Die Grundprinzipien des Völkerrechts über die freundschaftlichen Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen den Staaten: Die Arbeit des UN-Sonderausschusses über die völkerrechtlichen Grundsätze betreffend die freundschaftlichen Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen den Staaten und das geltende Völkerrecht [1 ed.] 9783428429356, 9783428029358


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German Pages 293 Year 1973

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Die Grundprinzipien des Völkerrechts über die freundschaftlichen Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen den Staaten: Die Arbeit des UN-Sonderausschusses über die völkerrechtlichen Grundsätze betreffend die freundschaftlichen Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen den Staaten und das geltende Völkerrecht [1 ed.]
 9783428429356, 9783428029358

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BERNT GRAF ZU DOHNA

Die Grundprinzipien des Völkerrechts über die freundschaftlichen Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen den Staaten

Schriften zum Völkerrecht

Band 30

Die Grundprinzipien des Völkerrechts über die freundschaftlichen Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen den Staaten Die Arbeit des UN·Sonderausschussel über die völkerrechtlichen Grundsätze betreffend die freundschaftlichen Beziehungen und die ZUlammenarheit zwiachen den Staaten und das gehende Völkerrecht

Von

Dr. Bernt Graf zu Dohna

DUNCKER&HUMBLOT /

BERLIN

Alle Rechte vorbehalten & Humblot. Berlin 41 Gedruckt 1973 bei Feese & Schulz. Berlin 41 Printed in Germany ISBN 3 428 02935 6

© 1973 Duncker

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1972/73 von der Juristischen Fakultät der Universität Kiel als Dissertation angenommen. Die Idee zu diesem Thema ging von meinem verehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. Wilhelm Kewenig, aus, der die Durchführung meiner Arbeit in jeder erdenklichen Weise gefördert hat. Sein Rat und seine Kritik haben mir entscheidend bei der Ausgestaltung meiner Dissertation geholfen, wofür ich ihm meinen aufrichtigen Dank aussprechen möchte. Auch Herrn Professor Dr. E. Menzel habe ich sehr herzlich zu danken, der mir ebenfalls vielfältige Anregungen gegeben hat. Herrn Ministerialrat a. D. Dr. J. Broermann bin ich für die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe "Schriften zum Völkerrecht" seines Verlages zu Dank verbunden. Bonn - Bad Godesberg, März 1973

Bernt Graf zu Dohna

Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis ................................................

15

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

1. Kapitel: Versuche zur Weiterentwicklung des Völkerrechts

21

A. Zur Kodifizierung und Weiterbildung des Völkerrechts im Rahmen der Vereinten Nationen ................................................ 21

B. Zur Vorgeschichte des Sonderausschusses ............................ 1. Beratungen im 6. Ausschuß während der 15. Sitzungsperiode der

Vollversammlung ..............................................

23

23

2. Beratungen im 6. Ausschuß während der 16. Sitzungsperiode der Vollversammlung .............................................. 27 3. Beratungen im 6. Ausschuß während der 17. Sitzungsperiode der Vollversammlung .............................................. 32 4. Beratungen im 6. Ausschuß während der 18. Sitzungsperiode der Vollversammlung .............................................. 35

c. Zusammensetzung, Organisation und Arbeitsweise des Sonderausschusses ............................................................

44

Inhaltsverzeichnis

10

2. Kapitel: Die Arbeit des Sonderansschusses und das geltende Völkerrecht A. Das Prinzip des Gewaltverbots .................... . ...... .. .........

48 50

1. Vorbemerkungen

51

2. Grundlagen und Bedeutung des Prinzips .................. .. ....

52

3. Zur inhaltlichen Bestimmung des Begriffs "force" ...... . ..... . ...

54

a) Die indirekte Gewalt .. . . . .. . .. . .. .. ... ...... ...... .. ........

59

b) Gewaltanwendung im Rahmen von Repressalien . . . . . . . . . . . . ..

61

c) Kriegspropaganda ...... . ............. . ............... .. .....

64

4. Die Drohung mit Gewalt .. . .......................... . . . ......

68

5. Das Verbot der Gewaltanwendung in den "internationalen Beziehungen gerichtet gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates" ........................ 69 a) Staatsgrenzen als Gegenstand des Gewaltverbots ............ b) Das Gewaltverbot und seine Bedeutung für Demarkations- und Waffenstillstandslinien . . . . ... . ........ .. .. . ..... . .. . ........ aa) Demarkations- und Waffenstillstandslinien begründen "de facto-Friedenstatus" .............. .. ............. . ....... bb) Die Staatenpraxis als Beweis für die gewohnheitsrechtliche Geltung des Gewaltverbotes gegenüber Demarkationsund Waffenstillstandslinien ... . .. .. . . .. . ..... .. .... . ..... ce) Waffenstillstands abkommen als völkerrechtlich relevante Selbstbindung der Parteien .............................. 6. Zur Frage der Anerkennung des durch Gewaltanwendung geschaffenen Besitzstandes ............... . .. . .... . .................. . .

69 72 75

77 77 78

7. Gewaltanwendung gegen Kolonialvölker als Gewalt in den internationalen Beziehungen der Staaten ........ . ............. .. .... 82 8. Die Ausnahmen vom Gewaltverbot des Art. 2 Abs. 4 SVN .. . .....

87

a) Das Selbstverteidigungsrecht .. .... .. ..... . .. . . . ..... . .... . ..

87

b) Selbstverteidigung gegen koloniale Unterdrückung ..........

90

e) Militärische Maßnahmen der Vereinten Nationen. . ... . . . . . ..

95

9. Verantwortlichkeit für Aggressionskriege . .. ....... . ..... . .....

99

10. Ergebnis . ... .. .. .. ......... . . . ...... .. .. . . . ... . ...... ... ....... 103

Inhaltsverzeichnis

11

B. Das Prinzip der Nichtintervention ......................... . ........ 103 1. Vorbemerkungen ............................................... 104

2. Die Grundlagen und Bedeutung des Prinzips .................... 105 3. Die unterschiedlichen Vorstellungen über die Kodifikation des Prinzips ........................................................ 112 4. Die Deklaration 2131 (XX) und der vom Ausschuß erarbeitete Text des Prinzips .............................................. 121 5. Stellungnahmen zu Inhalt und Umfang des Interventionsverbotes in der Literatur ................................................ 129 6. Ergebnis ....................................................... 134 C. Das Prinzip der friedlichen Streitbeilegung ................. . ........ 134 1. Vorbemerkungen ............................................... 135

2. Grundlagen und Bedeutung des Prinzips ........................ 136 3. Streitbeilegung durch Verhandlungen ... .. ..................... 137 4. Die richterliche Streitschlichtung ................................ 142 5. Das Verbot der Streitverschärfung .............................. 150 6. Die Verpflichtung zur friedlichen Streitbeilegung und das Problem der Wahrung der Souveränität der Staaten .................... 150 7. Zu Inhalt und Umfang der Verpflichtung zur friedlichen Streiterledigung ..................................................... 152 a) Zur inhaltlichen Bestimmung des Begriffs der internationalen Streitigkeit ........................... . ................. . .... 153 b) Zum Umfang des Gebots der friedlichen Streiterledigung .... 156 8. Ergebnis ... . ...... . ........... . ................................ 158 D. Das Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten ....... " ......... 158 1. Vorbemerkungen ........ . ... . .................................. 159

2. Grundlagen und Bedeutung des Prinzips .. . ..................... 160 3. Zum Verhältnis von Völkerrecht und Souveränität .............. 161

12

Inhal tsverzeichnis 4. Zum Inhalt des Prinzips ..... . .. . ......... . ...... . ..... . .. . ..... 165 a) Die Gleichheit der Staaten vor dem Recht .................. 166 aal Die Möglichkeit gleicher Ausübung von Rechten als Inhalt der Gleichheit der Staaten vor dem Recht ....... . ...... 168 bb) Gleiche Pflichten der Staaten als Attribut der Staatengleichheit .. .. .. .. . ..... ........ . . . . .. .. .. .. . .. . . .. . .. ... 169 b) Die Gleichheit der Staaten im Recht .................. .. .... 170 c) Das Recht auf Respektierung der Völkerrechtssubjektivität der Staaten .. ........... ... .......... . ........... . ......... 173 d) Die Unverletzlichkeit territorialer Integrität und politischer Unabhängigkeit der Staaten ........ . . .... ... . .. . . . .. . .. . ... aal Das Problem der Souveränität von Kolonialländem und -völkern . ........ . . . ................. . .................. bb) Das Recht zur Disposition über die nationalen Ressourcen ();) Die sozialistische Haltung ...... .. . . .......... .. ...... ß) Die Vorstellung afro-asiatischer Staaten . . ... .. . .. .. . . 'l') Die westliche Einstellung .. . .. . . .. .. . ....... . . . . . .. ..

173 174 174 175 175 176

e) Das Recht zur Entfernung fremder Truppen vom nationalen Territorium ................................................. 177 f) Der Auffangtatbestand des lit. b ...... .. .......... . . . . ... ... 177 5. Ergebnis ....... . .... . . .. . . .. . .. . ....... . . . .. . .. . ..... . .. . .. . ... 178

E. Das Prinzip der Zusammenarbeit der Staaten . ... .. ..... . . . ........ 178 1. Vorbemerkungen .. ... . .. . . . . . ..... . ...... . ... .. ....... .. . . ..... 179

2. Grundlagen und Bedeutung des Prinzips .... . ................... 180 3. Zum Inhalt des Prinzips . . . .. . .. .. ..... ... .. . ....... ... .. .. ... .. 182 a) Die Träger der Verpflichtung zur Zusammenarbeit . ... . ... . . .. 182 b) Die Möglichkeiten staatlicher Zusammenarbeit ..... . . . . . . . . . .. 184 c) Kooperation ohne Diskriminierung .................. . ....... 185 4. Zum Rechtscharakter des Prinzips .. ... ... ...... . .......... .. ... 186 a) Die Haltung sozialistischer und blockfreier Staaten ...... ... . 186 b) Die westliche Auffassung ........... . . . . . ........... . ........ 187 c) Der Komprorniß im Deklarationstext und seine rechtliche Beurteilung . . .. ....... ... .. . ........... . ....... . ............ 188 5. Ergebnis .. . . . ... . ...... . ... . ............... .. ........ . ... . ..... 192

Inhaltsverzeichnis

13

F. Das Prinzip der gleichen Rechte und der Selbstbestimmung der Völker 192 1. Vorbemerkungen ............................................... 193

2. Grundlagen und Bedeutung des Prinzips ........................ 194 3. Zum Inhalt des Prinzips ........................................ a) Der Träger des Selbstbestimmungsrechtes .................. aal Die Diskussionen im Sonderausschuß und der Einigungstext ..................... . .................... .. ......... bb) Zur Interpretation des Begriffes "Volk" in der Literatur b) Inhaltliche Bedeutung und Anwendungsbereich des Prinzips .. aal Die Diskussionen im Sonderausschuß und der Einigungstext ................................................. .... bb) Zur inhaltlichen Ausgestaltung des Prinzips in der Literatur und der Praxis der Vereinten Nationen .............. Il.) Die sozialistische Völkerrechtslehre ... .. ........ . . . . . .. ß) Die westliche Völkerrechtslehre .... .. ................ y) Die Praxis der Vereinten Nationen .................. c) Der Rechtscharakter des Prinzips ....................... " ...

195 196 196 199 202 202 210 210 212 216 217

4. Ergebnis . ... ................................................... 222 G. Das Prinzip der Pflichterfüllung nach Treu und Glauben ............ 222 1. Vorbemerkungen ............................................... 223

2. Grundlagen und Bedeutung des Prinzips ........................ 223 3. Zum Inhalt des Prinzips ........................................ a) Der Grundsatz "pacta sunt servanda" ........................ aal Zur Anwendung des Grundsatzes auf völkerrechtliche Verträge . . .............. ... ............................. Il.) Zur Haltung der sozialistischen Völkerrechtslehre ...... ß) Die Haltung der westlichen Völkerrechtslehre ..... ... .. y) Ergebnis ............................................. 1X1l.) Die Beschränkung auf Drohung oder Anwendung von Gewalt in Art.52 der Wiener Vertragsrechtskonvention ....................................... ßß) Ungleiche Verträge kein Verstoß gegen ius cogens (Art. 53 Wiener Vertragsrechtskonvention) ........ yy) Anerkennung der Doktrin von den ungleichen Verträgen eine Gefahr für die Rechtssicherheit ...... bb) Zur Anwendung des Grundsatzes auf das allgemeine Völkergewohnheitsrecht ................................. b) Der Grundsatz von Treu und Glauben ........................ c) Der Vorrang der Chartaverpflichtungen (Art. 103 SVN) ........

225 225 226 230 231 232 232 233 237 238 239 239

4. Ergebnis ....................................................... 240

Inhaltsverzeichnis

14

3. Kapitel: Die Bindungswirkung der Deklaration gegenüber der Staatengemeinschaft

241

1. Stellungnahmen im Sonderausschuß . ....... . . .. . . ... .. ... .. . . .. 241

2. Stellungnahmen der Völkerrechtswissenschaft zur Bindungswirkung von Resolutionen der Vereinten Nationen ........ . ... .. .... 244 3. Ergebnis . . . . . . ... . ... . .... . ... . ..... .. . . ... . . . ...... .. ... .. .... 249 a) Der Rechtscharakter der Deklaration . .. . . .. . ... .. .... . . . .. . . 249 aal Die Formulierungen der Deklaration mit Interpretationscharakter .......... ... ........... .. .. . ........ . ......... 250 bb) Die Formulierungen der Deklaration, die eine progressive Weiterentwicklung des Völkerrechts enthalten .......... 254 b) Partikuläre oder universale Bindungswirkung der Deklaration? 257

Schlußbemerkung .. . .. ....................................... .. ... . ... 265

Anhang

. .. . ... . .. . ............ . . . .. . ...... . .... . .. . ...... . . . .. . ... . .. 267

Literaturverzeichnis . . .. ........ . . . . . . . ......... . ........... . . ..... .... 281

Abkürzungsverzeichnis a.a.O. Add. AdV AJIL AöR Art. Bd. BRD BYIL Corr. DDR ders. dies. Diss. Doe. ebd. GA GAOR GARes. ICJ IGH ILC ILCQ ILM 10

=

=

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JIA JIR lit.

OAS OAU PCIJ Proeeedings RdC Res. Rev. Sov. YBIL

= = = =

am angegebenen Ort Addition Archiv des Völkerrechts Ameriean Journal of International Law Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Band Bundesrepublik Deutschland British Yearbook of International Law Correetion Deutsche Demokratische Republik derselbe dieselbe Dissertation Doeument ebendort General Assembly General Assembly Official Reeord General Assembly Resolution International Court of Justiee Internationaler Gerichtshof International Law Commission International and Comparative Law Quarterly International Legal Materials International Organization Journal of International Affairs Jahrbuch für Internationales Recht litera Organization of the Ameriean States Organization of Afriean Unity Permanent Court of International Justiee Proeeedings of the Ameriean Society of International Law Reeueil des Cours Resolution Revision Soviet Yearbook of International Law

16

SR. SVN UN UNCIO UNTS UNYB USA USSR VAR vgl. VN VR VV WVR YILC ZaöRV ZHR ZRP

Abkürzungsverzeichnis

= Summary Record

Satzung der Vereinten Nationen Uni ted Nations United Nations Conference on International Organization United Nations Treaty Series Uni ted Nations Yearbook United States of America Union Sozialistischer Sowjet Republiken Vereinigte Arabische Republik vergleiche Vereinte Nationen Völkerrecht Vollversammlung Wörterbuch des Völkerrechts Yearbook of the International Law Commission Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht = Zeitschrift für Rechtspolitik

Einführung Im Laufe dieses Jahrhunderts und insbesondere in den letzten beiden Jahrzehnten hat die Völkerrechtsentwicklung einen entscheidenden Wandel erfahren. War die Begründung und Ausarbeitung von Völkerrecht bis dahin vornehmlich westeuropäischen Staaten vorbehalten gewesen oder aber beruhte sie auf abendländischem Gedankengut, so erfolgte der erste Einbruch in diese Domäne mit der Errichtung des Völkerbundes im Jahre 1919 1 • Der Eintritt von 45 Staaten in eine teilweise durch die Satzung des Völkerbundes geregelte Völkerrechtsgemeinschaft mußte zwangsläufig zu einer Erweiterung der völkerrechtlichen Basis führen; das diese Staaten verbindende Recht konnte nicht länger allein auf den von den europäischen Staaten geschaffenen Völkerrechtsprinzipien beruhen, zumal sich diese als Hindernis insbesondere bei der Wahrung des Weltfriedens erwiesen hatten. Die Ereignisse, die zum Weltkrieg geführt hatten und die dem traditionellen Völkerrecht fehlenden Regelungen zur Verhinderung zukünftiger militärischer Auseinandersetzungen waren der Hauptanstoß zur überarbeitung des zwischenstaatlichen Rechts. Die Initiative dazu lag anfangs bei den zur Großmacht erstarkten USA, die damit einen geschichtlichen Einbruch in den vom europäischen Denken bestimmten Völkerrechtskreis bewirkten. Es gelang ihnen, auf der Grundlage der 14 Punkte-Erklärung Wilsons die Lehren, die der Weltkrieg gegeben hatte, zum Leitmotiv der Völkerbundssatzung zu machen. Die so unheilvollen Auswirkungen des überkommenen Souveränitätsverständnisses sollten nunmehr durch eine differenziertere Betrachtungsweise staatlicher Souveränitätsrechte ausgeschaltet werden; militärische Maßnahmen zur Beilegung völkerrechtlicher Streitigkeiten sollten sich nur noch beschränkt aus der Souveränität der Staaten ergeben (vgl. Art. 11, 12 Völkerbundssatzung). Ein weiterer entscheidender Schritt, mit dem europäisches Souveränitätsdenken als Hindernis einer zukunftsorientierten Völkerrechtsentwicklung von der anglo-amerikanischen Völkerrechtsauffassung zurückgedrängt wurde, ist im Abschluß des sog. Briand-Kelloggpaktes 1 Vgl. Anand, Role of the ,New' Asian-African Countries in the Present International Legal Order, S. 383 f.; vgl. auch Schweitzer, Das Völkergewohnheitsrecht und seine Geltung für neuentstehende Staaten, S.67.

2 Grat zu Dohnll

18

Einführung

zu sehen. Von nun an sollte auch der Krieg als letztes Mittel der Streiterledigung ausgeschlossen sein. Trugen während der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen im wesentlichen amerikanische Ideen zur Weiterentwicklung des Völkerrechts bei, so steht die Periode nach Gründung der Vereinten Nationen unter dem wachsenden Einfluß der sozialistischen Völkerrechtslehre und seit etwa einem Jahrzehnt insbesondere im Zeichen neuentstehender Staaten Afrikas und Asiens und den von diesen aufgeworfenen Problemen2 • Bei Gründung der Vereinten Nationen waren 51 Staaten, davon 11 afro-asiatische Staaten beteiligt3. Im Jahre 1966 betrug die Mitgliederzahl der Organisation bereits 119, davon 61 afro-asiatische Staaten. Alle diese Staaten haben bei der Aufnahme in die Vereinten Nationen gemäß Art. 4 SVN die Verpflichtungen aus der Charta übernommen. Als völkerrechtlicher Vertrag enthält die Charta der Vereinten Nationen die Grundprinzipien, nach denen sich die Beziehungen zwischen den Staaten und gegenüber den Vereinten Nationen regeln. Zwar fühlen sich auch die neuen Mitglieder an die in der Charta niedergelegten Grundsätze (insbesondere Art. 2) gebunden4 , sie sind jedoch der Meinung, daß diese einer Anpassung an die Veränderungen in der Welt bedürfen, die insbesondere auf die Desintegration des Kolonialsystems zurückzuführen sind5 . Hinzu kommt noch das Verlangen der jungen Staaten, das in allgemeine Prinzipien gefaßte Recht der Charta durch Ausgestaltung und Interpretation einer besseren Handhabung zuzuführen6 • Als erster bedeutender Versuch der afro-asiatischen Staaten in dieser Richtung seien hier die 10 Punkte des Schlußkommuniques der Bandung-Konferenz genannt, nach denen die beteiligten Länder die zwischenstaatlichen Beziehungen ausgerichtet sehen wollten. Den Wunsch vieler Staaten der dritten Welt, den allgemeinen Regeln des 2 So auch Anand, Asian-African States, S. 384 ff.; Freeman, Some Aspects of Soviet Influence on International Law, S. 710 f.; Tunkin, Peaceful Coexistence and International Law, S.22; vgl. auch die Schlußkommuniques zu den Konferenzen der blockfreien Staaten von Bandung (1955), Belgrad (1961), Kairo (1964). 3 Vgl. die Aufstellung bei Sinha, New Nations and the Law of Nations, S.25. 4 Vgl. auch Tunkin, Grundlagen des modernen Völkerrechts, S. 13. 5 Vgl. hierzu etwa die Stellungnahmen Nincic's (Jugoslawien) im 6. Ausschuß, NC.6/SR.714 pp. 2, 4; vgl. auch Sinha, New Nations, S.26; Anand, Attitudes of the Asian-African States towards Certain Problems of International Law, S. 73, meint, die neuen Staaten akzeptierten alle Regeln des Völkergewohnheitsrechtes "that does not smell of ,colonialism and imperialism' u; ähnlich auch Akehurst, A Modern Introduction to International Law, S.33; Schröder, Die Dritte Welt und das Völkerrecht, S.43; Thirlway, International Customary Law and Codification, S. 4 ff. 6 Vgl. auch Schröder, S.63.

Einführung

19

völkerrechtlichen Verhältnisses der Staaten untereinander eine breitere Basis zu geben und ihre Anwendung durch klar umrissene Leitsätze zu vereinfachen, haben schon Mitte der 50iger Jahre die Ostblockländer, insbesondere die USSR, erkannt. Bereits im Jahre 1956 stellte Tunkin einen Katalog "völkerrechtlicher Grundprinzipien" auf, deren Grundlage das Prinzip der "friedlichen Koexistenz" bildet7 • Dieser Katalog kam nach Auswahl und Formulierung den Wünschen und Bedürfnissen der jungen Staaten sehr gelegen, die im Rahmen des Entkolonialisierungsprozesses plötzlich in ein kompliziertes internationales Rechtssystem geraten waren, "in dem sie sich verständlicherweise nur mit Mühe zurechtfanden"B. Es läßt sich jedoch nicht verhehlen, daß diese Initiative des Ostblocks auch dem Streben entsprang, sich den neuen Staaten als Fürsprecher und Führer bei der Regelung ihrer internationalen Beziehungen anzubieten. Die sowjetische Außenpolitik und damit auch die sowjetische Völkerrechtslehre9 , hat frühzeitig das Verlangen dieser Staaten nach einem neuen völkerverbindenden Recht erkannt, das deren Erwartungen, insbesondere der Betonung des Prinzips der "souveränen Gleichheit" der Staaten - als der wirksamsten Waffe im Kampf um die mühsam erworbene Staatlichkeit - und den sich daraus ergebenden Konsequenzen für die allgemeinen Prinzipien des Völkerrechts gerecht wird10 . Dieser Erkenntnis ist sicherlich auch die Wiederbelebung des Schlagwortes von der "friedlichen Koexistenz" und seine Aufnahme als Eckpfeiler der sowjetischen Politik in das Programm der KPdSU auf dem 22. Parteitag zuzuschreiben l l . Eingedenk der Aktualität dieses Themas konnte es auch nicht ausbleiben, daß der Ostblock, auch im Zeichen eines "public relation-Effektes"12, das Anliegen der neuen Staaten dem Forum der Vereinten Nationen unterbreitete, um dort der Forderung nach Weiterentwicklung des Völkerrechts einen größeren Wirkungsgrad zu verleihen13 . Was den "public 7 Tunkin, Grundlagen, S.28, 29, 32, 33, 35; Menzet, Einführung zu "Drei Sowjetische Beiträge", S.28. S Menzet, ebd., S.28. 9 Zum Verhältnis Außenpolitik Völkerrechtslehre im sowjetischen Völkerrechtsverständnis vgl. Tunkin, Der ideologische Kampf und das Völkerrecht, S.320. 10 Vgl. Hazard, The Sixth Committee and New Law, S.604; McWhinney, The New Countries and the New International Law, S.3. 11 Siehe Tunkin, Grundlagen des modernen Völkerrechts, S. 38 und die dort angegebene Bezugnahme hinsichtlich des 20. Parteitages; vgl. auch Grzybowski, Soviet Public International Law, S. 29 f.; Lapenna, The Legal Aspects and Political Significance of the Soviet Concept of Coexistence, S.768. 12 So auch McWhinney, New Countries, S.3. 13 Vgl. in diesem Zusammenhang die Ausführungen Morozov's (USSR) vor dem 6. Ausschuß (15. Sitzungsperiode), AlC.6/SR.651 pp. 24-27; ebenso Nincic (Jugoslawien), A/C.6/SR.652 pp. 22-25.



20

Einführung

relation-Erfolg" der sozialistischen Staaten noch erhöhte, war die Zurückhaltung des westlichen Blocks im Bereich der Fortentwicklung des Völkerrechts. Die Bedenken gründeten sich auf die unter dem Leitmotiv der "friedlichen Koexistenz" genannten Prinzipien, die in ihrer Simplifizierung den differenzierten völkerrechtlichen Tatbeständen nicht immer gerecht würden, aber dennoch "Illusionen über ihre Anwendbarkeit in konkreten Situationen erwecken könnten"14. Als Argument gegen die Aufstellung eines solchen Prinzipienkataloges wurde auch angeführt, es handle sich bei dem Verlangen der sozialistischen und auch der neuen Staaten um politische Forderungen, die nicht durch die Aufzeichnung bindender Gesetze des Völkerrechts gelöst werden könnten l5 • Trotz großer Bedenken und Widerstände fanden sich westliche Delegationen - wohl unter dem starken politischen Druck der neuen Staaten - während der 18. Sitzungsperiode im 6. Ausschuß bereit, der Vollversammlung die Errichtung eines Sonderausschusses zu empfehlen, der die Grundsätze betreffend die guten Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen den Staaten erörtern sollte l6 •

So Menzel, in Einführung zu "Drei Sowjetische Beiträge", S.31. Vgl. etwa die Äußerungen der Vertreter Frankreichs und der Niederlande im 6. Ausschuß (15. Sitzungsperiode), NC.6/SR.658 p.25 bzw. NC.6/SR. 659 p.14. 16 Die Vollversammlung verabschiedete den Resolutionsvorschlag des 6. Ausschusses am 16. 12. 1963 als Resolution 1966 (XVIII). 14 15

Erstes Kapitel

Versuche zur Weiterentwicklung des Völkerrechts A. Zur Kodifizierung und Weiterbildung des Völkerrechts im Rahmen der Vereinten Nationen! Trotz energischer Bestrebungen kleinerer Staaten2 während der San Francisco-Konferenz, mit der Organisation der Vereinten Nationen ein Gremium zu schaffen, dem neben den politischen, insbesondere friedenssichernden Aufgaben auch die gegenüber allen Mitgliedern verbindliche Festlegung von Völkerrechtsnormen obliegen sollte, konnte sich die große Mehrheit der Gründerstaaten nicht zu einer solchen Kompetenzzuweisung an die Vereinten Nationen entschließen. Dennoch verkannte man nicht den Beitrag, den eine Organisation, in der eines Tages alle Staaten vereinigt sein würden, auf völkerrechtlichem Gebiet leisten könnte und billigte der Vollversammlung in Art. 13 SVN die "abgeschwächte Befugnis" zu, durch Untersuchungen und Empfehlungen zur Kodifizierung und Weiterentwicklung des Völkerrechts beizutragen. Als weiterem Hauptorgan der Vereinten Nationen gestand man dem Wirtschafts- und Sozialrat ein eingeschränktes Empfehlungsrecht (Art. 62 Abs. 1 u. 2 SVN) und die Kompetenz zu, über Angelegenheiten seines Zuständigkeitsbereichs Konventionen zu entwerfen, die allerdings der Vollversammlung vorzulegen sind (Art. 62 Abs.3 SVN)3. Da die Voll! Ausführlicher hierzu Bohn, Die Kodifikation des Völkerrechts durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen, S. 30 ff.; Steinberger, Bemühungen zur Kodifizierung und Weiterbildung des Völkerrechts im Rahmen der Organisation der Vereinten Nationen, S. 617 ff. 2 Vgl. etwa den Vorschlag der Delegation der Philippinen zu "functions and powers" der VV in UNCIO Bd 3, S. 536 f.: "The General Assembly should be vested with the legislative authority to enact rules of international law which should become effective and binding upon the members of the Organization after such rules have been approved by a majority vote of the Security Council ... " Ähnliche Vorschläge unterbreiteten auch die Delegationen Ecuadors und Brasiliens, UNCIO Bd 3, S. 404, 427 und UNCIO Bd 3, S. 243; vgl. hierzu allgemein auch Briggs, The International Law Commission, S.3 ff. 3 Der Wirtschafts- und Sozialrat hat z. B. durch sein Unterorgan, den Menschenrechtsausschuß, die Menschenrechtsdeklaration und die -Konventionen entworfen.

22

1. Kap.: A. Kodifizierung und Weiterbildung des VR durch die UN

versammlung als politisches Hauptorgan der Vereinten Nationen angesichts ihrer Größe und der Vielzahl der ihr übertragenen Aufgaben wenig geeignet schien, die Vorarbeiten zu Untersuchungen, Empfehlungen und Konventionen auf dem Gebiet des Völkerrechts selbst zu führen, bediente man sich seit Gründung der Organisation ihrer Hilfsorgane, wie des 6. Ausschusses (Rechtsausschuß) und des politischen Ausschusses, setzte für bestimmte kodifikatorische Vorhaben Sonderausschüsse ein (z. B. für Abrüstung, für Weltraumrecht, für die Definition des Begriffs Aggression etc.) und schuf mit der Resolution 147 (II) vom 21. 11. 1947 die International Law Commission (ILC), das wichtigste ständige Hilfsorgan der Vereinten Nationen bei der Aufgabe der Völkerrechtsentwicklung 4 • Während die Sonderausschüsse, zu bestimmten Kodifikationsvorhaben eingesetzt, einem direkten Weisungsrecht der Vollversammlung unterliegen, billigte man der ILC gewisse Eigenständigkeit zu, indem man ihr eine Initiativbefugnis zusprach hinsichtlich Themen, die sich zur Kodifikation, also der "more precise formulation and systematization of rules of international law in fields where there already has been extensive State practice, precedent and doctrine" eignen5 • Vorhaben dagegen, die die Weiterentwicklung des Völkerrechts betreffen, werden ihr von der Vollversammlung, den Mitgliedstaaten oder den sonstigen in Art. 17 ILC-Statut vorgesehenen Organen übertragen. Allen Entwürfen, sowohl der Sonderausschüsse wie auch der ILC, ist gemeinsam, daß sie der Vollversammlung zur endgültigen Entscheidung vorgelegt werden; diese bestimmt, ob der Entwurf in die Form einer Resolution, Deklaration oder Konvention gekleidet wird. Bei letzterer, als einem völkerrechtlichen Vertrag, bieten sich wiederum die Möglichkeiten der Einberufung einer Staatenkonferenz, auf der über den endgültigen Text entschieden wird oder der Verabschiedung des Entwurfs durch die Vollversammlung selbst, die dann ihrerseits die Staaten auffordert, den Text zu unterzeichnen und zu ratifizieren8 • Sowohl bei der Auswahl der zur Kodifikation und Weiterentwicklung des Völkerrechts geeigneten Themen, die von der Vollversammlung an Sonderausschüsse und die ILC übermittelt werden als auch bei der überprüfung von Entwürfen der ILC und der Sonderkomitees, die fast ausschließlich über den 6. Ausschuß an die Vollversammlung weitergeleitet werden, spielt dieser eine nicht unwesentliche Mittlerrolle7 • 4 Vgl. auch Steinberger, S. 624 ff. und insbesondere Thode, International Law Commission, Entstehungsgeschichte, Organisation, Arbeitsweise und Tätigkeit. 5 Vgl. Art. 15 und 18 ILC-Statut. Eingehend hierzu Thode, S. 197 ff. 6 Hierzu eingehender Bohn, S. 30 ff.; Steinberger, S. 637 ff.; siehe auch Elias, Africa and the Development of International Law, S. 70; Greig, International Law, S. 10 ff. 7 Vgl. auch The Work of the International Law Commission, Uni ted Nations Publication 67.V.4, 1967, S.16.

1. Beratungen im 6. Ausschuß während der 15. Sitzungsperiode der VV 23

Soweit er sich die Erarbeitung von Resolutionsentwürfen, die in seinen Kompetenzbereich fallen, wegen der Komplexität der Themenstellung, die sachdienliche Erörterungen nur in einem kleinen und damit handlungsfähigeren Gremium möglich machen, oder wegen zeitlicher überbeanspruchung nicht selbst vorbehält, beschränkt sich der 6. Ausschuß auf meist kurze Diskussionen der zur überweisung an die ILC oder einen Sonderausschuß vorgesehenen Thematik. Dabei werden häufig Probleme deutlich und Schwerpunkte aufgezeigt, deren besondere und intensive Behandlung dem mit der Erarbeitung betrauten Organ empfohlen wird. Eine wesentliche Aufgabe des 6. Ausschusses besteht daneben in der Prüfung von Tätigkeitsberichten und Resolutionsentwürfen, die ihm von den seiner Aufsicht unterliegenden Sonderkomitees und der ILC zur Weiterleitung an die Vollversammlung übergeben werden. Er erörtert sowohl die vorgelegten Berichte als auch die Resolutionsentwürfe und leitet das Ergebnis seiner Beratungen in Form eines weiteren Berichtes und eines Vorschlags darüber an die Vollversammlung weiter, in welcher Weise diese mit den dem 6. Ausschuß zur Weiterleitung übergebenen Resolutionsentwürfen verfahren möge. Die meisten dieser Resolutionsentwürfe werden in einem gelegentlich vom 6. Ausschuß auch geänderten Wortlaut durch die Vollversammlung häufig ohne weitere Detaildiskussionen - verabschiedet bzw. an Staatenkonferenzen zur Beschlußfassung weitergeleitet. So war es auch der 6. Ausschuß, der die Initiative zur Kodifizierung und Weiterentwicklung der sieben Grundprinzipien des Völkerrechts ergriff, der Vollversammlung zu diesem Zweck die Einsetzung eines Sonderausschusses empfahl und schließlich auch die Verabschiedung des Prinzipienkatalogs in Form einer Deklaration vorschlug. B. Zur Vorgeschichte des Sonderausschusses 1. Beratungen im 6. Ausschuß wlihrend der 15. Sitzungsperiode der Vollversammlung

Während der Beratung des Berichts der ILC über ihre Arbeit in der 12. Sitzungsperiode warfen die Vertreter der Ostblockstaaten, insbesondere Jugoslawiens, die Frage auf, welche weiteren Prioritäten für die Arbeit der ILC aber auch des 6. Ausschusses gesetzt werden sollten l . Trotz einiger Erfolge (Convention on the Law of the Sea etc.) könne nicht übersehen werden, daß die Aktivitäten der Vereinten Nationen 1 Vgl. Morozov (USSR), A/C.6/SR.651 p. 10; Nincic (Jugoslawien), NC.6/SR. 652 pp. 22-27; siehe auch Thode, S. 211 ff.

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1.

Kap.: B. Vorgeschichte des Sonderausschusses

auf dem Gebiet des Völkerrechts mit den Bedürfnissen einer sich rasch ändernden Weltlage nicht Schritt halten. Oberster Grundsatz, von dem sich die Vereinten Nationen bei ihrer Tätigkeit leiten lassen sollten, sei die Verpflichtung aus Art. 1 Abs. 1 SVN, durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts zur Wahrung des Friedens in der Welt beizutragen2 • Die Vertreter dieser Länder betonten, daß die rasch wachsende Zahl früher abhängiger Staaten, die wirtschaftliche Entwicklung unterentwickelter Länder und deren stärkerer Einfluß auf die Weltpolitik neue rechtliche Aspekte aufwürfen, die sich auch im Völkerrecht widerspiegeln müßten. Dabei verwies der Delegierte der Tschechoslowakei auch auf die Bemühungen der jungen Staaten, ihre internationalen Beziehungen auf der Grundlage von Völkerrechtsprinzipien zu regeln3 ; als Beispiele nannte er die sogenannte Pancha Shila vom 24. 4. 1954 und das Schlußkommunique der Bandung Konferenz vom 24. 4. 1955, die einen Leitfaden für die künftige Tätigkeit des 6. Ausschusses darstellen könnten; nur wenn sich der 6. Ausschuß auch dieser Probleme annähme, würde er seine Aufgabe in zufriedenstelIender Weise wahrnehmen und gleichzeitig zur Achtung des Völkerrechts und damit der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit beitragen. Ähnlich argumentierten auch die Vertreter der neuen Staaten, die Frieden und Sicherheit gefährdet sahen, wenn nicht entschiedene Schritte unternommen würden, die zur Wiederherstellung und Wiederbelebung der internationalen Rechtsordnung beitrügen'. Die Diskussionsbeiträge machten die kritische Einstellung dieser Staaten zu den überkommenen Regeln des Völkerrechts deutlich, denen sie noch gewisse Relikte kolonialer Epochen zuschrieben, die ihrer politischen und wirtschaftlichen Entwicklung und damit einer absoluten Gleichberechtigung der Staaten entgegenstünden5 • Sie meldeten ihren Anspruch darauf an, bei der Überprüfung des geltenden Völkerrechts in einem Ausmaß beteiligt zu werden, das ihren Interessen und ihrem Einfluß entspreche, denn gerade sie seien es, die durch eine überarbeitung und Anpassung der Regeln des internationalen Rechts am meisten gewinnen könnten8 • Bereits hier wurde deutlich, mit welcher Entschlossenheit die Vertreter der neuen Staaten das vom Ostblock angeschnittene Thema der Weiterentwicklung des Völkerrechts in Zukunft verfolgen würden. l!

3 4

Vgl. Nincic (Jugoslawien), NC.6/SR,652 p. 23. Cernik (Tschechoslowakei), NC.6/SR,655 p.2. Vgl. Perera (Ceylon), A/C.6/SR,658 pp. 17, 18; Laurens (Indonesien),

NC.6/SR,660 p. 30. 11 So auch Sinha, New Nations, S.26, 54, 55; McWhinney, International

Law and World Revolution, S.l1. 6 Siehe Perera (Ceylon), NC.6/SR.658 p. 18.

1. Beratungen im 6. Ausschuß während der 15. Sitzungsperiode der VV 25

Demgegenüber bezogen Vertreter westlicher Staaten eine reservierte Haltung. Ihrer Meinung nach konnte es nicht die Aufgabe des 6. Ausschusses allein sein, sicherzustellen, daß die Prinzipien des friedlichen Nebeneinander der Staaten weltweite Beachtung finden; es beruhe in erster Linie auf dem Willen der Staaten, ihre Politik den geltenden Prinzipien des Völkerrechts anzupassen 7 • Diese Prinzipien sahen die Delegierten westlicher Staaten in den Bestimmungen der Charta, die eindeutig die Pflichten und Recnte der Staaten aufzeigten. Viele Vertreter erwähnten die politischen Implikationen der aufgeworfenen Thematik und meinten, sie eigne sich deshalb nicht für eine Behandlung im 6. Ausschuß; insbesondere könnten politische Probleme nicht durch Aufzeichnung bindender Völkerrechtssätze gelöst werden8 • Diese Haltung erklärt sich aus der Einstellung westlicher Staaten, die das allgemeine Völkerrecht als rein rechtliches Bindeglied zwischen den Staaten betrachtet und darin nicht wie die sozialistische Seite lediglich das ideologische Konzept der friedlichen Koexistenz verwirklicht sieht. Man ist der Meinung, daß das Recht seine Wirksamkeit verlöre, wollte man es politischen Interessengegensätzen zugänglich machen, da dann das Bewußtsein der Bindung schwinden könnte. Begünstigt durch die für sie positive Einstellung des Ostblocks und der Mehrzahl der neuen Staaten ergriffen auf der 660. Sitzung des 6. Ausschusses acht blockfreie Staaten die Initiative und legten einen Resolutionsentwurf vor, dessen operativer Paragraph 1 die Einsetzung eines Sonderausschusses vorsah, dem die Aufgabe der Auswahl einer Liste von Themen betreffend die Kodifikation und die progressive Weiterentwicklung des Völkerrechts obliegen sollte9 • Dieser Vorschlag stieß sofort auf den Widerstand der westlichen Seite, da sie die Gefahr einer zu starken Politisierung des Themas vermutete10 • Man widersprach der Bildung eines Sonderausschusses mit dem Argument, damit würde in den Kompetenzbereich der ILC eingegriffen; Art. 18 Abs. 1 und 2 ILC-Statut beschreibe nämlich mit etwa den gleichen Worten wie der Resolutionsentwurf gerade die Aufgaben der ILC11. 7 Vgl. Asselin (Kanada), A1C.6/SR.656 pp. 9, 10; Vallat (Vereinigtes Königreich), A/C.6/SR.652 p.2. 8 So Tammes (Niederlande), A1C.6/SR.659 p.14; ähnlich auch Chayet (Frankreich), A/C.6/SR.658 p. 25. 9 Doc. A1C.6/L.467, in GAOR (XV), 1960/61, Annexes II, agenda item 65, S. 1 f., eingebracht von Afghanistan, Ceylon, Ghana, Irak, Mexiko, Ägypten, Venezuela, Jugoslawien. 10 Vgl. Rosenbaum (USA), A/C.6/SR.665 p. 3. 11 So Vallat (Vereinigtes Königreich), A/C.6/SR.668 p.24; ähnlich auch Shields (Irland), A/C.6/SR.669 p.3; auf der 666. Sitzung war ein Resolutionsentwurf eingebracht worden, der im Paragraph 1 des Achtstaatenentwurfs die Worte "special committee" durch "International Law Commission" ersetzen wollte (A/C.6/L.472, in GAOR (XV). Annexes 11, agenda item 65, S.3,

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1. Kap.:

B. Vorgeschichte des Sonderausschusses

Aus dieser Argumentation wird der Versuch der Westmächte deutlich, die Bestrebungen des Ostblocks und der blockfreien Staaten hinzuleiten zur Auswahl von Prinzipien, die sich für eine Kodifikation im Sinne des Art.15 ILC-Statut, also zu einer präziseren Formulierung und Systematisierung von Völkerrecht, für das bereits eine ausgeprägte Staatenpraxis besteht, eignen; denn nur bezüglich der Aufstellung zur Kodifikation geeigneter Materien gewährt Art.18 ILC-Statut der Kommission ein Initiativrecht, während ihr Themen, die eine progressive Entwicklung des Völkerrechts, also die Vorbereitung "of draft conventions on subjects which have not yet been regulated by international law or in regard to which the law has not yet been sufficiently developed in the practice of States" (Art. 15 ILC-Statut), betreffen, allein von der Vollversammlung vorgelegt werden12 • Eine Überweisung der im Resolutionsentwurf dargelegten Aufgaben an die ILC, nämlich eine Auswahl von Völkerrechtsprinzipien zu treffen, die sie in eigener Initiative behandeln könnte, hätte zur Folge gehabt, daß die ILC in Übereinstimmung mit ihrem Statut eine Auswahl solcher Prinzipien hätte treffen müssen, die bereits intensive Staatenpraxis zur Grundlage gehabt hätten und somit schon sichere Völkerrechtsquellen darstelltenl3 ; damit aber wären die Bestrebungen afro-asiatischer und sozialistischer Staaten vereitelt worden, eine Veränderung im gegenwärtigen Völkerrechtsgefüge herbeizuführenu. Von ihrer Absicht, das geltende Völkerrecht im Lichte der veränderten Weltlage zu betrachten, ließen sich die Vertreter der Blockfreien und des Ostblocks nicht abbringen. Sie gaben klar zu erkennen, daß die neue Aufgabe auch politische Implikationen enthalte, die ein Gremium unabhängiger Fachleute, wie das der ILC, nicht zufriedenstellend erarbeiten könnte. Geeignet für dieses Unterfangen seien allein Vertreter der jeweils beteiligten Regierungen, da nur sie die Gewähr dafür bieten würden, daß die Ansichten der Regierungen, auf die allein es bei der Erarbeitung von Regeln des Völkerrechts ankomme, berückunterstützt von Argentinien, Dänemark, Iran, Kanada, Kolumbien, Liberia, Niederlande, Pakistan, Thailand, Tunesien, Türkei). 12 So auch Rosenne, The International Law Commission, S.118; Steinberger, S. 626. 13 So auch Bohn, S. 36 ff., der sich allerdings in diesem Zusammenhang nicht mit dem hier behandelten Fall beschäftigt. 14 Bei der Unterscheidung zwischen "codification" und "progressive development" in Art. 15 ILC-Statut darf allerdings nicht übersehen werden, daß jede "codification" immer auch Elemente der Weiterentwicklung von Völkerrecht beinhaltet; so auch Lauterpacht, Codification and Development of International Law, S.16; Asamoah, The Legal Signifinance of the Declarations of the Gen. Ass. of the UN, S.22; Rosenne, S.117 f.; Steinberger, S. 618 f.; Zemanek, Die Bedeutung der Kodifizierung des Völkerrechts für seine Anwendung, S. 581 f.; vgl. auch Marek, Thoughts on Codification, S. 490 f.

2. Beratungen im 6. Ausschuß während der 16. Sitzungsperiode der VV 27 sichtigt würden15 • Nach inoffiziellen Gesprächen zwischen den verschiedenen Delegationen konnte schließlich ein Komprorniß erzielt werden, der zur einstimmigen Annahme eines Resolutionsentwurfs führte. Die Auswahl von Themen, deren Erörterung zur Kodifikation und progressiven Weiterentwicklung des Völkerrechts beitragen könnte, sollte danach beim 6. Ausschuß belassen und von diesem während der 16. Sitzungsperiode behandelt werden. Die Vollversammlung verabschiedete den vom 6. Ausschuß vorgelegten Entwurf am 12.12.1960 als Resolution 1505 (XV). Mit diesem Komprorniß waren die Weichen gestellt, die weiteren Arbeiten konnten nicht mehr allein auf die Kodifikation von Völkerrecht im Sinne des Art. 15 ILC-Statut hinsteuern. 2. Beratungen im 6. Ausschuß während der 16. Sitzungsperiode der Vollversammlung

Auf die mit der Resolution 1505 (XV) verbundene Aufforderung hin legten eine Reihe von Staaten ihre Ansichten zur Frage der Kodifizierung und der progressiven Weiterentwicklung des Völkerrechts in Memoranden und Zuschriften an den Generalsekretär der Vereinten Nationen dar. Darin zeichnete sich bereits der Trend ab, der die Diskussion im 6. Ausschuß bestimmen würde. Die Erklärungen der Delegation Jugoslawiens und der TschechoslowakeP6 zeigten, daß diese Staaten besonderes Gewicht auf die Erörterung der Grundprinzipien des Verhältnisses der Staaten legten, die sie in dem Begriff "friedliche Koexistenz" zusammenfaßten. Demgegenüber erwähnten Beiträge westlicher Staaten den Begriff der "friedlichen Koexistenz" nicht, sondern beschränkten sich darauf hinzuweisen, daß Völkerrecht, soweit es neue, politische Elemente enthalte, nur durch "agreement" zwischen den Staaten erfolgversprechend geschaffen werden könne17 • Im übrigen unterbreiteten sie einen Katalog von Fragen, der Gegenstand intensiver zukünftiger Beratungen sein sollte, wie z. B. "recognition of States", "international responsibility" etc18 • Während der Beratungen im 6. Ausschuß spielten aber diese Vorschläge keine entscheidende Rolle mehr, sondern wurden zurückgedrängt von der eigentlich politischen Diskussion um die Grundprinzipien des Völkerrechts. 15 Vgl. EI-Erian (VAR), AlC.6/SR.669 pp. 11-14; Tabibi (Afghanistan), A/C.6/SR.668 p.32; Ustor (Ungarn), A/C.6/SR.671 p.8. 16 Siehe GAOR, XVI, Annexes H, agenda item 70, S.9, 13; ebenso Afghanistan, ebd., S. 2; Indonesien, ebd., S.13. 17 Vgl. Vereinigtes Königreich, ebd., S.8; Belgien, ebd., S.13. 18 So auch Ghana, ebd., S.12; Venezuela, ebd., S.14.

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1. Kap.: B. Vorgeschichte des Sonderausschusses

Schon die ersten Beiträge der Vertreter sozialistischer Staaten legten die Richtung künftiger Diskussionen im 6. Ausschuß fest. So verwies der Vertreter Jugoslawiens auf die großen Veränderungen in der Welt, die durch die Desintegration des Kolonialsystems entstanden seils. Die Feststellung, das Völkerrecht habe im Laufe der Zeit den Anstrich des Kolonialrechts verloren und sei jetzt ein Instrument zur Befreiung der Völker geworden20 , konnte die beabsichtigte Wirkung bei den jungen Staaten nicht verfehlen. Der Vertreter der USSR stellte weiter fest, daß sich die Beziehungen aller friedliebenden Staaten nach dem Prinzip der "friedlichen Koexistenz" regeln müßten. Die vorrangige Aufgabe für die weitere Tätigkeit der ILC sei jetzt, die rechtlichen Aspekte dieses Prinzips klarzustellen21 • Nachdem die Vertreter der Ostblockstaaten es während der 15. Sitzungsperiode abgelehnt hatten, die ILC mit der Auswahl zur Kodifizierung geeigneter Themen zu beauftragen, weil sie glaubten, diese würde auf Sachverhalte geltenden Völkerrechts beschränkt sein, wird ihre neue Initiative verständlich. Jetzt, da man ein Prinzip gefunden hatte, das auch eine progressive Weiterentwicklung des Völkerrechts im Sinne des Art. 15 ILC-Statut sicherte, konnte die ILC nach Art. 18 ihres Statuts mit der weiteren Ausarbeitung durch die Vollversammlung betraut werden. Damit wäre sichergestellt gewesen, daß die Aufgabe der ILC in jedem Falle sowohl die Kodifikation wie auch die progressive Weiterentwicklung umfaßt hätte. Im Gegensatz zu ihrem Verhalten während der 15. Sitzungsperiode waren es nun die westlichen Staaten, die die ILC nicht für das geeignete Gremium hielten22 • Bei ihnen hatte sich die Erkenntnis durchgesetzt - die Erfahrungen aus den Sitzungen der ILC zeigten dies -, daß die Kommission bei Behandlung kontroverser politischer Fragen keine Erfolge erzielen konnte, weil sie als ein Gremium weisungsunabhängiger Völkerrechtsexperten nicht immer die politischen Interessen der Staaten wiedergibt, und diese sich deshalb - anders als bei den Tätigkeiten ihrer von Weisungen abhängigen Delegierten - an die Verhandlungsergebnisse nicht gebunden fühlen23 • Diese Meinungsänderung auf westlicher Seite läßt auch den Schluß zu, daß die während der 15. Sitzungsperiode gehegte Hoffnung auf Nincic (Jugoslawien), A/C.6/SR.714 p.2. So Tunkin (USSR), A/C.6/SR.717 p.22. 21 Vgl. auch Nincic (Jugoslawien), AlC.6/SR.714 pp. 5, 7. 22 Vgl. Evans (Vereinigtes Königreich), AlC.6/SR.717 p.4; Blix (Schweden), A/C.6/SR.724 p.12; Nisot (Belgien), AlC.6/SR.721 p.14. 23 Vgl. dazu auch Briggs, Reflections on the Codification of International Law by the International Law Commission and by other Agencies, S. 287 und Thode, der die Erfolglosigkeit der ILC auf politischem Gebiet überzeugend nachweist. 19 20

2. Beratungen im 6. Ausschuß während der 16. Sitzungsperiode der VV 29

Entpolitisierung des Themas angesichts der nachhaltigen Forderung sozialistischer und afro-asiatischer Staaten nach progressiver Weiterentwicklung des geltenden Völkerrechts inzwischen begraben wurde. Westlicher Widerstand gegen eine Betrauung der ILC mit der Aufgabe der Kodifikation und Weiterentwicklung des Völkerrechts erreichte schließlich, daß die Aufgabe beim 6. Ausschuß verblieb. Auch der Plan sozialistischer Delegierter, die Prinzipien der "friedlichen Koexistenz" zu formulieren, rief den Widerstand westlicher Vertreter hervor. Die Kritik richtete sich insbesondere gegen den Begriff "friedliche Koexistenz", der den Delegierten in einem suspekten, politischen Licht erschien. Sie machten darauf aufmerksam, daß dieser Begriff immer wieder als Parole in der politischen Auseinandersetzung mit den westlichen Staaten gebraucht werde24 • Dieser Einwand war nicht unberechtigt, denn die sozialistische Völkerrechtslehre und Außenpolitik sieht in dem Prinzip der "friedlichen Koexistenz" die Summe der Regeln, die die Beziehungen zwischen den Staaten des "imperialistischen" Machtblocks und den "fortschrittlichen" Ländern der sozialistischen Staatengemeinschaft behandeln25 • Dabei beschreibt sie den Inhalt dieses Prinzips als eine Art von Klassenkampf, der auf politischem, ideologischem und wirtschaftlichem Gebiet mit friedlichen Mitteln gegen die Kräfte des "Imperialismus" ausgetragen wird und letztlich den Sieg der sozialistischen Weltordnung vorbereitet26 • Zwar sei in den Beziehungen zu den "imperialistischen" Staaten die Anwendung von Gewalt ausgeschlossen, nicht aber der wirtschaftliche und politische Wettbewerb zwischen den Systemen und noch weniger der ideologische Kampf gegen die Kräfte "imperialer Unterdrückung". Der ideologische Kampf unterscheide sich von den beiden vorgenannten Punkten dadurch, daß er keinen Raum für irgendeinen Komprorniß oder eine Vereinbarung lasse; denn die sozialistische und die bourgeoisen Ideologien stünden sich unversöhnlich gegenüber27 • Während das Prinzip der "friedlichen Koexistenz" nur 24 Evans (Vereinigtes Königreich), A/C.6/SR.717 p.9; ähnlich Capotorti (Italien), AfC.6/SR.722 p.6; Plimpton (USA), A/C.6/SR.722 p.17. 25 Vgl. etwa Bobrov, Basic Principles of Present-Day International Law, S. 42 ff.; Sobakin, Friedliche Koexistenz und ideologischer Kampf, S.159; Tunkin, Grundlagen, S.6, 9, 37, 38; zur sowjetischen Lehre von der friedlichen Koexistenz vgl. auch Grzybowski, S. 17, 21; Hazard, Codifying Peaceful Coexistence, S.ll1 f.; Lapenna, S.772; Möller, Der völkerrechtliche Gehalt des Prinzips des sozialistischen Internationalismus, S. 97 ff.; Uibopuu, Die sovjetische Doktrin der friedlichen Koexistenz als Völkerrechtsproblem, S. 211 ff. 26 Siehe bei Lapenna, S. 773, den dort zitierten Artikel aus der Zeitschrift des Zentralkomitees der KPdSU, Kommunist; vgl. auch Tunkin, Coexistence, S.13 f. 27 So Tunkin, Coexistence, S. 15.

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1. Kap.: B. Vorgeschichte des Sonderausschusses

die Beziehungen antagonistischer Staatengruppen betreffe, so hebt

Tunkin hervor, werde das Verhältnis der sozialistischen Staaten vom

"sozialistischen Internationalismus" beherrscht, einem Typus neuen, höheren Völkerrechts, welches das gegenwärtige allgemeine Völkerrecht eines Tages ablöse28 • Die Unterscheidung beruht darauf, daß die sowjetische Politik und Völkerrechtswissenschaft die Staaten der sozialistischen Gemeinschaft als vom ganzen Volk, nicht einer herrschenden Minderheit getragen ansieht. Da aber nach sozialistischer Ideologie die Arbeiterschaft in allen sozialistischen Staaten die herrschende Klasse darstellt und deren Ziele im Interesse des Fortschritts nur auf die Verwirklichung der Lehren des Marxismus-Leninismus gerichtet sind, können, von geringen nationalen Abweichungen abgesehen, keine Divergenzen zwischen den Staaten des Blocks entstehen29 • Sollten sich aber solche zeigen, so könnten diese ihren Grund nur in einer Abweichung vom sozialistischen Kurs haben, die eine Minderheit gegen den Willen der Arbeiterklasse durchsetzen wolle. In diesem Falle sei es die Pflicht der sozialistischen Gemeinschaft, dem Willen der Arbeiterklasse, die sozialistische Freiheit wiederzuerlangen, durch Interventionen Nachdruck zu verleihen30 • Die Beziehungen der "imperialistischen" Staaten seien dagegen von den Klasseninteressen des "Monopolkapitals" geleitet, die auch in den Beziehungen dieser Länder untereinander immer wieder zu Gegensätzen führen müßten 31 • Bei Betrachtung des sowjetischen Koexistenzverständnisses ist unschwer einzusehen, daß eine Formulierung von Prinzipien der "friedlichen Koexistenz" dem ohnehin umstrittenen Thema der progressiven Weiterentwicklung des Völkerrechts einen absolut politisch, ideologischen Charakter gegeben hätte, der eine Weiterarbeit im Hinblick auf eine Kodifizierung wegen der starken Interessengegensätze von Anfang an unmöglich gemacht hätte 32 • Wenn westliche Delegierte den Begriff der "friedlichen Koexistenz" wegen seiner ideologischen Implikationen verwarfen, so spielte dabei unausgesprochen sicherlich auch 28 Tunkin, Der ideologische Kampf, S. 410; so auch Shurshalov, International Law in Relations among Socialist Countries, S. 62 ff.; hierzu auch Grzybowski, S. 39 f.; Möller, S. 107 f. 29 Vgl. Korowin, Proletarischer Internationalismus und Völkerrecht, S.73; Shurshalov, S. 68 f.; Tunkin, Coexistence, S. 32 f. 30 Siehe hierzu etwa den Artikel von Kowaljow in der Prawda vom 26.9. 1968 über "Souveränität und internationale Pflichten der sozialistischen Länder", abgedruckt bei Meißner, Die "Breshnew-Doktrin", S. 64-69 (67) und die Rede Breshnews auf dem 5. Parteitag der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei vom 12. 11. 1968, abgedruckt ebd., S.75-82 (77 ff.). 31 Vgl. Tunkin, Theoretische Fragen des Völkerrechts, S.326; Lewin, Grundprobleme des modernen Völkerrechts, S. 76 f.; siehe hierzu auch Grzybowski, S. 20 f. 32 Zum ideologischen Gehalt des Prinzips der friedlichen Koexistenz vgl. auch Freeman, S.711.

2. Beratungen im 6. Ausschuß während der 16. Sitzungsperiode der VV 31 der Wunsch nach einem alle Staaten in gleicher Weise verpflichtenden und von ideologischen Gegensätzen unabhängigen Völkerrecht eine maßgebliche Rolle. Sie sahen die Gefahr, daß die Prinzipien der "friedlichen Koexistenz" auch nach einer rechtlichen Fixierung von sowjetischer Seite lediglich als Normen zur Regelung der Beziehungen antagonistischer Staatssysteme betrachtet würden. Damit wäre aber das Prinzip gleicher Gebundenheit - die Delegierten westlicher Staaten hatten wohl die Ungarnereignisse des Jahres 1956 vor Augen - verletzt worden, und die sowjetische Politik hätte auch weiterhin für sich das Recht in Anspruch genommen, zur Regelung ihrer Interessen im sozialistischen Lager im Sinne des "sozialistischen Internationalismus" verfahren zu können. Während westliche Delegierte die sowjetische Absicht der Erarbeitung eines "Klassenvölkerrechts" durch Organe der Vereinten Nationen erkannten, schienen Vertreter neuer Staaten den essentiell politisch, ideologischen Gehalt des Prinzips der "friedlichen Koexistenz" noch nicht analysiert zu haben. Anders läßt sich etwa die Meinung des Delegierten Nicaraguas, der glaubte, in der Interpretation des Gehalts des Prinzips der "friedlichen Koexistenz" stimmten die Ansichten der bei den Machtblöcke im wesentlichen überein, nicht verstehen33 • Unter dem Druck westlicher Staaten willigten die Vertreter sozialistischer und blockfreier Staaten in inoffiziellen Gesprächen schließlich in eine Änderung des operativen Paragraphen 3 ihres Resolutionsentwurfes ein, der ursprünglich vorsah, daß die Beratungen des 6. Ausschusses in der 17. Sitzungsperiode unter dem Titel "Considerations of principles of international law relating to peaceful coexistence of States" fortgesetzt werden sollten34 • Die Betrachtungen standen nach Verabschiedung des geänderten Entwurfs durch die Vollversammlung unter dem Leitwort: "Considerations of principles of internationallaw concerning friendly relations and co-operation among States in accordance with the Charter of the

United Nations 35 ."

Auf der 729. Sitzung des 6. Ausschusses hatte der Vertreter der USSR angedeutet, daß er im Interesse einer einmütigen Haltung des Aus33 Vgl. Munguia Navoa (Nicaragua), AlC.6/SR.722 p. 26; ähnlich auch Dadzie (Ghana), A/C.6/SR.723 p.40. 34 Vgl. Doc. AlC.6/L.492 and Add. 1 vom 2. 12. 1961, in GAOR, XVI, Annexes II, agenda item 70, S.21. 35 Vgl. GA Res. 1686 (XVI), vom 18. 12. 1961. Auch die "International Law Association" einigte sich auf ihrer 51. Sitzung in Tokio 1964, ihren "Ausschuß über die juristischen Aspekte der friedlichen Koexistenz" in "Ausschuß- über die internationale Sicherheit und Zusammenarbeit" umzubenennen (vgl. Report of the Fifty-First Conference, Tokyo 1964, S. 779).

1. Kap.: B. Vorgeschichte des Sonderausschusses

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schusses dem Änderungsvorschlag zustimmen würde 36 • Er betonte aber gleichzeitig, er halte die Bezeichnung "peaceful coexistence" und "friendly relations and cooperation among States ... " im wesentlichen für inhaltsgleich. Hier bereits zeigt sich, daß der Versuch der westlichen Seite, das Thema ideologischen Einflüssen der sozialistischen Konzeption der friedlichen Koexistenz zu entziehen, nicht gelungen ist37 • 3. Beratungen im 6. Ausschuß während der

17. Sitzungsperiode der Vollversammlung

Die Debatten im 6. Ausschuß waren während der 17. Sitzungsperiode grundlegend bestimmt von zwei Resolutionsentwürfen, nämlich einem Deklarationsentwurf38 , der 19 Prinzipien betraf und einem Resolutionsentwurf39 , der sich auf zwei Grundprinzipien beschränkte. Pechota, der Vertreter der Tschechoslowakei, motivierte den Resolutionsvorschlag seiner Regierung damit, daß Res. 1886 (XVI), die ohne weitere Aussprache von der Vollversammlung verabschiedet worden war, den Auftrag enthalte, die allgemeinen Regeln des Völkerrechts zu formulieren, welche die Staaten zu friedlicher und guter Zusammenarbeit verpflichten 40 • Der Entwurf war unterteilt in eine Präambel und drei Abschnitte. Unter Abschnitt 1 zählte er sieben Prinzipien auf, welche die Aufrechterhaltung und Stärkung des Friedens und der internationalen Sicherheit betreffen; Abschnitt 2 enthielt sechs Prinzipien zum rechtlichen Status der Staaten und Abschnitt 3 erwähnte weitere sechs Prinzipien, welche das Selbstbestimmungsrecht, das Verbot des Kolonialismus und die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Handels und der Kultur zum Gegenstand haben. Demgegenüber enthielt der 2. Resolutionsentwurf nur zwei Prinzipien, die während der 18. Sitzungsperiode einer näheren Betrachtung unterzogen werden sollten und die nach Meinung der sie unterstützenden Delegierten die Grundlage der Beziehungen der Staaten untereinander beinhalteten41 • Der Entwurf nannte die Verpflichtung zur 36

Tunkin (USSR), AlC.6/SR.729 p.9.

Es wird im Schluß kapitel erörtert, ob das Ergebnis der Arbeit des Sonderausschusses von sozialistischer Seite als Inhalt des ideologischen Konzeptes der "friedlichen Koexistenz" angesehen werden kann. 38 Doc. A/C.6/L.505, in GAOR, XVII, Annexes II, agenda item 75, S. 1-3 (Tschechoslowakischer Entwurf). 39 Doc. AlC.6/L.502 and Add.I-4, in GAOR, XVII, S. 3 f. (eingebracht von Chile, Dahomey, Dänemark, Japan, Kamerun, Kanada, Liberia, Nigeria, Pakistan, Sierra Leone, Tanganyika, Zentralafrikanische Republik). 40 Pechota (Tschechoslowakei), AlC.6/SR.753 p.16. 41 Genser (Kanada), A/C.6/SR.753 pp. 1 f.; Iqbal (Pakistan), AlC.6/SR.761 37

p.4.

3. Beratungen im 6. Ausschuß während der 17. Sitzungsperiode der VV 33 Respektierung der territorialen Integrität und der politischen Unabhängigkeit der Staaten und die Verpflichtung der friedlichen Streiterledigung. Beide Vorschläge stießen jedoch auf starke Kritik. Die sozialistischen Staaten unterstützten uneingeschränkt den tschechoslowakischen Entwurf, von dem sie glaubten, daß er die Prinzipien der "friedlichen Koexistenz" in seiner Gesamtheit umfasse42 • Die beste Form, die überzeugung der Vereinten Nationen von der Existenz, dem Inhalt und der Tragweite der fundamentalen rechtlichen Prinzipien darzulegen, sei, wie im tschechoslowakischen Entwurf vorgesehen, die einer Deklaration43 • Diese Ansicht blieb nicht unwidersprochen. Der Vertreter Schwedens wandte ein, der 6. Ausschuß habe noch nicht, wie in Res. 1505 (XV) gefordert, das gesamte Gebiet des Völkerrechts studiert und überarbeitet; es sei daher verfrüht, eine Deklaration zu verabschieden, deren Inhalt noch nicht in aller Gewissenhaftigkeit erarbeitet worden sei44 • Insbesondere kritisierte man jedoch am tschechoslowakischen Entwurf, daß er essentiell politische Momente enthalte, die nicht in den Zuständigkeitsbereich des Rechtsausschusses fielen45 • Im übrigen, so wurde vorgebracht, seien die im Entwurf genannten Prinzipien 4, 5 und 15, die ein Verbot von Nuklearwaffen, allgemeine und vollständige Abrüstung und die Verpflichtung zur Entkolonialisierung betreffen, wegen ihrer ideologischen und politischen Faktoren der Anerkennung als Völkerrechtsgrundsätze nicht zugänglich46 • Die sozialistische Seite dagegen wandte sich gegen den 12-Staatenentwurf, weil er nur zwei zu behandelnde Prinzipien enthielt47 • Sie gab zwar zu, daß es sich dabei um wesentliche Grundsätze handle, meinte jedoch, man dürfe nicht übersehen, daß gerade die Ausarbeitung der neuen Prinzipien besonders dringend sei. Nachdem eine Einigung auf den von der Tschechoslowakei vorgeschlagenen 19 Punkte-Katalog nicht erfolgte, legten 14 Länder unter Einschluß der Tschechoslowakei auf der 762. Sitzung des 6. Ausschusses einen Entwurf vor, der ebenfalls in Form einer Deklaration sechs Völkerrechtsprinzipien enthielt, welche die Beziehungen der Staaten 42 Vgl. Morozov (USSR), A/C.6/SR.754 pp. 23 ff.; Ustor (Ungarn), AlC.6/SR. 756 p.27. 43 Vgl. z. B. Nincic (Jugoslawien), AlC.6/SR.753 p.40; Pechota (Tschechoslowakei), AlC.6/SR.753 p. 18. 44 Blix (Schweden), AlC.6/SR.759 p.9; vgl. auch Njo-Lea (Pakistan), AlC.6/SR.767 p.34; Amado (Brasilien), AlC.6/SR.756 pp. 13 f. 45 Blix (Schweden), AlC.6/SR.759 p.15; Gutteridge (Vereinigtes Königreich), A/C.6/SR.761 p.7. 46 Vgl. etwa Gutteridge (Vereinigtes Königreich), AlC.6/SR.761 pp. 7 ff. 47 Morozov (USSR), AlC.6/SR.754 p.31; Ustor (Ungarn), AlC.6/SR.756 p.28.

3 Graf zu Dobna

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1. Kap.: B. Vorgeschichte des Sonderausschusses

leiten sollten48 • Da aber auch diese sehr allgemein gehalten waren, teilweise lediglich den Inhalt der Art. 1 und 2 SVN wiedergaben, andererseits aber Neuerungen anführten, wie die Definition der Gewalt, die auch politischen und wirtschaftlichen Druck umfassen sollte, konnte eine übereinstimmung nicht erzielt werden. Die Debatten machten die Einstellung der westlichen Staaten deutlich, die verhindern wollten, daß unreflektierte Grundsätze festgelegt würden, die wegen ihres allgemeinen Charakters letztlich keine Wirkung zeitigen, aber dennoch bei ihrer Annahme Illusionen erwecken könnten. Wiederum in inoffiziellen Gesprächen gelang es schließlich, eine gemeinsame Grundlage für die weitere Arbeit zu finden. Die Anhänger der verschiedenen Entwürfe (37 Staaten) einigten sich darauf, der Vollversammlung die Annahme eines Resolutionsentwurfs vorzuschlagen, der sieben Völkerrechtsgrundsätze enthielt, von denen zunächst vier während der 18. Sitzungsperiode einer näheren Betrachtung unter Berücksichtigung einer progressiven Weiterentwicklung und einer möglichen Kodifikation unterzogen werden sollten. Es waren dies das Prinzip des Gewaltverbots, die Verpflichtung der friedlichen Streiterledigung, das Interventionsverbot und der Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten. Ausgeklammert sollten vorläufig die Verpflichtung der Staaten zur Zusammenarbeit, das Prinzip der gleichen Rechte und der Selbstbestimmung und der Grundsatz der Pflichterfüllung nach Treu und Glauben sein. Man ging davon aus, daß die sieben Grundsätze bereits in der Charta fest verankert seien 49 • Auf der 777. Sitzung des 6. Ausschusses wurde der 37 Staatenentwurf ohne Gegenstimme, unter Stimmenthaltung des Vertreters Frankreichs, angenommen und der Vollversammlung zur Verabschiedung unterbreitet50 • Der Delegierte Frankreichs begründete seine Stimmenthaltung in erster Linie damit, der operative Paragraph 1 des Resolutionsentwurfs mache bei der Aufzählung der vom Ausschuß zu bearbeitenden Grundsätze mit dem Wort "notably" nicht hinreichend deutlich, daß es sich bei den sieben Prinzipien um eine vollständige Liste der allgemeinen Völkerrechtsgrundsätze handle51 • Die dort gewählte Formulierung "notably" könne der Grundstein für eine "open door policy" werden und auf zukünftigen Sitzungen Streit über die Einführung

48 Doc. A/C.6/L.509 and Add. 1 und 2 in GAOR, XVII, Annexes II, agenda item 75, S . 5 (Äthiopien, Afghanistan, Algerien, Ceylon, Ghana, Indien, Indonesien, Jugoslawien, Kambodscha, Mali, Marokko, Somalia, Syrien, Vereinigte Arabische Republik). 49 Vgl. auch Graefrath, Zur Stellung der Prinzipien im Völkerrecht, S. 9. 50 Die Vollversammlung verabschiedete den Resolutionsvorschlag des 6. Ausschusses am 18. 12. 1962 als Resolution 1815 (XVII). 51 Vgl. Patey (Frankreich), A/C.6/SR.777 p. 42.

4. Beratungen im 6. Ausschuß während der 18. Sitzungsperiode der VV 35 weiterer Prinzipien verursachen. Wie die spätere Entwicklung jedoch zeigte, war die Befürchtung des französischen Delegierten letztlich unbegründet. 4. Beratungen im. 6. Ausschuß währeneI eIer 18. SitzungsperioeIe eIer Vollversammlung

Nachdem die 17. Sitzungsperiode eine Einigung auf sieben Völkerrechtsprinzipien gebracht hatte, wurde jetzt die Frage erörtert, welches die eigentliche Aufgabe des 6. Ausschusses bezüglich der genannten Völkerrechtsgrundsätze sei. Der Meinungsstreit schien zunächst unüberbrückbar. Der Ostblock, unterstützt von einem Großteil der neuen Staaten, sah die Aufgabe des Ausschusses in dem Entwurf einer Deklaration, die sowohl Elemente einer Kodifizierung wie auch solche einer progressiven Weiterentwicklung des Völkerrechts im Sinne des Art. 15 ILC-Statut enthalten sollte52 • Dabei müßte einerseits die bereits entwickelte Staatenpraxis berücksichtigt werden, andererseits dürfe sich der Ausschuß auch nicht scheuen, wenn er seine Aufgabe in zufriedenstellender Weise erfüllen wolle, die Veränderungen in der modernen Welt aufzuzeigen53 . Gegen diese Absicht erhob sich sofort der Widerspruch der Westmächte. Plimpton54, der Vertreter der USA, versuchte darzulegen, daß die Worte "progressive development and codification" im operativen Paragraphen 2 der Resolution 1815 (XVII)55, der die Aufgabe des Ausschusses umschreibt, nicht im technischen Sinne des Art. 15 ILCStatut zu verstehen seien. Die Vollversammlung habe mit der Bezeichnung "progressive development" nur in allgemeinen Worten gesprochen, um die Charta und die in ihr enthaltenen Grundprinzipien des Völkerrechts als von grundlegender Bedeutung für die Weiterentwicklung des Völkerrechts zu kennzeichnen. Damit sei aber klargestellt, daß die Resolution 1815 (XVII) nicht den Auftrag enthalte, Konventionsentwürfe von Themen zu erarbeiten, die bisher noch nicht Gegenstand des Völkerrechts waren. Ebenso sei auch unter dem Begriff "codifica52 Morozov (USSR), AlC.6/SR.802 p.18; Lachs (Polen), AlC.6/SR.811 p.12; Laurens (Indonesien), A/C.6/SR.809 p.2; Rossides (Cypern), AlC.6/SR.822 p.4. 53 Vgl. N'Nang (Kamerun), AlC.6/SR.814 p.21. 54 AlC.6/SR.808 p. 12. 55 Wortlaut des operativen Paragraphen 2 der Res. 1815 (XVII): "Resolves to undertake, pursuant to Article 13 of the Charter, a study of the principles of international Law concerning friendly relations and co-operation among States in accordance with the Charter with a view to their progressive development and codification, so as to secure their more effective application." (Hervorhebung durch den Verf.). 3'

1. Kap.: B. Vorgeschichte des Sonderausschusses

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tion" nicht wie in Art. 15 ILC-Statut die präzisere Formulierung und Systematisierung von Regeln des Völkerrechts, die bereits eingehender Staatenpraxis unterliegen, zu verstehen; denn eine Kodifizierung würde eine Änderung der Charta bedeuten, die nur im Rahmen der Artikel 108 und 109 möglich sei. Im übrigen fänden sich die vier zur Debatte stehenden Prinzipien bereits in der Charta und könnten nicht präziser niedergelegt werden. Dem stimmte auch der Vertreter Frankreichs ZU 56 , der hinzufügte, die Wortwahl "progressive development and codification" leite sich aus Art. 13 der Charta ab. Daher sei die Resolution 1815 (XVII) lediglich als Aufforderung zum Studium der vier Grundsätze gedacht. Sollten sich dabei Lücken der Charta ergeben, so müßten diese, wie vom amerikanischen Vertreter dargelegt, im Einklang mit den geltenden Bestimmungen geschlossen werden. Der Delegierte Frankreichs wies insbesondere darauf hin, daß die Vollversammlung nach der Charta nicht befugt sei, indirekt durch Resolutionen Normen des Völkerrechts zu proklamieren. Die Gefahr eines solchen Verfahrens liege darin, daß es den Unterschied zwischen einer Resolution und einer völkerrechtlichen Norm verwische und dadurch zu einer Verunsicherung der Rechtslage führe. Es war vorauszusehen, daß sich die Vertreter des Ostblocks und der neuen Staaten in ihrem Anliegen auf eine solche Interpretation der Resolution 1815 (XVII) nicht festlegen lassen würden. Ihrer Ansicht nach bestand die dem Ausschuß zugewiesene Aufgabe darin, eine Interpretation der Charta vorzunehmen, mit der die Bedeutung der Prinzipien ausgeweitet und vertieft würde 51 • Als Beispiel hierfür führte der Vertreter Polens die Deklaration der Menschenrechte (Res. 217 [lID und die Deklaration über die Gewährung der Unabhängigkeit an Kolonialländer und -völker (Res. 1514 [XV]) an, die beide die Bestimmungen der Charta zur Grundlage hätten; beide legten eine Reihe wesentlicher Rechte und Pflichten fest und berücksichtigten die Veränderungen in der Welt seit der Annahme der Charta; dennoch aber änderten sie die Charta nicht, sondern interpretierten nur ihre wesentlichen Bestimmungen, um sie auf dem Stand der Entwicklung in der Welt zu halten, der sie dienen sollte. In den Bemerkungen sozialistischer und westlicher Delegierter traten somit die unterschiedlichen Ansichten bezüglich der Kompetenz der Vollversammlung zur Interpretation von Chartabestimmungen zutage. Während sozialistische Staatenvertreter die von ihnen geforderte interpretative Weiterentwicklung von Chartarecht als Ausfluß einer allgemeinen Zuständigkeit der Vollversammlung als höchstem RechtsVgl. A1C.6/SR.81O pp. 2, 4. Lachs (Polen), A1C.6/SR.811 pp. 8-15; ähnlich auch Chhim Khet (Kambodscha), A1C.6/SR.812 p. 2. 56 51

4. Beratungen im 6. Ausschuß während der 18. Sitzungsperiode der VV 31

anwendungsorgan der Organisation der Vereinten Nationen betrachteten, vermeinten westliche Delegierte darin einen Versuch zur Umgehung der Art. 108 und 109 SVN zu erblicken, die die Änderung und Revision der Charta zum Gegenstand haben, - zumal die sozialistische Seite unter Interpretation auch die progressive Weiterentwicklung geltender Normen verstand -. Ausschlaggebend für die von Delegierten westlicher Staaten eingenommene Haltung dürfte aber dennoch nicht so sehr die Befürchtung gewesen sein, man werde gegen die Art. 108 und 109 SVN verstoßen, als vielmehr der unausgesprochene Wunsch, das gesamte Vorhaben doch noch zu Fall zu bringen oder, falls dies nicht möglich sei, auf eine Kodifikation im Sinne des Art. 15 ILC-Statut hinzuwirken; denn Mißtrauen erregte in westlichen Kreisen insbesondere das Verlangen sozialistischer und afro-asiatischer Staaten nach progressiver Weiterentwicklung der Chartabestimmungen und des allgemeinen Völkerrechts. Daß die gegensätzlichen Einstellungen westlicher und sozialistischer Staaten in der Frage der Zulässigkeit von Chartainterpretationen mehr durch politische denn rechtliche Erwägungen beeinflußt werden, dürfte in diesem Zusammenhang etwa die Stellungnahmen dieser Staaten im Finanzstreit vor dem internationalen Gerichtshof verdeutlichen5B • Es ging bei diesem Streit um die Frage, ob die Vollversammlung der Vereinten Nationen berechtigt sei, die Mitgliedstaaten mit den Kosten der von ihr beschlossenen Militäraktionen (z. B. im Kongo) zu belasten. Von östlicher Seite war dies mit dem Hinweis darauf bestritten worden, die Vollversammlung überschreite mit der Anordnung solcher Militärmaßnahmen die ihr in der Charta eingeräumten Befugnisse und greife in den Kompetenzbereich des Sicherheitsrates ein59 ; die Kosten, die als Folge dieser illegalen Beschlüsse und ihrer Durchführung erwüchsen, seien deshalb keine Ausgaben der Organisation (Art. 17 Abs. 2 SVN) , die von allen Mitgliedern getragen werden müßten. Mit ihrer Argumentation wandten sich sozialistische Staaten gegen eine Interpretation des Art. 10 und 24 SVN, mit der die Befugnis der Vollversammlung konstruiert wurde, in Situationen friedensgefährdender Art bei Beschlußunfähigkeit des Sicherheitsrates die zur Aufrechterhaltung des Friedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Man bestritt damit zugleich die Wirksamkeit der Resolution 377 (V)60 vom 3. 11. 1950 ("Uniting for Peace"), in der 58 Vgl. ICJ Reports 1962, Certain Expenses of the United Nations, Advisory Opinion und ICJ Pleadings, Certain Expenses of the Uni ted Nations, 1962. 59 Vgl. etwa die schriftliche Stellungnahme der tschechoslowakischen Regierung in ICJ Pleadings 1962, S. 179 und das Memorandum der Regierung der USSR ebd. 270, 273. 60 Res. 377 (V) vom 3.11. 1950 ("Uniting for Peace") wurde mit 52 Stimmen, bei fünf Gegenstimmen und zwei Enthaltungen von der Vollversammlung verabschiedet. Text der Res. in UNYB 1950, S. 193-195.

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1. Kap.: B. Vorgeschichte des Sonderausschusses

die Vollversammlung mit großer Mehrheit ihre sich aus der Charta ergebenden Kompetenzen interpretiert hatte. Demgegenüber bekräftigten damals gerade die westlichen Staaten das Recht der Vollversammlung zur Interpretation von Chartabestimmungen, indem sie die Entschließung "Uniting for Peace" als Grundlage für die Entscheidung der Vollversammlung über die Entsendung von UN-Truppen heranzogen 61 • Die Stellungnahmen westlicher Staaten im Finanzstreit lassen also den Schluß zu, daß sie die Resolution 377 (V) als authentische Interpretation der Charta betrachteten, die von allen Mitgliedern zu akzeptieren sei. Damit haben diese Staaten zu erkennen gegeben, daß sie eine Interpretation der Charta durch die Vollversammlung für grundsätzlich zulässig erachten, Interpretationen also nicht etwa im Rahmen der Bestimmungen der Art. lOB und 109 SVN durch Ergänzung der Charta vorgenommen werden müßten62 • Das angeführte Beispiel zeigt in Verbindung mit den relevanten Erörterungen im 6. Ausschuß, daß weder die sozialistischen noch die westlich orientierten Staaten in der Frage der Zulässigkeit von Chartainterpretationen mittels Resolutionen der Vollversammlung auf eine starre Haltung festgelegt sind; vielmehr dürften Entscheidungen in dieser Frage auch in Zukunft in erster Linie von politischen Erwägungen geleitet werden. Das Problem der Zulässigkeit einer Interpretation von Bestimmungen der Charta durch die Vollversammlung der Vereinten Nationen hat auch die Völkerrechtswissenschaft beschäftigt. Während etwa Verdross die Kompetenz der Vollversammlung zur Auslegung der Charta deshalb ablehnt, weil diese Funktion nur vom Gesetzgeber selbst oder einer ihm übergeordneten Autorität ausgeübt werden könne 63 , billigen andere Autoren der Vollversammlung Auslegungsbefugnis ZU 64 • Die Ansicht von Verdross dürfte wohl mit der Begründung zurückzuweisen sein, daß die Charta als Rechtsquelle zu ihrer Anwendung notwendigerweise auch der Klärung bedarf65 ; jede Einzelentscheidung setzt eine 61 Vgl. etwa die schriftlichen Stellungnahmen der dänischen Regierung in ICJ Pleadings, Certain Expenses of the United Nations, 1962, S. 154 f.; der Niederlande, ebd. S.174; der USA, ebd. S.186, 205, und des Vereinigten Königreiches, ebd. S. 242. 62 Vgl. hierzu insbesondere die Stellungnahme der Regierung der USA, a.a.O., S.205 und S.422 (Oral Statement of Mr. Chayes vom 21. 5. 1962). 63 Vgl. Verdross, Kann die Generalversammlung der Vereinten Nationen das Völkerrecht weiterbilden, S.695; ähnlich wohl auch Vallat, The Competence of the United Nations General Assembly, S.211. 64 Vgl. Asamoah, S.30; Bleicher, The Legal Significance of Re-Citation of General Assembly Resolutions, S.449; Golsong, Das Problem der Rechtsetzung durch internationale Organisationen, S. 19; Steinberger, S. 640 f. 65 So auch Golsong, S. 19.

4. Beratungen im 6. Ausschuß während der 18. Sitzungsperiode der VV 39

vorherige überprüfung ihrer Rechtsgrundlage voraus und stellt damit bereits eine Auslegung der jeweils relevanten Bestimmung dar. Die Zulässigkeit der Einzelfallinterpretation wurde auch von der San Franzisco-Konferenz ausdrücklich bestätigt: "In the course of the operations from day to day of the various organs of the Organization, it is inevitable that each organ will interpret such parts of the Charter as are applicable to its particular functions. This process is inherent in the functioning of any body which operates under an instrument defining its functions and powers ... Accordingly, it is not necessary to include in the Charter a provision either authorizing or approving the normal operation of this principle66 ." Im Gegensatz zur Chartaauslegung, die sich mit konkreten einzelnen Anwendungsfällen befaßt, nimmt die San Francisco-Konferenz in bezug auf abstrakte Chartainterpretationen, die, losgelöst vom Einzelfall, die Rechtslage für die Zukunft klären sollen, keine wirklich eindeutige Haltung ein67 • In dem Bericht des Berichterstatters heißt es: "it may be necessary to embody the interpretation in an amendment to the Charter." Es wird damit aber auch die Möglichkeit offen gelassen, eine authentische Auslegung von Bestimmungen der Charta mittels einer Resolution der Vollversammlung und nicht allein auf dem Wege über eine formelle Ergänzung der Charta zu erreichen. Unabhängig von der Feststellung im Bericht der San FranciscoKonferenz wird der Vollversammlung das Recht zuzugestehen sein, zum Zwecke der Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit der Organisation auch mögliche zukünftige Situationen, die ein schnelles und entschlossenes Eingreifen erfordern könnten, durch Interpretation der Charta in abstracto zu regeln68 ; ein solches Recht der Vollversammlung als dem obersten Organ der Organisation der Vereinten Nationen dürfte sich schon aus der Zweckbestimmung der Organisation, wie sie in Art. 1 SVN niedergelegt ist, ergeben. So wäre es etwa mit der Friedenssicherungs- oder der Koordinationsaufgabe (Art. 1 Abs. 4 SVN) der Vereinten Nationen unvereinbar, wenn notwendige Entscheidungen deshalb nicht getroffen werden könnten, weil man sich über Inhalt und UNCIO, Bd 13, S. 709. Vgl. UNCIO, Bd 13, S.710: "It is to be understood, that if an interpretation made by any organ of the Organization or by a committee of jurists is not generally acceptable it will be without binding force. In such circumstances, or in cases where it is desired to establish an authoritative interpretation as a precedent for the future, it may be necessary to embody the interpretation in an amendment to the Charter. This may always be accomplished by recourse to the procedure provided for amendment." 68 Anders Bohn, S.123, der lediglich ein Recht der Vollversammlung zur Einzelfallinterpretation annimmt und bindende Interpretationen für die Zukunft nur auf dem Wege über Satzungsergänzungen für zulässig hält. 66

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1. Kap.: B. Vorgeschichte des Sonderausschusses

Tragweite entscheidungserheblicher Chartabestimmungen nicht schlüssig ist; gerade für solche Fälle durch Interpretationen Vorsorge zu treffen, muß eine legitime Aufgabe der Vollversammlung sein. Allerdings muß eine solche Auslegung in übereinstimmung mit den Regeln rechtlicher Interpretationen erfolgen, um eine Bindung bewirken zu können69 • Es bleibt in diesem Zusammenhang aber festzustellen, daß Interpretationen ihrem Wesen nach lediglich der Darstellung bereits geltenden Rechts dienen und daher die progressive Weiterentwicklung geltender Normen, im Sinne der Vorbereitung zukünftigen Völkerrechts, nicht mitumfassen. Deshalb dürften auch die von sozialistischen Delegierten angeführten Beispiele, wie die Deklaration der Menschenrechte und die Deklaration über die Gewährung der Unabhängigkeit an Kolonialvölker und -länder nicht in allen Teilen als Interpretation geltenden Völkerrechts anzusehen sein. Insofern also der Ostblock und die neuen Staaten eine Auslegung der Charta in bezug auf die grundlegenden Prinzipien der Art. 1 und 2 erreichen wollten, war diese Absicht durchaus mit den Bestimmungen der Charta vereinbar, soweit lediglich geltendes Recht wiedergegeben worden wäre. Dagegen wäre die progressive Weiterentwicklung der genannten Bestimmungen nicht mehr vom Interpretationscharakter umfaßt, sondern hätte sich auf Empfehlungen an die Staaten, wie es Art. 13 SVN vorsieht, beschränken müssen. Einer solchen Empfehlung steht die Annahme einer Resolution allerdings nicht im Wege, wie es der Vertreter Frankreichs darstellte; denn es steht der Vollversammlung nach Art. 13 frei, welche Möglichkeiten sie wählt, um die fortschreitende Entwicklung des Völkerrechts und seine Kodifizierung zu begünstigen. Damit kann die Empfehlung auch in die Form von "Gesetzen" gekleidet sein, deren Annahme durch die Mitgliedstaaten die Vollversammlung für erstrebenswert hält. Zwar wird auch eine Interpretation im dargestellten Sinne in Form einer Resolution (Empfehlung) verabschiedet, es bestehen jedoch zweifellos graduelle Unterschiede - insbesondere im Hinblick auf eine mögliche Rechtsverbindlichkeit - gegenüber Resolutionen, die sich mit der progressiven Weiterentwicklung von Völkerrecht befassen7o • Ihrer Entschlossenheit zur Kodifizierung und progressiven Weiterentwicklung der in Resolution 1815 niedergelegten Völkerrechtsgrundsätze verliehen schließlich die Delegierten von zwanzig asiatischen und afrikanischen Staaten unter Einschluß Jugoslawiens in einem Resolutionsentwurf Ausdruck, der die Errichtung eines Sonderausschusses 69 Ähnlich auch Henkin, How Nations Behave, S. 164; Schermers, International Institutional Law II, S. 502. 70 Zur Bindungswirkung von Resolutionen siehe im einzelnen infra 3. Kap.

4. Beratungen im 6. Ausschuß während der 18. Sitzungsperiode der VV 41

vorsah71 • Dieser sollte seine Arbeit noch in der laufenden Sitzungsperiode beginnen und der Vollversammlung in der 19. Sitzungsperiode Vorschläge zur progressiven Weiterentwicklung und Kodifizierung der vier Prinzipien unterbreiten. Auf der 829. Sitzung brachten schließlich 41 asiatische, afrikanische und südamerikanische Staaten einen Resolutionsvorschlag ein 72 , der in seinem Paragraphen 1 eine Modifizierung der Entwürfe A/C.6/L. 538 and Corr. 1 und A/C.6/L. 539 73 enthielt. Danach sollte ein Sonderausschuß errichtet werden, dem Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, ausgewählt nach dem Grundsatz gerechter geographischer Repräsentanz und der Notwendigkeit der Verkörperung der wichtigsten Rechtssysteme, angehören sollten. Seine Aufgabe sollte darin bestehen, einen Bericht zu erstellen, der Empfehlungen zur progressiven Weiterentwicklung und Kodifikation der Prinzipien im Hinblick auf ihre gesicherte und effektive Anwendbarkeit enthielt. Nunmehr gaben auch die westlichen Staaten, um nicht dem Vorwurf ausgesetzt zu sein, der Fortentwicklung des Völkerrechts im Wege zu stehen, ihre reservierte Haltung auf. Sie hatten inzwischen erkannt, daß ihre Einwände, die sie vorwiegend auf die Formulierung des operativen Paragraphen 2 der Resolution 1815 (XVII) und die darin vermeintlich enthaltene Beschränkung des 6. Ausschusses auf die Anfertigung einer Studie stützten, nicht überzeugen konnten 74 • Es gelang ihnen jedoch, mit einem Ergänzungsvorschlag 75 , der auf der 833. Sitzung vom Delegierten des Libanon weiter modifiziert wurde, eine Änderung des 41-Staaten-Entwurfs zu erreichen.

A/C.6/L.538 and Corr. 1, in GAOR, XVIII, Annexes, agenda item 71, S. 29. Auf der 811. Sitzung hatte der Delegierte Polens den Vorschlag aus dem Arbeitspapier des Vertreters der Tschechoslowakei (AlC.6/L.528, in GAOR, XVIII, Annexes, agenda item 71, S. 19) wiederholt, in dem dieser die Errichtung von zwei Arbeitsgruppen empfahl, die einen Resolutionsentwurf für den 6. Ausschuß ausarbeiten sollten. Der Vorschlag war auf Ablehnung gestoßen, da in der Betrachtung der Prinzipien noch keine einheitliche Grundlage vorhanden war, die zu einer Einigung hätte führen können. Vgl. Sir Bailey (Australien), AlC.6/SR.812 p.2. 72 A/C.61L.541 and Corr. 1 and Add. 1 and 2, in GAOR, XVIII, Annexes, agenda item 71, S. 29. 73 Dieser Resolutionsentwurf war von neun südamerikanischen Staaten eingebracht worden und empfahl, daß sich der Sonderausschuß aus international anerkannten Völkerrechtlern zusammensetzen sollte. 74 Unter Berücksichtigung der Diskussionen im 6. Ausschuß während der 17. Sitzungsperiode ist wohl davon auszugehen, daß die Mehrzahl der Delegierten den Sinn des Paragraphen 2 der Resolution 1815 (XVII) in einem Auftrag zur progressiven Weiterentwicklung und zur Kodifikation der sieben Prinzipien sah. 15 A/C.6/L.542, in GAOR, XVIII, Annexes, agenda item 71, S. 30 (unterstützt von Österreich, Griechenland, Italien, Norwegen, Türkei, Vereinigtes Königreich, USA). 71

1. Kap.:

42

B. Vorgeschichte des Sonderausschusses

Sein Paragraph 1 legte nunmehr dem zu gründenden Sonderausschuß die Verpflichtung auf, die Völkerrechtsprinzipien vor ihrer progressiven Weiterentwicklung und Kodifikation einer eingehenden Studie zu unterziehen. Die westlichen Staaten wollten damit vermeiden, daß der Sonderausschuß dazu verleitet würde, eine Formulierung der Prinzipien in Angriff zu nehmen, ohne die politischen und ideologischen Implikationen überdacht und ausgeschlossen zu haben76 • Auf der 834. Sitzung des 6. Ausschusses wurde der modifizierte Resolutionsentwurf A/C.6/L. 541 and Corr.1 and Add. 1 and 2 einstimmig angenommen und der Vollversammlung der Vereinten Nationen zur Verabschiedung unterbreitet 77 • Hiermit war die Grundlage für die künftige Tätigkeit des Sonderausschusses geschaffen. Er sollte bereits während der 19. Sitzungsperiode die vier in Paragraph 2 der Resolution 1815 (XVII) genannten Prinzipien einer näheren Betrachtung unterziehen. Während der Diskussionen im 6. Ausschuß klang auch das besondere Anliegen der westlichen Staaten an, nicht in erster Linie nach neuen Formulierungen für bereits anerkannte Völkerrechtsgrundsätze zu suchen, sondern vielmehr eine breitere Basis für ihre Anwendung zu finden. Dazu gehöre aber eine größere Bereitschaft der Staaten, die Prinzipien der friedlichen Zusammenarbeit in der Völkerrechtspraxis anzuwenden 78 • Nach Meinung des niederländischen Delegierten müßte sich diese Bereitschaft vor allem in der Bildung und Anerkennung solcher Instanzen ausdrücken, die dem Völkerrecht zu besserer Durchsetzbarkeit verhelfen. Er schlug die Errichtung eines "fact-findingbody" vor, das auf dem Gebiet der friedlichen Streitschlichtung - einem Grundsatz mit Ausstrahlung auf alle anderen Völkerrechtsprinzipien -, durch Untersuchung der Streitursachen den Parteien zu annehmbaren Lösungen verhelfen könnte 79 • Dieser Ausschuß stände auch nicht im Widerspruch zu den in Art. 33 der Charta genannten Möglichkeiten der friedlichen Streitbeilegung; er würde sie im Gegenteil noch effektiver gestalten, weil er sich ausschließlich mit der Ursachenforschung zu beschäftigen hätte. Auf der 829. Sitzung reichten acht Staaten einen Resolutionsentwurf ein, der vorsah, daß sich der Sonderausschuß wäh-

Vgl. die Begründung Plimton's (USA), AlC.6/SR.829 p.8. Der Resolutionsvorschlag wurde von der Vollversammlung auf ihrer 1196. Sitzung am 16. 12. 1963 ohne weitere Aussprache einstimmig angenommen (Res. 1966 XVIII). 78 So PUmpton (USA), AlC.6/SR.808 p. 13. 79 Tammes (Niederlande), A/C.6/SR.803 pp. 3-5; ebenso Ali (Pakistan) AlC.6/SR.8l6 p.13; dieses Thema war schon während der 17. Sitzungsperiode des 6. Ausschusses vom Vertreter der Niederlande angeschnitten worden, vgl. Riphagen, A/C.6/SR.758 p.40. 76

71

4. Beratungen im 6. Ausschuß während der 18. Sitzungsperiode der VV 43 rend der 19. Sitzungsperiode auch mit dem Problem der Errichtung eines Untersuchungsausschusses beschäftigen sollte80 • Der Entwurf wurde von den sozialistischen Staaten mit dem Argument abgelehnt, die Charta habe in Art. 33 bereits eine genügende Anzahl von Möglichkeiten der Streitschlichtung geschaffen. Oberstes Organ hierfür sei der Sicherheitsrat, der allein die Gewähr für die Unparteilichkeit von Untersuchungen und rechtlichen Entscheidungen biete. In dieser Argumentation zeigte sich wiederum die Abneigung des Ostblocks, die sich aus dem allumfassenden Souveränitätsverständnis abgeleitet, gegen den Versuch einer Majorisierung in internationalen Instanzen81 • Demgegenüber brachten Vertreter neuer Staaten gegen die Notwendigkeit der Errichtung einer Untersuchungskommission keine grundsätzlichen Einwände vor 82 • Sie waren jedoch der Ansicht, daß die Behandlung dieses Themas nicht dem Auftrag der Resolution 1815 (XVII) an den 6. Ausschuß entspreche. Der 8-Staatenentwurf wurde schließlich auf der 834. Sitzung mit 45 gegen 14 Stimmen, bei 21 Enthaltungen angenommen83 • Bereits die erste Sitzungsperiode des Sonderausschusses zeigte, daß eine Einigung über die Errichtung einer ständigen Untersuchungskommission wegen der materiellen Vorbehalte der sozialistischen Staaten nicht zustande kommen würde 84 • Die Vollversammlung überwies die Erörterung dieses Themas daher während der weiteren Sitzungsperiode auch nicht mehr an den Sonderausschuß.

80 AlC.6/L.540 and Add. 1 and 2, in GAOR, XVIII, Annexes, agenda item 71, S.30 (unterstützt von Cypern, Jamaica, Kanada, Liberia, Mexiko, Niederlande, Pakistan, Schweden). 81 Siehe dazu auch die Ausführung Tunkins, Der ideologische Kampf, S. 451 ff. 82 Vgl. Dadzie (Ghana), A/C.6/SR.832 p. 20; Laurens (Indonesien), AlC.6/SR. 833 p.16. 83 Der Entschließungsentwurf wurde von der Vollversammlung der Vereinten Nationen als Res. 1967 (XVIII) am 16. 12. 1963 angenommen (im 6. Ausschuß stimmten die Vertreter aller sozialistischen Länder und die Kambodschas, Kubas, Indiens und Indonesiens gegen den Resolutionsentwurf). 84 Vgl. die Äußerungen der Vertreter der Tschechoslowakei, der USSR und Rumäniens während der 1. Sitzungsperiode des Sonderausschusses (AI AC.119/ SR.36, S.13; AlAC.119/SR.36, S.14; A/AC.119/SR.39, S.7) und den gemeinsamen Resolutionsentwurf der Delegationen Indiens, der VAR und Jugoslawiens (AlAC.119/L.30, in GAOR, XX, Annexes, agenda items 90 and 94, S.139).

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1. Kap.:

C. Zusammensetzung, Organisation und Arbeitsweise

c. Zusammensetzung,

Organisation und Arbeitsweise des Sonderausschusses

Paragraph 1 der Resolution 1966 (XVIII) ermächtigte den Präsidenten der Vollversammlung, die Mitgliedstaaten des Sonderausschusses nach dem Prinzip gerechter geographischer Repräsentanz und der Notwendigkeit der Berücksichtigung der wichtigsten Rechtssysteme auszuwählen. Nach eingehenden Konsultationen benannte er 27 Staaten, die sowohl sozialistisches und westliches wie auch afrikanisches, asiatisches und südamerikanisches Völkerrechtsdenken repräsentierten1 • Die Auswahl bezog die angelsächsische und romanische Rechtstheorie und im Falle Afrikas die englisch- und französischsprachigen Gruppierungen ein2 • Schon während der 20. Sitzungsperiode verlangten Vertreter neuer Staaten eine Erweiterung des Sonderausschusses, weil dieser, wie sie meinten, in seiner Zusammensetzung noch nicht das wahre Bild der Völkerrechtsgemeinschaft widerspiegelte 3• Der Delegierte Ghanas schlug vor, den Vorsitzenden des 6. Ausschusses mit der Benennung von vier weiteren Staaten - davon zwei aus Afrika und jeweils einen aus Lateinamerika und Asien - zu Mitgliedern des Sonderausschusses zu betrauen. Mit Zustimmung der Delegierten berief der Vorsitzende Algerien, Chile, Kenia und Syrien. Damit war die Mitgliederzahl bereits auf 31 angewachsen, was der ursprünglichen Vorstellung nach einem kleinen, entscheidungsfähigen Körper sicherlich widersprach. So hatten während der 18. Sitzungsperiode Vertreter neuer Staaten im 6. Ausschuß eine Beteiligung von 17 Ländern empfohlen und diese bereits benannt. Der Vorschlag wurde jedoch später wieder zurückgezogen. Die Mitgliedstaaten beriefen zumeist Beamte ihrer Außenministerien in den Sonderausschuß und dokumentierten damit, daß ihnen an einer konstruktiven, vom Staatswillen getragenen Arbeit gelegen sei4 • Die Entsendung von Regierungsvertretern sollte sicherstellen, daß der Ausschuß von Beginn seiner Tätigkeit an auch mögliche politische Entscheidungen unter der Kontrolle und mit Zustimmung der Staaten würde treffen könnens. 1 Vgl. Doc. N5689: Afghanistan, Argentinien, Australien, Canada, Dahomey, Ghana, Guatemala, Indien, Italien, Japan, Jugoslawien, Kamerun, Libanon, Madagaskar, Mexiko, Niederlande, Nigeria, Polen, Rumänien, Schweden, Tschechoslowakei, USA, USSR, VAR, Venezuela, Vereinigtes Königreich, Frankreich. Afghanistan trat von der Mitgliedschaft im Sonderausschuß auf eigenen Wunsch zurück und wurde vom Präsidenten der Vollversammlung durch Burma ersetzt (vgl. Doc. A/5727). 2 Siehe auch McWhinney, The "New" Countries, S.4. 3 So etwa Vanderpuye (Ghana), NC.6/SR.898 p. 15. 4 Siehe dazu auch McWhinney, The "New" Countries, S.4. 5 Vgl. auch Briggs, Reflections, S.287.

1. Kap.: C. Zusammensetzung, Organisation und Arbeitsweise

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Der Sonderausschuß tagte in sechs Sitzungsperioden: 1. vom 27.8.- 1. 10. 1964 in Mexico City 2. vom

8.3.-25. 4.1966 in New York

3. vom 17.7.-19. 8. 1967 in Genf 4. vom

9.9.-30. 9. 1968 in New York

5. vom 18.8.-19. 9. 1969 in New York 6. vom 31. 3.- 1. 5.1970 in Genf

(Res. 1966 [XVIII] vom 16. 12. 1963) (Res. 2103 [XX] vom 20. 12. 1965) (Res. 2181 [XXI] vom 12. 12. 1966) (Res. 2327 [XXII] vom 18. 12. 1967) (Res. 2463 [XXIII] vom 20. 12. 1968) (Res. 2533 [XXIV] vom 8. 12. 1969)

Während der 1. Sitzungsperiode behandelte er die Prinzipien des Gewaltverbots, der friedlichen Streiterledigung, des Interventionsverbots und der souveränen Gleichheit der Staaten, während der 2. und 3. zusätzlich noch die Grundsätze der Zusammenarbeit der Staaten, der gleichen Rechte und der Selbstbestimmung der Völker und der Pfiichterfüllung nach Treu und Glauben. Da eine Übereinkunft der Delegierten bezüglich des Prinzips des Gewaltverbots und des Grundsatzes gleicher Rechte und der Selbstbestimmung der Völker besondere Schwierigkeiten bereitete, waren diese Prinzipien während der 4. und 5. Sitzungsperiode die einzigen Tagesordnungspunkte des Sonderausschusses. Bereits während der ersten Sitzungsperiode erkannten die Delegierten, daß für die intensive Erörterung der einzelnen Prinzipien die Einsetzung eines Redaktionsausschusses (drafting committee) geboten war, da der Sonderausschuß selbst wegen seiner größeren Mitgliederzahl eine effektive Arbeitsweise nicht zuließ. Man beauftragte deshalb jeweils zu Beginn der einzelnen Sitzungsperioden den Vorsitzenden mit der Auswahl derjenigen Staaten, die im Redaktionsausschuß vertreten sein sollten. Es waren dies zwischen 14 und 17 Staaten, die, ebenfalls nach dem Grundsatz gerechter geographischer und weltanschaulicher Repräsentanz ausgewählt, ein verkleinertes Spiegelbild des Sonderausschusses darstellten. Dem Redaktionsausschuß wurde meist nach nur kurzen Debatten im Plenum des Sonderausschusses die eingehende Beratung der Prinzipien übertragen. Über Inhalt und Stand der Sachdiskussion erstellte er Arbeitspapiere, die einerseits Formulierungsvorschläge hinsichtlich des endgültigen Textes der Prinzipien enthielten, andererseits aber auch die strittig gebliebenen Punkte vermerkten. Diese Papiere wurden dem Plenum des Sonderausschusses zur weiteren Diskussion und als Grundlage für die Beschlußfassung

46

1. Kap.: C. Zusammensetzung, Organisation und Arbeitsweise

und den Bericht an die Vollversammlung zum Ende einer jeden Sitzungsperiode übermittelt6 • Der Redaktionsausschuß bediente sich seinerseits zum Zwecke einer noch intensiveren Gestaltung der ihm übertragenen Aufgabe und nicht zuletzt aus Rationalisierungsgründen kleinerer Arbeitsgruppen, die oft nur aus drei bis fünf Delegierten bestanden7 • In solchen Gruppen versuchte man, Thesen und Formulierungsvorschläge zu erarbeiten, die dem Redaktionsausschuß als Entscheidungshilfen zur Verfügung stehen sollten. Hinsichtlich des Verfahrens bei der Ausarbeitung der Deklaration lassen sich deutliche Unterschiede zu der Arbeitsweise der ILC8 einerseits und der im Rahmen der Vollversammlung andererseits aufzeigen9 • Während die ILC grundsätzlich einen Berichterstatter mit einer umfassenden Erarbeitung der ihr übertragenen oder auch selbst gestellten Kodifikationsaufgabe befaßt und auf der Grundlage dieses Berichtes zu Lösungsmöglichkeiten zu gelangen suchtlO , konnte der Sonderausschuß mit Ausnahme der ihm zur ersten Sitzungsperiode (1964) vom Generalsekretariat der Vereinten Nationen zur Verfügung gestellten Unterlagen, einem Bericht über die Untersuchungsmethoden in internationalen Streitigkeiten und einer Dokumentation und Bibliographie zu den sieben Völkerrechtsprinzipien, nicht auf eigene vorbereitende Arbeiten zurückgreifen. Ein solcher Bericht wäre für den Ausschuß wegen der vielfältigen politischen und ideologischen Differenzen, welche durch die Auswahl der Prinzipien von vornherein aufgeworfen worden waren, allerdings kaum sinnvoll und hilfreich gewesen. Ein weiterer entscheidender Unterschied zu dem Verfahren im Rahmen der ILC besteht darin, daß der Sonderausschuß mit weisungsgebundenen Regierungsvertretern besetzt war, während die ILC unabhängig von Weisungen durch die Staaten ihrer Tätigkeit nachgehen kann. Natürlich bleibt nicht aus - und dies wäre im Inter6 GAOR, XX, Annexes, agenda items 90 and 94 (A/5746) GAOR XXI, Annexes, agenda item 87 (A/6230) GAOR, XXII, Annexes, agenda item 87 (A/6799) GAOR, XXIII, Annexes, agenda item 87 (A/7326) GAOR, XXIV, Supplement No. 19 (A/7619) GAOR, XXV, Supplement No. 18 (A/8018). 7 Vgl. z. B. A/AC.119/SR.37. (Hier wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt, bestehend aus drei Delegierten, die sich mit der Formulierung eines Resolutionsentwurfs zum Problem der Errichtung eines ständigen Untersuchungsausschusses [fact-finding-body] befassen sollte.) 8 Zur Arbeitsweise der ILC vergleiche im einzelnen Thode, S. 163 ff. 9 Zum gesamten Komplex der Kodifikation durch Vollversammlung, ILC und andere Organe der Vereinten Nationen vgl. Bohn, Die Kodifikation des Völkerrechts durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen. 10 Vgl. Bohn, S. 36 ff.

1. Kap.:

C. Zusammensetzung, Organisation und Arbeitsweise

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esse einer effektiven Arbeitsweise der ILC auch nicht auszuschließen -, daß die Mitglieder der ILC häufig die völkerrechtlichen und ideologischen Interessen ihrer Heimatländer vertreten, es fehlt den Entsendestaaten jedoch die Möglichkeit der unmittelbaren Beeinflussung von Willensbildung und Beschlußfassung. Demgegenüber steht bei der Verabschiedung von Resolutionen durch die Vollversammlung der Vereinten Nationen das Moment der Weisungs gebundenheit der abstimmenden Delegierten im Vordergrund. Ebenso wie dies im Sonderausschuß geschah, sind auch im Rahmen der Tätigkeit der Vollversammlung Erklärungen oder Entscheidungen der Delegierten nicht diesen, sondern stets den Entsendestaaten zuzurechnen. Wenn zwar insoweit Gemeinsamkeiten bestehen, so unterscheidet sich doch das Verfahren in bezug auf solche Resolutionen der Vollversammlung, die von dieser ohne die vorbereitende Tätigkeit von Unterausschüssen oder Sonderkommissionen - wie etwa dem in Rede stehenden Sonderausschuß verabschiedet werden. Während den Entscheidungen des Sonderausschusses intensivste Beratungen im Plenum, dem Redaktionsausschuß oder den Arbeitsgruppen vorausgingen, die sowohl die völkerrechtlichen Grundlagen eines jeden Prinzips zum Gegenstand hatten, als auch die möglichen politischen Implikationen zu ergründen und abzustimmen suchten, - also ein zähes Ringen um den bestmöglichen von der Zustimmung aller Staaten getragenen Deklarationstext stattfand -, müssen sich die im "Normalverfahren" zustandegekommenen Resolutionen nicht selten den Vorwurf mangelnder Sachlichkeit gefallen lassen. Der Text solcher Resolutionen wird nicht, wie dies im Sonderausschuß geschah, in offiziellen Sitzungen erarbeitet, sondern in inoffiziellen Begegnungen der von gleichen Interessen geleiteten Delegationen erstellt und schließlich der Vollversammlung zur Beschlußfassung, der häufig eine Aussprache vorausgeht, unterbreitet. Grund für dieses Verfahren ist die Tatsache, daß solche Resolutionen der Vollversammlung meist mehr politischer denn rechtlicher Natur sind. Nach intensivsten Beratungen, die sich über sechs Sitzungsperioden hinweg erstreckten, gelang es dem Sonderausschuß schließlich, im Jahre 1970 den endgültigen Deklarationsentwurf über die sieben Prinzipien zu erstellen, der während der Feierlichkeiten zum 25jährigen Bestehen der Vereinten Nationen am 24.10.1970 von der Vollversammlung als "Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-Operation among States in Accordance with the Charter of the United Nations" einstimmig angenommen wurdet!.

11

GA Res.2625 (XXV), siehe Anhang.

Zweites Kapitel

Die Arbeit des Sonderausschusses und das geltende Völkerrecht In den folgenden Kapiteln soll die Tätigkeit des Sonderausschusses bei der Behandlung der ihm von der Vollversammlung vorgelegten Prinzipien und das Ergebnis seiner Arbeit im Vergleich mit dem geltenden Völkerrecht dargestellt werden!. Diese Gegenüberstellung soll einen Einblick darüber vermitteln, in welcher Weise der Ausschuß ! Mit der Arbeit des Sonderausschusses bzw. Einzelproblemen seiner Tätigkeit befassen sich: Bastid, Observations sur une "Etape" dans le developpement progressif et la codification des principes du droit international, S.132-145. Briggs, Reflections on the Codifikation of International Law by the International Law Commission and by other Agencies, RdC 126, 1969 I, S. 284-293. Frowein, Freundschaft und Zusammenarbeit unter den Staaten, Europa Archiv 28, 1973, S. 70-76. Graejrath, Deklaration über die grundlegenden Völkerrechtsprinzipien, Deutsche Außenpolitik 16, 1971, S.476---510. Haight, Current Developments: Principles of International Law Concerning Friendly Relations and Cooperation among States, The International Lawyer 1, S. 96---133. Hazard, New Personalities to Create New Law, AJIL 58, 1964, S.952-959. Houben, Principles of International Law Concerning Friendly Relations and Co-Operation among States, AJIL 61, 1967, S.703-736. Kewenig, Gewaltverbot und noch zulässige Machteinwirkung und Interventionsmittel, S.175-217. Lee, The Mexico City Conference of United Nations Special Committee on Principles of International Law Concerning Friendly Relations and CoOperation among States, ICLQ 14, 1965, S. 1296---1313. Rosenstock, The Declaration of Principles of International Law Concerning Friendly Relations: A Survey, AJIL 65, 1971, S.713-735. Steinberger, Bemühungen zur Kodifizierung und Weiterbildung des Völkerrechts im Rahmen der Organisation der Vereinten Nationen, ZaöRV 28, 1968, S.633-637. Uibopuu, Die sovjetische Doktrin der friedlichen Koexistenz als Völkerrechtsproblem, S.218-237. McWhinney, The "New" Countries and the "New" International Law: The Uni ted Nations' Special Conference on Friendly Relations and Co-Operation among States, AJIL 60, 1966, S. 1-33. McWhinney, Friendly Relations and Co-Operation among States: Debate at the 20 th General Assembley United Nations, AJIL 60, 1966, S.356---361. Siehe auch die Referate von Blix, Bystricky, Molodcov, Outrata, McWhinney in the Legal Principles Governing Friendly Relations and Co-Operation among States, Leyden 1966. Zur gesamten Tätigkeit des Sonderausschusses vgl. insbesondere Wendte, Die friedliche Koexistenz und die Vereinten Nationen, Diss. Köln 1971.

2. Kap.: Die Arbeit des Sonderausschusses

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seinen Auftrag zur Kodifizierung und progressiven Weiterentwicklung der sieben völkerrechtlichen Grundprinzipien wahrgenommen hat. Bei der Behandlung der einzelnen Prinzipien wurde von der im endgültigen Deklarationstext getroffenen Reihenfolge abgewichen; damit soll jedoch nicht etwa eine unterschiedliche Bedeutung und Rangfolge der Prinzipien dokumentiert werden. Vielmehr stehen alle Grundsätze, soweit sie geltendes Völkerrecht enthalten, in einer unmittelbaren, wenn auch abgestuften Wechselbeziehung zueinander; die Nichtbeachtung des einen Prinzips führt zwangsläufig zur Kollision mit den anderen. Trotz dieser Wechselbeziehungen ist es jedoch gerechtfertigt, das Gewaltverbot und das Prinzip der Nichtintervention als von so unmittelbarer Bedeutung für den Weltfrieden an den Anfang der Erörterung zu stellen. Als Korrelat zu Gewaltverbot und Nichtintervention, deren Verletzung doch immer auf ungelöste Streitigkeiten zwischen den Staaten zurückzuführen ist, steht das Prinzip der friedlichen Streitbeilegung an dritter Stelle im Rahmen der vorliegenden Arbeit. Es schließen sich die Grundsätze der souveränen Gleichheit und der Zusammenarbeit der Staaten an. Wegen seiner besonderen Problematik und weil es sich in die Reihe der herkömmlichen völkerrechtlichen Grundsätze nicht unmittelbar einordnen läßt, wurde das Prinzip der gleichen Rechte und der Selbstbestimmung der Völker an sechster Stelle erörtert. In übereinstimmung mit der in der Deklaration selbst vorgenommenen Reihenfolge ist das Prinzip der Pflichterfüllung nach Treu und Glauben an das Ende gestellt, weil es seinem Wesen nach alle behandelten Prinzipien, soweit sie geltendes Völkerrecht enthalten, umschließt, und gerade die Einhaltung der aus den vorgenannten Grundsätzen resultierenden Verpflichtungen erst die übereinstimmung völkerrechtlic..lJ. relevanter staatlicher Verhaltensweisen mit dem Prinzip der Pflichterfüllung bewirkt. Der Behandlung der einzelnen Prinzipien in der vorliegenden Arbeit ist jeweils der endgültige Deklarationstext vorangestellt. In den jeweiligen Vorbemerkungen soll versucht werden, den Gang des Verfahrens im Sonder ausschuß in groben Zügen zu skizzieren. Es folgen Erörterungen über die Grundlagen und die Bedeutung des jeweils behandelten Prinzips aus der Sicht der im Sonderausschuß beteiligten Staaten und der völkerrechtlichen Literatur. Im Anschluß dar an werden die verschiedenen Positionen der einzelnen Staaten bzw. Staaten- und Blockgruppen aufgezeigt, und der Versuch gemacht darzustellen, inwieweit die unterschiedlichen ideologischen Richtungen Einfluß auf den endgültigen Deklarationstext genommen haben. Im Rahmen dieser Erörterungen wird im übrigen darzulegen versucht, ob die vom Sonderausschuß erarbeiteten Formulierungen unmittelbar geltendes Völkerrecht wiedergeben. , Graf zu Dohna

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2. Kap.: A. Das Prinzip des Gewaltverbots

Ein weiteres Kapitel befaßt sich schließlich mit der Frage, ob und in welchem Umfang die von der Vollversammlung als Deklaration verabschiedete Formulierung der völkerrechtlichen Grundprinzipien gerade in ihrer Eigenschaft als Resolution der Vereinten Nationen Bindungswirkung und damit geltendes Recht gegenüber den Staaten, und zwar sowohl im Verhältnis der antagonistischen Machtblöcke wie auch in den gegenseitigen Beziehungen der Staaten innerhalb der verschiedenen durch ideologische Gemeinsamkeiten verbundenen Staatengruppen beanspruchen kann.

A. Das Prinzip des Gewaltverbots Every State has the duty to refrain in its international relations from the threat or use of force against the territorial integrity or political independence of any State, or in any other manner inconsistent with the purposes of the United Nations. Such a threat or use of force constitutes a violation of internationa1law and the Charter of the United Nations and shall never be employed as a means of settling international issues. A war of aggression constitutes a crime against the peace, for which there is responsibility under international law. In accordance with the purposes and principles of the United Nations, States have the duty to refrain from propaganda for wars of aggression. Every State has the duty to refrain from the threat or use of force to violate the existing international boundaries of another State or as a means of solving international disputes, inc1uding territorial disputes and problems concerning frontiers of States. Every State likewise has the duty to refrain from the threat or use of force to viola te international lines of demarcation, such as armistice lines, established by or pursuant to an international agreement to which it is a party or which it is otherwise bound to respect. Nothing in the foregoing shall be construed as prejudicing the positions of the parties concerned with regard to the status and effects of such lines under their special regimes or as affecting their temporary character. States have a duty to refrain from acts of reprisal involving the use of force. Every State has the duty to refrain from any forcible action which deprives peoples referred to in the elaboration of the principle of equal rights and sell-determination of their right to self-determination and freedom and independence. Every State has the duty to refrain from organizing or encouraging the organization of irregular forces or armed bands, inc1uding mercenaries, for incursion into the territory of another State. Every State has the duty to refrain from organizing, instigating, assisting or participating in acts of civil strife or terrorist acts in another State or acquiescing in organized activities within its territory directed towards the commission of such acts, when the acts referred to in the present paragraph involve a threat or use of force.

1. Vorbemerkungen

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The territory of aState shall not be the object of military occupation resulting from the use of force in contravention of the provisions of the Charter. The territory of aState shall not be the object of acquisition by another State resulting from the threat or use of force. No territorial acquisition resulting from the threat or use of force shall be recognized as legal. Nothing in the foregoing shall be construed as affecting: (a) Provisions of the Charter or any international agreement prior to the Charter regime and valid under international law; or (b) The powers of the Security Council under the Charter. All States shall pursue in good faith negotiations for the early conclusion of a universal treaty on general and complete disarmament under effective international control and strive to adopt appropriate measures to reduce international tensions and strengthen confidence among States. All States shall comply in good faith with their obligations under the generally recognized principles and rules of international law with respect to the maintenance of international peace and security, and shall endeavour to make the United Nations security system based on the Charter more effective. Nothing in the foregoing paragraphs shall be construed as enlarging or diminishing in any way the scope of the provisions of the Charter concerning cases in which the use of force is lawful. 1. Vorbemerkungen

Das Gewaltverbot nahm neben dem Prinzip der Selbstbestimmung den größten Teil der Diskussionen im Sonderausschuß ein; es beschäftigte ihn von der ersten bis hin zu seiner letzten Sitzungsperiode im Jahre 1970. Zwar schien sich schon in der ersten Sitzungsperiode in zahlreichen Punkten eine grundsätzliche Einigung auf einen gemeinsamen Formulierungsentwurf anzubahnen2 , man entschied sich dann jedoch mit Rücksicht auf wesentliche, noch offen gebliebene Fragen dafür, den Entwurf der Vollversammlung gegenüber nicht als vom Sonder ausschuß befürwortete Formulierung vorzuschlagen; statt dessen stellte man mit 11 gegen 2 Stimmen, bei 12 Enthaltungen fest, daß dem Sonderausschuß eine Einigung über Umfang und Inhalt des Prinzips nicht möglich gewesen sei und übermittelte der Vollversammlung einen Bericht, in dem die divergierenden Standpunkte aufgezeigt wurden3 • Es waren dies im besonderen Gegensätzlichkeiten in der inhaltlichen Beurteilung des Begriffs Gewalt und der Frage des rechtmäßigen Waffengebrauchs, die zu überwinden oder in Kompromißlösungen zu formulieren erst in der sechsten Sitzungsperiode des Sonderausschusses unter dem Eindruck der bevorstehenden Feierlichkeiten zum 25jährigen Jahrestag der Gründung der Vereinten Nationen, in deren Mittelpunkt die "Deklaration 2

3

4"

Vgl. Paper No. 1, in GAOR, XX, Annexes, agenda items 90 and 94, S.95. Ebd., S. 98 H.

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2. Kap.: A. Das Prinzip des Gewaltverbots

über die freundschaftlichen Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen den Staaten" stehen sollte, gelang'. 2. Grundlagen und Bedeutung des Prinzips

Die meisten Delegierten im Sonder ausschuß hoben die Bedeutung des Prinzips des Gewaltverbots hervor, das die Grundlage und das Leitbild jeder staatlichen Politik sein müsse. Nur durch Annahme und Beachtung dieses Prinzips könne die internationale Ordnung aufrechterhalten werdens. Viele Delegierte meinten, die Zeit nach Errichtung der Vereinten Nationen habe leider gezeigt, daß manche Staaten noch nicht bereit seien, auf die verschiedensten Arten militärischer Gewalt zur Durchsetzung ihrer Politik zu verzichten. Die Äußerung des Vertreters Jugoslawiens macht daher ein Hauptanliegen des Ausschusses deutlich, wenn er dessen Aufgabe damit umschreibt, daß erneute Anstrengungen unumgänglich seien, um die Gewaltanwendung als Mittel zur Lösung internationaler Streitigkeiten zu eleminieren und zu einer Entwicklung des Völkerrechts im Geiste friedlicher und aktiver Koexistenz beizutragen6 • Aus den Diskussionen während der ersten Sitzungsperiode des Ausschusses geht hervor, daß die Delegierten das Gewaltverbot des Art. 2 Abs. 4 SVN für allgemein geltendes Völkerrecht hielten7 • Es besitze nicht nur als vertragliche Verpflichtung gegenüber Mitgliedern der Vereinten Nationen, sondern auch gegenüber Nichtmitgliedern als Grundsatz des allgemeinen Völkergewohnheitsrechts Geltungskraft. Die Äußerungen der Delegierten spiegeln die Haltung der Völkerrechtswissenschaft in dieser Frage wider. Der Grundsatz des Gewaltverbots wird heute als das grundlegende Prinzip zur Regelung der zwischenstaatlichen Beziehungen anerkannt. War in den Art. 10 und 12 Abs. 1 der Völkerbundssatzung8 und im Art. 1 des Briand-Kellogg4 In Paragraph 10 der Resolution 2499 (XXIV) vom 31. 10. 1969 ("Celebration of the twenty-fifth anniversary of the United Nations") forderte die Vollversammlung den Sonderausschuß auf, während seiner Sitzungsperiode im Jahre 1970 ein Dokument fertigzustellen, das geeignet sei, von der Vollversammlung auf ihrer Gedenksitzung am 24. 10. 1970 verabschiedet zu werden. 5 So Krishna Rao (Indien), A/AC.119/SR. 3, S. 4 f.; Arangio Ruiz (Italien), NAC.119/SR. 7, S.4; Khlestov (USSR), NAC.119/SR.5, S.4. 6 Sahovic (Jugoslawien), A/AC.1l9/SR.4, S.7. 7 Vgl. Schwebel (USA), NAC.119/SR. 3, S. 12; Bierzanek (Polen), NAC.1l9/ SR. 9, S.6. 8 Die beiden relevanten Bestimmungen der Völkerbundssatzung lauten: Art.lO: "The Members of the League undertake to respect and preserve as against external aggression the territorial integrity and existing political independence of a11 Members of the League ..." Art.l2 Abs.l: "The Members of the League agree that, if there should

2. Grundlagen und Bedeutung des Prinzips

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paktes9 lediglich von einem Kriegs- bzw. Aggressionsverbot die Rede, so modifiziert Art. 2 Abs. 4 SVN dieses Verbot dahingehend, daß nunmehr grundsätzlich jede Anwendung von Gewalt in den zwischenstaatlichen Beziehungen untersagt ist. Eine solche Klarstellung erwies sich als notwendig; die Praxis der Staaten neigt nämlich dazu, das Kriegsverbot dadurch zu umgehen, daß sie kleinere militärische Aktionen nicht als Krieg apostrophiert, um so dem Vorwurf einer Verletzung völkerrechtlicher Bestimmungen zu entgehen 10 • Das Gewaltverbot hat demgegenüber den Vorteil, daß es diesem Bestreben einer Rechtfertigung entgegenwirkt durch ein umfassendes Verbot. Dieses umfassende Gewaltverbot des Art. 2 Abs. 4 SVN ist nunmehr auch über die Satzung der Vereinten Nationen hinaus zu einem festen Bestandteil des allgemeinen Völkergewohnheitsrechts geworden11 • Der Grund für eine über die Charta hinausgehende Bindungswirkung des Prinzips muß darüber hinaus auch darin gesehen werden, daß sich die Vereinten Nationen inzwischen zu einer universalen Organisation entwickelt haben, deren vornehmster Aufgabe, nämlich der Friedenssicherung auf der Grundlage der in Art. 2 SVN niedergelegten Prinzipien zur Regelung der zwischenstaatlichen Beziehungen, sich auch die wenigen verbliebenen Nichtmitglieder nicht mehr verschließen können. Berber hingegen verneint eine Bindungswirkung, soweit Nichtmitglieder sich nicht ausdrücklich den Prinzipien der Charta unterwerfen; nicht Art. 2 Abs. 4 SVN sei als Völkergewohnheitsrecht anzusehen, sondern das Kriegsverbot des Briand-Kelloggpaktes12 • Dieser Argumentation ist jedoch nicht zuzustimmen; die Tatsache, daß die meisten Staaarise between them any dispute likely to lead to a rupture, they will submit the matter either to arbitration or judicial settlement or to inquiry by the Council, and they agree in no case to resort to war until three months after the award by the arbitrations or the judicial decision, or the report by the Council." 9 Art. 1 des Kelloggpaktes lautet: "The High Contracting Parties solemnly declare in the names of their respective peoples that they condemn recourse to war for the solution of international controversies, and renounce it as an instrument of national policy in their relations with one another." 10 Vgl. dazu Berber, VR Bd 2, S. 38; Stone, Legal Controls of International Conflicts, S. 311; siehe auch Colombo (Argentinien), A/AC.119/SR.3, S.10. 11 Vgl. Bobrov, S.46; Brownlie, International Law and Use of Force by States, S.113; Falk, The New States and International Legal Order, S.47, der, allerdings wohl zu Unrecht, die Bindungswirkung für Nichtmitglieder der VN aus Art.2 Abs. 6 SVN ableitet; Kewenig, Gewaltverbot und noch zulässige Machteinwirkung und Interventionsmittel, S.l77 (mit weiteren Nachweisen in Fußnote 3); Menzel, VR, S.342; Molodcov, The Principle that States should refrain from the Threat or Use of Force in International Relations, S.33; Rosenstock, The Declaration of Principles of International Law Concerning Friendly Relations; A Survey, S.717; Skubiszewski, Use of Forceby States, Collective Security. Law of War and Neutrality, S.745. 12 Berber, VR Bd 2, S. 40 f.

2. Kap.: A. Das Prinzip des Gewaltverbots

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ten ihre militärischen Aktionen, die sich oft nicht unter die hergebrachte Definition des Begriffs "Krieg" subsumieren lassen, vor der Weltöffentlichkeit meist als Ausfluß des Rechts zur Selbstverteidigung oder ihrer Unterstützung zu rechtfertigen suchen, zeigt, daß über die Bestimmungen des Briand-Kelloggpaktes hinaus von einem völkergewohnheitsrechtlichen Gewaltverbot ausgegangen wird13 • Dieses Verhalten der Staaten dürfte als der beste Beweis für ein allgemeines gewohnheitsrechtliches Verbot der Gewaltanwendung mit dem Inhalt des Art. 2 Abs. 4 SVN gelten. 3. Zur inhaltlichen Bestimmung des Begriffs "force"

Angesichts der unterschiedlichen politischen und ideologischen Zusammensetzung des Sonderausschusses waren die Schwierigkeiten vorauszusehen, die bei der Definition des Begriffs Gewalt (force) in Art. 2 Abs.4 SVN entstehen würden. Uneinigkeit bestand darüber, ob das Gewaltverbot nicht nur alle militärischen Aktionen, sondern auch wirtschaftlichen und politischen Druck umfaßt, der nicht im Einklang mit der Charta steht. Bereits die zum dritten Sitzungstag des 1964erAusschusses eingebrachten Resolutionsvorschläge sozialistischer Staaten14 und der Großbritanniens15 vom fünften Sitzungstag zeigen die unterschiedliche Betrachtungsweise deutlich auf. Der tschechoslowakische und der jugoslawische Entwurf enthalten jeweils einen Hinweis darauf, daß auch politischer und wirtschaftlicher Druck, der geeignet ist, die politische Unabhängigkeit und die territoriale Unversehrtheit eines Staates zu gefährden, vom Gewaltverbot eingeschlossen wird. Demgegenüber stellt Paragraph 2 des britischen Entwurfes ausdrücklich fest, daß unter dem Ausdruck "force" nur Waffengewalt (armed force) zu verstehen sei. Auch afrikanische und asiatische Staaten haben in eigenen Resolutionsentwürfen16 während der verschiedenen Sitzungsperioden des Sonderausschusses ihre Haltung in dieser Frage dargelegt und darauf bestanden, daß nicht nur militärische Gewalt vom Verbot des Art. 2 Abs. 4 SVN erfaßt werde. Die Diskussionen im Ausschuß selbst waren gekennzeichnet von dem Versuch, die unterschiedlichen Ansichten zur Bedeutung des Begriffs Siehe auch Skubiszewski, Use of Force, S. 745. AlAC.1l9/L.6 (Tschechoslowakei), in GAOR, XX, Annexes, agenda items 90 and 94, S. 84; AlAC.1l9/L.7 (Jugoslawien) ebd. 15 A/AC.1l9/L.8, ebd. 16 AlAC.1l9/L.15 (Ghana, Indien, Jugoslawien; wobei der jugoslawische Vertreter seinen ursprünglichen Entwurf A/AC.1l9/L.7 zugunsten dieses gemeinsamen Vorschlages aufgab), ebd., S.85; AlAC.125/L.48 (Algerien, Kamerun, Ghana, Indien, Kenia, Madagaskar, Nigeria, Syrien, VAR, Jugoslawien), in GAOR, XXII, Annexes, agenda item 87, S.10. 13 14

3. Zur inhaltlichen Bestimmung des Begriffs "force"

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Gewalt mit dem Sinn und Zweck der Charta, der Entstehungsgeschichte des Art. 2 Abs. 4 SVN, der Stellung des Gewaltverbots zu anderen Bestimmungen der Satzung und der Bedeutung einer extensiven Auslegung dieses Begriffs für die Stellung wirtschaftlich schwächerer Staaten zu begründen. Dadzie, der Delegierte Ghanas, erläuterte seine Haltung mit der Feststellung, daß mit der Anwendung ökonomischen und politischen Drucks gegenwärtig die gleichen Ergebnisse erzielt werden könnten wie mit Waffengewalt1 7 • Die Ereignisse seit Gründung der Vereinten Nationen zeigten, daß die Staaten offene militärische Auseinandersetzungen zur Durchsetzung ihrer Politik weitgehend vermieden und vielmehr ihre wirtschaftlichen Kapazitäten in den Dienst der Politik stellten. Da sich aber für den Erfolg der letzteren Handlungsweise kein Unterschied zu demjenigen, der mit Waffengewalt erreicht werden könnte, ergebe, sei ökonomischer und politischer Druck lediglich eine der Komponenten des Begriffs Gewalt geworden18 • Auch aus dem Text der Präambel lasse sich eindeutig die Ablehnung jeglicher Form von Gewalt herleiten. Von sozialistischer Seite 19 wurde diese Argumentation mit dem Hinweis darauf unterstützt, die wirtschaftliche Ausbeutung, - die sich ursprünglich nur innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft vollzogen habe -, sei auch in den Beziehungen souveräner Staaten festzustellen und geeignet, die unter schweren Opfern errungene Unabhängigkeit vieler neuer Staaten wieder in Frage zu stellen. Der Unterschied in der wirtschaftlichen Entwicklung der Staaten sei so groß, daß die Konsequenzen ökonomischen Drucks nicht übersehen werden könnten; wenn die in der Charta niedergelegten Prinzipien wirklich dem Frieden dienen sollten, so müßten auch alle Möglichkeiten im Rahmen des Gewaltverbots unterbunden sein, die zu einer Gefährdung des Weltfriedens führten; dazu gehöre aber in erster Linie die wirtschaftliche Gewalt als Mittel staatlicher Politik20 • Zur Unterstützung ihrer Argumentation führten einige Delegierte die Entstehungsgeschichte des Art. 2 Abs. 4 SVN an21 : Während der San Francisco-Konferenz hatte der Delegierte Brasiliens am 6. Mai 1945 einen Änderungsvorschlag zu Art. 2 Abs. 4 eingebracht, der eine KlarAIAC.119/SR.5, S.17; AIAC.119/SR.10, S.14; NAC.125!SR. 64, S.13. So auch Shitta-Bey (Nigeria), NAC.125/SR. 86, S.39; ähnlich Critescu (Rumänien), AIAC.119/SR.16, S.5; Bhoi (Kenia), NAC.125/SR. 22, S.5. 19 Pechota (Tschechoslowakei), AIAC.119/SR. 4, S.6; Khlestov (USSR), A/AC.119/SR. 14, S.10. 20 Sahovic (Jugoslawien), AIAC.119/SR. 9, S. 21; vgl. auch Pechota (Tschechoslowakei), AIAC.125/SR.18, S. 12; Shitta-Bey (Nigeria), NAC.125/SR. 86, S.39. 21 Elias (Nigeria), AIAC.119/SR. 7, S. 22 f.; Pechota (Tchechoslowakei), A/AC.119/SR. 8, S.5; ähnlich auch Vilfan (Jugoslawien), AIAC.119/SR.17, S.6; San Maung (Burma), AIAC.119/SR. 9, S.19. 17

18

56

2. Kap.: A. Das Prinzip des Gewaltverbots

stellung des Gewaltverbots in der Weise vorsah, daß wirtschaftliche Maßnahmen, welche die Souveränität der Staaten beeinträchtigen, ebenfalls vom Verbot erfaßt würden: " ... from the threat or use of force and from the threat or use of economic measures in any manner inconsistent ... " etc. 22 • Aus der Tatsache, daß dieser Änderungsvorschlag zwar abgelehnt, der Begriff "force" jedoch beibehalten wurde, leiten diese Delegierten die Intention der Väter der Charta ab, den Begriff für eine extensive Interpretation offen zu halten. In der Tat liegt eine solche Vermutung nahe, richtig dürfte jedoch die Annahme sein, daß der Ausdruck "force" von Anfang an als "armed force" aufgefaßt worden ist; anders läßt sich der Vorschlag der brasilianischen Delegation nicht verstehen, der seinen Sinn verlieren würde, wenn er von einer extensiven Bedeutung des Wortes Gewalt - umfassend sowohl bewaffnete wie auch wirtschaftliche Gewalt - ausgegangen wäre. Auch die unterschiedliche Verwendung des Wortes Gewalt in der Form von "force" und "armed force" in verschiedenen Bestimmungen der Charta läßt hier keinen anderen Schluß zu. Der Delegierte Nigerias, der auf diese Tatsache verwies, wollte daraus den Schluß ableiten, überall dort wo die Charta Waffengewalt meine, sei dies auch mit "armed force" gekennzeichnet (vgl. Präambel, Art. 41, Art. 46)23. Dem wurde die Formulierung des Art. 44 SVN entgegengehalten, in dem auch nur von "Gewalt" gesprochen wird, der aber zweifellos ausschließlich Waffengewalt erfaßt24 • Mit aller Entschiedenheit setzten sich die westlichen Staaten dem Versuch entgegen, das Gewaltverbot auf wirtschaftliche und politische Maßnahmen auszudehnen25 • Den Haupteinwand bildete das Argument, staatliche Politik und wirtschaftliche Maßnahmen seien in einer hochindustrialisierten Welt nicht mehr voneinander zu trennen. Man würde einen Unsicherheitsfaktor in die Politik einführen, wollte man auch wirtschaftlichen Druck als verboten ansehen. Insbesondere könnte die staatliche Souveränität beeinträchtigt werden, wenn ein Staat gewisse wirtschaftliche Maßnahmen eines anderen Landes als Gewalt brandmarken dürfte26 • Vor allem Riphagen27 verwies darauf, daß wirtschaft22 UNCIO Bd 6, S. 334 f., 559. 23 Elias, A/AC.119/SR. 7, S. 22 f.; ebenso San Maung (Burma), AlAC.1191 SR. 9, S.19. 24 So auch Colombo (Argentinien), AIAC.119/SR. 3, S. 11. 25 Schwebel (USA), A/AC.119/SR. 3, S.14; Arangio Ruiz (Italien), A/AC.1191 SR. 7, S.6; Ohtaha (Japan), A/AC.119/SR. 5, S.14. 26 Vgl. Schwebel (USA), A/AC.1l9/SR. 3, S. 14; insbesondere auch Riphagen (Niederlande), AlAC.119/SR.7, S.10. 27 Riphagen (Niederlande), A/AC.1l9/SR. 7, S. 8 f.; vgl. auch Houben, Principles of International Law Concerning Friendly Relations and Co-Operation among States, S.707.

3. Zur inhaltlichen Bestimmung des Begriffs "force"

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licher Druck zur Erreichung eines bestimmten Zweckes in den Beziehungen der Staaten eine bedeutende Rolle spiele. So würden gelegentlich Pressionen angewendet, um bestimmte Staaten zur Annahme einer "Minimalrechtsordnung" zu bewegen. In seinen Ausführungen zog der Delegierte auch die Parallele zu innerstaatlichen Vorgängen, wo individueller und kollektiver Druck trotz eines Staatsmonopols zum Gebrauch von Gewalt als natürlicher Regulator der gesellschaftlichen Beziehungen und Vorgänge betrachtet würde. Angesichts des konsequenten Zusammenwirkens sozialistischer und neuer Staaten gingen westliche Vertreter schließlich zu einer differenzierteren Betrachtungsweise des Problems der wirtschaftlichen Gewalt über. Sie räumten ein, daß eine Unterscheidung getroffen werden müsse zwischen wirtschaftlichem Druck, der den Zweck verfolge und geeignet sei, andere Staaten in ihrer politischen Unabhängigkeit zu beeinträchtigen, und solchen Pressionen, die sich indirekt aus einer wirtschaftlichen Notwendigkeit heraus ergäben und nicht zweckgerichtet seien28 • Dennoch stimmten sie einer Ausweitung des Begriffs "Gewalt" in Art. 2 Abs. 4 SVN nicht zu, da sie für die Praxis zu große Schwierigkeiten in der Abgrenzung der verschiedenen Arten wirtschaftlichen Drucks sahen 29 • Sinclair30 wies im übrigen darauf hin, daß sich bei einer Inkorporierung wirtschaftlicher Gewalt in den Gewaltbegriff des Art. 2 Abs. 4 SVN Schwierigkeiten in der Frage des Selbstverteidigungsrechts ergeben würden. Einzige Ausnahme vom Gewaltverbot sei Art. 51 SVN, dieser beziehe sich aber nur auf einen bewaffneten Angriff, also die Anwendung von Waffengewalt. In inoffiziellen Gesprächen während der letzten Sitzungsperiode des Sonderausschusses einigte man sich schließlich darauf, das Verbot wirtschaftlichen und politischen Drucks aus der Formulierung des Gewaltverbots auszuklammern und beim Prinzip der Nichtintervention aufzuführen. Dennoch bestehen weiterhin Zweifel darüber, ob diese Einigung der überzeugung der sozialistischen und der neuen Staaten entspricht, die für eine Aufnahme des Verbots in die Formulierung des Gewaltverbots plädiert hatten. Gegen den Widerstand dieser Staaten ist es nicht gelungen, zukünftigen Interpretationsdivergenzen zur Frage der Gewalt die Basis dadurch zu entziehen, daß eine eindeutige Formulierung, nämlich die der Waffengewalt ("armed force"), in die Deklaration aufgenommen wurde. Stattdessen wählte man hier wieder das umstrit28 Arangio Ruiz (Italien), A/AC.119/SR.16, S.7; Nabrit (USA), A/AC.125/ SR. 26, S.7. 29 Vgl. auch Schwebel (USA), A/AC.119/SR. 3, S.14; Othaha (Japan), NAC.119/SR. 5, S.14. 30 Sinclair (Vereinigtes Königreich), A/AC.125/SR. 65, S. 6; so auch Castaneda (Mexiko), A/AC.119/SR.9, S.15.

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2. Kap.: A. Das Prinzip des Gewaltverbots

tene Wort "force". Auch für die Zukunft bleibt somit eine echte Einigung über den Inhalt des Ausdrucks Gewalt in Frage gestellt31 • Mit diesem Ergebnis hat sich der Ausschuß der fast einhelligen Ansicht der westlichen völkerrechtlichen Literatur angeschlossen32 • Man betrachtet wirtschaftlichen Druck zwar als ein wenngleich moralisch bedenkliches Mittel der Außenpolitik, sieht ihn jedoch nicht vom Verbot des Art. 2 Abs. 4 SVN mitumfaßt. Die Autoren verweisen in ihrer Begründung zumeist auf die Entstehungsgeschichte der Charta und die Abweisung des brasilianischen Änderungsvorschlags. Auch die Praxis der Organe der Vereinten Nationen hat politische und wirtschaftliche Pressionen gelegentlich als Bedrohung des Friedens und mit dem Zweck der Charta unvereinbar angesehen, sie zeigt aber keine Anhaltspunkte für ein Verbot dieser Maßnahmen nach Art. 2 Abs. 4 SVN33.

31 Graefrath ist der Auffassung, der Text der Deklaration umfasse mit der Wahl des Begriffs "force" jegliche mögliche Spielarten von Gewaltanwendung, also sowohl militärischen wie auch wirtschaftlichen und politischen Druck. Diese Interpretation ergebe sich aus der eindeutigen Zurückweisung des "imperialistischen" Vorschlags, das Gewaltverbot mit der Formulierung "armed force" zu konkretisieren; vgl. seine Abhandlung "Deklaration über die grundlegenden Völkerrechtsprinzipien", S.487. Diesem Argument kann jedoch entgegengesetzt werden, daß gleichwohl der Vorschlag sozialistischer und afro-asiatischer Staaten, den Text der Deklaration zum Gewaltverbot durch Hinzufügung eines ausdrücklichen Hinweises auf das Verbot wirtschaftlichen und politischen Druckes zu modifizieren, abgewiesen wurde. Es darf daher angenommen werden, daß der gegenwärtige völkerrechtliche Zustand erhalten geblieben ist. 32 Vgl. Berber, VR Bd 2, S.44; Bowett, Self-Defense in International Law, S.148; Dahm, VR Bd 1, S.199; Kewenig, Gewaltverbot, S.190 f.; Schwarzenberger, International Law as Applied, S.51; Verdross, VR, S.552; Waldock, The Regulation of the Use of Force by Individual States in International Law, S.492; Wengler, Das völkerrechtliche Gewaltverbot, S.17. Einen umfassenden Nachweis dessen, daß Art.2 Abs.4 SVN lediglich ein Verbot bewaffneter Gewalt umfaßt, gibt Derpa, Das Gewaltverbot der Satzung der Vereinten Nationen und die Anwendung nichtmilitärischer Gewalt. Im Gegensatz zur westlichen behandelt die sozialistische Völkerrechtslehre das Gewaltverbot im Rahmen des Begriffs des Aggressionsverbots und gibt dem Prinzip angesichts der ideologisch bedingten, ausufernden Interpretation des Begriffs Aggression eine weite Auslegung. Sie sieht das Verbot der Gewaltanwendung nicht nur auf bewaffnete Gewalt beschränkt, sondern erfaßt in Art. 2 Abs. 4 SVN auch wirtschaftlichen und politischen Druck. Vgl. Graefrath, Grundlegende Völkerrechtsprinzipien, S.487; Herczegh, The Prohibition of the Threat and Use of Force in Contemporary International Law, S.85; Molodcov, S.35; Piradow-Starushenko, Das Prinzip der Nichteinmischung im modernen Völkerrecht, S.190; Zourek, in Melanges offerts a Henri Rolin, S. 517 ff.; ders., La Definition de I'Agression et le Droit International, S.834; zum Gewaltverbot in der sowjetischen Völkerrechtslehre vgl. auch Schroeder, Die Rechtmäßigkeit des Krieges nach westlicher und sowjetischer Völkerrechtsauffassung, S. 204 ff. 33 Siehe dazu Goodrich-Hambro-Simons, Charter of the Uni ted Nations, S.49.

3. Zur inhaltlichen Bestimmung des Begriffs "force"

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a) Die indirekte Gewalt

Alle Delegierten des Sonderausschusses gingen davon aus, daß sich das Gewaltverbot nicht nur auf die direkte Waffengewalt, ausgeführt mit regulären Streitkräften, bezieht, sondern auch die Fälle indirekter Anwendung von Waffengewalt erfaßt. Sie erkannten damit den Trend der modernen Kriegsführung, der eine direkte Konfrontation der Staaten vermeidet und stattdessen Guerillatätigkeit und Subversion zur Durchsetzung politischer Ziele bevorzugt. Da ein ernsthafter Versuch, den status quo in der entwickelten Welt zu verändern, zu einer direkten Konfrontation führen würde, haben die Staaten ihre politischen Aktivitäten auf die Entwicklungsländer verlegt. Diese sind heute die Hauptarena des Kampfes um die Vorherrschaft der verschiedenen politischen Systeme34 • Unter den Resolutionsvorschlägen zur ersten Sitzungsperiode des Sonderausschusses enthielt lediglich der britische in seinen Paragraphen 3 und 4 einen deutlichen Bezug auf die indirekte Gewaltanwendung35 • Vom Verbot der Gewaltanwendung sollte danach sowohl die Organisierung oder Unterstützung von bewaffneten Banden im Gebiet des unterstützenden Staates mit dem Zweck der Infiltrierung in ein anderes Land umfaßt sein, als auch die Verübung terroristischer Akte und die Herbeiführung von und die Hilfe in Bürgerkriegssituationen. In ihren Diskussionsbeiträgen verwiesen viele Delegierte darauf, daß unter den gegebenen Verhältnissen den Methoden indirekter Gewaltanwendung größere Beachtung gewidmet werden müsse als noch bei Gründung der Vereinten Nationen36 • Da offene Kriege auf den Widerstand der Staatengemeinschaft und moralische Ächtung stießen, seien die indirekten Arten der Gewalt heute zu einer größeren Gefahr für die staatliche Souveränität geworden37 • Grundsätzlich stimmten alle Staaten einem Verbot der Akte indirekter Gewalt zu; bis zur fünften Sitzungsperiode konnte aber keine Einigung darüber erzielt werden, ob dieses Problem nicht speziell unter dem Interventionsverbot angesprochen werden sollte. Für eine Behandlung unter dem letztgenannten Prinzip setzten sich sozialistische Delegierte ein, ohne ihre Haltung jedoch näher zu erläutern38 • Auf Vorschlag des französischen Vertreters 39 gelangte man schließlich zu dem Komprorniß, das Verbot jeglicher So Falk, The New States, S.46. AlAC.119/L.14. 36 Krishna Rao (Indien), A/AC.125/SR. 64, S.3; A/AC.125/SR. 88, S.62. 37 Vgl. Maung Maung (Burma), AlAC.125/SR. 62, S.l1; Reis (USA), AlAC. 125/SR. 62, S.12; A/AC.125/SR. 84, S.20; Mwenda (Kenia), A/AC.125/SR. 65, S.17. 38 Vgl. etwa Sahovic (Jugoslawien), AlAC.125/SR. 65, S.14. 39 Vgl. Virally (Frankreich), A/AC.125/SR. 87, S.54. 34

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2. Kap.: A. Das Prinzip des Gewaltverbots

indirekter Waffengewalt sowohl im Prinzip des Gewaltverbots 40 wie auch dem der Nichtintervention 41 anzuführen. Ergebnis und Inhalt der Deklaration zu diesem Punkt wurden jedoch in den Außerungen des Delegierten Syriens42 während der letzten Sitzung des Ausschusses, die - so kann man annehmen - auch die Meinung anderer arabischer und wohl auch afrikanischer Vertreter wiedergeben, in Frage gestellt. So sollen vom Gewaltverbot und insbesondere der Achtung ihrer indirekten Methoden die Handlungen von Guerilla-Organisationen und die Subversion in besetzten Gebieten und Kolonialvölkern ausgenommen sein. Dies sei Ausfluß eines Selbstverteidigungsrechts, für dessen Ausübung Unterstützung zu suchen und zu erhalten ein Verbot nicht aufrecht erhalten werden könne. Für die völkerrechtliche Wirklichkeit wird der Wert der in der Deklaration getroffenen Formulierung besonders dadurch zweifelhaft, daß hier der Vertreter eines Landes sowohl für sein eigenes als auch für einige andere Staaten gesprochen hat, für welche die Befolgung des Verbots von Handlungen indirekter Gewalt gemünzt war und dort entscheidend zu einer friedvollen, progressiven Entwicklung hätte beitragen können. Der Ausschuß hat somit zwar eine für alle Staaten annehmbare Formulierung gefunden, jedoch vermochte er nicht sicherzustellen, daß auch über deren Inhalt und Tragweite jegliche Interpretationsdivergenzen ausgeschlossen wurden. Trotz der vom Vertreter Syriens vorgenommenen Interpretation darf aber nicht übersehen werden, daß eine objektive und allein mit Sinn und Zweck der Charta vereinbare Auslegung der getroffenen Formulierung jegliche bewaffnete indirekte Gewaltanwendung, die sich gegen die staatliche Souveränität richtet, verbietet; denn es kann den Staaten nicht erlaubt sein, in indirekter Gewaltanwendung das erreichen zu wollen, was sie wegen der offenkundigen Völkerrechtswidrigkeit ihres Vorgehens in offener Gewaltanwendung nicht durchzusetzen wagen. Diese Auslegung entspricht auch der herrschenden Auffassung in der Literatur43 • Das Verbot des Art. 2 Abs.4 SVN erfaßt nicht nur den Krieg im 40 Vgl. Absatz 8 und 9 der Fonnulierung des Prinzips des Gewaltverbots in der Deklaration vom 24. 10. 1970. 41 Vgl. Abs. 2 Prinzip des Interventionsverbots, ebd. 42 AHaf, A/AC.125/SR. 114, S. 64. 43 Vgl. Berber, VR Bd 2, S.43; Brownlie, International Law and the Activity of Armed Bands, S.734; Dahm, VR Bd 1, S.199; Fawcett, General Course on Public International Law, S. 497 f.; Goodrich-Hambro-Simons, S.50; Higgins, The Development of International Law through the Political Organs of the United Nations, S.I77 f.; Menzel, VR, S.350; Rosenstock, S. 720; Schwarzenberger, International Law as applied, S.51; Wengler, Gewaltverbot, S. 13 f.; siehe auch Kewenig, Gewaltverbot, S.181 f., 187, der in diesem Zusammenhang wohl zutreffend zwischen Gewalt- und Interventionsverbot

3. Zur inhaltlichen Bestimmung des Begriffs "force"

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technischen Sinn, sondern auch de facto Kriege und Waffenanwendung "short of war". Könnte man diese in Art. 2 Abs. 4 SVN immanente Interpretation nicht vornehmen, so würde das Gewaltverbot unter den veränderten Umständen, unter denen sich die Gewaltanwendung heute vollzieht, seinem Zweck, der Friedenssicherung zu dienen, nicht mehr gerecht werden. b) Gewaltanwendung im Rahmen von Repressalien

Im Rahmen der umfassenden Analyse des Inhalts des Begriffs "force" gelang dem Sonder ausschuß während der vierten Sitzungsperiode im Jahre 1968 eine Einigung dahingehend, das Gewaltverbot auch auf staatliche Repressalien auszudehnen44 • In den Resolutionsentwürfen zur ersten und zweiten Sitzungsperiode wurden die unterschiedlichen Auffassungen zum Umfang des Verbots der Vergeltungsaktionen deutlich; sie entsprachen den divergierenden Auslegungen des Begriffs Gewalt. Weder der britische noch der tschechoslawakische Vorschlag zur ersten Sitzungsperiode enthielt einen Hinweis auf die Frage der Vergeltungsakte; dagegen erwähnte der Entwurf der drei blockfreien Staaten Indien, Ghana, Jugoslawien im Paragraphen 5 ausdrücklich ein Verbot der "acts of reprisal"45. Eigenartigerweise findet sich in den weiteren Vorschlägen46 einer erweiterten Gruppe von Blockfreien zur zweiten und dritten Sitzungsperiode kein Hinweis mehr auf das Vergeltungsverbot. Ein gemeinsamer Resolutionsentwurf westlicher Staaten47 zur zweiten Sitzungsperiode sprach im Paragraphen 2 b von "armed reprisal", während der tschechoslowakische Entwurf48, der die Unterstützung aller sozialistischer Staaten fand, den allgemeineren Ausdruck "acts of reprisai" verwendete. Obwohl kein Delegierter in seinen Diskussionsbeiträgen den Begriff "Repressalie" einer näheren Betrachtung unterzog, kann angenommen unterscheidet. Indirekte Maßnahmen, die keine unmittelbare Gewaltanwendung enthalten, wie etwa die Unterstützung terroristischer Akte vom eigenen Territorium aus durch Waffenlieferung oder Bereitstellung von Nachschubbasen und Ausweichquartieren an die Aufständischen, sieht er vom Interventionsverbot erfaßt. 44 GAOR, XXIII, Annexes, agenda item 87, S.40. 45 AIAC.119/L. 15. 46 A/AC.125/L.21 and Add.l (unterstützt von Algerien, Burma, Kamerun, Dahomey, Ghana, Indien, Kenia, Madagaskar, Nigeria, VAR, Jugoslawien), in GAOR, XXI, Annexes, agenda item 87, S.30; inhalts gleich damit der Resolutionsvorschlag zur dritten Sitzungsperiode des Ausschusses AI AC.1251 L.48, in GAOR, XXII, Annexes, agenda item 87, S.10. 47 A/AC.125/L.22 (unterstützt von Australien, Kanada, Vereinigtes Königreich, USA), in GAOR, XXII, Annexes, agenda item 87, S.30. 48 A/AC.125/L.16, ebd.

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2. Kap.: A. Das Prinzip des Gewaltverbots

werden, daß die Interpretation durch die Völkerrechtslehre zu Grunde gelegt wurde; sie versteht unter Repressalie jede Gewaltanwendung oder Zwangsmaßnahmen, mit der ein Staat eine abschreckende Wirkung auf einen anderen Staat, oder von diesem Wiedergutmachung oder Satisfaktion für die Konsequenzen eines illegalen Aktes erreichen will, soweit diese verweigert werden49 • Bezeichnenderweise stellte der amerikanische Delegierte, als er sich am 17. Verhandlungstag im Jahre 1964 erstmalig mit dem Problem der Vergeltungsaktionen befaßte, diese wohl allgemein anerkannte Definition in Frage50 ; er meinte, eine Klausel mit Bezug auf "acts of reprisal" innerhalb der Formulierung des Gewaltverbots sei weder notwendig noch wünschenswert, da eine gemeinsame Definition schwerlich zu finden sei. Ganz deutlich ist in dieser Argumentation ein Unbehagen darüber festzustellen, daß mit der klaren Erfassung von Vergeltungsaktionen im Rahmen des Gewaltverbots die Völkerrechtswidrigkeit des als Antwort auf die "Golf von Tonkin-Affäre"51 betrachteten amerikanischen Gegenschlages auf nordvietnamesische Stützpunkte und Versorgungslager nördlich der entmilitarisierten Zone festgehalten werden könnte. Ihre zeitpolitisch bedingte Einstellung zum Problem der Vergeltungsaktionen gaben die USA jedoch schon während der zweiten Sitzungsperiode im Jahre 1966 - wohl unter Einfluß anderer westlicher Staaten - auf, indem sie sich an dem westlichen Resolutionsvorschlag52 beteiligten, der im Paragraph 2 b das Verbot bewaffneter Vergeltungsaktionen ausdrücklich erwähnte. Bis zur vierten Sitzungsperiode des Sonderausschusses konnten sich die Delegierten nicht auf einen gemeinsamen Text einigen. Wohl bestand eine grundsätzliche Übereinstimmung darüber, daß jegliche Vergeltung mit Waffengewalt untersagt sei; einige neue Staaten wollten 49 So Stone, S.289; ähnlich Berber, VR Bd 3, S.89; in Ansätzen interpretierte Castaneda, der Vertreter Mexikos, den Gehalt des Begriffs Vergeltung als "an action taken after the fact, an act of revenge", AlAC.119/SR.9, S.15. Zur Definition des Begriffs ,reprisal' vgl. auch Bowett, Reprisals Involving Recourse to Armed Force, S.3; Menzel, VR, S.303; Partsch, Repressalie, S.104. 50 Schwebel (USA), AlAC.119/SR.17, S.18. 51 Am 2. und 4. August 1964 war der amerikanische Zerstörer Maddox, der sich amerikanischen Angaben zufolge in internationalen Gewässern im Golf von Tonkin befand, von nordvietnamesischen Marineeinheiten angegriffen worden. Nach nordvietnamesischen Darstellungen dagegen hatte der Zerstörer in nordvietnamesischen Hoheitsgewässern operiert. 52 AlAC.125/L.22; auf der 62. Sitzung des Sonderausschusses am 28.11.1967 erklärte der amerikanische Delegierte, er sei jetzt zwar für die Erwähnung des Begriffs "armed reprisal" in der Formulierung des Gewaltverbots, halte sie jedoch nicht für absolut notwendig, da ein solches Verbot bereits im Paragraphen 1 aller Resolutionsvorschläge immanent enthalten sei (AI AC.125/ SR. 62, S.14).

3. Zur inhaltlichen Bestimmung des Begriffs "force"

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aber auch wirtschaftliche Repressalien vom Verbot erfaßt wissen. Diesem Versuch widersetzten sich westliche Vertreter5 3 • Der Text, über den schließlich eine Einigung erzielt wurde, lautet: "States have a duty to refrain from acts of reprisals involving the use of force." Die Formulierung kann allerdings auch hier nur in der dem Art. 2 Abs. 4 SVN zugrunde liegenden Bedeutung des Begriffs "force", nämlich als bewaffnete Gewalt, interpretiert werden. Die Tatsache, daß "auch in dieser Formulierung nicht ausdrücklich von "bewaffneten" Vergeltungsaktionen gesprochen wird, muß ebenfalls als Kompromißlösung gewertet werden; hiermit ist möglicherweise ein Unsicherheitsfaktor geschaffen worden, der späteren extensiven Interpretationsversuchen Vorschub leisten könnte. Wenngleich auch die Formulierung über das Repressalienverbot in seiner Aussage letztlich eindeutig ist, so kann dies dennoch nicht über die Schwierigkeiten seiner praktischen Durchsetzbarkeit und überwachung hinwegtäuschen. Nicht zu Unrecht wird besonders in der englischsprachigen Literatur darauf hingewiesen, daß die Konturen von militärischer Repressalie und Selbstverteidigung oft genug fließend sindM • Zwar sollte unter Zugrundelegung der in der Literatur wohl allgemein anerkannten Unterscheidungskriterien - eine Selbstverteidigungsmaßnahme erfolgt unmittelbar auf einen völkerrechtswidrigen Angriff und dient gerade seiner Abwehr, während das Wesen einer militärischen Repressalie darin besteht, daß sie nach Abschluß einer rechtswidrigen Handlung, die von einem anderen Staat ausgeht, durchgeführt wird und somit nicht so sehr der unmittelbaren Abwehr als vielmehr der Vorbeugung zukünftiger illegaler Aktionen dient eine Einordnung staatlicher militärischer Maßnahmen gegen ein anderes Land in eine der genannten Kategorien möglich sein, doch scheint die Praxis hier unüberwindbare Schwierigkeiten aufzubauen. Solange nicht eine völkerrechtlich verbindliche Tatsachenfeststellung (fact-finding) durchführbar ist, wird Rechtfertigung oder Verurteilung militärischer Maßnahmen als Verteidigung oder Repressalie durch die beteiligten Staaten und insbesondere durch Dritte häufig genug bloß ein Gebot politischer Opportunität als vielmehr völkerrechtlich geforderter Objektivität bleiben. Der zitierte Resolutionstext entspricht inhaltlich geltendem Völkerrecht. Im Schrifttum wird darauf hingewiesen, Art. 2 Abs. 4 SVN erfasse die Androhung oder Anwendung von Gewalt in so weitem Umfang, daß für individuelle Selbsthilfemaßnahmen in Form militärischer 53 Miller (Kanada), A/AC.125/SR. 96, S.162; Sinclair (Vereinigtes Königreich), AIAC.125/SR. 96, S. 165. 54 Vgl. etwa Bowett, Reprisals, S.3, 9; TuckeT, Reprisals and Self-Defense, S. 589 ff.

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2. Kap.: A. Das Prinzip des Gewaltverbots

Repressalien kein Raum mehr bleibe55 • Die Staaten müßten sich vielmehr auf sog. friedliche Vergeltungsmaßnahmen beschränken56 • Es darf hier im übrigen nicht übersehen werden, daß mit der Einordnung militärischer Repressalienhandlungen in den Katalog völkerrechtlicher Verbotstatbestände durch die Formulierung im Deklarationstext nun endgültig auch die klassische Völkerrechtslehre überwunden ist, die unter bewaffneter Repressalie ein Mittel erlaubter Gewaltanwendung, im Grunde also einen heute nicht mehr anerkannten Rechtfertigungsgrund verstand57 • c) Kriegspropaganda

Breiten Raum in der Diskussion im Sonderausschuß nahm der Streit über die Erwähnung eines Verbots der Kriegspropaganda in der Deklaration ein. Zunächst ließe sich bezweifeln, ob ein solches Verbot dogmatisch in die Definition des Gewaltverbots einzuordnen sei58 , da Propaganda als "immaterielle Beeinflussungsmöglichkeit" keine unmittelbare Gewaltanwendung enthält. Unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des Gewaltverbots kann jedoch einer ausdrücklichen Erwähnung der Propaganda, da sie meist die unmittelbare Vorstufe der eigentlichen kriegerischen Ereignisse darstellt, nur beigestimmt werden. Wie die Sitzungsbeiträge der verschiedenen Delegierten zeigen, besteht aber die Gefahr einer unhaltbaren Ausdehnung des Verbots 55 So Berber, VR Bd 3, S.96; Higgins, Development of International Law, S.217; Kewenig, Gewaltverbot, S.184 (mit weiteren Nachweisen in Fußnote 21); Schneider, Die Charta der Vereinten Nationen und das Sonderrecht für die im Zweiten Weltkrieg unterlegenen Nationen (Art. 53 und 107), S.53; Schwarzenberger, A Manual of International Law, S.185; Stone, S.290; Tunkin, Coexistence, S.27; Runge, Die Kodifikationsversuche der Internationalen Rechtskommission der Vereinten Nationen, S.85; Waldock, S.217; Falk, The Beirut Raid and the International Law of Retaliation, S.442; vgl. auch die Erwiderung Blum's The Beirut Raid and the International Double Standard, S.76, in der der israelische Anschlag auf den Zivilflughafen von Beirut nicht als eine vom völkerrechtlichen Gewaltverbot erfaßte Vergeltungsaktion angesehen wird. Für eine begrenzte Zulässigkeit militärischer Repressalien scheint sich Tucker, S. 592, 594 ff., auszusprechen. Bowett, Reprisals, S. 3, 21 ff., 26, hingegen steIlt die grundsätzliche Unvereinbarkeit von militärischen Repressalien mit dem Gewaltverbot des Art. 2 Abs.4 SVN fest, weist aber gleichzeitig nach, daß etwa die Praxis des Sicherheitsrates dazu neigt, Repressalien dann nicht zu verurteilen, wenn sie maßvoll sind; damit erkenne der Sicherheitsrat diese allerdings nicht als rechtmäßig an. Die Haltung des Sicherheitsrates in dieser Frage dürfte als politische Resignation vor der Macht des Faktischen anzusehen sein. 56 Berber, VR Bd 3, S. 96; von Glahn, S.500; Verdross, VR, S.552. Für eine beschränkte Zulässigkeit bewaffneter Vergeltungsaktionen wohl Bowett, Reprisals, S. 32. 57 Vgl. hierzu etwa Menzel, VR, S. 306 f. 58 Vgl. auch Wershof (Kanada), AlAC.125/SR. 23, S.11.

3. Zur inhaltlichen Bestimmung des Begriffs "force"

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der Kriegspropaganda, welche ihren Ursprung in den unterschiedlichen ideologischen Ausrichtungen der Staaten hat. Zunächst ist festzustellen, daß weder von sozialistischer noch von der Seite der Westmächte und der blockfreien Staaten ein ernsthafter Versuch unternommen wurde, den Inhalt des Verbots der Kriegspropaganda zweifelsfrei festzuhalten. Der Delegierte Schwedens machte die Schwierigkeiten deutlich, die sich ohne eine genaue Interpretation ergeben würden, indem er darauf hinwies, daß beispielsweise Regierungsverlautbarungen von dem einen Staat als "statement of fact", von einem anderen bereits als Kriegspropaganda betrachtet werden könnten59 • Ohne eine genaue, für alle Seiten verbindliche definitorische Festlegung, die der Text der Deklaration leider nicht enthält, wird daher das Problem einer subjektiven, ideologisch ausgerichteten Auslegung für die Zukunft bestehen bleiben. Hinzu kommt, daß die Deklaration in Absatz 3 des Prinzips des Gewaltverbots eine Unterlassungspflicht von Propaganda für "Agressionskriege" enthält, und damit einen Begriff verwendet, dessen Interpretation bis heute weder der ILC noch einem eigens zu diesem Zweck eingesetzten Sonderausschuß gelungen ist. Neben der Problematik bezüglich einer hinreichenden Verständigung über den Inhalt des Propagandaverbots gründeten sich die Vorbehalte westlicher Staaten bis zur Einigung auf einen gemeinsamen Text während der vierten Sitzungsperiode besonders auf das Verlangen sozialistischer Vertreter, das Propagandaverbot auch auf den innerstaatlichen, privaten Bereich auszudehnen60 • Ihre Argumentation ging dahin, die Staaten könnten ebenso wie etwa für den Bereich der Pornographie auch hier gesetzliche Verbote schaffen, die den einzelnen Bürger, vor allem aber die Massenmedien berühren würden61 • Ein solches Ansinnen wurde als mit westlichem Demokratieverständnis unvereinbar abgelehnt62 • Man wandte ein, daß es nicht möglich sei, vage Restriktionen einzuführen, mit denen private Diskussionen und andere Aktivitäten untersagt würden, die vernünftiger- oder unvernünftigerweise von Dritten als Kriegspropaganda bezeichnet wer59 Blix (Schweden), NAC.1l9/SR. 10, S.9; so auch Sinclair (Vereinigtes Königreich), A/AC.119/SR. 16, S.13; NAC.125/SR. 21, S.6. 60 Siehe auch Paragraph 3 des tschechoslowakischen Resolutionsvorschlags zur ersten Sitzungsperiode des Sonderausschusses, NAC.1l9/L.6, a.a.O., in dem die Staaten ausdrücklich aufgefordert werden, gesetzliche Handhabungen gegen diese Propaganda zu schaffen. Im tschechischen Entwurf zur zweiten Sitzungsperiode (Paragraph 2) fehlt dagegen eine solche Aufforderung, vgl. N AC.125/L. 16, GAOR, XXI, Annexes, agenda item 87, S. 30. 61 So Ilyin (USSR), A/AC.125/SR.22, S.7. 62 Vgl. Wershof (Kanada), A/AC.125/SR. 23, S.l1; Owada (Japan), NAC. 125/SR. 88, S. 66, der auch verfassungsrechtliche Bedenken gegen ein innerstaatliches Verbot der Kriegspropaganda vortrug; Reis (USA), A/AC.125/ SR. 84, S. 21.

5 Graf zu Dohna

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2. Kap.: A. Das Prinzip des Gewaltverbots

den könnten63 • Vielmehr verlange das Vertrauen in die Demokratie, Propaganda und deren Diskussion dem freien Spiel der Kräfte zu überlassen, wo vernünftige Argumente gegen Kriegshetze letztlich doch zu besserer Einsicht führten 64 • Die Formulierung, auf die man sich während der vierten Sitzungsperiode einigte: ". .. States have the duty to refrain from propaganda for wars of aggression", läßt den Schluß zu, daß die sozialistischen Staaten die westlichen Vorbehalte gegen eine Ausweitung des Propagandaverbots durch innerstaatliche Gesetzgebung akzeptierten. Das Verbot der Kriegspropaganda sollte sich folglich lediglich auf die Regierungspolitik erstrecken. Dies betonten der britische und der amerikanische Delegierte während der 114. Sitzung des Ausschusses65 • Dieser Einigungserfolg wird jedoch überschattet von der Äußerung des Vertreters Ghanas, der Kriegspropaganda gegen Kolonialstaaten und die weltweite Unterstützung von Maßnahmen, die sich gegen die Politik dieser Staaten richtet, als nicht vom Verbot erfaßt ansah66 • Hier verdeutlicht sich das Bestreben gewisser afrikanischer und asiatischer Staaten, eindeutige Festlegungen im Rahmen der Formulierungen des Gewaltverbots durch Vorbehalte zu Gunsten eines Selbstbestimmungsrechts der Kolonialvölker zu unterlaufen. Die Frage, ob die Formulierung der Deklaration zum Propagandaverbot geltendes Völkerrecht wiedergibt, läßt sich anhand der Präambel und der Bedeutung des Art. 2 Abs. 4 SVN für die Aufrechterhaltung des Friedens beantworten. Mit Annahme der Charta erklärten die Staaten ihren Willen, Grundsätze anzunehmen und Methoden einzuführen, welche die Waffengewalt - es sei denn im gemeinsamen Interesse - ausschließen. Durch Art. 2 Abs. 3 SVN werden die Mitglieder verpflichtet, Streitigkeiten mit friedlichen Mitteln zu lösen. Die Satzung unternimmt es somit, den Krieg in möglichst umfassender Weise zu illegalisieren. "Eine Propaganda, die darauf gerichtet ist, Verletzungen dieses Gewaltverbots durch Organe des eigenen oder fremder Staaten herbeizuführen, würde nicht nur dieses Verbot ernsthaft in Frage stellen, sondern wäre auch der dem Gewaltverbot korrespondierenden Friedenspflicht diametral entgegengesetzt67 ." Ein solches So Reis, ebd. Vgl. Blix (Schweden), NAC.119/SR. 10, S.9. 65 Sinclair (Vereinigtes Königreich), A/AC.125/SR. 114, S.71; Reis (USA), NAC.125/SR.114, S.80. 66 Van Lare (Ghana), NAC.125/SR.88, S.76. 67 So Reich, Die völkerrechtlichen Schranken der internationalen politischen Propaganda in Friedenszeiten, S.109; ähnlich Corbett, The Growth of World Law, S. 169 ff., 174; auch die VV hat sich mit der "Propaganda gegen den Frieden" befaßt. In der Resolution 381 (V) vom 21. 11. 1950 heißt es: " ... such propaganda includes incitement to confticts or acts of aggressions." 63

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3. Zur inhaltlichen Bestimmung des Begriffs "force"

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Verhalten widerspräche überdies der Verpflichtung aus Art.2 Abs.2 SVN, die Verpflichtungen der Charta nach Treu und Glauben zu erfüllen. Eine Auslegung der Charta muß folglich zu dem Ergebnis kommen, daß die Staaten über das Gewaltverbot des Art. 2 Abs. 4 eine "Friedenspflicht" trifft. Handlungen aber, die gegen diese Verpflichtung verstoßen und zu unmittelbaren militärischen Aktionen führen können, stellen daher eine Verletzung der Charta dar und sind verboten68 • Wenn jedoch Reich69 Kriegspropaganda als Propaganda definiert, "die objektiv geeignet ist, in der Bevölkerung des eigenen oder anderer Staaten die Bereitschaft zur Führung eines rechtswidrigen Krieges zu erzeugen oder zu verstärken", so engt er einerseits den Rahmen des Art. 2 Abs. 4 SVN durch die Formulierung "Krieg" ein, andererseits bietet er mit der Wortwahl "objektiv geeignet" Anlaß zu unterschiedlichen Interpretationen der in Frage stehenden Propagandaakte. Art. 2 Abs.4 SVN enthält ein Verbot jeglicher Anwendung von Gewalt, - soweit keine Rechtfertigung auf Grund anderer Chartabestimmungen gegeben ist -, und vermeidet den einschränkenden Begriff "Krieg". Folglich bezieht sich das Verbot auch bereits auf Propaganda hinsichtlich militärischer Gewalt. Welche Propagandaakte allerdings "objektiv geeignet" sind ... , läßt sich mit letzter Klarheit nicht immer feststellen; wegen seiner Vagheit kann eine derartige Formulierung daher nicht den Rang eines Völkerrechts satzes beanspruchen. Richtig dürfte vielmehr die Feststellung sein, daß sich das völkerrechtliche Kriegspropagandaverbot auf alle Propagandahandlungen erstreckt, die unmittelbar zu Akten bewaffneter Gewalt im Sinne des Art. 2 Abs. 4 SVN aufrufen70 • In Abwandlung des Definitionsvorschlages von Reich könnte eine für die Deklaration verwendbare Definition daher etwa folgenden Wortlaut haben: "Als vom Gewaltverbot erfaßte Propaganda sind solche hoheitlichen Akte zu verstehen, die unmittelbar zu rechtswidriger bewaffneter Gewalt im Sinne des Art. 2 Abs. 4 SVN gegenüber einem oder mehreren anderen Staaten aufrufen." Im Rahmen dieser Interpretation ist auch die Formulierung des Sonderausschusses zu verstehen. Sie stellt insoweit geltendes Völkerrecht dar. In der extensiven Interpretation des Begriffs Kriegspropaganda, die Reich vorgeschlagen hat, wird Propaganda nicht vom Verbot des Art. 2 Abs. 4 erfaßt, sondern stellt eine allgemeine Verletzung der Friedenspflicht und damit eine Friedensgefährdung dar. Als solche dürfte ihr

Siehe Reich, S.110; vgl. auch BTownlie, International Law, S. 185 ff.; VR Bd 2, S.358; MOTOZOV, Responsibility for War Propaganda, Sov. YBIL 1959, S.323; Whitton, Propaganda and International Law, S. 600 f. 69 Reich, S. 98. 70 So wohl Kewenig, Gewaltverbot, S. 193. 68

Dahm,

5'

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2. Kap.: A. Das Prinzip des Gewaltverbots

eher politischer Charakter beigemessen werden; entsprechend dem Ausmaß der Gefährdung könnte sich der Sicherheitsrat auf Grund des Art. 39 SVN zu Gegenmaßnahmen veranlaßt sehen. 4. Die Drohung mit Gewalt

Wenn Art. 2 Abs.4 SVN und die Deklaration über das Gewaltverbot von einem Verbot der Drohung mit Gewalt sprechen, so muß dies eher als eine rhetorische Floskel bezeichnet werden, welche die letzten Zweifel über den Umfang des Verbots auszuschließen sucht; wenn nämlich die Gewaltanwendung als solche verboten ist, ergibt sich incidenter auch ein Ausschluß der Androhung von Gewalt71 , denn es wäre paradox, eine Drohung mit einem Mittel zuzulassen, das als solches nicht angewandt werden darf. Diese Erkenntnis schien auch im Ausschuß vorzuherrschen und führte dazu, daß man sich mit dem Thema der Bedrohung mit Gewalt nicht eingehender auseinandersetzte. Man war sich einig darüber, daß die Drohung mit Gewalt, verstanden als die ausdrückliche oder inhaltliche Ankündigung einer Regierung, für den Fall der Nichterfüllung gewisser Forderungen zu militärischen Maßnahmen zu greifen, vom völkerrechtlichen Verbot erfaßt wird72 • Zweifelsfragen wurden jedoch aufgeworfen, mit dem Versuch einer weiteren, umfassenderen Aufzeichnung aller solcher staatlicher Verhaltensweisen, die ebenfalls als Bedrohung mit Gewalt angesehen werden könnten. So erörterte der amerikanische Delegierte73 die Frage, ob die bloße Vermehrung militärischen Potentials oder etwa die Errichtung oder Beibehaltung ausländischer Militärbasen eine verbotene Drohung bedeuten. Er verneinte sie mit der wohl zutreffenden und dem Sinn des Art. 2 Abs. 4 SVN gerechtwerdenden Begründung, daß als Bedrohung nur Akte verstanden werden können, die sich direkt gegen einen anderen Staat richten und die Ankündigung unmittelbarer Gewaltanwendung enthalten74 • Der schwedische Vertreter wollte darüber hinaus auch 71 Vgl. auch Brownlie, International Law, S.364; Skubiszewski, Use of Force, S. 779. 72 Schwebel (USA), AJAC.119/SR. 3, S.14; Ramaholimihaso (Madagaskar), AJAC.125/SR.19, S.7; zur Definition vgl. Brownlie, International Law, S. 364; Skubiszewski, Use of Force, S.779. 73 Schwebel (USA), AJAC.119/SR. 3, S. 14 f. 74 Menzel, VR, S.349; Brownlie, International Law, S.364; Dahm, VR Bd 2, S.358; Ramaholimihaso (Madagaskar) meinte, die Androhung der teilweisen oder des völligen Abbruchs der Handelsbeziehungen und die der Abberufung des diplomatischen Vertreters sei ebenfalls nach Art. 2 Abs.4 SVN untersagt; vgl. AJAC.125/SR. 19, S.7; diese Auffassung entspricht jedoch nicht der von den Delegierten erreichten Einigung, mit der die Einbeziehung wirtschaftlicher und politischer Maßnahmen in das Gewaltverbot des Art. 2 Abs. 4 SVN verhindert wurde.

5. Völkerrechtliche Relevanz der Gewaltanwendung

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Akte wie provozierende Militär- oder Schiffsmanöver vom Verbot der Drohung umfaßt wissen15 • Wenn auch zugegeben werden muß, daß derartige Maßnahmen in Ausnahmefällen die unmittelbare Ankündigung militärischer Gewalt enthalten können, - eine Feststellung darüber wird nicht immer eindeutig zu treffen sein16 - , so werden sie in der Regel eher unter dem Begriff der Friedensbedrohung zu erfassen sein und dem Sicherheitsrat nach Art. 39 SVN die Möglichkeit zum Einschreiten bieten17 • In der Formulierung des Prinzips des Gewaltverbots unterstreicht die Deklaration an allen Stellen - mit einer Ausnahme -, an denen von Gewaltanwendung direkt die Rede ist, durch ausdrückliche Hinzufügung des Wortes Drohung den Umfang des Verbots. Nur beim Verbot der Repressalien fehlt eine Bezugnahme auf eine Untersagung auch ihrer Androhung. Aus diesem Unterlassen kann aber nicht geschlossen werden, daß die Drohung mit Vergeltung erlaubt wäre. 5. Das Verbot der Gewaltanwendung in den ..internationalen Beziehungen gerichtet gegen die territoriale Unversehrthelt oder die politische Unabhängigkeit eines Staates"

In den bisherigen Ausführungen wurde lediglich der Inhalt, den die Deklaration dem Gewaltbegriff beimißt, deutlich gemacht. Es soll nun versucht werden, darzustellen, welche Zielrichtung der Gewalt vom Verbot des Art. 2 Abs. 4 SVN umfaßt wird.

a) Staatsgrenzen als Gegenstand des Gewaltverbots Es leuchtet ein, daß die Tragweite eines völkerrechtlichen Verbots der Gewaltanwendung nicht die innerstaatlichen Beziehungen, sondern nur die militärische Tätigkeit gegenüber dritten Staaten betreffen kann. Diese Einschränkung trifft auch Art. 2 Abs. 4 SVN, indem er militärische Maßnahmen verbietet, die gegen die "territoriale Unversehrtheit und die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtet sind". Bei dem Versuch einer Auslegung dieser Formulierung des Art. 2 Abs. 4 SVN konnten sich die Delegierten jedoch erst während der letzten Sitzungsperiode auf einen gemeinsamen Deklarationstext einigen18 • Bereits während der Mexico-City-Sitzung des Sonderausschusses (1964) war es dem eingesetzten Redaktionskomitee gelungen, einen Katalog von Formulierungen aufzuzeichnen, der ursprünglich von allen Delegationen befür15 16 17

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Blix (Schweden), A/AC.125/SR. 86, S.42. Dazu Goodrich-Hambro-Simons, S.49. Vgl. auch Dahm, VR Bd 2, S.358. Vgl. Abs.4 und 5 des Deklarationstextes zum Gewaltverbot.

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2. Kap.: A. Das Prinzip des Gewaltverbots

wortet wurde (Paper No. 1)19. Er enthielt in Absatz 2 d einen Passus, der das Verbot der Gewaltanwendung gegen die territoriale Unverletzlichkeit eines anderen Staates näher konkretisieren sollte: "Every State has the duty to refrain from the threat or use of force to violate the existing boundaries of another State, or as a means of ... " Kurz vor Beendigung der Sitzungsperiode erhielt die amerikanische Delegation eine Regierungsanweisung, diesem Wortlaut ihre Zustimmung zu entziehen. Der amerikanische Delegierte begründete diese Haltung damit, der im Text verwendete Ausdruck "to violate" sei unbedacht und enthalte keinerlei Qualifikationen über seinen Inhalt80 • Man sollte daher besser eine Formulierung verwenden, die eine klare Aussage treffe. Diese sah er in dem britischen Vorschlag, der einen Versuch darstellte, nach der amerikanischen Zustimmungsverweigerung dennoch zu einer für alle Vertreter annehmbaren Lösung zu gelangen. Der Text sah vor, den Begriff "to violate" dadurch zu präzisieren, daß er den ursprünglichen Einigungtext mit einer Ergänzung versah: c: ••• to violate existing boundaries of another State with a view to effecting a change in the latter State's boundaries or as a me ans of ... " Mit dieser Formulierung sah der amerikanische Delegierte die Möglichkeit einer zu extensiven Auslegung des Ausdrucks "to violate" hinreichend begrenzt. Das Ziel des amerikanischen Vorgehens wird deutlich vor dem Hintergrund der Ereignisse in Vietnam. Man wollte das Gewaltverbot dadurch eingeschränkt sehen, daß territoriale "Verletzungen" dann nicht als völkerrechtswidrige Maßnahmen betrachtet würden, wenn sie nicht dem Zweck einer Grenzveränderung dienten. Soweit amerikanische militärische Maßnahmen gegenüber Nordvietnam nicht als Ausfluß einer im Rahmen des Art. 51 SVN gerechtfertigten Nothilfe gegenüber Südvietnam akzeptiert würden, sollte ihre Brandmarkung als Völkerrechtsverletzung an dem Kriterium des fehlenden "Grenzveränderungswillen " scheitern. Der sowjetische Delegierte wies das amerikanische Ansinnen zur Änderung des Textes als unannehmbar mit Entschiedenheit zurück81 • Er müsse auf dem Ausdruck "to violate" ohne jeglichen Zusatz beharren, weil eine Verwendung des Zusatzes "with a view to effecting a 79 Vgl. Paper No. 1 (Drafting Committee Paper No. 10 and Corr. 1), in GAOR, XX, Annexes, agenda items 90 and 94, S.95. 80 Schwebel (USA), A/AC.1l9/SR. 43, S. 4; vgl. hierzu auch Lee, The Mexico City Conference of the United Nations Special Committee on Principles of International Law Concerning Friendly Relations and Co-Operation among States, S. 1301. 81 Khlestov (USSR), AlAC.1l9/SR. 43, S.5; es wurde auch der Vorwurf laut, die amerikanische Delegation versuche eine Einigung zu "torpedieren".

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change ... " zur Rechtfertigung jeder Grenzverletzung unter dem Vorwand, daß diese keine Änderung der Grenzen zum Zwecke habe, führen würde. Trotz dieses überzeugenden Arguments konnte die amerikanische Delegation eine Zustimmung zu dem ursprünglich vereinbarten Text nicht geben. So einigte man sich, in dem Sitzungsbericht an die Vollversammlung lediglich mitzuteilen, daß keine übereinstimmung erzielt wurde, und die verschiedenen Ansichten zu den Einzelpunkten aufzuführen82 • Dies bedeutete einen großen Rückschlag in der Arbeit des Sonderausschusses, zumal die sozialistischen und blockfreien Staaten - auch nach der Aufgabe der amerikanischen Vorbehalte auf der 877. Sitzung des 6. Ausschusses am 17.11.1965 - sich während der weiteren Sitzungsperioden nicht mehr an ihre ursprünglich erklärte Einigung auf Paper No.1 gebunden fühlten; dagegen wollten die westlichen Staaten auf dieses Papier als Basis für die weiteren Verhandlungen zurückgreifen. Wie bereits erwähnt gab der amerikanische Delegierte während der Debatte des 6. Ausschusses über den Bericht des Sonderausschusses am 17.11. 1965 die Vorbehalte seiner Regierung gegen die Verwendung des Ausdrucks "to violate" ohne den klärenden Zusatz "with a view to effecting a change ... " auf83 • Er begründete die ursprüngliche Haltung seiner Regierung damit, das Wort "to violate" sei als Wertungsbegriff verstanden worden, der zwar die rechtliche Feststellung einer Schuld enthalte, aber nichts über die Natur des Aktes aussage, auf dem die rechtliche Folgerung (der Vorwurf) basiere. Man billige jetzt den Ausdruck "to violate" ohne den ursprünglich geforderten Zusatz in der Erkenntnis, daß er nicht den rechtmäßigen Gebrauch militärischer Gewalt, wie das Recht der Selbstverteidigung und die in der Charta aufgeführten weiteren Fälle rechtmäßiger bewaffneter Maßnahmen umschließes4 • Während der letzten Sitzungsperiode gelang es schließlich, einen von allen Delegierten getragenen Text zu finden. Dieser entspricht im Wortlaut nahezu demjenigen, der in der ersten Sitzungsperiode wegen der amerikanischen Vorbehalte nicht angenommen werden konnte. Der einzige Unterschied besteht darin, daß nunmehr das Wort "border" im Text eine Qualifikation durch den Vorsatz "international" erhielt. Die Delegierten bestätigten mit dieser Einigung, daß das Kriterium für eine verbotene Gewaltanwendung nicht nur ein Grenzveränderungs82 Vgl. Paper No. 2, GAOR, XX, Annexes, agenda items 90 and 94, S.98 bis 100. 83 Rogers (USA), AlC.6/SR.877, pp. 16--18. 84 Vgl. dazu auch McWhinney, Friendly Relations and Co-Operation among States, S. 358 f .

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wille des gewaltausübenden Staates sein kann 8s • Vielmehr werden alle Fälle von Waffengebrauch gegenüber einem anderen Staat erfaßt, die nicht auf Selbstverteidigung oder auf einer Entscheidung der Vereinten Nationen beruhen, oder mit Einverständnis des betroffenen Staates erfolgen. Der Text macht weiter deutlich, daß Gewalt nicht zur Lösung internationaler Streitigkeiten angewendet werden darf und fügt zur Erläuterung hinzu "einschließlich territorialer Streitigkeiten und Probleme, die die Grenzen der Staaten betreffen". Zwar ergibt sich dies incidenter aus dem Gewaltverbot, man wollte aber wohl nochmals ausdrücklich auf Situationen verweisen, die in der Vergangenheit häufig zu kriegerischen Auseinandersetzungen geführt haben, um damit in aller Klarheit auf Bedeutung und Tragweite des Verbots aufmerksam zu machen86 • b) Das Gewaltverbot und seine Bedeutung für Demarkations- und WaffenstHlstandslinien

In diesem Zusammenhang bereitete dem Ausschuß die Frage noch wesentlich größere Schwierigkeiten, ob sich das Gewaltverbot auch auf Gewaltanwendung über Demarkations- und Waffenstillstandslinien hin erstreckt. Dieses Problem lag nahe, zumal solche Linien auch einen formalen Grenzcharakter genießen. Eine Erörterung war auch deshalb dringend geboten, weil die Zahl von Demarkations- und Waffenstillstandslinien ständig anwächst und deren Verletzung eine große Gefahr für den Weltfrieden bedeutet. Erstmals wurde die Möglichkeit einer Einbeziehung von Demarkations- und Waffenstillstandslinien in die Formulierung des Gewaltverbots im Resolutionsvorschlag der Westmächte zur zweiten Sitzungsperiode dargelegt 87 • In dem Text, der das Verbot der Verletzung von Grenzen zum Gegenstand hatte, wurde Bezug genommen auf "inter85 Kewenig, Gewaltverbot, S. 182 ff., verweist in diesem Zusammenhang darauf, daß sich die Debatten um die Formulierung "force against the territorial integrity and political independence of any State ... " bereits am ursprünglich vorgesehenen Wortlaut des Art. 2 Abs.4 SVN während der San Francisco-Konferenz entzündeten. Mit diesem anfangs nicht vorgesehenen Zusatz habe man nicht das zunächst umfassend konzipierte Gewaltverbot wieder einschränken, sondern ganz im Gegenteil durch eine zusätzliche Garantie bereichern wollen; vgl. auch Waldock, S.493. 86 Der italienische Delegierte Nitti meldete während der 101. Sitzung Bedenken gegen diesen Zusatz an, da er befürchtete, daß das Verbot dadurch eingeengt werden könnte auf Situationen, die Grenzprobleme zum Gegenstand haben (A/AC.125/SR. 101, S.29). Diese Bedenken dürften angesichts der Äußerungen der Delegierten zum Umfang des Gewaltverbots wohl gegenstandslos sein. Vgl. dazu Ratsimbazafy (Madagaskar), A/AC.119/SR. 9, S.17 f.; Reis (USA), AlAC.125/SR.96, S.157. 81 A/AC.125/L.22 (unterstützt von Australien, Kanada, Vereinigtes Königreich, USA), a.a.O., Paragraph 2 d.

5. Völkerrechtliche Relevanz der Gewaltanwendung

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national lines of demarcation". Zur dritten Sitzungsperiode unterbreiteten auch Argentinien, Chile, Guatemala, Mexiko und Venezuela dem Sonderausschuß einen Resolutionsentwurf mit gleichem Wortlaut in diesem Punkt BB . Der britische Delegierte begründete die ausdrückliche Erwähnung der Waffenstillstandslinien im Resolutionstext damit, die bloße Verwendung des Wortes "Grenzen" sei zu restriktiv und mache nicht klar, ob damit auch Demarkationslinien erfaßt seienB9 . Waffengebrauch über diese Linien hinweg sei ebenso Bruch des Friedens wie Gewalt gegen internationale Grenzen90 . In gleicher Weise argumentierte der amerikanische Vertreter und gab zu bedenken, daß eine sehr viel größere Zahl friedensbedrohender Situationen, mit denen sich die Vereinten Nationen in der Vergangenheit zu befassen hatten, im Zusammenhang mit Demarkationslinien als mit nationalen Grenzen stand91 • Daher sei es erforderlich, Demarkationslinien, als vom Verbot des Art. 2 Abs.4 SVN erlaßt, im Text der Deklaration ausdrücklich zu erwähnen. Es war vorauszusehen, daß der Vorschlag der Erwähnung von Demarkationslinien im Deklarationstext auf den Widerspruch der sozialistischen und arabischen Staaten stoßen würde. Den Haupteinwand bildete das Argument, damit würde der status qua in vielen Teilen der Welt "zementiert"92. Demarkationslinien würden Grenzen faktisch gleichgesetzt, so daß die Möglichkeit der Änderung der durch die Errichtung der Linie geschaffenen Lage praktisch ausgeschlossen sei. Die arabischen Vertreter hatten dabei, insbesondere während der fünften und der letzten Sitzungsperiode, die aus den israelisch-arabischen Konflikten erwachsende Situation im Auge. Der Einwand westlicher Delegierter auf diese Bedenken, von einer "Zementierung" der Demarkationslinien als Folge eines umfassenden Gewaltverbotes könne nicht gesprochen werden, man wolle damit vielmehr ein Ende der Gewaltanwendung erreichen, um eine friedliche Streitschlichtung zu ermöglichen, fand zunächst keinen Anklang93 • Ein erstes Einlenken zeichnete sich jedoch während der 66. Sitzung des BB A/AC.125/L. 49/Rev.1, Paragraph 2 f, in GAOR, XXII, Annexes, agenda item 87, S. 10. B9 Sinclair (Vereinigtes Königreich), A/AC.125/SR. 23, S.4; ebenso Amau (Japan), A/AC.125/SR. 62, S.6. 90 Sinclair (Vereinigtes Königreich), A/AC.125/SR. 25, S.18; A/AC.125/ SR. 65, S.5; AlAC.125/SR. 86, S.37. 91 Nabrit (USA), A/AC.125/SR. 23, S.14; ähnlich auch Wershof (Kanada), A/AC.125/SR. 23, S.l1. 92 Vgl. Chammas (Libanon), AlAC.125/SR.24, S.l1; A/AC.125/SR. 26, S.17; ähnlich Dabrova (Polen), A/AC.125/SR.64, S.8. 93 Sinclair (Vereinigtes Königreich), A/AC.125/SR.25, S.18; Reis (USA), AlAC.125/SR. 62, S.13; A/AC.125/SR. 84, S.20.

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2. Kap.: A. Das Prinzip des Gewaltverbots

Sonderausschusses am 1. 8. 1967 ab. Der tschechoslowakische Delegierte machte das Zugeständnis, es sollten durch das Gewaltverbot solche Demarkationslinien geschützt sein, die auf Grund internationaler Vereinbarungen errichtet worden seien und Spezialnormen des internationalen Rechts unterlägen94 • Der Text der Deklaration müsse dies auch hinreichend deutlich machen. Ein weiterer Schritt hin zu einer Einigung auf eine gemeinsame Formulierung konnte durch den niederländischen Vorschlag erreicht werden, man sollte bezüglich der Demarkationslinien einen eigenen Absatz im Text schaffen, um sie nicht in einem Satz mit dem Begriff Grenzen zu erwähnen9". Damit sei der Unterschied zwischen beiden Phänomenen aufgezeigt und gleichzeitig dargelegt, daß Demarkationslinien keinen unbedingten, dauerhaften und rechtlich gesicherten Charakter hätten. überdies würde mit dem vorgeschlagenen Verfahren auch demonstriert, daß die Verletzung von Demarkationslinien - obwohl ebenfalls völkerrechtswidrig - vom rechtlichen Gesichtspunkt aus gesehen weniger schwer wiege als die einer internationalen Grenze. Während der letzten Sitzungsperiode kam es nach dieser Vorbereitung zu einer Einigung auf einen Text, der die Demarkationslinien in einem eigenen Absatz behandelt96 • Danach sind nur solche Linien erfaßt und vom Gewaltverbot geschützt, die durch oder auf Grund einer internationalen Vereinbarung zwischen den sie trennenden Staaten errichtet worden sind oder die diese Staaten aus anderen Gründen zu respektieren verpflichtet sind. Mit dem Zusatz, daß durch das Gewaltverbot kein Einfluß auf den Status und die Auswirkung solcher Linien im Rahmen ihres besonderen "Regimes" ausgeübt, noch ihr temporärer Charakter berührt werde, konnten die letzten Widerstände beseitigt werden. Wenn jedoch der indische und der syrische Delegierte bei der Frage der Unverletztlichkeit von Demarkationslinien darauf abstellen, ob diese durch einen Aggressionskrieg geschaffen worden sind oder auf bindenden internationalen Vereinbarungen beruhen, und sie nur an letztere Möglichkeit das Verbot geknüpft wissen wollen, so muß dieses Kriterium als völlig unbrauchbar zurückgewiesen werden97 • Die überwiegende Mehrzahl der Demarkationslinien geht nämlich aus Aggressionskriegen hervor, wobei jedoch der Aggressor angesichts des Fehlens einer internationalen, von allen Staaten akzeptierten Untersuchungsinstanz nicht verbindlich festzustellen ist; jeder an den militärischen Maßnahmen beteiligte Staat wird von sich behaupten, nicht in AggresPechota (Tschechoslowakei), A/AC.125/SR. 66, S.24. Houben (Niederlande), A/AC.125/SR. 101, S.3I. 96 Vgl. Absatz 5 des Deklarationstextes zum Gewaltverbot. 97 Vgl. Krishna Rao (Indien), AIAC.125/SR. 64, S.4; Allaf (Syrien), AIAC. 125/SR. 114, S. 64. 94

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sion, sondern in Selbstverteidigung gehandelt zu haben und damit das Recht für sich in Anspruch nehmen, je nach Notwendigkeit und Erfolgsaussichten die bereits beendeten militärischen Auseinandersetzungen fortzusetzen. Unter dem vorgeschlagenen Kriterium würde sich keine Friedenssicherung in den von Demarkationslinien geteilten Ländern erreichen lassen; damit aber wäre die Aussicht auf eine friedliche, nicht immer den Stärkeren begünstigende Lösung der mit solchen Linien aufgeworfenen Probleme verspielt. Der Deklarationstext will daher mit der Erwähnung der Demarkations- und Waffenstillstandslinien alle diejenigen Linien - unbeschadet ihrer Entstehungsursache - vom Gewaltverbot erfaßt wissen, an welche die Staaten auf Grund eines völkerrechtlich relevanten Aktes gebunden sind. Die vom Sonderausschuß getroffene Formulierung entspricht geltendem Völkerrecht. Es lassen sich dafür drei maßgebliche Gründe anführen. aal Demarkations- und Waffenstillstandslinien begründen einen "de facto-Friedensstatus" Die Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit zeigen den Trend der Zeit auf, militärische Auseinandersetzungen zunächst nur mit einem Waffenstillstand auf der Grundlage des geschaffenen Besitzstandes zu beenden98 . Die Vereinbarung eines Waffenstillstandes - soweit er nicht etwa dem bloßen Austausch von Gefangenen und Verwundeten dient, sondern ein Ende der unmittelbaren Feindseligkeiten bringen soll - führt in den meisten Fällen dazu, daß eine, möglicherweise aber auch beide an den Feindseligkeiten beteiligten Seiten in den besetzten Gebieten ein "de facto-Regime"99 ausüben, 98 Vgl. z. B. Scheuner, Friedensvertrag, in WVR Bd 1, S.591; Starke, An Introduction to International Law, S.430. 99 Frowein, Das de facto-Regime im Völkerrecht, S. 7 f., der sich mit dem Phänomen des "de facto-Regimes" im Völkerrecht beschäftigt, scheint den Begriff in einer einengenden Interpretation zu verwenden, wenn er denjenigen Zustand als "de facto-Regime" versteht, der sich aus der effektiven Beherrschung eines Territoriums durch ein Gemeinwesen ergibt, das sich zwar als unabhängig bezeichne und nach allgemeiner Anerkennung strebe, aber noch nicht als Neustaat oder Regierung eines bestehenden staates anerkannt sei. Seine Definition beschränkt den Begriff des "de facto-Regimes" dabei auf Situationen, in denen ein Regime faktische Herrschaftsgewalt innerhalb eines bestimmten Territoriums ausübt und nach de iureAnerkennung seiner Gebietshoheit bzw. Staatlichkeit durch die Staatengemeinschaft strebt. Die Definition erfaßt also Bürgerkriegssituationen, Sezessionen und die aus politischen Gründen verweigerte allgemeine Anerkennung eines "Staates". über die von Frowein verwendete Begriffsbestimmung hinaus lassen sich jedoch noch weitere Möglichkeiten faktischer Herrschaftsgewalt aufzeigen, die die Bezeichnung "de facto-Regime" schon allein aus der Tatsache heraus verdienen, daß Gebietshoheit ausgeübt wird, welcher die de iure-Anerkennung versagt ist. Genannt seien etwa Situationen, die aus einem Waffen-

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2. Kap.: A. Das Prinzip des Gewaltverbots

also Herrschaftsgewalt entfalten, die sich nicht aus einem Rechtstitel ableiten läßt und der die allgemeine Anerkennung versagt bleibt. Das aus einer solchen Situation erwachsene "de facto-Regime" ist zwar nicht gleichzusetzen mit der Herrschaftsgewalt über das eigene Territorium, es enthält aber dennoch bereits eine befriedete internationale Stellung; denn der Abschluß des Waffenstillstandsabkommens, - mag er nun aus einer Aufforderung der Weltorganisation hervorgegangen sein oder nicht -, soll die Möglichkeit eröffnen, die Streitigkeiten auf dem Verhandlungswege oder mit sonstigen von den Parteien vereinbarten friedlichen Mitteln beizulegen. Die Waffenstillstandsvereinbarung führt damit zu einem "de facto-Friedensstatus", der zur Anwendung der Chartagrundsätze über die friedliche Streitbeilegung verpftichtet loo . Mit den Zielen der Vereinten Nationen, "den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu erhalten" und die Menschheit "vor der Geißel des Krieges zu bewahren", wäre es unvereinbar, einen einmal erreichten Kampfabschluß durch neue Feindseligkeiten wieder aufheben zu dürfen. Dies muß selbst dann gelten, wenn das Gewaltverbot zur Aufrechteraltung völkerrechtswidriger Situationen führtl° l . Nur die Nichtanerkennung eines "state of war" nach Beendigung der Kämpfe steht in übereinstimmung mit den Prinzipien der Charta lola . Unter dieser Voraussetzung aber bedeutet die neuerliche Anwendung militärischer Gewalt einen Angriff auf ein völkerrechtlich befriedetes Regime und stellt damit eine Verletzung des Art. 2 Abs. 4 SVN darlO!. Eine Ausnahme vom Gewaltanwendungsverbot auch gegenüber Demarkations- und Waffenstillstandslinien ergibt sich jedoch dann,

stillstand heraus erwachsen (vgl. Sinai-Besetzung). Solche Fälle lassen sich meist nicht in der von Frowein gegebenen Begriffsbestimmung erfassen, da ihnen häufig das Kriterium des Strebens nach de iure-Anerkennung durch die faktische Herrschafts gewalt fehlt. So würde etwa die faktische israelische Gebietshoheit über die Sinai-Halbinsel nach der Definition Froweins nicht als "de facto-Regime" zu bezeichnen sein, weil der Staat Israel keine de iure-Anerkennung seiner Staatlichkeit über dieses Gebiet anstrebt. Dem Sinn einer völkerrechtlichen Konstruktion wie dem des "de facto-Regimes" würde jedoch eine einschränkende Verwendung des Begriffs "de factoRegime" nicht gerecht werden, weil sie möglicherweise Situationen, die eine besondere Gefahr für die Aufrechterhaltung des Weltfriedens darstellen, von der Anwendung völkerrechtlicher Normen ausschlösse. Die Verwendung und dogmatische Untermauerung des Begriffs muß vielmehr sicherstellen, daß alle möglichen de facto-Herrschaftsformen erfaßt werden. 100 Vgl. auch Baxter, The Legal Consequences of the Unlawful Use of Force, S.69; ähnlich Feinberg, The Legality of a "State of War" after the Cessation of Hostilities, S.70. 101 So auch Frowein, S. 69. 10Ia Feinberg, S. 70. 102 Vgl. Tamkoc, Political and Legal Aspects of Armistice Status, S.115 ff.; Verdross, VR, S.653.

5. Völkerrechtliche Relevanz der Gewaltanwendung

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wenn die Maßnahmen als Selbstverteidigungshandlungen betrachtet werden können103 • Auch die Praxis der Vereinten Nationen zeigt, daß ein völkerrechtliches Verbot der Gewaltanwendung gegenüber Demarkations- und Waffenstillstandslinien als Folge eines Waffenstillstandes angenommen werden darf. So ist der Bruch des Waffenstillstandes stets vom Sicherheitsrat und dem Generalsekretär der Vereinten Nationen als verbotene Gewaltanwendung und mit den Bestimmungen der Charta unvereinbar bezeichnet worden104 • bb) Die Staatenpraxis als Beweis für die gewohnheitsrechtliche Geltung des Gewaltverbotes gegenüber Demarkations- und Waffenstillstandslinien Noch deutlicher kann die Existenz eines solchen völkerrechtlichen Verbots bei Betrachtung der Staatenpraxis herausgestellt werden. So werden Verletzungen von Waffenstillstandsabkommen in der Regel als Selbstverteidigungsmaßnahmen gegenüber einem bereits erfolgten Bruch des Abkommens durch den jeweils gegnerischen Staat gerechtfertigt 105 • Darin aber drückt sich die Haltung der Staaten aus, die in den durch den Waffenstillstand vermittelten Beziehungen einen "de facto-Friedensstatus" sehen, der ein Gewaltanwendungsverbot enthält. Anders läßt sich diese Handlungsweise der Staaten nicht verstehen, da eine Rechtfertigung für Gewaltanwendung überflüssig wäre, wenn Demarkations- und Waffenstillstands linien nicht im Gewaltverbot des Art. 2 Abs. 4 SNV geschützt wären. ce) Waffenstillstandsabkommen als völkerrechtlich relevante Selbstbindung der Parteien Waffenstillstandsabkommen stellen ebenso wie alle anderen zwischenstaatlichen Vereinbarungen völkerrechtliche Verträge dar, auf die der Grundsatz des "pacta sunt servanda" anzuwenden ist. Allerdings ließe sich gegen diese Argumentation der Einwand vorbringen, sie seien, da sie unter der Alternative der Fortsetzung der Kampf tätigkeiten stünden, als Folge einer Drohung oder Anwendung von Gewalt zustandegekommen und daher - wie es Art.52 Wiener Vertragsrechtskonvention106 vorsieht - von Anfang an ungültig; ein GewaltSo auch Baxter, Legal Consequences, S. 69. Vgl. Higgins, Development of International Law, S. 180, mit Nachweisen; Tamkoc, S.54, dort auch weitere Nachweise in fußnote 47. 105 Vgl. Higgins, ebd. 106 Art.52 Wiener Vertragsrechtskonvention: "A treaty is void if its conclusion has been procured by the threat or use of force in violation of the prineiples of international law embodied in the Charter of the United Nations." 103 104

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2. Kap.: A. Das Prinzip des Gewaltverbots

verbot werde also nicht begründet. Dem muß jedoch entgegengehalten werden, daß Waffenstillstandsvereinbarungen ihrem Wesen nach stets unter der Alternative der Fortsetzung oder Beendigung der Gewaltanwendung stehen. Gerade aber der Abschluß eines Waffenstillstandsabkommens verwirklicht die in jedem Stadium der Gewaltanwendung bestehende völkerrechtliche Friedenspflicht der Beteiligten. Eine Verpflichtung zur Achtung der Demarkations- und Waffenstillstandslinien besteht darüber hinaus auch in den Fällen, in denen der Waffenstillstand nicht Folge einer förmlichen Vereinbarung der Streitenden, sondern einer Aufforderung des Sicherheitsrates zur Einstellung der Kampftätigkeit ist. Die Beschlüsse des Sicherheitsrates, die in seiner Eigenschaft als eines besonderen Friedenssicherungsorgans ergangen sind, müssen insbesondere dann völkerrechtliche Relevanz besitzen, wenn ihnen die davon betroffenen Staaten einmal Folge geleistet haben. Denn damit tritt eine Selbstbindung der Staaten ein und wird als solche auch von der Formulierung der Deklaration: " ... or which it is otherwise bound to respect" mit einem Gewaltanwendungsverbot belegtl°7 • Damit ist nachgewiesen, daß auch die Demarkationslinien zwischen Israel und den arabischen Staaten sowohl völkerrechtlich bereits geschützt als auch von der Deklaration erfaßt sind und ausschließlich mit friedlichen Mitteln wieder beseitigt werden dürfen. 6. Zur Frage der Anerkennung des durch Gewaltanwendung gescltaffenen Besitzstandes

Es lag nahe, daß der Sonderausschuß im Rahmen des Prinzips des Gewaltverbots auch diejenigen Möglichkeiten des Völkerrechts behandeln würde, welche geeignet sein können, die Gewaltanwendung zur Erreichung eines territorialen Vorteils wegen internationaler Gegenmaßnahmen von vornherein auszuschließen. Als eine solche Möglichkeit sahen verschiedene Delegierte die Verweigerung der Anerkennung einer durch Anwendung von rechtswidriger Drohung oder Gewalt geschaffenen Besitzlage an. So enthielten denn auch 107 In der letzten Sitzung des Sonderausschusses am 1. 5. 1970, hatten der syrische und der ägyptische Delegierte Vorbehalte zu der getroffenen Formulierung geltend gemacht. Sie meinten, das Verbot der Gewaltanwendung bezöge sich nicht auf solche Demarkationslinien, die auf Grund einer Waffenstillstandsaufforderung des Sicherheitsrates entstanden seien. Soweit es das Verhältnis der arabischen Staaten zu Israel beträfe, habe es darin nur ein einziges gültiges Waffenstillstandsabkommen gegeben, das vom Gewaltverbot hätte betroffen werden können, nämlich das vom 24.2. 1949. An alle anderen Demarkationslinien könnten sich die arabischen Staaten daher nicht gebunden fühlen. Vgl. AlIas (Syrien), A /AC.125/SR. 114, S. 64; EI Reedy (VAR), AI AC.125/SR. 114, S.77.

6. Anerkennung des durch Gewaltanwendung geschaffenen Besitzstandes 79 einige Resolutionsentwürfe einen Passus, der es den Staaten untersagen sollte, rechtswidrige Gebietserwerbungen anzuerkennen. Zur ersten Sitzungsperiode legte die jugoslawische Delegation mit Paragraph 3 ihres Resolutionsvorschlages eine Formulierung vor, nach der "any situation brought about by such me ans (Gewalt in den verschiedenen Formen, auch wirtschaftlicher und politischer Druck, d. Verf.) shall not be recognized"108. Diese Formulierung wurde noch während der gleichen Sitzungsperiode in dem von Ghana, Indien und Jugoslawien gemeinsam eingebrachten Entwurf in Paragraph 2 bund 4 übernommen109 und in der zweiten Sitzungsperiode von acht weiteren blockfreien Staaten in einem geänderten Entwurf unterstützt llO . Auch im südamerikanischen Vorschlag findet sich in Paragraph 2 h ein ausdrücklicher Verweis auf das Gebot der Nichtanerkennung ll1 . Dagegen haben weder sozialistische noch westliche Staaten das Problem der Nichtanerkennung in ihren Resolutionsentwürfen berührt. In den Diskussionen im Ausschuß wurde deutlich, daß vor allem die neuen Staaten das Instrument der Nichtanerkennung als ein Mittel zur Verhinderung militärischer Auseinandersetzungen in Grenzstreitigkeiten betrachteten. Ihre Ansicht läßt sich darauf zurückführen, daß Grenzlinien neuer Staaten von den ehemaligen Kolonialmächten oft willkürlich gezogen wurden und nicht immer ethnischen, rassischen oder gar geographischen Notwendigkeiten entsprachen. So blieben Streitigkeiten unter den selbständig gewordenen Ländern nicht aus, die das ursprünglich Versäumte zum Zwecke der Konsolidierung ihres Herrschaftsbereiches nunmehr nachholen wollten, zumal die Staaten ihren bisherigen Besitzstand nicht aufzugeben bereit waren. Obwohl die Vermutung nahe liegt, die neuen Staaten müßten deshalb im gegenwärtigen Zeitpunkt noch für die Anerkennung gewaltsamer Erfolge sein, drückt sich in der Haltung dieser Delegierten dennoch ihr schwerer wiegendes Interesse nach Sicherung der eigenen territorialen Grenzen vor fremden Gebietsansprüchen aus. Der mexikanische Delegierte sprach wohl für viele asiatische und afrikanische Vertreter, wenn er meinte, die Anerkennung einer durch Gewalt erreichten Okkupation sei ein Akt krimineller Komplicenschaft112 • Sobald der Sicherheitsrat oder die Vollversammlung entschieden habe, daß eine territoriale Erwerbung auf Drohung oder Anwendung von Gewalt beruhe, sollte die Nichtanerkennung dieser Situation für die Staaten verbindlich sein. 108 AlAC.119/L. 7, a.a.O. 109 A/AC.119/L.15, a.a.O. 110 Vgl. Paragraph 4 des Resolutionsentwurfs AI AC.125/L. 21 and Add. 1. 111 Vgl. AlAC.125/L. 49/Rev.1, a.a.O. 112 Castaneda (Mexiko), AlAC.119/SR.9, S.16; vgl. auch Vanderpuye (Ghana), A/AC.125/SR. 26, S.5; Sahovic (Jugoslawien) A/AC.125/SR. 87, S.51.

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2. Kap.: A. Das Prinzip des Gewaltverbots

Die wohl entscheidende und stichhaltige Begründung für die Einführung eines Anerkennungsverbotes gab der jugoslawische Vertreter, indem er auf das absolute Gewaltverbot des Art. 2 Abs. 4 SVN verwies, das mit Gewalt erzwungene Gebietsveränderungen nicht zulasse 113 • Daraus folge aber, daß Situationen, die aus einer Verletzung dieses Gebots erwachsen, gerade wegen des in ihnen enthaltenen Rechtsbruchs nicht anerkannt werden dürften. Westliche Delegierte verhielten sich anfangs bezüglich einer ausdrücklichen Erwähnung eines Anerkennungsverbotes sehr zurückhaltend. Sie gaben zu bedenken, die Nichtanerkennung sei nicht immer die wirksame Sanktion gegenüber Völkerrechtsbrüchen114 • Sie könne vielmehr zu weiteren Spannungen in der Welt führen bzw. diese für die Zukunft aufrechterhalten und dadurch die Bemühungen der Vereinten Nationen oder anderer Organe und Staaten zur Lösung der Probleme mit friedlichen Mitteln zunichte machen. Welches Gremium sollte auch entscheiden, welchen Staat die Schuld an den Auseinandersetzungen trifft, wer mit der Gewaltanwendung begonnen, wer in Selbstverteidigung gehandelt hat. Im übrigen sei unklar, welchen Inhalt das Gebot der Nichtanerkennung habe. Sollten die Staaten etwa verpflichtet sein, ihre Handels- und diplomatischen Beziehungen einzuschränken oder abzubrechen oder die sonstigen praktischen Kontakte mit dem "angeklagten" Staat einzustellen115 • Der schwedische Vertreter versuchte schließlich die Meinungsverschiedenheiten zu überbrücken, indem er eine Formulierung vorschlug, mit der lediglich eine Anerkennung illegaler gewaltsamer Gebietsveränderungen als "rechtmäßig" untersagt sein sollte 116 • Der Textvorschlag blockfreier und südamerikanischer Staaten hatte demgegenüber in seiner allgemeineren Fassung sowohl ein Verbot der "de facto-" als auch der "de jure-"Anerkennung enthalten111• Zunächst widersetzten sich südamerikanische und neue Staaten dem schwedischen Vorschlag, weil sie meinten, nur ein umfassendes Anerkennungsverbot unterstreiche die Bedeutung und fördere Sahovic (Jugoslawien), ebd. Vgl. Riphagen (Niederlande), A/AC.119/SR. 7, S.l1; Sinclair (Vereinigtes Königreich), AlAC.119/SR. 16, S.15; A/AC.125/SR. 25, S.16. 115 Vgl. dazu Blix (Schweden), AlAC.125/SR. 86, S.43. 116 Vgl. Blix (Schweden), ebd. 111 Vgl. etwa Abs.2h des Entwurfs A/AC.125/L.49, Rev.l (eingebracht von Argentinien, Chile, Guatemala, Mexiko, Venezuela): "In accordance with the United Nations Charter, no territorial acquisitions or special advantages obtained by force or by other means of coercion shall be recognized." Ebenso auch der Resolutionsvorschlag, AlAC.125/L.48 in GAOR, XXII, Annexes, agenda item 87, S.10 (eingebracht von Algerien, Ghana, Indien, Jugoslawien, Kamerun, Kenia, Madagaskar, Nigeria, Syrien, V AR). Zur Definition der Begriffe "de facto" und "de iure" Anerkennung vgl. Menzel, VR, S.145; Verdross, VR, S. 185 ff.; Zivier, Die Nichtanerkennung im modernen Völkerrecht, S.55. 113 114

6. Anerkennung des durch Gewaltanwendung geschaffenen Besitzstandes 81 die Wirksamkeit des Gewaltverbots118 • Dennoch gelang es während der fünften Sitzungsperiode - wohl unter dem Druck westlicher Staaten, die sich auf eine Ausweitung des Verbots auf de facto-Anerkennungen nicht einlassen wollten -, mit der Formulierung "no territorial acquisition resulting from the threat or use of force shall be recognized as legal" eine für alle Delegierten annehmbare Lösung zu finden 119 • Ein Blick auf die völkerrechtliche Literatur und Praxis zeigt, daß das Problem der Anerkennung in engem Zusammenhang steht mit dem Kriegsverbot der Völkerbundssatzung und dem des BriandKelloggpaktes. über den regionalen Rahmen hinweg wurde erstmals mit der Note Stimsons vom 7.1.1932 an die japanische Regierung, in der seitens der USA die Nichtanerkennung der Besetzung der Mandschurei angekündigt wurde, der Versuch gemacht, eine völkerrechtswidrige Okkupation durch das Mittel der Nichtanerkennung zu beeinflussen. Der Inhalt dieses Schreibens ging schließlich als StirnsonDoktrin in viele völkerrechtliche Verträge ein (z. B. Rio-Vertrag vom 10.10.1933, Montevideo-Konvention, Charta von Bogota etc.)120. Die Staatenpraxis hat sich der völkerrechtlichen Forderung nach Nichtanerkennung jedoch nicht in allen Fällen angeschlossen, sondern ließ sich bei der Entscheidung über die Anerkennung in konkreten Situationen auch von eigenen machtpolitischen Erwägungen leiten121 . Aus dem Verhalten der Staaten kann daher ein Prinzip des allgemeinen Völkerrechts zum Verbot der Anerkennung nicht abgeleitet werden122 . Auch die völkerrechtliche Literatur bietet in dieser Frage kein einheitliches Bild. Viele Autoren lehnen eine Verpflichtung zur Nichtanerkennung völkerrechtswidriger Gebietsveränderungen als Ausdruck einer bestehenden Völkerrechtsnorm mit dem Hinweis auf die Staatenpraxis ab, aus der sich weder eine allgemeine "opinio iuris" noch eine "opmlO necessitatis" ableiten lasse123 • Andere wiederum sehen in dem Verbot der Anerkennung rechtswidriger Gebietsveränderungen eine 118 Gonzales Galvez (Mexico), A/AC.125/SR. 96, S.161; El-Fattal (Syrien), A/AC.125/SR. 96, S. 169 f. 119 Vgl. Absatz 10 des Textes zum Prinzip des Gewaltverbots in der Deklaration. 120 Vgl. dazu Brownlie, International Law, S. 410 f. 121 Siehe Brownlie, International Law, S.413 mit Nachweisen. 122 Im Jahre 1949 hat die ILC der VV einen Deklarationsentwurf über die Rechte und Pflichten der Staaten vorgelegt, der den folgenden Wortlaut enthielt: "Every State has the duty to refrain from recognizing any territorial acquisition by another State acting in violation of Art.9" (Art. 9 entspricht Art. 2 Abs.4 SVN, d. Verf.) (vgl. YILC 1949, S.288). Die Deklaration wurde jedoch von der VV wegen Uneinigkeit über den Begriff "aggression" nicht angenommen. Den Wortlaut dieses Deklarationsentwurfs siehe Anhang. 123 Vgl. Akehurst, S.81; ähnlich wohl auch Blix, Contemporary Aspects of Recognition, S. 661 ff.; O'ConneH, International Law, S. 180; von Glahn, S. 93; Menzel, VR, S.179; Lauterpacht, International Law, S. 347 f.

6 Graf zu Dohna

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2. Kap.: A. Das Prinzip des Gewaltverbots

Verpflichtung, die sich aus dem allumfassenden Gewaltverbot ergebe und dieses erst wirksam mache1!4. Da Gebietserwerbungen, die unter Verletzung des Art. 2 Abs. 4 SVN vorgenommen worden seien, keine völkerrechtliche Wirksamkeit hätten - die Staaten seien nämlich zur Wiederherstellung des früheren Zustandes verpflichtet -, könnten sie auch nicht anerkannt werden l25 . Eine Legalisierung des rechtswidrigen Zustandes könne zwar durch freiwillige Zustimmung des geschädigten Staates oder durch andauernde Duldung eintreten, bis zu diesem Zeitpunkt aber sei eine Anerkennung durch dritte Länder untersagt. Dieser Argumentation ist jedoch der Vorwurf zu machen, daß sie die Staatenpraxis nicht hinreichend berücksichtigt und im übrigen die möglichen negativen Folgen, die ein allgemeines Anerkennungsverbot für die Erhaltung des internationalen Friedens zeitigen könnte, nicht beachtet; denn eine kollektive Nichtanerkennung - sowohl "de iure" wie auch "de facto" - muß nicht zwangsläufig in allen Fällen zu einer befriedigenden und friedlichen Verwirklichung berechtigter Gebietsansprüche beitragen. Vielmehr besteht die Gefahr, daß der durch die Nichtanerkennung seiner Gebietserwerbungen exponierte Staat zum Gegenstand weiterer, möglicherweise sogar militärischer Auseinandersetzungen wird und dadurch in noch stärkerem Maße eine latente Friedensbedrohung darstellt. Da dem modernen Völkerrecht die Tendenz innewohnt, friedensbedrohende Situationen nicht ihrerseits durch militärische Aktionen - mit Ausnahme der vom Sicherheitsrat beschlossenen - für die Zukunft "zu entschärfen", ein rigoroses Anerkennungsverbot aber die Gefahr bewaffneter Selbsthilfe heraufbeschwören könnte, darf gerade im Gewaltverbot des Art. 2 Abs. 4 SVN ein so schillernder Völkerrechtssatz nicht enthalten sein. Die Formulierung des Anerkennungsverbotes in der Deklaration dürfte somit noch nicht allgemein anerkanntem Völkerrecht entsprechen128. 7. Gewaltanwendung gegen Kolonialvölker als Gewalt in den internationalen Beziehungen der Staaten

Angesichts der Zusammensetzung des Sonderausschusses konnte es nicht verwundern, daß afrikanische und asiatische Staaten mit Unterstützung des sozialistischen Blocks ein Zentralthema der völkerrechtlichen Diskussion in den Vereinten Nationen aufgreifen würden, nämlich das der gewaltsamen Unterdrückung von Befreiungsbewegun124 So Brownlie, International Law, S. 418 f., 423; Runge, S. 90 f.; Verdross, VR, S. 553. Für ein Anerkennungsverbot wohl auch Frowein, Freundschaft und Zusammenarbeit unter den Staaten, S. 72. 125 So Verdross, VR, S. 553. 128 Vgl. zu dieser Interpretation auch Blix, Contemporary Aspects, S. 661 ff.

7. Gewaltanwendung im Kolonialbereich

83

gen. Zwar bezogen sich die Erörterungen des Ausschusses zu diesem Punkt in erster Linie auf das Problem eines Rechts zur Selbstverteidigung gegen koloniale Unterdrückungsmaßnahmen127 • Westliche Staatenvertreter aber versuchten hier zunächst, eine Klärung über die völkerrechtliche Relevanz solcher Maßnahmen zu schaffen. Ihre Einstellung wurde erkennbar in dem Resolutionsentwurf der Niederlande und Italiens zur zweiten Sitzungsperiode, der in Paragraph 4 c eine Verpflichtung der Staaten erwähnte, im Rahmen der Charta-Bestimmungen eine friedliche Entwicklung abhängiger Länder im Hinblick auf ihre politische Emanzipation zu gewähren und die friedliche Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes ihrer Einwohner zu sichern128 • Einen Bezug auf ein Gewaltverbot in den Beziehungen MutterlandKolonialland enthielt dieser Vorschlag nicht. Dagegen enthielt der tschechoslowakische Entwurf zur zweiten Sitzungsperiode einen ausdrücklichen Hinweis darauf, daß auch gegen Kolonialvölker angewandte Unterdrückungsmaßnahmen sowohl militärischer als auch wirtschaftlicher und politischer Art vom Gewaltverbot erfaßt würden129 • Den Versuch, das Gewaltverbot auch in dieser Hinsicht dogmatisch zu untermauern, machte die Delegation Chiles mit ihrem Entwurf, indem sie die gegen Kolonialvölker angewandte Gewalt als Gewalt "in den internationalen Beziehungen der Staaten" charakterisierte, um sie so unter Art. 2 Abs.4 SVN erfassen zu können130 • Zur weiteren Erläuterung dieses und anderer Entwürfe meinte der tschechoslowakische Delegierte, unter zwischenstaatlichen Beziehungen im Sinne des Art. 2 Abs.4 SVN sei auch das Verhältnis von Staaten zu anderen Einheiten zu verstehen, insbesondere zu Völkern und Territorien, die nicht als Teil der sie beherrschenden Staaten betrachtet würden l31 • Gerade gegen das Argument, es handele sich bei den Aktionen der Kolonialstaaten gegen ihre überseeischen Besitzungen um Gewaltanwendung in den internationalen Beziehungen, wandten sich Vertreter westlicher Staaten. Sie erklärten, das Verbot des Art. 2 Abs.4 SVN betreffe nur diejenige militärische Gewalt, die ein Staat gegen

127 Zu diesem Problem siehe ausführlicher bei der Behandlung des Selbstverteidigungsrechtes, infra, 2. Kap., 8 b. 128 Vgl. AlAC.125/L. 24, in GAOR, XXI, Annexes, agenda item 87, S.3l. 129 A/AC.125/L.16, a.a.O., S.30. 130 A/AC.125/L.23, in GAOR, XXI, Annexes, agenda item 87, S.30; in ähnlicher Formulierung wurde das Verbot bezüglich der Unterdrückungsmaßnahmen während der dritten Sitzungsperiode in den gemeinsamen Resolutionsentwurf (Paragraph 2 g) Argentiniens, Chiles, Guatemalas, Mexikos und Venezuelas übernommen; vgl. AlAC.125/L.49/Rev.1. in GAOR, XXII, Annexes, agenda item 87, S. 10; vgl. auch Albonico (Chile), AlAC.125/SR. 22, S.13 f. 131 Pecbota (Tschechoslowakei), A/AC.125/SR. 66, S.24. 6'

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2. Kap.: A. Das Prinzip des Gewaltverbots

einen anderen anwende l32 ; daher umfasse das Gewaltverbot nicht die bewaffneten Aktionen, die sich gegen die der eigenen Jurisdiktion unterworfenen Menschen richte. Hierin wurde der westliche Standpunkt deutlich, der zwischen Kolonialstaaten und den diesen zugeordneten Kolonien nicht in der Weise differenziert, daß er letzteren eine eigene völkerrechtlich anerkannte Staatlichkeit zubilligt. Gegen die mit Emotionen gegen das Kolonialsystem belastete Haltung der Vertreter neuer Staaten und die Phalanx des sozialistischen Blocks vermochten die Argumente westlicher Delegierter nicht durchzuschlagen. Während der dritten Sitzungsperiode machten zwar der amerikanische und der britische Vertreter das Zugeständnis, die Unterdrückung des Rechts auf Selbstbestimmung sei eine schwere Verletzung der Charta, sie wollten sich aber nicht auf eine Anwendung des Verbots aus Art. 2 Abs.4 SVN auf repressive Maßnahmen in Kolonialländern einlassen133 • Dennoch gelang es während der letzten Sitzungsperiode nunmehr unter dem Druck sozialistischer und neuer Staaten, die westlichen Delegierten zum Einlenken zu bewegen. Einstimmig wurde beschlossen, eine Formulierung in die Deklaration aufzunehmen, die ein Verbot der Gewaltanwendung gegen das Selbstbestimmungsstreben abhängiger Völker enthäW 34 • Diese Einigung stellt aber letztlich nur eine Einigung über Worte nicht aber auch deren Inhalt dar, wie der britische Diskussionsbeitrag vom letzten Sitzungstag des Sonderausschusses beweist1 35 • Der Delegierte hob darin hervor, daß das Gewaltverbot nur das Verhältnis eines Staates gegenüber einem anderen betreffe, nicht aber das zu abhängigen Völkern. Eine Waffenanwendung gegen Kolonialvölker verletze lediglich deren Recht auf Selbstbestimmung. An dieser Völkerrechtslage ändere sich auch nichts durch die Einführung des Textes über das Gewaltanwendungsverbot gegen Kolonialvölker in die Deklaration. Es darf angenommen werden, daß dieser Vorbehalt von den meisten westlichen Staaten gebilligt wurde. Der britische Einwand drückt als solcher die Haltung der westlichen Völkerrechtslehre zu dieser Frage aus. Allgemein wird darauf ver132 Vgl. Schwebel (USA), A/AC.119/SR. 3, S. 15; AlAC.125/SR. 62, S.15.; Sir Bailey (Australien), A/AC.119/SR.17, S.14; Sinc1air (Vereinigtes Königreich), AlAC.125/SR. 65, S.7; ähnlich Herrera Iberguen (Guatemala), A/AC.119/SR. 14, S.7. 133 Reis (USA), AlAC.125/SR. 62, S.16; Sinc1air (Vereinigtes Königreich), A/AC.125/SR. 65, S.7. 134 Vgl. Absatz 7 des Textes zum Prinzip des Gewaltverbots in der Deklaration. 135 Sinc1air (Vereinigtes Königreich), AlAC.125/SR. 114, S.72; ähnlich auch Davis (Australien), AlAC.125/SR.114, S.63.

7. Gewaltanwendung im Kolonialbereich

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wiesen, daß Art. 2 Abs.4 SVN in seiner Formulierung "alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen ... " die Gewaltanwendung zwischen Staaten erfaßt136 • Der Begriff "internationale Beziehungen" drücke zweifelsfrei aus, daß nur das Verhältnis der Staaten nach außen, zu anderen Völkerrechtssubjekten gemeint sei. Dieser Meinung ist beizupflichten. Da sich das Gebot des Art. 2 Abs. 4 SVN an die Mitglieder richtet - und nur Staaten können Mitglieder sein - , kann das Objekt der Gewaltanwendung seinerseits nur ein Staat sein. Die Gewaltanwendung zur Unterdrückung von Befreiungsbewegungen findet im übrigen auf dem Territorium statt, das unter der Oberherrschaft des gewaltanwendenden Kolonialstaates steht; dieser Staat überquert dabei keine internationalen Grenzen anderer Länder, noch berührt er deren politische Unabhängigkeit137 • Es ist daher davon auszugehen, daß sich die Charta in Art. 2 Abs. 4 nicht mit der Gewaltanwendung gegen Befreiungsbewegungen befaßt. Sie verbietet sie nicht, noch enthält sie eine ausdrückliche Erlaubnis solcher Maßnahmen. Dagegen können repressive Akte von Kolonialstaaten in ihren Kolonien durchaus zu einer Friedensgefährdung im Sinne des Art. 39 SVN führen und ein Einschreiten des Sicherheitsrates ermöglichen 138 • Zwar ließe sich auch hier die These Wenglers139 136 Vgl. Berber, VR Bd 2, S.15, 42; Bowett, Self-Defence, S.149; Schwarzenberger, International Law, S.212; Skubiszewski, Use of Force, S.771; ähnlich wohl auch Kewenig, Gewaltverbot, S. 180 f.; Wengter, Gewaltverbot, S.32; Rauschning, Die Geltung des völkerrechtlichen Gewaltverbots in

Bürgerkriegssituationen, S. 83. Anders die Haltung der sozialistischen Völkerrechtslehre und afrikanischer Autoren. Sie gehen grundsätzlich von der Völkerrechtswidrigkeit repressiver Akte gegen Kolonialländer und -völker aus und begründen diese mit der Feststellung, es handle sich bei solchen Maßnahmen um einen Verstoß gegen das Gewaltverbot; die Beziehungen der Kolonialstaaten zu ihren Kolonien seien nicht als innerstaatliche Angelegenheiten zu betrachten. Vgl. Graefrath, Grundlegende Völkerrechtsprinzipien, S.490; Herczegh, S. 84; Starushenko, Abolition of Colonialism, S.91; zur sozialistischen Haltung im einzelnen vgl. auch Bracht, Die Ausübung des Rechts der Nationen auf Selbstbestimmung nach sowjetischer Völkerrechtslehre, S.174; Schroeder, S. 216 f. (mit weiteren Nachweisen in Fußnote 177). Zu den Ansichten afrikanischer Autoren vgl. Abi-Saab, Wars of National Liberation and the Laws of War, S. 99 ff.; EHas, Africa and the Development of International Law, S.57. 137 So auch Skubiszewski, Use of Force, S.771; Bindschedter-Robert, A Reconsideration of the Law of Armed Conflicts, S.52; Tung, International Organization under the United Nations System, S.212. 138 Vgl. auch Dugard, The Organisation of African Unity and Colonialism, S.172. 139 Vgl. Wengter, Gewaltverbot, S. 30 f.; Wengier stellt diese These im Zusammenhang mit der Intervention dritter Staaten in Bürgerkriegssituationen auf und behauptet, unter einer Friedensbedrohung nach Art. 39 SVN sei die subjektive Bedrohung eines Staates mit Krieg durch einen anderen zu verstehen und nicht die objektive Gefahr, daß sich ein Ereignis infolge der Haltung Dritter zu einem internationalen Krieg ausweiten könne.

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2. Kap.: A. Das Prinzip des Gewaltverbots

anführen, die Friedensbedrohung gehe vielmehr von den sich einmischenden dritten Staaten aus, dies hieße aber, die Interdependenzen der modernen Welt und die im Entstehen begriffene Mitverantwortung aller Staaten für eine "minimum world order" zu leugnen. Ein Blick auf die Praxis der Vereinten Nationen zeigt, daß diese es bisher vermieden haben, Unterdrückungsmaßnahmen durch Kolonialstaaten als verbotene Gewaltanwendung im Sinne des Art. 2 Abs. 4 SVN zu bezeichnen140 • In jüngster Zeit haben sich viele Resolutionen der Vollversammlung mit der Frage der Gewaltanwendung gegenüber abhängigen Völkern befaßt141 • Solche Gewalt wurde aber immer nur als mit den Zielen der Charta unvereinbar charakterisiert und als Verstoß gegen das Recht der Selbstbestimmung verurteilt. Zwar kommt der Inhalt dieser Resolutionen dem des Art. 2 Abs. 4 SVN sehr nahe, er kann jedoch nicht als völkerrechtlicher Grundsatz gewertet werden. Da die Resolutionen keinen direkten Bezug auf das Gewaltverbot der Charta enthalten, obwohl dies nahe gelegen hätte, ist davon auszugehen, daß die Staaten aus Art.2 Abs.4 SVN ein Verbot der Gewaltanwendung gegen Kolonialvölker nicht ableiten wollten. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang auch, daß der Sicherheitsrat in keinem Falle kolonialer Unterdrückung eine Angriffshandlung gesehen hat, sondern lediglich Maßnahmen empfohlen hat, die er aus einer Bedrohung des Friedens rechtfertigte. Die Formulierung der Deklaration zum Gewaltverbot gegenüber Selbstbestimmungsbestrebungen dürfte damit gegenwärtig einem Grundsatz des allgemeinen Völkerrechts noch nicht entsprechen. Von der Feststellung, daß Gewaltanwendung gegenüber Kolonialländern nicht vom Gewaltverbot des Art. 2 Abs. 4 SVN erfaßt wird, muß jedoch eine Ausnahme gemacht werden. Die ursprünglich rechtmäßigen, d. h. vom Gewaltverbot nicht betroffenen militärischen Maßnahmen können sich dann in die "internationalen Beziehungen" verlagern, wenn dissidierende Elemente oder Volksgruppen auf dem Kolonialterritorium einen neuen Staat bilden142 • Bowett nennt als Kriterium für den Wandel der Beziehungen von innerstaatlichem zu internationalem Charakter, daß die Volksgruppe völkerrechtliche Personalität oder Eigenstaatlichkeit beansprucht. Dies kann jedoch für die völkerrechtliche Anerkennung des Bestehens internationaler Beziehungen nicht genügen. Vielmehr setzen diese voraus, daß die dissidierende Volksgruppe in einem eigenen, fest umrissenen Territo140 141

Vgl. dazu Goodrich-Hambro-Simons, S.51. Vgl. Res.1514 (XV) vom 14.12.1960; Res.2131 (XX) vom 21. 12. 1965;

Res. 2189 (XXI) vom 13. 12. 1966. 142 So auch Bowett, Self-Defence. S.149; Higgins, Development of International Law, S.211; Waldock, S.492.

8. Ausnahmen vom Gewaltverbot

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rium Herrschaftsgewalt ausübt und in der Lage ist, sich politisch und wirtschaftlich zu behaupten143 . Wollte man geringere Anforderungen für die Entstehung internationaler Beziehungen ausreichen lassen, so würde die Gefahr heraufbeschworen, daß eine Reihe von Bürgerkriegsparteien und Widerstandsbewegungen mit eigener Völkerrechtssubjektivität ausgestattet würde und für sich das völkerrechtliche Selbstverteidigungsrecht und Verteidigungshilfe beanspruchen könnte. Dies aber trüge zu einer großen Verunsicherung der weltpolitischen Lage dadurch bei, daß die unterschiedlichen Staatengruppen nun ihrerseits offen vielleicht sogar mit militärischen Mitteln Lösungen der Konfliktsituationen suchen könnten, und sich so die Polarisierung zwischen den Blöcken weiter verstärkte. 8. Die Ausnahmen vom Gewaltverbot des Art. 2 Abs. 4 SVN

Im Mittelpunkt der Diskussionen um das Gewaltverbot stand neben der Frage des Inhalts des Begriffs Gewalt das Problem, wann und unter welchen Voraussetzungen Ausnahmen von dem Verbot zulässig sind. Da das gegenwärtige Völkerrecht Befreiungen vom Gewaltverbot enthält, war es nur zu verständlich, daß sich der Ausschuß auch mit diesen beschäftigte, um die Rechtslage eindeutig aufzuzeigen. Daß ihm dies jedoch nicht gelungen ist, wird darzulegen sein.

a) Das Selbstverteidigungsrecht Alle in den verschiedenen Sitzungsperioden des Sonderausschusses eingegangenen Resolutionsvorschläge führten Formulierungen an, die sich mit den Fällen erlaubter Gewaltanwendung befaßten. Den Zentralpunkt nahm dabei das Recht der Selbstverteidigung aus Art. 51 SVN ein. Bei näherer Betrachtung der Textvorschläge fällt auf, daß diejenigen westlicher Staaten144 lediglich Bezug nehmen auf die Ausübung eines "inherent right of individual or collective selfdefence", während die Entwürfe sozialistischer und neuer Staatenl45 und die Vorschläge südamerikanischer Länder14G das Recht zur Selbstverteidi143 Vgl. hierzu im einzelnen Frowein, S.68; ebenso Bindschedler-Robert, S.52. 144 Vgl. A/AC.119/L.8 (Vereinigtes Königreich), a.a.O.; A/AC.125/L.22 (Australien, Kanada, Vereinigtes Königreich, USA), a.a.O. 145A/AC.119/L.6 (Tschechoslowakei) a.a.O.; A/AC.119/L.7 (Jugoslawien), a.a.O.; A/AC.125/L.21 and Add.l (Algerien, Burma, Kamerun, Dahomey, Ghana, Indien, Kenia, Madagaskar, Nigeria, VAR, Jugoslawien), a.a.O.; A/AC.125/L. 16 (Tschechoslowakei), a.a.O. 146 A/AC.125/L.23 (Chile), a.a.O.; A/AC.125/L. 49/Rev. 1 (Argentinien, Chile, Guatemala, Mexiko, Venezuela), a.a.O.

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2. Kap.: A. Das Prinzip des Gewaltverbots

gung ausdrücklich von dem Vorliegen eines bewaffneten Angriffs (armed attack) abhängig machen. In mehreren Diskussionsbeiträgen wiesen die Delegierten Mexikos darauf hin, daß Art. 51 SVN ein Selbstverteidigungsrecht nur gewähre, wenn ein bewaffneter Angriff vorausgegangen sei, nicht dagegen als rein präventive Maßnahme, etwa gegen eine friedensbedrohende Aufrüstung oder einen möglicherweise bevorstehenden Angriff147 • Während andere westliche Delegationen sich nicht ausdrücklich mit der Frage der antizipierten Verteidigung befaßten, wollten die Vertreter Ghanas und Australiens die von der mexikanischen Delegation aus Art. 51 SVN abgeleiteten Einschränkungen des Selbstverteidigungsrechtes nicht gelten lassen148 • Sie wandten ein, Art. 51 SVN könne nicht in dem Sinne interpretiert werden, daß er eine militärische Gegenaktion erst dann erlaube, wenn der Angreifer bereits eine bessere Position erreicht habe als der angegriffene Staat. Im Normalfall sei eine Selbstverteidigung nämlich nur dann von Nutzen, wenn sie im Augenblick des unmittelbar bevorstehenden Angriffs einsetze. Man würde daher den Sinn des Selbstverteidigungsrechts verkennen, wollte man daran die Verpflichtung knüpfen, erst aus einer gegenüber dem Angreifer benachteiligten Position heraus handeln zu dürfen. Diese Streitfrage wurde durch den Text der Resolution nicht entschieden, der als Ausnahme zum Gewaltverbot lediglich allgemein auf diejenigen Bestimmungen der Charta verweist, nach denen die Anwendung militärischer Gewalt rechtmäßig ist. Zur Klärung der Bedeutung dieser Formulierung ist daher eine Auslegung des Art. 51 SVN vorzunehmen. Zunächst stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob Art. 51 SVN überhaupt die Grundlage für das Selbstverteidigungsrecht abgibt, oder ob dieses nicht vielmehr aus einem "Naturrecht der Staaten" abgeleitet werden kann. Das Problem entsteht aus der Formulierung des Art. 51 SVN, der von einem " ... inherent right of individual or collective self-defence if an armed attack occurs against a member of the United Nations, ... " spricht. Dieser Text wirft zwei mögliche Interpretationen auf, die zu unterschiedlichen Inhalten des Selbstverteidigungsrechts führen könnten: a) Art. 51 SVN gibt lediglich ein vorgegebenes Recht wieder149 ; 147 Castaneda (Mexiko), AlAC.119/SR.9, S.12; Gonzales Galvez, A/AC.125/ SR. 66, S.5; so wohl auch Khlestov (USSR), AlAC.119/SR.14, S.10, 12. 148 Van Lare (Ghana), A/AC.125/SR. 88, S. 75; Evans (Australien), A/AC.125/ SR. 96, S. 175. 149 So Bowett, Self-Defence, S.187; ähnlich wohl auch Berber, VR Bd 2, S.46; Brierly, The Law of Nations, S.418; von Glahn, S. 133; weitere Nachweise siehe bei Wildhaber, Gewaltverbot und Selbstverteidigung, S. 151.

8. Ausnahmen vom Gewaltverbot

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b) Art. 51 SVN inkorporiert dieses vorgegebene Recht in die Charta und versieht es gleichzeitig mit Beschränkungen, so daß es als vorgegeben nur insoweit betrachtet werden kann, als es nicht den Limitierungen unterliegt 150 • Als Einschränkung des vorgegebenen Rechts stellt sich in erster Linie die Formulierung "bewaffneter Angriff" dar, die eine Zurückweisung weitergehender Bestimmungen des Völkergewohnheitsrechts enthält. Bowett, der die Meinung vertritt, Art. 51 SVN habe lediglich deklaratorische Bedeutung und schränke daher die sich aus dem allgemeinen Völkergewohnheitsrecht ergebende erlaubte Gewaltanwendung nicht ein, kommt zu dem Ergebnis, daß von Art. 51 SVN infolgedessen auch die präventive Selbstverteidigung als Inhalt des Völkergewohnheitsrechts erfaßt wird151 • Er begründet seine Ansicht damit, daß eine Restriktion des Verteidigungsrechts auf Fälle unmittelbarer Gewaltanwendung der Situation nicht gerecht werde, in der sich ein Staat dann befinde, wenn er sich einem unmittelbar bevorstehenden Angriff gegenübersehe. Vielmehr müßten, in "Übereinstimmung mit dem von Webste1' im Caroline-Streit aufgestellten Grundsatz, Verteidigungshandlungen bereits bei einer "instant and overwhelming necessity for self-defence, leaving no choice of me ans and no moment of deliberation" zulässig sein. Diese Interpretation des Art. 51 SVN berücksichtigt aber nicht den Wortlaut des Artikels, der von einem naturgegebenen Recht zur Selbstverteidigung "im Falle eines bewaffneten Angriffs" spricht. Welchen Sinn also sollte diese Formulierung besitzen, wenn nicht den, das naturgegebene Recht in gewisse Bahnen zu lenken, es zu beschränken. Richtig dürfte daher sein, daß Art. 51 SVN das Selbstverteidigungsrecht feststellt und gleichzeitig interpretiert. Damit wird aber für die Mitglieder der Vereinten Nationen - da es sich hier um Vertragsrecht handelt - jedes weitergehende Recht, das sich aus dem allgemeinen Völkerrecht ergibt, ausgeschlossen. Die Zentralfrage ist daher die nach der Bedeutung des Satzes "im Falle eines bewaffneten Angriffs" (if an armed attack occurs). Waldock versteht darunter die Anwendung von Waffengewalt gegen die territoriale Unversehrtheit eines anderen Staates. Darüber hinaus sei ein bewaffneter Angriff bereits anzunehmen, wenn ein überzeugender Beweis, nicht nur von Drohungen und potentieller Gefahr, So Ketsen, S. 792; ähnlich wohl auch BrownHe, Self-Defence, S.273. So auch Brierty, S.420; O'ConneU, S.341; Higgins, Development of International Law, S.204; WUdhaber, S.153 (mit weiteren Nachweisen); so wohl auch Rosenstock, S. 723, mit der Begründung, daß "a pre-emptive strike, however, debatable such an action may be legally, is the only way to ensure a small state's continued existence". 150 151

2. Kap.: A. Das Prinzip des Gewaltverbots

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sondern eines unmittelbar beginnenden Angriffs vorliege, ohne daß internationale Grenzen schon überschritten seien müßten lS2 • Wollte man Art. 51 SVN anders lesen, so hieße dies, das Recht des Aggressors auf den ersten Schlag zu schützen. Waldock nimmt hier eine Ausweitung des Begriffs bewaffneter Angriff vor. Seine Interpretation bedeutet nichts anderes als den Versuch der dogmatischen Begründung eines Rechts auf Präventivverteidigung im Rahmen des Art. 51 SVN. Gegen diese extensive Auslegung des Selbstverteidigungsrechts ist einzuwenden, daß sie einen großen Unsicherheitsfaktor in den Beziehungen der Staaten schafft, zumal sie keine greifbaren, objektiv nachprüfbaren Kriterien für das Vorliegen eines "Angriffs", der noch nicht über die Grenzen eines Staates getragen wurde, vorweist. Es würde damit jedem einzelnen Staat überlassen sein, diese Kriterien nach eigenem Gutdünken, ohne daß eine internationale Kontrolle möglich wäre, für den Einzelfall zu bestimmen. Gerade das aber will Art. 51 SVN vermeiden, dem die Tendenz innewohnt, das völkerrechtliche Selbstverteidigungsrecht schließlich durch kollektive Maßnahmen im Rahmen der Vereinten Nationen zu ersetzen. Art. 51 SVN muß daher in der Weise verstanden werden, daß er eine Selbstverteidigungshandlung erst gegen einen in den Hoheitsbereich eines Staates getragenen Angriff zuläßt und damit jegliche Art präventiver Verteidigung ausschließti 53 • In dieser Interpretation ist auch die Formulierung der Deklaration zu verstehen, die ausdrücklich auf die von der Charta sanktionierten Fälle von Gewaltanwendung verweist. Im Interesse einer gesicherten Völkerrechtsordnung, die jegliche Gewaltanwendung transparent und damit auf ihre Rechtsgrundlage hin nachprüfbar machen will, müssen die Staaten im Falle eines nur drohenden Angriffs auf die friedenssichernden Maßnahmen, welche die Charta bietet, verwiesen werden. b) Selbstverteidigung gegen koloniale Unterdrückung

Den breitesten Raum in der Diskussion um die Frage der rechtmäßigen Gewaltausübung nahm das Problem der Selbstverteidigung gegen koloniale Unterdrückung ein. Alle sozialistischen und afroWaldock, S.498; so auch Schneider, S.55. So auch Derpa, S.1l5 f., Franck, Changing Nonns Governing the Use of Force by States, S. 821 f.; Graefrath, Grundlegende Völkerrechtsprinzipien, S.489; Jessup, A Modern Law of Nations, S.166; Kelsen, S.797; Kunz, Individual and Collective Self-Defence in Article 51 of the Charter of the UN, S.878; Menzel, VR, S.343; Skubiszewski, Use of Force, S.778; Verdross, VR, S.554; vgl. auch Akehurst, S. 315 ff., der hervorhebt, daß das Kriterium des tatsächlichen Vorliegens eines bewaffneten Angriffs als Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Verteidigungshandlung den Vorteil ihrer objektiven Feststellbarkeit habe. 152

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8. Ausnahmen vom Gewaltverbot

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asiatischen Resolutionsvorschläge, die während der verschiedenen Sitzungsperioden eingebracht wurden, enthielten eine ausdrückliche Bezugnahme auf ein Recht zur Selbstverteidigung gegen koloniale Unterdrückung als Ausdruck des Selbstbestimmungsrechtes. Textentwürfe westlicher Staaten befaßten sich dagegen mit diesem Problem nicht. Bei dem Versuch der Rechtfertigung eines solchen Selbstverteidigungsrechtes im Sonderausschuß lassen sich zwei Argumentationsrichtungen erkennen: Während Vertreter neuer Staaten das Selbstverteidigungsrecht aus dem Recht auf Selbstbestimmung ableiteten i54 , nahmen sozialistische Delegierte eine mehr dogmatische Haltung ein, indem sie die Selbstverteidigung als eine Antwort auf einen bewaffneten Angriff der Kolonialmacht bezeichneten und das Recht so bereits aus Art. 51 SVN entnahmeni55 • In der Begründung des Rechts auf Selbstverteidigung ging der ägyptische Delegierte von dem Bestehen eines völkerrechtlich anerkannten Selbstbestimmungsrechtes aus156 • Zumindest seit der "Declaration on the Granting of Independence to Colonial Countries and Peoples" vom 14.12.1960 (Res. 1514 [XV]) und der Errichtung eines Sonderausschusses zum Zwecke der überwachung und der Ausführung ihrer inhaltlichen Bestimmungen könne an der Anerkennung des Selbstbestimmungsrechtes kein Zweifel mehr bestehen. Es wäre inhaltlos, könnten sich nicht die Träger dieses Rechts gegen alle jene Kräfte zur Wehr setzen - notfalls auch mit Waffengewalt -, die die Ausübung der Selbstbestimmung hindern wollen. Auch der niederländische Vertreter bezeichnete das Recht auf Selbstbestimmung als unbestreitbar, er wollte aber Differenzen, die bei seiner Ausübung entstehen, im Rahmen der friedlichen Beilegung von Streitigkeiten gelöst wissen157 • Bei Uneinigkeiten über das Recht der Selbstbestimmung zu einem Selbstverteidigungsrecht zu greifen, würde die bereits bestehenden Spannungen weiter vergrößern und Frieden und Sicherheit gefährden. Er fand in dieser Argumentation Unterstützung selbst durch zwei afrikanische Delegierte 158 • IgnacioPinto sah in der Niederlegung eines Selbstverteidigungsrechts gegen koloniale Unterdrückung einen Verstoß gegen die Prinzipien der 154 Vgl. Khalil (VAR), A/AC.1I9/SR. 8, S.9/ ähnlich auch Dadzie (Ghana), A/AC.U9/SR.I0, S.14. 155 Vgl. Sahovic (Jugoslawien), AlAC.125/SR. 22, S.12; Covaci (Rumänien), A/AC.125/SR. 25, S. 14; Potocny (Tschechoslowakei), A/AC.125/SR. 26, S.20. 156 Khalil (VAR), AIAC.1I9/SR. 8, S. 9. 157 Riphagen (Niederlande), A/AC.1I9/SR. 7, S.12; ähnlich auch Herrera Ibarguen (Guatemala), AlAC.119/SR.14, S.7; Sa1cedo Dalima (Venezuela), A/AC.119/SR. 16, S.18. 158 Ignacio-Pinto (Dahomey), A/AC.119/SR.I0, S.12; Elias (Nigeria), AlAC. U9/SR. 7, S.22.

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2. Kap.: A. Das Prinzip des Gewaltverbots

Charta, die nach friedlichen Mitteln zur Beilegung von Konflikten verlangen. Ähnlich äußerte sich auch der Vertreter Nigerias, der allerdings in der Selbstverteidigung gegen Kolonialherrschaft ein politisches nicht dagegen ein rechtliches Problem erkannte. Daher sei es nicht ratsam, ein solches Recht in einen Prinzipienkatalog des Völkerrechts aufzunehmen. Delegierte sozialistischer Staaten unterstützten den afro-asiatischen Wunsch nach Aufnahme eines Rechts zur Gewaltanwendung gegen Kolonialmächte in die Deklaration mit der Feststellung, Kolonialvölker und nationale Befreiungsbewegungen besäßen Völkerrechtssubjektivität159 • Militärische Maßnahmen duch die Kolonialstaaten zur Unterdrückung der Befreiungsbewegungen seien daher als eine nach Art. 2 Abs. 4 SVN verbotene Gewaltanwendung anzusehen. Infolgedessen gewähre Art. 51 SVN das Recht zum Widerstand. Der sowjetische Vertreter verwies in seinem Beitrag während der 101. Sitzung des Sonderausschusses zur Untermauerung der These vom Selbstverteidigungsrecht auf die historische Entwicklung vieler Staaten vom Zustand der Abhängigkeit hin zur politischen und wirtschaftlichen Selbständigkeit1 60 • Niemand würde heute den gerechten Kampf etwa der USA, Mexikos oder der Niederlande zur Erreichung ihrer Unabhängigkeit in Frage stellen. Es sei daher unlogisch, das Recht der Kolonialvölker auf Erreichung eben dieses Zustandes mit den Mitteln bewaffneter Gewalt ausschließen zu wollen. Westliche Delegationen vertraten demgegenüber die These, das Selbstverteidigungsrecht des Art.51 SVN stehe nur den Staaten als den Objekten völkerrechtlicher Gewaltanwendung zu 161 • Der Versuch, das Selbstbestimmungsrecht als eine Ausnahme zum Gewaltverbot des Art. 2 Abs.4 SVN zu sehen, sei eine Verletzung der Regeln der Interpretation und ignoriere die Bestimmungen der Charta in den Kapiteln XI, XII und XIIp62. Viele westliche Sprecher verwiesen noch darauf, daß das völkerrechtliche Selbstverteidigungsrecht nur eingreife gegenüber kriegerischen Handlunngen im internationalen Bereich 163 • Militärische Aktionen von Widerstandsbewegungen gegenüber ihren Kolonialmächten verliefen dagegen, soweit es die Rechtfertigung von Ge159 Vgl. Sahovic (Jugoslawien), A/AC.125/SR. 22, S.12; Potocny (Tschechoslowakei), A/AC.125/SR. 26, S.20. 160 Mendelevich (USSR), AI AC.125/SR. 101, S. 24 f. 161 Vgl. Sir Bailey (Australien), AlAC.125/SR. 19, S.6; Wershof (Kanada), A/AC.125/SR.23, S.l1; Reis (USA), A/AC.125/SR. 62, S.15; Sinclair (Vereinigtes Königreich), ·A/AC.125/SR. 65, S.7. 162 So Reis (USA), A/AC.125/SR. 62, S. 15. 163 Vgl. dazu ausführlicher den Abschnitt über die Gewaltanwendung in den "internationalen Beziehungen" der Staaten, infra 2. Kap., A, 5.

8. Ausnahmen vom Gewaltverbot

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waltanwendung betreffe, im völkerrechtsfreien Raum. Art. 2 Abs. 4 SVN erfasse weder die Unterdrückungsmaßnahmen der Kolonialstaaten noch die Verteidigungshandlungen der Kolonialvölker. Die Diskussionen und die dabei zutage tretenden unterschiedlichen Auffassungen zeigten bereits in den ersten Sitzungsperioden des Ausschusses, daß eine Einigung in dieser Frage nicht zustande kommen würde. Die neuen Staaten, unterstützt von den sozialistischen Ländern, waren nicht bereit, die These von der Existenz eines Selbstverteidigungsrechtes gegen koloniale Unterdrückung aufzugeben, während westliche Delegierte nur das Zugeständnis machen wollten, die Verweigerung des Selbstbestimmungsrechts sei eine Verletzung der Charta und eine ernste Friedensgefährdung, die Maßnahmen im Rahmen der Art. 39 ff. SVN ermögliche. Schließlich gelang auf Vorschlag des jugoslawischen Delegierten der befreiende Kompromiß. Er löste die Meinungsgegensätze dadurch, daß er die Frage der Einordnung eines Verteidigungs rechtes der Kolonialvölker in den Prinzipienkatalog der Deklaration als ein Problem mehr technischer Natur bezeichnete 164 • Den westlichen Delegationen fiel es nun leichter, der Erfassung einer Formulierung, welche die Ausübung des Rechts auf Selbstbestimmung und seine Unterstützung durch dritte Staaten - in übereinstimmung mit der Charta - zuläßt, beim Prinzip der gleichen Rechte und der Selbstbestimmung der Völker zuzustimmen165 • Mit diesem Zugeständnis hofften sie, der Diskussion um die Anerkennung eines völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrechts gegen Kolonialstaaten als Ausnahme zu dem Verbot des Art. 2 Abs.4 SVN die Basis entzogen zu haben166 • Dennoch zeigte sich in den Beiträgen zur letzten Sitzung des Ausschusses am 1. 5. 1970, daß Vertreter sozialistischer und afro-asiatischer Staaten ungeachtet der Tatsache, daß ein Selbstverteidigungs recht der Kolonialvölker im Prinzip des Gewaltverbots nicht normiert wurde, ein Recht zur Gewaltanwendung, einschließlich bewaffneter Maßnahmen, als gegeben ansahen167 • Angesichts der unterschiedlichen Auffassungen der Delegierten zu dieser Frage, auch nach der Einigung auf einen gemeinsamen Text, kann diese übereinstimmung lediglich formalen Charakter tragen.

Vgl. Sahovic (Jugoslawien), A/AC.125/SR. 87, S.51. Vgl. Paragraph 5 der Formulierung des Prinzips der gleichen Rechte und der Selbstbestimmung der Völker in der Deklaration. 166 Vgl. Davis (Australien), AlAC.125/SR. 114, S.63; Sinclair (Vereinigtes Königreich), A/AC.125/SR. 114, S. 74; ähnlich auch Virally (Frankreich), A/AC. 125/SR. 114, S. 49. 161 Vgl. Sahovic (Jugoslawien), AlAC.125/SR. 114, S.51; Slämovä (Tchechoslowakei), A/AC.125/SR.114, S.61; AHaf (Syrien), AlAC.125/SR. 114, S.64; ähnlich auch Njenga (Kenia), A/AC.125/SR. 114, S.59. 164 165

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2. Kap.: A. Das Prinzip des Gewaltverbots

Es ist daher zu erörtern, ob der allgemein gefaßte Text der Deklaration zu den Fällen erlaubter Gewaltanwendung ein Selbstverteidigungsrecht gegen koloniale Unterdrückung einschließtl68 • Die Charta der Vereinten Nationen enthält die für die Mitglieder verbindlichen Ausnahmen zum Gewaltverbot des Art.2 Abs.4 SVN. Das Recht der Gewaltanwendung im Rahmen der Selbstverteidigung wird in Art. 51 SVN - wie bereits dargestellt - abschließend geregelt; er stellt daher im Falle der Selbstverteidigung die einzige Ausnahme zu Art.2 Abs.4 SVN dar. Art. 51 SVN gewährt das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung den Mitgliedern der Vereinten Nationen gegen einen bewaffneten Angriff. Mitglieder aber sind nur Staaten. Infolgedessen läßt sich ein Recht von Befreiungsbewegungen und Kolonialvölkern zur Selbstverteidigung aus der Charta nicht ableiten. Aber auch die Regeln des allgemeinen Völkerrechts über die Ausübung von Gewalt in Selbstverteidigung betreffen nur die Staaten, da nur diese die Objekte völkerrechtswidriger Gewaltanwendung sind. Im übrigen ergibt sich das Nichtbestehen eines Selbstverteidigungsrechts auch aus dem Sinn und Zweck der Charta. Sie will in Art. 2 Abs. 4 SVN ungeachtet der wenigen Ausnahmen ein umfassendes Gewaltverbot auf zwischenstaatlicher Ebene schaffen. Dabei legt die Charta das Hauptgewicht auf die Erhaltung des Friedens, der für sie kein ethischer Begriff, sondern ein Ordnungsfaktor ist1 69 • Friede bedeutet ihr nicht das Ergebnis gerechter übereinkunft der Staaten, sondern, soweit er sich auf das Gewaltverbot bezieht, den Zustand allgemeiner zwischenstaatlicher Gewaltlosigkeit. Zur Erreichung dieses überragenden Zieles verbietet Art. 2 Abs. 4 SVN daher auch einseitige Gewaltanwendung durch die Staaten, um Verbrechen gegen die Menschlichkeit Einhalt zu gebieten, oder die Wiedererlangung verlorener Freiheiten und die Zurückgewinnung völkerrechtswidrig okkupierter Gebiete zu erreichen17O • Die Zubilligung eines Selbstverteidigungsrechts gegen koloniale Unterdrückung würde den Versuch der völkerrechtlichen Rechtfertigung "gerechter" Kriege wieder aufleben lassen; gerade dies aber will die Charta durch ihre Grundentscheidung für den Frieden im Sinne eines Ordnungsbegriffs verhindern l71 • Es ist somit festzustellen, daß sich ein Selbstverteidigungsrecht von Befreiungsbewegungen 168 Abs.13 des Prinzips des Gewaltverbots: "Nothing in the foregoing paragraphs shall be construed as enlarging or diminishing in any way the scope of the provisions of the Charter concerning cases in which the use of force is lawful." 169 Dahm, VR Bd 2, S.361; so auch Berber, VR Bd 2, S.43; Kewenig, Gewaltverbot, S. 209. 170 So Dahm, VR Bd 2, S.361. 171 Siehe auch Falk, The New States, S.47.

8. Ausnahmen vom

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und Kolonialvölkern weder aus dem allgemeinen Völkerrecht noch aus dem Recht der Charta ergibt. Ihre Aktionen sind als Maßnahmen im Rahmen innerstaatlicher Ordnungen zu werten und werden durch das Völkerrecht und die Charta weder erlaubt noch eingeschränkt l72 • In diesem Sinne ist auch die Verweisung des Absatzes 13 des Deklarationstextes zum Gewaltverbot auf die Vorschriften der Charta, welche die Gewaltanwendung rechtmäßig machen, zu verstehen. c) Militärische Maßnahmen der Vereinten Nationen

Als weitere Ausnahme zum Gewaltverbot wurde im Sonderausschuß die Möglichkeit militärischer Maßnahmen durch die Vereinten Nationen erörtert. Die Diskussion entzündete sich an den Formulierungen westlicher und afro-asiatischer Resolutionsentwürfe, welche die im Einklang mit der Charta von einem kompetenten Organ der Vereinten Nationen angewandte Waffengewalt vom Gewaltverbot ausklammerte. Besonderen Anstoß durch sozialistische Delegierte erregte der Text des britischen Vorschlags zur ersten Sitzungsperiode, der in Paragraph 5 die Anwendung von Waffengewalt auch durch oder unter Befürwortung der Vollversammlung vorsah. Der sowjetische Vertreter kritisierte, daß der britische Entwurf sich nicht auf die Anwendung militärischer Maßnahmen durch den Sicherheitsrat beziehe, sondern ausdrücklich nur die Vollversammlung als ein zur Gewaltanwendung berechtigtes Organ bezeichne 173 • Gerade insoweit aber entspreche der Vorschlag nicht dem Recht der Charta, nach der die Mitgliedstaaten die "primäre" Verantwortung für die Aufrechterhaltung des Friedens und der internationalen Sicherheit dem Sicherheitsrat übertragen hätten174 • Dieser trage die alleinige Verantwortung und damit auch das Entscheidungsrecht für die Anwendung von Waffengewalt durch die Organisation der Vereinten Nationen 172 Im Ergebnis auch Bowett, Self-Defence, S.149; Dahm, VR Bd 2, S.361; Dugard, S. 168; Skubiszewski, Use of Force, S.771; Tung, S.212. Anders die sowjetische Literatur: Vgl. Tunkin, Das Völkerrecht der Gegenwart, S.44, nach dem der Widerstand einer Kolonialmacht gegen die Ausübung der Selbstbestimmung durch das unterdrückte Volk eine Verletzung des Völkerrechts darstellt. Daher müsse eine Nation, die für ihre Unabhängigkeit und die Schaffung eines eigenen Staates kämpfe, als Völkerrechtsobjekt angesehen werden, obwohl sie infolge des Widerstandes der Kolonialisten noch keinen selbständigen Staat habe bilden können, sondern sich erst auf dem Wege zu seiner Bildung befinde. Ähnlich auch Bobrov, S.53, der Befreiungskriege als Selbstverteidigung gegen Aggression betrachtet; Starushenko, S. 191 ff.; vgl. auch Ramundo, Peaceful Coexistence, S. 146 f. mit weiteren Nachweisen aus der sowjetischen Literatur. 173 Khlestov (USSR), A/AC.1l9/SR. 14, S.12. 174 So auch Critescu (Rumänien), A/AC.1l9/SR.7, S.18 und SR. 16, S.6; Pechota (Tschechoslowakei), A/AC.125/SR. 18, S.13.

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2. Kap.: A. Das Prinzip des Gewaltverbots

oder die auf Grund einer Empfehlung von den Mitgliedern ausgeübten militärischen Maßnahmen. In dieser Argumentation wurde ein ernster Widerspruch (und eigentlich auch der einzige zur Frage des Gewaltverbots) zwischen der sozialistischen Einstellung und der Haltung der blockfreien Staaten erkennbar. Die zu politischer Selbständigkeit erwachenden jungen Staaten sahen die Aufgabe der Friedenssicherung infolge der Hegemonialstellung der Großmächte im Sicherheitsrat und durch das Vetorecht gefährdet und versuchten deshalb auch ihren Einfluß zur Erhaltung des Weltfriedens geltend zu machen l75 • Wenn Gewaltanwendung durch den Sicherheitsrat bei Einlegung eines Vetos nicht möglich sei, die Friedensgefährdung aber andauere, müsse die Vollversammlung die Aufgabe des Sicherheitsrates übernehmen können, um auch ihrer Verpflichtung zur Aufrechterhaltung des Friedens nachzukommen. Gerade dabei könnten die neuen Staaten einen bedeutenden Beitrag leisten. Trotz solcher Argumente wollte sich der sowjetische Delegierte nicht auf eine Formulierung einlassen, welche der Vollversammlung Rechte bezüglich der Anwendung von Gewalt zubilligte. Er gestand ihr zwar das Recht zur Erörterung von Fragen zu, welche die Aufrechterhaltung von Frieden und Sicherheit behandelten, und Empfehlungen abzugeben; sollten aber Aktionen mit Waffengewalt notwendig sein, so müßten diesbezügliche Fragen vor oder nach ihrer Erörterung durch die Vollversammlung an den Sicherheitsrat zur weiteren Veranlassung überwiesen werden l76 • Der Delegierte der USA billigte diesen Vorbehalt auf der 96. Sitzung des Sonderausschusses, indem er ihn in unbedeutender Weise modifizierte 177 • In dieser Erklärung schien sich das grundsätzliche Einverständnis der Großmächte bei der Abfassung des Teils des Deklarationstextes, der sich mit den Ausnahmen zum Gewaltverbot des Art. 2 Abs.4 SVN befaßt, anzubahnen. Während die neuen Staaten, mit teilweiser Unterstützung durch Schweden, einen Katalog von Ausnahmen zum allgemeinen Gewaltverbot in die Deklaration aufnehmen wollten l7B , um dadurch einen größeren Grad von 175 Vgl. Van Lare (Ghana), A/AC.125/SR. 64, S.16; ähnlich Shitta-Bey (Nigeria), A/AC.125/SR. 86, S.40; Nachabe (Syrien), AlAC.125/SR. 65, S.l1; Kamat (Indien), A/AC.125/SR. 88, S.63. 176 Mendelevich (USSR), AlAC.125/SR. 96, S.179 f. 177 Vgl. Reis (USA), A/AC.125/SR. 96, S. 180. m Vgl. Kamat (Indien), A/AC.125/SR. 88, S. 63; Blix (Schweden), AlAC.125/ SR. 86, S. 44. Der Katalog sollte enthalten: Das Recht zur 1. individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung nach Art.51 SVN; 2. Gewaltanwendung durch die Organisation der Vereinten Nationen, die im Einklang mit der Charta steht; 3. Gewaltanwendung durch die Mitgliedstaaten auf Grund einer Entscheidung der Vereinten Nationen (auch der Vollversammlung); 4. Verteidigung gegen Kolonialherrschaft.

8. Ausnahmen vom

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Klarheit zu erreichen, war sowohl den westlichen wie auch den sozialistischen Ländern aus unterschiedlichen Gründen nicht dar an gelegen. Westliche Delegierte sträubten sich gegen die Fixierung eines Rechts zur Selbstverteidigung gegen koloniale Unterdrückung, während sie alle anderen Ausnahmen akzeptierten; sozialistische Vertreter dagegen wollten keinesfalls eine Beteiligung der Vollversammlung an militärischen Maßnahmen der Vereinten Nationen anerkennen; sie sprachen sich andererseits ausdrücklich für ein Selbstverteidigungsrecht der Kolonialvölker aus. Bei dieser Interessenlage blieb ein Komprorniß im Wege gegenseitigen Nachgebens auf eine allgemein gehaltene Formel zur erlaubten Gewaltanwendung nicht aus, welche die in den Ausschuß gesetzte Hoffnung zerstörte, er werde die zahlreichen unterschiedlichen, teilweise auch friedensgefährdenden Auffassungen zur erlaubten Gewaltanwendung durch eine klare und unmißverständliche Aussage für die Zukunft ersetzen. Gerade im Bereich der Ausnahmen zum allgemeinen Gewaltverbot, deren vieldeutige Interpretation durch die Staaten Hauptursache der häufigen Friedensverstöße ist, wäre es notwendig gewesen, die Grenzen der Handlungsfreiheit der Staaten in einem umfassenden Katalog niederzulegen. Es bleibt nun festzustellen, ob die allgemein gehaltene Formulierung der Deklaration zur erlaubten Gewaltanwendung auch solche Waffenanwendung erfaßt, die auf Grund einer Entscheidung der Vollversammlung erfolgt. Ausgangspunkt für eine Entscheidung in dieser Frage ist die Aufgabenverteilung zwischen Vollversammlung und Sicherheitsrat, welche die Charta in Art. 24 vornimmt. Danach haben die Mitglieder im Rahmen der sich aus Art. 10 SVN ergebenden Allzuständigkeit der Vollversammlung die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens auf den Sicherheitsrat übertragen. Dieser nimmt somit eine abgeleitete Handlungsgewalt wahr179 • Sinn der Regelung war es, eine schnelle und wirkungsvolle Handhabe zur Bekämpfung von Krisen zu schaffen. Soweit dieses Ziel durch die Handlungsunfähigkeit des Sicherheitsrates jedoch nicht erreicht werden kann, muß die in dem Wort "Hauptverantwortung" (primary responsibility) zum Ausdruck kommende subsidiäre Zuständigkeit der Vollversammlung für die Wahrung des Weltfriedens und der Sicherheit wieder Geltung erlangen180 • Die Vollversammlung ist daher befugt, unter den Voraussetzungen der Art. 10, 11 Abs.2 und Art. 12 Abs.1 SVN Zwangsmaßnahmen zu empfehlen. Eine Einschränkung der Empfehlungsbefugnis ergibt sich allerdings aus dem verfahrensrechtlichen Hindernis, das Art. 11 Abs.2 und Art. 12 Abs.1 SVN errichten. Diese Vorschriften hindern 179 Vgl. Detbrück, Die Entwicklung des Verhältnisses von Sicherheitsrat und Vollversammlung der Vereinten Nationen, S.95. 180 Vgl. dazu Dahm, VR Bd 2, S. 401; Kelsen, S. 974 f.; VaHat, S. 265.

7 Graf zu Dohna

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2. Kap.: A. Das Prinzip des Gewaltverbots

die Vollversammlung, Empfehlungen zu verabschieden, bevor nicht der Sicherheitsrat mit der Angelegenheit befaßt war. Erst wenn dieser die Möglichkeit hatte, seine primäre Verantwortung auszuüben, geht bei Nichtwahrnehmung dieses Rechts die Handlungsgewalt auf die Vollversammlung über. Insoweit eröffnet die "Uniting for Peace"Resolution vom 3.11. 1950181 im Einklang mit der Charta der Vollversammlung auch die Möglichkeit, im Falle eines Friedensbruchs oder eines Aktes von Aggression den Mitgliedern nötigenfalls die Anwendung von Waffengewalt zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des Friedens und der Sicherheit zu empfehlen l82 • Dem Einwand, hierdurch werde die Vetoausübung im Sicherheitsrat umgangen, kann damit begegnet werden, daß die Feststellungen der Vollversammlung in bezug auf friedenssichernde Maßnahmen nur empfehlenden Charakter tragen und nicht wie Beschlüsse des Sicherheitsrates für die Mitglieder bindende Wirkung haben. Insofern bleibt zumindest den Staaten, welche der Empfehlung nicht zugestimmt haben, die Möglichkeit, ihr nicht Folge zu leisten. Wurde die Empfehlung der Vollversammlung ausgelöst, um die durch eine Vetoausübung blockierte Tätigkeit des Sicherheitsrates zu umgehen, so ist dadurch die Grundlage geschaffen, den Willen der Mehrheit zu Aktionen der Friedenserhaltung durchzusetzen. Die Empfehlung enthält auch keine Entscheidung über den veto ausüb enden Staat hinweg, weil sie keine Bindungswirkung diesem gegenüber besitzt. Stone und Verdross sehen in einer Empfehlung durch die Vollversammlung zur Anwendung von Waffengewalt nichts anderes als eine an die Mitglieder gerichtete Aufforderung, vom Recht der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung Gebrauch zu machen oder aber sie vorzubereiten l83 • Diese Auslegung muß aber als zu eng betrachtet GA Res.377 (V). Andrassy, Uniting for Peace, S. 563 ff.; Dahm, VR Bd 2, S.405; Delbrück, Sicherheitsrat und Vollversammlung, S.96, vgl. dort auch näher zum verfahrensrechtlichen Problem bei Handlungsunfähigkeit des Sicherheitsrates infolge einer Vetoausübung; Schwarz-Liebermann, Mehrheitsentscheid und Stimmenwägung, S. 152 ff.; Vallat, S.267. Ablehnend Bobrov, S.47; so auch Brugiere, Les Pouvoirs de l'Assemblee Generale des Nations Unies, S.408, der seine Haltung zu eng auf die ursprünglich beabsichtigte Aufgabenteilung zwischen VV und Sicherheitsrat stützt. Kewenig, Gewaltverbot, S. 197 f., unterscheidet zwischen Empfehlungen der Vollversammlung zur Anwendung militärischer Gewalt und den sonstigen Zwangsmaßnahmen. Bezüglich militärischer Maßnahmen im Sinne des Kapitels VII der Charta (UActions with respect to threats to the peace, breaches of the peace, and acts of aggression") lehnt er eine Anordnungsbefugnis der VV ab. Kewenig befindet sich in Übereinstimmung mit dem Gutachten des IGH im Finanzstreit, vgl. ICJ Reports 1962, Certain expenses of the United Nations, Advisory Opinion, S. 164. Morozov, International Law and the UN, S. 127, nach dem die Aufgabe des "peace-keeping" ausschließlich beim Sicherheitsrat liegt. 183 Vgl. Stone, S. 272 ff.; Verdross, VR, S.654. 181

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9. Verantwortlichkeit für Aggressionskriege

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werden, da sie eine Gewaltanwendung nur unter der Voraussetzung des Art. 51 SVN zulassen würde; zu einer rechtmäßigen Gewaltausübung in Verteidigung bedarf es keiner legitimierenden Resolution. Im übrigen verkennen Stone und Verdross mit dieser Ansicht die subsidiäre Stellung der Vollversammlung in der Verantwortung für die Wahrung des Weltfriedens, die immer dann zum Zuge kommen muß, wenn der Sicherheitsrat handlungsunfähig geworden ist1 84 • Die Formulierung der Ausnahmen vom Gewaltverbot in der Deklaration erfaßt auch diejenige Anwendung von Waffengewalt, die auf Grund einer Empfehlung der Vollversammlung erfolgt. 9. Verantwortlichkeit für Aggressionskriege

Das besondere Anliegen sozialistischer Staaten, das Gewaltverbot zu verbinden mit einer Formulierung, die sowohl die staatliche Haftung wie auch die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Einzelpersonen für die Planung, Vorbereitung, Anzettelung und Führung von Angriffskriegen vorsieht, kam in dem tschechoslowakischen Resolutionsentwurf zur ersten Sitzungsperiode des Sonderausschusses zum Ausdruck l85 . Dagegen enthielten weder der britische noch der Resolutionsvorschlag der blockfreien Staaten eine Klausel, die sich mit der Verantwortlichkeit von Staaten und Einzelpersonen hinsichtlich Aggressionskriegen befaßte. In den Diskussionen während der ersten Sitzungsperiode ging der amerikanische Delegierte auf den tschechoslowakischen Entwurf ein, indem er die dort vorgeschlagene Regelung als unnötig und vom Mandat des Ausschusses nicht umfaßt bezeichnete l86 • Jedoch schon zur zweiten Sitzungsperiode fanden sich Australien, Kanada, das Vereinigte Königreich und die USA zu einem gewissen Zugeständnis gegenüber der sozialistischen Seite bereit, indem sie aus dem tschechoslowakischen Entwurf die Brandmarkung von Angriffskriegen als internationale Verbrechen gegen den Frieden in den Paragraphen 2 a ihres eigenen Resolutionsvorschlages übernahmen. Dennoch gingen sie nicht so weit, Zuwiderhandlungen gegen das völkerrechtliche Verbot mit Rechtsfolgen zu belegen. Die westliche Zurückhaltung gegenüber einer ausdrücklichen Formulierung der Verantwortlichkeit für Aggressionskriege 184 Die Praxis der VN zeigt, daß die VV von der Möglichkeit, den Mitgliedern die Anwendung von Waffengewalt zu empfehlen, bislang noch keinen Gebrauch gemacht hat; über die Empfehlung zum Abbruch der Handels- und politischen Beziehungen ist sie nicht hinausgegangen. Dies spiegelt die Zurückhaltung der VV angesichts der politischen Implikationen einer weiterreichenden Empfehlung wider. Vgl. dazu auch Skubiszewski, Use of Force, S.793. 185 Vgl. AlAC.119/L.6, Paragraph 2, a.a.O. 186 Schwebel (USA), A/AC.119/SR. 15, S.18.

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2. Kap.: A. Das Prinzip des Gewaltverbots

beruhte wohl auch auf der Tatsache, daß eine allgemeingültige Definition des Begriffs "Aggression", auf die sich die vom tschechoslowakischen Vertreter vorgesehenen Rechtsfolgen gründen sollten, nicht vorlag187 • Die von Potocny 188 zur überbrückung des westlichen Widerstandes vorgeschlagene Definition, die Substanz des Begriffes Aggression sei abgesehen von allen sonstigen Divergenzen ein "armed attack by one state to another", konnte die westlichen Zweifel nicht ausräumen. Auch sein Hinweis darauf, daß bereits die Charta des Nürnberger Militärtribunals und die des Militärtribunals für den Fernen Osten sowie die Resolutionen 95 (I) und 110 (II) der Vollversammlung das Bestehen einer politischen und materiellen Verantwortlichkeit für die Führung von Angriffskriegen aufzeigen, vermochte anfangs nicht zu überzeugen189 • Der vom Vereinigten Königreich zur dritten Sitzungsperiode eingebrachte Entwurf führte schließlich zu einer für alle Seiten annehmbaren Lösung190 • Er stellte fest, daß Aggressionskriege als Verbrechen gegen den Frieden anzusehen seien, für die eine Verantwortlichkeit nach den Regeln des Völkerrechts bestehe. Die Formulierung vermied somit jegliche Konkretisierung dieser Verantwortlichkeit auf den staatlichen und persönlichen Bereich, wie sie der tschechoslowakische Entwurf enthielt. In dieser allgemeinen Form fand die Formulierung als zweiter Absatz Eingang in den Text der Deklaration zum Gewaltverbot. Die im Wege beiderseitigen Nachgebens erzielte Einigung ist allerdings - wie in allen internationalen Kodifikationsbemühungen - als kennzeichnend auch für die Arbeit des Sonderausschusses anzusehen, Formulierungsübereinstimmung durch ein Ausweichen auf einen allgemeinen und damit mehrdeutigen Text zu erreichen. Eine Einigung in materieller Hinsicht dürfte nicht erzielt worden sein. Vielmehr ist anzunehmen, daß die sozialistische Seite der Formulierung einen weiten Rahmen beimißt, von ihr sowohl die staatliche wie auch die völkerstrafrechtliche Verantwortung von Einzelpersonen umfaßt sieht, während sich die westliche Interpretation in der bloß staatlichen Haftung erschöpft. Es stellt sich daher die Frage, ob und inwieweit die in der 187 Vgl. Reis (USA), AJAC.125/SR. 62, S.14; andeutungsweise Versuche zur Definition des Begriffs Aggressionskrieg machten Reis, AJAC.125/SR. 96, S.157, Miller (Kanada), A/AC.125/SR. 96, S.162 und Sinc1air (Vereinigtes Königreich), AJAC.125/SR. 96, S.164. 188 Potocny (Tschechoslowakei), AJAC.125/SR. 26, S.18. 189 Ebd., S . 19; vgl. auch Pechota (Tschechoslowakei), A/AC.125/SR. 62, S.8. 190 AJAC.125/L.44, Paragraph 2 a, a.a.O.; eigenartigerweise haben sich die Resolutionsentwürfe blockfreier und südamerikanischer Staaten mit der staatlichen und persönlichen Verantwortlichkeit für Aggressionskriege nicht beschäftigt. Sie enthalten lediglich die Feststellung, Aggressionskriege stellten internationale Verbrechen gegen den Frieden dar. Vgl. dazu AJAC.125/L.48, Paragraph 3, a.a.O. und AJAC.125/L. 49/Rev.1, Paragraph 2 a, a.a.O.

9. Verantwortlichkeit für Aggressionskriege

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Deklaration getroffene Formulierung geltendem Völkerrecht entspricht. Zunächst ist zu erörtern, ob das allgemeine Völkerrecht oder das Völkervertragsrecht eine strafrechtliche Verantwortlichkeit für die Führung von Aggressionskriegen vorsieht. Bestimmungen wie der Briand-Kelloggpakt oder die Satzung der Vereinten Nationen, die ein Verbot des Angriffskrieges enthalten und sowohl Völkervertragsrecht wie auch bereits -Gewohnheitsrecht darstellen, sehen keine strafrechtliche Verantwortlichkeit von Einzelpersonen bei Zuwiderhandlungen vor. Erst die Charta des Nürnberger Militärtribunals vom 8. 8. 1945 (Londoner Abkommen) führte eine Strafbestimmung ein, mit der Angriffskriege als Verbrechen gegen den Frieden geahndet wurden (§ 6). Diese Bestimmung stellt jedoch keine Norm des allgemeinen Völkerrechts dar. Zwar war die strafrechtslogische Voraussetzung des Verbrechens gegen den Frieden, nämlich das Verbot des Krieges und damit die Rechtswidrigkeit der Zuwiderhandlung, bereits bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges gegeben (BriandKelloggpakt, Vertrag von Loearno ete.), es gab aber keinen völkerrechtlichen Straftatbestand des Verbrechens gegen den Frieden (weder gewohnheitsrechtlich noch auf vertraglicher Grundlage)191. So mangelt es zwar einerseits nicht am Erfordernis der Rechtswidrigkeit, wohl aber an der völkerrechtlichen Anerkennung der individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit. Auch die Tatsache der Wiederholung der Nürnberger Prinzipien in der Resolution 95 (I) vom 11. 12. 1945 durch die Vollversammlung konnte verbindliches Völkerrecht nicht einmal für die zustimmenden Staaten schaffen 192 . Dies schien ebenso die überzeugung der Mitglieder der Vereinten Nationen zu sein, denn anders läßt sich die Resolution 177 (II) vom 21. 11. 1947 193 nicht verstehen, in der die zu gründende ILC aufgefordert wurde "to formulate the prineiples of International Law reeognized in the Charter of the Nürnberg Tribunal ... ". Warum sonst sollte es notwendig gewesen sein, die bereits in der Resolution 95 (1)194 niedergelegten Prinzipien erneut zu formulieren. Im Jahre 1950 legte die ILC schließlich einen Entwurf von sieben "in der Charta und dem Urteil des Nürnberger Gerichtshofes anerkannten Völkerrechtsprinzipien" vor, der von der Vollversammlung jedoch nicht verabschiedet wurde 195 • Auch ein im 191 So Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, S.179; ähnlich Runge, S.100. 192 Vgl. Berber, VR Bd 2, S.255. 193 Vgl. UNYB 1947/48, S.215. 194 UNYB 1946/47, S.254. 195 Vgl. dazu Berber, VR Bd 2, S. 261 f.; Brownlie, International Law, S. 206 f.

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2. Kap.: A. Das Prinzip des Gewaltverbots

Jahre 1951 geschaffener und 1954 revidierter Entwurf eines Vertrages "über die Vergehen gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschheit", der eine ausdrückliche Verantwortlichkeit bezüglich des Verbrechens gegen den Frieden enthält, wurde von der Vollversammlung am 4.12.1954 bis zur Klärung des Begriffs "Aggression" zurückgestellt196. Es dürfte damit eine völkervertragliche Regelung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit wegen eines Verbrechens gegen den Frieden nicht bestehen. Darüber hinaus enthält Artikel 6 a der Charta des Nürnberger Tribunals auch keine Transformation etwa bestehenden Völkerrechts, sondern stellt neu es Völkerrecht dar, in der Form von Besatzungsrecht, das keine Rückendeckung im allgemeinen Völkergewohnheitsrecht findet 197. Es konnte daher völkerrechtliche Geltung nur unter den Vertragsparteien erlangen198 . Im übrigen bedeutet die Konzeption des Verbrechens gegen den Frieden auch keine Weiterentwicklung eines in der Bildung begriffenen Rechts, "denn als Rechtssatz war die Strafbarkeit des verbotenen Krieges noch nicht einmal in seinen Anfängen erkennbar"199. Sie kann somit nur als eine rechtspolitische Forderung gewertet werden. Noch ein weiterer Grund spricht gegen die Annahme einer völkerrechtlichen Anerkennung der individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit schuldiger Staatsorgane: Die Staaten haben sich noch nicht bereit gefunden, sich einer internationalen Strafgerichtsbarkeit zu unterwerfen. Voraussetzung aber der internationalen Strafsanktion eines Verbrechens gegen den Frieden ist das Vorhandensein eines von allen Staaten anerkannten Rechtsprechungsorganes, das unabhängig vom Verhältnis Sieger - Besiegter Maßnahmen zu vollziehen in der Lage ist. Alle anderen Rechtsprechungseinrichtungen, etwa ad hocGerichte, würden sich des Eindrucks nicht erwehren, als Richter in eigener Sache zu handeln, zumal sie nur vom Sieger zum Zwecke der Aburteilung des Besiegten eingerichtet werden könnten2oo . Gerade ein solches Verfahren müßte dann als Abweichung vom sonstigen Verhalten der Staaten in der Staatengemeinschaft angesehen und deshalb als ungerecht empfunden werden201 . Aus den dargelegten Gründen kann Brownlie 202 nicht zugestimmt werden, der die Nürnberger Prinzipien bereits als Teil des allgemeinen Völkerrechts betrachtet. 196 Vgl. Berber, VR Bd 2, S. 261 f. 197 So Jescheck, S. 179 f. 198 So Berber, VR Bd 2, S.257. 199 So Jescheck, S. IBO. 200 Vgl. Dahm, VR Bd 3, S.292. 201 So Menzel, VR, S. 299 f. 202 Vgl. Brownlie, International Law, S. 193 f. (mit weiteren Nachweisen auf Seite 194, Fußnote 1); für die Anerkennung einer völkerstrafrechtlichen

10. Ergebnis

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Die Formulierung des zweiten Absatzes des Prinzips des Gewaltverbots betrifft daher in ihrer allgemein gehaltenen Form "for which there is responsibility under international law" nicht die individuelle völker strafrechtliche Verantwortlichkeit schuldiger Staatsorgane. Dagegen erfaßt die Formulierung die völkerrechtliche Haftung eines Staates in Form von Schadensersatzleistung für die gegenüber einem anderen Staat erfolgte rechtswidrige Anwendung von Waffengewalt. Damit nämlich wird die völkerrechtliche Verpflichtung zum Verzicht auf Gewaltanwendung verletzt, die wie jede Nichtbeachtung einer völkerrechtlichen Verpflichtung nach den allgemeinen Regeln des internationalen Rechts eine Schadensersatzleistung verlangt203. Es darf jedoch nicht übersehen werden, daß die Durchsetzung dieser Verpflichtung immer dann auf Schwierigkeiten stoßen wird, wenn der Aggressor zugleich auch Sieger ist. Dies hindert jedoch nicht das Bestehen eines diesbezüglichen Rechtssatzes als Norm des allgemeinen Völkerrechts. 10. Ergebnis Die Absätze 1, 3, 4, 5, 6, 8, 9, 12, 13 des Prinzips des Gewaltverbotes geben geltendes Völkerrecht wieder, während die Absätze 2, 7, 10, 11 eine Weiterentwicklung geltenden Völkerrechts bzw. bloße Programmvorschriften enthalten.

B. Das Prinzip der Nichtintervention No State or group of States has the right to intervene, directly or indirectly, for any reason whatever, in the internal or external affairs of any other State. Consequently, armed intervention and aU other forms of interference or attempted threats against the personality of the State or against its political, economic and cultural elements, are in violation of international law. No State may use or encourage the use of economic, political or any other type of measures to coerce another State in order to obtain from it the Verantwortlichkeit auch Tunkin, Coexistence, S.28; ders., Der ideologische Kampf, S. 405 f.; ähnlich wohl auch Jessup, S.161. Gegen die Annahme einer völkerrechtlichen Anerkennung der individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit für Verbrechen gegen den Frieden (Agressionskrieg) auch Dahm, VR Bd 3, S.305; Kelsen, S.738; Mähler, Die völkerrechtliche Bedeutung des Kriegs- und Gewaltverbots durch KellogPakt und UN-Satzung insbesondere im Hinblick auf das Neutralitätsrecht, die Bestrafung von Staatsorganen wegen "Verbrechens gegen den Frieden" und das Recht des Gebietserwerbs, S. 86 ff., 93; Reich, S.106; Runge, S.100; Verdross, VR, S.220. 203 So auch Berber, VR Bd 3, S. 3 f.; Brownlie, International Law, S.147.

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2. Kap.: B. Das Prinzip der Nichtintervention

subordination of the exercise of its sovereign rights and to secure from it advantages of any kind. Also, no State shall organize, assist, forment, finance, incite or tolerate subversive, terrorist or armed activities directed towards the violent overthrow of the regime of another State, or interfere in civil strife in another State. The use of force to deprive peoples of their national indentity constitutes a violation of their inalienable rights and of the principle of non-intervention. Every State has an inalienable right to choose its political, economic, social and cultural systems, without interference in any form by another State. Nothing in the foregoing paragraphs shall be construed as affecting the relevant provisions of the Charter relating to the maintenance of international peace and security. 1. Vorbemerkungen

Das Prinzip der Nichtintervention stand während der ersten drei Sitzungsperioden des Sonderausschusses auf dessen Tagesordnung; eine endgültige Einigung auf einen gemeinsamen Text konnte erst im Jahre 1970 erzielt werden. Der Sonderausschuß war zwar von der Vollversammlung aufgefordert worden, das Prinzip der Nichtintervention auch während seiner Sitzungen in den Jahren 1968 und 1969 zu behandeln, er stellte es aber mit Rücksicht auf die vordringliche Bearbeitung des Grundsatzes des Gewaltverbots und des Selbstbestimmungsprinzips zunächst zurück. Nach den Diskussionen der ersten Sitzungsperiode, die im wesentlichen die fünf von verschiedenen Staaten eingebrachten Textvorschläge zum Gegenstand hatten, standen die Beratungen von der zweiten Sitzungsperiode an ganz im Zeichen der am 21. 12. 1965 von der Vollversammlung der Vereinten Nationen verabschiedeten "Declaration on the Inadmissibility of Intervention in the Domestic Affairs of States and the Protection of their Independence and Sovereignty" (Res. 2131 [XX])!. In ihren einleitenden Bemerkungen während der ersten Sitzungsperiode des Sonderausschusses verwiesen zahlreiche Delegierte auf die große Bedeutung des Prinzips der Nichtintervention für die Aufrechterhaltung des Friedens und die Förderung der zwischenstaatlichen Beziehungen. Sie machten deutlich, daß es ein Zusammenleben von Staaten nicht geben könne, wenn den Ländern nicht Hoheitsbereiche vorbehalten blieben, die dem Zugriff, der Intervention durch andere Staaten nicht zugänglich sind. Der Vertreter Polens2 betonte, das Prinzip entspreche dem allgemein anerkannten Grundsatz, daß jeder Staat ein Recht auf politische 1 GA Res. 2131 (XX), abgedruckt in GAOR, XX, Supplement No. 14, S. 11. Die Resolution ist auch wiedergegeben im Anhang der vorliegenden Arbeit. 2 Bierzanek (Polen), AlAC.119/SR. 25, S.10.

2. Grundlagen und Bedeutung des Prinzips

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Unabhängigkeit habe; gerade dieses Recht aber schließe jede Einmischung in die inneren und äußeren Angelegenheiten, in denen allein sich die politische Unabhängigkeit manifestiere, aus. Mehr auf den Zweck eines umfassenden Interventionsverbotes stellte der Delegierte Jugoslawiens ab 3 • Das Prinzip ermögliche die freie, ungehinderte und damit organische Entwicklung der Staaten als Mitglieder der internationalen Gemeinschaft. Der Sinn dieses Verbots bestehe somit darin, sicherzustellen, daß jeder Staat alle ihm nach internationalem Recht zustehenden Rechte ausüben, er also seine Personalität als Staat verwirklichen könne. Die Gefahr der Beschränkung dieser Rechte sah der sowjetische Vertreter 4 insbesondere bei den wirtschaftlich schwachen Nationen Asiens und Afrikas, die, von den Fesseln des Kolonialismus befreit, nach eigenen Wegen staatlicher Selbstverwirklichung streben. Sie gerieten meist dann in Konflikte mit dritten Staaten, wenn sie versuchten, ihre politischen und wirtschaftlichen Ziele an den Interessen ihres eigenen Landes auszurichten. Gerade ein von allen Staaten beachtetes Interventionsverbot könne die Voraussetzung für eine von den Entwicklungsländern selbstgewählte Wirtschaftspolitik schaffen, die auch die Verstaatlichung ausländischer Monopole umfasse. Eine Formulierung des Prinzips, welche diese Rechte gewährleiste, sei ein Werkzeug zum Kampf gegen den Neokolonialismus5 • Während vor allem Vertreter sozialistischer Staaten in ihren einleitenden Bemerkungen die Bedeutung des Interventionsverbotes für die Entwicklung der Staatlichkeit hervorhoben, gingen westliche Delegierte hierauf nicht näher ein. Dies erklärt sich aus dem grundlegend verschiedenen Verständnis des Interventionsverbots, auf das im folgenden näher eingegangen wird. 2. Grundlagen und Bedeutung des Prinzips

Im Gegensatz zu einigen Vertretern westlicher Staaten6 waren sozialistische 7 , afro-asiatisches und südamerikanische 9 Delegierte von Beginn der Beratungen an bestrebt, das Prinzip der Nichtintervention, Vilfan (Jugoslawien), A/AC.119/SR. 25, S.7. Kazantzev (USSR), A/AC.119/SR. 28, S.16. 5 Ähnlich auch Critescu (Rumänien), A/AC.119/SR.26, S.7. 8 Vgl. etwa Schwebel (USA), AlAC.119/SR. 29, S. 8 f.; Sinc1air (Vereinigtes Königreich), AlAC.119/SR. 26, S.5. 7 Kubrycht (Tschechoslowakei), A/AC.119/SR. 25, S. 4 f.; Katzantsev (USSR), AIAC. 119/SR. 28, S. 13 f. S Mishra (Indien), A/AC.1l9/SR. 29, S.15; Vanderpuye (Ghana), AlAC.1191 SR. 29, S.4. 9 Colombo (Argentinien), A/AC.119/SR. 28, S.5; Castaneda (Mexiko), AI AC.119/SR. 30, S.5. 3 4

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2. Kap.: B. Das Prinzip der Nichtintervention

dessen Rechtsverbindlichkeit sie übereinstimmend in vielen internationalen Verträgen begründet sahen, auch als Bestandteil des allgemeinen Völkergewohnheitsrechts auszuweisen. Der tschechoslowakische Delegierte zeigte die Entwicklung des Prinzips aus dem Gewaltverbot auf. Schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sei es als ein Eckpfeiler des internationalen Rechts akzeptiert worden. Mit der Aufnahme in Art. 15 Abs.8 der Völkerbundssatzung wurde es Teil des positiven Rechts. Die Delegierten bezogen sich weiter auf die Vielzahl von Verträgen und Konventionen, welche ein ausdrückliches Verbot von Interventionen enthalten. Als solche nannten sie die Konvention über die Rechte und Pflichten der Staaten vom 26.12.1933 (Montevideo-Konvention), die Charta der Organisation amerikanischer Staaten vom 30.4.1948, den Warschauer Vertrag etc. Insbesondere sozialistische Delegierte wurden nicht müde, den geschichtlichen Beitrag afro-asiatischer Staaten zur Entwicklung des Prinzips hervorzuheben10 • Beginnend mit der Pancha Shila vom 29.4.1954 über die Deklarationen von Bandung und Belgrad bis hin zur Charta der Organisation für afrikanische Einheit enthielten alle genannten Dokumente Hinweis und Verpflichtung, das Prinzip der Nichtintervention zu achten. Aus dieser dauernden Praxis ergebe sich, daß das Prinzip der Nichtintervention geltendes Recht darstelle. Das Prinzip sei damit ein Schild zum Schutz der Gleichheit aller Staaten, ihrer Wirtschafts- und Sozialordnung geworden und bilde die Grundlage der friedlichen Koexistenz11 • Neben der Erwähnung vieler internationaler Verträge und Konventionen, welche das Prinzip der Nichtintervention als positives Recht enthalten, versuchten die meisten Delegierten, die Rechtsgültigkeit des Prinzips auch aus der Charta abzuleiten. Sie waren sich dabei wohl des Auftrags der Vollversammlung in der Resolution 1815 vom 18.12.1962 bewußt, in dem die sieben Prinzipien als die fundamentalen Aussagen der Charta bezeichnet wurden12 . Einigkeit bestand unter den Delegierten darüber, daß das Prinzip der Nichtintervention in der Charta nicht expressis verbis niedergelegt ist. Dagegen begann der Meinungsstreit bei der Frage, welchen Vorschriften der Charta wenigstens inzidenter eine Regelung der Nichtintervention entnommen werden könnte. Dieser Streit wurde insofern von entscheidender Bedeutung für die weiteren Beratungen des Aus-

10 Vgl. Kazantsev (USSR), A/AC.119/SR. 28,5.14; Kubrycht (Tschechoslowakei), A/AC.119/SR. 25, S.4. 11 So Kubrycht (Tschechoslowakei), A/AC.119/SR. 25, 5.4; ähnlich auch Vanderpuye (Ghana), A/AC.119/SR. 29, S.4. 12 Vgl. Res. 1815, Paragraph 1.

2. Grundlagen und Bedeutung des Prinzips

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schusses, als er die unterschiedlichen Meinungen über Inhalt und Umfang des Interventionsverbotes aufzeigte. Während vor allem westliche Staatenvertreter das Prinzip aus Art. 2 Abs. 4 SVN ableiteten und damit bereits die inhaltliche Tragweite des Prinzips absteckten, wollten sozialistische, afro-asiatische und lateinamerikanische Delegierte die Akzente eher auf die Art. 1 Abs. 2, Art. 2 Abs. 1 und 7 SVN setzen. So erklärte der jugoslawische Delegierte, das Prinzip der gleichen Rechte und der Selbstbestimmung der Völker impliziere klar die Pflicht der Nichtintervention und das Recht auf ungestörte nationale Entwicklung der Staaten13 • Gegen diese Ableitung des Prinzips wandte sich der kanadische Vertreter, der das Selbstbestimmungsprinzip gerade als ein Recht der Völker nicht dagegen von Staaten verstand14 • Mit besonderem Nachdruck beriefen sich viele Delegierte auf das Prinzip der souveränen Gleichheit aller Staaten, aus dem sich die Pflicht zur Nichtintervention eindeutig ableiten lasse15 • Dieser Grundsatz gewähre allen Staaten juristische Gleichheit. Sie sei nur zu gewährleisten bei strikter Achtung der Souveränität der Staaten, die ihrerseits jede Form der Intervention ausschließe; denn Einmischung widerspreche dem Grundsatz der politischen Unabhängigkeit und der territorialen Integrität der Staaten, der wiederum Grundlage für die Entwicklung der Staatlichkeit seP6. Da also Interventionen die Souveränität der Staaten verletzen, könne aus Art. 2 Abs. 1 SVN ein Verbot solcher Einmischungen entnommen werden. Am deutlichsten jedoch ergibt sich nach Meinung sozialistischer und afro-asiatischer Delegierter das Prinzip der Nichtintervention aus Art. 2 Abs. 7 SVN17. Zwar erwähne die Vorschrift lediglich die Vereinten Nationen als Adressaten des Verbots der Einmischung in innerstaatliche Angelegenheiten ihrer Mitglieder; Art. 2 Abs.7 SVN gehe dabei aber von der Voraussetzung aus, daß den Staaten in ihren Beziehungen in ungleich umfangreicherem Maße die gegenseitige Einflußnahme untersagt sein müsse als den Vereinten Nationen, die als internationale Organisation der Sicherung des Friedens diene und mit ihren Interventionen keine staatlichen Eigeninteressen verfolge. Die Bestimmung des Art. 2 Abs. 7 SVN baue daher auf der Achtung des Grundsatzes der Nichtintervention durch die Mitglieder der Vereinten Nationen. 13 Vilfan (Jugoslawien), A/AC.119/SR.25, S.7; ähnlich auch Kazantsev (USSR), A1AC.119/SR. 28, S.l1. 14 Charpentier (Kanada), A/AC.119/SR.31, S.8. 15 Vgl. Critescu (Rumänien), A1AC.119/SR. 26, S.7; Castaneda (Mexiko), A/AC.119/SR. 30, S.5. 16 Vgl. auch Vilfan (Jugoslawien), A1AC.119/SR. 25, S.7. 17 Critescu (Rumänien), A/AC.119/SR. 26, S.7; San Maung (Burma), A1AC. 119/SR. 31, S.5; Chammas (Libanon), A/AC.125/SR. 8, S.10.

lOB

2. Kap.: B. Das Prinzip der Nichtintervention

Diese These blieb nicht unwidersprochen. Der amerikanische Vertreter18 im Ausschuß wandte sich gegen diese Ausdeutung des Art. 2 Abs.7 SVN, da sie nach seiner Meinung gegen die allgemein anerkannten Regeln der Interpretation verstößt. Gerade die Tatsache, daß Art. 2 Abs.7 SVN nur die Vereinten Nationen anspreche, obwohl er auch allgemeiner hätte formuliert werden können, sei ein Zeichen für die enge Begrenzung der Vorschrift. Bei Anwendung des Auslegungsprinzips "expressio unius est exclusio alterius" ergebe sich daher, daß die Väter der Charta mit Art. 2 Abs. 7 lediglich den Vereinten Nationen eine Beschränkung der Interventionsmöglichkeiten auferlegen wollten. Die einzige Bestimmung der Charta, der nach Ansicht des amerikanischen Delegierten ein Interventionsverbot entnommen werden kann, ist Art. 2 Abs.4 19 • Das Gewaltverbot enthalte ein korrelatives Recht auf seiten der Staaten zu politischer Unabhängigkeit und territorialer Integrität20. Die westlichen Delegierten gaben sich mit dieser Erklärung über die Grundlagen des Interventionsverbots in der Charta als Anhänger des klassischen Interventionsbegriffs21 zu erkennen, der Intervention als diktatorische, gewaltsame Einmischung eines Staates in die Angelegenheiten eines anderen Staates zum Zwecke der Aufrechterhaltung oder der Änderung von tatsächlichen Umständen versteht. Sie brachten mit ihrer Ableitung der Nichtintervention aus Art. 2 Abs. 4 SVN zum Ausdruck, daß sich die inhaltliche Bestimmung der Intervention im wesentlichen auf Gewalt in den verschiedenen Ausformungen beschränke. Wie der Gewaltbegriff verlange auch der Interventionsbegriff eine enge Auslegung; denn es sei nicht Aufgabe des Ausschusses, wie der amerikanische Delegierte erklärte, im Rahmen des Art. 2 Abs. 4 SVN, auf den sich das Prinzip der Nichtintervention gründe, alle " standards of conduct" zu erfassen, obschon ihre Manifestation wünschenswert wäre22 • Das Ergebnis eines solchen Verfahrens könne 18 Schwebel (USA), A/AC.119/SR.29, S.8; SR. 30, S.23; ähnlich auch Monod (Frankreich), A/AC.119/SR. 28, S.9. 19 Schwebel (USA), A/AC.119/SR. 29, S. 8 f.; so auch Sinclair (Vereinigtes Königreich), A/AC.119/SR. 26, S.5. Der britische Delegierte räumte während der zweiten Sitzungsperiode des Ausschusses ein, daß sich das Interventionsverbot auch aus dem Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten ergeben könne. Eine Sicherung der beiden Elemente der Souveränität, nämlich der politischen Unabhängigkeit und der territorialen Integrität, sei nur durch eine Interventionsbeschränkung zu erreichen. Vgl. AfAC.125/SR. 10, S.7; hier deutet sich ein Abweichen von der Haltung an, die Interventionsverbot und Gewaltverbot in ihren wesentlichen Ausgestaltungen gleichzusetzen schien. 20 Sinclair (Vereinigtes Königreich), ebd. !1 Vgl. Oppenheim-Lauterpacht, International Law, Bd 1, S.305. %2 Schwebel (USA), AI AC.119/SR. 29, S. 9.

2. Grundlagen und Bedeutung des Prinzips

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nur eine "Verwässerung" von Rechtsbegriffen und eine Entwertung von Charta-Bestimmungen zur Folge haben. Die Aussagen westlicher Vertreter zeigten im übrigen, daß sie eine erschöpfende Definition des Interventionsbegriffs für unmöglich hielten, weil es nicht so sehr auf die angewendeten Interventionsmethoden ankomme, als vielmehr auf die ihnen zugrunde liegenden Motive 23 • Diese aber seien einer rechtlichen Ausgestaltung nicht zugänglich. In der Literatur haben zur Frage der Grundlage des Prinzips der Nichtintervention innerhalb der Charta unter anderem etwa Kelsen, Onuf, Scott, Piradow-Starushenko, Lewin und Tunkin 24 positiv Stellung bezogen. Als Befürworter des klassischen Interventionsbegriffs leitet Kelsen das Verbot der diktatorischen Einmischung eines Staates in die Angelegenheiten eines anderen aus Art. 2 Abs. 4 SVN ab. Ohne an dieser Stelle näher auf Inhalt und Umfang des Interventionsverbotes eingehen zu wollen, kann jedoch festgestellt werden, daß diese enge Begrenzung einem modernen Völkerrechtsverständnis widerspricht. Richtig dürfte vielmehr die Auffassung sein, daß sich das Interventionsverbot aus dem Prinzip der Souveränität und der Gleichheit der Staaten (Art. 2 Abs. 1 SVN) ableitet 2S ; denn wahre Souveränität ist nicht denkbar ohne einen Schutz vor Einwirkungen in den staatlichen Hoheitsbereich durch dritte Staaten in einem Zeitalter, in dem insbesondere zweckgerichtete wirtschaftliche Maßnahmen den gleichen durchschlagenden Erfolg erzielen können wie bewaffnete Gewalt. Im einzelnen geht die Literatur lediglich auf das Problem der Ableitung des Prinzips der Nichtintervention aus Art. 2 Abs. 7 SVN ein. Ohne nähere Begründung wird eine solche Möglichkeit von den meisten Autoren verneint26 • So schreibt etwa Gerlach 27 , Art.2 Abs. 7 SVN 23 Vgl. auch Onuf, The Principle of Nonintervention, the United Nations, and the International System, S. 215. 24 Kelsen, S.770; Onuf, S.224; Scott, Nonintervention and Conditional Intervention, S.208, zitiert nach Onuf, S.224, Fußnote 45; Piradow-Starushenko, S.190; Lewin, S.266; Tunkin, Grundlagen, S.34. 25 So auch Blesinger, Die sogenannte vereinbarte und erbetene Intervention, S. 53 ff., 83 f.; Onuf, S. 224; Scott, S.208. 26 Baxter, Treaties and Custom, S. 72; Gerlach, Die Intervention, S. 30 f.; Goodrich-Hambro-Simons, S.63; Kelsen, S.770; Onuf, S.212; so wohl auch Oppermann, Nichteinmischung in innere Angelegenheiten, S. 328. Lewin, S.266, Piradow-Starushenko, S. 190, und Tunkin, Grundlagen, S. 34, leiten das Prinzip dagegen aus Art. 2 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 7 SVN ab. Ihre Interpretation lautet, sogar die Vereinten Nationen seien zur Nichteinmischung verpflichtet, ganz zu schweigen dann die einzelnen Staaten; vgl. auch Ramundo, The Socialist Theorie of International Law, S.40. Autoren wie Berber, VR Bd 1, S.189; Dahm, VR Bd 1, S.217, 219 ff.; von Glahn. S.173; Verdross, VR. S. 512 ff., behandeln Art.2 Abs.7 SVN ausschließlich im Rahmen von Interventionen durch die Vereinten Nationen.

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2. Kap.: B. Das Prinzip der Nichtintervention

beziehe sich nur auf ein Verhalten der Vereinten Nationen selbst und enthalte keine Aussage über Interventionen eines Mitgliedstaates gegen einen anderen oder im Verhältnis zu Nichtmitgliedern. Unter Heranziehung des Auslegungsprinzips "expressio unius est exclusio alterius" dürfte dieser Meinung zuzustimmen sein, zumal auch die travaux preparatoires zu Art. 2 Abs.7 SVN davon sprechen, es sei evident, "that the subject we are dealing with is not the intervention of one state in matters which fall in the domestic jurisdiction of another, but we are dealing with the relations of the Organization and its members ... "28. Wenngleich auch festzustellen ist, daß sich das hier in Rede stehende Interventionsverbot auch nicht aus Art. 2 Abs. 7 SVN ableiten läßt, so dürfte diese Bestimmung doch die wichtigste Normierung des Interventionsgedankens in einem multilateralen völkerrechtlichen Vertrag sein und als solche einen wesentlichen Einfluß auf das Staatenverhalten ausüben. Während sich westliche Delegierte bei der Untersuchung der Grundlagen des Interventionsverbotes auf Art. 2 Abs. 4 SVN stützten, wurde diese Bestimmung von sozialistischen Vertretern nur beiläufig als eine der Ausgestaltungen des Einmischungsverbotes erwähnt 29 • Es ist wohl anzunehmen, daß sozialistische Delegierte dabei an Interventionen bewaffneter Art im Gegensatz zu wirtschaftlichen und politischen Pressionen dachten. Bezeichnenderweise bestanden diese Staatenvertreter bei der Erörterung der Interventionsproblematik nicht darauf, die Grundlagen des Interventionsverbotes durch extensive Interpretation des Art. 2 Abs.4 SVN (Gewaltverbot) zu gewinnen; dies hätte nahegelegen, zumal sie bei der Diskussion des Gewaltverbots bis hin zur letzten Sitzungsperiode des Ausschusses auf einer extensiven Auslegung des Art.2 Abs.4 SVN, welche auch ökonomischen und politischen Druck umfassen sollte, bestanden hatten. Der scheinbare Widerspruch läßt sich damit erklären, daß sozialistische und afroasiatische Delegierte den westlichen Widerstand gegen eine Inkorporierung des extensiv verstandenen Interventionsverbotes in das Prinzip des Gewaltverbots erkannten und die Möglichkeit schaffen wollten, auch staatliche übergriffe in fremde Hoheitsbereiche unterhalb der Für das Verbot der hier in Frage stehenden Interventionen im zwischenstaatlichen Bereich erwähnen sie als Rechtsgrundlage lediglich allgemein die Grundsätze der Charta, nicht dagegen, obwohl dies nahegelegen hätte, Art. 2 Abs. 7 SVN. Es muß hieraus der Schluß gezogen werden, daß die genannten Autoren als Adressaten des Art. 2 Abs. 7 SVN ausschließlich die Organisation der Vereinten Nationen betrachten. 27 Gerlach, S.30; so auch Henkin, S.143. 28 UNCIO Bd 6, S.486; vgl. auch GilmouT, The Meaning of "Intervene" within Article 2 (7) of the Uni ted Nations Charter, S. 330 ff., 349. 29 Vgl. Vilfan (Jugoslawien), AlAC.119/SR. 25, S. 8; ähnlich auch Castaneda (Mexiko), A/AC.119/SR. 30, S.6.

2. Grundlagen und Bedeutung des Prinzips

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Gewaltschwelle in einem vom Gewaltverbot unabhängigen Prinzip aufzufangen. Die nach hartem Ringen in der letzten Sitzungsperiode erreichte Einigung, im Gewaltverbot alle bewaffneten Maßnahmen von Staaten zu erfassen, wirtschaftliche, politische und alle anderen Zwangsmaßnahmen gegenüber anderen Staaten dagegen dem Interventionsverbot zuzuweisen, läßt sowohl auf westlicher wie auch auf sozialistischer und afro-asiatischer Seite die Anwendung diplomatisch taktischen Drucks erkennen. Da die westlichen Vertreter der Einfügung von staatlichen übergriffen unterhalb der Schwelle bewaffneter Gewalt innerhalb des Prinzips des Gewaltverbots nicht zustimmen wollten, afro-asiatische, sozialistische und nicht zuletzt lateinamerikanische Delegierte aber auf einer Erfassung dieser Maßnahmen innerhalb des Prinzips der Nichtintervention beharrten, mußten schließlich beide Seiten im Wege einer Kompromißlösung Positionen aufgeben, um nicht das ganze Projekt der Kodifizierung und progressiven Weiterentwicklung der Völkerrechtsprinzipien scheitern zu lassen. Mit dieser Lösung gelang beiden Seiten ein gewisser Erfolg: der westlichen, indem sie einer Ausuferung des Gewaltbegriffs des Art. 2 Abs. 4 SVN begegnen konnte, der sozialistischen, afro-asiatischen und lateinamerikanischen, die die überwindung des klassischen, auf diktatorische, gewaltsame Einmischung beschränkten Interventionsbegriffs erreichte. Angesichts der durch den Ausschuß vollzogenen Entwicklung einer Trennung von Maßnahmen, die sich auf der einen Seite innerhalb des Prinzips des Gewaltverbots und andererseits des Prinzips des Interventionsverbots erfassen lassen, sei hier vorgeschlagen, diese Unterscheidung auch rechtsterminologisch beizubehalten30 • Das Gewaltverbot 30 Die völkerrechtliche Literatur hat bislang zur Abgrenzung und terminologischen Klarstellung des Begriffs "Intervention" wenig beigetragen. Es ist das Verdienst Gerlachs, in seiner Schrift "Die Intervention" (S. 107 ff.) erstmals zu dieser Problematik ausführlich Stellung genommen und brauchbare Abgrenzungskriterien angeboten zu haben. Er unterscheidet zwischen einer Abgrenzung "nach oben hin" zur Aggression und "nach unten" zur erlaubten politischen Einflußnahme. Alle staatlichen Handlungen, die innerhalb dieses Bereichs liegen, bezeichnet er als Interventionen im Rechtssinne. Zwar räumt er ein, daß auch der Inhalt des Begriffs Aggression unterschiedlichen Ausdeutungen unterliegt (die sozialistischen Staaten ordnen darunter im Gegensatz zu westlichen Staaten auch die indirekten, wirtschaftlichen und ideologischen "Aggressionen" ein, vgl. Piradow-Starushenko, S. 194 f.; vgl. auch die Erklärung des sowjetischen Delegierten während der Sitzung des Sonderausschusses zur Frage der Definition des Begriffs Aggression, GAOR, XXV, Supplement No. 19 (A/B019), S. 19), schlägt dann aber eine Definition der Aggression vor, die sich in der Anwendung militärischer (bewaffneter) Gewalt erschöpfen solle (S. 112). Die bloße Drohung mit Gewalt sei nicht als Aggression, sondern bereits als Intervention zu bezeichnen (S. 115 ff.). Die von Gerlach vorgeschlagene Abgrenzung des Interventionsverbotes "nach oben hin" zur Aggression birgt jedoch den Nachteil in sich, daß sie den Begriff der Aggression in einer Weise ausschließlich mit bewaffneter Gewalt-

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2. Kap.: B. Das Prinzip der Nichtintervention

betrifft damit alle staatlichen Maßnahmen mit Außenwirkung, die militärischen Charakter tragen, das Interventionsverbot dagegen Einflußnahmen gegenüber anderen Staaten unterhalb der Gewaltschwelle (politische, wirtschaftliche etc. Maßnahmen), mit Ausnahme der erlaubten Interzessionen und solcher Interventionen, für die ein Rechtfertigungsgrund besteht. Bei dieser Begriffsbestimmung darf jedoch nicht übersehen werden, daß der Deklarationstext zum Interventionsverbot noch gewisse "überschneidungen" zum Gewaltverbot hin enthält. So spricht Abs.2 des Textes zum Interventionsverbot von subversiven, terroristischen oder bewaffneten Aktivitäten, von Maßnahmen also, die wegen ihres bewaffneten Charakters bereits vom Gewaltverbot umfaßt sind. Auch in Abs. 1 heißt es, bewaffnete Intervention (armed intervention) ... stelle eine Verletzung internationalen Rechts dar. Allerdings läßt sich hier aus der Formulierung "armed intervention" entnehmen, daß unter Interventionen im eigentlichen Sinn nur Maßnahmen nicht-militärischen Charakters zu verstehen sind, und daher das Interventionsverbot als solches auch nur diese Maßnahmen erfaßt. 3. Die unterschiedlichen Vorstellungen über die Kodifikation des Prinzips

Sowohl aus den Diskussionen im Sonderausschuß wie auch aus den Resolutionsentwürfen zum Prinzip der Nichtintervention wird das unterschiedliche Kodifikationsverständnis zu diesem Prinzip erkennbar. Während westliche Staatenvertreter eine allgemeine Definition des Begriffs der Intervention ablehnten, bestanden sozialistische, afroanwendung verknüpft, die einer zukünftigen inhaltlichen Bestimmung dieses Begriffs angesichts des sowjetischen Drängens zur Inkorporierung auch von Maßnahmen indirekter Gewalt, in der Form besonders krassen politischen, wirtschaftlichen und ideologischen Drucks, nicht entsprechen wird. Es bietet sich infolge der Einigung des Sonderausschusses zum Prinzip des Gewaltverbotes, das sich auf das Verbot von Maßnahmen bewaffneter Gewalt beschränkt - also wirtschaftlichen und politischen Druck nicht erfaßt eine Abgrenzung des Interventionsverbotes zu diesem Prinzip hin an. Danach sind alle staatlichen Maßnahmen mit Außenwirkung unterhalb der Gewaltschwelle (der Gewaltbegriff umfaßt auch die Drohung mit Gewalt) dem Interventionsverbot zuzurechnen, soweit sie nicht durch einen Rechtfertigungsgrund sanktioniert oder aber jenseits der Abgrenzung nach "unten hin" eingeordnet werden können. Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangen auch Burke (The Legal Regulation of Minor International Coercion, S. 107 f.) und Wengter (VR Bd 2, S.140). Demgegenüber sehen Piradow und Starushenko (a.a.O., S. 194) im Prinzip der Nichteinmischung einen Oberbegriff, der auch den engeren Aggressionsbegriff mitumfaßt. Auch Oppermann (a.a.O., S. 325 f.) nimmt kurz zur Abgrenzungsproblematik Stellung, macht jedoch mit der Begründung keinen Lösungsvorschlag, gerade für Maßnahmen im Sinne des Gewaltverbotes habe sich terminologisch der Interventionsbegriff ganz besonders eingebürgert.

3. Die unterschiedlichen Kodüikationsvorstellungen im Sonderausschuß 113 asiatische und lateinamerikanische Delegierte auf einer einleitenden Definition des Begriffs, dem ein Katalog der wichtigsten Formen der Intervention folgen sollte. Stellvertretend für die westliche Einstellung sei hier die Meinung des französischen Delegierten31 angeführt, der behauptete, es sei unmöglich, den Begriff der Intervention zu definieren, ohne die Bedeutung des Begriffs der "domestic jurisdiction" klargelegt zu haben. Ebenso unmöglich wie domestic jurisdiction sei das Wort "Souveränität" zu bestimmen; beide Begriffe aber ständen in einer Wechselbeziehung, wobei jeder für sich wenig Bedeutung habe, solange nicht die Sphäre der domestic jurisdiction befriedigend eingegrenzt sei. Hinter dieser Argumentation verbirgt sich jedoch die vom britischen Delegierten32 ausgesprochene Befürchtung, eine Interpretation des Begriffs der Nichtintervention könne zu einer ungebührlichen, der Staatenpraxis nicht entsprechenden Ausweitung der Verbotstatbestände führen. Eine übermäßige Erweiterung hindere die Entwicklung der internationalen Zusammenarbeit, während eine übertriebene Beschränkung die Staaten ohne Schutz gegen die wirklichen Gefahren ließe. Diese Einstellung spiegelt sich im britischen Resolutionsvorschlag zur ersten Sitzungsperiode wider 33 • Er beginnt mit der allgemeinen Erklärung, jeder Staat habe das Recht auf politische Unabhängigkeit und territoriale Unversehrtheit. Der zweite Absatz erwähnt die Verpflichtung der Staaten, diese Rechte zu achten und die Intervention in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten zu unterlassen. Den engen Auslegungsspielraum der bei den Absätze kennzeichnet der sich anschließende Kommentar im britischen Entwurf. Dort wird festgestellt, daß eine erschöpfende Definition dessen, was Intervention ausmacht, nicht möglich sei, weil die in der modernen Welt festzustellenden Interdependenzen eine Zusammenarbeit und eine dadurch bedingte Einschränkung der bislang zur domestic jurisdiction gerechneten Angelegenheiten erfordere. Die Basis des Prinzips sei Art. 2 Abs. 4 SVN, der bereits den größten Teil des klassischen Konzepts der Intervention enthalte, wenngleich nicht zu verkennen sei, daß es auch andere Formen völkerrechtswidriger Interventionen gebe. Hier jedoch spricht Abs.4 des Kommentars nicht VOn wirtschaftlichen Maßnahmen, sondern verweist lediglich auf die Anwendung indirekter Gewalt zum Sturz fremder Regierungen, oder um eine Änderung der politischen und ökonomischen Struktur eines anderen Staates zu erreichen.

32

Monod (Frankreich), AlAC.119/SR. 28, S.7. Sinclair (Vereinigtes Königreich), AlAC.119/SR. 26, S.5; AlAC.125/SR. 10,

33

A/AC.119/L.8, in GAOR, XX, Annexes, agenda items 90 and 94, S.116.

31

S.7.

8 Gral zu Dohna

114

2. Kap.: B. Das Prinzip der Nichtintervention

Noch deutlicher macht der amerikanische Änderungsentwurf34 zum britischen Resolutionsvorschlag die Abneigung gegen eine Kodifikation des Prinzips der Nichtintervention, die über Art. 2 Abs. 4 SVN hinausgeht. Er unterstreicht, daß der Versuch einer Beeinflussung der Politik anderer Staaten unausweichlich und gleichzeitig wünschenswert sei. Das Völkerrecht wolle solche Aktivitäten nicht verhindern, sondern vielmehr ihre Vereinbarkeit mit den Prinzipien der souveränen Gleichheit der Staaten und der Selbstbestimmung ihrer Völker sichern. Gerade diese Argumentation läßt jedoch den Schluß zu, daß es doch Interventionen unterhalb der Gewaltschwelle gibt, die den genannten Prinzipien widersprechen und damit vom Interventionsverbot erfaßt werden. Dem Versuch, eine Rechtfertigung von Einflußnahmen innerhalb des Deklarationstextes niederzulegen, widersprachen insbesondere lateinamerikanische Delegierte35 • Sie gingen davon aus, die einzig rechtmäßigen Interventionen seien solche kollektiver Natur, wie sie etwa von den Vereinten Nationen oder der OAS ausgeführt werden könnten. Diese Organisationen allein böten die Gewähr dafür, daß Einflußnahmen ohne die sonst unabweisbare einzelstaatliche Interessenwahrnehmung erfolgten. Dementsprechend enthielten die Resolutionsentwürfe Mexikos36 , der TschechoslowakeP7 und der gemeinsame Vorschlag Ghanas, Indiens und Jugoslawiens 38 keinen Hinweis auf Formen erlaubter Interventionen. Statt dessen ist ihnen in unterschiedlicher Formulierung ein Statement des Prinzips der Nichtintervention gemeinsam, in dem es Staaten oder Staatengruppen in kategorischer Weise untersagt wird, aus welchem Grund auch immer sich direkt oder indirekt in die Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen. Diesem Statement folgt in allen Formulierungsvorschlägen eine Aufzählung von Interventionstatbeständen, die von der Anwendung subversiver Gewalt über wirtschaftliche Pressionen bis hin zu rein politischen Einflußnahmen, wie der Verweigerung der Anerkennung und dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen reichen. Auf der Grundlage dieser Kodifikationsvorstellungen wurde heftige Kritik an den Vorschlägen Großbritanniens und der USA laut. Der Vorwurf gipfelte in der Bemerkung des sowjetischen Delegierten39 , der Beitrag der Westmächte wiederhole nur, was bereits in der Charta 34 A/AC.119/L.26, in GAOR, XX, Annexes, agenda items 90 and 94, S.116 f. Vgl. Colombo (Argentinien), A/AC.119/SR. 28, S.6; Castaneda (Mexiko), A/AC.119/SR. 30, S.4; EI Reedy (VAR) , A/AC.119/SR. 30, S.20. 36 A/AC.119/L.24, in GAOR, XX, Annexes, agenda items 90 and 94, 8.117. 37 A/AC.119/L.6, ebd., S. 115. 38 A/AC.119/L.27, ebd., 8.117. 39 Katzantsev (USSR), A/AC.119/SR. 28, S.16. 35

3. Die unterschiedlichen Kodifikationsvorstellungen im Sonderausschuß 115 enthalten sei und berücksichtige keineswegs die Praxis der Vereinten Nationen und ihrer Mitglieder. Enttäuschte Hoffnungen drückte auch der Vertreter Nigerias 40 aus, der die progressive Weiterentwicklung der Völkerrechtsprinzipien gefährdet sah. Es war vorauszusehen, daß angesichts so unterschiedlicher Kodifikationskonzeptionen eine Annäherung der Standpunkte während der ersten Sitzungsperiode nicht erfolgen konnte. Auch die zweite Sitzungsperiode stand im Zeichen schwerer Auseinandersetzungen um den zukünftigen Deklarationstext zum Prinzip der Nichtintervention. Äußerer Anlaß waren zwei sich diametral gegenüberstehende Deklarationsformulierungen, nämlich der 6-Staatenentwurf41 , unterstützt von Australien, Kanada, Frankreich, Italien, Großbritannien und den USA und die von der Vollversammlung am 21. 12. 1965 verabschiedete "Declaration on the Inadmissibility of Intervention in the Domestic Affairs of States and the Protection of their Independence and Sovereignty" (Res. 2131 [XX])42, für die sich die überwältigende Mehrheit der Delegierten des Sonderausschusses aussprach. Der 6-Staatenvorschlag war im wesentlichen eine Zusammenfassung des aus Text und Kommentar bestehenden britischen Entwurfs zur 1. Sitzungsperiode. Sein erster Absatz enthält die allgemeine Verpflichtung der Staaten, weder direkt noch indirekt in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten zu intervenieren und das Recht aller Staaten, frei von äußeren Interventionen selbst die politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Lebensform zu wählen. Ein Unterschied zum Entwurf von 1964 zeigt sich jedoch in Absatz 2, der näher auf den Umfang und Inhalt verbotener Interventionen eingeht und ein Abweichen von der strengen am Erfordernis der Gewalt orientierten Interpretation des Begriffs andeutet. Zwar spricht auch Absatz 2 A wieder vom Verbot der Anwendung oder Androhung von Gewalt, Absatz 2 B läßt aber erkennen, daß auch gewisse Maßnahmen unterhalb der Gewaltschwelle als Interventionen verboten sind: "No State shall take action of such design and effect as to impair or destroy the political independence or territorial integrity of another State." Diese Formulierung läßt allerdings den Schluß zu, daß die vom Verbot erfaßten Aktionen nur bis unmittelbar unterhalb der Gewaltschwelle einzuordnen sind. Sie müssen in der Absicht ausgeführt sein und die Wirkung haben, die politische Unabhängigkeit und die territoriale Unverletzlichkeit eines anderen Staates unmittelbar zu beeinträchtigen oder zu zerstören. Nicht ausreichend und damit erlaubt wäre demnach die Drohung mit einem so bezeichneten Mittel, weil diese sich noch 40

41 42

8'

Agoro (Nigeria), A/AC.119/SR. 28, S.17. AlAC.125/L. 13, in GAOR, XXI, Annexes, agenda item 87, S.65. Text in UNYB 1965, S. 94 f.

116

2. Kap.: B. Das Prinzip der Nichtintervention

nicht als Maßnahme mit der unmittelbaren Folge der Beeinträchtigung oder Zerstörung politischer Unabhängigkeit oder territorialer Unversehrtheit darstellt. An der Formulierung des Absatzes 2 A und B setzte denn auch die Kritik sozialistischer und afro-asiatischer Delegierter ein. Sie stellten die Frage, warum der Entwurf in erster Linie von der Androhung und dem Gebrauch von Gewalt spreche 43 • Damit werde der Unterschied zwischen unmittelbarer Gewaltanwendung (armed attack) und Intervention verwischt und der Eindruck erweckt, als sei der Begriff der Intervention gleichbedeutend mit dem der Gewalt. Die Kritiker glaubten ihren Eindruck bestätigt zu sehen in Absatz 2 D des 6-Staatenentwurfs, der von dem individuellen und kollektiven Selbstverteidigungsrecht gegen Interventionen spricht. Sie wandten ein, Art. 51 SVN gewähre das Recht der Selbstverteidigung allein gegen einen bewaffneten Angriff, er treffe dagegen keine Aussage über eine Verteidigung im Interventionsfa1l44 • Das wesentlichste Kriterium für die Ablehnung des 6-Staatenentwurfs aber war das Vorhandensein einer bereits von der Vollversammlung verabschiedeten Deklaration zur Frage der Nichtintervention 45 • Insbesondere Delegierte sozialistischer Länder4 6 argumentierten zunächst, die Resolution 2131 (XX) enthalte in umfassender Weise alle Aspekte verbotener Interventionen. Der Sonderausschuß solle daher seine Arbeit an diesem Prinzip einstellen und die relevanten Bestimmungen in seinen eigenen Deklarationstext zur Nichtintervention aufnehmen. Diese Lösung sei nur zu logisch und folge aus der nahezu einstimmigen Annahme der Resolution 2131 (XX). Sie sprachen sich dafür aus, daß die Resolution nichts von ihrer Ausstrahlung verlieren sollte, zumal sie den weitest möglichen Konsens aufweise 47 • 43 Vgl. Pechota (Tschechoslowakei), A/AC.125/SR. 14, S.10; Vanderpuye (Ghana), AlAC.125/SR. 15, S.5; Mishra (Indien), AlAC.125/SR. 15, S.7. 44 Vanderpuye (Ghana), ebd.; Mishra (Indien), AlAC.125/SR. 15, S.8. 45 Auf Antrag des Delegierten der USSR vom 24.9. 1965 (GAOR, XX, Annexes, agenda item 107, A/5977, S. 1 f.) hatte die Vollversammlung die Erörterung des Problems der Unzulässigkeit der Intervention in die inneren Angelegenheiten der Staaten in die Tagesordnung der 20. Sitzungsperiode aufgenommen und zur weiteren Behandlung an den 1. Ausschuß (politischer Ausschuß der VN) überwiesen. Dieser beschäftigte sich auf der 1395.-1406. (3. 12.-10. 12. 1965) und der 1420., 1422.-1423. Sitzung (18. 12. und 20. 12. 1965) mit dem Problem und schlug der Vollversammlung am 20.12.1965 mit 100 Stimmen bei 5 Enthaltungen (Australien, Belgien, Niederlande, Neuseeland, Vereinigtes Königreich) die Annahme des vom Ausschuß erarbeiteten Resolutionstextes vor. Die Vollversammlung verabschiedete die vorgeschlagene Deklaration (Res.2131 [XX]) am 21. 12. 1965 mit 109 Stimmen bei einer Enthaltung (Vereinigtes Königreich). Eingehender nimmt Onu!, S.216-219, zur Entstehungsgeschichte der Res. 2131 Stellung. 46 Pechota (Tschechoslowakei), A/AC.125/SR. 8, S.5; Movchan (USSR), A/AC.125/SR. 8, S. 13 f.; Bolintineanu (Rumänien), AlAC.125/SR.9, S.5. 47 Vgl. auch Mercado (Mexiko), AlAC.125/SR.ll, S.5.

3. Die unterschiedlichen Kodifikationsvorstellungen im Sonderausschuß 117 Einer Inkorporierung der Deklaration in den vom Sonderausschuß zu erarbeitenden Text widersetzten sich aufs entschiedenste Vertreter westlicher Staaten. Sie gaben zu bedenken, die Resolution trage ausschließlich politischen Charakter und sei als rechtliche Grundlage für die Kodifizierung der Prinzipien nicht geeignet48 • Sie begründeten ihre Ansichten damit, daß die Resolution vom politischen Ausschuß der Vereinten Nationen innerhalb kürzester Zeit erstellt worden sei; es wäre den Staaten daher nicht möglich gewesen, die Formulierung auf ihre rechtliche Relevanz hin zu prüfen. Die Zustimmung im Plenum der Vereinten Nationen sei folglich unter der Voraussetzung erteilt worden, daß es sich bei der Deklaration um eine politische Aussage handele. Der Vertreter Frankreichs49 räumte ein, die Deklaration enthalte zwar eine einmütige Meinungsäußerung der Mitglieder der Vereinten Nationen, indem sie die Intervention in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten verurteilten, es dürfe daraus aber nicht geschlossen werden, daß die Vollversammlung auch die rechtlichen Aspekte des Prinzips zu definieren beabsichtigte. Dies ergebe sich bereits daraus, daß der Sonderausschuß mit der Aufgabe der Kodifizierung des Prinzips der Nichtintervention betraut worden sei. Den Vorschlag des britischen Delegierten50 , den Text der Deklaration vom rechtlichen Standpunkt aus zu überprüfen, ergriffen bereitwillig die Vertreter sozialistischer und afro-asiatischer Staaten51 • Sie schränkten ihren anfangs vertretenen Standpunkt, die Resolution 2131 enthalte eine umfassende Darstellung des Prinzips der Nichtintervention, ein und gaben ihre Bereitschaft zu erkennen, den mit der Resolution erreichten Kompromiß noch zu erweitern, wobei jedoch die ersten drei Absätze der Deklaration in den vom Sonderausschuß zu erarbeitenden Text übernommen werden müßten. Diese Stellungnahmen entsprachen allerdings keineswegs der Absicht des britischen Delegierten, der vielmehr eine Neuformulierung des Prinzips erreichen wollte, wobei lediglich Teile der Resolution Pate stehen sollten52 • Ihrem Willen zur Beibehaltung des Resolutionstextes als Grundlage für die weitere Tätigkeit des Ausschusses verliehen die Vertreter der 48 Vgl. Sinclair (Vereinigtes Königreich), A/AC.125/SR. 8, S.6; SR. 9, S.8; Hargrove (USA), A/AC.125/SR. 8, S. 6 f.; SR. 11, S.15. 49 Monod (Frankreich), AlAC.125/SR. 12, S.5. 50 Sinclair (Vereinigtes Königreich), A/AC.125/SR. 8. S.6. 51 Vgl. Sahovic (Jugoslawien), A/AC.125/SR.I0, S.5; EI Reedy (VAR), A/AC.125/SR. 8, S.15; Mishra (Indien), A/AC.125/SR. 8, S.l1; ähnlich auch Albonico (Chile), A/AC.125/SR.I0, S.l1; Molina (Venezuela), AlAC.125/SR.10,

S. 6 f.

52 Auf die Kritik der Westmächte an der Resolution 2131 (XX) wird im Rahmen der Darstellung des vom Sonderausschuß erarbeiteten Deklarationstextes im einzelnen eingegangen; vgl. infra 2. Kap., B, 4.

118

2. Kap.: B. Das Prinzip der Nichtintervention

V AR und Chiles in einer gemeinsamen Entschließung53 Ausdruck. Im Paragraphen 2 dieses dem Sonderausschuß zur Verabschiedung vorgelegten Resolutionsentwurfs wird der Redaktionsausschuß aufgefordert, sich bei der Erarbeitung eines gemeinsamen Textes zum Prinzip der Nichtintervention unmittelbar an die Deklaration 2131 zu halten und im übrigen die dort erreichte Übereinstimmung noch zu erweitern. Besonderen Anstoß bei westlichen Delegierten, die einer Inkorporierung des Deklarationstextes in die vom Ausschuß zu erarbeitende Kodifikation nicht zustimmten, erregte Absatz c der Präambel des Entschließungsantrages. Dort heißt es bezüglich der Resolution 2131 vom 21. 12. 1965, insbesondere das Fehlen von Gegenstimmen spiegele eine universale rechtliche Überzeugung wider, "which qualifies it to be regarded as an authentie and definite principle of international law". Die Vertreter Australiens, Kanadas, Frankreichs, Italiens, der USA und des Vereinigten Königreichs versuchten in einem Abänderungsentwurf diese ihren Vorstellungen widersprechenden Formulierungen durch einen den gegebenen Oppositionsverhältnissen rechnungtragenden Text zu ersetzen54 • So sollte der Text der Resolution 2131 lediglich als Basis für die Diskussion im Ausschuß dienen; insbesondere wollten sie den Wortlaut von Absatz c der Präambel, in dem zur rechtlichen Bedeutung der Resolution 2131 Stellung bezogen wird, durch "refleets, inter alia, a large area of agreement among States on the scope and content of the principle of non-intervention" eingeschränkt wissen. In der Abstimmung über die beiden Vorlagen während der 17. Sitzung des Ausschusses am 18.3.1966 unterlag der 6-Staaten-Abänderungsentwurf. 22 Staatenvertreter sprachen sich für den Resolutionsvorschlag der VAR und Chiles, acht dagegen aus, bei Stimmenthaltung des Delegierten Schwedens. Die Bemerkungen der Vertreter westlicher Staaten zur Tatsache der Abstimmung über einen so umstrittenen Entwurf offenbarten die Enttäuschung über die Abweichung von der sonst geübten Einstimmigkeit in Kodifikationsfragen55 • Auf die paradoxe Erscheinung machte der Delegierte Schwedens56 aufmerksam, daß afro-asiatische und sozialistische Vertreter ihre Mehrheit im Ausschuß dazu benutzt hätten, in der Entschließung festzustellen, der Inhalt der Resolution 2131 (XX) A/AC.125/L.17, in GAOR, XXI, Annexes, agenda item 87, S.66. Vgl. A/AC.125/L. 19, ebd. 55 In der Resolution 2103 (XX) vom 20. 12. 1965, mit der der 1966-Sonderausschuß eingesetzt worden war, wurde der Ausschuß aufgefordert, auf jeder Stufe des Prozesses der Erarbeitung der sieben Prinzipien Einstimmigkeit zu erzielen. 56 Blix (Schweden), A/AC.125/SR. 18, S. 9; ähnlich auch Sir Bailey (Australien), A/AC.125/SR. 18, S.9; Monod (Frankreich), A/AC.125/SR. 18, S.4. 53 54

3. Die unterschiedlichen Kodifikationsvorstellungen im Sonderausschuß 119 entspreche einer universalen Rechtsüberzeugung, obwohl doch die starke Minderheit westlicher Staaten diese überzeugung gar nicht teilte. Die Resolution des Sonderausschusses sollte die Grundlage für die Weiterarbeit am Prinzip der Nichtintervention in der dritten Sitzungsperiode bilden. Während sozialistische, afro-asiatische und lateinamerikanische Delegierte57 am Text der Resolution 2131 festhielten, brachte der britische Vertreter einen von diesem abweichenden Resolutionsentwurf58 ein, der die Unterstützung aller westlicher Staatenvertreter fand. Auffallend ist, daß dieser Vorschlag in seinem Absatz 2 b zum ersten Mal von dem in früheren Sitzungsperioden vertretenen engen Intervention..c;begriff, der im Grunde mit Gewalt gleichzusetzen war, Abstand nahm und auch wirtschaftliche, politische und ähnliche Mittel, mit denen ein anderer Staat genötigt wird, unter das Interventionsverbot einordnete. Der britische Delegierte begründete die Einführung seines Entwurfes damit, dieser erweitere die in der Resolution 2131 erreichte übereinstimmung und stehe daher im Einklang mit dem Auftrag, den sich der Sonderausschuß in der voraufgegangenen Sitzungsperiode selbst erteilt habe59 • Trotz einiger wesentlicher Annäherungen an die Vorstellungen sozialistischer, afro-asiatischer und lateinamerikanischer Delegierter, insbesondere durch Aufnahme der wirtschaftlichen und politischen Mittel in den Interventionstatbestand, sowie den Verzicht auf die Erwähnung der üblichen und daher erlaubten Einfiußnahmen auf Politik und Handlungen anderer Staaten, konnte der Entwurf nicht überzeugen. Die Kritik gründete sich vor allem darauf, daß der britische Vorschlag im Gegensatz zu Absatz 1 der Resolution 2131 die Intervention in die äußeren Angelegenheiten der Staaten nicht erwähne und im übrigen jeden Bezug auf den in Absatz 3 der Resolution 2131 enthaltenen Selbstbestimmungsgrundsatz vermissen ließe60 • In die ablehnende Haltung gegenüber dem westlichen Verhalten in bezug auf die Resolution 2131 mischten sich in die im allgemeinen sachlichen Diskussionen auch besonders harte Bemerkungen des polnischen Delegierten, der den Gegnern der Deklaration vorwarf, sie stellten bezeichnenderweise Kolonialmächte oder aber Staaten dar, die eine Politik der Intervention betrieben oder aber unterstützten; der 57 Myslil (Tschechoslowakei), A/AC.125/SR. 71, S.7; ähnlich Vanderpuye (Ghana), A/AC.125/SR. 72, S.14; Gonzalez Galvez (Mexiko), AlAC.125/SR. 72,

S. 8 f.

58 Vgl. A/AC.125/L.44, part. I1I, in GAOR, XXII, Annexes, agenda item 87, S.45. 59 Sinclair (Vereinigtes Königreich), A/AC.125/SR. 71, S.3. 60 Vgl. Glaser (Rumänien), A/AC.125/SR. 73, S.5; Krishnan (Indien), A/AC.125/SR.72, S. 11; Myslil (Tschechoslowakei), A/AC.125/SR. 71, S. 7 f.

120

2. Kap.: B. Das Prinzip der Nichtintervention

Grund ihrer ablehnenden Haltung liege darin, die Bedeutung der Resolution 2131 zu schmälern61 • Für die südamerikanische Einstellung zur westlichen Haltung ist die Rede des venezuelanischen Delegierten charakteristisch, der in der von der Vollversammlung verabschiedeten Deklaration 2131 einen Schild im Kampf gegen die von Kuba gesteuerte Unterwanderung lateinamerikanischer Länder sah62 • Es sei nicht erstrebenswert, einen von der Deklaration - die im übrigen rechtlich verbindlich sei - abweichenden Text zu erstellen, der, wie der britische Vorschlag, nur eine Schwächung des Prinzips bedeuten könne. Nachdem die Diskussionen keine Einigung auf einen gemeinsamen Text erbrachten, schlugen die Vertreter von 13 sozialistischen, afroasiatischen und lateinamerikanischen Staaten dem Sonderausschuß die Annahme einer Resolution63 vor, mit der die operativen Paragraphen der Deklaration 2131 als Kodifikation des Prinzips der Nichtintervention anerkannt und in die abschließende Deklaration der sieben Völkerrechtsgrundsätze aufgenommen werden sollten. Diese Entschließung erregte im besonderen den Widerspruch des Vertreters Italiens, der damit drohte, er werde der Einführung keines einzigen Prinzips in den vom Ausschuß zu erarbeitenden Deklarationstext zustimmen, solange das Komitee nicht auf der Basis völligen Konsenses vorgehe 64 • Er erreichte damit die Rücknahme des zur Abstimmung vorgeschlagenen Resolutionsentwurfs durch seine Förderer. Dennoch gab der Vertreter Kenias in einer von den Förderern des Resolutionsvorschlags gebilligten Erklärung zu erkennen, daß diese Staaten weiterhin die Aufnahme der Deklaration 2131 in den endgültigen Text der sieben Prinzipien verfolgen würden65 . In informellen Gesprächen während der letzten Sitzungsperiode im Jahre 1970 einigten sich die Mitglieder des Ausschusses schließlich auf einen gemeinsamen Text zum Prinzip der Nichtintervention, der mit geringfügigen zum Teil nur redaktionellen Änderungen die Paragraphen 1, 2, 3 und 5 der Deklaration 2131 (XX) "On the Inadmissibility of Intervention ... " enthält. Wohl als Konzession an die westlichen Staaten bestanden die Förderer der Resolution 2131 nicht mehr auf der übernahme des sechsten Absatzes, der das Selbstbestimmungsrecht der Völker unmittelbar zum Gegenstand hat. über die Absätze 4 und 7 gab es ohnehin keinen Streit, da diese von Anfang an wegen ihrer mangelnZdrojowy (Polen), A/AC.125/SR. 72, S.20. Molina (Venezuela), A/AC.125/SR.73, S.6. 83 A/AC.125/L.54, in GAOR, XXII, Annexes, agenda item 87, S.45. 84 Arangio Ruiz (Italien), A/AC.125/SR. 79, S.7; ähnlich auch Riphagen (Niederlande), AlAC.125/SR. 79, S.12; Sir Bailey (Australien), AlAC.125/SR. 79, S.12 . • 5 Vgl. GAOR, XXII, Annexes, agenda item 87, S.66. 61

62

4. Die Deklaration 2131 (XX) und der Text des Sonderausschusses

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den rechtlichen Relevanz nicht in einen Deklarationstext des Sonderausschusses aufgenommen werden sollten. 4. Die Deklaration 2131 (XX) und der vom Ausschuß erarbeitete Text des Prinzips

Der erste Absatz des Deklarationstextes zum Prinzip der Nichtintervention wurde mit zwei Änderungen, welche seine rechtliche Substanz betreffen, aus der Resolution 2131 (XX) übernommen. Wohl mit Rücksicht auf lateinamerikanische Wünsche erweiterte man im ersten Satz den Kreis der vom Verbot der Intervention Betroffenen auf Staatengruppen ("No State or group of States has the rigth to intervene ... "), wodurch übereinstimmung mit dem Wortlaut des Art. 18 der Charta der Organisation Amerikanischer Staaten hergestellt wurde 66 • Auch Satz 2 entspricht fast wörtlich der dort getroffenen Formulierung. Dieser erste Absatz des Deklarationstextes enthält, wie es von vielen sozialistischen. afro-asiatischen und lateinamerikanischen Delegierten schon während der ersten Sitzungsperiode des Ausschusses vorgeschlagen worden war, ein allgemein gehaltenes, umfassendes Verbot der Intervention, das im einzelnen von den folgenden Bestimmungen des Textes noch substantiiert wird. So verbietet Satz 1 die Intervention in die inneren oder äußeren Angelegenheiten eines anderen Staates, aus welchem Grunde sie auch immer erfolgen mag. Die Gleichsetzung von inneren und äußeren Angelegenheiten im Rahmen des Verbots der Intervention war ursprünglich auf den entschiedenen Widerstand der Vertreter westlicher Staaten gestoßen. Der nur anfangs vereinzelt geäußerte Vorwurf, der Ausschuß überschreite mit einer solchen Formulierung seinen ausdrücklichen Auftrag der Kodifizierung des Prinzips der Nichtintervention in die "domestic jurisdiction", wurde noch während der ersten Sitzungsperiode zu Gunsten einer substantielleren Argumentation fallen gelassen. Der niederländische Delegierte67 gab zu verstehen, es sei nicht ratsam, einen Unterschied zwischen inneren und äußeren Angelegenheiten zu machen, da sich doch beide Kriterien aus der staatlichen Souveränität, zu deren Schutz gerade das Prinzip der Nichtintervention aufgestellt sei, ergäben. Gegenstand des Prinzips sei also "the freedom of choice", ohne die ein unabhängiger Staat nicht existieren könne; sie werde in dem Begriff domestic jurisdiction erfaßt, der somit interne wie externe Aspekte aufweise. 66 Das Änderungsprotokoll zur Charta der OAS vom 27.2. 1967 führte eine neue Numerierung der Chartabestimmungen ein, so daß der frühere Artikel 15 jetzt voll inhaltlich dem des Art. 18, Art. 16 dem des Art. 19 entspricht; vgl. I.L.M., 1967, S. 310 ff. (S. 313); Text in UNTS Bd 119-120, 1952, S. 48 H. (Nr.1609). 67 Riphagen (Niederlande), A/AC.119/SR. 30, S.13.

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2. Kap.: B. Das Prinzip der Nichtintervention

Den eigentlichen Grund einer Ablehnung der Gleichsetzung von inneren und äußeren Angelegenheiten konkretisierte der italienische Delegierte68 während der zweiten Sitzungsperiode. Er machte darauf aufmerksam, daß die Staaten in ihren äußeren Angelegenheiten dem internationalen Recht unterworfen seien; Interventionen in die äußeren Angelegenheiten unterlägen daher nicht den gleichen Beschränkungen wie solche in die inneren Verhältnisse eines Landes. Während die Staaten ein Recht auf Unverletzlichkeit des vorbehaltenen Hoheitsbereichs (innere Angelegenheiten) haben, stehe ihnen dieses Recht nicht in gleicher Weise für politische Akte mit Außenwirkung zu. Der Vertreter der Niederlande 69 wies darauf hin, daß die Freiheit der Wahl der Mittel in äußeren Angelegenheiten durch die Existenz einer internationalen Rechtsordnung begrenzt sei. Soweit Staaten diese Grenzen überschritten, könnte es einen Schutz vor Interventionen nicht geben. Die dargestellte Argumentation verdeutlicht die Problematik, die sich aus der Gleichsetzung des Interventionsverbotes bezüglich innerer und äußerer Angelegenheiten ergibt. Es darf wohl festgestellt werden, daß der Deklarationstext in dieser Hinsicht geltendem Völkerrecht nicht Rechnung trägt und insbesondere die fortschreitenden Integrationsbestrebungen nicht hinreichend berücksichtigt. Gerade in den äußeren Beziehungen der Staaten kann auf einen sinnvollen Druck und Gegendruck zur Förderung geschichtlich und politisch gebotener Zusammenarbeit im Gegensatz zu den Angelegenheiten des vorbehaltenen Hoheitsbereichs nicht verzichtet werden. Aus dem gleichen Grunde läßt sich auch die kategorische Formulierung des ersten Satzes der Deklaration, "No State or group of States has the right to intervene, directly or indirectly, for any reason whatever", nicht mit geltendem Völkerrecht vereinbaren. Mit Recht weist in diesem Zusammenhang Oppermann auf den insbesondere im Bereich der europäischen Gemeinschaften zu erblickenden "Entstaatlichungsprozeß" hin1o , der eine Einmischung durch die europäischen Partnerstaaten geradezu herausfordert bzw. hinfällig macht. Der zweite Satz des Deklarationstextes zum Prinzip der Nichtintervention spricht von einem Verbot der bewaffneten Intervention und aller anderen Arten der Einmischung. Hierfür wird das Wort "interference" verwendet. Obwohl sich aus Wörterbüchernl l keine klare Vgl. Arangio-Ruiz (Italien), A/AC.125/SR. 16, S.14. Riphagen (Niederlande), A/AC.125/SR. 16, S.6; ähnlich Miller (Kanada), A/AC.125/SR. 73, S.lO; Blix (Schweden), A/AC.125/SR. 73, S.12. 10 Oppermann, S. 335 f. i1 Schäffler-Weis übersetzen "interference" mit Widerstreit, Einmischung, Eingriff, Intervention, Störung, Beeinträchtigung, "intervention" mit Einmischung, Intervention; Cassell gibt "interference" mit Dazwischentreten, 68

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4. Die Deklaration 2131 (XX) und der Text des Sonderausschusses

123

Unterscheidung zwischen "intervention" und "interference" ergibt, wird doch eine graduelle Abstufung nach "unten hin" zwischen den Begriffen "armed intervention", "intervention" und "interference" deutlich. Interference weist somit den geringsten Intensitätsgrad auf. Will man den Begriff "interference" mit Einmischung und "intervention" zur KlarsteIlung der unterschiedlichen Intensität des Eingriffs mit Intervention übersetzen - wobei sich immer noch die Steigerung zur bewaffneten Intervention hin bietet -, so wird praktisch jede Form der Einflußnahme auf die Politik eines anderen Staates unter das Interventionsverbot gestellt. Der Text setzt nicht unbedingt die Anwendung von Mitteln mit Zwangs charakter voraus, sondern erfaßt, wie sich aus dem Verbot auch indirekter Methoden ergibt, auch sonstige Maßnahmen, soweit sie nur letztlich eine Einflußnahme darstellen72 • Es liegt auf der Hand, daß dieses Verbot infolge seiner Schrankenlosigkeit der politischen und selbst völkerrechtlichen Wirklichkeit nicht entsprechen kann, denn gewisse zwischenstaatliche Pressionen und gegenseitige politische Einflußnahmen sind als Regulativ und Förderer fortschrittlicher Entwicklungen aus dem zwischenstaatlichen Bereich ebensowenig hinwegzudenken wie Einflußnahmen im privaten Verkehr, die sich innerhalb der "geschichtlich gewordenen sozialethischen Ordnung des Gemeinschaftslebens bewegen und von ihr gestattet werden", und dennoch eine Beschränkung der persönlichen Handlungsfreiheit enthalten73 • Der zweite Satz des Textes spricht ferner von einem Verbot der "attempted threats against the personality of the State ... ". Der Ausdruck "personality of the State" löste schon bei der Erörterung der Resolution 2131 während der zweiten Sitzungsperiode Kritik seitens westlicher Staatenvertreter aus74 • Man stellte die Frage, was der Ausdruck zu bedeuten habe, und ob er dem Konzept der territorialen Integrität und der nationalen Unabhängigkeit noch Wesentliches hinzufüge. In der Tat läßt die Formulierung Zweifel über ihre inhaltliche Bedeutung aufkommen, wie sich auch aus der in der Zeitschrift "Deutsche Einmischung, Eingriff, Beeinträchtigung, Interferenz, Störung, "intervention" dagegen mit Dazwischentreten, Dazwischenkommen, Einmischung, Vermittlung, Eingreifen, Intervention an. 72 So auch Gerlach, S. 48; Gerlach stellt dabei auf den Art. 15 der Charta der OAS (heute Art. 18) ab, der im wesentlichen den gleichen Wortlaut wie Absatz 1 des Textes zum Prinzip der Nichtintervention hat. 73 Ähnlich auch Gerlach, S.48; Oppermann, S.340 (Fußnote 64); vgl. auch Schwarzenberger, The Fundamental Principles of International Law, S.224, mit seiner Kritik an Art. 15 und 16 der Satzung der OAS: das Verbot der Intervention sei dort ... "as wide as to be in danger of defeating its own ends", und Dahm, VR Bd 1, S.206. 74 Vgl. Sinclair (Vereinigtes Königreich), A/AC.125/SR.I0, S. 8; Monod (Frankreich), A/AC.125/SR. 12, S.6; Blix (Schweden), A/AC.125/SR. 12, S.9.

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2. Kap.: B. Das Prinzip der Nichtintervention

Außenpolitik"75 erschienenen Deklarationsübersetzung ergibt. Dort wird "personality of the State" zwar richtig mit "Völkerrechtssubjektivität eines Staates" wiedergegeben. Diese Übersetzung erscheint jedoch wenig sinnvoll, zumal der Begriff Völkerrechtssubjektivität lediglich ausdrückt, daß ein Staat Gegenstand völkerrechtlicher Verpflichtungen und Rechte ist. Die Völkerrechtssubjektivität vermögen aber versuchte Drohungen nicht zu beeinflussen. Die Formulierung "personality of the State" verweist im gegebenen Zusammenhang vielmehr auf das Konzept der politischen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit und der territorialen Unversehrtheit, weil nur in diesem Bereich die Gefahr der Beeinträchtigung durch versuchte Drohungen besteht76 • Trotz ihrer eindringlichen Kritik gelang es den westlichen Delegierten nicht, dieses Streitobjekt durch eine klare und unmißverständliche Formulierung im endgültigen Deklarationstext zu ersetzen. Dagegen einigten sich die Mitglieder des Sonderausschusses darauf, den von rechtlicher Sicht aus unzulänglichen Ausdruck " ... armed intervention and all other forms of interference ... , are condemned", des ersten Absatzes der Resolution 2131 nicht in den Deklarationstext zu übernehmen, sondern durch ein ausdrückliches Verbot zu ersetzen. Der zweite Absatz des Deklarationstextes zum Interventionsverbot, dessen erster Satz im übrigen wesentliche Teile des Art. 19 der Satzung der OAS wiedergibt, stellt eine Konkretisierung des im ersten Absatz enthaltenen allgemeinen Interventionsverbotes dar. Er erwähnt ökonomische, politische und andere Mittel, mit denen ein anderer Staat gezwungen werden könnte, auf die Ausübung seiner souveränen Rechte zu verzichten, oder aber mit denen von diesem Vorteile gleich welcher Art erlangt werden könnten. Aus den Erörterungen im Ausschuß läßt sich entnehmen, daß unter politischen Interventionsmitteln in erster Linie der Abbruch der diplomatischen Beziehungen oder seine Androhung zu verstehen ist, mit deren Hilfe Staaten zur Nichtanerkennung eines dritten Staates veranlaßt werden sollen. Der tschechoslowakische Resolutionsentwurf zur ersten Sitzungsperiode macht hier das besondere Anliegen sozialistischer Staaten deutlich - Erreichung der völkerrechtlichen Anerkennung des DDR-Regimes bzw. Verurteilung der Nichtanerkennungspolitik der BRD Deutsche Außenpolitik 16, 1971, S. 608 ff. (613). Im übrigen ist auch das Verbot der "attempted threats" ein Beweis für die im Text enthaltene Ausuferung des Interventionsbegriffs. Es läßt sich zwar verstehen, daß Drohungen eine Intervention enthalten können, welchen Inhalt sollte aber die ein "minus" gegenüber der Drohung darstellende nur "versuchte Drohung" haben. Es sei die Frage gestellt, ob der Begriff der versuchten Drohung (attempted threat) überhaupt noch sinnvoll ist, denn es bestehen doch Zweifel, wie, und vor allem ob sich eine "versuchte Drohung" jemals äußerlich erkennbar machen wird. 75 76

4. Die Deklaration 2131 (XX) und der Text des Sonderausschusses

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(Hallstein-Doktrin) -, wenn er in seinem dritten Absatz die Androhung oder den Abbruch diplomatischer Beziehungen besonders hervorhebt: "States shall refrain from exerting pressure by any means, including the threat to severe diplomatie relations, in order to eompel one State not to reeognize another State." Angesichts der unterschiedlichen Einstellung zur Anerkennungspraxis und der damit verbundenen Ostpolitik der BRD konnten heftige Diskussionen im Ausschuß nicht ausbleiben. Der polnische Delegierte verurteilte die deutsche Haltung und meinte, die Hallstein-Doktrin sei keine Doktrin einfacher Nichtanerkennung, sondern ein Programm qualifizierter Nichtanerkennung, die die Ausübung von Druck auf dritte Staaten einschließe 77 • Da dieser Druck inbesondere Androhung oder Abbruch der diplomatischen Beziehungen enthalte, werde damit der souveräne Wille dritter Staaten, der sich sowohl in der Anerkennung wie auch der Nichtanerkennung eines anderen Staates äußern könne, beeinträehtigt78 • In ähnlicher Weise äußerten sich auch Vertreter afrikanischer Staaten, die die Entscheidung über die Anerkennung eines anderen Staates als eine Manifestation staatlicher Souveränität bezeichneten, die frei von Pressionen dritter Länder sein sollte79 ; werde dennoch Druck ausgeübt, so sei dies ein Fall verbotener politischer Intervention in die äußeren Angelegenheiten eines anderen Staates. Unterstützung fand demgegenüber die als Hallstein-Doktrin benannte Politik der BRD durch westliche Delegierte, die die Androhung oder den Abbruch der diplomatischen Beziehung mit dem Ziel, dritte Staaten von der völkerrechtlichen Anerkennung der DDR abzuhalten, als einen Akt rein politischer Natur bezeichneten, der weder eine direkte noch eine indirekte Intervention darstelleB°. Die Entscheidung der BRD, die diplomatischen Beziehungen zu Staaten abzubrechen, welche die DDR anerkennen, leite sich aus der "domestic jurisdiction" ab und könne als solche nicht als Interventionstatbestand aufgefaßt werden81 • Die Einführung politischer und wirtschaftlicher Mittel in die Interventionstatbestände hatte in den beiden ersten Sitzungsperioden heftigen Widerspruch seitens westlicher Delegierter hervorgerufen, die darin eine Beschränkung der politischen Handlungsfreiheit der Staaten Bierzanek (Polen), AfAC.119/SR. 31, S.10. Bierzanek (Polen), AlAC.119/SR. 25, S. 10 f.; ähnlich auch Katzantsev (USSR), A/AC.1l9/SR.28, S.17. 79 Agoro (Nigeria), A/AC.1l9/SR. 28, S.19; Shitta-Bey (Nigeria), AfAC.125/ SR. 72, S.17; Mwendwa (Kenia), A/AC.125/SR. 72, S.18; ähnlich auch Gonzalez Galvez (Mexiko), A/AC.125/SR.72, S.8. 80 VgI. Schwebel (USA), AlAC.1l9/SR. 29, S.l1. 81 Monod (Frankreich), AlAC.119/SR. 28, S. 10 f.; ähnlich auch Riphagen (Niederlande), AfAC.119/SR. 30, S.14. 77

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2. Kap.: B. Das Prinzip der Nichtintervention

sahen. Erst im Jahre 1967 waren sie, wie der britische Resolutionsvorschlag zeigt, vom klassischen Interventionsverständnis abgewichen. Dennoch darf angenommen werden, daß sie dieser schrankenlosen Untersagung jeder politischen und wirtschaftlichen Beeinflussung - denn alle im zwischenstaatlichen Verkehr als Ausdruck politischer Entscheidungen angewandten wirtschaftlichen und diplomatischen Mittel fordern letztlich immer einen Verzicht gewisser Souveränitätsrechte -, nur um des Zustandekommens des ganzen Deklarationskomplexes willen zugestimmt habenS!. Neben den ökonomischen und politischen Interventionsmitteln erwähnt der zweite Absatz des Deklarationstextes zum Interventionsverbot auch Maßnahmen subversiver Natur, welche den Sturz der Regierung eines anderen Staates ermöglichen sollen oder eine Einmischung in innere Unruhen anderer Länder darstellen. Soweit hier bewaffnete subversive Aktionen angesprochen sind, werden diese bereits durch das Gewaltverbot erfaßt; die Formulierung zum Verbot subversiver Maßnahmen im Prinzip der Nichtintervention ist aber gegenüber der des Gewaltverbots insofern umfassender, als hier auch subversive Einflußnahmen nichtmilitärischen Charakters unter das Verbot fallen. Auf starke Kritik der westlichen Delegierten stieß der dritte Absatz des Deklarationstextes, der die Gewaltanwendung zur Zerstörung der nationalen Identität eines Volkes als Verletzung des Prinzips der Nichtintervention und der unveräußerlichen Rechte dieses Volkes bezeichnet. Man stellte die Frage, ob diese Formulierung überhaupt Eingang in einen rechtlichen Text finden sollte, zumal sie sich doch mit inneren Angelegenheiten der Staaten, wie dem Schutz der Menschenrechte und den Rechten der Minderheiten, zu beschäftigen scheine83 • Das Interventionsverbot betreffe demgegenüber nur die zwischenstaatlichen Beziehungen, nicht aber das Verhältnis der Staaten zu den ihnen untergeordneten Völkern. Trotz der Bedenken westlicher Delegierter wurde diese Formulierung der Resolution 2131 (XX) in den endgültigen Deklarationstext übernommen. In dem Beharren sozialistischer und afro-asiatischer Delegierter auf Übernahme dieses Textes lassen sich Parallelen zu den Diskussionen über ein ausdrückliches Verbot jeglicher Gewaltanwendung gegen die 82 Reis (USA) machte darauf aufmerksam, daß die Formulierung "no State may use or encourage the use of economic ... " sehr problematisch sei. Eine rechtliche Interpretation könne dazu führen, die normalen und üblichen diplomatischen und wirtschaftlichen Maßnahmen im zwischenstaatlichen Verkehr unmöglich zu machen; vgl. A/AC.125/SR. 72, S.5; ähnlich auch Riphagen (Niederlande), A/AC.125/SR. 73, S.7. 83 Sinc1air (Vereinigtes Königreich), A/AC.125/SR.1O, S. 8; Hargrove (USA), A/AC.125/SR. 13, S.8.

4. Die Deklaration 2131 (XX) und der Text des Sonderausschusses

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nach Selbstbestimmung strebenden Völker aufzeigen. Da nämlich im siebten Absatz des Textes zum Gewaltverbot jegliche Gewalt gegen solche Völker untersagt wird, konnten sozialistische und afro-asiatische Vertreter auch beim Prinzip der Nichtintervention nicht auf ein entsprechendes Verbot verzichten. Mit der Erwähnung von Maßnahmen gegen abhängige Völker im Rahmen der Nichtintervention sollte der bereits beim Gewaltverbot begonnene Versuch, das Verhältnis zwischen Staaten und ihren um Selbstbestimmung ringenden Völkern zu internationalisieren und damit völkerrechtlicher Regelung zugänglich zu machen, fortgesetzt werden. Dennoch läßt sich auch hier ebenso wie im Rahmen des Gewaltverbots feststellen, daß die in der Formulierung zum Ausdruck: kommende Internationalisierung des Verhältnisses von Staat und Volk geltendem Völkerrecht nicht entspricht84 • Vielmehr regeln sich die Beziehungen zwischen Selbstbestimmung fordernden Völkern und den Staaten, welchen sie unterworfen sind, nach innerstaatlichem Recht, soweit es die Ausübung von Herrschaftsgewalt betrifft. Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der gegebenen staatlichen Ordnung können daher, selbst wenn dies gegenüber einem Kolonialvolk geschieht, nicht als völkerrechtswidrige Interventionen bezeichnet werden8'>; denn solche setzen zumindest das Vorhandensein zweier Völkerrechtssubjekte voraus. Die zweifellos geringste Beachtung in den Diskussionen des Ausschusses fand der fünfte Absatz der Resolution 2131, der sich als vierter Absatz des Textes zum Prinzip der Nichtintervention wiederfindet. Er betont das unveräußerliche Recht der Staaten, ohne äußere Beeinflussung das eigene politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle System zu wählen. Die Formulierung entspricht inhaltlich der des tschechoslowakischen Entwurfs zur ersten Sitzungsperiode des Ausschusses: "In particular, any interference or press ure by one State or group of States for the purpose of changing the social or political order in another State shall be prohibited." Der polnische Delegierte86 verteidigte den tschechoslowakischen Vorschlag damals mit dem Bemerken, angesichts der Teilung der Welt in gegnerische ideologische "Camps" und unterschied8' Vgl. hierzu ausführlich die Begründung bei der Kommentierung des Gewaltverbotes, infra 2. Kap., A, 8 b. 85 Blesinger, S. 193 f., macht auf den interessanten Aspekt aufmerksam, daß Interventionen nicht etwa dann erlaubt seien, wenn sie der Unterstützung von Befreiungsbewegungen dienten und von diesen sanktioniert würden. Nur ein Völkerrechtssubjekt könne eine Intervention legalisieren; diese Voraussetzung treffe aber nicht etwa für eine Volksgruppe zu, die ein Selbstbestimmungsrecht beanspruche. 86 Bierzanek (Polen), A/AC.119/SR. 25, S.10; ähnlich Critescu (Rumänien), A/AC.119/SR. 26, S.6.

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2. Kap.: B. Das Prinzip der Nichtintervention

liche politische und wirtschaftliche Systeme sei die Feststellung notwendig, daß alle Pressionen oder Einflußnahmen mit dem Ziel der Änderung des politischen oder wirtschaftlichen Systems eines anderen Staates verboten sind. Der sowjetische Delegierte87 fügte hinzu, daß die Völker - falls notwendig - zwar das Recht hätten, obsolete wirtschaftliche und gesellschaftliche Systeme zu ersetzen, dies dürfe aber nicht auf dem Wege des "Exports" der Revolution in kapitalistische oder dem der Konterrevolution in sozialistische Länder geschehen. Die Errichtung eines neuen gesellschaftlichen und politischen Systems in einem Lande sei eine innere Angelegenheit, die nur durch das Volk dieses Landes geregelt werden könne88 • Demgegenüber wollte sich der amerika nische Vertreter8 9 mit dem tschechoslowakischen Vorschlag eines Verbots von Maßnahmen, die auf Änderung des politischen und gesellschaftlichen Systems gerichtet sind, nicht einverstanden erklären. Er argumentierte, diese Formulierung würde eine Intervention selbst dort unmöglich machen, wo das politische und gesellschaftliche System durch eine systematische Unterdrückung und die Verweigerung politischer und anderer Menschenrechte charakterisiert werde. Es wäre damit nicht einmal erlaubt, Verachtung und Verurteilung solcher Situationen wie Apartheit-Politik, Kolonialismus in gewissen Ausgestaltungen oder Totalitarismus auszudrücken, da dann bereits das Ziel, diese Systeme zu ändern, erkennbar wäre. Diese Argumentation wurde jedoch im Hinblick auf die entsprechende Formulierung des Deklarationstextes nicht mehr wiederholt. Der Grund dafür lag wohl auch darin, einer möglichen Kritik an der amerikanischen Politik in Südostasien und Lateinamerika vorzubeugen. So wurde denn der Text des fünften Absatzes der Resolution 2131 ohne Diskussion, welche die Formulierung selbst beträfe, in die Formulierung des Prinzips der Nichtintervention übernommen. Im Vergleich zur Formulierung des ersten Absatzes des Prinzips der Selbstbestimmung fällt allerdings auf, daß hier von einem unveräußerlichen Recht des Staates - gegenüber dem der Völker beim Prinzip der Selbstbestimmung - auf Wahl des politischen, wirtschaftlichen etc. Systems gesprochen wird: "Every State has an inalienable right to choose its political, economic . .. system without interference ... " Ein gewisser Widerspruch zu dem beim Prinzip der Selbstbestimmung niedergelegten Recht der Völker auf freie Bestimmung des politischen Status etc. läßt sich hier nicht leugnen. Dieser Widerspruch löst sich jedoch dann auf, wenn man die Formulierung als ein Verbot der Einflußnahme auf innerstaatliche Katzantsev (USSR), A1AC.1l9/SR. 28, S. 12 f. Ähnlich auch Agoro (Nigeria), A/AC.1l9/SR. 28, S.18. 8. Schwebel (USA), A1AC.1l9/SR. 29, S.10.

87 88

5. Stellungnahmen zum Interventionsverbot in der Literatur

129

Vorgänge, welche die Änderung des politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen oder kulturellen Systems betreffen, ansieht. Dann nämlich verbindet sich mit dem Wort "Staat" nicht etwa dessen Recht auf Änderung des innerstaatlichen Gesellschafts- oder Wirtschaftssystems, sondern lediglich das Recht auf Freiheit von solchen Einflußnahmen dritter Staaten, die die Änderung der Systeme innerhalb seines Herrschaftsbereiches zur Folge haben könnten. Die Formulierung will letztlich also den Prozeß politischer, wirtschaftlicher oder gesellschaftlicher Veränderungen ausschließlich innerstaatlichen, durch Interventionen unbeeinflußten Kräften vorbehalten wissen. Nur in dieser Interpretation dürfte die Formulierung sinnvoll erscheinen. 5. Stellungnahmen zu Inhalt und Umfang des Interventionsverbotes in der Literatur

Entsprechend vielgestaltig zu den im Ausschuß vertretenen Meinungen zu Inhalt und Umfang des Interventionsverbotes sind auch die Auffassungen in der völkerrechtlichen Literatur9o • Sie lassen sich einordnen in klassisches und progressives Interventionsverständnis, wobei jedoch mit progressiv keine Wertung getroffen werden soll. Richtungweisend für die überwiegende Meinung in der Literatur ist die von Lauterpacht91 geprägte Definition der Intervention, der sie als "dictatori al interference, not intervention pure and simple" versteht. Kennzeichnend für seine Begriffsbestimmung ist das Merkmal des Zwangs, der sie gerade von der "intervention pure and simple" unterscheidet. Daß Lauterpacht unter "dictatorial interference" die Anwendung von Gewalt (bewaffnete Gewalt) versteht, geht aus seinen Beispielen hervor, die sich ausschließlich mit Fällen beschäftigen, in denen das besondere Merkmal die Verwendung militärischer Mittel zur Einflußnahme auf andere Staaten und Regierungen ist. Der von Lauterpacht verwendeten Begriffsbestimmung haben sich unter anderem auch Wright, Fawcett und Starke angeschlossen9!. Gemeinsam betonen sie den diktatorischen Charakter der Intervention, der sich insbesondere in der Anwendung von Gewalt äußere. Obwohl 90 Einen erschöpfenden überblick über die in der Literatur vertretenen Auffassungen zur Interventionsproblematik bietet Gerlach, S. 52 ff. 91 Oppenheim - Lauterpacht, Bd 1, S. 305. 92 Fawcett, Intervention in International Law, S. 347 ff.; Starke, S.94; Wright, Is Discussion Intervention?, S. 106; ähnlich wohl auch Verdross, VR, S.228, der das Verbot der Intervention auf autoritative Einmischungen beschränkt, die mit Gewalt oder Androhung von Gewalt verbunden sind, während bloße Beeinflussungen gestattet seien. Allerdings schränkt er diese Feststellung im folgenden wieder ein, wenn er schreibt, die Abgrenzung sei in concreto nicht immer leicht möglich.

9 Graf zu Dohna

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2. Kap.: B. Das Prinzip der Nichtintervention

auch sie keine Erläuterung für den von ihnen gebrauchten Gewaltbegriff abgeben, sprechen doch auch ihre Beispiele eine eindeutige Sprache. Als einziger Anhänger der klassischen Interventionslehre gibt dagegen Kelsen klar zu erkennen, daß er das Merkmal des diktatorischen Eingriffs mit den durch Art. 2 Abs. 4 SVN untersagten Maßnahmen gleichsetzt93 • Die klassische nur am Gewalterfordernis ausgerichtete Interventionslehre konnte in der Literatur nicht unwidersprochen bleiben. Sie verkennt, daß das Gewalterfordernis als Voraussetzung eines Einmischungsverbotes den vielfältigen wirkungsvollen Möglichkeiten moderner Machtpolitik nicht mehr entspricht94 • Die Möglichkeiten staatlicher Einftußnahmen unterhalb der Gewaltschwelle haben vielmehr offene militärische Auseinandersetzungen in den Hintergrund treten lassen, zumal die Anwendung insbesondere politischer und wirtschaftlicher Mittel die gleichen Erfolge hervorruft, ohne jedoch im Urteil der Weltöffentlichkeit einer entsprechenden Ächtung zu unterliegen. Da der Zweck des Interventionsverbotes gerade darin bestehen sollte, die staatliche Souveränität in sinnvoller Weise zu schützen, muß der Kreis der verbotenen zwischenstaatlichen Einftußnahmen über das Gewaltverbot hinausgezogen werden; denn der Grund des Verbots kann nicht nur in der angewandten Methode, sondern in erster Linie in ihrer Wirkung liegen. Die Wirkung aber besteht in der Beschränkung der staatlichen Souveränität. Schon MosIer zeigte in seiner Schrift "Die Intervention im Völkerrecht" die Wechselbeziehung zwischen Intervention und Souveränität auf95 • Die Souveränität sei die Grenze, "jenseits derer die inneren Angelegenheiten beginnen, die den Gegenstand des Eingriffs fremder Mächte bilden". Daß diese Eingriffe nicht unbedingt gewaltsamen, "diktatorischen" Charakter haben müssen, wird aus seinen Beispielen ersichtlich96 • Selbst Rundfunkpropaganda könne einen Fall verbotener Intervention darstellen. Mosler unterläßt es jedoch, zum Inhalt des Begriffs der Souveränität Stellung zu nehmen, um an Hand einer solchen Definition ein Abgrenzungskriterium gegenüber den bloßen politischen Einftußnahmen zu gewinnen. Versteht man Souveränität als die Summe aller dem Völkerrecht entsprechenden staatlichen Verhaltensweisen mit Wirkung im inner- wie zwischenstaatlichen Bereich, so wird die

Kelsen, S. 770. Vgl. Jessup, S.172; Wynen Thomas - A. Thomas, Non-Intervention, S.69; Friedmann, The Changing Structure of International Law, S. 270 f.; 'Von Glahn, S. 173; Berber, VR Bd 1, S. 186; Wengler, VR Bd 2, S. 139 ff. 95 Mosler, S. 11. 96 Mosler, S. 51 ff. 93

94

5. Stellungnahmen zum Interventionsverbot in der Literatur

131

Problematik einer sinnvollen Unterscheidung zwischen verbotener Intervention und erlaubter politischer Einflußnahme deutlich. Grundlage für die weiteren Betrachtungen ist die Tatsache, daß jede Form der zwischenstaatlichen Einmischung eine Souveränitätseinbuße auf der Seite des Betroffenen - soweit dieser sich nicht bereits freiwillig gewisser Rechte begeben hat - anstrebt oder bewirkt. Sinn des Interventionsverbotes kann es allerdings nicht sein, die im politischen Tagesgeschehen notwendige Anwendung von Druck und Gegendruck zur Erreichung politischer Ziele schlechthin als völkerrechtswidrig auszuschließen97 • Das Problem besteht also darin, das Interventionsverbot "nach unten" zu den gerade noch zulässigen Einflußnahmen abzugrenzen, also Einwirkungen auf den Willen der Staaten vernünftige Grenzen zu ziehen. Die meisten Autoren deuten die Problematik lediglich an, ohne konkrete Maßstäbe für die Abgrenzung anzubieten98 • Sie führen zwar Beispiele verbotener Einmischungsformen unterhalb der Gewaltschwelle an, lassen aber brauchbare Abgrenzungskriterien zu den üblichen politischen Einwirkungen vermissen99 • 97 Vgl. Dahm, VR Bd 1, S.206; Friedmann, Intervention and International Law, S.42, 49; Henkin, S.142. 98 Vgl. Menzel, VR, S.216, 329; Verdross, VR, S.228f.; Jessup, S.172f.; von Glahn, S. 173; P i radow-Starushenko, S.195 ff. 99 Verdross etwa unterscheidet zwischen völkerrechtswidrigen Interventionen und bloßen Interzessionen; die Zuweisung von Maßnahmen zur jeweiligen Gruppe müsse sich aus den "Umständen" ergeben. Menzel weist insbesondere auf die Schärfe des ideologischen Kampfes zwischen den beiden Blöcken hin, die eine Unterscheidung zwischen verbotener Einmischung und erlaubter politischer Beeinflussung schwierig mache. Die Abgrenzung sei allerdings wegen der unterschiedlichen Empfindlichkeit der Staaten schwierig. Als Maßstab empfiehlt er den Grad der Empfindlichkeit, jenseits dessen eine Einwirkung nicht mehr zumutbar ist. Dieser Maßstab ist jedoch wenig geeignet, da er das Abgrenzungskriterium in das Belieben des betroffenen Staates stellt und damit eine objektive Entscheidung über die Zuordnung des angewandten Mittels erschwert. Für Haedrich (Intervention, S. 145) ist für die Abgrenzung von Intervention und Interzession der "Wille des Interzedenten" maßgebend. Dieser darf sich nicht auf die zwangsweise Durchsetzung seiner Ratschläge oder Mahnungen richten. Dieser Argumentation ist der Vorwurf zu machen, daß der in Frage stehende Wille oft gar nicht feststellbar ist. Außerdem läßt sie die Art und Weise und die Intensität des Eingriffs unberücksichtigt. Berber (S. 186) nennt als Mittel der Intervention auch diplomatische, finanzielle, wirtschaftliche, propagandistische und subversive Maßnahmen, die als solche nicht verboten seien, mit deren Vornahme aber versucht werde, in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise, unter Ausnutzung einer überlegenen Machtlage heimtückisch oder arglistig in den Bereich der freien Selbstbestimmung eines Staates einzugreifen. Freilich nennt Berber keine Kriterien, die den Rechtsbegriff des Verstoßes gegen die guten Sitten im völkerrechtlichen Bereich oder den der Heimtücke und Arglist konkretisieren würden. Demgegenüber sieht Wengler (S.1045) die Problematik der Unterscheidung zulässiger Einmischung von verbotener Intervention in erster Linie



132

2. Kap.: B. Das Prinzip der Nichtintervention

Dahm gebührt das Verdienst, brauchbare Unterscheidungskriterien, die im übrigen noch von Gerlach vervollkommnet wurden, eingeführt zu habenloo. Er nennt zunächst allgemein bekannte Mittel möglicher Interventionen, wie militärische Gewalt, wirtschaftlichen und politischen Druck und subversive Maßnahmen und differenziert schließlich zwischen Zwangsmaßnahmen, "die schlechterdings untersagt sind" und Aktionen, die "erst im Hinblick auf die besonderen Umstände, unter denen sie erfolgen, anstößig werden". Zu den apriori verbotenen Mitteln rechnet er die Androhung oder Anwendung von Gewalt, die Unterstützung von Rebellen, die hetzerische Propaganda und ähnliches. Schwieriger werwerde es allerdings bei Handlungen, die als solche im Rahmen des völkerrechtlich Zulässigen liegen und erst durch das Hinzutreten besonderer Umstände den Charakter rechtswidriger Maßnahmen erhalten. Zur Lösung dieses Abgrenzungsproblems führt Dahm den Begriff der Sozialadäquanz ein. In Zweifelsfällen sei danach zu fragen, ob sich das Handeln eines Staates "noch mit den Rechtsanschauungen der gesitteten Welt, mit Anstand und Treu und Glauben vereinbaren läßt oder nicht". Die Lehre von der Sozialadäquanz im Völkerrecht als Maßstab für die Abgrenzung zwischen verbotener Einmischung und erlaubter politischer Einflußnahme hat Gerlach 101 weiter dogmatisch vertieft. Zunächst in der Abgrenzung der inneren Angelegenheiten von den nicht durch das Interventionsverbot geschützten sonstigen Angelegenheiten der Staaten. Kraft allgemeiner Rechtsüberzeugung habe sich ein Katalog typisch innerer Angelegenheiten gebildet, die aber auch politisch bedingten Veränderungen unterlägen. Abstrakte Kriterien, die eine Abgrenzung ermöglichen könnten, nennt er jedoch nicht. Gewisse Unterscheidungskriterien setzt Friedmann, Intervention, S.49, 55, wenn er politische Interventionen als Teil des "give and take in international relations" betrachtet, mit Ausnahme solcher Handlungen, die zu direktem politischem Zwang und dem Versuch ausarten, einen anderen Staat unter Androhung militärischer oder wirtschaftlicher Sanktionen zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen. Hinsichtlich wirtschaftlicher Einflußnahmen meint Friedmann: "In the present state of international law, it would seem that only physical coercion, lack of legal oder political freedom of decision making, and perhaps exeptional situations where an economic emergency, such as anational famine or disease, would be exploited by the donar for the imposition of oppressive conditions, could be charactarized as illegal forms of economic intervention." Sowjetische Autoren wie etwa Tunkin und Piradow-Starushenko nehmen dagegen zu einer Abgrenzung gegenüber erlaubten Einflußnahmen nicht Stellung. Nach Tunkin (Das Völkerrecht der Gegenwart, S.76) ist jeder Staat gemäß dem Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten verpflichtet, "jegliche Handlungen zu unterlassen, die eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates darstellen. Vgl. zur sowjetischen Haltung zum Prinzip der Nichtintervention auch Hacker, Die Intervention in Theorie und Praxis, S. 158 ff. 100 101

Dahm, VR Bd 1, S . 106 f. Gerlach, S. 177 fi.

5. Stellungnahmen zum Interventionsverbot in der Literatur

133

weist er an Hand der Entwicklung der Sozialadäquanz im Straf- und Arbeitsrecht nach, daß es sich dabei um ein Rechtsprinzip handelt, dessen Bedeutung sich keineswegs auf ein Rechtsgebiet beschränktt 02 • Vielmehr ist die Sozialadäquanz ein allgemeingültiger Maßstab für die Abgrenzung rechtswidriger Verhaltensweisen von eben noch rechtmäßigen103 • Gerade in Fällen der Einschränkung der Entscheidungsfreiheit durch ein bestimmtes Verhalten eines Dritten drängt sich das Kriterium der Sozialadäquanz als Maßstab zur Unterscheidung zwischen rechtswidriger und rechtmäßiger Handlungsweise auf. Eben diese Entscheidungsfreiheit hat die völkerrechtliche Intervention zum Gegenstand. Gerlach nennt für die Ausfüllung der Sozialadäquanz in bezug auf das Interventionsverbot drei Kriterien, die die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Einmischungstatbestandes ermöglichenl04 • Zunächst sei zu prüfen, ob die angewandte Methode als solche gegen eine völkerrechtliche Verbots norm verstößt (z. B. Anwendung militärischer Gewalt). In einem solchen Falle ergibt sich die Unzulässigkeit der Einmischung nicht erst aus dem Interventionsverbot, sondern sie beruht bereits auf der der Handlung zugrunde liegenden Verbotsnorm 105 • Lasse sich die Rechtswidrigkeit der Handlungsweise an Hand einer eindeutigen Vorschrift nicht feststellen, so sei nach dem Zweck des Eingriffs zu fragen 106 • Wenn dieser darin besteht, den Adressaten des Eingriffs zu einem völkerrechtswidrigen Verhalten oder zu einer Handlung zu bestimmen, die sich aus der ausschließlich eigenen Sachzuständigkeit des betroffenen Staates ergibt (z. B. Einflußnahme auf die Besetzung von Staatsstellen, die Gesetzgebung etc.), so liege ebenfalls eine verbotene Einmischung vor. In vielen Fällen gewaltloser Interventionen läßt sich aber mit Hilfe der bei den aufgeführten Maßstäbe eine eindeutige Zuordnung zu verbotener Einmischung oder erlaubter Einflußnahme nicht treffen. Das Entscheidungskriterium in dieser Situation liefert dann das Verhältnis von Mittel und Zweck. Danach ist die Einwirkung auf die Entschlußfreiheit eines anderen Staates dann sozialinadäquat und damit untersagt, wenn die Verbindung von Mittel und Zweck als verwerflich anzusehen ist 107 • Bei Fehlen jeglichen Sachzusammenhangs zwischen den verwendeten Mitteln und dem angestrebten Zweck oder bei Verletzung 102 103 104 105 106 107

Ders., S. 193. Ders., S. 193. Ders., S.211. So auch Berber, VR Bd 1, S.186; Wengler, VR Bd 2, S. 1039 f. Gerlach, S. 211; vgl. auch Wengler, VR Bd 2, S.1049. Gerlach, S.212; so auch Oppermann, S.334.

134

2. Kap.: C. Das Prinzip der friedlichen Streitbeilegung

des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit des Mittels liegen die Voraussetzungen des Interventionsverbotes vor. Angesichts dieser Ausdeutung des Interventionsverbotes in der völkerrechtlichen Literatur dürfte ersichtlich sein, daß die im Deklarationstext verwandte Formulierung, die jegliche zwischenstaatliche zu einem Souveränitätsverlust führende Einmischung im Rahmen des Interventionsverbotes erfaßt, dem geltenden Völkerrecht und nicht zuletzt den Realitäten des politischen Tagesgeschehens 108 widerspricht. 6. Ergebnis

Die Absätze 1, 2 und 4 des Prinzips der Nichtintervention entsprechen nur beschränkt geltendem Völkerrecht, während der Absatz 3 insgesamt bereits über allgemein anerkanntes Völkerrecht hinausgeht. Absatz 5 stellt geltendes Völkerrecht dar.

c.

Das Prinzip der friedlichen Streitbeilegung

Every State shaIl settle its international disputes with other States by peaceful means in such a manner that international peace and security and justice are not endangered. States shaIl accordingly seek early and just settlement of their international disputes by negotiation, inquiry, mediation, concilation, arbitration, judicial settlement, res ort to regional agencies or arrangements or other peaceful means of their choice. In seeking such a settlement the parties shaIl agree upon such peaceful means as may be appropriate to the circumstances and nature of the dispute. The parties to a dispute have the duty, in the event of failure to reach a solution by any one of the above peaceful means, to continue to seek a settlement of the dispute by other peaceful means agreed upon by them. States parties to an international dispute, as weIl as other States, shall refrain from any action which may aggravate the situation so as to end anger the maintenance of international peace and security, and shall act in accordance with the purposes and principles of the Uni ted Nations. International disputes shall be settled on the basis of the sovereign equality of States and in accordance with the principle of free choice of means. Recourse to, or acceptance of, a settlement procedure freely agreed to by States with regard to existing or future disputes to which they are parties shaIl not be regarded as incompatible with sovereign equality. Nothing in the foregoing paragraphs prejudices or derogates from the applicable provisions of the Charter, in particular those relating to the pacific settlement of international disputes. 108 Vgl. auch die Beispiele bei Kaptan-Katzenbach, Die politischen Grundlagen des Völkerrechts, S. 64, 98 ff.

1. Vorbemerkungen

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1. Vorbemerkungen

Das Prinzip der friedlichen Streitbeilegung stand während der ersten drei Sitzungsperioden des Sonderausschusses auf dessen Tagesordnung. Bereits während der ersten Sitzungsperiode zirkulierte ein informeller Deklarationsentwurf im Redaktionskomitee des Sonderausschusses, der zu allgemeiner übereinstimmung hätte führen können1 ; auf Grund zeitlicher Begrenzung der Diskussionen zu den einzelnen Tagesordnungspunkten war jedoch eine endgültige Einigung nicht möglich. Während der zweiten Sitzungsperiode im Jahre 1966 einigte man sich schließlich auf einen gemeinsamen Deklarationstext zum vorliegenden Prinzip, dessen fünfter Absatz unter dem Druck westlicher und einiger afrikanischer Delegierter in inoffiziellen Gesprächen im Jahre 1970 eine weitere Modifikation erfuhr2 • Alle Delegierten betonten in ihren einleitenden Diskussionsbeiträgen die Bedeutung des Prinzips für die Aufrechterhaltung des Weltfriedens. Einige Staatenvertreter beleuchteten die geschichtliche Entwicklung des Prinzips, indem sie darauf verwiesen, daß noch im letzten Jahrhundert die "ultima ratio" der Streiterledigung der Krieg gewesen sei3 • Erst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts seien Bestrebungen zu erkennen, gewaltsame Mittel zur Lösung von internationalen Streitigkeiten einzuschränken. Der rumänische Delegierte verwies dabei auf die Haager Friedenskonferenz des Jahres 1907 (Convention for the Pacific Settlement of International Disputes), Artikel 12 der Völkerbundssatzung und Artikel 2 des Kellog-Paktes. Während die Haager Konvention4 und selbst die Völkerbundssatzung5 den Krieg als letztes Mittel der Streiterledigung noch nicht völlig ausschlossen, enthalte erst der Briand-Kellogpakt6 die absolute Verpflichtung, nur friedliche Schlichtungsmittel 1 Vgl. Sinclair (Vereinigtes Königreich), A/AC.125/SR. 27, S.4; siehe im übrigen zur Arbeit des Ausschusses an diesem Prinzip auch Houben, S. 710 ff. 2 Hierzu näher infra 2. Kap., C, 6. 3 Critescu (Rumänien), A/AC.119/SR.19, S.l1; vgl. auch Prosa (Tschechoslowakei), A/AC.119/SR. 18, S.4. 4 Art. 1 der Haager Konvention (1907) lautet: "With a view to obviating, as far as possible, re course to force in the relations between states, the contracting powers agree to use their best efforts to insure the pacific settlement of international differences." Art. 2: "In ca se of serious disagreement or dispute, before an appeal to arms, the contracting powers agree to have recourse, as far as circumstances allow, to the good offices or mediation of one or more friendly powers." 5 Art. 12 Völkerbundssatzung: "The Members of the League agree that, if there should arise between them any dispute likely to lead to a ropture, they will submit the matter either to arbitration or judicial settlement or to inquiry by the Council, and they agree in no ca se to resort to war until three months after the award by the arbitrators or the judicial decision, or the report by the Council." 6 Art.2 Briand-Kelloggpakt: "The High Contracting Parties agree that the settlement or solution of all disputes or confticts of whatever nature

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2. Kap.: C. Das Prinzip der friedlichen Streitbeilegung

anzuwenden. Diese Verpflichtung werde noch erweitert durch die Art. 2 Abs. 3 und 33 SVN, die zudem konkrete Methoden einer friedlichen Streiterledigung nennen. Viele Delegierte im Ausschuß schlossen aus den unzähligen Verträgen, Konventionen und Deklarationen (Charta der OAS, Charta der OAU, Deklarationen von Bandung und Belgrad etc.), die alle ein Bekenntnis zum Verzicht auf Gewalt in den zwischenstaatlichen Beziehungen enthalten, auf den Willen der Staaten, ihre internationalen Streitigkeiten friedlich beizulegen7 • Im übrigen aber ergebe sich aus internationalen Verträgen und nicht zuletzt auch aus dem Völkergewohnheitsrecht die Verpflichtung der Staaten zum Ausschluß jeglicher gewaltsamer Methoden bei der Lösung ihrer Streitfälle. 2. Grundlagen und Bedeutung des Prinzips

Wie bei allen anderen Prinzipien, die dem Sonderausschuß zur Kodifikation vorlagen, suchten die Delegierten auch hier die Grundlagen des Prinzips den Chartabestimmungen zu entnehmen. Zunächst führte man die Art. 2 Abs. 3 und 33 SVN an, die unmittelbar zur friedlichen Streitbeilegung Stellung nehmen. Um die Bedeutung des Prinzips zu unterstreichen, zeigten einige Staatenvertreter den Zusammenhang zwischen der Verpflichtung friedlicher Streitbeilegung und den Prinzipien des Gewaltverbots, der souveränen Gleichheit der Staaten und der Nichtintervention aufS. Die genannten Prinzipien beruhen auf der Voraussetzung, daß die Staaten ihre Differenzen mit friedlichen Mitteln lösen. Nur die strikte Einhaltung dieser Verpflichtung könne die Grundlage für die Errichtung einer wirksamen internationalen Ordnung schaffen9 • Der rumänische Vertreter betonte insbesondere die Bedeutung des Prinzips für die friedliche Koexistenz zwischen Staaten unterschiedlicher politischer und gesellschaftlicher Systeme lO • Obwohl sich die Delegierten über die Notwendigkeit friedlicher Streitbeilegung einig waren und die völkerrechtliche Verpflichtung der Staaten, nur friedliche Mittel anzuwenden, anerkannten, traten dennoch Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der zur Streitbeilegung führenden Methoden auf. Sozialistische Delegierte beharrten darauf, daß or whatever origin they may be, which may arise among them, shall never be sought except by pacific means." 7 Vgl. Dadzie (Ghana), A/AC.119/SR. 22, S.4; Critescu (Rumänien), AlAC. 119/SR. 19, S. 11. 8 Vgl. Prusa (Tschechoslowakei), A/AC.119/SR. 18, S.4; Movchan (USSR), A/AC.119/SR. 29, S.6; Riphagen (Niederlande), AlAC.119/SR. 19, S.8. g So Sinclair (Vereinigtes Königreich), A/AC.119/SR. 27, S.4. 1.0 Critescu (Rumänien), A/AC.119/SR.19, S.l1.

3. Streitbeilegung durch Verhandlungen

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das Mittel der Verhandlung (negotiation) eine dominierende Rolle in der Kodifikation einnehmen müsse. Demgegenüber waren westliche und insbesondere arabische Delegierte der Ansicht, die Mittel der Streitbeilegung seien untereinander gleichgewichtig, und keines verdiene eine besondere Hervorhebung. Auf den Widerstand der sozialistischen Seite stießen westliche Vertreter dagegen mit ihrer Forderung, in den Text der Kodifikation eine Formulierung aufzunehmen, durch welche die Staaten aufgefordert würden, ihre rechtlichen Streitigkeiten in der Regel durch richterliche Organe entscheiden zu lassen. Abgesehen von unbedeutenden Divergenzen waren dies die wesentlichen Streitobjekte unter den Delegierten des Sonderausschusses, die erst während der zweiten Sitzungsperiode mit der Einigung auf einen gemeinsamen Deklarationstext im Wege beiderseitigen Nachgebens überwunden werden konnten. 3. Streitbeilegung durch Verhandlungen

Die Diskussionen im Sonderausschuß während der ersten Sitzungsperiode waren gekennzeichnet durch Meinungsverschiedenheiten über den Text des tschechoslowakischen Resolutionsentwurfs. Dieser Entwurf legte das Hauptgewicht der Methoden friedlicher Streitbeilegung auf das Mittel der Verhandlung zwischen den Streitbeteiligten während andere Schlichtungsmittel nur eine untergeordnete Rolle spielen sollten. In dem Vorschlag kam zum Ausdruck, daß direkte Verhandlungen zwischen den Parteien der erste und gleichzeitig obligatorische Schritt auf dem Wege zu einer friedlichen Streitbeilegung sein müßten, alle anderen möglichen Schlichtungsmittel, wie etwa die Vermittlung (meditation), gute Dienste (good offices), Richterspruch (judicial settlement) dagegen einer vorherigen übereinstimmenden Festlegung zwischen den Parteien bedürften: "The parties to a dispute shall enter first into direct negotiation, and, having regard to the circumstances and the nature of the dispute, mayaiso use by common agreement other peaceful means of settling disputes ... 11." Der tschechoslowakische Delegierte begründete den Entschließungsvorschlag seiner Delegation damit, daß auch in der Praxis der Staaten und im Internationalen Recht das Mittel der Verhandlung besondere Betonung erführe l2 • Sowohl in der Charta der DAS, dem Revised General Act for the Pacific Settlement of International Disputes und 11 So Abs. 2 des tschechoslowakischen Resolutionsentwurfs, AIAC.119/L. 6, in GAOR, XX, Annexes, agenda items 90 and 94, S. 104. 12 Prusa (Tschechoslowakei), A/AC.119/SR. 18, S. 4 f.; vgl. auch Khlestov (USSR). A/AC.1l9/SR. 22, S.29; siehe zu dieser Diskussion auch Btix, The Principle of Peaceful Settlement of Disputes, S. 53 f.

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2. Kap.: C. Das Prinzip der friedlichen Streitbeilegung

nicht zuletzt in Art. 33 SVN sei das Mittel der Verhandlung an erster Stelle unter den vielen Methoden friedlicher Streitbeilegung erwähnt. Die vielen internationalen Verträge zeigten mit dieser Hervorhebung welche Bedeutung die Staaten direkten Verhandlungen zwischen den Parteien als Ausgangspunkt einer friedlichen Lösung von Konflikten beimessen. Im übrigen beweise auch die Erfahrung, daß direkte Verhandlungen die besten Möglichkeiten für eine schnelle Beilegung von Streitigkeiten bieten, zumal sie den Vorteil der Unkompliziertheit des Mittels und einer flexiblen Ausgestaltung enthalten und damit sowohl zur Lösung politischer wie auch rechtlicher Streitigkeiten geeignet seien. In dieser Argumentation erfuhr der tschechoslowakische Delegierte von allen Ostblockvertretern im Ausschuß beredte Unterstützung 13 • Sie betonten im besonderen, daß das Mittel der Verhandlung die souveräne Gleichheit der Parteien am besten bewahre und gleichzeitig die Bereitschaft erkennbar mache, die Meinungsverschiedenheiten friedlich zu lösen. Dies allerdings verlange von den Staaten Initiative, Geduld und Realismus zur Annahme vernünftiger Kompromisse. Neben dem tschechoslowakischen Resolutionsentwurf führte auch der gemeinsame Vorschlag Indiens, Ghanas und Jugoslawiens Verhandlungen als Methode der Streitbeilegung an hervorgehobener Stelle auf: "Unless otherwise provided for, the parties to any dispute shall, first of all, seek a solution by direct negotiations; taking into ac count the circumstances and the nature of the dispute, they shall seek a solution by inquiry, meditation ... 14." Der Unterschied dieser Formulierung zu der des tschechoslowakischen Entwurfs besteht aber darin, daß er ausdrücklich die Möglichkeit eines anderen Schlichtungsmittels mit Vorrang vor dem der Verhandlungen anerkennt und damit die Verhandlung nicht zu einem Obligatorium für die Parteien erhebt. Demgegenüber sah der tschechoslowakische Vorschlag die Verwendung anderer Streitschlichtungsmittel erst für den Fall vor, daß Verhandlungen nicht zum Ziele führten. Aber auch in einer solchen Lage hätten dem tschechoslowakischen Entwurf zu folge andere Methoden nur dann angewandt werden können, wenn sich beide Parteien übereinstimmend für ein gemeinsames Schlichtungsmittel entschieden hätten. Der tschechoslowakische Entwurf ließ also die Möglichkeit offen, eine Streitschlichtung durch das Beharren auf aussichtslosen Verhandlungen und durch die Weigerung einer Partei, anderen Schlichtungsmitteln zuzustimmen, zu verhindern. 13 Critescu (Rumänien), A/AC.119/SR. 19, S. 11 f.; Khlestov (USSR), A1AC. 119/SR. 22, S. 29. 14 So Abs. 2 des 3-Staatenentwurfs, AI AC.119/L. 19, in GAOR, XX, Annexes, agenda items 90 and 94, S. 105.

3. Streitbeilegung durch Verhandlungen

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Die unterschiedliche Konzeption, die in dem 3-Staatenvorschlag verfolgt wurde, machen auch die Bemerkungen seiner Förderer deutlich. So gab der indische Delegierte zu erkennen, der Grund für die Hervorhebung des Mittels der Verhandlung liege in der Erkenntnis, daß der erste Schritt zur Lösung internationaler Konflikte meist der Dialog zwischen den Parteien seP5. Andere Methoden friedlicher Streitschlichtung würden mit der Vorrangstellung der Verhandlungen nicht ausgeschlossen; vielmehr werde damit lediglich der Bedeutung Rechnung getragen, die Verhandlungen als Mittel zur friedlichen Streiterledigung in der Praxis aufweisen. Der Vertreter Ghanas gab im übrigen - obwohl selbst am 3-Staatenentwurf beteiligt - seiner Skepsis Ausdruck, wenn er den Verhandlungen zwischen den Parteien nur für den Fall einer "balance of force", die durch eine allgemeine Abrüstung oder ein effektives Gewaltverbot erreicht werden könne, absolute Erfolgsaussichten zu billigte 16 • Gegen die insbesondere im tschechoslowakischen Resolutionsentwurf niedergelegte Vorrangstellung der Verhandlung zwischen den Parteien vor anderen möglichen Streitschlichtungsmitteln wandten sich westliche Delegierte und mit besonderem Nachdruck die Vertreter arabischer Staaten. Sie räumten zwar ein, daß Verhandlungen zwischen den streitenden Parteien das elementarste und einfachste Mittel der Streitbeilegung seien und diese daher in vielen internationalen Verträgen und auch in Art. 33 SVN an erster Stelle genannt würden, die Charta spreche aber im besonderen die Fälle an, in denen Verhandlungen gerade nicht zum Erfolg führten oder aber von den Parteien abgelehnt würden17 • Man könne daher nicht behaupten, aus der Voranstellung der Verhandlungen in Art. 33 SVN leite sich die Verpflichtung der Staaten ab, im Konfliktfalle zunächst dieses Mittel anzuwenden. Aus Art.33 SVN folge vielmehr nur die Verpflichtung, eine Lösung des Streits mit einem friedlichen Mittel zu suchen; die Parteien seien dabei an keine Reihenfolge gebunden. In ihrer Argumentation gegen eine Überbetonung der Verhandlungen als Mittel der Streitbeilegung oder gar ihre obligatorische Ausgestaltung machten viele Delegierte auf die Nachteile aufmerksam, welche dieses Mittel gegenüber den anderen möglicherweise besitze. So stellte der australische Vertreter fest, gerade Verhandlungen seien oft nicht geeignet, um die Fakten eines Streits objektiv und unparteiisch Krishna Rao (Indien), NAC.119/SR. 23, S.6. Dadzie (Ghana), A/AC.119/SR. 22, S.6. 17 Vgl. Arangio Ruiz (Italien), NAC.119/SR. 21, S.5; Monod (Frankreich), A/AC.119/SR. 21, S.14; Colombo (Argentinien), A/AC.119/SR. 19, S.18; Fattal (Libanon), A/AC.119/SR. 21, S.21. 15 16

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2. Kap.: C. Das Prinzip der friedlichen Streitbeilegung

darzulegen l8 . Es bestehe auch die Gefahr, daß die Parteien in Abwesenheit eines mäßigenden Einflusses von dritter Seite, zur Stärkung ihrer eigenen Position im Hinblick auf einen künftigen Kompromiß übertriebene Forderungen erhöben, die zu einer weiteren Verschärfung des Streits führen könnten. Das gewichtigste Argument, das von vielen Delegierten vorgebracht wurde, aber war der Einfluß, den ein unterschiedliches Kräfteverhältnis zwischen den Parteien gerade bei Verhandlungen auf den Ausgang eines Streits auszuüben vermag19 • Sie wiesen darauf hin, daß bei Annahme des tschechoslowakischen Entwurfs ein Staat infolge der Weigerung der anderen Partei, sich auf eine andere Methode der Streitschlichtung einzulassen, verpflichtet wäre, in Verhandlungen einzutreten, obwohl er infolge seiner machtpolitischen Unterlegenheit in diesem Mittel keine Erfolgsaussichten sehe. Der amerikanische Delegierte deutete in diesem Zusammenhang auf die zahlreichen Beispiele der Vergangenheit, welche die besondere Gefährdung kleinerer Staaten bei der Streitschlichtung durch Ve~and­ lungen offenbarten2o • Die deutlichste Abneigung gegen eine überbetonung der Verhandlungen als Mittel zwischenstaatlicher Streitbeilegung zeigten arabische Delegierte, die damit auch den politischen Hintergrund ihrer Einstellung zu erkennen gaben 21 • Sie bestanden darauf, daß die Wahl der Schlichtungsmittel auf dem freien Willen der Parteien beruhen müsse; der Versuch, Verhandlungen zu erzwingen, könne bereits eine Intervention in die inneren Angelegenheiten eines Staates bedeuten. In diesen Äußerungen läßt sich eine Rechtfertigung der beharrlichen Weigerung arabischer Staaten erblicken, die Differenzen mit Israel auf dem Verhandlungswege zu lösen. Es spiegelt sich darin die Befürchtung wider, daß Konflikte in Verhandlungen zwischen den Beteiligten dann nicht beigelegt werden können, wenn das kräftemäßige übergewicht der einen Partei allzu augenfällig ist. Die Position der V AR im Streit mit Israel umriß der ägyptische Vertreter - ohne jedoch Israel im besonderen zu erwähnen - wenn er erklärte, die legitimen Interessen eines Staates oder Volkes dürften durch Verhandlungen keineswegs beeinträchtigt werden. Gerade die Weigerung der V AR, in den Dialog mit Israel einzutreten, aber zeigt, daß sie eine Gefährdung arabischer Interessen befürchtet. Sir Bailey (Australien), A/AC.1l9/SR. 24, S. 17 f. Vgl. Sinclair (Vereinigtes Königreich), A/AC.119/SR.27, S.6; Amau (Japan), A/AC.1l9/SR. 29, S.4. 20 Schwebel (USA), A/AC.1l9/SR. 22, S.19; vgl. auch Ignacio-Pinto (Dahomey), A/AC.119/SR. 23, S. 10 f. 21 Vgl. Khalil (VAR) , A/AC.1l9/SR. 24, S. 4 f.; Fattal (Libanon), AlAC.119/ SR. 21, S. 21; Chammas (Libanon), A/AC.125/SR. 31, S.6. 18 19

3. Streitbeilegung durch Verhandlungen

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Nachdem die sozialistische Seite erkannt hatte, daß eine obligatorische Festschreibung der Verhandlungen als Mittel friedlicher Streiterledigung auf unüberwindlichen Widerstand stieß, brachte die tschechoslowakische Delegation zur zweiten Sitzungsperiode einen modifizierten Resolutionsentwur:f22 ein, der zwar Verhandlungen weiterhin an erster Stelle aufführte, ihnen aber in gewisser Weise den obligatorischen Charakter nehmen sollte. Die gegenüber dem Vorschlag aus der ersten Sitzungsperiode beabsichtigte Modifizierung verdeutlichen die Erklärungen sozialistischer Delegierter, die Verhandlungen nun nicht mehr als obligatorisches Schlichtungsmittel betrachteten; sie wollten im tschechoslowakischen Entwurf lediglich die Verpflichtung der Parteien niedergelegt wissen, im Verhandlungswege ein Mittel der Streitbeilegung zu vereinbaren. Vertreter dieser Staaten bemerkten im übrigen, daß Verhandlungen deshalb die Voraussetzung für die Wahl des Schlichtungsmittels seien, weil eine vorherige Festlegung auf ein bestimmtes Mittel nicht erfolgen könne; für die Wahl des Streitbeilegungsmittels komme es entscheidend auf die Natur des Konfliktes an, die jedoch nicht im voraus zu bestimmen sei23 • In dieser Argumentation wird die auch heute noch sehr voluntaristische Haltung sozialistischer Staaten zum Völkerrecht erkennbar, die in antizipierten Festlegungen einen Souveränitätsverlust erblicken; gerade in der Betonung ihrer Souveränität glauben sie, ihre Position im ideologischen Kampf mit der kapitalistischen Welt zu wahren, die ihrerseits durch allseits angestrebte Souveränitätsbeschränkungen mit dem Ziel kooperativer Integration den zwischenstaatlichen ideologischen Auseinandersetzungen die Basis entziehen könnte. Der entschlossene Widerspruch westlicher Delegierter und Vertreter afro-asiatischer und lateinamerikanischer Staaten verhinderte schließlich die Aufnahme des Mittels der Verhandlung in den Deklarationstext in der von sozialistischer Seite gewünschten Form 24 • Stattdessen einigte man sich darauf, Verhandlungen im Text an erster Stelle aufzuführen, ohne diesem Mittel jedoch gegenüber den anderen in der Formulierung genannten eine Vorrangstellung einzuräumen. Die Gleichwertigkeit der Schlichtungsmittel wird im zweiten Absatz des 22 Vgl. AlAC.125/L.16 part II, in GAOR, XXI, Annexes, agenda item 87, S.48; Abs.2 dieses Resolutionsentwurfes lautet: "Having regard to the circumstances and the nature of the dispute, the parties to any international dispute shall first seek its just settlement by negotiation, and shall use, whenever appropriate and by common agreement inquiry, mediation ... " 23 Vgl. Prusa (Tschechoslowakei), AlAC.125/SR. 27, S.12; Movchan (USSR), A/AC.125/SR.29, S.8. 24 Vgl. Monod (Frankreich), A/AC.125/SR. 30, S.5; Wershof (Kanada), AI AC.125/SR. 31, S. 3; Carrasquero (Venezuela), AIAC.125/SR. 29, S. 9 f.; Aboul Nasr (VAR) , AlAC.125/SR.29, S.12.

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2. Kap.: C. Das Prinzip der friedlichen Streitbeilegung

Deklarationstextes zum Prinzip der friedlichen Streitbeilegung vielmehr noch dadurch unterstrichen, daß die Parteien aufgefordert werden, diejenigen friedlichen Mittel in Anspruch zu nehmen, welche den Umständen und der Natur des Streites angemessen sind. 4. Die richterliche Streitscblicbtung

Ebenso wie der Vorschlag sozialistischer Staaten, Verhandlungen zu einem obligatorischen Streitbeilegungsmittel zu erheben, auf den Widerstand westlicher Staaten stieß, lehnten Delegierte sozialistischer und afro-asiatischer Länder die westlichen Entwürfe ab, mit denen die richterliche Streitschlichtung für alle rechtlichen Streitigkeiten gefordert wurde. Den Grund dieser Kontroverse, die erst während der zweiten Sitzungsperiode bereinigt werden konnte, bildeten der britische25 und der japanische2 6 Resolutionsentwurf zur ersten Sitzungsperiode des Sonderausschusses. Für rechtliche Streitigkeiten, die mit anderen Mitteln nicht gelöst werden können, sah der britische Entwurf die Schlichtung durch den Internationalen Gerichtshof oder durch andere bereits bestehende oder noch zu schaffende Gerichte vor. Demgegenüber ging der japanische Vorschlag noch weiter, wenn er forderte: "Every State should accept the compulsory jurisdiction of the International Court of Justice, in accordance with Article 36, paragraph 2, of the Statute of the Court, as soon and with as few reservations as possible." Die Bestrebungen, rechtliche Streitigkeiten zwischen den Staaten in der Regel richterlich entscheiden zu lassen, wurde von westlichen Delegierten mit den vielen Vorteilen, welche dieses Schlichtungsmittel gegenüber dem der Verhandlung besitze, begründet. Der schwedische Vertreter 27 legte dar, daß die Staaten zunächst in der Welt des Rechts und im besonderen vor den Tribunalen, die dieses Recht anwenden, ihre souveräne Gleichheit bewahren könnten, während bei Verhandlungen zwischen den Parteien die relative Stärke der Partner unausweichlich den Streitausgang beeinflusse. Ein weiterer Vorteil liege darin, daß der Richterspruch einen Streit in Anwendung geltenden Rechts löse, und den Parteien damit die Möglichkeit gegeben werde, die Entscheidung ohne Prestigeverlust zu akzeptieren. Er verwies im übrigen auf die weltweiten Bestrebungen der Weiterentwicklung und Kodifikation des Internationalen Rechts, die andererseits einhergehen müsse mit einer stärkeren Bindung der Staaten an diese Rechtsnormen; wenn die Be25 26

21

A/AC.119/L.8, in GAOR, XX, Annexes, agenda items 90 and 94, S. 104 f. A/AC.119/L.18, in GAOR, XX, Annexes, agenda items 90 and 94, S.105. Blix (Schweden), AI AC.119/SR. 22, S. 25 f.

4. Richterliche Streitschlichtung

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mühungen von Erfolg getragen sein sollten, könnten sich die Staaten einer Rechtsprechung, die auf diesen Normen beruhe, nicht entziehen. Die Einwände sozialistischer und afro-asiatischer Delegierter gegen diese Vorschläge konzentrierten sich in erster Linie auf die Feststellung. der gegenwärtige Stand des Völkerrechts lasse keineswegs die Annahme seiner Verbindlichkeit gegenüber allen Staaten zu; solange aber seine Verbindlichkeit nicht allgemein anerkannt sei, widerspreche eine Unterwerfung unter richterliche Streitschlichtung den Prinzipien der Souveränität und der Unabhängigkeit der Staaten, die sich insbesondere in der freien Wahl der Schlichtungsmittel ausdrücke28 • Der tschechoslowakische Delegierte29 gab zu bedenken, daß bei Annahme dieser Vorschläge eine Partei immer die Möglichkeit hätte, andere geeignete Streitbeilegungsmittel, wie etwa Verhandlungen, zurückzuweisen, um einen Richterspruch zu erwirken, der ihren eigenen Interessen eher gerecht werde, weil dieser gerade auf von der Gegenpartei nicht akzeptiertem Völkerrecht beruhe. Ein solches Verfahren aber würde nicht unbedingt zur Beilegung des Streits oder zur Stärkung des Rechts beitragen. Dieser Erklärung liegt die Abneigung sozialistischer Staaten gegenüber allen Verfahren zugrunde, die eine bindende Entscheidung ohne ihre unmittelbare Mitwirkung (Zustimmung) erlauben. Sie wird aus der marxistisch-leninistischen Ideologie heraus verständlich, die eine Abgrenzung zu kapitalistischem Gedankengut voraussetzt und somit jegliche Beeinflussung des Entscheidungsprozesses innerhalb sozialistischer Staaten durch ideologiefremde Kriterien ablehnt. Ein gewichtiges Argument gegen eine richterliche Streitbeilegung bildete im übrigen die Besetzung des Internationalen Gerichtshofes, die nach Meinung sozialistischer und afro-asiatischer Vertreter eine progressive Rechtsprechung nicht gewährleiste, und die vom Gerichtshof angewandten Normen, welche zunächst ihres imperialistisch-kolonialen Charakters entkleidet werden müßten30 • Diese Vertreter forderten als Voraussetzung für eine mögliche zukünftige Anerkennung der internationalen Gerichtsbarkeit die repräsentative Erweiterung der Spruchkörper des Internationalen Gerichtshofes und eine beschleunigte Anpassung der Normen des Völkerrechts an die veränderten Gegeben28 Vgl. Dadzie (Ghana), A/AC.119/SR.22, S.6; Vilfan (Jugoslawien), AlAC.119/SR.18, S.8; San Maung (Burma), AlAC.119/SR. 21, S.26; Khlestov (USSR), A/AC.119/SR. 22, S. 28. Vgl. auch Tunkin, Der ideologische Kampf, S. 448 ff. Zur sowjetischen Einstellung gegenüber der internationalen Gerichtsbarkeit näher Uschakow, Die friedliche Beilegung internationaler Streitigkeiten, S. 235 ff. 29Vgl. Pechota (Tschechoslowakei), AlAC.119/SR. 21, S. 25 f.; ähnlich Critescu (Rumänien), AIAC.119/SR. 19, S. 13 f. 30 Vgl. Khalil (VAR), AlAC.119/SR. 24, S.6; Fattal (Libanon), A/AC.119/ SR. 21, S. 22 f.; Krishna Rao (Indien), A/AC.119/SR.23, S.9.

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2. Kap.: C. Das Prinzip der friedlichen Streitbeilegung

heiten der modernen Welt; solange nämlich die Hauptaufgabe des bestehenden Normenkomplexes darin liege, sogenannte wohlerworbene und verbriefte Rechte auch in einer Periode grundlegenden Wandels zu beschützen, anstatt sie den Interessenkonflikten auf einer Basis, welche die gegenwärtige öffentliche Meinung als vernünftig und einzig akzeptabel betrachtet, anzupassen, könnten die neuen Staaten die nach zähem Ringen erworbene politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit nicht durch eine ihren Vorstellungen nicht entsprechende Gerichtsbarkeit aufs Spiel setzen31 • Diese Einstellung zur Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofes spiegelt auch der Resolutionsentwurf der drei blockfreien Länder Indien, Ghana und Jugoslawien zur ersten Sitzungsperiode wider32 • Absatz 2 a des Entwurfs sieht die richterliche Streitschlichtung für den Fall vor, daß ein Konflikt nicht mit anderen Mitteln gelöst werden kann und die Parteien im übrigen darüber einig sind, daß der Streit ausschließlich rechtlicher Natur ist: "If any dispute is not capable of settlement by some other me ans and if the parties agree that it is essential legal in nature, such a dispute shall, ... be referred by all parties to it to the International Court of Justice ... " Gegen diese Formulierung brachten selbst sozialistische Delegierte als die Hauptgegner einer internationalen Gerichtsbarkeit keine Einwände vor, da sie die Verweisung eines Streites an ein richterliches Schlichtungsorgan von der übereinstimmung der Parteien über die rechtliche Natur der Streitigkeit abhängig macht; denn es läge somit in der Hand einer Streitpartei durch Versagung der Zustimmung den Weg der richterlichen Streitschlichtung zu blockieren. In Absatz 2 b des 3-Staatenentwurfs werden die Vereinten Nationen aufgefordert, eine den bestehenden Zivilisationsformen und den Hauptrechtssystemen entsprechende ausgewogene Verteilung der Sitze in den Spruchkammern des Internationalen Gerichtshofes vorzunehmen und zum Zwecke der Stärkung der rechtlichen Basis richterlicher Streitschlichtung die Anstrengungen auf dem Gebiet der progressiven Weiterentwicklung und der Kodifikation des Völkerrechts fortzusetzen. Angesichts der Aufgabe des Sonderausschusses, Regeln des Völkerrechts zu kodifizieren und weiterzuentwickeln und sie als Normen mit dem Inhalt von Rechten und Pflichten der Staaten zu formulieren, verfehlte dieser Entwurf die dem Ausschuß gesetzten Ziele; seine Aufnahme in den endgültigen Deklarationstext kam daher von vornherein nicht in Frage.

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Vgl. Krishna Rao (Indien), A/AC.119/SR.23, S.9. AlAC.119/L.19, in GAOR, XX, Annexes, agenda items 90 and 94, S. 105 f.

4. Richterliche Streitschlichtung

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Für die ablehnende Haltung vieler Staaten der dritten Welt gegenüber dem Mittel richterlicher Streitschlichtung zeigte vor allem die Delegation Mexikos großes Verständnis33 . Der Delegierte Castaneda stellte fest, gerade kleine Staaten - sollte man meinen - könnten sich von richterlicher Streitbeilegung viel versprechen, zumal sie gegenüber größeren Nationen doch keine gewaltsamen Lösungen durchzusetzen vermögen. Paradoxerweise spreche dagegen aber, daß die Unterwerfung unter die Gerichtsbarkeit die Annahme der Rechtsnormen und -grundlagen einschließe, auf denen gerade der Streit und das spätere Urteil aufbaue; an vielen dieser Normen aber haben die neuen Staaten nicht mitgewirkt und zahlreiche widersprächen sogar ihren Interessen (z. B. Regeln über die Staatenverantwortlichkeit und den Schutz ausländischer Kapitalanlagen), so daß die richterliche Streitbeilegung in der gegenwärtigen Form in vielen Fällen gerade nicht das geeignete Mittel einer progressiven, den veränderten Umständen Rechnung tragenden Lösung sei. Der mexikanische Delegierte äußerte jedoch die Hoffnung, daß, wenngleich dies unter den gegebenen Verhältnissen nicht zu verwirklichen sei, die obligatorische Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofes doch das Endziel eines langen Prozesses der Anpassung von Rechtsnormen und -grundsätzen sein könnte. Um dieses Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, schlug er die Aufnahme eines Hinweises auf die fakultative Gerichtsbarkeit im Deklarationstext vor 34 . Weniger Verständnis für die ablehnende Haltung gegenüber richterlicher Streitschlichtung insbesondere der sozialistischen Staaten und deren Einwände einer Gefährdung der Souveränität und Unabhängigkeit der Staaten offenbarte der amerikanische Delegierte mit seiner Bemerkung "a state which retreats behind a smokescreen of sovereignty whenever a third-party settlement is proposed, runs counter the progress of international law"35. Nachdem während der ersten Sitzungsperiode eine Einigung über den strittigen Punkt richterlicher Streitschlichtung nicht erzielt werden konnte, unternahmen die Staaten Dahomey, Italien, Japan, Madagaskar und die Niederlande zur zweiten Sitzungsperiode mit einem gemeinsamen Resolutionsentwurf einen weiteren Versuch, die Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofes im Deklarationstext zu verankern36 • 33 Vgl. Castaneda (Mexiko), A/AC.119/SR. 22, S. 10 ff. 34 Castaneda (Mexiko), AlAC.119/SR. 22, S.14. 35 Schwebel (USA), AlAC.119/SR. 22, S.15. 36 Vgl. Absatz 2 a des Entwurfs A/AC.125/L.25 and Add. 1, in GAOR, XXI, Annexes, agenda item 87, S.48: "Legal disputes should as a general rule be referred by the parties to the International Court of Justice, and in particular States should endeavour to accept the jurisdiction of the International Court of Justice ..." 10 Graf zu Dohna

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2. Kap.: C. Das Prinzip der friedlichen Streitbeilegung

Sie erfuhren dabei neben anderen westlichen Staaten auch die UnterStützung Mexikos, Nigerias und Madagaskars31 • Demgegenüber verharrten Vertreter sozialistischer Staaten auf ihrer ablehnenden Einstellung; sie ließen jedoch in ihrer Begründung eine Modifikation gegenüber der ersten Sitzungsperiode erkennen38 • Während sie damals die Gefährdung von Souveränität und Unabhängigkeit der Staaten durch richterliche Streitschlichtung in den Vordergrund stellten, betonten sie nunmehr, daß sich der Ausschuß den Realitäten nicht entziehen dürfe; nur ein verschwindend geringer Teil der Staatengemeinschaft habe sich der Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofes unterworfen, wobei viele dieser Staaten die Kompetenz des Gerichtes durch weitere Vorbehalte eingeschränkt hätten. Angesichts dieser Tatsache solle man eine Formulierung vermeiden, die letztlich nicht beachtet werde. Der tschechoslowakische Delegierte39 machte überdies auf die methodischen Bedenken aufmerksam, die der Einführung eines Ratschlages an die Staaten, die Gerichtsbarkeit anzunehmen - denn eine Verpflichtung könne zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht niedergelegt werden -, in einen rechtlichen Text wie der Deklaration entgegenstünden. Gerade diese Einwände verhinderten schließlich auch die Einigung auf eine Formulierung, mit der die Staaten aufgefordert werden sollten, in Konventionen und Verträge Bestimmungen aufzunehmen, in denen sie sich bezüglich ihrer Divergenzen über Auslegung und Anwendung der Normen der Entscheidung durch den Internationalen Gerichtshof unterwerfen. In der 49. Sitzung des Sonderausschusses einigten sich schließlich die Delegierten auf eine gemeinsame Formulierung des Prinzips, die vom Redaktionskomitee vorgeschlagen worden war. Sie enthält weder eine besondere Hervorhebung des Mittels der Verhandlung noch einen Bezug auf die Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofes in der von westlichen Staaten gewünschten Form. Beide Streitbeilegungsmittel, die Verhandlung und die richterliche Schlichtung, werden im zweiten Absatz des Prinzips der friedlichen Streitbeilegung neben anderen Möglichkeiten, wie der Vermittlung, der Schiedsgerichtsbarkeit und der Anrufung regionaler Organisationen, als gleichberechtigte Methoden friedlicher Lösungen von Konflikten genannt. Wenig Zufriedenheit mit dem erreichten Ergebnis zeigten Delegierte westlicher Staaten. Sie kritisierten, daß der Text zu großes Gewicht 31 Mercado (Mexiko), NAC.125/SR. 32, S.lO; Odogwu (Nigeria), NAC.125/ SR. 32, S. 11; Ramaholimihaso (Madagaskar), NAC.125/SR. 27, S.13. 38 Vgl. Resich (Polen), NAC.125/SR.31, S. 4; Covaci (Rumänien), A/AC.125/ SR. 32, S. 12. 39 Pechota (Tschechoslowakei), A/AC.125/SR. 32, S.17.

4. Richterliche Streitschlichtung

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auf ad hoc-Vereinbarungen zur Streitbeilegung lege und damit der in der internationalen Staatenpraxis zu beobachtenden Tendenz, Vorausverpflichtungen im Hinblick auf bestimmte Schlichtungsmittel einzugehen, nicht Rechnung trage40 • Die Formulierung enthalte daher nur einen ersten Schritt im Hinblick auf eine zukünftige progressive Ausgestaltung des Prinzips, die auch die obligatorische Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofes einschließen werde 41 • Zurückhaltendere Kritik äußerten demgegenüber einige Vertreter sozialistischer Staaten. Während der sowjetische Delegierte42 die endgültige Formulierung als Ausdruck eines fundamentalen Prinzips zur Förderung der friedlichen Koexistenz zwischen Staaten unterschiedlicher politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Struktur lobte, brachten sowohl der tschechoslowakische als auch der polnische Delegierte 43 ihre Unzufriedenheit darüber zum Ausdruck, daß das Mittel der Verhandlung nicht den ihm gebührenden Rang in der Formulierung des Prinzips einnehme. Obwohl die Bemühungen angesichts der starren Haltung sozialistischer Staaten von vornherein zum Scheitern verurteilt sein mußten, machte dennoch die britische Delegation während der dritten Sitzungsperiode des Ausschusses im Jahre 1967 mit einem weiteren Resolutionsvorschlag nochmals den Versuch, die bereits erreichte Einigung auf einen gemeinsamen Deklarationstext um eine Bezugnahme auf richterliche Streitschlichtung zu erweitern44 • Sie sollte immer für den Fall eingreifen, daß rechtliche Streitigkeiten nicht durch andere Mittel beigelegt werden könnten. Dieser Ergänzungsvorschlag wurde - wie zu erwarten war - von sozialistischer Seite abgelehnt. Auffallen mußte allerdings die Entschiedenheit, mit der die Ablehnung erfolgte; sie charakterisiert zudem die sowjetische Einstellung zum Internationalen Gerichtshof in den im Sitzungsbericht wiedergegebenen Bemerkungen des Delegierten Ilyin: "Fortunately, new States were now better represented among the judges and there was reason to believe that the modern aggressors and colonialists would ultimately be brought before the Court and condemned. When that time came, his country would gladly support the 40 Vgl. Arangio Ruiz (Italien), AlAC.125/SR.49, S.4; ähnlich Sinclair (Vereinigtes Königreich), AIAC.125/SR. 49, S. 8. 41 Vgl. Blix (Schweden), AlAC.125/SR.49, S. 9 f.; Monod (Frankreich), A IAC.125/SR. 49, S. 8. 42 Movchan (USSR), AlAC.125/SR. 49, S.6. 43 Vgl. Potocny (Tschechoslowakei), AlAC.125/SR. 49, S. 9; Olszowka (Polen), A /AC.125/SR. 49, S.12. 44 Vgl. AlAC.125/L.44, part II, Abs.7, in GAOR, XXII, Annexes, agenda item 87, S. 54 f.

10·

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2. Kap.: C. Das Prinzip der friedlichen Streitbeilegung

Court 45 ." Die ideologischen Grundlagen dieser Worte werden deutlich, wenn man sich vor Augen hält, daß die marxistisch-leninistische Theorie das kapitalistische System zwangsläufig als permanente Aggression gegenüber den "fortschrittlichen und friedliebenden Kräften" der sozialistischen Welt betrachtet. Mit eben solcher Entschiedenheit verteidigte der Delegierte Madagaskars 46 das britische Konzept der richterlichen Streitlösung. Er war der Ansicht, daß die Auslassung eines Verweises auf die Möglichkeit der Anrufung des Internationalen Gerichtshofes in Fällen, in denen andere Mittel der Streiterledigung versagten, die Ignorierung einer der bedeutendsten Methoden der Streitschlichtung bedeute. Zwar unterlägen manche Entscheidungen des Gerichtes der Kritik, dies sei aber kein Grund, seine Gerichtsbarkeit völlig von der Hand zu weisen. Wollte man in dieser Weise verfahren, so würde man alle Materien, die nach dem Statut des Internationalen Gerichtshofes in dessen Kompetenzbereich liegen, vorschnell aburteilen und damit gerade die Grundlagen, die zu seiner Errichtung führten, angreifen. Die Enttäuschung des Delegierten über die kategorische Ablehnung richterlicher Streitschlichtung durch sozialistische Staaten gipfelte in der von den meisten westlichen Vertretern getragenen Bemerkung, "it would mean abandoning any idea of improving a situation which could probably be improved". Statt eines Verweises auf die obligatorische Gerichtsbarkeit als letzter Lösungsmöglichkeit aus einer ausweglosen Streitsituation enthält nun der zweite Absatz des Deklarationstextes zum Prinzip der friedlichen Streiterledigung lediglich eine Formulierung, in der die Parteien aufgefordert werden, bei der Lösung ihrer internationalen Streitigkeiten solche friedlichen Mittel anzuwenden, die der Natur und den Umständen des Streites am besten gerecht werden. Das Unbehagen der Delegierten - und hier insbesondere der westlichen - über die von sozialistischer Seite erzwungene Auslassung einer Referenz auf die Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofes wird im dritten Absatz des Deklarationstextes deutlich. Dort werden die Parteien verpflichtet, bei Versagen eines Streitbeilegungsmittels eine Lösung des Streits mit einem anderen von ihnen vereinbarten friedlichen Mittel zu suchen. Die internationale Praxis dürfte aber für solche Fälle erkennbar gemacht haben, daß nur in den seltensten Fällen die Vereinbarung anderer Schlichtungsmittel gelingt, zum al die Parteien sicherlich bereits Ilyin (USSR), A/AC.125/SR.75, S.4. Vgl. Andriamiseza (Madagaskar), AlAC.125/SR. 75, S. 9; ähnlich Mwendwa (Kenia), AlAC.125/SR. 75, S. 14; vgl. auch Starr (USA), AlAC.125/SR.74, S.l1; Miller (Kanada), A/AC.125/SR.74, S.12. 45

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4. Richterliche Streitschlichtung

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beim ersten Versuch einer Streitbeilegung die den Umständen und der Natur des Streits adäquaten Mittel herangezogen haben. An Stelle dieser Formulierung hätte es in der Tat näher gelegen, die Streitenden bei Kontroversen rechtlicher Art an den Internationalen Gerichtshof oder andere geeignete Spruchkammern zu verweisen. Eine solche Lösungsmöglichkeit böte sich auch deshalb an, weil viele rechtliche Divergenzen zwischen den Staaten auf der unterschiedlichen Interpretation und Anwendung internationaler Verträge und Konventionen beruhen. Gerade weil in solchen Fällen das vom Gericht anzuwendende Recht nicht fragmentarisch, unstabil oder unsicher ist, sondern meist auf erschöpfender Vorbereitung und Diskussion beruht, die schließlich zur Annahme des Vertrages oder der Konvention führten, müßte es eigentlich nur natürlich sein, daß sich die Parteien einem Organ unterwerfen, welches das von ihnen geschaffene Recht anwendet47 • Es besteht jedoch kein Zweifel darüber, daß eine Formulierung diesen Inhalts Elemente progressiver Weiterentwicklung des Völkerrechts enthalten hätte. Hiergegen richteten sich die bereits erwähnten methodischen Bedenken des tschechoslowakischen Delegierten, der die Niederlegung einer so gestalteten Gerichtsbarkeit als äußerstes Mittel der Streiterledigung auch im Namen der anderen sozialistischen Vertreter verwarf. Ein gewisser Widerspruch zu dem sozialistischen Vorgehen im Hinblick auf eine Festschreibung des Mittels der Verhandlung als eines obligatorischen ersten Streitbeilegungsmittels läßt sich hier nicht leugnen, zumal dies ebenso eine Weiterentwicklung des Völkerrechts über geltende Bestimmungen der Charta (Art. 33) und vieler internationaler Verträge und Konventionen hinaus, die zur friedlichen Streiterledigung Stellung nehmen, bedeutet hätte; denn es ist in der völkerrechtlichen Literatur wohl unstreitig, daß Verhandlungen nicht das obligatorische erste Mittel friedlicher Lösung von Kontroversen sind 48 • Die sozialistische Haltung in dieser Frage spiegelt auch das gelegentlich zutage tretende unterschiedliche Verständnis zur Interpretation des Begriffs der "progressive development of internationallaw" wider. Während westliche Delegierte - wie dies die Arbeit des Sonderausschusses ergab - damit die Erstellung von Konventionsvorwürfen über Themen verbanden, die durch das Völkerrecht noch nicht geregelt worden sind, oder die in der Staatenpraxis noch keine hinreichende 47 Vgl. auch Riphagen (Niederlande), AJAC.119/SR. 19, S.10; van Gorkom (Niederlande), AJAC.119/SR. 24, S.12 f.; Sir Bailey (Australien), A/AC.119/ SR. 24, S. 15. 48 Vgl. Report of a Study Group on the Peaceful Settlement of International Disputes (1966), S. 9 f.; Blix, Settlement of Disputes, S. 52; GoodrichHambro-Simons, S. 261 ff.; Jennings, General Course on Principles of International Law, S. 586 f.; Uschakow, S.225.

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2. Kap.: C. Das Prinzip der friedlichen Streitbeilegung

Entwicklung erfahren haben (vgl. Art. 15 ILC-Statut), verstanden insbesondere sozialistische Staatenvertreter im Hinblick auf die sieben Völkerrechtsprinzipien "progressive development" über die genannten Kriterien hinaus als progressive Weiterentwicklung des Völkerrechts im Sinne einer Verwirklichung ideologisch bedingter Zielvorstellungen. 5. Das Verbot der Streitverschärfung

Schon in der ersten Sitzungsperiode hatte die jugoslawische Delegation in ihrem Entschließungsentwurf zur friedlichen Streitbeilegung eine Formulierung vorgeschlagen, mit der den Streitparteien und nicht zuletzt dritten Staaten jegliche Verschärfung der Situation verboten werden sollte: "In seeking a peaceful settlement the parties to a dispute, as weIl as other States, shall refrain from any action that could aggrevate the situation 49 ." Alle Deiegierten50 stimmten letztlich der Notwendigkeit einer solchen KlarsteIlung im Deklarationstext zu, wenngleich westliche Resolutionsvorschläge zum Prinzip der friedlichen Streiterledigung, die während der ersten bei den Sitzungsperioden des Sonderausschusses eingebracht worden waren, eine entsprechende Formulierung vermissen ließen. Dies beruht wohl auf der Annahme, daß das Gebot der Streitbeilegung mit ausschließlich friedlichen Mitteln eine Verschärfung des Konflikts während der Phase seiner friedlichen Beilegung per se verbietet, eine ausdrückliche Erwähnung daher überflüssig sei. Obwohl diese Folgerung durchaus konsequent ist, zeigen jedoch die vielen Beispiele gegenteiligen staatlichen Verhaltens, daß die Nützlichkeit der Formulierung eines Verbots der Streitverschärfung durch die Streitparteien selbst oder aber durch dritte Staaten nicht von der Hand zu weisen ist. Der Deklarationstext zum Prinzip der friedlichen Streiterledigung enthält daher auch in seinem vierten Absatz sinnvollerweise eine entsprechende Formulierung. 6. Die Verpflichtung zur friedlichen Streltbellegung und das Problem der Wahrung der Souveränität der Staaten

Insbesondere sozialistische Delegierte legten von der ersten Sitzungsperiode des Ausschusses an besonderes Gewicht auf das Prinzip der 49 A/AC.1l9/L.7, Abs.3, in GAOR, XX, Annexes, agenda items 90 and 94, S.104; vgl. auch Absatz 6 des 3-Staatenentwurfs (Ghana, Indien, Jugoslawien), AJAC.119/L. 19, a.a.O.; eine ähnliche Formulierung findet sich auch in Paragraph 4 des 10-Staatenentwurfs aus dem Jahre 1966, A/AC.125/L.27, in GAOR, XXI, Annexes, agenda item 87 (eingebracht von Algerien, Burma, Kamerun, Ghana, Kenia, Libanon, Nigeria, Syrien, VAR, Jugoslawien). 50 Vgl. etwa Vilfan (Jugoslawien), A/AC.119/SR.18, S.7; Elias (Nigeria), A/AC.119/SR. 18, S.9.

6. Streitbeilegung und Souveränität

151

Souveränität der Staaten, dessen Beachtung im Rahmen der Beilegung von internationalen Streitigkeiten oberste Bedeutung zukomme. Die Betonung der Souveränität der Staaten drückte sich nicht nur in der Forderung aus, das Mittel der Verhandlung in den Vordergrund zu stellen und alle anderen Schlichtungsmittel von einer Willensübereinstimmung der Staaten abhängig zu machen, sondern auch in der Feststellung, daß Verhandlungen zwischen den Streitparteien auf der Basis der souveränen Gleichheit und im Geiste gegenseitiger Verständigungsbereitschaft zu führen seien51 • Diese Feststellung war nach der sozialistischen Konzeption unausweichlich, da das Mittel der Verhandlungen, als Obligatorium niedergelegt, eine Streitbeilegung im Sinne eines gerechten Ausgleichs nur dann sicherstellen kann, wenn die Parteien Lösungen auf der Grundlage der gegenseitigen Achtung ihrer souveränen Rechte und Interessen suchen. Der tschechoslowakische Resolutionsentwurf52 zur zweiten Sitzungsperiode des Sonderausschusses enthielt dementsprechend in seinem dritten Absatz einen besonderen Verweis auf die Achtung der souveränen Gleichheit der Staaten: "International disputes shall be settled on the basis of the sovereign equality of States, in the spirit of understanding and without the use of any form of pressure." Die Formulierung wurde schließlich in ähnlicher Form in Absatz 5 des Deklarationstextes übernommen, da sie einen Gedanken enthält, von dem sich die Parteien bei ihren Bemühungen um eine friedliche Streitbeilegung auch dann leiten lassen müssen, wenn man - wie im Deklarationstext geschehen - das Mittel der Verhandlung nicht als obligatorisches erstes Streiterledigungsmittel betrachtet. Sehr viel größere Schwierigkeiten bereitete dem Sonderausschuß die Einigung auf den zweiten Satz des fünften Absatzes im Text zum Prinzip der friedlichen Streiterledigung. Dort wird die Unterwerfung unter ein Streitbeilegungsmittel, sofern sie aus einer freien Vereinbarung der beteiligten Staaten erwachsen ist, als mit dem Prinzip der souveränen Gleichheit vereinbar betrachtet, gleichgültig ob sie sich auf eine bestehende oder erst zukünftige Kontroverse bezieht. Sozialistische und viele afro-asiatische Delegierte wollten einer solchen Formulierung nicht zustimmen, da sie sich ursprünglich im Zusammenhang mit westlichen Resolutionsvorschlägen mit der Streitschlichtung durch Einschaltung Dritter verband. Gerade aber die Streitschlichtung durch Dritte - die in westlichen Entschließungsentwürfen als obligatorisches Streitbeilegungsmittel bei Versagen aller 51 Vgl. auch Prusa (Tschechoslowakei), NAC.1l9/SR. 18, S.4; Critescu (Rumänien), AI AC.1l9/SR. 19, S. 11 f. 52 A/AC.125/L.16, part II, a.a.O.

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2. Kap.: C. Das Prinzip der friedlichen Streitbeilegung

übrigen auf freier Vereinbarung beruhenden Mittel genannt wurde bedeutete in den Augen dieser Delegierten einen Eingriff in den staatlichen Souveränitätsbereich; aus dem Prinzip der Souveränität ergebe sich die Ablehnung solcher Entscheidungen, die zwar innerstaatliche Verpflichtungen hervorrufen sollten, aber nicht aus einem innerstaatlichen Entscheidungsprozeß hervorgegangen sind53 • Nachdem man sich darüber geeinigt hatte, Formulierungen zur obligatorischen Gerichtsbarkeit nicht in den Deklarationstext aufzunehmen, konnte schließlich während der zweiten Sitzungsperiode übereinstimmung über einen Text erzielt werden, der im zweiten Satz des Absatzes 5 wiedergegeben ist, jedoch damals noch nicht die Worte "with regard to existing or future disputes to which they are parties" enthielt. Zwar erklärte der Vorsitzende des Redaktionsausschusses während der 49. Sitzung des Sonderausschusses am 21. 4. 1966, es sei die überzeugung der Mitglieder des Redaktionsausschusses, daß der Text auch ohne eine ausdrückliche Feststellung die Unterwerfung unter ein bestimmtes Streiterledigungsmittel nicht nur für gegenwärtige, sondern auch für zukünftige Streitfälle als mit staatlicher Souveränität vereinbar zulasse 54 ; aus der Ablehnung des britischen Resolutionsentwurfes aus dem Jahre 1967, der die Vereinbarkeit einer Vorausübereinkunft über ein bestimmtes Schlichtungsmittel mit dem Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten ausdrücklich niederlegte, geht jedoch hervor, daß einige, vor allem sozialistische Staaten, eine solche Vorausverpflichtung auf ein bestimmtes Mittel der Streiterledigung dennoch nicht anerkannten. In inoffiziellen Gesprächen während der letzten Sitzungsperiode des Sonderausschusses billigten sie schließlich eine Änderung des bereits im Jahre 1966 erreichten Einigungstextes, so daß nunmehr die Vereinbarkeit der Festlegung bestimmter Streitbeilegungsmittel mit dem Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten auch hinsichtlich zukünftiger Kontroversen ausdrücklich festgestellt ist. Dieser Kompromiß dürfte als ein erster hoffnungsvoller Schritt auf dem Wege zu einer zukünftigen obligatorischen Gerichtsbarkeit anzusehen sein. 7. Zu Inhalt und Umfang der Verpflidltung zur friedlichen Streiterledigung

Der Text zum Prinzip der friedlichen Streiterledigung enthält in seinem ersten Absatz die Feststellung, daß jeder Staat seine internationalen Streitigkeiten mit anderen Staaten friedlich beizulegen habe, ohne jedoch den Begriff der internationalen Streitigkeit zu präzisieren; auch läßt sich aus der Formulierung nicht unmittelbar entnehmen, ob 53 54

Vgl. etwa Critescu (Rumänien), A/AC.1l9/SR.19, S.13. Vgl. Engo (Kamerun), A/AC.125/SR. 49, S.4.

7. Rechtscharakter der Verpflichtung zur Streiterledigung

153

die Verpflichtung, eine Lösung zu suchen, alle internationalen Streitigkeiten der Staaten betrifft, oder nur solche, die im Sinne des Art. 33 SVN geeignet sind, die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu gefährden.

a) Zur inhaltlichen Bestimmung des Begriffs der internationalen Streitigkeit Das Gebot, internationale Streitigkeiten mit friedlichen Mitteln beizulegen, ist weder im Art. 2 Abs. 3 und Art. 33 SVN noch im Deklarationstext in der Weise konkretisiert worden, daß eine eindeutige Feststellung des Eingreifens der Verpflichtung daraus unmittelbar abgeleitet werden könnte. Das Problem besteht also darin, den Begriff der internationalen Streitigkeit, an deren Vorliegen sich die Verpflichtung der friedlichen Streiterledigung knüpft, inhaltlich zu bestimmen. Die Notwendigkeit einer solchen Begriffsbestimmung ergibt sich schon allein aus der Tatsache, daß durch eine extensive Auslegung die Möglichkeit einer Umgehung des Interventionsverbotes geschaffen werden könnte, was aber nicht Sinn einer Verpflichtung zur friedlichen Streiterledigung sein darf; so läßt sich etwa eine Situation denken, in der ein Staat die politischen, wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Ver hält nisse eines anderen Staates zu beeinflussen sucht und seine politischen Absichten zu einer internationalen Streitigkeit mit diesem erhebt, um damit die Verpflichtung zu begründen, diese Kontroverse durch Verhandlungen oder sonstige Mittel mit dem erklärten Ziel der Änderung des Systems beizulegen. Eine solche weite Auslegung hätte also zur Folge, daß der vom Interventionsverbot geschützte Bereich der "domestic jurisdiction" internationalisiert und somit praktisch aufgehoben würde. Auf dem Umweg über einen Eingriff in den vorbehaltenen Hoheitsbereich ließe sich also eine internationale Streitigkeit erzeugen, die die Verpflichtung zu ihrer Beilegung in sich birgt und somit dem intervenierenden Staat die Möglichkeit gäbe, im Verfahren der Streitbeilegung seine Interessen im fremden Hoheitsbereich möglicherweise zu verwirklichen. Mit Ausnahme Kelsens und Blix' nimmt die völkerrechtliche Literatur, soweit ersichtlich, bei der inhaltlichen Bestimmung des Begriffs der internationalen Streitigkeit zu dieser Problematik nicht Stellung55 • Die meisten Autoren56 gehen bei dem Versuch einer Definition von der Feststellung des Ständigen Internationalen Gerichtshofes im MavromVgl. BHx, Settlement of Disputes, S. 48 f.; Kelsen, S.364, 790 f. Vgl. Bailey, Peaceful Settlement of Disputes; Ideas and Proposals for Research, S.7; Berber, VR Bd 3, S.27; von Glahn, S.455; Murty, Settlement of Disputes, S.675; Report of a Study Group on Peaceful Settlement (1966), S.4. 55 56

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2. Kap.: C. Das Prinzip der friedlichen Streitbeilegung

matis Fall (1924) aus, in dem dieser eine internationale Streitigkeit als "a disagreement on a point of law or fact, a conflict of legal views of interests between (the parties)" verstand57 . Eine ausführlichere Definition gibt Fawcett als Berichterstatter des "Sub-Committee on International Co-operation in the Political Field"58. In seinem Bericht vom 5.7.1950 an das Interim Committee versteht Fawcett eine Streitigkeit als ein: "disagreement; in other words there must be a controversy between the parties. This takes the form of claims, which are met with refusals, counter-claims, denials or countercharges, accusations etc." Im übrigen sei die Tatsache, daß sich eine oder mehrere Parteien an ein kompetentes internationales Organ gewandt haben, um dieses mit dem Streit und seiner Lösung zu befassen, oder um Schutz zu suchen oder eine rechtliche Schlichtung einzuleiten, ein Beweis für die Existenz eines Streites. Obwohl Fawcett in seinem Bericht eine umfassende Definition des Begriffs der internationalen Streitigkeit anbietet, bleibt er dennoch eine Abgrenzung zu Streitigkeiten schuldig, die durch ziel gerichtete Intervention hervorgerufen wurden. Gerade in solchen Fällen kann eine Verpflichtung des Staates, der Objekt einer durch verbotene Interventionen provozierten Kontroverse ist, diese durch Verhandlungen mit dem Intervenienten oder andere Mittel auch in materieller Hinsicht beizulegen - durch Eingehen auf die Forderungen des Intervenienten oder Kompromißbereitschaft - aus Art. 2 Abs. 3 und Art. 33 SVN nicht hergeleitet werden, da sonst das System des Interventionsverbotes unterlaufen und allen zwischenstaatlichen Einflußnahmen Tor und Tür geöffnet würden. Da natürlich auch solche Streitigkeiten einer Beilegung bedürfen - die Art. 2 Abs. 3 und 33 SVN verpflichten die Staaten zur friedlichen Beilegung ihrer Konflikte unbeschadet ihrer Entstehungsursachen -, bietet sich eine Lösung der Problematik auf der Grundlage einer Unterscheidung der Streitigkeiten hinsichtlich ihrer Ursachen an: Für Kontroversen, die ihre Grundlagen in einer verbotenen Intervention haben und auf Forderungen des intervenierenden Staates beruhen, die den vorbehaltenen Hoheitsbereich des betroffenen Staates berühren, sei eine Streitbeilegung auf "formeller" Ebene vorgeschlagen 59 • Als "formelle" Streiterledigung ist in 57 Vgl. PCIJ Sero A, Nr.2, S.11. 58 Vgl. GAOR, V, Supplement 14, A/1388, S.6. 59 Zur Abgrenzung der verbotenen Intervention von der erlaubten Einflußnahme siehe infra 2. Kap., B, 5. Blix, Settlement of Disputes, S. 48 f., unterscheidet zwischen internen und internationalen Streitigkeiten, ohne jedoch auf das Problem einer Lösungsmöglichkeit näher einzugehen. Er erwähnt Art. 2 Abs. 7 SVN, der innerstaatliche Streitigkeiten, wie etwa die Gewaltanwendung des staates gegenüber seinen Bürgern, der domestic jurisdiction zuweise; solche Kontroversen

7. Rechtscharakter der Verpflichtung zur Streiterledigung

155

diesem Zusammenhang die Lösung eines Konfliktes zu verstehen, welche die materiellen Forderungen des Intervenienten unberücksichtigt läßt und lediglich die Tatsache des erfolgten Eingriffs in das Streiterledigungsverfahren einbezieht. Demgegenüber besteht für alle anderen Kontroversen die Möglichkeit einer Lösung sowohl auf formeller wie auch auf materieller Grundlage. Das aufgezeigte System der Streitbeilegung bietet den Vorteil, daß eine durch verbotene Intervention hervorgerufene Kontroverse, die ebenfalls die Verpflichtung friedlicher Streiterledigung nach sich zieht, nicht zum Nachteil des von der Intervention betroffenen Staates durch eine Einbeziehung der materiellen Seite des Eingriffs, welche das Interventionsverbot gerade dem ausschließlichen staatlichen Hoheitsbereich vorbehalten soll, gelöst wird60 • Die vorgeschlagene Lösung scheint auch allein deshalb sinnvoll, weil sie die Wechselbezüglichkeit der einzelnen Prinzipien der Charta berücksichtigt; diese läßt keine Verpflichtung als Ausfluß eines Prinzips entstehen, welche den Schutzzweck eines anderen Prinzips tangieren oder gar aufheben würde. In dieser Weise interpretiert entspricht der Deklarationstext zum Prinzip der friedlichen Streiterledigung geltendem Völkerrecht.

seien interner Natur, die nicht unter den Regelungsbereich des Art. 2 Abs.3 SVN fielen. Blix verkennt bei dieser Abgrenzung allerdings die vielfach zu beobachtende internationale Praxis, die durch verbotene Interventionen dennoch Streitigkeiten zwischen staaten auf internationaler Ebene entstehen lassen ungeachtet der Tatsache, daß diese Kontroversen vom vorbehaltenen Hoheitsbereich umfaßt und daher letztlich interner Natur sind. Da folglich solche Streitigkeiten internationale Wirkung besitzen, muß auch für sie die Verpflichtung zur friedlichen Beilegung eingreifen. Auch Kelsen, S. 364, 790 f., unterscheidet zwischen internen und internationalen Streitigkeiten. Seiner Ansicht nach besteht eine Verpflichtung zur friedlichen Beilegung nur für solche Kontroversen internationaler Natur, die nicht den vorbehaltenen Hoheitsbereich betreffen; Streitigkeiten, die aus einer verbotenen Intervention hervorgegangen sind, bezeichnet er als intern; für sie gelte zwar ebenso das Verbot der gewaltsamen Lösung, nicht aber die positive Verpflichtung zur Streitbeilegung aus Art. 2 Abs.3 SVN. Die Ansicht Kelsens unterliegt der oben aufgezeigten Kritik, da sie verkennt, daß auch Streitigkeiten, die durch Interventionen provoziert werden, letztlich internationalen Charakter schon allein deshalb tragen, weil sie mehr als einen Staat betreffen. 60 Kelsen (a.a.O., S.791), der eine Lösung des Problems auf der Grundlage einer Untscheidung zwischen "formeller" und "materieller" Streiterledigung nicht sieht, befürchtet in der Forderung, die von ihm so benannten "internen" Streitigkeiten ebenfalls einer Regelung nach Art. 2 Abs.3 bzw. Art. 33 SVN zu unterziehen, eine Paralysierung des Art. 2 Abs. 7 SVN. Entgegen der Befürchtung Kelsens wird diese Gefahr aber gebannt, wenn man die Verpflichtung zur friedlichen Streitbeilegung in Verbindung mit dem Schutz des Interventionsverbotes sieht und daher bei der Lösung von Kontroversen, die aus Interventionen erwachsen sind, nur die "formellen" Kriterien berücksichtigt.

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2. Kap.: C. Das Prinzip der friedlichen Streitbeilegung

b) Zum Umfang des Gebots der friedlichen Streiterledigung

Aus der Formulierung des ersten Absatzes des Deklarationstextes zum Prinzip der friedlichen Streiterledigung läßt sich entnehmen, daß eine Verpflichtung zur friedlichen Beilegung bezüglich aller internationalen Kontroversen gewollt ist61 • Es stellt sich jedoch die Frage, ob eine solche Verpflichtung im Einklang mit der Charta steht, ob diese also die Beilegung jeder internationalen Streitigkeit, unbeschadet ihrer Gefährlichkeit für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zur Pflicht macht. Unterschiedliche Ansichten zu diesem Problem wurden innerhalb des westlichen Lagers schon während der ersten Sitzungsperiode des Sonderausschusses deutlich. Der argentinische Delegierte62 vertrat die Auffassung, aus der Formulierung des Art.33 SVN, " ... the continuance of which is likely to endanger the maintenance of international peace ... ", ergebe sich, daß die Staaten nur dann zur Beilegung eines Streites verpflichtet sind, wenn er eine unmittelbare Gefahr für den Frieden darstelle. Soweit eine Gefahr nicht besteht, greife keine Verpflichtung zur Beilegung des Streites ein. Auch aus Art. 2 Abs. 3 SVN ergebe sich keine andere Betrachtungsweise, da dort lediglich die Verpflichtung, Streitigkeiten nicht mit anderen als friedlichen Mitteln zu lösen, niedergelegt sei, nicht aber die Verpflichtung, einen Streit auch tatsächlich zu beenden. Auf Grund der negativen Natur der Verpflichtung könnten die Staaten einen "status qua" aufrechterhalten, ohne die Prinzipien der Charta zu verletzen. Dieser Argumentation widersprach entschieden der amerikanische Delegierte63 , der in Art. 2 Abs. 3 SVN die Verpflichtung der Staaten sah, alle Streitigkeiten friedlich zu lösen. Er verwies bei seiner Auslegung auf die Präambel zur Charta, welche die Ziele der Vereinten Nationen, nämlich ". .. to live together in pe ace with one another as good neighbours ... " beschreibt, und auf Art. 1 Abs. 2, der von der Entwicklung guter Beziehungen zwischen den Nationen spricht; in Verbindung mit Art. 2 Abs.3 SVN ergebe sich aus dieser GrundeinsteIlung der Vereinten Nationen die Verpflichtung der Staaten, alle Streitigkeiten friedlich zu lösen. Der Delegierte bezog auch Art. 33 SVN in seine Erörterungen ein und meinte, diese Vorschrift erwähne nur 61 Die Formulierung des ersten Absatzes entspricht, abgesehen von den ersten beiden Worten, im übrigen der des Art. 2 Abs.3 SVN; in der Charta heißt es noch "all members shall settle ... ". Mit der Änderung im Deklarationstext in "Every State shall settle ... " wird insbesondere der universale Charakter des Prinzips deutlich gemacht. 62 Colombo (Argentinien), A/AC.119/SR. 19, S. 15 f.; Ruda (Argentinien), A/AC.125iSR. 27, S.9; ähnlich auch Sir Bailey (Australien), AlAC.125/SR. 28, S.4; vgl. auch Houben, S. 711 f. 63 Schwebel (USA), A/AC.119/SR. 22, S.20.

7. Rechtscharakter der Verpflichtung zur Streiterledigung

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deshalb ausschließlich schwere Streitigkeiten, weil sie die unmittelbarsten Konsequenzen für die internationale Gemeinschaft haben könnten; die Staaten seien dort direkt aufgerufen, friedliche Lösungen zu suchen und, falls erforderlich, den Sicherheitsrat einzuschalten. Diese unterschiedliche Betrachtungsweise findet sich auch in der völkerrechtlichen Literatur wieder. Blix64 etwa sieht den Zweck des Art. 2 Abs. 3 SVN darin, zur Lösung von Streitigkeiten friedliche Mittel unter Ausschluß aller anderen vorzuschreiben. Da Art. 2 Abs. 3 SVN lediglich eine Folge aus dem Gewaltverbot sei, erlege die Bestimmung den Staaten keine positive Verpflichtung zur Lösung ihrer Streitigkeiten auf. Er folgert damit, daß die Staaten nicht gegen das Prinzip der friedlichen Streiterledigung verstoßen, wenn sie ihre Kontroversen auf einem "status quo" erhalten. Blix kommt also zu dem Ergebnis, daß die Staaten ihrer Verpflichtung aus der Charta Genüge leisten, wenn sie sich in ihren gegenseitigen Streitigkeiten der Anwendung oder Drohung mit Gewalt enthalten. Waldock 65 scheint demgegenüber eine positive Verpflichtung zur Streitbeilegung in Fällen der Gefährdung des Weltfriedens anzuerkennen; er verlangt also im Gegensatz zu Blix ein Handeln der Streitbeteiligten mit dem Ziel einer Beendigung der Kontroversen. Geht man aber vom Sinn und Zweck der Charta, nämlich eine stabile Friedensordnung aufzubauen, und der Stellung der Art. 2 Abs. 3 und Art. 2 Abs. 4 aus, so läßt sich insbesondere die Ansicht von Blix nicht aufrechterhalten. Sie verkennt, daß das Prinzip der friedlichen Streiterledigung nicht nur eine notwendige Folgerung aus dem Gewaltverbot des Art. 2 Abs.4 SVN ist, sondern darüber hinaus eine Verpflichtung zur aktiven Streitbeilegung enthält66 • Die Verpflichtung ist also keine passive, die einfach dadurch erfüllt würde, daß die Anwendung von Gewalt unterbleibt; bei einer solchen Interpretation wäre Art. 2 Abs. 3 SVN bereits durch das Gewaltverbot gedeckt und seine Erwähnung damit überflüssig67 . Vielmehr will die Charta mit der Niederlegung einer Verpflichtung zur friedlichen Streitbeilegung über das Gewaltverbot hinausgehen, um dieses effektiver zu machen; da ein Streit häufig die Gefahr seiner Ausweitung hin zur Gewalt64 Blix, Settlement of Disputes, S.50; ähnlich auch Waldock, S. 489 f.; so wohl auch Goodrich-Hambro-Simons, S.43; von MiLnch, Völkerrecht in programmierter Form, S. 233. 65 Waldock, S. 489 f.; so auch GoodTich-Hambro-Simons, S.43, 260. 66 Vgl. Report of a Study Group (1966), S. 7 und Report of a Study Group (1972), S.9; Jennings, S.587; Kelsen, S.364, 790; Tunkin, Völkerrecht, S.36; ders., Völkerrechtstheorie, S.84; Graefrath, Grundlegende Völkerrechtsprinzipien, S. 501; so wohl auch von Glahn, S. 456, und der IGH im Festlandsockelfall, ICJ, 1969, North Sea Continental Judgement, S.47. 67 Vgl. auch Kelsen, S. 364, 790.

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2. Kap.: D. Das Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten

schwelle trotz bestehenden Gewaltverbotes in sich birgt, will die Charta diese Entwicklung bereits in ihren Anfängen verhindern, indem sie die Parteien auf aktive Lösungsversuche verweist. Auch Art. 33 SVN kann hier zu keinem anderen Ergebnis führen. Während die Grundverpflichtung zur Beilegung von internationalen Streitigkeiten in Art. 2 Abs.3 SVN niedergelegt ist, gibt Art. 33 SVN den Parteien nur eine - keineswegs erschöpfende - Auswahl von Mitteln an die Hand, mit denen eine Lösung von Streitigkeiten, deren Fortdauer den Weltfrieden gefährdet, gesucht werden könnte. Art.33 SVN ist damit letztlich eine prozedurale Vorschrift, die auf der Grundverpflichtung des Art. 2 Abs. 3 SVN aufbaut68 • Es dürfte somit ersichtlich sein, daß die Verpflichtung des Art. 2 Abs. 3 SVN zur friedlichen Beilegung von internationalen Streitigkeiten nicht nur alle zwischenstaatlichen Kontroversen erfaßt - und nicht etwa wie Waldock meint, bloß die friedensgefährdenden Streitigkeiten -, sondern auch ihre Lösung fordert. Der Deklarationstext zum Prinzip der friedlichen Streiterledigung entspricht insoweit auch der dargelegten Rechtslage. 8. Ergebnis

Der Deklarationstext zum Prinzip der friedlichen Streitbeilegung entspricht geltendem Völkerrecht.

D. Das Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten All States enjoy sovereign equality. They have equal rights and duties and are equal members of the international community, notwithstanding differences of an economic, social, political or other nature. In particular, sovereign equality includes the following elements: (a) States are juridically equal; (b) Each State enjoys the rights inherent in full sovereignty; (c) Each State has the duty to respect the personality of other States; (d) The territorial integrity and political independence of the State are inviolable; (e) Each State has the right freely to choose and develop its political, social, economic and cultural systems; (f) Each State has the duty to comply fully and in good faith with its international obligations and to live in peace wih other States. 68

Ähnlich auch Report of a Study Group (1966), S. 7, 9.

1. Vorbemerkungen

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1. Vorbemerkungen

Das Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten wurde im Sonderausschuß während der ersten, zweiten und dritten Sitzungsperiode behandelt; zwar konnten sich die Delegierten schon während der ersten Sitzungsperiode im Jahre 1964 auf einen gemeinsamen Kodifikationsvorschlag einigen, dessen erster Absatz im Jahre 1966 ergänzt wurde; dies hinderte die Delegierten jedoch nicht, auch in der dritten Sitzungsperiode über den erzielten Einigungstext hinaus modifizierende und ergänzende Entwürfe einzubringen. Da jedoch eine übereinstimmung unter den Delegierten über eine Erweiterung des Textes über die in der zweiten Sitzungsperiode vereinbarte Formulierung hinaus nicht zu erreichen war, fand diese unverändert Eingang in den endgültigen Deklarationstext. Im Gegensatz zu allen anderen Prinzipien, die dem Sonderausschuß zur Bearbeitung vorlagen, konnte er hier auf interpretierende Vorarbeiten durch den ersten Ausschuß der Kommission I der San Francisco-Konferenz zurückgreifen, in denen der Begriff der "sovereign equality" des Art. 2 Abs.1 SVN näher dargestellt wird1 . Infolge der unterschiedlichen ideologischen Zielrichtungen, die sowohl in den Resolutionsentwürfen der Tschechoslowakei2 und der Blockfreien3 einerseits und des Vereinigten Königreiches4 andererseits Ausdruck fanden, war eine Einigung auf einen dieser Entwürfe, wenn auch modifiziert, nicht herzustellen. So blieb dem Ausschuß im Interesse einer konstruktiven Zusammenarbeit keine andere Wahl, als auf die während der San Francisco-Konferenz gefundene Einigungsformel zurückzugreifen und sie zur Grundlage einer "Minimalformulierung" des Prinzips der souveränen Gleichheit der Staaten zu machen und sie geringfügig zu modifizieren. Unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten machten diesen Schritt notwendig; sie bestanden vor allem hinsichtlich des Problems der Kodifizierung eines Rechts auf freie Disposition über die nationalen Ressourcen als Inhalt staatlicher 1 In dem Bericht des Berichterstatters des ersten Ausschusses an die Kommission I heißt es (Text in UNCIO Bd 6, 8. 457): "The Committee voted to use the terminology 'sovereign equality' on the assumption that it includes the following elements: 1. that states are juridically equal; 2. that each state enjoys the right inherent in full sovereignty; 3. that the personality of the state is respected, as well as its territorial integrity and political independence; 4. that the state should, under international order, comply faithfully with its international duties and obligations." 2 A/AC.1l9/L.6, in GAOR, XX, Annexes, agenda items 90 and 94, 8.129. 3 A/AC.1l9/L.28, in GAOR, XX, Annexes, agenda items 90 and 94, 8.130 (eingebracht von Ghana, Indien, Jugoslawien, Mexiko). 4 A/AC.1l9/L.8, in GAOR, XX, Annexes, agenda items 90 and 94, 8.129.

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2. Kap.: D. Das Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten

Souveränität und der Frage einer Begrenzung von Souveränitätsrechten durch das Völkerrecht, der Frage also, die mit dem Schlagwort von der "Supremacy of International Law" in den Debatten des Sonderausschusses immer wieder die Gemüter erhitzte. Daneben zeigten sich Divergenzen hinsichtlich eines "Rechts" aller souveränen Staaten auf Zugang zu internationalen Organisationen und auf Beitritt zu mehrseitigen Verträgen und Konventionen und der Möglichkeit eines jederzeitigen Widerrufs der Erlaubnis zur Stationierung fremder Truppen auf dem nationalen Territorium. 2. Grundlagen und Bedeutung des Prinzips

Viele Delegierte, vor allem sozialistischer Staaten, zeigten in ihren einleitenden Bemerkungen die Entwicklung des Prinzips der souveränen Gleichheit der Staaten auf und betonten seine Bedeutung für die gegenwärtige Völkerrechtsordnung. Der tschechoslowakische Vertreter5 wies darauf hin, daß der Begriff der "sovereign equality" seinen Ursprung in der 4-Staatenerklärung der Moskauer Konferenz vom 30.10.1943 habe und von dort über die Vorschläge von Dumbarton Oaks in Art. 2 Abs. 1 SVN als ein Grundelement jeglicher zwischenstaatlicher Beziehungen aufgenommen worden sei. Seitdem habe das Prinzip in vielen bedeutenden internationalen Dokumenten wie etwa in Art. 3 der Charta der Organisation für afrikanische Einheit seine Bestätigung gefunden. Der jugoslawische Delegierte6 betrachtete das Prinzip als den Grundstein der durch die Charta errichteten Ordnung, der, ursprünglich als ein Gesetz für die Mitglieder der Vereinten Nationen konzipiert, heute zum Prüfstein für die guten Beziehungen zwischen allen Staaten geworden sei. Das Prinzip stelle damit nicht nur die rechtliche und politische Grundlage der Charta dar, sondern durchdringe das gesamte Völkerrecht und öffne in seiner Annahme durch die Staatengemeinschaft den Weg zu freundschaftlicher und konstruktiver Zusammenarbeit zwischen den Nationen. Die überragende Bedeutung, die sozialistische Staaten dem Prinzip beimessen, kam in den Bemerkungen des sowjetischen und des rumänischen Delegierten7 zum Ausdruck, die das Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten als die wichtigste Grundlage der Charta überhaupt betrachteten; alle anderen Prinzipien des Art.2 SVN fänden 5 Vgl. Pechota (Tschechoslowakei), A1AC.1l9/SR. 33, S.4; ähnlich auch Agoro (Nigeria), A/AC.1l9/SR. 35, S.20. 6 Sahovic (Jugoslawien), A/AC.1l9/SR. 33, S.9. 7 Vgl. Khlestov (USSR), A/AC.119/SR. 35, S.17; Critescu (Rumänien), A/AC.119/SR. 33, S.l1.

3. Die Stellung des Souveränitätsprinzips im Völkerrechtsgefüge

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ihren Ursprung in dem Bedürfnis, die Achtung vor der Souveränität der Staaten zu sichern. Die Bedeutung des Prinzips werde verständlich im Hinblick auf die Koexistenz von Staaten unterschiedlicher gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Systeme und die Entstehung einer großen Zahl neuer Staaten als Folge der Liquidierung des Kolonialismus. Gerade in der Stärkung staatlicher Souveränität durch die Kodifikationsbemühungen des Sonderausschusses sah der polnische DelegierteS den wirksamsten Schutz der neuen Staaten vor neokolonialen Bestrebungen ,imperialistischer' Länder. Mit der starken Betonung des Souveränitätsgedankens wollten diese Delegierten allerdings nicht einem Prinzip absoluter Souveränität das Wort reden. Sie verwahrten sich vielmehr dagegen und stellten fest, die Ausübung souveräner Rechte finde dort seine Grenzen, wo die souveräne Gleichheit anderer Staaten beeinträchtigt werde 9 • Das Korrelat zur Souveränität sei in der Gleichheit der Staaten zu sehen, welche gegenüber einer überbetonung des Souveränitätsdenkens korrigierend wirke. Während die sozialistischen Staatenvertreter Grundlagen und Bedeutung des Prinzips an den Anfang ihrer Diskussionsbeiträge stellten, gingen westliche Delegierte hierauf nicht näher ein. Diese Handlungsweise erklärt sich aus dem unterschiedlichen Verständnis des Souveränitätsprinzips, das im westlichen Völkerrechtskreis mit den zunehmenden Integrationsbestrebungen und dem damit einhergehenden Abbau von Souveränitätsrechten allmählich an Bedeutung verliert 1o • Ein Grund dafür liegt aber auch in der westlichen Vorstellung von der Supremität des Völkerrechts, welche die Voranstellung des Souveränitätsgedankens verhindert und ihn gleichzeitig relativiert. 3. Zum Verhältnis von Völkerrecht und Souverllnitit

In der Erkenntnis, daß sozialistische Delegierte das Souveränitätsdogma in den Vordergrund jeglicher völkerrechtlicher Zusammenhänge stellen würden, versuchten westliche Vertreter diesem Bestreben in Resolutionsentwürfen und Diskussionsbeiträgen zu begegnen. Die britischen Entschließungsanträge sowohl zur ersten wie auch zur zweiten Sitzungsperiode enthielten ein statement, das die staatliche Souveränität in seiner jeweiligen Ausgestaltung in den überbau der S Olszowka (Polen), AlAC.1l9/SR. 35, S.5; ähnlich auch Critescu (Rumänien), AlAC.1l9/SR. 33, S.12. 9 VgI. etwa Khlestov (USSR), AlAC.1l9/SR. 35, S.18 f.; Sahovic (Jugoslawien), AlAC.1l9/SR. 33, S.9. 10 VgI. hierzu auch Kewenig, Grenzen der Souveränität, S. 140. 11 Gral zu Dohna

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2. Kap.: D. Das Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten

Regeln des Völkerrechts einordnete: "Every State has the duty to conduct its relations with other States in conformity with international law and with the principle that the sovereignty of each State is subject to the supremacy of international law11 ." Westliche Delegierte begründeten ihre Vorstellung von der Supremität des Völkerrechts mit dem Hinweis darauf, daß das Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten seiner Natur nach eine Gemeinschaft von Staaten voraussetze, die in einer internationalen juristischen Ordnung organisiert ist l2 . Zweck dieser Gemeinschaft sei es, den Freiheitsraum jedes einzelnen Mitgliedes im Rahmen der gegebenen Rechtsordnung zu sichern. Dieses gemeinsame Anliegen könne jedoch seine Erfüllung nur dann finden, wenn der gegenseitige Freiheitsraum respektiert und anerkannt werde; es setze eine Limitierung des Staatenverhaltens voraus, die ihren Grund in einer Interessengemeinschaft der Staaten und in den vielfältigen Verpflichtungen habe, welche die Staaten in freier Entscheidung auf sich genommen hätten l3 • Staatliche Souveränität müsse also, wie der kanadische Vertreter ausführte, auf eine Weise ausgeübt werden, die den Frieden, die internationale Ordnung und Sicherheit nicht gefährde, also in übereinstimmung und unter der Herrschaft des Völkerrechts l4 • Die Limitierungen, die sich aus der Supremität des Völkerrechts ergäben, seien mit dem Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten nicht unvereinbar, sie ermöglichten im Gegenteil erst die Existenz gleicher und souveräner Staaten. Der amerikanische Delegierte verwies im übrigen darauf, daß gerade die freie übernahme von Verpflichtungen im zwischenstaatlichen Bereich einen Ausdruck der Souveränität bedeute l5 . Diese These fand während der zweiten Sitzungsperiode beredte Unterstützung durch den Vertreter Madagaskars, der die Eingehung von Verpflichtungen einen Akt der Souveränität nannte, mit dem ein Staat gleichzeitig auf einen Teil seiner bisherigen Souveränitätsrechte verzichte, um sich damit einer höheren Ordnung, dem Völkerrecht, zu unterwerfen l6 ; hiermit bestärke er seine Souveränität, indem er freiwillig zur Gleichgewichtigkeit der internationalen Gemeinschaft beitrage. Ähnlich argumentierte auch der algerische Delegierte, der jedoch den überbau des Völkerrechts nur insoweit 11 AlAC.119/L.8, Abs.3, a.a.O.; der britische Entschließungsentwurf zur zweiten Sitzungsperiode des Sonderausschusses im Jahre 1966 hat den gleichen Wortlaut, vgl. A/AC.125/L.6, in GAOR, XXI, Annexes, agenda item 87, S. 77 f. 12 Vgl. Daleau (Frankreich), A/AC.119/SR. 35, S.6; Riphagen (Niederlande), AlAC.119/SR. 34, S.6. IS Vgl. Schwebel (USA), AlAC.119/SR. 35, S.13. 14 Gotlieb (Kanada), AlAC.125/SR.7, S.7. 15 Schwebel (USA), AI AC.119/SR. 35, S. 13. 16 Ramaholomihaso (Madagaskar), A/AC.125/SR. 7, S.5.

3. Die Stellung des Souveränitätsprinzips im Völkerrechtsgefüge

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anerkannte, als dieser aus Normen bestehe, denen sich ein Staat freiwillig unterworfen habe l1 ; dagegen wollte der Delegierte die allgemeinen völkerrechtlichen Regeln kolonialer Epochen, die von einer kleinen, durch gemeinsame Interessen verbundenen Gemeinschaft von Staaten geschaffen wurden, nicht als souveränitätsbeschränkend gelten lassen. Die Formel von der Souveränitätsbeschränkung durch freiwillig eingegangene Verpflichtungen, die auch vom britischen Entwurf erfaßt worden wäre, versuchte der italienische Delegierte dadurch zu modifizieren, daß er eine Unterscheidung zwischen wirklicher Souveränitätseinbuße und der Beschränkung der staatlichen "freedom of action" vorschlugls . Verpflichtungen etwa aus Verträgen oder der Charta der Vereinten Nationen haben seiner Meinung nach keine Souveränitätseinbuße zur Folge, sondern bewirken im allgemeinen lediglich eine Restriktion der "freedom of action" eines Staates. Eine andere Beurteilung müsse jedoch dann erfolgen, wenn ein Staat seine ausschließliche Kontrolle über eine bestehende Materie verliere, weil er etwa auf Teile seiner ursprünglichen Hoheitsbefugnisse zugunsten supranationaler Organisationen verzichtet habe. Nur in solchen Fällen liege ein wirklicher Souveränitätsverlust vor. Außer der kanadischen Delegation, die dieses Konzept billigte, nahmen andere Staatenvertreter hierzu nicht Stellung; es erübrigte sich auch, nachdem wegen des Widerstandes sozialistischer Staaten eine Einigung über diesen Punkt nicht zustande kommen konnte. Bereits in ihren ersten Diskussionsbeiträgen machten Delegierte sozialistischer Staaten mit allem Nachdruck deutlich, daß sie der Doktrin von der Supremität des Völkerrechts als vom Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten umfaßt keinesfalls zustimmen würden. Nach Ansicht des sowjetischen Vertreters schließt ein richtiges Verständnis des Souveränitätsbegriffs als dem Eckpfeiler des geltenden Völkerrechts und der essentiellen Vorbedingung für die Weiterentwicklung einer internatinalen Zusammenarbeit den überbau durch Regeln des Völkerrechts aus l9 • Das Völkerrecht, das sich erst aus der Souveränität der Staaten ergebe, könne nicht gegen diese Souveränität gerichtet sein, sondern müsse sich auf ihre Anerkennung gründen und dazu dienen, sie zu bekräftigen. Der rumänische Delegierte bestritt im übrigen die Vereinbarkeit der britischen Formulierung mit dem wirklichen Verhältnis zwischen Souveränität und Völkerrecht, zumal sie interpretiert werden könnte, als enthalte sie die Idee eines "supra Mameri (Algerien), A1AC.125/SR. 6, S.ll. Vgl. Arangio Ruiz (Italien), A1AC.125/SR. 6, S.6; ähnlich auch Gotlieb (Kanada), A1AC.125/SR. 7, S.8. 19 Khlestov (USSR), A1AC.1l9/SR. 35, S.17. 17

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2. Kap.: D. Das Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten

nationallaw" oder "world law"20. Die Annahme einer solchen Doktrin, so vermeinte er, würde die Welt in Anarchie und Chaos stürzen. Obwohl der rumänische Delegierte für diese Behauptung keine Erklärung anbot, dürfte ihre gedankliche Grundlage in der Vermutung bestehen, daß die Anerkennung einer Supremität des Völkerrechts bzw. eines "world law" die Zurückweisung des sozialistischen Dogmas einer Völkerrechtsordnung auf extrem voluntaristischer Basis beinhalten könnte 21 . Diese These wird durch seine weiteren Aussagen bestätigt, in denen er die Supremitätstheorie als unvereinbar mit dem Prinzip der Souveränität und der Gleichheit der Staaten bezeichnet, weil sie zur Verletzung der Rechte kleiner Staaten und von Völkern führen könnte, die um Unabhängigkeit und Selbständigkeit kämpften!!. Auch die Völker, die ihre Souveränität im Kampf um nationale und gesellschaftliche Befreiung errungen hätten, ständen einer Theorie, welche staatliche Souveränität durch den "super-state" ersetzen wolle, ablehnend gegenüber. In dieser Bemerkung kommt ebenfalls das voluntaristische Element zum Ausdruck, mit dem sich sowohl sozialistische wie auch die neuen Staaten immer wieder der Unterwerfung unter Völkerrechtsnormen zu entziehen suchen, die, ohne ihre Mitwirkung entstanden, ihren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interessen widersprechen. Demgegenüber hätte die Annahme des britischen Vorschlags von der Beschränkung von Souveränitätsrechten durch die Völkerrechtsordnung die Anerkennung des "überbaus" auch der genannten Völkerrechtsnormen als möglich erscheinen lassen. Die sozialistischen Delegierten betonten daher, daß die Souveränität der Staaten die Grundlage des gegenwärtigen Völkerrechts sei; es spiegele die freie Willensabstimmung der Staaten wider!:!. Weil die Regeln des Völkerrechts Ausdruck des Willens souveräner Staaten seien, könnten sie keinen höheren Rang einnehmen als den der staatlichen Souveränität selbst, der sie ihre Geltung verdankten. Einen weiteren Grund für die Ablehnung der Supremität des Völkerrechts sahen diese Delegierten in der ideologisch bedingten Annahme, daß das Konzept der Souveränität in sozialistischen Staaten eine höhere Entwicklungsstufe infolge der übereinstimmung von Volks- und Staats-

20 Critescu (Rumänien), A1AC.119/SR. 33, S.13; Bolintineau (Rumänien), A1AC.125/SR. 7, S.5; ähnlich auch Dadzie (Ghana), A1AC.1l9/SR.35, S.22. 21 Zur sozialistischen Lehre von der Entstehung von Völkerrecht vgl. etwa Tunkin, Der ideologische Kampf, S. 341 ff.; Ushakov, International Law and Sovereignty, S.110; Lewin, S.147; vgl. auch Ramundo, Peaceful Coexistence, S. 43 ff. 22 Critescu (Rumänien), A1AC.119/SR. 33, S.13; ebenso Khlestov (USSR), A1AC.119/SR. 35, S.19. 23 Vgl. etwa Critescu (Rumänien), A1AC.119/SR. 33, S.13.

4. Inhalt des Prinzips

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souveränität erreicht habe 24 • Die Idee eines "Weltrechts" stehe somit den Interessen der friedliebenden Staaten - und darunter versteht die marxistisch-leninistische Ideologie in ihrer gegenwärtigen Ausprägung nicht die sogenannten imperialistischen, also westlich orientierten Staaten - entgegen, weil sie nicht deren Bedürfnissen entspricht, die vor allem in der Vert.eidigung der sozialistischen Errungenschaften bestehen25 • Dem Argument, mit der überbetonung der Souveränität leiste man einem absoluten, schrankenlosen und damit gefährlichen Souveränitätsverständnis Vorschub, begegnet die sozialistische Ideologie mit dem Hinweis, wo Staats- und Volkssouveränität zusammenfielen, seien die friedliebenden Kräfte an der Macht. Ein Mißbrauch staatlicher Handlungsgewalt werde damit ausgeschlossen. Angesichts solcher Meinungsunterschiede war an eine Aufnahme des britischen Vorschlags in den Deklarationstext nicht zu denken. In gewisser Weise spiegelt aber dennoch lit. f des Textes zum Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten das westliche Konzept einer Bindung staatlicher Souveränität durch die Regeln des Völkerrechts, bzw. durch die internationalen Verpflichtungen der Staaten wider. Eine Einigung auf diese Formulierung wurde auch dadurch erleichtert, daß sie bereits in ähnlicher Form der San-Francisco-Konferenz vorlag, und sozialistische und afro-asiatische Delegierte als internationale Verpflichtungen im Sinne der Deklaration nur solche postkolonialer Epochen verstanden. 4. Zum Inhalt des Prinzips

Die Debatten im Sonderausschuß zur inhaltlichen Ausfüllung des Prinzips der souveränen Gleichheit der Staaten standen einerseits im Zeichen des von der San Francisco-Konferenz aufgestellten Kataloges, andererseits waren sie gekennzeichnet von dem Bemühen sozialistischer und afro-asiatischer Delegierter, diesen den "gegenwärtigen Bedürfnissen einer veränderten Weltgemeinschaft anzupassen"26. Während die Elemente jenes Kataloges im wesentlichen unverändert in den Deklarationstext übernommen werden konnten, gelang es sozialistischen und afro-asiatischen Staaten nicht, ihre Vorstellungen etwa hinsichtlich eines Dispositionsrechtes über die nationalen Resourcen, eines Rechtes aller Staaten auf Zugang zu internationalen Organisationen oder eines Rechts zur Entfernung fremder Truppen vom nationalen Territorium, im Deklarationstext zu verwirklichen. Vgl. Critescu (Rumänien), A/AC.119/SR. 33, S.13. Vgl. Khlestov (USSR), A/AC.119/SR. 35, S.19. 28 Vgl. Sahovic (Jugoslawien), AlAC.119/SR.33, S. 10; Olszowka (Polen), A/AC.119/SR. 35, S.5. 24

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2. Kap.: D. Das Prinzip der souveränen Gleichheit der staaten a) Die Gleichheit der Staaten vor dem Recht

Alle Resolutionsentwürfe, die dem Sonderausschuß zur ersten Sitzungsperiode vorgelegt wurden, mit Ausnahme des 4-Staatenentwurfs (Ghana, Indien, Jugoslawien, Mexiko), enthielten einen ausdrücklichen Bezug auf das Prinzip der Gleichheit der Staaten vor dem Recht 21 • Auch in den Diskussionsbeiträgen hielten viele Staatenvertreter fest, daß das Prinzip der Gleichheit in Art. 2 Abs. 1 SVN im Sinne juristischer Gleichheit verstanden werden müsse2 8 • Nur die strikte Anerkennung dieses Grundsatzes mache den Slogan "Macht ist Recht" obsolet. Der Delegierte Ghanas hob die Bedeutung des Prinzips der Gleichheit vor dem Recht unter Hinweis auf den Gesichtspunkt hervor, daß erst ein ausgewogenes Kräfteverhältnis unter den Staaten die Betonung der Staatengleichheit überflüssig erscheinen ließe2 9 • Die Vorstellung der Delegierten von der Gleichheit der Staaten vor dem Recht fand endgültigen Ausdruck im ersten Absatz und lit. a des Deklarationstextes zum Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten. Der erste Absatz spricht von den gleichen Rechten und Pflichten der Staaten, eine Formulierung, die den italienischen Delegierten zu heftiger Kritik veranlaßte 30 • Er empfand diese Formulierung sowohl rechtlich inkorrekt, als auch überflüssig. Seine Kritik begründete er mit der Undifferenziertheit, mit der dort den Staaten gleiche Rechte und Pflichten zuerkannt würden; so habe ein Staat, der an einem bilateralen Vertrag nicht beteiligt sei, nicht etwa die gleichen Rechte und Pflichten, wie sie sich für die Vertragsparteien selbst aus dem Abkommen ergäben; ebenso könne etwa ein Staat, der nicht Partei eines multilateralen Vertrages sei, keine Rechte aus diesem Vertrag ableiten. Eine Formulierung, wie die im ersten Absatz der Deklaration, welche das Gegenteil besage, könne nicht als eine einem Juristenkomitee angemessene Aussage angesehen werden. Soweit dieser Satz dagegen ein statement hinsichtlich der Gleichheit der Staaten vor dem Recht enthalte, sei es überflüssig, weil dies bereits in lit. a niedergelegt sei. Die Kritik des italienischen Delegierten, so berechtigt sie in bezug auf die eigentliche Formulierung auch sein mag, stellt letztlich doch nur einen Streit um Worte, nicht aber um inhaltlich substantielle 21 Zur Unterscheidung zwischen der Gleichheit der Staaten vor dem Recht und der Gleichheit im Recht nimmt eingehend Kewenig, Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung im Völkerrecht der internationalen Handelsbeziehungen, Bd 1, S. 35 f., Stellung. 28 Vgl. Colombo (Argentinien), A/AC.119/SR. 34, S.4; Deleau (Frankreich), AlAC.119/SR. 35, S.5; Agoro (Nigeria), A/AC.119/SR. 35, S.20. 29 Dadzie (Ghana), A/AC.119/SR. 35, S.21. 30 Vgl. Arangio Ruiz (Italien), A/AC.125/SR. 6, S. 4 f.

4. Inhalt des Prinzips

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Fragen dar. Die Diskussionsbeiträge im Anschluß zeigen nämlich eindeutig, daß alle Delegierten die Relativität der Aussage im ersten Absatz des Textes erkannt und die Irrationalität einer absoluten Gleichheit von Staaten in ihren Rechten und Pflichten nicht in den Gehalt des Textes einbezogen haben. Vielmehr ist der Satz - ebenso wie auch die Völkerrechtswissenschaft das Dogma von der Gleichheit der Staaten interpretiert3! - nur in der Bedeutung verstanden worden, "daß den Staaten unter den gleichen (rechtlichen) Voraussetzungen auch die gleichen Rechte und Pflichten zukommen müßten"32. In dieser Weise interpretiert entspricht die Formulierung "they have equal rights and duties" dem geltenden Völkerrecht. Neben der Gleichheit vor dem Recht als Inhalt des Prinzips der souveränen Gleichheit der Staaten blieb auch die Forderung nach ökonomischer Gleichheit nicht unausgesprochen. Vertreter neuer Staaten glaubten, über den juristischen Aspekt des Prinzips hinaus eine Entwicklung hin zur Verpflichtung der industrialisierten Staaten zu erblikken, auch eine Gleichgewichtigkeit der Staaten auf wirtschaftlichem Sektor herzustellen 33 . Nach Meinung dieser Delegierten besteht schon jetzt die Verpflichtung für die Industriestaaten, wenigstens zur Verringerung des ökonomischen Gefälles zwischen ihnen und den Entwicklungsländern beizutragen. In Erwartung solcher Forderungen hatte der französische Vertreter bereits vor den Delegierten afroasiatischer Staaten darauf hingewiesen, daß unter Gleichheit im Sinne des Prinzips nur juristische nicht auch de facto Gleichheit zu verstehen seP4. Er räumte die Notwendigkeit eines gewissen Ausgleichs zwischen armen und reichen Nationen durch wirtschaftliche, technische und 31 Vgl. etwa Berber, VR Bd 1, S.21O; BrierIy, S.132; O'Connell, S.347; Dahm, VR Bd 1, S. 161 ff.; Jessup, S. 27 f.; Kelsen, S.51, Fußnote 9; Möller, S.112, 123 f.; Runge, S.77. Zu dieser Problematik insbesondere Kewenig,

Nichtdiskriminierung, S.36, der den Grundsatz der Gleichheit der Staaten vor dem Recht treffend als den Anspruch des Staates auf unterschiedslose Anwendung des Völkerrechts, eine Anwendung ohne ,Ansehen der Person', ohne Berücksichtigung der tatsächlichen Unterschiede bezeichnet. Er verbürge "jedem souveränen Staat als Völkerrechtssubjekt den Anspruch auf eine unvoreingenommene, unparteiische, von der politischen Bedeutung bzw. Bedeutungslosigkeit des Rechtsuchenden völlig abstrahierende Anwendung des Rechts". Es handle sich damit im Grunde um die Gewährung einer prozessualen Rechtsstellung (S.35). 32 So Dahm, VR Bd 1, S. 163. Diese Interpretation des Textes ist auch deshalb möglich, weil sich der Satzteil "notwithstanding differences of an economic, social, political or other nature" nicht auf den ersten Teil des Satzes "They have equal rights and duties ... co bezieht. Die letztere Formulierung kann daher in der modifizierenden Interpretation gesehen werden. 33 Vgl. Krishna Rao (Indien), A/AC.1l9/SR. 35, S. 15; Ramaholimihaso (Madagaskar), A/AC.125/SR. 7, S.6; Khalil (VAR) , A/AC.119/SR. 35, S. 9 f.; ähnlich auch Bolintineanu (Rumänien), AlAC.125/SR. 7, S.4. 34 Deleau (Frankreich), A/AC.119/SR. 35, S.5.

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2. Kap.: D. Das Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten

wissenschaftliche Zusammenarbeit und Unterstützung ein, wollte aber eine Verpflichtung der Staaten hierzu über humanitär politischen Zwang hinaus als Inhalt des Prinzips der souveränen Gleichheit der Staaten nicht anerkennen. aa) Die Möglichkeit gleicher Ausübung von Rechten als Inhalt der Gleichheit der Staaten vor dem Recht Die sozialistischen Delegationen im Sonderausschuß nahmen die Erörterungen zum Prinzip der Gleichheit der Staaten zum Anlaß für einen Vorstoß, auch die Möglichkeit zur Ausübung gleicher Rechte gegenüber der internationalen Staatengemeinschaft zu fordern. Sowohl der tschechoslowakische 35 wie auch der jugoslawische 36 Resolutionsentwurf enthielten Formulierungen in dieser Hinsicht. Die sozialistischen Vertreter erklärten, daß die vom Völkerrecht mit gleichen Rechten und Pflichten ausgestatteten Staaten auch die gleichen Möglichkeiten haben müßten, um ihre Rechte auszuüben und ihre Pflichten zu erfüllen37 • Dies schließe ein Recht aller Staaten ein, internationalen Verträgen und Konventionen beizutreten und Organisationen anzugehören, welche ihre legitimen Interessen berührten. Der rumänische Delegierte begründete die Forderung damit, daß in der modernen Welt, in der es nur eine internationale Gemeinschaft gebe und in der das Völkerrecht folglich universalen Charakter trage, jeder Staat auch das Recht für sich beanspruchen könne, auf der Grundlage der Gleichheit am internationalen Leben teiIzunehmen 38 • Soweit einigen Staaten dennoch die Ausübung ihrer legitimen Rechte vorenthalten werde, bedeute das einen Verstoß gegen das Prinzip der souveränen Gleichheit aller Staaten. 35 A/AC.119/L.6, a.a.O., Abs.3: uEach State shall have the right to take part in the solution of international questions affecting its legitimate interests, including the right to join international organisations and to become party to multilateral treaties dealing with or governing matters involving such interests." 38 A/AC.119/L.7, in GAOR, XX, Annexes, agenda items 90 and 94, 5.129, Abs. 1 d: u... the right to legal equality and to full and equal participation in the life of the community of nations and in the creation and modification of rules of international law." Jugoslawien gab jedoch später auf Grund der Mitwirkung am 4-Staatenentwurf A/AC.119/L.28 seinen eigenen Vorschlag auf. Der 4-Staatenentwurf enthält wegen der Opposition der drei anderen mitwirkenden Länder Indien, Ghana, Mexiko keine Formulierung zum gleichen Partizipations recht aller Staaten. Während der zweiten 5itzungsperiode brachte allerdings Ghana einen eigenen Entwurf ein, der in seinem Absatz 2 c, d, e ein Recht aller Staaten auf Partizipation festhält. VgI. A/AC.125/L.11, in GAOR, XXI, Annexes, agenda item 87, S.78. 37 VgI. Pechota (Tschechoslowakei), A/AC.119/SR. 33, S. 5; Movchan (USSR), A/AC.125/SR. 6, S. 13 f.; Bolintineanu (Rumänien), AlAC.125/SR. 7, S.4. 38 Critescu /Rumänien), AlAC.119/SR. 33, S. 12; vgI. auch Khlestov (U5SR), A/AC.119/SR. 35, S.18; Olszowka (Polen), A/AC.119/SR.35, 5.4.

4. Inhalt des Prinzips

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Bei der Behandlung dieser Thematik durch die Ostblockländer mußte auffallen, daß der eigentliche Grund ihres Vorstoßes, nämlich zur völkerrechtlichen Aufwertung des DDR-Regimes und der Aufnahme der Volksrepublik China in die Vereinten Nationen beizutragen, nicht unmittelbar erwähnt wurde. Wenig Verständnis erlangte der sozialistische Antrag zur gleichen Partizipation aller Staaten an internationalen Organisationen, Verträgen und Konventionen bei westlichen Delegierten und denen der dritten Welt. Der Vertreter Mexikos bezeichnete die gleichberechtigte Mitwirkung aller Staaten zwar letztlich als wünschenswert, ihr ständen aber Normen wie Art. 4 SVN, der die Aufnahme neuer Mitglieder regelt, und das allgemein anerkannte Recht der Staaten, als Vertragsparteien über die Mitwirkung dritter Länder zu bestimmen, entgegen39 • Eine Ausweitung des Partizipations rechtes in dem von sozialistischen Ländern geforderten Sinne würde nicht nur die Interessen bisher "benachteiligter" Staaten berühren, sondern andererseits die Mitgliedschaftsrechte anderer Staaten, die auch in der Entscheidung über die Teilnahme weiterer Mitglieder bestehen, verletzen. Die westlichen Delegierten folgerten, daß das Postulat uneingeschränkter Partizipation in der Abwägung seines für und wider einen stärkeren Einbruch in die Souveränitätsrechte der Staaten nach sich ziehe als seine Ablehnung40 • Bei dieser Interessenlage mußte eine Aufnahme des tschechoslowakischen Resolutionsvorschlages in den Deklarationstext verständlicherweise scheitern. bb) Gleiche Pflichten der Staaten als Attribut der Staatengleichheit Obwohl im ersten Absatz des Deklarationstextes zum Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten der Satz von den gleichen Rechten und Pflichten bereits während der ersten Sitzungsperiode des Sonderausschusses Eingang gefunden hatte, sah sich die Delegation der USA im Jahre 1966 veranlaßt, das Element der Pflichtengleichheit in einem Ergänzungsantrag weiter zu konkretisieren: "All Members are equally obligated to share in bearing the burdens of membership to the extent of their respective capacities and in accordance with the provision of the Charter 41 ." Wenngleich die amerikanische Delegation davon ausgehen konnte, daß dieser Vorschlag angesichts der unter39 Vgl. Moreno (Mexiko), A/AC.119/SR.33, S.7; ähnlich auch Gibbs (Vereinigtes Königreich), A/AC.119/SR. 35, S.8; Sir Bailey (Australien), A/AC.1l9/ SR. 35, S. 23 f. 40 Vgl. auch Riphagen (Niederlande), A/AC.125/SR. 5, S.l1; Arangio Ruiz (Italien), A/AC.125/SR. 6, S. 6. 41 A/AC.125/L.5, in GAOR, XXI, Annexes, agenda item 87, S.77.

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2. Kap.: D. Das Prinzip der souveränen Gleichheit der staaten

schiedlichen Beurteilung der Finanzkrise der Vereinten NatIonen und ihrer Ursachen durch die Mitglieder des Ausschusses nicht akzeptiert werden würde, so erhoffte sie sich dennoch eine kritische Reflexion des Staatenverhaltens in diesem Punkt. Der amerikanische Vertreter begründete den Ergänzungsvorschlag mit der Feststellung, gleiche Mitgliedschaftsrechte bedingten gleiche Pflichten 42 • Seine Mahnungen erzeugten jedoch in den offiziellen Sitzungen des Ausschusses kein Echo. b) Die Gleichheit der Staaten im Recht

Ein vieldiskutiertes Thema im Rahmen der Behandlung des Prinzips bildete auch die Frage nach der Gleichheit der Staaten in der Staatengemeinschaft; es ging dabei um das Problem der Gewährung gleicher Rechtsstellung an alle Staaten in der Gemeinschaft ohne Berücksichtigung tatsächlicher Umstände, die Differenzierungen herbeizuführen geeignet sein könnten. Schon in den Entschließungsentwürfen manifestierten sich die unterschiedlichen Standpunkte der Delegationen zu dieser Frage. Während der britische Vorschlag sich in der Wiederholung des auf der San Francisco-Konferenz aufgestellten Wortlautes erschöpfte und somit eine mögliche Gleichheit im Recht gar nicht ansprach, führte der tschechoslowakische Entschließungsantrag demgegenüber die Idee von der Gleichheit der Staaten innerhalb der Staatengemeinschaft ein 43 • Diese Vorstellung - von westlichen Staatenvertretern wohl aus realpolitischen Gründen nicht bestritten - wurde während der zweiten Sitzungsperiode in der Formulierung " ... and are equal members of the international community, notwithstanding differences of an economic, social, political or other nature" in den endgültigen Text der Deklaration aufgenommen 44 • Die hier vereinbarte Formulierung dürfte in ihrer Aussage zu den wenig gelungenen Sätzen der Deklaration gehören. Während der erste Satzteil "They have equal rights and duties ... " einer differenzierenden Auslegung fähig ist, wird im zweiten Teil eine solche Relativierung mit der Feststellung, daß alle Staaten gleichberechtigte Mitglieder in der internationalen Gemeinschaft seien, durch die Worte "notwithstanding differences of an economic, social, political or other nature" praktisch ausgeschlossen. "Equal members of the international community" kann in dem gegebenen Zusammenhang nur bedeuten, Vgl. Hargrove (USA), A/AC.125/SR. 5, S.14. Vgl. A/AC.119/L. 6, a.a.O., Abs.1: "States are sovereign and as such are equal among th~mselves, as subjects of international law they have equal rights and duties, and reasons of a political, social, economic, geographical or other nature cannot restrict the capacity of aState to act or assurne obligations as an equal member of the international community." 44 Der sowjetische Delegierte betonte, daß alle Staaten, ob groß oder klein, gleiche Rechte hätten; vgl. Klestov (USSR), A/AC.119/SR. 35, S.7. 42

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4. Inhalt des Prinzips

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daß die Zuweisung von (Beteiligungs-)Rechten45 - nicht etwa die Ableitung von Rechten aus einem gegebenen Normenkomplex -, ohne Berücksichtigung der tatsächlichen Unterschiedlichkeiten gleich gehandhabt werden müsse. Die in der Formulierung enthaltene radikale Ausformung der Gleichberechtigung großer und kleiner Staaten in der internationalen Gemeinschaft muß insbesondere zu Zweifeln etwa über die Beteiligungsrechte neu entstehender Mikrostaaten auf völkerrechtlicher Ebene Anlaß geben 46 • Sie würde in ihrer Konsequenz etwa im Bereich der Vereinten Nationen zu einer immer stärkeren Verlagerung weltpolitischer Entscheidungsprozesse in den Sicherheitsrat führen und damit die Vollversammlung in ihrer streng egalitären Ausrichtung zu einem Schattendasein verurteilen; dies aber dürfte nicht im Sinne eines wohlverstandenen, die Realitäten berücksichtigenden Rechts auf souveräne Gleichheit der Staaten liegen. Im übrigen entspricht die undifferenziertE: Aufstellung des Grundsatzes von der Gleichheit der Staaten in der internationalen Gemeinschaft unbeschadet ihrer wirtschaftlichen, sozialen, politischen etc. Unterschiedlichkeiten in der Formulierung des Deklarationstextes keinesfalls den gegenwärtigen politischen und selbst völkerrechtlichen Gegebenheiten 47 • Zu nennen wären etwa Satzungen internationaler Organisationen, die im klaren Widerspruch zu der im Deklarationstext postulierten Gleichheit der Staaten in der internationalen Gemeinschaft stehen: die Satzung der Vereinten Nationen mit dem Vetorecht der Großmächte 48 ; der World Monetary Fund und die International 45 Die Formulierung "and are equal members of the international community" dürfte dafür sprechen, daß hierbei gedacht ist an materiell gleich-

wertige Rechtspositionen. In Verbindung mit dem zweiten Satzteil "notwithstanding differences of an economic ... ", der unter dem Druck afroasiatischer und sozialistischer Staaten eingefügt wurde, muß die Formulierung in der Weise interpretiert werden, daß der Grad der Beteiligung an den Belangen der Staatengemeinschaft nicht etwa von Gegebenheiten wirtschaftlicher, politischer, sozialer oder sonstiger Art abhängig gemacht werden darf. 46 Falk, The New States, S.23, hält bereits den Einfluß der jungen Staaten in den Vereinten Nationen für "disproportionate to their relative power in the system". Deshalb beginne man, die formalen Aspekte des Prinzips der souveränen Gleichheit der Staaten in Zweifel zu ziehen. 47 Vgl. zu dieser Problematik etwa Berber, VR Bd 1, S. 216 f.; Bracht, Der nichtgleichberechtigte Vertrag im Völkerrecht, S.206; EI Erian, The Legal Organisation of International Society, S. 98 f.; Greig, S. 542 ff.; Mclntyre, Weighted Voting in International Organisations, S. 486 ff.; Schwarz-Liebermann, S. 235 ff.; WengIer, VR Bd 2, S.1339 ff.; siehe auch Menzel, VR, S. 210 f. 48 Obwohl dies nahe gelegen hätte, veranlaßte die Tatsache wirklicher Ungleichheit der Staaten im Verhältnis des Sicherheitsrates zur Vollversammlung der Vereinten Nationen keinen der Delegierten des Ausschusses zur Kritik. Soweit diese Tatsache angesprochen wurde, begründete man die Ungleichheit im System der Abstimmung als das Ergebnis der politischen

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2. Kap.: D. Das Prinzip der souveränen Gleichheit der staaten

Bank for Reconstruction and Development, in denen die Stimmen der Mitgliedstaaten nach ihren Finanzeinlagen bewertet werden und die International Labour Organisation, welche in Art. 7 ihrer Satzung den zehn wichtigsten Industrienationen eine Vorzugsstellung einräumt. Darüberhinaus darf auch das Statut des Europa-Rates nicht unerwähnt bleiben, in dem die Stimmenwägung zum ersten Mal auch im politischen Bereich dadurch zum Ausdruck kommt, daß den Mitgliedstaaten eine nach ihrer Bevölkerungszahl verschiedene Stimmenzahl in der Beratenden Versammlung zugebilligt wird. Eine ähnliche Berücksichtigung tatsächlicher Ungleichheit auf machtpolitischem Sektor findet sich im EWG-Vertrag bezüglich der Stimmenverteilung in Rat und Versammlung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Neben diese auf rechtlicher Grundlage beruhenden Ungleichheiten treten noch die tatsächlichen Differenzierungen zwischen Großmächten und der übrigen Staatengemeinschaft wie sie sich selbst in Organisationen wie etwa der International Law Commission bemerkbar machen. Ohne daß dies ihr Statut vorgesehen hätte, sind dort Vertreter von Staaten mit ständigem Sitz im Sicherheitsrat seit 1949 (mit Ausnahme Chinas seit 1966) ständig repräsentiert (gewählt worden), obwohl dies im Interesse einer ausgewogenen geographischen und politischen Stimmenverteilung nicht unbedingt erforderlich gewesen wäre. Angesichts der völkerrechtlichen und tatsächlichen Ungleichgewichtigkeit der Staaten in der internationalen Gemeinschaft erscheint der Satz der Deklaration von der Gleichheit der Staaten unbeschadet bestehender Unterschiedlichkeiten von sehr zweifelhaftem Wert. Es ist die Frage berechtigt, ob die hier postulierte Gleichheit der Staaten nicht den Keim der höchsten Ungleichheit in sich trägt, weil sich hinter ihr die Ungleichheit der durch die Staaten repräsentierten Völker und Menschen verbirgt49. Denn auch im Völkerrecht gilt der Grundsatz, daß Rechtsnormen die objektive Verschiedenheit der Völkerrechtssubjekte zu berücksichtigen haben; diese Anknüpfung an Subjekte muß gerecht und nicht willkürlich sein, "damit die Unterscheidung und Nichtunterscheidung des Rechts gewissermaßen Reflexe faktischer Gegebenheiten bleiben"50. Keinesfalls dürfte daher der Schluß berechtigt sein, der allgemein anerkannte Völkerrechtssatz der Gleichheit der Umstände nach dem zweiten Weltkrieg (vgl. Colombo [Argentinien], AlAC. 119/SR. 34, S.4). 49 So Dahm, VR Bd 1, S. 163; zur Kritik an der Doktrin von der Gleichheit der Staaten vgl. auch Falk, The New States, S.23; Hinger, Stimmenwägung in Internationalen Wirtschaftsorganisationen, S. 6 ff.; Scelle, Einige Betrachtungen zum Selbstbestimmungsrecht der Völker, S.10; Schaumann, Gleichheit der Staaten?, S. 21 ff. 50 So Felder, Das Problem der Staatengleichheit in der Organisation der Völkergemeinschaft, S. 38 f.

4. Inhalt des Prinzips

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Staaten vor dem Recht impliziere die Gleichheit im RechtSI. Es kann gegenwärtig allenfalls eine gewisse formell gleiche Rechtsposition der Staaten im Rahmen zahlreicher internationaler Organisationen und im Hinblick auf die Ausübung von Stimm- und Beteiligungsrechten anerkannt werden, eine Gleichheit also, welche die Staaten im wesentlichen "unter dem Gesichtspunkt ihrer natürlichen Gleichheit erfaßt"s2. c) Das Recht auf Respektierung der Völkerrechtssubjektivität der Staaten

Das Recht auf Respektierung der Völkerrechtssubjektivität hat seinen Niederschlag in lit. c des Deklarationstextes zum Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten gefunden und ist in Verbindung mit der ähnlichen Formulierung im Prinzip der Nichtintervention zu sehen. Es wurde aus den Vorarbeiten der San Francisco-Konferenz als eine der Grundlagen für die Ausübung von Souveränitätsrechten in der Gemeinschaft gleicher Staaten übernommen. d) Die Unverletzlichkeit territorialer Integrität

und politischer Unabhängigkeit der Staaten

In engem Zusammenhang mit der Respektierung der Völkerrechtssubjektivität steht auch das Recht der Staaten auf Unverletzlichkeit ihrer territorialen Integrität und ihrer politischen Unabhängigkeit. Alle Resolutionsentwürfe vor dem Sonderausschuß betonten dieses Recht noch einmal ausdrücklich beim Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten, obwohl es bereits im Prinzip des Gewaltverbots niedergelegt war. Mit der wiederholten Erwähnung wollten die Delegierten ihrem Anliegen einer stärkeren Beachtung dieses Grundsatzes durch die Staatenwelt besonderen Nachdruck verleihen. Ein Grundattribut der Souveränität sei, so betonten viele Staatenvertreter, die Herrschaft über das nationale Territorium einschließlich des Luftraumes und des Küstenmeeres. Wenngleich diese Aussage in ihrer Allgemeinheit unbestritten schien, so traten doch starke Differenzen zutage, als man sich Detailfragen zuwandte. Sozialistische und afro-asiatische Delegierte wollten das Problem der Souveränität von Kolonialvölkern, die Möglichkeit zu freier Disposition über die nationalen Resourcen und ein Recht zur Entfernung fremder Truppen vom nationalen Territorium von dem Recht auf territoriale Integrität und politische Unabhängigkeit erfaßt wissen. 51 So auch Kewenig, Nichtdiskriminierung, S.36; vgl. auch Berber, VR Bd 1, S.210; Möller, S.112, 123 f. 52 So Felder, S. 38.

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2. Kap.: D. Das Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten

aa) Das Problem der Souveränität von Kolonialländern und -völkern Als einziger Resolutionsentwurf enthielt der Vorschlag der tschechoslowakischen Delegation zur ersten Sitzungsperiode eine Formulierung, mit der Kolonialterritorien von der Ausübung von Souveränitätsrechten durch die Kolonialmächte ausgenommen bleiben sollten53 • Sozialistische Staatel1.vertreter erhoben die Forderung, in der sie von Delegierten der Entwicklungsländer unterstützt wurden, daß souveräne Gleichheit nach modernem Völkerrecht nicht nur den Staaten, sondern auch Völkern, die um ihre Unabhängigkeit kämpften, zuerkannt werden müsse 54; daher dürften unter Kolonialherrschaft gehaltene Territorien nicht als integraler Teil des Mutterlandes, auf den sich dessen Souveränitätsrechte erstreckten, betrachtet werden. Mit dem Hinweis auf die Sanktionierung von Kolonialsituationen selbst durch die Charta der Vereinten Nationen (Art. 73 ff.) lehnten die Vertreter Australiens 55 und des Vereinigten Königreiches56 den tschechoslowakischen Formulierungsvorschlag ab. Er wurde aber dennoch in abgewandelter Form unter dem Druck sozialistischer und afreasiatischer Delegierter in den Deklarationstext des Prinzips der gleichen Rechte und der Selbstbestimmung der Völker übernommen. bb) Das Recht zur Disposition über die nationalen Resourcen Die Diskussionen um die Niederlegung eines Rechts auf Disposition über die nationalen Resourcen nahm in den Verhandlungen des Sonder ausschusses zum Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten den breitesten Raum ein. Das Argument, das von vielen sozialistischen und afro-asiatischen Delegierten als Referenz für ein solches Recht angeführt wurde, bestand in der rethorischen Frage, wie könne von einem Staat behauptet werden, er habe das ausschließliche Kontrollrecht über sein Territorium, wenn er nicht einmal über seine Resourcen verfügen dürfe 57 • Solange einem Staat nicht zugestanden werde, über alle natürlichen Reichtümer innerhalb der Grenzen seines Machtbereiches zu disponieren, müsse man ihm das Attribut der Souveränität 53 AlAC.119/L.6, a.a.O., Abs.4: " ... Territories which, in contravention of the principle of self-determination, are still under colonial domination cannot be considered as integral parts of the territory of the colonial Power." 54 Vgl. Pechota (Tschechoslowakei), A/AC.119/SR. 33, S. 6; Khlestov (USSR), A/AC.119/SR. 35, S.18; Khalil (VAR) , AlAC.119/SR. 35, S.ll. 55 Sir Bailey (Australien), AIAC.119/SR. 35, S. 24. 56 Gibbs (Vereinigtes Königreich), AlAC.119/SR. 35, S.8. 57 Vgl. Mameri (Algerien), A/AC.125/SR. 6, S.10; Khalil, (VAR), A/AC.1191 SR. 35, S.lO; Dadzie (Ghana), A/AC.119/SR. 35, S. 21; Pechota (Tschechoslowakei), A/AC.119/SR. 33, S.5.

4. Inhalt des Prinzips

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absprechen. Der Vertreter Chiles bezeichnete die Verfügungsmöglichkeit der Staaten über ihre nationalen Resourcen als natürliche Folge des Souveränitätsprinzips, welche besonders für die Entwicklungsländer von eminenter Bedeutung in deren Bemühungen sei, Situationen zu beenden, die die Aussichten wirtschaftlicher Expansion und der Hebung des Lebensstandards der Völker beeinträchtigten58 • In der Beurteilung eines derartigen Dispositionsrechtes wurden sowohl Unterschiedlichkeiten innerhalb des sozialistischen und afroasiatischen Blocks einerseits und naturgemäß den westlichen Staaten diesem gegenüber andererseits offenbar.

a) Die sozialistische Haltung Die sozialistische Einstellung zum Problem eines Dispositionsrechtes über die nationalen Reichtümer drückte sich eindeutig im tschechoslowakischen Resolutionsentwurf aus. Er enthielt eine Formulierung die den Staaten die freie Entscheidungsbefugnis über ihre nationalen Reichtümer und natürlichen Resourcen vorbehalten sollte59 • In ihrer ideologischen Ausrichtung auf das Volkseigentum an den Grundlagen staatlicher Wirtschaftsmacht wollten sozialistische Delegierte ein durch Verträge und Abkommen beschränkbares Dispositionsrecht nicht akzeptieren6o • Der sowjetische Vertreter bestritt im übrigen ein Recht dritter Staaten, auf Grund völkerrechtlicher Vorschriften oder Verträge, die den gegenwärtigen Bedürfnissen Rohstoffe liefernder Länder nicht mehr entsprechen, in deren Recht auf Verfügungsfreiheit einzugreifen. ß) Die Vorstellungen afro-asiatischer Staaten

Während alle sozialistischen Delegierten im Ausschuß strikt am Dogma des freien, unbeschränkten Dispositionsrechts festhielten, ließ sich bei den afro-asiatischen Staaten eine Fraktion der Sympathisanten61 mit der sozialistischen Auffassung feststellen und daneben eine Gruppe, die eine vermittelnde Haltung einnahm. So bestätigte der Vertreter Ghanas 62 zwar das freie Verfügungsrecht der Staaten über ihre nationalen Resourcen, das eine jederzeitige Suspendierung oder AufIlianes (Chile), A/AC.125/SR. 7, S.6. Vgl. AlAC.119/L.6, a.a.O., Abs.4: "The sovereignty of aState is based on the inalienable right of every nation to determine freely its own destiny and its social, economic and political system, and to dispose freely of its national wealth and natural resources ... " 60 Vgl. Pechota (Tschechoslowakei), A/AC.119/SR. 33, S.5; Khlestov (USSR), AlAC.119/SR. 35, S.17 f.; ähnlich auch Moreno (Mexiko), AlAC.119/SR. 33, S.9. 61 Vgl. Krishna Rao (Indien), AlAC.119/SR. 35, S.16; Agoro (Nigeria), AlAC.119/SR. 35, S.20; Khalil (VAR), AlAC.119/SR. 35, S.10. 6! Dadzie (Ghana), A/AC.119/SR. 35, S.21. 58

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2. Kap.: D. Das Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten

hebung diesbezüglicher Vereinbarungen mit dritten Staaten einschließe; sie seien bei solchen Handlungen aber stets den Regeln des Völkerrechts betreffend ihre Haftung und Entschädigungspflicht unterworfen. Eine weitere Modifizierung schlugen demgegenüber die Delegierten Kenias und des Libanon63 vor. Sie bezeichneten diejenigen Verträge über die Ausbeutung nationaler Resourcen für die beteiligten Staaten als bindend, die in freier Vereinbarung getroffen worden seien; darunter fielen nicht die anachronistischen und einseitigen Vereinbarungen kolonialer Epochen. Soweit eine Änderung oder Aufhebung in freier übereinstimmung geschlossener Verträge angestrebt wird, sah der Entwurf Kenias die strikte Beachtung völkerrechtlicher Regeln vor.

)') Die westliche Einstellung Die Einstellung westlicher Staaten gegenüber einem Dispositionsrecht über die nationalen Resourcen war getragen von Vorbehalten gegenüber der Aufnahme eines solchen Rechtes in den Deklarationstext. Viele Delegierte erwähnten die Resolution 1803 (XVII) vom 14.12. 1962 (Permanent sovereignty over natural resources) der Vollversammlung, in der das Verfügungsrecht über die nationalen Resourcen in aller Ausführlichkeit behandelt sei; es könne daher nicht Aufgabe des Sonderausschusses sein, diese Thematik in der Deklaration über die Völkerrechtsprinzipien in einer Weise zu behandeln, die der Resolution 1803 inhaltlich widerspreche 64 • Die Delegierten wandten sich damit in erster Linie gegen die sozialistische Forderung nach unbeschränkter Verfügungsgewalt. Sie wollten demgegenüber nur einer Formulierung zustimmen, welche das Dispositionsrecht an freiwillig eingegangene Verträge und die Regeln des allgemeinen Völkerrechts bindet65 • Bei dieser unterschiedlichen Interessenlage mußte die Aufnahme einer entsprechenden Formulierung in den Deklarationstext naturgemäß scheitern.

63 Bhoi (Kenia), A/AC.125/SR. 6, S. 16; Chammas (Libanon), A1AC.125/SR.7, S. 9; vgl. auch den Ergänzungsvorschlag Kenias zur zweiten Sitzungsperiode, NAC.125/L.7, in GAOR, XXI, Annexes, agenda item 87, S.78: "Each State has the right to freely dispose of its national wealth and natural resources. In the exercise of this right, due regard shall be paid to the applicable rules of international law and to the terms of agreement validly entered into." 64 Vgl. Gibbs (Vereinigtes Königreich), A/AC.119/SR. 35, S.9; Schwebel (USA), A1AC.119/SR.35, S. 12 ff. 65 Gotlieb (Kanada), A1AC.125/SR. 7, S.8; Sinclair (Vereinigtes Königreich), A/AC.125/SR. 5, S.6; Riphagen (Niederlande), A1AC.125/SR.5, S.11.

4. Inhalt des Prinzips

171

e) Das Recht zur Entfernung fremder Truppen

vom nationalen Territorium

Während der ersten Sitzungsperiode unternahm der Vertreter der VAR einen Vorstoß zur Einbeziehung eines Rechts auf Entfernung fremder Truppen vom nationalen Territorium in das Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten66 • Da er mit seinem mündlichen Antrag, den er am letzten Verhandlungstag zum Thema Staatensouveränität eingebracht hatte, keinen Widerhall fand, formulierte die ägyptische Delegation zur zweiten Sitzungsperiode einen Resolutionsvorschlag gleichen Inhalts: "Each State has the right to remove any foreign military bases from its territories 67 ." Nunmehr mischten sich viele sozialistische und afrikanische Staaten in den Chor der Befürworter einer solchen Formulierung68 • Für die westliche Seite kritisierte der italienische Delegierte den Vorschlag als zu apodiktisch, da er nicht auf die Grundlage der Truppenpräsenz, insbesondere Stationierungsverträge eingehe69 • Da sich der Sonderausschuß auf Einstimmigkeit in seinen Kodifizierungsbemühungen geeinigt hatte, blieb der Vorschlag der VAR im Deklarationstext unberücksichtigt. f) Der Auffangtatbestand des lit. b

Aus den Vorarbeiten der San Francisco-Konferenz wurde lit. b ("Each State enjoys the rights inherent in full sovereignty") des Deklarationstextes zum Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten gegen die Kritik des italienischen Deiegierten70 fast wörtlch übernommen. Der Delegierte sah in der Formulierung lediglich eine für die Substanz des Prinzips bedeutungslose Wiederholung des ersten Absatzes, zumal ihr eine tautologische Voraussetzung innewohne, wenn man von der Souveränität der Staaten ausgehe. Liest man die Formulierung in der dem Ausdruck Staat eigenen Souveränitätsbezogenheit, so lautet sie: "Each (sovereign) State enjoys the rights inherent in full sovereignty 7o." Die Aussagelosigkeit dieses Satzes wird dann in der Tat voll erkennbar. Darüber hinaus erhält der Satz sogar einen falschen Aussagewert, wenn Khalil (V AR), AIAC.119/SR. 35, S. 10. A/AC.125/L.9, Abs. 2 g, in GAOR, XXI, Annexes, agenda item 87, S.78. 68 Movchan (USSR), A/AC.125/SR. 6, S.15; Bolintineanu (Rumänien), A/AC.125/SR. 7, S.5; Ramaholimihaso (Madagaskar), A/AC.125/SR.7, S.5. 69 Arangio Ruiz (Italien), AIAC.125/SR. 6, S. 8. 70 VgI. Arangio Ruiz (Italien), AlAC.125/SR.6, S.5. Bereits Kelsen hat die fast gleichlautende Formulierung der San Francisco-Konferenz kritisiert, weil sie bedeutungslos sei, solange man nicht den Begriff der Souveränität definiert habe. VgI. The Law of the UN, S.51, Fußnote 9. Die vom italienischen Delegierten vorgebrachten Bedenken hat Kelsen nicht gesehen. 66

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12 Grat zu DohnA

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2. Kap.: E. Das Prinzip der Zusammenarbeit der Staaten

man den Begriff Staat in der Bedeutung eines Gebildes ohne völkerrechtliche Souveränitätsrechte, wie etwa eines Bundesstaates, sieht. Ein solcher Staat ist nicht souverän und kann folglich auch nicht Rechte, die sich aus der Souveränität ergeben, beanspruchen71 • Die Aufnahme dieser mißglückten, wenngleich nicht "gefährlichen" Formulierung in den Deklarationstext kann nur aus der Sorge der Delegierten heraus verstanden werden, einen Auffangtatbestand zu schaffen; er soll dazu dienen, mögliche weitere, bisher unbeachtet gebliebene Inhalte des Prinzips der Souveränität nicht auszuschließen. 5. Ergebnis

Absatz 1 des Deklarationstextes zum Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten entspricht allgemein anerkanntem Völkerrecht, soweit er die Gleichheit der Staaten vor dem Recht betrifft. Soweit er die Gleichheit der Staaten im Recht anspricht, weicht er von geltendem Völkerrecht ab. Absatz 2 entspricht vollinhaltlich allgemein anerkanntem Völkerrecht.

E. Das Prinzip der Zusammenarbeit der Staaten States have the duty to co-operate with one another irrespective of the differences in their political, economic and social systems, in the various spheres of international relations, in order to maintain international peaee and security and to promote international economic stability and progress, the general welfare of nations and international co-operation free from diserimination based on such differenees. To this end: (a) States shall eo-operate with other States in the maintenance of international peace and seeurity; (b) States shall eo-operate in the promotion of universal respeet for, and observance of, human rights and fundamental freedoms for aIl, and in the elimination of all forms of racial discrimination and all forms of religious in tolerance; (e) States shall conduct their international relations in the economic, social, cultural, technical and trade fields in accordance with the principles of sovereign equality and nonintervention; (d) States Members of the United Nations have the duty to take joint and separate action in co-operation with the United Nations in accordance with the relevant provisions of the Charter. 11 So auch Tsatsos, Gedanken über den Begriff der Souveränität, S.249: "Der Staat ist souverän oder er ist kein Staat."

1. Vorbemerkungen

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States should co-operate in the economic, social and cultural fields as weIl as in the field of science and technology and for the promotion of international cultural and educational progress. States should co-operate in the promotion of economic growth throughout the world, especiaIly that of the developing countries. 1. Vorbemerkungen

Das Prinzip der Zusammenarbeit der Staaten wurde im Sonderausschuß während der zweiten und dritten Sitzungsepriode in den Jahren 1966 und 1967 behandelt. Nachdem während der offiziellen Beratungen des Ausschusses im Jahre 1966 eine Einigung nicht zustande kam, unternahm der Vorsitzende des Sonderausschusses zum Ende der Sitzungsperiode in inoffiziellen Kontakten den Versuch, die Delegationen zur Annahme eines von ihm erarbeiteten Formulierungsvorschlages zu bewegen1 • Der Vorschlag enthielt Kompromißlösungen zu den während der Diskussionen dargelegten unterschiedlichen Standpunkten. Zu diesem Schritt sah sich der Ausschußvorsitzende gezwungen, nachdem die Enttäuschung afro-asiatischer Delegationen, die sich verständlicherweise an der Formulierung gerade dieses Prinzips mit größtem Interesse beteiligten, wegen der schleppenden Behandlung des Prinzips und der aus unterschiedlichen Gründen mangelnden Kompromißbereitschaft offen zutage trat. Obwohl, wie der Ausschußvorsitzende während der 52. Sitzung am 25. April 1966 erklärte, der vorgeschlagene Text breite Zustimmung fand, konnten sich dennoch einige Delegierte wegen gewisser Vorbehalte gegenüber der einen oder anderen Formulierung zu einer Annahme nicht entschließen2 • Der Mißerfolg der Bemühungen des Vorsitzenden veranlaßte die Delegierten der afro-asiatischen Staaten, nunmehr durch diplomatischen Druck im Interesse einer konstruktiven Weiterarbeit an diesem gerade für die Entwicklungsländer so wesentlichen Prinzip die übrigen Staatenvertreter zum Überdenken ihrer Positionen und einem Einlenken zu bewegen. Im Namen der Delegationen der blockfreien Staaten im Ausschuß erklärte der Delegierte des Libanon, diese Staaten würden sich nicht scheuen, von dem bisher geübten Einstimmigkeitsprinzip Abstand zu nehmen, um die Deklaration der sieben Völkerrechtsgrundsätze unter Ausnutzung der afro-asiatischen Mehrheit im Ausschuß zu einem schnelleren und befriedigenden Abschluß zu bringen3 • Eine weitere Möglichkeit bestehe auch darin, ungelöste Streitfragen betreffend die 1 Vgl. das Statement des Ausschußvorsitzenden und den darin enthaltenen Formulierungsvorschlag in GAOR, XXI, Annexes, agenda item 87, S. 105. 2 Vgl. ebd. 3 Vgl. Chammas (Libanon), in GAOR XXI, Annexes, agenda item 87,

S.105 f. 12·

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2. Kap.: E. Das Prinzip der Zusammenarbeit der Staaten

Formulierung der Prinzipien vor die Vollversammlung der Vereinten Nationen zu tragen, wo die blockfreien Staaten einer überwältigenden Mehrheit sicher wären. Der Delegierte begründete das Vorhaben dieser Staaten damit, daß die Möglichkeit einer Vetoausübung über die Arbeit des Sonderausschusses auch nur eines einzigen Staates wegen oft nur semantischer Unstimmigkeiten dem Interesse einer breiten Mehrheit nur schaden und das Werk des Ausschusses letztlich zum Erliegen bringen könne. Wohl nicht zuletzt unter dem Eindruck dieser Drohung gelang es dem Ausschuß während der dritten Sitzungsperiode, eine Einigung über den Text des Prinzips herbeizuführen, der schließlich in seinem ersten Absatz, in lit. a, c, d des zweiten und im dritten Absatz fast wörtlich der vom Ausschußvorsitzenden empfohlenen Formulierung entsprach. Bezeichnend für die Wirkung des afro-asiatischen Protestes gegen das Verhalten einiger Delegationen ist auch die Tatsache, daß alle zur dritten Sitzungsperiode eingebrachten Resolutionsentwürfe in ihrem Kern den Vorschlag des Ausschußvorsitzenden aus der zweiten Sitzungsperiode enthielten. Die Ursachen, die während der zweiten Sitzungsperiode die Einigung auf einen gemeinsamen Deklarationstext verhinderten, bestanden vor allem in dem Streit darüber, ob das Prinzip der Zusammenarbeit der Staaten als völkerrechtliche Verpflichtung formuliert werden sollte. Daneben bereitete die Frage, wem gegenüber die Pflicht zur Zusammenarbeit eingreife, etwa allen Staaten oder nur den Mitgliedern der Vereinten Nationen gegenüber, und das Problem der Einbeziehung eines Diskriminierungsverbotes anfängliche Schwierigkeiten. 2. Grundlagen und Bedeutung des Prinzips

Viele Delegierte im Sonderausschuß versuchten auch bei den Beratungen über das Prinzip der Zusammenarbeit der Staaten seine Grundlagen in der Charta, vielen internationalen Vereinbarungen und in der Praxis der Staaten nachzuweisen. So stellte der tschechoslowakische Vertreter fest, daß die Entwicklung des Prinzips in erster Linie auf die Nachkriegswirren zurückzuführen sei, die im Interesse einer Konsolidierung der durch die Kriegsereignisse schwer betroffenen Staaten eine Zusammenarbeit insbesondere auf wirtschaftlichem Gebiet unabweislich gemacht hätten'. Die Erkenntnis, daß nur eine in gewisser Weise institutionalisierte Zusammenarbeit den gewünschten Erfolg bringen könne, habe bereits die Gründerstaaten der Vereinten Nationen ver4 Vgl. Potocny (Tschechoslowakei), AlAC.125/SR. 34, S.4; ähnlich Mercado (Mexiko), A/AC.125/SR. 37, S.5.

2. Grundlagen und Bedeutung des Prinzips

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anlaßt, das Konzept einer internationalen Kooperation zur Grundidee der Organisation zu machen. Der Delegierte deutete auf die Artikel 1 Abs.3 und 11, 13, 55 und 56 SVN hin, die Zeugnis für den Willen der der Staatengemeinschaft ablegten, zur Erhaltung des Friedens beizutragen5 ; der Beitrag hierzu könne aber nicht in einer präventiven Funktion der Organisation und ihrer Mitglieder bestehen, sondern müsse sich in der aktiven Zusammenarbeit auf allen Gebieten des internationalen Lebens artikulieren. Alle Staatenvertreter waren sich in der Aussage des tschechoslowakischen Delegierten einig, daß das mit der Charta erstrebte Friedenssystem mehr als die bloße Abwesenheit von Krieg bedeute und dieses ohne die engagierte Zusammenarbeit der Staaten schlechthin nicht zu verwirklichen sei. Das Prinzip der Zusammenarbeit, so folgerte der tschechoslowakische Vertreter, sei bei Anerkennung der aktiven Friedenssicherungsrolle der Staaten die logische Konsequenz eines wohlverstandenen Gewaltverbots und des Prinzips der friedlichen Streiterledigung; denn nur aus der Untätigkeit vieler Staaten im Bereich der Kooperation erwüchsen die mannigfachen friedensgefährdenden Probleme sowohl politischer wie auch wirtschaftlicher Art6 . Viele sozialistische und afro-asiatische Vertreter verwiesen darauf, daß das Prinzip im Zeichen der Dekolonisation besondere Bedeutung gewonnen und in zahlreichen Deklarationen der Blockfreien wie etwa in Bandung, Belgrad und Kairo Ausdruck gefunden habe 7 • Auch im Rahmen der Vereinten Nationen sei der Wille der Staaten zur Zusammenarbeit insbesondere mit Entwicklungsländern in zahlreichen Resolutionen bestätigt worden; als bedeutendste dieser Äußerungen der Vollversammlung wurden die Resolutionen 1495 (XV) vom 17. 10. 1960 ("Cooperation of Member-States") und 1515 (XV) vom 15.12. 1960 ("Concerted action for economic development of economically less developed countries") genannt. Die vielen Resolutionen, Wirtschaftsvereinbarungen und nicht zuletzt die relevanten Vorschriften der Charta der Vereinten Nationen wollte der Vertreter Ghanas für das Anzeichen einer Entwicklung des gegenwärtigen Völkerrechts hin zu einem "law of international welfare" oder "co-operative international law" sehen8 ; das Völkerrecht müsse und werde schließlich der "creation of conditions of weH being and the promotion of higher standards of living, full 5 Vgl. auch Goni Demarchi (Argentinien), AlAC.125/SR. 36, S. 4; Vanderpuye (Ghana), AIAC.125/SR. 34, S. 12. 6 Potocny (Tschechoslowakei), A/AC.125/SR. 34, S.5; ähnlich auch Therattil (Indien), A/AC.125/SR. 34, S.8. 7 Vgl. etwa Resich (Polen), AlAC.125/SR. 35, S.7; Therattil (Indien), A/AC.125/SR. 34, S. 8; EI Reedy (VAR), AlAC.125/SR. 36, S.7. 8 Vanderpuye (Ghana), A/AC.125/SR.34, S.l1.

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2. Kap.: E. Das Prinzip der Zusammenarbeit der Staaten

employment and economic and social progress and the development of all the members of the economic community" dienen. 3. Zum Inhalt des Prinzips

a) Die Träger der Verpflichtung zur Zusammenarbeit Alle Delegationen im Sonderausschuß waren sich darin einig, daß die Staatengemeinschaft ohne ein gewisses Maß an Zusammenarbeit nicht lebensfähig sei. Unterschiedliche Auffassungen wurden jedoch in der Frage vertreten, ob diese Kooperation nur den Mitgliedern der Vereinten Nationen und der Organisation oder allen Staaten gegenüber geschuldet werde. Schon die während der zweiten Sitzungsperiode eingebrachten Resolutionsentwürfe machten die divergierenden Meinungen offenbar. Während der westliche Vorschlag9 nur von einer allgemeinen Verpflichtung zur Zusammenarbeit der Mitglieder der Vereinten Nationen sprach, enthielten der tschechoslowakischelO und der Entwurf blockfreier Staatenl l diese Einschränkung nicht, sondern wollten die Verpflichtung gegenüber allen Staaten angewandt wissen. Westliche Delegierte begründeten ihre Vorstellung von einer limitierten Pflicht zur Zusammenarbeit mit dem Hinweis darauf, daß der Auftrag des Ausschusses laute, eine Kodifikation der in der Charta enthaltenen sieben Prinzipien vorzunehmen l2 . Die einzigen Bestimmungen der Charta, denen eine Verpflichtung zur Kooperation entnommen werden könnten, seien die Artikel 55 und 56; diese aber sprächen ausdrücklich nur die Mitgliedstaaten an und entfalteten über den Kreis der Vereinten Nationen hinaus keine weitere Rechtsverbindlichkeit. Der Sache des Völkerrechts würde nach Ansicht des amerikanischen Vertreters kein guter Dienst erwiesen, wenn man eine weitergehende, im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht bestehende Verpflichtung auch gegenüber Nichtmitgliedern in der Deklaration niederlegen würde; dagegen werde natürlich das Recht der Staaten zur Zusammenarbeit über den Kreis der Mitglieder der Vereinten Nationen hinaus nicht tangiert. Der britische 9 A/AC.125/L.28, in GAOR, XXI, Annexes, agenda item 87, S.85 (eingebracht von Australien, Italien, Kanada, Vereinigtes Königreich, USA); Abs. 1 des Entwurfs lautet: "Each Member of the United Nations has the duty to co-operate with other Members in accordance with the Charter ..." 10 A/AC.125/L.16, part V, in GAOR, XXI, Annexes, agenda item 87, S.85; Abs. l lautet: "States have the duty to co-operate with one another ..." 11 NAC.125/L.29, in GAOR, XXI, Annexes, agenda item 87, S.85 (eingebracht von Algerien, Burma, Kamerun, Indien, Kenia, Libanon, VAR, Madagaskar, Jugoslawien), Abs.l: "Each State has the duty to co-operate with other States ... " 12 Vgl. Darwin (Vereinigtes Königreich), A/AC.125/SR. 35, S.lO; Nabrit (USA), A/AC.125/SR. 38, S.4; Miller (Kanada), NAC.125/SR. 37, S.13.

3. Inhalt des Prinzips

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Delegierte machte in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, daß es viele Staaten gebe, die ohne Mitglied der Organisation zu sein, dennoch in zahlreichen Sonderorganisationen mitwirktenl3 ; obwohl hier die Zusammenarbeit eine alltägliche Erscheinung sei, führe sie trotzdem nicht zu einer Rechtspflicht weder der Mitglieder gegenüber diesen Staaten noch umgekehrt. Die westliche Haltung stieß vor allem bei sozialistischen Delegierten auf heftige Kritik, denen an einer Aufwertung völkerrechtlich bislang unterprivilegierter Staaten ihres eigenen Machtbereiches gelegen sein mußte. Sie erklärten, das westliche, auf den Bereich der Vereinten Nationen beschränkte Konzept widerspreche dem Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten, das allen Staaten ungeachtet ihrer Mitgliedschaft in der Organisation gleiche Rechte und Pflichten zuerkenne 14 • Daher seien auch die im westlichen Entwurf ausgeschlossenen Nationen berechtigt, innerhalb der Gemeinschaft der Staaten mitzuwirken und ihrerseits die Möglichkeiten einer allseitigen Kooperation auszuschöpfen . Auf einen weiteren Gesichtspunkt, der für eine unbeschränkte Pflicht zur Zusammenarbeit spreche, verwies der libanesische Delegierte l5 . Er stellte die Frage nach der Bedeutung des Wortes "international", das in dem Auftrag an den Ausschuß, die Prinzipien des "international law" zu kodifizieren, enthalten sei. Es gebe die Möglichkeit, dieses Wort sowohl restriktiv wie auch universal zu verstehen; jedoch hege er Zweifel, ob der Ausschuß ein Prinzip des Völkerrechts ausgehend von der Idee einer gegenüber allen Staaten wirkenden Gerechtigkeit formulieren könne, wenn dieses Prinzip nicht für universal anwendbar erklärt werde. Der Einsicht, daß auch in der Charta der Zug zum Universalen zu erkennen sei, und die dort niedergelegten Prinzipien das Hauptanliegen, nämlich zu einer friedlichen Stabilisierung der Staatengemeinschaft beizutragen, nicht erfüllen würden, wenn nicht alle Staaten einerseits in den Genuß der Prinzipien gelangten und andererseits die sich aus ihnen ergebenden Pflichten auf sich nähmen, konnten sich schließlich westliche Delegierte nicht entziehen. Ihre zur dritten Sitzungsperiode eingereichten Resolutionsvorschläge enthielten nicht mehr die Beschränkung auf Mitglieder der Vereinten Nationen l6 • Eine Einigung auf eine Formulierung universalen Charakters, wie sie schließDarwin (Vereinigtes Königreich), AIAC.125/SR. 35, S.lO. Vgl. etwa Morozov (USSR), AIAC.125/SR.37, S.9; Glaser (Rumänien), AIAC.125/SR. 58, S.5; ähnlich auch Mameri (Algerien), AlAC.125/SR. 37, S.15. 15 Chammas (Libanon), AIAC.125/SR. 37, S.14. 16 Vgl. den britischen Entwurf AIAC.125/L.44, part V, in GAOR, XXII, Annexes, agenda item 87, S.23, und den kanadischen Anderungsvorschlag A/AC.125/L.52, ebd. 13

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2. Kap.: E. Das Prinzip der Zusammenarbeit der staaten

lich in den Worten "States have the duty to co-operate with one another, ... " in den Deklarationstext aufgenommen wurde, war damit ermöglicht worden. b) Die Möglichkeiten staatlicher Zusammenarbeit

über die Gebiete und Materien, die zwischenstaatlicher Kooperation offenstehen sollten, zeigten sich im Ausschuß keine Differenzen. An erster Stelle nannten die Delegierten als Inhalt des Prinzips die Zusammenarbeit im politischen Bereich zur Erhaltung des Weltfriedens. Die Vertreter afro-asiatischer und sozialistischer Staaten leiteten daraus unmittelbar auch die Verpflichtung auf wirtschaftlichem Sektor ab17 • Die Aufrechterhaltung des internationalen Friedens und der Sicherheit sei nur zu gewährleisten, so begründeten sie, wenn die Vorbedingung guter Beziehungen zwischen den Staaten, nämlich gesunde wirtschaftliche Grundlagen in allen Ländern geschaffen würden; nur eine stete Verringerung der bislang bestehenden Kluft zwischen unterentwickelten Nationen und den Industriestaaten könne die ständige Gefahr politischer und wirtschaftlicher Konfrontationen bannen und zur Verwirklichung des Anliegens der Vereinten Nationen, "den sozialen Fortschritt und einen besseren Lebensstandard in größerer Freiheit zu fördern", beitragen. Auf die Tatsache, daß zur Erreichung dieses Zieles ein größerer Einsatz der Industrienationen unter Außerachtlassung mancher Eigeninteressen notwendig sei, verwiesen viele Delegierte von Entwicklungsländern. Ebenso wie die Entwicklungsländer in der Kolonialepoche unter größten Opfern zum wirtschaftlichen Aufbau der Kolonialstaaten beigetragen hätten, so selbstverständlich sei es jetzt, daß wenigstens ein Teil dieser Hilfe den ausgebeuteten Ländern zurückerstattet werde18 • Daneben forderten einige afrikanische Vertreter, den Entwicklungsländern für ihre Produkte kostendeckende Minimalpreise zu garantieren und im übrigen Entwicklungsprojekte zu angemessenen Bedingungen und ohne politische Vorbehalte und Restriktionen auf der Basis der Staatengleichheit zu fördern 19 • Im ersten Absatz des Deklarationstextes und in lit. a, c, und d des zweiten Absatzes wurden die Formulierungswünsche afroasiatischer und sozialistischer Delegationen in wesentlichen Teilen übernommen.

17 Vgl. etwa Therattil (Indien), AlAC.125/SR. 34, S. 9; Vanderpuye (Ghana), AlAC.125/SR. 34, S. 12 f.; ähnlich auch Potocny (Tschechoslowakei), A/AC.125/ SR. 34, S. 6 f. 18 Vgl. Engo (Kamerun), A/AC.125/SR. 38, S.8. 19 Van Lare (Ghana), AIAC.125/SR. 58, S. 13; vgl. auch EI Reedy (V AR), A/AC.125/SR. 36, S.6.

3. Inhalt des Prinzips

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c) Kooperation ohne Diskriminierung

Ein wichtiges Anliegen insbesondere sozialistischer Delegierter bestand in der Aufnahme einer Formulierung in den Deklarationstext, welche die Pflicht zur Zusammenarbeit der Staaten unbeschadet unterschiedlicher politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Systeme festlegt. Da sie das Prinzip als wesentliches Element der friedlichen Koexistenz betrachteten, mochten sie eine Referenz auf gerade den Kern der friedlichen Koexistenz, nämlich die Zusammenarbeit von Staaten unterschiedlicher ideologischer Richtungen, nicht missen20 • Westliche Delegierte wollten, obwohl sie den Standpunkt politischer Unabhängigkeit bei der Auswahl der Partner zwischenstaatlicher Kooperation vertraten, einem solchen Zusatz aus taktischen Gründen nicht widersprechen. Jedoch versuchten sie, den Absatz 2 c des tschechoslowakischen Resolutionsvorschlages, der ein ausdrückliches Diskriminierungsverbot enthielt, in psychologischer Manier mit Hilfe afroasiatischer Delegierter zu Fall zu bringen und dabei gleichzeitig einen public relations-Erfolg zu erringen. So behauptete etwa der australische Vertreter, das Diskriminierungsverbot treffe in erster Linie die Entwicklungsländer, da es hilfswilligen Industriestaaten verbiete, bevorzugende Sonderabkommen mit einzelnen Entwicklungsländern zu vereinbaren21 • Die sozialistische Seite konnte jedoch in diesem Streit um die Gunst der Entwicklungsländer einen Gewinn für sich verbuchen, als der tschechoslowaksche Vertreter die "Befürchtungen" der westlichen Delegierten mit der Bemerkung zerstreute, Präferenzen an Entwicklungsländer dürften doch nicht als Diskriminierung anderer Staaten betrachtet werden22 • Der Grund westlicher Kritik an der Formulierung eines Diskriminierungsverbotes dürfte letztlich in dem Bestreben gelegen haben, sich die Möglichkeit einer aus politischen Gründen differenzierenden zwischenstaatlichen Zusammenarbeit offen zu halten. Bekräftigt wird diese Haltung auch durch die wohl einhellige Auffassung der Völkerrechtslehre und nicht zuletzt durch die völkerrechtliche Praxis, die aus dem Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten nicht etwa ein allgemeines Diskriminierungsverbot mit der Folge ableitet, "daß den Staaten im völkerrechtlichen Bereich ein Anspruch auf materielle Gleichbehandlung zusteht"!:!. 20 Vgl. Potocny (Tschechoslowakei), AlAC.125/SR.34, S. 5 f.; Morozov (USSR), A/AC.125/SR. 37, S.9. 21 Sir Bailey (Australien), A/AC.125/SR. 38, S.11; vgl. auch Reis (USA), A/AC.125/SR. 58, S. 19 f.; Miller (Kanada), A/AC.125/SR. 55, S.4. 22 Pechota (Tschechoslowakei), A/AC.125/SR. 38, S.12. 23 So Kewenig, Nichtdiskriminierung, S. 36.

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2. Kap.: E. Das Prinzip der Zusammenarbeit der Staaten 4. Zum Rechtscbarakter des Prinzips

a) Die Haltung sozialistischer und blockfreier Staaten Ausgehend von der Doktrin der friedlichen Koexistenz von Staaten unterschiedlicher politischer und gesellschaftlicher Systeme waren sozialistische Delegierte in der rechtlichen Beurteilung des Prinzips der Zusammenarbeit der Staaten bereits festgelegt. Sie konnten dem Prinzip daher als dem wesentlichsten Element der Koexistenz nur rechtsverbindlichen Charakter zuschreiben. Dennoch versuchten viele sozialistische Delegierte die auf ideologischer Färbung beruhende Idee von der Rechtsverbindlichkeit des Prinzips durch den Hinweis auf die Charta der Vereinten Nationen zu untermauern. Der tschechoslowakische Vertreter etwa vertrat die Ansicht, daß, obwohl Inhalt und Umfang des Prinzips der Kooperation in der Charta nur in allgemeinen Wendungen umschrieben sei, diese Kriterien dennoch ausreichten, um die rechtliche Natur des Prinzips zu begründen24 • Im übrigen zeige sich auch im Staatenverhalten das Bewußtsein, die zwischenstaatliche Zusammenarbeit in Ausübung einer Rechtsregel zu betreiben, zumal die wachsenden Interdependenzen der Staaten, die Internationalisierung von Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur und die Notwendigkeit der Förderung der Interessen einzelner Staaten und der Gemeinschaft der Nationen eine andere Betrachtungsweise schwerlich zuließen. Im Hinblick auf die zahlreichen afro-asiatischen Vertreter konnte die Bemerkung des tschechoslowakischen Delegierten ihre beabsichtigte Wirkung nicht verfehlen, wenn er die Kooperation mit den Entwicklungsländern zur Förderung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten als eine universal anerkannte Pflicht bezeichnete2s • Eine vermittelnde Haltung nahm demgegenüber die Vertreterin Dahomes ein und bildete damit eine Ausnahme zu dem in diesem Bereich sonst einheitlichen afro-asiatischen Denken26 • Sie erklärte, es sei nicht notwendig, das Prinzip der Zusammenarbeit als Rechtspflicht zu formulieren, weil es eine "Pflicht" sei, die jeder Staat aus freien Stücken auf sich nehme, um in den Genuß der vielfältigen, sich aus gegenseitiger Zusammenarbeit ergebenden Vorteile zu gelangen. Der Impuls zu einer solchen wohl eher moralischen Verpflichtung müsse daher um einer wirklich sinnvollen Gemeinschaft willen von innen kommen und nicht 24 Potocny (Tschechoslowakei), A/AC.125/SR.34, S. 5 f.; ähnlich auch Morozov (USSR), A/AC.125/SR. 37, S.7; Tilinca (Rumänien), AlAC.125/SR.35, S.12. 2S Vgl. auch EI Reedy (VAR), A/AC.125/SR. 36, S.7; Rakotondrainibe (Madagaskar), A/AC.125/SR. 38, S.3. 26 Achard (Dahomey), AlAC.125/SR. 37, S.11.

4. Rechtscharakter des Prinzips

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als rechtlicher Zwang in Erscheinung treten. In dieser Deutung lehnte sich die Delegierte stark an westliche Auffassungen an. b) Die westliche Auffassung

Westliche Delegationen machten bereits in ihrem Resolutionsentwurf zur zweiten Sitzungsperiode deutlich, daß sie eine Rechtspflicht zur Zusammenarbeit der Staaten über die Verpflichtung aus der Charta hinaus nicht akzeptieren würden27 • So enthält der erste Absatz dieses Entwurfs lediglich eine allgemeine, aus der Präambel der Charta entlehnte Zielsetzung, welche die Kooperation der Staaten notwendig erscheinen läßt. Der zweite Absatz beschreibt die mit der Zusammenarbeit verfolgten Ziele im einzelnen, nämlich zur Verbesserung des Lebensstandards aller Menschen beizutragen, bei der Lösung internationaler, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Probleme zu helfen und den Menschenrechten universale Beachtung zu verschaffen. Erst der dritte Absatz gibt Hilfen dafür, wie jeder einzelne Staat durch eigene Initiativen oder in Gemeinschaft mit anderen Ländern die Erreichung dieser Ziele fördern kann; hier erwähnt der Entwurf etwa die aktive Teilnahme in internationalen Organisationen, die sich die Lösung ökonomischer, gesellschaftlicher und medizinischer Probleme zur Aufgabe gemacht hätten oder die Formulierung der eigenen staatlichen Wirtschafts- und Entwicklungshilfepolitik, mit der zu einem beschleunigten Wirtschaftswachstum und damit einhergehender Verbesserung des Lebensstandards unterentwickelter Nationen beigetragen werden könne. Hervorzuheben bleibt, daß der westliche Resolutionsvorschlag die aufgezeigten Möglichkeiten zwischenstaatlicher Zusammenarbeit nicht in den Rang rechtlicher Verpflichtungen erhebt, sondern lediglich eine Sollensvorschrift darstellt, deren Inhalt durch seine moralische Aussagekraft zwingenden Charakter erlangt 28 • Auf der Grundlage des Resolutionsvorschlages bauten auch die Diskussionsbeiträge westlicher Vertreter auf. In der Begründung der Auffassung, daß eine Rechtspflicht der Staaten zur Zusammenarbeit nicht bestehe, verwies der französische Delegierte auf die Unterscheidung, welche die Charta in den beiden ersten Artikeln hinsichtlich der Ziele der Vereinten Nationen und der sie tragenden Grunch>ätze mache 29 • Während Artikel 1 die Zielsetzung der Organisation enthalte, betreffe Artikel 2 sowohl ihre Prinzipien als auch die Verpflichtungen der Mit27 28

Vgl. A/AC.125/L. 28, a .a.O. Vgl. Absatz 3 des Entwurfs : "In order to make this co-operation fully

effective, each Member should, inter aHa: a) participate in and contribute to the work of effective international institutions . .. " 29 Monod (Frankreich), AI AC.125/SR. 35, S. 4 f.

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2. Kap.: E. Das Prinzip der Zusammenarbeit der staaten

glieder, die sich in Verfolgung der Ziele aus Artikel 1 ergäben. Die Prinzipien trügen unbestreitbar rechtlichen Charakter. Da das Ziel der Organisation, eine internationale Zusammenarbeit herbeizuführen, sich nicht als rechtsverbindliches Prinzip in Artikel 2 wiederfinde, könne von einer allgemeinen Pflicht zur Zusammenareit nicht ausgegangen werden. Eine Ausnahme bilde lediglich die in Artikel 56 SVN niedergelegte Kooperationspflicht gegenüber den Vereinten Nationen30 • Der Delegierte gab im übrigen zu bedenken, daß die Formulierung des Prinzips in einer rechtlich bindenden Form von sehr zweifelhaftem Wert sein müsse, da sie keine klar definierten Kriterien enthalten könne, an Hand deren die Einhaltung der Verpflichtung zu überprüfen sei. Kriterien aber, die in der subjektiven Beurteilung gewisser Verhaltensweisen eines Staates durch einen anderen beruhen und damit von diesem erst geschaffen werden, dürften im Interesse einer gesicherten Rechtsordnung nicht zum ungeschriebenen Merkmal einer Rechtsregel gemacht werden3 !. c) Der Kompromiß im Deklarationstext und seine rechtliche Beurteilung

Angesichts der unterschiedlichen Auffassungen zum Rechtscharakter des Prinzips - auf der einen Seite die Vorstellung von der unbedingten Verpflichtung der Staaten zur Zusammenarbeit auf allen Gebieten zwischenstaatlichen Tätigwerdens, andererseits die Vorstellung von einer auf Art. 56 SVN beschränkten Kooperationspflicht - konnte die Einigung auf einen gemeinsamen Deklarationstext nicht leichtfallen. Eine Kompromißformel ließ sich dadurch erreichen, daß man im ersten Absatz des Textes eine sehr allgemein gehaltene Formulierung niederlegte, in welcher den Staaten eine Rechtspflicht zur Zusammenarbeit aufgegeben wird: "States have the duty to co-operate with one another, ... , in the various spheres of international relations ... " Damit wurde die Forderung sozialistischer und afro-asiatischer Delegationen berücksichtigt, die sich von einer obligatorischen Ausformung des Prinzips nicht abbringen ließen. Bei der getroffenen Formulierung, die im wesentlichen den ersten Absatz des tschechoslowakischen Resolutionsentwurfes wiedergibt, mußte westlichen Delegierten, die einer obligatorischen Ausformung kritisch gegenüberstanden, die Zustimmung auch deshalb um so leichter gefallen sein, weil der Text in seiner allgemeinen Fassung letztlich keine rechtlich greifbare Aussage enthält. Weder läßt er die Entscheidung über einen etwaigen Verstoß gegen die formell erklärte Pflicht 30 Vgl. auch Miller (Kanada), AlAC.125/SR. 37, S. 12; Sir Bailey (Australien), AfAC.125/SR. 38, S.9. 3! Ähnlich auch Darwin (Vereinigtes Königreich), AlAC.125/SR. 35, S. 9 f.

4. Rechtscharakter des Prinzips

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zur Zusammenarbeit an Hand konkreter Einzeltatbestände zu, noch zeigt er den Weg, den eine in übereinstimmung mit dem Prinzip erfolgende Kooperation nehmen soll. Statt dessen begründet die Formulierung eine abstrakte Verpflichtung, deren konkrete Ausformung auf spezifische Anwendungssituationen in Ermangelung einer verbindlichen völkerrechtlichen Interpretations- und Entscheidungsinstanz dem einzelnen Staat und dessen subjektivem Ermessen überlassen bleibt. Dem Vorwurf mangelnder Kooperationspolitik wird sich jeder Staat mit seiner eigenen ideologisch, politisch oder wirtschaftlich bedingten Interpretation des Begriffs Kooperation entziehen können, so daß ihn der Vorwurf der Prinzipienverletzung in kaum einem denkbaren Fall wird treffen können. Da sich also die Art und Weise einer im Einklang mit dem Prinzip stehenden Zusammenarbeit aus der Formulierung des ersten Absatzes nicht ableiten läßt und zudem die unterschiedlichen Ziel- und Erfolgsvorstellungen, welche die Staaten mit ihrem Angebot einer Zusammenarbeit verbinden, im Text nicht objektiviert und der Entscheidung über die Pflichtwidrigkeit konkreter Einzelfälle zugänglich gemacht werden, dürfte eine rechtliche Verpflichtung der Staaten zur Zusammenarbeit aus der gegenwärtigen Formulierung nur beschränkt entnommen werden können. Nur beschränkt insofern, als eine Pflichtwidrigkeit der Staaten wohl erst bei einem Verstoß gegen den auch im völkerrechtlichen Bereich geltenden Grundsatz von Treu und Glauben festzustellen sein wird. Bei dieser Darstellung darf jedoch nicht übersehen werden, daß Absatz 1 auch die Subsumption vertraglich gesicherter Kooperation der Staaten, wie sie sich etwa aus den Abkommen von GATT und UNCTAD ergeben, zuläßt. Allerdings folgt dort die Rechtspflicht nicht etwa erst aus einer allgemeinen Verpflichtung der Staaten zur Zusammenarbeit, sondern bereits aus dem zugrundeliegenden Vertragswerk. Das gleiche gilt etwa für die Verpflichtung zur friedlichen Streitbeilegung, eine Verpflichtung, die sich unter den Rahmenbegriff der Zusammenarbeit der Staaten fassen ließe, ihre Rechtsverbindlichkeit jedoch nicht aus dem in Rede stehenden Prinzip, sondern schon aus Art. 2 Abs. 3 SVN herleitet. Auch die lit. a und b des zweiten Absatzes vermögen aus den genannten Gründen eine Rechtspflicht nur schwerlich zu begründen; beispielhaft für diese These sei lit. a genannt, der eine Zusammenarbeit der Staaten zur Erhaltung des internationalen Friedens und der Sicherheit postuliert. Weder ergibt sich aus dieser Formulierung die Art und Weise, also die konkreten Maßnahmen, welche als Erfüllung der Verpflichtung zur Zusammenarbeit betrachtet werden könnten, noch das Ziel, das in Verfolgung der Kooperation erreicht werden soll. In beiden aufgeführten Bereichen lassen sich unterschiedliche Ansichten der beteiligten Staaten denken, die gerade dazu führen, die Vorstellungen und

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2. Kap.: E. Das Prinzip der Zusammenarbeit der staaten

Maßnahmen des jeweils anders handelnden Staates als Verletzung des Kooperationsprinzips zu bezeichnen. Beredtes Zeugnis solch unterschiedlicher Betrachtungsweisen legen in diesem Zusammenhang die Vorgänge um die Korea- und Kongokrise ab; alle Staaten waren aufgerufen zur Erhaltung des Friedens und der internationalen Sicherheit zusammenzuwirken; jedoch ließe sich letztlich gegenüber den an den friedenssichernden Maßnahmen der Vereinten Nationen nicht beteiligten oder ihnen sogar widersprechenden Staaten der Vorwurf mangelnder Kooperation deshalb nicht aufrechterhalten, weil objektive und bindende Kriterien über Art und Weise der geschuldeten Zusammenarbeit und ihrer Zweckmäßigkeit nicht vorlagen. Während der erste Absatz und lit. a, b, c und d des zweiten Absatzes des Deklarationstextes zum vorliegenden Prinzip eine Kooperationspflicht der Staaten postulieren, richtet der dritte Absatz lediglich die Aufforderung an die Staaten ("States should co-operate"), auf wirtschaftlichem, sozialem und gesellschaftlichem Gebiet und im Bereich von Wissenschaft, Technologie, Kultur und Erziehung zusammenzuarbeiten. Wenngleich eine solche nicht bindende Sollensvorschrift die einzig mögliche Formulierung des Prinzips der Zusammenarbeit der Staaten sein kann, so stellt sich dennoch die methodische Frage, ob eine zur Programmvorschrift reduzierte Formulierung in einen auf Mußbestimmungen bauenden Prinzipienkatalog hätte aufgenommen werden sollen. Im übrigen läßt sich im dritten Absatz gegenüber dem ersten insofern ein Widerspruch feststellen, als der erste Absatz in der Aufzeichnung einer Verpfiichtung zur Zusammenarbeit "in the various spheres of international relations" infolge seiner ausufernden Fassung gerade auch die Bereiche zwischenstaatlicher Kooperation erfaßt, in denen im dritten Absatz den Staaten die Zusammenarbeit lediglich anempfohlen wird. Letzterer enthält also in der Konkretisierung des ersten Absatzes gleichzeitig die Aufhebung der dort niedergelegten obligatorischen Ausformung, soweit er nicht etwa gewohnheitsrechtliche oder vertraglich normierte Verpflichtungen, die ebenfalls von Absatz 1 erfaßt werden, berührt. Ebenso widersprüchlich wie die im Ausschuß vertretenen Ansichten zur Rechtsverbindlichkeit des Prinzips sind auch die Stellungnahmen der Literatur zu dieser Problematik. Es zeichnen sich auch hier zwei unterschiedliche Standpunkte ab. Während die sozialistische Lehre 32 in Anwendung der Doktrin von der friedlichen Koexistenz, deren grundlegendes Element die Kooperation der Staaten darstellt, eine Rechts32 Vgl. Bystricky, On the Principle of Obligatory Co-Operation of States, S. 102 f.; Graejrath, Grundlegende Völkerrechtsprinzipien, S. 503 f.; Lewin, S. 81 f.; Tunkin, Grundlagen, S. 37 f.; zur sowjetischen Lehre im übrigen auch Ramundo, Peaceful Coexistence, S. 216 ff., mit weiteren Nachweisen.

4. Rechtscharakter des Prinzips

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pflicht zur Zusammenarbeit annimmt, spricht sich die westliche Völkerrechtswissenschaft33 wohl überwiegend gegen einen obligatorischen Charakter des Prinzips aus. Zwar wollen manche westliche Autoren34 eine zunehmende Institutionalisierung der internationalen Zusammenarbeit erkennen und daraus den Trend zu einem "developing cooperative law of nations" ableiten, eine allgemeine Rechtspflicht im gegenwärtigen Völkerrecht sehen sie jedoch nicht. Im übrigen wird auch die juristische Definition des Begriffs "zwischenstaatliche Zusammenarbeit" als kaum möglich bezeichnet35 ; die ungemeine Vielfältigkeit dessen, was ihren Gegenstand ausmacht, lasse sich nicht in juristische Formeln einfangen. Der in der westlichen Völkerrechts literatur vertretenen Ansicht dürfte aus den dort vorgebrachten Gründen zuzustimmen sein, wenngleich nicht zu verkennen ist, daß das im gegenwärtigen Zeitpunkt noch relativ abstrakte Prinzip der Zusammenarbeit durch zahlreiche internationale Vereinbarungen auf den Gebieten von Wirtschaft, Handel, Technik, Wissenschaft, Kultur etc. eine wachsende Konkretisierung und damit einhergehende Institutionalisierung erfährt bzw. künftig erfahren wird36 • Die Staatengemeinschaft erkennt damit in zunehmendem Maße die Bedeutung einer zwischenstaatlichen Zusammenarbeit für den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt und die damit einhergehende Verbesserung des Lebensstandards aller Menschen31 • Man kann sich auch der Einsicht nicht mehr verschließen, daß die Beibehaltung bzw. Erhöhung des Lebensstandards im entwickelten Teil der Welt unmittelbar auch eine Förderung wirtschaftlich unterprivilegierter Nationen voraussetzt. Es läßt sich daher der Trend zu einer "wachsenden" Verpflichtung zur Kooperation zwischen den Staaten feststellen, der sich in einer ständig steigenden Zahl von - vordergründig ge33 Vgl. Friedmann, The Changing Structure, S.89; Loewenstein, Souveränität und zwischenstaatliche Zusammenarbeit, S.4; Röling, International Law in an Expanded World, S. 84; Verdross, VR, S. 511; Kelsen, S.100, nimmt Stellung zu der in den Artikeln 55 und 56 SVN niedergelegten Verpflichtung der Mitgliedstaaten, mit der Organisation der Vereinten Nationen auf den verschiedenen in Art. 55 SVN genannten Gebieten zusammenzuarbeiten. Trotz des entgegenstehenden Wortlautes der genannten Vorschriften lehnt er eine Verpflichtung der Mitglieder ab, weil diese nur auf einer Resolution der Vereinten Nationen beruhen könnte, in der eine entsprechende Aufforderung zur Zusammenarbeit ergeht. Da aber Resolutionen ihrerseits keine rechtsverbindliche Kraft sondern nur Empfehlungscharakter besäßen, werde damit auch die in Art. 56 enthaltene "Verpflichtung" relativiert. 34 So etwa Friedmann, The Changing Structure, S.89; Rö!ing, S.84. 35 Vgl. Loewenstein, S.4. 36 Vgl. ausführlicher Schwarzenberger, The Principles and Standards of International Economic Law, S. 5 ff. 31 Vgl. Schwarzenberger, Grundsätze und Standards des internationalen Wirtschaftsrechts, S.308.

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2. Kap.: F. Das Prinzip der Selbstbestimmung der Völker

sehen - die Industrienationen einseitig belastenden Kooperationsvereinbarungen dokumentiert. Im Abschluß solcher, in gewisser Weise ungleicher Verträge spiegelt sich die wohl gegenwärtig bestehende moralische Verpflichtung zur zwischenstaatlichen Zusammenarbeit wider, die eines Tages im Rahmen umfassenderen Ausbaus der vertraglichen Beziehungen auch gewohnheitsrechtliche Geltung erlangen wird. Vorläufig läßt sich jedoch ein allgemeines Prinzip der obligatorischen Zusammenarbeit der Staaten aus dem geltenden Völkerrecht nicht ableiten. 5. Ergebnis

Absatz 2 c und d des Prinzips der Zusammenarbeit der Staaten entspricht geltendem Völkerrecht, während die Absätze 1 und 2 a und b nur beschränkt allgemein anerkanntes Völkerrecht wiedergeben. Absatz 3 dagegen ist lediglich als Programmvorschrift formuliert.

F. Das Prinzip der gleichen Rechte und der Selbstbestimmung der Völker By virtue of the principle of equal rights and self-determination of peoples enshrined in the Charter of the United Nations, aH peoples have the right freely to determine, without external interference, their political status and to pursue their economic, social and cultural development, and every State has the duty to respect this right in accordance with the provisions of the Charter. Every State has the duty to promote, through joint and separate action, the relaziation of the principle of equal rights and self-determination of peoples, in accordance with the provisions of the Charter, and to render assistance to the United Nations in carrying out the responsibilities entrusted to it by the Charter regarding implementation of the principle, in order: (a) To promote friendly relations and co-operation among States; and (b) To bring a speedy end to colonialism, having due regard to the freely expressed will of the peoples concerned; and bearing in mind that subjection of peoples to alien subjugation, domination and exploitation constitutes a violation of the principle, as weH as a denial of fundamental human rights, and is contrary to the Charter. Every State has the duty to promote through joint and separate action universal respect for and observance of human rights and fundamental freedoms in accordance with the Charter. The establishment of a sovereign and independent State, the free association or integration with an independent State or the emergence into any other political status freely determined by a people constitute modes of implementing the right of self-determination by that people.

1. Vorbemerkungen

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Every State has the duty to refrain from any forcible action which deprives peoples referred to above in the elaboration of the present principle of their right to self-determination and freedom and independence. In their actions against, and resistance to, such forcible action in pursuit of the exercise of their right to self-determination, such peoples are entitled to seek and to receive support in accordance with the purposes and principles of the Charter. The territory of a colony or other Non-Self-Governing Territory has, under the Charter, a status separate and distinct from the territory of the State administering it; and such separate and distinct status under the Charter shall exist until the people of the colony or Non-Self-Governing Territory have exercised their right of self-determination in accordance with the Charter, and particulary its purposes and principles. Nothing in the foregoing paragraphs shall be construed as authorizing or encouraging any action which would dismeber or impair, totally or in part, the territorial integrity or political unity of sovereign and independent States conducting themselves in compliance with the principle of equal rights and self-determination of peoples as described above and thus possessed of a government representing the whole people belonging to the territory without distinction as to race, creed or colour. Every State shall refrain from any action aimed at the partial or total disruption of the national unity and territorial integrity of any other State or country. 1. Vorbemerkungen

Das Prinzip der Selbstbestimmung der Völker stand von der zweiten Sitzungs periode des Sonderausschusses an auf dessen Tagesordnung. Es beschäftigte ihn bis hin zu seiner letzten Sitzung am 1. Mai 1970. Wie angesichts der Zusammensetzung des Ausschusses zu erwarten war, fand während seiner gesamten Tätigkeit das Prinzip der gleichen Rechte und der Selbstbestimmung der Völker die stärkste, von emotionalen Untertönen begleitete Beachtung seitens der afrikanischen und asiatischen Staaten. Gerade sozialistische Delegationen verstanden es, das Anliegen dieser Staaten, das sich auf die Bekämpfung gegenwärtig noch bestehender Kolonialsituationen beschränkte, gegen den westlichen Widerstand zu bekräftigen und schließlich im Deklarationstext durchzusetzen. Der von den meisten afro-asiatischen Delegationen mit Genugtuung begrüßte Text vermochte ein ähnliches Echo von westlicher Seite nicht hervorzurufen. Sie hatte von Beginn der Beratungen an versucht, das Prinzip auf einer breiteren Basis zu halten, um ihm dadurch den emotionsbeladenen Charakter zu nehmen, der sich auf die Kodifikationsarbeiten nur ungünstig auswirken konnte. Wenn westlichen Delegationen dies letztlich nicht gelungen ist, so ist dies dem politischen Druck insbesondere der Staaten der dritten Welt zuzuschreiben, der ein an Opportunitätsgesichtspunkten ausgerichtetes Handeln erforderlich machte, wollte man nicht zu einer noch weiteren Stärkung des sozialistischen Einflusses beitragen. 13 Gral zu Dolw.a

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2. Kap.: F. Das Prinzip der Selbstbestimmung der Völker 2. Grundlagen und Bedeutung des Prinzips

Viele Delegierte begannen ihre Erörterungen mit einem Hinweis darauf, daß das Prinzip auch in der Entwicklung ihrer eigenen Staaten eine bedeutende Rolle im Kampf um die Unabhängigkeit gespielt habe 1 . So sah der Vertreter Frankreichs2 die Wiege des Selbstbestimmungsprinzips in der Revolution des Jahres 1789, von wo aus es später Ausdruck im Kampf der europäischen nationalen Minderheiten um Unabhängigkeit gefunden habe, während Movchan (USSR)3 die Entwicklung des Selbstbestimmungsrechtes als einen Verdienst des Sowjetstaates betrachtete. Nabrit (USA)4 dagegen zeigte den amerikanischen Anteil auf, indem er die Erklärung Wilson's hervorhob, die einen Wegweiser für die Neuschreibung der europäischen politischen Landkarte in größerer übereinstimmung mit dem Verlangen der Völker darstelle. Tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten wurden deutlich, als einige Delegierte in einem ersten Ausblick auf die Arbeit des Ausschusses zum Selbstbestimmungsprinzip ihre Haltung zu seiner rechtlichen Einordnung zu erkennen gaben. So zogen Vertreter sozialistischer Staaten den Schluß, mit der Aufnahme des Selbstbestimmungsprinzips in die Art. 1 und 55 der Charta sei dieses nicht mehr nur ein moralisches oder politisches Postulat, sondern bereits ein universales Prinzip des allgemeinen Völkerrechts, das den Staaten unmittelbare Verpflichtungen auferleges. Dies werde insbesondere durch die verschiedenen Resolutionen der Vollversammlung zum Kolonialproblem augenfällig, die das unveräußerliche Recht der Völker auf Selbstbestimmung bestätigten. Bei der Formulierung dieses Rechts sollte sich der Ausschuß vom Text der Resolution 1514 (Declaration on the granting of independence to colonial countries and peoples, vom 14.12.1960) leiten lassen, um eine Gewähr für die rasche Erfüllung der Verpflichtung der Kolonialstaaten zu bieten6 • Der Betonung der rechtlichen Seite des Selbstbestimmungsprinzips widersprach der amerikanische Delegierte, indem er darauf verwies, die Erörterung rechtlicher und nicht nur moralischer Fragen in bezug auf das Prinzip sei eine verhältnismäßig neue Entwicklung in der Geschichte der Menschheit7. Unterstützung 1 Pechota (Tschechoslowakei), AlAC.125/SR. 40, S.4; Sahovic (Jugoslawien), A/ AC.125/SR. 40, S. 9. 2 Monod (Frankreich), AlAC.125/SR. 41, S.7. 3 Movchan (USSR), AlAC.125/SR. 43, S.l1; ähnlich auch Sahovic (Jugoslawien), AI AC.125/SR. 40, S. 9. 4 Nabrit (USA), AlAC.125/SR. 44, S.6. 11 So Pechota (Tschechoslowakei), AlAC.125/SR. 40, S.4; Movchan (USSR), A/AC.125/SR. 43, S.12; Sahovic (Jugoslawien), AlAC.125/SR.40, S.9; Aboul Nasr (VAR), AlAC.125/SR. 44, S.l1 f. 8 Vgl. Wyzner (polen), AlAC.125/SR. 41, S.9. 1 Nabrit (USA), AlAC.125/SR.44, S.6.

3. Inhalt des Prinzips

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erfuhr er in dieser Deutung vom Vertreter Australiens, der die Selbstbestimmung in die Sphäre der politischen Verpflichtungen einstufte8 ; die Arbeit des Ausschusses sei daher lediglich als progressive Weiterentwicklung des Völkerrechts im Sinne des Art. 15 Statut der ILC zu verstehen, nicht dagegen als Kodifizierung geltenden Rechts. Diese Ansicht entsprach im übrigen der Haltung aller westlichen Delegationen. 3, Zum Inhalt des Prinzips

Die Diskussionen des Ausschusses zum materiellen Gehalt des Selbstbestimmungsprinzips offenbarten mehrere Interpretationsschwierigkeiten, die wohl auch mit der endgültigen Fassung des Deklarationstextes nicht ausgeräumt werden konnten. Das Hauptproblem lag in der Bestimmung des Anwendungsbereiches des Prinzips. Bei der Darlegung der Standpunkte durch die Delegationen bildeten sich drei Meinungsgruppen heraus. Vertreter afro-asiatischer Staaten verbanden mit dem Prinzip der Selbstbestimmung der Völker allein das Recht der in den Kolonien lebenden Völker auf Bildung eigener, unabhängiger Staaten. Die Verwirklichung dieses Rechtes sahen sie in der Errichtung von Staaten in den Grenzen des jeweiligen Kolonialterritoriums. Mit aller Entschiedenheit wandten sich diese Delegierten gegen die Vorstellung, ein weiteres Element der Selbstbestimmung sei das Recht der Völker auf eine repräsentative Regierung; in der demokratischen (antidiktatorialen) Ausformung des Prinzips vermuteten sie eine Begünstigung von Sezessionsbewegungen, die die nationale Einheit mancher neuer Staaten beeinträchtigen könnte. Einen weiteren Anwendungsbereich billigten Vertreter sozialistischer Länder dem Prinzip der Selbstbestimmung zu. Zwar stellten auch sie die Bedeutung des Rechts auf Unabhängigkeit gegenüber kolonialer Unterdrückung in den Vordergrund ihrer Argumentation, sie fügten dieser Form der Verwirklichung des Prinzips jedoch noch die Variante der nationalen Selbstbestimmung hinzu. Zur demokratischen Ausformung des Prinzips nahmen sozialistische Delegierte nicht unmittelbar Stellung. Es bleibt zu vermuten, daß diese Zurückhaltung auf dem ideologisch motivierten Verständnis des Demokratiebegriffs beruhte, dessen Abweichung vom westlichen Demokratiebegriff, der zudem vom größten Teil der blockfreien Staaten anerkannt wird, man im Rahmen der Arbeiten des Sonderausschusses darzulegen nicht für opportun hielt. Demgegenüber legten westliche Delegationen besonderes Gewicht auf die antidiktatoriale Ausformung des Selbstbestimmungsprinzips. Sie 8

13'

Sir Bailey (Australien), AIAC.125/SR. 70, S. 5.

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2. Kap.: F. Das Prinzip der Selbstbestimmung der Völker

wehrten sich gegen die Bestrebungen von afro-asiatischer Seite, die inhaltliche Tragweite des Prinzips allein auf Kolonialsituationen beschränkt zu sehen. Neben dem Problem der Bestimmung des Anwendungsbereiches des Prinzips gab es im übrigen Differenzen unter den Delegationen hinsichtlich der Definition des Begriffs "Volk" (people), also dem Träger des Rechts, und der Frage, ob das Prinzip als ein Recht der Völker oder als Verpflichtung zur Achtung durch die Staaten formuliert werden sollte. Darüberhinaus wurden unterschiedliche Standpunkte hinsichtlich eines Rechts zur Durchsetzung der Selbstbestimmung mit Waffengewalt vorgetragen.

a) Der Träger des Selbstbestimmungsrechtes aa) Die Diskussionen im Sonderausschuß und der Einigungstext Ausgelöst wurde die Diskussion um den möglichen Träger eines Rechts auf Selbstbestimmung durch die Resolutionsentwürfe der Tschechoslowakei9 und 13 blockfreier Staaten10 , die in ihrem Paragraphen 1 lediglich feststellten, daß "all peoples have the (inalienable) right to self-determination ... ", ohne jedoch näher darzulegen, was nun eigentlich unter "Völker" zu verstehen sei. Bereits wegen der Problematik einer Bestimmung des Rechtsträgers glaubte der französische Delegierte jeden Versuch einer rechtlichen Fixierung des Prinzips zum Scheitern verurteilt. Er stellte die Frage, ob eine so allgemeine Formulierung jemals geeignet sei, rechtliche Verpflichtungen auszudrücken11 • Die Formulierung könne keinesfalls zur Beantwortung der Frage beitragen, wem überhaupt ein Recht auf Selbstbestimmung gebühre, etwa allen Völkern und Nationen, einschließlich sogar solcher Volksgruppen, die innerhalb souveräner Staaten existieren, und wem gegenüber das Recht zu behaupten sei. Auf diese Fragen versuchten afrikanische Delegierte Antwort zu geben, indem sie das Prinzip auf Völker anwendbar erklärten, die sich durch gemeinsame Gebräuche, Religion und Sprache auszeichnen und noch keine politische Unabhängigkeit besitzen12 • Es beziehe sich damit auf Völker und Territorien unter Kolonialherrschaft. AlAC.125/L.16, part VI, in GAOR, XXI, Annexes, agenda item 87, S.91. AlAC.125/L.31 and Add.1-3, GAOR, XXI, Annexes, agenda item 87, S.91 (unterstützt von Algerien, Burma, Dahomey, Ghana, Indien, Jugoslawien, Kamerun, Kenia, Libanon, Madagaskar, Nigeria, Syrien, VAR). 11 Monod (Frankreich), AlAC.125/SR. 41, S.8; ähnlich Sinclair (Vereinigtes Königreich), A/AC.125/SR. 44, S.10. 12 Odugwu (Nigeria), AlAC.125/SR. 41, S.13; ähnlich auch Vanderpuye (Ghana), AlAC.125/SR. 40, S.7. Vgl. hierzu auch Graefrath, Grundlegende Völkerrechtsprinzipien, S.497. 11

10

3. Inhalt des Prinzips

191

Allen Zweifelsfragen, die sich mit dem Begriff "Volk" und damit dem Berechtigten aus dem Prinzip der Selbstbestimmung verbanden, glaubte die amerikanische Delegation mit ihrem Resolutionsentwurf zu begegnen13. Er ging nicht wie die Vorschläge der Tschechoslowakei und der blockfreien Staaten von einem Recht der Völker auf Selbstbestimmung aus, sondern betonte vielmehr die Verpflichtung der Staaten, das Prinzip der Selbstbestimmung zu achten. Zur Verdeutlichung des Eingreifens dieser Verpflichtung führte der Entwurf vier Beispiele auf: 1. (The principle is applicable in the case of:) a) A colony or other Non-Self-Governing Territory; or b) A zone of occupation ensuing upon the termination of military hostilities; or c) A trust territory 2. The principle is prima facie applicable in the case of the exercise of sovereignty by aState over a territory geographically distinct and ethnically or culturally diverse from the remainder of that State's territory, even though not as a colony or other Non-Self-Governing Territory. Diese Ausgestaltung des Selbstbestimmungsprinzips, mit dem Definitionsschwierigkeiten hinsichtlich des Begriffs "Volk" umgangen worden wären, weil sie klare Anwendungskriterien des Prinzips enthielt, fand bei westlichen Delegierten einhellige Zustimmung14 . Dagegen lehnten Vertreter blockfreier Staaten und sozialistischer Länder eine solche Formulierung des Prinzips mit der Begründung ab, sie erwecke den Anschein, als werde das Selbstbestimmungsrecht vom Staat gewährt, gegen den es sich aber gerade richte 16. Es bestehe vielmehr ein klarer Unterschied zwischen den Rechten und Interessen der Völker und denen der Staaten. Daher müsse das Selbstbestimmungsrecht so formuliert werden, daß kein Zweifel mehr darüber bestehe, daß es ein unveräußerliches Recht der Völker ist, das seine Entsprechung in der Verpflichtung der Staaten finde. Vermutlich haben Vertreter sozialistischer Staaten in ihrem Beharren auf der ausdrücklichen Fixierung eines Rechts auf Selbstbestimmung die mit den im amerikanischen Entwurf (und später auch im britischen)16 mittelbar verfolgten Zwecke erkannt. A/AC.125/L.32, in GAOR, XXI, Annexes, agenda item 87, 5.91. Vgl. Miller (Kanada), A/AC.125/SR. 69, S.l1; Riphagen (Niederlande), A/AC.125/SR.44, S.l1; Sinc1air (Vereinigtes Königreich), A/AC.125/SR.44, 13

1(

5.10.

15 EI-Fattal (Syrien), A/AC.125/SR. 107, S. 81; Bierzaneck (Polen), AlAC.125/ SR. 113, S. 20. 16 A/AC.125/L.44, part VI, in GAOR, XXII, Annexes, agenda item 87, 5.29 f.

198

2. Kap.: F. Das Prinzip der Selbstbestimmung der Völker

Es darf wohl angenommen werden, daß die Formulierung des Prinzips als eine Verpflichtung der Staaten sowohl die schwierige Definition des Begriffs Völker unnötig machen, wie auch sicherstellen sollte, daß die Festlegung eines Rechts auf Selbstbestimmung unterblieb. Mit der ausdrücklichen Gewährung eines solchen Rechts verbanden nämlich sozialistische und afro-asiatische Staaten die Zuerkennung partieller Völkerrechtssubjektivität an die Träger des Selbstbestimmungsrechtes17 • Der Umfang dieser sich aus der Völkerrechtssubjektivität ergebenden Rechte sollte nicht lediglich in einem "verhaltenen Anspruch" bestehen, einem Anspruch also, der sich in der Geltendmachung des Rechts auf Selbstbestimmung ohne die Möglichkeit seiner Vollstreckung erschöpft. Vielmehr verbanden diese Delegierten damit die Zuerkennung des völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrechtes. Die amerikanische Delegation sah wohl in der von afro-asiatischer und sozialistischer Seite vorgeschlagenen Formulierung die große Gefahr, daß ein im Deklarationstext niedergelegtes Recht auf Selbstbestimmung von diesen Staaten als die allgemeine völkerrechtliche Anerkennung auch eines Rechts auf Verwirklichung der Selbstbestimmung betrachtet werden könnte; denn schließlich beschwört das Zugeständnis eines Rechts unmittelbar auch die Rechtfertigung der Methoden seiner Durchsetzung durch die Träger des Rechts herauf. Die Folge wäre nicht allein die Rechtfertigung des Kampfes von Unabhängigkeitsbewegungen gegen die die Selbstbestimmung hindernden Kolonialstaaten als Ausübung des völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrechtes, sondern auch die Inanspruchnahme eines Rechts zur offenen Unterstützung des Befreiungskampfes durch dritte Länder. Nachdem offenbar wurde, daß sich weder die sozialistischen noch die blockfreien Staaten auf die im amerikanischen und britischen Entwurf vorgesehene Ausgestaltung des Selbstbestimmungsprinzips einlassen wollten und die Diskussionen in eine Sackgasse zu geraten drohten, machte schließlich der britische Delegierte während der 92. Sitzung des Ausschusses im Jahre 1968 das wesentliche Zugeständnis 18 • Er gab seine Bereitschaft zu erkennen, das Prinzip auch als ein Recht der Völker zu formulieren. Allerdings gelang erst während der letzten Sitzungsperiode eine Einigung auf einen gemeinsamen Text, der in seinem ersten Absatz der Forderung sozialistischer und blockfreier Staaten gerecht wird, indem er ein Recht auf Selbstbestimmung aller Völker postuliert, während der zweite Absatz deutliche Züge des britischen und amerikanischen Entwurfs in der Niederlegung einer 17 Vgl. hierzu auch Graefrath, Grundlegende Völkerrechtsprinzipien, S.498; Ramundo, Peaceful Coexistence, S. 146. 18

Sinclair (Vereinigtes Königreich), A1AC.125/SR. 92, S.121.

3. Inhalt des Prinzips

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Verpflichtung der Staaten zur Achtung des Selbstbestimmungsprinzips trägt. Jedoch läßt der Einigungstext eine Konkretisierung des Begriffs Völker. der mit den westlichen Vorschlägen überflüssig geworden wäre, vermissen. Es steht zu vermuten, daß die westliche Seite der Formulierung des ersten Absatzes der Deklaration "all peoples have the right ... ", deshalb zustimmte, weil die grenzenlose inhaltliche Ausuferung, die der ohnehin schon unklare Begriff "peoples" durch den Zusatz "all" erfahren hat, nur gegen die Anerkennung eines Rechts auf Selbstbestimmung sprechen kann. Schließlich setzt das Bestehen eines Rechts die Möglichkeit der Bestimmung seines Trägers voraus. bb) Zur Interpretation des Begriffes "Volk" in der Literatur Es soll nun untersucht werden, ob die völkerrechtliche Literatur Anhaltspunkte für die Ausfüllung des Begriffs "peoble" bietet. Viele Autoren, insbesondere solche der westlichen Hemisphäre haben in ihren Stellungnahmen zum Selbstbestimmungsrecht eine Definition des Begriffs Volk vermieden19. Sie beschränken sich zum Teil auf die lapidare Aussage, es sei schwierig zu sagen, welche menschliche Gemeinschaft ein zur Selbstbestimmung berechtigtes Volk ausmache20 : andere stellen fest, das Recht zur Selbstbestimmung müsse auch einen Träger haben; der Träger des Rechts, also das Volk, sei eine durch rechtliche Merkmale faßbare menschliche Einheit innerhalb eines bestimmten Gebietes, über das es frei verfügen könne. Die rechtlichen Merkmale, auf die es aber hier gerade ankommt, werden nicht genannt!1. Wiederum andere Autoren gehen auf eine Bestimmung des Trägers des Rechts deshalb nicht näher ein, weil sie dem Selbstbestimmungsrecht nur einen bestimmten Anwendungsbereich zubilligen, der eine nähere Definition des Begriffs Volk überflüssig macht22 . Es ist dies der Kolonialbereich, der den Träger des Rechts als die Summe der in den jeweiligen Kolonialgebieten lebenden Menschen ausweist. Der Grund für die Zurückhaltung so vieler Autoren in der Bestimmung des Begriffs dürfte darin zu sehen sein, daß der Inhalt des Selbstbestimmungsrechtes in hohem Maße vieldeutig ist und gerade in seiner unterschiedlichen Ausdeutung die Definition des Wortes "Volk" 19 Vgl. Akehurst, S.283; Dahm, VR Bd 1, S.390; Eagleton, Excesses of Self-Determination, S. 597; ders., Self-Determination and the United Nations, S.91; Emerson, Self-Determination, S. 137; Kunz, Der Grundsatz der Selbstbestimmung der Völker - insbesondere in der Praxis der Vereinten Nationen, S. 172; Starke, S.115 f.; Verdross, VR, S.576. 20 Vgl. Starke, S. 115 f.; Eagleton, Self-Determination, S.91. 21 Vgl. etwa Kunz, Selbstbestimmung der Völker, S.172. 22 Vgl. Higgins, Development of International Law, S. 94 ff., 104 f.; Starushenko, S. 77 ff.

200

2. Kap.: F. Das Prinzip der Selbstbestimmung der Völker

beeinflußt 23 • Es läßt sich unschwer einsehen, daß etwa die nationale Ausformung des Selbstbestimmungsprinzips dem Begriff Volk einen anderen Inhalt beimißt als die interne demokratische oder die auf Unabhängigkeit von kolonialer Unterdrückung gerichtete Selbstbestimmung. Soweit sich die westliche Völkerrechtslehre mit der Bestimmung des Trägers des Selbstbestimmungsrechtes überhaupt beschäftigt, kommt zum Ausdruck, daß nur solche Völker mit einheitlicher Substanz und gemeinsamem Territorium erfaßt werden, deren Volksangehörige in ihrer überwiegenden Mehrheit den Willen nach Inanspruchnahme des Rechts auf Selbstbestimmung bekundet haben24 • Der Wille als solcher könne sich auch aus den Umständen ergeben. Decker25 , der von einem Selbstbestimmungsrecht der Nationen!6 spricht, definiert den Begriff Nation als Menschengruppe, die sich durch die Merkmale der räumlichen Geschlossenheit ihres Siedlungsgebietes, gemeinsamer Abstammung, Sprache, Kultur und ein spezifisches Gemeinschaftsbewußtsein von anderen Gruppen unterscheidet. Als weitere Voraussetzung der Selbstbestimmungsfähigkeit nennt er eine Dauer verbürgende Stabilität der nationalen Existenz. Demgegenüber trüft die sowjetische Völkerrechtslehre eine deutliche Unterscheidung zwischen den Begriffen Nation und Volk. Während sie unter Nation eine dauernde Gemeinschaft von Menschen versteht, deren Bindeglied die Gemeinschaft von Sprache, Gebiet, Wirtschaftsleben und Mentalität ist, sei der Begriff Volk dagegen umfassender. Er verlange nicht den Grad von Organisiertheit, den der Begriff Nation als der festgefügten Gemeinschaft von Menschen voraussetze. Der Begriff Volk schließe aber den der Nation mit ein, wobei sich die Aufgabe der Bestimmung des Trägers des Selbstbestimmungsrechtes auf die Bestimmung des Begriffs Volk reduziere2 7 • Es seien daher als Träger des Rechts Nationen und Völker anzusehen, die neben den bereits erwähnten Gemeinsamkeiten durch ein gemeinsames Ziel vereint würden, das sie mit Hilfe des Selbstbestimmungsrechtes erreichen wollten. Berech23 Zur inhaltlichen Ausdeutung des Begriffs Selbstbestimmung durch die Literatur vgl. infra 2. Kap., F, 3. b. 24 Veiter, Die Träger des Selbstbestimmungsrechts nach westlicher Auffassung, S. 139; vgl. auch Decker, Das Selbstbestimmungsrecht der Nationen, S.63, 225; 243; Rabl, Der Inhalt des Selbstbestimmungsrechtes nach westlicher Auffassung, S. 45. 2J) Decker, S. 63, 225, 243. 26 Decker macht hier keinen wesentlichen Unterschied zwischen Nation und Volk. Nation und Volk sind bei ihm auswechselbare Begriffe, vgl. S. 63 f . 27 So Bracht, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker in der sowjetischen Völkerrechtslehre, S. 14 f., vgl. auch die dort angeführten Nachweise aus der sowjetischen Literatur.

4. Inhalt des Prinzips

201

tigte aus dem Prinzip sind nach Ansicht der sowjetischen Völkerrechtslehre heute aber in erster Linie Kolonialvölker, die nach eigener Staatlichkeit streben28 • Aus der Darstellung der Haltung der verschiedenen Völkerrechtskreise wird deutlich, daß - soweit zur Problematik des Rechtsträgers überhaupt Stellung bezogen wird - bei der Bestimmung des Trägers des Selbstbestimmungsrechtes in seiner nationalen bzw. antikolonialen Ausformung im wesentlichen keine Unterschiede bestehen. Versteht man das Selbstbestimmungsrecht darüber hinaus in der inneren demokratischen Ausformung, also dem Recht auf demokratische Selbstverwirklichung der gesamten Bevölkerung eines Staates. so ist der Begriff Volk in der Definition, die der nationalen Selbstbestimmung zugrunde liegt, als Kriterium für die Trägerschaft des Rechtes nicht verwendbar. Da sich die Staaten häufig aus verschiedenen Volksgruppen zusammensetzen, die dennoch vom Bewußtsein der Zusammengehörigkeit innerhalb eines gemeinsamen Staates getragen sind, kommt es für die innere Selbstbestimmung gerade nicht auf die Rassen-, Religions- oder Volkszugehörigkeit an2ll • Vielmehr strebt diese Ausformung des Rechts allein nach demokratischer Legitimation der Staatsführung und drängt ihrem Wesen nach jeden Versuch der Selbstverwirklichung einer spezifischen Gruppe, die in der nationalen Spielart des Selbstbestimmungsrechtes eben unter Ausschluß bzw. gerade gegen alle anderen Gruppen vor sich gehen müßte, in den Hintergrund. Für die innere, demokratische Selbstbestimmung eines Volkes oder besser einer Nation kann daher die Bestimmung des Begrüfes Volk nach ethnischen, rassischen, kulturellen und sonstigen Merkmalen zur Feststellung der Trägerschaft dieses Rechts nicht entscheidend sein; der Träger eines möglichen Rechts bestimmt sich allein nach den Merkmalen, die ein Staatsvolk darstellen: der Summe aller in einem Staatsgebiet unter einheitlicher Staatsführung lebenden Menschen, ohne Unterschied von Rasse, Religion und Kulturstand. Eine Ausnahme von dieser Feststellung läßt sich allerdings aufzeigen im Falle nationaler Minderheiten innerhalb eines Staatsgebildes, die zwar nicht nach Unabhängigkeit, wohl aber nach gewisser Autonomie verlangen. Wenn es um das Recht dieser Volksgruppen geht, werden wieder die Kriterien, die für die Bestimmung des Trägers des äußeren, nationalen Selbstbestimmungsrechtes gelten, relevant.

28 29

Vgl. Starushenko, S.79; Tunkin, Völkerrecht, S. 37 ff. Vgl. Delbrück, Selbstbestimmung und Völkerrecht, S. 183.

202

2. Kap.: F. Das Prinzip der Selbstbestimmung der Völker

b) Inhaltliche Bedeutung und Anwendungsbereich des Prinzips aal Die Diskussionen im Sonderausschuß und der Einigungstext Die Resolutionsentwürfe und die Erörterungen im Ausschuß gaben zwei grundlegende Auffassungen vom Inhalt des Selbstbestimmungsprinzips zu erkennen, nämlich die eines äußeren Selbstbestimmungsrechts, das sich in der staatlichen Unabhängigkeit erfüllt und die innere Selbständigkeit umfaßt, andererseits die einer äußeren Selbstbestimmung, die ihren Rückhalt in der demokratischen Legitimation der Regierungsorgane findet. Bei näherer Betrachtung der Resolutionsvorschläge fällt auf, daß die beiden Entwürfe blockfreier Staaten zur zweiten30 und dritten31 Sitzungsperiode in ihren Paragraphen 1 und 2 den Inhalt des Selbstbestimmungsrechts als das Recht zur freien Ausübung der vollen Souveränität und der Integrität über das nationale Territorium bezeichnen und damit das Verbot der Unterwerfung von Völkern unter fremde Herrschaft und Ausbeutung, sowie jede mögliche andere Form des Kolonialismus verbinden. In diesen Formulierungen kommt die Bedeutung zum Ausdruck, welche die jungen Staaten Afrikas und Asiens dem Prinzip bei der Erlangung der politischen und territorialen Unabhängigkeit beimessen. Obwohl die Absätze 1 der beiden Entwürfe noch auf eine allgemeine Anwendbarkeit des Prinzips der Selbstbestimmung hindeuten ("All peoples have the inalienable right to self-determination and complete freedom, the exercise of their full sovereignty and the integrity of their national territory"), macht dennoch der zweite Absatz deutlich, daß es seinen Sinn eigentlich nur gegenüber allen Formen des Kolonialismus erfüllt. Mit der Wendung in Paragraph 2 a, "The subjection of peoples to alien subjugation, domination and exploitation as weH as any other forms of colonialism, constitutes a violation of the principle of equal rights and self-determination of peoples ... " zeigt sich der von den Förderern des Entwurfs zugrunde gelegte eng begrenzte Anwendungsbereich des Prinzips. Demgegenüber scheint der tschechoslowakische Entwurf32 einen weiteren Geltungsbereich zu schaffen. Neben dem Recht auf Errichtung eines unabhängigen Nationalstaates sieht er in dem Recht auf SelbstA/AC.125/L.31 and Add.1-3, a.a.O. NAC.125/L.48, in GAOR, XXII, Annexes, agenda item 87, S.30 (unterstützt von Algerien, Ghana, Indien, Jugoslawien, Kamerun, Kenia, Madagaskar, Nigeria, Syrien, VAR); dieser Entwurf entspricht im Wortlaut dem vorher genannten aus der zweiten Sitzungsperiode, mit dem Unterschied, daß sich die Staaten Burma, Dahomey und Libanon nicht mehr daran beteiligten. 32 A/AC.125/L.16, part VI, a.a.O. 30

31

4. Inhalt des Prinzips

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bestimmung namentlich das Recht der Völker, ihr politisches, wirtschaftliches und gesellschaftliches System frei zu wählen. Zwar gingen die Delegierten der sozialistischen Staaten in ihren Erklärungen nicht näher auf die Bedeutung des Satzes von der freien Wahl des politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systems ein, es ist jedoch aus dem Zusammenhang und den Reaktionen auf die westlichen Entwürfe zu entnehmen, daß die freie Wahl in erster Linie den Ausschluß der Einmischung durch dritte Staaten in die inneren Angelegenheiten enthalten sollte. An keiner Stelle des Entwurfs ist als Inhalt des Rechts auf Selbstbestimmung das Recht auf eine repräsentative Regierung erwähnt, welche die äußere Selbstbestimmung wahrnehmen könnte. Der tschechoslowakische Vorschlag geht allerdings insofern weiter als derjenige der blockfreien Staaten, als sein zweiter Paragraph, der von Kolonialismus und rassischer Diskriminierung spricht, nicht unmittelbar als Einschränkung des im ersten Absatz niedergelegten allgemeinen Anwendungsbereiches des Rechts auf Selbstbestimmung formuliert ist. Zwar wird auch hier das Hauptziel, nämlich die Eleminierung des Kolonialismus, in den Vordergrund gestellt, es ist aber nicht das einzige. Daneben findet sich als Ausgestaltung der Selbstbestimmung auch das Recht der Völker, selbst über ihre natürlichen Reichtümer und Bodenschätze (resources) zu verfügen. Gerade dies ist ein Gesichtspunkt, der von sozialistischer Seite immer wieder mit dem Schlagwort vom NeoKolonialismus in die Debatte geworfen wird, keineswegs aber Beschränkung auf klassische Kolonialsituationen findet. Darüberhinaus muß dieses Postulat auch als ein aus der sowjetischen Ideologie geborenes Zeichen gewertet werden, welche das Volk, also die Arbeiterklasse, als den Souverän über die Grund- und Produktionsmittel ansieht. Diese ideologisch gefärbte Ausgestaltung des Prinzips findet sich aber im endgültigen Deklarationstext nicht wieder. Die in den Resolutionsentwürfen, insbesondere der blockfreien Staaten, getroffene Beschränkung des Selbstbestimmungsrechtes auf Fälle kolonialer Unterdrückung stieß auf heftige Kritik westlicher und südamerikanischer Delegierter33 • Der Vertreter Frankreichs stellte fest, daß das Prinzip der Selbstbestimmung so lange Geltung besitze, so lange Staaten, Nationen und Völker bestünden. Es gehe nicht an, das Prinzip lediglich auf eine letztlich zeitlich begrenzte Situation für anwendbar zu erklären. Konkreter wurde der Delegierte Venezuelas, der die bei den Aspekte des Selbstbestimmungsprinzips aufzeigte. So werde das Recht der Völker auf äußere Unabhängigkeit seines Sinnes beraubt, wenn es 33 Vgl. Monod (Frankreich), AlAC.125/SR. 41, S.8; Nabrit (USA), AlAC.125/ SR. 44, S.8; Sinclair (Vereinigtes Königreich), AlAC.125/SR.44, S.9; carrasquero (Venezuela), A/AC.125/SR. 41, S. 6 f.

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nicht einhergehe mit dem Recht der freien Entscheidung über die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Modalitäten im inneren, auf der Grundlage wiederholter Erfassung des Volkswillens. Gerade das Moment der demokratischen Legitimation der Staatsführung als Ausdruck des inneren Selbstbestimmungsrechtes hebt auch der amerikanische Resolutionsentwurf in seinem Absatz B hervor34 • Nachdem sich der Absatz A dieses Entwurfes mit der Verpflichtung der Staaten, in den bereits genannten Fällen Selbstregierung zu gewähren, beschäftigt, wird im Teil B dargestellt, unter welchen Voraussetzungen ein unabhängiger Staat den Anforderungen des Selbstbestimmungsprinzips gerecht wird. Danach ist die Existenz eines souveränen, unabhängigen Staates dann als Erfüllung des Prinzips zu betrachten, wenn dieser eine Regierung besitzt, die die Gesamtheit der in seinem Territorium lebenden Völker repräsentiert. Der amerikanische Delegierte begründete dieses innerstaatliche Konzept der Selbstbestimmung mit der Stellung des Prinzips in der Charta der Vereinten Nationen35 • Die Satzung sehe mit seiner Erwähnung einen gewissen Standard im Gefüge souveräner Staaten in der Weltgemeinschaft vor, mit dem die Legitimität der Arten politischer Organisationen, die die Staaten über ihren Völkern errichtet haben, beurteilt werde. Dieser Standard drücke sich im amerikanischen Entwurf aus. Es fällt allerdings auf, daß die Formulierung des innerstaatlichen demokratischen Selbstbestimmungsprinzips weder in die Form einer Verpflichtung der Staaten bzw. Regierungen zu seiner Achtung - wie etwa die Verpflichtung zur Respektierung des Prinzips der äußeren Selbstbestimmung -, noch in ein ausdrückliches Recht der Völker gekleidet ist: "The existence of a sovereign and independent State possessing a representative Government, effectively functioning as such to all distinct peoples within its territory, is presumed to satisfy the principle of equal rights and selfdetermination as regards those peoples." Die Annahme liegt daher nahe, daß mit diesem als zurückhaltend zu bezeichnenden Text nur ein allgemeines Prinzip wiedergegeben werden sollte, das noch keinerlei Anspruch auf völkerrechtliche Geltung besitzt, dessen politische Bedeutung aber immer augenfälliger wird. Im übrigen sah die amerikanische Delegation sicherlich auch die Schwierigkeiten, die eine Ausformung des demokratischen Selbstbestimmungsgrundsatzes im Hinblick auf die Prinzipien der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten und der Souveränität der Staaten bereitet hätte.

34

Ähnlich auch der britische Resolutionsvorschlag aus dem Jahre 1967,

AIAC.125/L. 44, part VI, a.a.O., Abs. 4. 35 Nabrit (USA), A/AC.125/SR. 44, S.8.

4. Inhalt des Prinzips

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Während westliche Staaten36 dem durch den amerikanischen und britischen Entwurf propagierten Konzept der inneren Selbstbestimmung als notwendiger Ergänzung zum äußeren Aspekt des Prinzips zustimmten, standen Chile37 und Staaten Afrikas 38 und Asiens 39 dieser Ausformung abweisend gegenüber. Der Vertreter Chiles erkannte zwar die beiden Interpretationsmöglichkeiten des Prinzips an, meinte jedoch, nur der äußere Aspekt sei einer völkerrechtlichen Fixierung zugänglich. Die innerstaatliche Ausgestaltung des Selbstbestimmungsprinzips werde vielmehr allein durch das Verfassungsrecht geregelt und müsse daher der alleinige Verantwortung der jeweiligen Staaten überlassen bleiben40 • Die Vertreter asiatischer und afrikanischer Staaten betonten, das Prinzip der Selbstbestimmung sei nicht geeignet, auf solche Völker angewendet zu werden, die bereits einen eigenen souveränen und unabhängigen Staat gegründet hätten. Eine andere Handhabung würde bedeuten, die Geschichte neu zu schreiben, nur zu dem Zwecke, einem politischen Konzept Genüge zu tun. Die Delegierten sahen in der Festlegung einer innerstaatlichen Selbstbestimmung vor allem die Gefahr, daß sich in Staaten unterschiedlicher ethnischer, rassischer und kultureller Zusammensetzung unter dem Vorwand der Ausübung demokratischer Rechte Desintegrations- und Sezessionsbewegungen bilden könnten, welche die meist mühsam erreichte staatliche Einheit wieder zunichte machten 41 • Sie verwiesen dabei auf die Praxis der Vereinten Nationen, die wie im Falle des Kongo Sezessionsbewegungen verhindern wolle. In dieser Argumentation zeigte sich. daß die Delegierten blockfreier Staaten den amerikanischen und britischen Vorschlag einer inneren demokratischen Selbstbestimmung fälschlicherweise als einen Freibrief zu Sezessionen und Rebellionen aufgefaßt haben, sie also das demokratische Prinzip als eine Handhabe der verschiedenen Völkerschaften 36 Sir Bailey (Australien), AlAC.125/SR. 44, S.14; Virally (Frankreich), AlAC.125/SR. 69, S.12; Miller (Kanada), A/AC.125/SR. 93, S.147; Hatano (Japan), AlAC.125/SR. 107, S.90. 37 Albonico (Chile), AlAC.125/SR. 43, S. 16; ähnlich wohl auch Goni Demarchi (Argentinien), AlAC.125/SR. 43, S.8, der unter dem Selbstbestim-

mungsprinzip der Völker das Recht versteht, den eigenen internationalen Status zu bestimmen. Er versteht darunter sowohl die interne Selbstregierung als auch die externe Unabhängigkeit. Für die interne Selbstregierung scheint er allerdings keine demokratische Legitimation zu verlangen. 38 Shitta-Bey (Nigeria), AlAC.125/SR. 91, S.111; van Lare (Ghana), AlAC. 125/SR. 91, S. 115. 39 Maung-Maung (Burma), A/AC.125/SR. 68, S.8; Kamat (Indien), A/AC. 125/SR. 93, S. 144. 40 So auch Mameri (Algerien), AI AC.125/SR. 43, S. 6. 41 Vgl. Krishnan (Indien), AlAC.125/SR. 114, S. 69 f .

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bestehender Staaten betrachteten, aus dem Staatsverband auszuscheiden und eine eigene unabhängige politische Einheit zu begründen42 • Eine solche Auslegung war jedoch von westlichen Vertretern keineswegs beabsichtigt, die einräumten, eine sinnvolle internationale Ordnung könne nicht existieren, wenn die Charta und insbesondere das Selbstbestimmungsprinzip so aufgefaßt werde, als sanktioniere sie ein unlimitiertes Recht zur Sezession von Völkergruppen innerhalb unabhängiger Staaten43 • Der Vorschlag des italienischen Delegierten44, den Text zum Selbstbestimmungsprinzip mit einer Klausel zu versehen, welche die territoriale Integrität und die politische Einheit der Staaten sicherstellen sollte, kam daher den Erwartungen afro-asiatischer Delegierter entgegen. Sie fand als siebter Absatz Eingang in den Text zum vorliegenden Prinzip. Zwar trägt besonders die zweite Hälfte der Formulierung unverkennbare Züge des ursprünglichen amerikanischen und britischen Entwurfs zum innerstaatlichen demokratischen Selbstbestimmungsprinzip; sie wird aber dadurch inhaltlich verändert, daß sie sich infolge ihrer Stellung unmittelbar auf die Verwirklichung des äußeren Selbstbestimmungsrechts (staatliche Unabhängigkeit) und die dabei entstehenden oder bereits bestehenden politischen Einheiten als Vertretung des oder der unabhängigen Völker bezieht. Sobald also abhängige Völker in Anwendung des Selbstbestimmungsrechts zu einer souveränen Staatlichkeit gefunden haben, ist dieses Recht verbraucht, und der Staat als solcher vor Sezessionsbewegungen oder Einwirkungen von außen, die seine Souveränität und territoriale Integrität beeinträchtigen könnten, geschützt. Hinsichtlich des Inhalts des äußeren Selbstbestimmungsrechts kam es anfänglich zu Meinungsverschiedenheiten zwischen den Delegierten sozialistischer und blockfreier Staaten einerseits und den Vertretern westlicher Länder. Während die ersten in ihren Resolutionsvorschlägen allgemein von einem Recht auf Selbstbestimmung und völliger Freiheit zur Ausübung der vollen Souveränität und der Integrität des nationalen Territoriums sprachen, nahmen die letzteren eine differenzierende Haltung ein. So sollte dem Prinzip Genüge geleistet sein mit der Errichtung der Selbstregierung in der Form eines souveränen und 42 Die Bemerkungen des Vertreters Australiens zeugen davon, daß das innerstaatliche Selbstbestimmungsprinzip nicht als Sezessionsrecht aufgefaßt wird, sondern die Garantie für die Aufrechterhaltung wirksamer, repräsentativer Institutionen enthalten soll, in denen die legitimen Anliegen der nationalen Minderheiten Ausdruck finden können; Sir Bailey (Australien), A/AC.125/SR. 107, S.75; so wohl auch Miller (Kanada), A1AC.125/SR. 93, S. 147; Houben (Niederlande), A/AC.125/SR.107, S. 84 f. 43 So Nabrit (USA), A1AC.125/SR. 44, S. 7; Sinclair (Vereinigtes Königreich), AIAC.125/SR. 44, S. 9; SR. 92, S. 121. 44 Arangio Ruiz (Italien), A/AC.125/SR.111, S.10, SR. 113, S.22.

4. Inhalt des Prinzips

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unabhängigen Staates, der freien Vereinigung mit einem oder der Integration in einen unabhängigen Staat. Dieser Inhaltsbestimmung widersprach der ghanesische Vertreter 45 im Namen vieler afro-asiatischer Delegationen, der dem Selbstbestimmungsrecht zwei Elemente zuschrieb, nämlich Selbstregierung und Unabhängigkeit. Unabhängigkeit sei nur zu verwirklichen durch die volle Selbstregierung, die sich in der Ausübung der externen Souveränität, der Möglichkeit der Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen etc. widerspiegele. Er argumentierte, die Verwirklichung der Selbstbestimmung sei nicht teilbar, sie habe nur ein Ziel, die völlige Souveränität. Dagegen enthielten die im amerikanischen Entwurf genannten Möglichkeiten der Integration in einen und der Vereinigung mit einem anderen Staat den Anschein weiterer Unterwerfung und Beherrschtseins. Dennoch konnten sich auch diese Delegierten schließlich der Einsicht nicht entziehen, daß die Staatengemeinschaft nach größeren politischen Gebilden strebt, die besonders infolge wirtschaftlicher und nicht zuletzt machtpolitischer Gegebenheiten die Integration oder freie Vereinigung mit anderen Staaten erforderlich aber auch erstrebenswert machen. So legt denn Absatz 4 des Textes der Deklaration zum Selbstbestimmungsprinzip verschiedene Modalitäten der Ausübung des Rechts durch ein Volk fest, die abgesehen von der Wahl der völligen Unabhängigkeit selbst dann als Erfüllung der Rechte aus dem Prinzip betrachtet werden, wenn die freie Entscheidung des Volkes einen anderen, minderen politischen Status begehrt. Während westliche Delegierte46 auch nach der Ablehnung einer ausdrücklichen innerstaatlichen Fixierung des Prinzips der Selbstbestimmung auf seiner Anwendbarkeit über Kolonialsituationen hinaus beharrten, lehnten Vertreter blockfreier Staaten eine solche Ausweitung kategorisch ab 47 • Sie bestanden darauf, daß das Recht nur einmal ausgeübt werden könne und seine Erfüllung in der Bildung eines unabhängigen Staates finde. Der Vertreter Syriens ging sogar soweit, den Versuch einer Ausdehnung des Prinzips auf Situationen, die sich nicht direkt oder indirekt auf Kolonialismus bezögen, als ein Ablenkungsmanöver vom Prozeß der Dekolonisation zu werten 48 ,49. van Lare (Ghana), A/AC.125/SR. 68, S.17. Darwin (Vereinigtes Königreich), AlAC.125/SR. 105, S.55; Hauben (Niederlande), AlAC.125/SR. 107, S.86; Virally (Frankreich), AlAC.125/SR. 114, S.48. 47 Vgl. Shitta-Bey (Nigeria), A/AC.125/SR. 91, S. 111; Kamat (Indien), A/AC. 125/SR. 93, S. 144. 48 El-Fattal (Syrien), A/AC.125/SR. 93, S.139. 49 Trotz der Ablehnung eines inneren, demokratisch ausgeformten Selbstbestimmungsrechtes wollten die Vertreter Kenias und Kameruns das Selbstbestimmungsprinzip auf Südafrika und Rhodesien angewandt wissen. Zwar 45

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2. Kap.: F. Das Prinzip der Selbstbestimmung der Völker

Die Ausprägung, die das Prinzip der Selbstbestimmung der Völker in der Deklaration gefunden hat, zeigt denn auch deutlich mit den vielfältigen Bezügen auf Kolonialsituationen, daß sich das Prinzip in der Ächtung jeder Form des Kolonialismus erschöpft. Ansätze zu einem innerstaatlichen demokratischen (antidiktatorialen) Selbstbestimmungsrecht mit dem Ziel der Sicherung demokratischer Grundfreiheiten gegen staatliche Willkür im Absatz 7 des Textes werden durch den in der Formulierung zum Ausdruck kommenden Zweck, Sezessionsbewegungen oder Interventionen durch dritte Staaten vorzubeugen, ersticktso. Diese Interpretation des siebten Absatzes ergibt sich insbesondere durch die Verbindung seiner beiden Satzteile durch das Wort "thus". Der erste Teil des Satzes spricht von einem Verbot aller Aktionen, die zu einer teilweisen oder vollständigen Zerstörung oder Beeinträchtigung der territorialen Integrität oder der politischen Einheit solcher souveräner und unabhängigen Staaten führen könnten, die sich in übereinstimmung mit dem Prinzip der gleichen Rechte und der Selbstbestimmung der Völker, wie es in der Deklaration beschrieben sei, verhielten. Daran an schließt sich der zweite Teil "and thus possessed of a government representing the whole people belonging to the territory ... ". Untersagt soll also die Einwirkung auf Staaten sein, die sich an das im Deklarationstext beschriebene Prinzip halten und infolgedessen eine Regierung besitzen, die sich auf das Volk stützt. Da nun aber in keiner Formulierung des Deklarationstextes zum Selbstbestimmungsprinzip die innerstaatliche demokratische Ausformung des Prinzips angesprochen wird, der Text vielmehr eine permanente Verweisung auf das Recht zur staatlichen Selbstverwirklichung unterdrückter Völker enthält, kann das demokratische Prinzip auch im zweiten Teil des Satzes nicht angesprochen sein. Anders könnte die Interpretation nur dann lauten, wenn das die beiden Satzteile verbindende Wort "thus" (infolgedessen, deshalb) nicht im Text enthalten wäre, so daß die dadurch hervorgerufene immanente Beziehung auf den ersten Satzteil entfiele und der zweite Teil damit eine weitere Präzisierung der unter den Schutz der Vorschrift fallenden Staaten enthielte. Einen beträchtlichen Teil der Diskussionen im Ausschuß nahm das Problem der Selbstverteidigung gegen koloniale Unterdrückung ein. handele es sich dabei nicht unmittelbar um Kolonialsituationen, wohl aber um die widerrechtliche Verweigerung der Gleichberechtigung und der Selbstbestimmung. Vgl. Mwendwa (Kenia), A/AC.125/SR.69, S.22; HappyTschankou (Kamerun), AlAC.125/SR.70, S.13. 50 Ähnlich auch 'Von Mangoldt, Die West-lrian-Frage und des Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 240, der die mangelnde allgemeine Beachtung des "freien" Willens der Bevölkerung im Deklarationstext als eine weitere Abschwächung des Grundsatzes der Selbstbestimmung betrachtet.

4. Inhalt des Prinzips

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Es kann hierbei jedoch auf die diesbezüglichen Erörterungen zum Prinzip des Gewaltverbots verwiesen werden. Während der letzten Sitzungsperiode stimmten die Vertreter westlicher Staaten schließlich dem von sozialistischen und afro-asiatischen Delegierten unterbreiteten Deklarationstext zum Widerstand abhängiger Völker zu. Dieser Text enthält eine unter dem Druck westlicher Staaten erreichte wesentliche Modifizierung der während der vorhergehenden Sitzungsperioden eingebrachten Formulierungsvorschläge afro-asiatischer und sozialistischer Staaten, die von einem "inherent right of selfdefence"51 in Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes bzw. von einem Recht zum Kampf mit allen Mitteln, "including armed struggle", und der Unterstützung durch dritte Staaten sprachen52 , indem er die zur Verwirklichung der Selbstbestimmung angewandten Mittel an den Zielen und Prinzipien der Charta zu messen aufgibt. Da aber der Zweck der Charta in der Sicherung des Friedens besteht und militärische Aktionen nur in den Fällen des Art. 51 und Art. 39 ff. SVN zulässig sind, sind alle Handlungen dritter Staaten im Kampf gegen die Verweigerung der Selbstbestimmung auf friedliche Maßnahmen beschränkt. Militärische Aktionen dritter Staaten zur Unterstützung von Befreiungsbewegungen lassen sich auch nicht etwa mit dem Hinweis darauf rechtfertigen, es handle sich dabei um erlaubte Interventionen, die durch Hilfeersuchen von Befreiungsbewegungen sanktioniert seien; denn ein Interventionsrecht kann nur von einem Völkerrechtssubjekt, nämlich einem Staat bzw. seiner an der Macht befindlichen Regierung, gewährt werden53 • Solange aber Befreiungsbewegungen nicht zu einer de facto-Herrschaftsgewalt mit eigenem Herrschaftsgebiet herangewachsen sind, dürfte ihnen Völkerrechtssubjektivität kaum zuzugestehen sein. Die hier behandelte Verpflichtung zur Anwendung friedlicher Mittel, die im fünften Absatz des Textes zum Selbstbestimmungsprinzip enthalten ist, will lediglich das Verhalten der Staaten regeln; sie betrifft dagegen nicht den Kampf der unterdrückten Völker selbst. Die Befreiungsbemühungen der nach Unabhängigkeit strebenden Völker sind vielmehr innerstaatliche Angelegenheiten, die vom völkerrechtlichen Gewaltverbot nicht erfaßt werden. 51 Vgl. NAC.125/L.48, Abs. 2 b, a.a.O. 52 Vgl. NAC.125/L.74, Abs.2 c, in GAOR, XXIV, Supplement 19, S.53: "Peoples who are under colonial domination have the right to carry on the struggle, by whatever means, including armed struggle, for their liberation from colonialism and may receive in their struggle assistance from other States" Der Resolutionsentwurf wurde eingebracht von Polen, Rumänien, der Tschechoslowakei und der USSR. 63 So auch Blesinger, S. 193 f . 14 Graf zu Dohna

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2. Kap.: F. Das Prinzip der Selbstbestimmung der Völker bb) Zur inhaltlichen Ausgestaltung des Prinzips in der Literatur und der Praxis der Vereinten Nationen

Ebenso widersprüchlich wie die im Ausschuß vertretenen Meinungen zu Inhalt und Anwendungsbereich des Prinzips der Selbstbestimmung sind auch die Ansichten in der Literatur. Es lassen sich grundlegende Unterschiede in der sozialistischen und der westlichen Völkerrechtslehre aufzeigen. Weniger widerspruchsvoll stellt sich dagegen die Praxis der Vereinten Nationen dar.

a) Die sozialistische VöZkerrechtsZehre Die sozialistische Einstellung zum Selbstbestimmungsrecht ist geprägt von der marxistisch-leninistischen Vorstellung des Endsieges der Arbeiterklasse über die imperialistisch-kapitalistischen Grundstrukturen. Zur Erreichung dieses Zieles trägt das Selbstbestimmungsrecht auf zweifacher Ebene bei. Auf der ersten Stufe vollzieht sich die Bildung eines selbständigen Nationalstaates, die sich meist aus der staatlichen Lostrennung von fremden nationalen Gemeinschaften ergibt54 • Allein auf dieser Stufe werden die Kriterien relevant, die zur Bestimmung des Trägers des Selbstbestimmungsrechtes erforderlich sind, nämlich die räumliche Geschlossenheit des Siedlungsgebietes, gemeinsame Abstammung, Sprache, Kultur und ein einheitlicher Wille zur Erreichung eines gemeinsamen Zieles. Jedoch schon hier läßt Lenin Einschränkungen erkennen, wenn er das Recht der Völker auf den Nationalstaat, jede nationale Forderung oder Lostrennung unter dem Gesichtswinkel des Klassenkampfes der Arbeiter wertet55 • Die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts dürfe sich in der Betonung seines nationalen Charakters nur gegen bourgoise Kräfte richten, während sie die Vereinigung der Proletarier aller Nationen über alles andere stellen müsse56 • Die Verwirklichung des Rechts auf der ersten Stufe ist erreicht mit Erlangung des Rechts auf Bestimmung des politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Status57 • Der politische Status stellt dabei das äußere Kennzeichen erlangter Freiheit und Unabhängigkeit eines unterdrückten Volkes dar. Er muß einhergehen mit der wirtschaftlichen 54 Vgl. Lenin, über das Recht der Nationen auf Selbstbestimmung, S.7; vgl. auch Lewin, S. 239 f.; siehe auch Möller, S. 184 f. 55 Lenin, Über das Recht der Nationen auf Selbstbestimmung, S. 23 f., 26; so auch Tunkin, Völkerrechtstheorie, S.26. 56 Vgl. auch Stalins Referat über nationale Momente im Partei- und Staatsaufbau vor dem zwölften Kongreß der russischen kommunistischen Partei 1923, zitiert bei Schwarzenberger, Power Politics, S.80. 57 Meißner, Die sowjetische Stellung zum Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 100, mit Nachweisen aus der sowjetischen Literatur; ders., Das Selbstbestimmungsrecht im sowjetischen Völkerrechtsdenken, S.13; vgl. auch Starushenko, S. 81.

4. Inhalt des Prinzips

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Selbständigkeit, die ihre Erfüllung in der ungestörten Verfügungsgewalt über die nationalen wirtschaftlichen Ressourcen findet. Während die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Faktoren als Modalitäten des äußeren Selbstbestimmungsrechtes angesehen werden, zeichnet sich in dem Recht auf Bestimmung des gesellschaftlichen Status die Anerkennung eines inneren Selbstbestimmungsrechtes ab, dessen Verwirklichung die zweite Entwicklungsstufe einleitet58 • Es ist dies die Ebene des Kampfes gegen kapitalistische Unterdrückung mit dem Ziel des Aufbaus einer sozialistischen Ordnung, die allein Freiheit und Gleichheit aller Menschen gewähre. Da die marxistisch-leninistische Ideologie vom Klassenkampf ausgeht, kann sich auf der zweiten Stufe nur der Sturz der herrschenden bourgeoisen Klasse und die Machtergreifung des Proletariats vollziehen. Wenn sich die Macht der Arbeiterklasse gefestigt hat, alle staatliche Gewalt von den Werktätigen ausgeht und somit die übereinstimmung von Staats- und Volkssouveränität hergestellt ist, sieht die sowjetische Völkerrechtslehre das Selbstbestimmungsrecht verwirklicht 59 • Daß dieses Ziel allerdings nicht auf dem Wege freier demokratischer Wahlen zu erreichen ist, ergibt sich aus der revolutionären Grundkonzeption der marxistisch-leninistischen Ideologie 6o . Nach marxistisch-leninistischer Vorstellung bleibt die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts als eines völkerrechtlichen Prinzips nur eine "Anerkennung auf Zeit"61. Der Abbau der Klassengegensätze führe auf Grund der gemeinsamen Zielsetzung der Arbeiterklasse im Interesse eines erfolgreichen Kampfes zur Reduzierung nationaler Gegensätze; das Endziel sei die "Verschmelzung der Arbeiter aller Nationen"62 zu einer einheitlichen kommunistischen Weltnation. Bei dieser Darstellung der ideologischen Grundlagen darf jedoch nicht übersehen werden, daß sozialistische Autoren in Anbetracht der veränderten Weltlage die offene Kundgabe der aufgezeigten ideologischen Grundlagen des Selbstbestimmungsrechts vermeiden. In realiVgl. auch DelbrüCk, Selbstbestimmung, S. 184. Für Lenin ist die nationale Selbstbestimmung eine Vorstufe zur Verwirklichung seiner revolutionären Grundvorstellung, wenn er schreibt: "Jede Nation muß das Selbstbestimmungsrecht erhalten, das trägt zur Selbstbestimmung der Werktätigen bei", in Lenin, Ausgewählte Werke, Bd 2, S. 514 f.; siehe auch Lewin, S. 240 f.; Tunkin, Völkerrecht, S.37; ders., Völkerrechtstheorie, S.26, 29; vgl. auch Meißner, Die sowjetische Stellung, S.100; Möller, S. 187 ff.; Wannow, Das Selbstbestimmungsrecht im sowjetischen Völkerrechtsdenken, S.21. 60 Vgl. zum Selbstbestimmungsrecht aus sozialistischer Sicht auch Arzinger, Das Selbstbestimmungsrecht im allgemeinen Völkerrecht der Gegenwart, S.186; er ist der Ansicht, das Selbstbestimmungsrecht sei nicht mittels freier Wahlen, sondern nur auf "revolutionärem und wirklich demokratischem Wege" zu verwirklichen. 61 So Meißner, Die sowjetische Stellung, S.97. 62 Lenin, über das Recht der Nationen auf Selbstbestimmung, S.80. 58

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2. Kap.: F. Das Prinzip der Selbstbestimmung der Völker

stischer Einschätzung weltpolitischer Gegebenheiten verbinden sie nunmehr das Selbstbestimmungsrecht mit dem Kampf der Kolonialvölker und vollziehen dabei gleichzeitig eine Abkehr von dem früher vertretenen nationalstaatlichen Gedanken des Selbstbestimmungsrechts, eines Rechts zur Unabhängigkeit von Völkern gleicher Rasse, Religion, Sprache, Kultur und der Möglichkeit zu einheitlicher Willensbildung83; denn der nationalstaatliche Gedanke ließe sich auf die zumeist innerhalb willkürlich gezogener Kolonialgrenzen lebenden Völker Afrikas und Asiens, die zudem rassisch, ethnisch, religiös und kulturell keine Einheit bilden, nicht verwenden. Das Hauptaugenmerk der gegenwärtigen sozialistischen Lehre zum Selbstbestimmungsprinzip liegt damit in der Unterstützung des Kampfes der unterdrückten Kolonialvölker um politische Selbständigkeit und territoriale Unabhängigkeit, wobei die Hilfe in der völkerrechtlichen Propagierung eines Rechts auf Selbstbestimmung besteht. Die Betonung dieses Rechts der Kolonialvölker auf politische und territoriale Selbständigkeit mag nicht zuletzt aus der weltrevolutionären Einstellung des Marxismus-Leninismus erwachsen, der in der äußeren Selbstbestimmung die Vorstufe zu der im sozialistischen Block bereits verwirklichten proletarischen Revolution sieht, deren Voraussetzung aber gerade die Bildung eines unabhängigen Staates ist. Gerade diese These wird von Arzinger64 mit der Bemerkung gestützt, infolge der zentralen Bedeutung der politischen Unabhängigkeit für die gesellschaftliche Entwicklung der Völker sei kein Selbstbestimmungsrecht denkbar, das nicht das Recht auf Unabhängigkeit und Bildung eines selbständigen Staates einschließe. ß) Die westliche Völkerrechtslehre

Ein weniger einheitliches Bild bieten westliche Autoren bei der Frage der inhaltlichen Deutung des Selbstbestimmungsrechtes. Obwohl diese Unterscheidung nicht immer deutlich getroffen wird, lassen sich dennoch drei verschiedene Tendenzen zum Verständnis des Selbstbestimmungsrechtes erkennen: das anti koloniale, antidiktatoriale und das nationale Selbstbestimmungsrecht. Im deutschen Schrifttum nehmen die antidiktatoriale, verstanden als die demokratische Ausformung, und die nationale Komponente des Selbstbestimmungsrechts - insbesondere als Mittel zur Regelung von Gebietsfragen - verständlicherweise breiteren Raum ein. So sieht etwa Rabl65 dieses Prinzip als das Recht eines jeden Volkes, auf seinem angestammten Gebiet in Einheit sowie äußerer und innerer Freiheit zu 83 Tunkin., Völkerrecht, S.44; vgl. auch Lewin, S.261; Starushenko, S.82. 64 Arzinger, S. 167. 85 Rabt, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, S.173.

4. Inhalt des Prinzips

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leben. Aus dem Prinzip leite sich der Anspruch einer Menschengruppe, die sich selbst als Einheit integriere und als Einheit integriert wisse, her, die Verfassungsordnung zu ändern, unter der sie lebe; dies gelte in um so stärkerem Maße in solchen Fällen, in denen die Verfassung von einem fremden Gebietsherrn gehandhabt werde 66 • Rabl spricht mit seiner Definition sowohl das äußere Selbstbestimmungsrecht, das Recht der Bevölkerung, bei Gebietsfragen selbst über ihre staatliche Zugehörigkeit zu entscheiden und in nationaler Unabhängigkeit zu leben, als auch die demokratische Selbstbestimmung im inneren an. In ähnlicher Weise verbindet Decker67 die bei den Kriterien äußerer und innerer staatlicher Selbständigkeit, wenn er das Selbstbestimmungsrecht der Nationen als ihr Recht beschreibt, selbst und ohne fremde Einmischung darüber zu entscheiden, wie sie ihr nationales Leben gestalten. Er ist der Auffassung, daß wahre Demokratie nicht ohne nationale Selbstbestimmung möglich und nationale Selbstbestimmung nicht ohne Demokratie zu verwirklichen sei68 • Dieser Verbindung der nationalen Selbstbestimmung mit dem demokratischen Ideal kann jedoch nicht zugestimmt werden. Nationale Selbstbestimmung erschöpft sich vielmehr in der Befreiung eines Volkes von rassischer, ethnischer oder nationaler Fremdherrschaft und der Errichtung eines eigenen unabhängigen Nationalstaates bzw. dem Recht der Wohnbevölkerung eines bestimmten Gebietes bei Gebietsfragen selbst über die staatliche Zugehörigkeit zu entscheiden. Bei der Ausübung dieser Form des Selbstbestimmungsrechtes steht nicht so sehr die demokratische Mitbestimmung des einzelnen, sondern die Befreiung des Volkes in seiner Gesamtheit im Vordergrund69 • Auch andere Autoren wie etwa Dahm, Menzel und Wengler 70 stellen das auf Verwirklichung der Nationalstaatsidee gerichtete Selbstbestimmungsprinzip in den Mittelpunkt ihrer Erörterungen und behandeln unter diesem Aspekt im wesentlichen die Problematik eines Rechts der Wohnbevölkerung eines bestimmten Gebiets "zur Entscheidung darü:' ber, zu welchem Staat sie mit dem Gebiet gehören Will"71. Es wird dabei verwiesen auf die geschichtliche Entwicklung des Plebiszits, das völkerrechtliche Bedeutung erstmals 1791 (Avignon an Frankreich)12 erRabl, Selbstbestimmungsrecht nach westlicher Auffassung, S.45. Decker, S. 225. 68 Decker, S. 23. 69 So Delbriick, Selbstbestimmung, S. 182. 70 Dahm, VRBd 1, S. 611 ff.; Menzel, VR, S.180 ff.; Wengler, VR Bd 2, S.1031; vgl. auch Berber, VR Bd 1, S. 341; von der Heydte, VR Bd 1, S. 293 ff.; Reibstein, VR Bd 2, S. 362 f.; Verdross, VR, S. 575 ff. 71 Wengler, VR Bd 2, S. 1031. 72 Vgl. Menzel, VR, S. 180. 66

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2. Kap.: F. Das Prinzip der Selbstbestimmung der Völker

langte und später eine besondere Rolle bei der Einigung Italiens spielte. Aber auch im 20. Jahrhundert wurde das Selbstbestimmungsprinzip zunächst ausschließlich als ein Mittel zur Regelung von Gebietsfragen betrachtet. Beweis hierfür liefert etwa die 14-Punkte-Erklärung Präsident Wilsons vom 18.1.1918 und sein markanter Ausspruch vor dem Kongreß vom 11. 2.1918: "Peoples and provinces are not to be bartered about from sovereignty to sovereignty as if they were mere chattles and pawns in game"7:t, der Versailler Vertrag, in dem Volksabstimmungen für einzelne Gebiete angeordnet wurden, Art. 2 der AtlanticCharta vom 14.8.1941 und die französische Verfassung von 1946. Art. 27 (2) der genannten Verfassung sieht vor, daß eine ohne Zustimmung der betroffenen Bevölkerung erfolgte Gebietsabtretung oder -Austausch nicht rechtsgültig sein solle. Die angeführten Autoren lassen im übrigen erkennen, daß die Selbstbestimmung auch in der Form interner politischer Mitbestimmung gesehen werden kann. Im Gegensatz zu Rabl und Decker stellen sie aber kein unbedingtes Junktim zwischen demokratischer und nationaler Selbstbestimmung her. Auf den gegenwärtigen Inhalt des Prinzips ansprechend erklärt etwa Dahm, die inhaltliche Bestimmung des Prinzips, soweit sie sich aus Art. 1 Abs.2 SVN ergebe, sei bisher ziemlich "dunkel" geblieben74 . Es macht sich in dieser Äußerung das in der völkerrechtlichen Literatur weitverbreitete Unbehagen darüber bemerkbar, daß auch die Satzung der Vereinten Nationen keine konkreten Anhaltspunkte bietet, welche eine eindeutige Inhaltsbestimmung des Prinzips ermöglichen würden. Soweit sich die neuere englischsprachige Literatur mit der Frage der inhaltlichen KlarsteIlung des Selbstbestimmungsrechts beschäftigt, wird auch dort das nationale Element der Verwirklichung staatlicher Einheit und Unabhängigkeit erwähnt75 • Jedoch steht diese Spielart der Selbstbestimmung keineswegs im Mittelpunkt der Diskussion. Für viele dieser Autoren scheint die nationale Konzeption im Abklingen begriffen, zumal sie sich an der traditionellen kontinental-europäischen These orientiert: "jedem Volk seinen Nationalstaat". Es hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß in der modernen Welt, die aus machtpolitischen und wirtschaftlichen Gründen nach größeren, 73 Zitiert nach Dahm, VR Bd 1, S.612. Dahm, VR Bd 1, S. 387 ff.; vgl. auch Menzel, VR, 5.184; Verdross, VR, S.576; de Visscher, Theories et realites en droit international public, 5.166 f. 75 Vgl. z. B. Brownlie, Principles of Public International Law, 5.483; Emerson, in Proceedings ... , 1966, 5.135 ff.; Haight, Human Rights Convenants, Proceedings ... , 1968, S. 96 ff.; Higgins, The Development of International Law ... , S. 105; Starke, a.a.O., S. 116; so wohl auch Schwarzenberger, A Manual of International Law, S.74, der lediglich von einem "Principle of national self-determination" spricht. 74

4. Inhalt des Prinzips

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leistungsfähigeren Einheiten strebt, nationalstaatliche Gesichtspunkte den übergeordneten integrierenden Faktoren weichen müssen. Im übrigen wird die nationale Selbstbestimmung als Recht eines durch Herkunft, Sprache, gemeinsamen Gebietes und einheitlichen Willens zur Eigenstaatlichkeit geprägten Volkes den Realitäten einer aus Vielvölkerstaaten bestehenden Staatengemeinschaft nicht mehr gerecht. Sie müßte in ihrer Konsequenz Sezessionsbewegungen billigen und damit die in vielen Staaten trotz unterschiedlicher völkischer Zusammensetzung erreichte Einheit aufs Spiel setzen76 • Gerade dies darf aber nicht der Sinn eines modernen Selbstbestimmungsverständnisses sein, das die weltpolitischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten und nicht zuletzt die Integrationsbemühungen berücksichtigen muß. Wohl in Erkenntnis des Anachronismus eines Nationalstaatsgedankens in der gegenwärtigen Epoche existieren für Higgins 77 nur zwei Möglichkeiten des Prinzips, dieantidiktatoriale und die antikoloniale Selbstbestimmung, wobei sie eine verbesserte den gegebenen Umständen entsprechende Terminologie anbietet. Das klassische Konzept antikolonialer Selbstbestimmung, das die überwindung fremdstaatlicher Herrschaft und Bildung eines selbständigen Staates enthält, bezeichnet sie als den Anspruch auf Unabhängigkeit ("claim to independence"), während sie das Verlangen der Mehrheit in einer allgemein akzeptierten politischen und geographischen Einheit nach Ausübung der Macht mit der Forderung nach Selbstbestimmung ("claim to self-determination") gleichsetzt. Das Recht der Mehrheit will Higgins verstanden wissen als "the right of each man to one vote", wobei in dieser Ausformung nicht unbedingt die westliche Vorstellung von parlamentarischer Demokratie zu verstehen sei. Als Beispiel nennt sie den Staat Südrhodesien, der zwar nicht von fremden Gebietsherren, wohl aber von einer den gegebenen Stimmenverhältnissen nicht entsprechenden Minderheit regiert wird. Hier stehe der schwarzen Majorität das Recht der Selbstbestimmung zu, das in der Ausübung der den Mehrheitsverhältnissen entsprechenden Herrschaftsgewalt Ausdruck finden müsse. Bei Higgins deutet sich mit der aufgezeigten Konstruktion die Anerkennung eines inneren, demokratischen Selbstbestimmungsrechtes an, wenngleich sie die notwendige Konsequenz einer übertragung ihrer Lehre auf den europäischen oder zumindest den übrigen afrikanischen Bereich zwar unabhängiger, aber dennoch diktatorisch regierter Staaten nicht unmittelbar vollzieht. Im gegenwärtigen politischen Klima werde die von ihr so bezeichnete Selbstbestimmung in einem rassischen Kontext verharren; es bestehe jedoch kein Grund, das Prinzip nicht auf 76 77

Vgl. auch Haight, Human Rights Convenants, S.98. Higgins, Development of International Law, S. 104 f.

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2. Kap.: F. Das Prinzip der Selbstbestimmung der Völker

eine religiöse oder "purely party political situation" anzuwenden. Ob sie unter partei-politischen Situationen das demokratische Parteienverständnis meint, gibt Higgins nicht zu verstehen. Auch Haight und Emerson scheinen das Prinzip der Selbstbestimmung sowohl in der internen demokratischen wie auch antikolonialen Ausformung zu sehen78 . Sie sind jedoch der Auffassung, daß das Prinzip der internen demokratischen Selbstbestimmung heute noch keinerlei Bedeutung besitze, weil die überwiegende Mehrheit der Staaten darin eine moderne Möglichkeit der Verletzung staatlicher Souveränität sieht7 9 •

)') Die Praxis der Vereinten Nationen Die Charta der Vereinten Nationen enthält nur in den Art. lAbs. 2 und 55 einen ausdrücklichen Bezug auf das Prinzip der Selbstbestimmung der Völker. Allerdings läßt sie einen Hinweis darauf, was der Begriff der Selbstbestimmung beinhalten solle, ebenso vermissen wie eine Klärung des Trägers des Rechts. Auch über das bei der Verwirklichung der Selbstbestimmung etwa zu beobachtende Verfahren enthält die Satzung keine Bestimmung8o . Da die Vorarbeiten zur Charta in einer Zeit des Kampfes gegen Diktatur und Gewaltherrschaft und im Zeichen einer einsetzenden Dekolonialisierungsepoche stattfanden, enthielten auch die Diskussionen im Committee Vl, das sich mit der Formulierung des Art. lAbs. 2 beschäftigte, Stellungnahmen zu den genannten Aspekten. Auf der einen Seite wurde das demokratische Ideal angesprochen, wenn es im Bericht heißt, daß das Prinzip der Selbstbestimmung "corresponded closely to the will and desires of peoples everywhere", andererseits bekannten sich die Delegierten auch zum äußeren Aspekt des Selbstbestimmungsprinzips, das das "right of self-government of peoples and not the right of secession" enthalte81 . Die demokratische Tendenz des Prinzip der Selbstbestimmung wird ganz besonders in dem Bericht des Berichterstatters des Committee 1 an die Commission 1 bekräftigt, in dem festgestellt wird, daß ein "essential element of the principle in question is a free and genuine expression of the popular will, such as those used for their own ends by Germany and Italy in later years"82. 78 Haight, S.97, spricht davon, daß das Konzept der Selbstbestimmung als Basis für die Dekolonialisierung bemerkenswert erfolgreich sei, als Prinzip des Völkerrechts dagegen nicht; er dürfte damit wohl die innere demokratische Selbstbestimmung meinen. Emerson, Self-Determination, 1966, S.138 f. 79 Vgl. Emerson, Self-Determination, 1966, S.139; Haight, S.98. 80 Vgl. auch Kunz, Selbstbestimmung der Völker, S.174. 81 UNCIO Bd 6, S. 296. 82 UNCIO Bd 6, S. 455.

4. Inhalt des Prinzips

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In der Praxis der Vereinten Nationen hat jedoch die demokratische interne Ausformung des Selbstbestimmungsprinzips in der Vergangenheit keine große Rolle gespielt83 . Sie gewinnt jetzt an Bedeutung im Falle Südrhodesiens und Südafrikas, deren Minoritätsregime sozialistische und insbesondere afro-asiatische Staaten zu Gunsten schwarzer Mehrheiten zu ersetzen suchen84 . Dagegen wurde schon in den ersten Jahren des Bestehens der Vereinten Nationen das besondere Anliegen erkennbar, das vor allem sozialistische Staaten mit dem Selbstbestimmungsprinzip verfolgten 85 . Die konsequente Politik im Kampf gegen koloniale Herrschaftsformen, die von den "befreiten" Staaten unterstützt wurde, ließ das Prinzip der Selbstbestimmung der Völker schließlich zur besten Waffe der Vereinten Nationen und nicht zuletzt der unterdrückten Völker in ihrem Streben nach nationaler Unabhängigkeit werden86 • Gegenüber der nahezu völligen Identifizierung des Selbstbestimmungsprinzips mit den in den Vereinten Nationen verfolgten Dekolonialisierungsansprüchen ist das aus dem europäischen Minderheitenrecht erwachsene Selbstbestimmungsverständnis in der Form eines Rechts zur Lösung von Grenzfragen und zur Bestimmung der Gebietshoheit nicht in Erscheinung getreten. Es dürfte somit der von Menzel vertretenen Ansicht zuzustimmen sein, der feststellt, daß "self-determination" in der Praxis der Vereinten Nationen weitgehend nur das Recht auf Bestimmung der Regierungs- und Verwaltungsform bedeutet. Die Zielrichtung gehe dabei auf Entkolonialisierung und "wirtschaftliche Selbstbestimmung"87. c) Der Rechtscharakter des Prinzips

Auch in der Frage der rechtlichen Qualifizierung des Prinzips gehen die Meinungen in der westlichen und sozialistischen Völkerrechtslitera83 Als Beispiel ist hier die Spanienfrage zu nennen. Vgl. UNYB, 1946-47, S. 345 ff.; näher hierzu Delbrück, Sicherheitsrat und Vollversammlung, S. 49 ff.; zur Praxis der Vereinten Nationen siehe auch Delbrück, Selbstbestimmung, S. 193 ff.; Higgins, Development of International Law, S. 90 ff.; ausführlich insbesondere Kunz, Selbstbestimmung der Völker, S. 171 ff.; und Menzel, Die Vereinten Nationen und das Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 270 ff.; ders., Die Ostverträge von 1970 und das Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 36 ff. 84 Vgl. z. B. zur Südrhodesienfrage UNYB, 1966, S. 618 f.; UNYB, 1967, S. 99 ff.; siehe auch Higgins, Development of International Law, S.102 f. 85 Lewin, S. 261. 86 Vgl. insbesondere die Resolutionen der Vereinten Nationen zum Selbstbestimmungsprinzip (Dekolonisation): als wichtigste Resolution ist hier die "Declaration on the Granting of Independence to Colonial Countries and Peoples", Res. 1514 (XV) vom 14.12.1960 zu nennen; weitere Resolutionen sind Res. 1654 (XVI) vom 27.11.1961; Res. 1810 (XVII) vom 17.12.1962; Res. 1956 (XVIII) vom 11. 12. 1963; Res. 2105 (XX) vom 20.12.1965; Res. 2189 (XXI) vom 13. 12. 1966. 87 Menzel, Selbstbestimmungsrecht, S. 278; ders., Ostverträge, S.38.

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2. Kap.: F. Das Prinzip der Selbstbestimmung der Völker

tur weit auseinander88 • Während es unter den westlichen Autoren Befürworter und Gegner der Anerkennung einer völkerrechtlichen Norm der Selbstbestimmung gibt, bietet die sozialistische Literatur demgegenüber ein einheitliches Bild. Grundlage für die sozialistische Völkerrechtslehre ist ihre ideologische Bindung an die marxistisch-leninistische Theorie, die in der Frage der Anerkennung des Prinzips der Selbstbestimmung den Weg zur Interpretation des Prinzips als völkerrechtlicher Norm gewiesen hat89 • Sozialistische Autoren betonen, daß das Prinzip insbesondere durch seine Niederlegung in der Charta der Vereinten Nationen (Art. 1 Abs.2 und Art. 55) allgemeines Völkervertragsrecht geworden sei. Aber auch die Praxis der Vereinten Nationen in Dekolonialisierungsfragen, unzählige Resolutionen, die die Verpflichtung der Staaten zur Gewährung der Selbstbestimmung an abhängige Völker niederlegen, und nicht zuletzt die Tatsache der Gründung neuer Staaten unter Inanspruchnahme des Selbstbestimmungsrechtes könnten nur auf den Rechtsnormcharakter hindeuten9o . Die in der sozialistischen Lehre vertretene These vom Rechtsnormcharakter des Prinzips wird teilweise auch von westlichen Autoren unterstützt. So begründet Decker9 ! die Anerkennung des Prinzips als Norm des allgemeinen Völkerrechts damit, daß eine Vielzahl internationaler Verträge, einseitiger und mehrseitiger Erklärungen und die Staatenpraxis vom Bestehen eines Selbstbestimmungsrechtes ausgingen. Auch die Charta der Vereinten Nationen und die Tätigkeit ihrer Organisationen ließen einen anderen Schluß nicht zu9Z • Decker erkennt zwar, 88 Eine ausführliche übersicht über die Stellungnahmen zum Rechtscharakter des Selbstbestimmungsrechts in der Literatur gibt Menzet, Ostverträge, S. 38 ff. 89 Vgl. auch Meißner, Die sowjetische Stellung, S.98. 90 Vgl. Arzinger, S. 173; Bobrov, S. 51 ff.; Graefrath, Grundlegende Völkerrechtsprinzipien, S. 496 ff.; Lewin, S. 246 ff.; Srnskti, On the Principle of Equal Rights and Self-Determination of Nations, 5.123 f., 126 ff.; StaTUshenko, S. 79, Tunkin, Völkerrecht, S. 43 f. Eine eingehende Darlegung der sowjetischen Stellung zum Rechtscharakter des Selbstbestimmungsprinzips und weitere Nachweise aus der sowjetischen Literatur enthalten die Schriften von Bracht, Rechtscharakter und Rang des Selbstbestimmungsrechtes nach sowjetischer Völkerrechtslehre, S. 29 ff.; und Meißner, Die sowjetische Stellung, S. 96 ff. 9! Decker, 5. 338. 92 50 auch Abi-Saab, S. 98 f.; Akehurst, S.283; Brownlie, Principles of Public International Law, S. 483; Etias, S.57; Rabt, Selbstbestimmungsrecht, S. 160 ff., 173; Raschhofer, Das Selbstbestimmungsrecht in westlicher Sicht, S.18; so auch Scheuner, Conflict of Treaty Provisions with a Peremptory Norm of General International Law, 5.525, der das Selbstbestimmungsrecht als bindende Norm des Völkerrechts betrachtet; er begründet seine Feststellung damit, daß es ein wesentlicher Teil der Menschenrechtskonventionen (1966) sei, und ihm daraus verbindliche Kraft erwachse. 5cheuner läßt jedoch

4. Inhalt des Prinzips

219

daß sich die Praxis der Vereinten Nationen und der Staaten eindeutig nur auf Kolonialvölker bezieht, er meint aber dennoch, das Recht der nationalen Selbstbestimmung habe heute schon allgemeine Anerkennung gefunden; die Anwendung oder Nichtanwendung des Prinzips liege nicht mehr im Belieben der Staaten. In dieser Feststellung läßt Decker allerdings außer Acht, daß die Praxis der Vereinten Nationen keineswegs mit der traditionell kontinental-europäischen Ausformung des nationalen Selbstbestimmungsrechtes, das die Unabhängigkeitsbestrebungen von Völkern mit rassischen, ethnischen, kulturellen und sprachlichen Gemeinsamkeiten von fremder Gebietsherrschaft zur Errichtung von Nationalstaaten beinhaltet, übereinstimmt. Die Praxis läßt im Gegenteil jegliche nationalstaatlichen Erwägungen, wie etwa rassische, ethnische oder sprachliche Kriterien, bei der Gewährung der Unabhängigkeit vermissen, wenn etwa Kolonien mit ihren willkürlich gezogenen Grenzen und ohne homogene Bevölkerung in die Selbständigkeit entlassen werden. Von einer Selbstbestimmung kann in vielen Fällen nicht gesprochen werden, wie Eagleton93 an den Beispielen Somaliland und Lybien überzeugend nachweist; er geht sogar so weit zu sagen, "self-determination was arranged from outside". Im übrigen bieten auch die zahlreichen in diesem Jahrhundert bis hin zur jüngsten Vergangenheit erfolgten Plebiszite keine hinreichende Grundlage für die Annahme der Rechtsverbindlichkeit der kontinental-europäischen Ausformung des Selbstbestimmungsrechts. Eine ausgeprägte, dem Gedanken der Selbstbestimmung widersprechende Praxis wie etwa die Annexion des Sudetenlandes, der baltischen Staaten, Bessarabiens und Ostpolens etc. zeugen davon, daß die Voraussetzungen für die Herausbildung eines gewohnheitsrechtlichen nationalen Selbstbestimmungsrechts nicht gegeben sind94 • Als bedeutendste Verfechterin eines Rechts auf Selbstbestimmung im englischen Schrifttum stellt sich Higgins dar9s • Sie zeigt an Hano von Beispielen aus der Dekolonialisierungspraxis, daß sich das Prinzip zu einem internationalen Recht entwickelt habe. Das bedeutendste Argument für diese Ansicht sieht sie in den vielen Resolutionen zur Selbstbestimmungsfrage, die nur wenige oder keine Gegenstimmen gefunden hätten, insbesondere die "Declaration on the Granting of Independence to Colonial Countries and Peoples" (Res. 1514 [XV] vom eine inhaltliche Klärung des Selbstbestimmungsrechts vermissen; Wright, Recognition and Self-Determination, S.37; so wohl auch Starke, S. 116 f. 93 Eagleton, Self-Determination, S.89. 94 So auch Berber, VR Bd 1, S.75, 341; Dahm, VR Bd I, S. 613 ff.; von der Heydte, VR Bd I, S.293; Menzel, VR, S. 182; Wengler, VR Bd I, S. 982 ff. 95 Higgins, Development of International Law, S. 90 ff.

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2. Kap.: F. Das Prinzip der Selbstbestimmung der Völker

14. 12. 1960, angenommen mit 90 Stimmen bei 9 Enthaltungen)96. Gerade wegen der fehlenden Opposition zu einer so bedeutenden Resolution wie der Res. 1514 (XV) scheine es akademisch zu argumentieren, da die Beschlüsse der Vollversammlung nicht bindend seien, habe sich auch die Rechtslage nicht geändert und die Selbstbestimmung "remains a mere ,principle"'. Sie fährt fort, daß durch ein Beharren auf dieser Interpretation sowohl der Grundsatz des "bona fide" als auch die Praxis der Staaten, wie sie sich durch einmütiges und wiederkehrendes Verhalten darstelle, geleugnet werde 97 • Anlaß zur Kritik bietet Higgins allerdings, wenn sie behauptet, "the Development of the legal right of self-determination is beeing c1early shown by the case of Southern Rhodesia". Denn wie selbst afrikanische Delegierte in den Vereinten Nationen einräumen, ist Südrhodesien kein klassischer Fall einer Dekolonialisierungsbewegung. Vielmehr geht es bei dieser Forderung um Selbstbestimmung darum, "a denial of equal political rights and liberties to the vast majority of the people of Southern Rhodesia" auf der Grundlage "one man one vote" zu überwinden98 • Diese Ausformung des Selbstbestimmungsrechtes entspricht aber gerade dem demokratischen Selbstbestimmungsverständnis, für das die Praxis der Vereinten Nationen kaum Präzedenzfälle aufweist99 • Es dürfte daher verfrüht sein zu behaupten, der Fall Südrhodesien beweise die Existenz einer völkerrechtlichen Norm der Selbstbestimmung, zumal die so verstandene demokratische Selbstbestimmung den farbigen Bewohnern dieses Landes bis heute nicht gewährt wurde. Gegen die Anerkennung eines internen Selbstbestimmungsrechtes wenden sich auch Emerson, Haight und Gross 100 mit den Bedenken, ob das Recht etwa all den Völkern zustehen sollte, die in ihren Regierungen nicht angemessen vertreten sind oder dies behaupten; wer auch sollte in diesen Fällen die notwendigen Urteile abgeben und Entscheidungen fällen? Im übrigen stelle sich die Frage, ob die Tatsache des Bestehens vieler nicht repräsentativer Regierungen eine internationale Angelegenheit sePOl. 96 97

Higgins, ebd., S. 100. Higgins, ebd., S. 101 f.

98 Vgl. Res. 1747 (XVI) vom 28. 6. 1962, in Auszügen bei Higgins, Development of International Law, S. 102 f. 99 Vgl. auch Akehurst, S.283. 100 Vgl. Emerson, Self-Determination, 1971, S.468; Haight, S. 97 f.; Gross, The Right of Self-Determination in International Law, in New States in the Modern World, edited by Martin Kilson, zit. nach Emerson, S.461, da noch nicht erschienen; Mustafa, The Principle of SeIf-Determination in International Law, S. 481; so auch Dahm, VR Bd I, S. 390. 101 Emerson, Self-Determination, 1971, S. 468.

4. Inhalt des Prinzips

221

Aber auch gegen die Anerkennung einer Verpflichtung zur Dekolonialisierung und eines Rechts auf nationale Selbstbestimmung richten sich zahlreiche Autoren lO2 • Es wird die Ansicht vertreten, eine solche mögliche Regel des Gewohnheitsrechts habe sich weder durch eine gleichförmige und langdauernde übung durch die Allgemeinheit der Beteiligten, noch auf Grund einer unter den Beteiligten herrschenden Vorstellung vom verbindlichen Charakter der Regel bilden können l03 • Vielmehr sei weder im nationalen Bereich der Selbstbestimmung noch bei der Verleihung der Unabhängigkeit an Kolonialvölker eine dauernde übung zu beobachten. Zwar haben in den vergangenen Jahrzehnten viele Völker ihre Unabhängigkeit gewonnen, es behaupten aber immer noch einige Staaten Souveränitätsrechte über andere Völker. Selbst bei Anerkennung einer allgemeinen übung in der Dekolonisationspraxis dürfte sich aber eine überzeugung der Staaten, das Selbstbestimmungsrecht in Ausübung einer völkerrechtlichen Verpflichtung gewährt zu haben, schwerlich nachweisen lassen. Der Grund für ihre Handlungsweise liegt viel eher im politischen Bereich und der Notwendigkeit, bei den ideologischen Auseinandersetzungen mit dem sozialistischen Block nicht die "Gunst der Millionen der farbigen Völker" zu verlieren l04 • Wo aber so grundlegende Zweifel und Opposition insbesondere unter solchen Staaten bestehen, die noch Kolonien besitzen, dürfte die Existenz eines Rechts auf Selbstbestimmung als völkerrechtliche Norm schwerlich zu behaupten seinlO5 • Kriterien, die im übrigen von manchen Autoren gegen die Anwendung des Prinzips als einer Regel des allgemeinen Völkerrechts vorgebracht werden, sind die Unbestimmtheit des zur Selbstbestimmung berechtigten Volkes und die inhaltliche Vieldeutigkeit des Prinzips l06. 102 Vgl. Dahm, VR Bd 1, S. 390 f.; Delbrück, Selbstbestimmung, S.208, mit weiteren Nachweisen aus der englischsprachigen Literatur auf S.197, Fußnote 51; Emerson, Self-Determination, 1971, S. 462; Fawcett, General Course, S. 386 f.; Gross, zitiert bei Emerson, Self-Determination, 1971, S.461; Hoffmann, Die deutsche Teilung, Staats- und Völkerrechtliche Aspekte, S. 75 ff.; Kewenig, Verfassungsrechtliche Probleme eines Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik (Die zwanzig Punkte von Kassel), S. 121 ff.; Klein, Der Rechtscharakter des Selbstbestimmungsrechts, S.16, 18, 24; Kunz, Grundsatz der Selbstbestimmung, S.175; Menzel, Ostverträge, S.41; Mustafa, S.481; Schwarzenberger, International Law, S. 74; Schweitzer, Völkergewohnheitsrecht, S. 56 f.; Veiter, S. 138, 149; Verdross, VR, S.576, de Visscher, S. 160; Wengler, VR Bd 2, S.1033. 103 Vgl. Klein, S. 16 ff.; Veiter, S.138. 104 So Delbrück, Selbstbestimmung, S.196; ähnlich auch Grass, zitiert bei Emerson, Self-Determination 1971, S.461; Schweitzer, Völkergewohnheitsrecht, S. 56 f. 105 Vgl. Emerson, Self-Determination, 1971, S.462. 106 Vgl. Dahm, VR Bd 1, S.390; Verdross, VR, S.576; vgl. auch Starke, S.116, der zwar Zweifel an der inhaltlichen Bedeutung der Begriffe "self-

222 2. Kap.: G. Das Prinzip der Pflichterfüllung nach Treu und Glauben Angesichts so grundlegend widersprüchlicher Ansichten in der völkerrechtlichen Literatur hinsichtlich des möglichen Trägers, des Inhalts und der rechtlichen Qualifikation des Prinzips und einer im wesentlichen uneinheitlichenPraxis der Staaten und selbst der Vereinten Nationen dürfte die Anerkennung eines Rechts auf Selbstbestimmung außerordentlich fragwürdig sein. Auch die Formulierungen im Text der Deklaration haben zu einer Klärung der Streitpunkte wenig beigetragen101 • Das Prinzip der Selbstbestimmung wird aber dennoch in seiner anti kolonialen, nationalen oder antidiktatorialen Ausformung wenngleich nicht als geltendes Völkerrecht, so doch als politische Maxime auch in der Zukunft nicht ohne Einfluß auf das Staatenverhalten bleiben. 4. Ergebnis

Die Formulierungen im Deklarationstext zum Prinzip der Selbstbestimmung der Völker können nicht als Ausdruck geltenden Völkerrechts betrachtet werden.

G. Das Prinzip der Pftichterfüllung nach Treu und Glauben Every State has the duty to fulfil in good faith the obligations assumed by it in accordance with the Charter of the United Nations. Every State has the duty to fulfil in good faith its obligations under the generally recognized principles and rules of international law. Every State has the duty to fulfil in good faith its obligations under international agreements valid under the generally recognized principles and rules of international law. Where obligations arising under international agreements are in conflict with the obligations of Members of the Uni ted Nations under the Charter of the United Nations, the obligations under the Charter shall prevail. determination" und "peoples" zu erkennen gibt, sich aber trotzdem für ein Recht abhängiger Völker auf eigene Staatlichkeit ausspricht. 101 Die Erörterungen im Sonderausschuß wie auch die zahlreichen einschlägigen Stellungnahmen in Politik und Presse zeigen, daß der Begriff der Selbstbestimmung der Völker zumindest einer terminologischen Verdeutlichung bedarf; denn in seiner gegenwärtigen Form erscheint er wenig geeignet, den differenzierten Situationen gerecht zu werden, die er erfassen soll. Nicht nur zur Vermeidung von Verständigungsschwierigkeiten, sondern auch um die mögliche unterschiedliche rechtliche Bewertung durch den generellen Begriff der Selbstbestimmung nicht zu "verwässern", sollte entsprechend der Inhaltsbestimmung einer jeden Verlautbarung zum Thema Selbstbestimmung entweder von antikolonialer, nationaler oder antidiktatorialer Selbstbestimmung gesprochen werden.

2. Grundlagen und Bedeutung des Prinzips

223

1. Vorbemerkungen

Das Prinzip der Pflichterfüllung nach Treu und Glauben beschäftigte den Sonderausschuß während seiner zweiten und dritten Sitzungsperiode in den Jahren 1966 und 1967. Nach eingehenden Diskussionen im Plenum des Sonderausschusses wurde das Prinzip in beiden Sitzungsperioden an den Redaktionsausschuß zur weiteren Erörterung überwiesen. Dieser wiederum setzte eine Arbeitsgruppe ein, in der während der dritten Sitzungsperiode die endgültige Fassung des Prinzips entstand. Zwar hatte die Arbeitsgruppe bereits im Jahre 1966 einen Text erstellt, er wurde jedoch wegen der Vorbehalte sozialistischer Staaten nicht angenommen1 • Die Vorbehalte gründeten sich auf die im Entwurf der Arbeitsgruppe verwendete Formulierung "principles and rules of general international law" , die sie durch die Worte "generally recognized principles and rules of international law" ersetzt wissen wollten. Mit besonderem Nachdruck aber forderten sozialistische Delegierte, die Verpflichtung zur Erfüllung von Verträgen in der Weise zu formulieren, daß nur solche Verträge vom Prinzip erfaßt würden, die auf Grund freier Entscheidung ("freely concluded") der Parteien zustande gekommen sind. Nachdem westliche Vertreter der Modifizierung des Textes durch den Zusatz "freely concluded" nicht zustimmten, konnte dennoch in der dritten Sitzungsperiode eine Komprornißformel gefunden werden, in der einerseits durch die Verwendung der Formulierung "generally recognized principles and rules of international law" dem sozialistischen Verlangen Rechnung getragen, andererseits aber auf den Zusatz "freely concluded" verzichtet wurde. 2. Grundlagen und Bedeutung des Prinzips

Die meisten Delegierten nahmen in ihren einleitenden Bemerkungen Bezug auf die Grundlagen des Prinzips und hoben seine Bedeutung für 1

Der von der Arbeitsgruppe vorgelegte Text lautet:

"1. Every state has the duty to fulfil in good faith the obligations assumed

by it in accordance with the Charter of the United Nations. 2. Every State has the duty to fulfil in good faith its obligations under the principles and rules of general international law. 3. Every State has the duty to fulfil in good faith its obligations under international agreements concluded or accepted on the basis of the prineiple of sovereign equality of States and valid und er general international law. 4. Every State has the duty to eonduet its international relations in aeeordanee with the prineiples of general international law embodied in the Charter of the United Nations (and in eonformity with the present Declaration)." Zitiert nach Houben, S.726.

224 2. Kap.: G. Das Prinzip der Pfiichterfüllung nach Treu und Glauben die Erhaltung des Friedens und der internationalen Sicherheit hervor. Angesichts der Komplexität und Vielfältigkeit der zwischenstaatlichen Beziehungen, so betonte der rumänische Vertreter, sei die internationale Rechtssicherheit zu einem beherrschenden Faktor der Staatengemeinschaft geworden, der erst das geordnete Zusammenleben der Nationen ermögliche!!. Die im Interesse aller Staaten notwendige Kooperation auf den verschiedensten Gebieten habe zum Abschluß einer immer größer werdenden Zahl von bi- und multilateralen Verträgen geführt, deren Erfüllung eine wesentliche Voraussetzung für die Aufrechterhaltung einer dauerhaften Friedensordnung darstelle. In diesem Zusammenhang machten Vertreter westlicher Staaten darauf aufmerksam, daß die Regeln des Völkerrechts nicht Selbstzweck seien, sondern Vorteile enthielten, die sich allerdings an die Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen knüpften 3 • Nur in dem Maße, in dem die Mitglieder der Völkerrechtsgemeinschaft bereit seien, die Lasten der Verpflichtungen zu tragen, könnten sie auch die verschiedenartigen Vorteile in Form von Rechten, die gerade den kleineren Staaten das überleben erst ermöglichten, in Anspruch nehmen. Der britische Delegierte verwies darauf, daß der Grundsatz der Pflichterfüllung nach Treu und Glauben im Völkerrecht besonders deshalb von so grundlegender Bedeutung sei, weil dort im Falle von Pflichtverletzungen nicht wie im innerstaatlichen Bereich Gerichte bemüht werden könnten, die mit Zwangsgewalt ausgestattet, den Rechtsfrieden wiederherzustellen in der Lage sind'. Zudem würden im zwischenstaatlichen Bereich durch die Nichterfüllung von Verpflichtungen nicht nur ein Staat, sondern meist auch andere gewisser Wohltaten beraubt, welche eine stabile Völkerrechtsordnung für alle Staaten bereithalte. In der Ableitung des Prinzips aus den Vorschrüten der Charta stellten die Delegierten übereinstimmend fest, daß es sich nicht nur in Art. 2 Abs. 2, der den Grundsatz von Treu und Glauben enthalte, wiederfinde5 • Vielmehr ließen sich noch weitere in dem Prinzip enthaltene Grundsätze aufzeigen, nämlich der Satz "pacta sunt servanda", der in der Präambel zur Charta in den Worten " ... to establish conditions under which justice and respect for the obligations arising from treaties and other sources of internationallaw can be maintained, ... " seinen Niederschlag gefunden habe, und der in Art. 103 niedergelegte Grundsatz, daß 2 Vgl. Marasescu (Rumänien), NAC.125/SR. 61, S.3; ähnlich auch Sahovic (Jugoslawien), A/AC.125/SR. 45, S.3; EI Reedy (VAR), A/AC.125/SR. 47, S.9. 3 Vgl. Nabrit (USA), NAC.125/SR. 46, S.7; Darwin (Vereinigtes Königreich), A/AC.125/SR. 46, S.10; Sir Bailey (Australien), NAC.125/SR. 46, S.17. 4 So Sinclair (Vereinigtes Königreich), NAC.125/SR. 59, S.4. 5 Vgl. Sahovic (Jugoslawien), NAC.125/SR.45, S.4; Pechota (Tschechoslowakei), NAC.125/SR. 45, S.6; Darwin (Vereinigtes Königreich), NAC.125/ SR. 46, S.l1.

3. Inhalt des Prinzips

225

die Verpflichtungen der Mitglieder aus anderen internationalen übereinkünften ihren Verpflichtungen aus der Charta nicht widersprechen dürfen. Man war sich darin einig, daß die genannten Bestimmungen auf Grund ihrer Formulierung restriktiven Charakter trügen, dennoch aber Rechte und Pflichten enthielten (mit Ausnahme des Art. 103), die sich nicht nur an die Mitglieder der Vereinten Nationen, sondern an die internationale Gemeinschaft als Ganzes richteten. Dieser Tatsache müßte auch die Formulierung des Prinzips in der Deklaration Rechnung tragen. Trotz anfänglicher Schwierigkeiten ist es dem Ausschuß gelungen, die Grundsätze von "Treu und Glauben" und "pacta sunt servanda" in einer alle Staaten ansprechenden Weise zu fassen. Wie viele andere vom Ausschuß erarbeitete Prinzipien diente auch das Prinzip der Pflichterfüllung nach Treu und Glauben sozialistischen Delegierten zum Anlaß, in propagandistischer Weise einerseits die Prinzipientreue der eigenen Staaten ins Feld zu führen und andererseits angebliche Völkerrechtsverletzungen durch "imperialistische" Länder zu verdammen; damit sollte vor allem bei afro-asiatischen Staaten der Eindruck einer überlegenheit des sozialistischen Systems in der Erhaltung und Sicherung des Weltfriedens erweckt werden. So machte etwa der sowjetische Delegierte den USA den Vorwurf, das Genfer Indochina-Abkommen vom 21. 7. 1954 gebrochen und mit den Angriffen auf Nordvietnam gegen die vom Ausschuß erörterten Prinzipien verstoßen zu haben6 • Der Vertreter der USA verteidigte sich demgegenüber mit der Feststellung, die amerikanische Präsenz in Vietnam diene nur der Unterstützung dieses Landes bei der Abwehr gegen die vielen Charta- und Völkerrechtsverletzungen durch Nordvietnam7 • Wenngleich solche Ost-West-Gegensätze im Ausschuß des öfteren mit äußerster Schärfe ausgetragen wurden, erzielten sie dennoch nicht das von ihren Initiatoren erhoffte Echo unter den Delegierten. Afroasiatische Staatenvertreter griffen die Vorwürfe in keinem Fall auf, sondern bestanden auf einer konstruktiven Weiterarbeit des Ausschusses, die sie durch Polemik nur gefährdet sahen. 3. Zum Inhalt des Prinzips

a) Der Grundsatz "pacta sunt servanda"

Die Erörterung zum Grundsatz "pacta sunt servanda" gaben im Ausschuß Anlaß zu Meinungsverschiedenheiten sowohl über seine An6 Vgl. Movchan (USSR), AlAC.125/SR.46, S.5; ähnlich auch Bolintineanu (Rumänien), AI AC.125/SR. 46, S. 9. 7 Nabrit (USA), AlAC.125/SR.46, S.7, 18.

15 Grat zu Dohna

226 2. Kap.: G. Das Prinzip der Pftichterfüllung nach Treu und Glauben wendung auf Verträge wie auch seine Gültigkeit in bezug auf die Prinzipien und Normen des Völkergewohnheitsrechts. aa) Zur Anwendung des Grundsatzes auf völkerrechtliche Verträge Schon die zur zweiten Sitzungsperiode eingebrachten Resolutionsentwürfe machten die unterschiedliche Ausgangslage westlicher Delegationen gegenüber den Vertretern sozialistischer und afro-asiatischer Staaten deutlich. Während der westliche Entwurf8 von der allgemeinen Verpflichtung zur Erfüllung von Verträgen ungeachtet etwa entgegenstehender nationaler Interessen sprach, wollten der sozialistische9 und der afro-asiatische 10 Resolutionsvorschlag eine Verpflichtung zur Vertragserfüllung nur gegenüber den in freier Selbstbestimmung auf der Basis der Staatengleichheit eingegangenen Verträgen anerkennen. Auch in ihren Diskussionsbeiträgen stellten Delegierte afro-asiatischer und sozialistischer Staaten fest, daß die Verpflichtung zur Vertragserfüllung nur dort eingreifen könne, wo Obligationen frei und im Einklang mit der Charta und den Regeln des Völkerrechts eingegangen worden seien11 • Dagegen bestände keine Verpflichtung zur Erfüllung solcher Vereinbarungen, die aus Aggression, Kolonialherrschaft oder der Ungleichheit zwischen den Staaten erwachsen seien. Der sowjetische Delegierte begründete die sozialistische Auffassung von der einschränkenden Interpretation des Grundgesetzes "pacta sunt servanda" damit, daß das in Frage stehende Prinzip im Lichte aller anderen vom Sonderausschuß erörterten Grundsätze gesehen werden müßte12 • Ein aus einem Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz, das Prinzip der Selbstbestimmung oder das Gewaltverbot hervorgehender Vertrag könne nicht unter Hinzuziehung des Prinzips der Pflichterfüllung nach Treu und Glauben 8 Vgl. A1AC.125/L.37, in GAOR, XXI, Annexes, agenda item 87, S.10 (eingebracht vom Vereinigten Königreich und den USA); Abs.2 A: '''I'he obligations of treaties and other obligations of international law may not be lawfully avoided on grounds of ineompatibility with either national law or national poliey." 9 Vgl. den tschechoslowakischen Entwurf A/AC.125/L.16, part VII, in GAOR, XXI, Annexes, agenda item 87, S.100. Abs. 1: "Every State shall strictly observe the generally reeognized principles and norms of international law and shall fulfil, in good faith, its obligations arising from international treaties freely eonc1uded by it on the basis of equality and in eonformity with the above principles." 10 Vgl. A1AC.125/L.35, in GAOR, XXI, Annexes, agenda item 87, S.100 (eingebracht von Burma, Ghana, Indien, Madagaskar, Nigeria, Syrien, Libanon, VAR, Jugoslawien). Abs. 1: "Every State shall fulfil, in good faith, its obligations ensuing from international treaties, eonc1uded freely and on the basis of equality, as weH as obligations ensuing from other soure es of international law." 11 Vgl. Pechota (Tschechoslowakei), A1AC.125/SR.45, S. 7; Nachabe (Syrien), A/AC.125/SR.60, S.3; Odogwu (Nigeria), A1AC.125/SR. 46, S. 14. 12 Movchan (USSR), A1AC.125/SR. 46, S.6.

3. Inhalt des Prinzips

227

sanktioniert werden. Vielmehr ermögliche gerade der Grundsatz von Treu und Glauben die Feststellung der Nichtigkeit oder die Lösung von einem solchen Vertrag. Im Hinblick auf die vielen Vertreter ehemals abhängiger Staaten führten sozialistische Delegierte Beispiele an, welche den Ausschluß der Anwendbarkeit des Prinzips illustrieren sollten. Im Interesse einer organischen Entwicklung der Länder der dritten Welt könnten diese nach Meinung des sowjetischen Delegierten nicht an ungerechte Verträge mit ihren ehemaligen Kolonialstaaten gebunden seinl3 • Er sah bereits in dem Abschluß von sog. ungleichen Verträgen, wie Vereinbarungen zwischen Kolonialstaat - Kolonie, eine Verletzung des Prinzips von Treu und Glauben, weil solche Verträge unter Verneinung der Prinzipien des Völkerrechts, wie etwa dem der Selbstbestimmung der Völker und dem der souveränen Gleichheit der Staaten, zustandegekommen seien. Der Delegierte betrachtete die Aufgabe des Ausschusses im übrigen darin, durch eine geeignete Formulierung des Prinzips die Entwicklungsländer in ihrem Bemühen zu unterstützen, sich von aufgezwungenen ungleichen Abkommen loszusagen. Vertreter afro-asiatischer Staaten griffen die Theorie von den ungleichen Verträgen dankbar auf, differenzierten aber zwischen den unter Ausnutzung des Abhängigkeitsverhältnisses aufgezwungenen Verträgen und Verpflichtungen humanitärer Art l4 • Während sie sich für die unter Zwang zustandegekommenen Vereinbarungen ein Recht zur Nichterfüllung vorbehalten wollten, sollten alle anderen Verträge ihre Gültigkeit bewahren. Im Unterschied zur sozialistischen Einstellung gingen afro-asiatische Delegierte nicht von einer ex tune-Nichtigkeit ungleicher Abkommen aus, sondern beanspruchten lediglich das Recht zu einer ex-nune-Lösung von solchen Verträgen. Jedoch zeichnete sich ein gewisses Unbehagen dieser Delegierten gegenüber der Theorie von den ungleichen Verträgen in der Begründung eines Reehts auf Freistellung von Verpflichtungen ab. So machten einige Staatenvertreter geltend, viele Abkommen aus kolonialen Epochen trügen eher den Charakter von Personal verträgen, weil sie zwischen den Kolonialstaaten und den von diesen eingesetzten, dem Volk nicht verantwortlichen Scheichen abgeschlossen worden seien, wobei letztere nicht so sehr die Interessen der ihnen unterworfenen Menschen als vielmehr ihre eigenen auf Machtzuwachs und Bereicherung gerichteten Belange berücksichtigt hätten l5 • Aus solchen eigennützigen Personalverträgen aber könnten nicht die nunmehr unabhängigen Staaten in Anspruch genommen werden, die jetzt die Interessen aller ihrer Volksangehörigen verträten. 13 Vgl. Movchan (USSR), AlAC.125/SR.46, S.6; ähnlich auch Dabrova (Polen), AIAC.125/SR. 60, S. 5. 14 Vgl. Odogwu (Nigeria), AlAC.125/SR. 46, S.14; EI Reedy (VAR), AlAC. 125/SR.47, S.lO. 15 Vgl. etwa Shitta-Bey (Nigeria), AlAC.125/SR. 61, S.9.

15'

228 2. Kap.: G. Das Prinzip der Pfiichterfüllung nach Treu und Glauben Die von sozialistischen und afro-asiatischen Delegierten vorgebrachten Einschränkungen des Grundsatzes "pacta sunt servanda" stießen bei westlichen Vertretern auf wenig Gegenliebe. Die Kritik richtete sich gegen die apodiktische Form, in der im afro-asiatischen und im sozialistischen Entwurf die Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit nicht frei (freely conc1uded) und auf der Basis der Staatengleichheit eingegangener Verträge festgestellt wurde l6 • Man verwies auf die Rechtsunsicherheit, die eine derartige Formulierung des Prinzips heraufbeschwören könnte, weil sie die Pflicht zur Vertragserfüllung in das subjektive und von Eigeninteressen gekennzeichnete Belieben jedes einzelnen Staates legen würde. Wohl aus taktischen Gründen stellte man allerdings diese durchaus einsichtige Begründung der Ablehnung der Theorie von den ungleichen Verträgen nicht in den Vordergrund der Gegenargumentation, sondern legte das Schwergewicht eher auf die Unvollkommenheit, in der die genannten Entwürfe Stellung zur Frage der Nichtigkeit bzw. Anfechtbarkeit von Verträgen bezögen. Viele westliche Delegierte beriefen sich darauf, daß es nicht Aufgabe des Ausschusses sein könne, aus der Vielzahl der Nichtigkeits- oder Auflösungsgründe, wie etwa auch Irrtum, Täuschung, Kompetenzüberschreitung etc., lediglich zwei im übrigen umstrittene Gründe auszuwählen und im Deklarationstext niederzulegenl7 • Vielmehr sollte man diese Aufgabe der ILC überlassen, die ihrerseits im Rahmen der Kodifizierung des Vertragsrechtes auch auf die Nichtigkeit und Auflösbarkeit von Verträgen eingegangen sei. Sie bemängelten zudem, daß das Verlangen sozialistischer und afroasiatischer Vertreter weit über die Vertragsrechtskonzeption der ILC hinausginge, die keinen Hinweis auf ungleiche Verträge enthalte, sondern eine Nichtigkeit von Vereinbarungen neben den sonst unstreitigen Gründen nur dann annehme, wenn die Verträge auf Drohung oder Anwendung von Gewalt beruhtenl8 • Dieser Gegenargumentation wurde von sozialistischer Seite entgegengehalten, eine Entscheidung des Sonder ausschusses über die Einbeziehung ungleicher Verträge in die Nichtigkeits- und Vertrags auflösungsgründe könne der Diplomatenkonferenz bei ihrer Kodifikationsarbeit nur dienlich seinl9 ; im übrigen sahen sozialistische Delegierte ihre Vorstellung obwohl nicht expressiv verbis so doch konkludent in Art. 50 des Vertragsrechtsentwurfs der ILC (Art. 50 entspricht dem geringfügig

18 Vgl. Nabrit (USA), A1AC.125/SR.46, S.8; Miller (Kanada), A1AC.125/ SR. 46, S.16; Darwin (Vereinigtes Königreich), A1AC.125/SR. 46, S.12. 17 Vgl. Blix (Schweden), A1AC.125/SR. 61, S.12; Riphagen (Niederlande), A1AC.125/SR. 61, S. 18 fi. 18 Vgl. etwa Sinclair (Vereinigtes Königreich), A1AC.125/SR. 59, S.3. 19 Vgl. Dabrova (Polen), A1AC.125/SR.60, S.5.

3. Inhalt des Prinzips

229

veränderten Art. 53 der endgültigen Fassung) verwirklicht, der die Nichtigkeit eines Vertrages für den Fall bestimmt, daß er gegen eine unveräußerliche Norm des allgemeinen Völkerrechts verstoße20 • Die Delegierten räumten zwar ein, daß keine endgültige Klarheit darüber bestünde, was unveräußerliche Normen letztlich ausmachten, sie glaubten aber in die Liste dieser Normen die Prinzipien der Souveränität, der Staatengleichheit, der gleichen Rechte und des gegenseitigen Vorteils, und die Grundsätze der Selbstbestimmung und der Nichtintervention einordnen zu können. Verträge, die diesen Prinzipien widersprächen, müßten als ungleich und gegen zwingende Normen des Völkerrechts verstoßend betrachtet werden, was ihre Nichtigkeit zur Folge habe. Noch einen, wenngleich bedenklichen Schritt weiter, in der Darstellung der Nichtigkeits- und Auflösungsgründe ging der sowjetische Delegierte, wenn er für den Fall einer proletarischen Revolution oder der Machtergreifung einer nationalen Befreiungsbewegung der neuen Regierung die freie Entscheidung über die weitere Erfüllung überkommener Verträge anheimstellen wollte 21 • Nach Ansicht dieses Delegierten beinhalten solche "fortschrittlichen" Systemveränderungen auch die Möglichkeit, die für die neue Staatsgewalt unannehmbaren Verpflichtungen zurückzuweisen. Nach der Darlegung dieser letztlich die Basis der gegebenen Völkerrechtsordnung angreifenden Theorie mußte sich der sowjetische Vertreter die Frage des amerikanischen Delegierten gefallen lassen, ob denn seine Theorie auch auf Situationen anzuwenden sei, in denen eine repräsentative demokratische Regierung durch ein diktatorisches Regime gestützt werde2 2 • Der sowjetische Delegierte wies diese Frage mit der Bemerkung zurück, die von ihm erwähnten "fortschrittlichen" Systemveränderungen hätten nichts mit der vom amerikanischen Vertreter geschilderten Situation zu tun. Wohl mit Rücksicht darauf, eine Präjudizierung und Erschwerung der Arbeit der ILC zum Vertragsrecht zu vermeiden und nicht zuletzt angesichts des Widerstandes westlicher Staaten, verzichteten sozialistische und afro-asiatische Delegierte schließlich auf eine ausdrückliche Formulierung der Theorie von den ungleichen Verträgen im Deklarationstext. Im Hinblick auf die Verpflichtung zur Erfüllung von Verträgen enthält der Text weder die einschränkende Formulierung "freely concluded" noch den Zusatz "concluded on the basis of equality". Stattdessen spricht der Text in seinem dritten Absatz nunmehr von der 20 21 22

Siehe etwa Marasescu (Rumänien), AIAC.125/SR. 61, S. 4. Kolesnik (USSR), AIAC.125/SR. 61, S. 22. Reis (USA), A/AC.125/SR.61, S.23.

230 2. Kap.: G. Das Prinzip der Pflichterfüllung nach Treu und Glauben

Verpflichtung der Staaten "to fulfil in good faith its obligations under international agreements valid under the generally recognized principles and rules of international law". Es stellt sich damit die Frage, ob diese Formulierung die von sozialistischer Seite behauptete Anerkennung der Theorie von den ungleichen Verträgen enthält, ob also die allgemein anerkannten Prinzipien und Regeln des Völkerrechts für die Gültigkeit von Verträgen ihren freien (freely concluded), auf der Grundlage der Staatengleichheit beruhenden Abschluß voraussetzen. a) Zur Haltung der sozialistischen Völkerrechtslehre In der sozialistischen Völkerrechtslehre nehmen die Stellungnahmen zum Grundsatz "pacta sunt servanda" breiten Raum ein. Man räumt zwar ein, daß dieses Prinzip eines der ältesten Prinzipien jeder Rechtsordnung sei, es habe aber seine Qualität und Bedeutung im Laufe der Geschichte mit der fortschreitenden gesellschaftlichen Entwicklung verändert23 j sein Funktionswandel ergebe sich aus dem völkerrechtlichen System, in das es eingeordnet sei. Im Gegensatz zum früheren bourgeoisen Völkerrecht werde das Prinzip nun nicht mehr absolut gesehen, sondern im Hinblick auf die jeweiligen Umstände des Vertragsabschlusses oder den Inhalt überkommener Völkerrechts normen relativiert. Daraus ergebe sich, daß eine Verpflichtung zur Vertragserfüllung dann nicht abgeleitet werden könne, wenn bei Vertragsabschluß die in der Charta niedergelegten völkerrechtlichen Prinzipien verletzt worden seien, wenn also der überragende Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten nicht gewahrt ist. Trotz der grundsätzlichen Anerkennung der Theorie von den ungleichen Verträgen als Norm des geltenden Völkerrechts läßt sich allerdings in der sozialistischen Völkerrechtslehre eine gewisse Verschiedenartigkeit bei der Beurteilung der Rechtsfolgen solcher den allgemeinen Prinzipien widersprechenden Verträge feststellen. Während etwa Tunkin, Lewin, Graefrath und Schurschalow von der ex tunc Nichtigkeit ungleicher Verträge, mit deutlichem Bezug auf Art. 103 SVN, ausgehen, betrachtet Outrata sie 23 So Graefrath, Grundlegende Völkerrechtsprinzipien, s. 505 ff.; ähnlich auch Lewin, S. 297 f.; Outrata, On the Principle Pacta Sunt Servanda, S. 137; Schurschalow, Der juristische Inhalt des Prinzips pacta sunt servanda und seine Verwirklichung in den internationalen Beziehungen, S. 136; Starushenko, S.87; Tunkin, Der ideologische Kampf, S.407; ders., Völkerrechtstheorie, S.33. Zur sozialistischen Lehre von den ungleichen Verträgen siehe auch Bracht, Der nicht gleichberechtigende Vertrag im Völkerrecht, S. 207 ff., mit weiteren Nachweisen aus der sowjetischen Völkerrechtslehre; Grzybowski, S.41. Eine ähnliche Haltung nehmen auch Länder der Dritten Welt ein; vgl. hierzu Lissitzyn, International Law in a Divided World, S.56; Sinha, Perspective of the Newly Independent States on the Binding Quality of International Law, S. 124.

3. Inhalt des Prinzips

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eher als auflösbar, wobei er in realistischer Einschätzung der Theorie auf die Schwierigkeiten einer überzeugenden Definition des Begriffs der ungleichen Verträge hinweist. ß) Die Haltung der westlichen Völkerrechtslehre

Im Gegensatz zur sozialistischen Lehre steht die westliche Völkerrechtswissenschaft der Theorie von den ungleichen Verträgen sehr zurückhaltend und skeptisch gegenüber. Als gegen Prinzipien des Völkerrechts verstoßend und damit nichtig sieht die Mehrzahl westlicher Schriftsteller nur solche Verträge an - neben den allgemein anerkannten Nichtigkeitsgründen wie Irrtum, Täuschung etc. -, die durch Drohung oder Anwendung von Gewalt zustandegekommen sind!4. Obwohl man auch die Einflußmöglichkeiten wirtschaftlichen und ideologischen Zwanges auf den Abschluß von Verträgen nicht verkennt und solche Maßnahmen ablehnt, will man sie dennoch nicht als Grund für die Nichtigkeit oder Auflösbarkeit von Verträgen anerkennen. Viele Autoren begründen ihre Haltung mit der Feststellung, daß sich das Macht- und Zwangsmoment notwendigerweise in allen Bereichen zwischenstaatlicher Beziehungen auswirke und somit auch bei Verhandlungen über den Abschluß von Verträgen naturgemäß nicht auszuschließen sei; die Notwendigkeit einer einschränkenden Definition des für die Ungültigkeit von Verträgen relevanten Zwanges folge daher schon aus der Einsicht, nicht mit unklaren und einer umfassenden Definition nicht zugänglichen Ausweitung des Zwangsbegriffs das ganze Vertragsgebäude zu erschüttern. Detter weist noch auf einen weiteren Gesichtspunkt hin, der im gegenwärtigen Entwicklungsstadium des Völkerrechts nur gegen die Anerkennung einer extensiven Auslegung des Zwangsbegriffs sprechen könne. Sie stellt die im Rahmen der Theorie von den ungleichen Verträgen entstehende Frage, wer denn zum Richter über die Gültigkeit eines durch wirtschaftlichen oder ideologischen Druck zustandegekommenen Vertrages berufen sei, wer also im Einzelfall die Kriterien für die Nichtigkeit aufstelle. Ihre Antwort lautet, daß dies nicht dem betroffenen Staat überlassen bleiben könne, weil dann "the rule of law between nations would not be respected if astate could terminate an international agreement quite unilaterally under the pretext, that it were enslawing"25. Einer Erweiterung des im Rahmen des Vertrags24 Vgl. etwa Akehurst, S.l71; Bindschedler, Völkerrechtliche Verträge und Zwang, S.312; Detter, The Problem of Unequal Treaties, S.1082, 1087; Paul, The Legal Consequences of Conflict between a Treaty and an Imperative Norm of General International Law, S.37; ebenso wohl auch Brownlie, Principles, S. 495 ff. 25 Detter, Unequal Treaties, S. 1082.

232 2. Kap.: G. Das Prinzip der Pflichterfüllung nach Treu und Glauben

rechts relevanten Zwangs begriffs will sie nur zustimmen, wenn das Verfahren einer Nichtigkeits- oder Auflösungserklärung in die Hände eines unparteiischen internationalen Gremiums gelegt würde, das die Gewähr für eine Entscheidung frei von Willkür und Interessenkollision bietet26 • y) Ergebnis

Im Ergebnis dürfte westlichen Autoren zuzustimmen sein, welche einer Ausweitung der Theorie von den ungleichen Verträgen über die allgemein anerkannten Nichtigkeits- und Auflösungsgründe hinaus widersprechen. Insbesondere kann nicht der Zwangsbegriff so weit ausgelegt werden, daß er über die Formen bewaffneter Gewalt des Art. 2 Abs. 4 SVN hinaus im gegenwärtigen Stadium der Völkerrechtsentwicklung auch wirtschaftlichen, ideologischen und politischen Druck der bei Abschluß eines völkerrechtlichen Vertrages angewandt wurde, in die Nichtigkeits- und Auflösungsgründe einbezieht. Es lassen sich für diese Feststellung drei maßgebliche Gründe anführen. aa) Die Beschränkung auf Drohung oder Anwendung von Gewalt

in Art. 52 der Wiener Vertragsrechtskonvention

In den Artikeln 46-53 der Wiener Vertragsrechtskonvention, welche die Ungültigkeit völkerrechtlicher Verträge regeln, ist im Rahmen der Nichtigkeitsgründe auf Grund von Zwang gegenüber Staaten zustandegekommener Verträge lediglich von Drohung oder Anwendung von Gewalt die Rede27 • Daß hier der Begriff der Gewalt nicht anders verstanden werden kann als in der Formulierung des Deklarationstextes selbst, nämlich als bewaffnete Gewalt im Sinne des Art. 2 Abs.4 SVN, dürfte einleuchtend sein28 • Im übrigen hätte es in einer umfassenden Darlegung der zur Ungültigkeit von Verträgen führenden Gründe, wie sie die Wiener Vertragsrechtskonvention vorgenommen hat, nahe gelegen, auch weitere mögliche Nichtigkeitsgründe, welche das Merkmal des Zwanges enthalten, aufzuführen. Da dies hinsichtlich nichtmilitärischer Pressionen, die zum Abschluß von Verträgen geführt haben, nicht geschehen ist, kann man davon ausgehen, daß politischer, wirt26

Detter, ebd., S.1087.

Art. 52: "A treaty is void if its conclusion has been procured by the threat or use of force in violation of the principles of international law embodied in the Charter of the United Nations." Die Konvention ist abgedruckt in AJIL 63, 1969, S. 875 ff. 28 So auch Nahlik, The Grounds of InvaIidity and Termination of Treaties, S.744; Neuhold, Die Wiener Vertragsrechtskonvention 1969, S.40; Partridge, Political and Economic Coercion: Within the Ambit of Art. 52 of the Vienna Convention on the Law of Treaties?, S.767. 27

3. Inhalt des Prinzips

233

schaftlicher oder ideologischer Druck nicht die Ungültigkeit von Verträgen zur Folge haben sollte. Dieser Argumentation ließe sich entgegenhalten, sie stütze sich auf Bestimmungen eines Vertragswerkes, das bislang noch nicht in Kraft getreten ist. Der Einwand läßt sich jedoch mit dem Hinweis entkräften, daß die Formulierung der Konvention auf der Zusammenarbeit und der "Willensübereinstimmung" von über 100 Staaten beruht und daher bereits im gegenwärtigen Stadium entscheidende völkerrechtliche Relevanz besitzt29 • ßß) Ungleiche Verträge kein Verstoß gegen ius cogens

(Art. 53 Wiener Vertragsrechtskonvention)

Der oben dargelegten Argumentation mag weiter vorgehalten werden, sie berücksichtige nicht, daß Art. 53 Wiener Vertragsrechtskonvention auch solche Verträge für ungültig erklärt, die im Zeitpunkt ihres Abschlusses einer unabdingbaren Norm des allgemeinen Völkerrechts widersprechen3o • Unabdingbare Normen aber seien in den durch Art. 2 SVN niedergelegten Prinzipien wie dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten und der Nichtintervention zu erblicken. Verträge, die nicht im Einklang mit diesen Prinzipien stünden, müßten folglich in Anwendung des Art. 53 Wiener Vertragsrechtskonvention als nichtig betrachtet werden. Eine Beurteilung dieser Gegenvorstellung setzt zunächst eine Klärung des Rechtscharakters der in Art. 2 SVN enthaltenen Prinzipien voraus. Einen Anhaltspunkt hierfür bietet Art. 53 Wiener Vertragsrechtskonvention selbst, der unter einer unabdingbaren Norm des allgemeinen Völkerrechts eine Norm versteht, von der eine Abweichung nicht zulässig ist und die lediglich durch eine nachfolgende Norm des allgemeinen Völkerrechts mit gleichem Rechtscharakter modifiziert werden kann. Zwar enthält die Konvention selbst keine Definition dessen, was eine ius-cogens-Norm des allgemeinen Völkerrechts ausmacht; wenn jedoch Art.53 Wiener Vertragsrechtskonvention als Merkmal einer solchen Norm ihre Unabdingbarkeit bezeichnet - die Zulässigkeit %9 Zum "norm-creating"-Charakter von Bestimmungen internationaler Konventionen vgI. insbesondere das Urteil des IGH zum FestlandsockeIfall (ICJ 1969, North Sea Continental Shelf Judgement, S. 41 ff.). 30 Art. 53 "A treaty is void if, at the time of its conclusion, it conflicts with a peremptory norm of general international law. For the purposes of the present Convention, a peremptory norm of general international law is a norm accepted and recognized by the international community of states as a whole as a norm from which no derogation is permitted and which can be modified only by a subsequent norm of general international law having the same character.... VgI. auch den Kommentar der ILC zu Art.50 des Entwurfs der Vertragsrechtskonvention, in GAOR, XXI, Supplement 9, S. 76 f.

234 2. Kap.: G. Das Prinzip der Pfiichterfüllung nach Treu und Glauben

ihrer Modifizierung ("can be modified") durch eine Norm gleichen Rechtscharakters schließt die inhaltliche Abänderung mit dem Ziel der Aufhebung der ius cogens Bestimmung aus -, so liegt darin bereits eine Qualifikation der in Frage kommenden Bestimmungen des allgemeinen Völkerrechts. Es muß sich um Normen fundamentalen Charakters handeln, die nicht nur bestimmt sind, die Bedürfnisse eines einzelnen Staates zu befriedigen; sie müssen vielmehr "the higher interest of the whole international community"31 dienen und als Ausfluß dieser Funktion unmittelbar das einzelstaatliche Sein sichern32 • Die Garantiefunktion einer ius cogens Norm für den Bestand der Staatengemeinschaft als Ganzes birgt - wenn dieser Schutz sinnvoll sein soll - gleichzeitig Garantie und absolute Verpflichtung zu normgerechtem Verhalten für den Einzelstaat als Glied der Gemeinschaft. Nur wenige Normen, die zusätzlich von der gesamten Staatengemeinschaft anerkannt sein müssen, erfüllen die genannten Voraussetzungen33 • Unzweifelhaft fällt das Gewaltverbot des Art. 2 Abs. 4 SVN in diese Kategorie34 • Es sichert nicht nur die Existenz der Einzelstaaten, sondern im Zeitalter der Massenvernichtungsmittel auch die der gesamten Völkergemeinschaft. Wenn in der Präambel zur Charta der Vereinten Nationen die Entschlossenheit der Gründerstaaten zum Ausdruck kommt, "künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat" und in Art. 1 SVN das Ziel, das alle Mitglieder zu verfolgen sich verpflichten, nämlich den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren, niedergelegt ist, so dürfte sich daraus in Verbindung mit Art. 2 Abs.4 SVN das absolute Recht der Staatengemeinschaft auf Frieden ableiten lassen35 • Als Leitprinzip der gegen31 So Verdross, Ius Dispositivum and Ius Cogens in International Law, S.58; ähnlich auch Scheuner, Conflict of Treaty Provisions with a Peremptory Norm of International Law and its Consequences, S.531; zur ius cogens Problematik vgl. im einzelnen weiter etwa Martensen, Ius Cogens im Völkerrecht. Gibt es bindende Normen im Völkerrecht, die durch völkerrechtliche Verträge nicht aufgehoben werden können?, S.160 ff.; Paul, S.19 ff.; Schweitzer, Ius Cogens im Völkerrecht, S. 197 ff. Eine ablehnende Haltung gegenüber dem ius cogens Institut nimmt Schwarzenberger ein. Er ist der Ansicht, jede Norm des Völkergewohnheitsrechtes und jedes allgemeine Rechtsprinzip im Sinne des Art. 38 Abs. 1 c IGH-Statut sei mit Einwilligung der betroffenen Parteien modifizierbar und sogar derogierbar. Vgl. The Inductive Approach to International Law, S. 100. 32 Vgl. Martensen, S.80. 33 Vgl. Akehurst, S.61. 34 So auch Akehurst, S.61; Martensen, S. 160 ff.; Menzel, VR, S.106; Paul, S. 35; Schweisfurth, Breshnew-Doktrin als Norm des Völkerrechts, S.537; Schweitzer, Erleidet das Gewaltverbot Modifikationen im Bereich von Einfiußzonen?, S.244; Tunkin, Völkerrechtstheorie, S. 78 f.; Verdross, Ius Cogens, S.60. 35 Vgl. auch Martensen, S. 160 ff.

3. Inhalt des Prinzips

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wärtigen Völkerrechtsordnung entzieht sich das Gewaltverbot somit der Disposition durch die Einzelstaaten. Die Staaten können in ihren völkerrechtlichen Beziehungen das Gewaltverbot nicht aufheben. Eine andere Entscheidung ergibt sich bei Betrachtung der Prinzipien der Souveränität und des Interventionsverbotes36 • Wenngleich das Souveränitätsprinzip Voraussetzung für die Existenz einer Völkerrechtsordnung und damit von Staaten ist, das Interventionsverbot dem Schutz der Staatensouveränität und damit einer gesicherten Völkerrechtsordnung dient, und daher beide Prinzipien in ihrer Eigenschaft als Grundprinzipien des Völkerrechts ius cogens Charakter besitzen - denn die Auflösung dieser Prinzipien würde das Wesen der Staatlichkeit im völkerrechtlichen Sinne zerstören -, so folgt daraus doch nicht, daß die sich aus dem unabdingbaren Kern der genannten Prinzipien für die Einzelstaaten ergebenden Rechte und Pflichten nicht derogierbar wären. Solange es Staaten gibt, bleibt nur der Kern dieser Prinzipien ius cogens, weil er Voraussetzung für die Existenz der Völkerrechtsordnung ist, also eine institutionelle Garantie vergleichbar der des Art. 28 Grundgesetz enthä1t37 • Es besteht somit beim Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten die Möglichkeit, auf die Ausübung von Rechten und Pflichten, die sich aus der staatlichen Souveränität ergeben, zugunsten anderer Staaten oder supranationaler Organisationen zu verzichten. Der Verzicht läßt sich sogar bis hin zur völligen staatlichen Selbstauflösung und der überführung in ein anderes Staatsgebilde denken; denn in dem Bestreben der Herstellung einer dauerhaften Friedensordnung muß gerade der Charta der Vereinten Nationen das Leitbild vom Abbau zwangsläufig konvergierender Souveränitätsinteressen und damit die Überführung von Souveränitätsrechten auf größere, möglicherweise überstaatliche Gemeinschaften innewohnen. Einen Ansatz in dieser Richtung bietet bereits die Organisation der Vereinten Nationen selbst. Aus der Abdingbarkeit von Souveränitätsrechten ergibt sich die Relativierung des Prinzips der Nichtintervention; denn der Verzicht auf 36 So auch Bindschedter, Betrachtungen über die Souveränität, S. 173; Martensen, S. 155; Paut, S.37; Schwarzenberger, The Problem of Inter-

national Public Policy, S. 194. Die genannten Autoren beziehen ihre Aussage auf das Prinzip der Souveränität als solches und differzenzieren nicht zwischen nicht derogierbarem Kern (institutionelle Garantie) und den sich aus ihm ableitenden Rechten und Pflichten, die zur Disposition der Staaten stehen. Anders die sozialistische Literatur. Vgl. etwa Lachs, The Law of Treaties, S. 399, der alle in Art. 2 SVN genannten Prinzipien als ius cogens ansieht. Darüber hinaus betrachtet er auch das Prinzip der Selbstbestimmung der Völker als eine unabänderliche Norm des allgemeinen Völkerrechts; ähnlich wohl auch Tunkin, Völkerrechtstheorie, S. 33. 37 Anders Schwarzenberger, International Ius Cogens?, S. 120 f., der dem Souveränitätsprinzip keinen ius cogens-Charakter zubilligen will.

236 2. Kap.: G. Das Prinzip der Pflichterfüllung nach Treu und Glauben

Souveränitätsrechte, welche die Angelegenheiten des vorbehaltenen inneren und äußeren Hoheitsbereiches umfassen, bewirkt die Zulässigkeit der Einflußnahme durch diejenigen Hoheitsträger, an die Souveränitätsrechte abgegeben worden sind. In solchen Fällen kann von Intervention letztlich nicht mehr gesprochen werden, weil sich mit dem Begriff Intervention - wie dargelegt - nur die völkerrechtswidrige zwischenstaatliche Einflußnahme verbindet38 • Dem hier entwickelten Konzept könnte weiter der Vorwurf gemacht werden, es differenziere in unzulässiger Weise zwischen einem abdingbaren Interventionsverbot und einem unabänderlichen Gewaltverbot; wo eine Einflußnahme unterhalb der Gewaltschwelle zugelassen werden könne, müsse sie auch mit den Mitteln militärischer Gewalt erlaubt sein. Diese Argumentation verkennt jedoch die grundlegenden Unterschiedlichkeiten zwischen Interventions- und Gewaltverbot. Im Gegensatz zum Gewaltverbot läßt sich im Bereich des Interventionsverbotes ein Verzicht auf Souveränitätsrechte vorstellen, der einem anderen Hoheitsträger Einflußnahmen in den bisher vorbehaltenen Hoheitsbereich gestattet, wobei dennoch der verzichtende Staat seine Völkerrechtssubjektivität nicht aufgibt. Anders liegt es im Falle des Gewaltverbotes. Gewalt im Sinne des Art. 2 Abs. 4 SVN richtet sich seinem Wesen nach immer gegen das Völkerrechtssubjekt Staat. Da die Völkerrechtsordnung von einem nahezu absoluten, nur durch wenige eng begrenzte Ausnahmen gekennzeichneten Gewaltverbot ausgeht, besitzen die einzelnen Staaten im Bereich der gewaltsamen Mittel keinen Entscheidungsspielraum, der es ihnen erlauben würde, bewaffnete Gewalt anderer Staaten gegen den eigenen militärischen Widerstand zuzulassen. Gewalt im zwischenstaatlichen Rahmen unterliegt nicht - wie absurd diese Vorstellung auch sein mag - der Sanktionierung durch den Staat, gegen den sie sich richtet. Vielmehr wird die Gewaltanwendung erst dann zulässig, wenn ein Staat alle seine Souveränitätsrechte und damit seine Völkerrechtssubjektivität zugunsten des Gewaltanwendenden aufgegeben hat. In einem solchen Falle trägt die Gewaltanwendung keine völkerrechtliche Relevanz mehr, da sie nicht die Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 4 SVN erfüllt, der nur die Gewaltanwendung im zwischenstaatlichen Bereich verbietet. Der Unterschied zwischen Interventions- und Gewaltverbot besteht somit darin, daß die im Interventionsverbot enthaltenen Rechte und Pflichten abdingbar sind, ohne daß der Souveränitätsrechte aufgebende Staat damit gleichzeitig auch seine Völkerrechtssubjektivität verlöre. Weder die Normen, die sich aus dem Prinzip der souveränen Gleichheit 38

Vgl. die Erörterungen zum Interventionsverbot, 2. Kap. B, 5.

3. Inhalt des Prinzips

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der Staaten noch dem des Interventionsverbotes ergeben, stellen also unabänderliche Bestimmungen im Sinne des Art. 53 Wiener Vertragsrechtskonvention dar. Wenn aber die Rechte und Pflichten, die sich aus den genannten Pdnzipien für die Einzelstaaten ableiten, derogierbar sind, können Einflußnahmen unterhalb der Gewaltschwelle wie etwa politische oder wirtschaftliche Pressionen, die zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge geführt haben, nicht unter Berufung auf Art. 53 Wiener Vertragsrechtskonvention die Ungültigkeit dieser Verträge bewirken.

rr) Anerkennung der Doktrin von den ungleichen Verträgen eine Gefahr für die Rechtssicherheit

Ein entscheidender Grund, der auch die Wiener Dip1omatenkonferenz veranlaßt haben dürfte, Einflußnahmen auf den Abschluß von Verträgen, die unterhalb der Gewaltschwelle stattfinden, nicht als Nichtigkeits- oder Auflösungsgründe in die Konvention aufzunehmen, mag in der Erkenntnis der Gefahr eines solchen Vorgehens für die Rechtssicherheit gelegen haben. Im übrigen sind auch Pressionen und Einflußnahmen wirtschaftlicher Art aus dem zwischenstaatlichen Verkehr ebensowenig hinwegzudenken wie wirtschaftlicher oder moralischer Zwang im innerstaatlichen, privaten Bereich. Eine Gefahr bedeuten jedoch solche Druckmittel, die das im völkerrechtlichen Verkehr übliche und damit sozialadäquate Maß übersteigen. Obwohl derartige Völkerrechtsverletzungen letztlich nach unmittelbaren Sanktionen rufen, darf im Interesse des in jeder Rechtsordnung geltenden überragenden Prinzips der Rechtssicherheit die Beurteilung des rechtlichen Charakters von Zwangsmaßnahmen nicht ausschließlich dem subjektiven von politischen und ideologischen Vorstellungen beeinflußten Ermessen des jeweils betroffenen Staates überlassen bleiben. Zu leicht würden Verträge unter solchen Voraussetzungen Opfer der jeweiligen Interessenverschiebungen, die ihrerseits die Konstruktion von Nichtigkeits- und Auflösungsgründen liefern könnten. Vielmehr muß sich in Fällen, in denen vermeintlich völkerrechtswidriger Zwang den Abschluß von Verträgen begünstigt hat, in Ermangelung eines mit Entscheidungsbefugnis ausgestatteten internationalen Gremiums, der betroffene Staat auf die Möglichkeiten und Mittel der friedlichen Streiterledigung verweisen lassen. Die ultima ratio dürfte auch hier die Inanspruchnahme der Möglichkeiten politischer Einflußnahmen durch Organe der Vereinten Nationen sein.

238 2. Kap.: G. Das Prinzip der Pfiichterfüllung nach Treu und Glauben bb) Zur Anwendung des Grundsatzes auf das allgemeine Völkergewohnheitsrecht Daß der Grundsatz pacta sunt servanda nicht nur auf das Vertragsrecht beschränkt ist, sondern darüber hinaus seine entscheidende Funktion auch im allgemeinen Völkerrecht erfüllen muß, dokumentierten die Delegierten im zweiten Absatz des Deklarationstextes zum vorliegenden Prinzip. Wenngleich über die Gültigkeit dieses Grundsatzes auch in diesem Bereich jeglicher Zweifel ausgeschlossen war, so bestand doch Uneinigkeit darüber, welche Normen des Völkergewohnheitsrechts erfaßt werden sollten39 • Angesichts der sozialistischen Einstellung zur Entstehung von Völkerrecht mußte der während der zweiten Sitzungsperiode von einer Arbeitsgruppe erstellte Formulierungsvorschlag zwangsläufig auf den Widerstand sozialistischer Delegierter stoßen. Der Entwurf legte die Verpflichtung jedes Staates nieder "to fulfil in good faith its obligations under the principles and rules of general international law". Die Kritiker der Formulierung sahen in ihr das Wesen des Völkerrechts zu wenig berücksichtigt, zumal der Text in undifferenzierter Weise eine Verpflichtung zur Einhaltung von Prinzipien und Normen aufstelle, die möglicherweise von sozialistischen Staaten gar nicht anerkannt würden. In der Ablehnung des Entwurfs drückte sich die Haltung des Ostblocks aus, welcher die Normen des geltenden Völkergewohnheitsrechtes als Ergebnis eines Prozesses der Willensabstimmung der Staaten über Inhalt und Geltungsgrund der jeweiligen Norm betrachtet40 • Dem sozialistischen Verlangen nach einer Formulierung, die nur solche Prinzipien und Bestimmungen des allgemeinen Völkerrechts der Verpflichtung des "pacta sunt servanda" unterstellt, die allgemein anerkannt sind, gaben westliche Delegationen schließlich in der dritten Sitzungsperiode mit der Formulierung "every State has the duty to fulfil in good faith its obligations under the generally recognized principles and rules of international law" nach41 • Die extrem voluntaristische Völkerrechtskonzeption dürfte jedoch auch in den Worten "generally Vgl. hierzu auch Houben, S. 726 f. Vgl. etwa Tunkin, Der Ideologische Kampf, S. 344 ff. 41 Die Absätze 1, 2, 3, 5 des britischen Resolutionsentwurfs zur dritten Sitzungsperiode des Sonderausschusses wurden wörtlich in den Deklarationstext übernommen, vgl. N AC.125/L. 44, part VII, in GAOR, XXII, Annexes, agenda item 87, S. 37; über den Absatz 4 des Entwurfs konnte keine Einigung erzielt werden: "Obligations under international agreements and other obligations under international law may not be lawfully avoided by reason of either national law or national policy." Eine Aufnahme dieser Formulierung in den Deklarationstext erübrigt sich auch deshalb, weil sich sein Gehalt bereits im zweiten und dritten Absatz des endgültigen Textes widerspiegelt. 39

40

3. Inhalt des Prinzips

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recognized" zurückgewiesen sein, da sie gerade deutlich machen, daß die völkerrechtliche Relevanz einer Norm nicht ihre unbedingte Anerkennung durch alle Staaten voraussetzt. Die Formulierung im Deklarationstext entspricht insofern auch dem geltenden internationalen Recht. b) Der Grundsatz von Treu und Glauben

Eine Verpflichtung zur Erfüllung vertraglicher oder allgemein völkerrechtlicher Obligationen kann sich nur in den Kategorien von Treu und Glauben ergeben. Diese bereits in Art. 2 Abs. 2 SVN enthaltene Erkenntnis hat sich im vorliegenden Deklarationstext niedergeschlagen. Zwar waren viele Delegierte mit dem im Text niedergelegten Zusatz der Pflichterfüllung nach Treu und Glauben (in good faith) wegen seiner Unwägbarkeit nicht ganz zufrieden, sie vermochten jedoch keine eigene für einen Prinzipienkatalog geeignete interpretative Formulierung vorzuschlagen42 • Man bekannte einerseits, daß sich Beispiele insbesondere für "schlecht gläubige" Pflichterfüllung anführen ließen, hielt es aber andererseits für gesetzestechnisch ungünstig, nur eine willkürliche Auswahl von Regelbeispielen anzuführen. Wenngleich der Versuch einer umfassenden Interpretation des Grundsatzes von Treu und Glauben von vornherein zum Scheitern verurteilt sein dürfte, so gibt doch die Bemerkung des niederländischen Delegierten im 6. Ausschuß einen Anhaltspunkt dafür, wie der Grundsatz in der vorliegenden Kodifikation verstanden werden sollte: "good faith means first, objectivity in the self-interpretation by States of accepted obligations, and secondly, self-restraint by States in the application of rules which, although not positively accepted by individual States, follow from custom and reason43 ." c) Der Vorrang der Chartaverpflichtungen (Art. 103 SVN)

Im vierten Absatz des Textes zum vorliegenden Prinzip wurde der Vorrang der Chartaverpflichtungen vor ihnen widersprechenden Vereinbarungen der Staaten niedergelegt, um damit jeden Zweifel darüber zu beseitigen, daß solche Verträge nicht die Verpflichtung ihrer Erfüllung in sich bergen. Die vereinbarte Formulierung enthält den Gedan-

42 Vgl. etwa Sinha (Indien), AlAC.125/SR.45, S. 5 f.; Darwin (Vereinigtes Königreich), A/AC.125/SR. 46, S.lO f.; Pechota (Tschechoslowakei), AlAC.125/ SR. 45, S.7. 43 Tammes (Niederlande), AlC.6/SR. 874, p.12 (Sitzung vom 12.11.1965); ähnlich auch Miller (Kanada), AlAC.125/SR.46, S.15.

240 2. Kap.: G. Das Prinzip der Pflichterfüllung nach Treu und Glauben

ken des Art. 103 SVN44. Sie gab im übrigen zu Meinungsverschiedenheiten unter den Delegierten keinen Anlaß. 4. Ergebnis

Der Deklarationstext zum Prinzip der Pflichterfüllung nach Treu und Glauben entspricht geltendem Völkerrecht.

44 Art. 103 SVN: "In the event of a conflict between the obligations of the Members of the United Nations under the present Charter and their obligations under any other international agreement, their obligations under the present Charter shall prevail."

Drittes Kapitel

Die Bindungswirkung der Deklaration gegenüber der Staatengemeinschaft 1. Stellungnahmen im SonderaussdluB

Die letzte Sitzung des Sonderausschusses vom 1. Mai 1970 nahmen viele Delegierte zum Anlaß für eine kurze Wertung der Ergebnisse ihrer sechsjährigen Arbeiten. Wenngleich manche Staatenvertreter endgültige Stellungnahmen wegen fehlender Weisungen ihrer Regierung vermieden, so hielten doch auch sie mit einer Würdigung der Zusammenarbeit der Staaten, die sich hier im kleinen Bereich beispielhaft gezeigt habe, nicht zurück. Alle Delegierten räumten ein, daß der Deklarationstext letztlich nur als ein Kompromiß der oftmals in vielen Punkten divergierenden Rechtsauffassungen betrachtet werden könne und noch weiterer Verbesserungen bedürfe1 ; diese "Unzulänglichkeit" habe man jedoch bewußt in Kauf genommen, als man das Konsensprinzip zur Arbeitsgrundlage des Ausschusses bestimmte; es vermöge letztlich einer Kodifikation von Völkerrechtsgrundsätzen größere Bedeutung zu verleihen als eine auf der Grundlage von Mehrheitsentscheidungen zustandegekommene Formulierung2 • In der Beurteilung des Rechtscharakters der Deklaration offenbarten sich die unterschiedlichen Meinungen der Delegationen; sie reichten von der Anerkennung des Textes als authentischer Festlegung des geltenden Völkerrechts bis hin zur Verneinung einer rechtlichen Bindungswirkung. Delegierte afro-asiatischer Länder verzeichneten in ihren Schlußbemerkungen mit Genugtuung, daß die Tätigkeit des Sonderausschusses gerade den Entwicklungsländern Gelegenheit gegeben habe, die

1 Vgl. etwa Barboza (Argentinien), AlAC.125/SR.114, S.31; Riphagen (Niederlande), AlAC.125/SR.114, S.53; Sinclair (Vereinigtes Königreich), AlAC.125/SR. 114, S. 70 f. 2 Vgl. Sahovic (Jugoslawien), AlAC.125/SR. 114, S.51; Shitta-Bey (Nigeria), AlAC.125/SR.114, S.58; EI Reedy (VAR), AlAC.125/SR.114, S.76.

16 Graf zu Dohna

242

3. Kap.: Bindungswirkung der Deklaration

progressive Weiterentwicklung des Völkerrechts zu fördern 3 ; Probleme und Hoffnungen dieser Länder spiegeln sich nach Meinung des Vertreters Kameruns in großer Zahl im Deklarationstext wider. Die Deklaration müsse daher als ein Meilenstein in der Entwicklung des Völkerrechts angesehen werden4 • Soweit diese Delegierten zum Rechtscharakter der Deklaration Stellung bezogen, bezeichneten sie die Formulierungen als authentische Interpretation des Völkerrechts, die auf den zahlreichen multilateralen Verträgen, der Satzung der Vereinten Nationen und nicht zuletzt auf den grundlegenden Prinzipien menschlicher Vernunft beruhten5 • Beredte Unterstützung in der Anerkennung des Rechtscharakters der niedergelegten Prinzipien fanden afro-asiatische Vertreter durch Delegationen lateinamerikanischer Staaten6 • So hielt etwa der venezolanische Delegierte den Deklarationstext für die zeitgemäße Ausformung der Grundprinzipien der Charta und des allgemeinen Völkerrechts, die sowohl das Völkerrechtsverständnis als auch die Praxis der zivilisierten Staaten erfasse und daher in seiner überragenden Bedeutung für die Aufrechterhaltung von Frieden und Sicherheit eine authentische Wiedergabe von ius cogens darstelle. Ebenso wie diese Delegierten traten auch Vertreter sozialistischer Staaten für die Rechtsverbindlichkeit der Deklaration ein7 • Schon während der Arbeiten an den Prinzipien hatten sie deutlich gemacht, daß sie die sieben Völkerrechtsgrundsätze und damit auch den Text in der jeweiligen Fassung für rechtlich bindend betrachteten. Man unterstrich während der Diskussionen immer wieder den besonderen Charakter der Prinzipien, die insbesondere von der sowjetischen Delegation als die Grundsätze der friedlichen Koexistenz bezeichnet wurden. Unzweifelhaft sah die sowjetische Seite in den Formulierungen der Deklaration das ideologische Konzept der friedlichen Koexistenz verwirklicht und damit den Anwendungsbereich der Prinzipien beschränkt auf die Beziehungen zwischen antagonistischen Staats- und Gesellschaftsformen einerseits und das Verhältnis kapitalistischer Staaten untereinander andererseits. Wenngleich die aufgezeigte Konzeption in den Debatten des Sonderausschusses nicht offen ausgesprochen wurde, so ergibt sich doch aus dem sowjetischen Verständnis des Koexistenzbegriffs die Vorstellung, daß die Beziehungen zwischen den Staaten des sozialistischen Blocks dagegen von den Prinzipien des sozialistischen InterVgl. etwa Engo (Kamerun), AJAC.125/SR. 114, S.49. So auch Njenga (Kenia), AJAC.125/SR. 114, S.59. 6 Vgl. Krishnan (Indien), A/AC.125/SR. 114, S.68. ß Hamilton (Chile), AJAC.125/SR.114, S.30; Molina Landaeta (Venezuela), AJAC.125/SR. 114, S.34. 7 Vgl. etwa Critescu (Rumänien), AJAC.125/SR.114, S. 37 ff. 3

4

1. Stellungnahmen im Sonderausschuß

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nationalismus geleitet werden, die unbeeinflußt von Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen sich allein an den ideologischen Erfordernissen und Zielen des Marxismus-Leninismus ausrichten8 • Uneingeschränkt kann diese Inhaltsbestimmung der Deklaration allerdings nur für die sowjetische Seite gelten; zwar wurden die vom Ausschuß behandelten Prinzipien auch von anderen sozialistischen Delegationen als die Grundsätze friedlicher Koexistenz bezeichnet, es läßt sich aber allein aus dieser Tatsache nicht entnehmen, ob damit das sowjetische Koexistenzverständnis gestützt werden sollte. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, daß während der letzten Sitzungsperiode des Sonderausschusses, mit Ausnahme des tschechoslowakischen Delegierten9 , kein Vertreter sozialistischer Staaten in der Würdigung des Erreichten von einer Kodifikation der Prinzipien der friedlichen Koexistenz sprach. Soweit es die sowjetische Delegation betrifft, läßt sich die Zurückhaltung in dieser Hinsicht wohl mit der Abneigung gegen eine andernfalls von westlicher Seite möglicherweise geforderte Klärung des völkerrechtlichen Anwendungsbereiches der in der Deklaration enthaltenen Prinzipien begründen. Im Gegensatz zu den anderen sozialistischen Delegierten, deren Haltung bezüglich des Anwendungsbereiches der Deklaration nicht klar zum Ausdruck kam, gab der Vertreter Rumäniens während der letzten Sitzung des Sonderausschusses unmißverständlich zu verstehen, daß sein Land die fundamentalen Prinzipien der Charta als für alle Staaten verbindlich betrachte10 • Die Deklaration unterstreiche die Bedeutung der Charta bei der Festigung des Rechts in den internationalen Beziehungen der Staaten. Eine eindeutige Absage an die Doktrin vom sozialistischen Internationalismus erteilte der Delegierte mit der besonderen Betonung der Staatensouveränität; gerade der Grundsatz der souveränen Gleichheit und der politischen Unabhängigkeit besitze für sein Land eine besondere Bedeutung11 • Rumänien respektiere in seinen internationalen Beziehungen - wie dies bereits durch seine Verfassung gefordert werde - die Souveränität und Unabhängigkeit anderer Staaten, erwarte diesen Respekt aber uneingeschränkt auch für sich selbst. In der Betonung eines ideologiefreien Souveränitätsgedankens wollte der rumänische Delegierte Unabhängigkeit und staatliche Eigenverantwortlichkeit auch unter den sozialistischen Staaten gewahrt und beachtet wissen; darin aber liegt eine Zurückweisung der sich aus der Doktrin vom proleta8 Siehe etwa Korowin, Proletarischer Internationalismus und Völkerrecht, S.73; Shurshalov, S. 62 f.; Tunkin, Völkerrechtstheorie, S. 487 f.; ders., Der ideologische Kampf, S. 410 f.; vgl. auch Grzybowski, S. 36 ff. 9 SIamova (Tschechoslowakei), AJAC.125/SR.113, S.19. 10 Critescu (Rumänien), AJAC.125/SR. 114, S.37. 11 Critescu (Rumänien), A/AC.125/SR.114, S.39; SR. 110, S. 2. 16"

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3. Kap.: Bindungswirkung der Deklaration

rischen Internationalismus ergebenden Theorie der beschränkten Souveränität sozialistischer Staaten. Während Delegierte afro-asiatischer, sozialistischer und lateinamerikanischer Staaten für einen Rechtsnormcharakter des Prinzipienkatalogs eintraten, wollten Vertreter westlicher Länder der Deklaration solche Bedeutung nicht zugestehen. Zwar räumten sie ein, die Formulierungen böten eine Richtschnur für das Verhalten der Staaten in ihren internationalen Beziehungen und seien daher von weitreichender Bedeutung, sie lehnten aber, wie immer auch der Prinzipienkatalog zu einer besseren und friedfertigeren Welt beitragen möge, seine undifferenzierte Anerkennung als bindendes Recht ab 12 • Mit diesen scharfen Worten sollte der Deklaration jedoch nicht jede rechtliche Bindungswirkung abgesprochen werden. Vielmehr wollte man lediglich die Forderung nach Rechtsverbindlichkeit derjenigen Formulierungen zurückweisen, die über geltendes Völkerrecht hinausgehen und somit eine progressive Weiterentwicklung von Völkerrecht darstellen. Die Äußerungen des italienischen Delegierten während der letzten Sitzungsperiode machen diese Einstellung deutlich: "The principles embodied in the declaration are principles of international law in so far as they exist as customary international law, or as part of other binding international instruments, or can be deduced therefrom1s." 2. Stellungnahmen der Völkerredltswissensdlaft zur Bindungswirkung von Resolutionen der Vereinten Nationen

Ebenso vielschichtig wie die im Sonderausschuß vertretenen Ansichten zum Rechtscharakter von Resolutionen sind auch die Stellungnahmen der Völkerrechtswissenschaft zu diesem Thema. Das Spektrum der Meinungen reicht von der völligen Ablehnung jeglicher Bindungswirkung bis hin zur Anerkennung der Resolutionen als Völkerrechtsquellen. Bei der Darstellung der Problematik differenzieren die meisten Autoren zwischen solchen Resolutionen der Vollversammlung, die sich an Organe der Vereinten Nationen richten und den Empfehlungen im politischen Bereich an die Adresse der Mitgliedstaaten14 • Die ersteren haben ohne Zweifel bindende Wirkung, da sie sich aus der Organisa12 Vgl. Reis (USA), A1AC.125/SR.114, S. 80; Virally (Frankreich), A1AC.125/ SR. 114, S.49; Sinclair (Vereinigtes Königreich). A1AC.125/SR. 114, S. 70 f. 13 Vgl. Arangio Ruiz (Italien). A1AC.125/SR.114. S.46. 14 Vgl. etwa Ermacora. Das Problem der Rechtsetzung durch internationale Organisationen. S.89; Kelsen. S.194 f.; Seidl-Hohenveldern. Das Recht der Internationalen Organisationen einschließlich der Supranationalen Gemeinschaften. S.198; Sloan. The Binding Force of a .Recommendation' of the General Assembly of the United Nations. S. 15 f.

2. Stellungnahmen der Völkerrechtswissenschaft

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tionsgewalt heraus ergeben, während der Rechtscharakter von Empfehlungen mit Außenwirkung noch immer Anlaß zu unterschiedlicher Beurteilung bietet. Einer der entschiedensten Verfechter einer Ablehnung des Rechtscharakters von Resolutionen der Vollversammlung ist Verdross 15 • Einer Erweiterung der Zuständigkeit der Vereinten Nationen zur Erzeugung neuen Völkerrechts stehen seiner Meinung nach verschiedene Bestimmungen der Charta eindeutig im Wege. Er nennt hier den Grundsatz der souveränen Gleichheit aller Mitglieder und Art. 18, der die Abstimmungsmodalitäten regelt; die Souveränität der Staaten werde beeinträchtigt, wenn der Minderheit durch Mehrheitsbeschluß Verpflichtungen im völkerrechtlichen Bereich auferlegt werden könnten. Von dem Grundsatz der souveränen Gleichheit gebe es nur eine Ausnahme, nämlich die Möglichkeit zu verbindlichen Anordnungen durch den Sicherheitsrat zur Sicherung oder Wiederherstellung des Friedens 16 • Verdross sieht seine ablehnende Haltung im übrigen durch Art. 38 IGH-Statut bestätigt, der bezüglich der Anwendung von Völkerrechtssätzen die Beschlüsse der Vollversammlung der Vereinten Nationen vermissen lasse, nicht dagegen etwa die Lehren der anerkannten Autoren! Eine Erklärung der Vollversammlung, welche neue völkerrechtliche Grundsätze proklamiere, so räumt Verdross ein, könne jedoch eine sog. materielle Rechtsquelle darstellen und als solche zur Bildung neuen Völkerrechts beitragen. Voraussetzung dafür sei, daß die Empfehlung Eingang in einen völkerrechtlichen Vertrag finde, oder durch nachfolgende Staatenpraxis als Völkergewohnheitsrecht anerkannt werde. Ebenso wie Verdross sieht auch Bohn17 Resolutionen der Vollversammlung nicht vom Rechtsquellenkatalog des Art. 38 IGH-Statut umfaßt. Mit dem Nachweis, daß mit Art. 38 IGH-Statut keine abschließende Regelung verbunden ist, erörtert Bohn allerdings die Frage, ob Resolutionen nicht jenseits der überkommenen Völkerrechtsquellen wie Vertrags- und Gewohnheitsrecht, nämlich als spontanes Recht Verbindlichkeit erlangen könnten18 • Er lehnt diese Möglichkeit ab, weil Resolutionen eher als Ausdruck einer allgemeinen opinio iuris betrachtet werden müßten und als solche nicht etwa eine tatsächliche übung enthielten, die doch wesentliche Voraussetzung für die Anerkennung spontanen Rechts sei. Soweit Resolutionen Völkergewohnheitsrecht wiedergeben, mißt er ihnen deklaratorische Bedeutung bei, soweit sie 15 Verdross, Kann die Generalversammlung der Vereinten Nationen das Völkerrecht weiterbilden?, S.692. 16 Ähnlich auch Kelsen, S.63; Vallat, S.231. 17 Bohn, S.137. 18 Ders., S. 138 f.

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3. Kap.: Bindungswirkung der Deklaration

eine Weiterentwicklung geltenden Rechts darstellen, könnten Resolutionen lediglich einen Rechtsfortbildungsprozeß einleiten oder beschleunigen, nicht dagegen bereits eine Bindungswirkung erzeugen19 • Eine ähnliche Grundposition nehmen Autoren wie Castaneda, Schwelb und Johnson ein20 • Auch sie verneinen eine per se-Verbindlichkeit von Resolutionen, verkennen dabei aber nicht den Beitrag, den Erklärungen der Vollversammlung für die Entwicklung von Regeln des Völkerrechts leisten können. Obwohl diese Erklärungen nicht selbst Rechtsquellen seien, besitzen sie nach Meinung der genannten Autoren eine gewisse Rechtswirkung, die sie zu Hilfsmitteln für die Bestimmung von Völkerrechtsnormen machen21 • Schwelb verweist in diesem Zusammenhang auf die im Rahmen der Vereinten Nationen zu beobachtende Tendenz einer Verwendung von Resolutionen als einer Methode zur Feststellung und Entwicklung des Rechts; der Grund der Kodifizierung und Weiterentwicklung des Rechts durch Resolutionen der Vollversammlung bestehe nicht in der Eröffnung einer möglichen weiteren, unmittelbaren Rechtsquelle, sondern vielmehr darin, Gehalt und Umfang derjenigen Normen festzulegen und zu verifizieren, welche die Erklärungen zum Gegenstand haben22 • Solche Resolutionen bedeuten nach Ansicht Castanedas daher eine wertvolle und manchmal sogar unersetzliche Möglichkeit zur Bestimmung und autoritativen Feststellung des Vorhandenseins einer Regel des Völkerrechts23 • Ausgehend von der rechtlichen Unverbindlichkeit von Resolutionen gegenüber den Mitgliedstaaten, die sich aus "cogent considerations of good government and administration" ergebe, sieht Lauterpacht dennoch eine Pflicht der Mitglieder der Vereinten Nationen, die Empfehlungen der Vollversammlung jedenfalls ernstlich in Erwägung zu

Ders., S. 160 ff. Castaneda, Legal Effects of the United Nations Resolutions, S.168 f.; Schwelb, Neue Etappen der Fortentwicklung des Völkerrechts durch die Vereinten Nationen, S.51; Johnson, The Effect of Resolutions of the Gen. Ass. of the UN, S. 121 f. 21 Ähnlich auch Anand, Attitudes, S.73; Sir Bailey, Making International Law in the United Nations, S.236; Friedmann, The Changing Structure, S.138 f.; Skubiszewski, Forms of Participation of International Organizations in the Lawmaking Process, S.795; Virally, The Sources of International Law, S.158; Wendte, S.128 ff. 22 Ähnlich Higgins, Development of International Law, S.5; Ermacora, S.91; Okoye, International Law and the New African States, S.197; Steinberger, S. 641 f.; Wenig, Die gesetzeskräftige Feststellung einer allgemeinen Regel des Völkerrechts durch das Bundesverfassungsgericht, S. 34. 23 Ähnlich Henkin, S. 168 f., der im übrigen eine gewisse politische Bindung der Staaten an die von ihnen unterstützten Resolutionen annimmt: "Nations that vote for a particular statement of law cannot act quite as though they had not done so." 19

20

2. Stellungnahmen der Völkerrechtswissenschaft

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ziehen24 • Dahm, der sich der von Lauterpacht vertretenen Meinung angeschlossen hat, gesteht zwar zu, daß die Erfüllung dieser Pflicht nicht überwacht werden könne, dies entbinde die Staaten jedoch nicht von einer Befolgung der Resolution unter dem Gesichtspunkt eines HandeIns nach Treu und Glauben25 • Eine weitere im Rahmen der dargestellten Meinung wesentliche Differenzierung bringt Higgins ins Spiel, wenn sie die Mehrheitsverhältnisse, aus denen eine Resolution erwachsen ist, als Maßstab für die nach Treu und Glauben erfolgende Abwägung der Gründe, die für und gegen die Befolgung einer Empfehlung sprechen, anführt26 ; je größer die Mehrheit für eine Resolution sei, desto eindrucksvollere moralische Kraft entfalte die Entschließung gegenüber der Staatengemeinschaft. Während sich die bisher angeführten Autoren gegen eine unmittelbare Rechtsverbindlichkeit von Resolutionen ausgesprochen haben, weisen Tunkin und Golsong die Möglichkeit einer direkten Bindungswirkung gegenüber den Staaten nicht von der Hand27 • Zwar gehen auch sie grundsätzlich von der Unverbindlichkeit der Empfehlungen der Vollversammlung aus, sie sind jedoch der Meinung, daß dem Verhalten der Staaten bei der Abstimmung entscheidende Bedeutung beigemessen werden müsse; da die Entstehung einer Völkerrechtsnorm ihre Anerkennung durch die Staaten voraussetze, bestehe durchaus die Möglichkeit, durch Resolutionen Völkerrecht zu schaffen. Dazu genügt nach Meinung Tunkins nicht allein die einstimmige Annahme der Erklärung, erforderlich ist vielmehr die Übereinstimmung des Willens der Staaten und die Anerkennung des Inhalts der Resolution als Regel des Völkerrechts; der Konsensus könne gelegentlich des Votums oder auch in einem nachfolgenden Verfahren zum Ausdruck gebracht werden28 • Ebenso wie Tunkin und Golsong schließt auch Thirlway die Möglichkeit der Rechtsbindung an Resolutionen der Vollversammlung nicht grundsätzlich aus29 • Während er für Entschließungen, die lediglich den Willen der Organisation als solcher wiedergeben, eine Rechtsverbind24 Lauterpacht im Sondervotum zu dem Rechtsgutachten des IGH über das Abstimmungsverfahren für Südwest-Afrika, in ICJ Reports 1955, S. 116, 119. 25 Dahm, VR Bd 1, S. 26 f. 26 Higgins, Development of International Law, S.7; dies., The United Nations and Lawmaking, S.41; ähnlich auch Asamoah, S.35; Fawcett, The Development of International Law, S. 131. 27 Tunkin, Völkerrechtstheorie, S.196, 203, 209; ders., Völkerrecht, S.103; ders., Theoretische Fragen, S.286; Golsong, S. 34 f., 38. 28 Zur sowjetischen Lehre von der Rechtsverbindlichkeit von Resolutionen vgl. auch Schweisfurth, Der internationale Vertrag in der modemen sowjetischen Völkerrechtstheorie, S. 49 f., mit weiteren Nachweisen. 29 Thirlway, S. 64 ff.

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3. Kap.: Bindungswirkung der Deklaration

lichkeit verneint, gesteht er Resolutionen, die den Willen der Staaten verkörpern, einen eingeschränkten Rechtscharakter zu. Voraussetzung für die Zuerkennung einer rechtlichen Bindungswirkung sei allerdings, daß die Resolution eine hinreichende Staatenpraxis widerspiegele und gleichzeitig selbst als Ausdruck einer allgemeinen "opinio iuris" bezüglich der zugrunde liegenden Staatenpraxis betrachtet werden könne 30 ; die Resolution liefere dann den Beweis einer allgemeinen "opinio iuris" und damit das letzte Element, das der im Entstehen begriffenen Norm des Völkergewohnheitsrechts zur Anerkennung ihrer Rechtsverbindlichkeit noch fehlte. Thirlway lehnt dagegen Bestrebungen ab, alle Resolutionen der Vollversammlung als Ausdruck einer gegebenen Staatenpraxis zu betrachten und so bereits die zur Bildung von Völkergewohnheitsrecht neben der "opinio iuris sive necessitatis" erforderliche "consuetudo" zu konstruieren. Eine Entschließung der Vollversammlung, die geltendes Völkerrecht ändern oder neues Recht erzeugen wolle, könne allein einen Rechtsänderungsprozeß einleiten, nicht aber als Produkt eines Rechtserzeugungsverfahrens angesehen werden31 ; denn die Rechtsverbindlichkeit dessen, was man als "international legislation" bezeichnen könne, lasse sich - mittelbar oder unmittelbar - nur aus dem Völkervertrags- oder -gewohnheitsrecht ableiten. Einen weiteren Schritt in Richtung auf die Anerkennung von Resolutionen als Völkerechtsquellen gehen Detter und Bleicher3 2 • Sie unterscheiden zwischen Resolutionen allgemeiner Art und solchen, die Interpretationen der Charta und allgemeine Prinzipien des Völkergewohnheitsrechts zum Gegenstand haben. Während die ersteren lediglich fakultativen Charakter tragen, komme letzteren obligatorische Kraft zu, wenn sie allgemeine Rechtsprinzipien oder authentische Interpretationen von Chartabestimmungen enthalten33 • Nach Detter sind solche Resolutionen aber nicht in ihrer Eigenschaft als Empfehlungen der Vollversammlung rechtsverbindlich, sondern nur deshalb, weil ihre Substanz Teil des Völkerrechts bilde. Bleicher, der sich in erster Linie mit Resolutionen befaßt, welche die Charta interpretieren, billigt diesen eine Bindungswirkung auch gegenüber Staaten zu, die sich bei der Abstimmung gegen sie entschieden haben; in solchen Fällen seien die Staaten allerdings nur dann gebunden, wenn die in der Resolution enthaltene Interpretation "a reasonable choice from among various rational alternatives" darstelle. Thir!way, S. 66. Ders., S.44, 67, 70. 32 Detter, Law Making by International Organizations, S. 211 f.; Bleicher, S. 449 ff. 33 Ähnlich auch Schermers, S. 501 ff. 30

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3. Ergebnis

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Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt auch EZias3 4, der die Bindungswirkung aus der Tatsache der Zustimmung zu einer bestimmten Resolution ableitet; die zustimmenden Staaten seien auch auf Grund des Verbots gegenteiligen Verhaltens (Estoppel-Prinzip) gebunden. Elias glaubt darüberhinaus auch die Staaten an die Resolution gebunden, die sich der Stimme enthalten haben; diese Feststellung ergebe sich aus dem Grundsatz, daß eine Stimmenthaltung keine Ablehnung sondern stillschweigende Zustimmung (tacit consent) bedeute. Seine Erörterungen gipfeln in der Aussage, daß selbst diejenigen Staaten, die mit ihrer Ablehnung unterlegen seien, das Abstimmungsergebnis gegen sich gelten lassen müßten; dies allerdings nur insoweit als die Abstimmung frei und fair erfolge und die erforderliche Mehrheit erbringe. Eine andere Betrachtungsweise sei nicht zulässig, weil sie im Widerspruch zu dem demokratischen Prinzip stehe, "that, if every State has had its say, the requisite majority must have its way". 3. Ergebnis

Die vorliegende Deklaration ist nunmehr im Lichte der Stellungnahmen im Sonderausschuß und der Ansichten der Literatur zur Bindungswirkung von Resolutionen der Vollversammlung zu beurteilen. Es soll hierbei zunächst allgemein untersucht werden, welche Stellung die Deklaration im Gefüge der Quellen der Rechtserkenntnis einnimmt; ein weiterer Teil der Untersuchung wird sich mit dem Einwand einiger sozialistischer Staaten befassen, die Prinzipien stellten lediglich den Inhalt des ideologisch verstandenen Grundsatzes der friedlichen Koexistenz dar.

a) Der Rechtscharakter der Deklaration Die Deklaration enthält, wie die Ausführungen zu den einzelnen Prinzipien ergeben haben, sowohl die Wiedergabe allgemeinen Völkervertrags- und -gewohnheitsrechts, wie auch Aspekte progressiver Weiterentwicklung geltenden Rechts. Soweit sich die Formulierungen im Deklarationstext in der Wiedergabe geltenden Rechts erschöpfen, sind diese als eine in Normen gefaßte Interpretation geltenden Völkerrechts anzusehen; denn das Wesen einer Interpretation besteht gerade darin, geltendes Recht in seiner Vielfalt darzustellen und seine Anwendung durch Aufzeichnung der Modalitäten des Anwendungsbereiches zu erleichtern und transparent zu machen, nicht aber darin, neue Geltungsbereiche zu erschließen, die jenseits der inhaltlichen Bedeutung 34

Elias, S. 74 f.

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3. Kap.: Bindungswirkung der Deklaration

der Normen liegen. Diejenigen Normierungen im Deklarationstext, die nicht als Interpretation im dargestellten Sinne bezeichnet werden können, stellen dagegen eine progressive Weiterentwicklung geltenden Völkerrechts im Sinne des Art. 15 ILC-Statut dar. Wenn auch viele Delegierte afro-asiatischer und lateinamerikanischer Staaten die Deklaration vollinhaltlich als authentische Interpretation der Charta bezeichneten, so ändert diese Einstellung, die auf der Euphorie über die vielen gerade unter dem Drängen dieser Staaten entstandenen Formulierungen beruht, doch nichts an der Tatsache, daß die Deklaration sowohl Interpretationscharakter wie auch Züge progressiver Weiterentwicklung des Völkerrechts trägt; die Formulierungen mit progressivem Charakter mögen zwar den einseitigen Interessen der neuen Staaten entsprechen, sie sind aber bislang keineswegs als Inhalt des allgemeinen Völkerrechts anerkannt. Da die Deklaration die grundlegenden Prinzipien der Charta und des allgemeinen Völkergewohnheitsrechts betrifft, reduziert sich hier das Problem der Bindungswirkung von Resolutionen auf die Frage, ob einer Erklärung der Vollversammlung der Vereinten Nationen, die sowohl Interpretation wie auch progressive Weiterentwicklung von Bestimmungen der Charta und Regeln des Völkergewohnheitsrechts zum Gegenstand hat, obligatorischer Charakter zukommt. Bei Erörterung dieser Frage soll differenziert werden zwischen den Teilen der Deklaration, die als Interpretation geltenden Rechts zu bezeichnen sind, und den Elementen, die eine progressive Weiterentwicklung von Völkerrecht enthalten. aa) Die Formulierungen der Deklaration mit Interpretationscharakter Von wesentlicher Bedeutung für die Frage, wie die Formulierungen der Deklaration mit Interpretationscharakter rechtlich einzuordnen sind, ist die Tatsache, daß sie im Gegensatz zu den zahlreichen "einfachen" (politischen) Resolutionen der Vollversammlung völkerrechtliche Grundprinzipien betreffen, deren Befolgung durch die Staaten die Voraussetzung für die Aufrechterhaltung des internationalen Friedens und der Sicherheit bildet. Im übrigen sind die hier zu behandelnden Formulierungen aus intensiven Vorarbeiten - vergleichbar denen der ILC - hervorgegangen und bieten in ihrem Aussagewert keinen Anlaß zu grundsätzlichen Divergenzen zwischen den Staaten. Zwar darf nicht übersehen werden, daß manche interpretative Teile des Textes ihrerseits wieder Grund zu unterschiedlicher Auslegung geben werden, es dürfte dabei aber nicht so sehr um Zweifel darüber gehen, ob sie überhaupt geltendes Recht wiedergeben als vielmehr um die Reichweite der in ihnen gebotenen staatlichen Verhaltensweisen.

3. Ergebnis

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Die aufgezeigten Kriterien beeinflussen die Entscheidung über den Rechtscharakter derjenigen Teile der Deklaration, die nach übereinstimmender Ansicht aller beteiligten Staaten geltendes Recht aufzeigen, sie liefern als solche aber nicht etwa den alleinigen Grund für die Zuerkennung einer rechtlichen Bindungswirkung. Vielmehr sind Ausgangspunkt in der Frage nach der Rechtsverbindlichkeit interpretativer Resolutionen der Vollversammlung die Bestimmungen der Charta selbst, die der Vollversammlung die Befugnis einräumen, in Form von Resolutionen Empfehlungen an die Mitgliedstaaten auszusprechen35 ; denn auch Entschließungen, die sich auf die Interpretation geltenden Rechts beschränken, können von der Vollversammlung nur in die Form der Empfehlung (Art. 13 SVN) gekleidet werden. Wie schon das Wort Empfehlung (recommendation) besagt, erwachsen den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen aus solchen Erklärungen grundsätzlich keine Verpflichtungen. Allerdings schließen die Vorschriften auch eine Bindungswirkung nicht ausdrücklich aus. Diese kann sich aber nicht auf Bestimmungen der Charta gründen, sondern muß auf Umständen beruhen, die jenseits des Organisations- und Zuständigkeitsbereiches der Vereinten Nationen liegen. Solche in der Charta nicht näher geregelten Umstände müssen vor oder im Zeitpunkt der Verabschiedung einer Resolution hinzutreten, um Relevanz für die Frage nach der Rechtsverbindlichkeit der Entschließung zu gewinnen. Als Modalitäten dieser Art kommen die einstimmige Annahme einer Resolution in Betracht und das gleichzeitig zum Ausdruck gebrachte Bekenntnis aller beteiligten Staaten, an die in der Formulierung enthaltenen Rechtsnormen gebunden zu sein. Die Bindungswirkung der Resolution ergibt sich dann nicht allein aus der Tatsache, daß die Vollversammlung eine einstimmige Erklärung abgegeben hat, sondern vielmehr aus dem Inhalt der Resolution, der bereits verbindliches Völkerrecht umfaßt und dem Willen der Staaten, durch die in der Formulierung enthaltene Rechtsregel gebunden zu sein36 • Entscheidende Bedeutung kommt hier dem voluntativen Moment zu, der Voraussetzung also für die Entstehung von Völkerrecht. Die mit der unbedingten Zustimmung ausgedrückte "opinio iuris" bezieht sich sowohl auf die der Resolution zugrundeliegende Völkerrechtsnorm, als auch auf die Formulierung selbst, in der sie aufgezeichnet worden ist. Damit bietet eine so geartete Formulierung einerseits Beweis für die Existenz der Norm, andererseits leitet sich aus ihr auch der unmittelbare 35 Zur Unterscheidung zwischen bindenden und nicht verbindlichen Erklärungen der Vollversammlung vgl. Wenig, S.32; dort sind auch die relevanten Bestimmungen der Charta aufgeführt. 36 So auch Bleicher, S. 449 f.; Detter, Law-Making, S.212; Tunkin, Völkerrechtstheorie, S. 196; ders., Völkerrecht, S. 103; ähnlich auch Golsong, S. 34 f.,

38.

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3. Kap.: Bindungswirkung der Deklaration

Geltungsgrund ab. Soweit also eine Resolution eine Interpretation der Charta enthält und der Interpretationscharakter von allen Staaten in dem Bewußtsein einer rechtlichen Bindung anerkannt ist, liefert ihre einstimmige Annahme durch die Vollversammlung gleichzeitig den Grund für die Feststellung der Rechtsverbindlichkeit31 . Den Beweis für das Vorhandensein einer allgemeinen "opinio iuris" bildet dann die Tatsache der uneingeschränkten Zustimmung. Die aufgezeigte Konstruktion eines Nachweises der Rechtsverbindlichkeit interpretativer Resolutionen der Vollversammlung muß schon deshalb zulässig sein, weil sie allein dem Rang und der Bedeutung der Vollversammlung als einem Forum der Staatengemeinschaft bei Entscheidungen gerecht wird, die nicht nur die bloße Möglichkeit ihrer Befolgung eröffnen, sondern nach dem Willen aller, zur Schaffung einer stabilen Weltfriedensordnung, Bindungswirkung gegenüber allen Staaten entfalten sollen. Bei der Formulierung geltenden Rechts durch die Vollversammlung und der übereinstimmenden Anerkennung aller Staaten, verbindliche Normen geschaffen zu haben, besteht die Bedeutung von Resolutionen nicht lediglich in einem unverbindlichen Beitrag zur Verifizierung und Feststellung des Rechts oder zur Vorbereitung und Entwicklung künftiger Rechtsregeln38 • Diese Ansicht verkennt die Bedeutung einstimmiger Willens äußerungen in der Vollversammlung, denen die Staaten nicht politische, sondern gerade rechtliche Relevanz zuordnen wollen. Im übrigen setzt auch die Meinung, Resolutionen trügen zur Verifizierung und Feststellung von Regeln des Völkergewohnheitsrechtes bei - wenn sie Sinn haben soll -, eine gewisse Bindung der Staaten und Rechtanwendungsorgane an die in der Erklärung niedergelegten Rechtssätze voraus. Dann aber liegt die Bedeutung einer Resolution bereits jenseits des bloßen Nachweises von Gewohnheitsrecht, weil die Grundlage für die Anerkennung einer Bindungswirkung bereits in den durch die Resolution fixierten Normen und nicht mehr unmittelbar in den ihr zugrundeliegenden ungeschriebenen Regeln gesehen wird. Auch die Ansichten Lauterpachts und Dahms führen letztlich auf den Weg einer Anerkennung der normativen Wirkung von Resolutionen. Wenn die Autoren nämlich behaupten, es bestehe eine Verpflichtung, Empfehlungen der Vollversammlung ernstlich in Erwägung zu ziehen und dabei nach dem Grundsatz von Treu und Glauben zu handeln, so gehen sie bereits über den ausdrücklichen Wortlaut der Charta hinaus. Diese spricht in dem hier behandelten Zusammenhang nur von Empfehlungen; eine Deutung des Wortinhaltes kommt zu dem Ergebnis, daß dem Adressaten der Empfehlung gerade die Möglichkeit eingeräumt 31 38

Vgl. auch Tunkin, Völkerrechtstheorie, s. 203; so auch Schermers, S. 494. So aber etwa Castaneda, S. 168 f.; Schwelb, S. 51; Steinberger, S.641.

3. Ergebnis

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wird, in freier Entscheidung und ohne jegliche Verpflichtung selbst über Annahme oder Ablehnung des in der Empfehlung enthaltenen Vorschlages zu befinden. Wird nunmehr aber der Grundsatz von Treu und Glauben zur Grundlage dieser Abwägung gemacht, so verändert man gleichzeitig den Inhalt des Begriffs Empfehlung, da jede Anwendung des Grundsatzes eine bestehende Verpflichtung voraussetzt; denn das Prinzip von Treu und Glauben kann außerhalb eines konkreten Rechtsverhältnisses nicht zur Anwendung gelangen, da es seinem Wesen nach nur ein Regulativ für die Art und Weise der Ausführung einer geschuldeten Handlung oder Leistung darstellt. Bringen aber Lauterpacht und Dahm das Prinzip in Zusammenhang mit Empfehlungen der Vollversammlung, so ist darin das Eingeständnis zu erblicken, daß diese Erklärungen bereits eine Verpflichtung hervorrufen, nämlich diejenige, die Erfüllung nach Treu und Glauben abzuwägen. Die Verpflichtung kann sich entsprechend den Abstimmungsmodalitäten, auf denen eine Resolution beruht, zu der konkreten Erfüllungspflicht verdichten. Damit bewegt sich aber der Grundsatz von Treu und Glauben nicht im "Vorfeld" einer Resolution, sondern wird ihr bereits inhaltlich zugeordnet und setzt Rechtspflichten voraus, die er regulierend zu beeinflussen und zu konkretisieren sucht. In dieser Ausgestaltung wird allerdings die Prämisse Lauterpachts und Dahms hinfällig, Resolutionen seien keineswegs rechtsverbindlich, weil das über den Umweg einer Umdeutung des Begriffs Empfehlung eingeführte Prinzip von Treu und Glauben möglicherweise auch die Befolgung einer Resolution vorschreibt. Zu weit gehen dürfte ebenso die Ansicht Elias'39, der eine Bindungswirkung auch hinsichtlich nicht einstimmig gefaßter Resolutionen, die in den Kompetenzbereich der Vollversammlung fallen, annehmen will, und zwar selbst gegenüber Staaten, die sich bei der Abstimmung der Stimme enthalten oder der Resolution gar widersprochen haben. Wenn Elias seine Ansicht damit begründet, sie sei Ausfluß des in dem Prinzip der Demokratie wurzelnden Grundsatzes der Verbindlichkeit von Mehrheitsentscheidungen, so ist dem entgegenzuhalten, daß für den Entstehungsprozeß von Völkerrecht nicht etwa ein Grundsatz der aufgezeigten Art, sondern vielmehr die Willensübereinstimmung der beteiligten Staaten maßgebend sein kann. Eine andere Betrachtungsweise widerspräche dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten insbesondere deshalb, weil die Bildung neuen Völkerrechts letztlich auch eine Beschränkung des staatlichen Souveränitätsbereiches bewirkt. Diese Beschränkung kann nicht mittels Mehrheitsentscheid aufgezwungen werden, sondern muß der souveränen Entscheidung des einzelnen Staates vorbehalten bleiben. 39 Elias, S. 74 f.

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3. Kap.: Bindungswirkung der Deklaration

Entscheidend dürfen also für die Anerkennung einer Resolution als Völkerrechtsquelle nicht etwa der Grundsatz von Treu und Glauben oder das demokratische Prinzip der Verbindlichkeit von Mehrheitsentscheidungen sein, weil dies Veränderungen in der Bedeutung des Begriffs Empfehlung voraussetzt und damit den Intentionen der Charta widerspricht; vielmehr kann nur die Einstimmigkeit der Abstimmung in der Vollversammlung und die einhellige Anerkennung des Inhalts einer Resolution als verbindlicher Regel des Völkerrechts ihre Rechtsverbindlichkeit bewirken, da nur hierin das für die Entstehung einer völkerrechtlichen Norm entscheidende Willensmoment zum Ausdruck gelangt. Den Formulierungen der Deklaration, die Interpretationscharakter tragen, kommt, da die Staaten insoweit einen Bindungswillen übereinstimmend bekundet haben, obligatorischer Charakter zu. bb) Die Formulierungen der Deklaration, die eine progressive Weiterentwicklung des Völkerrechts enthalten Wenn für die Formulierungen der Deklaration, die Interpretationscharakter tragen, das entscheidende Moment für die Zuerkennung der Rechtsverbindlichkeit der Rechtsbindungswille der Staaten ist, so ergibt sich daraus bereits zwangsläufig die Entscheidung hinsichtlich der Rechtsverbindlichkeit derjenigen Teile der Deklaration, die über geltendes Völkerrecht hinausgehen. Zwar haben die meisten afro-asiatischen und sozialistischen Delegationen im Namen ihrer Regierungen einen Bindungswillen auch gegenüber den progressiven Elementen der Deklaration bekundet, ähnliches läßt sich jedoch auf westlicher Seite nicht feststellen. Vielmehr haben westliche Staatenvertreter ihre ablehnende Haltung gegenüber Formulierungen etwa im Rahmen des Selbstbestimmungsprinzips und des Grundsatzes der Nichtintervention, die sie als progressive Weiterentwicklung des Völkerrechts empfinden, deutlich zum Ausdruck gebracht. Auch aus der in der Vollversammlung erfolgten einstimmigen Annahme des Deklarationstextes läßt sich ein übereinstimmender Bindungswille nicht ableiten. Wie die Praxis der Vereinten Nationen ergibt, muß bei Resolutionsabstimmungen zwischen politisch bedingter formaler Zustimmung und der vollen inhaltlichen Zustimmung, also der Identifizierung mit Gegenstand und Aussage einer Resolution unterschieden werden40 • Erstere erfolgt oft unter äußerem 40 Ähnlich auch Schermers, S. 494, der bekräftigt, daß die Mitglieder der Vereinten Nationen in Abstimmungen der VV nicht als Vertragspartner (contracting parties) handeln; ihre Stimme drücke lediglich den Wunsch aus "to help establish a rule which is equa11y applicable to a11 Members". Andererseits bestehe aber auch die Möglichkeit, daß die Mitglieder eine Resolution offiziell anerkennen; dann lasse der Akt der Anerkennung eine rechtliche Verpflichtung entstehen.

3. Ergebnis

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politischen Zwang und ordnet die eigentlichen Vorbehalte Opportunitätsgesichtspunkten und der Gewißheit unter, daß der Entschließung der Vollversammlung als bloßer Empfehlung der Organisation der Vereinten Nationen eine Bindungswirkung nicht zukomme. Soweit die Deklaration Elemente progressiver Weiterentwicklung von Völkerrecht enthält, liegt seitens westlicher Staaten eine bloß formale, politisch bedingte Zustimmung vor, die sich in Äußerungen dokumentiert, in denen eine Rechtsverbindlichkeit abgelehnt wird. Neben der fehlenden Willensübereinstimmung der Staaten läßt sich aber noch ein weiterer Grund für die Ablehnung einer Bindungswirkung anführen. Wollte man nämlich die Rechtsverbindlichkeit solcher Formulierungen bejahen, die geltendem Recht nicht entsprechen, so müßte man die Deklaration als einen völkerrechtlichen Vertrag betrachten. Eine solche Konstruktion ist allerdings - abgesehen von der Frage, ob in einer Resolution der Vollversammlung jemals ein völkerrechtlicher Vertrag gesehen werden könnte - wegen der fehlenden Absicht der Staaten, eine vertragliche Bindung einzugehen, abzulehnen. Als einzige Möglichkeit für die Anerkennung der Rechtsverbindlichkeit böte sich - wollte man das Zugeständnis eines Bindungswillens der Staaten machen - die Konstruktion einer Bildung von Völkergewohnheitsrecht. Ließe sich die Zustimmung der Staaten als die für die Entstehung von Gewohnheitsrecht notwendige "opinio iuris" verstehen, so fehlte es dennoch an dem weiteren Erfordernis der Staatenpraxis ("consuetudo"). Keinesfalls ist etwa eine dauernde gleichartige Staatenpraxis zu beobachten, die den so ausufernd formulierten Prinzipien der Nichtintervention und der Selbstbestimmung entspräche; die Resolution selbst ist im übrigen nicht geeignet, Beweis für eine (nicht vorhandene) einheitliche Staatenpraxis zu liefern oder diese gar zu ersetzen41 • Selbst die Anerkennung der Forderung des Richters Tanaka 42 in der abweichenden Stellungnahme zum FestlandsockelUrteil, an die Erfordernisse für den Nachweis von Völkergewohnheitsrecht, nämlich die "consuetudo" und "opinio iuris sive necessitatis", nicht zu strenge Maßstäbe zu legen, könnte zu keinem anderen Ergebnis führen; denn gerade das Element des Bindungswillens wird wegen entgegenstehender Äußerungen der maßgeblichen Staaten ausgeschlossen. Für den Fall, daß Völkergewohnheitsrecht durch Aufzeigen der für seine Existenz erforderlichen beiden Faktoren nicht nachweisbar ist, nennt Tanaka noch einen anderen zwingenden Grund, der dennoch für die Existenz von Völkergewohnheitsrecht sprechen könnte. Er liege Vgl. auch. ThiTlway, S.67. Vgl. Dissenting Opinion of Judge Tanaka in ICJ Reports 1969, North Sea Continental Shelf Judgement, S. 176. 41

42

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3. Kap.: Bindungswirkung der Deklaration

in der Deduktion der objektiven Notwendigkeit eines solchen Rechtssatzes aus dem fundamentalen Konzept der in Betracht kommenden Rechtsmaterie 43 • Mit dieser Konstruktion, die wegen der objektiven Notwendigkeit der Regelung einer bestimmten Rechtsmaterie das Vorhandensein einer Rechtsregel aus einer dieser Materie angeblich zugrundeliegenden fundamentalen Konzeption ableitet, verläßt Tanaka allerdings den Boden der herrschenden Völkerrechtslehre, die in dem Vorliegen einer dauernden Übung und der sie tragenden "opinio iuris sive necessitatis" die einzigen Faktoren für den Nachweis von Völkergewohnheitsrecht sieht. Der maßgebliche Grund für die Ablehnung seiner Theorie aber dürfte darin liegen, daß er mit der Notwendigkeit einer Regelung und ihrer Ableitung aus einem der Rechtsmaterie zugrundeliegenden fundamentalen Konzept Kriterien überragende Bedeutung beimißt, die wegen der Verschiedenartigkeit der jeweils beteiligten Interessen einer subjektiven Ausgestaltung unterliegen und ohne ihre vertragliche oder völkergewohnheitsrechtliche Fixierung nicht objektiviert werden können. Im übrigen wäre es auch hier abzulehnen, etwa aus den Prinzipien der Selbstbestimmung und der Nichtintervention wegen der von vielen Staaten bekundeten Notwendigkeit einer Regelung, die über bereits anerkanntes Völkerrecht hinausgeht, eine Norm solchen Inhalts abzuleiten. Relevanz können die Resolutionsformulierungen, die über geltendes Völkerrecht hinausgehen und damit eine progressive Weiterentwicklung darstellen, lediglich in der Zukunft entfalten. In der Gegenwart besteht ihre Bedeutung darin, als Wegbereiter möglicher künftiger Völkerrechtsnormen zu dienen. Eine Entwicklung in Richtung auf ihre Rechtsverbindlichkeit setzt voraus, daß sich eine den Formulierungen entsprechende einheitliche Staatenpraxis herausbildet. Wenngleich auch für die Bildung von Völkergewohnheitsrecht heute bereits ein kürzerer Zeitraum einheitlicher und übereinstimmender Übung anerkannt ist, so muß diese doch insbesondere diejenigen Staaten erfassen, die durch das Vorhandensein einer der Staatenpraxis entsprechenden Völkerrechtsnorm besonders betroffen sind44 ; im übrigen muß die Übung gerade dieser Staaten in einer Weise ausgeführt werden, "as to be evidence of a belief that this practice is rendered obligatory by the 43 Tanaka, a.a.O., S.179; Tanaka formuliert seine Theorie mit ausdrücklichem Bezug auf das "Festlandsockelregime" : "That is the deduction of the necessity of this principle from the fundamental concept of the continental shelf." Daraus ergibt sich jedoch nicht, daß der Wesensgehalt seiner Theorie nicht über diesen engen Anwendungsbereich hinaus Geltung besitzen sollte. 44 Vgl. etwa die Ausführungen im Festlandsockelurteil, ICJ Reports 1969, North Sea Continental Shelf Judgement, S.43; ähnlich auch Dissenting Opinion of Judge Lachs, ebd., S. 229 f.; Separate Opinion of Judge Ammoun, ebd., S. 130; vgl. auch Tunkin, Völkerrechtstheorie, S.143.

3. Ergebnis

257

existence of a rule of law requiring it"45. Ob die aufgezeigte erforderliche Entwicklung etwa hinsichtlich der Prinzipien der Selbstbestimmung und der Nichtintervention seitens der betroffenen Staaten jemals Wirklichkeit wird, bleibt abzuwarten. Feststehen dürfte dagegen bereits jetzt, daß die an der Anerkennung gerade einer Rechtsverbindlichkeit der progressiven Elemente der Deklaration interessierten Staaten eine diesen Formulierungen entgegenstehende Staatenpraxis als Verletzung geltenden Rechts anprangern werden. Als Ergebnis der Arbeit des Sonderausschusses und der einstimmigen Verabschiedung der Deklaration durch die Vollversammlung der Vereinten Nationen muß daher festgehalten werden, daß die Deklaration Bindungswirkung nur insoweit entfaltet, als sie geltendes Völkerrecht wiedergibt. b) Partikuläre oder universale Bindungswirkung der Deklaration?

Sowohl während der Vorarbeiten im 6. Ausschuß wie auch in den Diskussionen im Sonderausschuß selbst haben sozialistische Staaten - insbesondere die USSR - die These bekräftigt, es handele sich bei den in die Deklaration aufgenommenen Grundprinzipien des Völkerrechts gerade um die Prinzipien des ideologischen Konzepts der friedlichen Koexistenz. Wollte man dies anerkennen, so würde die Deklaration lediglich die völkerrechtlichen Beziehungen der kapitalistischen Staaten und der antagonistischen Machtblöcke, nicht aber das Verhältnis der sozialistischen Länder zueinander berühren; die gegenseitigen Beziehungen der Staaten des sozialistischen Blocks würden dann vom Prinzip des sozialistischen Internationalismus beherrscht. Die Bindungswirkung der Deklaration und damit die Anwendbarkeit der Grundsätze der Charta und des allgemeinen Völkergewohnheitsrechtes berührt also dann nicht die völkerrechtlichen Beziehungen innerhalb des sozialistischen Blocks, wenn die Prinzipien durch die Doktrin vom sozialistischen Internationalismus abbedungen und durch neue lediglich im sozialistischen Staatensystem geltende Normen ersetzt worden sind. Voraussetzung für die Außerkraftsetzung von Chartabestimmungen in der sozialistischen Staatengemeinschaft ist, daß es sich bei den Grundsätzen der Charta und des allgemeinen Völkergewohnheitsrechtes einerseits nicht um ius cogens handelt und daß andererseits ein partikuläres Völkerrechtssystem an ihre Stelle getreten ist. Als Möglichkeiten für den Ausschluß der allgemeinen Normen des Völkerrechts in den Beziehungen der sozialistischen Staaten sind zwischenstaatliche Verträge und die zwischenzeitliche Bildung partikulären Völkergewohnheitsrechts anzusehen. 45

So die Formulierung im Festlandsockelurteil, S. 44.

17 Graf zu Dohna

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3. Kap.: Bindungswirkung der Deklaration

Zweifelsohne stellt das Gewaltverbot als eines der wesentlichsten Prinzipien der Charta und des allgemeinen Völkergewohnheitsrechts unabänderliches Recht dar 46 • In den Beziehungen souveräner Staaten kann dieses Prinzip nicht abbedungen werden. Erst die Aufgabe der eigenen Staatlichkeit und der damit verbundene Verlust der Völkerrechtssubjektivität eines Staates entkleidet die Gewaltanwendung ihrer völkerrechtlichen Relevanz und läßt sie als Maßnahme im vorbehaltenen Hoheitsbereich erscheinen. In den völkerrechtlichen Beziehungen der Staaten bleibt Gewalt nur dann zulässig (neben den im Rahmen des Prinzips des Gewaltverbots erörterten Ausnahmen), wenn sie eine außerhalb der Kategorie des Gewaltverbots stehende Hilfeleistung darstellt. Dann nämlich erhält sie den Charakter einer "erlaubten Intervention" und verliert damit - im Gegensatz zu den im Rahmen des Gewaltverbots sanktionierten Maßnahmen, wie Selbstverteididung, Verteidigungshilfe etc. - die mit dem Gewaltbegriff des Art. 2 Abs. 4 SVN verbundene völkerrechtliche Relevanz. Während das Gewaltverbot in den Beziehungen souveräner Staaten nicht ausgeschlossen werden kann, bleibt demgegenüber das Interventionsverbot abdingbar; wenn nämlich die übertragung der gesamten staatlichen Souveränitätsrechte auf ein anderes Völkerrechtssubjekt als zulässig erachtet wird, muß das "Weniger" einer Sanktionierung von Einflußnahmen, mit der unter Aufrechterhaltung der Völkerrechtssubjektivität bloß ein Teil der Souveränitätsrechte abgegeben wird, um so mehr gestattet sein. Soweit also ein Staat Prinzipien der Charta und des allgemeinen Völkergewohnheitsrechts, die gerade seinen Schutz bezwecken, gegenüber einem anderen Völkerrechtssubjekt abbedingen kann, sind dies in erster Linie gewisse Souveränitätsrechte und damit auch das Interventionsverbot, nicht dagegen das Gewaltverbot. Das Gewaltverbot kann somit auch in den Beziehungen sozialistischer Staaten weder durch Verträge noch gewohnheitsrechtlich aufgehoben werden47 • Die sich aus den Prinzipien der Charta und des allgemeinen Völkergewohnheitsrechts ergebenden Schutzrechte müßten durch die Doktrin vom sozialistischen Internationalismus entweder vertraglich oder gewohnheitsrechtlich außer Kraft gesetzt worden sein, wenn sie in den Beziehungen sozialistischer Staaten keine Geltung mehr beanspruchen dürften. Wie sich aus den Schriften sozialistischer Autoren ableiten läßt, beinhaltet der sozialistische Internationalismus im Gegensatz zu den Beziehungen zwischen kapitalistischen bzw. antagonistischen Staats46 So auch Akehurst, S.61; Paul, S.35; Schweisfurth, Breschnjew-Doktrin, S.537; Schweitzer, Gewaltverbot, S.244. 47 So auch Schweitzer, Gewaltverbot, S.244; auch von Münch, S.223, verweist darauf, daß sich im Widerspruch zum ius cogens nicht etwa neues Völkergewohnheitsrecht bilden könne.

3. Ergebnis

259

und Gesellschaftssystemen eine gefestigte Form freundschaftlicher, auf der Grundlage der brüderlichen Hilfe und des gegenseitigen Vorteils beruhender Zusammenarbeit, welche die Besonderheiten des in allen sozialistischen Ländern bestehenden klassenlosen, friedliebenden Gesellschaftssystems unterstreicht 48 • Es handele sich dabei um qualitativ neue Prinzipien und Normen eines höheren Typs des Völkerrechts, des sozialistischen Völkerrechts, welches das gegenwärtige Völkerrecht eines Tages ablösen werde; im sozialistischen Staatensystem sei es bereits Gewohnheitsrecht geworden49 • Sowjetische Autoren versichern, daß die Prinzipien der Charta und des allgemeinen Völkergewohnheitsrechts im sozialistischen System auf der Grundlage des sozialistischen Internationalismus eine gesteigerte Geltungskraft erführen und dadurch erst eigentlich zur Geltung kämen50 • So werde etwa dem Interventionsverbot tiefere Bedeutung beigemessen als in der übrigen Welt. Das Prinzip der Nichtaggression, also das Gewaltverbot, finde schon deshalb nicht länger Anwendung in der intersozialistischen Gemeinschaft, weil in den gegenseitigen Beziehungen neuen, höheren Typs bereits das Prinzip des immerwährenden Friedens verwirklicht seiSt. Wenn nun aber gerade die intensivere Verwirklichung von Grundsätzen der Charta und des allgemeinen Völkerrechts den Inhalt der Doktrin vom sozialistischen Internationalismus ausmacht, dann kann seine Bedeutung nur darin bestehen, daß die überkommenen, allgemein anerkannten Normen ein Mehr an Geltungskraft besitzen, daß etwa das Interventionsverbot und die Souveränitätsrechte in den innersozialistischen Beziehungen stärkere Beachtung finden als in der Praxis kapitalistischer Staaten52 • Dem widerspricht jedoch das tatsächliche Verhalten einiger sozialistischer Länder, wie die jüngste Vergangenheit offenbart. Auch die Stellungnahmen von Autoren wie etwa Kowaljow beweisen dies, wenn zwar einerseits die uneingeschränkte Freiheit der Völker sozialistischer Länder hervorgehoben wird, die Entwicklungswege ihrer Staaten zu bestimmen, andererseits aber keine Entscheidung getroffen werden darf, die dem Sozialismus im eigenen Land oder den Grundinteressen der anderen sozialistischen Länder widerspricht53 • Ein solcher Freiheitsbegriff stellt die Perversion seiner selbst dar, weil er Hand48 Vgl. etwa KOTowin, S.73; Lewin, S.83; ShuTshalov, S. 70 ff.; Tunkin, Völkerrechtstheorie, S. 487 f.; ders., Der ideologische Kampf, S. 410 f. 49 So Tunkin, Theoretische Fragen, S. 360. 50 Vgl. etwa KOTowin, S.73; Lewin, S. 76 f.; ShuTshalow, S.67, 7l. 51 Vgl. auch Tunkin, Völkerrechtstheorie, S.489. 52 So auch SchweisfuTth, Breshnjew-Doktrin, S. 534. 53 Vgl. den Artikel von Kowaljow in der Prawda vom 26.9. 1968 über "Souveränität und internationale Pflichten der sozialistischen Länder", abgedruckt bei MeißneT, Die ,Breshnew-Doktrin', S.64-68, (65).

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3. Kap.: Bindungswirkung der Deklaration

lungsweisen, die sich aus einer Abwägung verschiedener Entscheidungsmöglichkeiten ergeben sollten, bereits vorherbestimmt und damit den der Freiheit eigentlich immanenten Alternativen jegliche Verwirklichungsmöglichkeit bestreitet. Die Doktrin vom sozialistischen Internationalismus enthält also keine gesteigerte, höhere Form der Anerkennung und Verwirklichung der Grundsätze der Charta und des allgemeinen Völkergewohnheitsrechtes, sondern gerade ihre Einschränkung zugunsten ideologisch ausgerichteter Zielvorstellungen. Zwar hat das Prinzip des sozialistischen Internationalismus namentlich Eingang in eine Reihe von Freundschafts- und Beistandsverträgen zwischen sozialistischen Ländern gefunden, es steht aber immer nur im Zusammenhang mit der gegenseitigen Versicherung der dauerhaften Freundschaft und Zusammenarbeit der Vertragschließenden54 • Daneben wird in nahezu allen Verträgen auf den Grundsatz der Achtung der staatlichen Souveränität und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten verwiesen, Prinzipien also, an die sich die Vertragschließenden in ihren gegenseitigen Beziehungen halten wollen. Wenn überdies in vielen Freundschafts- und Beistandspakten auf die Ziele und Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen verwiesen wird, von denen sich die Politik sozialistischer Staaten leiten läßt, so macht dies zudem deutlich, daß Begriffe wie Nichteinmischung und Souveränität nicht in einem ideologischen Kontext verstanden werden dürfen. Die Prinzipien der Charta sind losgelöst von ideologischen Gegensätzen abstrakt und klassenneutral zu betrachten55 • Der Versuch, ein sozialistisches Souveränitätsverständnis zu schaffen und dieses in Einklang mit dem Souveränitätsbegriff der Charta zu bringen, muß deshalb fehlschlagen. Die zwischen den sozialistischen Staaten abgeschlossenen Verträge beweisen daher, daß die Prinzipien der Souveränität und der Nicht54 Vgl. etwa Artikel 1 des Vertrages über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand zwischen der Union der sozialistischen Sowjetrepubliken und der Ungarischen Volksrepublik vom 7. September 1967: "Die Hohen Vertragschließenden Seiten werden auch künftig in übereinstimmung mit dem Prinzip des sozialistischen Internationalismus die dauerhafte Freundschaft zwischen den Völkern der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und der Ungarischen Volksrepublik und die allseitige Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern entwickeln, einander auf der Grundlage der gegenseitigen Achtung der staatlichen Souveränität, der Gleichberechtigung und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der anderen Seite brüderlichen Beistand leisten ... "; abgedruckt in Freundschaft, Zusammenarbeit, Beistand. Grundsatzverträge zwischen den sozialistischen Staaten, Berlin 1968. Ähnliche Formulierungen finden sich auch in Art. 1 des Freundschaftsvertrages zwischen der Tschechoslowakei und Bulgarien vom 26.4. 1968, Art. 1 des Vertrages zwischen Polen und Ungarn vom 16.5. 1968 etc. Siehe hierzu auch Schweitzer, Erleidet das Gewaltverbot Modifikationen im Bereich von Einflußzonen?, S. 229 f. 55 So auch Schweisfurth, Breschnjew-Doktrin, S.535.

3. Ergebnis

261

einmischung auch in den gegenseitigen Beziehungen dieser Staaten Schranken errichten, die ohne die ausdrückliche Genehmigung nicht beseitigt werden dürfen56 • Dieser Schluß ergibt sich nicht zuletzt etwa aus der tschechoslowakischen Protestnote vom 21. 8. 1968 an die Regierungen der Interventionsmächte, in der die gewaltsame Besetzung der Tschechoslowakei als im Widerspruch zur Charta der Vereinten Nationen, zum Warschauer Vertrag und zu den Grundprinzipien des Völkerrechts stehend bezeichnet wurde 57 • Ähnlich äußerten sich auch die Regierungen anderer Staaten der sozialistischen Gemeinschaft wie Jugoslawien, Rumänien und Albanien, die damit die Gültigkeit der Grundsätze der Charta und des allgemeinen Völkergewohnheitsrechtes auch im sozialistischen Bereich ausdrücklich hervorhoben58 • Anhaltspunkte für einen Ausschluß von Grundprinzipien der Charta lassen sich folglich aus den zahlreichen Freundschafts- und Beistandspakten der sozialistischen Staaten nicht ableiten. Auch ein gewohnheitsrechtlicher Ausschluß dieser Prinzipien ist nicht feststellbar. Angesichts des im sozialistischen Lager geltend gemachten Widerstandes gegen den Versuch einer Einschränkung solcher Chartabestimmungen, die gerade den Schutz der territorialen Integrität und der politischen Unabhängigkeit souveräner Staaten bezwecken, kann der Einwand einer gewohnheitsrechtlichen Geltung von Prinzipien des sozialistischen Internationalismus, die mit den Bestimmungen der Charta nicht im Einklang stehen, nicht durchgreifen. Weder läßt sich die für die Entstehung von Gewohnheitsrecht erforderliche Staatenpraxis noch eine ihr zugrundeliegende "opinio iuris sive necessitatis" nachweisen. Wenn dagegen Schweitzer59 die zweimalige Durchbrechung des Gewalt- und Interventionsverbotes im Falle Ungarns und der Tschechoslowakei als für den Nachweis von Gewohnheitsrecht erforderliche Staatenpraxis mit dem Inhalt einer auf die zwischenstaatlichen Beziehungen im Ostblock beschränkten Relativierung von Souveränitätsrechten genügen läßt, so müssen diese Beispiele als nicht ausreichend für den Entstehungsprozeß solcher Normen betrachtet werden, die von den Bestimmungen der Charta abweichen. Wenn nämlich Verstöße gegen Prinzipien der Charta und des allgemeinen VölkergewohnheitsSo auch Schweitzer, Gewaltverbot, S. 229 f. Abgedruckt bei Meißner, Die ,Breshnew-Doktrin', S. 110 f.; " ... Die Regierung der Tschechoslowakei erklärt, daß weder die Regierung noch irgend ein anderes verfassungsmäßiges Organ dieses Landes je der Invasion und Besetzung der Tschechoslowakei zugestimmt hat. Die gewaltsame Besetzung der Tschechoslowakei steht im Widerspruch zur UNO-Charta, zum Warschauer Vertrag und zu den Grundprinzipien des Völkerrechts ... " 58 Auszüge hierzu bei Meißner, Die ,Breshnew-Doktrin'. 59 Schweitzer, Gewaltverbot, S.234. 56

57

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3. Kap.: Bindungswirkung der Deklaration

rechts unter ausdrücklicher Verurteilung und sogar gegen den physischen Widerstand der betroffenen Staaten erfolgen, so kann doch keinesfalls von einer übung im Sinne einer Gewohnheitsrechtsbildung gesprochen werden. Selbst die spätere Billigung der völkerrechtswidrigen Handlungen durch diejenigen Regierungen, die im Verlauf der interventionistischen Maßnahmen die Macht ergriffen haben, führt nicht zur Legalisierung der Ereignisse und einer damit verbundenen Staatenpraxis, die als Element einer Gewohnheitsrechtsbildung angesehen werden könnte. Die Frage der Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit staatlichen Handeins beantwortet sich allein aus den Rechtsgrundlagen im Zeitpunkt ihrer Vornahme. Wenn also eine staatliche Handlung im Zeitpunkt ihrer Vornahme gegen geltendes Völkerrecht verstößt, ist sie rechtswidrig. Die Rechtswidrigkeit bleibt auch für die Zukunft erhalten. Eine gegenteilige Ansicht wäre schon deshalb abzulehnen, weil sie Tor und Tür für Rechtsverletzungen öffnen würde. Ihre Anerkennung könnte nämlich einen völkerrechtswidrig handelnden Staat veranlassen, die rechtswidrige Maßnahme gegen den betroffenen Staat soweit zu verstärken, bis sich dort eine Regierung etabliert hat, die der ursprünglich rechtswidrigen Handlung durch nachträgliche Sanktionierung das Odium der Völkerrechtsverletzung nähme. Dies dürfte jedoch kaum dem Schutzzweck der Völkerrechtsordnung entsprechen. In der nachträglichen Billigung des Vorgehens der Interventionsmächte durch die Regierungen Ungarns und der Tschechoslowakei kann daher lediglich ein Verzicht auf völkerrechtliche Ansprüche, die sich aus den Rechtsverletzungen ergeben, gesehen werden, nicht dagegen eine rechtswirksame Sanktionierung völkerrechtswidriger Verhaltensweisen. Eine für den Nachweis von Völkergewohnheitsrecht notwendige Staatenpraxis ist daher nicht gegeben. Im Gegensatz zur Ansicht Schweitzers ist auch das weitere notwendige Element einer auf die sozialistischen Staaten beschränkten gewohnheitsrechtlichen Derogation von Souveränitätsrechten, die "opinio iuris", nicht zu erkennen. Schweitzer meint, die Staaten des Ostblocks hätten sich die Breschnew-Doktrin, die Theorie also von der beschränkten Souveränität sozialistischer Staaten zu eigen gemacht und befürworteten diese6o ; damit sei das zweite Element der Gewohnheitsrechtsbildung zu bejahen. Mit dieser Deutung verkennt Schweitzer allerdings die Wechselbezüglichkeit zwischen der "opinio iuris sive necessitatis" und der Staatenpraxis. Das Rechtsanwendungsbewußtsein kann vielmehr allein bei tatsächlicher Praktizierung des Inhalts der vorgestellten Rechtsnormen Relevanz gewinnen; es bezieht sich direkt auf staatliches Tätigwerden und kann nicht bereits dann als Beweis für eine 60

Schweitzer, ebd.

3. Ergebnis

263

Gewohnheitsrechtsbildung herangezogen werden, wenn es bloß abstrakt mit Bezug auf eine zukünftige Praxis nachweisbar ist. Wollte man daher aus den Ereignissen des Jahres 1968 auf seiten der sozialistischen Interventionsmächte eine "opinio iuris sive necessitatis" zugrunde legen - es soll hier das Problem der Freiwilligkeit nicht erörtert werden -, so fehlte es dennoch an der für beide Elemente der Gewohnheitsrechtsbildung erforderlichen weiteren Praxis. Eine einmalige Handlungsweise kann, wenn diese sich überdies nicht im unmittelbar geschützten Rechtskreis der Interventionsmächte auswirkt, sondern souveränitätsbeschränkende Wirkung nur gegenüber dem von der Intervention betroffenen Staat zeitigt, nicht als ausreichende Praxis für die Bildung von Gewohnheitsrecht gewertet werden. Die Konstruktion eines "instant customary law" scheidet daher aus. Im übrigen würde die Doktrin vom sozialistischen Internationalismus, verstanden als ein Prinzip der Einschränkung von Chartagrundsätzen zum Zwecke der Verwirklichung ideologisch motivierter Zielvorstellungen, immer dem Staat die Möglichkeit zur Einflußnahme geben, dessen Kräftepotential die Hinwegsetzung über einzelstaatliche Interessen und Widerstände erlaubt. Unter solchen Bedingungen aber verwandelt sich eine Rechtsordnung "in ein arbiträres System, das auf Gewalt und Druck oder der Hegemonie eines bestimmten Ordnungsprinzips begründet ist"61 und damit den Prinzipien und Zielen der Charta der Vereinten Nationen widerspricht. Ein derartiges System müßte letztlich auch zum Verlust der einzelstaatlichen Souveränität der im Machtbereich des Hegemonialstaates liegenden Länder führen, weil es politische Entscheidungen jenseits der vorbestimmten ideologischen Grenzen nicht mehr möglich machte 62 ; dies insbesondere deshalb, weil die ideologischen Grenzen nicht etwa von allen Staaten des Blocks in übereinstimmender Entscheidung gezogen werden, sondern vielmehr allein von den sich wandelnden Anschauungen eines Hegemonialstaates, der für sich selbst das Recht der autoritativen Entscheidung über den richtigen Weg zum Sozialismus in Anspruch nimmt, bestimmt werden. Unter einem solchen Ordnungssystem würden die Staaten ihren sich aus dem Souveränitätsprinzip ergebenden Status als formell gleiche Völkerrechtssubjekte verlieren; wenn aber die formelle Gleichheit als die unabdingbare Voraussetzung für die Zuerkennung der Völkerrechtssubjektivität nicht mehr gegeben wäre, müßten diese Staaten zwangsläufig auch ihre Staatlichkeit im völkerrechtlichen Sinne einbüßen. Es kann daher das Prinzip des sozialistischen Internationalismus keine völkerrechtliche Normen beinhalten, "wenn es den Staaten bereits 61 80 Radovanovic, Einheitlichkeit oder Pluralismus im internationalen Recht, 8.8. 62 Vgl. auch Möller, 8.137.

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3. Kap.: Bindungswirkung der Deklaration

die Qualität abspricht, die die Voraussetzung zur Anwendung einer jeden völkerrechtlichen Norm ist"63. Die Doktrin vom sozialistischen Internationalismus stellt somit weder partikuläres Völkergewohnheitsrecht noch Vertragsrecht dar und ist daher nicht geeignet, die Prinzipien der Charta oder die des allgemeinen Völkergewohnheitsrechts außer Kraft zu setzen64 . Sie vermag die Bindungswirkung der Deklaration für die zwischenstaatlichen Beziehungen innerhalb des sozialistischen Blocks nicht auszuschließen. Die Deklaration der Prinzipien des Völkerrechts betreffend die freundschaftlichen Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen den Staaten besitzt, soweit ihr völkerrechtliche Bindungswirkung zukommt, universale Geltungskraft.

63 Ders., S.151. So auch Butler, "Socialist International Law" or "Socialist Principles of International Law", S.800; Dimitrijevic, Intervention und Aggression, S. 25 ff.; Glazer, The Brezhnew Doctrine, S.I7l, 177; Meißner, ,Die BreshnewDoktrin', S. 40; Schweisfurth, Breschnjew-Doktrin, S.529. 64

Schluf3bemerkung Ein Rückblick auf die Tätigkeit und das Ergebnis der Arbeiten des Sonder ausschusses macht deutlich, daß nunmehr den "neuen" Staaten Afrikas und Asiens ein historischer Einbruch in den bislang vom europäischen und amerikanischen Denken beherrschten Völkerrechtskreis gelungen ist. Sie konnten bei der Kodifizierung und Weiterentwicklung des Völkerrechts im Rahmen der Arbeiten des Sonderausschusses erstmals in einem Maße beteiligt sein, der ihrem politischen Gewicht in der modernen Staatengemeinschaft entspricht. Daraus läßt sich erkennen, daß in der Zukunft eine Völkerrechtsentwicklung ohne hinreichende Berücksichtigung afro-asiatischer Interessen nicht mehr möglich sein wird. Gerade hier gilt es von westlicher Seite den afroasiatischen Vorstellungen entgegenzukommen, will man nicht Positionen und Einflußmöglichkeiten und nicht zuletzt die politische Unterstützung dieser Staaten verlieren. Neben dem positiven Aspekt einer universalen Beteiligung an der Völkerrechtsentwicklung und einer sich daraus ergebenden Hoffnung auf universale Bindungswirkung von Normen des allgemeinen Völkerrechts, offenbart die Haltung vieler "neuer" Staaten in der überbetonung des Souveränitätsprinzips doch auch gewisse Gefahren65 • Sie könnte in denjenigen Bereichen des Völkerrechts zu Stagnation und Rückschritt führen, in denen ein Abbau überkommener Souveränitätsvorstellungen einen entscheidenden Schritt in Richtung auf eine dauerhafte Friedenssicherung bedeuten würde. Es ist dies vor allem der Bereich der friedlichen Streitbeilegung, in dem die Anerkennung einer obligatorischen Gerichtsbarkeit die unbedingte Vorherrschaft des Rechts dokumentieren würde. Trotz mancher Unstimmigkeiten während der Arbeiten des Sonderausschusses und gewisser Unzulänglichkeiten des Deklarationstextes haben letztlich sowohl die Diskussionen im Ausschuß wie auch die Deklaration selbst doch das Ziel erreicht, der gesamten Staatengemeinschaft die Bedeutung der Grundprinzipien des Völkerrechts für die Aufrechterhaltung friedlicher zwischenstaatlicher Beziehungen darzulegen66 • Die Deklaration kann, wenn die Staaten die Durchsetzung ihrer Vgl. auch Rosenstock, S. 735. Zu Unrecht kritisiert Elias, S.57, die Deklaration, wenn er ihr vorwirft, sie vermeide beinahe alle Kontroversen, die noch heute die alten von den 65

66

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Schlußbemerkung

oft vordergründigen Interessen gegenüber einer uneingeschränkten Befolgung der Prinzipien zurückstellen, als Meilenstein in der Errichtung und Sicherung einer dauerhaften Friedensordnung betrachtet werden; nur dann dürften sich auch die im Jahre 1968 ausgesprochenen Bedenken BaxtersG7 , die Bemühungen des Sonderausschusses könnten eines Tages in einem Schlußkommunique als "a useful exchange of views" glossiert werden, in dieser abwertenden Form nicht bewahrheiten.

neuen und die sozialistischen von den kapitalistischen Staaten trenne. Es dürfte nämlich gerade für die so entscheidende Frage der Rechtsverbindlichkeit der Deklaration von überragender Bedeutung sein, daß die beteiligten Staaten es im wesentlichen vermieden haben, politische Gegensätzlichkeiten in einen Text mit rechtlichem Charakter zu übernehmen. 67 Baxter, The Effects of Ill-Conceived Codification and Development of International Law, S. 166.

Anhang Declaration on principles of international law concerning friendly relations and co-operation among states in accordance with the Charter of the United Nations (Resolution 2625 [XXV])l The General Assembly Recalling its resolutions 1815 (XVII) of 18 December 1962, 1966 (XVIII) of 16 December 1963, 2103 (XX) of 20 December 1965, 2181 (XXI) of 12 December 1966, 2327 (XXII) of 18 December 1967, 2463 (XXIII) of 20 December 1968 and 2533 (XXIV) of 8 December 1969, in which it affirmed the importance of the progressive development and codification of the principles of international law concerning friendly relations and co-operation among States. Having considered the report of the Special Committee on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among States, which met in Geneva from 31 March 1970 to 1 May 1970. Emphasizing the paramount importance of the Charter of the United Nations for the maintenance of international peace and security and for the development of friendly relations and co-operation among States. Deeply convinced that the adoption of the Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among States in accordance with the Charter of the United Nations during the celebration of the twenty-fifth anniversary of the United Nations would contribute to the strengthening of world peace and constitute alandmark in the development of international law and oi relations among States, in promoting the rule of law among nations and particularly the universal application of the principles embodied in the Charter. Considering the desirability of the wide dissemination of the text of the Declaration. 1. Approves the Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among States in 1 Resolution 2625 (XXV) was adopted by the General Assembly on 24 October 1970, without a vote. It was submitted by the Sixth Committee and considered by the General Assembly on 6 October. (Text in GAOR, XXV, Supplement 28, S. 121).

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Anhang

accordance with the Charter of the United Nations, the text of which is annexed to the present resolution; 2. Expresses its appreciation to the Special Committee for its work resulting in the elaboration of the Declaration; 3. Recommends that all efforts be made so that the Declaration becomes generally known. ANNEX Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among States in accordance with the Charter of the United Nations. Preamble The General Assembly, Reaffirming in the terms of the Charter that the maintenance of international pe ace and security and the development of friendly relations and co-operation between nations are among the fundamental purposes of the United Nations, Recalling that the peoples of the United Nations are determined to practise tolerance and live together in peace with one another as good neighbours, Bearing in mind the importance maintaining and strengthening international peace founded upon freedom, equality, justice and respect for fundamental human rights and of developing friendly relations among nations irrespective of their political, economic and social systems or the levels of their development, Bearing in mind also the paramount importance of the Charter of the United Nations in the promotion of the rule of law among nations, Considering that the faithful observance of the principles of international law concerning friendly relations and co-operation among States, and fulfilment in good faith of the obligations assumed by States, in accordance with the Charter, is of the greatest importance for the maintenance of international pe ace and security, and for the implementation of the other purpose of the United Nations, Noting that the great political, economic and social changes and scientific progress which have taken place in the world since the adoption of the Charter of the United Nations give increased importance to these principles and to the need for their more effective application in the conduct of State wherever carried on, Recalling the established principle that outer space, including the Moon and other celestial bodies, is not subject to national appropriation

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by claim of sovereignty by means of use or occupation or by any other means, and mindful of the fact that consideration is being given in the United Nations to the question of establishing other appropriate provisions similarly inspired, Convinced that the strict observance by States of the obligation not to intervene in the affairs of any other State is an essential condition to ensure that nations live together in peace with one another since the practice of any form of intervention not only violates the spirit and letter of the Charter of the United Nations but also leads to the creation of situations which threaten international peace and security, Recalling the duty of States to refrain in their international relations from military, political, economic or any other form of coercion aimed against the political independence or territorial integrity of any State, Considering it essential that all States shall refrain in their international relations from the threat or use of force against the territorial integrity or political independence of any State, or in any other manner inconsistent with the purposes of the United Nations, Considering it equally essential that all States shall settle their international disputes by peaceful me ans in accordance with th€ Charter, Reaffirming, in accordance with the Charter, the basic importance of sovereign equality and stressing that the purposes of the United Nations can be implemented only if States enjoy sovereign equality and comply fully with the requirements of this principle in their international relations, Convinced that the subjection of peoples to alien subjugation, domination and exploitation constitutes a major obstacle to the promotion of international pe ace and security, Convinced that the principle of equal rights and self-determination of peoples constitutes a significant contribution to contemporary international law, and that its effective application is of paramount importance for the promotion of friendly relations among States, based on respect for the principle of sovereign equality, Convinced in consequence that any attempt aimed at the partial or total disruption of the national unity and territorial integrity of a State or country or at its political independence is incompatible with the purposes and principles of the Charter, Considering the provisions of the Charter as a whole and taking into account the role of relevant resolutions adopted by the competent organs of the United Nations relating to the content of the principles, Considering that the progressive development and codification of the following principles:

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(a) The principle that States shall refrain in their international relations from the threat or use of force against the territorial integrity or political independence of any State, or in any other manner inconsistent with the purposes of the United Nations, (b) The principle that States shall settle their international disputes by peaceful means in such a manner that international peace and security and justice are not endangered, (c) The duty not to intervene in matters within the domestic jurisdiction of any State, in accordance with the Charter, (d) The duty of States to co-operate with one another in accordance with the Charter, (e) The principle of equal rights and self-determination of peoples, (f) The principle of sovereign equality of States, (g) The principle that States shall fulfil in good faith the obligations assumed by them in accordance with the Charter, so as to secure their more effective application within the international community would promote the realization of the purposes of the United Nations. Having considered the principles of international law relating to friendly relations and co-operation among States, 1. Solemnly proclaims the following principles: The principle that States shall refrain in their international relations from the threat or use of force against the territorial integrity or political independence of any State, or in any other manner inconsistent with the purposes of the United Nations Every State has the duty to refrain in its international relations from the threat or use of force against the territorial integrity or political independence of any State, or in any other manner inconsistent with the purposes of the United Nations. Such a threat or use of force constitutes a violation of international law and the Charter of the United Nations and shall never be employed as a means of settling international issues. A war of aggression constitutes a crime against the peace, for which there is responsibility under international law. In accordance with the purposes and principles of the United Nations, States have the duty to refrain from propaganda for wars of aggression. Every State has the duty to refrain from the threat or use of force to violate the existing international boundaries of another State or as a means of solving international disputes, including territorial disputes and problems concerning frontiers of States. Every State likewise has the duty to refrain from the threat or use of force to violate international lines of demarcation, such as armistice

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lines, established by or pursuant to an international agreement to which it is a party or which it is otherwise bound to respect. Nothing in the foregoing shall be construed as prejudicing the positions of the parties concerned with regard to the status and effects of such lines under their special regimes or as affecting their temporary character. States have a duty to refrain from acts of reprisal involving the use of force. Every State has the duty to refrain from any forcible action which deprives peoples referred to in the elaboration of the principle of equal rights and self-determination of their right to self-determination and freedom and independence. Every State has the duty to refrain from organizing or encouraging the organization of irregular forces or armed bands, including mercenaries, for incursion into the territory of another State. Every State has the duty to refrain from organizing, instigating, assisting or participating in acts of civil strife or terrorist acts in another State or acqiescing in organized activities within its territory directed towards the commis si on of such acts, when the acts referred to in the present paragraph involve a threat or use of force. The territory of aState shall not be the object of military occupation resulting from the use of force in contravention of the provisions of the Charter. The territory of aState shall not be the object of acquisition by another State resulting from the threat or use of force. No territorial acquisition resulting from the threat or use of force shall be recognized als legal. Nothing in the foregoing shall be construed as affecting: (a) Provisions of the Charter or any international agreement prior to the Charter regime and valid under internationallaw; or (b) The powers of the Security Council under the Charter. All States shall pursue in good faith negotiations for the early conclusion of a universal treaty on general and complete disarmament under effective international control and strive to adopt appropriate measures to reduce international tensions and strengthen confidence among States. All States shall comply in good faith with their obligations under the generally recognized principles and rules of international law with respect to the maintenance of international peace and security, and shall endeavour to make the United Nations security system based upon the Charter more effective. Nothing in the foregoing paragraphs shall be construed as enlarging or diminishing in any way the scope of the provisions of the Charter concerning cases in which the use of force is lawful.

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The principLe that States shaU settLe their internationaL disputes by peacefuL means in such a manner that internationaL peace and security and justice are not endangered Every State shall settle its international disputes with other States by peaceful means, in such a manner that international peace and security, and justice, are not endangered. States shall accordingly seek early and just settlement of their international disputes by negotiation, inquiry, mediation, conciliation, arbitration, judicial settlement, resort to regional agencies or arrangements or other peaceful means of their choice. In seeking such a settlement, the parties shall agree upon such peaceful me ans as may be appropriate to the circumstances and nature of the dispute. The parties to a dispute have the duty, in the event of failure to reach a solution by any one of the above peaceful means, to continue to seek a settlement of the dispute by other peaceful means agreed upon by them. States parties to an international dispute, as well as other States, shall refrain from any action which may aggravate the situation so as to endanger the maintenance of international peace and security, and shall act in accordance with the purposes and principles of the United Nations. International disputes shall be settled on the basis of the sovereign equality of States and in accordance with the principle of free choice of means. Recourse to, or acceptance of, a settlement procedure freely agreed to by States with regard to existing or future disputes to which they are parties shall not be regarded as incompatible with sovereign equality. Nothing in the foregoing paragraphs prejudices or derogates from the applicable provisions of the Charter, in particular those relating to the pacific settlement of international disputes. The principLe concerning the duty not to intervene in matters within the domestic jurisdiction 01 any State, in accordance with the Charter. No State or group of States has the right to intervene, directly or indirectly, for any reason whatever, in the internal or external affairs of any other State. Consequently, armed intervention and all other forms of interference or attempted threats against the personality of the State or against its political, economic and cultural elements, are in violation of international law. No State may use or encourage the use of economic, political or any other type of measures to coerce another State in order to obtain from it the subordination of the exercise of its sovereign rights and to secure

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from it advantages of any kind. Also, no State shall organize, assist, foment, finance, incite or tolerate subversive, terrorist or armed activities directed towards the violent overthrow of the regime of another State, or interfere in civil strife in another State. The use of force to deprive peoples of their national identity constitutes a violation of their inalienable rights and of the principle of non-intervention. Every State has an inalienable right to choose its political, economic, social and cultural systems, without interference in any form by another State. Nothing in the foregoing paragraphs shall be construed as affecting the relevant provisions of the Charter relating to the maintenance of international peace and security.

The duty of States to co-operate with one another in accordance with the Charter States have the duty to co-operate with one another, irrespective of the differences in their political, economic and social systems, in the various spheres of international relations, in order to maintain international peace and sucurity and to promote international economic stability and progress, the general welfare of nations and international co-operation free from discrimination based on such differences. To this end: (a) States shall co-operate with other States in the maintenance of international peace and security; (b) States shall co-operate in the promotion of universal respect for and observance of human rights and fundamental freedoms for all , and in the elimination of all forms of ra ci al discrimination and all forms of religious intolerance; (c) States shall conduct their international relations in the economic, social, cultural, technical and trade fields in accordance with the principles of sovereign equality and non-intervention; (d) States Members of the United Nations have the duty to take joint and separate action in co-operation with the United Nations in accordance with the relevant provisions of the Charter. States should co-operate in the economic, social and cultural fields as weIl as in the field of science and technology and for the promotion of international cultural and educational progress. States should co-operate in the promotion of economic growth throughout the world, especially that of the developing countries. 18 Graf zu Dohna

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The principle of equal rights and seIf-determination of peoples By virtue of the principle of equal rights and self-determination of peoples enshrined in the Charter, all peoples have the right freely to determine, without external interference, their political status and to pursue their economic, social and cultural development, and every State has the duty to respect this right in accordance with the provisions of the Charter. Every State has the duty to promote, through joint and separate action, the realization of the principle of equal rights and selfdetermination of peoples, in accordance with the provisions of the Charter, and to render assistance to the United Nations in carrying out the responsibilities entrusted to it by the Charter regarding the implementation of the principle in order: (a) To promote friendly relations and co-operation among States; and (b) To bring a speedy end to colonialism, having due regard to the freely expressed will of the peoples concerned; and bearing in mi nd that subjection of peoples to alien subjugation, domination and exploitation constitutes a violation of the principle, as weIl as a denial of fundamental human rights, and is contrary to the Charter of the United Nations. Every State has the duty to promote through joint and separate action universal respect for and observance of human rights and fundamental freedoms in accordance with the Charter. The establishment of a sovereign and independent State, the free association or integration with an independent State or the emergence into any other political status freely determined by a people constitute modes of implementing the right of self-determination by that people. Every State has the duty to refrain from any forcible action which deprives peoples referred to above in the elaboration of the present principle of their right to self-determination and freedom and independence. In their actions against and resistance to such forcible action in pursuit of the exercise of their right to self-determination such peoples are entitled to seek and to receive support in accordance with the purposes and principles of the Charter of the United Nations. The territory of a colony or other non-self-governing territory has, under the Charter of the United Nations, a status separate and distinct from the territory of the State administering it; and such separate and distinct status under the Charter shall exist until the people of the colony or non-self-governing territory have exercised their right of

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self-determination in accordance with the Charter, and particularly its purposes and principles. Nothing in the foregoing paragraphs shall be construed as authorizing or encouraging any action which would dismember or impair totally or in part, the territorial integrity or political unity of sovereign and independent States conducting themselves in compliance with the principle of equal rights and self-determination of peoples as described above and thus possessed of a government representing the whole people belonging to the territory without distinction as to race, creed or colour. Every State shall refrain from any action aimed at the partial or total disruption of the national unity and territorial integrity of any other State or country.

The principle of sovereign equality of States All States enjoy sovereign equality. They have equal rights and duties and are equal members of the international community, notwithstanding differences of an economic, social, political or other nature. In particular, sovereign equality includes the following elements: (a) States are juridically equal; (b) Each State enjoys the rights inherent in full sovereignty; (c) Each State has the duty to respect the personality of other States; (d) The territorial integrity and political independence of the State are inviolable; (e) Each State has the right freely to choose and develop its political, social, economic and cultural systems; (f) Each State has the duty to comply fully and in good faith with its international obligations and to live in peace with other States.

The principl.e that States shall fulfil in good faith the obligations assumed by them in accordance with the Charter Every State has the duty to fulfil in good faith the obligations assumed by it in accordance with the Charter of the United Nations. Every State has the duty to fulfil in good faith its obligations under the generally recognized principles and rules of international law. Every State has the duty to fulfil in good faith its obligations under international agreements valid under the generally recognized principles and rules of internationallaw. Where obligations arising under international agreements are in conflict with the obligations of Members of the United Nations under 18·

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the Charter of the United Nations, the obligations under the Charter sha11 prevail. General Part 2. Declares that: In their interpretation and application the above principles are interrelated and each principle should be construed in the context of the other principles, Nothing in this Declaration shall be construed as prejudicing in any manner the provisions of the Charter or the rights and duties of Member States under the Charter or the rights of peoples under the Charter taking into account the elaboration of these rights in this Declaration, 3. Declares further that: The principles of the Charter which are embodied in this Declaration constitute basic principles of international law, and consequently appeals to a11 States to be guided by these principles in their international conduct and to develop their mutual relations on the basis of their strict observance. Draft Declaration on Rights and Duties of States2

Whereas the States of the world form a community governed by international law, Whereas the progressive development of international law requires effective organization of the community of States, Whereas a great majority of the States of the world have accordingly established a new international order under the Charter of the United Nations, and most of the other States of the world have declared their des ire to live within this order, Whereas a primary purpose of the United Nations is to maintain international peace and security, and the reign of law and justice is essential to the realization of this purpose, and Whereas it is therefore desirable to formulate certain basic rights and duties of States in the light of new developments of international law and in harmony with the Charter of the United Nations, The General Assembly of the United Nations adopts and proclaims this Declaration on Rights and Duties of States: 2

Text in UNYB 1948/49, S. 948.

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Article 1 Every State has the right to independence and hence to exercise freely, without dictation by any other State, all its legal powers, including the choice of its own form of government. Article 2 Every State has the right to exercise jurisdiction over its territory and over all persons and things therein, subject to the immunities recognized by international law.

Article 3 Every State has the duty to refrain from intervention in the internal or external affairs of any other State.

Article 4 Every State has the duty to refrain from fomenting civil strife in the territory of another State, and to prevent the organization within its territory of activities calculated to foment such civil strife. Article 5 Every State has the right to equality in law with every other State.

Article 6 Every State has the duty to treat all persons under its jurisdiction with respect for human rights and fundamental freedoms, without distinction as to race, sex, language, or religion. Article 7 Every State has the duty to ensure that conditions prevailing in its territory do not menace international peace and order. Article 8 Every State has the duty to settle its disputes with other States by peaceful means in such a manner that international peace and security, and justice, are not endangered. Article 9 Every State has the duty to refrain from resorting to war as an instrument of national policy, and to refrain from the threat or use of force against the territorial integrity or political independence of another State, or in any other manner inconsistent with international law and order.

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Article 10 Every State has the duty to refrain from glvmg assistance to any State which is acting in violation of article 9, or against which the United Nations is taking preventive or enforcement action. Article 11 Every State has the duty to refrain from recognizing any territorial acquisition by another State acting in violation of article 9. Article 12 Every State has the right of individual or collective self-defence against armed attack. Article 13 Every State has the duty to carry out in good faith its obligations arising from treaties and other sources of internationallaw, and it may not invoke provisions in its constitution or its laws as an excuse for failure to perform this duty. Article 14 Every State has the duty to conduct its relations with other States in accordance with international law and with the principle that the sovereignty of each State is subject to the supremacy of international law. Declaration on the Inadmissibility of Intervention in the Domestic Affairs of States and the Protection of Their Independence and Sovereignty 3

The General Assembly, Deeply concerned at the gravity of the international situation and the increasing threat to universal peace due to armed intervention and other direct or indirect forms of interference threatening the sovereign personality and the political independence of States, Considering that the United Nations, in accordance with their aim to eliminate war, threats to the peace and acts of aggression, created an Organization, based on the sovereign equality of States, whose friendly relations would be based on respect for the principle of equal rights and self-determination of peoples and on the obligation of its Members to refrain from the threat or use of force against the territorial integrity or political independence of any State, 3

Text in GAOR, XX, Supplement 14, S.l1.

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Recognizing that, in fulfilment of the principle of self-determination, the General Assembly, in the Declaration on the Granting of Independence to Colonial Countries and Peoples contained in resolution 1514 (XV) of 14 December 1960, stated its conviction that an peoples have an inalienable right to complete freedom, the exercise of their sovereignty and the integrity of their national territory, and that, by virtue of that right, they freely determine their political status and freely pursue their economic, social and cultural development, Recalling that in the Universal Declaration of Human Rights the General Assembly proclaimed that recognition of the inherent dignity and of the equal and inalienable rights of an members of the human family is the foundation of freedom, justice and peace in the world, without distinction of any kind. Reaffirming the principle of non-intervention, proclaimed in the charters of the Organization of American States, the League of Arab States and the Organization of African Unity and affinned at the conferences held at Montevideo, Buenos Aires, Chapultepec and Bogota, as wen as in the decisions of the Asian-African Conference at Bandung, the First Conference of Heads of State or Government of Non-Aligned Countries at Belgrade, in the Programme for Peace and International Co-operation adopted at the end of the Second Conference of Heads of State or Government of Non-Aligned Countries at Cairo, and in the declaration on subversion adopted at Accra by the Heads of State and Government of the African States, Recognizing that fun observance of the principle of the nonintervention of States in the internal and external affairs of other States is essential to the fulfilment of the purposes and principles of the United Nations, Considering that armed intervention is synonymous with aggression and, as such, is contrary to the basic principles on which peaceful international co-operation between States should be built, Considering further that direct intervention, subversion and an fonns of indirect intervention are contrary to these principles and, consequently, constitute a violation of the Charter of the United Nations, Mindful that violation of the principle of non-intervention poses a threat to the independence, freedom and nonnal political, economic, social and cultural development of countries, particularly those which have freed themselves from colonialism, and can pose a serious threat to the maintenance of peace, FuHy aware of the imperative need to create appropriate conditions which would enable an States, and in particular the developing

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countries, to choose without duress or coercion their own political, economic and social institutions,

In the light of the foregoing considerations, solemnly declares: 1. No State has the right to intervene, directly or indirectly, for any reason whatever, in the internal or external affairs of any other State. Consequently, armed intervention and all other forms of interference or attempted threats against the personality of the State or against its political, economic and cultural elements, are condemned. 2. No State may use or encourage the use of economic, political or any other type of measures to coerce another State in order to obtain from it the subordination of the exercise of its sovereign rights or to secure from it advantages of any kind. Also, no State shall organize, assist, foment, finance, incite or tolerate subversive, terrorist or armed activities directed towards the violent overthrow of the regime of another State, or interfere in civil strife in another State. 3. The use of force to deprive peoples of their national identity constitutes a violation of their inalienable rights and of the principle of non-intervention. 4. The strict observance of these obligations is an essential condition to ensure that nations live together in peace with one another, since the practice of any form of intervention not only violates the spirit and letter of the Charter of the United Nations but also leads to the creation of situations which threaten international peace and security. 5. Every State has an inalienable right to choose its political, economic, social and cultural systems, without interference in any form by another State. 6. All States shall respect the right of self-determination and independence of peoples and nations, to be freely exercised without any foreign pressure, and with absolute respect for human rights and fundamental freedoms. Consequently, all States shall contribute to the complete elimination of racial discrimination and colonialism in all its forms and manifestations. 7. For the purpose of the present Declaration, the term "State" covers both individual States and groups of States. 8. Nothing in this Declaration shall be construed as affecting in any manner the relevant provisions of the Charter of the United Nations relating to the maintenance of international peace and security, in particular those contained in Chapters VI, VII and VIII.

1408th plenary meeting. 21 December 1965.

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