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German Pages 192 [194] Year 2008
Thomas Fischer / Anneliese Sitarz (Hrsg.) Die Grenzen des American Dream Hans Sitarz als „Gelddoktor" in Nicaragua, 1930-1934
Lateinamerika-Studien Herausgegeben von Walther L. Bernecker Sabine Friedrich Titus Heydenreich Andrea Pagni Gustav Siebenmann Hanns-Albert Steger Band 50
Thomas Fischer / Anneliese Sitarz (Hrsg.)
Die Grenzen des American Dream Hans Sitarz als „Gelddoktor" in Nicaragua, 1930-1934
Vervuert Verlag 2008
Redaktion: Universität Erlangen-Nürnberg Zentralinstitut für Regionalforschung Sektion Iberoamerika Bismarckstr. 1 D-91054 Erlangen
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar. © Vervuert Verlag, 2008 Elisabethenstr. 3-9 D-60594 Frankfurt am Main [email protected] www.ibero-americana.net ISBN 978-3-86527-420-5 D.L.: SE-4040-2008, U.E. Umschlaggestaltung: Michael Ackermann Gedruckt auf säure- und chlorfrei gebleichtem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Spain Printed by Publidisa
Inhalt
Nicaragua-Karte
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Zentralamerika-Karte
8
Die Grenzen des American Dream. Als „Gelddoktor" in Nicaragua, 1930-1934
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Von der Wall Street zur „Nationalbank" Nicaraguas
26
Geschäftsbereich und Bekanntenkreis
38
Reise nach Costa Rica, Gesellschaftsleben in Managua
49
Ein schmerzlicher Verlust, Besprechungen in New York
57
Ausmaß des Erdbebens
62
Krisenmanagement und Personal
73
Reise an die Atlantikküste und Rückkehr Elisabeths
78
Die Regierung Moncada, wirtschaftliche Schwierigkeiten und Sandino
86
„Mittelpunkt des gesamten Wirtschaftslebens"
98
Dienstreise nach New York und Präsidentenwahlen
104
Abzug der marines, Beginn der Amtszeit Sacasas und Freizeitgestaltung
112
Friedensgespräche und Druck auf die „Nationalbank"
123
Kreditverhandlungen in New York, Reise nach Europa
137
Ermordung Sandinos, die Schwierigkeiten nehmen zu
153
Zuspitzung der Probleme, Rückzug aus der „Nationalbank" und Abschied von Nicaragua
164
Verzeichnis der Abbildungen
178
Index
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Nicaragua-Karte
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Die Grenzen des American Dream Als „Gelddoktor" in Nicaragua, 1930-1934 Hans Sitarz, der Verfasser der in diesem Band abgedruckten autobiographischen Aufzeichnungen, war ein 1889 in Wien geborener und in Stettin ausgebildeter Kaufmann. Er verbrachte die Jahre von 1911 bis 1929 in Kolumbien - zunächst in Diensten des deutschen Handelshauses „Ernst Pehlke" in Bogotá, dann als Angestellter und Direktor der „Deutschen Antioquia Bank" in Medellin. Von 1930 bis 1934 war er Geschäftsführer der „Nicaraguanischen Nationalbank" in Managua. Als er sich zurückzog, übernahm er die Leitung der in New York ansässigen Import/Exportfirma „American Trading Co. Inc." Er führte dieses Unternehmen bis 1950. Nach seiner Pensionierung verfasste er auf Drängen seiner Familie eine Autobiographie. Die Erinnerungen an seinen Aufenthalt in Kolumbien sind bereits in gedruckter Form greifbar.1 Die nun vorliegende Veröffentlichung seiner Eindrücke über seine Zeit in Nicaragua schließt an diese Publikation an. Der Verfasser war in Nicaragua neben dem Oberbefehlshaber der US-amerikanischen Truppen, dem US-Botschafter und dem Chef der Guardia Nacional der wichtigste Ausländer. Als general manager der „Nationalbank" wachte er zwischen 1930 und 1934 über die Geld-, Währungs- und Kreditpolitik des zentralamerikanischen Landes. In dieser Funktion war er zugleich ein bedeutender Protagonist auf dem Gebiet der Haushalts-, Wirtschafts- und Entwicklungspolitik. Sitarz hat der Nachwelt als Augenzeuge und Handlungsträger ein Manuskript hinterlassen, das für die Forschung ein zentrales, bisher vernachlässigtes Thema der nicaraguanisch-USamerikanischen Geschichte erschließt. Sitarz' Handlungsspielraum als Geschäftsführer der „Nicaraguanischen Nationalbank" wurde durch den innenpolitischen Kontext des zentralamerikanischen Landes bestimmt. Hinzu kam die permanente Einmischung diplomatischer, militärischer und wirtschaftlicher Akteure aus den USA. Bevor ich die Entwicklung der „Nationalbank" im Allgemeinen und die Rolle von Sitarz im Besonderen beleuchte, möchte ich daher zuerst auf diese Rahmenbedingungen eingehen: Zwischen 1910 und 1933 war Nicaragua faktisch ein Protektorat der USA.2 Die Zoll- und Geldpolitik wurde durch ausländische, vor allem US-amerikanische Experten überwacht. An der Spitze der großen Infrastrukturprojekte, wie der „Pazifikbahn" („Ferrocarril del Pacífico") und der Straße von Managua an die Atlantikküste, standen ebenfalls ausländische Fachleute. Darüber hinaus kontrollierten USamerikanische Investoren die Goldförderung, die Bananenproduktion und die
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Thomas Fischer/Anneliese Sitarz (Hrsg.): Als Geschäftsmann in Kolumbien (1911-1929). Autobiographische Aufzeichnungen von Hans Sitarz. Frankfurt a. M. 2004. Allgemein zu dieser Herrschaftsmethode, Jürgen Osterhamniel: Kolonialismus. Geschichte Formen - Folgen. München 1995, S. 55-57.
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Holzverarbeitung. Die nicaraguanischen Eliten mussten somit auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Entwicklungspolitik erhebliche Souveränitätseinbußen hinnehmen. Die Voraussetzung für die Abgabe der strategischen Entscheidungskompetenz an US-amerikanische Akteure schufen militärische Interventionen und die Stationierung von Marinesoldaten (marines). Das zentralamerikanische Land war in diesem Zusammenhang kein Einzelfall. Vielmehr war für die Zeit von 1898 bis 1934 der Interventionismus ein konstitutives Element der Durchsetzung der Interessen der USA im gesamten Karibikbecken. Die Entscheidungsträger in Washington zeigten sich in dieser Region immer wieder bereit, auf die Anwendung von Gewalt zurückzugreifen, um die Kräfteverhältnisse zurechtzurücken und Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in die gewünschte Richtung zu lenken. 3 Ohne die Zustimmung der Regierung in Washington konnte sich während rund zwei Dekaden in Nicaragua kein Präsident an der Macht halten. 1909 war Präsident José Santos Zelaya unter Mithilfe der USA gestürzt worden. Der aus Managua stammende Liberale war ein Vertreter der aufsteigenden Kaffeeelite, er hatte die Verkehrswege ausbauen lassen und die Trennung von Staat und Kirche durchgesetzt. Zum Verhängnis wurde ihm aber vor allem, dass er sich gegen den Willen der USA, welche „ihren" Kanal zwischen Panamá und Colón bauten, um Investoren für eine zusätzliche, nicaraguanische Wasserstraße zwischen dem Atlantik und dem Pazifik bemüht hatte. 4 Unter US-amerikanischer Aufsicht fanden 1911 Wahlen für die Nationalversammlung statt. Die Delegierten bestimmten den Liberalen Juan José Estrada zum neuen Präsidenten; doch noch im selben Jahr rückte - nach einem missglückten Putschversuch von Estrada - der Buchhalter der „La Luz and Los Angeles Mining Company" in Bluefields, Adolfo Díaz, an die Regierungsspitze. Da die Entscheidungsträger in Washington die Konflikte in Nicaragua nicht zuletzt als Auseinandersetzung verschiedener Elitenfraktionen um den Zugriff auf staatliche Ressourcen betrachteten, 5 begnügten sie sich allerdings nicht mit der Installierung des Konservativen, sondern sicherten sich zugleich die Kontrolle über die wichtigste staatliche Einnahmequelle, die Außenzölle. Die Instanz, welche die Abgaben auf Importe und Exporte überwachte, wurde USBehörden gegenüber rechenschaftspflichtig; das oberste Personal durfte erst nach Zustimmung des State Department eingesetzt werden. 6 Díaz trat die Administration
Thomas Fischer: Der Interventionismus der USA in der Karibik. Formen - Rechtfertigungsmuster - Auswirkungen 1898-1934. In: Bernd Hausberger/Gerhard Pfeisinger (Hrsg.): Die Karibik. Geschichte und Gesellschaft 1492-2000. Wien 2005, S. 101-118. Thomas D. Schoonover: The United States in Central America, 1860-1911. Episodes of Social Imperialism and Imperial Rivalry in the World System. Durham/London 1991, S. 130-148. Michel Gobat: Confronting the American Dream. Nicaragua Under U.S. Imperial Rule. Durham/London 2005, S. 100-122; Lars Schoultz: Beneath the United States. A History of U.S. Policy Toward Latin America. Cambridge 1998, S. 76. Scott Nearing/Joseph Freeman: Dollar Diplomacy: A Study in American Imperialism. In: Paul W. Drake (Hrsg.): Money Doctors, Foreign Debts, and Economic Reforms in Latin America from the 1890s to the Present. Wilmington, Del. 1994, S. 11-15 [Erste Veröffentlichung von Neirings und Freemans Text: New York 1925]; Lester D. Langley: The Banana Wars. United States Intervention
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der „Pazifikbahn" an einen US-Geschäftsführer ab. Auch gegen die Einrichtung einer von New Yorker Kapitalisten - man nannte sie die bankers - kontrollierten „Nicaraguanischen Nationalbank", deren Geschäftsführer Jahre später Hans Sitarz werden sollte, hatte er nichts einzuwenden. Der drastische Kurswechsel in der nicaraguanischen Politik führte zu einem kurzen, aber heftigen Bürgerkrieg zwischen den Anhängern Díaz' auf der einen und dissidenten Konservativen sowie Liberalen auf der anderen Seite.7 Die gut ausgerüsteten Aufständischen kämpften gegen den US-freundlichen Teil der Oligarchie. Mit einer großen Invasionsmacht eilten die USA dem in Bedrängnis geratenen Díaz zu Hilfe und besetzten Managua, Granada und León, die zentralen Städte des bevölkerungsreichen Westens. Von einem vertraglich abgesicherten Interventionsrecht wie in Kuba, das Díaz mehrmals vorschlug, sah man ab, zumal eine solche Maßnahme in den USA selbst umstritten war. Aber in Washington drängte man auf die Zusicherung der exklusiven Rechte bei einem möglichen Bau eines transozeanischen Kanals durch Nicaragua. Ein entsprechendes Abkommen wurde 1914 durch den nicaraguanischen Repräsentanten in Washington, den aus einer alteingesessenen Granadiner Großgrundbesitzerfamilie stammenden Konservativen Emiliano Chamorro, sowie den Secretary of State, William Jennings Bryan, ausgehandelt.8 Chamorro durfte von 1917 bis 1920 regieren. Ihm folgte von 1920 bis 1923 sein Neffe Diego Manuel Chamorro, ebenfalls aus der Konservativen Partei. Nach dessen Tod übernahm der Vizepräsident, Bartolome Martínez (bis 1925), ein Kaffeegroßproduzent aus Matagalpa, das Präsidentenamt. Auch er stammte aus der Konservativen Partei. Trotz einer politisch wenig stabilen Situation wurden Anfang August 1925 die letzten marines, welche die dreizehn Jahre währende konservative Hegemonie erst ermöglicht hatten, aus Nicaragua abgezogen. Experten hatten zu dieser Maßnahme geraten, weil die ausländischen Truppen ständigen Anfeindungen unterworfen waren.9 Emiliano Chamorro nutzte unverzüglich das entstandene Machtvakuum und ging mit militärischen Mitteln gegen den Gewinner der (irregulären) Wahlen, Carlos Solórzano, auch er ein Konservativer, vor. Dieser wurde im März 1926 zum Rücktritt gezwungen, und Chamorro ließ sich vom Kongress zum neuen Präsidenten ausrufen. Als im Mai der liberale, aus Masatepe stammende General José María Moneada mit Unterstützung der mexikanischen Regierung Plutarco Elias Calles' (1924-1928) eine militärische Kampagne gegen die de-facto-Regierung anzettelte, um Solórzanos liberalen Koalitionspartner, den in den USA zum Arzt ausgebildeten Juan Bautista Sacasa aus León, als legitimen Nachfolger von Solórzano an
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in the Caribbean, 1898-1934. Wilmington, Del. 2002, S. 57-61; Schoultz: Beneath the United States, S. 213-216. Langley: The Banana Wars, S. 64-70; Gobat: Confronting the American Dream, S. 100-122; Schoultz: Beneath the United States, S. 217-219. Langley: The Banana Wars, S. 175 f.; Schoultz: Beneath the United States, S. 226-228. Dana G. Munro: The United States and the Caribbean Republics 1921-1933. Princeton/London 1974, S. 162-186.
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die Regierungsspitze zu bringen, geriet Emiliano Chamorro unter Druck. Da die Aussichten auf eine Stabilisierung der innenpolitischen Situation mit Chamorro an der Staatsspitze gering waren, musste dieser auf Wunsch der USA am 31. Oktober 1926 zurücktreten. Am 11. November wählte das Parlament den willfährigen Adolfo Diaz, mit dem die USA bereits Jahre zuvor kooperiert hatten, zum Nachfolger. Doch auch diesmal konnte Diaz ohne den „Koloss im Norden" die Lage nicht unter Kontrolle bringen. Erneut wurden in den Häfen und verschiedenen Landesteilen unter anderem in Managua und Leon - US-Truppen stationiert, um polizeiliche Funktionen zu übernehmen und die Interessen von US-Bürgern zu schützen. Sacasa, der zivile Führer der Liberalen, rief am 1. Dezember 1926 in Puerto Cabezas eine Gegenregierung aus. Regierungstruppen und Aufständische lieferten sich außerhalb der von den USA als „neutrale Zonen" deklarierten Gebiete heftige Gefechte. Um einem Sieg der Rebellen zuvorzukommen, ordnete US-Präsident Calvin Coolidge (1923-1929) Ende Dezember eine erneute militärische Invasion Nicaraguas mit rund 3.000 Soldaten an.10 Angesichts dieser veränderten Sachlage gelang es im Mai 1927 dem USSonderbeauftragten, Henry L. Stimson, den „Frieden von Tipitapa" zwischen den durch General Moncada vertretenen Aufständischen und der konservativen, von den USA anerkannten Regierung unter Diaz auszuhandeln. Stimson sicherte für 1928 Munizipal- und nationale Wahlen zu und stellte in Aussicht, auch einen Sieg der Liberalen zu akzeptieren.11 Der Bürgerkrieg von 1926/27 stärkte in den USA diejenige Fraktion, welche schon immer die Meinung vertreten hatte, dass die Führungsgruppen Nicaraguas so stark politisiert waren, dass an eine professionelle Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung nicht zu denken war. Da jedoch der Einsatz großer Truppenkontingente außerhalb der Landesgrenzen auch in den USA viele Gegner hatte und in diesem Punkt innerhalb der nicaraguanischen Eliten ebenfalls große Bedenken herrschten, gingen die Entscheidungsträger in Washington nach der Unterzeichnung des „Friedens von Tipitapa" daran, nach den Vorbildern in Haiti und der Dominikanischen Republik eine überparteiliche Nationalgarde (Guardia Nacional) aufzubauen.12 Diese Institution sollte als einziges militärisches und polizeiliches Instrument im Land den Caudillismus im Landesinneren in die Schranken weisen. In der Tat fanden im Oktober 1928, überwacht durch marines und zivile Spezialisten aus Nordamerika, die freiesten Wahlen statt, die es in Nicaragua jemals gegeben hatte, und mit General José Maria Moncada konnte zum ersten Mal seit 1911 ein Liberaler das Präsidentenamt gewinnen. Chamorro hatte aufgrund des Drucks seitens der USA von einer Kandidatur Abstand genommen.13 Der im State Gobat: Confronting the American Dream, S. 142 f. Langley: The Banana Wars, S. 185-187; Gobat: Confronting the American Dream, S. 141-149. Richard Millett: Guardians of the Dynasty. Maryknoll 1977, S. 61-63, 69-79; Gobat: Confronting the American Dream, S. 205 f. Langley: The Banana Wars, S. 195-197; Gustavo Mercado: José María Moncada. Vivir Haciendo Historia. Managua 2002, S. 184-194.
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Departement als Präsident ebenfalls unerwünschte Sacasa erhielt den Botschafterposten in Washington. Die Amtszeit der Regierung Moneada verlief verhältnismäßig ruhig, zumal sich der Präsident auf die Mehrheit der Liberalen stützen konnte. Hinsichtlich der Beschaffung von Mitteln für die zur Entwicklung erforderlichen Großinvestitionen im Transportbereich blieb Moneada allerdings weitgehend erfolglos. Er scheiterte beim Versuch, mehr Geld von der „Pazifikbahn" an den nicaraguanischen Staat abzuführen und einen Kredit über 3 Mio. US-Dollar für den Straßen- und Eisenbahnbau von den „Bankiers" in New York zu erhalten.14 Hinzu kam, dass eine kleine Gruppe von Bewaffneten unter der Führung des Generals Augusto César Sandino in der Provinz Segovias im Norden des Landes den „Frieden von Tipitapa" nicht akzeptierte und den Aufstand fortsetzte. Die USA betrachteten Sandino, den illegitimen Sohn einer indianischen Bediensteten und eines kleinen Kaffeebauern aus Masaya, nicht als politische Kraft. Weil er von Haciendabesitzern und Bergbauunternehmen Schutzgelder erpresste und Vieh stahl, bezeichnete man ihn als kleinkriminellen bandit, outlaw und mule thief}5 Die Guardia Nacional bekam zusammen mit den marines den Auftrag, Sandino und seine ebenfalls aus der Unterschicht stammenden Gefolgsleute zu verfolgen.16 War der Konflikt zuvor in erster Linie als Auseinandersetzung zwischen Eliten um die Vorherrschaft im Staat zu interpretieren, so wandelte er sich nun infolge des verstärkten US-Engagements immer mehr zu einer Konfrontation zwischen einer nationalistischen Bewegung und den Invasoren sowie deren nicaraguanischen Verbündeten. Michel Gobat hat nachgewiesen, dass auch konservative, von den nationalen Ressourcen weitgehend abgetrennte Oligarchen, die in der US-Präsenz eine wachsende Bedrohung für die durch den Katholizismus geprägte nicaraguanische Kultur sahen, gewisse Sympathien für die sandinistische Rebellion entwickelten. Ihr Unmut richtete sich gegen die Übertragung US-amerikanischer Werte wie das Streben nach Freiheit sowie das Leistungsdenken, die als Voraussetzung für die Verwirklichung des American Dream betrachtet wurden.17 Die Guardia Nacional wuchs von ursprünglich 600 geplanten Mitgliedern rasch zu einer gut ausgerüsteten und trainierten Armee mit über 2000 Mitgliedern an, die einen beträchtlichen Teil des
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Roscoe R. Hill: Fiscal Intervention in Nicaragua. New York 1933, S. 53. Michael J. Schroetter: The Sandino Rebellion Revisited. Civil War, Imperialism, Popular Nationalism, and State Formation Muddied Up Together in the Segovias of Nicaragua, 1926-1934. In: Gilbert M. Joseph/Catherine C. LeGrand/Ricardo D. Salvatore (Hrsg.): Close Encounters of Empire. Writing the Cultural History of U.S.-Latin American Relations. Durham/London 1998, S. 208•« 268' ° Millett: Guardians, S. 63-69, 85-102. Gobat: Confronting the American Dream, S. 232-266. Die Bezeichnung American Dream geht auf James Truslow Adams 1931 publiziertes Werk "The Epic of America" zurück. Unter dem „amerikanischen Traum" verstand Adams die Chance für jedermann, sein persönliches Glück zu erlangen. Voraussetzung dafür war die Einhaltung der bürgerlichen Grundrechte. Adams betrachtete das Streben der Menschen in den USA nach einem besseren und glücklicheren Leben mit mehr Wohlstand als das typische Merkmal der USA seit ihrer Entstehung. Einen Überblick über die verschiedenen Ausprägungen des American Dream im Lauf der Geschichte gibt Jim Cullen: The American Dream: A Short History of an Idea that Shaped a Nation. Oxford 2003.
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Finanzhaushaltes verschlang. Sie wurde von 24 US-amerikanischen, mit Maschinengewehren und Streubomben bestückten Kriegsflugzeugen, mit denen unter anderem Ocotal und El Chipote angegriffen wurden, sowie mehreren Tausend Marinesoldaten unterstützt. Doch den Krieg in Segovias konnte diese Streitmacht nicht gewinnen. In Washington fiel daher der Beschluss, die Guardia Nacional weiter aufzurüsten und die Führung vermehrt Nicaraguanern zu überlassen, während die eigenen Truppen nach den Wahlen im Oktober 1932 abgezogen werden sollten. 18 Aber auch Sandino gelang es nie, in den Städten Fuß zu fassen. Erst im Februar 1933, nachdem die US-Besatzungsmacht Nicaragua verlassen hatte, schloss Sandino mit dem zum Präsidenten gewählten Sacasa einen Friedenspakt, in dem er der Demobilisierung seiner ungefähr 1.800 bewaffneten Gefolgsleute zustimmte; seine Ziele, die Umgestaltung der Gesellschaft und die Rückgewinnung der Kontrolle über die Finanzen und die Eisenbahn, wollte er nun mit einer eigenen politischen Partei, dem Partido Autonomista, erstreiten. Doch kurz danach wurde er auf Geheiß des 1932 zum Chef der Guardia Nacional ernannten Anastasio Somoza Garcia an einer Ausfallstraße Managuas ermordet. Somoza, der Sohn eines Kaffeeproduzenten aus Carazo und Neffe Sacasas, verteidigte sein Vorgehen gegen den Präsidenten als patriotisch. Weitere Exekutionen von Sandinisten folgten. 19 Mit der Ausschaltung der Sandinisten war zwar der Aufstand beendet. Doch zugleich hatte sich gezeigt, dass die USA auch beim Aufbau einer unpolitischen, professionellen Ordnungsmacht versagt hatten. Sacasa erwies sich als schwacher Präsident. Er hatte mit dem Widerstand Moncadas innerhalb der Liberalen Partei zu kämpfen. In seiner Amtszeit begann außerdem der Aufstieg Somozas, der sich wenig um die Einhaltung demokratischer Spielregeln kümmerte und eigene (Macht-)Interessen verfolgte. Die vorangegangenen Ausführungen haben deutlich gemacht, dass die USA vor 1933 die Rahmenbedingungen, in denen sich die nicaraguanische Politik entfaltete, entscheidend prägten. Es wurde aber auch deutlich, dass sie keineswegs in der Lage waren, die erwünschten Ergebnisse zu erzielen. Neben der Durchsetzung geostrategischer Interessen verfolgten die US-amerikanischen Interventionen das Ziel, den staatlichen Finanzhaushalt in Ordnung zu bringen, die nationale Währung zu stabilisieren, die ausländischen, insbesondere die US-amerikanischen Investitionen zu schützen, die Marktwirtschaft zu implementieren und die Außenwirtschaft (in ihrer Ausrichtung auf Nordamerika) zu konsolidieren. Diese von Präsident William Howard Taft (1909-1913) begründete und von seinen Nachfolgern in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts häufig praktizierte Politik wird in der Literatur als „Dollardiplomatie" bezeichnet, 20 und die Umsetzung der extern verordneten
J® Milieu: Guardians, S. 127. Volker Wünderich: Sandino. Eine politische Biographie. Wuppertal 1995, S. 255-265, 281-294; Oscar-René Vargas: Historia del Siglo XX. Bd. IH. Nicaragua 1926-1939. Managua 2001, S. 386„„ 409,417-454. 20 Neanng/ Freeman: Dollar Diplomacy; Schoultz: Beneath the United States, S. 205-219.
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Maßnahmen durch ausländische, zumeist US-amerikanische Experten kann man als money doctoring umschreiben.21 Die Funktion dieser Fachkräfte bestand im Transfer von ökonomischem Wissen und Techniken.22 In Washington ging man davon aus, dass dieser Vorgang zur wirtschaftlichen Entwicklung außerhalb des eigenen Staatsgebietes gelegener Territorien beitrug. So glaubte man, die Grundlage für die Verwirklichung des American Dream schaffen zu können. Auch die Freizeitgestaltung und das Wohnen sollten dem American Way of Life angepasst werden.23 Kurzum, man wollte „rückständige" Gesellschaften im eigenen Einflussbereich gewissermaßen zu ihrem - in Washington definierten - Glück zwingen. „Gelddoktoren" fungierten direkt im Auftrag des State Department, oder sie erfüllten - wie im Falle der „Nicaraguanischen Nationalbank" - eine indirekte Mission. Die Gründung der „Nationalbank" war eine wichtige Komponente der in Nicaragua praktizierten „Dollardiplomatie" und des money doctoring. Der „Banco Nacional" war bis zu Beginn der 1920er Jahre mehrheitlich im Besitz von „Brown Brothers and Company" sowie „J. & W. Seligman and Company". Die Aufgabe der „Nationalbank" bestand in erster Linie darin, Vertrauen bei den Kreditgebern und Investoren in den USA zu generieren. Sie fungierte als Mittler zwischen Nicaragua und dem Bankplatz New York, sorgte für einen stabilen Wechselkurs des Córdoba zum US-Dollar (was die Verpflichtung auf den Goldstandard einschloss) und verwaltete Einlagen und Kredite. Ein größerer Teil des vorhandenen Kapitals wurde in New York aufbewahrt. Dadurch konnten Finanzoperationen vor Ort rasch und unbürokratisch durchgeführt werden. Außerdem war dieses Geld dem Zugriff durch Unbefugte entzogen. Der institutionelle Rahmen der „Nationalbank" war, Lars Schoultz zufolge, eine größere Innovation:24 Der Hauptsitz befand sich aus steuertechnischen und organisationsrechtlichen Gründen in Hartford (Connecticut). Die Aufsichtsratssitzungen fanden jedoch immer in New York statt. Die USamerikanischen Aktionäre - sie verfügten ab 1913 über 51 Prozent - ernannten die Mehrheit der Mitglieder.25 Das State Department bestimmte ebenfalls einen Delegierten.26 Dieses Gremium wählte den general manager in Managua; er war ein US-Bürger. Obwohl die nicaraguanischen Regierungen schon bald zwei Mitglieder des Aufsichtsrates der „Nationalbank" selbst bestimmen durften, war immer klar, 21
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Vgl. zum Folgenden Paul W. Drake: The Political Economy of Foreign Advisers and Lenders in Latin America. In: Ders. (Hrsg.): Money Doctors, Foreign Debts, and Economic Reforms in Latin America from the 1890s to the Present. Wilmington, Del. 1994, S. xii, xviii-xxiii. In der neueren Forschung hat das Konzept der Übertragung von Wissen von einer Gesellschaft in eine andere unter der Bezeichnung transferí culturel Einzug gehalten. Vgl. hierzu Sebastian Conrad: Vergleich, Transfer, Transnationale Geschichte? Zur Methode der Area studies. In: Doitsu kenkyü, Nr. 39, 2005, S. 3-25. Dies hat Thomas O'Brien in seiner Bahn brechenden Studie über die Tätigkeit multinationaler Unternehmen aus den USA in Lateinamerika herausgearbeitet. Thomas O'Brien: The Revolutionary Mission. American Enterprise in Latin America, 1900-1945. Cambridge 1996. Schoultz: Beneath the United States, S. 217. Vgl. den Konzessionsvertrag und die Statuten, abgedruckt in: Armando Occon Herradora: Banco Nacional de Nicaragua. Managua 1998, S. 28-51. Munro: The United States and the Caribbean Republics, S.160.
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dass bei den strategischen Entscheidungen die bankers das Sagen hatten. Das Unternehmen schüttete ab 1918 Dividenden aus, nachdem inzwischen die Gewinnzone erreicht worden war.27 In den Augen hoher Funktionäre der Lateinamerikaabteilung im State Department besaß das durch die „Nationalbank" betriebene Kreditund Währungssystem Nicaraguas Vorbildcharakter für ganz Zentralamerika.28 1924 ergab sich eine Veränderung der Organisationsstruktur und der Rolle der „Nationalbank", als die Regierung Martinez das Aktienbündel im Besitz der „Bank of Central and South America" (die von „J. & W. Seligman and Company" und der „Guaranty Trust & Co.", einer der größten Banken der USA, kontrolliert wurde) erwarb.29 Man beschloss zwar, den Anteil der nicaraguanischen Mitglieder im Aufsichtsrat zu erhöhen, aber es handelte sich immer noch um ein gemischtes Gremium, in dem „J. & W. Seligman and Company" und „Guaranty Trust & Co." weiterhin repräsentiert waren. Die Sitzungen fanden nach wie vor an der Wall Street statt. Als Aufsichtsratspräsident ernannte man Robert F. Loree und als general manager in Managua den Nordamerikaner Louis S. Rosenthal. Zweifellos stand hinter dieser Maßnahme die Absicht, vermehrt von den Gewinnen der Bank zu profitieren. Vor allen Dingen ging es aber darum, die restriktive Ausgaben- und Kreditpolitik der „Nationalbank" aufzubrechen. Aber die Regierung kündigte zugleich die Beibehaltung des Goldstandards an, um das Vertrauen des Finanzplatzes New York beizubehalten.30 Allerdings brachte die Umstrukturierung der „Nationalbank" nicht die gewünschte Wirkung: die volle Kontrolle über die Staatsfinanzen und die Wirtschaftspolitik, ohne die Unterstützung der internationalen Finanzwelt zu verlieren. Die folgenden Jahre verliefen turbulent. In den erwähnten Bürgerkriegswirren von 1926/27 stürmten liberale Aufständische unter der Führung von General Moncada in Bluefields die Filiale des „Banco Nacional" und bezahlten mit dem aus dem Tresor erbeuteten Betrag unter anderem Waffen und Munition aus Mexiko.31 Andererseits gewährte der Aufsichtsrat in New York dem in Bedrängnis geratenen Chamorro einen großzügigen Kredit.32 Als Moncada dann das Präsidentenamt übernehmen konnte, tauschte er die nicaraguanischen Mitglieder im Aufsichtsrat alsbald aus. Er bezichtigte sie, gemeinsame Sache mit den Konservativen gemacht zu haben. In der Folge traten im Oktober 1929 auch der Geschäftsführer Rosenthal und sein Stellvertreter zurück, und „J. & W. Seligman and Company" sowie die „Guaranty Trust Company" kündigten ihr Engagement in Nicaragua auf. Der junge 27 2g
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Hill: Financial Intervention, S. 59, 87. Emily S. Rosenberg: World War I and the Growth of United States Predominance in Latin America. New York/London 1987, S. 158 f.; Joseph S. Tulchin: The Aftermath of War. World War I and U.S. Policy Toward Latin America. New York 1971, S. 187. Hill: Finacial Intervention, S. 45-47. Occon Herradora: Banco Nacional de Nicaragua, S. 203-207, 225. Langley: The Banana Wars, S. 179 f.; Gobat: Confronting the American Dream, S. 141; Mercado: José Maria Moncada, S. 84-96. Langley: The Banana Wars, S. 179 f.; Gobat: Confronting the American Dream, S. 179; Mercado: José Maria Moncada, S. 84-96; Occon Herradora: Banco Nacional de Nicaragua, S. 253 f.
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Nicaraguaner Rafael Ángel Huezo, ein unbeschriebenes Blatt, übernahm vorübergehend den Posten des Geschäftsführers.33 Moneada kritisierte, dass die „Nationalbank" zwar Gewinne erwirtschafte, selbst aber zu wenig zur Entwicklung des Landes beitrage. Um das Finanzinstitut stärker mit den staatlichen Institutionen zu koordinieren, machte er den „Banco Nacional de Nicaragua" zu einer nach nicaraguanischem Recht verfassten Firma. Außerdem verlangte er, dass nicaraguanisches Personal vermehrt in die Administration einbezogen werde.34 Letztlich aber hütete sich der Liberale ebenso wie seine konservativen Vorgänger davor, die bis dahin betriebene Währungspflege grundsätzlich in Frage zu stellen. Moneada wollte das Vertrauen der Wall Street offensichtlich nicht weiter erschüttern.35 Mit der 1921 auf Initiative des Hamburger Bankhauses „M. M. Warburg & Co." gegründeten „International Acceptance Bank"36 in New York wurde ein Ersatz für die ausgeschiedenen bankers „J. & W. Seligman and Company" sowie „Guaranty Trust Company" gefunden.37 Als Aufsichtsratspräsident fungierte Paul M. Warburg, der Vorsitzende der „International Acceptance Bank",38 als Vizepräsidenten wurden William Schubart und Howard J. Rogers ernannt. Der Finanzberater Constantine E. McGuire aus Washington sowie Christian Sonne, Teilhaber des bedeutenden New Yorker Kaffeeimporteurs „Amsinck, Sonne & Co., Inc.", komplettierten die USamerikanische Seite. Die nicaraguanischen Aufsichtsräte wurden durch Sacasa angeführt. Weitere nicaraguanische Mitglieder waren Evaristo Carazo, ein Finanzspezialist aus der nicaraguanischen Botschaft, der mit Sacasa zusammen die Ver-
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Occon Herradora: Banco Nacional de Nicaragua, S. 294. Privatarchiv Anneliese Sitarz [PA Anneliese Sitarz], Memorandum von Moneada fur Tomás Güell, 16. 8. 1929. Vgl. die Instruktionen Moneadas an den Bevollmächtigten Nicaraguas, Tomás Soley Güell, vom 20. 9. 1929. In: Occon Herradora: Banco Nacional de Nicaragua, S. 294-296. Die „International Acceptance Bank" wurde 1929 in die Gruppe der „Bank of the Manhattan Comp." eingegliedert. Den Vorsitz hatte Paul M. Waiburg. Durch die Fusion sollten die riskanten Auslandsdarlehen der „International Acceptance Bank" mit soliden Inlandsgeschäften abgesichelt werden. Dank dieser Maßnahme überstand die „International Acceptance Bank" den Börsencrash von 1929 weitgehend unbeschadet. Ron Chernow: Die Warburgs. Odyssee einer Familie. Berlin 1994, S. 382. Hill: Fiscal Intervention, S. 49; Munro: The United States, S. 261-262; The Acting Secretary of State to the Chargé in Nicaragua (Beaulac), Washington, 28. 1. 1930. In: Papers Relating to the Foreign Relations of the United States 1930, Vol. 3, Washington 1945, S. 693 f. The Vice President of the International Manhattan Company (Knowlton) to the Under Secretary of State (Cotton), New York, 16. 4. 1930. In: Ebenda, S. 694 f. Paul M. Warburg hatte sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts für die Einrichtung einer privaten US-amerikanischen Zentralbank stark gemacht, welche das Bankwesen überwachen und regulieren, die Geldpolitik umsetzen und die Zahlungsfähigkeit gewährleisten sollte. Nach der Gründung der weitgehend nach seinen Vorstellungen modellierten „Federal Reserve Bank" in New York im Jahr 1913 war Warburg auf den Vorschlag von Präsident Woodrow Wilson (1913-1921) bis 1917 Mitglied des Aufsichtsrates. 1921 wurde er in den neu gegründeten Council of Foreign Relations berufen, in dem er bis zu seinem Tod im Jahr 1932 mitwirkte. Eduard Rosenbaum: M. M. Warburg & Co. Merchant Bankers of Hamburg. A Survey of the First 140 Years, 1798 to 1938. London 1962, S. 143f.
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handlungen in den USA geführt hatte, sowie die mit dem Finanzplatz New York vertrauten Vicente Vita, ein gebürtiger Italiener, und Virgilio Lacayo. Im Rahmen der Reorganisation der „Nationalbank" erfolgte im März 1930 mit der Ernennung von Hans Sitarz eine weitreichende personelle Entscheidung. Damit führte erstmals jemand die Geschäfte, der nicht aus den USA stammte. Paul M. Warburg hatte den in Deutschland aufgewachsenen Österreicher für diesen Posten vorgeschlagen. Er kannte Sitarz aufgrund von Geschäftsbeziehungen der „International Acceptance Bank" mit der „Deutschen Antioquia Bank", deren Direktor Sitarz bis 1929 war. Sitarz hatte auf seinen Rat hin vergeblich versucht, den Hauptsitz des bremisch-kolumbianischen Unternehmens in die Vereinigten Staaten zu verlagern, um den transnationalen Charakter des Finanzinstituts beizubehalten und - aufgrund des Druckpotentials der US-Regierung in Lateinamerika - langfristig die Rechtssicherheit zu gewährleisten. Nachdem Sitarz mit seinem Projekt, das die Expansion der Bank in Lateinamerika hätte sicherstellen sollen, gescheitert war, 39 stand er für die neue Herausforderung in Nicaragua gerne zur Verfügung. Für ihn sprachen auch das durch langjährige Praxis erworbene Know-how im Umgang mit lateinamerikanischen Partnern und exzellente Spanischkenntnisse. Ebenso dürfte eine Rolle gespielt haben, dass man dem Katholiken eher zutraute, mit den nicaraguanischen caballeros católicos klarzukommen als dessen jüdischem Vorgänger. Man erhoffte sich, mit anderen Worten, von Sitarz ein hohes Maß an „interkultureller Handlungskompetenz". Schließlich erwartete Warburg wahrscheinlich, dass der neue general manager, der einen „globalen Lebenslauf ohne sichtbare USamerikanische Prägung vorweisen konnte, 40 in der nicaraguanischen Öffentlichkeit weniger als seine Vorgänger als verlängerter Arm des US-Interventionismus, der Dollardiplomatie und des Wall Sireei-Feudalismus wahrgenommen wurde. 41 Ein Nicaraguaner wäre seinerseits von der US-amerikanischen Seite kaum akzeptiert worden, da man mangelnde Unabhängigkeit von privaten und staatlichen Interessen vermutete. Huezo, ein noch unerfahrener Technokrat, dem man zu wenig Standing attestierte, musste sich mit dem Posten als zweiter Mann hinter Sitarz begnügen.
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Sitarz' Ansatz scheiterte jedoch am Widerstand der Bremer Mitglieder des Aufsichtsrates, welche eine Machteinbuße nicht hinnehmen wollten, ebenso wie an den Vertretern aus Medellin, welche eine Kolumbianisierung anstrebten, um die eigenen Gewinnmöglichkeiten zu steigern. Fischer/Sitarz (Hrsg.): Als Geschäftsmann in Kolumbien, S. 237-248. Den Begriff „globaler Lebenslauf benutze ich in Anlehnung an eine von Bernd Hausberger herausgegebene Publikation. Der Ausdruck verweist auf die Auswirkungen grenzüberschreitender Mobilität auf individuelle Biographien durch den Verlust von Traditionen und die Aneignung neuer Lebenswelten. „Globale Menschen" leisten Hausberger zufolge „kommunikative und interaktive Anpassungsleistungen". Er betrachtet sie als Akteure, die sich der „weltumspannenden, mindestens grenzüberschreitenden Dimension des eigenen Tuns" bewusst sind. Bemd Hausberger (Hrsg.): Globalgeschichte als Lebensgeschichte(n). In: Ders. (Hrsg.): Globale Lebensläufe. Mensehen als Akteure im weltgeschichtlichen Geschehen. Wien 2006, S. 13. Vgl. zum Unbehagen von Teilen der nicaraguanischen Eliten gegenüber der „feudalen" Bevormundung durch Wall Street in den 1920er Jahren Gobat: Confronting the American Dream, S. 125-149.
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Die Umsetzung der Entwicklungsziele Moneadas wurden durch drei Faktoren erheblich erschwert: Erstens wurden nach zwei wirtschaftlich relativ guten Jahren ab 1930 die ökonomischen Probleme Nicaraguas durch die Weltwirtschaftskrise noch erschwert. Vor allem der Kaffeesektor litt unter tiefen Weltmarktpreisen. Zweitens konnte die Regierung die Sicherheit im Norden und Osten des Landes nicht in den Griff bekommen. Vor diesem Hintergrund schlug Sitarz eine moderate antizyklische Politik vor. Der Staat sollte vermehrt zum Entwicklungsmotor werden. Es gelang ihm, den Aufsichtsrat mit einem Memorandum zu überzeugen, gegen die Gewährung von Sicherheiten einem Kreditbegehren des nicaraguanischen Staates über eine Mio. US-Dollar zu entsprechen. In seiner Denkschrift verwies er vor allem auf dringend erforderliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und auf die Notwendigkeit einer „Pazifizierung" im Norden des Landes aufgrund des sich ausbreitenden „Bandentums".42 Das Geld wurde allerdings nicht produktiv investiert, weil - drittens - das politische und kommerzielle Zentrum Managuas am 31. März 1931 durch ein Erdbeben fast vollständig zerstört wurde. Der Wiederaufbau erfolgte schleppend und verschlang Millionen Córdoba. Die nicaraguanischen Devisen schwanden dergestalt, dass Sitarz sogar der Devisenkontrolle durch die „Nationalbank" zustimmen musste, um die Kapitalflucht zu bremsen. Unter Moneadas Nachfolger Sacasa zeigte sich, dass eine rasche Erholung der Wirtschaft unrealistisch war. Sitarz musste sich den Vorwurf gefallen lassen, mit seiner vorsichtigen Ausgaben- und Kreditpolitik einen möglichen Aufschwung zu bremsen. Der Geschäftsführer der „Nationalbank" verteidigte sich gegen seine Kritiker mit dem Hinweis, dass die Prinzipien des ausgeglichenen Staatshaushaltes, der geringen Inflation und des kleinen Staatsanteils an der Wirtschaft notwendige Voraussetzungen für die nationale Entwicklung seien. Er hielt an seinen Prämissen auch nach dem Abrücken vom Goldstandard in den USA fest.43 Der Córdoba wurde (gegenüber dem US-Dollar) lediglich geringfügig abgewertet. Diese Maßnahme war als Überlebenshilfe für den kriselnden exportorientierten Kaffeesektor gedacht. Gleichzeitig ordnete Sitarz an, von der einseitigen Anbindung an den USDollar abzurücken und den Devisenbestand in einen Währungsmix überzuführen. Sitarz, der sich in dieser Frage vom Generalbevollmächtigten Rudolf Brinckmann des Hamburger Bankhauses „M. M. Warburg & Co." beraten ließ, vertraute offenbar nicht mehr ausschließlich auf den Dollar als Leitwährung.
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Vgl. Sitarz' Memorandum vom 5. 1. 1931, abgedruckt in: Occon Herradora: Banco Nacional de Nicaragua, S. 317. Annahme des nicaraguanischen Begehrens in der Aufsichtsratssitzung vom 23. 1. 1931, abgedrackt in: Ebenda, S. 319-321. Die Entscheidungsträger der USA verteidigten zu Beginn der Weltwirtschaftskrise den Goldstandard. In seinem Reformprogramm von 1932 kündigte der spätere Präsident Franklin D. Roosevelt die Förderung von Investitionen und Konsum durch Kreditspritzen und eine expansive Geldpolitik an. Mitte 1933 wurde der Goldstandard aufgehoben. James Grant: Money of the Mind. Borrowing and Lending in America from the Civil War to Michael Minken. New York 1994, S. 226-234; Charles R. Geisst: Die Geschichte der Wall Street. Von den Anfangen der Finanzmeile bis zum Untergang Enrons. München 2007, S. 259.
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Für Sitarz kam es noch schlimmer: Allmählich setzte sich bei den politischen und militärischen Akteuren der USA die Erkenntnis durch, dass sich der Aufwand für ihre Ziele in Nicaragua keinesfalls mit dem erhofften Ertrag die Waage hielt. Sie reagierten mit dem sukzessiven Abzug der marines. Da nun die Sicherheitsgarantie für die Durchsetzung der restriktiven Geld- und Kreditpolitik der „Nationalbank" nicht mehr vorhanden war, schwand der letzte Rest des Vertrauens, das die bankers in New York noch in den Standort Nicaragua hatten. Sie zogen sich aus dem Aufsichtsrat der „Nationalbank" zurück und übertrugen damit der nicaraguanischen Regierung die alleinige Verantwortung. Das war auch für Sitarz das Signal, seinen Vertrag aufzulösen. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die von den US-Regierungen während des faktischen Protektorats in Nicaragua verfolgte Politik eine „Dollardiplomatie" ohne Dollars war, die von „Gelddoktoren" ohne Geld umgesetzt wurde. Der Leitung der „Nicaraguanischen Nationalbank" gelang es zwar, die Staatsfinanzen zu konsolidieren; aber der etwa in Kuba oder Kolumbien zu beobachtende „Tanz der Millionen" blieb aus. 44 Die von der US-Regierung und den „Gelddoktoren" gesteckten Ziele wurden nicht erreicht. Auch Sitarz konnte für die Verwirklichung des American Dream in Zentralamerika keine Impulse geben. Für die Fehlentwicklungen machte Sitarz in erster Linie die nicaraguanischen Eliten verantwortlich. USamerikanische Investoren, Berater, diplomatische Repräsentanten und Vertreter aus dem State Department nahm er allerdings von der Kritik nicht aus. Ihnen warf er einen kollektiven Irrtum vor. Sie hätten sich immer wieder geradezu blind auf Repräsentanten der Konservativen Partei im Allgemeinen und der Elite Granadas im Besonderen als Partner gestützt, ohne zu hinterfragen, ob diese die nordamerikanischen Werte internalisiert hätten und in der Lage wären, das Land nach „modernen" Vorstellungen zu modellieren. In einem Brief an Rudolf Brinckmann schrieb er: „Interessant ist es für mich gewesen, hier in Nicaragua zu beobachten, dass fast alle [US-]Amerikaner begeistert sind von der Gesellschaft in Granada. In Granada hat sich während der langen Herrschaft der konservativen Partei sehr viel Reichtum angesammelt, und zweifellos findet man in Granada die größte Anzahl gesellschaftlich sehr gewandter und äußerlich sehr gebildeter Menschen. Dies verhindert aber nicht, dass die kaufmännische und auch die politische Moral in Granada einen Tiefstand erreicht hat, der nur schwer zu überbieten sein dürfte. Findet ein [US-]Amerikaner dieses wirklich einmal heraus, dann tröstet er sich bedauerlicherweise meistens einfach damit, dass er sagt, dass solche Verhältnisse ja auch in den Staaten nicht gerade selten wären!" 45 Sitarz zufolge war die nicaraguanische Bevölkerung nicht selbst in der Lage, für eine angemessene Entwicklung zu sorgen. Seiner Ansicht nach bestand die einzige Möglichkeit, das zentralamerikanische Land voranzubringen, in der Aufrechterhaltung einer protektoratsähnlichen Herrschaftsform. Die Legitimität der US-amerikanischen Interventionen und 44 45
Gobat: Confronting the American Dream, S. 125. PA Anneliese Sitarz, Sitarz an Brinckmann, Managua, 7. 1. 1933.
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der Präsenz von US-Truppen, „Gelddoktoren" und anderen Managern sowie privater Unternehmen aus den USA in Nicaragua stellte er daher nicht in Frage. Diese Überzeugung änderte er auch während der gewaltigen Wirtschaftsrezession, die ihren Ursprung in Spekulationen in der Wall Street hatte, nicht. Über die Zukunft Nicaraguas machte sich Sitarz keinerlei Illusionen. Am Ende seiner autobiographischen Aufzeichnungen über Nicaragua schrieb er Folgendes: „Leider war mir vollkommen klar, dass alles, was zu meiner Zeit und in langen Jahren vor mir zum Aufbau der „Banco Nacional", der Cördoba-Währung etc. getan worden war, innerhalb kurzer Zeit verloren gehen würde." Sitarz' Nachfolger, Vicente Vita, der in Genua Wirtschaftswissenschaften studiert hatte, verfolgte eine Inflationspolitik, die zwar die Ausfuhr etwas stärkte, aber zugleich im Land die Kaufkraft schwächte. Mitunter gehörte Nicaragua in den 1930er Jahren zu denjenigen Volkswirtschaften innerhalb der Region Lateinamerika mit den schlechtesten Wachstumszahlen.46 Sitarz schildert die eben dargestellten Zusammenhänge aus dem Blickwinkel des Geschäftsführers der „Nationalbank". Er erzählt nicht nur viele Anekdoten, was den Text trotz der zeitlichen Distanz zwischen Niederschrift und Erlebnis lebendig macht, sondern bemüht sich, vor allem bei Kredit- und Währungsfragen, auch um genaue Analysen. Immer wieder zieht er Vergleiche mit Kolumbien. Sein eigener Maßstab ist die europäische und vor allem die US-amerikanische Moderne und die damit verknüpften Werte. Diese Perspektive dürfte ebenso wie der überraschende Tod von Sitarz' Sohn „Hänschen", die häufigen Erkrankungen sowie die Angst, dass gegen ihn physische Gewalt angewendet werden könnte,47 dazu beigetragen haben, dass seine Einschätzung hinsichtlich der damaligen Entwicklungschancen Nicaraguas von einem pessimistischen Grundton geprägt ist. Auf einen weiteren Aspekt möchte ich nun noch kurz eingehen: Aus Sitarz' Text lassen sich nicht nur Erkenntnisse über die „Nicaraguanische Nationalbank" in einer Krisen- und Umbruchzeit, sondern auch über das Wohnen, den Kleidungsstil und die Freizeitgestaltung einer ausländischen Spitzenfachkraft gewinnen. Der polyglotte Ausländer achtete auf Distinktion von den Mittel- und Unterschichten ebenso wie von Teilen der als rückständig empfundenen nicaraguanischen Oligarchie. Die Familie Sitarz wohnte zuerst im zweiten Stockwerk der „Nationalbank", wo sie - wie die abgedruckten Fotos demonstrieren - einen bürgerlicheuropäischen Stil pflegte. Nach dem Erdbeben musste der Geschäftsführer in eine andere Wohnung umziehen. Sie lag ebenfalls im kommerziellen Zentrum Managuas, in dem auch die anderen ausländischen Geschäftsleute wohnten und sich von dem Rest der Bevölkerung abschotteten. Managua hatte damals rund 40.000 Einwohner. An diesem Ort, dessen Kulturangebot gering und dessen Klima für Europäer schwer zu ertragen war, fühlte sich Sitarz nicht wohl. Er verbrachte daher
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Victor Bulmer-Thomas: The Economic History of Latin America Since Independence. Cambridge 1994, S. 211. Anneliese Sitarz zufolge ging ihr Vater daher nie unbewaffnet aus dem Haus. Interview vom 7. 10. 2007.
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seine Freizeit weitgehend in der Umgebung der Hauptstadt. Sitarz' bevorzugte Kleidung war das Business Tenue oder die von Ausländern damals in den Tropen getragenen weißen Leinenanzüge und Baumwollhemden - beide Varianten sind in den eingefügten Fotographien erkennbar. Auf Haciendabesuchen und am Strand sind auch andere Kleidungsstücke zu sehen. Bei der Lektüre von Sitarz' Erinnerungen gewinnt man den Eindruck, dass sich das Familienleben, das ihm Rückhalt hätte geben können, nicht entwickeln konnte. Nach dem Tod von „Hänschen", für den die ausländischen Ärzte keine Erklärung fanden, floh seine Gattin Elisabeth mit „Nena", der Tochter Anneliese, zu Sitarz' Mutter nach Deutschland. Sitarz selbst verbrachte die ihm verbleibende Zeit überwiegend mit deutschen, englischen und US-amerikanischen Bekannten oder mit hohen, nicaraguanischen Angestellten der „Nationalbank". Er hielt sich keineswegs ausschließlich in deutschen Milieus auf, wenngleich einzelne Namen wie Julio Bahlcke, ein Nachfahre deutscher Einwanderer, immer wieder genannt werden. Neben Bahlckes Hacienda besuchte er vor allem die Ländereien der englischen Gutsbesitzerfamilie Vaughan, deren Bewirtschaftung er als fortschrittlich empfand. Der 1930 gegründete „deutsche Klub" wird nur einmal kurz erwähnt; Sitarz mied ihn nicht zuletzt deswegen, weil er sich nicht dem Vorwurf der Kungelei aussetzen wollte. 48 Darüber hinaus unterhielt Sitarz mit US-amerikanischen Militärangehörigen und dem Botschafter Matthew E. Hanna, dessen Gattin eine Deutsche war, enge freundschaftliche Beziehungen. Die besitzenden nicaraguanischen Oberschichten mied der Geschäftsführer der „Nationalbank" jedoch, zumal sie seiner Meinung nach lediglich darauf aus waren, sich aus persönlichen Beziehungen finanzielle Vorteile zu verschaffen. Die Kontakte mit den Präsidenten Moncada und Sacasa sowie den Finanzministern und anderen Regierungsmitgliedern beschränkten sich auf das Nötigste, wobei vermutlich von beiden Seiten wenig Interesse an einer Vertiefung bestand. Sitarz nahm zwar ex officio an gesellschaftlichen Anlässen teil. Doch es gab kaum persönliche Verbundenheit mit Viehzüchtern und Kaffeepflanzern, wie dies in Antioquia der Fall gewesen war. Die Besuche auf den Gütern der Familie Lacayo waren die Ausnahme, welche die Regel bestätigte. Die nicaraguanischen Mittel- und Unterschichten schienen den general manager nicht zu interessieren. Sie kommen in seinen Aufzeichnungen mit Ausnahme der Bediensteten Josefa kaum vor. Auf die von Sandino angeführte Bewegung in Nicaragua sowie den Bauernaufstand in El Salvador geht Sitarz zwar in seinem Text ein. Doch waren diese Phänomene für ihn in erster Linie Modernisierungshindernisse. Ein gewolltes Einfühlen in die soziale Problematik lässt sich aus seiner Darstellung nicht ableiten. Schließlich gilt es zu berücksichtigen, dass die ständige Angst des Ausländers in Nicaragua vor Attentaten auf sein Leben der Integration in die nicaraguanische Gesellschaft wenig zuträglich war.
Vgl. zu den deutschen Einwanderern in Nicaragua Götz von Houwald: Die Deutschen in Nikaragua. In: Hartmut Fröschle (Hrsg.): Die Deutschen in Lateinamerika. Schicksal und Leistung. Tübingen/Basel 1979, S. 631-650.
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In den ersten beiden Jahren trieb Sitarz viel Sport. War das Schwimmen eine alte Leidenschaft, die er seit seiner Jugend betrieb und die im heißen Nicaragua als wohltuende Erfrischung Sinn machte, so entdeckte er in diesem Land das Tennisspiel, das auf anglo-amerikanische Kultureinflüsse verweist. Diese in der zweiten Dekade des 20. Jahrhunderts bekannt gewordene Sportart fristete damals ein Enklavendasein. Tennis wurde lediglich von einem kleinen, wohlhabenden und im Selbstverständnis modernen Bevölkerungssegment betrieben.49 Sitarz ließ es sich durch Rafael Huezo, den Vizedirektor der „Nationalbank", beibringen. Sie durften das Gelände des Repräsentanten der „Tropical Radio Station", Robert L. Cragie, benutzen. Das Reiten schien ihm im Unterschied zu Kolumbien weniger Spaß zu bereiten. Vermutlich galt es unter den „modernen" Führungsgruppen als nicht mehr zeitgemäß. Der Direktor der „Nationalbank" demonstrierte daher Mobilität mit dem modernsten Fortbewegungsmittel zu Land, dem Auto.50 Mit dem „Lincoln" ließ er sich zum Tennisplatz, zu Landgütern von Freunden oder zu Aussichtspunkten bringen. Er pendelte nach dem Erdbeben mit dem Pkw zwischen Managua und Granada. Aufgrund der hohen Anschaffungskosten war dieses Vehikel ein Privileg der Wohlhabenden. Aber nicht nur der Preis, sondern auch der Chauffeur, der zugleich Mechaniker war, dienten als Distinktionsmittel. Der Zugewinn an Freiheit, Komfort, ungebundener Fortbewegung, Geschwindigkeit sowie an Freude an den Schönheiten der Natur war allerdings limitiert: Zum einen gab es nur wenige, gut befahrbare Straßen. Zum anderen waren die meisten Verkehrswege nicht asphaltiert, so dass die Ausfahrten aufgrund des Staubes und der Hitze oftmals den Körper derart strapazierten, dass es selbst dem Abenteurer Sitarz zu viel wurde. Etwas größer scheint der Genussfaktor bei dem Flugzeug gewesen zu sein, mit dem größere Distanzen und topographisch schwierige Territorien überwunden werden konnten, wenngleich Wind- und Wetterverhältnisse oftmals für erheblichen Nervenkitzel sorgten. Sitarz unternahm während seines Aufenthaltes in Nicaragua zehn Auslandsreisen, bei denen er immer weite Streckenteile mit der 1927 in Key West gegründeten kommerziellen Gesellschaft „Pan American Airways Inc." bewältigte.51 Zumeist waren diese Touren mit geschäftlichen Unterredungen verbunden. Auf einigen dieser Reisen, die auch dazu dienten, Distanz zu den Alltagssorgen in Nicaragua zu gewinnen und sich von den beruflich und klimatisch bedingten Strapazen zu erholen, wurde Sitarz von seiner Gattin Elisabeth begleitet. Aus Sitarz' Schilderungen geht hervor, dass Mittelamerika zu Beginn der 1930er Jahre bereits
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Zu den Anfängen des Tennis in Nicaragua Richard V. McGehee: Sport in Nicaragua, 1889-1926. In: Joseph L. Arbena/David G. LaFrance (Hrsg.): Sport in Latin America and the Caribbean. Wilmington, Del. 2002, S. 197 f. Hierzu gibt es bisher keine Studie. Zur Durchsetzung des Automobils in Westeuropa, Christoph Maria Meiki: Der holprige Siegeszug des Automobils 1895-1930. Zur Motorisierung des StraßenVerkehrs in Frankreich, Deutschland und der Schweiz. Wien 2002. Die Entwicklung der Luftfahrt in Zentralamerika ist ebenso wie die Entwicklung des Automobilverkehrs ein Forschungsdesiderat.
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über eine gut ausgebaute Hotel-Infrastruktur für Touristen und Geschäftsleute verfügte. 52 Sitarz' autobiographische Aufzeichnungen werden im Privatarchiv von Anneliese Sitarz aufbewahrt. Für die Edition des Teils über Nicaragua wurden dieselben Kriterien wie bei der Veröffentlichung des Manuskriptes zu Kolumbien angewendet. 53 Inhalt, Wortlaut und Stil des Manuskriptes wurden weitestgehend beibehalten. Die Herausgeber haben sich lediglich folgende Eingriffe erlaubt: Einige wenige Rechtschreib- und Zeichensetzfehler wurden bereinigt. Da Sitarz seine Erinnerungen mit einer Schreibmaschine mit englischer Tastatur tippte, auf der ihm weder Umlaute noch ß zur Verfügung standen, wurden von den Herausgebern die entsprechenden Anpassungen vorgenommen. An einigen wenigen Stellen hat Sitarz mit Tinte in altdeutscher Schrift Ergänzungen oder Korrekturen vorgenommen; sie wurden übernommen. Einige Abkürzungen wie A.-R. (Aufsichtsrat), N.Y. (New York), lt. (laut) und amerik. (amerikanisch) haben wir ausgeschrieben. Spanische, englische und französische Begriffe haben wir kursiv gesetzt. Hotel-, Gaststätten-, Dampfschiff- und Firmennamen wurden einheitlich in Anführungs- und Schlusszeichen gesetzt, währenddessen bei Ortsbezeichnungen Anführungs- und Schlusszeichen weggelassen wurden. Sodann wurden einige Bindestriche, mit denen Sitarz - das ist vermutlich seiner angelsächsischen Prägung geschuldet - zusammengesetzte Wörter trennte, wie etwa Kaffee-Ernte oder Finanz-Minister, an die deutsche Schreibweise angepasst. Zahlen von eins bis zwölf haben wir konsequent ausgeschrieben. Bei spanischen Namen und Ortsbezeichnungen haben wir die Akzente hinzugefügt, sofern diese im Original fehlen. Auf Kürzungen oder Veränderungen in der Textreihenfolge konnte verzichtet werden, weil Sitarz äußerst diszipliniert schrieb. An zwei Stellen ist die Zuordnung eines Textfragments nicht mit Sicherheit festzustellen. Wir haben diese beiden Teile kursiv gesetzt. Eine Maßnahme, die wir uns ebenfalls erlaubten, um den Lesekomfort zu erhöhen, betrifft die Zwischenüberschriften. Diese sind im Original nicht vorgesehen; sie sind von den Herausgebern in Kursivschrift eingefügt worden. Schließlich verweisen wir auf den Titel der autobiographischen Aufzeichnungen, den wir ebenfalls selbständig ausgewählt haben. Das noch nicht fertig editierte Original enthielt keine Fotos. Wir haben uns trotzdem entschlossen, einige Aufnahmen aus den Sammlungen des Ehepaars Sitarz, die sich ebenso wie das Manuskript im Privatbesitz von Anneliese Sitarz befinden, an passenden Textstellen einzufügen. Manchmal ist aufgrund der Hinweise in den Fotoalben eine genaue Datierung möglich, in vielen Fällen ist jedoch nur eine ungefähre Zuordnung möglich. Das Ehepaar Sitarz verfügte zwar über
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Dieses Thema ist bisher kaum erforscht worden. Zur Entstehungsgeschichte des US-Tourismus in Mexiko gibt es immerhin einen Ausstellungskatalog. Andrea Boardman: Destination Mexico: „a foreign land a step away". U.S. tourismto Mexico, 1880s - 1950s. Dallas, Tex. 2001. Thomas Fischer: Zu den autobiographischen Aufzeichnungen von Hans Sitarz. In: Ders./Sitarz (Hrsg.): Als Geschäftsmann in Kolumbien, S. 22.
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eine Kamera, so dass man davon ausgehen kann, dass Hans oder Elisabeth die meisten Schnappschüsse gemacht haben; aber über den Urheber der Bilder kann man keine definitive Aussage machen. Die Erdbebenaufnahmen sind mit großer Wahrscheinlichkeit von einem Berufsfotografen gemacht worden; sie befinden sich ebenso im Nachlass Sitarz' wie die Urkunde von Juan Bautista Sacasa, die Córdoba-Banknote mit der Unterschrift Sitarz' sowie der Briefumschlag mit dem Stempel des Generals Augusto César Sandino, die ebenfalls abgedruckt sind. Im Unterschied zu den autobiographischen Aufzeichnungen Sitarz' über Kolumbien konnten die Herausgeber sodann auf einen Großteil des ausgehenden Schriftverkehrs mit den Vertretern der „International Acceptance Bank" im Aufsichtsrat zurückgreifen. Sitarz' Ansprechpartner waren dort neben dem Aufsichtsratspräsidenten Paul M. Warburg vor allem die Vizepräsidenten William H. Schubart und Howard J. Rogers. Darüber hinaus sind einige weitere Schreiben aus dem Schriftverkehr mit Geschäftspartnern und persönliche Briefe an Elisabeth Sitarz erhalten. Sie erlauben uns, wichtige Stellen der späteren Darstellung zu überprüfen. Da die Schilderungen und die Wortwahl in den Briefen manchmal direkter und unmittelbarer ausfielen als in den Jahre später für ein weiteres Publikum erinnerten Aufzeichnungen, wurden sie von den Herausgebern an manchen Stellen in eingefügten Fußnoten zur Erläuterung von Sachverhalten herangezogen. Das Archiv der „Nicaraguanischen Nationalbank" konnten wir leider nicht konsultieren, da wir auf eine entsprechende Anfrage keine Antwort erhielten. Alle Fußnoten stammen von den Herausgebern. Schließlich wurden von den Herausgebern als Orientierungshilfe zwei Karten in Auftrag gegeben. Sie sind auf den Seiten 7 und 8 abgedruckt. Die zahlreichen, im Text erwähnten Ortsnamen lassen sich sodann auch über den Index erschließen. Über den Index kann man auch die zahlreichen Firmen- und Personennamen sowie die im Text erwähnten spanischen und nicaraguanischen Ausdrücke finden. Bei der Herstellung der Karten und des Index haben ebenso wie beim Einscannen und Überprüfen des Manuskripts und der Digitalisierung der Fotos fünf Personen mitgeholfen. Es sind dies Stefan Hartmann (München), Scott Newton (Summit, NJ), Hinnerk Onken (Hamburg), Judith Marcus (New York) und Irene Serrano (Nürnberg). Ihnen sei an dieser Stelle gedankt. Michel Gobat, Tom Schoonover, Hinnerk Onken und Rüdiger Zoller haben wertvolle Anregungen zur Einleitung gemacht. Die noch verbliebenen Mängel in Einleitung und Sitarz' Text müssen allerdings den Herausgebern angelastet werden. Thomas Fischer, Nürnberg, im Oktober 2007
Von der Wall Street zur „Nationalbank" Nicaraguas Am 6. Mai 1930 reiste ich mit der „Europa" von Bremerhaven nach New York ab. Elisabeth hatte mich bis an Bord des Dampfers begleitet. Es war auf dieser Reise, glaube ich, auf der ich den berühmten, holländischen Flugzeugerbauer Fokker flüchtig kennen lernte. Er prophezeite bei einem Cocktail in der Kabine des Kapitäns Johnsen, dass nicht allzu viele Jahre vergehen würden, bis der Schnellverkehr über den Ozean auf Flugzeuge übergegangen sein würde. Kapitän Johnsen, der auf seinen schönen, neuen Dampfer sehr stolz war, hörte dies nicht gern. Ich glaube, es war Sonntag, der 11. Mai, als wir nach guter Reise in New York ankamen.
Wall Street mit „Bank of the Manhattan Comp. Building" im Hintergrund, 1930, keine genaue Datierung
Von der Wall Street zur „Nationalbank"
Nicaraguas
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In der „Manhattan Bank"1 wurde ich von den beiden Vizepräsidenten Howard J. Rogers und William H. Schubart empfangen, die beide Mitglieder des neugewählten Aufsichtsrates der „Nicaragua-Bank"2 waren. Dieselben machten mich mit den in Frage kommenden Nicaraguensern bekannt, nachdem ich Paul M. Warburg, dem Vorsitzenden des Aufsichtsrates, und A. F. Goodhue, dem Präsidenten der „Bank of the Manhattan Company", meinen Besuch gemacht hatte. Von den Nicaraguensern waren von den in New York anwesenden die wichtigsten ein Dr. Evaristo Carazo und ein Dr. Vicente Vita. Carazo war ein gut aussehender, schlanker junger Mann, von gewandtem Auftreten, der in seinem Hauptamte Sekretär der Gesandtschaft von Nicaragua in Washington war. Er war erst Ende der zwanziger Jahre alt. Vita, der Leiter des New Yorker Kontors der „Nicaragua-Bank", war ebenfalls noch ziemlich jung, aber von sehr unvorteilhaftem Äußeren. Er war übermäßig dick und legte im Gegensatz zu seinem Kollegen Carazo keinen Wert auf seine äußere Erscheinung. Er war aber ein sehr intelligenter Mensch, wie ich bald herausfand, der im Stande war, ein schnelles und treffendes Urteil zu fällen. Letzteres allerdings nur in den Vormittagsstunden. Er war ein ungewöhnlich starker Esser und leider auch Trinker, und aus diesem Grunde von der Zeit der Mittagspause an selten noch im Stande, sich einer ernsten Aufgabe widmen zu können. Von Charakter war er gutmütig und auch anständig, wenn auch leider seine guten Vorsätze fast immer bald auf dem Wege stecken blieben. Mir gegenüber hat er sich immer korrekt und freundschaftlich benommen. Noch einige andere in New York ansässige Nicaraguenser lernte ich kennen, die zum Aufsichtsrat der Bank3 gehörten. Keiner von diesen machte einen nennenswerten Eindruck auf mich. Nachdem ich ungefähr wohl eine Woche in New York zugebracht hatte, fuhr ich nach Washington, um dem Gesandten von Nicaragua meinen Besuch zu machen, einem Dr. Juan Bautista Sacasa, der ebenfalls mit zum Aufsichtsrat der Bank gehörte. Auch ein in Washington ansässiger amerikanischer Sachverständiger in Wirtschaftsfragen, Dr. Constantine E. McGuire, gehörte noch mit zu demselben. Dr. Carazo, der bereits vor mir wieder in Washington eingetroffen war, hatte mir ein Zimmer in dem damals noch sehr vornehmen „Hotel Mayflower" bestellt und empfing mich in überaus liebenswürdiger Weise. Ebenso begrüßte mich auch der Gesandte Sacasa. Durch diesen wurde ich dem Department of State, dem Auswärtigen Amt, vorgestellt. Auch dort war man sehr liebenswürdig und stattete mich mit einem Einführungsschreiben an den amerikanischen Gesandten in Managua, Mr. Matthew E. Hanna, aus. Die übrige Zeit in Washington wurde ausgefüllt mit mehreren Unterredungen mit dem bereits genannten Dr. McGuire sowie einer Reihe von Besuchen, die ich auf Wunsch von Dr. Carazo l
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Gemeint ist vermutlich die ,3ank of the Manhattan Company". Gemeint ist die „Nationalbank" Nicaraguas. Gemeint ist die „Nationalbank" Nicaraguas.
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mit ihm bei den anderen mittelamerikanischen Gesandtschaften machen musste. An einem der Abende gab es ein großes Bankett in der Gesandtschaft von Nicaragua. Die Veranlassung dazu erinnere ich nicht mehr. Es war aber eine feierliche Angelegenheit, aus welchem Grunde mir Dr. Sacasa schon in New York hatte sagen lassen, ich sollte auf keinen Fall vergessen, meinen Frack mitzubringen. Auf meine Rückkehr nach New York folgte eine endlose Reihe offizieller und inoffizieller Aufsichtsratssitzungen, in denen teils die Angelegenheiten der Bank, teils die der Eisenbahn von Nicaragua4 behandelt wurden. Für die Verwaltung der letzteren war ein amerikanischer Ingenieur, Mr. Townsend, gefunden worden, der bereits abgereist war. Sehr viel Raum nahm ein anderes, sehr wichtiges Thema ein, nämlich der von der Regierung geplante Bau einer Autostraße, die die Hauptstadt Managua mit dem atlantischen Hafen Bluefields verbinden sollte. Für die Übernahme der Bauleitung wurde in den Tagen ein anderer amerikanischer Ingenieur, Mr. Hepburn, engagiert, ebenso wurden große Bestellungen an Straßenbaumaterial gemacht. Mir wurde von den Nicaraguensern aufgetragen, mit allen Kräften das Projekt der Autostraße zu unterstützen, was ich gern versprach, vorausgesetzt, dass man mir in Managua überhaupt Gelegenheit geben sollte, in irgendeiner Form an der Sache mitzuarbeiten. Soweit meine Eindrücke bis dahin reichten, konnte ich schon sehen, dass in Nicaragua, anscheinend genau so wie in Kolumbien, neue öffentliche Projekte mit großer Begeisterung (entusiasmo) angefangen wurden, die aber fast niemals lange anhielt. Trotz vielen Redens kamen die Sachen nur langsam vorwärts, sehr zum stillen Ärger der Herren von der „Manhattan Bank", die durch die Sitzungen viel Zeit verloren. Ich wurde von den Nicaraguensern vollkommen mit Beschlag belegt und auch mit freundlichen Einladungen überschüttet. Sie freuten sich darüber, dass ich nicht nur ihre Sprache beherrschte, sondern auch Verständnis für ihre Eigenart hatte. Sie benahmen sich daher auch von Anfang an sehr offen und vertrauensvoll mir gegenüber, und sandten auch, wie ich später erfuhr, sehr günstige Berichte über mich nach Nicaragua. Für meine alten New Yorker Bekannten fand ich in jenen Wochen wenig Zeit und konnte nur wenige Male mit dem alten Herrn Henry Ahrens von ,,Mecke & Co." und Henry Ludecke zusammenkommen. Nachdem bereits über ein Monat seit meiner Ankunft in New York vergangen war und die Regierung in Managua bereits ungeduldige Anfragen bezüglich meiner Abreise nach Managua an den Aufsichtsrat zu schicken begonnen hatte, erklärte dieser sich endlich mit meiner Abreise einverstanden. Auf meinen Wunsch hin erklärte man sich damit einverstanden, dass ich den etwas umständlicheren Weg über New Orleans, Guatemala und El Salvador nahm, der für mich den Vorteil hatte, dass ich auf ihm einen Eindruck von einigen Nachbarländern Nicaraguas erhalten konnte.
Gemeint ist der „Ferrocarril del Pacífico".
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Reichlich mit Einführungsbriefen ausgestattet und freundlich verabschiedet, reiste ich eines Nachmittags Mitte Juni mit der Eisenbahn von New York ab. Howard J. Rogers von der „Manhattan Bank" hatte mir noch den freundschaftlichen Rat gegeben, nicht zu vergessen, mir eine schuss- und stichsichere Panzerweste mitzunehmen. Er meinte, sie könnte mir vielleicht bei künftigen Meinungsverschiedenheiten mit den Politikern in Nicaragua gelegen kommen! Als mein Zug in Washington einen etwas längeren Aufenthalt hatte, erschien trotz der späten Stunde Dr. Sacasa, der Gesandte, noch am Bahnhof, um mir eine glückliche Reise und guten Amtsantritt zu wünschen und mir noch einen Brief an den Präsidenten, General José María Moneada, mitzugeben. Die Fahrt nach New Orleans war für mich interessant, weil sie mir Gelegenheit gab, etwas vom Inneren der Vereinigten Staaten kennen zu lernen. Zu meinem Erstaunen sah ich, dass die ländliche Bevölkerung in den Südstaaten in Verhältnissen lebte, die denen in Südamerika nicht unähnlich waren. Schön fand ich die letzten Stunden der Reise, die am Golf von Mexico entlang und durch eine an Binnengewässern reiche Gegend führte. Während der zwei oder drei Tage, die ich in New Orleans zubrachte, wo ich im „Hotel Roosevelt" wohnte, besuchte ich verschiedene Banken und Firmen, die Geschäftsbeziehungen zu Nicaragua hatten, darunter auch die „Standard Fruit Company", die eigene Plantagen in Nicaragua hatte, und auf einem von deren Dampfern, dem „Abangares", ich auch die Weiterreise nach Guatemala machen sollte. Einmal machte ich mit einem Auto eine Rundfahrt durch die Stadt, die manches Interessante zu bieten hatte, besonders in den alten französischen Stadtteilen. Ein anderes Mal hatte ich Gelegenheit, vom Turm der „Hibernia Bank", dem höchsten Punkte der Stadt, einen Rundblick auf diese und den mächtigen Mississippi-Strom zu werfen. Auf Empfehlung eines Bankiers besuchte ich einige Male das Restaurant „Kolb", welches sich auf seafood spezialisierte und einen guten Namen hatte. Der Dampfer „Abangares" fuhr eines Tages am frühen Nachmittage von New Orleans ab. Nach ungefähr sechsstündiger Fahrt erreichten wir die Mündung des Mississippi in den Golf von México, gerade als es anfing, dunkel zu werden. In weiteren 48 Stunden, nach einem Aufenthalt von einigen Stunden in Belize, der Hauptstadt der britischen Kolonie Honduras, und bei andauernd schönem Wetter, erreichten wir Puerto Barrios in Guatemala. Ich war froh, als die an sich angenehm gewesene Reise zu Ende war, denn die Mehrzahl der Reisegesellschaft war etwas zu unangenehm geräuschvoll gewesen. Sie bestand aus Studenten und Studentinnen amerikanischer Universitäten, die zu ihren in Mittelamerika lebenden Eltern zurückfuhren, um bei diesen die langen Sommerferien zu verbringen.
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„Hotel del Norte" in Puerto Barrios, 1930, keine genaue Datierung Puerto Barrios war ein elender, kleiner Platz, der außer den Gebäuden der „United Fruit Company" kaum ein einziges anständiges Haus aufzuweisen hatte. Auch das „Hotel del Norte", in dem ich bis zum Morgen des folgenden Tages bleiben musste, weil der einzige nach der Hauptstadt Guatemala gehende Zug des Tages bereits abgefahren war, entsprach nur sehr bescheidenen Ansprüchen. Die Bahnfahrt nach Guatemala erinnerte mich stark an den ersten Teil der Fahrt von Girardot nach Bogotá, das aber etwa 900 Meter höher liegt. 5 Das Klima der Stadt Guatemala würde eher mit dem von Medellin zu vergleichen sein. 6 Äußerlich macht die Stadt keinen unfreundlichen Eindruck. Auch das „Palace Hotel", in dem ich abstieg, war ziemlich gut. Was mir nicht gefiel, war die mittelamerikanische Art des Kaffeezubereitens, mit der ich hier bekannt wurde. Man kochte oder brühte den Kaffee zu einer starken Essenz auf, von der eine kleine Flasche voll auf jedem Tisch des Speisesaales stand. Davon goss man sich etwas in seine Tasse und fügte dann nach Belieben heißes Wasser oder Milch hinzu. Meiner Ansicht nach brachte dieses Verfahren nicht das Beste aus dem guten Guatemala-Kaffee heraus.
Sitarz war von 1911 bis 1929 als Kaufmann der Firma „Pehlke" in Bogotá und Direktor der „Deutschen Antioquia-Bank" in Medellin tätig gewesen. In seinen Aufzeichnungen über die Reise nach seinem ersten Standort, Bogotá, beschrieb er seine Eindrücke über die Eisenbahnfahrt von Girardot in die kolumbianische Hauptstadt. Fischer/Sitarz (Hrsg.): Als Geschäftsmann, S. 38 f. Zu Sitarz' Aufenthalt in Medellin vgl. die Schilderungen in ebenda, S. 73-91, 119, 155-171.
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„Palace Hotel" in Guatemala, 1930, keine genaue Datierung
Nach einer Reihe interessanter Besuche bei Bank- und Geschäftsleuten fuhr ich eines Morgens noch lange vor Tagesanbruch mit einem Auto nach Santa Ana, in der Nachbarrepublik El Salvador. Die etwa achtstündige Fahrt führte durch schöne Hochlandslandschaften, vorbei an einigen schönen Seen. Von Santa Ana aus konnte ich den Rest der Reise bis zur Hauptstadt San Salvador mit der Eisenbahn zurücklegen. Die etwa zweistündige Fahrt führte durch schöne Kaffeepflanzungen und einmal durch ein ausgedehntes, altes Lavafeld. El Salvador ist die dichtbevölkertste mittelamerikanische Republik. Die Einwohner sind, ebenso wie in Guatemala, überwiegend indianischer Abstammung. Ähnlich wie in Guatemala bestand auch in Salvador schon ein Netz einigermaßen guter, zum Teil für Autos fahrbarer Straßen. Autos waren aber immer noch eine Seltenheit. Das verbreitetste Verkehrsmittel Mittelamerikas war damals noch der oft bunt bemalte und mit Ornamenten verzierte, zweirädrige Ochsenkarren. In San Salvador angekommen nahm ich mir ein Zimmer in dem angeblich besten, aber nicht übermäßig guten „Hotel Nuevo Mundo". Auch hier besuchte ich eine Reihe von Bank- und Geschäftsleuten, an die ich Einführungsbriefe mitgebracht hatte, und erfuhr in den Unterhaltungen manches, das für meine künftige Tätigkeit von Interesse war.
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Ich fand, dass die Verhältnisse in El Salvador vieles zu wünschen übrig ließen. Unter der indianischen Landbevölkerung herrschte große Unzufriedenheit. Das Land lebte fast ausschließlich vom Kaffeebau, und angesichts der niedrigen Preise, die das Produkt auf den Weltmärkten erzielte, waren auch die Löhne auf den Plantagen sehr niedrig und die Leute hatten oft genug kaum genügend zu essen. Lebensmittel mussten zum großen Teil auch noch aus den Nachbarländern, z. B. aus Nicaragua, eingeführt werden, weil Salvador nicht genügend davon produzierte. Ungefähr anderthalb Jahre später führten diese Zustände zu einer kurzen aber ziemlich blutigen Revolution, die von einer neugegründeten militärischen Regierung unterdrückt wurde. Dieselbe Regierung führte dann aber eine Verbesserung der Verhältnisse ein, durch die die politische Ruhe für lange Zeit gesichert wurde.7 Mein letzter Tag in Salvador fiel auf einen Sonntag, den ich zu einem Ausfluge nach dem naheliegenden Hafen und Badeort La Libertad an der pazifischen Küste benutzte. Eine ziemlich gute Autostraße stellte die Verbindung zwischen den beiden Plätzen her. Am darauf folgenden Montag, den 23. Juni 1930, machte ich mich auf das letzte Stück meiner Reise nach Managua und zwar benutzte ich dafür die neueingerichtete Fluglinie der „Panamerican Airways, Inc.". Bei gutem Wetter verließen wir eines morgens den schön gelegenen Flugplatz an der Laguna de Ilopango und erreichten in etwa drei Stunden Managua. Wir flogen nicht sehr hoch und hatten infolgedessen einen guten Blick auf die Landschaft. Wir überflogen die Fonseca-Bucht, sahen rechts von uns in geringer Entfernung den Vulkan Cosigüina liegen und nachdem wir den rauchenden Krater des Momotombo sowie den Managua-See überflogen hatten, kam die Stadt Managua in Sicht. Es war gerade die Zeit der Regenfälle und die Landschaft machte daher einen frischen, grünen Eindruck. Hübsch wirkte die smaragdgrüne Farbe der in der Nähe der Stadt liegenden Kraterseen. Nachdem wir eine weite Schleife über der Stadt geflogen waren, wobei ich bereits sehen konnte, dass diese eher den Eindruck eines großen Dorfes als einer Hauptstadt machte, landeten wir auf dem ziemlich nahe liegenden Flugplatze.
Sitarz bezieht sich hier auf den Aufstand von mehrheitlich indianischen Bauern und Landarbeitern in den westlichen Provinzen gegen das Militärregime unter General Maximiliano Hernández Martínez in den westlichen departamentos El Salvadors Anfang 1932. Armee und Guardia Nacional gelang ein rascher militärischer Erfolg gegen die Rebellen. Ein eigentlicher Vemichtungsfeldzug gegen die aufrührerischen Gemeinden, bei dem Tausende von Zivilpersonen zu Tode kamen, folgte.
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Momotombo vom Flugzeug aus, 23. 6. 1930 Dort angekommen, wurde ich von zweien meiner künftigen Mitarbeiter empfangen, den Herren Rafael A. Huezo, zweiter Direktor der Bank, und Guillermo Tünnermann, Leiter der dieser angegliederten „Compañía Mercantil", die sich in der Hauptsache der Finanzierung von Kaffeeexporten widmete. Ferner anwesend waren der Rechtsanwalt der Bank, Dr. Mariano Argüello sowie der Agent der „Panamerican Airways", Mr. Frizell, und einige andere Personen, die sich mehr oder weniger zufällig eingefunden hatten. Huezo überreichte mir ein höfliches Begrüßungsschreiben des Finanzministers, Antonio Barberena. In einem Auto, welches mir von Huezo als das mir von der Bank zu meinem persönlichen Gebrauch zur Verfügung gestellte bezeichnet wurde, fuhren wir dann zur Bank.
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Ankunft auf dem Flugplatz in Managua am 23. 6. 1930: von links nach rechts Julio Bahlcke, Rafael A. Huezo, Hans Sitarz, Guillermo Tünnermann, Mariano Argüello, Richard Frizell und Sitarz' Fahrer Die Fahrt, die uns durch den größeren Teil der Stadt führte, bestätigte den Eindruck, den ich bereits aus der Luft gewonnen hatte, nämlich, dass die Stadt einen sehr ärmlichen, dorfähnlichen Charakter hatte. Die zum großen Teil noch ungepflasterten, sandigen Straßen, von denen die zum See abfallenden vielfach vom Regenwasser tief ausgewaschen waren, erinnerten mich stark an das Barranquilla, das ich im Jahre 1911 kennen gelernt hatte. Ebenso die überwiegende Zahl der niedrigen, primitiv gebauten Häuser. 8 Das Gebäude der Bank war eines der wenigen ansehnlichen Bauwerke, die die Stadt aufzuweisen hatte. Den unteren Teil des Gebäudes nahmen die Geschäftsräume der Bank ein. Im oberen Stock befand sich die mir angewiesene Wohnung. Dieselbe machte keinen besonders anziehenden Eindruck, war aber sehr geräumig und luftig. Sie war bescheiden aber vollkommen eingerichtet. Auch eine Köchin hatte Huezo für mich schon engagiert, ohne sie allerdings besonders empfehlen zu können. Sie bewährte sich auch in keiner Weise und musste bereits nach kurzer Zeit gewechselt werden.
Vgl. hierzu Sitarz' Schilderung in Fischer/Sitarz (Hrsg.): Als Geschäftsmann, S. 31 f.
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Sitarz mit seinem neuen Dienstauto nach seiner Ankunft in Managua, 23. 6. 1930 Nachdem ich mich notdürftig eingerichtet hatte, ging ich in das Kontor der Bank, wo Huezo mich mit dem Personal bekannt machte und mich zu meinem Schreibtisch führte. Zusammen mit der bereits für mich angekommenen Post und anderen Sachen übergab er mir bei der Gelegenheit auch einen schönen, vernickelten Revolver, der anscheinend mit zu meiner Amtsausrüstung gehörte. Wie ich mit der Zeit feststellte, trug fast jedermann dauernd eine Waffe bei sich.
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„Banco National de Nicaragua", Sitarz' Arbeitsplatz (Erdgeschoss) und Wohnung (erster Stock), 1930, keine genaue Datierung Am nächsten Tage machte ich in Begleitung von Huezo meinen Antrittsbesuch bei der Regierung im Palacio Nacional, einem großen, aber unschönen Gebäude. Von den Ministern machte nur einer einen guten Eindruck auf mich. Zum Glück war das der Finanzminister, mit dem ich als Leiter der Regierungsbank zusammenzuarbeiten hatte. Ich bin mit diesem auch bis zum Ende seiner Amtszeit gut ausgekommen. Vom Palacio Nacional ging ich zur amerikanischen Gesandtschaft, um auch dem Gesandten, Mr. Matthew E. Hanna, meinen Besuch zu machen und das Einführungsschreiben abzugeben, das mir das Department of State in Washington für den Zweck mitgegeben hatte. Der Gesandte empfing mich in sehr liebenswürdiger Weise und meine Beziehungen zur amerikanischen Gesandtschaft blieben während der Dauer meiner Tätigkeit in Nicaragua ununterbrochen sehr freundschaftlich. Die nächsten Tage in der Bank waren zum größten Teil mit dem Empfange von Besuchern ausgefüllt. In geschickter Weise wusste Huezo es immer so einzurichten, dass er mir, bevor er den Besucher zu mir führte, immer erst eine kurze Charakteristik ins Ohr flüsterte. Diese erwiesen sich immer als zuverlässig. Die gleiche Erfahrung machte ich während der ganzen Dauer unserer Zusammenarbeit, die sich auf annähernd viereinhalb Jahre erstreckte. Auch wenn es sich um Verwandte und Freunde von ihm handelte, blieben seine Urteile streng sachlich, was in einem Lande wie Nicaragua besonders hoch anzuerkennen war. Den Zeitungsleuten gegenüber, die mit zu den ersten Besuchern gehörten, empfahl er mir besondere Vor-
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sieht und Zurückhaltung, da die meisten in keinem besonders guten Rufe standen. Ich richtete mich danach, wäre aber auch ohne seine Warnung sehr vorsichtig gewesen, da ich in einigen Plätzen Kolumbiens schon unangenehme Erfahrungen mit Zeitungsleuten gemacht hatte. Trotzdem ich mich also den Zeitungen in Nicaragua gegenüber sehr vorsichtig und zurückhaltend verhielt, waren die ersten Mitteilungen, die diese über mich brachten, übertrieben freundlich und lobrednerisch. Am zweiten Tage nach meiner Ankunft in Managua, am 25. Juni 1930, machte ich meinen Antrittsbesuch beim Präsidenten des Landes, der einige Tage von der Stadt abwesend gewesen war. Er wohnte in einem einfachen Hause in der Stadt, da der neue präsidentliche Palast auf der Loma, einer die Stadt überragenden Höhe, zu der Zeit noch im Bau begriffen war. Der Empfang von Seiten des Präsidenten war ernst und würdevoll, aber freundlich. In Anbetracht der sehr guten Empfehlungen, die mir vorangegangen wären, sagte er, er erhoffe eine erfolgreiche Tätigkeit für mich und eine gute Verständigung zwischen seiner Regierung und mir. Wie ich später von Huezo erfuhr, hatte die Regierung sich auch bei der Superintendencia Bancaria in Bogotá9 über mich erkundigt und auch von dieser eine sehr günstige, empfehlende Auskunft erhalten, trotz der gespannten Beziehungen, die zum Schluss meiner Tätigkeit in Kolumbien zwischen dieser Behörde und mir bestanden hatten. Gegen Ende der Unterredung ließ der Präsident eine Flasche Champagner bringen und wir tranken ein Glas auf meine Zukunft in Nicaragua. Ich verabschiedete mich von dem Präsidenten mit dem Gefühl, dass ich mich mit ihm wahrscheinlich gut verständigen werden würde, umso mehr, als er mir die Versicherung gab, die er schon der „Bank of the Manhattan Company" gegeben hatte, dass politische Einflüsse von der Leitung der Bank ferngehalten werden würden. Dieses Versprechen ist während seiner Amtszeit auch in ziemlich einwandfreier Weise gehalten worden. Sehr befriedigt äußerte sich der Präsident darüber, dass ich die spanische Sprache vollkommen beherrschte, was anscheinend nicht bei allen meinen Vorgängern der Fall gewesen war. Außer der Bank und der Eisenbahn stand noch das Zollwesen Nicaraguas unter ausländischer Leitung. Zwei Amerikaner, Mr. Irvine A. Lindberg und Mr. Crampton, waren erster und zweiter Zollverwalter. Auch ihnen machte ich meinen Besuch, ebenso wie auch dem von der amerikanischen Regierung ernannten Mitglied einer Kommission zur Regelung von Revolutionsschäden, einem Richter Mr. John S. Stanley.
Gemeint ist die staatliche Bankaufsichtsbehörde Kolumbiens. Zu Sitarz' Erfahrungen mit der Superintendencia Bancaria in Bogotá Fischer/Sitarz (Hrsg.): Als Geschäftsmann, S. 224-227, 233, 237, 240 f., 244.
Geschäftsbereich und Bekanntenkreis Meine Tätigkeit in der Bank entwickelte sich in sehr interessanter, vielseitiger Weise, aber ich merkte schon nach wenigen Wochen, dass dieselbe durchaus nicht immer eine reine Freude sein würde. Die Zeit, zu der ich meinen Posten übernahm, war keine günstige, angesichts der Schwierigkeiten der Weltwirtschaftslage. Kaffeebau, Zuckerbau, Viehzucht, Goldbergbau, Bananenexport, die wichtigsten Wirtschaftszweige Nicaraguas, lagen danieder. Im Norden des Landes befanden sich große Teile desselben in der Gewalt des Rebellenführers Augusto Sandino, dessen Niederhaltung große Kosten verursachte. Um der zum großen Teil übermäßig verschuldeten Landwirtschaft zu helfen, war die Gründung einer „Hypothekenbank" beschlossen worden. Dieselbe sollte ein von der „Banco Nacional" getrenntes Unternehmen werden, aber doch unter meiner Leitung stehen. Alle von der „Banco Nacional" an die Landwirtschaft gegebenen Kredite, die festgefroren, aber sonst als genügend gesichert zu betrachten waren, sollten von der „Hypothekenbank" übernommen werden. Die Erwartungen, die von den interessierten Kreisen an letztere gestellt wurden, waren durchaus übertriebener Art und die haufenweise eingehenden Kreditgesuche beruhten nur in der Minderzahl auf wahrheitsgetreuen Angaben. 10 Die Ablehnung der Mehrzahl dieser Kreditgesuche verursachte die erste Abkühlung der übertriebenen Freundlichkeit, mit der ich auf meinem Posten begrüßt worden war. Die Zahl der Einladungen, mit denen ich bis dahin überschüttet worden war, ohne sie aber jemals anzunehmen, ließ von da an bedeutend nach. Auch wenn ich nicht von Huezo ausdrücklich darauf hingewiesen worden wäre, wäre es mir sehr bald klar geworden, dass hinter jeder Einladung, die mir von nicaraguensischer Seite zuging, eine bestimmte Absicht stand. Sehr eindringlich wurde mir dies zu Bewusstsein gebracht, nachdem ich etwa zwei Monate nach meiner Ankunft in Nicaragua der Filiale der „Banco Nacional" in der Stadt León einen Besuch gemacht hatte. Auf Wunsch von Dr. Salvador Guerrero Montalván, der eine bevorzugte Stellung in Managua einnahm, aber aus León stammte, hatte ich meinen Besuch auf eine Zeit verlegt, zu der er mich begleiten konnte. In León angekommen, ließ er mir nur wenig Zeit, um mich um die Geschäfte der Bank zu bekümmern, derentwegen ich in der Hauptsache gekommen war, sondern verfügte, wenn auch in sehr liebenswürdiger Weise, einfach über meine Zeit. Er stellte mich einer Menge von
Sitarz hatte dies aufgrund seiner Erfahrungen in Kolumbien vorausgesehen und eine Änderung der Statuten dahingehend durchgesetzt, dass Kredite an Direktoren, Beamte und Angestellte der Bank sowie an die Regierung nur nach vorangehender Zustimmung durch den Aufsichtsrat gewährt werden durften. In einem vertraulichen Brief an Schubart umschrieb er seine Doktrin mit folgenden Worten: „It is our firm intention to proceed at the study and selection of the risks with utmost conservatism, in order to avoid disappointments as have taken place in Costa-Rica and Colombia with similar institutions, and I should be very much obliged to you, if you kindly would do your best in the Board of Directors, in order to back us in these efforts." PA Anneliese Sitarz, Sitarz an Schubart, Managua, 2. 12. 1930.
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Leuten vor, die ich viel lieber durch Vermittlung des Leiters der Filiale der Bank, einem Australier, Frank May, kennen gelernt hätte und zeigte mir im Auto Leon und Umgebung einschließlich des nicht sehr schönen Badeortes Poneloya. Am Abend, sagte er, wollten wir zusammen im „Hotel Lupone" essen. Ich nahm an, dass außer ihm vielleicht eine kleine Gruppe von seinen Bekannten, einschließlich natürlich von Frank May erscheinen würden und war nicht sehr angenehm überrascht, als ich einen langen Banketttisch mit 50 bis 60 Gedecken vorfand. Ich bemerkte zu Dr. Guerrero Montalvän, dass es mir doch sehr angenehm gewesen wäre, wenn man mir einen Wink gegeben hätte, dass es sich um eine so feierliche Angelegenheit handelte, worauf er etwas verlegen erwiderte, es hätte nichts besonderes auf sich.
Bahnhof Leon, 1930, keine genaue Datierung Trotzdem wurden von ihm und einigen anderen Reden geschwungen, in denen die weitestgehenden Erwartungen auf meine künftige Tätigkeit gesetzt wurden, denen ich nur unter den denkbar günstigsten Voraussetzungen hätte entsprechen können. In der Erwiderung, die von mir erwartet wurde, begnügte ich mich, mit wenigen Worten zu sagen, dass ich mit der Absicht in das Land gekommen wäre, der mir übertragenen Aufgabe nach bestem Wissen und Gewissen gerecht zu werden, dass ich für die wirtschaftliche Entwicklung Nicaraguas gute Möglichkeiten sähe, und dass ich für die mir persönlich erwiesenen Aufmerksamkeiten entsprechend dankbar wäre. Monatelang nach diesem Besuch in Leon wurde ich von so und so vielen Besuchern von dort, die aus irgendeinem Grunde zu mir nach Mana-
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gua kamen, immer wieder darauf hingewiesen, dass sie auch zu den Kosten des Bankettes beigetragen hätten. Mit anderen Worten: Sie erwarteten eine Gegenleistung dafür! Da diese natürlich ausbleiben musste, erwies sich das Bankett als ein Fehlschlag für alle Beteiligten. Bei Gelegenheit machte ich Dr. Guerrero Montalván gegenüber einmal eine entsprechende vorsichtige Bemerkung, wodurch ich einer Wiederholung ein für alle Mal vorbeugte. Ich beschränkte von da an meinen persönlichen Verkehr in der Hauptsache auf Ausländer und einige wenige Nicaragüenses die nicht in den Verdacht kommen konnten, ungebührliche geschäftliche Vorteile durch mich von der Bank zu erlangen zu suchen. Außer der „Banco Nacional" und der neugegründeten „Hypothekenbank" unterstand meiner Leitung auch die „Compañía Mercantil de Ultramar". Diese war ein der „Banco Nacional" angegliedertes Unternehmen, das sich ausschließlich der Finanzierung der Kaffeeernte und deren Export widmete. Trotzdem es auf gemeinnütziger Basis arbeitete und sich für seine Dienste mit einer geringen Kommission begnügte, war es dauernd das Ziel gehässiger Angriffe, ohne dass während oder vor meiner Zeit, soweit ich feststellen konnte, ein Fall vorgekommen wäre, in dem ein Kunde tatsächlich Grund zur Klage gehabt hätte. In der Hauptsache schienen mir die Anfeindungen auch von solchen Elementen zu kommen, die aus verschiedenen Gründen nicht als Kunden für das Unternehmen in Frage kommen konnten. Allen Angriffen zum Trotz stellte die „Cía. Mercantil" unter den bestehenden Verhältnissen ein durchaus unentbehrliches Glied der Wirtschaft des Landes dar.
Kaffeetransport in Nicaragua, 1930, keine genaue Datierung Eine andere Aufgabe, mit der ich bereits in New York beauftragt worden war, war die, zu studieren, in welcher Weise die „Banco Nacional" der Regierung bei der Beschaffung der Gelder für den Bau der Autostraße von Managua nach der
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atlantischen Küste behilflich sein könnte. Bei meiner Ankunft in Managua fand ich vielfach die Meinung vor, dass die „Bank of the Manhattan Co." oder die Regierung der USA Nicaragua große Kredite zur Verfügung gestellt hätten, wovon natürlich gar keine Rede war. Nach monatelangen Verhandlungen, an denen sich auch die amerikanische Gesandtschaft beteiligte, wurde beschlossen, dass die „Banco Nacional" der Regierung einen Kredit in Höhe von einer Million Córdobas gewähren sollte, wofür von Seiten der Regierung hinreichende Sicherheiten gegeben wurden. Der Betrag, der damals einer Million US-Dollars entsprach, sollte vorzugsweise zum Bau der Autostraße verwandt werden.11 Trotzdem der Bau dieser Straße zu den größten Notwendigkeiten des Landes zählte und der Anfang unter günstigen Umständen und fachkundiger Leitung gemacht wurde, sollte er nicht vorwärtskommen. Grobe politische Misswirtschaft, die die Ratschläge des Ingenieurs Hepburn dauernd überstimmte, sowie ein unglückliches Ereignis, das die Stadt Managua anfangs 1931 betreffen sollte, brachten es mit sich, dass der Bau in seinen frühen Anfangen stecken blieb. Der von der „Banco Nacional" gegebene Kredit wurde ausgegeben, ohne dass dem Lande irgendwelcher Nutzen daraus entstand, und selbst das für den Straßenbau angeschaffte Material, welches bedeutende Kosten verursacht hatte, verschwand mit der Zeit spurlos. Kurze Zeit nach meinem Besuch in León besuchte ich auch die Filiale der Bank in Granada. Angesichts der in León gemachten Erfahrungen gab ich aber vorher dem Leiter der Filiale Granada, Francisco Anzoátegui, den Auftrag, meine Ankunft niemandem im voraus mitzuteilen. Ich wollte nicht wieder zu einem Bankett mit allen seinen Folgen eingeladen werden! Während ich von der Filiale León und ihrem Leiter eine durchaus gute Meinung erhalten hatte, war in Granada so ziemlich das Gegenteil der Fall. Anzoátegui machte einen persönlich sympathischen aber wenig fähigen Eindruck. Er versprach willig alles, was man von ihm verlangte, vergaß aber meistens die Ausführung. Die Filiale machte keinen sehr ordentlichen Eindruck und war außerdem in einem äußerst hässlichen, einen verfallenen Eindruck machenden Gebäude untergebracht. Der Bau eines neuen, eigenen Gebäudes war aber bereits vom Aufsichtsrat beschlossen worden, und in dessen Auf-
Der Aufsichtsrat fasste diesen Beschluss am 22. Januar 1931. Vgl. das Aufsichtsratsprotokoll, abgedruckt in Occon Herradera: Banco Nacional de Nicaragua, S. 320 f. Sitarz hatte nach Gesprächen mit Hanna und in Anbetracht der geringen Staatsverschuldung zuerst sogar einen Kredit im Umfang von 5 Mio. US-Dollar erwogen. Er erachtete die Kreditspritze als sinnvolles Mittel zur Ankurbelung der misslichen Wirtschaftslage und zur Linderung der schlechten Beschäftigungssituation. Er stimmte mit Präsident Moncada überein, dass nur ein geringer Teil dieser Summe für den Ausbau und die Professionalisierung der Guardia Nacional verwendet werden sollte. Hanna dagegen wollte den großen Teil dieses Betrages für den Aufbau der Guardia Nacional einsetzen, um diese auf die Zeit nach dem Abzug der marines vorzubereiten. In New York äußerte insbesondere Warburg große Vorbehalte. Darüber hinaus plädierte Sitarz für eine verstärkte Außenverschuldung, um den Devisenabfluss zu kompensieren. PA Anneliese Sitarz, Sitarz an Warburg, Managua, 15. 7. 1930 [Confidential]; Sitarz an Warburg, Managua, 14. 8. 1930; Sitarz an Schubait, Managua, 14. 2. 1931. [Confidential]; Sitarz an Schubart, 18. 2. 1931 [Strictly confidential].
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trag 12 machte ich bald darauf einen Kontrakt mit einem deutschen Architekten, von Rechnitz, für den Zweck des Neubaues. Dieser ging schnell vonstatten und schon im April 1931 war das neue Gebäude bezugsfertig. Außer den Niederlassungen in Granada und Leon besaß die „Banco Nacional" noch eine Filiale in Bluefields an der atlantischen Küste sowie eine Agentur im Hafen von Corinto, der mit den drei wichtigsten Städten des Landes, Managua, Leon und Granada, durch die einzige Eisenbahn desselben verbunden war, und eine andere, nur kleine Agentur in Matagalpa. Corinto, welches sechs Eisenbahnstunden von Managua entfernt lag, besuchte ich ebenfalls bald. Die Besuche von Bluefields und Matagalpa aber, die schwer zu erreichen waren, musste ich auf spätere Zeiten verschieben. Persönlich lebte ich mich in Managua sehr schnell ein, wo ich auch unter den wenigen Ausländern sehr bald einige gute Freunde fand. Angenehme Abwechslungen waren gelegentliche Einladungen in die amerikanische Gesandtschaft, wo man häufig interessante Durchreisende kennen lernte. Der Gesandte, Mr. Hanna, und seine Frau, eine geborene Deutsche (Gustava von der Tann), waren sehr gastfrei und angenehm im Verkehr. Auch mit dem ersten Sekretär der Gesandtschaft, Mr. Beaulac, kam ich bald in ein freundschaftliches Verhältnis. Mr. Goodhue von der „Manhattan Bank" hatte mir ein Einführungsschreiben an den Vertreter der „United Fruit Co.", Mr. Craigie, zukommen lassen. Dieser war in der Hauptsache Leiter der Managua-Station der „Tropical Radio Co.", die der „United Fruit Co." gehörte. Er bewohnte ein neues, hübsches kleines Haus, welches zusammen mit der Kraftanlage etwa zehn Kilometer außerhalb Managuas unmittelbar am Managua-See lag. Zu der hübsch angelegten Station gehörte auch ein Tennisplatz, den Mr. Craigie mir in freundlicher Weise zur Verfügung stellte. Ich hatte vorher kaum jemals Tennis gespielt. Jetzt aber fing ich an, mich mit Eifer diesem Sport zu widmen und habe während der ganzen Zeit meines Managua-Aufenthaltes jeden freien Nachmittag dazu verwandt, um mehr oder weniger lange, je nach der zur Verfügung stehenden Zeit, Tennis zu spielen. Trotz der Hitze spielten wir an Sonnabend- oder Sonntagnachmittagen bis zu drei Stunden lang ununterbrochen. Es hat niemandem etwas geschadet. Die auf diesem Tennisplatze verbrachten Stunden gehören mit zu meinen angenehmsten Erinnerungen an Managua. Die Fahrt hinaus, auf der schlechten, staubigen Straße, war nicht angenehm. Einmal draußen angekommen aber, sah man nichts mehr von der hässlichen Stadt, sondern nur den See, den rund herum gebirgigen Horizont und in der Ferne den rauchenden Momotombo. Unten am See, nahe bei Craigies Haus, konnte man Scharen von Wasservögeln beobachten, die wenig Scheu zeigten, da Craigie es niemandem gestattete, dort auf die Jagd zu gehen. Craigie war damals jung verheiratet. Seine Frau stammte aus Managua. Dem Anscheine nach hatte sie sehr viel indianisches Blut in sich. Sie war aber recht hübsch und von angenehmem Wesen. 12
Der entsprechende Beschluss ist abgedruckt in Occon Herradora: Banco Nacional de Nicaragua, S. 309.
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Von links nach rechts Hanna, Mrs. McDougal (Gattin des Jefe Director der Guardia Nacional), Mr. Winsinger und Dr. Horace Boone (Mitglied des ärztlichen Dienstes der Guardia Nacional) in Managua, 1930, keine genaue Datierung In den ersten Wochen verbrachte ich die meisten meiner Nachmittage, nach Schluss der Geschäftszeit, mit Huezo, der mir die Stadt und Umgebung zeigte und mich auch im Autofahren unterrichtete. Ebenso war er auch mein Tennislehrer. In beiden Fächern war er durchaus Meister. Gelegentlich lud er mich auch in sein Haus ein, wo er mir seine Frau, Misia Clementina, und seine drei Kinder, einen Sohn und zwei Töchter, vorstellte. Misia Clementina wurde bald meine gute Freundin, nachdem sie gemerkt hatte, dass ich ihren Mann nicht zum Trinken verführte. Sie bewies mir sehr viel Vertrauen und befragte mich oft in allen möglichen Angelegenheiten um meinen Rat. Sie war eine einfache Frau, aber mit einem sehr gesunden Verstände. Für die Schattenseiten des Lebens in Managua hatte sie ein sehr gutes Auge.
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Hacienda „Alemania" von Julio Bahlcke mit bestellten Feldern, 1930, keine genaue Datierung Freunde der „Manhattan Bank" hatten mir in New York als eventuellen Vertrauensmann einen Deutschen in Managua empfohlen, namens Julio E. Bahlcke. Ich lernte diesen gleich kurz nach meiner Ankunft kennen, sah aber bald, dass derselbe als Vertrauensmann bzw. Mitglied des Aufsichtsrats der Bank in Managua, wofür er versuchsweise in Aussicht genommen worden war, nicht in Frage kommen würde. Er war ein noch junger Mann, anfangs der dreißiger Jahre, der den Eindruck eines anständigen, netten, aber nicht besonders intelligenten Menschen machte. Auch seine Stellung in Managua war keineswegs so angesehen oder gar einflussreich, wie man in New York angenommen hatte. Allerdings war er, schon seines gutmütigen, hilfsbereiten Wesens wegen, allgemein beliebt. Auch ich befreundete mich mit ihm sehr schnell, und habe ihn stets sehr gern gehabt. Er war einer der Erben und der Verwalter eines einmal sehr groß gewesenen Vermögens, das sein Großvater erworben und sein Vater schon teilweise eingebüßt hatte und das sich unter seiner Verwaltung, teils mit, teils ohne seine Schuld, noch weiter sehr verringert hatte, sodass seine Firma z. Zt. unserer Bekanntschaft schon nicht mehr sehr gut dastand. Der Grundstock seiner Firma bestand in sehr großem Landbesitz, von dem ein Teil in der Nähe von Managua, der andere in der Nähe von León lag. Der bei Managua gelegene, der zum Teil mit Kaffee bepflanzt war, war angeblich 24 Quadratkilometer groß. Der andere, bei León gelegene, soll sogar 36 Quadratkilometer umfasst haben. Die Erträgnisse dieses großen Stückes Land, auf dem nur
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eine geringe Menge von Vieh gehalten wurde, genügten gerade, um die Verwaltungskosten zu decken, die auch nur sehr gering waren. Zu seinem Unglück verstand Bahlcke nicht nur zu wenig von der Landwirtschaft, sondern er hatte auch keine große Neigung dazu. Was ihn interessierte und wovon er auch allerhand verstand, waren Maschinen. Leider aber fehlte ihm auch hierbei das Talent, diese Kenntnisse kaufmännisch zu verwerten. Eine große mechanische Werkstatt, die er sich im Anschluss an eine Automobilagentur in Managua anlegte, ist nie rentabel gewesen. Auf diese Weise ergab es sich, dass die Verhältnisse seiner Firma sich immer mehr verschlechterten, trotzdem er persönlich sehr fleißig und sparsam war und äußerst anspruchslos lebte. Die ihm gehörige Kaffeepflanzung war leicht innerhalb einer Stunde im Auto von Managua aus zu erreichen. Sie lag 700 Meter hoch in der Sierra de Managua in landschaftlich hübscher Gegend. Auch die Fahrt hinauf war, abgesehen von dem meistens schlechten Zustand der Straße, sehr schön. Vom Haciendahause aus hatte man einen hübschen Blick bis zum Pazifischen Ocean hinab. Während der ganzen Zeit meines Managua-Aufenthaltes bin ich allein oder mit Elisabeth ein regelmäßiger Besucher auf der Hacienda gewesen.
Julio Bahlcke mit getöteter Schlange auf der Hacienda „Alemania", Dezember 1930
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Nicht sehr weit von der Hacienda von Bahlcke entfernt hatte ein Engländer, Arthur Vaughan, ebenfalls eine Kaffeehacienda. Auch mit Vaughan wurde ich kurz nach meiner Ankunft in Managua bekannt und von ihm eingeladen, ihn auf seiner Hacienda zu besuchen. Er war mit einer Amerikanerin aus California verheiratet und hatte zwei Kinder, von denen die Tochter Virginia 13 und der Sohn Arthur acht Jahre alt waren. Wenn auch ohne Luxus, so lebte die Familie Vaughan doch in recht angenehmer Weise. Frau Vaughan, die eine sehr gute Hausfrau war, sah sonntags gern Gäste bei sich und die Sonntagsausflüge zu Vaughans gehörten mit zu den wenigen Freuden, die das Leben in Managua zu bieten hatte. Mr. Vaughan war ein sehr tüchtiger und auch erfolgreicher Landwirt, und seine Pflanzung galt so ziemlich als die beste im ganzen Lande. Er war persönlich sehr angesehen, trotzdem er ein sehr zurückgezogenes Familienleben führte.
Eisenwarengeschäft Bunge in Managua, keine genaue Datierung Des Weiteren gehörte bald zu dem Kreise meiner näheren Bekanntschaft ein älteres deutsches Ehepaar, Francisco Bunge und Frau. Sie waren die Besitzer des besten Eisenwarengeschäftes in der Stadt. Bunge war bis vor einigen Jahren vor meiner Ankunft der eigentliche Leiter der Firma „Bahlcke" gewesen, musste sich aber von ihr trennen, teils wegen Meinungsverschiedenheiten mit dem jungen Bahlcke, teils weil die Firma glaubte, sein verhältnismäßig hohes Gehalt nicht mehr zahlen zu können. Trotzdem Bunge die Notwendigkeit der Trennung bitter empfunden hatte, bekam sie ihm besser als Bahlcke. Sein Eisenwarengeschäft
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entwickelte sich sehr gut, während es mit Bahlcke, dem der Rat des erfahreneren Bunge wohl oft genug fehlte, langsam bergab ging. Angesichts seiner sehr großen Nervosität, verbunden mit einer gewissen Schwerhörigkeit, war eine längere Unterhaltung mit Bunge oft etwas anstrengend. Seine sehr ruhige, gutmütige und sehr gastfreie Frau wirkte dafür aber wieder etwas ausgleichend. Zu den wenigen Nicaraguensern, zu denen ich von Anfang an in ein freundschaftliches Verhältnis kam, gehörte der Hauptinhaber der jüdischen Bankfirma , J . M. Tefel & Co.", Jacobo Tefel. Trotzdem seine Familie schon vor Generationen aus Deutschland eingewandert war, sprach er immer noch fließend Deutsch und auch Englisch. Persönlich und geschäftlich genoss er besten Ruf. Außer seinem Bankgeschäft besaß er auch eine große Kaffeepflanzung, nahe bei Managua gelegen, die er selbst und mit Erfolg verwaltete. Er verbrachte dort jede Woche mehrere Tage. Die Zahl der Ausländer war z. Zt. meiner Ankunft in Nicaragua nur gering. Unter diesen wenigen wieder gab es nur Einzelne, denen es besser ging, als es ihnen voraussichtlich in ihrem Heimatlande gegangen wäre. Der Mehrzahl ging es ausgesprochen schlecht. Schuld daran waren die Folgen der letzten, blutigen Revolution,13 die immer noch herrschende politische Unsicherheit im Lande sowie die Einwirkungen der sich immer mehr verschlechternden Weltwirtschaftslage. Die Mehrzahl der Ausländer setzte sich zusammen aus Deutschen, Franzosen und Italienern. Klein war die Zahl der Engländer und noch kleiner die der Amerikaner, abgesehen natürlich von den Besatzungstruppen, die damals ungefähr 5.000 Mann stark waren. Unter den altansässigen Ausländern waren es vielleicht die Deutschen, die wirtschaftlich am meisten zurückgekommen waren. In Folge des schlechten Geschäftsganges hatten sich die Teilhaber mehr als einer alten deutschen Firma getrennt und jeder für sich ein neues Unternehmen angefangen, das aber im allgemeinen nicht besser ging, als die alte Firma gegangen war. Die vermehrte Konkurrenz bei sich gleich bleibenden Geschäftsmöglichkeiten, zusammen mit den den Trennungen gewöhnlich vorhergegangenen Streitigkeiten, brachten viel Bitterkeit in das Leben der deutschen Kolonie hinein, was den Umgang mit derselben nicht immer angenehm machte. Gelegentlich wurde ich als Leiter der Bank als Schiedsrichter angerufen, eine sehr undankbare Aufgabe. Gewöhnlich war Recht und Unrecht auf beiden Seiten vertreten. Durch die amerikanische Gesandtschaft wurde ich auch mit dem kommandierenden General der Besatzungstruppen bekannt, General Bradman, sowie einer ganzen Reihe anderer Offiziere. Bald stand ich mit diesen sehr umgänglichen Leuten in freundschaftlichem Verkehr und erhielt auch einen Pass von ihnen, der es mir erlaubte, jederzeit das Lager der Truppen im Campo de Marte zu besuchen. 13
Sitarz bezieht sich hier auf die Auseinandersetzungen zwischen Konservativen und Liberalen in der zweiten Hälfte des Jahres 1926 und 1927, die zur erneuten militärischen Intervention der USA führten.
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Das Lager hatte sein eigenes Kinotheater, in dem häufig bessere Vorführungen geboten wurden, als in den Managua-Theatern.
Reise nach Costa Rica, Gesellschaftsleben in Managua Im September 1930 reiste Elisabeth mit den Kindern mit dem Dampfer „Magdalena" von Hamburg nach Colón ab und die Regierung gab mir die Erlaubnis, ihr bis Colón entgegenzureisen. Auf Wunsch der Regierung ebenso wie auf meinen eigenen sollte ich aber die Gelegenheit zu einem Besuch in San José, der Hauptstadt von Costa Rica, wahrnehmen, um mich um die Erfahrungen zu erkundigen, die dort mit einer neugegründeten „Hypothekenbank" gemacht worden waren, deren Leiter, ein gewisser Dr. Tomás Soley Güell, seine angeblichen glänzenden Erfolge in etwas Scharlatan-ähnlicher Weise in die Welt hinausposaunte. Reichlich mit Einführungsschreiben versehen sowie mit einem Regierungspass, der mir ungefähr diplomatischen Status gab, flog ich Ende September ab nach Costa Rica. In der Zeit wagte man es noch nicht, mit großen Flugzeugen hohe Gebirge zu überfliegen. Ich musste daher die dreimotorige Fordmaschine auf einem noch sehr primitiv aussehenden Flugplatze in der Nähe von Punta Arenas gegen ein kleines, einmotoriges Flugzeug wechseln, mit dem der Weiterflug nach San José ausgeführt wurde. Dieser Teil der Reise führte durch ein stark aufsteigendes, enges Gebirgstal, in dem widrige Luftströmungen das Flugzeug dauernd in sehr unangenehme Schwankungen versetzten. Auf dem ziemlich kleinen Flugplatze in San José, unmittelbar vor der Stadt gelegen, wurde ich vom Konsul von Nicaragua, Eli J. Hazera, sowie dem aus León in Nicaragua stammenden Rechtsanwalt der „Hypothekenbank", Dr. Raúl Gurdián, empfangen und in mein Hotel gebracht. Die ungefähr drei Tage, die ich in Costa Rica zubrachte, stehen mir noch in der Erinnerung als außerordentlich anstrengend und ermüdend. Selten habe ich in meinem Leben in so kurzer Zeit so viele Besuche machen und Menschen kennen lernen müssen, als bei meinem ersten Besuch in San José. Mein erster Besuch galt dem Präsidenten des Landes, Dr. Cleto González Víquez, einem sehr würdigen, alten Herrn, der mich in sehr einfacher, demokratischer Weise in seinem ebenfalls einfachen Privathause empfing. Von ihm ging ich zum Finanzminister, Dr. Carlos Aragón, und von da zum Direktor der „Hypothekenbank", Tomás Soley Güell. Letzterer machte auf mich keinen günstigen Eindruck. In seinen in die Welt hinausgesandten Pamphleten hatte er enorm viel zu sagen gehabt. Jetzt, wo ich gern von ihm etwas Wichtiges erfahren hätte, hatte er so gut wie nichts zu sagen. Ich hielt den Mann für einen „Bluff', welcher Eindruck auch der richtige war. Ich glaube, es war kaum ein Jahr später, als der Mann plötzlich aus San José verschwand. Die Bank, die er mit soviel Fanfaren übernommen, bzw. gegründet hatte, ließ er in trauriger Verfassung zurück. Er war einer der finanziellen Zauberkünstler jener Zeit, die glaubten, der Welt, besonders der Landwirtschaft helfen zu können, indem sie es ihnen leichter machten, sich zu verschulden. Durch Dr. Raúl Gurdián lernte ich auch verschiedene leitende Männer der „United Fruit Co." kennen, die damals die wichtigste Säule der Wirtschaft von Costa Rica war. Auch das erste gute Hotel des Landes wurde zu der Zeit gerade von der
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„United Fruit Co." in San José erbaut. Man hätte annehmen sollen, dass ein Unternehmen, dem ein Land soviel verdankte, sich besonderer Beliebtheit erfreuen sollte. Dies war aber durchaus nicht der Fall. Im Gegenteil, Angriffe gegen die Compagnie gehörten durchaus zur Tagesordnung. Die Stadt San José sowie die nähere Umgebung, in die man mich ein paar Mal im Auto hinausfuhr, gefielen mir gut. Das Klima war sehr angenehm und die Landschaften, mit den hohen Bergen, bzw. Vulkanen am Horizont, waren sehr schön. Rund um die Stadt herum lagen schön gepflegte Kaffeepflanzungen, von denen einige bis zu den ersten Häusern der Stadt herankamen. Einige der schönsten Haciendas, die man mir zeigte, gehörten langansässigen Deutschen. Angenehm auffallend war der große Wasserreichtum in und in der Umgebung von San José, sehr verschieden von Nicaragua, wo die Wasserbeschaffung oft eine sehr schwierige Frage war. Auch die Bevölkerung des Hochplateaus von San José machte einen besseren Eindruck als die von Managua. Sie war überwiegend weiß. Ich musste zu meinem Bedauern feststellen, dass man auf Nicaragua im allgemeinen sehr von oben herabsah. Auf der anderen Seite musste zugegeben werden, dass man für schwere körperliche Arbeit in den heißen Landesteilen Arbeiter aus Nicaragua heranziehen musste. Die Einheimischen waren solchen Anforderungen nicht gewachsen. Costa Rica war stolz darauf, ein Vielfaches mehr für Schulen als für militärische Zwecke auszugeben, im krassen Gegensatz zu Nicaragua. Soviel ich weiß hatte Costa Rica damals überhaupt kein Heer, sondern nur eine Polizeitruppe-14 Um noch etwas mehr vom Lande zu sehen, beschloss ich die Weiterreise nach Colón nicht mit dem Flugzeuge zu machen, sondern mit der Eisenbahn bis Puerto Limón und von da mit einem Dampfer nach Colón. Die Fahrt nach Limón erinnerte mich sehr an den unteren Teil der Strecke Girardot-Bogotá, mit Ausnahme des letzten Teiles, der an der Meeresküste entlang durch Kokospalmenpflanzungen führt. Limón ist ein unbedeutender kleiner Hafen, in dem kaum etwas ist, was nicht von der „United Fruit Co." geschaffen worden wäre. Es war auch der „United Fruit Co."-Dampfer „Uloa", mit dem ich die Weiterreise nach Colón machte. Als die „Magdalena" in den Hafen von Colón einfuhr, fuhr ich ihr mit dem Agenten der „Hapag", Jacob, den ich gut kannte, in einem Motorboot ein Stück entgegen. Auf den Dampfer hinauf durften wir nicht. Ich hatte aber Elisabeth von weitem erkennen und begrüßen können. Nach einem Aufenthalt von einem oder zwei Tagen in dem schönen „Hotel Washington", wo wir unter anderem das Schwimmbad bei dem heißen Klima sehr schätzten, flogen wir am 3. Oktober 1930 ab nach Managua, wo wir nach etwa
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Hier täuschte sich Sitarz. In Wahrheit schaffte erst Präsident José Figueres Ferrer, am 1. Dezember 1948, die Armee ab, nachdem die von ihm angeführte Nationale Befreiungsbewegung siegreich aus einem blutigen Bürgerkrieg hervorgegangen war. Ein Jahr später wurde die Auflösung der Streitkräfte auch in Artikel 12 der Verfassung festgelegt. Zwei Polizeieinheiten waren fortan für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung zuständig.
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sechsstündigem Fluge gut ankamen. Die Kinder hatten unterwegs etwas an Luftkrankheit zu leiden gehabt, erholten sich aber schnell davon, sobald sie wieder auf festem Boden waren. Eine Gruppe von Damen und Herren meiner Bekanntschaft war auf dem Flugfelde erschienen, um uns zu begrüßen. Wir verabschiedeten uns aber bald von ihnen, um der Kinder wegen sobald wie möglich in unsere Wohnung zu gelangen. Wie ich es mir ungefähr vorgestellt hatte, war Elisabeth von Managua sowie von der Wohnung nicht sonderlich begeistert. Der anfängliche ungünstige Eindruck verbesserte sich aber bald durch den freundlichen Empfang, den sie im allgemeinen fand. Nach einigen Wochen fand sie die Verhältnisse ganz erträglich. Sehr trug dazu bei, dass sie mit Mrs. Hanna, Frau Bunge und Mrs. Vaughan schnell in ein freundschaftliches Verhältnis kam.
Familie Vaughan mit Hans Sitarz und Sohn „Hänschen" im Schwimmbad auf der Hacienda „San Francisco", Anfang Januar 1931 Ferner fand sie manche angenehme Abwechslung darin, dass in dem kleinen Managua ein viel regeres gesellschaftliches Leben herrschte, als man hätte annehmen können. Es war erstaunlich, wie viele große und kleine Festlichkeiten dauernd in Managua stattfanden. Während die Männer bei diesen Gelegenheiten meistens immer in den üblichen weißen Tropenanzügen erschienen, entfalteten die Damen trotz der Armut des Landes verhältnismäßig viel Eleganz. Interessant war, dass wir durch unsere freundschaftlichen Beziehungen zur amerikanischen Gesandtschaft, die damals bestimmt den Mittelpunkt der Gesellschaft darstellte, jede interessante Persönlichkeit kennen lernten, die durch Managua reiste. Auch das Klub-Leben war in Managua sehr lebhaft, indessen fand ich bereits nach kürzester Zeit heraus, dass es im Interesse meiner Stellung vorzuziehen war,
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mich von demselben soviel wie möglich fernzuhalten. Ich konnte es nicht vermeiden, in den vier Klubs die damals in Managua bestanden, Mitglied zu werden, besuchte dieselben aber nur sehr selten. Sie bestanden aus den beiden ältesten Gesellschaftsklubs der Stadt, von denen der eine einen ausgesprochenen konservativen, der andere einen ebensolchen liberalen Charakter hatte, den beiden politischen Parteien des Landes entsprechend, dem neugegründeten „Country-Club" und dem nur kleinen deutschen Klub, zu dem aber auch andere Ausländer gehörten. Hätte ich mich in irgendeinem dieser Klubs regelmäßig mit einer bestimmten Gruppe von Leuten sehen lassen, dann wären sofort daraus alle möglichen Schlüsse gezogen worden. Infolgedessen beschränkte sich meine Mitgliedschaft in den verschiedenen Klubs darauf, dass ich meinen Beitrag bezahlte, ohne einen nennenswerten Vorteil davon zu haben.
Angestellte im Haushalt Sitarz: rechts Josefa, Dezember 1930
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Unser Haushalt hatte sich auch bald gut eingelaufen, nachdem das passende Personal gefunden war. Zur Hauptstütze desselben entwickelte sich mit der Zeit unsere gute Josefa, die ursprünglich für die Kinder engagiert worden war, sich mit der Zeit aber als gute Hilfe für alles entwickelte. Sie war eine reine Indianerin, klein und hässlich aussehend, manchmal auch unter schlechter Laune leidend, aber durchaus ehrlich, treu und zuverlässig. Während unser übriges Hauspersonal einige Male, aber nicht allzu oft, wechselte, blieb Josefa bei uns, solange wir in Managua waren. Bei dem einen oder anderen Personalwechsel sorgte der ausscheidende Teil gleich für einen Ersatz. Von einer oder zwei Ausnahmen abgesehen waren unsere Erfahrungen mit dem Hauspersonal in Managua, was Ehrlichkeit und Willigkeit anbetraf, durchaus gute.
Eingangshalle der Wohnung der Familie Sitarz, 1930, keine genaue Datierung
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Esszimmer der Familie Sitarz, 1930, keine genaue Datierung
Lesezimmer der Familie Sitarz, 1930, keine genaue Datierung
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Schlafzimmer von Hans und Elisabeth Sitarz, 1930, keine genaue Datierung
Kinder- und Gästezimmer der Familie Sitarz, 1930, keine genaue Datierung Als das Jahr 1930 zu Ende ging, fühlte ich mich mit den Verhältnissen in Nicaragua durchaus vertraut und auf meinem Posten auch zufrieden. Mein Verhältnis zur Regierung sowie zum New Yorker Aufsichtsrate war ein sehr gutes. Mein Arbeitsfeld war weit und sehr interessant und ich hoffte zuversichtlich auf eine erfolg-
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reiche Tätigkeit. Elisabeth und die Kinder schienen sich gut eingelebt zu haben. Trotz der Hitze waren die letzteren ganz munter und es kostete abends oft Mühe, sie endlich zur Ruhe und zum Einschlafen zu bringen. Der Junge schien sich schneller an das heiße Klima gewöhnt zu haben als Nena.15 Er war am 16. Dezember vier Jahre alt geworden und begleitete mich schon gelegentlich auf kleineren Spaziergängen. Auf solchen wurden wir verschiedentlich von nicaraguensischen Damen angesprochen, denen der blonde Junge gefiel. Er war etwas ernst für sein Alter und trat schon oft als Beschützer seiner kleinen Schwester auf, die viel kecker und auch weniger gutmütig war als er. Von meiner Mutter und meinen Schwestern in Stettin hatte ich befriedigende Nachrichten. Ohne große Ansprüche an das Leben zu machen, lebten sie in der gewohnten Weise weiter. Nachrichten aus Kolumbien lauteten ungünstig was die Wirtschaftslage anbetraf. Innerhalb der „Banco Alemán Antioqueño" waren die Verhältnisse noch immer unbefriedigend. Erich, von dem ich regelmäßig Nachricht erhielt, beklagte sich nach wie vor über seine unbefriedigende Stellung in der Drogerie.16 Es war ihm noch immer nicht gelungen, zwischen sich und Franz ein befriedigendes Verhältnis herzustellen. Franz behauptete, mit Erichs Leistungen nicht zufrieden sein zu können, während Erich glaubte, sowohl an der Geschäftsleitung als auch an der Lebensführung von Franz vieles kritisieren zu müssen. Unter diesen Umständen war ich sehr erstaunt, durch Erich zu erfahren, dass Franz auch noch unseren Bruder Fritz nach Kolumbien hatte kommen lassen, wo er ihn teils in der Drogerie, teils in der Firma „Borne & Barth", in deren Niederlassung in Buenaventura beschäftigte. Aus irgendwelchen Gründen erwies sich die Anstellung von Fritz aber sehr bald für alle Teile als ein Fehlschlag und schon nach weniger als einem Jahre ging dieser wieder nach México zurück.17 Auf Umwegen hörte ich später, dass er sich dort in bescheidener Weise sein Leben verdiente. Eine Zeit lang hatte er zusammen mit einem anderen Deutschen ein kleines Geschäft in der Nähe der Hauptstadt, in dem sie in der Hauptsache einen Käsehandel betrieben. Es ist ihm aber nie gut dabei gegangen und noch viele Jahre später hat er versucht, von dem auch nicht wohlhabenden Erich Geld geliehen, d. h. in Wirklichkeit geschenkt zu bekommen.
„Nena" ist die spanische Bezeichnung für kleines Mädchen. Ein Kindermädchen in Kolumbien hatte Anneliese diesen Spitznamen gegeben, den die Eltern Hans und Elisabeth Sitarz übemahmen. Vgl. Fischer/Sitarz (Hrsg.): Als Geschäftsmann, S. 245. Sitarz' Brüder Franz und Erich waren ihm nach Kolumbien gefolgt. Nach einem wenig befriedigenden Engagement von Franz in Guatemala hatte ihm Hans Sitarz einen Vertreterposten bei der Bremer Firma „Schütte, Bünemann & Co." in Medellin verschafft. Zu Beginn der 1930er Jahre gründete Franz eine Drogerie in Cali, in der er auch seinen Bruder Erich beschäftigte. Zu Franz Sitarz in Kolumbien vgl. Fischer/Sitarz (Hrsg.): Als Geschäftsmann, S. 132 f., 157. Fritz Sitarz war bereits vor seinem Aufenthalt in Kolumbien in Mexiko gewesen. Fischer/Sitarz (Hrsg.): Als Geschäftsmann, S. 195.
Ein schmerzlicher Verlust, Besprechungen in New York Entgegen den guten Hoffnungen, mit denen wir in das Jahr 1931 gegangen waren, sollte uns gleich im Anfange desselben ein schwerer Schicksalsschlag treffen. Wie es uns zur häufigen Gewohnheit geworden war, waren wir am Sonnabend, den 17. Januar, wieder einmal zum Tennisspielen zur „Tropical Radio Company" hinausgefahren. Wie so oft vergnügte sich unser Junge damit, die Bälle aufzulesen und sie den Spielern zu bringen. Er war sehr vergnügt, aber als ich gerade einmal hinter ihm herjagte, um ihn im Scherze einzufangen, blieb er stehen, fing an zu weinen und sagte, ihm täte etwas weh. Er behauptete, sich so unwohl zu fühlen, dass wir unser Spiel abbrachen, mit ihm nach Hause fuhren und den uns gut bekannten Dr. Campari, einen altansässigen Italiener, kommen ließen, der als sehr guter Arzt galt. Dr. Campari untersuchte das Kind eingehend, stellte Fieber fest, war aber nicht in der Lage, die Ursache desselben erkennen zu können. Er hatte nichts dagegen, dass wir zwei uns gut bekannte Ärzte der amerikanischen Marine-Truppen, Dr. Haie und Dr. Boone, ebenfalls zu Rate zogen. Aber auch diese, die von da an täglich erschienen, konnten die Ursache der Erkrankung nicht feststellen, ebenso wenig ein nicaraguensischer Arzt, Dr. Gutiérrez, der auch als sehr erfahren galt. Das Fieber blieb trotz aller dagegen angewandter Mittel immer auf gleicher, hoher Höhe. Die Kräfte des Kindes schwanden, es konnte immer weniger zu sich nehmen und nur mit größter Mühe seinen Urin von sich geben. Es wurde immer apathischer, sprach kaum noch und war auch wohl nur noch selten bei klarem Bewusstsein. Nach zwei Wochen verzweifelnden Kampfes starb der gute Junge am Sonnabend, den 31. Januar, mittags gegen ein Uhr.
Der Sarg von „Hänschen" Sitarz, 31. 1. 1931
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Es war ein schwerer Schlag, der am schwersten aber Elisabeth getroffen hatte. Sie hatte das Kind in aufopferndster Weise gepflegt und während der vierzehntägigen Krankheit kaum geschlafen und kaum gegessen. In sehr freundschaftlicher Weise hatte sich Frau Morlock, die Frau eines deutschen Juweliers, bereit erklärt, die Nachtwache bei dem kranken Kinde zu übernehmen. Aber so zuverlässig Frau Morlock auch war, Elisabeth war doch stets auf, wenn das Kind sich nur regte. Die letzten Nächte hatte auch der gute alte Dr. Campari die Nächte bei uns im Hause verbracht, um im Falle einer Krisis zur Hand zu sein, aber alle Mühe und alle Sorgfalt sollten umsonst gewesen sein. Da wir nie damit gerechnet hatten, uns in Nicaragua dauernd niederzulassen, wollten wir das Kind auch nicht dort der Erde übergeben, sondern es war Elisabeths Wunsch, dass die Reste nach Bremen überführt werden sollten, wo ihre Familie eine Grabstätte besaß, um dort beerdigt zu werden. Der kommandierende General der amerikanischen Marine-Truppen, General Bradman, bot uns an, alles Nötige für die Überführung durch einige seiner Mannschaften ausführen zu lassen, was wir mit Dank annahmen. Auf diese Weise wurde unser Junge von zwei amerikanischen Marine-Soldaten, die bei dem traurigen Amte sehr pietätvoll zu Werke gingen, in sein letztes Bett gelegt. Um Elisabeth mit dem Anblick dieser Vorbereitungen zu verschonen, hatte Frau Bunge sie und die kleine Nena gleich nach Hänschens Tode mit zu sich nach Haus genommen, wo sie bleiben sollten, bis alles vorbei war. Ich allein verblieb die Stunden bis zur Ankunft der Marine-Soldaten bei ihm und sehe ihn noch vor mir, wie er schon in seinem kleinen Sarge lag, mit friedlichem Gesicht, wie schlafend, während der Wind leise seine blonden Haare bewegte. Als die Marine-Soldaten kamen, nahm ich von ihm Abschied. Um nun Elisabeth die Möglichkeit zu geben, schneller über den so plötzlichen Verlust unseres Erstgeborenen hinwegzukommen und ihr zweitens die Angst zu nehmen, dass in dem Klima von Managua möglicherweise auch der kleinen Nena noch etwas zustoßen könnte, beschlossen wir, dass sie zusammen mit dieser mit erster Gelegenheit auf einen längeren Aufenthalt nach Deutschland gehen sollte. Dort sollte sie das Kind bei meiner Mutter unterbringen und später allein wieder nach Nicaragua zurückkommen. Demgemäß reiste sie in den ersten Februartagen auf einem von Corinto abgehenden Dampfer ab. Es war außergewöhnlich heiß in jenen Tagen und der liebenswürdige General Bradman bot uns daher an, die Gelegenheit wahrzunehmen, um mit einem seiner Transportflugzeuge nach Corinto zu fliegen, anstatt die sechsstündige, heiße Bahnfahrt dahin machen zu müssen. Wir nahmen dankend an und legten auf die Weise die Strecke Managua-Corinto in drei viertel Stunden zurück. Trotz der kurzen Strecke wurde Nena dabei wieder etwas luftkrank. In Corinto hatte ich gerade genügend Zeit, um zu sehen, dass Elisabeth und das Kind gut untergebracht waren, als mir der Hieger auch schon melden ließ, dass er zum Rückfluge bereit wäre. Dieser war sehr interessant und ich hätte ihn mehr genossen, wenn ich nicht noch auch unter dem Eindruck unseres schmerzlichen Verlustes gestanden hätte.
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Der Flieger fragte mich, ob ich etwas dagegen hätte, wenn er auf einem etwas längeren Umwege nach Managua zurückkehren würde. Ich verneinte natürlich, worauf er mir sagte, dass er die Absicht hätte, sich die nördlich des Momotombo gelegene Kette von mehr oder weniger abgestorbenen Vulkanen sowie den Momotombo selbst anzusehen. Wir flogen daraufhin von Corinto in östlicher Richtung landeinwärts und erblickten bald die gesuchten Vulkane. Mit Ausnahme des Momotombo erschienen sie alle untätig zu sein. Ein Krater, von dem es mir so vorkam, als ob wir in ihn hineintauchten, hatte einen enormen Umfang, dem folgend wir einen Kreis beschrieben. Angesichts der regenlosen Periode, in der wir uns befanden, machte alles Land unter uns einen toten, öden Eindruck. Beim Anblick dieser trockenen, braunen Landschaft mit ihren Kratern kam einem unwillkürlich der Gedanke, dass es wohl auf dem Monde so ähnlich aussehen müsste. Den rauchenden Momotombo überflogen wir mehrere Male und konnten dabei einen guten Blick in die glühende Lavamasse in seinem Krater tun. Um alles gut zu sehen, vollführte der sehr geschickte Flieger dauernd die kühnsten Wendungen mit dem dafür vielleicht nicht besonders gut geeigneten Transportflugzeug. Einige Grapefruits, die er sich in Corinto gekauft hatte, rollten dauernd in allen Richtungen durch das Flugzeug. Nachdem wir den Momotombo zur Genüge besichtigt hatten, stießen wir auf den Managua-See hinab und flogen in ganz geringer Höhe, dessen Uferlinie verfolgend, bis in die Nähe von Managua, wobei wir tausende von schwarzen Wildenten aufjagten und uns die vielen, sich am Ufer sonnenden Krokodile ansehen konnten. Schließlich kamen wir wohlbehalten in Managua an. Die darauf folgenden Wochen, allein in der stillgewordenen, großen Wohnung, die noch voll war von den traurigen Erinnerungen, waren keine erfreuliche Zeit für mich und ich war froh, geschäftlich vollauf beschäftigt zu sein. Sehr erwünscht kam mir daher die Aufforderung des New Yorker Aufsichtsrates, sobald ich es möglich machen können sollte, auf einen kurzen Besuch nach New York zu kommen, um dort an Ort und Stelle einige wichtige Angelegenheiten zu besprechen. Ich reiste daraufhin am 11. März mit dem Flugzeuge über San Salvador, Guatemala, Puerto Barrios, Cozumel, Habana nach Miami und von dort mit der Eisenbahn nach New York. Die nicht ganz zwei Wochen, die ich in New York zubrachte, waren ausgefüllt mit Besprechungen mit dem Aufsichtsrat, einem Besuch in Washington bei der Gesandtschaft von Nicaragua und beim Department of State und vergingen sehr schnell.18 Um mir einige Erholungstage zu verschaffen, beschloss ich, meine Rück-
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Über die Unterredung mit dem für Lateinamerika zuständigen Assistant Secretary of State, Francis White, existiert ein undatiertes Gedächtnisprotokoll Sitarz'. Daraus geht hervor, dass der general manager der „Nicaraguanischen Nationalbank" mit Nachdruck die Meinung vertrat, dass die USamerikanische Militärpräsenz unerlässlich für die Aufrechterhaltung der Stabilität im Land sei. Er hatte kein Vertrauen in den Ausbau der Guardia Nacional, weil er seiner Meinung nach zu viele Gelder des Staatshaushaltes band und weil er nicht an eine erfolgreiche Professionalisierung glaub-
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reise auf einem „Grace"-Dampfer nach Colón zu machen, der am 25. oder 26. März um zwölf Uhr nachts von seinem Pier in Brooklyn abgehen sollte. Dr. Vita hatte mich zusammen mit dem Konsul von Nicaragua, Dr. Barrios, zu einem Abschiedsessen eingeladen, dessentwegen ich beinahe meinen Dampfer versäumt hätte. Das Essen fand im Restaurant „Mario" in der vierzehnten Straße statt und der gemütliche Vita, der sich nicht von seinem guten italienischen Wein trennen konnte, den es dort trotz „Prohibition"19 gab, und der mich zum Dampfer begleiten wollte, versicherte uns immer wieder, dass noch Zeit genug wäre, um rechtzeitig zum Dampfer zu kommen. Als wir aber endlich in einem Taxi losgefahren und bei der Hamilton-Ferry angekommen waren, stellte sich heraus, dass diese um die Stunde nicht mehr fuhr, und wir mussten einen großen Umweg über die BrooklynBrücke machen. Vita versprach dem Taxichauffeur ein großes Trinkgeld, wenn er uns noch rechtzeitig zum Dampfer bringen würde, und tatsächlich, es gelang uns, wenige Minuten vor der Abfahrt das Schiff zu erreichen. Die Fahrt verlief ohne nennenswertes Ereignis und wir sollten am 2. April in Colón ankommen. Am Tage vor der Ankunft, also am 1. April, ging ich wie gewöhnlich morgens auf dem Wege von meiner Kabine zum Speisesaal an der Stelle vorbei, an der die neuesten Radionachrichten angeschlagen waren. An dem Morgen glaubte ich meinen Augen nicht trauen zu können, als ich die erste Nachricht las: Die Stadt Managua war am Tage vorher, am 31. März, einem Dienstage, vormittags zwischen zehn und elf Uhr von einem Erdbeben überfallen und gänzlich zerstört worden. Im späteren Verlauf des Tages erhielt ich dann noch ein oder zwei persönliche Kabel aus New York mit der Bestätigung dieser Nachricht. Mein erster Gedanke war der der Befriedigung darüber, dass Elisabeth und Nena jetzt nicht in Managua, sondern sicher in Deutschland waren. Im übrigen blieb mir nichts übrig, als meine Reise fortzusetzen. Am nächsten Tage, nach der Ankunft in Colón, hörte ich von den Beamten der Kanalzone,20 dass die Stadt tatsächlich vollkommen zerstört sein sollte. Auf Empfehlung der „Panamerican Airways, Inc.", Colón, die mir keine Passage nach Managua verkaufen konnten, fuhr ich mit der Bahn nach Panamá. Im dortigen Kontor der „Panamerican Airways" wurde mir ebenfalls gesagt, dass die Aussichten für eine baldige Passage sehr ungünstig wären und man riet mir, mich an den amerikanischen Gesandten, Mr. Davies, zu wenden, der mir vielleicht einen Sitz in einem Militärflugzeuge besorgen können würde. Mr. Davies versprach mir sehr liebenswürdig, das Beste in diesem Sinne zu tun. Bevor er aber in seinen Bemühungen sehr weit gekommen war, telefonierte mir die
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te. PA Anneliese Sitarz, Memorandum regarding Mr. Sitaiz's visit to the Department of State at Washington, D.C. Gemeint ist das generelle Herstellungs-, Verkaufs- und Konsumationsveibot von Alkohol in den USA ab dem 16. Januar 1920. Im Dezember 1933 wurde das Alkoholverbot wieder aufgehoben. Panamakanal-Zone, auch: Canal Zone. Nach der „Unabhängigkeit" Panamás von Kolumbien am 3. November 1903 verzichtete die panamaische Elite auf die Souveränität über eine Zone von fünf Meilen auf beiden Seiten des Kanals, in denen die USA die Gebietshoheit beanspruchten. Das Territorium der Republik Panamá wurde dadurch zweigeteilt.
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„Panamerican Airways" ins „Tivoli-Hotel", dass sie gegen Erwarten doch einen Sitz zur Verfügung bekommen hätten und ich bereits am nächsten Morgen die Weiterreise nach Managua antreten können würde. Durch die „Tropical Radio Co.", deren Anlage in Managua vom Erdbeben verschont geblieben war, konnte ich meine bevorstehende Ankunft ankündigen und am frühen Nachmittage des nächsten Tages, des 3. April, kam ich selbst in Managua an. Vor dem Niedergehen auf dem Flugfelde beschrieb der Flieger mehrere Kreise über dem an vielen Stellen noch stark rauchenden Trümmerfelde von Managua, sodass wir bereits vor der Landung einen guten Überblick über den Umfang der Katastrophe hatten.
Ausmaß des Erdbebens Wie sich aus der Luft hatte klar erkennen lassen, war es in der Hauptsache der geschäftliche Mittelpunkt der Stadt gewesen, der von dem Erdbeben und noch mehr von dem darauf folgenden Feuer am schwersten geschädigt worden war. Die weiter vom Mittelpunkt entfernt liegenden Stadtteile hatten weniger, zum Teil nur sehr wenig gelitten. Was den Eindruck der Zerstörung noch verstärkte, war, dass die meisten Straßen der Stadt durch die von Dächern herabgefallenen Dachziegel und Lehmmassen verschüttet und unpassierbar waren. Dächer wurden in Mittelund Südamerika so gebaut, dass man auf das Holzgerüst eine Rohrschicht legte, diese mit feuchtem Lehm bedeckte und in diesen die Dachziegel hineindrückte. Als ich in Managua ankam, hatte man erst eine Straße, die vom Flugplatz quer durch die Stadt zum Lager der Marine-Truppen führte, notdürftig frei gemacht.
Calle del Comercio nach dem Ausbruch des Feuers, 31.3. 1931
Ausmaß des Erdbebens
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Huezo, Tünnermann, Bahlcke und Leissner erwarteten mich auf dem Flugplatze. Leissner, ein seit mehreren Jahren in Managua ansässiger Deutscher, Mitinhaber einer kleinen Druckerei, hatte durch das Erdbeben buchstäblich alles verloren, was er besessen hatte. Die anderen waren alle mehr oder weniger geschädigt worden, aber in erträglichen Grenzen. Bahlcke hatte im Hause eines seiner Angestellten, der in der Nähe des Flugplatzes wohnte, ein bescheidenes Mittagessen bereitgehalten und nachdem wir damit fertig geworden waren, fuhren wir in das Lager der amerikanischen Truppen, welches vom Erdbeben fast unbeschädigt geblieben war und in dem sich auch die Regierung z. Zt. aufhielt.21
Der Regierungspalast, 3 1 . 3 . 1931 Letztere befand sich in einem vollkommen kopflosen Zustande. Wie in jenen Tagen von jedermann zugegeben wurde, war es nur die Anwesenheit der amerikanischen Truppen, die das Entstehen eines vollkommenen Chaos verhinderte.22 Sie
Präsident Moncada befand sich zum Zeitpunkt des Erdbebens auf seinem Landsitz bei Masatepe. Sitarz hatte sich immer für eine starke militärische Präsenz der USA in Nicaragua ausgesprochen. Er erachtete die Gewährung der öffentlichen Sicherheit durch eine Invasionsarmee als effizienteste Möglichkeit, das Land vor einer sozialen Revolution zu bewahren und die von ihm für notwendig erachtete konservative Wiitschaftsmodemiserung durchzuführen. Am liebsten hätte er sämtliche öffentliche Institutionen in die Hände der USA gelegt. PA Anneliese Sitarz, Schreiben Sitarz an Schubart, Managua, 29. 1. 1931. In einem vertraulichen Brief an Schubait nach dem Erdbeben schrieb er: „There practically is no Government at present in Managua, and if it were not for the Marines, there would reign complete anarchy in Managua. This morning I have been visited by one of the most important man [sic] here in Granada, and in the course of conversation he asked me, if it would not be possibly [sic] to establish a permanent American Government here! This is the kind of feeling I have heard express quite frequently during the last days!" PA Anneliese Sitarz, Sitarz an Schubart, Granada, 14. 4. 1931. In einem Brief an seine Gattin beschrieb Sitarz die
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übernahmen die Bekämpfung des Feuers sowie die Aufrechterhaltung der Ordnung. Sie konnten aber nicht verhindern, dass an vereinzelten Stellen geplündert wurde. Die einheimische Guardia Nacional, deren Unterhalt das Lande so viel kostete, bewährte sich gar nicht, auch hatte niemand Vertrauen zu ihr. Dagegen kam von anderer amerikanischer Seite noch sehr schnelle wertvolle Hilfe und zwar vom Roten Kreuz.23 Dieses verteilte an die geschädigte Bevölkerung Kleidungsstücke und Lebensmittel. Mancher Arme erhielt bei der Gelegenheit ein besseres Kleidungsstück, als er je vorher besessen hatte! LA
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