohne nähere Grundlage auf diese Weise materiell aufgeladen, obwohl er dort nur an zwei Stellen10 Erwähnung fin‑ det.11 Aus diesen beiden Nennungen Begriffsmerkmale abzuleiten oder Rangverhältnisse zu bilden, erscheint nicht zielführend. Abgesehen davon kann aus der fehlenden Erwähnung eines Abgabentyps im Grundgesetz allen‑ falls geschlossen werden, dass das Grundgesetz diesen Abgabentyp seinem Wortlaut nach nicht kennt. Daraus dann aber auch den Schluss zu ziehen, dass die Gebühr der Oberbegriff im Grundgesetz auch für den Beitrag sein muss, ist nicht zwingend. Aus diesen beiden Ansichten wird deutlich, dass der Wortlaut des Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG mit Blick auf den Gebührenbegriff nicht eindeutig ist. Man mag einen begrenzten Gebührenbegriff auch bei Art. 74 Abs. 1 7  Siehe nur BVerfG, Urt. v. 10.2.2004, 2  BvR 834 / 02 u. a., BVerfGE 109, 190 (212); BVerfG, Beschl. v. 14.1.2015, 1 BvR 931 / 12, BVerfGE 138, 261 (273 Rn. 29). 8  Siehe oben im 1. Teil unter B. V. 2. b); Selmer / Brodersen, in: Selmer / Broder‑ sen / Nicolaysen, Straßenbenutzungsabgaben, S. 106. 9  Siehe oben im 1. Teil unter B. V. 2. 10  Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 sowie Art. 80 Abs. 2 GG. 11  Vgl. Wilke, Gebühr und Grundgesetz, S. 151 ff.

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2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

Nr. 22 Fall 4 GG zugrunde legen.12 Dafür spricht, dass die Vorschrift von Gebühren für die Benutzung von öffentlichen Straßen spricht.13 Beiträge werden aber bereits für die Möglichkeit der Benutzung öffentlicher Einrich‑ tungen erhoben. Dennoch lässt der Wortlaut des Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG grundsätzlich auch eine Einbeziehung von Beiträgen zu, auch wenn die Auffassung, die von der Gebühr als Oberbegriff im Grundgesetz ausgeht, wenig überzeugt. Aufgrund des nicht eindeutigen Wortlauts müssen die ande‑ ren anerkannten Auslegungsmethoden herangezogen werden. b) Systematische Auslegung Möglicherweise ergibt die Systematik des Grundgesetzes eine eindeutige Auslegung des Gebührenbegriffs. Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG ist eine Gesetz‑ gebungskompetenzvorschrift für den Bund aus dem Bereich der konkurrie‑ renden Gesetzgebung. Für die Reichweite der Auslegung des Tatbestands‑ merkmals der Gebühr könnte ein Vergleich mit der Auslegung anderer Tatbe‑ standsmerkmale des Art. 74 Abs. 1 GG herangezogen werden. Das Bundes‑ verfassungsgericht geht in gefestigter Rechtsprechung davon aus, dass die Kompetenzvorschriften des Grundgesetzes für den Bund als Ausnahmen eng zu interpretieren seien.14 Gegen diese apodiktische Aussage des Bundesver‑ fassungsgerichts spricht jedoch bereits die Tatsache, dass auch ungeschrie‑ bene Bundesgesetzgebungskompetenzen anerkannt werden und diese kaum aus einer strikten Interpretation der Gesetzgebungskompetenzvorschriften der Art. 73 und 74 GG herrühren können. Eindeutiger noch ist die Tatsache, dass mittlerweile die große Mehrzahl der Gesetzgebungskompetenzen beim Bund liegt, sodass gerade keine Vorschriften mit Ausnahmecharakter vorliegen.15 Rechtlich liegt zwar durch Art. 30, 70 Abs. 1 GG eine Ausgangsvermutung zugunsten der Länder vor, tatsächlich wird diese Vermutung aber durch die 12  Diesen Begriff legen Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG-Komm., Art. 74 Rn. 66, Art. 105 Rn. 16 ff., und Selmer / Brodersen, in: Selmer / Brodersen / Nicolaysen, Stra‑ ßenbenutzungsgebühren, S. 14, 22, zugrunde. In die gleiche Richtung wohl Klinski, DVBl. 2002, 221 (223); Schnapauff, in: Hömig / Wolff, GG-Komm., Art. 74 Rn. 22; Windthorst, in: StudKGG, Art. 74 Rn. 68; Wittreck, in: Dreier, GG-Komm., Art. 74 Rn. 113. 13  Deutlich zum Begriff der Benutzung als tatsächlicher Inanspruchnahme Pestalozza, in: v. Mangoldt / Klein / Pestalozza, Das Bonner Grundgesetz, Bd. 8, 3. Aufl. 1996, Rn. 1618. 14  BVerfG, Urt. v. 28.2.1961, 2 BvG 1 / 60 u. a., BVerfGE 12, 205 (228 f.); BVerfG, Beschl. v. 10.3.1976, 1  BvR 355 / 67, BVerfGE 42, 20 (28); BVerfG, Beschl. v. 3.7.2012, 2 PBvU 1 / 11, BVerfGE 132, 1 (5 f. Rn. 16); BVerfG, Beschl. v. 14.1.2015, 1 BvR 931 / 12, BVerfGE 138, 261 (278 Rn. 28). 15  Siehe nur Rengeling, in: HStR VI, § 135 Rn. 52; Wittreck, in: Dreier, GGKomm., Vorb. zu Art. 70–74, Rn. 31 m. w. N.



A. Formelle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 101

Art. 73, 74 GG ins Gegenteil verkehrt. Das spricht dafür, einzelne Tatbe‑ standsmerkmale innerhalb der Gesetzgebungskompetenzen weit auszulegen. Hieraus lässt sich folgern, dass die Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG für Gebühren bei einer systematischen Aus‑ legung auch auf Beiträge erweitert werden kann. c) Historische Auslegung aa) Einfügung in das Grundgesetz im Jahr 1969 Aus historischer Perspektive können die Materialien zur Änderung des Grundgesetzes aus den Jahren 1968 und 1969 herangezogen werden, infolge deren der Fall 4 in Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG eingefügt wurde. Das Bundes‑ verfassungsgericht misst gerade der Auslegung der Vorschriften zu den Ge‑ setzgebungskompetenzen anhand der historischen Materialien besondere Bedeutung zu.16 Laut des Berichts des federführenden Rechtsauschusses war das Ziel der Einfügung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 in das Grundge‑ setz, dem Bund die Möglichkeit zu geben, eine Gebührenregelung für den Straßengüterverkehr einzuführen.17 Die Einführung einer solchen Straßen‑ benutzungsgebühr für Lastkraftwagen war im Jahr 1968 von der CDU / CSUFraktion im Deutschen Bundestag vorgeschlagen worden, wobei Zweifel aufkamen, ob der Bund dafür eine Gesetzgebungskompetenz hatte.18 Beab‑ sichtigt war, eine Gebühr im abgabenrechtlichen Sinne für die Benutzung aller öffentlichen Straßen mit schweren Lastkraftfahrzeugen einzuführen.19 Letztlich spiegelte sich diese Intention nicht in der Fassung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG in vollem Umfang wider, da diese Vorschrift nicht auf schwere Lastkraftfahrzeuge beschränkt wurde. Der Bundesrat wollte im damaligen Gesetzgebungsverfahren diese Beschränkung aufnehmen und rief unter anderem deshalb den Vermittlungsausschuss an.20 Allerdings setzten die Vertreter des Bundestags im Vermittlungsausschuss die weite Fassung 16  BVerfG, Beschl. v. 9.5.1972, 1  BvR 518 / 62 u. a., BVerfGE 33, 125 (152 f.); BVerfG, Beschl. v. 12.12.1984, 1 BvR 1249 / 83 u. a., BVerfGE 68, 319 (328); BVerfG, Urt. v. 10.2.2004, 2  BvR 834 / 02 u. a., BVerfGE 109, 190 (213). In einem neueren Beschl. v. 14.1.2015, 1 BvR 931 / 12, BVerfGE 138, 261 (274 f. Rn. 29), schränkt das BVerfG die besondere Bedeutung der historischen Auslegung bei Gesetzgebungskom‑ petenzen auf solche Regelungsmaterien ein, die bereits bestehende Normbereiche aufgegriffen haben. 17  Zu BT-Drs. 5 / 3605 v. 6.12.1968, S. 4. 18  Heidekrüger, DStZ / A 1968, 156 (159); Schmidt-Bleibtreu, BB 1968, 261 (263). 19  Vgl. BT-Drs. 5 / 2524 v. 1.2.1968, S. 13 ff., und die Darstellung des Gesetzent‑ wurfs bei Heidekrüger, DStZ / A 1968, 156 (158). 20  BT-Drs. 5 / 3826 v. 7.2.1969, S. 2 f.

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2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

ohne Beschränkung auf schwere Lastkraftfahrzeuge durch.21 Somit wurde auch die Erhebung von Gebühren für die Benutzung öffentlicher Straßen mit anderen Kraftfahrzeugen als Lastkraftwagen ermöglicht. Für eine Beschrän‑ kung der Norm auf Lastkraftwagen bleibt wegen des Verlaufs des damaligen Gesetzgebungsverfahrens kein Raum mehr. Offen bleibt allerdings, ob sich aus dem Gesetzgebungsverfahren Erkennt‑ nisse für die Auslegung des Begriffs der Gebühr gewinnen lassen. Problema‑ tisch war damals nicht die Einführung einer Gebühr im abgabenrechtlichen Sinne als solche, sondern der Umstand, dass diese Gebühr auf allen öffent­ lichen Straßen erhoben werden sollte.22 Eine Gebühr konnte wegen Art. 74 Nr. 22 Fall 3 GG auch ohne Einfügung des Falls 4 erhoben werden, aller‑ dings nur auf Landstraßen für den Fernverkehr.23 Daher kommt dem Motiv für die Einfügung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG keine Bedeutung für die Auslegung des Gebührenbegriffs zu. Es kam damals nicht darauf an, welche Art von Abgabe eingeführt werden sollte, sondern ausschließlich auf die gegenständliche Reichweite dieser Abgabe. Aus dem Gesetzgebungsver‑ fahren und den Motiven für die Einführung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG lassen sich daher keine eindeutigen Erkenntnisse für die Auslegung des Begriffs der Gebühr finden. bb) Änderung im Jahr 2006 Im Rahmen der Föderalismusreform I im Jahr 2006 wurde dann Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG um eine Gesetzgebungskompetenz für die Erhebung und Verteilung von Entgelten für die Benutzung öffentlicher Straßen mit Fahrzeugen erweitert.24 Laut der Begründung zum Gesetzentwurf sollten sowohl (öffentlich-rechtliche) Gebühren als auch (privatrechtliche) Entgelte für die Straßenbenutzung Geldleistungen als Gegenleistungen für die Inan‑ spruchnahme öffentlicher Straßen erhoben werden dürfen.25 Diese Formu‑ lierung legt nahe, dass dabei von einem engen Gebührenbegriff ausgegangen wurde, da nur auf eine tatsächliche Inanspruchnahme der öffentlichen Leis‑ tung abgestellt wird. Demnach wären Beiträge nicht von Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG erfasst. Allerdings fügte der verfassungsändernde Gesetzge‑ 21  Vgl.

BT-Drs. 5 / 3896 v. 26.2.1969, S. 12; BR-Prot. v. 9.5.1969, S. 109. DStZ / A 1968, 156 (159); Schmidt-Bleibtreu, BB 1968, 261

22  Heidekrüger,

(263). 23  Siehe BT-Drs. 5 / 2524 v. 1.2.1968, S. 16, in der die CDU / CSU-Fraktion davon ausgeht, dass eine Gesetzgebungskompetenz für die Einführung der geplanten Gebühr auch ohne Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG gegeben ist. 24  Erweiterung durch Art. 1 Nr. 7 Buchst. a Doppelbuchst. ll des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes v. 28.8.2006, BGBl. I S. 2034. 25  BT-Drs. 16 / 813 v. 7.3.2006, S. 13.



A. Formelle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 103

ber im Jahr 2006 nur die Worte „oder Entgelte“ in das Grundgesetz ein und ließ Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG im Übrigen unberührt. Zur Vorbereitung dieser Änderung wurde zwar in der Begründung des Gesetzentwurfs eine enge Gebührendefinition verwendet. Diese Definition rührt allerdings nicht vom historischen Gesetzgebungsverfahren aus dem Jahr 1969 her, als das Tatbestandsmerkmal der Gebühr in das Grundgesetz aufgenommen wurde. Somit kann die Begründung zum Gesetzentwurf im Jahr 2006 vorliegend herangezogen werden. Allerdings kommt ihr keine ausschlaggebende Bedeu‑ tung bei der Auslegung des Begriffs der Gebühr in Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG zu. Die historische Auslegung ergibt also insgesamt keine eindeutigen Hin‑ weise darauf, ob der Begriff der Gebühr in Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG eng oder weit zu verstehen ist. d) Teleologische Auslegung Schließlich bleibt eine teleologische Auslegung dieser Norm, um heraus‑ zufinden, wie der Begriff der Gebühr zu verstehen ist. Bei der te­leologischen Auslegung wird der „objektive“ Sinn und Zweck der Norm ermittelt.26 Im Rahmen der Gesetzgebungskompetenzen des Grundgesetzes spielt bei der Ermittlung des Zwecks der jeweiligen Kompetenznorm das Bundesstaats‑ prinzip des Art. 20 Abs. 1 GG eine wesentliche Rolle: Die Kompetenznormen verfolgen nämlich regelmäßig ausschließlich den Zweck, dem Bund oder den Ländern die Regelung eines bestimmten Lebensbereichs durch Gesetze zu ermöglichen.27 Bei den Art. 73 und 74 GG ist dann nach dem Grund zu fragen, warum gerade diese Materie durch den Bund geregelt werden soll. Hilfestellung gibt bei dieser Frage auch Art. 72 Abs. 2 GG, der bestimmte Materien aufführt, bei denen der Bund die Erforderlichkeit seiner Regelung nachweisen muss. Das bedeutet, dass die gesetzliche Regelung des Bundes zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder zur Wahrung der Rechts‑ oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse erforderlich sein muss.28 Diese drei alternativen Anforderungen an die bun‑ desgesetzliche Regelung stellen dabei die einzigen Gründe dar, die ein ge‑ setzgeberisches Tätigwerden des Bundes im Bereich dieser Materien recht‑ fertigen.

26  Kritik daran bei Rüthers / Fischer / A.  Birk, Rechtstheorie, Rn. 722 ff.; Vesting, Rechtstheorie, Rn.  199 m. w. N. 27  Hier und im Folgenden Herbst, Gesetzgebungskompetenzen, S. 56 ff. 28  Näher dazu sogl. in diesem Teil unter A. I. 2. e).

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2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

Auch bei der teleologischen Auslegung wird nur danach gefragt, ob ein‑ zelne Merkmale der Kompetenznorm weit oder eng ausgelegt werden.29 Die Antwort hängt allein davon ab, inwieweit dem Bund „vernünftigerweise“ eine bestimmte Kompetenz für die Materie zustehen soll. Bei den Gesetz­ gebungsmaterien, die Art. 72 Abs. 2 GG nennt und zu denen auch Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG gehört, wird genau diese Frage durch die Erfüllung oder Nichterfüllung der drei alternativen Kriterien beantwortet. Deutlich wird also, dass – im konkreten Fall – eine teleologische Auslegung immer dann weit ausfallen wird, wenn das zu überprüfende Gesetz eines der Kriterien Art. 72 Abs. 2 GG erfüllt, und immer dann eng, wenn keines der Kriterien erfüllt ist. Gleichzeitig wird im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung geklärt, wie der Begriff der Gebühr in Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG teleologisch auszule‑ gen ist. Sollte das Infrastrukturabgabengesetz als Bundesgesetz nach Art. 72 Abs. 2 GG nicht erforderlich sein, ist bereits geklärt, dass sich der Bund nicht auf die Kompetenznorm des Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG stützen konnte. Anderenfalls wird erst im Anschluss an die Erforderlichkeitsprüfung ent‑ schieden, ob der teleologischen Auslegung des Begriffs der Gebühr vor dem Hintergrund der anderen Auslegungsergebnisse gefolgt werden kann. e) Erforderlichkeit des Infrastrukturabgabengesetzes Das Infrastrukturabgabengesetz muss gemäß Art. 72 Abs. 2 GG zur Her‑ stellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder zur Wah‑ rung der Rechts‑ oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse er‑ forderlich sein. Dabei billigt das Bundesverfassungsgericht dem Bundesge‑ setzgeber keinen Beurteilungsspielraum zu, ob die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind, und prüft daher das Vorliegen der Voraussetzungen vollumfänglich nach.30 aa) Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse Die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse kann nicht Ziel des In‑ frastrukturabgabengesetzes sein. Es ist in keiner Hinsicht damit beabsichtigt, sich auseinander entwickelnde Lebensverhältnisse wieder anzugleichen. Die Lebensverhältnisse in Deutschland werden dadurch nicht einmal verändert. Vielmehr geht es um die Erschließung einer Einnahmequelle für die Erhal‑ tung und den Ausbau der Fernstraßenin­frastruktur in Deutschland.31 auch im Folgenden Herbst, Gesetzgebungskompetenzen, S. 59 f. Urt. v. 24.10.2002, 2 BvF 1 / 01, BVerfGE 106, 62 (135 f., 142). 31  BT-Drs. 18 / 3990 v. 25.3.2015, S. 1. 29  Vgl.

30  BVerfG,



A. Formelle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 105

bb) Wahrung der Rechtseinheit Die Bundesregierung stützt sich in ihrer Begründung zum Gesetzentwurf zur Einführung der Infrastrukturabgabe darauf, dass das Gesetz zur Wahrung der Rechtseinheit erforderlich sei.32 Das Bundesverfassungsgericht nimmt an, dass eine Regelung dann zur Wahrung der Rechtseinheit erforderlich ist, wenn es bei landesrechtlichen Regelungen zu einer Rechtszersplitterung käme, die im bundesstaatlichen Interesse nicht hingenommen werden kön‑ ne.33 Ohne die bundeseinheitliche Regelung müsste eine erhebliche Rechts‑ unsicherheit bestehen und der Rechtsverkehr im Bundesstaat dadurch stark eingeschränkt sein.34 Diese sehr strenge Auslegung des Art. 72 Abs. 2 GG35 führt dazu, dass eine bundeseinheitliche Regelung überhaupt erst dann mög‑ lich wird, wenn bereits eine Rechtszersplitterung besteht, d. h. wenn die Länder voneinander abweichende Gesetze auf dem jeweiligen Gebiet erlas‑ sen haben. Dieser Zustand dürfte zusätzlich im bundesstaatlichen Interesse nicht hinnehmbar sein.36 Eine solche Situation wird aber nur selten gegeben sein.37 cc) Vergleich zur Wahrung der Wirtschaftseinheit Dazu passt, dass das Bundesverfassungsgericht auch bei der Wahrung der Wirtschaftseinheit eine eher strenge Auslegung vornimmt.38 Dabei müssen – wie bei der Wahrung der Rechtseinheit – unterschiedliche landesrechtliche Regelungen vorliegen, die zusätzlich aber noch erhebliche Nachteile für die Gesamtwirtschaft mit sich bringen.39 Anders als bei der Wahrung der Rechtseinheit lässt das Bundesverfassungsgericht aber genügen, dass durch die Untätigkeit der Landesgesetzgeber eine nachteilige Situation für die Gesamt‑ wirtschaft entstanden ist. Dem Bund wäre damit in Fällen, in denen es keine 32  BT-Drs.

18 / 3990 v. 25.3.2015, S. 23. Urt. v. 24.10.2002, 2  BvF 1 / 01, BVerfGE 106, 62 (145 f.); BVerfG, Urt. v. 9.6.2004, 1  BvR 636 / 02, BVerfGE 111, 10 (28); BVerfG, Urt. v. 27.7.2004, 2 BvF 2 / 02, BVerfGE 111, 226 (254). 34  BVerfG, Urt. v. 24.10.2002, 2  BvF 1 / 01, BVerfGE 106, 62 (145 f.); BVerfG, Urt. v. 27.7.2004, 2 BvF 2 / 02, BVerfGE 111, 226 (254). 35  So auch Herbst, Gesetzgebungskompetenzen, S. 328. 36  So auch BVerfG, Urt. v. 24.10.2002, 2 BvF 1 / 01, BVerfGE 106, 62 (145). 37  Ein Bsp. für eine Rechtszersplitterung war die Situation beim extrem unter‑ schiedlichen Gewerbesteuerhebesatz der Gemeinden. Das BVerfG hat in seinem Be‑ schl. v. 27.1.2010, 2 BvR 2185 / 04 u. a., BVerfGE 125, 141 (155 ff.), einen bundesein‑ heitlichen Mindesthebesatz zur Wahrung der Rechts‑ und Wirtschaftseinheit für erfor‑ derlich gehalten. 38  Ähnlich Herbst, Gesetzgebungskompetenzen, S. 332 f. 39  BVerfG, Urt. v. 24.10.2002, 2 BvF 1 / 01, BVerfGE 106, 62 (146 f.). 33  BVerfG,

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2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

unterschiedlichen landesrechtlichen Regelungen gibt und die Regelung nicht die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse zum Ziel hat, auch der Weg zu einer bundeseinheitlichen Regelung wegen der engen Auslegung dieser Vorschrift weitgehend versperrt. Der Bund dürfte lediglich auf nach‑ teilige Entwicklungen reagieren. Die Auslegung des Art. 72 Abs. 2 GG ent‑ scheidet somit maßgeblich über die bundesstaatliche Verteilung der Gesetz‑ gebungskompetenzen. dd) Rechtszersplitterung als Merkmal der Wahrung der Rechtseinheit Landesrechtliche Regelungen auf dem Gebiet der Straßenbenutzungsge‑ bühren für Personenkraftwagen liegen bis heute nicht vor.40 Es gibt also keine tatsächliche Rechtszersplitterung auf dem Gebiet der Straßenbenut‑ zungsgebühren für Personenkraftwagen. Bliebe man bei diesem Befund ste‑ hen, wäre das Infrastrukturabgabengesetz wegen fehlender Erforderlichkeit nach Art. 72 Abs. 2 GG formell verfassungswidrig. Allerdings beruft sich die Bundesregierung in ihrer Begründung zum Ge‑ setzentwurf nicht auf eine tatsächliche Rechtszersplitterung, sondern prog‑ nostiziert lediglich eine hypothetische Rechtszersplitterung.41 Es käme sehr wahrscheinlich zu erheblichen Beeinträchtigungen für den Straßenverkehr und Unsicherheiten für die Bürger, wenn es 16 unterschiedliche Maut- oder Vignettensysteme in Deutschland für Bundesfernstraßen gäbe. Je nach Wohn‑ ort käme es zu Ungleichbehandlungen, da die Höhe der Straßenbenutzungs‑ gebühren stark voneinander abweichen könnte.42 Auch die Wirtschaftseinheit wäre beeinträchtigt, da aufgrund der Vielzahl der unterschiedlichen Abgaben‑ systeme ein erheblicher Verwaltungsaufwand für Unternehmen entstünde. Eine solche Zersplitterung stellte für deutsche Unternehmen einen klaren Wettbewerbsnachteil im Vergleich zu ausländischen Unternehmern dar und wäre im gesamtstaatlichen Interesse nicht hinnehmbar. Folgt man der strengen Auslegung des Bundesverfassungsgerichts, erfüllt aber eine solche hypothetische Rechtszersplitterung nicht die Voraussetzun‑ gen des Art. 72 Abs. 2 GG. Gleiches gilt auch für die Prognose einer hypo‑ thetischen Beeinträchtigung der Wirtschaftseinheit. Das Bundesverfassungs‑ gericht gesteht dem Bundesgesetzgeber zwar – trotz aller Strenge bei der Auslegung des Art. 72 Abs. 2 GG – einen Prognosespielraum hinsichtlich des 40  Sie

wären aber wegen Art. 72 Abs. 1 GG möglich gewesen. 18 / 3990 v. 25.3.2015, S. 23. Reimer, DVBl. 2015, 1404 (1409), nimmt ohne nähere Begründung eine Beeinträchtigung der Wirtschaftseinheit an, sofern es landesrechtliche Regelungen gäbe. 42  Vgl. BT-Drs. 18 / 3990 v. 25.3.2015, S. 23. 41  BT-Drs.



A. Formelle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 107

Vorliegens dieser Voraussetzungen zu.43 Allerdings musste auch die Prognose des Gesetzgebers bisher stets auf eine tatsächliche negative Entwicklung hinsichtlich der Lebensverhältnisse oder der Rechtseinheit gerichtet sein. Die Regelungen des Infrastrukturabgabengesetzes wären also selbst bei einer zu‑ treffenden Prognose der Bundesregierung nicht nach Art. 72 Abs. 2 GG er‑ forderlich. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil vom 17. De‑ zember 2014 zur Verfassungsmäßigkeit einiger Vorschriften des Erbschaft‑ steuergesetzes festgestellt, dass eine bundesgesetzliche Regelung im gesamt‑ staatlichen Interesse auch dann erforderlich ist, wenn der Bundesgesetzgeber lediglich problematische Entwicklungen erwarten darf.44 Es reiche daher aus, wenn eine Rechtszersplitterung durch eine bundesgesetzliche Regelung ver‑ mieden werden soll. Für die Erforderlichkeit zur Wahrung der Wirtschafts‑ einheit soll nun ein zu erwartender und damit hypothetischer Nachteil ausrei‑ chen. Das Kriterium der Erforderlichkeit war noch vor rund 15 Jahren deut‑ lich strenger ausgelegt worden.45 Seitdem wurde das Kriterium in zwei Ent‑ scheidungen großzügiger ausgelegt als noch im Jahr 2002.46 Dennoch fiel die Auslegung des Art. 72 Abs. 2 GG in diesen Entscheidungen noch wesentlich strenger aus als im Urteil vom 17. Dezember 2014. In den drei früheren Entscheidungen lagen nämlich landesrechtliche Vorschriften vor, die durch die bundesgesetzliche Regelung vereinheitlicht wurden. Es konnte also kon‑ kret geprüft werden, ob diese Regelungen zur Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit erforderlich waren. Im Fall des Erbschaftsteuergesetzes gab und gibt es hingegen keine landesrechtlichen Regelungen. Die Neurege‑ lungen im Erbschaftsteuergesetz waren aber wegen Art. 105 Abs. 2 Fall 3 GG an Art. 72 Abs. 2 GG zu messen, denn das Aufkommen der Erbschaft‑ steuer steht gem. Art. 106 Abs. 2 Nr. 2 GG allein den Ländern zu. Das Bun‑ desverfassungsgericht konnte und musste also auf der Basis von hypotheti‑ schen Überlegungen bewerten, ob die Regelungen des Erbschaftsteuergeset‑ zes im gesamtstaatlichen Interesse erforderlich waren. Im Fall des Erbschaft‑ steuergesetzes war also die Regelung des Art. 72 Abs. 2 GG für das Bundesverfassungsgericht nicht auf andere Weise handhabbar zu machen. Daneben hätte es lediglich eine Bundeskompetenz generell unter Verweis auf die enge Auslegung des Art. 72 Abs. 2 GG ablehnen können. Damit hätte der 43  BVerfG, Urt. v. 24.10.2002, 2  BvF 1 / 01, BVerfGE 106, 62 (150 ff.); Herbst, Gesetzgebungskompetenzen, S. 338 ff. 44  Hier und im Folgenden BVerfG, Urt. v. 17.12.2014, 1  BvL 21 / 12, BVerfGE 138, 136 (177 Rn. 110). 45  BVerfG, Urt. v. 24.10.2002, 2 BvF 1 / 01, BVerfGE 106, 62 ff. 46  BVerfG, Urt. v. 26.1.2005, 2 BvF 2 / 02, BVerfGE 112, 226 ff.; BVerfG, Beschl. v. 27.1.2010, 2 BvR 2185 / 04 u. a., BVerfGE 125, 141 ff.

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2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

Bund jede aktive Einwirkungsmöglichkeit auf die Kompetenzen verloren, die in Art. 72 Abs. 2 GG genannt sind. Es muss also ausreichen, wenn der Bun‑ desgesetzgeber zutreffend47 einschätzt, dass bei Vorliegen unterschiedlicher Landesgesetze, die Rechtseinheit oder die Wirtschaftseinheit beeinträchtigt werden würde. f) Zwischenergebnis Die Reichweite der Gesetzgebungskompetenzvorschriften in Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 und Art. 72 Abs. 2 GG ist entscheidend für die formelle Verfas‑ sungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes. Insofern kommt der Frage nach der Auslegung dieser Vorschriften große Bedeutung zu. Der Begriff der „Wahrung“ in Art. 72 Abs. 2 GG deutet eine weite Auslegung an, da Wah‑ rung bedeutet, dass ein Zustand beibehalten werden und vor Veränderung geschützt werden soll. Damit ein Zustand gewahrt werden kann, muss er noch bestehen. Anderenfalls würde man von Wiederherstellung sprechen. Gegen die enge Auslegung spricht im Übrigen, dass das System der Ge‑ setzgebungskompetenzen dadurch verändert würde. Der Bundesgesetzgeber würde bei den Materien, die in Art. 72 Abs. 2 GG aufgeführt sind, in die Rolle des Beobachters gedrängt. Diese Gesetzgebungskompetenzen wären also zunächst wie ausschließliche Gesetzgebungskompetenzen der Länder zu behandeln. Erst im Nachhinein könnte der Bund dann auf gesetzgeberische Entwicklungen in den Ländern reagieren und selbst tätig werden. Das Grund‑ gesetz geht aber von einer konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes auch für die in Art. 72 Abs. 2 GG aufgeführten Materien aus. Daher hat das Bundesverfassungsgericht Art. 72 Abs. 2 GG in seiner Entscheidung zum Erbschaftsteuergesetz weit ausgelegt und diese Vorschrift für Fälle ge‑ öffnet, in denen der Bund ohne vorherige landesrechtliche Regelung tätig geworden ist.48 Auch bei der Materie der Straßenbenutzungsgebühren für Bundesfernstraßen existiert kein Landesrecht, sodass insoweit eine vergleich‑ bare Situation wie im Erbschaftsteuerrecht vorliegt. Auch in diesem Fall kann der Bundesgesetzgeber ohne vorherige landesrechtliche Regelungen aktiv werden, da bereits der Erlass solcher Landesgesetze eine der Vorausset‑ zungen des Art. 72 Abs. 2 GG für eine Bundesregelung erfüllen würde. Hinzu kommt, dass durch das Infrastrukturabgabengesetz nur eine Abgabe für die Benutzung von Bundesautobahnen und Bundesstraßen eingeführt wird. Die Möglichkeit, eine solche Abgabe auf allen öffentlichen Straßen einzuführen, die Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG bietet, wurde nicht genutzt. 47  Siehe

dazu näher Herbst, Gesetzgebungskompetenzen, S. 341 ff. Urt. v. 17.12.2014, 1 BvL 21 / 12, BVerfGE 138, 136 (178 f. Rn. 114 ff.).

48  BVerfG,



A. Formelle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 109

Der Bund begrenzte sich bewusst auf die Straßen, die nach Art. 90 Abs. 1 GG und nach dem Bundesfernstraßengesetz (FStrG)49 in seinem Eigentum stehen und für die er grundsätzlich nach § 5 Abs. 1 FStrG Träger der Stra‑ ßenbaulast ist. Art. 72 Abs. 2 GG ist weit auszulegen und das Infrastrukturabgabengesetz als erforderlich im Sinne dieser Vorschrift anzusehen. Damit konnte der Bund diese Regelung erlassen und vieles spricht dafür, den Begriff der Ge‑ bühr in Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG weit auszulegen. Vor diesem Hintergrund erschiene es überdies sinnwidrig, dass der Bund für die Straßenbenutzung die Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG nur in Anspruch nehmen könnte, soweit er sich für eine Gebühr im abgabenrechtlichen Sinne für die Straßenbenutzung entscheidet, während bei einem Beitrag eine Gesetzgebungskompetenz fehlen soll. Ge‑ rade im Fall der Infrastrukturabgabe wird diese Sinnwidrigkeit besonders deutlich, da hier nicht zwei verschiedene Abgaben betroffen sind, sondern wegen der Doppelnatur50 eine einheitliche Abgabe nur teilweise durch den Bund geregelt werden dürfte. Sollte aber eine andere Kompetenznorm den Erlass von Beiträgen für die Straßenbenutzung ermöglichen, fiele das Argu‑ ment der Sinnwidrigkeit weg und der Begriff der Gebühr in Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG könnte eng ausgelegt werden. g) Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 3 GG Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 3 GG regelt die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Bau und die Unterhaltung von Landstraßen für den Fernver‑ kehr. Zunächst legt der Wortlaut eine Subsumtion von Abgabenregelungen für die Straßenbenutzung unter diese Vorschrift nicht nahe. Vor der Grundge‑ setzänderung im Jahr 1969 wurden Gesetze über solche Vorzugslasten als von dieser Vorschrift gedeckt angesehen.51 Im Anschluss daran hat das Bundesverfassungsgericht diese Ansicht indirekt bestätigt, indem es den Be‑ griff des Straßenverkehrs in Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 1 GG auf die ord‑ nungsrechtlichen Aspekte des Verkehrs reduzierte.52 Der Bereich des Baus und der Unterhaltung von Landstraßen für den Fernverkehr dagegen unterlag 49  Gesetz v. 6.8.1953, BGBl. I S. 903, i. d. F. d. Bek. v. 28.6.2007, BGBl. I S. 1206, mit spät. Änd. 50  Siehe dazu im 1. Teil unter B. VI. 3. 51  Heidekrüger, DStZ / A 1968, 156 (159); Schmidt-Bleibtreu, BB 1968, 261 (263); ebenso Henseler, NVwZ 1995, 745 (746). 52  BVerfG, Beschl. v. 9.2.1972, 1  BvR 111 / 68 BVerfGE 32, 319 (326); BVerfG, Beschl. v. 10.12.1975, 1  BvR 118 / 71, BVerfGE 40, 371 (380); BVerfG, Beschl. v. 9.10.1984, 2 BvL 10 / 82, BVerfGE 67, 299 (322).

110

2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

und unterliegt dieser Beschränkung auf die Sicherheit und Ordnung nicht.53 Somit konnten bundesgesetzlich geregelte Vorzugslasten für die Straßenbe‑ nutzung bis 1969 nur unter Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 3 GG subsumiert wer‑ den.54 aa) Beschränkung auf Bundesfernstraßen Allerdings beschränkt diese Vorschrift den Bund auf Regelungen für Bundesauto­bahnen und Bundesstraßen, da nach allgemeiner Meinung unter Landstraßen für den Fernverkehr ausschließlich Bundesfernstraßen zu verste‑ hen sind.55 Vorliegend könnte damit das Infrastrukturabgabengesetz auch unter Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 3 GG fallen, weil die Abgabe gem. § 1 Abs. 1 InfrAG nur auf Bundesfernstraßen erhoben wird. bb) Sperrwirkung durch Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG Zu bedenken bleibt indessen, dass es seit der Einführung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG im Jahr 1969 eine spezielle Bundeskompetenz zur Ein­ führung von Straßenbenutzungsgebühren gibt. Diese Vorschrift könnte eine Sperrwirkung für alle anderen Kompetenzvorschriften des Grundgesetzes im Hinblick auf Vorzugslasten für die Straßenbenutzung entfalten. Dagegen spricht zwar, dass Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG nur zur Ermöglichung ei‑ nes bestimmten Gesetzesvorhabens (Straßenbenutzungsgebühr für Lastkraft‑ wagen) in das Grundgesetz eingefügt wurde.56 Insbesondere sollte damit nur die Möglichkeit einer Gebührenerhebung für den Bund auf allen öffentlichen Straßen geschaffen werden, denn Fall 3 ermöglichte auch vor 1969 den Er‑ lass von Bundesgesetzen zur Erhebung von Vorzugslasten auf Bundesfern‑ straßen.57 Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG hat aber seit 1969 deutlich größere Bedeu‑ tung erlangt, als zunächst für diese Vorschrift erwartet worden war.58 Es wurden mehrere Gesetze über die Lkw-Maut auf diese Vorschrift gestützt.59 53  BVerfG,

Beschl. v. 9.10.1984, 2 BvL 10 / 82, BVerfGE 67, 299 (314, 322). NVwZ 1995, 745 (746); Selmer / Brodersen, in: Selmer / Brodersen /  Nicolaysen, Straßenbenutzungsgebühren, S. 80. 55  BVerfG, Beschl. v. 10.12.1975, 1 BvR 118 / 71, BVerfGE 40, 371 (378); s. auch Heidekrüger, DStZ / A 1968, 156 (159); Wittreck, in: Dreier, GG-Komm., Art. 74 Rn. 111; Oeter, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG-Komm., Art. 74 Rn. 156 m. w. N. 56  Siehe dazu ausführlich in diesem Teil unter A. I. 2. c). 57  Ebenso Henseler, NVwZ 1995, 745 (746). 58  Vgl. zu BT-Drs. 5 / 3605 v. 6.12.1968, S. 4. 59  Dazu näher im 1. Teil unter A. III. 2. 54  Henseler,



A. Formelle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 111

Auch das Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz60 beruht darauf. Daher ist davon auszugehen, dass Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG inzwischen als spe‑ zielle Regelung für alle Fälle von Vorzugslasten für die Straßenbenutzung anzusehen ist.61 Zudem war die Bundeskompetenz bis 1969 wohl eher als Kompetenz kraft Sachzusammenhangs mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 3 GG anzusehen. Eine solche ungeschriebene Kompetenz – angesichts der Einfüh‑ rung des Falles 4 – anzunehmen, ist nicht mehr begründbar. Daher kann der Bund die Einführung von Vorzugslasten für die Straßenbenutzung ausschließ‑ lich auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG stützen. Geht man davon aus, dass Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG eine Sperrwir‑ kung auch für alle anderen Kompetenzvorschriften hinsichtlich der Einfüh‑ rung von Vorzugslasten für die Straßenbenutzung entfaltet, gibt es keine an‑ dere „geschriebene“ Gesetzgebungskompetenzvorschrift, auf die der Bund das das Infrastrukturabgabengesetz stützen könnte. h) „Ungeschriebene“ Gesetzgebungskompetenzen Schließlich bleibt aber noch die Möglichkeit, eine sog. ungeschriebene Gesetzgebungskompetenz des Bundes anzunehmen. Eine der drei Fallgrup‑ pen – der Gesetzgebungskompetenz kraft Natur der Sache, der Annexkompe‑ tenz und der Kompetenz kraft Sachzusammenhangs – könnte an dieser Stelle eingreifen. aa) Kompetenz kraft Natur der Sache Eine Gesetzgebungskompetenz kraft Natur der Sache ist dann anzuneh‑ men, wenn nur der Bund diese Materie logischerweise regeln kann.62 Das ist bei der Infrastrukturabgabe nicht anzunehmen, da auch die Länder durch‑ aus Abgaben für die Benutzung von Straßen, auch von Bundesstraßen ein‑ führen könnten. Die fehlende Zweckmäßigkeit verschiedener Landesregelun‑ gen, die zu einer Rechtszersplitterung führen kann, ist für sich gesehen nicht ausreichend, um eine Bundeskompetenz kraft Natur der Sache anzuneh‑ men.63

60  Gesetz

v. 3.9.1994, BGBl. I S. 2243, i. d. F. d. Bek. v. 6.1.2006, BGBl. I S. 49. wohl auch Selmer / Brodersen, in: Selmer / Brodersen / Nicolaysen, Straßen‑ benutzungsgebühren, S. 80; Sendler, DÖV 1974, 219 (223). 62  St.  Rspr. seit BVerfG, Gutachten v. 16.6.1954, 1  PBvV 2 / 52, BVerfGE 3, 407 (421 f.). 63  Vgl. BVerfG, Gutachten v. 16.6.1954, 1 PBvV 2 / 52, BVerfGE 3, 407 (422). 61  So

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2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

bb) Annexkompetenz Eine Annexkompetenz liegt dann vor, wenn die durch den Bund zu re‑ gelnde Materie durch Ausdehnung einer im Grundgesetz geregelten Materie („in die Tiefe“) erfasst werden kann, typischerweise für Regelungen, die Si‑ cherheit und Ordnung betreffen.64 Daneben hält das Bundesverwaltungsge‑ richt auch Regelungen zu Gebühren und Beiträgen im Verwaltungsverfahren wegen einer Annexkompetenz zur jeweiligen Sachmaterie für zulässig.65 Zunächst steht aber mit dem Infrastrukturabgabengesetz keine Regelung über die Sicherheit und Ordnung im Raum. Darüber hinausgehend passt zwar die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf den ersten Blick auf die Infrastrukturabgabe und legt die Annahme einer Annexkompetenz zu Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG nahe. Dennoch liegt hier keine Annexkompetenz vor, da es in den Fällen des Bundesverwaltungsgerichts keine spezielle Ge‑ setzgebungszuständigkeit für Gebühren im Grundgesetz gab. Die Zuständig‑ keit konnte deshalb nur über einen Annex zu einer Sachmaterie in Art. 73 oder 74 GG bzw. zur Kompetenz zur Regelung des Verwaltungsverfahrens in Art. 84 Abs. 1 GG hergestellt werden. Hier aber liegt mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG eine Kompetenz zum Erlass von Gesetzen über Gebühren vor, die nur auf eine andere Abgabenart, nämlich auf Beiträge, erweitert wer‑ den soll. Auf eine solche Erweiterung „in die Breite“ passt aber nicht die Annexkompetenz, sondern vielmehr die Kompetenz kraft Sachzusammen‑ hangs. cc) Kompetenz kraft Sachzusammenhangs Die Kompetenz kraft Sachzusammenhangs, ist anzunehmen, wenn der Bund ein Sachgebiet nicht regeln kann, ohne dass er notwendigerweise eine andere ihm nicht zustehende Materie miterfasst.66 Hier ist eine sinnvolle Regelung der Infrastrukturabgabe nur möglich, wenn der Bund sowohl den Gebührenteil als auch den Beitragsteil regeln kann, selbst wenn der Beitrags‑ teil der Infrastrukturabgabe nicht von Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG erfasst wird. Hinzu tritt, dass sich Gebühr und Beitrag nur geringfügig voneinander 64  St.  Rspr. seit BVerfG, Gutachten v. 16.6.1954, 1  PBvV 2 / 52, BVerfGE 3, 407 (433); s. auch BVerfG, Beschl. v. 29.4.1958, 2  BvO 3 / 56, BVerfGE 8, 143 (149 f.); BVerfG, Beschl. v. 3.7.2012, 2 PBvU 1 / 11, BVerfGE 132, 1 (6 Rn. 17). 65  BVerwG, Urt. v. 3.3.1994, 4 C 1 / 93, BVerwGE 95, 188 (192 f.); BVerwG, Urt. v. 25.8.1999, 8 C 12 / 98, BVerwGE 109, 272 (278); BVerwG, Urt. v. 22.11.2000, 6 C 8 / 99, BVerwGE 112, 194 (199); vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 25.6.2014, 1  BvR 668 / 10 u. a., BVerfGE 137, 1 (19 Rn. 45). 66  St.  Rspr. seit BVerfG, Gutachten v. 16.6.1954, 1  PBvV 2 / 52, BVerfGE 3, 407 (421); s. auch BVerfG, Beschl. v. 3.3.2004, 1 BvF 3 / 92, BVerfGE 110, 33 (48).



A. Formelle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 113

unterscheiden und bereits über die Abgabenart ein sehr enger Zusammen‑ hang besteht. Die Materie „Erhebung und Verteilung von Beiträgen für die Möglichkeit der Benutzung öffentlicher Straßen mit Fahrzeugen“ könnte be‑ reits im Wege systematischer und teleologischer Auslegung unter Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG subsumiert werden. Wenn aber bereits durch Ausle‑ gung eine Materie in die Bundeskompetenz fallen kann, dann muss das erst recht durch Annahme einer ungeschriebenen Gesetzgebungskompetenz des Bundes möglich sein. Denn die ungeschriebenen Gesetzgebungskompeten‑ zen werden durch Auslegung der geschriebenen Materien gewonnen und er‑ weitern diese über den Wortlaut hinaus.67 Ob man in diesem Fall also eine direkte Einordnung der Materie „ Beiträge für die Möglichkeit der Straßen‑ benutzung“ unter Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG annimmt oder den Weg über eine Kompetenz kraft Sachzusammenhangs geht, hängt lediglich von der Enge oder Weite der Auslegung des Wortlauts ab. Da deshalb auch der Beitragsteil von der Bundesgesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG gedeckt ist, durfte der Bund die Vertei‑ lung des Beitragsaufkommens in § 15 Abs. 1 InfrAG regeln. i) Inhaltliche Bindung des Gesetzgebers für die Ertragsverteilung Allerdings wollen Peter Selmer und Carsten Brodersen dem Gesetzgeber bei der Verteilung des Aufkommens keine freie Entscheidung lassen, sondern ihn an die allgemeinen Ertragsverteilungsregeln bei Vorzugslasten binden.68 Dabei könnte nicht auf die Ertragskompetenzen für Steuern aus Art. 106 GG abgestellt werden, die nur für Steuern im finanzverfassungsrechtlichen Sinne gelten.69 Stattdessen stünde der Ertrag bei Beiträgen derjenigen Körperschaft zu, die den Verwaltungsaufwand für die angebotene Leistung trage und die die Finanzierung dieser Aufgabe übernehmen müsse.70 Diese Verteilungsregel wird aber nur allgemein aus dem Wesen der nichtsteuerlichen Abgaben abge‑ leitet, ohne dass sich dafür im Grundgesetz eine Grundlage finden lässt.71 Die 67  Vgl. für Annexkompetenzen BVerfG, Gutachten v. 16.6.1954, 1  PBvV 2 / 52, BVerfGE 3, 407 (433). 68  Selmer / Brodersen, in: Selmer / Brodersen / Nicolaysen, Straßenbenutzungsgebüh­ ren, S. 81 ff. 69  BVerfG, Urt. v. 28.3.2002, 2 BvG 1 / 01 u. a., BVerfGE 105, 185 (193 f.). 70  Für Gebühren gelten die gleichen Grundsätze, s. für viele BVerfG, Urt. v. 28.3.2002, 2 BvG 1 / 01 u. a., BVerfGE 105, 185 (193); Heintzen, in: von Münch / Ku‑ nig, GG-Komm., Art. 106 Rn. 1; Hidien, in: BoKo GG, Art. 106 Rn. 569, 571; P. Kirchhof, in: HStR V, § 119 Rn. 61, 68. 71  Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG-Komm., Art. 106 Rn. 145.

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2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

Grundlage könnte lediglich in den allgemeinen Lastenverteilungsregeln des Art. 104a GG gesehen werden.72 Selbst wenn man mit Peter Selmer und Carsten Brodersen diese Begren‑ zung des Gesetzgebers annähme, wäre § 15 InfrAG verfassungsgemäß. Gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 InfrAG steht dem Bund das Aufkommen aus der Infrastrukturabgabe zu. Den Verwaltungsaufwand zur Ausführung des Infra‑ strukturabgabengesetzes trägt nahezu ausschließlich der Bund, da er nach Art. 87 Abs. 3 Satz  1 GG das Infrastrukturabgabengesetz durch eigene Be‑ hörden, vor allem durch das KBA ausführt. Einen sehr kleinen Teil des Ver‑ waltungsaufwands tragen nach § 9 Abs. 3 bis 6 InfrAG die nach Landes‑ recht zuständigen Behörden. Da die Länder für diese Aufgaben in Landes‑ eigenverwaltung zuständig sind, müssen sie auch nach Art. 104a Abs. 1 GG – auch ohne Ausgleich durch den Bund in § 15 Abs. 1 InfrAG – die Kosten dafür tragen. Zudem bleibt zu berücksichtigen, dass die Infrastrukturabgabe nur auf Bundesfernstraßen erhoben wird und der Bund somit nur Aufkommen in Zusammenhang mit seinen eigenen Straßen verteilt.73 Dabei führt der Bund nach Art. 90 Abs. 2 Satz 1 GG die Bundesautobahnen in Bundesverwaltung und muss deshalb nach Art. 104a Abs. 1 GG die Kosten dafür tragen. Ebenso muss er für die Bundesauftragsverwaltung der Bundesstraßen durch die Län‑ der (Art. 90 Abs. 3 GG) die Kosten nach Art. 104a Abs. 2 GG tragen. Ein‑ fachgesetzlich wird diese Verteilung in § 5 Abs. 1 Satz 1 FStrG deutlich, der bestimmt, dass der Bund regelmäßig der Träger der Straßenbaulast für die Bundesfernstraßen ist. Durch die Regelung des § 15 Abs. 1 InfrAG tritt also genau die Verteilung des Abgabenaufkommens ein, die die allgemeine Regel für Beiträge fordert. Somit zeigt sich selbst bei einer engen Bindung des Gesetzgebers an dieses Aufkommensverteilungsprinzip die Verfassungsmä‑ ßigkeit des § 15 InfrAG. 3. Zwischenergebnis Auf der Grundlage des Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG durfte der Bund das Infrastrukturabgabengesetz erlassen. Sämtliche Vorschriften des Gesetzes stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Erhebung und Verteilung der Infrastrukturabgabe, sodass das Gesetz insgesamt kompetenzgemäß vom 72  Hidien, in: BoKo GG, Art. 106 Rn. 569, 571 m. w. N.; Selmer / Brodersen, in: Selmer / Brodersen / Nicolaysen, Straßenbenutzungsgebühren, S. 83 f.; unklar insoweit BVerfG, Urt. v. 28.3.2002, 2 BvG 1 / 01 u. a., BVerfGE 105, 185 (193 f.). 73  Diesen Umstand führen auch Selmer / Brodersen, in: Selmer / Brodersen / Nico‑ laysen, Straßenbenutzungsgebühren, S. 84, für einen weiten Spielraum des Bundesge‑ setzgebers bei der Aufkommensverteilung an.



A. Formelle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 115

Bund erlassen wurde. Die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG sind für das Infrastrukturabgabengesetz erfüllt, wie weiter oben im Rahmen der Aus‑ legung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG geprüft wurde.74 4. Negative Kompetenzabgrenzungsvorschrift Schließlich ist im Rahmen der Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes ein Verstoß des Infrastrukturabgabengesetzes gegen Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG zu prüfen, der im Jahr 2006 in das Grundgesetz eingefügt wurde.75 Diese Vor‑ schrift bestimmt, dass durch Bundesgesetz keine Aufgaben an Gemeinden und Gemeindeverbände übertragen werden dürfen. Sie stellt damit eine nega‑ tive Kompetenzabgrenzung dar76 und ist deshalb an dieser Stelle zu prüfen. Sie hängt aufgrund ihrer systematischen Stellung eng mit Art. 84 Abs. 1 Satz 1 bis 6 GG zusammen.77 Art. 84 Abs. 1 Satz  7 GG greift also nur ein, wenn in einem Bundesgesetz, welches von den Ländern als eigene Angele‑ genheit ausgeführt wird, Aufgaben an Gemeinden oder Gemeindeverbände übertragen werden. Daher ist zunächst zu überprüfen, welche Regelungen des Infrastrukturabgabengesetzes von den Ländern in eigener Verwaltung ausgeführt werden und damit gegen Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG verstoßen kön‑ nen. a) Regelungen zur Ausführung des Infrastrukturabgabengesetzes Grundsätzlich gilt nach Art. 83 Halbs. 1 GG, dass die Länder die Bundes‑ gesetze als eigene Angelegenheit ausführen, soweit das Grundgesetz nichts anderes bestimmt oder zulässt. Für das Infrastrukturabgabengesetz kommt die bundeseigene Verwaltung gem. Art. 87 Abs. 3 Satz  1 GG in Betracht. Danach können für Angelegen‑ heiten, für die dem Bund die Gesetzgebungskompetenz zusteht, selbständige Bundesoberbehörden durch Bundesgesetz errichtet werden. Auf den ersten Blick scheint diese Vorschrift eine Organisationsnorm zu sein, die nur die Errichtung von Bundesoberbehörden zulässt. Allerdings deuten das „Außer‑ dem“ am Anfang der Vorschrift und die systematische Stellung darauf hin, 74  Siehe

in diesem Teil unter A. I. 2. e) und f). zur Änderung des Grundgesetzes v. 28.8.2006, BGBl. I S. 2034. 76  F.  Kirchhof, in: Maunz / Dürig, GG-Komm., Art. 84 Rn. 152 (Stand d. Bearb: Jan. 2011); Burger / Faber, KommJur 2011, 161 (168); Henneke, DVBl. 2011, 125 (127); Schoch, DVBl. 2007, 261 (267); vgl. auch Engelken, DÖV 2015, 184 (189). 77  Siehe dazu auch in diesem Teil unter A. II. 1. c); Knitter, Aufgabenübertra‑ gungsverbot, S. 102. 75  Gesetz

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2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

dass Art. 87 Abs. 3 Satz  1 GG dem Bund eine Kompetenz zur Ausführung seiner Gesetze eröffnet.78 Vorliegend wurde durch Art. 2 des Gesetzes zur Einführung einer Infra‑ strukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen79 das Gesetz zur Errichtung des Kraftfahrt-Bundesamts um die Zuständigkeit des KBA für die Führung des Infrastrukturabgabenregisters und für die Erhebung und Voll‑ streckung der Infrastrukturabgabe ergänzt. Das KBA wurde zwar durch das Gesetz nicht neu errichtet, allerdings wurden ihm durch Gesetz neue Aufga‑ ben zugewiesen, was als Minus zu einer Neuerrichtung ebenfalls von Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG gedeckt ist.80 Deshalb wird das Infrastrukturabgabengesetz aufgrund der sehr weiten Zuständigkeitszuweisung an das KBA weitgehend in Bundeseigenverwaltung nach Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG ausgeführt.81 Allerdings führt der Bund das Infrastrukturabgabengesetz nicht vollständig selbst durch das KBA aus. Dem BAG, einer Bundesbehörde, fällt die Über‑ wachung der Einhaltung der Abgabenpflicht nach § 11 InfrAG zu. Außerdem ist es Verwaltungsbehörde im Ordnungswidrigkeitenverfahren nach § 14 Abs. 3 InfrAG i. V. m. § 36 Abs. 1 Nr. 1 OWiG. Soweit also dem KBA und dem BAG nicht die Ausführung des Infrastrukturabgabengesetzes zugewie‑ sen ist, bleibt es bei der Grundregel des Art. 83 Halbs. 1 GG und die Länder führen das Infrastrukturabgabengesetz als eigene Angelegenheit aus. Konkret geht es um § 9 Abs. 3 bis 6 InfrAG, in denen mit der Zulassung von Fahr‑ zeugen zusammenhängende Aufgaben den nach Landesrecht zuständigen Behörden zugewiesen sind. Nur diese Vorschriften des Infrastrukturabgabengesetzes werden durch die Länder in Landeseigenverwaltung ausgeführt. Somit können auch nur sie gegen Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG verstoßen. b) Merkmale des Art. 84 Abs. 1 Satz  7 GG und die Einordnung des Infrastrukturabgabengesetzes Art. 84 Abs. 1 Satz  7 GG statuiert nach Meinung des Bundesverfassungs‑ gerichts „ein absolutes Verbot der Aufgabenzuweisung auf die kommunale Ebene“.82 Zu klären ist damit, ob der Bund in § 9 Abs. 3 bis 6 InfrAG den 78  BVerfG, Urt. v. 24.7.1962, 2  BvF 4 / 61 u. a., BVerfGE 14, 197 (210); s. auch BVerfG, Beschl. v. 5.12.2001, 2 BvG 1 / 00, BVerfGE 104, 238 (247); BVerfG, ­Beschl. v. 3.3.2004, 1 BvF 3 / 92, BVerfGE 110, 33 (49). 79  Gesetz v. 8.6.2015, BGBl. I S. 904 (913). 80  Vgl. Hermes, in: Dreier, GG-Komm., Art. 87 Rn. 77. 81  Vgl. dazu auch Hillgruber, Ausschuss-Drs. 18(15)193-A, S. 5. 82  BVerfG, Urt. v. 20.12.2007, 2 BvR 2433 / 04 u. a., BVerfGE 119, 331 (359).



A. Formelle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 117

Gemeinden oder Gemeindeverbänden Aufgaben übertragen hat. Abgesehen von der Frage der Übertragung von Aufgaben muss im Falle des Infrastruk‑ turabgabengesetzes geklärt werden, ob Gemeinden oder Gemeindeverbände überhaupt Adressaten einzelner Vorschriften des Gesetzes sind. Die Begriffe der Gemeinde und Gemeindeverbände in den Landesverfas‑ sungen und Landeskommunalgesetzen können für die Auslegung des Begriffs der Gemeinde im Grundgesetz keine Maßgeblichkeit erlangen und allenfalls als Auslegungshilfe herangezogen werden.83 Vielmehr müssen autonome Begriffe der Gemeinde und Gemeindeverbände für das Grundgesetz gelten. Unter Heranziehung des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG ist eine Gemeinde eine Gebietskörperschaft, die Selbstverwaltungsaufgaben der örtlichen Gemein‑ schaft wahrnimmt und Trägerin hoheitlicher Gewalt ist.84 Berücksichtigt man Art. 28 Abs. 2 Satz  2 GG sind Gemeindeverbände ebenfalls als Gebietskör‑ perschaften anzusehen, die Selbstverwaltungsaufgaben – im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereichs – in ähnlichem Umfang wie Gemeinden er‑ füllen.85 In § 9 Abs. 3 bis 6 InfrAG werden die nach Landesrecht zuständigen Be‑ hörden angesprochen. Der Bund legt hier nicht selbst fest, welche Landesbe‑ hörde tätig werden soll, sondern er überlässt diese Zuständigkeitsbestimmung dem Landesrecht.86 Die Länder können die zuständigen Behörden selbst be‑ stimmen, sodass der Bund insoweit die Organisationshoheit der Länder be‑ wusst anerkennt.87 Die Zuständigkeitsbestimmung zur Ausführung der § 9 Abs. 3 bis 6 InfrAG liegt also bei den Ländern; die Zuständigkeit wird nicht durch den Bund direkt Gemeinden oder Gemeindeverbänden übertragen.88 c) Umgehung des Schutzzwecks des Art. 84 Abs. 1 Satz  7 GG Trotz dieser „offenen Formulierung“89 könnte in § 9 Abs. 3 bis 6 InfrAG eine Umgehung des Art. 84 Abs. 1 Satz  7 GG vorliegen und damit eine un‑ 83  So zu allen Begriffen des Art. 84 Abs. 1 Satz  7 GG Engelken, VBlBW 2008, 457 (457). 84  Vgl. BVerfG, Urt. v. 24.7.1979, 2  BvK 1 / 78, BVerfGE 52, 95 (112) zu Ge‑ meindeverbänden. 85  BVerwG, Urt. v. 23.8.2011, 9  C 2 / 11, BVerwGE 140, 245 (249); vgl. auch BVerfG, Urt. v. 24.7.1979, 2 BvK 1 / 78, BVerfGE 52, 95 (109, 112, 114). 86  Vgl. zu einem ähnlichen Fall BVerfG, Beschl. v. 4.5.2010, 2  BvL 8 / 07 u. a., BVerfGE 126, 77 (99). 87  Zur Organisationshoheit der Länder Dittmann, in: FS Frotscher, S. 253 (257 ff.); vgl. auch BT-Drs. 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 47. 88  Ebenso Zabel, NVwZ 2015, 1241 (1246). 89  BT-Drs. 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 47.

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2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

zulässige Aufgabenübertragung auf die Kommunen anzunehmen sein. Eine Umgehung liegt dann vor, wenn tatsächlich Kommunen durch das Infrastruk‑ turabgabengesetz mit Aufgaben belastet werden und dadurch die Anwendbar‑ keit des Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG vermieden werden sollte.90 Dafür sind die Gründe, die zum Erlass dieser Vorschrift geführt haben, heranzuziehen. In den meisten Bundesländern sind Landkreise und kreisfreie Städte für die Zulassung von Kraftfahrzeugen zuständig, und zwar als Auftragsangele‑ genheit / im übertragenen Wirkungskreis.91 Damit werden Gemeinden und Gemeindeverbände für die Ausführung der § 9 Abs. 3 bis 6 InfrAG herange‑ zogen. Dem Bund muss bei der Wahl dieser offenen Formulierung bewusst gewesen sein, dass die Zuständigkeit für die Ausführung der § 9 Abs. 3 bis 6 InfrAG durch die meisten Bundesländer den Landkreisen und kreisfreien Städten zugewiesen ist. Somit werden tatsächlich Kommunen durch einzelne Vorschriften des Infrastrukturabgabengesetzes belastet.92 aa) Hauptzwecke Darüber hinaus muss auch einer der Schutzzwecke des Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG umgangen worden sein.93 Dabei gab es zwei Hauptzwecke für der Einführung dieser Vorschrift: Es sollten sowohl die Länder im Verhältnis zu den Kommunen vor Eingriffen des Bundes94 als auch die Kommunen vor erheblichen finanziellen Belastungen aus Aufgabenübertragungen durch Bundesgesetze geschützt werden.95 Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG schützt Länder und Kommunen gleichermaßen.96 Bei den Kommunen wird der Schutz da­ rüber bewirkt, dass mittlerweile alle Landesverfassungen – mit Ausnahme derjenigen der Stadtstaaten – das Konnexitätsprinzip in einer seiner Unter‑ Knitter, Aufgabenübertragungsverbot, S. 122. z. B. § 13 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 1 Abs. 1 StVZustG Saarland; § 13 Abs. 1 VkRZustV Hessen; § 3 Abs. 1 StVRZustV RP; § 2 Abs. 1 Nr. 5 StrVRZustVO SH; § 9 Abs. 3 ThürStVRZustÜV. Anderes gilt in Bayern gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 ZustVVerk, der die Zuständigkeit der Kreisverwaltungsbehörden als unterer staat­ licher Behörden für die Fahrzeugzulassung bestimmt. Vgl. zum Ganzen auch Zabel, NVwZ 2015, 1241 (1246). 92  BR-Drs. 648 / 14(B) v. 6.2.2015, S. 5. 93  Vgl. Knitter, Aufgabenübertragungsverbot, S. 122. 94  Burger / Faber, KommJur 2011, 161 (163); Dittmann, in: FS Frotscher, S. 253 (257 f.); Knitter, Aufgabenübertragungsverbot, S. 102, 112; vgl. auch BT-Drs. 16 / 813 v. 7.3.2006, S. 15; Meßmann, DÖV 2010, 726 (727). 95  BT-Drs. 16 / 2069 v. 29.6.2006, S. 4; Burger / Faber, KommJur 2011, 161 (163); Dittmann, in: FS Frotscher, S. 253 (258); Knitter, Aufgabenübertragungsverbot, S. 102; Schoch, DVBl. 2007, 261 (263). 96  Knitter, Aufgabenübertragungsverbot, S.  103 m. w. N. 90  Vgl.

91  Siehe



A. Formelle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 119

formen97 bei Aufgabenübertragungen durch die Länder enthalten.98 Das be‑ deutet, dass den Kommunen durch die Länder stets ein finanzieller Aus‑ gleich für diese Übertragungen zu gewähren ist. Vor der Föderalismusreform im Jahr 2006 durfte der Bund Aufgaben an Gemeinden und Gemeindever‑ bände übertragen, ohne dass diese einen Anspruch auf einen finanziellen Ausgleich zur Erfüllung der zusätzlichen Aufgaben gegen den Bund hatten. Die Konnexitätsvorschriften der Landesverfassungen waren und sind auf Aufgabenübertragungen durch den Bund an Kommunen nicht anwendbar. Darüber hinaus konnten auch das Konnexitätsprinzip des Art. 104a Abs. 1 GG und seine Ausnahme in Art. 104a Abs. 2 GG nicht eingreifen, da es nur im Verhältnis vom Bund zu den Ländern gilt.99 Die Kommunen werden also durch das Zusammenwirken des Art. 84 Abs. 1 Satz  7 GG mit dem in den Landesverfassungen geregelten Konnexitätsprinzip geschützt.100 bb) Umgehung der Organisationshoheit der Länder Es gilt daher nun zu prüfen, ob einer dieser beiden Schutzzwecke berührt wird. Die Organisationshoheit der Länder wird durch die offene Formulie‑ rung in § 9 Abs. 3 bis 6 InfrAG nicht beeinträchtigt, sondern vielmehr gerade dadurch anerkannt.101 cc) Umgehung des Schutzes für die Kommunen vor finanziellen Belastungen ohne Ausgleich Somit steht nur noch eine Umgehung des Schutzes für die Kommunen im Raum. Diese Umgehung ist deshalb intensiv zu prüfen, weil dem Bund über den Umweg der Zuweisung an die nach Landesrecht zuständigen Behörden bei einer Aufgabenübertragung durch die Länder an die Kommunen doch 97  Konnexität kommt vom lateinischen connectere, was so viel wie „anknüpfen“ oder „verbinden“ bedeutet, Duden, Die deutsche Rechtschreibung, http: /  / www.du den.de / rechtschreibung / Konnexitaet (zuletzt abgerufen am 7.2.2018). 98  Siehe z. B. Art. 120 SVerf; Art. 83 Abs. 3 Verf Bayern; Art. 71 Abs. 3 LV BW; Art. 78 Abs. 3 Verf NRW; Art. 57 Abs. 4 NdsVerf; Art. 137 Abs. 6 Verf Hessen; Art. 49 Abs. 5 Verf RP. Zu Art. 71 Abs. 3 LV BW ausführlich Engelken, Konnexitäts‑ prinzip, S.  54 ff. 99  Siehe dazu näher Knitter, Aufgabenübertragungsverbot, S.  74 ff.; Schoch, DVBl. 2007, 261 (261 f.); Ipsen, NJW 2006, 2801 (2802); vgl. auch Burger / Faber, KommJur 2011, 161 (163). 100  Kluth, LKV 2009, 337 (338 f.); Henneke, DVBl. 2008, 867 (869); krit. Macht / Scharrer, DVBl. 2008, 1150 (1152 ff.). 101  Siehe in diesem Teil unter A. I. 4. b); vgl. auch Knitter, Aufgabenübertragungs‑ verbot, S. 124.

120

2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

eine Aufgabenzuweisung an die Kommunen möglich ist. Es muss dabei si‑ chergestellt sein, dass diese Aufgabenzuweisungen in jedem Fall vom jewei‑ ligen Konnexitätsprinzip umfasst sind, sodass die Kommunen – dem Rege‑ lungszweck des Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG entsprechend – keinen finanziellen Belastungen ohne einen entsprechenden Ausgleichsanspruch ausgesetzt sind.102 (1) Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern Im Fall der § 9 Abs. 3 bis 6 InfrAG bestehen folgende Regelungen: Zu‑ nächst sind die Länder für die Ausführung dieser Vorschriften zuständig. Nach Art. 104a Abs. 1 Halbs. 1 GG tragen der Bund und die Länder geson‑ dert die Ausgaben, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben. Das bedeutet, dass die Aufgabenwahrnehmung mit der Ausgabentragung verknüpft ist.103 Darin unterscheidet sich das bundesstaatliche Konnexitäts‑ prinzip des Art. 104a Abs. 1 GG wesentlich von dem in den Landesverfas‑ sungen geregelten kommunenbezogenen Konnexitätsprinzip. Dort nämlich trägt nicht der Wahrnehmende die Kosten der Aufgabe, sondern derjenige, der die Aufgabe übertragen hat. Wenn also den Ländern grundsätzlich nach Art. 30, 83 GG die Aufgabe obliegt,104 die § 9 Abs. 3 bis 6 InfrAG auszufüh‑ ren, dann müssen sie nach Art. 104a Abs. 1 GG auch die Ausgaben für diese Ausführung tragen. Den Bund trifft somit also keine Pflicht, die Kosten zu tragen, die sich aus der Ausführung des § 9 Abs. 3 bis 6 InfrAG ergeben, obwohl er durch den Erlass des Infrastrukturabgabengesetzes erst diese Auf‑ gabe begründet hat. Allerdings werden die Ausgaben für den Betrieb des Abgabensystems nach § 15 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InfrAG vom Bund aus dem Abgabenaufkom‑ men geleistet. Davon sollen aber nach der Regierungsbegründung zum Ge‑ setzentwurf nur die Kosten der Bundesbehörden umfasst sein.105 Somit wer‑ den die Ausgaben der Länder und Kommunen bei der Ausführung des Infra‑ strukturabgabengesetzes nicht von § 15 Abs. 1 Satz 2 InfrAG erfasst. Diese Auslegung wird auch dadurch bestätigt, dass der Bundesrat im Gesetzge‑ bungsverfahren einen finanziellen Ausgleich durch den Bund zumindest für die Kosten der Kommunen gefordert hat.106 Es bleibt also im Verhältnis

Knitter, Aufgabenübertragungsverbot, S. 124. viele BVerfG, Beschl. v. 15.7.1969, 2 BvF 1 / 64, BVerfGE 26, 338 (389 f.); Heun, in: Dreier, GG-Komm., Art. 104a Rn. 12. 104  Näher zu dieser Aufgabe sogl. in diesem Teil unter A. II. 1. c). 105  BT-Drs. 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 36 f. 106  BR-Drs. 648 / 14(B) v. 6.2.2015, S. 5. 102  Vgl. 103  Für



A. Formelle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 121

zwischen dem Bund und den Ländern bei der allgemeinen Lastenverteilungs‑ regel107 des Art. 104a Abs. 1 GG. (2) Lastenverteilung zwischen Ländern und Kommunen Damit ist allerdings noch nichts über die Lastenverteilung zwischen den Ländern und den Kommunen bei der Ausführung des Infrastrukturabgaben‑ gesetzes gesagt. Diese Lastenverteilung richtet sich nach den jeweiligen Konnexitätsvorschriften der Landesverfassungen. Diese haben je nach Wort‑ laut der Landesverfassung und landesrechtlicher Auslegung eine unterschied‑ liche Reichweite.108 Als Beispiel dafür kann angeführt werden, dass einige Länder die Anwendung des Konnexitätsprinzips in ihren Ausführungsgeset‑ zen dann ausschließen, wenn die Aufgabenübertragung unmittelbar aufgrund bundes- oder europarechtlicher Regelungen erfolgt und dem Land dabei kein eigener Umsetzungsspielraum bleibt.109 An diesem Fall einer restriktiven Konnexitätsregelung auf Landesebene soll überprüft werden, ob der Bund durch § 9 Abs. 3 bis  6 InfrAG den Schutz durch die Vorschrift des Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG zu umgehen versucht. Der Bund kann keinen Einfluss darauf nehmen, ob und wie die Länder Aufgaben an die Kommunen übertragen und wie streng die jeweilige Lan‑ desverfassung im Hinblick auf das Konnexitätsprinzip ausgelegt wird. Zwar steht dem Bundesgesetzgeber die Möglichkeit offen, den Ländern Umset‑ zungsspielräume bei der Umsetzung von Bundesgesetzen zu gewähren.110 Er ist aber aus Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG nicht verpflichtet, den Ländern solche Spielräume zu gewähren. Nähme man aufgrund dieser Vorschrift eine solche Verpflichtung zum Schutz der Kommunen an, müsste der Bund stets alles Erforderliche tun, um die Anwendungsvoraussetzungen der landesrechtlichen Konnexitätsregelungen soweit wie möglich zu erfüllen. Dabei könnte ein Land die Anwendung des landesrechtlichen Konnexitätsprinzips von einem finanziellen Ausgleich durch den Bund abhängig machen. Sähe der Bund dann keinen solchen Ausgleich vor, könnte das betreffende Land eine Bun‑ desaufgabe auf seine Kommunen übertragen, ohne dass diese dafür vom Land einen finanziellen Ausgleich erhielten. Dieses Beispiel zeigt, dass Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG keine Pflicht für den Bund statuiert, Voraussetzun‑ gen des landesrechtlichen Konnexitätsprinzips zu erfüllen. 107  BVerfG,

Beschl. v. 15.7.1969, 2 BvF 1 / 64, BVerfGE 26, 338 (390). dazu Macht / Scharrer, DVBl. 2008, 1150 (1152 ff.). 109  § 2 Abs. 1 Satz 2 KonnexAG NRW; § 1 Abs. 2 KonnexAG RP. Diese Regelun‑ gen hält Engelken, Konnexitätsprinzip, S. 99 f., für nicht mit den jeweiligen Landes‑ verfassungen vereinbar. 110  Macht / Scharrer, DVBl. 2008, 1150 (1151). 108  Vgl.

122

2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

Abgesehen davon, ist das Infrastrukturabgabengesetz in § 9 Abs. 3 bis 6 so offen formuliert, dass der Bund den Ländern damit einen Spielraum bei der Bestimmung der zuständigen Behörde lässt. Die Länder können auch selbst tätig werden, ohne die Kommunen einzubinden. dd) Ergebnis Der Bund umgeht – unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des Konnexitätsprinzips zwischen Ländern und Kommunen – durch § 9 Abs. 3 bis 6 InfrAG nicht den Schutz der Kommunen durch das landesrechtlich geregelte Konnexitätsprinzip.111 Dieser Vorwurf trifft allenfalls die Länder, die durch strenge Handhabung der Landesverfassungen und immer neue – teils verfassungswidrige112 – Anwendungsvoraussetzungen des Konnexitäts‑ prinzips versuchen, sich auf Kosten der Kommunen finanziell zu entlasten. Dieses Verhalten der Länder kann aber nicht zur Verfassungswidrigkeit eines Bundesgesetzes führen und keine strengeren Pflichten für den Bund aus Art. 84 Abs. 1 Satz  7 GG begründen. § 9 Abs. 3 bis  6 InfrAG verstößt somit nicht gegen Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG. 5. Ergebnis Für alle Regelungen des Infrastrukturabgabengesetzes liegt eine Gesetzge‑ bungskompetenz des Bundes aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG vor. Insbe‑ sondere § 9 Abs. 3 bis  6 InfrAG ist vom Bund unter Beachtung des Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG kompetenzgemäß erlassen worden.

II. Verfahren bei Erlass des Infrastrukturabgabengesetzes Die formelle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes er‑ fordert auch die Einhaltung der Verfahrensvorschriften der Art. 76 ff. GG bei Erlass des Gesetzes. Diese Überprüfung wird sich auf die Zustimmungs‑ bedürftigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes und des Ersten Gesetzes zur Änderung des Infrastrukturabgabengesetzes konzentrieren, da ansonsten die Gesetzgebungsverfahren113 beim Erlass beider Gesetze soweit ersichtlich ordnungsgemäß abgelaufen sind. Der Bundesrat hatte im Jahr 2015 auf die 111  Zu diesem Ergebnis kommt allgemein auch Knitter, Aufgabenübertragungsver‑ bot, S. 124. 112  Vgl. Engelken, Konnexitätsprinzip, S. 99 f. 113  Zu Einzelheiten siehe im 1. Teil unter A. I. und IV.



A. Formelle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 123

mögliche Zustimmungsbedürftigkeit in seiner Stellungnahme zum Gesetz‑ entwurf der Bundesregierung hingewiesen.114 Das Gesetz wurde aber als Einspruchsgesetz behandelt und der Hinweis des Bundesrates fand keine Beachtung. Sollte hingegen eine der Normen des Grundgesetzes erfüllt sein, die die Zustimmung des Bundesrates verlangt, wäre das Infrastrukturab­ gabengesetz mangels Zustimmung des Bundesrates unter Verstoß gegen Art. 78 GG zustande gekommen und aus diesem Grund formell verfas‑ sungswidrig. Sofern eine Zustimmungsbedürftigkeit des Infrastrukturabga‑ bengesetzes verneint würde, müsste im Anschluss daran geklärt werden, ob das Erste Gesetz zur Änderung des Infrastrukturabgabengesetzes zustim‑ mungsbedürftig war. 1. Zustimmungsbedürftigkeit Das Grundgesetz enthält eine abschließende Aufzählung115 aller Tatbe‑ stände, die die Zustimmungsbedürftigkeit auslösen können (sog. Enumera­ tionsprinzip), auch wenn diese Tatbestände nicht in einer zusammenfassenden Vorschrift aufgelistet sind.116 Das Bundesverfassungsgericht hat darüber hin‑ aus in einigen Entscheidungen angenommen, dass es auch Zustimmungser‑ fordernisse geben kann, die sich nicht ausdrücklich im Grundgesetz finden.117 Gegen „ungeschriebene“ Zustimmungserfordernisse des Bundesrats sprechen aber mehrere Erwägungen. Durch solche Erfordernisse würde der Zweck der sog. Föderalismusreform I118 konterkariert werden.119 Denn ein Ziel dieser Reform der Bund-Länder-Beziehungen war es, generell die Effektivität des Gesetzgebungsverfahrens zu steigern und speziell die Zustimmungserforder‑ nisse insgesamt zu reduzieren.120 Durch die Annahme ungeschriebener Zu‑ stimmungsbedürfnisse würden die Einflussmöglichmöglichkeiten des Bun‑ desrats auf die Bundesgesetzgebung entgegen den Zielen der Föderalismus‑

114  BT-Drs.

18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 43 f. Aufzählung aller Tatbestände findet sich z. B. bei Gröpl, Staatsrecht I, Rn. 1257; Kersten, in: Maunz / Dürig, GG-Komm., Art. 77 Rn. 95 (Stand d. Bearb.: Apr. 2012). 116  BVerfG, Gutachten v. 22.11.1951, 1 PBvV 1 / 51, BVerfGE 1, 76 (79); besonders deutlich auch BVerfG, Beschl. v. 4.5.2010, 2 BvL 8 / 07 u. a., BVerfGE 126, 77 (100); Kersten, in: Maunz / Dürig, GG-Komm., Art. 77 Rn. 95 m. w. N. (Stand d. Bearb.: Apr. 2012). 117  BVerfG, Beschl. v. 24.2.1970, 2 BvL 12 / 69 u. a., BVerfGE 28, 66 (78); BVerfG, Urt. v. 17.7.2002, 1 BvF 1 / 01 u. a., BVerfGE 105, 313 (340). 118  Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 28.8.2006, BGBl. I S. 2034. 119  Zabel, NVwZ 2015, 1241 (1246). 120  BT-Drs. 16 / 813 v. 7.3.2006, S. 7, 8. 115  Eine

124

2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

reform I wieder steigen.121 Ungeschriebene Zustimmungserfordernisse sind daher abzulehnen.122 Es bleibt so im Folgenden zu prüfen, ob eines der im Grundgesetz aus‑ drücklich geregelten Zustimmungserfordernisse für das Infrastrukturabgaben‑ gesetz eingreift. Die Frage, ob schon eine zustimmungsbedürftige Vorschrift des Gesetzes die Zustimmungsbedürftigkeit des ganzen Gesetzes auslöst (sog. Einheitsthese),123 kann zunächst offenbleiben. Erst dann, wenn die Zu‑ stimmungsbedürftigkeit einer Vorschrift des Infrastrukturabgabengesetzes festgestellt werden kann, müsste entschieden werden, ob das gesamte Gesetz der Zustimmung des Bundesrates bedurfte. a) Art. 105 Abs. 3 GG Nach Art. 105 Abs. 3 GG bedürfen Bundesgesetze über Steuern, deren Aufkommen den Ländern oder Gemeinden ganz oder zum Teil zusteht, der Zustimmung des Bundesrates. Nach der hier vertreten Auffassung handelt es sich bei der Infrastrukturabgabe aber nicht um eine Steuer.124 Nähme man dagegen an, dass die Infrastrukturabgabe eine Steuer sei,125 wäre das Infra‑ strukturabgabengesetz ein Gesetz über Steuern. Das Aufkommen aus dieser Steuer stünde aber dann nach Art. 106 Abs. 1 Nr. 3 GG allein dem Bund zu.126 Demnach wäre das Infrastrukturabgabengesetz auch als Gesetz über Steuern nicht wegen Art. 105 Abs. 3 GG zustimmungsbedürftig. b) Art. 87 Abs. 3 Satz 2 GG Gem. Art. 87 Abs. 3 Satz 2 GG kann der Bund mit Zustimmung des Bun‑ desrates bundeseigene Mittel- und Unterbehörden errichten, wenn ihm auf einem Gebiet der Bundesgesetzgebung neue Aufgaben erwachsen und ein dringender Bedarf für die Einrichtung der Behörden besteht. Zwar führt der 121  Ebenso Zabel, NVwZ 2015, 1241 (1246); Kersten, in: Maunz / Dürig, GGKomm., Art. 77 Rn. 96 (Stand d. Bearb.: Apr. 2012). 122  Vgl. Schmidt, JuS 1999, 861 (862); diese Frage lässt Zabel, NVwZ 2015, 1241 (1246), bei seiner Untersuchung zum InfrAG offen. 123  BVerfG, Beschl. v. 12.11.1958, 2  BvL 4 / 56 u. a., BVerfGE 8, 274 (294 f.); BVerfG v. 10.12.1980, BVerfGE 55, 274 (319); BVerfG, Urt. v. 18.12.2002, 2  BvF 1 / 02, BVerfGE 106, 310 (329 f.); gegen die Einheitsthese Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG-Komm., Art. 77 Rn. 4a; Brosius-Gersdorf, in: Dreier, GG-Komm., Art. 77 Rn. 48; Wernsmann, NVwZ 2005, 1352 (1353 ff.) m. w. N. 124  Siehe im 1. Teil unter B. VI. 3. 125  Fehling, ZG 2014, 305 (312). 126  Vgl. auch Fehling, ZG 2014, 305 (315 Fn. 55).



A. Formelle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 125

Bund das Infrastrukturabgabengesetz weitgehend durch eigene Behörden, nämlich vor allem durch das KBA und das BAG, aus. Allerdings sind diese beiden Behörden sog. Bundesoberbehörden, also Behörden ohne eigenen Verwaltungsunterbau. Mittel- und Unterbehörden wurden auch nicht einge‑ richtet, um Aufgaben aus dem Infrastrukturabgabengesetz zu erfüllen. Daher scheidet eine Zustimmungsbedürftigkeit nach Art. 87 Abs. 3 Satz 2 GG aus. c) Art. 84 Abs. 1 Satz  5 und  6 GG Schließlich bleibt eine Zustimmungsbedürftigkeit des Infrastrukturabga‑ bengesetzes nach Art. 84 Abs. 1 Satz  5 und  6 GG zu prüfen. In Satz  5 wird bestimmt, dass der Bund wegen eines besonderen Bedürfnisses nach bundes‑ einheitlicher Regelung das Verwaltungsverfahren in Ausnahmefällen ohne Abweichungsmöglichkeit für die Länder regeln kann. Diese Gesetze bedür‑ fen dann aber nach Satz 6 der Zustimmung des Bundesrates. Damit diese Zustimmungsregelung eingreifen kann, müssen die Länder das betreffende Bundesgesetz zumindest teilweise als eigene Angelegenheit ausführen (Art. 83 Halbs. 1 GG). In diesem Fall regeln nämlich die Länder nach Art. 84 Abs. 1 Satz 1 GG die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfah‑ ren. Der Bund kann zwar gem. Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG in diesem Fall das Verwaltungsverfahren und die Einrichtung der Behörden selbst regeln. Aller‑ dings können die Länder wiederum von dieser Bundesregelung abweichen. Möchte der Bund diese Abweichungsmöglichkeit für die ausnahmsweise nicht zulassen, so benötigt er dafür gem. Art. 84 Abs. 1 Satz 5 und 6 GG die Zustimmung des Bundesrates. Insoweit sind nur die § 9 Abs. 3 bis 6 InfrAG zu prüfen, da die Länder nur dabei das Infrastrukturabgabengesetz als eigene Angelegenheit ausführen.127 aa) Das Verwaltungsverfahren und die Einrichtung der Behörden Vor dem Hintergrund der Unterscheidung in Art. 84 Abs. 1 GG ist zu klä‑ ren, ob es sich bei diesen Regelungen um formelle oder materielle Vorschrif‑ ten handelt. Bei formellen Vorschriften muss dann wegen Art. 84 Abs. 1 Satz 5 GG weiter zwischen Vorschriften, die das Verwaltungsverfahren und solchen, die die Einrichtung der Behörden betreffen, unterschieden werden. Materielles Recht sind dabei solche Normen, die eine Aufgabe der Verwal‑ tung in der Sache zum Gegenstand haben.128 Sie regeln also das, was die 127  Siehe

oben in diesem Teil unter A. I. 4. in: Maunz / Dürig, GG-Komm., Art. 84 Rn. 84 (Stand d. Bearb.: Jan. 2011); vgl. auch Maurer, JuS 2010, 945 (947); offen BVerfG, Urt. v. 10.12.1980, 2 BvF 3 / 77, BVerfGE 55, 274 (320). 128  F.  Kirchhof,

126

2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

Verwaltung zu tun hat.129 Dagegen sind formelles Recht alle Regelungen, die den Vollzug des materiellen Rechts betreffen und die die Einrichtung der Behörden zum Gegenstand haben.130 Das Bundesverfassungsgericht nimmt an, dass ein Gesetz dann das Verwaltungsverfahren regelt, wenn es die Art und Weise sowie die Formen der Tätigkeit zur Ausführung seiner Bestim‑ mungen vorschreibt.131 Die Einrichtung der Behörden habe ein Gesetz dann zum Gegenstand, wenn neue Behörden geschaffen würden oder wenn der nähere Aufgabenkreis einer Behörde qualitativ festgelegt werde. Dabei hat eine Regelung zum Verwaltungsverfahren das „Wie“ und eine zur Einrich‑ tung der Behörden das „Wer“ zum Gegenstand.132 Diese Abgrenzungen ge‑ stalten sich bei § 9 Abs. 3 bis Abs. 6 InfrAG teilweise schwierig:133 bb) § 9 Abs. 3 und 4 InfrAG § 9 Abs. 3 Satz 1 InfrAG besagt, dass die Zulassung eines Kraftfahrzeugs in Deutschland die Erteilung eines SEPA-Lastschrift-Mandats zur Einziehung der Infrastrukturabgabe gegenüber der nach Landesrecht zuständigen Behörde voraussetzt. § 9 Abs. 3 Satz 2 InfrAG enthält die Rechtsfolge, dass eine Zulas‑ sung ohne Vorlage eines SEPA-Lastschrift-Mandats zu versagen ist. In unmit‑ telbarem Zusammenhang mit Absatz 3 steht § 9 Abs. 4 InfrAG, der Ausnah‑ men vom Erfordernis der Erteilung eines SEPA-Lastschrift-Mandats normiert. In § 9 Abs. 3 und Abs. 4 InfrAG liegt insoweit eine materielle Regelung. Über diese materielle Regel hinaus aber wird durch der Zulassungsbehörde eine weitere Prüfung im Zulassungsverfahren auferlegt. Damit ist allerdings noch nicht geklärt, ob der Aufgabenkreis der nach Landesrecht zuständigen Behörden dadurch auch qualitativ erweitert wird und somit auch eine Rege‑ lung zur Einrichtung der Behörden vorliegt.134 Die Zuständigkeit für die 129  Maurer,

JuS 2010, 945 (947). in: Maunz / Dürig, GG-Komm., Art. 84 Rn. 84 (Stand d. Bearb.:

130  F.  Kirchhof,

Jan. 2011). 131  BVerfG, Beschl. v. 8.4.1987, 2  BvR 909 / 82 u. a., BVerfGE 75, 108 (150); s. zum Verwaltungsverfahren bereits BVerfG, Beschl. v. 25.6.1974, 2  BvF 2 / 73 u. a., BVerfGE 37, 363 (385, 390); BVerfG, Urt. v. 10.12.1980, 2 BvF 3 / 77, BVerfGE 55, 274 (319 ff.); s. zur Einrichtung der Behörden auch BVerfG, Beschl. v. 9.12.1987, 2 BvL 16 / 84, BVerfGE 77, 288 (298). 132  F.  Kirchhof, in: Maunz / Dürig, GG-Komm., Art. 84 Rn. 89 (Stand d. Bearb.: Jan. 2011); Maurer, JuS 2010, 945 (947); vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 25.6.1974, 2  BvF 2 / 73 u. a., BVerfGE 37, 363 (385); BVerfG, Urt. v. 10.12.1980, 2  BvF 3 / 77, BVerfGE 55, 274 (321). 133  Siehe auch den generellen Befund von Maurer, JuS 2010, 945 (947). 134  Vgl. zur Abgrenzung BVerfG, Beschl. v. 8.4.1987, 2  BvR 909 / 82 u. a., BVerfGE 75, 108 (150 f.); krit. dazu Hermes, in: Dreier, GG-Komm., Art. 84 Rn. 54.



A. Formelle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 127

Bearbeitung und Übermittlung (§ 9 Abs. 3 Satz 3 InfrAG) der Lastschrift‑ mandate bringt eine zusätzliche inhaltliche Aufgabe mit sich, denn die Zulas‑ sungsbehörde muss darauf hinwirken, dass ein Lastschriftmandat erteilt wird oder das Vorliegen der Ausnahmegründe hinreichend belegt wird.135 Hinzu kommt nach § 9 Abs. 4 Satz 2 InfrAG die Aufgabe, den Antrag auf Befrei‑ ung von der Infrastrukturabgabe bei Vorliegen des Ausnahmetatbestands gem. § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 InfrAG entgegenzunehmen und an die Infra‑ strukturabgabebehörde weiterzuleiten. Demnach ist eine qualitative Aufga‑ benmehrung bei den nach Landesrecht zuständigen Behörden anzunehmen.136 Grundsätzlich läge damit nach der oben skizzierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Regelung zur Einrichtung der Behörden vor. Gegen eine Regelung zur Einrichtung der Behörden in § 9 Abs. 3 und Abs. 4 InfrAG spricht aber der Umstand, dass der Bund hier gerade nicht selbst festlegt, welche Landesbehörde tätig werden soll, sondern er diese Zuständigkeitsbestimmung dem Landesrecht überlässt. Eine Abweichungs‑ möglichkeit der Länder von dieser Regelung macht daher keinen Sinn.137 In einem vergleichbaren Fall zum Luftsicherheitsgesetz hat das Bundesverfas‑ sungsgericht trotz einer qualitativen Aufgabenmehrung – wie in § 9 Abs. 3 und Abs. 4 InfrAG – keine Regelung zur Einrichtung der Behörden angenommen:138 Das Luftsicherheitsgesetz wies zwar den Luftsicherheitsbe‑ hörden neue Aufgaben zu, ließ aber offen, welche Landesbehörde(n) als Luftsicherheitsbehörde(n) diese Aufgaben wahrnehmen sollen. Daher liegt auch in § 9 Abs. 3 und Abs. 4 InfrAG keine Regelung zur Einrichtung der Behörden vor. Eine Regelung des Verwaltungsverfahrens ist in § 9 Abs. 4 Satz 2 InfrAG ebenfalls nicht zu erblicken. In § 9 Abs. 3 Satz 3 InfrAG wird bestimmt, dass die Zulassungsbehörde die erteilten Lastschriftmandate an die Infrastrukturabgabebehörde übermit‑ teln muss. In dieser Regelung wird festgelegt, wie die Zulassungsbehörden mit den Lastschriftmandaten weiter zu verfahren haben. Dieses Verfahren des behördeninternen Umgangs mit den erteilten Lastschriftmandaten139 ist dem Verwaltungsverfahren zuzuordnen.

135  So wohl auch Zabel, NVwZ 2015, 1241 (1245), unter Nennung der BT-Drs. 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 22; a. A. wohl Hillgruber, Ausschuss-Drs. 18(15)193-A, S. 6. 136  A. A. Hillgruber, Ausschuss-Drs. 18(15)193-A, S. 3. 137  Siehe dazu auch in diesem Teil unter A. I. 4. b). 138  BVerfG, Beschl. v. 4.5.2010, 2 BvL 8 / 07 u. a., BVerfGE 126, 77 (99). 139  Vgl. Zabel, NVwZ 2015, 1241 (1245).

128

2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

cc) § 9 Abs. 5 InfrAG Wenn der Halter140 mit Zahlungen bei der Infrastrukturabgabe im Rück‑ stand ist, regelt § 9 Abs. 5 InfrAG das Vorgehen bei der Zulassung eines Kraftfahrzeugs: Satz 1 bestimmt, dass die Zulassung eines Fahrzeugs erst erfolgen darf, wenn derjenige, der das Fahrzeug zulassen möchte, keine Zah‑ lungsrückstände bei der Infrastrukturabgabe hat. Damit in Zusammenhang steht Satz 2, der die entsprechende Anwendung des § 276 Abs. 4 AO141 an‑ ordnet. Diese beiden Sätze bestimmen also dem Inhalt nach, wann eine Zu‑ lassung erfolgen darf, sodass sie materieller Natur sind. Gem. § 9 Abs. 5 Satz 3 InfrAG steht einer Zulassung ein halterbezogener Infrastrukturabga‑ benrückstand von weniger als fünf Euro nicht entgegen. Damit stellt § 9 Abs. 5 Satz 3 InfrAG eine Ausnahmevorschrift zu § 9 Abs. 5 Satz 1 InfrAG und damit ebenfalls eine materielle Regelung dar. Nach § 9 Abs. 5 Satz 5 InfrAG muss die Infrastrukturabgabebehörde die erforderlichen Daten für die Prüfung des Zahlungsrückstands den nach Lan‑ desrecht zuständigen Behörden elektronisch zur Verfügung stellen. Dieser Vorschrift kann man entnehmen, dass § 9 Abs. 5 InfrAG von der jeweiligen Zulassungsbehörde eine gesonderte Prüfung der Zahlungsrückstände vor Zulassung verlangt und dass die Prüfung nicht bereits durch das KBA als Infrastrukturabgabebehörde gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 InfrAG durchgeführt wird.142 Das Ergebnis der Prüfung darf sodann gem. § 9 Abs. 5 Satz 6 In‑ frAG demjenigen mitgeteilt werden, der das Fahrzeug zulassen möchte. Da‑ raus wird das Verfahren vor der Zulassung eines Kraftfahrzeugs deutlich. Zunächst werden die Daten vom KBA elektronisch der jeweiligen Zulas‑ sungsbehörde zur Verfügung gestellt, die dann die Infrastrukturabgaberück‑ stände prüft. Anschließend darf sie dieses Ergebnis dem Zulassungswilligen mitteilen und das Fahrzeug erst zulassen, wenn keine Rückstände vorliegen. Diese Regelungen betreffen die Art und Weise des Vollzugs des materiellen Infrastrukturabgaben- und Zulassungsrechts und sind daher Regelungen des Verwaltungsverfahrens. Regelungen zur Einrichtung der Behörden sind – wie bei § 9 Abs. 3 und 4 InfrAG – nicht anzunehmen, da auch hier der Bund die Organisationshoheit der Länder akzeptiert.143 In § 9 Abs. 5 Satz 4 InfrAG wird dem KBA als Infrastrukturabgabebe‑ hörde erlaubt, der nach Landesrecht zuständigen Behörde Auskünfte zu ertei‑ 140  Zur

Definition des Halters s. in diesem Teil unter B. I. 2. b) aa). Vorschrift bestimmt, dass zur rückständigen Steuer auch Säumniszu‑ schläge, Zinsen und Verspätungszuschläge gehören. 142  Ebenso für eine Prüfungspflicht durch die Zulassungsbehörden Zabel, NVwZ 2015, 1241 (1245). 143  Siehe in diesem Teil unter A. I. 4. b) und c). 141  Diese



A. Formelle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 129

len. Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift liegt im Vorfeld des Verfahrens nach § 9 Abs. 5 Satz 5 und Satz 6 InfrAG. Das Bundesverfassungsgericht sah in einem Urteil aus dem Jahr 1959 Auskunftsrechte als Konkretisierung des damaligen Art. 35 GG und damit als materielles Recht an.144 Warum die Einordnung als Konkretisierung des heutigen Art. 35 Abs. 1 GG stets zu ei‑ ner Zuordnung zum materiellen Recht führen soll, leuchtet nicht ein.145 Hier dient die Auskunftserteilung zur Vorbereitung und Einleitung des Verwal‑ tungsverfahrens zur Prüfung der Infrastrukturabgaberückstände und damit der Prüfung der Voraussetzungen für die Zulassung eines Kraftfahrzeugs. Die Auskunftsnorm des § 9 Abs. 5 Satz 4 InfrAG ist daher dem Verwaltungsver‑ fahren zuzurechnen. § 9 Abs. 5 Satz 7 und 8 InfrAG regelt den Fall, dass eine andere Person als der Halter ein Kraftfahrzeug zulassen möchte. Dabei muss der Antragsteller nach Satz 7 eine Einverständniserklärung des Halters vorlegen, dass dieser mit der Bekanntgabe der infrastrukturabgabenrechtlichen Verhältnisse einver‑ standen ist. Von der Vorlage einer solchen Erklärung hängt nach Satz  8 die Zulassung des Kraftfahrzeugs ab. Der Halter wird also durch diese Regelun‑ gen angehalten, im Zulassungsverfahren mitzuwirken, wenn er nicht selbst das Kraftfahrzeug zulassen möchte. Die Verwaltung erhält so erst Kenntnis davon, dass der Halter mit der Weitergabe seiner Daten an Dritte einverstan‑ den ist. Diese Pflicht ist also auf ein Verwaltungsverfahren bezogen, sodass zumindest in § 9 Abs. 5 Satz 7 InfrAG eine Regelung des Verwaltungsver‑ fahrens vorliegt.146 Im Verhältnis zu Satz  7 stellt Satz  8 die materielle Regelung dar, da er lediglich eine inhaltliche Voraussetzung für die Zulassung des Kraftfahrzeugs aufstellt. dd) § 9 Abs. 6 InfrAG § 9 Abs. 6 Satz 1 InfrAG bestimmt, dass die nach Landesrecht zuständige Behörde – bei Nichtentrichtung der Infrastrukturabgabe – die Zulassungsbe‑ scheinigung Teil I oder den Fahrzeugschein einzuziehen hat und das amtliche Kennzeichen entstempeln muss. Die dazu erforderlichen Anordnungen soll sie gem. § 9 Abs. 6 Satz 2 InfrAG durch schriftlichen Verwaltungsakt treffen. Diese Norm regelt den Vollzug des materiellen Rechts, insbesondere die 144  BVerfG, Urt. v. 14.7.1959, 2  BvF 1 / 58, BVerfGE 10, 20 (49); dem folgend Hömig, in: Hömig / Wolff, GG-Komm., Art. 84 Rn. 5. 145  Vgl. F.  Kirchhof, in: Maunz / Dürig, GG-Komm., Art. 84 Rn. 94 (Stand d. ­Bearb.: Jan. 2011). 146  Vgl. insoweit auch BVerfG, Beschl. v. 25.6.1974, 2  BvF 2 / 73 u. a., BVerfGE 37, 363 (394), in dem es um eine Anzeigepflicht des Bürgers ging.

130

2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

Form des Vollzugs in § 9 Abs. 6 Satz 2 InfrAG, und gehört deshalb zum Verwaltungsverfahren.147 ee) Abweichungsverbot nach Art. 84 Abs. 1 Satz  5 GG Für Art. 84 Abs. 1 Satz  1 und Satz  2 GG spielt lediglich die Abgrenzung zwischen materiellen und formellen Regelungen eine Rolle.148 Nur von Bun‑ desregelungen des Verwaltungsverfahrens und der Einrichtung der Behörden dürfen die Länder nach Art. 84 Abs. 1 Satz  2 GG abweichen. Ein Abwei‑ chungsverbot für die Länder darf der Bund gem. Art. 84 Abs. 1 Satz  5 GG nur für Regelungen des Verwaltungsverfahrens normieren. Letztlich stellt sich die Frage, ob der Bund die Abweichungsmöglichkeit für die Länder von § 9 Abs. 3 Satz 3, Abs. 5 Satz 4 bis 7 und Abs. 6 InfrAG ausschließen wollte. Nur dann hätte er die Zustimmungsbedürftigkeit nach Art. 84 Abs. 1 Satz  6 GG ausgelöst. Ausdrücklich bestimmt das Infrastrukturabgabengesetz einen solchen Aus‑ schluss – anders als § 73 BImSchG,149 § 24a UVPG,150 § 71 KrWG151 sowie § 63 PBefG152 – nicht. Im Handbuch der Rechtsförmlichkeit, das vom Bun‑ desministerium der Justiz herausgegeben wird, finden sich in Teil C unter Nr. 10 in Rn. 435 verschiedene Möglichkeiten, wie der Bund in seinen Ge‑ setzen den Ausschluss abweichenden Landesrechts deutlich machen kann.153 Aus der Formulierung in dieser Randnummer wird erkennbar, dass das Bundesjustizministerium ein Abweichungsverbot in konkludenter Weise ohne ausdrückliche Regelung im Bundesgesetz für rechtlich nicht möglich hält. Denn es heißt an dieser Stelle im Handbuch der Rechtsförmlichkeit, dass es verschiedene rechtsförmliche Möglichkeiten gebe, die Abweichung zu kenn‑ zeichnen, wobei nur Beispiele folgen, in denen ein Abweichungsverbot im Bundesgesetz ausdrücklich gekennzeichnet wird. Zabel, NVwZ 2015, 1241 (1246). JuS 2010, 945 (946 f.); F.  Kirchhof, in: Maunz / Dürig, GG-Komm., Art. 84 Rn. 82, 84 (Stand d. Bearb.: Jan.  2011); vgl. auch Kahl, NVwZ 2008, 710 (713 f.). 149  Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunrei‑ nigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge v. 15.3.1974, BGBl. I S. 721, i. d. F. d. Bek. v. 17.5.2013, BGBl. I S. 1274. 150  Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung v. 12.2.1990, BGBl. I S. 205, i. d. F. d. Bek. v. 24.2.2010, BGBl. I S. 94. 151  Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltver‑ träglichen Bewirtschaftung von Abfällen v. 24.2.2012, BGBl. I S. 212. 152  Personenbeförderungsgesetz v. 21.3.1961, BGBl. I S. 241, i.  d. F. d. Bek. v. 8.8.1990, BGBl. I S. 1690, mit spät. Änd. 153  Bek. v. 22.9.2008, BAnz. Nr. 160a v. 22.10.2008. 147  Ebenso

148  Maurer,



A. Formelle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 131

Für eine solche Kennzeichnungspflicht spricht, dass Art. 84 Abs. 1 Satz  5 GG als Ausnahmetatbestand konzipiert wurde.154 Aufgrund der Intention des verfassungsändernden Gesetzgebers155 und des Wortlauts des Grundgesetzes erfolgt im Regelfall nach Art. 84 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG156 – d. h. wenn kein Abweichungsverbot für die Länder statuiert werden soll – auch keine Kenn‑ zeichnung. Wenn aber ein Ausnahmefall nach Art. 84 Abs. 1 Satz  5 GG vorliegt, ist eine Kennzeichnung im betreffenden Bundesgesetz erforderlich, um den Ausnahmecharakter deutlich zu machen. Darüber hinaus vereinfacht eine Kennzeichnungspflicht das Gesetzge‑ bungsverfahren. Sofern ein Bundesgesetz keine ausdrückliche Regelung über ein Abweichungsverbot für die Länder enthält, bedarf es auch nicht der Zu‑ stimmung des Bundesrates nach Art. 84 Abs. 1 Satz 6 GG. Dadurch wird der Streit um eine Auslegung der jeweiligen Gesetze im Gesetzgebungsverfahren vermieden. Zudem wird auch den Ländern die Sicherheit geboten, dass sie – bei Gesetzen ohne Kennzeichnung des Abweichungsverbots – von den Rege‑ lungen des Verwaltungsverfahrens nach Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG abweichen dürfen. Auch dadurch werden Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern um die Abweichungsfestigkeit von Regelungen des Verwaltungsverfahrens in Bundesgesetzen vermieden. Eine Kennzeichnungspflicht ist aus den genannten Gründen in den Fällen des Art. 84 Abs. 1 Satz 5 GG vorzugswürdig. Darüber hinaus müsste – ohne Kennzeichnung – die jeweilige Regelung des Verwaltungsverfahrens im Hin‑ blick auf ihre Abweichungsfestigkeit ausgelegt werden. Die Anknüpfung an ein formales Kriterium erlaubt an dieser Stelle – mit möglichst geringen Einschränkungen – die Effektivität des Gesetzgebungsverfahrens zu stei‑ gern.157 Das Infrastrukturabgabengesetz normiert für die Länder kein Verbot der Abweichung von Vorschriften des Verwaltungsverfahrens.158 Somit sind die Regelungen des § 9 Abs. 3 Satz 3, Abs. 5 Satz 4 bis 7 und Abs. 6 InfrAG nicht abweichungsfest. Eine Zustimmungsbedürftigkeit des Infrastrukturab‑ gabengesetzes kann sich somit auch nicht aus Art. 84 Abs. 1 Satz  5 und  6 GG ergeben.

154  BT-Drs. 16 / 813 v. 7.3.2006, S. 8; s. auch Dittmann, in: FS Frotscher, S. 253 (262 f.). 155  BT-Drs. 16 / 813 v. 7.3.2006, S. 8. 156  Kahl, NVwZ 2008, 710 (714); Hermes, in: Dreier, Art. 84 Rn. 63; widersprüch‑ lich insoweit Trute, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG-Komm., Art. 84 Rn. 35, 42. 157  BT-Drs. 16 / 813 v. 7.3.2006, S. 7, 8, zu diesem Ziel der Föderalismusreform I. 158  Ebenso Zabel, NVwZ 2015, 1241 (1246).

132

2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

d) Zwischenergebnis Aus Art. 105 Abs. 3, Art. 87 Abs. 3 Satz  2 und aus Art. 84 Abs. 1 Satz  5 und 6 GG ergibt sich keine Zustimmungsbedürftigkeit des Infrastrukturab­ gabengesetzes. Weitere Vorschriften des Grundgesetzes, die die Zustim‑ mungsbedürftigkeit des Gesetzes auslösen könnten, sind nicht einschlägig. Ungeschriebene Zustimmungserfordernisse sind aus den oben genannten Gründen abzulehnen und können deshalb hier nicht die Zustimmungsbedürf‑ tigkeit begründen. Eine Zustimmung des Bundesrates zum Infrastrukturabga‑ bengesetz ist nicht erfolgt. Sie war auch nicht erforderlich. Die Zustim‑ mungsfreiheit des Infrastrukturabgabengesetzes schlägt auch auf das Erste Gesetz zur Änderung des Infrastrukturabgabengesetzes vom 18. Mai 2017159 durch, da hierdurch lediglich die Anlage Abgabensätze geändert wurde. 2. Ergebnis Das Infrastrukturabgabengesetz ist nicht entgegen Art. 78 GG zustande gekommen. Verstöße gegen andere Vorschriften des Grundgesetzes zum Ge‑ setzgebungsverfahren sind offensichtlich nicht gegeben. Das Infrastrukturab‑ gabengesetz und das Erste Gesetz zur Änderung des Infrastrukturabgabenge‑ setzes sind also in ordnungsgemäßen Verfahren nach den Art. 76 ff. GG zu‑ stande gekommen.

III. Einhaltung der Formvorschriften Das Grundgesetz stellt durch Art. 82 Anforderungen an die Form des Zu‑ standekommens eines Bundesgesetzes. Der damalige Bundespräsident Joa‑ chim Gauck fertigte das Infrastrukturabgabengesetz am 8.  Juni 2015  – nach der Gegenzeichnung durch die Bundeskanzlerin und den Bundesverkehrsmi‑ nister – nach Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG aus. Daraufhin wurde das Gesetz am 11. Juni 2015 im Bundesgesetzblatt verkündet.160 Die Formanforderungen sind damit also erfüllt worden. Gleiches gilt für das Erste Gesetz zur Ände‑ rung des Infrastrukturabgabengesetzes, welches am 18.  Mai 2017 von Bun‑ despräsident Frank-Walter Steinmeier ausgefertigt und am 24. Mai 2017 im Bundesgesetzblatt verkündet wurde.161

159  BGBl. I

S. 1218. S. 904. 161  BGBl. I S. 1218. 160  BGBl. I



B. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 133

IV. Ergebnis Das Infrastrukturabgabengesetz und auch das Erste Gesetz zur Änderung des Infrastrukturabgabengesetzes sind damit formell verfassungsgemäß zu‑ stande gekommen, da sie auf eine taugliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG gegründet sind und die Verfah‑ rens- und Formvorschriften des Grundgesetzes eingehalten wurden.

B. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes I. Vereinbarkeit mit Grundrechten Das Infrastrukturabgabengesetz soll im Folgenden am Grundrecht der Be‑ rufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG, dem Grundrecht der Eigentumsfreiheit aus Art. 14 Abs. 1 GG, dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestim‑ mung aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG162 sowie am allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gemessen werden. Andere Grundrechte erscheinen nicht einschlägig. 1. Berufsfreiheit a) Schutzbereich Das Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG schützt als ein‑ heitliches Grundrecht sowohl die Freiheit der Berufsausübung als auch die Freiheit der Berufswahl.163 Beruf ist dabei jede auf Dauer angelegte Tätig‑ keit, die der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dient.164 Ob der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG beim Infrastrukturabgabenge‑ setz eröffnet ist, lässt sich nur feststellen, indem die Schuldner der Abgabe und die typischen Berufe dieser bestimmt werden. Schuldner der Abgabe sind nach § 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 InfrAG je nach Zulassungsort nur der Halter oder Halter und Führer des jeweiligen Kraftfahrzeugs. Der Infrastrukturabga‑ 162  Zur Entwicklung dieses Grundrechts s. BVerfG, Urt. v. 15.12.1983, 1  BvR 209 / 83 u. a., BVerfGE 65, 1 (41 ff.). 163  BVerfG, Urt. v. 11.6.1958, 1 BvR 596 / 56, BVerfGE 7, 377 (402). 164  St. Rspr. seit BVerfG, Urt. v. 11.6.1958, 1 BvR 596 / 56, BVerfGE 7, 377 (397); s. auch BVerfG, Urt. v. 9.6.2004, 1 BvR 636 / 02, BVerfGE 111, 10 (28); Kämmerer, in: von  Münch / Kunig, GG-Komm., Art. 12 Rn. 15; Scholz, in: Maunz / Dürig, GGKomm., Art. 12 Rn. 29 m. w. N. (Stand d. Bearb.: Juni 2006).

134

2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

bepflicht unterfallen somit alle Berufsgruppen, die in Deutschland zugelas‑ sene Personenkraftwagen auf Bundesfernstraßen für ihre Tätigkeit nutzen oder die im Ausland zugelassene Personenkraftwagen auf Bundesautobahnen nutzen. Darunter fallen z. B. Taxiunternehmen und Kuriere.165 Insoweit ist der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG eröffnet. b) Eingriff aa) Unmittelbarer Berufsbezug Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistet einen umfassenden Schutz vor Beein‑ trächtigungen, soweit diese einen Berufsbezug aufweisen.166 Um einen Ein‑ griff in Art. 12 Abs. 1 GG durch das Infrastrukturabgabengesetz annehmen zu können, muss es grundsätzlich einen unmittelbaren Berufsbezug aufwei‑ sen. Hinsichtlich der Schuldnerschaft knüpft das Infrastrukturabgabengesetz in § 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 nicht an eine bestimmte Berufsgruppe an. Es trifft damit alle Halter von in Deutschland zugelassenen Kraftfahrzeugen der in § 1 Abs. 1 InfrAG genannten Klassen. Dabei wird nicht zwischen beruflich oder privat genutzten Kraftfahrzeugen unterschieden. Es ist somit zumindest kein unmittelbarer Berufsbezug zu erkennen. bb) Objektiv berufsregelnde Tendenz Die Frage, inwiefern ein mittelbarer Berufsbezug gegeben ist und inwie‑ fern dieser für einen Eingriff ausreicht, wurde vom Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung zu verschiedenen Abgabenarten unterschiedlich beurteilt. (1) Rechtsprechungsentwicklung und Literaturmeinung zu Lenkungsabgaben Im Beschluss vom 30. Oktober 1961 hielt das Bundesverfassungsgericht eine kommunale Schankerlaubnissteuer für mit Art. 12 Abs. 1 GG verein‑ bar.167 In diesem Beschluss wurden die kommunale Steuerordnung und die dazugehörige Rechtsgrundlage aus § 6 Nr. 2 des preußischen Kreis- und Provinzialabgabengesetzes168 an Art. 12 Abs. 1 GG gemessen: Sie wiesen 165  Siehe

dazu näher im 3. Teil unter B. II. 2. Beschl. v. 13.7.2004, 1 BvR 1298 / 94 u. a., BVerfGE 111, 191 (213). 167  BVerfG, Beschl. v. 30.10.1961, 1 BvR 833 / 59, BVerfGE 13, 181 ff. 168  Gesetz v. 23.4.1906, Preuß. GS S. 159. 166  BVerfG,



B. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 135

infolge ihrer Gestaltung einen engen Zusammenhang mit der Ausübung ei‑ nes Berufs auf und ließen eine objektiv berufsregelnde Tendenz erkennen.169 Dafür sei aber nicht erforderlich, dass die Entrichtung der Steuer zur Vo­ raussetzung für die Aufnahme oder Aufrechterhaltung des Berufs gemacht werde. Der Berufsbezug müsse nicht unmittelbar Gegenstand der zu prüfen‑ den Regelung sein, sondern es reiche aus, wenn durch tatsächliche Auswir‑ kungen die Berufsfreiheit beeinträchtigt werde. Weitere Präzisierungen hat das Bundesverfassungsgericht in dieser Entscheidung insoweit nicht vorge‑ nommen. Durch das Urteil vom 22. Mai 1963 zur Verfassungsmäßigkeit des damali‑ gen Beförderungsteuergesetzes170 hat das Bundesverfassungsgericht den Be‑ rufsbezug konkretisiert: Nicht nur bei Betroffenheit eines bestimmten Berufs, sondern auch dann, wenn eine Vielzahl von Berufen durch eine steuerliche Regelung betroffen sei, könne diese in Art. 12 Abs. 1 GG eingreifen.171 Eine sehr weite Auslegung des Berufsbezugs hat das Bundesverfassungs‑ gericht im Beschluss vom 29. November 1967 vorgenommen, der die Pflicht zur Abführung der Kapitalertragsteuer durch den Schuldner der Kapital­ erträge zum Gegenstand hatte: § 45 EStG in der damaligen Fassung wies keinerlei Berufsbezug auf und hatte auch nicht unmittelbar eine Regelung der beruflichen Betätigung zum Gegenstand.172 Das Bundesverfassungsge‑ richt ließ dennoch unter Berufung auf einen Beschluss aus dem Jahr 1961 die mittelbare Anknüpfung der Steuerregelung an die Ausübung eines Bankge‑ schäfts und die Auswirkungen dieser Steuerregelung auf die Berufsausübung genügen, um § 45 EStG a. F. an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen. Demgegenüber sollen allgemeine Steuergesetze keine objektiv berufsre‑ gelnde Tendenz aufweisen, was das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 11. Oktober 1977 feststellte.173 Denn es reiche für eine objektiv berufs‑ regelnde Tendenz nicht aus, nur allgemein einen unbestimmten Kreis von Betroffenen festlegen zu können, sondern es müsse konkret jeder einzelne Betroffene bestimmt werden können. Weitere Einengungen erfolgten auch durch die Beschlüsse vom 25. Feb‑ ruar 1960, vom 11. Oktober 1972 sowie vom 8. April 1987: Dort wurde der Berufsbezug der Zahlung von Pflichtbeiträgen durch den Versicherten selbst 169  BVerfG,

Beschl. v. 30.10.1961, 1 BvR 833 / 59, BVerfGE 13, 181 (185 ff.). dazu näher im 1. Teil unter A. III. 1. b). 171  BVerfG, Urt. v. 22.5.1963, 1 BvR 78 / 56, BVerfGE 16, 147 (162 f.). 172  BVerfG, Beschl. v. 29.11.1967, 1 BvR 175 / 66, BVerfGE 22, 380 (384). 173  BVerfG, Beschl. v. 11.10.1977, 1 BvR 343 / 73 u. a., BVerfGE 47, 1 (21); a. A. für das EStG Scholz, in: Maunz / Dürig, GG-Komm., Art. 12 Rn. 426 (Stand d. Bearb.: Juni 2006). 170  Siehe

136

2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

an den Sozialversicherungsträger verneint, da der Zusammenhang mit der Berufsausübung nur locker und mittelbar sei.174 Im Beschluss vom 15. Juli 1980 wurde dann auch die Zahlungspflicht des Arbeitgebers an die Sozial‑ versicherungsträger nicht an Art. 12 Abs. 1 GG gemessen, da auch sie keinen Berufsbezug aufweise.175 Dagegen wurden im Beschluss vom 13. Juli 2004, der unter anderem die Verfassungsmäßigkeit von Kammerbeiträgen zu Notarkassen zum Gegen‑ stand hatte, Abgabenregelungen an Art. 12 Abs. 1 GG gemessen.176 Die Re‑ gelungen über diese Beiträge hätten eine objektiv berufsregelnde Tendenz, da zwischen Beiträgen und der Berufsausübung eine sehr enge Verbindung be‑ stehe. Als Konkretisierung der objektiv berufsregelnden Tendenz zog das Bundesverfassungsgericht also in dieser Entscheidung die Verbindung zwi‑ schen der Abgabenregelung und der Berufsausübung heran. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Regelungen über die Abgaben zu den Sozialver‑ sicherungen keinen Berufsbezug aufweisen und daher nicht an Art. 12 Abs. 1 GG gemessen werden. Für alle anderen Abgabenregelungen war Art. 12 Abs. 1 GG – trotz eines teilweise kaum vorhandenen Berufsbezugs – stets ein Maßstab. In der Literatur wird überdies vertreten, dass auch Lenkungsabgaben eine objektiv berufsregelnde Tendenz haben können, wenn berufsbeeinträchti‑ gende Wirkungen von der jeweiligen Abgabe ausgehen.177 (2) Anwendung auf das Infrastrukturabgabengesetz Diese Kriterien werden nun auf das Infrastrukturabgabengesetz angewen‑ det und dadurch ermittelt, ob dieses Gesetz in Art. 12 Abs. 1 GG eingreift. Eine solche objektiv berufsregelnde Tendenz könnte darin gesehen wer‑ den, dass Kurierdienste, die Waren mit Personenkraftwagen ausliefern, die von § 1 Abs. 1 InfrAG umfasst sind,178 durch die – hier allein zu betrach‑ tende – Infrastrukturabgabe belastet werden. Aber auch andere Unternehmen, 174  BVerfG, Beschl. v. 25.2.1960, 1  BvR 239 / 52, BVerfGE 10, 354 (362 f.); BVerfG, Beschl. v. 11.10.1972, 1  BvR 288 / 70, BVerfGE 34, 62 (70); BVerfG, Be‑ schl. v. 8.4.1987, 2 BvR 909 / 82 u. a., BVerfGE 75, 108 (153 f.). 175  BVerfG, Beschl. v. 15.7.1980, 1 BvR 24 / 74 u. a., BVerfGE 55, 7 (25 ff.). 176  BVerfG, Beschl. v. 13.7.2004, 1 BvR 1298 / 94 u. a., BVerfGE 111, 191 ff. 177  Kloepfer, AöR 97 (1972), S. 232 (272); Wendt, Gebühr als Lenkungsmittel, S.  145 ff.; Scholz, in: Maunz / Dürig, GG-Komm., Art. 12 Rn. 428 f. (Stand d. Bearb.: Juni 2006); Kämmerer, in: von Münch / Kunig, GG-Komm., Art. 12 Rn. 48; vgl. auch BVerfG, Urt. v. 7.5.1998, 2 BvR 1991 / 95 u. a., BVerfGE 98, 106 (117 ff.). 178  Siehe oben im 1. Teil unter A. IV. 1. b).



B. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 137

die Kundendienste mit Kraftfahrzeugen nach § 1 Abs. 1 InfrAG anbieten, werden durch diese Abgabe für sich gesehen belastet. Diese Wirkungen des Infrastrukturabgabengesetzes, die aber für die Eröffnung des Schutzbereichs des Art. 12 Abs. 1 GG ausreichen, sind rein tatsächlicher und nicht recht­ licher Natur, da sich das Gesetz ohne Unterschied an alle Halter von in Deutschland zugelassenen Kraftfahrzeugen richtet. Vergleichbar ist der Fall des Infrastrukturabgabengesetzes mit den allge‑ meinen Steuergesetzen, die ebenfalls einen sehr weiten Anwendungsbereich und damit grundsätzlich keinen Berufsbezug aufweisen.179 Auch beim Infra‑ strukturabgabengesetz ist der Anwendungsbereich, der alle Halter von in Deutschland zugelassenen Kraftfahrzeugen sowie Halter und Führer auslän‑ discher Kraftfahrzeuge umfasst, sehr weit gezogen.180 Eine objektiv berufsre‑ gelnde Tendenz ist darin – trotz der tatsächlichen Auswirkungen auf Kurierund Kundendienste – nicht zu erkennen. Nähme man in jedem Fall, in dem von einem Gesetz auch nur minimale tatsächliche Auswirkungen auf bestimmte Berufe oder Berufsgruppen ausge‑ hen, eine objektiv berufsregelnde Tendenz an, griffe nahezu jedes Gesetz in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG ein. Dadurch könnte das Verhältnis des speziellen Grundrechts der Berufsfreiheit zur allgemeinen Handlungsfrei‑ heit aus Art. 2 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht nicht aufrechterhalten wer‑ den. Art. 2 Abs. 1 GG würde insoweit als Auffanggrundrecht überflüssig werden.181 cc) Ergebnis Aus diesen Gründen ist beim Infrastrukturabgabengesetz ein Eingriff in die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG zu verneinen. Die Regelungen wei‑ sen insbesondere keine berufsregelnde Tendenz auf. c) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Selbst wenn man in den Regelungen des Infrastrukturabgabengesetzes eine objektiv berufsregelnde Tendenz zu erkennen vermag und damit einen Ein‑ griff annähme, stellte Art. 12 Abs. 1 GG keine höheren Rechtfertigungsanfor‑ 179  BVerfG, Beschl. v. 11.10.1977, 1 BvR 343 / 73 u. a., BVerfGE 47, 1 (21); Kämmerer, in: von Münch / Kunig, GG-Komm., Art. 12 Rn. 48; a. A. für das EStG Scholz, in: Maunz / Dürig, GG-Komm., Art. 12 Rn. 426 (Stand d. Bearb.: Juni 2006). 180  Siehe zu diesem Kriterium Kämmerer, in: von  Münch / Kunig, GG-Komm., Art. 12 Rn. 48. 181  Zur Prüfung der Vereinbarkeit des InfrAG mit Art. 2 Abs. 1 GG s. in diesem Teil unter B. I. 3.

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2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

derungen als Art. 2 Abs. 1 GG für einen Eingriff auf. Es handelte sich näm‑ lich vorliegend um eine Berufsausübungsregelung, da die fehlende Zahlung der Infrastrukturabgabe nicht daran hinderte, dem Beruf weiterhin nachzuge‑ hen.182 Solche Regelungen sind bereits dann gerechtfertigt, wenn ein ver‑ nünftiger Grund des Allgemeinwohls für sie spricht und sie im Übrigen ver‑ hältnismäßig sind.183 Die gleichen Rechtfertigungsanforderungen gelten für einen Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG. Somit kann insoweit auf die Prüfung der Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit Art. 2 Abs. 1 GG verwie‑ sen werden.184 d) Ergebnis Das Infrastrukturabgabengesetz ist nicht an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen, da es keine berufsregelnde Tendenz aufweist. Selbst bei Annahme einer be‑ rufsregelnden Tendenz verstieße das Infrastrukturabgabengesetz nicht gegen die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG. 2. Eigentumsfreiheit Durch die Erhebung der Infrastrukturabgabe wird den Abgabepflichtigen eine Geldleistungspflicht auferlegt. Das lässt die Frage aufkommen, ob das Infrastrukturabgabengesetz mit Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar ist. a) Schutzbereich Durch Art. 14 Abs. 1 GG werden das Eigentum sowie das Erbrecht ge‑ währleistet und geschützt. Zweck des Grundrechts ist es, dem Grundrechts‑ träger einen vermögensrechtlichen Freiraum zu schaffen, um dadurch seine freie Entfaltung und Lebensgestaltung zu ermöglichen.185

182  Vgl.

BVerfG, Beschl. v. 30.10.1961, 1 BvR 833 / 59, BVerfGE 13, 181 (186 f.). Rspr. seit BVerfG, Urt. v. 11.6.1958, 1  BvR 596 / 56, BVerfGE 7, 377 (405 f.); siehe in jüngerer Zeit BVerfG, Beschl. v. 14.1.2015, 1 BvR 931 / 12, BVerfGE 138, 261 (284 Rn. 53). 184  Siehe in diesem Teil unter B. I. 3. 185  St. Rspr. seit BVerfG, Urt. v. 18.12.1968, 1 BvR 638 / 64 u. a., BVerfGE 24, 367 (389); s. in jüngerer Zeit BVerfG, Urt. v. 17.12.2013, 1 BvR 3139 / 08 u. a., BVerfGE 134, 242 (290 Rn. 167); Papier, in: Maunz / Dürig, GG-Komm., Art. 14 Rn. 1,  4 (Stand d. Bearb.: Juli 2010). 183  St. 



B. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 139

aa) Eigentumsbegriff Der Schutz des Eigentums, der bei der folgenden Betrachtung ausschließ‑ lich relevant sein wird, erstreckt sich grundsätzlich auf alle vermögenswerten Rechtspositionen, die dem Berechtigten durch die Rechtsordnung so zuge‑ ordnet werden, dass er die damit verbundenen Befugnisse eigenverantwort‑ lich zu seinem privaten Nutzen ausüben darf.186 Die überwiegende Meinung in Rechtsprechung und Literatur versteht also begrifflich unter Eigentum im verfassungsrechtlichen Sinne nur einzelne konkrete vermögenswerte Rechtspositionen. Richtet man sich danach aus, so ist das Vermögen als Gesamtheit aller Rechtspositionen des Einzelnen nicht von Art. 14 Abs. 1 GG geschützt.187 Daraus wird die Konsequenz gezogen, dass das Eigentumsgrundrecht grundsätzlich nicht vor der Auferlegung von Abgaben schützt.188 Die Infrastrukturabgabe ist als Abgabe zu qualifizieren, die den Haltern in Deutschland zugelassener Kraftfahrzeuge bei der Benutzung von Bundes‑ fernstraßen und den Haltern und Führern von anderen Kraftfahrzeugen bei der Benutzung von Bundesauto­bahnen auferlegt wird. Mangels anderer Be‑ stimmungen ist die Infrastrukturabgabe aus dem Vermögen des Einzelnen zu zahlen. Folgt man der soeben dargestellten Auffassung, so kann das Infra‑ strukturabgabengesetz nicht an Art. 14 Abs. 1 GG gemessen werden, der in‑ soweit keinen Schutz vor der Auferlegung der Infrastrukturabgabe böte. bb) Schutz des Vermögens Die Frage, ob Art. 14 Abs. 1 GG das Vermögen als solches schützt, ist in der Rechtsprechung und der Literatur umstritten.

186  BVerfG, Beschl. v. 9.1.1991, 1 BvR 929 / 89, BVerfGE 83, 201 (208 f.); BVerfG, Urt. v. 11.7.2012, 1  BvR 3142 / 07 u. a., BVerfGE 132, 99 (119 Rn. 52); vgl. bereits BVerfG, Urt. v. 30.4.1952, 1 BvR 14 / 52 u. a., BVerfGE 1, 264 (277 f.); BVerfG, Be‑ schl. v. 15.7.1981, 1 BvL 77 / 78, BVerfGE 58, 300 (335 f.); s. im Anschluss an diese Rechtsprechung nur Wieland, in: Dreier, GG-Komm., Art. 14 Rn. 49; Papier, in: Maunz / Dürig, GG-Komm., Art. 14 Rn. 55 (Stand d. Bearb.: Juli 2010). 187  BVerfG, Urt. v. 20.7.1954, 1  BvR 459 / 52, BVerfGE 4, 7 (17); deutlich inso‑ weit BVerfG, Urt. v. 8.4.1997, 1  BvR 48 / 94, BVerfGE 95, 267 (300); Wieland, in: Dreier, GG-Komm., Art. 14 Rn. 68; Bull, NJW 1996, 281 (283). 188  BVerfG, Urt. v. 20.7.1954, 1 BvR 459 / 52, BVerfGE 4, 7 (17); BVerfG, Beschl. v. 12.11.1958, 2  BvL 4 / 56 u. a., BVerfGE 8, 274 (330); BVerfG, Urt. v. 8.4.1997, 1 BvR 48 / 94, BVerfGE 95, 267 (300); Papier, Der Staat 11 (1972), 483 (483).

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2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

(1) Meinungen innerhalb des Bundesverfassungsgerichts Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hält seit 1954 apodiktisch daran fest, dass das Vermögen als Ganzes nicht von Art. 14 Abs. 1 GG ge‑ schützt sei.189 Eine Begründung für diese Auffassung gab er lange Zeit nicht. Der Zweite Senat hat die entsprechende Begründung in seinem Beschluss vom 8.  April 1987 gegeben: Dort berief er sich darauf, dass nur einzelne vermögenswerte Rechtspositionen durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützt sei‑ en.190 Dieser Begründung schloss sich der Erste Senat durch Urteil vom 8. April 1997 an.191 Der Zweite Senat scheint den Schutz des Vermögens als Ganzes durch Art. 14 Abs. 1 GG aber nicht in jeder Hinsicht auszuschließen. In einem Beschluss vom 25. September 1992 stellte er fest, dass Steuergesetze zwar nur in Art. 2 Abs. 1 GG eingriffen.192 Allerdings erfolge dieser Eingriff ge‑ rade in der Ausprägung als persönliche Entfaltung im vermögensrechtlichen Bereich, wobei auch Art. 14 Abs. 1 GG dazu genannt wurde. Ebenso ging der Zweite Senat im Beschluss vom 22. Juni 1995 zur Verfassungsmäßigkeit der Vermögensteuer vor.193 Zwar wurde in diesem Beschluss mehrfach auf die Belastung des Vermögensstamms abgestellt und eine Grenze für diese Belastung aufgestellt. Allerdings war der Maßstab der Prüfung eben nicht Art. 14 Abs. 1 GG, sondern nur die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG, sodass sich Rückschlüsse auf die Reichweite des Schutzes durch Art. 14 Abs. 1 GG insoweit nicht ziehen lassen.194 Im Beschluss vom 18. Januar 2006 hat der Zweite Senat seine Position in der Frage, ob Art. 14 Abs. 1 GG das Vermögen als Ganzes schützt, offenge‑ lassen, gleichzeitig aber einen Eingriff bei einer Anknüpfung an das Inneha‑ ben einer vermögenswerten Rechtsposition bejaht.195 Auch der Erste Senat 189  BVerfG, Urt. v. 20.7.1954, 1 BvR 459 / 52, BVerfGE 4, 7 (17); BVerfG, Beschl. v. 12.11.1958, 2 BvL 4 / 56 u. a., BVerfGE 8, 274 (330); BVerfG, Beschl. v. 8.4.1987, 2 BvR 909 / 82 u. a., BVerfGE 75, 108 (154); BVerfG, Urt. v. 8.4.1997, 1 BvR 48 / 94, BVerfGE 95, 267 (300). 190  2 BvR 909 / 82 u. a., BVerfGE 75, 108 (154). 191  1 BvR 48 / 94, BVerfGE 95, 267 (300). 192  2 BvL 5 / 91 u. a., BVerfGE 87, 153 (169). 193  2 BvL 37 / 91, BVerfGE 93, 121 (137 ff.). 194  A. A. Wieland, in: Dreier, GG-Komm., Art. 14 Rn. 66; Depenheuer, in: v. Man‑ goldt / Klein / Starck, GG-Komm., Art. 14 Rn. 166; Leisner, NJW 1995, 2591 (2594); in seinem Sondervotum nimmt Bockenförde, BVerfGE 93, 121 (150, 153 ff.), eben‑ falls an, dass das Gericht Art. 14 Abs. 1 GG herangezogen habe. 195  2  BvR 2194 / 99, BVerfGE 115, 97 (112 f.); dazu sogl. ausführlich in diesem Teil unter B. I. 2. a) cc).



B. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 141

scheint in jüngerer Zeit nicht mehr generell an der Ablehnung des Schutzes des Vermögens festzuhalten: In einem Beschluss vom 15. Januar 2014 hat er die Frage, ob die Erhebung der Zweitwohnungsteuer in Art. 14 Abs. 1 oder in Art. 2 Abs. 1 GG eingreift, offengelassen.196 Die Frage des Vermögens‑ schutzes durch Art. 14 Abs. 1 GG scheint damit für das Bundesverfassungs‑ gericht zunehmend an Erheblichkeit für seine Entscheidungen zu verlieren. Dennoch soll geklärt werden, ob Art. 14 Abs. 1 GG auch das Vermögen als Ganzes schützt, weil es darauf für einen Eingriff des Infrastrukturabgabenge‑ setzes in Art. 14 Abs. 1 GG ankommt. (2) Meinungen in der Literatur Der Schweizer Rechtsprofessor Max Imboden vertrat die Auffassung, dass das Eigentumsgrundrecht nicht nur einzelne vermögenswerte Rechtspositio‑ nen, sondern das Vermögen als Ganzes schützt.197 Die Eigentumsgarantie könne ihrem Wesen nach nicht die unveränderte Erhaltung der vermögens‑ werten Rechte, sondern nur den Wert derselben schützen. Die Frage nach dem Vermögensschutz durch Art. 14 Abs. 1 GG war dabei stets untrennbar mit der Problematik des Schutzes vor der Auferlegung von Geldleistungs‑ pflichten verbunden. Dieser Auffassung haben sich einige Autoren mit zum Teil leicht abweichenden Begründungen angeschlossen.198 Einige Stimmen in der Literatur sind der Auffassung entgegengetreten, das Vermögen als Ganzes sei von Art. 14 Abs. 1 GG geschützt: Joachim Wieland lehnt einen allgemeinen Vermögensschutz durch Art. 14 Abs. 1 GG ab, da anderenfalls die Gewaltenteilung zwischen Legislative und Judikative zu Lasten der Legislative verschoben werde.199 Letztlich könne sich das Bun‑ desverfassungsgericht damit ohne einen nachvollziehbaren Maßstab mit einer Verhältnismäßigkeitsprüfung an die Stelle des Gesetzgebers setzen. HansJürgen Papier nimmt an, dass sich Art. 14 Abs. 1 GG bei Bejahung eines allgemeinen Vermögensschutzes kaum noch von der allgemeinen Handlungs‑ freiheit des Art. 2 Abs. 1 GG unterscheiden würde.200 Peter Selmer lehnt die Einbeziehung des Vermögens in den Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG mit der Begründung ab, dass die Summe von Eigentumswerten selbst kein Eigentum 196  1 BvR

1656 / 09, BVerfGE 135, 126 (141 Rn. 42). Schweizerisches Archiv für Abgaberecht 29 (1960), S. 2 (6). 198  Rüfner, DVBl. 1970, 881 (882); Meessen, DÖV 1973, 812 (814 ff.); Friauf, DÖV 1980, 480 (488); Schmidt-Bleibtreu / Schäfer, DÖV 1980, 489 (493 ff.); Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 190; Leisner, Wertzuwachsbesteuerung, S.  119 ff.; anders aber inzwischen ders., in: HStR VIII, § 173 Rn. 207. 199  Wieland, in: Dreier, GG-Komm., Art. 14 Rn. 68. 200  Papier, DVBl. 1980, 787 (790). 197  Imboden,

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2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

sei: Auch ein einzelner Wert eines Gegenstandes sei nicht mit dem Eigentum an einem Gegenstand identisch.201 (3) Eigene Auffassung Die gerade dargestellten Ansichten von Papier, Selmer und Wieland über‑ zeugen. Zieht man einen Vergleich zu Art. 12 Abs. 1 GG heran, so wird deutlich, dass auch hier eine einschränkende Auslegung des Schutzbereichs gewählt werden muss. Legte man sowohl den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG als auch den des Art. 14 Abs. 1 GG weit aus, so verdrängten diese Spezialgrundrechte die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht. Im Bereich der Wirtschaft „saugten“ dann Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG sämtliche Beeinträchtigungen „auf“. Statt ei‑ nes besonderen Schutzes für Beeinträchtigungen des Berufes und des Eigen‑ tums würden die Grundrechte des Art. 12 Abs. 1 und des Art. 14 Abs. 1 GG zu „allgemeinen Gesetzmäßigkeitsgrundrechten“ werden.202 Die immer wei‑ tere Ausdehnung des Schutzbereiches der besonderen Grundrechte führte le‑ diglich dazu, dass genau der gleiche Gewährleistungsumfang an anderer Stelle geprüft werden würde. Eine Verbesserung des Schutzniveaus könnte dadurch nicht erreicht werden.203 Ein Schutz des Vermögens als Ganzes durch Art. 14 Abs. 1 GG ist aus diesen Gründen abzulehnen. Bliebe es bei diesem Ergebnis, gewährte Art. 14 Abs. 1 GG also keinen Grundrechtsschutz vor der Auferlegung der Infrastrukturabgabe. Die Judika‑ tur des Bundesverfassungsgerichts bietet aber noch zwei weitere Möglichkei‑ ten – der Schutz bei der Anknüpfung an vermögenswerte Rechtspositionen sowie vor Abgaben mit erdrosselnder Wirkung –, wie in diesem Fall ein Schutz durch Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistet werden kann. cc) Schutz vermögenswerter Rechtspositionen Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat in dem oben bereits erwähnten Beschluss vom 18. Januar 2006 zum ersten Mal eine dieser Mög‑ lichkeiten zum Ausdruck gebracht.204 Danach sollen Steuergesetze, die tatbe‑ standlich an das Innehaben vermögenswerter Rechtspositionen anknüpfen, in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG eingreifen. Der frühere Präsident 201  Selmer, Steuerinterventionismus, S. 306; ebenso Depenheuer, in: v. Mangoldt /  Klein / Starck, GG-Komm., Art. 14 Rn. 160. 202  Papier, DVBl. 1980, 787 (790). 203  Ebenso Papier, DVBl. 1980, 787 (790). 204  So BVerfG, Beschl. v. 18.1.2006, 2 BvR 2194 / 99, BVerfGE 115, 97 (112 f.).



B. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 143

des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier hat diese Auffassung, die der Zweite Senat in seinem Beschluss vertritt, bereits in einem Aufsatz im Jahr 1972 entwickelt.205 Das Anliegen des Bundesverfassungsgerichts in dieser Entscheidung war wohl, seine bisherige Rechtsprechung zum Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG nicht aufgeben zu müssen. Deutlich wurde in dem Beschluss, dass sich der Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG hier gerade nicht auf die Geldleistung aus dem Vermögen, sondern nur auf konkret erworbene vermögenswerte Rechts‑ positionen beziehen soll. Dieser Beschluss bleibt damit der Linie des Bun‑ desverfassungsgerichts treu, indem auch weiterhin ein Schutz des Vermögens durch Art. 14 Abs. 1 GG abgelehnt wird. Es können durch diesen Beschluss auch Abgabengesetze in die allgemeine Dogmatik des Art. 14 Abs. 1 GG einbezogen werden, ohne dabei die Doktrin vom fehlenden Vermögensschutz aufzugeben. Der Beschluss vom 18. Januar 2006 ist daher wohl so zu verste‑ hen, dass künftig für die Anwendbarkeit des Art. 14 Abs. 1 GG auf Abgaben‑ gesetze zunächst ermittelt werden muss, ob diese Gesetze an das Innehaben konkreter Rechtspositionen anknüpfen.206 Ist dies der Fall, muss das jewei‑ lige Abgabengesetz an den Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 GG gemessen werden. (1) Kritik an diesem Ansatz Diese Möglichkeit, trotz fehlendem Vermögensschutz durch Art. 14 Abs. 1 GG zu einem Schutz vor der Auferlegung von Geldleistungen zu kommen, ist dogmatisch bedenklich.207 Das Bundesverfassungsgericht möchte bereits bei der bloßen Anknüpfung einer Abgabe an das Innehaben einer vermö‑ genswerten Rechtsposition von einem Eingriff in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG ausgehen.208 Abgaben sind aber nur Wertsummenschul‑ den, die bei Erfüllung des Tatbestandes des Abgabengesetzes aus dem Ver‑ mögen zu zahlen sind.209 Diese Belastungswirkung210 für das Vermögen des Einzelnen ist eine der zentralen Wirkungen von Abgaben.211 Wäre diese Be‑ lastungswirkung die einzige Wirkung von Abgaben, fielen diese nicht unter 205  Papier,

Der Staat 11 (1972), 483 (492 ff.). BVerfG, Beschl. v. 18.1.2006, 2 BvR 2194 / 99, BVerfGE 115, 97 (112 f.). 207  Vgl. Wernsmann, NJW 2006, 1169 (1169 ff.). 208  BVerfG, Beschl. v. 18.1.2006, 2 BvR 2194 / 99, BVerfGE 115, 97 (111). 209  Papier, Der Staat 11 (1972), 483 (492); Wernsmann, NJW 2006, 1169 (1171). 210  Zum Begriff s. Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 68. 211  Vgl. Papier, Der Staat 11 (1972), 483 (494); Kempny, StuW 2014, 185 (187); vgl. für die Steuer Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 70; P.  Kirchhof, in: HStR IV, § 118 Rn. 26. 206  So

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2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

Art. 14 Abs. 1 GG, da eine Anknüpfung an das Innehaben einer vermögens‑ werten Rechtsposition bei einer bloßen Zahlungsverpflichtung nicht erkenn‑ bar ist.212 (2) Belastungs- und Gestaltungswirkungen von Abgaben Dieter Birk entwickelte die Auffassung, dass Steuern sowohl Belastungs‑ wirkungen als auch sog. Gestaltungswirkungen haben, denn jenseits der Be‑ lastungswirkung träten weitere Wirkungen wirtschaftlicher und sozialer Art auf, die in einer Reaktion des Steuerpflichtigen sichtbar würden.213 Diese Sichtweise ist auch auf andere Arten von Abgaben214 übertragbar, da auch bei ihnen Belastungs- und Gestaltungswirkungen zu sehen sind.215 Birk verwendet nur deshalb den Begriff der Belastungswirkung, da bei der Steuer die Belastung in vollem Umfang ohne jede Kompensation durch eine öffent‑ liche Leistung eintritt.216 Allerdings ist zu bedenken, dass bei den Vorzugs‑ lasten zwar der Geldzahlung eine öffentliche Leistung gegenübersteht, die aber keinesfalls gleichwertig zur Geldzahlung sein muss. Dieser Umstand lässt sich deutlich an den beiden Funktionen der Vorzugslasten – der Kosten‑ deckung und dem Vorteilsausgleich – erkennen.217 Beim Beitrag wird die Belastungswirkung noch deutlicher, da die staatliche Leistung nur zur Verfü‑ gung gestellt werden muss, um die Zahlungspflicht auszulösen. Gerade in der fehlenden Inanspruchnahme trotz bestehender Zahlungspflicht liegt eine Belastung des Beitragspflichtigen. Eine Abgabe kann im Hinblick auf beide Wirkungen – Belastungs- und Gestaltungswirkungen – in den Schutzbereich von Freiheitsgrundrechten eingreifen.218 Die bloße Anknüpfung einer Abgabe an vermögenswerte Rechtspositionen reicht nicht aus, um einen Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG bejahen zu können. Sie sagt noch nicht zwangsläufig etwas über die Gestal‑ tungswirkung einer Abgabe aus.219 Die Anknüpfung an eine vermögenswerte 212  So

(189).

auch Wernsmann, NJW 2006, 1169 (1171 f.); Kempny, StuW 2014, 185

213  Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 68 ff.; s. auch Wernsmann, NJW 2006, 1169 (1171); in die gleiche Richtung geht bereits Papier, Der Staat 11 (1972), 483 (492 f.). 214  Siehe dazu im 1. Teil unter B. 215  Vgl. Kempny, StuW 2014, 185 (187). 216  Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 71. 217  Siehe dazu ausführlich im 1. Teil unter B. V. 218  Papier, Der Staat 11 (1972), 483 (492 ff.); Kirchhof, in: HStR V, § 118 Rn. 48; Wernsmann, NJW 2006, 1169 (1170 f.); Kempny, StuW 2014, 185 (187 f.). 219  Ebenso Wernsmann, NJW 2006, 1169 (1171 f.).



B. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 145

Rechtsposition muss noch keine Verhaltensänderung bei den Abgabepflichti‑ gen bewirken.220 Bleibt das Bundesverfassungsgericht bei seiner dogmati‑ schen Linie kann es aber nur über die Gestaltungswirkung einer Abgabe ei‑ nen Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG annehmen, da die Belastungswirkung nur einen Eingriff in das nicht von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Vermögen als Ganzes bewirkt. Dennoch nahm es auch in seinem Beschluss vom 18. Januar 2006, in dem nur die Belastungswirkung und nicht die Gestaltungswirkung einer Abgabe Gegenstand war, einen Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG an. Das Bundesverfassungsgericht hält also offenbar die beiden möglichen Eingriffe aufgrund der Belastungs- und Gestaltungswirkung einer Abgabe nicht ausrei‑ chend auseinander.221 Allerdings wird damit die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht gänzlich in Frage gestellt. Sie bedarf lediglich einer gewissen Präzisie‑ rung, die der Begründer dieser Meinung Hans-Jürgen Papier teilweise be‑ reits im Jahr 1972 geleistet hat:222 Nicht jede Auferlegung einer Abgabe be‑ einträchtige das Innehaben und die Nutzung von Eigentum. Wenn aber die Auferlegung der Abgabe durch eine Gestaltungswirkung zumindest zu einer Beeinträchtigung der Nutzung vermögenswerter Rechtspositionen führe, könne von einem Eingriff in das Eigentum durch die Auferlegung einer Geldleistungspflicht ausgegangen werden. Mit anderen Worten liegt dann ein Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG vor, wenn der Einzelne sein Nutzungsver‑ halten hinsichtlich seines Eigentums aufgrund der Auferlegung einer Abgabe verändert.223 Dabei reicht nicht jede Beeinflussung des Verhaltens aus, son‑ dern es muss ein gewisser Druck zur Verhaltensänderung durch die Abgabe entstehen, da sonst die Erheblichkeitsschwelle für einen Eingriff nicht er‑ reicht wird.224 (3) Erdrosselnde Wirkung Als zweite Möglichkeit ist daneben zu prüfen, ob die Abgabe den Betrof‑ fenen übermäßig belastet und seine Vermögensverhältnisse generell und grundlegend beeinträchtigt, da nach der ständigen Rechtsprechung des Bun‑ desverfassungsgerichts eine Abgabe dann ausnahmsweise in den Schutzbe‑ Wernsmann, NJW 2006, 1169 (1172); Kempny, StuW 2014, 185 (189). klarer und dogmatisch deutlicher Papier, Der Staat 11 (1972), 483 (492 ff., 498). 222  Papier, Der Staat 11 (1972), 483 (498 ff.). 223  So auch Wernsmann, NJW 2006, 1169 (1171 f.); Kempny, StuW 2014, 185 (189). 224  Kempny, StuW 2014, 185 (189); strenger wohl Wernsmann, NJW 2006, 1169 (1172). 220  Vgl.

221  Weitaus

146

2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

reich des Art. 14 Abs. 1 GG eingreift („erdrosselnde Wirkung“225).226 Ist auch das nicht der Fall, so gewährt Art. 14 Abs. 1 GG keinen Schutz vor der Auferlegung dieser Abgabe. Schutz bietet dann aber die allgemeine Hand‑ lungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG als Auffangrundrecht.227 (4) Zwischenergebnis Bei einer Betrachtung der beiden Möglichkeiten wird erkennbar, dass die gerade beschriebene zweite Annahme eines Schutzes durch Art. 14 Abs. 1 GG vor der Auferlegung von Abgaben eine Grenze des Eingriffsbereichs festlegt. Hat eine Abgabe nämlich erdrosselnde Wirkung, dann macht sie das Innehaben oder die Nutzung von vermögenswerten Rechtspositionen unmög‑ lich. Auch hier wird also nicht das Vermögen als Ganzes durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützt, sondern nur einzelne vermögenswerte Rechtspositionen. Letztlich handelt es sich damit nicht um zwei verschiedene Möglichkeiten, den Schutz durch Art. 14 Abs. 1 GG vor der Auferlegung von Abgaben zu gewähren, sondern um Eingriffe unterschiedlicher Intensität in die Eigen‑ tumsfreiheit. Festzuhalten bleibt, dass der Schutzbereich der Eigentumsfreiheit bei der Auferlegung von Abgaben dann berührt ist, wenn diese an das Innehaben von vermögenswerten Rechtspositionen anknüpft oder eine erdrosselnde Wirkung hat. Ob das Infrastrukturabgabengesetz in diesen Schutzbereich eingreift, soll im Folgenden geklärt werden. b) Eingriff in den Schutzbereich Ein Eingriff in die Eigentumsfreiheit durch das Infrastrukturabgabengesetz läge in jedem Fall vor, wenn die Abgabe erdrosselnde Wirkung hätte. Die Infrastrukturabgabe wird gem. § 3 Satz 1 und 2 InfrAG von Haltern von in Deutschland zugelassenen Kraftfahrzeugen sowie von Haltern und Führern von Kraftfahrzeugen, die in anderen Staaten zugelassen sind, geschuldet. Sie 225  Siehe zu diesem Begriff BVerfG, Beschl. v. 17.7.1974, 1  BvR 51 / 69 u. a., BVerfGE 38, 61 (102); BVerfG, Beschl. v. 18.1.2006, 2 BvR 2194 / 99, BVerfGE 115, 97 (113). 226  St.  Rspr. seit BVerfG, Urt. v. 24.7.1962, 2  BvL 15 / 61 u. a. BVerfGE 14, 221 (241); BVerfG, Beschl. v. 3.7.1985, 1  BvL 55 / 81, BVerfGE 70, 219 (230); BVerfG, Beschl. v. 17.7.2003, 2  BvL 1 / 99 u. a., BVerfGE 108, 186 (233); vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 15.1.2014, 1 BvR 1656 / 09, BVerfGE 135, 126 (143 Rn. 49). 227  Vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 25.9.1992, 2  BvL 5 / 91 u. a., BVerfGE 87, 153 (169); BVerfG, Beschl. v. 22.6.1995, 2  BvL 37 / 91, BVerfGE 93, 121 (137); Papier, in: Maunz / Dürig, GG-Komm., Art. 14 Rn. 175 (Stand d. Bearb.: Juli 2010).



B. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 147

knüpft damit entweder an das Halten eines Kraftfahrzeugs oder an die Nut‑ zung eines Kraftfahrzeugs an. aa) Innehaben einer vermögenswerten Rechtsposition bei Haltern und Führern Der Halter eines Kraftfahrzeugs kann, muss aber nicht zwangsläufig auch der zivilrechtliche Eigentümer des Fahrzeugs sein.228 Der Halter wird als derjenige definiert, der das Fahrzeug für eigene Rechnung gebraucht und die entsprechende Verfügungsgewalt über dieses Kraftfahrzeug besitzt.229 Da aber der Eigentumsschutz aus Art. 14 Abs. 1 GG weiter als das zivilrechtli‑ che Eigentum reicht und jede vermögenswerte Rechtsposition umfasst,230 kann auch ein Halter eines Kraftfahrzeugs den Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG genießen. Der zivilrechtliche Eigentümer einer Sache kann nach § 903 Satz 1 BGB mit einer Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwir‑ kung ausschließen. Auch der Halter eines Kraftfahrzeugs kann durch seine Verfügungsgewalt weitgehend auf den Gebrauch einwirken und andere von der Benutzung ausschließen. Er hat somit zumindest tatsächlich eine ähn­ liche Position wie der Eigentümer inne. Ungeachtet dessen wird die Halter‑ eigenschaft meist mit dem Eigentum am Kraftfahrzeug zusammenfallen. Der Halter wird aber – auch ohne Eigentümer zu sein231 – dann von Art. 14 Abs. 1 GG geschützt, wenn er die Befugnis zur Verfügung über das Kraft‑ fahrzeug hat. Ihm steht nämlich dadurch eine vermögenswerte Rechtsposition an dem Kraftfahrzeug zu. In dieser Verfügungsbefugnis wird auch der Halter von Art. 14 Abs. 1 GG geschützt, auch ohne dass er zivilrechtlicher Eigentü‑ mer des Kraftfahrzeugs ist. Das Führen eines Kraftfahrzeugs stellt demgegenüber zwar kein Innehaben einer vermögenswerten Rechtsposition im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG dar. Dafür fehlt es bereits an der unbegrenzten Verfügungsmacht über das Fahr‑ zeug. Allerdings zieht der Führer eines Kraftfahrzeugs gerade einen Vorteil aus dem Eigentum eines anderen daran. Die Infrastrukturabgabe knüpft da‑

228  BGH,

Urt. v. 29.5.1954, VI ZR 111 / 53, BGHZ 13, 351 (357). seit RG, Urt. v. 19.10.1911, VI 201 / 11, RGZ 77, 348 (349); übernom‑ men durch den BGH mit Urt. v. 10.3.1952, III  ZR 235 / 51, BGHZ 5, 269 (270); BGH, Urt. v. 29.5.1954, VI ZR 111 / 53, BGHZ 13, 351 (354); ebenso für das Kraft‑ fahrzeugsteuerrecht BFH, Urt. v. 29.8.2007, IX  R 4 / 07, BStBl.  II 2010, 145 (147), BFHE 218, 435. 230  Siehe nur BVerfG, Urt. v. 28.2.1980, 1  BvL 17 / 77 u. a., BVerfGE 53, 257 (289 f.). 231  Z. B. bei der Sicherungsübertragung des Kraftfahrzeugs an die kreditgewäh‑ rende Bank. 229  St. Rspr.

148

2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

mit sowohl an das Innehaben einer vermögenswerten Rechtsposition als auch an die Nutzung einer solchen Position an. bb) Erdrosselnde Wirkung Es ergibt sich aber angesichts der geringen Höhe kein Anhaltspunkt dafür, dass die Infrastrukturabgabe eine erdrosselnde Wirkung hinsichtlich der ver‑ mögenswerten Rechtspositionen hat. Die Höhe von maximal 130 Euro pro Jahr nach § 8 Abs. 1 InfrAG i. V. m. Absatz 1 Satz 1 Nr. 3 der Anlage (zu § 8) Abgabensätze wird bei einer lebensnahen Betrachtung niemanden zur Auf‑ gabe seiner Haltereigenschaft oder seines Eigentums am Kraftfahrzeug zwin‑ gen. Auch wird durch die Auferlegung der Infrastrukturabgabe niemand da­ rauf verzichten, sein Kraftfahrzeug zu nutzen. Erst recht werden Halter in Deutschland zugelassener Kraftfahrzeuge nicht beeinträchtigt, wenn man auch noch die Kompensation der Infrastrukturabgabe durch die Steuerermä‑ ßigung bei der Kraftfahrzeugsteuer nach § 9 Abs. 6 KraftStG miteinbezieht. cc) Druck zur Verhaltensänderung Um einen Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG durch das Infrastrukturabgabenge‑ setz annehmen zu können, braucht es aber – neben der Anknüpfung an eine vermögenswerte Rechtsposition – zumindest einen gewissen Druck zu einer Verhaltensänderung hinsichtlich des Eigentums durch die Auferlegung der Infrastrukturabgabe. (1) Halter in Deutschland zugelassener Kraftfahrzeuge Die mögliche Verhaltensänderung muss aber für jede Gruppe der Abgabe‑ pflichtigen gesondert betrachtet werden, denn bei Kraftfahrzeugen, die in Deutschland zugelassen sind, schulden nur die Halter dieser Kraftfahrzeuge gem. § 3 Satz 2 InfrAG die Infrastrukturabgabe. Somit kann eine mögliche Verhaltensänderung nur bei dieser Gruppe beurteilt werden. Es darf also an dieser Stelle nicht auf das Nutzungsverhalten abgestellt werden, sondern nur darauf, ob ein Halter eines in Deutschland zugelassenen Kraftfahrzeugs we‑ gen der Infrastrukturabgabe seine Stellung als Halter aufgibt oder verändert. Eine solche Aufgabe kommt, wie eben bereits dargelegt, nicht in Betracht. Auch eine Veränderung in der Verfügungsgewalt über das Kraftfahrzeug durch die Auferlegung der Infrastrukturabgabe liegt – angesichts der zahlrei‑ chen weiteren Kosten, die der Betrieb und die Unterhaltung eines Kraftfahr‑ zeugs mit sich bringen232 – fern.



B. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 149

Selbst wenn man auf die mögliche Veränderung der Nutzung des Kraft‑ fahrzeugs abstellen würde, ist eine solche nach der Rechtslage praktisch sehr wenig wahrscheinlich. Da Halter von Kraftfahrzeugen, die in Deutschland zugelassen sind, nach § 7 Abs. 1 Satz 1 InfrAG stets die Infrastrukturabgabe für ein Jahr zu entrichten haben und dadurch Bundesfernstraßen ohnehin das ganze Jahr nutzen dürfen, wird sich keine Veränderung im Nutzungsverhal‑ ten des Kraftfahrzeugs zeigen. Eine Reduzierung der Nutzung des Kraftfahr‑ zeugs oder die Nutzung anderer Straßen hat grundsätzlich keinen Einfluss auf die Höhe der Infrastrukturabgabe. Erst dann, wenn die Nutzung von Bundesfernstraßen völlig vermieden und dies auch glaubhaft gemacht wird, kann eine Erstattung der Infrastrukturabgabe nach § 10 Abs. 2 Satz 3 InfrAG erfolgen. Eine solche bewusste Vermeidung erscheint bei lebensnaher Be‑ trachtung äußerst unwahrscheinlich, da für 99,4 % der deutschen Bevölke‑ rung die nächste Bundesfernstraße maximal zehn Kilometer vom Wohnort entfernt ist.233 Überdies kann auch hier die Kompensation durch die Steuer‑ ermäßigung bei der Kraftfahrzeugsteuer nach § 9 Abs. 6 KraftStG angeführt werden, die für alle Halter in Deutschland zugelassener Kraftfahrzeuge eine vollständige Entlastung bewirkt. Auch aus diesem Grund ist bei dieser Gruppe nicht von einer Verhaltensänderung auszugehen. Ein Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG scheidet daher – mangels Gestaltungs‑ wirkung – bei den Haltern von in Deutschland zugelassenen Kraftfahrzeugen durch die Auferlegung der Infrastrukturabgabe aus. (2) Halter und Führer im Ausland zugelassener Kraftfahrzeuge Anders kann aber die rechtliche Situation für die Halter und Führer von Kraftfahrzeugen, die im Ausland zugelassen sind, zu bewerten sein.234 Für die Halter solcher Kraftfahrzeuge ergibt sich aber keine andere Betrachtung als für Halter von Kraftfahrzeugen mit deutscher Zulassung, da auch im Aus‑ land das Halten eines Kraftfahrzeugs ähnliche Kosten mit sich bringt wie das Halten eines Kraftfahrzeugs in Deutschland. Die Infrastrukturabgabe greift also auch im Hinblick auf das Halten von ausländischen Kraftfahrzeugen nicht in Art. 14 Abs. 1 GG ein.

232  Zu

steuer.

denken ist z. B. an Kraftstoffe, Reparaturkosten oder die Kraftfahrzeug‑

233  IVV

GmbH, Ausschuss-Drs. 18(15)193-G, S. 2. persönliche Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG, der ein Menschenrecht darstellt, ist auch für Ausländer ist eröffnet, s. Papier, in: Maunz / Dürig, GG-Komm., Art. 14 Rn. 206 (Stand d. Bearb.: Juli 2010); vgl. auch Bryde, in: von Münch / Kunig, GG-Komm., Art. 14 Rn. 8. 234  Der

150

2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

Überdies kann hier aber auch auf die Verhaltensänderungen hinsichtlich der Nutzung des Kraftfahrzeugs abgestellt werden. Die Infrastrukturabgabe wird nämlich den Haltern und Führern dieser Kraftfahrzeuge nach § 3 Satz 1 Nr. 1 und 2, § 5 Abs. 4 InfrAG bei der ersten Benutzung einer abgabepflich‑ tigen Straße auferlegt. Anders als oben bei dem Nutzungsverhalten der Füh‑ rer der in Deutschland zugelassenen Kraftfahrzeuge gibt es für Führer und Halter ausländischer Kraftfahrzeuge gerade keinen Zwang zum Erwerb einer Jahresvignette. Vielmehr können Halter und Führer von im Ausland zugelas‑ senen Kraftfahrzeugen nach § 7 Abs. 2 InfrAG zwischen einer Zehntages-, einer Monats- oder Jahresvignette wählen. Hinzu kommt, dass nach § 1 Abs. 2 InfrAG die Infrastrukturabgabe insoweit nur für die Benutzung von Bundesautobahnen zu entrichten ist. Dadurch haben die Führer von Kraft‑ fahrzeugen, die im Ausland zugelassen sind, deutlich größere Möglichkeiten, durch ihr Verhalten auf die Einführung der Infrastrukturabgabe zu reagieren. Angesichts dessen erscheint es wahrscheinlich, dass Führer von Kraftfahr‑ zeugen, die im Ausland zugelassen sind, ihr Nutzungsverhalten hinsichtlich ihres Kraftfahrzeugs auf deutschen Straßen durch die Einführung der Infra‑ strukturabgabe verändern werden. Bereits durch die Vermeidung der Nutzung von Bundesautobahnen können Führer solcher Kraftfahrzeuge, die Zahlungs‑ pflicht verhindern. Diese Möglichkeit der Nutzung anderer Straßen hat auch die Bundesregierung bereits bei Erlass des Infrastrukturabgabengesetzes er‑ kannt.235 Deshalb wurde § 2 Abs. 3 InfrAG eingeführt, der es der Bundesre‑ gierung durch Rechtsverordnung ermöglicht, die Abgabepflicht abweichend von § 1 Abs. 2 InfrAG auf genau bezeichnete Abschnitte von Bundesstraßen auszudehnen. (3) B  estimmung der Erheblichkeitsschwelle für einen Eingriff bei Haltern und Führern im Ausland zugelassener Kraftfahrzeuge Die Beeinflussung des Verhaltens der Abgabepflichtigen durch die Infra‑ strukturabgabe reicht allein noch nicht aus, um einen Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG annehmen zu können. Es muss auch eine gewisse Erheblichkeit dieser Beeinflussung dazu treten. Hans Dieter Jarass fordert eine Belastungs‑ wirkung von solcher Intensität, dass sie mit einem klassischen Eingriff ver‑ gleichbar ist.236 Diese Auffassung geht in die Richtung, dass eine Abgabe nahezu erdrosselnde Wirkung haben muss, damit ein Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG bejaht werden kann. Eine solch abschreckende Wirkung geht von der Infrastrukturabgabe hinsichtlich der Benutzung von Bundesautobahnen 235  BT-Drs. 236  Jarass,

1169 (1172).

18 / 3990, S. 24, 26. in: Jarass / Pieroth, GG-Komm., Art. 14 Rn. 29; Wernsmann, NJW 2006,



B. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 151

nicht aus. Kein Führer eines Kraftfahrzeugs, das im Ausland zugelassen ist, wird durch Infrastrukturabgabe einen Zwang verspüren, deutsche Autobah‑ nen nicht mehr zu nutzen. Folgt man der Auffassung von Jarass, ist ein Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG durch das Infrastrukturabgabengesetz zu ver‑ neinen. Eine andere Erheblichkeitsschwelle als Hans Dieter Jarass und Rainer Wernsmann nimmt Simon Kempny für einen Eingriff an. Er verlangt nur eine Verhaltensbeeinflussung von hinreichendem Gewicht durch die Abga‑ be.237 Allerdings stelle nicht jede Belastung einen Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG dar. Eine Konkretisierung dieses Maßstabs gibt Kempny aber nicht vor. Dennoch dürfte der bloße Anreiz zur Meidung deutscher Autobahnen kaum ausreichen, um einen Eingriff in das Eigentum bejahen zu können. Die Nutzbarkeit des Fahrzeugs wird dadurch nur sehr geringfügig eingeschränkt. Das gilt umso mehr, als diese potentielle Beschränkung nur Halter und Füh‑ rer von Kraftfahrzeugen betrifft, die im Ausland zugelassen sind. Diese nut‑ zen ohnehin vorrangig Straßen im Ausland, sodass bei ihnen diese Nutzungs‑ beschränkung für Bundesautobahnen nahezu nicht ins Gewicht fällt. (4) Zwischenergebnis Ein Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG kann hier nur dann bejaht werden, wenn die minimale Beeinträchtigung der Nutzung eines Kraftfahrzeugs durch die Infrastrukturabgabe als ausreichend angesehen wird.238 Dieser Eingriff wäre nicht als Enteignung nach Art. 14 Abs. 3 GG, sondern als Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zu qualifizieren:239 Hier wird nicht das Eigentum am Kraftfahrzeug entzogen, sondern nur die Nutzung desselben eingeschränkt. Wenn man der gerade dargestellten An‑ sicht folgen mag, ist zu klären, ob für einen Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG höhere Rechtfertigungsanforderungen gelten als für einen Eingriff in die all‑ gemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG. Nur dann, wenn ein Ein‑ griff in Art. 14 Abs. 1 GG schwerer zu rechtfertigen ist, besteht ein Bedürfnis nach einer Differenzierung zwischen Art. 14 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG bei Eingriffen durch Abgabengesetze.

237  Kempny,

StuW 2014, 185 (189). diese Richtung tendiert abstrakt wohl Papier, in: Maunz / Dürig, GG-Komm., Art. 14 Rn. 170 (Stand d. Bearb.: Juli 2010). 239  Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben, S. 87; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 18.1. 2006, 2 BvR 2194 / 99, BVerfGE 115, 97 (111 f.). 238  In

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2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

c) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG werden Inhalt und Schranken durch die Gesetze bestimmt. Dadurch wird für Eingriffe in das Eigentum ein einfacher Gesetzesvorbehalt statuiert. Dabei muss bei Eingriffen in das Eigentum durch Inhalts- und Schrankenbestimmungen das Übermaßverbot gewahrt werden, wobei die schutzwürdigen Interessen des Eigentümers mit den Belangen des Gemeinwohls in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen sind (Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG).240 Bei einem Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG durch ein Abgabengesetz ist unter anderem zu prüfen, ob die Abgabenbelastung verhältnismäßig ist.241 Damit wird deutlich, dass sich die Rechtfertigungsanforderungen für Eingriffe durch Abgabegesetze in Art. 14 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG regelmäßig entsprechen.242 Die Frage, ob ein Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG durch das Infrastrukturabgabengesetz vorliegt, hat somit keinen Einfluss auf die Rechtfertigungsanforderungen. Selbst wenn man also der Ansicht folgt, dass ein Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG vorliegt, ist lediglich eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen. Diese wird sogleich im Rahmen der Prüfung eines Eingriffs in den Schutzbe‑ reich der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG erfolgen. d) Ergebnis Der Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG ist zwar eröffnet. Ein Eingriff in die Eigentumsfreiheit des Art. 14 Abs. 1 GG durch das Infrastrukturabgaben‑ gesetz liegt nach der hier vertretenen Auffassung nicht vor. 3. Allgemeine Handlungsfreiheit Da das Infrastrukturabgabengesetz weder in Art. 12 Abs. 1 GG noch in Art. 14 Abs. 1 GG eingreift, bleibt als äußerste Grenze für die Erhebung der Infrastrukturabgabe das Auffanggrundrecht der allgemeinen Handlungsfrei‑ 240  St. Rspr. seit BVerfG, Beschl. v. 10.7.1958, 1 BvF 1 / 58, BVerfGE 8, 71 (80); s. auch BVerfG, Urt. v. 1.3.1979, 1  BvR 532 / 77 u. a., BVerfGE 50, 290 (341); BVerfG, Beschl. v. 8.10.1996, 1 BvR 875 / 92, BVerfGE 95, 48 (58); BVerfG, Beschl. v. 18.1.2006, 2 BvR 2194 / 99, BVerfGE 115, 97 (113); BVerfG, Beschl. v. 21.7.2010, 1 BvL 8 / 07, BVerfGE 126, 331 (360). 241  BVerfG, Beschl. v. 8.4.1987, 2  BvR 909 / 82 u. a., BVerfGE 75, 108 (154 f.); BVerfG, Beschl. v. 31.5.1988, 1  BvL 22 / 85, BVerfGE 78, 232 (245); BVerfG, Be‑ schl. v. 12.10.1994, 1 BvL 19 / 90, BVerfGE 91, 207 (221). 242  Davon scheint auch das BVerfG auszugehen, s. Beschl. v. 15.1.2014, 1 BvR 1656 / 09, BVerfGE 135, 126 (141 Rn. 41 f.); bestätigt durch BVerfG, Beschl. v. 25.6.2014, 1 BvR 668 / 10 u. a., BVerfGE 137, 1 (17 Rn. 37 f.); s. auch Jarass, Nicht‑ steuerliche Abgaben, S. 85 f.



B. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 153

heit aus Art. 2 Abs. 1 GG. Dieser ist nur dann subsidiär zu speziellen Frei‑ heitsgrundrechten, wenn in diese eingegriffen wird.243 a) Schutzbereich Das Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet jedem das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Seit dem Urteil des Bundesverfas‑ sungsgerichts vom 16. Januar 1957 im Fall von Wilhelm Elfes wird Art. 2 Abs. 1 GG als Grundrecht zum Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit im umfassenden Sinne angesehen.244 Eine Ausprägung dieses Schutzes der all‑ gemeinen Handlungsfreiheit ist die Freiheit, sich wirtschaftlich zu verhalten, die ebenfalls von Art. 2 Abs. 1 GG geschützt wird.245 Auch diese so verstan‑ dene wirtschaftliche Handlungsfreiheit aller Menschen ist umfassend ge‑ währleistet, denn dadurch wird – anders als bei Art. 14 Abs. 1 GG – auch das Vermögen als solches vor ungerechtfertigten Eingriffen geschützt.246 Sobald also eine Berührung des Vermögens durch eine Abgabe festgestellt werden kann, ist der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG unter diesem Blickwinkel eröffnet. Da das Infrastrukturabgabengesetz allen, die den Abgabentatbestand des § 1 Abs. 1 InfrAG erfüllen, eine Abgabe auferlegt, ist der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG eröffnet. b) Eingriff Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit liegen regelmäßig – wegen des äußerst weiten Schutzbereichs – dann vor, wenn eine finale, unmittel‑ bare, rechtsförmige und imperative Beeinträchtigung gegeben ist (sog. klas‑ sischer Eingriffsbegriff247).248 Ob auch mittelbar-faktische Beeinträchtigun‑ 243  Vgl. Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG-Komm, Art. 2 Rn. 3; Kunig, in: von Münch /  Kunig, GG-Komm, Art. 2 Rn. 12; Kahl, in: HGR V, § 124 Rn. 89. 244  BVerfG, Urt. v. 16.1.1957, 1 BvR 253 / 56, BVerfGE 6, 32 (36 f.). 245  St. Rspr. seit BVerfG, Urt. v. 16.1.1957, 1 BvR 253 / 56, BVerfGE 6, 32 (41); s. auch BVerfG, Beschl. v. 12.11.1958, 2 BvL 4 / 56 u. a., BVerfGE 8, 274 (328); BVerfG, Beschl. v. 19.10.1983, 2  BvR 298 / 81, BVerfGE 65, 196 (210); BVerfG, Beschl. v. 12.10.1994, 1  BvL 19 / 90, BVerfGE 91, 207 (221); BVerfG, Beschl. v. 25.1.2011, 1 BvR 918 / 10, BVerfGE 128, 193 (206 f.). 246  Vgl. Di Fabio, in: Maunz / Dürig, GG-Komm. Art. 2 Abs. 1 Rn. 93 (Stand d. Bearb.: Juli 2001); Stern, in: StR  IV / 1, S. 914 ff., Dreier, in: Dreier, GG-Komm. Art. 2 Abs. 1 Rn. 33. 247  Siehe nur Lang, in: BeckOK GG, Art. 2 Rn. 23; Starck, in: v. Mangoldt /  Klein / Starck, GG-Komm., Art. 2 Rn. 19; Dreier, in: Dreier, GG-Komm., Art. 2 Abs. 1 Rn. 48. 248  Manssen, Staatsrecht II, Rn. 143, 243; Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG-Komm., Art. 2 Rn. 19; insoweit großzügiger Di Fabio, in: Maunz / Dürig, GG-

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2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

gen Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit darstellen können, muss jedenfalls dann nicht entschieden werden, wenn bereits ein Eingriff „im klassischen Sinne“ vorliegt. Das Bundesverfassungsgericht hat in zahlreichen Entscheidungen die Auferlegung von Abgaben und damit hoheitliche Geld‑ leistungspflichten als Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG angesehen.249 Den Grund dafür hat Paul Kirchhof deutlich gemacht: Er geht richtigerweise davon aus, dass eine Vermögensminderung stets auch eine Einbuße der persönlichen (Handlungs‑)Freiheit bedeutet.250 Das zu leistende Geld stehe dem Einzelnen nicht mehr zur Ausübung seiner persönlichen Freiheit zur Verfügung. Der Gesetzgeber greift durch das Infrastrukturabgabengesetz rechtsaktför‑ mig und zielgerichtet in das Vermögen des Einzelnen ein. Die Abgabepflicht trifft alle Halter von Kraftfahrzeugen, die in Deutschland zugelassen sind, und alle Halter und Führer von Kraftfahrzeugen, die nicht in Deutschland zugelassen sind, wenn sie eine Bundesautobahn benutzen. Die Belastung findet also bei Haltern von Kraftfahrzeugen, die in Deutschland zugelassen sind, bereits mit Beginn der Abgabenerhebung nach § 16 InfrAG statt, denn das Infrastrukturabgabengesetz begründet in diesem Fall bereits nach seinem § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 die Abgabenpflicht. Halter und Führer von Kraftfahr‑ zeugen, die nicht in Deutschland zugelassen sind, werden nach § 5 Abs. 4 Satz 1 InfrAG erst belastet, wenn sie eine deutsche Autobahn befahren. Der unterschiedliche Zeitpunkt der Belastung ändert nichts daran, dass die Belas‑ tung für beide Gruppen unmittelbar, d. h. ohne Zwischenakte, erfolgt, denn die Belastung tritt durch das Gesetz selbst ein und wird durch den Bescheid nach § 5 Abs. 1 Satz 3 InfrAG nur festgestellt. Die Abgabenpflicht kann auch mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden, wie in § 11 Abs. 7 sowie in § 9 Abs. 3, 5 und 6 InfrAG deutlich wird. Somit liegen alle Merkmale des klas‑ sischen Eingriffsbegriffs vor. Das Infrastrukturabgabengesetz greift in die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG ein.

Komm, Art. 2 Abs. 1 Rn. 49 (Stand d. Bearb.: Juli 2001); Dreier, in: Dreier, GGKomm., Art. 2 Abs. 1 Rn. 49 f.; Kempny, StuW 2014, 185 (193). 249  BVerfG, Urt. v. 27.1.1965, 1  BvR 213 / 58 u. a., BVerfGE 18, 315 (328 f.); BVerfG, Beschl. v. 8.4.1987, 2 BvR 909 / 82 u. a., BVerfGE 75, 108 (154 f.); BVerfG, Beschl. v. 25.9.1992, 2  BvL 5 / 91 u. a., BVerfGE 87, 153 (169); BVerfG, Beschl. v. 12.10.1994, 1  BvL 19 / 90, BVerfGE 91, 207 (221); BVerfG, Beschl. v. 6.11.2012, 2 BvL 51 / 06, BVerfGE 132, 334 (350 Rn. 51). 250  P.  Kirchhof, in: HStR  V, § 118 Rn. 23; im Anschluss an ihn Di Fabio, in: Maunz / Dürig, GG-Komm., Art. 2 Abs. 1 Rn. 93 (Stand d. Bearb.: Juli 2001); Stern, in: StR IV / 1, S. 918.



B. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 155

c) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Dieser Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG muss verfassungsrechtlich gerechtfer‑ tigt werden. Schranke der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit ist die verfas‑ sungsmäßige Ordnung.251 Das Infrastrukturabgabengesetz stellt als förm­ liches Parlamentsgesetz252 eine taugliche Schranke dar. Der Gesetzgeber darf insoweit ordnend eingreifen und in diesem Zusammenhang auch Geldleistun‑ gen auferlegen.253 Als Schranken-Schranke ist dabei aber insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG folgt, zu beachten.254 Die Abgabenbelastung muss deshalb so bemessen sein, dass den Betroffenen ein ausreichender Spielraum zur freien Entfaltung bleibt.255 Der Zweck einer Gebühr und eines Beitrags kann dem Grunde nach nur in der Kostendeckung sowie im Vorteilsausgleich liegen.256 Eine Differenzie‑ rung zwischen Gebühr und Beitrag ist im Folgenden nicht vorzunehmen, da beide auf die gleichen Zwecke gestützt werden können. Es müssen bei den Vorzugslasten aber nicht beide Zwecke gleichzeitig vorliegen, sondern es genügt die Rechtfertigung durch einen der beiden Hauptzwecke.257 Aller‑ dings muss der Zweck, der mit der Gebühr oder dem Beitrag vom Gesetzge‑ ber verfolgt wird, auch deutlich zu erkennen sein.258 Somit ist an dieser Stelle zu prüfen, ob die Infrastrukturabgabe erkennbar zumindest einem die‑ 251  BVerfG, Urt. v. 20.7.1954, 1 BvR 459 / 52, BVerfGE 4, 7 (15); BVerfG, Urt. v. 7.5.1969, 2  BvL 15 / 67, BVerfGE 25, 371 (407); BVerfG, Urt. v. 1.3.1979, 1  BvR 532 / 77 u. a., BVerfGE 50, 290 (366); BVerfG, Beschl. v. 8.4.1987, 2  BvR 909 / 82 u. a., BVerfGE 75, 108 (154); BVerfG, Beschl. v. 12.10.1994, 1 BvL 19 / 90, BVerfGE 91, 207 (221). 252  Siehe zum Erlass des Infrastrukturabgabengesetzes im 1. Teil unter A. III. 1. f). 253  BVerfG, Urt. v. 27.1.1965, 1  BvR 213 / 58 u. a., BVerfGE 18, 315 (329); BVerfG, Beschl. v. 8.4.1987, 2  BvR 909 / 82 u. a., BVerfGE 75, 108 (154); BVerfG, Beschl. v. 31.5.1988, 1 BvL 22 / 85, BVerfGE 78, 232 (244). 254  BVerfG, Beschl. v. 5.4.1978, 1 BvR 117 / 73, BVerfGE 48, 102 (115 f.); BVerfG, Beschl. v. 12.10.1994, 1 BvL 19 / 90, BVerfGE 91, 207 (221). 255  BVerfG, Urt. v. 20.7.1954, 1 BvR 459 / 52, BVerfGE 4, 7 (16); BVerfG, Beschl. v. 16.5.1961, 2  BvF 1 / 60, BVerfGE 12, 341, (347 f.); BVerfG, Beschl. v. 8.4.1987, 2  BvR 909 / 82 u. a., BVerfGE 75, 108 (155); BVerfG, Beschl. v. 12.10.1994, 1  BvL 19 / 90, BVerfGE 91, 207 (221). 256  Vogel, in: FS Geiger, S.  522 (532); Wernsmann, in: FS Wendt, S. 1053 (1057 ff.). Siehe dazu auch im 1. Teil unter B. V. 1. b) und 2. d). 257  Vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.6.2014, 1 BvR 668 / 10 u. a., BVerfGE 137, 1 (20 f. Rn. 49); s. auch BVerfG, Beschl. v. 6.11.2012, 2 BvL 51 / 06 u. a., BVerfGE 132, 334 (349 Rn. 49); Vogel, in: FS Geiger, S. 522 (533 ff.). 258  BVerfG, Urt. v. 19.3.2003, 2  BvL 9 / 98 u. a., BVerfGE 108, 1 (19 f.); BVerfG, Beschl. v. 6.11.2012, 2 BvL 51 / 06 u. a., BVerfGE 132, 334 (350 Rn. 50); Wernsmann, in: FS Wendt, S. 1053 (1063).

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2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

ser beiden Zwecke dient und zur Erreichung desselben geeignet ist, d. h. ei‑ nen dieser beiden Zwecke fördert. aa) Legitimer Zweck der Kostendeckung (1) Verfolgung dieses Zwecks durch den Gesetzgeber Zunächst soll bestimmt werden, welche Kosten durch die Infrastrukturab‑ gabe gedeckt werden sollen. Jedenfalls hängt die Einbeziehung von Kosten wesentlich davon ab, welche Ziele mit der Abgabe vom Gesetzgeber verfolgt werden.259 Aus der Begründung der Bundesregierung zum Gesetzentwurf wird deutlich, dass die Ausweitung der Nutzerfinanzierung zum Erhalt und Ausbau des Bundesfernstraßennetzes wesentliches Ziel des Infrastrukturab‑ gabengesetzes sein soll.260 Das Gesetz selbst bestimmt in § 15 Abs. 1 Satz 3 InfrAG, dass das verbleibende Aufkommen aus der Infrastrukturabgabe zweckgebunden für die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur261 verwendet wird. Dadurch wird deutlich, dass andere Ziele, wie die Reduzierung von Staus, Lärm oder Abgasemissionen,262 neben der Finanzierung der Bundesstraßen nur untergeordnet verfolgt werden. Bereits im ersten Teil dieser Untersu‑ chung wurde deutlich, dass die Infrastrukturabgabe den umweltbezogenen Zwecken kaum dienen kann.263 Ein positiver Effekt auf die Umwelt könnte zumindest durch die Anknüpfung der Abgabensätze an den Hubraum und die Emissionsklasse sowie an die Art des Motors erzielt werden. Allerdings wird nach der Anlage zu § 8 InfrAG nur für Jahresvignetten unmittelbar an diese Merkmale angeknüpft. Bei Zehntages- und Zweimonatsvignetten erfolgt die Anknüpfung an diese Merkmale mittelbar über die Bemessung anhand der Höhe einer fiktiven Jahresvignette. Daran ändern auch die geänderten Preise und die weiteren Stufen bei den Zehntages- und Zweimonatsvignetten durch das Erste Gesetz zur Änderung des Infrastrukturabgabengesetzes264 nichts. Über die genannten Merkmale kann aber nur auf den Erwerb (vermeintlich) emissionsärmerer Fahrzeuge Einfluss genommen werden. Am Fahrverhalten ändert sich durch diese Anknüpfung nichts. Angesichts der maximalen Höhe der Infrastrukturabgabe von 130 Euro pro Jahr kann ein Einfluss auf die 259  Münzing,

NZV 2014, 197 (199). 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 1. 261  Gemeint ist damit wohl die Straßenverkehrsinfrastruktur, vgl. BT-Drs. 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 37. 262  Vgl. Beusch, Lenkungsabgaben, S. 36 ff., Münzing, NZV 2014, 197 (199). 263  Siehe im 1. Teil unter B. IV. 1. b). 264  Gesetz v. 18.5.2017, BGBl. I S. 1218. 260  BT-Drs.



B. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 157

Kauf­entscheidung für ein Kraftfahrzeug angesichts des Preises nur schwer angenommen werden.265 Die Reduzierung von Staus, Lärm und Abgasemis‑ sionen kann durch das Infrastrukturabgabengesetz nicht erreicht werden, auch wenn die Begründungen zu beiden Gesetzentwürfen auch auf die Errei‑ chung solcher Umwelteffekte abstellen.266 Umwelt- und Staukosten können somit von der Infrastrukturabgabe nicht gedeckt sein und sind auch bei der Kostenberechnung nicht miteinzubeziehen.267 Zumindest wollte der Gesetzgeber aber den Zweck der Kostendeckung hinsichtlich der Finanzierung der Bundesfernstraßen verfolgen. Das legt – neben § 15 Abs. 1 Satz 3 InfrAG – auch die Bezeichnung als Infrastrukturab‑ gabe nahe, die in § 1 Abs. 1 InfrAG legaldefiniert wird („für die Benutzung“). Damit ist aber noch nicht geklärt, ob das Infrastrukturabgabengesetz tatsäch‑ lich diesem Zweck dienen kann, weil auch eine (anteilige) Kostendeckung erfolgt. (2) Ermittlung der Kosten Es existieren für diese Ermittlung im Wesentlichen zwei Kostenbegriffe, die sich deutlich voneinander unterscheiden:268 Legt man – wie in § 3 Abs. 3 BGebG normiert – den betriebswirtschaftlichen Kostenbegriff zugrunde, so sind oft umfangreiche Berechnungen zur Ermittlung der Kosten erforderlich. Der finanzwirtschaftliche Kostenbegriff ist dagegen einfacher und die Kosten leichter zu ermitteln. Für die Zwecke dieser Untersuchung soll keine umfangreiche Abgrenzung der beiden Begriffe vorgenommen werden. Es genügt, die Berechnung der Wegekosten für das Bundesfernstraßennetz für die Jahre 2013 bis 2017 her‑ anzuziehen, die auf Grundlage eines betriebswirtschaftlichen Kostenbegriffs ermittelt wurden und Basis für die Berechnung der Mautsätze für die LkwMaut sind.269 Im Rahmen dieses Gutachtens wurden die Wegekosten für Bundesfernstraßen auch auf Personenkraftwagen aufgeteilt. Wegekosten sind für die Lkw-Maut Fehling, ZG 2014, 305 (320). 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 18 f.; BT-Drs. 18 / 11237 v. 20.2.2017, S. 2 f. 267  Für das Jahr 2016 wurde bei der Berechnung der Wegekosten für das Bundes‑ fernstraßennetz und der externen Kosten Luftverschmutzungskosten von rund 4 Mrd. Euro und Lärmbelastungskosten rund 1 Mrd. Euro ermittelt, wobei von den Luftver‑ schmutzungskosten ein Viertel und von den Lärmbelastungskosten ein Drittel auf Lkw mit über 12 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht entfiel, s. Korn u. a., Wegekos‑ tengutachten 2013–2017, S. 160, 171. 268  Siehe zu den beiden Begriffen und den Unterschieden F.  Kirchhof, Die Höhe der Gebühr, S. 102 ff. 269  Korn u. a., Wegekostengutachten 2013–2017. 265  Vgl.

266  BT-Drs.

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2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

dabei alle Kosten, die mit Bau und der Unterhaltung der Bundesfernstraßen in Zusammenhang stehen.270 Für den Verkehr mit Personenkraftwagen auf Bundesautobahnen entste‑ hen nach der Prognose für das Jahr 2016 Wegekosten von 3,31 Mrd. Euro und für das Jahr 2017 Kosten von 3,55 Mrd. Euro.271 Dazu kommen Wege‑ kosten auf Bundesstraßen von rund 5,2 Mrd. Euro im Jahr 2016 und solche von 5,54 Mrd. Euro für das Jahr 2017.272 Insgesamt ergeben sich nach dem Gutachten also Wegekosten für den Verkehr mit Personenkraftwagen auf Bundesfernstraßen von 8,5 bis 8,8  Mrd. Euro. Allerdings wurde sowohl für Bundesautobahnen als auch für Bundesstraßen die Inlandsfahrleistung zu‑ grunde gelegt. Für die Zwecke der Infrastrukturabgabe ist aber die Inlands‑ fahrleistung der nicht in Deutschland zugelassenen Kraftfahrzeuge auf Bun‑ desstraßen nicht zu berücksichtigen, da auf diesen Straßen nach § 1 Abs. 2 InfrAG für im Ausland zugelassene Kraftfahrzeuge keine Abgabenpflicht gilt. Von der zugrunde gelegten Fahrleistung auf Bundesstraßen dürften nach der Fahrleistungserhebung 2014 ungefähr 3 % als Anteil der ausländi‑ schen Personenkraftwagen an der Gesamtfahrleistung abgezogen werden.273 Zieht man zur Vereinfachung diesen Anteil von den Wegekosten auf Bun‑ desstraßen ab, so erhält man insgesamt für Personenkraftwagen im Jahr 2016 Wegekosten von 8,35  Mrd. Euro und im Jahr 2017 solche von 8,65  Mrd. Euro. Dabei fehlen noch die Kosten für die Einführung und den Betrieb des Infrastrukturabgabensystems. In der Begründung zum Gesetzentwurf wer‑ den Kosten für die Einführung in Höhe von rund 370 Mio. Euro und jähr‑ liche Kosten für den Betrieb von rund 214 Mio. Euro prognostiziert.274 Legt man allerdings die vom Bundesrechnungshof in seinem Bericht über die Infrastrukturabgabe angenommenen einmaligen und laufenden Kos­ ten zugrunde, so ergeben sich einmalige Kosten von rund 427 Mio. Euro und laufenden Kosten für den Betrieb der Infrastrukturabgabe von 301 Mio. Euro.275 Schließlich kommen auch noch die Kosten hinzu, die durch die Einfüh‑ rung des § 9 Abs. 6 bis 8 KraftStG anfallen, da nach § 15 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InfrAG der Aufwand bei der Kraftfahrzeugsteuerverwaltung, insbesondere 270  Korn

u. a., Wegekostengutachten 2013–2017, S. 34. u. a., Wegekostengutachten 2013–2017, S. 137 f. 272  Korn u. a., Wegekostengutachten 2013–2017, S. 140 f., S. 143 f. 273  BASt, Ergebnisse Fahrleistungserhebung 2014, http: /  / www.bast.de / DE / Ver kehrssicherheit / Fachthemen / u2-fahrleistung-2014 / u2-Fahrleistung-2014-ergebnisse. html?nn=605200 (zuletzt abgerufen am 7.2.2018). 274  BT-Drs. 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 38; BT-Drs. 18 / 4455 v. 25.3.2015, S. 25 f. 275  BRH, Bericht über die Infrastrukturabgabe, S. 19–22, 25–28. 271  Korn



B. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 159

durch die Hauptzollämter nach § 12 Abs. 2 FVG, der durch die Einführung der Infrastrukturabgabe entsteht, ebenfalls aus dem Aufkommen der Infra‑ strukturabgabe geleistet werden soll.276 Nach der Begründung der Bundesre‑ gierung zum Gesetzentwurf eines Zweiten Verkehrsteueränderungsgesetzes sollen sich die einmaligen Kosten auf 76,6 Mio. Euro und die laufenden Kosten ab dem Jahr 2018 auf 2,9 Mio. Euro pro Jahr belaufen.277 Zu den Kosten der Infrastrukturabgabe zählen möglicherweise auch die Mindereinnahmen infolge der Senkung der Kraftfahrzeugsteuer von 3 Mrd. Euro pro Jahr.278 Diese Senkung folgt aber nicht zwingend aus der Einfüh‑ rung der Infrastrukturabgabe. Die Infrastrukturabgabe wird nicht eingeführt, um diese Senkung zu ermöglichen. Es handelt sich nur um eine politische Entscheidung, die Kraftfahrzeugsteuer zum gleichen Zeitpunkt zu senken.279 Die geringeren Einnahmen infolge der Senkung der Kraftfahrzeugsteuer von 3 Mrd. Euro pro Jahr zählen somit nicht zu den Kosten der Infrastrukturab‑ gabe. Danach liegen die Kosten für die Ausführung des Infrastrukturabgabenge‑ setzes und die Mehrkosten für die Kraftfahrzeugsteuerverwaltung einmalig bei rund 450 bis 500 Mio. Euro und die laufenden Kosten bei rund 215 bis 305 Mio. Euro. Insgesamt ergeben sich damit jährliche Kosten von rund 8,7  Mrd. Euro, wobei in den Jahren der Einführung der Infrastrukturabgabe sowie der Senkung der Kraftfahrzeugsteuer auch noch die einmaligen Kosten einzubeziehen sind. Das Aufkommen aus der Infrastrukturabgabe wird von der Bundesregie‑ rung auf jährlich 3,7 Mrd. Euro geschätzt.280 Nach Einschätzung des Bun‑ desrechnungshofs ist dieser Betrag allerdings auf der Grundlage zahlreicher, kaum oder nicht begründeter Annahmen zustande gekommen und somit in der Höhe unsicher.281 (3) Geeignetheit zur Erreichung dieses Zwecks Unabhängig von der Genauigkeit der Einnahmeprognose ist zu erkennen, dass nur ein Teil der Kosten durch die Einnahmen aus der Infrastrukturab‑ gabe gedeckt werden kann. Dies stellt allerdings grundsätzlich keine Schwie‑ 276  Siehe

auch BT-Drs. 18 / 3991 v. 11.2.2015, S. 3. 18 / 3991 v. 11.2.2015, S. 2 f., S. 12 f. 278  BT-Drs. 18 / 3991 v. 11.2.2015, S. 2. 279  Vgl. zum Zusammenhang der beiden Gesetze im 3. Teil unter B. III. 1. d). 280  BT-Drs. 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 20. 281  BRH, Bericht über die Infrastrukturabgabe, S. 18 f. 277  BT-Drs.

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2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

rigkeit dar, da auch eine Teilkostendeckung als legitimer Zweck einer Vor‑ zugslast anerkannt ist.282 Der Zweck der Kostendeckung wird auch nicht offensichtlich verfehlt, da durch die Einnahmen aus der Infrastrukturabgabe mehr als ein Drittel der Gesamtkosten gedeckt werden kann. Das Infrastrukturabgabengesetz ist so‑ mit geeignet, dem Zweck der (Teil-)Kostendeckung zu dienen. bb) Legitimer Zweck des Vorteilsausgleichs und Geeignetheit (1) Verfolgung dieses Zwecks durch den Gesetzgeber Das Infrastrukturabgabengesetz kann darüber hinaus auch dem Vorteils­ ausgleich – als weiterem anerkanntem legitimem Zweck von Gebühren und Beiträgen – dienen.283 Ob ein Zweck mittels des Abgabengesetzes verfolgt wird, kann auch durch Auslegung des Gesetzes ermittelt werden.284 Anders als der Zweck der Kostendeckung geht der Zweck des Vorteilsausgleichs nicht ausdrücklich aus dem Gesetz hervor. Auch aus der Begründung der Bundesregierung zum Gesetzentwurf lässt sich nicht ersehen, dass der Aus‑ gleich des Vorteils der Straßenbenutzung bzw. der Möglichkeit dazu Zweck des Infrastrukturabgabengesetzes sein soll. Hinsichtlich der Ziele des Infra‑ strukturabgabengesetzes wird in der Begründung stets nur die Ausweitung der Nutzerfinanzierung des Erhalts und des Aus- und Neubaus von Bundes‑ fernstraßen genannt.285 In der Nutzerfinanzierung mag auch eine Art des Vorteilsausgleichs gesehen werden, da die Bundesfernstraßen bisher abga‑ benfrei genutzt werden konnten. Allerdings lässt sich dieser Wert kaum in Geld bemessen. Es kann höchstens ein Vergleich zu den Kosten eines Jahres‑ tickets zur Benutzung der Deutschen Bahn herangezogen werden, dass zur‑ zeit in der 2. Klasse für 4 190 Euro, also für 11,48 Euro pro Tag, zu erwerben ist. Dieser Nutzungsvorteil wird durch die Infrastrukturabgabe tatsächlich teilweise ausgeglichen. Lässt man die tatsächliche Abschöpfung – auch nur eines Teils des Nutzungsvorteils – als erkennbare Zweckverfolgung genügen, so kann auch der Vorteilsausgleich als Zweck des Infrastrukturabgabengeset‑ zes angesehen werden. 282  Siehe nur BVerfG, Urt. v. 19.3.2003, 2  BvL 9 / 98 u. a., BVerfGE 108, 1 (18); BVerfG, Beschl. v. 25.6.2014, 1  BvR 668 / 10, BVerfGE 137, 1 (18 Rn. 43); Wilke, Gebühr und Grundgesetz, S. 50 f., S. 53 f.; F. Kirchhof, Die Höhe der Gebühr, S. 98 f. 283  Allgemein Vogel, in: FS Geiger, S. 522 (535); vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 6.11.2012, 2  BvL 51 / 06 u. a., BVerfGE 132, 334 (349 Rn. 49); BVerfG, Beschl. v. 25.6.2014, 1 BvR 668 / 10, BVerfGE 137, 1 (20 f. Rn. 49). 284  BVerfG, Urt. v. 19.3.2003, 2  BvL 9 / 98 u. a., BVerfGE 108, 1 (20); BVerfG, Beschl. v. 6.11.2012, 2 BvL 51 / 06 u. a., BVerfGE 132, 334 (350 Rn. 50). 285  Siehe BT-Drs. 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 1, S. 18 f.



B. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 161

§ 1 Abs. 1 InfrAG bestimmt, dass für die Benutzung der Bundesfernstra‑ ßen eine Abgabe erhoben wird. Die Benutzung der Bundesfernstraßen bzw. die Möglichkeit der Nutzung ist einerseits die kostenverursachende Handlung und andererseits der Vorteil, der bisher nicht abgeschöpft wurde.286 Somit lassen sich beide Rechtfertigungsgründe für eine Vorzugslast dem Grunde nach in § 1 Abs. 1 InfrAG erkennen. Das Gesetz dient somit also nicht nur der Kostendeckung, sondern auch der Vorteilsabschöpfung, da in § 1 Abs. 1 InfrAG mit dem Wort „für“ diese beiden Zwecke mit der Infrastrukturabgabe verknüpft werden.287 (2) Geeignetheit zur Erreichung dieses Zwecks Das Infrastrukturabgabengesetz fördert also auch den Zweck der Vorteils‑ abschöpfung durch die Einführung der Infrastrukturabgabe und ist somit zur Erreichung des zweiten Hauptzwecks einer Vorzugslast geeignet. cc) Erforderlichkeit Darüber hinaus muss die Infrastrukturabgabe auch erforderlich sein, um die beiden legitimen Zwecke, denen sie dient, zu erreichen. Erforderlichkeit bedeutet, dass die Infrastrukturabgabe das mildeste Mittel zur Erreichung dieser Zwecke sein muss. Sie ist dann nicht erforderlich, wenn es ein milde‑ res, gleich effektives Mittel zur Erreichung der legitimen Zwecke gibt.288 Hier könnte man an die Einführung einer Straßensteuer denken, um die We‑ gekosten zu decken und dabei auch die Vorteile der Straßenbenutzung abzu‑ schöpfen.289 Damit eine solche Steuer aber die gleiche Effektivität wie die Infrastrukturabgabe aufwiese, müsste sie insgesamt das gleiche Aufkommen erbringen. Das kann bei der Bemessung durch Anknüpfung an die gleichen oder an ähnliche Merkmale wie bei der Infrastrukturabgabe erreicht werden. Dann aber stellte diese Steuer wohl kein milderes Mittel dar. Bei einer An‑ knüpfung an andere Merkmale bei der Bemessung der Steuer, wie z. B. an den CO2-Ausstoß des Kraftfahrzeugs, käme es bei gleichem Aufkommen wohl zwangsläufig zu einer höheren Abgabenlast bei einigen Kraftfahrzeug‑ haltern, während andere eine geringere Abgabenlast als bei der Infrastruktur‑ Hillgruber, Ausschuss-Drs. 18(15)193-A, S. 2 f. BVerfG, Urt. v. 19.3.2003, 2 BvL 9 / 98 u. a., BVerfGE 108, 1 (21). 288  Siehe nur BVerfG, Beschl. v. 11.7.2006, 1 BvL 4 / 00, BVerfGE 116, 202 (225); Kempny, StuW 2014, 185 (195). 289  Vgl. hierzu und zum Folgenden BVerfG, Beschl. v. 18.11.2003, 1 BvR 302 / 96, BVerfGE 109, 64 (86); BVerfG, Beschl. v. 18.7.2005, 2 BvF 2 / 01, BVerfGE 113, 167 (259); Kempny, StuW 2014, 185 (195). 286  Vgl. 287  Vgl.

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2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

abgabe zu tragen hätten. Es fände also lediglich eine Umverteilung statt. Dadurch könnte aber nicht die Abgabenlast insgesamt gesenkt werden, ohne dass die verfolgten Zwecke gleich wirksam erreicht werden würden.290 Zu‑ dem erscheint die Erhebung einer Straßensteuer von Haltern und Führern von Kraftfahrzeugen, die im Ausland zugelassen sind, problematisch, da die Bundesrepublik Deutschland im Ausland keine Besteuerungshoheit hat und deshalb die Besteuerung frühestens bei einem Verbringen des ausländischne Kraftfahrzeugs nach Deutschland erfolgen könnte.291 Diese Besteuerung brächte dann aber einen erheblichen Verwaltungsaufwand und – je nach der Formulierung des Steuertatbestands – eine Doppelbesteuerung auf dem Ge‑ biet der Kraftfahrzeugsteuern mit sich.292 Eine Straßensteuer ist damit kein milderes Mittel im Vergleich zur Infrastrukturabgabe. Andere mildere Mittel sind nicht ersichtlich, sodass die Infrastrukturabgabe auch erforderlich zur Erreichung der legitimen Zwecke ist. dd) Angemessenheit (1) Angemessenheit der Infrastrukturabgabe insgesamt Schließlich muss die Infrastrukturabgabe auch verhältnismäßig im engeren Sinne sein. Geprüft wird dabei, ob die vom Gesetzgeber gewählten Mittel zur Erreichung der Ziele angemessen sind.293 Bei Vorzugslasten wird dabei geprüft, ob Leistung und Gegenleistung in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen und die Abgabenhöhe auch individuell zumutbar ist.294 Die Deckung der Kosten für den Neu- und Ausbau sowie für die Erhaltung der Bundesfernstraßen ist ein wichtiges Ziel, da die Bedeutung von gut er‑ haltenen und ausgebauten Straßenverkehrswegen für die Mobilität der Deut‑ schen und das Wirtschaftswachstum gar nicht überschätzt werden kann.295 Zudem dienen solche Straßen auch der Freiheitsverwirklichung und fördern diese.296 Hinzu kommt, dass der Höhe nach insgesamt nur ein Teil der We‑ Kempny, StuW 2014, 185 (195). Selmer / Brodersen, in: Selmer / Brodersen / Nicolaysen, Straßenbenutzungs‑ abgaben, S. 109. 292  Siehe zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Kraftfahr‑ zeugsteuern im 3. Teil unter B. III. 1. c) cc). 293  Vgl. BVerfG, Beschl. v. 15.12.1999, 1  BvR 1904 / 95 u. a., BVerfGE 101, 331 (347); BVerfG, Beschl. v. 12.1.2016, 1  BvR 3102 / 13, BVerfGE 141, 121 (133 Rn. 40). 294  Vgl. Staudacher, Zulässigkeit von Sonderabgaben, S. 106. 295  Vgl. BMVI, Bundesverkehrswegeplan 2030, S. 1. 296  Vgl. Hoffmann, Grundrechte und straßenrechtliche Benutzungsordnung, S. 15, 17; BMVI, Bundesverkehrswegeplan 2030, S. 1. 290  Vgl. 291  Vgl.



B. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 163

gekosten von Bundesfernstraßen durch die Infrastrukturabgabe gedeckt wird. Dabei wurde noch nicht berücksichtigt, dass auch noch die Abschöpfung des Vorteils der Straßenbenutzung bzw. der Möglichkeit dazu ebenfalls in die Höhe der Infrastrukturabgabe einbezogen wurde. Damit ist hinsichtlich des voraussichtlichen Gesamtaufkommens keine Unangemessenheit feststellbar. (2) Zumutbarkeit für Halter im Inland zugelassener Kraftfahrzeuge Um die individuelle Angemessenheit (Zumutbarkeit) feststellen zu können, sind die Abgabenmaßstäbe des Infrastrukturabgabengesetzes heranzuziehen. In erster Linie wird – zwar stark typisiert – der Vorteil aus der Bundesfern‑ straßenbenutzung als Maßstab herangezogen, indem die Nutzungszeit mit der Geltungsdauer der Vignette berücksichtigt wird. Als weitere Abgabenmaß‑ stäbe werden der Hubraum und die Zündungsart des Motors sowie die Schadstoffklasse herangezogen. Insoweit sollen bei der Bemessung also auch ökologische Lenkungseffekte eine Rolle spielen.297 Die Typisierungen, die der Gesetzgeber bei der Berechnung der individuellen Höhe der Abgabe ­vorgenommen hat, sind nicht sachfremd und orientieren sich an anerkannten Zwecken für die Bemessung der Höhe von Vorzugslasten.298 Der Gesetz­ geber hat den Spielraum hier eingehalten, der ihm bei der Höhe der Vorzugs‑ last vom Bundesverfassungsgericht299 eingeräumt wird. Für Halter von in Deutschland zugelassenen Kraftfahrzeugen, die wegen § 7 Abs. 1 Satz 1 InfrAG stets eine Jahresvignette erwerben müssen, beträgt die maximale ­ Höhe der Infrastrukturabgabe 35,6 Cent pro Tag. Der Vorteil aus der Benut‑ zungsmöglichkeit von Bundesfernstraßen ist aufgrund der fast vollständig fehlenden Marktgängigkeit der Leistung schwer zu bemessen.300 Angesichts des Vorteils, den die Benutzungsmöglichkeit der Bundesfernstraßen für ein Jahr bietet, erscheint dieser Beitrag aber im Verhältnis zur Benutzungsmög‑ lichkeit angemessen.

297  BT-Drs.

18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 18 f.; BT-Drs. 18 / 11237 v. 20.2.2017, S. 2 f. dazu BVerfG, Urt. v. 19.3.2003, 2  BvL 9 / 98 u. a., BVerfGE 108, 1 (18); BVerfG, Beschl. v. 6.11.2012, 2  BvL 51 / 06 u. a., BVerfGE 132, 334 (349 Rn. 49); BVerfG, Beschl. v. 25.6.2014, 1 BvR 668 / 10 u. a., BVerfGE 137, 1 (20 f. Rn. 49). 299  BVerfG, Urt. v. 19.3.2003, 2 BvL 9 / 98 u. a., BVerfGE 108, 1 (19 f.); BVerfG, Beschl. v. 6.11.2012, 2 BvL 51 / 06 u. a., BVerfGE 132, 334 (350 f. Rn. 51). 300  Ein Jahresticket für die Benutzung des gesamten ÖPNV in NRW in der 2. Klasse kostet 2 860 Euro, also rund 7,83 Euro pro Tag. Eine Bahncard 100 für die 2.  Klasse kostet zurzeit 4  190 Euro, also 11,48 Euro pro Tag. Siehe auch in diesem Teil unter B. I. 3. c) bb). 298  Vgl.

164

2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

(3) Z  umutbarkeit für Halter und Führer im Ausland zugelassener Kraftfahrzeuge Für die Halter und Führer von nicht in Deutschland zugelassenen Kraft‑ fahrzeugen beträgt die Gebühr maximal 2,50 Euro pro Tag. Diese höchst‑ mögliche Gebühr wird nach der Anlage zu § 8 InfrAG für eine Zehntages­ vignette erhoben, wenn für eine Jahresvignette 130 Euro zu zahlen sind. Hier ist die tatsächliche Bundesautobahnnutzung als Vorteil zu berücksichtigen. Allerdings ist die öffentliche Leistung wegen § 1 Abs. 2 InfrAG auf die Be‑ nutzung der Autobahnen beschränkt. Im Gegensatz zum Beitrag für die Hal‑ ter von Kraftfahrzeugen, die in Deutschland zugelassen sind, ist in diesem Fall offen, ob ein angemessenes Verhältnis zwischen Leistung und Gegen‑ leistung besteht. Dabei gilt es aber zu beachten, dass sich der ökologische Lenkungseffekt durch Bezugnahme auf die Schadstoffklassen nach der Än‑ derung des Infrastrukturabgabengesetzes über die Staffelung in sechs Grup‑ pen und stärkere Preisspreizung bei den Zehntages- und Zweimonatsvignet‑ ten noch stärker als zuvor auswirkt.301 Darüber hinaus wird von Christian Hillgruber angeführt, der Gutachter des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur zur Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Recht der EU war, dass die Fixkosten für jede Vignette so hoch seien, dass mit niedrigeren Gebührensätzen für Kurz‑ zeitvignetten keine Kostendeckung erreicht werden könne.302 Allerdings nennen weder er noch das Ministerium Zahlen, die diese Behauptung der nicht zu deckenden Kosten stützen. Auch in der Begründung zum Gesetzent‑ wurf finden sich keine Anhaltspunkte für eine genaue Höhe der Fixkosten. Zieht man aber die Systemkosten für alle Fahrzeuge heran, die vom Bundes‑ rechnungshof mit rund 300 Mio. Euro pro Jahr angesetzt werden,303 so scheint eine Systemkostendeckung auch bei niedrigeren Gebührensätzen wahrscheinlich zu sein. Setzt man nur die Hälfte der vom Ministerium er‑ warteten Einnahmen von 700 Mio. Euro von Haltern und Führern ausländi‑ scher Kraftfahrzeuge an, so ergäben sich immer noch Einnahmen, die um 50 Mio. Euro höher wären als die Systemkosten für die Erhebung der Infra‑ strukturabgabe und die Kontrolle aller Abgabepflichtigen. Das schließt gleichwohl nicht aus, dass die spezifischen Kosten für die Zehntagesvignette höher ausfallen als für eine Zweimonats- oder Jahresvignette. Die Kosten­ deckung allein macht aber die Gebührenhöhe von 2,50 Euro pro Tag nicht verhältnismäßig, da nach der Argumentation Hillgrubers zur alten Fassung 301  In der ursprünglichen Fassung der Anlage zu § 8 InfrAG waren bei den Zehn‑ tages- und Zweimonatsvignetten nur drei Stufen vorgesehen, s. BGBl. I 2015, S. 912. 302  Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 63. 303  BRH, Bericht über die Infrastrukturabgabe, S. 19–22, 25–28.



B. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 165

des Infrastrukturabgabengesetzes auch die bisher günstigste Zehntagesvig‑ nette mit 0,50 Euro pro Tag bereits die Systemkosten decken muss. Demnach dürften die Zehntagesvignetten für 2,50 Euro und für vier Euro nach der neuen Fassung der Anlage zu § 8 InfrAG nicht kostendeckend sein. Umgekehrt macht aber auch eine Überschreitung der Kosten eine Gebühr nicht unverhältnismäßig, wenn diese Überschreitung unter Berücksichtigung anderer Gebührenzwecke verhältnismäßig erscheint.304 Über die spezifische Kostendeckung hinaus dürfen auch noch die allgemeine Kostendeckung, die Vorteile der Autobahnnutzung und ein ökologischer Lenkungseffekt bei der Gebührenhöhe berücksichtigt werden.305 Wie hoch der Vorteil aus der Auto‑ bahnnutzung für zehn Tage ist, lässt sich nur schwer bemessen.306 Ebenfalls ist nur schwer bestimmbar, inwiefern die Wegekosten bei Zehntagesvignetten im Vergleich zu den anderen Vignettenarten einzubeziehen sind. Zumindest lässt sich aus der kürzeren Geltungsdauer und der damit typischerweise ver‑ bundenen geringeren Straßenbelastung ableiten, dass der einbezogene Anteil an den Wegekosten geringer ausfallen muss als bei Zweimonats- oder Jahres‑ vignetten. Schließlich dürfen auch die höhere Schadstoffbelastung und der größere Hubraum des Motors durch die mittelbare Anknüpfung an den Preis einer fiktiven Jahresvignette als beabsichtigtem ökologischem Lenkungseffekt ein‑ bezogen werden. Diesen beabsichtigten Lenkungseffekt hat der Gesetzgeber bei Zehntages- und Zweimonatsvignette erst durch die Bezugnahme auf den Preis einer fiktiven Jahresvignette und die Staffelung in zunächst drei Grup‑ pen nach diesem fiktiven Preis erreichen können.307 Durch das Erste Gesetz zur Änderung des Infrastrukturabgabengesetzes wurde der Effekt durch eine Aufteilung in sechs Gruppen und eine stärkere Preisspreizung bei den Kurz‑ zeitvignetten noch verstärkt.308 Dabei hat der Gesetzgeber bei der Zehntages‑ vignette sechs pauschalierte Gebührensätze angenommen und die Umweltbe‑ lastung auch bei diesen Vignettenarten berücksichtigt. (4) Zwischenergebnis Die Berücksichtigung dieser drei Bemessungsprinzipien reicht im Ergeb‑ nis aus, um die Höhe von 2,50 Euro pro Tag für die Benutzung der Bundes‑ 304  BVerfG,

Beschl. v. 10.3.1998, 1 BvR 178 / 97, BVerfGE 97, 332 (345). BVerfG, Urt. v. 19.3.2003, 2  BvL 9 / 98 u. a., BVerfGE 108, 1 (18); BVerfG, Beschl. v. 6.11.2012, 2 BvL 51 / 06 u. a., BVerfGE 132, 334 (349 Rn. 49). 306  Das teuerste Wochenticket mit der größten Reichweite für den ÖPNV in NRW kostet 93,60 Euro, also 13,37 Euro pro Tag. 307  Vgl. BT-Drs. 18 / 4455 v. 25.3.2015, S. 32. 308  Vgl. BT-Drs. 18 / 11237 v. 20.2.2017, S. 2 f. 305  Vgl.

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2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

autobahn als angemessen anzusehen.309 Angesichts des weiten Spielraums, den das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber bei der Bemessung von Gebühren einräumt, erscheint die Höhe der Gebühr noch angemessen. Ein grobes Missverhältnis310 zwischen der Gebühr von 25 Euro und der Frei‑ gabe zur Benutzung gut erhaltener Bundesautobahnen für zehn Tage lässt sich nicht feststellen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist also ge‑ wahrt. d) Ergebnis Das Infrastrukturabgabengesetz ist mit der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG vereinbar. Es greift zwar in die allgemeine Handlungs‑ freiheit ein, dieser Eingriff ist jedoch gerechtfertigt. 4. Allgemeiner Gleichheitssatz Die Infrastrukturabgabe wirft nicht nur auf der Ebene des Unionsrechts hinsichtlich einer möglichen Diskriminierung ausländischer Straßenbenut­ zer,311 sondern auch mit Blick auf das deutsche Verfassungsrecht gleichheits‑ rechtliche Fragen auf. a) Keine Anwendbarkeit eines besonderen Gleichheitssatzes Auf den ersten Blick scheint das besondere Diskriminierungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG mit dem Merkmal der Herkunft der richtige Prü‑ fungsmaßstab zu sein, da scheinbar Deutsche und Ausländer im In­ frastrukturabgabengesetz unterschiedlich behandelt werden. Zu bedenken ist aber, dass der Begriff der Herkunft wie auch der Begriff der Heimat als örtlicher Herkunft312 in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG nicht an die tatsächlich vorliegende Lebenssituation, sondern an die örtliche und soziale Verwurzelung eines Menschen anknüpfen und somit der aktuelle Wohnsitz nicht darunter fällt.313 Auch die Staatsangehörigkeit erfasst nur die aktuelle 309  Zur

gleichheitsrechtlichen Beurteilung sogl. in diesem Teil unter B. I. 4. Urt. v. 19.3.2003, 2 BvL 9 / 98 u. a., BVerfGE 108, 1 (19). 311  Siehe im 3. Teil unter D. II. 312  BVerfG, Beschl. v. 22.1.1959, 1 BvR 154 / 55, BVerfGE 9, 124 (128); BVerfG, Beschl. v. 30.5.1978, 1  BvL 26 / 76, BVerfGE 48, 281 (287); Heun, in: Dreier, GGKomm., Art. 3 Rn. 131. 313  BVerfG, Beschl. v. 25.5.1956, 1  BvR 83 / 56, BVerfGE 5, 17 (22); BVerfG, Beschl. v. 22.1.1959, 1  BvR 154 / 55, BVerfGE 9, 124 (129); BVerfG, Beschl. v. 30.5.1978, 1  BvL 26 / 76, BVerfGE 48, 281 (287 f.); Heun, in: Dreier, GG-Komm., 310  BVerfG,



B. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 167

Lebenssituation und trifft ebenso wie der Wohnsitz keine Aussage über die Verwurzelung eines Menschen, sodass auch das Merkmal das Staatsangehö‑ rigkeit weder unter das Merkmal der Herkunft noch unter das Merkmal der Heimat und damit nicht unter Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG zu subsumieren ist.314 Durch das Infrastrukturabgabengesetz werden Halter nach dem Zulas‑ sungsort ihres Fahrzeugs unterschiedlich behandelt. Der Zulassungsort ist nach § 6 Abs. 1, § 46 Abs. 2 Satz 1 FZV315 vom Wohnort abhängig. Das bedeutet, dass das Infrastrukturabgabengesetz keine Unterscheidung nach der Staatsangehörigkeit trifft, sondern ausschließlich nach dem Wohnsitz des Kraftfahrzeughalters. Zwar werden typischerweise Deutsche ihr Kraftfahr‑ zeug in Deutschland zulassen, sodass zumindest mittelbar an die Staatsange‑ hörigkeit angeknüpft wird.316 Selbst wenn auch eine mittelbare Anknüpfung an eines der Merkmale des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG zu dessen Anwendung genügen soll,317 so kommt dieser hier nicht zur Anwendung. Die im Infra‑ strukturabgabengesetz nur mittelbar vorhandene Anknüpfung an das Merk‑ mal der Staatsangehörigkeit kann für eine Anwendbarkeit des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG erst recht nicht genügen, wenn diese Vorschrift bereits bei einer unmittelbaren Anknüpfung an dieses Merkmal nicht anwendbar wäre. Sowohl die unmittelbare Anknüpfung der unterschiedlichen Behandlung an den Wohnsitz als auch die mittelbare Anknüpfung an die Staatsangehörig‑ keit im Infrastrukturabgabengesetz vermögen daher nicht die Anwendung des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG zu begründen. Die unterschiedliche Behandlung von Haltern im Infrastrukturabgabengesetz ist demzufolge nur am allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG zu messen.318 Da aber das Recht der EU mit Art. 18 Abs. 1 AEUV eine Vorschrift ent‑ hält, die explizit Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit verbie‑ tet, werden die meisten Konstellationen des Infrastrukturabgabengesetzes, Art. 3 Rn. 132; Uerpmann-Wittzack, in: HGR  V, § 128 Rn. 57; Langenfeld, in: Maunz / Dürig, GG-Komm., Art. 3 Abs. 3 Rn. 57 (Stand d. Bearb.: Mai 2015). 314  BVerwG, Urt. v. 24.9.1965, VII  C 180.63, BVerwGE 22, 66 (70); Heun, in: Dreier, GG-Komm., Art. 3 Rn. 131; Uerpmann-Wittzack, in: HGR  V, § 128 Rn. 58; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 20.3.1979, 1  BvR 111 / 74 u. a., BVerfGE 51, 1 (30); Langenfeld, in: Maunz / Dürig, GG-Komm., Art. 3 Abs. 3 Rn. 58 (Stand d. Bearb.: Mai 2015); a. A. BGH, Beschl. v. 28.7.1972, 2 StR 330 / 72, NJW 1972, 2191; BGH, Urt. v. 30.10.1980, III ZR 174 / 79, NJW 1981, 518 (518). 315  Verordnung über die Zulassung von Fahrzeugen zum Straßenverkehr (Fahr‑ zeug-Zulassungsverordnung) v. 3.2.2011, BGBl. I S. 139, mit spät. Änd. 316  Vgl. Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 41 f.; Zabel, NVwZ 2015, 1241 (1247); Rathke, Ausarbeitung für den Bundestag, S. 14. 317  Vgl. die Darstellung beider Ansichten bei Langenfeld, in: Maunz / Dürig, GGKomm., Art. 3 Abs. 3 Rn. 37 ff. (Stand d. Bearb.: Mai 2015). 318  Ebenso Reimer, DVBl. 2015, 1405 (1410).

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2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

die die Benachteiligung von Unionsbürgern319 betreffen, im Zusammenhang mit dieser Vorschrift geprüft werden.320 Dabei wird insbesondere auch der Zusammenhang zwischen dem Infrastrukturabgabengesetz und der Senkung der Kraftfahrzeugsteuer in § 9 Abs. 6 KraftStG321 mit Blick auf eine Diskri‑ minierung von Unionsbürgern behandelt.322 Die Kraftfahrzeugsteuersenkung soll deshalb auch bei der folgenden Prüfung als Rechtfertigungsgrund für Benachteiligungen Deutscher außer Betracht bleiben. Zwar können Benach‑ teiligungen von Unionsbürgern auch im Rahmen des allgemeinen Gleich‑ heitssatzes gem. Art. 3 Abs. 1 GG Relevanz entfalten. Im Folgenden sollen aber vor allem Benachteiligungen von Deutschen im Infrastrukturabgabenge‑ setz an Art. 3 Abs. 1 GG gemessen werden. b) Ungleichbehandlung Nach Art. 3 Abs. 1 GG sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich. Daraus folgt, dass alle natürliche Personen – unabhängig davon, welche Staatsange‑ hörigkeit sie besitzen – ein Recht auf Gleichbehandlung durch die deutsche Staatsgewalt haben, sodass auch Benachteiligungen von Ausländern gerügt werden können.323 Diese Benachteiligungen von Ausländern sollen aber, wie eben bereits dargelegt, hier vor allem an den unionsrechtlichen Vorschriften gemessen werden. Auch auf inländische juristische Personen des privaten Rechts ist der all‑ gemeine Gleichheitssatz wesensmäßig anwendbar, sodass Art. 3 Abs. 1 GG wegen Art. 19 Abs. 3 GG auch für sie gilt.324 Aus dem Worten „vor dem Gesetz“ in Art. 3 Abs. 1 GG lässt sich zunächst nur das Gebot der Rechtsanwendungsgleichheit herleiten. Insoweit richtet er sich an die Exekutive und die Judikative, die die Gesetze daher gleichmäßig 319  Nach Art. 4 EWR-Abkommen gilt ein vergleichbarer Schutz vor Diskriminie‑ rungen wegen der Staatsangehörigkeit auch für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der Europäischen Freihandelsassoziation (Island, Liechtenstein, Norwegen). 320  Siehe unten im 3. Teil bei D. II. 321  Einfügung durch Art. 1 Nr. 7 des Zweiten Gesetz zur Änderung des Kraftfahr‑ zeugsteuergesetzes und des Versicherungsteuergesetzes (Zweites Verkehrsteuerände‑ rungsgesetz – 2. VerkehrStÄndG) v. 8.6.2015, BGBl. I 2015, 901. Art. 1 Nr. 7 dieses Gesetzes tritt aber nach Art. 3 Abs. 2 des Gesetzes erst an dem Tag in Kraft, an dem die Abgabenerhebung nach dem Infrastrukturabgabengesetz beginnt. 322  Siehe ausführlich im 3. Teil unter B. III. 1. d) und D. II. 2. a). 323  Ebenso BVerfG, Beschl. v. 23.3.1971, 2  BvR 59 / 71, BVerfGE 30, 409 (412); BVerfG, Beschl. v. 7.2.2012, 1 BvL 14 / 07, BVerfGE 130, 240 (253). 324  BVerfG, Urt. v. 3.6.1954, 1 BvR 183 / 54, BVerfGE 3, 383 (391); BVerfG, Urt. v. 6.12.2016, 1  BvR 2821 / 11 u. a., NJW 2017, 217 (218 Rn. 182); Heun, in: Dreier, GG-Komm., Art. 3 Rn. 44.



B. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 169

ausführen bzw. anwenden müssen. In dieser Form ist Art. 3 Abs. 1 GG vor‑ liegend nicht einschlägig, da hier ein Akt des Gesetzgebers, das Infrastruk‑ turabgabengesetz, an Art. 3 Abs. 1 GG gemessen werden soll. Durch Art. 1 Abs. 3 GG wird auch der Gesetzgeber an den allgemeinen Gleichheitssatz gebunden, sodass dieser nicht nur bei der Rechtsanwendung zu beachten ist. Aus dieser Bindung des Gesetzgebers an Art. 3 Abs. 1 GG lässt sich das Gebot der Rechtssetzungsgleichheit ableiten.325 Demnach darf auch der Ge‑ setzgeber wesentliches Gleiches nicht ungleich und wesentliches Ungleiches nicht gleich behandeln.326 Anwendbar ist der allgemeine Gleichheitssatz so‑ wohl für ungleiche Begünstigungen wie auch für ungleiche Belastungen.327 Art. 3 Abs. 1 GG untersagt dem Gesetzgeber zwar nicht jede Unterscheidung, allerdings benötigt er zur Rechtfertigung stets einen Sachgrund.328 Darauf wird zurückzukommen sein.329 Zur Feststellung einer möglichen Ungleichbehandlung muss der allge‑ meine Gleichheitssatz „bereichsspezifisch“ angewendet werden, um ihn für das jeweilige Rechtsgebiet handhabbar zu machen.330 Im Abgabenrecht wird aus Art. 3 Abs. 1 GG der Grundsatz der Belastungsgleichheit gefolgert.331 Belastungsgleichheit bedeutet in Bezug auf die Vorzugslasten nicht, dass jeder Abgabepflichtige den gleichen Betrag zahlt, sondern dass sich die in‑ dividuelle Gebühr oder der individuelle Beitrag vor allem an den Kosten dieser individuell zurechenbaren Leistung und am Vorteil, den der Einzelne 325  Vgl. BVerfG, Urt. v. 23.10.1951, 2  BvG 1 / 51, BVerfGE 1, 14 (52); P. Kirchhof, in: HStR VIII, § 181 Rn. 5. 326  St. Rspr. seit BVerfG, Urt. v. 23.10.1951, 2 BvG 1 / 51, BVerfGE 1, 14 (52); s. auch BVerfG, Beschl. v. 15.7.1998, 1  BvR 1554 / 98 u. a., BVerfGE 98, 365 (385); BVerfG, Beschl. v. 7.2.2012, 1 BvL 14 / 07, BVerfGE 130, 240 (252); BVerfG, ­Beschl. v. 25.6.2014, 1 BvR 668 / 10 u. a., BVerfGE 137, 1 (20 Rn. 47); krit. Boysen, in: von Münch / Kunig, GG-Komm, Art. 3 Rn. 31 ff. 327  BVerfG, Beschl. v. 11.10.1988, 1  BvR 777 / 85 u. a., BVerfGE 79, 1 (17); BVerfG, Beschl. v. 21.7.2010, 1 BvR 611 / 07 u. a., BVerfGE 126, 400 (416); BVerfG, Beschl. v. 7.2.2012, 1  BvL 14 / 07, BVerfGE 130, 240 (252); BVerfG, Beschl. v. 25.6.2014, 1 BvR 668 / 10 u. a., BVerfGE 137, 1 (20 Rn. 47). 328  BVerfG, Beschl. v. 7.7.2009, 1  BvR 1164 / 07, BVerfGE 124, 199 (220); BVerfG, Beschl. v. 7.2.2012, 1 BvL 14 / 07, BVerfGE 130, 240 (253); BVerfG, ­Beschl. v. 25.6.2014, 1 BvR 668 / 10 u. a., BVerfGE 137, 1 (20 Rn. 47). 329  Siehe sogl. in diesem Teil unter B. I. 4. c). 330  BVerfG, Beschl. v. 8.4.1987, 2  BvR 909 / 82 u. a., BVerfGE 75, 108 (157); BVerfG, Beschl. v. 22.6.1995, 2  BvL 37 / 91, BVerfGE 93, 121 (134); BVerfG, Be‑ schl. v. 7.11.1995, 2 BvR 413 / 88 u. a., BVerfGE 93, 319 (348 f.); BVerfG, Beschl. v. 5.2.2002, 2  BvR 305 / 93 u. a., BVerfGE 105, 17 (46); P.  Kirchhof, in: HStR VIII, § 181 Rn. 173, 177. 331  BVerfG, Beschl. v. 25.6.2014, 1 BvR 668 / 10 u. a., BVerfGE 137, 1 (20 Rn. 47); vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 6.11.2012, 2  BvL 51 / 06 u. a., BVerfGE 132, 334 (349 Rn. 47).

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2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

aus der angebotenen oder in Anspruch genommenen Leistung zieht, orien‑ tiert.332 aa) Relative Unterschiede innerhalb der einzelnen Vignettenarten Bei den weiter oben vorgenommenen freiheitsrechtlichen Prüfungen333 wurde noch keine Aussage darüber getroffen, ob die einzelnen Preisstufen der Infrastrukturabgabe im Verhältnis der einzelnen Vignettenarten nach § 7 Abs. 2 InfrAG zueinander (also relativ) eine rechtfertigungsbedürftige Ungleich­ behandlung darstellen. Auch sagte die freiheitsrechtliche Prüfung nichts darüber aus, ob die Differenzierungen, die das Infrastrukturabgabenge‑ setz zwischen Haltern ausländischer und deutscher Kraftfahrzeuge vor allem in § 1 Abs. 1 und 2 sowie in § 7 Abs. 1 und 2 InfrAG trifft, Art. 3 Abs. 1 GG berühren und deshalb gerechtfertigt werden müssen. Im Hinblick auf die Vignettenpreise ist auffällig, dass bei gleichbleibender Nutzungszeit – und damit bei gleichbleibender Leistung – diese Preise nach der Anlage zu § 8 InfrAG stark differieren. Diese Unterschiede entstehen dadurch, dass bei allen Vignettenarten direkt oder indirekt an die Schadstoff‑ klasse, die Art des Motors sowie den Hubraum des jeweiligen Kraftfahrzeugs angeknüpft wird. Die unterschiedliche Behandlung im Infrastrukturabgaben‑ gesetz muss eine Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem darstellen. Ein Unterschied von 22,50 Euro bzw. von 43 Euro zwischen der günstigsten und der teuersten Zehntages- bzw. Zweimonatsvignette erscheint aber trotz der unterschiedlichen Kraftfahrzeuge als rechtfertigungsbedürftige Ungleich‑ behandlung, da der Umfang der Leistung gleichbleibt. Bereits vor der Ände‑ rung der Anlage zu § 8 InfrAG lagen Unterschiede von 10 Euro bzw. 14 Euro zwischen der jeweils günstigsten und teuersten Vignette vor. Auch die Diffe‑ renzierungen bei den Preisen der Jahresvignette sind in gleicher Weise recht‑ fertigungsbedürftig. Im Rahmen der Kurzzeitvignetten liegt die ungleiche Behandlung von Haltern und Führern ausländischer Kraftfahrzeuge unterein‑ ander vor, während bei den Jahresvignetten sämtliche Halter und Führer von Kraftfahrzeugen untereinander ungleich behandelt werden. bb) Unterschiedliche Geltungsbereiche der Vignetten Eine weitere Ungleichbehandlung von Haltern deutscher und ausländischer Kraftfahrzeuge liegt darin, dass die Halter von deutschen Kraftfahrzeugen 332  Vgl. BVerfG, Urt. v. 19.3.2003, 2  BvL 9 / 98 u. a., BVerfGE 108, 1 (18); BVerfG, Beschl. v. 25.6.2014, 1 BvR 668 / 10 u. a., BVerfGE 137, 1 (20 f. Rn. 49). 333  Siehe in diesem Teil unter B. I. 3. c).



B. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 171

die Infrastrukturabgabe nach § 1 Abs. 1 InfrAG für die Benutzung aller ­Bundesfernstraßen entrichten müssen, während nach § 1 Abs. 2 InfrAG von Haltern und Führern ausländischer Kraftfahrzeuge die Infrastrukturabgabe nicht für Fahrten auf Bundesstraßen gezahlt werden muss.334 cc) Abgabepflicht bei Zulassung des Kraftfahrzeugs und verpflichtender Erwerb einer Jahresvignette Überdies liegt eine Ungleichbehandlung darin, dass die Infrastrukturabga‑ bepflicht für in Deutschland zugelassene Kraftfahrzeuge bereits mit Zulas‑ sung – und damit ohne eine Straßenbenutzung – nach § 5 Abs. 2 Satz 1 In‑ frAG entsteht, während für Halter von nicht in Deutschland zugelassenen Kraftfahrzeugen die Abgabepflicht nach § 5 Abs. 4 Satz 1 InfrAG erst mit Benutzung einer deutschen Autobahn entsteht. Daraus resultiert im Ergebnis auch die Doppelnatur der Infrastrukturabgabe.335 Anknüpfend an die Abga‑ bepflicht ab Fahrzeugzulassung müssen Halter von in Deutschland zugelas‑ senen Kraftfahrzeugen nach § 7 Abs. 1 InfrAG stets die Infrastrukturabgabe für ein Jahr entrichten, wohingegen den Haltern und Führern von Ausland zugelassenen Kraftfahrzeugen nach § 7 Abs. 2 InfrAG mehrere Vignettenar‑ ten mit unterschiedlich langer Geltungsdauer zur Verfügung stehen. dd) Weitere Ungleichbehandlungen im Infrastrukturabgabengesetz Die weiteren Ungleichbehandlungen im Infrastrukturabgabengesetz, die sich in den § 3 Satz 1 und 2, § 5 Abs. 1 Satz 3 bis 5 und § 6 Abs. 3 bis 5 InfrAG finden, sind lediglich Folgen der dargestellten Grundentscheidungen des Gesetzgebers im Infrastrukturabgabengesetz und deshalb nur in Abhän‑ gigkeit davon gleichheitsrechtlich zu beurteilen.336 ee) Einbeziehung der Kraftfahrzeugführer in die Ungleichbehandlung Sämtliche Ungleichbehandlungen im Infrastrukturabgabengesetz werden zwischen den Haltern von in Deutschland und im Ausland zugelassenen Kraftfahrzeugen getroffen. Bei Kraftfahrzeugen, die nicht in Deutschland 334  A. A. wohl Brandt, Ausarbeitung zur Infrastrukturabgabe, S. 8 f., unter Verweis auf die Entlastung durch § 9 Abs. 6 KraftStG, die fast ausschließlich Deutschen zugu‑ tekommt. Hier soll aber zunächst nur das Infrastrukturabgabengesetz ohne die Ände‑ rung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes betrachtet werden. 335  Zur Doppelnatur s. im 1. Teil unter B. VI. 3.; vgl. auch Reimer, DVBl. 2015, 1405 (1410); Hartmann, Pkw-Maut, S. 22. 336  Vgl. Reimer, DVBl. 2015, 1405 (1410); BT-Drs. 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 27.

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2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

zugelassen sind, sind nach § 3 Satz 1 InfrAG Kraftfahrzeughalter und -führer Schuldner der Infrastrukturabgabe. Die Halter deutscher und ausländischer Kraftfahrzeuge können zu einer Obergruppe der Kraftfahrzeughalter zusam‑ mengefasst werden. Beide Gruppen sind (potenzielle) Schuldner der Infra‑ strukturabgabe und die Fahrzeuge beider Gruppen können zum Befahren deutscher Straßen genutzt werden. In Bezug darauf sind beide Gruppen als wesentlich gleich anzusehen. Beide eben genannten Aspekte treffen aber auch auf die Führer von Kraftfahrzeugen zu, die im Ausland zugelassen sind. Der Unterschied, dass Halter – im Gegensatz zu bloßen Kraftfahrzeugfüh‑ rern – in der Regel als Eigentümer die Lasten aus dem Betrieb des Kraftfahr‑ zeugs tragen müssen,337 ist für die Belange des Infrastrukturabgabengesetzes mit Blick auf Führer ausländischer Kraftfahrzeuge nicht gegeben. Auch Führer im Ausland zugelassener Kraftfahrzeuge schulden die Infrastrukturab‑ gabe, sodass insoweit die beiden Gruppen – Halter und Führer von Kraft‑ fahrzeugen – ebenfalls als wesentlich gleich anzusehen sind. Die ungleiche Behandlung der Halter von Kraftfahrzeugen, die in Deutschland zugelassen sind, bezieht sich also auf die Halter und auf die Führer von Kraftfahrzeu‑ gen, die im Ausland zugelassen sind, sofern diese der Infrastrukturabgabe‑ pflicht unterfallen. ff) Zwischenergebnis Insgesamt werden damit im Infrastrukturabgabengesetz Halter in Deutsch‑ land zugelassener Kraftfahrzeuge und Halter sowie Führer im Ausland zuge‑ lassener Kraftfahrzeuge in mehrerlei Hinsicht ungleich behandelt, nämlich in Bezug auf die unterschiedliche Höhe der Infrastrukturabgabe innerhalb der einzelnen Vignettenarten, die unterschiedlichen Geltungsbereiche der Vignet‑ ten sowie in Bezug auf den unterschiedlichen Zeitpunkt der Entstehung der Abgabenpflicht und dem verpflichtenden Erwerb einer Jahresvignette. c) Rechtfertigung der Ungleichbehandlungen und Typisierungen Die unterschiedliche Behandlung der Halter und Führer im Infrastruktur‑ abgabengesetz bedarf einer Rechtfertigung, damit die Regelungen nicht ge‑ gen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen.

337  Siehe

dazu auch in diesem Teil unter B. I. 2. b).



B. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 173

aa) Prüfungsmaßstab Die Anforderungen an die Rechtfertigung reichen dabei von einer bloßen Willkürprüfung bis hin zu einer strengen Bindung an den Verhältnismäßig‑ keitsgrundsatz.338 So ist die Bindung vor allem bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen deutlich enger als in den Fällen, in denen lediglich Sachverhalte ungleich behandelt werden.339 Bei personenbezogenen Un‑ gleichbehandlungen müssen Gründe von solcher Art und solchem Gewicht vorliegen, die die ungleiche Behandlung rechtfertigen können.340 Betrachtet man zunächst die Situation, so scheinen wegen der Differenzie‑ rung nach dem Ort der Zulassung eines Kraftfahrzeugs nur Sachverhalte unterschiedlich behandelt zu werden. Allerdings ist zu beachten, dass der Ort der Zulassung nach § 6 Abs. 1 Satz 1, § 46 Abs. 2 Satz 1 FZV an den Wohn‑ ort des Halters geknüpft ist und somit doch ein Personenbezug bei der Un‑ gleichbehandlung besteht. Legt man den eben dargelegten Maßstab auf die Ungleichbehandlungen im Infrastrukturabgabengesetz an, wird deutlich, dass hier – angesichts der personenbezogenen Ungleichbehandlungen – ein erhöh‑ ter Rechtfertigungsbedarf besteht. bb) Unterschiede bei den Vignettenpreisen Für die unterschiedlichen Vignettenpreise trotz gleicher Vignettenart muss ein sachlicher Grund vorliegen. Ein solcher sachlicher Grund können unter‑ schiedliche hohe Kosten je nach eingesetztem Kraftfahrzeug sein.341 Eine Differenzierung bei den Vignettenpreisen innerhalb einer Vignettenart kann jedenfalls nicht mit unterschiedliche hohen Verwaltungs- und Kontrollkosten gerechtfertigt werden, da diese für alle Kraftfahrzeuge innerhalb einer Vig‑ nettenart gleich hoch sind. Die Kosten, die durch die Abnutzung der Straßen entstehen, könnten bei unterschiedlichen Kraftfahrzeugen trotz gleicher Nutzungszeit unterschied­ 338  BVerfG,

Beschl. v. 26.1.1993, 1 BvL 38 / 92 u. a., BVerfGE 88, 87 (96 f.). auch zu den anderen Fällen einer strengeren Bindung BVerfG, Beschl. v. 26.1.1993, 1  BvL 38 / 92 u. a., BVerfGE 88, 87 (96); BVerfG, Beschl. v. 24.3.2015, 1 BvR 2880 / 11, BVerfGE 139, 1 (13 Rn. 39). Zu den Rechtfertigungsanforderungen bei Ungleichbehandlungen von Sachverhalten BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006, 1 BvR 1484 / 99, BVerfGE 115, 381 (389). 340  Vgl. die neue Formel seit BVerfG v. 7.10.1980, BVerfGE 55, 72 (88); überdies BVerfG, Beschl. v. 26.1.1993, 1 BvL 38 / 92 u. a., BVerfGE 88, 87 (97). 341  Allgemein BVerfG, Urt. v. 19.3.2003, 2 BvL 9 / 98 u. a., BVerfGE 108, 1 (18 f.); BVerwG, Urt. v. 26.1.1993, 1  C 33 / 89, BVerwGE 92, 24 (26); BVerwG, Urt. v. 18.3.2004, 3  C 24 / 03, BVerwGE 120, 227 (232); BVerwG, Urt. v. 15.12.2010, 6  C 10 / 09, NVwZ 2011, 1272 (1275). 339  Siehe

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2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

liche Vignettenpreise rechtfertigen. Für die Straßenabnutzung ist die Achslast des jeweiligen Kraftfahrzeugs entscheidend.342 Bei den Vignettenpreisen der Infrastrukturabgabe wird aber nicht nach dem Gewicht oder der Achslast, sondern nur nach den Eigenschaften des Motors der Kraftfahrzeuge differen‑ ziert, sodass nicht zwangsläufig für schwerere Kraftfahrzeuge auch eine hö‑ here Infrastrukturabgabe zu zahlen ist. Damit scheiden höhere Straßenabnut‑ zungskosten als Rechtfertigungsgrund für die Differenzierung bei den Vig‑ nettenpreisen aus. Auch der Nutzungsvorteil ist innerhalb der jeweiligen ­Vignettenart genau gleich hoch und deshalb ebenfalls kein geeignetes Diffe‑ renzierungskriterium. Letztlich bleibt als einzig möglicher Rechtfertigungsgrund eine beabsich‑ tigte ökologische Lenkungswirkung.343 Das Bundesverfassungsgericht er‑ kennt auch eine Verhaltenslenkung als sachlichen Grund für die Bemessung einer Vorzugslast an.344 Hier kann eine solche Lenkung bei allen Vignetten‑ arten dadurch erreicht werden, dass für besonders schadstoffarme Kraftfahr‑ zeuge, die zudem einen geringen Hubraum aufweisen, innerhalb jeder Vig‑ nettenart ein deutlich niedrigerer Preis zu zahlen ist, als für Kraftfahrzeuge mit höherem Schadstoffausstoß und größerem Hubraum. So werden jeden‑ falls bei den Zehntagesvignetten aus Lenkungsgründen wohl in den beiden günstigsten Stufen die Vignetten zu einem nicht kostendeckenden Preis ange‑ boten.345 In den teuersten Stufen übersteigen die Vignettenpreise aus Len‑ kungsgründen sowohl die Kosten als auch den individuellen Nutzungsvorteil aus der Straßenbenutzung, auch wenn die individuellen Kosten und der Nutzungsvorteil nur schwer zu bestimmen sind. Insgesamt wird die ökologische Lenkungswirkung stärker, wenn die Preis‑ spreizung innerhalb einer Vignettenart größer wird. Je größer der Preisunter‑ schied innerhalb einer Vignettenart ist, umso eher wird dadurch eine Verhal‑ tensänderung bewirkt. Das bedeutet, dass die Vignettenpreise insoweit geeig‑ net und erforderlich sind. Letztlich müssen sie auch angemessen sein. Bei einer Vorzugslast wie der Infrastrukturabgabe, bei der – nach der gesetzgebe‑ rischen Intention – die Erzielung von Einnahmen zur Kostendeckung346 der 342  Vgl. Stock / Bernecker, Verkehrsökonomie, S. 122; Schrage, Straßenmaut, S.  144 m. w. N. 343  BT-Drs. 18 / 11237 v. 20.2.2017, S. 2. 344  BVerfG, Beschl. v. 6.2.1979, 2  BvL 5 / 79, BVerfGE 50, 217 (226 f.); BVerfG, Urt. v. 19.3.2003, 2  BvL 9 / 98 u. a., BVerfGE 108, 1 (18); BVerfG, Beschl. v. 25.6.2014, 1 BvR 668 / 10 u. a., BVerfGE 137, 1 (20 f. Rn. 49). 345  Siehe dazu in diesem Teil unter B. I. 3. c) dd). 346  Für eine vorrangige Orientierung der Höhe der Vorzugslast an den Kosten der Leistung BVerfG, Beschl. v. 6.2.1979, 2 BvL 5 / 76, BVerfGE 50, 217 (227); vgl. auch BVerfG, Urt., v. 19.3.2003, 2 BvL 9 / 98 u. a., BVerfGE 108, 1 (19).



B. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 175

Hauptzweck sein soll,347 darf die Erreichung des Lenkungszwecks nicht im Vordergrund stehen. Ansonsten würde die Infrastrukturabgabe zu einer Vor‑ zugslast mit Lenkungswirkung.348 Es ist allerdings aufgrund der Preisgestal‑ tung davon auszugehen, dass die Lenkungswirkung insoweit nur eine geringe Belastung über die Kosten und die Vorteile hinaus mit sich bringt. Daher muss auch die Differenzierung in der Höhe der Infrastrukturabgabe im Ver‑ gleich der einzelnen Vignettenpreise untereinander als verhältnismäßig ange‑ sehen werden. Dies gilt umso mehr, als ein rechnerischer Tagespreis von 2,50 Euro für die Straßenbenutzung bereits für sich gesehen verhältnismäßig ist.349 Wenn aber durch die Preisgestaltung ein Lenkungseffekt erzielt wird, der rechnerische Tagespreis die noch angemessenen 2,50 Euro nicht über‑ steigt und die Deckung der Kosten im Vordergrund steht, so sind auch die unterschiedlichen Vignettenpreise innerhalb der einzelnen Vignettenarten angemessen. Daher sind die unterschiedlichen Vignettenpreise innerhalb einer Vignet‑ tenart trotz gleichbleibender öffentlicher Leistung gerechtfertigt und versto‑ ßen nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. cc) Differenzierung beim Geltungsbereich Für die Differenzierung hinsichtlich des räumlichen Geltungsbereichs der Infrastrukturabgabe, die in § 1 Abs. 1 und Abs. 2 InfrAG getroffen wird, gibt die Begründung der Bundesregierung zum Gesetzentwurf zwei Gründe an: Danach sollen durch die Beschränkung der Abgabepflicht auf Autobahnen nach § 1 Abs. 2 InfrAG für Halter und Führer von Kraftfahrzeugen, die im Ausland zugelassen sind, Beeinträchtigungen des grenzüberschreitenden Ver‑ kehrs in Grenzregionen (sog. kleiner Grenzverkehr) vermieden werden. Überdies führt die Bundesregierung eine Reduzierung des Kontrollaufwands als Grund an, da sich die Überwachung der Abgabepflicht auf Autobahnen beschränken könne.350 (1) Beeinträchtigung des kleinen Grenzverkehrs Philipp Reimer meint, dass sich in der Ausnahme des § 1 Abs. 2 InfrAG widerspiegele, dass Halter und Führer im Ausland zugelassener Kraftfahr‑ zeuge – im Gegensatz zu den Haltern in Deutschland zugelassener Kraftfahr‑ 347  Siehe

im 1. Teil unter B. IV. 1. b) und VI. zu Lenkungssteuern im 1. Teil unter B. II. 1. c), zur Zulässigkeit von Len‑ kungsgebühren siehe die Nachweise in Fn. 265 im 1. Teil unter B. V. 1. c). 349  Dazu ausführlich in diesem Teil unter B. I. 3. c) dd). 350  BT-Drs. 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 24. 348  Vgl.

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2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

zeuge – ohne größere Beeinträchtigungen auf die Benutzung deutscher Stra‑ ßen verzichten könnten.351 Durch die Regelung in § 1 Abs. 2 InfrAG könnten diese Halter und Führer immerhin die meisten deutschen Straßen ohne Zah‑ lung einer Gebühr nutzen. In dieser Interpretation ist ihm zuzustimmen, da bei einer umfassenden Erhebung auf allen Bundesfernstraßen erhebliche Auswirkungen auf den kleinen Grenzverkehr und damit auf die Wirtschaft in grenznahen Regionen befürchtet wurden.352 Durch die Beschränkungen der Infrastrukturabgabepflicht für Halter und Führer im Ausland zugelassener Kraftfahrzeuge auf Bundesautobahnen werden die Auswirkungen deutlich gemildert, da für den kleinen Grenzverkehr sämtliche Straßen – bis auf die Bundesauto­bahnen – abgabenfrei zur Verfügung stehen. Darin liegt ein we‑ sentlicher Unterschied zu Haltern, deren Kraftfahrzeuge in Deutschland zu‑ gelassen sind. Sie können aufgrund ihres Wohnsitzes kaum – oder nur mit erheblichem Zeitaufwand – auf die Benutzung von Bundesfernstraßen ver‑ zichten, um Ziele in ihrem Wohnsitzland Deutschland zu erreichen. (2) Reduzierung der Kontrollen Auch die Reduzierung des Kontrollaufwands ist ein stichhaltiger Grund, der die Differenzierung zwischen Haltern und Führern nach dem Zulassungs‑ ort des Fahrzeugs rechtfertigen kann. Die Überwachung der Einhaltung der Infrastrukturabgabepflicht kann sich auf die rund 13 000 Kilometer an Bun‑ desautobahnen353 beschränken: Halter von in Deutschland zugelassenen Kraftfahrzeugen haben entweder mit Beginn der Abgabenerhebung nach § 5 Abs. 2 Satz 3 und 4, Satz 1 Nr. 1 InfrAG oder mit Zulassung des Kraftfahr‑ zeugs in Deutschland nach § 5 Abs. 2 Satz 3 und 4, Satz 1 Nr. 2, § 9 Abs. 3 Satz 1 InfrAG ein SEPA-Lastschriftmandat zum Einzug der Infrastrukturab‑ gabe zu erteilen.354 So kann sich die Kontrolle bei Haltern, deren Kraftfahr‑ zeuge in Deutschland zugelassen sind, im Wesentlichen auf einen Abgleich der vorliegenden SEPA-Lastschriftmandate mit den Daten aus dem Infra‑ strukturabgaberegister beschränken, die die Infrastrukturabgabebehörde nach § 6 Abs. 7 Satz 1 InfrAG abrufen darf.355 Lediglich in den Fällen, in denen das Konto nicht gedeckt ist und eine Rücklastschrift erfolgt, muss die Infra‑ strukturabgabebehörde nach den Vorschriften des Verwaltungsvollstreckungs‑ 351  Reimer,

DVBl. 2015, 1405 (1410). nur BR-Drs. 648 / 14(B) v. 6.2.2015, S. 8; von Lojewski / Wohltmann / Fuchs, Ausschuss-Drs. 18(15)193-B, S. 4. 353  Destatis, Verkehrsmittelbestand und Infrastruktur, https: /  / www.destatis.de /  DE / ZahlenFakten / Wirtschaftsbereiche / TransportVerkehr / UnternehmenInfrastruktur‑ Fahrzeugbestand / Tabellen / Verkehrsinfrastruktur.html (zuletzt abgerufen am 7.2.2018). 354  BT-Drs. 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 24. 355  Vgl. BT-Drs. 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 35. 352  Vgl.



B. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 177

gesetzes und der Abgabenordnung die Infrastrukturabgabe als öffentlichrechtliche Geldforderung eintreiben.356 Sofern die Infrastrukturabgabe dann weiterhin uneinbringlich ist, kann sie bei der Zulassungsbehörde nach § 9 Abs. 6 Satz 1 InfrAG die Abmeldung des Kraftfahrzeugs von Amts wegen beantragen. Erst in diesen Fällen entsteht also ein erhöhter Verwaltungsauf‑ wand. Dehnte man die Abgabepflicht für Halter und Führer von Kraftfahrzeugen, die nicht in Deutschland zugelassen sind, auch auf Bundesstraßen aus, müsste die Einhaltung der Abgabepflicht auch auf weiteren 40 000 Kilometern an deutschen Straßen357 kontrolliert werden. Eine solche Kontrolle wäre mit einem deutlich erhöhten Aufwand an personellen und sächlichen Mitteln, vor allem beim BAG, verbunden.358 (3) Ausdehnung der Abgabenpflicht auf Bundesstraßen Abgesehen davon ist es nach § 2 Abs. 3 InfrAG durch eine Rechtsverord‑ nung der Bundesregierung in Einzelfällen möglich, die Infrastrukturabgabe‑ pflicht auf bestimmte Streckenabschnitte von Bundesstraßen auch für Halter und Führer von Kraftfahrzeugen, die im Ausland zugelassen sind, auszudeh‑ nen.359 Zur Vermeidung von Ausweichverkehren oder der Verkehrssicherheit kann die Ungleichbehandlung dadurch teilweise beseitigt werden. (4) Benachteiligung durch die Ungleichbehandlung Die vorgenannte Ungleichbehandlung benachteiligt Halter in Deutschland zugelassener Kraftfahrzeuge aber dann nicht, wenn gleichzeitig die Ver‑ pflichtung zum Erwerb einer Jahresvignette nach § 7 Abs. 1 Satz 1 InfrAG – und damit die Erhebung als Beitrag – vor Art. 3 Abs. 1 GG gerechtfertigt werden kann. In diesem Fall ist die Reichweite der Infrastrukturabgabepflicht für Halter von in Deutschland zugelassenen Kraftfahrzeugen unerheblich, da es trotz unterschiedlicher Reichweite der Abgabenpflicht keine Unterschiede bei der Höhe der Jahresvignette nach Abs. 1 Nr. 3 der Anlage zu § 8 InfrAG gibt. Sofern keine Benachteiligung vorliegt, muss auch die Problematik des 356  Vgl.

BT-Drs. 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 35; § 1 Abs. 1, §§ 4, 5 Abs. 1 VwVG. Verkehrsmittelbestand und Infrastruktur, https: /  / www.destatis.de /  DE / ZahlenFakten / Wirtschaftsbereiche / TransportVerkehr / UnternehmenInfrastruktur‑ Fahrzeugbestand / Tabellen / Verkehrsinfrastruktur.html (zuletzt abgerufen am 7.2.2018). 358  Vgl. dazu BRH, Bericht über die Infrastrukturabgabe, S. 20 ff., in dem die Kontrollmodelle, die das BAG für die Kontrolle der Infrastrukturabgabepflicht entwi‑ ckelt hat, aufgeführt sind. 359  BT-Drs. 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 26. 357  Destatis,

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2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

Zusammenhangs zwischen der Entlastung der Halter in Deutschland zugelas‑ sener Kraftfahrzeuge durch § 9 Abs. 6 KraftStG und der Einführung der In­ frastrukturabgabe an dieser Stelle nicht mehr thematisiert werden. Daher wird nun festgestellt, ob der verpflichtende Erwerb einer Jahresvignette ge‑ rechtfertigt ist. dd) Verpflichtender Erwerb der Jahresvignette (1) Gründe für die Ungleichbehandlung Eine mögliche Rechtfertigung des verpflichtenden Erwerbs einer Jahres‑ vignette ab der Zulassung des Fahrzeugs in Deutschland bzw. ab dem Be‑ ginn der Abgabenerhebung (§ 5 Abs. 2, § 7 Abs. 1 InfrAG) kann in einer Verwaltungsvereinfachung liegen, die durch eine Typisierung erreicht wird.360 Durch eine Typisierung werden bei Massenerscheinungen des täg­ lichen Lebens weitgehend gleich geartete Sachverhalte einheitlich – anhand des typischen Leitbildes – geregelt, ohne dabei auf die Besonderheiten des Einzelfalls Rücksicht zu nehmen.361 Angesichts einer Zahl von rund 45 Mio. Personenkraftwagen, die in Deutschland zugelassen sind,362 ist in der Erhe‑ bung der Infrastrukturabgabe eine Massenerscheinung zu sehen, da nament‑ lich eine entsprechende Zahl von Infrastrukturabgabebescheiden nach § 5 Abs. 1 Satz 3 InfrAG erlassen werden muss.363 Die Typisierung ist darin zu sehen, dass alle in Deutschland zugelassenen Kraftfahrzeuge wenigstens einmal pro Jahr auf einer Bundesfernstraße benutzt werden.364 Der gleiche Grund wird – unter Berücksichtigung des dichten Bundesfernstraßennet‑ zes – als Rechtfertigung auch für den Zwang zum Erwerb einer Jahresvig‑ nette angeführt.365 Nachvollziehbar ist, dass bereits mit Zulassung bzw. mit 360  BVerfG, Beschl. v. 16.12.1958, 1 BvL 3 / 57 u. a., BVerfGE 9, 20 (32); BVerfG, Beschl. v. 21.4.1964, 2  BvR 203 / 62 u. a., BVerfGE 17, 337 (354); BVerwG, Urt. v. 15.7.1988, 7 C 5 / 87, BVerwGE 80, 36 (38); Kischel, in: BeckOK GG, Art. 3 Rn. 122; vgl. auch BVerfG, Urt. v. 24.1.1962, 1 BvR 845 / 58, BVerfGE 13, 331 (341). 361  Siehe nur BVerfG, Beschl. v. 6.7.2010, 2  BvL 13 / 09, BVerfGE 126, 268 (278 f.) m. w. N. Die Typisierung ermöglichte in diesen Fällen auch den vollautomati‑ schen Erlass der entsprechenden Verwaltungsakte nach § 35a VwVfG, falls eine Er‑ mächtigung dafür in das Infrastrukturabgabengesetz eingefügt werden würde. 362  KBA, Zahlen zum 1. Januar 2017 im Überblick, http: /  / www.kba.de / DE / Statis tik / Fahrzeuge / Bestand / bestand_node.html (zuletzt abgerufen am 7.2.2018). 363  Allgemein BVerfG, Beschl. v. 25.6.2014, 1 BvR 668 / 10 u. a., BVerfGE 137, 1 (21 Rn. 50). 364  BT-Drs. 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 18. 365  Das verkennt Reimer, DVBl. 2015, 1405 (1410), da er BT-Drs. 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 18, übersieht. Zur Zulässigkeit dieser Typisierung s. sogl. in diesem Teil unter B. I. 4. c) dd).



B. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 179

Beginn der Abgabenerhebung nach § 5 Abs. 2 InfrAG von allen Haltern, deren Kraftfahrzeuge in Deutschland zugelassen sind, die Infrastrukturab‑ gabe entrichtet werden muss, da mit rund 99 % der deutschen Kraftfahr‑ zeuge mindestens einmal im Jahr Bundesfernstraßen benutzt werden.366 Diese Typisierung führt zu einer erheblichen Verwaltungsvereinfachung, da die Infrastrukturabgabe bei Haltern von Kraftfahrzeugen, die in Deutschland zugelassen sind, weitestgehend in einem automatisierten Verfahren erhoben werden kann.367 Als weiteren stichhaltigen Grund für die Ungleichbehandlung führt Friede‑ mann Kainer die Vermeidung von Verkehrsverlagerungen an, die in hohem Maße drohten, wenn auch Halter deutscher Kraftfahrzeuge erst bei Benut‑ zung einer Bundesfernstraße die Infrastrukturabgabe entrichten müssten.368 In diesem Fall versuchten gerade diejenigen, die ohnehin nur selten Autobah‑ nen oder Bundesstraßen benutzen, diese durch ein Ausweichen auf Landoder Kommunalstraßen zu umgehen und so die Abgabenpflicht zu vermeiden. Der Anreiz zur Verkehrsverlagerung durch die Erstattungsmöglichkeit in § 10 Abs. 2 Satz 3 InfrAG, keine Bundesfernstraßen mehr zu nutzen, ist deutlich geringer, da der Halter des Kraftfahrzeugs glaubhaft machen muss, dass keine abgabepflichtigen Straßen genutzt wurden. Im anderen Fall müsste das BAG durch eine Überwachung nachweisen, dass abgabenpflichtige Stra‑ ßen mit Kraftfahrzeugen, die in Deutschland zugelassen sind, benutzt wur‑ den. Das würde gleichzeitig zu einem massiv erhöhten Kontrollaufwand auch auf Bundesstraßen führen und der beabsichtigten Verwaltungsvereinfa‑ chung zuwiderlaufen. (2) Anforderungen an die Typisierung Die Typisierung erscheint im Hinblick auf die verpflichtende Jahresvig‑ nette für Halter von deutschen Kraftfahrzeugen und damit die Höhe des Beitrags grob und ungenau, da ungeklärt ist, wie hoch der Anteil derjenigen ist, die aufgrund ihres tatsächlichen Straßenbenutzungsverhaltens tatsächlich eine Jahresvignette benötigt hätten. Aus der Gleichbehandlung von Unglei‑ chem369 scheiden aber diejenigen aus, die im Geltungsjahr der Vignette gar keine abgabenpflichtige Straße benutzt haben, da sie nach § 10 Abs. 2 Satz 3, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 InfrAG die Erstattung der Infrastrukturabgabe beantragen 366  IVV

GmbH, Ausschuss-Drs. 18(15)193-G, S. 2. DVBl. 2015, 1405 (1410). 368  Kainer, Stellungnahme Bundestag 2017, S. 6. 369  Kischel, in: BeckOK GG, Art. 3 Rn. 123.1; Kempny / Reimer, Die Gleichheits‑ sätze, S. 126; Weyreuther, DÖV 1997, 521 (523). 367  Reimer,

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2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

können.370 Es verbleiben damit diejenigen Halter deutscher Kraftfahrzeuge, die Bundesfernstraßen in einem Umfang nutzen, dass der Erwerb einer Jah‑ resvignette nicht wirtschaftlich erscheint. Diese grobe Typisierung ist den‑ noch nicht generell gleichheitswidrig. Sie ist dann unzulässig, wenn sich der Gesetzgeber nicht mehr am Regelfall orientiert hat und die Typisierung damit nicht mehr realitätsgerecht erscheint.371 Unzulässig ist die Typisierung ferner dann, wenn die durch sie entstehenden Nachteile in keinem angemessenen Verhältnis zu den Vorteilen stehen.372 In diesem Zusammenhang ist maßgeb‑ lich darauf abzustellen, ob die entstehenden Härten ohne große Schwierig‑ keiten zu vermeiden sind, wobei auch dem Maß der Verwaltungsvereinfa‑ chung eine zentrale Bedeutung zukommt.373 Der Effekt der Verwaltungsver‑ einfachung durch die Typisierung muss aber auch erkennbar sein,374 darf also nicht nur behauptet werden. Daher muss die verfassungsrechtliche Zulässig‑ keit der Typisierung im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG in zwei Schritten be‑ stimmt werden. (3) Genauigkeit der Typisierung im Infrastrukturabgabengesetz Zweifelhaft könnte erscheinen, ob die Mehrzahl der Halter von Kraftfahr‑ zeugen i. S. d. § 1 Abs. 1 InfrAG, die in Deutschland zugelassen sind, tat‑ sächlich Jahresvignetten benötigt. Genau davon geht aber die Bundesregie‑ rung in der Begründung zum Entwurf für das Infrastrukturabgabengesetz aus.375 Das sehr dichte Bundesfernstraßennetz habe zur Folge, dass fast jeder Halter eines Personenkraftwagens oder Wohnmobils, der oder das in Deutsch‑ land zugelassen ist, Bundesfernstraßen nutze. Dieser Annahme ist zuzustim‑ men. Dabei wird aber nicht zwischen geringerer und häufiger Nutzung der Bundesfernstraßen differenziert, sodass mit dem verpflichtenden Erwerb der Jahresvignette eine einmalige Nutzung mit einer täglichen Nutzung gleichge‑ setzt wird. Angesichts eines Bundesfernstraßennetzes von rund 52 000 Kilo‑ 370  Allgemein zu Befreiungen und Ausnahmen bei Typisierung Weyreuther, DÖV 1997, 521 (525 ff.). 371  BVerfG, Beschl. v. 6.7.2010, 2  BvL 13 / 09, BVerfGE 126, 268 (279) m. w. N.; s. auch BVerfG, Urt. v. 17.12.2014, 1 BvL 21 / 12, BVerfGE 138, 136 (225 Rn. 226). 372  Für das Steuerrecht s. bereits BVerfG, Urt. v. 20.12.1966, 1 BvR 320 / 57 u. a., BVerfGE 21, 12 (27); BVerfG, Beschl. v. 23.6.2015, 1 BvL 13 / 11 u. a., BVerfGE 139, 285 (313 Rn. 77) m. w. N.; für das Recht der sonstigen Abgaben BVerfG, Beschl. v. 25.6.2014, 1 BvR 668 / 10 u. a., BVerfGE 137, 1 (21 Rn. 50). 373  BVerfG, Beschl. v. 16.12.1958, 1 BvL 3 / 57 u. a., BVerfGE 9, 20 (32); BVerfG, Beschl. v. 8.2.1983, 1  BvL 28 / 79, BVerfGE 63, 119 (128); BVerfG, Beschl. v. 8.10.1991, 1 BvL 50 / 06, BVerfGE 84, 348 (360). 374  BVerfG, Urt. v. 17.12.2014, 1  BvL 21 / 12, BVerfGE 138, 136 (233 Rn. 249); Kischel, in: BeckOK GG, Art. 3 Rn. 123.1. 375  BT-Drs. 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 18.



B. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 

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metern376 erscheint hier der gewählte typische Fall zumindest nicht realitäts‑ fern. Philipp Reimer geht davon aus, dass es typischerweise den Interessen der Halter entspreche, deren Kraftfahrzeuge in Deutschland zugelassen sind, sämtliche Bundesfernstraßen jederzeit nutzen zu dürfen.377 Bei näherer Betrachtung wird eine ungewisse Anzahl von Haltern, deren Kraftfahrzeuge in Deutschland zugelassen sind, durch die Typisierung mehr zahlen, als sie bei freier Auswahl der Vignetten zahlen müssten. Das Bundes‑ verfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang wiederholt entschieden, dass eine Typisierung nur verfassungsrechtlich zulässig ist, wenn die damit verbundene Ungleichbehandlung lediglich eine relativ kleine Zahl von Perso‑ nen betrifft.378 Abgesehen davon, dass eine „verhältnismäßig kleine Zahl“ eine äußerst ungenau Angabe darstellt und schon aus diesem Grund nicht praktikabel ist,379 führt eine solches Merkmal bei der Zulässigkeit der Typi‑ sierung nicht weiter. So kann auch bei der Betroffenheit einer nur sehr gerin‑ gen Zahl von Personen die Typisierung unzulässig sein, weil sie kaum eine Vereinfachung der Verwaltung mit sich bringt oder die Typisierung ohne großen Aufwand vermeidbar ist. Umgekehrt kann auch bei erheblichen Vor‑ teilen der Typisierung die Betroffenheit einer größeren Zahl von Personen gerechtfertigt werden.380 Die Grenze ist dabei aber stets eine realitätsgerechte Typisierung. Es erscheint daher zutreffend, die betroffene Personenzahl als einen Abwägungsfaktor in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzustellen, so‑ fern die Realitätsgerechtigkeit festgestellt worden ist. In der letztgenannten Entscheidung deutet das Bundesverfassungsgericht zumindest an, dass es sich bei relativ kleinen Zahl an Personen um einen Abwägungsfaktor bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung handelt.381

376  Destatis, Verkehrsmittelbestand und Infrastruktur, https: /  / www.destatis.de / DE /  ZahlenFakten / Wirtschaftsbereiche / TransportVerkehr / UnternehmenInfrastrukturFahr zeugbestand / Tabellen / Verkehrsinfrastruktur.html (zuletzt abgerufen am 7.2.2018). 377  Reimer, DVBl. 2015, 1405 (1410). 378  BVerfG, Beschl. v. 2.7.1969, 1 BvR 669 / 64, BVerfGE 26, 265 (275 f.); BVerfG, Beschl. v. 8.2.1983, 1  BvL 28 / 79, BVerfGE 63, 119 (128); BVerfG, Beschl. v. 8.10.1991, 1 BvL 50 / 06, BVerfGE 84, 348 (360); BVerfG, Beschl. v. 7.5.2013, 2 BvR 909 / 06 u. a., BVerfGE 133, 377 (413 Rn. 88). 379  So auch Weyreuther, DÖV 1997, 521 (525). 380  Vgl. BVerfG, Urt. v. 20.12.1966, 1 BvR 320 / 57, BVerfGE 21, 12 (27 f.); Weyreuther, DÖV 1997, 521 (524 f.). 381  BVerfG, Beschl. v. 7.5.2013, 2  BvR 909 / 06 u. a., BVerfGE 133, 377 (413 Rn. 88). Denn die „Vorteile der Typisierung müssen im rechten Verhältnis zu der mit ihr verbundenen Ungleichheit der steuerlichen Belastung stehen.“ Direkt im An‑ schluss folgt u. a. der Verweis auf die Betroffenheit einer relativ kleinen Zahl an Personen.

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2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

(4) Verhältnismäßigkeit der Typisierung Eine ungewisse Zahl an Haltern von Kraftfahrzeugen, die in Deutschland zugelassen sind, hätte keine Jahresvignette benötigt, sodass ein entsprechen‑ der Vorteil durch die Typisierung vorhanden sein muss, damit die Verhältnis‑ mäßigkeit gewahrt wird. Eine erhebliche Verwaltungsvereinfachung kann nur erreicht werden, wenn alle Betroffenen die gleiche Vignettenart erwerben müssen. Würde es den Haltern in Deutschland zugelassener Kraftfahrzeuge ermöglicht, auch Kurzzeitvignetten zu erwerben, so könnten keine automati‑ sche Erhebung der Infrastrukturabgabe und keine weitgehend automatische Überwachung der Einhaltung der Abgabepflicht mehr erfolgen. Vielmehr müsste dann jeder Erwerbsvorgang gesondert bearbeitet werden. Vor allem aber könnte eine Überwachung der Einhaltung der Abgabepflicht nicht mehr weitgehend automatisch382 – also ohne Vor-Ort-Kontrollen – erfolgen. Das führte auch zur Erhebung, Speicherung und Verarbeitung deutlich größerer Datenmengen im Rahmen der Überwachung der Einhaltung der Infrastruk‑ turabgabenpflicht. Durch den verpflichtenden Erwerb einer Jahresvignette steht bei Haltern deutscher Kraftfahrzeuge in nahezu allen Fällen fest, dass diese die Infrastrukturabgabe entrichtet haben, sodass deren Daten im Rah‑ men der Überwachung nahezu immer nach § 13 Abs. 3 InfrAG sofort wieder gelöscht werden können. Überdies müssen bei Vor-Ort-Kontrollen Fahrzeuge mit deutschem Kennzeichen nur in seltenen Fällen, nämlich bei der Nicht‑ zahlung der Infrastrukturabgabe, angehalten und überprüft werden.383 Wäre auch Haltern von Kraftfahrzeugen, die in Deutschland zugelassen sind, die Wahl der Vignette freigestellt, so müssten bei solchen Kontrollen alle Fahr‑ zeuge überprüft werden, da nicht ohne Weiteres feststünde, ob für den Zeit‑ raum der Straßenbenutzung die Infrastrukturabgabe entrichtet worden ist. Insgesamt ergibt sich durch den Zwang zum Erwerb einer Jahresvignette für Halter von Kraftfahrzeugen mit inländischer Zulassung nicht nur eine erhebliche Verwaltungsvereinfachung. Diese Regelung führt auch zu einer erheblichen Reduzierung der Überwachungsdichte. Das trägt auch und ge‑ rade vor dem Hintergrund des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG zur Verhältnismäßigkeit der daten‑ rechtlichen Regelungen des Infrastrukturabgabengesetzes bei.384 Schließlich wird die Nutzung der Bundesfernstraßen durch die meisten Halter von Kraft‑ fahrzeugen mit Zulassung in Deutschland am ehesten durch eine Jahresvig‑ nette abgedeckt. 382  BT-Drs. 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 33; Reimer, DVBl. 2015, 1405 (1410); s. dazu auch in diesem Teil unter B. I. 4. c) cc). 383  BT-Drs. 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 33. 384  Vgl. auch im 1. Teil unter A. II.



B. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 

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(5) Zwischenergebnis Gesteht man dem Gesetzgeber in komplexeren Fällen bei der Bestimmung des typischen Falls einen gewissen Spielraum zu,385 ist die vorliegende Typi‑ sierung nicht zu beanstanden. Eine tatsächliche Feststellung des Bedarfs an Jahresvignetten kann angesichts der Vielzahl der Faktoren, die bei der Be‑ rechnung einbezogen werden müssten, nicht verlangt werden. Kaum zu be‑ stimmen dürfte insbesondere das Nutzungsverhalten der Halter inländischer Kraftfahrzeuge sein, da dieses für jeden Tag des Jahres ermittelt werden müsste. Angesichts der Länge des Bundesfernstraßennetzes, der Nähe des Wohnorts der meisten Deutschen zu einer Bundesfernstraße sowie einer durchschnittlichen Fahrleistung von Personenkraftwagen auf deutschen Stra‑ ßen von über 14 000 Kilometern pro Jahr386 stellt sich die Typisierung des Gesetzgebers insgesamt als realitätsgerecht dar. Daher ist m. E. nach die Ty‑ pisierung bei Haltern von Kraftfahrzeugen, die in Deutschland zugelassen sind, verhältnismäßig und gerechtfertigt. Sie verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Ob die Halter von Kraftfahrzeugen, die in Deutschland zugelassen sind, durch die eben geprüften Vorschriften überhaupt benachteiligt sind, und die Problematik des Zusammenhangs zwischen der Entlastung von Haltern deut‑ scher Kraftfahrzeuge bei der Kraftfahrzeugsteuer und der Einführung der Infrastrukturabgabe müssen daher nicht mehr erörtert werden.387 Durch die Rechtfertigung der Typisierung steht fest, dass Halter von in Deutschland zugelassenen Kraftfahrzeugen durch die Erhebung der In­ frastrukturabgabe auch auf Bundesstraßen nicht benachteiligt sind. Auf die Frage, warum Halter und Führer von im Ausland zugelassenen Kraftfahrzeu‑ gen ausschließlich für die Nutzung von Bundesautobahnen die Infrastruktur‑ abgabe in der gleichen Höhe wie Halter deutscher Kraftfahrzeuge zahlen müssen, wird im Rahmen der Prüfung der Vereinbarkeit des Infrastrukturab‑ gabengesetzes mit dem Unionsrecht zurückzukommen sein.388

385  BVerfG,

Urt. v. 17.12.2014, 1 BvL 21 / 12, BVerfGE 138, 136 (215 Rn. 198). Verkehr in Kilometern der deutschen Kraftfahrzeuge im Jahr 2016, http: /  / www.kba.de / DE / Statistik / Kraftverkehr / VerkehrKilometer / verkehr_in_kilo metern_node.html (zuletzt abgerufen am 7.2.2018). Der niedrigere Wert ergibt sich daraus, dass die Fahrleistung von ausländischen Pkw auf deutschen Straßen von der Gesamtfahrleistung subtrahiert werden muss. 387  Sie wird ausführlich im 3. Teil dieser Arbeit unter B. III. 1. mit Blick auf die Unionsrechtskonformität des Infrastrukturabgabengesetzes diskutiert. 388  Siehe im 3. Teil unter D. II. 2. c). 386  KBA,

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2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

ee) Fehlende Auswahl bei Vignetten Überprüft werden muss darüber hinaus, ob die Ungleichbehandlung, die durch die Typisierung für Halter deutscher Fahrzeuge im Vergleich zu Hal‑ tern und Führern ausländischer Kraftfahrzeuge entsteht, gerechtfertigt ist. Letztgenannte können nämlich gemäß § 7 Abs. 2 InfrAG zwischen drei Vig‑ nettenarten wählen und müssen die Infrastrukturabgabe nach § 5 Abs. 4 Satz 1 InfrAG erst bei der Benutzung einer Bundesautobahn entrichten. Bei näherer Betrachtung der Gründe für die Typisierung werden die Unter‑ schiede deutlich. Es entspricht nicht dem typischen Fall, dass Halter und Führer von Kraftfahrzeugen, die im Ausland zugelassen sind, so oft im Jahr deutsche Autobahnen nutzen, dass auch sie stets eine Jahresvignette benötig‑ ten.389 Halter und Führer ausländischer Kraftfahrzeuge werden das deutsche Bundesfernstraßennetz typischerweise nur in zeitlich begrenztem Umfang oder überwiegend gar nicht nutzen. Der Zwang zum Erwerb einer Jahresvig‑ nette wäre hier keinesfalls realitätsgerecht. Hinzu käme, dass ein Zwang zum Erwerb einer Jahresvignette für alle Halter von Kraftfahrzeugen, die im Aus‑ land zugelassen sind, einen völkerrechtlich unzulässigen Eingriff in die Sou‑ veränität anderer Staaten darstellte und mangels entsprechender Daten tat‑ sächlich nicht durchsetzbar wäre.390 Würde man dieser Gruppe alternativ nur eine Jahresvignette zur Verfügung stellen, bestünde zwar kein Zwang zum Erwerb einer Vignette für Halter und Führer von Kraftfahrzeugen mit Zulassung im Ausland. Dennoch hätte diese Gruppe letztlich nur die Wahl, eine Jahresvignette zu erwerben, um Bundes‑ autobahnen nutzen zu dürfen, oder auf die Nutzung gänzlich zu verzichten. Wenn aber typischerweise in dieser Gruppe viele Kurzzeitnutzungen der Bundesautobahnen vorliegen, entspricht es vielmehr der Realität für diese Gruppe, auch kürzer geltende Vignetten anzubieten. Wenn ein verpflichtender Erwerb einer Jahresvignette bei Haltern und Führern von Kraftfahrzeugen ausscheidet, die im Ausland zugelassen sind, und gleichzeitig nicht feststeht, ob und wann eine Benutzung von Bundesau‑ tobahnen erfolgt, kann das bloße Halten eines Kraftfahrzeugs in dieser Gruppe nicht als Begründung für die Infrastrukturabgabepflicht dienen. Die Infrastrukturabgabenpflicht kann bei Kraftfahrzeugen, die im Ausland zuge‑ lassen sind, auch aus den gerade genannten völkerrechtlichen und tatsäch­ lichen Gründen nicht an das Halten dieser Fahrzeuge angeknüpft werden. Pflichtbegründend kann bei dieser Gruppe nur die erste Benutzung einer ab‑ gabepflichtigen Straße sein, wie es § 5 Abs. 4 Satz 1 InfrAG normiert. auch Reimer, DVBl. 2015, 1405 (1410). dazu allgemein Selmer / Brodersen, in: Selmer / Brodersen / Nicolaysen, Straßenbenutzungsabgaben, S. 109. 389  So

390  Siehe



B. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 

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Daher ist diese Ungleichbehandlung von Haltern von Kraftfahrzeugen mit Zulassung in Deutschland gegenüber Haltern und Führern von Kraftfahrzeu‑ gen mit Zulassung im Ausland gerechtfertigt. ff) Weitere Ungleichbehandlungen im Infrastrukturabgabengesetz Aufgrund der Rechtfertigung der Typisierungen und Ungleichbehandlun‑ gen sind auch alle anderen Ungleichbehandlungen im Infrastrukturabgaben‑ gesetz, namentlich in § 3 Satz 1 und 2, § 5 Abs. 1 Satz 3 bis 5 und § 6 Abs. 3 bis 5 InfrAG, aus den gleichen Gründen gerechtfertigt.391 d) Ungleichbehandlung nach der Fahrzeugart Gleichheitsrelevanz können die unterschiedlichen Anwendungsbereiche des Infrastrukturabgabengesetzes392 und des Bundesfernstraßenmautgesetzes (BFStrMG)393 entfalten. So führte das Bundesfernstraßenmautgesetz bis zum Jahr 2015 dazu, dass Kraftfahrzeuge, die ausschließlich für die Beförderung von Gütern bestimmt sind, mit einem zulässigen Gesamtgewicht von unter 12 Tonnen nicht mit einer Maut für die Benutzung von Bundesfernstraßen belastet wurden.394 Durch eine Änderung des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BFStr­MG mit Wirkung vom 1. Juli 2015 ist diese Grenze inzwischen auf 7,5 Tonnen gesenkt worden.395 Durch § 1 Abs. 1 InfrAG wird nun sämtlichen Haltern von Personenkraftwagen mit bis zu neun Sitzplätzen – unabhängig vom Gewicht des Fahrzeugs396 – ebenfalls eine Abgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen auferlegt. Zwischen diesen beiden Gruppen gibt es aber bestimmte Kraftfahrzeuge, die nicht von einer dieser beiden Abgaben für die Benutzung von Bundes‑ fernstraßen erfasst werden: So sind zum Beispiel leichtere Lastkraftwagen Reimer, DVBl. 2015, 1405 (1410). S. 904. 393  Gesetz über die Erhebung von streckenbezogenen Gebühren für die Benutzung von Bundesautobahnen und Bundesstraßen (Bundesfernstraßenmautgesetz – BFStr­MG) v. 12.7.2011, BGBl. I S. 1378, mit spät. Änd. 394  Vgl. Fehling, ZG 2014, 305 (316). 395  Drittes Gesetz zur Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes v. 10.6.2015, BGBl. I S. 922. 396  Anders noch aufgrund eines Infopapiers des BMVI zur Infrastrukturabgabe im Juli 2014 Zabel, NVwZ 2015, 186 (186); Schmahl, in: FS Müller-Graff, S. 689 (690); Fehling, ZG 2014, 305 (305, 316). Unverständlich bleibt, warum Zabel, NVwZ 2015, 1241 (1242), und Hillgruber, DVBl. 2016, 73 (73), auch auf der Grundlage des ­In­frastrukturabgabengesetzes eine Gewichtsbeschränkung auf 3,5 Tonnen annehmen. Klarstellend Brandt, Ausarbeitung zur Infrastrukturabgabe, S. 8. 391  Ebenso

392  BGBl. I

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2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

der Klasse N1 und zum Teil auch der Klasse N2 nach Anhang II Teil A der Richtlinie 2007 / 46 / EG397 mit einem Gewicht von unter 7,5 Tonnen und auch Kraftomnibusse398 nach § 30d Abs. 1 StVZO399 weder von der LkwMaut noch von der Infrastrukturabgabe erfasst. Ein sachlicher Grund für diese Ungleichbehandlung ist zunächst nicht zu erkennen.400 aa) Leichte Lastkraftwagen Es erscheint angesichts eines gewichtsabhängigen Systems für Lastkraft‑ wagen folgerichtig, leichte Lastkraftwagen der Lkw-Maut zuzuordnen.401 Lastkraftwagen werden ab einem Gewicht von 3,5 Tonnen gem. Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 lit. d der Richtlinie 1999 / 62 / EG402 in der Fassung der Richtlinie 2006 / 38 / EG403 von den Vorgaben für die Erhebung von Vorzugs‑ lasten für die Straßenbenutzung erfasst. Leichte Lastkraftwagen müssten somit von der Lkw-Maut und nicht von der Infrastrukturabgabe erfasst werden, sodass die Problematik hinsichtlich der Ungleichbehandlung im Rahmen der Lkw-Maut an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden muss. bb) Busse Busse lassen sich zwar auf den ersten Blick der Gruppe der Personenkraft‑ wagen zuordnen. Nach der Definition in § 30d Abs. 1 StVZO sind Kraft­ omnibusse Kraftfahrzeuge zur Personenbeförderung mit mehr als acht Sitz‑ 397  Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraft‑ fahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge, ABl. EU L 263 v. 9.10.2007, S. 1. 398  Ausdrücklich werden Kraftomnibusse von der Lkw-Maut in § 1 Abs. 2 Nr. 1 BFStrMG ausgenommen. 399  Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) v. 26.4.2012, BGBl. I S. 679, mit spät. Änd. 400  So auch Fehling, ZG 2014, 305 (317). 401  So wohl auch Brandt, Ausarbeitung zur Infrastrukturabgabe, S. 6 f. Eine solche Folgerichtigkeit vermag Fehling, ZG 2014, 305 (317), nicht zu erkennen. Anders als hier auch Europäische Kommission, KOM(2012) 199 endg., S. 3. 402  Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 1999 über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge, ABl. EG L 187 v. 20.7.1999, S. 42. 403  Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2006 zur Änderung der Richtlinie 1999 / 62 / EG über die Erhebung von Gebühren für die Be‑ nutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge, ABl. EU L 157 v. 9.6.2006, S. 8.



B. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 

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plätzen außer dem Fahrersitz.404 Allerdings unterscheiden sie sich typischer‑ weise von anderen Personenkraftwagen durch ihr höheres Gewicht und die höhere Anzahl an gleichzeitig zu befördernden Personen. Bei der Infrastruk‑ turabgabe wird aber das Gewicht des Fahrzeugs und damit die Straßenbelas‑ tung nicht miteinbezogen, da diese bei Personenkraftwagen typischerweise gering ist. Wollte man diesen Aspekt bei Bussen ebenfalls berücksichtigen, so liegt eine Einbeziehung in die Lkw-Maut näher, da diese über die Achsen‑ zahl in § 3 Abs. 3 i. V. m. Anlage 1 BFStrMG die Straßenbelastung mit­ erfasst.405 Angesichts der Möglichkeit der Zuordnung von Bussen zu beiden Gruppen muss erörtert werden, ob der Gesetzgeber eine grundsätzliche Zu‑ ordnung getroffen hat. Dafür, dass der Gesetzgeber von einer Zuordnung von Bussen zur LkwMaut ausgeht, spricht die Vorschrift des § 1 Abs. 2 Nr. 1 BFStrMG. Danach ist für Kraftomnibusse die Maut nach § 1 Abs. 1 BFStrMG nicht zu entrich‑ ten. Zwar ist die Ausnahme von Bussen angesichts der Einschränkung in § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BFStrMG auf zum Güterverkehr bestimmte Fahrzeuge nur deklaratorischer Art.406 Ob der Befreiungstatbestand für Omnibusse im ursprünglichen Gesetzgebungsverfahren im Jahr 2001 nur versehentlich407 im Gesetz belassen wurde, geht aus den Gesetzgebungsmaterialien nicht hervor. Allerdings wurde seither § 1 des Autobahnmautgesetzes für schwere Nutzfahrzeuge (ABMG)408 mehrfach geändert409 sowie schließlich das ge‑ samte Gesetz aufgehoben und weitgehend in das Bundesfernstraßenmautge‑ setz410 überführt. Dabei und bei den Folgeänderungen des Bundesfernstra‑ ßenmautgesetzes411 blieb die Ausnahme für Kraftomnibusse stets unverän‑ 404  Vgl. auch die Begriffsbestimmung für die Klassen M und M im Anhang II 2 3 Teil A der Richtlinie 2007 / 46 / EG, ABl. EU L 187, S. 1. 405  Der Verkehrsausschuss und der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reak‑ torsicherheit des Bundesrates hatten im Jahr 2016 vorgeschlagen, die Lkw-Maut auch auf Fernbusse auszudehnen, da diese in hohem Maße Kosten für die Erhaltung der Bundesfernstraßen verursachten, BR-Drs. 281 / 1 / 16 v. 27.6.2016, S. 2 ff. 406  Ebenso Walter, Lkw-Maut, S. 255, zum insoweit gleichlautenden § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ABMG. Vgl. im Gegensatz dazu den Gesetzentwurf der Bundesregierung v. 1.10.2001, BT-Drs. 14 / 7013, S. 6, 12. Danach wären Omnibusse ohne Befreiungs‑ tatbestand der Lkw-Maut unterfallen. 407  So wohl Walter, Lkw-Maut, S. 255. 408  Gesetz über die Erhebung von streckenbezogenen Gebühren für die Benutzung von Bundesautobahnen mit schweren Nutzfahrzeugen i. d. F. d. Bek. v. 2.12.2004, BGBl. I S. 3122. 409  Gesetz v. 2.12.2004, BGBl. I S. 3120; Gesetz v. 17.8.2007, BGBl. I S. 1958; Gesetz v. 22.12.2008, BGBl. I S. 2967. 410  Gesetz v. 12.7.2011, BGBl. I S. 1378. 411  Gesetz v. 23.7.2013, BGBl. I S. 2550; Gesetz v. 23.12.2014, BGBl. I S. 2473; Gesetz v. 10.6.2015, BGBl. I S. 922.

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2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

dert, obwohl der Gesetzgeber zahlreiche Gelegenheiten hatte, diese Bestim‑ mung aufzuheben. Die für Busse nicht eindeutige Zuordnung zu Personen- oder Lastkraftwa‑ gen im Bereich der Vorzuglasten für die Straßenbenutzung ist aufgrund der vorgenannten Argumente zugunsten der Zuordnung zu Lastkraftwagen zu entscheiden.412 Der Ausschluss von Bussen aus dem System der Lkw-Maut ist somit ein gleichheitsrechtliches Problem im Bereich der Lkw-Maut und daher hier nicht weiter auszuführen. Hinsichtlich des Ausschlusses von kleineren Lastkraftwagen und Bussen aus der Infrastrukturabgabe ergeben sich somit keine gleichheitsrechtlichen Probleme. e) Ergebnis Da die Regelungen des Infrastrukturabgabengesetzes auch gleichheits‑ rechtlich gerechtfertigt sind, ist die Erhebung der Infrastrukturabgabe mit ihrer Doppelnatur als Beitrag und Gebühr auch nach Art. 3 Abs. 1 GG ver‑ fassungsrechtlich zulässig.

II. Vereinbarkeit mit sonstigem Verfassungsrecht Zum Abschluss der verfassungsrechtlichen Prüfung soll das Infrastruktur‑ abgabengesetz an den übrigen in Betracht kommenden Vorschriften des Grundgesetzes gemessen werden. 1. Verstoß gegen Art. 90 Abs. 3 GG Art. 90 Abs. 3 GG statuiert den Grundsatz, dass die Länder oder die nach Landesrecht zuständigen Selbstverwaltungskörperschaften die sonstigen Bun‑ desstraßen des Fernverkehrs im Auftrag des Bundes verwalten.413 Nach dem Grundgesetz darf der Bund also die Bundesstraßen nicht in bundeseigener Verwaltung führen, sondern muss diese Aufgabe den Ländern und den nach Landesrecht zuständigen Selbstverwaltungskörperschaften überlassen.414 Ein‑ 412  Vgl.

auch Europäische Kommission, KOM(2012) 199 endg., S. 3. GG wurde durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 13.7.2017, BGBl. I S. 2347, geändert. Der bisherige Absatz 2 wurde dadurch ohne die Erwähnung der Bundesautobahnen zu Absatz 3. Die Bundesverwaltung der Bundes‑ autobahnen wird nun im neuen Absatz 2 geregelt. 414  So auch BVerwG, Urt. v. 26.6.1981, 4 C 5 / 78, BVerwGE 62, 342 (344); Gröpl, in: Maunz / Dürig, GG-Komm., Art. 90 Rn. 55 (Stand d. Bearb.: März 2007). 413  Art. 90



B. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 

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zige Ausnahme von diesem Grundsatz ist, dass ein Land nach Art. 90 Abs. 4 GG beantragt, die Bundesstraßen für den Fernverkehr auf seinem Gebiet in bundeseigene Verwaltung zu übernehmen. Erfolgt dieser Antrag bis zum 31. Dezember 2018, muss der Bund nach Art. 143e Abs. 2 GG die sonstigen Bundesstraßen des Fernverkehrs mit Wirkung ab dem 1. Januar 2021 in bun‑ deseigene Verwaltung übernehmen. a) Ausführung des Infrastrukturabgabengesetzes Durch § 1 Abs. 1 InfrAG ist für die Benutzung von Bundesfernstraßen i. S. d. § 1 FStrG eine Abgabe zu entrichten. Bundesfernstraßen sind nach § 1 Abs. 2 FStrG sowohl Bundesautobahnen als auch Bundesstraßen mit Orts‑ durchfahrten. Insoweit betrifft also die Infrastrukturabgabe die sonstigen Bundesstraßen des Fernverkehrs, jedenfalls hinsichtlich der im Inland zuge‑ lassenen Kraftfahrzeuge. Hier führt der Bund das Infrastrukturabgabengesetz weitgehend nach Art. 87 Abs. 3 Satz  1 GG in eigener Verwaltung aus.415 In Bezug auf die Bundesautobahnen ist kein Verstoß gegen das Grundgesetz anzunehmen, da der Bund diese ohnehin nach Art. 90 Abs. 2 GG in Bundes‑ verwaltung führt. b) Reichweite der Bundesauftragsverwaltung in Art. 90 Abs. 3 GG Das Grundgesetz ordnet in Art. 90 Abs. 3 aber an, dass die sonstigen Bun‑ desfernstraßen im Bundesauftrag durch die Länder verwaltet werden. Zwar hat der Bund bei der Bundesauftragsverwaltung weitgehende Eingriffsmög‑ lichkeiten, insbesondere ein Weisungsrecht nach Art. 85 Abs. 3 GG.416 Das ändert allerdings nichts an der Landesverwaltung dieser Bundesstraßen.417 Auf den ersten Blick scheint das Infrastrukturabgabengesetz der Vorschrift des Art. 90 Abs. 3 GG zu widersprechen. Daher ist eine genauere Betrachtung des Art. 90 Abs. 3 GG erforderlich. Entscheidend ist dabei, wie weit die Bundesauftragsverwaltung im Bereich der sonstigen Bundesstraßen des Fernverkehrs (Bundesstraßen) verstanden wird. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts umfasst die Auftragsverwaltung die gesamte Bundesstraßenverwaltung, d. h. sowohl die Hoheitsverwaltung als auch die Vermögensverwaltung der Bundesstraßen.418 415  Siehe

in diesem Teil unter A. I. 4. a). dazu BVerfG, Urt. v. 3.7.2000, 2 BvG 1 / 96, BVerfGE 102, 167 (172). 417  BVerwG, Urt. v. 15.4.1977, IV C 3.74, BVerwGE 52, 226 (229); BVerwG, Urt. v. 26.6.1981, 4 C 5 / 78, BVerwGE 62, 342 (344). 418  BVerwG, Urt. v. 15.4.1977, IV C 3.74, BVerwGE 52, 226 (229); BVerwG, Urt. v. 26.6.1981, 4  C 5 / 78, BVerwGE 62, 342 (344). Zur Differenzierung zwischen 416  Vgl.

190

2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seinem Urteil vom 3. Juli 2000 der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts angeschlossen und gleich‑ zeitig die allgemein gehaltene Auslegung des Bundesverwaltungsgerichts präzisiert.419 Unter Berufung auf Richard Bartlsperger420 nannte es zahlreiche Beispiele für Aufgaben, die von der Bundesauftragsverwaltung des Art. 90 Abs. 3 GG umfasst sein sollen. So sollen auch Maßnahmen, die die Benut‑ zung und den Schutz der Bundesstraßen zum Gegenstand haben, davon um‑ fasst sein.421 Knüpft man an dieses Beispiel an, so könnte bei der Infrastrukturabgabe ein Fall des Art. 90 Abs. 3 GG vorliegen. Durch das Infrastrukturabgabenge‑ setz wird eine Voraussetzung für die Benutzung von Bundesfernstraßen auf‑ gestellt. Für die Benutzung von Bundesfernstraßen mit Fahrzeugen ist nach § 1 Abs. 1, § 5 Abs. 1 Satz 1 InfrAG die vorherige Zahlung einer Abgabe verpflichtend. Verstöße gegen diese Pflicht können gem. § 14 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 InfrAG mit einer Geldbuße geahndet werden. Eine Regelung der Be‑ nutzung von sonstigen Bundesstraßen des Fernverkehrs könnte damit bejaht werden. Dann aber müsste das Infrastrukturabgabengesetz zwingend nach Art. 90 Abs. 3 GG im Auftrag des Bundes von den Ländern ausgeführt wer‑ den. Gegen eine solch weite Auslegung der Bundesauftragsverwaltung in Art. 90 Abs. 3 GG spricht aber der Umstand, dass das Bundesverfassungsge‑ richt selbst die Reichweite dieser Vorschrift beschränkt hat:422 Art. 90 Abs. 3 GG korrespondiere mit der Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 3 GG.423 Die Verwaltung der Bundesstraßen durch die Länder im Auftrag des Bundes umfasst also nur die Gebiete, für die der Bund nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 3 GG die Gesetzgebungskompetenz hat. Das Infra‑ strukturabgabengesetz kann aber nur auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG als Gesetzgebungskompetenz gestützt werden.424 Wenn aber Art. 90 Abs. 3 GG als Verwaltungskompetenz mit der Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 3 GG korrespondiert, dann kann Art. 90 Abs. 3 GG nicht weiter ausgelegt werden als die entsprechende Gesetzgebungskompetenz. Überdies kann die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht ohne genaue Analyse der Quelle dieser Rechtsprechung verstanden werden. ­Hoheits- und Vermögensverwaltung Gröpl, in: Maunz / Dürig, GG-Komm., Art. 90 Rn. 46 (Stand d. Bearb.: März 2007). 419  2 BvG 1 / 96, BVerfGE 102, 167 (173). 420  Bartlsperger, in: BoKo GG, Art. 90 Rn. 63. 421  BVerfG, Urt. v. 3.7.2000, 2 BvG 1 / 96, BVerfGE 102, 167 (173). 422  BVerfG, Urt. v. 3.7.2000, 2 BvG 1 / 96, BVerfGE 102, 167 (174). 423  BVerfG, Urt. v. 3.7.2000, 2 BvG 1 / 96, BVerfGE 102, 167 (174). 424  Siehe oben in diesem Teil unter A. I. 2.



B. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 191

Richard Bartlsperger, auf den sich das Bundesverfassungsgericht bezieht, präzisiert das Beispiel der Benutzung und des Schutzes der Bundesfernstra‑ ßen durch einen Verweis auf § 2 und § 8 FStrG.425 Diese Vorschriften – in der Fassung im Jahr 1969 – sollen also dieses Beispiel näher erläutern. Im Wesentlichen hatten die Vorschriften der §§ 2 und  8 FStrG eine ähnliche Fassung wie heute: Seit 1961 regelt § 2 FStrG die Widmung, Umstufung und Einziehung von Bundesfernstraßen426 und § 8 FStrG seit Erlass des Gesetzes im Jahr 1953 die Sondernutzungen.427 Der Begriff der Benutzung soll sich offenbar nur auf den Gemeingebrauch und auf Sondernutzungen an Bundes‑ straßen beziehen. c) Ergebnis Der Gemeingebrauch an öffentlichen Straßen wird aber durch das In­ frastrukturabgabengesetz nicht tangiert. Die Straße bleibt weiterhin für jeder‑ mann nutzbar. Die sonstigen Bundesstraßen des Fernverkehrs dürfen auch mit Kraftfahrzeugen weiterhin befahren werden. Lediglich eine Modalität dieser Straßenbeutzung mit Kraftfahrzeugen wird durch das Infrastrukturab‑ gabengesetz geregelt. Zudem steht im Infrastrukturabgabengesetz nicht die Nutzung oder Nutzbarkeit der Straße im Vordergrund. Es geht vielmehr um die Erhebung einer Vorzugslast und die konkrete Ausgestaltung dieser Erhe‑ bung. Somit liegt weder eine Änderung des Bundesfernstraßengesetzes noch eine zu den §§ 2 und 8 FStrG vergleichbare Regelung vor. Trotz des auf den ersten Blick passenden Wortlauts des Art. 90 Abs. 3 GG verstößt das Infrastrukturabgabengesetz nicht gegen diese Vorschrift. Die weitgehende Ausführung des Infrastrukturabgabengesetzes durch den Bund in eigener Verwaltung gem. Art. 87 Abs. 3 Satz  1 GG stellt keinen Verstoß gegen Art. 90 Abs. 3 GG dar. 2. Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot für Verordnungsermächtigungen Das Bestimmtheitsgebot für Verordnungsermächtigungen in Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG besagt, dass Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächti‑ gung im Gesetz selbst geregelt werden müssen. § 2 Abs. 3 InfrAG enthält eine Regelung, die die Bundesregierung zum Erlass von Rechtsverordnungen ermächtigt. Überdies sehen die § 5 Abs. 4 Satz 3, § 9 Abs. 2 und § 10 Abs. 5 425  Bartlsperger,

in: BoKo GG, Art. 90 Rn. 63. v. 10.7.1961, BGBl. I S. 877. 427  BGBl. I S. 903. 426  Gesetz

192

2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

InfrAG Ermächtigungen für das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur zum Erlass von Rechtsverordnungen vor. a) Tatbestand des Art. 80 Abs. 1 Satz  2 GG Auf den ersten Blick scheint es, als dass die drei Merkmale Inhalt, Zweck und Ausmaß in Art. 80 Abs. 1 Satz  2 GG jeweils als eigenständige Begriffe zu verstehen sind. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht erstmals in seinem Beschluss vom 4. Februar 1975 festgestellt, dass sich die drei Be‑ griffe inhaltlich überschnitten und kaum voneinander abgrenzbar seien.428 Erst durch eine Gesamtbetrachtung ergäben diese ihren vollen Sinngehalt. Seit dieser Entscheidung tendiert das Bundesverfassungsgericht zu einer ge‑ meinsamen Prüfung der Merkmale des Art. 80 Abs. 1 Satz  2 GG,429 auch wenn in manchen Entscheidungen diese eigenständig geprüft werden.430 Unabhängig davon, ob eine gemeinsame oder eine getrennte Prüfung der drei Merkmale erfolgt, verwendet das Bundesverfassungsgericht als Konkre‑ tisierung der Merkmale des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG eine Kombination aus der sog. Selbstentscheidungs-, der Programm- und der Vorhersehbarkeitsfor‑ mel431: Das Parlament soll sich seiner Verantwortung als Gesetzgeber nicht dadurch entäußern können, dass es einen Teil der Gesetzgebungsmacht der Exekutive überträgt, ohne die Grenzen dieser Kompetenzen bedacht (Selbst‑ entscheidungsformel) und diese nach Tendenz und Programm so genau um‑ rissen zu haben (Programmformel), dass der Bürger schon aus der gesetz­ lichen Ermächtigung erkennen und vorhersehen kann, was ihm gegenüber zulässig sein soll und welchen möglichen Inhalt die aufgrund der Ermächti‑ gung erlassenen Verordnungen haben können (Vorhersehbarkeitsformel).432 Dabei hängen die Anforderungen an die Bestimmtheit der Verordnungser‑ mächtigung stets von der Intensität der Beeinträchtigung für den Betroffe‑ 428  BVerfG,

Beschl. v. 4.2.1975, 2 BvL 5 / 74, BVerfGE 38, 346 (357 f.). z. B. BVerfG, Beschl. v. 20.10.1981, 1  BvR 640 / 80, BVerfGE 58, 257 (277 ff.); BVerfG, Beschl. v. 8.6.1988, 2  BvL 9 / 85 u. a., BVerfGE 78, 249 (272 ff.); BVerfG, Beschl. v. 21.9.2016, 2 BvL 1 / 15, NJW 2016, 3648 (3652 Rn. 60 f.). 430  Vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.11.1991, 1  BvR 1469 / 86, BVerfGE 85, 97 (105 f.); BVerfG, Beschl. v. 18.7.2005, 2  BvF 2 / 01, BVerfGE 113, 167 (269 ff.). Für eine ei‑ genständige Prüfung plädiert auch Uhle, in: Gesetzgebung, § 24 Rn. 48 ff. 431  Zu diesen drei Formeln ausführlich Hasskarl, AöR 94 (1969), S. 85 (87 ff.); Bauer, in: Dreier, GG-Komm., Art. 80 Rn. 34. 432  Alle drei Formeln gehen auf Wolff, AöR 78 (1952), S. 194 (197 ff.), zurück. Auf ihn beruft sich das BVerfG im Beschl. v. 10.6.1953, 1  BvF 1 / 53, BVerfGE 2, 307 (334). Der hier zitierte Wortlaut wird erstmals in BVerfG, Beschl. v. 27.1.1976, 1 BvR 2325 / 73, BVerfGE 41, 251 (265 f.), verwendet. Siehe auch BVerfG, Beschl. v. 18.7.2005, 2  BvF 2 / 01, BVerfGE 113, 167 (269); BVerfG, Beschl. v. 21.9.2016, 2 BvL 1 / 15, NJW 2016, 3648 (3651 f. Rn. 54). 429  Siehe



B. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 193

nen433 sowie davon ab, ob es ein Regelungsbereich erfordert, stets schnell und effektiv auf dem aktuellen Stand gehalten zu werden.434 b) Verordnungsermächtigungen des Infrastrukturabgabengesetzes An diesen Maßstäben sind die Verordnungsermächtigungen des Infrastruk‑ turabgabengesetzes zu messen. Dabei wird deutlich, dass gerade § 2 Abs. 3 InfrAG eine Rechtsverordnung nur in einem sehr eng umgrenzten Bereich erlaubt, nämlich nur zur Festlegung von Bundesstraßen, auf denen abwei‑ chend von § 1 Abs. 2 InfrAG die Abgabepflicht gilt. Zudem werden dort als Zwecke die Vermeidung von Ausweichverkehren und die Gewährleistung der Sicherheit des Verkehrs genannt, zu denen die Verordnung erlassen werden darf. Insgesamt ist § 2 Abs. 3 InfrAG daher mit Art. 80 Abs. 1 Satz  2 GG vereinbar. § 10 Abs. 5 InfrAG erlaubt Regelungen des Erstattungsverfahrens bei der Infrastrukturabgabebehörde, über den Nachweis der Erstattungsvoraussetzun‑ gen sowie der Höhe der Gebühr bei der Erstattung. Dabei gibt § 10 Abs. 1 und 2 InfrAG die Erstattungsvoraussetzungen sowie § 10 Abs. 4 InfrAG die maximale Höhe der Erstattungsgebühr vor. Die wesentlichen Entscheidungen werden im Gesetz selbst getroffen. So lässt sich für den Bürger erkennen, welche Regelungen durch die Rechtsverordnung getroffen werden können. Durch die Rechtsverordnung werden die Grundentscheidungen des § 10 ­InfrAG nur konkretisiert, sodass auch diese Vorschrift Art. 80 Abs. 1 Satz  2 GG entspricht. Im Vergleich zu den gerade geprüften Vorschriften erscheinen die Verord‑ nungsermächtigungen in den § 5 Abs. 4 Satz 3 und § 9 Abs. 2 InfrAG recht unbestimmt.435 In § 5 Abs. 4 Satz 3 InfrAG wird die Regelung von Einzel‑ heiten zur Mitwirkung bei der Erhebung der Infrastrukturabgabe nach § 5 Abs. 4 Satz 2 InfrAG durch Rechtsverordnung erlaubt. § 9 Abs. 2 InfrAG ermächtigt das Bundesverkehrsministerium zum Erlass einer Rechtsverord‑ nung, die Einzelheiten über das Verfahren der Infrastrukturabgabebehörde zum Nachweis der Entrichtung der Infrastrukturabgabe regelt. § 5 Abs. 4 Satz 3 InfrAG verweist zwar auf § 5 Abs. 4 Satz 2 InfrAG. Allerdings wird in § 5 Abs. 4 Satz 2 InfrAG nur die Pflicht für Halter und 433  BVerfG, Beschl. v. 27.1.1976, 1  BvR 2325 / 73, BVerfGE 41, 251 (266); BVerfG, Beschl. v. 18.7.2005, 2 BvF 2 / 01, BVerfGE 113, 167 (269). 434  BVerfG, Beschl. v. 20.10.1981, 1  BvR 640 / 80, BVerfGE 58, 257 (278); BVerfG, Urt. v. 6.7.1999, 2  BvF 3 / 90, BVerfGE 101, 1 (35); BVerfG, Beschl. v. 21.9.2016, 2 BvL 1 / 15, NJW 2016, 3648 (3652 Rn. 57). 435  Vgl. auch Schwemer, Ausschuss-Drs. 18(15)193-E, S. 5 f.; s. überdies die we‑ nig präzisen Ausführungen in BT-Drs. 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 27, 31.

194

2. Teil: Vereinbarkeit der Infrastrukturabgabe mit dem Grundgesetz

Führer von im Ausland zugelassenen Kraftfahrzeugen normiert, bei der Erhe‑ bung mitzuwirken und die für die Infrastrukturabgabe maßgeblichen Tatsa‑ chen anzugeben. Diese Tatsachen ergeben sich zwar nicht aus § 5 InfrAG, dafür aber aus § 6 Abs. 4 InfrAG sowie aus der Anlage (zu § 8) Abgaben‑ sätze. Die Rechtsverordnung kann sich insoweit nur auf den Ort, die Art und Weise sowie den Zeitpunkt der Angabe der erforderlichen Tatsachen bezie‑ hen.436 Hinsichtlich der Mitwirkung bei der Erhebung bleiben allerdings auch die anderen Vorschriften des Gesetzes für die Halter und Führer von im Ausland zugelassenen Kraftfahrzeugen unbestimmt. Ein Vergleich zu den Regelungen für Halter von in Deutschland zugelassenen Kraftfahrzeugen in § 5 Abs. 2 und § 9 Abs. 3 bis 5 InfrAG zeigt aber, dass es sich bei der Mit‑ wirkung hinsichtlich der Erhebung nur um die Art und Weise der Zahlung der In­frastrukturabgabe handeln kann. Andere Mitwirkungspflichten werden auch für Halter von in Deutschland zugelassenen Kraftfahrzeugen nicht nor‑ miert, sodass insoweit für im Ausland zugelassene Kraftfahrzeuge – mit Ausnahme der Angabe der erforderlichen Daten437 – nichts anderes gelten kann. Durch Auslegung können also die Grenzen und der voraussichtliche Inhalt der Rechtsverordnung nach § 5 Abs. 4 Satz 3 InfrAG bestimmt wer‑ den. Da nur Modalitäten geregelt werden können und diese kaum Grund‑ rechtsrelevanz438 aufweisen, sind die Anforderungen an die Bestimmtheit der Vorschrift eher gering.439 Daher entspricht auch § 5 Abs. 4 Satz 3 InfrAG den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG. § 9 Abs. 2 InfrAG beschränkt durch seinen Wortlaut den Inhalt der Rechts‑ verordnung auf Einzelheiten über das Verfahren. Daher darf Rechtsverord‑ nung nur Verfahrensvorschriften enthalten. Hier kann das Vorgehen der Inf‑ rastrukturabgabebehörde bei der Überprüfung der Entrichtung der Infrastruk‑ turabgabe bestimmt werden, also z. B. welche Unterlagen und in welcher Form diese als Nachweis vorzulegen sind. Anhaltspunkte dafür gibt auch § 5 Abs. 1 Satz 3 bis 5 InfrAG. Überdies können auch Regelungen getroffen werden, wann die Infrastrukturabgabebehörde einen Nachweis der Entrich‑ tung verlangen darf. Bestimmungen über die Folgen einer Nichtzahlung oder 436  Vgl.

BT-Drs. 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 27. erforderlichen Daten werden für in Deutschland zugelassene Kfz automa‑ tisch nach § 6 Abs. 3 Satz 1 InfrAG aus dem Zentralen Fahrzeugregister übernom‑ men. 438  Vgl. zur Grundrechtsrelevanz bei Bestimmtheitsgeboten BVerfG, Beschl. v. 3.6.1992, 2  BvR 1041 / 88, BVerfGE 86, 288 (311); Bartone, in: Rspr. des BVerfG, Bd. 1, S. 305 (315). 439  Vgl. die entsprechende, aber präzisere Verordnungsermächtigung in § 4 Abs. 4 Satz 3 BFStrMG und die auf dieser Grundlage erlassenen §§ 3 bis 6 der Verordnung zur Erhebung, zum Nachweis der ordnungsgemäßen Entrichtung und zur Erstattung der Maut (LKW-Maut-Verordnung – LKW-MautV) v. 24.6.2003, BGBl. I S. 1003 mit spät. Änd. 437  Die



B. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes 195

das Verfahren bei Nichtzahlung der Infrastrukturabgabe dürfen nicht Gegen‑ stand der Rechtsverordnung sein. Es bleibt ein beschränkter Anwendungsbe‑ reich, der sich aus dem Wortlaut des § 9 Abs. 2 InfrAG und aus anderen Vorschriften des Gesetzes herauslesen lässt.440 In dieser Auslegung genügt § 9 Abs. 2 InfrAG den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG. c) Ergebnis Alle Verordnungsermächtigungen im Infrastrukturabgabengesetz genügen den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG.

III. Ergebnis Das Infrastrukturabgabengesetz ist in jeder Hinsicht materiell mit dem Grundgesetz vereinbar. Es konnte weder ein Verstoß gegen Grundrechte noch gegen das übrige Verfassungsrecht festgestellt werden.

440  Vgl. zum Regelungsumfang auch die entsprechende Vorschrift in § 5 Satz 2 BFStrMG und die auf dieser Grundlage erlassenen §§ 7 bis 9 LKW-MautV.

3. Teil

Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit dem Recht der Europäischen Union Im letzten großen Abschnitt der Untersuchung soll der politisch und recht‑ lich umstrittenste Aspekt der Infrastrukturabgabe beleuchtet werden. Wegen mehrerer potentieller Verstöße gegen das Unionsrecht durch das Infrastruk‑ turabgabengesetz hatte die Europäische Kommission am 18.  Juni 2015 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland nach Art. 258 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) eingeleitet. In diesem Verfahren erhob die Kommission am 29. September 2016 vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Klage gegen Deutsch‑ land.1 Am 1. Dezember 2016 gaben der damalige Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt und Verkehrskommissarin Violeta Bulc bekannt, dass das Vertragsverletzungsverfahren der Kommission gegen Deutschland vor‑ läufig eingestellt wird.2 Die endgültige Einstellung des Vertragsverletzungs‑ verfahrens erfolgte am 17. Mai 2017, nachdem das Infrastrukturabgaben­ gesetz und das Kraftfahrzeugsteuergesetz geändert worden waren: Durch das Erste Gesetz zur Änderung des Infrastrukturabgabengesetzes3 waren die Preise für Zehntagesvignetten gesenkt, zwei weitere Preisstufen eingeführt und die Kraftfahrzeugsteuer für Kraftfahrzeuge der Schadstoffklasse Euro 6 durch eine Änderung des § 9 Abs. 6 KraftStG noch stärker ermäßigt worden. Dies führte zu einer Abkopplung der Kraftfahrzeugsteuerermäßigung von der Höhe der Infrastrukturabgabe. Nach der Entscheidung des Bundesrates am 31. März 2017, den Vermittlungsausschuss nicht anzurufen und dem da‑ mit verbundenen Zustandekommen der Gesetze, kündigte vor allem Öster‑ reich an, eine sog. Staatenklage gegen Deutschland nach Art. 259 AEUV vor dem EuGH zu erheben.4 Am 12. Oktober 2017 hat die Republik Österreich

1  Europäische Kommission, http: /  / europa.eu / rapid / press-release_IP-16-3130_DE. htm (zuletzt abgerufen am 7.2.2018). 2  Europäische Kommission, http: /  / europa.eu / rapid / press-release_IP-16-4221_de. htm (zuletzt abgerufen am 7.2.2018). 3  Gesetz v. 18.5.2017, BGBl. I S. 1218. 4  Gamperl, Österreich will gegen deutsche Maut klagen, http: /  / www.sueddeutsche. de / politik / pkw-maut-oesterreich-will-gegen-pkw-maut-klagen-1.3445478 (zuletzt ab‑ gerufen am 7.2.2018).



A. Zuständigkeit197

dann Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland vor dem EuGH erhoben und Verstöße gegen Art. 18, 34, 56 und 92 AEUV geltend gemacht.5 Die folgende Untersuchung der Unionsrechtskonformität des Infrastruk‑ turabgabengesetzes hat deshalb die bisher geltende Fassung6 und das Infra‑ strukturabgabengesetz in der geänderten Fassung durch das Erste Gesetz zur Änderung des Infrastrukturabgabengesetzes zum Gegenstand. Dabei wird überprüft, ob Deutschland gegen eine Verpflichtung aus den Verträgen ver‑ stoßen hat. Dies wäre der Fall, soweit Deutschland durch das Infrastruktur‑ abgabengesetz eine Bestimmung des Vertrags über die Europäische Union oder des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union verletzt hätte.

A. Zuständigkeit Nimmt ein Mitgliedstaat eine Zuständigkeit für sich in Anspruch, die nach den Art. 4, 5 EUV i. V. m. den Art. 2 ff. AEUV der Union zusteht, ist die entsprechende nationale Rechtsvorschrift unionsrechtswidrig. Dabei muss zwischen der ausschließlichen und der geteilten Zuständigkeit der Union nach den Art. 2 ff. AEUV unterschieden werden. Beim Infrastrukturabgaben‑ gesetz handelt es sich um eine Regelung aus dem Bereich des Straßenver‑ kehrs.7 Die Zuständigkeit für Regelungen, die den Verkehr betreffen, ist nach Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 lit. g AEUV zwischen der Union und den Mitgliedstaa‑ ten geteilt. Das bedeutet nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 AEUV, dass beide gesetzgeberisch tätig werden können, wobei die Mitgliedstaaten ihre Zustän‑ digkeit nur sofern und soweit ausüben, wie die Union keine verbindlichen Rechtsakte erlassen hat. Die Union hat zwar mit dem Erlass der Richtlinie 1999 / 62 / EG vom 17.  Juni 19998 über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge eine Re‑ gelung im Bereich von Straßenbenutzungsgebühren getroffen. Diese Richt­ linie gilt jedoch nach ihrem Art. 1 Abs. 1 nur für die Erhebung von Mautund Benutzungsgebühren bei der Benutzung bestimmter Fahrzeuge: Fahr‑ zeuge sind nach Art. 2 lit. d der Richtlinie Kraftfahrzeuge oder Fahrzeug‑ kombinationen, die für den Güterkraftverkehr bestimmt sind oder verwendet

5  Aktenzeichen des EuGH C-591 / 17. Bis zum Redaktionsschluss (Februar 2018) hatte der EuGH noch keine abschließende Entscheidung in diesem Verfahren getrof‑ fen. 6  Gesetz v. 8.6.2015, BGBl. I S. 904. 7  Ebenso Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 6. 8  Sog. Eurovignetten-Richtlinie, ABl. EG L  187 v. 20.7.1999, S. 42, mit spät. Änd.

198

3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

werden9 und deren zulässiges Gesamtgewicht mehr als 3,5 Tonnen beträgt. Ausweislich des § 1 Abs. 1 InfrAG i. V. m. mit Anhang II Teil A Nr. 1 der Richtlinie 2007 / 46 / EG10 wird die Infrastrukturabgabe aber nur bei der Be‑ nutzung von Bundesfernstraßen mit Personenkraftwagen, Wohnmobilen und beschussgeschützten Fahrzeugen erhoben. Das sind – unabhängig vom zuläs‑ sigen Gesamtgewicht – gerade keine Kraftfahrzeuge, die ausschließlich für den Güterverkehr bestimmt sind. Daher ist die Richtlinie im Falle des Infra‑ strukturabgabengesetzes nicht einschlägig.11 Weitere in Betracht kommende sekundärrechtliche Regelungen existieren nicht, da die Union im Bereich der Straßenbenutzungsabgaben für Personen‑ kraftwagen bisher gesetzgeberisch nicht tätig geworden ist.12 Die Mitglied‑ staaten sind also nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 AEUV auf diesem Gebiet noch zuständig. Dessen ungeachtet verbleibt der Union nach Art. 91 Abs. 1 lit. a AEUV die Möglichkeit, Regelungen für Straßenbenutzungsabgaben auf Stra‑ ßen mit einer Verkehrsbedeutung zu treffen, die über einen Mitgliedstaat hi‑ nausgeht.13 Mangels einschlägiger sekundärrechtlicher Regelungen auf der Ebene der EU ist das Infrastrukturabgabengesetz ausschließlich an den Vorgaben der Verträge (EUV und AEUV) zu messen.

B. Verstoß gegen Art. 92 AEUV Im Mittelpunkt soll zunächst die Vorschrift des Art. 92 AEUV14 stehen, die eine ungünstigere Gestaltung von zum Beitrittszeitpunkt bestehenden natio‑ nalen Verkehrsvorschriften bis zum Erlass der in Art. 91 Abs. 1 AEUV ge‑ 9  Insoweit ungenau Zabel, NVwZ 2015, 186 (187); Fehling, ZG 2014, 305 (306). 10  Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraft‑ fahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge, ABl. EU L 263 v. 9.10.2007, S. 1, mit spät. Änd. 11  A. A. Hartmann, Pkw-Maut, S. 95 f. 12  Es existiert eine lediglich rechtlich unverbindliche Mitteilung der Kommission über die Erhebung nationaler Straßenbenutzungsgebühren auf leichte Privatfahrzeuge, KOM(2012) 199 endg., S. 3; s. auch Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonfor‑ mität, S. 6 f. Vgl. aber den Vorschlag der Kommission zur Änderung der sog. Euro­ vignetten-Richtlinie, KOM(2017) 275 endg. 13  Siehe näher in diesem Teil unter B. II. 1. 14  Diese Vorschrift entspricht inhaltlich dem ehemaligen Art. 76 EWGV und Art. 72 EGV i. d. F. d. Vertrages von Amsterdam v. 2.10.1997, BGBl. II 1998, S. 386. Eine entsprechende Vorschrift findet sich auch in Art. 48 Abs. 1 EWR-Vertrag.



B. Verstoß gegen Art. 92 AEUV199

nannten Vorschriften verbietet. Dies gilt aber nur dann, wenn dadurch unmit‑ telbare oder mittelbare Auswirkungen auf die Verkehrsunternehmer anderer Mitgliedstaaten im Vergleich zu den inländischen Verkehrsunternehmern entstehen.

I. Geschichte der Vorschrift und Auslegung durch den EuGH Diese Vorschrift war als damaliger Art. 76 EWGV15 der Prüfungsmaßstab des EuGH in einem Fall aus dem Jahr 1992, in dem es um die Einführung einer Straßenbenutzungsgebühr in Deutschland für schwere Lastfahrzeuge bei gleichzeitiger Senkung der Kraftfahrzeugsteuer ging. Aufgrund der Ähn‑ lichkeit dieser Regelung zum Infrastrukturabgabengesetz und zu der Einfü‑ gung eines Steuerentlastungsbetrages in § 9 Abs. 6 bis  8 KraftStG erscheint eine genaue Betrachtung des Urteils des EuGH mit Blick auf die Vereinbar‑ keit mit Art. 92 AEUV angezeigt. Deutschland hatte im Jahr 1990 ein Gesetz zur Einführung einer LkwMaut auf Autobahnen erlassen und im gleichen Gesetz für eine Übergangs‑ zeit von rund drei Jahren eine Senkung der Kraftfahrzeugsteuer für schwere Lastkraftwagen über 18  Tonnen beschlossen.16 Nachdem das Gesetz be‑ schlossen und im Bundesgesetzblatt verkündet worden war, hatte die Europä‑ ische Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren nach dem damaligen Art. 169 EWGV17 gegen Deutschland eingeleitet, da durch dieses Maßnah‑ menpaket Verkehrsunternehmer aus anderen Mitgliedstaaten gegenüber deut‑ schen Verkehrsunternehmern benachteiligt worden wären. Mit Urteil vom 19. Mai 1992 entschied der EuGH, dass Deutschland durch das Gesetz gegen Art. 76 EWGV18 verstoßen hatte.19 Dies begründete er damit, dass die Sen‑ kung der Kraftfahrzeugsteuer wegen der Abkommen zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Kraftfahrzeugsteuern20 fast aus‑ 15  Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft v. 25.3.1957. BGBl. II S. 766. Im Jahr 1992 wurde die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft durch den Vertrag von Maastricht v. 7.2.1992, BGBl. II S. 1251, in Europäische Gemein‑ schaft umbenannt. 16  Art. 1 und 2 des Gesetzes über Gebühren für die Benutzung von Bundesfern‑ straßen mit schweren Lastfahrzeugen v. 30.4.1990, BGBl. I S. 826. 17  Dieser Artikel entsprach dem ehemaligen Art. 226 EGV und dem heutigen Art. 258 AEUV. 18  Dieser Artikel entsprach dem heutigen Art. 92 AEUV. 19  EuGH, Urt. v. 19.5.1992, C-195 / 90, NJW 1992, 1949 – Kommission / Deutsch‑ land. 20  Siehe dazu zuletzt BMF-Schreiben v. 22.1.2014, BStBl. I S. 171 (176).

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3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

schließlich Deutschen zugutegekommen wäre.21 Demgegenüber wären so‑ wohl deutsche als auch ausländische Verkehrsunternehmer gleichmäßig durch die Straßenbenutzungsgebühr für schwere Lastfahrzeuge belastet worden.22 Die Beseitigung von bisherigen Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten der deutschen Verkehrsunternehmer, die die Bundesregierung als Begründung für die Regelung angeführt hatte, erachtete der Gerichtshof nicht als ausrei‑ chend.23 Art. 76 EWGV solle den Erlass von Vorschriften auf dem Gebiet des Verkehrs auf Ebene der Gemeinschaft erleichtern, was auch durch den Entzug von Vorteilen für ausländische Verkehrsunternehmer durch nationale Maßnahmen konterkariert würde.24 Insgesamt nahm der EuGH damit eine sehr strenge Auslegung des heuti‑ gen Art. 92 AEUV vor. Die Vorschrift greift danach nicht nur dann, wenn im Ergebnis ausländische Verkehrsunternehmer schlechter als inländische be‑ handelt werden, sondern sogar schon dann, wenn diese Gruppen lediglich gleichgestellt werden. Letztlich darf wegen Art. 92 AEUV – in der strengen Auslegung des EuGH – nicht einseitig ein bestehender Vorteil für ausländi‑ sche Verkehrsunternehmer beseitigt oder verringert werden.25 Diese Auslegung legt nahe, dass der EuGH, sofern er Art. 92 AEUV im Falle des Infrastrukturabgabengesetzes für anwendbar hält, dieses Gesetz voraussichtlich für unionsrechtswidrig erachten wird. Somit kommt der Frage der Anwendbarkeit des Art. 92 AEUV eine wesentliche Bedeutung zu.

II. Anwendbarkeit des Art. 92 AEUV Die Vorschrift muss sowohl in sachlicher als auch in persönlicher Hinsicht Anwendung finden, damit das Infrastrukturabgabengesetz an ihr gemessen werden kann.

21  EuGH, Urt. v. 19.5.1992, C-195 / 90, NJW 1992, 1949 (1950), Rn. 23 f. – Kom‑ mission / Deutschland; die Befreiung in § 3 Nr. 13 Satz  1 KraftStG fand wegen der Beschränkung auf Personenkraftfahrzeuge keine Anwendung. Siehe zur heutigen Ausnahme in § 1 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 KraftStG. 22  EuGH, Urt. v. 19.5.1992, C-195 / 90, NJW 1992, 1949 (1950), Rn. 23  – Kom‑ mission / Deutschland. 23  EuGH, Urt. v. 19.5.1992, C-195 / 90, NJW 1992, 1949 (1950), Rn. 26  – Kom‑ mission / Deutschland. 24  EuGH, Urt. v. 19.5.1992, C-195 / 90, NJW 1992, 1949 (1950), Rn. 26  – Kom‑ mission / Deutschland. 25  Ebenso interpretieren die Auslegung des EuGH Fehling, ZG 2014, 305 (307); Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 12 ff.; Langeloh, DÖV 2014, 365 (374); Zabel, NVwZ 2015, 186 (188).



B. Verstoß gegen Art. 92 AEUV201

1. Sachliche Anwendbarkeit Art. 92 AEUV bestimmt, dass die Mitgliedstaaten ihr jeweiliges nationales Recht bis zum Erlass der in Art. 91 Abs. 1 AEUV genannten Vorschriften in den Auswirkungen auf ausländische Verkehrsunternehmer nicht ungünstiger gestalten dürfen. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Art. 92 AEUV ist damit, dass die Europäische Union eine Vorschrift nach Art. 91 Abs. 1 AEUV auf dem Gebiet, welches das nationale Gesetz betrifft, erlassen darf.26 Eine Beschränkung auf bestimmte Gebiete der Verkehrspolitik ergibt sich daraus nicht, da Art. 91 Abs. 1 lit. d AEUV eine Auffangklausel enthält, die den Erlass aller sonstigen zweckdienlichen Vorschriften ermöglicht.27 Abgese‑ hen davon ist die Infrastrukturabgabe eine Vorzugslast für die Benutzung von Bundesfernstraßen und betrifft damit auch den internationalen Verkehr von Personen und Gütern mit Start oder Ziel in der Bundesrepublik Deutschland sowie den Durchgangsverkehr durch die Bundesrepublik Deutschland. Er‑ ließe die Union eine solche Regelung auf diesem Gebiet, könnte sie sich – angesichts der internationalen Verkehrsbedeutung der Bundesfernstraßen – auf Art. 91 Abs. 1 lit. a AEUV stützen.28 Aufgrund der Unionskompetenz aus Art. 91 Abs. 1 AEUV für das Gebiet der Straßenbenutzungsabgaben auf Straßen mit europäischer Verkehrsbedeutung ist Art. 92 AEUV vorliegend sachlich anwendbar. 2. Persönliche Anwendbarkeit a) Verkehrsunternehmer Art. 92 AEUV ist nach seinem Wortlaut nur auf Verkehrsunternehmer an‑ derer Mitgliedstaaten anwendbar. Entscheidend ist dabei der Sitz des Ver‑ kehrsunternehmers und nicht dessen Staatsangehörigkeit.29 Verkehrsunter‑ nehmer sind Personen, die aufgrund einer wirtschaftlichen Tätigkeit am 26  Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S.  9; Epiney / Heuck /  Schleiss, in: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht, Rn. L 161 (Stand d. Bearb.: Sept. 2013). 27  Wägenbaur, SEW 1964, 169 (172 f.); Schreiber, EuZW 1995, 206 (206); Epiney / Heuck / Schleiss, in: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht, Rn. L 161 (Stand d. Bearb.: Sept. 2013); im Ergebnis ebenso, aber ohne Begründung Ebenroth / Fischer / Sorek, BB 1989, 1566 (1566). 28  Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 9; Zabel, NVwZ 2015, 186 (187). 29  Wägenbaur, SEW 1964, 169 (178 f.); Khan, in: Geiger / Khan / Kotzur, EUV /  AEUV-Komm., Art. 92 AEUV Rn. 1; Boeing / Kotthaus / Maxian Rusche, in: Gra­ bitz / Hilf / Nettesheim, Recht der EU, Art. 92 AEUV Rn. 3 (Stand d. Bearb.: Apr. 2012); Mückenhausen, in: Lenz / Borchardt, EUV / AEUV-Komm., Art. 92 AEUV Rn. 3; Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 10.

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3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

Verkehr teilnehmen und deren Tätigkeit sich gerade auf die Nutzung des Verkehrsweges als solchem bezieht, also Tätigkeiten im Bereich der gewerb‑ lichen Personen- oder Güterbeförderung.30 Dadurch ist eine Anwendbarkeit des Art. 92 AEUV auf Regelungen ausgeschlossen, die ausschließlich den privaten Verkehr mit Personenkraftwagen betreffen.31 aa) Anwendungsbereich des Infrastrukturabgabengesetzes Zu beachten ist dabei, dass § 1 Abs. 1 InfrAG i. V. m. Anhang II Teil A Nr. 1 der Richtlinie 2007 / 46 / EG32 die Infrastrukturabgabepflicht auf die Benutzung von Bundesfernstraßen mit Personenkraftwagen bis zu neun Sitz‑ plätzen, Wohnmobilen und beschussgeschützten Fahrzeugen beschränkt. Die Benutzung von Bundesfernstraßen mit Kraftomnibussen, d. h. mit Fahrzeu‑ gen mit mehr als neun Sitzplätzen, löst keine Pflicht zur Zahlung der Infra‑ strukturabgabe aus.33 Das hat zur Folge, dass die Infrastrukturabgabe über‑ wiegend bei zu privaten Zwecken genutzten Fahrzeugen anfällt.34 Anders war die Situation im eben beschriebenen Fall der deutschen Lkw-Maut: Bei schweren Nutzfahrzeugen stellen Fahrten zu privaten Zwecken eine absolute Ausnahme dar. Gerade Spediteure mit ihren Lastkraftwagen sind – neben Busunternehmern – eine typische Gruppe der Verkehrsunternehmer nach Art. 92 AEUV, da sie die Straße zur Beförderung von Gütern nutzen. Daran lässt sich bereits die geringe Relevanz des Art. 92 AEUV im Fall des Infra‑ strukturabgabengesetzes erkennen.35 Als Beispiele für Verkehrsunternehmen, auf die das Infrastrukturabgaben‑ gesetz anwendbar sein kann, führt die Literatur Kurierdienste und Personen‑ beförderungsunternehmen mit Kleinbussen und Taxen an.36 An diesen Bei‑ spielen wird deutlich, dass es nur sehr wenige betroffene Verkehrsunterneh‑

30  Martinez, in: Calliess / Ruffert, EUV / AEUV-Komm., Art. 92 AEUV Rn. 3; Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 10; Korte / Gurreck, EuR 2014, 420 (427). 31  Schäfer, in: Streinz, EUV / AEUV-Komm., Art. 92 AEUV Rn. 14, äußert die Vermutung, dass der EuGH wohl Art. 92 AEUV auch auf den Privatverkehr anwen‑ den würde, sofern ein Teil des Verkehrs unternehmerisch veranlasst ist. 32  ABl. EU L 263 v. 9.10.2007, S. 1, mit spät. Änd. 33  Siehe im 2. Teil unter B. I. 4. d) bb). 34  Fehling, ZG 2014, 305 (309); Hillgruber, DVBl. 2016, 73 (76). 35  A. A. Hartmann, Pkw-Maut, S. 30; offen gelassen von Fehling, ZG 2014, 305 (310). 36  Kainer / Ponterlitschek, ZRP 2013, 198 (199); ebenso Fehling, ZG 2014, 305 (309); Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 10; Langeloh, DÖV 2014, 365 (374); Zabel, NVwZ 2015, 185 (187).



B. Verstoß gegen Art. 92 AEUV203

mer anderer Mitgliedstaaten geben wird.37 Nur in Gebieten nahe der Grenze zu Deutschland werden bei einer realistischen Betrachtung überhaupt Ver‑ kehrsunternehmer berührt sein, wobei die Betroffenheit durch die Beschrän‑ kung der Infrastrukturabgabe auf die Benutzung von Bundesautobahnen weiter abnehmen dürfte.38 bb) Unerheblichkeit der konkreten Nutzung des Kraftfahrzeugs Zwar kommt es für die Bestimmung als Verkehrsunternehmer nicht auf die konkrete Verwendung des Fahrzeugs im Einzelfall an.39 Es ist also für die Anwendung des Art. 92 AEUV irrelevant, ob der ausländische Verkehrsun‑ ternehmer sein dem Betrieb zugeordnetes Kraftfahrzeug auf deutschen Auto‑ bahnen zu privaten oder beruflichen Zwecken nutzt. Allerdings wird auch dieser Umstand kaum zu einer höheren Relevanz des Art. 92 AEUV mit Blick auf das Infrastrukturabgabengesetz führen.40 Um den Sinn und Zweck des Art. 92 AEUV zu entsprechen, muss es sich bei dem Kraftfahrzeug aber um ein solches des Unternehmens handeln, da Art. 92 AEUV nicht auf den Privatverkehr anwendbar ist.41 Privatfahrzeuge des Verkehrsunternehmers werden also nicht erfasst. Wendete man Art. 92 AEUV trotz der geringen Betroffenheit von Ver‑ kehrsunternehmern auf das Infrastrukturabgabengesetz an, dehnte man den Anwendungsbereich der Vorschrift unzulässig aus.42 Mit dem Ziel, einige wenige Verkehrsunternehmer zu schützen, versperrte eine solche Auslegung des Art. 92 AEUV den Mitgliedstaaten insbesondere eine Gleichstellung aller anderen ausländischen und inländischen Autofahrer. Da Art. 92 AEUV nach seinem eindeutigen Wortlaut nur für die Mitgliedstaaten gilt, verschöbe sich die Kompetenz in diesem Regelungsbereich hin zur Union, auch soweit diese noch keine Regelungen nach Art. 91 Abs. 1 AEUV erlassen hat. Dieses Er‑ 37  So deutlich auch Reimer, DVBl. 2015, 1405 (1411); Langeloh, DÖV 2014, 365 (372): „Ausnahmefall“, „erscheint […] theoretisch […] möglich“; s. auch Fehling, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje, Unionsrecht, Art. 92 AEUV Rn. 17. 38  Vgl. Fehling, ZG 2014, 305 (309 f.); a. A. wohl Hartmann, Pkw-Maut, S. 30. 39  Vgl. dazu EuGH, Urt. v. 28.10.1999, C-195 / 98, NZV 2000, 187 – Österreichi‑ scher Gewerkschaftsbund; Rathke, Ausarbeitung für den Bundestag, S. 10. 40  A. A. Hartmann, Pkw-Maut, S. 29 f., mit Blick auf ausländische Spediteure, die Fahrzeuge der Klasse M1 zur Güterbeförderung nutzen. Warum gerade in dieser Gruppe die Autobahnnutzung in Deutschland als „wahrscheinlich und quantitativ als eher hoch einzustufen“ ist, legt er nicht näher da. 41  Hof, Straßenverkehrsabgaben, S. 174; Epiney / Heuck / Schleiss, in: Dauses, EUWirtschaftsrecht, Rn. L 161 (Stand d. Bearb.: Sept. 2013); Martinez, in: Calliess / Ruf‑ fert, EUV / AEUV-Komm., Art. 92 AEUV Rn. 3. 42  A. A. Hartmann, Pkw-Maut, S. 29.

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3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

gebnis widerspräche aber der geteilten Zuständigkeit im Bereich des Ver‑ kehrs nach Art. 4 Abs. 2 lit. g AEUV und käme einer ausschließlichen Zu‑ ständigkeit der Union nahe, wie sie in Art. 2 Abs. 1, Art. 3 AEUV zu finden ist. b) Zulässigkeit einer typisierenden Betrachtung des Art. 92 AEUV Als Lösung könnte vorliegend ein Typisierungsspielraum des nationalen Gesetzgebers im Rahmen von Art. 92 AEUV anzunehmen sein. Ähnlich wie im nationalen Recht43 sollte auch bei Gleichheitsgeboten des Unionsrechts ein Typisierungsspielraum bestehen, da absolute Gleichheit in jedem Einzel‑ fall durch gesetzliche Regelungen nur unter äußersten Schwierigkeiten zu erreichen sein wird. Aufgrund der Abstraktheit gesetzlicher Regelungen muss ein solcher Spielraum auch im Unionsrecht vorhanden sein.44 Der EuGH ist in seiner Rechtsprechung auf Typisierungsspielräume für die Mitgliedstaaten nicht näher eingegangen. Im Urteil vom 26. September 2013 zur dänischen Beamtenversorgung, in dem es um die Einhaltung der Richtlinie zur Gleich‑ behandlung in Beschäftigung und Beruf ging, hat er aber – ohne Nennung des Begriffs der Typisierung – angenommen, dass eine nationale Regelung regelmäßig keine Prüfung jedes Einzelfalls umfassen muss, um die entspre‑ chende Vorschrift operationabel zu halten.45 Letztlich hat er dabei aber nicht auf eine Typisierung abgestellt, da im relevanten System eine Einzelfallprü‑ fung angelegt und eine Typisierung daher nicht geboten sei.46 Dem Grunde nach hat der EuGH dadurch aber wohl bei Gleichheitsgebo‑ ten eine Typisierung und die damit regelmäßig verbundene Verwaltungsver‑ einfachung für zulässig erachtet. Zwar scheint Art. 92 AEUV in der Ausle‑ gung des EuGH als Abstandswahrungsgebot generell typisierenden Betrach‑ tungen nicht zugänglich zu sein. Allerdings legt der Wortlaut nahe, dass ein Vergleich von inländischen mit ausländischen Verkehrsunternehmern durch‑ geführt werden muss, sodass typisierende Betrachtungen erfolgen dürfen.47 43  Zu

Typisierungen im deutschen Recht s. im 2. Teil unter B. I. 4. c) dd). Fehling, ZG 2014, 305 (309); Kokott, Schlussanträge v. 7.2.2013 zu EuGH, Urt. v. 26.9.2013, C-546 / 11, Rn. 63  – Dansk Jurist- og Økonomforbund; dies., Schlussanträge zu EuGH, Urt. v. 26.10.2010, C-97 / 09, Rn. 55 – Schmelz; Rödder / Schönfeld, IStR 2006, 49 (51). 45  EuGH, Urt. v. 26.9.2013, C-546 / 11, NVwZ 2013, 1401 (1404), Rn. 70 – Dansk Jurist- og Økonomforbund. 46  EuGH, Urt. v. 26.9.2013, C-546 / 11, NVwZ 2013, 1401 (1404), Rn. 71 f.  – Dansk Jurist- og Økonomforbund; strenger wohl EuGH, Urt. v. 17.7.2014, C-48 / 13, IStR 2014, 563 (565), Rn. 37 ff. – Nordea Bank. 47  Fehling, ZG 2014, 305 (309); a.  A. Schmahl, in: FS Müller-Graff, S. 689 (692 f.); Hartmann, Pkw-Maut, S. 29 f. 44  Vgl.



B. Verstoß gegen Art. 92 AEUV205

Der Verweis darauf, dass dem Wortlaut keine Schwelle für eine quantitative Betroffenheit zu entnehmen sei,48 also Art. 92 AEUV auch bei nur einem einzigen betroffenen Verkehrsunternehmer zu beachten sei, greift demnach zu kurz. c) Voraussetzungen für eine typisierende Betrachtung Voraussetzungen für die Typisierung lassen sich – in Ermangelung von Entscheidungen des EuGH dazu – kaum ausmachen. Lediglich eine strenge Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Typisierung scheint vom EuGH voraus‑ gesetzt zu werden.49 Generalanwältin Juliane Kokott ist in ihren Schlussan‑ trägen mehrfach auf Typisierungsspielräume bei Diskriminierungsverboten eingegangen. Dabei stellt sie stets darauf ab, dass eine typisierende Regelung mit dem Ziel der Verwaltungsvereinfachung verhältnismäßig sein müsse.50 Überdies hat sie in einem Fall ausdrücklich die Sachgerechtigkeit der Typi‑ sierung verlangt.51 Daraus wird deutlich, dass sich die Voraussetzungen einer zulässigen Typi‑ sierung zwischen nationalem52 und unionalem Recht nicht oder nur kaum unterscheiden. Die Typisierung muss in jedem Fall sachgerecht sein, d. h. die Regelung muss den typischen Fall erfassen und darf darüber hinaus nur in Randbereichen zu einer ungleichen Behandlung führen.53 Schließlich muss die typisierende Vorschrift, die zur Verwaltungsvereinfachung führt, auch verhältnismäßig sein. d) Typisierung durch das Infrastrukturabgabengesetz aa) Sachgerechtigkeit Die Typisierung im Infrastrukturabgabengesetz im Hinblick auf Art. 92 AEUV liegt darin, dass nach § 1 Abs. 1 und 2 InfrAG alle Halter und Führer 48  Schmahl,

in: FS Müller-Graff, S. 689 (692 f.); Hartmann, Pkw-Maut, S. 29 f. Urt. v. 26.9.2013, C-546 / 11, NVwZ 2013, 1401 (1404), Rn. 70 ff.  – Dansk Jurist- og Økonomforbund. 50  Kokott, Schlussanträge v. 7.2.2013 zu EuGH, Urt. v. 26.9.2013, C-546 / 11, Rn. 63  – Dansk Jurist- og Økonomforbund; dies., Schlussanträge v. 13.3.2014 zu EuGH, Urt. v. 17.7.2014, C-48 / 13, IStR 2014, 257 (261), Rn. 62 f.  – Nordea Bank; dies., Schlussanträge v. 30.6.2016 zu EuGH, Urt. v. 24.11.2016, C-443 / 15, Rn. 85 f. – Parris. 51  Kokott, Schlussanträge v. 17.6.2010 zu EuGH, Urt. v. 26.10.2010, C-97 / 09, Rn. 55 – Schmelz. 52  Zu Typisierungen im deutschen Recht s. im 2. Teil unter B. I. 4. c) dd). 53  Siehe zum zweiten Punkt auch Fehling, ZG 2014, 305 (309). 49  EuGH,

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3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

von Kraftfahrzeugen der Klasse M1, die im Ausland zugelassen sind, bei Benutzung einer Bundesautobahn die Infrastrukturabgabe zahlen müssen. Dadurch werden typischerweise private Fahrten mit Personenkraftwagen er‑ fasst. Überdies sind auch Verkehrsunternehmer betroffen, die mit ihren be‑ trieblichen Kraftfahrzeugen der Klasse M1 die Bundesautobahnen nutzen.54 Meines Erachtens ist die Nutzung von Bundesautobahnen durch Verkehrs­ unternehmer mit Personenkraftwagen als Randerscheinung zu bewerten. Diese Einschätzung wird von der Bundesregierung geteilt.55 Erhebungen über die Benutzung von Bundesautobahnen mit ausländischen Fahrzeugen liegen bereits einige Jahre zurück. Im Rahmen der Zählung des ausländischen Kraftfahrzeugverkehrs in Deutschland im Jahr 2008 wurde zwischen den Fahrzeugarten Personenkraftwagen, Bus, Lastkraftwagen unter 3,5 Tonnen sowie Lastkraftwagen über 3,5 Tonnen mit und ohne Anhänger unterschieden.56 Stellte man zur Ermittlung der Zahl der Verkehrsunterneh‑ mer auf die Zahl der Lastkraftwagen unter 3,5 Tonnen ab, ergäbe sich fol‑ gendes Bild: Insgesamt entfallen vom ausländischen Verkehr auf Bundes­ autobahnen 52,2 % auf den Güterverkehr. Der Güterverkehr erfolgt zu rund 19 % mit Lastkraftwagen unter 3,5 Tonnen und hat damit einen Gesamtanteil von 10,4 %. Michael Fehling weist aber zutreffend daraufhin, dass dabei ­sowohl Verkehrsunternehmer als auch der Werksverkehr erfasst wurden.57 Überdies muss berücksichtigt werden, dass nur Personenkraftwagen nach § 1 Abs. 1 InfrAG von der Infrastrukturabgabe erfasst werden. Unklar bleibt daher, wie hoch der Anteil der Lastkraftwagen unter 3,5 Tonnen ist, die tat‑ sächlich als Kraftfahrzeug der Klasse M1 zugelassen und damit bei Auto‑ bahnbenutzung infrastrukturabgabepflichtig sind. Schließlich kann auch nicht festgestellt werden, wie hoch der Anteil an ausländischen Verkehrsunterneh‑ men im Verkehr mit Personenkraftwagen auf Autobahnen ausfällt. Betrachtet man aber die oben genannten Zahlen, wird deutlich, dass selbst der Verkehr mit leichten Lastkraftwagen nur 10 % des gesamten ausländischen Verkehrs auf deutschen Autobahnen ausmacht. Bezieht man dann noch den Anteil der ausländischen Fahrzeuge, die nicht in einem Mitgliedstaat der EU oder des EWR zugelassen sind, sowie die Unwägbarkeit hinsichtlich der Zulassung als Personen‑ oder Lastkraftwagen ein, so erscheint der Anteil der betroffe‑ nen Verkehrsunternehmer sehr gering.58 54  Ungenau insoweit Korte / Gurreck, EuR 2014, 420 (427); Zabel, NVwZ 2015, 186 (188). 55  BT-Drs. 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 24. 56  Siehe auch zum Folgenden Lensing, Ausländischer Kraftfahrzeugverkehr 2008, S. 3. 57  Fehling, ZG 2014, 305 (310 Fn. 18). 58  A. A. ohne jeden Beleg Hartmann, Pkw-Maut, S. 30.



B. Verstoß gegen Art. 92 AEUV207

Abgesehen davon ist anhand von Zahlen kaum eine Grenze für die Zuläs‑ sigkeit einer Typisierung auszumachen. Entscheidend ist vielmehr, dass der Gesetzgeber bei der Normierung der Abgabe das Ziel hatte, nur eine be‑ stimmte Gruppe zu erfassen und dieses Ziel durch die entsprechende Geset‑ zesfassung weitgehend erreicht hat.59 Die Bundesregierung hat in der Be‑ gründung zum Gesetzentwurf für das In­frastrukturabgabengesetz dargelegt, dass der gewerbliche Verkehr durch die Infrastrukturabgabe nicht zusätzlich belastet werden soll.60 Durch die Beschränkung auf Fahrzeuge der Klassen M1 und M1G nach dem Anhang  II Teil A Nr. 1 der Richtlinie 2007 / 46 / EG wird dieses Ziel weitgehend erreicht. Damit erscheint die Typisierung durch das Infrastrukturabgabengesetz sachgerecht. bb) Verwaltungsvereinfachung Die Sachgerechtigkeit genügt für sich gesehen allerdings nicht für die Rechtmäßigkeit einer Typisierung, sondern die Typisierung muss auch zu einer Verwaltungsvereinfachung führen. Indem der deutsche Gesetzgeber die Benutzung von Bundesautobahnen mit nahezu allen Kraftfahrzeugen der Klasse M1 der Infrastrukturabgabepflicht unterworfen hat, vermeidet er um‑ fangreiche Ausnahmeprüfungen für Verkehrsunternehmer. Allerdings hat er in § 2 Abs. 1 Satz 1 InfrAG bereits zahlreiche Ausnahmetatbestände geregelt. Der EuGH hat in seinem Urteil vom 26. September 2013 zwar grundsätzlich eine Typisierungsbefugnis des nationalen Gesetzgebers anerkannt, diese al‑ lerdings nur dann zugelassen, wenn der Gesetzgeber keine anderweitigen Einzelfallprüfungen im gleichen Gesetz vorsieht.61 Hinter dieser Judikatur steht wohl der Gedanke, dass eine Typisierung bei bereits vorhandenen Aus‑ nahmeregelungen im Gesetz keine wesentliche Verwaltungsvereinfachung mit sich bringt. Ebenso müsste die nicht gewährte Ausnahme im Falle ihrer Einführung einen gewissen Verwaltungsaufwand mit sich bringen. Nahezu alle Ausnahmen, die § 2 Abs. 1 Satz 1 InfrAG vorsieht, sind für die Infra‑ strukturabgabebehörde nicht mit oder nur mit sehr geringem Verwaltungsauf‑ wand verbunden. Teilweise sind die Voraussetzungen für eine Ausnahme bereits am Fahrzeug selbst zu erkennen oder müssen nach § 2 Abs. 1 Satz 2 InfrAG erkennbar sein, teilweise können sie durch einen Blick in die Zulas‑ sungsbescheinigung des jeweiligen Fahrzeugs ersehen werden. Bei Schwer‑ behinderten kann die Voraussetzung des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 InfrAG durch eine Vorlage des Schwerbehindertenausweises festgestellt werden. 59  Siehe dazu im nationalen Recht BVerfG, Beschl. v. 7.5.2013, 2  BvR 909 / 06 u. a., BVerfGE 133, 377 (421 f. Rn. 102 f.); Kischel, in: BeckOK GG, Art. 3 Rn. 124. 60  BT-Drs. 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 24. 61  EuGH, Urt. v. 26.9.2013, C-546 / 11, NVwZ 2013, 1401 (1404), Rn. 71 f.  – Dansk Jurist- og Økonomforbund.

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3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

(1) Erhöhter Verwaltungsaufwand im Infrastrukturabgabengesetz Für eine Einzelfallprüfung scheint allerdings ein erhöhter Prüfaufwand erforderlich, nämlich bei der Ausnahme in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 InfrAG für Kraftfahrzeuge, die während des fiktiven Entrichtungszeitraums zu mehr als 50 % der Strecke im Linienverkehr62 eingesetzt werden. Eine Nachweis‑ möglichkeit wird im Infrastrukturabgabengesetz nicht genannt. Berücksich‑ tigt man allerdings die weitgehend inhaltsgleiche Befreiungsvorschrift in § 3 Nr. 6 KraftStG, so wird eine Nachweis- und Überprüfungsmöglichkeit deut‑ lich. In § 3 Nr. 6 Satz 2 KraftStG heißt es, dass die Verwendung des Fahr‑ zeugs buchmäßig nachzuweisen ist. Mit anderen Worten wird die Vorlage eines Fahrtenbuchs bei Geltendmachung dieser Ausnahme verlangt. Aufgrund der Ähnlichkeit beider Vorschriften kann diese Nachweismöglichkeit auf das Infrastrukturabgabengesetz übertragen werden. Durch die Vorlage dieses Fahrtenbuchs kann die Infrastrukturabgabebehörde ohne besonderen Auf‑ wand effektiv nachprüfen, ob die Voraussetzungen für eine Befreiung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 InfrAG gegeben sind. Ähnlich werden die Vorausset‑ zungen für die Befreiungen in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 4 und 6 InfrAG zu überprüfen sein. (2) V  ermeidung der Typisierung durch Ausnahmen für ausländische Verkehrsunternehmer Müsste der Gesetzgeber dagegen eine Ausnahme von der Infrastrukturab‑ gabepflicht für Verkehrsunternehmer in § 2 Abs. 1 Satz 1 InfrAG aufnehmen, ergäbe sich ein höherer Verwaltungsaufwand als bei den gerade genannten Ausnahmen von der Infrastrukturabgabepflicht.63 Es müsste neben der Zu‑ lassungsbescheinigung des Fahrzeugs auch ein Nachweis dafür vorgelegt werden, dass es sich bei dem Unternehmen, welches das Kraftfahrzeug hält, um ein Verkehrsunternehmen i. S. d. Art. 92 AEUV handelt. Je nach Ausführ‑ lichkeit und Sprache eines Handelsregisterauszugs müsste die Infrastruktur‑ abgabebehörde zusätzliche Nachforschungen bei den Behörden des jeweili‑ gen Staates über die Tätigkeit des Unternehmens betreiben. Nur so könnte festgestellt werden, ob es sich um ein Verkehrsunternehmen i. S. d. Art. 92 AEUV handelt. Verlangte man eine solche eindeutige Zuordnung zu einem Verkehrsunter‑ nehmen nicht, sondern gewährte jedem Kraftfahrzeug eines ausländischen Unternehmens eine Ausnahme von der Infrastrukturabgabepflicht, bestünde 62  Zur

Definition des Linienverkehrs s. § 42 PBefG. Fehling, ZG 2014, 305 (310); knapp zu einer solchen Ausnahme Langeloh, DÖV 2014, 365 (373); ders., Einheimischenprivilegierungen, S. 269. 63  Vgl.



B. Verstoß gegen Art. 92 AEUV209

die große Gefahr, dass es zu zahlreichen Missbrauchsfällen käme: Es genügte dann eine Eintragung eines Unternehmens in das nationale Handelsregister sowie die Zulassung eines Fahrzeugs auf dieses Unternehmen. Durch die Eintragung in das jeweilige nationale Handelsregister könnte jeder ausländi‑ sche Kraftfahrzeughalter eine Ausnahme von der deutschen Infrastrukturab‑ gabepflicht erreichen. Muss aber für die Ausnahme der Nachweis geführt werden, dass das Kraftfahrzeug einem Verkehrsunternehmen gehört, so ergibt sich ein hoher Verwaltungsaufwand für die Infrastrukturabgabebehörde. (3) V  ermeidung der Typisierung durch Belastung der inländischen Verkehrsunternehmer Eine andere Möglichkeit, die Typisierung zu vermeiden und gleichzeitig den Abstand zwischen inländischen und ausländischen Verkehrsunterneh‑ mern zu wahren, läge darin, alle inländischen Verkehrsunternehmer von der Kraftfahrzeugsteuerentlastung nach § 9 Abs. 6 KraftStG auszunehmen. Uni‑ onsrechtlich wäre eine solche Inländerdiskriminierung irrelevant.64 Vor dem Hintergrund des allgemeinen Gleichheitssatzes in Art. 3 Abs. 1 GG wäre kein sachlicher Grund für einen Ausschluss nur der inländischen Verkehrsunter‑ nehmer und nicht aller inländischen Unternehmer von der Steuerentlastung erkennbar. Eine solche Regelung wäre daher wegen eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG verfassungswidrig und hätte keinen Bestand. Es muss also darauf geachtet werden, dass die Vorschrift sowohl mit dem Unionsrecht als auch mit dem nationalen Verfassungsrecht vereinbar ist, da ansonsten durch die Nichtigkeitserklärung wegen des Verstoßes gegen das Verfassungsrecht ein unionsrechtswidriger Zustand entstehen könnte.65 (4) Vermeidung der Typisierung durch Wegfall der Steuerentlastung Schließlich könnte auch die Einführung der Infrastrukturabgabe ohne gleichzeitige Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer erfolgen.66 Auch in diesem Falle wäre der Abstand gewahrt, ohne dass ein Verwaltungsmehr‑ aufwand wegen einer Ausnahme für ausländische Verkehrsunternehmer von der Infrastrukturabgabepflicht entstünde. Verwiese man die nationalen Ge‑ setzgeber aber auf diese Option, verweigerte man den Mitgliedstaaten weit‑ gehend die Befugnis zu einer Systemumstellung von einer Steuer- auf eine Nutzerfinanzierung ohne gleichzeitige Mehrbelastung der inländischen Fahr‑ 64  Vgl. nur EuGH, Urt. v. 14.7.1981, 155 / 80, NJW 1981, 1885 (1885), Rn. 9  – Nachtbackverbot. 65  Vgl. auch Kainer / Ponterlitschek, ZRP 2013, 198 (201). 66  Vgl. Langeloh, DÖV 2014, 365 (373).

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3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

zeughalter und -führer.67 Einer solchen Umstellung ist die Abschaffung oder zumindest die deutliche Senkung der bisherigen Steuer gerade immanent.68 Bei den Steuern, die sich auf das Halten und die Nutzung von Kraftfahrzeu‑ gen beziehen, namentlich die Energiesteuer und die Kraftfahrzeugsteuer, kommt eine Senkung stets hauptsächlich inländischen Kraftfahrzeughaltern und ‑führern zugute. Anderenfalls wären zumindest im Bereich des privaten Kraftfahrzeugverkehrs die nationalen Gesetzgeber – gerade vor dem Hinter‑ grund der strengen Auslegung des Art. 92 AEUV durch den EuGH69 – inso‑ weit zu stark in ihrer Regelungskompetenz eingeengt. Deshalb wird eine Typisierung im vorliegenden Fall ebenfalls nicht unzulässig. (5) Typisierung und effet utile des Unionsrechts Michael Fehling erkennt zwar grundsätzlich einen Typisierungsspielraum bei Art. 92 AEUV an, möchte unter dem Gesichtspunkt des effet utile des Unionsrechts aber einen strengeren Maßstab anlegen,70 sodass die Typisie‑ rung vorliegend unzulässig sein kann. Er geht insoweit davon aus, dass die Wettbewerbsverschlechterung ausländischer Verkehrsunternehmer nur eine „minimale Randerscheinung“ sein dürfe. Diese Verschlechterung dürfe gar nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zu vermeiden sein. Tat‑ sächlich sind wohl nur wenige ausländische Verkehrsunternehmer betrof‑ fen.71 Der Verwaltungsaufwand für eine Ausnahmeregelung für ausländische Verkehrsunternehmer ist zwar deutlich höher als bei der jetzt getroffenen Regelung, aber dennoch nicht unverhältnismäßig hoch. Bei dieser strengeren Betrachtung muss die Typisierung als unzulässig angesehen werden. Die möglichst umfassende Anwendung des Art. 92 AEUV ist aber gerade dann nicht erforderlich, wenn das Unionsrecht andere Vorschriften enthält, die den gleichen oder einen größeren Personenkreis vor Diskriminierungen schützen. Wenn also solche Vorschriften bestehen, bedarf es eines Rückgriffs auf den effet utile des Unionsrechts an dieser Stelle nicht. Die Infrastruktur‑ abgabe ist auch am allgemeinen Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV, 67  Ähnlich Fehling, ZG 2014, 305 (310). Zum Ziel der EU-Kommission einer Systemumstellung bei der Straßenfinanzierung, s. KOM(2012) 199 endg. Art. 7k der Richtlinie 1999 / 62 / EG in der Fassung der Richtlinie 2011 / 76 / EU (sog. Eurovignet‑ ten-Richtlinie) sieht vor, dass durch die Mitgliedstaaten bei der Einführung von Maut- und Benutzungsgebühren für schwere Nutzfahrzeuge ein angemessener Aus‑ gleich vorgesehen werden kann. 68  Boehme-Neßler, NVwZ 2014, 97 (102); vgl. auch Schwemer, Ausschuss-Drs. 18(15)193-E, S. 4. 69  Siehe oben in diesem Teil unter B I. 70  ZG 2014, 305 (309). 71  Ebenso Reimer, DVBl. 2015, 1405 (1411); Langeloh, DÖV 2014, 365 (372).



B. Verstoß gegen Art. 92 AEUV211

das alle Unionsbürger schützt, zu messen.72 Selbst wenn das Infrastrukturab‑ gabengesetz nicht an Art. 92 AEUV gemessen wird, besteht für die Unions‑ bürger und damit insbesondere auch für die Verkehrsunternehmer ein Schutz durch das Unionsrecht. Der effet utile kann also insoweit gegenüber der Ty‑ pisierung zurückgestellt werden. Daher ist vorliegend die Typisierung durch das Infrastrukturabgabengesetz auch vor dem Hintergrund des effet utile des Unionsrechts zulässig.73 e) Ergebnis Aufgrund der typischerweise fehlenden Betroffenheit von ausländischen Verkehrsunternehmern durch das Infrastrukturabgabengesetz ist der persön­ liche Anwendungsbereich des Art. 92 AEUV nicht eröffnet. Daher ist das ­Infrastrukturabgabengesetz auch nicht an Art. 92 AEUV zu messen.

III. Inhaltliche Voraussetzungen des Art. 92 AEUV Obwohl der persönliche Anwendungsbereich nicht eröffnet ist, soll trotz‑ dem gutachtlich geprüft werden, ob das Infrastrukturabgabengesetz inhaltlich gegen Art. 92 AEUV verstößt. Die Feststellung der materiellen Reichweite der Vorschrift muss vom Wortlaut ausgehen. Danach dürfen die Mitgliedstaa‑ ten die auf diesem Gebiet zum Zeitpunkt ihres Beitritts geltenden Vorschrif‑ ten in ihren unmittelbaren oder mittelbaren Auswirkungen auf die Verkehrs‑ unternehmer anderer Mitgliedstaaten im Vergleich zu den inländischen Ver‑ kehrsunternehmern nicht ungünstiger gestalten. 1. Unmittelbare oder mittelbare Auswirkungen a) Wirtschaftliche Gesamtbetrachtung mehrerer Maßnahmen Art. 92 AEUV gibt keinen Hinweis darauf, welche Art von Auswirkungen miteinander verglichen werden sollen. Dabei wird bei nationalen Maßnah‑ men stets eine wirtschaftliche Betrachtung vorgenommen.74 Nationale Maß‑ 72  Siehe 73  A. A.

unten in diesem Teil unter D. Langeloh, Einheimischenprivilegierungen, S. 268; Zabel, NVwZ 2015,

186 (187). 74  EuGH, Urt. v. 19.5.1992, C-195 / 90, NJW 1992, 1949 (1950), Rn. 23  – Kom‑ mission / Deutschland; Jacobs, Schlussanträge v. 13.3.1992 zu EuGH, Urt. v. 19.5.1992, C-195 / 90, Rn. 22; Heselhaus, EuZW 1993, 311 (312); Engel / Singbartl, VR 2014, 289 (293); Epiney / Heuck / Schleiss, in: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht,

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3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

nahmen werden also danach beurteilt, welche wirtschaftlichen Auswirkungen sie auf Verkehrsunternehmer anderer Mitgliedstaaten im Vergleich zu den inländischen Verkehrsunternehmern haben. Bei mehreren nationalen Maß‑ nahmen ist allerdings nicht abschließend geklärt, unter welchen Vorausset‑ zungen eine Gesamtbetrachtung mit Blick auf Art. 92 AEUV vorgenommen werden darf.75 Dabei wird vertreten, dass nur rechtlich gleichartige und aus diesem Grund miteinander zusammenhängende Maßnahmen einheitlich an Art. 92 AEUV überprüft werden können.76 Eine solche Betrachtungsweise brächte aber bereits bei der Ermittlung der Gleichartigkeit unionsrechtliche Auslegungsschwierigkeiten, insbesondere im Bereich der Abgaben, mit sich. So stimmen die Begriffe Abgaben, Steuern, Gebühren und Beiträge in ihren unionsrechtlichen Bedeutungen keineswegs ohne Weiteres mit den nationalen Begriffsbedeutungen77 überein.78 Es müssten also umfangreiche Untersu‑ chungen hinsichtlich des unionsrechtlichen Charakters der jeweiligen natio‑ nalen Abgaben gemacht werden, um festzustellen, ob Abgaben unionsrecht‑ lich gleichartig sind. Diese Auslegungsschwierigkeiten lassen sich durch eine Betrachtung mehrerer leicht nachvollziehbarer Kriterien zur Ermittlung eines Zusammen‑ hangs nationaler Maßnahmen vermeiden. So können die zeitliche Nähe des Erlasses der einzelnen Maßnahmen wie auch die Verabschiedung in einem oder mehreren Rechtsakten für die Frage eines Zusammenhangs nationaler Maßnahmen herangezogen werden.79 Ebenso können Bezüge in einer Vor‑ schrift auf die andere, Bezüge in den Begründungen zu den jeweiligen Ge‑ setzentwürfen oder auch wirtschaftliche Erwägungen wie sich ausgleichende Auswirkungen der Maßnahmen auf den Staatshaushalt für einen Zusammen‑ Rn. L 166 (Stand d. Bearb.: Sept. 2013); Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskon‑ formität, S. 12; Zabel, NVwZ 2015, 186 (188). 75  Diesen Umstand kritisieren Klein / Haratsch, DÖV 1994, 133 (138), am Urt. des EuGH v. 19.5.1992, C-195 / 90  – Kommission / Deutschland, da dieser dort keine Kriterien für eine wirtschaftliche Gesamtbetrachtung mehrerer nationaler Maßnahmen nenne. Hillgruber, in: Finanzierung des Straßenbaus, S. 15 (39), nennt beide im Fol‑ genden dargestellten Möglichkeiten einer Gesamtbetrachtung. 76  Nicolaysen, in: Selmer / Brodersen / Nicolaysen, Straßenbenutzungsabgaben, S.  154 ff.; Ebenroth / Fischer / Sorek, BB 1990, 2125 (2128 f.); vgl. zu dieser Auffas‑ sung auch Hillgruber, DVBl. 2016, 73 (75). 77  Siehe dazu ausführlich im 1. Teil unter B. I. bis V. 78  Vgl. Kreibohm, Begriff der Steuer, S. 242  f.; Hof, Straßenverkehrsabgaben, S. 87 ff., 175; EuGH, Urt. v. 2.12.1997, C-188 / 95, EuZW 1998, 172 (174), Rn. 26 – Fantask; EuGH, Urt. v. 18.1.2001, C-113 / 99, NZG 2001, 310 (311), Rn. 25 – Schmid; a. A. wohl Nicolaysen, in: Selmer / Brodersen / Nicolaysen, Straßenbenutzungsabgaben, S.  154 ff.; Ebenroth / Fischer / Sorek, BB 1990, 2125 (2128 f.). 79  Hof, Straßenverkehrsabgaben, S.  175  f.; vgl. auch Basedow, JZ 1992, 870 (873); Klein / Haratsch, DÖV 1994, 133 (138).



B. Verstoß gegen Art. 92 AEUV213

hang sprechen.80 Wesentlich ist aber, dass die Maßnahmen auch inhaltlich eng miteinander verknüpft sind, indem sie demselben Regelungsbereich ent‑ stammen oder weitgehend denselben Gegenstand betreffen.81 Wenn also eine inhaltliche Verbindung mehrerer nationaler Maßnahmen besteht und weitere Kriterien für eine Verbindung dieser Maßnahmen sprechen, kann eine wirt‑ schaftliche Gesamtbetrachtung im Rahmen des Art. 92 AEUV erfolgen. Zunächst sollen aber die Regelungen des Infrastrukturabgabengesetzes und des Zweiten Verkehrsteueränderungsgesetzes isoliert an Art. 92 AEUV ge‑ messen werden. Falls bei einer isolierten Betrachtung kein Verstoß gegen Art. 92 AEUV festgestellt werden kann, erfolgt eine Prüfung der Gesamtbe‑ trachtung beider Gesetze. b) Infrastrukturabgabengesetz Betrachtet man das Infrastrukturabgabengesetz isoliert, so erkennt man, dass bei der Abgabenerhebung grundsätzlich keine Differenzierung zwischen in- und ausländischen Verkehrsunternehmern erfolgt. Bei den abgabepflichti‑ gen Straßen wird durch § 1 Abs. 2 InfrAG sowie bei den Vignettenarten durch § 7 Abs. 1 und 2 InfrAG differenziert, in beiden Fällen allerdings zu‑ gunsten der ausländischen Kraftfahrzeughalter. Bei den Gebührensätzen, d. h. der Höhe der Gebühr, wird allerdings keine Differenzierung vorgenommen. Daran ändert auch die Neuregelung82 der Abgabensätze in der Anlage zu § 8  InfrAG nichts. In- und ausländische Verkehrsunternehmer zahlen für den gleichen Benutzungszeitraum die Infrastrukturabgabe in genau gleicher Höhe. Insoweit stellt also die Infrastrukturabgabe in- und ausländische Ver‑ kehrsunternehmer gleichmäßig schlechter. Dadurch werden ausländische Verkehrsunternehmer nicht selektiv ungünstiger behandelt als inländische, sodass Art. 92 AEUV die Mitgliedstaaten – schon seinem Wortlaut nach – nicht an der Einführung solcher gleichmäßig belastenden Abgaben hindert.83 Im Gegenteil kann im Zwang zum Erwerb einer Jahresvignette nach § 7 Abs. 1 Satz 1 InfrAG ebenso wie in der Abgabepflicht auf Autobahnen und Bundesstraßen eine Inländerdiskriminierung gesehen werden, die unions‑ 80  Hof, Straßenverkehrsabgaben, S. 176; vgl. auch Boehme-Neßler, NVwZ 2014, 97 (101 f.); Mayer, Ausschuss-Drs. 18(15)193-F, S. 6; Rathke, Ausarbeitung für den Bundestag, S. 14; krit. Freytag, Umweltabgaben, S. 284. 81  Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 42 f.; vgl. auch BoehmeNeßler, NVwZ 2014, 97 (101 f.); Mayer, Ausschuss-Drs. 18(15)193-F, S. 6; Wasmeier, Umweltabgaben, S. 182; krit. Freytag, Umweltabgaben, S. 284 f. 82  BT-Drs. 18 / 11237 v. 20.2.2017, S. 7 f. 83  Vgl. EuGH, Urt. v. 19.5.1992, C-195 / 90, NJW 1992, 1949 (1950), Rn. 21  – Kommission / Deutschland.

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3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

rechtlich irrelevant ist.84 Bei einer isolierten Betrachtung des Infrastrukturab‑ gabengesetzes scheidet also ein Verstoß gegen Art. 92 AEUV aus. c) Zweites Verkehrsteueränderungsgesetz Durch Art. 1 Nr. 7 des Zweiten Verkehrsteueränderungsgesetzes85 wurde ein Steuerentlastungsbetrag in § 9 Abs. 6 bis 8 KraftStG eingeführt. Dadurch wird die Kraftfahrzeugsteuer nach dem Beginn der Abgabenerhebung für die Halter in Deutschland zugelassener Kraftfahrzeuge grundsätzlich in Höhe der individuellen Infrastrukturabgabe ermäßigt. Für besonders schadstoffarme Kraftfahrzeuge sieht das Gesetz zur Änderung des Zweiten Verkehrsteuerän‑ derungsgesetzes86 vor, dass für die Halter solcher Fahrzeuge die Kraftfahr‑ zeugsteuer über den Betrag der Infrastrukturabgabe hinaus gesenkt werden soll, um einen Anreiz zum Erwerb besonders umweltfreundlicher Kraftfahr‑ zeuge zu schaffen.87 aa) Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer nach § 3 Nr. 13 Satz 1 KraftStG Diese Senkung der Kraftfahrzeugsteuer wirkt sich auf den ersten Blick nicht unmittelbar positiv auf ausländische Verkehrsunternehmer mit Perso‑ nenkraftwagen aus, die sich in Deutschland befinden: Diese sind wegen der Steuerbefreiung gem. § 3 Nr. 13 Satz 1 KraftStG bei vorübergehendem Auf‑ enthalt in Deutschland grundsätzlich nicht kraftfahrzeugsteuerpflichtig.88 bb) Ausnahme von der Befreiung nach § 3 Nr. 13 Satz 2 KraftStG Zu beachten ist aber die Ausnahme von der Steuerbefreiung in § 3 Nr. 13 Satz 2 KraftStG. Danach entfällt die Steuerbefreiung, wenn die Fahrzeuge der entgeltlichen Beförderung von Personen oder Gütern dienen oder für diese Fahrzeuge ein regelmäßiger Standort im Inland begründet ist. Damit sind ausländische Verkehrsunternehmer mit ihren Personenkraftwagen ver‑ 84  Hillgruber,

DVBl. 2016, 73 (74); s. auch im 2. Teil unter B. I. 4. b) cc). v. 8.6.2015, BGBl. I S. 901. 86  Gesetz v. 6.6.2017, BGBl. I S. 1493. 87  BT-Drs. 18 / 11235 v. 20.2.2017, S. 10, 12. 88  Vgl. die Verpflichtung in der Richtlinie 83 / 182 / EWG des Rates vom 28. März 1983 über Steuerbefreiungen innerhalb der Gemeinschaft bei vorübergehender Ein‑ fuhr bestimmter Verkehrsmittel, ABl. EG L 105 v. 23.4.1983, S. 59. 85  Gesetz



B. Verstoß gegen Art. 92 AEUV215

meintlich nicht nach § 3 Nr. 13 Satz 1 KraftStG von der deutschen Kraftfahr‑ zeugsteuer befreit und somit doch kraftfahrzeugsteuerpflichtig.89 § 3 Nr. 13 Satz 2 KraftStG dürfte auf die Bedingung für die Steuerbefrei‑ ung bei beruflich genutzten Fahrzeugen in Art. 4 Abs. 1 lit. a der Richtlinie 83 / 182 / EWG abzielen. Danach wird eine Steuerbefreiung für beruflich ge‑ nutzte Fahrzeuge nur dann gewährt, wenn das Fahrzeug im Mitgliedstaat der vorübergehenden Einfuhr weder für eine Personenbeförderung gegen Entgelt oder sonstige materielle Vergünstigungen noch für eine entgeltliche oder unentgeltliche Güterbeförderung zu gewerblichen oder geschäftlichen Zwe‑ cken genutzt wird. Somit fallen Verkehrsunternehmer mit Personenkraftwa‑ gen nur unter die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 13 Satz 1 KraftStG, wenn sie einen Personenkraftwagen ihres Unternehmens, der im Ausland zugelassen ist, für eine private Fahrt in Deutschland nutzen. Die meisten Fahrten auslän‑ discher Verkehrsunternehmer, die unter die Infrastrukturabgabepflicht nach § 1 Abs. 1 InfrAG fallen, dürften also zumindest bei isolierter Betrachtung des § 3 Nr. 13 Satz 2 InfrAG die Kraftfahrzeugsteuerpflicht in Deutschland auslösen.90 cc) Befreiung durch Doppelbesteuerungsabkommen Allerdings existieren mit den meisten Mitgliedstaaten der EU und des EWR Abkommen über die Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Ge‑ biet der Kraftfahrzeugsteuern, die auch bei gewerblicher Personen- und Gü‑ terbeförderung Steuerbefreiungen für die vorübergehende Einfuhr von Kraft‑ fahrzeugen vorsehen.91 Lediglich mit Malta und Island sind keine Doppel‑ besteuerungsabkommen auf dem Gebiet der Kraftfahrzeugsteuern vorhanden, sodass Verkehrsunternehmer mit Personenkraftwagen, die in Malta oder ­Island zugelassen sind, bei gewerblicher Nutzung des Fahrzeugs in Deutsch‑ land kraftfahrzeugsteuerpflichtig sind.92 Faktisch dürfte es für sämtliche Verkehrsunternehmer aus der EU oder dem EWR keine unmittelbaren Aus‑ wirkungen (d. h. weder Vor- noch Nachteile) durch die nationale Kraftfahr‑ zeugsteuersenkung geben, da sie in Deutschland nicht kraftfahrzeugsteuer‑ Hartmann, Pkw-Maut, S. 32. ohne nähere Prüfung Schiedermair / Koppe, JURA 2016, 406 (409), die überdies fälschlicherweise auf § 2 Nr. 13 KraftStG abstellen und § 3 Nr. 13 Satz 2 KraftStG völlig außer Acht lassen. 91  Siehe zuletzt BMF-Schreiben v. 22.1.2014, BStBl. I S. 171 (171, 176). 92  Angesichts der geographischen Lage Maltas und Islands auf Inseln und der Entstehung der Steuer im Zeitpunkt des Verbringens des Fahrzeugs in das Inland er‑ scheint ein praktischer Bedarf für Doppelbesteuerungsabkommen auf dem Gebiet der Kraftfahrzeugsteuern mit diesen beiden Staaten nicht vorhanden zu sein. 89  So

90  A.  A.

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3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

pflichtig sind oder es zumindest keine praktischen Fälle einer Kraftfahrzeug‑ steuerpflicht in Deutschland gibt. dd) Zulässigkeit einer alleinigen Senkung der Kraftfahrzeugsteuer Allerdings verbietet Art. 92 AEUV auch nationale Vorschriften, die durch mittelbare Auswirkungen die Situation ausländischer Verkehrsunternehmer ungünstiger gestalten. Auf den ersten Blick kann auch eine Senkung der Kraftfahrzeugsteuer ohne weitere Maßnahmen unter das Schlechterstellungs‑ verbot des Art. 92 AEUV fallen. Dann wäre es den Mitgliedstaaten im An‑ wendungsbereich des Art. 92 AEUV verwehrt, ihr nationales Kraftfahrzeug‑ steuersystem autonom umzugestalten, sofern damit eine Senkung der Kraft‑ fahrzeugsteuer verbunden ist. Diese Auffassung kollidiert aber mit dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 EUV insbesondere i. V. m. Art. 114 Abs. 2 AEUV, da die Kraftfahrzeugsteuer als direkte Steuer in der Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten verbleibt, soweit sie nicht harmonisiert wurde.93 Aus diesem Grund wird einhellig ein Verstoß einer isolierten Senkung der Kraftfahrzeugsteuer gegen Art. 92 AEUV abgelehnt.94 Auch im vorliegenden Fall ist daher zur Wahrung des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung kein Verstoß der Kraftfahrzeug‑ senkung in § 9 Abs. 6 bis 8 KraftStG gegen Art. 92 AEUV anzunehmen. An dieser Betrachtung ändert sich durch das Gesetz zur Änderung des Zweiten Verkehrsteueränderungsgesetzes95 und die damit verbundene Erhöhung der Steuerentlastungsbeträge in § 9 Abs. 6 KraftStG nichts. d) Gesamtbetrachtung beider Maßnahmen Beide Einzelmaßnahmen, das Infrastrukturabgabengesetz und das Zweite Verkehrsteueränderungsgesetz, sind also für sich gesehen mit Art. 92 AEUV vereinbar. Bei einer Gesamtbetrachtung kann das Ergebnis dagegen anders ausfallen. Eine solche wirtschaftliche Gesamtbetrachtung muss aber geboten sein. Der EuGH hat in seinem Urteil vom 19. Mai 1992 zur Lkw-Maut eine 93  Gröpl, in: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht, Rn. J  27, 648 f. (Stand d. Bearb.: Apr. 2015); Boehme-Neßler, NVwZ 2014, 97 (101); vgl. auch EuGH, Urt. v. 21.3.2002, C-451 / 99, EuZW 2002, 444 (446), Rn. 40  – Cura; a. A. wohl Zabel, NVwZ 2015, 186 (188). 94  Jacobs, Schlussanträge v. 13.3.1992 zu EuGH, Urt. v. 19.5.1992, C-195 / 90, Rn. 18  – Kommission / Deutschland; Nicolaysen, in: Selmer / Brodersen / Nicolaysen, Straßenbenutzungsabgaben, S.  150 f.; Heselhaus, EuZW 1993, 511 (512); Wasmeier, Umweltabgaben, S. 180 f.; Hof, Straßenverkehrsabgaben, S. 182; Freytag, Umweltab‑ gaben, S. 297; Hillgruber, DVBl. 2016, 73 (74). 95  Gesetz v. 6.6.2017, BGBl. I S. 1493.



B. Verstoß gegen Art. 92 AEUV217

wirtschaftliche Gesamtbetrachtung der Einführung der Maut bei gleichzeiti‑ ger Senkung der Kraftfahrzeugsteuer, die beide im gleichen Gesetz beschlos‑ sen wurden, ohne nähere Begründung angenommen.96 Dies mag angesichts der Verbindung beider Maßnahmen in einem Artikelgesetz97 noch nachzu‑ vollziehen sein.98 aa) Offensichtliche Gründe für eine Gesamtbetrachtung Anders liegt der Fall aber insoweit beim Infrastrukturabgabengesetz sowie dem Zweiten Verkehrsteueränderungsgesetz. Beide sind in voneinander ge‑ trennten Gesetzgebungsverfahren in unterschiedlichen Gesetzen verabschie‑ det worden. Jedoch erfolgten der Beschluss im Bundestag und die Verkün‑ dung im Bundesgesetzblatt bei beiden Gesetzen jeweils am gleichen Tag.99 Auch eine inhaltliche Bezugnahme in den Begründungen zu den Gesetzent‑ würfen100 und in Art. 3 Abs. 2 des Zweiten Verkehrsteueränderungsgesetzes, der das Inkrafttreten der Steuersenkung in § 9 Abs. 6 bis  8 KraftStG an den Beginn der Infrastrukturabgabenerhebung koppelt, ist nicht von der Hand zu weisen.101 Überdies ergab sich durch die ursprüngliche Fassung der beiden Gesetze ein weitgehender haushaltsrechtlicher Ausgleich beider Gesetze mit Blick auf die Halter von in Deutschland zugelassenen Kraftfahrzeugen, da die Berechnung der Kosten einer Jahresvignette mit derjenigen der Steuer‑ entlastung in § 9 Abs. 6 KraftStG – bis auf Fahrzeuge der Emissionsklasse Euro 6 – übereinstimmte. Hier ergab sich durch die Änderung des Zweiten Verkehrsteueränderungsgesetzes102 eine gewisse Abweichung: Zuvor war die Steuerentlastung bei Fahrzeugen der Emissionsklasse Euro 6 nach § 9 Abs. 6 Nr. 1 lit. a KraftStG um 0,20 Euro je 100 Kubikzentimeter höher als die In­ frastrukturabgabe nach Abs. 1 Nr. 3 lit. a der Anlage zu § 8 InfrAG. Die Änderung führt nun aber dazu, dass die Senkung für diese Fahrzeuge auf zwei Jahre befristet um 0,65 Euro und danach um 0,54 Euro je 100 Kubik‑ zentimeter höher sein wird als die Infrastrukturabgabe. Dadurch ergeben sich nach den Berechnungen des Bundesministeriums der Finanzen Minderein‑ nahmen i. H. v. mindestens 100 Mio. Euro im Vergleich zur bisherigen Geset‑ 96  EuGH, Urt. v. 19.5.1992, NJW 1992, 1949 (1950), Rn. 23  – Kommission /  Deutschland. 97  Gesetz über Gebühren für die Benutzung von Bundesfernstraßen mit schweren Lastkraftwagen v. 30.4.1990, BGBl. I S. 826. 98  Hof, Straßenverkehrsabgaben, S. 175 f.; Freytag, Umweltabgaben, S. 283. 99  Gesetze v. 8.6.2015, BGBl. I 2015, S. 901, 904. 100  BT-Drs. 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 2, 19 f.; BT-Drs. 18 / 3991 v. 11.2.2015, S. 1 f., 10. 101  Siehe dazu auch Zabel, NVwZ 2015, 1241 (1247). 102  Gesetz v. 6.6.2017, BGBl. I S. 1493.

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3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

zesfassung.103 Somit gleichen sich im Falle der Änderung des Zweiten Ver‑ kehrsteueränderungsgesetzes die Auswirkungen der beiden Gesetze auf den Haushalt des Bundes auch nicht mehr weitgehend aus und ein Zusammen‑ hang ist jedenfalls aus diesem Grund zu verneinen. Davon abgesehen sprechen aber mehrere offensichtliche Kriterien für eine wirtschaftliche Gesamtbetrachtung von Infrastrukturabgabengesetz und Zweitem Verkehrsteueränderungsgesetz (Beschluss und Verkündung der Ge‑ setze jeweils am selben Tag, inhaltliche Bezugnahme in den Begründungen zu den Gesetzentwürfen und urprünglich ein weitgehender haushaltsrecht­ licher Ausgleich beider Gesetze). bb) Inhaltliche Verknüpfungen beider Maßnahmen Entscheidend ist aber, ob auch eine hinreichende inhaltliche Verknüpfung beider Gesetze gegeben ist.104 Hillgruber führt als Beispiel für einen fehlen‑ den Zusammenhang statt einer Senkung der Kraftfahrzeugsteuer eine Sen‑ kung der Einkommensteuer an, die keinen Sachzusammenhang zu einer Straßenbenutzungsabgabe aufweist, aber wegen des Wohnsitzprinzips in § 1 Abs. 1 EStG überwiegend Deutschen zugutekäme.105 Indes ist vorliegend ein Sachzusammenhang durch den Bezug beider Gesetze zum Kraftfahrzeug – bei der Steuer zum Halten, bei der Infrastrukturabgabe zur Nutzung – anzu‑ nehmen. Zwar ergeben sich in der Rechtsnatur – zumindest mit Blick auf das deutsche Recht – Unterschiede zwischen der Kraftfahrzeugsteuer und der zeitbezogenen Infrastrukturabgabe als Gebühr bzw. Beitrag.106 Vorliegend wird aber gerade wegen der Einordnungsschwierigkeiten im Unionsrecht107 und der damit verbundenen Rechtsunsicherheit gerade nicht auf eine rechtli‑ che Gesamtbetrachtung, sondern auf eine wirtschaftliche Gesamtbetrachtung abgestellt. Danach ist ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen der Be‑ lastung in- und ausländischer Kraftfahrzeughalter durch die Infrastrukturab‑ gabe und der gleichzeitigen Entlastung durch die Kraftfahrzeugsteuer nur für inländische Kraftfahrzeughalter eindeutig erkennbar: Die partielle Umstel‑ lung von der Steuerfinanzierung zur Nutzerfinanzierung der Bundesfernstra‑ ßen erfolgt ohne Doppelbelastung, was gerade durch die Kombination der beiden Maßnahmen sichergestellt werden soll.108

103  BT-Drs.

18 / 11235 v. 20.2.2017, S. 10. zur inhaltlichen Verknüpfung auch Classen, in: Oppermann / Classen / Net‑ tesheim, Europarecht, § 26 Rn. 14. 105  Hillgruber, DVBl. 2016, 73 (74). 106  Vgl. im 1. Teil unter B. II. und V.; Schwemer, Ausschuss-Drs. 18(15)193-E, S. 3. 107  Siehe in diesem Teil unter B. III. 1. a). 104  Vgl.



B. Verstoß gegen Art. 92 AEUV219

An diesem wirtschaftlichen Zusammenhang ändert auch die zuvor (bis Juni 2017) um 0,20 Euro je 100 Kubikzentimeter niedrigere Infrastrukturab‑ gabe für Kraftfahrzeuge der Emissionsklasse Euro 6 nichts.109 Diese Maß‑ nahme war allenfalls als eine umweltpolitische Lenkungsmaßnahme anzuse‑ hen, die angesichts der geringen Steuervorteile für diese Fahrzeuge in ihrer Wirkung sehr zweifelhaft erschien. Eine solche nur partiell wirkende Maß‑ nahme mit geringen Vorteilen konnte den wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen Infrastrukturabgabe und Kraftfahrzeugsteuersenkung nicht beseiti‑ gen. Eine Systemumstellung von der Steuerfinanzierung zur Nutzerfinanzierung der Straßen kann nicht als Argument für eine Einzelbetrachtung beider Maß‑ nahmen dienen, da gerade durch die Systemumstellung ein eigener Zusam‑ menhang zwischen der Senkung der Kraftfahrzeugsteuer und der Einführung der Vorzugslast für die Straßenbenutzung hergestellt wird.110 Dann rechtfer‑ tigt nicht nur die gezielte Entlastung durch die Senkung der Kraftfahrzeug‑ steuer die Gesamtbetrachtung, sondern auch die Systemumstellung, die not‑ wendigerweise Kraftfahrzeugsteuer und Vorzugslast für die Straßenbenutzung miteinander verknüpft. Diese Frage kann erst bei der Frage der Rechtferti‑ gung einer möglichen Diskriminierung unter dem Stichwort der Kohärenz111 eine Rolle spielen, da erst dann die Motive des Gesetzgebers zu hinterfragen sind.112 cc) Erwägungen gegen eine wirtschaftliche Gesamtbetrachtung Zweifel am Zusammenhang könnten indes angesichts der stärkeren Be‑ günstigung von Fahrzeugen der Emissionsklasse Euro 6 bei der Kraftfahr‑ zeugsteuer durch das Gesetz zur Änderung des Zweiten Verkehrsteuerände‑ rungsgesetzes vom 6. Juni 2017113 aufkommen. Dadurch wurde der umwelt‑ politische Zweck der Förderung des Erwerbs schadstoffarmer Fahrzeuge deutlicher in den Vordergrund gerückt.114 Gleichermaßen wurde durch die Änderung der Abgabensätze für die Zehntages- und Zweimonatsvignetten bei 108  BT-Drs. 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 46 f.; BT-Drs. 18 / 3991 v. 11.2.2015, S. 1, 14; Hillgruber, DVBl. 2016, 73 (75 f.); Zabel, NVwZ 2015, 1241 (1247). 109  A. A. wohl BT-Drs. 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 20, 47. 110  Ein Zusammenhang ist auch unionsrechtlich anerkannt, vgl. RL 1999 / 62 / EG v. 17.6.1999, ABl. EG L  187 v. 20.7.1999, S. 42, mit. spät. Änd.; Langeloh, DÖV 2014, 365 (371 f.); unklar insoweit Hillgruber, DVBl. 2016, 73 (75 f.). 111  Vgl. Langeloh, DÖV 2014, 365 (372). 112  Fehling, ZG 2014, 305 (311 f.); vgl. auch Mayer, Ausschuss-Drs. 18(15)193-F, S.  6 f. 113  BGBl. I S. 1493. 114  BT-Drs. 18 / 11235 v. 20.2.2017, S. 1, 9 f., 12.

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3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

der Infrastrukturabgabe darauf hingewirkt, dass verstärkt auch im Ausland zugelassene umweltfreundlichere Fahrzeuge die Bundesfernstraßen nutzen.115 So wurden die Abgabensätze für Fahrzeuge mit hohem Schadstoffausstoß und stärkerer Motorisierung erhöht, während die Sätze für besonders schad‑ stoffarme und schwächer motorisierte Fahrzeuge im Vergleich zur bisherigen Rechtslage gesenkt wurden. An der Höhe der Infrastrukturabgabe für Jahres‑ vignetten wurde durch die Neuregelung nichts geändert. Um allerdings den wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen Infrastrukturabgabe und Senkung der Kraftfahrzeugsteuer verneinen zu können, hätte das umweltpolitische Konzept, welches bei der Infrastrukturabgabe durch die Neuregelung der Abgabensätze für Zehntages- und Zweimonatsvignetten verwirklicht werden sollte, auch bei der Kraftfahrzeugsteuer vollumfänglich umgesetzt werden müssen. Das bedeutet, dass gleichzeitig mit einer weiteren Senkung der Kraftfahrzeugsteuer für besonders schadstoffarme Personenkraftwagen auch eine geringere Entlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer für Personenkraftwa‑ gen mit besonders hohem Schadstoffausstoß einhergehen müsste. Das hätte im Ergebnis zu einer höheren Belastung einiger inländischer Kraftfahrzeug‑ halter geführt,116 die gerade wegen des Koalitionsvertrags von CDU, CSU und SPD politisch nicht möglich war und ist.117 Nur dann wäre von einem folgerichtigen System auszugehen gewesen, welches insgesamt nicht in ers‑ ter Linie auf eine Vermeidung einer weiteren Belastung für Inländer, sondern vor allem auf die Förderung umweltfreundlicher und schadstoffarmer Kraft‑ fahrzeuge abgezielt hätte.118 Die in diesem Fall dennoch bestehende wirt‑ schaftliche Entlastung bzw. fehlende Mehrbelastung der Mehrzahl inländi‑ scher Kraftfahrzeughalter hätte dann durch das kohärente System zum Zweck der Verbreitung umweltfreundlicher Kraftfahrzeuge begründet werden kön‑ nen. So aber ist selbst unter Berücksichtigung der Änderungen im Infrastruk‑ turabgabengesetz und in § 9 Abs. 6 KraftStG im Juni 2017 ein hinreichender Zusammenhang zwischen Infrastrukturabgabengesetz und Zweitem Verkehr‑ steueränderungsgesetz anzunehmen, der eine wirtschaftliche Gesamtbetrach‑ tung am Maßstab des Art. 92 AEUV rechtfertigt.119 115  BT-Drs.

18 / 11237 v. 20.2.2017, S. 11 f. Ausschuss-Drs. 18(15)193-F, S. 7, sieht einen Zusammenhang zwi‑ schen Be- und Entlastung ebenfalls nur dann nicht, wenn auch eine „kritische An‑ zahl“ an inländischen Kraftfahrzeughaltern im Ergebnis belastet wird. 117  Koalitionsvertrag „Deutschlands Zukunft gestalten“ zwischen CDU, CSU und SPD für die 18. Legislaturperiode, S. 8, 29; vgl. dazu auch Stüer, DVBl. 2015, 1434 (1434). 118  Vgl. auch Engel / Singbartl, VR 2014, 289 (292 f.), die im Umweltschutz einen geeigneten Rechtfertigungsgrund sehen, allerdings auch nur bei einem konsistenten Vorgehen des Gesetzgebers. 119  Ebenso, aber ohne nähere Begründung Mayer, Ausschuss-Drs. 18(15)485-E, S. 12. 116  Mayer,



B. Verstoß gegen Art. 92 AEUV221

dd) Zwischenergebnis Das Infrastrukturabgabengesetz und die Kraftfahrzeugsteuerermäßigung in § 9 Abs. 6 KraftStG sind sowohl in der Fassung vom Mai 2015 als auch in der Fassung vom Juni 2017 wirtschaftlich zusammen zu betrachten. 2. Ungünstigere Gestaltung von Vorschriften im Vergleich von ausländischen zu inländischen Verkehrsunternehmern Mit Blick auf die Auslegung des Tatbestandsmerkmals der ungünstigeren Gestaltung von Vorschriften erscheint ein Vergleich mit der Formulierung eines anderen Diskriminierungsverbots der Verträge angezeigt. Anders ist die Formulierung beispielsweise in Art. 18 AEUV, der ein allgemeines Diskrimi‑ nierungsverbot auf Unionsebene normiert. Dort heißt es, dass jede Diskrimi‑ nierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit im Anwendungsbereich der Verträge verboten ist. Bereits aus dem Unterschied der beiden Wortlaute wird erkennbar, dass Art. 92 AEUV ein besonderes Diskriminierungsverbot ent‑ hält.120 Ein Diskriminierungsverbot untersagt grundsätzlich nur die Ungleich‑ behandlung einer bestimmten Gruppe von Normadressaten gegenüber einer anderen, obwohl zwischen den beiden Gruppen keine wesentlichen Unter‑ schiede bestehen.121 Der Wortlaut des Art. 92 AEUV lässt aber die Auslegung dahingehend zu, dass Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten ein beste‑ hender oder einmal gewährter Abstand zu Inländern erhalten bleiben muss („statische Auslegung“). Möglich ist hingegen auch die Interpretation als Diskriminierungsverbot, da eine nicht ungünstigere Gestaltung auch dann vorliegt, wenn In- und Ausländer im Ergebnis gleichbehandelt werden („dy‑ namische Auslegung“).122

120  Zu diesem Argument s. Jacobs, Schlussanträge v. 13.3.1992 zu EuGH, Urt. v. 19.5.1992, C-195 / 90, Rn. 16  – Kommission / Deutschland; Heselhaus, EuZW 1993, 311 (312); vgl. auch Wägenbaur, in: Het vervoer, S. 97; Ebenroth / Fischer / Sorek, BB 1989, 1566 (1567); Kainer / Ponterlitschek, ZRP 2013, 198 (199). 121  Vgl. EuGH, Urt. v. 23.4.1956, verb. Rs. 7 und 9 / 54, Slg. 1955 / 1956, 53 (94) – Groupement des Industries Sidérurgiques Luxembourgeoises; EuGH, Urt. v. 16.12. 2008, C-524 / 06, NVwZ 2009, 379 (382), Rn. 75  – Huber; Streinz, in: Streinz, EUV / AEUV-Komm., Art. 18 AEUV Rn. 45; von Bogdandy, in: Grabitz / Hilf / Nettes‑ heim, Recht der EU, Art. 18 AEUV Rn. 6 (Stand d. Bearb.: Sept. 2010). 122  Zu beidem Jacobs, Schlussanträge v. 13.3.1992 zu EuGH, Urt. v. 19.5.1992, C-195 / 90, Rn. 14 f.  – Kommission / Deutschland; Hof, Straßenverkehrsabgaben, S. 178.

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3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

a) Statische Auslegung Der EuGH schloss sich in der ersten zentralen Entscheidung im Jahr 1992 zum damaligen Art. 76 EWGV (Art. 92 AEUV) der erstgenannten Auslegung an und verlangte einen sog. statischen Vergleich123. Er verwarf das Vorbrin‑ gen der deutschen Bundesregierung, die darauf abgestellt hatte, dass die Entlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer und die gleichzeitige Einführung der Lkw-Maut im Ergebnis nur eine Gleichstellung von in- und ausländischen Verkehrsunternehmern bewirkt habe.124 Art. 76 EWGV trage dem Ziel Rech‑ nung, die Einführung der gemeinsamen Verkehrspolitik zu erleichtern, indem nationale Maßnahmen mit ungünstigeren Auswirkungen auf ausländische als auf inländische Verkehrsunternehmen nicht ohne eine einstimmige Billigung des Rates erlassen werden.125 Bereits vor Verkündung des Urteils, aber auch in der Folgezeit teilten und teilen zahlreiche Autoren die Auffassung des EuGH.126 Rolf Wägenbaur hatte bereits im Jahr 1964 für die statische Ausle‑ gung des Art. 76 EWGV plädiert.127 Im Wesentlichen stützte er sich darauf, dass im Normalfall ausländische Verkehrsunternehmer im nationalen Recht gegenüber inländischen Verkehrsunternehmern benachteiligt seien und Art. 76 EWGV eine weitere Verschlechterung der Position der ausländischen Verkehrsunternehmer verhindere. Die Situation, dass ausländische Verkehrs‑ unternehmer bessergestellt sind als inländische, bezeichnete Wägenbaur als einen Sonderfall, wobei den ausländischen Unternehmern der einmal ge‑ währte Vorteil wegen der Auslegung des Art. 76 EWGV nicht genommen werden dürfe. Dies sei nur eine Folge der Bemühungen, durch die strenge Auslegung des Art. 76 EWGV eine weitere Verschlechterung der Wettbe‑ werbssituation der ausländischen Verkehrsunternehmer durch das nationale Recht zu verhindern. So kann die Auslegung des heutigen Art. 92 AEUV aus historischer Perspektive verstanden werden. Überdies wird angeführt, dass Art. 92 AEUV dem Ziel diene, eine gemein‑ same Verkehrspolitik herbeizuführen und einseitige Maßnahmen einzelner Mitgliedstaaten zu verhindern.128 Effektiv könne das nur durch eine statische 123  Zum Begriff s. Epiney / Heuck / Schleiss, in: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht, Rn. L 164 (Stand d. Bearb.: Sept. 2013); Zabel, NVwZ 2015, 186 (188); Hartmann, Pkw-Maut, S. 34. 124  EuGH, Urt. v. 19.5.1992, C-195 / 90, NJW 1992, 1949 (1950), Rn. 23  – Kom‑ mission / Deutschland. 125  EuGH, Urt. v. 19.5.1992, C-195 / 90, NJW 1992, 1949 (1949 f.), Rn. 20 – Kom‑ mission / Deutschland. 126  Siehe nur Zabel, NVwZ 2015, 186 (189); Korte / Gurreck, EuR 2014, 420 (431 f.). 127  SEW 1964, 169 (180 f.). 128  Siehe bereits EuGH, Urt. v. 19.5.1992, C-195 / 90, NJW 1992, 1949 (1949 f.), Rn. 20 – Kommission / Deutschland.



B. Verstoß gegen Art. 92 AEUV223

Auslegung des Art. 92 AEUV erreicht werden.129 Einseitige nationale Maß‑ nahmen zögen gleichzeitig wieder Gegenmaßnahmen anderer Mitgliedstaaten nach sich,130 was die Bereitschaft zu einer gemeinsamen Verkehrspolitik erst recht „torpedieren“ würde.131 Das liefe wiederum dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten untereinander aus Art. 4 Abs. 3 EUV zuwider.132 Dieses Ziel könne mit der Vorschrift nur durch den statischen Vergleich erreicht werden, da Art. 92 AEUV anderenfalls neben dem allge‑ meinen Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV überflüssig erscheine.133 Auch aus systematischen Gründen müsse Art. 92 AEUV eine eigenständige Bedeutung zukommen. Weiterhin könne nur mit der statischen Auslegung des Art. 92 AEUV ein Handlungsdruck bei den Mitgliedstaaten aufgebaut werden, eine gemeinsame Verkehrspolitik auf Unionsebene zu betreiben.134 Eine Auslegung als bloßes Diskriminierungsverbot ließe die Bereitschaft zu einer gemeinsamen Ver‑ kehrspolitik sinken, da den Mitgliedstaaten dann ein eigener Handlungsspiel‑ raum bei der Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen inländischen und ausländischen Verkehrsunternehmern bliebe. b) Dynamische Auslegung Nicht wenige Stimmen in der Literatur legen Art. 92 AEUV dahingehend aus, dass er einen sog. dynamischen Vergleich vorsieht.135 Das bedeutet, dass durch die Maßnahmen nicht der Status quo im Abstand zwischen in- und ausländischen Verkehrsunternehmern erhalten bleiben muss, sondern im Er‑ gebnis auch Privilegien der ausländischen Verkehrsunternehmer – bis zur Gleichstellung mit inländischen Verkehrsunternehmern – abgebaut werden dürfen.136

129  Korte / Gurreck, EuR 2014, 420 (431 f.); Zabel, NVwZ 2015, 186 (189); Hartmann, Pkw-Maut, S. 40 f. 130  Hof, Straßenverkehrsabgaben, S. 180. 131  Schäfer, in: Streinz, EUV / AEUV-Komm., Art. 92 AEUV Rn. 2. 132  Hof, Straßenverkehrsabgaben, S. 180; vgl. bereits EuGH, Urt. v. 19.5.1992, C-195 / 90, NJW 1992, 1949 (1950), Rn. 36 ff. – Kommission / Deutschland. 133  Schreiber, EuZW 1995, 206 (207 f.); Hartmann, Pkw-Maut, S. 40 f. 134  Heselhaus, EuZW 1993, 311 (312); Hof, Straßenverkehrsabgaben, S. 180; Zabel, NVwZ 2015, 186 (189). 135  Ebenroth / Fischer / Sorek, BB 1989, 1566 (1567); Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 27; Schäfer, in: Streinz, EUV / AEUV-Komm., Art. 92 AEUV Rn. 7. 136  Zum Begriff und zur Begriffserklärung s. Korte / Gurreck, EuR 2014, 420 (429 f.); Zabel, NVwZ 2015, 186 (188 f.); Hartmann, Pkw-Maut, S. 36 f.

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3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

aa) Verhinderung von Übergriffen der Union in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten Nur mit dieser Auslegung könne verhindert werden, dass die geteilte Zu‑ ständigkeit auf dem Gebiet des Straßenverkehrs nach Art. 4 Abs. 2 lit. g AEUV zu einer ausschließlichen Zuständigkeit der Union werde, da Art. 92 AEUV ansonsten die Mitgliedstaaten zum Stillhalten verpflichte.137 Insge‑ samt gebe es durch die strenge Auslegung des Art. 92 AEUV auf dem Ge‑ biet des Verkehrs kaum noch gesetzgeberische Aktivitäten, da im Rat der Europäischen Union kein Konsens herzustellen sei.138 Ein Vorteil des dyna‑ mischen Vergleichs sei auch, dass die Union aufgrund der Möglichkeit einer gesetzgeberischen Aktivität der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Ver‑ kehrs Erfahrungen mit nationalen Regelungen für unionsrechtliche Vor‑ schriften sammeln könne.139 Schließlich werde durch eine strenge Ausle‑ gung der Stillhalteklausel der Sachbereich des Verkehrs umfassender vor nationalen Regelungen geschützt als zum Beispiel der sonstige Dienstleis‑ tungssektor.140 bb) Möglichkeit der Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen Der Hauptgrund, der stets für eine dynamische Auslegung des Art. 92 AEUV angeführt wird, liegt in der Verhinderung oder Beseitigung von Wett‑ bewerbsverzerrungen. Die statische Auslegung des Art. 92 AEUV perpetuiere bestehende Wettbewerbsverzerrungen im Recht der Mitgliedstaaten zuguns‑ ten ausländischer Verkehrsunternehmer.141 Diese Festschreibung der Wettbe‑ werbsverzerrungen laufe einem zentralen Prinzip des Binnenmarktes (Art. 3 Abs. 3 Satz 1 EUV, Art. 51 EUV i. V. m. Protokoll Nr. 27, Art. 26 AEUV), 137  Schäfer, in: Streinz, EUV / AEUV-Komm., Art. 92 AEUV Rn. 7; Fehling, ZG 2014, 305 (308); Martinez, in: Calliess / Ruffert, EUV / AEUV-Komm., Art. 92 AEUV Rn. 6; s. bereits zu diesem Argument bei Art. 76 EWGV Ebenroth / Fischer / Sorek, BB 1989, 1566 (1567); Nicolaysen, in: Selmer / Brodersen / Nicolaysen, Straßenbenut‑ zungsabgaben, S.  160 f. 138  Siehe zu Beispielen Martinez, in: Calliess / Ruffert, EUV / AEUV-Komm., Art. 92 AEUV Rn. 6. 139  Fehling, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje, Unionsrecht, Art. 92 AEUV Rn. 12. 140  Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 18 f. 141  Nicolaysen, in: Selmer / Brodersen / Nicolaysen, Straßenbenutzungsabgaben, S. 160; Kainer / Ponterlitschek, ZRP 2013, 198 (199 ff.); Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S.  16 f.; ders., DVBl. 2016, 73 (77); Fehling, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje, Unionsrecht, Art. 92 AEUV Rn. 11; Martinez, in: Calliess /  Ruffert, EUV / AEUV-Komm., Art. 92 AEUV Rn. 7.



B. Verstoß gegen Art. 92 AEUV225

namentlich der Herstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen,142 zuwider.143 Gerade auch vor dem Hintergrund der mittlerweile 60 Jahre andauernden Geltung der „Übergangsvorschrift“144 des Art. 92 AEUV und ihrer Vorgän‑ gerfassungen sei eine Möglichkeit für die Mitgliedstaaten geboten, in- und ausländische Verkehrsunternehmer gleichzustellen. cc) Isolierte Senkung der Kraftfahrzeugsteuer als Verstoß gegen Art. 92 AEUV in der statischen Auslegung Überdies argumentieren Vertreter der dynamischen Auslegung, die stati‑ sche Auslegung des Art. 92 AEUV führe dazu, dass auch eine isolierte Sen‑ kung der Kraftfahrzeugsteuer – ohne weitere Maßnahmen – gegen diese Vorschrift verstoße.145 Das widerspreche aber gerade der grundsätzlichen Abgabenhoheit der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern, zu de‑ nen auch die Kraftfahrzeugsteuer zählt.146 dd) Erhöhung der Kompromissbereitschaft der Mitgliedstaaten Schließlich könne auch die dynamische Auslegung des Art. 92 AEUV zu einer Erleichterung bei den Regelungsbemühungen der Union auf dem Ge‑ biet der Straßenbenutzungsabgaben führen, wenn die Rechtsstellung von inund ausländischen Verkehrsunternehmern im nationalen Recht einander an‑ genähert werden dürfe.147 Eine Liberalisierung des Verkehrssektors sei eher möglich, wenn Mitgliedstaaten mit benachteiligten Verkehrsunternehmern deren Rechtsstellung an das Niveau der ausländischen Verkehrsunternehmen 142  Für den Verkehrssektor s. Europäische Kommission, KOM(2011) 144 endg., Rn. 59; daneben auch Art. 7 Abs. 1 Satz  2 a. E. der Richtlinie 1999 / 62 / EG (sog. ­Eurovignetten-Richtlinie) v. 17.6.1999, ABl. EG L  187 v. 20.7.1999, S. 42, i. d. F. d. Änderung durch die Richtlinie 2011 / 76 / EU v. 27.9.2011, ABl. EU L 269, S. 1; Gröpl, in: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht, Rn. J 648 (Stand d. Bearb.: Apr. 2015). 143  Nicolaysen, in: Selmer / Brodersen / Nicolaysen, Straßenbenutzungsabgaben, S. 160; Kainer / Ponterlitschek, ZRP 2013, 198 (199, 201); Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S.  16 f. 144  So Wägenbaur, in: Het vervoer, S. 97; Nicolaysen, in: Selmer / Brodersen / Ni‑ colaysen, Straßenbenutzungsabgaben, S. 161; Ebenroth / Fischer / Sorek, BB 1989, 1566 (1567); Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 18. 145  Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 17; vgl. auch Nicolaysen, in: Selmer / Brodersen / Nicolaysen, Straßenbenutzungsabgaben, S. 149 f., der aber ein Verbot isolierter Kraftahrzeugsteuersenkungen aus Art. 76 EWGV mangels uni‑ onsrechtlicher Kompetenz ablehnt; ähnlich Basedow, JZ 1992, 870 (872). 146  Siehe zur Abgabenhoheit bei der Kraftfahrzeugsteuer als direkter Steuer Gröpl, in: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht, Rn. J 648 (Stand d. Bearb.: Apr. 2015). 147  Fehling, ZG 2014, 305 (308).

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3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

annähern dürften. Diese Mitgliedstaaten stimmten dann eher einer Liberali‑ sierung ohne gleichzeitige Harmonisierung der Rechtslage zu, da der Unter‑ schied zu Mitgliedstaaten, in denen nationale Verkehrsunternehmer bevorzugt sind, geringer ausfällt. Die letztgenannten Mitgliedstaaten wiederum würden einer Regelung zur Harmonisierung der Rechtslage wohl kaum zustimmen, da ihre Verkehrsunternehmer dann ihre Vorteile verlören.148 Auf diese Weise könnte einfacher eine Einigung auf die Liberalisierung des Verkehrssektors erzielt werden. ee) Kein Bedürfnis für die statische Auslegung Christian Hillgruber hält die statische Auslegung des Art. 92 AEUV gene‑ rell für überholt.149 Die gemeinsame Verkehrspolitik auf Unionsebene seit dem Urteil des EuGH im Jahr 1992 zur deutschen Lkw-Maut habe dazu ge‑ führt, dass die statische Auslegung nicht mehr zur Herbeiführung einer ge‑ meinsamen Politik auf dem Gebiet der Straßenbenutzungsgebühren erforder‑ lich sei. Vor allem durch die Richtlinie 1999 / 62 / EG über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere ­Nutzfahrzeuge150 und deren wesentliche Änderungen durch die Richtlinien 2006 / 38 / EG151 und 2011 / 76 / EU152 seien detaillierte Regelungen zu Stra‑ ßenbenutzungsgebühren auf Unionsebene getroffen worden. Insbesondere durch die Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Richtlinie auf Fahrzeuge für den Güterverkehr mit einem Gesamtgewicht von mehr als 3,5 Tonnen im Jahr 2011 habe die Union für eine Vielzahl von Fahrzeugen einheitliche Re‑ gelungen für Straßenbenutzungsgebühren erreichen wollen. Schließlich ver‑ biete die Richtlinie – anders als Art. 92 AEUV in der statischen Auslegung – lediglich Diskriminierungen auf dem Gebiet der Straßenbenutzungsgebühren. Diese Auffassung werde besonders durch Art. 7k der Richtlinie gestützt, der durch die Richtlinie 2011 / 76 / EU eingefügt wurde. Diese Vorschrift lasse den Mitgliedstaaten die Freiheit, für die Einführung von Maut- oder Benut‑ zungsgebühren vorbehaltlich der Art. 107 und 108 AEUV einen angemesse‑ nen Ausgleich vorzusehen. Hillgruber legt Art. 7k der Richtlinie so aus, dass dieser – trotz des beschränkten Anwendungsbereichs der Richtlinie – für alle Fahrzeuge gelte.153 Dieses Ergebnis rechtfertigt er mit einer gleichheitsrecht‑ lichen Argumentation: Es gebe keinen nachvollziehbaren Grund dafür, dass 148  Hillgruber,

Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 20. Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 20 ff. 150  RL 1999 / 62 / EG v. 17.6.1999, ABl. EG L 187 v. 20.7.1999, S. 42. 151  RL 2006 / 38 / EG v. 17.5.2006, ABl. EU L 157 v. 9.6.2006, S. 8. 152  RL 2011 / 76 / EU v. 27.9.2011, ABl. EU L 269 v. 14.10.2011, S. 1. 153  Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 25 f. 149  Hillgruber,



B. Verstoß gegen Art. 92 AEUV227

Verkehrsunternehmer mit Personenkraftwagen durch die Auslegung des Art. 92 AEUV stärker geschützt würden als Verkehrsunternehmer mit Last‑ kraftwagen durch die Richtlinie 1999 / 62 / EG mit ihren späteren Änderun‑ gen.154 Schließlich habe auch die EU-Kommission bei Straßenbenutzungsge‑ bühren für Privatfahrzeuge durch ein Weißbuch155 und eine Mitteilung156 hinreichende Kriterien für die unionsrechtliche Zulässigkeit von Straßenbe‑ nutzungsgebühren festgelegt. Aus diesem Grund sei ein Alleingang eines Mitgliedstaats bei einer dynamischen Auslegung des Art. 92 AEUV nicht mehr zu erwarten.157 c) Stellungnahme Zwei mögliche Auslegungen des Art. 92 AEUV stehen sich somit gegen‑ über. Der Streit muss vorliegend entschieden werden, da die Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit Art. 92 AEUV je nach Auslegung die‑ ser Vorschrift bejaht oder verneint wird.158 Der Wortlaut der Vorschrift ist nicht eindeutig, sodass die anderen Auslegungsmethoden herangezogen wer‑ den müssen. aa) Bedeutung des Art. 92 AEUV bei der dynamischen Auslegung Art. 92 AEUV wird keinesfalls gegenstandslos, wenn er dynamisch ausge‑ legt wird. Zwar wird die Vorschrift dann zu einem besonderen Diskriminie‑ rungsverbot auf dem Gebiet des Verkehrs und weist auf Tatbestandsebene keine über Art. 18 AEUV hinausgehende Bedeutung mehr auf. Anders liegt der Fall dagegen auf der Rechtfertigungsebene. Viele Stimmen in der Litera‑ tur lehnen überzeugend – vor allem unter Berufung auf den Wortlaut des Art. 92 AEUV a. E. – die Rechtfertigung eines Verstoßes gegen diese Vor‑ schrift ab.159 Dagegen sind formelle wie materielle Diskriminierungen als 154  Hillgruber,

Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 27. Kommission, KOM(2011) 144 endg. 156  Europäische Kommission, KOM(2012) 199 endg. 157  Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 24. 158  Fehling, ZG 2014, 305 (308); Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonfor‑ mität, S. 50; ders., DVBl. 2016, 73 (77 f.); Zabel, NVwZ 2015, 186 (189); ders., NVwZ 2015, 1241 (1247 f.); s. auch Langeloh, DÖV 2014, 365 (373); anders nur Hartmann, Pkw-Maut, S. 39 f. 159  Schiedermair / Koppe, JURA 2016, 406 (410); Zabel, NVwZ 2015, 186 (189 f.); Martinez, in: Calliess / Ruffert, EUV / AEUV-Komm., Art. 92 AEUV Rn. 12; Fehling, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje, Unionsrecht, Art. 92 AEUV Rn. 3; Langeloh, DÖV 2014, 365 (373); Mayer, Ausschuss-Drs. 18(15)193-F, S. 7 f.; a. A. Epiney /  Heuck / Schleiss, in: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht, Rn. L  168, 170 (Stand d. Bearb.: 155  Europäische

228

3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

Verstöße gegen das allgemeine Diskriminierungsverbot aus Art. 18 AEUV einer Rechtfertigung zugänglich.160 Ein Verstoß gegen das Diskriminierungs‑ verbot aus Art. 92 AEUV hätte also stets die Unionsrechtswidrigkeit des ­jeweiligen nationalen Gesetzes zur Folge, während ein Verstoß gegen Art. 18 AEUV durchaus gerechtfertigt werden kann. Somit behält Art. 92 AEUV auch bei einer dynamischen Auslegung eine eigenständige Bedeutung, sodass das systematische Argument für die statische Auslegung nicht durchgreift. bb) Verhältnis zwischen in- und ausländischen Verkehrsunternehmern Überdies dürfte sich inzwischen das Regel-Ausnahme-Verhältnis, welches Rolf Wägenbaur im Jahr 1964 skizzierte, zugunsten der ausländischen Ver‑ kehrsunternehmer umgekehrt haben. Zumindest auf dem Gebiet der Kraft‑ fahrzeugabgaben wird die Lage anders als im Jahr 1964 zu bewerten sein, da inzwischen alle Staaten der EU wegen der Vorgaben der Richtlinien 83 / 182 / EWG161 und 1999 / 62 / EG162 eine Steuerbefreiung von der Kraft‑ fahrzeugsteuer für ausländische Fahrzeuge bei vorübergehender Einfahrt eingeführt haben. Dadurch werden inländische Verkehrsunternehmer auf dem Gebiet der Kraftfahrzeugabgaben typischerweise höher belastet als ausländi‑ sche. Am 1. Januar 1958, der Zeitpunkt, auf den Art. 92 AEUV ursprünglich abstellt, gab es nur partiell solche Steuerbefreiungen bei der Kraftfahrzeug‑ steuer, die über Doppelbesteuerungsabkommen gewährleistet wurden.163 Aus heutiger Perspektive ist der damalige Sonderfall zum Normalfall geworden. Daher erscheint die statische Auslegung des Art. 92 AEUV nicht mehr erfor‑ derlich, um ausländische Verkehrsunternehmer vor einer weiteren Verschlech‑ Sept. 2013); Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 51 f. Eine Recht‑ fertigung aus Umweltschutzgesichtspunkten halten Schreiber, EuZW 1995, 206 (208); Heselhaus, EuZW 1993, 311 (312 f.), unter Berufung auf EuGH, Urt. v. 19.5.1992, C-195 / 90, NJW 1992, 1949 (1950), Rn. 28 ff. – Kommission / Deutschland, für mög‑ lich. 160  EuGH, Urt. v. 23.1.1997, C-29 / 95, NZV 1997, 234 (235), Rn. 19 ff. – Pastoors; EuGH, Urt. v. 16.12.2008, C-524 / 06, NVwZ 2009, 379 (382), Rn. 77 f.  – Huber; EuGH, Urt. v. 13.4.2010, C-73 / 08, NVwZ 2010, 1141 (1142 f.), Rn. 40 ff.  – Bressol u. a.; EuGH, Urt. v. 27.3.2014, C-322 / 13, EuZW 2014, 393 (394), Rn. 23  – Grauel Rüffer; s. ansonsten statt vieler Epiney, in: Calliess / Ruffert, EUV / AEUV-Komm., Art. 18 AEUV Rn. 37. 161  Richtlinie 83 / 182 / EWG des Rates v. 28.3.1983 über Steuerbefreiungen inner‑ halb der Gemeinschaft bei vorübergehender Einfuhr bestimmter Verkehrsmittel, ABl. EG L 105 v. 23.4.1983, S. 59. 162  Richtlinie 1999 / 62 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 1999 über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Ver‑ kehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge, ABl. EG L 187 v. 20.7.1999, S. 42. 163  In Deutschland bestanden DBA zum 1.1.1958 von den damaligen Mitgliedstaa‑ ten nur mit Belgien, Luxemburg und den Niederlanden, RStBl. 1930, 454.



B. Verstoß gegen Art. 92 AEUV229

terung ihrer Situation im Vergleich zu inländischen Verkehrsunternehmern zu schützen. Vielmehr entspricht es deutlich eher dem Wettbewerbsgedanken, wenn in allen Mitgliedstaaten sowohl inländische wie auch ausländische Verkehrsunternehmer die gleichen Bedingungen vorfinden. Das kann einer‑ seits dadurch erreicht werden, dass einzelne Mitgliedstaaten ihre nationale Abgabenbelastung anpassen.164 Andererseits kann auf Unionsebene eine ge‑ meinsame Regelung getroffen werden. Zunächst machte die Kommission – als einzige Initiativberechtigte im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren nach Art. 289 Abs. 1 Satz 1, Art. 294 Abs. 2 AEUV – im Jahr 2012 deutlich, dass sie bis zum Jahr 2020 keine solchen harmonisierenden oder liberalisierenden Regelungen auf Unionsebene für Straßenbenutzungsgebühren für Privatfahr‑ zeuge vorschlagen werde.165 Am 31. Mai 2017 allerdings legte sie einen Vorschlag zur Änderung der sog. Eurovignetten-Richtlinie166 vor, die künftig auch für Personenkraftwagen und Lastkraftwagen unter 3,5 Tonnen Gewicht eine Teilharmonisierung der Regelungen über Straßenbenutzungsgebühren enthalten soll.167 So sollen die vielen verschiedenen Systeme für die Erhe‑ bung von Straßenbenutzungsabgaben in der EU vereinheitlicht werden. Alle Mitgliedstaaten, die Straßenbenutzungsabgaben für Personenkraftwagen und leichte Lastkraftwagen eingeführt haben, müssten diese Abgaben nach dem Vorschlag der Kommission als Maut erheben. Daher ist mit einer schnellen Einigung nicht zu rechnen. Die Änderungsvorschläge sehen keine Einbezie‑ hung der Personenkraftwagen in die Mindestsätze bei der Kraftfahrzeugsteuer vor. Überdies werden die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, Straßenbenut‑ zungsgebühren für Personenkraftwagen einzuführen. Beides spricht dafür, dass die Wettbewerbsbedingungen durch die Richtlinie nicht angepasst wer‑ den, sodass weiterhin ein Bedarf zur Anpassung durch die Mitgliedstaaten besteht. Bei einer statischen Auslegung des Art. 92 AEUV erfolgte auf län‑ gere Sicht – trotz des Vorschlags der Kommission – keine Angleichung der Wettbewerbsbedingungen von Verkehrsunternehmern. Um einen Stillstand in der Verkehrspolitik zu verhindern, erscheint daher die dynamische Auslegung des Art. 92 AEUV geboten. Hof, Straßenverkehrsabgaben, S. 179. Europäische Kommission, KOM(2012) 199 endg., S. 2 f., 12; ebenso wie hier Fehling, ZG 2014, 305 (308). 166  Richtlinie 1999 / 62 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 1999 über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Ver‑ kehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge, ABl. EG L  187 v. 20.7.1999, S. 42, mit spät. Änd. 167  Europäische Kommission, KOM(2017) 275 endg. Würde der Vorschlag der Kommission umgesetzt, müsste die Infrastrukturabgabe nach Art. 7 Abs. 7 der Richt‑ linie spätestens zum 1.1.2028 von einer zeitabhängigen (Vignette) auf eine strecken‑ abhängige Bemessungsgrundlage (Maut) umgestellt werden. Zu den Begriffen Maut und Vignette siehe im 1. Teil unter B. VI. 1. a) und b). 164  A. A. 165  Vgl.

230

3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

cc) Auswirkungen auf die Rechtsetzung durch die EU Diese Auslegung lässt sich umso mehr rechtfertigen, als nicht jede natio‑ nale Regelung eine Behinderung für Regelungen auf Unionsebene sein muss. Im Gegenteil kann – wie Michael Fehling aufgezeigt hat168 – die nationale Angleichung der Wettbewerbsbedingungen zu einer Erleichterung der Recht‑ setzung auf Unionsebene führen. Insoweit hat der EuGH in seinem Urteil vom 19. Mai 1992169 lediglich die Behauptung aufgestellt, dass die nationale Angleichung der Wettbewerbsbedingungen zu einer Erschwerung einer ge‑ meinsamen Verkehrspolitik führe.170 Einen Nachweis dafür blieben sowohl der EuGH als auch sämtliche Stimmen in der Literatur bisher schuldig.171 Der Verweis darauf, dass gerade die statische Auslegung durch den EuGH im Jahr 1992 zum Erlass der Richtlinien 93 / 89 / EWG und 1999 / 62 / EG, die Mindestsätze für die Kraftfahrzeugsteuern von Lastkraftwagen und Kriterien für die Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren für Lastkraftwagen enthielten und enthalten,172 geht insoweit ins Leere. Damit lässt sich nur aufzeigen, dass es auf ein Urteil des EuGH hin konkrete Maßnahmen auf Unionsebene gab. Ob eine einseitige nationale Maßnahme tatsächlich die gemeinsame Politik auf Ebene der EU behindern kann, lässt sich damit nicht belegen. dd) Problematik einer isolierten Senkung der Kraftfahrzeugsteuer Schließlich tragen Befürworter der statischen Ansicht vor, dass eine iso‑ lierte Kraftfahrzeugsteuersenkung trotz der von Ihnen gewählten Auslegung des Art. 92 AEUV zulässig sei.173 Die Auswirkungen einer Senkung der Kraftfahrzeugsteuer seien zu fernliegend, damit Art. 92 AEUV zur Anwen‑ dung kommen könne. Überdies löse eine isolierte Senkung der Kraftfahr‑ zeugsteuer keine Gegenmaßnahmen anderer Mitgliedstaaten aus: Darin 168  ZG 2014, 305 (307 f.); vgl. auch Hillgruber, in: Finanzierung des Straßenbaus, S. 15 (23). 169  EuGH, Urt. v. 19.5.1992, C-195 / 90, NJW 1992, 1949 (1950), Rn. 33  – Kom‑ mission / Deutschland. 170  Ebenso Basedow, JZ 1992, 870 (872); Wasmeier, Umweltabgaben, S. 179 f. 171  Vgl. Basedow, JZ 1992, 870 (872). 172  Schäfer, in: Streinz, EUV / AEUV-Komm., Art. 92 AEUV Rn. 13; Boeing / Kotthaus / Maxian Rusche, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, Recht der EU, Art. 92 AEUV Rn. 11 f. (Stand d. Bearb.: Apr. 2012); s. auch Mückenhausen, EuZW 1994, 519 (523). 173  Jacobs, Schlussanträge v. 13.3.1992 zu EuGH, Urt. v. 19.5.1992, C-195 / 90, Rn. 18; Hof, Straßenbenutzungsabgaben, S. 181 f.; Wasmeier, Umweltabgaben, S. 180 f.



B. Verstoß gegen Art. 92 AEUV231

könne – mangels Kraftfahrzeugsteuerpflicht – keine Regelung der Abgaben‑ situation ausländischer Verkehrsunternehmer gesehen werden. Bereits ein Blick in die sog. Eurovignetten-Richtlinie174 zeigt aber, dass diese Argumentation nicht zutreffend sein kann. Dort werden in Art. 6 i. V. m. dem Anhang I Mindestsätze für die Kraftfahrzeugsteuer für schwere Nutz‑ fahrzeuge festgelegt. Daran wird deutlich, dass auch der Kraftfahrzeugsteuer eine große Bedeutung für den Wettbewerb zwischen den Verkehrsunterneh‑ mern der Mitgliedstaaten zukommt.175 Eine Senkung oder Erhöhung der na‑ tionalen Kraftfahrzeugsteuer kann erhebliche Auswirkungen auf den Wettbe‑ werb der Verkehrsunternehmer in der EU haben,176 selbst wenn ausländische Verkehrsunternehmer dadurch keine direkten Vor- oder Nachteile in Form einer niedrigeren oder höheren Abgabenbelastung spüren. Eine deutliche Senkung oder Abschaffung der Kraftfahrzeugsteuer in einem Mitgliedstaat müsste zwangsläufig zu einer Reaktion der anderen Mitgliedstaaten führen, um nicht erhebliche Wettbewerbsnachteile für die eigenen Verkehrsunterneh‑ mer hinzunehmen.177 Aufgrund dessen haben sich die Mitgliedstaaten in der Eurovignetten-Richtlinie bewusst für Mindestsätze bei der Kraftfahrzeug‑ steuer für schwere Nutzfahrzeuge entschieden.178 Für Verkehrsunternehmer, die Personenkraftwagen zur Personen- oder Güterbeförderung benutzen, würden aber nach der statischen Auslegung des Art. 92 AEUV die Auswir‑ kungen von isolierten Senkungen bei den nationalen Kraftfahrzeugsteuern ignoriert. Eine Veränderung des Abstands bei den Wettbewerbsbedingungen zwischen inländischen und ausländischen Verkehrsunternehmern zulasten der ausländischen Verkehrsunternehmer wäre dann gerade nicht erfasst. Besonders augenfällig wird diese Konsequenz dann, wenn man die Ergeb‑ nisse miteinander vergleicht. Schaffte ein Mitgliedstaat ohne weitere Maß‑ nahmen seine Kraftfahrzeugsteuer für Personenkraftwagen ab, so hätten die dort ansässigen Verkehrsunternehmer durch die Entlastung einen erheblichen Wettbewerbsvorteil gegenüber den ausländischen Verkehrsunternehmern.179 174  Richtlinie 1999 / 62 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17. Juni 1999 über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge, ABl. EG L 187 v. 20.7.1999, S. 42, mit spät. Änd. 175  Siehe insoweit auch den ersten Erwägungsgrund der Richtlinie 1999 / 62 / EG v. 17.6.1999, ABl. EG L 187 v. 20.7.1999, S. 42, mit spät. Änd.; Hartman, EuZW 2012, 413 (415). 176  Das gestehen sogar Jacobs, Schlussanträge v. 13.3.1992 zu EuGH, Urt. v. 19.5.1992, C-195 / 90, Rn. 18, und Hof, Straßenverkehrsabgaben, S. 181, zu. 177  Vgl. Mayer, Ausschuss-Drs. 18(15)193-F, S. 4. 178  Siehe insoweit den sechsten Erwägungsgrund der Richtlinie 1999 / 62 / EG v. 17.6.1999, ABl. EG L 187 v. 20.7.1999, S. 42, mit spät. Änd.; Hartman, EuZW 2012, 413 (414 f.). 179  Vgl. Hartman, EuZW 2012, 413 (415).

232

3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

Dies soll nach der hier vorgetragenen Argumentation der Befürworter der statischen Auslegung unionsrechtlich zulässig sein. Senkte aber ein Mitglied‑ staat die Kraftfahrzeugsteuer und führte in gleicher Höhe eine Gebühr oder einen Beitrag für die Straßenbenutzung für alle Straßenbenutzer ein, so fände – wenngleich mit anderen Auswirkungen auf den nationalen Staats‑ haushalt als im ersten Fall – eine Gleichstellung in- und ausländischer Ver‑ kehrsunternehmer statt. Dieser Fall soll aber wegen der statischen Auslegung des Art. 92 AEUV unionsrechtlich unzulässig sein. In beiden Fällen werden in- und ausländische Verkehrsunternehmer im jeweiligen Mitgliedstaat letzt‑ lich bei der Abgabenbelastung und damit auch im Wettbewerb gleichbehan‑ delt. Warum nun einer der Fälle unionsrechtlich zulässig, während der andere Fall gerade wegen Art. 92 AEUV unzulässig sein soll, ist in keiner Weise nachvollziehbar.180 Insofern erscheint die Argumentation der Befürworter der statischen Aus‑ legung des Art. 92 AEUV nicht folgerichtig. Auch eine isolierte Senkung der Kraftfahrzeugsteuern muss konsequenterweise an Art. 92 AEUV gemessen werden. Genau diese Folge wollen aber die Befürworter der statischen Aus‑ legung des Art. 92 AEUV mit ihrer nicht überzeugenden Argumentation vermeiden, da sie zu einem Eingriff in die nationale Abgabenhoheit und da‑ mit auch zu einer Verletzung des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 EUV führte.181 Es zeigt sich also, dass die statische Auslegung des Art. 92 AEUV in keiner Hinsicht überzeugt, denn die konsequente Einbeziehung auch isolierter Senkungen der Kraftfahrzeug‑ steuern in Art. 92 AEUV bringt – in einem nicht unionsrechtlich geregelten Bereich – einen Eingriff in die nationale Abgabenhoheit mit sich.182 Hält man aber die Einbeziehung isolierter Senkungen der Kraftfahrzeugsteuer in Art. 92 AEUV für zu fernliegend, ist die Argumentation nicht folgerichtig. Durch die dynamische Auslegung des Art. 92 AEUV kann dieses Problem der Einbeziehung einer isolierten Senkung der nationalen Kraftfahrzeugsteu‑ ern vermieden werden. Diese Ansicht betrachtet nur das Ergebnis der natio‑ nalen Regelung und nicht den Gestaltungsakt selbst. Da aber entweder nach Doppelbesteuerungsabkommen auf dem Gebiet der Kraftfahrzeugsteuern183 oder nach der Richtlinie 83 / 182 / EWG184 alle ausländische Fahrzeuge von der nationalen Kraftfahrzeugsteuer freizustellen sind, kann selbst bei einer auch Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 17. Hof, Straßenverkehrsabgaben, S. 182; Wasmeier, Umweltabgaben, S. 180 f.; zur Abgabenhoheit mit Blick auf Art. 18 AEUV Boehme-Neßler, NVwZ 2014, 97 (101). 182  Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 17; vgl. bereits Basedow, JZ 1992, 870 (872); ders., TranspR 1989, 263 (264). 183  Näher dazu in diesem Teil unter B. III. 1. c) cc). 180  Vgl. 181  Vgl.



B. Verstoß gegen Art. 92 AEUV233

isolierten Abschaffung der Kraftfahrzeugsteuer höchstens eine Gleichstellung von in- und ausländischen Verkehrsunternehmern erfolgen. Nur bis zu dieser Grenze ist aber gerade eine nationale Regelung nach der dynamischen Aus‑ legung des Art. 92 AEUV zulässig. Eine isolierte Kraftfahrzeugsteuersenkung kann also danach nicht gegen Art. 92 AEUV verstoßen. Daher ist die dyna‑ mische Auslegung vorzuziehen und das Infrastrukturabgabengesetz im Fol‑ genden an Art. 92 AEUV in der dynamischen Auslegung zu messen. Aller‑ dings muss vor Überprüfung der Maßnahmenkombination an Art. 92 AEUV noch der maßgebliche Zeitpunkt für den Vergleich ermittelt werden. d) Zeitpunkt für den Vergleich aa) Mehrere mögliche Vergleichszeitpunkte Vor Überprüfung der Maßnahmenkombination an Art. 92 AEUV muss noch der maßgebliche Zeitpunkt für den Vergleich ermittelt werden. Zieht man den Wortlaut des Art. 92 AEUV in der derzeitigen Fassung heran, so ist für jeden Mitgliedstaat scheinbar der Vergleichszeitpunkt der Moment des Beitritts zur Europäischen Union. Für die sechs ursprünglichen Mitgliedstaa‑ ten dagegen gilt auf den ersten Blick der 1.  Januar 1958 als Vergleichszeit‑ punkt. Rolf Wägenbaur vertritt ausdrücklich, dass die Relation zwischen in- und ausländischen Verkehrsunternehmern für Deutschland zum 1. Januar 1958 als Vergleichsmaßstab zu der aktuellen Situation herangezogen werden muss.185 Martin Wasmeier hat dagegen eingewendet, dass bereits die Fest‑ stellung der Relation im Jahr 1958 erhebliche Schwierigkeiten bereite.186 Überdies müssten für einen geeigneten Vergleich die jährliche Inflationsrate und die entsprechenden Wechselkurse einbezogen werden. Beim Abstellen auf die Rechtslage des Jahres 1958 bleiben sämtliche Än‑ derungen des nationalen Verkehrsrechts seit diesem Zeitpunkt außer Betracht, wodurch ein völlig anderes Verhältnis zwischen in- und ausländischen Ver‑ kehrsunternehmern zugrunde liegen könnte als das aktuell bestehende.

184  Richtlinie 83 / 182 / EWG des Rates v. 28.3.1983 über Steuerbefreiungen inner‑ halb der Gemeinschaft bei vorübergehender Einfuhr bestimmter Verkehrsmittel, ABl. EG L 105 v. 23.4.1983, S. 59. 185  Wägenbaur, SEW 1964, 169 (180 f.); ders., in: Het vervoer, S. 97; ebenso wohl Boeing / Kotthaus / Maxian Rusche, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, Recht der EU, Art. 92 AEUV Rn. 2 (Stand d. Bearb.: Apr. 2012); unklar Epiney / Heuck / Schleiss, in: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht, Rn. L 164 (Stand d. Bearb.: Sept. 2013). 186  Wasmeier, Umweltabgaben, S.  177; ebenso Hof, Straßenverkehrsabgaben, S.  177 f.

234

3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

bb) Statische und dynamische Auslegung bei der Rechtslage des Jahres 1958 Zieht man die statische und dynamische Auslegung des Art. 92 AEUV heran, so ergäbe sich meist ein genau umgekehrtes Ergebnis hinsichtlich der Zulässigkeit mit Blick auf Art. 92 AEUV: Im Jahr 1958 waren  – insbeson‑ dere mit Blick auf die Kraftfahrzeugsteuer187 – noch viele ausländische Verkehrsunternehmer gegenüber den deutschen Verkehrsunternehmern im nationalen Verkehrsrecht benachteiligt. Nach der statischen Auslegung dürfte die Lage der ausländischen Verkehrs‑ unternehmer, die am 1. Januar 1958 bestand, im Vergleich zu den inländischen Verkehrsunternehmern zumindest nicht weiter verschlechtert werden. Bei ei‑ ner Gleichstellung nach einer Rechtsänderung hätte sich der Abstand aber zu‑ gunsten der meisten ausländischen Verkehrsunternehmer im Vergleich zu 1958 verringert, sodass die Maßnahme nach Art. 92 AEUV zulässig wäre. Das wäre absurderweise sogar dann der Fall, wenn durch die Maßnahme deutsche gegenüber ausländischen Verkehrsunternehmern bevorzugt würden, solange sich nur der Abstand im Vergleich zum Jahr 1958 nicht vergrößert hätte.188 Bei der dynamischen Auslegung dagegen läge vielfach keine Besserstel‑ lung der ausländischen Verkehrsunternehmer zum Ausgangszeitpunkt vor. Daher führte sogar eine Bevorzugung der nationalen gegenüber den auslän‑ dischen Verkehrsunternehmern bei einer konkreten Rechtsänderung nach dieser Ansicht meist zu einer Inländerdiskriminierung, die unionsrechtlich irrelevant wäre. Dieser Fall würde somit meist nicht einmal an Art. 92 AEUV gemessen werden. Dieses hypothetische Ergebnis widerspräche sowohl bei der statischen als auch bei dynamischen Auslegung vollkommen der aktuellen Situation und würde dem Zweck des Art. 92 AEUV diametral zuwiderlaufen.189 Der Wortlaut des Art. 92 AEUV behält dennoch insoweit eine Bedeutung, als dass Maßnahmen, die vor dem Jahr 1958 bzw. dem Zeitpunkt des Bei‑ tritts zur Union erfolgt sind, nicht betrachtet werden und auch nicht unter Berufung auf Art. 92 AEUV nach dem Beitritt angegriffen werden kön‑ nen.190 Außerdem wird dadurch die schlechteste Lage für ausländische Verkehrsunternehmer im nationalen Recht festgelegt, sofern ausländische Verkehrsunternehmer zum Zeitpunkt des Beitritts schlechter gestellt waren als inländische Verkehrsunternehmer. 187  Siehe

in diesem Teil unter B. III. 1. c). Wasmeier, Umweltabgaben, S. 177. 189  Ebenso Wasmeier, Umweltabgaben, S. 171, 177. 190  Vgl. Wasmeier, Umweltabgaben, S. 171. 188  Vgl.



B. Verstoß gegen Art. 92 AEUV235

cc) Zwischenergebnis Somit sind stets die Situationen der Verkehrsunternehmer vor und nach der jeweiligen nationalen Maßnahme oder der jeweiligen Maßnahmenkombina‑ tion (Rechtsänderung) zu vergleichen.191 3. Inhaltliche Vereinbarkeit der Maßnahmenkombination mit Art. 92 AEUV Folglich ist also zu überprüfen, ob die Kombination der Infrastrukturab‑ gabe mit der gleichzeitigen Senkung der Kraftfahrzeugsteuer eine ungünsti‑ gere Gestaltung von Vorschriften für ausländische Verkehrsunternehmer im Vergleich zu inländischen darstellt, wobei die Situation unmittelbar vor und nach der Rechtsänderung heranzuziehen ist. Dabei ist Art. 92 AEUV dyna‑ misch auszulegen. Gleichwohl sollen auch die Unterschiede zur statischen Auslegung aufgezeigt werden. a) Ausgangslage Zunächst ist zu fragen, ob ausländische Verkehrsunternehmer in Deutsch‑ land vor dem Inkrafttreten des Infrastrukturabgabengesetzes sowie des Zwei‑ ten Verkehrsteueränderungsgesetzes besser behandelt wurden als inländische Verkehrsunternehmer. Das Halten von Personenkraftwagen, deren Halter ih‑ ren Wohnsitz im Ausland haben und die deshalb im Ausland zugelassen sind, war bereits vor Erlass des Zweiten Verkehrsteueränderungsgesetzes in Deutschland wegen § 3 Nr. 13 Satz 1 KraftStG nicht kraftfahrzeugsteuer‑ pflichtig.192 Die Halter von im Ausland zugelassenen Kraftfahrzeugen zah‑ len somit anders als die Halter von in Deutschland zugelassenen Kraftfahr‑ zeugen keine Kraftfahrzeugsteuer in Deutschland. Insoweit wurden die Halter ausländischer Kraftfahrzeuge in Deutschland bevorzugt. aa) Einbeziehung verschiedener Steuern in die Betrachtung der Lage Sebastian Hartmann erblickt in der Befreiung ausländischer Kraftfahrzeug‑ halter von der inländischen Kraftfahrzeugsteuer durch § 3 Nr. 13 Satz 1 KraftStG sowie die Doppelbesteuerungsabkommen zwar auch einen Vor‑ teil.193 Dieser sei aber aufgrund der Richtlinie 83 / 182 / EWG durch das Recht 191  Ebenso ohne nähere Begründung EuGH, Urt. v. 19.5.1992, C-195 / 90, NJW 1992, 1949 (1949 f.), Rn. 20, 23 – Kommission / Deutschland. 192  Näher dazu in diesem Teil unter B. III. 1. c). 193  Hartmann, Pkw-Maut, S. 37 ff.

236

3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

der EU vorgegeben und deshalb nicht als Privileg anzusehen.194 Überdies seien zahlreiche weitere Vorteile zu finden, bei deren Berücksichtigung Art. 92 AEUV weitgehend gegenstandslos werden würde. Schließlich könne von einer Privilegierung von ausländischen Verkehrsunternehmern nicht ge‑ sprochen werden, da diese auch über die Energiesteuer auf Mineralöle195 beim Tanken an deutschen Tankstellen sowie durch die Lkw-Maut bereits einen großen Beitrag zur Finanzierung deutscher Straßen leisteten und die Kraftfahrzeugsteuer überdies nicht für die Erhaltung der Straßen zweckge‑ bunden sei. Diese Auffassung ist bereits insoweit unrichtig, als der Vorteil für aus­ ländische Verkehrsunternehmer weitgehend nicht durch die Richtlinie 83 / 182 / EWG vorgegeben, sondern überwiegend durch bilaterale Doppel­ besteuerungsabkommen gewährleistet wird.196 Darüber hinaus gibt Hart‑ mann keinerlei Belege für Vorteile auf dem Gebiet des Verkehrs, deren Be‑ rücksichtigung die Gegenstandslosigkeit des Art. 92 AEUV zur Folge hätte. Schließlich überschreitet die Einbeziehung der Energiesteuer auf Mineralöle sowie der Lkw-Maut den Rahmen der konkreten Wettbewerbsvorteile. Die‑ ser Rahmen kann sich eben stets nur auf die konkret vorgenommenen Rechtsänderungen erstrecken und darf nicht darüber hinaus ausgeweitet werden, da ansonsten erhebliche Unsicherheit herrschte, welche Umstände bei der Ermittlung der Wettbewerbssituation einzubeziehen wären und wel‑ che nicht. Überdies tragen die Verkehrsunternehmer, die Personenkraftwa‑ gen für ihre gewerbliche Tätigkeit verwenden, durch die Lkw-Maut nichts zur Straßenfinanzierung bei, da sie nicht nach § 1 Abs. 1 BFStrMG maut‑ pflichtig sind. Die Wettbewerbssituation zwischen in- und ausländischen Verkehrsunternehmern, die Personenkraftwagen nutzen, verändert sich durch die Maut in § 1 Abs. 1 Satz 1 BFStrMG in keiner Hinsicht und kann somit auch nicht in eine Gesamtbetrachtung der Wettbewerbssituation einbezogen werden. Auf die Energiesteuer auf Mineralöle ist auch deshalb nicht abzustellen, weil diese seit 2004 durch die regelmäßige Lockerung der Zweckbindung in Art. 1 Satz 1 des Straßenbaufinanzierungsgesetzes197 und in Art. 3 des Ver‑ kehrsfinanzgesetzes 1971198 durch § 6 Abs. 8 des jeweiligen Haushaltsgeset‑ zes des Bundes199 keinen Zusammenhang mehr mit der Straßenfinanzierung schon Mayer, Ausschuss-Drs. 18(15)193-F, S. 5. § 1 Abs. 2 Nr. 2 des Energiesteuergesetzes v. 15.7.2006, BGBl. I S. 1534. 196  Siehe in diesem Teil unter B. III. 1. c). 197  Gesetz v. 28.3.1960, BGBl. I S. 201, mit. spät. Änd. 198  Gesetz v. 28.2.1972, BGBl. I S. 201. 199  Vgl. das Haushaltsgesetz 2017 v. 20.12.2016, BGBl. I S. 3016. 194  So

195  Vgl.



B. Verstoß gegen Art. 92 AEUV237

aufweist.200 Das Aufkommen ist seit dem Jahr 2004 für alle verkehrspoliti‑ schen Zwecke im Bereich des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur zu verwenden. Damit ist der Energiesteuer auf Mineralöle keine größere Nähe zur Straßenfinanzierung als anderen Steuern beizumessen.201 bb) Auswirkungen der wirtschaftlichen Gesamtbetrachtung auf die Einbeziehung von Steuern Für den konkreten Fall ist allerdings zu beachten, dass für den Verstoß gegen das Unionsrecht eine wirtschaftliche Gesamtbetrachtung von Kraft‑ fahrzeugsteuersenkung und Einführung der Infrastrukturabgabe vorzunehmen ist.202 Dadurch wird auch mit Blick auf den Vorteil ein spezifischer Zusam‑ menhang geschaffen, der unabhängig von steuerlichen Zweckbindungen im nationalen Recht zu betrachten ist.203 Zudem kann auf diese Weise eine einheitliche Berücksichtigung sowohl mit Blick auf die wirtschaftliche Ge‑ samtbetrachtung als auch auf die Kompensation gewährleistet werden. Au‑ ßerdem steht es dem Gesetzgeber – zumindest bei einer gewissen objektiven Nähe zur Straßenfinanzierung – frei, auch ohne die formale Zweckbindung des Steueraufkommens und trotz des Grundsatzes der Nonaffektation in § 7 Satz 1 HGrG, § 8 Satz 1 BHO eine Verknüpfung zwischen einer Steuer und einer Vorzugslast für die Straßenfinanzierung zu schaffen.204 § 15 Abs. 1 Satz 3 InfrAG begründet eine Zweckbindung zur Verbesserung der Verkehrs‑ infrastruktur für das gesamte Aufkommen aus der Infrastrukturabgabe und nicht nur für den Teil des Aufkommens, der die Kraftfahrzeugsteuersenkung übersteigt. Wirtschaftlich gesehen liegt dadurch für einen Teil des bisherigen Kraftfahrzeugaufkommens eine Zweckbindung vor, auch wenn das Aufkom‑ men nun in anderer rechtlicher Form anfällt. Angesichts des Betrags von etwa 3 Mrd. Euro, um den das Aufkommen aus der Kraftfahrzeugsteuer nach der Einführung der Steuerermäßigung insgesamt sinken wird,205 erscheint eine wirtschaftliche Zweckbindung des Aufkommens aus der Kraftfahrzeug‑ steuer in dieser Höhe für Zwecke der Finanzierung der Bundesfernstraßen – 200  So auch Langeloh, DÖV 2014, 365 (368); ders., Einheimischenprivilegierun‑ gen, S. 184; Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 49. 201  Siehe zu Steuern im 1. Teil unter B. II.; Langeloh, DÖV 2014, 365 (368); Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 49. 202  Siehe in diesem Teil unter B. III. 1. d). 203  Ähnlich Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 48; a. A. Langeloh, DÖV 2014, 365 (367 f., 372); ders., Einheimischenprivilegierungen, S. 265 f.; Engel / Singbartl, VR 2014, 289 (292); Mayer, Ausschuss-Drs. 18(15)193-F, S. 5 f.; Rathke, Ausarbeitung für den Bundestag, S. 20 f. 204  A. A. offenbar Korte / Gurreck, EuR 2014, 420 (438). 205  BT-Drs. 18 / 4448 v. 25.3.2015, S. 2; BT-Drs. 18 / 11235 v. 20.2.2017, S. 2.

238

3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

auch vor der Einführung der Infrastrukturabgabe – nicht unrealistisch. Bei Ausgaben von 8,6 Mrd. Euro für die Bundesfernstraßen im Jahr 2017 und zweckgebundenen Mehreinnahmen von 3,2 Mrd. Euro aus der Lkw-Maut206 bleibt mit Blick auf das rechtlich nicht gebundene Aufkommen aus der Kraftfahrzeugsteuer ein Spielraum für diese wirtschaftliche Betrachtung. Faktisch tragen Halter in Deutschland zugelassener Kraftfahrzeuge damit also durch die Zahlung ihrer Kraftfahrzeugsteuer doch zur Straßenfinanzie‑ rung bei. Somit ist die Kraftfahrzeugsteuer, nicht aber die Mineralölsteuer und die Lkw-Maut, in die Bestimmung der Ausgangssituation miteinzubezie‑ hen. Betrachtet man insoweit die Wettbewerbsbedingungen von in- und auslän‑ dischen Verkehrsunternehmern, wird deutlich, dass die Letztgenannten durch die fehlende Kraftfahrzeugsteuerpflicht in Deutschland bisher einen wirt‑ schaftlichen Vorteil im Wettbewerb gegenüber inländischen Verkehrsunter‑ nehmern genießen.207 Ob ausländische Verkehrsunternehmer in ihrem Hei‑ matland eine höhere oder niedrigere oder sogar gar keine Kraftfahrzeugsteuer zahlen müssen, kann für die vorliegende Betrachtung nicht maßgeblich sein.208 Ansonsten müsste für jeden Mitgliedstaat eine eigene Prüfung der unionsrechtlichen Rechtmäßigkeit vorgenommen werden, wobei auch in den jeweiligen Staaten bestehende Straßenbenutzungsgebühren für deutsche Ver‑ kehrsunternehmer als Nachteil einbezogen werden müssten. Eine nationale Maßnahme kann aber nicht in einigen Mitgliedstaaten unionsrechtlich zuläs‑ sig sein, während sie in anderen Mitgliedstaaten unionsrechtswidrig ist. b) Aktuelle Situation Nachdem die bessere Ausgangslage für ausländische Verkehrsunternehmer festgestellt wurde, muss nun der Vergleich mit der Lage nach der Einführung der Infrastrukturabgabe und der Kraftfahrzeugsteuersenkung gezogen wer‑ den.

206  Vgl. das Haushaltsgesetz 2017 v. 20.12.2016, BGBl. I S. 3016, mit dem Bun‑ deshaushaltsplan 2017, s. dort in Einzelplan 12, Kapitel 1201, Titelgruppe 02. 207  Fehling, ZG 2014, 305 (308); Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonfor‑ mität, S. 44; Kainer / Ponterlitschek, ZRP 2013, 198 (201); Müller, „Die deutsche Maut ist legal“, http: /  / www.faz.net / aktuell / politik / staat-und-recht / f-a-z-gastbeitragdie-deutsche-maut-ist-legal-13666105.html (zuletzt abgerufen am 7.2.2018); Zabel, NVwZ 2015, 186 (189). 208  A. A. Mayer, Ausschuss-Drs. 18(15)193-F, S. 3.



B. Verstoß gegen Art. 92 AEUV239

aa) Verkehrsunternehmer mit im Ausland zugelassenen Kraftfahrzeugen Nach § 1 Abs. 1, Abs. 2, § 5 Abs. 1 Satz 1 InfrAG müssen ausländische Verkehrsunternehmer vor Benutzung der Autobahnen eine Vignette erwer‑ ben. Im Übrigen zahlen sie auch weiterhin in Deutschland wegen der Dop‑ pelbesteuerungsabkommen auf dem Gebiet der Kraftfahrzeugsteuern und wegen § 3 Nr. 13 Satz 1 KraftStG keine Kraftfahrzeugsteuer. bb) Verkehrsunternehmer mit im Inland zugelassenen Kraftfahrzeugen Inländische Verkehrsunternehmer zahlen wegen § 1 Abs. 1, § 5 Abs. 1 Satz 1, § 7 Abs. 1 Satz 1 InfrAG die Infrastrukturabgabe unabhängig von einer tatsächlichen Straßenbenutzung und verpflichtend für ein Jahr. Wegen der Einfügung des § 9 Abs. 6 KraftStG wird ihre Kraftfahrzeugsteuer aller‑ dings gesenkt. Dennoch bleibt für die meisten deutschen Verkehrsunterneh‑ mer neben der Infrastrukturabgabe eine Kraftfahrzeugsteuerbelastung beste‑ hen.209 In den Fällen, in denen der Personenkraftwagen des Verkehrsunter‑ nehmers die CO2-Grenzwerte nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 lit. b KraftStG sowie die weiteren Voraussetzungen dieser Vorschrift einhält, können sich die Infra‑ strukturabgabe nach Abs. 1 Nr. 3 lit. a der Anlage zu § 8 InfrAG – und damit die Senkung der Kraftfahrzeugsteuer in § 9 Abs. 6 KraftStG – sowie die Höhe der Kraftfahrzeugsteuer nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 KraftStG entsprechen.210 Faktisch müssen damit deutsche Verkehrsunternehmer mindestens den Be‑ trag der Infrastrukturabgabe zahlen. Durch die Änderung des § 9 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 lit. a KraftStG211 und die damit verbundene Erhöhung des Ent‑ lastungsbetrags für Personenkraftwagen der Emissionsklasse Euro 6 gilt nichts anderes. Selbst wenn in diesem Fall der Steuerentlastungsbetrag nach § 9 Abs. 6 Nr. 1 lit. a KraftStG höher ist als die zu zahlende Kraftfahrzeug‑ steuer nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 KraftStG, kann es wegen § 9 Abs. 6 Satz 2 KraftStG nicht zu einer negativen Kraftfahrzeugsteuer kommen, die zu einer Erstattung führte. Erst im Fall einer Erstattung wären deutsche Verkehrsun‑ ternehmer im Ergebnis tatsächlich bessergestellt als ausländische Verkehrs‑ unternehmer, sodass sowohl nach der statischen als auch nach der dynami‑ schen Auslegung ein Verstoß gegen Art. 92 AEUV anzunehmen wäre.

Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 45. bei Hillgruber, DVBl. 2016, 73 (76 Fn. 16). 211  Gesetz v. 6.6.2017, BGBl. I S. 1493. 209  Ebenso

210  Angedeutet

240

3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

cc) Zwischenergebnis Bei einer Reduzierung der Kraftfahrzeugsteuer auf null steht aber gerade keine Besserstellung deutscher Verkehrsunternehmer im Raum, da dann inund ausländische Verkehrsunternehmer bei gleichem Fahrzeug die Infrastruk‑ turabgabe in gleicher Höhe zahlen und somit Wettbewerbsneutralität herge‑ stellt wird. Es erschließt sich daher nicht, warum Stefan Korte und Matti Gurreck sowie Matthias Zabel davon ausgehen, dass sich die Steuerentlastung an der Höhe der Straßenbenutzungsgebühr orientieren müsse, damit Art. 92 AEUV in der dynamischen Auslegung gewahrt bleibe.212 Durch einen höheren ­Steuerentlastungsbetrag kann zwar bei isolierter Betrachtung der zu zahlen‑ den Infrastrukturabgabe eine Überkompensation eintreten, aber im Ergebnis kein Wettbewerbsvorteil für inländische Verkehrsunternehmer, da diese zu‑ mindest den Betrag der Infrastrukturabgabe zahlen müssen. Auch die Neu­ regelung ist somit – ebenso wie die bisherige Regelung – mit Art. 92 AEUV in der dynamischen Auslegung vereinbar. c) Statische Auslegung Lenkt man den Blick auf Art. 92 AEUV in der statischen Auslegung, lässt sich erkennen, dass eine andere Betrachtung der beiden miteinander verbun‑ denen Gesetze erforderlich ist. Hierbei kommt es nur auf den Saldo der bei‑ den zusammenbetrachteten Maßnahmen an. aa) Verkehrsunternehmer mit im Ausland zugelassenen Kraftfahrzeugen Ausländische Verkehrsunternehmer dagegen müssen nach § 1 Abs. 1, Abs. 2, § 5 Abs. 1 InfrAG die Infrastrukturabgabe bei der Benutzung von Bundesautobahnen zahlen, ohne dass sie gleichzeitig von der Kraftfahrzeug‑ steuerentlastung profitieren, da sie entweder über § 3 Nr. 13 Satz 1 KraftStG oder wegen eines Doppelbesteuerungsabkommens auf dem Gebiet der Kraft‑ fahrzeugsteuern von der deutschen Kraftfahrzeugsteuer befreit sind.

212  Korte / Gurreck,

EuR 2014, 420 (430); Zabel, NVwZ 2015, 186 (189).



B. Verstoß gegen Art. 92 AEUV241

bb) Verkehrsunternehmer mit im Inland zugelassenen Kraftfahrzeugen Inländische Verkehrsunternehmer werden durch die Einführung der Infra‑ strukturabgabe nicht stärker als vorher belastet, da mindestens in gleicher Höhe eine Steuerentlastung in § 9 Abs. 6 KraftStG eingefügt wird. Dadurch wird die Kraftfahrzeugsteuer so gesenkt, dass kein inländischer Verkehrs­ unternehmer mehr zahlen muss als zuvor.213 cc) Zwischenergebnis Bei dieser Sichtweise werden ausländische Verkehrsunternehmer durch die Infrastrukturabgabe stärker als zuvor belastet, während inländische Verkehrs‑ unternehmer den gleichen Gesamtbetrag aus Kraftfahrzeugsteuer und Infra‑ strukturabgabe oder durch den höheren Entlastungsbetrag für Fahrzeuge der Emissionsklasse Euro 6 nach § 9 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 lit. a KraftStG sogar weniger als zuvor zahlen müssen.214 Nach dieser Ansicht wird also durch die Kombination aus Infrastrukturabgabe und Kraftfahrzeugsteuersenkung Art. 92 AEUV verletzt, da der Abstand zwischen in- und ausländischen Ver‑ kehrsunternehmern reduziert bzw. nivelliert wird. d) Stellungnahme: Vorzug der dynamischen Auslegung Wie oben bereits abstrakt an Art. 92 AEUV dargelegt wurde, so zeigt sich auch hier im konkreten Fall deutlich, dass bei der statischen Auslegung die Fairness des Wettbewerbs zwischen Verkehrsunternehmern verschiedener Mitgliedstaaten keine Beachtung findet. Obwohl nach der vorzugswürdigen dynamischen Auslegung im Ergebnis kein Wettbewerbsnachteil für ausländi‑ sche Verkehrsunternehmer entsteht, wird dennoch deren mittelbare Diskrimi‑ nierung wegen der Kombination des Infrastrukturabgabengesetzes mit der Senkung der Kraftfahrzeugsteuer angenommen. Auch eine Angleichung der Wettbewerbsbedingungen wird durch die stati‑ sche Auslegung für viele Jahre unmöglich gemacht. Denn eine solche Rege‑ lung auf Unionsebene erscheint angesichts der Vielzahl der verschiedenen Systeme für Straßenbenutzungsgebühren für Personenkraftwagen in Eu‑

213  BT-Drs.

18 / 3991 v. 11.2.2015, S. 1, 10; BT-Drs. 18 / 4448 v. 25.3.2015, S. 6. etwa Hartmann, Pkw-Maut, S. 35, 40; Mayer, Ausschuss-Drs. 18(15)193F, S.  5 f.; Rathke, Ausarbeitung für den Bundestag, S. 16 f.; Reimer, DVBl. 2015, 1405 (1411); Zabel, NVwZ 2015, 186 (188 f.); abstrakt Langeloh, DÖV 2014, 365 (373); Engel / Singbartl, VR 2014, 289 (291 f.); Lauer, Vignetten-System, S.  4 f. 214  So

242

3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

ropa215 ohnehin schwer erreichbar. Auch bei Vorlage eines Richtlinienent‑ wurfs kann es gerechtfertigt sein, wettbewerbsangleichende Maßnahmen auf nationaler Ebene durchzuführen,216 solange diese nicht die Ziele des Ent‑ wurfs konterkarieren. Das gilt insbesondere dann, wenn der Richtlinienent‑ wurf zwar eine Teilharmonisierung, aber keine Wettbewerbsangleichung vorsieht. So verhält es sich mit dem Entwurf zur Änderung der sog. Euro­ vignetten-Richtlinie, den die Kommission am 31. Mai 2017 vorgelegt hat und der lediglich eine Harmonisierung der bestehenden Systeme für die Er‑ hebung von Straßenbenutzungsgebühren enthält.217 Gerade wenn auf Uni‑ onsebene selbst keine wettbewerbsangleichenden Maßnahmen ergriffen wer‑ den, sind über die dynamische Auslegung des Art. 92 AEUV nationale Maßnahmen zu ermöglichen. Selbst bei Vorlage eines konkreten Regelungsentwurfs überzeugt die stati‑ sche Auslegung des Art. 92 AEUV nicht. Durch die wettbewerbsangleichen‑ den Gesetze zur Einführung der Infrastrukturabgabe und zur Senkung der Kraftfahrzeugsteuer kann die Bereitschaft Deutschlands zu Kompromissen beim Erlass liberalisierender Regelungen zu Straßenbenutzungsgebühren auf Unionsebene erhöht werden.218 Die statische Auslegung des Art. 92 AEUV würde die Motivation konterkarieren, sodass sie auch bei der konkreten An‑ wendung auf die Maßnahmenkombination aus Infrastrukturabgabe und Kraftfahrzeugsteuersenkung abzulehnen ist. Daher sind beide Maßnahmen zusammen betrachtet mit Art. 92 AEUV in der dynamischen Auslegung ver‑ einbar. e) Rechtfertigung einer Beeinträchtigung des Art. 92 AEUV Wollte man in der Kombination aus Infrastrukturabgabe und gleichzeitiger Kraftfahrzeugsteuersenkung eine Beeinträchigung des Art. 92 AEUV erken‑ nen, so müsste geprüft werden, ob eine Rechtfertigung möglich wäre. Um den zweiten Halbsatz des Art. 92 AEUV, der die Befreiung eines Mitglied‑ staats von den Anforderungen des Art. 92 Halbs. 1 AEUV durch einen ein‑ stimmigen Beschluss des Rates vorsieht, nicht weitgehend leerlaufen zu las‑ sen, sind daneben andere Rechtfertigungsgründe für Beeinträchtigungen des 215  Vgl. Europäische Kommission, KOM(2012) 199 endg., S. 4; Hering, SVR 2012, 329 (329 ff.). 216  Vgl. Fehling, ZG 2014, 305 (307 f.). 217  Vgl. Europäische Kommission, KOM(2017) 275 endg.; s. auch in diesem Teil unter B. III. 2. c) bb). 218  Vgl. die Äußerungen des ehemaligen Bundesverkehrsministers Alexander Dobrindt anlässlich der Einigung mit der Europäischen Kommission über die Infrastruk‑ turabgabe, http: /  / europa.eu / rapid / press-release_IP-16-4221_de.htm (zuletzt abgeru‑ fen am 7.2.2018).



B. Verstoß gegen Art. 92 AEUV243

Art. 92 AEUV abzulehnen.219 Dies gilt sowohl für die statische als auch für die dynamische Auslegung des Art. 92 AEUV. Bei der dynamischen Ausle‑ gung ist eine über die Vorschrift hinausgehende Rechtfertigungsmöglichkeit gerade deshalb abzulehnen, damit Art. 92 AEUV eine eigenständige Bedeu‑ tung gegenüber Art. 18 AEUV behält, da sich auf Tatbestandsebene keine Unterschiede zwischen den beiden Vorschriften ergeben.220 Die Rechtferti‑ gung einer – hier nicht vorliegenden – Beeinträchtigung des Art. 92 AEUV wäre somit ausgeschlossen, da auch im vorliegenden Fall keine einstimmige Ausnahme des Rates vorliegt.

IV. Ergebnis Der persönliche Anwendungsbereich des Art. 92 AEUV ist für das Infra‑ strukturabgabengesetz wegen der vernachlässigbaren Anzahl an betroffenen ausländischen Verkehrsunternehmern und der vom Gesetzgeber getroffenen zulässigen Typisierung auf Halter privat genutzter Personenkraftwagen nicht eröffnet. Inhaltlich kann überdies ein Verstoß gegen Art. 92 AEUV isoliert weder durch das Infrastrukturabgabengesetz noch durch die Kraftfahrzeug‑ steuersenkung im Zweiten Verkehrsteueränderungsgesetz festgestellt werden. Auch die Kombination der beiden Gesetze, die für die Vereinbarkeit mit Art. 92 AEUV wirtschaftlich zusammen betrachtet werden müssen, verstößt nicht gegen Art. 92 AEUV in der hier für maßgeblich erachteten dynami‑ schen Auslegung. Allerdings steht zu vermuten, dass der EuGH in einer (möglichen) Ent‑ scheidung zum Infrastrukturabgabengesetz bei seiner statischen Auslegung des Art. 92 AEUV bleiben wird.221 Sofern er die erheblichen Unterschiede zur Lkw-Maut aus dem Jahr 1992 mit Blick auf die Anzahl der betroffenen Verkehrsunternehmer nicht anerkennt, erscheint es möglich, dass er einen Verstoß des Infrastrukturabgabengesetzes gegen Art. 92 AEUV feststellen 219  Schiedermair / Koppe, JURA 2016, 406 (410); Zabel, NVwZ 2015, 186 (189 f.); Hartmann, Pkw-Maut, S. 45 f.; Martinez, in: Calliess / Ruffert, EUV / AEUVKomm., Art. 92 AEUV Rn. 12; Fehling, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje, ­Unionsrecht, Art. 92 AEUV Rn. 3; a. A. Epiney / Heuck / Schleiss, in: Dauses, EUWirtschaftsrecht, Rn. L 168, 170 (Stand d. Bearb.: Sept. 2013); Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 51 f. Eine Rechtfertigung aus Umweltschutzgesichts‑ punkten halten Schreiber, EuZW 1995, 206 (208); Heselhaus, EuZW 1993, 311 (312 f.), unter Berufung auf EuGH, Urt. v. 19.5.1992, C-195 / 90, NJW 1992, 1949 (1950), Rn. 28 ff. – Kommission / Deutschland, für möglich. 220  Siehe dazu auch oben in diesem Teil unter B. III. 2. c) aa;) vgl. auch Zabel, NVwZ 2015, 186 (190); Hartmann, Pkw-Maut, S. 45 f. 221  Hartmann, Pkw-Maut, S.  44; Reimer, DVBl. 2015, 1405 (1411); Zabel, NVwZ 2015, 186 (190 f.). Sogar Hillgruber, DVBl. 2016, 73 (77), teilt diese Ein‑ schätzung.

244

3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

wird. Dieser hätte zur Folge, dass der deutsche Gesetzgeber die Infrastruktur‑ abgabe wieder abschaffen, die Kraftfahrzeugsenkung für alle Halter rückgän‑ gig machen oder eine kaum zu kontrollierende und gleichheitsrechtlich pro‑ blematische Ausnahme von der Infrastrukturabgabepflicht für ausländische Verkehrsunternehmer aus Mitgliedstaaten der EU und des EWR einführen müsste,222 um die Infrastrukturabgabe ohne Verstoß gegen das Unionsrecht einführen zu können. Die übrigen im Schrifttum vorgebrachten Verstöße des Infrastrukturabga‑ bengesetzes gegen das Unionsrecht beziehen sich hingegen nicht speziell auf Verkehrsunternehmer, sodass das Vorliegen möglicher Diskriminierungen im Rahmen der Prüfung eines Verstoßes gegen das allgemeine Diskriminie‑ rungsverbot aus Art. 18 AEUV erfolgen wird.223

C. Verstoß gegen die Grundfreiheiten des Unionsrechts Abgesehen vom besonderen Diskriminierungsverbot des Art. 92 AEUV mit Blick auf Verkehrsunternehmer könnte das Infrastrukturabgabengesetz in Kombination mit der Kraftfahrzeugsenkung auch gegen die Grundfreiheiten des AEUV verstoßen. Mangels sekundärrechtlicher harmonisierender Rege‑ lungen auf dem Gebiet der Straßenbenutzungsabgaben für Personenkraftwa‑ gen sind die beiden nationalen Maßnahmen in ihrer Verbindung an den Grundfreiheiten des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union zu messen.224 Offensichtlich nicht einschlägig ist lediglich die Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit der Art. 63 ff. AEUV, sodass die Warenverkehrsfrei‑ heit, die Arbeitnehmerfreizügigkeit, die Niederlassungsfreiheit und die Dienstleistungsfreiheit zu prüfen sind.

I. Warenverkehrsfreiheit Im persönlichen Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit nach den Art. 28 ff. AEUV stellt sich zunächst die gleiche Frage wie bei der Anwend‑ barkeit des Art. 92 AEUV. Die meisten Warentransporte nach und durch Deutschland erfolgen mit Fahrzeugen, die unter die sog. EurovignettenRichtlinie 1999 / 62 / EG fallen, d. h. mit Fahrzeugen, die für den Güterverkehr beiden Möglichkeiten schlägt auch Langeloh, DÖV 2014, 365 (373), vor. dazu ausführlich in diesem Teil unter D. II. 224  Vgl. EuGH, Urt. v. 11.12.2003, C-322 / 01, NJW 2004, 131 (133), Rn. 64  – DocMorris, m. w. N.; vgl. auch Classen, in: Oppermann / Classen / Nettesheim, Europa‑ recht, § 22 Rn. 6. 222  Diese 223  Siehe



C. Verstoß gegen die Grundfreiheiten des Unionsrechts 245

bestimmt sind oder verwendet werden und deren zulässiges Gesamtgewicht mehr als 3,5 Tonnen beträgt.225 Personenkraftwagen fallen damit nicht unter diese Richtlinie, sodass bei Warentransporten mit diesen nach und durch Deutschland die Warenverkehrsfreiheit Anwendung finden kann. Allerdings beschränkt sich die Anwendung der Warenverkehrsfreiheit wegen Art. 92 AEUV grundsätzlich darauf, dass die Beförderung von Waren nur ein Mittel zur Erreichung des jeweiligen Unternehmenszwecks und nicht der Zweck des Unternehmens sein darf.226 Das bedeutet, dass vor allem Spediteure nicht durch die Garantie der Warenverkehrsfreiheit, sondern durch Art. 92 AEUV geschützt werden. Zu beachten ist aber, dass Art. 92 AEUV meines Erachtens mangels Erheblichkeit keinen Schutz für Verkehrsunternehmer bietet. Anders als für die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 58 Abs. 1 AEUV sind bei den anderen Grundfreiheiten nicht die Vorschriften des Titels über den Verkehr vorrangig. Das bedeutet, dass sich Art. 92 AEUV und die Art. 28 ff. AEUV grundsätzlich nicht gegenseitig ausschließen. Da Art. 92 AEUV hier aber nicht anwendbar ist, können sich auch Verkehrsunterneh‑ mer, die Waren mit Personenkraftwagen befördern, auf die Art. 28 ff. AEUV berufen. Durch die Einbeziehung jeder Beförderung von Waren mit einem Personenkraftwagen auf deutschen Autobahnen ist also die Zahl der Betrof‑ fenen von der Infrastrukturabgabe höher als bei isolierten Betrachtung von Verkehrsunternehmern nach Art. 92 AEUV, sodass eine typisierende Außer‑ achtlassung nicht in Betracht kommt.227 Die Warenverkehrsfreiheit schützt sowohl vor Ein- und Ausfuhrzöllen so‑ wie vor Abgaben gleicher Wirkung nach Art. 28 Abs. 1, Art. 30 Satz 1 AEUV als auch vor mengenmäßigen Beschränkungen und allen Maßnahmen glei‑ cher Wirkung nach Art. 34 AEUV zwischen den Mitgliedstaaten. 1. Ein- und Ausfuhrzölle sowie Abgaben gleicher Wirkung Damit bei der Infrastrukturabgabe ein Einfuhrzoll oder eine Abgabe glei‑ cher Wirkung nach Art. 28 Abs. 1, Art. 30 Satz  1 AEUV228 vorliegt, muss der Grund der Erhebung gerade im Überschreiten der Grenze durch die Ware liegen.229 Zwar entsteht die Infrastrukturabgabepflicht für Halter und Führer 225  Siehe zu den Regelungslücken bei Straßenbenutzungsgebühren in dieser Fahr‑ zeugkategorie im 2. Teil unter B. I. 4. d) aa). 226  Korte / Gurreck, EuR 2014, 420 (427); Hillgruber, Gutachten zur Unions‑ rechtskonformität, S. 29; Hartmann, Pkw-Maut, S. 48. 227  Vgl. Fehling, ZG 2014, 305 (314). 228  Art. 10 EWR-Vertrag entspricht Art. 30 AEUV. 229  Kamann, in: Streinz, EUV / AEUV-Komm., Art. 30 AEUV Rn. 9, 11; Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 29; Hartmann, Pkw-Maut, S. 49; an‑

246

3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

von Fahrzeugen, die im Ausland zugelassen sind, nach § 5 Abs. 4 Satz 1 ­InfrAG mit der ersten Benutzung von abgabepflichtigen Straßen nach dem Grenzübertritt. Bei einem Grenzübertritt über eine Bundesautobahn entsteht also die Pflicht zur Zahlung der Infrastrukturabgabe zu diesem Zeitpunkt. Der Grenzübertritt ist bei der Nutzung von Autobahnen aber nur der Anlass für die Erhebung der Infrastrukturabgabe.230 Der Grund ist die Nutzung ei‑ ner Autobahn mit Personenkraftwagen, für die nach § 1 Abs. 1 InfrAG i. V. m. § 1 FStrG die Infrastrukturabgabe zu zahlen ist. Weiterhin muss die Abgabe im Bereich der Warenverkehrsfreiheit mit dem Grenzübertritt einen Bezug zur Ware aufweisen, da gerade die Verteuerung von Waren wegen des Grenzübertritts verhindert werden soll.231 Dabei ist mit Blick auf die Infrastrukturabgabe zu bedenken, dass für ausländische Fahrzeuge nur bei einem Grenzübertritt über die Autobahn die Infrastruktur‑ abgabepflicht ausgelöst wird, während bei einem Grenzübertritt über alle anderen Straßen diese Pflicht gerade nicht entsteht.232 Das bedeutet, dass eben nur bei bestimmten Grenzübertritten eine Belastung für Waren entsteht. Schließlich weist die Infrastrukturabgabe keinerlei Warenbezug im Abga‑ bentatbestand auf, da die Halter sämtlicher Personenkraftwagen unabhängig von ihrer Beladung bei der Benutzung von Bundesfernstraßen bzw. von Bundesautobahnen nach § 1 Abs. 1, Abs. 2 InfrAG der Abgabepflicht unter‑ liegen. Danach unterfallen auch Benutzungen von Autobahnen durch im Ausland zugelassene Personenkraftwagen der Infrastrukturabgabepflicht, ohne dass Waren transportiert werden.233 Daher liegt in der Infrastrukturabgabe keine Abgabe gleicher Wirkung wie ein Einfuhrzoll und kein Einfuhrzoll selbst. Ein Verstoß durch das Infrastruk‑ turabgabengesetz gegen Art. 28 Abs. 1, Art. 30 Satz 1 AEUV scheidet aus.

ders zumindest für Zölle Voet van Vormizeele, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje, Unionsrecht, Art. 30 AEUV Rn. 3. 230  Ebenso Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 29; Hartmann, Pkw-Maut, S. 49. 231  Vgl. EuGH, Urt. v. 14.12.1962, verb. Rs. 2 und 3 / 62, Slg. 1962, 869 (882)  – Kommission / Luxemburg und Belgien; Voet van Vormizeele, in: von der Groeben /  Schwarze / Hatje, Unionsrecht, Art. 30 AEUV Rn. 10. 232  So auch Hartmann, Pkw-Maut, S. 50. 233  Ebenso Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 29.



C. Verstoß gegen die Grundfreiheiten des Unionsrechts 247

2. Mengenmäßige Beschränkung oder Maßnahme gleicher Wirkung a) Dassonville und Cassis de Dijon Nach Art. 34 AEUV234 ist eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung oder eine Maßnahme gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten verboten. Eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung liegt bei der Infrastrukturabgabe nicht vor, da sie in keiner Hinsicht auf den Warentransport oder die Menge des Warentransports Bezug nimmt. Darin kann also allenfalls eine Maßnahme gleicher Wirkung gesehen werden. Nach der Dassonville-Formel des EuGH ist eine Maßnahme gleicher Wirkung nach Art. 34 AEUV „jede Handelsrege‑ lung […], die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel mittelbar oder unmittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern“235. Legt man diese äußert weite Formel des EuGH zugrunde, wird es kaum noch nationale Maßnahmen geben, die nicht vom Beschränkungsverbot des Art. 34 AEUV erfasst werden.236 Hinzu kommt, dass im Urteil Cassis de Dijon auch unter‑ schiedslose Maßnahmen, d. h. solche, die nicht diskriminieren, als Maßnah‑ men gleicher Wirkung angesehen wurden, sofern sie geeignet sind, den Handel nach der Dassonville-Formel zu beeinträchtigen.237 Die Infrastrukturabgabe stellt für sich gesehen eine unterschiedslose Maß‑ nahme dar, da sie in- und ausländische Produkte, die auf Bundes­autobahnen mit Personenkraftwagen transportiert werden, durch höhere Transportkosten verteuern kann. Allerdings wurde soeben dargelegt, dass die Infrastrukturab‑ gabe an sich keinen Warenbezug aufweist, sodass der innerunionale Handel unmittelbar durch die Einführung der Infrastrukturabgabe nicht beschränkt wird. Die mittelbaren Auswirkungen auf den innerunionalen Handel durch die wahrscheinliche Erhöhung der Transportkosten und die gleichzeitige Sen‑ kung der nationalen Kraftfahrzeugsteuer sind aber nicht von der Hand zu weisen. Mit Blick auf die Dassonville-Formel des EuGH ist die Infrastruk‑ turabgabe als Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne des Art. 34 AEUV zu qualifizieren.

234  Eine

entsprechende Regelung findet sich in Art. 11 EWR-Vertrag. Urt. v. 11.7.1974, 8 / 74, NJW 1974, 515 (516), Rn. 5 – Dassonville. 236  Vgl. Leible / T.  Streinz, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, Recht der EU, Art. 34 AEUV Rn. 62 (Stand d. Bearb.: Jan. 2015). 237  EuGH, Urt. v. 20.2.1979, 120 / 78, NJW 1979, 1766 (1766), Rn. 8  – Cassis de Dijon. 235  EuGH,

248

3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

b) Die Keck-Rechtsprechung und deren Fortentwicklung aa) Das Urteil des EuGH im Fall Keck Der EuGH versuchte aber, die Dassonville-Formel zu präzisieren und den Kreis der Maßnahmen gleicher Wirkung einzuschränken. Im sog. Keck-Urteil führte er erstmals im Bereich des Art. 34 AEUV den Begriff der Verkaufsmo‑ dalitäten ein: Diese qualifizerte er dann nicht als Maßnahmen gleicher Wir‑ kung, wenn sie unterschiedslos für alle im Inland wirtschaftlich Tätigen gel‑ ten und „den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren“238. Gleichzeitig grenzte er diese von produktbezogenen Regelun‑ gen ab, ohne diesen Begriff zu verwenden. Verkaufsmodalitäten sind dabei solche Maßnahmen, die zu Beschränkungen der wirtschaftlichen Freiheit der Marktteilnehmer führen, „ohne sich auf die Merkmale der erfassten Erzeug‑ nisse selbst zu erstrecken“239. bb) Einschränkung durch den EuGH im Jahr 2009 Im Jahr 2009 entwickelte der EuGH eine Formel, mit der Art. 34 AEUV sowohl als Diskriminierungs- als auch als Beschränkungsverbot geprüft wird.240 Es sollen Maßnahmen von Art. 34 AEUV erfasst sein, deren Zweck es ist, ausländische Waren ungünstiger zu behandeln als inländische. Über‑ dies seien Maßnahmen gleicher Wirkung solche unterschiedslos geltenden nationalen Vorschriften, die bestimmte Anforderungen für im Ausland recht‑ mäßig in den Verkehr gebrachte Produkte aufstellten. Schließlich seien auch Maßnahmen, die Marktzugangsbeeinträchtigungen für ausländische Produkte brächten, Maßnahmen gleicher Wirkung im Sinne des Art. 34 AEUV. cc) Beurteilung der Infrastrukturabgabe Durch die Einführung der Infrastrukturabgabe verteuern sich lediglich Waren, die mit Personenkraftwagen, die im Ausland zugelassen sind, über Bundesautobahnen transportiert werden.241 Die Infrastrukturabgabe betrifft 238  EuGH,

Urt. v. 24.11.1993, C-267 / 91, NJW 1994, 121 (121), Rn. 16 – Keck. Urt. v. 29.6.1995, C-392 / 91, Slg. 1995, I-1621 (1647), Rn. 15 – Kom‑ mission / Griechenland; Schreoder, in: Streinz, EUV / AEUV-Komm., Art. 34 AEUV Rn. 45. 240  EuGH, Urt. v. 10.2.2009, C-110 / 05, EuZW 2009, 173 (175), Rn. 35, 37  – Kommission / Italien. 241  Ungenau Hartmann, Pkw-Maut, S. 51. 239  EuGH,



C. Verstoß gegen die Grundfreiheiten des Unionsrechts 249

alle Waren – gleich welcher Herkunft –, die auf diese Weise transportiert werden, sodass es sich gerade nicht um eine produktbezogene Regelung im Sinne der Keck-Formel handelt.242 Allerdings ist durch den fehlenden Wa‑ renbezug der Infrastrukturabgabe kaum erkennbar, inwiefern sie eine Ver‑ kaufsmodalität darstellen soll. Sie betrifft zwar den Transportweg und die Wahl des Transportmittels, nicht aber einen bestimmten Vertriebsweg für Waren. Durch eine Erhöhung von Produktpreisen bei einem bestimmten Transportweg wird weder unmittelbar noch mittelbar eine bestimmte Absatz‑ möglichkeit von Waren begünstigt oder benachteiligt.243 Dadurch wird der Marktzugang für ausländische Produkte nicht beeinträchtigt, sodass Art. 34 AEUV als Beschränkungsverbot nach der Keck-Rechtsprechung nur greift, wenn in der Infrastrukturabgabe gleichzeitig eine versteckte Diskriminierung liegt. Es erscheint konsequent, bei einer Diskriminierung von ausländischen Waren auch bei solchen Modalitäten eine Maßnahme gleicher Wirkung anzu‑ nehmen. Demnach wäre auch die Infrastrukturabgabe in Kombination mit der Senkung der Kraftfahrzeugsteuer auf eine Diskriminierung von ausländi‑ schen Waren zu prüfen.244 In diesem Fall, in dem auch eine Verletzung des Art. 18 AEUV im Raum steht,245 wird deutlich, dass die Einbeziehung solcher unterschiedsloser Ver‑ kaufsmodalitäten gekünstelt erscheint sowie aufgrund des gleichen Prüfungs‑ maßstabs und der gleichen Rechtfertigungsanforderungen überflüssig ist. In‑ soweit sollte in solchen Fällen die fernliegende Warenverkehrsfreiheit zu‑ mindest als Beschränkungsverbot außer Betracht bleiben. Dadurch wird auch die spezielle Warenverkehrsfreiheit gerade als Beschränkungsverbot vor Überfrachtungen geschützt. Daher ist die Infrastrukturabgabe als unterschied‑ liche Verkaufsmodalität nicht als Maßnahme gleicher Wirkung i. S. d. Art. 34 AEUV anzusehen, da ein hinreichender Warenbezug fehlt und sie zudem an Art. 18 AEUV zu messen ist.246 Diese Erwägungen lassen sich auch auf die Warenverkehrsfreiheit als Diskriminierungsverbot übertragen: Die Infrastruk‑ turabgabe bringt aufgrund des fehlenden Warenbezugs grundsätzlich keine Ungleichbehandlung von in- und ausländischen Waren mit sich.

242  Ebenso Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 30; vgl. ab­strakt Beck, NZV 2014, 289 (289). 243  Anders Hartmann, Pkw-Maut, S. 51. 244  Ebenso Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 31; Hartmann, Pkw-Maut, S. 52. 245  Dazu sogl. in diesem Teil unter D. 246  Anders Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 31; Hartmann, Pkw-Maut, S. 52.

250

3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

3. Zwischenergebnis Die Warenverkehrsfreiheit nach den Art. 28 ff. AEUV ist zwar auf das I­nfrastrukturabgabengesetz anwendbar. Das Infrastrukturabgabengesetz stellt wegen seines fehlenden Warenbezugs aber weder eine zollgleiche Abgabe noch eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschrän‑ kung dar und verstößt daher nicht gegen die Warenverkehrsfreiheit. 4. Verstoß gegen das Verbot der Erhebung höherer Abgaben für Waren aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union Art. 110 Abs. 1 AEUV247 statuiert das Verbot, auf Waren aus anderen Mitgliedstaaten der EU unmittelbar oder mittelbar höhere inländische Abga‑ ben als auf gleichartige inländische Waren zu erheben. Diese Bestimmung ergänzt das Verbot der Erhebung von Zöllen und zollgleichen Abgaben aus Art. 30 Satz 1 AEUV, indem sie den Schutz für inländische Waren durch ausländerdiskriminierende Abgaben beseitigt.248 Dabei sind in Art. 110 AEUV mit dem Begriff der Abgaben auf den ersten Blick Steuern gemeint, da Art. 110 AEUV im Kapitel 2 über die steuerlichen Vorschriften des VII. Titels des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union steht. Allerdings steht dem der Wortlaut „Abgaben gleich welcher Art“ in Art. 110 Abs. 1 AEUV entgegen, die darauf hindeutet, dass Abgaben aller Art und nicht nur Steuern umfasst sein sollen.249 Damit kann hier dahinstehen, wel‑ che Rechtsnatur die Infrastrukturabgabe im Unionsrecht aufweist. a) Abgabe auf Waren Nach dem Wortlaut des Art. 110 Abs. 1 AEUV muss es sich bei der Infra‑ strukturabgabe um eine Abgabe auf Waren handeln, damit sie dem Verbot unterfällt. Der EuGH hat dieses Merkmal in seinem Urteil zum Fall Schoettle weit ausgelegt, da sich versteckte Beschränkungen des freien Warenverkehrs auch aus Abgaben ergeben könnten, die eine Steuer ausglichen, welche die Tätigkeit des Unternehmens und nicht Waren als solche beträfen.250 Im Üb‑ 247  Dieser

Vorschrift entspricht Art. 14 Abs. 1 EWR-Vertrag. Urt. v. 27.2.1980, 168 / 78, NJW 1980, 2634 (2635), Rn. 4  – Kommis‑ sion / Frankreich; EuGH, Urt. v. 18.1.2007, C-313 / 05, Slg. 2007, I-513 (551), Rn. 27 – Brzezinski. 249  Kamann, in: Streinz, EUV / AEUV-Komm., Art. 110 AEUV Rn. 11; Hartmann, Pkw-Maut, S. 53; vgl. auch EuGH, Urt. v. 17.7.1997, C-90 / 94, Slg. 1997, I-4085 (4155), Rn. 37 – Haahr Petroleum. 250  EuGH, Urt. v. 16.2.1977, 20 / 76, Slg. 1977, 248 (258 f.), Rn. 13 f. – Schoettle. 248  EuGH,



C. Verstoß gegen die Grundfreiheiten des Unionsrechts 251

rigen ist zum Warenbezug zu beachten, dass der EuGH im Fall Schoettle über die deutsche Straßengüterverkehrssteuer zu entscheiden hatte, die nach dem Gewicht der beförderten Waren und im Inland der zurückgelegten Weg‑ strecke bemessen war.251 Damit war bei dieser Abgabe der mittelbare Wa‑ renbezug bereits durch die Bemessungsgrundlage gegeben. Dagegen fehlt im Abgabentatbestand der Infrastrukturabgabe jeglicher Bezug zur Ware. Sie wird vielmehr verkehrs- und zeitbezogen erhoben.252 Insoweit darf erneut betont werden, dass eine Beförderung von Waren weder für die Abgabepflicht noch für die Höhe der Infrastrukturabgabe maßgeblich ist.253 Auch beim Steuerentlastungsbetrag in § 9 Abs. 6 bis 8 KraftStG wird nicht nach der Herkunft der transportierten Waren differenziert, da die Steu‑ erentlastung auch dann gewährt wird, wenn Waren mit ausländischer Her‑ kunft mit einem Personenkraftwagen transportiert werden, der im Inland zu‑ gelassen ist.254 Daher muss ein Warenbezug auch bei einer Gesamtbetrach‑ tung beider Abgaben ausscheiden. Es liegt somit in der Infrastrukturabgabe keine Abgabe auf Waren i. S. d. Art. 110 AEUV vor. Durch die Verteuerung des Betriebs des Kraftfahrzeugs durch die Infrastrukturabgabe liegt ebenfalls keine Abgabe auf Waren vor, da das Kraftfahrzeug, mit dem die Grenze überquert wird, regelmäßig nicht zum Gegenstand eines Handelsgeschäfts werden soll, sondern allenfalls zum Transport von Waren dient.255 Somit scheidet eine Abgabe auf Waren in jeder Hinsicht aus. Ein Verstoß des Infra‑ strukturabgabengesetzes auch in Verbindung mit der Kraftfahrzeugsteuersen‑ kung gegen Art. 110 Abs. 1 AEUV liegt nicht vor.

251  Siehe § 3 Abs. 1 des Gesetzes über die Besteuerung des Straßengüterverkehrs vom 28.12.1968, BGBl. I, S. 1461. Die Hintergründe dieses Urt. ignoriert Hartmann, Pkw-Maut, S. 54 f., und deutet sogar die Straßengüterverkehrssteuer in eine allge‑ meine Abgabe auf den grenzüberschreitenden Straßenverkehr um. Dass in die Bemes‑ sungsgrundlage der Steuer auch das Gewicht der beförderten Waren einging, lässt er außer Acht, da ohne dieses Merkmal kein Warenbezug herstellbar wäre. Zutreffend interpretieren Langeloh, DÖV 2014, 365 (369), Korte / Gurreck, EuR 2014, 420 (425), sowie Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 32 in Fn. 76, das Urt. des EuGH zur Straßenverkehrsgütersteuer mit Blick auf die Einordnung der Infra‑ strukturabgabe. 252  Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 32. Das gesteht auch Hartmann, Pkw-Maut, S. 54, zu. Auch Schmahl, in: FS Müller-Graff, S. 689 (691), sieht keinen hinreichenden Warenbezug. Allgemein lehnen auch Wasmeier, Umwelt‑ abgaben, S. 96, und Freytag, Umweltabgaben, S. 304, einen Warenbezug bei einer Erhebung für einen gewissen Zeitraum ab. 253  Siehe bereits in diesem Teil unter C. I. 1. 254  Ebenso Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 32; vgl. bereits Korte / Gurreck, EuR 2014, 420 (426). 255  Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 32 f.; vgl. auch Kainer /  Ponterlitschek, ZRP 2013, 198 (200); Korte / Gurreck, EuR 2014, 420 (425 f.).

252

3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

b) Beeinträchtigung der Wettbewerbsneutralität Die Frage, ob die Einführung der Infrastrukturabgabe und die gleichzeitige Senkung der Kraftfahrzeugsteuer die Wettbewerbsneutralität beeinträchtigen oder nicht vielmehr erst zu Wettbewerbsneutralität führen, war bereits Ge‑ genstand der Prüfung des Art. 92 AEUV256 und wird nochmals bei der Prü‑ fung des Art. 18 AEUV257 thematisiert. Hier kann dieses Problem mangels einer Abgabe auf Waren dahinstehen.258 Die Infrastrukturabgabe könnte aber im Hinblick auf die Autoproduktion und den Transport des Kraftfahrzeugs an seinen Bestimmungsort eine Beein‑ trächtigung der Wettbewerbsneutralität darstellen. Typischerweise knüpfen Straßenbenutzungsabgaben aber nicht daran an, in welchem Staat das Fahr‑ zeug gebaut wurde. Die Einführung von Straßenbenutzungsgebühren verteu‑ ert zwar die Nutzung eines Kraftfahrzeugs im Inland. Das gilt aber stets für im In- und Ausland gebaute Kraftfahrzeuge, sofern dieses Merkmal nicht Teil des Tatbestands der Straßenbenutzungsabgabe ist.259 Nur im äußerst untypischen Fall, dass ein Personenkraftwagen von dem Staat, in dem er gebaut wurde, in einen anderen Mitgliedstaat zum Kunden gefahren wird, kann eine Straßenbenutzungsgebühr für Personenkraftwagen Auswirkungen auf den Preis und damit auch auf die Kaufentscheidung haben. Im typischen Fall dagegen, den Hillgruber zutreffend als solchen erkennt, werden dagegen Personenkraftwagen mit größeren Autotransportern überführt, die gerade nicht den Straßenbenutzungsgebühren für Personenkraftwagen unterlie‑ gen.260 Damit haben Straßenbenutzungsgebühren für Personenkraftwagen regelmäßig keine Auswirkungen auf den Preis eines Personenkraftwagens, je nachdem, wo er gebaut wurde.261 Die Kauf­ entscheidung und damit der Wettbewerb werden dadurch also grundsätzlich nicht beeinträchtigt, Selbst wenn man also wie Georg Freytag262 sowie Astrid Epiney, Jennifer Heuck und Yvonne Schleiss263 in einer Straßenbenutzungsgebühr eine Abgabe auf Waren i. S. d. Art. 110 AEUV deshalb erkennt, weil dadurch die Betriebskos‑ 256  Siehe

oben in diesem Teil unter B. III. 3. unten in diesem Teil unter D. II. 2. 258  Siehe auch Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 33; Langeloh, DÖV 2014, 365 (369), verneint ausdrücklich eine Beeinträchtigung der Wettbe‑ werbsneutralität unter dem Gesichtspunkt der gleichen Höhe der Belastung von Inund Ausländern durch Kraftfahrzeugsteuer und Straßenbenutzungsgebühr. 259  Vgl. auch Epiney / Heuck / Schleiss, in: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht, Rn. L 220 (Stand d. Bearb.: Sept. 2013). 260  Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 32 f. 261  A. A. Freytag, Umweltabgaben, S. 305 f. 262  Umweltabgaben, S.  305 f. 263  In: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht, Rn. L 217 (Stand d. Bearb.: Sept. 2013). 257  Siehe



C. Verstoß gegen die Grundfreiheiten des Unionsrechts 253

ten des jeweiligen Fahrzeugs steigen, kann darin keine Beeinträchtigung der Wettbewerbsneutralität zwischen Waren gesehen werden. Art. 110 AEUV kann in diesem Fall auch mangels Beeinträchtigung der Wettbewerbsneutra‑ lität nicht zur Anwendung kommen.

II. Arbeitnehmerfreizügigkeit In Art. 45 Abs. 1 AEUV264 wird die Freizügigkeit der Arbeitskräfte in der gesamten EU (Art. 52 Abs. 1 EUV, Art. 355 AEUV) garantiert. Dadurch ist es möglich, dass Arbeitnehmer, die die Unionsbürgerschaft nach Art. 20 AEUV besitzen, unter den gleichen Bedingungen wie Inländer in jedem Mit‑ gliedstaat der Union tätig werden können. Arbeitnehmer nach Art. 45 AEUV sind dabei Personen, die „eine Tätigkeit im Lohn- und Gehaltsverhältnis“265 ausüben oder ausüben möchten. Entscheidend für ein Arbeitsverhältnis sind die Weisungsgebundenheit sowie die Tätigkeit gegen ein Entgelt.266 Dane‑ ben können sich auch Arbeitgeber auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit berufen, wenn sie Arbeitnehmer anderer Mitgliedstaaten in einer Niederlassung be‑ schäftigen möchten und diese Beschäftigungsmöglichkeit für ausländische Arbeitnehmer gegenüber derjenigen für inländische Arbeitnehmer an er‑ schwerte Voraussetzungen geknüpft ist.267 Nach Art. 45 Abs. 2 AEUV umfasst die Arbeitnehmerfreizügigkeit die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen. Dabei sind sowohl Beschränkungen der Arbeit‑ nehmerfreizügigkeit als auch Diskriminierungen zwischen in- und ausländi‑ schen Arbeitnehmern verboten. Eine Beschränkung der Arbeitnehmerfreizü‑ gigkeit liegt dann vor, wenn unterschiedslose Bestimmungen den Zugang zum Arbeitsmarkt behindern.268

264  Eine

legt.

entsprechende Bestimmung ist in Art. 28 Abs. 1 EWR-Vertrag niederge‑

265  EuGH, Urt. v. 23.3.1982, 53 / 81, NJW 1983, 1249 (1249), Rn. 9 – Levin; vgl. auch EuGH, Urt. v. 7.9.2004, C-456 / 02, Slg. 2004, 7573 (7604), Rn. 15  – Trojani; Brechmann, in: Calliess / Ruffert, EUV / AEUV-Komm., Art. 45 AEUV Rn. 12. 266  EuGH, Urt. v. 3.7.1986, 66 / 85, Slg. 1986, 2121 (2144), Rn. 17  – LawrieBlum; EuGH, Urt. v. 31.5.1989, 344 / 87, Slg. 1989, 1621 (1645), Rn. 12  – Bettray; EuGH, Urt. v. 10.9.2014, C-270 / 13, NVwZ 2014, 1508 (1509), Rn. 28 – Haralambi‑ dis. 267  EuGH, Urt. v. 7.5.1998, C-350 / 96, NZG 1998, 809 (810), Rn. 20 f.  – Clean Car Autoservice; Engel / Singbartl, VR 2014, 289 (289). 268  EuGH, Urt. v. 12.12.1995, C-415 / 93, NJW 1996, 505 (510), Rn. 103  – Bos‑ man; EuGH, Urt. v. 27.1.2000, C-190 / 98, Slg. 2000, I-493 (523), Rn. 23 – Graf.

254

3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

1. Arbeitnehmersicht Die Höhe der Infrastrukturabgabe von maximal 0,36 Euro pro Tag für eine Jahresvignette wird nicht dazu führen, dass ein Arbeitnehmer, der aus einem anderen Staat nach Deutschland pendelt, seine Tätigkeit in Deutschland auf‑ gibt oder in ihrem Umfang beschränkt. Die Infrastrukturabgabe betrifft also nicht unmittelbar Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmern. Betrachtet man darüber hinaus, dass die Infrastrukturabgabe bei im Ausland zugelassenen Personenkraftwagen nur auf Autobahnen erhoben wird, so erscheint die Be‑ deutung für die Arbeitnehmerfreizügigkeit äußerst gering. Allerdings werden durch die Einführung der Infrastrukturabgabe Fahrten aus dem Ausland in das Inland über deutsche Autobahnen verteuert. Dadurch sind auch Arbeitnehmer, die nicht in Deutschland leben und deren Personen‑ kraftwagen damit in aller Regel im Ausland zugelassen sind, mit einer ­Arbeitsstelle in Deutschland in ihrer Tätigkeit und damit in den sonstigen Arbeitsbedingungen betroffen.269 Die Belastung wird auch durch die Abzieh‑ barkeit der Infrastrukturabgabe als beruflich veranlasste Aufwendung von der Bemessungsgrundlage der Einkommen­ steuer im Heimatland bzw. in Deutschland lediglich reduziert, aber nicht vollständig kompensiert.270 Den‑ noch ist eine Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit durch eine Behin‑ derung des Marktzugangs angesichts der verbleibenden, äußerst geringen Belastung abzulehnen. 2. Arbeitgebersicht Diese Belastung besteht aber auch, wenn deutsche Arbeitgeber Arbeitneh‑ mer aus dem europäischen Ausland einstellen möchten, da deren Weg zur Arbeit nach Deutschland verteuert werden würde. Den Arbeitgebern würde somit – bei einer Ungleichbehandlung gegenüber deutschen Arbeitnehmern – die Einstellung ausländischer Arbeitnehmer erschwert. Ob diese Belastung des Arbeitswegs von Grenzpendlern eine Diskriminierung gegenüber deut‑ schen Arbeitnehmern darstellt und diese gegebenenfalls zu rechtfertigen ist, soll im Zusammenhang mit dem Vorliegen einer Diskriminierung und deren Rechtfertigung bei Art. 18 AEUV geprüft werden.271 Die Arbeitnehmerfrei‑ zügigkeit aus Art. 45 AEUV ist anders als die Warenverkehrsfreiheit neben dem allgemeinen Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV auf die Infra‑ 269  Vgl. Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 34; s. abstrakt auch Korte / Gurreck, EuR 2014, 420 (427); Engel / Singbartl, VR 2014, 289 (289); Fehling, ZG 2014, 305 (314); Kainer / Ponterlitschek, ZRP 2013, 198 (200). 270  Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 33. 271  Siehe in diesem Teil unter D. II. und III.



C. Verstoß gegen die Grundfreiheiten des Unionsrechts 255

strukturabgabe anwendbar. Bei Vorliegen einer Diskriminierung erleiden Ar‑ beitnehmer, die nicht in Deutschland leben, aber hier arbeiten, durch die Benutzung von Autobahnen auf ihrem Arbeitsweg einen unmittelbaren Nach‑ teil gegenüber deutschen Arbeitnehmern.

III. Niederlassungsfreiheit Die Art. 49 ff. AEUV272 gewährleisten die Niederlassungsfreiheit für alle Unionsbürger und die ihnen nach Art. 54 AEUV gleichgestellten Gesell‑ schaften im gesamten Gebiet der EU. Anwendbar sind die Vorschriften über die Niederlassungsfreiheit dann, wenn ein grenzüberschreitender Sachverhalt vorliegt.273 Im anderen Mitgliedstaat muss in einer festen Einrichtung eine selbständige, wirtschaftliche Tätigkeit aufgenommen oder ausgeübt wer‑ den.274 1. Zuzug von Unionsbürgern nach Deutschland Möglicherweise beeinträchtigt die Einführung der Infrastrukturabgabe mit‑ telbar die Errichtung einer solchen festen Einrichtung durch Unionsbürger anderer Mitgliedstaaten in Deutschland. Nach § 20 Abs. 1 Satz 1, Abs. 6 FZV275 sind ausländische Fahrzeuge vorübergehend, d. h. für einen Zeitraum von höchstens einem Jahr berechtigt, am Verkehr im Inland teilzunehmen. Nach diesem einen Jahr muss das Kraftfahrzeug in Deutschland zugelassen werden und unterliegt damit – spätestens dann – nicht nur der deutschen Kraftfahrzeugsteuer gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG, sondern auch der Infra‑ strukturabgabepflicht nach § 1 Abs. 1 InfrAG. Nach § 3 Nr. 13 Satz 2 Kraft‑ StG entfällt die Kraftfahrzeugsteuerbefreiung für ausländische Personenkraft‑ wagen bereits dann, wenn für diese Fahrzeuge ein regelmäßiger Standort im Inland begründet wird, was bei einer Niederlassung im Inland anzunehmen sein dürfte. Ebenso sehen die Doppelbesteuerungsabkommen auf dem Gebiet der Kraftfahrzeugsteuern regelmäßig eine Steuerbefreiung nur für die vorü‑ bergehende Einfuhr von ausländischen Kraftfahrzeugen vor. Eine Mehrbelas‑ tung tritt damit bei einer Niederlassung in Deutschland durch die Infrastruk‑ 272  Entsprechungen 273  Siehe

finden sich in den Art. 31 ff. EWR-Vertrag. dazu Korte, in: Calliess / Ruffert, EUV / AEUV-Komm., Art. 49 AEUV

Rn.  19 ff. 274  Vgl. Forsthoff, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, Recht der EU, Art. 49 AEUV Rn. 16 (Stand d. Bearb.: März 2011); Tiedje, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje, Unionsrecht, Art. 49 AEUV Rn. 1. 275  Verordnung über die Zulassung von Fahrzeugen zum Straßenverkehr (Fahr‑ zeug-Zulassungsverordnung) v. 3.2.2011, BGBl. I S. 139, mit spät. Änd.

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3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

turabgabe nicht ein, da die Zahlung der Infrastrukturabgabe durch den ent‑ sprechenden Steuerentlastungsbetrag nach § 9 Abs. 6 KraftStG vollständig kompensiert wird. Sollten die Halter ausländischer Personenkraftwagen be‑ reits vor Ablauf des einen Jahres in Deutschland kraftfahrzeugsteuerpflichtig sein, profitieren sie vom Steuerentlastungsbetrag in § 9 Abs. 7 KraftStG, auch ohne dass sie nach § 7 Abs. 1 InfrAG verpflichtet sind, die Infrastruk‑ turabgabe für ein Jahr zu entrichten. Die Infrastrukturabgabe stellt also inso‑ weit keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar und diskriminiert ausländische Unternehmer beim Zuzug nicht. Sie verstößt insoweit nicht gegen Art. 49 AEUV. 2. Wegzug aus Deutschland Sebastian Hartmann hat auch den Blick auf die Wegzugsfälle gerichtet, da die Niederlassungsfreiheit auch auf Inländer anwendbar ist, sofern ein grenz‑ überschreitender Sachverhalt vorliegt.276 Im Fall, dass ein deutsches Unter‑ nehmen seinen Sitz und seine Geschäftsleitung von Deutschland ins EUAusland verlegt, soll die Infrastrukturabgabe eine Beschränkung der Nieder‑ lassungsfreiheit darstellen. Trotz Sitzverlegung seien die Personenkraftwagen des Unternehmens noch in Deutschland zugelassen und damit das Unterneh‑ men verpflichtet, die Infrastrukturabgabe stets für ein Jahr zu zahlen, obwohl durch die Doppelbesteuerungsabkommen auf dem Gebiet der Kraftfahrzeug‑ steuern keine Kraftfahrzeugsteuer mehr in Deutschland, sondern im Sitzstaat zu zahlen ist. Dadurch kämen diese Unternehmen nicht in den Genuss der Kompensation in § 9 Abs. 6 KraftStG. Das überzeugt nicht. Bei der Sitzverlegung oder dem Wegzug in einen anderen Staat darf das jeweilige Kraftfahrzeug sofort umgemeldet werden, ohne dass es erst ein Jahr im neuen Sitzstaat gehalten werden muss. Das Fahrzeug gilt nach der Abmeldung in Deutschland nach dem Infrastrukturabgabengesetz nicht mehr als in Deutschland zugelassen. Eine anteilige Erstattung der Jahresvignette ist nach § 10 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 InfrAG möglich, wenn das abgabepflichtige Kraftfahrzeug außer Betrieb gesetzt wurde. Eine Außerbetriebsetzung liegt dann vor, wenn nach § 14 Abs. 1 FZV die Kennzeichen entstempelt werden und ein entsprechender Vermerk auf der Zulassungsbescheinigung Teil I an‑ gebracht wird.277 Dieser Vorgang muss bei einer Abmeldung des Fahrzeugs im Inland und anschließender Anmeldung im Ausland durchgeführt werden. Das bedeutet, dass der Preis der Jahresvignette nach § 10 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 InfrAG anteilig erstattet wird, wenn das Kraftfahrzeug in Deutschland abge‑ 276  Hartmann,

Pkw-Maut, S. 58 f. § 9 Abs. 6 Satz 2 InfrAG ist die Außerbetriebsetzung der schriftliche Verwaltungsakt, in dem die entsprechenden Anordnungen getroffen werden. 277  Nach



C. Verstoß gegen die Grundfreiheiten des Unionsrechts 257

meldet wird, da der Antrag auf Erstattung nach § 10 Abs. 2 Satz 4 InfrAG mit der Beantragung der Außerbetriebsetzung als gestellt gilt. In diesen Fäl‑ len muss nach der Ummeldung des Kraftfahrzeugs weder die Kraftfahrzeug‑ steuer noch die Infrastrukturabgabe in Deutschland gezahlt werden. Die In­ frastrukturabgabe behindert also den Wegzug von Deutschen ins Ausland nicht, da es diesen freisteht, ihren Personenkraftwagen unmittelbar nach dem Wegzug im Inland abzumelden, was eine anteilige Erstattung der Infrastruk‑ turabgabe und eine Neufestsetzung der Kraftfahrzeugsteuer nach § 12 Abs. 2 Nr. 3 KraftStG mit sich bringt. Eine freie Disposition zur Verhinderung von Mehrbelastungen beschränkt die Niederlassungsfreiheit beim Zuzug und beim Wegzug nicht und begründet keine Diskriminierung mit Blick auf die Niederlassungsfreiheit von Ausländern. 3. Zwischenergebnis Das Infrastrukturabgabengesetz verletzt Art. 49 AEUV damit weder in den Zuzugs- noch in den Wegzugsfällen.

IV. Dienstleistungsfreiheit Art. 56 Abs. 1 AEUV278 verbietet Beschränkungen und Diskriminierun‑ gen des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs. Das bedeutet, dass auch die Dienstleistungsfreiheit in zwei Richtungen gewährleistet ist: zum einen für inländische Dienstleister, die im Ausland tätig werden, und für in‑ ländische Dienstleistungsempfänger, die die Leistung im Ausland in An‑ spruch nehmen. Zum anderen schützt Art. 56 Abs. 1 AEUV ausländische Dienstleister, die im Inland tätig werden, und ausländische Dienstleistungs‑ empfänger, die die Leistung im Inland in Anspruch nehmen.279 Der Begriff der Dienstleistung wird in Art. 57 AEUV280 durch den Vertrag selbst defi‑ niert. Danach sind Dienstleistungen Leistungen, die in der Regel gegen Ent‑ gelt erbracht werden, soweit sie nicht den Vorschriften über den freien Wa‑ ren- und Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit der Personen unterliegen, wobei insbesondere gewerbliche, kaufmännische, handwerkliche und freibe‑ rufliche Tätigkeiten als Dienstleistungen i. S. d. Art. 57 AEUV gelten.

278  Art. 36

Abs. 1 EWR-Vertrag statuiert eine entsprechende Regelung. Müller-Graff, in: Streinz, EUV / AEUV-Komm., Art. 56 AEUV Rn. 34 ff. und Rn. 91 ff.; s. zur sog. passiven Dienstleistungsfreiheit, bei der sich der Leistungs‑ empfänger zum Leistenden begibt, EuGH, Urt. v. 31.1.1984, verb. Rs. 286 / 82 und 26 / 83, NJW 1984, 1288 (1288), Rn. 10 – Luisi und Carbone. 280  Siehe auch Art. 37 EWR-Vertrag. 279  Vgl.

258

3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

1. Ausschluss der Dienstleistungsfreiheit Nach Art. 58 Abs. 1 AEUV281 sind aber diejenigen Dienstleistungen vom Anwendungsbereich des Dienstleistungsfreiheit ausgeschlossen, die auf dem Gebiet des Verkehrs erbracht werden. Für diese Dienstleistungen gelten aus‑ schließlich die Vorschriften des Titels über den Verkehr, also die Art. 90 ff. AEUV. Damit sind Verkehrsunternehmer282, die schon begrifflich stets Dienstleistungen auf dem Gebiet des Verkehrs erbringen, vom Schutz der Dienstleistungsfreiheit ausgeschlossen. Das gilt unbeschadet des Umstandes, dass – wie in dieser Arbeit vertreten – Art. 92 AEUV mangels einer erheb­ lichen Zahl von Betroffenen auf die Infrastrukturabgabe keine Anwendung findet.283 In persönlicher Hinsicht ist die Dienstleistungsfreiheit des Art. 56 Abs. 1 AEUV also nur für Dienstleister anwendbar, bei denen die Benutzung von Straßen nur anlässlich der Dienstleistungserbringung erfolgt und nicht der Transport von Gütern oder Personen die eigentliche Dienstleistung dar‑ stellt.284 2. Beschränkungsverbot Als Beschränkungsverbot verbietet Art. 56 AEUV jede Behinderung des Marktzugangs zu und für Dienstleistungen.285 Bei einer maximalen Höhe der Infrastrukturabgabe von 130 Euro pro Jahr, die im Durchschnitt aber deutlich niedriger ausfällt, wird der Zugang nach Deutschland für ausländi‑ sche Dienstleister zumindest bei mehrfacher Erbringung und für ausländische Dienstleistungsempfänger bei mehrfacher Inanspruchnahme der Dienstleis‑ tung nicht effektiv versperrt.286 Eine einmalige grenzüberschreitende Inan‑ spruchnahme einer Dienstleistung in Deutschland kann den ausländischen Autofahrer – bei Benutzung einer Bundesautobahn – zwar nach der geplanten Änderung zwischen 2,50 Euro und 25 Euro für eine Zehntagesvignette kos‑ ten.287 Allerdings ist die Infrastrukturabgabe von Haltern, deren Fahrzeuge im Ausland zugelassen sind, nach § 1 Abs. 1 und 2 InfrAG nur bei Benut‑ zung einer deutschen Autobahn zu zahlen. Die grenzüberschreitende Erbrin‑ gung oder Inanspruchnahme von Dienstleistungen in Deutschland durch 281  Eine

Entsprechung findet diese Vorschrift in Art. 38 EWR-Vertrag. zum Begriff in diesem Teil unter B. II. 2. a). 283  Siehe in diesem Teil unter B. II. 2. 284  Korte / Gurreck, EuR 2014, 420 (428); Hillgruber, Gutachten zur Unions‑ rechtskonformität, S. 35. 285  EuGH, Urt. v. 10.5.1995, C-384 / 93, NJW 1995, 2541 (2542), Rn. 38 – Alpine. 286  Ebenso Hartmann, Pkw-Maut, S. 61. 287  BT-Drs. 18 / 11237 v. 20.2.2017, S. 7. 282  Siehe



C. Verstoß gegen die Grundfreiheiten des Unionsrechts 259

Ausländer kann gerade im kleinen Grenzverkehr nahezu immer ohne Nut‑ zung der Autobahn erfolgen. Somit geht von der Infrastrukturabgabe auch bei einmaliger oder seltener Erbringung oder Inanspruchnahme grenzüber‑ schreitender Dienstleistungen keine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit aus, da der Marktzugang effektiv nicht behindert wird.288 3. Diskriminierungsverbot Eine Diskriminierung hinsichtlich der Dienstleistungsfreiheit kann aber für Unionsbürger anderer Mitgliedstaaten gerade darin liegen, dass sie regelmä‑ ßig – aufgrund der Zulassung ihres Personenkraftwagens im Ausland – nicht von der Entlastung in § 9 Abs. 6 KraftStG profitieren. Deutsche Dienstleister und Dienstleistungsempfänger dagegen werden durch § 9 Abs. 6 KraftStG bei der Kraftfahrzeugsteuer mindestens um den Betrag der Infrastrukturab‑ gabe entlastet. Die Prüfung einer solchen Diskriminierung ausländischer Dienstleister und Dienstleistungsempfänger sowie eine mögliche Rechtferti‑ gung erfolgen sogleich bei der Prüfung des allgemeinen Diskriminierungs‑ verbots nach Art. 18 AEUV.

V. Ergebnis Von den unionsrechtlichen Grundfreiheiten sind die Arbeitnehmerfreizü‑ gigkeit nach Art. 45 AEUV und die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV jeweils in ihrer Ausprägung als Diskriminierungsverbote anwendbar. Ob eine Diskriminierung von ausländischen Arbeitnehmern bzw. Dienstleis‑ tern und Dienstleistungsempfängern vorliegt, wird im Rahmen der Prüfung des Art. 18 AEUV erläutert. Hingegen verstößt die Infrastrukturabgabe mangels hinreichendem Waren‑ bezug nicht gegen die Warenverkehrsfreiheit aus Art. 28 ff. AEUV und das Verbot der höheren Abgaben auf Waren aus Art. 110 AEUV. Die Niederlassungsfreiheit aus Art. 49 AEUV ist zwar anwendbar. Aller‑ dings stellt die Infrastrukturabgabe mit Blick auf die Niederlassungsfreiheit weder eine Beschränkung noch eine Diskriminierung dar, sodass das Infra‑ strukturabgabengesetz nicht gegen Art. 49 AEUV verstößt. Im Übrigen sind die Grundfreiheiten als Beschränkungsverbote nicht auf das Infrastrukturabgabengesetz anzuwenden.

288  Hartmann,

Pkw-Maut, S. 61, lässt diese Frage offen.

260

3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

D. Verstoß gegen Art. 18 AEUV Nach Art. 18 Abs. 1 AEUV289 ist unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge in ihrem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten.

I. Anwendbarkeit 1. Persönlicher Anwendungsbereich Auf den ersten Blick ist die Vorschrift in persönlicher Hinsicht nicht be‑ schränkt. Allerdings können sich nur Unionsbürger und juristische Personen mit Sitz in der EU auf Art. 18 Abs. 1 AEUV berufen, da die Vorschrift nur im Anwendungsbereich der Verträge gilt und Art. 20 Abs. 2 Satz 1 AEUV nur Unionsbürgern die in den Verträgen vorgesehenen Rechte zuspricht.290 Sollte im Anwendungsbereich einer Vorschrift etwas anderes gelten, muss dies wegen Art. 20 Abs. 2 Satz 1 AEUV ausdrücklich bestimmt sein. 2. Sachlicher Anwendungsbereich In sachlicher Hinsicht ist Art. 18 Abs. 1 AEUV unbeschadet besonderer Bestimmungen anwendbar. Das bedeutet, dass Art. 18 Abs. 1 AEUV ein all‑ gemeines Diskriminierungsverbot hinsichtlich der Staatsangehörigkeit statu‑ iert und bei Anwendbarkeit besonderer Diskriminierungsverbote der Verträge, die sich ebenfalls auf die Staatsangehörigkeit beziehen müssen, insoweit zu‑ rücktritt.291 Solche besonderen Diskriminierungsverbote sind unter anderem die Arbeitnehmerfreizügigkeit aus Art. 45 AEUV, die Niederlassungsfreiheit aus Art. 49 AEUV sowie die Dienstleistungsfreiheit aus Art. 56 AEUV.292

289  Art. 4

EWR-Vertrag ist eine entsprechende Vorschrift. Epiney, in: Calliess / Ruffert, EUV / AEUV-Komm., Art. 18 AEUV Rn. 41; Rust, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje, Unionsrecht, Art. 18 AEUV Rn. 45. 291  EuGH, Urt. v. 15.9.2011, C-240 / 10, IStR 2011, 806 (807), Rn. 29  – SchulzDelzers und Schulz; EuGH, Urt. v. 30.5.1989, 305 / 87, Slg. 1989, 1461 (1476 f.), Rn. 12 f.  – Kommission / Griechenland; Epiney, in: Calliess / Ruffert, EUV / AEUVKomm., Art. 18 AEUV Rn. 41. 292  EuGH, Urt. v. 30.5.1989, 305 / 87, Slg. 1989, 1461 (1476), Rn. 12  – Kommis‑ sion / Griechenland; EuGH, Urt. v. 2.2.1989, 186 / 87, NJW 1989, 2183 (2183), Rn. 14 – Cowan; Epiney, in: Calliess / Ruffert, EUV / AEUV-Komm., Art. 18 AEUV Rn. 6; s. auch EuGH, Urt. v. 15.9.2011, C-240 / 10, IStR 2011, 806 (807), Rn. 29  – Schulz-Delzers und Schulz; EuGH, Urt. v. 26.6.2003, C-422 / 01, Slg. 2003, I-6817 (6848), Rn. 61 – Skandia. 290  Vgl.



D. Verstoß gegen Art. 18 AEUV261

Überdies kann in sachlicher Hinsicht gefolgert werden, dass der Anwen‑ dungsbereich der Verträge eröffnet sein muss. Der EuGH sieht diese Voraus‑ setzung unter anderem dann als gegeben an, wenn ein Zusammenhang mit der Ausübung oder Verwirklichung von Grundfreiheiten besteht oder wenn sich ein Unionsbürger rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufhält, d. h. sein Recht auf Freizügigkeit aus Art. 21 Abs. 1 AEUV ausübt.293 Allein wegen der zweiten Fallgruppe gibt es kaum noch Fälle, die nicht im Anwen‑ dungsbereich der Verträge liegen und für die Art. 18 AEUV nicht gilt.294 Nur bei rein innerstaatlichen Sachverhalten bleibt Art. 18 AEUV außen vor, z. B. bei Inländerdiskriminierungen, da sie keinen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen.295 3. Anwendbarkeit auf das Infrastrukturabgabengesetz Mit Blick auf das Infrastrukturabgabengesetz scheiden zumindest Arbeit‑ nehmer und Dienstleister, die sich auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Dienstleistungsfreiheit berufen können,296 aus dem Anwendungsbereich des allgemeinen Diskriminierungsverbots nach Art. 18 Abs. 1 AEUV aus. Hinge‑ gen existiert beim allgemeinen Diskriminierungsverbot keine besondere Be‑ reichsausnahme für die Vorschriften über den Verkehrstitel wie in Art. 58 Abs. 1 AEUV für die Dienstleistungsfreiheit. Daher können sich auch Ver‑ kehrsunternehmer nach der hier vertretenen Ansicht auf Art. 18 Abs. 1 AEUV berufen, da der Anwendungsbereich des Art. 92 AEUV nicht eröffnet ist.297 Dagegen fallen Warenhändler nicht unter den Schutz des Art. 18 Abs. 1 AEUV, da für sie der Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit nach den Art. 28 ff. AEUV eröffnet ist.298 Das Hauptaugenmerk bei der Anwendung des Art. 18 AEUV ist auf die Nutzung von Bundesautobahnen mit Personenkraftwagen zu privaten Zwe‑ cken zu richten. Zunächst fallen Deutsche nicht in den Anwendungsbereich des Art. 18 Abs. 1 AEUV, da sie als Inländer durch diese Vorschrift nicht vor 293  Zur ersten Alternative vgl. EuGH, Urt. v. 5.6.2008, C-164 / 07, EuZW 2008, 477 (477 f.), Rn. 11 f.  – Wood; zur zweiten Alternative EuGH, Urt. v. 12.5.1998, C-85 / 96, EuZW 1998, 372 (375), Rn. 62 ff. – Sala; EuGH, Urt. v. 13.4.2010, C-73 / 08, EuZW 2010, 1141 (1142), Rn. 31 – Bressol u. a.; s. zu beidem auch Haratsch / Koenig / Pechmann, Europarecht, Rn. 739 ff. 294  Vgl. Epiney, in: Calliess / Ruffert, EUV / AEUV-Komm., Art. 18 AEUV Rn. 24; Haratsch / Koenig / Pechmann, Europarecht, Rn. 742. 295  Vgl. Riese / Noll, NVwZ 2007, 516 (519 f.); Epiney, in: Calliess / Ruffert, EUV /  AEUV-Komm., Art. 18 AEUV Rn. 30 f. 296  Siehe in diesem Teil unter C. II. und IV. 297  Siehe in diesem Teil unter B. II. 2. 298  Siehe insoweit in diesem Teil unter C. I.

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3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

dem Infrastrukturabgabengesetz, einer inländischen Regelung, geschützt wer‑ den. Insoweit ist auf die gleichheitsrechtliche Prüfung im zweiten Teil der Arbeit zu verweisen.299 Zu fragen ist aber, ob die private Nutzung von Personenkraftwagen auf Bundesautobahnen durch Unionsbürger anderer Mitgliedstaaten in den An‑ wendungsbereich der Verträge fällt und somit das Infrastrukturabgabengesetz unter diesem Gesichtspunkt mit Art. 18 Abs. 1 AEUV vereinbar sein muss. Gerade durch die Nutzung von Straßen im Ausland mit Personenkraftwagen nehmen Unionsbürger ihr Freizügigkeitsrecht in Anspruch, welches ihnen Art. 21 Abs. 1 AEUV gewährt.300 Daher fällt die private Nutzung des Perso‑ nenkraftwagens auf ausländischen Straßen in den Anwendungsbereich der Verträge. Da die Infrastrukturabgabe auch die Nutzung der Bundesauto­ bahnen durch Halter und Führer von Personenkraftwagen betrifft, die im Ausland zugelassen sind, und diese dadurch ihr Freizügigkeitsrecht aus Art. 21 Abs. 1 AEUV ausüben, ist die Infrastrukturabgabe an Art. 18 Abs. 1 AEUV zu messen. Insoweit sind auch keine besonderen Diskriminierungs‑ vorschriften einschlägig und der Anwendungsbereich des Art. 18 Abs. 1 AEUV eröffnet.

II. Diskriminierung Seinem Wortlaut nach schützt Art. 18 Abs. 1 AEUV vor jeder Diskriminie‑ rung wegen der Staatsangehörigkeit. Das bedeutet, dass In- und Ausländer, sofern der Anwendungsbereich der Verträge eröffnet ist, gleichbehandelt werden müssen.301 Eine Ungleichbehandlung führt aber nur dann zu einer Diskriminierung, wenn Ausländer gegenüber Inländern benachteiligt wer‑ den.302 Dabei wird zwischen offenen oder unmittelbaren und versteckten oder mittelbaren Ungleichbehandlungen unterschieden: Unmittelbare Diskri‑ minierungen liegen vor, wenn die Unterscheidung ausdrücklich an das Merk‑ 299  Siehe

im 2. Teil unter B. I. 4. EuGH, Urt. v. 1.10.2009, C-103 / 08, EuZW 2009, 862 (864), Rn. 25 f.  – Gottwald; Langeloh, DÖV 2014, 365 (370); Fehling, ZG 2014, 305 (310). 301  EuGH, Urt. v. 2.2.1989, 186 / 87, NJW 1989, 2183 (2183), Rn. 10  – Cowan; EuGH, Urt. v. 20.10.1993, C-92 / 92 und C-326 / 92, NJW 1994, 375 (376), Rn. 32  – Phil Collins; EuGH, Urt. v. 2.10.1997, C-122 / 96, NJW 1997, 3299 (3300), Rn. 25 – Saldanha; EuGH, Urt. v. 6.6.2000, C-360 / 00, EuZW 2002, 690 (692), Rn. 31  – Ri‑ cordi. 302  EuGH, Beschl. v. 29.10.1980, 22 / 80, Slg. 1980, 3427 (3436), Rn. 10  – Bous‑ sac; EuGH, Urt. v. 27.3.2014, C-322 / 13, EuZW 2014, 393 (393), Rn. 21  – Grauel Rüffer; Mohn, Gleichheitssatz, S. 103 f.; Plötscher, Diskriminierung, S. 49; von Bogdandy, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, Recht der EU, Art. 18 AEUV Rn. 7 (Stand d. Bearb.: Sept. 2010). 300  Vgl.



D. Verstoß gegen Art. 18 AEUV263

mal der Staatsangehörigkeit anknüpft und mittelbare Diskriminierungen, wenn nicht ausdrücklich an das Merkmal der Staatsangehörigkeit angeknüpft wird, aber typischerweise Ausländer durch eine Regelung benachteiligt wer‑ den.303 Anknüpfungsmerkmale bei mittelbaren Diskriminierungen nach Art. 18 Abs. 1 AEUV sind häufig der Wohnsitz oder die Niederlassung, der Ausbildungsort sowie die Sprache.304 Die Unterscheidung spielte viele Jahre mit Blick auf die Rechtfertigung eine Rolle, da der EuGH nur mittelbare Diskriminierungen für rechtferti‑ gungsfähig hielt,305 während unmittelbare Diskriminierungen nicht zu recht‑ fertigen waren.306 Inzwischen dürften aber sowohl mittelbare als auch unmit‑ telbare Diskriminierungen gerechtfertigt werden können.307 Bedeutungslos wird die Unterscheidung dadurch aber nicht, da bei unmittelbaren Diskrimi‑ nierungen eine Rechtfertigung tatsächlich kaum gelingt, während bei mittel‑ baren Diskriminierungen oft Rechtfertigungsgründe vorliegen.308 1. Unmittelbare Diskriminierung a) Infrastrukturabgabengesetz Wie bereits bei der Prüfung der Vereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG darge‑ legt wurde, differenziert das Infrastrukturabgabengesetz nicht offen nach der 303  Zur unmittelbaren Diskriminierung EuGH, Urt. v. 26.9.1996, C-43 / 95, NJW 1996, 3407 (3408), Rn. 17 – Data Delecta; EuGH, Urt. v. 2.10.1997, C-122 / 96, NJW 1997, 3299 (3300), Rn. 26 – Saldanha; zur mittelbaren Diskriminierung EuGH, Be‑ schl. v. 29.10.1980, 22 / 80, Slg. 1980, 3427 (3436), Rn. 9  – Boussac; EuGH, Urt. v. 27.1.1997, C-29 / 95, NZV 1997, 234 (235), Rn. 15 f.  – Pastoors; EuGH, Urt. v. 1.10.2009, C-103 / 08, EuZW 2009, 862 (864), Rn. 27  – Gottwald; zu beidem auch Plötscher, Diskriminierung, S. 53 f.; Boehme-Neßler, NVwZ 2014, 97 (98). 304  Plötscher, Diskriminierung, S.  116  f.; Epiney, in: Calliess / Ruffert, EUV /  AEUV-Komm., Art. 18 AEUV Rn. 12; Boehme-Neßler, NVwZ 2014, 97 (98); vgl. auch Hartmann, Pkw-Maut, S. 69. 305  Siehe z. B. EuGH, Urt. v. 10.2.1994, C-398 / 92, NJW 1994, 1271 (1271), Rn. 17 – Mund & Fester. 306  Vgl. EuGH, Urt. v. 13.2.1985, 293 / 83, NJW 1985, 2085 (2086 f.), Rn. 15 ff. – Gravier. 307  Vgl. EuGH, Urt. v. 16.12.2008, C-524 / 06, NVwZ 2009, 379 (382), Rn. 75 ff. – Huber; EuGH, Urt. v. 6.10.2009, C-123 / 08, NJW 2010, 283 (285 f.), Rn. 63 ff. – Wol‑ zenburg; s. bereits EuGH, Urt. v. 5.6.2008, C-164 / 07, EuZW 2008, 477 (478), Rn. 15 – Wood. 308  Streinz, in Streinz, EUV / AEUV-Komm., Art. 18 AEUV Rn. 60; Epiney, in: Calliess / Ruffert, EUV / AEUV-Komm., Art. 18 AEUV Rn. 37; tendenziell wohl auch Plötscher, Diskriminierung, S. 133; a. A. offenbar Rossi, in: BeckOK AuslR, Art. 18 AEUV Rn. 35.

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3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

Staatsangehörigkeit.309 Anknüpfungspunkt für Unterscheidungen im Infra‑ strukturabgabengesetz ist wegen § 6 Abs. 1, § 46 Abs. 2 Satz 1 FZV310 der Wohnort oder der Ort der Niederlassung. Es differenziert nämlich unter an‑ derem in § 1 Abs. 2 und in § 7 Abs. 1 bis 3 InfrAG nach dem Ort der Zulas‑ sung des Kraftfahrzeugs. Eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit ist im Infrastrukturabgabengesetz somit nicht zu erken‑ nen. b) Zweites Verkehrsteueränderungsgesetz Hinsichtlich der Steuerentlastungsbeträge in § 9 Abs. 6 und 7 KraftStG kommt ebenfalls eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsange‑ hörigkeit in Betracht. Im Bereich der direkten Steuern müssen die Mitglied‑ staaten nämlich ihre ihnen dort verbliebenen Befugnisse unter Wahrung des Unionsrechts ausüben.311 Daraus folgt, dass auch isolierte Senkungen direk‑ ter Steuern an den Grundfreiheiten und an Art. 18 Abs. 1 AEUV zu messen sind.312 Vom Steuerentlastungsbetrag in § 9 Abs. 6 KraftStG profitieren alle Halter in Deutschland zugelassener Kraftfahrzeuge. Der Entlastungsbetrag in § 9 Abs. 7 KraftStG ist gerade auf die Halter im Ausland zugelassener Kraft‑ fahrzeuge zugeschnitten, sofern diese im Inland kraftfahrzeugsteuerpflichtig sind. Hier wird also nach dem Ort der Zulassung des Kraftfahrzeugs diffe‑ renziert. Das gilt ungeachtet der Tatsache, dass die Halter von im Ausland zugelassenen Kraftfahrzeugen in Deutschland wegen § 3 Nr. 13 Satz 1 Kraft‑ StG oder Doppelbesteuerungsabkommen auf dem Gebiet der Kraftfahrzeug‑ steuern313 von der Kraftfahrzeugsteuerpflicht bei einem Aufenthalt im Inland nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 KraftStG befreit sind. Da die Zulassung des Fahrzeugs nach § 6 Abs. 1, § 46 Abs. 2 Satz 1 FZV am Wohnsitz bzw. am Ort der Niederlassung erfolgen muss, knüpft auch die Kraftfahrzeugsteuer über den Ort der Zulassung an das Kriterium des (Wohn-)Sitzes an. Damit wird aber auch bei den Kraftfahrzeugsteuerentlastungsbeträgen nicht nach der Staatsangehörigkeit, sondern nach dem Wohnsitz bzw. der Niederlassung differenziert, sodass eine unmittelbare Diskriminierung hier ausscheidet.

309  Siehe

im 2. Teil unter B. I. 4. a). über die Zulassung von Fahrzeugen zum Straßenverkehr (Fahr‑ zeug-Zulassungsverordnung) v. 3.2.2011, BGBl. I S. 139, mit spät. Änd. 311  EuGH, Urt. v. 14.2.1995, C-279 / 93, NJW 1995, 1207 (1208), Rn. 21  – Schu‑ macker. 312  Kokott / Ost, EuZW 2011, 496 (497 f.); offen gelassen von Beck, NZV 2014, 289 (290). 313  Siehe zuletzt zum Stand der DBA das BMF-Schreiben v. 22.1.2014, BStBl. I S. 171 (171, 176). 310  Verordnung



D. Verstoß gegen Art. 18 AEUV265

c) Gesamtbetrachtung Da sowohl im Infrastrukturabgabengesetz als auch in § 9 Abs. 6 und 7 KraftStG keine unmittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörig‑ keit nach Art. 18 Abs. 1 AEUV zu finden ist, liegt bei einer Gesamtbetrach‑ tung beider Gesetze keine unmittelbare Diskriminierung vor. Eine solche müsste offen zu erkennen sein, was auch bei einer Gesamtbetrachtung zweier für sich gesehen nicht unmittelbar diskriminierenden Maßnahmen nicht mög‑ lich ist. d) Ergebnis Eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit nach Art. 18 Abs. 1 AEUV liegt somit in keiner Hinsicht vor. Insoweit stimmt das hier gefundene Ergebnis der isolierten Betrachtung beider Maßnahmen mit demjenigen bei Art. 92 AEUV überein.314 2. Mittelbare Diskriminierung Da Art. 18 Abs. 1 AEUV neben unmittelbaren auch mittelbare Diskrimi‑ nierungen erfasst, müssen das Infrastrukturabgabengesetz und die Kraftfahr‑ zeugsteuerentlastungsbeträge in § 9 Abs. 6 und 7 KraftStG auch auf mittel‑ bare Diskriminierungen untersucht werden. Eine mittelbare Diskriminierung i. S. d. Art. 18 Abs. 1 AEUV kann dabei in der Einführung der Infrastruktur‑ abgabe für alle Halter von Kraftfahrzeugen, mit denen deutsche Autobahnen genutzt werden, bei gleichzeitiger Entlastung nur der Halter in Deutschland zugelassener Kraftfahrzeuge liegen. Auch die Ausgestaltung des Preissystems der Vignetten in der Anlage Abgabensätze des Infrastrukturabgabengesetzes kann eine mittelbare Diskriminierung von Haltern darstellen, deren Kraft‑ fahrzeuge im Ausland zugelassen sind. Darüber hinaus kann sich eine mittel‑ bare Diskriminierung daraus ergeben, dass die Infrastrukturabgabe zwar ihrer Höhe nach für das gleiche Kraftfahrzeug grundsätzlich gleich hoch ist, aber mit in Deutschland zugelassenen Kraftfahrzeugen auch Bundesstraßen abga‑ bepflichtig sind, während bei im Ausland zugelassenen Kraftfahrzeugen, die Infrastrukturabgabe nur für die Benutzung von Bundesautobahnen gezahlt werden muss. Schließlich können auch die unterschiedlichen Möglichkeiten eine Vignette zu erwerben, zu einer mittelbaren Diskriminierung nach Art. 18 Abs. 1 AEUV führen.

314  Siehe

oben in diesem Teil unter B. III. 1. b) und c).

266

3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

a) Gleichzeitige Entlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer Um eine mittelbare Diskriminierung feststellen zu können, muss sowohl eine Ungleichbehandlung wie eine Benachteiligung von EU-Ausländern vor‑ liegen. Eine Ungleichbehandlung und Benachteiligung von EU-Ausländern kann nur im Wege der Gesamtbetrachtung, die auch die Entlastungsbeträge nach § 9 Abs. 6 und 7 KraftStG miteinbezieht, erfolgen. Sowohl das Infra‑ strukturabgabengesetz als auch die Kraftfahrzeugsteuersenkung sind jeweils für sich gesehen diskriminierungsfrei: Die Infrastrukturabgabe ist für den gleichen Kraftfahrzeugtyp und die gleiche Vignettenart genau gleich hoch und von der Kraftfahrzeugsteuersenkung sind Halter und Führer, deren Kraftfahrzeuge in anderen Mitgliedstaaten der EU zugelassen sind, nicht betroffen, da sie in Deutschland nicht kraftfahrzeugsteuerpflichtig sind.315 Eine mittelbare Diskriminierung kann sich insoweit nur aus einer Gesamt­ betrachtung beider Maßnahmen316 ergeben. Dies gilt auch unter Berücksich‑ tigung der Änderung des Infrastrukturabgabengesetzes317 und des Zweiten Verkehrsteueränderungsgesetzes318, da dadurch der Zusammenhang zwi‑ schen Infrastrukturabgabengesetz und § 9 Abs. 6 und 7 KraftStG nicht unter‑ brochen wird.319 aa) Ungleichbehandlung Sowohl das Infrastrukturabgabengesetz als auch das Kraftfahrzeugsteuer‑ gesetz knüpfen nicht an die Staatsangehörigkeit, sondern an den Wohnsitz des Halters des Personenkraftwagens an. Die Infrastrukturabgabepflicht trifft nach § 1 Abs. 1 und 2 InfrAG sowohl Halter von Kraftfahrzeugen, die in Deutschland zugelassen sind, als auch Halter und Führer von Kraftfahrzeu‑ gen, die im Ausland zugelassen sind, sofern sie eine Bundesauto­bahn benut‑ zen. Für die Benutzung der Straßen mit dem gleichen Kraftfahrzeugtyp müssen In- und Ausländer die Infrastrukturabgabe in der gleichen Höhe zahlen.320

315  Siehe

oben in diesem Teil unter B. III. 1. b) und c). zur Zulässigkeit einer solchen Gesamtbetrachtung für die beiden Maß‑ nahmen in diesem Teil unter B. III. 1. d). 317  Gesetz v. 18.5.2017, BGBl. I S. 1218; dazu auch BT-Drs. 18 / 11237 v. 20.2.2017. 318  Gesetz v. 6.6.2017; BGBl. I S. 1493; dazu auch BT-Drs. 18 / 11235 v. 20.2.2017. 319  Siehe oben in diesem Teil unter B. III. 1. c). 320  Ausführlich dazu in diesem Teil unter B. III. 1. b). 316  Siehe



D. Verstoß gegen Art. 18 AEUV267

Die Senkung der Kraftfahrzeugsteuer in § 9 Abs. 6 KraftStG kommt durch die Anknüpfung an den Ort der Zulassung zwar allen Haltern von Kraftfahr‑ zeugen, die in Deutschland zugelassen sind, zugute. Dadurch profitieren tat‑ sächlich überwiegend nur deutsche Staatsangehörige, da sie ihr Kraftfahrzeug in aller Regel in Deutschland zulassen werden.321 Zwar können auch Staats‑ angehörige anderer Staaten in den Genuss der Steuersenkung aus § 9 Abs. 6 KraftStG kommen, wenn sie ihr Kraftfahrzeug in Deutschland zulassen. Ty‑ pischerweise erfasst die Kraftfahrzeugsteuersenkung indes deutsche Staatsan‑ gehörige und nur in einigen Fällen Ausländer.322 Es sind zwar nicht alle Deutschen von der Steuersenkung begünstigt, da nicht alle Deutschen ihr Kraftfahrzeug in Deutschland zugelassen haben.323 Allerdings reicht es aus, dass typischerweise Inländer von einer nationalen Regelung begünstigt und somit neben den meisten Ausländern auch Deutsche benachteiligt werden.324 Eine Ungleichbehandlung von Ausländern könnte wegen der Steuersen‑ kungsregelung in § 9 Abs. 7 KraftStG, die nur für ausländische Kraftfahr‑ zeuge gilt, auszuschließen sein. Zwar besteht die Kraftfahrzeugsteuerpflicht grundsätzlich bei ausländischen Kraftfahrzeugen nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 KraftStG, solange sie sich im Inland befinden. Allerdings sind die ausländi‑ schen Kraftfahrzeuge in nahezu allen Fällen entweder durch § 3 Nr. 13 Satz 1 KraftStG oder durch Doppelbesteuerungsabkommen auf dem Gebiet der Kraftfahrzeugsteuern in Deutschland steuerbefreit, sodass die Halter dieser Kraftfahrzeuge faktisch nicht in den Genuss der Steuersenkung in § 9 Abs. 7 KraftStG gelangen können. Halter und Führer von Kraftfahrzeugen, die im Ausland zugelassen sind, zahlen somit bei der Benutzung von Bundesauto‑ bahnen die Infrastrukturabgabe, ohne eine Entlastung bei der deutschen Kraftfahrzeugsteuer zu erhalten. Halter von Kraftfahrzeugen, die in Deutsch‑ land zugelassen sind, müssen die Infrastrukturabgabe verpflichtend für ein Jahr und ohne eine tatsächliche Benutzung von Bundesfernstraßen zahlen. Sie erhalten dabei aber nach § 9 Abs. 6 KraftStG eine Entlastung mindestens in gleicher Höhe. Dadurch bleibt der Wohnsitz faktisch das Kriterium für die Inanspruchnahme der Kraftfahrzeugsteuersenkung und damit für die Un‑ gleichbehandlung. Da das Kriterium des Wohnsitzes weitgehend an die Staatsangehörigkeit gekoppelt ist, kann eine mittelbare Diskriminierung nach Art. 18 Abs. 1 AEUV vorliegen, sofern in der faktischen Ungleichbehand‑ lung eine Benachteiligung von EU-Ausländern liegt.

321  Hillgruber,

Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 41. EuGH, Urt. v. 14.2.1995, C-279 / 93, NJW 1995, 1207 (1208), Rn. 28  – Schumacker; Langeloh, DÖV 2014, 365 (370). 323  Mayer, Ausschuss-Drs. 18(15)193-F, S. 6. 324  Epiney, in: Calliess / Ruffert, EUV / AEUV-Komm., Art. 18 AEUV Rn. 14; Hartmann, Pkw-Maut, S. 70. 322  Vgl.

268

3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

bb) Benachteiligung (1) Benachteiligung durch die staatliche Gewalt Die Benachteiligung i. S. d. Art. 18 Abs. 1 AEUV muss von der deutschen staatlichen Gewalt herrühren.325 Angesichts der Steuerbefreiungen von der Kraftfahrzeugsteuer für Halter ausländischer Fahrzeuge durch Doppelbesteue‑ rungsabkommen kann daran gezweifelt werden. Hinsichtlich der Steuerbefrei‑ ung in § 3 Nr. 13 Satz 1 KraftStG sind Zweifel offensichtlich nicht berechtigt, da dieser eine deutsche Vorschrift ist und somit die Kraftfahrzeugsteuerbefrei‑ ung insoweit der deutschen staatlichen Gewalt zurechenbar ist. Auch bei den Doppelbesteuerungsabkommen ist zu berücksichtigen, dass Deutschland die‑ sen grundsätzlich durch ein Zustimmungsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG und die Ratifikation nach Art. 59 Abs. 1 GG zugestimmt haben muss. (2) Gesamtbetrachtung und kritische Würdigung Letztlich darf aber nicht allein auf die Betrachtung der Kraftfahrzeugsteuer abgestellt werden, da eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen ist und somit sowohl das Infrastrukturabgabengesetz als auch das Zweite Verkehrsteuerän‑ derungsgesetz in die Betrachtung einzubeziehen sind.326 Diese sind beide Akte deutscher staatlicher Gewalt. Weder § 3 Nr. 13 Satz 1 KraftStG noch die Doppelbesteuerungsabkommen auf dem Gebiet der Kraftfahrzeugsteuern führten und führen isoliert betrachtet zu einer Ungleichbehandlung, sondern erst durch das Tätigwerden des deutschen Gesetzgebers mit dem Infrastruk‑ turabgabengesetz und dem Zweiten Verkehrsteueränderungsgesetz wurde eine Ungleichbehandlung geschaffen, die möglicherweise zu einer Benach‑ teiligung von EU-Ausländern führt.327 Entscheidend für das Vorliegen einer Benachteiligung ist, wie bei der Prü‑ fung des Art. 92 AEUV328, ob sich die Gesamtbetrachtung letztlich nur sta‑ tisch auf die konkreten Maßnahmen bezieht oder ob in dynamischer Weise die Stellung der EU-Ausländer vor und nach dem Erlass der beiden Gesetze verglichen wird.329 Es erschiene inkonsequent, bei der Prüfung des Art. 92 325  Vgl. EuGH, Urt. v. 19.5.1992, C-195 / 90, NJW 1992, 1949 (1950), Rn. 24  – Kommission / Deutschland; Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 42; Hartmann, Pkw-Maut, S. 71 f. 326  Siehe in diesem Teil unter B. III. 1. d). 327  Ebenso Hartmann, Pkw-Maut, S. 72; vgl. auch EuGH, Urt. v. 19.5.1992, C-195 / 90, NJW 1992, 1949 (1950), Rn. 24 – Kommission / Deutschland. 328  Siehe oben in diesem Teil unter B. III. 3. b) und c). 329  Ebenso wohl Engel / Singbartl, VR 2014, 289 (291).



D. Verstoß gegen Art. 18 AEUV269

AEUV eine andere Ansicht als hier bei Art. 18 AEUV zu vertreten, auch wenn sich die Wortlaute der beiden Vorschriften unterscheiden und Art. 92 AEUV auch und gerade wegen dieser Unterschiede anders als Art. 18 Abs. 1 AEUV ausgelegt werden könnte.330 Nach der für Art. 92 AEUV vertretenen dynamischen Auslegung wird dieser nicht mehr als Abstandswahrungsgebot, sondern als besonderes Diskriminierungsverbot auf dem Gebiet des Verkehrs verstanden. Tatbestandlich unterscheidet er sich somit nicht von Art. 18 Abs. 1 AEUV, sodass ein Gleichlauf der Auslegung beider Vorschriften gebo‑ ten ist. Demzufolge muss auch hier ein Vergleich der Situation vor und nach Erlass des Infrastrukturabgabengesetzes und der § 9 Abs. 6 und 7 KraftStG erfolgen. Nach meinem Dafürhalten spricht der tatbestandliche Gleichlauf zwischen Art. 92 AEUV und Art. 18 Abs. 1 AEUV dafür, auch die Rechtslage und die Rechtsfolgen mit Blick auf das Infrastrukturabgabengesetz und das Zweite Verkehrsteueränderungsgesetz ebenso wie bei Art. 92 AEUV zu bewerten331 und diese daher gerade nicht als mittelbare Diskriminierung nach Art. 18 Abs. 1 AEUV einzuordnen, da beide Maßnahmen auch in einer Gesamtbe‑ trachtung EU-Ausländer nicht benachteiligen. Im Vergleich der Situationen vor und nach Erlass der beiden Gesetze kommt es für die Halter und Führer von Kraftfahrzeugen, die im Ausland zugelassen sind, schlechtestenfalls zu einer Gleichstellung mit Haltern von Kraftfahrzeugen, die in Deutschland zugelassen sind.332 Es wird also nur eine ursprünglich bestehende Begünsti‑ gung von Haltern und Führern im Ausland zugelassener Kraftfahrzeuge ab‑ gebaut, ohne dass diese schlechter gestellt sind, sodass darin bei einer ergeb‑ nisorientierten Betrachtung keine Benachteiligung erblickt werden kann.333 Sebastian Hartmann meint dagegen, dass eine echte Nutzerfinanzierung der Bundesfernstraßen bei einer Gesamtschau von Infrastrukturabgabengesetz und Zweitem Verkehrsteueränderungsgesetz aufgrund der Rechtsnatur der ­Infrastrukturabgabe als Gebühr und Beitrag nur bei Ausländern vorliege und diese dadurch benachteiligt würden.334 Dabei zielt er darauf ab, dass Halter in Deutschland zugelassener Kraftfahrzeuge – unabhängig von der Nutzungs‑ häufigkeit – die Infrastrukturabgabe als Beitrag zahlen müssen, während Hal‑ ter und Führer von Kraftfahrzeugen, die im Ausland zugelassen sind, die In­ frastrukturabgabe nur bei der Benutzung von Autobahnen zahlen müssen. 330  Siehe

oben in diesem Teil unter B. III. 2. und 3. oben in diesem Teil unter B. III. 3. 332  Im Ergebnis ebenso Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 49 f. 333  Vgl. insoweit auch Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 44 f.; a. A. Mayer, Ausschuss-Drs. 18(15)193-F, S. 5 f.; Hartmann, Pkw-Maut, S. 75 f. 334  Hartmann, Pkw-Maut, S. 77 ff. Er vertritt auf S. 22 die Ansicht, dass die In­ frastrukturabgabe für Inländer ein Beitrag und für Ausländer eine Gebühr sei. 331  Siehe

270

3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

Dem ist entgegenzuhalten, dass die Doppelnatur der Infrastrukturabgabe335 nichts an der Tatsache ändert, dass die gesamten Einnahmen aus der Infra‑ strukturabgabe nach § 15 Abs. 1 Satz 3 InfrAG zweckgebunden zur Verbes‑ serung der Verkehrsinfrastruktur verwendet werden müssen. Zwar wird die Infrastrukturabgabe von Deutschen als Beitrag erhoben, bei dem bereits eine abstrakte Nutzungsmöglichkeit als öffentliche Leistung ausreicht.336 Damit aber die Typisierung zulässig ist, die mit dem Beitrag einhergeht, darf es nur wenige Halter geben, die mit ihren in Deutschland zugelassenen Kraftfahr‑ zeugen keine Bundesfernstraßen nutzen.337 Es fahren aber nahezu alle Deut‑ schen auch mindestens einmal pro Jahr auf Bundesfernstraßen,338 sodass auch beim Beitrag eine Nutzerfinanzierung vorliegt, die gleichwohl unabhän‑ gig von der Häufigkeit der Fahrten auf diesen Straßen ist. Durch die zeitbe‑ zogene Gebühr werden auch EU-Ausländer auf Bundesautobahnen nur typi‑ siert erfasst, sodass die Nutzung von Bundesfernstraßen bei beiden Gruppen lediglich typisiert berücksichtigt wird. Damit besteht durch die Infrastruktur‑ abgabe gerade keine Benachteiligung von EU-Ausländern in der Art, dass nur sie künftig zur Nutzerfinanzierung der Bundesfernstraßen beitragen. (3) D  ie Motivation des Gesetzgebers als Argument für das Vorliegen einer Benachteiligung Neben Sebastian Hartmann führen auch andere Autoren die vermeintliche Motivation des Gesetzgebers, Ausländer zu benachteiligen, als Argument für die mittelbare Diskriminierung an.339 Zumindest aber wird diese vermeint­ liche Motivation immer wieder als Begründung für die Einführung der Infra‑ strukturabgabe bei gleichzeitiger Senkung der Kraftfahrzeugsteuer herange‑ zogen. Es scheint so, als ob – von diesem vermeintlichen Ziel des Gesetzgebers ausgehend – eine mittelbare Diskriminierung geradezu gesucht wird. Aus der Begründung der Bundesregierung zum Gesetzentwurf für das Infrastruktur‑ abgabengesetz, die für das konkrete Gesetzesvorhaben Bedeutung hat, geht hervor, dass eine Belastung von Inländern bei der Systemumstellung von steuer- auf nutzerfinanzierte Straßen vermieden werden soll.340 Zudem sol‑ len Halter und Führer von Kraftfahrzeugen, die im Ausland zugelassen sind, 335  Siehe

im 1. Teil unter B. VI. 3. im 1. Teil unter B. V. 2. e) und VI. 2. 337  Siehe im 2. Teil unter B. I. 4. c) dd). 338  IVV GmbH, Ausschuss-Drs. 18(15)193-G, S. 2. 339  Mayer, Ausschuss-Drs. 18(15)193-F, S. 7; Schmahl, in: FS Müller-Graff, S. 689 (693 f.); Hartmann, Pkw-Maut, S. 77. 340  BT-Drs. 18 / 3991 v. 11.2.2015, S. 1; BT-Drs. 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 1 f. 336  Siehe



D. Verstoß gegen Art. 18 AEUV271

neben den deutschen Kraftfahrzeughaltern an den Verkehrsinfrastrukturstruk‑ turkosten beteiligt werden.341 Schließlich sollen die Regelungen nach der Begründung der Bundesregierung zum Gesetzentwurf mit dem Recht der EU vereinbar sein.342 Daraus lässt sich keinesfalls die Motivation der an der Gesetzgebung Beteiligten ableiten, Ausländer zu benachteiligen. Außerdem erscheint es merkwürdig, dem Gesetzgeber zu unterstellen, bewusst ein Ge‑ setz beschlossen zu haben, welches nicht mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Daher ist bereits die Grundannahme einer zielgerichteten Diskriminierung von Ausländern durch den Gesetzgeber falsch und kann nicht als Grundlage für eine Argumentation zur mittelbaren Diskriminierung durch die Infrastruk‑ turabgabe und das Zweite Verkehrsteueränderungsgesetz dienen. Überdies darf die Motivation der am Gesetzgebungsprozess Beteiligten allenfalls als Hilfserwägung herangezogen werden und kann keinesfalls für sich gesehen das Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung begründen.343 Sämtliche anderen Argumente zur Frage des Vorliegens einer Benachteili‑ gung von EU-Ausländern sind bereits im Rahmen der Prüfung des Art. 92 AEUV dargelegt worden.344 Sie sollen an dieser Stelle nicht wiederholt werden. cc) Zwischenergebnis Geht man, wie bei der statischen Auslegung des Art. 92 AEUV und anders als hier, von einer Betrachtung der einzelnen Maßnahmen ohne einen Ver‑ gleich der Ausgangslage und der jetzigen Lage aus, so kommt man zu einer Benachteiligung der Halter und Führer von im Ausland zugelassenen Kraft‑ fahrzeugen durch das Infrastrukturabgabengesetz und das Zweite Verkehrs‑ teueränderungsgesetz.345 Dann läge eine rechtfertigungsbedürftige, mittel‑ bare Diskriminierung vor. Auf mögliche Rechtfertigungsgründe wird zurück‑ zukommen sein.346 Nach der hier vertretenen Auffassung liegt durch die Kopplung der Ein‑ führung der Infrastrukturabgabe und der gleichzeitigen Kraftfahrzeugsteuer‑ senkung mit dem Zweiten Verkehrsteueränderungsgesetz keine mittelbare Diskriminierung i. S. d. Art. 18 Abs. 1 AEUV vor. 341  BT-Drs.

18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 18; BT-Drs. 18 / 11237 v. 20.2.2017, S. 1. 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 19 f.; s. zum Ersten Gesetz zur Änderung des Infrastrukturabgabengesetzes, BT-Drs. 18 / 11237 v. 20.2.2017, S. 2. 343  Ebenso Kainer / Ponterlitschek, ZRP 2013, 198 (201). 344  Siehe oben in diesem Teil unter B. III. 3. 345  Vgl. in diesem Teil unter B. III. 3. c). 346  Siehe unten in diesem Teil unter D. III. 2. 342  BT-Drs.

272

3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

b) Preisgestaltung der Kurzzeitvignetten Ungeachtet der bisherigen Argumentation kann sich eine mittelbare Auslän‑ derdiskriminierung i. S. d. Art. 18 Abs. 1 AEUV durch die Preisgestaltung der Zehntages- und Zweimonatsvignetten in der Anlage zu § 8 InfrAG ergeben. Auf den ersten Blick scheint insoweit eine Ungleichbehandlung zu den Hal‑ tern von Kraftfahrzeugen, die in Deutschland zugelassen sind, nicht möglich, da diese nach § 7 Abs. 1 Satz 1 InfrAG stets eine Jahresvignette erwerben müssen. Somit können die Zehntages- und Zweimonatsvignetten nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 und 2 InfrAG nur von Haltern und Führern erworben werden, deren Kraftfahrzeuge im Ausland zugelassen sind. Zu berücksichtigen ist aber, dass durch ein Herunterrechnen auf den Tagespreis347 die Vignettenpreise trotz der Unterscheidung zwischen Beitrag und Gebühr miteinander vergli‑ chen werden können.348 Zudem schreibt das Infrastrukturabgabengesetz durch den Beitrag für die Halter in Deutschland zugelassener Kraftfahrzeuge ledig‑ lich den typischen Fall für inländische Straßenbenutzer fest. Im Gegensatz dazu bleibt den Haltern und Führern von Kraftfahrzeugen, die im Ausland zugelassen sind, die Möglichkeit, die für sie günstigste Vignette zu erwerben. Typischerweise wird eine Vignette mit kürzerer Geltungsdauer absolut gese‑ hen preisgünstiger und damit für EU-Ausländer vorzugswürdig sein. Ein EUAusländer wird bei einem einmaligen einwöchigen Urlaub in Deutschland kaum eine Jahresvignette für 60 Euro erwerben, wenn er nach der Anlage Ab‑ gabensätze in der Fassung des Ersten Gesetzes zur Änderung des Infrastruk‑ turabgabengesetzes349 auch eine Zehntagesvignette für acht Euro oder eine Zweimonatsvignette für 18  Euro erhalten kann.350 Generell werden gerade Halter und Führer von Kraftfahrzeugen, die im Ausland zugelassen sind, meis‑ tens Kurzzeitvignetten erwerben, da sie die Bundesautobahnen weniger häufig nutzen als die Halter in Deutschland zugelassener Kraftfahrzeuge.351 Die ­Infrastrukturabgabe ist zwar nicht wie ein klassisches Vignettensystem ausge‑ staltet, bei dem alle Straßenbenutzer die Möglichkeit haben, alle Vignettenar‑ ten zu erwerben. Allerdings trifft der typische Fall auch auf die Infrastruktur‑ abgabe zu, also inländische Kraftfahrzeughalter erwerben Jahresvignetten und 347  Vgl.

dazu Europäische Kommission, KOM(2012) 199 endg., S. 7. auch Kainer, Stellungnahme Bundestag 2017, S. 3. Unklar bleibt, warum Hartmann, Pkw-Maut, S. 81, einen Vergleich mit der Jahresvignette für die Halter von Kfz, die in Deutschland zugelassen sind, ablehnt, sodann aber die Preisgestaltung der Kurzzeitvignetten mit derjenigen der Jahresvignette für Halter und Führer von Kfz, die im Ausland zugelassen sind, vergleicht. 349  Gesetz v. 18.5.2017, BGBl. I S. 1218. 350  Nach der bisherigen Fassung v. 8.6.2015, BGBl. I S. 912, kostete eine Zehn­ tagesvignette in diesem Fall 10 Euro und eine Zweimonatsvignette 22 Euro. 351  Vgl. Europäische Kommission, KOM(2012) 199 endg., S. 4; Hillgruber, Gut‑ achten zur Unionsrechtskonformität, S. 60; Kainer, Stellungnahme Bundestag, S. 3. 348  So



D. Verstoß gegen Art. 18 AEUV273

ausländische Kraftfahrzeughalter und Kraftfahrzeugführer Kurzzeitvignetten. Insofern ist doch eine vergleichbare Lage gegeben. Folglich muss geprüft wer‑ den, ob eine Ungleichbehandlung sowie eine Benachteiligung der Halter und Führer von im Ausland zugelassenen Kraftfahrzeugen vorliegt. Die Ungleichbehandlung liegt darin, dass bei allen Kraftfahrzeugen, gleich wie viel Hubraum sie haben und welcher Schadstoffklasse sie zuzuordnen sind, der Tagespreis bei Zehntages- sowie Zweimonatsvignetten deutlich hö‑ her liegt als bei Jahresvignetten. Kostet eine Jahresvignette für ein Fahrzeug z. B. 36,50 Euro, also 0,10 Euro pro Tag, so kostete eine Zehntagesvignette vier Euro, also 0,40 Euro pro Tag, und eine Zweimonatsvignette elf Euro, also 0,18  Euro pro Tag. Aus dieser Ungleichbehandlung resultiert auch ein Nachteil für EU-Ausländer, da sie in vielen Fällen aus wirtschaftlichen Grün‑ den Kurzzeitvignetten und nicht die zwar absolut teureren, aber relativ deut‑ lich günstigeren Jahresvignetten erwerben werden. Darin liegt also eine mit‑ telbare Diskriminierung, die einer Rechtfertigung bedarf.352 Darauf wird zu‑ rückzukommen sein.353 c) Gültigkeit der Vignette nur für Bundesautobahnen Eine mittelbare Diskriminierung nach Art. 18 Abs. 1 AEUV kann sich auch daraus ergeben, dass alle Halter von Kraftfahrzeugen zwar den gleichen Preis für die gleiche Vignette zahlen, allerdings deutsche Kraftfahrzeughalter auch für die Nutzungsmöglichkeit der Bundesstraßen zahlen. Halter und Führer, deren Kraftfahrzeuge im Ausland zugelassen sind, sind dagegen nur bei der Benutzung von Bundesautobahnen abgabepflichtig. Vereinfacht aus‑ gedrückt bedeutet das auf den ersten Blick, dass die Halter von Kraftfahrzeu‑ gen, die in Deutschland zugelassen sind, mehr Leistung zum gleichen Preis bekommen. Dabei ist aber zu beachten, dass auch die Halter und Führer von Kraftfahr‑ zeugen, die im Ausland zugelassen sind, grundsätzlich nach § 1 Abs. 1 ­InfrAG auch auf Bundesstraßen abgabepflichtig sind. Davon wird durch § 1 Abs. 2 InfrAG eine Ausnahme statuiert, die mit Rechtsverordnungen der Bundesregierung nach § 2 Abs. 3 InfrAG schrittweise rückgängig gemacht werden kann. Selbst wenn aber die Abgabepflicht durch eine solche Rechts‑ verordnung auf bestimmte Abschnitte von Bundesstraßen ausgedehnt wird, verändert sich der Preis für Vignetten für Halter und Führer im Ausland zu‑ gelassener Kraftfahrzeuge nicht. Zudem können Halter und Führer von Kraftfahrzeugen, die im Ausland zugelassen sind, sämtliche Straßen außer 352  Vgl.

auch Europäische Kommission, KOM(2012) 199 endg., S. 7. zur Prüfung der Rechtfertigung in diesem Teil unter D. III. 1.

353  Siehe

274

3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

Bundesautobahnen weiterhin ohne Zahlung einer Abgabe nutzen, sodass nur scheinbar eine Ungleichbehandlung vorliegt.354 Eine mittelbare Diskriminie‑ rung nach Art. 18 Abs. 1 AEUV ist nicht anzunehmen. d) Erhebung der Infrastrukturabgabe bei Ausländern Auch der Weg der Erhebung einer Straßenbenutzungsabgabe kann zu einer mittelbaren Diskriminierung nach Art. 18 Abs. 1 AEUV führen, wenn der Erwerb einer Vignette für die Halter und Führer von Kraftfahrzeugen, die im Ausland zugelassen sind, gegenüber denjenigen erschwert ist, deren Kraft‑ fahrzeuge im Inland zugelassen sind.355 Das Infrastrukturabgabengesetz ent‑ hält dazu kaum Vorgaben. In § 5 Abs. 4 Satz 3 InfrAG findet sich lediglich die Ermächtigung an das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infra‑ struktur, durch Rechtsverordnung Einzelheiten zur Mitwirkung bei der Erhe‑ bung der Infrastrukturabgabe von Haltern und Führern von Kraftfahrzeugen, die im Ausland zugelassen sind, zu regeln.356 Sebastian Hartmann verlangt, dass die Rechtsverordnung – neben anderen Zahlungsmethoden – auch die Zahlung der Infrastrukturabgabe per SEPA-Lastschriftmandat vorsieht, da die Halter in Deutschland zugelassener Kraftfahrzeuge die Infrastrukturabgabe über ein SEPA-Lastschriftmandat nach § 5 Abs. 2 Satz 3, § 9 Abs. 3 InfrAG zahlen müssen.357 Meines Erachtens ist diese Ermöglichung dieser Zahlungsweise für Halter und Führer von Kraftfahrzeugen, die im Ausland zugelassen sind, keines‑ falls zwingend. Diese Zahlungsmöglichkeit für Halter in Deutschland zuge‑ lassener Kraftfahrzeuge bringt eine erhebliche Verwaltungsvereinfachung mit sich. Aufgrund des Zwangs zum Erwerb einer Jahresvignette nach § 7 Abs. 1 Satz 1 InfrAG kann für diese Halter durch das Lastschriftverfahren auf Dauer ein Aufwand für den Bürger und für die Verwaltung vermieden werden. Bei Haltern und Führern, deren Kraftfahrzeuge im Ausland zuge‑ lassen sind, ist dagegen unsicher, ob diese innerhalb eines Kalenderjahres überhaupt Bundesautobahnen nutzen. Daher kann bei diesen nicht vor Zu‑ lassung des Kraftfahrzeugs oder bei Beginn der Abgabenerhebung ein SEPA-Lastschriftmandat angefordert werden.358 Dessen ungeachtet kann die Zahlung per Lastschriftmandat auch bei der Buchung einer Vignette an Tankstellen oder im Internet zur Verfügung gestellt werden, sie muss es 354  Vgl. Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 59; Hartmann, Pkw-Maut, S. 81. 355  Vgl. Europäische Kommission, KOM(2012) 199 endg., S. 9 f. 356  Näher zu dieser Vorschrift im 2. Teil unter B. II. 2. b). 357  Hartmann, Pkw-Maut, S. 85. 358  Siehe auch Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 57.



D. Verstoß gegen Art. 18 AEUV275

aber nicht.359 § 6 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 InfrAG legt nahe, dass auch ausländi‑ schen Haltern und Führern durch Rechtsverordnung die Möglichkeit gebo‑ ten werden kann, die Infrastrukturabgabe per SEPA-Lastschriftmandat zu zahlen. Eine erneute Buchung einer Vignette nach Ablauf der Gültigkeit der alten lässt sich jedoch dadurch bei Haltern und Führern von Kraftfahrzeu‑ gen, die im Ausland zugelassen sind, nicht vermeiden. Halter im Inland zugelassener Kraftfahrzeuge sowie Halter und Führer im Ausland zugelasse‑ ner Kraftfahrzeuge sind aufgrund der unterschiedlichen Nutzungsintensität der Bundesfernstraßen nicht miteinander vergleichbar. Daher dürfen unter‑ schiedliche Erhebungsweisen verwendet werden, ohne dass eine mittelbare Diskriminierung nach Art. 18 Abs. 1 AEUV vorliegt. Im Übrigen soll die Zahlung der Vignette nur mit Bargeld oder einer ECoder Kreditkarte möglich sein.360 Die Erteilung eines SEPA-Lastschriftman‑ dats erspart nicht individuelle Buchung der Vignette im Internet oder an einer Tankstelle. Lediglich die Bezahlung vor Ort an der Tankstelle würde minimal vereinfacht werden, da weder Bargeld noch eine Karte mitgeführt werden müsste. Das Vorenthalten eines kaum messbaren Vorteils kann aber keine Benachteiligung darstellen und somit – selbst im Fall der Vergleichbarkeit beider Gruppen  – nicht zu einer mittelbaren Diskriminierung nach Art. 18 Abs. 1 AEUV führen. e) Zwischenergebnis Einzig in der Preisgestaltung der Vignetten ist vorliegend eine mittelbare Diskriminierung nach Art. 18 Abs. 1 AEUV zu erblicken.

III. Rechtfertigung Die mittelbare Diskriminierung nach Art. 18 Abs. 1 AEUV durch die un‑ terschiedliche Preisgestaltung der Vignetten führt aber nur dann zur Unions‑ rechtswidrigkeit des Infrastrukturabgabengesetzes, wenn sie nicht gerechtfer‑ tigt werden kann. Der EuGH ermöglicht Rechtfertigungen sowohl bei unmit‑ telbaren wie bei mittelbaren Diskriminierungen nach Art. 18 Abs. 1 AEUV. Dabei müssen „objektive Umstände“ zur Rechtfertigung vorliegen, die mit dem durch die nationale Regelung verfolgten Zweck in einem angemessenen Verhältnis stehen.361 359  Vgl.

zu den Buchungsmöglichkeiten BT-Drs. 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 3. Europäische Kommission, KOM(2012) 199 endg., S. 9. 361  EuGH, Urt. v. 23.1.1997, C-29 / 95, NZV 1997, 324 (325), Rn. 19 ff.  – Pas‑ toors; EuGH, Urt. v. 27.3.2014, C-322 / 13, EuZW 2014, 393 (394), Rn. 23  – Grauel Rüffer; ebenso Boehme-Neßler, NVwZ 2014, 97 (98); Schmahl, in: FS Müller-Graff, 360  Vgl.

276

3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

1. Rechtfertigung der Preisgestaltung a) Objektiver Grund Es muss einen objektiven Grund geben, der relativ höhere Preise für die Zehntages- und Zweimonatsvignetten rechtfertigt, die nur von Haltern und Führern erworben werden können, deren Kraftfahrzeuge im Ausland zugelas‑ sen sind. Der Umweltschutz kann dafür nicht angeführt werden, da bei zeit‑ bezogenen Straßenbenutzungsabgaben keinerlei Anreiz besteht, seltener die Straßen zu benutzen, und somit relativ höhere Preise für einzelne Vignetten keinen Mehrwert beim Umweltschutz bringen. Die Kommission ist der An‑ sicht, dass gerade höhere Verwaltungskosten relativ teurere Kurzzeitvignetten rechtfertigen, da auch diese Vignettenarten kostendeckend sein sollen.362 Bei der Infrastrukturabgabe scheinen höhere Kosten für Verwaltung und Kontrollen durch die Kurzzeitvignetten nicht ausgeschlossen. Aufgrund der kürzeren Geltungsdauer kann typischerweise von Mehrfacherwerben ausge‑ gangen werden, die bei jedem Vignettenerwerb zu Verwaltungskosten füh‑ ren.363 Überdies verursacht gerade die Kontrolle der Einhaltung der Abgabe‑ pflicht bei den Haltern und Führern im Ausland zugelassener Kraftfahrzeuge und damit bei den Erwerbern von Kurzzeitvignetten höhere Kosten als bei den Haltern in Deutschland zugelassener Kraftfahrzeuge. Letztere müssen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 InfrAG eine Jahresvignette erwerben und erhalten nach § 7 Abs. 6 Satz 1 InfrAG einen auf unbestimmte Zeit festgesetzten Ab‑ gabebescheid. Überdies müssen alle diese Halter der Infrastrukturabgabebe‑ hörde nach § 5 Abs. 2 Satz 3 InfrAG ein SEPA-Lastschriftmandat zum Ein‑ zug der Infrastrukturabgabe erteilen. Dadurch wird in nahezu allen Fällen sichergestellt, dass die Infrastrukturabgabe korrekt (d. h. pünktlich und in voller Höhe) gezahlt wird. Bei den Haltern und Führern von Kraftfahrzeu‑ gen, die im Ausland zugelassen sind, muss die Einhaltung der Infrastruktur‑ abgabepflicht durch die Überwachung nach § 11 InfrAG gewährleistet wer‑ den. Die Kosten für ausreichendes Personal beim BAG sowie für die techni‑ schen Kontroll­einrichtungen werden zwar auf alle Vignettenarten umgelegt. Allerdings ist zu beachten, dass sich die Überwachung nach § 11 InfrAG aus den eben genannten Gründen hauptsächlich auf Halter und Führer im Aus‑ land zugelassener Kraftfahrzeuge erstrecken wird.364 Da diese aber typi‑ scherweise Kurzzeitvignetten erwerben werden, dürfen sich die Kosten für S. 689 (696). Zur Rechtfertigung von Verstößen gegen die Grundfreiheiten s. EuGH, Urt. v. 30.11.1995, C-55 / 94, NJW 1996, 579 (581), Rn. 37 – Gebhard. 362  Europäische Kommission, KOM(2012) 199 endg., S. 7 f. 363  Ablehnend Rathke, Ausarbeitung für den Bundestag, S. 21; zweifelnd Lauer, Vignetten-System, S. 3. 364  Vgl. Hartmann, Pkw-Maut, S. 81.



D. Verstoß gegen Art. 18 AEUV277

die Überwachung relativ stärker auf den Preis der Kurzzeitvignetten auswir‑ ken. Es liegt also bei der Infrastrukturabgabe ein objektiver Grund für die höheren Preise der Kurzzeitvignetten vor, der eine mittelbare Diskriminie‑ rung rechtfertigen kann. b) Verhältnismäßigkeit Allerdings reicht das Vorliegen eines objektiven Grundes allein nicht aus, um eine mittelbare Diskriminierung nach Art. 18 Abs. 1 AEUV zu rechtferti‑ gen. Dieser Grund muss auch mit dem verfolgten Zweck in einem angemes‑ senen Verhältnis stehen. Bei der Infrastrukturabgabe bedeutet das, dass die Preise für die Kurzzeitvignetten wegen der höheren Verwaltungs- und Kon­ trollkosten in einem angemessenen Verhältnis zum Preis einer Jahresvignette stehen müssen. aa) Maßstäbe Die Europäische Kommission hält bei einer Kurzzeitvignette das 8,2-fache des Tagespreises einer Jahresvignette noch für angemessen.365 In Art. 7a Abs. 1 der Eurovignetten-Richtlinie366 werden ebenfalls ange‑ messene Vignettenpreise genannt. Danach darf eine Monatsvignette maximal zehn Prozent, eine Wochenvignette maximal fünf Prozent und eine Tages­ vignette maximal zwei Prozent des Jahrestarifs kosten. Mit anderen Worten dürfen die Preise von zehn Monatsvignetten, 20 Wochenvignetten oder 50 Tagesvignetten den Preis einer Jahresvignette nicht überschreiten. Die zulässige Höhe des Preises für eine Monatsvignette beträgt also das 1,2-fa‑ che des Jahrespreises, während sie für eine Tagesvignette bei dem 7,3-fachen des Tagespreises einer Jahresvignette liegt. Diese Richtlinie gilt aber nach ihrem Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 lit. d nur für Fahrzeuge oder Fahrzeugkom‑ binationen, die für den Güterkraftverkehr bestimmt sind oder verwendet werden und deren zulässiges Gesamtgewicht mehr als 3,5 Tonnen beträgt. Somit kann die Richtlinie aufgrund ihres Anwendungsbereichs keine Vor­ gaben für das Infrastrukturabgabengesetz machen.367 Gleichwohl erhebt ­Michael Fehling die Vorgaben der Eurovignetten-Richtlinie aus Gleichheits‑ gründen zum alleinigen Maßstab für die Verhältnismäßigkeit der Preisgestal‑ 365  Europäische Kommission, http: /  / europa.eu / rapid / press-release_IP-12-471_de. htm (zuletzt abgerufen am 7.2.2018). 366  Richtlinie 1999 / 62 / EG v. 17.6.1999, ABl. EG L  187 v. 20.7.1999, S. 42, in der Fassung der Änderung durch die Richtlinie 2011 / 76 / EU v. 27.9.2011, ABl. EU L 269, S. 1. 367  Siehe oben in diesem Teil unter A.; a. A. Hartmann, Pkw-Maut, S. 95.

278

3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

tung im Infrastrukturabgabengesetz.368 Demgegenüber meint Christian Hill‑ gruber, dass die Vorgaben der Kommission als Verhältnismäßigkeitsmaßstab anzusetzen seien, da die Kommission die zurzeit in der EU vorliegenden Vignettensysteme für Personenkraftwagen analysiert habe und alle diese ­Systeme mit ihrer Preisgestaltung unionsrechtlich akzeptiert würden.369 Im Sinne der Rechtsanwendungsgleichheit scheint die letztgenannte Ansicht vorzugswürdig, da die Kommission als Wächterin über die Anwendung des Unionsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Satz 3 EUV eine solche Preisgestaltung bei allen Vignettensystemen als verhältnismäßig ansieht. Dann aber kann aus Gleichheitsgründen auch die Preisgestaltung des deutschen Vignettensystems bei Einhaltung dieser Grundsätze nicht als unverhältnismäßig angesehen werden. In Ermangelung einer Entscheidung des EuGH zur Verhältnismäßig‑ keit der Preisgestaltung von Vignettensystemen ist die Mitteilung der Kom‑ mission über die Erhebung nationaler Straßenbenutzungsgebühren auf leichte Privatfahrzeuge370 als Maßstab heranzuziehen. Dadurch wird vermieden, dass die hier nicht anwendbare Eurovignetten-Richtlinie letztlich doch inhalt‑ lich angewendet wird. bb) Infrastrukturabgabengesetz in der Fassung bis Mai 2017 Die Anlage zu § 8 InfrAG wies ursprünglich für Zehntagesvignetten Preise von fünf bis 15 Euro und für Zweimonatsvignetten Preise von 16 bis 30 Euro aus. Nach der Änderung dieser Anlage durch das Erste Gesetz zur Änderung des Infrastrukturabgabengesetzes371 werden Zehntagesvignetten zu Preisen von 2,50 bis 25 Euro und Zweimonatsvignetten zu Preisen von sieben bis 50 Euro angeboten. Die genauen Preise sind abhängig vom Preis einer fiktiven Jahresvignette und letztlich damit von der Motorenart, der Emissionsklasse sowie dem Hubraum des Kraftfahrzeugs. Der größte Abstand zwischen dem Tagespreis einer Jahresvignette und dem Tagespreis der jeweiligen Zehnta‑ ges- oder Zweimonatsvignette ist jeweils im untersten Bereich der einzelnen Preiskategorien zu finden, da sich ab diesem Preis die Jahresvignette verteu‑ ert, während die jeweilige Zehntages- oder Zweimonatsvignette den gleichen Preis aufweist. Zu überprüfen sind nach der ursprünglichen Fassung der Anlage Abgaben‑ sätze des Infrastrukturabgabengesetzes der niedrigste Preis einer Jahresvig‑

368  Fehling,

ZG 2014, 305 (313 f.). Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 61 f.; s. auch Mayer, Ausschuss-Drs. 18(15)485-E, S. 12. 370  Europäische Kommission, KOM(2012) 199 endg. 371  Gesetz v. 18.5.2017, BGBl. I, S. 1218. 369  Hillgruber,



D. Verstoß gegen Art. 18 AEUV279

nette372, eine Jahresvignette für 40 Euro und eine solche für 70 Euro mit den jeweiligen Preisen für eine Zehntages- und Zweimonatsvignette. (1) Niedrigste Preiskategorie Bei einem Preis einer Jahresvignette von mindestens 12,80 Euro liegt der Tagespreis einer solchen bei 0,035 Euro. Eine Zehntagesvignette kostet für ein solches Fahrzeug bisher fünf Euro, sodass sich ein Tagespreis von 0,50 Euro und damit ein etwa 15-facher Tagespreis ergibt. Eine Zweimonatsvig‑ nette kostet bisher für solche Fahrzeuge 16 Euro, demzufolge 0,26 Euro pro Tag, wodurch sich ein Faktor von 7,3 ergibt. Deutlich wird daran, dass sicher auf die absolut günstigere Jahresvignette zurückgegriffen würde, sodass das Verhältnis insoweit irrelevant wäre. Bei einer Zehntagesvignette aber war die Vorgabe der Kommission bisher nicht eingehalten. Zehntagesvignette

Zweimonatsvignette Jahresvignette

Preis (absolut)

5 Euro

16 Euro

12,80 Euro

Preis pro Tag

0,50 Euro

0,26 Euro

0,035 Euro

Faktor zur Jahresvignette

14,2

7,3



(2) Mittlere Preiskategorie Kostet eine Jahresvignette für ein Fahrzeug bisher 40 Euro, also 0,109 Euro pro Tag, so ist eine Zehntagesvignette für zehn Euro und eine Zweimo‑ natsvignette für 22 Euro zu erwerben. Zehn Euro für eine Zehntagesvignette entsprechen einem Tagespreis von einem Euro und 22 Euro für eine Zweimo‑ natsvignette einem Tagespreis von 0,36 Euro. Das bedeutet, dass in diesem Extremfall der Faktor für die Zehntagesvignette bei ungefähr neun liegt, während er für die Zweimonatsvignette gerade einmal 3,3 beträgt. Auch in diesem Fall sind für die Zehntagesvignette also die Vorgaben der Kommis‑ sion für verhältnismäßige Vignettenpreise nicht eingehalten.

372  Dieser beträgt nach Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 62, bei einem BMW i3 Range Extender mit Hybridmotor 12,80 Euro.

280

3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht Zehntagesvignette

Zweimonatsvignette Jahresvignette

Preis (absolut)

10 Euro

22 Euro

40 Euro

Preis pro Tag

1 Euro

0,36 Euro

0,109 Euro

Faktor zur Jahresvignette

9

3,3



(3) Höchste Preiskategorie Schließlich ist ab einem Jahresvignettenpreis von 70 Euro, also 0,191 Euro pro Tag, eine Zehntagesvignette bisher für 15 Euro und eine Zweimonats­ vignette für 30 Euro zu erwerben. Der Tagespreis liegt damit bei einer Zehn‑ tagesvignette bei 1,50 Euro und bei einer Zweimonatsvignette bei 0,491 Euro, sodass sich für die Zehntagesvignette ein Faktor von 7,8 ergibt, wäh‑ rend der Faktor bei der Zweimonatsvignette bei etwa 2,5 liegt. In diesem Fall, d. h. für die bisher teuerste Vignettenkategorie, sind die Vorgaben der Kommission373 eingehalten. Zehntagesvignette

Zweimonatsvignette Jahresvignette

Preis (absolut)

15 Euro

30 Euro

70 Euro

Preis pro Tag

1,50 Euro

0,491 Euro

0,191 Euro

Faktor zur Jahresvignette

7,8

2,5



(4) Angemessenheit Christian Hillgruber versucht die Überschreitung der von der Kommission vorgegebenen Faktoren bei den Zehntagesvignetten dadurch zu rechtfertigen, dass aufgrund der Fixkosten Mindestpreise für eine Vignette festgelegt wer‑ den müssten.374 Das mag noch für die günstigste Vignettenkategorie über‑ zeugen, da bei einem Vignettenpreis unter fünf Euro wohl die Systemkosten tatsächlich nicht gedeckt würden. Warum aber in der zweiten Vignettenkate‑ gorie, in der die Zehntagesvignette zehn Euro kostet, ebenfalls der Faktor überschritten wird, ist dadurch nicht zu erklären. Insofern ist angesichts der 373  Siehe

dazu in diesem Teil Fn. 365. Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 63.

374  Hillgruber,



D. Verstoß gegen Art. 18 AEUV

281

ohnehin schon recht großzügigen375 Maßstäbe der Kommission davon auszu‑ gehen, dass die Vignettenpreise für die Zehntagesvignetten zum Teil unver‑ hältnismäßig hoch und damit nicht zu rechtfertigen waren. Im Ergebnis stellte die ursprüngliche Fassung der Anlage zu § 8 InfrAG bei der Anwen‑ dung der Kommissionsvorgaben eine nicht gerechtfertigte mittelbare Diskri‑ minierung nach Art. 18 Abs. 1 AEUV dar. cc) Infrastrukturabgabengesetz in der Fassung ab Mai 2017 Aufgrund der soeben festgestellten Unionsrechtswidrigkeit des Infrastruk‑ turabgabengesetzes hat die Europäische Kommission unter anderem das oben bereits angesprochene Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 Abs. 1 AEUV gegen Deutschland eingeleitet. Durch das Erste Gesetz zur Änderung des Infrastrukturabgabengesetzes376 wurden daraufhin die Vignettenpreise geändert. Einige Kategorien haben sich nicht verändert, sodass eine erneute Überprüfung nicht erforderlich ist. Es gibt nach der Anlage (zu § 8) Abgaben­ sätze nun sechs Vignettenkategorien bei den Zehntages- und Zweimonats­ vignetten. An den Preisen für die Jahresvignette hat sich nichts verändert, was bedeutet, dass die günstigste Jahresvignette weiterhin wohl 12,80 Euro377 kostet. (1) Niedrigste Preiskategorien Die günstigste Zehntagesvignette ist nun für 2,50 Euro, also 0,25 Euro pro Tag, zu erhalten und kostet relativ gesehen sieben Mal so viel wie ein Tag bei einer entsprechenden Jahresvignette. Die Zweimonatsvignette ist in die‑ ser günstigsten Kategorie für sieben Euro, also 0,115 Euro pro Tag, zu erwer‑ ben, sodass der Faktor zur Jahresvignette hier etwa bei 3,2 liegt. In dieser Kategorie werden also die Vorgaben der Kommission378 nun eingehalten. Gleiches gilt für die Preiskategorie bei einem Jahresvignettenpreis ab 20 Euro, da sich Faktoren für die Zehntagesvignette von 7,3 und für die Zweimonatsvignette von 3,3 ergeben.

375  Diese Einschätzung teilt auch Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonfor‑ mität, S. 61; vgl. auch Lauer, Vignetten-System, S. 3. 376  Gesetz v. 18.5.2017, BGBl. I S. 1218. 377  Vgl. Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 62, der bei einem BMW i3 Range Extender mit Hybridmotor diesen Preis für eine Jahresvignette an‑ gibt. 378  Siehe dazu in diesem Teil Fn. 365.

282

3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht Zehntagesvignette

Zweimonatsvignette Jahresvignette

Preis (absolut)

2,50 Euro

7 Euro

12,80 Euro

Preis pro Tag

0,25 Euro

0,115 Euro

0,035 Euro

Faktor zur Jahresvignette

7,1

3,2



Zehntagesvignette

Zweimonatsvignette Jahresvignette

Preis (absolut)

4 Euro

11 Euro

20 Euro

Preis pro Tag

0,40 Euro

0,183 Euro

0,054 Euro

Faktor zur Jahresvignette

7,3

3,3



(2) Mittlere Preiskategorien In der Kategorie ab einem Preis für eine Jahresvignette von 40 Euro liegt der maximale Faktor bei einer Zweimonatsvignette bei 2,7 und bei einer Zehntagesvignette bei 7,3. Ähnliche Werte zeigen sich in der Kategorie ab einem Jahresvignettenpreis von 70 Euro. Hier liegen der Tagespreis einer Zweimonatsvignette bei 0,5 Euro und der Faktor damit bei 2,6 sowie einer Zehntagesvignette bei 1,40 Euro und damit bei 7,3. Zehntagesvignette

Zweimonatsvignette Jahresvignette

Preis (absolut)

8 Euro

18 Euro

40 Euro

Preis pro Tag

0,80 Euro

0,30 Euro

0,109 Euro

Faktor zur Jahresvignette

7,3

2,7



Zehntagesvignette

Zweimonatsvignette Jahresvignette

Preis (absolut)

14 Euro

30 Euro

70 Euro

Preis pro Tag

1,40 Euro

0,5 Euro

0,191 Euro

Faktor zur Jahresvignette

7,3

2,6





D. Verstoß gegen Art. 18 AEUV

283

(3) Höchste Preiskategorien In der Kategorie ab einem Jahrespreis von 100 Euro ergeben sich für die Zweimonatsvignette ein Tagespreis von 0,66 Euro und ein Faktor von 2,4, während bei einer Zehntagesvignette ein Tagespreis von zwei Euro und ein Faktor von 7,3 vorliegen. Schließlich betragen in der teuersten Kategorie bei einer Jahresvignette für 130 Euro der Tagespreis für eine Zweimonatsvig‑ nette 0,82 Euro und der Faktor 2,3. Für eine Zehntagesvignette liegen der Tagespreis in dieser Kategorie bei 2,50 Euro und der Faktor zum Tagespreis einer Jahresvignette bei sieben. Zehntagesvignette

Zweimonatsvignette Jahresvignette

Preis (absolut)

20 Euro

40 Euro

100 Euro

Preis pro Tag

2 Euro

0,66 Euro

0,273 Euro

Faktor zur Jahresvignette

7,3

2,4



Zehntagesvignette

Zweimonatsvignette Jahresvignette

Preis (absolut)

25 Euro

50 Euro

130 Euro

Preis pro Tag

2,50 Euro

0,82 Euro

0,356 Euro

Faktor zur Jahresvignette

7

2,3



(4) Angemessenheit Die Vorgaben der Kommission sind damit durch die neue Fassung des In‑ frastrukturabgabengesetzes eingehalten, da der maximale Faktor zwischen Tagespreis einer Zehntagesvignette und dem entsprechenden Preis einer Jah‑ resvignette 7,3 beträgt.379 Zu bedenken ist zudem, dass dieser Faktor den Extremfall darstellt und sich mit teurer werdender Jahresvignette in der je‑ weiligen Kategorie verringert. Zumindest bei den Preisen für die Zehntages‑ vignette sind damit auch die Vorgaben für die Verhältnismäßigkeit von Vig‑ nettenpreisen aus Art. 7a Abs. 1 der Eurovignetten-Richtlinie eingehalten. Dies gilt allerdings nicht für die Preise der Zweimonatsvignetten. Die Euro‑

379  BT-Drs. 18 / 11237 v. 20.2.2017, S. 13; vgl. auch Fachbereich Europa, Ausar‑ beitung zum Infrastrukturabgabengesetz neue Fassung, S. 40.

284

3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

vignetten-Richtlinie kann aber aus den oben genannten Gründen hier kein Maßstab für verhältnismäßige Vignettenpreise sein. Selbst wenn man die Vorgaben der Kommission lediglich als Anhalts‑ punkte für verhältnismäßige Vignettenpreise sieht, geben sie doch einen ge‑ wissen Maßstab für die Verhältnismäßigkeit von Vignettenpreisen vor. Wenn die Kommission das 8,2-faches des rechnerischen Tagespreises bei Vignet‑ tensystemen in anderen Ländern der EU als verhältnismäßig anerkennt, so muss dies erst recht in Deutschland gelten. Typischerweise entfallen bei der Infrastrukturabgabe die Kontrollkosten gerade auf die Kurzzeitvignetten, während sich in anderen Systemen der Kontrollaufwand gleichmäßig auf alle Vignettenarten verteilt und somit der Aufschlag auf das Kurzzeitvignetten geringer ausfallen muss. Überdies spricht für eine Angemessenheit der Vig‑ nettenpreise, dass die Zehntagesvignetten in den beiden günstigsten Katego‑ rien wohl zu einem nicht kostendeckenden Preis angeboten werden,380 um dadurch die Vorgaben der Kommission und der Eurovignetten-Richtlinie einhalten zu können.381 dd) Ergebnis Im Ergebnis führen die Preise im Infrastrukturabgabengesetz zwar zu einer mittelbaren Diskriminierung nach Art. 18 Abs. 1 AEUV. Diese kann aber durch die höheren Verwaltungs- und Kontrollkosten bei Kurzzeitvignetten gerechtfertigt werden. Die Vignettenpreise für die Kurzzeitvignetten sind in der neuen Fassung des Infrastrukturabgabengesetzes angesichts der höheren Kosten verhältnismäßig. Insofern hat die Änderung des Infrastrukturabga‑ bengesetzes zu seiner Unionsrechtskonformität beigetragen. 2. Rechtfertigung der gleichzeitigen Entlastung durch die Kraftfahrzeugsteuer Die mit der Infrastrukturabgabe einhergehende Entlastung der Halter in Deutschland zugelassener Kraftfahrzeuge durch die Senkung der Kraftfahr‑ zeugsteuer ist nach der hier vertretenen Auffassung keine mittelbare Diskri‑ minierung nach Art. 18 Abs. 1 AEUV. Diese Auffassung ist aber hoch um‑ stritten, sodass an dieser Stelle hilfsweise eine mögliche Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung geprüft werden soll. Eine Rechtfertigung einer solchen Diskriminierung kommt hier aus dem Grund des Lastenausgleichs, aus dem Grund der Herstellung einer Belastungsgleichheit sowie aus Um‑ 380  Vgl. 381  Vgl.

Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 63. BT-Drs. 18 / 11237 v. 20.2.2017, S. 2, 10, 13.



D. Verstoß gegen Art. 18 AEUV

285

weltschutzgründen in Betracht. Der Unterschied zwischen dem Lastenaus‑ gleich und dem Gedanken der Belastungsgleichheit besteht darin, dass beim Lastenausgleich nur auf die konkret vorhandene Belastung Deutscher durch die Kraftfahrzeugsteuer bei der Straßenfinanzierung abgestellt wird, während bei der Belastungsgleichheit die Beträge von Deutschen und Ausländern zur Finanzierung der Straßen in Deutschland insgesamt verglichen werden. a) Lastenausgleich aa) Grundgedanke Nach der Begründung des Gesetzentwurfs für das Infrastrukturabgabenge‑ setz soll der Lastenausgleich durch die Einführung der Infrastrukturabgabe und die Steuersenkung bei der Kraftfahrzeugsteuer insoweit erreicht werden, als dass auch Halter und Führer von Kraftfahrzeugen, die im Ausland zuge‑ lassen sind, einen Teil der Kosten für die Erhaltung der Bundesfernstraßen tragen. Halter von Kraftfahrzeugen, die in Deutschland zugelassen sind, trü‑ gen bereits über die Kraftfahrzeugsteuer zur Erhaltung der deutschen Straßen bei, sodass sie bei der Kraftfahrzeugsteuer in Höhe der Infrastrukturabgabe entlastet werden.382 bb) Kohärenz als Rechtfertigungsgrund im Unionsrecht und Vergleichbarkeit zum Lastenausgleich Ein solcher Lastenausgleich ist für sich gesehen kein geeigneter Rechtfer‑ tigungsgrund im Unionsrecht.383 Allerdings enthält der Gedanke des Lasten‑ ausgleichs ähnliche Elemente wie der Rechtfertigungsgrund der Gewährleis‑ tung der Kohärenz des Steuersystems.384 Die Aufrechterhaltung der Kohärenz des nationalen Steuersystems ist ein anerkannter Rechtfertigungsgrund im Unionsrecht: Der EuGH lässt diesen Grund immer dann durchgreifen, wenn Steuervorteile für Ausländer bei grenzüberschreitenden Sachverhalten ver‑ sagt werden und der Steuervorteil für Inländer gleichzeitig mit einer anderen Belastung von Inländern in unmittelbarem Zusammenhang steht.385 Durch 382  Siehe

zum Ganzen BT-Drs. 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 1 f. Langeloh, DÖV 2014, 365 (370); unklar insoweit Korte / Gurreck, EuR 2014, 420 (438 f.). 384  Langeloh, DÖV 2014, 365 (370); vgl. auch Cordewener, Europäische Grund‑ freiheiten, S. 449, 961; Hartmann, Pkw-Maut, S. 87. 385  EuGH, Urt. v. 28.1.1992, C-300 / 90, Slg. 1992, I-305 (319 ff.), Rn. 14 ff.  – Kommission / Belgien; EuGH, Urt. v. 16.7.1998, C-264 / 96, EuZW 1999, 20 (23), Rn. 29  – ICI; EuGH, Urt. v. 11.10.2007, C-443 / 06, IStR 2008, 78 (80), Rn. 55 ff.  – Hollmann; EuGH, Urt. v. 23.10.2008, C-157 / 07, IStR 2008, 769 (771), Rn. 41 ff.  – 383  Vgl.

286

3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

diesen Rechtfertigungsgrund soll die gleiche Belastung von In- und Auslän‑ dern durch die Betrachtung zusammenhängender Regelungen in den Steuer‑ systemen der Mitgliedstaaten ermöglicht werden.386 Damit ist aber noch nichts zur Übertragbarkeit der Regelungen auch auf außersteuerliche Berei‑ che ausgesagt. In Art. 7 AEUV wird ein Kohärenzgebot für die Union geregelt. Dieses richtet sich aber nur an die Union und hat aufgrund seiner systematischen Stellung keine Verbindung zum Rechtfertigungsgrund der steuerlichen Kohä‑ renz, auf den sich die Mitgliedstaaten bei Beschränkungen der Grundfreihei‑ ten und bei Diskriminierungen berufen können.387 Dennoch zeigt diese Vor‑ schrift, dass im Unionsrecht das Prinzip der Kohärenz grundsätzlich als Ziel der Schaffung von sinnvollen Zusammenhängen und folgerichtigen Regelun‑ gen anerkannt ist.388 Deshalb kann dieses Prinzip auch als Rechtfertigungs‑ grund in den Regelungsbereichen dienen, die in der Zuständigkeit der Mit‑ gliedstaaten verblieben sind.389 Dadurch werden den Mitgliedstaaten größere Handlungsspielräume zugestanden, um eigenständige nationale Regelungen in ihren Kompetenzbereichen beibehalten zu können.390 Der Lastenausgleich wird so noch nicht zu einem untrennbaren Teil des Kohärenzprinzips. Allerdings wird beim Lastenausgleich häufig ein unmittel‑ barer Zusammenhang zwischen einer belastenden und einer entlastenden Regelung hergestellt, um ein gerechtes System zu schaffen. Sofern diese Voraussetzungen vorliegen, kann auch ein Lastenausgleich Teil der Kohärenz sein und damit einen tauglichen Rechtfertigungsgrund für Beschränkungen der Grundfreiheiten oder Diskriminierungen bilden.391 Krankenheim Ruhesitz am Wannsee; EuGH, Urt. v. 1.12.2011, C-250 / 08, IStR 2012, 67 (71 f.), Rn. 69 ff.  – Kommission / Belgien; EuGH, Urt. v. 12.6.2014, C-39 / 13, EuZW 2014, 699 (700 f.), Rn. 33 ff. – SCA Group Holding; EuGH, Urt. v. 21.12.2016, C-503 / 14, EuZW 2017, 180 (184), Rn. 62 ff. – Kommission / Portugal; s. überdies aus der Literatur Kokott / Ost, EuZW 2011, 496 (500 ff.); Langeloh, DÖV 2014, 365 (370). 386  Cordewener, Europäische Grundfreiheiten, S. 449, 961; Sedemund, IStR 2001, 190 (191 f.); Langeloh, DÖV 2014, 365 (371); ders., Einheimischenprivilegierungen, S.  239 f. 387  Vgl. Langeloh, DÖV 2014, 365 (371); ähnlich wohl auch Schorkopf, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, Recht der EU, Art. 7 AEUV Rn. 12 (Stand d. Bearb.: Sept. 2013). 388  Schorkopf, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, Recht der EU, Art. 7 AEUV Rn. 11 (Stand d. Bearb.: Sept. 2013); Obwexer, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje, Unions­ recht, Art. 7 AEUV Rn. 8; Langeloh, DÖV 2014, 365 (371). 389  Ebenso Langeloh, DÖV 2014, 365 (371); Hillgruber, Gutachten zur Unions‑ rechtskonformität, S. 53  f.; vgl. auch Cordewener, Europäische Grundfreiheiten, S.  961; a. A. Mayer, Ausschuss-Drs. 18(15)193-F, S. 8. 390  Cordewener, Europäische Grundfreiheiten, S. 961; vgl. für das Steuerrecht Ko­ kott / Ost, EuZW 2011, 496 (503). 391  Vgl. Langeloh, DÖV 2014, 365 (371).



D. Verstoß gegen Art. 18 AEUV

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Der EuGH hat beim Rechtfertigungsgrund der Kohärenz des Steuersys‑ tems einen unmittelbaren Zusammenhang immer dann angenommen, wenn bei dem einzelnen Steuerpflichtigen die Belastung in einer engen Beziehung zur Entlastung steht.392 Beide Merkmale wurden aber nicht stets gefordert, sondern vom EuGH nach Lage des Einzelfalls modifiziert oder nicht berück‑ sichtigt.393 Eine enge Beziehung hat der EuGH aber meist verneint, sofern zwei verschiedene Steuerarten betroffen waren.394 Konsequenterweise muss für jede Materie, bei der das Kohärenzprinzip als Rechtfertigungsgrund die‑ nen soll, ein eigenständiger Maßstab dafür entwickelt werden, wie eng der Zusammenhang zwischen belastender und entlastender Regelung sein muss.395 Das Steuerrecht mit seinen spezifischen Korrespondenzen396 kann insoweit nur als Anhaltspunkt dienen und keine verbindliche Vorgabe für ei‑ nen unmittelbaren Zusammenhang in anderen Regelungsbereichen machen.397 Es muss also auch für die Materie der Straßenfinanzierung zunächst ein Maßstab für einen unmittelbaren Zusammenhang gefunden werden. Sodann muss überprüft werden, ob das Infrastrukturabgabengesetz und § 9 Abs. 6 KraftStG einen solchen Zusammenhang aufweisen. cc) Unmittelbarer Zusammenhang zwischen Be- und Entlastung (1) Maßstab Übertragbar auf die Straßenfinanzierung ist der Grundsatz, dass die Belas‑ tung und die Entlastung beim selben Abgabepflichtigen entstehen müssen. Problematisch erscheint aber die Übertragbarkeit der Anforderung, dass beide Maßnahmen innerhalb der gleichen Steuerart erfolgen müssen.398 Dies würde jedoch eine als wünschenswert erkannte Systemumstellung von der 392  EuGH, Urt. v. 11.8.1995, C-80 / 94, Slg. 1995, I-2493 (2516), Rn. 24  – Wie‑ lockx; EuGH, Urt. v. 23.10.2008, C-157 / 07, IStR 2008, 769 (771), Rn. 42  – Kran‑ kenheim Ruhesitz am Wannsee; EuGH, Urt. v. 21.12.2016, C-503 / 14, EuZW 2017, 180 (184), Rn. 64 – Kommission / Portugal. 393  Kokott / Ost, EuZW 2011, 496 (500 ff.). 394  EuGH, Urt. v. 13.4.2000, C-251 / 98, Slg. 2000, I-2787 (2819) – Baars; EuGH, Urt. v. 18.9.2003, C-168 / 01, IStR 2003, 666 (668), Rn. 30  – Bosal Holding; EuGH, Urt. v. 19.11.2009, C-540 / 07, IStR 2009, 853 (855 f.), Rn. 43, 56 – Kommission / Ita‑ lien. 395  Vgl. Cordewener, Europäische Grundfreiheiten, S. 958 f. 396  Z. B. kann die im Ertragsteuerrecht typische Abzugsmöglichkeit von Aufwen‑ dungen angeführt werden, die fast immer nur gegeben ist, wenn damit in Zusammen‑ hang stehende Einnahmen steuerbar und steuerpflichtig sind, § 3c Abs. 1 EStG. 397  Langeloh, DÖV 2014, 365 (371); a. A. offenbar Hartmann, Pkw-Maut, S. 88. 398  A. A. ohne nähere Begründung Hartmann, Pkw-Maut, S. 88 f.

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3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

Steuerfinanzierung auf eine Nutzerfinanzierung der Straßen399 unmöglich machen, da die Belastung durch eine Vorzugslast und die Entlastung durch eine Steuersenkung oder durch die Abschaffung der Steuer herbeigeführt wird. Die unterschiedliche Rechtsnatur der beiden Maßnahmen kann also kein Grund für die Ablehnung der Kohärenz sein. Die Rechtfertigung durch einen Lastenausgleich scheitert also mithin nicht bereits daran, dass es sich bei der Kraftfahrzeugsteuer um eine Steuer und bei der Infrastrukturabgabe mit ihrer Doppelnatur einerseits um eine Gebühr und andererseits um einen Beitrag handelt.400 In jedem Fall aber muss ein gewisser Konnex beider Maßnahmen zur Straßenfinanzierung herzustellen sein, da dies das verklam‑ mernde Element zwischen der Infrastrukturabgabe und der Kraftfahrzeug‑ steuersenkung sein soll. (2) Zusammenhang im Unionsrecht Unionsrechtlich wird ein solcher Zusammenhang zwischen Straßenbenut‑ zungsgebühren und der Kraftfahrzeugsteuer vor allem in der EurovignettenRichtlinie anerkannt.401 Art. 7k dieser Richtlinie sieht sogar ausdrücklich eine angemessene Kompensation bei der Einführung von Straßenbenutzungs‑ gebühren durch die Mitgliedstaaten vor. Damit ist nach dem zwölften Erwä‑ gungsgrund der Änderungsrichtlinie 2006 / 38 / EG402 vor allem eine Senkung der Kraftfahrzeugsteuer intendiert. Dabei kann es auch nicht auf den Anwen‑ dungsbereich der Eurovignetten-Richtlinie ankommen, da diese ansonsten in ihrem Anwendungsbereich ein unionsrechtswidriges Handeln der Mitglied‑ staaten vorsähe. Sie wäre damit selbst wegen Verstoßes gegen das Primär‑ recht unionsrechtswidrig, was aber bisher ersichtlich niemand vertritt. Ein System, die Belastung durch Straßenbenutzungsgebühren über die Kraftfahr‑ zeugsteuer auszugleichen, ist im Unionsrecht also bekannt und anerkannt.403 (3) Wirtschaftliche und rechtliche Betrachtung Überdies muss im konkreten Fall bei der Überprüfung des Vorliegens einer mittelbaren Diskriminierung eine wirtschaftliche Gesamtbetrachtung von In‑ 399  Europäische

Kommission, KOM(2011), 144 endg., S. 17. Hartmann, Pkw-Maut, S. 89; 401  Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 54. 402  Richtlinie 2006 / 38 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.5.2006 zur Änderung der Richtlinie 1999 / 62 / EG über die Erhebung von Gebüh‑ ren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge, ABl. EU L 157 v. 9.6.2006, S. 8. 403  Ebenso Langeloh, DÖV 2014, 365 (371 f.); Hillgruber, Gutachten zur Unions‑ rechtskonformität, S. 54. 400  A. A.



D. Verstoß gegen Art. 18 AEUV

289

frastrukturabgabe und Kraftfahrzeugsteuersenkung erfolgen, sodass bereits dort ein Zusammenhang zwischen beiden Maßnahmen angenommen wur‑ de.404 Dennoch wird darüber gestritten, ob bei der Frage des Lastenausgleichs ein hinreichender Zusammenhang zwischen Infrastrukturabgabe und Kraft‑ fahrzeugsteuersenkung besteht.405 Dabei geht es entscheidend darum, wie eng der Zusammenhang der In­frastrukturabgabe und der Kraftfahrzeugsteuer zur Finanzierung der Bundesfernstraßen sein muss. Tobias Langeloh und Hannes Rathke fordern eine Zweckbindung der Kraftfahrzeugsteuer für einen solchen Zusammenhang, da das Aufkommen aus dieser Steuer ansonsten nur in den allgemeinen Haushalt fließe und dort nach § 8 Satz  1 BHO als De‑ ckungsmittel für alle Ausgaben verwendet werde.406 Der Umstand, dass das Aufkommen einer Steuer wegen § 8 Satz 1 BHO grundsätzlich nicht zweck‑ gebunden zur Deckung aller Ausgaben verwendet wird, lässt sich nicht be‑ streiten.407 Somit wird das Aufkommen aus der Kraftfahrzeugsteuer nicht zweckgebunden für die Finanzierung der Bundesfernstraßen verwendet.408 Allerdings fehlt dieser Betrachtung die Folgerichtigkeit, da für das Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung mit großem Aufwand ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen Infrastrukturabgabe und Kraftfahrzeugsteuer­ senkung hergestellt wurde.409 Dieser wird dann bei der Kohärenz teilweise negiert und insoweit doch eine juristische Betrachtung vorgenommen. Die Betrachtung der fehlenden Zweckgebundenheit der Kraftfahrzeug‑ steuer findet überdies nur auf nationaler Ebene statt. Vorliegend wird aller‑ dings ein Rechtfertigungsgrund im Unionsrecht geprüft, sodass auch das Unionsrecht maßgeblichen Einfluss auf die Betrachtung haben muss. Ein unionsrechtlicher Zusammenhang kann die Kohärenz nationaler Maßnahmen ebenso wie ein Zusammenhang begründen, der durch das nationale Recht hergestellt wird.410 Das Unionsrecht kennt aber – wie gerade dargelegt – die Verknüpfung von Straßenbenutzungsgebühr und Kraftfahrzeugsteuer bei der Straßenfinanzierung. Aufgrund dieser unionsrechtlichen Verknüpfung reicht es aus, dass national durch das Aufkommen aus der Kraftfahrzeugsteuer fak‑ 404  Siehe

in diesem Teil unter B. III. 1. d) und D. II. 2. a). einen Zusammenhang Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformi‑ tät, S.  55 f.; Fehling, ZG 2014, 305 (312); wohl auch Korte / Gurreck, EuR 2014, 420 (438 f.); gegen einen Zusammenhang Rathke, Ausarbeitung für den Bundestag, S. 19; Hartmann, Pkw-Maut, S. 89; Mayer, Ausschuss-Drs. 18(15)485-E, S. 7; abstrakt auch Langeloh, DÖV 2014, 365 (372). 406  Langeloh, DÖV 2014, 365 (372); Rathke, Ausarbeitung für den Bundestag, S. 20. 407  Vgl. dazu im 1. Teil unter B. II. 1. d) und IV. 1. a). 408  So deutlich auch Welz, UVR 2014, 119 (122). 409  Ebenso Hillgruber, in: Finanzierung des Straßenbaus, S. 15 (39). 410  Vgl. Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 55. 405  Für

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3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

tisch auch Straßen mitfinanziert werden. Eine Zweckbindung ist somit wegen der besonderen Verknüpfung im Unionsrecht nicht erforderlich.411 Der Rechtfertigungsgrund des Lastenausgleichs ermöglicht vielmehr erst eine Systemumstellung bei der Straßenfinanzierung. Stellte eine Abschaffung der Kraftfahrzeugsteuer – bei gleichzeitiger Einführung einer Straßenbenut‑ zungsabgabe in ähnlicher Höhe – eine mittelbare Diskriminierung nach Art. 18 Abs. 1 AEUV dar, so müsste diese Diskriminierung ebenfalls zu rechtfertigen sein. Denn nur durch die Senkung oder Abschaffung einer kraftfahrzeugbezogenen Steuer kann die partielle oder vollständige Umstel‑ lung von einer Steuer- auf eine Nutzerfinanzierung gelingen, ohne dass eine substantielle Mehrbelastung bei den Inländern eintritt.412 Eine (Teil-)Umstel‑ lung wäre zwar auch ohne Abschaffung oder Senkung einer kraftfahrzeugbe‑ zogenen Steuer möglich. Allerdings wäre dieses Vorhaben politisch kaum umzusetzen, sodass in diesem Fall eine Hürde für die Umstellung auf eine Nutzerfinanzierung vorläge. Genau aus diesen Gründen sieht die Eurovignet‑ ten-Richtlinie in ihrem Art. 7k die Möglichkeit eines angemessenen Aus‑ gleichs für die Einführung von Straßenbenutzungsgebühren für schwere Nutzfahrzeuge vor.413 Nur durch die Anwendung des Rechtfertigungsgrundes des Lastenausgleichs, wie sie vorliegend vorgenommen wird, können politi‑ sche oder rechtliche Schranken für eine weitgehende Nutzerfinanzierung der Straßen durch den privat veranlassten Verkehr mit Personenkraftwagen ver‑ hindert werden. (4) K  eine Beseitigung einer Inländerdiskriminierung durch Lastenausgleich Abgesehen davon wird gegen die Rechtfertigung durch den Lastenaus‑ gleich angeführt, dass hier lediglich eine unionsrechtlich irrelevante Inlän‑ derdiskriminierung beseitigt werde.414 Ein unionsrechtlich irrelevanter Zu‑ stand könne aber nicht als Anknüpfungspunkt für eine Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung nach Art. 18 Abs. 1 AEUV dienen. Dabei wird verkannt, dass es vorliegend gerade nicht um den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten geht, der Diskriminierungen von Inländern gerade nicht er‑

411  Hillgruber,

Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 55. Fehling, ZG 2014, 305 (312). 413  Vgl. den zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 2006 / 38 / EG vom 17.  Mai 2006 zur Änderung der Richtlinie 1999 / 62 / EG über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge, ABl. EU L 157 v. 9.6.2006, S. 8. 414  Boehme-Neßler, NVwZ 2014, 97 (100); vgl. auch Hartmann, Pkw-Maut, S. 90. 412  Vgl.



D. Verstoß gegen Art. 18 AEUV291

fasst.415 Vielmehr dürfen auf der Ebene der Rechtfertigung im Rahmen von Art. 18 Abs. 1 AEUV, um die es an dieser Stelle geht, auch mitgliedstaatliche Interessen berücksichtigt werden, sofern sie dem Unionsrecht nicht entge‑ genstehen.416 Den Lastenausgleich für Inländer bei der Straßenfinanzierung durch eine Senkung der Kraftfahrzeugsteuer bei gleichzeitiger Einführung von Straßenbenutzungsgebühren billigt die Eurovignetten-Richtlinie aus‑ drücklich. Das Unionsrecht legitimiert also ein solches Vorgehen, sodass das nationale Interesse des Lastenausgleichs auch bei der Prüfung der Rechtferti‑ gung berücksichtigt werden darf. dd) Ergebnis Insofern kann der Gedanke des Lastenausgleichs durch kohärente Rege‑ lungen als Rechtfertigung für eine mittelbare Diskriminierung nach Art. 18 Abs. 1 AEUV herangezogen werden. Selbst wenn in der Kombination von Infrastrukturabgabe und Kraftfahrzeugsteuersenkung eine mittelbare Diskri‑ minierung läge, wäre diese gerechtfertigt. b) Belastungsgleichheit Als zweiter Rechtfertigungsgrund kommt der Gedanke der Belastungs‑ gleichheit in Frage. Insoweit kann argumentiert werden, dass die Halter und Führer von Kraftfahrzeugen, die im Ausland zugelassen sind, bisher nichts zur Finanzierung zur Straßen in Deutschland beigetragen haben und deshalb jetzt gegenüber Deutschen mit Blick auf die Infrastrukturabgabe und die Kraftfahrzeugsteuersenkung stärker als bisher zur Finanzierung herangezo‑ gen werden sollen.417 Dennoch unterscheidet sich der Gedanke vom Ver‑ gleich, der bei der Feststellung einer mittelbaren Diskriminierung bei Art. 18 Abs. 1 AEUV418 heranzuziehen ist. Dort sind nur die konkreten Maßnahmen in ihren Belastungswirkungen zu überprüfen, ohne dass wie hier eine Ge‑ samtbetrachtung vorgenommen wird. Dabei führt der ADAC an, dass die Halter und Führer von Kraftfahrzeu‑ gen, die im Ausland zugelassen sind, vor allem über die – nicht mehr zweckgebundene – Energiesteuer auf Mineralöle die Straßen in Deutsch‑ land bereits vor der Einführung der Infrastrukturabgabe mitfinanziert hät‑

415  Korte / Gurreck,

EuR 2014, 420 (438). EuR 2014, 420 (438 f.). 417  Vgl. Hartmann, Pkw-Maut, S. 90. 418  Siehe in diesem Teil unter D. II. 2. a). 416  Korte / Gurreck,

292

3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

ten.419 Der Umfang dieser Finanzierung soll sogar die verursachten Kosten weit überstiegen haben.420 Gerade das stellt den Kern der Belastungsgleich‑ heit dar: Es soll nicht jeder der Höhe nach gleich belastet werden, sondern die Belastung muss verhältnismäßig nach den verursachten Kosten ausge‑ richtet werden. Wenn die Studie, die der ADAC anführt, der Wirklichkeit entspricht, wäre ein Belastungsausgleich kein tauglicher Rechtfertigungs‑ grund für eine mittelbare Diskriminierung, da zurzeit keine geringere Be‑ lastung der Halter und Führer von Kraftfahrzeugen bestünde, die im Aus‑ land zugelassen sind. Trifft das Ergebnis der Studie nicht zu und läge die Belastung der ausländischen Autofahrer unterhalb der von ihnen verursach‑ ten Kosten, so wäre ein Belastungsausgleich ein tauglicher Rechtfertigungs‑ grund. Diese Frage kann angesichts des Umfangs dieser Arbeit und der fehlenden Datengrundlage nicht abschließend geklärt werden. Mit dem Las‑ tenausgleich läge aber ein tauglicher Rechtfertigungsgrund vor, sofern eine mittelbare Diskriminierung nach Art. 18 Abs. 1 AEUV oder ein Verstoß ge‑ gen eine der Grundfreiheiten angenommen würde. c) Umweltschutz Die Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung mit der Verbesse‑ rung des Umweltschutzes scheidet aus. Zwar weist die Infrastrukturabgabe zusammen mit der Kraftfahrzeugsteuersenkung durch die Bemessung nach dem Hubraum, der Schadstoffklasse sowie der Art des Motors einen gewis‑ sen Bezug zum Umweltschutz auf. Warum aber gerade eine höhere Belastung von ausländischen Haltern und Führern gegenüber deutschen Haltern von Kraftfahrzeugen dem Umweltschutz dienen soll, ist nicht nachvollziehbar.421 Eine solche Ausgestaltung wäre nur dann mit dem Umweltschutz zu rechtfer‑ tigen, wenn gerade Kraftfahrzeuge, die im Ausland zugelassen sind, im Ver‑ gleich zu im Inland zugelassenen Kraftfahrzeugen besonders umweltschäd‑ lich wären. Dafür gibt es aber vorliegend keinerlei Anhaltspunkte, sodass der Umweltschutz als Rechtfertigungsgrund ausscheidet.

419  ADAC, Fakten zur Pkw-Maut, S. 1; siehe auch Boehme-Neßler, NVwZ 2014, 97 (100); Hartmann, Pkw-Maut, S. 90. 420  ADAC, Fakten zur Pkw-Maut, S. 1; vgl. auch Boehme-Neßler, NVwZ 2014, 97 (100); Langeloh, DÖV 2014, 365 (368). 421  Kainer / Ponterlitschek, ZRP 2013, 198 (201); vgl. auch Fachbereich Europa, Ausarbeitung zum Infrastrukturabgabengesetz neue Fassung, S. 47.



D. Verstoß gegen Art. 18 AEUV293

3. Zwischenergebnis Bei einer angenommenen mittelbaren Diskriminierung nach Art. 18 Abs. 1 AEUV läge also ein tauglicher Rechtfertigungsgrund, nämlich der Lasten­ ausgleich, vor. Nähme man überdies Verstöße gegen die Grundfreiheiten als Diskriminierungs- oder Beschränkungsverbote an, so könnten auch diese in gleicher Weise gerechtfertigt werden. 4. Verhältnismäßigkeit Regelungen, die die Grundfreiheiten beschränken oder Diskriminierungen hervorrufen, müssen insgesamt verhältnismäßig, d. h. zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen sein.422 Durch die Einführung der Infrastrukturabgabe und die gleichzeitige Senkung der Kraft‑ fahrzeugsteuer wird ein Lastenausgleich bei einer Nutzerfinanzierung der Bundesfernstraßen erreicht. Da hier trotz fehlender Zweckbindung der Kraft‑ fahrzeugsteuer ein solcher Ausgleich bejaht wurde, sind die Maßnahmen vorliegend geeignet, den verfolgten Zweck zu erreichen. Der EuGH nimmt die Erforderlichkeit solcher Maßnahmen nur an, wenn die Regelungen ohne eine Diskriminierung oder eine Beschränkung der Grundfreiheiten ihre Ge‑ eignetheit zur Erreichung des Ziels verlören.423 Erkennbar ist, dass eine Er‑ höhung der Beteiligung an der Straßenfinanzierung durch Halter und Führer von Kraftfahrzeugen, die Ausland zugelassen sind, ohne das Infrastrukturab‑ gabengesetz und § 9 Abs. 6 KraftStG sowie ohne eine Mehrbelastung der inländischen Halter nicht möglich ist. Ein Unterschied zwischen der Senkung oder der vollständigen Abschaffung der Kraftfahrzeugsteuer für Personen‑ kraftwagen besteht dabei nicht.424 Ohne eine Senkung oder eine Teilab‑ schaffung der Kraftfahrzeugsteuer kann ein Lastenausgleich bei der Finan‑ zierung der Bundesfernstraßen zwischen allen Haltern und Führern von Kraftfahrzeugen nicht erreicht werden. Die Regelungen sind somit in der derzeitigen Ausgestaltung erforderlich, um den Lastenausgleich unter Ein‑ führung einer Nutzerfinanzierung der Bundesfernstraßen zu erreichen. 422  Vgl. zuletzt EuGH, Urt. v. 9.3.2017, C-342 / 15, NJW 2017, 1455 (1457 f.), Rn. 53, 60  – Piringer; EuGH, Urt. v. 2.6.2016, C-438 / 14, NJW 2016, 2093 (2098), Rn. 72  – Bogendorff von Wolffersdorff; EuGH, Urt. v. 13.12.2012, C-379 / 11, NZA 2013, 83 (86), Rn. 47 ff. – Caves Krier; vgl. auch EuGH, Urt. v. 23.10.2008, C-157 / 07, IStR 2008, 769 (771), Rn. 40 – Krankenheim Ruhesitz am Wannsee. 423  Vgl. EuGH, Urt. v. 13.11.2012, C-35 / 11, IStR 2012, 924 (928), Rn. 60 f. – Test Claimants in the FII Group Litigation; EuGH, Urt. v. 23.10.2008, C-157 / 07, IStR 2008, 769 (771), Rn. 45 – Krankenheim Ruhesitz am Wannsee; EuGH, Urt. v. 7.9.2004, C-319 / 02, IStR 2004, 680 (683), Rn. 45 f.; ebenso Langeloh, DÖV 2014, 365 (372). 424  Ebenso Langeloh, DÖV 2014, 365 (372).

294

3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

Die Regelungen sind insgesamt angemessen, wenn die Höhe der Infra‑ strukturabgabe im Verhältnis zu den Kosten sowie der zur Verfügung gestell‑ ten Leistung steht, wobei auch ein Lenkungseffekt berücksichtigt werden kann.425 Michael Fehling sieht die Angemessenheit erst dann gegeben, wenn das Aufkommen im Wesentlichen nach der Nutzung zwischen In- und Aus‑ ländern verteilt ist.426 Das bedeutet, dass das Aufkommen aus der Infra‑ strukturabgabe und der gesenkten Kraftfahrzeugsteuer, welches von Inländern erbracht wird, in einem angemessen Verhältnis zum Aufkommen aus der Infrastrukturabgabe stehen muss, welches durch Ausländer erbracht wird. ­ Nach den Berechnungen der Bundesregierung soll das Aufkommen aus der Infrastrukturabgabe von Deutschen rund drei Mrd. Euro betragen.427 Dazu kommen noch 4,3 Mrd. Euro an Kraftfahrzeugsteuer für Personenkraftwa‑ gen.428 Damit ergibt sich ein Aufkommen von ca. 7,3 Mrd. Euro von Inlän‑ dern. Halter und Führer von Kraftfahrzeugen, die im Ausland zugelassen sind, sollen – unter Berücksichtigung der Änderungen durch das Erste Gesetz zur Änderung des Infrastrukturabgabengesetzes – ein Aufkommen von rund 830 Mio. Euro durch den Erwerb von Vignetten erbringen.429 Vor allem Ralf Ratzenberger schätzte in einer Stellungnahme für den Finanzausschuss des Deutschen Bundestages das Aufkommen von Haltern und Führern von Kraft‑ fahrzeugen, die im Ausland zugelassen sind, deutlich niedriger, nämlich auf rund 280  Mio. Euro.430 Der Anteil der inländischen Halter und Führer am Gesamtaufkommen beträgt somit je nach Aufkommensschätzung zwischen 90 und 96,5 Prozent. Das entspricht in etwa dem Anteil der in Deutschland zugelassenen Kraftfahrzeuge an der Autobahnbenutzung,431 sodass insoweit die Verhältnismäßigkeit gewahrt ist.

425  Siehe

dazu im 2. Teil unter B. I. 3. c) dd) und I. 4. c) aa). ZG 2014, 305 (312 f.). 427  BT-Drs. 18 / 3990 v. 11.2.2015, S. 20. Da an den Preisen der Jahresvignetten durch das Erste Gesetz zur Änderung des Infrastrukturabgabengesetzes v. 18.5.2017, BGBl. I S. 1218, nichts geändert wurde, bleibt diese Prognose bestehen. 428  Das Kraftfahrzeugsteueraufkommen wird im Bundeshaushalt für 2017 mit 8,9  Mrd. Euro veranschlagt. Davon sind 3,1  Mrd. Euro durch die Steuerentlastung des Zweiten Verkehrsteueränderungsgesetzes abzuziehen. Schließlich entfallen unge‑ fähr 1,6 Mrd. Euro auf andere Kraftfahrzeugarten, vgl. BMF, http: /  / www.bundesfi nanzministerium.de / Content / DE / Monatsberichte / 2013 / 03 / Inhalte / Kapitel-4-Analy sen / 4-3-geschaeftsstatistik-kraftfahrzeugsteuer.html (zuletzt abgerufen am 7.2.2018). 429  BMVI, Prognose der Einnahmen aus dem Verkauf von Vignetten an Halter von im Ausland zugelassenen Fahrzeugen im Rahmen der Einführung einer Infrastruk­ turabgabe, http: /  / www.bmvi.de / SharedDocs / DE / Anlage / G / prognose-einnahmenverkauf-vignetten.pdf?__blob=publicationFile, S. 17, (zuletzt abgerufen am 7.2.2018). 430  Ratzenberger, Ausschuss-Drs. 18(15)485-B, S. 1, 3.; zur Kritik an der Einnah‑ meprognose des BMVI auch Kruhl, StBW 2014, 963 (965). 426  Fehling,



E. Verstoß gegen Art. 107 AEUV295

IV. Ergebnis Das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. 18 Abs. 1 AEUV ist an‑ wendbar. Im Infrastrukturabgabengesetz zusammen mit der Kraftfahrzeug‑ steuersenkung nach dem Zweiten Verkehrsteueränderungsgesetz liegt weder eine unmittelbare noch eine mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staats‑ angehörigkeit, sodass dadurch nicht gegen Art. 18 Abs. 1 AEUV verstoßen wird. Selbst bei Annahme einer mittelbaren Diskriminierung wäre diese durch den Gedanken des Lastenausgleichs als Teil der Kohärenz gerechtfer‑ tigt. Läge eine mittelbare Diskriminierung oder eine Beschränkung der Grundfreiheiten durch die Infrastrukturabgabe mit der gleichzeitigen Kraft‑ fahrzeugsteuersenkung vor, wären diese Regelungen auch unionsrechtlich verhältnismäßig.

E. Verstoß gegen Art. 107 AEUV Abschließend soll ein Verstoß des Infrastrukturabgabengesetzes und des Zweiten Verkehrsteueränderungsgesetzes gegen das unionsrechtliche Beihil‑ fenverbot aus Art. 107 Abs. 1 AEUV432 geprüft werden. Art. 107 Abs. 1 AEUV verbietet staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen und soweit die Verträge nichts anderes bestimmen. Das zentrale Merkmal des Beihilfenverbots ist das Vorliegen einer Beihilfe. Vorliegend ruft die Entlas‑ tung der Halter von Kraftfahrzeugen, die in Deutschland zugelassen sind, Bedenken hervor.

I. Begünstigung ohne Gegenleistung Der Wortlaut des Art. 107 Abs. 1 AEUV lässt darauf schließen, dass es sich bei einer Beihilfe jedenfalls um eine Begünstigung handeln muss. Allge‑ mein umschrieben wird der Begriff der Beihilfe damit, dass es sich um eine Verringerung von Belastungen ohne marktgerechte Gegenleistung handele, die Unternehmen üblicherweise zu tragen hätten.433 Davon seien nicht nur 431  Der ADAC, Die fünf Maut-Irrtümer, http: /  / www.ocintern.de / uploads / tx_ downloads / Maut01_Pkw-Maut_MWE_Sep2011_03.pdf, (zuletzt abgerufen am 11.8. 2017), gibt diesen Anteil mit 94,8 Prozent an. 432  Ein entsprechendes Verbot normiert Art. 61 Abs. 1 EWR-Vertrag. 433  Vgl. EuGH, Urt. v. 7.3.2002, C-310 / 99, Slg. 2002, I-2289 (2339), Rn. 51  – Italien / Kommission; EuGH, Urt v. 15.3.1994, C-387 / 92, Slg. 1994, I-877 (907),

296

3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

Vorteile durch Geld- oder Sachleistungen des Staates, sondern auch Befrei‑ ungen und Senkungen von Abgaben umfasst.434 Christian Hillgruber sieht im Infrastrukturabgabengesetz auch unter Be‑ rücksichtigung des § 9 Abs. 6 KraftStG für die meisten Unternehmen keine Begünstigung im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV.435 Soweit inländische Unternehmer durch die Kraftfahrzeugsteuer nicht stärker entlastet würden, als sie eine Belastung durch die Infrastrukturabgabe erführen, gäbe es keinen Vorteil, da ihre Belastung nicht vermindert werde. Überdies sei die Berück‑ sichtigung der Infrastrukturabgabe beim Kraftfahrzeugsteuerentlastungsbe‑ trag in § 9 Abs. 6 KraftStG nur Teil einer Systemumstellung und nicht als Erleichterung zu sehen. Nur bei Kraftfahrzeugen der Schadstoffklasse Euro 6 sei eine tatsächliche Entlastung der Halter in Deutschland zugelassener Kraftfahrzeuge gegeben, die zu einer Begünstigung führe. Dagegen spricht bereits der Gedanke des Nachteilsausgleichs, der bei Art. 92 AEUV herangezogen wird.436 Art. 107 Abs. 1 AEUV, der Beihilfen gleich welcher Art verbietet, legt nahe, dass auch der Abbau von Nachteilen als Begünstigung anzusehen ist. Durch die Einführung der Infrastrukturab‑ gabe und die gleichzeitige Senkung der Kraftfahrzeugsteuer wird ein beste‑ hender Nachteil der Unternehmen, deren Kraftfahrzeuge in Deutschland zu‑ gelassen sind, abgebaut. Dies geschieht vorliegend durch die Entlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer in § 9 Abs. 6 KraftStG. Darin liegt keine Zuwendung von Geld oder Sachleistungen durch den Staat. Allerdings wird mit gleicher Wirkung ein bestehender Nachteil der inländischen Unternehmen beseitigt und diese dadurch begünstigt, auch wenn sie – absolut gesehen – in den meisten Fällen nicht weniger zahlen müssen als zuvor.437 Dieser Abbau von Nachteilen kommt auch zahlreichen Unternehmen zugute, da Personenkraft‑ wagen bei vielen Unternehmen für viele verschiedene Zwecke eingesetzt werden. Sebastian Hartmann prüft überdies, ob in der Zurverfügungstellung oder Duldung der Benutzung der Straßen eine Gegenleistung für die Steuerentlas‑ Rn. 13 – Banco Exterior de Espana; EuGH, Urt. v. 27.3.1980, 61 / 79, Slg. 1980, 1205 (1228), Rn. 31  – Denkavit italiana; Cremer, in: Calliess / Ruffert, EUV / AEUVKomm., Art. 107 AEUV Rn. 10 m. w. N.; s. bereits EuGH, Urt. v. 23.2.1961, 30 / 59, Slg. 1961, 1 (42 f.) – Gesamenlijke Steenkolemijnen. 434  Mederer, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje, Unionsrecht, Art. 107 AEUV Rn. 7; Gundel, in: BeckOK MedienR, Art. 107 AEUV Rn. 3; Hartmann, Pkw-Maut, S. 91. 435  Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 66. 436  Siehe in diesem Teil unter B. III. 3.; vgl. auch EuGH, Urt. v. 3.3.2005, C-172 / 03, Slg. 2005, I-1627 (1664), Rn. 52 ff. – Heiser; s. bereits EuGH, Urt. v. 10.12.1969, 6 / 69, Slg. 1969, 523 (540), Rn. 20 – Kommission / Frankreich. 437  Vgl. Kruhl, StBW 2014, 963 (966); Hartmann, Pkw-Maut, S. 91.



E. Verstoß gegen Art. 107 AEUV297

tung bei der Kraftfahrzeugsteuer liegen kann.438 In diesem Fall wäre eine Beihilfe ausgeschlossen. Eine Gegenleistung liegt hier aber nicht vor, da die Kraftfahrzeugsteuer nicht für die Benutzung der Straßen, sondern nach § 1 Abs. 1 KraftStG für das Halten eines Kraftfahrzeugs in Deutschland gezahlt wird. Eine Leistung des Staates widerspräche gerade der Kraftfahrzeugsteuer als Steuer und machte diese zu einer Vorzugslast.439 Auch eine Zweckbin‑ dung des Aufkommens der Kraftfahrzeugsteuer für die Straßenfinanzierung änderte daran nichts. Eine tatsächliche Verringerung der Belastungen ist insoweit gegeben, als die Beträge in § 9 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 lit. a, § 18 Abs. 14 KraftStG für Kraft‑ fahrzeuge der Schadstoffklasse Euro 6 die Infrastrukturabgabe übersteigen. Dabei zahlen Unternehmen, die solche Kraftfahrzeuge in Deutschland hal‑ ten, auch absolut gesehen weniger als vorher. Der Entlastungsbetrag liegt nach der neuen Fassung des Gesetzes für zwei Jahre um 0,65 Euro und da‑ nach um 0,52 Euro je 100 Kubikzentimeter höher als die Infrastrukturab‑ gabe. Darin liegt eine echte Begünstigung, da die Summe aus der Infrastruk‑ turabgabe und der verbleibenden Kraftfahrzeugsteuer in diesem Fall niedri‑ ger ist als die zuvor gezahlte Kraftfahrzeugsteuer. Eine Gegenleistung liegt hier nicht vor. In der Infrastrukturabgabe in Zusammenschau mit der Kraftfahrzeugsteuer­ senkung ist insgesamt eine gegenleistungslose Begünstigung von Unterneh‑ men nach Art. 107 Abs. 1 AEUV zu sehen.

II. Selektivität der Begünstigung Das Vorliegen einer Begünstigung allein reicht nach Art. 107 Abs. 1 AEUV nicht aus, um eine verbotene Beihilfe anzunehmen. Darüber hinaus fordert die Vorschrift, dass bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige begüns‑ tigt werden. Diese Voraussetzung des Art. 107 Abs. 1 AEUV wird auch als Selektivität bezeichnet.440 Dabei muss die Feststellung getroffen werden, ob eine nationale Maßnahme bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige gegenüber anderen Unternehmen oder Produktionszweigen begünstigt, die sich mit Blick auf den Regelungszweck in einer vergleichbaren Lage befin‑ 438  Hartmann,

Pkw-Maut, S. 91. im 1. Teil unter B. II. 1. d). 440  EuGH, Urt. v. 8.11.2001, C-143 / 99, NVwZ 2002, 842 (844), Rn. 42  – AdriaWien Pipeline; EuGH, Urt. v. 6.9.2006, C-88 / 03, Slg. 2006, I-7115 (7166), Rn. 54 – Portugal / Kommission; EuGH, Urt. v. 21.12.2016, verb. Rs. C-164 und 165 / 15  P, EuZW 2017, 74 (75), Rn. 51 – Kommission / Aer Lingus u. a.; Bartosch, EuZW 2010, 12 (12 ff.). 439  Siehe

298

3. Teil: Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit EU-Recht

den.441 Es kommt – gerade bei Abgabenregelungen – nur auf die tatsächliche Wirkung der nationalen Maßnahme und nicht auf deren Ausgestaltung an.442 Betrachtet man die Infrastrukturabgabe und die Kraftfahrzeugsteuerentlas‑ tung in § 9 Abs. 6 KraftStG in diesem Zusammenhang, so lässt sich zunächst keinerlei Bevorzugung bestimmter Unternehmen oder Branchen erkennen. Die Senkung der Kraftfahrzeugsteuer gilt für alle in Deutschland zugelasse‑ nen Kraftfahrzeuge und somit für alle Unternehmen, deren Kraftfahrzeuge in Deutschland zugelassen sind. Zu bedenken ist aber, dass gerade Verkehrsun‑ ternehmen bei der Personenbeförderung neben Bussen auch häufig Personen‑ kraftwagen einsetzen. Allerdings werden durch die Kraftfahrzeugsteuersen‑ kung alle Unternehmen – unabhängig von der konkreten Branche – mit in Deutschland zugelassenen Personenkraftwagen begünstigt. Anders als bei Lastkraftwagen, die nahezu ausschließlich für die Güterbeförderung einge‑ setzt werden, werden Personenkraftwagen in allen Branchen von Unterneh‑ men eingesetzt. Auch Personenkraftwagen der Schadstoffklasse Euro 6 wer‑ den nicht nur bei Verkehrsunternehmen, sondern bei allen Unternehmen ge‑ nutzt, sodass diese Begünstigung allen Unternehmen und Branchen zugute‑ kommen kann und kommt.443 Daher ist die Selektivität der Begünstigung durch die Kraftfahrzeugsteuersenkung vorliegend abzulehnen. Es werden durch die Kraftfahrzeugsteuersenkung in Zusammenhang mit der Einführung der Infrastrukturabgabe nicht bestimmte Unternehmen oder Produktions‑ zweige begünstigt.

III. Ergebnis Ein Verstoß des Infrastrukturabgabengesetzes in Verbindung mit der Kraft‑ fahrzeugsteuersenkung in § 9 Abs. 6 KraftStG gegen das unionsrechtliche Beihilfenverbot aus Art. 107 Abs. 1 AEUV liegt mangels Selektivität der Begünstigung nicht vor.

441  EuGH, Urt. v. 8.11.2001, C-143 / 99, NVwZ 2002, 842 (844), Rn. 41  – AdriaWien Pipeline; EuGH, Urt. v. 6.9.2006, C-88 / 03, Slg. 2006, I-7115 (7166), Rn. 54 – Portugal / Kommission; EuGH, Urt. v. 21.12.2016, verb. Rs. C-164 und 165 / 15  P, EuZW 2017, 74 (75), Rn. 51 – Kommission / Aer Lingus u. a. 442  Kliemann, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje, Unionsrecht, Art. 107 AEUV Rn.  49 ff.; Cremer, in: Calliess / Ruffert, EUV / AEUV-Komm., Art. 107 AEUV Rn. 28. 443  Ebenso Hillgruber, Gutachten zur Unionsrechtskonformität, S. 67; Hartmann, Pkw-Maut, S. 93.



F. Fazit299

F. Fazit zur Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes mit dem Recht der Europäischen Union Im dritten Teil der Untersuchung wurde das Infrastrukturabgabengesetz auf seine Vereinbarkeit mit zahlreichen Vorschriften des Rechts der EU ge‑ prüft. Ein Verstoß gegen das allgemeine Diskriminierungsverbot aus Art. 18 Abs. 1 AEUV konnte dabei nur für die bis Mai 2017 geltende Fassung des Infrastrukturabgabengesetzes hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der Vig‑ nettenpreise festgestellt werden. In der neuen Fassung verstößt das Infra‑ strukturabgabengesetz nicht gegen Art. 92 AEUV, die Grundfreiheiten und nicht gegen Art. 18 Abs. 1 AEUV. Schließlich ist auch kein Verstoß gegen das unionsrechtliche Beihilfeverbot aus Art. 107 Abs. 1 AEUV anzunehmen. Das hier gefundene Ergebnis mag – jenseits politischer Absprachen – auch die Europäische Kommission bewogen haben, das Vertragsverletzungsver‑ fahren nach Art. 258 Abs. 1 AEUV gegen Deutschland einzustellen. Das letzte Wort wird in dieser Frage dem EuGH zukommen, der im Verfahren nach Art. 259 Abs. 1 AEUV gegen Deutschland abschließend über das Infra‑ strukturabgabengesetz entscheidet.444 Angesichts des vorliegenden Ergeb‑ nisses darf der ehemalige Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt wei‑ terhin zuversichtlich sein, dass das Infrastrukturabgabengesetz vor dem EuGH Bestand haben wird.

444  Aktenzeichen des bis zum Redaktionsschluss (Februar 2018) noch nicht abge‑ schlossenen Verfahrens: C-591 / 17.

Thesen 1. Die Infrastrukturabgabe ist die erste Abgabe für die Benutzung von Stra‑ ßen mit Personenkraftwagen in der Bundesrepublik Deutschland. Nach dem Jahr 1950 gab es mehrere erfolglose Initiativen zur Einführung einer Straßenbenutzungsabgabe für Personenkraftwagen. In der DDR wurden von 1951 bis 1990 vor allem für die Benutzung von Transitstrecken Stra‑ ßenbenutzungsgebühren erhoben. 2. Das Infrastrukturabgabengesetz erlaubt die Erhebung einer Abgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen mit Kraftfahrzeugen der Klassen M1 und M1G nach dem Anhang II Teil A Nr. 1 der Richtlinie 2007 / 46 / EG und mit Wohnmobilen unabhängig vom zulässigen Gesamtgewicht des jeweiligen Kraftfahrzeugs. Eine Beschränkung der Abgabepflicht auf Kraftfahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht von 3,5 Tonnen ist aus dieser Richtlinie nicht ableitbar. 3. Gleichzeitig mit dem Infrastrukturabgabengesetz wurde in § 9 Abs. 6 und 7 KraftStG ein Kraftfahrzeugsteuer-Entlastungsbetrag aufgenom‑ men, der für Halter in Deutschland zugelassener Kraftfahrzeuge die In­ frastrukturabgabe vollständig kompensiert und bei Kraftfahrzeugen der Schadstoffklasse Euro 6 über diese Kompensation hinausgeht. 4. Die Infrastrukturabgabe ist eine Abgabe i. S. d. Grundgesetzes. Aufgrund ihrer Gegenleistungsbezogenheit ist sie nicht als Steuer oder Sonderab‑ gabe einzuordnen. Die konkrete öffentliche Leistung liegt in der Erhal‑ tung der Benutzbarkeit der Bundesfernstraßen sowie in der Erlaubnis, diese Straßen benutzen zu dürfen. 5. Die zeitbezogen als Vignette erhobene Infrastrukturabgabe weist eine Doppelnatur auf, da sie einerseits eine Gebühr und andererseits ein Bei‑ trag ist. Für Halter und Führer von Kraftfahrzeugen, die im Ausland zu‑ gelassen sind, knüpft sie an die konkrete Benutzung der Bundesautobah‑ nen an, während die Nutzungsmöglichkeit aller Bundesfernstraßen für die Halter im Inland zugelassener Kraftfahrzeuge zur Begründung der Abgabepflicht genügt. 6. Die Hauptfunktion der Infrastrukturabgabe ist die Erzielung von Einnah‑ men, sodass eine Lenkung zu einem umweltfreundlicheren Verhalten nur Nebenzweck sein kann. Sie ist demnach weder eine Lenkungsteuer noch eine Lenkungsgebühr oder ein Lenkungsbeitrag.



Thesen301

7. Das Infrastrukturabgabengesetz und das Erste Gesetz zur Änderung des Infrastrukturabgabengesetzes konnten insgesamt auf die Gesetzgebungs‑ kompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 4 GG gestützt werden. Beide Gesetze sind zur Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im gesamt‑ staatlichen Interesse nach Art. 72 Abs. 2 GG erforderlich. 8. Das Infrastrukturabgabengesetz enthält keine nach Art. 84 Abs. 1 Satz  7 GG verbotenen Aufgabenübertragungen an die Kommunen. Das Infra‑ strukturabgabengesetz und das Erste Gesetz zur Änderung des Infra‑ strukturabgabengesetzes bedurften keiner Zustimmung durch den Bun‑ desrat. 9. Die Vorschriften des Infrastrukturabgabengesetzes weisen weder einen unmittelbaren noch einen mittelbaren Berufsbezug auf und greifen des‑ halb nicht in das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG ein. Hinsichtlich der Halter und Führer von Kraftfahrzeugen bewirkt das Infrastrukturabga‑ bengesetz mit großer Wahrscheinlichkeit keine Verhaltensänderung hin‑ sichtlich der Eigentumsposition am bzw. der Nutzung des Kraftfahrzeugs, sodass ein Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG ausscheidet. 10. Das Infrastrukturabgabengesetz als Ganzes greift aber durch die Auferle‑ gung der Abgabepflicht in das Grundrecht auf allgemeine Handlungsfrei‑ heit aus Art. 2 Abs. 1 GG ein. Die Infrastrukturabgabe verfolgt aber dem Grunde nach die legitimen Zwecke der Kostendeckung und des Vorteils‑ ausgleichs. Sie ist zur Verfolgung dieser legitimen Zwecke erforderlich und angemessen. 11. Das Infrastrukturabgabengesetz ist nicht an einem besonderen Gleich‑ heitssatz aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG zu messen, da es nicht nach der Herkunft des Halters oder Führers eines Kraftfahrzeugs differenziert, sondern nach dessen Wohnsitz. 12. Richtiger Maßstab ist der allgemeine Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG in der Form des Gebots der Rechtssetzungsgleichheit. Das Infra‑ strukturabgabengesetz enthält zwar Ungleichbehandlungen hinsichtlich der Preise innerhalb der einzelnen Vignettenarten, des Geltungsbereichs der Vignetten sowie des Zeitpunkts der Abgabepflicht und der Vignetten‑ auswahl. Sämtliche Ungleichbehandlungen sind gerechtfertigt. 13. Kleine Lastkraftwagen mit einem zulässigen Gesamtgewicht bis zu 7,5 Tonnen und Busse sind weder von der Lkw-Maut nach dem Bundes‑ fernstraßenmautgesetz noch vom Infrastrukturabgabengesetz erfasst. Bei beiden Fahrzeuggruppen ist eine Einbeziehung in die Lkw-Maut folge‑ richtig und vom Willen des Gesetzgebers getragen. Hinsichtlich des In­ ­ frastrukturabgabengesetzes kann sich somit durch die Außerachtlas‑ sung dieser beiden Fahrzeuggruppen keine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG ergeben.

302 Thesen

14. Das Infrastrukturabgabengesetz verstößt nicht gegen Art. 90 Abs. 3 GG. Diese Vorschrift knüpft in ihrer Reichweite an die Kompetenzvorschrift in Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Fall 3 GG an und erfasst deshalb das Infrastruk‑ turabgabengesetz nicht. Die Ermächtigungen zum Erlass von Rechtsver‑ ordnungen in § 2 Abs. 3, § 5 Abs. 4 Satz  3, § 9 Abs. 2 und § 10 Abs. 5 InfrAG genügen dem Bestimmtheitsgebot aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG. 15. Die Regelung von Straßenbenutzungsabgaben fällt in die geteilte Zustän‑ digkeit nach Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 lit. g AEUV. Die Europäische Union hat noch keine Regelungen auf dem Gebiet der Straßenbenutzungsabga‑ ben für Personenkraftwagen erlassen. Deutschland war deshalb für den Erlass des Infrastrukturabgabengesetzes zuständig. 16. Das Infrastrukturabgabengesetz und der Kraftfahrzeugsteuer-Entlas‑ tungsbetrag in § 9 Abs. 6 und 7 KraftStG sind aufgrund ihres inhaltlichen Zusammenhangs bei der Prüfung von Verstößen gegen das Unionsrecht wirtschaftlich gemeinsam zu betrachten. 17. Art. 92 AEUV als besondere Vorschrift für Verkehrsunternehmer ist nicht auf das Infrastrukturabgabengesetz anzuwenden. Durch die Beschrän‑ kung auf der Abgabepflicht auf die Benutzung von Bundesfernstraßen mit Personenkraftwagen sind Verkehrsunternehmer aus anderen Mit‑ gliedstaaten typischerweise nicht betroffen. 18. Inhaltlich ist die statische Auslegung des Art. 92 AEUV abzulehnen und der dynamischen Auslegung zu folgen. 19. Bei einer wirtschaftlichen Gesamtbetrachtung ist kein Verstoß des Infra‑ strukturabgabengesetzes gegen Art. 92 AEUV zu erkennen. In- und aus‑ ländische Verkehrsunternehmer werden im Ergebnis höchstens gleichge‑ stellt. Das gilt auch nach der stärkeren Senkung der Kraftfahrzeugsteuer für emissionsarme Fahrzeuge durch das Gesetz zur Änderung des Zwei‑ ten Verkehrsteueränderungsgesetzes. 20. Trotz fehlender Zweckbindung für die Zwecke des Straßenbaus ist auch das Aufkommen aus der Kraftfahrzeugsteuer bei der Beurteilung der Wettbewerbssituation hinsichtlich der Finanzierung der Bundesfernstra‑ ßen einzubeziehen. 21. Die Warenverkehrsfreiheit ist auf das Infrastrukturabgabengesetz an‑ wendbar. Die Infrastrukturabgabe verstößt mangels eines hinreichenden Warenbezugs nicht gegen die Warenverkehrsfreiheit aus Art. 28 ff. ­AEUV. Bei der Infrastrukturabgabe handelt es sich auch nicht um eine Abgabe auf Waren i. S. d. Art. 110 Abs. 1 AEUV. 22. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 ff. AEUV kann nur als Dis‑ kriminierungsverbot eingreifen, da die Beeinträchtigungen durch die In­



Thesen303

frastrukturabgabe für pendelnde Arbeitnehmer und damit für ein Be‑ schränkungsverbot als zu gering erscheinen. 23. Die Niederlassungsfreiheit der Art. 49 ff. AEUV ist bei der Infrastruktur‑ abgabe weder als Beschränkungs- noch als Diskriminierungsverbot an‑ wendbar. Dem Unternehmer bleibt auch nach der Einführung der Infra‑ strukturabgabe die Wahlfreiheit, in welchem Staat er sein Kraftfahrzeug zulässt und welche straßenbezogenen Abgaben er daher zu zahlen hat. 24. Die Dienstleistungsfreiheit des Art. 56 Abs. 1 AEUV ist wegen Art. 58 Abs. 1 AEUV nicht auf Verkehrsunternehmer anzuwenden. Eine Be‑ schränkung der Dienstleistungsfreiheit geht von der Infrastrukturabgabe nicht aus. Als Diskriminierungsverbot kann die Dienstleistungsfreiheit eingreifen. 25. Das allgemeine Diskriminierungsverbot nach Art. 18 AEUV schützt im Rahmen des Infrastrukturabgabengesetzes vor allem diejenigen, die ihren im Ausland zugelassenen Personenkraftwagen zu privaten Zwecken auf den Bundesautobahnen nutzen. Daneben werden auch Verkehrsunterneh‑ mer durch Art. 18 AEUV geschützt, da Art. 92 AEUV nicht auf das ­Infrastrukturabgabengesetz anwendbar ist. 26. Eine unmittelbare Diskriminierung liegt nicht vor, da weder das Infra‑ strukturabgabengesetz noch § 9 Abs. 6 und 7 KraftStG nach der Staats‑ angehörigkeit differenziert. In der Kombination der beiden Maßnahmen liegt zwar eine Ungleichbehandlung der Halter und Führer von Kraft‑ fahrzeugen, die im Ausland zugelassen sind. Eine Benachteiligung und damit eine mittelbare Diskriminierung sind abzulehnen, da In- und Aus‑ länder maximal gleichgestellt werden. 27. Eine mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit nach Art. 18 Abs. 1 AEUV liegt nur in der Preisgestaltung der Kurzzeitvignet‑ ten vor. Weder die unterschiedliche Erhebung der Infrastrukturabgabe noch der unterschiedliche Geltungsbereich der Vignetten begründen eine mittelbare Diskriminierung. 28. Als objektiver Grund für die Rechtfertigung der relativ höheren Preise der Kurzzeitvignetten sind höhere Verwaltungs- und Kontrollkosten an‑ zuerkennen. Die Preise der Kurzzeitvignetten waren in der ursprüng­ lichen Fassung des Infrastrukturabgabengesetzes im Vergleich zu den Preisen der Jahresvignetten unverhältnismäßig hoch. Durch die Ände‑ rung der Preise für die Kurzzeitvignetten durch das Erste Gesetz zur Änderung des Infrastrukturabgabengesetzes wurde die Verhältnismäßig‑ keit der Vignettenpreise hergestellt. 29. Wenn in der Einführung der Infrastrukturabgabe und der gleichzeitigen Senkung der Kraftfahrzeugsteuer eine mittelbare Diskriminierung nach

304 Thesen

Art. 18 Abs. 1 AEUV läge, wäre diese durch einen Lastenausgleich ge‑ rechtfertigt. Der Umweltschutz ist aufgrund der Gestaltung des Infra‑ strukturabgabengesetzes kein geeigneter Rechtfertigungsgrund für eine mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit. 30. Die Regelungen des Infrastrukturabgabengesetzes sind insgesamt ver‑ hältnismäßig ausgestaltet. Die Aufkommensverteilung bei der Straßen­ finanzierung zwischen den Haltern und Führern von Kraftfahrzeugen, die im In- und Ausland zugelassen sind, entspricht nahezu dem Verhält‑ nis der Nutzung von Bundesfernstraßen. 31. Die Infrastrukturabgabe ist in Verbindung mit der Kraftfahrzeugsteuer‑ senkung nicht als verbotene Beihilfe i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV einzu‑ ordnen. Sie stellen zwar eine begünstigende Maßnahme ohne Gegenleis‑ tung für Unternehmer dar, die ihre Kraftfahrzeuge im Inland zugelassen haben. Es fehlt aber an der Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige, da die Senkung der Kraftfahrzeugsteuer als Beseiti‑ gung des Nachteils allen Unternehmern mit in Deutschland zugelassenen Personenkraftwagen gleichermaßen zugutekommt. 32. Das Infrastrukturabgabengesetz in der Fassung der Änderung durch das Erste Gesetz zur Änderung des Infrastrukturabgabengesetzes ist verfas‑ sungsgemäß und mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar. Sollte der Vorschlag der Europäischen Kommission zur Ausweitung der Richtlinie 1999 / 62 / EG auf Personenkraftwagen und der verbindlichen Einführung von Mautsystemen umgesetzt werden, müsste Deutschland die Erhebung der Infrastrukturabgabe spätestens zum 1. Januar 2028 von einer zeitbezogenen Erhebung mit Vignetten auf eine streckenbezogene Erhebung als Maut umstellen.

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Sachwortverzeichnis Abgabe  53 f. Abgabenarten des Grundgesetzes  55 Arbeitnehmerfreizügigkeit  253 ff. Aufgabenübertragungen – Kommunen  116 f. – Konnexitätsprinzip  118 ff. – Lastenverteilung  120 f. Beihilfen – Begünstigung  295 f. – Selektivität  297 f. Beitrag – Begriff  80, 87 – Rechtfertigung  86 – Unterschiede zur Gebühr  80 ff. Belastungsgleichheit – Art. 3 Abs. 1 GG  169 – Unionsrecht  285, 291 f. Berufsfreiheit – Objektiv berufsregelnde Tendenz  134 ff. – Schutzbereich  133 Bulc, Violeta  29, 196 Bundesamt für Güterverkehr (BAG)  49, 116, 177 Bundesfernstraßen – Bundesautobahnen  94, 189 – Bundesstraßen  94, 189 – Nutzerfinanzierung  156, 218 f., 270, 290, 293 – Steuerfinanzierung  218 f., 270, 288 Bundesrat  29 ff., 39, 101 f., 122 f. Bundestag  29 ff., 37 ff., 44 f. Chausseegelder / Wegegelder  33 Daten  32, 50, 128 f.

DDR – Einigungsvertrag  42 – Straßenbenutzungsgebühren  40, 52 – Transitabkommen  41 Dienstleistungsfreiheit  245, 257 ff. Diskriminierung (Art. 18 AEUV) – Kraftfahrzeugsteuersenkung  264, 266 – Maßnahmenkombination  265 ff. – Mittelbar  265 f. – Rechtfertigung  275 ff. – Staatsangehörigkeit  262 f., 267 – Unmittelbar  263 ff. – Vignettenpreise  272 f., 276 ff. Dobrindt, Alexander  44 f., 196, 299 Eigentumsfreiheit – Begriff des Eigentums  139 – Belastungswirkungen (Abgaben)  144 f. – Erdrosselung  145 f. – Gestaltungswirkungen (Abgaben)  144 f. – Schutz vermögenswerter Rechts­ positionen  142 f. – Vermögensschutz  140 ff. Europäische Kommission  30, 52, 196, 229, 242, 277 Europäischer Wirtschaftsraum  168, 215 Eurovignetten-Richtlinie – Änderungsvorschlag der Kommission  52, 229, 242 – Eurovignette  46 – Kompensationsmöglichkeit  226, 288, 290 – Maßstab für Vignettenpreise  277 – Mindestsätze für Kraftfahrzeugsteuer  231



Sachwortverzeichnis319

Gauck, Joachim  29, 45, 51, 132 Gebühr – Formeller Begriff  71, 73 – Kostendeckung  73, 75 – Materieller Begriff  73 f. – Öffentliche Leistung  71 – Vorteilsausgleich  71 f. – Zurechenbarkeit (öffentliche Leistung)  71, 77 f. – Zweigliedriger Begriff  71 f. Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH)  30 f., 196 f., 199 f., 204, 222 Gesamtdeckungsgrundsatz (Nonaffekta‑ tion)  77, 237 Gesetzgebungskompetenz – Annexkompetenz  112 – Erforderlichkeit  104 ff. – Landstraßen für den Fernverkehr  109 f. – Natur der Sache  111 – Negative Kompetenzabgrenzung  115 – Sachzusammenhang  112 f. – Straßenbenutzungsgebühren  98 ff. Informationelle Selbstbestimmung  32, 182 Infrastrukturabgabe – Abgabensätze  47 f., 279 f., 282 f. – Aufkommen  51, 159, 164, 294 – Doppelnatur  92 f., 96, 98 – Infrastrukturabgabebehörde  49 f., 128, 193 f. – Infrastrukturabgaberegister  176 – Kompensation (Kraftfahrzeugsteuer‑ senkung)  51, 148 f. – Kosten  51 f., 114, 158 f., 164 – Lenkungswirkung  67, 174 f. – Schuldner  49 – Überkompensation  240 – Überwachung der Abgabenpflicht  49, 176 f., 276 f.

Infrastrukturabgabengesetz – Ausfertigung  29, 45, 132 – Erforderlichkeit zur Wahrung der Rechtseinheit  106, 108 – Erstes Gesetz zur Änderung des Infrastrukturabgabengesetzes  132, 156, 196, 281 – Ertragsverteilung  114 – Gesamtbetrachtung (Zweites Verkehr‑ steueränderungsgesetz)  217 ff. – Gesetzgebungskompetenz  108 f. – Gesetzgebungsverfahren  122 f., 132 – Inkrafttreten  29, 45 – Verhältnismäßigkeit  155 ff., 182 – Verordnungsermächtigungen  193 ff., 274 f. – Zuständigkeit (Unionsrecht)  197 f. – Zustimmungsbedürftigkeit  123 ff. Kompensation  51, 288 Kosten – Begriffe  157 – Infrastrukturabgabensystem  51 f. – Wegekosten  157 f. Kraftfahrt-Bundesamt (KBA)  49, 116 Kraftfahrzeug – Begriff (Infrastrukturabgabengesetz)  48 – Busse  186 f. – Halter  147 f. – Lastkraftwagen  185 f. – Personenkraftwagen  48, 178, 185, 187 Kraftfahrzeugsteuer – Befreiung  214 f., 255, 267 – Doppelbesteuerungsabkommen  215 f., 228, 236, 268 – Senkung  217, 230 ff., 266 f. – Zweckbindung  36, 237, 289 f., 293 Kraftfahrzeugzulassung – Zulassungsbehörde  116, 118, 126 f. – Zulassungsbescheinigung  129, 207 f., 256 – Zulassungsort  133, 167, 173, 264, 267

320 Sachwortverzeichnis Lastenausgleich – Kohärenz  219, 285 ff. Maut – Begriff  89 – Lkw-Maut  45 ff., 186, 199, 238 – Pkw-Maut  29, 44 Merkel, Angela  29 Mineralölsteuer (Energiesteuer)  66, 236 f., 291 Niederlassungsfreiheit – Wegzug ins Ausland  256 f. – Zuzug ins Inland  255f. Österreich  30 f., 196 Pällmann-Kommission  43 Seehofer, Horst  29 Sonderabgabe – Begriff  63 ff. – Gesetzgebungskompetenz  56, 64 – Unterschiede zur Steuer  64 f. Staatenklage  196 Steinmeier, Frank-Walter  30, 132 Steuer – Einfachrechtlicher Begriff  57 – Lenkungsteuer  58 f., 67 – Straßensteuer  162 – Verfassungsrechtlicher Begriff  62 – „Voraussetzungslosigkeit“  61 f. – Zwecksteuer  85 Umweltschutz  56, 67, 156, 292

Unionsbürger  168, 253, 260 Verkehrsunternehmer – Begriff  201 f. – Dynamische Auslegung (Art. 92 AEUV)  221, 223 ff. – Statische Auslegung (Art. 92 AEUV)  221 ff. – Typisierung  204 f. Vertragsverletzungsverfahren  30, 196, 199, 299 Verwaltungsvereinfachung – Typisierung  178 ff., 204 f., 207 ff. – Verhältnismäßigkeit  182 Vignette – Benutzungsgebühr (Unionsrecht)  88 ff. – Elektronisch  49 f. – Eurovignette  46 – Geltungsbereich  47, 94, 175 – Vignettenarten  47 f., 92, 281 ff. Vorzugslast  62, 69 f., 87, 162 Warenverkehrsfreiheit  244 ff., 261 Weimarer Republik  34 f. Wettbewerbsneutralität  240, 252 f. Zweites Verkehrsteueränderungsgesetz – Ausfertigung  50 f. – Gesamtbetrachtung (Infrastruktur­ abgabengesetz)  217 ff. – Gesetz zur Änderung des Zweiten Verkehrsteueränderungsgesetzes  51, 214 – Inkrafttreten  51, 217