Die Habsburger Reiche: 1555 - 1740 3534187571, 9783534187577

Eine Dynastie - zwei Reiche: Nach der Abdankung Kaiser Karls V. teilten sich die Habsbur-ger in eine spanische und eine

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German Pages 152 [160] Year 2012

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Titel
Impressum
Inhaltsverzeichnis
Geschichte kompakt
I. Einführung
1. 1555–1740: Konzeption – Epochencharakter – Zäsuren
2. Eine Dynastie – zwei Herrschaftsräume: Interpretationen und Modelle
a) Zwei zusammengesetzte Monarchien
b) Imperium und Großreich
c) Eine dynastische Agglomeration
II. Herrschaft und Gesellschaft
1. Grundzüge von Bevölkerung und Gesellschaft
a) Demografische Grunddaten
b) Ständische Gesellschaftsordnung und soziale Gruppierungen
2. Herrscherpersönlichkeiten – Herrscherversager – Herrscherbilder
a) Die römisch-deutschen Kaiser (1564–1740)
b) Die spanischen Könige (1555–1700)
3. Dynastische Politik
a) Grundzüge
b) Dynastie-Sicherung
c) Eheprojekte
4. Regierungssysteme und Ständetum
a) Grundzüge der ständischen Partizipation
b) Spanische Habsburger
c) Österreichische Habsburger
5. Religiöse Einheit und Vielfalt
a) Die Ausbreitung der Reformation: Erfolge und Misserfolge
b) Zwischen Religionsfreiheit und konfessioneller Vereinheitlichung
c) Christianisierung und Missionierung
6. Untertanenwiderstand und Revolten
a) Grundzüge des Untertanenwiderstands
b) Revolten im Spanischen Imperium
c) Revolten in der Habsburgermonarchie
7. Habsburgische Höfe
a) Hof und Herrschaft
b) Hauptstädte und Residenzen
c) Die Höfe als kulturelle Zentren
III. Internationale Politik
1. Leitfaktoren der internationalen Politik
2. Krieg und Frieden mit dem Osmanischen Reich
a) Grundzüge der osmanischen Expansion
b) Die Konflikte mit den spanischen Habsburgern im mediterranen Raum
c) Die Konflikte mit den österreichischen Habsburgern in Südosteuropa
d) Wege zum Frieden
3. Die Konflikte mit England vom Herrschaftsantritt Elisabeths I. bis zum Frieden von London (1558–1604)
4. Der habsburgisch-französische Gegensatz vom Frieden von Cateau-Cambrésis bis zum Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges (1559–1618)
5. Dreißigjähriger Krieg und Französisch-Spanischer Krieg (1618–1659)
a) Ursachen und Merkmale
b) Verlauf
c) Kriegsfolgen
d) Interpretationen der Forschung
e) Westfälischer Friedenskongress (1643–1648) und Pyrenäenfriede (1659)
6. Der Kampf gegen die politische Hegemonie Frankreichs (1661–1697)
7. Im Bann des spanischen Erbes (1665–1740)
a) Die Erbfolgefrage
b) Der Spanische Erbfolgekrieg (1701–1714)
c) Die Utrechter Friedensordnung – das Ende des habsburgischen Universalismus
Literatur
Register
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Die Habsburger Reiche: 1555 - 1740
 3534187571, 9783534187577

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Geschichte kompakt Herausgegeben von Kai Brodersen , Martin Kintzinger, Uwe Puschner, Volker Reinhardt Herausgeber für den Bereich Frühe Neuzeit: Volker Reinhardt Berater für den Bereich Frühe Neuzeit: Sigrid Jahns

Arno Strohmeyer

Die Habsburger Reiche 1555-1740: Herrschaft - Gesellschaft - Politik

Der Entschluss zu diesem Buch erfolgte im Herbst 2007 im Wiener Prater. Für die unentbehrliche Hilfe bei der Fertigstellung, die sonst noch länger gedauert hätte, be­ danke ich mich bei Susanne Höll, Barbara Hufnagl, Stephanie-Christina Kaiser, Mar­ garita Kirchner, Maria Lang, Lena Oetzel, Luisa Pichler und Judith Wiesinger. Beson­ deren Dank schulde ich Michael Rohrschneider. Salzburg, im Januar 2012

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © 2012 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt

Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Redaktion: Frank Schlumm, Berlin Einbandgestaltung: schreiberVIS, Bickenbach Satz: Lichtsatz Michael Glaese GmbH, Hemsbach Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany

Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-534-18757-7

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-72880-0 eBook (epub): 978-3-534-72881-7

Inhaltsverzeichnis Geschichte kompakt ....................... . I

Einführung...........................

1. 1555-1740: Konzeption - Epochencharakter - Zäsuren 2. Eine Dynastie - zwei Herrschaftsräume: Interpretationen und Modelle . . . . . . . a) Zwei zusammengesetzte Monarchien. b) Imperium und Großreich .... c) Eine dynastische Agglomeration.. . . 11.

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Herrschaft und Gesellschaft . . . . . . . . . 1. Grundzüge von Bevölkerung und Gesellschaft . a) Demografische Grunddaten . . . . . .

7 7 9 12 15 15 15

b) Ständische Gesellschaftsordnung und soziale Gruppierungen ........

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2. Herrscherpersönlichkeiten - Herrscherversager Herrscherbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die römisch-deutschen Kaiser (1564-1740) b) Die spanischen Könige (1555-1700) 3. Dynastische Politik .. a) Grundzüge .. . . .

28 28 33 37

b) Dynastie-Sicherung c) Eheprojekte. . . . . 4. Regierungssysteme und Ständetum a) Grundzüge der ständischen Partizipation b) Spanische Habsburger . . . . c) Österreichische Habsburger . . . . 5. Religiöse Einheit und Vielfalt . . . . .

37 39 43 46 46 51 54 56

a) Die Ausbreitung der Reformation: Erfolge und Misserfolge . . . . . .

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b) Zwischen Religionsfreiheit und konfessioneller Vereinheitlichung . . . . . . . . . . c) Christianisierung und Missionierung . .

6. Untertanenwiderstand und Revolten . . . . a) Grundzüge des Untertanenwiderstands . b) Revolten im Spanischen Imperium .. c) Revolten in der Habsburgermonarchie

7. Habsburgische Höfe.. . . . . . a) Hof und Herrschaft.. . . . . . b) Hauptstädte und Residenzen . c) Die Höfe als kulturelle Zentren

. . . . . . . . 1. Leitfaktoren der internationalen Politik 2. Krieg und Frieden mit dem Osmanischen Reich

111. Internationale Politik .

a) Grundzüge der osmanischen Expansion ..

60 63 65 65 67 72 76 76 80 82 85 86 88 88 v

Inhaltsverzeichnis b) Die Konflikte mit den spanischen Habsburgern im mediterranen Raum.............

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c) Die Konflikte mit den österreichischen Habsburgern in Südosteuropa ...................

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d) Wege zum Frieden ..................

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3. Die Konflikte mit England vom Herrschaftsantritt Elisabeths . I bis zum Frieden von London(1558-1604) ......

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4. Der habsburgisch-französische Gegensatz vom Frieden von Cateau-Cambresis bis zum Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges(1559-1618) ........

106

5. Dreißigjähriger Krieg und Französisch-Spanischer Krieg (1618-1659) . .......

110

a) Ursachen und Merkmale.

110

b) Verlauf ..........

112

c) Kriegsfolgen .......

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d) Interpretationen der Forschung

119

e) Westfäl ischer Friedenskongress(1643-1648) und Pyrenäenfriede(1659) ...............

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6. Der Kampf gegen die politische Hegemonie Frankreichs (1661-1697) ................

127

7. Im Bann des spanischen Erbes(1665-1740) .

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a) Die Erbfolgefrage ..............

131

b) Der Spanische Erbfolgekrieg(1701-1714)

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c) Die Utrechter Friedensordnung - das Ende des habsburgischen Universalismus

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Literatur .

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Register .

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Geschichte kompakt In der Geschichte, wie auch sonst, dürfen Ursachen nicht postuliert werden, man muss sie suchen. (Marc Bloch) Das Interesse an Geschichte wächst in der Gesellschaft unserer Zeit. His­ torische Themen in Literatur, Ausstellungen und Filmen finden breiten Zu­ spruch. Immer mehr junge Menschen entschließen sich zu einem Studium der Geschichte, und auch für Erfahrene bietet die Begegnung mit der Ge­ schichte stets vielfältige, neue Anreize. Die Fülle dessen, was wir über die Vergangenheit wissen, wächst allerdings ebenfalls: Neue Entdeckungen kommen hinzu, veränderte Fragestellungen führen zu neuen Interpretatio­ nen bereits bekannter Sachverhalte. Geschichte wird heute nicht mehr nur als Ereignisfolge verstanden, Herrschaft und Politik stehen nicht mehr allein im Mittelpunkt, und die Konzentration auf eine Nationalgeschichte ist zugunsten offenerer, vergleichender Perspektiven überwunden. Interessierte, Lehrende und Lernende fragen deshalb nach verlässlicher Information, die komplexe und komplizierte Inhalte konzentriert, über­ sichtlich konzipiert und gut lesbar darstellt. Die Bände der Reihe "Ge­ schichte kompakt" bieten solche Information. Sie stellen Ereignisse und Zusammenhänge der historischen Epochen der Antike, des Mittelalters, der Neuzeit und der Globalgeschichte verständlich und auf dem Kennt­ nisstand der heutigen Forschung vor. Hauptthemen des universitären Stu­ diums wie der schulischen Oberstufen und zentrale Themenfelder der Wissenschaft zur deutschen und europäischen Geschichte werden in Ein­ zelbänden erschlossen. Beigefügte Erläuterungen, Register sowie Litera­ tur- und Quellenangaben zum Weiterlesen ergänzen den Text. Die Lektü­ re eines Bandes erlaubt, sich mit dem behandelten Gegenstand umfas­ send vertraut zu machen. "Geschichte kompakt" ist daher ebenso für eine erste Begegnung mit dem Thema wie für eine Prüfungsvorbereitung geeig­ net, als Arbeitsgrundlage für Lehrende und Studierende ebenso wie als an­ regende Lektüre für historisch Interessierte. Die Autorinnen und Autoren sind in Forschung und Lehre erfahrene Wis­ senschaftlerinnen und Wissenschaftler. Jeder Band ist, trotz der allen ge­ meinsamen Absicht, ein abgeschlossenes, eigenständiges Werk. Die Reihe "Geschichte kompakt" soll durch ihre Einzelbände insgesamt den heutigen Wissensstand zur deutschen und europäischen Geschichte repräsentieren. Sie ist in der thematischen Akzentuierung wie in der Anzahl der Bände nicht festgelegt und wird künftig um weitere Themen der aktuellen histori­ schen Arbeit erweitert werden. Kai Brodersen Martin Kintzinger Uwe Puschner Volker Reinhardt

VII

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Habsburgs Reiche um 1600 (vereinfachte Darstellung, Vorlage: Strohmeyer, 2010, 43) Österreichische Habsburger 1. Erbländer, Böhmen, Ungarn, Heiliges Römisches Reich Spanische Habsburger 2. Spanien 3. Balearen, Mailand, Neapel, Sardinien, Sizilien, nordafrikanische Stützpunkte (z. B. Tanger, Ceuta, Melilla) 4. (Spanische) Niederlande

5. Portugal 6. Atlantikinseln (Azoren, Kanaren, Kapverden, Madeira) 7. Hispanoamerika, Philippinen

8. Portugiesisch-Brasilien 9. Portugiesisch-Afrika (z. B. Elmina, Luanda, Malindi, Mombasa, Mozambique) 10. Portugiesisch-Indien (z. B. Calicut, Colombo, Diu, Goa, Hormus Macao, Makassar, Malakka, Mumbai, Tidore)

I. Einführung 1469

Heirat Ferdinands 11. von Aragon mit Isabella von Kastilien verknüpft die Länder der Krone Aragons und Kastiliens

1492

Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus - Beginn des spanischen Kolonialismus

1496/97

"Spanische Doppelhochzeit" verknüpft das Haus Habsburg mit der spanischen Herrscherdynastie Trastamara

1500

Geburt Karls V. (Universalerbe der Habsburger und Trasta­ mara)

1521/22

Verträge von Worms und Brüssel: Kaiser Karl V. überträgt

1526

Wahlen Ferdinands I. zum König von Böhmen und Ungarn

seinem Bruder Ferdinand I. die Erbländer 1555

Beginn des Rückzugs Karls V. aus der Politik - Spaltung des habsburgischen Universalreichs in einen spanischen und einen österreichischen Herrschaftsraum

1580-1640/68

Iberische Union des spanischen und portugiesischen Impe­ riums

1665

Wiedervereinigung aller Teilreiche der österreichischen

1683-1699

Siege im Großen Türkenkrieg - Aufstieg der Habsburger­

Habsburger durch Leopold I. monarchie zur Großmacht

1700 Aussterben der spanischen Habsburger im Mannesstamm 1701-1713/14 Spanischer Erbfolgekrieg - Friede von Utrecht, Rastatt und Baden (Teilung des Spanischen Imperiums zwischen Habs­ burgern und Bourbonen) 1740

Tod Karls VI. - Ende des habsburgischen Universalismus

1. 1555-1740: Konzeption - Epochencharakter - Zäsuren Am 25. Oktober 1555 fand in Brüssel ein Ereignis statt, für das es in der Ge­ schichte nur wenige Parallelen gibt: Ein Herrscher, Karl V.

(1500/19-1558),

Universalreich Karls V.

dankte freiwillig ab. Was hatte ihn dazu bewogen? Der Habsburger war einer der mächtigsten Monarchen seiner Zeit; aufgrund einer günstigen dy­ nastischen Konstellation hatte er Anfang des

16. Jahrhunderts ein Weltreich

geerbt, das neben den österreichischen Ländern die Niederlande, die spani­ schen Königreiche Kastilien und Aragon samt Nebenländern, in Italien Mai­ land, die Königreiche Neapel (umfasste ganz Süditalien), Sardinien und Sizi­ lien, ausgedehnte Besitzungen in Amerika sowie einige Stützpunkte an der nordafrikanischen Küste umfasste. Seit

1519 war er zudem gewählter Kaiser

(Krönung 1530) und damit Oberhaupt des Heiligen Römischen Reichs. Die­ ses Universalreich war kein geschlossener "Superstaat" und auch kein Staa­ tenverbund wie die heutige Europäische Union, sondern ein Konglomerat

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Einführung "

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heterogener Teilreiche, die Karl zu einer Gesamtheit verband, da er über sie Herrschaftsrechte besaß.

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Heiliges Römisches Reich (deutscher Nation) Das Heilige Römische Reich war ein ausgeprägt dezentrales, föderatives Gebilde, das sich aus einer Vielzahl politischer Einheiten zusammensetzte, die jeweils von einer eigenen Territorialobrigkeit (Landesfürst, reichsstädtischer Magistrat) regiert wurden. Es überwölbte als Dachverband Territorien (z. B. Bayern), die für sich Merkmale damaliger Staatlichkeit entwickelt hatten, war jedoch kein Staat. Die Frage, ob es als Gesamtheit ebenfalls frühe staatliche Merkmale aufwies und als "Reichs-Staat" verstanden werden kann, war in den letzten jahren Gegenstand einer Forschungskontroverse und wird mehrheitlich verneint. Der Zusatz "deut­ scher Nation" wurde im 15. jahrhundert beigefügt und bezeichnete einschrän­ kend die deutschen Teile einschließlich Savoyens im Unterschied zu den Gebie­ ten in Ober- und Mittelitalien ("Reichsitalien") sowie Burgund. Seine Grenzen sind nicht linear zu sehen, denn vor allem im Süden und Westen gab es breite Randzonen mit Bereichen unvollständiger Eingliederung. Ebenso wenig darf es als früher Nationalstaat der Deutschen missverstanden werden, denn der Länder­ komplex war per se übernational angelegt - multilingual und gleichzeitig nicht alle deutschsprachigen Gebiete beinhaltend. Zusammengehalten wurde er durch übergreifende Institutionen: die Versammlungen der Reichsstände (Reichstage und gemeinsame Gerichtshöfe) und vor allem das Reichsoberhaupt, den von den Kurfürsten auf Lebenszeit gewählten römisch-deutschen König bzw. Kaiser. Mit der Würde war viel Prestige verbunden, jedoch nur wenig konkrete Herrschafts­ gewalt. Um wirksam regieren zu können, musste der Kaiser mit den Reichsstän­ den (Kurfürsten und Reichsfürsten) zusammenarbeiten (Kap.

11.4). In der Historio­

grafie kann man einen Wandel von der ablehnenden Haltung gegenüber dem Reich im 19. und 20. jahrhundert (begründet durch den fehlenden preußisch­ kleindeutschen Charakter) hin zu einer besonderen Wertschätzung seit den 1970er jahren hinsichtlich der föderalen Rechts- und Friedensordnung nachzeich­ nen. Rückzug Karls V.

Der Rückzug des Habsburgers aus der großen Politik begann im Sommer

aus der Politik

1555, als er bekannt gab, als Kaiser abdanken zu wollen. Wenig später über­ gab er seinem Sohn Philipp 11. (1527/55-1598) die Herrschaft über die Nie­ derlande. Im folgenden Jahr trat er ihm die spanischen, italienischen und nordafrikanischen Gebiete sowie die Besitzungen in der Neuen Welt ab. Die Demission als Kaiser erwies sich als kompliziert, denn reichsrechtlich war Karl dazu gar nicht befugt. Erst 1558, wenige Monate vor seinem Tod, nachdem die Kurfürsten zugestimmt hatten, folgte ihm sein Bruder Ferdi­ nand I. (1503/58-1564) offiziell auf den Thron. Seine letzten Lebensjahre verbrachte Karl V. zurückgezogen in einem kleinen, neben einem Kloster ge­ legenen Palast in San Jeronimo de Yuste in Spanien.

Beweggründe

Über die Gründe des Machtverzichts spekulierten viele Historiker. Der Habsburger selbst verwies auf seine angegriffene Gesundheit. Einen gewich­ tigen Grund bildete ferner der Ausgang des Glaubenskonflikts im Heiligen Römischen Reich, denn der Augsburger Religionsfrieden 1555 beendete mit der reichsrechtlichen Anerkennung des Luthertums die Einheit der Kirche; eine Entwicklung, die der strenggläubige Habsburger nicht mittragen wollte. Zu nennen sind ferner Finanzprobleme, die zermürbenden Auseinanderset­ zungen mit Frankreich und die sich abzeichnende Kinderlosigkeit der Ehe seines Sohnes Philipp mit der englischen Königin Maria Tudor ("Bloody

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1555-1740: Konzeption - Epochencharakter- Zäsuren -------

Mary", 1516/53-1558). Insgesamt dürften alle Faktoren zusammen zu einer allgemeinen Regierungsmüdigkeit geführt haben. Mit seinem Rückzug zerbrach das habsburgische Universalreich in zwei Teile (Karte: Die Habsburger Reiche um 1600, S. VIII): Die spanische Linie

Spaltung des Universalreichs

der Dynastie mit Philipp 11. als Oberhaupt beherrschte die Gebiete auf der Iberischen Halbinsel und in Italien, die Niederlande, die Stützpunkte an der nordafrikanischen Küste sowie die Kolonien in Übersee. 1580 kamen durch Erbschaft Portugal und dessen Kolonialreich in Südamerika (Portugiesisch­ Brasilien), Afrika und Asien hinzu (Iberische Union, 1580-1640/68). Das Herz bildete das bevölkerungsreiche Kastilien (ca. 400.000 km2), dessen König besonders viel Macht besaß und das für die Finanzen von entschei­ dender Bedeutung war. Der Herrschaftsbereich des österreichischen bzw. deutschen Zweigs mit Ferdinand I. an der Spitze war deutlich kleiner: Das Zentrum bildeten die Erbländer (ca. 103.000 km2), dazu kamen die König­ reiche Böhmen (ca. 127.000 km2) und Ungarn (ca. 350.000 km2), das aller­ dings größtenteils von den Osmanen besetzt war, mit ihren Nebenländern. Der Habsburger war außerdem Kaiser und Oberhaupt des Heiligen Römi­ schen Reiches. Erbländer Der Begriff ,,(habsburgische) Erbländer" bezeichnet die von der österreichischen Linie der Habsburger kraft des Erbrechts regierten, zum Heiligen Römischen

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Reich gehörenden Territorien: Im 16. jahrhundert waren dies das Erzherzogtum Österreich, die Herzogtümer Steiermark, Kärnten und Krain, die Grafschaft Tirol und die Vorlande (Streubesitz in Süddeutschland) sowie einige kleinere Gebiete an der Grenze zwischen Italien und Slowenien. Das Erzherzogtum Österreich und das Herzogtum Steiermark befanden sich seit dem späten 13. jahrhundert un­ ter habsburgischer Herrschaft, später kamen hinzu: Kärnten und Krain 1336, Tirol

1363. Das Erzherzogtum Österreich spaltete sich seit dem Spätmittelalter in zwei politisch-verfassungsrechtlich zunehmend selbstständige Einheiten: Österreich unter der Enns (heute Niederösterreich) und Österreich ob der Enns (weitgehend identisch mit dem jetzigen Bundesland Oberösterreich). 1627 wurde das König­ reich Böhmen mit den vier Nebenländern Mähren, Schlesien, Ober- und Nieder­ lausitz ebenfalls "Erbland". Nicht zu den Erbländern gehören die im 14. und

15. jahrhundert verlorengegangenen Schweizer Stammgebiete der Dynastie, die Länder der Ungarischen Krone und die Besitzungen der spanischen Linie, in de­ nen die Habsburger jedoch ebenfalls kraft des Erbrechts regierten.

Aus innerfamiliären Gründen und aufgrund des ständig vorhandenen Expan­

Scheitern der Ein­

sionsdrangs der Dynastie hatte Karl 1521/22 in den Verträgen von Worms

heitsbemühungen

und Brüssel die Herrschaft über die Erbländer Ferdinand übertragen, was ei­

Karls V.

gentlich in Widerspruch zu seinen universalen Ambitionen als Monarch stand. Wegen deren Zugehörigkeit zum Heiligen Römischen Reich blieb er als Kaiser freilich oberster Lehensherr seines Bruders, wodurch sein Univer­ salanspruch grundsätzlich gewahrt blieb. Der Vorgang war dennoch äußerst folgenreich, denn er förderte die Selbstständigkeit der nun territorial ausge­ statteten österreichischen Linie. Damit wies das Universalreich Karls unmit­ telbar nach seiner Entstehung eine Bruchstelle auf. Der Habsburger ver­ suchte im Laufe seiner Herrschaft vergeblich, eine Teilung zu verhindern, scheiterte jedoch, da u.a. der österreichische Zweig nicht bereit war, den damit verbundenen Machtverlust hinzunehmen. Karl V. blieb daher der ein-

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Einführung "

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zige Habsburger, der die spanischen Reiche beherrschte und gleichzeitig die Kaiserkrone trug. Die Spaltung des Universalreichs war Folge eines dy­

nastischen overstretch: Um in allen Teilen an die Herrschaft zu gelangen und weiter expandieren zu können, hatte Karl seinem Bruder die Erbländer übertragen müssen, genau dadurch jedoch jenen Partikularismus der Dyna­ stie herbeigeführt, der die Einheit des Herrschaftsraumes über seinen Tod hi­ naus verhinderte. 1555 und 1740

Das Ereignis gilt jedoch nicht nur in der habsburgischen Geschichte als

als Zäsur

Zäsur, sondern ganz allgemein als Wendepunkt der europäischen Ge­ schichte. Von nun an sei klar gewesen, dass sich "die aufbrechende euro­ päische Staatenvielfalt nicht durch ein übergreifendes ideologisch be­ gründetes Einheitskonzept ordnen ließ" (Schilling, 2007, 3). In der Ideen­ weit der Habsburger wie ihrer Gegner lebte die Vorstellung eines durch die Vereinigung der Teillinien entstehenden Universalreichs allerdings noch lange fort. So waren auch die Beziehungen zwischen beiden Herrschaftsbe­ reichen in der zweiten Hälfte des 16. wie im 17. Jahrhundert ausgesprochen intensiv. Als sich schließlich vor 1700 das Aussterben der spanischen Habs­ burger im Mannesstamm abzeichnete, flammte der Universalismus wieder auf, denn eine Vereinigung der beiden Herrschaftsräume durch Karl VI.

(1685/1711-1740) schien greifbar nahe. Der Spanische Erbfolgekrieg (1701-1714) zeigte freilich, dass eine Zusammenführung nicht mehr durch­ setzbar war. Gleichwohl hielt der Habsburger noch über Jahre hinaus an dieser Vision fest (Kap. 11.2). Erst mit seinem Tod 1740 starb der habsburgi­ sche Universalismus, der zu diesem Zeitpunkt realpolitisch nicht mehr als eine Fiktion war. Im sogleich ausbrechenden Österreichischen Erbfolgekrieg

(1740-1748) kämpfte seine Tochter und Nachfolgerin Maria Theresia (1717/40-1780) nicht mehr um das spanische Erbe oder die Errichtung eines Universalreichs, sondern um das politische Überleben. Damit sind die zeitlichen Grenzen dieses Buches markiert: Es beginnt mit der Spaltung des Universalreichs Karls V. 1555 und gelangt mit dem Tod Karls VI. 1740, der den habsburgischen Universalismus für immer beendete, zum Abschluss. Es setzt damit den in dieser Reihe erschienenen Band "Habsburgs europäische Herrschaft. Von Karl V. bis zum Ende des 16. Jahr­ hunderts" der Berliner Historikerin Esther-Beate Körber (geb. 1957) fort, der sich vorrangig mit der Regierungszeit Karls V. beschäftigt. Der Beginn 1555 ist somit auch pragmatischen Gründen geschuldet. Aufbau und

Das Buch ist folgendermaßen aufgebaut: Das zweite Kapitel von Teil I

Gliederung

stellt die Herrschaftsräume der spanischen und österreichischen Habsburger

des Buches

in ihren Grundzügen vor, wobei verschiedene Perspektiven eingenommen und grundlegende Modelle der Forschung aufgezeigt werden. Teil 11 widmet sich den inneren Verhältnissen, in erster Linie strukturierenden politischen, sozialen, administrativen und dynastischen Faktoren. Methodisch geht es dabei - entsprechend dem komplizierten Verhältnis von Einheit und Ver­ knüpfung der beiden Herrschaftsräume - um Beziehungen wie um ver­ gleichende Gegenüberstellungen. Teil 111 stellt das Mit- und Nebeneinander in der internationalen Politik in den Mittelpunkt.

Bedeutung einer

Eine solche Darstellung muss angesichts des ausgedehnten Wirkungsbe­

übernational-globa­

reichs der Dynastie übernational angelegt sein. Dabei ist jedoch auch Eu­

len Perspektive

4

ropa als Bezugspunkt unzureichend, denn die Habsburger regierten ebenso

1555-1740: Konzeption - Epochencharakter- Zäsuren -------

über Gebiete in Asien, Afrika und Amerika. Gedacht und gehandelt wurde lokal, regional, europäisch und weltumspannend, weshalb es unumgänglich ist, die globalen Dimensionen einzubeziehen. Der Zeitraum zwischen 1555 und 1740 bildet die Kernphase der Frühen Neuzeit. Diese dynamische, von der Verwobenheit von Alt und Neu ge­ kennzeichnete, Epoche reicht etwa von 1500 bis 1800. In vielfacher Hin­ sicht erscheint sie uns als "fremd", jedoch begannen bzw. schritten grundle­ gende Entwicklungen entscheidend voran, deren Folgen das Gesicht Euro­ pas wie der Welt bis heute prägen. Besonders hervorzuheben sind folgende Prozesse, die in dieser Darstellung zur Orientierung dienen: • Herrschaftsverdichtung. Zu Beginn der Epoche gab es noch keine "Staa­ ten" im modernen Sinn, d. h. mit linearen Grenzen, einer Staatsnation und einer souveränen Staatsgewalt. Die Staatsbildung stand erst am An­ fang. Dafür grundlegende Vorgänge wie die Intensivierung von Herrschaft und die Diskussionen über ihre Begrenzung wurden durch die oftmals in religionspolitischen Differenzen begründeten Untertanenkonflikte, die zwischen 1550 und 1650 in vielen Teilen Europas stattfanden, erheblich beschleunigt. Fördernd wirkten auch Kriege und der Aufbau effizienter Militärapparate mit stehenden Heeren. In der Folge differenzierten sich die Herrschaftsformen: In England und Polen etablierten sich gemischte politische Systeme, in denen neben dem Monarchen die politischen Stände - Versammlungen besonders privilegierter Untertanen - großen Einfluss besaßen. Demgegenüber konstituierten sich in Venedig, der Schweiz und den Niederlanden republikanische Verfassungen. In den beiden habsburgischen Herrschaftsräumen kam es, wie in Frankreich und Dänemark, zur Konzentration wesentlicher Kompetenzen in den Händen eines Monarchen. Eine Sonderentwicklung vollzog sich im Heiligen Rö­ mischen Reich, wo staatsbildende Prozesse in erster Linie auf territorialer Ebene abliefen. Eine beide habsburgischen Herrschaftsbereiche integrie­ rende Staatsbildung fand nicht statt. Dieser Themenkomplex steht im Mit­ telpunkt von Teil 11, vor allem in den Kapiteln, die sich mit den Regierungssystemen und dem Ständetum (Kap. 11.4), der Verknüpfung von Religion und Politik (Kap. 11.5), dem Untertanenwiderstand (Kap. 11.6) und den Höfen (Kap. 11.7) beschäftigen. • Stabilisierung des europäischen Staatenpluralismus: Versuche einzelner europäischer Mächte oder Dynastien zur Errichtung eines Universalreichs oder zu umfassender Dominanz scheiterten. Stattdessen setzte sich das Prinzip einzelstaatlicher Souveränität durch, was im Widerspruch zu den universal-dynastischen Vorstellungen der Habsburger stand. Die Verhin­ derung der von Habsburgs Gegnern befürchteten Vorherrschaft der Dyna­ stie förderte die Bellizität der Epoche (Teil 111). • Verzahnung von Religion und Politik: Religion und Politik waren die ge­ samte Epoche über - für unsere moderne westliche Gesellschaft nicht im­ mer leicht nachvollziehbar - miteinander untrennbar verknüpft. Beson­ ders intensiv war diese Verbindung im "konfessionellen Zeitalter", also von der Veröffentlichung der Thesen Martin Luthers 15 17 bis zum West­ fälischen Frieden 1648, als sich rivalisierende Glaubensrichtungen etab­ lierten und die religiöse Einheit der lateinischen Christenheit beendeten. Das daraus resultierende Konfliktpotenzial führte innerhalb der im Entste-

Epochenmerkmale 1555-1740 Andersartigkeit

Herrschafts­ verdichtung

Stabilisierung des Staatenpluralismus

Verzahnung von Religion und Politik

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Einführung "

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hen befindlichen Staaten wie auch zwischen diesen zu schweren Ausei­ nandersetzungen. Der Dreißigjährige Krieg ist dafür ein Beispiel (Kap.

111.5). Besonders tief gehend waren die religionspolitischen Auseinander­ setzungen dort, wo der Herrscher einer anderen Glaubensrichtung ange­ hörte als einflussreiche Eliten. Während die spanischen Habsburger mit diesem Phänomen vornehmlich in den Niederlanden konfrontiert waren, wurde der Herrschaftsraum der österreichischen Linie davon fast vollstän­ dig erfasst (Kap. 11.6). Eine weitere Dimension des Zusammenhangs von Religion und Politik veranschaulichen die Beziehungen zum Osmani­ schen Reich (Kap. 111.2). Bevölkerungs­



Bevölkerungswachstum: In der Mitte des 15. Jahrhunderts setzte in Europa ein Bevölkerungswachstum ein, das im späteren 18. und 19. Jahrhundert

wachstum

nochmals eine Beschleunigung erfuhr. Lebten in Europa um 1500 rund 81 Millionen Menschen, waren es um 1750 bereits rund 140 Millionen, 1850 ca. 266 Millionen und 1950 in etwa 576 Millionen. Dieser Prozess wurde in vielen Teilen der beiden habsburgischen Herrschaftskomplexe im 17. Jahrhundert durch Phasen der Stagnation oder sogar des Rückgangs unterbrochen (Kap. 11.1). Kolonialismus und europäische Expansion



Kolonialismus und europäische Expansion: Im weiten Sinn wird unter Ko­ lonialismus die Kontrolle einer Gesellschaft über eine fremdartige andere verstanden, wobei politische, wirtschaftliche, technologische, militäri­ sche und ideologische Entwicklungsdifferenzen ausgenützt werden. Der Kolonialismus im Zuge der europäischen Expansion begann im frühen

15. Jahrhundert mit dem Ausgreifen Portugals nach Afrika. Er wurde ab 1492 von Kastilien, dann vor allem von Frankreich, England und den Nie­ derlanden fortgesetzt. Es handelte sich um einen Fundamentalprozess von weltgeschichtlicher Bedeutung, der weite Teile der Erde intensiven europäischen Einflüssen aussetzte und zur Bildung weltumspannender Kolonialreiche, zu transkontinentalen Massenmigrationen sowie zu glo­ balen ökonomischen Vernetzungen führte. Die spanischen Habsburger waren an ihm maßgeblich beteiligt, beherrschten sie doch eines der größ­ ten und dauerhaftesten Kolonialreiche der Weltgeschichte. Die österrei­ chische Linie hingegen konzentrierte sich auf den europäischen Raum. Diese globale Dimension habsburgischer Geschichte wird in Teil 11 vor al­ lem in den Abschnitten über Bevölkerung und Gesellschaft (Kap. 11.1), die Regierungssysteme (Kap. 11.4) sowie den Themenkomplex Religion und Politik (Kap. 11.5) berücksichtigt. Da es in der behandelten Epoche kaum einen Krieg gab, in dem die Kolonien keine Rolle gespielt hätten, werden diese auch in Abschnitt 111 thematisiert. Weitere Merkmale

Neben diesen Entwicklungen fanden in der Frühen Neuzeit noch weitere grundlegende Prozesse statt, die hier jedoch aus Platzgründen nur punktuell berücksichtigt werden können. Dies sind etwa der Übergang von der Sub­ sistenz- zur Marktwirtschaft, ein enormer Aufschwung von Handel und Ge­ werbe, nicht zuletzt aufgrund der Expansion nach Übersee, ein tiefgehen­ der Wandel der Wissenskulturen sowie die durch die Erfindung des Buch­ drucks mit beweglichen Lettern ausgelöste "Kommunikationsrevolution". Dieses Buch bietet somit keinen vollständigen Überblick, sondern einen Einblick.

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Eine Dynastie - zwei Herrschaftsräume -------

2.

Eine Dynastie - zwei Herrschaftsräume: Interpretationen und Modelle

a) Zwei zusammengesetzte Monarchien Die zusammengesetzte Monarchie bzw. Mehrfachherrschaft ist seit den

Begriffsbestimmung

1990er-jahren eines der zentralen Modelle zur Analyse frühneuzeitlicher Staatlichkeit. Gemeint sind Herrschaftskomplexe, die aus zwei oder mehre­ ren Territorien bzw. Ländern bestanden, die ein und derselbe Monarch re­ gierte. Dieser bildete die zusammenhaltende Klammer der rechtlich, wirt­ schaftlich sowie kulturell oftmals sehr heterogenen Teile. Räume dieser Art finden sich im frühneuzeitlichen Europa häufig, beispielsweise Großbritan­ nien, die Niederlande und Polen-Litauen. Selbst das hochzentralisierte Frank­ reich war eine zusammengesetzte Monarchie, da Gebiete am Rand lange einen Sonderstatus besaßen. Blieben diese einzelnen Teile aufgrund der fort­ dauernden Herrschaft einer Dynastie über mehrere Generationen verknüpft, fand mitunter eine Nivellierung bis hin zur Bi Idung eines Nationalstaates statt. Eine solche Entwicklung konnte viele jahrhunderte in Anspruch nehmen. Beide habsburgischen Herrschaftskomplexe lassen sich als zusammenge­ setzte Monarchien verstehen. In der Spanischen Monarchie waren sogar die

Spanische Monarchie

geografisch benachbarten Königreiche Kastilien und Aragon durch adminis­ trative, sprachlich-kulturelle und wirtschaftliche Unterschiede getrennt. Zu­ dem blieben einige Gebiete mit Regionen eng verbunden, die nicht zu den Reichen der Habsburger gehörten. So verfügten Burgund und Katalonien über enge Kontakte zu Landschaften in Frankreich. Einige Teile waren be­ reits längere Zeit verbunden: Kastilien, Asturien-Le6n, Sevilla, jaen, C6r­ doba und Murcia etwa gehörten schon seit dem 13. jahrhundert zur Krone von Kastilien. Deutlich heterogener waren die Verhältnisse im Herrschafts­ raum der Krone von Aragon, der im 12. jahrhundert durch die Fusionierung des gleichnamigen Königreichs mit der Grafschaft Katalonien entstanden war. Die Einverleibung der italienischen Königreiche Neapel, Sizilien und Sardinien war zwischen dem 13. und 15. jahrhundert erfolgt. Die aragonesi­ schen Teilreiche waren stärker als die kastilischen auf ihre Unabhängigkeit bedacht, weshalb die interne Annäherung hier geringer war. Darüber hinaus gab es massive Vorbehalte gegen eine feste Verbindung mit den deutlich größeren und ökonomisch überlegenen kastilischen Ländern, die allerdings seit dem 15. jahrhundert von derselben Herrscherdynastie, den Trastamara, regiert wurden. Als einschneidendes Ereignis für das Zusammenwachsen gilt 1469 die Heirat der Katholischen Könige, Ferdinand 11. von Aragon (1452/79-1516) und Isabella von Kastilien (1451/74-1504), die zur Ver­ knüpfung der beiden Königreiche führte. Die Angst vor einer "Kastilisie­ rung" bestand allerdings während der gesamten Regierungszeit der Habs­ burger fort und führte in der Mitte des 17. jahrhunderts sogar kurzfristig zur Loslösung Kataloniens (Kap. 11.6). Neben dieser Heterogenität gab es vor allem in Kastilien Vorstellungen

Zeitgenössische

politischer und kultureller Einheit, die in der Zeit der Römer und Westgoten

Bezeichnungen

wurzelten. Freilich sprachen die Zeitgenossen, wenn sie den Herrschaftsbe-

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I

Einführung "

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reich Philipps 11. meinten, dennoch meist von den "spanischen Reichen". Erst mit Fortdauer seiner Regierung fand die Bezeichnung "Spanische Mo­ narchie" (Monarqura Hispanica, Monarqura Cat6lica) häufiger Verwendung. Der König selbst bezeichnete sich als Rey de Espana oder Rey de las Espa­ nas, wobei nicht nur die Reiche und Kronen auf der Iberischen Halbinsel ge­

meint, sondern auch die Besitzungen in Italien und Übersee eingeschlossen sein konnten. Diese Tendenz, die ein Zusammenwachsen zum Ausdruck brachte, setzte sich nach Philipps Tod 1598 in einem komplizierten und konfliktreichen Prozess des Gegen- und Miteinander fort, ohne zu einer vollständigen Integration zu führen. Da die peripheren Gebiete (Nieder­ lande, Portugal, italienische Provinzen, Territorien in Übersee) sukzessive verloren gingen, konzentrierte sich die Nationalstaatsbildung schließlich auf die Kernländer auf der Iberischen Halbinsel. Herrschaftsraum der

Der Herrschaftskomplex der österreichischen Habsburger lässt sich eben­

österreichischen

falls als zusammengesetzte Monarchie verstehen. Diese bestand aus drei

Habsburger

bzw. vier großen Einheiten, die sich ihrerseits aus mehreren Teilen konsti­ tuierten: •

Erbländer: Die Erbländer bildeten 1555 eine locker verbundene, primär

durch die Dynastie zusammengehaltene Einheit. Aufgrund der schon längere Zeit bestehenden Verklammerung war es vor allem zwischen den drei innerösterreichischen Herzogtümern Steiermark, Kärnten und Krain zu einer gewissen Annäherung gekommen. Ein stellenweise auftretendes übergreifendes Zusammengehörigkeitsgefühl wurde von der älteren For­ schung fälschlicherweise als Ausdruck eines frühen österreichischen Na­ tionalbewusstseins gedeutet. •

Böhmen: Böhmen setzte sich aus den fünf sog. Kronländern zusammen:

dem Königreich Böhmen als Kern, der Markgrafschaft Mähren, dem Her­ zogtum Schlesien sowie den Markgrafschaften Oberlausitz und Nieder­ lausitz. Der seit dem Mittelalter eng verbundene Komplex wurde meist als "Länder der Böhmischen Krone", "Böhmische Kronländer", "Länder der

Wenzelskrone" oder verkürzt nur als "Böhmen ( Cechy)" bezeichnet. Er

gehörte seit 1526 zum Herrschaftsbereich der Habsburger. •

Ungarn: Das Königreich Ungarn war seit Beginn des 12. Jahrhunderts mit

dem Regnum tripartitum (Kroatien, Dalmatien, Slawonien) in Personal­ union verbunden. Die Verknüpfung, die aus ungarischer, nicht jedoch aus kroatischer Sicht als sehr fest galt, bestand, mit einer kurzen Unterbre­ chung um 1848, bis 1918. Der gesamte Komplex gelangte ebenfalls 1526 und nach einigen Wirren endgültig 1540 in die Hände der Habsburger. Zu diesem Zeitpunkt war allerdings ein Großteil von den Osmanen be­ setzt. Realpolitisch beherrschten sie bis zur Rückeroberung im Großen T ürkenkrieg (1683-1699, Kap. 111.2) nur Teile Kroatiens und einen kleinen Gebietsstreifen im Nordwesten, das "Königliche Ungarn". •

Heiliges Römisches Reich: Das Heilige Römische Reich zählte zum Herr­

schaftsbereich der österreichischen Habsburger, da der Kaiser zwischen

1438 und 1806 mit einer kurzen Ausnahme immer aus diesem Zweig der Dynastie stammte. Die Erbländer und (mit Einschränkungen) Böhmen, nicht jedoch Ungarn, gehörten dazu und nahmen darin eine Sonderstel­ lung ein, da das territoriale Oberhaupt, der Landesfürst bzw. König, mit der Person des Kaisers häufig identisch war. Aufgrund der relativ schwa-

8

Eine Dynastie - zwei Herrschaftsräume -------

chen Position des Kaisers kann das Reich nur mit Einschränkungen zur zu­ sammengesetzten Monarchie der österreichischen Habsburger gezählt werden. Da sich das Primogeniturrecht (Vorrecht des Erstgeborenen bei der Erbfolge) zu Beginn der hier behandelten Epoche noch nicht durchgesetzt hatte, wurde der Herrschaftskomplex der österreichischen Habsburger nach dem Ableben Ferdinands I. 1564 unter dessen drei Söhnen aufgeteilt. Erst 1665, unter Kaiser Leopold 1., war der Gesamtbesitz des Zweiges wieder in einer Hand vereint, und zwar nun dauerhaft bis 1918. Im Herrschaftsbereich der spanischen Linie fanden keine analogen Teilungen statt. Ein Versuch an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert, in den südlichen (Spanischen) Nieder­ landen eine mit weitreichenden Souveränitätsrechten ausgestattete Neben­ linie einzurichten, scheiterte (Kap. 11.3). Die Zeitgenossen hatten für den heterogenen Länderkomplex der öster­ reichischen Linie lange Zeit keine einheitliche Bezeichnung. Die Habsburger selbst sprachen zunächst gerne von ihren "Erbkönigreichen, Fürstentümern und Ländern". Erst mit der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert, möglicher­ weise beeinflusst von der Entwicklung in Spanien, häuften sich die zusam­ menfassenden Begriffe Monarchia Austriaca bzw. "Österreichische Monar­ chie". Sie inkludierten nicht das Heilige Römische Reich, das zwar in der Politik der habsburgischen Kaiser einen nicht zu unterschätzenden Bezugs­ punkt bildete, spätestens ab der Mitte des 17. Jahrhunderts jedoch in seiner Bedeutung meist hinter dem Hausbesitz rangierte (Kap. 11.4). Aber auch ohne das Hei I ige Römische Reich gelang die staat I iche Integration der Habsburger­ monarchie nur unvollständig. So konnten zwar Böhmen und Mähren im Ver­ lauf des Dreißigjährigen Krieges fester eingebunden werden, Ungarn besaß jedoch die gesamte Neuzeit über eine Sonderstellung. 1918 brach das Län­ derkonglomerat schließlich auseinander. Aus diesem Grund fand auch keine mit dem Herrschaftsbereich der spanischen Habsburger vergleichbare Natio­ nalstaatsbildung statt, denn aus der Donaumonarchie ging eine Reihe von Staaten hervor, darunter als kleiner Rest die Repub I ik Österreich.

Zeitgenössische Bezeichnungen

b) Imperium und Großreich Trotz dieses unterschiedlichen Verlaufs der Staatsbildung lassen sich somit beide habsburgischen Herrschaftsräume als zusammengesetzte Monarchien verstehen. In beiden Komplexen verknüpfte die Dynastie in vielfacher Hin­ sicht heterogene Bestandteile, die seit dem Mittelalter, beschleunigt in der Neuzeit, zusammenwuchsen - manchmal mehr, manchmal weniger dauer­ haft. Das Modell besitzt jedoch auch Nachteile, denn die Konzentration auf interne Integrationsprozesse birgt die Gefahr, die Außenbeziehungen und die­ jenigen Regionen aus den Augen zu verlieren, deren dauerhafte Eingliederung scheiterte. Bei den österreichischen Habsburgern gilt das vor allem für das Heilige Römische Reich, das dementsprechend in vielen Gesamtdarstellun­ gen ihres Herrschaftsraumes keine Beachtung findet, beim spanischen Zweig in erster Linie für die italienischen Provinzen und die Gebiete in Übersee so­ wie für Portugal und dessen Kolonialreich. Es ist jedoch sinnvoll, auch diese Regionen zu berücksichtigen. Dafür eignet sich das Modell des Imperiums.

Zusammengesetzte Monarchie: Kritik

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I

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I

Einführung "

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Begriffsbestimmung

Im Kern werden unter Imperien großräumige, über einen längeren Zeit­ raum bestehende Machtakkumulationen verstanden, die sich aufgrund ihrer gewaltigen Ausdehnung,

der inneren Organisation

(Ausbildung eines

Zentrums und einer Peripherie) und des außenpolitischen Verhaltens von Nationalstaaten unterscheiden. Von diesem grundlegenden Verständnis aus­ gehend, ist eine genauere Bestimmung notwendig, da der Begriff häufig un­ reflektiert verwendet wird. Folgt man der Definition des Berliner Politikwis­ senschaftlers Herfried Münkler (geb. 1951), dann zählen zu ihren weiteren Merkmalen das Fehlen klarer Grenzen und ein Überlegenheitsgefühl der Be­ wohner oder zumindest der herrschenden Schichten. Weitere Kennzeichen sind das Selbstverständnis, eine "imperiale Mission" zu erfüllen und eine be­ stimmte Weltanschauung zu verbreiten, sowie, damit in Zusammenhang, Rechtfertigungsideologien wie die Stiftung von Frieden und die Steigerung des Wohlstands. Entwicklungsgeschichtlich folgt bei Imperien nach einer kurzen und dynamischen Phase des Aufstiegs oftmals eine lange Periode des Niedergangs, an die sich wieder eine Aufwärtsentwicklung anschließen kann. Typische Imperien waren aus dieser Perspektive das Imperium Roma­

num, das Chinesische Reich und das British Empire. Imperium und zusam­ mengesetzte Monarchie schließen einander nicht grundsätzlich aus, denn es konnte durchaus sein, dass sich beide Formen politischer Ordnung in einem Raum überlagerten. Die Habsburger

Während der Herrschaftsbereich der österreichischen Habsburger u. a.

Reiche: Imperien?

aufgrund der zu geringen geografischen Ausdehnung nicht als vollwertiges Imperium verstanden werden kann, nach den Gebietsgewinnen im Großen T ürkenkrieg aber immerhin ein Großreich mit imperialen Merkmalen bildete, sind beim Länderkomplex der spanischen Linie alle Kennzeichen vorhanden: Er besaß die gesamte Frühe Neuzeit über globale Dimensionen und war trotz flächenmäßiger Veränderungen politisch stabil. Zumindest in Teilen der spanischen Gesellschaft herrschte ein von einer tiefgehenden Ka­ tholizität getragenes Überlegenheitsgefühl und damit in Zusammenhang der Drang zur Verbreitung des Glaubens. Der Imperialität entsprachen ferner die unter den spanischen Königen verbreitete Idee der Universalmonarchie, die bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts zu beobachtende Hegemonialpolitik sowie die Divergenz politischer, kultureller, wirtschaftlicher und sprachli­ cher Grenzen. Nach dem dynamischen Aufschwung unter Karl V. folgten unter Philipp 11. die Konsolidierung und im 17. Jahrhundert aufgrund vielfäl­ tiger politischer und ökonomischer Krisen sowie eines Bevölkerungsrück­ gangs ein Verlust an Imperialität, die nach der Herrschaftsübernahme der Bourbonen 1700 wieder zunahm.

E

Universalmonarchie

(Monarchia universalis)

Im 16. und 17. Jahrhundert war in Europa die Idee der Universalmonarchie weit verbreitet. Dabei handelte es sich um eine aus dem Mittelalter übernommene, auf römisch-christlichen Traditionen fußende Vorstellung großräumiger politischer Ordnung, die in vielen Varianten in Erscheinung trat. Im Kern war eine über­ greifende Form von Herrschaft gemeint, die einem Universalmonarchen einen äußerst disparat definierten Führungsanspruch gegenüber allen anderen Herr­ schern in einigen Bereichen des politisch-sozialen Lebens zugestand. Dies betraf meist: Schutz der Christenheit, Friedenssicherung, Streitschlichtung zwischen ver­ feindeten Fürsten sowie - sehr sanft - Gesetzgebung und Rechtsprechung. Es gab

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Eine Dynastie - zwei Herrschaftsräume -------

jedoch auch die Ansicht, dem Universalmonarchen gebühre die Vorrangstellung einzig in der Würde. Unklar waren die räumlichen Dimensionen, denn der Be­ griff konnte sich ebenso auf die gesamte Christenheit beziehen, wie auf die drei alten Kontinente (Europa, Asien, Afrika) oder das Territorium des Römischen Reichs. Die Idee der Universalmonarchie war im Mittelalter fast ausschließlich positiv besetzt, bis sich dies im Laufe des 16. Jahrhunderts wandelte. Vor allem Franzosen, Engländer und Niederländer sowie die protestantischen Reichsfürsten wollten sich nicht unterordnen. Sie warfen den Habsburgern vor, ein Universal­ reich errichten und alle anderen unterdrücken zu wollen, nutzten das Argument aber auch propagandistisch-diffamierend.

Für die imperialen Dimensionen des Herrschaftskomplexes der spanischen

Das Spanische

Habsburger sind die Gebiete in der Neuen Welt maßgeblich verantwortlich,

Imperium

die im Rahmen des Kolonialismus einverleibt wurden. Die Initialzündung dafür war 1492 die Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus (1451-1506) im Namen Ferdinands von Aragon und Isabellas von Kastilien. In den folgenden 100 Jahren brachten die Spanier Gebiete unter ihre Ober­ hoheit, die in der Nord-Süd-Ausdehnung 8.000 km umfassten, darunter weite Teile Süd- und Mittelamerikas, der Karibik sowie Regionen der heuti­ gen USA. Als Philipp 11. die Regierung übernahm, war die Phase der großen territorialen Expansion allerdings vorbei, denn in Patagonien, den Tieflän­ dern des Amazonas sowie im Norden Mexikos stieß man auf extrem schwie­ rige klimatische Verhältnisse. In einigen Grenzregionen ging die autoch­ thone Bevölkerung sogar in die Offensive. Der König erließ deshalb 1573 eine umfassende "Regelung zur Entdeckung, Neubesiedlung und Befreiung Westindiens", die nur mehr begrenzt Eroberungen zuließ. Allerdings gelang dem Habsburger mit der Gründung der ersten Dauerniederlassung auf Cebu 1565 (1571 Verlegung nach Manila) die feste Eingliederung zumindest des nördlichen Teils der nach ihm benannten Philippinen (/slas las Felipinas), die bereits unter Karl V. entdeckt worden waren. Der südliche, muslimische Teil des Archipels sollte hingegen nie vollständig unterworfen werden. Aus imperialer Perspektive besonders bedeutend war der Erwerb Portugals nach dem Tod dessen Königs Sebasti1J4o(1554/57-1578). Philipp 11., der mit dem Portugiesen verwandt war, setzte sich in den anschließenden Erbfolge­ streitigkeiten durch und wurde 1580/81 Herrscher über das Land und dessen weltumfassendes Kolonialreich, das sich im Wesentlichen aus strategisch günstig gelegenen Militär- und Handelsstützpunkten in Südostasien, an der Küste Afrikas und Indiens sowie aus Portugiesisch-Brasilien zusammen­ setzte. Der Habsburger musste den Portugiesen bei Regierungsantritt aller­ dings ein hohes Maß an Autonomie gewähren, sonst hätten ihn diese nicht als König akzeptiert, weshalb die beiden Imperien politisch nur locker ver­ bunden blieben, während sie sich auf wirtschaftlicher und kultureller Ebene annäherten und die Außenpolitik koordiniert wurde. Bei seinem anlässlich der Eingliederung gehaltenen Einzug in Lissabon ließ sich Philipp 11. als Weltherrscher feiern. Schmerzhaft war daher der Verlust des Portugiesischen Imperiums, das 1640 seine Trennung proklamierte und diese anschließend in einem 28 Jahre dauernden Unabhängigkeitskampf mit Erfolg behauptete (Kap. 11.6). Das spanische Kolonialreich blieb bis zur politischen Dekoloni­ sation bestehen, die hier an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert ein­ setzte und 1898 mit der Entlassung Kubas in die Unabhängigkeit endete.

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Einführung "

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c) Eine dynastische Agglomeration Imperium: Kritik

Zusammengesetzte Monarchie, Imperium und Großreich sind zwar Mo­ delle, die wichtige Merkmale und Entwicklungsprozesse der beiden Herr­ schaftsräume hervorheben, sie verleiten jedoch zur Vernachlässigung der Einheitlichkeit, die zwar nach dem Ende des Universalreichs Karls V. schwä­ cher wurde, jedoch noch bis zum Ableben Karls VI. 1740 fortbestand. Denn obwohl die Politik zunehmend von den staatspolitischen Interessen der je­ weiligen Herrschaftsräume geleitet wurde, war bei den Habsburgern das Be­ wusstsein, eine Gesamtdynastie zu bilden - das Haus Österreich - allgegen­ wärtig. So unterschieden sich auch die bilateralen Beziehungen zwischen beiden Länderkomplexen aufgrund ihrer Intensität deutlich von denjenigen zwischen befreundeten Mächten, was allerdings nicht bedeutet, dass es keine Differenzen gegeben hätte. Gerade weil die Verbindung besonders eng war, kam es zu Spannungen, die sonst nicht zustande gekommen wä­ ren.

E

Haus Österreich (Casa de Austria) Im 11. und 12. Jahrhundert, als es im europäischen Adel üblich wurde, den Stammsitz zum Leitnamen zu wählen, belegen schriftliche Quellen erstmals einen "Grafen von Habsburg", benannt nach der "Habichtsburg" in der heutigen Schweiz. Die Familie war später mit dieser Namensgebung unzufrieden, denn sie erinnerte an die gräfliche Herkunft des Geschlechts. Aus diesem Grund bürgerte sich seit dem 14. Jahrhundert der vom Herzogtum Österreich abgeleitete Begriff

domus Austriae bzw. "Haus Österreich" ein (span. Casa de Austria, ital. Casa d'Austria, franz. Maison d'Autriche). Dieser Sammelbegriff verband dynastische, politische und geografische Inhalte und brachte eine Gesamtheit von Familie, Be­ sitz und Vermögen zum Ausdruck. In Spanien heißen die Habsburger noch heute "los Austrias". Begriffsbestimmung

Die weiterhin bestehende Zusammengehörigkeit der beiden Herrschafts­ räume wird erkennbar, wenn man sie als eine "dynastische Agglomeration" versteht. Der vor wenigen Jahren in der britischen Historiografie aufgekom­ mene Begriff bezeichnet einen heterogenen Herrschaftsbereich, dessen Be­ standteile im Unterschied zur zusammengesetzten Monarchie nicht von einer Einzelperson, sondern von mehreren Mitgliedern einer Dynastie ver­ knüpft wurden. Als verbindende Klammer wirkte der Familienverband. Der Cambridger Historiker John Morill (geb. 1946) meinte mit Blick auf die eng­ lische Geschichte, dadurch würde eine auf die Staatsbildung reduzierte und somit teleologische, da auf das Endergebnis fixierte Betrachtung verhindert und der Offenheit der historischen Entwicklung besser Rechnung getragen. Familiäre Strukturen müssten stärker berücksichtigt werden, denn bei einem alternativen Ausgang des "dynastischen Roulettes" (unabsehbare Sterbefälle, Geburten, Unfruchtbarkeit, Geisteskrankheiten usw.) wären völlig andere territoriale Konstellationen entstanden als diejenigen, in denen letztlich die Herrschaftsverdichtung zur Entstehung der Monarchie und des National­ staats geführt hätte. In der habsburgischen Geschichte gibt es etliche singuläre dynastische Er­ eignisse, die in dieses Bild passen. So gab es nach 1555 Momente, in denen eine Verschmelzung beider Herrschaftsräume oder zumindest einzelner Teile in greifbarer Nähe schien. Wäre etwa Leopold I. (1640/58-1705) ohne

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Eine Dynastie - zwei Herrschaftsräume -------

männlichen Nachkommen verstorben, hätte der spanische König Karl 11. (1661/65-1700) zumindest die Hauptmasse des Herrschaftsraumes der ös­ terreichischen Linie geerbt. Die Chancen Karls VI., das spanische Erbe zu behaupten, wären deutlich besser gewesen, wäre sein Bruder Joseph I. (1678/1705-1711) nicht im Alter von 33 Jahren ohne männliche Nachkom­ men ein Opfer der Pocken geworden (Kap. 11.2). Habsburgs Regenten ver­ suchten zweifelsohne, ihre zusammengesetzten Monarchien oder Imperien zu zentralisieren, konfessionell zu vereinheitlichen und die einzelnen Teile zu integrieren, sie folgten jedoch ebenso den Familieninteressen und betrie­ ben zu diesem Zweck eine charakteristische dynastische Politik (Kap. 11.3). So war auch das Verhältnis der beiden Zweige enger als dasjenige zwischen den Linien vieler anderer Dynastien, etwa den spanischen und französi­ schen Bourbonen, den Wasa in Schweden und Polen oder zwischen den Wittelsbachern in Bayern und der Kurpfalz. Die dynastische Verflechtung der beiden habsburgischen Zweige hatte weitreichende Folgen und bewirkte eine Vernetzung sozialer Eliten. So be­ fanden sich in den jeweiligen Hofstaaten Adlige aus dem Herrschaftsbereich der Schwesterlinie, die beispielsweise durch Heiraten mit einer Hofdame, durch Belehnungen oder die Aufnahme in einen der Ritterorden zu einer noch festeren Verknüpfung beitrugen. Auch kulturell kam es zu Beeinflus­ sungen, beispielsweise bei der Mode, im Hofzeremoniell, im Spitalswesen, in der Architektur, in der Musik und bei den kirchlichen Orden. Der Kultur­ transfer von Spanien und den Niederlanden in die Habsburgermonarchie war so intensiv, dass seine Folgen in Österreich heute noch leicht zu erken­ nen sind. Ein Beispiel ist die Wiener Hofreitschule, deren berühmte Schim­ mel, die Lipizzaner, im 16. Jahrhundert aus Andalusien und Neapel auf Ver­ anlassung österreichischer Habsburger, die in Spanien gewesen waren, im­ portiert wurden, ein anderes das Kunsthistorische Museum in Wien, dessen Bestände denjenigen des Museo dei Prado in Madrid ähneln. Die bedeu­ tendste barocke Schlossanlage der Steiermark, Schloss Eggenberg bei Graz, ist dem Escorial nachempfunden (Kap. 11.7). Träger dieser Kulturtransferpro­ zesse waren häufig Diplomaten und Adlige. Gefördert wurde der Zusammenhalt durch die internationale Lage, denn die außenpolitischen Interessen deckten sich und führten zur Kooperation. Die Franzosen nahmen deshalb die beiden Herrschaftsräume als Einheit wahr. Freilich gab es zwischen beiden Linien auch Differenzen und Mei­ nungsverschiedenheiten, in den zentralen Themen der internationalen Poli­ tik stimmte jedoch zumindest die Grundrichtung überein (Teil 111): • Religionspolitik: Die spanischen wie die österreichischen Habsburger wa­ ren katholisch. Das gilt selbst für Maximilian 11., der vor allem in frühen Lebensphasen Sympathien für das Luthertum an den Tag legte. Aus die­ sem Grund zählten beide Herrschaftskomplexe in den konfessionspoliti­ schen Auseinandersetzungen des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts zum "katholischen Block", was freilich nicht bedeutet, dass die Bevölke­ rung generell katholisch war und man in Detailfragen immer überein­ stimmte. In den Augen Philipps 11. ging man gegen die Ausbreitung des Protestantismus in den Erbländern nicht konsequent genug vor. Aus Wie­ ner Sicht wiederum war die Religionspolitik des spanischen Königs in den Niederlanden zu wenig kompromissbereit (Kap. 11.5).

Verflechtungen der bei den Herrschafts­ räume

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Einführung " -------



11

Erbfeind" Frankreich: Seit dem 15. Jahrhundert war Frankreich in Europa

neben den Osmanen der Hauptkontrahent. Der Gegensatz verlor erst im •

Verlauf des 18. Jahrhunderts an Wirkungskraft (Kap. 111.4, 6) . "Erbfeind" Osmanen: Der zweite gemeinsame Hauptfeind waren die Os­ manen. Die spanischen Habsburger bekämpften sie in erster Linie im me­ diterranen Raum, die österreichischen in Südosteuropa (Kap. 111.2).

Fazit: multiperspekti­

Die beiden habsburgischen Herrschaftsräume lassen sich demzufolge aus

vische Betrachtung

verschiedenen Perspektiven in den Blick nehmen, wobei jeweils bestimmte Wesenszüge und Entwicklungen hervortreten: Betrachtet man sie, wie die Mehrheit der Historiker, als zwei zusammengesetzte Monarchien, rücken je­ weils die Herrschaftsverdichtung und politische Integration bis hin zur Na­ tionalstaatsbildung in den Vordergrund. Eine Betrachtung als Imperium und Großreich bezieht stärker die Kolonien, die Besitzungen in Italien und die internationale Politik mit ein. Das Modell der dynastischen Agglomeration wiederum hebt den bis zum Tod Karls VI. bestehenden Universalismus mit der dichten Verflechtung beider Räume hervor. Allerdings fand diese Zusam­ mengehörigkeit bislang nicht hinreichend Beachtung, so dass trotz einer umfangreichen Dynastiegeschichtsschreibung noch viel Forschungsarbeit zu leisten ist. Es wurden zwar viele Familiengeschichten verfasst, moderne Gesamtdarstellungen, die beide Herrschaftsräume integrativ betrachten, sind Mangelware.

14

11. Herrschaft und Gesellschaft 1555

Augsburger Religionsfrieden

1561

Madrid wird Hauptstadt des Spanischen Imperiums

1564

Tod Ferdinands I. - Dreiteilung des Herrschaftsbereichs der österreichischen Habsburger

1566/68-1648

Aufstand in den Niederlanden ("Achtzigjähriger Krieg") -

1568-1570

Aufstand der Morisken in Granada

Friede von Münster 1583-1612

Kaiserhof in Prag

1595-1597

Bauernkrieg in Oberösterreich

1604-1606

Aufstand Istvan Bocskais in Ungarn

1609-1614

Vertreibung der Morisken aus Spanien

1609-1621

Zwölfjähriger Waffenstillstand Spaniens mit den nörd­ lichen Niederlanden

1617

Onate-Verträge zur Neuregelung des Verhältnisses der spanischen und österreichischen Habsburger

1618-1620

Aufstand der böhmischen Stände

1619-1626

Aufstand Gabor Bethlens in Ungarn

1620

Niederlage des böhmischen Ständeheeres gegen die habs­ burgisch-katholische Armee in der Schlacht am Weißen Berg bei Prag

1625/26

Bauernkrieg in Oberösterreich

1627/28

Verneuerte Landesordnungen für Böhmen und Mähren

1640-1652

Aufstand der Katalanen

1640-1668

Loslösung Portugals aus dem Spanischen Imperium - Frie­ de von Lissabon (Anerkennung der Unabhängigkeit durch Spanien)

1647/48

Aufstände in Palermo und im Königreich Neapel (Masa­ niello-Aufstand)

1664-1671

Magnatenverschwörung in Ungarn

1671-1711

Kuruzzenkriege in Ungarn - Friede von Szatmar

1674-1678

Aufstand in Messina

1679/80

Böhmische Bauernaufstände

1687

Ungarn wird unwidersprechlich Erbreich

1. Grundzüge von Bevölkerung und Gesellschaft a) Demografische Grunddaten Da man in Europa mit der flächendeckenden Erhebung von Einwohnerstatis­

Schwierigkeit

tiken erst im späten 17. Jahrhundert begann, sind präzise Angaben über die

präziser Daten

Bevölkerungszahlen der habsburgischen Reiche unmöglich. Zur Berech­ nung müssen lückenhafte Tauf- und Sterberegister sowie zeitgenössische Er-

15

11

Herrschaft und Gesellschaft "

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hebungen, etwa der Steuerpflichtigen oder Rekruten, herangezogen werden. Verwendung finden ferner Listen von Häusern und Feuerstellen, die nach der geschätzten Zahl der Bewohner bzw. Nutzer hochgerechnet werden. Eine Hilfe sind außerdem von Philipp 11. in Auftrag gegebene statistische Un­ tersuchungen

de Espafia,

(Relaciones hist6rico-geogrcifico-estadfsticas de las pueblas

1575-1584), die, an zeitgenössischen Maßstäben gemessen,

äußerst modern waren. Spanisches

Demnach lebten in der Mitte des 16. Jahrhunderts, bei einer WeItbevölke­

Imperium

rung von grob geschätzt knapp 600 Millionen Menschen, etwa 90 Millionen in Europa, in den Kernländern des Spanischen Imperiums auf der Iberischen Halbinsel ungefähr 8 Millionen Menschen (Kastilische Länder 6 bis 7 Millio­ nen, Länder der Krone von Aragon gut 1 Million, Navarra 150.000), in den italienischen Provinzen ca. 4 Millionen, in den Niederlanden rund 3 Millio­ nen und in Hispanoamerika um 9 Millionen (Tab. 1, S. 18). Zahlenmäßig kaum ins Gewicht fallen die Stützpunkte an der nordafrikanischen Küste. Ins­ gesamt beheimatete das Spanische Imperium beim Herrschaftsantritt Phi­ lipps 11. somit rund 24 Millionen Menschen. 1580/81 kamen durch den Er­ werb Portugals nochmals etwas mehr als 1,5 Millionen hinzu. Fast unmög­ Iich sind verlässliche Zahlen für das portugiesische Kolonialreich, das bis auf wenige Ausnahmen wie Portugiesisch-Brasilien oder mit Einschränkungen Ceylon und Ostafrika aus Militärstützpunkten und Handelsniederlassungen bestand. Klare Grenzen fehlten, die Besitzverhältnisse veränderten sich rasch, die Sterbequote unter den Einwanderern, die Remigration und die Fluktuation waren immens. So lebten in Goa, dem Zentrum, Anfang des 17. Jahrhunderts rund 130.000 Menschen, in den 1630er-Jahren nur mehr weni­ ger als die Hälfte. Stets befanden sich nur wenige Portugiesen darunter. Ins­ gesamt hielten sich im

Estado da I�dia,

wie die Gesamtheit der portugiesi­

schen Besitzungen zwischen Mo lO

vier weitere Kinder

00

I

Karl

(1607-1632)

Ferdinand

Leopold I.

00

Philipp IV.

v. Spanien

00 00 00

Margarita Maria

Karill.

(1651-1673)

00

1.

(1661-1700)

2. Maria Anna v.

Maria Josepha

Pfalz-Neuburg

(1699-1755)

Friedrich August 11. v. Sachsen-Polen

00

3. Eleonore v. Pfalz-Neuburg I Karl VI.

vier weitere Kinder

(1678-1711)

(1685-1740)

Amalia Wilhelmine v . Braunschweig-Lüneburg

00 Elisabeth Christine v. Braunschweig-Wolfenbüttel

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Orleans

1. Margarita Teresa v. Spanien 2. Claudia Felicitas v. Tirol j

I.

00

Marie Louise v.

I

drei weitere Kinder

(1640-1705)

(1634-1696)

(1633-1654)

Kardinal

I

I MariaAnna

Ferdinand IV.

(1609-1641)

Ferdinand 111.

Leooold I.

(1586-1632)

00

sterr.

00

Leopold V.

(1584-1611)

1. Maria Anna v. Spanien 2. Maria Leopoldine v. Tirol 00 3. Eleonora Gonzaga

sterr.

(1606-1646)

zehn weitere Kinder

Maria v. Bayern

00

Ferdinand 111.

00

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Ferdi and

1. 00 2. co

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(1638-1683)

(1629-1646)



"",h, weitere Kinder

Anna v. Tirol

Joseph

Maria Teresa

Balthasar Carlos

2. Anna Katharina Gonzaga Tiro/er Linie

I

Elisabethv.Frankreich Maria Anna v.

00

Margarete v.

Philipp IV.

(1601-1666)

Philipp ll.

Karill.

(1540-1590)

1. Philippine Weiser

Philipp 111.

v. Savoyen

00

Matthias

(1557-1619) 00

oe

(1578-1621)

Michaela

(1567-1597)

Albrecht VII.

v. Frankreich

Kaiser/lehe Linie

Rudolf 11.

v. Tirol

(1529-1595)

I

Anna

(1566-1633)

Ferdinand 11.

Ma ia v. Spanien

(1549-1580) (1552-1612)

Isabella Clara 00

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(1535-1573) 00



(1527-1576)

Johanna

(1528-1603) . Maxlmillan 11.

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Maximilian 11.

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vier weitere Kinder

Anna v. Böhmen und Ungarn

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(1503-1564)

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(1500-1558)

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I. der Schöne

(1478·1506)

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(1701-1756) Karl VII. v. Bayern

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(1708-1765)

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11

Herrschaft und Gesellschaft "

------

Mitsprache bei der Herrschereinsetzung

48

sowie mit Abstrichen in den östlichen Erbländern, Neapel und Sizilien be­ sonders ausgeprägt. Weniger einflussreich, aber keineswegs völlig bedeu­ tungslos, waren die Stände Kastiliens und Tirols. Gemessen an der Gesamt­ bevölkerung war in ihnen nur eine kleine Elite vertreten, die ihre heraus­ gehobene Stellung der Geburt (Adel) oder einem Amt (z.B. Bischöfe) verdankte. Meist dominierte der Hochadel, während der Klerus (ausgenom­ men die Kurfürsten und geistliche Reichsfürsten) und das Stadtbürgertum eine untergeordnete Rolle spielten. Ein Sonderfall war Kastilien, wo sich seit 1539 nur Vertreter der 18 großen Städte beteiligten (unter denen sich aller­ dings Adlige befanden). Bauern waren, wie auch sonst in Europa, nur aus­ nahmsweise vertreten, beispielsweise in Tirol und einigen Provinzen der Niederlande. Die regional sehr unterschiedlich ausgeformte Partizipation war historisch gewachsen, beruhte oftmals auf Gewohnheit und wurde nur zum Teil schriftlich fixiert. Ihre Reichweite war daher Auslegungssache und schwankte mit den machtpolitischen Verhältnissen; einem starken Monar­ chen stimmte man eher zu als einem schwachen. Sie ruhte im Allgemeinen maßgeblich auf drei Säulen: der Mitsprache bei der Herrschereinsetzung, Widerstand und den Steuerbewilligungen. • Mitsprache bei der Herrschereinsetzung: Im Heiligen Römischen Reich wurde der Kaiser gemäß einem in der Goldenen Bulle von 1356 festgeleg­ ten Verfahren nach dem Mehrheitsprinzip von den ranghöchsten Reichs­ ständen, den sieben Kurfürsten, gewählt (Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier, Pfalzgraf bei Rhein, Herzog von Sachsen, Markgraf von Bran­ denburg, in einer Sonderstellung der König von Böhmen, bis zur Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert kamen die Herzöge von Bayern und Braun­ schweig-Lüneburg hinzu). Seit 1438 fiel die Wahl trotz fallweise ambitio­ nierter Gegenkandidaten immer auf einen Habsburger, ausgenommen der Wittelsbacher Karl VII. (1697/1742-1745). Ein Grund dafür war der um­ fangreiche Stammbesitz, den ein Kaiser unbedingt benötigte, ein anderer die T ürkenabwehr als eine seiner zentralen Aufgaben, mit der die Habs­ burger ohnedies beschäftigt waren. Dazu kamen ab einem gewissen Zeit­ punkt Tradition und Kontinuität. Selbstverständlich war die Wahl freilich dennoch nicht, sie musste politisch erarbeitet werden. In Böhmen und Ungarn bestimmte ebenfalls ein Wahlmodus den neuen Herrscher, allerdings war hierbei die Gesamtheit der Stände eingebunden. Die Habsburger fochten ihn nicht ganz unbegründet an, wenn es die Machtverhältnisse erlaubten, denn in ihren Augen besaßen sie aufgrund des Sukzessionsrechts Herrschaftsansprüche. Der zweideutige Status zwi­ schen Erb- und Wahlmonarchie wurde schließlich in Böhmen 1627 und in Ungarn 1687 zugunsten der habsburgischen Sichtweise geregelt (Kap. 11.6). In den übrigen Ländern gelangte der Herrscher Kraft des Erbrechts an die Macht. Aber auch hier hatten die Stände ein Mitspracherecht, zumin­ dest legte man bei der Festlegung von Erbfolgeordnungen gewöhnlich auf ihre Zustimmung Wert (Kap. 11.3). In den Erbländern konnten sie zudem durch die Verweigerung der Huldigung, ein traditionell bei jedem Herr­ scherwechsel stattfindender feierlicher Akt, in dem sie sich zu Treue und Gehorsam verpflichteten, den Regierungsbeginn eines Fürsten blockieren. Im Großen und Ganzen ähnlich war die Situation auf der Iberischen

Regierungssysteme und Ständetum ------

Halbinsel, in den Niederlanden und den italienischen Provinzen. Die Stände nutzten diese Position, um vom neuen Fürsten - in der Regel vor Regierungsbeginn (eine Ausnahme ist jedoch Kastilien) - herrschafts­ begrenzende Zugeständnisse zu erlangen, etwa die Bestätigung ihrer Pri­ vilegien und die Beachtung der Rechte des Landes. Diese Versprechen waren für die gesamte Regierungszeit verbindlich und wurden im Heili­ gen Römischen Reich seit 1519 in sogenannten Wahlkapitulationen sogar schriftlich festgehalten. Der Vorwurf, der Herrscher habe gegen diese Zu­ sagen nachhaltig verstoßen, diente bei den Ständerevolten 1581 und

11. bzw. Ferdinands 11. (Kap. 11.6) . Widerstand: Die zweite Säule der Partizipation bildete der Widerstand,

1619 als Begründung zur Absetzung Philipps •

Widerstand

denn die Stände konnten sich unter bestimmten Bedingungen dem Herr­ scher widersetzen, worauf noch weiter unten genauer eingegangen wird •

(Kap. 11.6) . Steuerbewilligungen: Über die Dauer und Höhe von Steuern verhandelte

Steuerbewilligungen

man traditionell. Wichtigstes Forum dafür waren die Ständeversammlun­ gen, mehr oder weniger regelmäßige Zusammenkünfte, in denen über Themen, die der Herrscher vorgab, beraten wurde. Ihre Organisations­ form (Trennung in Kurien und Kammern, Bildung von Ausschüssen usw.) und die bei der Entscheidungsfindung angewendeten Abstimmungsver­ fahren wiesen eine große Bandbreite auf. Grundprinzipien waren Verhan­ deln und Konsensbildung. In Kastilien, Aragon, Valencia und Portugal traten die Stände in den Cortes

Ständeversamm I un­

zusammen, in Katalonien in den corts, in Sizilien im parlamento, in den Erb­

gen

ländern und Böhmen auf Landtagen, in Ungarn auf Land- bzw. Reichstagen. Während die Ständeversammlungen der kasti I ischen Länder bereits im 14. Jahrhundert fusioniert wurden, blieben sie in den Ländern der Krone von Aragon getrennt. Zu einer Zusammenlegung der aragonesischen Versamm­ lungen mit der Cortes Kastiliens kam es erst nach der Herrschaftsübernahme der Bourbonen. Die mit Abstand wichtigste Ständeversammlung des Heiligen Römischen

Reichstage

Reichs waren die Reichstage, die idealerweise folgendermaßen abliefen: Nach der Einladung durch den Kaiser versammelten sich die Reichsstände für einige Wochen oder Monate in einer dazu bestimmten Reichsstadt, häu­ fig in Augsburg, Nürnberg, Speyer, Worms oder Regensburg (wo ab 1663 der "Immerwährende Reichstag" ununterbrochen tagte). Ihr feierlicher Ein­ zug in die Stadt und die Eröffnung waren symbolisch von höchster Bedeu­ tung, denn sie visualisierten die politische Ordnung und soziale Hierar­ chien. Im Anschluss an die Verlesung der vom Kaiser erstellten Proposition mit den Verhandlungsgegenständen zogen sich die drei Kurien der Kurfürs­ ten, Reichsfürsten und Städte getrennt zu Beratungen zurück. Nachdem sie intern zu einer einhelligen Meinung gelangt waren, versuchten die beiden oberen Kurien, eine Einigung zu erzielen, die sie dann der Städtekurie, die nur geringen Einfluss hatte, mitteilten. Schließlich wurde das Ergebnis dem Kaiser kundgetan. Stimmte dieser zu, fand es Aufnahme in den sogenannten Reichsabschied, der in einer - zeremoniell wieder äußerst bedeutsamen Abschlusssitzung verlesen, unterschrieben und besiegelt wurde. Er besaß

49

11

.

11

Herrschaft und Gesellschaft "

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Rechtskraft, seine Durchsetzung konnte jedoch vor allem bei mächtigen Reichsständen auf Schwierigkeiten stoßen, da es keine von den Ständen un­ abhängige Exekutivgewalt gab. Interpretationen der

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Ständetum war immer stark

Forschung

von den weltanschaulichen Positionen der Historiker und ihren politischen Rahmenbedingungen geprägt. Deshalb variierten die Erkenntnisinteressen zeitlich wie räumlich enorm, und es gibt viele, einander teilweise wider­ sprechende Deutungsmuster. Vor allem in Regionen, in denen die Habsbur­ ger als landfremd galten, finden sich Interpretationen der Stände als Verfech­ ter frühnationalen Gedankenguts, was gegenwärtig jedoch als unzutreffende und verengte Sichtweise abgelehnt wird. Ebenso ist bei einer Deutung der ständischen Partizipation als Vorstufe des modernen Parlamentarismus Vor­ sicht geboten, denn es gab keine gewählten Mandatare, und nur ein Bruch­ teil der Bevölkerung war repräsentiert. Ein Leitthema ist seit jeher die Rolle der Stände in der politischen Moderni­ sierung. Die ältere Meinung, sie hätten in einer notwendigerweise über den

Absolutismus erfolgenden Staatsbildung einen rückwärtsgewandten, anti­ zentralistischen "Bremsklotz" gebildet, ist inzwischen überholt. Ebensowenig dürfen sie ausschließlich als Gegenpol des Fürsten betrachtet werden, denn das Verhältnis zu diesem war ein dynamisches Wechselspiel von Kooperation und Konflikt. In diesem Zusammenhang wurde auch auf das staatsbildende Potenzial des Ständetums hingewiesen, das beispielsweise beim Aufstand der böhmischen Stände ans Tageslicht getreten sei (Kap. 11.6). Dem wurde entge­ gengehalten, dass sich bis auf Ausnahmen wie in den Niederlanden (Kap. 11.6, 111.5) meist das monarchische Prinzip durchgesetzt habe, da dieses eine effi­ zientere Mobilisierung von Ressourcen erlaubt und Homogenität, ein Grund­ prinzip moderner Staat I ichkeit, besser habe herstellen können.

E

Absolutismus "Absolutismus" bezeichnet einerseits eine auf Machtkonzentration und Zentrali­ sierung basierende monarchische Regierungsform, andererseits den Zeitraum der europäischen Geschichte zwischen dem späten

16. und dem 18. Jahrhundert. Es

handelt sich um einen Kunstbegriff, der in den verfassungsrechtlichen Debatten nach der Französischen Revolution aufkam, in denen er als negativer Kontrast zu konstitutionellen Staatsformen diente. Der Leipziger Nationalökonom Wilhelm

(1817-1894) entwarf ein dreistufiges Entwicklungsmodell, das zwischen 11., Ferdinand 11.), voll entfalteten "höfischen" (Ludwig XlV., Leopold 1.) und abklingenden "aufgeklärten" (Joseph 11., Friedrich 11.) Absolutismus unterscheidet. In der Fachwelt ist der Absolutismus als Herr­ Roscher

einem "konfessionellen" (Philipp

schaftsform wie als Epochenbezeichnung seit geraumer Zeit umstritten, da es ihn zwar programmatisch, bei der Herrschaftsinszenierung sowie im Selbstverständ­ nis einiger Fürsten, realpolitisch jedoch nirgendwo gab. In Ermangelung eines Er­ satzbegriffes ist "Barock" im Gespräch. Zeitgenössisch ist hingegen die Vorstel­ lung einer "absoluten Monarchie" mit einem Fürsten

(princeps legibus solutus),

der unter Ausschluss der Stände Recht setzen und weitreichende politische Befug­ nisse besitzen würde. Seine Herrschaftsgewalt war nicht unumschränkt, sondern durch das Göttliche Recht (z. B. die Bibel), das Naturrecht, das Herkommen und die Fundamentalgesetze begrenzt. Entwicklungs­

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass es in beiden habsburgischen Herrschafts­

tendenzen

räumen in der hier behandelten Epoche zwar zu Transformationen und zum Rückgang der Partizipation, teilweise sogar zu einer Auflösung der stän-

50

Regierungssysteme und Ständetum ------

dischen Institutionen kam, dies jedoch sehr unterschiedlich verlief und die Er­ gebnisse differierten. Während die kastilischen Stände bereits nach der Nie­ derschlagung der Comunidades Aufstände 1521/22 an Macht und Einfluss verloren hatten, konnten die Stände der aragonesischen Länder, insbesondere Kataloniens, ihre Sonderstellung bis zum Beginn der Herrschaft der Bourbo­ nen im frühen 18. Jahrhundert weitgehend wahren. So scheiterten dann auch die Versuche Philipps IV., die Teile der Monarchie fester zu verklammern und sie finanzpolitisch ausgewogener zu belasten, nicht zuletzt an ihrem Wider­ stand. In den Niederlanden waren die Stände maßgeblich am Aufstand betei­ ligt, der zur Loslösung der sieben nördlichen Provinzen führte. In der Habs­ burgermonarchie verstärkten konfessionspolitische Differenzen bereits vor­ handene Gegensätze und führten im 17. Jahrhundert zu einer Reihe von Revolten, die in den Erbländern und Böhmen, nur eingeschränkt in Ungarn, mit einem Sieg der Habsburger endeten (Kap. 11.6). Die Stände wurden jedoch nicht ausgeschaltet, sondern diszipliniert und in das habsburgische Regie­ rungssystem eingebunden, denn die Dynastie hätte ihre Herrschaftsansprü­ che ohne Indienstnahme ständischer Verwaltungsstrukturen nicht durchset­ zen können. Im Heiligen Römischen Reich war an eine stärkere Zentralisie­ rung gegen den Willen der Reichsstände ohnedies nicht zu denken. -

b) Spanische Habsburger

Wie regiert man ein Weltreich wie das Spanische Imperium? Der Regie­ rungsstil Philipps 11. unterschied sich in mehrfacher Hinsicht von demjeni­ gen seines Vaters, der sich permanent von einem Ort zum anderen bewegt hatte, um seinen Herrschaftsansprüchen persön Iich Geltung zu verschaffen. Philipp hingegen leitete das Imperium fast ausschließlich aus einigen Re­ sidenzen in Madrid und Umgebung (Kap. 11.7) und ließ sich vor Ort durch Vizekönige, Gouverneure, Statthalter usw. vertreten (darunter als Ausdruck dynastischer Politik wiederholt österreichische Mitglieder, Kap. 11.3). Den Kern seiner hochgradig zentralisierten Administration bildeten Ratsgremien, die er entweder von seinen Vorgängern übernommen oder neu gegründet hatte. Neben übergreifenden Behörden wie dem für die Außenpolitik ver­ antwortlichen Staatsrat (Consejo de Estado), dem Kriegsrat (Consejo de Cuerra) und dem Inquisitionsrat (Consejo de la Suprema y Cenerallnquisi­ cion), gab es solche mit Zuständigkeiten für einzelne Regionen, beispiels­ weise den Kastilienrat (Consejo Real de Castilla), Aragonrat (Consejo Su­ premo de Aragon) sowie für die Neue Welt den Indienrat (Consejo de In­ dias). Für Spezialaufgaben wie die Finanzverwaltung Kastiliens war der Finanzrat (Consejo de Hacienda) zuständig. Die Gremien dienten der Bera­ tung des Königs, erfüllten aber auch in ihren jeweiligen Bereichen adminis­ trative und juristische Aufgaben. Mit Ausnahme des Staatsrats, dem viele Hochadlige angehörten, domi­ nierten in ihnen meist Juristen mit Ausbi Idung an einer kasti Iischen Universi­ tät. Getagt wurde in unterschiedlichen Abständen, wenn es die Umstände erforderten auch täglich. Das Ergebnis wurde dem König in einem Ratschlag (consulta) schriftlich unterbreitet, der die Grundlage für dessen Entschei­ dung bildete. Als die politischen Herausforderungen komplizierter wurden und mehrere Behörden betrafen - der Aufstand in den Niederlanden etwa

Ratsgremien und Juntas

51

11

.

11

Herrschaft und Gesellschaft "

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tangierte den Staatsrat wie den Kriegsrat -, rief Philipp zusätzlich juntas ins Leben, temporäre Kommissionen, die ihn ebenfalls berieten. Parallel zu die­ sen spanischen Behörden existierten in einzelnen Teilreichen weiterhin re­ gionale Gremien. Das vergleichsweise moderne Regierungssystem erforderte einen immen­ sen Arbeitseinsatz des Herrschers, in dessen Hand die Fäden zusammenlie­ fen, weshalb er auch mit einer Spinne im Netz verglichen wurde. So sollen alleine im Mai 1571 an den König mehr als 1.250 consultas und sonstige schriftliche Anliegen herangetragen worden sein. Das dafür notwendige in­ tensive Aktenstudium trug ihm den Spitznamen "König der Papiere" ein. Be­ reits Zeitgenossen kritisierten die daraus resultierende Trägheit des Entschei­ dungsprozesses. Günstlinge

Dieser Regierungsstil änderte sich unter seinen Nachfolgern, denn das System der Räte blieb zwar in seiner Grundstruktur bestehen, nun wurde je­ doch vermehrt mitjuntas regiert. Gelenkt wurde dieser Apparat nicht immer und ausschließlich, aber doch über weite Strecken von Günstlingen (Kreatu­ ren, Favoriten, validos, privados), einflussreiche Einzelpersonen, die gleich­ zeitig mehrere hohe Hofämter inne hatten und die besondere Gunst des Kö­ nigs genossen. Politische Gegner schalteten sie aus und nutzten die Patrona­ geressourcen des Hofes für gezielte Klientelpolitik, etwa bei der Vergabe von Ämtern und Pfründen, so dass sie weitgehend die Kontrolle über den Behördenapparat erlangten. Unter Philipp 111. etwa leitete lange Zeit der Duque de Lerma, Francisco G6mez de Sandoval y Rojas (1553-1625), die Amtsgeschäfte. Lerma för­ derte seine Verwandten und verlagerte zur besseren Kontrolle des Königs

1601 den Hof von Madrid nach Valladolid. Sein Arbeitsstil lässt sich nicht mit demjenigen Philipps 11. vergleichen: Aktenstudien war er abgeneigt und die skrupellose Bereicherung trug ihm im Volksmund die Bezeichnung "größter Dieb Spaniens" ein. Der König konnte sich erst im fortgeschrittenen Alter von ihm emanzipieren und 1618 den Rücktritt durchsetzen. Privado Philipps IV. war Don Gaspar de Guzman, Conde-Duque de Olivares

(1587-1645). Er besaß zwar nicht so weitreichende Befugnisse wie Lerma, gleichwohl übte er während des Dreißigjährigen Krieges auf die spanische Politik großen Einfluss aus. Ab 1635 wird sogar von einer "Diktatur des va­ lido" (Collado Seidel, 1997, 101) gesprochen. Seine richtungsweisenden Vorschläge zu einer umfassenden Reform der Monarchie durch eine stärkere Vereinheitlichung scheiterten jedoch und führten gemeinsam mit militäri­ schen Niederlagen sowie den Aufständen in Portugal und Katalonien (Kap.

11.6) zu seinem Sturz. 1643 wurde er auf seine Besitzungen in Kastilien ver­ bannt, wo er wenige jahre später verbittert starb. Unter Karl 11. gab es dann mehrere fähige und mit großem Einsatz arbeitende Günstlinge, die jedoch nie einen ähnlich großen Einfluss wie Lerma oder Olivares erlangten. Interpretationen der

Der valido galt lange Zeit als Ausdruck der Dekadenz und des Nieder­

Forschung

gangs Spaniens, die moderne Forschung betrachtet ihn hingegen als über­ greifenden Sozialtypus und Entwicklungsphase bei der Ausbildung des Amts eines obersten Regierungschefs, die im späten 16. und 17. jahrhundert auf­ grund des Anwachsens der Administration und der Erhebung des Monar­ chen über die Hofgesellschaft auch andere Länder durchlaufen hätten. Ver­ gleichsfälle seien in Frankreich die Kardinäle Richelieu (1585-1642) und

52

Regierungssysteme und Ständetum

11.

Mazarin (1602-1661), in England der Graf von Essex (1566-1601) und der Herzog von Buckingham (1592-1628) sowie bei den österreichischen Habs­ burgern Kardinal Klesl (1552-1630) und Prinz Eugen (1663-1736). Die Kolonien (/05 reynos de las Indias) waren staatsrechtlich betrachtet

Hispanoamerika

Teilreiche Kastiliens, weshalb sich in ihnen Spanisch zur Amtssprache entwickelte. Da es hier keine Stände gab, unterstanden sie unmittelbar der Krone, was den Aufbau eines zentralistisch-hierarchischen, auf die Person des Königs ausgerichteten Verwaltungssystems erleichterte. Dessen Zentrum bildete der bereits erwähnte, nach einigen Vorformen 1524 als eigenständige Institution geschaffene Indienrat mit Zuständigkeit in den Bereichen Administration, Justiz, Politik und Finanzen. Er war seit 1561 fest in Madrid angesiedelt und größtenteils mit Juristen, Theologen und Gelehrten bürgerlicher Herkunft besetzt. Ihm unterstellt war die 1503 gegründete Casa de

Contrataci6n, eine Art Handelskammer, die den monopolisierten Personen-, Schiffs-, Waren- und Geldverkehr mit Amerika kontrollierte. Ihr Sitz war in Sevilla, ab 1717 in Cidiz. Hispanoamerika war in Anlehnung an die aragonesischen Besitzungen in Süditalien in zwei Vizekönigreiche mit jeweils einem Vizekönig als Vertreter des Herrschers unterteilt: in das 1535 gegründete Vizekönigreich Neuspa­ nien (heute etwa Mexiko, Venezuela und die Philippinen) und das 1543 ins Leben gerufene Vizekönigreich Peru (restliche Besitzungen in Südamerika mit Panama). Im Zuge der Verwaltungsreformen unter den Bourbonen kamen die Vizekönigreiche Neugranada (1717/39, gegenwärtig ca. Venezuela, Ko­ lumbien, Ecuador, Panama) und Rio de la Plata (1776, heute ungefähr Boli­ vien, Paraguay, Argentinien, Uruguay) hinzu. Unterhalb der Vizekönigreiche gab es Gouvernements (gobiernos), denen ein mit jurisdiktionellen und admi­ nistrativen Befugnissen ausgestatteter Gouverneur vorstand. Zur Begrenzung seiner Macht waren bereits unter Karl V. eigene Gerichtshöfe (audiencias) eingerichtet worden. Innerhalb der Gouvernements gab es noch kleinere Ver­ waltungseinheiten auf lokaler und kommunaler Ebene. In gefährdeten Grenz­ regionen wurden Generalkapitanate (capitan(as generales) eingerichtet, in denen ein Generalkapitän die Verwaltung und das Militär organisierte. Die politische Verfasstheit der indigenen Gesellschaften wurde zwar von

Distanzherrschaft

den kolonialherrschaftlichen Strukturen überwölbt, aber keineswegs aufgelöst. So gab es auf kommunaler Ebene für Spanier und Indigene getrennte Institutionen, weshalb der Untertanenverband zweigeteilt war. Die Trennung wurde allerdings aufgrund der Rassenvermischung zunehmend unscharf (Kap. 11.1). Die herrschaftliche Durchdringung Hispanoamerikas wies weitere Defizite auf, eine Folge der in mehrfacher Hinsicht großen Distanzen: räumlich zwischen dem Königshof als dem Zentrum und den Kolonien, der Peripherie, innerhalb Amerikas sowie kognitiv zwischen den Akteuren, deren Kenntnisse außerordentlich differierten. Zu erwähnen sind außerdem kulturelle Brüche und die eingeschränkte Operationalisierbarkeit des in Madrid vorhandenen Wissens über die Kolonien. Die Folge waren mangelhafte Kontrollmöglichkeiten und große Handlungsspielräume der Beamten. Alles in allem wird deshalb von "Distanzherrschaft" (Brendecke,

2009, 177-191) gesprochen. Effizientes Regieren war somit von vornherein nur eingeschränkt möglich - und wurde im Verlauf des 17. Jahrhunderts noch schwieriger, als sich die Bindung der Kolonien an das Mutterland 1053

11

Herrschaft und Gesellschaft "

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ckerte. Eine Hauptursache dafür ist die Ausbildung einer aus den Nachkom­ men weißer Einwanderer entstandenen regionalen Elite, der Kreolen, die durch Ämterkauf in das Verwaltungssystem eindrang und ihre Interessen im­ mer weniger denjenigen Spaniens unterordnete. Portugiesisches

Zu einer administrativen Verschmelzung mit dem portugiesischen Kolo­

Kolonialreich

nialreich, das stärker auf Handelsinteressen beruhte, kam es aufgrund der autonomen Stellung, die sich Portugal in der Iberischen Union bewahren konnte, nicht. Aus diesem Grund blieben auch die für Portugiesisch-Indien

(Estado da (ndia, Besitzungen zwischen Ostafrika und Japan) geschaffenen, im Vergleich zu Hispanoamerika deutlich schwächeren Verwaltungsstruktu­ ren, weitgehend bestehen. Portugals Sonderstellung äußerte sich wie folgt: Es gab zwar eine gemeinsame Außenpolitik, Ständewesen und Verwaltung blieben jedoch portugiesisch dominiert. Als Philipp IV. hier Änderungen her­ beiführen wollte, löste er prompt den Aufstand bzw. aus portugiesischer Sicht den Befreiungskrieg aus (Kap. 11.6). Absolutismus?

Das Regierungssystem der Spanischen Monarchie, insbesondere unter Philipp 11., galt lange als typisch (früh-)absolutistisch. Es ist jedoch zu beden­ ken, dass zwar die Stände in Kastilien geschwächt waren, nicht jedoch in weiteren Teilen der Monarchie, etwa in Aragon und den Niederlanden, zum Teil auch in den italienischen Provinzen. Gerade weil Philipp 11. Entschei­ dungen selbst treffen wollte, war er auf das Fachwissen engster Mitarbeiter angewiesen, beispielsweise der Sekretäre, was einigen zu beträchtlichem Einfluss verhalf. Zudem zeigte sich der König partikularen Lösungen nicht grundsätzlich abgeneigt, wie die Regentschaft Erzherzog Albrechts in den Niederlanden zeigt (Kap. 11.3). Untergeordnete Instanzen besaßen nicht nur während seiner Regierungszeit aufgrund der Schwerfälligkeit des Entschei­ dungsapparats verhältnismäßig große Handlungsspielräume. Ebenso war die Krone bei der Durchsetzung von Anordnungen auf die Mitarbeit der politischen und sozialen Eliten angewiesen, deren Bedürfnisse deshalb be­ rücksichtigt werden mussten. In den Kolonien sind zusätzlich die Defizite der "Distanzherrschaft" und die weitverbreitete Korruption ins Kalkül zu zie­ hen. Alles in allem ist es somit problematisch, von einem absolutistischen Regierungssystem zu sprechen.

c) Österreichische Habsburger Kaisertum oder

Eine zentralisierte Bürokratie wie im Spanischen Imperium gab es im Herr­

Habsburger­

schaftsraum der österreichischen Habsburger, der kleinräumiger, dafür stär­

monarchie?

ker von föderalen Strukturen geprägt war, nicht. Der monarchische Regie­ rungsstil bewegte sich hier im Spannungsfeld zwischen den beiden grund­ sätzlichen Entfaltungsmöglichkeiten: Verdichtung der Herrschaft in den Erbländern, Böhmen und Ungarn einerseits, Ausbau des Kaisertums anderer­ seits. Beide Optionen waren stets vorhanden, erforderten jedoch unter­ schiedliche Prioritäten. In der Praxis ist ein Pendeln zwischen beiden Polen zu beobachten, bei dem das Heilige Römische Reich langfristig an Anzie­ hungskraft verlor. Dabei handelte es sich jedoch um keinen linearen Pro­ zess, denn abhängig von innenpolitischen und internationalen Konstellatio­ nen hatte auch das Reich immer wieder Konjunktur. So ist auch umstritten, ob bereits während der Regentschaft Ferdinands 11. (1619-1637) von einem

54

Regierungssysteme und Ständetum ------

Primat der erbländischen Interessen gesprochen werden kann, denn der Habsburger festigte nicht nur die Herrschaft über den Hausbesitz, sondern versuchte auch, die verfassungsrechtl iche Stellung des Reichsoberhaupts zu stärken. Zweifelsohne ein gravierender Einschnitt war der Westfälische Friede 1648, der die Stellung der Landesfürsten in den Territorien stärkte, was die Attraktivität eines Ausbaues des Hausbesitzes erhöhte (Kap. 111.5). Weitere wichtige Stationen waren die Eroberung Ungarns im Großen T ür­ kenkrieg (1683-1699, Kap. 111.2), die Pragmatische Sanktion 1713 (Kap. 11.3), die Friedensverträge von Rastatt und Baden 1714, mit denen Kaiser und Reich den Spanischen Erbfolgekrieg getrennt beendeten (Kap. 111.7), so­ wie der offene Ausbruch des habsburgisch-preußischen Gegensatzes 1740. Diese Zweigleisigkeit und das wachsende Gewicht des Hausbesitzes spie­ geln sich in einer Auffächerung der Verwaltungsstrukturen und einem Wan­

Verwaltungs­ strukturen

del der Zuständigkeiten zentraler Institutionen wider. So wurde aus der aus mittelalterlichen Vorläufern hervorgegangenen Reichshofkanzlei, dem Zen­ trum des schriftlichen Rechtsverkehrs, 1620 die exklusiv für erbländische An­ gelegenheiten verantwortliche österreichische Hofkanzlei ausgeklammert. Sie lief der Reichshofkanzlei im Laufe des 18. Jahrhunderts den Rang ab. Die Erbländer und Böhmen waren von der Rechtsprechung des Reichshofrats und des Reichskammergerichts, den höchsten Gerichtsinstanzen des Heiligen Rö­ mischen Reichs, ausgenommen. Beide Institutionen existierten von ihrer Gründung zu Beginn der Neuzeit bis 1806 und erlaubten es Untertanen, so­ gar ihren eigenen Landesherren zu verklagen. Das Reichskammergericht, ab

1527 in Speyer und nach dessen Besetzung durch französische Truppen im Pfälzischen Erbfolgekrieg (Kap. 111.6) 1689 in Wetzlar untergebracht, war u. a. für Klagen wegen Landfriedensbruchs, Rechtsverweigerung und Nichtigkeit sowie für Appellationen gegen Urteile untergeordneter Gerichtshöfe zustän­ dig. Der Reichshofrat hatte im Kern ähnliche Kompetenzen, weshalb es eine Zuständigkeitskonkurrenz gab, beschäftigte sich jedoch zusätzlich mit unmit­ telbar den Kaiser betreffenden Angelegenheiten, etwa mit Reichslehenssa­ chen, Majestätsrechten, Gnadenakten und Reichsitalien. In Wien angesie­ delt, stand er unter habsburgischem Einfluss, während sich das Reichskam­ mergericht in der Sphäre der Reichsstände befand. Beide Behörden schufen als übergreifende Foren innerhalb des Reichsverbandes Gemeinsamkeitsbe­ wusstsein und trugen zu dessen Stabilisierung bei. Sie zählen heute zu den bedeutendsten Höchstgerichten der europäischen Geschichte. Die Erbländer blieben, anders als die Eidgenossenschaft und die Nieder­ lande, die 1648 ausschieden, stets ein Teil des Reichs, in dem sie gemein­

Österreichischer Reichskreis

sam mit kleineren Gebieten den "österreichischen Kreis" bildeten. Die Reichskreise waren zehn, jeweils mehrere Territorien zusammenfassende Verwaltungsbezirke, die an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert ge­ schaffen worden waren. Sie erfüllten vorrangig Aufgaben in den Bereichen Justiz, Militär und Verkehr. Auch wenn der österreichische realpolitisch ge­ ringere Bedeutung erlangte als etwa der fränkische und schwäbische Kreis, blieb er bis zur Auflösung des Reichs 1806 bestehen. Die Verwaltungsstrukturen der Habsburgermonarchie waren von einer

Zentra I ism usdefizit

unübersichtlichen Vielfalt an landesfürstlichen Gremien mit fallweise unkla­ ren oder sich überlagernden Zuständigkeiten, der anhaltenden Bedeutung ständischer Einrichtungen auf regionaler Ebene sowie einem ausgeprägten

55

11

.

11

Herrschaft und Gesellschaft "

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Zentralismusdefizit gekennzeichnet, das erst im Zuge der Reformen Maria Theresias teilweise beseitigt werden konnte. Während Böhmen und die Erb­ länder dabei enger verflochten wurden, behielt Ungarn weitgehend seine Ei­ genständigkeit. Bis zur Mitte des

18. Jahrhunderts basierte die Verwaltung auf regionalen

Traditionen und Institutionen, die Ferdinand I. nach spanischen bzw. franzö­ sisch-burgundischen Vorbildern entweder neu geschaffen oder reorganisiert hatte. Die Situation wird noch komplizierter, wenn man berücksichtigt, dass die Dreiteilung der österreichischen Linie nach dem Tod Ferdinands I.

1564

und die Verlagerung des Hofes von Wien nach Prag unter Rudolf 11. zur Teilung bzw. Neugründung landesfürstlicher Behörden führten. Kennzeich­ nend ist daher das Nebeneinander von jeweils für einzelne Teile der Monar­ chie zuständigen Institutionen. So gab es neben der bereits erwähnten öster­ reichischen Hofkanzlei ebensolche Kanzleien für Böhmen, Ungarn, Sieben­ bürgen,

Italien

und

die

Niederlande.

Als

wichtigstes

Gremium

zur

Regierungstätigkeit hatte sich unter Ferdinand I. der Geheime Rat heraus­ kristallisiert, ein Kollegium, das den Herrscher in politischen Angelegenhei­ ten beriet. Seit dem

17. Jahrhundert dominierten in ihm österreichische,

böhmische und italienische Hochadlige. Nach der Gründung der Geheimen Konferenz

1669 und der Zunahme von Deputationen und Kommissionen 17. Jahrhunderts verlor er jedoch an Bedeutung und wurde

gegen Ende des

unter Maria Theresia abgeschafft. Zentrale Finanzbehörde war die Wiener Hofkammer, die den analogen Einrichtungen für Böhmen und Ungarn schrittweise den Rang ablief, so dass sie um

1705 neben dem Hofkriegsrat

(mit Agenden für das Kriegswesen) das zweite für die Gesamtmonarchie zu­ ständige "Fachministerium" bildete. Absolutismus?

Regierten die österreichischen Habsburger absolutistisch? Ferdinand 11. galt lange als Prototyp eines abgeschwächten "konfessionellen" bzw. "frü­ hen" oder "weichen" Absolutismus. Unter Leopold I. und dessen Söhnen hin­ gegen habe sich dann die "höfische", unter MariaTheresia und Joseph 11. die aufgeklärte Variante entfaltet. Um der territorialen Komplexität gerecht zu werden, sprach der deutsche Historiker Winfried Schulze (geb.

1942) zudem

von einem "organisch-föderativen Absolutismus". Die Forschungen der letz­ ten Jahre haben aufgezeigt, dass zwar in ausgewählten Bereichen des poli­ tisch-sozialen Lebens, etwa beim Heerwesen und in den Finanzen, in der Tat eine gewaltige Herrschaftseffektivierung stattfand und dass das Konzept so­ mit für Teilaspekte sensibilisiert, dass es jedoch wie im Spanischen Imperium in zentralen Sektoren der Praxis keinen Absolutismus gab. So gelang es auch nicht, den Einfluss der ungarischen Stände dauerhaft zurückzudrängen.

5. Religiöse Einheit und Vielfalt a) Die Ausbreitung der Reformation: Erfolge und Misserfolge Grundzüge

Die Reformation zog beide habsburgischen Herrschaftsräume nachhaltig in ihren Bann und bewirkte aufgrund der untrennbaren Verflechtung mit sozia-

56

Religiöse Einheit und Vielfalt ------

len und politischen Entwicklungen tiefgreifende Veränderungen - selbst im Spanischen Imperium, wo sie sich fast nicht behaupten konnte. Im Heiligen Römischen Reich führten die jahrzehntelangen Auseinandersetzungen zwi­ schen Katholiken und Protestanten sowie, damit untrennbar verbunden, jene zwischen Kaiser und Reichsständen, 1555 zur rechtlichen Anerken­ nung des Luthertums im Augsburger Religionsfrieden. Für Karl V. war das Ende der Einheit der Kirche untragbar und er zog sich aus der Politik zurück (Kap.!.l). Augsburger Religionsfriede (1555) Der von den katholischen und protestantischen Reichsständen mit Ferdinand I. ausgehandelte, 1555 auf dem Reichstag von Augsburg verabschiedete Religions­

E

frieden ist ein grundlegendes Rechtsdokument des Heiligen Römischen Reichs. Zu seinen wichtigsten Bestimmungen zählen das Recht der weltlichen Reichs­ stände zur Bekenntniswahl und ihre später mit der Formel cuius egio, eius religio zusammengefasste Verfügungsgewalt über die Konfessionszugehörigkeit der Un­ tertanen, die ihrerseits das beneficium emigrandi erhielten, die Erlaubnis auszu­ wandern. Der Frieden bezog sich ausschließlich auf Katholiken und Lutheraner, die Calvinisten hingegen wurden erst im Westfälischen Frieden einbezogen. Die in Augsburg hergestellte Friedensordnung beendete nicht den widersprüchlichen Absolutheitsanspruch der Konfessionen, sondern verrechtlichte den Glaubensge­ gensatz, eine Lösung, die bis in die 1580er-Jahre den Frieden sicherte, dann jedoch zunehmend zu Konflikten führte, die schließlich in den Dreißigjährigen Krieg mündeten.

In den Erbländern sorgten Druckschriften, Prediger und Studenten bereits in

Erbländer

den 1520er-jahren für die rasche Entfaltung der Reformation in allen sozialen Schichten. Besonders groß war die Sympathie beim Adel, der eine Schlüsselfunktion erlangte, da er für ihre Verbreitung auf seinen Grundherrschaften und damit unter der bäuerlichen Bevölkerung sorgte. Außerdem dominierte er das Ständewesen, das sich zu einer tragenden Säule der Reformation entwickelte. Das Spektrum protestantischer Lehrmeinungen war aus­ gesprochen breit (Lutheraner, Flacianer, Täufer, Gnesiolutheraner usw.), erst gegen Ende des jahrhunderts setzte sich das Augsburger Bekenntnis als do­ minierende Richtung durch. Keine Rolle spielte der Calvinismus. In Tirol und den Vorlanden verbreitete sich die Reformation aufgrund der starken Position des Landesfürsten und der für Adel, Bürgertum und Klerus traumatischen Erfahrungen des Bauernaufstandes 1525 nicht analog. Ihr alles in allem dennoch durchschlagender Erfolg ist auf ein Bündel politischer, sozialer und ökonomischer Gründe zurückzuführen, zu denen sich Missstände im Klerus (z.B. Pfründenhäufung), Defizite bei der Seelsorge und individuelle Frömmigkeit gesellten. Begünstigend wirkten ferner die unzulängliche Kir­ chenorganisation und die lediglich halbherzig durchgeführten Gegenmaßnahmen Ferdinands !., der zwar zahlreiche anti reformatorische Verordnungen erließ, jedoch nicht konsequent für deren Vollzug sorgte, da ihm dafür realpolitisch die Mittel fehlten. Anders verlief die Entwicklung in Böhmen und Mähren, wo sich bereits im 15. jahrhundert in Folge der Hussitenkriege (1419-1436) akatholische

Böhmen und Mähren

Religionsgemeinschaften gebildet hatten. Neben den Utraquisten, denen die Legalisierung gelang, gab es seit der zweiten Hälfte des 15. jahrhunderts die Unität der Böhmischen Brüder und ab 1520 Anhänger der verschiede-

57

11

.

11

Herrschaft und Gesellschaft "

------

nen Strömungen der Reformation, so dass sich um 1580 nur mehr eine Min­ derheit der Bevölkerung zum katholischen Glauben bekannte. Obwohl es 1575 in Böhmen durch die Confessio Bohemica zu einer gewissen Verein­ heitlichung der protestantischen Lehrmeinungen kam, war der konfessio­ nelle Pluralismus ausgeprägter und fester etabliert als in den Erbländern, wo auch der Anteil der Katholiken an der Gesamtbevölkerung höher blieb. Pa­ rallelen finden sich jedoch bei den Ursachen für den Erfolg der Reformation, deren Ausbreitung ebenfalls durch Auswüchse der römischen Kirche, einen weitverbreiteten Antiklerikalismus und persönliche Religiosität maßgeblich begünstigt wurde. Ebenso erwiesen sich Adel und Stände als wichtige Multi­ plikatoren und Stützen. Ungarn

In Ungarn breitete sich die Reformation ab den 1520er-Jahren in allen Landesteilen rasch aus, auch in den von Osmanen besetzten Teilen, denn diese unterließen Zwangskonversionen und erlaubten Christen wie Juden unter diskriminierenden Auflagen - die Glaubensausübung. Die Muslime blieben daher in der Minderheit. Die Reformation fand zunächst vor allem bei deutschsprachigen Stadtbewohnern, dem magyarischen Niederadel und den Magnaten Anhänger, die durch die Ausschaltung der katholischen Kir­ che die Verfügungsgewalt über ihre Untertanen ausbauen wollten. Zeitver­ setzt und durch Vermittlung des Adels verbreitete sie sich dann auch unter der bäuerlichen Bevölkerung. Das Luthertum setzte sich hauptsächlich im Nordwesten sowie bei deutschsprachigen Bürgern und slowakischen Bauern durch, der später eindringende Calvinismus bei der magyarischen Bevölke­ rung und in den von den Osmanen besetzten Gebieten, d. h., nationale und konfessionelle Zugehörigkeit waren verbunden. Alles in allem bekannten sich um 1570 rund 25 % und um 1600 nur mehr 10% der Einwohner zur römischen Kirche, die meisten auf einigen "Inseln" im Königlichen Ungarn lebend. Die Mehrheit der Protestanten waren Calvinisten. T ürkisch-Ungarn blieb multikonfessionell. Am besten war das Verhältnis der Osmanen zu den Orthodoxen, am schlechtesten zu den Katholiken.

Spanisches

Im Spanischen Imperium setzte sich die Reformation, die Niederlande

Imperium

ausgenommen, nicht durch. In den italienischen Gebieten sind dafür die Nähe zu Rom, die effiziente Kirchenorganisation und frühe Kirchenrefor­ men verantwortlich, in der Neuen Welt strenge Einwanderungskontrollen, in Kastilien und Aragon eine spezifische religionsgeschichtliche Entwick­ lung. Vier Punkte sind hervorzuheben:

Gründe für das

1. Reconquista: Das Bewusstsein religiöser Differenz war im kollektiven Ge­

Scheitern

dächtnis aufgrund der jahrhundertelangen Herrschaft der Mauren fest ver­ ankert, die Bereitschaft, für den Glauben notfalls mit Gewalt einzutreten, daher groß. Dabei verbanden sich religiöse und ethnische Anschauungen zu einer frühnationalen Ideologie, dergemäß ein aufrichtiger Spanier ka­ tholisch sein müsse. Die Reformation galt daher als fundamentale Bedro­ hung, als "teutsche Pest". 2. Enge Verbindung von Kirche und Krone: Aufgrund päpstlicher Bullen, wei­ che die Katholischen Könige durchgesetzt hatten, besaß die spanische Kro­ ne eine im europäischen Vergleich weitreichende Verfügungsgewalt über die Kirche, etwa betreffend die Einsetzung der Bischöfe, was zur Ausbil­ dung eines besonders loyalen Klerus führte. Der König war außerdem Groß­ meister der drei mächtigen Ritterorden (Alcantara, Calatrava, Santiago).

58

Religiöse Einheit und Vielfalt 3.

11.

Frühzeiti ge Erneuerung des Klerus: Mehrere Maßnahmen der Katholi­ schen Könige, etwa 1499 die Gründung der Universität von Alcala de Henares, hatten den Klerus modernisiert, der sich nun aufgrund seiner Bil­ dung und sittlich-moralisch von der dekadent scheinenden Geistlichkeit Mitteleuropas abhob. Viele Missstände, die Luther anprangerte, gab es deshalb in Spanien nicht.

4.

Spanische Inquisition: Abweichende Glaubensrichtungen wurden von Anfang an mit Hilfe der Inquisition systematisch bekämpft. (Spanische) Inquisition Inquisition meint ein von der katholischen Kirche eingeleitetes Verfahren zur Er­ mittlung von Häresie (Ketzerei), das sich im Laufe des Hochmittelalters entwickelte. 1478 erlangten die Katholischen Könige von Papst Sixtus IV. ( 14 14/71- 1484) die Erlaubnis zur Einrichtung einer speziellen (Spanischen) Inquisition. An der Spitze des Inquisitionsrates, eine der wenigen Institutionen, die für alle Regionen des Imperiums zuständig war (Kap. 11.4), stand der von der Krone ernannte Ge­ neralinquisitor, meist ein Theologe oder Jurist. Die Kurie hatte kaum Einflussmög­ lichkeiten, so dass die spanischen Könige über ein schlagkräftiges Instrument ver­ fügten, um gegen Andersgläubige vorzugehen. Ab ungefähr 1530 war in der Be­ völkerung das Bewusstsein fest verankert, dass Menschen, deren religiöse An­ schauungen sich von denen der Obrigkeit unterschieden, verfolgt würden. Für viele kam daher ein Abweichen vom Katholizismus von vornherein nicht in Frage. Feindbilder waren Morisken, conversos, Protestanten und Personen mit abwei­ chendem Sozialverhalten (z. B. Homosexuelle). Versuche zu ihrer Einführung in den italienischen Provinzen zeigten nur begrenzte Erfolge. Dasselbe gilt für die Neue Welt, diente sie doch hauptsächlich der Ausrottung der Ketzerei, nicht der Bekämpfung des Heidentums, gleichwohl wurden 157 1 in Mexiko und Peru eigene Inquisitionstribunale eingerichtet. Die Inquisition wurde in Spanien, wo sie ein Symbol katholisch-nationaler Identität war, 1834 abgeschafft. Ein Charakteristikum der Spanischen Inquisition war das Verfahren: Die Inquisito­ ren reisten durch das Land und sammelten Informationen über angebliche Ketze­ rei. Anschließende Vernehmungen erfolgten unter Geheimhaltung und Einsatz von Folter. Da die Kläger das Beweismaterial nicht vorlegen mussten, gestaltete sich eine Verteidigung schwierig. Das Urteil wurde in einem feierlichen Akt ver­ kündet und vollstreckt (auto da fe) Zwischen 1550 und 1700 wurden auf diese Weise in Spanien zumindest 150.000 Fälle behandelt, in Hispanoamerika bis Ende des 17. Jahrhunderts nur rund 3.000. Die Strafen waren meist mild: Die Be­ troffenen mussten etwa nur ein Treuebekenntnis zur katholischen Kirche ablegen oder ein Büßergewand tragen. Relativ häufig kam es auch zu Gefängnishaft oder zur Konfiskation von Eigentum. Keinesfalls wurde immer die Todesstrafe (Verbren­ nen) verhängt. Relativ hoch war jedoch die Hinrichtungsquote bei den zwischen 1560 und 1620 verfolgten Protestanten (mehr als 10 %), die allerdings nur eine Minderheit bildeten. Die spanische Gesellschaft wurde von dieser spezifischen Rechtskultur in Verbindung mit dem erhöhten Maß an Selbstbeobachtung und Aufmerksamkeit für abweichende Verhaltensformen mental tief geprägt.

Der Teil des Spanischen Imperiums, in dem sich die Reformation mit dem größten Erfolg verbreitete, waren die Niederlande, begünstigt durch die

E

Sonderfall Niederlande

stadtbürgerlich geprägte Kultur, den intensiven Handel mit dem Heiligen Römischen Reich und die großen Druckereien, etwa in Antwerpen. Versuche Karls V. und Philipps 11., hier die Entfaltung zu verhindern, zeigten nur wenig Erfolg, nicht zuletzt weil die Städte sozialpolitische Unruhen befürchteten und ihren scharfen Anordnungen nur halbherzig nachkamen. Der nie-

59

11

Herrschaft und Gesellschaft "

------

derländische Adel hielt Ketzerverfolgungen nicht mehr für zeitgemäß; im­ merhin wurde in Frankreich bereits 1562 für die Hugenotten ein Toleranzpa­ tent erlassen (Edikt von Saint-Germain-en-Layel. Zu diesem Zeitpunkt lassen sich aus konfessioneller Perspektive drei Bevölkerungsgruppen unterschei­ den: Neben den zahlenmäßig dominierenden Lutheranern bzw. mit ihnen sympathisierenden Katholiken gab es eine kleine, besonders aktive Gruppe von Calvinisten und überzeugte Anhänger des alten Glaubens. Zur dominie­ renden Kraft entwickelten sich die häufig dem Bürgertum angehörenden Calvinisten, die ihre theologischen Ansichten 1561 in der Confessio Belgica zusammenfassten.

b) Zwischen Religionsfreiheit und konfessioneller Vereinheitlichung Politische Bedeutung

Die Ansicht, die konfessionelle Homogenität eines Gemeinwesens sei für

konfessioneller

dessen inneren Frieden und eine stabile Herrschaftsausübung unerlässlich,

Einheitlichkeit

war gerade unter den Habsburgern weit verbreitet. Daher besaßen die in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts mit zunehmender Vehemenz gestellten Forderungen der Protestanten in den Erbländern, den böhmischen Ländern und Ungarn nach Religionsfreiheit, die zudem in Widerspruch zum Augs­ burger Religionsfrieden standen, politisch höchste Brisanz. Ähnliches gilt für die Niederlande. Diese Verknüpfung von Religion und Politik verschärfte bereits vorhandene Spannungen und führte zu Konfessionskonfl ikten und weitreichenden politisch-sozialen Veränderungen.

Habsburger­

Im Herrschaftsbereich der österreichischen Habsburger gelang es bis zum

monarchie

ersten Jahrzehnt des 1 7. Jahrhunderts zumindest einem Tei I der Protestanten, das Recht auf Glaubensausübung in einem Religionsfrieden abzusichern. Sie mussten dabei äußersten Druck anwenden, denn kein Habsburger war

Aufbau

zu diesem Schritt freiwillig bereit. Fördernd wirkten hier gravierende Finanz­

konfessionspolitischer

probleme und der Bruderzwist zwischen Rudolf 11. und Matthias, der die Dy­

Frontstellungen

E

nastie um 1608 in eine tiefe Krise stürzte (Kap. 11.2). Religionsfrieden Religionsfrieden waren vertragliche Vereinbarungen, häufig zwischen einem Herrscher und den Ständen, mit dem Ziel bi- oder mehrkonfessioneller Ko­ existenz. Die Zugeständnisse waren im Detail sehr unterschiedlich, unterlagen stets Auflagen, und der Kreis der Begünstigten variierte. Meist eingeschlossen war der in den Ständen vertretene Adel. Besonders weit gingen sie in Böhmen und Ungarn, wo letztlich auch die Landbevölkerung einbezogen wurde.

Nach Abschluss eines Religionsfriedens fanden umgehend Auseinanderset­ zungen um dessen Auslegung statt, denn oftmals waren einzelne Passagen unklar formuliert; manchmal auch absichtlich, da man sich nicht hatte eini­ gen können. Ein Hauptstreitpunkt war ferner ihre Gültigkeit nach einem Herrscherwechsel. In den Erbländern bi Ideten sie den Startschuss zur Reka­ tholisierung, die alsbald auch in Böhmen und Ungarn einsetzte und bis zum Ende des 16. Jahrhunderts zu einer die gesamte Gesellschaft beeinflussende Frontstellung führte: Auf der einen Seite standen die vom protestantischen Adel angeführten Stände, auf der anderen die Habsburger mit den verbliebe­ nen katholischen Kräften, unterstützt bzw. angetrieben von der spanischen Linie und den Jesuiten. Wichtige Impulse gab das Konzil von Trient

60

Religiöse Einheit und Vielfalt ------

(1545-1563), in dem der katholische Glaube reformiert worden war. Bei den nun stattfindenden Konfessionskonflikten, welche die Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg prägten, ging es im Kern um die Anpassung der wech­ selseitigen Rechte und Pflichten von Obrigkeit und Untertanen an die durch die Reformation veränderten politisch-sozialen Bedingungen, vor allem auch um eine Neubestimmung von Herrschafts- und Partizipationsrechten. In Böhmen sowie in Ober- und Niederösterreich verschärften sich ab der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert die Spannungen, bis die Stände 1618 rebellierten, was unmittelbar den Dreißigjährigen Krieg auslöste (Kap. 111.5). Nach dem Sieg der Katholiken 1620 in der Schlacht am Weißen Berg bei Prag brach der Widerstand jedoch zusammen, was die konfessionelle Ver­ einheitlichung unter katholischem Vorzeichen bis zum Ende des Jahrhun­ derts ermöglichte. Die Bevölkerung Böhmens bekannte sich deshalb beim Regierungsantritt Maria Theresias 1740, abgesehen von einigen Juden und Kryptoprotestanten, praktisch ausschließlich zum Katholizismus. Die Pro­ testanten waren entweder konvertiert oder emigriert. Ähnlich war die Situa­ tion in den Erbländern, wo der Protestantismus nur in einigen T älern Kärn­ tens und der Steiermark sowie im Salzkammergut im Geheimen überlebte. Böhmen verlor durch die Konfessionsmigration rund 7 bis 10% seiner Be­ völkerung, Niederösterreich 3 %. Zu den bevorzugten Zielen der Auswan­ derer zählten süddeutsche Reichsstädte wie Regensburg, Nürnberg und Ulm sowie protestantische Territorien, etwa Sachsen, aber auch die Eidge­ nossenschaft. In Ungarn dauerten die von konfessionellen Gegensätzen auf­ geheizten Auseinandersetzungen bis ins 18. Jahrhundert (Kap. 11.6). Das Kö­ nigreich konnte sich jedoch seine protestantischen und orthodoxen Traditio­ nen sowie seine weitreichende Autonomie bewahren. Fast ohne gewaltsamen Widerstand verlief die Rekatholisierung Innerösterreichs, wo­ für vermutlich die Nähe zum Osmanischen Reich und die kluge "Politik der kleinen Schritte" Ferdinands 11. hauptverantwortlich sind, der die ihm zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten geschickt auszunützen wusste. Im Herrschaftsraum der österreichischen Habsburger blieben somit das Heilige Römische Reich sowie Ungarn und Siebenbürgen konfessionell ge­ mischt. Das politische Ziel, eine religiös homogene Untertanengesellschaft, erreichte die Dynastie weitgehend in den Erbländern, Böhmen und Mähren. Dort entfaltete sich jene konfessionell geprägte Kultur, die das Gemein­ schaftsbewusstsein förderte und den Zusammenhalt verstärkte. Im Barock­ katholizismus und in der Pietas Austriaca, einer offen zur Schau getragenen, spezifisch habsburgischen Frömmigkeit, fand sie einen deutlich sichtbaren Ausdruck. Weitere Elemente dieser katholischen Herrschaftsideologie wa­ ren die Verehrung der Heiligen, der Jungfrau Maria und der Dreifaltigkeit. Zentren bildeten das steirische Mariazell und Altbunzlau in Böhmen. Die umfassenden politischen Veränderungen, die Hand in Hand mit der Reka­ tholisierung erfolgten, disziplinierten das Ständewesen und den Adel, wei­ che sich zu wichtigen Herrschaftsstützen entwickelten. Insgesamt gesehen führte die Durchsetzung des Katholizismus somit zu weitreichenden Verän­ derungen des politisch-sozialen Lebens, insbesondere zur Verdichtung von Herrschaft. Die Forschung bezeichnete diese Verknüpfung religiöser Homo­ genisierung und politisch-sozialer Modernisierung, die sich auch in anderen

Rekatholisierung

Geheimprotestantis­ mus und Konfes­ sionsmigration

Politische Folgen

61

11

.

11

Herrschaft und Gesellschaft "

------

Spanisches Imperium

Morisken

Aufstand

(1568-1570)

Vertreibung

(1609-1614)

62

europäischen Territorien und Herrschaftsräumen beobachten lässt, als Kon­ fessional isierung. Anders verlief die Entwicklung im Spanischen Imperium, wo sich eine si­ gnifikante konfessionspolitische Frontstellung zwischen Herrscherhaus und Untertanen nur in den Niederlanden aufbaute und dort geradewegs zum Aufstand führte (Kap. 11.6). In den beim Imperium verbliebenen Spanischen Niederlanden wurde der Katholizismus - aufgrund der Nähe zum rebelli­ schen Norden - dann nur sehr behutsam durchgesetzt, so dass sich die pro­ testantische Minderheit gewisse Spielräume bewahren konnte. Auf der Iberi­ schen Halbinsel hingegen betrieben die spanischen Könige die konfessio­ nelle Vereinheitlichungspolitik mit äußerster Konsequenz. Verfolgt wurden neben den wenigen Protestanten zum einen die conversos und deren Nach­ kommen, zum anderen die Morisken. Als Philipp 11. 1555 den Thron bestieg, lebten in der Spanischen Monar­ chie rund 400.000 Morisken, ca. 200.000 in Aragon und 150.000 im König­ reich Granada. Sie besaßen wirtschaftlich aufgrund ihres Fachwissens (Be­ wässerung, Seidenproduktion) große Bedeutung, hatten sich jedoch nur we­ nig assimiliert und waren meist trotz Taufe Muslime geblieben. Zum offenen Konflikt kam es, nachdem 1566 ein von Karl V. 1526 unter finanziellem Druck erteiltes Privileg ausgelaufen war, das ihnen vier Jahrzehnte einge­ räumt hatte, um sich mit den christlichen Bräuchen vertraut zu machen. Phi­ lipp 11. verweigerte die Verlängerung und untersagte den Morisken im fol­ genden Jahr nicht nur ihre religiösen Praktiken, sondern auch den Gebrauch ihrer Sitten und die Verwendung des von ihnen bevorzugten Arabisch. Die wichtigsten Beweggründe waren: religiöse Vereinheitlichung der Gesell­ schaft, Kampf gegen den Islam und stärkere Integration der Morisken, die zudem verdächtigt wurden, mit den Muslimen an der nordafrikanischen Küste zu kollaborieren. Aber auch insgesamt gab es in der spanischen Ge­ sellschaft moriskenfeindliche Tendenzen. 1568 kam es deshalb in Granada zum Aufstand. Wie groß die Gefahr da­ mals für das Imperium objektiv war, lässt sich schwer beurteilen, denn ge­ messen an der Gesamtbevölkerung rebellierte nur eine kleine Minderheit. Allerdings bekämpfte das Gros der Armee gerade die aufständischen Nieder­ länder (Kap. 11.6), weshalb die Situation subjektiv nicht unbegründet als be­ drohlich wahrgenommen wurde. Nachdem die in aller Eile mobilisierten Streitkräfte unter dem Oberbefehl von Don Juan de Austria (1547-1578) in einem von Gräueltaten begleiteten Guerillakrieg bis 1570 mit Mühe die Oberhand behalten hatten, griff der König hart durch und veranlasste die Mi­ gration von zumindest 80.000 granadinischen Morisken. Zum Ausgleich verfügte er die Ansiedlung christlicher Familien in Granada. Die Folgen sind bis heute spürbar, denn von den rund 10% Spaniern, die mit Nordafrikanern genetisch besonders eng verwandt sind, leben überdurchschnittlich viele in den Zielregionen der Zwangsdeportation in Kastilien. Die Probleme waren damit aber nicht beseitigt, weshalb sich Philipp 111. 1609 endgültig zur Ausweisung entschloss. Die Religion spielte nunmehr eine geringere Rolle. Maßgeblich verantwortlich war vielmehr die weit ver­ breitete und mitunter zutreffende Ansicht, die Morisken würden mit den nordafrikanischen Korsaren, Frankreich, England und den Niederlanden zu­ sammenarbeiten und ihre Vertreibung könne helfen, die aktuelle Wirt-

Religiöse Einheit und Vielfalt ------

schaftskrise zu überwinden. Das Ausweisungsdekret betraf ungefähr 4 % der Gesamtbevölkerung Spaniens, insgesamt rund 300.000 Menschen. Nur eine kleine Gruppe von Kindern und völlig assimilierten Personen, etwa 10.000 Menschen, durfte bleiben. Widerstand flackerte nur selten auf. Zu den be­ vorzugten Zielen der Emigranten zählten nordafrikanische Fürstentümer, das Osmanische Reich und Frankreich. Nicht überall wurden sie mit offenen Armen empfangen. In islamischen Ländern etwa galten sie keineswegs im­ mer als vollwertige Muslime, da sie formal zum Christentum hatten konver­ tieren müssen. Die negativen wirtschaftlichen Folgen für Spanien waren weitreichend: Aragon verlor rund 18 % seiner Einwohner. In der Landwirt­ schaft und im Gewerbe entstand eine Lücke, die lange nicht geschlossen werden konnte. Politisch war die Aktion einerseits ein Misserfolg, denn Spa­ niens Gegner profitierten von dem Bevölkerungszuwachs, andererseits trug sie jedoch zur konfessionellen Homogenisierung der Monarchie bei, in der sich der katholische Glaube zu einem einigenden Band entwickelte. Damit in Zusammenhang stand die Ausbildung einer religiös-ethnischen Ideologie, in deren Mittelpunkt die limpieza de sangre stand. Limpieza de sangre ("Reinheit des Blutes") Der Begriff umschreibt ein im Mittelalter verwurzeltes und in der spanischen Ge­ sellschaft weit verbreitetes religiös-ethnisches Differenzierungsprinzip, das zwi-

E

schen "Altchristen" und "Neuchristen" (konvertierte Juden und Mauren) unter­ schied. Erstere galten aufgrund ihres "reinen" Blutes als "echte" Spanier, letztere automatisch als Scheinchristen und daher unrein. Das Prinzip, das in Rechtsvor­ schriften einen Ausdruck fand, 1556 von der Krone offiziell anerkannt wurde und auch in Hispanoamerika in Erscheinung trat, führte zu sozialen Diskriminierungen (z. B. Berufsverbote). Umstritten ist die Ansicht, die Diskriminierung der Neu­ christen hätte die Ausbildung eines Bürgertums verhindert und zur Rückständigkeit Spaniens im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geführt, denn das Prinzip geriet unter Philipp IV. zunehmend unter Kritik und wurde nie konsequent umgesetzt. Es gibt Parallelen zu den Nürnberger Gesetzen von 1935. Allerdings fehlt eine naturwissenschaftlich begründete Ideologie, weshalb die Vorstellung besser als Bindeglied zwischen mittelalterlichem Antijudaismus und modernem Antisemitismus zu verstehen ist.

c) Christianisierung und Missionierung Christianisierung, d.h. die Hinführung von Gesellschaften zum christlichen

Begriffsbestimmung

Glauben, ist mit der Missionierung, verstanden als aktive Ausbreitung des

und Grundzüge

Christentums durch Verkündigung und sakramentale Eingliederung Anders­ gläubiger in die Kirche, eng verwandt. Beide Phänomene waren mit dem Ausgreifen Spaniens und Portugals nach Übersee untrennbar verbunden, denn Papst Alexander VI. (1431/92-1503) hatte die Welt 1493/94 zwischen beiden Kronen aufgeteilt und als Gegenleistung die Bekehrung der Bevölke­ rung verlangt. Diese diente jedoch nicht nur der kolonialen Legitimation, sondern entsprach auch dem Selbstverständnis der Monarchen und ihrem Leitbild einer religiös geschlossenen Untertanengesellschaft. Hand in Hand damit erfolgten die Disziplinierung und Zivilisierung der autochthonen Be­ völkerung, die den europäisch-spanischen Normen gemäß leben sollte, so­ wie die territoriale Ausdehnung, denn oftmals waren es gerade Missionare, die in unerschlossene Regionen vorstießen. Religiöse und politische Integra­ tion können somit nicht voneinander getrennt werden. Das koloniale Staats-

63

11

.

11

Herrschaft und Gesellschaft "

------

kirchentum gilt als charakteristisches Merkmal der spanischen Expansion nach Amerika. Verlauf und

Die Missionierung Hispanoamerikas erfolgte zum einen mit Hilfe der Bi­

Methoden

schöfe, welche die Krone bzw. der Indienrat, basierend auf einem von Rom

1508 gewährten weitreichenden Patronatsrecht, einsetzte (zwischen 1502 und 1620 wurden 35 Bistümer gegründet). Sie wurde zum anderen von den Bettelorden betrieben (gereiht nach ihrer Bedeutung: Franziskaner, Domini­ kaner, Augustiner, später Kapuziner), die u. a. das Exklusivrecht erhalten hat­ ten, da sie der Armut besonders verpflichtet waren, sowie den Jesuiten. Ein einheitliches Verlaufsschema gab es nicht. Von der Überlegenheit christlicher Werte war man jedoch überzeugt, weshalb Zwangstaufen ebenso selbstver­ ständlich waren wie die Zerstörung indigener Heiligtümer, die Verfolgung der P riesterschaft sowie Gewalt gegenüber der Bevölkerung. Besonders proble­ matisch erwies sich die Verknüpfung mit der Ausbeutung der Ureinwohner in Arbeitssystemen, die zur demografischen Katastrophe beitrugen (Kap. 11.1). Allerdings gab es auch Ordensmitglieder, die linguistische und ethnografische Arbeiten verfassten und damit zum Erhalt indigener Sprachen und Traditionen beitrugen. So stammt ein Großteil der im 16. Jahrhundert verfassten Bücher über mexikanische Sprachen von Franziskanern. Inkulturierende Missions­ weisen und Akkomodationsstrategien mit besserer Anpassung an die örtli­ chen Verhältnisse setzten sich allerdings nur langsam durch. Zu einer ähnlich starken Anpassung an die indigenen Bedingungen wie bei der Missionierung in den asiatischen Hochkulturen kam es in der Neuen Welt nicht.

E

Jesuiten (1491-1556) gegründete (1468/1534-1549) bestätigte jesuitenorden spielte

Der von dem baskischen Adligen lfiigo L6pez de Loyola und

1540 von Papst Paul

111.

bei der Rekatholisierung wie der Missionierung eine zentrale Rolle. Haupteinsatz­ gebiete des Ordens, dessen Mitglieder das Namenskürzel SJ

(Societas jesu) tragen

und sich zu Armut, Ehelosigkeit und strengem Gehorsam, insbesondere gegen­ über dem Papst, verpflichten, waren das Bildungswesen und die Seelsorge. Einige erlangten als Beichtväter habsburgischer Monarchen, etwa Ferdinands 11., poli­ tisch großen Einfluss. Aufgrund seiner Nähe zum Papsttum wurde der Orden

1773 auf bourbonischen Druck hin aufgehoben, 1814 jedoch wieder zugelassen. Er existiert noch immer und hat gegenwärtig rund 18.000 Mitglieder. Bei der Mis­ sionierung der Ureinwohner traten die jesuiten ab der Mitte des 16. jahrhunderts in Erscheinung. Um die Urbevölkerung wirkungsvoller missionieren zu können, wollte man sie von schädlichen Einflüssen europäischer Siedler fernhalten und richtete ab der Wende vom 16. zum 17. jahrhundert in Südamerika (Paraguay, Ar­ gentinien, Grenzgebiet Brasilien-Uruguay ) weitgehend autonome Missionsstatio­ nen (Reduktionen) ein. Die spanische Krone unterstützte dies, da sie sich davon eine bessere Kontrolle über die Indigenen sowie mehr Erfolge bei der Abwehr por­ tugiesischer Sklavenjäger, französischer Invasoren und feindlicher Stämme erhoff­ te. Nach dem Verbot des Ordens verwahrlosten die Reduktionen, und im Zuge der lateinamerikanischen Unabhängigkeitsrevolutionen im frühen

19. jahrhun­

dert wurden sie abgeschafft. Sie werden rückblickend sehr unterschiedlich beur­ teilt. Die Interpretation als "jesuitenstaat" ist überzogen, ebenso wenig wurden kommunistische Utopien verwirklicht, und der Orden bereicherte sich an ihnen auch nicht. Fortleben indigener

Unter der Oberfläche, etwa bei der Götzenverehrung, lebten die indigenen

Traditionen

Religionen lange fort, denn die Massenbekehrungen führten zu keiner spiri-

64

Untertanenwiderstand und Revolten ------

tuelien Verinnerlichung und die Ureinwohner wehrten sich gegen die "Zwangsbeglückung". Stellenweise kam es auch zur Vermischung christli­ cher und heidnischer Praktiken. 1562 soll sogar in einer Kirche ein Men­ schenopfer stattgefunden haben. Belegt ist auch die Konsultation von Medi­ zinmännern durch Spanier. Der eine oder andere religiös-rituelle Brauch der Indigenen hat bis heute überlebt (z. B. Dfa de los MuertoslTag der Toten in Mexiko). Im Kern ähnlich verhielt es sich mit den schwarzen Sklaven, denen der katholische Glaube ebenfalls nur oberflächlich vermittelt wurde, was zur Vermischung mit afrikanischen Religionen führte. Rückblickend muss man die Missionierung äußerst kritisch beurteilen, denn sie erfolgte Hand in Hand mit der Eroberung. Einschränkend ist allerdings anzuführen, dass sie in einem inhumanen Umfeld erfolgte und viele Akteure subjektiv überzeugt waren, mit dem Seelenheil auch Segen zu bringen. Insgesamt war das Spanische Imperium somit fast durchgängig katholisch geblieben oder geworden, abgesehen von den Niederlanden und dem Fort­ leben indigener Traditionen in Hispanoamerika. Weitaus weniger homogen war der Herrschaftsraum der österreichischen Habsburger, wo zwar in den Erbländern, Böhmen und Mähren ebenfalls der Katholizismus dominierte, sich im Heiligen Römischen Reich und Ungarn aber konfessionelle Vielfalt etablierte. Die religiöse Vereinheitlichung stabilisierte die Herrschaft, legiti­ mierte Machtansprüche und verstärkte den inneren Zusammenhalt.

6. Untertanenwiderstand und Revolten a) Grundzüge des Untertanenwiderstands Die gemeinhin akzeptierte hierarchische Ordnung der ständischen Gesell­

Begriffsbestimmung

schaft (Kap. 11.1) bedeutete nicht, dass Herrschaft ein einseitiger Akt des Be­ fehlens und Gehorchens war, denn Obrigkeit und Untertanen waren durch ein kompliziertes Verhältnis wechselseitiger Rechte und Pflichten miteinan­ der verbunden. So war es Letzteren unter bestimmten Umständen möglich, Kritik zu üben und sich Anordnungen zu widersetzen. Die Forschung spricht in diesem Zusammenhang von Widerstand. Zwei Spielarten, die sich in der Realpolitik oftmals vermischten, erlangten besonderes Gewicht: Ständischer Widerstand und Volkswiderstand. Widerstand Widerstand von Untertanen gegen ihre Obrigkeit (Herrscher, Landesfürst, Grund­ herr, städtischer Magistrat) war im frühneuzeitlichen Europa weit verbreitet und

E

wurde von Adligen wie von Geistlichen, Bürgern und Bauern praktiziert. Es han­ delte sich um einen essenziellen Bestandteil der politischen Kultur, die der deut­ sche Historiker Wolfgang Schmale (geb.

1956) zu den Grundbefindlichkeiten der

Menschen zählt. Da er sich nicht gegen den Staat als Monopolisten legitimer Ge­ waltanwendung richtete und normalerweise der Konsens das Ziel war, besteht ein deutlicher Unterschied zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus oder kommunistische Diktaturen. Die Grenzen zur kriminellen Handlung, beispiels­ weise zum Landfriedensbruch oder zur Majestätsbeleidigung, waren fließend und wurden, abhängig von den Interessen und Machtverhältnissen, unterschiedlich

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Herrschaft und Gesellschaft "

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I

gezogen, was Debatten über ein "Widerstandsrecht" nach sich zog. Da dabei in­ tensiv über die Rechte der Obrigkeit, Untertanengehorsam, Partizipation, adlige Freiheit und Souveränität nachgedacht wurde, waren sie wichtige Impulse für die Weiterentwicklung der Verfassung.

ständische Widerstand erreichte in Europa wie in den Reichen der

Grundzüge des stän­

1. Der

dischen Widerstands

Habsburger im späteren 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts seinen Höhepunkt, als religionspolitische Gegensätze bereits bestehende Spannungen zwischen den meist vom Adel dominierten Ständen und dem Herrscher verschärften. Seine Ursachen waren breit gefächert, etwa Steuer­ druck, vermeintliche Rechtsbrüche des Herrschers, Glaubensdifferenzen und die Bevorzugung landfremder Personen bei der Ämtervergabe. Diese Faktoren standen oftmals in engstem Zusammenhang mit Versuchen der Habsburger, die zusammengesetzten Monarchien zu integrieren und die finanziellen Ressourcen besser zu kontrollieren. Die Bandbreite reicht von mit Nachdruck vorgetragenen Bitten, der Verzögerung oder Verweigerung von Steuerbewilligungen, Drohungen und Ungehorsam bis hin zur Anwen­ dung von Gewalt, Huldigungsverweigerungen und Absetzungen, beispiels­ weise 1581 in den Niederlanden, 1611 und 1619 in Böhmen, 1620 und 1707 in Ungarn sowie 1640 in Katalonien und Portugal. Zur extremsten

Manifestation, dem Tyrannenmord, kam es jedoch nicht. Häufte sich radikaler Widerstand über einen längeren Zeitraum, wird auch von einer "Ständerevolte" oder "Ständerebellion" gesprochen, was in­ sofern problematisch ist, als beide Begriffe pejorativ die Sicht der monarchi­ schen Seite wiedergeben, die das Verhalten ihrer Untertanen kriminalisierte. In der Praxis überlagerten sich die Konflikte häufig mit weiteren innenpoliti­ schen oder internationalen Auseinandersetzungen. Verlauf und Ergebnis va­ riierten gewaltig: Die böhmischen und österreichischen Stände scheiterten, den nördlichen Provinzen der Niederlande und den Portugiesen hingegen gelang es, sich von der habsburgischen Herrschaft zu lösen. In Ungarn und Katalonien kam es zwar nicht zur gewünschten Autonomie, die Stände konnten sich jedoch bedeutende Sonderrechte bewahren. Interpretationen

Die moderne Forschung steht Interpretationen als "nationaler Befreiungs­

der Forschung

kampf", Auseinandersetzungen zwischen "Ständestaat" und "absolutisti­ scher Monarchie" oder "Revolution" kritisch gegenüber, da sie einzelne Merkmale, insbesondere verfassungsrechtliche Gegensätze, überzeichnen und nicht der zeitgenössischen Wahrnehmung gerecht werden. Stattdessen deutet sie den ständischen Widerstand als Teil des Verfassungslebens mit dem Ringen um die Definition allgemein akzeptierter Normen.

Grundzüge des Volkswiderstands

2. Mit Hilfe des

Volkswiderstands artikulierten diejenigen Untertanen ih­

ren politischen Willen, die keine oder nur schwach entwickelte Partizipati­ onsrechte besaßen, hauptsächlich Bewohner von Dörfern und Städten. Ne­ ben mehr oder weniger alltäglichen individuellen Verhaltensweisen wie Ab­ gabenverweigerung, Vernachlässigung der Frondienste, Streik und Flucht, gab es kollektive bewaffnete Aktionen gegen Adelssitze, Städte oder Steuer­ einnehmer und als Extremform den Bauernkrieg. Meist war die Beseitigung konkreter Missstände das Ziel, nur äußerst selten wurde die Auflösung der politisch-sozialen Ordnung angestrebt. Die wichtigsten Ursachen waren re­ ligionspolitische Differenzen, überzogene Abgabenlast und Dienstleistun-

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Untertanenwiderstand und Revolten ------

gen, Rechtsverstöße, Reglementierungen im Wirtschaftsleben sowie ganz allgemein ein Rückgang des Lebensstandards. Im Herrschaftsraum der öster­ reichischen Habsburger kam die finanzielle Last der Türkenabwehr hinzu. Im Spanischen Imperium nahm der Volkswiderstand, abgesehen von den großen Erhebungen in den Niederlanden, Katalonien und Portugal, in der hier behandelten Epoche nur selten schärfere Formen an. Die oftmals zu le­ sende Ansicht völliger innenpolitischer Ruhe ist jedoch übertrieben, denn auch wenn man die Erhebung der Morisken außer Acht lässt, gab es selbst in Kastilien, der stabilen Machtbasis, Auflehnungen. Diese blieben jedoch lo­ kal begrenzt und ließen sich ohne großen Aufwand niederschlagen. Sonder­ fälle sind die Aufstände in Neapel (1647/48), Palermo (1647) und Messina

(1674-1678), aber auch hier waren die Langzeitwirkungen gering. Ausge­ prägter war der Volkswiderstand im Herrschaftsraum der österreichischen Habsburger mit der größten Revoltendichte am Oberrhein, im Schwarzwald sowie in Oberschwaben und Oberösterreich. Zeitlich liegt der Schwerpunkt im 17. Jahrhundert. Besonders viele Stadtunruhen ereigneten sich im Heili­ gen Römischen Reich. Die Ansichten über die Folgen des bäuerlichen Widerstands reichen von "tragischer Sinnlosigkeit" bis hin zur enormen Bedeutung für die Herausbil­

Interpretationen der Forschung

dung des "Absolutismus". Fest steht, dass es Erfolge gab und man punktuell die Reduzierung der Abgabenlast, die Entlassung korrupter Beamter oder die Beschränkung der Frondienste erwirkte. Die großen Kriege endeten je­ doch stets mit einer Niederlage der Bauern, die grausamst bestraft wurden. Für die politisch-soziale Entwicklung Europas waren sie insofern trotzdem von Bedeutung, als sie zur besseren Disziplinierung der Untertanen und Ausbildung staatlicher

Regulierungsmechanismen über die

Köpfe der

Grundherren hinweg führten.

b) Revolten im Spanischen Imperium Eines der markantesten Ereignisse der europäischen Geschichte des späteren

Aufstand in den

16. und der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ist der Aufstand in den Nie­ derlanden, der nicht nur die Innen- wie die Außenpolitik Madrids nachhaltig

(1566-1648)

Niederlanden

beeinflusste, sondern auch England, Frankreich sowie die spanischen und portugiesischen Kolonien in seinen Sog zog. Aber auch die österreichische Linie war betroffen, denn die Niederlande gehörten zum Heiligen Römi­ schen Reich. Die europäischen Dimensionen sind ferner daran zu erkennen, dass das Grundproblem - um religiöse und politische Privilegien kämpfende Untertanen widersetzen sich in einer von konfessionellen Gegensätzen auf­ geladenen Atmosphäre einem auf Zentralisierung bedachten Herrscher ein Strukturmerkmal der Geschichte des Kontinents darstellt. Im Kern ähnli­ che Konflikte gab es in Frankreich, England, Schottland, Böhmen, Ungarn und den östlichen Erbländern. Der Aufstand begann 1566 und endete 1609 mit dem Abschluss des Zwölfjährigen Waffenstillstands. Nach dessen Ablauf 1621 flammten die

Grundzüge des Verlaufs

Kämpfe erneut auf, um erst mit der offiziellen Anerkennung der Souveränität der Vereinigten Niederlande durch Philipp IV. im Frieden von Münster 1648 ein Ende zu finden. Diese zweite Phase besaß bereits den Charakter eines Krieges zweier Großmächte um politische und wirtschaftliche Einflusszonen

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Herrschaft und Gesellschaft "

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Beginn

Ursachen

Statthalterschaft des Herzogs von Alba

(1567-1573)

Statthalterschaft des Erzherzogs Matthias

(1578-1581)

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in Europa und Übersee und wird deshalb in Teil 111 dargestellt (Kap. 111.5). Der Aufstand hatte weitreichende Folgen, denn er führte letztlich zur Entste­ hung Belgiens und der Niederlande. Beim Herrschaftsantritt Philipps 11. 1555 waren die Niederlande ein aus 17 lose verbundenen Provinzen bestehender Länderkomplex, geprägt vom mächtigen Bürgertum und weitreichender ständischer Partizipation. Protes­ tantische Glaubensformen, vor allem der Calvinismus, hatten trotz Gegen­ maßnahmen Fuß gefasst. Einen exakten Zeitpunkt für den Beginn der Erhe­ bung gibt es nicht, denn die Unzufriedenheit mit der spanischen Herrschaft wuchs langsam. Einschneidend waren jedoch 1566 in Westflandern Bilder­ stürme: die gewaltsame Entfernung von Bildern aus den reich geschmückten katholischen Kirchen und Klöstern durch Calvinisten, um diese Räumlich­ keiten für den eigenen Gottesdienst nutzen zu können. Manche Historiker sehen auch in der Schlacht bei Heiligerlee 1568 den Anfang. Die Stürme, die rasch weitere Landesteile erfassten, brachten eine weitver­ breitete Unzufriedenheit mit der antiprotestantischen Religionspolitik Phi­ lipps 11. zum Ausdruck. Zu den weiteren Ursachen zählen eine nach spani­ schem Vorbild erfolgte Bistumsreform, die den Adel benachteiligte und die Zusammensetzung der Ständeversammlungen veränderte, die wachsende Hispanisierung von Regierung und Verwaltung sowie eine Wirtschaftskrise, verschärft durch einen harten Winter 1565/66. Zu berücksichtigen ist ferner eine vor allem in den Städten vorhandene, lange Widerstandstradition. Alle diese Faktoren stehen mit einem Kernproblem in Zusammenhang: Unter Karl V. waren die Niederlande, nicht zuletzt aufgrund der Expansion in die Neue Welt, sukzessive an die Peripherie des Imperiums gerückt worden, und Phi­ I ipp 11. versuchte nun, sie wieder besser zu integrieren. Nicht zuletzt aufgrund seiner überzogenen Reaktionen - ein Beispiel ist die brutale Statthalterschaft des Herzogs von Alba (1508-1582) zwischen 1567 und 1573 - und der intoleranten Religionspolitik, welche die Unzu­ friedenheit erhöhten, gelang es dem Habsburger nicht mehr, die Bewegung unter Kontrolle zu bringen und gegen die geschickte Guerillataktik der Auf­ ständischen ein militärisches Erfolgsrezept zu finden. Während sich schließlich die südlichen, stärker katholisch orientierten Provinzen 1579 zur Union von Arras vereinigten und mit dem König einen Sonderfrieden vereinbarten, schlossen sich die sieben radikaleren nördlichen, von Hol­ land und Seeland angeführten Provinzen zur Union von Utrecht zusam­ men. Die beiden Bündnisse leiteten das Auseinanderbrechen des Länder­ komplexes und das Ausscheiden des Nordens aus dem habsburgischen Herrschaftsbereich ein. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung war kurz zuvor erfolgt: die Statthal­ terschaft des Erzherzogs (und späteren Kaisers) Matthias. Der politisch uner­ fahrene, gleichwohl ehrgeizige Habsburger (Kap. 11.2) nahm 1577 - ohne Billigung Rudolfs 11. oder Philipps 11. - ein Angebot der Niederländer zur Übernahme der Generalstatthalterschaft wahr; die Aufständischen dachten bei der Problemlösung also zunächst noch in habsburgischen Kategorien. Das Unternehmen endete allerdings in einem Fiasko, und Matthias kehrte 1581 in die Erbländer zurück. Die wohl letzte Chance, den gesamten Län­ derkomplex in der Hand der Dynastie zu behalten, war vertan. Stattdessen kam es zu einer tiefen innerdynastischen Krise, denn in Madrid befürchtete

Untertanenwiderstand und Revolten ------

man, die österreichische Linie strebe, anderslautenden Beteuerungen Ru­ dolfs zum Trotz, insgeheim nach der Herrschaft über die Niederlande. Im sei ben Jahr erreichte der Aufstand mit der Absetzung Philipps 11. durch

Absetzung

die sieben nördlichen Provinzen den Höhepunkt. Die "Rebellen" legitimier­

Philipps 11.

(1581)

ten ihr Vorgehen offiziell in der "Verlassungsakte" (Plakkaat van Verlatinghe,

26.7.1581) u.a. mit der Missachtung von Privilegien sowie dem brutalen Vor­ gehen Albas und der Inquisition. Aufgrund der darin enthaltenen Ausführun­ gen über den Untertanenwiderstand handelt es sich um ein zentrales Doku­ ment der europäischen Verfassungsgeschichte, das weitere Ständerevolten und sogar die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten 1776 beein­ flusste. In den Augen des spanischen Königs freilich war es, aufgrund der ein­ seitigen Rechtauslegung nicht ganz unbegründet, ein Pamphlet rebellischer Untertanen. Die Suche nach einem neuen Oberhaupt erwies sich für die Mit­ glieder der Union von Utrecht als schwierig, denn Heinrich 111. (1551/

74-1589) von Frankreich wie Elisabeth I. von England lehnten ab. Wer möchte Untertanen regieren, die soeben ihren Herrscher entthront haben? Daher begannen die Stände, die Amtsgeschäfte alleine auszuüben - es ent­ stand eine "Republik wider Willen", für die sich in Anlehnung an die Ver­ sammlung der Generalstände die Bezeichnung "Generalstaaten" einbürgerte. Alle Versuche Philipps 11. und Philipps 111., diese Entwicklung rückgängig zu machen, wehrten sie mit Erfolg ab, und 1609, als schließlich beide Seiten er­ schöpft waren, einigte man sich auf einen zwölfjährigen Waffenstillstand. Warum gelang es den nördlichen Provinzen, sich gegen die führende Mili­ tärmacht dieser Zeit zu behaupten? Zu den Hauptgründen zählen die geo­

Ursachen des Erfolgs des Aufstandes

strategischen Gegebenheiten (die Öffnung der Deiche etwa bot die Ge­ legenheit, weite Landstriche unter Wasser zu setzen), die Möglichkeit, aufgrund der hohen Alphabetisierungsrate und gut entwickelter Kommunika­ tionsstrukturen breite Massen durch antispanische Propaganda zu mobilisie­ ren, der Aufbau eines effizienten Systems der Kriegsfinanzierung, das in Eu­ ropa bald als vorbildlich galt, und die Ende des 16. Jahrhunderts mit der Ora­ nischen Heeresreform eingeleitete Modernisierung der Armee, die viele Länder nachahmten. Spanien hingegen musste aufgrund seiner imperialen Ausdehnung stets an mehreren Fronten kämpfen. Schließlich sind noch poli­ tische Fehler Philipps 11. anzuführen, der sich zu stark von religiösen Ge­ sichtspunkten leiten ließ, infolge seines ausgeprägten Majestätsbewusstseins die Anliegen der Niederländer nicht verstand und in ihnen nur Rebellen sah. Der Aufstand wird in der Forschung unterschiedlich gedeutet. Zu den wichtigsten

Interpretationen

zählt

die

bereits

von

Friedrich

Schiller

Interpretationen der Forschung

(1759-1805) vertretene Ansicht, es habe sich um einen Freiheitskampf ge­ gen die spanische Fremdherrschaft gehandelt. Dem ist zu entgegnen, dass es den Aufständischen nicht um die Unabhängigkeit einer "niederländischen Nation" ging, sondern um Rechte und Privilegien. Allerdings deuteten vor allem protestantische Historiker die Erhebung als Versuch von Calvinisten, das Recht auf Religionsausübung gegen die habsburgisch-katholische Ob­ rigkeit durchzusetzen. Hier lässt sich als Gegenargument die Beteiligung von Katholiken am Widerstand anführen. Einer dritten Interpretationslinie folgend handelte es sich um eine Sozialrevolution des aufstrebenden Bürger­ tums. Diesbezüglich ist jedoch einzuwenden, dass sich auch Adlige betei­ ligten. Eine weitere Möglichkeit, die Deutung als Ständerevolte, rückt die

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11

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Herrschaft und Gesellschaft "

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Gegensätze zwischen den auf Zentralisierung bedachten spanischen Monar­ chen und den Ständen in den Mittelpunkt, die ihre Partizipationsrechte ver­ teidigten. Aber auch diese Interpretation ergibt kein vollständiges Bild, denn an der Erhebung beteiligten sich auch Schichten, die in den ständischen Gremien nicht vertreten waren. Eine zufriedenstellende Gesamterklärung muss die Faktoren miteinander kombinieren und berücksichtigen, dass der Charakter des Aufstands räumlich und zeitlich variierte: Am Anfang standen eine Untertanenerhebung und ein Religionskrieg, die sich, gefördert durch ökonomische Krisen und handelspolitische Interessen des Bürgertums, zu einem zwischenstaatlichen Krieg entwickelten. Katalonien

Einen alternativen Verlauf nahm der Aufstand der Katalanen, der 1640 vor dem Hintergrund der Versuche der Krone ausbrach, Kastilien, das den Groß­ teil der Außenpolitik finanzierte, zu entlasten und die Teilreiche fester zu verknüpfen, was in Katalonien als "Kastilisierung" und Autonomieverlust wahrgenommen wurde. Die Revolte entzündete sich schließlich an den Ausschreitungen einer kastilischen Armee, die in Katalonien gegen Frank­ reich in Stellung gebracht worden war. Schließlich erklärten die Rebellen 1641 ihre Loslösung von der Monarchie und nahmen den französischen Kö­ nig Ludwig XIII. als neues Oberhaupt an. Die Provinz bildete fortan einen Teil Frankreichs, was maßgeblich zum Scheitern der spanisch-französischen Verhandlungen in Münster beitrug (Kap. 111.5). Erst 1652 gelang Madrid die Rückeroberung. Um das Land zu befrieden und den noch immer währenden Krieg gegen Frankreich fortsetzen zu können, musste Phi I ipp IV allerdings die Privilegien der Stände bestätigen. Der Versuch, Katalonien stärker in die Monarchie einzubinden, war gescheitert. Ein anderes Ende nahm hingegen

Portugal

der Aufstand bzw. Unabhängigkeitskampf Portugals, der ebenfalls 1640 be­ gann. Warum wollten sich die Portugiesen von der habsburgischen Herrschaft, unter die sie 1580 geraten waren, befreien? Philipp IV plante zum einen, die Autonomie des Königreichs zu beschneiden und dieses stärker an den Kosten der Außenpolitik des Imperiums zu beteiligen, zum anderen war Portugal in Übersee zu einer Zielscheibe antispanischer Politik geworden. Gewinneinbrüche im Handel mit Gewürzen und Sklaven sowie 1630 die Gründung der Kolonie Niederländisch-Brasilien an der Nordostküste Süd­ amerikas waren die schmerzhaften Folgen. Die Kämpfe selbst zogen sich in die Länge, denn Philipp, zunächst in den Dreißigjährigen, dann in den Fran­ zösisch-Spanischen Krieg und den Aufstand der Katalanen verwickelt, war zwar militärisch nur bedingt handlungsfähig, jedoch nicht bereit, den Abfall hinzunehmen. Das Resultat war ein 28-jähriges Ringen, das die Portugiesen, unterstützt von Engländern, Niederländern und Franzosen, letztlich für sich entschieden. Im Frieden von Lissabon 1668 musste Madrid die Souveränität des Königreichs anerkennen. Nur Ceuta wollte bei Spanien verbleiben, in dessen Besitz es sich noch heute befindet. Johann IV (1604/40-1656) be­ gründete die Herrschaft der Dynastie von Bragan