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German Pages [106] Year 1934
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CALIFORNIA
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MAR 10 1967 80
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University of California Berkeley
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DIE GRUND LAGEN DES
NEUEN
STAATES
HERAUSGEGEBEN VON DER
VATERLÄNDISCHEN FRONT
OBERÖSTERREICHS LANDESFACHGRUPPE UNTERRICHT
DIE GRUNDLAGEN DES NEUEN STAATES HERAUSGEGEBEN
VON
DER
VATERLÄNDISCHEN FRONT OBERÖSTERREICHS LANDESFACHGRUPPE UNTERRICHT
HauN.S pt - Ardin .D.A.0 .
der
Nr.
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5
Verlag : Vaterländische Front Oberösterreichs, Landesfachgruppe Unterricht
II. Auflage.
Druck : Preſverein Linz . 5619 34
DB97 V 37 Vorwort. Mit diesem Heft übergibt die Leitung der Landesfach gruppe Unterricht der Vaterländischen Front der Lehrerschaft die Referate, die im heurigen Frühjahr beim Vaterländischen Kurs in aufeinanderfolgenden Wochen gehalten wurden. Die Kursabende waren von der Lehrerschaft Linz immer sehr gut besucht und fanden größte Aufmerksamkeit und wärmstes Interesse. Ich konnte mich den Anregungen der Kollegenschaft
nicht verschließen, die eine Herausgabe dieser Vorträge wünschte, um so in einem kleinen Band die wesentlichen Ge
danken über die Grundlagen des neuen Österreich zu erhalten.
Damit ist vielleicht auch der werten Kollegenschaft, die diese Vorträge nicht hören konnte, ein kleiner Dienst erwiesen.
Die Abhaltung dieses Kurses erhielt durch das Erscheinen des Herrn Bundesministers für Unterricht, Herrn Dr. Kurt
von Schuschnigg, der auch die Güte hatte, den Schluß vortrag zu halten, eine besondere Auszeichnung. Im Namen aller sei dem Herrn Bundesminister auch an dieser Stelle der
herzlichste und ergebenste Dank ausgesprochen. Herzlichen Dank auch den Herren Referenten, daß sie in liebenswürdiger Weise manchmal unter großen Opfern die Vorträge hielten und den Wortlaut ihres Referates zur Verfügung stellten. Ich fühle mich auch gedrängt, an dieser Stelle dem Lan desschulrat von Oberösterreich für das wirksame Interesse
und die besondere Förderung, die der Landesschulrat dem Kurse entgegenbrachte, verbindlichst zu danken. Besonderer
Dank gebührt dem Herrn Schulreferenten Landesrat Kern, dem Herrn Hofrat Meiß - Teuffen und den beiden Herren
Landesschulinspektoren Dr. Messenböck und Studienrat Schmid.
Der Entwurf des Einbandes stammt vom Kollegen Haupt schullehrer Ba minger, Bischöfliches Lehrerseminar. Möge das Büchlein Wegweiser sein zum Verständnis des neuen
Österreich
und zur rechten Vaterlandsliebe!
Treu
Österreich !
Linz, Juni 1934. Dr. Karl Ohnmacht, Landesfachleiter .
3
M337076
Inhaltsverzeichnis. Seite
Hans Strigl : Liberalismus Sozialismus Universalismus . Gesellschaftsauffassung Organische Rudolf Hausleithner :
27
Karl Lugmay er: Das Wesen der ständischen Gesellschaft
35
Adalbert Depiny : Ständischer Aufbau und Heimat .
41
1
Hans B a y er : Überwindung des Klassenkampfes durch berufsstän dische Ordnung
47
Alois Schrattenholzer : Die sittlichen Grundlagen in der stän dischen
Gesellschaft
Kurt von Schuschnigg : Der neue Staat
61 84
Liberalismus
Sozialismus – Universalismus.
Professor Dr. iur. Hans Strigl, Linz .
Die Fanale des Aufruhrs und der Revolution, welche in den letzten Zeiten nicht nur unser engeres Heimatland, son
dern ganz Europa mit ihrem gewalttätigen Scheine erhellen,
sind sichtbare Zeugen dafür, daß eine Neuordnung der mensch lichen Gesellschaft auf dem Wege ist. Unsere heutige Aufgabe
ist es nun, nicht das Äußerliche dieser Umwälzung zu suchen , sondern eine grundsätzliche Stellungnahme zu allen diesen Ereignissen zu beziehen und aufzuzeigen, wie hier wahrhaft ein Umbruch der menschlichen Gesellschaft nicht nur in politi scher, sondern auch in wirtschaftlicher, sozialer und kulturel
ler Beziehung sich zu vollziehen beginnt . Um diese Stellungnahme fruchtbringend zu gestalten, wer den wir in zweifacher Hinsicht die Verfahrensfrage sicherstel
len müssen : in subjektiver Hinsicht als Vorurteilslosigkeit, in objektiver Hinsicht in dem Streben, nicht an der Oberfläche der Dinge zu bleiben , sondern ihren wahren inneren, ihren geistigen Grund zu enthüllen. Subjektiv : Wenn wir z. B. als Naturwissenschafter vor einer Schlange Abscheu und Furcht empfinden , werden wir als Naturwissenschafter ihr wahres Wesen niemals ganz erfassen können. Immer wird nicht die
Schlange in ihrer eigenen Wesenheit, sondern unsere Furcht und unser Abscheu uns entgegentreten . Wer eine vorgefaßte
Meinung hat, für den gilt das Wort : sie haben Ohren, aber sie hören nicht, sie haben Augen, aber sie sehen nicht ; d. h . wir können nicht urteilen, wenn wir schon vorgeurteilt haben. Gerade unser heutiger Gegenstand aber ist so beschaffen, daß allzu leicht Haß und Lieben das Urteil trüben könnte, das wir
sachlich fällen sollten. Er ist ja, allerdings in des Wortes höch ster Bedeutung, ein politischer. Wie sehr aber dieses Wort dem widerlichen Hader parteipolitischen Getriebes letzter
Jahre geradezu der Typus für ein Vorurteil, statt eines Ur teiles gewesen ist , brauche ich nicht auszuführen. Außer derartigen üblen und übelgewollten Vorurteilen droht aber noch eine andere Trübung unserer sachlichen Stel lungnahme, wenn wir aus sogenannter Charakterfestigkeit an
uns liebgewordenen Begriffen bloß festhalten, weil wir sie ge wohnt waren . Abgesehen davon, daß hier fern von jeder wah
ren lebendigen Geistigkeit, Bequemlichkeit und Ignoranz sehr häufig die wahren Triebgründe sind , wird hier Charakterfestig 5
keit mit Pietät verwechselt. Kein aufrechter Mensch wird sich
seiner Ansichten vergangener Jahre schämen. Er wird init Recht ihnen die Pietät bewahren. Aber ebenso sehr spricht der über seine geistige Persönlichkeit das Urteil, der bloß des wegen seine Gesinnung nicht ändert, weil er trotz besserer
Erkenntnis glaubt, überkommenen Begriffen die Treue halten zu müssen. Im Geistigen und in der Erkenntnis gilt aber : Irr tum ist menschlich, aber unmenschlich ist es, im Irrtum zu verharren .
Was nun den Gegenstand unserer Untersuchung selbst betrifft, so wird sie die Erkenntnis des Wesens, des inneren Wesens der menschlichen Gesellschaft, ihren soziologischen, politischen und wirtschaftlichen Aufbau zu betrachten haben .
Die Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit kann hier natürlich nur das Wesentlichste bieten, von dem mir drei
Antithesen besonders bedeutungsvoll erscheinen :
Begriffs
Realismus, Begriffs -Nominalismus; zum anderen Individualis mus, Universalismus ; und drittens materialistische und ideali
stische Geschichtsauffassung .
So wie wir unsere Untersuchung nur dann fruchtbrin gend führen können, wenn wir den Vorurteilen das Urteil ent gegensetzen, so muß zuerst in objektiver Hinsicht die Frage
über das Wesen jeglichen Begriffes, also auch der mensch lichen Gesellschaft, des Menschen usw. geklärt sein. Weil ja erst so die Frage nach dem Wahren, nach der
Wahrheit überhaupt erst beantwortet werden kann. Dies bezüglich können wir zwei große philosophische Strömungen erkennen , die wir als Begriffs -Realismus und Begriffs-Nomina lismus bezeichnen.
Um das Wesen des Begriffs-Realismus zu charakterisieren , führen wir am besten Thomas von Aquino an, der das We sen der Begriffe darin erkannt hat, daß alle Begriffe nicht nur in den Dingen sind, die wir wahrnehmen, nicht nur in un serem menschlichen Geiste, der durch Abstraktion diese Be
griffe gewinnt, sondern sie sind auch vor unserer Existenz im Geiste Gottes.
Hier sind also die Begriffe Realitäten (universalia sunt realia) ; auch wenn niemand den Begriff Löwenheit dächte, existierte die Löwenheit dennoch. Die Begriffe sind hier ob
jektiv, wesenhaft, übersinnlich . Es ist dies jene Geisteshaltung, die, durchdrungen von der Existenz höherer, übersinnlicher Mächte, das Gralsgeheimnis überempirischer Erkenntnis hüten. 6
1
Es kann gerade für uns Deutsche ein erhebendes Bewußtsein bedeuten, in der Romantik, dieser blauen Blume deutschester und christlicher Geisteshaltung, Vorkämpfer gegen den öden Materialismus englischen und französischen Ursprungs beses
sen zu haben und auch für die Zeit, welche jetzt allenthalben mit gebieterischer Stimme zur Umkehr und Abkehr von fal schen Götzen aufruft.
Diesem Begriffs -Realismus stellt sich am Anfang des 14. Jahrhunderts eine philosophische Strömung entgegen, welche wir als Nominalismus bezeichnen und folgendermaßen
charakterisieren : Universalia sunt nomina. Die Begriffe sind bloße Namen. Sie sind nur flatus vocis, nur Hauch der Stimme, sie sind keine Realitäten, keine wesenhaften objektiven, son dern bloß subjektive vermenschlichte ; die Löwenheit wird zur bloßen Abstraktion, Verarmung wäre richtiger zu sagen, zur bloßen Zusammenfassung gleicher Eigenschaften von Dingen der sinnlichen Welt im Intellekt des Menschen.
Wohin eine derartige Erkenntnis zu führen vermag, das zeigt uns das bekannte Beispiel einer Begriffs -Erfassung, die der Mensch erkennt : Der Mensch ist ein federloses Zweibein.
Dieser Nominalismus, später als sogenannte Aufklärung, Rationalismus, Empirismus, aus- und umgebaut, erhebt die individuelle Vernunft zum allein seligmachenden Götzen. Es ist bezeichnend, daß diese Geisteshaltung englischen Ursprungs ist, später von den Franzosen übernommen , zum erstenmal von deutschen Philosophen, einem Fichte, Hegel, Novalis ent scheidend bekämpft wurde. Wie die Aufklärer, Fichte nannte
sie Ausklärer, in ihrer atomistischen, jeglicher Bindung feind lichen, eine positive Religion ebenso wie eine nationale Bin dung leugnenden Einstellung dachten, dafür sei nur angeführt das Buch La Mettrie's „ L'homme machine“ (1747) , oder Baron
von Holbach, die Hauptaufgabe des Menschen ist die Über windung der Furcht des Übersinnlichen. Ebenso bekannt, der Kampf Voltaires gegen jeden Glauben, den er Aberglauben nannte, oder Reimarus, der ausführt, eine übernatürliche Offen
barung ist überflüssig, aber auch unmöglich und daher un wahr. Biblische Berichte sind unglaubwürdig, widerspruchs voll, Gemisch von Irrtum und Betrug. Wohin diese Geistes
richtung als religiöse Aufklärung im Deismus geführt hat, da für ist allein bezeichnend, daß ein Robespierre als Oberprie ster eines derartigen Kultus in Paris tatsächlich geamtet hat. Am bezeichnendsten aber für die Verwirrung und das Wirr 7
sal, das diese Art von Geistesrichtung hervorzurufen imstande war, ist aber vielleicht das Wirken Rousseaus, dessen Ansich
ten , gleicherweise alogisch und amoralisch, zweifellos einen vollgemessenen Anteil am Ausbruch der französischen Re volution, dieser Gestaltwerdung individualistischen Denkens, tragen. Rousseau läßt nicht einmal die Vernunft gelten, son dern setzt an deren Stelle den Instinkt. Die ganze Niederung der französischen Revolution erscheint uns vorweggenommen , wenn man bei ihm lesen kann : Der Mensch , der denkt, ist ein entartetes Tier, oder : Der Mensch unterscheidet sich nur durch
Vervollkommnungsfähigkeit vom Tiere. Traurig ist es, daß diese letztere Denkungsweise auch heute fast noch als mo dern gilt. Niemand kann leugnen, daß gerade die Überschät zung der sogenannten Naturwissenschaften, welche übrigens ebenfalls ganz im Fahrwasser der nominalistischen, aufklä rerischen, empirisch-materialistischen Denkungsweise segeln, unsere modernen Geisteswissenschaften ganz verarmt hat. Und so sehen wir, wie hier zum einen Male sich eine Schicksals
frage erhebt, wie hier zum einen Male sich der Umbruch
unserer Zeit als eine wahrhaft geistige Wendung offenbart, die Götzendämmerung des Rationalismus ist angebrochen, die blaue Blume der Romantik hat nicht umsonst in deutschen
Landen geblüht. Jetzt gilt es wieder, hinter dem blendenden Blitz den schleudernden Gott zu suchen. Jetzt beginnt wieder vor die Frage nach der Ursächlichkeit einer rein mechanisti schen Kausalität die Frage nach der Zielstrebigkeit, diese alte
Frage nach dem wahren Sinn der Welt zu treten. Es beginnt wieder klar zu werden, daß hier eben die Entscheidung liegt, ob die unsterbliche Seele des Menschen etwas Reales ist oder
ein bloßer Sammelname für die sogenannten seelischen Er
scheinungen oder gar für die Gehirnvorgänge (Psychologie, Seelenlehre ohne Seele) . Nur einer derartigen realen Erfassung der Gesetze des
ewigen Wahren und Guten kann es gelingen, den Dingen auf den Grund zu sehen und genau so, wie die Postulierung irgend eines Sittengesetzes nur dann innere Berechtigung und Sinn hat, wenn eben die Realität der Seele außer Zweifel steht, ge nau so hat nur für den die Frage, z. B. nach einer angemes senen Staatsform Sinn, welcher den Staat als etwas geistig
Reales, als etwas Überindividuelles, als etwas Objektives, als einen „Gedanken im Geiste Gottes" erkennt.
So wie eben
sicher der Satz gilt, ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhe 8
kissen, wie eben deutlich auch hier die geistig-seelische Natur des Menschen die wahre Realität ist, so gewiß ist auch, daß jede wahrhafte Erkenntnis über das Wesen des Staates nur eine wesensgemäße, d. h. begriffsrealistisch geschöpfte sein
kann . Und so, wie ein Zuwiderhandeln gegen die Gesetze des Ewigwahren und Guten dem Menschenleib seinen Schlaf rau ben können, so sicher wird eine Sünde wider den Geist auch im Zusammenleben der Menschen seine unheilvollen Folgen
nach sich ziehen. Damit sind wir bei der Kernfrage, nämlich der nach dem Wesen der menschlichen Gesellschaft, ange
langt :
Unter dem ungeheuren Wirrwarr philosophischer, soziolo gischer und wirtschaftlicher Begriffsbildung hierüber, zeichnen sich bei der Beantwortung dieser Frage deutlich zwei große Richtungen ab, die wir im Anschluß an Othmar Spann, einem Vorkämpfer universalistischer, ständischer Gesellschaftsauf fassung, als „ individualistische“ und „ universalistische “ be zeichnen wollen.
Schon rein formal kann jedes Ganze in zweifacher Hin sicht begriffen werden. Individualistisch vom Teile aus als bloße Summation dieser Teile, andererseits universalistisch
vom Ganzen aus als etwas vor dem Einzelnen Vorhandenes,
Überindividuelles, als ein Organismus mit seinen Gliedern. Diese individualistische Auffassung sieht die menschliche Ge
sellschaft vergleichsweise als einen Schotterhaufen an, in dem die einzelnen Steine gewissermaßen die einzelnen Menschen verkörpern. Und wenn wir nun das Wesen dieser Steine gesellschaft ansehen, so ergibt das in Hinsicht auf den einzel nen Stein, das Individuum, daß dessen Existenz durchaus auch
außerhalb des Schotterhaufens gedacht werden kann. Ja, daß seine Art, eine vollkommen in sich geschlossene, von vorn herein gegeben ist, daß das Wesen dieses Steines sich nicht
ändert, ob er im Haufen liege oder nicht. Der vollkommene Typ des absoluten, autarken, selbst
kräftigen, geistig und moralisch vollkommen in sich selbst ru henden Individuums ist damit geschaffen. Die Gesellschaft, derart individualistisch betrachtet, er scheint wiederum als nichts anderes als eine bloße Summa tion dieser Teile, ihre Wesenheit ist nur eine Zusammen
setzung aus all diesen Atomen , ihr Inhalt ist im wesentlichen bestimmt durch die Natur dieser Teile. Sie ist sozusagen nichts 9
außer dem Einzelnen. Ein bloßer Mechanismus, eine äußer
liche Verbindung einer Vielheit atomistischer Einzelner.
Dieser rein individualistischen mechanischen Auffassung 1
vom Wesen der menschlichen Gesellschaft, die hier nicht als eine Ganzheit, sondern als eine bloße Vielheit erkannt wird,
wollen wir schon hier die universalistische entgegensetzen, die Auffassung eines Ganzen als eines Organismus gewissermaßen,
1
wobei die einzelnen Teile nicht bloß Teile, sondern wahre Glieder sind, deren wahre Natur nur von der Ganzheit aus er faßt werden kann. Und diese Ganzheit ist nicht einfach eine
Addition von Teilen, nein, sie ist mehr, sie lebt, sie ist Orga nismus. So gewiß, wie der Mensch nicht bloß ein Haufen von Zellen, von Knochen , Fleisch und Blut ist, so gewiß die menschliche Hand losgetrennt vom Körper aufhört Hand zu sein , so gewiß ist die menschliche Gesellschaft, ein Volk, ein Staat, nicht einfach nur die Summe aller lebenden Menschen. 1
Wenngleich diese zwei Betrachtungsweisen seit langer Zeit vertreten worden sind, so hat doch die Entwicklung der
1 1
letzten Jahrhunderte unverkennbar die Vorherrschaft, wenn
nicht Alleinherrschaft individualistischen Denkens bedeutet, und zwar nicht nur im Bereich des Geisteslebens, sondern
besonders seit der französischen Revolution auch im staat
lichen und schließlich auch im wirtschaftlichen Bereiche. Schon die Sophisten haben die menschliche Gesellschaft
individualistisch erkannt. Ihre wirkliche Entwicklung erlangte individualistische Denkungsweise aber erst, als der Mensch mit Beginn der Neuzeit in Abkehr von der echten Geistigkeit des Mittelalters seinen Blick von den Dingen höherer Welten auf das Irdische richtend, die Erde erst so richtig entdeckt hat. Als mit der größeren Fülle irdischer Güter der ungeahnte Auf
schwung aller Zivilisation begann, während die Pflege wahrer Geistigkeit im selben Maße zurückging, um einem öden Mate rialismus Platz zu machen, der an Stelle der geistigen Bindun gen des Mittelalters und Altertums immer mehr Lösung brachte und an Stelle der Gemeinschaft in Glauben und Volkstum ein
selbstherrliches Ich mit seiner Macht- und Habgier setzte. Worin liegen also gesellschaftswissenschaftlich die Begriffs merkmale individualistischer Gesellschaftsauffassung ? Der Mensch ist ein geistig autarkes Individuum, ein Promotheus, ein absoluter Wert . Damit ist seine Grundhaltung eine ameta physische, eine bindungslose. Sie führt zur Anbetung der 10
1
individualistisch gesehenen Vernunft, zum Aufklärertum und
damit zum Subjektiven. Wert hat also nun nicht mehr sitt lich apriorisch Verbürgtes, eine überindividualistische objek live Wahrheit, das Göttliche, sondern etwas nur so weit, als es dem Individuum als Wert erscheint, etwas Relativistisches,
von ihm Geschaffenes und Anerkanntes ist. So wird der ge
sunde Menschenverstand zum Prinzip des Sittlichen, und im nächsten Schritte wird sittlich , was nützlich . Aber auch die
Wissenschaft wird utilitarisch, nützlich und damit empirisch und somit relativ. Ihre Gesetze suchen nur die Ursächlichkeit,
das rein mechanische Gesetz von Ursache und Wirkung. Wahr ist, was die Erfahrung als wahr bestätigt. Wer dächte hier nicht an das Schicksal gerade derjenigen Wissen schaften, die sich die exakten nennen und deren Geschichte,
an ihrem eigenen Maßstab gemessen, die eines einzigen gro Ben Irrtums bedeutet?
Im Rechtsleben führt der Individualismus zum Natur
recht, jenem unveräußerlichen, unzerstörbaren Naturrechte
des Einzelnen, welches der Niederländer Hugo Grotius (de jure belli ac Pacis 1625) als ein ungesellschaftliches wie un historisches Recht aus der Vernunft dieser atomistisch gedach ten Individuen herleitete. Wie tief unsere heutige Auffassung
im individualistischen Denken wurzelt, dafür möge ein Be weis sein, daß dieses individualistische Naturrecht noch bei
unseren bürgerlichen Gesetzbüchern Pate gestanden ist. Und dieses atomistisch gedachte Recht des Einzelnen zieht weiter eine Auffassung nach sich, die Auffassung von der Gleichheit aller. Politisch ergibt sich also aus dem Individualismus der Grundsatz des „ Laissez faire laissez passer“ , dieser Ruf nach sogenannter „ Freiheit “ , der in unseren modernen Verfassungen als Vereins- und Versammlungs-, Preß-, Rede-, Religions-, Be rufs- und Gesinnungs-, Gewerbe-, Kunst- und Liebe- und Ge dankenfreiheit, als Handelsfreiheit, kurz als Freiheit wovon
immer, seine politische Frucht getrieben hat. So stellt sich also die liberalistische Forderung der Freiheit von jeder Bin dung in diametralen Gegensatz zur universalistisch begriffenen Freiheit zu christlicher, nationaler und sozialer Bindung.
Es entspräche somit dem Gedanken des Individualismus
am meisten die Anarchie, die typisch individualistische Staats form, wenn Anarchie nicht so viel wie Formlosigkeit, das Chaos, bedeuten würde. Eine zweite individualistische Grund
form, der Macchiavellismus, denkt die menschliche Ordnung 11
so zu errichten, daß der Stärkere den Schwächeren unterwer
fen solle. Der Zweck heiligt die Mittel ! Die dritte Form individualistischer Staatsauffassung ist
das Naturrecht und die Vertragstheorie, welche dann als Li beralismus, Manchestertum, als republikanischer Liberalismus, als Demokratie staatliche Wirklichkeit geworden ist. Die letz
tere Staatsauffassung ist die, welche in den Verfassungen fast aller modernen Staaten Form geworden ist, seit die fran zösische Revolution ihren Ruf „ Freiheit, Gleichheit, Brüder lichkeit oder der Tod !" zum Panier erhoben hatte.
wie es vollständig geheißen hat
Diese naturrechtliche Auffassung vom Staat geht wieder aus von unveräußerlichen, unzerstörbaren Naturrechten des atomistisch gedachten Einzelnen. Um den unbequemen Zu
stand des ursprünglich vorhandenen Krieges aller gegen alle
zu beenden, delegieren sie ihre Rechte und Gewalt ganz oder teilweise einem Herrscher. Konstitutionalismus, aufgeklärter Absolutismus. In der Demokratie hingegen verbleibt alle Ge walt dem Volke und die Gewalt wird nur fallweise an die
Beamten und Richter dieses Staates gewissermaßen über tragen .
So finden wir also das politische Wesen der liberalen Demokratie darin , daß alle einzelnen Bürger atomistisch, da mit grundsätzlich gleichberechtigt erscheinen, daß die Frei
heit des Einzelnen als oberster Grundsatz anerkannt ist, daß das Recht nur anerkannt wird als bloße Regelung der äußeren Lebensverhältnisse, daß es erscheint als eine Beschränkung der eigenen Freiheit durch die Freiheit des anderen. Somit muß Recht das sein, was das Höchstmaß an Freiheit gewähr leistet, und der Staat ist der beste, der die geringste Ein mischung in die Freiheit des Einzelnen verspricht . Hier ist keine Bindung zwischen den Einzelnen, keine innere Bindung zwischen Staat und Bürger; hier sind die Auf gaben des Staates die einer Wach- und Schließgesellschaft, hier wird der Staat zum bloßen Sicherheitsverein . Aus diesem Grundsatz von der Gleichheit und Freiheit des Einzelnen ent
springt dann folgerichtig die Leugnung jeder religiösen oder nationalen oder sozialen Bindung. Jegliche Gesellschaft wird
somit bar jeder geistigen Gemeinschaft erkannt, sie sinkt herab zu einer bloßen Tatgemeinschaft , und ihr Impulsator, ihr Antreiber wird die Abstimmung. Und zwar , aus der grund sätzlichen Gleichheit des Einzelnen hergeleitet , eine Abstim 12
mung mit gleichem , geheimem , persönlichem Wahlrecht. Nietz sche und sein Stiefelputzer, sie sind gleich und frei, ihre Stimme fällt gleich ins Gewicht. Hier ist vielleicht der Punkt, wo das Verderbliche dieser individualistisch -liberalistischen
Denkweise ihre verheerenden Folgen sinnfällig auch dem zeigt , der gar nicht bis in den Grundirrtum des Individualis mus vorgedrungen wäre. Eine Narrheit, zu denken, und welche wäre nicht schon gedacht worden, trifft den Denker ; wo sie
aber zum regulierenden Prinzip erhoben wird, muß sie den ganzen Organismus schädigen. Niemand von uns wird, wenn
er Zahnschmerzen hat, eine Abstimmung unter seinen Be kannten veranstalten, welchen Zahn oder wie er ihn behan
deln lassen soll, sondern jeder wird den Fachmann befragen. Aber in Fragen des gesellschaftlichen Lebens hat man ge glaubt, über die Wahrheit abstimmen zu können, und wenn eben elf gegen zehn gestanden sind, so haben diese elf immer
und grundsätzlich recht behalten. Hier wurden die Stimmen gezählt und nicht gewogen. So zeigt sich eben das wahre Ge sicht dieses Satzes von der Freiheit und Gleichheit : Wir kön
nen nicht frei sein, wenn wir gleich sind, und wir können nicht wahrhaft brüderlich sein, wenn wir frei sind. Und wenn
wir auch dessen nicht gewiß wären , daß über die Wahrheit nicht abgestimmt werden kann, so müßte der abstimmungs weise ermittelte Volkswillen doch unsere größten Bedenken hervorrufen, weil die Erfahrung uns immer wieder gelehrt hat, wie wenig der Einzelne einen wirklich politischen Willen be sitzt und wie gerade in unseren Demokratien der Parteiwille
als Volkswille erst künstlich erzeugt werden mußte. Welch unsachliche Rolle Radikalismus, Verhetzung und Schönred nerei hiebei gespielt haben, brauche ich nicht auszuführen. So hat also der individualistische Grundsatz, mir geht
nichts über mich, zu einer Gleichberechtigung aller, auch der destruktivsten Ansichten geführt und eine Abstimmungs maschinerie zum Richter über Richtiges und Falsches im staatlichen Zusammenleben gemacht. Staatsverneiner und
Staatsbejaher, Atheisten und Gläubige, Verneiner und Be jaher des Privateigentums, sie hatten grundsätzlich gleiche Stimmen .
Aber auch
im
Wirtschaftlichen hat der Individualismus
als sogenannter Kapitalismus die Menschheit zwar zu einem unerhörten äußeren zivilisatorischen Aufschwung geführt, aber 13
andererseits die Menschheit in eine bisher noch nicht dagewe sene soziale Not gestürzt. Der materialistische Grundsatz rücksichtslosen Wirt
schaftskampfes des Stärkeren gegen den Schwächeren ist sein Kennzeichen. Der Eigennutz wird die Triebkraft alles wirt schaftlichen Handelns. Und so hat mit Recht der große Ar beiter-Papst Leo XIII. in seinem Rundschreiben „ Rerum no varum “ seine warnende Stimme erhoben und Pius XI. im
Rundschreiben „ Quadragesimo anno “ darauf hingewiesen, wie heute die Menschheit in zwei Klassen geschieden ist, in die
weniger übermäßig Reicher und in die große Masse der Ent erbten , Besitzlosen, des Arbeiter -Proletariats . Damit haben wir
diese Frage angeschnitten, welche in der Wissenschaft und im öffentlichen Leben als einer der ersten mit mächtiger Stimme Karl Marx aufgeworfen hatte, nämlich die soziale Frage. Es ist nicht möglich, in diesem allzu engen Rahmen auf das We
sen des Sozialismus erschöpfend einzugehen und so müssen Sie mir gestatten, nur das Charakteristische dieses modernen Sozialismus zu beleuchten.
Und zwar ist dies meines Erachtens die sogenannte ma
terialistische Geschichtsauffassung und die Verneinung des Privateigentums.
Die „ Materialistische Geschichtsauffassung“, von Karl Marx begründet, läßt sich vielleicht nach Spann am kürzesten formulieren in dem Satz : Die Gesellschaftsordnung wird durch die Wirtschaftsordnung bestimmt. Religion, Recht, Wissen schaft usw. sind nur der ideologische Überbau auf dem jewei ligen wirtschaftlichen Unterbau . Der Staat ist nur ein Klassen staat, d. h . eingerichtet zum ausschließlichen Schutz der je weils wirtschaftlich herrschenden Klasse. Wie dieser ideolo
gische Überbau gemeint ist, zeigt am besten der Ausspruch Lenins, dieses gelehrigen Schülers Marxens : „ Der liebe Gott
ist nur eine bourgeoise Erfindung .“ Hiemit ist jedes Geistige im Grunde geleugnet. Hier wird somit das Hegelsche Wort : „ Die Philosophie ist das Innerste der Weltgeschichte“ genau umgekehrt und der wirtschaftliche Mechanismus als das Erste und Primäre, aller Ideengehalt als bloße Ideologie von ihm abhängig erklärt, seiner eigenen Würde entkleidet, materiali
siert. Während also z. B. Hegel jeden Fortgang der Welt geschichte aus inneren , geistigen Momenten her bedingt sieht ,
setzt Marx den Klassenkampf als den alleinigen Motor jeder
geschichtlichen Entwicklung. Die Menschheitsgeschichte wird 14
so zu einer bloßen Magenfrage ! Wir sehen schon hier, wie der
Marxismus nur im äußeren Widerspruch zum Kapitalismus dennoch auf ein und demselben Grundirrtum individualisti
scher, materialistischer, mechanistischer Anschauung wurzelt.
Wir haben ja oft genug von sogenannten Wirtschaftsführern dem Grunde nach Ähnliches gehört, wenn sie sagen, der Staat ist dazu da, um der Wirtschaft zu dienen, und wenn allenthal ben die Wirtschaft als das Alleinentscheidende in den Vorder
grund gesellschaftlicher Betrachtungen gerückt wird. Es ist daher wohl am Platze, dem wahren Verhältnis von Wirtschaft und Gesellschaftsordnung auf den Grund zu gehen.
Othmar Spann hat definiert: „Wirtschaften heißt Mittel herbeischaffen für Ziele.“ Wenn wir nun in die vorher an
geführte Formulierung der materialistischen Geschichtsauffas sung, die Gesellschaftsordnung wird durch die Wirtschafts ordnung bestimmt, anstatt der Gesellschaftsordnung „ Ziele“
und statt der Wirtschaftsordnung „ Mittel“ einsetzen, so heißt nun die materialistische Geschichtsauffassung nichts anderes als : durch die Mittel werden die Ziele bestimmt.
Das ist ja nun auch die eigentliche Grundfrage: Hat Marx recht, daß die Ziele durch die Mittel bestimmt werden, oder
ist vielmehr wahr, daß es umgekehrt ist, daß die Mittel durch die Ziele bestimmt werden. Nach Marxscher Auffassung ist somit das Mittel das Primäre, das Ziel das Sekundäre. Zuerst sind die Mittel, dann kommen die Ziele. Hier wird nun tal
sächlich auf den ersten Blick Marx recht zu haben scheinen, hier wird auf den ersten Blick es tatsächlich erscheinen, als
ob zuerst die Maschine dagewesen wäre und dann die Masse der Besitzlosen, daß zuerst die Eisenbahn und das Dampf schiff erfunden und erst dann ein ungeahnter Handelsauf schwung erfolgt sei, daß zuerst das Kino und dann ein un geheurer Kulturverfall in Oberflächlichkeit usw. stattgefunden habe. Hier scheinen überall zuerst die Mittel und dann die Ziele zu sein.
Gewiß ist richtig, ohne Schi kann ich nicht Schilaufen. Um das Ziel zu erreichen, bedarf ich eines Mittels . Aber um
überhaupt zum Mittel zu kommen, muß gedanklich das Ziel bereits vorhanden sein. Es ist eben nicht so, daß jemand einen Baum schlägt, ihn in Bretter zersägt, sie vorne zuspitzt und aufbiegt, eine Bindung daran befestigt und nachher konsta tiert, das ist jetzt ein Schi, wozu kann ich ihn brauchen ?, son 15
dern es ist umgekehrt, zuerst hatten norwegische Bauern das Ziel, auch im Winter eine entsprechende Fortbewegungsmög lichkeit zu haben, und ihr erfinderischer Geist hat sie im Um wege über mannigfache Formen dann den Schi erfinden las sen . Es ist nicht so, daß jemand ein Motorrad konstruiert und einen Soziussitz darauf anbringt und nachher gefragt wird, ja, wen könnte ich denn da daraufsetzen , sondern umgekehrt, aus dem Bedürfnis, jemanden Zweiten mitzunehmen – und auf der Lenkstange ist es weder praktisch noch erlaubt, dar aus hat der Mensch, der Konstrukteur nach einem geeigneten Mittel gesucht und dieses im Soziussitz gefunden. Es ist nicht so, daß die alten Griechen zu dumm gewesen wären, eine
Dampfmaschine zu konstruieren, sondern dem ganzen Ideen gehalt dieser Zeit, der ganzen Geistigkeit der griechischen Antike hätte eine Dampfmaschine überhaupt nicht Mittel sein können, es bestand dafür mit anderen Worten kein Bedürf nis. Wäre das Mittelhafte das wirklich Bestimmende in der
Geschichte, dann müßten hinsichtlich gleicher Mittel auch gleiche Zustände herrschen. Wie wenig dies der Fall ist, da
für nur das Beispiel vom Schießpulver, das die Chinesen schon Jahrtausende vor uns gekannt haben und mit dem sie doch nichts Besseres als Feuerwerk anzufangen wußten. Aber neh men wir auch sonst eine Erfindung, sagen wir Yoyo oder ein neues Gut , z. B. Kaugummi usw.; hier scheint ja tatsächlich zu erst das Mittel und dann das Ziel zu sein ! Aber wie verhält sich
das in Wirklichkeit? Niemand würde Yoyo spielen, wenn nicht bewußt in dem Menschen dieser Spieltrieb vorhanden wäre ; und das macht eben aus, daß jede Erfindung sozusagen in
ihrer Zeit ist, ja, daß alle großen Erfindungen sehr oft von mehreren ganz unabhängig voneinander arbeitenden Gelehr ten, Technikern usw. gemacht wurden, weil eben alle großen
Erfindungen gewissermaßen aus dem geistigen Inhalt der Ziele ihrer Zeit entsprungen sind. Nicht weil das Mittelalter keine Maschinen kannte, war es selbstgenügsam, sondern umgekehrt,
das selbstgenügsame, innerliche, auf jenseitige Dinge ein gestellte Mittelalter hätte für eine Maschine gar keine Verwen dungsmöglichkeit gehabt, weil seine Ziele durch derartige Mit tel nicht zu erreichen gewesen sind. Das ist eben das Geheimnis des erfolgreichen Wirtschaf ters, daß er sozusagen mit einer feinen Nase für diese nur in
der Luft liegenden Bedürfnisse Witterung besitzt. Und gleich falls ist es eben nicht so, daß zuerst die „ Magazine“, wie sie 16
alle heißen mögen, wo in widerlichster Weise auf Seite so und
so die Photographien der Heldengräber von dort und dort auf der nächsten Seite von irgend einem pikanten Intermezzo ab gelöst werden, daß zuerst diese Magazine da waren und dann ist erst der Geschmack der Menschen auf einen solchen Tief
punkt gesunken, sondern es ist gerade umgekehrt, die uner
liörte Oberflächlichkeit, besonders unseres großstädtischen sogenannten geistigen Lebens, hat solche Produkte einer Un kultur hervorgebracht. So ließe sich Beispiel an Beispiel rei hen, aus dem eindeutig hervorgeht, wie eben ein Ding an sich überhaupt nicht Mittel schlechtweg ist, sondern erst durch
einen vorhergehenden Akt einer Zielsetzung zum Mittel wird . Ein Sessel ist eben nicht schlechtweg Sitzgelegenheit, sondern kann den verschiedensten Zielen dienendes Mittel werden.
Z. B. bei uns, im Innviertel, zum Zuschlagen oder als Beweis mittel bei einer politischen Diskussion. So ist auch die Ma schine in Wahrheit nicht die Ursache für das Vorhandensein
besitzloser Menschenmassen, sondern sie allein ist es, welche, richtig gebraucht , diesen Arbeitermassen unserer Großstädte Arbeit und Unterhalt bietet.
Die Industrialisierung ist somit eine Folge, das Mittel Versorgung dieses Bevölkerungszuwachses , welche in Europa im verflossenen Jahrhundert allenthalben stattgefun
zur
den hat und mit dem Mittel landwirtschaftlicher Produktion nicht mehr hätte erhalten werden können.
So hat sich die materialistische Geschichtsauffassung als ein Grundirrtum des Marxismus gezeigt, weil eben nicht das Mittelhafte, das Materielle, die Wirtschaftsordnung, den ge schichtlichen Fortgang ausmacht, sondern die geistigen Grund lagen, das Zielhafte, die Wertwelt. Nur so ist es verständlich, daß die Menschheit darauf vergessen konnte, Amerika um das Jahr Tausend entdeckt zu haben, dieses selbe Land, das in der zweiten Hälfte unseres Jahrtausends Sehnsucht und Ziel
der zivilisierten Menschheit geworden ist. Wirtschaften soll eben nicht heißen herrschen, sondern
dienen. Wie widerspruchsvoll aber die Marxsche Ansicht von dem ideologischen Überbau zum wirtschaftlichen Unterbau ist,
dafür nur das Eine : Recht ist nach Marx' Ideologie, bestimmt, als juristischer Überbau über die reale Basis der Produktions verhältnisse die Klassenherrschaft der herrschenden Wirt schaftsklasse zu sichern. So nimmt er nun einerseits das Pri
vateigentum bereits als reale Basis der Produktionsverhält 17 2
nisse, während nach seiner Auffassung dieses Privateigentum erst als dieser ideologische Überbau geschaffen werden sollte. So zeigt sich der marxistische Sozialismus vorwiegend individualistisch und materialistisch . Nur sollte an Stelle der naturrechtlichen Gleichheit im Staate
eine materialistische,
also wie früher dargetan, eine ebenfalls individualistische Klassenherrschaft des Proletariats einsetzen, die als Über
gangsstadium gedacht ist, bis die Gesellschaft aufgelöst, bis die Zeit gekommen ist, wo Menschen nicht mehr über Men schen herrschen werden, also der vollkommenste Zustand der Herrschaftslosigkeit erreicht ist, die Anarchie. Und hier zeigt sich der Marxismus auch völlig utopisch. Im Wirtschaftlichen
aber sollte der Expropriateur expropriiert werden, d. h. eine möglichste Gleichheit aller hergestellt werden, also ebenfalls individualistisch die naturrechtliche Gleichheit unserer staat
lichen Demokratie ins Wirtschaftliche übertragen werden.
Wohin diese Gleichmacherei des Lehrlings mit dem Meister, des Hilfsarbeiters mit dem qualifizierten Arbeiter, des Ma nuellen mit dem geistig Schöpferischen geführt hat, dafür sind die verschiedenen Sozialisierungsversuche und nicht zuletzt die Tatsache ein Beispiel, daß auch Rußland diese Art von Gleichheit nicht hat aufrechterhalten können. Im Gegensatz
zu diesem individualistischen Gedankengute steht die For derung auf Abschaffung des Privateigentums an den Produk tionsmitteln, die Sozialisierung, welche universalistische Züge aufweist.
Soweit sie sich hiebei auf die sogenannte Konzentrations lehre bezieht, ist sie utopisch . Diese besagt nämlich, die Konzentration des Kapitales, wie wir sie auch in kapitalistischen Wirtschaft in den Trusts, Kartellen usw. reits vorfinden , von selbst zur sozialistischen, kollektiven ,
daß der be zur
Planwirtschaft führe. Marx übersieht aber hiebei, daß nicht
jede Wirtschaft ergiebiger wird, wenn sie vom Kleinbetrieb zum Großbetrieb übergeht. Er zieht eine Schlußfolgerung ähn lich wie diese : Jemand hat durch Übung es im Alter von
20 Jahren dahin gebracht, täglich zehn Stunden zu marschie ren. Durch weiteres Training marschiert er im Alter von
30 Jahren das Doppelte, also 20 Stunden täglich, nach wei teren zehn Jahren wird er daher wiederum das Doppelte, also 40 Stunden täglich marschieren usw. ! Derselbe Irrtum liegt
z. B. auch jeder „ Überrationalisierung “ zugrunde, wie sie heute gar nicht so selten nicht nur die Arbeiterschaft durch Ver 18
minderung der Arbeitsgelegenheit geschädigt, sondern auch zu finanziellen Verlusten geführt hat. Z. B. eine Fabrik hat bis
her im Tage 1000 Stück erzeugt, welche sie um 20 Schilling pro Stück absetzen konnte. Durch Anschaffung einer neuen Maschine könnte sie 10.000 Stück pro Tag um dieselben Ge
stehungskosten pro Stück erzeugen. Diese Fabrik kann nun die Erfahrung machen, daß sie durch das vergrößerte Angebot nur mehr 15 Schilling je Stück erzielt . Die Unwirtschaftlich keit dieser Rationalisierung ist klar ersichtlich und gleichzeitig mit ein Beweis, daß Technik und Wirtschaft zwei gesonderte Bereiche darstellen, in dem Sine, daß nicht alles, was tech
nisch gelöst, auch wirtschaftlich ist. Abgesehen alsu davon, daß die Idee einer völligen Planwirtschaft utopisch ist , weil
kein Kopf und die gewaltigste Bureaukratie nicht imstande wäre, den lebendigen Organismus der Wirtschaft durch einen vom grünen Tische aus regulierten Mechanismus zu ersetzen, widerspricht sie auch den wirtschaftlichen Tatsachen. In der Frage des Eigentumes verlangt Marx, ausgehend
von der Idee der Ausbeutung der Arbeitenden durch die Ka pitalsbeisteller, zur Beseitigung dieser Ausbeutung, daß die Produktionsmittel in den Allgemeinbesitz übergehen. Es wird also nicht nur die gewiß notwendige Kontrolle des Gebrau
ches des Privateigentumes und die berechtigte Forderung nach einem gerechten Lohn erhoben, sondern darüber hinaus die
grundsätzliche Abschaffung des Sondereigentums gefordert. Auch hier wird sich deutlich das Utopische und Wider spruchsvolle marxistischer Denkungsart aus der richtigen
Beantwortung der Frage nach der Berechtigung des Sonder eigentums herausstellen.
Gewiß ist es, daß der jeweilige juristische Begriff des Eigentums sich geschichtlich gewandelt hat. Aber ebenso ge wiß ist es, daß vor diesem staatlich definierten und geschütz
ten Eigentumsbegriff ein Sondereigentum natürlich ist, so wie vor dem Staate der Mensch geschaffen wurde. Auch dem Kinde und jedem, der über den juristischen Eigentumsbegriff nicht orientiert ist, ist der Begriff des Sondereigentums ge läufig. So sagt daher Thomas v. Aquino mit Recht : „ Es ist erlaubt, daß der Mensch Eigentum besitze und es ist zugleich
notwendig für das menschliche Leben “ und in „ Rerum no varum “ sowie in „ Quadragesimo anno “ wird das Sonder eigentum als durch das natürliche und göttliche Recht be gründet anerkannt. So wie nämlich der freie Wille des Men 23
19
schen, getragen von höherer Vorsehung, sich selbst nach freiem Ermessen bestimmt, so liegt es in seiner Macht, nicht nur für seine Gegenwart, sondern auch für seine Zukunft zu
sorgen. Damit ist grundsätzlich die gewiß von niemandem be streitbare Verfügungsgewalt im Augenblick auch auf die Zu kunft erstreckt und damit der wesentlichste Teil des Sonder
eigentumsrechtes anerkannt. Aber nicht nur für sich vorzusor gen ist der Mensch berechtigt und verpflichtet, darüber hin aus schuldet er seiner Familie den angemessenen Unterhalt nicht nur für den Augenblick, sondern auch die Zukunft zu erwerben und sicherstellen.
Und
so muß es insbesondere
auch dem arbeitenden Menschen gestattet sein, nicht nur einen
gerechten Lohn für seine geleistete Arbeit zu empfangen, son dern, wenn er durch Einschränkung Ersparnisse gemacht hat, sie in welcher Form immer einer zukünftigen Verwendung vorzubehalten, kurzum, sie in sein Sondereigentum zu überneh men . Steht also außer Zweifel, daß das Sondereigentum grund sätzlich zu Recht besteht und daß daraus allein eine ordent
liche Nutzung der Fülle aller Güter gewährleistet werden kann, so darf die Doppelnatur des Eigentums nicht unbeach tet bleiben. Die Gerechtigkeit gebietet die Anerkenntnis des Sondereigentums ! „ Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib, Haus, Acker, Knecht, Magd, Ochs, Esel und alles, was sein ist.“ Die
wahrhaft christliche Liebe aber gebietet : „ Was ihr an Über fluß habt, das gebt den Armen, denn es ist seliger Geben als Nehmen .“ Und wenn es also mit Thomas v . Aquino erlaubt ist, daß der Mensch Eigentum besitze, so muß er doch die äußeren Dinge nicht wie ein Eigentum, sondern wie ein ge meinsames Gut betrachten und behandeln. Er muß den Ge brauch machen, welcher dem Gemeinwohle und der Gerech
tigkeit entspringt. Und hätten, um mit Spann zu reden, die Kapitalisten nur den rechten Gebrauch von ihrem Überfluß gemacht , es gäbe keine soziale Frage. So wie es heißt: Adel verpflichtet, so sollte es auch heißen und geübt werden : Reichtum verpflichtet . Damit haben wir diese andere Seite des Marxismus als
utopisch und in sich widerspruchsvoll kennen gelernt, diese Ansicht, daß die Zerstörung des Privateigentums die Ent proletarisierung des Arbeiterstandes bringen könnte. Denn nicht das ist es, was die Menschen wirklich arm gemacht, daß sie weniger an Gütern besäßen, sondern das Bewußtsein, ein 20
besitzloses, von heute auf morgen dem grausamen Zufall aus geliefertes Dasein fristen zu müssen. Und diese Entwurzelt heit, zusammen mit der vom Marxismus geforderten Lösung jeder religiösen oder nationalen Bindung dieses im kommu
nistischen Manifest dem Arbeiter mit blutiger Ironie entgegen geschleuderte Wort : „ Arbeiter, ihr habt kein Vaterland, was ihr nicht habt, könnt ihr nicht verlieren “, sie machen die Ar men erst zum Proletariat. So hat sich der Sozialismus im wesentlichen als Erbe des
Liberalismus gezeigt, indem auch er die Freiheit und Gleich
heit der ebenfalls letzten Endes atomisiert gedachten absolu ten Individuen verlangt. Er verdankt aber auch insoferne dem Liberalismus seine Existenz, als er in gewissem Sinne eine berechtigte Reaktion auf die Auswüchse kapitalistischer Wirtschaftsmethoden , die darauf hinausliefen , dem Spruch : „ Wo Tauben sind, da fliegen Tauben zu “, sozusagen natur gesetzlichen Charakter zu geben. Er war die natürliche und begreifliche Reaktion der enterbten Klassen, als widerrecht liche Ansprüche des Kapitals in seinem unersättlichen Mammonismus der arbeitenden Klasse größte Entbehrung auf
erlegte, um selbst in der Überfülle der Güter und Macht zu bleiben. Daß er Gleiches mit Gleichem vergeltend, an Stelle des Unrechtes von Seite der Kapitalisten , Unrecht von Seite des arbeitenden Standes setzen wollte und daß auch er dem
selben individualistischen Grundirrtum wie der Kapitalismus und der Liberalismus verfallen ist, hat ihn schließlich zum
Zusammenbruch geführt. Wer vermöchte auch den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben !
In welch schauerlichem Gegensatz solche dem wahren Geist und der wahren inneren Natur menschlicher Gesell
schaft widersprechende Utopien zu dem Versuche ihrer Ver wirklichung stehen können, das zeigt uns am besten, wenn wir das Wort Weitlings, welches wir aller sozialistischen Literatur
voranstellen könnten : „ Frei wollen wir sein, wie die Vögel des Himmels, sorglos in heiteren Zügen und süßer Harmonie durchs Leben ziehen wie sie !“, wenn wir diese Idee der Men
schenbeglückung den Revolutionen letzter Jahre entgegen halten .
Damit sind wir bei der Schilderung dieser Auffassung an gelangt, die im geraden Gegensatz zu individualistischer Denk
weise, als universalistische Gesellschaftsauffassung nun allent 21
halben die Geister erfaßt hat und darüber hinaus schon staat
liche Wirklichkeit zu werden beginnt. Mit Rücksicht darauf, daß die in diesem Rahmen folgen
den Vorträge sich mit ihr vorwiegend befassen werden, ist mir gestattet, mich bei ihrer Charakterisierung kurz zu fassen. Wir haben aufgezeigt, wie der Individualismus die mensch liche Gesellschaft einem Schotterhaufen verglichen hat und wie das Individuum so wie ein Stein als in sich geschlossen , geistig autark, atomistisch angesehen wurde. Und wie die menschliche Gesellschaft als bloßer äußerer Mechanismus,
ohne geistige Bindung und innere Gemeinschaft hingestellt wurde. Wir haben gesehen, wie eben dieser individualistische Grundsatz : „mir geht nichts über mich “ zur politischen Zer rissenheit im demokratischen Parteienstaat, zum Klassenhaſ , zum rücksichtslosen und gewissenlosen Raffketum, zur Ver machtung auch der Wirtschaft geführt hat. Der Dichter hat nicht gar zu arg übertrieben, wenn er die Zustände letzter Jahrzehnte geschildert hat : Denn wovon lebt der Mensch, in dem er stündlich den Menschen anfällt, auszieht, abwürgt und frißt, denn nur so lebt der Mensch, indem er gründlich ver gessen kann, daß er ein Mensch doch ist !
So hat es sich bitter gerächt, daß wir von der universa listischen Erkenntnis der wahren Grundlagen jeder mensch lichen Gesellschaft abgegangen sind, wie sie von Platon und Aristoteles, von Thomas von Aquino, den deutschen Roman tikern und zuletzt in „ Rerum novarum “ und „ Quadragesimo anno“ dargestellt worden sind. Daſ nämlich jede Gesellschaft, der Staat, die Familie, eine Nation usw. in Wahrheit als ein
geistiges Ganzes anzusehen ist, in dem der Einzelne ein Glied, nicht bloßer Teil, nicht nur Atom ist. So sagt Thomas von Aquino : „ Wie der Teil und das Ganze gewissermaßen das selbe sind, so gehört das, was dem Ganzen gehört, auch ge wissermaßen dem Teil an .“ Die menschliche Hand, sie hat eben das Menschliche an sich, und das Menschliche ist eben
mitbegründet in der Hand. Welch grundlegender Unterschied damit ausgesprochen ist gegenüber individualistischem Denken, das wollen wir uns an ein paar Beispielen veranschaulichen : Dem Individualisten ist die Familie nichts als ein äußerliches,
sozusagen zufälliges Nebeneinandersein der ansonst geistig selbstgenugsamen, autarken Eltern und Kinder. So gesehen ist die Familie ein reiner Nützlichkeitsverband, nichts weiter
als eine Aufzuchtsorganisation. Es ist daher nicht verwunder 22
lich, daß eine derartige Auffassung vermeint, die Erziehung zur Gänze in die Hände des Staates nicht nur legen zu kön nen, sondern auch zu sollen. Wir Universalisten hingegen haben die innere Gewißheit, daß Familienbande nicht nur
materialistisch begriffene Blutsbande, äußere Nützlichkeits
beziehungen, sondern in Wahrheit auch eine geistige Gemein schaft bedeuten. Gerade an diesem Beispiel der Familie zeigt sich aber auch, wie Universalismus nicht die Individualität
und Persönlichkeit leugnet. Wie verschieden mögen nicht Ge schwister geartet sein und sich entwickeln, und doch sind sie Glieder derselben Familiengemeinschaft. Es ist auch das die
Wahrheit, daß nirgends der Mensch als absolutes „ Indivi duum “ der menschlichen Gesellschaft sich einreiht, sondern daß
auch geistig gilt, was Thomas von Aquino gesagt hat, der
Sohn ist gewissermaßen ein Teil seines Vaters. Nehmen wir nur die Berufswahl, wer hätte frei seinen Beruf von Anfang
ergriffen , wer wüßte nicht, wie weitgehend elterliche Geistig keit dem Kinde hiebei die entscheidende Richtung gibt. Oder betrachten wir das Wesen der Nation. Sie ist für den Individualisten nur eine Summe von Menschen, eine bloß empirische Größe, ihrem Inhalte nach wechselnd mit dem Wechsel der Menschen. Sie ist eine bloß nach äußeren Merk
malen konstruierte, oft überhaupt nur mehr materialistisch als bloße rassische Blutbindung aufgefaßte Vielheit. Der Univer salismus hingegen erkennt die Nation als eine wirkliche gei stige Bindung, etwas, das über der Zufälligkeit der augenblick lichen Menschen steht, das über den Raum und die Zeit hin weg besteht. Sie ist, universalistisch gesehen, etwas Überindi viduelles, Apriorisches. Um einen Vergleich zu ziehen : Die Nation gleicht einem Baume, auf dem die einzelnen Menschen die Blätter sind. Der hätte aber eine mangelhafte Vorstellung vom wahren Wesen eines Baumes, wer immer nur den gegenwärtigen Zustand der daran befindlichen Blätter ins
Auge faßte. Und wenn auch ein Wurm die Blätter befiele, und den Baum kahl fräße und ihn unansehnlich machte, ein neues
Frühjahr wird ihn in seiner alten Pracht erstehen lassen ! So kann der Begriff eines Volkes in Wahrheit also niemals ein bloß mengenmäßiger, etwa durch Mehrheitsbeschluß feststell barer sein , sondern muß immer ein artmäßiger, überstaat
licher, überindividueller, apriorischer sein ! So stellt sich, universalistisch gesehen, jedes Ganze, die Gesellschaft , der Staat , immer als eine geistige, innere Gemein 23
schaft dar. Die Gesellschaft ist nun nicht mehr wie dem Indi
vidualisten : Nichts außer den Teilen ; sondern vielmehr gilt, daß der Einzelne ohne sie gar nicht gedacht werden könnte. Fichte hat das ausgesprochen, als er sagte : Sollen Menschen überhaupt sein, so müssen mehrere sein . Sein heißt also nun
mehr in Beziehungen stehen. Erst der Widerhall der Geister schafft dem Einzelnen seine innere Existenz. Geistig isoliert sein , ist nun der Tod, Gebundenheit wahres Leben. Wem
fiele hier nicht das Wort ein: Gegen die Dummheit kämpfen die Götter selbst vergebens. Nicht dort hört geistige Gemein schaft auf, wo Ansicht gegen Ansicht stünde, sondern dort wo Geist gegen Dummheit steht. Gerade von uns Lehrern kann
ja diese Erkenntnis immer wieder erlebt werden, wenn wir einer vollkommenen Unbegabung etwas beibringen sollen, und der Betreffende unseren Gedankengängen nicht folgen kann. Wir spüren dann genau, wie sozusagen unsere eigene Geistig
keit zu Ende ist, weil nichts auf der Gegenseite wäre, in dem unsere Geistigkeit existieren könnte.
Wir gleichen einer
Glocke, die im luftleeren Raume geschwungen wird, ihr Mund bleibt stumm ; es ist so, als ob sie nicht wäre. Damit wird aber auch das Wesen jeder Erziehung indivi dualistisch und universalistisch anders erkannt werden . Indi
vidualistisch gesehen ist Unterricht nur Kenntnisvermittlung, der Lehrer gewissermaßen Kleinverschleißer. Universalistisch
ist er geistig schöpferisch, indem der Schüler nicht nur die Kenntnisse des Lehrers übernimmt, sondern durch sie ent
zunden zu neuen, sonst ungedachten Gedanken fortschreitet; und für den Lehrer gilt, durch Lehren lernen wir. Während also individualistisch alles nur auf das Einzelne
bezogen wird, das einsam, nur auf sich gestellt, fremd unter Fremden , ein wahrhaft armseliges Dasein führt, erscheint uni versalistisch der Mensch eingegliedert und wohlgeborgen im Reichtum geistiger Gemeinschaften, der menschlichen Gesell
schaft, des Staates, der Religion, seines Volkes. Alles Sittliche ist nun nicht mehr Individualethik , sittlich ist was nützlich, sondern Sozialethik, was dem apriorischen Wesen der Ge meinschaft entspringt. Und so wie im Organismus die ein zelnen Glieder nicht gleich sind, so wird auch die menschliche Gesellschaft nicht aus gleichen atomistisch gedachten Indivi duen, sondern aus ungleichen zusammengesetzt erkannt. An
Stelle atomistisch-mechanischer Gleichheit wird organische, lebendige Ungleichheit gesetzt. Der individualistischen Freiheit 24
wird entgegengestellt die Gerechtigkeit ; „ Jedem das Seine“ an Stelle des „Mir geht nichts über mich “ ! In der Wissenschaft
gilt es nun nicht mehr bloß äußere, empirische, relative Er fahrung anzuhäufen, sondern innere Erfahrung zu erringen. Nicht Kausalwissenschaft, sondern Zweckwissenschaft, inneres
Wissen statt Aufklärung. Der Geist, wieder zurückgewandt vom äußeren in sein wahres inneres Reich, wird nach dem
großen zivilisatorischen Fortschreiten das Abendland nicht untergehen lassen, sondern einer neuen kulturellen Verinner
lichung, einer neuen Kultur entgegenführen. In der Wirtschaft wird nicht Eigennutz, sondern Gemein
wohlgerechtigkeit das" treibende Prinzip sein, an Stelle der freien, vom internationalen Kapitalismus ebenso machtgierig wie habsüchtig betriebenen hemmungslosen Wettbewerbswirt schaft wird die neue ständisch gebundene Wirtschaft treten, um auch dem Arbeitenden zu geben, was sein ist. Wie nun im Konkreten diese universalistische Auffassung der Gesellschaft in unserem Staate verwirklicht werden soll,
darüber werden Berufenere als ich sprechen. Mir obliegt nur mehr in großen Strichen anzuzeichnen ,
welche Wege hiebei gegangen werden müssen. Und da möchte ich im Anschluß an „ Quadragesimo anno“ darauf hinweisen, daß hiebei zwei Dinge zu fordern sind: Zuständereform und
neue Gesinnung. Ordnung, sagt Thomas von Aquino, ist Einheit in wohl gegliederter Vielheit. Und diese wohlgegliederte Vielheit gilt es jetzt aus dem chaotischen Trümmerfeld des liberalen, ato mistischen Staatserbes zum Leben zu erwecken . An Stelle des
aus der atomistischen Gleichheit des Einzelnen sich ergebenden zentralistischen und unmittelbaren Staatsaufbaues individua listischer Staatsformen, werden sich für den universalistischen
Staat als Folge der Erkenntnis der organischen Ungleichheit und wertmäßiger Ungleichheit der Teile nach Spann drei Bau gesetze erkennen lassen, nämlich erstens das Baugesetz der
ständischen Gliederung statt der zentralistischen Einheit, zwei tens das Baugesetz der Mittelbarkeit statt der Unmittelbarkeit
und drittens die Organisiertheit der Teile statt ihrer mechani schen und atomistischen Isoliertheit.
Ohne ins Einzelne zu gehen, wird hinsichtlich der stän dischen Gliederung beachtet werden müssen, daß der Staat eine wahre Gemeinschaft bildet, daß er nicht zu eng gefaßt,
an Stelle der individualistischen Zersplitterung eine ständische 25
Zersplitterung hervorruft und daß ein Stand anderseits sich nicht kastenmäßig von den anderen Ständen abschließt und so erst wiederum aufhört Glied und Organ des Staates zu sein. Hinsichtlich des Baugesetzes der Mittelbarkeit wird das bedeuten, daß nicht die Mehrheit, sondern das Beste herr schen soll. Dies bedeutet aber, daß die Herrschaft autoritativ
sein muß und daß sie grundsätzlich nicht von unten nach hinauf, sondern von oben nach hinunter als geistiges Führer tum gehen muß. Dabei darf aber nie außer acht bleiben, daß
Herrschaft zuerst heißt geistige Gültigkeit. Eine Machtaus
übung aber ohne die Grundlage geistiger Gültigkeit ist Knechtung . Im Wirtschaftlichen aber wird an Stelle der vermachteten
kapitalistischen Wirtschaft ein regulatives Prinzip treten müs sen, das nach sozialer Gerechtigkeit und christlicher Liebe die Wirtschaft nicht zum Schauplatz von Machtkämpfen, zum Selbstzweck macht, sondern bewirkt, daß sie sich wieder die
nend und nicht herrschend in die menschliche Ordnung einfüge.
Unsere bisherige Wirtschaftsform hat ja zu einem drei fachen Kampf um die Macht geführt, zum Kampf um die Macht innerhalb der Wirtschaft selbst, zum Kampf um die Macht über den Staat, der als Machtfaktor in den wirtschaft
lichen Interessenkämpfen eingesetzt werden sollte, und somit zum Machtkampf der Staaten untereinander, zur Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen ihr Angehöriger. Aufgabe des zukünftigen Staates ist es, die Wirtschaft in diese Schranken zu verweisen, die ihr Bereich sind, nämlich die Mittel herbeizuschaffen , um die Existenz des Volkes zu
sichern, und die Erreichung der staatlichen, religiösen und kulturellen Ziele zu gewährleisten. So haben wir nun in großen Zügen ein Bild davon ge zeichnet, wie menschliche Gesellschaft erkannt werden kann
und muß . Wir haben dem Begriffs -Realismus den Begriffs Nominalismus gegenübergestellt, der individualistischen Ge sellschaftsauffassung die universalistische, der materialisti schen Geschichtsauffassung die idealistische. Wir haben ferner gezeigt , wie auf die Jahrhunderte des
Strebens nach Lösung von jeder Bindung im Geistigen eine neue Zeit mit dem Wollen zur Bindung heraufzieht, und haben so erkannt, daß wir in Wahrheit an der Wende einer neuen Zeit stehen . 26
Und wenn der menschliche Geist mit demselben prome theischen Feuer, mit dem er die äußere Fülle der Dinge ins Ungeahnte und Gigantische zu steigern vermocht hat, die neue und doch so alte Wahrheit im Innern ergreifen wird, dann können wir eine bessere Zukunft erhoffen.
Dann wird an Stelle des Kampfrufes der französischen Revolution : Egalité, Liberté, Fraternité, ou la mort, gelten : Gleichheit vor dem Rechte, Brüderlichkeit in der Wirtschaft
und Freiheit im Geiste zur Bindung mit dem ewigen Wahren und Guten. Das Leben ! Österreich !
Organische Gesellschaftsauffassung. Volksvereins- Sekretär Rudolf Hausleithner, Linz.
Liberalismus, Sozialismus, Universalismus,*) das sind die drei Gesellschaftsbilder, die gegenwärtig mitein ander um die Geltung in Europa ringen. Es ist nicht un
interessant, die geographische Kräfteverteilung in diesem Rin gen zu beachten : im europäischen Westen sitzt der Libera
lismus noch immer mit einer gewissen Festigkeit im Sattel ; im europäischen Osten und darüber hinaus beherrscht und bedroht der Sozialismus in seiner radikalen Abart des Bol
schewismus die Völker ; dazwischen hinein schiebt sich ein
breiter mitteleuropäischer Streifen vom Mittel meer bis zur Nordsee und zur Ostsee, in dem unter heftigen,
teilweise revolutionären Krämpfen ein vielfach noch dunkler Drang dem Universalismus zustrebt.
Dieses geographische Bild scheint symbolhaft die An schauung zu bestätigen, daß Liberalismus und Sozialismus zwei Extreme seien, zwischen denen als goldene Mitte der Universalismus stehe. Soviel diese Meinung vertreten wird, so unzutreffend ist sie, denn Liberalismus und Sozialismus
sind nicht eigentlich entgegengesetzte Extreme, sie sind bloß die beiden Kehrseiten ein und derselben
individualistisch
mechanischen Gesellschaftsanschauung; zwi
schen beiden ist nicht ein Abstand, sondern ein inniger und * Die Bezeichnung Universalismus figuriert hier nicht als Marken name für ein bestimmtes, sondern als Sammelname für all die verschiedenen
Gedankensysteme gesellschafts- und staatsphilosophischer Art , die eine innere Überwindung des Liberalismus und des Sozialismus erstreben. 27
wesentlicher Zusammenhang. Der Universalismus aber steht nicht zwischen beiden in der Mitte drinnen, er steht vielmehr
beiden gegenüber und über beide erhaben als eine eigene, als die ganzheitliche, organische Gesellschafts anschauung. 1.
Wir müssen uns, um uns über das Wesen der organischen Gesellschaftsauffassung völlig klar zu werden, einen Augen blick mit der mechanischen beschäftigen. Der Individualismus liberaler Prägung stellt das „ Individuum “, den Einzelmenschen , in den Mittel
punkt seiner Anschauung. Das Individuum ist ihm die einzige, wirkliche, reale Tatsache des gesellschaftlichen Lebens. Ge sellschaft hingegen ist ihm lediglich eine Summe von Indivi duen . Gesellschaft oder Gemeinschaft ist ihm nicht etwas Natürliches, sondern etwas künstlich Gemachtes, nicht etwas
Notwendiges, sondern etwas Willkürliches und Freigewähltes. Gesellschaft entsteht, indem die Individuen den „ Gesellschafts
vertrag“ schließen . Gesellschaft vergeht, indem sie diesen Vertrag kündigen oder lösen. Das Individuum, seine Interes sen, seine Vorteile sind auch in der Gemeinschaft Ziel und
Zweck ; Gesellschaft ist nur eine Nutzveranstaltung der ihr an gehörenden Individuen. Der Begriff des Gemeinwohles ist dem Individualismus völlig fremd. Die Rechte des Individu ums sind die älteren und höheren Rechte, die Ansprüche, die die Gesellschaft an das Individuum stellt, nehmen den zweiten
Rang ein. Das Individuum und die Summe der In dividuen - letztere beliebig durch Addition vermehrbar,
durch Subtraktion verminderbar, durch Division teilbar das ist alles, was der Liberalismus von Gesell schaft weiß.
Der Individualismus sozialistischer Prä
gung ist die Umkehrung des ersteren. Er stellt die „ Sozietät“, die Gesellschaft, die Summe der Individuen in den Mittelpunkt seiner Schau : Gesellschaft ist alles, ist das einzige Wertvolle und Schätzbare in der Menschheit. Das Individuum hat Be
deutung und Wert nur insoweit und nur insolange, als es der Gemeinschaft nützt. Die Sozietät, aus Individuen gebildet und beliebig aus Individuen so und anders organisierbar, besitzt die höheren und heiligeren Rechte ; die Rechte des Individu ums gelten nur so weit, als der Staat sie erteilt oder still 28
schweigend gelten läßt. Die Summe der Individuen und das Individuum selbst, das ist auch alles, was der Sozialismus von Gesellschaft weiß .
Der Liberalismus atomisiert die „ Sozietät“ in Individuen, löst sie in ihre kleinsten Bestandteile auf. Der Sozialismus
konglomeriert die „ Individuen “ zur Masse, die er fälschlich „ Sozietät“ nennt. Beim Liberalismus liegt das Schwergewicht der Gesellschaftsauffassung auf dem Einzelsummanden, beim Sozialismus liegt das Schwergewicht auf der Gesamtsumme: für beide liegt zwischen Individuum und Ge samtheit ein leerer Raum, in dem ihre Gesellschafts anschauung nichts Bemerkenswertes zu entdecken vermag. 2.
Ganz anders die organische Gesellschaftsauffassung. Nach ihr ist Gesellschaft nicht etwas, was man durch die mecha
nische Tätigkeit des Addierens und Organisierens erhält. Ge sellschaft ist vielmehr etwas lebendig Wachsendes und Ge wachsenes, ist ein Organismus, der aus eigenen ihm inne wohnenden Kräften wird. Gesellschaft ist nicht eine Atom
menge und nicht ein Konglomerat, sondern ein lebendiger Gliederbau, in den jeder Mensch hineingeboren wird, in dem jeder Mensch sein Leben lang lebt, innerhalb dessen jeder
Mensch seine bestimmte Gliedstellung und Gliedfunktion be sitzt .
Jeder einzelne Mensch verdankt sein Leben der zeugen
den Liebe eines Mannes und eines Weibes, er ist die Frucht
einer Liebesgemeinschaft von Mann und Weib. Der Mann ist von dieser Stunde an Gemeinschaftsglied und heißt als solches Vater. Das Weib ist von dieser Stunde an Gemein
schaftsglied und heißt als solches Mutter. Die Frucht die ser Gemeinschaft und zugleich ihr zugewachsenes neues Glied ist das Kind. Diese Blutsgemeinschaft von Vater und Mutter und Kindern, die Familie, ist eine Urtat sache des Lebens. In dieser familialen und nicht in der
rassischen Blutsgemeinschaft liegt der eigentliche, heilige und wundersame Mythus des Blutes. Die Blutsgemeinschaft der Familie ist biologisch , aber auch soziologisch der Urquell des gesellschaftlichen Lebens ; jede echte Gemeinschaft trägt an
sich irgendwie die Grundzüge dieser ersten und urkräftigsten Gemeinschaft . 29
Demnach ist schon der kleinste Mensch , das Kleinkind,
Glied einer Gemeinschaft und gehört nicht zufällig, sondern ganz notwendig, nicht willkürlich , sondern naturhaft der
Blutsgemeinschaft an. Aber nicht nur dieser. Wird das Kind größer, kann es einmal herumlaufen und sich mit anderen Menschen verständigen und andere verstehen, dann entdeckt es und gewinnt es eine neue Gemeinschaft : es lernt die ande ren Familien des gleichen Hauses, der Nachbarhäuser, der Umgebung kennen, es wächst hinein in die Siedlungs oder Gebietsgemeinschaft. In ihr ist wieder der Einzelmensch nicht nur „ Individuum “ , er ist Nach bar im
Dorfe, ist Bürger in der Gemeinde und im Staate, ist Landsmann mit den anderen aus dem gleichen Lande . — Wie sehr wirksam und wertvoll diese Siedlungsgemeinschaft ist, das weiß jeder, der den Sinn des Dorfes für das Bauern volk erfaßt hat ; der erkannt hat, daß Nachbarschaft einen
ganzen Komplex von nie geschriebenen, aber stets heilig ge achteten Rechten und Pflichten bedeutet. Übrigens ist gerade uns Österreichern als den traditionellen Föderalisten Sinn und
Inhalt der Siedlungsgemeinschaft im besonderen Maße leben dig geblieben .
Blutsgemeinschaft und Siedlungsgemeinschaft sind die zwei Gesellschaftsbildungen, die schon bei den primitiven Völkern ihre große Rolle spielen, lange bevor es überhaupt einen Staat gegeben hat. Sie sind für jedes Volk durch Jahr tausende Inbegriff und Ausdruck alles gesellschaftlichen Le bens und gesellschaftlichen Wirkens gewesen.
Mit der Weiter- und Höherentwicklung der Völker und ihrer Kultur entsteht neuer Gemeinschaftsboden . Es bilden
sich gewisse Lebenstatsachen heraus, die immer wieder und zwangsläufig Gemeinschaftsgefühl und Gemeinschaftshandeln erzeugen . Mit der zunehmenden Arbeitsteilung und der Ent
stehung verschiedenartiger Beschäftigungs- und Erwerbs zweige ist der Beruf eine gemeinschaftsbildende
tausende Inbegriff und Ausdruck alles gesellschaftlichen Le gleichem Berufe ihrem Volke dienen und sich selbst den Le bensunterhalt verdienen, die Zunft oder Zeche, war durch
Jahrhunderte ein tragender Pfeiler des deutschen Wirtschafts und Kulturlebens. Der „ Berufsstand“ oder besser gesagt
die Vielzahl der Berufsstände soll gerade für das neue Öster
reich wieder Fundament des wirtschaftlichen, ja sogar des staatlichen Lebens werden. Jeder in das arbeitsfähige Alter 30
hineinwachsende Mensch , der auf irgendeine ehrliche Art sein tägliches Brot verdient, wird einer dieser Berufsgemein schaften angehören und angehören müssen. Damit sind noch keineswegs alle Gemeinschaftsbildungen
im Gesellschaftsorganismus erschöpft. Eine uralte, aber erst in den letzten Jahrzehnten eigentlich entdeckte gemeinschaft bildende Tatsache ist die des gemeinsamen gleichen Kultur bodens : „ Bauerntum “, „ Bürgertum “, auch Bauernstand und Bürgerstand genannt, das bedeutet für die Vergangenheit eine Gemeinschaftstatsache , der wir mehr als drei Viertel unseres gesamten deutschen Kulturbesitzes verdanken ; „ Arbeitertum “ oder Arbeiterstand, das bezeichnet die gewaltige Kulturaufgabe der Zukunft, deren glückliche Lösung letzten Endes das be deutet, was die europäischen Völker heute unter dem Schlag wort der Volkserneuerung erstreben. Auch Gemeinsamkeit der Sprache, der Über lieferung des Brauchtums ist eine Gemeinschafts basis. Aus ihr wächst das, was wir als Nation bezeichnen. ist wahre und lebendige Gemein
Nation
schaft, nicht in Staatsgrenzen einsperrbar, aber auch nicht
durch Staatsgrenzen teilbar. Erst wenn diese Tatsache ein mal von den Politikern und Diplomaten begriffen und geach
tet wird, gibt es eine gerechte und befriedigende Lösung des Problems der nationalen Minderheiten. Auch die einzige ge
rechte Lösung der Judenfrage liegt in dieser Richtung. Krönend und in eins zusammenfassend stehen über allen diesen vielen Gemeinschaftsformen und Gemeinschaftskreisen einer lebendigen Gesellschaft die zwei Gebilde, die als oberste und vollendetste alle anderen in sich begreifen und aufneh men , die Kirche und der Staa t. 3.
Überschauen wir alle diese verschiedenartigen Gesell schaftsgebilde, so können wir sie im wesentlichen in vier Gruppen unterteilen : die Blutskörperschaften (Fa milie und deren Erweiterung, die Sippe) , die Gebietskör
perschaften (Dorf, Gemeinde, Land, Staat) , die Berufs körperschaften (Zünfte oder Berufsstände) und die Kulturkörperschaften („ Stand“ als Bezeichnung für Kulturschichte, Nation, Kirche) . Und aus dieser Übersicht er geben sich ganz wichtige, für unsere organische Gesellschafts auffassung entscheidende Erkenntnisse. 31
Als erste diese. Der große Irrtum , die historische Ver blendung des Individualismus war es, daß er nur den Men schen und die Summe der Menschen sah, daß er keinen Blick
hatte für den ganzen Reichtum an Gemeinschaftsformen und
Gemeinschaftsbildungen zwischen Mensch und Staat. Damit ist ihm überhaupt der Weg verschüttet worden zum Ver ständnis dessen, was Gesellschaft ist. Das Schwerge
unserer organischen Gesellschafts a uffassung liegt dort, wo für die anderen der wicht
leere Raum war : auf den Zwischengemein schaften zwischen Individuum und Staat, auf den Klein- oder Glied gemeinschaften . Aus ihnen allen und der vielfältigen gegenseitigen Verbindung,
Verflechtung und Verwachsung entsteht der Gliederbau von Gemeinschaften, der die „ Gesellschaft “ ausmacht. Denn diese zahlreichen Lebens- und Gemeinschaftskreise
liegen nicht fein säuberlich nebeneinander, sie liegen viel mehr übereinander und ineinander, sie überschneiden und überdecken einander in fast unentwirrbarer Vielfalt. Jeder
Mensch z . B. ist einer Familie zugehörig, gehört aber ebenso einem Berufsstande an, ist Bürger einer Gemeinde, ist Glied einer Nation, ist Mitglied einer Kirche. Die Kulturkreise wieder und die Berufsgemeinschaften untergliedern sich nach Staat , Land und Gemeinde, die Gemeinden wiederum und die Länder fassen in sich die Familien und Teile aller Berufs
und Kulturgemeinschaften. Wie in einem Gewebe Kette und
Einschlag übereinandergreifen und die Art des Wechsels von Kette und Einschlag erst das Muster und die Form des Gan zen ergeben, so ergibt sich aus der gegenseitigen Verflech tung und Verwachsung der verschiedenen Lebenskreise in einander das wundervolle Gebilde der lebendigen organischen Gesellschaft . Aber nicht wahllos und wirr ist dieses Ineinander und
Übereinander der Gemeinschaftskreise in der Gesellschaft ge bildet. Die einzelnen Gliedgemeinschaften stehen wie die Glieder eines Körpers - zueinander und zum Ganzen in
einem
bestimmten Verhältnis ; sie setzen einander voraus,
sie ergänzen einander.
Sie bilden zusammen nicht eine
Summe, sondern eine Einheit. Ihr gegenseitiges Verhältnis ist geordnet nach einem eigenen Lebensgesetz, das den ganzen Gesellschaftsorganismus beherr schen muß, das „ Gesetz der kleinen Kreise " . 32
Was dieses Gesetz der kleinen Kreise beinhaltet, das möge
hier nicht durch eine komplizierte Definition , sondern durch eine einfache Umschreibung in drei Sätzen gesagt werden, so ähnlich, wie es das Gesellschaftsrundschreiben „ Quadra gesimo anno" tut.
Erster Satz : „ Was der einzelne Mensch aus eigener Ini tiative und eigenen Kräften leisten kann, das darf ihm nicht durch eine Gemeinschaft entzogen oder vorenthalten werden . “ Persönlichkeitspflege ist das Ziel der orga nischen Gesellschaft. Das ist die beste Gesellschaft,
die eine möglichst reiche Entfaltung der Persönlichkeit sichert ; das ist die höchst entwickelte Persönlichkeit, die einen mög lichst reichen Beitrag für das Wohl der anderen und der Ge samtheit leistet. So stehen Persönlichkeit und Gemeinschaft
nicht mehr im Gegensatz, sondern in Verbindung und Er gänzung . Zweiter Satz : „ Was kleine Gemeinschaften für sich und
aus sich zu leisten und zu ordnen vermögen, das darf ihnen nicht durch eine größere Gemeinschaft weggenommen wer den . “ Organische Gesellschaft ist höchste Selbstverwaltung, ist die einzige wahre, diesen Na men verdienende Demokratie. Jeder der Gemeinschaftskreise
bleibt in seinem Wirkungskreise so weit selbständig, als seine Tätigkeit nicht das Ganze und dessen Wohl berührt. Dritter Satz : „ Nur dort, wo die Kräfte der kleinen Ge
meinschaften versagen , dort greift die größte, der Staat, hel
fend und regelnd ein .“ Organische Gesellschaft ist größtmögliche Entstaatlichung des Lebens, ist das Gegenteil von dem, was heute mit Totalität des Staates gemeint und verlangt wird. Die Parole lautet : So viel Selbst
tätigkeit als möglich, so viel Staalstätigkeit als nötig ! Der Staat darf nicht das gesellschaftliche Leben beherrschen, noch
weniger in sich aufsaugen, er hat es vielmehr zu schützen, zu lenken und, wo es zu versagen droht, zu stützen und zu stärken . .
Liberalismus und Sozialismus, die scheinbar feindlichen
Brüder, haben in Verkennung des Umstandes, daß das Schwer gewicht des gesellschaftlichen Lebens in den Kleingemein schaften liegt, seit einem Jahrhundert enge verbunden und
treu vereint den Kampf geführt gegen diese Kleingemein 3
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schaften. Sie haben gegenseitig gewetteifert im wütenden Sturmlauf gegen Ehe und Familie. Sie haben es auf dem Ge wissen, daß die Zünfte verschwinden mußten und nicht wie
der erstehen konnten. Sie waren stets die engsten Bundes genossen, wenn es galt nationale und religiöse Güter zu ent werten und zu vernichten . Diese Erkenntnis sagt uns, nach
welcher Richtung die Erneuerung der Völker insgesamt, die Erneuerung Österreichs im besonderen gehen muß. Es gilt , theoretisch den Irrtum der Vergan
genheit zu korrigieren, bessere und tiefere Einsicht ins Gesellschaftliche zu bringen . Es gilt, darüber hinaus praktisch dort wieder aufzuba u en, wo Libe ralismus und Sozialismus eingerissen haben .
Mithin geht es nicht allein um die Erneuerung des Staates ; der Staat ist in der Vergangenheit eher überzüchtet als ver
nachlässigt worden. Mehr geht es um die Wiederaufrichtung der Berufsstände ; in ihnen muß die moderne Gesell
schaft das Organ der Wirtschaftsregelung und Güterversor
gung wiedergewinnen. Doch das ist ja nicht alles. Wichtiger als Staat und Stand ist die Erweckung und Kräftigung und Vertiefung der Familie und ihrer Lebensführung, denn Staat und Stand bleiben ohne Familie unerreichbare Ziele.
Und so sehr begrüßenswert die Wiederentdeckung und inten sive Pflege der national-vaterländischen Güter ist, so darf
doch nicht übersehen werden, daß Kirche und Religion für alles nationale und soziale Leben die Vorbedingung rich tiger und kräftiger Entwicklung ist. Auch der Gesellschafts körper lebt nicht aus der Materie, sondern aus dem Geiste.
Die Erneuerung Österreichs ist nicht Erneuerung oder gar einseitige Hypertrophie eines einzigen Gesellschafts gliedes, sie ist Erneuerung aller jener Gliedgemeinschaften, die zum harmonischen Aufbau des Gesellschaftskörpers uner
läßlich sind. Wirklich organische Gesellschaft ist har monische Gesellschaft; und nur harmonische Gesellschaft ist gesunde Gesellschaft und auf die Dauer lebensfähig und
widerstandskräftig . Für den Erzieher und Volksbildner ist das Wissen um
Leben und Reichtum der Gesellschaft beglückend und be
drückend zugleich. Er erkennt im Lichte dieses Wissens die ganze Größe und die ganze Schwere seiner Aufgabe, die letz ten Endes darin besteht, Persönlichkeiten zu Gliedern und
Trägern des gesellschaftlichen Lebens erzieherisch zu gestal 34
ten. Diese Erkenntnis leitet ihn an, allezeit in Ehrfurcht und
Demut am Tagewerk zu sein und so zu bilden und zu formen an dem Großen und Geheimnisvollen, das wir aussprechen mit dem kleinen Wörtlein ,,Volk “ .
Das Wesen der ständischen Gesellschaft. Prof. Dr. Karl Lugmayer, Wien .
Nach mehreren Jahrzehnten geistiger Kleinarbeit, an der in den Siebziger- und Achtzigerjahren besonders die konser
vativen Kreise Österreichs beteiligt waren, ist nun der Ge danke der Wiederherstellung der Gesellschaft auf ständischer Grundlage fast schon Allgemeingut der mitteleuropäischen Ge
sellschaft geworden. Schon in der Vorbereitungszeit zogen sich manche Fäden dieser Arbeit auch nach Ungarn. Es ge
nügt an den Namen Vogelsang zu erinnern, der in jener Zeit der schriftstellerische Herold war, und Vogelsang hat jahre
lang im damaligen ungarischen Preßburg gearbeitet. Es muß immer wieder festgestellt werden, daß den eigent lichen Durchbruch dieser Neubaugedanken das päpstliche Rundschreiben Qu. A. erwirkt hat. Da Rom heute der stärkste
geistige Mittelpunkt der Welt ist, sind die Leitgedanken dieses Rundschreibens auch für den Nichtkatholiken wegweisend. Wenn nicht alles täuscht, befinden wir uns in Mitteleuropa ja
überhaupt in einer Zeit der geistigen Vereinheitlichung. Grup pen , die sich vor Jahren fernstanden und kaum voneinander wußten, kommen heute in rascher Fühlung zueinander. Unter
der klugen und elastischen Führung des Bundeskanzlers Doll fuß und seiner Mitarbeiter werden gegenwärtig in Österreich immer neue und zum großen Teile gerade junge Kräfte frei, die sich mit Feuereifer in die Arbeit des geistigen Umbruches stürzen .
Der Auftakt zu diesem geistigen Umbruch war die große und kühne Rede des österreichischen Kanzlers am Wiener
Trabrennplatz vom 11. September 1933. In dieser Rede er klärte er, er wolle in Österreich den christlichen , deutschen , sozialen Staat aufrichten unter autoritärer Führung.
Diese Aufgabe ist so kühn und neu , daß man in der mittel
europäischen Geschichte fast auf Karl den Großen zurück gehen muß, um einen ähnlichen symbolischen Akt zu finden . Es darf daher nicht wundernehmen , wenn es dem Beobachter 3*
35
nicht immer leicht wird, von den Einzelgeschehnissen die Ent wicklungslinie abzulesen. Wir haben in Österreich derzeit zwei Aufgaben zu bewäl tigen, die sich nur teilweise berühren : die erste und vordrän gendste ist die Konsolidierung des politischen Lebens unter neuen autoritären Formen. Die Zeit einer grenzenlosen For maldemokratie ist für uns vorüber. In einem seiner glänzen den gesellschaftlichen Rundschreiben sagt Leo XIII.: „ Das Volk hat wohl das Recht, den zu bezeichnen, der die Rechtshoheit, die Autorität üben soll, aber die Hoheit selbst stammt nicht vom Volk, sondern von Gott“ , das heißt der Gewählte oder Ernannte ist letzten Endes nicht seinen Wählern oder seinen
Ernennern verpflichtet, sondern seinem Gewissen. Eine Staats
führung auf dieser Grundlage – der einzig möglichen
war
in den letzten fünfzehn Jahren der Parteidemokratie nur auf
Umwegen möglich. Wir schätzen uns glücklich, daß es der Beharrlichkeit und Geschicklichkeit unseres Bundeskanzlers
gelungen ist, den Weg für eine Staatsführung freizumachen,
die lediglich ihr Gewissen zur Richtschnur des Handelns nimmt, nicht die willkürlichen Wünsche bestimmter Wähler
gruppen. Die Arbeiten auf diesem Gebiete, auf Erstellung eines steten autoritären Kurses sind so vordringlich, daß sie derzeit
das übrige Reformprogramm überschatten. Die Regierung und wir können sagen – ein täglich wachsender Teil der breitesten Volksschichten sind sich über diese Sachlage klar. Die berufsständische Ordnung nun, der zweite Teil des Regierungsprogrammes, ist wieder nur ein Teil der ständischen
Gesellschaftsordnung überhaupt. Auch das ist unübertrefflich klar in Qu. A. gezeichnet. Das Gesamtproblem heißt hier : Das Recht der kleinen Gemeinschaften. „ Was der einzelne Mensch aus sich heraus leisten kann, soll ihm nicht durch Gesell
schaftstätigkeit abgenommen werden. Was die kleinere Ge meinschaft mit ihren Kräften leisten kann , darein soll sich
die größere nicht ohne hinreichenden Grund mengen .“ Qu. A. bezeichnet diesen Leitsatz als unverkennbaren Grundsatz der
christlichen Sozialphilosophie . Was sind nun solche
kleine Gemeinschaften ? Gemein
schaften , die immer vorhanden sind, weil sie unmittelbar mit
der Natur des Menschen zusammenhängen. Gemeinschaften, die also immer wieder von selbst entstehen, die der Willkür
des Menschen entrückt sind, die man nur organisieren oder desorganisieren kann , aber da sind sie immer. 36
Wir finden drei Arten : Die Familie und ihre Verlänge rung, die Verwandtschaft oder Sippe, die Nachbarschaft oder Gemeinde, den Beruf. Heute reden wir vorwiegend oder aus schließlich von der dritten Gemeinschaft. Und wenn man von
ständischer Ordnung spricht, so denkt man in der Regel nur an die berufsständische Ordnung. Mit Recht, weil der berufs ständischen Ordnung Qu. A. noch eine besondere Rolle zu
weist : die Beilegung des Klassenkampfes. Um aber die ganze Tragweite jenes sozial-philosophischen Grundsatzes zu ermessen , müssen wir auch die beiden ersten
Gemeinschaften in unsere Betrachtung ziehen, um so mehr, als sie geschichtlich und philosophisch früher da sind, als die Berufsgemeinschaft. Worum handelt es sich demnach bei der ersten Gemein
schaft, der Familie? Unsere europäischen Staatsverfassungen
sind so angelegt, daß der Mensch als Einzelwesen zur größten weltlichen Gemeinschaft, zum Staat, in Beziehung tritt. Am
klarsten tritt diese Anschauung zu Tage im Grundsatz des all gemeinen, gleichen, direkten Wahlrechtes, von dem man sich
jahrzehntelang die Lösung der staatlichen Ordnung erwartete. Aber der Mensch wird ja gar nicht als Staatsbürger geboren. Nicht der Staat gebiert den Menschen unter Schmerzen, son dern nach dem Wahrwort der Bibel die Mutter. In die Familie
tritt also der Mensch, bevor er noch Staatsbürger ist. Mit Blut tritt er in diese erste Gemeinschaft, mit Papier in die Staats gemeinschaft, und daraus ergibt sich gleich die große Frage : Soll diese erste natürliche Gemeinschaft nur eine Angelegen heit privaten Rechtes sein? Oder soll sie formend auch in die größte weltliche Gemeinschaft, in den Staat, eingreifen? Wir müssen bedingungslos sagen : Ja. Über die Art und Weise, wie das zu geschehen hat, müssen wir die Diskussion eröffnen . Es ist z. B. denkbar, daß nur die Familienerhalter politische Wil lensbildung ausüben können, so wie es am Anfang aller Völ ker war. Es ist denkbar, daß eine Unmenge von Angelegenhei
ten familienrechtlicher Art, die heute über den Staatsapparat gehen , in den Familienverband rückverlegt werden , in die Sippe. Angelegenheiten der Fürsorge, der Rechtsvertretung, des Erbrechtes usw. Auf diesem Gebiete fängt die Diskussion erst an . Wir haben im
Brauchtum
des deutschen Volkes in
Österreich noch eine Menge von Erinnerungen an die Macht
dieses Bandes, die sich trotz der Überflutung durch die Groß stadt erhalten haben . In der ungarischen Nation dürften sich 37
wahrscheinlich noch viel mehr Reste erhalten haben, an die man aufbauend ansetzen kann. Immer wieder muß man dar
auf verweisen, daß die Macht der Sippe bei einem Volke eigentlich das tragende Gerüst ist, das seit Jahrhunder ten keine Staatlichkeit besitzt, bei den Juden .
Was dort die „Mischpoche“ an kulturellen und wirtschaft lichen Aufgaben leistet, ist bewundernswert. Wir kommen zur Nachbarschaft. Im heutigen staatlichen
Leben ist diese Gemeinschaft die einzige, die einen Weg ins öffentliche Leben gefunden hat. Unser staatliches Leben baut sich auf Gemeinden und Ländern auf. Was wir von den Ent
würfen der neuen Verfassung bisher gehört haben, läßt ver
muten, daß die Mobilisierung dieser Gemeinschaft für das ge samte öffentliche Leben noch weiter verstärkt wird. Man muß
sagen, daß die politisch schaffenden Männer Österreichs der
zeit in ihren Konzeptionen vom besonderen Glück begünstigt sind. Ein wesentlicher Grundsatz der Nachbarschaft ist der
Grundsatz des Mitleidens, das heißt des Tragens gemeinsamer
Lasten. In den kleinen Siedlungen ist das bei uns zum Grei fen deutlich. Aber selbst die großen, überdimensionierten Wohnbauten Wiens lassen immer wieder solche kleine Ge meinschaften entstehen. Unsere außerordentlich starke deutsch
rechtliche Vergangenheit kommt uns hier besonders zustatten . In unseren alten Dorfverfassungen, in den Weistümern aus Niederösterreich haben wir allein über 600 -- >, finden wir
immer wieder den deutsch -rechtlichen Grundsatz : Wer An teil haben will an dem
Nutzen der Gemeinschaft, der muß
auch die Last mittragen, er muß mitleiden . Wir haben nicht die Zeit, die belebende Kraft der Nach barschaft noch in Einzelzügen zu besprechen. Wir kommen zur dritten Gemeinschaft, zur Gemeinschaft des Berufes . Sehr
spät ist die Berufsteilung in die Menschheitsgeschichte ein gezogen , Heute aber bildet sie den Schlüssel für den Bestand
der menschlichen Gesellschaft überhaupt. Menschen, die auf Grund ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit miteinander . Berüh
rungspunkte haben, sollen diese Berührungspunkte zu einem Organismus ausbauen . Dies ist das Wesen aller berufsstän dischen Ordnung. Ungeheuere Aufgaben warten auf sie. Die
großen wirtschaftlichen Zweige sind hier : Landwirtschaft, Klein- und Mittelgewerbe, Industrie. Am weitesten ist die be
rufsständische Ordnung vorgetrieben in der Landwirtschaft. Nur zwei Beispiele sollen uns das beleuchten. Es ist erstens 38
die landwirtschaftliche Kreditorganisation, die an den Namen „ Raiffeisen “ geknüpft ist. Sie ist sozusagen die Solidarhaft der Nachbarschaft und des Berufsstandes. Die volle Haftung mit dem ganzen Vermögen jedes einzelnen Genossenschafters ist das stärkste, was man sich an wirtschaftlicher Solidarität vor stellen kann. Wäre sie doch über den Kreis der Landwirt
schaft hinausgedrungen ! Wie viele Bankkrisen wären uns da
durch erspart geblieben. Und ein Zweites : Die Landwirtschafts kammern in Österreich, vor allem die niederösterreichische.
Was sie von anderen Berufsvertretungen unterscheidet, ist der Grundsatz, daß sie nicht nur die Interessenvertretung gegen
über Regierung oder gesetzgebenden Körperschaften ausübt, sondern daß ein wesentlicher Teil, man kann sogar sagen, der größere Teil ihrer Aufgaben der unmittelbaren Förderung ge widmet ist, daß sie sozusagen das Gehirn der Bauernschaft darstellt, Gehirn und hilfreichen Arm. Bundeskanzler Dr. Doll fuß hat selbst die beste österreichische Landwirtschaftskam
mer, die niederösterreichische, aufgebaut. Er bringt also für den Neubau des gesamten Vaterlandes die denkbar beste, praktische Erprobung mit. Im
Gewerbe haben wir seit Jahrzehnten als Ansatz zur
Selbstverwaltung die Zwangsgenossenschaften. Wenn sie bis heute in der Regel noch kein starkes Leben entwickelt haben, so liegt dies zum Großteil in der starken bureaukratischen
Bevormundung. Ein Abbau dieser Paragraphenfesseln wird hier die nächste Aufgabe sein. Immer weiter geht diese Über zeugung in das Gewerbe selbst hinein. Schwer, aber nicht aussichtslos sind die Fragen der In dustrie. Der Berufsstand hat hier zweierlei zu leisten : die
Marktregelung und die kollektive Regelung des Arbeitsverhält nisses. Marktregelung, man kann auch sagen Schutz des Un
ternehmers gegen das Kapital. Heute liegen die Dinge doch so : wenn ein Unternehmer mehr Aufträge hereinbekommt, kann er häufig, auch wenn er es wollte, den Mehrertrag nicht
auch seiner Belegschaft zukommen lassen. Er muß alles in Reserven hineinstecken, um nicht die Gefahr zu laufen, daß sich ein Außenseiter aufrichtet, der ihn im Preise und Absatz
schlägt. Das ist der furchtbare Wirtschaftskampf des ungezü gelten Wettbewerbes, der die Menschen nicht zur Ruhe kom men läßt. Weder Branchenverbände noch Kartelle haben daran
bis heute etwas Wesentliches geändert. 39
Ebenso schlecht steht es mit der kollektiven Regelung des Arbeitsverhältnisses. Die Kollektivverträge, die im Kampfe zwischen der Front der Arbeitgeber und Arbeitnehmer ent standen, haben auf bestimmte Zeit bestimmte Lohnsätze aus
gemacht. Sah die Arbeiterschaft, daß die Unternehmer ver mehrte Aufträge hereinbekamen , so wollten sie an der Stei gerung des Ertrages teilnehmen . Die Folge war dann Kün
digung und Vertragslosigkeit oder Streik, besonders dann, wenn die Konjunktur anstieg. Das neue kollektive Arbeits recht muß uns den klaren Grundsatz bringen, daß der Arbei ter in irgend einer Form – der Formen gibt es sehr viele -am gesteigerten Ertrag möglichst unmittelbar Anteil nehmen kann .
Das alles sind große und weitreichende Aufgaben . Wir können sie nicht in einem Jahre lösen. Vieles von dem , was
heute an Einrichtungen geschaffen wird, ist daher Übergang, notwendiger Übergang. Die politischen Ereignisse haben sich
derart überstürzt, daß augenblickliche Regelungen nötig sind. Die Raschheit der Ereignisse trägt aber auch das ihre dazu
bei, auch ganz verrostete Ansichten ins Wanken zu bringen. Aufgerollt ist in Österreich die Front zunächst von der Arbeit nehmerseite her. Der Ablauf der Mandate in den Arbeiterkain
mern hat eine Neubesetzung veranlaßt, die die christlichen Ge werkschaften in führende Stellung brachte. Die Februar Revolte hat die Auflösung der sozialdemokratischen Gewerk
schaften naturnotwendig mit sich gezogen. Aus dieser raschen Entwicklung ging schließlich die Einheitsgewerkschaft hervor, wieder unter führender Beteiligung der christlichen Gewerk schaften. Die christlichen Gewerkschaften sind für die neuen Aufgaben geistig lange vorbereitet, besonders durch das „ Lin zer Programm der christlichen Arbeiterschaft Österreichs“ vom Jahre 1923. Der erste Sekretär der Wiener Arbeiterkam
mer, Dr. Hans Schmitz, ein Bruder des Bürgermeisters der
Stadt Wien, hat sich jahrzehntelang als katholischer sozial politischer Schriftsteller hervorgetan. Die geistige Vorberei tung ist also da und wir können mit bestem Grunde hoffen , daß diese Männer der gewaltigen Aufgaben Meister werden. Die Einheitsgewerkschaft hat zunächst den Konkurrenzkampf der einzelnen Gewerkschaften beseitigt. Die Entwicklung wird sich rasch fortpflanzen auf die Vertretungen von Handel, Ge werbe und Industrie in den Kammern für Handel, Gewerbe
und Industrie und auf die Organisationen des Kleingewerbes. 40
Der österreichische soziale Boden ist weithin aufgelockert.
Unter der Führung geistig weitsehender Männer, vor allem des Bundeskanzlers und des Bundesministers Schmitz, der
neben seinem wichtigen Amt eines Bürgermeisters der Stadt Wien auch noch die geistigen Fäden der berufsständischen
Neuordnung in der Hand hält, wird die Entwicklung klar und ruhig vorwärts getrieben. Wir können das Beste hoffen , und trotz unserer sprichwörtlichen Bescheidenheit diesmal so un bescheiden sein, alle benachbarten Nationen zum Wetteifer am Neubau herauszufordern.
Ständischer Aufbau und Heimat. Studienrat Dr. Adalbert Depin y, Linz.
Wenn wir in unserer neuen Verfassung unser Haus nicht auf dem Gegensatz der Parteien aufbauen , sondern auf den Grundlagen des Berufes, so greifen wir alte und gesunde Ent wicklungslinien auf. Beruf gehört zu den Mächten , die gewal tig und zwangsläufig das äußere und innere Leben des Men schen beeinflussen. Der unerschöpfliche Volkswitz weiß in sei
nen Liedern und Spottreimen die Schwächen der einzelnen Stände, die ja im Wesen berufliche Zusammenfassung der Menschen sind, klar und scharf zu zeichnen, wird dabei aber nicht böswillig, es bekommt auch jeder Stand seinen Teil ab. Die Berufslieder wieder zeigen die Lichtseiten und Stärken des betreffenden Schaffenskreises. Der Einfluß des Berules
geht aufs Körperliche und auf das Geistige, angefangen von der Eigenart der Berufssprache bis zur allgemeinen geistigen Haltung. Wenn wir die auf uralte Überlieferung aufbauende, in sich geschlossene Bauernkultur dem aus neuen Arbeits formen heraus verständlichen Fragenkreis der Arbeiterschaft gegenüberstellen , so müssen wir oft einschneidende Unter schiede feststellen, können aber dabei weithin den Einfluß des Berufes beobachten . Der Bauer, der mit der deutschen Hei
matgeschichte Österreichs von ihrem Anbeginn an verwach sen ist , dem der Beruf Naturverbundenheit und Naturabhän gigkeit zur Selbstverständlichkeit macht, der ganze Arbeit lei stet, dem der Besitz von Haus, Hof und Grund Voraussetzung für sein Schaffen ist , hat sich im Laufe der Jahrhunderte eine
eigene Ausdruckswelt geprägt, hegt die Ehrfurcht vor dem Ewigen in sich , besitzt aber auch den praktischen Blick für 41
die Erfordernisse des Alltagslebens, hat in sich dem ganzen Volk seelische Kraftquellen bewahrt. All das wurde durch
Berufsvoraussetzungen gefördert, zum Teil bedingt.
In der
Zeit, da die Technik zur Schaffung des Fabriksbetriebes führte und die Einzelarbeit auf Massenerzeugung umstellte, ist der Fabriksarbeiter plötzlich als neues Glied in die Berufswelt ein getreten, wurde zu einer mechanisierten Teilarbeit gezwungen , die innerlich nicht befriedigt, er wurde sozial im damaligen Wirtschaftsleben nicht gerecht erfaßt, nicht verankert in die so unersetzliche Heim- und Heimatkultur. Daß man ihm da
Vergangenheit und Entwicklung leicht zum Zerrbild machen konnte, daß er stürmisch in die Zukunft, ins Neue drängte, nicht die Kraft und Zeit hatte, sich eine ausgeglichene Aus druckswelt zu schaffen , ist auf weite Strecken vom Beruf her
zu verstehen, der auch der Einheit von Arbeit und Erholung, dem Einbau in den Sinn für das Ewige nicht günstig war. So
haben auch alle anderen Berufsgruppen ihre Eigenart, die mit der Besonderheit der Arbeit in Beziehung steht. Dies gilt vom Kleinhandwerk so gut wie von den akademischen Berufen , vom Kaufmann ebensowohl wie vom Kanzleimenschen .
Erfreulich und gesund bleibt der Einfluß, die Eigenart des
Berufes, solange sie nicht störend eingreift in das Verhältnis der Berufe zueinander. Beruf darf, soll das Volksleben unse
rer Heimat gesund sein, kein Zweck- und Kampfverband gegen
andere Volksgruppen sein, sondern sich auf kulturellem Un terbau gestalten, Gemeinschaft sein. Als Gemeinschaft erfaß ter Beruf hat zwei Kennzeichen : er wird in Freude geübt , nicht als bloßer Zwang, um das Leben zu fristen . Er ist ge tragen vom Bewußtsein der Verantwortlichkeit: Arbeit zu
schaffen , die sich einfügt in die Bedürfnisse des Volkslebens,
die Notwendigkeit ist für das gedeihliche Zusammenleben in Volk und Staat. Wo Bauernleben gesund geblieben ist, gibt die Freude an der Bauernarbeit und das Gefühl der Verant wortlichkeit als Nährstand dem Leben und Schaffen einen
starken Halt, Freude und Verantwortlichkeit sind Voraus setzungen für alle führenden Berufe, ohne sie sinkt Beruf zum
Erwerb herab, dem dann der kulturelle Einbau, das Verpflich tende, das Bindende fehlt.
Fassen wir Beruf als Gemeinschaft, die die Menschen see lisch verbindet, sie aber auch einfügt in das Gesamtbild aller Berufe, so können wir nicht an der Frage vorbei, die der So zialismus so unheilvoll übersehen hat : An der Frage, welche . 42
Gemeinschaften sonst zwingend und bindend für das mensch liche Leben sind. Es sind zwei, ohne die sich auch Berufs
leben nicht restlos erfassen und gedeihlich entwickeln läßt : unser Zusammenhang mit Heimat und Volk und das religiöse Erlebnis.
Die Heimat ist uns allen Schicksal. Das Wort kann man
nigfachen Inhalt haben : der Ort, das Land, dem wir entstam men oder in dem wir durch unser Schaffen seßhaft geworden sind, der enge Kreis unserer Lebensbeziehungen oder der um fassende Gedanke an unser Volk. Immer ist das Wesentliche
daran die persönliche Wertbeziehung, die Schätzung dieser gefühlsbetonten Begriffe. Heimat ist uns die Beziehung zum Lebensraum unseres Volkes, zu Landschaft und Menschen. Wie sehr die Landschaft auf das ganze Wesen der Menschen
Einfluß nimmt, ist gerade für uns Österreicher bedeutsam. Viel Brauchtum und Volksdichtung, aber auch viel Eigenart hängt mit unserem Alpenland zusammen, mit dem Einfluß, den die alpenländische Landschaft auf ihre Bewohner übt. Wenn wir in Oberösterreich den Salzkammergutmenschen dem Mühlviertler gegenüberstellen, den Hörndlbauer der Al pen vergleichen mit dem Körndlbauer des Innviertels, so dür
fen wir nie übersehen, daß Alpental und Bergeshöhe, daß das versonnene Mühlviertel und das fruchtbare Innviertel andere
Voraussetzungen schafft, das Leben zu zwingen. Das zweite Heimatelement ist die Verwachsenheit mit unserem Volk. Und
da wieder ist es eine tiefe, im ganzen Wesen deutsche Er kenntnis, daß das Deutschsein nicht ein verschwommener Ein
heitsbegriff sein kann, sondern ein starkes Verbundensein mit unserer deutschen Umwelt. Der kleinste, aber wichtigste deut sche Kreis ist die Familie, es ist mehr als Zufall, daß die Fa
milienkunde eine so junge Wissenschaft ist, es ist das Unglück des späten 19. Jahrhunderts, daß ganz übersehen wurde, wie die wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnisse die Familie
zersetzten, und das Verhängnis in der Entwicklung der Arbei terfrage war es, daß dem gerade unserem Volke so wesens
entsprechenden Familiensinn keine Rechnung getragen wurde. Von der Familie steigt dann die Volksverbundenheit auf zu Siedlung und Beruf, zu Stamm und Landschaft. Ohne die Er
kenntnis der Ausgeprägtheit der Stammeseigenart bleibt der Sinn der deutschen Geschichte unverständlich , das Wesen
und der Weg deutscher Volkskunst unerklärt. Wie sehr diese Heimat- und Bodenverbundenheit auch für das Berufsleben 43
von Bedeutung ist, läßt das Studium des volkstümlichen Kunst handwerkes erkennen, das sich nicht einheitlich für den gan
zen deutschen Lebensraum darstellen läßt, sondern nur geglie dert nach Stämmen und Landschaften. Gerade aus der einge
henden Betrachtung dieser Kreise ergibt sich aber dann die Erfassung des Gemeinsamen, im tiefen und echten Sinn des Wortes Deutschen . So kommen wir auf dem Gebiet der Volks
kunst, aber auch auf allen anderen Gebieten deutschen Volks
lebens zu einem durchgeistigten, aber echten Begriff vom deut schen Wesen, der dem versagt ist , der an einem äußerlichen ,
mechanischen Einheitsbegriff des deutschen Volkes festhält. Das Bild von Heimat und Volk wird durch die Beachtung des geschichtlichen Schicksals gerundet. Dies gilt ganz besonders für uns Österreicher : wir sind seit den Tagen der alten Ost mark Grenzdeutsche mit Grenzlandaufgaben und werden es bleiben müssen im Dienste und zum Heile des deutschen Ge
samtvolkes. Grenzlandarbeit bedingte durch Jahrhunderte ständige Fühlung mit nichtdeutschem Volkstum, teils in Kampf und Waffenabwehr, teils aber auch in friedlicher Beziehung und Kulturarbeit. Es sind so im Laufe der Zeiten sicherlich
Eigenschaften in fremdes Volk eingedrungen, aber auch fremde Ausdrucksform in die eigene Weise übergegangen, überhaupt schuf unsere ganze geschichtliche Entwicklung ein Eigenleben, das sich dem Beobachter auch heute in der Volks überlieferung, in der österreichischen Heimatkunst, aber auch
im gesamten Volksbild ausprägt. Wir betonen unsere öster reichische Eigenart, sind dabei aber immer von der tiefsten Überzeugung erfüllt, daß alle unsere Eigenart, an der wir fest halten und die wir weiterpflegen wollen, ein Teilausschnitt ist aus dem Lebensraum unseres Volkes , dessen Einheit sich erst
aus dem Zusammenklingen der Mannigfaltigkeit ergibt, wie die einzelnen deutschen Stämme und Landschaften deutsches
Wesen verschieden und durchaus echt spiegeln. Wer österreichisches Volkstum auf sich wirken lassen
will , der lausche der österreichischen Kunst: ein lebendiges Stück Deutschösterreichs sind Bruckners Weisen ; in ihnen ist
die oberösterreichische Landschaft, das Volkslied und der Volkstanz der Heimat Voraussetzung, aber ebenso der gläubige Blick nach oben, der überhaupt das Denken und Fühlen wirk lich
österreichischen Wesens beherrscht. Stifters wunder
volle Schilderungskunst ist durchaus Österreichisch , aber ebenso auch durchaus deutsch . 44
In einfachen Volkskreisen hat sich die heimische Volks
überlieferung erhalten, sie ist ein klarer Spiegel des Volks
tums, soweit sie echt und bodenständig ist. Ob wir Bräuche beobachten, auf die Volksdichtung aufhorchen, heimische Volkskunst feststellen, immer erkennen wir Ausdrucksformen
nicht für persönliche Auffassungen und Lebenswege, sondern für die Gemeinschaft der Menschen. Wenn die Jugend des
Ortes den Maibaum aufrichtet, wenn die Hochzeitsgäste den Hochzeitsbrauch üben oder in überlieferter Weise vom Toten
Abschied nehmen, so ist die Siedlungsgemeinschaft Trägerin des Brauches, es ist die Notgemeinschaft der Nachbarn , in deren besonderer Art sich die Volksgemeinschaft offenbart. Wenn der Erntearbeit der Erntetanz folgt, das Dreschen von den Drescherspielen begleitet wird, das Gleichenfest als Brauch gefeiert wird, der Berufsstolz in Liedern erklingt, so sucht darin die Berufsgemeinschaft ihre Ausdrucksform. Wenn den Inhalt des Weihnachtsabends die Krippe und das Krippenlied bildet , Fronleichnam auch volkskundlich zum Volksfest wird, der Bauer beim Anschneiden des Brotes drei Kreuze macht ,
den Palm aufsteckt, so haben wir es mit religiöser Überliefe rung zu tun, in die überhaupt ein großer Teil aller Volksüber lieferung einmündet, weil eben jede ernste Gemeinschaft im tiefsten Sinn religiös begründet ist .
Ohne die Einfügung in das Religiöse, in die letzten und tiefsten Fragen des Lebens, würde der österreichischen Kunst,
der österreichischen Überlieferung ihre innerste Begründung und wieder ist dies ein Spiegel deutschen Wesens,
fehlen
deutscher Geschichte überhaupt. Die Kraft und Höhe goti scher Kunst, aber überhaupt gotischer Lebensform liegt darin, daß Kunst und Leben vom einheitlichen Erfassen des
nes
des Lebens erfüllt sind, von der Ehrfurcht vor Gott. Und hat die Barockzeit andere Ausdrucksformen , so ist sie doch auch
wieder auf ihre Weise eine Auseinandersetzung mit dem Ewi gen und leitet die Schätzung der Lebenswerte eben vom Ewi gen her. Im Volksganzen hat die Reformation eine schwere Kluft aufgetan , über die aber doch die Brücke des gemein samen Gottesglaubens führt. Furchtbar und unüberbrückbar
ist aber die Kluft, die die Renaissance aufgerissen hat, die das spätantike Lebensideal zur Richtlinie nahm , nicht vom christ
lich-deutschen Lebensbild , vom Gedanken an das Ewige aus ging und folgerichtig zum Neuheidentum führte. 45
Alle die Fülle der unerquicklichen Erscheinungen, die sich in der trostlosen seelischen Zerfahrenheit um die Wende
zum 20. Jahrhundert offenbaren, auch die scheinbar äußer
lichen gehen in der Tiefe doch auf den Zerfall der religiösen Gemeinschaft in Volkskreisen, die eigentlich hätten führend sein müssen , zurück. Die Erfindungen der Technik, ihre wirt schaftlichen Folgerungen, die Umformung der Arbeitsweise, die Rückwirkung auf die soziale Gliederung fand – und darin liegt die Tragik - ein Jahrhundert kultureller Zerfahrenheit,
das nicht fähig war, technische Leistungen und wirtschaftliche Errungenschaften einzubauen in den höheren Begriff, in die Kultur des Volkes. Bewußt auf den Papstworten des Rund schreibens „ Quadragesimo anno “ aufbauend sucht unsere Ver fassung zurückzufinden in das Wesen der Kultur unseres deut
schen Volkes, das in seinen Grundlagen germanisch, ebenso aber auch christlich ist, was uns der schlichteste Volksbrauch
überzeugend dartut. Die Fragen der Wirtschaft, die Erforder nisse des Berufes, die Regelung des staatlichen Lebens sind erquicklich nur dann zu lösen, wenn ihre Wertmaße nicht aus dem Kampf und der Selbstsucht der Menschen, sondern aus dem Ewigen kommen. Die bösen -ismen des 19. Jahrhunderts sind letzten Endes doch immer wieder ein Abirren vom tiefen Sinn
des Lebens : Liberalismus, Materialismus, Egoismus, Sozialis mus
.
Aus diesem Gewirr will unser Staat herausfinden,
indem er auf dem Beruf als Lebensgrundlage aufbaut, den Menschen aber in seinen Beziehungen zum Volk und zum religiösen Erleben festigen will, um die Fragen des staatlichen Zusammenlebens und Zusammenwirkens auf einheitlichem
Kulturboden zum Wohle des Volkes regeln zu können. Und österreichisches Volkstum ist und bleibt deutsches Volkstum ,
volksverbundenes religiöses Erleben hat die feste klare Grund lage des Christentums. In unserer österreichischen Aufbauarbeit, in der Anbah nung gegenseitigen ständischen Verstehens wird aus diesen Gründen das Heimaterleben in allen Berufskreisen unerläß
lich sein . Die Kunde von der Kultur und Natur unserer Hei
mat muß dafür die verstandesmäßige Grundlage bilden , wobei
es sich nicht um eine engherzige Beschränkung auf Heimat liches handeln darf, sondern um die Einfügung des Heimat bildes in die großen Zusammenhänge, in denen das Werden und Leben der österreichischen Heimat als eines Teiles des
deutschen Lebensraumes, aber auch als eine Brücke zu ande 46
ren Völkern steht. Die gefühlsmäßige Grundlage muß die über lieferungsmäßig gepflegte Freude an der Heimat sein , die sich zum stolzen Bekenntnis zu Österreich gestaltet. Heimatpflege bedeutet in unserem ständischen Gemeinwesen Einbauarbeit, Einfügung des Menschen, der zum Berufsmenschen erzogen wird, in seine Heimat. Denn die Meinung, daß der Berufs mensch unbekümmert um das Volkstum, das ihm Schicksal
ist, den Weg zu einer Weltgemeinschaft seines Berufes und zur Kultur finden kann, ist ein Irrglaube. Der gesunde Weg führt einzig über Heimat und Volkstum. Die Berufe finden das Verhältnis zu den anderen Berufen nur, wenn sie einge baut sind in die gemeinsame Volkskultur. Erst von diesem ge sicherten Boden aus führen tragfähige Brücken in das Bereich , das man international nennen könnte. Eine Internationale
aber, die über Volkskulturen hinwegschreiten will, wird zum Krebsübel der Menschheit. Darum muß in unserem Österreich
der Heimatpflege ihr gebührender Platz zuteil werden, Schutt ist wegzuräumen, gerissene Fäden sind zu knüpfen, aber auch neue seelische Aufbauarbeit ist zu leisten, damit der Mensch
zur Gesundung der Zukunft wieder ganz hineinwächst in seine österreichische Heimat, in sein deutsches Volkstum.
Deut
sches Volkstum hat aber die entscheidende Gestaltung durch das Christentum erfahren, darum ist unsere neue Verfassung, weil sie im christlichen Geist geschaffen ist, in ihrem Wesen deutsch , in ihr lebt die große Staatsidee unseres Volkes. Ihre
Grundpfeiler sind nicht zeitgebundene Werte, sondern die Worte des Herrn , die Liebe und Gerechtigkeit lehren, und über ihr leuchtet das Zeichen des Kreuzes, das unserer Volks
kultur die Richtung gegeben hat. In diesem Sinne singen und sagen wir stolz : Österreich wird ewig stehn.
Überwindung des Klassenkampfes durch berufsständische Ordnung. Universitäts -Dozent Dr. Hans B a y er, Wien ,
An Stelle des Kampfes zweier Gruppen der Gesellschaft gegeneinander soll gemeinsames Arbeiten treten. Es ist leicht, sich für diesen Gedanken zu begeistern. Wesentlich aber er scheint es, rein objektiv und nüchtern zu überlegen, ob dieser Kampf wirklich durch die berufsständische Ordnung über wunden werden kann . 17
Der Klassenkampf. Die Tatsache des Klassenkampfes brachte eine Unsumme von Elend und Not mit sich. Es ist an sich widersinnig ,
daß zwei Partner, die das gleiche Ziel haben, sich bekämpfen. Letzten Endes sind Arbeiter und Unternehmer vor allem daran
interessiert, daß das Unternehmen einen entsprechenden Er trag abwirft. Denn nur dann, wenn ein Überschuß erzielt wird, können auch entsprechende Löhne bezahlt werden ; wenn sich Unternehmer und Arbeiter bekämpfen und sich gegenseitig das Arbeiten erschweren, so führt dies zu einer Schmälerung des Ertrages und wächst sich so zum Schaden beider Teile aus. Und doch ist der Klassenkampf durchaus verständ
lich und hat sich mit einer gewissen Notwendigkeit aus der gegebenen Situation heraus entwickelt. Der Unternehmer wendet heute vielfach ein, daß er den Arbeitern nicht weiter
entgegenkommen könne, weil sonst seine Produkte infolge
Steigerung der Preise nicht absatzfähig seien. Inwieweit dieser Einwand zutrifft, müßte im einzelnen Fall untersucht werden . Jedenfalls aber ist klar, daß die Unternehmerschaft und die
sogenannte Bourgeoisie seinerzeit ihre Pflicht gegenüber den Arbeitern nicht erkannt hat. Diese Einstellung führte not wendigerweise zu einer Reaktion, zum Klassenkampf . Liberalismus und Klassenkampf. Der Liberalismus konnte diesen Kampf nicht über winden ; im Gegenteil, sein Grundprinzip war es, jedem volle
Freiheit zu lassen, weil doch jeder selbst am besten wisse, was für ihn zweckmäßig sei. Damit hat man den Mächtigen , die durch Kapitalbesitz gegenüber der Arbeiterschaft eine Art Monopolstellung inne hatten, volle Freiheit gegeben und ihre Macht
zu
einer
a sozialen Übermacht anwachsen
lassen .
Sozialismus und Klassenkampf.
Der Sozialismus, theoretisch auf den Gedankengän gen des Liberalismus weiterbauend , sah die tatsächlich vor
liegende Kampflage zwischen zwei Gesellschaftsgruppen als notwendig an ; seine Geschichtsauffassung geht gerade dahin,
daß die gesamte gesellschaftliche Entwicklung sich ausschließ lich in Klassenkämpfen vollziehe, in denen die unterdrückten Schichten gegen die herrschende Klasse ankämpfen. Diese
Entwicklung wäre allerdings nach Auffassung des Marxismus durch die Herrschaft des Proletariats abgeschlossen. Es er 48
scheint jedoch, wenn man den Grundgedanken der marxisti schen Geschichtsauffassung festhält (nach welchem sich die gesellschaftliche Entwicklung notwendig in Klassenkämpfen vollziehe), unlogisch anzunehmen, daß dann, wenn eine be stimmte Schichte die Herrschaft erreicht, dieser Kampf nicht mehr weitergehe. Jedenfalls aber ist die marxistische Auf fassung im Hinblick auf den gegenwärtigen Stand in der ge schichtlichen Entwicklung nicht in der Lage, eine Über
windung des Klassenkampfes aufzuzeigen, im Gegenteil, sie baut auf den Ideen des Klassenkampfes auf.
Berufsständische Ordnung und Klassenkampf. Die Frage ist nun, ob die berufsständische Ordnung einen Weg zur Überwindung des Klassenkampfes darstellt, ob sie in der Lage ist, die Atmosphäre und die Institutionen zu schaf fen, innerhalb deren eine Gemeinschaft zwischen Unterneh mer und Arbeitnehmer entstehen kann.
Klassenkampf und Wirtschaftslage.
Wenn der Klassenkampf überwunden werden soll, muß aber die berufsständische Ordnung auch noch in einer zweiten Richtung hin wirksam werden. Wir sind zwar überzeugt, daß die materialistische Geschichtsauffassung, alles im Gesell schafts- und kulturellen Leben gehe letzten Endes auf Wirt schaftsverhältnisse zurück, nicht zutrifft. Die Geschichte zeigt, daß viele Bewegungen nur aus einer Idee heraus ohne wirt schaftlichen Hintergrund entstanden sind und die Gestaltung der Geschichte grundlegend beeinflußt haben. Anderseits aber ist klar, daß jemand, der in bitterster Not lebt, keinen Sinn
für gesellschaftliche und wirtschaftliche Neugestaltung hat. Ein Arbeiter, der mit seiner Familie hungert und friert und nicht weiß, wo er den notwendigen Lebensbedarf decken soll , der wird ganz selbstverständlich auf die überzeugendsten Reden über Gemeinschaft und Zusammenarbeiten doch immer
wieder das eine sagen, daß ihm alle diese Umgestaltungen herzlich gleichgültig sind ; was er braucht, sei Arbeit und Brot. Es ist aber gerade gegen die berufsständische
Neugestaltung eingewendet worden, daß sie alte über lebte Formen einführen will und zu einer Hemmung der
wirtschaftlichen Entwicklung führt. Wäre dieser
Einwand richtig, so könnte die berufsständische Ordnung nicht als die entsprechende Wirtschafts- und Gesellschafts 4
49
ordnung der Gegenwart bezeichnet werden. Es ist also die Frage von ungeheurer Bedeutung, ob die berufsständische
Ordnung dazu führen könne, grundlegende Mängel der gegen wärtigen Wirtschaftsordnung zu überwinden. Führung und Kontrolle im Berufsstand.
Die Grundgedanken der berufsständischen Ordnung sind ja bekannt. Geradeso wie das Nachbarverhältnis dazu führt, daß sich die Nachbarn zu einer Gemeinde zusammen
schließen und hier die gemeinsame Arbeit regeln, so sollen sich alle jene, die im gleichen Berufe tätig sind, zusammen schließen zu Berufsgemeinschaften, zum Berufsstand. Arbeit
geber und Arbeitnehmer stehen einander als gleichberechtigt
gegenüber. Führung und Kontrolle ist gleichmäßig verteilt. In allen Fragen des Arbeitsrechtes und des Arbeits lohnes
stehen sich Unternehmer
und Arbeitnehmer
als
gleichberechtigte Partner gegenüber. Im Wege des Vertrages sind die aus dem Arbeitsverhältnis entspringenden Fragen zu regeln . In der Leitung des einzelnen Unterneh mens kommt dem Unternehmer die Führung zu. Es ist ja
bekannt, daß die private Initiative des Unternehmers viel zu einer günstigen Entwicklung der Wirtschaft beitragen kann. Der einzelne Unternehmer ist leichter in der Lage, sich den
plötzlichen Anforderungen anzupassen. Diese Unternehmer initiative soll in der berufsständischen Ordnung nicht ausge schaltet, sondern in den Produktionsprozeß eingeschaltet wer den, um einen möglichst hohen Gesamtertrag zu erreichen. Bezüglich der sozialen Einrichtungen kommt den Arbeitnehmern die Führung zu. Das Gemeinsame im Berufsstand.
Die Berufsstände, in denen Arbeitgeber und Arbeitneh mer als gleichberechtigt vereinigt sind, sind tatsächlich in der
Lage, die geistige Atmosphäre und die Grundlage zur Über windung klassenmäßiger Gegensätze zu schaffen . Gewiß haben sich auch heute in den meisten Fällen
die Arbeitnehmer
Gleichberechtigung erkämpft. Diese Gleichberechtigung mußte
aber immer wieder erkämpft werden. Innerhalb der kommt den Arbeitnehmern
Berufsstände
aber von Natur aus diese Gleichberechtigung
zu , das Gemeinsame tritt in den Vordergrund. Freilich werden sich beispielsweise bei Lohnverhandlungen 50
Gegensätze ergeben. Sobald aber diese durch einen Vertrag aus der Welt geschafft sind, tritt wieder die Gemeinsamkeit in den Vordergrund . Bisher war das Verhältnis umgekehrt. Die Gegensätze waren das Bleibende, die Kollektivverträge stellten in den meisten Fällen nicht einen Friedensschluß , son
dern nur eine Art Waffenstillstand dar. Dadurch, daß im Be
rufsstand Arbeitnehmer und Arbeitgeber gemeinsam arbeiten , ergibt sich sozusagen von selbst, daß die materiellen Differenzen hinsichtlich Lohnfragen nicht das Wesentliche des Verhältnisses darstel
le n . Das Verhältnis ist ähnlich wie in folgendem Beispiel : Ein Beamter und Kaufmann sind befreundet ; wenn der Beamte zum Kaufmann geht und eine Ware kauft, so stehen sich
beide gewissermaßen als Gegner gegenüber, weil der Kauf mann von seinem Standpunkt aus einen möglichst hohen Preis erreichen will, während der Beamte die Ware möglichst billig erstehen möchte. Wenn aber der Kauf abgeschlossen ist ,
so haben die Kaufverhandlungen keinerlei Einwirkung mehr auf die freundschaftlichen Verhältnisse zwischen beiden .
Durchsetzung der sozialen Gerechtigkeit. Die Berufsstände stellen die Institutionen dar, die die so
ziale Gerechtigkeit in Wirtschaft und Gesellschaft verwirk lichen sollen. Soferne die Stände hiezu nicht selbst in der
Lage sind oder wenn sich aus irgend welchen Gründen Miß stände ergeben, hat der Staat einzugreifen. In diesen Fällen sind die Stände Organe des Staates, durch die er die Prinzi pien der Gerechtigkeit durchsetzen kann .
Das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit muß auf allen Ge bieten des Wirtschafts- und Gesellschaftslebens zum Durch
bruch kommen, insbesondere auch hinsichtlich der Lohn gestaltung. Die Enzyklika „ Quadragesimo anno“ stellt drei Gesichtspunkte als maßgebend für die Lohnbildung fest. Der
Lohn jedes erwachsenen Arbeiters müsse zur Erhaltung seiner Person und einer Familie ausreichen, der Lohn müsse ferner
im Einklang stehen mit der Leistungsfähigkeit des Unterneh mens und schließlich mit den Interessen der Gesamtheit.
Wenn es bei der heutigen Wirtschaftslage in vielen Fällen dem Unternehmer nicht möglich sei , jedem Arbeiter einen
Familienlohn zu bezahlen, so sei es jedoch notwendig, Zwischen lösungen zu schaffen, um dem Familienerhalter einen entspre
chenden Lohn, wie beispielsweise im Wege von Ausgleichs 51 4*
kassen, zukommen zu lassen ; dies jedoch könnten nur Über
gangsmaßnahmen sein. Da die gegenwärtige Wirtschafts organisation nicht imstande ist, jedem erwachsenen Arbeiter den entsprechenden Familienlohn zu gewährleisten, müsse
diese Wirtschaftsorganisation neugestaltet werden. Notwendigkeit einer Neugestaltung der Wirtschaft. kommen wir zu der zweiten grundlegenden
Damit
Frage, ob die berufsständische Ordnung geeignet ist, eine Wirtschaftsorganisation herbeizuführen, die die Mängel der
gegenwärtigen überwindet. Es würde zu weit führen, diese gegenwärtigen Wirtschafts organisation im einzelnen aufzuzählen. Wenn auch an
Mängel
der
der gegenwärtigen Wirtschaftsnot vielfach nisse mitschuldig sind, so sind doch zwei wärtigen Wirtschaftsorganisation für die schaftsnot der Gegenwart grundlegend: die
politische Verhält Mängel der gegen strukturelle Wirt Vermachtung
der Wirtschaft und die falsche Verwendung
der Technik. Wir können gerade in der Nachkriegszeit beobachten, wie sich auf vielen Gebieten der Wirtschaft
monopolartige Organisationen , Kartelle und Trusts, bildeten. Schematisch dargestellt, unterscheidet sich die Stellung der artiger Monopole gegenüber dem Unternehmer in der freien
Konkurrenz in folgender Weise : Beide sind bedacht auf Stei gerung des Gewinnes ihres Unternehmens. Der Unternehmer im Konkurrenzkampf hat es nicht in der Hand, durch Ein
schränkung der Produktion die Preise des Produktes zu stei gern und dadurch unter Umständen den Gewinn zu erhöhen ;
denn im Falle einer solchen Einschränkung würde eben der Konkurrent seine Produktion steigern. Der Monopolist geht
jedoch in vielen Fällen daran, die Produktion zu drosseln, da durch die Preise künstlich hoch zu halten und für den Augen
blick eine Steigerung des Gewinnes für sein Unternehmen zu erreichen. Die Folge für die Gesamtheit ist klar : die Güter menge, die der Bevölkerung zur Verfügung steht, wird ein geschränkt, die Kaufkraft weiter Massen geht zurück. Beson ders deutlich wird dies an folgendem Beispiel : Ein Unterneh men oder eine Unternehmungsgruppe, der monopolartige
Stellung zukommt, hat Investitionen durchgeführt, den Betrieb rationalisiert. Diese technischen Neuerungen bedeuten eine Kostensenkung und würden eine Preisermäßigung ermög lichen . Dadurch wäre der Absatz gesteigert, der Gesamtheit 52
käme eine größere Gütermenge zu.
Die Unternehmer mit
Monopolstellung haben aber vielfach einen umgekehrten Weg eingeschlagen. Sie haben die Senkung der Kosten nicht zu einer Verbilligung der Preise benützt, sondern lediglich zu
einer Erweiterung der Spanne zwischen Kosten und Preisen. Sie haben also die Preise in der bisherigen Höhe belassen , weil sich für sie im Augenblick rechnungsmäßig ein größerer Ge winn ergab, wenn sie die Erzeugung nicht erweiterten. Denn
eine Vermehrung der Produktion hätte eine Senkung bei ein zelnen Preisen zur Folge gehabt. Diese Preispolitik wirft zwar für den Augenblick für den einzelnen Unternehmer einen größeren Gewinn ab , bedeutet aber für die Gesamtheit nicht
nur eine wirtschaftlich ungerechtfertigte Einengung der Pro duktion und damit einen Ausfall an Gütern, sondern auch im
weiten Umfange Arbeitslosigkeit. Die Arbeiter, die durch die Maschine freigesetzt werden, können nicht in anderen Be
trieben Aufnahme finden, wie dies bei einer Rationalisierung mit gleichzeitiger Preissenkung möglich gewesen wäre. Die Welle wirtschaftlichen Niedergangs schlägt schließlich aber auch zurück zu den Monopolbetrieben, von denen sie aus gegangen ist. Die niedrigen Preise, die heute in manchen Fällen unter den Kosten liegen, sind nicht die Ursache der Wirtschaftskrise, sondern vielmehr die seinerzeitige künst liche Hochhaltung der Preise.
In vielen Fällen wurden aber Rationalisierungen auch
dort durchgeführt, wo sie von vornherein wirtschaftlich un zweckmäßig waren. Die freie Konkurrenz zwang in vielen Fällen die Unternehmer geradezu, derartige Neuerungen
durchzuführen. Jedenfalls aber hat auch der Klassenkampf derartige unzweckmäßige Rationalisierungen begünstigt, die
bei einem entsprechenden Einvernehmen zwischen Arbeit gebern und Arbeitnehmern hätten vermieden werden können. Berufsständische Organisation und Vermachtung der Wirtschaft.
Kann nun die berufsständische Ordnung diese grund legenden Mängel der gegenwärtigen Wirtschaftsorganisation überwinden, den Weg frei machen zu einer Besserung der Wirtschaftslage und damit auch die zweite Voraussetzung für
dauernde Überwindung des Klassenkampfes schaffen ? Die Berufsstände sind die Organe, die sich zwischen dem Einzelnen und dem Staat einschieben. Bisher scheiterte die Kartellpolitik 53
der verschiedenen Staaten daran, daß sie nicht die Möglich
keit hatten, entsprechend einzugreifen. In den Berufsständen sind jene Organe geschaffen , durch die es dem Staat möglich ist, die Verhältnisse genau zu erfassen und seinen Willen durchzusetzen.
Es mag der Einwand auftauchen : Was kann denn bei
spielsweise eine berufsständische Organisation in Österreich gegen die großen internationalen Kartelle ausrich ten? Zweifelsohne ergeben sich hier außerordentliche Schwie rigkeiten ; aber gerade die heutige Zeit ist am besten geeignet, hier einzugreifen. Die großen internationalen Kartelle sind
vielfach in Gruppenkartelle einzelner Länder zerfallen und diese wieder in Landeskartelle. Aber auch die stehen meist
auf schwachen Füßen. Auch in die zentral organisierte Macht
des Finanzkapitals ist manche Bresche geschlagen . Es ist also der Zeitpunkt gegeben, die berufsständische Organisation in Angriff zu nehmen. Nach den Februarereignissen wurden auf Initiative des jetzigen Generalsekretärs der Kammer für Arbeiter und
Angestellte, Dr. Hans Schmitz, Einführungsabende in die Ge danken der berufsständischen Organisation unter reger Teil
nahme früher freigewerkschaftlich organisierter Arbeiter ab gehalten. An einem dieser Abende wurde mir von einem Teil
nehmer entgegengehalten : Wenn es wirklich so ist, daß der Arbeitnehmer in der berufsständischen Ordnung gleichberech
tigt ist und daß die berufsständische Ordnung ungerechtfertigte Spannung der Preise hintanhält, dann werden die Unterneh mer einfach nicht mittun. Eine Anzahl von Arbeitgebern ist nicht gegen eine Gleichberechtigung der Arbeitnehmer, son dern will mit ihnen gemeinsam vorgehen und versteht das vielfach berechtigte Mißtrauen des Arbeiters. Der weitblik kende Unternehmer weiß , daß eine künstliche Hochhaltung der Preise nicht nur der gesamten Wirtschaft, sondern auch ihm selbst zum Schaden gereicht. Der weniger Weitblickende sieht, daß allenthalben das Preisniveau zusammenbricht, daß die Preise vielfach unter die Kosten sinken und er bei der
gegenwärtigen Wirtschaftsorganisation diesem Verfall wehr los ausgeliefert ist . Er sieht in der berufsständischen Organi sation die Möglichkeit, hier entsprechende Regelungen zu treffen .
Wir müssen uns allerdings darüber klar sein , daß die Festsetzung von Mindestpreisen nicht das Wesentliche der 54
berufsständischen Wirtschaftsorganisation ist, sondern ledig lich eine Hilfsmaßnahme, die bei der gegenwärtigen Wirt schaftslage in bestimmten Fällen gerechtfertigt ist. Berufsständische Organisation und Fehlrationalisierung.
Die berufsständische Organisation ist geeignet, eine falsche Verwendung der Technik im weiten Umfange hint anzuhalten . Wir haben gesehen, daß sich eine ungünstige Aus
wirkung technischer Neuerungen vielfach dadurch ergibt, daß wirtschaftliche Machtgruppen die Preise künstlich hochhalten . Dagegen kann – wie gezeigt - die berufsständische Organi sation entsprechend eingreifen. Die Spannungen zwischen Ar beitgebern und Arbeitnehmern, die in manchen Fällen eine
überflüssige Rationalisierung begünstigt haben, werden durch die berufsständische Organisation beseitigt. Berufsständische Organisation und Planwirtschaft. In den erwähnten Einführungskursen wurde mir folgen
des entgegengehalten: Sie sagen, daß eine durchgreifende Neu organisation der Wirtschaft notwendig ist ; warum soll dann nicht gleich eine Planwirtschaft durchgeführt werden? In den Kreisen der Unternehmer taucht der entgegen
gesetzte Einwand auf, daß die berufsständische Wirtschafts organisation doch eigentlich Planwirtschaft darstellt. Es ist ein wesentlicher Unterschied zwischen einer
zentralen Plan wirtschaft und der Planung innerhalb der Berufsstände. Eine Zentralorganisa tion der Wirtschaft würde einen ungeheuren Beamtenapparat
erfordern und überaus schwerfällig sein.
des
Innerhalb
engeren Kreises der Berufsgruppen läßt sich eine Planung in
bestimmten Belangen leichter und entsprechend durchführen. Ferner sollen die günstigen Wirkungen der freien Konkurrenz in der berufsständischen Ordnung erhalten werden . Diese soll
lediglich die Schranken darstellen, innerhalb deren die freie
Konkurrenz zur Erreichung des Wirtschaftszieles führt. Berufsständische Organisation und Neugestaltung der Wirtschaft.
Die berufsständische Ordnung stellt also nicht eine Hem mung für die wirtschaftliche Entwicklung, wie von mancher Seite angenommen wird, dar. Sie ist vielmehr geeignet, grund
legende Mängel der gegenwärtigen Wirtschaftsorganisation zu überwinden . Sie bedeutet also nicht bloß ein gesell
schaftspolitisches
Ideal,
sondern
bietet
auch 55
jenen, die mit Recht von jeder Neugestaltung der gesellschaft lichen eine Besserung der wirtschaftlichen Ver hältnisse, die Arbeit und Brot verlangen, Hoffnung auf Erfüllung dieser Wünsche. Es ist freilich klar, daß die berufsständische Organisation allein nicht alles für die Wirtschaft leisten kann. Es sind auch
andere wirtschaftspolitische Maßnahmen notwendig, insbesondere auf dem Gebiete der Handelspolitik. Gerade hier ist es unserer Regierung gelungen, wesentliche
1
Erfolge zu erzielen, die ein Entstehen größerer Wirtschafts
räume in Mitteleuropa erhoffen lassen. Die berufsständische
Organisation wirkt günstig auf die Entwicklung der Handels politik, indem sie das ungezügelte Machtstreben einzelner
Wirtschaftsgruppen, das viel zur Verschärfung von handels politischen Gegensätzen beitrug, beseitigt oder doch wesent lich einschränkt.
Es sind auch Zwischenmaßnahmen notwendig ,
bis sich die günstigen Wirkungen der berufsständischen Or ganisation auf wirtschaftlichem Gebiete einstellen. Als solche Zwischenmaßnahmen kommen insbesondere solche auf dem
Gebiete der Arbeitsbeschaffung in Betracht.
Darüber aber
müssen wir uns klar sein, daß alle diese Maßnahmen zweck
los sind, wenn es nicht gelingt, die berufsständische Organi sation aufzubauen.
Durchführbarkeit der berufsständischen Ordnung.
Wirtschaftspraktiker erheben gegen derartige grund legende Neugestaltungen meist den Vorwurf, daß sie zwar theoretisch richtig, praktisch aber nicht durchführbar seien. Wir alle wissen, daß dieser Einwand in vielen Fällen zutrifft,
daß vielfach eine Maßnahme an sich richtig ist, sich aber praktisch nicht verwirklichen läßt. Bezüglich der berufsstän dischen Organisation trifft aber dieser Einwand nicht zu. In Italien sehen wir bereits eine berufsständische Ord
nung vollendet aufgebaut. Es mag vielleicht das Bedenken er hoben werden, daß doch der Faschismus nicht berufsständisch
sei, sondern eine faschistische Ordnung darstelle. Tatsächlich
kann die erste Periode der faschistischen Entwicklung nicht als berufsständische Organisation bezeichnet werden. Arbeit geber- und Arbeitnehmervereinigungen standen getrennt nebeneinander. Aber auch schon in dieser Periode zeigten sich sowohl in der Gesetzgebung als auch in der tatsächlichen 56
1
Entwicklung Ansätze zu einer engen Zusammenarbeit zwischen Unternehmer- und Arbeitnehmerorganisationen. Bereits im Gesetz vom 3. April 1926 sind derartige zentrale Verwendungs organe zwischen Syndikaten der Unternehmer und Arbeit
nehmer erwähnt. Ausführlich sind diese Organisationen in der carta del lavoro, insbesondere in dem Gesetz vom 20. März
1930 über den Nationalrat der Korporation behandelt. Aber auch in der tatsächlichen Entwicklung haben sich, wie bereits
erwähnt, Zusammenfassungen von Arbeitgeber- und Arbeit nehmersyndikaten ausgebildet, so z. B. die sogenannte comi
tati intersindacali, in denen Vertreter von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in einer bestimmten Branche erfaßt wurden.
Im Gesetz über die Korporationen vom Februar dieses Jahres ist nunmehr der sogenannte korporative Aufbau vollzogen. Die Korporationen umfassen Arbeitgeber und Arbeitnehmer,
sie erstrecken sich auf die großen Produktionszweige, also beispielsweise Textilindustrie. Sie sind weitgehend gegliedert, so daß sich eine entsprechende Elastizität ergibt. In dieser korporativen Vollendung haben wir tatsächlich eine berufs ständische Organisation vor uns. Allerdings ist hier der Ein fluß des Staates besonders stark ausgeprägt. Dies hängt aber mit der romanischen Staatsauffassung zusammen. Faschis mus steht nicht im Gegensatz zur berufsständischen Ordnung, sondern stellt eine berufsständische Ordnung romanischer Prägung dar. Der Aufbau in Österreich .
Auch in Österreich sind bereits die Grundlagen zum be rufsständischen Aufbau geschaffen und in der Verfassung ver
ankert. Bezeichnenderweise hat die Regierung zuerst die Schaffung des Gewerkschaftsbundes in An griff genommen und damit auch nach außenhin dokumentiert, daß es zu einem wesentlichen Merkmale des ständischen Auf baues gehöre, daß den Arbeitnehmern volle Gleichberechti gung und Schutz ihrer Rechte zukommt. Der Gewerkschafts
bund unterscheidet sich, wie bekannt, in mehreren Punkten
von der bisherigen Gewerkschaftsorganisation . Für den be rufsständischen Aufbau ist es wesentlich, daß bereits jetzt im Gewerkschaftsbund die Ansätze geschaffen sind zur Zusammenfassung der Arbeitnehmer mit den entsprechenden Unternehmerorganisatio
nen. Wie bekannt, sind Berufsverbände geschaffen worden für Industrie und Bergbau, Gewerbe, Handel und Verkehr 57
U. s. f., die analogen Unternehmerorganisationen entsprechen ,
die allerdings noch einheitlich ausgebaut werden müssen. Berufsständische Wirtschaftsgemeinschaft. Es taucht in manchen Kreisen das Bedenken auf, daß sich innerhalb der Stände wieder Parteiungen ergeben wer den, so daß durch die Stände nicht eine Zusammenfassung, sondern eine weitere Zersplitterung hervorgerufen würde. Gerade die Schaffung der Einheitsgewerkschaft wird einer
solchen Zersplitterung entgegenwirken. Einheitlich und kraft 1
voll sollen hier die Arbeitnehmerinteressen vertreten werden,
1
politische Gesichtspunkte haben im Rahmen dieser einheit 1
lichen Vertretung keinen Platz. Es wurde auch eingewendet, daß die Schaffung der stän
H 1
dischen Organisationen an Stelle des Klassenkampfes den Kampf der Stände treten lassen. Diese Auffassung ist grundfalsch. Wenn wir festhalten an den Aufgaben, die der ständischen Organisation gestellt sind, und die Organisationen konsequent verwirklichen, führt diese mit Notwendigkeit zu einer immer engeren Verbindung zwischen den Berufen .
.
1
Nehmen wir folgendes Beispiel an : Es bestehen neben einander der Berufsverband Gewerbe, der Berufsverband In dustrie, der Berufsverband Handel. Jeder dieser Berufsver
bände gliedert sich in Fachverbände. Einer dieser Fachver bände ist beispielsweise der Fachverband metallverarbeiten der und Elektro-Gewerbe, der in analoger Form sowohl im Berufsverband Gewerbe, als auch im Berufsverband Industrie und Handel auftaucht. Dieser Fachverband zerfällt in Grup
penverbände; innerhalb des Berufsverbandes Gewerbe : Schlos
ser, Schmiede, Spengler, Mechaniker, Elektrotechniker, usw.; innerhalb des Berufsverbandes Industrie kämen als Gruppen verbände beispielsweise in Betracht : Verband der österreichi schen Maschinenindustriellen , Verband der eisen- und stahl
verarbeitenden Werkzeugindustrie, Fachverband der Auto
!
mobilindustrie, der Elektrizitätsindustrie, usw .; innerhalb des
1
Berufsverbandes Handel wären entsprechende Gruppenver bände: Verband österreichischer Eisenwarenhändler, Verband der Bureaumaschinenhändler, firmen usw.
elektrotechnische
Handels
Zwei Aufgabengebiete sind diesen Verbänden gestellt : Übernahme von Verwaltungsaufgaben und Schaffung jenes organisatorischen Rahmens, innerhalb dessen die freie Kon 1
58
kurrenz
zur Erreichung
des Wirtschaftszieles
führt.
Die
Selbstverwaltung kann innerhalb des einzelnen Berufsver bandes durchgeführt werden. Sobald aber die großen wirtschaftlichen Aufgaben in An griff genommen werden, zeigt es sich , daß eine Zusammen fassung der Gruppenverbände aus den einzelnen Berufsver bänden notwendig ist. Es würde beispielsweise dem Gruppen verband der Mechaniker nichts nützen, wenn er lediglich innerhalb
des Berufsverbandes Gewerbe
die Wettbewerbs
verhältnisse und die Durchführung bestimmter Rationalisie
rungsmaßnahmen regeln wollte ; denn die analogen Gruppen verbände im Berufsverband Industrie und im Berufsverband Handel könnten alle seine Maßnahmen durchkreuzen . Es er
gibt sich also von selbst die Notwendigkeit einer Zusammen arbeit der Gruppenverbände aus den einzelnen Berufsverbän den. In einem solchen Branchenverband der Mechaniker wer den beispielsweise zusammengefaßt : Der Gruppenverband der Mechaniker, Verband der österreichischen Maschinenindu strie, der Bureaumaschinenhändler usw. Das gleiche gilt für
einen Branchenverband der Schlosser, Schmiede, der Diese Branchenverbände hängen
Elektrotechniker u. a.
aber auch untereinander zusammen. Es ergeben sich beispiels weise Beziehungen zwischen dem Branchenverband der Me chaniker
und
dem
Branchenverband
der
Schlosser
und
Schmiede. Aus diesen Zusammenhängen heraus bildet sich also eine Gruppierung aller jener Berufszweige in Gewerbe,
Industrie und Handel, die mit Metallverarbeitung befaßt sind: der Sektor Metallverarbeitung . Es ist jedoch eine Eingliederung der verschiedenen Sek toren , die sich aus den wirtschaftlichen Zusammenhänger heraus ergeben , in eine Organisation notwendig, die ähnlich wie der Gewerkschaftsbund Industrie, Gewerbe und Handel umfaßt.
Ähnliche Zusammenhänge wie zwischen Gewerbe, Indu strie und Handel ergeben sich aber auch zwischen Landwirt schaft und den anderen Produktionsgruppen : beispielsweise zwischen Viehzucht und den fleisch verarbeitenden Gewerben
und dem entsprechenden Handel. Den verschiedenen Verbänden auf Unterneh
merseite in den Berufsverbänden Gewerbe, Industrie und
Handel entsprechen analoge Verbände im
Rahmen
des Gewerkschaftsbundes, die zu immer engerer 59
Zusammenarbeit gelangen werden. Die einheitliche Erfas sung der Arbeiterschaft im Gewerkschaftsbund ist schon aus dem Grunde unerläßlich, weil der Arbeiterschaft in den eng
miteinander verbundenen Wirtschaftszweigen (Industrie, Ge werbe, Handel) eine Reihe grundlegender Aufgaben gemein sam ist. So verwachsen innerhalb der berufs
ständischen Organisation die einzelnen Be rufe
immer
enger
ጊ
u
einer
Wirtschafts
gemeinschaft .
Berufsständische Organisation und Wirtschaftsgesinnung. Freilich kann die Schaffung neuer Formen allein nichts nützen. Es muß auch ein Wandel in der Wirtschaftsgesinnung
durchgreifen. Es genügt aber nicht, wenn wir für diesen Wan del der Wirtschaftsgesinnung werben und warten, bis er sich verwirkliche . Denn bei der gegenwärtigen Wirtschaftsorganisa tion kann er gar nicht zum Durchbruch kommen. Neugestal
tung der Wirtschaftsorganisation und Erneuerung der Wirt schaftsgesinnung müssen Hand in Hand gehen. Besserung der Wirtschaftslage durch Neuorganisation. Es mag da vielleicht irgend ein Wirtschaftstheoretiker kommen und behaupten, daß doch in der Wirtschaft Geselz mäßigkeiten bestehen, um die auch die berufsständische Ord
nung nicht herum kommen könne. Dies ist auch gar nicht beabsichtigt. Es sollen vielmehr die Gesetzmäßigkeiten der
Wirtschaft in den Dienst der Erreichung des Wirtschaftszieles gestellt werden : möglichst große und wertvolle Gütermengen bei entsprechender Verteilung zu erreichen. Sehen wir uns die gegenwärtige Wirtschaftssituation an. Auf der einen Seite
Stillegungen und Einschränkungen der Betriebe, Vernichtung landwirtschaftlicher Produkte, auf der anderen Seite Mangel
an dem Notwendigsten in weitesten Kreisen der Bevölkerung. Die gegenwärtige Wirtschaftsnotist keine s wegs
eine
Naturnotwendigkeit ,
durch die falsche hervorgerufen. Die vollen Vorratskammern. bringt, wie gezeigt, auch
sondern
Wirtschaftsorganisation Menschheit hungert und friert bei Die berufsständische Organisation eine neue Organisation der Wirt
schaft mit sich, die zu einer grundlegenden Besserung der Wirtschaftslage führt. 60
Dauernde Überwindung des Klassenkampfes durch die berufs ständische Ordnung. Wir wiesen einleitend darauf hin, daß die berufsstän
dische Ordnung zwei Aufgaben erfüllen muß, um dau ernd den Klassenkampf überwinden zu können. Die berufs
ständische Organisation muß die Grundlage und gei stige Atmosphäre schaffen , in der Gemein
schaftsgeist sich entwickelt und die soziale Gerechtigkeit zum Durchbruch kommen kann.
Sie muß aber auch eine wirtschaftliche Neugesta l tung mit sich bringen, die den Grund zu einer Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse legt. Beide Aufgaben kann die berufsständische Organisation , richtig durchgeführt , erfüllen. Berufsständische Ordnung - das neue Ideal der Arbeiterschaft . Freilich werden sich Menschen, die in der liberalen Wirt
schaftsauffassung alt geworden sind, kaum mehr innerlich ganz umstellen. Jugend aber kann sich für die neuen Ideale dauernd begeistern, wenn die Begeisterung nicht aus einer Augenblicksstimmung, sondern aus der Erkenntnis der Not
wendigkeit und Zweckmäßigkeit berufsständischer Organisa tion erwächst. Gerade die Arbeiterschaft hat bewiesen, daß
sie sich für Ziele begeistern und mit aller Kraft einsetzen kann, von denen sie zwar weiß, daß sie nicht heute und nicht mor gen voll verwirklicht werden können, von denen sie aber über
zeugt ist, daß ihre Erreichung die Grundlage zu einer besseren Zukunft der Arbeiterschaft legt.
Die sittlichen Grundlagen in der ständischen Gesellschaft. Theologieprofessor Dr. A. Schrattenholzer, St. Pölten. Rückblick.
Vom reichen , naturgewachsenen Gesellschaftsleben der Vergangenheit hinterließ uns der Liberalismus nur das In dividu u m und den Staat als schmähliches Erbe. (Qu A
78.) Das Individuum galt ihm offiziell nur als regelloser Haufe, als gestaltlose Masse, in die einzig das arithmetische und mit unter auch stark geometrische Zahlenspiel der demokratischen
Wahl ein offiziell anerkanntes gesellschaftliches Leben brachte . Aber gleich nach vollzogener Wahl zog sich dieses wieder in die Volksvertretungen zurück, die schließlich in die Oligarchie des Hauptausschusses des Nationalrates ausmündeten. Im übrigen konnte sich das Gesellschaftsleben nur in den 61
inoffiziellen Vereinen austoben, denen man freilich fast un
beschränkte Freiheit gab. Damit aber begann das erbitterte Ringen der inoffiziellen Vereinigungen mit den offiziellen Ver tretungskörpern um den Einfluß auf den Staat, seine Ausgestal fung und sein Leben . Dieser Kampf mußte nach und nach
zur Zerrüttung aller gesellschaftlichen Verhältnisse führen . Ausblick.
Der ständische Neubau soll diesem unnatürlichen chaoti
schen Zustand ein Ende machen und das gesellschaftliche Le ben im Staate wieder in natürlichere und geordnetere Bahnen
lenken. Es gilt im neuen Staate, die natürlich gewachsenen Gemeinschaften wieder zu ihrem
Rechte und zur vollen Gel
tung zu bringen und sie dadurch zu befähigen, ihre volle Kraft in den Dienst des Ganzen zu stellen. Mit der Fülle der Kraft allein ist es freilich noch nicht
abgetan ; die Fülle der Kraft allein verbürgt keineswegs schon
eine gesunde Entwicklung und Entfaltung des ganzen Gemein schaftslebens im Staate. Denn jede Kraft , ausgenommen die göttliche, kann sowohl zum Guten als auch zum Schlimmen gebraucht werden. Letzteres kann im Gesellschaftsleben um so leichter geschehen, als die verschiedenen Glieder desselben wesensgemäß von ungleicher Stärke sind ; und daher dort, wo nur die Kraft zur Geltung kommt, der Schwächere leicht über wunden werden kann .
Zu der Fülle der Kraft muß daher notwendig auch die Fülle des Geistes hinzukommen ; und diesen Geist können
wir nur aus Gott, dem Schöpfer aller Natur und alles natür lichen Gemeinschaftslebens, können wir nur
aus
unserem
Glauben und der daraus entspringenden Sittlichkeit schöpfen. Darum die entschiedene Mahnung des Papstes, über der Zuständereform , deren Notwendigkeit nicht zu bezwei feln ist , nicht die Sitten verbesserung zu vergessen .
(Qu A 77.) Wir können auf sie die Worte anwenden , die Pius in einem anderen Zusammenhang gebraucht: „ Nur um diesen Preis lassen sich öffentliche Ordnung, Ruhe und Frieden der menschlichen Gesellschaft mit Erfolg gegen die Mächte des Umsturzes behaupten . “ (Qu A 62.) Kürzer noch drückt dies die Schrift in den Worten aus : „ Die Gottfernen haben keinen
Frieden .“ (Is 48, 22.)
Daraus erhellt die Wichtigkeit unserer Frage für den Neu bau unserer Gesellschaft: „ Die sittlichen Grundlagen in der ständischen Gesellschaft ." 62
Die Grundlage der Liebe. Die tiefste sittliche Wurzel eines gesunden Gemeinschafts
lebens ist unstreitig die goldene Liebe, die Königin aller Tu genden . Wir sehen dies so recht anschaulich in der kleinsten , aber auch reichsten natürlichen Gemeinschaft, der Familie.
Die Familie, in der diese Liebe herrscht, ist eine Oase des Friedens mitten im wüsten Streit der Welt.
Sie aber ist nicht bloß die Quelle und Keimzelle alles menschlichen Gemeinschaftslebens; sie soll auch Vorbild und Muster desselben sein ; Vorbild und Muster, das freilich in gleicher Vollkommenheit nur selten von einer anderen Ge meinschaft erreicht wird. Denn in der Familie hat die Liebe
ein leichtes Spiel, da hier alles zur Liebe drängt. Auch in der Nachbarschaft, wo man sich persönlich kennt und enge zu sammenlebt, ist es noch nicht so schwer, die Liebe zur Herr
schaft zu bringen. Aber je weiter die Glieder der verschie denen Gemeinschaften voneinander abstehen, desio schwerer muß es der Liebe werden , ihre Herrschaft
in
der Gemein
schaft zu behaupten . Dennoch können wir beim Neubau der Gesellschaft nicht
von vornherein auf die Liebe verzichten. Denn wenn auch
der Liberalismus gemeint hat, der beste Friedensstifter sei der Zaun des Gesetzes : Es ist nicht wahr! Der beste Friedensstif
ter und Friedenserhalter ist und bleibt die Liebe. Darum die
eindringliche Mahnung der Päpste, dieser Liebe wieder mehr zur Herrschaft zu verhelfen, weil nur so die gesellschaftlichen Verhältnisse zur vollen Ordnung geführt werden können. (Rer nov 45 ; Qu A 137.)
Die Natur allein vermag dies freilich nicht; wohl aber die Gnade, die aus dem Glauben fließt. Aus reicher Erfahrung heraus prägten unsere Vorväter das Wort, das sie als Haus segen an die Wände ihrer Wohnungen schrieben : „ Wo Glaube, da Liebe ; wo Liebe, da Friede !"
Dies zeigt uns die ungeheure Bedeutung der Religion für den Neubau unseres Staates. Deshalb gilt es, den Neubau so
einzurichten , daß die Religion auf ihrem Gebiete ihre volle Kraft entfalten kann . Dies aber ist nicht dadurch zu erreichen ,
daß man sie den anderen Belangen des gesellschaftlichen Le bens unterordnet oder sie zur bloßen Dienerin des Staates
macht. Auch nicht durch den Versuch , alle religiösen Bekennt nisse gleichzuschalten dies führt nur zur Schwächung der 63
religiösen Kraft oder zum Kampf der tiefer verwurzelten religiösen Überzeugungen gegen ein solches System. Die volle Kraft kann die Religion vielmehr nur dann ent falten, wenn man ihre natürliche Würde wahrt, ihr vollen Schutz gewährt und ihr den entsprechenden Raum läßt, damit sie ihre Kraft voll entfalten kann. Denn die Religion ist eine Königin ; der Glaube ist ein Kind des freien Willens. Darum kann auch die Religion nur wie eine Königin der Volksgemein schaft dienen, in voller Freiheit und Würde.
Die Gerechtigkeit.
Eine weitere feste Grundlage des gesellschaftlichen Lebens im neugebauten Staate muß die Gerechtigkeit sein. Schon vor
Jahrtausenden verkündete es der Prophet Isaias in Tagen tie fer sozialer Zerrüttung : „ Der Friede wird das Werk der Ge
rechtigkeit sein ; und die Frucht der Gerechtigkeit wird sein: Ruhe und Sicherheit immerdar . “ (Is 32, 17.) Deshalb haben auch die Päpste Leo und Pius stets in der sozialen Frage der
Gegenwart nicht bloß eine Frage der Liebe, sondern auch eine Frage der verletzten Gerechtigkeit gesehen. ( Rer nov 1 ; Qu A 4.) Die volle Gerechtigkeit.
Freilich muß es die volle Gerechtigkeit sein ; nicht bloß die halbe, wie sie der Liberalismus verstanden hat ; nicht bloß
jene rein negative Gerechtigkeit , die sich damit begnügt, den anderen nicht zu bestehlen oder zu betrügen, d. h. kein Ver
brecher zu sein ; ihn aber im übrigen völlig seinem guten oder schlimmen Schicksal überläßt mit dem Gedanken eines Kain :
„ Bin ich der Hüter meines Bruders ?“
Sondern es muß eine wahrhaft positive Gerechtigkeit sein, die auch bereit ist, dem Nächsten zu dienen, ihm an die Hand zu gehen und ihm nichts vorzuenthalten, was dieser bedarf, um ein wahrhaft menschliches Leben führen zu können. Die
ser gegenseitige Dienst ist das unbedingte Erfordernis eines gesunden Gemeinschaftslebens. Wo die Leute kalt und teil
nahmslos aneinander vorübergehen, da kann eine wahre Ge meinschaft nicht aufkommen. Darum kann keine Gemeinschaft auf diese volle Gerech
tigkeit verzichten, will sie eine wahre Gemeinschaft sein und nicht von vornherein ihre Kraft und Stärke einbüßen. Daher
muß jede Gemeinschaft dafür sorgen, daß die Aufgaben, die ihr diese Gerechtigkeit stellt, in ihren Reihen voll und ganz 64
erfüllt werden. Nicht bloß vom Staate gilt jenes berühmte Wort, das am Tor der Wiener Hofburg zu lesen ist : „ Die Ge
rechtigkeit ist die feste Grundlage der Reiche.“ Es gilt dies auch für alle übrigen Gemeinschaften. Nur die Gerechtigkeit, und zwar die volle Gerechtigkeit kann die Gemeinschaften
dauernd gesund und stark erhalten und sie vor dem Unter gang bewahren.
Die eigentliche Grundaufgabe der Gemeinschaften.
Die Wahrung der Gerechtigkeit ist eine Aufgabe, die für die gesunde Erhaltung und Entfaltung des Gemeinschafts lebens nicht bloß überaus wichtig ist ; sie ist zugleich eine Auf gabe, die jede Gemeinschaft unmittelbar auch voll erfüllen kann, soweit dies der menschlichen Schwäche, die auch die Gemeinschaft nie völlig überwinden kann, möglich ist.
Bei der Liebe dagegen, die unstreitig die tiefste Wurzel der Gemeinschaft ist, trifft dies nicht zu ; sie läßt sich von
außen her nicht erzwingen ; sie muß ganz von innen heraus
wachsen . Bei der Gerechtigkeit aber, der zweiten Grundlage des Gesellschaftslebens , ist es nicht ganz so. Gewiß hat auch sie eine Innenseite, die sich dem unmit
telbaren Einfluß von außen entzieht ; es ist dies die gerechte
Gesinnung. Sie hat aber auch eine Außenseite ; das ist das gerechte Werk ; und dieses kann unmittelbar von der Ge meinschaft gefordert und im Bedarfsfalle auch gegen den Wil len der Verpflichteten erzwungen werden. Darum steht trotz des überragenden Wertes der Liebe
die Gerechtigkeit im Vordergrunde des sittlich zu gestaltenden
Gemeinschaftslebens. Die Liebe ist gleichsam die Seele, aus der das Gemeinschaftsleben am schönsten erblüht ; die Ge rechtigkeit aber baut den Körper auf, der Träger dieses Le bens sein soll. Der Leib aber ist greifbarer als die im Innern verborgene Seele. Darum kann auch die Gemeinschaft die Ge rechtigkeit leichter ergreifen. Freilich wird sie es tatsächlich nur dann tun, wenn sie sich von den rechten sittlichen Grund sätzen tragen und leiten läßt. Aber sie kann es, wenn sie nur ernstlich will. Darum müssen wir auch in unserer Erörterung
der sittlichen Grundlagen in der ständischen Gesellschaft der Gerechtigkeit eine größere Aufmerksamkeit schenken. Dies um so mehr, als die Anschauungen über die volle soziale Gerech tigkeit und die in ihr begründeten sozialen Rechte und die 65 5
damit verbundenen sozialen Pflichten nicht in allen Kreisen
des Volkes in wünschenswerter Weise geklärt sind.
Wesen der Gerechtigkeit. Mit dem innersten Wesen der Gerechtigkeit brauchen wir uns nicht lange bemühen. Dieses ist zutiefst in unser Herz ge
graben. „ Jedem das Seine!" Das ist die kürzeste Formel, in die es sich kleiden läßt. Der Streit über die Gerechtigkeit beginnt erst da, wo es sich handelt, näher zu bestimmen, was das „ Seine“ in seiner vollen Tragweite zu bedeuten hat. Der Liberalismus verstand darunter nur das bereits er
worbene Recht, den Besitz und die Ansprüche, die sich auf Grund einer Leistung aus der Vertragsgerechtigkeit ergeben.
Diese Anschauung wäre richtig, wenn es sich bei den Men schen bloß um Sandkörner handeln würde, die ohne jede innere Beziehung nebeneinander liegen, so wie sie der Wind
dahergeweht oder das Wasser zusammengeschwemmt hat. Da könnte das einzelne Korn sich höchstens auf seine erworbene
Lage berufen und sich dagegen wehren, daraus verdrängt zu werden .
Bei den menschlichen Gemeinschaften aber ist es nicht
so. Die Menschen sind fester, sind lebendiger miteinander ver bunden als die Körner eines zufällig zusammengewürfelten Sandhaufens. Darum kann auch die Gerechtigkeit, die zwi schen den einzelnen Gliedern dieser Gemeinschaft herrschen
soll, keine so magere sein. Um die volle Gerechtigkeit in ihrem Wesen begreifen zu können, müssen wir zunächst die volle Natur des Menschen zu erfassen suchen.
Vorbemerkung über das Verfahren. Bevor wir aber auf diese Untersuchung eingehen, eine kurze Bemerkung über das Verfahren, das wir hierbei ein schlagen. Wenn ich hier von der Natur des Menschen aus gehe, könnte man darin einen Rest des überlebten Individua lismus und einen Widerspruch zum Universalismus sehen, der jetzt immer mehr das Feld gewinnt. Dem ist aber nicht so
Wir dürfen das universalistische System nicht mit dem uni versalistischen Verfahren verwechseln.
Gewiß geht der Universalismus mit Vorliebe vom Ganzen aus, um dann das Wesen der Teile zu ergründen ; während ich hier vom Gliede ausgehe, um von da zum Ganzen vor 66
zudringen . Wenn aber die Glieder derart beschaffen sind, daß sie ihre Zugehörigkeit zum Ganzen in keiner Weise verleug nen, so muß ich auch auf diesem Wege zur richtigen Erkennt nis des Ganzen gelangen . Es besteht demnach zwischen den beiden Verfahrenswei
sen kein innerer Gegensatz, sondern sie ergänzen einander aufs beste und schließen wechselseitig die Gefahren aus, die bei einseitigem Verfahren leicht eintreten können. Beim Aus gang vom Ganzen kann nämlich leicht etwas in den Teilen übersehen werden, was im Ganzen nicht so hervortritt. Beim Ausgang von den Teilen aber kann leicht etwas vom Ganzen unbeachtet bleiben, was aus den Teilen weniger klar zu er kennen ist. So halten sich beide Verfahren an Richtigkeit wie an Gefährlichkeit die Wage. Die volle Menschennatur. Suchen wir also
zunächst
die volle Menschennatur
in
ihrem Verhältnis zur menschlichen Gesellschaft zu ergründen . So einheitlich diese Natur auch in sich geschaffen ist, so kön
nen wir doch in ihr zwei Seiten unterscheiden, die wir nicht verwischen lassen dürfen. Der Mensch ist einerseits ein von
den anderen scharf geschiedenes Einzelwesen, ein Sonder
wesen mit eigener Einsicht, eigener Kraft und eigenem Wil len. Als solches ist er selbständig und frei und steht den üb rigen Menschen gleich auf gleich gegenüber. Das ist das Ver hältnis des Menschen als Individuum zu den übrigen „ Individuen “ der menschlichen Gesellschaft. Diese individuelle Seite der menschlichen Natur ist des Menschen unverlierbarer
Besitz ; und daher verlangt die Gerechtigkeit, daß auch diese Seite des Menschen in entsprechender Weise gewahrt und ge schützt werde. Nur wer auch dieser individuellen Natur Rech
nung trägt und ihr Raum gibt, wird das Beste aus dem Men schen hervorholen können .
Die individuelle Gerechtigkeit. Auch nach dieser individuellen Seite hin treten die Men
schen miteinander in Berührung und gehen miteinander Be ziehungen ein. Der eine leistet etwas, nicht für sich, sondern für den anderen, sei es, daß er für ihn arbeitet oder ihm etwas
gibt. Soll das individuelle Gleichgewicht zwischen ihnen da durch nicht verrückt werden, so ist ein entsprechender Aus gleich zwischen ihnen nötig. Wie ihr Verhältnis zueinander in 5*
67
dieser Richtung gleich auf gleich ist, so muß auch dieser Aus gleich auf derselben Grundlage erfolgen. Einzig die Leistung oder vielmehr das Geleistete bestimmt das Maß der Gegenleistung, ohne Rücksicht auf die persön lichen Umstände oder die besondere Lage der daran Beteilig ten. Eine Semmel z. B. , die der Bäcker verkauft, kostet von
diesem Gesichtspunkte aus gleich viel für den Hungrigen wie für den Satten, für den Millionär wie für den Bettler.
Das ist die eine Art von Gerechtigkeit, die das Verhältnis der Menschen zueinander gleich auf gleich ordnet, die indivi duelle Gerechtigkeit, oder deutsch : Sondergerechtigkeit, die sich vor allem beim Tausch , beim Vertrag geltend macht und
daher in der Regel Tausch- oder Vertragsgerechtigkeit ge nannt wird .
Individuelle Gerechtigkeit und Eigentum. In dieser individuellen Seite des Menschen wurzelt die
Arbeit, wurzelt auch das Eigentum, wurzelt somit die ganze Wirtschaft. Der Mensch ist ein selbständiges und freies und
in vieler Hinsicht vom Mitmenschen unabhängiges Wesen. Er will diese seine besondere Natur auch in seinem Leben und
Handeln zur Geltung bringen und gegenüber der Gemeinschaft behaupten. Er haft naturgemäß das Gängelband, wo es ihm nicht notwendig erscheint. Dieses freie und selbständige Han deln braucht verschiedene Mittel, die ihm dies erst ermög lichen . Darum strebt der Mensch auch, seiner besonderen Na
tur entsprechend, nach dem Besitz und der freien und selb ständigen Verfügung der erworbenen Mittel. Er strebt sie in seinen Besitz und unter seine Herrschaft zu bringen, sie zu seinem Eigentum zu machen . So erklärt sich dieses Streben nach Eigentum aus der innersten Natur, aus der individuellen Seite des Menschen .
Die individuelle Berechtigung des Sondereigentums. Sondereigentum (mit Sprachmischung: Privateigentum ) kommt durch Aufteilung und Bearbeitung der Güter zustande, die die Natur allen Menschen darbietet . Daß es zu einer sol chen Aufteilung der Güter unter die einzelnen Menschen ein
mal kommen muß , liegt in der Natur der Sache. Um gleich das gröbste Beispiel dafür zu bringen : Vor dem Munde hört jeder Kommunismus auf. Mehr oder weniger gilt dies von allen Gütern , die unmittelbar der Einzelperson zum Gebrauch und Verbrauch dienen . 68
Die Frage ist daher nicht, ob geteiltes Sondereigen tum überhaupt, sondern nur, wie weit es zu Recht beste hen kann . Um diese Frage zu beleuchten, wollen wir die
natürlichen und ursprünglichen Wege prüfen, auf denen der Mensch zu Eigentum kommen kann. Die verschiedenen Wege, die sich davon ableiten lassen - es sind die verschiedenen
Verträge, die die Menschen eingehen
, wollen wir bei die
ser grundsätzlichen Erwägung übergehen.
Alles Eigentum ist seiner stofflichen Natur nach entweder Naturgut oder Frucht der Arbeit. So bieten sich von Haus aus zwei Wege dar: Aneignung und Arbeit. Das Recht der Arbeit.
Der natürlichste und am wenigsten umstrittene Weg zu diesem Sondereigentum ist der Weg der Arbeit. Das Recht zur Arbeit ist ein unbestrittenes Recht des Menschen, das in
seiner selbständigen Menschennatur wurzelt. Was jemand
aber redlich erarbeitet hat, das ist seine Schöpfung, das kann er auch rechtmäßig besitzen. Daher sagt auch Leo : „ Wie die Wirkung der Ursache, so muß notwendig auch die Frucht der Arbeit dem ins Eigentum folgen, der sie verrichtet hat.“
(Rer nov 8.) Daß dies bei der Lohnarbeit nicht unmittelbar zutrifft, kommt nicht aus der Natur der Arbeit, sondern aus
der Eigenart des Vertrages, der hier abgeschlossen wird. Wäre dieser Satz von der Frucht der Arbeit mehr be
achtet worden, so würden höchstens arbeitsscheue Menschen am Eigentum Anstoß genommen haben. Das Recht der Aneignung .
Vom Recht der Arbeit findet sich auch ein gangbarer Weg zum Rechte der Aneignung hinüber. Zur Arbeit brauche ich Güter, die ich bearbeiten kann. Will ich die Frucht meiner Arbeit in Ruhe für mich behalten und nach eigenem Willen
darüber verfügen, so muß ich trachten, auch die Güter, die ich bearbeite, in meinen Besitz zu bringen. Denn die Arbeit und ihre Frucht läßt sich von diesen Gütern nicht trennen .
Würden also diese Güter der Natur allgemein zugänglich bleiben, so könnte jeder, der ein Gelüste darnach hat , mich sowohl in der Arbeit , wie im Besitz dieser Frucht stören. Ist es aber irgend eine Gesellschaft , die den Besitz dieser Güter
vorweg in Anspruch nimmt, so bin ich sowohl in meiner Ar beit wie im Genuß ihrer Frucht vom
Willen derselben ab
hängig 69
So muß sich aus der Tatsache, daß unser Herrgott dem Menschen eine freie und selbständige Natur gegeben hat, auch ein natürliches Recht ergeben, sich Güter zur Bearbeitung
anzueignen, soweit nicht ein anderer mit dem gleichen Recht mir darin zuvorgekommen ist. So ergeben sich aus dieser Natur des Menschen ohne weiteres zwei natürliche ursprüngliche Erwerbstitel : Aneig nung und Arbeit. (Qu A 52.) Das Recht der Aneignung er
weist sich als notwendig, um es dem Menschen zu ermög lichen, in Ordnung zu arbeiten und die Frucht seiner Arbeit in Frieden zu genießen. (Qu A 45.)
Ausdehnung des Rechtes der Aneignung .
Das Recht der Aneignung kann nicht auf den Augenblick beschränkt werden, wo der Mensch diese Güter tatsächlich zu seinem
Gebrauch und Verbrauch oder zu seiner Arbeit
benötigt. Dieses wäre wieder der menschlichen Natur ent
gegen. Denn der Mensch ist kein Tier, das nur für den Augen blick lebt und sorgt oder soweit es sein natürlicher Trieb dazu antreibt. Er ist, wie Leo sagt, ein vorausschauendes We sen, das in die Zukunft blickt, an die Zukunft denkt und für
sie sorgt und planmäßig auf längere Sicht arbeiten will. (Rer nov 6.) Darum sucht er sich auch für die Zukunft Güter
zu seiner Arbeit und Versorgung zu sichern. Die Aneignung kann daher ihre Kraft nicht erst vom Zeitpunkt des Beginnes der Arbeit an den betreffenden Gütern erlangen ; sondern
schon von dem Augenblick an, wo sie der Mensch sich für seine Zukunft sichern will.
Diese Aneignung kennt von Natur aus nur eine Beschrän kung. Da die Güter der Erde nicht zum bloßen Besitz, son dern zur Bearbeitung und zum Genusse geschaffen sind, müs sen sie auch dieser Arbeit und diesem Genusse zugeführt wer den, wo immer es die Menschheit benötigt . Eine Aneignung, die nicht fähig ist, diese beiden Aufgaben zu leisten, ist von Natur aus hinfällig. Die guten Wirkungen des Sondereigentums. So klar das Recht des Erwerbs von Eigentum aus der individuellen Seite der menschlichen Natur erhellt, so offen
kundig sind auch die guten Wirkungen, die sich daraus er geben. Gott hat ja die menschliche Natur nicht zu unserem Schaden so geschaffen. 70
Der hl. Thomas (2. 2 Fr 66. 2) führt drei gute Wirkun gen an :
1. Das Eigentum befördert den Fleiß, die Umsicht und
Sorge um die Wirtschaft ; es bereichert sie mit Gütern, die der Versorgung dienen . Für das Seine sorgt der Mensch, ven seinem Interesse getrieben, besser wie für das Fremde oder Gemeinsame .
2. Es bringt eine feste Ordnung in die Arbeit und dadurch auch in das Leben der Menschen hinein. Es steckt feste Gren
zen ab, in denen die einzelnen Menschen leben, sich bewegen, betätigen und arbeiten können. 3. Es befördert den Frieden unter den Menschen. Es liegt ein Körnchen Wahrheit in dem Wort : Der Zaun ist der beste
Friedensstifter. Ist er auch nicht der beste Friedensstifter, so
trägt er doch ein gut Teil zum Frieden der Nachbarn bei. Mit den Grenzen, die das Sondereigentum zwischen irdischen Gü
tern zieht, errichtet es gleichsam Zäune um dieselben ; und das siebte Gebot schärft die Achtung vor diesen Zäunen ein. So fällt mancher Streit weg, der ausbrechen würde, wo keine solchen Grenzen bestehen oder wo erst der Wille der Gemein schaft solche Grenzen
bestimmte. Denn auch die Gemein
schaft muß schließlich zur Teilung der Arbeit und selbst der Güter schreiten, da sich diese nicht ins Endlose hinausschie
ben läßt. Es ist aber sehr die Frage, ob sie die Menschen dabei zufriedenstellen kann. Streitet man bei gemeinsamem Besitz nicht unmittelbar um den Besitz, so kann man doch sehr viel
um die Verteilung der Arbeit und ihrer Früchte streiten. Schwächen des Sondereigentums. Mit dem Vorstehenden ist nicht gesagt, daß die Einrich tung des Sondereigentums immer diese Früchte hervorbrin gen müßte, daß sie immer größeren Eifer, bessere Ordnung und vor allem einen festeren Frieden erzielen müßte. Denn
die menschliche Natur, aus der diese Vorzüge abgeleitet wir den, ist eben eine fehlbare Natur, auf die sich keine unfehl
baren, ausnahmslos gültigen Schlüsse ziehen lassen. Es kann der Einzelne auch zu seinem Nachteil und Schaden faul, nach
lässig und unordentlich sein . Es kann also hier nur die durch
schnittliche Wirkung gemeint sein . Ferner ist zu bedenken, daß diese natürlichen Wirkungen mit der sich mindernden Zahl der Besitzenden immer mehr abnehmen . Nur die eigene
Gewissenhaftigkeit der besitzlosen Arbeiterschaft oder eiserne 71
Arbeitsdisziplin der Unternehmer kann diesen Abstieg einiger maßen aufhalten.
Was aber besonders den letzten Punkt, den Frieden be
trifft, so hat es kaum eine Einrichtung auf Erden gegeben , die soviel erbitterte Kämpfe in der Menschheit hervorgerufen hat, wie das Sondereigentum . Die Ursache dieser Kämpfe aber
lag nicht so sehr in der Natur des Sondereigentums, als in der allzu unbilligen Verteilung und Verwaltung desselben. Nicht die, welche Eigentum hatten, sondern die, welche keines
hatten, stritten dagegen. Es war nicht so sehr ein Streit gegen das Eigentum als eine naturwidrige Erscheinung, sondern eher ein Streit um das Eigentum, um die richtige Ordnung desselben .
Die herrschende Unordnung in den Eigentumsverhält
nissen hat einst Rousseau bewogen, den ersten Menschen, der das Wort „ Mein “ in den Mund genommen hat, des Mordes
der Unschuld der Menschheit zu bezichtigen. An diese Un ordnung dachte auch der hl. Chrysostomus, als er die Worte „Mein und Dein “ als gar frostige Worte bezeichnete, die den Menschen schaudern machen.
Wäre dieses aus der individuellen Natur des Menschen
hervorgehende Eigentumsrecht das einzige und höchste Recht, das über die irdischen Güter entscheidet, so wäre es wirklich
das frostigste Recht, das es gibt. Denn seiner Natur nach ent stammt es jenem Teil der Menschennatur, der die Menschen voneinander sondert und scheidet ; und nicht von jenem Teil, der sie miteinander zur Gemeinschaft verbindet. Zum Glück kennt die christliche Sittenlehre kein solch frostiges, von
einem höheren unabhängiges, liberales und heidnisches Eigen tumsrecht. Um das einzusehen, müssen wir wieder zur Natur des Menschen zurückkehren . Die Gemeinschaftsnatur. Dieser individuellen Seite der Menschennatur steht näm
lich eine andere Seite derselben gegenüber, nicht in feind lichem Gegensatz, sondern zur hilfreichen Ergänzung. Der Mensch ist nicht bloß ein Sonderwesen, das Selbständigkeit
und Freiheit und damit auch eine gewisse Unabhängigkeit von den anderen besitzt ; er ist zugleich , ebenso wurzel- und wesen haft, ein Gemeinschaftswesen, das in die Gemeinschaft auf mannigfaltige Weise eingebettet ist, 72
Ein vollkommener Einzelgänger ist unter den Menschen undenkbar . Auch Robinson Crusoe und die Einsiedler der
Wüste beweisen nichts gegen diese Behauptung. Denn auch sie sind, wie jeder Mensch, außer dem ersterschaffenen Adam,
aus der Gemeinschaft hervorgewachsen und haben ihre erste Entfaltung, ihr erstes Wissen und Können, ihre ersten Mittel zum Leben aus der Gemeinschaft der Familie erhalten. Und diese Familie war wieder aus anderen Gemeinschaften ent
sprungen und in andere höhere Gemeinschaften eingeordnet. Dieses Band der Gemeinschaft, das alle Menschen ver bindet, ist an keiner Stelle durchbrochen . Es verbindet die Menschen durch die Bande des Blutes in größerem oder ge
ringerem Grade über alle Grenzen der Staaten und Völker hinaus ; verbindet sie über alle Zeiten hinweg bis zu Adam hinauf und bis in die fernsten Zeiten der Zukunft hinein zu
der einen großen Gottesfamilie, die in Adam ihren Stamm vater hat. Sie umschließt nicht bloß alle Länder der Erde, sondern verbindet auch Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft .
Über diese Gemeinschaftsnatur kommt der Mensch auch
in seinem Leben und Handeln nicht hinweg. Er ist in allem ,
was er zur vollen Entfaltung seines Menschenlebens braucht, je nach seiner Lage in größerem oder geringerem Ausmaß, wesentlich auf die Hilfe seiner Mitmenschen angewiesen. Er ist mit einem Worte wesentlich ein Glied der großen menschlichen Gemeinschaft und damit auch Glied aller jener Gemeinschaften, die die Natur des Menschen notwendig macht . Er verdankt diesen Gemeinschaften das Beste, was er hat; er verdankt ihnen wurzelhaft auch alles, was er leistet . Die Ordnung dieser Gemeinschaft.
Soll das Zusammenleben der Menschen ein allseits geord netes sein, so darf auch diese Seite der menschlichen Natur
dabei nicht übersehen werden. Sehen wir in der Gerechtigkeit jene Tugend, die das Zusammenleben der Menschen nach außenhin ordnet, so muß sie auch dieses Verhältnis natur
gemäß ordnen. Dieses Verhältnis ist aber nicht mehr ein Verhältnis von
gleich auf gleich, sondern ein Verhältnis auf ungleich, ein Verhältnis von geben und empfangen, das die ungleichen Glie
der zu ihrer wechselseitigen Ergänzung und Hilfe zu einem starken Ganzen verbindet und darnach zu ordnen ist. Dabei 73
hat es jeder irgendwie nötig, nicht bloß die Hilfe des voll endeten Ganzen , sondern auch die Hilfe jener Glieder des Ganzen zu empfangen, die eine solche zu leisten vermögen. Die Gemeinschaftsgerechtigkeit.
Es ist die Gemeinschaftsgerechtigkeit , oder wenn wir sie mit fremdem Namen bezeichnen wollen, die soziale Gerech
tigkeit, die diese Hilfe schafft. Ihre besondere Aufgabe ist es, nicht die Freiheits- und Gleichheits-, sondern die Verbunden
heits- oder Gemeinschaftsverhältnisse der Menschen unterein ander und damit die Rechte und Pflichten zu ordnen , die aus
dieser Verbundenheit oder Gemeinschaft folgen. Das Wesen dieser Tugend läßt sich kurz in die Worte zusammenfassen : Sie ist jene Tugend, welche die Menschen geneigt macht, jedem das zu geben, was ihm als Glied der
Gemeinschaft gebührt. Was ihm aber aus diesem Grunde ge bührt, das ist die Hilfe, die er braucht, um als Glied dieser Gemeinschaft menschenwürdig zu leben. Gemeinschaftsrecht und Gemeinschaftspflicht. In dieser Tugend sind sowohl die Rechte wie die Pflich ten enthalten, die dem Menschen als Glied der Gemeinschaft
zukommen . Wollen wir diese näher bestimmen, so können
wir sagen : Gemeinschaftspflicht oder soziale Pflicht ist die Pflicht , den verschiedenen Gliedern der Gemeinschaft jene Hilfe zu gewähren, auf die sie als Glieder derselben ein An recht haben. Gemeinschaftsrecht oder soziales Recht aber ist
das Recht auf alle jene Hilfen aus dem Kreise der Glieder, die man benötigt, um menschenwürdig zu leben.
Das Maß der Gemeinschaftsgerechtigkeit. Hier haben wir das Maß bereits vorweg genommen, das für diese Gerechtigkeit zu gelten hat. Wir mußten es tun . Denn bei keiner Tugend ist das Maß so streng wesentlich, wie
bei dieser. Nun heißt es die Richtigkeit dieses Maßes zu be weisen .
Das Maß der Gerechtigkeit bemißt sich im allgemeinen nach dem Maße des Rechts, das der Mitmensch besitzt und
das er mir gegenüber beanspruchen kann. In dieser Beziehung gilt das strenge Gleichmaß für jede Art von Gerechtigkeit. Als Maß der Tugend der Gemeinschaftsgerechtigkeit haben wir das Recht auf die Hilfe zu einem menschenwürdigen Le ben genannt. Nun gilt es, die Höhe dieses Maßes zu be stimmen . 74
i 1
Das Urrecht des Menschen.
Dazu müssen wir auf das Urrecht des Menschen, auf sein Lebensrecht zurückgehen. Dieses Recht hat der Mensch von Gott zugleich mit seinem Leben erhalten. Denn nicht dazu hat
Gott ihn erschaffen, damit er gleich wieder sterbe, sondern damit er lebe und sein Leben auf Erden benütze für die
Ewigkeit. Dieses Lebensrecht darf nicht zu enge gefaßt werden. Es darf nicht auf den ungestörten Besitz des Lebens oder auf
den ungehinderten Gebrauch der Fähigkeiten beschränkt wer den, die damit verbunden sind. So eng hat der Liberalismus das Lebensrecht aufgefaßt. Das natürliche , von Gott verliehene, volle Lebensrecht
faßt auch das Recht auf jene Mittel in sich, die erfordert sind, um dieses Leben in der rechten Weise zu erhalten und zu entfalten. Denn leben und handeln ist dem Menschen auf die
Dauer unmöglich, wenn ihm nicht die Mittel zu Gebote stehen , die er zum Leben und Handeln benötigt. Es ist also ein dreifaches Lebensrecht, das dem Menschen von Haus aus zusteht : ein Lebensbesitzrecht, wie es im
5. Gebote geschützt wird ; ein Lebensgebrauchs- oder Hand lungsrecht, das Freiheitsrecht ; und ein Lebensmittel- oder Lebensunterhaltsrecht. Das Maß des Lebensrechtes.
Welcher Art aber ist das Leben und die Lebenshaltung, auf die der Mensch ein natürliches Anrecht besitzt? Es ist der Anspruch auf ein menschen- und kulturwürdiges Leben. Warum ? Weil nur ein solches Leben der Natur und Würde
des Menschen entspricht . Nicht als Tier, sondern als Mensch ist er von Gott er schaffen . Er hat daher höhere Bedürfnisse, als sie das Tier zu
empfinden vermag. Er sieht mit seinem Geistesauge nicht bloß den heraufziehenden Tag, sondern denkt auch mit Sorge an die fernere Zukunft mit ihren Wechselfällen und möchte auch
dafür vorsorgen und sich nach Möglichkeit sichern.
Er ist ferner ein kulturfähiges und zur Kultur berufenes Wesen. Er kann und soll eine Kultur aufbauen und er ge wöhnt sich sehr schnell und leicht an diese Kultur, wie an seine zweite Natur.
Er ist überdies kein Einsiedler, der in menschenleerer Wüste lebt, sondern ein Wesen, das nicht bloß äußerlich in 75
die Gemeinschaft hineingestellt ist, sondern ganz in diese ver woben und verflochten ist. Er müßte sich daher als ein Aus
würfling in der Gemeinschaft vorkommen, wenn ihm der Zu
gang zu den allgemein verbreiteten Kulturerrungenschaften der Gemeinschaft seiner Zeit und seines Landes verschlos sen wäre .
Er hat daher ein natürliches Recht , nicht bloß auf ein
menschen-, sondern auch ein kulturwürdiges Leben . Natürliche Bedingung des Lebensrechtes. Dieses natürliche, von Gott verliehene Menschenrecht ist freilich kein unbedingtes Recht. – Jeder Mensch muß seiner seits auch alles tun, was in seinen Kräften liegt , um sich die ses Recht durch eigene geistige und wirtschaftliche Arbeit zu erwerben und zu verdienen. Die Welt ist kein Schlaraffen
land, das dem Menschen die Möglichkeit gibt, auch ohne Arbeit zu allen Gütern zu kommen, die für ein menschen- und
kulturwürdiges Leben nötig sind. Ohne emsige Arbeit der Menschheit läßt sich selbst die Erhaltung des leiblichen Le bens der Menschheit nicht sichern. „ So reichlich “, sagt daher Leo, „ die Erde alles spendet, was zur Erhaltung und Entfal tung des Lebens nötig ist ; sie kann es nicht aus sich allein, sondern nur durch die Mühe und Obsorge der Menschen .“ (Rer nov 7.) Selbst im Paradiese hat Gott den Menschen zur Arbeit
gewiesen. Die Sünde hat die Notwendigkeit der Arbeit nicht erst begründet, sondern nur ihre Last erschwert. Schon das kleine Kind muß mit seinen schwachen Kräften an der Ent
faltung seines kindlichen Lebens mitarbeiten. Es muß , wenn auch vom mütterlichen Arm und von mütterlicher Liebe un
terstützt, selbst seine Füße, seine Hände, seine Sinne gebrau chen lernen ; es muß denken und sprechen lernen und sich die Kenntnisse und Fertigkeiten zu eigen zu machen suchen , die ihm seine Eltern und Lehrer vermitteln.
Und so geht es das ganze Leben hindurch. Die Pflicht der
Arbeit begleitet den Menschen durchs ganze Leben ; und hat er nicht mehr nötig, für sich selbst zu arbeiten, so muß er
seine überschüssigen Kräfte und Mittel, sein Wissen und Kön nen in den Dienst jener stellen, die ihrer bedürfen. Das Recht auf Hilfe.
So wichtig und notwendig auch die Arbeit zum Erwerb alles dessen ist , was zu einem menschen- und kulturwürdigen 76
Leben gehört, so ist doch der Mensch dabei nicht auf seine
eigenen Kräfte allein angewiesen. Denn nicht umsonst hat ihn der Schöpfer zum natürlichen Glied der verschiedenen Ge meinschaften gemacht ; sondern darum, damit er an ihnen
eine kräftige Stütze und Hilfe zum Leben erlange. So wenig ihn die Gemeinschaft der eigenen Arbeit ent bindet, so wenig darf sie ihm ihre Hilfe zum menschenwür digen Leben entziehen, wo immer ihn seine eigenen Kräfte
oder Mittel im Stiche lassen. Nicht bloß in den Tagen der Kindheit, sondern auch längst nachdem der Mensch aus der Familiengemeinschaft herausgetreten ist und vielleicht selber
schon eine Familie gegründet hat, hat er ein natürliches Recht auf die Hilfe aller jener Gemeinschaften, deren Glied er ge worden ist .
Das ist das innerste Wesen des sozialen, oder zu deutsch des Gemeinschaftsrechtes: Das Recht auf die Hilfe aller Ge
meinschaften, deren Glied er ist, zur Ermöglichung eines men schen- und kulturwürdigen Lebens. Die Träger der Hilfe. Diese Pflicht der sozialen Hilfe trifft nicht etwa bloß die
Häupter der Gemeinschaft, sondern jedes Glied hat sie zu er
füllen, soweit es über die nötigen überschüssigen Kräfte oder Mittel verfügt und weiß , daß dem anderen Gliede Kräfte oder Mittel versagen .
Denn das Leben der Gemeinschaft geht nicht bloß vom Haupte aus. Es sollen alle Glieder der Gemeinschaft lebendig sein und darum
im Sinne und zum Ziele der Gemeinschaft
arbeiten und wirken.
Die kürzeste Formel. Diese Pflicht läßt sich aufs kürzeste in die Formel klei
den : Der Überschuß den Bedürftigen ! Diese Formel finden wir im Munde des Heilandes (Luk 11 , 41) ; die Kirchenväter stel len sie ihren Gläubigen immer wieder vor Augen ; selbst Mo
hammed hat sie aus der christlichen Überlieferung in seinen Koran übernommen . Wenn auch diese Formel hier überall zunächst nur vom
Almosen verstanden wird, das man dem hilflosen Armen rei
chen soll, so läßt sie sich doch ohne Schwierigkeit auf jede Art sozialer Hilfe übertragen, deren ein Mensch zum Leben bedarf. 77
Nur muß sie für die verschiedenen Fälle den Verhältnis
sen entsprechend richtig ausgelegt werden. Der Sinn dieser Formel .
Der Überschuß gehört den Bedürftigen ! Dieses kurze Lo
1
sungswort der Gemeinschaftsgerechtigkeit will dem Besitzer
1
des Überschusses in keiner Weise das Eigentumsrecht schmä
lern. Es verlangt auch nicht, daß er in jedem Falle seine Hilfe ohne Entgelt leisten müsse. Das ist nur gegenüber den gänz lich Armen und Mittellosen der Fall, die nicht arbeiten und sich in keiner Weise selbst helfen können. Eine solche
Almosen pflicht oder unentgeltliche Unterstützungspflicht
gilt vor allem für die Liebesgemeinschaften, Familie, Ver wandtschaft, Volk und Kirche. Sie stuft sich je nach dem Grade der Dürftigkeit, wie auch der Innigkeit des Bandes, das die Menschen verbindet, in verschiedener Weise ab. Auf diese Liebesgemeinschaft hat die Kirche im Mittel alter den besten Rechtsschutz und die beste ärztliche Fürsorge gegründet, indem sie christliche Advokaten und Ärzte ver pflichtete, ohne Entgelt den Armen ihre Hilfe zu leisten. Auf diese Weise hat die christliche Liebe einst auch Armen
schulen, Armenapotheken , Altersheime, Hospize und selbst Badeanstalten für die mittellosen Bedürftigen geschaffen .
Entgeltliche Hilfe.
Wo immer aber jemand der Hilfe bedarf, der imstande ist, diese Hilfe zu vergelten, oder der Stellvertreter hat, die für diese Hilfe aufkommen können und müssen, da darf für
diese Hilfe ohne weiteres.eine entsprechende gerechte Vergel tung gefordert werden . Hauptsache ist da, daß diese Hilfe,
soweit sie nötig ist, wirklich geleistet werde ; nicht aber, daß sie unentgeltlich geleistet werde. So kann der Arzt, der Rechtsanwalt, der Lehrer, der Er
zieher von den ihrer Hilfe Bedürftigen oder deren Stellver tretern ohne weiteres einen solchen Anspruch geltend machen.
Es braucht auch der reichste Bäcker seinem zahlkräftigen Kunden kein Brot schenken ; aber er muß es ihm verkaufen,
wenn dieser es nötig hat, um seinen Hunger zu stillen. Es braucht auch der reiche Fabrikant den arbeitslosen Arbeitern
kein Almosen geben, wenn er ihnen Arbeit und Brot verschaf
fen kann. Aber die soziale Gerechtigkeit verpflichtet ihn, ihnen Arbeit und Brot zu verschaffen , wenn er die nötigen Mittel dazu hat.
78
So ist es überall in der Wirtschaft . Die soziale Hilfe, zu
der die soziale Gerechtigkeit die Glieder der Wirtschafts
gemeinschaft verpflichtet, ist ihrem Wesen nach nicht unent geltliche, sondern entgeltliche Hilfe. Die Ordnung der Wirtschaftsgemeinschaft. Was wir bisher über das Wesen der vollen Gerechtigkeit
ausgeführt haben, gilt für alle Bezirke des ganzen, sowohl gei stigen wie leiblichen Gemeinschaftslebens. Weil aber die so zialen Schäden auf dem Gebiete der Wirtschaft, wenn auch
nicht allein, so doch mit besonderer Furchtbarkeit zu Tage getreten sind und weil auf diesem Gebiete noch immer Un klarheiten herrschen über die eigentliche Wurzel der Übel, so ist es nicht unnütz, diesem Gebiete eine besondere Aufmerk samkeit zu schenken.
Wie überall im Leben, muß auch in der Wirtschaft Ord
nung herrschen, soll sie imstande sein, ihre Aufgabe zu erfül
len. Wie jede Ordnung, muß auch diese Ordnung der ganzen Natur des Menschen angepaßt sein. Auch in der Wirtschaft macht sich nicht bloß die Sondernatur, sondern auch die Ge
meinschaftsnatur des Menschen geltend. Darum muß auch die Ordnung der Wirtschaft dieser Gemeinschaftsnatur Rechnung tragen. Eine Wirtschaft, die, wie es der Liberalismus wollte, nur auf den Eigennutz der einzelnen Wirtschafter aufgebaut
ist, kann unmöglich in der Ordnung sein. Es muß sich in ihr notwendig und wesentlich die Gemeinschaft ausprägen, die auch auf dem Gebiete der Wirtschaft unstreitig vorhanden ist. Die Wirtschaft von heute beruht wesentlich auf dem
Grundsatz der Arbeitsteilung. Die Arbeit geht zwar aus der Sondernatur des Menschen hervor ; aber je mehr sie sich teilt,
desto mehr erhält sie das Gepräge der Gemeinschaft. Soll die Arbeit in ihrer Teilung nicht allen Sinn verlieren, so verlangt sie als ihr Gegenstück notwendig die Arbeitsgemeinschaft. Nur in Gemeinschaften ist eine vernünftige Arbeitsteilung möglich . Deshalb hat in der Wirtschaft nicht bloß die Sonder
gerechtigkeit, sondern auch die Gemeinschaftsgerechtigkeit ein gewichtiges Wort mitzureden. Dieses Gewicht wird noch dadurch verstärkt, daß sich
diese Gemeinschaftsgerechtigkeit überdies auf die allgemeine Bestimmung der Güter stützen kann , die uns in der Schöp
fungslehre so klar vor Augen tritt. – Denn Gott hat die Erde mit all ihren Gütern und Kräften, die der Wirtschaft dienen, 79
1
nicht bloß für jenen Teil der Menschheit bestimmt, dem es gelungen ist, sich in den Besitz derselben zu setzen, sondern für alle Menschen, die er geschaffen hat und die guten Wil lens, das heißt bereit sind, ihre Pflichten gegen das Leben zu erfüllen. Gott hat keine Stiefkinder geschaffen , denen er von vornherein sein Erbe versagt. Die dieses Erbes verlustig wer den, werden es entweder durch eigene Schuld oder durch die Schuld ihrer Mitmenschen. Nach Gottes Willen muß also die
Erde mit all ihren Gütern allen Kindern Adams dienen, die ihre Pflicht zu erfüllen bereit sind.
An dieser allgemeinen Bestimmung der Güter kann auch die Sondereigentumsordnung nichts verändern, die sich aus der Sondernatur des Menschen und der menschlichen Arbeit nahe legt. In diesem Sinne sagte schon Leo : ,,Wie immer auch die Erde unter die Einzelmenschen verteilt sein mag, so hört
sie dennoch nicht auf, dem allgemeinen Nutzen aller zu die nen.“ (Rer nov 7.) Sie darf es auch nicht. „ Denn es gibt kei nen Menschen, der nicht von ihren Früchten leben müßte.“
Desgleichen betont Pius mit aller Entschiedenheit die dop pelte Aufgabe des Sondereigentums. Es soll auf der einen Seite den Menschen instand setzen, für sich und die Seinen zu
sorgen. Es soll aber auch mithelfen, den allgemeinen Wid mungszweck der vom Schöpfer der ganzen Menschheitsfamilie gewidmeten Erdengüter zu erfüllen. (Qu A 45.)
Die Dienstpflicht des Kapitals. Wer also ein Stück des gemeinsamen Erbes der Mensch heit in rechter Weise erworben hat, der darf es wohl zu nächst für sich und seine Familie nützen . Was er aber dar über hinaus an wirtschaftlich brauchbaren irdischen Gütern
besitzt, also den Überschuß , den darf er denen nicht vorent
halten , die daran Mangel haben. Er muß ihn kraft der all
gemeinen Bestimmung der Güter in den Dienst seiner Mit menschen stellen. Nur auf diese Weise lassen sich Sonder
eigentumsrecht und allgemeine Bestimmung der Güter klaglos miteinander vereinen. Ein Eigentumsrecht, das diese Aufgabe leugnet, wäre nur ein halbes Eigentumsrecht. Und ein halbes Recht ist im Grunde nichts anderes als Unrecht .
Das ist die sogenannte soziale Last, die auf allem irdischen
Besitz ruht, der für die Menschheit nutzbar und nötig ist ; das
ist die soziale Pflicht, die allem Eigentum von Haus aus auf 80
erlegt ist und die wir kurz als die Dienstpflicht des Kapitals bezeichnen können.
Der Sinn dieser Dienstpflicht.
Freilich darf diese Dienstpflicht nicht falsch aufgefaßt werden. Sie berührt an und für sich nicht den Besitz, sondern den Gebrauch, den der Mensch von diesem Besitze zu machen
hat. In diesem Sinn schreibt Pius : „ Eigentumsrecht und Eigen tumsgebrauch sind wohl zu unterscheidende Dinge. “ (Qu A 47.) Sie darf auch nicht so aufgefaßt werden, als hätte nun
jeder beliebige, der auf diese Mittel ansteht, das Recht, auf eigene Faust die Dienste des fremden Eigentums für sich zu fordern. Es ist dies vielmehr eine Gemeinschaftspflicht, deren
Erfüllung nur durch jene streng eingefordert werden kann, die an der Spitze dieser Gemeinschaft die Aufgabe haben, diese in jeder Beziehung in Ordnung zu bringen. Inzwischen
aber hat der verpflichtete Besitzer die freie selbständige Wahl, nicht ob er, sondern nur wie er diese seine Pflicht erfüllen will . Das Recht auf Arbeit .
Die mindeste wirtschaftliche Hilfe, die einem mittellosen
Arbeiter zuteil werden kann, ist die Verschaffung einer Arbeit, die ihm des Lebens Notdurft hinreichend sichert. Da er auf
die Sicherung dieser Lebensnotdurft für sich und die Seinen
ein natürliches Anrecht hat, so folgt daraus, daß er auch ein natürliches Recht auf Arbeit besitzt, soweit es möglich ist, ihm Arbeit zu verschaffen. Arbeit beschaffen aber kann nur, wer
im Besitz des hierfür nötigen Kapitals ist. Daher ergibt sich als die erste und wichtigste Pflicht des Kapitals, nach Mög lichkeit zu sorgen , daß alle, die arbeiten wollen, auch arbei ten können . So sehen wir, wie das Recht auf Arbeit und die
Dienstpflicht des Kapitals aufs innigste miteinander verknüpft sind.
Auch dieses Recht darf nicht falsch verstanden werden,
als ob jeder Arbeitslose auf eigene Faust von einem belie bigen Arbeitgeber, der Arbeit zu vergeben hat, sein Recht ein fordern könnte. Es ist kein Hand- und Faustrecht, sondern
ein Gemeinschaftsrecht, das nur auf dem Umwege über die Gemeinschaft durch die Hilfe jener, die an ihrer Spitze ste hen , eingefordert werden kann . Nur dieser Weg kann es hin dern , daß durch die Einforderung dieses Rechtes die ganze Wirtschaft zerrüttet werde . 81 6
Damit wäre die soziale Wirtschaftsgerechtigkeit und dar aus hervorgehende soziale Wirtschaftsordnung wenigstens kurz beleuchtet .
Wir sehen daraus : Die soziale Wirtschaftsordnung, wie sie das Christentum fordert, ist keine Utopie, die in Wolken schwebt ; sie fußt vielmehr ganz auf dem festen Boden der
christlichen Gerechtigkeit. Wir sehen auch, wie sie die Er fordernisse einer gesunden Wirtschaft sehr wohl mit dem natürlichen Lebensrecht der Menschen zu vereinen weiß .
Schwierigkeit der Erfüllung der vollen Gerechtigkeit. Wenn wir all die sozialen Rechte auf die Hilfen der ver
schiedenen Gemeinschaften zur Sicherung einer menschen
und kulturwürdigen Erhaltung und Entfaltung des mensch lichen Lebens in der Gemeinschaft betrachten und die man
nigfachen sozialen Pflichten erwägen, die damit verbunden sind, so sehen wir leicht ein, wie schwer es den einzelnen
Gliedern fällt, denselben voll und ganz gerecht zu werden. Selbst wenn allseits der gute Wille dazu vorhanden wäre, so müßte dieses den einzelnen Gliedern für sich zum Teil äußerst
schwer, zum Teil ganz unmöglich erscheinen. Diese Schwierigkeit aber erhöht sich noch überall dort , wo selbst der Wille fehlt, diesen Pflichten gerecht zu werden. Notwendigkeit der Organisation der Gemeinschaften.
Diese Schwierigkeit, bezw. Unmöglichkeit der einzelnen Glieder, teils zu ihrem sozialen Recht zu kommen , teils ihre
sozialen Pflichten zu erfüllen, verlangt gebieterisch nach Ab hilfe, da sonst eine gesunde, kraftvolle, überall durchgreifende Entfaltung des menschlichen Gemeinschaftslebens unmög lich ist .
Diese Abhilfe aber kann, wie wir bereits bei der Dienst
pflicht des Kapitals und beim Recht auf Arbeit gesehen haben, nur darin bestehen, daß sich diese natürlichen Gemeinschaf ten , soweit es nicht schon wie bei der Familie von Natur aus
geschehen ist, durchorganisieren , das heißt, aus einer natür lichen Gemeinschaft sich zu einer organisierten Gemeinschaft entwickeln, die aus sich heraus eine Oberhoheit bestellt, die
imstande ist, eine feste, der Liebe und der Gerechtigkeit ent sprechende, ihre Rechte und Pflichten näher bestimmende Gemeinschaftsordnung zu entwerfen, und mit entsprechendem Nachdruck dafür sorgt , daß dieselbe nach Möglichkeit auch von den Gliedern ihrer Gemeinschaft eingehalten werde. 82
Die Grundkräfte der sozialen Organisation. So erweisen sich die soziale Liebe und die soziale Gerech
tigkeit nicht bloß als die geistig-sittlichen Grundkräfte, die die natürlichen Gemeinschaften zum vollen, echt sozialen Gemein
schaftsleben antreiben und daher das ganze Gemeinschafts leben beseelen müssen ; sondern auch als die geistig-sittlichen
Grundkräfte, die deren Organisierung entschiedenst fordern, wo immer dies zur Erreichung ihrer Ziele notwendig ist, und die die Oberhoheit rechtfertigen , die aus dieser Gemeinschaft erwächst.
So ist es selbst bei der religiösen Gemeinschaft , der Kirche. Denn auch das religiös-sittliche Leben kann zu seiner vollen Entfaltung der Hilfe der Gemeinschaft nicht entbehren. Nur muß hier wegen der alle Kräfte der menschlichen Natur übersteigenden Aufgabe noch eine höhere, unmittelbar von Gott ausgehende und nach göttlicher Anordnung vermittelte Kraft und Sendung dazu kommen. Organisierung erweist sich auch bei den Siedlungsgemein schaften notwendig, die sich aus der Familie heraus, über die Nachbarschaft, Gemeinde, Bezirk, Gau und Land bis zum Reiche entwickelt haben. Ähnlich ist es auch bei den Wirt
schaftsgemeinschaften, die sich aus derselben Familie heraus zur Betriebs-, Berufs- und Volkswirtschaftsgemeinschaft ent wickelt haben . Auch die Wirtschaft muß von unten herauf
berufsständisch durchgegliedert werden, soll sie ihrer Gesamt
aufgabe der entsprechenden Versorgung des Volkes voll ent sprechen , wie sie von der sozialen Liebe und Gerechtigkeit gefordert wird. So ist es schließlich auch bei jenen Gemein schaften der Fall, die die Familie in ihrer Aufgabe, den Kin dern das lebensnotwendige Wissen und Können zu vermit teln , abgelöst haben.
Somit wären in kurzen, leider nur allzu knappen Stri chen die sittlichen Grundlagen gekennzeichnet, die nicht bloß in der ständisch aufgebauten Gesellschaft zu gelten haben, sondern die sich auch als die treibenden geistigen Kräfte für
den Aufbau und Ausbau aller gegliederten Gemeinschaften erwiesen haben. Es sind die Liebe und die Gerechtigkeit, die sich wie Seele und Leib zueinander verhalten und die, wie
Pius entschieden betont, einzig imstande sind, nicht bloß das wirtschaftliche, sondern das ganze Gemeinschaftsleben in Ord nung zu erhalten . 83 6*
Sie müssen daher alle staatlichen und gesellschaftlichen Einrichtungen durchdringen und durchwalten, soll das Ge
meinschaftsleben wieder in gesunde und geordnete Bahnen kommen. (Qu A 88.)
Der neue Staat. · Bundesminister Dr. Kurt v. Schuschnigg.
In diesen bewegten Maitagen, die uns Österreicher an die Schwelle einer neuen Periode der Entwicklung unseres Staa tes und Vaterlandes führen, steht uns wieder einmal, wie so oft schon bei anderen Gelegenheiten, ein bekanntes Wort eines deutschen Klassikers vor der Seele : „ Das Alte stürzt , es ändert sich die Zeit, und neues Leben blüht aus den Ruinen ."
Derjenige, der die Neuordnung der Dinge ersehnte und
in ihr jetzt eine Erfüllung eines lange gehegten Wunschtrau mes sieht, der wird, wenn er gerecht ist, eingestehen müssen , daß diese Neuordnung, die ihm willkommen und richtig
scheint, schlechterdings unmöglich gewesen wäre, wenn nicht das, was vor dem war, ob gewollt oder ungewollt, die Wege geebnet hätte. Und wer zur wirklichen verstandesmäßigen Er fassung des neuen Staates kommen will, der kommt an einer ge schichtlichen Schau unmöglich vorüber. Auch der, welcher der
Neuordnung der Dinge innerlich noch ablehnend gegenüber steht, sei es, weil er sich die neue Praxis nicht recht vorzustellen vermag, sei es, daß er die gewisse Zwangsläufigkeit der Entwick lung nicht anerkennt , auch der muß sich sagen : Das, was wurde, wäre nicht möglich gewesen, wenn nicht vieles Vor hergegangene diese Neuordnung erzwungen hätte. Er muß an den Beginn seiner Gedankengänge die Erwägung stellen, wie es denn gekommen ist , um dann langsam , aber sicher zur Er kenntnis zu gelangen, daß es so und warum es so kommen mußte .
Zu allen Zeiten hat es in irgend einer Form stärkere oder schwächere Gruppen des politischen Nihilismus gegeben, de ren Ideal das Zerschlagen des Staates und die Negierung der bestehenden Ordnung ist , aber der Zweck des Staates bleibt zu allen Zeiten der gleiche. Er ist letztlich darin begründet, daß irgendwie eine In stanz, eine Form der Zusammenfassung da sein muß , die das geordnete Nebeneinander aller Bürger möglich macht, um das 81
Allgemeinwohl zu erreichen und sicherzustellen. Selbstver ständlich ist unter Bürger jeder verstanden, welcher Schichte,
welcher Berufsgruppe er zugehört, der eben zu dem Staate als Staatsbürger zählt. Wie dieses geordnete Nebeneinander ain besten ermöglicht werden kann, ist nicht zu allen Zeiten gleich .
Die beste Form der Gestaltung des Staates ist jeweils die, die unter gegebenen Zeitumständen, Bedingungen und Verhältnis sen die Erreichung des obersten Staatszweckes sicher gewähr leistet und die, früher oder später, für alle jene ein Moment
der Enttäuschung und des nüchternen Erwachens bringen muß , die in irgend einer Staatsgestaltung etwas absolut End
gültiges, Ewigkeitswertiges zu sehen geglaubt haben. Damit diese Ordnung möglich wird, muß der Staat Schöpfer des Rechtes sein, allerdings nicht allen Rechtes, es sind auch dem
Staate da Grenzen gezogen. Es sind die zeitlosen Ewigkeitswerte, die göttlichen Rechte, die der Mensch teilweise erläutert und auf denen der Staat fußt, an die er aber im übrigen gebunden ist. So ist der Staat mittelbar oder unmittelbar Schöpfer des Rechtes und zugleich aus dem Naturrecht verpflichtet, für die möglichste Wohlfahrt aller, die in seinen Grenzen wohnen, zu
sorgen, aber auch verpflichtet, das Recht eines jeden, welchem Stand und welcher Schichte er immer angehört, zu schützen . Damit er aber das kann, muß ihm Macht gegeben sein, sich durchzusetzen und daher muß ihm auch Macht gegeben sein, den Widersacher zu bekämpfen, jeden Widersacher, dessen Kampfmethode die Erreichung des Staatszweckes, die Befrie dung des Staates und Volkes verhindert oder auch nur we sentlich erschwert. An allen diesen Dingen grundsätzlicher
Natur hat sich durch die Neuordnung selbstverständlich gar nichts geändert. Das galt für den Staat vor dem ersten Um bruch der Dinge, vor 1918, aber auch für den Staat nach dem ersten großen Umbruch nach 1918. Und das gilt auch für den heutigen
Staat ,
den
christlich-deutschen,
auf
ständischer
Grundlage aufgebauten Staat. Aber es wäre nicht erschöpfend, würden wir nur mehr oder weniger genau vom Zweck des Staates im allgemeinen reden. Wir Deutsche in Österreich müssen darüber hinaus
uns die zweite Frage vorlegen, die Frage nach der Seele des Staates, die Frage nach dem Zeitlosen im Staate, nach dem Sinn des Staates. Jeder Staat, der nicht das Zufallsergebnis einer momentanen politischen Konstellation ist und dessen
Tage schon aus diesem Grunde gezählt sind, jeder Staat, des 85
sen Wurzeln in einer tiefen Tradition stecken und der Rück
schau halten kann über die Berg- und Talepochen, über die Wellengänge eines geschichtlichen Werdens hinweg, muß sich klar darüber sein, daß er eine ganz bestimmte Aufgabe und Sendung hat über den bloßen Zweck hinaus, die Wohlfahrt und das Recht zu sichern und auch mit Macht durchzuset
zen. Über diesen allgemeinen Zweck hinaus hat jeder Staat
im Weltgebilde seine ganz bestimmte Aufgabe. Wenn wir heute bewußt und betont nicht müde werden, von österreichischer
Sendung zu reden, wenn wir immer und immer wieder appel lieren an Sie, meine verehrten Damen und Herren, an die
Pädagogen, in deren Händen es liegt, die junge Generation unseres Volkes heranzuziehen, um sie zum Verständnis wach zurufen für das, was wir tief innerlichst für das österreichische
Schicksal und für die österreichische Bestimmung halten, dann reden wir von dem besonderen Zwecke des österreichischen
Staates im Völkerleben. Wir fühlen uns als die Erben der gro Ben universalen Reichsidee des deutschen Volkes, wir wollen der großen Sendung Österreichs leben, damit dieses alte Reich
im Herzen Europas, das alte heilige Reich auf Erden, in deut scher Sprache und aus den Wurzeln deutscher Kultur gewach sen , in einer neuen, modernen Form wieder Wirklichkeit
werde. Wir glauben, daß gerade für den, dem das deutsche Bewußtsein mit christlicher Tradition in der Seele glüht, wenn er vom Staate spricht, der Gedankengang nicht bei den jewei ligen oft engen Grenzen stehen bleiben darf, sondern daß er hinübergreifen muß über diese Grenzen und die Bestimmung seines Vaterlandes, seiner Heimat suchen muß auf allen We
gen, die einst das große heilige Reich in der Geschichte be
schritten hat. Das ist die große, gottgewollte Sendung Öster reichs, die Vermählung unverfälschten Christentums und un verfälschten deutschen Volkstums über alle Schranken hin
weg lebendig zu erhalten, bis einmal eine Zeit kommt, in der über das rein Geistige, Ideelle hinaus vielleicht auch wieder die
herrliche Wirklichkeit dieser großen Idee geschaffen wer den kann .
Diese Zeit kommt, aber sie kann nur kommen, wenn bis dorthin in Wien und in Österreichs Landen der alte hei
lige Reichsgedanke als köstliches Juwel gehütet und vor jedem Zugriff, vor jeder falschen Modernisierung geschützt wird. Möchten doch alle, die letzten Endes genau wie wir am deut schen Volkstum mit ganzer Seele hängen, sich endlich vom 86
jahrhundertelangen Geschehen, aus dem Blick in die Vergan genheit überzeugen lassen, daß der Weg zum wirklichen Reich unmöglich gefunden wird, wenn man versuchen will, Öster reich auszuradieren . Sie, denen die Erziehung der Jugend an vertraut ist, Sie sollen in diesem Sinne die österreichische Ge
schichte vor die jungen Seelen führen ! Diese Sendung Öster reichs werden Sie dem Kinde schon beibringen können , über das bloße Wissen vom Staate und seine an die Zeit gebun denen Erscheinungsformen hinaus werden Sie ihm die Kunde von der Seele unseres Staates, von der letzten großen Sen
dung unseres Staates Österreich vermitteln müssen . Sie müs sen wissen, daß man die Einrichtung und Gestaltung eines Staates allerdings erlernen kann, das Vaterland und seine Sen dung aber innerlich erleben muß. Das ist das hohe Bild des Vaterlandes, das uns den Staat erst lebenswert macht und das
uns allen ohne Unterschied, welcher Generation wir angehö ren, daher auch den Kindern von heute, bestimmendes Schick sal ist .
Meine Damen und Herren ! Lassen Sie mich jetzt dies er gänzen durch einen kurzen, rückschauenden Überblick über das Werden des neuen Staates, des neuen Österreich. Ich
glaube, es kann der Behauptung nicht gut widersprochen wer den, daß zum vollen Verständnis der neuen Dinge in Öster
reich das Wissen um die Ereignisse, die zum neuen Öster reich führten, unerläßlich ist. Wenn es keinen Krieg, vielleicht keinen verlorenen Krieg gegeben hätte, dann wäre, wie ich
fest überzeugt bin, das Staatsbild, wie es sich um 1919 und in weiterer Folge darstellt, schlechterdings unmöglich gewesen.
Was war das leitende Prinzip der Staatsgestaltung nach dem Umsturz? Man glaubte – und das sei jetzt ohne jede Polemik
rein beschreibend dargestellt, so wie wir die Dinge sehen -man glaubte, ein totales Versagen der autoritären Gewalten feststellen zu müssen. Man fand in der Einrichtung des alten Staates in seiner hierarchischen Gliederung Unzulänglichkei ten und Unmöglichkeiten und versuchte die Gliederung des alten Staates als ein Gebilde hinzustellen , das in die neue Zeit
nicht mehr passe, und suchtė dann diesen autoritären Staat und die Demokratie in Widerspruch zueinander zu setzen.
Aber es war kein Widerspruch vorhanden und die Demokra tie, selbst die parlamentarische Demokratie, wie das lebendige
Beispiel der europäischen Staaten zeigt, hätte sich auf dem Boden jenes autoritären Staates, wie wir ihn zu sehen ge 87
wohnt waren, fortentwickeln können. Man glaubte aber, mög
lichst deutlich und jedermann erkennbar, einen scharfen Tren nungsstrich zwischen dem irgendwie autoritär geführten und modernen Staat ziehen zu müssen. Man glaubte, auf jede per sönliche Staatsführung verzichten zu können. Das ging so weit,
daß bekanntlich in der ersten Übergangsverfassung sogar die Person des Staatsoberhauptes nicht mehr vorkam . Man schuf
ein Dreierkollegium mit der Aufgabe, rein repräsentative Funk tionen zu erfüllen. Alles Übrige war scharfe und konsequente Ausbildung des Gedankenganges einer rein parlamentarischen Demokratie, aufgebaut auf einem bis zur Wissenschaft aus
gebildeten Wahlrecht. Mit dieser parlamentarischen Demokra tie, ihrer Durchführung bis ins Letzte, glaubte man die neue Zeit meistern zu können und dem Gebote höchster sozialer
Gerechtigkeit, soweit es irgendwie menschenmöglich ist, nahe zu kommen. Doch die Ereignisse zeigten die Schattenseiten dieses theoretisch sicher unanfechtbaren Staates immer stär
ker auf. Man empfand vor allem den Mangel der persönlichen Führung. Es ist nicht uninteressant, rückschauend zu beob achten, wie Schritt für Schritt unbelastet von den vielen Er
schwernissen der Versuch gemacht wurde, irgendwie wieder zu einer persönlichen Führung im Staate zu gelangen, irgend wie aus der absoluten, kollegialen Entscheidung der Vielen, der Überbewertung und Alleinbewertung der großen Masse wieder herauszukommen zur Anerkennung der Staatsnotwen digkeit, einer zunächst repräsentativen, aber entscheidenden
Spitze. So versuchte man Schritt für Schritt durch Schaffung
der Stelle des Bundespräsidenten und durch den langsamen Ausbau seiner Befugnisse bis zur letzten Verfassungsnovelle vom Jahre 1929 die persönliche Spitze des Staates wieder deut lich in den Vordergrund zu stellen. Das gleiche gilt für die
Regierung, die doch auch unmittelbar die Verantwortung zu tragen hat. Heute, bei der Neuordnung des Staates, ist dieser Grundsatz endlich zur Tatsache geworden. Daß aber zunächst in den ersten Jahren der Weg des Parlamentes dahin ging, Volkskommissäre zu schaffen , daß also an russische Revolu
tionserrungenschaften sich anlehnende Gedanken nach Ver wirklichung strebten, soll als Tatsache festgehalten sein. Be reits bei dem bekannten Linzer Programm der österreichi schen Sozialdemokratie war der Plan der Diktatur einer ganz bestimmten Klasse, die Gewaltherrschaft, als Endziel festgelegt
worden . Alle Bemühungen, die Regierung unabhängig vom 88
Parlament zu gestalten, begegneten immer dem heftigsten Wi derstand. Die Regierung wurde von der egoistischen Partei politik immer wieder gehemmt, notwendige Maßnahmen im Interesse der Wirtschaft und des Staates rechtzeitig zu tref
fen . Ihre Weiterexistenz hing oft nur von einer Zufallsmehr heit ab. So wurde die Notwendigkeit einer persönlichen, ver antwortungsbewußten Staatsführung immer gebieterischer, besonders in Zeiten der Not und schwerer Krisen. Das kleine
Österreich mußte unter der allgemeinen Weltkrise besonders leiden. Und da muß mit Recht festgestellt werden, daß die wiederholten Bemühungen und das unermüdliche Wirken des
großen Nachkriegsösterreichers Dr. Seipel und seiner Freunde wenn auch diese Bemühungen sich zunächst nicht durch die Bahn für die Entwicklung zum neuen
setzen konnten
Staat geebnet haben. Jene Entwicklung, die man am besten bezeichnet als eine gewollte Abkehr von dem Staatsprinzip
der reinen Demokratie und des allmächtigen Parlamentaris mus, mußte man einleiten, wollte man nicht einem blinden
Chaos zusteuern . Die Dinge trieben dahin, daß der Ruf nach
autoritärer Führung ein fast allgemeines Verlangen des Volkes wurde. So kam als Zwischenetappe die Verfassung des Jahres 1929, welche die vom Bundespräsidenten ernannte und nicht mehr aus dem Parlament erwählte Regierung vorsah. In wei
terer Folge ergab sich notwendig, daß die Wandlung der Mei nung über den Staatsaufbau in der ganzen Welt auf Österreich seine Rückwirkung haben mußte. Und so bekam auch Öster reich seine neue Verfassung und so wurde der neue Staat . Wenn wir nun den Aufbau des neuen Staates, näher betrach
ten , müssen wir uns von Schlagwörtern frei halten und den Dingen auf den Grund sehen . Wenn auch eine autoritäre Staatsführung vorgesehen ist, sollte doch das Prinzip einer ge sunden, wirklich echten Demokratie nicht über Bord geworfen werden. Wir sehen dann im neuen Staat das Vorhandensein
einer politisch verantwortlichen Führung und zugleich die Gleichheit aller vor dem Gesetze und die Übernahme des alten
Grundsatzes, daß es keine Vorrechte einer Klasse, eines Stan des oder der Geburt geben dürfe. Und wer vor allem unter Demokratie eine möglichst autonome Verwaltung der Ge
meinde und damit selbständige Führung der Verwaltungs
geschäfte in den kleinen Wirkungskreisen versteht, der kann überzeugt sein, daß dieses gesunde demokratische Prinzip
auch im neuen Staat und in seiner Verfassung weitgehendst 89
zur Anwendung kommt. In diesem Sinne sind wir Demokraten. Wir lehnen aber eine Demokratie ab, in welcher die Über
bewertung der Masse und die Unterbewertung des geistigen Formenprinzipes bei der Staatsgestaltung herrschend ist, und in welcher die allein ausschlaggebende Entscheidung bei der großen Zahl liegt und die Führer, die nicht nur die schwieri gen Situationen zu meistern, sondern auch die Verantwortung zu tragen haben, zur absoluten Ohnmacht verurteilt sind. In diesem Belange unterscheidet sich der neue Staat wesentlich von der Staatsgestaltung bis 1934. Da sehen wir uns vor ein gänzlich neues Gebäude gestellt. Es hätte aber das neue Haus
des Staates nicht fertiggestellt werden können, wenn nicht die Zeit vor uns den Weg bereitet hätte, wenn nicht tapfere Männer und Frauen darüber gewacht hätten, daß nicht Un
ersetzliches zerschlagen wird, daß sich die Theorien nicht ins Uferlose verlieren, daß nicht allzuviel experimentiert wird. Ich erinnere hier vor allem an das Gebiet der Schule ; wenn
dies nicht gewesen wäre, dann wäre der Übergang zu dieser neuen Zeit nicht so relativ reibungslos und schmerzlos vor sich gegangen .
Wer so das Werden und die Entwicklung der letzten 15 Jahre betrachtet, wird ganz anders aufgeschlossen vor dem Problem des neuen Österreich stehen.
Was will nun der neue Staat? Er nennt sich autoritär,
sozial, christlicher Staat . Autoritär. Er will die persön
lich verantwortungsvolle Führung. Derjenige, der für die Re gierung und Verwaltung die Verantwortung trägt, muß sicher sein , daß er das, was er nach seinem besten Wissen und Ge
wissen für richtig hält, auch durchführen kann, ohne von einer verantwortungslosen, nur nach ihrer größeren Zahl gewerte ten, oft von Demagogie und von engem Parteiinteresse ge
leiteten Masse daran gehindert zu werden. Die autoritäre Staatsführung aber darf keineswegs in irgend eine Willkür herrschaft entarten. Die Verfassung bietet hiefür alle notwen digen Garantien in dem Versuch, die Gesellschaft möglichst
nach den Berufsständen neu zu gruppieren. Der ständische Aufbau will eine kunstvolle Pyramide schaffen , um möglichst entrückt vom Streit und Hader politischer Leidenschaft und
vom Haß klassenkämpferischer Ideen das Zusammenwirken der Stände zu ermöglichen, die wirtschaftlich und ideell auf einander angewiesen sind. Getreu den Grundsätzen der Enzy klika , die vom Kanzler ausführlich betont und zitiert werden, 90
wird es Aufgabe der Neugestaltung sein, den autonomen Ständen in den von ihnen zu schaffenden Verwaltungskörpern soviel Rechte einzuräumen, als sie zur Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten bedürfen ! Es wird nicht versucht werden, alles an den Staat heranzuziehen , alles möglichst zentral vom Staate aus zu regeln, sondern man wird den entgegengesetzten
Weg gehen, der vielmehr uraltem, deutschem Rechtsbegriffe entspricht, der kleinen und kleinsten Verantwortung ihr eige nes Gebiet zu überlassen und nach oben hin immer nur so
viel abzugeben an Pflichten und Verantwortung, als im Inte resse der übergeordneten Gemeinschaft unbedingt notwendig ist. Der Staat bleibt Kontrollinstanz dafür, daß das Gemein
schaftsinteresse gewahrt werde. Der neue soziale Staat steht selbstverständlich auf dem Standpunkte, daß alle Rechte gleich
seien. Er kennt und will keine Bevorrechtung irgend eines einzelnen Standes, sondern er will in der Gestaltung des Le
bens beweisen, daß es ihm mit der Herstellung des sozialen Staates Ernst ist . Er verlangt, daß jeder pflichtgemäß auf den anderen Rücksicht zu nehmen hat. Mit dieser Frage hängt in erster Linie der Einbau der Arbeiterschaft in den Staat zu
sammen. Gewiß ist es eine der vornehmsten und dringlichsten Aufgaben, zu zeigen, daß dem Staate der Schutz der Arbeiter interessen, der Schutz des Arbeiterrechtes und der Ausbau
derselben pflichtgemäß am Herzen liegt , wobei unter möglich stem Verzicht auf die bisherigen Methoden der Propaganda, die zu Orgien des Hasses führen müssen, neue Wege beschrit
ten werden sollen. Jeder Einzelne soll möglichst klar erken nen können, daß so am besten den. Es wird hier alles davon triebs- und Berufsgemeinschaft denken, tatsächlich jenes neue
seine Interessen gewahrt wer abhängen, ob die Werks-, Be der Zukunft, wie wir sie uns Bild schafft, das sich ergeben
muß, wenn der christliche Unternehmer und der christliche
Arbeiter sich finden und ihre Interessengemeinschaft im Hin blick auf das Allgemeinwohl entdecken. Die Wahrnehmung
der gegenseitigen Interessen soll nicht mehr durch partei
politisches Machtstreben und klassenkämpferisches Vorgehen gestört werden . Der neue Staat nennt sich christlicher Staat . Wenn
wir vom christlichen Staat sprechen, begegnet uns sehr häu fig und sehr zu Unrecht der Vorwurf der Intoleranz. Wenn wir einen christlichen Staat aufrichten, so anerkennen wir zu
nächst, daß die Möglichkeiten, Recht zu setzen, begrenzt sind, 91
daß die andere hohe Gemeinschaft, die Kirche, auch Einfluß
möglichkeiten auf gewisse Gebiete hat, und daß der neue Staat die Rechte der Kirche, anderer Gemeinschaften und auch des Individuums respektieren und achten will. Dieser Staat setzt sich keineswegs auseinander mit dem Einzelnen, der andere
Wege gehen will, sofern sich diese Wege nicht mit der Straße kreuzen, die der Staat alle Staatsbürger führen muß , sofern sich dieser Ideengang nicht als Ideengang gegen den Staat aus wirkt. Der christliche Staat verlangt Respekt für seine Grund
sätze und zumindest die Anerkennung, daß er das Beste will, er muß darauf bedacht sein , daß ihm diese Anerkennung wird, und muß sich zur Wehr setzen gegen Methoden , die es wagen , versteckt oder offen mit Gewalt ihm entgegenzuwirken. Der christliche Staat läßt dem Einzelnen seine Freiheit , aber er
verlangt, daß derjenige, der die Freiheit für sich fordert, diese Freiheit nicht nur für sich fordert, sondern auch dem anderen
angedeihen läßt. Es wurde und wird allzu oft unter der Pa role der Freiheit gekämpft, indem man nur eine Sonderstel
lung für seine eigenen Anschauungen haben will, dafür aber jede andere Auffassung, auch die christliche Auffassung der Freiheit, mit brutalem Terror bekämpft . Allzu oft bezeichnet man mit Freiheit Willkür, Zügellosigkeit und glaubt absehen zu können von Grenzen, die gezogen werden müssen, wenn nicht die Sicherung des geordneten Nebeneinander, der Friede, die obersten Staatszwecke ernstlich gefährdet werden sollen.
Wir sind bereit, jedem, selbstverständlich in den mit Rück sicht auf das Wohl der Allgemeinheit gezogenen Grenzen , die Freiheit zu sichern. Wir glauben aber genötigt zu sein, deut lich und eindeutig festzustellen, daß im neuen Staate bis zu einem gewissen Grade alle ausnahmslos sich mit der neuen Ordnung der Dinge, also auch mit dem christlichen Staat und seiner Schule , abfinden müssen.
Daher ein Wort noch, das leider Gottes an der Polemik nicht ganz vorüberkommt, zu den Methoden derer, die sich
als Gegner des neuen christlichen, des betont österreichischen
Staates bekennen. Es ist unendlich traurig und betrübend für jeden, der damit zu tun hat. Es ist unendlich traurig zu sehen, wie in der jungen Generation, die verhetzt ist und nicht per sönlich verantwortlich gemacht werden kann, das Verständnis für den neuen Staat und für das christliche Österreich absolut
nicht wach werden will . Immer wieder beschäftigen uns ein zelne Fälle, die mit Rücksicht auf die Schule, überhaupt auf 92
1
die junge Generation nicht ungesühnt bleiben dürfen. Welche Verantwortung lastet doch auf den Schultern jener seien es Eltern, Lehrer oder Erzieher die dem jungen Menschen kinde die Wege in die neue Zeit zu ebnen haben und es zum Verständnis für die neue Zeit erziehen sollen ! Wie betrübend
mag es für den Einzelnen sein, zu sehen , daß verkehrte Ein flüsse sein Werk erschweren oder unmöglich machen ! Da muß Abhilfe geschaffen werden. Es wird da fürwahr auch in Österreich nichts anderes möglich sein, als trotz allen Beto nens der typisch österreichischen Geduld schärfste Abwehr zu fordern .
Die Vaterländische Front ist das Sammelbecken für alle, die sich zum Staate bekennen. Alle vorbereitenden Schritte,
die von den einzelnen Verwaltungsstellen getan wurden, lie Ben klar erkennen, daß der Weg, den Österreich seit über
einem Jahr mit bewußt betonter Einstellung zu seinem Staate geht, richtig ist, und so mußte einmal der Moment kommen, wo die Vaterländische Front Gesetzeskraft verlangte. Das ge schah am Anfang dieses Jahres, am 8. Jänner. Es ist außer Zweifel stehend, daß wir uns daher von Anfang an bemüht haben, die Verbindung zwischen Lehrerschaft und Vaterlän discher Front herzustellen, und daß wir eine Ablehnung die
ser inneren Beziehung selbstverständlich mit einer Verken nung der Berufsaufgabe gleichsetzten. Anfangs haben wir dringend nahegelegt, es möchten doch gerade in den Schulen die Gedankengänge der Vaterländischen Front aus der über
parteilichen Gruppierung klar ersehen werden. Es wurde ge wünscht, daß die Kinder auf den Sinn und Zweck des Schüler abzeichens verwiesen werden. Es ist mir eine Herzenssache,
Ihnen zu danken für Ihr beispielgebendes Verhalten, Ihnen zu danken für Ihr wahrhaft großes patriotisches Erziehungswerk und Sie zu bitten, auch in den kleinen Gemeinschaften in die
sem Sinne zu wirken. Es gibt nur eines, daß wir an die Rich tigkeit dieses Weges glauben . Und wenn wir nicht diesen Glauben besessen hätten, würde heute nicht ein Mitglied der
jetzigen Regierung vor Ihnen stehen können, dann wäre die ser Kurs nicht möglich gewesen . Es gibt nur ein Biegen oder Brechen. Das muß jedem ganz deutlich in der Seele stehen, geradezu selbstverständlich sein, daß es Aufgabe des Gewis sens ist , für die Heranbildung der jungen Generation im Geiste
des neuen Österreich zu sorgen. Wir müssen uns diese Auf gabe in unseren Wirkungskreis stellen und den Wenigen, die 93
noch außerhalb unserer Reihen stehen, in ihrem eigenen In
teresse eindringlich zurufen : Meine Herren, Zeit ist's zum
Bekenntnis, zum Tatbekenntnis! So geht es nicht weiter ! Spä ter dann sich aufs Verfolgtsein berufen, den Märtyrer spielen zu wollen, das ist nicht national ! Meine verehrten Damen und Herren !
Sie können mir
glauben, daß ich Ihnen aus Anerkennung Ihrer ungeheuer
schwierigen Aufgabe aus innerster Seele heraus danke, insbe sondere beseelt vom Willen, daß es gelingen möge, Brücken zu schlagen und Versöhnung zu bringen. So sehe ich in Ihnen die Garde der Vaterländischen Front und bitte Sie, nehmen
Sie im Interesse all Ihrer Kollegen, wo immer sie stehen , jede
Gelegenheit wahr, sie zur Besinnung zu rufen. Es ist nie zu spät , wenn man sich besinnen will.
Wir alle, insbesondere der Kanzler, wir wollen ja nicht den Kampf, wir wollen den Frieden, nicht Haß , sondern Ver söhnung. Wir wollen jeden Idealismus anerkennen, auch wenn er sich bisher in vernünftiger Form gegnerisch betätigt hat. Wir sind bereit, jeden aufzunehmen, wenn er allmählich
aus Respekt vor der tatsächlichen Entwicklung zum Verständ nis und zur inneren Beziehung zum neuen Staate kommt. Die
junge Generation, die noch abseits steht, ist für ihre Einstel lung nicht voll verantwortlich zu machen . Das sind keine bö sen Menschen. Der Mittelschüler, der prächtige Bursche, kann
ja nichts dafür, weil man es ihm nicht gesagt oder zu wenig gesagt hat. Das ist kein böser, sondern ein armer Bub, viel leicht auch ein dummer Bub mit fünfzehn, sechzehn Jahren, der glaubt, über die Vaterländische Front spotten zu können, der glaubt, ein Urteil über die wahre nationale Bestimmung des Österreichers geben zu können und über den neuen Staat seine Meinung äußern zu dürfen. Wie lange haben wir alle miteinander gebraucht, bis wir uns zur Klarheit durchgerun gen haben ! Die jungen Menschen können vielfach nichts da für, aber sagen Sie es ihnen und den Eltern, es wäre Zeit,
endlich Vernunftgründen zugänglich zu sein, sich einzustellen, wie es sein muß . Es ist ein Jammer, daß wir in den grund legenden Fragen, sowohl in den sozialen, wie auch in den na tionalen Fragen , aneinander vorüberreden . Wenn durch Ver
fügung der letzten Tage für das Reifezeugnis zum erstenmal wieder eine Betragensnote eingeführt wird, so soll dies ein neuer Schritt zum vaterländischen Gedanken sein. Der wirk
lich reife junge Österreicher darf nicht nur geprüft werden 94
hinsichtlich einer bestimmten Summe des Wissens, sondern
er muß auch darüber hinaus noch gewertet werden, ob er in
seiner ganzen Persönlichkeit reif ist. Wir wollen und müssen auf diese Weise – und da erbitte ich mir Ihre werktätige Unterstützung – dafür sorgen, daß die Intelligenz in unserem
Lande von jener Halbbildung, die sich nur auf Schlagworten aufbaut und nichts fertig macht, die nur auswendig lernt, aber zu tiefst nicht versteht, befreit wird.
Es ist der Sinn der neuen Schule, nicht die jungen Men schen mit immer mehr Wissen zu belasten, sondern mehr als
bisher in ihrer ganzen Persönlichkeit zu erfassen und zu bil den. In der neuen Schule, die bewußt sich christliche Schule
und Vaterlandsschule nennt, ist es selbstverständlich , daß die richtige Erfassung aller Fragen, die zum Kreise des Volkstums gehören, vermittelt wird.
Meine Verehrten ! Das alles gehört irgendwie zum Thema : Der neue Staat. Es gibt kein Menschenwerk, das schlechter dings vollkommen ist. Diejenigen, die glauben, sie seien am Ziele, der Wunschtraum von Generationen sei in Erfüllung gegangen, es ist der Vollbrachtstandpunkt gekommen, werden
sehen, wieviel Arbeit noch zu leisten ist. Es gibt kein absolut vollkommenes Menschen werk. Auch
was jetzt geschaffen
wurde, hat natürlich seine Schwächen und wird seine Schat
tenseiten haben, die sich in der Praxis noch abschleifen und mit der Zeit zu einer Formierung der Gestaltung führen werden. Wir werden mit innerer Anteilnahme diesen neuen Staat
begrüßen und aufgeschlossen ihm gegenüberstehen, aus dem Bewußtsein heraus, daß unseres Reiches Gedeihen und Ver
derben mit dieser Neuordnung verbunden ist. Wir wollen dem Werke des Kanzlers treu folgen, bedin
gungslos folgen, weil wir gute Österreicher und daher gute Deutsche sind.
Staatsbürgerkunde ist notwendig, sie kann gelehrt und gelernt werden. Heimatverständnis, Vaterlandsliebe, die muſ man erleben, die kann man nicht erlernen , auch nicht durch
das beste Lehrbuch. Nur wer selbst flammende Begeisterung für die Idee im Herzen trägt, kann ihr mitreißender Verkün der sein, kann der Prophet sein, dem es gelingt, den zünden den Funken in die jungen Herzen zu tragen. Österreichs Ju gendbildner, in Ehrfurcht beugen wir uns vor Eurer Aufgabe,
denn an Ihnen liegt es, den Brückenschlag zu vollenden in eine neue, so Gott will, glücklichere Zeit ! 95
Österreichs
Erneuerung ! Vaterländische Literatür zum Gebrauch
für die Schule und Organisationen , se wie für jeden österreich . Staatsbürger Dr. 0. Ender, Dieneue österreichische Verfassung S 3:15 Dr. J. Meßmer, Die soziale Frage, das beste und modernste Werk auf diesem Gebiet . Dr. J. Eder, Zwei Jahre Dollfuß
H. Hantsch, Österreich, Geschichte und Kultur Unsere Lieder, Österreichisches Liederbuch
J. Pieper, Thesen zur Gesellschaftspolitik
S 26•25 S 1.47 S 3 •68 S 1.50 S 1.61
Stunde der Heimat, ein vaterländisches Liederheft S 1•26 Der Führer Bundeskanzler Dr. Dollfuß zum Feste des Wiederaufbaues .
S - •84
Dr. J. Schneider, Der Fall der roten Festung
S
1.89
Dr. H. Schmitz, Die Sozialpolitik im autoritären Staat S 2:52 S 1.58 H. Balz, Die österreichische Verfassung A. Retzbach, Die Erneuerung der gesellschaftlichen S 5.98 Ordnung R. Schmitz,Der Weg zurberufständischen Ordnung S 1.90
Österreichs Jugend, Marschlied für Gesang K. Blast, und Klavier Pius XI. Rundschreiben über die gesellschaftliche Ordnung, latein und deutsch . Nell-Breuning, Die soziale Enzyklika
S
1.58
S 4:14 S
9:66
S
1.05
R. Hecht, Volksvertretung und Staatsführung in der neuen Verfassung
Dr. A. Depiny, Ein Ständespiel H. v . Hortenau, Ein kraftvolles Österreich
S 1.05 S 1.58
J Gruber, Oberösterreichs Vergangenheit im Rahmen der österreich. Geschichte
S 6.30
Kardinal Faulhaber, Judentum, Christentum, Ger S 3:45 manentum L. Lorme, Gestaltung der Freizeit nach der Arbeit S 1•68 Hohenlohe, Der Ständestaat vom Standpunkte
der christl. Rechtsphilosophie Weichs, Wie bauen wir den Ständestaat
Tzöbl, Vaterländische Erziehung
S _•74 S S
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1.89 2:10
1
UNIVERSITY OF CALIFORNIA LIBRARY BERKELEY Return to desk from which borrowed .
This book is DUE on the last date stamped below . 18 ans JB
1954 4U
1 Nov'59CRE IN STACKS
OCT 18 1959
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AN 20
17 FEB '65VB
REC'D LD FEB 1965-10 PM
LD 21-100m-7, '52 ( A2528s16 ) 476
1
L
58
Hauptarchiv der NSDAP . Nr.