Die Gouvernementalisierung der Natur: Deutung und handelnde Bewältigung von Naturkatastrophen im Kurfürstentum Bayern des 18. Jahrhunderts [1 ed.] 9783666371035, 9783525371039


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Die Gouvernementalisierung der Natur: Deutung und handelnde Bewältigung von Naturkatastrophen im Kurfürstentum Bayern des 18. Jahrhunderts [1 ed.]
 9783666371035, 9783525371039

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Peter Reinkemeier

Die Gouvernementalisierung der Natur Deutung und handelnde Bewältigung von Naturkatastrophen im Kurfürstentum Bayern des 18. Jahrhunderts

Umwelt und Gesellschaft

Herausgegeben von Christof Mauch und Helmuth Trischler

Band 27

Peter Reinkemeier

Die Gouvernementalisierung der Natur Deutung und handelnde Bewältigung von Naturkatastrophen im Kurfürstentum Bayern des 18. Jahrhunderts

Mit 5 Abbildungen und 1 Tabelle

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2022 Vandenhoeck & Ruprecht, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Riedl, Castulus, Bericht von denen Gros- und kleinern Wasserflüssen, dan deren Beschaffenheit, und aigenschafften in Ober- und Niderbajern, nebst der Anweisung von Bruck- und Wassergebäuen, auch Was für eine bauart bey disen, oder jenen Flus bisher üeblich, und wie mit Sparsamkeit zum nuzen eines Landsfürsten, oder dessen unterthonen den schaden vorzubiegen seye, und Was ein Baumaister bey verfassung der Überschläg über einen bruck- oder Wasserbau, auch ansonsten zu beobachten habe. o. O. [1777], Kupfertafel Tab: XI . Bayerische Staatsbibliothek (BSB) Cgm 2941 Umschlaggestaltung: SchwabScantechnik, Göttingen Satz: textformart, Göttingen | www.text-form-art.de Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-1536 ISBN 978-3-666-37103-5

Danksagungen

Das den geneigten Leserinnen und Lesern vorliegende Werk hätte ich ohne die Hilfe und Unterstützung sowie engelsgleiche Geduld vieler Personen nie fertig stellen können, denen ich an dieser Stelle Dank sagen möchte. Deshalb gilt mein Dank an erster Stelle meinem Doktorvater Prof. Dr. Manfred Jakubowski-Tiessen, der mir die Chance eröffnet hat, mich mit dem faszinierenden Themenfeld der Historischen Katastrophenforschung auseinanderzusetzen. Der fruchtbare Austausch mit ihm und seine vielen Anregungen haben mir den richtigen Weg beim Forschen und Schreiben gewiesen. Auch meinem Zweitbetreuer Prof. Dr. Peter Aufgebauer und Drittbetreuer Prof. Dr. Arnd Reitemeier gilt in dieser Hinsicht mein Dank für ihre Unterstützung und Hilfe. Ebenfalls habe ich den Kolleginnen und Kollegen des Verbundprojekts »­ Alpine Naturgefahren im Klimawandel  – Deutungsmuster und Handlungspraktiken vom 18.–21. Jahrhundert«, in dessen Rahmen ich die Forschung für die vorliegende Arbeit durchgeführt habe, zu danken für das herzlich-kollegiale Miteinander und die unzähligen Denkanstöße, die ich aus der fachübergreifenden Zusammenarbeit mitgenommen habe und die in diese Arbeit eingeflossen sind. Ein gleiches gilt für alle Doktorandinnen und Doktoranden des ehemaligen DFG -Graduiertenkollegs (1024) »Interdisziplinäre Umweltgeschichte«, an dem ich assoziiert war. Dass diese Arbeit auf einer breiten Quellenbasis ruht, habe ich wiederum den hilfsbereiten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bayerischen Hauptstaatsarchivs, des Staatsarchivs München und des Staatsarchivs Augsburg zu verdanken, die mich mit reichlich Material versorgt haben. An letzter und deshalb wichtigster Stelle stehen natürlich meine Familie und Freunde. Dazu gehört meine nachträgliche Beobachtung, dass Freunde und Familienmitglieder es erstaunlicherweise immer wieder nachsichtig ertragen haben, wenn ich sie unbedingt mit Einzelheiten über das obskure Themengebiet bayerischer Katastrophenkulturen des 18. Jahrhunderts behelligen wollte. Da ich hier keine Liste all derjenigen aufmachen kann, die mich als Freunde und / oder Kollegen bei meiner Arbeit und darüber hinaus begleitet haben und auch weiterhin zur Seite stehen, hoffe ich, sie verzeihen mir, wenn ich es hier bei dieser summarischen Form der Danksagung belasse. Entscheidend für mich war und ist die Unterstützung meiner Eltern, durch die ich nicht nur studieren, sondern auch das kleine Abenteuer Promotion erleben durfte. Ihrer Geduld mit mir und ihrer Sorge um mich habe ich es zu verdanken, dass ich dort in meinem Leben angekommen bin, wo ich stehe.

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Danksagungen

Diese Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen im Mai 2016 als Dissertation angenommen. Für den Druck wurde sie leicht überarbeitet. Detmold, 15.06.2022

Peter Reinkemeier

Inhalt

Danksagungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Katastrophenerfahrung und Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Methodische Perspektiven: Soziokulturalität der Naturkatastrophe . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Die Naturkatastrophe als hybrides Gebilde . . . . . . . . . . 1.3.2 Deutungsmuster und Handlungspraktiken . . . . . . . . . 1.3.3 Untersuchungsrahmen und Fragestellung . . . . . . . . . .

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2. Rahmenbedingungen des Katastrophendiskurses . . . . . . . . . . . 2.1 Naturale Aspekte des Katastrophendiskurses: Katastrophenraum Alpen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Naturkatastrophen des alpinen Raums . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Naturkatastrophen im Kurbayern des 18. Jh. . . . . . . . . . 2.1.3 Katastrophenzeiträume: Heuschrecken, Unwetter und Überschwemmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Soziokulturelle Aspekte des Katastrophendiskurses . . . . . . . . 2.2.1 Obrigkeit und Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Aufklärung und Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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43 49 54 57

61 61 63 65 75 78 87 92 100

3. Der Fluss als sozionaturaler Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 3.1 Herrschaftliche Aneignungen des Raums . . . . . . . . . . . . . . 111 3.2 Herrschaftliche Inszenierungen des Raums . . . . . . . . . . . . . 114 4. Naturgefahr Hochwasser / Ü berschwemmung . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Von den Deutungsmustern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Religiöse Deutungsperspektiven zwischen Straftheologie und Physikotheologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Säkular-weltimmanente Deutungsansätze . . . . . . . . . . 4.1.2.1 Natürliche Ursachen im System Fluss . . . . . . . .

123 123 123 136 136

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Inhalt

4.1.2.2 Anthropogene Ursachen in der Beeinflussung des Systems Fluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2.3 »Zähmung« des Flusses . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2.4 Metaphorisierung und Narrativierung im Katastrophendiskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Katastrophendeutung in der Verwaltungskommunikation 4.2 Von den Handlungspraktiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Religiöse Handlungspraktiken im Rahmen der Volksfrömmigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Handlungspraktik Wasserbau . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Überschwemmungskultur / en . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Wasserbau im Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1 Organisation des Wasserbaus: Verstaatlichung . . . . . . . 4.4.1.1 Verwaltungsreformen im Straßen- und Wasserbauwesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1.2 Rechtliche und finanzielle Verantwortlichkeiten im Wasserbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1.3 Finanzielle Belastung durch den Wasserbau . . . . . 4.4.2 Wissensregime des Wasserbaus: Erfahrungs- und Theoriewissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.3 Systematik des Wasserbaus: Reaktion und Prävention . . . 4.4.4 Ergebnisse – Die Gouvernementalisierung des Flusses . . . 4.5 Innovation durch Katastrophen: Hochwasser und Überschwemmungen als Katalysatoren . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.1 Wandel durch Kostendruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.2 Neuansätze in der Katastrophenhilfe . . . . . . . . . . . . . 4.6 Innovation durch Konflikt: Streitfall Wasserbau . . . . . . . . . . 4.6.1 Wasserbau als Politikum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.2 Wasserbau als Feld sozialer Konflikte . . . . . . . . . . . . .

140 142 144 150 155 156 160 167 171 171 172 189 205 225 247 260 267 267 271 278 279 291

5. Wetter im Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 5.1 Religiöse Deutungs- und Handlungsperspektiven . . . . . . . . . 305 5.2 Verwissenschaftlichung des Wetters . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 6. Naturgefahr Gewitter und Unwetter / Hagel . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Von den Deutungsmustern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Von den Handlungspraktiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Religiös-magische Gewitterabwehr . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2 Das Wetterläuten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.3 Das Wetterschießen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.4 Der »Wetterableiter« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

319 321 339 339 350 356 363

Inhalt

6.3 Konflikte um die Gewitterabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1 Reglementierung des Wetterläutens . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2 Blitzableiter vs. Wetterläuten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.3 Wetterschießen in der Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.4 Zusammenfassung – der Gewitterdiskurs im letzten Drittel des 18. Jh. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Gewitterabwehr als Politikum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1 Zwischenstaatliches »Naturgefahrenmanagement« . . . . . 6.5 Die Gouvernementalisierung des Gewitters . . . . . . . . . . . . . 6.5.1 Die neue Technologie und ihre Experten . . . . . . . . . . .

9 378 379 400 408 419 424 425 431 431

7. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 7.1 Die Gouvernementalisierung der Natur . . . . . . . . . . . . . . . 456 Literatur- und Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ungedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

461 461 463 470

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495

1. Einleitung

Natur-Katastrophen und ihre Erfahrung sind als elementare Bestandteile menschlicher Geschichte und historischer Entwicklungsprozesse zu betrachten. Dass dieser Satz für den Wortbestandteil ›Natur‹ in der Geschichtswissenschaft bereits eingelöst ist, zeigt das mittlerweile breit aufgestellte Forschungsfeld der Umweltgeschichte, die sich mit Mensch-Natur-Interaktionen in historischer Perspektive befasst.1 Hier sind nicht nur die Folgen der Industrialisierung für das 19. und 20. Jahrhundert im Blick der Umweltgeschichte gewesen, deren erstes und immer noch wichtiges Forschungsfeld die Verschmutzungs- und Belastungsgeschichte von Naturräumen und Ökosystemen durch deren ökonomische Ausbeutung war.2 Auch die Mensch-Natur-Interaktionen in der Frühen Neuzeit haben das Interesse der Umweltgeschichte geweckt, wobei unter anderem die Geschichte der Landschaften und Naturräume in Form von ästhetischer Gestaltung und Wahrnehmung, ihrer Nutzung zur Ressourcengewinnung etwa durch Landwirtschaft oder Holzeinschlag in den Wäldern, als Siedlungsraum 1 Ein Forschungsüberblick zur Umweltgeschichte in Uwe Lübken, Undiszipliniert: Ein Forschungsbericht zur Umweltgeschichte, in: H-Soz-u-Kult, 14.07.2010. Online verfügbar unter http://www.hsozkult.de/literaturereview/id/forschungsberichte-1111. Als Einführung in das Themenfeld gilt u. a. Verena Winiwarter, Martin Knoll, Umweltgeschichte. Eine Einführung. Köln 2007 (UTB , 2521) als einschlägig. Dabei ist jedoch für die Umweltgeschichte zu beachten, dass sie sich zwischen einem interdisziplinären Zugang und einem Verständnis als Subdisziplin der Geschichtswissenschaft bewegt. Im Rahmen des interdisziplinären Ansatzes bieten Winiwarters und Knolls Einführungsbuch sowie Bernd Herrmann, Umweltgeschichte. Eine Einführung in Grundbegriffe. Berlin 2013 (Springer-Lehrbuch) einen Überblick zur Umweltgeschichte. Für die disziplinäre Zugangsweise bieten folgende Werke bzw. Beiträge einen Überblick über Themen und Forschungsfelder der Umweltgeschichte: Reinhold Reith, Umweltgeschichte der Frühen Neuzeit. München 2011 (Enzyklopädie deutscher Geschichte, 89); Frank Uekötter, Umweltgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert. München 2007 (Enzyklopädie deutscher Geschichte, 81); Melanie Arndt, Umweltgeschichte, Version: 3.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 10.11.2015. Online verfügbar unter http://docupedia.de/ zg/Umweltgeschichte_Version_3.0_Melanie_Arndt?oldid=108507. 2 Beispielsweise in den Arbeiten von Franz-Josef Brüggemeier, Thomas Rommelspacher, Blauer Himmel über der Ruhr. Geschichte der Umwelt im Ruhrgebiet, 1840–1990. 1. Aufl. Essen 1992 und Frank Uekötter, Von der Rauchplage zur ökologischen Revolution. Eine Geschichte der Luftverschmutzung in Deutschland und den USA 1880–1970. 1. Aufl. Essen 2003 (Veröffentlichungen des Instituts für soziale Bewegungen. Schriftenreihe A, Darstellungen, 26). Auf eine weitere Auflistung entsprechender umweltgeschichtlicher Forschungsliteratur wird hier verzichtet und es sei stattdessen auf die genannten Einführungen und Forschungsüberblicke zur Umweltgeschichte mit ihren umfänglichen Literaturangaben verwiesen.

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Einleitung

und als Ort für Infrastruktur eine Rolle spielt.3 Ein Bereich unter vielen ist dabei die infrastrukturelle Nutzung der Flüsse als Transportwege für Handel und Verkehr, was ihre aktive Kontrolle und Gestaltung erforderlich machte. Wie im Rahmen dieser Untersuchung auch deutlich werden wird, war das besonders für die an Flüssen gelegenen Städte von enormer Bedeutung, wobei sie nicht nur dafür, sondern gleichzeitig auch für den Schutz vor Hochwassern und Überschwemmungen enorme Geldsummen zur wasserbaulichen Behandlung der Flüsse aufzuwenden hatten.

1.1 Katastrophenerfahrung und Geschichte Abseits dieser historiographischen ›Entdeckung‹ der Natur in der Umweltgeschichte standen in der Erforschung von Katastrophen hingegen traditionell eher gesellschaftliche Katastrophenszenarien wie Kriege oder Seuchen im Fokus, die auch im Rahmen etablierter Forschungsfelder der Geschichtswissenschaft analysiert wurden und nicht aus der Perspektive einer eigenen historischen Katastrophenforschung.4 Historische Naturkatastrophen sind deshalb noch immer ein vergleichsweise junges und kleines Forschungsfeld, gerade im Blick auf die ausdifferenzierte Umweltgeschichte. Diese hat zwar das historistische Erbe der Ausklammerung von Natur vom historischen Prozess als scheinbar nicht geschichtsmächtiger Größe überwunden, widmete aber in ihrer auf langfristige Wirkungszusammenhänge fokussierten Forschungsperspektive den Naturkatastrophen als vermeintlich plötzlich und singulär auftretenden Ereignissen lange nur geringe Aufmerksamkeit.5 Auch weil die Geschichtswissenschaft eher am aktiv handelnden als erleidenden Menschen in der Geschichte interessiert ist,6 ist die historische Katastrophenforschung noch im Prozess der Entfaltung begriffen. 3 Zu diesen frühneuzeitlichen Themenfeldern der Umweltgeschichte vgl. Reith, Umweltgeschichte. 4 Allerdings ist bei einigen Katastrophentypen die Einordnung als Natur- oder gesellschaftliche bzw. Technikkatastrophe unklar. Das liegt nicht zuletzt am unklaren Begriff Naturkatastrophe selbst und an der zu überwindenden Dichotomisierung der Sphären von Mensch und Natur (vgl. dazu Kapitel 1.3). 5 Dieter Groh, Michael Kempe, Franz Mauelshagen, Einleitung. Naturkatastrophen – wahrgenommen, gedeutet, dargestellt, in: Dieter Groh, Michael Kempe, Franz Mauelshagen (Hrsg.), Naturkatastrophen. Beiträge zu ihrer Wahrnehmung, Deutung und Darstellung in Text und Bild von der Antike bis ins 20. Jahrhundert. Tübingen 2003 (Literatur und Anthropologie, 13), 12–14 und Dieter Groh, Zur Anthropologie von Naturkatastrophen, in: Jürgen Schläder, Regina Wohlfahrt (Hrsg.), AngstBilderSchauLust. Katastrophenerfahrungen in Kunst, Musik und Theater. Leipzig 2007, 15–18. 6 Jutta Nowosadtko, Ralf Pröve, Einleitung. [zu Teil 4: Wahrnehmung und Verarbeitung von Katastrophen], in: Paul Münch (Hrsg.), »Erfahrung« als Kategorie der Frühneuzeitgeschichte. München 2001 (Historische Zeitschrift, Beihefte N. F., 31), 211–212.

Katastrophenerfahrung und Geschichte

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Dabei gehört die Katastrophe als Erfahrung des Scheiterns soziokultureller Ordnung zu den Grunderfahrungen menschlicher Geschichte, was an der Kriegserfahrung besonders deutlich wird.7 Gerade die Naturkatastrophe aber hat nicht nur Sach- und Personenschäden zur Folge, sondern negiert auch das Selbstbild der Gesellschaft als einer stabilen, Sicherheit gewährleistenden Ordnung. Sie bricht in die Lebenswelt ein und stellt als »die negative Erfahrung par excellence«8 die geltende soziale und kulturelle Sinnordnung – sei sie nun religiös-transzendental oder säkular-weltimmanent begründet – sowie das Handeln des Menschen im Umgang mit Natur in Frage.9 Die Katastrophe muss dabei nicht zwangsläufig in einem absoluten Sinn als völliger Verlust von Sinnstrukturen erfahren werden.10 Sie kann auch als Infragestellung der Sinnordnung in Form einer offenbarten »Leerstelle« verstanden werden, die im Kontext des geltenden Weltbildes mit Bedeutung gefüllt werden muss.11 Die Katastrophenerfahrung kann aber auch dazu führen, dass bestehende Deutungsformen von Katastrophenereignissen nicht mit der gemachten Katastrophenerfahrung in Übereinstimmung gebracht werden können. Die Bewältigungsstrategie und damit das Welt- und Naturbild geraten so unter Anpassungsdruck: Sie werden bestätigt, modifiziert oder verworfen.12 Besonders in der literarischen Auseinandersetzung mit der Ausdeutung der Katastrophenerfahrung vor dem Hintergrund des geltenden Weltbildes lassen sich diese Verschiebungen von Deutungsstrategien gut aufzeigen.13 Eine auch in der historischen Katastrophenforschung weit bekannte literarische Darstellung einer Katastrophe ist sicherlich die Novelle »Das Erdbeben in Chili« von Heinrich 7 Zu Erfahrung als Kategorie der Geschichte Paul Münch, »Erfahrung« als Kategorie der Frühneuzeitgeschichte. München 2001 (Historische Zeitschrift, Beihefte N. F., 31). 8 Nowosadtko / Pröve, Einleitung, 211. 9 Die Katastrophensoziologen Lars Clausen und Wolf R.  Dombrowsky bezeichneten in diesem Zusammenhang in Anlehnung an Popper die Katastrophe als Realfalsifikation menschlicher instrumenteller und ideeller Hervorbringungen; z. B. in Wolf R. Dombrowsky, Entstehung, Ablauf und Bewältigung von Katastrophen. Anmerkungen zum kollektiven Lernen, in: Christian Pfister, Stephanie Summermatter (Hrsg.), Katastrophen und ihre Bewältigung. Perspektiken und Positionen. Referate einer Vorlesungsreihe des Collegium generale der Universität Bern im Sommersemester 2003. Bern 2004 (Berner Universitätsschriften, 49), 183. 10 So bei Egon Flaig, Eine Katastrophe definieren. Versuch einer Skizze, in: Historical Social Research 32 (3), 2007, 35–43. 11 So formuliert es Dieter Groh in Anlehnung an die rezeptionsästhetische Literaturtheorie: Groh, Zur Anthropologie, 25. 12 Somit wird die Katastrophe nicht nur den bestehenden Ausdeutungsformen unterworfen, sondern hat wiederum auch Auswirkungen auf diese Deutungen selbst ebd., 21–22. 13 Zum Verhältnis von Literatur und der kulturellen Konstruktion des Mensch-NaturVerhältnisses bzw. der sich wechselseitig bedingenden Figuration von Natur und Welt- sowie Gesellschaftsdeutung in der Literatur vgl. den am Forschungsfeld des Ecocriticism ausgerichteten Sammelband von Maren Ermisch, Ulrike Kruse, Urte Stobbe, Ökologische Transformationen und literarische Repräsentationen. Göttingen 2010.

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Einleitung

von Kleist. Das Rührstück »Der Eisgang. Ein Schauspiel in zwey Akten« von Karl August Ragotzky dürfte dagegen weitaus weniger bekannt sein. Diese zwei exemplarischen Literaturstücke können als illustrierende Beispiele fungieren für die religiös-transzendentale und die säkular-weltimmenante Katastrophendeutung bzw. die Verunsicherung ersterer und für den Impact der Katastrophe auf die soziokulturelle Ordnung. In Karl August Ragotzkys Rührstück »Der Eisgang. Ein Schauspiel in zwey Akten«14 wird eine solche Ausdeutung des Katastrophenereignisses im Kontext des christlichen Sinnhorizontes vorgeführt, indem die Ethik menschlichen Handelns vor dem Hintergrund einer durch Eisgang ausgelösten Überschwemmung, die einen unmoralisch handelnden Menschen zum Guten zurückführt, thematisiert wird. Gott tritt hier zwar nicht als unmittelbar durch den zerstörerischen Naturakt handelnde Figur auf, bildet aber letztlich den Bezugspunkt für die Deutung der Betroffenheit des Menschen durch katastrophale Naturereignisse und erscheint gleichzeitig als Instanz für das sittlich-moralische Handeln des Menschen. Der alte Wiesenthal ist die zentrale Figur des Stückes. Er wird als Person in ärmlichen Verhältnissen eingeführt, der als früherer Organist nun stellungsund mittellos geworden und von der Versorgung durch seinen Sohn Julius abhängig ist. Gleich zu Beginn des Stückes wird seine auf Gottvertrauen und der Vorstellung eines gütigen Gottes basierende Weltanschauung verdeutlicht, die Wiesenthal mit einer an Hiob gemahnenden Haltung zu seinem Unglück verbindet, indem er Gottes Gaben gegenüber den Menschen hervorhebt und seine Güte preist, ihm, Wiesenthal, die Kraft zur Erduldung eines leidvollen Lebens gegeben zu haben.15 Dieses Gottesbild bildet die Deutungsfolie für die im Folgenden entfaltete Handlung des Stücks. Wiesenthal ist bei seinem ehemaligen Freund, dem reichen Gutsbesitzer Langendorf, in Schulden geraten. Wiesenthals junger Sohn Julius gibt Idonie, der Tochter des Gutsbesitzers, Klavierunterricht, um seinen Vater versorgen zu können. Ein Brief der Tochter an Julius wird von Vater Langendorf geöffnet und so interpretiert, dass Julius versucht habe Idonie zu verführen. Langendorf benutzt daraufhin die Schuldverpflichtung des alten Wiesenthals bei ihm, um Julius für seinen vermeintlichen Annäherungsversuch zu strafen, indem er die Schulden eintreiben und somit den alten Wiesenthal, der nicht zahlen kann, in den Schuldturm bringen will. Parallel zu diesen Ereignissen wird im Stück die Situation eines Eisganges und sich bildenden Eisstoßes geschildert, der das Wasser staut und durch Losbrechen

14 Karl August Ragotzky, Der Eisgang. Ein Schauspiel in zwey Akten. Frankfurt am Main u. a. 1806. 15 Ebd., 3–4.

Katastrophenerfahrung und Geschichte

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eine Überschwemmung auszulösen droht. Gerade hat Langendorf die Wiesenthals in ihrem Haus mit seiner Geldforderung und der Drohung des Schuldturms konfrontiert, als sich der Eisstoß löst. Die beiden Streitparteien müssen mitansehen, wie die Wassermassen das Gut Langendorfs überfluten und die dort anwesende Idonie zu ertrinken droht. Julius stürzt daraufhin aus dem Haus, um sie zu retten. In atemloser Angst beschreiben die Anwesenden in Wiesenthals Haus aus ihrer Perspektive, wie Julius sich zu Idonie durch die Wassermassen vorarbeitet, um sie zu retten, wobei er jedoch gleichfalls fortgespült zu werden droht. Im Augenblick der höchsten Not erscheint dann der Bezugspunkt Gott in der Katastrophe, indem der alte Wiesenthal Gott anruft, um seinen Sohn zu retten: »A. Wiesent. [im Ausbruch des höchsten Schmerzens.] Herr meines Lebens! Erhalte mir meinen Sohn! – [er fällt auf sein Angesicht.]«16 Kaum ist diese flehentliche Bitte ausgesprochen, fasst Julius wieder Tritt, er und Idonie sind gerettet. In der Folge erfährt Langendorf durch die Rettung seiner Tochter einen Sinneswandel, nachdem ihm die Ungerechtigkeit und Unmoral seines Handels gegenüber den Wiesenthals durch Julius selbstloses Handeln vor Augen geführt worden ist. Das führt dann zum glücklichen Ende des Rührstücks, in dem Langendorf sich mit dem alten Wiesenthal wieder versöhnt und Julius seine Tochter Idonie zur Frau gibt. Die Katastrophe zerstört hier nicht das soziale Gefüge oder gar die geltende Sinnordnung, sondern hat im Gegenteil die Funktion, einen Impuls für die Wiederherstellung der bereits im Vorfeld gestörten Werteordnung zu setzen. Das katastrophale Naturgeschehen wird also nicht einfach nur als zerstörend gedeutet, sondern als gemeinschaftsstiftend moralisiert. Der christliche Sinnhorizont bildet den Hintergrund für die Füllung der ›Leerstelle‹ Katastrophe, indem Gott den Bezugspunkt der Katastrophendeutung bildet. Die Anrufung Gottes durch den alten Wiesenthal im Augenblick der Überschwemmungskatastrophe markiert das mittelbare Handeln Gottes in der Katastrophe, die als erzieherisches Instrument den Menschen zum guten Handeln führt. Durch diese Deutung des Katastrophengeschehens als Impuls zur Wiederherstellung der Werteordnung steht das Stück in der Tradition der religiösen zeichenhaften Deutung der Naturkatastrophe, die das Geschehen als Antwort auf menschliches Handeln begreift und Natur als Kommunikationsraum zwischen Gott und den Menschen konzeptioniert.17 Völlig im Gegensatz zur Perspektive der Katastrophendeutung in Ragotzkys Stück von 1806 steht Heinrich von Kleists nur ein Jahr später erschienene dicht 16 Ebd., 51. 17 Michael Kempe, Von »lechzenden Flammen«, »geflügelten Drachen« und anderen »Lufft=Geschichten«. Zur Neutralisierung der Naturfurcht in populärwissenschaftlichen Druckmedien der Frühaufklärung, in: Franz Mauelshagen, Benedikt Mauer (Hrsg.), Medien und Weltbilder im Wandel der Frühen Neuzeit. Augsburg 2000 (Documenta Augustana, 5), 164.

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Einleitung

erzählte Novelle »Das Erdbeben in Chili«. Baut die Katastrophendeutung bei Ragotzky noch auf dem Fundament religiöser Deutungstradition auf, wird dieser christliche Sinnhorizont in Kleists Novelle geradezu zertrümmert. Die erzählte Handlung der Novelle zentriert sich um die Liebesbeziehung zwischen Jeronimo Rugera und Josephe Asteron und die darin einbrechende Erdbebenkatastrophe in der Stadt St. Jago im Jahr 1647.18 Jeronimo und Josephe sollen beide aufgrund ihrer unstatthaften Liebesbeziehung bestraft werden. Jeronimo, als Lehrer im Haus des Don Henrico Asteron angestellt, hatte sich in dessen Tochter Josephe verliebt. Obwohl er daraufhin vom Vater des Hauses verwiesen und die Tochter in das örtliche Karmeliterinnenkloster verbracht wird, setzen Jeronimo und Josephe ihre Beziehung fort, die schließlich auch zur körperlichen Vereinigung im Klostergarten führt. Ihr fortgesetztes Verhältnis wird aufgedeckt, als Josephe ihre Schwangerschaft nicht mehr länger verbergen kann. In der Konsequenz soll Josephe als Strafe für diesen schweren Sittenverstoß den Feuertod erleiden und Jeronimo wird ins Gefängnis gesteckt. In diesem Moment der Verzweiflung, als Josephe bereits zum Richtplatz geführt wird und Jeronimo im Gefängnis gerade dabei ist sich zu erhängen, bricht ein schreckliches Erdbeben aus, das die Stadt St. Jago in ein Inferno verwandelt. Die Gefängnismauern stürzen ein, so dass Jeronimo entfliehen kann, und Josephes Hinrichtungszug wird auseinandergesprengt, was ihr die Möglichkeit zur Flucht und Rettung ihres neugeborenen Sohnes Philipp gibt. Zunächst verzweifelnd treffen sie sich vor der Stadt in einem Tal wieder und sind in unsäglicher Freude inmitten der anderen, von der Katastrophe leidvoll getroffenen Menschen wieder vereint. Sie beschließen am nächsten Tag zusammen mit den anderen Bürgern der Stadt, die sich aus der Katastrophe haben retten können, in dieselbe zurückzukehren und in der vom Erdbeben verschonten Kirche der Dominikaner am Dankgottesdienst für die Errettung aus der Katastrophe teilzunehmen. Tags zuvor waren Jeronimo und Josephe Don Fernando und dessen Familie, die sich ebenfalls im Tal mit den anderen Geretteten aufhielten, begegnet und nähergekommen. Don Fernando, sein neugeborener Sohn Juan und seine Schwägerin Donna Constanza begleiten Jeronimo, Josephe und ihr Kind Philipp bei ihrem Gang in die Stadt und in die Dominikanerkirche, trotz der düsteren Vorahnungen von Fernandos Schwägerin, Donna Elisabeth, und ihrer Andeutungen, dass sie Josephe als die zum Feuertod verurteilte Sünderin erkannt habe. In der Kirche kommt es dann nach der Naturkatastrophe des Erdbebens auch im literarischen Sinn zur Katastrophe, zum Wende- und Höhepunkt der 18 Zitiert wird im Folgenden nach der Textausgabe Heinrich von Kleist, Das Erdbeben in Chili, in: David E. Wellbery (Hrsg.), Positionen der Literaturwissenschaft. Acht Modellanalysen am Beispiel von Kleists Das Erdbeben in Chili. 4. Aufl. München 2001 (C. H. Beck Studium), 11–23.

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Erzählung. Der predigende Dominikaner deutet das Erdbeben als Heimsuchung Gottes für die Sittenlosigkeit in St. Jago und bezeichnet Jeronimos und J­ osephens Beziehung und vor allem ihren Beischlaf im Klostergarten als moralische Ursache der Katastrophe. Zu allem Unglück werden Jeronimo und Josephe von einem Anwesenden erkannt. Daraufhin entflammt die Menge in Raserei, die Don Fernando vergeblich zu verhindern sucht, indem er die beiden unter seinen Schutz stellt. Jeronimo und Josephe wollen sich zwar ausliefern, um ihr Kind und das von Don Fernando sowie auch ihn selbst zu retten, und werden auch von der mordlüsternen Menge erschlagen, aber Don Fernando wird dennoch angegriffen. Trotz dass er sich und die beiden Kinder Philipp und Juan, die er auf dem Arm hält, mit dem Schwert gegen die Meute verteidigt, wird ihm sein Sohn Juan aus den Armen gerissen und an einer Kirchensäule zerschmettert. Nach diesem Fanal verstummt die Menge schlagartig und zerstreut sich. In der Folge nehmen Don Fernando und seine Frau den kleinen Philipp als ihren eigenen Sohn an Stelle des getöteten Juan an. Sehr schnell wird klar, dass sich die Katastrophe in Kleists Novelle nicht wie bei Ragotzkys Stück einfach als Impuls zur Wiederherstellung der Werte­ ordnung deuten lässt. Vielmehr bewegt sich die Katastrophe hier in einem ständigen Wechsel zwischen Zerstörung und Stiftung von sozialer Ordnung und Gemeinschaft. Zunächst werden durch das Erdbeben die Repräsentationen weltlich-staatlicher und geistlicher Gewalten sowie der familiären Ordnung, die Josephe und Jeronimo verurteilt haben, zerstört: Der Erzbischof wird von den Trümmern der Kathedrale erschlagen, der vizekönigliche Palast zerstört, der Gerichtshof verbrannt und Josephens Vaterhaus ist nur noch ein See, der »rötliche Dämpfe« auskocht.19 Neben den Institutionen werden aber auch die sozialen Verhaltensweisen, die in ihnen verfestigt waren, außer Kraft gesetzt: Die Autorität des Vizekönigs gilt den Befohlenen nichts mehr, Galgen müssen errichtet werden, um den Plünderungen Einhalt zu gebieten, und Unschuldige werden für Plünderer gehalten und erhängt.20 Dieser Auflösung der städtischen sozialen Ordnung in der Katastrophe wird das Verhalten der geretteten Menschen nach der Katastrophe gegenübergestellt, als sie sich außerhalb der Stadt wieder zusammenfinden: »Auf den Feldern, so weit das Auge reichte, sah man Menschen von allen Ständen durcheinander liegen, Fürsten und Bettler, Matronen und Bäuerinnen, Staatsbeamte und Tagelöhner, Klosterherren und Klosterfrauen: einander bemitleiden, sich wechselseitig Hülfe reichen, von dem, was sie zur Erhaltung ihres Lebens gerettet haben mochten, freudig mitteilen, als ob das allgemeine Unglück alles, was ihm entronnen war, zu einer Familie gemacht hätte.«21 19 Ebd., 14–15. 20 Ebd., 17. 21 Ebd., 17.

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Die Zertrümmerung der sozialen Ordnung in der Katastrophe wird hier auf einmal ins Positive umgedeutet, indem sich nun in Rousseauscher Manier eine nicht mehr durch die sozialen Schranken überformte ursprüngliche Natur des Menschen Bahn zu brechen scheint und eine durch die Kultur unverdeckte christliche Urgesellschaft der gegenseitigen Hilfeleistung zum Vorschein kommt: »Und in der Tat schien, mitten in diesen gräßlichen Augenblicken, in welchen alle irdischen Güter der Menschen zu Grunde gingen, und die ganze Natur verschüttet zu werden drohte, der menschliche Geist selbst, wie eine schöne Blume, aufzugehn.«22 Dass diese humane Urnatur des Menschen wiederum nur flüchtig ist und die soziale Ordnung auch eine schreckliche Seite des Menschen bändigt oder sogar hervorrufen kann, zeigt der Fortgang der Novelle. Vom beschriebenen idyllischen Zustand getäuscht begehen Josephe und Jeronimo den Fehler, in die Stadt zurückzukehren, im Glauben, auch ihre Verurteilung durch die Gesellschaft sei mit der Auflösung der sozialen Ordnung durch die Katastrophe aufgehoben. Die straftheologische Deutung des Erdbebens durch den Dominikanerprediger reicht jedoch aus, um die versammelte Menge in einen rasenden Mob zu verwandeln, der sich gegen die als für ihr Unglück moralisch verantwortlich Bezeichneten wendet: Aus der andächtigen Gemeinde wird nun eine »satanische Rotte« und aus ihren Anführern werden »Bluthunde«, die als »fanatische[ ] Mordknecht[e]« und voll »ungesättigter Mordlust« handeln; ja es kommt so weit, dass ein Mann, der sich als Vater Jeronimo Rugeras bezeichnet, ihn eigenhändig erschlägt.23 Die straftheologische Deutung ersetzt die noch kurz zuvor existierende inkludierende, gegenseitige humane Zuwendung aller und ermöglicht eine neue Konstellation der Vergemeinschaftung in Form der Exklusion, in der sich der größte Teil der Gemeinschaft gegen einen kleineren Teil wendet und diesen mit der Sündenbockfunktion ausstattet. Parallel zu diesem beständigen Oszillieren des Katastrophengeschehens zwischen Stiftung und Zerstörung der sozialen Ordnung erscheint auch die Katastrophendeutung als ungewiss. Im Laufe der Handlung wird das ganze Repertoire religiöser Ausdeutungsmöglichkeiten der Katastrophe aufgerufen, die aber beständig mit Widersprüchen konfrontiert werden, sich wechselseitig negieren und durch das durchgehende konjunktivische Sprechen des Erzählers in Frage gestellt werden. So hatte Jeronimo noch im Gefängnis zur Mutter Gottes um Rettung gebetet,24 so dass das plötzlich einsetzende Erdbeben, das Jeronimos und Josephens Entkommen ermöglicht, als Antwort Gottes auf dieses Gebet erscheint. Gleich-

22 Ebd., 17. 23 Ebd., 22. 24 Ebd., 12.

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zeitig wird die Katastrophe auch als Strafe Gottes nicht an Jeronimo und Josephe, sondern an ihren Verfolgern perspektiviert, da das Erdbeben mit Kathedrale, vizeköniglichem Palast, Gerichtshof und Vaterhaus gerade die staatlichen, geistlichen und familiären Institutionen vernichtet, die die beiden Liebenden verurteilt haben. Dieses (gerechte?) Handeln Gottes wird aber in der Folge wieder in Frage gestellt, indem mit der Äbtissin der Karmeliterinnen gerade die Figur durch die Trümmer des eigenen Klosters vor den Augen Josephens erschlagen wird, die sich zuvor besonders für sie und ihr neugeborenes Kind eingesetzt und sich für Milde ausgesprochen hatte.25 Jeronimo selbst vollzieht diesen Zwiespalt der religiösen Deutung des Katas­ trophengeschehens zwischen Rettung und Vernichtung nach: Nachdem er aus der über die Stadt hereingebrochenen Apokalypse – auch eine Katastrophendeutung, die in der Beschreibung des Katastrophengeschehens aktualisiert wird26 – entronnen ist, fällt er zunächst auf die Knie, um »Gott für seine wunderbare Errettung zu danken«, erinnert sich dann jedoch Josephens, die er für tot hält, und »sein Gebet fing ihn zu reuen an, und fürchterlich schien ihm das Wesen, das über den Wolken waltet.«27 Auch in der Beschreibung des Sich-Wiederfindens der beiden Liebenden nach der Katastrophe wird eine Deutung vor dem Hintergrund des christlichen Sinnhorizontes signalisiert, die gleich wieder in Frage gestellt wird. Mit der Darstellung von Josephe, Jeronimo und Philipp, die wieder vereint friedlich zu dritt unter einem Granatapfelbaum ruhen, werden die biblischen Bilder der Heiligen Familie sowie Adam und Evas im Paradies aufgerufen.28 In der Beschreibung der sie umgebenden Natur wird jedoch ein ganz und gar nicht heiliges, sondern sehr profan-sinnliches Bild evoziert. Die Nacht erscheint als »voll wundermilden Duftes, so silberglänzend und still, wie nur ein Dichter davon träumen mag« und im Wipfel des Granatapfelbaums, der für die sinnliche Sünde des Sich-Erkennens von Adam und Eva steht, singt eine Nachtigall »ihr wollüstiges Lied«.29 Damit wird vor allem durch den Topos der Nachtigall ein Bezug zum locus amoenus als Ort der Liebenden in der mittelalterlichen Minnedichtung hergestellt. Diese Dekonstruktion der religiösen Katastrophendeutung setzt sich auch in der Schlussszene der Novelle in der Dominikanerkirche fort. Der religiöse Gehalt der straftheologischen Deutung der Erdbebenkatastrophe durch den Dominikanerprediger wird durch die von der Menge zu verantwortende Lynchjustiz konterkariert, die alles andere als christlich ist, wiewohl sie von der religiösen Deutung ausgelöst wird. 25 Ebd., 14. 26 Ebd., 12–13. 27 Ebd., 13. 28 Ebd., 15. 29 Ebd.

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Zu diesen Infragestellungen der religiösen Deutungsperspektiven kommt noch eine grundlegende Haltung der Ungewissheit in der Novelle hinzu. Der Erzähler spricht beständig im Modus des Konjunktivs und versieht somit sämtliche Deutungsansätze der Katastrophe mit Fragezeichen. Durch dieses konjunktivische Sprechen im Modus des »Als ob« werden nicht nur alle religiösen Deutungen relativiert, sondern zugleich wird auch jegliche stabile Sinnzuschreibung verunmöglicht. Die Narrative der Deutung lösen sich auf, Deutungsansätze, nur noch motivisch aufgerufen, stehen unverbunden nebeneinander, der christliche Sinnhorizont stellt keine Basis der Sinngebung mehr dar und das Katastrophenereignis wird zum offen ausdeutbaren Rätsel.30 Sowohl Ragotzky als auch Kleist arbeiten sich also an der religiösen Katastro­ phendeutung ab. Beide beziehen sich damit auch auf die langfristigen Auflösungserscheinungen (trotz religious revival) des zuvor umfassend geltenden christlichen Sinnhorizonts vom 18. zum 19. Jahrhundert, der eine bewahrend und beharrend, der andere dekonstruierend und offen. In diesem anhand der beiden Autoren aufgemachten Spannungsfeld von religiöser Katastrophendeutung, ihrer Auflösung und alternativen Deutungen im Rahmen des empiristischmechanistischen Weltbildes bewegt sich auch eine der großen Forschungsfragen der historischen Katastrophenforschung: die Frage nach den Ursachen, Strukturen, Mechanismen, Erscheinungsformen und Folgen des paradigmatischen Wandels von religiös-transzendentaler zu naturwissenschaftlich-weltimmanenter Deutung der Katastrophen im Zeitraum der Aufklärung. Auch die folgende Untersuchung wird sich in den Bahnen dieser Fragestellung bewegen.

1.2 Forschungsstand Seit Arno Borsts Gründungsaufruf für einen eigenen historischen Beitrag der Geschichtswissenschaft zur Katastrophenforschung vor über dreißig Jahren31 hat sich die historische Katastrophenforschung zu einem expandierenden Forschungsfeld entwickelt, wie eine steigende Zahl von Artikeln, Sammelbänden und Monografien zeigt. Zunächst war die Beschäftigung mit Naturkatastrophen ein Forschungsfeld nur der Sozialwissenschaften. Aus dem Beginn der militärstrategischen

30 Diese Kleistsche Erzähltechnik kann als gezieltes Vorenthalten des Sinns und als Verweigerung der Sinngebung interpretiert werden; Norbert Altenhofer, Der erschütterte Sinn. Hermeneutische Überlegungen zu Kleists ›Das Erdbeben in Chili‹, in: David E.  Wellbery (Hrsg.), Positionen der Literaturwissenschaft. Acht Modellanalysen am Beispiel von Kleists Das Erdbeben in Chili. 4. Aufl. München 2001 (C. H. Beck Studium), 39–53. 31 Arno Borst, Das Erdbeben von 1348. Ein historischer Beitrag zur Katastrophenforschung, in: Historische Zeitschrift 233, 1981, 529–569.

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Forschung in den Strategic Bombing Surveys zur Wirkung der Flächenbombar­ dements im Zweiten Weltkrieg entwickelte sich ein stark auf die physischen Schäden und deren statistische Erfassung fokussierter Forschungsansatz, der am technokratischen Paradigma der Katastrophenbewältigung ausgerichtet war.32 Dieser Ansatz, Katastrophen als Ergebnisse von technischen Fehlanpassungen der betroffenen Gesellschaften an Gefahren zu verstehen, geriet dann in den 1970er Jahren im Kontext der Erforschung von Hungerkatastrophen in der Dritten Welt in die Kritik: Bemängelt wurden seine Unterkomplexität im Verständnis von (Natur)Katastrophen als primär physisch-natürliche Phänomene und die rein passive Rolle, die betroffenen Gesellschaften im Rahmen des technokratischen Paradigmas zugeschrieben wurde.33 Das dem entgegengesetzte Konzept Vulnerabilität erweiterte dagegen die Perspektive auf die sozialen und kulturellen Faktoren, die zu einer Katastrophe beitragen.34 Die an diesem Konzept ausgerichtete sozialwissenschaftliche Katastrophenforschung verstand und versteht Naturkatastrophen dementsprechend als das Produkt des Zusammenspiels sozialer und kultureller Faktoren mit einem Naturereignis, wobei unterschied­ liche gesellschaftliche Gruppen und Individuen unterschiedlich vulnerabel gegen ein jeweiliges Katastrophenszenario sind. Vulnerabilität wird damit in den diversen Modellierungen des Konzepts zum Maß der potenziellen Betroffenheit von Gesellschaften, Gruppen oder Individuen durch Katastrophen.35 Die gängigen Vulnerabilitätsmodelle sind allerdings auch kritisiert und modifiziert worden:36 Mit Resilienz wurde ein Konzept eingeführt, das die als einseitig 32 Greg Bankoff, Time is off the Essence. Disasters, Vulnerability and History, in: International Journal of Mass Emergencies and Disasters 22 (3), 2004, 23–42.; Scott Gabriel Knowles, The Disaster Experts. Mastering Risk in Modern America. Philadelphia 2011, 214–249. 33 Anthony Oliver-Smith, Theorizing Disasters. Nature, Power, and Culture, in: Anthony Oliver-Smith, Susanna M. Hoffman (Hrsg.), Catastrophe and culture. The anthropology of disaster. Oxford 2002 (School of American Research advanced seminar series), 26–28 und Bankoff, Time is off the Essence, 24–26. 34 Oliver-Smith, Theorizing Disasters, 26–28 und Bankoff, Time is off the Essence. 35 Kenneth Hewitt, Regions of risk. A geographical introduction to disasters. Harlow 1997; David Alexander, Confronting catastrophe. New perspecitives on natural disasters. New York u. a. 2000 und Benjamin Wisner, Piers Blaikie, Terry Cannon, Ian Davis, At risk. Natural hazards, people’s vulnerability, and disasters. 2nd. London u. a. 2004; im Überblick auch in Dorothea Hilhorst, Greg Bankoff, Introduction: Mapping Vulnerability, in: Greg Bankoff, Georg Frerks, Dorothea Hilhorst (Hrsg.), Mapping vulnerability. Disasters, development, and people. London u. a. 2004, 1–9. Zu naturwissenschaftlich-mathematischen Formen der Bestimmung von Vulnerabilität Hans-Georg Bohle, Thomas Glade, Vulnerabilitätskonzepte in Sozial- und Naturwissenschaften, in: Carsten Felgentreff, Thomas Glade (Hrsg.), Naturrisiken und Sozialkatastrophen. Berlin 2008, 101–105. 36 Einen Überblick dazu in Dominik Collet, »Vulnerabilität« als Brückenkonzept der Hungerforschung, in: Dominik Collet, Thore Lassen, Ansgar Schanbacher (Hrsg.), Handeln in Hungerkrisen. Neue Perspektiven auf soziale und klimatische Vulnerabilität. Göttingen 2012, 13–25.

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empfundene Fokussierung auf die Anfälligkeit gegen Naturkatastrophen ergänzen soll, indem es auf die Widerstandsfähigkeit von Gesellschaften rekurriert.37 Weiterhin ist die Einbeziehung von diskursiven Elementen in Bezug auf den Konstruktcharakter von (Natur)Katastrophen in das Vulnerabilitätskonzept vorgeschlagen worden, indem Vulnerabilität auch dadurch bestimmbar ist, wer im Katastrophendiskurs inkludiert und wer exkludiert ist.38 Aber auch aus historischer Perspektive scheint das Vulnerabilitätsmodell kritikbedürftig. So wird in einer historischen Diskursanalyse des Begriffs Vulnerabilität erkennbar, dass das Konzept aus den westlichen Kolonialdiskursen stammt, die eine asymme­ trische Einteilung der Welt in sichere (westliche) und hilfsbedürftige, unsichere Regionen (Kolonien, Tropen) vornehmen.39 Darüber hinaus konzeptionieren auch die gängigen soziologischen Meistererzählungen für den Umgang mit (Natur)Katastrophen – Ulrich Becks These der Risikogesellschaft – die historischen Zusammenhänge in zu vereinfachender Weise, da deren schematische Vorstellung der Entwicklung von der Katastrophengesellschaft zum Risikobewusstsein der Gegenwartsgesellschaft der historischen Komplexität dieses Wandels nicht gerecht wird.40 Die hier erkennbare wichtige Korrekturfunktion bzw. der Erkenntnisgewinn einer historischen Perspektive für sozialwissenschaftliche Katastrophenforschung wird in dieser aber auch reflektiert.41 Bereits Arno Borst hatte diese Korrekturfunktion eines genuin historischen Beitrags zur Katastrophenforschung erkannt.42 Trotz einzelner früher historischer Beiträge zur Katastrophenforschung, die sich teilweise auf die zeitgenössische Rezeption des Erdbebens von Lissabon 1755 konzentrierten, und einiger aus katastrophensoziologischer Perspektive entwickelter makrohistorischer Modelle

37 Zum Resilienzkonzept als Maß für die Stabilität eines Systems, also für seine Fähigkeit Störungen standzuhalten und wieder zu seinem Ausgangs- und Gleichgewichtszustand zurückzukehren, Martin Voss, Resilienz, Vulnerabilität und transdisziplinäre Katastrophenforschung, in: Jahrbuch für Europäische Sicherheitspolitik 2009/2010, 67–84. 38 Martin Voss, The vulnerable can’t speak. An integrative vulnerability approach to disaster and climate change research, in: Behemoth. A Journal on Civilisation 2008 (3), 39–56. 39 Greg Bankoff, The Historical Geography of Disaster: ›Vulnerability‹ and ›Local Knowledge‹ in Western Discourse, in: Greg Bankoff, Georg Frerks, Dorothea Hilhorst (Hrsg.), Mapping vulnerability. Disasters, development, and people. London u. a. 2004, 25–36. 40 Nowosadtko / Pröve, Einleitung, 215–216 und François Walter, Katastrophen. Eine Kulturgeschichte vom 16. bis ins 21. Jahrhundert. Stuttgart 2010, 15. Zu einer Kritik des in diesem Theorem angelegten teleologischen Dreischritts von Vormoderne ↔ Gefahr über Neuzeit / Moderne ↔ Risiko zu Gegenwart ↔ Risikogesellschaft vgl. Cornel Zwierlein, Der gezähmte Prometheus. Feuer und Sicherheit zwischen Früher Neuzeit und Moderne. Göttingen 2011 (Umwelt und Gesellschaft, 3), 22–24. 41 Z. B. in Alexander, Confronting catastrophe, 103. 42 Borst, Das Erdbeben, 564–569.

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der Katastrophenbewältigung43 hat sich die historische Katastrophenforschung als Forschungsfeld jedoch erst seit den 1990er Jahren breiter entwickelt.44 Erste Ansätze einer Berücksichtigung von Naturkatastrophen in der historischer Forschung sind in den 1960–1970er Jahren in Frankreich zu beobachten. Hier wurden historische Naturkatastrophen in der Tradition der Annales-Schule als Teilbereich der Forschung zu agrarischen Subsistenzkrisen und Epidemien in den Blick genommen und auch für die Mentalitätsgeschichte spielten sie als Forschungsbereich eine Rolle.45 In den 1990er Jahren hat sich die französische historische Katastrophenforschung dann als eigener Fachbereich entwickelt, der Naturkatastrophen auch anwendungsbezogen in Zusammenarbeit mit dem Naturgefahrenmanagement, mit Geologen, Landschaftsplanern usw. erforscht, wobei sich Grenoble als zentraler Forschungsstandort ausgebildet hat.46 Andere Arbeiten wie die von Christian Desplat zu Naturkatastrophen im Pyrenäenraum im Ancien Régime oder von Grégory Quenet zu Erdbeben im 17. und 18. Jahrhundert47 zeigen aber auch, wie Naturkatastrophen für kulturgeschichtliche Fragestellungen fruchtbar gemacht werden können. Wurde die historische Katastrophenforschung in Italien und Mexiko in den 1980er Jahren durch Erdbebenereignisse angestoßen,48 entwickelte sie sich in der 43 Siehe dazu die Forschungsüberblicke in Andreas Schmidt, »Wolken krachen, Berge zittern, und die ganze Erde weint …«. Zur kulturellen Vermittlung von Naturkatastrophen in Deutschland 1755 bis 1855. Münster u. a. 1999, 16–22 und Gerrit Jasper Schenk, Historical Disaster Research. State of Research, Concepts, Methods and Case Studies, in: Historical Social Research 32 (3), 2007, 14–18. 44 Als ein Grund dafür wird häufig das von der UNO für diesen Zeitraum ausgerufene International Decade for Natural Disaster Reduction (IDNDR) angesehen; Monica Juneja, Franz Mauelshagen, Disasters and Pre-industrial Societies. Historiographic Trends and Comparative Perspectives, in: The Medieval History Journal 10 (1–2), 2007, 4–10. 45 René Favier, Anne-Marie Granet-Abisset, Society and Natural Risk in France, 1500– 2000. Changing Historical Perspectives, in: Christof Mauch, Christian Pfister (Hrsg.), Natural disasters, cultural responses. Case studies toward a global environmental history. Lanham (MD) 2009, 104–105. Hier sind auch die klimahistorischen Arbeiten von Emmanuel Le Roy Ladurie von Bedeutung; Emmanuel Le Roy Ladurie, Histoire du climat depuis l’an mil. Paris 1967 (Nouvelle bibliothèque scientifique); neuere Forschung: Emmanuel Le Roy Ladurie, Histoire humaine et comparée du climat. 3 Bände. Paris 2005–2009. 46 »We can say that historical disaster research, in the true sense, has been established since the 1990s, particularly focusing around the University of Grenoble.«; Schenk, Historical Disaster Research, 15. Auch François Walter spricht diesbezüglich von einer »Grenobler Schule«; Walter, Katastrophen, 21. 47 Christian Desplat, Pour une histoire des risques naturels dans les Pyrénées occidentales françaises sous l’Ancien Régime, in: Bartolomé Bennassar (Hrsg.), Les catastrophes naturelles dans l’Europe médievale et moderne. Actes des XVes Journées internationales d’histoire de l’Abbaye de Flaran, 10, 11 et 12 septembre 1993. Toulouse 1996, 115–163; Grégory Quenet, Les tremblements de terre aux XVIIe et XVIIIe siècles. La naissance d’un risque. Seyssel 2005 (Époques). 48 Juneja / Mauelshagen, Disasters, 7; Virginia García-Acosta, Historical Disaster Research, in: Anthony Oliver-Smith, Susanna M. Hoffman (Hrsg.), Catastrophe and culture. The an-

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deutschsprachigen Geschichtswissenschaft zeitgleich mit ihrer Herausbildung in Frankreich mit Beginn der 1990er Jahre. Der Arbeit von Manfred JakubowskiTiessen zur Weihnachtsflut von 1717 an der deutschen Nordseeküste kommt hier sowohl in der deutschsprachigen Forschung als auch darüber hinaus zweifellos der Charakter einer Pionierstudie zu.49 Erst Ende der 1990er Jahre folgten weitere Forschungsarbeiten zur Thematik historischer Katastrophen.50 Weitere Impulse für diesbezügliche Forschungen kamen außerdem aus der historischen Klimatologie, auch im Kontext der kulturgeschichtlich ausgerichteten Forschung zur Kleinen Eiszeit, und der Umweltgeschichte insgesamt.51 Im vergangenen Jahrzehnt stieg dann die Zahl der Publikationen von Sammelbänden, Monographien und Artikeln im Bereich nicht nur der deutschsprachigen historischen Katastrophenforschung an, die sich damit als Forschungsfeld etablierte.52 Zugleich erweiterte sich die Perspektive der historischen Katastrophenforschung auch in transnationaler und globaler Hinsicht, nicht zuletzt wegen der starken internationalen Vernetzung der Umweltgeschichte.53 So sprunghaft, wie sich die historische Katastrophenforschung im letzten Jahrzehnt entwickelt hat, so weit gestreut sind auch die Themenfelder, die im Zuge der Erforschung historischer Katastrophen in den Blick geraten sind.54 thropology of disaster. Oxford 2002 (School of American Research advanced seminar series), 49–66 und Virginia García-Acosta, Risks and Disasters in the History of the Mexico Basin: Are they Climatic or Social?, in: The Medieval History Journal 10 (1–2), 2007, 127–142. 49 Manfred Jakubowski-Tiessen, Sturmflut 1717. Die Bewältigung einer Naturkatastrophe in der Frühen Neuzeit. München 1992 (Ancien Régime, Aufklärung und Revolution, 24). 50 Holger Sonnabend, Naturkatastrophen in der Antike. Wahrnehmung  – Deutung  – Management. Stuttgart 1999; Schmidt, »Wolken krachen …«. 51 Schenk, Historical Disaster Research, 16. 52 Für die Etablierung und Definition des Forschungsfeldes sind besonders die folgenden Sammelbände hervorzuheben: Bartolomé Bennassar, Les catastrophes naturelles dans l’Europe médievale et moderne. Actes des XVes Journées internationales d’histoire de l’Abbaye de Flaran. 10, 11 et 12 septembre 1993. Toulouse 1996; Alessa Johns, Dreadful visitations. Confronting natural catastrophe in the age of enlightenment. New York 1999; Manfred Jakubowski-Tiessen, Hartmut Lehmann, Um Himmels Willen. Religion in Katastrophenzeiten. Göttingen 2003; Dieter Groh, Michael Kempe, Franz Mauelshagen, Naturkatastrophen. Beiträge zu ihrer Wahrnehmung, Deutung und Darstellung in Text und Bild von der Antike bis ins 20. Jahrhundert. Tübingen 2003 (Literatur und Anthropologie, 13). 53 Schenk, Historical Disaster Research, 16. 54 Überblickshaft den folgenden Sammelbändern zu entnehmen: Franz M. Eybl, H. Heppner, A.  Kernbauer, Elementare Gewalt  – kulturelle Bewältigung. Aspekte der Naturkatastrophe im 18. Jahrhundert. Das achtzehnte Jahrhundert und Österreich. Jahrbuch der österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts 14/15. Wien 2000; René Favier, Les pouvoirs publics face aux risques naturels dans l’histoire. Actes du second colloque international sur l’histoire des risques naturels, organisé à la MSH-Alpes. Grenoble, du 22 au 24 mars 2001, par l’HESOP- CRHIPA . Grenoble 2002; Geneviève Massard-Guilbaud, Harold L. Platt, Dieter Schott, Cities and catastrophes. Coping with emergency in European history = Villes et catastrophes. Réactions face à l’urgence dans l’histoire européenne. Frankfurt am Main u. a. 2002; Michael Kempe, Christian Rohr, Coping with the unexpected – Natural

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Die Breite der Forschung kann zunächst anhand der unterschiedlichen Katastrophenszenarien festgemacht werden. Außerdem sind mit einem quantitativstatistischen und einem kulturgeschichtlich ausgerichteten Forschungsansatz zwei auch miteinander zu verbindende Perspektiven in der historischen Katastrophenforschung auszumachen. Erdbeben sind eines der bedeutenderen Untersuchungsfelder, was sich am großen Forschungsinteresse seit den Anfängen der historischen Katastrophenforschung für das Erdbeben von Lissabon 1755 zeigt.55 Und auch der bereits erwähnte Gründungsaufruf von Arno Borst für eine historische Katastrophenforschung hatte das Erdbeben von 1348 in Friaul und Kärnten zum Untersuchungsthema. Gerade in der Erforschung historischer Erdbeben ist der quantitativ-statistische Ansatz mit der historischen Seismologie besonders vertreten.56 Disasters and their perception. Isle of Harris 2003 (Environment and history, 9.2); Jocelyne Perard, Maryvonne Perrot, L’homme et l’environnement. Histoire des grandes peurs et géographie des catastrophes. Actes du colloque organisé à Dijon du 16 au 18 novembre 2000. Dijon 2003; Emmanuelle Collas-Heddeland, Pour une histoire culturelle du risque. Genèse, évolution, actualité du concept dans les sociétés occidentales. Strasbourg 2004; Christian Pfister, Stephanie Summermatter, Katastrophen und ihre Bewältigung. Perspektiken und Positionen. Referate einer Vorlesungsreihe des Collegium generale der Universität Bern im Sommersemester 2003. Bern 2004 (Berner Universitätsschriften, 49); Gerhard Lauer, Thorsten Unger, Das Erdbeben von Lissabon und der Katastrophendiskurs im 18. Jahrhundert. Göttingen 2008 (Das achtzehnte Jahrhundert. Supplementa, 15); Christof Mauch, Christian Pfister, Natural disasters, cultural responses. Case studies toward a global environmental history. Lanham (MD) 2009; Gerrit Jasper Schenk, Katastrophen. Vom Untergang Pompejis bis zum Klimawandel. Ostfildern 2009; Patrick Masius, Jana Sprenger, Eva Mackowiak, Katastrophen machen Geschichte. Umweltgeschichtliche Prozesse im Spannungsfeld von Ressourcennutzung und Extremereignis. Göttingen 2010; Andrea Janku, Gerrit Jasper Schenk, Franz Mauelshagen, Historical disasters in Context. Science, Religion, and Politics. New York u. a. 2012 (Routledge Studies in Cultural History, 15). 55 Ulrich Löffler, Lissabons Fall  – Europas Schrecken. Die Deutung des Erdbebens von Lissabon im deutschsprachigen Protestantismus des 18. Jahrhunderts. Berlin u. a. 1999 (Arbeiten zur Kirchengeschichte, 70); Erhard Oeser, Das Erdbeben von Lissabon im Spiegel der zeitgenössischen Philosophie, in: Franz M. Eybl, H. Heppner, A. Kernbauer (Hrsg.), Elementare Gewalt – kulturelle Bewältigung. Aspekte der Naturkatastrophe im 18. Jahrhundert. Das achtzehnte Jahrhundert und Österreich. Jahrbuch der österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts 14/15. Wien 2000, 185–195; Ulrich Löffler, »Erbauliche Trümmerstadt«? Das Erdbeben von 1755 und die Horizonte seiner Deutung im Protestantismus des 18. Jahrhunderts, in: Manfred Jakubowski-Tiessen, Hartmut Lehmann (Hrsg.), Um Himmels Willen. Religion in Katastrophenzeiten. Göttingen 2003, 253–274; Lauer / Unger, Das Erdbeben; Luiz A. Mendes-Víctor, Carlos Sousa Oliveira, João Azevedo, António Ribeiro, The 1755 Lisbon earthquake. Revisited. Dordrecht 2009 und Wolfgang Breidert, Die Erschütterung der vollkommenen Welt. Die Wirkung des Erdbebens von Lissabon im Spiegel europäischer Zeitgenossen. Darmstadt 1994. 56 Zum quantitativ-statistischen Ansatz vgl. Andreas Dix, Historische Ansätze in der Hazard- und Risikoanalyse, in: Carsten Felgentreff, Thomas Glade (Hrsg.), Naturrisiken und Sozialkatastrophen. Berlin 2008, 201–211. Zu Erdbeben im italienischen Raum Emanuela Guidoboni, Les conséquences des tremblements de terre sur les villes en Italie, in: Martin

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Aber auch aus kulturgeschichtlicher Perspektive sind Erdbeben ergiebige Forschungsobjekte, wie die vorliegenden Arbeiten zur Deutung und Bewältigung historischer Erdbebenkatastrophen zeigen.57 Beispielhaft sind die Studien von Beate Mehlin zu zwei frühneuzeitlichen Erdbeben in Benevent und von Monika Gisler zum Erdbebendiskurs in der Schweiz im 18. Jahrhundert.58 Mehlin Körner, Niklaus Bartlome, Erika Flückiger (Hrsg.), Stadtzerstörung und Wiederaufbau. Band 1: Zerstörung durch Erdbeben, Feuer und Wasser. Bern u. a. 1999, 43–66 und Emanuela Guidoboni, Tremblements de terre et politiques d’intervention en Italie: une synthèse des stratégies adoptées au cours des quatre derniers siècles, in: René Favier (Hrsg.), Les pouvoirs publics face aux risques naturels dans l’histoire. Actes du second colloque international sur l’histoire des risques naturels, organisé à la MSH-Alpes. Grenoble, du 22 au 24 mars 2001, par l’HESOP- CRHIPA . Grenoble 2002, 153–174. Für den österreichischen Raum Christa Hammerl, Zur Rekonstruktion der Erdbeben von Wiener Neustadt (1768) und Leoben (1794), in: Franz M. Eybl, H. Heppner, A. Kernbauer (Hrsg.), Elementare Gewalt – kulturelle Bewältigung. Aspekte der Naturkatastrophe im 18. Jahrhundert. Das achtzehnte Jahrhundert und Österreich. Jahrbuch der österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts 14/15. Wien 2000, 163–184. 57 Anna Akasoy, Islamic Attitudes to Disasters in the Middle Ages. A Comparison of Earthquakes and Plagues, in: The Medieval History Journal 10 (1–2), 2007, 387–410 und Anna Akasoy, Interpreting Earthquakes in Medieval Islamic Texts, in: Christof Mauch, Christian Pfister (Hrsg.), Natural disasters, cultural responses. Case studies toward a global environmental history. Lanham (MD) 2009, 183–196; Mischa Meier, Gotteszorn und Zeitenwende. Die Brand- und Erdbebenkatastrophen in Antiocheia in den Jahren 525 bis 528, in: Gerrit Jasper Schenk (Hrsg.), Katastrophen. Vom Untergang Pompejis bis zum Klimawandel. Ostfildern 2009, 37–51; mit einem Quellenschwerpunkt auf Erdbeben: Andrea Janku, Towards a History of Natural Disasters in China. The Case of Linfen County, in: The Medieval History Journal 10 (1–2), 2007, 267–301; Greg Bankoff, Fire and Quake in the Construction of Old Manila, in: The Medieval History Journal 10 (1–2), 2007, 411–427; zum Erdbebendiskurs im kolonialen Nordamerika des 18. Jahrhunderts: Uwe Juras, From Acts of God to Acts of Men. Rationalizing and Nationalizing Catastrophe in America, in: Gerhard Lauer, Thorsten Unger (Hrsg.), Das Erdbeben von Lissabon und der Katastrophendiskurs im 18. Jahrhundert. Göttingen 2008 (Das achtzehnte Jahrhundert. Supplementa, 15), 392–405; auch zur Deutung des Lissaboner Erdbebens Martin Stuber, Gottesstrafe oder Forschungsobjekt? Zur Resonanz von Erdbeben, Überschwemmungen, Seuchen und Hungerkrisen im Korrespondentennetz Albrecht von Hallers, in: Christian Pfister (Hrsg.), Am Tag danach. Zur Bewältigung von Naturkatastrophen in der Schweiz 1500–2000. Bern u. a. 2002, 39–54; Gerrit Jasper Schenk, Ein Unstern bedroht Europa. Das Erdbeben von Neapel im Dezember 1456, in: Gerrit Jasper Schenk (Hrsg.), Katastrophen. Vom Untergang Pompejis bis zum Klimawandel. Ostfildern 2009, 67–80; Matthias Georgi, Heuschrecken, Erdbeben und Kometen. Naturkatastrophen und Naturwissenschaften in der englischen Öffentlichkeit des 18. Jahrhunderts. München 2009 (Edition septem artes); Grégory Quenet, Earthquakes in Early Modern France. From the Old Regime to the Birth of a New Risk, in: Andrea Janku, Gerrit Jasper Schenk, Franz Mauelshagen (Hrsg.), Historical disasters in Context. Science, Religion, and Politics. New York u. a. 2012 (Routledge Studies in Cultural History, 15), 94–114. 58 Beate Mehlin, Gestörte Formation. Erdbebenbewältigung in Benevent und Verwirk­ lichung von Herrschaft im Kirchenstaat 1680–1730. Tübingen 2003 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom, 104) und Monika Gisler, Göttliche Natur? Formationen im Erdbebendiskurs der Schweiz des 18. Jahrhunderts. Zürich 2007.

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kann anhand der Beneventer Erdbeben von 1688 und 1702 illustrieren, dass der religiöse Deutungshorizont der beiden Erdbeben Teil eines politisch-sozialen Konflikts um konkurrierende Weltbilder war und vom Beneventer Erzbischof Orsini, dem späteren Papst Benedikt XIII ., gezielt zur Herrschaftslegitimation und zur Beförderung der eigenen Karriere im Kirchenstaat instrumentalisiert wurde. Gisler untersucht anhand des Erdbebendiskurses die Entwicklung des Naturbildes von den physikotheologischen Erdbebendeutungen (besonders des Lissaboner Erdbebens) im gelehrten Korrespondentennetzwerk des Züricher Naturkundlers Johann Jakob Scheuchzer59 bis zur folgenden Säkularisierung der Naturforschung bei Horace-Bénédict de Saussure. Hier zeigt sie, wie gelehrter Naturdiskurs und die Naturvorstellungen in der breiteren Bevölkerung auseinandertraten, indem sich das Naturbild der sich säkularisierenden Naturwissenschaften entmoralisierte, während in der Bevölkerung bis weit ins 19. Jahrhundert hinein religiöse Naturdeutungen dominant blieben.60 Auch die Überschwemmungs- und Flutkatastrophen sind ein wichtiger Themenbereich der historischen Katastrophenforschung,61 der mit der erwähnten Studie von Manfred Jakubowski-Tiessen zur Weihnachtsflut von 1717 einen prominenten Vertreter hat. Wie bei den Erdbeben ist auch hier ein Nebenund Miteinander kulturgeschichtlich orientierter und quantitativer Ansätze gegeben, wobei letztere geographisch orientiert sind62 oder aus der historischen 59 Für das physikotheologische Natur- und Naturkatastrophenverständnis Scheuchzers vgl. Simona Boscani Leoni, Zwischen Gott und Wissenschaft. Johann Jakob Scheuchzer (1672–1733) und die frühneuzeitliche Naturforschung, in: Sophie Ruppel, A.  Steinbrecher (Hrsg.), »Die Natur ist überall bey uns«. Mensch und Natur in der Frühen Neuzeit. Zürich 2009, 183–194 und Michael Kempe, Die Sintfluttheorie von Johann Jakob Scheuchzer. Zur Entstehung des modernen Weltbildes und Naturverständnisses, in: Zeitschrift für Geschichts­ wissenschaft 44 (6), 1996, 485–501. 60 Allgemein zur Deutung von Erdbeben Erhard Oeser, Historische Erdbebentheorien von der Antike bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Wien 2003 (Abhandlungen / Geologische Bundesanstalt, 58); Rienk Vermij, Erschütterung und Bewältigung. Erdbebenkatastrophen in der Frühen Neuzeit, in: Manfred Jakubowski-Tiessen, Hartmut Lehmann (Hrsg.), Um Himmels Willen. Religion in Katastrophenzeiten. Göttingen 2003, 235–252; Christian Rohr, Rüdiger Glaser, Erdbeben, in: Friedrich Jaeger (Hrsg.), Enzyklopädie der Neuzeit. Band 3. 16 Bände. Stuttgart u. a. 2006, 416–423. 61 Ein Überblick in Christian Rohr, Überschwemmung, in: Friedrich Jaeger (Hrsg.), Enzyklopädie der Neuzeit. Band 13. 16 Bände. Stuttgart u. a. 2011, 864–873. 62 Beispielsweise in den Arbeiten von Pörtge und Deutsch, deren Umfang hier nur angedeutet werden kann: Karl-Heinz Pörtge, Mathias Deutsch, Aktuelle und historische Hochwasserereignisse. Beiträge zur Tagung des Arbeitskreises »Hydrologie« im März 1997 in Erfurt. Erfurt 1998 (Erfurter geographische Studien, 7); Mathias Deutsch, Karl-Heinz Pörtge, Hochwasserereignisse in Thüringen. Jena 2002 (Schriftenreihe der Thüringer Landesanstalt für Umwelt und Geologie, 63); Mathias Deutsch, »… und konnte sich keiner an solche Fluthen erinnern.« Zur Untersuchung schwerer, historischer Hochwasser der Saale im Zeitraum von 1500–1900, in: Christoph Ohlig (Hrsg.), Wasserhistorische Forschungen. Schwerpunkte Hochwasserschutz / Elbe. Siegburg 2004 (Schriften der Deutschen Wasserhistorischen Ge-

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Klimatologie kommen.63 Besonders die Sturmfluten stehen im Fokus einer Erforschung der Deutungsmuster von Katastrophenereignissen und dem Spannungsverhältnis zwischen religiöser und säkularisierter, naturwissenschaftlicher Deutungsperspektive.64 Dabei wird für die Frühe Neuzeit besonders die Kopplung religiöser und naturwissenschaftlicher Deutungsansätze betont, die sich keineswegs ausschließen müssen, was einem eher neuzeitlichen Verständnis eines Gegensatzes von Religion und Naturwissenschaft entspricht.65 Gerade am Beispiel von Hochwasserereignissen bzw. Überschwemmungskatastrophen kann zudem gezeigt werden, dass die Vorstellung eines paradigmatischen Wandels der Katastrophendeutung von angeblich primär religiöser Interpretation im Mittelalter und der Frühen Neuzeit hin zu einer naturwissenschaftlichen Perspektive in der Aufklärung und der Neuzeit zu schematisch gedacht ist. Christian Rohr hat in seiner Studie zu extremen Naturereignissen im Ostalpenraum nachgewiesen, dass im Spätmittelalter Überschwemmungsereignisse an Flüssen kaum religiös gedeutet wurden und erst mit der Reformation und den einsetzenden konfessionellen Auseinandersetzungen die Katastrophendeutung vermehrt theologisiert wurde und das Deutungsmuster der Straftheologie häufiger sellschaft (DWhG) e. V., 4), 117–142; Karl-Heinz Pörtge, Hochwasser und Hochwasserschutz in Südtirol, in: Werner Kreisel, Flavio V.  Ruffini, Tobias Reeh, Karl-Heinz Pörtge (Hrsg.), Südtirol. Eine Landschaft auf dem Prüfstand. Entwicklungen – Chancen – Perspektiven = Alto Adige. Un paesaggio al bando di prova. Sviluppi  – opportunità  – prospettive. Lana 2010, 86–93. 63 Christian Pfister, Jürg Luterbacher, Heinz Wanner, Wetternachhersage. Bern u. a. 1999; Christian Pfister, Am Tag danach. Zur Bewältigung von Naturkatastrophen in der Schweiz 1500–2000. Bern u. a. 2002; Rüdiger Glaser, Klimageschichte Mitteleuropas. 1000 Jahre Wetter, Klima, Katastrophen. Darmstadt 2001 (2. aktualisierte und erw. Auflage 2008). 64 Marie Luisa Allemeyer, »In diesser erschrecklichen unerhörten Wasserfluth, kan man keine naturlichen Ursachen suchen«. Die Burchardi-Flut des Jahres 1634 an der Nordseeküste, in: Gerrit Jasper Schenk (Hrsg.), Katastrophen. Vom Untergang Pompejis bis zum Klimawandel. Ostfildern 2009, 93–108; Marie Luisa Allemeyer, The Struggle against the Sea. An Early Modern Coastal Society Between Metaphysical and Physical Attempts to Control Nature, in: Andrea Janku, Gerrit Jasper Schenk, Franz Mauelshagen (Hrsg.), Historical disasters in Context. Science, Religion, and Politics. New York u. a. 2012 (Routledge Studies in Cultural History, 15), 75–93; Raingard Eßer, »Ein sonderlich und erschröcklich Wasserflut«. Desaster-Management in der Frühen Neuzeit, in: Paul Münch (Hrsg.), »Erfahrung« als Kategorie der Frühneuzeitgeschichte. München 2001 (Historische Zeitschrift, Beihefte N. F., 31), 217–227; Manfred Jakubowski-Tiessen, »Erschreckliche und unerhörte Wasserflut«. Wahrnehmung und Deutung der Flutkatastrophe von 1634, in: Manfred Jakubowski-Tiessen, Hartmut Lehmann (Hrsg.), Um Himmels Willen. Religion in Katastrophenzeiten. Göttingen 2003, 179–200; Manfred Jakubowski-Tiessen, Gotteszorn und Meereswüten. Deutungen von Sturmfluten vom 16. bis 19. Jahrhundert, in: Dieter Groh, Michael Kempe, Franz Mauelshagen (Hrsg.), Naturkatastrophen. Beiträge zu ihrer Wahrnehmung, Deutung und Darstellung in Text und Bild von der Antike bis ins 20. Jahrhundert. Tübingen 2003 (Literatur und Anthropologie, 13), 101–118. 65 So in Jakubowski-Tiessen, Sturmflut 1717, 79.

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auftrat.66 Wie wirkmächtig Deutungsmuster zu Überschwemmungsszenarien sein können, haben Pfister und Brändli in ihrer Untersuchung zum Abholzungsparadigma dargelegt, das bis in die Gegenwart trotz widersprechender wissenschaftlicher Erkenntnisse zum Ursachenkomplex von Überschwemmungen an Gebirgsflüssen erhalten geblieben ist.67 Neben der Deutung von Flut- und Überschwemmungskatastrophen sind auch die Praktiken zur Katastrophenvorsorge und -bewältigung sowie zum Hochwasserschutz im Blick der Forschung. Das Beispiel des Deichbaus veranschaulicht, dass ein spezifisches Naturereignis wie eine Sturmflut und die dagegen getroffenen Schutzmaßnahmen eine Gesellschaft entscheidend prägen konnten und Bereiche wie Herrschaft und Recht strukturierten.68 Außer der Geschichte der Handlungspraktiken zur Schadensbewältigung wie der Hochwasserversicherung69 sind besonders die Schutz- und Präventionsmaßnahmen ein wichtiges Forschungsobjekt für die Frage nach dem Verhältnis und Zusammenspiel von Naturräumen, extremen Naturereignissen und den sozialen und kulturellen Strukturen einer Gesellschaft.70 Gerrit Jasper Schenk etwa illustriert anhand des Wasserbaus am Oberen Rheintal und in der Toskana die Verwobenheit und wechselseitige Beeinflussung soziopolitischer Strukturen und Naturbedingungen, die zusammen das Mensch-Natur-Verhältnis mitbestimmen.71 Denis Cœur stellt in seiner Studie zu den Überschwemmungen in der Region Grenoble dar, wie sich Vorsorge- und Schutzmaßnahmen zu Hochwasserereignissen am Fluss Isère entwickelt haben. Besonders im 18. Jahrhundert sei der öffentliche Wasserbau zunehmend zentralstaatlich kontrolliert worden, was den herrschaftlichen Zugriff auf die Flüsse verstärkte und damit die Verdichtung von Herrschaft des

66 Christian Rohr, Extreme Naturereignisse im Ostalpenraum. Naturerfahrung im Spätmittelalter und am Beginn der Neuzeit. Köln 2007 (Umwelthistorische Forschungen,  4), 391–397. 67 Christian Pfister, Daniel Brändli, Rodungen im Gebirge  – Überschwemmungen im Vorland. Ein Deutungsmuster macht Karriere, in: Rolf Peter Sieferle, Helga Breuninger (Hrsg.), Natur-Bilder. Wahrnehmungen von Natur und Umwelt in der Geschichte. Frankfurt am Main u. a. 1999, 297–323. 68 Marie Luisa Allemeyer, »Kein Land ohne Deich …!«. Lebenswelten einer Küstengesellschaft in der Frühen Neuzeit. Göttingen 2006 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 222). 69 Uwe Lübken, Die Natur der Gefahr. Zur Geschichte der Überschwemmungsversicherung in Deutschland und den USA , in: Behemoth. A Journal on Civilisation 1 (3), 2008, 4–20. 70 Uwe Lübken hat das mustergültig für den Ohio River in der Neuzeit vorgeführt: Uwe Lübken, Die Natur der Gefahr. Überschwemmungen am Ohio River im 19. und 20. Jahrhundert. Göttingen 2014 (Umwelt und Gesellschaft, 8). 71 Gerrit Jasper Schenk, Managing Natural Hazards. Environment, Society, and Politics in Tuscany and the Upper Rhine Valley in the Renaissance (ca. 1270–1570), in: Andrea Janku, Gerrit Jasper Schenk, Franz Mauelshagen (Hrsg.), Historical disasters in Context. Science, Religion, and Politics. New York u. a. 2012 (Routledge Studies in Cultural History, 15), 31–53.

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absolutistischen Zentralstaates gegenüber den ständischen Institutionen und Gewalten der Provinzen unterstützte.72 Für den Bereich der Wetterkatastrophen wie Stürme, Unwetter, Gewitter, Hagel­schauer usw. ist die historische Klimatologie mit ihrem Interesse an Klima-, aber auch Wetterextremen ebenfalls wichtiger Forschungsakteur. Zunächst lag das Hauptinteresse im Sinne des quantitativ-statistischen Ansatzes auf der Rekonstruktion historischer Klimate, wobei auch die Erfassung der Extrem­ ereignisse von Bedeutung ist. Glasers und Pfisters klimahistorische Arbeiten sind beispielhaft dafür; aber auch die voluminöse Weikinnsche Quellenanthologie zur Witterungsgeschichte73 enthält zu großen Teilen Quellenangaben zu Wetterextremen. Mit dem Trend zur kulturgeschichtlichen Klimafolgenforschung werden aber zunehmend nicht mehr nur historische Klimate und ihre Extreme rekonstruiert, sondern auch nach den sozialen, kulturellen und ökonomischen Folgeeffekten gefragt.74 Bekannt ist in diesem Zusammenhang die Behringersche These von den krisenhaften klimatischen Folgeeffekten der Kleinen Eiszeit als einer Ursache der Hexenverfolgungen: Die als solche definierten ›Hexen‹ mussten als Sündenböcke für die durch die klimatische Ungunstphase und ihre katastrophalen Wetterextreme bedingten sozialen Konflikte und kulturellen Spannungen herhalten.75 Darüber hinaus liegen auch Arbeiten zur Deutung und zu den Bewältigungspraktiken der Wetterkatastrophen vor. Wie bei den Erdbeben und Flut- bzw. Überschwemmungsereignissen hat auch hier die Katastrophendeutung im Spannungsfeld von religiöser und säkular-naturwissenschaftlicher Perspektive die Aufmerksamkeit der Forschung gefunden,76 72 Denis Coeur, La plaine de Grenoble face aux inondations. Genèse d’une politique publique du XVIIe au XXe siècle. Versailles 2008, 81–136. 73 Curt Weikinn, Quellentexte zur Witterungsgeschichte Europas von der Zeitwende bis zum Jahr 1850. Berlin 1958–2002 (Quellensammlung zur Hydrographie und Meteorologie). 74 Franz Mauelshagen, Disaster and Political Culture in Germany since 1500, in: Christof Mauch, Christian Pfister (Hrsg.), Natural disasters, cultural responses. Case studies toward a global environmental history. Lanham (MD) 2009, 44. Für die Forschungsperspektiven einer kulturgeschichtlichen Klimafolgenforschung ist besonders der Sammelband von Wolfgang Behringer, Hartmut Lehmann, Christian Pfister, Kulturelle Konsequenzen der »Kleinen Eiszeit«. Cultural Consequences of the »Little Ice Age«. Göttingen 2005 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 212) zentral. 75 Z. B. in Wolfgang Behringer, »Kleine Eiszeit« und Frühe Neuzeit, in: Wolfgang Behringer, Hartmut Lehmann, Christian Pfister (Hrsg.), Kulturelle Konsequenzen der »Kleinen Eiszeit«. Cultural Consequences of the »Little Ice Age«. Göttingen 2005 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 212), 452 und Wolfgang Behringer, Kulturgeschichte des Klimas. Von der Eiszeit zur globalen Erwärmung. 5. aktualisierte Aufl. München 2010, 173–179. Eine zusammenfassende Darstellung der Behringerschen These zur Hexenverfolgung in Christian Pfister, Climatic Extremes, Recurrent Crises and Witch Hunts. Strategies of European Societies in Coping with Exogenous Shocks in the Late Sixteenth and Early Seventeenth Centuries, in: The Medieval History Journal 10 (1–2), 2007, 60–66. 76 Andreas Schmidt, Gewitter und Blitzableiter. Historische Deutungsmuster von Gewitter und deren Umschlag in Technik, in: Rolf Peter Sieferle, Helga Breuninger (Hrsg.), Natur-

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aber auch die mentalitätsgeschichtliche Bedeutung der Unwetterdeutung im religiösen Kontext wie in Heinz-Dieter Kittsteiners Studie zur Entstehung des Gewissens.77 Bei den Bewältigungspraktiken zu Wetterkatastrophen sind bisher neben dem Fokus auf die ländliche Gesellschaft78 auch der Blitzableiter in seinem wissensgeschichtlichen Kontext der Elektrizitätsforschung des 18. Jahrhunderts als öffentlicher Wissenschaft79 sowie Praktiken der Hagelbekämpfung untersucht worden.80 Zu den weiteren Typen historischer Katastrophenszenarien, die im Rahmen der historischen Katastrophenforschung untersucht werden, gehören besonders die Stadtbrände. Auch wenn ihre Ursache-Wirkungs-Kette nicht immer mit einem Naturereignis (wie einem Blitzeinschlag) in Verbindung zu bringen ist, sind die Deutungsweisen und Handlungsformen der Katastrophen­bewältigung parallel zu denen von Naturkatastrophen.81 Daneben sind Berg- und Felsstürze, Lawinen und auch Viehseuchen im Blick der historischen Katastrophenforschung.82 Bilder. Wahrnehmungen von Natur und Umwelt in der Geschichte. Frankfurt am Main u. a. 1999, 279–296; Frank Oberholzner, Von einer Strafe Gottes zu einem versicherbaren Risiko. Bemerkungen zum Wandel der Wahrnehmung von Hagelschlag in der Frühen Neuzeit, in: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie 58 (1), 2010, 92–101. 77 Heinz-Dieter Kittsteiner, Das Gewissen im Gewitter, in: Jahrbuch für Volkskunde N. F. 10, 1987, 7–26; Heinz-Dieter Kittsteiner, Die Entstehung des modernen Gewissens. 1. Aufl. Frankfurt am Main 1991. 78 Susanne Kiermayr-Bühn, Leben mit dem Wetter. Klima, Alltag und Katastrophe in Süddeutschland seit 1600. Darmstadt 2009. 79 Vgl. Oliver Hochadel, Öffentliche Wissenschaft. Elektrizität in der deutschen Aufklärung. Göttingen 2003; Christa Möhring, Eine Geschichte des Blitzableiters. Die Ableitung des Blitzes und die Neuordnung des Wissens um 1800. phil. Diss. Bauhaus-Universität Weimar. Weimar 2005. 80 Hans Schmitt-Lermann, Der Hagel und die Hagelversicherung in der Kulturgeschichte. Zum hundertjährigen Bestehen der Bayerischen Landeshagelversicherungsanstalt. München 1984; Frank Oberholzner, Wahrnehmung und Bewältigung von Naturgefahren. Die Hagel­ versicherung in Deutschland seit der Frühen Neuzeit. Eine wirtschafts- und kulturhistorische Studie. phil. Diss. Ludwig-Maximilians-Universität München. München 2011. 81 Martin Körner, Niklaus Bartlome, Erika Flückiger, Stadtzerstörung und Wiederaufbau. Band 1: Zerstörung durch Erdbeben, Feuer und Wasser. Bern u. a. 1999; Massard-Guilbaud et al., Cities and catastrophes. Außerdem Marie Luisa Allemeyer, Fewersnoth und Flammenschwert. Stadtbrände in der frühen Neuzeit. Göttingen 2007; Bankoff, Fire and Quake; Zwierlein, Der gezähmte Prometheus. 82 Monika Gisler, Die Katastrophe als darstellerisch-ästhetisches Ereignis: Der Bergsturz von Goldau 1806, in: Lars Kreye, Carsten Stühring, Tanja Zwingelberg (Hrsg.), Natur als Grenzerfahrung. Europäische Perspektiven der Mensch-Natur-Beziehung in Mittelalter und Neuzeit: Ressourcennutzung, Entdeckungen, Naturkatastrophen. Göttingen 2009, 281–298; Katrin Hauer, Der plötzliche Tod. Bergstürze in Salzburg und Plurs kulturhistorisch betrachtet. Wien u. a. 2009 (Kulturwissenschaft, 23); Stephanie Summermatter, »Das Thal in Schutt und Grauen«. Der Bergsturz von Goldau (Schweiz), 2. September 1806, in: Gerrit Jasper Schenk (Hrsg.), Katastrophen. Vom Untergang Pompejis bis zum Klimawandel. Ostfildern 2009, 119–131; Raphaël Rabusseau, Les neiges labiles. Une histoire culturelle de l’avalanche au XVIIIe siècle. Genève 2007 (Travaux d’histoire suisse, 4); Katharina Engelken, Dominik

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Darüber hinaus wird die Forschung zu historischen Katastrophen von mehreren Untersuchungsperspektiven geprägt, wobei besonders die Bankoffsche These von den Cultures of disasters, die anhand einer Studie zu den Philippinen entwickelt wurde,83 wirkungsmächtig ist: Das Konzept der Katastrophenkultur geht dabei von einer Prägung von Gesellschaften durch spezifische, repetitive Katastrophenszenarien aus, deren kulturelle Integration sich in Sozialstrukturen und den Handlungsroutinen wie Siedlungsverhalten, Architektur, agrarischem System, Migrationsverhalten usw. niederschlägt.84 Christian Rohr hat dieses Modell bereits auf den ostalpinen Untersuchungsraum übertragen, indem er auf die Entwicklung, aber auch die Grenzen einer spezifischen Überschwemmungskultur an den alpinen Flüssen seit dem Spätmittelalter hinwies.85 Auch für die Küstengesellschaften ist eine solche spezifische Prägung durch die Naturgefahr der Sturmfluten ausgemacht worden. Auf die diesbezügliche Bedeutung der Handlungspraktik des Deichbaus für Sozialstrukturen ist bereits hingewiesen worden. Simon Schama benutzte dafür mit Bezug auf das ›Goldene Zeitalter‹ der Niederlande den Begriff der hydrographischen Gesellschaft,86 der sich auch auf andere europäische Meeresregionen wie Venedig und die norddeutschen Küstengesellschaften übertragen lässt.87 Außerdem ist der impact der Katastrophe auf Gesellschaften weitaus vielschichtiger, als die gängigen ›Erzählungen‹ des Katastrophengeschehens anHünniger, Steffi Windelen, Beten, Impfen, Sammeln. Zur Viehseuchen- und Schädlings­ bekämpfung in der Frühen Neuzeit. Göttingen 2007; Dominik Hünniger, Die Viehseuche von 1744–52. Deutungen und Herrschaftspraxis in Krisenzeiten. Neumünster 2011 (Studien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Schleswig-Holsteins, 48); Carsten Stühring, Der Seuche begegnen. Deutung und Bewältigung von Rinderseuchen im Kurfürstentum Bayern des 18. Jahrhunderts. 1. Aufl. Frankfurt am Main u. a. 2011 (Kieler Werkstücke. Reihe E, Beiträge zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 9). 83 Greg Bankoff, Cultures of disaster. Society and natural hazard in the Philippines. London 2003. 84 Vgl. Greg Bankoff, Cultures of Disaster, Cultures of Coping. Hazard as a Frequent Life Experience in the Philippines, in: Christof Mauch, Christian Pfister (Hrsg.), Natural disasters, cultural responses. Case studies toward a global environmental history. Lanham (MD) 2009, 265–284. 85 Rohr, Extreme Naturereignisse, 279–349. 86 Simon Schama, Überfluss und Schöner Schein. Zur Kultur der Niederlande im Goldenen Zeitalter. München 1988, 59. 87 Salvatore Ciriacono, Building on water. Venice, Holland, and the Construction of the European Landscape in Early Modern Times. New York u. a. 2006; Franz Mauelshagen, Flood Disasters and Political Culture at the German North Sea Cost: A Long-Term Histo­ rical Perspective, in: Historical Social Research 32 (3), 2007, 136–139; Mauelshagen, Disaster, 49–55. Im Hintergrund des Konzepts der hydrographischen Gesellschaft steht Karl August Wittfogels (vielfach kritisierte) These von der Prägung der zentralstaatlichen Herrschaftsform des sog. ›Orientalischen Despotismus‹ durch die organisatorischen Anforderung von Bewässerungs-, Wasserregulierungs- und Wassernutzungssystemen: Karl August Wittfogel, Oriental Despotism. A comparative study of total power. New Haven 1957.

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nehmen. Wie die historische Katastrophenforschung besonders am Beispiel der Schweiz aufgezeigt hat, haben Katastrophen nicht nur destruktive Effekte auf soziokulturelle Strukturen, sondern können im Gegenteil gerade durch die Rettungs- und Hilfsmaßnahmen nach einem eingetretenen Katastrophenereignis auch gemeinschafts- und identitätsstiftend wirken;88 eine Erkenntnis, die Kleist bereits in seiner Erdbeben-Novelle formuliert hatte. Ein anderes Beispiel ist das Konfessionalisierungsparadigma, dessen Blick auf die konfessionelle Prägung der Untertanen zu Beginn der Frühen Neuzeit sich auch von der Warte der Katastrophendeutungen in interkonfessionellen Auseinandersetzungen einnehmen lässt.89 Wenn die Katastrophenkultur als ein kollektiver Gedächtnisspeicher für erlittene Naturkatastrophen verstanden werden kann, stellt sich auch die Frage nach einem kollektiven Gedächtnis, ob nun als kommunikatives oder kulturelles Gedächtnis, bzw. einer bewussten kollektiven Erinnerungskultur zu historischen Katastrophen.90 Uwe Lübken hat darauf hingewiesen, dass im Vergleich zur bedrohten Natur die bedrohliche Natur in Form von Naturkatastrophen kaum Bestandteil der europäischen kollektiven Erinnerungspraxis und allenfalls in Hochwassermarken präsent sei.91 Dazu passt Arno Borsts These von 88 Christian Pfister, Strategien zur Bewältigung von Naturkatastrophen seit 1500, in: Christian Pfister (Hrsg.), Am Tag danach. Zur Bewältigung von Naturkatastrophen in der Schweiz 1500–2000. Bern u. a. 2002, 223–231 und Christian Pfister, Naturkatastrophen als nationale Mobilisierungsereignisse in der Schweiz des 19. Jahrhunderts, in: Dieter Groh, Michael Kempe, Franz Mauelshagen (Hrsg.), Naturkatastrophen. Beiträge zu ihrer Wahrnehmung, Deutung und Darstellung in Text und Bild von der Antike bis ins 20. Jahrhundert. Tübingen 2003 (Literatur und Anthropologie, 13), 283–297; Summermatter, »Das Thal …«. Rabusseau kann eine solche identitätsstiftende Wirkung auch anhand der diskursiven Konstruktion der Naturgefahr Lawine zeigen: Rabusseau, Les neiges. 89 Elaine Fulton, Acts of God. The Confessionalization of Disaster in Reformation Europe, in: Andrea Janku, Gerrit Jasper Schenk, Franz Mauelshagen (Hrsg.), Historical disasters in Context. Science, Religion, and Politics. New York u. a. 2012 (Routledge Studies in Cultural History, 15), 54–74. 90 Zu den Konzepten des kommunikativen und kulturellen Gedächtnisses nach Jan Assmann bzw. der Erinnerungskultur vgl. Sabine Moller, Erinnerung und Gedächtnis. Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 12.04.2010. Online verfügbar unter http://docupedia. de/​zg/Erinnerung_und_Ged.C3.A4chtnis?oldid=84601 und Christoph Cornelißen, Erinnerungskulturen. Version: 2.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte. 22.10.2012. Online verfügbar unter http://docupedia.de/zg/Erinnerungskulturen_Version_2.0_Christoph_Corneli.C3.9​ Fen?oldid=84892. Allerdings nimmt die historische Katastrophenforschung bislang kaum explizit auf die theoretischen Konzepte der Gedächtnisforschung Bezug. 91 Uwe Lübken, Naturschutz als Schutz vor der Natur. Überschwemmungen und Vulnerabilität im 19. und 20. Jahrhundert, in: Gert Gröning, Joachim Wolschke-Bulmahn (Hrsg.), Naturschutz und Demokratie!? Dokumentation der Beiträge zur Veranstaltung der Stiftung Naturschutzgeschichte und des Zentrums für Gartenkunst und Landschaftsarchitektur (CGL) der Leibniz-Universität Hannover in Kooperation mit dem Institut für Geschichte und Theorie der Gestaltung (GTG) der Universität der Künste Berlin. München 2006 (CGL -Studies, 3), 281–282.

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der Verdrängung historischer Katastrophenerfahrungen aus der europäischen Geschichtswahrnehmung und ihre Beschränkung auf die Gegenwart, um die Zukunftserwartung nicht zu beeinträchtigen.92 Scheint diese These für eine Erinnerungskultur in der Gegenwart stimmig zu sein, ist sie doch für vergangene Erinnerungskulturen und Formen des kollektiven Gedächtnisses korrekturbedürftig.93 Hier haben René Favier und Anne-Marie Granet-Abisset für das Frankreich des Ancien Régime Substrate eines solchen kollektiven Gedächtnisses zu Naturkatastrophen aufgezeigt, die im Rahmen des Herrschaftsgefüges instrumentalisiert waren: Aufzeichnungen von vergangenen Katastrophenereignissen in amtlichen Dokumenten und Verweise auf die so seit Menschengedenken nicht erlebte oder selbst den ›alten Männern‹ in solchen Ausmaßen nicht erinnerliche Katastrophe setzten die örtlichen Amtsautoritäten einerseits ein, um die Notwendigkeit und Legitimität materieller Hilfe durch den (zentralbehördlichen) Adressaten zu betonen. Andererseits dienten diese rhetorischen Versatzstücke den örtlichen Vertretern der Obrigkeit auch als Absicherung gegen mögliche Vorwürfe, im Angesicht der Katastrophe nicht ausreichend gehandelt zu haben, indem die Außergewöhnlichkeit des Ereignisses und damit die Unmöglichkeit dagegen Vorsorge zu treffen hervorgehoben wurden.94 Geneviève Massard-Guilbaud hat Rahmenbedingungen einer solchen zeitgenössischen Erinnerungskultur für historische Katastrophen formuliert: Vor allem regelmäßig auftretende Katastrophenszenarien kämen hier in Frage, da sie besser erinnerlich seien als einmalig auftretende. Überschwemmungen seien deshalb die am besten memorierten Katastrophenarten. Außerdem hänge die Erinnerungskultur nicht so sehr von der Schwere einer Katastrophe ab als vielmehr von politischen Einflüssen, wie auch Favier und Granet-Abisset betonen. Bei der Erinnerungskultur zu historischen Katastrophen handle es sich zudem um ein höchst selektives Geflecht von Erinnern und Vergessen.95 92 Borst, Das Erdbeben, 532. 93 Die Borstsche These wäre dahingehend zu überdenken, dass es nicht das europäische Geschichts- und Selbstverständnis ist, das eine Erinnerungskultur an historische Katastrophen blockiert, sondern die im europäischen historischen Kontext geprägte Dichotomie von Natur und Kultur als Mensch-Natur-Verhältnis, das gegenüber Natur einen Herrschafts- und Kontrollanspruch stellt. Insofern eine Naturkatastrophe also eigentlich eine Infragestellung dieser Dichotomie bedeutet, erscheint ihre Ausblendung in der Geschichtswahrnehmung nur als konsequent. 94 Favier, Granet-Abisset, Society, 109–110. Der häufige Verweis auf die Einmaligkeit einer Katastrophe und ihre seit Menschengedenken nicht erlebten Ausmaße lässt sich auch in Berichten zu Sturmfluten an der norddeutschen Küste wiederfinden: Jakubowski-Tiessen, »Erschreckliche und unerhörte Wasserflut«, 186–187. 95 Geneviève Massard-Guilbaud, Introduction. The Urban Catastrophe – Challenge to the social, economic, and cultural order of the city, in: Geneviève Massard-Guilbaud, Harold L. Platt, Dieter Schott (Hrsg.), Cities and catastrophes. Coping with emergency in European history = Villes et catastrophes. Réactions face à l’urgence dans l’histoire européenne. Frankfurt am Main u. a. 2002, 41–42.

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Zudem wird die Naturkatastrophe in der historischen Katastrophenforschung neben ihren destruktiven Effekten allgemein auch als Innovationskatalysator angesehen. Sie führe eher selten zum Kollaps von Gesellschaften, sondern löse vielmehr soziokulturellen Wandel aus, indem sie sich auf die Vorstellungen von Klasse oder Geschlecht auswirke, erhöhte Migration hervorrufe, eine kulturelle Adaption an die jeweilige Naturgefahr z. B. durch technische Naturbeherrschung erzwinge etc.96 In diesem Zusammenhang gelten Naturkatastrophen als Motor für Modernisierungsprozesse.97 Besonders am Katastrophenraum Stadt lassen sich Beispiele für die Funktion von Naturkatastrophen als Innovationsmotoren oder allgemein als Katalysatoren für Wandel bzw. Modernisierung im Hinblick auf Recht, Verwaltung, Risikomanagement und Stadtplanung aufzeigen.98 Dabei kann es sich um allgemeine politische, soziale oder ökonomische Wandelprozesse handeln oder auch konkreter um Veränderungen in der städtischen Bauweise und um Bau- oder Feuerverordnungen, die als Reaktion auf Feuersbrünste oder Erdbeben erlassen werden.99 Das bekannteste Beispiel in dieser Hinsicht dürfte Lissabon sein, das nach dem Erdbeben von 1755 unter der maßgeblichen Leitung des portugiesischen Staatsministers Sebastião José de Carvalho e Mello, des späteren Marquês de Pombal, nach aufklärerischen und weniger erdbebenanfälligen raumordnerischen Maßgaben wiederaufgebaut wurde.100 Aber auch über den Fokus auf die Stadt hinaus lässt sich die Innovationsfunktion der Katastrophe als Antreiber für Wandel beobachten. So tritt der frühmoderne Staat immer wieder als Krisenprofiteur auf, indem er den lokalen Gemeinden beispringt, die die Folgen einer Katastrophe alleine nicht bewältigen können, so dass 96 Franz Mauelshagen, Klimageschichte der Neuzeit. 1. Aufl. Darmstadt 2010 (Geschichte kompakt), 118. 97 Christof Mauch, Introduction, in: Christof Mauch, Christian Pfister (Hrsg.), Natural disasters, cultural responses. Case studies toward a global environmental history. Lanham (MD) 2009, 6–7. 98 Martin Körner, Stadtzerstörung und Wiederaufbau: Thema, Fragestellung und Forschungsergebnisse. Bericht der Internationalen Kommission für Städtegeschichte, in: Martin Körner, Niklaus Bartlome, Erika Flückiger (Hrsg.), Stadtzerstörung und Wiederaufbau. Band 3: Schlussbericht. Bern 2000, 38. 99 Massard-Guilbaud, Introduction, 41–42; Reinhard Schulze, Islamische Deutungen von Erdbeben und anderen Naturkatastrophen, in: Christian Pfister, Stephanie Summermatter (Hrsg.), Katastrophen und ihre Bewältigung. Perspektiken und Positionen. Referate einer Vorlesungsreihe des Collegium generale der Universität Bern im Sommersemester 2003. Bern 2004 (Berner Universitätsschriften, 49), 116; Bankoff, Fire and Quake. 100 Vgl. dazu Steffen Dietzsch, Denken und Handeln nach der Katastrophe. Pombal und Kant als Meister der Krise, in: Gerhard Lauer, Thorsten Unger (Hrsg.), Das Erdbeben von Lissabon und der Katastrophendiskurs im 18. Jahrhundert. Göttingen 2008 (Das achtzehnte Jahrhundert. Supplementa, 15), 258–274 und A.  Betâmio de Almeida, The 1755 Lisbon Earthquake and the Genesis of the Risk Management Concept, in: Luiz A. Mendes-Víctor, Carlos Sousa Oliveira, João Azevedo, António Ribeiro (Hrsg.), The 1755 Lisbon earthquake. Revisited. Dordrecht 2009, 147–165.

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die Katastrophenbewältigung zur Herrschaftsverdichtung in der Frühen Neuzeit beitragen kann.101 Der Innovationsschub durch eine Naturkatastrophe kann auch über die Instrumentalisierung des Katastrophengeschehens erfolgen, um bestimmte Zielsetzungen zu befördern, wie Stephanie Summermatter anhand der Schweizer Wasserbaupolitik im 19. Jahrhundert herausgearbeitet hat.102 Eng verbunden mit der Innovationswirkung von Naturkatastrophen ist die Frage nach dem Lernen aus Katastrophen. Auch wenn dieses Forschungsfeld in der historischen Katastrophenforschung bislang nur sehr zögerlich angegangen worden ist,103 sind hier erste Arbeiten bereits erschienen. Guido Poliwodas Studie zu den Elbefluten in Sachsen von 1784 bis 1845 fokussiert explizit auf Lernprozesse, die durch die jeweiligen Überschwemmungen ausgelöst worden sind und sich in Lernphasen differenzieren lassen.104 Auch die bereits erwähnte Arbeit von Denis Cœur zu den Flussüberschwemmungen in der Grenobler Region benennt Innovations- und Lernentwicklungen, die durch Hochwasser- und Überschwemmungsereignisse ausgelöst worden sind. Pfister hat hier zurecht darauf hingewiesen, dass der Begriff Lernen in der historischen Katastrophenforschung bislang unterkomplex verwendet und meist einfach mit Wissensakkumulation gleichgesetzt wird, ohne bestehende Lerntheorien zu berücksichtigen.105 Besonders das organisationelle Lernen in Bezug auf die Katastrophenbewältigung steht hier im Vordergrund. In diesem Zusammenhang ist auf die Erkenntnisse aus der Forschung zur Organisationsentwicklung hinzuweisen, dass entwickelte Lösungsstrategien für Probleme die Eigenschaft entwickeln, auf Dauer gestellt zu werden und konkurrierende Lösungsansätze zu blockieren.106 Lernen in diesem Sinne kann also auch zu der paradoxen Situation führen, dass zukünftige Lernprozesse blockiert werden. Ein neuer Ansatz für die historische Katastrophenforschung könnte sich zudem über die Sicherheitsforschung entwickeln, in der sich die Geschichtswissenschaft bislang kaum positioniert hat.107 Das nach wie vor dominierende Themenfeld in der historischen Katastrophenforschung ist jedoch die Erforschung 101 Nowosadtko / Pröve, Einleitung, 213; so auch in Coeur, La plaine de Grenoble. 102 Stephanie Summermatter, Die instrumentalisierte Katastrophe – Die Schweizer Wasserbaupolitik vor und nach den Überschwemmungen von 1868, in: Historical Social Research 32 (3), 2007, 200–214. 103 Christian Pfister, Learning from Nature-Induced Disasters. Theoretical Considerations and Case Studies from Western Europe, in: Christof Mauch, Christian Pfister (Hrsg.), Natural disasters, cultural responses. Case studies toward a global environmental history. Lanham (MD) 2009, 18–19. 104 Guido N. Poliwoda, Aus Katastrophen lernen. Sachsen im Kampf gegen die Fluten der Elbe 1784 bis 1845. Köln 2007. 105 Pfister, Learning, 19–22. 106 Dombrowsky, Entstehung, 170–172. 107 Zur Sicherheitsgeschichte als Forschungsfeld und der Verbindung zur Historischen Katastrophenforschung Cornel Zwierlein, Sicherheitsgeschichte. Ein neues Feld der Geschichts­

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der Deutung und handelnden Bewältigung von Naturkatastrophen. Zentral ist dabei die Frage nach dem Wandel der historischen Deutungsmuster und dessen Einbettung in die zeitgenössischen soziokulturellen Kontexte und makrohistorischen Wandelprozesse. Als eine Meistererzählung der Forschung in diesem Zusammenhang, was auch auf die starke Konzentration der historischen Katastrophenforschung auf die Frühe Neuzeit zurückzuführen ist, kann die Großthese von der Ablösung der religiös-transzendentalen durch die naturwissenschaftlich-weltimmanente Katastrophendeutung im 18. Jahrhundert im Zeitraum der Aufklärung gelten. Dieser paradigmatische Wandel der Katas­ trophendeutung wurde besonders am Beispiel des Erdbebens von Lissabon 1755 festgemacht. Diese am philosophischen Diskurs der Aufklärung festgemachte Vorstellung vom Wandel der Deutungsmuster108 kann als mittlerweile durch die Forschung widerlegt gelten: Das Lissaboner Erdbeben hatte demnach mitnichten zu einer Desavouierung der religiösen Deutung und speziell des physikotheologischen Naturoptimismus geführt, sondern vielmehr eine Pluralisierung der Deutungsmuster im Katastrophendiskurs bewirkt.109 Anhand der Analyse der Deutung des Erdbebens im deutschen Protestantismus konnte zudem gezeigt werden, dass die religiöse Deutung der Katastrophe in Form straftheologischer und physikotheologischer Vorstellungen sehr virulent war und keineswegs verstummte.110 Und auch in den europäischen Gelehrtennetzwerken der Aufklärung führte das Lissaboner Erdbeben durchaus nicht, wie der Rekurs auf die aufklärerischen Geistesgrößen Voltaire und Kant suggerieren will, zu einer generellen Verabschiedung der physikotheologischen optimistischen Welt- und Natur­deutung zugunsten einer ausschließlich weltimmanenten naturwissenschaftlichen Deutungsperspektive.111 Aber auch über das Lissaboner Erdbeben hinaus ist die These von der Säku­ larisierung der Katastrophendeutung im 18. Jahrhundert kritisiert bzw. differenziert worden. Generell war auch die Epoche der Aufklärung »not as unidimensionally rational or technologically adept as the epithet ›the Age of Reason‹ would suggest. This period only shifts the balance between physical and metaphysical

wissenschaft, in: Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für historische Sozialwissenschaft 38 (3), 2012, 365–386. 108 Besonders die Kontroverse zwischen Voltaire und Rousseau über die Deutung der Erdbebenkatastrophe von Lissabon anlässlich von Voltaires kurz nach der Katastrophe erschienenen Gedicht »Poème sur le désastre de Lisbonne«, aber auch Kants Auseinandersetzung mit dem Erdbeben (s. dazu jeweils die Anthologie Breidert, Die Erschütterung) dienten hier als Kardinalbelege der These des paradigmatischen Wandels. 109 Groh et al., Einleitung, 21–22. 110 Löffler, Lissabons Fall; Löffler, »Erbauliche Trümmerstadt«. 111 Die Deutung des Katastrophengeschehens in Albrecht von Hallers und auch Scheuchzers gelehrtem Korrespondentennetz sind dafür beispielhaft: Stuber, Gottesstrafe; Gisler, Göttliche Natur?.

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explanations of catastrophe.«112 Zum einen werden in der Forschungsliteratur simplifizierende Vorstellungen von der Säkularisierung der Katastrophendeutung in Form einer trennscharfen Ablösung religiöser durch naturwissenschaftliche Deutungsmuster, die metaphysische und rational-säkulare Deutungsperspektiven als Gegensätze begreifen, zurückgewiesen. Stattdessen wird trotz eines erkennbar zunehmenden Übergewichts säkularer Deutungen im Verlauf des 18. Jahrhunderts die Überlappung und Koexistenz religiöser und säkular-naturwissenschaftlicher Deutungsmuster und Handlungspraktiken in der Katastrophenbewältigung betont.113 Besonders der Physikotheologie kam hier eine Brückenfunktion zwischen religiöser und rational-empiristischer Naturund Katastrophendeutung zu.114 Zum anderen wird auf die Aktualität religiöser Deutungsformen auch in der Gegenwart hingewiesen. Trotz einer zunehmenden diskursiven Dominanz naturwissenschaftlicher Erklärungsansätze seit dem 18. Jahrhundert waren religiöse Deutungsmuster bis weit ins 19. Jahrhundert hinein und darüber hinaus immer wieder aktualisierter Bestandteil der Katas­ trophenbewältigung.115 Beispielsweise taucht das Konzept der Straftheologie, das eine Katastrophe als göttliche Warnung oder Strafe für die Sünden der Menschen begreift, in säkularisierter Form in der Gegenwart wieder auf, wenn Katastrophen als Rache der Natur für Versündigungen des Menschen an ihr bezeichnet werden. Damit wird Natur wieder, wie bei der ursprünglichen Straftheologie auch, zum Medium moralischer Selbstreflexion der Gesellschaft.116 112 Alessa Johns, Introduction, in: Alessa Johns (Hrsg.), Dreadful visitations. Confronting natural catastrophe in the age of enlightenment. New York 1999, xv–xvi. 113 Jakubowski-Tiessen, Sturmflut 1717, 79–111; Groh et al., Einleitung,  20; Manfred Jakubowski-Tiessen, Hartmut Lehmann, Religion in Katastrophenzeiten: Zur Einführung, in: Manfred Jakubowski-Tiessen, Hartmut Lehmann (Hrsg.), Um Himmels Willen. Religion in Katastrophenzeiten. Göttingen 2003, 12; Gisler, Göttliche Natur?, 13–18; Rohr, Extreme Naturereignisse, 50–68. 114 Gisler, Göttliche Natur?, 18. Zum engen Zusammenhang physikotheologischer Naturdeutung und dem empiristischen Forschungsprogramm der sich entwickelnden Naturwissenschaften Ruth Groh, Dieter Groh, Weltbild und Naturaneignung. Zur Kulturgeschichte der Natur. Band 1. 1. Aufl. Frankfurt am Main 1991 (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 939). 115 Pfister, Strategien, 214. Die Fortdauer religiöser Deutungsmuster im 19. Jahrhundert in Bezug auf Sturmfluten zeigt Jakubowski-Tiessen, Gotteszorn, 115–118. 116 Groh et al., Einleitung, 27. Felgentreff und Dombrowsky verweisen hier auf eine »Magisierung der Katastrophengenese«, die sich in Elementen des gegenwärtigen Katastrophendiskurses wie der juristischen Formel von höherer Gewalt oder der rachsüchtigen Natur widerspiegele; Carsten Felgentreff, Wolf R.  Dombrowsky, Hazard-, Risiko- und Katastrophenforschung, in: Carsten Felgentreff, Thomas Glade (Hrsg.), Naturrisiken und Sozialkatastrophen. Berlin 2008, 14. Darüber hinaus wird aber auch das religiöse Deutungsmuster der Straftheologie selbst immer wieder bei gegenwärtigen Katastrophenszenarien aktualisiert: So bei der Verwüstung von New Orleans durch den Hurrikan Katrina 2005 (Theodore Steinberg, Acts of God. The Unnatural History of Natural Disaster in America. 2. ed. New York 2006, xi–xii) und auch anlässlich der Tsunami-Katastrophe von 2004 (Urte Undine Frömming, Naturkatastrophen. Kulturelle Deutung und Verarbeitung. Frankfurt am Main 2006, 150–153).

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Insgesamt wird also die Verdrängung religiöser durch naturwissenschaftliche Deutungsmuster in einem sich allmählich und nicht linear vollziehenden Prozess der Säkularisierung der Katastrophendeutung im 18. und 19. Jahrhundert bestätigt, wenn auch auf die Überlappung und Koexistenz dieser Deutungsperspektiven im Rahmen einer »Gleichzeitigkeit von scheinbar Ungleichzeitigem« hingewiesen wird.117 Allerdings liegen bislang nur wenige Studien vor, die den so perspektivierten Wandel der Katastrophendeutung nicht nur aufgrund schlaglichtartiger Einblicke zu einzelnen Katastrophenereignissen oder -typen konstatieren, sondern auch im Hinblick auf seine historischen soziokulturellen Bedingungen, seine Verortung und Prägung in herrschaftsgeschichtlichen und wissensgeschichtlichen diskursiven Kontexten sowie in Bezug auf die sozialen Akteure und ihr interessengeleitetes Agieren im Katastrophendiskurs analysieren.118 Damit sind auch die Fragen, inwiefern der Umgang mit Katastrophen – die Deutungsmuster und Handlungspraktiken der Katastrophenbewältigung – mit anderen herrschafts-, wissens- und sozialgeschichtlichen Prozessen wechselseitig verwoben war, inwiefern er zur Herrschaftsverdichtung und Staatsbildung beigetragen hat, wie er die Entwicklung der Mensch-Natur-Beziehung beeinflusste und von ihr beeinflusst wurde, wie der Katastrophendiskurs insgesamt mit benachbarten involvierten Diskursfeldern der Aufklärung verbunden war und wie er in den politisch-gesellschaftlichen Machtstrukturen im 18. und 19. Jahrhundert eingebettet war, bislang eher unterbelichtet.119 Die mangelnde Forschungslage zur langfristigen historischen Verortung des Wandels der Katastrophendeutung im 18. Jahrhundert geht auch mit einer nach wie vor zu konstatierenden Ereignisfixiertheit der historischen Katas­ 117 Jakubowski-Tiessen / Lehmann, Religion, 12. 118 Eine Darstellung der diesbezüglichen Forschungsdesiderate mit der Fokussierung auf die Rolle der Religion in der Katastrophendeutung der Frühen Neuzeit in Jakubowski-Tiessen / ​ Lehmann, Religion. Der diskursgeschichtliche Aspekt des Wandels der Katastrophendeutung ist mit einzelnen Fallstudien vertreten: Der jüngste kulturgeschichtliche Überblick zu Katastrophen, Walter, Katastrophen, bietet diskursanalytische Darstellungen der diversen Formen der Katastrophendeutung. Monika Gislers Studie zum Erdbebendiskurs in der Schweiz des 18. Jahrhunderts, Gisler, Göttliche Natur?, bleibt größtenteils auf der Ebene des Gelehrtendiskurses. Matthias Georgis Untersuchung zur Katastrophendeutung im 18. Jahrhundert nimmt die mediale Katastrophenwahrnehmung und die diesbezügliche Rolle und Position der Naturwissenschaft in der englischen Öffentlichkeit ins Visier: Georgi, Heuschrecken. 119 Eine in dieser Hinsicht hervorstechende Studie ist die Arbeit von Ted Steinberg, die sich an einer solchen historischen Kontextualisierung versucht. Steinberg zeigt u. a. am Beispiel des Erdbebens in Charleston 1886, dass die Katastrophendeutung auch stark mit dem Interesse des weißen Bürgertums korrelierte, die Arbeitsmoral der schwarzen Arbeiter wiederherzustellen bzw. aufrechtzuerhalten und diese nach der Katastrophe so schnell wie möglich wieder zur Arbeit zurückkehren zu lassen. Dem diente eine Deutung des Katastrophengeschehens, die es nicht als göttlichen Akt wahrnahm, sondern als hinzunehmendes, zufällig eintretendes Ereignis. Durch diese De-Moralisierung der Katastrophe konnte sie nicht mehr den Charakter einer Infragestellung des sozialen Systems gewinnen; Steinberg, Acts, 5–19.

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trophenforschung einher. Uwe Lübken beklagte in diesem Zusammenhang die »Inselartigkeit der Analyse« von historischen Katastrophen durch die Fokussierung auf einzelne Extremereignisse, so dass langfristige Entwicklungen von Bewältigungsstrategien und Vulnerabilitätsfaktoren außer Acht blieben.120 Auch Christian Pfister bemängelte die geringe Anzahl von Untersuchungen in der historischen Katastrophenforschung, die sich an der Perspektive der longue durée orientierten.121 Greg Bankoff hat hier mit Bezugnahme auf das Konzept der Vulnerabilität darauf hingewiesen, dass die Katastrophe eine hybride Zeitstruktur aufweist:122 Einerseits kann sie als eintretendes Ereignis verstanden werden, das ›Effekte‹ produziert und die Funktion eines Katalysators von Innovation und Wandel hat. Andererseits hat sie aber auch eine prozessuale Zeitstruktur, die sich nur über eine Historisierung der Katastrophe selbst erschließt, indem die jeweiligen Vulnerabilitätsfaktoren und -bedingungen in ihrer historischen Entwicklung, die in der spezifischen Verbindung von Natur, Kultur und Gesellschaft besteht, nachvollzogen werden.123 Neben diesen thematischen Desideraten sind auch noch zu bearbeitende bzw. zu vertiefende zeitliche und räumliche Felder auf der Landkarte der historischen Katastrophenforschung zu konstatieren: Aufgrund der erwähnten starken Fokussierung auf die Frühe Neuzeit sind Katastrophen im 19. und 20. Jahrhundert als Forschungsobjekte bisher eher vernachlässigt worden, obwohl sich gerade in diesem historischen Zeitraum, so Uwe Lübken, die Verhaltensweisen, die für unseren gegenwärtigen Umgang mit Katastrophen charakteristisch sind, ausgebildet haben.124 Die vorhandene Forschungsliteratur zeigt darüber hinaus auch die sich globalisierende Ausrichtung der historischen Katastrophenforschung, wobei der europäische Raum zwar mit vorliegenden Studien für England, Frankreich, Italien und das deutschsprachige Heilige Römische Reich dominant ist. Bei letzterem zeigt sich jedoch ein konfessioneller und räumlich-geographischer Bias in der Forschungslandschaft, da der protestantisch-norddeutsche Raum mit mehreren Fallstudien gut vertreten ist, für den katholisch-süddeutschen Bereich dagegen kaum Arbeiten vorliegen. Österreich ist lediglich Thema einiger weniger kleinerer Arbeiten und überblickshafter Darstellungen zur Katastrophengeschichte.125 120 Uwe Lübken, Zwischen Alltag und Ausnahmezustand. Ein Überblick über die historiographische Auseinandersetzung mit Naturkatastrophen, in: WerkstattGeschichte 38, 2004, 99. 121 Pfister, Learning, 33. 122 Bankoff, Time is off the Essence. 123 Ebd., 33–35. Bankoff spricht in diesem Zusammenhang von einem »temporally-produced state of vulnerability«, 34. 124 Uwe Lübken, »Der große Brückentod«: Überschwemmungen als infrastrukturelle Konflikte im 19. und 20. Jahrhundert, in: Saeculum 58 (1), 2007, 92–93. 125 Vgl. die entsprechenden Beiträge in Eybl et al., Elementare Gewalt und Martina Lehner, »Und das Unglück ist von Gott gemacht…«. Geschichte der Naturkatastrophen in Österreich. Wien 1995 sowie die Arbeit von Josef Nussbaumer, Die Gewalt der Natur. Eine

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Zusammen mit Bayern ist noch besonders die bereits erwähnte Arbeit von Christian Rohr zu extremen Naturereignissen im Ostalpenraum hervorzuheben. Zeitlich ist Rohrs Studie aber auf den Zeitraum von Spätmittelalter und Beginn der Frühen Neuzeit konzentriert. Für die Katastrophenbewältigung im 18. Jahrhundert und damit die Frage nach dem skizzierten Deutungsmusterwandel unter dem Einfluss der Aufklärung liegt bislang nur die Arbeit von Carsten Stühring zur Bewältigung von Viehseuchen vor.126 Abgesehen von diesen Einzelbeispielen sind historische Naturkatastrophen und ihre Bewältigung in Bayern auch ein Thema für die heimat- und landesgeschichtliche Forschung.127 Eine Erforschung der Katastrophenbewältigung im Bayern des 18. Jahrhunderts ermöglicht in mehrfacher Hinsicht einen Ausgleich des bisherigen Chronik der Naturkatastrophen von 1500 bis heute. Grünbach 1996 (Illustrierte Chronik der Katastrophen, 1). Für einen detaillierten Überblick über die nur in Ansätzen vorliegende österreichische Forschungsliteratur siehe Rohr, Extreme Naturereignisse, 45–49. 126 Stühring, Der Seuche begegnen. 127 Die folgende, natürlich nicht vollständige Liste vermittelt einen Eindruck der diesbezüglichen Forschungstätigkeit: Martina Bauernfeind, Die Hochwasser von 1595, 1784 und 1909 im Spiegel von Augenzeugenberichten, in: Norica. Berichte und Themen aus dem Stadtarchiv Nürnberg 5, 2009, 76–91; Horst-Dieter Beyerstedt, Ueberschwemmung und Wassersnoth. Historische Hochwasser in Nürnberg, in: Norica. Berichte und Themen aus dem Stadtarchiv Nürnberg 5, 2009, 50–60; Emmi Böck, Ingolstädter »Wassernot«. Von Katastrophen in alter Zeit, in: Gerhard Kurz (Hrsg.), Chronik 1250–2000. 750 Jahre Stadt Ingolstadt. Von »ingoldes stat« zur modernen Großstadt mit Flair. Ingolstadt 2000, 76–77; Ernst Dürr, Anna Gugerbauer, Katharina Gugerbauer, Vom Zorn des Inn. Hochwasser-Katastrophen in Schärding und den bayerischen Nachbargemeinden. 1. Aufl. Wernstein 1999; Hans Köller, Holzhausen auf Karten und Bildern. 1200 Jahre Großholzhausen 804–2004. Raubling 2004, 77–84; Fritz Markmiller, Hochwasser und Brückenheiliger, in: Dieter Vogel (Hrsg.), Dingolfing-Landau. Porträt eines niederbayerischen Landkreises. 3., vollst. überarb. Aufl. Vilsbi­ burg 2009, 40–43; Alois Mitterwieser, Wetterläuten, Wetterschießen und Wetterkerzen im südlichen Bayern, in: Volk und Volkstum. Jahrbuch für Volkskunde 2, 1937, 85–92; Walter Pilsak, Fritz Markmiller, »Gott schütze uns vor Blitz und Hagel!«. Alte Gewitterbräuche in Ostbayern, in: Heimat Ostbayern 6, 1991, 75–84; Richard Reil, Hochwasserkatastrophen, in: Alfred Hofmaier (Hrsg.), Stadtamhof im 19. Jahrhundert. Regensburg 1991 (Schriftenreihe des Heimatverein »Statt am Hoff« e. V., 2), 95–101; Norbert Schindler, Die Konflikte um das Salzburger Wetterläutverbot von 1785. Zum pragmatischen Gebrauch der Mikrogeschichte, in: Ewald Hiebl, Ernst Langthaler (Hrsg.), Im Kleinen das Große suchen. Mikrogeschichte in Theorie und Praxis. Hanns Haas zum 70.  Geburtstag. Innsbruck 2012 (Jahrbuch für Geschichte des Ländlichen Raumes, 9), 106–120; Georg Seiderer, Zwischen gottgewollt und ratio: Die »grosse Wasserflut« von 1784 in Nürnberg. Katastrophendeutung im Widerstreit von aufgeklärter Theologie und lutherischer Orthodoxie, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 96, 2009, 151–176; Manfred Vasold, Die Eruptionen des Laki von 1783/84 und die Überschwemmungen vom Februar 1784 im fränkischen Raum. Ein Beitrag zur deutschen Klimageschichte, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 64, 2004, 131–143; Rudolf Vogel, Katastrophen: Brände – Überschwemmungen – Felsstürze, in: Otto Kettemann, Helga Hoffmann (Hrsg.), Droben im Allgäu, wo das Brot ein End’ hat. Zur Kulturgeschichte einer Region. Kronburg-Illerbeuren 2000 (Druckerzeugnisse des Schwäbischen Bauernhofmuseums Illerbeuren, 14), 447–454.

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Schwerpunkts der historischen Katastrophenforschung auf dem norddeutschprote­stantischen Raum des Alten Reichs. Neben den Katastrophenarten wie Sturmfluten, die sich aus den naturräumlichen Gegebenheiten des norddeutschen Raums als Küstenregion ergeben, geraten dann auch die Katastrophen­ typen, die einer Bergregion wie den Alpen entsprechen, stärker in den Blick, wobei Überschwemmungen und Hochwasser an den Flüssen für beide geographische Räume bedeutsam sind. Insofern die Naturkatastrophe als ein hybrides Phänomen zwischen der Materialität des zugrundeliegenden Naturereignisses und den damit zusammentreffenden soziokulturellen Faktoren verstanden werden kann (s. Kap. 1.3.1), trägt dieser Fokus auf eine durch das Gebirge geprägte Region auch den Abhängigkeiten der Deutungsmuster und Handlungspraktiken der Katastrophenbewältigung von den dort vorherrschenden Naturgefahrenszenarien Rechnung. Dazu kommt die Bedeutung der konfessionellen Differenz zwischen Protestantismus und Katholizismus für die religiöse Deutung und handelnde Bewältigung von Naturkatastrophen, da diese Differenz in der Instrumentalisierung der Katastrophendeutung in den interkonfessionellen Auseinandersetzungen über die Deutungshoheit eines Katastrophenereignis inszeniert werden konnte.128 Darüber hinaus spiegeln sich konfessionelle Unterschiede aber auch in der Argumentationsstruktur der religiösen Deutungsmuster und den entsprechenden Praktiken der Katastrophenbewältigung selbst wider. Während z. B. die theologische Argumentation im Protestantismus Gott als unmittelbaren Herrscher des Wetters durchzusetzen sucht und im Unwetter das an Gott gerichtete Gebet empfiehlt, wird das dämonisch-teuflische Element der Lenkung des Wetters im Katholizismus stärker betont und die Kirche erteilt ihre Wetterbenediktionen zur Einsegnung des Wetters, wobei auch die Anrufung von Heiligen und der Einsatz ihrer Reliquien hilfreich sein kann.129 Die Analyse der Katastrophendeutung im Bayern des 18. Jahrhunderts verspricht also Aufschlüsse über den Wandel der Deutungsmuster in der Aufklärung bezogen auf einen katholischen Diskursraum. Die Herleitung der Bedeutung von Bayern als Untersuchungsraum für diese Forschungsfrage durch seine naturräumlichen Bedingungen und seine konfessionelle Prägung bezieht sich dabei auf ein theoretisches Verständnis der Naturkatastrophe, das dieser Arbeit zugrunde liegt; nämlich die Naturkatastrophe als hybrides Schnittstellenphänomen zwischen Materialität und Sozialität, zwischen Naturereignis und Gesellschaft zu begreifen. 128 Fulton, Acts of God; Walter, Katastrophen, 43–45; auch das Lissaboner Erdbeben wird zum Anlass der Inszenierung der konfessionellen Differenz in der Katastrophendeutung, Löffler, »Erbauliche Trümmerstadt«, 267–271. 129 Allgemein zu den konfessionellen Unterschieden der Katastrophendeutung und -bewältigung Walter, Katastrophen, 34–45. Speziell zur Deutung des Unwetters im Protestantismus in Verbindung mit der Frage der Ausbildung des Gewissensdiskurses im Gewitter Kittsteiner, Die Entstehung.

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1.3 Methodische Perspektiven: Soziokulturalität der Naturkatastrophe Wie bereits ersichtlich wurde, sind Naturkatastrophen für die sozialwissenschaftliche und historische Katastrophenforschung alles andere als mit dem Menschen unverbundene, natürliche Phänomene, die ihn lediglich (be)treffen. Die eingetretene Natur-Katastrophe ist im Gegenteil Ergebnis eines Zusammenspiels von extremem Naturereignis und soziokulturellen Wirkfaktoren.130 Damit scheint auch die Bezeichnung Naturkatastrophe selbst deskriptiv ungenügend und sogar verwirrend zu sein, was sich in den Diskussionen der Katastrophenforschung um Sinn und Unsinn des Begriffs niederschlägt.131 Dass nicht nur soziale Faktoren zum wichtigen Kriterium für das Eintreten von Naturkatastrophen werden, sondern auch die Natur selbst, der eine Naturkatastrophe zuzuschreiben wir nach wie vor gewohnt sind, in historischer Perspektive als mentales Konstrukt erscheint, steigert noch die Komplexität des Phänomens Naturkatastrophe. Bereits die älteren ideengeschichtlichen Forschungen im Rahmen der Umweltgeschichte haben verdeutlicht, dass ›Natur‹ immer auch eine Vorstellung von Natur im Rahmen einer diskursiv konzeptionierten Mensch-Natur-Beziehung ist, die historischen Wandelprozessen unterliegt.132 Es sind diese Naturbilder, die den diskursiv kontingenten Charakter der Vorstellung von Natur auch für das 18. und 19. Jahrhundert illustrieren. In der Perspektive der Aufklärung sowie der Staats- und anderer ökonomisch angewandter Wissenschaften des 18. Jahrhunderts – z. B. die sich entwickelnde Forstwissenschaft  – wird die Natur zum »Warenhaus«:133 Im ökonomisch 130 Häufig wird in der Forschungsliteratur in diesem Zusammenhang auch die Sentenz von Max Frisch zitiert: »Katastrophen kennt allein der Mensch, sofern er sie überlebt; die Natur kennt keine Katastrophen.« M. Frisch, Der Mensch erscheint im Holozän. Eine Erzählung. Frankfurt am Main 1979, 103. 131 Bspw. in Groh et al., Einleitung, 15–16; Frömming, Naturkatastrophen, 11–13 und Carsten Felgentreff, Thomas Glade, Naturrisiken – Sozialkatastrophen: zum Geleit, in: Carsten Felgentreff, Thomas Glade (Hrsg.), Naturrisiken und Sozialkatastrophen. Berlin 2008, 1–10. 132 Clarence J.  Glacken, Traces on the Rhodian shore. Nature and culture in Western thought from ancient times to the end of the eighteenth century. Berkeley u. a. 1967 [Reprint 1996] (California library reprint series); Peter Coates, Nature. Western attitudes since ancient times. Berkeley 1998. Besonders anhand der Geschichte der Landschaft und der diesbezüglichen Vorstellungswelten lässt sich die Diskursivität einer ›arrangierten Natur‹ illustrieren, vgl. Ludwig Trepl, Die Idee der Landschaft. Eine Kulturgeschichte von der Aufklärung bis zur Ökologiebewegung. Bielefeld 2012 (Edition Kulturwissenschaft, 16). 133 Günter Bayerl, Die Natur als Warenhaus. Der technisch-ökonomische Blick auf die Natur in der Frühen Neuzeit, in: Sylvia Hahn, Reinhold Reith (Hrsg.), Umwelt-Geschichte. Arbeitsfelder – Forschungsansätze – Perspektiven. Wien u. a. 2001 (Querschnitte, 8), 33–52; Torsten Meyer, Marcus Popplow, »To employ each of Nature’s products in the most favorable way possible« – Nature as a Commodity in Eighteenth-Century German Economic Discourse,

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technokratischen Zugriff wird sie zum Objekt planerisch-optimierender Neugestaltung, um durch effizienteren Ressourcengebrauch die Machtmittel des frühneuzeitlichen Fürstenstaates zu erhöhen und die allgemeine Wohlfahrt zu garantieren. In der Physikotheologie des 17. und 18. Jahrhunderts gilt die empirische Erforschung der Natur und ihrer kausalen Gesetzmäßigkeiten als Weg zur Gotteserkenntnis; im häufig bemühten Metaphernkomplex von Gott als dem Uhrmacher und der Welt als Uhrwerk134 wird letztere einerseits zur perfekten Maschine, die nach ihrer Erschaffung nur ihrer selbst bedarf, um nach seit der Schöpfung geltenden Naturgesetzen zu funktionieren. Andererseits wird die geschaffene Natur – der durch die forschende Betrachtung gewonnenen Erkenntnis einer zweckmäßigen Einrichtung der Welt durch den Schöpfer folgend – auch zum zweiten Buch der Offenbarung und die empirisch-naturwissenschaftliche Forschertätigkeit zum Gottesdienst.135 Als klassische Konfiguration der Mensch-Natur-Beziehung in der Moderne, die auf der Ökonomisierung der Natur im 18. Jahrhundert aufbaut und erst mit der Ökologiebewegung des 20. Jahrhunderts Konkurrenz erhalten hat und unter Druck geriet bzw. gerät, entwickelte sich die Dichotomie von Mensch / Kultur vs. Umwelt / Natur, in der letztere zum Objekt technischer Kontrolle, ›Eroberung‹, Kultivierung, Zivilisierung und Ressourcenausbeutung wird.136 in: Historical Social Research 29 (4), 2004, 4–40; zur Ökonomisierung der Mensch-Natur-Beziehung und Geometrisierung der arrangierten Natur in der Aufklärungszeit anhand eines regionalgeschichtlichen Beispiels Rainer Beck, Ebersberg oder das Ende der Wildnis. Eine Landschaftsgeschichte. München 2003. 134 Vgl. überblickshaft zu den Metaphern der physikotheologischen Naturbeschreibung und -deutung Paul Michel, Physikotheologie. Ursprünge, Leistung und Niedergang einer Denkform. Zürich 2008 (Neujahrsblatt, hg. von der Gelehrten Gesellschaft in Zürich, 171. Stück), 35–56. 135 Zur Physikotheologie selbst vgl. Udo Krolzik, Säkularisierung der Natur. ProvidentiaDei-Lehre und Naturverständnis der Frühaufklärung. Neukirchen-Vluyn 1988 und Michel, Physikotheologie. Zur Verbindung des physikotheologischen Naturbildes mit der Vorstellung einer unerschöpflichen Natur, der oeconomia naturae, Rolf Peter Sieferle, Die Krise der menschlichen Natur. Zur Geschichte eines Konzepts. 1. Aufl. Frankfurt am Main 1989 (Edition Suhrkamp, 1567 = n. F., 567), 24–34. Zur Einordnung der Physikotheologie in das naturtheologische Denken und seine Verbindung mit dem mechanistischen Weltbild Groh / Groh, Weltbild, 17–68. Die Physikotheologie war auch gegen das Naturbild der natura lapsa in Stellung gebracht worden, in der die gefallene Natur vom Sündenfall des Menschen korrumpiert und durch die Sintflut gezeichnet ist und in eschatologischer Perspektive genau wie der Mensch auf die Erlösung am Endpunkt der Heilsgeschichte zusteuert; Sieferle, Die Krise, 15–24. 136 Wie sich diese Naturvorstellung in der Umgestaltung der deutschen Landschaft vom 18. bis ins 20. Jahrhundert ausgewirkt hat, zeigt David Blackbourn, Die Eroberung der Natur. Eine Geschichte der deutschen Landschaft. München 2007. Außerdem zusammenfassend für die Dichotomie Mensch vs. Natur Anthony Oliver-Smith, Theorizing Vulnerability in a Globalized World: A Political Ecological Perspective, in: Greg Bankoff, Georg Frerks, Dorothea Hilhorst (Hrsg.), Mapping vulnerability. Disasters, development, and people. London u. a.

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Auch der materielle Aspekt der Naturkatastrophe in Form des Natur­ ereignisses ist also weitaus weniger objektiv gegeben und ›natürlich‹, als der Begriff Naturkatastrophe impliziert, da Natur in erster Linie in Form der skizzierten Naturvorstellungen zu existieren scheint. Wenn Natur zuallererst ein mentales Konstrukt ist, welche Bedeutung kommt dann potenziell zerstörerischen und sinnlich wahrnehmbaren Naturereignissen wie Lawinen, geomorphologischen Massenbewegungen (Berg- und Felsstürze, Hangrutschungen usw.), Vulkanausbrüchen oder Erdbeben zu, wo sie doch für das menschliche Auge direkt sichtbare Auswirkungen in der Landschaft haben? Das führt direkt ins Herz einer epistemologischen Grundkontroverse zwischen Naturalismus und Konstruktivismus über die Frage nach mentalen Naturbildern und ihrer Entsprechung in ›natürlicher‹ Realität, zu der Frage nach der Objektivität oder Subjektivität von Natur: »Gibt es (jenseits elementarer physikalischer Abläufe) eine ›objektive‹ Natur, oder handelt es sich bei ›Natur‹ lediglich um eine Kopfgeburt, um ein mentales Konstrukt also, das in das Belieben des jeweiligen kulturellen ›Subjekts‹ gestellt ist.«137 Für beide Positionen sind Argumente vorgebracht worden, die in ihrer Kritik der jeweiligen Gegenseite auch ihre Prägung durch historisch gewachsene Weltanschauungen und Ideologien erkennen lassen.138 Dabei ließe sich die Frontstellung beider Positionen noch im Sinne eines gemäßigten Konstruktivismus aufweichen, indem die außerkulturelle, jenseits des Diskurses vorhandene reelle Materialität von Natur zwar anerkannt wird, 2004, 12–14 und besonders für die Dichotomie von Mensch bzw. Politik oder dem Sozialen vs. Natur Bruno Latour, Das Parlament der Dinge. Für eine politische Ökologie. 2. Aufl. Frankfurt am Main 2012 (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 1954), 21–32. Latours Darstellung ist deshalb höchst relevant, weil er darauf hinweist, dass die Dichotomie Mensch vs. Natur alles andere als unschuldig, sondern politisiert ist. Das wird im Terminus einer politischen Epistemologie der (Natur-)Wissenschaften, die sich mit ›Natur‹ und damit der ›Wahrheit‹ befassen, im Gegensatz zur nur Fiktionen produzierenden Sphäre des Sozialen, zugespitzt. Mit der Metapher des platonischen Höhlengleichnisses und des parlamentarischen Zweikammersystems verdeutlicht Latour den Konstruktcharakter dieser Konzeptionalisierung der Mensch-Natur-Beziehung, die nicht ontologisch und im luftleeren Raum gegeben, sondern dem sozialen Raum verhaftet ist, durch den sie geprägt ist und den sie wiederum prägt. Vgl. zur Genese des spezifisch westlich-abendländischen Dualismus von Natur und Kultur als einem »Sonderfall in einer allgemeinen Grammatik der Kosmologien« auch Philippe Descola, Jenseits von Natur und Kultur. Berlin 2011 (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 2076), 99–142. 137 Rolf Peter Sieferle, Einleitung. Naturerfahrung und Naturkonstruktion, in: Rolf Peter Sieferle, Helga Breuninger (Hrsg.), Natur-Bilder. Wahrnehmungen von Natur und Umwelt in der Geschichte. Frankfurt am Main u. a. 1999, 11. 138 Im Rahmen dieser politisch-ideologischen Bindungen entwickelte sich »das alte dualistische Schema von links-progressivem Kulturalismus versus rechts-konservativem Naturalismus«. Für die Gegenwart lässt sich das allerdings in die »Matrix« eines ›linken‹ und ›rechten‹ Naturalismus sowie eines ›linken‹ und ›rechten‹ Kulturalismus auflösen, in der die althergebrachte Gegenüberstellung von Kulturalismus und Naturalismus viel von ihrer Bedeutung und damit auch ihrer ideologischen Schärfe verliert; ebd., 15–17.

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aber Aussagen über Natur immer nur im kulturellen Kontext und unter Ein­ beziehung des subjektiven Elements gemacht werden können, so dass »jede Rede über ›Natur‹ kulturell konstruiert« ist.139 Die neueren Theoriedebatten in der Umweltgeschichte haben mittlerweile auch die Unfruchtbarkeit dieser scharfen Gegenüberstellung von Naturalismus und Konstruktivismus, »nature as positive given on the one side – culture with its capacity for active agency on the other«140, sowie ihre innere Widersprüchlichkeit erkannt.141 Theodore R. Schatzki hat auf den gleichermaßen monistischen Reduktionismus beider Positionen hingewiesen, da der naturalistische Ansatz Gesellschaft als Teil der Natur konzeptioniere und entsprechend erstere nur durch die Naturgegebenheiten konstituiert sehe und der konstruktivistische Ansatz vice versa Natur als Teil der Gesellschaft ansehe, die durch Rückgriff nur auf das Soziale verstanden werden könne.142 Dagegen zeigt Schatzki, dass sowohl Artefakte als Ergebnisse intentionalen menschlichen Handelns naturale Aspekte haben (wie die Baumaterialien eines gebauten Hauses) als auch naturale Objekte artifizielle Aspekte aufweisen können (wie das forstwirtschaftliche Arrangement eines Waldes). Konsequenterweise müssten auch interaktionistische Theorieansätze der Beziehung von Mensch und Natur (wie Entwürfe aus der Sozialen Ökologie143) aufgegeben werden, die zwar versuchen, die reduktionistische Trennung von Natur und Gesellschaft aufzuheben, aber in ihrem Analyseansatz implizit die kritisierte ontologische Dichotomie aufrecht erhielten.144 Diese epistemologische Falle der interaktionistischen Ansätze will Schatzki durch Rückgriff auf sein 139 Herrmann, Umweltgeschichte, 32–36. 140 Kristin Asdal, The Problematic Nature of Nature: The Post-Constructivist Challenge to Environmental History, in: History and Theory 42 (4), 2003, 61. 141 Dass dieser Dualismus kein universal-epistemologisches Problem darstellt, sondern im Kontext der westlich-abendländischen Konfiguration des Mensch-Natur-Verhältnisses verortet ist, kann man Philippe Descolas umfassender Studie zum Verhältnis von Natur und Kultur entnehmen. Hier bildet die Dichotomie von Natur und Kultur, die als ›Naturalismus‹ bezeichnet wird, lediglich eine mögliche Ausformung des Verhältnisses von Mensch und Natur im Rahmen einer ontologischen Matrix von vier prinzipiell möglichen Zuordnungsvarianten. Eine zusammenfassende Darstellung dieser ontologischen Matrix und ihres theoretischen Hintergrundes in Descola, Jenseits von, 176–194. 142 Auch für das Folgende Theodore R. Schatzki, Nature and Technology in History, in: History and Theory 42 (4), 2003, 82–93. 143 Bspw. Marina Fischer-Kowalski, Helga Weisz, Society as Hybrid Between Material and Symbolic Realms. Toward a Theoretical Framework of Society-Nature Interaction, in: Advances in Human Ecology 8, 1999, 215–251. 144 Dieses interaktionistische Denken mit der Dichotomie von Mensch und Natur im Gepäck ist nach wie vor wirkungsmächtig in der Umweltgeschichte, wie in der brillant erzählten Geschichte der deutschen Landschaft von David Blackbourn: »Es gibt die kulturelle Konstruktion durch den Beobachter, und es gibt die materielle Wirklichkeit aus Stein, Boden, Vegetation und Wasser. […] Die beiden Bedeutungen ergänzen einander. Sie repräsentieren die beiden Hälften einer einzigen Geschichte.« Blackbourn, Die Eroberung, 26.

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Konzept der Sozialontologie überbrücken. Dadurch, dass Schatzki Sozialität als Nexus von menschlichen Praktiken und materiellen Arrangements versteht, erhält Natur ihren Anteil an der Generierung von Sozialität: als Teil der materiellen Arrangements, als physiochemischer Anteil der Entitäten, die die Arrangements produzieren (in Form der Physikalität von Menschen, Technologien und Dingen), und als biophysikalische Ströme, die die Praktiken-Arrangement-Nexus durchfließen (in Form von Materie und Energie oder Organismen und Genen). Das führt zu der Schlussfolgerung, »that entities of any sort can be at once social and natural. […] Human history, accordingly, is a social-natural history: a perpetual development that encompasses the omnipresent and varied active presence of nature in human life.«145 Verena Winiwarter und Martin Schmid haben diesen Ansatz Schatzkis mit ihrem Konzept des Sozionaturalen Schauplatzes adaptiert, der »sich durch das koevolutionäre Zusammenspiel von Arrangements und Praktiken« konstituiert.146 In einem poststrukturalistischen, texttheoretisch angelegten Zugriff versucht Johannes Dingler Natur dagegen als kontingentes Konstrukt innerhalb von Diskursen zu beschreiben. In Abgrenzung vom Naturbild des Referenzparadigmas, wie es für die Naturwissenschaften grundlegend ist, in dem Wissen über Natur als spiegelgleiche Repräsentation von Natur begriffen wird, weist Dingler aus sozialkonstruktivistischer Perspektive auf den kontingenten Charakter von Wissen und Bedeutung als Produkte von durch Macht strukturierten Diskursen hin, die »innerhalb eines sozialen, historischen und kulturellen Kontextes betrachtet werden« müssen.147 Auch Natur bzw. Wissen über Natur werden entsprechend als diskursiv kontingente Konstrukte verstanden, die »keine ontologischen Charakteristika einer vordiskursiven Natur [repräsentieren], sondern […] für textuelle Festlegungen in Macht-Wissen Diskursen« stehen.148 Aus dieser sozialkonstruktivistischen Position folgt, dass »die Konstruktion von Natur nicht von der Sphäre des Politischen getrennt werden kann [und] Natur als eine politische

145 Schatzki, Nature, 88, 90. 146 Martin Schmid, Die Donau als sozionaturaler Schauplatz. Ein konzeptueller Entwurf für umwelthistorische Studien in der Frühen Neuzeit, in: Sophie Ruppel, A.  Steinbrecher (Hrsg.), »Die Natur ist überall bey uns«. Mensch und Natur in der Frühen Neuzeit. Zürich 2009, 63. Eine ausführliche theoretische Kontextualisierung des Ansatzes von Winiwarter und Schmid sowie seine kritische Diskussion im Rahmen der theoriegestützten Überwindung der Dichotomie von Natur und Kultur in Martin Knoll, Die Natur der menschlichen Welt. Siedlung, Territorium und Umwelt in der historisch-topografischen Literatur der Frühen Neuzeit. Bielefeld 2013 (Histoire, 42), 92–107. 147 Johannes Dingler, Natur als Text: Grundlagen eines poststrukturalistischen Natur­ begriffs, in: Catrin Gersdorf, Sylvia Mayer (Hrsg.), Natur – Kultur – Text. Beiträge zu Ökologie und Literaturwissenschaft. Heidelberg 2005 (Beiträge zur neueren Literaturgeschichte, 219), 37. 148 Ebd., 39.

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Kategorie betrachtet werden muß.«149 Entgegen der entpolitisierten Natur im Referenzparadigma als »präsoziale und vorpolitische Kategorie«150 fordere die diskurstheoretische Perspektive die Repolitisierung des Naturbegriffs. Um der Kritik an dieser rein sozialkonstruktivistischen Position entgegenzukommen, dass der Bezug zum Materiellen hier völlig verloren gegangen sei, versucht Dingler in Anlehnung an Latour Materialität als Teil der diskursiven Konstruktion von Natur zu konzeptionieren. Materialität von Natur als Bestandteil einer vorbzw. extradiskursiven Realität zu begreifen, deren Existenz zwar anerkannt, über die aber keine Aussagen getroffen werden können, da sie eben außerhalb des Diskurses liege, sei ein Rückfall in metaphysische Positionen und überdies eine implizite Reproduktion der Dichotomie von Mensch und einer vordiskursiven, ontologischen Natur.151 In der Akteur-Netzwerk-Theorie werde Natur dagegen der Status eines Aktanten im Diskurs zuerkannt. »Diskursive Konstruktionsprozesse ergeben sich folglich aus den vielfältigen Interaktionsbeziehungen von menschlichen und nichtmenschlichen Aktanten im Netzwerk des Diskurses.«152 Materialität sei keine statische Essenz, die vordiskursiv existiert, sondern sie sei eine Manifestation sozialer Praktiken von Aktanten im Diskurs: »Materielle Wesen sind also keine vorgegebenen Entitäten, die ein Netzwerk von Beziehungen betreten, sondern sie sind Produkt der performativen Prozesse in einem Netzwerk von Aktanten.«153 Auch wenn beide Positionen mit ihrem praxistheoretischen und diskurstheoretischen, an der Akteur-Netzwerk-Theorie orientierten Ansatz durchaus verschieden sind, gleichen sich beide doch letztlich in der Perspektive auf das Mensch-Natur-Verhältnis: Auflösung der Dichotomie vom handelnden, gestaltenden Menschen der subjektiv sozialen Sphäre und der statischen, objektiv gegebenen Natur, anstelle der Interaktion beider Sphären ihre Verschmelzung als Bestandteile der Produktion des Sozialen und die Wiedereinholung der Materialität der Natur in eine kulturwissenschaftlich ausgerichtete Forschungsperspektive, ohne den konstruktivistischen Charakter von Natur als Produkt diskursiver Operationen aufzugeben. Entscheidend ist hier das Verständnis von Natur sowohl als soziokulturelle Konstruktion als auch als beteiligter Aktant an diesem diskursiven Konstruktionsprozess, so dass es ›die Natur‹ nicht mehr 149 Ebd., 41. 150 Ebd., 41. 151 Dem könnte man allerdings entgegenhalten, dass es sich hier um eine gesetzte epistemologische Grenze handelt, die aufgestellt wird, um einem anderen erkenntnistheoretischen Dilemma des Konstruktivismus auszuweichen, nämlich der Problematik, dass bei der Verneinung jedweder außerdiskursiver, nicht konstruierter Realität der Konstruktivismus sich in einen inneren Widerspruch hineinmanövriert, indem er auf Voraussetzungen aufbaut (z. B. der Materialität des Wahrnehmungsapparates und des Gehirns als materiellem Ort der Konstruktion von Wirklichkeit), die er in der Theoriebildung negiert. 152 Ebd., 47. 153 Ebd., 48.

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gibt, sondern nur ›Naturen‹.154 Diese Aktantenrolle von Natur wird besonders am Beispiel der Naturkatastrophen deutlich.

1.3.1 Die Naturkatastrophe als hybrides Gebilde Die dargestellte programmatische Auflösung der Dichotomie von Mensch / Kultur vs. Natur / Umwelt hat Folgen für das Verständnis des Phänomens, das mit dem Begriff Naturkatastrophe bezeichnet wird. Wenn Natur ein Aktantenstatus zugesprochen wird, sie sowohl mentales Konstrukt als auch beteiligter Akteur an diesem Konstruktionsprozess ist, wird auch die Naturkatastrophe zum Phänomen, das weder sozial oder kulturell noch natürlich begründet, sondern gleichzeitig natural und sozial ist; sie wird, um mit Schatzki zu sprechen, zum Bestandteil einer menschlichen Geschichte, die eine sozionaturale Geschichte ist. Das in der Katastrophenforschung bzw. den beteiligten Fachwissenschaften spürbare Unbehagen bezüglich des Begriffs Naturkatastrophe hat ihren Ursprung auch in dem problematischen Verhältnis von Natur und Kultur und in der gewonnenen Erkenntnis, dass die Naturkatastrophe kein nur natürliches Phänomen, sondern genauso auch auf soziale und kulturelle Faktoren zurückzuführen ist. Im Rahmen der Katastrophenforschung existieren unterschiedliche Konzepte, die versuchen, soziokulturelle und natürliche Wirkfaktoren und ihre Beziehung zueinander in der Naturkatastrophe methodisch und begrifflich zu präzisieren. Aus der amerikanischen geographischen Hazardforschung stammend bezeichnet der Begriff des natural hazard das Naturereignis, das potenziell zu einer Naturkatastrophe, zum natural disaster, führen kann.155 Die Begriffsverwendung von hazard in den Natur- und Ingenieurwissenschaften wird allerdings kritisch betrachtet, da hier nur auf das Naturereignis und seine materiellen Schadenswirkungen fokussiert wird und soziale, ökonomische sowie kulturelle Aspekte in der quantitativen Messung und Bestimmung eines Katastrophengeschehens bzw. seines Impacts außer Acht gelassen werden.156 154 Ausformuliert wird diese Perspektive in Latour, Das Parlament, und mit Einordnung in die Akteur-Netzwerk-Theorie in Bruno Latour, Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie. Berlin 2010 (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 1967), 109–149. Mit den Worten von Kristin Asdal: »Science, society, and technology are thought of as a field for human and non-human agency. The human subject is no longer in the center with its power to create worlds. The non-humans are also drawn in as co-producers.« Asdal, The Problematic Nature, 72. Kristin Asdal hat diesen Theorieansatz der Überwindung der Dichotomie von Natur und Kultur bei Bruno Latour und Donna Haraway als post-konstruktivistisch charakterisiert. 155 So definiert in Alexander, Confronting catastrophe, 7. 156 Ausführlich zum hazard-Konzept und seiner Kritik und Weiterentwicklung in der geographischen Hazardforschung, die von komplexen Wechselwirkungen der Systeme Mensch und Natur in der Katastrophe ausgeht, Felgentreff / Dombrowsky, Hazard-, Risiko- und Ka-

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Entsprechend verweisen sozialwissenschaftliche hazard-Definitionen auch auf diese Faktoren, die im Zusammenwirken mit dem hazard die Naturkatastrophe ausmachen: »[…] hazard refers to the agent and disaster to the process in which the agent and specific physical, social, and economic factors participate.«157 Zwar könne von einem Schwellenwert ausgegangen werden, der definiert, wann extreme geophysikalische Ereignisse eine Katastrophe verursachen. »However, it is abundantly clear that such a value depends critically on the human impact of such forces: the vulnerability of people, society and the built environment may alone determine the magnitude at which an event becomes a disaster.« Deshalb seien natural hazards als »extreme events that originate in the biosphere, litho­ sphere, hydrosphere or atmosphere« zu definieren.158 In der deutschsprachigen Forschung wird in Anlehnung an Niklas Luhmann zwischen Naturgefahr und Naturrisiko unterschieden: Das Risiko, von einem Naturereignis betroffen zu werden, geht man bewusst ein (indem man etwa in erdbebengefährdetem Gebiet nicht erdbebensicher baut), eine Gefahr besteht dagegen in einer Situation, in der die Ursachen eines Naturereignisses als nicht beeinflussbar und dasselbe als nicht vorhersagbar oder kalkulierbar gelten.159 In der Terminologie von (natural) hazard und (natural) disaster sowie Naturgefahr und Naturrisiko wird ein Unterschied zwischen den Begriffen und den mit ihnen bezeichneten Bereichen definiert: »Risk and disasters are the result of processes derived from critical pre-existing conditions in which certain hazards arise. It is the magnitude of social, cultural and economic vulnerabilities which have accumulated and are associated with the presence of a severe hazard that can be said to produce real disasters.«160 Aufgrund dieser Unterscheidung vom hazard als dem natürlichen Faktor und dem disaster, das aus der Kombination von natürlichen und soziokulturellen Faktoren entsteht, wird der Begriff Naturkatastrophe aber auch in Frage gestellt, da er ein rein ›natürliches‹ Agens des Katastrophengeschehens suggeriere, der eben nicht gegeben sei.161 In der histotastrophenforschung, 14–19. Zur geographischen Hazardforschung vgl. auch Hewitt, Regions of risk, sowie Alexander, Confronting catastrophe, und mit einem Schwerpunkt auf dem livelihood-Konzept aus der Entwicklungsforschung Wisner et al., At risk. 157 García-Acosta, Historical Disaster Research, 57. 158 Alexander, Confronting catastrophe, 9. 159 Christian Pfister, Naturkatastrophen und Naturgefahren in geschichtlicher Perspektive. Ein Einstieg, in: Christian Pfister (Hrsg.), Am Tag danach. Zur Bewältigung von Naturkatastrophen in der Schweiz 1500–2000. Bern u. a. 2002, 16. Felgentreff und Glade weisen jedoch darauf hin, dass auch ein durchaus disparates Verständnis des Begriffs Naturrisiko und seiner Abgrenzung von Naturgefahr in den beteiligten Fachwissenschaften zu konstatieren ist: Felgentreff / Glade, Naturrisiken, 4–6. 160 García-Acosta, Risks and Disasters, 129. 161 Bspw. in ebd., 129. Christian Pfister hat vorgeschlagen, die irreführende Bezeichnung Naturkatastrophe aufzugeben und statt dessen vom »nature-induced disaster« zu sprechen: Pfister, Learning, 18.

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rischen Katastrophenforschung hat sich jedoch weithin durchgesetzt, den Begriff Naturkatastrophe beizubehalten. Zum einen markiert seine Verwendung das Forschungsfeld einer kulturwissenschaftlichen Katastrophenforschung, die sich von einer naturwissenschaftlichen Forschungsperspektive absetzt, für die der Begriff natural hazard reserviert ist. Zum anderen kann damit eine spezifische Art von Katastrophenszenarien als Forschungsgegenstand bezeichnet werden, in denen ein Naturereignis zum Ursachenkomplex gehört.162 Entscheidend für die weitere Verwendung des Kompositums Naturkatastro­ phe ist aber, dass das Argument, den Begriff aufgrund seiner semantischen Pro­blematik aufzugeben, weil er eine so nicht gegebene natürliche Ursache impliziere, sich auch umdrehen lässt. Da in der Konzeptionalisierung des Verhältnisses von Natur und Kultur die theoriegestützte Auflösung der unfruchtbaren Dichotomisierung das Ziel ist, wäre eine Aufgabe des Begriffs Naturkatastrophe zugunsten eines vordergründig präziseren Begriffsapparats von hazard / Naturgefahr, Naturrisiko und Katastrophe kontraproduktiv. Mit der begrifflichen Aufspaltung in das Naturereignis als natural hazard und die Katastrophe als Ergebnis von hazard und soziokulturellen Ursachenfaktoren wird ein Interaktionsmodell von Natur und Kultur formuliert, das eine analytische, aber implizit auch die ontologische Differenz beider, die es ja gerade zu überwinden gilt, aufrechterhält. Der Begriff Naturkatastrophe dagegen ist im 19. und 20. Jahrhundert gebildet worden, als die Dichotomie von Natur und Kultur zum vorherrschenden Paradigma des Mensch-Natur-Verhältnisses im europäischen Raum wurde.163 Insofern hat die historische Katastrophenforschung mit ›Naturkatastrophe‹ bereits einen zentralen Begriff zur Verfügung, um das Konzept der Dichotomie von Mensch und Natur zu untersuchen und in Abgrenzung dazu Modelle einer sozionaturalen Geschichte der Naturkatastrophe(n) zu entwickeln. Was also aus analytischer Perspektive der sozialwissenschaftlichen Katastrophenforschung vordergründig als Irreführung und Ungenauigkeit in der Zuschreibung von Ursache und Wirkung erscheint, prädestiniert den Begriff geradezu für die Verwendung in einer kulturwissenschaftlich ausgerichteten historischen Katastrophenforschung: »Für die Kulturwissenschaften stellt der Begriff ›Naturkatastrophe‹ eine willkommene Mischung von cause und effect

162 Groh et al., Einleitung, 15–16; Juneja / Mauelshagen, Disasters, 13–16; Patrick Masius, Risiko und Chance: Naturkatastrophen im Deutschen Kaiserreich (1871–1918). Eine umweltgeschichtliche Betrachtung. phil. Diss. Göttingen 2010, 9–11. Online verfügbar unter http:// hdl.handle.net/11858/00-1735-0000-0006-B4BA-8. 163 Ein Abriss der Begriffsgeschichte zu Naturkatastrophe in Groh et al., Einleitung, 16–19. Ein Einblick in die historische Semantik des Wortes Katastrophe im englisch- und französischsprachigen Raum in Michael O’Dea, Le mot »catastrophe«, in: Anne-Marie MercierFaivre, Chantal Thomas (Hrsg.), L’invention de la catastrophe au XVIIIe siècle. Du châtiment divin au désastre naturel. Genève 2008 (Bibliothèque des lumières, 73), 35–48.

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dar, die eine Gemengelage weiterer Oppositionen wie Natur und Kultur, Chaos und Ordnung oder Normalität und Abweichung impliziert.«164 Mit dem anthropologischen Theorieansatz von Anthony Oliver-Smith liegt auch ein Modell zur Naturkatastrophe vor, das in der historischen Katastrophenforschung rezipiert und anerkannt ist.165 Dabei wird zunächst von einer Kopplung natürlicher Faktoren und soziokultureller Ursachen als Rahmenbedingungen der Vulnerabilität einer Gesellschaft ausgegangen, was ganz der sozialwissenschaftlichen Sichtweise auf Katastrophen entspricht.166 Die Untersuchung der Beziehung von Natur und Kultur anhand der Naturkatastrophe zeigt aber, dass das Beziehungsgefüge beider weitaus komplexer ist, als es das Interaktionsmodell von naturalem Impuls und soziokulturell bedingter Vulnerabilität beschreibt. Naturkatastrophen müssen vielmehr als hybride Gebilde zwischen (naturaler) Materialität und Sozialität gedacht werden: »Disasters come into existence in both the material and the social worlds and, perhaps, in some hybrid space between them. […] Disasters occur at the intersection of nature and culture and illustrate, often dramatically, the mutuality of each in the constitution of the other.«167 Mit dieser Hybridisierung der Naturkatastrophe zielt Anthony Oliver-Smith auch auf die Überwindung der Dichotomisierung von Natur und Kultur bzw. der unfruchtbaren Opposition von Naturalismus und Konstruktivismus.168 Über die Aneignung und Formung von Natur vermittels materieller Praktiken, die durch soziale Verhältnisse und Beziehungen sowie das kulturell vorherrschende Mensch-Natur-Verhältnis präfiguriert und ausgedrückt werden, schreiben sich auch gesellschaftliche Strukturen und Gegensätze in die materielle Natur ein.169 Die materiell reproduzierten und archivierten soziokulturellen Verhältnisse können dann im Katastrophengeschehen wieder auf die Gesellschaft zurückwirken, so dass sich eine Zirkelbewegung bzw. eine gegenseitige Durchdringung von Natur und Kultur in der Naturkatastrophe ergibt: »Social, political, and economic power relations are inscribed through material practices (construction, urban planning, transportation) in the modi 164 Groh et al., Einleitung, 19. 165 So in den Forschungsüberblicken von Lübken, Zwischen Alltag, und Schenk, Historical Disaster Research. Auch darüber hinaus ist das anthropologische Modell der Naturkatas­ trophe in Sammelbänden bzw. Special Issues präsent; z. B. in Juneja / Mauelshagen, Disasters; Mauelshagen, Disaster; Gerrit Jasper Schenk, Katastrophen in Geschichte und Gegenwart. Eine Einführung, in: Gerrit Jasper Schenk (Hrsg.), Katastrophen. Vom Untergang Pompejis bis zum Klimawandel. Ostfildern 2009, 9–19. 166 Anthony Oliver-Smith, Susanna M.  Hoffman, Introduction. Why Anthropologists Should Study Disaster, in: Anthony Oliver-Smith, Susanna M. Hoffman (Hrsg.), Catastrophe and culture. The anthropology of disaster. Oxford 2002 (School of American Research advanced seminar series), 4. 167 Ebd., 24. 168 Ebd., 37–43. 169 Ebd., 36.

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fied and built environments, and one of the many ways they are refracted back into daily living is in the form of conditions of vulnerability.«170 Die Kritik an einer ausschließlich sozialkonstruktivistischen Perspektive und einer phrasenhaften Verwendung von der ›sozialen und kulturellen Konstruiertheit‹ von Naturkatastrophen hat zwar ihre Berechtigung.171 Sie läuft aber ins Leere, wenn sie den soziokulturellen Anteil an der Katastrophe in der Wahrnehmung und Deutung des Katastrophengeschehens als Konstrukt auffasst, dem keine greifbare Realität entspricht und das somit zum Phantasma wird.172 Das Insistieren auf der Bedeutung eines Naturereignisses für materielle Schäden und menschliche Opfer in einer Naturkatastrophe,173 um eine ausschließliche Fokussierung auf die Wahrnehmung und Deutung von Katastrophen auszugleichen, geht am Kern der Theoriedebatte, der Auflösung der Dichotomie von Natur vs. Kultur und der Frontstellung von Konstruktivismus vs. Naturalismus vorbei. Aus den Ausführungen zur Verwobenheit von Natur und Kultur und dem hybriden Charakter von Naturkatastrophen zwischen Materialität und Sozialität wird auch deutlich, welche Bedeutung Deutungsmuster von Natur und Naturkatastrophen haben: Die Aktantenrolle von Natur äußert sich im Naturereignis als Akteur, das mit sozionaturalen und kulturellen Rahmenbedingungen zusammentrifft. So wie soziale Strukturen und kulturelle Dispositionen des Mensch-Natur-Verhältnisses den Umgang mit Natur und Naturereignissen, die Handlungsstrategien und Vulnerabilitäten bestimmen, wirken die Naturereignisse wiederum auf diese zurück. Deutungsmuster als Aktualisierungen von Mensch-Natur-Verhältnissen und »zugrunde liegenden Naturvorstellungen«174 in der Naturkatastrophe finden in diesen dynamischen Wechselwirkungen der verwobenen Bereiche von Natur und Kultur ihren Platz.

170 Ebd., 36. 171 So zugespitzt in Jürg Helbling, Coping with ›Natural‹ Disasters in Pre-industrial Societies: Some Comments, in: The Medieval History Journal 10 (1–2), 2007, 434–435. 172 Das Missverständnis von ›Konstruktion‹, das zugegebenermaßen auch auf einem missverständlichen Gebrauch des Begriffs beruht, besteht in der Vorstellung, das, was ›konstruiert‹ sei, sei deshalb ›künstlich‹, irreal, erfunden oder gar falsch. Auch empirische Beobachtungen und ›hard facts‹ der Naturwissenschaften werden im Rahmen des Arbeitsverfahrens der Wissenschaften, z. B. im Labor, ›konstruiert‹, also formuliert, was sie nicht irreal oder gar falsch macht (vgl. zu diesem Missverständnis gegenüber einem der Schlagworte der postmodernen Wissenschaft Latour, Eine neue Soziologie, 152–161). 173 »Admittedly, groups of a society might also hold various conceptions and perceptions, but people get killed not by those cultural facts but by the physical impact of floods and droughts, earthquakes and epidemics.« Helbling, Coping, 434. 174 Groh et al., Einleitung, 21.

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1.3.2 Deutungsmuster und Handlungspraktiken Deutungsmuster strukturieren den Umgang mit Naturkatastrophen: Sie prägen sowohl im vorsorgenden Bereich die Handlungspraktiken zur Anpassung an Katastrophenszenarien als auch die Bewältigungsstrategien, die nach dem unmittelbaren Katastrophengeschehen von Bedeutung sind.175 Für den »psychischen Haushalt« des Einzelnen und der Gesellschaft in der Katastrophe kommt ihnen entscheidende Bedeutung zu: »Deutungen von Naturkatastrophen offenbaren das Bedürfnis nach Erklärungen für das Unvorhergesehene. […] Kontingentes wird zum Vorhersehbaren oder sogar zum Unabwendbaren, Zufall in Notwendigkeit, Sinnloses in Sinnhaftes umgedeutet.«176 Damit ist zwar einiges über die Bedeutsamkeit von Deutungsmustern und Handlungspraktiken in der Naturkatastrophe ausgesagt. Wie sie aber als methodisches Konzept zu definieren und theoretisch zu begründen sind, ist ein noch zu leistender Arbeitsschritt, was aber nicht nur für diese Arbeit, sondern auch für die historische Katastrophenforschung insgesamt gilt. Trotz seiner Allgegenwärtigkeit in der Forschungsliteratur wird der Begriff Deutungsmuster kaum definiert, sondern lediglich in einem allgemeinverständlichen Sprachgebrauch eingesetzt, was bisher auch hier verfolgt wurde. Eine Ausnahme bildet der für das Forschungsfeld der historischen Katastrophenforschung wichtige Sammelband »Naturkatastrophen« von Groh, Kempe und Mauelshagen, in dem die Herausgeber Deutungsmuster unkompliziert als Interpretationsschemata charakterisieren: »Unter Deutungsmustern verstehen wir relativ konstante, aber wandlungsfähige Denkweisen und Interpretamente, die daran gebundenen Verhaltensweisen eingeschlossen.«177 So sinnreich Deutungsmuster hier als ›Bedeutungscontainer‹ definiert sind, so wenig ist damit über Merkmale ausgesagt, die Aufschluss über die individuelle und gesamtgesellschaftliche Verankerung der Deutungsmuster, ihre diskursive Einbettung in zeitgenössische Weltanschauungen und Sinnhorizonte und nicht zuletzt über ihre Verbindung zu bestimmten materiellen Rahmenbedingungen in spezifischen Naturkatastrophen, die bereits als Verflechtungsphänomene von Materialität und Sozialität definiert wurden, geben können. Das Konzept Deutungsmuster geht auf Alfred Schütz zurück, der im Rahmen seiner phänomenologischen Soziologie der Erfahrung die entscheidende Bedeu 175 In der Katastrophenforschung wird zwischen »adaptive capacity« und »coping strategies« – der Fähigkeit zur strukturellen Anpassung eines Systems und Strategien der Stressreduktion sowie mentalen Bewältigung – unterschieden. Sie machen die Resilienz eines Systems aus, also seine Fähigkeit, nach dem Schock einer Katastrophe wieder in den Gleichgewichtszustand zurückzukehren. Zur Unterscheidung beider Resilienzbereiche Voss, The vulnerable. 176 Groh et al., Einleitung, 24–25. 177 Ebd., 25.

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tung für die Konstitution der sinnhaften Welt zusprach: »Ein Schema unserer Erfahrung ist ein Sinnzusammenhang unserer erfahrenen Erlebnisse […]. Den Schematen der Erfahrung erwächst eine besondere Aufgabe bei der Konstitution des spezifischen Sinnes eines in den Blick gefaßten Erlebnisses […]. Wir können den Prozeß der Einordnung eines Erlebnisses unter die Schemata der Erfahrung durch synthetische Rekognition auch als Deutung dieses Erlebnisses bezeichnen […]. Insoferne sind die Schemata der Erfahrung Deutungsschemata […].«178 Diese Zurückführung von Deutungsvorgängen auf in einem Sinnzusammenhang abgespeicherte Erfahrungen lässt sich an ein Verständnis von Katastrophen als Erfahrung von Individuen, sozialen Gruppen und Gesellschaften anschließen.179 Die Katastrophenerfahrung kann einerseits die wiederum durch Erfahrung konstituierte sinnhafte Alltags- und Lebenswelt radikal in Frage stellen und damit auch die vorhandenen und vorherrschenden, kollektiv geteilten Deutungsmuster, welche die Natur und ihre Extremereignisse betreffen. Andererseits dienen die vorhandenen Erfahrungsschemata als Deutungsmuster der Einordnung der Katastrophenerfahrung, die dadurch zum Teil der sinnhaften Welt gemacht werden kann und bewältigbar wird. Im Falle der Integrierbarkeit eines Katastrophengeschehens in die erfahrungsbasierte sinnhafte Alltagswelt kann diese Assimilation der Katastrophenerfahrung auch dazu führen, dass das Naturereignis und seine Folgen nicht als Katastrophe wahrgenommen werden; Katastrophenkulturen (s. Kap. 1.2) sind in diesem Sinne also ein Beispiel für einen gelungenen Assimilationsprozess. Es wäre allerdings zu kurz gefasst, Deutungsmuster alleine auf Erfahrungen zurückzuführen, die dem Individuum im eigentlichen Sinne und unmittelbar ›widerfahren‹ wie etwa eine Katastrophe. Die erfahrungsbasierte Alltagswelt nach Alfred Schütz stellt einen kollektiven, intersubjektiven sozialen Erfahrungsraum dar, zu dem auch kollektiv geteilte und verhandelte Wissensschemata und Weltbilder gehören. In diesem Sinne könnten Deutungsmuster als durch Framing bereitgestellte Interpretationsrahmen verstanden werden, die einerseits individuell kognitionspsychologisch verankert, andererseits aber auch mit diskursiv verhandelten Weltdeutungsangeboten verschränkt sind und in der Sozialisation erworben werden.180 Für den Wandel von Deutungsmustern folgt 178 Alfred Schütz, Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt. Eine Einleitung in die verstehende Soziologie. 6. Aufl. Frankfurt am Main 1993 (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 92), 109–112. 179 Auch für das folgende Nowosadtko / Pröve, Einleitung. 180 Mit den sozialwissenschaftlichen Konzepten der Frames und Scripts werden Muster der Wissensorganisation bezeichnet, die als abgespeicherte Wissenskomplexe den verstehenden und handelnden Umgang mit Welt ermöglichen, indem sie zu bestimmten Handlungs- und Kommunikationssituationen (bspw. ein Restaurantbesuch) Interpretations- und Handlungsschemata bereithalten. Zur kognitionspsychologischen Interpretation von Deutungsmustern als Teil von Framing-Vorgängen Hans-Ferdinand Angel, Aufruf zur Wallfahrt oder Kampf gegen die Prostitution? Problematik und Wirksamkeit christlich-religiöser Katastrophen-

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daraus, dass er nicht nur von gemachten Katastrophenerfahrungen abhängt, sondern genauso auch von Weltbildern, die im Katastrophendiskurs mitverhandelt werden. Für Deutungsmuster können sich also auch Entwicklungspfade ergeben, die nicht durch unmittelbare Katastrophenerfahrungen, sondern durch Wandelprozesse des Katastrophendiskurses und seiner interdiskursiven Schnittstellen mit Nachbardiskursen (z. B. wissenschaftliche Fachdiskurse) geprägt sind. Die Aktantenrolle von Natur hat auch im Bereich der Deutungsmuster ihre Bedeutung. Einerseits ist die Materialität von Natur, wie bereits beschrieben, Teil der Produktion von Vulnerabilität, indem sich soziale Strukturen und kulturelle Wertvorstellungen einer Gesellschaft in die Natur einschreiben. Diese materiell archivierten soziokulturellen Verhältnisse, wozu auch die Deutungsmuster von Natur und Naturgefahren gehören, können dann wiederum in Form eines Naturereignisses auf die Gesellschaft zurückwirken. Andererseits sind Deutungsmuster Bestandteil der diskursiven Konstruktion von Natur in mentalen Naturbildern und Mensch-Natur-Verhältnissen. Dass auch hier Naturereignisse zu Akteuren im Diskurs werden können, zeigt das Beispiel der Überschwemmungen bzw. Sturmfluten und des in diesem Zusammenhang verwendeten biblischen Topos der Sintflut als Deutungsansatz: Während sich dieser Topos als Ausformulierung des straftheologischen Deutungsmusters bei Sturmfluten an der Nordseeküste einsetzen ließ, war er für Überschwemmungen an den alpinen Flüssen weitaus weniger geeignet, was einmal auf die materielle Figuration und zum anderen auf die temporale Struktur der Katastrophenszenarien zurückzuführen ist. Die materielle Gestalt der Nordseeküste ermöglicht eine großflächige Ausbreitung des Wassers bei Sturmfluten, während das Hochwasser am alpinen Fluss in den Hügeln und Gebirgen der Flusstäler seine Begrenzung findet. »Assoziationen zur Sintflut konnten sich daher im extrem flachen Nordseeraum im Rahmen von Sturmfluten viel eher entwickeln als etwa im Donauraum.«181 Gleichzeitig werden auch temporale Strukturen insofern bedeutsam, als die Überschwemmungsereignisse an den alpinen Flüssen saisonal bedingt sind und durch diese Kopplung an Zeitintervalle in einem jahreszeitlichen Rhythmus erwart- und vorhersagbar werden. Der Topos der Sintflut baut dagegen auf der Einmaligkeit des Ereignisses auf. Eine weitere analytische Differenzierung ist hinsichtlich der Einbeziehung von Verhaltensweisen bei Katastrophen in der eingangs zitierten Definition von Deutungsmustern geboten. Deutungsmuster als Erfahrungsschemata, die auch Aussagen im Katastrophendiskurs sind, können von Handlungspraktiken als Handlungsformen des Umgangs mit Natur und Naturkatastrophen unterdeutungen, in: Christian Pfister und Stephanie Summermatter (Hrsg.), Katastrophen und ihre Bewältigung. Perspektiken und Positionen. Referate einer Vorlesungsreihe des Collegium generale der Universität Bern im Sommersemester 2003. Bern 2004 (Berner Universitätsschriften, 49), 119–144. 181 Rohr, Extreme Naturereignisse, 44, 392.

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schieden werden. Dazu gehören im weitesten Sinne Praktiken der Anpassung an Naturgefahrenszenarien sowie deren Bewältigung (adaptive capacity und coping strategies), also Maßnahmen des Schutzes gegen Katastrophen, Katas­ trophenprävention, Katastrophenhilfe, Rituale der Bewältigung und Sinngebung einer Katastrophe usw.; also kollektive soziale Praktiken, die auf Deutungsmustern aufbauen, die den sinnhaften Zugang zur Welt im Umgang mit Natur erst ermöglichen. Sie gehen aber nicht einseitig in ihnen auf, da sich zum einen die Koexistenz von Handlungspraktiken technischer Provenienz mit religiösen Deutungsmustern nachweisen lässt.182 Zum anderen können sich Handlungspraktiken im Umgang mit Naturgefahren in ihrer historischen Entwicklung auch von Deutungsmustern, die sich trotz veränderter Handlungspraktik im Katastrophendiskurs halten, abkoppeln, »so daß sich Ungleichzeitigkeiten zwischen Handlungspraxis und Handlungsinterpretation, zwischen Erfahrungshorizont und Deutungsmuster finden lassen.«183 Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass eine Frontstellung zwischen Deutungsansätzen religiöser und (natur-) wissenschaftlicher Provenienz nicht zwangsläufig gegeben war und sich erst im Laufe des 18. Jahrhunderts entwickelte.184

1.3.3 Untersuchungsrahmen und Fragestellung Die folgende Untersuchung des Wandels der Deutungsmuster von Natur­ katastrophen wird sich auf das Kurfürstentum Bayern im 18. Jahrhundert konzentrieren (s. Abb. 1). Damit soll zum einen ein Beitrag zum wünschenswerten Ausgleich des konfessionellen und geographischen Bias in der historischen Katastrophenforschung zum Alten Reich mit ihrem bisherigen Schwerpunkt auf dem norddeutsch-protestantischen Raum geleistet werden. Zum anderen wird damit ein Territorium markiert, das von spezifisch alpinen Naturkatastrophenszenarien betroffen ist. Da der materielle Aspekt von Naturkatastrophen genauso 182 Das wird an den Beispielen des Deichbaus und der Stadtbrände deutlich; vgl. Allemeyer, The Struggle, und Marie Luisa Allemeyer, »Daß es wohl recht ein Feuer vom Herrn zu nennen gewesen …«. Zur Wahrnehmung, Deutung und Verarbeitung von Stadtbränden in norddeutschen Schriften des 17. Jahrhunderts, in: Manfred Jakubowski-Tiessen, Hartmut Lehmann (Hrsg.), Um Himmels Willen. Religion in Katastrophenzeiten. Göttingen 2003, 201–234 sowie Allemeyer, Fewersnoth. 183 Manfred Jakubowski-Tiessen, Kommentar. [zu Teil 4. Wahrnehmung und Verarbeitung von Katastrophen], in: Paul Münch (Hrsg.), »Erfahrung« als Kategorie der Frühneuzeitgeschichte. München 2001 (Historische Zeitschrift, Beihefte N. F., 31), 265. 184 Anhand der Physikotheologie ist bereits deutlich geworden, dass der Gegensatz von Religion und Naturwissenschaft eher eine Vorstellung der Moderne ist. Am Beispiel der Sturmflut von 1717 an der Nordseeküste hat Manfred Jakubowski-Tiessen die Verschränkung religiöser und (natur-)wissenschaftlicher Deutungsansätze illustriert; Jakubowski-Tiessen, Sturmflut 1717, 79–111.

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wie die soziokulturellen Rahmenbedingungen und die mentalen Naturbilder seine Bedeutung hat, sind die Gegebenheiten des alpinen geographischen Raums, die die Katastrophenszenarien prägen, zu berücksichtigende Einflussfaktoren für die Deutungsmuster und Handlungspraktiken in ihren Ausprägungen und Wandelerscheinungen. Der Untersuchungsraum wurde dabei näher auf das bayerische Alpenvorland eingegrenzt, dessen geographischer Raum durch das Abflusssystem des Schmelzwassers und der Niederschläge aus den Alpen in die Donau charakterisiert ist. Diese topografische Orientierung des Untersuchungsraums an den Flüssen folgt auch den Ergebnissen der quantitativen historischen Katastrophenforschung, die für Bayern im 18. Jahrhundert die enorme Bedeutung hydrologischer Katastrophenszenarien aufgezeigt hat (s. Kap. 2.1.2). Dabei bleibt der Fokus aber nicht ausschließlich auf dem kurbayerischen Territorium, sondern auch die benachbarten geistlichen und weltlichen Territorialstaaten wie die Hochstifte Augsburg und Freising, das Erzstift Salzburg, das Fürststift Kempten oder die Reichsstadt Augsburg finden in ihrer Beziehung zu Kurbayern im Hinblick auf den Umgang mit Naturkatastrophen ihre Berücksichtigung. Das 18. Jahrhundert als angenommener Zeitraum von Säkularisierungsprozessen der Deutungsmuster bildet den zeitlichen Schwerpunkt in der Untersuchung. Die Entwicklungslinien in der Deutung von und im handelnden Umgang mit Naturkatastrophen lassen sich jedoch nicht einfach mit den chronologischen Zäsuren der Jahrhundertwenden abbilden, auch wenn diese als Eingrenzungen des Forschungsfeldes einen strukturierenden Mehrwert für die Untersuchung haben. Die Quellenlage für den durch die Kategorien Herrschaft, Wissenschaft, Religion und Öffentlichkeit strukturierten Katastrophendiskurs im Kurbayern des 18 Jahrhunderts (s. Kap. 2.2) ist durch eine breite archivalische Überlieferung gekennzeichnet. Alleine im Bayerischen Hauptstaatsarchiv befinden sich verstreut in vielen Beständen sehr umfangreiche Archivalien zum Bereich der Hochwasser bzw. Überschwemmungen als Katastrophenszenario und zur Handlungspraktik des Wasserbaus.185 Gleiches gilt auch für die Staatsarchive München und Augsburg, wobei der Umfang der dortigen diesbezüglichen Bestände geringer ausfällt.186 Der reichhaltige archivalische Quellenbestand des behördli 185 Martin Knoll hat in diesem Zusammenhang bereits auf den umfangreichen Aktenbestand der Obersten Baubehörde im Bayerischen Hauptstaatsarchiv als überaus lohnenden Quellenbestand für umwelt- und technikgeschichtliche Fragestellungen hingewiesen; Martin Knoll, Von der prekären Effizienz des Wassers. Die Flüsse Donau und Regen als Transportwege der städtischen Holzversorgung Regensburgs im 18. und 19. Jahrhundert, in: Saeculum 58 (1), 2007, 45, Anm. 62. 186 Aufgrund dieser überraschenden Masse an vorhandenen archivalischen Quellen konnten nur die drei genannten Archive für die vorliegende Studie berücksichtigt werden. Darüber hinaus sind noch im Staatsarchiv Landshut Aktenbestände zu Naturkatastrophen vorhanden und auch in den Gemeinde- und Pfarrarchiven sind Überlieferungen zu Naturkatastrophen aufzufinden; eine entsprechende Auswertung von regionalen Archiven in Friedrich Markus

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Abb. 1: Das Kurfürstentum Bayern Ende des 18. Jahrhunderts (Ober- und Niederbayern), aus Max Spindler, Gertrud Diepolder, Bayerischer Geschichtsatlas. München 1969, 31.

chen Schriftgutes ermöglicht entsprechend Einblicke in die Kommunikation des kurbayerischen Verwaltungsapparates zum deutenden und handelnden Umgang mit Naturkatastrophen: Neben den Berichten der kurbayerischen Unter- und Mittelbehörden an die Zentralbehörden in München sowie den darauf folgenden Anordnungen letzterer an erstere sind auch die ergangenen Verordnungen, die den Umgang mit Naturkatastrophenszenarien betreffen, relevant. Durch die Berücksichtigung des in diesem Zusammenhang ebenfalls vorhandenen Quellenkorpus an Suppliken wird einer ansonsten rein etatistischen Perspektive begegnet, wobei gerade die Suppliken den Brakensiekschen Ansatz der Akzeptanzorientierten Herrschaft auch für die Aushandlung von Deutungsmustern und Handlungspraktiken im Bereich der Naturkatastrophen illustrieren könBarnikel, Analyse von Naturgefahren im Alpenraum anhand historischer Quellen am Beispiel der Untersuchungsgebiete Hindelang und Tegernseer Tal, Bayern. Göttingen 2004 (Göttinger Geographische Abhandlungen, 111). Des weiteren sind die Diözesanarchive des Erzbistums München und Freising, des Bistums Augsburg und des Bistums Passau zu nennen, die ebenfalls ergänzend für weitere Studien heranzuziehen wären.

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nen.187 Gedruckte Predigten und die Mirakelbücher der Wallfahrtsorte werden ebenfalls herangezogen, um Deutungsmuster und Handlungspraktiken speziell im religiösen Feld in den Blick zu bekommen. Daneben ist aber auch hier die archivalische Überlieferung zur obrigkeitlichen Reglementierung von Praktiken der Volksfrömmigkeit sowie die Suppliken und Verordnungen relevant, wenn religiöse Deutungsmuster und Handlungspraktiken in der Naturkatastrophe aktualisiert oder ausgeblendet und delegitimiert werden. Für das Feld der Wissenschaft sind die gedruckten Abhandlungen besonders der Churbaierischen Akademie der Wissenschaften als zentraler aufklärerischer Institution im Kurbayern des 18. Jahrhunderts von großer Bedeutung für die Positionierung (natur-)wissenschaftlicher Deutungsmuster im Katastrophendiskurs. Volksaufklärerische Publikationen geben Aufschlüsse über die Überschneidung und Verzahnung von wissenschaftlichem, herrschaftlichem und öffentlichem Feld im Katastrophendiskurs. Für den medialen Aspekt des Katastrophendiskurses sind die Zeitungen und Zeitschriften der sich formierenden kurbayerischen medialen Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert hervorzuheben wie das Churbaierische bzw. Churpfalzbaierische Intelligenzblatt, die Münchner Zeitung und die sonstige aufklärerische, nicht primär staatstragende Publizistik. Darüber hinaus sind Reiseberichte und Katastrophenbeschreibungen Quellen für Deutungsmuster und Handlungspraktiken in ihren Ausprägungen, zugleich aber auch Instrumentalisierungen und interessengeleitete Darstellungen. Auf dieser Quellenbasis kann beleuchtet werden, welche Deutungsmuster und Handlungspraktiken im Katastrophendiskurs Kurbayerns im 18. Jahrhundert artikuliert wurden, welchen Wandelprozessen sie unterworfen waren und welche Akteure bzw. Akteurskonstellationen dabei den Katastrophendiskurs bis zur paradigmatischen Dominanz von Deutungsmustern und Handlungspraktiken geprägt haben. Dazu ist zunächst ein Blick auf den Katastrophendiskurs und die ihn strukturierenden Rahmenbedingungen erforderlich.

187 Zum Konzept der Akzeptanzorientierten Herrschaft in der neueren Absolutismusforschung als Aushandlung von Herrschaft durch zirkuläre Kommunikation zwischen Obrigkeit und Untertanen Stefan Brakensiek, Akzeptanzorientierte Herrschaft. Überlegungen zur politischen Kultur der Frühen Neuzeit, in: Helmut Neuhaus (Hrsg.), Die Frühe Neuzeit als Epoche. München 2009 (Historische Zeitschrift, Beihefte N. F., 49), 395–406. Zu Suppliken im Rahmen der Akzeptanzorientierten Herrschaft und als Quellen im Kontext der Aushandlung der Deutung von Natur und Naturkatastrophen sowie Teuerungskrisen vgl. Thore Lassen, Peter Reinkemeier, Suppliken als umwelthistorische Quellen, in: Manfred Jakubowski-Tiessen, Jana Sprenger (Hrsg.), Natur und Gesellschaft. Perspektiven der Interdisziplinären Umweltgeschichte. Göttingen 2014, 59–81.

2. Rahmenbedingungen des Katastrophendiskurses

2.1 Naturale Aspekte des Katastrophendiskurses: Katastrophenraum Alpen Dass die Deutung von und der handelnde Umgang mit Naturkatastrophen im Rahmen eines diskursiven Gefüges, das hier als Katastrophendiskurs bezeichnet werden soll, auch von der Materialität der zugrundeliegenden Naturereignisse abhängt, wurde in den vorhergehenden Kapiteln verdeutlicht. Für eine Untersuchung der Frage nach Deutungsmustern und Handlungspraktiken und ihrem Wandel im Katastrophendiskurs des 18. Jahrhunderts sind also auch die materiellen Aspekte der Naturkatastrophenszenarien zu berücksichtigen: Welche Typen von Katastrophenszenarien sind für den Alpenraum charakteristisch, welche sind für Kurbayern im 18. Jahrhundert von Relevanz (aufgrund der Überlieferungssituation in den Quellen) und sind besondere Katastrophenzeiträume zu beobachten, in denen Deutungsmuster und Handlungspraktiken aktualisiert werden und eventuell unter Druck geraten? Die Bedingungen und Figurationen der ›Naturräume‹ als Bereiche der Vermengung des Sozialen und Naturalen, in denen sich die hybride Naturkatastrophe situiert, werden in späteren Kapiteln behandelt.

2.1.1 Naturkatastrophen des alpinen Raums Für den Alpenraum können geomorphologische Massenbewegungen, Lawinen, Hochwasser und Muren als typische Katastrophenszenarien angesehen werden.1 Unwetterereignisse wie Stürme, schwere Gewitter mit Hagelschauern usw. werden zwar nicht dazu gezählt, sind aber dennoch auch für den alpinen Raum von Bedeutung, was am Beispiel der Hagelschauer deutlich wird. So gehört Bayern mit der Schweiz, Österreich, Norditalien, dem Jura und dem Elsass aufgrund ihres Charakters als Gebirgsregionen zu den hagelintensivsten Bereichen Europas.2 1 Ein Überblick zu alpinen Naturkatastrophen, ihren Entstehungsbedingungen und ihrer Dokumentation in Florian Rudolf-Miklau, Andrea Moser, Alpine Naturkatastrophen. Lawinen, Muren, Felsstürze, Hochwässer. Graz 2009. Auch die Homepage der Internationalen Forschungsgesellschaft INTERPRAEVENT bietet einen Überblick zum Thema alpine Naturgefahren: http://www.interpraevent.at/ (eingesehen am 29.11.2021). 2 Oberholzner, Wahrnehmung, 63.

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Zu den Massenbewegungen3 gehören einmal Rutschungsprozesse, die an den Hanglagen im Alpenraum auftreten können. Durch Niederschlag oder Schneeschmelze kann es zu einer Durchfeuchtung der Hangböden kommen, die infolgedessen in langsamer Gleitbewegung abrutschen. Dabei wird in der Klassifikation der Rutschprozesse zwischen Rotations- und Translationsrutschungen unterschieden – erstere als Gleitbewegung, bei der die obere Fläche der rutschenden Masse entlang einer Horizontalachse rotiert und eine Schiefstellung zum Hang einnimmt, letztere als Gleitbewegung auf einer ebenen gleitfähigen Hangfläche. Wenn die Gleitbewegung in eine Fließbewegung übergeht, kann von Hangmuren und Erdströmen gesprochen werden. Den anderen Bereich der Massenbewegungen bilden Sturzprozesse als Bewegung von Steinmassen. Die Ursachen für ihr Auftreten liegen im Wechsel von Tau- und Frostperioden, in Starkniederschlägen, Erdbeben, dem Eindringen von Wurzeln in die Felsstruktur und dem Auftauen von Permafrost. Unterschiede zwischen Steinschlag (Blocksturz), Felssturz und Bergsturz ergeben sich aus dem Volumen der bewegten Steinmasse, wobei Obergrenzen bei 10 m³ für Steinschläge und bei 1 Mill. m³ für Felsstürze gesetzt werden. Lawinen werden ähnlich wie die Massenbewegungen aufgrund der Art des Abbruchs und ihrer Bewegung sowie ihrer Zusammensetzung klassifiziert.4 Sie können einmal als Schneebrettlawine, die durch eine Abbruchfläche verursacht wird, oder als Lockerschneelawine, die sich von einem punktförmigen Abbruch aus entwickelt, zu Tal gehen. In der hangabwärts gerichteten Bewegung der Lawine sind als die zwei Hauptformen Fließ- und Staublawinen zu beobachten – letztere durch die über der Lawine sich bildende Staubwolke erkennbar –, wobei Lawinen meistens eine Mischform aus beiden Bewegungstypen bilden. Abhängig von der Schneezusammensetzung wird auch noch zwischen Trocken- und Nassschneelawinen unterschieden. Für die Lawinenbildung verantwortlich sind das Gelände bzw. seine Neigung, extremer Schneefall sowie plötzliche Temperaturanstiege. Hochwasserereignisse sind im Alpenraum von hauptsächlich drei Faktoren abhängig: Niederschlagsanomalien wie Dauerregen oder Starkregen, Warmlufteinbrüche, die zum Schmelzen größerer Schneemengen führen, sowie Stauungen von Wasserläufen durch Gletscher oder die beschriebenen geomorphologischen Massenbewegungen.5 Dabei ist die Wechselwirkung zwischen diesen Faktoren komplex, so dass z. B. Niederschlagsereignisse mit der Schneeschmelze im Gebirge zusammenwirken können, um Überschwemmungen im Winter und Sommer zu verursachen. Hochwasser und resultierende Überschwemmungen sind also besonders (wenn auch nicht nur) von den klimatischen Bedingungen abhängig, die im Alpen 3 Für das Folgende vgl. Rudolf-Miklau / Moser, Alpine Naturkatastrophen, 14. 4 Zu den Lawinen ebd., 14 und Walter Ammann, Othmar Buser, Usch Vollenwyder, Lawinen. Basel u. a. 1997. 5 Vgl. Pfister et al., Wetternachhersage, 215.

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raum allerdings nicht für alle historischen Zeiträume gleichbleibend waren. So ging mit dem Auslaufen der Kleinen Eiszeit im 19. Jahrhundert eine Periode zu Ende, in der sowohl für Sommer als auch Herbst, wenn vermehrt Hochwasser im Alpenraum auftreten, höhere Niederschläge zu verzeichnen sind als in der Normperiode des 20. Jahrhunderts, so dass statistische Korrelationen zwischen historischen Zeiträumen und der Gegenwart in Form von z. B. hundertjährigen Hochwasserereignissen mit Vorsicht zu genießen sind, da sie stabile klimatische Verhältnisse voraussetzen.6 Zu den Muren als Katastrophentyp ist anzumerken, dass sie schon in der theoretischen Klassifizierung schwer zu bestimmen sind, da es fließende Übergänge zwischen Rutschungen, Muren und Hochwassern gibt, wobei das wichtigste Unterscheidungsmerkmal der Feststoffanteil ist.7 Dieser Schwierigkeit der Klassifikation von Muren entspricht die Problematik in der Quellenlage, da auf der Basis der historischen Katastrophenbeschreibungen zumeist nicht zwischen Muren und Hochwasserereignissen zu differenzieren ist.8 Wie die Rutschungsprozesse auch werden Muren durch lang anhaltenden Niederschlag oder durch Starkregen ausgelöst.

2.1.2 Naturkatastrophen im Kurbayern des 18. Jh. Von den dargestellten alpinen Katastrophenszenarien sind besonders die Hochwasser- und Unwet­terereignisse für Kurbayern im 18. Jahrhundert von zentraler Bedeutung, wie ein Blick in die Daten des von 2004 bis 2006 durchgeführten Forschungsprojekts Historische Analyse von Naturgefahren (HANG) zeigt. Die quantitative Auswertung von ausgewählten bayerischen regionalen Gemeindeund Wasserwirtschaftsarchiven im Alpenraum im Rahmen des Projekts ergab, dass gerade die Hochwasserereignisse einen Großteil der Überlieferung ausmachen, wohingegen geomorphologische Ereignisse, Muren und Lawinen von untergeordneter Bedeutung sind.9 In dieser statistischen Zusammenfassung der Ereignisarten vom Frühmittelalter bis in die Gegenwart sind auch die Unwetterereignisse von nur geringer Bedeutung. In der Differenzierung der Ereignisarten nach den benutzten Archivarten zeigt sich jedoch ein deutlich höherer Anteil 6 Ebd., 66–74, 216. 7 Vgl. Rudolf-Miklau / Moser, Alpine Naturkatastrophen, 13. 8 Barnikel, Analyse, 42–43. 9 Der Abschlussbericht des HANG -Projekts gibt bei einem Bestand von 10.074 Datensätzen aus 11.500 Quellen folgende prozentuale Verteilung der erfassten Ereignisarten an: 78 % für Hochwasser, 10,6 % für geomorphologische Ereignisse, 6,6 % für sonstiges (Lawinen, Hagel, Sturm etc.), 3,1 % für Muren und 1,8 % für unbestimmbare Ereignisse; Michael Becht, Claudia Copien, Christian Frank, Abschlussbericht zum Projekt HANG . (Teilprojekte HAWAS und HAGEM). (Historische Analyse von NaturGefahren). Im Auftrag des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz. März 2006.

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R ahmenbedingungen des Katastrophendiskurses

der Unwetterszenarien in der Überlieferung der Gemeindearchive, was zum einen auf die Fokussierung der Wasserwirtschaftsämter auf Hoch­wasser und Murgänge zurückzuführen ist, zum anderen aber auch die größere Bedeutung von Unwetterereignissen für die Gemeinden widerspiegelt.10 Die Dominanz der Hochwasserereignisse gegenüber anderen Ereignisarten in der Quellenüberlieferung der Gemeindearchive sei nicht nur mit einem unabhängig von der Überlieferungssituation real vorhandenen Übergewicht hydrologischer Naturgefahren für den alpinen Raum zu erklären. Vielmehr sei hier auch das spezifische Interesse der Gemeinden an »der finanziellen Regulierung von Schadensereignissen« ausschlaggebend, das bei geomorphologischen Ereignissen und Lawinen, die keine Siedlungsstrukturen betrafen, nicht gegeben war.11 Dieselbe Erklärung kann auch für die größere Bedeutung von Unwetterereignissen in der Überlieferung der Gemeindearchive herangezogen werden, da hier ebenfalls die Bewältigung landwirtschaftlicher Schäden durch Hagel und andere Niederschlagsereignisse dokumentiert wurde. Die zeitliche Verteilung der im HANG -Projekt erfassten Quellenbelege aus Wasserwirtschaftsämtern und Gemeindearchiven konzentriert sich zwar auf das 20. Jahrhundert und in deutlich geringerem Ausmaß auf das 19. Jahrhundert.12 Für die Untersuchungsregionen Hindelang und Tegernseer Tal liegt jedoch eine differenzierte Darstellung der Überlieferung auch für das 18. Jahrhundert vor. Hier sind für diesen Zeitraum fast ausschließlich Hochwasserereignisse überliefert, während Lawinen und geomorphologische Ereignisse erst im 19. und dann vor allem im 20. Jahrhundert auftauchen.13 Der Eindruck der enormen Bedeutung von Hochwasserereignissen und größeren Wichtigkeit von Unwetterszenarien für das 18. Jahrhundert bestätigt sich im Hinblick auf die Quellenlage der Staatsarchive, in denen viele Akten zu finden sind, die thematisch diesen Katastrophenszenarien zugeordnet sind, was für geomorphologische und Lawinenereignisse nicht der Fall ist.14 Auch in den bayerischen Periodika 10 Ebd., 20–21. Besonders deutlich wird das am Beispiel der Überlieferung von Sturm- und Hagelereignissen im Gemeindearchiv Garmisch-Patenkirchen: Hier waren allein 40 der bisher aus der wasserwirtschaftlichen Überlieferung unbekannten und in die HANG -Datenbank aufgenommenen 95 Ereignisse mit Hagel und Stürmen verbunden; ebd., 22. 11 Ebd., 27–28. 12 Dies ist natürlich auch auf den zeitlichen Rahmen der Tätigkeit der Wasserwirtschaftsämter zurückzuführen, die erst im 19. Jahrhundert als Behörde entstanden waren und Naturereignisse dokumentierten. 13 Barnikel, Analyse, 66–69, 76–81. Unwetterereignisse sind in dieser Fallstudie nicht berücksichtigt worden. 14 Besonders der Pertinenzbestand Gerichtsliteralien Faszikel im Bayerischen Hauptstaatsarchiv ist aufschlussreich, da hier bei der Zuordnung von Archivalien zu den histori­schen Land- bzw. Pfleggerichten Kurbayerns häufig die Rubrik »Wasser-, Brunst- und SchauerSchäden« auftaucht, in denen Katastrophenschäden zu Hochwasser- und Unwetterereignissen sowie Stadtbränden verzeichnet sind. Auf eine eigene quantitative Aufstellung der Katastro-

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des 18. Jahrhunderts sind es die Hochwasser- und Unwetterereignisse, die die mediale Berichterstattung über inländische Katastrophenszenarien dominieren.

2.1.3 Katastrophenzeiträume: Heuschrecken, Unwetter und Überschwemmungen Wenn Katastrophenzeiträume als Zeiten der Erfahrung des Scheiterns der soziokulturellen Ordnung, als Erfahrung des Zusammenbruchs der sinnhaften Alltagswelt gelten können, dann sind Zeiten der Katastrophenerfahrung sicher nicht nur auf Auswirkungen von Naturkatastrophen beschränkt. In diesem Sinne waren im Raum des Kurfürstentums Bayern im Verlauf des 18. Jahrhunderts auch Bedingungen für individuelle und kollektive Katastrophenerfahrungen gegeben, die nicht an Naturkatastrophen gebunden waren.15 Die Bezeichnung Katastrophenzeiträume spiegelt einerseits die hybride Zeitstruktur der Katastrophe zwischen Ereignis und Prozess wider und markiert andererseits Zeiträume, in denen Naturereignisse gleicher oder unterschiedlicher Art gehäuft auftreten und sich zu einem Katastrophenszenario verdichten können. Eine der einschneidendsten anthropogenen Katastrophenszenarien dürfte zweifellos der Krieg mit seinen Folgen sein. Bayern wurde gleich in zwei europäischen Großkriegen des 18. Jahrhunderts zum Kriegsschauplatz mit Truppenstationierungen und -durchmärschen, Schlachten und militärischer Besetzung, die sich durch Requirierungen und Quartier für die Truppen, Gewaltakte aller Art und kriegsbedingte Zerstörungen auf die Bevölkerung auswirkten. Im Spanischen Erbfolgekrieg (1701–1714) war Kurbayern von 1705 bis zum Friedens­ schluss von Rastatt und Baden 1714 von kaiserlichen Truppen erobert und besetzt und wiederum mit Unterbrechungen im Österreichischen Erbfolgekrieg (1740–1748), der für Bayern bereits 1745 mit dem Separatfrieden von Füssen zu Ende ging.16 Eine weitere bedeutende Katastrophenzeit war die europäische

phenereignisse im Rahmen dieser Arbeit wurde verzichtet, da der Aufwand ihrer statistischen Erfassung und Auswertung ein eigenes Forschungsprojekt erfordern würde und auch nicht das zentrale Erkenntnisinteresse darstellt. 15 Dass die Trennung von Natur- und anderen (sozialen) Katastrophenformen analytischen und forschungsthematischen Erwägungen folgt und keiner ontologischen Differenz, ist aus den Ausführungen der vorhergehenden Kapitel deutlich geworden. Zumal mit den Stadtbränden ein Katastrophentyp vorliegt, der sich einer analytischen Unterscheidung von natural-materiell bedingten Katastrophenformen und solchen des sozial-anthropogenen Bereichs nicht so recht fügen will. Nichtsdestotrotz bleiben auch Stadtbrände in der Folge außen vor, da sie kaum als typisch alpine Katastrophenszenarien gelten können, sondern als generelles und zentrales Gefahrenpotenzial für Städte in der Frühen Neuzeit. 16 Andreas Kraus, B. VI . Bayern im Zeitalter des Absolutismus (1651–1745), in: Max Spindler, Andreas Kraus (Hrsg.), Handbuch der bayerischen Geschichte. Band 2: Das Alte

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Hungerkrise zu Beginn der 1770er Jahre, die sich auch in Kurbayern sozioökonomisch und demographisch verheerend auswirkte.17 In Folge der Vervielfachung der Brot- und Getreidepreise verdoppelte sich schätzungsweise die Mortalitätsrate in ganz Kurbayern im Vergleich zu den Vorjahren auch durch die im Gefolge der Hungerkrise grassierenden Epidemien.18 Zu den anthropogenen Katastrophenszenarien kommen noch solche, die mit Tieren verbunden sind, in Form von Seuchen oder Schädlingsplagen. Die Tierseuchen waren auch für Kurbayern ein häufiges und regelmäßiges Phänomen und für das ganze 18. Jahrhundert lassen sich im bayerischen Raum Seuchenzüge belegen, wobei besonders in den 1770er bis 1790er Jahren die Zahl der obrigkeitlichen Verordnungen und der behördlichen Korrespondenzen zum Thema Rinderseuche zunimmt.19 Ein weiterer, zeitlich auf das Ende der 1740er Jahre begrenzter Katastrophenzeitraum lässt sich mit den Heuschreckenschwärmen ausmachen, die in ganz Mitteleuropa von Österreich über Schlesien und Brandenburg bis nach England auftraten.20 1749 erreichte der Heuschrecken­ schwarm auch Kurbayern, wie sich der Münchner-Zeitungen, von denen Kriegs-, Friedens- und Staatsbegebenheiten, inn- und ausser Landes entnehmen lässt, die in mehreren Ausgaben im September 1749 »von denen Land-verderblichen Heu-

­ ayern. Der Territorialstaat vom Ausgang des 12. Jahrhunderts bis zum Ausgang des 18. JahrB hunderts. zweite, überarb. Aufl. München 1988, 498–513, 525–532 und Ludwig Hammermayer, E. II . Bayern im Reich und zwischen den großen Mächten, in: Max Spindler, Andreas Kraus (Hrsg.), Handbuch der bayerischen Geschichte. Band 2: Das Alte Bayern. Der Territorialstaat vom Ausgang des 12. Jahrhunderts bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts. zweite, überarb. Aufl. München 1988, 1198–1202. 17 Allgemein zur Hungerkrise der 1770er Jahre Wilhelm Abel, Massenarmut und Hungerkrisen im vorindustriellen Europa. Versuch einer Synopsis. Hamburg u. a. 1974, ­191–257 sowie Dominik Collet, Die doppelte Katastrophe. Klima und Kultur in der europäischen Hungerkrise 1770–1772. Göttingen 2019 (Umwelt und Gesellschaft, 18). 18 Helmut Rankl, Die bayerische Politik in der europäischen Hungerkrise 1770–1773, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 68 (2), 2005, 752–757. 19 Stühring, Der Seuche begegnen, 30–32. Stühring weist hier allerdings darauf hin, dass aus dieser Zunahme des Quellenmaterials nicht zwangsläufig auf vermehrte Seuchen­ ausbrüche in diesem Zeitraum geschlussfolgert werden kann, sondern auch die Intensivierung von Seuchenbekämpfungsmaßnahmen oder die Verbesserung behördlicher Registraturen in Rechnung gestellt werden müssen. 20 Hinweise in Reith, Umweltgeschichte, 43; Lehner, »Und das Unglück …«, 48–50; Christian Rohr, Zum Umgang mit Tierplagen im Alpenraum in der Frühen Neuzeit, in: Katharina Engelken, Dominik Hünniger, Steffi Windelen (Hrsg.), Beten, Impfen, Sammeln. Zur Viehseuchen- und Schädlingsbekämpfung in der Frühen Neuzeit. Göttingen 2007, 111; Bernd Herrmann, Jana Sprenger, Das landesverderbliche Übel der Sprengsel in den brandenbur­ gischen Gemarkungen – Heuschreckenkalamitäten im 18. Jahrhundert, in: Patrick Masius, Jana Sprenger, Eva Mackowiak (Hrsg.), Katastrophen machen Geschichte. Umweltgeschichtliche Prozesse im Spannungsfeld von Ressourcennutzung und Extremereignis. Göttingen 2010, 79–118; Georgi, Heuschrecken, 270–271.

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schrecken« berichtete, die Ende August in Bayern beobachtet wurden.21 Es habe sich einigen Orts »eine dergestaltige Menge Heuschrecken sehen lassen, daß die Sonne von denenselbigen ordentlich verfinstert, und gleichsam wie mit einem Nebel bedecket war. Das gräusliche Getöß und Schnurren dabey, war einem Sturm-Wind nicht ungleich.«22 Es wird über den Einsatz von Glockengeläut, Feuerwaffengebrauch und Gebeten gegen die Heuschrecken berichtet, um sie von den Ackerflächen abzuhalten. Um die Heuschrecken wieder von den Feldern zu vertreiben oder sie überhaupt daran zu hindern, sich dort niederzulassen, empfahl die Münchner-Zeitungen das Aufstellen von Wachen bei den Feldern, »welche, wann sie sehen, daß irgendswo ein fliegender Schwarm, oder auch nur einige Vorbotten sich zeigen, denen nahe gelegenen Dorffs-Leuten alsogleich Meldung thun, da dann alles klein und groß beyderley Geschlechts mit SchellenGlöckeln, oder andern Meßing, Kupffer, und eysernen Geschirr, Trommeln, und dergleichen Getöß und Geschrey auf das Feld lauffen, und die vielleicht bereits sich Niedergelassene auf und wegtreiben solle […].«23 In einer Verordnung vom 26. August 1749, in der sich die Obrigkeit zunächst noch abwartend zeigte, wurden weitere Berichte und Beobachtungen der örtlichen Beamten über die Heuschrecken­schwärme und ihre Auswirkungen auf Pflanzen und Nutztiere, die mit den Heuschrecken in Kontakt gekommen waren, angefordert sowie Versuche mit Nutztieren auf den von Heuschrecken besetzten Weideflächen angeordnet, um herauszufinden, ob es den Tieren und ihrer Milch schade oder nicht. Solange jedoch diese Versuche nicht durchgeführt worden seien, sollten Vorsichtsmaßnahmen ergriffen, die Heuschrecken erschlagen und die Kadaver verbrannt werden, um eventuellen Vergiftungen des Viehs durch den Kontakt mit den Heuschrecken und von ihnen besetzten Pflanzen vorzubeugen.24 Eine in der Mayrschen Verordnungssammlung enthaltene undatierte »Kurze Beschreibung. Von diesen im Jahr 1749. in Baiern sich eingedrungenen Heuschrecken, zum Denkmal und Unterricht für künftige Zeiten« betont jedoch, dass sich die Befürchtungen über die Giftigkeit der Heuschrecken als gegenstandslos erwiesen hätten. Weder für das Vieh selbst noch für dessen Milchproduktion sei der Verzehr der Heuschrecken schädlich gewesen.25 Nur drei Tage nach der ersten Anordnung wurde bereits eine neue Verordnung er 21 Achdorf, den 28. August, in: Münchner-Zeitungen, von denen Kriegs-, Friedens- und Staatsbegebenheiten, inn- und ausser Landes 1749, 1. September (Nr. 140), 557. In der Ausgabe Nr. 138 vom 28. August und in den folgenden Ausgaben Nr. 141, 145, 147 setzt sich die Berichterstattung über die Heuschrecken fort. 22 München, den 27. August, in: Münchner-Zeitungen, von denen Kriegs-, Friedens- und Staatsbegebenheiten, inn- und ausser Landes 1749, 28. August (Nr. 138), 549. 23 München, den 13. Sept., in: Münchner-Zeitungen, von denen Kriegs-, Friedens- und Staatsbegebenheiten, inn- und ausser Landes 1749, 13. September (Nr. 147), 585–586. 24 Georg K.  Mayr, Sammlung der Kurpfalz-Baierischen allgemeinen und besonderen Landes-Verordnungen. Band 2. 6 Bände. München 1784, 1266–1267. 25 Ebd., 1267–1272.

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lassen, die in Folge des Eingangs weiterer Berichte sogar die Anweisung erteilte, bereits vergrabene erschlagene Heuschrecken wieder auszugraben und mitsamt der Erde zu verbrennen, offenbar um auch bereits in den Boden abgelegte Eier zu vernichten.26 Außerdem sollten die örtlichen Beamten möglichst viele der landesherrlichen und hofmärkischen Grunduntertanen zusammentrommeln, um »unter die Schwarm der sich gelagerten Heuschrecken, mit immer möglich an Hand bekommenden Flinten, oder allenfalls in einigen Geschlössern oder Klöstern verhandenen Stückeln (welch beyderley Geschoß mit Pulver und groben Sand zu laden sind) gemeinschaftlich zu schießen, und […] mittels Trischeln, Rechen, Schauffeln, und anderen tauglichen Instrumenten, so viel immer Menschen möglich ist, selbe zu zernichten, sodann zu verbrennen […].«27 Dieser obrigkeitlich angeordnete Krieg gegen die Heuschrecken, in dem auch Pulverwaffen zum Einsatz kommen sollten, ist ein eindrücklicher Beleg für die wahrgenommene Bedrohungslage durch die Heuschreckenschwärme. Das Glockengeläut und die »um Abwendung all-weiteren durch dieses verderbliche Ungeziefer zu beförchten-stehenden Unheyls« angeordneten öffentlichen Gebete28 zeigen eine religiöse Deutungsperspektive auf die Heuschreckenschwärme an, die sie als im religiösen Weltbild fundierte Ereignisse versteht, die durch apotropäische Praktiken oder das Anrufen der göttlichen Gnade und Barm­ herzigkeit abgewendet werden können. In diesem Zusammenhang wird auch der biblische Topos der Heuschrecken als eine der zehn ägyptischen Plagen auf­gerufen und als straftheologisches Deutungsmuster eingesetzt. Das kommt besonders in einer anonymen Predigt von 1750 zum Ausdruck, in der die Heuschrecken als göttliches Instrument zur Strafe für begangene und zur Mahnung gegen zukünftige Sünden gedeutet werden: »Wolte GOTT! daß unser Teutschland dises Ach und Weh nit erfahre wie einstens Egyptenland zu Zeiten Pharaonis! GO tt hat schon öffters durch kleine Thierlein grosse Sünden gestrafft; Ja wenigist ermahnt er uns dardurch, daß wir von Sünden abstehen, zur Buß schreitten, und durch eyfriges allgemeines Gebett bey Zeiten seinen Zorn besänfftigen sollen […].«29

26 Die zitierte »Kurze Beschreibung« zu den Heuschreckenschwärmen in Bayern merkt dazu an, dass diese Anordnung nicht befolgt wurde, da die bereits im Stadium der Fäulnis sich befindenden Heuschreckenkadaver sonst eine Infektionsquelle hätten bilden können, wenn sie verbrannt und ihr Rauch in die Luft gelangt wäre. Bei den abgelegten Eiern sei aufgrund der Fäulnis der mit ihnen vergrabenen Kadaver ohnehin davon auszugehen, dass sie nicht mehr fruchtbar seien; ebd., 1267–1272. 27 Verordnung vom 29. August 1749, ebd., 1267. 28 München, den 13. Sept., in: Münchner-Zeitungen, von denen Kriegs-, Friedens- und Staatsbegebenheiten, inn- und ausser Landes 1749, 13. September (Nr. 147), 586. 29 [Anonym], Frag: Was Bedeuten die Heuschrecken? Eccho: Schröcken! Das ist: Moralische Kirchweyh-Predig Eingericht Auf dermahlig-gefährliche Welt- und Zeits-Umständ. Aldorf 1750, 4.

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In dieser Arbeit sollen allerdings die von extremen Naturereignissen bedingten Katastrophenzeiträume in Kurbayern im Vordergrund stehen.30 In der weiteren Untersuchung wäre dann zu beobachten, inwiefern sich diese Katastrophenzeiträume, der These vom Innovationsimpuls und der katalysatorischen Wirkung von Katastrophen für soziokulturellen Wandel folgend, auf den Wandel der Deutungsmuster und Handlungspraktiken auswirkten. Ein solcher naturaler Katastrophenzeitraum am Beispiel der Unwetterszenarien ergibt sich für das Jahr 1767, als Anfang und Ende Juli eine Serie von Unwettern und Hagelschauern einen bogenförmigen Landstrich entlang der Isarlinie nordwestlich von München bis südwestlich von Straubing traf.31 Das Churbaierische Intelligenzblatt berichtete, dass die Unwetter »fast einen Distrikt von 15. Meilen lang betroffen« haben, »so, daß (GO tt verhütte es) ein Mangel des Getreids: oder dessen mehreren Vertheuerung sehr zu vermuthen ist; wenn nicht der Segen GO ttes, den wir mit Demuth und Zuversicht erbitten wollen, denen seufzenden Unterthanen sonderbar zu Hülfe kommet: und den Armen beystehet.«32 Ähnlich dramatisierend lauteten auch Berichte aus den betroffenen Landbzw. Pfleggerichten, die über die Ausmaße der Schäden am Getreide und an den Äckern Auskunft gaben. Das Pfleggericht Dingolfing etwa teilte dem Rent­amt Landshut mit, dass die Felder so sehr durch den Schauer verwüstet und so viel Ackerboden abgeschwemmt worden sei, dass die Äcker »in denen mehrern Ohrten, in 6 Jahr, und in ainigen Ohrten nit in 10 Jahr mehr in fruchtbaren stand hergericht werd[en] können […].«33 Auch das Pfleggericht Rottenburg berichtete an den Geheimen Rat über die Unwetterserie, die straftheologisch als göttliche Züchtigung gedeutet wird: »Wann es Die Straffente Handt Gottes bey Jenner zichtigung gelassen, welche verwichenen Donnerstag den 9. huius durch ein ausgebrochen erschröckhliches Donner- Risl- und Sturmbwetter einen zimblichen Thaill hiesigen Pflegghrts [Pfleggerichts, P. R.] betroffen. So were es noch umb so erträglicher als dammallen ein grosser Thaill übrig verbliben, welche dennen Damnificierten zu Handten gehen mit Speis und Saamb Getraidt aus Christl. Liebe aushelfen könten.« Dann sei es jedoch am 24. Juli erneut zu zwei Unwettern gekommen, die an einigen Orten des Gerichtsbezirks zu einem Totalschaden an den Feldfrüchten geführt hätten, so dass »dem ellendt nun gar kein rath mehr« 30 Eine über diese Untersuchung hinausweisende Forschungsperspektive wäre sicherlich der Vergleich natural und sozial bedingter Katastrophenszenarien in Kurbayern im Hinblick auf die Typologie der Deutungsmuster und Handlungspraktiken, ihre diskursive Mechanik, ihre inhaltliche Struktur und ihren Wandel. 31 Das Churbaierische Intelligenzblatt listete die vom Unwetter betroffenen Ortschaften und Gerichtsbezirke auf: Vermischte Nachrichten, in: Churbaierisches Intelligenzblatt 1767, 14. August (Nr. XV), 148. 32 Ebd., 148. 33 BayHStA GL Fasz. 2228 Nr. 181: Schreiben des Pfleggerichts Dingolfing vom 27. Juli 1767 an das Rentamt Landshut (weitergeleitet vom Rentamt an die Hofkammer am 5. August und von der Hofkammer an den Geheimen Rat am 14. August).

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sei.34 Auch in der Schilderung des Pfleggerichts Kirchberg nimmt sich das Szenario der angerichteten Verwüstungen verheerend aus:35 In mehreren Ortschaften des Gerichtsbezirks sei sowohl der Winter- als auch Sommerbau des Getreides durch die Unwetter so sehr in Mitleidenschaft gezogen worden, dass das Getreide auf den Feldern teils zur Hälfte, teils völlig vernichtet worden sei. Unter Hinzunahme der abgeschwemmten Brachfelder und überschwemmten Wiesen sowie der durch den Sturm abgedeckten Dächer und umgestürzten Obstbäume sei der im ganzen Pfleggericht entstandene Schaden so groß, dass es kaum noch Untertanen im Bezirk gebe, die den anderen mit Speise- oder Samengetreide und Viehfutter beistehen könnten, und manche dazu gezwungen seien, ihr gesamtes Vieh zu verkaufen. Das Pfleggericht berichtete dann erneut am 27. Juli an die Landshuter Regierung, dass »mit all demme Gott der Allerhöchste die Unterthannen noch nicht genug gestrafft« habe, indem es am 24. Juli erneut zwei heftige Unwetter gegeben habe, in deren Verlauf Hagelkörner in der Größe von Hühnereiern gefallen seien. Dadurch seien die Schäden so drückend geworden, dass die meisten Untertanen ihre Güter völlig aufgeben müssten, wenn ihnen keine Hilfe an Getreide und Viehfutter zukomme.36 Die straftheologischen Deutungen der Unwetterserie – auf diesen religiösen Deutungsaspekt der Unwetter wird noch zurückzukommen sein (s. Kap. 6.1) – und die dramatisierend zugespitzten Wendungen in den Berichten der Pfleggerichte über die verzweifelte Situation vor Ort dokumentieren zum einen die empfundene katastrophale Lage durch die Unwetterschäden und zum anderen die Absicht der Berichterstatter, das Rentamt bzw. die Regierung oder die Zentralbehörden in München (die Hofkammer und den Geheimen Rat) zur Hilfeleistung für ihre betroffenen Amtsbezirke zu bewegen. Dass die Berichte der Pfleggerichte auch den gewünschten Eindruck in München hervorriefen, ist aus einer am 8. August 1767 an alle vier Regierungen München, Landshut, Straubing und Burghausen gerichteten Verordnung zu ersehen, in der eine »Universal-Spörr auf sämmtliche Getreidsorten« angeordnet wurde, die man sich zu verhängen gezwungen sah, da »ein großer Theil unserer Churlanden durch den Schauerschlag betrofen worden« sei.37 In einer erneuten Verordnung vom 11. September wurden die Grundherrschaften aufgefordert, ihren durch »erstaunliche Donner, Hagel und Schauerwetter […] verunglückten Grundun 34 BayHStA GL Fasz. 2228 Nr. 181: Schreiben des Pfleggerichts Rottenburg vom 31. Juli 1767 an den Geheimen Rat. Das Pfleggericht Rottenburg hatte bereits am 15. Juli an die Regierung in Landshut über die Unwetterschäden vom 9. Juli berichtet. 35 BayHStA GL Fasz. 2228 Nr. 181: Schreiben des Pfleggerichts Kirchberg vom 11. Juli 1767 an die Regierung Landshut. 36 BayHStA GL Fasz. 2228 Nr. 181: Bericht des Pfleggerichts Kirchberg vom 27. Juli 1767 an die Regierung Landshut. 37 Supplement ad Artic. I, in: Churbaierisches Intelligenzblatt 1767, 14. August (Nr. XV), 152.

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terthanen mit Speis- und Saamgetreid mitleidig bey[zu]springen«, wie es auch die mit dieser Verordnung erneuerten Generalien aus dem 17. Jahrhundert bereits vorgeschrieben hatten.38 Zwar wurde die am 8. August verordnete Getreidesperre am 26. September wieder aufgehoben, da aufgrund der andernorts in Kurbayern reichlich eingefahrenen Ernte kein Getreidemangel in diesem Jahr mehr zu befürchten sei.39 Die langfristigen Auswirkungen der Unwetterserie des Juli blieben jedoch im Fokus der landesherrlichen Obrigkeit, wie eine Verordnung vom 23. Oktober 1767 illustriert, in der die Modalitäten für den Nachlass an grundherrlichen Abgaben und landesherrlichen Steuern für die von den Unwettern betroffenen Untertanen geregelt wurden.40 Noch im Steuermandat von 1768 sollten die »gewaltigen Schauerschaden, Wolkenbrüchen, verderblichen Ueberschwemmungen, Viehefall, und anderen Verunglückungen« der letzten Jahre Berücksichtigung finden.41 Ein bekannterer und weit über Kurbayern hinaus sich ereignender Katastrophenzeitraum war die Hochwasserkatastrophe von 1784, die nicht nur im Kurfürstentum Bayern für Verheerungen sorgte, sondern ganz Mitteleuropa betraf.42 Die (naturale) Ursachenkette begann bereits 1783 durch den Ausbruch des Laki auf Island und später auch des Asama Yama in Japan, wobei ersterer für das 1783 in Europa beobachtete und vieldiskutierte Phänomen des Höhenrauchs verantwortlich war. Die durch die Ausbrüche erzeugten Dunstschleier in der Atmosphäre führten durch Verminderung der Sonneneinstrahlung einen Temperatursturz herbei, der sich in Form eines strengen und schneereichen Winters 1783/84 auswirkte.43 Durch die Kälteperiode in den Wintermonaten 1784 froren dann die meisten Flüsse zu, so dass durch den plötzlichen Wärmeeinbruch 38 Artic. I. Churfürstl. gnädigste Verordnung, daß die Grundherrschaften denen mit Schauer und Hagel betroffenen Unterthanen mit Speis- und Saamgetreid mitleidig beyspringen sollen. de Dato 11. Septemb. 1767, in: Churbaierisches Intelligenzblatt 1767, 30. September (Nr. XVIII), 175–176. Das Intelligenzblatt druckte dazu zwei dieser Vorgängerverordnungen von 1662 und 1676 ab. 39 Artic. I. General-Ausschreibung die Aufhebung der Getreidsperr betreffend, de D. 26. September 1767, in: Churbaierisches Intelligenzblatt 1767, 17. Oktober (Nr. XIX), 185. 40 Georg K.  Mayr, Sammlung der Kurpfalz-Baierischen allgemeinen und besonderen Landes-Verordnungen. Band 1. 6 Bände. München 1784, 296. 41 Artic. I. Steuermandat pro 1768. dd. 11. März c[urrentis] a[nni], in: Churbaierisches Intelligenzblatt 1768, 17. May (Nr. XI), 115. 42 Ein Überblick über die mitteleuropäische Hochwasserkatastrophe von 1784 in Glaser, Klimageschichte, 203–208 und für den fränkischen Raum, insbesondere Nürnberg, in Vasold, Die Eruptionen. 43 Bereits Ildephons Kennedy deutete in seinen Witterungsbeobachtungen von 1789 den Höhenrauch von 1783 und die Hochwasserkatastrophe von 1784 als Folgen des Materie­ auswurfs der Vulkane in Island und Sizilien bzw. Kalabrien, der die Sonneneinstrahlung vermindert hätte; Ildephons Kennedy, Anmerkungen über die Witterung, besonders der Jahre 1783, 84, 85 und 86, in: Neue philosophische Abhandlungen der Baierischen Akademie der Wissenschaften V, 1789, 399–466.

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Ende Februar 1784 das Eis auf den Flüssen am 27. und 28. Februar brach und in Form von Eisstößen Barrieren bildete, an denen sich das Flusswasser aufstaute. In Verbindung mit starken Regenfällen und der Schneeschmelze sorgte dies für ein Hochwasser an den mitteleuropäischen Flüssen, das »als eine der größten Umweltkatastrophen der Frühen Neuzeit in Mitteleuropa angesehen werden« kann.44 Zahlreiche Augenzeugenberichte und Beschreibungen illustrieren die Wahrnehmung der Überschwemmungen als europaweite Katastrophe, die enorme Schäden anrichtete.45 Der bayerische Weltgeistliche, Exjesuit und aufklärerische Publizist Lorenz Hübner (1751–1807), Herausgeber der Münchner Zeitung und der seit 1784 in Salzburg erscheinenden Oberdeutschen Staatszeitung,46 gab 1784 einen Band mit Berichten über die Hochwasserkatastrophe, vor allem aus dem süddeutschen Bereich, aber auch aus anderen Reichsregionen und ganz Europa, heraus. Dieser sollte einerseits die Leser zum Mitleid mit den Betroffenen anregen und andererseits zur zukünftigen verbesserten Vorsorge gegen solche Katastrophen führen: »Und dann diejenigen, welche ein günstigeres Schicksal, nicht eine größere Schuldlosigkeit vor dem Weltenrichter,  – eine natürlich bessere Lage, und verschiedene zufällige Bewandnisse vor den entsetzlichen Ausbrüchen der wilden Flut verwahret haben, werden vom Mitleide durchdrungen werden, wenn sie das Elend ihrer deutschen Brüder lesen, und vielleicht sich in Zukunft noch sorgfältiger, als bisher, vor gleichen Unfällen zu verschanzen suchen.«47

Beiläufig weist Hübner hier in der Parenthese auch eine straftheologische Deutung der Hochwasserkatastrophe zurück, die er in Kontrast zu einer Deutung der Katastrophe ex negativo als Resultat des Schicksals, einer naturräumlich ungünstigen Lage und anderer Faktoren stellt. 44 Glaser, Klimageschichte, 205. 45 Auszüge von Augenzeugenberichten und Katastrophenbeschreibungen in ebd., ­206–207; Bauernfeind, Die Hochwasser, 78–79; Seiderer, Zwischen gottgewollt und ratio. 46 Zur Person Lorenz Hübners Manfred Brandl, Hübner, Lorenz, in: Neue Deutsche Biographie 9, 1972, 721–722. Online verfügbar unter http://www.deutsche-biographie.de/ pnd117045403.html. Zu seiner publizistischen Tätigkeit in Kurbayern bei der Münchner Zeitung Michael Schaich, Staat und Öffentlichkeit im Kurfürstentum Bayern der Spätaufklärung. München 2001 (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte, 136), 41–44 und Eleonore Erxleben, Münchner Zeitungsverleger von der Aufklärung bis zum Revolutionsjahr 1848 nach archivalischen und sonstigen Quellen zusammengestellt. Würzburg 1942, 9–14; zu seinem publizistischen Wirken im Erzstift Salzburg Ludwig Hammermayer, Das Erzstift Salzburg, ein Zentrum der Spätaufklärung im katholischen Deutschland (ca. 1780–1803), in: Harm Klueting, Norbert Hinske, Karl Hengst (Hrsg.), Katholische Aufklärung. Aufklärung im katholischen Deutschland. Hamburg 1993, 346–368. 47 Lorenz Hübner, Gräuliche Überschwemmungsgeschichte von den Monaten Hornung und März des Jahres MDCCLXXXIV. Aus authentischen Nachrichten gesammelt. München [1784], 4.

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Andere Katastrophenschilderungen wie die Werke von Johann Mayr und Wilhelm Rothammer über die Auswirkungen der Überschwemmung der Donau in Regensburg zeigen weitere Möglichkeiten der Behandlung der Katastrophe im Katastrophendiskurs an. Bei Mayr wird die Beschreibung der Überschwemmung zum Anlass der religiösen Deutung und Einordnung des Katastrophengeschehens: Letztlich sei es nur Gottes Güte zu verdanken, dass nicht noch schlimmere Schäden als die zu beobachtenden in Regensburg eingetreten seien: »Immer muß man mit dankbarem Herzen ausrufen: HE rr! deine Güte ist es, daß wir nicht gar aus sind  – Gebt unserm GOTT die Ehre!«48 Mayr zitiert auch aus einem anlässlich des Hochwassers verfassten Stück des Rektors des evangelischen Gymnasiums in Regensburg, Johann Philipp Ostertag (1734–1801)49, mit dem er sich gegen eine straftheologische und für eine physikotheologische Deutung der Überschwemmungskatastrophe in der Manier leibnizscher Theodizee ausspricht: »Nicht der strafende Zorn des Himmels, sondern die im vollkommensten Plane der Welt nothwendigen Gesetze der Alles, selbst das Uibel, mit höchster Weisheit anordnenden Vorsehung erlauben dem Strome, der Regensburg so viele Jahrhunderte hindurch mit Uiberfluß segnete, seine Wuth gegen diese mir so werthe Stadt zu wenden.«50 Rothammers Katastrophenbeschreibung über das Donauhochwasser 1784 in Regensburg dagegen gerät zur moralisierenden Darstellung über das rechte menschliche, mitleidende Empfinden und das daraus entspringende Handeln. Nur der sei wahrhaft Mensch und als Mensch zu ehren, der gegenüber dem betroffenen Mitmenschen Mitleid empfinde und dies in tätige Hilfe umsetze: »Hier sagt mir nur allein bidere Empfindung – warme innige tätige Teilname an dem Unglük deines Mitbruders, daß du wirklicher Mensch bist!«51 In Rothammers Darstellung kommt also besonders der Aspekt der Naturkatastrophe als Medium moralischer Selbstreflexion zum Tragen. Als Bibliothekar des Fürsten Karl Anselm von Thurn und Taxis in Regensburg52 nutzt Rothammer seinen moralischen Appell zur mitleidenden und tätigen Nächstenliebe auch zur Platzierung eines Fürstenlobs für seinen Brotherrn, den er als leuchtendes Beispiel eben jener Menschenliebe preist: »Auch der 48 Johann Mayr, Das traurige Andenken Regensburgs bey den fürchterlichen Verheerungen des dießjährigen Eisganges. Regensburg 1784, 31. 49 Richard Hoche, Ostertag, Johann Philipp, in: Allgemeine Deutsche Biographie 24, 1887, 521–523. Online verfügbar unter http://www.deutsche-biographie.de/pnd118021591. html?anchor=adb. und Clemens Alois Baader, OSTERTAG (Johann Philipp), in: Clemens Alois Baader (Hrsg.), Lexikon verstorbener Baierischer Schriftsteller des achtzehenten und neunzehenten Jahrhunderts. Band 1.2: M-Z. Augsburg u. a. 1824, 119–122. 50 Mayr, Das traurige Andenken, 10. 51 Wilhelm Rothammer, Das gräßliche Bild der Verwüstung bei dem schreklichen Eisgange 1784. Ein Denkmal für Regensburg und die Menschheit. o. O. 1784, 10. 52 Clemens Alois Baader, Rothammer (Franz Wilhelm), in: Clemens Alois Baader (Hrsg.), Lexikon verstorbener Baierischer Schriftsteller des achtzehenten und neunzehenten Jahrhunderts. Band 1.2: M-Z. Augsburg u. a. 1824, 180–181.

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liebvolleste Fürst würdigt, sich unter die Menge zu mischen – so ganz Mensch mit Menschen – ohne Prunk, und mit freundschaftlicher Geselligkeit – Er, der sich mit wahrhaft fürstlicher Grösse zur niedrigsten Dürftigkeit herabläßt. […] Wer verkennt den besten Fürsten – Milde und Menschenliebe im Auge – den woltätigen KARL ANSELM?«53 Welche Flussregionen in Kurbayern von der Hochwasserkatastrophe 1784 betroffen waren und wie sie sich hinsichtlich der Deutungsmuster und Handlungspraktiken im Katastrophendiskurs auswirkte, wird noch zu besprechen sein. Dies blieb für Kurbayern aber nicht das einzige Überschwemmungsjahr, da 1786 erneut mehrere Hochwasser an den bayerischen Flüssen im Juni, August und auch Oktober auftraten. Die Münchner Zeitung berichtete über das Hochwasser der Isar in München Ende Juni 1786: »Es war ein erschreklicher Anblik, wenn man der Stadt gegenüber auf dem Berg ober der Iser stund, von wo aus man auf eine Meile die ganze Gegend und den Strom übersehen kann, wenn man nur dadurch das feste Land vom Wasser unterscheiden konnte, wo Bäume oder Häuser aus demselben hervorragten, und wenn man das fürchterliche Brausen des einherstürzenden Schwalls von Gewässer hörte, und an dem Ufer die armen Hüttenbewohner mit langen Stangen sich Holz sammeln sah, das der Strom vielleicht einem noch ärmern fortgerissen hatte.«54

Die folgende Überschwemmung im August habe dann, laut Münchner Zeitung, das seit der letzten Überschwemmung im Juni Reparierte und Wiederhergestellte erneut zerstört und damit einen noch größeren Schaden verursacht.55 Lorenz Hübner veröffentlichte 1786 einen weiteren Band mit Darstellungen über die Auswirkungen des Junihochwassers im Erzstift Salzburg, in der Fürstprobstei Berchtesgaden, in Tirol, Bayern, Passau und im Österreichischen. Diesen Katastrophenbeschreibungen stellte er eine Perspektivierung der Katastrophe voran, die erneut eine straftheologische Deutung des Geschehens von vornherein als Übertragung menschlicher Charakterschwächen auf einen rächenden Gott zurückweist und dem er ein positives Gottesbild sowie die Gnade der Errettung aus der Katastrophe gegenüberstellt: »Und dann  – wie innig, wie feurig muß nicht unser Dank zur ewigen Fürsehung sich emporheben, die uns aus Mitte der schrecklichsten Naturübel rettete, und nach den fürchterlichsten, Tod und Verderben drohenden Stürmen ihre schöne, liebe Sonne über unser Haupt wieder hervorgehen ließ! Der gute Gott! Böse Menschen schildern Ihn uns so

53 Rothammer, Das gräßliche Bild, 12. 54 München, in: Münchner Zeitung 1786, Freitag, den 30 Brachmonat (Junius) (Nr.  CI), 402. 55 München, in: Münchner Zeitung 1786, Mondtag, den 21 Aerndtemonat (Augustus) (Nr. CXXX), 517.

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gerne, wie sie sind – rachgierig, zornig, und grausam – Und Er – Er kann nicht anders, als lieben, was Er gemacht hat!«56 Für Kurbayern war somit der Katastrophenzeitraum nicht auf die 1784er Überschwemmung beschränkt, sondern schloss auch das Hochwasser 1786 ein. In seinen Auswirkungen erstreckte er sich sogar bis zum Ende der 1780er Jahre, als sich auch durch fiskalökonomische Erwägungen die kurbayerische Obrigkeit zu einer Bestandsaufnahme und Reorganisation bzw. Neuausrichtung des Wasserbauwesens gezwungen sah, wie noch zu zeigen sein wird. Für die Untersuchung der Deutungsmuster und Handlungspraktiken stellt sich also die Frage nach der Einordnung und Auswirkung der hier umrissenen Katas­ trophenzeiträume der Unwetter- und Hochwasserereignisse im kurbayerischen Katastrophendiskurs, welche Position die hier artikulierten religiösen Deutungsmuster im Aussageinventar des Katastrophendiskurses haben, wie diese Katastrophenzeiträume im Spannungsfeld zwischen den Diskursfeldern von Obrigkeit, Wissenschaft, Religion und Öffentlichkeit verhandelt werden und welche Impulse von diesen Katastrophenzeiträumen für die Deutungsmuster und Handlungspraktiken im Katastrophendiskurs ausgehen.

2.2 Soziokulturelle Aspekte des Katastrophendiskurses Aufbauend auf den theoretischen Erörterungen zum Verhältnis von Natur und Kultur im Rahmen der Naturkatastrophe als hybridem Phänomen zwischen Materialität und Sozialität sind die spezifischen Katastrophenszenarien für Kurbayern im 18. Jahrhundert und damit verbundene Katastrophenzeiträume eruiert worden, deren Einfluss auf den Katastrophendiskurs zu berücksichtigen ist. Darüber hinaus gilt es auch die sozial-, wissens- und kulturgeschichtlichen Strukturen zu bestimmen, die den Katastrophendiskurs geprägt haben: die sozialen Felder, die mit ihren Operationslogiken und internen Kämpfen in den Katastrophendiskurs involviert sind, sowie die Nachbardiskurse, die mit ihm verbunden sind. Als beteiligte Felder werden in der Folge die Bereiche von Obrigkeit und Verwaltung, das von der Aufklärung beherrschte Wissenschaftsfeld, die Religion sowie die Öffentlichkeit umrissen. Dabei ist zu beachten, dass diese Felder vielfache Schnittstellen bzw. Interdependenzen in Form einer Verwobenheit aufwiesen, die als charakteristisch für die Frühe Neuzeit bzw. das 18. Jahrhundert angesehen und hier nur grob skizziert werden können, um sie dann in ihrer näheren Ausformung im Kurbayern des 18. Jahrhunderts darzustellen: Die landesherrliche Obrigkeit im frühneuzeitlichen Territorialstaat ging auch in katholischen Gebieten im Zuge 56 Lorenz Hübner, Zum traurigen Angedenken der Ueberschwemmungen einiger Gegenden Oberdeutschlands im Junius 1786. [Salzburg 1786], 2.

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der Ausbildung einer Landeskirchenhoheit dazu über, verstärkten Einfluss auf die religiösen Strukturen und Institutionen in ihrem Herrschaftsbereich zu nehmen und die Frömmigkeitspraxis der Untertanenschaft zu reglementieren.57 Dies baute zum einen auf ökonomisch-staatswissenschaftlichen Ansichten im Rahmen eines (nur retrospektiv so zu bezeichnenden!) absolutistischen Herrschaftsprogramms auf, indem z. B. durch die Abschaffung kirchlicher Feiertage die Arbeitszeit der Bevölkerung und damit die Produktivkräfte der Gesellschaft sowie die daraus resultierenden Machtmittel des Fürstenstaates erhöht werden sollten. Zum anderen artikulierten sich darin auch aufklärerische Ansichten über eine Rationalisierung der Religiosität und eine ›Reinigung‹ der Religion von abergläubischen Elementen.58 Die angesprochene Aufklärung schließlich stand mit der Betonung der Experimentalwissenschaften für ein neues Wissensregime, das die Welt auf der Basis von experimentell abgesicherter Erfahrung und mathematisch-statistisch formulierbarer kausaler Gesetzmäßigkeit zu erklären suchte. Das drückte sich nicht nur im Anspruch etwa der kameralistisch inspirierten Statistik oder der Botanik und Zoologie aus, die Ordnung des Sozialen und der Natur durch Beschreibung, Systematisierung und Kategorisierung zu durchdringen, sondern führte auch zur Vorstellung, sowohl das Soziale als auch die Natur planen, restrukturieren und letztlich verbessern zu können.59 Die aufklärerischen Wissenschaften waren also für einen absolutistischen Territorialstaat mit seinen Bestrebungen der Herrschaftsverdichtung als Wissenslieferanten von nicht zu unterschätzender Bedeutung, was sich dann auch in der Förderung der Wissenschaften und der Einrichtung staatlich gestützter 57 Zusammenfassend Harm Klueting, »Der Genius der Zeit hat sie unbrauchbar gemacht«. Zum Thema Katholische Aufklärung – Oder: Aufklärung und Katholizismus im Deutschland des 18. Jahrhunderts. Eine Einleitung, in: Harm Klueting, Norbert Hinske, Karl Hengst (Hrsg.), Katholische Aufklärung. Aufklärung im katholischen Deutschland. Hamburg 1993, 1–39. 58 Vgl. dazu Paul Münch, Die Kosten der Frömmigkeit. Katholizismus und Protestantismus im Visier von Kameralismus und Aufklärung, in: Klaus Ganzer, Hansgeorg Molitor, Heribert Smolinsky (Hrsg.), Volksfrömmigkeit in der frühen Neuzeit. Münster 1994 (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung, 54), 107–119 und Manfred Jakubowski-Tiessen, Feiertagsreduktionen. Aufklärung und religiöse Praxis in Deutschland und Dänemark, in: Hans Erich Bödeker, Martin Gierl (Hrsg.), Jenseits der Diskurse. Auf­ klärungspraxis und Institutionenwelt in europäisch komparativer Perspektive. Göttingen 2007 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 224), 395–415. 59 Zum Naturbild in der Aufklärung s. Kap. 1.3 und die dortigen Literaturhinweise. Die aufklärerische Neuordnung bzw. gezielte Beeinflussung des Sozialen und des sozialen Raums im 18. Jahrhundert anhand neuer Regierungstechniken, die auf die Bevölkerung als Kollektiv mit eigenen Gesetzmäßigkeiten gerichtet sind und die entlang von Sicherheitsdispositiven funktionieren, wird in Michel Foucault, Sicherheit, Territorium, Bevölkerung. Geschichte der Gouvernementalität I. Frankfurt am Main 2006 (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 1808), 13–172 an den Beispielen der Stadtplanung, der physiokratischen Ideen zum Kornhandel und der Impfkampagnen dargestellt.

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Wissenschaftsinstitutionen wie den Wissenschaftsakademien ausdrückte.60 Schließlich sind auch die Felder von Öffentlichkeit und Obrigkeit verbunden, wie sich am Beispiel des Intelligenzblattes als Publikationsorgan landesherrlicher Verordnungen und als Medium (volks-)aufklärerisch-staatswissenschaftlichen Gedankenguts zeigt.61 Diese Verwobenheit der vier benannten Felder ist auch für Kurbayern im 18. Jahrhundert zu beobachten, was sich an der interpersonellen Vernetzung der Felder verdeutlichen lässt, für die besonders die Akademie der Wissenschaften als Nexus der Aufklärung mit den anderen Feldern steht.62 Akteure bewegten sich in den Operationslogiken mehrerer dieser Felder und auf ihren Schnittstellen. Der bayerische Aufklärer Ildephons Kennedy (1722–1804) verkörpert diesen Sachverhalt exemplarisch:63 Er war als Mönch im Regensburger Schottenkloster St. Jakob nicht nur Mitglied des Benediktinerordens, sondern zugleich auch an selber Wirkungsstätte und später andernorts, u. a. in der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, sowie in öffentlich gehaltenen Vorlesungen naturwissenschaftlich tätig und in der Akademiebewegung als Mitstreiter Johann Georg ­Loris (1723–1787) aktiv. Von 1761 bis 1800 bekleidete er den einflussreichen Posten des Sekretärs der Kurbayerischen Akademie der Wissenschaften. Außerdem war Kennedy in seiner Funktion als Mitglied des Bücherzensurkollegiums seit 1769 und des Geistlichen Rats seit 1773 hoher kurbayerischer Beamter.

60 Um es in der Foucaultschen Terminologie auszudrücken: Aufklärerische Wissenschaft und Obrigkeit sind also bei der Herausbildung der Gouvernementalität als spezifischer Machtökonomie, bei den »drei Bewegungen: Regierung, Bevölkerung, politische Ökonomie, die wohlgemerkt seit dem 18. Jahrhundert eine dauerhafte Serie bilden« (ebd., 161–162), eng miteinander verbunden. 61 Zum Medienwesen in der Frühen Neuzeit insgesamt vgl. Andreas Würgler, Medien in der Frühen Neuzeit. 2., durchges. Aufl. München 2013 (Enzyklopädie deutscher Geschichte, 85); speziell zu den Periodika der Aufklärung und den Intelligenzblättern Holger Böning, Aufklärung und Presse im 18. Jahrhundert, in: Hans-Wolf Jäger (Hrsg.), »Öffentlichkeit« im 18. Jahrhundert. Göttingen 1997 (Das achtzehnte Jahrhundert. Supplementa, 4), 151–163. 62 Das Mitgliederverzeichnis der Akademie für das erste Jahrzehnt zeigt eine Mischung aus Beamten, Universitätsprofessoren, naturwissenschaftlichen, historischen und medi­ zinischen Gelehrten sowie Geistlichen bzw. katholischen Theologen, die über das Feld aufklärerischer Wissenschaft verbunden waren; Ludwig Hammermayer, Geschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1759–1807. Band 1: Gründungs- und Frühgeschichte 1759–1769. unveränd. Nachdruck der Ausgabe von 1959. München 1983, 361–369. 63 Zur Person Winfried Müller, Kennedy, Ildephons, in: Karl Bosl (Hrsg.), Bayerische Biographie. 8000 Persönlichkeiten aus 15 Jahrhunderten. Regensburg 1983, 412 und Ludwig Hammermayer, Kennedy, Ildephons, in: Neue Deutsche Biographie 11, 1977, 491–493. Online verfügbar unter http://www.deutsche-biographie.de/pnd116130393.html.

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2.2.1 Obrigkeit und Verwaltung Die Verwaltung des Kurfürstentums Bayern war im 18. Jahrhundert in Unter-, Mittel- und Zentralbehörden gegliedert; eine Einteilung, die sich seit dem Spätmittelalter herausgebildet hatte.64 Die ca. neunzig Land- und Pfleggerichte stellten die unterste Ebene der landesherrlichen Verwaltungsstruktur dar, in denen Verwaltungs- und Justizaufgaben zusammengefasst waren. Der Landrichter bzw. Pfleger hatte die Hochgerichtsbarkeit (Blutgerichtsbarkeit) und die Aufsicht über Gerichts-, Policey-, Finanz-, Militär- und Kirchenhoheitsangelegenheiten in seinem Amtsbezirk inne, der noch in einzelne Ämter und diese wiederum in Ob- bzw. Hauptmannschaften aufgeteilt war. Die Land- bzw. Pfleggerichte waren allerdings herrschaftsrechtlich keineswegs einheitlich strukturiert, da in diesen landesherrlichen Verwaltungseinheiten mit den Hofmarken, Edelsitzen, Städten und Märkten auch weltliche und geistliche (Stifte und Klöster) stän­ dische Herrschaften lagen, die die Niedergerichtsbarkeit – also Strafsachen und policeyliche Befugnisse, Steuerangelegenheiten, die Bestimmung von Scharwerk unter anderem – und manchmal auch die Hochgerichtsbarkeit inne hatten.65 Innerhalb eines Land- bzw. Pfleggerichtsbezirks konnte die Untertanenschaft also unterschiedlichen Gerichtsbarkeiten und Herrschaftsverhältnissen zugeordnet sein, wobei die landesherrlichen Urbarsuntertanen (Grunduntertanen) durch die den Gerichten zugeordneten Kastenämter verwaltet wurden. Zusätzlich zu den Kastenämtern gab es auf Gerichtsebene noch die Maut- und Zollämter, Forstund Jagdämter, Bergämter sowie Salz- und Bräuämter für die Verwaltung der landesherrlichen Salz- und Weißbiermonopole, wobei diese Ämter häufig auch in Personalunion auf Gerichtsebene von einer Person versehen wurden. 64 Auch für das Folgende vgl. Sebastian Hiereth, Die bayerische Gerichts- und Verwaltungsorganisation vom 13. bis 19. Jahrhundert. Einführung zum Verständnis der Karten und Texte. München 1950 (Historischer Atlas von Bayern, Teil Altbayern); Karl-Ludwig Ay, Land und Fürst im alten Bayern. 16.–18. Jahrhundert. Regensburg 1988, 111–145; Dieter Albrecht, C. II . Staat und Gesellschaft. Zweiter Teil: 1500–1745, in: Max Spindler, Andreas Kraus (Hrsg.), Handbuch der bayerischen Geschichte. Band 2: Das Alte Bayern. Der Territorialstaat vom Ausgang des 12. Jahrhunderts bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts. zweite, überarb. Aufl. München 1988, 625–663; Ludwig Hammermayer, E. III . Staatliche Herrschaftsordnung und altständische Repräsentation, in: Max Spindler, Andreas Kraus (Hrsg.), Handbuch der bayerischen Geschichte. Band  2: Das Alte Bayern. Der Territorialstaat vom Ausgang des 12. Jahrhunderts bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts. zweite, überarb. Aufl. München 1988, 1236–1247 und Manfred Rauh, Verwaltung, Stände und Finanzen. Studien zu Staatsaufbau und Staatsentwicklung Bayerns unter dem späteren Absolutismus. München 1988 (Studien zur bayerischen Verfassungs- und Sozialgeschichte, 14). 65 In den jeweiligen Bänden des »Historischen Atlas von Bayern« zu den einzelnen Landbzw. Pfleggerichten sind diese unterschiedlichen Herrschaftsbereiche und -zuordnungen im Gerichtsbezirk aufgeschlüsselt.

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Den Gerichten übergeordnet waren die Rentämter oder auch Regierungen, von denen es im 18. Jahrhundert in Kurbayern mit den Rentämtern München, Landshut, Straubing und Burghausen vier gab, während für die Oberpfalz eine eigene Regierung in Amberg existierte. Bis 1779 waren die Rentämter für justizielle, policeyliche und finanzielle Angelegenheiten ihres Amtsbezirks zuständig, wobei die Rentmeister in jährlichen ›Umritten‹ gemäß den Vorgaben der Rentmeisterinstruktionen die Amtsgeschäfte der Unterbehörden in ihren Bezirken und den allgemeinen Zustand ihres Rentamtes in fiskalischer, infrastruktureller, ökonomischer, verwaltungstechnischer und religiöser sowie erziehungstechnischer Hinsicht zu visitieren hatten.66 Dem Rentmeister war jeweils ein Kollegium aus Räten zur Seite gestellt, die zusammen als Regierung bezeichnet wurden. Im Rentamtsbezirk München übte die Zentralbehörde des Hofrats diese Funktion aus, so dass für München keine eigene Rentamtsverwaltung existierte. Mit der Einrichtung der Oberen Landesregierung 1779 wurden ihr die justiziellen und policeylichen Aufgaben der Rentämter zugeschlagen, so dass diese nunmehr als Kameralrentdeputationen nur noch fiskalische Angelegenheiten zu verwalten hatten. Auf der Ebene der Zentralverwaltung wurden mit dem Hofrat, der Hofkammer, dem Geistlichen Rat, dem Hofkriegsrat und dem Geheimen Rat bereits im 16. Jahrhundert die maßgeblichen Behörden eingerichtet.67 Im Zuge mehrerer Verwaltungsreformen besonders des 18. Jahrhunderts wurden die Zuständigkeiten dieser Behörden neu geordnet und neue Verwaltungseinheiten eingerichtet, die in wechselnder Zuordnung teilweise eigenständig und teilweise als Deputationen der genannten Zentralbehörden operierten.68 Der Hofrat war bereits 66 Zu diesen Aufgaben des kurbayerischen Rentmeisters und seiner Funktion als Mittler zwischen Untertanen und Landesherr sowie als ausgleichendes Moment für die Ineffizienzen des kurbayerischen Verwaltungsapparates vgl. Helmut Rankl, Der bayerische Rentmeister in der frühen Neuzeit. Generalkontrolleur der Finanzen und Justiz, Mittler zwischen Fürst und Bevölkerung, Promotor der »baierischen Libertät«, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 60 (2), 1997, 617–648. 67 Zu den Zentralbehörden vgl. Renate Blickle, Laufen gen Hof. Die Beschwerden der Untertanen und die Entstehung des Hofrats in Bayern, in: Peter Blickle, Rosi Fuhrmann, Andreas Würgler (Hrsg.), Gemeinde und Staat im Alten Europa. München 1998 (Historische Zeitschrift, Beihefte N. F., 25), 241–266; Annelie Hopfenmüller, Der Geistliche Rat unter den Kurfürsten Ferdinand Maria und Max Emanuel von Bayern (1651–1726). München 1985 ­(Miscellanea Bavarica Monacensia / Neue Schriftenreihe des Stadtarchivs München, 85); Richard Bauer, Leitung und Organisation des Kurfürstlichen Geistlichen Ratskollegiums 1768–1802. Im Zusammenhang mit der bayerischen Kirchenpolitik in den Jahrzehnten vor der Säkularisation. München 1971 (Miscellanea Bavarica Monacensia, 32/Neue Schriftenreihe des Stadtarchivs München, 49) und Stefan Fischer, Der Geheime Rat und die Geheime Konferenz unter Kurfürst Karl Albrecht von Bayern 1726–1745. München 1987 (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte, 86). 68 Zu den Verwaltungsreformen des 18. Jahrhunderts vgl. neben den in Anm. 67 genannten Darstellungen noch Wolfgang Burgmair, Die zentralen Regierungsstellen des Kurfürsten

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Ende des 16. Jahrhunderts seiner Stellung im Behördensystem als wichtigstes Entscheidungsgremium verlustig gegangen, die nun der Geheime Rat ausfüllte, und wurde im Laufe des 18. Jahrhunderts zu einer Justizbehörde. Der Geheime Rat war zwar immer noch formales Entscheidungsgremium, verlor aber seit der Einrichtung der Geheimen Konferenz 1726 an Bedeutung und deren Mitglieder waren in der Funktion von Ressortministern als Berater des Kurfürsten für die jeweiligen Sachgebiete von Außenpolitik bis Justiz, Finanz- und Wirtschaftsangelegenheiten zuständig. Erst in der neuerlichen Verwaltungsreform des bayerischen Staatsministers Montgelas sollte sich dann die Funktion eines leitenden Ministers und überhaupt die Struktur von Fachministerien ausbilden. Der Geistliche Rat war als die tragende Verwaltungseinheit der kurbayerischen Religionspolitik einmal für die Beförderung des Katholizismus und die Abwehr des Protestantismus im Inneren und zum anderen für die Durchsetzung und Gestaltung der Landeskirchenhoheit zuständig. Mit der Einrichtung des Bücherzensurkollegiums 1769 ging der im Behördennamen beschriebene Aufgabenbereich vom Geistlichen Rat auf die neue Behörde über. Neben anderen behördlichen Umstrukturierungen waren die Reformbemühungen des kurbayerischen Verwaltungsapparats im 18. Jahrhundert besonders auf die Zentralbehörden und hier vor allem auf die Hofkammer als Finanzbehörde gerichtet. Mit der Einrichtung einer Straßenbaudirektion 1751 und dem daraus hervorgehenden Generalbaudirektorium 1767 wurde eine Deputation der Hofkammer geschaffen, in der das Straßen- und Wasserbauwesen ausgelagert war. Mitte des 18. Jahrhunderts wurde auch ein Kommerzienkollegium geschaffen, das in wechselnder Zuordnung mal eine Deputation der Hofkammer und mal eigenständige Behörde war. Gleiches galt für die 1752 eingerichtete Forstkommission. Weitere Deputationen und Direktionen wie das Münz- und Bergamt (1751), das Collegium Medicum (1755) und das Mautdirektorium (1764) vervollständigten den Reigen neu geschaffener Behördenzweige. Die Einrichtung der Oberen Landesregierung 1779 bedeutete eine Neuausrichtung des Verwaltungssystems der Zentralbehörden, da hier eine Verwaltungseinheit mit zugleich übergeordneter und vermittelnder Position zu den anderen Zentralbehörden geschaffen wurde, die viele Kompetenzbereiche der anderen Behörden zugeschlagen bekam und bündelte.69 Die Verwaltungsreformen unter der Ägide des Staatsministers Maximilian Joseph Freiherr von Montgelas (1759–1838) bedeu­ teten eine erneute Umstrukturierung des Verwaltungsapparates, wobei zunächst Max III . Josephs (1745–1777). phil. Diss. München 1992 und Caroline Gigl, Die Zentralbehörden Kurfürst Karl Theodors in München 1778–1799. München 1999 (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte, 121). 69 Vgl. dazu Gigl, Die Zentralbehörden, 252–364 und 375–419. Diese Kompetenzen bündelnde Zentralbehörde hatte auch die preußischen Verwaltungsreformen mit dem Generaldirektorium zum Vorbild.

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die Obere Landesregierung 1799 in die Generallandesdirektion umgewandelt wurde, in der die bisherigen Zentralbehörden, die neben der Oberen Landes­ regierung existiert hatten, aufgingen. In der weiteren Entwicklungen entstanden dann daraus die Fachministerien Anfang des 19. Jahrhunderts. Im Rahmen der für den Umgang mit den Katastrophenszenarien von Unwetter und Hochwasser bzw. Überschwemmung bedeutsamen Behörden sind offizielle Instanzenzüge zwischen Unter-, Mittel- und Zentralbehörden zu beobachten. Im Umgang mit Hochwasser und Überschwemmung waren bereits im 16. Jahrhundert auf der Gerichtsebene die Mautämter für den Wegeerhalt und den Wasserbau zuständig.70 Auf der mittleren Behördenebene waren die Rentmeister in ihren Umrittsinstruktionen zur Begutachtung der Wasser­bauten und zur Befragung der zuständigen Beamten verpflichtet, um dann an die Hofkammer zu berichten.71 Diese war als Zentralbehörde für die Belange des Wasserbaus als Teil des Bauwesens verantwortlich. Allerdings bestand von 1688 bis 1695 und erneut seit 1767 bis 1805 ein für den Straßen- und Wasserbau verantwortliches Generalbaudirektorium, das in seiner ersten Existenzphase eine eigenständige Behörde darstellte und in der zweiten Phase der Hofkammer angegliedert bzw. unterstellt war. Das Hofbauamt als der Hofkammer untergeordnete Behörde, das für die Aufsicht über die landesherrlichen Schloss- und Residenzbauten sowie generell die Amtsgebäude zuständig war, war auch im Straßen- und Wasserbau tätig und bestand parallel neben dem 1767 neu eingerichteten Generalbaudirektorium. Die Hofkammer erhielt dabei nicht nur von den Rentämtern bzw. Regierungen Berichte über die Zustände im Wasserbau oder über aktuelle Hochwasser- und Überschwemmungsereignisse, sondern auch von den Land- bzw. Pfleggerichten; entweder direkt oder indirekt über Weiterleitung durch die Rent-

70 Auch für das folgende Monika Ruth Franz, Rechtliche Bestimmungen zum Wasserbau im Herzog- und Kurfürstentum Bayern, in: Gerhard Leidel, Monika Ruth Franz (Hrsg.), Altbayerische Flußlandschaften an Donau, Lech, Isar und Inn. Handgezeichnete Karten des 16. bis 18. Jahrhunderts aus dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv (Ausstellung in München, 24. Juni bis 16. August 1998). Weißenhorn 1998, 290–296 und Gerhard Leidel, Der Wasserbau in Kurbayern an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, in: Gerhard Leidel, Monika Ruth Franz (Hrsg.), Altbayerische Flußlandschaften an Donau, Lech, Isar und Inn. Handgezeichnete Karten des 16. bis 18. Jahrhunderts aus dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv (Ausstellung in München, 24. Juni bis 16. August 1998). Weißenhorn 1998, 299–313. 71 Hier ist anzumerken, dass die nach den Instruktionen für die Rentmeister vorgesehene Regelmäßigkeit der jährlichen Umritte und Visitationen der Rentamtsbezirke im 18. Jahrhundert de facto wohl nicht mehr gegeben war; Rankl, Der bayerische Rentmeister, 638 und Birgit Näther, Kurbayerische Visitationen im 17. und 18. Jahrhundert: Zur Inszenierung von Herrschaftsrechten zwischen Aktendeckeln, in: Viktoria Draganova (Hrsg.), Inszenierung des Rechts. = Law on stage. München 2011 (Jahrbuch junge Rechtsgeschichte, 6), 240–241, Anm. 18.

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ämter.72 Besonders bei schweren Schäden an Wasserbauten oder Brücken infolge von Hochwasser an den Flüssen oder wenn der Verlauf ganzer Flussabschnitte aufgrund eines Hochwassers im Begriff stand sich zu verändern, berichteten die Unter- und Mittelbehörden an die Hofkammer bzw. das Generalbaudirektorium und baten um Unterstützung. In Reaktion auf einen solchen Notfall entsandten diese Zentralbehörden ihre Wasserbaumeister, die vor Ort zusammen mit den lokalen Amtsträgern eine ›Inaugenscheinnahme‹ vornahmen sowie ein Gutachten über durchzuführende Bauten oder Reparaturen und deren veranschlagte Kosten an die Zentralbehörde schickten, die dann über die Durchführung der vorgeschlagenen Maßnahmen entschied.73 Als Beispiel kann die Begutachtung eines drohenden Ufereinbruchs der Isar an der Giesinger Au bei Harlaching dienen, die genau nach dem beschriebenen Muster verlief. Die Hofkammer hatte nach entsprechenden Eingaben dem Ingenieurhauptmann und Wasserbaumeister Castulus Riedl am 18. März 1752 den Auftrag erteilt, diesen in Augenschein zu nehmen und Vorschläge für Gegenmaßnahmen und ihre Kosten zu machen. Castulus Riedl berichtete an die Hofkammer,74 dass es die in die Isar hinein gesetzten Wasserbauten selbst seien, die die Ufergefährdungen verursachten, wie aus dem von ihm angefertigten und beigelegten Plan der Lage vor Ort zu entnehmen sei. Die Isar habe sich durch Abschwemmung der Ufer und anliegenden Gründe mittlerweile so weit ausgebreitet, dass sich die Bachmutter (der Hauptflussarm) auf ein Ufer verlagere und besonders bei Holztrift und Hochwasser dort immer weiter das Ufer abgrabe. Deshalb stehe zu befürchten, dass die Isar dort bei anhaltendem Hochwasser ihren Lauf ändern und die dortigen Gründe und Auen gänzlich ruinieren könnte. Die örtlichen anrainenden Untertanen hätten bereits seit einigen Jahren jeder nach seinem Anteil in eine Kasse eingezahlt, um die Kosten für einen gemeinsam zu errichtenden und zu unterhaltenden dauerhaften 72 Für die Beamten der Land- bzw. Pfleggerichte gab es seit 1679 die Anweisung zur vierteljährlichen Berichterstattung über die Zustände im Wasserbauwesen im jeweiligen Gerichtsbereich. Diese eigentlich anlasslos und regelmäßig zu erstattenden Berichte scheinen jedoch von den zuständigen Beamten nicht durchgehend angefertigt worden zu sein, da sich besonders im 18. Jahrhundert und seit der erneuten Einrichtung eines Generalbaudirekto­ riums 1767 die erneuerten Befehle zur Aufsicht und Berichterstattung über die Wasserbauten an die Gerichtsbeamten häufen; Franz, Rechtliche Bestimmungen, 293–294. Die tatsächlich in den Akten vorhandenen Berichte der Land- bzw. Pfleggerichte beziehen sich dagegen meist auf konkrete Anlässe zu Überschwemmungen oder dem Neubau bzw. der Reparatur von Wasserbauten. 73 Gerhard Leidel, Monika Ruth Franz, Katalog, in: Gerhard Leidel, Monika Ruth Franz (Hrsg.), Altbayerische Flußlandschaften an Donau, Lech, Isar und Inn. Handgezeichnete Karten des 16. bis 18. Jahrhunderts aus dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv (Ausstellung in München, 24. Juni bis 16. August 1998). Weißenhorn 1998, 38. 74 BayHStA GL Fasz. 242 Nr. 69: Bericht Castulus Riedls an die Hofkammer vom 10. April 1752.

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Wasserbau aufzubringen, der dieser drohenden Gefahr begegnen sollte. Da sie die Kosten aber dennoch nicht alleine aufbringen könnten, gleichzeitig aber der Landesherr aufgrund eigener örtlicher Gründe ein Interesse an dieser Schutzeinrichtung hätte, hofften sie, dass von kurfürstlicher Seite ebenfalls ein Beitrag für den fraglichen Wasserbau geleistet werde. Vertreter der Hofkammer und des Hofrats beratschlagten über den von Castulus Riedl übermittelten Vorschlag zur Errichtung eines von Landesherr und anrainenden Untertanen gemeinsam finanzierten Wasserbaus zur Behebung der Gefahrenlage an der Isar.75 Dabei kamen sie jedoch zu dem Schluss, dass die von Riedl mitgeteilten Informationen und seine in der Planzeichnung gemachten Angaben nicht ausreichend seien, um den Landesherrn zur Beteiligung an den Wasserbaukosten zu verpflichten. Außerdem ändere die Isar ihren Lauf fast alle Jahre, so dass, wenn ein Wasserbau an diesem oder anderem Ort gesetzt werde, man nächstes Jahr schon wieder einen neuen wegen des sich beständig ändernden Laufs anlegen müsse. Daraufhin erfolgte eine weitere Begutachtung vor Ort, an der Vertreter des Hofrats, der Hofkammer, der örtlichen Untertanen sowie der Wasserbaumeister Castulus Riedl teilnahmen.76 Das Protokoll hält die Meinung der Teilnehmer fest, dass ein Wasserbau an besagter Stelle vor den zu erwartenden kommenden Hochwassern des Jahres nicht vorgenommen werden könne und die Isar gleich unterhalb der verbauten Stelle auch wieder einbrechen werde. Man habe daher mit Zustimmung des Ingenieurhauptmanns Riedl beschlossen, dass es unter diesen Umständen nicht nötig sei, einen solchen Uferschutz zu errichten. Falls sich im Herbst oder im nächsten Jahr ein Einbruch der Isar ereignen sollte, so müsste man die Anrainer dazu anhalten, nach erfolgtem Wassereinbruch einen entsprechenden Wasserbau zu errichten. Als Ausgleich für die verweigerte landesherrliche finanzielle Hilfe sollten die dafür herangezogenen Untertanen dann die Möglichkeit erhalten, die durch einen Wasserbau gesicherten bzw. neu gewonnenen Gründe am Fluss zu erhalten. Auch in Bezug auf Unwetterszenarien sind behördliche Instanzenzüge zu beobachten, in deren Zentrum die Hofkammer steht. Neben den regelmäßig von den Unter- und Mittelbehörden zu erstattenden Berichten über die Entwicklung der Ernte waren sie auch gehalten, über Schäden am Getreide auf den Feldern durch Schauer, Hagel und andere Wettereinflüsse Meldung zu machen. Beispiele solcher Schadensberichte sind bereits anhand der 1767er Unwetterserie vorgestellt worden. Dabei liegt diesen Meldungen über die Unwetter mit ihren Schäden zumeist ein schematischer Aufbau zugrunde, den ein Bericht des Landgerichts Biburg gut verdeutlicht: Auf eine Datierung des Unwetters 75 BayHStA GL Fasz. 242 Nr. 69: Protokoll der Konferenz von Hofkammer und Hofrat vom 2. Mai 1752. 76 BayHStA GL Fasz. 242 Nr. 69: »Protocol. So bey dem weegen gefährlichen Isaar-Einbruch in der Obern Giesinger Au vorgenommenen Augenschein gehalten worden« vom 19. Mai 1752.

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und eine Beschreibung seines Verlaufs sowie seiner Ausmaße  – häufig wird die Größe der gefallenen Hagelkörner mit Hühnereiern verglichen oder als faustgroß angegeben – folgt eine Darstellung der angerichteten Schäden an den Feldfrüchten, wobei zumeist betont wird, dass ein »so starckhes schaur wetter bis Menschen gedenckh der ohrten weder gesechen noch erhört worden« sei. Auch schließt der Bericht des Gerichts Biburg wie so viele andere mit der Betonung der Notwendigkeit, den so arg getroffenen Untertanen Nachlässe an Steuern und Abgaben zu gewähren.77 Diese Berichte hielten die entstandenen Schäden der um Hilfe ersuchenden Untertanen auch deshalb fest, damit diese durch die Hofkammer begutachtet und den betroffenen Untertanen eventuell ein nach ihren erlittenen Verlusten proportionierter Nachlass an Steuern und Abgaben gewährt werden konnte. So schrieb eine Verordnung vom 30. Juni 1730 vor, dass die entstandenen Wetterschäden am Getreide von den örtlichen Behörden besichtigt, unparteiisch geschätzt und sodann in drei Schadensklassen eingeteilt werden sollten, an denen sich der zu gewährende Nachlass orientierte.78 In der ersten Klasse eines dafür anzufertigenden Nachlasslibells waren die Supplikanten einzutragen, die sowohl am Winter- als auch Sommergetreide durch »Misswachs / Schneetruck / ​ und Wassergüß einen Total-Schaden erlitten- oder wenigist nur etwann den außgworffenen Sammen herwider erhalten haben.« Die zweite Klasse erfasste die Untertanen, die entweder am Sommer- oder Wintergetreide einen Totalschaden erlitten oder jeweils an beiden die Hälfte des Feldbestands verloren hatten. Die dritte Klasse umfasste dann die Schäden am Getreide, bei denen ein Drittel des Feldbestands durch die Wettereinflüsse betroffen war. 1736 wurde diese Bestimmung der Schadenseinteilung als Grundlage der zu gewährenden Nachlässe zwar wiederholt.79 In einem erneuten Mandat vom 7. September 1757 wurde jedoch beklagt, dass die bisherigen Regelungen von 1730 und 1736 von den örtlichen Gerichtsbeamten teilweise nicht beachtet worden seien und Parteilichkeit bei der Schätzung der Unwetterschäden geherrscht habe.80 Deshalb wurde die jährliche Abgabe der Nachlasslibellen von den Land- und Pfleggerichten an die Hofkammer zeitlich auf September und Oktober terminiert und die behördlichen Instanzen- und Kommunikationswege geregelt. Suppliken seien nicht an die Hofkammer, sondern an die örtlichen Land- und Pfleggerichte, Kastenämter und Hofmärkischen Obrigkeiten zu richten. Auch die Begutachtung der

77 BayHStA GL Fasz. 365 Nr. 138: Bericht des Landgerichts Biburg an die Hofkammer vom 23. April 1718. 78 BayHStA Kurbayern Mandatensammlung 1730/VI /30. 79 BayHStA Kurbayern Mandatensammlung 1736. 80 Auch für das Folgende Wiguläus X. A. Frhr von Kreittmayr, Sammlung der neuest- und merkwürdigsten Churbaierischen Generalien und Landesverordnungen. München 1771, 166–173, N. XI . Mandat de Anno 1756. Die Hofanlagsnachläße betreffend.

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Unwetterschäden vor Ort wird präzisiert. So sollten die örtlichen Beamten die Schäden selbst in Augenschein nehmen und zur Schätzung der Ausmaße zwei benachbarte unparteiische Untertanen als Schätzleute hinzuziehen und vereidigen. Besonders betont wird, dass die eigentliche Intention der landesherrlichen Nachlässe sei, den betroffenen Untertanen dabei zu helfen, sich von den Schäden wieder zu erholen. Die von einigen Gerichtsbeamten für die Begutachtung erhobenen überhöhten Sporteln, also Amtsgebühren, hätten aber den Effekt, dass den Untertanen von ihrem Nachlass nicht mehr viel bleibe. Die Forderung von zusätzlichen Sporteln außer den zugelassenen wurde daher schärfstens untersagt und sollte mit Mitteln der Malefizgerichtsbarkeit bestraft werden. Bereits in der Taxordnung von 1735 waren die Gerichtssporteln, die von supplizierenden Untertanen anlässlich von Schauer-, Wasser- und sonstigen Schäden erhoben wurden, reglementiert und für arme bedürftige Untertanen erlassen worden.81 In späteren Verordnungen werden die Gerichtssporteln bei Nachlasssachen dann gänzlich verboten und »die Nachlaßgeschäfte, als Causae Pauperum betrachtet […].«82 Die Vorgaben zur Begutachtung von Schäden an den Feldfrüchten durch Unwetter und Überschwemmungen sowie die damit zusammenhängenden Regelungen zur Nachlassgewährung, wie die Einteilung in Schadensklassen und die Eintragung in Nachlasslibelle bzw. die Anfertigung von Gutachten, blieben bis Anfang des 19. Jahrhunderts erhalten und wurden in den Steuermandaten beständig erneuert.83 Bei aktuellen Hochwasser- oder Unwetterschäden am Getreide wurden zudem Verordnungen erlassen, die sowohl die örtlichen Gerichts- und Kastenamtsbeamten als auch die ständischen Obrigkeiten aufforderten, den betroffenen Untertanen mit Speise- und Samengetreide unter die Arme zu greifen, wie bereits für die Unwetterserie 1767 erwähnt wurde und beispielsweise auch am 7. September 1763 geschah.84 81 Ebd., 40–74, N. IV. Erneuerte Taxeordnung von An[no] 1735, hier 47–49. 82 Georg K.  Mayr, Sammlung der Kurpfalz-Baierischen allgemeinen und besonderen Landesverordnungen. Band 3. 6 Bände. München 1788, 181–182, Verordnung vom 23. August 1784. Noch 1790 musste das Verbot von Taxen und Sporteln im Nachlasswesen erneuert werden, da nach wie vor Gerichts- und Rentbeamte von betroffenen Untertanen verbotene Sporteln erhoben, die die gewährten Nachlässe wiederum auffraßen; Verordnung vom 31. Mai 1790 in Georg K. Mayr, Sammlung der Churpfalz-Baierischen allgemeinen und besonderen Landes-Verordnungen. Band 5. 6 Bände. München 1797, 57–58. 83 Steuermandat vom 27. März 1784 in Mayr, Sammlung. Band 3, 368–370; Steuermandat vom 29. April 1794 in Mayr, Sammlung. Band 5, 88–95; Steuermandat vom 4. Mai 1796 in Georg K. Mayr, Sammlung der Churpfalz-Baierischen allgemeinen und besonderen LandesVerordnungen. Band 6. 6 Bände. München 1799, 57–64 und Steuermandat vom 9. Oktober 1798 für das Vorjahr in ebd., 69–83; Erneuerung der Bestimmungen zum Nachlasswesen in einer Verordnung vom 1. Juli 1801 in Georg K. Mayr, Sammlung der Churpfalzbaierischen allgemeinen und besonderen Landes-Verordnungen. Band 2. München 1802, 84. 84 BayHStA Kurbayern Mandatensammlung 1763/IX /7.

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Suppliken von Untertanen spielen hier wie im Falle von Hochwasser- und Überschwemmungsereignissen eine wichtige Rolle in der Kommunikation zwischen Landesherr und Untertanen, auch bezüglich der Deutungsmuster von Katastrophen.85 Die Supplik diente hier als Medium der Aushandlung von Herrschaft zwischen Obrigkeit und Untertan und damit als wichtiger Kommunikationskanal einer akzeptanzorientierten Herrschaft im Rahmen eines verwaltungstechnischen Diskurses.86 Sie gehörte neben Visitationen, Berichten usw. zu den Kommunikationsverfahren, mit denen die Obrigkeit die für die Herrschaftsausübung nötigen Informationen aus der Bevölkerung einholte und die in ihrer hierarchisch-dialogischen Form den Untertanen Einflussmöglichkeiten auf Politik und Verwaltungshandeln der Landesherrschaft gaben.87 In dieser Funktion waren die Eingaben der wegen Schäden durch Hochwasserund Überschwemmungsereignisse sowie Ernteverlusten durch Unwetter um Hilfe bittenden Untertanen auch Bestandteil der Katastrophenkommunikation zwischen Obrigkeit und Bevölkerung. Einerseits waren Bittschriften für den obrigkeitlichen Behördenapparat eine Möglichkeit Informationen über Katastro­ phenschäden zu erhalten. Andererseits konnten die Untertanen durch die Sup 85 Für die Perspektive auf Suppliken in der neueren Forschung zur Herrschaftspraxis in der Frühen Neuzeit als Medium der Aushandlung von Herrschaft zwischen Obrigkeit und Untertanen, aber auch für die Aushandlung der Deutungen von Natur und Naturkatastrophen vgl. Lassen / Reinkemeier, Suppliken. 86 Zur Akzeptanzorientierten Herrschaft als Modell des frühneuzeitlichen Fürstenstaates, in dem die Normimplementation und das Policeywesen durch Verordnungen und Gesetzgebung sowie die Verwaltungstätigkeit nicht nur top-down, sondern genauso auch bottom-up verläuft, die Landesherrschaft in ihrer Herrschaftspraxis also genauso auf Anforderungen und Informationen von unten reagiert, wie sie von oben Vorgaben setzt, vgl. im Überblick Brakensiek, Akzeptanzorientierte Herrschaft. Für die Rolle der Suppliken in diesem Kommunikations- und Aushandlungsprozess vgl. André Holenstein, Klagen, anzeigen und supplizieren. Kommunikative Praktiken und Konfliktlösungsverfahren in der Markgrafschaft Baden im 18. Jahrhundert, in: Magnus Eriksson, Barbara Krug-Richter (Hrsg.), Streitkulturen. Gewalt, Konflikt und Kommunikation in der ländlichen Gesellschaft (16.–19. Jahrhundert). Köln u. a. 2003 (Potsdamer Studien zur Geschichte der ländlichen Gesellschaft, 2), 335–369; André Holenstein, »Ad supplicandum verweisen«. Supplikationen, Dispensationen und die Policeygesetzgebung im Staat des Ancien Régime, in: Cecilia Nubola, Andreas Würgler (Hrsg.), Bittschriften und Gravamina. Politik, Verwaltung und Justiz in Europa (14.–18. Jahrhundert). Berlin 2005 (Schriften des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient, 19), 167–210 und Andreas Würgler, Bitten und Begehren. Suppliken und Gravamina in der deutschsprachigen Frühneuzeitforschung, in: Cecilia Nubola, Andreas Würgler (Hrsg.), Bittschriften und Gravamina. Politik, Verwaltung und Justiz in Europa (14.–18. Jahrhundert). Berlin 2005 (Schriften des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient, 19), 17–52. 87 Für die diesbezügliche Rolle der Suppliken in Bayern vgl. Renate Blickle, Supplikationen und Demonstrationen. Mittel und Wege der Partizipation im bayerischen Territorialstaat, in: Werner Rösener (Hrsg.), Kommunikation in der ländlichen Gesellschaft vom Mittelalter bis zur Moderne. Göttingen 2000 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 156), 263–317 und Näther, Kurbayerische Visitationen, 238–240.

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pliken Gesetzgebungsprozesse und Verordnungen der Obrigkeit sowie damit verbundene behördeninterne Auseinandersetzungen anstoßen.

2.2.2 Aufklärung und Wissenschaft In der Aufklärungsforschung hat sich der Terminus ›katholische Aufklärung‹ etabliert, um die Spezifika der Aufklärungsbewegung für den katholischen Raum des Alten Reichs zu erfassen. In diesem Zusammenhang sind auch Periodisierungen ihrer Entwicklung vorgenommen worden. Harm Klueting schlug eine Einteilung in drei Phasen von 1740 bis 1795 vor, wobei die erste durch den (italienisch-tridentinischen) Reformkatholizismus, die Kritik an der bestehenden Theologie und die Rezeption der norddeutsch-protestantischen Aufklärung in Gestalt der rationalistischen Philosophie Christian Wolffs (Wolffianismus), die zweite durch die Aufhebung des Jesuitenordens und die dritte durch die Josephinische Staatskirchenpolitik gekennzeichnet war.88 Stärker institutionengeschichtlich begründete Richard van Dülmen die Periodisierung der katho­ lischen Aufklärung für Kurbayern, indem er die Gründung der Kurbayerischen Akademie der Wissenschaften 1759, die Aufhebung des Jesuitenordens 1773 bzw. die Entstehung des Illuminatenordens 1776 sowie das Ende der Illuminatenverfolgung als wichtige Marksteine der Entwicklung ansah.89 Eine ähnliche Entwicklung wird auch für das Erzstift Salzburg konstatiert, wo bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts die Rezeption von Reformkatholizismus und Wolffianismus bestimmend war, um dann seit den 1770er Jahren unter dem Fürstbischof Hieronymus Graf von Colloredo in viele von aufklärerischem Gedankengut geprägte Reformbemühungen einzumünden.90 Die Periodisierungen zeigen also einen wachsenden Einfluss der Aufklärung im süddeutsch-katholischen Raum seit der Mitte des 18. Jahrhunderts an. Das schlägt sich für Kurbayern in einer steigenden Zahl aufklärerisch gesinnter Institutionen und Medien seit dieser Zeit nieder. Mit dem Parnassus Boicus existierte von 1722 bis 1740 eine der ersten gelehrten, aufklärerischen kurbayerischen Zeitschriften, die aus einer Gelehrtenvereinigung im Rahmen 88 Klueting, »Der Genius …«, 13–15. 89 Richard van Dülmen, Phasen der Aufklärung im katholischen Bayern, in: Richard van Dülmen, Religion und Gesellschaft. Beiträge zu einer Religionsgeschichte der Neuzeit. Originalausg. Frankfurt am Main 1989, 124–125. Ludwig Hammermayer periodisiert die Entwicklung der Aufklärung in Bayern ähnlich Ludwig Hammermayer, E. I. Die Aufklärung in Wissenschaft und Gesellschaft, in: Max Spindler, Andreas Kraus (Hrsg.), Handbuch der bayerischen Geschichte. Band  2: Das Alte Bayern. Der Territorialstaat vom Ausgang des 12. Jahrhunderts bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts. zweite, überarb. Aufl. München 1988, 1137. 90 Hammermayer, Das Erzstift Salzburg.

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der Akademiebewegung hervorgegangen war und auf die Initiative der Augustinerchorherren Eusebius Amort, Gelasius Hieber und Agnellus Kandler zurückging.91 Das seit 1764 bzw. 1766 existierende Churbaierische Intelligenzblatt stellte sowohl für Reformdiskurse der kurbayerischen Beamtenschaft als auch für darüber hinaus gehende, besonders volksaufklärerische Thematiken einen Kommunikationsraum bereit.92 Seit Ende der 1770er Jahre ist dann auf den Anfängen des Parnassus Boicus und des Churbaierischen Intelligenzblattes aufbauend ein verstärkter publizistischer Output in der Entfaltung einer aufklärerischen, politisch-emanzipatorischen Öffentlichkeit und eines differenzierten Zeitschriftenmarktes zu beobachten, der unterschiedliche aufklärerische Themenfelder abdeckte und bediente.93 In Reaktion zur Aufklärung formierte sich aber auch um den Kreis der ehemaligen Jesuiten, die sich besonders im Zuge der Illuminatenverfolgung stärker gegen die Aufklärung positionieren und in Bayern Einfluss gewinnen konnten, eine Gegenaufklärung mit einem eigenen Kommunikationsraum.94 Bestrebungen im süddeutsch-katholischen Raum zur Einrichtung von Wissenschaftsakademien kamen zuerst besonders von religiöser Seite, da zunächst Pläne aus dem Umfeld des Benediktinerordens, besonders des Benediktiners Oliver Legipont, zur Gründung einer Benediktinerakademie entwickelt wurden, die sich mit der Societas Litteraria Germano-Benedictina 1752 im Fürststift Kempten auch zu verwirklichen schienen. Diese Wissenschaftssozietät schlief jedoch bald aufgrund mangelnder Unterstützung in den süddeutschen Benediktinerkongregationen und -klöstern wieder ein.95 Daneben entwickelte sich auch ein ›weltlicher‹ Zweig der Akademiebewegung, der sich mit den benediktinischen Akademiebefürwortern zusammentat. Auf der Basis des Münchener Gelehrtenzirkels um den Hofbibliothekar Andreas Felix Oefele wurde schließlich die Churbaierische Akademie der Wissenschaften 1759 unter kurfürstlicher 91 Hammermayer, Geschichte. Band 1, 36–43 und Wilhelm Haefs, Staatsmaschine und Musentempel. Von den Mühen literarisch-publizistischer Aufklärung in Kurbayern unter Max III . Joseph (1759–1777), in: Wolfgang Frühwald, Alberto Martino (Hrsg.), Zwischen Aufklärung und Restauration. Sozialer Wandel in deutschen Literatur (1700–1848). Festschrift für Wolfgang Martens zum 65. Geburtstag. Tübingen 1989 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur, 24), 92–94. 92 Zu Inhalt und Ausrichtung des Churbaierischen Intelligenzblatts vgl. Schaich, Staat, 38–41. 93 Dülmen, Phasen der Aufklärung, 132–134; insgesamt zur aufklärerischen Öffentlichkeit Kurbayerns Schaich, Staat. 94 Winfried Müller, Der Jesuitenorden und die Aufklärung im süddeutsch-österreichischen Raum, in: Harm Klueting, Norbert Hinske, Karl Hengst (Hrsg.), Katholische Aufklärung. Aufklärung im katholischen Deutschland. Hamburg 1993, 241–245; Dülmen, Phasen der Aufklärung, 134–135. Zur Gegenaufklärung und ihren Öffentlichkeitsstrukturen in Buchmarkt, Vertrieb und Verlagswesen vgl. Schaich, Staat. 95 Hammermayer, Geschichte. Band 1, 16–26.

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Schirmherrschaft gegründet, die sich ausdrücklich auf den Parnassus Boicus als Pionierinstitution der Aufklärung in Bayern berief und für die sich besonders der mit der Universität Ingolstadt verbundene Jurist und kurbayerische Rat Johann Georg Lori (1723–1787) eingesetzt hatte.96 Neben der Akademie, durch die Kurbayern einen Anschluss an die europäische Gelehrtenrepublik erhielt, entstanden auch andere aufklärerisch inspirierte, gelehrte Sozietäten.97 Abgesehen vom radikalaufklärerischen Illuminatenbund waren sie einerseits volksaufklärerisch orientiert und, wie die Sittlich-ökonomische Gesellschaft zu Burghausen oder die Feldbaugesellschaft zu Seefeld, an der praktischen Nutzanwendung der Wissenschaften vor allem im Bereich der Landwirtschaft interessiert.98 Mit der durch den Benediktiner und kurbayerischen Beamten Heinrich Braun (1732–1792) 1777 gegründeten Gesellschaft zur Ausbildung der geistlichen Beredsamkeit existierte aber auch eine Sozietät, die sich um die Hebung der Qualität der Predigten in Bayern bemühte.99 Auch die Universitäten im süddeutschen Raum wurden im 18. Jahrhundert von der Aufklärung berührt und konnten zu Zentren der Aufklärung werden, wobei die Reformuniversitäten Halle und Göttingen das Vorbild lieferten. Angestoßen durch den seit 1746 in Ingolstadt als Universitätsdirektor wirkenden Johann Adam Ickstatt (1702–1776), einem Schüler Christian Wolffs, reformierte sich die Universität Ingolstadt in Lehrplan und Lehre und öffnete sich dem aufklärerischen Wissenschaftsdenken, was einmal die Juristische Fakultät durch die Förderung der Kameralistik betraf, aber auch zur Einrichtung von Lehrstühlen und Laboratorien für die Experimentalwissenschaften Chemie und Physik sowie für die Botanik führte.100 Auch die Benediktineruniversität in Salzburg begann 96 Ebd., 36–114; zur Person Loris: Ludwig Hammermayer, Lori, Johann Georg, in: Neue Deutsche Biographie 15, 1987, 180–183. Online verfügbar unter http://www.deutschebiographie.de/pnd118729098.html. 97 Zu den aufklärerischen Sozietäten in Kurbayern insgesamt vgl. Schaich, Staat, 44–64. 98 Sieglinde Graf, Aufklärung in der Provinz. Die Sittlich-Ökonomische Gesellschaft von Ötting-Burghausen 1765–1802. Göttingen 1993 (Veröffentlichungen des Max-PlanckInstituts für Geschichte, 106); Ludwig Hammermayer, Ökonomische Sozietät en miniature. Zur Geschichte der Feldbaugesellschaft in Seefeld / Oberbayern (ca. 1789–1807/08), in: Georg Jenal, Stephanie Haarländer (Hrsg.), Gegenwart in Vergangenheit. Beiträge zur Kultur und Geschichte der Neueren und Neuesten Zeit. Festgabe für Friedrich Prinz zu seinem 65. Geburtstag. München 1993, 155–179. 99 Zum »Predigerinstitut« vgl. Schaich, Staat, 57–58. Dass auch dieser Aspekt aufklärerischer Reformbemühungen von Interesse für die kurbayerische Obrigkeit war, zeigt eine Anordnung vom 26. April 1785 an den Geistlichen Rat mit dem Auftrag, die nötigen Maßnahmen in die Wege zu leiten, um das eingegangene Predigerinstitut wiederzubeleben; Georg K. Mayr, Sammlung der Kurpfalz-Baierischen allgemeinen und besonderen Landes-Verordnungen. Band 4. 6 Bände. München 1788, 831. 100 Laetitia Boehm, D. IV. Das Hochschulwesen in seiner organisatorischen Entwicklung, in: Max Spindler, Andreas Kraus (Hrsg.), Handbuch der bayerischen Geschichte. Band 2: Das Alte Bayern. Der Territorialstaat vom Ausgang des 12. Jahrhunderts bis zum Ausgang

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sich nach internen Auseinandersetzungen seit den 1740er Jahren den aufklärerischen Wissenschaften, insbesondere der mit Christian Wolff verbundenen rationalistischen Philosophie, zuzuwenden und richtete z. B. einen Lehrstuhl für Experimentalphysik ein.101 Die Aufklärung fand in Kurbayern, wie der skizzierte institutionengeschichtliche Überblick bereits zeigt, in mehrfacher Hinsicht in den Feldern von Obrig­ keit und Verwaltung, Religion sowie Öffentlichkeit ihren Niederschlag. Von besonderer Bedeutung für die Aufklärung in Kurbayern ist jedoch ihre enge Verbindung mit religiösen Akteuren. In der frühen Phase sind besonders die Klöster als Zentren einer katholischen Reformbewegung aktiv, die sich gegen den Barockkatholizismus und seine als abergläubisch erachteten Auswüchse positioniert und besonders bei den Benediktinern und Augustinerchorherren zur Hinwendung zu den empirischen Naturwissenschaften führt.102 In dem von Richard van Dülmen als zweite Phase der Aufklärung benannten Zeitabschnitt von der Gründung der Akademie der Wissenschaften bis zum Ende der 1770er Jahre lassen sich dann Anstrengungen einer Politik der Landeskirchenhoheit beobachten, die darauf ausgerichtet waren, kirchliches Handeln und seine Strukturen in Kurbayern dem Herrschaftsanspruch des Fürstenstaates unterzuordnen.103 Das drückte sich auch in einigen durch die Akademie der Wissenschaften beförderten Reformplänen und Programmatiken aus, die gegen den kirchlich-religiösen Einfluss im allgemeinen Weltbild, im Bildungs- und Erziehungswesen sowie den Wissenschaften gerichtet waren und besonders die Jesuiten zur Zielscheibe hatten.104 Konfrontiert mit einem sich so artikulierenden Antijesuitismus, der nicht auf die weltlichen Aufklärer beschränkt blieb, sondern auch in der Opposition anderer Orden gegen die Gesellschaft Jesu gründete, standen die Jesuiten im süddeutsch-katholischen Raum der Aufklärung zumeist ablehnend gegenüber, des 18. Jahrhunderts. zweite, überarb. Aufl. München 1988, 949–954. Für die Verbindungen und schwierigen Beziehungen zwischen Ingolstädter Universität und Akademie der Wissenschaften vgl. Ludwig Hammermayer, Die Beziehungen zwischen der Universität Ingolstadt und der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München (1759–1800), in: Sammelblatt des Historischen Vereins Ingolstadt 81, 1972, 58–139. 101 Georg Heilingsetzer, Die Benediktiner im 18. Jahrhundert. Wissenschaft und Gelehrsamkeit im süddeutsch-österreichischen Raum, in: Harm Klueting, Norbert Hinske, Karl Hengst (Hrsg.), Katholische Aufklärung. Aufklärung im katholischen Deutschland. Hamburg 1993, 213–214; Hammermayer, Das Erzstift Salzburg, 347–349. 102 Dülmen, Phasen der Aufklärung, 125–127. 103 Vgl. zur bayerischen Politik der Landeskirchenhoheit Andreas Kraus, Probleme der bayerischen Staatskirchenpolitik 1750–1800, in: Harm Klueting, Norbert Hinske, Karl Hengst (Hrsg.), Katholische Aufklärung. Aufklärung im katholischen Deutschland. Hamburg 1993, 119–141 sowie Ludwig Hammermayer, E. IV. Landesherr und Kirche, in: Max Spindler, Andreas Kraus (Hrsg.), Handbuch der bayerischen Geschichte. Band 2: Das Alte Bayern. Der Territorialstaat vom Ausgang des 12. Jahrhunderts bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts. zweite, überarb. Aufl. München 1988, 1267–1283. 104 Dülmen, Phasen der Aufklärung, 128–131.

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was aber einzelne jesuitische Gelehrte keineswegs daran hinderte, Wissenschaft im aufklärerischen Sinne zu betreiben.105 Auch für Kurbayern ist der aufklärerische Topos der allgemeinen Mönchs- und Klosterkritik zu beobachten. Sie richtete sich aber zunächst gegen die Bettelmönche und wiederum besonders gegen die Jesuiten und erst nach der Aufhebung des Jesuitenordens 1773 wurden auch die anderen Orden zum Gegenstand der aufklärerischen Kritik und Satire als faule ›Schmarotzer‹ und ›Parasiten‹, die der Gesellschaft wie ›Ungeziefer‹ im Pelz sitzen.106 Dabei waren besonders die Orden der Benediktiner und Augustinerchorherren wichtige Träger der Aufklärung in Kurbayern und ihre Klöster, besonders die benediktinische Regensburger Reichsabtei St. Emmeram, aber auch das Augustinerchorherrenstift Polling mit Vertretern wie Frobenius Forster und Eusebius Amort, avancierten zu Zentren naturwissenschaftlicher Forschung.107 In der Akademie der Wissenschaften als weltlicher Gelehrtensozietät stellten die Ordens- und Weltgeistlichen einen bedeutenden Anteil.108 Dass die Aufklärung in Bayern nicht primär antireligiös oder -kirchlich, sondern gegen dogmatische, verkrustete Denkweisen und Strukturen insgesamt sowohl in der Kirche als auch im Staat gerichtet war und dass gerade Akteure des religiösen Feldes für die Aufklärung in Bayern von großer Bedeutung waren, illustriert auch ein im Churbaierischen Intelligenzblatt abgedruckter aufklärerischer Witz:

105 Müller, Der Jesuitenorden. 106 Auch zur Ungeziefer- und Parasitenmetaphorik in der aufklärerischen Polemik gegen das Mönchs- und Klosterwesen Hans-Wolf Jäger, Mönchskritik und Klostersatire in der deutschen Spätaufklärung, in: Harm Klueting, Norbert Hinske, Karl Hengst (Hrsg.), Katholische Aufklärung. Aufklärung im katholischen Deutschland. Hamburg 1993, 192–207. Vielfache Beispiele für die satirisch-polemische Mönchs- und Klosterkritik im süddeutsch-katholischen Raum in Wilhelm Ludwig Wekhrlin, Anselmus Rabiosus Reise durch Ober-Deutschland. Salzburg u. a. 1778 und Johann Pezzl, Reise durch den Baierschen Kreis. Salzburg u. a. 1784. 107 Stephan Haering, Studien und Wissenschaft in der Bayerischen Benediktinerkongregation vor 1803. Ein Überblick, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige 101, 1990, 129–134; Heilingsetzer, Die Benediktiner; Werner Chrobak, Die wissenschaftlichen Leistungen der Augustinerchorherren im Zeitalter der Aufklärung. Das Beispiel Polling, in: Paul Mai (Hrsg.), Die Augustinerchorherren in Bayern. Zum 25-jährigen Wiedererstehen des Ordens. Katalog zur Ausstellung in der Bischöflichen Zentralbibliothek Regensburg, St. Petersweg 11–13, 12. November bis 23. Dezember 1999. Regensburg 1999 (Kataloge und Schriften / Bischöfliches Zentralarchiv und Bischöfliche Zentralbibliothek Regensburg, 16), 67–75. Ludwig Hammermayer, Das Augustiner-Chorherrenstift Polling und sein Anteil an Entstehung und Entfaltung von Aufklärung und Akademie- und Sozietätsbewegung im süddeutsch-katholischen Raum. (ca. 1717–1787). Paring 1997 (Schriftenreihe der Akademie der Augustiner-Chorherren von Windesheim, 2). 108 Ludwig Hammermayer, Geschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1759–1807. Band  2: Zwischen Stagnation, Aufschwung und Illuminatenkrise 1769–1786. München 1983, 99–106.

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»Ein Pfarr-Vicarius ritt einsmals einen stolzen Rappen bey Gelegenheit eines Kreutzgangs, der Schulmeister und ein Herrschafts-Verwalter von der alten Welt stutzten darüber, der Vicarius fragte sie beyde, was sie so sehr bedauerten: ach! sagten sie, wir schmälen109 nur über die verkehrte Welt, vor Zeiten sind die Bischöffe und Priester auf Eseln geritten, jetzt reitten sie die kostbaresten Pferde. – Meine lieben Brüder antwortete der Reiter, bis man nicht aufhöret, aus Eseln Beamte, Richter und Schulmeister zu machen, so lange müssen wir uns der Pferde bedienen. –«110

2.2.3 Religion Das religiöse Feld im Kurbayern des 18. Jahrhunderts ist besonders durch zwei Aspekte des Verhältnisses von Kirche bzw. Religion und Territorialstaat geprägt: zum einen durch eine besonders in der Regierungszeit Max III . Joseph (Reg. 1745–1777) aber auch noch zur Zeit Karl Theodors (Reg. 1777–1799) betriebene Politik der Stärkung einer (katholischen) Landeskirchenhoheit und zum anderen in Form einer sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verstärkenden obrigkeitlichen Reglementierung religiöser Praktiken sowohl im Rahmen der Amtskirche als auch in der Volksfrömmigkeit. Die Maßnahmen im Kontext der Etablierung einer Landeskirchenhoheit in Kurbayern richteten sich einerseits auf den kirchlichen Besitz und andererseits auf die Kontrolle kirchlicher Strukturen und Institutionen.111 In mehreren von Rom jeweils genehmigten Dezimationen (zehnprozentigen Besteuerungen des Kirchenvermögens) wurden die Klöster in Bayern zu Abgaben auf die Dauer von mehreren Jahren genötigt. Versuche, diese in eine dauerhafte landesherrliche Besteuerung kirchlichen Vermögens umzuwandeln, schlugen allerdings fehl. Dagegen wurden die bisherigen Amortisationsbestimmungen (Verbot des Liegenschaftserwerbs durch die ›tote Hand‹), die den Vermögenserwerb bzw. -besitz kirchlicher Institutionen reglementierten, 1764 erneuert und erweitert. Für die Durchsetzung einer auch auf kirchliche Strukturen abzielenden Landes­ kirchenhoheit war besonders die von Peter von Osterwald (1718–1778) unter dem Pseudonym Veremund von Lochstein 1766 veröffentlichte Schrift »Veremunds von Lochstein Gründe sowohl für als wider die geistliche Immunität in zeit­ lichen Dingen« bedeutsam, in der Osterwald die Grundzüge eines staatskirchen-

109 J. Andreas Schmeller, Bayerisches Wörterbuch. Zweiter Band. Bearbeitet von G. Karl Fromman. Zweite, mit des Verfassers Nachträgen vermehrte Ausgabe. München 1877, 548: »eine Person oder Sache, sie als gering, schlecht darstellen, herabsetzen«. 110 Artic. X. Stoßseufzer eines gelehrten Ignoranten zu Pau in Bearn, in: Churbaierisches Intelligenzblatt 1768, 16. August (Nr. XVI), 194. 111 Vgl. dazu Hammermayer, E. IV. Landesherr, für die personalen Netzwerke und Interessenlagen im Hintergrund der Reformpolitik und den Vergleich mit der österreichischen Staatskirchenpolitik Kaiser Joseph II .: Kraus, Probleme.

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politischen Programms entwickelte. Auf dieser Basis ergingen dann Ende der 1760er Jahre mehrere Mandate, die eine verstärkte Kontrolle kirchlicher Strukturen, Institutionen und Handlungsspielräume zum Ziel hatten: Die Mehrheit der geistlichen Bank im Geistlichen Rat wurde aufgehoben, der monastische Einfluss im Erziehungs- und Bildungswesen sollte eingeschränkt werden, die Klöster wurden sowohl in ihren Finanzen als auch internen Strukturen der Verwaltung und des Klosterwesens landesherrlicher Kontrolle unterworfen. Auch versuchte Kurbayern mit der Forderung nach eigenen Wahlkommissaren bei den Bischofswahlen Einfluss auf die Hochstifte Salzburg, Freising, Regensburg und Passau zu nehmen. Diese Bestrebungen, die auf eine Auflösung reichskirchlicher Strukturen zugunsten einer Landeskirche des kurbayerischen Territorialstaates hinausliefen, trafen jedoch auf den Widerstand der süddeutschen Bischöfe, die im 1770 zusammentretenden Salzburger Kongress der kurbayerischen Landeskirchenpolitik eigene Reformvorschläge entgegensetzten. Unter Kurfürst Karl Theodor war die Landeskirchenpolitik zwar mehr um einen Ausgleich und das Einvernehmen mit Rom bemüht, blieb aber gleichwohl den bisherigen Zielen der Kontrolle kirchlicher Finanzen und Institutionen auf kurbayerischem Territorium verpflichtet. Parallel zu den auf die kirchlichen Strukturen und besonders die Klöster zielenden Maßnahmen wurde ab Mitte des 18. Jahrhunderts auch eine Religionspolitik betrieben, die unter aufklärerischen Vorzeichen auf die Reglementierung von Frömmigkeitspraktiken in der Bevölkerung abzielte und dazu auch in kirchliche Rituale bzw. den Feiertagskalender eingriff. Dies baute auf einer Differenz in der Frömmigkeitspraxis zwischen Eliten- und Volkskultur auf.112 Waren unterschiedliche Frömmigkeitspraktiken im Katholizismus zunächst gruppenspezifisch aber nicht prinzipiell an einzelne Stände gerichtet gewesen, ergab sich im 18. Jahrhundert neben der sozialen Differenzierung auch in den Frömmigkeitspraktiken eine »Kluft zwischen Elite und Volk«, da die Oberschichten sich im Zuge der Aufklärung »›rationaleren‹ Frömmigkeitsformen« zuwandten, während in den mittleren und unteren Volksschichten »kirchlichkonfessionelle wie religiös-abergläubische Verhaltensweisen […] stärker als in den Oberschichten virulent« blieben.113 Hier muss allerdings betont werden, dass

112 Auch Heinz-Dieter Kittsteiner unterschied für seine Studie zur Entstehung des Gewissens zwischen einer Eliten- und Volkskultur, wobei er noch eine normsetzende Schicht zwischen beiden annahm, die sich der inneren Mission der Volkskultur widmete, um sie der Elitenkultur anzunähern; Kittsteiner, Die Entstehung, 17–18. 113 Richard van Dülmen, Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit. Band  3: Religion, Magie, Aufklärung 16. – 18. Jahrhundert. 2. Aufl. München 1999, 57–59. Einen Überblick über Frömmigkeitspraktiken im Kurbayern des 18. Jahrhunderts in Anita Brittinger, Die bayerische Verwaltung und das volksfromme Brauchtum im Zeitalter der Aufklärung. phil. Diss. München 1938.

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es für die Frühe Neuzeit keine zwei absolut getrennten Frömmigkeitskomplexe einer Volksreligiosität der theologisch ungebildeten Volksmassen einerseits und einer Kultur der Eliten andererseits zu diagnostizieren gibt, sondern beide vielmehr Teile eines Gesamtbildes der religiösen Praxis sind.114 Volksfrömmigkeit bzw. Volksreligiosität ist eher als heuristisch hilfreiche Kategorie zu begreifen, die in enger Verflechtung mit der Frömmigkeitskultur von Eliten steht.115 Für das 18. Jahrhundert ist sie eine Deutungskategorie der aufklärerischen Religiositäts- und Frömmigkeitsdiskurse sowie der obrigkeitlichen Religionspolitik und Policeywissenschaften, die den Gegenstand, den sie kritisch bis polemisch verhandeln, als solchen erst konstituieren.116 Von den Praktiken der Volkfrömmigkeit sind wiederum solche der Volksmagie zu unterscheiden, wobei die Grenzen zu den Frömmigkeitspraktiken fließend sind und beide ineinander übergehen.117 Im 1746 erneuerten »LandGebott, Wider die Aberglauben, Zauberey, Hexerey, und andere sträffliche Teuffels-Künsten«118 wurden diese volksmagischen, d. h. abergläubische und magische, Praktiken verboten. Das Mandat beruft sich dabei nicht etwa auf Ratio und Vernunft, sondern argumentiert aus dem kurfürstlichen Herrschaftsverständnis als »Christlicher Fürst« heraus. Dieser sei dazu verpflichtet, die »Ehr GO ttes« zu retten und zu erhalten, und habe die Aufgabe zu verhindern, dass »die Superstitiones und Aberglauben / wie auch das verdächtig ansegnen für Kranckheiten an Vieh und Leuten […] bevorab bey dem gemeinen schlechten Volk einreissen / und überhand nemmen wöllen«, damit nicht »GO tt der Allmächtig zu billichem Zorn gegen uns Menschen bewegt / und Unser Land und Leut mit Theurung / Krieg und Pestilentz / auch andern manigfältigen Plagen 114 Robert W. Scribner, Volksglaube und Volksfrömmigkeit. Begriffe und Historiographie, in: Klaus Ganzer, Hansgeorg Molitor, Heribert Smolinsky (Hrsg.), Volksfrömmigkeit in der frühen Neuzeit. Münster 1994 (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung, 54), 121–138. 115 So in Michael Fischer, Volksfrömmigkeit, in: Friedrich Jaeger (Hrsg.), Enzyklopädie der Neuzeit. Band 14. 16 Bände. Stuttgart u. a. 2011, 398–404. 116 Christof Dipper, Volksreligiosität und Obrigkeit im 18. Jahrhundert, in: Wolfgang Schieder (Hrsg.), Volksreligiosität in der modernen Sozialgeschichte. Göttingen 1986 (Geschichte und Gesellschaft Sonderheft, 11), 73–96; vgl. dazu zusammenfassend auch Karl Hoheisel, Susanne Galley, Andreas Merkt, Hans-Dieter Döpmann, et al., Volksfrömmigkeit, in: Gerhard Müller (Hrsg.), Theologische Realenzyklopädie. Band 35: Vernunft III – Wieder­ bringung aller. Unter Mitarbeit von Horst Balz, James K.  Cameron, Christian Grethlein, Stuart G.  Hall, Brian L.  Hebblethwaite, Karl Hoheisel et al. 36 Bände. Berlin u. a. 2003, 214–248. 117 Dülmen, Kultur und Alltag, 82. 118 BayHStA Kurbayern Mandatensammlung 1746/IV/13; gedruckte Fassung: Churfürst Maximilian III . Joseph, Der Churfürstl. Durchleucht Herzogs Maximilian Joseph in Bayern etc. etc. Unsers Gnädigisten Chur- und Lands-Fürstens / auch Herrns Erneuerte Land-Gebott, Wider die Aberglauben, Zauberey, Hexerey, und andere sträffliche Teuffels-Künsten. München 1746.

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und Straffen angreiffen möchte.« Die Bekämpfung von abergläubischen und magischen Praktiken folgt also dem Herrschaftsverständnis als christlicher Obrigkeit und einer religiös-theologischen Argumentation, die in ein straftheologisches Deutungsmuster einmündet. Darüber hinaus wird im »Land-Gebott« auch die enge Verflechtung religiöser und magischer Ritualformen aus Volksfrömmigkeit, Volksmagie und kirchlicher Benediktionspraxis deutlich, da hier auch Praktiken verboten werden, die sich liturgischer Segens- und Anrufungsformeln bedienen, aber nicht kirchlicher Herkunft sind. In diesem Bemühen des Mandats, zwischen kirchlich approbierten Benediktionen und nicht zulässigen magisch-abergläubischen Praktiken zu unterscheiden,119 wird ex negativo auch die in Kurbayern im 18. Jahrhundert gegebene enge Verflechtung magischabergläubischer Elemente mit liturgischen Ritualen und Benediktionen in der allgemeinen Volksfrömmigkeit120 ersichtlich. Das am 14. Dezember 1772 erlassene Mandat zur »Abwürdigung der Feyertägen«121 wiederum, das einen ersten massiven Eingriff in den in der Volksfrömmigkeit verankerten Festkalender darstellt, operiert dagegen mit ökonomischen und arbeitsmoralischen Argumenten. Die Vervielfältigung der Feiertage habe »zum Müßiggang« und zu »Ausschweifungen« Anlass gegeben und aufgrund der »Schwelgerey und Ueppigkeiten« solcher Feiertage seien »mittels Ver­ säumung der Hand- und Feldarbeit dem gemeinen Wesen« übergroße Schäden entstanden.122 Entsprechend wird die Bevölkerung bei Androhung von Strafen angehalten, an den abgeschafften Feiertagen ihrer Arbeit nachzugehen. Die Sonntage und beibehaltenen Feiertage sollten dagegen um so eifriger und festlicher begangen werden. In den Folgejahren werden dann immer wieder Verordnungen zu den Feiertagen erlassen, die diese Bestimmungen erneuern und

119 Brittinger irrt in der Ansicht, dass das Mandat mit seinen Verboten von religiös-magischen Handlungspraktiken auch in die kirchliche Benediktionspraxis wie den Wettersegen eingegriffen habe (s. dazu Brittinger, Die bayerische Verwaltung, 8). Vielmehr ist gerade bei den Wettersegnungen zu beobachten, dass das Mandat zumindest versucht, sorgfältig zwischen kirchlich approbierten und nicht zulässigen Segensformen und -formeln zu unterscheiden. 120 Vgl. Fintan Michael Phayer, Religion und das gewöhnliche Volk in Bayern in der Zeit von 1750 bis 1850. München 1970 (Miscellanea Bavarica Monacensia, 21/Neue Schriftenreihe des Stadtarchivs München, 38), 32–35. 121 Mayr, Sammlung. Band 2, 1105–1107. 122 Ebd., 1105. Lorenz Westenrieder führt diese arbeitsökonomische Perspektive auf die Feiertage exemplarisch vor, wenn er volkswirtschaftlich vorrechnet, wie viele Millionen Gulden dem bayerischen Staat an Arbeitsleistung und daraus resultierenden Einnahmen jedes Jahr durch die zwar offiziell abgeschafften, aber nach wie vor praktizierten Feiertage verloren gingen; Lorenz Westenrieder, V. Landskultur. Fortsetzung der Hindernüssen von Seite der Feyrtage, in: Baierische Beyträge zur schönen und nützlichen Litteratur 1.2. Zwölftes Stück, December 1779, 1184–1200.

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Strafen sowie Anreize setzen, um an den abgeschafften Feiertagen die Arbeit aufrechtzuerhalten.123 Die Reduzierung der Feiertage blieb nicht die einzige Maßnahme zur Reglementierung von Frömmigkeitspraktiken. So wurden bereits 1768 sowohl die bestehenden als auch neu gegründeten religiösen Bruderschaften einer Registrierungs- und Genehmigungspflicht unterworfen.124 1770 wird in einem Bettelmandat das im 18. Jahrhundert enorm angestiegene Wallfahren125 unter den Generalverdacht des Vorwands zur Bettelei und zum Müßiggang gestellt, dem dadurch begegnet werden sollte, dass Wallfahrten nur noch mit einem erteilten obrigkeitlichen Attestat und unter Angabe von Zielort sowie Zeitpunkt, einem guten Leumund und der nötigen Barschaft erlaubt waren.126 In mehreren Verordnungen von 1781, die das Prozessionswesen aber auch die Wallfahrt betreffen, werden das Maskieren und bestimmte Prozessionselemente verboten. Dazu kommen noch andere Mandate und Verordnungen, die in den Bereich der Reglementierung von Frömmigkeitspraktiken einzuordnen sind, wie z. B. die Bestimmungen zu den Feldumgängen, bei denen die Felder gegen Witterungsunbilden und Hagelschläge eingesegnet wurden. Dabei sind die Einschränkungen besonders des Wallfahrtswesens keine Angelegenheit ausschließlich der weltlichen kurbayerischen Obrigkeit gewesen. Die Korrespondenz zwischen Kurbayern und den benachbarten Fürstbistümern zeigt an, dass auch die geistlichen Territorialstaaten das Wallfahrtswesens im 18. Jahrhundert als problematisch und regulierungsbedürftig ansahen.127 Die obrigkeitliche Religionspolitik in Kurbayern führte dabei zu einer Konfliktlage zwischen den Beförderern im Rahmen der aufgeklärten Elitenkultur und denjenigen, die die traditionellen Frömmigkeitspraktiken weiterhin praktizierten. Die Bestimmungen zum Wallfahren wurden teilweise ignoriert, es kam zu demonstrativen Verstößen gegen die Verbotsverordnungen und bei Unruhen

123 Diese Kombination von arbeitsökonomischer und -moralischer Argumentation bildet ein Grundmerkmal der Diskurse zur Feiertagsreduktion im 18. Jahrhundert in den katholischen und protestantischen Territorialstaaten des Alten Reiches; vgl. Jakubowski-Tiessen, Feiertagsreduktionen. 124 Auch für das folgende Brittinger, Die bayerische Verwaltung, 67–76 und Rebekka Haber­mas, Wallfahrt und Aufruhr. Zur Geschichte des Wunderglaubens in der frühen Neuzeit. Frankfurt am Main u. a. 1991 (Historische Studien, 5), 106–128. 125 Vgl. zur wachsenden Bedeutung der Wallfahrt in Bayern im 18. Jahrhundert Habermas, Wallfahrt, 77–93. 126 Art. XXIII und XXIV des Bettelmandats vom 27. Juli 1770, Kreittmayr, Sammlung, 421–428, hier 427. 127 Walter Hartinger, Kirchliche und staatliche Wallfahrtsverbote in Bayern, in: Winfried Becker, Werner Chrobak (Hrsg.), Staat, Kultur, Politik. Beiträge zur Geschichte Bayerns und des Katholizismus. Festschrift zum 65. Geburtstag von Dieter Albrecht. Kallmünz u. a. 1992, 119–136.

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durch Wallfahrten sogar zum Militäreinsatz.128 Ein an der Aufklärung orientiertes Religionsverständnis, das staatlicherseits propagiert und erzwungen wird, und eine sich in den Frömmigkeitspraktiken der breiten Bevölkerung artikulierende Religiosität prallten hier aufeinander:129 Bei letzterer wird die Religionsausübung im kollektiv geteilten und durchgeführten, veräußerlichten und sinnlich erfahrbaren Ritual praktiziert. Dem steht ein auf das Individuum bezogenes ›entritualisierendes‹ Religionsverständnis gegenüber, das religiöse Andacht und Rituale im kollektiven Rahmen als auf das Innere des Einzelnen, auf das Seelenleben gerichtete Handlungsweisen versteht, die mit der Orientierung auch des Lebensalltags an einem bürgerlich-christlichen Tugend- und Wertekanon verbunden sind.130 Entsprechend werden die Praktiken der Volksfrömmigkeit in der aufklärerischen Publizistik verdächtigt, keinen eigentlich religiösen Charakter zu haben, sondern inhaltsleere, mechanisch befolgte Rituale und damit Aberglauben zu sein, die lediglich Anlass zu sinnlichen Ausschweifungen und Verstößen gegen Sitte und Moral, zu den Lastern der Faulheit und des Müßiggangs geben. Daran ist das arbeitsökonomische Argument gekoppelt, dass diese Art der Religionsausübung nur von der Arbeit abhalte und damit der Mehrung der ökonomischen Kräfte des Staates, dem Allgemeinen Wohl, abträglich sei.131 Im Zuge der Kritik durch Aufklärung und Kameralismus wurde die Barockfrömmigkeit »auf die kameralistische Mittel- und Zeitökonomie verpflichtet«. Die bisherigen Frömmigkeitsformen werden durch eine »Weltfrömmigkeit« abgelöst, »deren idealer Vertreter nicht mehr der asketisch zurückgezogene, in 128 Brittinger, Die bayerische Verwaltung, 70–74; Habermas, Wallfahrt, 139–150. 129 Vgl. hierzu auch Habermas, Wallfahrt, 151–166. 130 Johann Nepomuck Fischers Predigt über den Märtyrersinn veranschaulicht diesen Sittlichkeitsaspekt aufgeklärter Religiosität: »Unser geistliches Leben muß ganz nach dem Gange unsers bürgerlichen eingericht [sic!] seyn. Es ist uns darum zu thun, daß der größe [sic!] Gedanken, Gott über alles hochzuachten, und aus Hochachtung für Gott beständig den Meister über unsre zur Ausschweifung zu sehr geneigten Leidenschaften zu spielen, und den Sieg über sie jederzeit höher, als die Lust ihrer Befriedigung zu achten, in uns entstehe, und alle unsre Handlungen begleite. […] aus einer solchen Gebethschule […] werden Männer und Matronen […] hervorkommen, welche standhaft genug seyn werden, sich weder durch die Reitze der Liebe wider die ehelichen; noch durch jene des Gelds wider die bürgerlichen; noch auch auf andere Weise wider andere Pflichten verführen zu lassen.« Johann Nepomuck Fischer, Predigt, von dem christlichen Märtyrersinne. Am Festtage des merkwürdigen Märtyrers Johann von Nepomuck gehalten in der Priesterhauskirche zu München. München 1784, 22, 28–29. 131 Zur Kritik an den Praktiken der Volksfrömmigkeit in der kurbayerischen aufklärerischen Publizistik vgl. Martin Falbisoner, Religiöse Tradition und aufgeklärte Presse im Kurfürstentum Bayern. Untersuchungen zur Kritik an Wallfahrten und weiteren Bräuchen und Formen populärer Frömmigkeit im 18. Jahrhundert. Magisterarbeit LMU. München 2003, 73–104. Online verfügbar unter http://epub.ub.uni-muenchen.de/2105/1/Falbisoner_Martin. pdf. Dabei stand die innerbayerische Kritik an den Frömmigkeitspraktiken auch im Wechselverhältnis mit der sog. ›antibayerischen Kampagne‹ in der Publizistik der norddeutsch-protestantischen Aufklärung, vgl. dazu Schaich, Staat, 101–140.

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irrationale (›abergläubische‹) Religionsbräuche versponnene Katholik, sondern der diesseitsorientierte, tätige Bürger war.« Der nach der Frömmigkeitsvorstellung der Aufklärung lebende Christ war zugleich der gute Untertan und Bürger, der nach einer an der Arbeit orientierten bürgerlichen Moral im Diesseits tätig war. Die alte Frömmigkeitspraxis, deren Kosten durch die Kameralisten aufgerechnet wurden, stand dem mit ihren kostenträchtigen weil zeitraubenden religiösen Praktiken und ihrer Jenseitszugewandtheit im Weg.132 Die aufklärerische Perspektive auf die Praktiken der Volksfrömmigkeit war also von einer ökonomisch-moralischen Sichtweise geprägt, die die Bereiche der Wertschöpfung durch Arbeit und der durch Religion gefestigten bürgerlichen Tugenden als eng verbunden verstand und die mit dem Begriff eines »kameralistischen Utilitarismus« bezeichnet werden kann.133 In diesem aufklärerisch-kameralistischen Kontext argumentiert z. B. ein Artikel im Churbaierischen Intelligenzblatt, in dem die Einschränkung der überhand genommenen Wallfahrten gefordert wurde: »So lobwürdig, heilsam und gottesfürchtig es mit dem alten Gebrauche der Wallfahrten aussiehet: so sehr sind die Wallfahrten und weitentlegenen Kreuzgänge zeither vervielfältiget; ja fast zum landschädlichen Mißbrauch geworden.«134 Statt der Gelübde zu Kreuzgängen sollten die Pfarrer in ihren Predigten vielmehr die Gottgefälligkeit der Arbeit hervorheben.135 Durch sanfte Anleitung und die Erziehung der Jugend solle das gemeine Volk dazu gebracht werden, auf seine eingewurzelten Vorurteile allmählich zu verzichten. Die aufklärerische Sichtweise von Gelöbnissen und Wallfahrten als Veranstaltungen des Aberglaubens liefert Lorenz Hübner in seiner Berichtssammlung über die Hochwasserkatastrophe von 1786, in der er sich in bissiger Wortwahl über die Reaktion der von Überschwemmung getroffenen Untertanen des Pfleggerichts Laufen äußerte: Dort habe eine »ausgeschämte 132 Münch, Die Kosten, 117. 133 Jakubowski-Tiessen, Feiertagsreduktionen, 400. 134 Artic. IX , in: Churbaierisches Intelligenzblatt 1773, 3. July (Nr. XIV), 175. 135 Diese Verbindung arbeitsökonomischer und moralischer Argumentation mit einem ›entritualisierenden‹ Religionsverständnis findet sich auch in der Außensicht der protestantisch-norddeutschen Aufklärung auf die Religiosität der bayerischen Bevölkerung wieder, wie im Reisebericht von Philipp Wilhelm Gercken: »Die Religion ist bey den Leuten blos mechanisch. In den Städten leidet die Arbeit und Nahrung der Handwerker durch die allzuhäufigen Feiertage nicht allein, sondern besonders durch das übertriebene viele Laufen in die Messen. […] Ich habe im Grunde nichts dagegen, weil es die Religion mit sich bringt, und kein vernünftiger solches tadeln wird, nur das übertriebene, und der Müßiggang, nebst den üblen Folgen, so daraus entstehen, mißfällt mir. Es heißt, bete und arbeite.« Philipp Wilhelm Gercken, Reisen durch Schwaben, Baiern, angränzende Schweiz, Franken, die Rheinische Provinzen und an der Mosel etc. in den Jahren 1779–1783. Nebst Nachrichten von Bibliotheken, Handschriften, Archiven, Röm. Alterthümern, Polit. Verfassung, Landwirthschaft und Landesproducten, Fabriken, Manufacturen, Sitten, Kleidertrachten, Sprache etc. m. K. II . Theil: Von Salzburg, dem an Schwaben gränzenden Theil der Schweiz, Niederbaiern und Franken. Stendal 1784, 157–158.

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Dirne […] dem dummen, von Vorurtheilen bethörten, und durch gegenwärtige Drangsale äußerst bestürzten, also zum Leichtglauben ganz gestimmten Bauernvölklein von einem Weiblein vor[geschwatzt], das ihr auf dem Wege begegnet wäre, und ihr befohlen hätte, zu verkündigen: Daß immer Uebel ärger werden würde, so ferne man nicht wallfahrten gehen wollte, wie ehevor etc.; Daß dieses Weiblein ganz gewiß die Muttergottes von Kirchenthal gewesen wäre, wohin man also wallen mußte etc. und was dergl. abgeschmacktes Zeug mehr war. Das Völklein glaubte der elenden Vettel; war wider seinen Pfarrer, der ihm nicht zu Gefallen sprach, aufgebracht; gieng in Rotten auf Wallfahrten […].«136 In diesen aufklärerischen Einlassungen zum Wallfahrtswesen wird auch ein weiterer Aspekt der Konfliktstruktur obrigkeitlicher Religionspolitik ersichtlich: Die Rolle des Pfarrers als religiöser ›Dienstleister‹ seiner Gemeinde und als Vermittler obrigkeitlicher Gesetzgebung. Er steht hier zwischen den Fronten, indem er einerseits mit den religiösen Bedürfnissen und Ansprüchen seiner Gemeinde konfrontiert ist, die den obrigkeitlichen Einschränkungen zuwiderlaufen können und die er im Bedarfsfall auch ›nach oben‹ an den Landesherrn kommuniziert. Andererseits ist er der Kommunikator der obrigkeitlichen Reglementierungspolitik ›nach unten‹, an seine Gemeinde, der er die diesbezüglichen landesherrlichen Mandate zu verkünden und ihren Sinn zu erklären sowie zur Befolgung der Mandate anzuhalten hat. Die Verordnungen und Mandate im Kontext der Religionspolitik verweisen zumeist direkt auf diese Aufgabe des Pfarrers. So z. B. das erwähnte Mandat zur Verminderung der Feiertage, in dem angeordnet wird, dass die Pfarrer »dem Volk die dringende Bewegursachen, warum einige Feyertage abgeändert worden, ausführlich und öfters vortragen, auch jedermann zu den schuldigen Gehorsam gegen die Kirche und den Landesfürsten nachdrucksamst hierinn ermahnen« sollen.137 Diese widerstreitenden Ansprüche an den Pfarrer führten auch zu Konflikten in den Gemeinden selbst, wobei der Pfarrer für die Gemeinde zum Repräsentanten der unliebsamen landesherrlichen Verbote und Einschränkungen wurde, so dass er seine Reputation und seinen Rückhalt in der Gemeinde gänzlich verlieren konnte.138

136 Hübner, Zum traurigen Angedenken, 21–22. 137 Mayr, Sammlung. Band 2, 1106. 138 In der anonymen Schrift Der hinkende Both wird ein solches Konfliktszenario beispielhaft ausgeführt, in dem ein Pfarrer seiner Gemeinde einen Kreuzgang, den diese wegen schlechter Witterung und Gefährdung der Ernte einfordert, unter Verweis auf die landesherrlichen Verordnungen verweigert, so dass die Gemeinde den Kreuzgang eigenmächtig durchführt und der Pfarrer jede Unterstützung in der Gemeinden verliert; [Anonym], Der hinkende Both. Ein kleiner Gefährde zum künftigen Pfarrer Baierns. o. O. 1804, 15–20.

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2.2.4 Öffentlichkeit Einzelne Aspekte und Medien einer aufklärerischen Öffentlichkeit im Kur­ bayern des 18. Jahrhunderts, die Ende der 1770er Jahre einen Aufschwung nahm,139 sind bereits benannt worden. Der erwähnte Parnassus Boicus war zwar das erste gelehrte Periodikum Kurbayerns, aber nicht die erste Zeitschrift überhaupt, da mit der Nutz- und Lust-erweckende Gsellschafft Der Vertrauten Nachbarn am Isarstrom von 1702 bis 1704 bereits eine Zeitschrift existierte, die sich neben der Verteidigung des Katholizismus auch bereits wissenschaftlicher Tätigkeit verpflichtet fühlte.140 Als weiteres, bereits seit 1628 zunächst unter anderem Namen bestehendes Periodi­kum ist die Münchner Zeitung zu nennen, die als politische Zeitung bis zum Ende der 1770er Jahre zweimal wöchentlich erschien und hauptsächlich Meldungen aus anderen Zeitungen zusammenstellte, aber insgesamt im Niedergang befindlich war.141 1779 übernahmen dann der Publizist Lorenz Hübner und der Oberlandesregierungssekretär Joseph Ludwig Drouin zusammen die Zeitung, deren Auflagenzahl sie in kurzer Zeit vervielfachen konnten, indem sie die Ausgabe pro Woche auf vier steigerten und ein eigenes Korrespondentennetzwerk aufbauten, so dass nicht mehr nur Nachrichten anderer Zeitungen reproduziert werden mussten. Mit der Aufnahme weiterer Inhalte in die Zeitung  – Anzeigen, Bekanntmachungen, Geburts- und Sterbelisten sowie dem monatlichen Beiblatt, der Gelehrten Zeitung – trat die Münchner Zeitung auch in Konkurrenz zum Churbaierischen Intelligenzblatt. Dieses war auf Initiative der Hofkammer 1764 gegründet worden, die ein eigenes Intelligenzblatt für Kurbayern nach dem Vorbild anderer Territorialstaaten im Reich wünschte.142 Nachdem der erste Anlauf unter der Redaktionsleitung Peters von Osterwald gescheitert war, gab der Maut- und Kommerzienrat Franz Seraph Kohlbrenner (1728–1783) das Blatt seit 1766 auf eigene Rechnung heraus und seit 1768 auch ohne direkte Aufsicht der Hofkammer. Dabei hatten die Aufklärer im bayerischen Beamtenapparat das Intelligenzblatt von Anfang an als Forum »für die Diskussion von Reformen in den Bereichen Landwirtschaft, Handel und Gewerbe« und nicht als reines »Verlautbarungsorgan« für landesherrliche Verordnungen projektiert.143 Entsprechend druckte das Blatt neben 139 Grundlegend Schaich, Staat; ein Überblick auch in Haefs, Staatsmaschine. 140 Zu Inhalt und Programm der Zeitschrift Uwe Puschner, Der Beginn der Zeitschriftenwesens in Bayern. »Lust- und Lust-erweckende Gsellschafft Der Vertrauten Nachbarn am Isarstrom«. 1702–1704, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 46, 1983, 559–592. 141 Erxleben, Münchner Zeitungsverleger, 9–14; Schaich, Staat, 41–44. 142 Auch für das folgende Erxleben, Münchner Zeitungsverleger, 1–9 und 14–21; Schaich, Staat, 38–41. 143 Schaich, Staat, 39.

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den kurfürstlichen Verordnungen, Preistabellen zu Victualien und anderen inund ausländischen Gütern, Handelsnachrichten, Anzeigen, Bevölkerungsstatistiken usw. auch die Preisfragen der Akademie der Wissenschaften, Rezensionen, wissenschaftliche Nachrichten sowie Erzählungen, Artikel und Abhandlungen zu moralisch-ethischen Fragen, Landwirtschaft, Forstwirtschaft, meteorologischen Beobachtungen, Erziehungswesen sowie allgemein staatswirtschaftlich orientierten Fragestellungen. Von 1777 bis 1783 erschien das Blatt als Münchner Intelligenzblatt und nach dem Tod Kohlbrenners 1783 übernahm Peter Paul Finauer bis 1788 die Leitung der Zeitung als nunmehr Churpfalzbaierisches Intelligenzblatt. In den 1780er Jahren hatte sich das Intelligenzblatt als »das am umfassendsten informierende Organ der bayerischen Aufklärung etabliert […].«144 Neben den beiden Zeitungen entstanden seit Ende der 1770er Jahre mehrere Zeitschriften als Medien der Aufklärung in Kurbayern mit unterschiedlichen Ausrichtungen und Zielgruppen. Die beiden der Aufklärung verbundenen Weltgeistlichen Joseph Milbiller (1753–1816) und Ignaz Schmid (1747–1821)145 gaben von 1779 bis 1782 die Zeitschrift Zuschauer in Baiern heraus, die sich in Anlage und Programm am Vorbild des englischen Spectator von Joseph Addison und Richard Steele orientierte und gesellschaftliche sowie kirchliche Missstände satirisch-polemisch aufs Korn nahm. Mit der unterhaltenden Aufklärung und Bildung ihrer Leserschaft zielten Milbiller und Schmid auf eine Hebung der Sittlichkeit und die Propagierung eines an Verinnerlichung und tätiger Nächstenliebe orientierten aufgeklärten Katholizismus, dessen religiöse Werte sie mit dem bürgerlichen Tugendkanon verbanden.146 Im Gegensatz zu Milbillers und Schmids Zeitschrift richteten sich die von 1779 bis 1781 erscheinenden Baierische Beyträge zur schönen und nützlichen Litteratur des Weltgeistlichen und Aufklärers Lorenz Westenrieder (1748–1829)147 an ein gebildeteres Publikum, da hier der Schwerpunkt auf Literatur und Kunst lag, aber auch Beiträge zu aufklärerischen Reformdebatten in Landwirtschaft und Verwaltung sowie zu gesellschaftlichen Zuständen geliefert wurden.148 Neben diesen beiden Periodika, die eine gesellschaftskritische und literarische Aufklärung bedienten, widmete 144 Ebd., 41. 145 Zu den Personen Clemens Alois Baader, MILBILLER (Joseph), in: Clemens Alois Baader (Hrsg.), Lexikon verstorbener Baierischer Schriftsteller des achtzehenten und neunzehenten Jahrhunderts. Band 1.2: M-Z. Augsburg u. a. 1824, 42–45 und Clemens Alois Baader, SCHMID (Ignaz), in: Clemens Alois Baader (Hrsg.), Lexikon verstorbener Baierischer Schriftsteller des achtzehenten und neunzehenten Jahrhunderts. Band 2.2: R-Z. Augsburg u. a. 1825, 98–99. 146 Zu Inhalt und Programm des Zuschauer in Baiern Schaich, Staat, 34–35 und Dorette Hildebrand, Das kulturelle Leben Bayerns im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts im Spiegel von drei bayerischen Zeitschriften. München 1971 (Miscellanea Bavarica Monacensia, 36/ Neue Schriftenreihe des Stadtarchivs München, 53), 52–57, 69–83. 147 Zur Person Wilhelm Haefs, Aufklärung in Altbayern. Leben, Werk und Wirkung Lorenz Westenrieders. Neuried 1998. 148 Schaich, Staat, 35.

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sich der Baierisch-Ökonomische Hausvater (1779–1786) Alois Friedrich Wilhelm von Hillesheims (1756–1819) ganz der Propagierung praktischer Reformprojekte der Aufklärung in Landwirtschaft und Landeskultur, allgemeiner Landesökonomie und Erziehungswesen.149 Die chronischen Absatzschwierigkeiten des Hausvaters konnte auch sein Status als Publikationsorgan der Burghausener Sittlich-ökonomischen Gesellschaft nicht beheben. Bis zu seiner Einstellung 1786 wurde der Hausvater deshalb durch eine für sämtliche Städte, Märkte und Landgerichte geltende Abnahmepflicht staatlich subventioniert. Insofern der so garantierte stabile Leserkreis hauptsächlich aus Beamten bestand und die Subventionierung nicht nur den guten Beziehungen Hillesheims zu den Zentralbehörden geschuldet war, sondern auch dem Interesse der Obrigkeit an dem volksaufklärerischen Anliegen des Hausvaters folgte, »ist Hillesheims Zeitschrift beinahe als semioffizielles Organ zu bezeichnen.«150 Neben diesen hier besprochenen aufklärerischen Periodika existierten im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts noch manch andere Zeitschriftenprojekte kurzer oder längerfristiger Dauer, wie die Annalen der Baierischen Litteratur, das Nachfolgeprojekt Milbillers und Schmids zum Zuschauer, oder die überregional rezipierte Oberdeutsche Allgemeine Litteraturzeitung, die von Lorenz Hübner in Salzburg herausgegeben wurde und sich außer Rezensionen auch volksaufklärerischen Themen widmete.151 Darüber hinaus sind für die kurbayerische aufklärerische Öffentlichkeit auch Zeitungen und Zeitschriften aus dem größeren süddeutsch-katholischen Raum relevant, wie z. B. die ebenfalls vom umtriebigen Lorenz Hübner aus dem Salzburger Intelligenzblatt entwickelte Oberdeutsche Staatszeitung oder das wiederum von ihm in Salzburg als naturkundliche Zeitschrift herausgegebene Physikalisches Tagebuch für Freunde der Natur (1784–1788), zu dem Naturforscher des gesamten bayerisch-salzburgischösterreichischen Raums Beiträge lieferten.152 Der beschriebene Aufschwung der aufklärerischen Publizistik seit Ende der 1770er Jahre lässt sich sicherlich auch auf das bereits dargestellte aufklärungsfreundliche Klima in der Regierungszeit Max. III . Joseph und eine allgemeine »Aufbruchstimmung im aufgeklärten Lager« in dieser Zeit zurückführen. Entscheidender dürfte aber gewesen sein, dass in dieser Zeit eine Intellektuellen 149 Ludwig Hammermayer, Zur Publizistik von Aufklärung, Reform und Sozietätsbewegung in Bayern. Die Burghausener Sittlich-Ökonomische Gesellschaft und ihr »BaierischÖkonomischer Hausvater« (1779–1786), in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 58, 1995, 341–402 und Schaich, Staat, 36–38. 150 Schaich, Staat, 38. 151 Zu den beiden genannten Zeitschriften s. Hildebrand, Das kulturelle Leben. 152 Zur aufklärerischen Publizistik im Erzstift Salzburg und der Rolle Lorenz Hübners vgl. Hammermayer, Das Erzstift Salzburg, 355–360. Für weitere Periodika in der aufklärerischen Öffentlichkeit siehe die in diesem Teilkapitel zur kurbayerischen Öffentlichkeit zitierte Literatur.

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generation von akademisch ausgebildeten Weltgeistlichen, Kameralisten und Juristen herangewachsen war, die dank der Bemühungen der älteren Aufklärergeneration im aufklärerischen Denken geschult worden waren, deren Berufsaussichten in den 1770er Jahren aufgrund des mittlerweile erreichten Überangebots an Qualifizierten aber denkbar schlecht waren, so dass sich viele der Schriftstellerei zuwandten. Auch expandierte in den 1770er Jahren der aufklärerisch gesinnte Münchner Buchhandel, der strategisch die Karriere junger bayerischer Schriftsteller förderte und die Grundlagen für eine Ausdifferenzierung der aufklärerischen Öffentlichkeit legte.153 Weitere Charakteristika der sich entfaltenden aufklärerischen Öffentlichkeit sind zum einen in ihrer strukturellen Abhängigkeit vom kurbayerischen Staat auszumachen:154 Das bezieht sich nicht nur auf den Einfluss der staatlichen Zensur, die im ganzen liberal und aufklärungsfreundlich gesonnen und stärker gegen die gegenaufklärerische und volksreligiöse Publizistik gerichtet war,155 sondern auch auf die staatliche Unterstützung der aufklärerischen Medien. Aufgrund des zu kleinen Leserkreises für das wachsende Angebot an Periodika musste die Obrigkeit mit Abnahmegarantien einspringen, wie die Beispiele des Baierisch-Ökonomischen Hausvaters aber auch des Intelligenzblattes zeigen. Und nicht nur strukturell, sondern auch personell kann von einer »Vernetzung zwischen der aufgeklärten Öffentlichkeit und der Sphäre des Staates«156 ausgegangen werden, da viele der aufklärerischen Publizisten und Herausgeber wie Franz Seraph Kohlbrenner, Lorenz Westenrieder, von Hillesheim und Heinrich Braun zugleich kurbayerische Beamte waren. Darüber hinaus ist die Volksaufklärung eine weitere Schnittstelle der Interessen von Obrigkeit und aufklärerischer Öffentlichkeit, die nicht nur durch die interpersonelle Vernetzung von kurbayerischer Beamtenschaft und Publizistik begründet ist. Die Themenbereiche der Volksaufklärung von landwirtschaft 153 Schaich, Staat, 20–27. 154 Damit ist die Entstehung einer medialen Öffentlichkeit in Bayern auch ein Gegenbeispiel gegen die Habermassche These vom Strukturwandel der Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert, in dem sich gegen die repräsentative Öffentlichkeit des Fürstenhofes die medialbürgerliche Öffentlichkeit mit dem Anspruch politischer Kommunikation entwickelt habe, da in dieser öffentlichkeitsgeschichtlichen ›Meistererzählung‹ eine Dichotomie von Staat und Gesellschaft bzw. bürgerlich-medialer Öffentlichkeit angelegt ist, die für Kurbayern so nicht gegeben war. Für eine umfassende Kritik der Habermasschen These vom Strukturwandel der Öffentlichkeit vgl. die Studie von Andreas Gestrich, Absolutismus und Öffentlichkeit. Politische Kommunikation in Deutschland zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Göttingen 1994 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, 103), bes. 28–33; eine Argumentation gegen die in der Frühneuzeitforschung im Gefolge der Habermasschen Strukturwandelthese verbreitete Dichotomie von Staat und Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert übertragen auf die kurbayerischen Verhältnisse in Schaich, Staat, 3–7. 155 Schaich, Staat, 140–161. 156 Ebd., 44.

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lichen bzw. agrarökonomischen und allgemein kameralistisch inspirierten Reformprojekten und Verbesserungsvorschlägen bis hin zur Volkspädagogik, die auf die Erziehung und Bildung der Bevölkerung in sittlich-moralischer und religiöser Hinsicht sowie auf die pädagogisch-didaktische Vermittlung der angestrebten Reformprojekte gerichtet war, waren sicherlich auch im staatswirtschaftlichen Interesse der Obrigkeit.157 Dabei bediente sich die Volksaufklärung nicht nur der beschriebenen Medien einer aufklärerischen Öffentlichkeit, sondern auch traditionellen Medienformen wie dem Kalender, die von den eher bildungsfernen und bäuerlichen Bevölkerungsschichten rezipiert wurden, um durch didaktisierte Erzählungen, Abhandlungen und die inhaltliche Gestaltung der Kalender insgesamt die Aufklärung ›an den gemeinen Mann zu bringen‹.158 Die sich in den Strukturen der aufklärerischen Öffentlichkeit manifestierende und in der aufklärerisch inspirierten Religionspolitik ausdrückende Verbindung von Obrigkeit und Aufklärung wird auch in Bezug auf das Kalenderwesen deutlich. Dessen Reform war bereits in den Gründungsstatuten der Akademie der Wissenschaft angestrebt worden und wurde 1808 durch die staatlichen Zensurbehörden der Aufsicht der Akademie in einer eigenen Kalenderkommission übertragen, die die Kalender nach volksaufklärerischen Gesichtspunkten redigierte.159 Aufgrund der sich entfaltenden aufklärerischen Öffentlichkeit und den Bemühungen der Volksaufklärung kann festgehalten werden, dass »selbst in Märkten und kleinen Städten auf dem Lande […] die Lektüre aufgeklärten Schrifttums über die Schicht der Beamten und Geistlichen hinausgegriffen« hatte und Ende des 18. Jahrhunderts »die Rezeption aufklärerischer Ideen und Verhaltensmaßregeln mithin schon lange nicht mehr auf die Schicht der Gebildeten beschränkt« war.160 Dennoch gab es parallel immer auch eine gegenaufklärerische Öffentlichkeit mit ihren eigenen Kommunikationsstrukturen, Medien, Verlagen, Druckzentren und Vertriebswegen sowie Sozietäten, die genau wie die Aufklärung auch in überregionale Kommunikationsräume eingebettet war.161 157 Ein Überblick über Themenbereiche der Volksaufklärung und ihre Entwicklung in Holger Böning, Entgrenzte Aufklärung  – Die Entwicklung der Volksaufklärung von der ökonomischen Reform zur Emanzipationsbewegung, in: Holger Böning, Hanno Schmitt, Reinhart Siegert (Hrsg.), Volksaufklärung. Eine praktische Reformbewegung des 18. und 19. Jahrhunderts. Bremen 2007 (Presse und Geschichte – neue Beiträge, 27), 13–50. 158 Zum Kalender als Medium der Volksaufklärung in Kurbayern Katharina Masel, Kalender und Volksaufklärung in Bayern. Zur Entwicklung des Kalenderwesens 1750 bis 1830. St. Ottilien 1997 (Forschungen zur Landes- und Regionalgeschichte, 2). 159 Ebd., 64–84. 160 Schaich, Staat, 65. 161 Vgl. dazu insgesamt ebd., 65–86 und Franz M.  Eybl, Konfession und Buchwesen. Augsburgs Druck- und Handelsmonopol für katholische Predigtliteratur, insbesondere im 18. Jahrhundert, in: Helmut Gier, Johannes Janota (Hrsg.), Augsburger Buchdruck und Verlagswesen. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Wiesbaden 1997, 633–652.

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Die Katastrophenberichterstattung war besonders durch zwei Aspekte geprägt: den medialen Nachrichtenwert der Katastrophe und ihre Darstellung als Anlass der Reflexion mit zum Teil volksaufklärerischer Intention. Die mediale Darstellung von Katastrophen diente zunächst der Befriedigung der Neugier und Sensationslust des Publikums. Entsprechend gehörten Katastrophennachrichten zum festen Bestandteil der Zeitungen gerade im 18. Jahrhundert, die wirtschaftlich vom Katastrophenvoyeurismus profitieren konnten.162 Dabei hatten die Katastrophenschilderungen aber nie nur die Funktion der Bedienung der Sensationsgier, sondern genauso die Produktion von Affekten und Empathie beim Leser.163 Dieser Aspekt der Katastrophendarstellung zwischen Sensationslust und Mitgefühl lässt sich anhand der Berichterstattung der Münchner-Zeitungen über das Lissaboner Erdbeben von 1755 illustrieren.164 Auch in den Münchner-Zeitungen gehörten die Katastrophen zum festen Bestandteil der Berichterstattung, denen zusammen mit anderen außergewöhnlichen Naturphänomenen und Kuriositäten gleich der erste Platz in der Aufmachung eingeräumt war. In der ersten Novemberhälfte 1755 berichtete das Blatt über ungewöhnliche Bewegungen der Gewässer in den niederländischen Generalstaaten und an der norddeutschen Küste, auf die man sich zunächst keinen Reim machen konnte und erst später mit dem Erdbeben in Verbindung brachte. Ende November trafen dann die ersten Nachrichten über die Katastrophe in Lissabon ein, deren Ausmaße nach und nach deutlich wurden: »[…] die letzte Nachrichten aber, so man über Spanien aus Portugall erhalten, können die entsetzlich-grosse Unglücke, so durch die Erd- und Wasser-Bewegungen in letztem Lande geschehen seyn sollen, nicht genugsam mit lebendigen Farben abmahlen.«165 Im Dezember bis ins Folgejahr 1756 hinein prägte das Lissaboner Erdbeben dann ganze Ausgaben der Zeitung. Zusätzlich zu den Berichten über Schäden und Verwüstungen in der Stadt Lissabon, die durch das Erbeben, den ausgelösten Tsunami und durch die Brände angerichtet worden waren, sowie über die allgemeinen Verluste an Menschenleben wurden dem Leser auch Narrationen der Katastrophe angeboten. Dazu dienten erzählte individuelle Schicksale zumeist 162 Walter, Katastrophen, 84–86. 163 Anne-Marie Mercier-Faivre, Chantal Thomas, Préface. Écrire la catastrophe, in: AnneMarie Mercier-Faivre, Chantal Thomas (Hrsg.), L’invention de la catastrophe au XVIIIe siècle. Du châtiment divin au désastre naturel. Genève 2008 (Bibliothèque des lumières, 73), 21. 164 Dazu ist anzumerken, dass die Münchner-Zeitungen zu diesem Zeitpunkt keine eigenen Nachrichten produzierte, sondern in erster Linie die anderer Zeitungen zusammenstellte und nachdruckte, was sich erst mit der Übernahme der Redaktion durch Lorenz Hübner änderte (s. o.). Zur Forschung bezüglich des Lissaboner Erdbebens von 1755 vgl. den Forschungsüberblick in Kap. 1.2 und die dort genannte Literatur. 165 Cölln, den 26. Novemb., in: Münchner-Zeitungen, von denen Kriegs-, Friedens- und Staatsbegebenheiten, inn- und ausser Landes 1755, Dienstag den 2. December (Nr.  CXCII), 765.

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herausgehobener Einzelpersonen, ausländische Gesandte oder Mitglieder der portugiesischen Herrscherfamilie, die der Katastrophe entronnen oder in ihr umgekommen waren. Daneben wird immer wieder das Erstaunen, die Ungläubigkeit und das Entsetzen über das Katastrophengeschehen artikuliert: »Obwohlen man denen jüngst gedachten Nachrichten aus Lissabon schier keinen Glauben zustellen wollen, so laufet doch die Bestätigung davon so kläglich ein, daß man sich den Jammer und Elend nicht genugsam kan vorstellen […].«166 Dieses in Empathie umschlagende Entsetzen über die Erdbebenkatastrophe drückt sich dann auch im straftheologischen Deutungsmuster aus: »Derjenige müßte sehr gefühllos seyn, welcher bey dem göttlichen Zorn-Gerichte, das über Lissabon ausgebrochen, unempfindlich bleiben könnte.«167 In ihrem Neujahrsgruß für das Jahr 1756 greift die Münchner-Zeitungen dieses Thema wieder auf, indem nochmal an das Erdbeben als ein Ereignis erinnert wird, vor dem Gott das geliebte Vaterland schützen möge.168 Der Sensationswert des Lissaboner Erdbebens bleibt auch noch bis ins Jahr 1756 erhalten, da die Münchner-Zeitungen weiterhin Nachrichten Lissabon betreffend abdrucken, die teilweise ursprünglich noch aus dem Vorjahr datieren. Nachrichten und Berichte über die sich mehrenden Anzeichen für den bevorstehenden Siebenjährigen Krieg verdrängen schließlich das Thema Lissabon von den Seiten der Münchner-Zeitungen. Bezeichnend ist der Gegensatz zur Katastrophenberichterstattung des Intelligenzblattes. Nachrichten zu Katastrophenereignissen, wie beispielsweise über ein Hochwasser des Inn, das besonders in Tirol vielfache Zerstörungen angerichtet haben soll,169 oder über Hagelunwetter, die Schäden am Getreide auf den Feldern anrichten,170 werden sachlich, ohne rhetorische Versatzstücke, die Entsetzen oder Mitleid zum Ausdruck bringen, dargestellt. Dagegen wird der reflexiv-belehrende Aspekt der Katastrophenberichterstattung deutlich. So nimmt das Intelligenzblatt eine Flutkatastrophe in der französischen Provinz Guyenne zum Anlass, das Verhalten zweier dortiger Pfarrer, die eigenhändig mit Booten ihre Gemeindemitglieder von deren Hausdächern retteten und sich 166 Paris, den 24. Novemb., in: Münchner-Zeitungen, von denen Kriegs-, Friedens- und Staatsbegebenheiten, inn- und ausser Landes 1755, Donnerstag den 4. December (Nr. CXCIII), 771. 167 Mayn-Strohm, den 29. Nov., in: Münchner-Zeitungen, von denen Kriegs-, Friedensund Staatsbegebenheiten, inn- und ausser Landes 1755, Freytag den 5. December (Nr. CXCIV), 773. 168 GLVC kVVVnsCh an a LL e respeCt IVe Leser aVf Das eIngetretene NeVe Iahr Von hIesIger HofbVC hDrVC kereI, in: Münchner-Zeitungen, von denen Kriegs-, Friedens- und Staatsbegebenheiten, inn- und ausser Landes 1756. 169 Artic. IX . Vermischte Nachrichten, und Merkwürdigkeiten, in: Churbaierisches Intelligenzblatt 1772, 30. September (Siebentes Supplement), 321. 170 Z. B. in Artic. VII . Landwürthschafts-Nachrichten, in: Churbaierisches Intelligenzblatt 1769, 12. September (Nr.  XIX), 262–263 oder in Artic. VII . Landwirthschafts-Nachrichten, in: Churbaierisches Intelligenzblatt 1774, 18. Juny (Nr. XII), 151.

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weigerten vor ihren Pfarrkindern in Sicherheit gebracht zu werden, als lobenswertes Vorbild für die eigenen bayerischen Pfarrer zu schildern. Diese Geschichte wird allerdings nicht ohne einen ironisch-sarkastischen Seitenhieb auf Pfarrer und Adel präsentiert: »Das ist ein Englische Geschichte. – Und die deutschen HH ren Pfärrer und Edelleute außer unsern Gegenden würden noch ein mehrers thun, allein – – – Unglück! – – wie oft haben sie keine Fahrzeuge. –«171 Die Flutkatastrophe wird zum Anlass der Gesellschaftskritik.

171 Art. IX . Merkwürdigkeiten. Etwas von dem Mitleiden, in: Churbaierisches Intelligenzblatt 1770, 9. Juny (Nr. XI), 132.

3. Der Fluss als sozionaturaler Raum

Bevor sich die Untersuchung den Überschwemmungen in Deutungsmustern und Handlungspraktiken zuwendet, sind noch Vorüberlegungen zum Raum dieses Katastrophenszenarios, dem Fluss, nötig. Auf der entfalteten theoretischen Basis der Hybridität der Naturkatastrophe zwischen Materialität und Sozialität wurden bereits die Linien der naturalen und soziokulturellen Rahmenbedingungen des Katastrophendiskurses in Bezug auf die Materialität der Katastrophenarten und die involvierten diskursiven Felder gezeichnet. Als noch fehlender Aspekt dieser Rahmenbedingungen ist die Frage nach der Art des Raumes zu stellen, in dem sich die Katastrophe situiert, nach seiner naturräumlichen Gestalt und soziokulturellen Strukturierung bzw. Aneignung, die den Umgang mit der Naturkatastrophe in Deutungsmustern und Handlungspraktiken prägen. Für die naturräumliche Gestalt des Flusses in der Frühen Neuzeit insgesamt sind drei Aspekte bedeutsam: das »morphologische Erscheinungsbild«, sein Abflussregime und der Charakter des Flusses als »longitudinales Kontinuum«.1 Der letzte Aspekt bezieht sich auf den Fluss als System, in dem die Situation am Oberlauf die Gegebenheiten am Unterlauf beeinflusst, so dass hydrologische Ereignisse wie Niederschläge oder Schneeschmelze z. B. im Gebirge den Wasserstand in der Ebene mitbedingen. Die Morphologie des Flusses als Verlauf in der Landschaft stellt sich zunächst deutlich anders dar als in der Gegenwart.2 Die sich der heutigen Wahrnehmung präsentierende Gestalt der Flüsse ist das Ergebnis der Flussregulierungen und -begradigungen, die im 19. bis ins 20. Jahrhundert durchgeführt wurden und auch die bayerischen Flüsse umgestaltet haben.3 Im Zuge dieser Geometrisierung wurden die Flüsse hydrotechnisch 1 Schmid, Die Donau, 68. 2 Im Folgenden soll es nicht darum gehen, die Hydromorphologie der einzelnen Flusslandschaften Bayerns im 18. Jahrhundert im Detail nachzuzeichnen, da hier nicht die jeweiligen natürlichen ursächlichen Faktoren für spezifische Überschwemmungsereignisse von Interesse sind, sondern die typischen räumlichen Merkmale der Flüsse, die den deutenden und handelnden Umgang mit Hochwasser und Überschwemmungen beeinflusst haben. 3 Das bekannteste Beispiel dieser Flussbegradigungen ist wohl das auf Johann Gottfried Tullas Plänen aufbauende ingenieurstechnische Großprojekt der Begradigung des Oberrheins im 19. Jahrhundert, vgl. Blackbourn, Die Eroberung, 97–146. Auch an den alpinen Flüssen sind solche Begradigungen im 19. Jahrhundert vorgenommen worden: beispielsweise die Linthkorrektion in der Schweiz, vgl. Niklaus Schnitter, Die Geschichte des Wasserbaus in der Schweiz. Oberbözberg 1992 (Alte Forscher, aktuell, 2), 113–117 und Daniel L. Vischer, Die Geschichte des Hochwasserschutzes in der Schweiz. Von den Anfängen bis ins 19. Jahrhundert. Biel 2003 (Berichte des BWG , Serie Wasser, 5), 71–86 sowie die Begradigung der Donau bei

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umgeformt, als ein einheitliches, einarmiges Flussbett mit parallel verlaufenden Uferlinien definiert und als Wasserstraßen umfassend in das Infrastrukturnetz der Industriegesellschaften integriert. Dabei wurde der Raum des Flusses auf seinen Hauptarm beschränkt, so dass Nebenarme und Auen verschwanden, ebenso wie Überschwemmungsgebiete, die siedlungs- und infrastrukturtechnisch genutzt wurden.4 Die wasserbauliche Umgestaltung betraf aber nicht nur die großen Flüsse des alpinen Raums, sondern auch die Wildbäche als eine wichtige hydrologische Gefahrenquelle, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Österreich, Bayern, aber auch der Schweiz verbaut wurden, wobei ihre Bedeutung und wasserbauliche Behandlung bereits im 18. Jahrhundert diskutiert wurde, wie in der Folge noch gezeigt wird.5 In der Frühen Neuzeit und im 18. Jahrhundert waren die Flüsse also noch nicht begradigt, wenn auch schon bereits seit dem Mittelalter vereinzelt Maßnahmen zur Flusskorrektion vorgenommen worden waren, die jedoch nicht die Ausmaße und Systematik des 19. Jahrhunderts erreichten.6 Entsprechend war die Flusslandschaft vielgestaltiger, mit Neben- und Seitenarmen sowie Aulandschaften, und wurde durch Hochwasser beständig neu gestaltet, die eine Flussbettverlagerung bewirken und neue Inseln sowie Schwemmland an den Wien, vgl. Franz Michlmayr, Geschichte der Donauregulierung in Wien, in: Werner Konold (Hrsg.), Historische Wasserwirtschaft im Alpenraum und an der Donau. Stuttgart 1994, 539–567 und Peter F. N. Hörz, Gegen den Strom. Naturwahrnehmung und Naturbewältigung im Zivilisationsprozess am Beispiel des Wiener Donauraumes. Frankfurt am Main u. a. 1997 (Historisch-anthropologische Studien, 2), 47–64. Allgemein zur Wasserbaugeschichte der bayerischen Flüsse und ihren Begradigungen im 19. Jahrhundert vgl. die Beiträge in Bayerisches Landesamt für Wasserwirtschaft und Technische Universität München, Geschichtliche Entwicklung der Wasserwirtschaft und des Wasserbaus in Bayern. Seminar am 30. April 1981. Teil 1. München 1981 (Informationsberichte des Bayerischen Landesamtes für Wasserwirtschaft, 4/81). Dass die Flussregulierung und -begradigung einem globalen Trend des 19. Jahrhunderts folgte, der Flüsse im internationalen Maßstab betraf, ist Peter Coates, A Story of Six Rivers. History, Culture and Ecology. London 2013 zu entnehmen. 4 Zu diesem Prozess der Begradigungen als infrastrukturelle Integration des Flusses, die gleichzeitig die Vulnerabilität für Überschwemmungen erhöhte, Lübken, »Der große Brückentod«. 5 Zur Wildbachverbauung in Österreich Herbert Aulitzky, Über die Geschichte der Wildbachverbauung in Österreich, in: Werner Konold (Hrsg.), Historische Wasserwirtschaft im Alpenraum und an der Donau. Stuttgart 1994, 201–227, zu Bayern Erwin Pröbstle, Max Seyberth, Gottfried Hach, Zur Geschichte der Wildbachverbauung in Bayern, in: Bayerisches Landesamt für Wasserwirtschaft und Technische Universität München (Hrsg.), Geschichtliche Entwicklung der Wasserwirtschaft und des Wasserbaus in Bayern. Seminar am 30. April 1981. Teil 2. München 1981 (Informationsberichte des Bayerischen Landesamtes für Wasserwirtschaft, 5/81), 7–100 und zur Schweiz Vischer, Die Geschichte, 143–162. 6 So war bereits im 14. Jahrhundert das Flussbett der Donau beim Kloster Oberalteich verlegt worden, nachdem dieses durch die Donau bedroht worden war (Leidel / Franz, Katalog, 30), und seit dem 15. bis ins 18. Jahrhundert hatte man mit der sog. Sossauer (Be-)Schlacht die Donau bei Straubing in einen Nebenarm zur Stadt hin umgeleitet, damit sie ihren Zugang zu dieser wichtigen Handelsstraße nicht verlor (ebd., 125–133).

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Der Fluss als sozionaturaler Raum

Ufern (sog. Anschütten7) entstehen lassen konnten, so dass der Verlauf eines Flusses und sein Bett sehr variabel waren. Letzteres betonte für die bayerischen Flussverhältnisse auch der Landgeometer, Hofkammerrat und (seit 1790) General-Straßen- und Wasserbaudirektor Adrian Riedl (1746–1809)8 in seinem Strom-Atlas von Baiern von 1806: »Ströme und Flüße, die sich aus hohen Gebürgen herauswerfen, wie dieß besonders in Baiern der Fall ist, ändern fast bey jedem Hochgewässer ihre Bahnen, strömen ältere Kieslagen fort, und bilden neue, wo vorher keine waren.«9 Außerdem war das Bett der Flüsse vergleichsweise flach. Das führte dazu, dass Hochwasser meist auch Überschwemmungen bedeuteten, so dass für den hier untersuchten historischen Zeitraum beide Begriffe synonym verwendet werden können, zumal sie auch in der Bezeichnung eines solchen Ereignisses in den Quellen kaum zu unterscheiden sind.10 Diese Hochwasser und Überschwemmungen waren saisonal und durch das Abflussregime der Flüsse bestimmt.11 Die Donau als Endpunkt des alpinen Abflusssystems in Bayern ist durch ein pluvio-nivales (regen- und schneebedingtes) Abflussverhalten gekennzeichnet, da ihre Nebenflüsse sowohl aus den nördlich gelegenen Mittelgebirgen kommen als auch von den Alpen aus südlicher Richtung zufließen. Die alpinen Donauzuflüsse weisen besonders in den Sommermonaten Höchststände auf, die durch die späte Schneeschmelze im Gebirge und Regenfälle (z. B. durch Starkregen bei Gewitter) bedingt sind, so dass in diesem Zeitraum die Hochwassergefahr an den größeren Flüssen Lech, Isar, Inn und Salzach am größten ist. Die Höchststände der zufließenden Mittelgebirgsflüsse liegen aufgrund der Schneeschmelze in den Mittelgebirgen dagegen besonders im Frühjahr. Entsprechend ist die Hochwassergefahr auf der Donau sowohl im Frühjahr als auch im Sommer gegeben. Dazu kam für den Übergang WinterFrühjahr noch die Gefahr von Eisstößen auf den häufiger zufrierenden Flüssen, 7 Zu diesem und anderen zeitgenössischen bayerischen wasserbaulichen und hydrotechnischen Begriffen Monika Ruth Franz, Erklärung der wichtigsten wasserbaulichen und wassertechnischen Begriffe, in: Gerhard Leidel, Monika Ruth Franz (Hrsg.), Altbayerische Flußlandschaften an Donau, Lech, Isar und Inn. Handgezeichnete Karten des 16. bis 18. Jahrhunderts aus dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv (Ausstellung in München, 24. Juni bis 16. August 1998). Weißenhorn 1998, 316–318. 8 Zur Person Adrian Riedls: Daniel Schlögl, Der planvolle Staat. Raumerfassung und Reformen in Bayern 1750–1800. München 2002 (Schriftenreihe zur bayerischen Landes­ geschichte, 138), 171–178. 9 Adrian von Riedl, Strom-Atlas von Baiern. Donau-Strom, Inn, Isar, Lech, Loisach, Ammer-Fluß, Hydrographische Karte in 4 Blättern, Profil-Plane. München 1806, XII , XIV. 10 Rohr, Extreme Naturereignisse, 201. 11 Zum Abflussregime der bayerischen Alpenflüsse Gerhard Leidel, Die physische Geographie der vier Hauptflüsse des Herzogtums Bayern, in: Gerhard Leidel, Monika Ruth Franz (Hrsg.), Altbayerische Flußlandschaften an Donau, Lech, Isar und Inn. Handgezeichnete Karten des 16. bis 18. Jahrhunderts aus dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv (Ausstellung in München, 24. Juni bis 16. August 1998). Weißenhorn 1998, 262–263 und Rohr, Extreme Naturereignisse, 201–203.

Herrschaftliche Aneignungen des Raums

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die bei Wärmeeinbrüchen auftauen, Eisschollen bilden und in Verbindung mit den Wasserhöchstständen der Flüsse eine Überschwemmung verursachen konnten; eine durch die Flussbegradigungen des 19. Jahrhunderts gegenwärtig weitgehend nicht mehr bestehende Gefahr. Im Folgenden soll der Fluss als sozionaturaler Schauplatz begriffen und beschrieben werden, wie Martin Schmid dies für die Donau vorgeschlagen und skizziert hat.12 Den obigen Ausführungen zur Hybridisierung des Sozialen und Naturalen folgend, können Flüsse als Räume beschrieben werden, in denen »weder allein soziokulturelle noch ausschließlich naturale Prozesse« wirken, sondern eine gegenseitige Durchdringung beider stattfindet.13 Im Rahmen dieses Konzepts ist der sozionaturale Schauplatz »durch das koevolutionäre Zusammenspiel von Arrangements und Praktiken« bestimmt, erstere verstanden als »Folge und zugleich Bedingung menschlichen Handelns« und Zusammenhang hybrider naturaler und sozialer Artefakte, in deren Rahmen menschliches Handeln als Praktik erfolgt.14 Diese Praktiken im Rahmen von Arrangements lassen sich auf die mit Deutungsmustern verbundenen Handlungspraktiken im Umgang mit Naturkatastrophen beziehen; im Falle der Überschwemmung also auf die Handlungspraktiken im sozionaturalen Raum Fluss, die diesen gestalten oder sogar hervorbringen (z. B. in Form der Flussbegradigungen) und gleichzeitig durch seine Arrangements bedingt sind (z. B. in Form der an die Hydromorphologie des Flusses angepassten Wasserbauten). Dies betrifft aber auch andere Praktiken und Arrangements am Fluss als sozionaturalem Raum, die nicht unmittelbar auf Naturkatastrophen bezogen sind, aber in die der Umgang mit Naturkatastrophen eingebettet bzw. mit diesen Praktiken und Arrangements verflochten ist. Das meint sowohl Praktiken der Aneignung des sozionaturalen Raums als auch solche der Inszenierung des Raums.

3.1 Herrschaftliche Aneignungen des Raums Für die Aneignung oder besser Anverwandlung des Raums Fluss im Rahmen eines von der staatlichen Sphäre ausgehenden verwaltungstechnischen Handelns war im 18. Jahrhundert besonders der Aspekt der visuellen Wahrnehmung und Darstellung des Raums zentral. Dabei ist die sich entwickelnde Kartographie von Bedeutung. Hier soll es aber weniger um die Kartographiegeschichte Kurbayerns gehen,15 als vielmehr um die Entwicklung der Erfassungs- und Dar 12 Schmid, Die Donau. 13 Ebd., 63. 14 Ebd., 63. Dies verdeutlicht Schmid am Beispiel von Brücken, Fischfanggeräten und Schiffsanlegern am Fluss, die als Artefakte zugleich naturale und soziale Aspekte beinhalten und ein Arrangement bilden. 15 Umfassend dazu Schlögl, Der planvolle Staat.

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stellungsmodi des dreidimensionalen Raums im zweidimensionalen Medium. Um die Wende zum 17. Jahrhundert vollzieht sich hier ein Paradigmenwechsel der kartographischen Raumdarstellung vom Aufriss zum Grundriss, d. h. von der Horizontalsicht zur Draufsicht, mit dem auch ein Wandel der Darstellungsweise »vom Augenschein des Malers zur Karte des Feldmessers, […] vom egozentrischen Abbild der Landschaft zum geozentrischen Abbild« verbunden ist.16 Dabei ist die Ablösung zwischen beiden Erfassungs- und Darstellungsmodi aber nicht so trennscharf wie der Begriff Paradigmenwechsel suggeriert, da sich noch bis ins 19. Jahrhundert Elemente der Aufriss- und Augenscheindarstellung in der Kartographie halten.17 Für Kurbayern ist demnach das 18. Jahrhundert als Übergangsphase »zwischen der Etablierung der Grundrißmanier und ihrer Systematisierung« anzusehen.18 Mit dieser Parallelität von Augenschein und geometrischer Abstraktion in der kartographischen Darstellung des Raums im 18. Jahrhundert korrespondiert ein weiterer Aspekt der visuellen verwaltungstechnischen Erfassung des Raums: der Zusammenhang von Ansicht des Raums in der Karte und seiner unmittelbaren Wahrnehmung im Verwaltungsakt der Inaugenscheinnahme. Wie bereits dargestellt, wurden im Fall von Unwetterschäden oder durch Hochwasser notwendig gewordenen wasserbaulichen Maßnahmen von zentralbehördlichen oder lokalen kurfürstlichen Beamten Begutachtungen der Lage vorgenommen, an denen die jeweils betroffenen Untertanen, weitere interessierte Parteien, neutrale Dritte und als kompetent erachtete Experten beteiligt waren. Zum einen wurden diese Inaugenscheinnahmen und die Standpunkte der Beteiligten in einem Protokoll verschriftlicht. Zum anderen wurden im Zusammenhang mit dem Wasserbau Karten der fraglichen Flussabschnitte angefertigt, die die »physikalischen Gestaltungskräfte des Flusses […] auf dem Plan und auf der Karte gleichsam räumlich ablesbar« machten,19 aber auch die – in der Terminologie des sozionaturalen Schauplatzes  – Arrangements am Fluss festhielten, Brücken, Siedlungsstrukturen, Wasserbauten usw. In diesem Zusammenspiel von unmittelbarer visueller Anschauung in der Inaugenscheinnahme, der Verschriftlichung im Protokoll und der Abstraktion in der Karte wird eine regelrechte »›Ikonologie‹ der bürokratischen Weltsicht« deutlich, die das Schema der verwaltungstechnischen Aneignung des sozionaturalen Raums Fluss bildet und durch »das dialektische Zusammenspiel einer positivistischen Empirie und einer 16 Gerhard Leidel, Entstehung und Funktion bildlicher Darstellungen im Rahmen von Verwaltung und Rechtsprechung der Neuzeit, in: Gerhard Leidel, Monika Ruth Franz (Hrsg.), Altbayerische Flußlandschaften an Donau, Lech, Isar und Inn. Handgezeichnete Karten des 16. bis 18. Jahrhunderts aus dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv (Ausstellung in München, 24. Juni bis 16. August 1998). Weißenhorn 1998, 278–279. 17 Schlögl, Der planvolle Staat, 66–67. 18 Ebd., 68. 19 Leidel, Entstehung und Funktion, 284.

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formalistischen Rationalität […], in welchem die Ergreifung des Sinnlichen, Einzelnen, Konkreten und seine Gestaltung, Verknüpfung und Verarbeitung in Formalismen des Denkens, Darstellens und Handelns vor sich ging«, geprägt ist.20 Im instrumentellen Charakter der Karte wird das Realobjekt Fluss zum administrativ-juridischen Objekt, sie macht das natürlich-physische Objekt Fluss als soziales Objekt unterschiedlicher Nutzungs- und Gestaltungsinteressen sichtbar.21 Wie bedeutsam dieser Modus der Visualisierung in der Karte für die verwaltungstechnische Aneignung des Raums in Bayern war, zeigt ein Blick in die Protokolle der 1788 auf kurfürstliche Anordnung zusammengetretenen Konferenz von Zentralbehörden, die sich der Sichtung der Verhältnisse und möglichen Reorganisation des Straßen- und Wasserbauwesens widmen sollte. Hier äußerten die Teilnehmer die Ansicht, dass »zum ganzen Geschäft eine ordentl[iche] Strassen Karte ohnumgängl[ich] erfordl[lich] seyn, so wie man auch aller im Land [befindlichen] Wassergebäude halber eben auch eine verlässige Strom Karte ohnausweichl[ich] erfordl[ich] findet.«22 Mit der topografischen Darstellung liegt eine weitere Form visueller Aneignung des Raums vor, die ebenfalls den Fluss als sozionaturalen Raum repräsentiert. Martin Knoll hat darauf hingewiesen, dass die hydrografische Darstellung von Flüssen in den frühneuzeitlichen Topografien von Sebastian Münster, Philipp Apian und Anton Wilhelm Ertl zum bayerischen Raum in einem auffälligen Kontrast zur fluvialen Dynamik der Flüsse steht, da sie diese statisch-idealisiert abbilden und kaum ihre wechselhafte Gestalt verdeutlichen.23 Dies folgt einer Darstellungslogik des Raums, die die Flüsse zum »System von Blutgefäßen« stilisiert, das »die Struktur des territorialen Körpers bestimmt« und »eine vermeintlich naturräumlich notwendige Territorialität« suggeriert.24 Der Hydrografie kommt damit die Funktion eines »rhetorische[n] Mittel[s] zur Strukturierung und Plausibilisierung territorialer Zusammenhänge sowie damit einhergehend zur Inszenierung einer ›guten Ordnung‹« zu.25

20 Ebd., 279–280. 21 Gerhard Leidel, Flüsse als Element gesellschaftlicher Systeme, in: Gerhard Leidel, Monika Ruth Franz (Hrsg.), Altbayerische Flußlandschaften an Donau, Lech, Isar und Inn. Handgezeichnete Karten des 16. bis 18. Jahrhunderts aus dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv (Ausstellung in München, 24. Juni bis 16. August 1998). Weißenhorn 1998, 269 und 273. 22 BayHStA OBB (Akten) 1/1: Protokoll der Konferenz in Straßen- und Wasserbausachen vom 3. Mai 1788 [5. Sitzung]. 23 Martin Knoll, Fließende Grenzen. Zur Rolle von Flüssen bei der Repräsentation histo­ risch-topografischer Räume der Frühen Neuzeit, in: Christine Roll, Frank Pohle, ­Matthias Myrczek (Hrsg.), Grenzen und Grenzüberschreitungen. Bilanz und Perspektiven der Frühneu­ zeitforschung. Köln u. a. 2010 (Frühneuzeit-Impulse, 1), 109–129; Knoll, Die Natur, ­126–178. 24 Knoll, Die Natur, 129. 25 Ebd., 177.

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3.2 Herrschaftliche Inszenierungen des Raums Die von Knoll formulierte Rolle der topografischen Hydrografie als Darstellung von Territorialität und Legitimation von Herrschaft im und über einen Raum weist auf den Aspekt der zweckbestimmten Aneignung des Raumes hin. Hier wird das Handeln im sozionaturalen Raum nicht nur vorstrukturiert (in Form der Planung der Praktiken und Arrangements auf der Grundlage der kartographischen Visualisierung), sondern auch zur Inszenierung von Herrschaft und Souveränität instrumentalisiert. Für die Handlungspraktiken im sozionaturalen Raum Fluss wie das Anlegen von Brücken, Wasserbauten zum Uferschutz oder zur Steuerung der Stromrichtung sind also auch Handlungslogiken der politischen Macht zu berücksichtigen. Besonders Flüsse waren in diesem Sinne ein Raum der Inszenierung von Herrschaft, wenn sie die Grenze eines Territoriums bildeten. An der Grenze konnte die Territorialherrschaft an ihrer Peripherie als solche performativ inszeniert und hergestellt werden, so dass »die diskursive Herstellung der Grenzen und die mit ihnen verbundenen Herrschaftspraktiken den Staat erst ›machten‹ und ihn und seine Aktivitäten in der Peripherie zugleich legitimierten.«26 Dabei war diese Konstruktion der Herrschaft an der Peripherie der Grenze »durch eine eigentümliche Hybridität« gekennzeichnet: Der Konstruktion von Grenzen lag einerseits die Vorstellung von naturräumlichen Gegebenheiten als unverrückbaren Markern territorialer Einheit zugrunde (wie in der topografischen Hydrografie), andererseits bedurften diese naturräumlichen Marker der menschlichen Einhegung bzw. juristischen Behandlung, um als Grenzen wirksam sein zu können, wobei dieser Vorgang nicht nur auf die Aufdauerstellung der naturräumlichen Grenze gerichtet war, sondern genauso auf rechtlich legitimierte Ansprüche zu ihrer Ausweitung.27 Für Kurbayern lassen sich solche Inszenierungen von Herrschaft und Souveränität über Praktiken im sozionaturalen Raum Fluss im Rahmen von Grenzkonflikten zeigen. Im April 1709 berichteten sowohl Hochzollamt als auch Landgericht Friedberg an die Hofkammer bzw. die kaiserliche Administration in München  – Kurbayern war in Folge des Spanischen Erbfolgekrieges seit 1705 von österreichischen Truppen besetzt und deshalb einer kaiserlichen Verwaltung unterstellt  – über einen Wasserbau, den die Reichsstadt Augsburg am Lech unter-

26 Christian Wieland, Grenzen an Flüssen und Grenze durch Flüsse. Natur und Staatlichkeit zwischen Kirchenstaat und Toskana, in: Christine Roll, Frank Pohle, Matthias Myrczek (Hrsg.), Grenzen und Grenzüberschreitungen. Bilanz und Perspektiven der Frühneuzeit­ forschung. Köln u. a. 2010 (Frühneuzeit-Impulse, 1), 152. 27 Ebd., 154–155.

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nehme.28 Dieser über die Grenzpfähle im Lech hinaus betriebene Bau verstoße einerseits gegen die geltenden Rezesse zwischen Kurbayern und Augsburg aus dem 17. Jahrhundert zum Wasserbau am Lech und sei andererseits für Bayern äußerst nachteilig, »in deme dardurch der Lech völlig heryber werths geg[en] Bayr geworffen« werde und schwere Schäden verursachen oder sogar sein Bett auf bayerisches Gebiet verlagern könne, so dass sich damit auch die durch den Fluss markierte Grenze zu Ungunsten Bayerns verändere.29 Daraufhin erging die Aufforderung an Augsburg den Wasserbau einzustellen, bis eine Kommission gebildet und eine Begutachtung der Situation vor Ort vorgenommen werden könne, der die Reichsstadt auch nachkam. Aus dem Protokoll der anlässlich des strittigen Augsburger Wasserbaus am 8. Mai 1709 zusammengetretenen Konferenz aus Vertretern von Hofkammer, Hofrat und kaiserlicher Administration30 ist dann zu ersehen, dass ein augsburgischer Abgesandter mündlich zu den erhobenen Vorwürfen über die Schädlichkeit des Wasserbauprojekts Stellung nahm. Hierbei bezog er sich auf die ursprüngliche Beschwerde des Landgerichts Friedberg bei der Reichsstadt, in der den Augsburgern vorgeworfen worden sei, den Wasserbau auf bayerischem Territorium zu betreiben. Da dieser aber bei Lechhausen errichtet werde und dieses Dorf mit all seinen Jurisdiktionen und Gerechtigkeiten von Kurbayern an die Reichsstadt übergeben worden sei,31 liege der Wasserbau auf augsburgischem Territorium und die bayerische Seite erleide keine Beeinträchtigungen. Tatsächlich hatte der Friedberger Landrichter in seinem Bericht vom 27. April an die kaiserliche Administration gemutmaßt, dass die Augsburger mit ihrem rechtswidrigen Wasserbau von vornherein nur auf ihren eigenen Vorteil abgezielt hätten, um ihr Territorium auf Kosten Bayerns zu erweitern und der bayerischen Seite Schaden zuzufügen. Das Konferenzprotokoll schließt mit der Feststellung, dass die Berichte der Friedberger Beamten und die Stellungnahme der Augsburger sich so deutlich widersprechen, dass die Sachlage nur mit einer gründlichen Begutachtung durch die Friedberger Beamten, einen vor Ort zu sendenden Hofzimmermeister und durch Vertreter der Reichsstadt Augsburg geklärt werden könne. Der beschriebenen verwaltungstechnischen Logik der Raumaneignung folgend weist die Kommission die bayerischen Vertreter in dieser gemeinsamen Inaugenscheinnahme an, dass bei der Durchführung der Ortsbegehung ein »zuuerlessig[er] Grundt Ris« angefertigt werden solle, 28 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 94, Bl. 9–10: Bericht des Hochzollamts Friedberg an die Hofkammer vom 19. April 1709; Bl. 11–13: Bericht des Landgerichts Friedberg an die kaiserliche Administration vom 27. April 1709. 29 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 94, Bl. 1–2: Schreiben [der Hofkammer] an die kaiserliche Administration vom 22. April 1709. 30 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 94, Bl.18–19. 31 Im Zuge des Spanischen Erbfolgekrieges war das Dorf von Kurbayern als Entschädigung an die Reichsstadt abgetreten worden, ging aber nach Ende des Krieges wieder an das Kurfürstentum zurück.

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»mit allerford[er]liche[r] anzaigung, vnd vnterschaidungen d[er] beed[er]seitig territorijs, mit des Lechs d[er]mahligen Rünnsall […].«32 Auf der Grundlage dieser kartographischen Darstellung und weiterer Berichte wolle man dann die Entscheidung über die strittige Angelegenheit treffen. Das Landgericht Friedberg berichtete ausführlich über die Ergebnisse dieser gemeinsam mit Augsburger Vertretern vorgenommenen Inaugenscheinnahme.33 Der Landrichter betont dabei besonders den Punkt der Unrechtmäßigkeit des Augsburger Wasserbaus, wobei er sich auf die herrschaftliche Jurisdiktion am Fluss bezieht. Gleich zu Beginn der gemeinsamen Ortsbegehung habe er hervorgehoben, dass diese Wasserbaumaßnahme am 36. Grenzpfahl im Lech zwischen kurbayerischem und augsburgischem Territorium widerrechtlich sei und die anrainenden Ortschaften auf bayerischer Seite bedrohe. Die Augsburger Vertreter hätten darauf entgegnet, dass die Reichsstadt Augsburg durch ihren Besitz von Lechhausen auf ihrem Territorium dies- und jenseits des Lech nach Belieben bauen dürfe. Dem habe er sogleich widersprochen, indem er klargestellt habe, dass der Lech unmittelbar der kaiserlichen Herschaftsgewalt unterstehe und der Gries (der Ufersand) am Lech beim Dorf Lechhausen keinesfalls Augs­burg zugehörig sei. Für beide Seiten steht also die Frage der Rechtmäßigkeit von Souveränität über den Flussraum im Mittelpunkt, die sich darin ausdrückt, diesen Raum nach eigenem Belieben gestalten zu dürfen und zu können. Gleichzeitig geht es für die Augsburger Seite darum, ihren Anspruch auf den territorialen Zugewinn von Lechhausen zu demonstrieren, während die bayerische Seite das Dorf immer noch als dem eigenen Territorium zugehörig betrachtet. Das kommt besonders in den folgenden Passagen des landgerichtlichen Berichts über die Ortsbegehung bei Lechhausen zum Ausdruck: Des Landrichters Befürchtungen, dass durch den Augsburger Wasserbau der bayerischen Seite durch Flussbettverlagerungen großer Schaden entstehen werde, seien von den Augsburger Vertretern verneint worden. Auch auf die bei Lechhausen bereits durch fortschreitenden Abriss des Ufers erkennbaren Folgen des schädlichen Wasserbaus hätte die Augsburger Seite lediglich mit Verneinung und Ausflüchten reagiert. Dabei habe die Rekognoszierung der Lage gezeigt, dass der Lech seinen Lauf bei einem Hochwasser höchstwahrscheinlich verlagern werde, was das Augsburger Territorium mit einem Schlag um mehrere tausend Juchert34 zu Ungunsten Kurbayerns vergrößern werde. Als der Landrichter dann Bedenken hinsichtlich des Blum­besuchs 32 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 94, Bl.19r. 33 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 94, Bl. 24–29: Bericht des Landgerichts Friedberg vom 16. Mai 1709 an die Hofkammer. 34 Ein »Juchert« oder »Jauchert« war ein Flächenmaß, das in Bayern bis Anfang des 19. Jahrhunderts galt und ca. 0,6 Hektar umfasste: Rainer Beck, Unterfinning. Ländliche Welt vor Anbruch der Moderne. München 1993, 577.

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(Viehweide) der Lechhausener geäußert habe, der durch den Wasserbau behindert werde, hätten die Augsburger Delegierten lediglich erwidert, »d[ass] die Lechhauser ihre Vnd[er]thanen weren, Vnd Sye in dises Pauwesen nichts zu reden hetten […].«35 Damit formulierten die Augsburger Vertreter recht deutlich und unverblümt den Souveränitätsanspruch der Reichsstadt über die Lechhausener und ihr Gebiet. Hofkammer und Hofrat übernahmen in ihrem gemeinsamen Referat an die kaiserliche Administration die Argumentation des Friedberger Landrichters, dass die Augsburger Begründungen für die Notwendigkeit des Wasserbaus lediglich vorgeschoben seien, da es der Augsburger Seite eigentlich darum gehe, den Lech auf die bayerische Seite hinüber zu treiben und so viele tausend Juchert Land von bayerischem Ackerland für sich hinzuzugewinnen.36 Beide Behörden interpretieren den Augsburger Wasserbau als Verletzung der Territorialjuris­ diktion der kaiserlichen Majestät, da für die Reichsstadt Augsburg »in hoc flu­ mine publico khein Jus bestandten« habe. In der Darstellung von Hofkammer und Hofrat wird die Suche nach einer Lösung im Wasserbaustreit zwischen Reichsstadt Augsburg und Kurfürstentum Bayern also zur Notwendigkeit der Wiederherstellung der in Frage gestellten kaiserlichen Souveränität. Dass solche Konflikte um den Wasserbau als obrigkeitliches Handeln im Raum zur Inszenierung von Souveränität auch über die Verhandlungsebene hinaus eskalieren konnten, zeigt das Beispiel des Streits zwischen Kurbayern und dem Hochstift Freising um Wuhrbauten37 an der Isar. Am 16. Juni 1701 meldete das Pfleggericht Kranzberg an die Hofkammer in München, dass ein Hochwasser der Isar bei der Mintrachinger Au schwere Schäden angerichtet habe und dabei auch zwei bereits im Dezember des vergangenen Jahres und im Januar diesen Jahres gebaute Wuhren beschädigt worden seien, die dringend repariert werden müssten.38 Die Hofkammer ließ daraufhin die Lage vor Ort vom Hofbauamt untersuchen und Bauvorschläge ausarbeiten, die das Pfleggericht gemeinsam mit den anrainenden Grundherrschaften und Untertanen umsetzen sollte. Am 3. August teilte der Kranzberger Pfleger der Hofkammer mit, dass er die beteiligten Grundherrschaften und Untertanen wegen der fraglichen Überschwemmung zur Besichtigung habe kommen lassen.39 Dabei hätten sich die Mintrachinger allerdings beklagt, dass der Isareinbruch auf ihren Gründen auf

35 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 94, Bl. 28v. 36 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 94, Bl. 39–40: Schreiben der Hofkammer und des Hofrat an die kaiserliche Administration vom 22. Mai 1709. 37 Wuhren waren Wasserbauten im Fluss oder am Ufer, die vor allem der Beeinflussung der Stromrichtung dienten: Franz, Erklärung. 38 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 448, Bl. 1–2. 39 Auch für den folgenden Inhalt des Schreibens BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 448, Bl. 10–12.

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eine Verbeschlachtung40 der Isar durch die zum Hochstift Freising gehörigen Ismaninger Untertanen zurückzuführen sei, die den Lauf der Isar abgelenkt und so die Überschwemmung verursacht habe. Ebenfalls bei der Ortsbegehung anwesende Vertreter des Hochstifts hätten dazu bloß erwidert, dass sie keine Kenntnis von dieser Problematik hätten und auch nicht befugt seien, dazu Stellung zu nehmen. Der Kranzberger Pfleger betonte, dass aus den seit langer Zeit geltenden Rezessen zwischen Kurbayern und Freising hervorgehe, dass der Lauf der Isar weder von der einen noch der anderen Seite durch Wuhren beeinflusst werden dürfe und dass dieses nur im Fall eines Einbruchs auf festes Land gestattet sei. Deshalb habe er nach Verabschiedung der Freisinger Abgeordneten in aller Stille die Mintrachinger Untertanen Balthasar Maister, Georg Rieger und Andre Heugl samt dem Zimmermeister auf die Freisingische Seite hinüber geschickt, um in Erfahrung zu bringen, ob der Vorwurf der Mintrachinger wahrhaft begründet sei. Aus einem vom Zimmermeister angefertigten »beikommenten Ris« – wieder spielt die Visualisierung eine wichtige Rolle – und einer von den drei Mintrachinger Untertanen verfassten gerichtlichen Anzeige sei in der Hauptsache zu entnehmen, dass zwei Arme der Isar mit Wuhren verbaut worden seien. Diese behinderten den freien Lauf des Flusses und würden ihn gegen Mintraching zugunsten des Hochstifts und zum Nachteil des kurbayerischen Landesherrn und der Mintrachinger Untertanen verschieben. Diese Anschuldigung gegen die Freisinger Seite wurde noch durch eine Supplik der Dorfgemeinde Greinegg unterstützt, die sich ebenfalls über Schäden durch die besagten Freisinger Wuhrbauten beklagte und um Hilfsleistungen für zu errichtenden Gegenwuhren bat.41 Da es allerdings zunächst zu keiner Entscheidung in dieser Angelegenheit kam, wandte sich der Kranzberger Pfleger Anfang Februar 1702 wieder an die Hofkammer und wies erneut auf die schädlichen Freisinger Wuhren hin.42 Dabei hob er nicht nur die durch eine erneute Überschwemmung der Isar gegebene Gefahrenlage hervor, sondern betonte besonders die Rechtsverletzung der Freisinger Seite, da diese entgegen den geltenden Rezessen auf dem Gries (dem Ufersand) der Isar ihre Wuhren baue und behaupte, dies schon seit 50 bis 60 Jahren so zu machen: »Vnd wan dies denen Ismeringern zuelessig wehre, warumben gestatt mans dan auf disseithigem Landt nit auch?«43 Gleiches sollte also mit gleichem vergolten werden. Überdies zeigte sich der Pfleger verärgert über die Scheinheiligkeit des Hochstifts, das bei gemeinsamen Inaugenschein 40 Eine Schlacht oder B(e)schlacht war eine meist massive und stabile Holzkonstruktion, die zur Uferbefestigung und zum Schutz von Brückenpfeilern diente. Besonders massive und größere Wuhren wurden auch als Schlachten bezeichnet; vgl. Franz, Erklärung. 41 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 448, Bl. 21–22: Supplik der Dorfgemeinde Greinegg [vom Juli 1701]. 42 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 448, Bl. 23–26: Schreiben des Pfleggerichts Kranzberg an die Hofkammer vom 4. Februar 1702. 43 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 448, Bl. 25r.

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nahmen in der Vergangenheit immer verlangt habe, dass man bayerischerseits nicht auf dem Gries baue, da es sich ansonsten nicht an den gemeinsamen Kosten im Schadensfall beteiligen werde. Der Pfleger empfahl daher, die schädlichen Freisinger Wasserbauten schleunigst und einseitig einfach abzureißen. Nachdem sich auch der Oberhofbaumeister Zuccalli (um 1642–1724) in einem Gutachten für den einseitigen Abriss der Freisinger Wuhren ausgesprochen hatte,44 erhielt der Kranzberger Pfleger die von ihm gewünschte entsprechende Anweisung.45 Dann meldete sich jedoch erstmals das Hochstift bei der Münchner Hofkammer zu Wort, nachdem in Freising bekannt geworden war, dass das Pfleggericht Kranzberg den einseitigen Abriss der Wuhrbauten beabsichtige.46 Es gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass weder von Mintrachinger noch anderer Seite eine solche Tätlichkeit ohne vorherige Warnung gegen das Hochstift ausgeübt werde, da man davon ausgehe, dass das Pfleggericht Kranzberg von den Mintrachingern über die Wuhrbauten falsch informiert worden sei. Das Hochstift ersuchte um eine Anweisung an das Pfleggericht zur Unterlassung des angedrohten Abrisses, »damit dasselbe von solch vnleidentlich auf frembden territoris vnd Jurisdiction wider alle recht vorhabenten gwaltthettigkeit ab stehe […].«47 Außerdem versuchte das Hochstift die bayerische Seite zu beschwichtigen, indem es eine weitere gemeinsame Begutachtung vor Ort anbot. Das Hochstift begriff das Abrissvorhaben der bayerischen Seite also explizit als einen Angriff auf die eigene territoriale Souveränität. Der Vorgang der Inaugenscheinnahme wird darüber hinaus als Mittel der Konfliktlösung bzw. -befriedung eingesetzt, das die Beilegung des Streits auf dem Verhandlungswege in juristischen Bahnen sicherstellen soll. Dieser Einspruch bei der Münchner Hofkammer vom 21. März des Jahres kam allerdings zu spät, um die Eskalation des Konflikts noch zu verhindern, da der Abriss der Wasserbauten vor Ort bereits am 20. März begonnen hatte. Zwei Tage später richtete der Freisingische Obristjägermeister Baron von Fraun­hoven ein »Anbringen« an die Münchner Hofkammer, in dem er eine Darstellung seiner Sicht der Vorfälle vom 20. März gab, als es zwischen der kurbayerischen und freisingischen Seite vor Ort zu Handgreiflichkeiten gekommen war.48 An diesem Tag hätten sich 30 bis 40 Mintrachinger, davon die meisten sogar Grunduntertanen des Hochstifts, unterstanden, die Freisingischen Wuhren im Isargraben 44 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 448, Bl. 32: Gutachten des Oberhofbaumeister Zuccalli vom 12. März 1702. 45 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 448, Bl. 31, 33: Schreiben der Hofkammer an das Pfleggericht Kranzberg vom 15. März 1702. 46 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 448, Bl. 34–35: Schreiben des Hochstifts Freising an die Hofkammer vom 21. März 1702. 47 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 448, Bl. 34v. 48 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 448, Bl. 40–41: »Anbringen« des Freisingischen Obristjägermeisters Baron von Fraunhoven an die Münchner Hofkammer vom 22. März 1702.

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gewaltsam abzureißen, so dass diese zum Teil beschädigt worden seien. Nachdem er, der Obristjägermeister, davon unterrichtet worden sei, dass ein »solch attentatur« auf hochstiftischem Territorium verübt werde, habe er sich vor Ort begeben und versucht die Mintrachinger von ihrem Tun abzubringen. Diese hätten sich jedoch nicht darum geschert, so dass er seinen Hirschfänger gezogen und sie aufgefordert habe sich fortzuscheren oder er werde zuhauen. Nachdem auch dies nichts gefruchtet und er sogar von einem der Mintrachinger mit einem Stecken in der Hand herausgefordert worden sei, habe er seinen Begleitern befohlen ihre Flinten bereitzuhalten und die Warnung an die Mintrachinger gegeben: »ihr Rebellen schert euch forth, od[er] ich schiesse darunter […].«49 Daraufhin seien alle weggelaufen bis auf acht, die er zu Erching in Arrest genommen und nach zwei Tagen wieder habe laufen lassen, nachdem sie gelobt hatten, zukünftig nichts dergleichen wieder zu tun. Im übrigen widerspreche er entschieden der Darstellung des Pfleggerichts Kranzberg, dass er in zahlreicher Begleitung vor Ort aufgetaucht sei und dem Melchior Homayr mit dem Hirschfänger wissentlich einen Hieb versetzt habe. Vielmehr müsse der Homayr wohl versehentlich »selbst mit der hand in den Herschfeng[er] gefallen, vnd sich in etwas verwundet« haben.50 Außerdem habe er vom Kranzberger Pfleger vernommen, dass man sich dazu entschlossen habe, den Abbruch der Freisinger Wuhren mit einer Mannschaft von 200 Dragonern zu decken. In der Beschreibung des Kranzberger Pflegers stellte sich der Vorfall naturgemäß etwas anders dar.51 Gemäß der Anordnung der Hofkammer habe er die Mintrachinger Untertanen angewiesen, den Abriss der Wuhren durchzuführen, und ihnen dafür den örtlichen Wasserbaumeister mitgegeben. Als er sich dann mit seinem Gerichtsschreiber vor Ort begeben habe, um die Umsetzung seiner Anweisungen zu überprüfen, hätten die Mintrachinger bei ihm Beschwerde über den Obristjägermeister eingelegt, die in einer ebenfalls an die Hofkammer geschickten Anzeige des Pfleggerichts festgehalten ist.52 Darin sagen beteiligte Mintrachinger Untertanen – unter anderem die bereits aus dem Schreiben des Pfleggerichts vom 3. August des Vorjahres bekannten Balthasar Maister und Georg Rieger  – aus, dass an den Freisinger Wasserbauten noch Ismaninger Wuhrleute gearbeitet hätten, als sie dort angekommen seien, um sie abzureißen. Der Zimmermeister habe diesen dann »angedeittet«, dass der kurfürstliche Wille dahin ergangen sei, die schädlichen Wuhren abzureißen. Die Ismaninger Wuhrleute hätten daraufhin nach Erching geschickt und sie selbst hätten derweil 49 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 448, Bl. 40v. 50 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 448, Bl. 41r. 51 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 448, Bl. 42–45: Schreiben des Pfleggerichts Kranzberg an die Hofkammer vom 21. März 1702. 52 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 448, Bl. 46–48: »Anzaig. Welche nachuermelte Persohnen, wegen der vom Herrn Jägermaister zu Freysing veryebten gwaldthettigkheit gethan, den 21. Marty a[nn]o 1702.«

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bereits mit dem Abriss begonnen, als der Freisinger Obristjägermeister und der Überreiter zu Ismaning »mit grosser Furi ankhommen« seien. Obgleich man dem Obristjägermeister die kurfürstliche Anordnung mitgeteilt und ihm sogar die Anweisung des Pfleggerichts habe aushändigen wollen, habe das dieser »in vnbeschreiblichen Zohrn nichte angenommen sondern specialiter vermeldt, er thue […] vf Ihren Beuehlch schmeissen53«, woraufhin er den Hirschfänger gezogen und dem Melchior Homayr am linken Arm oberhalb der Hand einen Hieb versetzt habe.54 Auch hätten er und der Erchinger Überreiter die Gewehre auf sie anlegen lassen und es sei nicht sicher gewesen, ob sie nicht feuern würden. Acht ihrer Leute habe der Obristjägermeister für einen Tag in Erching in Arrest genommen. Sie hätten wegen der Gefahr für Leib und Leben mit dem Abriss nicht fortfahren können, da ihnen die Ismaninger mit ihren Hacken, Hauen und Stecken zahlenmäßig überlegen gewesen seien und der Obristjägermeister »in grössten Zohrn herumb geritten« sei, so dass sie ihre Werkzeuge vor Ort zurücklassen mussten.55 Diese hier beschriebenen konfliktträchigen Inszenierungen von Herrschaft und Souveränität über einen Raum können als Beispiele für das verstanden werden, was Michel Foucault als Machtökonomie der Souveränität beschrieben hat; ein Typus herrschaftlicher Macht, der auf den Raum und seine obrigkeitliche Kontrolle ausgerichtet war.56 Eine solche Machtökonomie entspricht, nach Foucault, einem disziplinarischen Mechanismus als Dispositiv, der nicht nur in der Policeygesetzgebung den Anspruch der Kontrolle und Reglementierung des Alltagslebens der Untertanen erhebt, wie das auch Gerhard Oestreich mit dem Terminus der ›Sozialdisziplinierung‹ formuliert hat,57 sondern der auch 53 »Schmeißen« war ein dialektaler Ausdruck mit »mancherley Bedeutungen, die alle etwas Verächtliches haben, aber schwer unter einen Hut zu bringen sind«; Schmeller, Bayerisches Wörterbuch, 558. Die bei Schmeller angegebenen am ehesten passenden Wortbedeutungen sind »auswerfen die Excremente«. 54 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 448, Bl. 46v–47r. 55 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 448, Bl. 47v. 56 »Wie das Territorium markieren, wie es befestigen, wie es schützen oder vergrößern? Anders gesagt, es handelte sich um etwas, das man präzise die Sicherung des Territoriums nennen könnte oder die Sicherung des Souveräns, der über das Territorium herrscht.«; Foucault, Sicherheit, 100. 57 Auf die breite Forschungsdebatte um die Sozialdisziplinierung, die Kritik an der zugrundeliegenden etatistischen Perspektive und allgemein die Dekonstruktion absolutistischer Fürstenherrschaft in der Frühen Neuzeit soll hier nicht weiter eingegangen werden, da sie (zu) weit über die Fragestellung dieser Arbeit hinaus weist und es an diesem Punkt (nur) um die symbolische Inszenierung von Herrschaft und Herrschaftsanspruch im Raum geht. Einen Überblick über die nach der Dekonstruktion des Absolutismus in der Forschung neu diskutierte Fragestellung des Charakters frühneuzeitlicher Herrschaft, die sich auf die Herrschaftspraxis als zirkulärem Aushandlungsprozess zwischen Herrschaft und Untertanen bezieht, gibt Brakensiek, Akzeptanzorientierte Herrschaft. Beispielhaft zeigt André Holenstein

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einer spezifischen Logik der Aneignung und Gestaltung des Raums folgt: »Die Disziplin ist wesentlich zentripetal. Damit will ich sagen, daß die Disziplin in dem Maße funktioniert, wie sie einen Raum isoliert, ein Segment bestimmt. Die Disziplin konzentriert, sie zentriert, sie schließt ein.«58 In der Folge wird noch zu zeigen sein, wie sich diese Logik der Raum­ aneignung in den Handlungspraktiken zu Hochwasser bzw. Überschwemmungen auswirkte. Dabei veränderte sie sich im 18. Jahrhunderte, so dass sich der Wandel der Deutungsmuster und Handlungspraktiken zu Hochwasser und Überschwemmungen auch als Bestandteil des Wandels herrschaftlicher Raumaneignung und der mit ihr korrespondierenden Machtökonomie lesen lässt.

am Beispiel der Suppliken diesen Charakter von Herrschaft als Kommunikationsprozess: Holenstein, Klagen; in einer speziell auf Kurbayern bezogenen Perspektive auf Herrschaft als Kommunikation Näther, Kurbayerische Visitationen. 58 Foucault, Sicherheit, 73. Foucault erläutert diese Logik der disziplinarischen Behandlung des Raumes unter anderem am Beispiel der Anordnung und Planung der »disziplinarischen Städte«: ebd., 27–44.

4. Naturgefahr Hochwasser / Überschwemmung

4.1 Von den Deutungsmustern Für den Katastrophendiskurs zu Hochwasser- und Überschwemmungskatastrophen lässt sich eine Bandbreite von religiösen bis säkular-weltimmanenten und verwissenschaftlichten Deutungsmustern aufzeigen, die jeweils in den dargestellten Feldern des Katastrophendiskurses unterschiedlich verhandelt werden. Besonders für die überregionalen Hochwasser- und Überschwemmungsszenarien im süddeutsch-katholischen Raum lässt sich dabei die Artikulation religiöser Deutungsmuster beobachten, die teilweise kontrovers verhandelt werden. Insgesamt und auf die regelmäßig saisonal auftretenden Hochwasser und Überschwemmungen bezogen zeigt sich jedoch auch das Übergewicht säkularer Deutungsmuster in den Aussagen des Katastrophendiskurses.

4.1.1 Religiöse Deutungsperspektiven zwischen Straftheologie und Physikotheologie Eines der wichtigsten Deutungsmuster für Katastrophen in der Frühen Neuzeit, die Straftheologie bzw. Sündenökonomie, die als »peccatogene[…] Ursachenforschung« begriffen werden kann,1 kam auch für die Hochwasser und Überschwemmungen zum Tragen. Im Zedler als einem der bedeutendsten deutschsprachigen Lexika des 18. Jahrhunderts wird dieses Deutungsmuster auf Hochwasserkatastrophen bezogen und in seinen sämtlichen Aspekten ausgeführt: »Da wir nun die Unglücks-Fälle, welche in der Natur sich ereignen; als Göttliche Straffen und Züchtigungen ansehen können, nehmlich als Straffen für diejenigen, so Böses thun, als Züchtigungen für die, welche inskünfftige zum Bösen abweichen würden; so sehen wir hieraus, wie GO tt die Ueberschwemmungen auch zur Ruthe wieder die Gottlosen, und als ein Mittel die Menschen zu verbinden, daß sie vom Bösen abstehen, und Gutes thun, gebrauchen kan.«2

1 Groh et al., Einleitung, 20. 2 Johann Heinrich Zedler, Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschaften und Künste, Welche bishero durch menschlichen Verstand erfunden und verbessert worden. Band 48. 64 Bände. 4 Supplbde. Leipzig u. a. 1746, 738.

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Die straftheologische Deutung hatte, wie hier zu erkennen ist, zwei Aspekte, die beide auf die Verhaltensänderung gerichtet waren und in der die Katastrophe, neben der Kanzelpredigt als sprachlicher Verkündigung des göttlichen Wortes, zur materiellen Form der Predigt3 wird: Die Bestrafung für begangene Sünden und die Warnung bzw. Mahnung zukünftig nicht zu sündigen.4 Letzteres trat verstärkt mit dem Wandel des Gottesbildes vom strafenden zum liebenden Gott im Laufe des 18. Jahrhunderts auf,5 was auch mit der aufklärerischen Päda­ gogisierung der Religion und dem Wandel im Gottes- und Menschenbild einhergeht, wie sie etwa in Lessings »Die Erziehung des Menschengeschlechts« und in gedrängter Form in der Ringparabel im »Nathan der Weise« zum Ausdruck kommt: Religion bzw. Offenbarung als Erziehung des Menschen, der prinzipiell gute Anlagen hat und zur Besserung, zum Guten, fähig ist. Exemplarisch führte der Jesuit und Domstiftsprediger in Regensburg, Franciscus Besnella, in seiner Bußpredigt anlässlich des Lissaboner Erdbebens die traditionelle straftheologische Deutung von Naturkatastrophen vor. Die Natur wird in seiner Deutung zum Instrument der göttlichen Bestrafung des sündigen Menschen, wobei sich die sonst so gegensätzlichen Elemente in kriegsmetapho 3 Kittsteiner, Die Entstehung, 42. 4 Dazu und zum Deutungsmuster der Straftheologie insgesamt in der Frühen Neuzeit vgl. Walter, Katastrophen, 28–53 und Groh et al., Einleitung, 20–21. Nicht nur Hochwasser wurden straftheologisch gedeutet, sondern auch Sturmfluten (Jakubowski-Tiessen, Gotteszorn, 103–104; Allemeyer, »In diesser erschrecklichen …«), Unwetter bzw. Gewitter und Hagel (Oberholzner, Von einer Strafe Gottes), Erdbeben (Vermij, Erschütterung, 244–247; Juras, From Acts of God; Schenk, Ein Unstern) und andere Katastrophenszenarien wie Hunger- und Teuerungskrisen (beispielsweise Esther Berner, Deutungen von Naturkatastrophen im Zürich der ›Aufklärung‹. Ausgangspunkte für Überlegungen zum Wandel der populären Bedeutung der Straftheologie, in: Gerhard Lauer, Thorsten Unger (Hrsg.), Das Erdbeben von Lissabon und der Katastrophendiskurs im 18. Jahrhundert. Göttingen 2008 (Das achtzehnte Jahrhundert. Supplementa, 15), 318–333). Dabei geht das straftheologische Deutungsmuster bis auf die Antike zurück (vgl. Sonnabend, Naturkatastrophen und Meier, Gotteszorn) und ist nicht nur im Christentum verbreitet, sondern tritt auch im Islam auf (Schulze, Islamische Deutungen). 5 Wie Krusenstjern und Jakubowski-Tiessen betont haben, ist dieser Wandel im Gottesbild jedoch keineswegs ein qualitativ absoluter, sondern eher eine Akzentverschiebung, da auch der strafende Gott des 17. Jahrhunderts gleichzeitig der liebende Gott ist, der gegen seine barmherzige Natur mit der einen Hand züchtigt, aber mit der anderen Wohltaten spendet, aus Notlagen errettet und den Menschen seine Gnade nach und in der Katastrophe erweist; vgl. Benigna von Krusenstjern, »Gott der allmechtig, der das weter fiehren kan, wohin er will«. Gottesbild und Gottesverständnis in frühneuzeitlichen Chroniken, in: Wolfgang Behringer, Hartmut Lehmann, Christian Pfister (Hrsg.), Kulturelle Konsequenzen der »Kleinen Eiszeit«. Cultural Consequences of the »Little Ice Age«. Göttingen 2005 (Veröffentlichungen des MaxPlanck-Instituts für Geschichte, 212), 179–194 und Manfred Jakubowski-Tiessen, Zeit- und Zukunftsdeutungen in Krisenzeiten in Pietismus und Erweckungsbewegung, in: Wolfgang Breul, Jan Carsten Schnurr (Hrsg.), Geschichtsbewusstsein und Zukunftserwartung in Pietismus und Erweckungsbewegung. Göttingen 2013 (Arbeiten zur Geschichte des Pietismus, 59), 175–191.

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rischer Charakterisierung zu den Heerscharen des zürnenden Gottes vereinigen, um gegen seine Feinde zu Felde zu ziehen, wobei sie gerade aus ihrer Gegensätzlichkeit ihre besondere Stärke beziehen: »schauert, und grauet dir noch nicht ob so förchterlicher Krieges-Macht deines erzürneten Schöpfers? die ganze Natur schliesset für Ihn wider dich in den Harnisch […]. Feuer, Hagel, Schnee, Eiß, Sturm-Winde, die sein Wort vollziehen. Die sonst so widrige, und uneinige Elemente werden in diesem einig, daß sie sich gesammter Hand wider die Sünder verschwöhren; selbst ihre natürliche Uneinigkeit schärffet ihre Waffen, und sind sie niemals stärcker die Feinde ihres Schöpfers zu bekriegen, als da sie selbsten wider einander streiten. Wehe uns Sterblichen!«6

Besnella bezieht diese straftheologische Daseinsfunktion der Natur auch auf die Hochwasser und Überschwemmungen der Flüsse, die er in eine Reihe mit anderen Katastrophenszenarien von Erdbeben, Meeresfluten, Kriegsnöten und Seuchen stellt. Dabei sind ihm diese zugleich auch Vorboten der endgültigen Abrechnung am Tag des Jüngsten Gerichts, womit Besnella Straftheologie und apokalyptische Deutungsperspektive in einen Zusammenhang stellt: »Ein so unerhörtes schier allgemeines Erdbeben, das Rauschen und Brausen des ungestümmen Meeres, die aus ihren Rinnsaalen getrettene, ganze Gegenden überschwemmende, und die höchste Ring-Mauern bevestigter Plätzen übersteigende Flüsse, daß sich in schwiehrigen Gemüthern eines Volcks wider das andere zusammenziehende schwarze Kriegs-Gewülcke, der traurige Ruf ansteckender Seuchen scheinen ja eben jene entsetzliche Vorbothen des grossen Tages des Zorns zu seyn, vor denen uns unser göttliche [sic!] Erlöser so ausdrücklich gewarnet hat […].«7

Die straftheologische Deutung war dabei durchaus nicht auf die religiöse Sphäre des Katastrophendiskurses und das Medium der Predigt beschränkt. In seiner 1779 erschienenen Abhandlung zum wasserbaulichen Umgang mit den Überschwemmungen in Tirol befasst sich der am Innsbrucker Lyzeum als Mathematiker und Naturforscher tätige Jesuit Franz von Zallinger zum Thurn (1743–1828)8 mit den naturkundlichen Ursachen der Überschwemmungen und insbesondere mit der wasserbaulichen Behandlung der über ihre Ufer tretenden Flüsse. Ziel 6 Francisco Besnella, Der Drohende GO tt, Ein So Erschrecklich- als Gnädiger Gott; Bey einem allgemeinen, aus der Hohen Dom-Stiffts Kirche zu Regenspurg in dasiges, des Gefürsteten Freyen Reichs-Stiffts Gotteshaus St. Emmerams, Für gnädige Abwendung des Erdbebens und andern bedrohenden Straffen GO ttes, Am ersten Sonntag nach der Erscheinung des HE rrn feyerlichst angestellten Bitt-Gang, In einer Buß- und Bitt-Rede vorgestellt, Von P. Francisco Besnella, Der Gesellschafft JE su Priester, oberwehnter Hohen Dom-Stiffts-Kirche Ordinari Prediger. Stadt am Hoff 1756, 9. 7 Ebd., 14–15. 8 Zur Person Siegmund Günther, Der Innsbrucker Mathematiker und Geophysiker Franz Zallinger (1743–1828), in: Bibliotheca Mathematica. Zeitschrift für Geschichte der mathematischen Wissenschaften 3. Folge: 3, 1902, 208–225.

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setzung seiner Abhandlung war, die unter anderem in der Gestalt der Flüsse liegenden Ursachen der Überschwemmungen abzustellen und deren schädliche Folgen abzumildern. Dabei benennt er als naturkundlich beschreibbare und wirkende Ursachen der Flusshochwasser Niederschlag und Schneeschmelze im Gebirge, die Schmelze von Gletschern, das Ausbrechen von Eisseen sowie das Aufstauen von Flüssen durch Berg- und Felsstürze. Diese Ursachen werden von Zallinger zum Thurn wiederum als nicht beeinflussbar beschrieben und der Vorsehung Gottes zugewiesen, wobei er sie straftheologisch deutet: »Alles dieses müssen wir der Vorsicht GO ttes überlassen, der allezeit Mittel genug hat uns zu strafen. Nur durch das Gebeth müssen wir immer suchen, seinen gerechten Zorn zu besänftigen, und die Strafruthen abzuwenden […].«9 Daraus folgt für Zallinger zum Thurn aber nicht die Notwendigkeit einer passiven Hinnahme dieser letztlich von Gott bewirkten Übel, sondern im Gegenteil die Verpflichtung den Überschwemmungen entgegenzuwirken, da Gott dem Menschen mit seiner Fähigkeit zur technischen Vorsorge genauso die Möglichkeiten zur aktiven Gegensteuerung gegeben habe: »[…] aber dabey verlanget er auch, daß wir nicht durch eine träge Sorglosigkeit jene Mittel verabsäumen, die er uns selbst dem Uebel abzuhelfen an die Hand gab.«10 In Zallinger zum Thurns wissenschaftlich-ingenieurstechnischer Abhandlung zu Überschwemmungen ist also eine religiöse Deutungsperspektive keineswegs ausgeschlossen, sondern fungiert in der Theologisierung der Katastrophenursachen sogar als Herleitung der Verpflichtung zur technischen Vorsorge gegen Überschwemmungen. Diese setzt wiederum an den naturwissenschaftlich fassbaren Wirkmechanismen im Ursachengeflecht des Katastrophengeschehens an, die Zallinger zum Thurn ebenfalls ausführlich beschreibt, ohne einen vordergründig damit verbundenen Gegensatz zur von ihm aufgemachten straftheologischen Deutung zu thematisieren. Die Kopplung von straftheologischer Deutung und technischem Lösungsansatz ist damit auch ein Beispiel für die bereits hervorgehobene Verbindung nur scheinbar gegensätzlicher Deutungsmuster und Handlungspraktiken religiöser und wissenschaftlich-technischer Provenienz.11 Die Straftheologie tauchte jedoch nicht nur in ihrer positiven Anwendung auf, sondern wurde besonders in der kritischen Auseinandersetzung um die angemessene Deutungsweise in der medialen Öffentlichkeit artikuliert, in der sich die Akteure der Sphären des Katastrophendiskurses positionierten. Das 9 Franz Seraphin von Zallinger zum Thurn, Abhandlung von den Ueberschwemmungen in Tyrol. Innsbruck 1779, 70. 10 Ebd., 70. 11 Vgl. Kap. 1.3.2. Eine ähnliche Verbindung straftheologischer Deutung und technischer Handlungspraktik lässt sich auch für die Sturmfluten und den Deichbau nachweisen. Der Deichbau kann zwar einerseits nicht das göttliche Strafgericht verhindern, seine Unterlassung käme aber andererseits einer Versuchung Gottes gleich und wäre damit sündhaft (Jaku­bowskiTiessen, Sturmflut 1717, 93).

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zeigt einmal im protestantischen Kontext die benachbarte Reichsstadt Nürnberg, wo 17 kleinere und größere Druckschriften erschienen, in denen unmittelbar nach der Überschwemmungskatastrophe des Jahres 1784 das Geschehen vor dem Hintergrund straftheologischer, physikotheologischer und naturkundlicher Deutungsmuster eingeordnet und auch die Frage der richtigen Deutung der Überschwemmungskatastrophe publizistisch kontrovers verhandelt wurde.12 Beispielsweise verurteilte Michael Truckenbrod in seiner Schrift »Ausführliche Beschreibung der grossen Wasserfluth zu Nürnberg vom 27 und 28 Februar 1784 […]« ausdrücklich eine straftheologische Deutung des Hochwassers und der Überschwemmung der Stadt Nürnberg im Kontext von »pharisäischen, lieblosen und unchristlichen Aeusserungen von göttlichen Strafgerichten, welche dem allliebenden Gott mißfällig sind, und die Ahndung einer gerechten Obrigkeit aus mehr als einem Grunde verdienen […].«13 Vielmehr seien die vom Hochwasser getroffenen Unglücklichen als Menschen und Christen zu bemitleiden und nach Kräften zu unterstützen. Der Konrektor am Egidien-Gymnasium, Johann Paul Sattler, argumentierte in ähnlicher Weise, indem er die Deutung der Überschwemmung als Strafgericht Gottes als »eine Sprache die dem Weisen und Christen nicht geziemet« ablehnte.14 Auch der anonyme Verfasser einer weiteren Schrift zur Überschwemmungskatastrophe von 1784 beklagte die »lieblose[n] und einem Christen unanständige[n] Urtheile und Raisonnements von Strafgerichten und dergleichen […].«15 Diese Ablehnung straftheologischer Deutungen im Kontext der Überschwemmung von 1784 stand gegen die ebenfalls publizistisch vertretene Verteidigung und Anwendung dieses Deutungsmusters. So wurde in einer anonym erschienenen Schrift zur Gottesfurcht des sündigen Menschen im Angesicht des göttlichen Strafgerichts der Überschwemmung aufgerufen: »[…] beuget euch im Staube vor der Macht eures Gottes, und zittert bey dem schreklichen Verhängniß, das die rächende – straffende, und drohende Hand dieses Allgewaltigen Herrschers aller Welten uns bereitet hat.«16 Auch der Diakon an der Nürnberger St. Sebaldskirche, Daniel Spörl, wollte solche Geschehnisse wie das Hochwasser in einer von ihm verfassten Schrift als göttliche Strafen verstanden wissen, die 12 Vgl. dazu insgesamt Seiderer, Zwischen gottgewollt und ratio. 13 zitiert nach Seiderer, Zwischen gottgewollt und ratio, 162. 14 [Sattler, Johann Paul], Kurze Beschreibung der großen Wasserfluth, welche den 27 und 28sten Februar 1784. hiesige Stadt und Gegend überschwemmt hat. (Extract aus der hiesigen K. R.  Ober-Postamtszeitung Num. 18. und 19.). Nürnberg [1784], 9; zitiert nach Seiderer, Zwischen gottgewollt und ratio, 163. 15 [Anonym], Beschreibung der am 27 und 28sten Februar 1784 in Nürnberg gewesenen grosen Wasserfluth, in einem Brief eines Nürnbergers an seinen Freund in A**. Nürnberg [1784], 10; zitiert nach Seiderer, Zwischen gottgewollt und ratio, 163. 16 [Anonym], Rede an seine Mitbürger. Bey Gelegenheit der verwüstenden Wasserüberströmung welche in hiesiger Stadt und Landschaft den 27. und 28. Febr. 1784 grausam gewütet hat. Nürnberg [1784], 8; zitiert nach Seiderer, Zwischen gottgewollt und ratio, 163.

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den sündigen Menschen von Gott als Mahnung zur Umkehr geschickt werden. Andere Mitglieder der Nürnberger protestantischen Geistlichkeit wandten sich hingegen explizit gegen die straftheologische Deutung, die sie mit der von ihnen abgelehnten Vorstellung vom zürnenden und rächenden Gott verbanden, dem sie das Gottesbild des liebenden Vaters entgegensetzten.17 Für den katholischen Kontext kann das Werk des bereits bekannten Wilhelm Rothammer zur durch Eisgang verursachten Überschwemmungskatastrophe in Regensburg und Stadtamhof im Jahr 1789 als Beispiel dienen. Ähnlich wie in seiner bereits behandelten Darstellung des Katastrophengeschehens von 1784 wollte Rothammer die Ereignisse als moralisches Sittengemälde der Menschheit verstanden wissen, indem sich in tätiger Mithilfe und Fürsorge für den Nächsten in der Katastrophe »die wahre Christusreligion – die reine Herzensreligion« zeige.18 Rothammer weist hier auch die straftheologische Deutung des Katastrophengeschehens zurück, indem er das Beispiel der in Stadtamhof ansässigen frommen Franziskanermönche hervorhebt, die trotz ihres gottgefälligen Lebenswandels nicht vom Hochwasser verschont geblieben seien. Auch die Deutung der Überschwemmung als Strafe für das Feiern der Fastnacht mit einem Maskenball in einem Gasthof bei Stadtamhof wird von ihm kritisiert.19 Mit den rhetorischen Fragen, warum denn ausgerechnet die Franziskanermönche nicht von der strafenden Hand Gottes verschont geblieben seien oder warum ein geselliges Beisammensein in der Öffentlichkeit den Zorn Gottes auf die Stadt herabrufe, wo dieser sich doch an der Lebensfreude seiner Geschöpfe erfreuen sollte, will Rothammer die Widersprüchlichkeit der Argumentation der straftheologischen Deutung aufzeigen. Das verbindet er mit einer aufklärerischen Perspektive, indem er die Straftheologie in den Kontext des Aberglaubens stellt: »In welche Abgründe verirrt sich die schwache Vernunft der Sterblichen, wenn sie an eingewurzelten Vorurtheilen kleben, wenn sie der Aberglaube verblendet, und die dadurch erzeugte Schwärmerei dahinreißt! Niedriger Kleinmuth bemeistert sich ihrer, knechtische Feigheit unterdrükt ihren Geist, Finsterniß dekt die Seele. Wie unrichtig erscheint ihnen alles durch ein trübes Glas! Wie schnell stürzen sie in schiefe Urtheile! Sie sehen Gespenster, wo die Einbildungskraft fabelt, sie sehen Wunder, wo List oder Betrug stekt, sie ahnen Straffen, wo die blosse Natur wirkt.«20

17 Seiderer, Zwischen gottgewollt und ratio, 163–168. Seiderer weist darauf hin, dass die publizistische Debatte in Nürnberg um die angemessene Deutung der 1784er Überschwemmungskatastrophe auch im Kontext der kirchenpolitischen Konflikte zwischen orthodoxer und aufgeklärter Theologie um die religiösen Reformen in der Reichsstadt in den 1770er bis 1790er Jahren zu verorten ist; ebd., 170–176. 18 Wilhelm Rothammer, Der strenge Winter und der fürchterliche Eisgang im Jahre 1789. Ein moralisches Gemälde für Regensburg und die Menschheit. Regensburg 1789, 12. 19 Ebd., 23. 20 Ebd., 23–24.

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Der Straftheologie stellt Rothammer eine physikotheologische Deutung der Überschwemmung entgegen, in der er die Katastrophe zunächst im naturkundlichen Sinne auf »die thätige Natur, ihre Ursachen und Wirkungen« eines schneereichen Winters und der notwendig folgenden Schneeschmelze zurückführt.21 Warum jedoch Gott einen Winter mit solchen Schneemengen habe entstehen lassen, sei Teil seines Plans und der von ihm vorgezeichneten weisen Ordnung der Welt sowie des Ganges der Natur. Indem er Gottes Handeln in der Katastrophe von der Strafe zur Rettung umdeutet und das Katastrophengeschehen zum notwendigen Bestandteil des Zyklus der Natur zwischen Zerstörung und Erneuerung des Lebens macht, wendet Rothammer die Deutung der Überschwemmung von der Straftheologie zur Physikotheologie: »Sein Finger hat dem Uebel eine Grenzlinie vorgezeichnet: Bis hieher und nicht weiter! – Wollen wir murren, oder forschen nach seinen Rathschlägen? – Er hat das Böse und Gute hienieden nach seinem Plane vertheilt […] Tod und Verwüstung geht der allbelebenden Natur zur Seite  – um die unendliche Maschine in beständiger Schnellkraft, und Bewegung aufzutreiben. – Der Winter muß voran tosen, damit der holde Frühling Fruchtbarkeit über die Erde bringe. […] Unter den Leichen, und in der Verwesung keimt die Kraft des Lebens.«22

Außerdem erhält die Katastrophe bei Rothammer den neuen, positiven Zweck, die Mitmenschlichkeit und Tugend der Gemeinschaft und des Einzelnen auf die Probe zu stellen und die Gelegenheit dazu zu geben, sie auszuüben.23 In mustergültiger Form findet sich das physikotheologische Deutungsmuster auch in einem Beitrag des Mannheimer Medicinalrates Mai zur Überschwemmungskatastrophe von 1784 wieder, der im Kurpfalzbaierischen Intelligenzblatt abgedruckt wurde. Hier geht er auf die gesundheitlichen Folgen der Überschwemmung für die Menschen in den betroffenen Gebieten ein, ordnet jedoch zunächst die Katastrophe physikotheologisch im Sinne der Leibnizschen Theodizee als für das Weltgeschehen notwendiges Übel ein: »Jede auch noch so auserordentliche Erscheinung in der Natur hat zwar immer in dem Plane des allgütigen Schöpfers einen edeln, anbethenswürdigen, des großen Baumeisters würdigen Zweck; jedoch ist es nicht zu läugnen, daß öfters ganze Weltgegenden, und eine Menge einzelner Geschöpfe mit Drangsalen heimgesucht werden, um den ganzen herrlichen Bau des Weltall’s zu erhalten.«24

21 Ebd., 24–25. 22 Ebd., 30. 23 Ebd., 30–31. 24 [Franz Anton] Mai, XII : Freundschaftliche Warnungen für die von der Ueberschwemmung heimgesuchten Einwohner. Vom Hrn. Medicinalrathe Mai, in Mannheim, in: Kurpfalzbaierisches Intelligenzblatt 1784, 16. April (16. Stük), 118.

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Eine argumentativ elaborierte theologische Auseinandersetzung mit der Deutung des Katastrophengeschehens von 1784, die sich zwischen Straftheologie und Physikotheologie positioniert, unternahm der in Dillingen lehrende Theologe und spätere Bischof von Regensburg Johann Michael Sailer (1751–1832)25 in seinem Werk »Ueber die Wasserflut in unserm Deutschland«. Sailer verfolgte dabei eigentlich eine pastoraltheologische Zielsetzung, die den Schwerpunkt der Betrachtung auf den Aspekt der Empfindsamkeit, auf das Mitleid und die (Mit-)Menschlichkeit in der Katastrophe legt. Dafür erachtete er es aber als notwendig, zuvor die Positionen des Aberglaubens und des Unglaubens (des Atheismus) zur Überschwemmungskatastrophe, die er in der Bevölkerung vorgefunden habe, aus der Sicht der Vernunft und der Offenbarung zu behandeln. In diesem Zusammenhang ordnet Sailer eine ausschließlich straftheologische Deutung dem Aberglauben zu: »Aberglaube ist’s, jedes natürliche Uebel sogleich für besondere Strafe Gottes, und jeden, den es trifft, für einen besondern Sünder anzusehen.« Es sei keinesfalls eine besondere Ausprägung von Pietät, bei allen Dingen Gottes strafende Hand am Werk zu wähnen. Darin, dass man diesen Schein von Pietät für Religion halte, liege der Aberglauben.26 Sailer zeigt jedoch auch Verständnis für eine straftheologische Deutung des Katastrophengeschehens, indem er betont, dass dieser abergläubischen Auffassung ein Körnchen Wahrheit zugrunde liege. So würden in der Bibel die Israeliten immer wieder durch besondere Übel gezüchtigt und es sei unleugbar, »daß manchmal grosse unmittelbare Revolutionen in der physischen Welt unmittelbar nach grossen Ausschweifungen in der sittlichen Welt eingetroffen haben […].« Daraus habe man in fälschlicher Analogie geschlossen, dass das Unglück die Folge des vorherigen Verfalls der Sittlichkeit gewesen sei.27 Aufgrund der Schwierigkeit der Scheidung zwischen Glauben, Wahrheit und Aberglauben hält Sailer es für nur zu verständlich, dass sich ein redlicher Mensch hier zum Aberglauben hinreißen lasse. Er kritisiert auch diejenigen Volksaufklärer, die in grober Manier diese allzu menschlichen Schwächen ignorierend »dem Aberglauben mit brutalem Gelärm zu Leibe« rückten, wohingegen nur »die stufenweise ausschreitende Aufklärung mit Liebe und Sanftmuth« allmählich zum Ziel führe.28 Sailer setzte sich dann auch mit den Positionen des Unglaubens und Atheismus zur Überschwemmungskatastrophe auseinander. Er wies in diesem Kontext 25 Zur Person Hubert Wolf, Sailer, Johann Michael von, in: Neue Deutsche Biographie 22, 2005, 356–357. Online verfügbar unter http://www.deutsche-biographie.de/pnd118604872. html. 26 Johann Michael Sailer, Ueber die Wasserflut in unserm Deutschland. Zur Ehre der Fürsehung und der Wahrheit. Mit Erlaubniß des hochwürdigsten Ordinariats in Augsburg. München 1784, 11–12. 27 Ebd., 20–21. 28 Ebd., 22.

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eine Erklärung der Katastrophe ausschließlich auf der Grundlage von Naturgesetzen zurück, indem er sich auf die naturtheologische Argumentation von den mittleren und letzten Ursachen, die in Gott liegen, bezog.29 Statt sich mit einem atheistischen Naturverständnis auseinanderzusetzen, wolle er sich lieber mit dem der »Gesunddenkende[n]«30 befassen, die anerkennen, dass Gott die Welt nach Gesetzmäßigkeiten geschaffen und eingerichtet hat, denen die Prozesse der Natur gehorchen. Im Rahmen dieser, als physikotheologisch erkennbaren Naturdeutung hält Sailer es zwar für gerechtfertigt davon zu sprechen, dass die Überschwemmung eine Folge der Natur sei, aber daraus könne nicht geschlussfolgert werden, dass die Überschwemmung keine Strafe Gottes sein kann. Da die Natur das Werkzeug, die Dienerin des göttlichen Willens sei, könne das natürliche Übel sehr wohl auch Strafe Gottes sein.31 Für Sailer schließen sich also ein physikotheologisches Naturverständnis und eine straftheologische Argumentation keineswegs aus, da sie unterschiedliche kategoriale Ebenen der Natur- und Katastrophendeutung betreffen. Für Sailer ist die Überschwemmung also sowohl natürlich als auch gleichzeitig Gottes Werk, da Gott die Natur geschaffen und nach seinem Plan eingerichtet habe. Dass die Überschwemmung nach den Naturgesetzen verlaufe, bedeute jedoch nicht, dass auch der allmächtige Gott den Naturgesetzen unterworfen sei. Das verdeutlicht Sailer an der bekannten physikotheologischen Metapher von der Welt als Uhr und Gott als Uhrmacher:32 »Die Überschwemmung ist natürlich, wie der Gang eines Uhrwerkes, das von Gewichtern getrieben wird. Aber der Werkmeister der Natur kann den Uhrzeiger zurück und vorwärts schieben; kann die Gewichter schwerer oder leichter machen; kann die Gewichter ganz aushängen, und das Räderwerk mit seinem Finger bewegen, wie Er will.«33 In der Folge verbindet Sailer diese Naturdeutung mit der Frage nach der Rechtfertigung des Leidens in der Welt, wobei er sich auf Leibniz’ TheodizeeArgumentation und den darauf aufbauenden Naturoptimismus der Physikotheologie bezieht. Sailer sieht dabei den Nutzen des aus den natürlichen Übeln folgenden Leidens in dem positiven Zweck, die Tugend durch die Leiderfahrung zu stärken: Der Tugendsame wird noch tugendsamer, indem seine Tugend auf die Probe gestellt wird, und der Sünder findet durch das Leid auf den Pfad der Tugend zurück. Das verbindet Sailer mit einem sowohl aus Vernunft- als auch Glaubensgründen folgenden positiven Gottesbild des liebenden Gottes. Die natürlichen Übel sind hiernach zum Endzweck der Schöpfung von einem auf der Liebe gründenden Gott zugelassen und notwendig und haben auch immer 29 Ebd., 29–30. 30 Ebd., 30. 31 Ebd., 30–34. 32 Zum Metaphernkomplex von Uhr und Uhrmacher in der Physikotheologie vgl. Michel, Physikotheologie, 50–54. 33 Sailer, Ueber die Wasserflut, 38–47.

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den beschriebenen positiven Zweck im Rahmen der umfassenden göttlichen Weltregierung.34 Neben den bei Sailer behandelten straftheologischen und physikotheolo­ gischen Deutungsmustern finden sich auch solche Deutungsansätze, die im Überschneidungsbereich zum magischen Weltbild liegen und eng mit Handlungspraktiken verbunden sind, die als ›religiös-magisch‹ bezeichnet werden können. Wie im behandelten »Land-Gebott« von 1746 deutlich geworden ist, handelt es sich dabei um Deutungen und Praktiken der Naturbeherrschung und -kontrolle, die teilweise eng mit kirchlichen liturgischen Ritualen und Benediktionspraktiken verbunden sind. Ein wichtiger Aspekt ist die Anrufung von Schutzheiligen, denen Wirkungskräfte zu Krankheiten, bestimmten Notlagen, aber auch zu Naturkatastrophen im Besonderen und zum Wetter im Allgemeinen zugeschrieben wurden. Von besonderer Bedeutung war die Gruppe der 14 Nothelfer, deren Verehrung im Spätmittelalter einen offiziösen Kultstatus erlangte und mit der Wallfahrtskirche Vierzehnheiligen besonders im süddeutsch-katholischen Raum ihr Zentrum hatte.35 Verbreitet war auch die Marienverehrung, die in der Frühen Neuzeit wie der Heiligenkult insgesamt zunahm und an vielen Wallfahrtsstätten des süddeutsch-katholischen Raums ihren Platz hatte.36 Der Mutter Gottes wurden in diesem Zusammenhang der Status als Schutzheilige und die Fähigkeit zugeschrieben, auch in Wassergefahren helfen zu können, wie ein Wunderbericht aus dem Jahr 1689 im Mirakelbuch zur Altöttinger Wallfahrt illustriert: Auf dem Inn sei eine Gruppe von Wallfahrern zu Schiff auf dem Rückweg von Altötting unterwegs gewesen, als eine Gefahrensituation eintrat, die im Bericht nicht näher ausgeführt wird. Einer aus der Gruppe habe sich daraufhin auf die Knie geworfen und laut die Lauretanische (an die Gottesmutter gerichtete) Litanei gebetet, was die anderen Mitreisenden mit Spott und Gelächter quittiert hätten. Deren Gelächter habe sich dann aber in 34 Ebd., 69–73. 35 Vgl. dazu Georg Schreiber, Die vierzehn Nothelfer in Volksfrömmigkeit und Sakralkultur. Symbolkraft und Herrschaftsbereich der Wallfahrtskapelle, vorab in Franken und Tirol. Unter Mitarbeit von Balthasar Gritsch, Hans Hochenegg und Helmut Lahrkamp. Innsbruck 1959 (Schlern-Schriften, 168) und Klaus Guth, Nothelfer, Vierzehn, in: Gerhard Müller (Hrsg.), Theologische Realenzyklopädie. Band 24: Napoleonische Epoche – Obrigkeit. Unter Mitarbeit von Horst Balz, James K. Cameron, Wilfried Härle, Stuart G. Hall, Brian L. Hebblethwaite, Wolfgang Janke et al. 36 Bände. Berlin u. a. 1994, 661–665. Die sogenannte ›Regensburger Normalreihe‹ der 14 Nothelfer wurde bei Bedarf örtlich durch Lokalheilige ergänzt bzw. modifiziert, wie durch den Hl. Magnus von Füssen. Die Nothelfer deckten die Breite der Herausforderungen im Lebensalltag ab, indem sie für eine ganze Reihe von Krankheiten (Halsbeschwerden, Kopf- und Leibschmerzen, Pest, Epilepsie, Tollwut und Viehseuchen) zuständig waren, als Vorbild und Schutzheilige in Lebensnotlagen (Glaubenszweifel, Todesangst, Geburtsnöte, Sterbebett, Versuchungen, allgemein Ängste und Notlagen) dienten und bei Gefahren (Gewitter bzw. Blitz, Feuersbrunst und Wassergefahren) angerufen werden konnten. 36 Dülmen, Kultur und Alltag, 72–78.

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Geschrei und Heulen verwandelt, als der Schiffbruch wirklich eintrat und sie alle bis auf den Betenden zugrunde gingen.37 Der Wunderbericht soll in erster Linie eine Moral vermitteln, die als Variante straftheologischer Deutung verstanden werden kann: Die Anrufung Marias rettet vor dem Untergang, die lästerliche Verspottung ihrer Verehrung führt zu demselben. Im Zentrum steht die Frömmigkeit des Wallfahrers, dessen Vertrauen auf Maria sich auch in der konkreten Gefahrensituation bewährt und nicht in der Wallfahrt als solche lediglich zur Schau gestellt wird, wie das bei den Spöttern der Fall ist. Im Wunderbericht wird ausdrücklich auf diese Moral verwiesen, dass den Schiffbrüchigen ihr Spott schlecht bekommen sei, wobei auch die Gefährlichkeit des Elements Wasser betont wird: »Obgemeltes Spöttlen ist denen Schif-Brüchigen theur kommen / anderen zur Witzung / daß mit dem gefährlichen Element deß Wassers nit zuscherzen seye / welches auch / so es ruhig ist / grosse Gefahr verursachen kan.«38 Auch in der Verwaltungskommunikation im Rahmen des Katastrophendiskurses zu Hochwasser- und Überschwemmungsszenarien lassen sich, wenn auch selten, Bezüge zu religiösen Deutungsaspekten finden. So berichtete der Magistrat von Donauwörth an die Münchner Hofkammer am 2. Februar 1729 über eine Überschwemmung vom 30. Januar, die in Folge eines sich lösenden Eisstoßes, der sich am Zufluss der Wörnitz in die Donau befunden hatte, das Wörnitzer Ried und die Donauwörther Vorstadt unter Wasser gesetzt hatte.39 Dadurch seien diese Orte »dermassen erschröckhlich yberschwemet, daß es an Mühlen, Häusern, Prückhen, Schlacht und Wasser gepäuen, item Gärtten, Päumben, und and[erem], entsezlichen Schaden gethan« habe. Gerade jetzt beginne auch auf der Donau das Wasser anzusteigen und ein zweiter, an der Mündung der Zusam in die Donau sitzende Eisstoß könne jeden Augenblick losbrechen und, »sofern es der Allmächtige nicht verhiette«, dabei die dortige Donaubrücke wegreißen. Durch diese Lage am Zusammenfluss der drei Flüsse Donau, Wörnitz und Zusam bestehe die Gefahr, dass »die Statt auf Einer seithen, sambt der ganzen Landschafft, gegen Augspurg, Rhain, und Hechstett, ain bis zwey Stunde weith, unter Wasser« gesetzt werde. Die Bezugnahme auf Gott hat hier erkennbar den Charakter eines rhetorischen Versatzstückes in der Darstellung der stattgefundenen und drohenden Katastrophe. Die Floskel dient hier weniger als Anzeiger für ein spezielles religiöses Deutungsmuster, sondern hat mit der Aktivierung

37 Georgio Schilcher, Historia Von der Göttlichen Gnade[n]-Mutter Zu Alten-Oetting Dritter Teil / Das ist / Fortsetzung der Wunderbarlichen Gutthaten / so GO tt durch Fürbitt seiner Jungfräulichen Mutter Maria zu Oetting in Bayrn von Anno 1678 biß 1694 in unterschidlichen Seel- und Leibs-Anligenheiten außgewürcket hat […]. Teilband 3.2. München 1728, 258–259. 38 Ebd., 259. 39 BayHStA GR Fasz. 1612 Nr. 2: Schreiben des Magistrats von Donauwörth an die Hofkammer vom 2. Februar 1729.

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des religiösen Deutungsinventars vielmehr die Funktion die Bedrohlichkeit der geschilderten Situation zu unterstreichen. Ähnlich verhält es sich mit einem Bericht des Gerichts Miesbach aus dem Jahr 1774, in dem die Folgen und Schäden einer lokalen Überschwemmung des Marktes Miesbach geschildert werden.40 Am 27. Juli sei nachmittags in der Nähe des Marktes ein Wolkenbruch niedergegangen, der den bei Miesbach verlaufenden Marktbach so gewaltig habe anschwellen lassen, dass dieser fast eine ganze Gasse fortgeschwemmt hätte. Von Minute zu Minute sei das Wasser angestiegen, so dass es auf seinem Höhepunkt einen Schuh über dem letzten verheerenden Hochwasser von 1770 gewesen sei.41 Bei Sonnenuntergang sei der Wasserstand dann gefallen, so dass man am nächsten Tag erst habe sehen können, welch große Schäden die Überschwemmung an Wasserbauten, Straßen, Gassen, Gärten und Häusern verursacht habe. »Dem Allerhöchsten sey ewiger Dank gesagt, daß bey allen diesen üblen Aussehen[?] kein Mensch beschädigt worden, oder um das Leben kommen.« Auch hier hat die Dankesformel in ihrer Bezugnahme auf Gott einen eher floskelhaften Charakter, der die Deutung des Geschehens nicht grundsätzlich religiös perspektiviert, sondern Ausmaße und Bedrohlichkeit des Katastrophengeschehens bekräftigen soll. Ausformulierte religiöse Deutungsmuster sind dagegen in den amtlichen Berichten zu Hochwasser- und Überschwemmungsszenarien sehr selten, können aber in diesem Rahmen im Katastrophendiskurs dennoch auftauchen, wie im Erntebericht des Pfleggerichts Krayburg und Meermosen von 1786:42 Angesichts des eigentlich guten Standes des Getreides wäre es eine große Undankbarkeit, wenn der nicht von Unglücksfällen betroffene Gerichtsuntertan »die Gütte der Allmacht in Ansehung der heurigen Winter- und Sommer Saat Seegnung nicht in Tiefester Ehrfurcht einsehen, und dem höchsten für die die menschliche Hofnung weit überstigene Früchten Mänge mit gefalteten Händen in Innbrunst seines Herzens danken würde.« Dem werden dann die durch schlechte Witterungsbedingungen und die Hochwasser des Jahres 1786 eingetretenen Schäden an den noch auf den Feldern stehenden Feldfrüchten gegenübergestellt: »Dessen ungeachtet, und so sehr der Herr in universalie die Saaten gesegnet hat, so hat Er doch auch durch die wegen manigfältig unsere Sünden Verhängte Wolckenbrüche, und Überschwemmungen, dann hieraus erfolgte Abreissung der gebaut, und ungebauten Feld- auch Holz, und Wiesgründen, Verköttungen

40 BayHStA GR Fasz. 1390 Nr. 77: Bericht des Gerichts Miesbach vom 29. Juli 1774 an die Hofkammer. 41 Der »kurbayerische Landschuh« als einheitliches Längenmaß betrug seit seiner 1732 erfolgten offiziellen Einführung 29,19 cm; vgl. Schlögl, Der planvolle Staat, 54–55. 42 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 2487: Schreiben des Pfleggerichts Krayburg und Meermosen vom 14. August 1786 an die Regierung Burghausen (weitergeleitet an die Obere Landesregierung am 1. September 1786).

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[Verschlammung, P. R.] der Äcker einen beträchtlichen Theil der Früchte wieder hinweg genommen […].« In dieser Deutung ist es also Gott, der in seiner Güte die Feldfrüchte in gedeihlicher Menge hat wachsen lassen, wofür ihm der schuldige Dank abzustatten sei. Von diesem göttlichen Gnadenakt gesondert sind die Schäden an den Feldfrüchten durch Überschwemmungen und Schauerschäden zu betrachten, mit denen Gott auf die begangenen Sünden reagiert. In dieser argumentativen Verbindung straftheologischer Deutung mit der Vorstellung eines gütigen, gnädigen Gottes ist auch der eingangs des Kapitels angedeutete doppelseitige Charakter des straftheologischen Deutungsmusters erkennbar: Das Gottesbild vom strafenden, zürnenden Gott setzt auch immer die Vorstellung des liebenden Gottes voraus. Christian Rohr hat in seiner Untersuchung der Katastrophendeutung und -bewälti­g ung im ostalpinen Raum für das Spätmittelalter und den Beginn der Frühen Neuzeit festgestellt, dass es bis zur Reformation kaum religiöse Deutungen von Überschwemmungskatastrophen gegeben habe. Erst von da an seien Überschwemmungen vor dem Hintergrund konfessioneller Konflikte vermehrt straftheologisch gedeutet worden. Mit der Reformation habe eine Theologisierung der Katastrophendeutung eingesetzt, die zu einem Anstieg religiöser Deutungsmuster führte, wobei diese aber im Vergleich zu säkularen Deutungs­ mustern dennoch untergeordnet blieben.43 Letztere Beobachtung lässt sich auch für Kurbayern im 18. Jahrhundert festhalten. Anhand der behandelten Quellen zum Katastrophendiskurs ist deutlich geworden, dass die Aktualisierung religiöser Deutungsmuster vor allem in Folge überregionaler Überschwemmungsszenarien im süddeutsch-katholischen Raum wie 1784 und 1786 auftrat. Die saisonalen Hochwasser und Überschwemmungen sind jedoch kaum Gegenstand religiöser Deutungen gewesen, wie sich auch im folgenden Kapitel zeigen wird. Was dieser Befund für den Wandel der Deutungsmuster und Handlungspraktiken von einer primär religiösen zu einer primär säkularisierten Perspektive bedeutet und inwiefern sich damit die These einer spezifischen Katastrophenkultur für Überschwemmungen begründen lässt,44 wird noch zu untersuchen sein.

43 Rohr, Extreme Naturereignisse, 391–397; zusammenfassend auch in Rohr, Überschwemmung. 44 So in Rohr, Extreme Naturereignisse, 279–398, wo das Fehlen religiöser Deutungsmuster bei den regelmäßig auftretenden Hochwassern und Überschwemmungen mit der Existenz einer spezifischen Überschwemmungskultur in Zusammenhang gebracht wird, da diese von einer Kenntnis der natürlichen Ursachen der Überschwemmungen abhänge, so dass religiöse Deutungsmuster obsolet seien. Das baut auf Rohrs Kompensationsthese zu religiösen Deutungsmustern auf, die in seinem Kriterienkatalog zu Naturkatastrophen dann in der Katastrophendeutung zum Tragen kommen, wenn die betroffenen Individuen oder Gemeinschaften nicht auf natürliche Erklärungen zurückgreifen können; ebd., 50–68.

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4.1.2 Säkular-weltimmanente Deutungsansätze Neben den Deutungsmustern religiöser Provenienz stehen die säkular-welt­ immanenten Erklärungsansätze, die genau wie im religiösen Deutungsbereich in unterschiedlichen Varianten auftraten. Dabei kann die säkulare Deutung auch darin bestehen, einen religiösen Deutungsansatz zurückzuweisen, indem dieser selbst in den Ursachenkomplex der Katastrophe integriert bzw. für die Art und Weise der Katastrophenbewältigung verantwortlich gemacht wird.

4.1.2.1 Natürliche Ursachen im System Fluss Der Straßen- und Wasserbaudirektor in der bayerischen Provinz Tirol, Johann Georg von Aretin (1771–1845), führte diese Betrachtungsweise religiöser Katas­ trophendeutung aus der Perspektive einer wissenschaftlichen Deutung von Hochwasser- und Überschwemmungsszenarien in seiner Abhandlung über die Bergfälle in Tirol vor. Aretin verfolgt hier einen umfassenden systemischen Erklärungsansatz, in dessen Rahmen er die Flüsse und Wildbäche als zusammenhängenden Komplex begreift, der unter den topographischen Bedingungen der naturräumlichen Gegebenheiten von Bergen und Tälern die natürlichen Ursachen der Hochwasser und Überschwemmungen produziert: So würden die alljährlichen Hochwasser der Gebirgswildbäche durch Starkregen und Schneeschmelze im Frühjahr und Sommer verursacht. Dabei griffen sie die Ufer an und transportierten dadurch Felsen, Geröll, Holz und Erde mit, die sich in den Flüssen in den Tälern ablagerten. Auch mündeten die Wildbäche meist rechtwinklig in die Talflüsse, so dass diese das von den Bächen mitgebrachte Geschiebe nicht fortspülen könnten. Dadurch lagere sich das in den Wildbächen mitgeführte Material in den Einmündungen in die Flüsse ab (bildet also Schwemmkegel aus), was einerseits die Schifffahrt auf den Flüssen behindere und andererseits, zusammen mit dem sonstigen Geschiebetransport der Wildbäche, die Flussbetten durch diese kontinuierlichen Ablagerungen zu den höchsten Punkten in der Ebene mache. Das gefährde wiederum die an den Bächen und Flüssen liegenden Dörfer, die nun tiefer als diese liegen, so dass sie die ersten Angriffspunkte der aus ihren Betten tretenden Bäche und Flüsse seien.45 Die aus diesen Gegebenheiten folgenden Überschwemmungskatastrophen zählt Aretin neben den Bergfällen zu den Naturereignissen, von denen 300.000 Tiroler beständig bedroht seien, so dass die Gewohnheit aber auch die verhält 45 Johann Georg von Aretin, Ueber Bergfälle und die Mittel, denselben vorzubeugen, oder wenigstens ihre Schädlichkeit zu vermindern. Mit vorzüglicher Rücksicht auf Tirol. Innsbruck 1808, 8–9.

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nismäßige Seltenheit solcher Vorfälle die Tiroler gleichgültig gegen diese Gefahr gemacht habe, von der der Eingeborene kaum spreche, der Fremde dagegen erbebe.46 Entsprechend scheine man in Tirol solche Vorfälle als unvermeidliche Naturwirkungen zu betrachten, woraus sich der Leichtsinn im Umgang mit diesen alljährlichen Unglücksfällen erkläre. Statt Kenntnissen der (natürlichen) Ursachen von Bergfällen finde man in Tirol eine durchaus bewundernswürdige Ergebenheit ins Schicksal, rastlose Anstrengungen zum Wiederaufbau und eine großmütige gegenseitige Hilfeleistung nach einem solchen Unglück. Diese gegenseitige Katastrophenhilfe ließe sich mit der Religion erklären: »Diesen Trost und diese Aufmunterung zu Wohlthaten giebt ihnen die Religion, und es wäre dabei nur zu wünschen, daß die Diener derselben das Volk über die Ursachen […] mehr aufklären möchten. Denn die guten Leute schieben die Schuld von dem auf Gott, was nur die Folge ihrer Unwissenheit und ihrer eigenen Handlungen ist.«47 Religion bzw. die religiöse Katastrophendeutung hat für Aretin also zum einen die positive Funktion, eine Kultur der gegenseitigen Hilfeleistung im Katastrophenfall hervorzubringen. Andererseits schreibt er ihr auch den negativen Effekt zu, eine fatalistische, passive Haltung gegenüber Gefahrenpotenzialen hervorzurufen, da in der religiösen Deutung Gott der letztliche Verursacher der Katastrophenszenarien sei, so dass sich aktive Gegenmaßnahmen, auch im Sinne einer Katastrophenprävention, als sinnlos erübrigen. Anders als bei Zallinger zum Thurns Betrachtung der Hochwasser und Überschwemmungen in Tirol, in der die religiöse Deutung Bestandteil der Begründung zu aktiven wasserbaulichen Gegenmaßnahmen war, wird sie bei Aretin zum Verhinderungsgrund technischer Handlungspraktiken. Deshalb ist für Aretin auch der volksauf­k lärerische Aspekt bedeutsam, indem er Aufklärungsarbeit der Pfarrer hinsichtlich der natürlichen Ursachen von Katastrophen für geboten hält, um die Tiroler zum Ergreifen aktiver Gegenmaßnahmen anzuleiten. Aretins Abhandlung nimmt zwar mit dem aufgemachten Gegensatz von religiöser Katastrophendeutung und präventiven (technischen) Handlungspraktiken eine Gegenposition zu Zallinger zum Thurns Ansatz ein. Jedoch deutet auch letzterer in seiner wissenschaftlichen Abhandlung von 1779 zu den Überschwemmungen in Tirol diese im Rahmen eines multifaktoriellen Ursachen­geflechts, das sich nicht wesentlich vom beschriebenen Ansatz Aretins unterscheidet, da auch hier die Wildbäche mit ihrem Transport von Schmelzwasser und Starkniederschlägen als entscheidend für die Überschwemmungen im Sommer und Herbst angesehen werden.48 Dass es in Tirol wie in anderen 46 Ebd., 13. 47 Ebd., 14. 48 Auch für das Folgende Zallinger zum Thurn, Abhandlung, 34–69. Johann Georg von Aretin war Zallinger zum Thurns Deutung der Hochwasser in Tirol wohlbekannt, da er ausdrücklich auf ihn als den ersten verwies, der sich in seiner Abhandlung gründlich der Thematik der Vorbeugung von Bergfällen gewidmet habe: Aretin, Ueber Bergfälle, 16.

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gebirgigen Ländern auch mehr Überschwemmungen als im Flachland gebe, erklärt Zallinger zum Thurn mit den Niederschlagsverhältnissen des Gebirges. Die Berge zögen die Dünste, den Regen und die Donnerwolken besonders an. Sie speicherten dabei das Regenwasser in Klüften und Höhlen und gäben es in Form von Quellen, Bächen und Flüssen wieder ab. Die Überschwemmungen resultierten nun nicht aus diesen vom Berg regelmäßig abgegeben Wassermengen, sondern aus dem Regenwasser, das bei Niederschlag nicht mehr im felsigen oder schon nassen Boden gespeichert werden könne und deshalb in die Bäche ablaufe. Dies sei besonders bei den sich im Gebirge entladenden Gewittern der Fall, die zumeist Wolkenbrüche und Platzregen mit sich brächten. Was den Schneefall betreffe, sei auch dieser häufiger und langanhaltender im Gebirge als in flachen Gegenden. Bereits vor Johann Georg von Aretins Abhandlung Anfang des 19. Jahrhunderts, der die Frage der Überschwemmungsursachen aus der Perspektive des Verwaltungsbeamten behandelte, hatten sich bayerische naturkundliche Gelehrte im 18. Jahrhundert mit der Frage nach den natürlichen Ursachen von Hochwasser- und Überschwemmungsszenarien und besonders mit der Entwicklung eines auf diese Ursachen abgestimmten Wasserbaus beschäftigt. Aber auch praktizierende Wasserbauer wie der Ingenieurhauptmann, Landgeometer, Wasserbaumeister und Hofkammerrat Castulus Riedl (1701–1783)49 befassten sich mit den Ursachen der Hochwasser und Überschwemmungen an den Flüssen Kurbayerns, um den Wasserbau darauf ausrichten zu können. In seinem für den Druck bestimmten, als Manuskript erhaltenen Wasserbaulehrbuch »Bericht von denen Gros- und kleinern Wasserflüssen […]« beschreibt er die Charakteristika der größeren und kleineren durch kurbayerisches Gebiet fließenden Flüsse in Bezug auf ihren Verlauf, die gegebenen Bedingungen für den Wasserbau, ihr Abflussverhalten und die Gefahrenpotenziale für Überschwemmungen, ­Eisstöße usw.50 Dabei bestimmt er wie auch Aretin und Zallinger zum Thurn die jeweiligen Ursachen für Hochwasser und Überschwemmungen an den Flüssen als Folge von Starkregen und Schneeschmelze im Gebirge, die er in einen Zusammenhang mit dem Abflussregime der Flüsse stellt. So für die Donau, die »öffters grosse überschwemungen [verursacht] forderist im Fruhjahr bey einfahlendem Tauwetter, oder Somerszeit bey anhaltenden starcken Regen, weillen auch noch

49 Zu Castulus Riedl und seiner Stellung im kurbayerischen Wasserbauwesen vgl. Schlögl, Der planvolle Staat, 44–53. 50 BSB Cgm 2941: Castulus Riedl, Bericht von denen Gros- und kleinern Wasserflüssen, dan deren Beschaffenheit, und aigenschafften in Ober- und Niderbajern, nebst der Anweisung von Bruck- und Wassergebäuen, auch Was für eine bauart bey disen, oder jenen Flus bisher üeblich, und wie mit Sparsamkeit zum nuzen eines Landsfürsten, oder dessen unterthonen den schaden vorzubiegen seye, und Was ein Baumaister bey verfassung der Überschläg über einen bruck- oder Wasserbau, auch ansonsten zu beobachten habe. o. O. [1777], 1–17.

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andere Ville beträchtliche Flüß darein fahlen«,51 aber auch für die Flüsse Isar, Loisach, Salzach, Ammer oder Amper, Inn und Lech. Castulus Riedl betont hier die systemische Verbundenheit von Flüssen als Teil des Ursachenkomplexes der Überschwemmungen, wie das auch Aretin und Zallinger zum Thurn für die Wildbäche und Flüsse in den Gebirgstälern taten. Im Register seines Werks zu den verwendeten wasserbaulich-technischen Begriffen kommt dieser systematische Erklärungsansatz in der Definition des Begriffs »Fluth« zusammenfassend zum Ausdruck: »Fluth, eine schnelle ergiessung der wasser durch Regen, oder Schnee, wo Ville bäch in einem flus zusamen komen, und die beide Ufer nit mehr fassen könen, folgsam darüber austretten, und eine schädliche überschwemung Verursachen.«52 Die 1773 in den Abhandlungen der Kurbayerischen Akademie der Wissenschaften erschienenen Überlegungen des Ordensgeistlichen und Naturforschers Eusebius Amort, Augustinerchorherr im Stift Polling,53 zu den Überschwemmungen an den kurbayerischen Flüssen zeigen aber, dass die Auffassungen zur Ursachenfrage auch unterschiedlich zur Deutung als Folge von anhaltendem Starkregen und Schneeschmelze im Gebirge sein konnten. So führte Amort die Überschwemmungen an den bayerischen Flüssen bzw. ihre Zunahme explizit nicht auf diesen Ursachenkomplex zurück, da die ältesten Leute aufgrund ihrer Erinnerung versicherten, dass es früher bei ähnlichen Schnee- und Regenfällen nicht zu so großen Überschwemmungen gekommen sei.54 Die Ursache sei vielmehr in der Ablagerung von Sand in den Flüssen der Ebene und der daraus folgenden Erhöhung der Flussbetten zu suchen. Amort fokussiert in dieser Deutung der Überschwemmungen als Folge von Geschiebeablagerungen und der dadurch verursachten Flussbetterhöhung also auf einen Aspekt, der in Aretins oder Zallinger zum Thurns Abhandlungen nur einen Faktor unter anderen für die Erklärung der Überschwemmungen darstellte. Gleichzeitig begreift aber auch er die Flüsse der Ebene und des Gebirges als einen zusammenhängenden Komplex, aus dessen systemischen Bedingungen sich die Ursache der Überschwemmungen, der Geschiebetransport, ableiten lasse. Diesen systemischen Ansatz der Deutung von Hochwasser und Überschwemmungen führte auch der General-Straßen- und Wasserbaudirektor Adrian Riedl in einer Preisschrift von 1794 für die Akademie der Wissenschaften aus. Hier stellte er einen Katalog von Faktoren zusammen, der die Ursachen der Überschwemmungen an den bayerischen Flüssen zusammenfassend benennt und 51 Ebd., 2–3. 52 Ebd., 110. 53 Zur Bedeutsamkeit Eusebius Amorts für die Aufklärung in Bayern und die Akademiebewegung s. Kap. 2.2.2. 54 Eusebius Amort, Frage, wo so viele Ausgüßungen der Flüße in Baiern herrühren? und wie denselben abzuhelfen?, in: Abhandlungen der Churfürstlich-baierischen Akademie der Wissenschaften VIII , 1773, 177–180.

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die Flüsse als zusammenhängendes System perspektiviert.55 In Bezug auf die Donau machte Adrian Riedl ihren »unordentlich[en] Lauf«56 und die ungleiche Höhe der beidseitigen Ufer, aber auch die Hemmung des Flusses durch die in einem ungünstigen Winkel einmündenden, viel schneller strömenden Flüsse Lech, Isar, Regen und Inn verantwortlich, die dadurch zu Mitverursachern von Überschwemmungen werden können. Auch Adrian Riedl zählte die Flussbetterhöhung durch Ablagerungen von Geschiebe zu den Ursachen der Überschwemmungen, wobei er in diesem erst einmal in Gang gekommenen Prozess der Ablagerungen eine verhängnisvolle Eigendynamik am Werk sah, da diese den schnellen Lauf des Flusses abbremsten und das Gefälle verminderten, das dann nicht mehr ausreiche, um vermittels der Fließdynamik des Flusses selbst das Geschiebe wieder fortzuschwemmen. Diesen Ursachenkomplex sah Adrian Riedl nicht nur für die Donau, sondern auch an allen anderen größeren bayerischen Flüssen als gegeben an. Die Verortung der Ursachen für Überschwemmungen in einem gedachten systemischen Zusammenhang der Flüsse kommt auch in Adrian Riedls Einbeziehung der Seen zum Ausdruck. Da die Abflüsse der Seen in die mit ihnen verbundenen Flüsse zu flach seien, sei der Abtransport von Regen- und Schmelzwasser aus den Seen nur ungenügend. Deshalb könnten die Seen keine Speicherfunktion für größere Wassermengen im Hochwasserfall übernehmen.

4.1.2.2 Anthropogene Ursachen in der Beeinflussung des Systems Fluss Adrian Riedl bezeichnete aber nicht nur die morphologischen Gegebenheiten der Flüsse als verursachende Faktoren, sondern machte auch in anthropogenen Gestaltungen und baulichen Beeinflussungen der Flusslandschaften Ursachen der Überschwemmungen aus. Generell seien alle bayerischen Flüsse durch Uferschutzbauten und Brücken in ihrem Bett zu sehr eingeengt, was auf eine fehlende bauliche Systematik und Sachkenntnis in der Gestaltung und Behandlung der Flüsse zurückzuführen sei: »Der unordentliche Lauf fast aller Flüsse« rühre daher, dass »jeder seine Ufer ohne System, oder Baukenntniß, und gering genug verwahret […].«57 Nicht nur fehlerhafter Wasserbau, sondern auch Eingriffe in den Fluss zwecks energetischer Nutzung oder seine Indienstnahme als Transportweg trugen nach Adrian Riedls Ursachendeutung zu den Überschwemmungen bei. In willkürlicher Weise baue man Wuhrwerke für die Mühlen in die Flüsse hinein, 55 Adrian von Riedl, Beantwortung der Preisfrage: Welche sind für Baiern die besten, und wohlfeilsten Mittel, das Austreten der Flüsse, und die davon abhängenden Ueberschwemmungen zu hindern?, in: Neue philosophische Abhandlungen der Baierischen Akademie der Wissenschaften VI , 1794, 124–127. 56 Ebd., 124. 57 Ebd., 125.

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die das Wasser um 10 bis 12 Schuh anstauen, um es auf die Mühlen zu leiten. Aber auch das Errichten von Klausen im Gebirge zur Holztrift in die Ebene sei problematisch, da der Boden im Gebirge dadurch aufgelockert werde und sich so der Geschiebetransport in die Hauptflüsse erhöhe. Nach Zallinger zum Thurn trugen ebenfalls die Anrainer der Flüsse zu den Ausmaßen von Überschwemmungskatastrophen bei, da sie Büsche, Stauden und Bäume an den Flussufern abholzten, die diese so sicher wie keine Wasserbaumaßnahme befestigten.58 Falle dieser Schutz weg, würden die Ufer ausgespült und die Flussbette mit Sand und Gries angefüllt. Am schlimmsten sei aber der Holzschlag an steilen Berghängen, zu deren Füßen die Flüsse liegen, da das Erdreich hier oft nur durch die Baumwurzeln gehalten werde. Wenn diese Befestigung durch die Bäume wegfalle, lockere sich das Erdreich durch Schnee- und Regenwasser, bis es als Mure zu Tal stürze, die kein Damm aufhalten könne. Die Flüsse in den Tälern erhöhten sich dadurch in ihrem Flussbett, wenn sie nicht gar völlig verstopften.59 Zallinger zum Thurn formulierte mit dieser Kritik am Holzschlag im Gebirge ein anthropogenes Deutungsmuster für Überschwemmungskatastrophen, das in der Forschung als ›Abholzungsparadigma‹ bezeichnet worden ist. Zwar wird sein Ursprung in den französischen Pyrenäen bzw. der Untersuchung der dortigen Überschwemmungskatastrophen in den 1760er und 1770er Jahren60 lokalisiert und seine Übertragung auf den (deutschsprachigen) Alpenraum erst für den Beginn des 19. Jahrhunderts angenommen.61 Zallinger zum Thurns Werk von 1779 zeigt aber, dass das Abholzungsparadigma als Erklärungsansatz für Überschwemmungen im 18. Jahrhundert nicht auf den Pyrenäenraum beschränkt gewesen zu sein scheint, sondern auch im deutschsprachigen Alpenraum bereits zum Deutungsrepertoire von Überschwemmungen gehörte. Auch in Aretins Studie von 1808 zu den Bergfällen in Tirol taucht es als Deutungsmuster auf: Die falsch angebrachte Kultivierung der Berghänge, in deren Folge die dortigen Waldungen abgeholzt würden, beraube das dortige Erdreich der Befestigung durch die Bäume und der Boden werde mit dem ersten Hagel oder Wolkenbruch fortgeschwemmt: »Unvernünftige Holzschläge und geflissentliche Zerstörung des Nachwuchses, kurz gänzlicher Mangel an Forstkultur bleibt ein für allemal die Hauptursache jener zahlreichen Unglücksfälle, die besonders in den neuesten Zeiten Tirol betroffen haben.«62 Das Abholzungsparadigma als Deutungsmuster für Überschwemmungen im Gebirgsraum mit seiner Gewichtung einer nach wissenschaftlichen Prinzipien funktionierenden sowie 58 Zallinger zum Thurn, Abhandlung, 61–62. 59 Ebd., 161–164. 60 Zur Deutung von Überschwemmungen im Pyrenäenraum im 18. Jahrhundert vgl. Desplat, Pour une histoire. 61 So in Pfister / Brändli, Rodungen, 303–305. 62 Aretin, Ueber Bergfälle, 21–22.

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obrigkeitlich organisierten und durchgesetzten Forstkultur muss in diesem Zusammenhang auch als Teil der frühneuzeitlichen Holznotdebatte und des ›Kampfes um den Wald‹ verstanden werden.63

4.1.2.3 »Zähmung« des Flusses Neben den Deutungsmustern ›natürlicher‹ und anthropogener Provenienz finden sich auch solche, die die Perspektive auf Hochwasser und Überschwemmungen mit einer Sichtweise des Mensch-Natur-Verhältnisses verbinden, in der Mensch bzw. Kultur und Natur als antagonistische Sphären begriffen werden: Der Mensch steht einer wilden, unkultivierten aber gleichzeitig auch formbaren Natur gegenüber, die eine potenzielle Gefahr für den menschlichen Siedlungsraum darstellt. Daraus resultiert die Aufgabe für den Menschen, Natur zu bändigen und in einem Akt der ›Zivilisierung‹ dem Kulturraum anzugleichen sowie den Bedürfnissen menschlicher Nutzung zu unterwerfen.64 In den Kontext einer solchen Deutungsperspektive des Mensch-Natur-Verhältnisses wurde beispielsweise die Errichtung größerer Schlachtbauten an der Donau zum Schutz des Klosters Niederaltaich gegen Überschwemmungen und zur Abschneidung eines Altarms der Donau Anfang des 18. Jahrhunderts gestellt.65 Auf zwei Ge 63 Ein Überblick zur frühneuzeitlichen Klage um Holznot und die darüber geführte Forschungskontroverse in der Umweltgeschichte sowie zum Kampf um den Wald als Verdichtung von Herrschaft in der Frühen Neuzeit durch Verstärkung des obrigkeitlichen Zugriffs auf die Waldnutzung und die Ressource Holz vgl. Reith, Umweltgeschichte, 103–116 und Uekötter, Umweltgeschichte, 51–54. Für letzteres und den damit einhergehenden ordnenden, planend-strukturierenden Zugriff auf den Forst und die »Erfindung des modernen Waldes« durch wissenschaftlich begründete und staatlich organisierte Forstreform vgl. auch Beck, Ebersberg, 107–125 und besonders Richard Hölzl, Umkämpfte Wälder. Die Geschichte einer ökologischen Reform in Deutschland 1760–1860. Frankfurt am Main u. a. 2010 (Campus Historische Studien, 51). 64 Hierbei handelt es sich um ein seit dem 19. Jahrhundert grundlegendes Muster der Mensch-Natur-Beziehung  – als Bestandteil eines »prometheischen Weltbildes« (François Walter, Bedrohliche und bedrohte Natur. Umweltgeschichte der Schweiz seit 1800. Zürich 1996, 65–70 und Walter, Katastrophen, 141–163) –, das einen Herrschafts- und Kontrollanspruch des Menschen gegenüber einer als feindselig empfundenen Natur formulierte und die umfassende Umgestaltung von Landschaften im 19. und 20. Jahrhundert begleitete (vgl. dazu für Deutschland Blackbourn, Die Eroberung). Auch im Zusammenhang mit der Deutung von Naturkatastrophen war dieses Mensch-Natur-Verhältnis von Bedeutung (vgl. Pfister, Strategien, 213–214). 65 Zur Wasserbaugeschichte der Donau am Kloster Niederaltaich vgl. Günter Kränkl, Historische Schutzmaßnahmen an der Donau zwischen Regensburg und Passau, in: Bayerisches Landesamt für Wasserwirtschaft und Technische Universität München (Hrsg.), Geschichtliche Entwicklung der Wasserwirtschaft und des Wasserbaus in Bayern. Seminar am 24. April 1986. Teil 1. München 1986 (Informationsberichte des Bayerischen Landesamtes für Wasserwirtschaft, 86/1), 271–295 und Johannes Molitor, »Was für gewalt’ge Mühsal es war,

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denksteinen von 1705 inszenierte sich Joscio Hamberger, von 1700–1739 Abt des Klosters, als Bändiger und Beherrscher der Donau:66 Der Wasserbau wird zur gewaltigen Mühsal der Bezwingung der »Wildflut« durch die menschliche Tatkraft und Kunstfertigkeit. Sie hat der »weitum rasenden Donau« durch die Errichtung von Wasserbauten mit »Felsen und Stämmen« eine Grenze gesetzt und ihr wie einem zu zähmenden Pferd die »Zügel aufgezwängt«. Der so vom Menschen gebändigten und unterworfenen Donau wird das von ihr genommene Land wieder abgerungen. Im Rahmen dieses Deutungsmusters von Überschwemmungen und des dahinter stehenden Mensch-Natur-Verhältnisses wird der Fluss zu einer janus­ gesichtigen Wesenheit zwischen (ökonomischer) Nützlichkeit und (Natur-)Gefahr, zwischen den Sphären von Kultur und Natur, wobei es letztere in Kultur zu überführen bzw. ihr anzupassen gilt: Einerseits ist der Fluss durch Handel und Transportmöglichkeiten Segensspender für die Länder, die er durchfließt. Andererseits kann er durch Überschwemmungen dieselben auch beständig verheeren und Zerstörungen bringen. Einzig die menschliche Kunstfertigkeit kann letzteres durch die Zähmung der wilden, reißenden Natur des Flusses verhindern. So formulierte es der Bauingenieur Heinrich von Pechmann (1774–1861) für die Verhältnisse an den bayerischen Flüssen: »So segenbringend Flüsse für die Länder, welche sie durchströmen, auch seyn können, so bleibt es doch bey manchen derselben zweifelhaft, ob die Verheerungen, welche sie längs ihrer Bahn hervorbringen, nicht ihren Nutzen aufwiegen, oder wohl gar überwiegen, so lange die Kunst sie nicht bezähmt. Bey vielen der reissendsten Flüsse Baierns ist dieses unstreitig der Fall.«67 Dieser Zivilisierungsauftrag im Rahmen der Bändigung und Zähmung der wilden Natur durch den Menschen konnte auch zu einem fortwährenden Kampf des Menschen gegen die Natur stilisiert werden. Auf diese Weise charakterisierte Johann Georg von Aretin das Verhältnis der Tiroler zu der sie umgebenden Naturlandschaft der Berge, indem er die ›Kulturarbeit‹ der Tiroler in einen ewigen Gegensatz zu den Kräften der Natur stellte, wobei sie, dem Sisyphos gleich, in zyklischer Wiederkehr immer wieder von neuem die Objekte der Kultur erbauen, die von der feindlichen Natur ein­gerissen werden: »Der Kampf der Elemente gegen die Menschen, und der Menschen gegen die Elemente, wodurch unaufhörlich gebaut und wieder zerstört wird, wo blühende Fluren in Wüsteneien umgeschaffen werden, und aus diesen der Natur zum Trotz neue Fluren und Dörfer in verjüngter Schönheit emporsteigen, ist in Tirol der vorzüglichste Theil der innern Landesgeschichte.«68 die Wildflut zu zwingen …«. Oberaltaich, Niederaltaich und die Donau, in: Schönere Heimat. Erbe und Auftrag. Bayerischer Landesverein für Heimatpflege e. V. 95 (1), 2006, 43–50. 66 Das Folgende zit. nach Molitor, »Was für gewalt’ge Mühsal …«, 46. 67 Heinrich von Pechmann, Ueber den frühern und den gegenwärtigen Zustand des Wasser- und Straßenbaues im Königreiche Baiern. München 1822, 26. 68 Aretin, Ueber Bergfälle, 11–12.

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Diese Deutung von Hochwasser bzw. Überschwemmungen im Kontext eines Mensch-Natur-Verhältnisses, in dem sich antagonistisch die Sphären einer wohlgeordneten Kultur einerseits und einer wilden, ungebändigten und deshalb gefährlichen Natur andererseits gegenüberstehen, gehört auch in den Bereich der sich ausbildenden Dichotomie von Mensch und Natur, die für die technikzentrierten, wissenschaftlich-ökonomischen Perspektiven auf Natur im 19. Jahrhundert und in der Moderne paradigmatisch waren: Die Natur ist hier dem menschlichen Gestaltungsanspruch und -willen unterworfen, als Entität, die sowohl unendlich verfügbar als auch nach Belieben formbar und beherrschbar ist.69 Diese Dichotomisierung hat ihre Vorläufer in der aufklärerischen Vorstellung von der Natur als planbar und optimierbar, die sich im 18. Jahrhundert in einer allgemeinen Geometrisierung der Natur, z. B. des Waldes,70 aber auch in der Wahrnehmung der Flüsse gegen Ende des 18. Jahrhunderts »als etwas […], das es zu ordnen, aus- und aufzuräumen galt«,71 bemerkbar macht. Diese Deutungstradition setzte sich dann im 19. Jahrhundert auch in Bayern fort, wie die 1906 von der Technischen Hochschule in München herausgegebene Festschrift zum hundertjährigen Jubiläum des bayerischen Königtums illustriert, in der die »Bändigung der durch Verwahrlosung und ungünstige Bauten verwilderten Flüsse« zu Beginn des 19. Jahrhunderts gefeiert wird.72

4.1.2.4 Metaphorisierung und Narrativierung im Katastrophendiskurs Im Rahmen dieser Gegenüberstellung von Kultur und Natur in der Deutung von Überschwemmungen fällt das stark metaphorisierende Sprechen auf, das besonders auf das rhetorische Stilmittel der Personifikation zurückgreift: Der Fluss wird zum »wilden« und »reißenden« Subjekt, das durch die menschliche Technik »gebändigt« und »gezähmt« werden muss. Der Fluss wird anthro­pomorphisiert, indem ihm sprachlich eine Handlungsqualität zugeschrieben wird, die in Verheerungen und Zerstörungen des menschlichen Siedlungs- und Kulturraums 69 Für eine Übersicht der Entwicklung des Mensch-Natur-Verhältnisses vgl. Oliver-Smith, Theorizing Vulnerability, 12–14 und Peter Reinkemeier, Die moralische Herausforderung des Anthropozän. Ein umweltgeschichtlicher Problemaufriss, in: Manfred Jakubowski-Tiessen, Jana Sprenger (Hrsg.), Natur und Gesellschaft. Perspektiven der Interdisziplinären Umweltgeschichte. Göttingen 2014, 83–101. 70 Vgl. Beck, Ebersberg. 71 Ralph Andraschek-Holzer, Martin Schmid, Umweltgeschichte und Topographische Ansichten: Zur Transformation eines österreichischen Donau-Abschnitts in der Neuzeit, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 120 (1), 2012, 96. 72 Franz Kreuter, Ernst Henle, Der Wasserbau in Bayern, in: Darstellungen aus der Geschichte der Technik, der Industrie und Landwirtschaft in Bayern. Festgabe der Königlichen technischen Hochschule in München zur Jahrhundertfeier der Annahme der Königswürde durch Kurfürst Maximilian IV. Joseph von Bayern. München 1906, 93.

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resultiert und mit Gegenmaßnahmen (wie dem Wasserbau) bekämpft werden muss. Allerdings zeigt das Beispiel der wasserbaulichen Abhandlung von Clarus Mayr in den Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften, dass das metaphorische Sprechen auch eine andere Perspektive auf den Fluss als die schroffe Gegenüberstellung von Mensch und feindlicher, zu bändigender Natur aufmachen kann. Hier führt die Anthropomorphisierung des Flusses73 zum direkten Vergleich mit menschlichem Verhalten.74 Mayr will in seiner Abhandlung die schiffreichen Gewässer nicht als Feind, sondern als Freund vorstellen, die in Analogie zum Verhalten in einer Freundschaftsbeziehung zu behandeln seien. Man müsse das Wasser, obwohl es den Gütern so schweren Schaden zufüge, dennoch als besten Freund ansehen. Es könne aber plötzlich in so große Wut versetzt werden, dass es die Wirkungen eines Zornesausbruchs nicht mehr kontrollieren könne, wie das auch bei einem Wutanfall eines Freundes der Fall sei. In Analogie also zu den nicht intendierten Folgen eines menschlichen Wutanfalls mit dem einhergehenden Kontrollverlust wird auch das ›Handeln‹ des Flusses bzw. die Überschwemmung als Folge dieses ›Verhaltens‹ perspektiviert: nicht als bewusst feindseliger Akt, sondern als ungewollte Auswirkung des Handelns eines eigentlich den Menschen gegenüber freundlichen Subjekts. Bemerkenswert ist, dass Mayr aus dieser Personifikation des Flusses und dem Vergleich mit menschlichem Verhalten auch Maßregeln im Umgang mit Überschwemmungen ableitet: Man müsse dem Wasser wie einem durch jähen Zorn erregten Freund begegnen, indem man erstens den nahenden Schaden abzuwenden suche, zweitens sich vor dem Schaden sichere, wenn er schon nicht abzuwenden sei, und drittens nach erfolgtem Schadenseintritt alles wieder in den alten Stand setze. Oder man könne Anstalten treffen, vor dem Ausbruch eines Stromes dessen Gewalt zu dämpfen, den erfolgten Ausbruch unschädlich zu machen und nach dem Ausbruch den Schaden wieder zu ersetzen. Metaphorisierungen im Rahmen der Deutungsmuster von Hochwasser bzw. Überschwemmungen in Gestalt von Personifikationen und Anthropomorphismen finden sich auch in der medialen Berichterstattung über Katastrophen. Die Darstellung und Einordnung des Katastrophengeschehens war dabei durch rhetorische und stilistische Codes geprägt, die das Sprechen über und die Wahrnehmung von Katastrophen präfigurierten, wie für die englische mediale Öffentlichkeit des 18. Jahrhunderts bereits gezeigt worden ist.75 Für die Katas­ trophenberichterstattung in der kurbayerischen medialen Öffentlichkeit lässt sich ebenfalls ein solch eingeübter metaphorischer Sprachgebrauch in der Dar 73 So deutet auch Gerhard Leidel Clarus Mayrs Ansatz: Leidel, Der Wasserbau, 298. 74 Clarus Mayr, Gedanken, wie dem fast jährlichen, von Austrettung der Flüße verursachten Schaden nach den Naturgesetzen des Wassers zu steuern sey, in: Abhandlungen der Churfürstlich-baierischen Akademie der Wissenschaften VIII , 1773, 355–356. 75 Georgi, Heuschrecken, 274–286.

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stellung aufzeigen. So wurde aus der Isar in der Berichterstattung der Münchner Zeitung über eine Überschwemmung in der Münchener Region vom 22. Juni 1783 ein »wilde[s] Gewässer«76 und allgemein wurde in den Artikeln zu Hochwasser und Überschwemmungsereignissen in der Münchner Zeitung von der ›Gewalt des Wassers‹ gesprochen. Daneben wurden Vergleiche eingesetzt, um das Katastrophengeschehen in der Beschreibung für das Erfahrungswissen der Leser eingängiger und anschlussfähig zu machen. Mit diesem Mittel versuchte die Münchner Zeitung ihren Lesern das Katastrophengeschehen der 1784er Überschwemmung in der Regensburger Region zu verdeutlichen. Nicht nur stehe Stadtamhof völlig unter Wasser, sondern »[a]lles, so weit das Auge reichet, ist ein See.«77 Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang Vergleiche, die ein Katastrophengeschehen in ein Verhältnis zu einem anderen, berühmt-berüchtigten Katastrophenereignis setzen, um die Ausmaße des beschriebenen Katastrophengeschehens zu verdeutlichen. So wurde in einem Korrespondentenbericht der Münchner Zeitung zu den Auswirkungen der 1784er Überschwemmungskatastrophe in Köln das kalabrische Erdbeben von 1783 zum Maßstab des Katastrophalen: »Der gestrige Tag [27. Februar, P. R.] war jener schaudervolle Tag, welcher an unserer Stadt das betrübte Schiksal von Messina im kleinern vorstellte.«78 Ansätze zu einer, im Fall von Messina medial transportierten Erinnerungskultur zu Katastrophenereignissen finden sich auch sonst in der Bericht­erstattung zu Hochwasser- und Überschwemmungsszenarien. In dem Bericht zur Überschwemmung der Isar am 22. Juni 1783 wird hervorgehoben, dass man sich seit 1738, als die Fluten noch ein bisschen höher als die gegenwärtige stiegen, an keine Überschwemmung von solchen Ausmaßen erinnern könne.79 In einer anderen Darstellung des Katastrophengeschehens von 1784 aus Ingolstadt vom 29. Februar berichtete die Münchner Zeitung, dass die Donau zu einer solchen Höhe angestiegen sei, dass selbst die Ältesten sich nicht an ein solches Hochwasser erinnern könnten.80 Wie diese Beispiele zeigen, handelte es sich hierbei jedoch in erster Linie um eine Erinnerungskultur ex negativo, die als rhetorische Strategie diente, um die Singularität des aktuellen katastrophalen Ereignisses herauszustellen. 76 München, in: Münchner Zeitung 1783, Dienstag, den 24sten Brachmonats (Junius) (XCVIII), 385. 77 Ausländische Begebenheiten, in: Münchner Zeitung 1784, Donnerstag, den 4ten Lenzmonat (März) (XXXVI), 141–144. 78 Ausländische Begebenheiten, in: Münchner Zeitung 1784, Dienstag, den 9ten Lenzmonat (März) (XXXIX), 164. 79 München, in: Münchner Zeitung 1783, Dienstag, den 24sten Brachmonats (Junius) (XCVIII), 385–386. 80 Burghausen, in: Münchner Zeitung 1784, Dienstag, den 9ten Lenzmonat (März) (XXXIX), 159–160. Diese topische Wendung gehörte zum Standardrepertoire der Erinnerungskultur zu Katastrophenereignissen (vgl. Kap. 1.2).

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Im Zusammenhang mit dem metaphorischen Sprechen in der medialen Darstellung von Überschwemmungskatastrophen ist auch auf den Erzähl­ charakter der Katastrophenberichte hinzuweisen. Zwar wurde die Katastrophe als Nachricht in der Presse des 18. Jahrhunderts in keiner einheitlichen Form der Berichtserstattung präsentiert, allerdings mittels textueller Techniken in eine narrative Struktur gebracht, indem sie in der medialen Darstellung einen Anfang erhält, ihr Verlauf in Folge von Episoden beschrieben und sie durch ein gesetztes Ende ›beendet‹ wird.81 Durch den Einsatz solcher und anderer Erzähltechniken wird das Katastrophengeschehen für den Leser erlebbar und nachfühlbar, Empathie wird erzeugt und die Reflexion über das Katastrophengeschehen (vgl. Kap. 2.2.4) transportiert. Erzählungen einzelner Episoden konkretisieren bzw. personalisieren das umfassende Katastrophengeschehen und machen es so für den einzelnen Leser in seiner Erfahrungswelt nachvollziehbar. So berichtete die Münchner Zeitung über die 1784er Überschwemmung in ihren Auswirkungen in Ingolstadt besonders anhand einzelner Vorfälle und Verluste im Rahmen der Katastrophe:82 Die Donau sei so sehr angestiegen, dass die Stadt bis zu den Fleischbänken hin unter Wasser gesetzt worden sei. Zu spät habe man daran gedacht, das dort befindliche Vieh vor den Fluten in Sicherheit zu bringen. Zwar habe man in aller Eile Flöße zusammengezimmert, um es zu retten, habe aber sehr vieles Hornvieh nur noch tot bergen können. Auch werden in diesem Katastrophenbericht die Versuche der Ingolstädter beschrieben, den umliegenden überfluteten und durch das Wasser abgeschnittenen Audörfern zu Hilfe zu kommen: Auf der einen Seite stehen als Ausweis der (Mit-)Menschlichkeit in der Katastrophe die Anstrengungen der Helfer, die unter Lebensgefahr versuchen, mit Fischerbooten Lebensmittel in die Dörfer zu bringen. Auf der anderen Seite sind es die affektiven Beschreibungen der zurückkehrenden Helfer über die Not und das angetroffene Elend der Menschen, die inmitten der Fluten auf den Dächern ihrer Häuser ausharren müssen, die das Mitgefühl wecken sollen. Ähnlich wird auch über die Auswirkungen der Donauüberschwemmung 1784 in Form einer Lebensmittelknappheit und Hunger in den überfluteten Dörfern der Straubinger Region berichtet. Nachdem entsprechende Nachrichten in Straubing eingetroffen seien, habe der dortige Rentmeister sogleich Lebensmittel in die Dörfer schicken und eine Sammlung für die Betroffenen veranstalten lassen und die Straubinger Bürger seien in Scharen zur Donau hinabgeströmt, um die wartenden Kähne mit Lebensmitteln für die durch Wasser und Eis abgeschnittenen Dörfer zu befüllen.83

81 Mercier-Faivre / Thomas, Préface, 19–23. 82 Für das Folgende Burghausen, in: Münchner Zeitung 1784, Dienstag, den 9ten Lenzmonat (März) (XXXIX), 159–160. 83 Ebd., 157–158.

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Die Darstellung von positiven, erbaulichen Episoden wie der folgenden kann als narrative Sinngebung der Katastrophe verstanden werden und verdeutlichte die Aufrechterhaltung der Humanität und sozialer Werte in der Katastrophe, so dass ihr destruktiver Charakter in der Erzählung eingefangen und begrenzt werden kann: Anlässlich der Überschwemmung der Isar vom 22. Juni 1783 wird in einer Darstellung der Münchner Zeitung von den »herrliche[n] Thaten« eines Soldaten berichtet, der sich mutig in die Fluten gestürzt habe, um eine Familie aus einer schon unter Wasser stehenden Hütte zu retten und auf ihr Flehen hin auch noch ihre Kuh aus dem Stall holte. Da die Nacht hereinbrach, sei er außerhalb der Kaserne geblieben und habe weiter bei der Rettung geholfen. Am nächsten Tag sei er von den durch ihn Geretteten zur Kaserne begleitet worden, die dem Kommandanten des Regiments von den Heldentaten des Grenadiers erzählt hätten, woraufhin dieser das verdiente Lob seines Kommandanten statt einer Strafe für sein Fortbleiben erhalten habe.84 Auch wurde durch panoramatische Darstellungen und gezielte Perspektivwechsel versucht, einen möglichst anschaulichen Eindruck der Katastrophe zu erzeugen. So versucht ein Bericht in der Münchner Zeitung über die Auswirkungen der Überschwemmung des Neckar im Frühjahr 1784 in Mannheim den Lesern einen Sinneseindruck des unmittelbaren Katastrophengeschehens in der Stadt zu vermitteln: »Das fürchterliche Sturmschlagen der Gloken, das Bestreben und Arbeiten der Bewohner sowohl Kriegs- als bürgerlichen Standes, das Bemühen, den Nothleidenden zu Hilfe zu kommen, und sie zum Theil in Kähnen in Sicherheit zu bringen, wird diesen traurigen Tag in stetem Andenken erhalten.«85 Durch die Einnahme einer Vogelperspektive werden auch die räumlichen Ausmaße der Überschwemmungskatastrophe verdeutlicht: »Unsere Landschaft von der Höhe übersehen, erbliket man nichts als aus dem Gewässer hervorragende Ortschaften und Bäume. Wie viel Verderben hat dieser Winter gebracht!«86 Gegenüber dieser sprachlichen Sinngebung der Katastrophe und der Darstellung ihrer Schäden und sonstigen Auswirkungen spielte die explizite Deutung und Ursachenforschung von Hochwasser bzw. Überschwemmungen in der medialen Berichterstattung eine eher untergeordnete Rolle. Zwar wurden sowohl starker oder andauernder Niederschlag als auch Schneeschmelze im Gebirge als natürliche Ursachen benannt, jedoch nahm der Deutungsaspekt und die Ursachenforschung in den Berichten nur wenig Raum ein und beschränkte sich zumeist auf eine Randbemerkung. So weist ein Bericht der Münchner Zeitung 84 München, in: Münchner Zeitung 1783, Freitag, den 27sten Brachmonats (Junius) (C), 393–394. 85 Mannheim, in: Münchner Zeitung 1784, Mondtag, den 8ten Lenzmonat (März) (XXXVIII), 151. 86 Ebd., 152.

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über die Überschwemmung von 1784 in Schrobenhausen nebenher darauf hin, dass die Paar angestiegen sei, »wozu theils das Eis, theils der auf den Feldern so häufig gelegene, und nun zerschmolzene Schnee vieles beitrug […].«87 In ähnlicher Weise merkte ein Bericht der Zeitung über die Auswirkungen der 1784er Überschwemmung in München an, dass die ungeheure Menge an Schnee und Eis auf Straßen und Feldern innerhalb kürzester Zeit geschmolzen sei und sich entsprechend in ungeheure Mengen an Wasser verwandelt habe.88 In einem zusammenfassenden Bericht über die Überschwemmungen an den bayerischen Flüssen im Juni 1783 wird die anhaltende Schneeschmelze im Gebirge als Ursache ausgemacht, das andauernde Tauwetter aber auch als Hinderungsgrund für die Aufnahme aller durch die Überschwemmungen verursachten Schäden angegeben.89 Auch starker Niederschlag und Wolkenbrüche werden als selbstverständliche natürliche Ursachen von Überschwemmungen benannt, wie in einem Bericht in einer Beilage der Münchner Zeitung über Überschwemmungen der Donau bei Regensburg Ende Oktober 1778: »Man schreibt diese seltne Erscheinung denen fürchterlichen Wolkenbrüchen zu, welche sich vor einiger Zeit bey Ulm und andern westlichen Gegenden ereignet haben […].«90 Ebenfalls gilt anhaltendes Regenwetter als Ursache von Überschwemmungen wie im Falle der im Oktober 1778 Hochwasser führenden Flüsse Rhein und Neckar, wobei laut Bericht der Münchner Zeitung noch ein starkes Gewitter im nahe gelegenen Odenwald hinzukam, das den Neckar über die Ufer treten ließ.91 Eine spekulative Auseinandersetzung mit den natürlichen Ursachen von Überschwemmungen war seltener, aber durchaus im Rahmen der Berichterstattung möglich, wie der Bericht der Münchner Zeitung über das Isarhochwasser in München vom Juni 1783 illustriert: Augenzeugen versicherten, sie hätten ganze Eisschollen auf dem Wasser treiben sehen, was die Vermutung nahe lege, dass die Tiroler Berge einen Teil ihrer Eisschicht abgeworfen und vielleicht in Verbindung mit einem Wolkenbruch diese Überschwemmung verursacht haben könnten.92 Religiöse Deutungen genossen dagegen einen Seltenheitswert in der medialen Katastrophenberichterstattung, so dass der Bericht in der Münchner Zeitung über die strenge Kälte in Wien im Januar 1776 mit seiner Bezugnahme auf die Wetterherrschaft Gottes relativ singulär steht: Wegen der strengen Kälte wolle 87 Schrobenhausen, in: Münchner Zeitung 1784, Freitag, den 5ten Lenzmonat (März) (XXXVII), 145. 88 München, in: Münchner Zeitung 1784, Dienstag, den 2ten Lenzmonat (März) (XXXV), 137. 89 München, in: Münchner Zeitung 1783, Dienstag, den 1sten Heumonats (Julius) (CII), 401. 90 Allerley, in: Münchner Zeitung 1778, Am Donnerstage, den 5. Wintermonat (Beylage zu der Münchnerzeitung Numers 177). 91 Mannheim, den 28. Weinm, in: Münchner Zeitung 1778, Den 5. Wintermonat (Num. 177). 92 München, in: Münchner Zeitung 1783, Dienstag, den 24sten Brachmonats (Junius) (XCVIII), 385–386.

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man Gott bitten, »daß er alles Uebel, so etwann durch eine alzugähe Auf­t hauung des Eises der großen Flüsse entstehen könnte, gnädigst abwenden wolle.«93

4.1.3 Katastrophendeutung in der Verwaltungskommunikation Wie bereits gezeigt wurde, werden in den Berichten der kurbayerischen Bürokratie und den Suppliken von einzelnen Untertanen oder ständischen Herrschaften zu Hochwasser- und Überschwemmungsszenarien religiöse Deutungsansätze zwar durchaus artikuliert, aber nur selten und wenn dann zumeist im Rahmen einer Strategie der rhetorischen Verstärkung. Es herrschen dagegen die Deutungsmuster vor, die das Katastrophengeschehen auf einen natürlichen Ursprung zurückführen; vor allem das bereits bekannte Deutungsmuster von Schneeschmelze und Niederschlag. So wird in einem Bericht des Pfleggerichts Traunstein an die Hofkammer über Hochwasserschäden an Mühlwehren, Wasserbauten, Brücken und ausgeschwemmten Feldern die Überschwemmung der (bayerischen) Traun und anderer fließender Gewässer in der Region auf einen schweren Platzregen, der im Verbund mit dem aus dem Gebirge kommenden Schmelzwasser niedergegangen sei, zurückgeführt.94 Außerdem findet sich in den Berichten auch der metaphorische Sprachgebrauch in Form von Personifikationen und Anthropomorphisierungen des Flusses wieder, der mit dem Deutungsmuster der feindlichen Natur verbunden wird. So berichtete etwa das Pfleggericht Griesbach »über die greuliche Davastierung, welche der den 28ten 29ten et 30 Oct[ober] a[nn]o dieß ausgetrettene wüthende Innfluß angerichtet« habe.95 Auch sonst werden in den amtlichen Berichten zu Hochwasser- und Überschwemmungsvorfällen häufiger Redewendungen vom ›wilden, reißenden Fluss‹ oder der ›Gewalt‹ bzw. ›Wut des Wassers‹ eingesetzt.96 Die amtlichen Berichte zeichnen sich außerdem durch eine formale Text­ gestaltung aus, die nach einem dreigliedrigen Schema aufgebaut ist: Auf eine Darstellung des Ablaufs der Katastrophe folgt eine Übersicht über die entstandenen Schäden – manchmal sind den Berichten auch Protokolle bzw. Schätzungen als Zusammenfassung der entstandenen Gesamtschäden oder gerichtliche 93 Wien, den 31. Jenner, in: Münchner Zeitung 1776, den 6. Februar (Num. 22). 94 BayHStA GL Fasz. 4162 Nr. 124: Bericht des Pfleggerichts Traunstein an die Hofkammer vom 18. Mai 1754. Ähnliches berichtete auch das Pfleggericht Aibling am 31. Oktober 1787 an die Obere Landesregierung über Hochwasserschäden in seinem Gerichtsbezirk; BayHStA GR Fasz. 1612 Nr. 1. 95 BayHStA GR Fasz. 1612 Nr. 1: Bericht des Pfleggerichts Griesbach an die Obere Landesregierung vom Dezember 1787. 96 Beispielweise im Bericht der Regierung Burghausen vom 11. Januar 1788 an den Geheimen Rat über die Überschwemmungen vom Oktober des vorigen Jahres; BayHStA GR Fasz. 1612 Nr. 1.

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Attestate als offiziell begutachtete und bestätigte Schäden einzelner Betroffener beigefügt  –, die mit einer eventuellen Bitte um landesherrliche Hilfe für die betroffenen Untertanen abgeschlossen wird. Der Bericht des Pfleggerichts Kranzberg an die Hofkammer ist beispielhaft für dieses Muster:97 Einleitend wird der gemeldete Schadensfall in den Kontext des vorgefallenen überregionalen Überschwemmungsszenarios vom 25. Oktober 1778 eingeordnet. Auch die Untertanen des Pfleggerichts Kranzberg seien davon betroffen gewesen, da die Isar, Amper und Glonn ebenfalls über die Ufer getreten seien und an Feldern und Wiesen ganze Stücke weggerissen sowie die Ernte vernichtet hätten. Einige Felder seien wegen der Ablagerung von Schlamm und Gries gar nicht mehr, andere nur nach mühseliger Arbeit wieder zu nutzen. In den Häusern seien die Böden durch das Wasser angehoben und in den Ställen das Vieh ersäuft worden. Die in den Städln (Scheunen) gelagerten Feldfrüchte seien vom Wasser verdorben worden, so dass sie weder zur Speise noch etwas anderem mehr taugten, und ganze Holzstöße seien vom Hochwasser fortgeschwemmt worden. Aufgrund dieser schweren Schäden verdienten die Untertanen Nachlässe an ihren landesherrlichen und landschaftlichen Abgaben, ohne die sie sich schwerlich wieder erholen und ihre Häuser sowie Wirtschaftsgebäude wieder aufbauen könnten. Dieses Jahr sei es aber schon zu spät für eine solche Nachlassregelung, so dass man darum bitte, im nächsten Jahr ein entsprechendes Nachlasslibell mit den Schäden verfassen zu dürfen. Dieses Schema wiederholte sich so oder in ähnlicher Weise auch in anderen Berichten zu Hochwasserereignissen. Für die anlässlich von Überschwemmungsvorfällen von einzelnen Untertanen, Gemeinschaftsverbänden wie Dorf- oder Pfarrgemeinden sowie ständischen Korporationen und Herrschaften an die Landesherrschaft gerichteten Bittschriften lassen sich ähnliche Schematismen beobachten. So folgt auch eine 1769 an die Hofkammer gerichtete Supplik des Stadtmagistrats von Ingolstadt weitestgehend dem für die amtlichen Berichte beschriebenen Textaufbau.98 Zunächst erfolgt die Einordnung des Katastrophengeschehens in den Zusammenhang der »gräuliche[n] Verwüstungen, welche in Verwichenen Monnath Aug[ust] durch den Ungemein groß angeschwollenen Donau Strom allenthalben verursachet worden […].« Darauf folgt eine detaillierte Beschreibung der entstandenen Schäden in Form des auf den Feldern vernichteten Sommergetreides, verschlammter und ausgeschwemmter Felder, des auf den überfluteten Wiesen verfaulenden Heus sowie des in den Stadln lagernden und wegen des Wassers faulenden Wintergetreides. Auch seien sowohl an der Straße nach München als auch an den erst im letzten Jahr zum Schutz der gefährdeten Wiesen und Felder 97 BayHStA GL Fasz. 1932 Nr. 130: Schreiben des Pfleggerichts Kranzberg an die Hofkammer vom 7. Dezember 1778. 98 BayHStA GL Fasz. 1475 Nr. 194: Supplik des Stadtmagistrats von Ingolstadt vom 18. Oktober 1769 an die Hofkammer.

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errichteten Wuhrgebäuden Schäden zu verzeichnen, für deren Reparatur man wohl mehrere 100 fl. werde aufwenden müssen. Außerdem habe infolge des Hochwassers und der Überschwemmung die Donau bei Feldkirchen eine solch gefährliche Wendung genommen, dass sie ihren Lauf zu verändern und auf Feldkirchen zuzufließen drohe, so dass zusätzlich zu den jetzt schon unter Wasser stehenden Ländereien in Zukunft noch viel größere Schäden zu befürchten seien. Mit der ausführlichen Auflistung dieser Schäden, die in ihrer Gesamtheit mit mehreren tausend Gulden beziffert werden, wird die Unmöglichkeit für die Stadt Ingolstadt demonstriert, ihre diesjährigen Steuern und Abgaben zu leisten, zumal derzeit auch noch eine Viehseuche in der Region grassiere. Darauf aufbauend wird dann die Bitte um einen näher spezifizierten Nachlass an landesherrlichen Steuern und Abgaben formuliert, die durch die vorherige Schadensbeschreibung legitimiert wird.99 Auch in den Suppliken einzelner Untertanen an den Landesherrn findet sich das beschriebene dreigliedrige Textschema von Katastrophenbeschreibung, Darstellung der Schäden in Folge der jeweiligen Überschwemmung und daraus ab­geleitet die Bitte um Unterstützung wieder. Auffällig ist hier, dass Deutungs­ aspekte des Katastrophengeschehens von randständiger Bedeutung sind und dafür die Betonung der Schäden, die persönliche katastrophale Lage und die darauf aufbauende Bitte um landesväterliche Hilfe im Vordergrund stehen. So klagte etwa der Bauer Thomas Eckhinger in einer Supplik an den Geistlichen Rat, dass er nun schon seit drei Jahren von Überschwemmungen betroffen sei, besonders durch die Überschwemmung vom 28. Oktober 1787. Die unausgesetzten Hochwasser hätten ihm die Felder und Wiesen sowie seine Wirtschaftsgebäude ruiniert. Außerdem habe er noch Kosten durch die Beschlachtungen der Flussufer, um sein Grundstück vor neuen Wasserschäden zu schützen, zu tragen gehabt. Er habe acht noch kleine Kinder, die er versorgen müsse und sei schon in seinem 65. Lebensjahr, so dass er sich selbst nicht mehr helfen könne.100 Ähnlich schildert auch der Supplikant Thoman Laaer in einer Bittschrift an die Hofkammer aus dem Jahr 1686 seine persönliche Notlage infolge mehrerer Hochwasser, »auß welch erlitnen schäden weeder ich noch meine khünder laider in ewig Zeit wenig mehr zuhoffen haben […].« Aus diesem Grund bitte er um einen Nachlass des von ihm an den Landesherrn abzuführenden Scharwerksgeldes, welches er »mit weib vnd khündt in ainfaltigem Gebett bey Gott fürbittendt zuuerdien-

99 Ähnlich verfasst ist auch das Bittgesuch des Klosters Attel an die Geheime Statuskommission vom 14. August 1762, in dem es wegen der enormen Wasserbaukosten am Inn infolge von durch Hochwasser zerstörten Wasserbauten um die Gewährung von drei Freijahren an Steuern und Abgaben bat; BayHStA Kurbayern Geheimer Rat Archivalien (vorläufige Nr. 561). 100 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 991: Supplik des Thomas Eckhinger an den Geistlichen Rat vom November 1788 (am 29. November 1788 an die Obere Landesregierung als zuständiger Stelle weitergeleitet).

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nen begehre […].«101 Neben der Betonung der Leiderfahrung dient natürlich auch eine monetäre Bezifferung der Schäden einer möglichst eindrücklichen Schilderung der Ausmaße der erlittenen persönlichen Katastrophe. So gab Johann Hundhammer aus Teisbach in einer Bittschrift die durch Hochwasser und Eisstoß an seiner Schiffsmühle erlittenen Schäden mit der beeindruckenden Summe von mehr als 1.000 fl. an,102 und in der Supplik des Joseph Sedlmayr aus der Wolckmansdorfer Au im Gericht Moosburg an die Obere Landesregierung werden Hochwasserschäden der Isar an Haus, Grund und Garten mit 400 fl. beziffert.103 Die Hervorhebung der persönlichen Notlage und des drohenden Elends für die eigene Familie, deren Versorgung aufgrund der Einbußen durch die Katastrophe nicht mehr gewährleistet werden kann, folgt aus der Zweckorientierung der Supplik, die erbetene Hilfsleistung auch zu erhalten und dies mit der erfolgversprechendsten Darlegung des eigenen Anliegens zu erreichen. Der Verweis auf persönliche Not und drohendes Elend ist deshalb Teil einer Strategie der Emotionalisierung, die das Mitleid und die Hilfsbereitschaft des Adressaten ansprechen soll. Gleichzeitig zielt sie auch auf die aus dem paternalistischen Herrschaftsverständnis folgende Verpflichtung des Landesherrn zur Fürsorge für seine Untertanen. Für diese Kommunikationsstrategie der Suppliken einzelner Untertanen und ihre Funktion im Katastrophendiskurs sind aber noch weitere Aspekte in der diskursanalytischen Betrachtung zu berücksichtigen, die ihre Entstehungsbedingungen und Urheberschaften betreffen. So waren die Suppliken in ihren Formulierungen und inhaltlichen Bestandteilen durch die Vorgaben in Briefstellerliteratur, Formularbüchern und Verordnungen zum Supplikenwesen weitgehend formalisiert.104 Außerdem muss zwischen Urheber und Autor einer Supplik unterschieden werden, da die Bittschriften einzelner Untertanen zumeist von Vertrauensperson (Pfarrer, Dorfschullehrer, Dorfvorsteher) oder von professionellen Schreibern (Advokat, Stadtschreiber) verfasst wurden, die das Bildungswissen für die formal-rhetorischen Vorgaben der Suppliken und eine sprachlich möglichst zielführende Ausgestaltung des jeweiligen Anliegens hatten.105 Deshalb ist für die diskursanalytische Untersuchung dieser Quellengattung eine Trennlinie zwischen den ursprünglich mündlich formulierten Anliegen der einzelnen Bittsteller und ihrer Verschriftlichung in 101 BayHStA Kurbayern HK Archivalien (vorläufige Nr. 1961): (nachfolgende Resolution zur Supplik, die den Bittsteller an seine Grundherrschaft verweist, vom 18. Juli 1686). 102 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1699: Supplik des Johann Hundhammer an die Obere Landesregierung, vom April oder Anfang Mai 1784. 103 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1669: Supplik des Joseph Sedlmayr an die Obere Landesregierung vom Februar 1786. 104 Vgl. dazu im Überblick Martin Schennach, Supplik, in: Friedrich Jaeger (Hrsg.), Enzyklopädie der Neuzeit. Band 13. 16 Bände. Stuttgart u. a. 2011, 146–148. 105 Würgler, Bitten und Begehren, 40.

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den Suppliken als »schriftlich fixierten Sprechakten« zu berücksichtigen:106 So tritt zwischen Urheber und Adressat der Bittschrift der Schreiber, der in einem Transformationsprozess das mündliche Anliegen des Bittstellers in die Textform Supplik bringt und dabei das inhaltliche Anliegen sowie Wertevorstellungen des Supplikanten den formalen Vorgaben und Normen des obrigkeitlichen Adressaten anpasst, um dem Anliegen maximale Erfolgsaussichten zu verschaffen.107 Rhetorisch-argumentative Unterschiede der Suppliken von Untertanen und ständischen Korporationen ergaben sich also auch aus ihrem Entstehungskontext, sprich dem zur Verfügung stehenden Schreiber und seinem Wissen, sowie dem Organisations- und Institutionalisierungsgrad des Urhebers. So verwundert es nicht, dass in einer Supplik wie derjenigen der Stadt Dingolfing, die für solchen Schriftverkehr juristische Experten wie den Stadtsyndikus einsetzen konnte, nicht nur exakte Geldsummen für entstandene Reparaturkosten an Brücken und Wassergebäuden infolge von Hochwasser- und Überschwemmungsschäden angegeben werden. Hier konnte auch eine juristische Argumentation bemüht werden, um aus historischen juristischen Präzedenzfällen seit dem Mittelalter die Legitimität des Hilfeersuchens, ja sogar das Anrecht der Stadt Dingolfing auf landesväterliche Hilfe abzuleiten.108 Im funktionalen Kommunikationszusammenhang der Suppliken, die auf maximale Erfolgsaussichten des Anliegens hin geschrieben sind, konnte dann auch der Artikulation von Deutungsmustern Bedeutung zukommen, wie das Beispiel einer Supplik des Marktes Abbach an den Geheimen Rat zeigt, in der die Auswirkungen der 1784er Überschwemmungskatastrophe geschildert werden:109 »Welch Ein der schröklichsten Verhörung in höchstdero Markt Abach den DonauEysgang anrichtete, ist nicht zubeschreiben, alle 4 Ellementen Empörten sich wider Uns. Das Wasser stige an Häuseren biß an die Dachungen, das Feur wolte anzünden, und es wallete der Rauch an 2 Häuseren schon hoch auf. Den Lufft[?] unterffilte mit dem Wasser Unsere Häuser zum Einsturz. Und die Erde muß gesunken sein. An­ sonsten könten die besten Häuser, die dem Eysgang nicht ausgesezet waren, so grosse Sprüng und Rüze nicht erhalten haben.«

Hier wird das Katastrophengeschehen vor dem Hintergrund der Lehre von den vier Elementen interpretiert, indem es in der Darstellung nicht nur das Wasser des Flusses ist, sondern auch Feuer, Luft und Erde, die gegen den Markt Abbach wüten. Da es diese vier Elemente sind, die die Struktur der Natur bilden und in ihrer Zuordnung zueinander die Ordnung der Natur garantieren, wird ihre 106 Holenstein, Klagen, 340. 107 Würgler, Bitten und Begehren, 42. 108 BayHStA GR Fasz. 1612 Nr. 1: Bittschrift von »Kammerer, und Rath« der Stadt Dingolfing [vom September] 1786 (Resolutionsnotiz vom 18. September) an den Geheimen Rat. 109 BayHStA GR Fasz. 1612 Nr. 1: Supplik des Marktes Abbach an den Geheimen Rat vom März 1784.

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Unordnung damit zur Ursache der Katastrophe. Der rhetorische Rückgriff auf das antike Naturkonzept der Elementenlehre als Deutungsmuster erhöht die Glaubwürdigkeit und das Gewicht der Bittschrift, indem durch die Berufung auf antike Wissensbestände die Bildung des Schreibers und damit seine Kompetenz zur Beurteilung des Katastrophengeschehens herausgestellt wird. Die Deutung von Katastrophengeschehnissen kann somit in ihrer Instrumentalisierung auch Bestandteil der rhetorischen Strategie von Suppliken sein. Die amtlichen Berichte und Suppliken zu Hochwasser- und Überschwemmungsszenarien waren Bestandteile einer Katastrophenkommunikation zwischen Herrschaft und Bevölkerung, die durch offiziell vorgegebene und inoffiziell bestimmte rhetorische Formalia und Sagbarkeitsregeln im Rahmen einer verwaltungstechnischen Struktur geprägt war. An den hier angeführten Beispielen wird bereits deutlich, dass dadurch bestimmte Darstellungs- und Deutungsweisen der Katastrophe eingeübt wurden, die durch verwaltungstechnische Formalia und Opportunitätserwägungen im Rahmen der Suppliken entweder befördert oder blockiert wurden.110 Diese Funktion der verwaltungstechnischen Kommunikation im Rahmen des Katastrophendiskurses war, wie sich noch zeigen wird, auch in den Auseinandersetzungen um die Handlungspraktiken zu Unwettern bzw. Gewittern bedeutsam.

4.2 Von den Handlungspraktiken Wie bei den Deutungsmustern ist auch für die Handlungspraktiken zu Hochwasser und Überschwemmungen eine Bandbreite von religiösen bis säkulartechnischen Formen zu beobachten, die auch im Katastrophendiskurs verhandelt werden. Und wie für die säkular-weltimmanenten und wissenschaftlichen Ansätze in der Katastrophendeutung zeigt sich auch für den Bereich der technischen Handlungspraktiken ein deutliches Übergewicht gegenüber solchen religiöser Provenienz. Die Variationsbreite des säkular-wissenschaftlichen Deutungsmusterbereichs korrespondiert jedoch nicht mit einer entsprechenden Vielfalt technischer Handlungspraktiken, da diese sich auf den gemeinsamen Nenner Wasserbau bringen lassen. Dagegen sind unterschiedliche Formen religiöser Handlungspraktiken auszumachen, die jedoch in ihrer Thematisierung im Katastrophendiskurs zu Hochwasser und Überschwemmung nicht die Dominanz erreichen wie der Wasserbau.

110 Dazu auch Lassen / Reinkemeier, Suppliken, 77–79.

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4.2.1 Religiöse Handlungspraktiken im Rahmen der Volksfrömmigkeit Religiöse Handlungspraktiken im Umgang mit Hochwasser und Überschwemmungen sind besonders mit der in der Bevölkerung verankerten sogenannten Volksfrömmigkeit (s. Kap. 2.2.3) verbunden. Ihre Anwendung zur Bewältigung von Hochwasser- und Überschwemmungsereignissen lässt sich zum einen aus dem aufklärerischen kritischen Diskurs über die als abergläubisch bezeichneten Frömmigkeitspraktiken sowie den Verboten und Bestimmungen im Rahmen der Religionspolitik der Obrigkeit entnehmen. Allerdings kann daraus nicht unmittelbar auf die realen Ausmaße und Umstände dieser Frömmigkeitspraktiken geschlossen werden, da der aufklärerische Diskurs sich auf das Feindbild des Aberglaubens als Negativfolie für eine ›rationale‹, verinnerlichte Religiosität stützte. Deshalb muss auch eine Überbetonung der Bedeutung und Verbreitung dieser religiösen Praktiken im Lebensalltag der Bevölkerung sowie eine Verzerrung bzw. Überzeichnung ihrer angeblich sittenlosen und ausschweifenden Begleitumstände im volksaufklärerischen Diskurs in Rechnung gestellt werden. Wie bereits dargestellt wurde, konzentrierte sich dieser Diskurs in besonderer Weise auf die Kritik und Reglementierung des Prozessions- und Wallfahrtswesens. Hier werden die mit Wasser verbundenen Gefahren aber nur als eine unter vielen Gefahrenpotenzialen angesehen, die den Anlass für diese Frömmigkeitspraktiken bilden. Joseph von Hazzi (1768–1845) etwa stellte in seinem statistischen Werk zu Bayern die Überschwemmungen in eine Reihe mit Feuersbrünsten, Hagelunwettern, Viehseuchen, Krankheiten, Wildschäden und Diebstählen, die die Bauern der Region des Gerichts Vohburg veranlassten, ihre Zuflucht zu Wallfahrten und anderen Prozessionen zu nehmen, und ihnen zugleich allen Mut und allen Willen zur Arbeit raubten, während »dicke Finsterniß […] über dem Lande [ruht], in welcher die Nachteulen, die Mönche, so ganz ihr Wesen treiben können […].«111 In diesem Sinne galt die aufklärerische Kritik dem Aberglauben der Bevölkerung, der sich in den Frömmigkeitspraktiken der Prozession und Wallfahrt äußerte und dadurch dem Gemeinwohl in Form verringerter Arbeitsleistung Schaden zufügte: »Bey einer jeden Wassergüsse [Überschwemmung, P. R.], Schauer, Reife, Ruhr oder Krankheiten wußte in den meisten Dörfern die Pfarrgemeinde kein anders Rettungsmittel, als auf Unkosten der Kinder und Kindskinder, einen Bauernfeyertag oder Kreuzgang zu verloben.«112 Auch die Praxis der Heiligenverehrung im Kontext von Hochwasser- und Überschwemmungskatastrophen, wobei besonders der Hl. Nepomuk als Brü 111 Joseph von Hazzi, Statistische Aufschlüsse über das Herzogthum Baiern, aus ächten Quellen geschöpft. Ein allgemeiner Beitrag zur Länder- und Menschenkunde. Zweiter Band. Erste Abtheilung. 4 Bände. Nürnberg 1802, 501. 112 Artic. IX , in: Churbaierisches Intelligenzblatt 1773, 3. July (Nr. XIV), 175.

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ckenheiliger im 18. Jahrhundert eine zunehmend wichtige Rolle als Schutzheiliger gegen die Wassergefahr spielte,113 entging nicht der aufklärerischen Kritik. So mokierte sich Lorenz Hübner in seiner Berichtsammlung zur Überschwemmungskatastrophe von 1786 über ein dem Hl. Nepomuk angedichtetes Wunder: »Bey dieser Gelegenheit hat sich das dumme Volk ein sehr lächerliches Mirakel erdichtet. Bekanntlich steht auf den meisten Brücken der Katholiken ein h. Johannes von Nepomuk, als Patron wider Wassersgefahre. Auch hier stand einer auf der ganz zerrissenen Brücke [bei Schärding über den Inn, P. R.]; stürzte aber so glücklich in den Stromm, daß er aufrecht stehen blieb. Das sah das Volk: und das Mirakel ward gemacht. Wäre nicht das Mirakel größer, und dem heiligen Beschützer rühmlicher gewesen, wenn Er anstatt der minder kostbaren Statue die Brücke ganz erhalten hätte, als wozu ihn die guten Leute aufgestellt hatten?«114

Dass und welche religiösen Handlungspraktiken zur Bewältigung von Hochwasser und Überschwemmung im 18. Jahrhundert in Kurbayern eingesetzt wurden, lässt sich aber auch aus anderen Quellen als dem nur mit Vorsicht zu interpretierenden Aufklärungsdiskurs entnehmen. Votivtafeln in den bayerischen Wallfahrtskirchen zeugen von der Anrufung besonders der Mutter Gottes bei sogenannten ›Wassergefahren‹ und der Erfüllung abgelegter Verlöbnisse mit der Votivgabe als Danksagung für die Schutzheilige.115 Die Mirakelbücher der bayerischen Wallfahrtsorte enthalten manchen Wunderbericht von durch Wassergefahren Betroffenen, die Verlöbnisse zu Wallfahrten, Votivgaben und Messen abgelegt hatten. Von zentraler Bedeutung sind in diesen Berichten die Erfahrungen persönlicher Lebensgefahr oder der anderer Personen, die als Anlass des Verlöbnisses geschildert werden. So findet sich in einem der Mirakelbücher des Altöttinger Wallfahrtsortes der Bericht eines Kooperators der Pfarrgemeinde Mitterkirchen, Joanner Baptista 113 Robert Böck, Volksfrömmigkeit und Wallfahrtswesen im Gebiet des Altlandkreis Friedberg (Schwaben). 2. Teil – Die Verehrung des Heiligen Leonhard, Sebastian und Johannes von Nepomuk bis 1800, in: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 25, 1983/84, 173–176. 114 Hübner, Zum traurigen Angedenken, 38–40. Ein anderes Beispiel der Verehrung von Schutzheiligen bzw. von Gnadenbildern bietet Johann Pezzl in seinem satirischen Reise­ bericht über Bayern, in dem er die Ursprungslegende des Marianischen Gnadenbildes in der Bogenberger Wallfahrtskirche beschreibt, das ursprünglich von den Schiffern zur Rettung aus Schiffbruch- und Lebensgefahr angerufen worden sein soll; Pezzl, Reise, 32. 115 Eine solche Votivtafel findet sich z. B. in der Wallfahrtskirche Maria Egg zu Peiting, die von zwei Frauen zum Dank für ihre Rettung aus der Hochwasser führenden Ammer gestiftet wurde: »1787 den 1 Juny seind 3 Weibsbilder von Beitting durch ein onuerhoffts Vngliekh / in die Ammer gefallen; in diser lebensgefahr verlobte sich anhero zur Mutter Gottes / weillen zwey glicklich daruon kommen, Zur Danckhsagung dies Daffl machen / lassen.«; zitiert nach Leidel / Franz, Katalog, 64. Christian Rohr hat darauf hingewiesen, dass Votivtafeln mit Bezug zu Hochwassergefahren und Überschwemmungen im ostalpinen Raum verstärkt erst mit der Barockfrömmigkeit im späten 17. und im 18. Jahrhundert aufkommen und zuvor meist nur auf Schiffbrüche bezogen sind; Rohr, Extreme Naturereignisse, 391–397.

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Forster, über seine wundertätige Rettung vor dem Ertrinken im Fluss Isen durch den Beistand der Gottesmutter: Am 5. September 1714 sei er von Altötting nach Hause geritten und dabei zum Fluss Isen gelangt, der durch Regenwasser stark angeschwollen war. Beim Versuch, den Fluss bei Hochwasser zu durchqueren, habe er in der Mitte des Flusses sein Pferd verloren, das wie er von den Fluten mitgerissen wurde. In dieser Todesgefahr habe er sich mit einer Wallfahrt nach Altötting und einer Votivtafel verlobt, woraufhin er unversehens einen Balken zwischen seinen schwimmenden Füßen fühlte, auf dem er rittlings sitzend und schwimmend sicher das Ufer erreichte. Auch sein Pferd sei auf sein Rufen hin wieder zu ihm hingeschwommen und aus dem Fluss gekommen.116 Gerade dieses gefährliche Unterfangen, mit einem Pferd, Fuhrwerk oder Karren einen Hochwasser führenden Fluss oder Bach zu durchqueren, ist eine mehrfach in Wunderberichten genannte Ursache für die Verlöbnisse zu Wallfahrten, Messen und Votivgaben.117 Aber auch Unfälle als Ursache von Verlöbnissen bei Wasser­ gefahr sind Thema der Wunderberichte. So beschreibt der Schneider Hans Pertlmayr in einem Mirakelbuch der Wallfahrt zu Dorfen, wie er bei Hochwasser von einem Steg ins Wasser fiel und dabei 20 Schritt weit mitgerissen wurde. Da er sich aber noch im Fallen der Mutter Gottes zu Dorfen mit einer Wallfahrt, einem Rosenkranz und einer Votivgabe verlobt habe, sei er so glücklich gewesen, nicht mit dem Kopf auf Stecken oder Eisschollen im Fluss zu fallen, und habe von den Leuten ohne Verletzung aus dem Wasser gerettet werden können.118 116 Georgio Schilcher, Historia Von der Göttlichen Gnade[n]-Mutter Zu Alten-Oetting Vierter Teil / Das ist / Fortsetzung der Wunderbarlichen Gutthaten / so GO tt durch Fürbitt seiner Jungfräulichen Mutter Maria zu Oetting in Bayrn von Anno 1707 biß 1719 in unterschidlichen Seel- und Leibs-Anligenheiten außgewürcket hat […]. Teilband 4.2. München 1728, 197–198. 117 So im Bericht des Sebastianus Goph im Altöttinger Mirakelbuch (Georgio Schilcher, Historia Von der Göttlichen Gnade[n]-Mutter Zu Alten-Oetting Dritter Teil / Das ist / Fortsetzung der Wunderbarlichen Gutthaten / so GO tt durch Fürbitt seiner Jungfräulichen Mutter Maria zu Oetting in Bayrn von Anno 1661 biß 1695 in unterschidlichen Seel- und Leibs-Anligenheiten außgewürcket hat […]. Teilband 3.1. München 1728, 230–231), in vier Berichten eines Mirakelbuchs der Tuntenhausener Wallfahrt ([Anonym], Marianischer Gnaden-Psalter, Von hundert fünffzig Aus vil tausend Gutthaten, Welche Die Wunderbarliche Mutter GO ttes / und Mächtige Jungfrau Maria Durch Ihr Heil. Gnaden-Bild / in dem Löbl. weit-berühmten […] Gotts-Hauß und Pfarr-Kirchen zu Tuntenhausen / Denen andächtigen Wallfahrteren erwisen hat. München 1738, 79–82) oder im Wunderbericht des Simon Grießmüller in einem Mirakelbuch zur Dorfener Wallfahrt ([Anonym], Das dritte Centuplum Marianum. Das ist: Hundert aus viel tausenden / Durch Hülff Mariae, Der wunderbarlichen Mutter Gottes / In ihrem Wunderthätigen Gnaden-Bild / Auf dem Ruprechts-Berg nächst Dorffen / Ihrer Zuflucht ergebenen / andächtigen Diener- und Dienerinen entsprossener Gutthaten de Anno 1724 biß 1725. Freysing 1727, 37–38). 118 Joseph Sailler, Denckwürdige Gnaden / und Wohlthaten / Welche der allgütige GO tt mittels Fürbitt der allerschönsten Jungfräulichen Mutter GO ttes Mariae Auf dem Rue­ prechtsberg ob Dorffen Lands Bayren gewürcket / und gantz neuerlich mit 277 Wohlthaten barmhertziglich vermehret hat. Freysing 1713, 126–127.

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Ein Wunderbericht aus dem Jahr 1718 benennt ein unverschuldetes Unglück als Anlass für die daraus resultierende Lebensgefahr: Auf einer Reise aus Österreich ins Schwabenland sei ein Mann mit seinem Eheweib, seinen zwei Kindern und einer Magd unterwegs bei Linz von einem starken Platzregen überrascht worden. Dieser habe eine große Überschwemmung ausgelöst, die Häuser zerstörte und Menschen und Vieh ertränkte. In dieser lebensgefährlichen Situation hätten die Eheleute ihre Kinder auf die Schultern genommen und sich an Bäumen, Ästen und Gesträuch festgeklammert, um nicht vom Wasser fortgerissen zu werden. Dabei riefen sie die Mutter Gottes an und gelobten eine Wallfahrt nach Altötting im Fall ihrer Rettung. Kaum hätten sie das getan, hätten sie einen sicheren Halt gefunden und konnten aushalten, bis das Wasser allmählich abgelaufen sei.119 Verlöbnisse werden auch getätigt, um andere Personen, vor allem Kinder, aus der Wassergefahr zu retten: In einem Wunderbericht vom 2. September 1711 wird erzählt, dass das sechs Jahre alte Kind einer Bäuerin bei Hochwasser in einen tiefen Bach gefallen sei. Ein Knabe, der das sah, rannte zum Haus der Mutter, die in der Todesgefahr ihrer Tochter sofort eine Wallfahrt, Gebet und Votivtafel zur Mutter Gottes von Dorfen gelobte. Als sie zum Bach hinaussah, stieg das Kind schon aus dem Bach heraus, das so durch die Fürbitte Marias von der Todesgefahr errettet worden sei.120 Das Motiv persönlicher Lebensgefahr oder der anderer Menschen zieht sich durch sämtliche Wunderberichte zu Wassergefahren, die jedoch nur zu einem geringen Anteil auf Hochwasser und Überschwemmungen als Ursachen bezogen sind. Häufiger sind hier andere Gefahrenszenarien, die in den entsprechenden Abschnitten zu Wassergefahren in den Mirakelbüchern zusammengestellt sind: Das Ertrinken in tiefen Brunnen oder in Waschzubern, der Schiffbruch auf Flüssen, das Ertrinken in Flüssen durch Stürze von Brücken und sonstige Unglücke sowie das Einbrechen in gefrorene Seen oder Flüsse.121 Wunderberichte über ansteigendes Hochwasser, das nicht unmittelbar mit einer persönlichen Lebensgefahr verbunden ist, sind kaum vorhanden, so dass der folgende Bericht der Müllerin Maria Niederhamerinn in einem Mirakelbuch der Dorfener Wallfahrt Seltenheitswert hat: Sie sei durch einen sich im August 1779 ereigneten Wasserguss in Schrecken versetzt worden, da der ansteigende Mühlbach drohte, 119 Schilcher, Historia. Teilband 4.2, 348–350. 120 Sailler, Denckwürdige Gnaden, 123–124. 121 Dies lässt sich einem Blick z. B. in die Mirakelbücher zur Altöttinger Wallfahrt entnehmen: Schilcher, Historia. Teilband 3.1; Schilcher, Historia. Teilband 3.2 und Schilcher, Georgio, Historia Von der Göttlichen Gnade[n]-Mutter Zu Alten-Oetting Vierter Teil / Das ist / Fortsetzung der Wunderbarlichen Gutthaten / so GO tt durch Fürbitt seiner Jungfräulichen Mutter Maria zu Oetting in Bayrn von Anno 1695 biß 1706 in unterschidlichen Seel- und Leibs-Anligenheiten außgewürcket hat […]. Teilband 4.1. München 1728; aber auch aus einer Übersicht über die Themen der Wunderberichte der Wallfahrt zu St. Leonhard in Inchenhofen: Böck, Volksfrömmigkeit, 164–168.

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ihre Mühle und sonstige Wasserbauten zum Einsturz zu bringen. Sie habe sich der Maria von Dorfen mit einer Wallfahrt und Messe verlobt, woraufhin das Wasser wieder sank und weder Mühle noch Wasserbauten Schaden erlitten.122 Hinweise auf Prozessionen als Handlungspraktik zur Abwehr von Hochwasser und Überschwemmungen sind ebenfalls zu finden, auch wenn sie im diesbezüglichen Katastrophendiskurs kaum thematisiert werden.123 Ein Bericht der Münchner Zeitung, der die Ereignisse der 1784er Überschwemmungskatastrophe in Straubing beschreibt, erwähnt etwa, dass der örtliche Klerus sich zum Gebet versammelte und dann eine Prozession mit Vorantragen der geweihten Hostie zur Donau hinunter angeführt habe.124 Auch in Lorenz Hübners Berichtssammlung zur Überschwemmung von 1786 wird im Zusammenhang der Kritik des Wallfahrtswesens die Segnung des Wassers durch einen Pfarrer erwähnt.125 Diese Praxis der Benedizierung einer Naturgefahr, um sie auszutreiben, ist insgesamt aber weniger für Hochwasser und Überschwemmungen von Bedeutung, als vielmehr für Unwetter bzw. Gewitter und ist auch für Stadtbrände belegt.126

4.2.2 Handlungspraktik Wasserbau Im Gegensatz zu den religiösen Handlungspraktiken wird der Wasserbau im Katastrophendiskurs in vielfacher Weise verhandelt und dominiert den Umgang mit Hochwasser- und Überschwemmungsereignissen. Die Verwaltungskommunikation konzentrierte sich im diesbezüglichen Katastrophenfall auf den Wasserbau, um entstandene Schäden an Brücken, Straßen und Wasserbauten schnellstens wieder zu reparieren bzw. durch die Reparatur oder den Neubau von

122 [Anonym], Das uralte und liebevolle Gnadenbild Mariä zu Dorfen in Baiern […]. [Dorfen] 1781, 42–43. 123 Christian Rohr hat für seinen Untersuchungszeitraum des Spätmittelalters betont, dass Prozessionen als Handlungspraktiken zur Bewältigung von Hochwasser- oder Überschwemmungskatastrophen wohl häufiger waren, als aus den Quellen zu entnehmen ist (Rohr, Extreme Naturereignisse, 391–397). Für den Bereich der Unwetter bzw. Gewitter sind Prozessionen in unterschiedlicher Form als religiöse Handlungspraktiken in Kurbayern häufiger anzutreffen. 124 Straubing, in: Münchner Zeitung 1784, Mondtag, den 8ten Lenzmonat (März) (XXXVIII), 149–150. 125 Hübner, Zum traurigen Angedenken, 21–22. 126 So berichtete die Stadt Erding am 3. September 1784 an das Rentamt Landshut und an die Hofkammer über eine schreckliche Feuersbrunst vom 25. August, die drohte die Stadt einzuäschern: »Diese [die Flammen, P. R.] waren so wüthend daß iedermänniglich den Untergang aufs wenigst der halben Stadt befürchtete, da aber das Hochwürdigste Gut zum Feur getragen, und benediciert wurde, allwohin die gesamte Bürgerschaft das vollkomste Vertrauen gesezet, so hat sich der Wind gewendet, und die Flamen haben nichts Neues mehr ergrifen«; BayHStA GL Fasz. 1028.

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Wasserbauten mögliche Folgeschäden bei neuen Hochwasserfällen zu verhindern. Ebenfalls war ein ganzer Verwaltungszweig für den Wasserbau im Verbund mit dem Straßenbau zuständig, der sich in seiner Kompetenz­verteilung von den Unter-, über die Mittelbehörden bis in die zentralbehördliche Ebene verzweigte. Diese Bedeutsamkeit des Wasserbaus galt nicht nur für die Landesherrschaft, sondern auch ständische Korporationen und Herrschaften setzten auf den Wasserbau als technische Handlungspraktik zum Schutz vor den ›Wassergefahren‹. Besonders für die Städte und Märkte an den Flüssen war er nicht nur die wichtigste Schutzmaßnahme vor dem Fluss, sondern auch ein nicht unerheblicher Ausgabeposten, der in seinen finanziellen Ausmaßen das Budget so mancher Kommune überlastete und zu Bittschriften an den Landesherrn um Hilfe und Übernahme von Kosten führte. In der wissenschaftlichen Sphäre stand der Wasserbau bzw. die Entwicklung eines systematischen Wasserbauansatzes im Zentrum der Antworten auf die Frage, wie Überschwemmungen zu verhindern bzw. sie in ihren Auswirkungen zu mindern seien. Insgesamt kann der Wasserbau im Kurbayern des 18. Jahrhunderts als »vorzüglich passiver Wasserbau zum Zwecke der Sicherstellung des Kulturlandes durch Flutabwehr«127 charakterisiert werden, woraus entsprechende Zielsetzungen der wasserbaulichen Tätigkeit folgten: »Die Wasserbäue an Strömen und Flüßen lassen sich füglich in zwo Hauptklassen theilen, nämlich jene, wodurch wir in den Flüßen wesentliche Veränderungen hervorbringen, und solche, die bloß dazu dienen, um zu verhindern, daß die Flüße keine weiteren Abänderungen machen.«128 Rudolph Euckenmayer fasste hier in seiner wasserbaulichen Abhandlung von 1803 als Antwort auf eine Preisfrage der Churbaierischen Akademie der Wissenschaften zum Wasserbau zusammen, was sich im 18. Jahrhundert als die drei Hauptmerkmale des Wasserbauwesens beschreiben lässt: Der Schutz der Ufer vor Erosion und Unterspülung auch bei Hochwasserereignissen, die damit verbundene Beeinflussung der Stromrichtung eines Flusses, um ihn in eine gewünschte Richtung zu lenken, sowie vereinzelte Flusskorrektionen an kurzen Abschnitten in Form von Durchstichen von Flussschleifen oder des Absperrens bzw. Neuanlegens von Flussarmen. In seinem Wasserbaulehrbuch »Bericht von denen Gros- und kleinern Wasserflüssen […]« beschrieb der Wasserbaumeister Castulus Riedl ausführlich die einzelnen Wasserbautechniken. Von Maßnahmen »geringere[r] bauart«129 an kleineren Flüssen, die aus Mangel an Mitteln oder Baumaterialien zur ersten notdürftigen Reparatur an Wassereinbrüchen durchgeführt werden konnten, bis 127 Leidel, Flüsse als Element, 273–274. 128 Rudolph Euckenmayer, Abhandlung über die Preisfrage: »Welche sind für Bayern die besten und ausführlichsten Mittel, das Austretten der Flüsse, und die davon abhangenden Ueberschwemmungen zu verhindern?«. München 1803, 35. 129 Riedl, Bericht, 35.

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Abb. 2: Riedl, Bericht, Kupfertafel VI: Wasserbauten fur Uferschutz und Beeinflussung des Flussverlaufs (Bayerische Staatsbibliothek)

zu aufwändigeren Wasserbauwerken, die an den größeren, schiffbaren Flüssen angelegt wurden, erläuterte und illustrierte Riedl die jeweiligen Bauweisen durch Texte und Kupfertafeln.130 Zur ersten Abhilfe bei Uferabbrüchen und Wassereinbrüchen wurden Rauchbäume – ganze nicht entlaubte oder entnadelte Bäume – in den Fluss gehängt (Abb. 2: Fig. 1), um das Ufer vor weiterer Erosion zu schützen und das Eindringen des Flusses in den hinter dem Einbruch liegenden Raum zu verhindern. An den Ufern angelegte Wuhrkonstruktionen dienten der Stabilisierung des Ufers sowie der Leitung der Stromrichtung (Abb. 2: Fig. 2, 3) oder dem Abschneiden von Flussarmen (Abb. 2: Fig. 4, 5, 7). An den kleineren Flüssen konnten sie in der weniger aufwändigeren Variante mit sogenannten Faschinen  – Bündeln aus Reisigholz, die zwischen Holzpfählen fixiert und mit Steinen beschwert wurden, wie man sie auch im Küstenschutz und zur Landgewinnung einsetzte – konstruiert werden. Für die größeren Flüsse wie Donau, Lech, Loisach, Ammer bzw. Amper, Isar und Inn waren hingegen stabilere Pfahlbauten vonnöten, für deren Bau teilweise Schlagwerke eingesetzt wurden, um die tragenden Pfähle der Konstruktionen tief in den Boden zu treiben und verankern zu können (Abb. 3). Diese Wasserbauten legte man entweder am Ufer als Schutzbauten an, baute sie in die Rinnsale der Flüsse hinein oder setzte sie vor Einbruchstellen, um die Stromrichtung des Flusses bzw. seinen Lauf zu ändern. Castulus Riedl bezeichnete die speziellen Wuhren oder auch Schlachten zur Beeinflussung des

130 Ebd., 35–70.

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Abb. 3: Riedl, Bericht, Kupfertafel VII: Pfahlbaukonstruktionen im Wasserbau (Bayerische Staatsbibliothek)

Flussverlaufs in seinem Lehrbuch als »Wurfeck« bzw. »Pock«. Für den Wasserbau an Inn, Salzach und anderen Flüssen mit ähnlichen Voraussetzungen beschrieb Riedl die Bautechnik des sogenannten Studl- oder Stuedlbaus, bei der man als Beschwerung für die massiven Wuhrkonstruktionen auch Steine gebrauchte. Diese Abhängigkeit vom Baumaterial illustrierte Castulus Riedl für den Wasserbau am Inn besonders in Tirol, da hier ein Mangel an Bauholz herrsche, dafür aber ein Überfluss an Bruchsteinen vorhanden sei, so dass man dort ungeachtet der höheren Kosten verstärkt auf Steine als Baumaterial setze. An Stelle dieser steinernen Wuhr- oder Archbauten versenke man in Tirol auch Zillen – Schiffs­ typen, die in der Flussschifffahrt im süddeutschen Raum, besonders in der Salzschifffahrt, eingesetzt wurden – an Einbruchstellen oder im Rinnsal des Flusses selbst, die zuvor mit Steinen gefüllt worden seien. Ähnliche Bautechniken stellte auch der Augsburger Ingenieur Lucas Voch (1728–1783) in seinen Werken zum Wasserbau und den darin enthaltenden detaillierten Bauanleitungen dar.131 Er erwähnte ebenfalls den nützlichen Effekt

131 Lucas Voch, Strombau an dem Lech und Wertach, oder Beschreibung der Packwerken, Archen und Kästen, wie auch einigen Wasserwehren, wie beyde in solchen Flüssen erbauet worden sind. Augsburg 1778, 12–70 und Lucas Voch, Anleitung zum Wasserbaue an Flüssen und Strömen, denen daran Wohnenden, wie auch angehenden Architecten und andern Liebhabern der Wasserbaukunst zum Nutzen herausgegeben von Lucas Voch, Archit. und Ingen. wie auch der Kaiserlichen Akademie der freyen Künste Mitglied. Mit Kupfern. Augsburg 1767. Voch war ein in Augsburg tätiger Baumeister und Ingenieur, der zahlreiche praxisorientierte Publikationen zu den Themenbereichen Vermessungswesen und den dazu-

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von Rauchbäumen (auch wenn er den Begriff nicht gebraucht) und behandelte ausführlich den Einsatz von Faschinaden als kostengünstige Variante im Wasserbau, die weniger teures Bauholz als andere Konstruktionen verbrauchen. Außerdem beschrieb er mit den Zwingen- und Stuedlbauten Wasserbauten, die zwar in Bauweise und -technik Unterschiede zu den bei Castulus Riedl dar­ gestellten Wuhrkonstruktionen aufweisen, in ihrer Anlage (am Flussufer oder in den Strom hineingebaut) und Funktionsweise aber vergleichbar sind. Darüber hinaus stellte er mit den Archen und Kästen – mit Steinen und Kies gefüllte Holzkästen, die das Ufer befestigen oder direkt in den Fluss hineingesetzt werden, um die Stromrichtung zu beeinflussen – auch Wasserbauten vor, die in Castulus Riedls Wasserbaulehrbuch weniger Aufmerksamkeit finden. Dafür forderte Clarus Mayr sie in seiner Abhandlung zur Verhinderung oder zumindest Schadensminimierung der Überschwemmungen in Bayern als effektivere Bauweise gegenüber den Wuhr- und Schlachtbauten – den massiven Pfahlkonstruktionen zum Uferschutz  – ein, da diese bei jedem Hochwasser unterspült würden, so dass sie letztlich ineffektiv und wegen der häufigen Reparaturen zu kosten­ intensiv seien.132 Diese Kastenbauten beschrieb auch Zallinger zum Thurn in seiner wasserbaulichen Abhandlung und pries sie als einfache sowie kostengünstige Alternative zu den Zwing- und Stuedlbauten an, die weniger Holz verbrauchten und auch in tieferen und reißenderen Flüssen einsetzbar seien.133 Sowohl zu den Zwing- und Stuedlbauten als auch zu der Faschinenbauweise merkte Zallinger zum Thurn an, dass sie zwar im einzelnen unter entsprechenden Bedingungen des zu verbauenden Flusses durchaus sinnvoll und effektiv als Uferschutzbauten seien. Für Tirol im Ganzen seien sie aber eher ungünstig, da sie viel Bauholz verbrauchten, an dem es in der Region eher mangele.134 Dagegen finde man in Tirol viele aus Steinen errichtete Wasserbauten, sogenannte Wassermauern, die entweder als »trockene« Mauern ohne Verbindungsmaterial zwischen den Steinen errichtet werden oder als »nasse« Wassermauern mit Mörtel. Letztere seien zwar kostenintensiver, aber insgesamt länger haltbar und am wirkungsvollsten bzw. widerstandsfähigsten bei Hochwasser.135 Für den Uferschutz betonte Zallinger zum Thurn auch die Bedeutung natürlicher Uferbefestigung durch Gesträuch und Bäume, da sie das Ufer vor Abriss durch den Fluss schützten, die Auswirkungen von Überschwemmungen minderten und die Anlagerung von Sand, Steinen gehörigen Zeichenkünsten sowie Straßen- und Wasserbau veröffentlichte; vgl. Clemens Alois Baader, VOCH (Lukas), in: Clemens Alois Baader (Hrsg.), Lexikon verstorbener Baierischer Schriftsteller des achtzehenten und neunzehenten Jahrhunderts. Band 1.2: M-Z. Augsburg u. a. 1824, 297–300. 132 Mayr, Gedanken, 360–366. 133 Zallinger zum Thurn, Abhandlung, 107–110. 134 Ebd., 101–107. 135 Ebd., 110–122.

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und Kies am Ufer beförderten.136 Bei schon ausgehöhltem Ufer und einem bevorstehenden Einbruch müsse man aber zu den »mächtigsten Waffen, den Feind zu vertreiben,«137 den Abweisern oder Würfen, greifen. Damit bezeichnete Zallinger zum Thurn Wassergebäude, die in den Fluss hineinragten, um dessen Fließrichtung zu beeinflussen – bei Castulus Riedl Wurfecke genannt. Zu diesem Zweck verwende man unterschiedlichste Baukonstruktionen wie Faschinen, Verzäunungen, Zwing- und Stuedlwerke, Wasserkästen oder Mauern.138 Den mit Pfahlkonstruktionen betriebenen Wasserbau zum Uferschutz sah auch noch Heinrich von Pechmann in seiner Abhandlung von 1822 als nützlich für den bayerischen Wasserbau an. Zu Unrecht sei er überall durch den Faschinenbau verdrängt worden. Für die wenig Geschiebe transportierenden Flüsse, die in das linke Donauufer münden, sei er zwar hervorragend geeignet. Den aus den Alpen kommenden reißenden Flüssen könne er aber kaum standhalten und müsse alle zwei oder drei Jahre erneuert werden, was zur Aufgabe des Faschinenbaus an diesen Flüssen geführt habe. Die alten Pfahlbauten hätten sich dagegen als bemerkenswert stabil erwiesen.139 Wichtigste Wasserbautechnik ist für Pechmann jedoch die Flussbegradigung mittels Durchstechen der Ser­ pentinen, da er die Flusskrümmungen für den Uferabbruch und die gefährlichen Eisstöße verantwortlich machte. Früher habe man in Bayern, als man noch nicht von der Wirksamkeit dieses Mittels überzeugt war, mehr Geld für fortgesetzte Schutzbauten ausgegeben, als man glaubte für die Flussbegradigungen aufwenden zu müssen. Gegenwärtig werde aber an fast allen Flüssen mit Erfolg der Durchstich von Flussschleifen vorgenommen.140 Allerdings waren Fluss­ korrektionen zu Pechmanns Zeiten keine ganz neue Methode, da auch schon zuvor vereinzelt Korrektionsmaßnahmen durchgeführt worden waren. Beispielhaft ist die wasserbauliche Großbaustelle der Sossauer Beschlacht bei Straubing, die seit dem 15. Jahrhundert der Donau eine neue Führung an der Stadt vorbei gab, um deren Handel und Gewerbe zu fördern. Die Flussumleitung wurde hier nicht durch einen Durchstich bewerkstelligt, sondern durch eine immer wieder zu reparierende und zu erneuernde massive Wuhrkonstruktion, die den Hauptarm der Donau quer durchschnitt und sie in einer Schleife zur Stadt hin umleitete.141 Die dargestellten Arten des Wasserbaus waren in ihren prinzipiellen bautechnischen Grundzügen und angenommenen Wirkungsweisen also überregional

136 Ebd., 98–101. 137 Ebd., 134. 138 Ebd., 133–144. 139 Pechmann, Ueber den frühern, 32–34. 140 Ebd., 28–29. 141 Vgl. dazu Kränkl, Historische Schutzmaßnahmen, 279–282 und Leidel / Franz, Katalog, 125–133.

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verbreitet. Sie wurden auch im Rahmen eines durch Wasserbauschriften bestimmten Diskursgefüges verhandelt, da die hier angegebenen wasserbaulichen Abhandlungen wechselseitig aufeinander Bezug nahmen. Sie verwiesen aber auch auf überregional rezipierte, als Standardwerke angesehene Publikationen wie z. B. Jacob Leupolds »Theatrum machinarvm hydrotechnicarvm«, Bernard Forest de Bélidors »Architecture hydraulique« oder die wasserbaulichen Werke von Johann Esaias Silberschlag.142 Während die Differenzen in einzelnen bautechnischen Details und Typen des Wasserbaus im Bayerischen, Tirolschen und Augsburgischen nicht allzu sehr ins Gewicht zu fallen schienen, zeigen sich doch große Unterschiede in der Bezeichnung der Bauweisen. Sie variierten regional und dialektal, verwendeten dabei unterschiedliche Begriffe für dieselbe Bauweise bzw. Wirkungsweise eines Wasserbaus, belegten aber auch diverse Bautechni­ ken mit einem gemeinsamen Sammelbegriff.143 Beispielsweise weist Castulus Riedl darauf hin, dass die unterschiedlichen Pfahlbaukonstruktionen »an der Donau, Isar, Loysach, Lech, und andern flüssen Schlachten, Wuhrn, Wurffeck, Pöck, und Grundwuhrn […] am Ihnflus aber Archen genenet werden […].«144 Zallinger zum Thurn verwendete die Begriffe Wuhr, Schlacht und Archen nicht, sondern bezog sich wie auch Lucas Voch in seinen Wasserbauwerken eher auf die Bautechniken des Zwing- und Stuedlbaus. Statt Wurfecken oder Böcken spricht er von Abweisern und Würfen. Voch wiederum definierte Archen für den Wasserbau an Lech und Wertach als auf eine bestimmte Art hergestellte Pfahlbaukonstruktionen, die mit Kies aufgefüllt werden. Diese regionale Vielfalt unterschiedlicher und sich teilweise widersprechender Bezeichnungen für Bautechniken war für die Verständigung unter den zeitgenössischen Wasserbauern durchaus problematisch, wie Lucas Voch in seinem auf dieses Problemfeld zugeschnittenen »Lexicon über die Hydraulik und Hydrotechnik« beklagte, das er eigens verfasst hatte, um diesem Übel zu steuern: 142 Jacob Leupold, Theatrum Machinarvm Hydrotechnicarvm. Schau-Platz der WasserBau-Kunst, Oder: Deutlicher Unterricht und Anweisung desjenigen, was bey dem Wasser-Bau und absonderlich der Damm-Kunst, zu wissen nöthig ist […]. Leipzig 1724; Bernard Forest de Bélidor, Architecture hydraulique ou l’art de conduire, d’élever et de ménager les eaux pour les différens besoins de la vie. 4 Bände. Paris 1737–1753; Johann Esaias Silberschlag, Abhandlung vom Wasserbau an Strömen. Preisschrift, welche die, in den öconomischen Nachrichten, darauf gesetzte Prämie erhalten. Leipzig 1756; Johann Esaias Silberschlag, Ausführlichere Abhandlung der Hydrotechnik oder des Wasserbaues. 2 Bände. Leipzig 1772–1773. Darüber hinaus werden in den wasserbaulichen Abhandlungen noch andere deutschsprachige Wasserbauwerke, z. B. zum Wasserbau an der Küste, angeführt, die hier jedoch nicht weiter aufgelistet werden sollen. 143 Zu dieser Problematik auch Franz, Erklärung, wo darauf hingewiesen wird, dass die den Quellen zu entnehmenden üblichen wasserbautechnischen Begriffe keinesfalls eindeutig definiert sind, sondern im tatsächlichen Wortgebrauch variierten und sich vielfach überschnitten. 144 Riedl, Bericht, 37.

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»Es fehlt den Aufsehern sowohl als ihren untergebnen Arbeitern, meistentheils an dem richtigen Verstande der Kunstwörter, welche die Verfasser brauchen, weil diese alles oder doch das meiste, mit dem in ihrer Gegend einmal üblichen Worte benennen, und jene nicht immer so gereißet sind, daß sie mehr als nur den Dialect der Gegend verstünden in welcher sie gebohren und erzogen sind. Der Sachse, der Frank, der Bayer, der Schwabe u. s. w. benennen einerley Gegenstand sehr verschieden, und wer nun unter ihnen nicht über die Gränzen seiner Provinz hinausgekommen ist, oder sich lange genug in dem Lande des andern aufgehalten hat, versteht Niemand als seinen Landsmann.«145

4.3 Überschwemmungskultur / en Es sind in den vorhergehenden Kapiteln bereits einige Aspekte des deutenden und handelnden Umgangs mit den Katastrophenszenarien von Hochwasser und Überschwemmungen zusammengetragen worden, die mit dem im Forschungsüberblick behandelten Konzept der Katastrophenkultur in Zusammenhang gebracht werden können. Sie ist das Ergebnis der Integration bzw. Adaption von Naturgefahren in soziale Strukturen und kulturelle Normsysteme, so dass eine beständige Bedrohung bzw. Gefahrenlage durch Naturkatastrophen normalisiert und zum Bestandteil der alltäglichen Lebenswelt wird.146 Dies resultiert einmal in Verhaltensmustern, die durch die Katastrophenerfahrung bedingt sind, z. B. in Architektur, Landwirtschaft, Siedlungsmustern oder Migration,147 aber auch in Anpassungsstrategien, um den beständigen psychisch-emotionalen Druck der Unsicherheitserfahrung in Form kulturell entwickelter Grundhaltungen gegenüber Naturgefahren zu bewältigen. Christian Rohr hat dieses Modell auf die Bewältigung von Hochwasser- und Überschwemmungsgefahren im ostalpinen Raum des Spätmittelalters übertragen. Da diese Gefahrenszenarien dort wiederkehrend waren, indem sie sich saisonal wiederholten, kann von der Entwicklung besonderer Überschwemmungskulturen ausgegangen werden, die in spezifischen technisch geprägten Handlungsroutinen und der Kenntnis von natürlichen Ursachen und Wirkungen der wiederkehrenden Hochwasser bzw. Überschwemmungen bestanden.148 145 Lucas Voch, Lexicon über die Hydraulik und Hydrotechnik, Oder: Handbuch der Kunstwörter bey dem Brunnen und Wasserbaue. Augsburg 1774, [1]–[2]. 146 Das hat Greg Bankoff anhand der Philippinen beschrieben; zusammengefasst in Bankoff, Cultures of Coping. 147 Vgl. dazu auch Bankoff, Fire and Quake. Hier wird anhand der Baugeschichte Manilas gezeigt, wie die Bedrohungslage durch Erdbeben und Stadtbrände die Entwicklung spezifischer architektonischer Formen und Bauweisen, die auch als ›Erdbebenbarock‹ bezeichnet werden, beeinflusst hat. 148 Rohr, Extreme Naturereignisse, 279–349. Hier werden zwei Beispiele für eine Überschwemmungskultur, Wels an der Traun (Österreich) und die Inn-Salzach-Region mit der für sie enormen Bedeutung der Salzschifffahrt, vorgestellt.

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Eine Katastrophenkultur kann demnach als Komplex routinierter Handlungspraktiken und Deutungsmuster bestimmt werden, die bei spezifischen Katastrophenszenarien zur Anwendung kommen und sich durch das Fehlen oder die Marginalisierung religiöser Deutungsansätze und Handlungsweisen auszeichnen. Von dieser Grundlage ausgehend könnten die Dominanz des Wasserbaus als technischer Handlungspraktik und das Vorherrschen sakulärweltimmanenter Deutungsmuster gegenüber solchen religiöser Provenienz als Hinweis auf eine im 18. Jahrhundert in Kurbayern bestehende Überschwemmungskultur gedeutet werden. Allerdings ist das Kriterium fehlender religiöser Deutungen problematisch, da es auf einer Kompensationstheorie des Religiösen im Umgang mit Naturkatastrophen basiert.149 Die angenommene Verbindung rationaler Erklärungsansätze mit dem Wiederholungscharakter eines Katas­ trophenszenariums und einem Komplex von Handlungsroutinen als Grundlage der Überschwemmungskultur muss nicht den Ausschluss religiöser Deutungsmuster und Handlungspraktiken bedeuten. Im Gegenteil sind in diesem Sinne ebenso religiös bestimmte Katastrophenkulturen denkbar, da auch religiöse Deutungsmuster einen in sich geschlossenen, kausal begründeten Argumentationszusammenhang bilden, der eine schlüssige Erklärung für eine Naturkatastrophe bieten kann.150 Entscheidend für das Kriterium der Schlüssigkeit der Deutung bzw. Erklärung ist nicht ihr religiöser oder säkularer Charakter, sondern ob sie mit der jeweiligen Katastrophenerfahrung und den im Katas­ trophendiskurs mitverhandelten und ihn bestimmenden Weltbildern kompatibel ist (vgl. Kap. 1.3.2). Die Überschwemmungskultur ergibt sich also aus dem Zusammenhang bestimmter Deutungsmuster und Handlungspraktiken sowie ihrer routinierten Anwendung. Ein solches Beispiel beschrieb der Salzburger Hofbeamte und Naturkundler Karl Maria Ehrenbert von Moll (1760–1838) in den zusammen mit dem ehema­ ligen Jesuiten und Naturforscher Franz de Paula von Schrank (1747–1835) herausgegebenen »Naturhistorischen Briefen«. Hier berichtete er, wie die Bewohner des Zillertals mit den regelmäßig auftretenden Überschwemmungen der Ziller umgehen. Die Anrainer des Flusses hätten verschiedene Strategien zu deren wasserbaulicher Behandlung: Die einen setzten mit Wasserbauten alles daran, das Austreten des Flusses auf ihre Gründe zu verhindern. Der Strom erhöhe aber durch das Geschiebe von Steinen, Sand und Erde aus den zufließenden

149 Rohr geht in seinem Kriterienkatalog, den er als Maßstab für die historische Katastrophenwahrnehmung durch die Zeitgenossen entwickelt (ebd., 55–62), von einer Ersatzfunktion religiöser Deutungsmuster für den Fall des Nichtvorhandenseins schlüssiger Erklärungen, die soziale Sicherheit bzw. Gewissheit produzieren, aus. 150 Für eine Kritik der Kompensationsthese des Religiösen in der Bewältigung von Naturkatastrophen in der Vormoderne vgl. auch Juneja / Mauelshagen, Disasters.

Überschwemmungskultur / en

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Wildbächen allmählich sein Bett. Dadurch lägen die durch Wasserbauten geschützten anrainenden Gründe im Verhältnis zum steigenden Flussbett niedriger, so dass sie durch das unter den Wasserbauten durchfließende Wasser allmählich versumpften. Andere Anrainer hingegen öffneten gezielt ihre Gründe dem über die Ufer tretenden Fluss, so dass er das Geschiebe auf ihren Feldern und Wiesen ablade. In der Folge werde der Boden dann umgegraben, um das Geschiebe unter den fruchtbaren Boden zu bringen. Dadurch erhöhten diese Anrainer ihren Grund im Vergleich zum Flussbett wieder. Sie nutzen also die Überschwemmung des Flusses gezielt, um sich vor künftigem Hochwasser abzusichern, was die anderen Anrainer mit ihren schützenden Wasserbauten nur unvollkommen erreichen.151 Was sich hier im regional begrenzten Rahmen der Talgemeinschaft als Überschwemmungskultur in Form eines routinierten Handlungskomplexes darstellt, bildet sich für die Handlungspraktik Wasserbau in Kurbayern im verwaltungstechnischen Rahmen ab. Der für den Wasserbau zuständige behördliche Apparat mit seinen Kompetenzen und Instanzenzügen von den Unter- bis zu den Zentralbehörden hinauf ist in seinen Umrissen bereits grob skizziert worden. Auch der geregelte behördliche Gang in der Reaktion auf Hochwasserund Überschwemmungsfälle sowie die damit verbundenen Kommunikationswege  – Berichte der Unterbehörden an die Zentralbehörden, das Senden von Wasserbauexperten vor Ort, die Gutachten und Kostenvoranschläge für die zentralbehördliche Ebene verfassten, wo auf dieser Grundlage über die Durchführung wasserbaulicher Maßnahmen entschieden wurde – sind hier von Bedeutung. Dazu gehört ebenfalls die etablierte und für den behördlichen Wasserbau wichtige Technik der visuellen Abstraktion des Flusses in Karten, die eine zweidimensionale Schematisierung und Ablesbarkeit von Flusseigenschaften ermöglichten, was die Grundlage der verwaltungstechnischen Entscheidungsfindung in Wasserbaufragen bildete. Am damit verbundenen amtlichen Akt der Inaugenscheinnahme vor Ort ist wiederum zu erkennen, dass dieser Schematismus verwaltungstechnischen Handelns im Umgang mit Überschwemmungen und Hochwasser nicht ein nur auf die behördliche Ebene beschränkter Handlungskomplex war, sondern von Untertanen und ständischen Herrschaften auch antizipiert und eingefordert wurde. So wies das Pfleggericht Kranzberg in einem Bericht über eine Überschwemmung der Isar und die nötigen Wasserbauten zur Behebung der Schäden darauf hin, dass trotz der hier zu verfolgenden üb­ lichen Aufteilung der Kosten und »Vngeacht periculum in mora obhandten, nichts destowenig[er] besorglich die Interessierte Grundtherrschaften ohne einnembung aines augenschein Vnd Vorzaigung des schadens kheine gelter herge-

151 Franz von Paula Schrank, Karl Maria Ehrenbert von Moll, Naturhistorische Briefe über Oestreich, Salzburg, Passau und Berchtesgaden. Band 2. 2 Bände. Salzburg 1785, 430–432.

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ben werdten […].«152 Auch in Bezug auf die Baupraxis hatte sich das beschriebene routinierte Setting wasserbaulicher Techniken herausgebildet, die besonders auf den Uferschutz und die Beeinflussung der Stromrichtung abzielten. Außerdem war mit der Gewährung von Nachlässen an Steuern und Abgaben auch ein lange Zeit stabiler Mechanismus der Katastrophenhilfe vorhanden. Wie eingespielt die Baupraxis und der verwaltungstechnische Schematismus im Wasserbauwesen waren, zeigt sich auch an den aufbrechenden Konflikten, als die Bauweise im Wasserbau zusammen mit der behördlichen Zuständigkeit umgestellt werden sollte: Nach verwaltungstechnischen Reformen und neuen Vorgaben für die Bautechniken im Wasserbau, die vor allem auf den verstärkten Einsatz von Flussbegradigungen hinausliefen, waren die Straßen- und Wasserbaudirektionen 1814 aufgefordert worden, über ihnen entgegenstehende Hindernisse und Schwierigkeiten zu berichten, damit man das Straßen- und Wasserbauwesen effizienter gestalten könne.153 Die Wasser- und Straßenbau Inspektion Augsburg antwortete darauf mit einer Klage über die Probleme, die ihr durch die Beamten der Rentämter und Landgerichte verursacht würden.154 So äußerten diese den unzutreffenden Vorwurf, dass »beinahe gar nichts, zum Schuze der Uferbewohner« getan werde, was auf die Verlagerung des Wasserbaus hin zur Flussbegradigung rekurriert, »wiewol bekannt ist, daß das Königl. Aerar noch jede Uferbeschädigung entfernte, für jede Bauführung einen angemessenen Geldbeitrag aus bezahlen ließe […].« Aus Neid und Missgunst wegen des Verlustes ihrer vorherigen Kompetenzen im Straßen- und Wasserbauwesen bezeigten die Landgerichtsbeamten den Baubeamten Geringschätzung und Verachtung. Die Rentämter zahlten aus denselben Gründen benötigte Gelder für das Bau­wesen nur ungenügend und zögerlich aus. Die Baudirektion Kempten wies dagegen auf die mangelhafte Akzeptanz und Befolgung ihrer Anweisungen durch die Bevölkerung hin.155 Viele Untertanen bauten wie sie wollten und ohne Kenntnis der jeweiligen Landgerichte. Selbst wenn sie für ihre Bauvorhaben Genehmigungen und Vorgaben der Baudirektion einholten, könnten sie diese häufig aufgrund mangelnder monetärer Mittel gar nicht umsetzen. Außerdem habe die Baudirektion sich zumeist vergeblich bemüht, den Untertanen in

152 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 448, Bl. 1–2: Bericht des Pfleggerichts Kranzberg vom 16. Juni 1701 an die Hofkammer, hier Bl. 2r. 153 BayHStA OBB (Akten) 5: Generale der Königlich Baierischen Generaldirektion des Wasser-, Brücken- und Straßenbaues an die Straßen- und Wasserbaudirektionen vom 31. Oktober 1814. 154 BayHStA OBB (Akten) 5: Antwortschreiben der Wasser- und Straßenbau Inspektion Augsburg vom 21. November 1814 an die Königlich Baierische Generaldirektion des Wasser-, Brücken- und Straßenbaues. 155 BayHStA OBB (Akten) 5: Antwortschreiben der Baudirektion Kempten vom 15. August 1815 an die Königlich Baierische Generaldirektion des Wasser-, Brücken- und Straßenbaues.

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ihrem Zuständigkeitsbereich begreiflich zu machen, dass ihre Art Wasserbau zu betreiben nicht zweckmäßig sei. Nur im Illerkreis habe man Ansätze eines Umdenkens bewirken können. Auch auf regionaler Ebene konnten sich also bestimmte Bauweisen des Wasserbaus etablieren, die Teil einer lokalen Katas­ trophenkultur waren.

4.4 Wasserbau im Wandel Die auf den Wasserbau als technische Handlungspraktik bezogene Überschwemmungskultur, die sowohl behördliches Handeln bei Hochwasser und Überschwemmungen als auch diesbezügliche Erwartungshaltungen der Bevölkerung im Kurbayern des 18. Jahrhunderts umfasste, war nun nicht statisch. Sie war im Gegenteil Gegenstand verwaltungstechnischer Diskurse über Änderungen im Straßen- und Wasserbauwesen sowie das Objekt langfristig wirkender Wandelprozesse, an deren Ende das behördlich organisierte Naturgefahrenmanagement des 19. Jahrhunderts stand. Dieser Wandel im Wasserbau wird im Folgenden einmal entlang von miteinander verwobenen Entwicklungspfaden beschrieben und zum anderen in Bezug auf die Rolle von Hochwasser- und Überschwemmungsereignissen sowie Konfliktfeldern im Wasserbau als Innovationsmotoren dargestellt.

4.4.1 Organisation des Wasserbaus: Verstaatlichung Die Grundzüge der verwaltungstechnischen Organisation des Wasserbaus in Kurbayern sind bereits skizziert worden. Das dabei erkennbare Schema, Kompetenzen zwischen unter-, mittel- und zentralbehördlichen Ebenen aufzuteilen, blieb zwar mit der grundsätzlichen Kommunikationsbewegung zwischen den drei Verwaltungsebenen bis zu den Montgelasschen Verwaltungsreformen Anfang des 19. Jahrhunderts erhalten. Darüber hinaus war die behördliche Organisation des Wasserbaus im 18. Jahrhundert jedoch mehreren Verwaltungsreformen und Neuverteilungen von Kompetenzen unterworfen, die besonders die zentralbehördliche Ebene betrafen. Insgesamt ist im Kurbayern des 18. Jahrhunderts eine Entwicklung hin zur verwaltungstechnischen Spezialisierung des Straßen- und Wasserbaus zu beobachten. Das ging auch mit einer zunehmenden Verlagerung der wasserbaulichen Tätigkeit und ihrer Finanzierung in den Kompetenzbereich des Landesherrn einher, da im Zuge des allgegenwärtigen Kostendrucks und der steigenden Ausgaben im Wasserbau gegen Ende des 18. Jahrhunderts immer mehr ständische Korporationen, vor allem die Städte und Märkte, ihre eigenen Wasserbauten nicht mehr unterhalten konnten, die dann vom Landesherrn übernommen wurden.

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4.4.1.1 Verwaltungsreformen im Straßen- und Wasserbauwesen Auf der untersten Behördenebene gehörte der landesherrliche Wasserbau zusammen mit dem Straßen- und Brückenbau bzw. deren Beaufsichtigung schon seit dem Spätmittelalter grundsätzlich in den Verantwortungsbereich der Mautämter bzw. der Zollbeamten, wie aus den ersten Erwähnungen des Wasserbaus in herzoglichen Verordnungen des 15. Jahrhunderts hervorgeht.156 An dieser Zuständigkeit der örtlichen Zollbehörden für den Wasserbau sollte sich bis zum Ende des 18. Jahrhunderts auch nichts ändern, wie einer Übersicht aus dem Jahr 1785 des damaligen Generalbaudirektors Joseph Aloys von Hofstetten über den Tätigkeitsbereich und die Organisation des Straßen- und Wasserbauwesens zu entnehmen ist, in der er die seit jeher gegebene Verantwortlichkeit der Mautämter für den Wasserbau nochmals bestätigte.157 Auf der zentralbehördlichen Ebene fiel der Wasserbau in den Zuständigkeitsbereich der Hofkammer als oberster Finanzbehörde des Kurfürstentums. Bereits in Hofkammerordnungen des 16. und 17. Jahrhunderts wird die Aufsicht über die Wassergebäude als Aufgabenbereich der Hofkammer definiert, der zwar wie das Bauwesen insgesamt vom Hofbauamt als untergeordneter Behörde zu leiten, aber gegenüber der Aufsicht über die herzoglichen bzw. kurfürstlichen Amtsgebäude von geringer Bedeutung war.158 Diesen Zuständigkeitsbereich verlor die Hofkammer jedoch vorübergehend an das erste Generalbaudirektorium. Wie dem entsprechenden Dekret zur Einsetzung dieser Behörde zu entnehmen ist,159 war die Zielsetzung dieser neuen Verwaltungseinheit die Einsparung von Ausgaben und die Bekämpfung von Bestechlichkeit im landesherrlichen Bauwesen, weshalb man es als notwendig erachtete, das Bauwesen unter die Kontrolle eines Vertrauten zu stellen. Dazu ausersehen war der Obristhofmeister der Kurfürstin, Ferdinand Franz Albrecht Graf von der Wahl, der im Rahmen

156 Franz, Rechtliche Bestimmungen, 292. 157 BayHStA OBB (Akten) 1/1: »Notizen. Von den Kurfürstlich Bayrisch und Oberpfälzischen Cameral Straßen und Waßerbau Directorial Geschäften, und deren Behandlung« vom 12. Dezember 1785, Paragr. 53. Auf dieses Dokument bezieht sich für die Rolle der Mautämter im Wasserbau auch Leidel, Der Wasserbau, 301–302. Die zentrale Stellung der Mautämter für den Wasserbau auf lokaler Ebene spiegelt sich auch in einer Auflistung kurfürstlicher Ämter auf der unteren landesherrlichen Verwaltungsebene wieder, die an den Flüssen Donau, Inn, Salzach, Isar, Loisach und Lech den Wasserbau zu besorgen hatten; BayHStA OBB (Akten) 1/1: »Anzeige der Haubt-Schif- und floßbaren Flüsse in Baiern, dann dijenigen hieran entlegnen Ämter, welche auf solchen Flüssen Brük- und Wehrgebäude zu besorgen haben. Verfasst den 9ten Mai 1788.« 158 Franz, Rechtliche Bestimmungen, 293. 159 Für das Folgende BayHStA HR I Fasz. 523 Nr. 1: Dekret vom 14. April 1688 zur Einrichtung des Generalbaudirektoriums.

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der Behörde des Generalbaudirektoriums die Aufsicht über alle kurfürstlichen Gebäude und davon abhängigen Bediensteten sowie die der Schifffahrt zuge­ hörigen Beamten erhalten sollte. Das Generalbaudirektorium bildete aber nicht nur selbstständige Verwaltungsstrukturen aus, sondern sollte auch eine von der Hofkammer unabhängige eigene Finanzverwaltung erhalten, indem ihm mehrere regelmäßig an den Landesherrn abzuführende Abgaben zur Verfügung gestellt wurden. In einem diesbezüglichen Dekret an die Hofkammer wurde festgelegt, dass dafür die Scharwerksgelder aller vier Rentamtsbezirke, sämt­ liche Forst- und Dechelgefälle in Bayern und der Oberpfalz und weitere einzelne Posten landesherrlicher Einnahmen vorzusehen waren.160 Das Generalbaudirektorium war aber nicht nur für die kurfürstlichen Landesbauten, sondern auch für den Wasserbau zuständig, wie eine weitere Verordnung zur Einrichtung des Generalbaudirektoriums illustriert.161 Hier wird in einem eigenen Abschnitt zu den Wassergebäuden betont, dass Reparaturen und Neubauten innerhalb kürzester Zeit zu bewerkstelligen seien, da sich die Kosten in Schadensfällen von Stunde zu Stunde vergrößerten.162 Außerdem werden die zuständigen Beamten auf der land- bzw. pfleggerichtlichen Ebene angehalten, nicht nur ihre Wege und Wasserbauten regelmäßig zu visitieren, sondern auch bei nötigen Reparaturarbeiten oder Neubauten dem Generalbaudirektorium sofort Bericht zu erstatten, damit dieses bei Zeiten noch die nötigen Maßnahmen einleiten könne und es nicht erst »zur äussersten Extremitet komme«, so dass

160 BayHStA HR I Fasz. 523 Nr. 1: Dekret an die Hofkammer vom 31. Dezember 1688. Als Scharwerk wurden in Bayern die Frondienste bezeichnet, die der Untertan seinem Gerichtsherrn schuldete (vgl. dazu Kap. 4.4.1.2). Das landesherrliche niedere Gerichtsscharwerk war zwar bereits im 17. Jahrhundert durch eine regelmäßige Geldabgabe, auf die sich das obige Dekret bezieht, abgelöst worden (Siegbert Feuchtwanger, Das öffentliche Bauwesen in Bayern vom Ende des Mittelalters bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Verwaltungsgeschichte Bayerns, in: Oberbayerisches Archiv für vaterländische Geschichte 56, 1912, 93). Dennoch wurde Scharwerk auch im 18. Jahrhundert noch in Naturalien oder direkter Arbeit geleistet. Das »Decheln« bezeichnet die bäuerliche Schweinemast in den Forsten; zu diesem Komplex der bäuerlichen Waldnutzung und der entstehenden Nutzungskonflikte mit der landesherrlichen Obrigkeit um den Forst Beck, Unterfinning, 61–82 und Beck, Ebersberg, 38–45. Die Zuweisung der Scharwerksgelder und anderer Abgaben wurde allen Land- und Pfleggerichten sowie sonstigen involvierten Ämtern und Beamten durch zwei Verordnungen mitgeteilt, in denen sie zur Weiterleitung der entsprechenden Abgaben an das Generalbaudirektorium angewiesen wurden; BayHStA HR I Fasz. 523 Nr. 1: Verordnungen an die Landund Pfleggerichte vom 3. Januar 1689. 161 BayHStA HR I Fasz. 523 Nr. 1: Verordnung vom 14. Januar 1692. Diese Verordnung ist auch in der Mayrschen Verordnungssammlung enthalten; Mayr, Sammlung. Band 4, 963. 162 Diese Anforderung an den Wasserbau zur beschleunigten und damit kostensenken­ den Bauführung wurde auch an alle anderen kurfürstlichen Beamten weitergetragen; B ­ ayHStA HR I Fasz. 523 Nr. 1: Generale vom 13. Februar 1690, auch in Mayr, Sammlung. Band  3, 153–157.

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sich die Kosten durch Verzögerungen verdoppelten oder verdreifachten. Wie eine Aufstellung der Einnahmen und Ausgaben der Behörde von 1693 bis zum 1. Juni 1694 zeigt, stand das Generalbaudirektorium unter dem beständigen Druck, der Sparsamkeitsanforderung gerecht zu werden. Für diesen Zeitraum rechnete man vor, dass bei Einnahmen in Höhe von ca. 122.995 fl. und Ausgaben in Höhe von ca. 119.814 fl. ein Überschuss von ca. 3.181 fl. erwirtschaftet worden sei.163 Der kurfürstliche Hofzimmermeister Johann Ludwig Krafft legte sogar eine eigene Aufstellung der Kostenersparnisse bei den von ihm betreuten Bauten vor, die er in der Zeitspanne von 1691 bis 1693 gegenüber den ursprünglich in den Bauplänen veranschlagten Ausgaben erreicht haben wollte und die er mit 14.053 fl. bezifferte.164 Trotz dieser Versuche, die eigene kosteneffektive Organisation des Bau­wesens unter Beweis zu stellen, wurde der beständige Einsparungsdruck dem Generalbaudirektorium zum Verhängnis, das durch Dekret vom 7. März 1695 wieder aufgelöst wurde.165 Der Behörde insgesamt, den Räten und besonders dem Grafen von der Wahl wurde im Auflösungsdekret zwar bescheinigt, dass sie zur Zufriedenheit des Kurfürsten mit Fleiß und Arbeitseifer ihren Aufgaben nachgekommen seien. Indessen sei es durch die gegenwärtigen »Kriegs- und Theuren Zeiten« (Kurbayern ist zu dieser Zeit am Pfälzischen Erbfolgekrieg beteiligt) nötig, wo immer möglich Kosten einzusparen. Das bezog sich auch auf die im Rahmen des Generalbaudirektoriums entstandenen Besoldungen für das anwachsende Personal.166 In einem Dekret an die Hofkammer desselben Datums wird dieser die Auflösung des Generalbaudirektoriums und die erneute Übergabe des Bauwesens in ihren Zuständigkeitsbereich mitgeteilt, wobei allerdings die Ausgaben für sämtliche Reparaturen und Neubauten auf maximal 40.000 bis 50.000 fl. pro Jahr begrenzt wurden.167 Das ursprüngliche Dekret zur Einrichtung des Generalbaudirektoriums beinhaltete auch die ausdrückliche Anweisung an alle kurfürstlichen Beamten, dem Grafen von der Wahl bei seiner Aufgabe auf alle nur mögliche Weise behilflich zu sein. Rescripte und Dekrete aus dem Zeitraum des Bestehens der

163 BayHStA HR I Fasz. 523 Nr. 1. 164 BayHStA HR I Fasz. 523 Nr. 1. 165 BayHStA HR I Fasz. 523 Nr. 1. 166 Dass der Personalbestand des Generalbaudirektoriums umfangreich war, lässt sich dem »Pflicht Buech, beym Churfürstl. General Pau Directorio. Anno 1689« (BayHStA HR I Fasz. 524 Nr. 3) entnehmen, in dem die Amtseide sämtlicher dem Generalbaudirektorium zugehöriger Beamter und Bediensteter aufgeführt sind. Dazu gehörte nicht nur das eigentliche Verwaltungspersonal mit den Räten, Sekretären, Registratoren, Protokollisten, Kanzlisten usw., sondern auch Hofgärtner, Feldmesser, Kaminkehrer, Hofholzzieher u. a. m. sowie das Verwaltungspersonal für die Bergwerke und anderen Einnahmequellen des Generalbau­ direktoriums. 167 BayHStA HR I Fasz. 523 Nr. 1.

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neuen Behörde ermahnen allerdings häufiger die anderen kurfürstlichen Verwaltungszweige, auch die Hofkammer, der neuen Baubehörde keine Hemmnisse in den Weg zu legen und ihr als eigenständiger Behörde den schuldigen Respekt zu erweisen.168 Deshalb mag nicht nur die Ausgabenreduzierung, sondern auch ein fortwährendes Kompetenzgerangel zwischen der neuen Behörde und dem bereits bestehenden Behördenapparat, das durch die Abwesenheit des Kurfürsten begünstigt wurde, für die Auflösung des Generalbaudirektoriums verantwortlich gewesen sein.169 Nach der Auflösung des ersten Generalbaudirektoriums ging der Wasserbau wieder in den Aufgabenbereich der Hofkammer über. Für die eigentliche Aufsicht im Bauwesen insgesamt jedoch das seit 1597 als Departement der Hofkammer bestehende Hofbauamt verantwortlich,170 das nicht nur die kurfürstlichen Amtsgebäude und Repräsentativbauten unterhielt, sondern auch im Wasserbau tätig war. Nach dem bereits beschriebenen Muster der amtlichen Behandlung des Wasserbaus wurden die Baumeister des Hofbauamtes, zumeist im Wasserbau erfahrene Feldmesser oder Landgeometer, die auch den Rang eines Hofkammerrates inne haben konnten, vor Ort geschickt, um von den örtlichen Amtsstellen als notwendig erachtete Reparaturen oder Baumaßnahmen in Augenschein zu nehmen und ein Gutachten für die Hofkammer zur Entscheidungsfindung zu erstellen.171 So schickte das Hofbauamt beispielsweise auf Anweisung der Hofkammer den Hofbaumeister Johann Paur nach Günding im Landgericht Dachau, um die dortige Brücke über die Amper in Augenschein zu nehmen, nachdem gemeldet worden war, dass dort ein Einbruch des Flusses bevorstehe und er seinen Lauf zu verändern drohe.172 Auf der Grundlage des von Johann Paur angefertigten Protokolls der örtlichen Besichtigung erstellte das Hofbauamt dann ein Gutachten für die Hofkammer, das den Bau einer starken Beschlacht für notwendig erachtete, um den bereits erfolgten Einbruch der Amper wieder zu verbauen und eine Verlagerung des Flussbettes zu verhindern.173

168 Vgl. dazu den Bestand in BayHStA HR I Fasz. 523 Nr. 1. 169 Feuchtwanger, Das öffentliche Bauwesen, 100. 170 Ebd., 98. 171 Franz, Rechtliche Bestimmungen, 293–294. 172 BayHStA Kurbayern Hofbauamt 332: Schreiben der Hofkammer vom Juli 1745 an das Hofbauamt. 173 BayHStA Kurbayern Hofbauamt 332: Bericht des Hofbauamts vom 29. August 1745 an die Hofkammer. Ähnlich verhielt es sich auch mit der Amperbrücke bei Graßlfing, die in den 1730er Jahren reparaturbedürftig wurde. In deren Umgebung verursachte die Amper durch Hochwasser in den Jahren 1736 und 1753 Wassereinbrüche, die vom Hofbauamt auf Anweisung der Hofkammer begutachtet wurden, da auch hier die Gefahr im Raum stand, dass die Amper durch die Hochwasser ihren Lauf verändern könnte und damit an­rainende Gründe geschädigt würden; vgl. dazu den Bestand BayHStA Kurbayern Hofbauamt 335.

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Die Führung der Donau bei Ingolstadt fand wegen der strategischen Bedeutung der Festungsstadt als wichtigem Bestandteil der Landesverteidigung dabei die besondere Aufmerksamkeit des Hofbauamtes. Hier war man zu Beginn des 18. Jahrhunderts mit der andauernden Problemlage konfrontiert, dass die Donau sich entweder von der Festungsstadt weg Richtung Süden zu verlagern drohte oder sich zu weit nach Norden wenden und damit die Festungswerke der Stadt angreifen könnte.174 So schickte das Hofbauamt anlässlich von Einbrüchen der Donau im Juli 1698 den Hofzimmermeister Johann Ludwig Krafft zur Begutachtung der jeweiligen Bedrohungslagen vor Ort, um diese Angelegenheiten »samentlich in ainem streich fieglich vorzunemen […].«175 Nachdem die von ihm vorgeschlagenen Gegenmaßnahmen zum Uferschutz an der Donau zunächst nicht gefruchtet hatten, wurde er erneut vor Ort geschickt. In seinem zweiten Bericht bestätigte Krafft nicht nur, dass die an der fraglichen Stelle der Donau bereits getroffenen Maßnahmen nicht den erhofften Effekt gehabt hätten, sondern hob zudem hervor, dass aufgrund dessen zu befürchten stehe, dass die Donau ihren Lauf ändern und sich von der Festungsstadt Ingolstadt entfernen werde, die damit ihre Verbindung zum Fluss verlieren würde und strategisch exponiert wäre. Er schlug deshalb den Bau von drei Wurfecken vor, die den Strom in die gewünschte Richtung ablenken sollten und deren Kosten er mit 880 fl. bezifferte.176 Die Problematik des Flussverlaufs der Donau bei Ingolstadt blieb jedoch auch weiterhin bestehen. So wurde 1709 – zu der Zeit der österreichischen Administration Kurbayerns im Spanischen Erbfolgekrieg  – auch der Hofbaumeister Giovanni Antonio Viscardi (1645–1713), der ansonsten eher für seine architektonischen Beiträge zum bayerischen Barock bekannt ist,177 zur Begutachtung der Situation des Donauverlaufs bei Ingolstadt und der dort errichteten Beschlachten vor Ort geschickt. Obwohl der Wasserbau mit dem 1767 eingerichteten zweiten Generalbaudirektorium wieder in eine separate Behörde ausgegliedert wurde, war das Hofbauamt auch in dieser Zeit noch mit Wasserbauten in der Umgebung von München betraut. Erst mit einem kurfürstlichen Mandat vom 14. November 1787 wurde festgelegt, dass auch diese prinzipiell »als eine ohnehin zum Hofbauamt nicht gehörige Sache« dem Generalbaudirektorium zugeschlagen werden sollten.178 So wurden die Brücken und Kanalbauten bei Nymphenburg und

174 Im Überblick dazu Leidel / Franz, Katalog, 92–96. 175 BayHStA Kurbayern Hofbauamt 338: Schreiben des Hofbauamts an die Hofkammer vom 24. Juli 1698. 176 BayHStA Kurbayern Hofbauamt 338: Bericht des Hofzimmermeisters Johann Ludwig Krafft und des Hofkammerkanzlisten Haßlinger an die Hofkammer vom 9. Mai 1703. 177 Lorenz Maier, Viscardi, Giovanni Antonio, in: Karl Bosl (Hrsg.), Bayerische Biographie. 8000 Persönlichkeiten aus 15 Jahrhunderten. Regensburg 1983, 804–805. 178 BayHStA OBB (Akten) 2140.

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Schleißheim, die mit den dortigen Schlossanlagen verbunden waren, in den Jahren 1790/91 vom Verantwortungsbereich des Hofbauamts getrennt und dem Generalbaudirektorium zugewiesen.179 Bereits vor dem zweiten Generalbaudirektorium war mit der Einrichtung der Straßendirektion 1751 eine erneute verwaltungstechnische Spezialisierung im kurbayerischen Bauwesen erfolgt, die den Straßenbau als gesonderten behördlichen Kompetenzbereich zugewiesen bekam, aber auch in mit Straßen­ baubelangen verbundenen Wasserbausachen involviert war.180 Die ökonomische Intention hinter der neuen Behörde war der gezielte Ausbau des kurbayerischen Straßennetzes zu Chausseen, um nach dem Österreichischen Erbfolgekrieg Wirtschaft und Handel in Kurbayern durch die Verbesserung der Infrastruktur wieder zu beleben. Die Straßendirektion war jedoch nicht mit dem ersten Generalbaudirektorium vergleichbar. Sie bestand hauptsächlich in der Funktionsund Amtsbezeichnung Maximilian Franz Freiherr von Berchems (1702–1777, seit 1772 Graf)  als Generalstraßendirektor und in der Arbeit des Ingenieurhauptmanns Castulus Riedl, der zu dieser Zeit eine Stellung als Landgeometer und Wasserbaumeister beim Hofbauamt inne hatte. Da der Straßenbau als Bestandteil des inneren Landesausbaus nach den Belastungen und Zerstörungen der Kriege in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts begriffen wurde, war die Tätigkeit der Straßendirektion nicht auf den reinen Straßen(aus)bau beschränkt, sondern auch mit der wasserbaulichen Behandlung der Flüsse, um sie als Handelsverkehrswege auszubauen, sowie mit der Moorkultivierung verbunden.181 Mit der Einrichtung des Generalmautdirektoriums 1765 als oberster Aufsichtsbehörde für das Mautwesen entstand eine problematische Kompetenzüberschneidung mit der Straßendirektion hinsichtlich der Mautämter, weshalb das Generalmautdirektorium selbst die Einrichtung einer neuen Behörde als Ablösung der Straßendirektion vorschlug, die die Kompetenzen im Straßen-, Brücken- und Wasserbau bündeln und die verwaltungstechnische Behandlung dieser Bereiche effizienter gestalten sollte.182 Die Folge war die Einrichtung des zweiten Generalbaudirektoriums durch Verordnung vom 7. März 1767.183 Seine

179 BayHStA HR I Fasz. 229 Nr. 107: Schreiben des Baudirektors Ellerstorfer an die Königliche General Direction des Wasser-, Brücken und Straßenbaues vom 18. Februar 1809. 180 Zur Einrichtung der Straßendirektion und den dahinter stehenden Intentionen Schlögl, Der planvolle Staat, 36–41. 181 Zum Tätigkeitsbereich der Straßendirektion ebd., 86–90. 182 Auch für das Folgende Leidel, Der Wasserbau, 299 und Schlögl, Der planvolle Staat, 178–186. 183 BayHStA OBB (Akten) 1/2; abgedruckt in Artic. I. General-Verordnung, das zu Herstellung neuer Chausséen und sämtlicher Strassenunterhaltung, wie auch zu Besorgung aller Brücken- und Wassergebäude gnädigst decretirte General-Baudirectorium betreffend, in: Churbaierisches Intelligenzblatt 1767, 31. März (Nr. VI), 43–45 und Mayr, Sammlung. Band 1, 292–294.

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Notwendigkeit wurde in der Verordnung wie beim ersten Generalbaudirek­ torium auch neben der allgemeinen Wichtigkeit der Brücken- und Wasserbauten mit der möglichst kosteneffizienten Gestaltung dieser Baubereiche begründet, so dass die vom Aerar (dem landesherrlichen Etat) und der Landschaft bereitgestellten Mittel und Fonds zur Finanzierung des Straßen- und Wasserbaus ausreichen und keine darüber hinausgehenden Gelder zur Verfügung gestellt werden sollten. Ebenfalls wie das erste erhielt auch das zweite Generalbaudirek­ torium eine eigene Finanzverwaltung, da zukünftig die für den Straßen- und Wasserbau vorgesehenen Einnahmen, die Wegegelder, Mauten sowie die Mähnatanlage,184 nunmehr direkt von den Rentämtern an das Generalbaudirek­ torium überschrieben werden sollten. Ohne die Anordnung bzw. Bewilligung des Generalbaudirektoriums hätten die Land- bzw. Pfleggerichte, Kasten- und Mautämter zukünftig keine Straßen oder Wasserbauten mehr zu errichten und die diesbezügliche amtliche Korrespondenz sei direkt an das Generalbaudirek­ torium zu richten. Zum Generalbaudirektor wurde der bisherige Straßendirektor von Berchem ernannt. Dieser hatte bereits vor der offiziellen Einrichtung des Generalbaudirektoriums seine Instruktionen für die Leitung der neuen Behörde mit spezifischen Angaben zu deren Ausgestaltung und Verwaltungsarbeit erhalten.185 So sollte das Generalbaudirektorium auch für die Anforderung von Scharwerk im Straßen- und Wasserbau zuständig sein sowie für die Ersatzleistung bei angegriffenen oder weggenommenen Gründen durch Straßen- oder Wasserbauarbeiten. Außerdem wird in von Berchems Instruktionen darauf hingewiesen, dass die Mautämter angewiesen worden seien, eine vollständige Auflistung der vom Aerar zu unterhaltenden Straßen- und Wassergebäude für ein Hauptlagerbuch aufzustellen. In dieser Bestimmung wird der Fokus auf den Ausgabenaspekt im landesherrlichen Wasserbau deutlich, da das Generalbaudirektorium genau

184 Die Mähnatanlage war mit der neuen Maut- und Accisordnung von 1765, welche die sogenannten Mittelmauten zur Erleichterung des Binnenhandels abschaffte, eingeführt worden. Die Mittelmauten waren zuvor für den Unterhalt der Straßen verwendet worden und mit ihrem Wegfall reichten die nun noch vorhandenen Weg- und Brückenzölle dafür nicht mehr aus. Nachdem die Verhandlungen über ein Surrogatgeld von 50.000 fl. mit den Landständen gescheitert war, wurde am 25. Oktober 1765 stattdessen die Mähnatanlage eingerichtet (Kreittmayr, Sammlung, 198–199). Sie bezog sich auf das Zugvieh und wurde auf 16 Kr. pro Stück angesetzt, um die Finanzierungslücke zwischen den Ausgaben und Einnahmen im Straßen-, Brücken- und Wasserbau schließen zu können. Am 14. April 1766 wurde die Anlage auf 24 Kr. pro Viehstück erhöht (Mayr, Sammlung. Band 1, 595); vgl. dazu auch Hans Schmelzle, Der Staatshaushalt des Herzogtums Bayern im 18. Jahrhundert. Mit Berücksichtigung der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Verhältnisse des Landes. Stuttgart 1900 (Münchener volkswirtschaftliche Studien, 41), 282–283. 185 BayHStA OBB (Akten) 1/2: Instruktion an den künftigen Generalbaudirektor Baron von Berchem vom 22. Februar 1767.

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darauf achten sollte, dass keine nicht vom Aerar zu unterhaltenden Straßen oder Wassergebäude ins Hauptlagerbuch eingetragen wurden. Für die Dienstpraxis der Behörde wurde vorgegeben, dass jeder Fluss mindestens zweimal im Jahr durch abgeordnete Bauverständige zu visitieren war, die Verwendung ausgegebener Gelder sowie damit errichtete Bauten kontrolliert und die Schäden und Mängel an den Wassergebäuden protokolliert werden sollten. Aufgrund der Bedeutsamkeit und des Umfangs der im Generalbaudirektorium anfallenden Arbeiten wurden von Berchem als Mitarbeiter neben anderem Verwaltungspersonal der Hofrat, Hofkammerrat und bisherige Hauptmautner Joseph Aloys von Hofstetten sowie der Hofkammerrat, Ingenieurhauptmann und Wasserbaumeister Castulus Riedl mit seinem Sohn Adrian zur Seite gestellt. Mit der Verordnung zur Einrichtung des Generalbaudirektoriums erging ebenfalls am 7. März eine Dienstinstruktion für die Baubeamten, die einzelne Aspekte des Arbeitsprozesses behandelte, wie die Abfassung von Überschlägen (Kostenaufstellungen) zur Reparatur oder zum Neubau von Brücken- und Wassergebäuden.186 Die Instruktion lässt in ihrer Regelung der finanziellen Abrechnung von Wasserbaumaßnahmen erkennen, dass die kurbayerische Zentralverwaltung bemüht war, einen genauen Überblick über die Bautätigkeit vor Ort zu erhalten und diese auch durch zentrale Vorgaben zu steuern sowie zu vereinheitlichen. So wurden nicht nur detaillierte Angaben über die Maße, Qualität und Kosten, den Transportweg und die Fuhrlöhne von verwendetem Bauholz und -steinen sowie über die eingesetzten Handwerker und Tagelöhner und ihre Entlohnung gefordert. Es wurde auch eine möglichst kostengünstige Bauweise unter Vermeidung von Eisen als Baumaterial sowie der sparsame Einsatz von benötigten Werkzeugen angeordnet. Außerdem schrieb die Instruktion bei der Angabe der Maße eines Wasserbaues die Verwendung des bayerischen Landschuhs (29,19 cm) als Längeneinheit vor, der bereits 1732 als landesweite einheitliche Maßeinheit für das Bau- und Vermessungswesen eingeführt worden war.187 Wie die Aufstellung eines Hauptlagerbuchs bereits erkennen lässt, versuchte das Generalbaudirektorium gleich zu Beginn seiner Verwaltungstätigkeit einen Überblick über die Straßen- und Wassergebäude in Kurbayern zu erhalten. Die Behörde hielt außerdem nur einen Monat nach ihrer Einrichtung eine Begutachtung von Landstraßen und Wasserbauten an ausgewählten Standorten

186 BayHStA Staatsverwaltung 2300, Bl. 41–42 und BayHStA OBB (Akten) 1/2, abgedruckt im Intelligenzblatt: Artic. I. Instruction. Wornach sich die Churfürstl. sämtliche Beamten zu verhalten haben, wenn über Erbauung oder Reparation der auf Churfürstl. Kösten herzustellen und zu unterhalten kommenden Brücken- Wuhr- oder anderer Wassergebäuden Ueberschläge zu verfassen, und einzusenden sind, in: Churbaierisches Intelligenzblatt 1767, 31. März (Nr. VI), 45–47 und in Mayr, Sammlung. Band 1, 294–296; auch behandelt in Leidel, Der Wasserbau, 299. 187 Schlögl, Der planvolle Staat, 54–56.

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besonders in der Region zwischen Alpen und Donau ab, was zu einer Bestandsaufnahme bestehender und Anordnung neuer Baumaßnahmen zu erkannten Problemlagen an Flüssen führte.188 Für das neue Generalbaudirektorium bahnten sich schon im August 1767 Änderungen seines verwaltungstechnischen Zuschnitts an. Der Generalbaudirektor von Berchem wurde nun nämlich auch zum Generalintendanten des Hofbauamtes ernannt.189 Damit schien sich das zweite Generalbaudirektorium in seinem Kompetenzbereich dem ersten von 1688–1695 anzunähern, indem es das gesamte Bauwesen mit von Berchems Ämtern als Generalintendant und Generalbaudirektor in Personalunion vereinigte, zumal die im Generalbaudirektorium tätigen Räte Castulus und Adrian Riedl sowie Joseph Stuber im Hof- und Staats-Calender der Jahre 1767 bis 1769 zugleich als Landgeometer des Hofbauamtes ausgewiesen waren.190 Jedoch blieben Generalbaudirektorium und Hofbauamt zwei getrennte Behörden, auch wenn sie Personalüberschneidungen hatten. Die folgende, etwas unübersichtliche verwaltungstechnische Entwicklung ging sogar in die entgegengesetzte Richtung einer Eingliederung des Generalbaudirektoriums in die Hofkammer als Departement. Die Behörde erschien seit 1770 im Hof- und Staats-Calender zunächst als Verweis auf das Hofbauamt als »Kammeral-Departement« und tauchte dann nur noch als Amtsbezeichnung des Generalbaudirektors selbst auf.191 Ein undatiertes, aber wohl am 1. Oktober 1770 abgefasstes Mandat192 zur Wiedereinrichtung einer GeneralStraßen-, Brücken- und Wasserbaudirektion verweist darauf, dass am 5. April 1769 das Generalbaudirektorium durch ein Incorporationsdekret als Departement in die Hofkammer eingegliedert worden war, nachdem von Berchem zum

188 BayHStA OBB (Akten) 1/2: »Protocoll. So bey dem, durch eine Churfürstl. G[ene]ral Bau Direction Vorgenomenen Augenschein, Bey nachstehenden Archen, und schlacht Gebäuen sowohl, als auch Landstrassen, gehalten worden«, vom 14. bis 28. April 1767. 189 BayHStA OBB (Akten) 1/2: Dekret vom 31. August 1767. 190 Franz Xaveri Menrad von Vorwaltern, Churbajerischer Hof- und Staats Calender, Für das Jahr 1767. München 1767, 23–24; Franz Xaveri Menrad von Vorwaltern, Churbajerischer Hof- und Staats-Calender, Für das Schalt-Jahr 1768. München 1768, 26–27; Franz Xaveri Menrad von Vorwaltern, Churbajerischer Hof- und Staats-Kalender, für das gemeine Jahr 1769. München 1769, 28. 191 Vgl. dazu Schlögl, Der planvolle Staat, 182. 192 BayHStA OBB (Akten) 1/2. Die handschriftliche Fassung des Mandats selbst verweist auf »das dermalige Jahr 1770« und auf das Incorporationsdekret vom » 5ten April a[nn]i praeteriti«. Wie der folgenden Korrespondenz zur Wiedereinrichtung des Generalbaudirektoriums als General-Straßen-, Brücken- und Wasserbaudirektion unter Joseph Aloys von Hofstetten zu entnehmen ist, war in einem Mandat vom 1. Oktober 1770 die erneute Einrichtung einer für den Straßen-, Brücken- und Wasserbau zuständigen Direktion unter der Direktive der Hofkammer bestimmt worden. Von Hofstetten hatte selbst die handschriftliche Vorlage für dieses Mandat entworfen.

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Vizepräsidenten der Hofkammer und des Kommerzienkollegiums ernannt und als Generalbaudirektor ausgeschieden war.193 Nachdem das Generalbaudirektorium also 1769 kurzzeitig verweist war, wurde es bereits 1770 in neuer Form als Departement der Hofkammer wieder eingerichtet. Joseph Aloys von Hofstetten, der bereits als Rat im Generalbaudirektorium tätig gewesen war, hatte sich für diese Aufgabe durch seine schriftlich abgefassten Überlegungen zu einem systematischen Straßenbauwesen empfohlen. Diese waren in der Geheimen Konferenz wohlwollend aufgenommen worden und führten zu seiner Ernennung zum General-Straßen-, Brücken- und Wasserbaudirektor.194 Als es Anfang des Jahres 1771 zu Auseinandersetzungen um die Frage der Eigenständigkeit der neu eingerichteten General-Straßen- und Wasserbaudirektion in Bezug auf die Unabhängigkeit ihrer Arbeit und Berichterstattung an die Hofkammer kam,195 trat von Hofstetten für die Eigenständigkeit der General-Straßen- und Wasserbau-Direktion im Rahmen der Zuordnung zur Hofkammer ein.196 Diese Position setzte sich durch, so dass von Hofstetten im folgenden Jahr das für die Arbeit der General-Straßen- und WasserbauDirektion nötige Personal benennen konnte.197 Hierzu gehörte insbesondere seine Anforderung von drei Ingenieuren und Wasserbaumeistern für den Straßen- und Wasserbau. Schon zuvor war die Beaufsichtigung der Straßen, Brücken und Wassergebäude per Resolution unter den drei Hofkammerräten Castulus und Adrian Riedl sowie Johann Nepomuk von Stubenrauch in Form von Flussdistrikten aufgeteilt worden.198 Darüber hinaus ergingen mehrere Dekrete an diverse Verwaltungsbeamte, die nunmehr der General-Straßen- und Wasserbau-Direktion als Sekretäre, Registratoren, Kanzlisten, Boten usw. zugeordnet

193 Franz Xaveri Menrad von Vorwaltern, Churbajerischer Hof- und Staats-Kalender, für das gemeine Jahr 1770. München 1770, 28. Hier wird von Berchem als Generalintendant des Hofbauamtes und Vizepräsident der Hofkammer und des Kommerzienkollegiums geführt, sein Titel als Generalbaudirektor jedoch nicht mehr genannt. 194 BayHStA OBB (Akten) 1/2: »Systematische Reflexionen. Über das Strassen-Erhebungsund Unterhaltungs-Wesen in Bayern, und der Oberen Pfalz« vom 13. Juli 1770; »Unter­ thänigstes Pro Memoria« von Hofstettens vom 24. September 1770, in dem er Vorschläge für die Ausgestaltung der neuen Behörde und ihre Zuständigkeiten macht. Vgl. dazu auch Schlögl, Der planvolle Staat, 183–186. 195 Vgl. auch Schlögl, Der planvolle Staat, 186–187. 196 BayHStA OBB (Akten) 1/2: »Gehorsamstes Pro Memoria« und beigefügte »Unter­ thänige Note« vom 1. März 1771 an das Hofkammerpräsidium. 197 BayHStA OBB (Akten) 1/2: »Unterthänigstes Pro memoria« mit beigefügten Personallisten vom 3. September 1772. 198 BayHStA OBB (Akten) 1/2: Resolution des Geheimen Rats vom 16. August 1772. Castulus Riedl war für die Region von Inn und Salzach zuständig, Adrian Riedl für die Donau, die Isar und die Loisach und Stubenrauch für den Lech und die Amper. Diese Zuordnung zu den Flussdistrikten änderte sich in der Folge nach den Angaben des Hof- und Staats-Calenders zu urteilen noch zweimal, vgl. dazu Schlögl, Der planvolle Staat, 187–188.

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wurden.199 Der Personalstamm der General-Straßen- und Wasserbau-Direktion entsprach also im wesentlichen dem des vorherigen Generalbaudirektoriums. Mit dem Regierungsantritt Kurfürst Karl Theodors 1779 wurde die Obere Landesregierung als neue Zentralbehörde eingerichtet, die eine Vermittlerrolle zwischen den übrigen Zentralbehörden einnehmen, dabei besonders Hofkammer und Hofrat arbeitstechnisch entlasten und Missstände in der Verwaltung beseitigen sollte.200 Da der Oberen Landesregierung in ihrer Instruktion auch Aufsichtspflichten im Bereich der Schifffahrtswege, der Straßen und Chausseen sowie den damit verbundenen finanziellen Aspekten zugewiesen wurden,201 waren Konflikte zwischen der Hofkammer bzw. dem General-Straßen- und Wasserbau-Direktorium und der Oberen Landesregierung absehbar.202 Dennoch blieb der Straßen-, Brücken- und Wasserbau der Hofkammer bzw. dem General-Straßen- und Wasserbau-Direktorium als Kompetenzbereich erhalten, auch wenn letzteres wie schon zuvor nicht mehr als eigenständige Behörde geführt wurde, sondern nur in von Hofstettens Titel als General-Straßen- und Wasserbau-Direktor ausgewiesen wurde.203 Die Hofkammerinstruktion vom 16. August 1779, die nach der Einrichtung der Oberen Landesregierung nötig geworden war und in der die Geschäftsbereiche der Hofkammer in zehn Deputationen eingeteilt wurden, wies den Straßen- und Wasserbau und damit das General-Straßen- und Wasserbau-Direktorium inhaltlich der Deputation zu, die vom Kommerzienkollegium und der Mautdeputation gebildet wurde.204 Die nunmehr etablierten Verwaltungsstrukturen und Arbeitsverfahren der Direktion fasste von Hofstetten in einer eigenen Beschreibung seiner Behörde zusammen.205 Neben dem Personal, dem Rechnungs- und Etatwesen sowie den Vorgaben für Baumaterialien, Gerätschaften und ihren Einsatz beschrieb von Hofstetten darin als Hauptgeschäftsbereiche der Straßen- und Wasserbau-Direktion den Unterhalt und Bau der Straßen und Chausseen sowie »Unterhaltung 199 BayHStA OBB (Akten) 1/2: Mehrere Dekrete jeweils vom 30. März 1773 unter anderem an den Hofkammerrat und Straßendirektor von Hofstetten, an Castulus Riedl, Adrian Riedl und Johann Nepomuk von Stubenrauch sowie andere Sekretäre, Kassierer, Registratoren und Kanzleiboten. 200 Zur kurbayerischen Oberen Landesregierung Gigl, Die Zentralbehörden, 252–306. 201 Verordnung und Instruktion zur Oberen Landesregierung vom 17. August 1779 in Mayr, Sammlung. Band 1, 392–406. 202 Vgl. Schlögl, Der planvolle Staat, 182–183. 203 Ebd., 183. 204 Mayr, Sammlung. Band 1, 406–423. Zur Reform der Hofkammer vgl. auch Gigl, Die Zentralbehörden, 375–419. 205 BayHStA OBB (Akten) 1/1: »Notizen. Von den Kurfürstlich Bayrisch und Oberpfälzischen Cameral Straßen und Waßerbau Directorial Geschäften, und deren Behandlung« vom 12. Dezember 1785. Auf von Hofstettens Notizen beruht auch die Beschreibung der Tätigkeitsbereiche und Verpflichtungen im kurbayerischen landesherrlichen Wasserbau in Leidel, Der Wasserbau, 301–302.

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und bauung der wed[er] von Privatis, noch von Communitäten, sondern von […] der kurfürstl. Hofkammer zu besorgend[en] Wassergebäuden an den größeren und kleineren flüßen.« Der vom Landesherrn zu betreibende Wasserbau begründe sich dadurch, dass er zur Sicherung der Schiff- und Floßfahrt auf den größeren Flüssen verpflichtet sei. Zu diesem Zwecke habe er die dafür notwen­ digen Brücken und Beschlächte bzw. Wuhrgebäude zu bauen und zu unterhalten, aber nur diejenigen, die nach dem Herkommen und ausweislich bestehender Kontrakte auch wirklich in seinem Verantwortungsbereich lagen. Die bereits zuvor bestehende Gliederung der bayerischen Hauptflüsse in Flussdistrikte, die den drei Direktorial-Assessoren und zugleich Wasserbaumeistern Castulus und Adrian Riedl sowie Johann Nepomuk von Stubenrauch zugeteilt waren, wurde fortgeführt. Die drei Direktorial-Assessoren hatten dabei die Notwendigkeit von Reparaturen oder Neubauten von Wasserbauten zu beurteilen, über die die Mautämter nach ihren halbjährlichen Visitationen Meldung an die Straßen- und Wasserbau-Direktion machten. Von Hofstetten wurde im Jahr 1790, nachdem er zum Hofkammer-Vize­ direktor ernannt worden war, durch Adrian von Riedl, der im gleichen Jahr in den Adelsstand erhoben wurde, als General-Straßen- und Wasserbau-Direktor abgelöst.206 Mit diesem Wechsel in der Leitungsposition ging auch ein Wandel in der systematischen Grundlegung des Straßen- und Wasserbaus in Kurbayern einher, der durch eine am 26. Januar 1790 erlassene Verordnung zum Wasserbauwesen markiert wurde. Die umfangreichen Arbeitspflichten und Zuständigkeitsbereiche eines Wasserbaumeisters in Diensten des General-Straßen- und Wasserbau-Direktoriums in den 1790er Jahren lassen sich der Dienstinstruktion entnehmen, die Michael Riedl von seinem älteren Bruder und Vorgesetzten Adrian erhielt.207 Demnach war Michael Riedl als Wasserbaumeister für den Inn von der Tiroler Grenze bis zur Donau, für die Salzach, die Isar von der Grenze bis zum Beginn des Dingolfingischen Wasserbauinspektionsbezirks, für die Amper, die Loisach und die Würm sowie den Lech von Landsberg bis an die Donau zuständig. In diesem Amtsbereich hatte er die ihm zugewiesenen Flüsse mindestens einmal im Jahr zusammen mit den örtlichen Brückenmeistern oder Polieren zu inspizieren. Bei einem entdeckten gefährlichen Wassereinbruch musste er sofort an die Hofkammer bzw. das General-Straßen- und Wasserbau-Direktorium Bericht erstatten sowie dazu gehörige Pläne, Vorschläge und Protokolle verfassen. Nach der Bewilligung eines Baus und während der Bauphase selbst sollten ein Rapport zur Bauweise und weiterer damit zusammenhängender 206 Dazu und für die Tätigkeit Adrian von Riedls als neuer General-Straßen- und Wasserbau-Direktor seit 1790 Schlögl, Der planvolle Staat, 226–231. 207 BayHStA OBB (Akten) 1/2: Instruktion von Adrian Rield an den Hofkammerrat und Wasserbaumeister Michael Riedl vom 31. März 1796. Der Inhalt der Dienstinstruktion findet sich zusammengefasst auch in Leidel, Der Wasserbau, 306.

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Aspekte sowie Berichte zu besonderen Vorkommnissen eingereicht werden. Nötigenfalls musste er sich dazu auch persönlich auf eine Baustelle begeben. Michael Riedl war auch dazu berechtigt, die Rechnungen der Inspektionsämter einzusehen und Verdachtsfälle von Unterschlagungen weiterzumelden. Auch hatte er die Verträge mit beteiligten Handwerkern anzufertigen und preislich zu kalkulieren sowie die Arbeit der Werk- und Brückenmeister und anderer Bauleute zu überwachen. Des Weiteren führte er die Aufsicht über den Umgang mit Baumaterialien und deren Lagerung. Wenn er auf seinen Inspektionsreisen Mängel an Straßen, Brücken oder Durchlässen feststellte, musste er die Zimmerleute und anderen Arbeiter über die nötigen Baumaßnahmen instruieren und deren Ausführung überwachen. Im Rahmen der Montgelasschen Verwaltungsreformen erfolgte wiederum eine neue verwaltungstechnische Zuordnung des Straßen- und Wasserbaus. So wurde 1799 die Obere Landesregierung in die Generallandesdirektion umgewandelt und die Hofkammer sowie andere Behördenzweige in diese neue Zentralbehörde integriert.208 Wie eine Verordnung vom 20. Mai 1799 bestimmte, blieb weiterhin eine der Generallandesdirektion zugeordnete General-Straßenund Wasserbau-Direktion unter der Leitung Adrian Riedls für den Straßen- und Wasserbau zuständig.209 Das galt auch für die Zeit, in der Adrian Riedl kurzfristig seine Aufgaben als General-Straßen- und Wasserbau-Direktor gegen die Tätigkeit als Generalquartiermeister eintauschte.210 Nach seiner Wiedereinsetzung als Chef des bayerischen Straßen- und Wasserbauwesens wurden Adrian Riedl auch die Wasserbaumeister Michael Riedl und Franz von Pusch sowie der bisherige Baupraktikant Joseph Ellerstorfer als Straßen- und Wasserbaukommissare zur Seite gestellt,211 unter denen er die Flussabschnitte und Chausseen zur Aufsicht aufteilte.212 Die 1801 erfolgte Aufteilung der Generallandesdirektion in vier Ministerialdepartements für das Auswärtige, die Finanzen, das Justiz- und

208 Instruktion der Generallandesdirektion vom 23. April 1799 in Georg K. Mayr, Sammlung der Churpfalz-Baierischen allgemeinen und besonderen Landes-Verordnungen. Band 1. München 1800, 40–57. 209 Ebd., 343; vgl. auch Leidel, Der Wasserbau, 306–307. 210 BayHStA OBB (Akten) 1/2: Kurfürstliches Dekret 20. Juni 1801 zur Wiedereinsetzung Adrian Riedls als General-Straßen- und Wasserbau-Direktor und Rescript vom 15. Februar 1802 an die Generallandesdirektion zu deren Dienstverhältnis zum Straßen und Wasserbaudirektor Adrian von Riedl. 211 BayHStA OBB (Akten) 290: Resolution vom 7. August 1801 an die Generallandesdirek­tion. 212 BayHStA OBB (Akten) 290: An die Generallandesdirektion gerichteter »Unmaßgeblichster Gehorsamster Entwurf« Adrian Riedls vom 24. August 1801 und erneuter »Unzielsezlicher Ausweis« vom 3. März 1802 zur veränderten Aufteilung der Flüsse und Chausseen unter den drei Straßen- und Wasserbaukommissaren, nachdem im Rescript vom 15. Februar 1802 an die Generallandesdirektion die zunächst von Adrian Riedl vorgenommene Aufteilung als ungünstig bewertet worden war.

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Polizeiwesen sowie geistliche Angelegenheiten hatte für das General-Straßenund Wasserbaudirektorium keine größeren Folgen, da der Straßen- und Wasserbau inhaltlich dem Ministerialfinanzdepartement zugeschlagen aber ansonsten nicht weiter behandelt wurde.213 In der bayerischen Zentralverwaltung begann sich jedoch die Ansicht durchzusetzen, dass es einer neuen Aufstellung des Straßen- und Wasserbaus in staatswirtschaftlicher Hinsicht bedürfe.214 Adrian Riedl wurde auch aufgrund seines Alters nicht mehr für fähig gehalten, diese Aufgabe noch bewältigen zu können. Er besaß zwar große praktische Erfahrung, aber man traute ihm nicht genügend mathematisch-theoretische Kenntnisse zu, um Neuerungen in der Hydraulik und Hydrotechnik nachvollziehen zu können. Zum neuen Chef des bayerischen Straßen- und Wasserbauwesens wurde daher Carl Friedrich von Wiebeking (1762–1842) gemacht, der bereits am Rhein und in österreichischen Diensten als Wasserbauer tätig gewesen war und Werke zur Straßen- und Wasserbaukunde veröffentlicht hatte.215 Als geheimer Rat im Ministerialfinanzdepartement wurde er zum Chef des dort angesiedelten Technischen Geheimen Zentral-Bureaus im Straßen- und Wasserbauwesen ernannt, das in einer Verordnung vom 15. März 1805 eingerichtet wurde.216 Begründet wurde die Notwendigkeit dieser neuen Behörde mit der »Wichtigkeit, welche die zweckmässige Leitung des Wasser- und Strassenbaues für Unsre gesammten Provinzen, sowohl in staatswirthschaftlicher Hinsicht, als wegen der aus Staatsmitteln darauf zu verwendenden beträchtlichen Kösten hat […].« Der Geschäftskreis des neuen Bureaus war dabei weit gefasst: Neben dem Straßenbau »in seinem ganzen Technischen Umfange« und anderen weit gestreuten Aufgabenfeldern wie der Aufsicht über die öffentlichen Landeskultivationen sollte es auch sämtliche Aspekte des Wasserbauwesens wie den Fluss- und Deich- oder Dammbau, Bewässerungsanstalten und Wasserleitungen, Mühlen und Mühlwuhren, die Schiffbarmachung der Flüsse und den Erhalt der Treidelwege sowie alle sonstigen Aspekte der Schifffahrt, die Anlage von floß- und schiffbaren Kanälen und von Brücken betreuen. Parallel zu der ehemaligen Verwaltungsstruktur der General-Straßen- und Wasserbau-Direktion waren diese Aufgaben des Straßen- und Wasserbauwesens den Finanzbehörden der jeweiligen bayerischen Provinzen, den Generallandeskommissariaten, zugeordnet, die darüber Bericht an das Ministerialfinanzdepartement als oberster Finanzbehörde zu erstatten hatten. Die Prüfung dieser Berichte oblag dem neuen Technischen Geheimen Zentral-Bureau, das auch die örtlichen Bauten und Bauvorhaben zu begutachten und gegebenenfalls in Augenschein zu nehmen hatte. 213 Verordnung vom 26. Mai 1801 zur Einrichtung der vier Ministerialdepartements in der Generallandesdirektion in Mayr, Sammlung der Churpfalzbaierischen. Band 1, 62–67. 214 Leidel, Der Wasserbau, 309. 215 Zu Wiebekings Biographie vgl. ebd., 309–310. 216 Mehrere Exemplare der Verordnung in BayHStA OBB (Akten) 1/1 und 1/2 sowie 4.

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Trotz der Einrichtung des Technischen Geheimen Zentral-Bureaus war die Adrian Riedl unterstehende General-Straßen- und Wasserbaudirektion weiterhin existent. Ihr Verhältnis zu Wiebekings neuer Zentralbehörde und andere Organisationsaspekte des Straßen- und Wasserbaus wurden detailliert in einem Rescript vom 28. Mai 1805 geklärt.217 Eine der wichtigen Änderungen im Organisationsaufbau des Straßen- und Wasserbaus betraf zunächst die Trennung der Verantwortlichkeiten in eine Bau- und eine Finanzverwaltung. Mautämter und Rentämter, die bisher als Wasserbau-Inspektionen bzw. Straßen-Inspektions-Ämter für den lokalen Wasser- und Straßenbau verantwortlich gewesen waren, sollten nur noch für die Finanzen des Bauwesens verantwortlich sein. Das Verhältnis von Zentral-Bureau und General-Direktion wurde über die Abgrenzung ihrer Zuständigkeiten für diverse Flüsse und Straßen sowie über ihre Positionen im Verwaltungsaufbau bestimmt. Darüber hinaus sollte die GeneralStraßen- und Wasserbau-Direktion zwar erhalten bleiben, wurde allerdings dem Generallandeskommissariat von Bayern auf Provinzebene sowie Wiebeking in letzter Instanz als »bauwissenschaftliche[m] Chef« unterstellt. Adrian Riedl erhielt für seine Behörde speziell die Aufsicht über den Wasserbau am Lech sowie über einige Straßenabschnitte. Die übrigen Flüsse und Straßen sollten hingegen von dafür einzurichtenden Wasser- und Straßenbauinspektionen in Mühldorf, Straubing, Ingolstadt und München verwaltet werden. Das Rescript musste deshalb detailliert die Frage klären, welcher der beiden Zentralbehörden, dem Technischen Geheimen Zentral-Bureau auf zentralstaatlicher oder der GeneralDirektion auf Provinzebene, die neuen Straßen- und Wasserbau-Inspektionsämter jeweils untergeordnet waren. Für die Donau und einige Straßen sicherte sich das Technische Geheime Zentral-Bureau den direkten Kommunikationsweg mit den Inspektionen, die ansonsten dem Generallandeskommissariat in Bayern als oberster Finanzbehörde der Provinz Bayern zugeordnet waren. Die General-Straßen- und Wasserbau-Direktion wurde jedoch im Hinblick auf die Verwaltungsabläufe und Berichte von den neuen Straßen- und Wasserbau-Inspektionen regelrecht isoliert. Die Inspektionen hatten nämlich in wasserbaulichen Belangen nur der in München eingerichteten Wasserbau-Direktion Bericht zu erstatten. Diese war zwar der General-Direktion Riedls formal unterstellt, hatte aber ihre Berichte wiederum direkt an das Generallandeskommissariat zu richten. In dem so konstruierten Verwaltungsaufbau des kurbayerischen Straßen- und Wasserbaus entstand damit eine Doppelstruktur mit den zwei Zen 217 Die Organisation des Wasser- und Strassenbauwesens in der Provinz Baiern betreffend, in: Churpfalzbaierisches Regierungsblatt 1805, 12. Juni (XXIV. Stück), 649–664; Die Organisation des Wasser- und Strassenbauwesens in der Provinz Baiern betreffend. Fortsetzung, in: Churpfalzbaierisches Regierungsblatt 1805, 19. Juni (XXV. Stück), 681–689 und Die Organisation des Wasser- und Strassenbauwesens in der Provinz Baiern betreffend. Beschluß, in: Churpfalzbaierisches Regierungsblatt 1805, 26. Juni (XXVI . Stück), 697–711.

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tralbehörden des Technischen Geheimen Zentral-Bureaus auf zentralstaatlicher Ebene und der General-Straßen- und Wasserbau-Direktion auf Provinzebene: Ersteres hatte in Kompetenzbereich und Verwaltungskommunikation die entscheidungstragende Stellung inne, während letztere wie ein Fremdkörper wirkte, der in die Verwaltungsabläufe nicht mehr integriert war, da die in München eingerichtete Wasserbau-Direktion auch ganz ausdrücklich als »Centrale des Provinzial-Wasserbaues« gedacht war. Dass dieser neue Verwaltungsaufbau im Straßen- und Wasserbauwesen mit der Trennung von Bau- und Finanzverwaltung und den verschlungenen Kommunikationswegen zwischen den neuen Baubehörden sehr unübersichtlich war, zeigt eine Verordnung vom 2. August 1805.218 Hierin wurden die neuen Straßen- und Wasserbauinspektionen noch einmal ausdrücklich angewiesen, die Bestimmungen des Rescripts vom 28. Mai zur Organisation des Straßen und Wasserbauwesens einzuhalten, damit dieses »mit Oekonomie« und »nach den Grundsätzen der Wasser-und Strassenbaukunde geführt werden kann […].« Ihre Berichte hätten sie entsprechend an die Wasserbau-Direktion in München zu richten und nicht an das Generallandeskommissariat, die Landesdirektion oder das General-Straßen- und Wasserbau-Direktorium. Dieser unklare Zustand der Verwaltung im Straßen- und Wasserbauwesen, der auch das Resultat des ersten Versuchs war, getrennte Verwaltungsebenen für die Provinz und für den bayerischen Zentralstaat zu etablieren, war jedoch nur von kurzer Dauer, da Adrian Riedl bereits Ende August 1805 seinen Rücktritt vom Posten des General-Straßen- und Wasserbau-Direktors erklärte.219 In der daraufhin erfolgten Neuordnung des Straßen- und Wasserbauwesens wurde der Verwaltungsaufbau entsprechend vereinfacht. Die General-Straßen- und Wasserbau-Direktion wurde aufgelöst und ihre Kompetenzen auf die Wasserbau-Direktion in München und eine neue Straßenbau-Direktion verteilt, womit die Wasserbau-Direktion als alleinige wasserbauliche Zentralbehörde auf Provinzebene verblieb.220 Eine parallele Verwaltungsstruktur des behördlichen Straßen- und Wasserbaus wurde auch in der 1806 nach dem Frieden von Pressburg erworbenen Provinz Tirol eingeführt, in der ebenfalls eine Straßen- und Wasserbaudirektion in Innsbruck eingerichtet wurde, die auf Provinzebene dem Generallandeskommissariat von Tirol zugeordnet und dem Technischen 218 BayHStA OBB (Akten) 1/2. 219 Eine Darstellung des Rescripts vom 28. Mai 1805 und seinen Folgen auch in Leidel, Der Wasserbau, 310–311. Leidel interpretiert das Rescript in erster Linie als Produkt behördeninterner Machtkämpfe und des Versuchs Wiebekings, Adrian Riedls Position im kurbayerischen Wasser- und Straßenbauwesen zu untergraben. 220 BayHStA OBB (Akten) 290: Verordnung vom 6. September 1805 an das Generallandeskommissariat von Bayern; abgedruckt in: Die Eintheilung des Wasser- und Strassenbauwesens in Baiern betreffend, in: Churpfalzbaierisches Regierungsblatt 1805, 2. Oktober (XL . Stück), 1003–1011.

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Geheimen Zentral-Bureau auf zentralstaatlicher Ebene in letzter Instanz unterstellt war.221 Diese Ordnung des Verwaltungsablaufs für den Straßen- und Wasserbau blieb auch in den Folgejahren trotz weiterer Änderungen erhalten.222 Der Bau­ ingenieur Heinrich von Pechmann beschrieb den Zustand der Verwaltung des Straßen- und Wasserbaus im Königreich Bayern Anfang der 1820er Jahre nach einer erneuten Verwaltungsreform 1818: Aus dem ehemaligen Technischen Geheimen Zentral-Bureau hatte sich das Central-Bureau entwickelt, das nunmehr die übergeordnete Dienststelle für Baudirektoren war, die Teil der 1817 neu eingerichteten Kreisregierungen waren. Bisher hatte sich der Aufgabenbereich des Central-Bureaus auf die Prüfung und Begutachtung aller Bauvorhaben im Straßen- und Wasserbau beschränkt. 1821 war ihm jedoch auch der Landbau unterstellt worden und seine Verwaltungsstruktur zum neuen Ministerial-Baubureau geändert worden.223 Daraus sollte sich schließlich die Zusammenlegung aller Bereiche des Bauwesens in die 1830 eingerichtete Oberste Baubehörde entwickeln. Die fortwährenden Reformen des behördlich organisierten Straßen- und Wasserbauwesens waren in die allgemeinen Verwaltungsreformen des 18. und 19. Jahrhunderts eingebettet. Hier lässt sich insbesondere die Bemühung um die Effizienzsteigerung des Straßen- und Wasserbauwesens beobachten. Die Verwaltungsreformen hatten letztlich bei gleichzeitiger Verbesserung der Arbeitsleistung der Behörden auch immer die Ausgabenreduktion der Landesherrschaft zum Ziel, was an der direkten oder indirekten Anbindung des Straßen- und Wasserbaus an die Finanzbehörden zum Ausdruck kommt. Es ging also um eine fortwährende Verbesserung des Verhältnisses von Schutzwirkung des Wasserbaus mit entsprechenden kostensparenden Folgeeffekten einerseits und den unmittelbar nötigen Ausgaben andererseits. Die zu diesem Zweck, wenn auch mit

221 Wiebeking hatte zuvor zusammen mit dem bayerischen Hofkommissar in Tirol, Graf von Arco, eine Inspektionsreise in Tirol unternommen und die Ergebnisse in einem Bericht vom März 1806 festgehalten, in dem eine Reform des Straßen- und Wasserbaus in Tirol nach dem Vorbild der bayerischen Behördenorganisation vorgeschlagen wurde. Dieses und andere Dokumente zum Tirolschen Straßen- und Wasserbauwesen in BayHStA OBB (Akten) 93. 222 So wurde das Technische Geheime Zentral-Bureau in General-Direction des Wasser-, Brücken- und Strassenbaues umbenannt und seine verwaltungstechnische Zuordnung wechselte vom Finanzministerium zum Ministerium des Inneren; BayHStA OBB (Akten) 3: Rescripte vom 21. September und 3. Oktober 1809 zur Integration der königlichen Generaldirektion des Wasser-, Straßen- und Brückenbaus als Ministerial-Sektion in das Ministerium des Inneren sowie weitere diesbezügliche Dokumente vom Oktober und November 1809. Außerdem änderten sich die Zuständigkeiten für die Flüsse erneut; BayHStA OBB (Akten) 2: Rescript vom 1. September 1808 zur Neuorganisation des Wasser-, Brücken- und Straßenbauwesens. 223 Pechmann, Ueber den frühern, 130–132.

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Unterbrechungen, verfolgte Strategie war die Konzentrierung des Straßen- und Wasserbauwesens in eigenen Spezialbehörden.

4.4.1.2 Rechtliche und finanzielle Verantwortlichkeiten im Wasserbau Auch wenn der gegebene Überblick der Verwaltungsstruktur des Straßen- und Wasserbaus in Bayern dies suggeriert haben mag, war der Wasserbau nicht nur eine landesherrliche Angelegenheit, sondern auch die der an den Flüssen anrainenden Untertanen und Grundherrschaften bzw. Städte und Märkte. Der Landesherr war offiziell nur für die Wasserbauten, Brücken und Treidelwege verantwortlich, die zum Erhalt der Floß- und Schifffahrt auf den Flüssen Kurbayerns notwendig waren.224 Darüber hinaus waren die Anlieger selber für den Schutz ihrer Uferabschnitte verantwortlich. In Bezug auf diese Wasserbauten hatte der Landesherr sowohl das ius monendi (das Recht zur Mahnung) als auch das ius corrigendi et dirigendi (Korrektur- und Leitungsbefugnis) inne. Bei vielen Wasserbauprojekten wurden dazu sogenannte Konkurrenzen eingeführt, bei denen sich mehrere interessierte Parteien zum Wasserbau zusammentaten. Zumeist handelte es sich dabei um eine Kostenaufteilung zwischen dem Landesherrn, dem örtlichen Grundherrn und den anrainenden Untertanen, wobei jeder ein Drittel der Kosten zu übernehmen hatte und der Landesherr die Leitungsfunktion übernahm – eine Vorgehensweise, die sich bereits in landesherrlichen Verordnungen des 17. Jahrhunderts nachweisen lässt.225 Wo der Landesherr zugleich Grundherr war, übernahm er zwei Drittel der Kosten. Im Kreittmayrschen Rechtswerk zum kurbayerischen Landrecht, dem Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis von 1756, waren folgende rechtliche Bestimmungen zum Wasserbau festgelegt: An öffentlichen Flüssen und schiffbaren Wasserströmen durften ohne die Genehmigung des Landesherrn keine Wasserbauten unternommen werden, die die Schifffahrt behinderten oder eine Veränderung des Flussrinnsals herbeiführten. Zwar war niemand ohne die Existenz entsprechender Verträge oder eines alten Herkommens zum wasserbaulichen Schutz des eigenen Ufers verpflichtet. Jedoch waren benachbarte Anlieger durchaus dazu befugt, auf eigene Kosten fremdes Gestade wasserbaulich zu behandeln, ohne dass ihnen daraus eine zukünftige Verpflichtung entstand. Was die Regelung von Konkurrenzen zu den nötigen Wasserbauten betraf, so waren dafür bestehende Verträge und das rechtliche Herkommen maßgeblich. Waren diese nicht gegeben, musste der Anlieger des Ufers die Kosten alleine tragen. Wollte er diese nicht auf sich nehmen, so stand es ihm frei, seinen dortigen Grund 224 Auch für das Folgende Leidel, Der Wasserbau, 301 und die »Notizen« von Hofstettens vom 12. Dezember 1785 zum Straßen- und Wasserbau in BayHStA OBB (Akten) 1/1. 225 Feuchtwanger, Das öffentliche Bauwesen, 117.

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besitz zu verlassen. Bei einem Wasserbau mit mehreren Interessenten und entsprechender Konkurrenz hatte letztlich derjenige die Leitung inne, der auch die Gerichtsbarkeit am Ort des Wasserbaus vertrat.226 Im Kommentar schränkte Kreittmayr die Bestimmung zur nicht gegebenen Verpflichtung zum Schutz des eigenen Ufers aber ein, da bei einem Wassergebäude, das der ganzen Gemeinschaft zugutekommt, durchaus der Einzelne zur Konkurrenz verpflichtet sei: »Wann aber der Wasserbau so beschaffen ist, daß einer ganzen Gemeinde daran liegt, so kan sich auch dieser Gemeindsbürde keiner entziehen, sondern es concurriren alle a Proportion ihrer Gründen.«227 Beispiele für die Praxis der Wasserbaukonkurrenz bzw. der Kostendrittelung zwischen Landesherr, Grundherr und Untertanen sind vielfach vorhanden. Zur Verarchung eines Inneinbruchs bei Redenfelden etwa wurden die Kosten von insgesamt 913 fl. und 30 Kr. unter den beteiligten Parteien aufgeteilt, wobei die Landesherrschaft aufgrund der Landstraßen, der Naufahrt am Fluss (die stromabwärts gehende Schifffahrt), der Jurisdiktion vor Ort und den eingenommenen Scharwerksgeldern ein Drittel der Summe, also 304 fl. und 30 Kreuzern, übernahm.228 Trotz oder gerade wegen der bestehenden Rechtslage im Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis, die doch eher vage und (nimmt man den Kommentar hinzu) widersprüchlich definiert war, waren Wasserbaukonkurrenzen häufig mit Streitfällen und Konflikten um die Kostenaufteilung und die Verpflichtung zur Beteiligung verbunden. Zumeist musste überhaupt erst festgelegt oder festgestellt werden, dass Wasserbaukonkurrenzen zur Abstellung bestimmter akuter Gefahrenlagen an Flüssen einzusetzen waren. Umstritten war in diesem Zusammenhang immer wieder, wer zur Teilnahme an Wasserbaukonkurrenzen verpflichtet war. Die Landesherrschaft wie auch andere beteiligte Parteien hatten dabei nicht nur ein Auge auf den Schutz eigener anrainender Gründe oder (im Falle der Landesherrschaft) auf die Wahrung der territorialen Grenze durch Wasserbaumaßnahmen, sondern hatten auch den finanziellen Faktor zu berücksichtigen. So war man bestrebt, Ausgaben so gering wie möglich zu halten oder zu vermeiden und auf andere Parteien abzuwälzen, indem man sich einer verbindlichen Verantwortung zum Wasserbau durch den Einsatz rechtlicher Mittel, durch Verschleppung oder schlicht durch Verweigerung zu entziehen suchte. Zu Wasserbaukonkurrenzen herangezogene Parteien blockierten zum Teil die Begleichung ihrer Kostenanteile. So drohte die Hofkammer dem Kloster Lilien 226 Wiguläus X. A. Frhr von Kreittmayr, Codex Maximilianeus Bavaricus, Civilis. Oder Neu Verbessert und Ergänzt Chur-Bayrisches Land-Recht. In IV. Theilen. XLIX Capituln. München 1756, 479–480 (vierter Teil, Kapitel 16, Paragraph 11). 227 Wiguläus X. A. Frhr von Kreittmayr, Anmerkungen über den Codicem Maximilianeum Bavaricum Civilem. Vierter Theil. München 1765, 779. 228 BayHStA Kurbayern HK Archivalien (vorläufige Nr. 3068): »Verzeichnis, oder Repartition« vom 20. Mai 1713.

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berg in München, sich aus der gemeinsamen Finanzierung der wasserbaulichen Behebung eines Isareinbruchs zurückzuziehen, sollte das Kloster nicht seinen festgelegten Anteil zahlen und weiterhin versuchen, die Kosten alleine dem kurfürstlichen Hofbauamt aufzubürden.229 Das Beispiel eines Konfliktes wegen eines Wasserbaus am Lech bei der Stadt Friedberg, der einen Wassereinbruch und die Verschiebung des Flussbetts verhindern sollte, illustriert zum einen den Streitpunkt bei Wasserbaukonkurrenzen, wer zur Teilnahme und damit zur Übernahme von Kostenanteilen verpflichtet war. Zum anderen veranschaulicht es die Strategien beteiligter Parteien, sich der Verpflichtung zum Wasserbau durch Berufung auf finanzielle Nöte und das Verursacherprinzip oder durch schlichte Verweigerung zu entziehen. In den Jahren 1716 und 1717 wandte sich die Stadt Friedberg mehrfach an den Hofrat und wies auf die bedrohliche Situation am Lech bei der Mehringer Au hin, wo das Ufer abbreche und drohe sein Hauptrinnsal zu verlagern, was sowohl der Bürgerschaft der Stadt Friedberg als auch anderen anliegenden Dörfern und Herrschaften schwere Schäden zufügen könnte. Daraufhin waren Anweisungen an das Hochzollamt Friedberg und das Pfleggericht Mehring ergangen, eine Begutachtung vor Ort vorzunehmen. In seinem Bericht zur gemeinsam mit dem Hochzollamt vorgenommenen Inaugenscheinnahme verwies das Gericht Mehring darauf, dass der Lech seinen Hauptarm bereits auf bayerisches Territorium verlagert habe, weshalb auch gegen den zu erwartenden Protest des Hochstifts Augsburg die Rückführung des Lech in sein altes Bett an erster Stelle stehen müsse, bevor andere Wasserbaumaßnahmen vorgenommen werden könnten. Ansonsten erbat das Gericht Mehring die Abordnung einer Kommission aus Hofkammer und Hofrat zur Festsetzung einer Wasserbaukonkurrenz, um gemeinsam mit den beteiligten Parteien vor Ort zu befinden, wer sich an den erforderlichen Baukosten beteiligen müsse.230 Die Stadt Friedberg hatte dem Mehringer Pfleger da bereits bedeutet, dass sie nicht gedenke, sich an den Kosten für nötige Wasserbauten zu beteiligen. Da die zuvor nicht erfolgte Rückführung des Lech in sein altes Bett der Hauptgrund für die verursachten und zu befürchtenden Schäden sei, die Stadt Friedberg also weder das Hindernis darstelle noch in der Verpflichtung zu irgendeinem Wasserbau stünde, könne man ihr auch keine diesbezüglichen Kosten für die fraglichen Wasserbaumaßnahmen aufbürden.231 Hofkammer und Hofrat kamen allerdings zum Schluss, die vorgeschlagene Rückführung des Lech nicht durchzuführen, da das gegen 229 BayHStA Kurbayern HK Archivalien (vorläufige Nr. 1458): Schreiben der Hofkammer vom 8. November 1727 an das Kloster Lilienberg. 230 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 100, Bl. 292–294: Bericht des Gerichts Mehring vom 6. April 1717 an den Hofrat. 231 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 100, Bl. 296–297: Schreiben der Stadt Friedberg vom 23. März 1717 an den Pfleger und Kastner in Mehring.

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geltende Rezesse mit dem Hochstift Augsburg verstoße, so dass die Lage am Lech lediglich mit Schlachtgebäuden stabilisiert werden solle.232 Da in dieser Sache keine weitere Resolution erfolgte, erinnerte das Landgericht Friedberg zwei Jahre später an die nach wie vor bedrohliche Lage am Lech, die durch eine Rückführung des Flusses in sein altes Bett bereinigt werden müsse. Falls man keine Gegenmaßnahmen ergreife, werde der ohnehin reißende Lech bei starkem Regenwetter, wie es in der Herbstzeit zu erwarten sei, seinen Lauf über die Auen der Hofmark Kissing, die Wiesengründe der Stadt Friedberg und sogar durch das Dorf Lechhausen nehmen. Dem könne durch die vorgeschlagenen Wasserbaumaßnahmen zwar noch vorgebeugt werden, allerdings weigere sich die Hofmark Kissing auch nur den geringsten Teil zu einer dafür nötigen Konkurrenz beizutragen und lasse lieber ihre bedrohten aber ungenutzten Wiesengründe dem Lech anheimfallen.233 In einer wegen des Friedberger Berichts abgehaltenen Konferenz von Hofkammer und Hofrat wurde beschlossen, dass das Landgericht angewiesen werden solle, die nötigen Baumaßnahmen unverzüglich zu beginnen und dafür eine proportionierte Konkurrenz der beteiligten Parteien einzusetzen. Falls die Hofmark Kissing sich weiter weigern sollte, ihren Anteil zu dieser Konkurrenz zum Zwecke des Bonum Publicum beizutragen, solle das Gericht zum Mittel der militärischen Exekution – also der Zwangseinquartierung von Soldaten – greifen, um den Druck auf die Hofmark zu erhöhen.234 Der Kissinger Verweigerung schloss sich auch die Stadt Friedberg an, die jegliche Beteiligung an einer Wasserbaukonkurrenz ablehnte. Aufgrund der bestehenden Schuldenlasten und Verpflichtungen müsse man darum bitten, von einer Beteiligung an dieser und zukünftiger Wasserbaukonkurrenzen befreit zu werden.235 In einem weiteren Schreiben an das Landgericht Friedberg wurde die Stadt deutlicher: Man werde sich an den Baukosten auch deshalb nicht beteiligen, weil sich die eigentlichen Gefahrenursachen nicht auf dem Gebiet der Stadt befänden, sondern auf den Gründen, die jurisdiktionell der Kissingischen Hofmark und dem Gericht Mehring zugehörig seien. Man habe auch in der Vergangenheit für die Lechgebäude keine Mittel beigesteuert und es sei hoffentlich nicht die Intention der Landesherrschaft, ihr eine solche unerträgliche Bürde aufzuerlegen, da das den gänzlichen Ruin der Stadt bedeuten würde. Auch werde der Lech mit den dafür veranschlagten Geldmitteln schwerlich in ein stabiles 232 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 100, Bl. 298–299: Protokoll einer Konferenz von Hofkammer und Hofrat vom 17. April 1717; Bl. 300–301 Schreiben von Hofrat und Hofkammer an das Gericht Mehring vom 26. April 1717. 233 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 100, Bl. 304–307: Schreiben des Landgerichts Friedberg vom 9. November 1719 an den Hofrat. 234 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 100, Bl. 308–309: Protokoll der Konferenz vom 11. Dezember 1719. 235 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 100, Bl. 312, 316: Schreiben der Stadt Friedberg vom 24. Februar 1720 an den Hofrat.

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Bett zu bringen sein. Die Gewalt des Flusses könne nämlich ab und an so stark werden, dass er selbst stärkere Beschlachte hinweg reiße, so dass man zukünftig immer mal wieder Beschlachtungen und Reparationen vornehmen müsse. Man wolle daher lieber die hiesigen Gemeindegründe notgedrungen dem Fluss überlassen, als sich freiwillig am fraglichen Lechgebäude zu beteiligen oder hierfür verpflichten zu lassen. Auch sei es eigentlich die Aufgabe der Landesherrschaft, den Haupt- und Grenzfluss Lech auf ihre Kosten in einen sicheren Zustand zu versetzen, um die angrenzenden Untertanen vor Schaden zu bewahren.236 Nachdem Hofkammer und Hofrat über die Wasserbaukonkurrenz zum fraglichen Wasserbau am Lech konferiert hatten, wobei die Wahrung der kurbayerischen Territorialjurisdiktion im Mittelpunkt stand,237 erging der Bescheid an das Landgericht Friedberg, dass von landesherrlicher Seite die Hälfte der Wasserbaukosten übernommen werden solle, die Stadt Friedberg und die Hofmark Kissing sich jedoch die andere Hälfte zu teilen hätten.238 Drei Jahre (!) später teilte der Friedberger Landrichter dem Hofrat mit, dass die Wasserbaukonkurrenz nicht zustande gekommen sei, da er die Stadt Friedberg und die Hofmark Kissing zwar angewiesen habe, die von ihnen anteilig aufzubringenden 163 fl. bereitzustellen, sich aber weder die Stadt noch die Hofmark dazu bereit gefunden hätten.239 Die Kostenfrage stand auch im Hintergrund von Streitigkeiten zwischen der Stadt München und der Hofkammer um Wasserbau an der Isar bei Lehel. Die Stadt führte das bekannte Argument finanzieller Mehrbelastung aber auch das bisher praktizierte Herkommen und die Gesetzeslage an, während die Hofkammer sich auf die Lage der Wuhren im Burgfried (dem Gerichtsbarkeitsgebiet) der Stadt berief: Mit einem an den Geheimen Rat gerichteten Appell versuchte die Stadt München sich einer Anordnung der Hofkammer, einen gefährlichen Einbruch der Isar bei Lehel durch Wasserbau zu sichern, zu entziehen. Sie erkannte darin zwar durchaus an, dass sie zum kostspieligen Unterhalt der Isarwuhren bei Lehel zum Wohl der Allgemeinheit verpflichtet sei. Aber allein die jüngst durch die Isar angerichteten schweren Schäden hätten für die Stadt eine Schuldenlast von über 12.000 fl. bedeutet und weitere Hochwasserschäden in diesem Sommer seien nicht absehbar. Unter diesen Umständen sei die Summe von 1.000 fl. für den Wasserbau, die die Hofkammer ihr aufbürden wolle, für die Stadt untragbar. Durch eine Begutachtung werde sich klar ergeben, dass die in der Gegend anliegenden Ortschaften den geltenden Gesetzen gemäß von jeher selbst auf eigene 236 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 100, Bl. 313–315: Schreiben der Stadt Friedberg an das Landgericht Friedberg vom 24. Februar 1720. 237 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 100, Bl. 328–329: Protokoll der Konferenz von Hofrat und Hofkammer vom 20. April 1720. 238 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 100, Bl. 330: Resolution vom 20. April 1720 an das Landgericht Friedberg. 239 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 100, Bl. 331–333: Schreiben des Landgerichts Friedberg vom 10. Juli 1723 an den Hofrat.

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Unkosten Verwuhrung und Beschlachtung ihrer Ufer vorgenommen hätten. Auf der Grundlage dieses Arguments verwies die Stadt München darauf, dass man von der Hofkammer wider natürliches und allgemein anerkanntes Recht mit dieser Verpflichtung zum Wasserbau beladen worden sei, auch entgegen den Bestimmungen zum Wasserbaurecht im neuen Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis.240 Nach einer daraufhin durchgeführten Inaugenscheinnahme entschied der Hofrat jedoch gegen die Stadt und verpflichtete sie dazu, dem Hofbauamt die Kosten für den unternommenen Wasserbau zu erstatten.241 Die Landesherrschaft versuchte aber auch, durch den Einsatz von Wasser­ baukonkurrenzen die Kosten auf mehrere Parteien und Anlieger zu verteilen und damit die eigenen Ausgaben zu reduzieren. So wies der Geheime Rat in einem Fall die Hofkammer an, zur Finanzierung einer Donaubeschlacht bei Irsching im Landgericht Vohburg eine Konkurrenz einzuführen.242 Hier seien in der Vergangenheit durch die fortwährende Reparatur der fraglichen Beschlacht landesherrliche Mittel über Gebühr in Anspruch genommen worden, ohne dass eine Konkurrenz zur Entlastung eingeführt worden sei. Dies könne nicht akzeptiert werden, da aus der Beschlacht »mehrere Theile Nutzen ziehen«, so dass zu diesen Kosten nun auch die übrigen »Participanten« heranzuziehen seien. Das soll für jene gelten, die »die Einkünfte von den Unterthanen zu Irsching […] genießen« und denen bei »erfolgend übergrosser Wassergefahr«, wenn die Verwuhrung des Ortes nicht erfolge, durch die Zerstörung Irschings auch der Verlust ihrer Einkünfte drohe. Die Wasserbaukonkurrenzen konnten der Landesherrschaft auch dazu dienen, die Verantwortung für Wasserbauten an örtliche Anrainer durch die Verpflichtung zur Konkurrenz abzugeben, um auf diese Weise Kosten zu sparen, wie aus einem Bericht des Hofbauamts an die Hofkammer bezüglich eines Isareinbruchs bei Harlaching ersichtlich wird.243 Bei einer von den supplizierenden Wassergenossen bei Harlaching erbetenen gemeinsamen Ortsbesichtigung habe sich gezeigt, dass der Fluss ein Stück Land zwischen sich und dem dortigen Mühlbach weggerissen habe, weshalb die Vereinigung von Isar und Mühlbach zu befürchten sei. Das könne zur Überschwemmung der am Bach liegenden 240 BayHStA OBB (Akten) 2415: Supplik des Stadtmagistrats von München vom 17. Juli 1756 an den Geheimen Rat. Dies ist eine der wenigen Stellen in der Verwaltungskommunikation und den Suppliken zu Wasserbaustreitigkeiten, in denen überhaupt auf das bayerische Landrecht bzw. den Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis verwiesen wird. Wesentlich häufiger sind dagegen Berufungen auf das bisherige Herkommen. 241 BayHStA OBB (Akten) 2415: Entscheid des Hofrats vom 30. Juni 1758 und nach Revisionsgesuch der Stadt erfolgter Revisionsentscheid des Hofrats vom 7. Oktober 1759. 242 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 951: Schreiben des Geheimen Rats vom 21. Dezember 1791 an die Hofkammer (wird der Oberen Landesregierung zur Nachricht in Abschrift übersandt). 243 BayHStA Kurbayern Hofbauamt 345: Bericht des Hofbauamts an die Hofkammer vom 20. April 1712.

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Au und zur Schädigung der dortigen Müller und Wassergenossen führen. Die hauptsächliche Verantwortung für die Abwendung der Gefahr obliege aber den an der Au ansässigen Müllern und Wassergenossen selbst, auch weil die Landesherrschaft hier noch nie mit eigenen Beschlachtungen ausgeholfen habe. Die betreffenden Interessenten hätten deshalb erst in den letzten Jahren selbst eine solche Wuhr zum Schutz ihres anliegenden Grund und Bodens verfertigt. Deshalb solle festgestellt werden, wie viel jeder Ansässige zu dieser Wasserbauarbeit beisteuern solle, während den Supplikanten zu bedeuten sei, dass sie die Arbeiten zur eigenen Rettung selbst ausführen und sich die Kosten von den beteiligten Anrainern erstatten lassen sollen. In ähnlicher Weise wurde versucht, bei einem Wasserbau in (Bad) Tölz in der Nähe einer landesherrlichen Pulvermühle die Kosten zu delegieren, wobei der fiskalische Primat im Wasserbauwesen überdeutlich zu Tage tritt. Das Hofbauamt berichtete hierzu an die Hofkammer über die Ergebnisse einer Begutachtung vom August des Jahres 1722:244 Das fragliche Wuhrgebäude diene nicht so sehr der Sicherung der örtlichen Pulvermühle, als vielmehr dem Schutz anliegender herrschaftlicher und klösterlicher Gründe sowie der Wege an der Isar. Das Gutachten käme daher zu dem Schluss, dass künftig für die Sicherung der anrainenden Gründe, seien sie von Urbarsuntertanen oder im hofmärkischen Besitz, kein einziger landesherrlicher Kreuzer mehr für Reparaturen oder Neubauten der örtlichen Beschlachten ausgegeben werden solle. Dies wird mit einer recht kühlen Kosten-Nutzen-Analyse begründet, die den einzelnen Untertan auf seine fiskalische Abgabenfunktion für den Landesherrn reduziert und jedweden Bezug auf Verpflichtungen des Landesherrn gegenüber seinen Untertanen ausklammert: Sollte man dort auch weiterhin Wasserbau auf landesherrliche Kosten betreiben, so werde »mann weith ein mehrers in die Iser Verpauen, als mann Von selbigen Underthannen zu ewigen Zeiten nuzen haben würde […].« Die Untertanen müssten künftig selbst vor ihren Gründen schützende Wasserbauten errichten und der Landesherr solle nur den eigenen Kastenamtsuntertanen (von denen er grundherrliche Abgaben erhielt) eine monetäre Unterstützung gewähren, falls der Schaden bei einem Hochwasser zu groß wäre. Die Ausgaben im Wasserbau werden also gegen die von den Untertanen zu gewinnenden Einkünfte aufgerechnet und damit ihr fiskalischer Nutzeffekt als ›Humankapital‹ gegen ihren Schutz gestellt. Bei einer erneuten Begutachtung der fraglichen Wasserbauten bei der Tölzer Pulvermühle blieb das Hofbauamt zwar grundsätzlich bei seinem Standpunkt, keine Privatgründe mehr durch landesherrliche Mittel wasserbaulich zu sichern, gestand jedoch wegen der Armut der örtlichen Untertanen eine einmalige Übernahme von Kosten durch den Landesherrn zu. Zukünftig hätten die Untertanen 244 BayHStA Kurbayern Hofbauamt 363: Schreiben des Hofbauamts an die Hofkammer vom 9. September 1722.

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jedoch im Rahmen einer Wasserbaukonkurrenz ihre Wuhrgebäude selbst zu unterhalten.245 Die Hofkammer versuchte auch tatsächlich eine solche Konkurrenz zum fraglichen Wasserbau bei Tölz einzuleiten, wobei man sorgfältig darauf bedacht war, die landesherrliche Beteiligung daran niedrig und rechtlich unverbindlich zu halten. Erneut wurde eine Kommission, bestehend aus dem Hofkammerrat Paur von Heppenstain, dem Bauschreiber Ziegler und dem Geometer Franz Anton Paur, zur Abhaltung einer Begutachtung eines erneuten Hochwasserschadens vor Ort abgeordnet, an der auch die anrainenden Untertanen teilnehmen sollten.246 Im Kommissionsprotokoll zur Ortsbesichtigung des »leib- und lebends gefährl[ichen] Isar einbruch[s]« werden nicht nur die Schäden am Wuhrbau und der landesherrlichen Pulvermühle beschrieben, sondern auch die Frage der Wasserbaukonkurrenz behandelt. Hier wird hervorgehoben, in welchem Umfang der landesherrliche Aerar bereits Kosten für die Sicherung der Privatgründe von Untertanen »auß puren Gnaden« aufgewandt habe, was jedoch nicht mehr fortgeführt werden solle. Wiederum »nur auß puren Gnaden« gestehe man den Untertanen jedoch in Berücksichtigung ihrer Armut eine Hilfsleistung für sechs Jahre zu. Ansonsten seien sie dazu verpflichtet, diese Wuhrbauten selbst zu unterhalten.247 Auch die finanziellen Interessen der beteiligten Grundherrschaften und ihre daraus folgende Haltung zur geplanten Konkurrenz fanden Berücksichtigung. So erinnerte der Tölzer Pflegkommissar in einer Erklärung daran, dass noch die Frage der Anteile von Untertanen, Grundherrschaften und Landesherrschaft zur Konkurrenz am fraglichen Wuhrgebäude geklärt werden müsse. Dabei sei zu beachten, dass die Grundherrschaften auf mehrere Jahre hinaus nicht den Betrag von ihren Untertanen durch Abgaben wieder hereinholen könnten, den sie nun für den Wasserbau in einem Jahr aufwenden müssten. Für den Fall, dass sie ihre Untertanen also nicht zur Leistung ihres Drittels durch Handscharwerk anhielten, müssten den Grundherrschaften Zwangsmaßnahmen angedroht werden.248 Neben der Wasserbaukonkurrenz stand der Landesherrschaft auch das Mittel des Scharwerks zur Verfügung, um direkte Ausgaben des landesherrlichen Etats im Wasser- und Straßenbau zu reduzieren und umfangreiche Schäden infolge von Hochwasser und Überschwemmungen zu beheben. Nach den Bestimmungen des Bayerischen Landrechts von 1756 waren prinzipiell zwei Formen des

245 BayHStA Kurbayern Hofbauamt 363: Schreiben des Hofbauamts an die Hofkammer vom 26. September 1730. 246 BayHStA Kurbayern Hofbauamt 363: Schreiben der Hofkammer vom 26. Oktober 1737 an das Hofbauamt. 247 BayHStA Kurbayern Hofbauamt 363: Protokoll der Inaugenscheinnahme vom 7. November 1737. 248 BayHStA Kurbayern Hofbauamt 363: Protokollzusatz vom 19. November 1737.

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Scharwerks in Bayern zu unterscheiden:249 Einmal gab es das Scharwerk, das jeder bäuerliche Untertan bzw. Hof dem Gerichtsherrn, dem Inhaber der Niedergerichtsbarkeit im jeweiligen Herrschaftsbezirk, als operae jurisdictionales et privatae schuldete. Je nachdem, wer diese örtliche Gerichtsbarkeit inne hatte, konnten die Bauern entweder als grundherrliche Untertanen des Landesherrn (Urbarsuntertanen) oder einer anderen ständischen hofmärkischen Obrigkeit (Adelige, Klöster) das niedere Gerichtsscharwerk zu leisten verpflichtet sein. Für Bürger und Einwohner von Städten und Märkten sowie Adelige und sonstige gefreite Personen galt dieses Scharwerk nicht. Das schloss jedoch nicht aus, dass Städte oder Märkte eigene Scharwerkleistungen für ihre Bürger und Einwohner vorsahen. Trotz der engen Bindung von Grundherrschaft und Niedergerichtsbarkeit war dieses eigentliche Scharwerk nicht grundherrlich begründet, sondern durch die Ausübung der Niedergerichtsbarkeit. Außerdem gab es das hohe oder territoriale landesfürstliche Scharwerk, das als operae publicae für das Allgemeinwohl zu leisten war. Ohne besonderes Privileg war kein Untertan der landesherrlichen Obrigkeit gleich welchen Standes von diesem Territorialscharwerk ausgenommen. Personen von Stand konnten es jedoch durch einen Geldbetrag als Substitut ableisten. Die vom Landesherrn empfangene Scharwerkleistung bestand also einmal im niederen Gerichtsscharwerk an den Orten, wo er die niedergerichtliche Obrigkeit war, und im Territorialscharwerk, das sämtliche Untertanen aller Stände an die landesherrliche Obrigkeit zu leisten hatten. Das dem Landesherrn zu entrichtende niedergerichtliche, in dieser Form als gemessen bezeichnete Scharwerk war bereits im 17. Jahrhundert durch das Scharwerksgeld, ein festgesetzter jährlicher Geldbetrag, abgelöst worden. Das Territorialscharwerk war dagegen ungemessen und richtete sich nur nach der Notlage und dem jeweiligen Be­darf des Landesherrn, wobei die bäuerlichen Scharwerker jedoch nicht so sehr belastet und beansprucht werden durften, dass sie ihre Feldarbeit nicht mehr durchführen konnten. Als typische operae publicae des Territorialscharwerks erwähnt Kreittmayr in seinem Gesetzeswerk unter anderem den Straßen- und Brückenbau. Im Rahmen der Überschwemmungen des Juni 1786 gab es im landesherrlichen Behördenapparat Überlegungen, die durch die Hochwasser und Überschwemmungen angerichteten Schäden durch den Einsatz eines solchen Territorialscharwerks zu beheben. Der General-Straßen- und Wasserbau-Direktor von Hofstetten beklagte zu einer Sitzung der Hofkammer, die wegen der Hoch 249 Für das Folgende im Überblick Renate Blickle, Scharwerk in Bayern. Fronarbeit und Untertänigkeit in der Frühen Neuzeit, in: Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für histo­ rische Sozialwissenschaft 17, 1991, 407–433; die Bestimmungen zum Scharwerk in Kreittmayr, CMBC , 173–180 sowie die Erläuterungen dazu in Wiguläus X. A. Frhr von Kreittmayr, Anmerkungen über den Codicem Maximilianeum Bavaricum Civilem. Zweyter Theil. München 1761, 1585–1626.

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wasserschäden einberufen worden war, dass seine Behörde keine zusätzlichen Geldmittel angewiesen bekommen habe, die sie aber dringend benötige, um die aus den Schäden resultierenden enormen Reparaturkosten für Brücken, Durchlässe, Chausseen, Schiffreitwege und Wassergebäude finanzieren zu können. Von Hofstetten rechnete hier mit einem ordentlichen Geldbedarf von 70.000 fl. im Rahmen des Etats seiner Behörde und einer zusätzlichen außerordentlichen Summe von bis zu 60.000 fl.250 Die Hofkammer sprach sich daraufhin für eine Lösung aus, die sowohl der Notwendigkeit der sofortigen Reparaturarbeiten als auch dem akuten Geldmangel gerecht werden sollte. Alle diejenigen Gerichts- und Hofmarksuntertanen, auch Städte und Märkte, die bis zu vier Wegstunden entfernt von einer Schadensstelle entfernt lägen, sollten zum Hand- und Rossscharwerk für die Wasser- und Straßenbauämter (also die Mautämter) herangezogen werden, um die Schäden zu reparieren. Die Untertanen würden hierdurch keineswegs über Gebühr belastet, da es in ihrem eigenen Interesse sei, diese Schäden zu reparieren, und die Erntearbeit noch nicht begonnen habe. Durch dieses Scharwerk könne der kurfürstliche Aerar wenigstens die Hälfte der Reparaturkosten einsparen und ohne diese den Landespoliceygesetzen gemäße Natural-Konkurrenz seien gar nicht genug arbeitende Hände und Fuhrwerke aufzutreiben.251 Daraufhin wurde durch Verordnung vom 8. Juli 1786 das Territorialscharwerk gemäß den Vorschlägen der Hofkammer öffentlich ausgeschrieben.252 Die Obere Landesregierung wandte sich hingegen scharf gegen dieses von der Hofkammer betriebene Scharwerkaufgebot und brachte in einer ausführlichen Stellungnahme ihre Bedenken gegen diese Maßnahme vor.253 Sie stellte sich auf den Standpunkt, dass man den momentanen Geldmangel nicht den ohnehin schon belasteten armen Untertanen in Form eines Scharwerks aufbürden könne. Solche Fälle wie die kürzlichen Überschwemmungen gebe es schließlich alle drei bis vier Jahre, ohne dass je auf ein solch außergewöhnliches Mittel zur Schadensbehebung zurückgegriffen worden sei, da man ja genau dafür die Zölle, Mauten und Weggeldsurrogate von den Untertanen erhebe. Die Obere Landesregierung zeigte sich auch höchst besorgt über die Akzeptanz des Scharwerkaufgebots in der Bevölkerung und seine Auswirkungen für den inneren Frieden des Landes, da es die Untertanen stark belasten und die Bauern an der Einbringung der 250 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 2668: »Pflichtmässig Schriftl. Erinerung« von Hofstettens vom 5. Juli 1786. 251 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 2668: Schreiben der Hofkammer vom 8. Juli 1786. 252 Druck der Verordnung in BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 2668 und in Mayr, Sammlung. Band 3, 464. Der von Kreittmayr definierte Begriff des Territorialscharwerks wird allerdings nicht verwendet und auch sonst taucht er weder in der Verordnung noch in den anderen Schriftstücken zur Scharwerkausschreibung auf. 253 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 2668: Schreiben der Oberen Landesregierung an den Geheimen Rat vom 11. Juli 1786.

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Ernte hindern werde. Sie warf der Hofkammer Unwissenheit hinsichtlich des Umstandes vor, dass die Ernte vieler Orten schon angefangen habe. Eine Verpflichtung zur Straßenreparation zu diesem Zeitpunkt werde die Bauern daher daran hindern ihre Ernte einzubringen, wodurch das Scharwerk die bereits ohnehin geschädigten Untertanen treffe und noch ärmer mache. Auch sonst lässt die Obere Landesregierung kein gutes Haar am Plan der Hofkammer: Es sei von vornherein klar, dass man alleine mit Hand- und Rossscharwerk und ohne Geld nichts ausrichten könne. Was könne denn das Scharwerk beim leidigen offenbaren Geldmangel und der Knappheit an Baumaterialien, die durch das Hochwasser weggeschwemmt worden seien, schon nutzen? Die scharwerkenden Untertanen seien schließlich keine Zimmerleute. Sie könnten vielleicht die zum Bau nötigen Hölzer heranholen, aber wer haue diese jeweils zu bzw. wer zahle die dafür nötigen Arbeitsleute? Die Obere Landesregierung sah es gegenüber dem wenig durchdachten Vorschlag der Hofkammer als ihre Pflicht an, möglichen schädlichen Folgen vorzubeugen und die gebeutelten Untertanen so weit zu schützen, wie das möglich sei und Pflicht und Gewissen es erforderten. Man müsse dafür Sorge tragen, dass die Zahl der öden Höfe, der Bettler und am Ende der zum Rauben genötigten Menschen durch diese Anordnung nicht noch vermehrt werde! Der Kurfürst sei der gerechteste, beste und menschenfreundlichste Fürst und wahrer Vater seiner Untertanen. Man rufe ihn deshalb dazu auf, die sehr wichtigen hier vorgebrachten Beweggründe zu berücksichtigen und die für die Untertanen sehr drückende Resolution zum Scharwerk wieder zurückzunehmen. Man bitte ihn nicht im eigenen Namen inständigst darum, sondern im Namen sämtlicher getreuer Untertanen! Sollte es aber wider Erhoffen bei dieser Resolution bleiben, so möge die kurfürstliche Durchlaucht zur Erleichterung ihres Gewissens diese Arbeit doch auf die Zeit nach der Ernte verschieben lassen. Dieser höchst eindringliche Appell an den Kurfürsten, der offen auf das Herrschaftsverständnis als christliche Obrigkeit, als sorgender und gütiger Landesvater abzielte, führt eindrücklich die Akzeptanzgebundenheit landesherrlicher Herrschaft vor Augen und verdeutlicht durch die Notwendigkeit zur Berücksichtigung auch anderer als ausschließlich finanzieller Faktoren im Wasserbau den Aushandlungscharakter herrschaftlichen Handelns. Der Aufruf der Oberen Landesregierung an den Kurfürsten hatte auch den gewünschten Erfolg. So wurde ihr mitgeteilt, dass der Vorschlag der Hofkammer zum Scharwerk nachträglich verworfen und das öffentlich ausgeschriebene Scharwerkaufgebot wieder zurückgenommen werde. Die kurfürstliche Durchlaucht bezeigte der Oberen Landesregierung »Ihre gnädigste Zufriedenheit über den hierinfalls pro publico bezeigt rühmlichen Eiffer […].«254 254 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 2668: Mandat an die Obere Landesregierung vom 17. Juli 1786.

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Nicht nur das hohe Territorialscharwerk war in diesem Sinne ein Konfliktfeld, sondern auch das niedere Gerichtsscharwerk konnte aufgrund seiner Bindung an die Gerichtsbarkeit umstritten sein. Anlässlich eines von der Stadt Dingolfing 1734 veranlassten Scharwerks zur Reparatur von Schäden an den Wassergebäuden, die durch Hochwasser der Isar verursacht worden waren, kam es zum Streit zwischen der Stadt und Fischern aus Dingolfing sowie einer anderen Gruppe landesherrlicher Urbarsuntertanen. Sowohl die Fischer aus Dingolfing als auch die Gruppe von Urbarsuntertanen wandten sich in eigenen Suppliken an die Regierung in Landshut.255 Beide Parteien beschwerten sich darüber, dass sie von der Stadt zum Scharwerk bei der Reparatur der Wuhren und Wege verpflichtet worden waren, obwohl sie doch Urbarsuntertanen des Kastenamts zu Dingolfing seien und deshalb schon für dieses Kastenamt Scharwerk leisten müssten. Als sie gegen diese unrechtmäßige Scharwerkverpflichtung protestiert hätten, habe die Stadt einige von ihnen im Bürgerturm inhaftiert, um sie zum Scharwerk zu zwingen. Eine Anordnung der Regierung Landshut zur Freilassung der Inhaftierten setzte die Stadt Dingolfing zunächst nicht um, was die Urbarsuntertanen und Fischer in erneuten Suppliken beklagten.256 Die Stadt Dingolfing ihrerseits versuchte ihr Vorgehen bezüglich der Fischer und deren Inhaftierung in einem Schreiben an die Landshuter Regierung zu rechtfertigen: Wegen der bevorstehenden Winterkälte und des dadurch gegebenen Zeitdrucks sei es notwendig gewesen, unverzüglich die nötigen Wasserbauarbeiten in Angriff zu nehmen und dafür alle Bürger der Stadt, egal welchen Berufs oder Besitzstandes, zu verpflichten. Die Scharwerkverpflichtung gelte also auch für die Fischer, die jeder mit Haus, Gärten und sogar Wiesengründen begütert seien. Dieser Besitz der Fischer sei frei und keineswegs urbar, so dass die Scharwerkverpflichtung der Fischer durch die Stadt völlig losgelöst vom landesherrlichen Kastenamt Dingolfing sei. Vielmehr sei im Scharwerkbuch der Stadt ausdrücklich festgehalten, dass kein Bürger, bis auf Stadt- oder Kirchendiener, vom Scharwerk an Wassergebäuden oder zum Wegemachen befreit sei. Man bitte also darum, die widerborstigen Fischer so lange in Gewahrsam halten zu dürfen, bis sie sich zum Scharwerk bequemten.257 Bezüglich der anderen Gruppe von Urbarsuntertanen argumentierte die Stadt in ähnlicher Weise, da auch diese Besitz im Rechtsbezirk der Stadt hätten, so dass sie auch den Steuern und der Scharwerkverpflichtung der Stadt unterlägen.258 255 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 2927: Supplik von Urbars Schwaigern zu Dingolfing und Supplik von Fischern aus Dingolfing, beide vom 27. Oktober 1734. 256 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 2927: Weitere Suppliken der Fischer und der Urbarsschwaiger vom 30. Oktober 1734. 257 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 2927: Schreiben der Stadt Dingolfing an die Regierung Landshut vom 29. Oktober 1734. 258 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 2927: Zweites Schreiben der Stadt Dingolfing an die Regierung Landshut vom 29. Oktober 1734.

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In der Folge schaltete sich auch das Pfleggericht Dingolfing zusammen mit dem Kastenamt in diesen Streit ein. Letzteres stellte sich in einem Schreiben an die Regierung in Landshut auf den Standpunkt der Fischer: Erstens gäbe es in den parallel liegenden Fällen der Urbarsfischer zu Landshut und Landau auch keine Verpflichtung zum Scharwerk durch die dortigen Städte. Zweitens folge aus dem Scharwerkbuch der Stadt Dingolfing eben nicht, dass die Fischer Scharwerk leisten müssten, weil die dortige Bestimmung der Verpflichtung jedes Bürgers zum Scharwerk nicht für diejenigen gelte, die schon anderweitig Scharwerk verrichten müssen. Das sei bei den Urbarsfischern erst kürzlich an der Isar der Fall gewesen. Außerdem hätte die Stadt Dingolfing wohl kaum seit so langer Zeit kein Scharwerk von den Fischern eingefordert, wenn sie das Recht dazu gehabt hätte. Das eigentliche Argument der Stadt zur Scharwerkverpflichtung der Fischer sei vielmehr der ungeheuerliche Wassereinbruch der Isar und die daraus entstandene Notlage der Stadt. Das erschien dem Kastner aber nicht als ausreichender Grund, um den Urbarsfischern eine neuerliche »ewige Bürd« aufzuerlegen.259 Die Landshuter Regierung war jedoch anderer Ansicht und entschied in der Frage zugunsten der Stadt Dingolfing, deren Anspruch auf Scharwerk gegenüber den Fischern und anderen Urbarsuntertanen zu Recht bestehe.260 Scharwerkverpflichtungen beruhten auch auf Verträgen zwischen herrschaftlichen Parteien, die die Bedingungen für das durch die Untertanen zu leistende Scharwerk regelten. Dennoch kam es zu Konflikten, in denen die vertraglich gesetzten Regelungen zum Scharwerk unterschiedlich interpretiert und ungleichartige rechtliche Herrschaftsverhältnisse für Konfusion sorgten. Ein solcher Dauerkonflikt ergab sich zwischen Kurbayern und dem Erzstift Salzburg bzw. zwischen dem kurfürstlichen Pfleggericht Mörmosen und den salzburgisch gevogteten Untertanen in dessen Amtsbezirk. Scharwerkverpflichtungen waren in Rezessen zwischen dem Herzogtum Bayern und dem Erzstift bereits im 16. Jahrhundert geregelt worden, indem salzburgische Urbarsuntertanen im Land des bayerischen Herzogs, die der ausschließlichen Niedergerichtsbarkeit Salzburgs unterstanden, den bayerischen Pflegbeamten kein Scharwerk leisten mussten. Für diejenigen Untertanen, die lediglich auf den Salzburgischen Urbarsgütern sesshaft und nach Salzburg gevogtet waren, galt die generelle Scharwerkbefreiung hingegen nicht.261 Für diese Gruppe war die Regelung vor 259 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 2927: Schreiben des Kastenamts Dingolfing an die Regierung Landshut vom 14. August 1735. 260 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 2927: Schreiben des Rentamts Landshut an das Pfleggericht Dingolfing vom 11. Juli 1735 und an die Urbarsfischer und Mitbürger zu Dingolfing vom 22. November 1735. 261 Für die Untertanen des Salzburgischen Vogteigerichts Mühldorf galten recht verworrene Herrschaftsverhältnisse zwischen hoher und niederer Gerichtsbarkeit, die zwischen Salzburg und Kurbayern aufgeteilt waren. So wurde im Vogteigericht zwischen den Urbars­ leuten des Erzstifts Salzburg und den Gerichtsleuten unterschieden, wobei letztere zwar nach

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gesehen, dass diejenigen, die bis zu drei Meilen vom Ort der Scharwerkleistung entfernt wohnten, auch zu diesem Scharwerk verpflichtet waren. Diejenigen, die weiter als drei Meilen entfernt wohnten, waren davon ausgenommen.262 Diese Bestimmungen waren seit der Mitte des 17. bis ins 18. Jahrhundert hinein umstritten, da das Pfleggericht Mörmosen mehrfach Anläufe unternahm, einige salzburgisch gevogtete Untertanen in seinem Amtsbezirk zum Scharwerk für ein Schlachtgebäude in Marktl zu verpflichten. Die fraglichen Untertanen des Salzburger Vogteigerichts in Mühldorf versuchten das hingegen mit Beteiligung des Salzburger Hofrates und unter Appellation an die kurfürstliche Regierung in Burghausen und den Hofrat in München zu verhindern.263 Eingaben an den kurbayerischen Hofrat sowohl von Seiten des Pfleggerichts Mörmosen, unterstützt von der Hofkammer, als auch durch die Salzburger Untertanen, die zum Scharwerk verpflichtet werden sollten, führten schließlich 1696 zu einer Entscheidung des Hofrats, die die Salzburger Untertanen vom Scharwerk befreite.264 Die umgehend vom Pfleggericht und der Hofkammer dagegen eingelegte Revision zog sich jedoch noch Jahre hin und wurde erst 1706 abschlägig beschieden.265 Die Streitfrage der Scharwerkverpflichtung tauchte jedoch noch mehrfach in der Folgezeit auf.266 Noch bis 1752 forderte das Pfleggericht Mörmosen von den fraglichen Salzburger Untertanen Gelder als Ersatz für ihr nicht geleistetes Scharwerk bei der Neuöttinger Beschlacht.267 Diese Konflikte um niedergerichtliches und landesherrlich-territoriales Scharwerk illustrieren, dass seine Anwendung im Straßen- und Wasserbau durchaus nicht eindeutig geregelt war und immer wieder von neuem für Einzelfälle auf der Basis bestehender Rechtsverträge und des praktizierten HerkomSalzburg gevogtet, aber keine salzburgischen landesherrlichen Untertanen waren; vgl. dazu Tertulina Burkard, Landgerichte Wasserburg und Kling. München 1965 (Historischer Atlas von Bayern, Teil Altbayern, Reihe I, H. 15), 154. 262 Extrakte der Rezesse von 1525, 1527 und 1555 in BayHStA Kurbayern Geheimes Landesarchiv 767. 263 Die Akten zu diesen Auseinandersetzungen in BayHStA Kurbayern Geheimes Landesarchiv 767. 264 BayHStA Kurbayern Geheimes Landesarchiv 767: Resolution des Hofrats an die Regierung Burghausen vom 2. März 1696. 265 BayHStA Kurbayern Geheimes Landesarchiv 767: Revisionsentscheid des Hofrats vom 5. Juli 1706. 266 So wurde anlässlich einer notwendigen wasserbaulichen Sicherung eines Einbruchs des Inn bei Neuötting 1712 die Frage der Scharwerkverpflichtung der Salzburger gevogteten Untertanen durch das Pfleggericht Mörmosen erneut aufgeworfen (BayHStA Kurbayern Geheimes Landesarchiv 767: Schreiben des Mörmoser Pflegsverwalters an den Rentmeister von Burghausen vom 29. Januar 1712), wobei man sich zu Anfang nicht bewusst war, dass es in dieser Sache schon vor einigen Jahren einen länger andauernden Rechtsstreit gegeben hatte. Wieder berief man sich auf die Bestimmungen der Rezesse aus dem 16. Jahrhundert und der Konflikt wiederholte sich in den gleichen Strukturen und Argumentationsmustern wie zuvor. 267 Die Akten dazu in BayHStA Kurbayern Geheimes Landesarchiv 767.

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mens verhandelt werden musste. Mit dem Kreittmayrschen Bayerischen Landrecht von 1756 und den dortigen juristischen Definitionen war zwar zwischen den Formen des Scharwerks, ihrer Begründung in Herrschaftsverhältnissen und ihren Anwendungsbereichen unterschieden. Diese Setzungen waren aber für die Praxis des Scharwerks nicht unbedingt maßgebend, wie das Beispiel des geplanten Territorialscharwerks von 1786 zeigt, da die Bestimmungen zum Scharwerk im Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis in der verwaltungsinternen Kommunikation zum Scharwerkaufgebot nicht aufgegriffen wurden. Für den gesamten Untersuchungszeitraum ist dagegen sowohl für das Scharwerk als auch für die Wasserbaukonkurrenzen eine Gemengelage aus Gewohnheitsrecht  – z. B. in Bezug auf die Drittelung von Kostenanteilen in der Konkurrenz – und bestehenden Rechtsverträgen sowie konkreten Einzelfallentscheidungen zu beobachten. Im Zuge der Neuorganisation des Straßen- und Wasserbauwesens im Rahmen der Montgelasschen Verwaltungsreformen wurden seit der Einrichtung des Technischen Geheimen Zentral-Bureaus und seiner Nachfolgeorganisation, der königlichen Generaldirektion des Wasser-, Straßen- und Brückenbaus, Anstrengungen zur verwaltungstechnischen und rechtlichen Regelung der Wasserbaukonkurrenzen und des Scharwerks unternommen. In diesem Zusammenhang hatte das Generallandeskommissariat von Bayern bereits im Mai 1805 die Anweisung erhalten, eine umfassende Relation zur Frage der problematischen Wasserbaukonkurrenzen zu erstellen.268 Damit war die Frage der eindeutigen Trennung von Aerarialbauten, die durch den Landesherrn zu unterhalten waren, und Lokalwasserbauten, die durch Konkurrenzen der örtlichen Gemeinden finanziert werden sollten, sowie die als notwendig erachtete Aufstellung eines Wasser- bzw. Flussrechts auf der Tagesordnung. Dabei wurde die ausreichende Finanzierung des Wasserbaus durch eine allgemeine Wassersteuer und die Einführung eines Flussrechts in Verbindung mit gesetzlichen Normen für den Wasserbau als genauso wichtig im Kampf gegen Überschwemmungen erachtet wie eigentliche wasserbauliche Gegenmaßnahmen.269 In diesem Sinne argumentierte auch ein Traktat des Wasser- und Straßenbauinspektors A. Pichler, in dem er sich für einen wissenschaftlich fundierten, durch eine eigene Steuer und Konkurrenzen finanzierten Wasserbau aussprach, der den Untertanen durch die Nutzeffekte des Schutzes von Grund und Boden wesentlich mehr einbrächte, als er ihnen durch die Konkurrenzen wieder wegnehme.270

268 BayHStA OBB (Akten) 4390: Extrakt aus einer Anweisung (vom Geheimen Ministerial Finanz Departement?) an das Churfürstliche Baierische Generallandeskommissariat vom 28. Mai 1805. 269 So in einem Schreiben des Geheimen Technischen Zentral-Bureaus vom 2. März 1808: »Die zum Flußbau erforderl[ichen] Mittel betref[end]«; BayHStA OBB (Akten) 4390. 270 A. Pichler, Ueber die Nothwendigkeit der Strom-Regulierungen und der dabey einzuführenden Naturalconcurrenz und Flußsteuer. Augsburg 1808.

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Zwar erfolgte im Februar 1809 eine prinzipielle Trennung von Wasserbauten, die aufgrund ihrer Nutzeffekte für den allgemeinen Staatszweck durch staatliche Mittel zu finanzieren waren, und solchen, die lediglich lokale Bedürfnisse betrafen und deshalb durch kommunale Mittel unterhalten werden sollten.271 Dies führte jedoch zu keiner endgültigen Regelung in der Frage der Wasserbaukonkurrenzen. Hier konzentrierte sich die innerbehördliche Debatte 1809 auf den Inn, wo der Wasserbau durch Konkurrenzen betrieben wurde und von den Eigentums- sowie Herrschaftsverhältnissen der Anlieger des Flusses bestimmt war. Für das Finanzministerium war »dieses ganze Conkurrenzwesen in den vorderen Zeiten ein blosses Blendwerk […], um grosse Vorschuß Summen aus dem Staatsaerario mit Hinweisung auf den seinerzeitigen aber nie erfolgten Conkurrenz Ersatz zu erwirken […].« Der Inn sei ohnehin für Schifffahrt und Handel viel zu wichtig, als dass der bayerische Staat sich in seiner wasserbaulichen Sicherung heraushalten könnte.272 Auf diese finanzielle Ineffektivität der Wasserbaukonkurrenzen für den bayerischen Staat wies auch die General-Direktion des Wasser-, Brücken- und Straßenbaus hin, nachdem sie angewiesen worden war, eine Aufstellung und eindeutige Trennung von Konkurrenz- und Aerarialbauten vorzunehmen:273 Es müsse zwischen allgemeinen Landesbauten einerseits, die den öffentlichen Flüssen einen gesicherten Lauf geben und sowohl die Sicherheit der großen anliegenden Landbezirke als auch der Schifffahrt gewährleisten sollen, und den restlichen Lokalflussbauwerken andererseits, die durch Konkurrenzen zu unterhalten sind, unterschieden werden. Dass die Wasserbaukonkurrenzen bisher so erfolglos waren, liege vor allem an dem für die angrenzenden Grundbesitzer zu hohen Beitragsmaßstab, was sich aber durch den obigen Grundsatz verbessern lasse. Die Steuer- und Domänen-Sektion des Ministeriums der Finanzen merkte zu diesem Vorschlag der General-Direktion an, dass gegen die Trennung von Landes- und Lokalflussbauwerken zwar nichts einzuwenden sei. Aber diese nur sehr relative Unterscheidung werde in der Praxis Schwierigkeiten machen, da fast jeder Lokalflussbau zugleich die allgemeine Tendenz zur Flussleitung und Wahrung der Schifffahrt habe. Genauso schütze fast jeder allgemeine Landesbau auch Privatinteressen, nämlich Sicherheit und Einnahmen. Deshalb werde die Konkurrenz wohl immer nicht viel mehr als eine angenehme Täuschung sein, da das Aerarium die Kosten zu tragen haben werde, die die Kräfte der einzelnen Konkurrenzpflichtigen übersteigen.274 271 BayHStA OBB (Akten) 4390: Schreiben des Geheimen Ministeriums des Inneren vom 27. Februar 1809 an das Geheime Ministerium der Finanzen. 272 BayHStA OBB (Akten) 4390: Schreiben des Finanzministeriums vom 11. August 1809 an das Ministerium des Inneren. 273 BayHStA OBB (Akten) 4390: Schreiben der Generaldirektion des Wasser-, Brückenund Straßenbaus vom 6. September 1809 an das Ministerium der Finanzen. 274 BayHStA OBB (Akten) 4390: Schreiben der Steuer- und Domänen Sektion des Ministeriums der Finanzen vom 7. Oktober 1809.

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Um zu einer endgültigen Regelung der Finanzierungsfrage des Wasserbaus und der Trennung von staatlichen und Konkurrenz-Wasserbauten zu kommen, sollten auf Konferenzen des Geheimen Finanz Departements und des Geheimen Ministerial Departements des Inneren im Januar und Februar 1813 Lösungen erarbeitet werden. Im Protokoll zur zweiten Konferenzsitzung sind dazu entsprechende Vorschläge des Generaldirektors Carl Friedrich von Wiebeking festgehalten,275 die er in eine Verordnungsvorlage zusammenfasste, welche er auf der vierten Konferenzsitzung vortrug und um policeyliche Aspekte wie das Verbot privaten oder kommunalen Wasserbaus ohne Aufsicht der General-Direktion ergänzte.276 Im Kern entsprach Wiebekings Verordnungsvorschlag jedoch letztlich den bereits 1809 von ihm vorgebrachten Lösungsansätzen zur Regelung der problematischen Konkurrenzen und der Trennung von staatlich und lokal zu finanzierenden Wasserbauten. Auf die ebenfalls bereits 1809 vorgebrachte Kritik der Steuer- und Domänen-Sektion ging er dabei nicht ein. Wohl auch deshalb wurde die Verfertigung einer Verordnung zum Konkurrenzwesen am Ende der Konferenz letztlich verschoben und auch in der Folge nicht umgesetzt, trotz entsprechender Mahnungen in den Folgejahren. Die Diskussion um eine allgemeine Wasserbaupoliceyordnung, die das Konkurrenzwesen regeln und die von der Staatskasse zu unterhaltenden Wasserbauten von kommunal zu finanzierenden trennen sollte, hielt also weiter an.277 Erst mit der bayerischen Wassergesetzgebung von 1852 sollte es eine endgültige Regelung der Finanzierungsfragen des bayerischen Wasserbaus geben.278

4.4.1.3 Finanzielle Belastung durch den Wasserbau Die wiederkehrenden Konflikte um Konkurrenzen aber auch Scharwerke zum Wasserbau sind auch vor dem Hintergrund einer fortgesetzten Diskussion um den Kostenaufwand im bayerischen Wasserbauwesen einzuordnen. Nicht nur stellte der Straßen- und Wasserbau im 18. Jahrhundert sowohl an Landesherr als auch ständische Korporationen wachsende finanzielle Anforderungen. Wasserbauten waren für die Stände, besonders die Städte und Märkte, zunehmend schwerer eigenständig zu unterhalten. Der Landesherr musste hier immer häufi 275 BayHStA OBB (Akten) 4390: Konferenzprotokoll vom 9. Januar 1813 der zweiten Konferenz des Geheimen Finanz Departements und des Geheimen Ministerial Departements des Inneren. 276 BayHStA OBB (Akten) 4390: Konferenzprotokoll vom 20. Februar 1813 der vierten Kumulativ-Konferenz vom Geheimen Finanz Departement und dem Geheimen Ministerial Departement des Inneren. 277 Entsprechende Akten für den Zeitraum von 1814 bis 1821 in BayHStA OBB (Akten) 4391. 278 Franz, Rechtliche Bestimmungen, 294–295.

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ger Geld vorschießen und übernahm daher de facto durch diese indirekte Finanzierung, wobei er die Vorschusssummen öfters nie zurückerhielt, immer weitere Bereiche des Wasserbaus sowohl in der Bauleitung als auch in der Finanzierung. Mahnungen zur Sparsamkeit waren nicht nur Antreiber und Begleiter der Verwaltungsreformen im Straßen- und Wasserbauwesen seit der Einrichtung des ersten Generalbaudirektoriums, sondern gehörten auch darüber hinaus zu den immer wieder gestellten Anforderungen sowohl bei aktuellen Bauprojekten als auch in allgemeinen Verordnungen.279 So wurde 1787 ein Mandat erlassen, in dem die Verwendung von teurem Bauholz im Wasserbau kritisiert wurde. Stattdessen sei vor Ort vorhandenes Gehölz für den Faschinenbau zu verwenden, der nicht nur billiger, sondern auch beständiger sei. Zukünftig solle auch kein Wasserbau mehr unternommen werden, über den nicht zuvor gründliche Überschläge und Pläne verfasst und eine entsprechende Resolution dazu erteilt worden sei sowie am Schluss sorgfältig Rechnung gemacht werde.280 Am 11. August des Jahres wurde diese Sparsamkeitsvorgabe für den Wasserbau noch einmal erneuert und verschärft, indem die jährlichen Ausgaben im Straßen- und Wasserbau auf das Maximum von 160.000 fl. begrenzt wurden.281 Während des zweiten Generalbaudirektoriums häuften sich außerdem die Klagen über die Höhe der Ausgaben im Straßen- und Wasserbauwesen. Der Generalbaudirektor von Hofstetten sah sich deshalb dazu veranlasst, die Geschäfts- und Ausgabenpraxis des Generalbaudirektoriums in mehreren Relationen und Schriften an die Hofkammer zu rechtfertigen.282 In einem Promemoria vom August 1774 nahm er Stellung zu den »gemachten Imputationen, und auch Zumuthungen«, die gegen das Cameral-Strassen und Wasserbau-Departement gerichtet worden seien:283 Von Hofstetten bemühte sich hier um die Widerlegung der Kritik, dass unter seiner Leitung die Kosten im Straßen- und Wasserbau im Vergleich zur Vorgängerdirektion gestiegen seien und das Geschäftswesen des Cameral-Strassen und Wasserbau-Departements chaotisch sei. Für den Straßenbau rechnete er vor, dass die Ausgaben in Relation zur gebauten oder reparierten Straßenstrecke niedriger lägen als zuvor, auch wenn sie vielleicht in toto gestiegen seien. Kritik an angeblich konfuser Rechnungsverwaltung seiner Behörde und mangelhafter Berichterstattung über Bauprojekte wies er mit einer Auf­schlüsselung der Baurechnungen und dem Verweis auf die geltenden Bestimmungen zur Verwaltung des Straßen- und Wasserbauwesens in den einschlägigen Verordnungen zurück. 279 Vgl. auch Leidel, Der Wasserbau, 299–300. 280 BayHStA OBB (Akten) 2134: Mandat vom 2. April 1787 an die Hofkammer; abgedruckt in Mayr, Sammlung. Band 3, 339. 281 Mayr, Sammlung. Band 4, 1048. 282 Dazu auch Leidel, Der Wasserbau, 300. 283 BayHStA OBB (Akten) 1/2: Promemoria von Hofstettens vom 10. August 1774.

Wasserbau im Wandel

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Im Februar 1783 teilte die kurfürstliche Hauptkasse dem Generalbaudirek­ torium mit, dass sie für den Straßen- und Wasserbau im Jahr 1783 nicht mehr die Geldmittel des vergangenen Jahres von bis zu 200.000 fl. zur Verfügung stellen könne, so dass die Straßen- und Wasserbautätigkeit so viel als möglich zu begrenzen und dabei auf größte Sparsamkeit zu achten sei. Von Hofstetten verfasste daraufhin eine neuerliche umfangreiche Verteidigungsschrift zur Ausgabenpolitik seiner Behörde, mit der er sich empört gegen seiner Ansicht nach böswillige und sachlich unbegründete Vorwürfe »so manche[r] seichte[r] Köpfe« zur Wehr setzte:284 Für den Straßenbau wiederholte von Hofstetten, was er bereits 1774 an Argumenten vorgebracht hatte. Für den Wasserbau gab er zwar zu, dass im Vergleich der Etatjahre 1769 und 1782 eine Steigerung der Ausgaben zu konstatieren sei. Diese sei jedoch auf unvorhergesehene Umstände zurückzuführen, wie die Übernahme von eigentlich durch Städte und Märkte zu finanzierende Wasserbauten oder den aus einem mit Tirol geschlossenen Rezess folgenden Wasserbau am Inn, auf die das Generalbaudirektorium keinen Einfluss gehabt habe. Auch seien die Wasserbaukosten mit dem Verlust des Innviertels durch den Teschener Frieden mitnichten gesunken, da das Generalbaudirektorium vermehrt Anweisungen zur wasserbaulichen Befestigung der nunmehrigen Grenzflüsse Inn und Salzach gegen Uferabbruch und Flussbettverlagerung erhalten habe, um eine mögliche Verkleinerung des kurbayerischen Territoriums zu verhindern.285 Außerdem sei der Holzpreis seit 1769 um ein Viertel gestiegen, in der Inngegend sogar um ein Drittel. Der Kritik wiederum, dass das Generalbaudirektorium ein chronisches Ausgabendefizit produziere, da die Ausgaben für den Straßen- und Wasserbau die Mittel der dafür bestimmten Fonds aus Mähnatanlage und Weggeldern weit überstiegen, begegnete von Hofstetten mit dem Gegenargument, dass man eben unterfinanziert sei. Da die bestehenden Fonds nicht zur Finanzierung der Ausgaben ausreichten, sollte die Einnahmeseite durch die Widmung von Zolleinnahmen für den Straßen- und Wasserbau aufgestockt werden, wofür besonders die Transito-Mauten geeignet seien.286 Von Hofstetten betonte außerdem, dass Ausgaben im Straßen- und Wasserbauwesen nicht verloren seien, 284 BayHStA OBB (Akten) 1/1: »Relation. Über den dermalligen Zustand des Cameral Straßen und Waßerbau Weesens in Bayern in Ruksicht auf die durch eine Haubt-Cassa Nota pro anno currenti 1783 anempfohlene besondere Sparsamkeit, und Kösten Verminderung. Verfasst den 26. ten März a[nn]o 1783.« 285 Ein am 31. August 1784 zwischen Kurbayern und Österreich geschlossener Rezess zur Klärung der Rechtsverhältnisse an den Grenzflüssen Donau, Inn und Salzach, die in Folge der Teschener Konvention von 1779 noch regelungsbedürftig waren, hielt im Artikel 7 ausdrücklich fest, dass es zwar keinem der beiden Parteien gestattet sein solle, »den natürlichen Lauf der Flüsse zu veränderen«, beiden Seiten aber gleichwohl frei stehe, ihre Ufer wasserbaulich zu sichern, um das Eindringen des Flusses an entsprechenden Uferabschnitten zu verhindern; Mayr, Sammlung. Band 4, 1003–1005. 286 Man unterschied im Zollwesen zwischen Transito-Mauten für Durchgangswarenverkehr, Consumo-Mauten für eingehende und Es(s)ito-Mauten für ausgehende Waren.

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sondern durch verbesserte Bedingungen für den Handel auch erhöhte Zolleinnahmen für die kurfürstliche Kasse produzierten. Er warnte entsprechend vor einer übertriebenen Sparsamkeit im Straßen- und Wasserbau, die später nur zu höheren Ausgaben für Reparatur und Instandhaltung führe (heute würde man von einem Investitionsstau sprechen). Von Hofstetten ergänzte diese Relation vom März 1783 im August um ein weiteres Promemoria, in dem er bestätigte, dass er alle Straßen- und Wasserbau-Inspektionsämter (also hauptsächlich die Mautämter) bereits im Februar zur Sparsamkeit angewiesen habe.287 Den Druck zur Kostensenkung konnte von Hoftstetten damit aber nicht mindern. Nach einer Anweisung der Hofkammer vom März 1785 an das Generalbaudirektorium, Vorschläge zu Einsparungen im Straßen- und Wasserbau vorzulegen,288 erhielt der Hofkammerpräsident eine »Notiz« von Hofstettens.289 Darin verwies er zunächst darauf, dass die Ausgaben beim Straßen- und Wasserbau im Vergleich zu früheren Zeiten bereits reduziert worden seien, und das sowohl proportional als auch in absoluten Zahlen. Falls der erreichte niedrigere Ausgabenumfang dem Aerar immer noch zu viel sei, werde man nicht umhin kommen, zur weiteren Kostenverminderung eine beträchtliche Anzahl Chausseen zur Unterhaltung nunmehr den Untertanen aufzubürden und bei den Wasserbauten, die durch Konkurrenzen finanziert werden, die landesherrlichen Geldbeiträge unverzüglich einzustellen. Insgesamt geben diese Denkschriften und Memoranden von Hofstettens einen Einblick in die Sichtweise auf den Wasserbau als kostenintensive Verpflichtung für den Landesherrn, deren Belastungen für den landesherrlichen Etat möglichst reduziert werden sollten. Wie sie aber auch zeigen, betrachtete von Hofstetten die Ausgaben im Straßen- und Wasserbau nicht nur als notwendig für den Schutz und Erhalt von Untertanen und Besitz, sondern auch als Investition in die Infrastruktur, um Handel und Gewerbe zu fördern und damit die staatlichen Einnahmen zu erhöhen. Diese staatswirtschaftlich-ökonomische Perspektive auf den Wasserbau als Maßnahme zum Erhalt und zur Förderung des allgemeinen Wohlstandes, des Nationalvermögens, und als Teilbereich des inneren Landesausbaus findet sich auch sonst als Argumentationsfigur im bayerischen Wasserbauwesen schon seit dem 17. Jahrhundert wieder290 und verstärkt sich Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts.

287 BayHStA OBB (Akten) 1/1: Pro-Memoria von Hofstettens vom 27. August 1783. Die Anweisung von Hofstettens an die Straßen- und Wasserbauinspektionsämter: »An die sämtlichen Strassen- und Wasser-Bau-Inspections-Ämter in Baiern«, vom 14. Februar 1783. 288 BayHStA OBB (Akten) 1/1: Schreiben der Hofkammer an das Strassen- und Wasserbau Direktorium vom 21. März 1785. 289 BayHStA OBB (Akten) 1/1. »Notiz« von Hofstettens an den Hofkammerpräsidenten vom 31. März 1785. 290 Vgl. dazu auch Leidel, Flüsse als Element, 274.

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So benennt die Präambel der Verordnung zur Einrichtung des Technischen Geheimen Zentral-Bureaus im Jahr 1805 explizit nicht nur fiskalische und verwaltungstechnische, sondern auch staatswirtschaftliche Gründe für die Einsetzung der neuen Behörde291 und anlässlich der Regelung der operativen Geschäfte des Straßen- und Wasserbaus in den neu zu Bayern hinzugekommenen Fürstentümern Bayreuth und Regensburg betonte Carl Friedrich Wiebeking die Bedeutung des Wasserbaus an der Donau bei Regensburg, weil von ihm wesentlich die Sicherung des Handelsverkehr auf der gesamten Donau abhänge.292 In den programmatischen Wasserbautraktaten zu Anfang des 19. Jahrhunderts hatte das staatswirtschaftlich-ökonomische Argument für den Wasserbau einen zentralen Stellenwert. Der Inspektor A. Pichler betonte die Bedeutung des Wasserbaus für den Schutz von Gewerbe und Landwirtschaft vor Überschwemmungen. Zweckmäßig reguliert und geleitet seien die Flüsse »die erste und vorzüglichste Quelle eines höhern Nationalreichthums« und von unverkennbarem »Werth für alle ökonomische[n] Zweige«, da sie »den allgemeinen Wohlstand des Landes« beförderten.293 Für Heinrich von Pechmann war die Rolle der Flüsse für den bayerischen Handel besonders mit seinen Agrarprodukten evident. Um in der ökonomischen Konkurrenz mit seinen Nachbarn um Produkte und Absatzmärkte bestehen zu können, müsse Bayern sich den Vorteil seiner natürlichen Wasserwege wasserbaulich zunutze machen: »Soll Baiern daher in dem Ueberflusse, womit die Natur es gesegnet hat, eine Quelle des National-Reichthums besitzen, so muß der innere Verkehr durch gute Land- und Wasserstraßen erleichtert, und die Straßen für den Transport seiner Produkte bis an die Gränze vollkommner wie bisher gebahnt und geebnet werden.«294 Es war aber wieder einmal der Kostendruck, der von Hofstetten im Januar 1788 zu einem erneuten Memorandum an die Hofkammer veranlasste.295 Von Hofstetten schlug vor zu klären, ob zur Finanzierung des Wasserbaus eine landesweite Konkurrenz oder eine allgemeine Hofanlage bzw. Steuer eingeführt werden sollte. Es müsse auch überlegt werden, ob aus den so erhobenen Mitteln sämtliche Wassergebäude an den schiff- und floßbaren Flüssen unterhalten werden sollten. Eine daraufhin einberufene Konferenz zwischen der Oberen Landesregierung und den involvierten Hofkammerdeputationen sowie dem Generalbaudirektorium sollte über diese Fragen beraten und Vorschläge zur Senkung der Ausgaben im Straßen- und Wasserbau erarbeiten.296 Die Konferenz 291 Enthalten in BayHStA OBB (Akten) 1/1 und 1/2 und 4. 292 BayHStA OBB (Akten) 3: Schreiben Wiebekings an das Ministerium des Inneren vom 6. Juli 1810. 293 Pichler, Ueber die Nothwendigkeit, 29. 294 Pechmann, Ueber den frühern, 2. 295 BayHStA OBB (Akten) 1/1: Pro Memoria von Hoftstettens vom 2. Januar 1788 an das Hofkammerpräsidium. 296 BayHStA OBB (Akten) 1/1: Rescript vom 15. Januar 1788 an die Obere Landesregierung zur Anordnung der Konferenz. Die Protokolle der Konferenzsitzungen und zugehörige Akten

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hatte neben dem Straßenbau auch zu untersuchen, welche Wasserbauten vom Landesherrn zu welchen Kosten zu unterhalten waren, aus welchen Fonds diese Kosten bestritten wurden und ob durch eine einzurichtende landesweite Konkurrenz die Wasserbauausgaben anteilig auf die Anrainer der Flüsse oder auch auf das ganze Land umgeschlagen werden könnten. Wie sah bei all diesen Klagen über die Ausgaben und den Kostendruck die finanzielle Lage im landesherrlichen kurbayerischen Wasserbau tatsächlich aus? Nachdem die Konferenz ihre ersten drei Sitzungen im Januar und Februar damit zugebracht hatte, von Hofstetten bei der Verlesung seiner bereits in den Vorjahren verfassten Gutachten und Memoranden zur Kostenfrage zu lauschen, beschloss man, sich der eigentlichen Ausgaben- und Einnahmesituation im Straßen- und Wasserbau zu widmen. Von Hofstetten fertigte dazu für die vierte Konferenzsitzung am 22. April 1788 eine Übersicht der Ausgaben im Straßenund Wasserbau der Jahre 1778 bis 1787 an (s. Tab. 1).297 Auffällig an von Hofstettens Angaben sind die Ausgabensteigerungen sowohl im Wasserbau alleine als auch insgesamt im Straßen- und Wasserbau für die Katastrophenjahre 1784, 1786 und 1787, in denen sich die Kosten alleine für den Wasserbau gegenüber den ›Normaljahren‹ nahezu verdoppelten. Die Summen von über 200.000 fl. für den Straßen- und Wasserbau in den Jahren 1784, 1786 und 1787 markierten jedoch nicht nur Maxima, die den Überschwemmungskatastrophen geschuldet waren, sondern stellten ein Niveau dar, auf dem sich die Ausgaben im Straßen- und Wasserbau insgesamt auch in den 1790er Jahren bewegten. So notierte der Finanzbeamte Franz von Krenner in seiner Veröffentlichung der bayerischen Staatsfinanzen für die Jahre 1777, 1792, 1798, 1799 und 1800 Ausgaben im Straßen- und Wasserbau für Bayern von durchschnittlich ca. 200.000 fl. pro Jahr.298 Diese Summen lassen sich allerdings teilweise auch für den vorherigen Zeitraum von 1767 bis 1776 feststellen, wobei im Durchschnitt jeweils ca. 40.000 fl. und ca. 196.000 fl. für den Wasserbau alleine und den Straßen- und Wasserbau insgesamt aufgewandt wurden, wie einer Rechnungsübersicht der Kosten im Straßen- und Wasserbau zu entnehmen ist, die im Kontext der Verteidigungen von Hof­stettens gegen die Kritik an der Ausgabenpraxis des Straßen- und Wasserbaudirektoriums angefertigt wurde.299 in BayHStA OBB (Akten) 1/1 und 1/2. Vgl. zu dieser Konferenz auch Leidel, Der Wasserbau, 303–305. 297 Von Hofstetten betonte jedoch für diese Rechnungsübersicht, dass hier nur die tatsächlichen Baukosten wiedergegeben seien und Verwaltungskosten, wie die Besoldung des Straßen- und Wasserbaupersonals oder Entschädigungsleistungen für enteigneten Grund und Boden, nicht miteinbezogen seien. 298 Franz von Krenner, Baierischer Finanz-Zustand in den Jahren 1777, 1792, 1798, 1799 und 1800. München 1803, 70–71. 299 BayHStA OBB (Akten) 1/2: »Plan. Ueber die Strassenerhebungs- und Unterhaltungsdann Wasser- und Wuhrgebäude-Ausgaben.«

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Tab. 1: Übersicht der Ausgaben im Straßen- und Wasserbau in Bayern (ohne die obere Pfalz). Ausgaben im Wasserbau für Bayern

Ausgaben im Straßen- und Wasserbau für Bayern

1778

19.970 fl., 28 Kr., 2 Pf.

75.800 fl., 16 Kr.

1779

28.268 fl., 21 Kr., 1 Pf.

110.836 fl., 10 Kr.

1780

40.712 fl., 43 Kr., 3 Pf.

144.373 fl., 38 Kr., 3 Pf.

1781

59.062 fl., 34 Kr., 3 Pf.

171.805 fl., 31 Kr., 1 Pf.

1782

62.849 fl., 3 Kr., 1 Pf.

185.094 fl., 42 Kr., 1 Pf.

1783

54.894 fl., 53 Kr.

164.897 fl., 24 Kr., 1 Pf.

1784

116.714 fl., 13 Kr.

236.253 fl., 53 Kr., 2 Pf.

1785

59.446 fl., 35 Kr., 3 Pf.

168.953 fl., 1 Pf.

1786

90.900 fl., 57 Kr., 1 Pf.

224.664 fl., 34 Kr., 3 Pf.

1787

87.105 fl., 25 Kr., 1 Pf.

227.949 fl., 4 Kr., 1 Pf.

Insgesamt

619.925 fl., 15 Kr., 3 Pf.

1.710.628 fl., 15 Kr., 1 Pf.

Entnommen aus BayHStA OBB (Akten) 1/1 und 1/2: »Summarischer Rechnungs Extrakt respective Conspectus. Der Kösten, welche 1mo in Baiern a.) auf Straßen Unterhaltung b.) Erhebung, und c.) auf die Waßer gebäude, dann 2do in der Obern Pfalz a.) auf Straßen Unterhaltung, und b.) auf Erhebung seit 10 Jahren, nemlich von a[nn]o 1778 bis 1787 inclusive erloffen sind. Verfast den 7ten April a[nn]o 1788.«

Eine systematische Aufstellung der für den Straßen- und Wasserbau zu verwendenden Einnahmen aus Mähnatanlage und Weggeldern für denselben Zeitraum wurde zwar nicht vorgelegt. Wenn man aber die Angaben bei Krenner zur Mähnatanlage300 und eine für die Konferenz von 1788 angefertigte Auflistung der Einnahmen aus den Weggeldern und Transito-Mauten für die Jahre 1778 bis 1787301 zugrundelegt, ergibt sich eine chronische Unterfinanzierung des Straßen- und Wasserbaus in Bezug auf die dafür vorgesehenen Fonds. Die Mähnatanlage hielt sich demnach auf einer einigermaßen stabilen Höhe von ca. 100.000 fl. und die Weggelder erbrachten im Durchschnitt von 1778 bis 1787 ca. 25.000 fl. pro Jahr.302 Die ersichtliche Finanzierungslücke zwischen der Ein 300 Krenner, Baierischer Finanz-Zustand, 18–19. 301 BayHStA OBB (Akten) 1/1 und 1/2: »Summarischer Conspect« vom 19. Februar 1788 der Transito-Maut und Weggeld Einnahmen in Bayern. 302 Auch für die Jahre 1765 bis 1770 nahm die kurbayerische Landesherrschaft im Durchschnitt ca. 100.000 fl. im Jahr durch die Mähnatanlage ein; vgl. Schmelzle, Der Staatshaushalt,

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nahmeseite von um die 125.000 fl. und den getätigten Ausgaben von teilweise über 200.000 fl. hatte von Hof­stetten in genau diesen Größenordnungen bereits in seiner »Relation« zum Straßen- und Wasserbauwesen vom März 1783 beklagt. Die zu den Transito-Mauten gemachten Angaben im Summarischen Conspect vom Februar 1788 unterstützten von Hofstettens weitere Argumentation, dass durch eine Hinzunahme dieser Zolleinnahmen das Ausgabendefizit im Straßen- und Wasserbau im Rahmen des dafür vorgesehenen Etats beseitigt wäre.303 Eine grundsätzliche Verwendung von Mauteinnahmen für den Straßen- und Wasserbau scheint jedoch erst ab 1799 erfolgt zu sein, als im Rahmen der Neuordnung des Mautwesens eine zusätzlich zu den bereits existierenden Mauten zu zahlende Gebühr für alle zu Wasser beförderten Frachten eingeführt wurde, die zum Unterhalt der Wassergebäude verwendet werden sollte.304 Der Kostendruck im Straßen- und Wasserbau stellte also nicht nur ein durch die Überschwemmungskatastrophen der 1780er Jahre verursachtes Phänomen dar, sondern war auch auf das stetig wachsende Aufgabenpensum des Generalbaudirektoriums, womit wiederum ein Kostenanstieg in absoluten Zahlen einherging, zurückzuführen, wie von Hofstetten in seinen Memoranden herausgearbeitet hatte. Erhöhte Ausgaben für Verwaltung, Personal und Entschädigungsleistungen, die in von Hofstettens Kostenaufstellung nicht berücksichtigt sind, könnten ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Die dargestellte große Finanzierungslücke kann wiederum für den Kostendruck als Wahrnehmungsphänomen der Ausgaben im Straßen- und Wasserbau verantwortlich gemacht werden, deren deutliche Reduktion deshalb angestrebt wurde, weil die etatmäßig zur Verfügung gestellten Mittel bei weitem nicht ausreichend waren. Der Wasserbau war jedoch nicht nur für die Landesherrschaft, sondern auch für die Landstände eine finanzielle Belastung, die im Verlaufe des 18. Jahrhunderts immer weniger zu bewältigen war. Davon zeugen die vielfachen Bitten ständischer Korporationen an den Landesherrn, Abgaben zur Finanzierung des Wasserbaus erheben zu dürfen oder eine finanzielle Unterstützung zu erhalten, die durch den Nachlass bzw. die Aussetzung von landesherrlichen Abgaben oder durch direkte finanzielle Beihilfen gewährt werden sollte. Der landesherrliche Verwaltungsapparat zeigte sich jedoch häufig auch misstrauisch bis ablehnend gegenüber den Bittgesuchen, da man diese lediglich für Übertreibungen und Schutzbehauptungen der supplizierenden Stände hielt, die andere Motive der

282–283. Die Einnahmen aus Mauten, Akzisen, Brücken- und Wegzöllen sind bei Krenner als Gesamtsumme angegeben, so dass die Weggelder nicht herausgerechnet werden können und daher nur dem angeführten Summarischen Conspect zu entnehmen sind. 303 Im Summarischen Conspect werden Einnahmen durch die Transito-Mauten in den Jahren 1778 bis 1787 von durchschnittlich 160.000 fl. angegeben. 304 Verordnung vom 24. Mai 1799: »Die neue Einrichtung des Mauthwesens betreffend« in Mayr, Sammlung der Churpfalz-Baierischen. Band 1, 173–175.

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Supplikanten oder deren Versuche, Kosten auf den Landesherrn abzuwälzen, verschleiern sollten. Die Bitte des Klosters Attel vom Juli 1779 um landesherrliche Unterstützung, die es dem Kloster ermöglichen sollte, die finanziellen Belastungen durch den unausgesetzten Wasserbau am Inn zu bewältigen,305 illustriert die aus den Anforderungen des Wasserbaus entstehenden Finanznöte und den zu ihrer Behebung vorgesehenen Katalog an möglichen Beihilfemaßnahmen. Das Kloster bat einmal um den Nachlass diverser landesherrlicher Abgaben sowie um die Bewilligung von jährlich 300 Klaftern Brenn- und 50 Stämmen Bauholz aus den Waldungen im Kastenamt Wasserburg und dem Forstamt Ebersberg. Darüber hinaus ersuchte Attel aber auch um die Überlassung von Geldern aus dem Salzhandel oder den Bierpfennig, um den Archenbau am Inn finanzieren zu können. Eine andere Bitte sah die Einrichtung einer Maut auf dem Inn vor, die das Kloster Attel von den in Richtung Rosenheim und Tirol passierenden Weinund Getreideschiffen erheben dürfe, da durch den Hufschlag der Treidelpferde die Archen beschädigt würden. Aus einem Kostenvoranschlag für den Bau einer Beschlacht, den das Kloster Au plante und für den es um landesherrliche Beihilfe bat, sind beispielhaft die Kosten für Wasserbauten zu ersehen, die ständische Herrschaften zu schultern hatten:306 Von den veranschlagten Gesamtkosten von 6.140 fl. sollten die benötigten unterschiedlichen Formen von Bauholz (Baumstämme, Rauchholz) einschließlich ihrer Transportkosten, das Werkzeug sowie die Materialien zur Errichtung eines Schlagwerks und der Lohn für einen Zimmermeister oder Polier nebst 16 Zimmergesellen und 18 Handlangern für 90 Arbeitstage finanziert werden. In einem andern Fall versuchte das Kloster Attel erneut, eine stabilere finanzielle Grundlage des eigenen Wasserbaus zu erreichen, indem es darum ersuchte, einen einmaligen finanziellen Beitrag von den eigenen Untertanen für den Wasserbau am Inn erheben zu dürfen. Die Hofkammer beschäftigte sich ausführlich mit diesem Ersuchen, das es sehr zurückhaltend beurteilte.307 Sie misstraute den Motiven für die Erhebung dieses Wasserbaubeitrags und verdächtigte das Kloster, diesen lediglich als verdeckte Infulsteuer (beim Amtsantritt eines Abtes oder Bischofs fällige Abgabe) zu erheben, »welcher die Wassergebäude zum Vorwand dienen sollen.« Die Hofkammer bezweifelte entsprechend die Notwendigkeit dieser Abgabe zur Wasserbaufinanzierung und ging von einer gezielten Dramatisierung der Lage durch das Kloster Attel aus, da »dergleichen Klagen 305 BayHStA Kurbayern Geheimer Rat Archivalien (vorläufige Nr. 565): Schreiben des Klosters Attel vom 10. Juli 1779 an den Geheimen Rat. 306 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 937: »Zimmer Meister Überschlag. Was auf hochst nothwendig gut und daurhaft herrstellung deß Waßerbeschlächt zu Kloster Au an dem Ihnn Strom […] erforderlich seyn. Verfast München den 19. Jenner a[nn]o 1788.« 307 BayHStA Kurbayern HK Archivalien (vorläufige Nr. 1445): Schreiben der Hofkammer vom 28. Juni 1790 an den Geistlichen Rat.

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meistens übertrieben zu werden pflegen.« Die Hofkammer empfahl daher dem Geistlichen Rat, sämtliche Wasserbaurechnungen und andere Rechnungsunterlagen des Klosters zu dem Zeitpunkt vor 33 Jahren durchzusehen, als ein solcher außerordentlicher Beitrag zum Wasserbau zum letzten Mal vom Kloster erhoben wurde. Letztlich wurde die Bitte des Klosters Attel genehmigt, wobei jedoch auf den Ausnahmecharakter der Abgabe geachtet werden sollte und dass den Untertanen keine zukünftigen Verpflichtungen daraus entstünden.308 Neben dieser Form der Finanzierung durch Mehrbelastung der eigenen niedergerichtlichen Untertanen baten ständische Herrschaften auch um eine direktere finanzielle Unterstützung durch den Landesherrn, die in der Überlassung einer eigentlich der kurfürstlichen Kasse zustehenden Abgabe bestehen konnte. So bat das Kloster Rott in einer Supplik an die Hofkammer darum, den Weißbierpfennig (eine Steuer auf verkauftes Weißbier) des Bräuhauses zu Haag zu erhalten, um das Geld für die Reparatur einer durch Hochwasser des Inn zerstörten Arche aufbringen zu können, da die regulären Einkünfte und das Hand- und Rossscharwerk der eigenen Untertanen dazu nicht ausreichten.309 Das Bittgesuch wurde jedoch abgelehnt, weil der nötige Wasserbau nach eigenem Eingeständnis eine Sache des Klosters Rott und seiner Untertanen sei.310 In einem anderen Fall des Gesuchs um Übertragung des Bierpfennigs standen die Stadt Straubing und eine der bedeutendsten Wasserbaustellen Kurbayerns, die Sossauer Beschlacht, im Mittelpunkt, deren Unterhalt seit Ende des 17. Jahrhunderts zwischen der Stadt Straubing, der kurbayerischen Landesherrschaft und dem Kloster Windberg umstritten war.311 Die Regierung Straubing befasste sich in einem Gutachten vom Februar 1788 mit der Bitte der Stadt Straubing, dass ihr der Bierpfennig nicht nur für die bewilligten sechs Jahre von 1786 an, sondern nach Ablauf dieser Frist auch dauerhaft überlassen werde.312 Hintergrund dieser Bitte war die notwendige Instandsetzung der Sossauer Beschlacht, 308 BayHStA Kurbayern Geheimer Rat Archivalien (vorläufige Nr. 565): Resolution des Geheimen Rats an den Geistlichen Rat vom 17. Juli 1790. Auch das Kloster Au hatte im Februar 1788 um die Erlaubnis zu einer solchen einmaligen Abgabe seiner Untertanen ersucht, was mit dem ausdrücklichen Zusatz genehmigt wurde, dass die Untertanen dadurch nicht über Gebühr belastet werden dürften und aus der Abgabe keine zukünftige Verpflichtung gemacht werden solle; BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 937: Resolution vom 28. März 1789 an die Obere Landesregierung. 309 BayHStA Kurbayern HK Archivalien (vorläufige Nr. 2696): Supplik des Klosters Rott vom 14. November 1740 an die Hofkammer. 310 BayHStA Kurbayern HK Archivalien (vorläufige Nr. 2696): Resolutionsbescheid vom 26. November 1740 an das Kloster Rott. 311 Zu dem gesamten Komplex der Sossauer Beschlacht an der Donau bei Straubing und den diesbezüglichen Streitigkeiten zu ihrer Finanzierung vgl. auch Leidel / Franz, Katalog, 125–133 und Kränkl, Historische Schutzmaßnahmen, 279–282. 312 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 969: Gutachten der Regierung Straubing vom 8. Februar 1788 an den Geheimen Rat.

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die durch den Eisstoß und die Überschwemmung von 1784 stark beschädigt und reparaturbedürftig war. Falls dies nicht geschah und die Beschlacht verfiel, drohte die Donau ihren Lauf statt durch die Schleife an der Stadt vorbei wieder durch den Altarm zu nehmen, der durch die Beschlacht verschlossen war, so dass Straubing vom Handel und Verkehr auf dem Fluss abgeschnitten gewesen wäre. Wie die Regierung in ihrem Gutachten zusammenfasste, hatte die Stadt damit argumentiert, dass sie den Bierpfennig zur Tilgung der durch vergangene Kriege verursachten Stadtschulden sowie zur Finanzierung der Reparatur der Sossauer Beschlacht brauche. Zuvor bereits vorgebrachte Bedenken der Regierung Straubing hatte der Stadtmagistrat in seiner Supplik, wie die Regierung in ihrem Gutachten referierte, dadurch unglaubwürdig zu machen versucht, dass sie diese auf das Eigeninteresse der Regierungsmitglieder selbst, die durch den Bierpfennig erhöhten Bierpreise nicht zahlen zu wollen, zurückführte. Die Straubinger Regierung wies diese Argumente und Anschuldigungen des Stadtmagistrats in ihrem Gutachten zurück, indem sie darauf hinwies, dass die Stadt zusätzlich zum Bierpfennig bereits ein Gratial aus den Einnahmen des Salzhandels von 8.000 bis 9.000 fl. im Jahr erhalte. Die von der Stadt Straubing hervorgehobene Wichtigkeit des Unterhalts der Wassergebäude für die Sicherheit der Schifffahrt und die Abgaben aus Maut- und Salzregal wurde zwar auch von der Regierung gesehen. Der Forderung nach dem dafür nötigen Bierpfennig stellte die Regierung jedoch die Mehrbelastung der Bürger durch diese Steuer gegenüber: Ein Pfennig auf das Bier sei gar nicht so unbedeutend für einen Bürger mit Weib und Kind sowie Gesellen, die täglich ihre acht Maß Bier und mehr konsumieren, was im ganzen Jahr eine erkleckliche Summe ergebe. Den geistlichen und Mittelstand, die unter der Teuerung sehr zu leiden hätten, übergehe man bei diesem Argument ohnehin gänzlich. Und verdienten nicht auch der arme Tagelöhner mit Weib und Kind sowie der gemeine Soldat mit seinen viereinhalb Kreuzern Tagessold Rücksicht? Die Regierung Straubing versuchte diese zur Zerstreuung der Verdächtigungen des Stadtmagistrats notwendige Selbstdarstellung als Wahrer der kurfürstlichen finanziellen Interessen und des Wohls des gemeinen Publicums in der Folge noch weiter zu unterstreichen, indem sie die Stadt Straubing beschuldigte, die Reparaturkosten für die Sossauer Beschlacht viel zu hoch zu veranschlagen. Sie schlug auch vor, die Hälfte des bereits bewilligten sechsjährigen Bierpfennigs der Stadt zukommen zu lassen und sicherzustellen, dass das Geld auch wirklich für den Bau der Beschlacht nach den Vorgaben des Hofkammerrats und Wasserbaumeisters Adrian Riedl verwendet werde. Der übrigbleibende Rest könne dann zur Tilgung der Stadtschulden gebraucht werden. Die andere Hälfte des Bierpfennigs solle aber den Opfern des verheerenden Stadtbrandes vom 13. September 1780 zur Verfügung gestellt werden. Die Hofkammer schien allerdings den Verdacht des Magistrats, dass Eigeninteressen von Seiten der Regierung Straubing im Spiel waren, zu teilen. In ihrer

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Stellungnahme zum Gutachten der Straubinger Regierung merkte sie bezüglich des Vorschlags der Regierung, den Abbrändlern in Straubing einen Anteil des Bierpfennigs zur Verfügung zu stellen, an, dass zu den »empfindsam betroffenen Haus-Eigenthümern« auch ein Mitglied der Straubinger Regierung gehöre. Der Bierpfennig solle daher im Gegenteil nur für den Wasserbau, also in erster Linie für die Reparatur der Sossauer Beschlacht, verwendet werden.313 Wie Akten der Hofkammer, die der Oberen Landesregierung zur Stellungnahme zugeschickt wurden, illustrierten, waren neben der Sossauer Beschlacht auch ein weiteres Wassergebäude bei Straubing, die sogenannte Kasernenschlacht, sowie das örtliche kurfürstliche Salzstadl (der Lagerort des Salzes) reparaturbedürftig. Die Hofkammer äußerte sich in ihrem Bericht an den Kurfürsten im August 1788 zu dem diesbezüglich gemachten Vorschlag, einen Durchstich der Donau bei der Sossauer Beschlacht vorzunehmen und der Donau damit ein neues Bett abseits der Stadt Straubing zu geben.314 Das sollte zukünftige Reparaturkosten der Beschlacht sowie der Kasernenschlacht und des Salzstadls durch Hochwasserschäden vermeiden. Die Hofkammer verwies hierzu auf ein Gutachten Adrian Riedls, in dem er das Vorhaben negativ beurteilt hatte. Nach Riedls Meinung war ein solcher Durchstich zwar durchaus durchführbar, aber in Anbetracht der dafür aufzuwendenden hohen Kosten, die in gar keinem Verhältnis zu den Reparaturkosten der Wassergebäude stünden, sei eine solche Maßnahme nachteilig.315 Die Hofkammer schloss sich in ihrem Bericht dieser Ansicht an und verwies darauf, dass eine Verlegung des Hauptarms der Donau und damit des Handelsweges von der Stadt weg das begüterte Straubing zu einem öden und armen Ort machen werde. Darüber hinaus wäre wegen der hohen wasserbaulichen Kosten des Durchstichs und der Folgekosten, die durch die Sicherung der neu an den Fluss angrenzenden Gründe entstünden, von der Verlegung des Donaubettes abzuraten. Unterdessen hatte der Generalbaudirektor von Hoftstetten bereits in einer Stellungnahme vom Mai 1788 auf die Dringlichkeit der Reparatur der beschädigten Wasserbauten und des kurfürstlichen Salzstadls in Straubing hingewiesen, da die seit dem Eisstoß vom Februar 1784 beschädigte Sossauer Beschlacht noch nicht repariert worden sei.316 Trotz von Hofstettens Mahnung zur Dringlichkeit wurde die Reparatur der Beschlacht weiterhin verschoben, da die Frage der Finanzierung durch den Bierpfennig weiterhin in der Schwebe blieb. Die Obere 313 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 969: Bericht der Hofkammer vom 25. April 1788 an den Kurfürsten. 314 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 969: Schreiben der Hofkammer vom 20. August 1788 »Ad Manus Serenissimi«. 315 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 969: Dem Bericht der Hofkammer angefügtes, undatiertes Gutachten Adrian Riedls. 316 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 969: Stellungnahme des Straßen- und Wasserbaudirektors von Hofstetten vom 5. Mai 1788.

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Landesregierung widmete sich der Angelegenheit in einem erneuten Gutachten im Dezember 1788.317 Nach ihrer Ansicht ergebe sich aus der Durchsicht der entsprechenden Akten eindeutig, dass der Bierpfennig eigentlich nur zur Tilgung von Kriegsschulden eingesetzt werden dürfe. Zwar könne man die Verwendung für die Unterstützung der Abbrändler und die Reparatur der ruinösen Wassergebäude durchaus prinzipiell zugestehen. Dennoch sei man der Meinung, dass der Bierpfennig der Stadt nur für den bereits gewährten Zeitraum von sechs Jahren und auch nur primär zur Tilgung der Kriegsschulden zugestanden werden solle. Vom danach übrigbleibenden Rest könne man dann den Wasserbau finanzieren, während zur Unterstützung der Abbrändler andere Maßnahmen zu treffen seien. Hinsichtlich des Unterhalts der teuren Sossauer Beschlacht brachte die Obere Landesregierung in ihrem Gutachten jedoch ein neues Element in die Debatte ein. Die Finanzierung des Wassergebäudes obliege nicht der städtischen Kammer alleine, sondern auch einer Konkurrenz. Prompt bezog sich auch die Resolution an die Obere Landesregierung in der Frage der Verwendung des Bierpfennigs für die Sossauer Beschlacht auf diesen angeführten Punkt, der eine Möglichkeit für die landesherrliche Kasse darstellte, ihre Aufwendungen für die Beschlacht zu reduzieren.318 Der Bierpfennig solle zwar so verwendet werden, wie es die Hofkammer vorgeschlagen habe, nämlich mit der einen Hälfte zur dringend notwendigen und unaufschiebbaren Reparatur der Sossauer Beschlacht und mit der anderen zur Tilgung alter Kriegsschulden. Bezüglich der von der Oberen Landesregierung erwähnten Wasserbaukonkurrenz für die Sossauer Beschlacht zwischen der Stadt Straubing, dem Kloster Windberg und dem landesherrlichen Aerar solle sie aber diesen wichtigen Umstand aufklären und den entsprechenden Rezess über die Konkurrenz in den Unterlagen des Rentamts Straubing auftreiben lassen. Adrian Riedl solle unterdessen die Wiederherstellung der Sossauer Beschlacht anleiten und einen Überschlag der Kosten dazu anfertigen, damit man sie später unter den Konkurrenzteilnehmern aufteilen könne. Die Regierung Straubing fertigte zur Frage der Konkurrenz zur Sossauer Beschlacht eine mit mehr als 100 Seiten sehr umfängliche Relation an.319 Darin erhob sie schwere Vorwürfe gegen die Stadt Straubing, die sie der Fälschung von Rechnungsunterlagen und der mutwilligen Verzögerung von Reparaturen der 317 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 969: Schreiben der Oberen Landesregierung »ad Intimum« vom 12. Dezember 1788. 318 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 969: Resolution an die Obere Landesregierung vom 23. Dezember 1788. 319 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 969: Schreiben der Regierung Straubing vom 26. Januar 1789 an die Obere Landesregierung mit beigelegter Relation. Auch die Hofkammer legte mehrere Jahre später am 22. August 1793 einen ausführlichen Bericht zur Frage der Wasserbaukonkurrenz für die Sossauer Beschlacht vor, in dem sie fortwährende Streitigkeiten zur Frage der anteiligen Finanzierung des Straubinger Wasserbaus an der Donau zwischen der Stadt Straubing, dem Kloster Windberg und der kurbayerischen Landesherrschaft seit dem 17. Jahrhundert nachweisen konnte.

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Sossauer Beschlacht, um den Landesherrn zu erpressen, bezichtigte. Einer bereits vor 20 Jahren zum Thema der Konkurrenz verfassten Relation sei nämlich zu entnehmen, dass die Stadt Straubing niemals irgendeinen Beitrag für die Sossauer Beschlacht vom kurfürstlichen Aerar oder vom Kloster Windberg erhalten und diese immer alleine unterhalten habe. Die Stadt Straubing habe vielmehr damals die Rechnungen für die Sossauer Beschlacht und ein anderes durch eine Konkurrenz unterhaltenes Wassergebäude vermischt, um sich so einen Beitrag vom Kloster und dem Landesherrn für die Sossauer Beschlacht zu erschleichen. Die Stadt verfolge außerdem die Strategie, durch Vernachlässigung der beständig durch Hochwasser und Eisstoß an der Sossauer Beschlacht anfallenden Ausbesserungen, die sonst jährlich kaum 100 fl. ausmachten, den Reparaturbedarf bis zu einem Kostenumfang von mehreren 1.000 fl. auflaufen zu lassen. Diese größeren Summen nehme sie dann zum Vorwand, um landesherrliche Hilfe bei der Finanzierung der dringend nötigen Reparaturen und zur Verhinderung der sonst für die Schifffahrt drohenden Konsequenzen zu erbitten. Eine schließlich im November 1790 ergangene Resolution an die Hofkammer zum Wasserbau bei Straubing zeugt davon, dass an höchster Stelle anscheinend der Geduldsfaden mit der Stadt gerissen war:320 Anklagend wurde darauf verwiesen, dass an der Sossauer Beschlacht seit nunmehr sechs Jahren nicht gebaut werde und der Stadtmagistrat damit fortfahre, den Bierpfennig, der auch für die Reparaturarbeiten bestimmt sei und den er eigentlich nur aus kurfürstlicher Milde als Gratial erhalte, für die ewig behaupteten Kriegsschulden, andere magistratische Zwecke und aus Eigendünkel in Anspruch zu nehmen, so dass die Reparatur der Sossauer Beschlacht unterbleibe. Der Bierpfennig solle zukünftig nur noch zur Reparatur der Beschlacht verwendet werden und die bereits vom Magistrat durch den Bierpfennig eingenommenen Geldbeträge zu diesem Zweck eingezogen werden. Der Generalbaudirektor Adrian Riedl sollte vor Ort geschickt und die Wiederherstellung der Sossauer Beschlacht nunmehr alleine unter seine Leitung erfolgen. Auch wurde die Einrichtung einer eigenen DonauWasserbau-Kommission angeordnet, die vor Ort das Rechnungswesen zum Bau an der Beschlacht verwalten sollte. Außerdem sei der Magistrat schärfstens anzuweisen, unter keinem Vorwand um andere Verwendungsmöglichkeiten des Bierpfennigs zu ersuchen, solange die Beschlacht nicht völlig wiederhergestellt sei, und sich den Anordnungen der Wasserbau-Kommission nicht zu widersetzen. Die Landesherrschaft unterstützte aber nicht nur wie im Fall der Sossauer Beschlacht auf dem Wege der Überlassung oder Bewilligung von Abgaben, sondern gewährte ständischen Parteien bei Wasserbaukonkurrenzen auch einen Vorschuss auf ihren Anteil. Dieses Darlehen war in den Baurechnungen zu vermerken und in der Theorie wieder zurückzuzahlen. In der Praxis wurden 320 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 969: Resolution an die Hofkammer vom 16. November 1790 (weitergeleitet zur Nachricht an die Obere Landesregierung).

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diese Schulden jedoch häufig nicht getilgt, so dass der Landesherr de facto die Finanzierung von Wassergebäuden übernahm, zu deren Unterhalt er nicht verpflichtet war. Dieses fiskalische Problem existierte bereits seit dem 17. Jahrhundert, wie eine Anweisung an den Hofrat aus dem Jahr 1668 belegt, in der die Aufklärung von Ausständen diverser Partikularparteien und Privatleuten zu Wasserbaukonkurrenzen bei Landshut, Donaustauf und Stadtamhof gefordert wird, auf denen der kurfürstliche Aerar bisher sitzengeblieben war und die sich auf insgesamt 57.565 fl. beliefen.321 Gerade der Wasserbau an der Donau bei Donaustauf gegenüber der zum Hochstift Regensburg gehörigen Herrschaft Barbing war davon betroffen, da zu dessen Finanzierung eine Konkurrenz eingesetzt war, an der sich auch Regensburger Anlieger beteiligen sollten.322 Deren Widerstand gegen ihre Verpflichtung, einen nach dem Wert ihres Grundbesitzes proportionierten Konkurrenzanteil zu leisten, führte in den 1680er Jahren zu einem Streit mit dem Pfleggericht Donaustauf, das die Verpflichtung der Anlieger zur Konkurrenzbeteiligung durchsetzen wollte. Nach einer Entscheidung des Hofrats wurden schließlich alle Anlieger zur Teilnahme an der Konkurrenz zur Barbinger Beschlacht gezwungen.323 Das bedeutete jedoch nicht, dass die involvierten Parteien nicht weiterhin versuchten, sich der finanziellen Beteiligung an der Barbinger Beschlacht zu entziehen. So ersuchten etwa die Donaustaufer Bürger Ulrich Caspar und Hanns Hueber um Ablösung oder zumindest Minderung ihrer Konkurrenzbeiträge, die nach Schätzung ihrer anrainenden Gründe 30 fl. bzw. 65 fl. betrugen und die sie aufgrund ihrer Armut nicht zu leisten im Stande seien.324 Und auch der Magistrat der Stadt Donaustauf bat um Befreiung vom Konkurrenzanteil, der in der Gesamtsumme 76 fl. betrug. Aufgrund ihrer Mittellosigkeit und einem kürzlichen Schauerschaden an den Feldfrüchten sah sich die Stadt nicht in der Lage, diesen Beitrag zu leisten, ohne die allgemeine Not der Bürgerschaft nicht noch zu vergrößern.325 Ähnlich vertrackt stellte sich auch die Situation des Wasserbaus an der Isar bei Landshut dar, der durch eine Konkurrenz finanziert wurde, für deren Be­ aufsichtigung in den 1770er Jahren eigens eine Wasserbaukonkurrenzkommis 321 BayHStA OBB (Akten) 2134: Anweisung an den Hofrat vom 11. August 1668; vgl. auch Franz, Rechtliche Bestimmungen, 295. 322 Für das Folgende BayHStA Kurbayern Geheimes Landesarchiv 347. 323 Der Hofrat entschied zwar zunächst gegen das Pfleggericht und für die Regensburger Anlieger, die von der Konkurrenz befreit wurden; BayHStA Kurbayern Geheimes Landesarchiv 347, Bl. 497–498: Bescheid des Hofrates vom 30. September 1682 an die Hofkammer. Dagegen legte die Hofkammer jedoch erfolgreich zugunsten des Pfleggerichts Revision ein; BayHStA Kurbayern Geheimes Landesarchiv 347, Bl. 543: Resolution vom 10. September 1687. 324 BayHStA Kurbayern Geheimes Landesarchiv 347, Bl. 585–586: Bittschrift der Donaustaufer Bürger Ulrich Caspar und Hanns Hueber vom Februar 1697 an die Hofkammer. 325 BayHStA Kurbayern Geheimes Landesarchiv 347, Bl. 587–588: Bittschreiben des Bürgermeisters und der Räte zu Donaustauf vom 9. Februar 1697 an die Hofkammer.

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sion eingesetzt worden war.326 Deren finanzielle Lage war jedoch sehr schlecht: Nicht nur supplizierten im Juni 1780 mehrere Landshuter Bürger an den Geheimen Rat um die Auszahlung offener Rechnungsbestände, die sie bei der Wasserbaukommission für die Lieferung von Baumaterialien zum Wasserbau hatten. Auch die Kommission selbst beklagte die Ebbe in den eigenen Kassen. Man habe die Supplikanten bisher einfach nicht auszahlen können, »weillen kein Kreuzer Geld bei der Cassa ist, und Uns derowegen selbst hart ankommt, das Wür diese Leuthe, um ihr gelifertes Materiale und anders, immer vergeblich an die Glocke müssen leuthen sehen.«327 Die Landshuter Wasserbaukonkurrenzkommission wandte sich deshalb an den Geheimen Rat und bat um eine Entscheidung zur Behebung der finanziellen Notlage des Landshuterischen Wasserbaus, damit man wenigstens die ausstehenden Rechnungen bei den Handwerkern bezahlen könne.328 Für die problematische Finanzlage der Landshuter Wasserbaukonkurrenzkommission scheinen mehrere Faktoren verantwortlich gewesen zu sein. Nicht nur war das ursprünglich für die Kommission vorgesehene Umgeld der Stadt Landshut überlassen worden. Die Erhebung weiterer Konkurrenzbeiträge zum Landshuter Wasserbau war aufgrund der zunehmenden Mittellosigkeit der städtischen Einwohner unmöglich, wie die Kommission in einem Bericht an die Obere Landesregierung beklagte.329 Auch standen Konkurrenzbeiträge von Einwohnern der Stadt Landshut aus, deren Eintreibung die Wasserbaukommission in ihrem Bericht allerdings unter Verweis auf die allgemeine Bedürftigkeit der Landshuter verweigerte. Schon in einem Bericht vom Juli 1779 an den Geheimen Rat hatte die Kommission die Finanzierungsschwierigkeiten der örtlichen Wasserbaukonkurrenz betont.330 Es werde wohl nichts anderes übrigbleiben, als eine neue Konkurrenzanlage einzuholen, nachdem die ursprünglich 1771 auf acht Jahre eingerichtete Konkurrenz tatsächlich nur Gelder für viereinhalb Jahre eingebracht habe. Nach dem Wegfall des Umgelds als Einnahmequelle verblieben der Landshuter Wasserbaukommission nurmehr die Konkurrenzbeiträge und der sogenannte Regensburger Pfennig von gerade mal 142 fl. jährlich als einzige Fonds. Bis zum Katastrophenjahr 1784 hatte sich die finanzielle Lage der Wasserbaukommission noch weiter verschlechtert. In einem Bericht an die Obere Landes 326 Für das Folgende BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1664. 327 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1664: Schreiben der Landshuter Wasserbaukonkurrenzkommission vom 2. September 1780 an die Obere Landesregierung. 328 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1664: Schreiben der Landshuter Wasserbaukonkurrenzkommission vom 16. Juli 1781 an den Geheimen Rat. 329 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1664: Bericht der Landshuter Wasserbaukonkurrenzkommission vom 31. Januar 1783 an die Obere Landesregierung. 330 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1664: An die Obere Landesregierung geschickte Abschrift dieses Berichts vom 26. Januar 1782.

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regierung vom 10. Februar 1784, also kurz vor der Hochwasserkatastrophe, wies die Kommission ausdrücklich auf die Gefahr bevorstehender Eisstöße hin, die den im Rahmen der Konkurrenz errichteten Wasserbau, für den bisher insgesamt an die 60.000 fl. aufgewendet worden seien, wieder zerstören könnten. Sie könne aber an der für den Landshuter Wasserbau gefährlichen Situation nichts ändern, da die Gelder dazu fehlten und außerdem noch Schulden von 1.000 fl. bei örtlichen Handwerkern abzuzahlen seien. Aber erst nachdem das Hochwasser vom Februar / März 1784 dann tatsächlich in Landshut schwere Schäden an den Wassergebäuden verursacht hatte, wandte sich die Obere Landesregierung mit einer dringenden Aufforderung zur Regelung der offenen Finanzierungsfragen des Landshuter Wasserbaus an den Kurfürsten.331 Die finanziellen Schwierigkeiten des Landshuter Wasserbaus blieben auch in den 1790er Jahren weiterhin unvermindert. Die Landesherrschaft versuchte in dieser Zeit die Grundlage der Wasserbaukonkurrenz zu verbessern, ohne jedoch selbst mehr Geld ausgeben zu müssen, indem sie den Konkurrenzbeitrag der Landshuter Bräuschaft in Form des Bierpfennigs erhöhte.332 Die Bräuschaft zeigte sich in einer Supplik an den Kurfürsten entsetzt über die Anordnung, da sie sich nicht in der Lage sah, diese Mehrlasten zu schultern, ohne dadurch ruiniert zu werden, da der Bierpfennig nicht von der Allgemeinheit, sondern letztlich von der Bräuschaft aus eigener Tasche bezahlt werde.333 Dass diese ökonomische Argumentation nicht bei der Landesherrschaft verfing, geht aus einer Resolution vom März 1795 an die Landschaft hervor, die das Anliegen der Landshuter Bräuschaft unterstützt hatte:334 Die Behauptung der dortigen Bräuschaft, der erhöhte Konkurrenzbeitrag führe zu ihrem Untergang, sei gänzlich unbegründet, da die Bräuschaft letztlich am Bierpfennig verdiene, insofern sie ein Teil davon »im Sack behält«. Die Landschaft zeigte sich hingegen in ihrer Antwort gar nicht einverstanden mit dem Bierpfennig und drohte sogar damit, ihre eigenen über ihre Verpflichtungen hinaus geleisteten Beiträge zu redu­zieren.335 Trotz des Protests der Landschaft blieb der Bierpfennig für den Landshuter Wasserbau aber bestehen, da sich Hofkammer und Obere Landesregierung in Reaktion auf die Stellungnahme der Landschaft dafür aussprachen.336 331 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1664: Schreiben der Oberen Landesregierung ad Serenissimum vom 16. März 1784. 332 Für das Folgende BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1665. 333 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1665: Supplik der Landshuter Bräuschaft an den Kurfürsten (undatiert, aber Anfang des Jahres 1795 verfasst). 334 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1665: Kurfürstliche Resolution an die Gemeine Landschaft vom 13. März 1795. 335 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1665: Stellungnahme der Landschaft vom 23. Juni 1795. 336 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1665: Schreiben der Hofkammer vom 24. Juli 1795 an die Obere Landesregierung und Schreiben der Oberen Landesregierung vom 12. August 1795 ad Serenissimum.

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Die Wasserbaukonkurrenzen waren nicht nur finanzielle Problemfelder, sondern für minderbegüterte Flussanlieger auch eine Möglichkeit, durch die Beteiligung des Landesherrn ihren Wasserbau überhaupt noch unterhalten zu können. Das zeigt das Beispiel der Wassergenossen an der Giesinger Au bei Harlaching, die eine gemeinsame Kasse zur Finanzierung von Wasserbauten an der Isar zum Schutz ihrer Gründe unterhielten.337 In einem Bericht aus dem Jahr 1752 über einen drohenden Einbruch der Isar bei der oberen Giesinger Au erwähnte Castulus Riedl dieses örtliche finanzielle Arrangement der Anlieger. Da die Wassergenossen aber nach Riedls Ansicht nicht alleine zur Finanzierung einer nötigen Wasserbaus in der Lage waren, warb Riedl in seinem Bericht für das Anliegen der Wassergenossen, dass der Landesherr sich an dem Wuhrgebäude finanziell beteilige, da es auch anrainende kurfürstliche Auen schütze.338 Es kam jedoch nicht zu einer solch gemeinsamen Finanzierung, da Vertreter des Hofrats und der Hofkammer bei einer gemeinsam mit Castulus Riedl vorgenommenen Begutachtung vor Ort zu dem Ergebnis kamen, dass eine Wuhr nicht gegen die Hochwasser der Isar schützen werde. Die Auer Wassergenossen müssten entsprechend eigenverantwortlich einen Wasserbau errichten.339 Noch 40 Jahre später drückte die finanzielle Mittellosigkeit die Wassergenossen. Zunächst hatte sich das Gericht Au im Jahr 1792 für das Anliegen der Wassergenossen eingesetzt, zusätzlich zu bereits gewährten Nachlässen weitere Freijahre und Nachlässe zu erhalten, um ihre Wasserbauten unterhalten zu können.340 Im Juli 1797 ersuchte sogar die ganze Gemeinde Au in einer Supplik um die gänzliche Übernahme des von ihr zu verantwortenden Wasserbaus durch den Landesherrn, da sie sich trotz der bisher schon gewährten Beihilfen nicht in der Lage sah, den Unterhalt der Wassergebäude weiterhin zu gewährleisten.341 Adrian Riedl legte zu dieser Bitte der Auer Gemeinde ein Gutachten vor, in dem er sich für die Einrichtung einer Konkurrenz aussprach, die zu jeweils einem Drittel von Landesherr, Grundherrschaften und den anrainenden Untertanen getragen werden sollte. Ohnehin handele es sich bei der Isar um ein »flumen publicum«, an dem der Landesherr die Pflicht zum Wasserbau habe. Auf diese Weise unterstünde der örtliche Wasserbau zukünftig auch der Leitung der General-Wasserbau-Direktion. Die Einrichtung einer Konkurrenz habe auch die 337 Für das Folgende BayHStA GL Fasz. 242 Nr. 69. 338 BayHStA GL Fasz. 242 Nr. 69: Bericht von Castulus Riedl vom 10. April 1752 an die Hofkammer. 339 BayHStA GL Fasz. 242 Nr. 69: Protokoll vom 19. Mai 1752 der Inaugenscheinnahme durch Vertreter des Hofrats und der Hofkammer sowie durch den Ingenieurhauptmann und Wasserbaumeister Castulus Riedl. 340 BayHStA GL Fasz. 242 Nr. 69: Schreiben des Gerichts ob der Au vom 12. April 1792 an die Hofkammer. 341 BayHStA GL Fasz. 242 Nr. 69: Supplik der Gemeinde Au vom Juli 1797 an den Kurfürsten.

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Vorteile, dass sie Beihilfen und Nachlässe überflüssig mache und zum Bau eines dauerhaften Wassergebäudes führen werde. Das mache wiederum kostspieligere Maßnahmen unnötig und die Untertanen seien von aller Gefahr durch die Isar befreit.342 Solange die Wasserbaukonkurrenz noch nicht eingerichtet war, erklärte sich die Landesherrschaft bereit, zur Herstellung der Wassergebäude einmalig die Kosten von 800 oder 900 fl. zumindest zur Hälfte zu übernehmen.343 Diese Fälle von landesherrlicher Unterstützung für ständischen Wasserbau nahmen im Laufe des 18. Jahrhunderts zu und belasteten den landesherrlichen Etat für den Straßen- und Wasserbau zusätzlich, wie der Ausgabenaufstellung für den Zeitraum von 1778 bis 1787 zu entnehmen ist (vgl. Tab. 1). Von Hofstetten erklärte in diesem summarischen Rechnungsextrakt den beobachtbaren Anstieg der Ausgaben des Aerars im Wasserbau nicht nur mit den Katastrophenjahren 1784, 1786 und 1787, sondern auch damit, »daß man seit einigen Jahren immer mehrere Waßergebäude für verschiedene auch jener in größern Verfall kommende Stadt und Markts Kämern in Bau und Unterhaltung […] hat übernehmen müßen.«344 Unter diesen Umständen war es nicht verwunderlich, dass der Hofrat bereits im Dezember 1781 einen Vorstoß zur Regelung des Wasserbaus unternahm, der auf die völlige Übernahme sämtlicher Wasserbauten und ihrer Kosten durch den Landesherrn hinauslief.345 Da nämlich Erbauung und Unterhalt der kostspieligen Archen und Wassergebäude das Vermögen des Landmannes überstiegen, sei es nur billig, dass der Landesherr, der das Ius fluminum inne habe, auch die Verpflichtungen zum Bau und Unterhalt aller Wassergebäude tragen solle. In der daraufhin im April 1782 stattfindenden Konferenz der beteiligten Zentralbehörden wurde der Vorschlag des Hofrats jedoch unterschiedlich bewertet.346 Die Obere Landesregierung sprach sich für dieses Vorhaben aus, das zur Wohlfahrt der Untertanen sehr nützlich sei. Auch der Hofrat beharrte auf seiner Ansicht, dass der Landesherr zwar de jure nicht zur Übernahme aller Wassergebäude verpflichtet sei, aber doch aus Billigkeit. Zum Erhalt der Untertanen und seines Territoriums an den Grenzflüssen müsse er die kostspieligen und die Kräfte der Landleute übersteigenden Wasserbauten führen. Dadurch werde 342 BayHStA GL Fasz. 242 Nr. 69: Gutachten Adrian Riedls vom 10. November 1797 an die Hofkammer. 343 BayHStA GL Fasz. 242 Nr. 69: Resolution vom 4. Mai 1798. 344 BayHStA OBB (Akten) 1/1: »Summarischer Rechnungs Extrakt respective Conspectus […] Verfast den 7ten April a[nn]o 1788.« 345 BayHStA OBB (Akten) 1/1: Schreiben des Hofrates an die Obere Landesregierung vom 7. Dezember 1781. 346 BayHStA OBB (Akten) 1/1: Protokoll der Konferenz von Oberer Landesregierung, Hofrat, Hofkammer (durch von Hofstetten vertreten) und Kommerzienkollegium vom 11. April 1782. Vgl. dazu auch Leidel, Der Wasserbau, 300–301.

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man nicht nur die unzähligen Prozesse um den Wasserbau mit einem Schlag beenden, sondern auch die Gefahr der Zerstörung ganzer Dorfschaften durch die Wut der reißenden Flüsse bannen. Falls der Landesherr aber sämtliche Wassergebäude in Verbindung mit einer neuen Hofanlage zur Finanzierung derselben nicht übernehmen wolle, sollte den bei Hochwasser und Überschwemmungen betroffenen Untertanen zumindest die Hälfte ihrer Wasserbaukosten durch den Aerar erstattet werden. Die Hofkammer erklärte dagegen, dass sie sich niemals mit diesem Vorschlag des Hofrates einverstanden erklären könne. Da die Städte und Märkte seit jeher ihre für den Wasser- und Brückenbau bestimmten Fonds und Einnahmen auch für andere städtische Gebäude und Schuldigkeiten verwendet hätten und die Situation bei den Pfleggerichts-, Hofmarks- und Klosteruntertanen noch verworrener sei, könnten diese Gelder auch nicht für einen ausschließlich landesherrlichen Wasserbau herangezogen werden. Wegen der Schuldenlast des Staates sei es auch nicht möglich, alternativ einfach dem kurfürstlichen Aerar die enorme Summe von vielen hunderttausenden Gulden im Jahr für den Wasserbau ohne eine Entschädigung aufzubürden. Zur Finanzierung dieser gewaltigen Ausgaben wäre daher eine neue allgemeine Abgabe nötig, die nicht nur von den an den Flüssen lebenden Untertanen, sondern auch von den indirekt vom Wasserbau profitierenden Bevölkerungsteilen erhoben werden müsste. Eine neue Hofanlage zur Finanzierung des Wasserbaus werde jedoch auch noch die wohlhabenden Untertanen verarmen lassen. Daher müsse die Hofkammer auf der bisher befolgten Vorgehensweise beharren, dass ein jeder seine Gründe selbst vor Wassereinbrüchen zu schützen habe. Bei außerordentlich hohen Wasserschäden trage der Landesherr ohnehin bereits ein Drittel der Kosten, der Grundherr das zweite und der grundherrliche Untertan das letzte Drittel, so dass der Landesherr dort, wo er Grundherr sei, sogar zwei Drittel übernehme. Außerdem sei bisher den verunglückten Untertanen mit Nachlässen und Freijahren sowie Geld und Bauholzlieferungen aus den kurfürstlichen Waldungen unter die Arme gegriffen worden, um sie in ihrer häuslichen Existenz zu erhalten. Der Vorstoß des Hofrates, der den Nachvollzug der de facto längst im Gange befindlichen finanziellen Übernahme des Wasserbaus in Bayern durch den Landesherrn bedeutet hätte, kam damit nicht zur Umsetzung und wurde in der Folge auch nicht wieder aufgegriffen. Er illustriert allerdings die Belastung der landesherrlichen Finanzmittel durch die Beihilfen in Form von Nachlässen, Überlassung oder Bewilligung von Abgaben und Vorschüssen auf Anteile an Wasserbaukonkurrenzen. Die Aufwendungen für die Unterstützungen wurden als so umfangreich und der Anteil des Landesherrn am Wasserbau in Bayern insgesamt als so bedeutend erachtet, dass die Übernahme der Finanzierung auch des restlichen Wasserbaus für den Hofrat nicht mehr entscheidend ins Gewicht fiel, auch wenn die Hofkammer da anderer Meinung war.

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4.4.2 Wissensregime des Wasserbaus: Erfahrungs- und Theoriewissen Nicht nur hinsichtlich der zunehmenden Verstaatlichung, sondern auch in Bezug auf die zugrundeliegende Wissensordnung lässt sich ein Entwicklungsprozess im Wasserbau ausmachen. Im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert nahm hier die Bedeutung von Theoriewissen gegenüber dem erfahrungsbasierten Wissen zu: Mathematisch formulierbares hydraulisches Wissen wurde zur im wasserbaulichen Diskurs eingeforderten Grundlage für die Umsetzung in hydrotechnische, also wasserbauliche Maßnahmen. Gegenüber der erfahrungsbasierten, handwerklichen Ausrichtung des Wasserbaus gewann die Komponente des im wissenschaftlichen Kontext produzierten mathematisch-abstrakten Wissens an Bedeutung. Mit diesem Wandel der Wissensordnung ging auch eine Veränderung des Expertenstatus im Wasserbau einher, indem es nicht mehr nur die erworbene Erfahrung in der Errichtung von Wassergebäuden und ihrer Wirkungsweise im Fluss sowie die durch praktische Anwendung erlangten Kenntnisse über das Verhalten von Flüssen waren, die jemanden zum Experten für den Wasserbau machten. Nun waren vermehrt der Ausweis von fachwissenschaftlicher Expertise und die Partizipation am wissenschaftlichen Feld von Bedeutung, um zu den »artis peritis« zu zählen.347 Die lokalen Wasserbauer in landesherrlichen und anderen Diensten waren im 18. Jahrhundert zunächst ganz durch ihr Erfahrungswissen geprägt, das sie sich im Umgang mit ihrem jeweiligen Fluss erworben hatten. Dieses Erfahrungswissen war das kulturelle Kapital, das sie für ihre örtlichen Gemeinden aber auch die landesherrliche Verwaltung zu Experten für den Wasserbau, zu Wasserbauverständigen, machte. Im bereits behandelten Streit zwischen Kurbayern und der Reichsstadt Augsburg um Wasserbau am Lech war es der örtliche Lechmeister Philipp Höss (o. Hess), dessen Expertise zur Grundlage der Beurteilung des Augsburger Wasserbaus durch die kurbayerische Seite wurde.348 Nicht nur lenkte er die Aufmerksamkeit des Hochzollamtes und des Landgerichts Friedberg überhaupt erst auf den Augsburger Wasserbau, sondern war aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit als Lechmeister auch generell der Wasserbauverständige der involvierten lokalen landesherrlichen Verwaltungsämter für den Lech. Seine Meinung war neben den Ansichten der von der Hofkammer vor Ort 347 Eine ähnliche Entwicklung hat Frédéric Graber für das Corps des Ponts et Chaussée in der Napoleonischen Zeit aufgezeigt, wo die französischen Bauingenieure trotz Präsenz von Hydraulik, Mechanik und Geometrie in ihrer Ausbildung zunächst an ihrer Praxisorientierung festhielten. Erst nachdem eine neue Generation von Ingenieuren, die an der 1794 gegründeten École Polytechnique ausgebildet worden waren, die Leitungspositionen im Ingenieurcorps besetzte, stieg in den 1820er Jahren die Akzeptanz des Theoriewissens als Grundlage wasserbaulicher Projekte: Frédéric Graber, Purity and Theory. Theoretical Tools at Pont et Chaussées, circa 1800, in: Technology and Culture 49 (4), 2008, 860–883. 348 Für das Folgende BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 94.

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geschickten Wasserbauer ausschlaggebend für die Beurteilung des Augsburger Wasserbaus, zum einen als Beeinträchtigung der kurbayerischen territorialen Integrität und zum anderen als Gefährdung seines Heimatdorfs Lechhausen.349 In seiner Funktion als Lechmeister unternahm er mit dem Friedberger Landrichter Inaugenscheinnahmen des Augsburger Wasserbaus und informierte ihn auch über Fortschritte und Ausbau desselben. Diese Rolle nahm Philipp Höss auch im ebenfalls bereits geschilderten Streit um die Finanzierung eines Wasserbaus am Lech bei der Mehringer Au durch eine Wasserbaukonkurrenz zwischen dem Landgericht Friedberg, der Stadt Friedberg und der Hofmark Kissing ein.350 Allerdings zeigt sich an diesem Beispiel auch das Risiko der Tätigkeit als Flussmeister, da Höss zusammen mit drei anderen Menschen in den Fluten ertrank, als die Lechhausener Brücke über den Lech durch ein Hochwasser vom 3. Juli 1723 beschädigt wurde.351 Diese auf Erfahrungswissen im Umgang mit dem Fluss gegründete Expertise in der Beurteilung von Wasserbauten konnte auch Angehörigen von Berufsgruppen zugesprochen werden, die in ihrer alltäglichen Arbeit aufs engste mit dem Fluss verbunden waren. Im Streit zwischen dem kurbayerischen Markt Stadtamhof und dem hochstiftisch Regensburgischen Markt Donaustauf über die Gefährlichkeit der Donaustaufer Donaubrücke für die Schifffahrt, in dem sogar die kurbayerischen Gesandten am Regensburger Reichstag involviert waren, waren es Fischer und Schiffsmeister, die als Experten und Sachverständige hinzugezogen wurde.352 So meldete der kurbayerische Gesandte am Reichstag, Joseph Ignaz Freiherr von Leyden, in einem Schreiben vom 6. April 1777, dass er nach Zusage der Regensburger Seite zu einer gemeinsamen Inaugenscheinnahme sogleich Wasserbauverständige sowie Fischer und Schiffersleute aus Stadtamhof und Regensburg benachrichtigt habe, um an der Begehung teilzunehmen. Solche erfahrenen »artis periti« konnten aber auch Müller sein, denen aufgrund der Mühlwuhren, die sie für ihre Wassermühlen errichteten und nutzten, ein Expertenwissen zugeschrieben wurde. Beispielsweise wurde im Streitfall zwischen der Gemeinde Ettringen und dem Müller Balthasar Müller zu Ettringen im Kastenamt Türkheim ein weiterer Müller aus dem nahe gelegenen Stockheim als Wasserbauverständiger bei einer Inaugenscheinnahme hinzugezogen, um eine von der Gemeinde errichtete Wuhr, die der Ettringer Müller als schädlich für die Wasserversorgung seiner Mühle erachtete, zu beurteilen.353 349 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 94, Bl. 131–132: »Aussag des Philip Hess schon in 17. bis 18. Jahr verpflichten Lechmaisters zu Lechhausen« vom 16. August 1709. 350 Dazu BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 100. 351 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 100, B. 331–333: Schreiben des Landgerichts Friedberg vom 10. Juli 1723 an den Hofrat. 352 Für das Folgende BayHStA Kurbayern Geheimes Landesarchiv 348. 353 BayHStA Kurbayern HK Archivalien (vorläufige Nr. 4033): Schreiben des Türkheimer Kastners vom 30. März 1719.

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Zumeist waren die lokalen Wasserbauexperten allerdings Zimmerleute, die Erfahrung im Bau der hölzernen Wasserbauten vorweisen konnten. Im bereits vorgestellten Streit um Wuhren in der Isar zwischen den Mintrachingern im kurbayerischen Pfleggericht Kranzberg und den Ismaningern im Freisingischen Herrschaftsbereich war es ein örtlicher Zimmermeister, der für den Kranzberger Pfleger die freisingischen Wuhren begutachtete und in einem Riss darstellte. Aufbauend auf dessen Expertise konnte der Pfleger seine Argumentation an die Hofkammer von der Nachteiligkeit der Freisinger Wuhren für den kurbayerischen Landesherrn und die Mintrachinger Untertanen entwickeln.354 Das Vorhandensein eines solchen Wasserbauverständigen war für lokale Gemeinden von enormer Bedeutung, um Hochwasser- und Überschwemmungsschäden von Flüssen wieder beheben oder zuallererst verhindern zu können. Das kurfürstliche Oberamt Illertissen etwa berichtete der Hofkammer über die Gefahrensituation des Dorfs Vöhring, das an der Iller lag, und klagte über das Fehlen eines Wasserbauverständigen vor Ort.355 Bereits in früheren Jahren habe die Iller Felder verwüstet, wogegen für mehrere Tausend Gulden Wasserbauten errichtet worden seien. Nun drohe die gewaltige und reißende Iller aber sich in den Mühlbach zu ergießen und auf das Dorf Vöhring zuzulaufen. Diesem Notstand könne zwar mit der Anlage einer dauerhaften Beschlacht entgegengetreten werden. Da es aber in der Region keine erfahrenen Leute gebe, »welche die rechte schlacht Kunst verstehen, und daurhafte schlachten anzulegen wissen«, jedoch in München für die Isar oder den Lech wohl solche Wasserbauverständigen zu finden seien, bittet das Oberamt darum, einen kundigen Ingenieur nach Vöhring zum Bau einer solchen Beschlacht zu schicken. Diese von der Hofkammer bzw. den ihnen zugeordneten Behörden aus München vor Ort geschickten Wasserbauexperten zeichneten sich ebenfalls durch ihr Erfahrungswissen aus. Im Hinblick auf ihren Expertenstatus für Wasserbaufragen und damit verbundene Konflikte konnten auch ihre konkreten Kenntnisse der jeweiligen Bedingungen vor Ort von Bedeutung sein. Diese Ortskenntnis spielte beispielsweise in den Streitigkeiten um die Wasserversorgung der Schleißheimer Schlossanlage durch die mit der Würm verbundenen Kanäle eine Rolle.356 In einem dieser Fälle richteten die niedergerichtlichen Untertanen des Geheimen Rats und Hofratsvizepräsidenten, Franz Ferdinand Graf von Haimhausen, in den 1690er Jahren mehrere Suppliken an die Hofkammer, in denen sie Überschwemmungsschäden an ihren Gründen beklagten, die durch Ableitungen des Wassers aus der Schleißheimer Schlossanlage durch den dafür 354 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 448, Bl. 10–12: Schreiben des Pfleggerichts Kranzberg vom 3. August 1701 an die Hofkammer. 355 BayHStA Kurbayern HK Archivalien (vorläufige Nr. 4126): Schreiben des Oberamtes Illertissen an die Hofkammer vom 17. August 1775. 356 Für das Folgende BayHStA HR I Fasz. 229 Nr. 107.

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vorgesehenen Kanal in die Würm verursacht würden. Sie baten daher um eine Erstattung der entstandenen Schäden. In dieser Angelegenheit wurde dann im Jahr 1693 eine Begutachtung durchgeführt, an der nicht nur Vertreter des Generalbaudirektoriums, sondern auch der Generalbaudirektor selbst teilnahmen.357 Anlässlich einer erneuten ›Inaugenscheinnahme‹ vier Jahre später betonte Graf Haimhausen jedoch auch die Wichtigkeit von Kenntnissen über die örtlichen Bedingungen. Einer in dieser Angelegenheit zu bildenden Kommission müssten auch Männer angehören, die sowohl über den Zustand vor Ort vor dem Kanalbau als auch danach »guete wissenschaft« hätten, so dass sie auf dieser Grundlage befähigt seien, ein Urteil zur Beschwerde der Haimhauser Untertanen abzugeben.358 Die hier für eine Gutachtertätigkeit verlangte Ortskenntnis konnte für die Wasserbauexperten der Hofkammer bzw. des Hofbauamtes oder Generalbaudirektoriums aber auch dann wichtig werden, wenn sie für konkrete Wasserbauprojekte vor Ort geschickt wurden oder werden sollten. So im Falle des Hofkammerrates, Ingenieurhauptmanns und Wasserbaumeisters Castulus Riedl, dessen Abordnung sich das Kloster Ettal erbat. Am 3. Juli 1769 berichtete der Abt des Klosters an den Geheimen Rat über mehrere Hochwasser des Lainebachs, der in Folge eines Platzregens angestiegen und durch die Überschwemmungen den Untertanen des Dorfes Oberammergau schwere Schäden verursacht hatte, wobei der Fluss »gewütet, und getobet, und vorgemeldte unterthanen in den Elendisten Verderbens Stande versezet« habe. Der Abt sah keine andere Möglichkeit zur Abhilfe, als der Laine ein anderes Rinnsal zu geben und sie vom Dorf wegzuleiten. Dazu bedürfe es aber eines Geometers und Wasserbauverständigen, weshalb das Kloster den Kurfürsten als gnädigsten Landesvater bat, Castulus Riedl vor Ort zu schicken, dem als einstmaligem örtlichen Ingenieur (er war Lehrer an der Ettaler Ritterakademie gewesen) die Laine bestens bekannt sei, um auf landesherrliche Kosten eine Inaugenscheinnahme vorzunehmen.359 Die Wasserbauexperten der Hofkammer bzw. der ihr zugeordneten Behörden hatten dabei nicht nur ihr Erfahrungswissen mit den lokalen Wasser­ bauern gemeinsam, sondern teilten darüber hinaus auch ihre Verankerung in der handwerklichen Praxis. Die vom Hofbauamt ausgesandten Experten, die die Reparatur örtlicher Wasserbauten oder ihren Neubau begutachten sollten, waren nicht nur die Landgeometer, sondern auch die Hofzimmermeister des Hofbauamtes wie beispielsweise Johann Ludwig Krafft, der bereits zu Zeiten des ersten Generalbaudirektoriums als kurfürstlicher Hofzimmermeister tätig 357 BayHStA HR I Fasz. 229 Nr. 107: Protokoll einer Inaugenscheinnahme vom 8. April 1693. 358 BayHStA HR I Fasz. 229 Nr. 107: Schreiben des Grafen von Haimhausen vom 12. September 1697 an die Hofkammer. 359 BayHStA Kurbayern HK Archivalien (vorläufige Nr. 1873).

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war.360 Er spielte bei der Streitfrage des Augsburger Wasserbaus am Lech eine wichtige Rolle, da seine Expertise für die Begutachtung der Lage am Lech durch die fernen Zentralbehörden Hofkammer und Hofrat die Grundlage bildete, so wie Philipp Höss’ Sachverstand für das örtliche Pfleggericht und Hochzollamt die Beurteilungsgrundlage darstellte. Er wurde mit dem kurfürstlichen Geometer Paur vor Ort an den Lech geschickt, um eine vorgesehene Inaugenscheinnahme durch eine Kommission aus Vertretern der Hofkammer und des Hofrats vorzubereiten. Zusammen mit Paur sollte er die Angaben der Augsburger vor Ort überprüfen und die Notwendigkeit zur Anfertigung eines eigenen Grundrisses des Augsburger Wasserbaus eruieren.361 Diese Gutachterrolle nahmen die Hofzimmermeister des Hofbauamtes recht häufig ein. So wurde der Hofzimmermeister Quirin Hösse mehrfach vor Ort geschickt, um Wassereinbrüche und baufällige Brücken oder Wassergebäude an der Amper,362 der Isar,363 dem Lech364 oder dem Inn365 zu begutachten, notwendige Reparaturen bzw. neue Wasserbauten als Gegenmaßnahmen vorzuschlagen und in ihren Kosten zu schätzen. Die zentralbehördlichen Hofzimmermeister konnten hierbei auch mit den lokalen Zimmermeistern als Wasserbauexperten zusammenarbeiten, um Begutachtungen vorzunehmen, wie es die Hofkammer hinsichtlich eines Lecheinbruchs bei der Haltenberger Brücke am Lech bei Scheuring anordnete.366 Die kurfürstlichen Zentralbehörden waren auf diese Gutachten ihrer Wasserbauexperten auch deshalb angewiesen, um sich widersprechende Meldungen über lokale Problemlagen und Konflikte bezüglich des Wasserbaus einschätzen und gegeneinander abwägen zu können, so wie im Streit zwischen dem Rosenheimer Pfleger und dem Stadtmagistrat von Rosenheim bzw. dem dortigen 360 Vgl. die Aufstellung von ihm erbrachter Kostenersparnisse in BayHStA HR I Fasz. 523 Nr. 1: »Vormerkung was der churfürstl. Hofzimmermeister Johann Ludwig Kraft seit seines Dienstes Anstands in verschiedenen Orten an Bau Unkösten in Ersparung gebracht. 1691 bis 1693 inclus.« 361 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 94, Bl. 62–65: Bericht des Hofrats vom 16. Juli 1709 an die Kaiserliche Administration, Bl. 82–83: Anweisung der kaiserlichen Administration vom 9. August 1709 an zwei Hofkammer- und zwei Hofratsräte sich zu einer Inaugenscheinnahme des Augsburger Wasserbaus am Lech zu begeben. 362 BayHStA Kurbayern Hofbauamt 332: Schreiben des Hofbauamts an die Hofkammer vom 3. März 1752 und vom 10. April 1758. Auch der Unterbaumeister Johann Paur wurde mehrfach zur Begutachtung an der Amper abgeordnet. 363 BayHStA Kurbayern Hofbauamt 336: Schreiben des Hofbauamts an die Hofkammer vom 30. September 1764. 364 BayHStA Kurbayern Hofbauamt 339: Schreiben der Hofkammer an das Hofbauamt vom 10. August 1765 und Antwort des Hofbauamtes vom 4. September 1765 mit Bericht von Höss. 365 BayHStA Kurbayern Hofbauamt 358: Schreiben der Hofkammer an das Hofbauamt vom 18. August 1764 und Bericht des Hofbauamtes an die Hofkammer vom 31. August 1764. 366 BayHStA Kurbayern Hofbauamt 339: Schreiben der Hofkammer an das Hofbauamt vom 14. März 1733.

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Bürgermeister über einen Wasserbau am Inn im Jahr 1682/1683. Der Pfleger Maximilian Freiherr von Crinelli sah diesen von der Stadt errichteten Wasserbau als Ursache der Schäden an den Feldern der Einwohner des Dorfes Langenpfunzen (heute ein Stadtteil von Rosenheim) an. Den Rosenheimer Bürgermeister Sebastian Weydacher, den langjährigen »Rosenheimbi-sche[n] Markhts Regent[en]«, dem man die Langenpfunzer wie »dem Wolf die Schaf anuer­t hrautt« habe, erachtete er dafür als persönlich verantwortlich.367 Dieser bzw. der Rosenheimer Magistrat verteidigte den Wasserbau jedoch und widersprach den Vorwürfen des Pflegers, die lediglich aus seiner Unkenntnis über den Wasserbau am Inn und seinem fehlgeleiteten Vertrauen in dieser Sache in seinen »Kriegliebenten Gerichtschreiber« resultierten.368 In dieser persönlichen Fehde zwischen zwei Männern über die umstrittenen Auswirkungen eines Wasserbaus brauchte die kurfürstliche Zentrale eine objektive Einschätzung von dritter Seite, die von den Vertretern des Hofbauamtes geliefert werden sollte, wozu der Wasserbaumeister Viebig und der Hofzimmermeister Hilger nach Rosenheim geschickt wurden. Beide widersprachen in ihrem Bericht explizit der Lagebeurteilung des Pflegers, die dieser nur aus zweiter Hand erhalten habe, und beurteilten den vorgenommenen Rosenheimer Wasserbau als gut durchgeführt und sinnvoll.369 Die Wasserbauexperten der zentral- oder auch mittelbehördlichen Ebene waren jedoch nicht nur die (Hof-)Zimmermeister, sondern auch die ausgebildeten Landgeometer. Deren Fähigkeiten als Wasserbauer basierten jedoch auf Er­fahrungswissen, das sie sich häufig autodidaktisch angeeignet hatten. Beispielhaft »für die nicht ganz so berühmt gewordenen, praxisorientierten Autodidakten unter den Wasserbauern« ist Lorenz Anton Hierneis, der 1718 die Stelle als Landgeometer und Wasserbaumeister der Regierung in Straubing erhielt.370 Hierneis war zuvor Wirt und Schreiner in der Klosterhofmark Fraunzell gewesen. Da seine Unternehmungen ökonomisch keinen ausreichenden Gewinn abwarfen, bewarb er sich 1716 bei der Hofkammer um die Stelle als Landgeometer und Wasserbaumeister der Regierung in Straubing oder in Amberg. Als Referenz legte er ein Zeugnis des Freiherrn Wilhelm Franz von Spierinckhs vor, dessen Herrschaft er zur Zufriedenheit des Freiherrn in einem Grundriss aufgenommen hatte. Man war zwar nicht abgeneigt, Hierneis die Stelle zu geben, wollte ihn jedoch auf Anraten des Straubinger Rentmeisters zunächst von Fachleuten prüfen lassen, was der kurfürstliche Landgeometer Matthias Paur 367 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 1819, Bl. 5–10: Schreiben des Pflegers zu Rosenheim vom 12. September 1682 an den Geheimen Rat. 368 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 1819, Bl. 49–54: Schreiben des Magistrats Rosenheim vom 6. Februar 1683 an die Hofkammer. 369 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 1819, Bl. 31–34: Bericht des Hofbauamtes bzw. der vor Ort geschickten Vertreter, Wasserbaumeister Viebig und Hofzimmermeister Hilger, vom 11. Februar 1683. 370 Auch für das Folgende Leidel / Franz, Katalog, 38, 94–96.

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übernehmen sollte. Paurs Urteil über Hierneis Bewältigung der ihm gestellten Prüfungsaufgaben fiel jedoch vernichtend aus: Er habe keine trigonometrischen Kenntnisse vorweisen können, weshalb er diese zuerst erwerben und durch ein Zeugnis der Universität Ingolstadt nachweisen müsse, bevor er als Landgeometer angestellt werden könne. Erst nachdem ihm 1717 ein Zeugnis des Ordinarius der Mathematik in Ingolstadt gute Kenntnisse in Geometrie, Stereometrie und Architektur bescheinigte, erhielt er im Folgejahr die Stelle als Landgeometer und Wasserbaumeister der Regierung in Straubing mit eigener Dienstwohnung. Einen wichtigen wasserbaulichen Beitrag leistete Lorenz Anton Hierneis 1728 durch Arbeiten an der Donau bei Ingolstadt, um die Verlagerung ihres Flussbetts von der Festungsstadt weg zu verhindern. Die im Wasserbau tätigen Feldmesser und Landgeometer konnten meistenteils eine formale universitäre Ausbildung bzw. Approbation als Geometer vorweisen, die die Grundlage ihrer Anstellung als kurfürstliche Landgeometer bildete. Das Beispiel von Lorenz Anton Hierneis belegt nicht das Gegenteil, da seine Anstellung ja gerade von der Bedingung abhängig gemacht wurde, universitäres Bildungswissen zu erwerben bzw. ein dies formal bestätigendes Zeugnis vorzulegen. Institutionalisiertes Wissen bildete also für die zentralstaatliche Ebene durchaus eine Voraussetzung für den Eintritt in den Kreis der Wasserbauer. Das galt allerdings nicht für die lokalen Wasserbauexperten, deren Expertise sich auf das Erfahrungswissen im Umgang mit ihrem Fluss stützte. Für ihre Tätigkeit als Wasserbauer waren die ausgebildeten Geometer jedoch auf ihr Erfahrungswissen angewiesen. Dieses setzte sie wiederum in eine Verbindung zur handwerklichen Tradition, da sie ihr erworbenes Erfahrungswissen im Wasserbau an ihre Söhne weitergaben, indem sie diese als ihre Nachfolger ausbildeten. Auf diese Weise entstanden in Kurbayern im 18. Jahrhundert regelrechte Wasserbaudynastien. Im Rahmen eines Generationenmodells, das die Umwandlung erworbenen kulturellen Kapitals in Form von Spezialwissen in soziales Kapital in Form von sozialem Status und Standeserhöhung beschreibt, kann so der Wandel im Wissensregime des Wasserbaus abgebildet werden. Das erste Beispiel der Wasserbaudynastie der Paurs steht noch ganz im Zeichen des Erfahrungswissens und seiner Vererbung an die nächste Generation. Matthias Paur (1646–1730) wurde 1646 geboren und war zunächst als Schmied und Handelsmann in Hohenwart tätig. 1691 legte er sein Examen als Feldmesser an der Universität Ingolstadt ab und arbeitete in der Folge auf Empfehlung der Hofkammer hin als Feldmesser für diverse Pfleggerichte und Rentämter. Nach dem Tod des bisherigen Amtsinhabers Daniel Beich erhielt Matthias Paur im Jahr 1700 offiziell dessen Stelle als kurfürstlicher Geometer, die er drei Jahrzehnte inne hatte, bis er 1730 in München verstarb.371 Auf seinem erworbenen gesellschaftlichen Status und sozialem Kapital konnte sein Sohn Franz Anton 371 Ebd., 38.

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von Paur (1695–1768) aufbauen. Ab seinem zwanzigsten Lebensjahr war er seit 1715 seinem Vater in dessen Arbeit zur Seite gestellt, der ihn als Geometer und Wasserbauer ausbildete. Nach dem Tod seines Vaters übernahm er 1730 auch dessen Stelle als kurfürstlicher Landgeometer und seine Aufgaben im Wasserbau. 1745 wurde er zwar zum Zeugamtsverwalter ernannt, blieb aber bis zu seinem Tod im Jahr 1768 in München weiterhin im Wasserbau tätig, obwohl er die Stelle als Landgeometer mit seinem neuen Amt abgegeben hatte.372 Der Höhepunkt seiner Laufbahn war die Erhebung in den Adelsstand als Edler von Paur im September 1746. Diese Standeserhöhung war auch das Resultat seiner Tätigkeit und der seines Vaters im Wasserbau, da im Adelsdiplom explizit seine »Führ- und Laitung derer Wässer« betont wurde, aber auch seines Vaters Verdienste hervorgehoben wurden.373 Diese Umsetzung des von seinem Vater ererbten kulturellen Kapitals  – des Spezialwissens im Mess- und Wasserbauwesen – in die Standeserhöhung und in das symbolische Kapital des Adelstitels stellte Franz Anton von Paur deutlich auf seinem Wappen aus, indem hier unter anderem ein Bauer mit Messstange und Zirkel in den Händen abgebildet war. Die für die Verhältnisse im kurbayerischen Wasserbau bedeutendere Geometer- und Wasserbauerdynastie wurde jedoch von den Riedls gestellt. Castulus Riedl (1701–1783) wurde in Moosburg geboren.374 Er war zunächst als Jäger und Gerichtsschreiber tätig, bevor er sich in die Geometrie vertiefte, womit er anscheinend so erfolgreich war, dass er sich 1728 bei der Universität Ingolstadt prüfen ließ und ein herausragendes Examen ablegte. Er wurde zwar vom Geheimen Rat zum freien Landgeometer ernannt, war aber in den Folgejahren 1729 bis 1733 als Ingenieurleutnant in österreichischen Diensten tätig, wobei er Erfahrungen im Festungs- und Wasserbau sammelte. Danach lehrte Castulus Riedl acht Jahre lang in der Ettaler Ritterakademie Mathematik und ihre praktischen Anwendungsgebiete in zivilem Ingenieurwesen, Festungsbau, Mechanik, Hydrostatik und perspektivischem Zeichnen. Er nahm dann auf kurbayerischer Seite als Ingenieurleutnant am Österreichischen Erbfolgekrieg teil, wobei ihm sein zuvor in österreichischen Diensten erworbenes Wissen im Festungsbau zugute kam. Nach dem Ausscheiden Kurbayerns aus dem Krieg bewarb Castulus Riedl sich als Nachfolger Franz Anton von Paurs auf dessen Stelle als kurfürstlicher Landgeometer und Wasserbaumeister, die er am 14. Mai 1745 mit einem Grundgehalt von 300 fl. und weiteren Zulagen und Spesen erhielt. In dieser Funktion arbeitete er ab 1751 für die Straßendirektion im Chausseebau. Nachdem er bereits 1752 zum Ingenieurhauptmann befördert worden war, wurde er auf seine Bitte hin 1757 auch zum Hofkammerrat ernannt, um die Dienstkommunikation mit 372 Ebd., 39. 373 Zitiert nach ebd., 39. 374 Auch für das Folgende Schlögl, Der planvolle Staat, 44–53 sowie Leidel / Franz, Katalog, 40.

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der Hofkammer zu erleichtern.375 Zu diesem Zeitpunkt führte Castulus Riedl nun die Titel und Amtsbezeichnungen eines Hofkammerrates, Ingenieurhauptmanns, Landgeometers und Wasserbaumeisters. Nachdem die Straßendirektion 1767 durch das Generalbaudirektorium abgelöst worden war, blieb Castulus Riedl auch für diese Behörde im Straßen- und Wasserbau als Generalbaudirek­ torialrat bis zu seinem Tod 1783 tätig. Castulus Riedls sozialer Aufstieg vom Sohn eines städtischen Bürgers bis zum kurfürstlichen Baubeamten verdankte sich in besonderer Weise seinem Status als Geometer und seinem gesammelten Erfahrungswissen im Wasser- aber auch Festungsbau. In dieser Position wurde er nahezu unentbehrlich für den kurbayerischen Straßen- und Wasserbau im 18. Jahrhundert, den er und in der Folge sein Sohn Adrian Riedl in entscheidender Weise prägten. Sie hinterließen nicht nur ein gewaltiges kartographisches Werk, das auch aus dem Bemühen resultierte, umfassende Straßen- und Mautkarten Kurbayerns zu erstellen,376 sondern waren auch an vielen Wasserbaustellen Kurbayerns immer wieder als Experten der Hofkammer bzw. des Generalbaudirektoriums tätig. Aufgrund seiner Reputation in Wasserbauangelegenheiten wurde Castulus Riedl auch direkt von durch Hochwasser und Überschwemmung betroffenen Parteien angefordert, wie beispielsweise durch den Markt Plattling, der nach einem Einbruch der Isar um Castulus Riedls Entsendung bat, damit er eine Inaugenscheinnahme vor Ort vornehme und bestätige, dass der Markt die nötigen Wasserbauten nicht alleine finanzieren könne.377 Darüber hinaus war er an vielen der großen Wasserbaustellen Kurbayerns wie Kloster Attel, der Sossauer Beschlacht, dem Inn zwischen Erl und Kiefersfelden als Landesgrenze zu Tirol und anderen mehr beteiligt.378 Diese bedeutende Stellung im kurbayerischen Straßen- und Wasserbauwesen spiegelt sich auch in Castulus Riedls Wasserbaulehrbuch wider, das das gesammelte Erfahrungswissens und den ›State of the Art‹ im kurbayerischen Wasserbau seiner Zeit zusammenfasste (das Titelblatt in Abb. 4). Wie er mehrfach im Werk betont, sollte das Buch vor allem den lokal praktizierenden Wasserbauern die Charakteristika der Flüsse Kurbayerns vermitteln, um einen darauf abgestimmten effektiven Wasserbau betreiben zu können. Dazu erläuterte Riedl auch die jeweils möglichen Wasserbauten vom leichteren Faschinenbau bis zu den schweren Archen und Schlachtbauten sowie Brückenkonstruktionen, Kanäle, 375 Abdruck des entsprechenden Gesuchs Castulus Riedls an den Kurfürsten vom September 1757 in ebd., 40. 376 Zum kartographischen Werk von Adrian und Castulus Riedl vgl. Schlögl, Der planvolle Staat, 188–249. 377 Leidel / Franz, Katalog, 208–212. 378 Vgl. dazu ebd., 125–133, 100–104, 219–223; Kränkl, Historische Schutzmaßnahmen, 279–282 und Gerhard Leidel, Kloster Attel und der Inn, in: Heimatverein (Historischer Verein) e. V. für Wasserburg am Inn und Umgebung (Hrsg.), 1200 Jahre Attel. 807–2007. Jubiläumsfestschrift. Wasserburg a. Inn 2007, 323–326.

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Abb. 4: Titelblatt aus Riedl, Bericht (Bayerische Staatsbibliothek)

Schleusen und Maßnahmen zur Flussbegradigung. So manches Wassergebäude werde, so Riedl im Vorwort seines Werks, von unerfahrenen Baumeistern errichtet, sei deshalb von keiner Dauerhaftigkeit und somit nur Verschwendung von Baumaterialien und Geld. Er habe dieses Buch »aus patriotischem eyfer« verfasst, um den Bauverständigen einen Begriff davon zu geben, wie die Flüsse in Bayern beschaffen seien und wie sie mit Wassergebäuden zum Schutz der anrainenden Gründe und zur Verhütung anderer Schäden zu versehen seien.379 Dieses Wissen, das die mangelnde eigene Erfahrung kompensierte, sollte gleichzeitig dazu dienen, dem Staat unnötige Ausgaben zu ersparen, indem die Wasserbauer auf der Grundlage dieser vermittelten Kenntnisse effektiver und an die jeweiligen Flussbedingungen angepasst und damit tatsächlich wirksam 379 Riedl, Bericht, [1]–[3].

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bauen konnten. Außerdem erachtete Castulus Riedl die geometrische Aufnahme von Flüssen bzw. der jeweiligen Wasserbaustellen als wichtigen Beitrag zu einem kostensparenden Wasserbau: Es lege nämlich so mancher unwissende Baumeister bei Einbrüchen eines Flusses Wasserbauten an, die nicht das Rinnsal des Flusses und die entsprechende optimale Position des Baus berücksichtigten oder die sogar vollständig überflüssig seien. Ein geometrischer Grundriss werde dabei immer zur richtigen Anleitung und zum Ersparen von Kosten verhelfen, da ein Baumeister, der nur nach Augenmaß baue, sich schnell getäuscht sehen werde in Bezug auf die Wirksamkeit seiner Wasserbauten.380 Für Castulus Riedl war also neben dem nötigen Wissen um Techniken des Wasserbaus und ihrer sachgemäßen Anwendung unter bestimmten Umgebungsbedingungen des Flusses auch der Einsatz von Karten wichtig. Durch diesen Übersetzungsakt des realen Flusses in die geometrisch-kartographische Abstraktion konnte eine gegebene Situation an einem Fluss in ihren für den Wasserbau zu beachtenden Aspekten besser als durch bloßen Augenschein erfasst und damit effektiver durch Wasserbaumaßnahmen behandelt werden, was Kosten einsparte. Letztlich kam es ihm in seinem Wasserbaulehrbuch aber vor allem auf die Vermittlung von Erfahrungswissen im praktischen Wasserbau aber auch im Verwaltungsgang des Straßen- und Wasserbauwesens an. Nicht nur den unerfahrenen Zimmermeistern, sondern auch den mit Wasserbauangelegenheiten befassten Beamten auf dem Land sollten durch sein Werk die nötigen Kenntnisse für die Baupraxis und den behördlichen Geschäftsgang verschafft werden. Konsequenterweise widmete Riedl sich in seinem Werk nicht nur der Beschaffenheit von Flüssen und der Vorstellung von Wasserbautechniken, sondern auch verwaltungstechnischen Fragen, wie dem korrekten Verfassen von Kostenüberschlägen für geplante Wasserbauten.381 Allerdings hatte das Wasserbaulehrbuch für Castulus Riedl nicht nur den Zweck, die Wasserbauer in Kurbayern zu bilden, sondern auch das Fortkommen seiner Söhne zu sichern und als seine Nachfolger zu etablieren. So übersandte er sein handschriftliches Werk, das er aufgrund seiner Erfahrungen mit ungelernten Wasserbauern in seiner bisherigen 32jährigen Dienstzeit verfasst habe, dem Kurfürsten.382 Damit habe er auch den Umstand korrigieren wollen, dass bisher zum Wasserbau in Bayern selbst kein wissenschaftliches Werk im Druck erschienen sei. Durch sein Werk könnten die Wasserbauer und Beamten, denen die Aufsicht im Wasserbau obliege, bessere Einsicht in die Belange des Wasserbaus erlangen, »womit nit allein Eur Churfrtl. Drtl sonderen auch dero unterthanen grosser nuzen verschaffet wird.« Diese Herausstellung der Nützlichkeit 380 Ebd., [3]–[4]. 381 Ebd., [6]–[8]. 382 BayHStA OBB (Akten) 2150: Schreiben Castulus Riedls an den Kurfürsten vom 8. August 1777.

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seines Werks verband Castulus Riedl mit der Bitte, eingedenk seines Alters und der von ihm aufgewandten Mühen seinen jüngsten Sohn Michael, der bereits Baurat und Ingenieurleutnant war und den er schon seit zehn Jahren zu den Wasserbau- und Kommissionsarbeiten hinzugezogen habe, so dass er »sich in disen wissenschafften qualificiert« habe, mit entsprechender Besoldung auch zum Hofkammerrat zu ernennen. Castulus Riedl setzte sein wasserbauliches Werk also auch gezielt zum Aufbau der Riedlschen Wasserbaudynastie in Bayern ein, indem er das Auskommen seiner Söhne im kurbayerischen Beamtenapparat und ihre Nachfolge im Wasserbau sicherte. Trotz der Betonung des Erfahrungswissens im Wasserbau hatte Castulus Riedl auch Verbindungen zum wissenschaftlichen Feld, da er seit ihrer Gründung 1759 ordentliches Mitglied der Philosophischen Klasse der Churbaierischen Akademie der Wissenschaften war.383 Allerdings war es sein ältester Sohn, der exemplarisch für die Verbindung von Erfahrungs- und Theoriewissen im kurbayerischen Wasserbau stand. Adrian Riedl (1746–1809) wurde bereits früh von seinem Vater in dessen Arbeit eingebunden und sowohl in praktischer als auch theoretischer Hinsicht ausgebildet.384 Castulus Riedl betrieb auch hier die Installation seines ältesten Sohnes im Straßen- und Wasserbauwesen, indem Adrian Riedl auf seine Bitte hin, um ihn in der Arbeit zu entlasten, 1766 nach einer Prüfung durch die Akademie der Wissenschaften als Landgeometer angestellt wurde. Bereits 1771 erfolgte seine Ernennung zum Hofkammerrat und im darauf folgenden Jahr zum Wasser-, Brücken- und Straßenbaukommissar im Generalbaudirektorium. Den Höhepunkt seiner Karriere erreichte Adrian Riedl 1790, als er nicht nur die Nachfolge von Hofstettens als Generalbaudirektor antrat, sondern auch in den Adelsstand erhoben wurde. In der Folgezeit nahm er auch militärische Aufgaben war, als er 1796 zur Zeit der Koalitionskriege zum Obermarschkommissar, 1799 zum Oberkriegskommissar und 1800 zum Generalquartiermeister in der Landesverteidigung ernannt wurde. Außerdem gehörte er dem 1801 eingerichteten topographischen Büro an, das die kartographische Landesaufnahme Bayerns vornehmen sollte. Zwar erhielt er 1805 wieder den Posten als Direktor der General-Straßen- und Wasserbau-Direktion, ging jedoch kurze Zeit später in Pension, wobei er weiterhin im topographischen Büro und als Leiter der von ihm eingerichteten Hydrotechnischen Bauschule aktiv blieb. Kurz vor seinem Lebensende publizierte er noch den 1806 erscheinenden »Strom-Atlas von Baiern«, der sein kartographisch-hydrotechnisches Lebenswerk zusammenfasste. Adrian Riedl steht in seiner Tätigkeit im kurbayerischen Wasserbau für den sich vollziehenden Wandel im Wissensregime, der das Theoriewissen neben 383 Vgl. das Mitgliederverzeichnis in Hammermayer, Geschichte. Band 1, 364. 384 Auch für das Folgende Schlögl, Der planvolle Staat, 171–178 sowie Leidel / Franz, Katalog, 41–42.

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dem Erfahrungswissen als Grundlage des Wasserbaus an Bedeutung gewinnen ließ, gleichzeitig aber das Erfahrungswissen als weiterhin fundamental für die Wasserbaupraxis beibehielt. Einerseits gründete sich seine Karriere als Wasserbauer auf die Ausbildung, die er durch seinen Vater erhielt, so dass er parallel zu der Generationenabfolge der Paurs für die Weitergabe erworbenen Erfahrungswissens in einer handwerklichen Tradition steht. Andererseits trug Adrian Riedl auch zur Verwissenschaftlichung des Wasserbaus bei, die ihre institutionelle Stütze in der Akademie der Wissenschaften hatte. Nicht nur war er seit 1796 ordentliches Mitglied der Akademie, sondern hatte auch eine Abhandlung auf die Preisfrage der Akademie von 1789 zur günstigsten und gleichzeitig effektivsten Art des Wasserbaus in Kurbayern eingereicht, die ausgezeichnet und 1794 in den Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften veröffentlicht wurde. Adrian Riedl betonte dabei gleich eingangs seiner Preisschrift, dass es ihm nicht darum gehe, die »physisch-mathematischen Gründe, die der Hydrotechnik eigen sind«, darzulegen, sondern die »Preisfrage nach vieljährigen Beobachtungen, und selbst gemachten Proben, so viel es meine Kenntnisse zulassen, zu beantworten.«385 Diese Fundierung seiner Abhandlung in empirischer Beobachtung und seinem in langjähriger Praxis gewonnenen Erfahrungswissen im Wasserbau führte Adrian Riedl im Folgenden mit der Auflistung einer ganzen Reihe von Ursachen für Überschwemmungen und Möglichkeiten zu ihrer Abstellung aus. Auf die Anführung weiterer »physikalischer Ursachen« verzichtete er mit dem Hinweis, dass diese denjenigen, die die Überschwemmungen wasserbaulich bekämpfen, ohnehin bekannt sein müssten.386 Da er die Kenntnis physikalischer Wirkprinzipien im Wasserbau auf diese Art voraussetzte, musste Adrian Riedl in seiner Preisschrift erkennen lassen, dass er diese auch selbst beherrschte und sich im entsprechenden wissenschaftlichen Feld zum Wasserbau zu orientieren wusste. Dieser Aufgabe entledigte er sich gleich zu Anfang der Preisschrift, indem er eine ganze Reihe von Autoren auflistete, die wasserbauliche Werke veröffentlicht und zur Genüge über die physikalischen Grundlagen des Wasserbaus und der Überschwemmungen geschrieben hätten.387 Durch diese Auflistung wasserbaulicher Autoren demonstrierte Adrian Riedl, dass er nicht nur über Erfahrungswissen aus der Praxis verfügte, sondern auch über Theoriewissen aus der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Wasserbau.388 Dieses hielt er durchaus auch für die Grundlage eines sinnvollen 385 Riedl, Beantwortung der Preisfrage, 123. 386 Ebd., 127. 387 Ebd., 123. 388 Riedl erwähnte in der Tat bedeutende wasserbauliche Werke seiner Zeit: Bélidor, Architecture; Silberschlags Werke wie Silberschlag, Abhandlung und Silberschlag, Ausführlichere Abhandlung; Johann Wilhelm Anton Hunrichs, Practische Anleitung zum Deich-, Siel- und Schlengen-Bau. 3 Bände. Bremen 1770–1782; Zallinger zum Thurn, Abhandlung; Albrecht August Kirchmann, Anleitung zur Deich-, Schleusen- und Stak-Bau-Kunst, worin

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Wasserbaus in Bayern: »Es ist wohl außer allem Zweifel, daß in einem so großen Lande, wie Baiern, welches mit Flüssen durchkreuzet ist, nicht ohne ordentliches System und ohne mathematisch-physische und ökonomische Grundsätze darf verfahren werden.«389 Die Nichtbeachtung oder Unkenntnis dieser wissenschaftlichen Prinzipien des Wasserbaus könne selbst zur Ursache für Hochwasser- und Überschwemmungsschäden werden, die aus der »Bauart der Uferverwahrungen selbst« resultierten, »welche von unverständigen und ungelehrten Werkmeistern, die selten Theorie, Hydrotechnik, oder Physik besitzen, frey in den Fluß hinein gebauet werden.«390 Mit dieser Betonung der Bedeutung des Theoriewissens als Grundlage des Wasserbaus stand Adrian Riedl nicht alleine. Gerade im Kontext der Forschungen und Preisfragen der Churbaierischen Akademie der Wissenschaften ergab sich »die Möglichkeit einer theoretischen Durchdringung und Bearbeitung« des Wasserbaus:391 Nicht nur gehörten wasserbauliche Fragen zur regulären Forschungsarbeit der Akademie,392 sondern waren auch Gegenstand von Preisfragen, die die Akademie in den Jahren 1771/72 (mit Wiederholung 1772/73 und 1773/74) und 1789 stellte.393 Die Bedeutsamkeit des Theoriewissens für den nach wissenschaftlichen Maßstäben zu betreibenden systematischen und regelhaften Wasserbau, wie ihn die Akademie immer wieder propagierte, spiegelte sich auch in den Preisschriften wider. So beklagte Johann Evangelist Helfenzrieder in seiner Abhandlung zur wasserbaulichen Preisfrage von 1771/72 den Umstand, dass die Gelehrten nach wie vor nicht bei allen wasserbaulichen Problemen in der Lage seien, sichere Anleitungen des Handelns zu geben, obwohl sie sich alle Mühe gäben, »auch diesen Theil der Baukunst in Regeln zu bringen […].« Deshalb werde das Meiste im Wasserbau »fast immer der Klugheit des Baumeisters überlassen, der vielmal nach einem ungewißen Gutachten handelt, und manchesmal auch etwas wagen muß.«394 Was Helfenzrieder noch als Bringschuld die gebräuchlichsten Kunst-Wörter erkläret und nach beygefügten Zeichnungen die gewöhnlichsten Bau-Anschläge angegeben. o. O. 1786 und andere mehr. 389 Riedl, Beantwortung der Preisfrage, 127. 390 Ebd., 125. 391 Leidel, Der Wasserbau, 297. 392 So sah der Arbeitsplan der Philosophischen Klasse für das Jahr 1761 zwei Aufgaben vor, die sich einmal der wasserbaulichen Verbesserung der Donau hinsichtlich ihrer Morphologie und der Schifffahrt und zum anderen der Begradigung der Donau besonders zwischen Regensburg und Straubing, um die Schifffahrt zu verbessern und Land zu gewinnen, widmeten. Diese Aufgaben scheinen jedoch nicht bearbeitet worden zu sein; vgl. Hammermayer, Geschichte. Band 1, 380. 393 Hammermayer, Geschichte. Band 2, 399 und Leidel, Der Wasserbau, 297. 394 Johann Evangelist Helfenzrieder, Beantwortung der Preiß-Frage, Welche ist die leichteste, und wohlfeilste Art von Waßerbau, wodurch der Einbruch, oder vielmehr der Austritt eines Flußes aus seinen Ufern verhindert wird: und er nach der verlangten Directions-Linie geleitet, oder in derselben erhalten werden kann, in: Abhandlungen der Churfürstlich-baierischen Akademie der Wissenschaften IX , 1775, 440.

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der Gelehrten an die Wasserbauer formuliert hatte, geriet bei Rudolph Euckenmayers Abhandlung zur wasserbaulichen Preisfrage von 1789 zum Frontalangriff auf einen handwerklichen, von wissenschaftlich ungebildeten Baumeistern betriebenen Wasserbau. Ohne eine richtige Bestimmung der Kräfte, die das Wasser gegen Ufer und Wasserbauten ausübe, könne mit keiner erfolgreichen Durchführung von Wasserbaumaßnahmen gerechnet werden, was auch für die Kenntnis von der Natur, Stärke und Wirkung der Wasserbauten selbst gelte: »Da aber alle diese Untersuchungen auf Mathematik, auf Naturlehre, und zum Theil auf den tiefsten Kenntnissen dieser Wissenschaften beruhen; so läßt sich leicht schließen, auf welchen Erfolg man zählen darf, wenn der Wasserbau bloß handwerksmäßig betrieben, und nicht selten Leuten überlassen wird, die jene Wissenschaften […] oft nicht einmal dem Namen nach kennen.«395 In dieser Weise machte auch Heinrich von Pechmann im Jahr 1822 die handwerkliche Tradition des Wasserbaus für dessen Fehler und Missstände in der Vergangenheit des bayerischen Straßen- und Wasserbaus, womit er die aus seiner Sicht ungenügende technische Behandlung der Flüsse bezeichnete, verantwortlich: »Was unvermeidlich in diesem Fache [dem Straßen- und Wasserbau, P. R.] geschehen mußte, rechnete man meistentheils zu dem Wirkungskreise der Bauhandwerker, und diese, nebst den unwissenden Mühlärzten, welche so viele unsrer schönsten Flußthäler in Sümpfe verwandeln, waren lange die einzigen Hydrotekten des Landes :/ denn man glaubte nicht, daß Wasser- und Straßenbau wissenschaftliche Kenntnisse fordern […].« Es sei nur ein glücklicher Zufall gewesen, wenn der Staat einmal einen brauchbaren Hydrotekten wie Adrian Riedl zur Verfügung gehabt habe.396 Diese starke Betonung des wissenschaftlichen Wissens gegenüber einem handwerklichen Erfahrungswissen findet sich bei Adrian Riedl in dieser harschen Form nicht wieder. Er stand mit seiner eigenen Ausbildung und seinen Vorstellungen vom Wasserbau für die Verbindung beider Wissensregime. Diese gedachte er sogar durch ein Projekt zu institutionalisieren, von dem er sich eine Verbesserung des zukünftigen Wasserbaus durch die gezielte Ausbildung der nächsten Generation von Wasserbauern versprach. Bereits in seiner Preisschrift von 1794 zum Wasserbau propagierte er deshalb die Einrichtung einer Hydrotechnischen Bauschule, die dem Mangel an ausgebildeten Werkmeistern mit theoretischen Kenntnissen in Physik und Hydrotechnik abhelfen könnte: »Man sieht leicht ein, wie nothwendig die Errichtung einer solchen Wasserbauschule von 12 oder 20 jungen Zimmerleuten ist, und daß sie dem Land gewiß tausendfachen Nutzen verschaffen würde, wenn selbe in der Arithmetik, Geometrie, Mechanik, Hydrotechnik, und in den zu diesen Fächern gehörigen Zeichnungen Unterricht

395 Euckenmayer, Abhandlung, 10–11. 396 Pechmann, Ueber den frühern, 92.

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erhielten. Wie bald würde sich eine andere Brückenbauart, Dirigierung der Flüsse, Uferverwahrung, und Anhöhung durch Nivelliren, und andere nach wahren Grundsätzen gemachte Verfügungen in Baiern zeigen?«397

Diese Idee einer eigenen Wasserbauschule scheint im Generalbaudirektorium bereits in den 1780er Jahren entwickelt worden zu sein. Im 67.  Absatz seiner »Notizen« über den Geschäftsgang des Straßen- und Wasserbauwesens vom 12. Dezember 1785 machte auch der damalige Generalbaudirektor von Hof­ stetten den Vorschlag, beim Generalbaudirektorium eine kleine Schule der Theorie des Wasserbaus einzurichten, in der man junge Leute unterrichten könne, die auch von den Wasserbaumeistern auf ihre Inspektionsreisen mitgenommen werden, um die Umsetzung der Theorie in die Praxis zu lernen.398 Es dauerte allerdings noch bis Anfang des Jahres 1805, bis das Projekt einer Wasserbauschule verwirklicht werden konnte. Die ersten Anstrengungen in dieser Hinsicht unternahm Adrian Riedl im Oktober 1803, als das Generalstraßenund Wasserbaudirektorium unter seiner Leitung die Einrichtung einer »Schule für Bauwerksleute« empfahl.399 Er führte seine Ideen zur Gestaltung einer Hydrotechnischen Bauschule, die ganz auf der Verbindung von Erfahrungs- und Theoriewissen basierte, in einem Exposé vom Mai 1804 an die Landesdirektion von Bayern aus.400 Im Begleitschreiben401 zeigte Adrian Riedl sich besorgt über den Schwund an fähigen Wasserbauern in Bayern, von denen insgesamt für ein so flussreiches Land wie Bayern sowieso viel zu wenige vorhanden seien. Zudem sei die Hälfte der noch aktiven Wasserbauer für die Wasserbauart, wie sie an den für Kurbayern charakteristischen reißenden Flüssen notwendig sei, nicht hinreichend hydrotechnisch bewandert, wobei Riedl auch das dafür nötige Erfahrungswissen im Wasserbau betont. Die bisher geschicktesten unter den Wasserbauern seien von seinem Vater oder ihm selbst ausgebildet worden, aber diese Älteren würden immer weniger, so dass es also höchste Zeit sei, sich um die Bestallung neuer Wasserbauer zu kümmern. Aufbauend auf dieser Situationsanalyse argumentierte Adrian Riedl in seinem »Vorschlag zur Verbesserung des Brücken und Wasserbaues in Bayrn« vom 21. März für die Einrichtung einer Wasserbauschule, die zur Behebung der beschriebenen Missstände und Probleme beitragen sollte. Zwar verur­sache der Wasserbau bedeutende Ausgaben, sei aber als einer »der erheblichsten scientifi 397 Riedl, Beantwortung der Preisfrage, 140. 398 BayHStA OBB (Akten) 1/1. 399 Zur Vorgeschichte der Einrichtung der Hydrotechnischen Bauschule vgl. Leidel, Der Wasserbau, 307–308. 400 BayHStA HR I Fasz. 290 Nr. 22: »Vorschlag zur Verbesserung des Brücken und Wasserbaues in Bayrn« vom 21. März. 401 BayHStA HR I Fasz. 290 Nr. 22: Schreiben des General Chaussee- und Wasserbaudirektors Adrian Riedl vom 26. März 1804 an die Landesdirektion von Baiern.

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schen Gegenstände« gleichwohl für das Wohl des ganzen Landes entscheidend. Als problematisch vor diesem Hintergrund sah er die mangelnde wissenschaftliche Ausbildung der Wasserbauer in Kurbayern an: Bisher hätten die Brückenund Wasserbaumeister in ihrer Jugend das Zimmerhandwerk und den Wasserbau von ihren Vätern erlernt. Sie praktizierten daher den sogenannten schweren Archen-, Strudel- oder Wuhrbau mit gutem Erfolg und besäßen auch im Brückenbau große Gewandtheit, die ein mit den bayerischen reißenden Flüssen unvertrauter Fremder nie erlangen würde. »Die Praktik hat sie auch darin zu Meistern gemacht.« Was aber hydrotechnische Kenntnisse in der Stromleitung, die Beurteilung der Erosionswirkung eines Flusses auf sein Ufer, die Stromtiefe und Wasserschwere, Plan- und Profilzeichnungen, die Kenntnisse der Stromdirektion, kubische Berechnungen, Verfassen von Überschlägen, Modellbau und das Erstatten eines technisch dienstlichen Rapports angehe, gäbe es nur wenige, denen er die Stelle eines Wasserbaumeisters anvertrauen würde. Damit beschrieb Adrian Riedl die Herausforderungen des Übergangs vom Erfahrungs- zum Theoriewissen einhergehend mit einer Bürokratisierung des Wasserbauwesens, den die handwerklich ausgebildeten bayerischen Wasserbauer zu bewältigen hatten. Um diesem Umstand abzuhelfen, schlug Adrian Riedl die Einrichtung einer Hydrotechnischen Bauschule vor, in der der ehemalige kurpfälzische Hofastronom Karl König lehren und sechs bis acht Zöglinge im Alter von 12 bis 14 Jahren ausbilden sollte, die alle Söhne von Zimmermeistern, Wasserbaumeistern oder Brückenmeistern zu sein hatten. Die Unterrichtsgegenstände sollten nach Riedls Vorschlag die den Wasserbau betreffenden Wissenschaften umfassen, als da wären Mathematik, Arithmetik, Geometrie, Trigonometrie in ihren Anwendungen auf den Wasserbau, die Landvermessung, Statik, Mechanik (als die Bewegungslehre der festen Körper), Hydrostatik (als Lehre vom Gleichgewicht flüssiger Körper), Aerometrie oder Pneumatik (Bewegungslehre der Luft), Hydraulik (Bewegungslehre der flüssigen Körper) und die Architektonik, in­ sofern sie für die Hydrotechnik von Belang ist, also den Deichbau, Schleifenbau, Brückenbau, die Flusslenkung, Trockenlegung der Sümpfe, Schiffbarmachung der Flüsse und Grabung von Kanälen sowie die Sicherung der Ufer und Reinigung der Flüsse betrifft. Außerdem sollten die Schüler Unterricht in physischen Experimentalkollegien erhalten, das Planaufnehmen und Profilzeichnen, Nivel­ lieren, Verfassen von Überschlägen und technisches Rapportieren erlernen. Auch der Modellbau sollte ihnen durch einen eigens dafür angestellten Maschinisten vermittelt werden und jeder Zögling musste in der Zimmermannskunst bewandert sein. Nach einer so gestalteten drei bis vierjährigen Ausbildungszeit, die auf das Theoriewissen fokussierte, sollten die Schüler sich ein Jahr lang mit den einheimischen Flüssen und Arten des Wasserbaus vertraut machen. Auf eine abschließende öffentliche Prüfung folgte ein Auslandsaufenthalt für zwei Jahre, um sich mit den bedeutenden europäischen Wasserbauanlagen vertraut zu

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machen. Von dieser Ausbildung des künftigen Wasserbaupersonals, die theore­ tische Kenntnisse und zu sammelndes Erfahrungswissen umfasste, versprach Adrian Riedl sich eine deutliche Verbesserung des bayerischen Wasserbauwesens: Wenn man den so Ausgebildeten Hoffnungen auf eine Karriere im Vaterland machen und ihnen in den Lehrjahren ein angemessenes Auskommen bewillige, könnten in Zukunft im Wasserbau Maßnahmen durchgeführt werden, die bisher aufgrund des Mangels an erfahrenen Wasserbauern nicht denkbar gewesen waren. Die Kosten für die Schule würden zwanzigfach ersetzt, wenn Wasserbau mit diesen Bedingungen praktiziert werden könne. Nachdem Adrian Riedl im November 1804 erneut um eine Resolution zu seinen Vorschlägen gebeten hatte, wurde die Einrichtung einer Hydrotechnischen Bauschule am 1. Februar 1805 nach seinen Vorschlägen bewilligt.402 Den zukünftigen sechs Schülern wurde zusätzlich ein jährliches Pensum von 120 fl. für ihren Unterhalt und als Tageslohn für ihre Arbeit, die sie die Hälfte jedes Jahres zum Zweck der praktischen Ausbildung auf den Wasserbaustellen leisteten, zur Verfügung gestellt. Wie Adrian Riedl der Landesdirektion mitteilte,403 hatten sich auch drei Bewerber für die Schule gemeldet: Die Zimmermannsgesellen Joseph Mair, Sohn des Bräuamts-Palliers im Lehel, Joseph Pickel, Sohn des Brückenmeisters zu Wasserburg, und Anton Stuber, Sohn des Zimmermeisters zu Burghausen. Auch ein bereits im Wasserbau tätiger Pallier, Anton Rottmüller, wollte am Unterricht teilnehmen, sofern es ihm seine Arbeit gestattete. Neben diesen drei angenommenen Schülern bewarben sich auch andere Anwärter um die noch freien drei Plätze der Schule. Bezeichnend für die Ausrichtung der Schule als Verbindung von Theorie- und Erfahrungswissen ist die Ablehnung der Supplik von Sebastian Baumgartner, Sohn des verstorbenen Hofkammerund Landesdirektionssekretärs Baumgartner, der unter Verweis auf die Verdienste seines Vaters um die Aufnahme in die Bauschule ersuchte. Sein Gesuch wurde am 1. April 1805 mit der Begründung abgelehnt, dass in die Schule nur solche Leute aufgenommen werden sollten, die in der Zimmermannskunde bewandert und deshalb zukünftig auch beim Wasserbau zu gebrauchen seien.404 Aus dem gleichen Grunde wurde das Gesuch von Joseph Finster abgelehnt, der sich mit einem Bittschreiben seines Vaters und einem Abschlusszeugnis der Kurpfalzbaierischen Militärakademie für die Wasserbauschule beworben hatte.405 402 BayHStA HR I Fasz. 290 Nr. 22: Anweisung vom 1. Februar 1805 an die Landesdirektion von Bayern zur Einrichtung einer Wasserbauschule auf Vorschlag des Straßen- und Wasserbau Direktoriums. 403 BayHStA HR I Fasz. 290 Nr. 22: Schreiben Adrian Riedls als General Chaussee- und Wasserbaudirektor vom 25. März 1805 an die Landesdirektion von Baiern. 404 BayHStA HR I Fasz. 290 Nr. 22: Supplik Sebastian Baumgartners (vom März 1805) und Signatur vom 1. April 1805 mit der Ablehnung von dessen Gesuch. 405 BayHStA HR I Fasz. 290 Nr. 22: Zeugnis des Absolventen der Kurpfalzbaierischen Militärakademie, Joseph Finster, vom 20. August 1804.

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Der Wechsel in der Leitung der Geschäfte des bayerischen Straßen- und Wasserbauwesens von Adrian Riedl zu Carl Friedrich Wiebeking untergrub jedoch den Bestand der neuen Hydrotechnischen Bauschule, da der neue Chef im Wasserbauwesen seine eigenen Vorstellungen von der Ausbildung des Nachwuchses an Wasserbauern durchsetzte. Zwar behielt Adrian Riedl seine Position als Direktor der Wasserbauschule auch nach seinem Austritt aus dem aktiven Dienst im Straßen- und Wasserbau bei. Und in der entsprechenden Resolution zur Neuregelung der Geschäfte des Straßen- und Wasserbauwesens fand die »Werckbauschule« auch explizite Erwähnung.406 In einer auf Wiebekings Vorlage hin verfassten Verordnung vom Oktober 1805407 wurde jedoch eine Neuordnung der Personalpolitik vorgenommen, die die Kontrolle des neuen Technischen Geheimen Zentral-Bureaus über sämtliches Personal im Straßen- und Wasserbau gewährleisten sollte und eine deutliche Betonung des Theoriewissens in den Kenntnissen und Fähigkeiten der Wasserbauer erkennen ließ. So wurde kategorisch bestimmt, dass ab dem 1. Januar des Folgejahres nur noch solche Personen als Ingenieure oder Meister im Straßen- und Wasserbau beschäftigt werden sollten, die zuvor im Zentral-Bureau als Praktikanten beschäftigt gewesen waren und dem Chef desselben, also Wiebeking, Beweise ihrer Talente und Kenntnisse sowie ihres Wohlverhaltens erbracht hatten. Davon sollten nur diejenigen bereits im Wasser- und Straßenbau Tätigen ausgenommen sein, die durch früheres Studium der Wasserbaukunst und durch ihre bisherige vorzügliche Arbeit ihre Kenntnisse unzweifelhaft bewiesen hatten und deren Abberufung den Dienstablauf gefährden würde. Sollten die Praktikanten des Bureaus jedoch die gleichen Kenntnisse aufweisen, sei ihnen der Vorzug zu geben. Auch hinsichtlich unterer Dienstränge wie der Weg- und Werkmeister sollten die Generallandeskommissariate ab dem 1. Januar 1806 nur noch solche Kandidaten vorschlagen, die sich in der Mathematik sowie der Straßen- und Wasserbaukunde gebildet haben. Die Erfahrung habe nämlich gezeigt, dass die Weg- und Werkmeister, da sie keine Geometrie verstünden, weder zeichnen noch Pläne aufnehmen könnten. Dadurch würden bedeutende Ausgaben verursacht, indem Ingenieure vor Ort gesandt werden müssten, um diese Aufgaben jeweils zu übernehmen. Auch hier sollte den Praktikanten des Zentral-Bureaus bei der Besetzung von Stellen der Vorzug gegeben werden.408 406 BayHStA OBB (Akten) 290: Resolution vom 6. September 1805 an das General-LandesKommissariat von Bayern. 407 BayHStA OBB (Akten) 4: Rescript an die Generallandeskommissariate vom 1. Oktober 1805. 408 Allerdings verursachte die zeitlich strikte Terminvorgabe, ab dem 1. Januar 1806 nur noch Praktikanten des Zentral-Bureaus einzustellen, dem Technischen Geheimen ZentralBureau selbst Probleme, da die vakanten Wasserbaumeister- und Werkmeisterstellen dringend besetzt werden mussten. Am 24. November 1805 wies es das Generallandeskommissariat von Bayern deshalb darauf hin, dass von dieser Behörde bereits ausgesuchte Kandidaten ihre

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Den zukünftigen Absolventen von Riedls Hydrotechnischer Bauschule mit ihrer sowohl theoretischen als auch praktischen Ausbildung wurde damit de facto ihr Eintritt in den bayerischen Straßen- und Wasserbau verwehrt. Dennoch scheint die Schule zumindest einige Jahre weiterhin existiert zu haben. Für die Jahre 1807 und 1808 sind die gedruckten Lehrpläne des zweiten und dritten Jahrgangs der Bauschule erschienen, die weiterhin Adrian Riedl als Direktor und Karl König als Lehrer der Mathematik sowie namentlich fünf bis sechs Schüler ausweisen.409 Deshalb ging die Schule wohl erst mit dem Tod ihres Direktors 1809 ein und nicht bereits mit der Einrichtung von Praktikantenstellen unter Wiebeking.410 Diese Verschiebung im Wasserbau vom Erfahrungs- zum Theoriewissen, die in der beschriebenen Personalpolitik zum Ausdruck kommt, stand schon am Beginn der Übernahme der Leitungsgeschäfte im Straßen- und Wasserbau durch Wiebeking. Bereits die Verordnung zur Einrichtung des Technischen Geheimen Zentral-Bureaus vom 15. März 1805411 betonte, dass die Leitung der Baugeschäfte »die unmittelbare Mitwirkung theoretisch und praktisch mit dem Strassen- und Wasserbau vertrauter Männer erfodere […].« Diese Vorgabe zur theoretischen, wissenschaftlichen Bildung der Straßen- und Wasserbauer schlug sich auch in den Dienstinstruktionen für die Baubeamten nieder, die im Oktober 1805 entstanden und im Dezember veröffentlicht wurden. Sowohl die Bauingenieure und Werkmeister als auch die Wasser- und Straßenbau-Direk­ tions- und Inspektionsingenieure wurden angewiesen, sich immer die neuesten wissenschaftlichen Schriften zum Brücken- und Wasserbau anzueignen.412 Die Wasser- und Straßenbau-Inspektoren sollten sich direkt die wasserbaulichen Werke von Wiebeking besorgen und nach deren Vorgaben ihre hydrometrischen

Stellen bis zum 1. Dezember 1805 antreten sollten, da dies ansonsten mit der Bestimmung des Rescripts vom 1. Oktober 1805 kollidiere (BayHStA OBB (Akten) 290). 409 [Anonym], Lehr-Gegenstände des zweiten Jahrgangs der königlich baierischen Wasser-Bau-Werk-Schule in München zur Prüfung der Schüler aufgestellt 1807. Den 27. August Morgens 10 Uhr bei alten Hof im königl. General-Landes-Direktions-Plenum. München 1807; [Anonym], Lehr-Gegenstände des dritten Jahrgangs der königlich-Baierischen Wasser-BauWerk-Schule in München zur Prüfung der Schüler aufgestellt den 25. August 1808 Morgens 10 Uhr bei alten Hof im königlichen General-Landes-Direktions-Plenum. Nebst einer Uebersicht gesammter Lehr-Gegenstände des ganzes Kurses. München 1808. 410 Letzteres nimmt Gerhard Leidel an: Leidel, Der Wasserbau, 314–315, Anm. 73. 411 BayHStA OBB (Akten) 1/1 und 1/2 sowie 4. 412 BayHStA Staatsverwaltung 2300, Bl. 103–104 und OBB (Akten) 37: »Höchst genehmigte Dienstes-Instruktion für die bey dem Wasserbau aller Art die Bauaufsicht führenden Ingenieurs, Faschinen- auch Brücken-Bauwerksmeister, und Polierer oder Bauaufseher«; Staatsverwaltung 2300, Bl. 104–105: »Höchst genehmigte Dienstes-Instruktion für die Wasser- und Straßenbau-Direktions- oder Inspektions-Ingenieure«. Abdruck der Verordnungen in: Die Dienstes-Instruktionen für das Strassen- und Wasserbau-Personale betreffend, in: Churpfalzbaierisches Regierungsblatt 1805, 18. Dezember (LI . Stück), 1219–1242.

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Messungen bei der Erstellung von Flusskarten und ihre hydrotechnischen Bauvorschläge an das Zentral-Bureau gestalten.413 Wiebeking sorgte auch darüber hinaus für die Verbreitung seiner wissenschaftlichen Werke zum Straßen- und Wasserbau, indem sämtliche Straßen und Wasserbauinspektionen sich diese über die folgenden Jahre anschafften und dafür von den Wiebeking unterstehenden Zentralbehörden Gelder zur Bezahlung der Anschaffungskosten erhielten.414 Über sein mehrbändiges Werk »Theoretisch-Practische Wasserbaukunst«415 korrespondierte Wiebeking auch mit dem ersten Staatsminister Montgelas. Dabei warb er nicht nur eifrig für seine fünfbändige Abhandlung, sondern hob auch immer wieder die Bedeutung wissenschaftlicher (Aus-)Bildung der Baubeamten als Grundlage guten Wasserbaus hervor.416 Die gedruckte öffentliche Ankündigung seines Werks vom August 1814 stellte wiederum die (natur-)wissenschaftliche Grundlegung des Wasserbaus in den Mittelpunkt und bewarb natürlich das vorliegende Werk Wiebekings als Schlüssel zu diesem Ziel:417 Nur wer sich in ein oder alle Gebiete der im vorliegenden Werk genannten Zweige der Naturwissenschaft vertieft habe, der habe ein vollendetes wissenschaftliches Studium gemacht und nicht nur ein kümmerliches in den engen Grenzen der jeweiligen Brotwissenschaft. Und derjenige, welcher sich nur auf einige wenige Materien beschränke, bleibe so mittelmäßig wie der bürgerliche Baumeister, der Militäringenieur oder der Angestellte im Berg- oder Schiffsbau. Werbewirksam wird hier das Herausstechen des wissenschaftlich gebildeten Bauingenieurs aus der Masse der sonstigen ungebildeten im Bauwesen Tätigen in Szene gesetzt. Der Bauingenieur wird Teil einer eigenen Gruppe von Experten, die auf der Grundlage ihres Theoriewissens, das ihnen die Bewältigung der widrigen Naturkräfte erlaubt, Distinktion und einen entsprechenden sozialen Status beanspruchen, und sei es nur als eigenständige Rubrik im Buchregal: »Ja! die Herausgeber der Literaturzeitungen zählen sie [die Wasserbaukunde, P. R.] zur Technologie und die Geschäftsmänner bezeichnen die darin gemachten Entwürfe, 413 BayHStA Staatsverwaltung 2300, Bl.105–107: »Höchst genehmigte Dienstes-Instruktion für die Wasser- und Straßenbau-Inspektoren«. Erneuerung dieser Instruktion mit gleichem Inhalt im Juli 1806, enthalten in OBB (Akten) 37 und 290. 414 Dazu finden sich umfangreiche Aktenbestände, die die Korrespondenz zwischen den Inspektionen und Zentralbehörden zur Anschaffung von Wiebekings Wasserbauwerken in den Jahren 1806–1814 bzw. 1815–1817 beinhalten, in BayHStA OBB (Akten) 2135 und 2136. 415 Carl Friedrich Wiebeking, Theoretisch-Practische Wasserbaukunst. Neue umgearbeitete und vermehrte Ausgabe. 5 Bände. München 1811–1817. 416 BayHStA OBB (Akten) 4347: Schreiben Wiebekings an Montgelas vom August 1814, in dem er diesem eine öffentliche Nachricht bzw. Ankündigung des Erscheinens des dritten Bandes seiner Wasserbaukunst übersendete. 417 Auch für das Folgende BayHStA OBB (Akten) 4347.

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mit der Benennung technishe[sic!] Gutachten! Möchten sich diese Herrn in dieser Wissenschaft nur etwas umsehen, und daneben die Schwierigkeiten erwägen, welche die Wasserbaukundigen zu besiegen haben, wenn sie sich mit den Wirkungen der Flüsse, des Meeres und anderer Naturkräfte einlassen: dann würden sie bald anders urtheilen, und die Wasserbaukunde nicht der Technologie zutheilen, sondern ihr eine eigene Rubrik einräumen.«

Dieses Distinktionsbewusstsein der Straßen- und Wasserbauingenieure qua ihrer wissenschaftlichen Bildung schlug sich auch in der Abwehr von Kritik derjenigen Beamten am aktuellen Wasserbau nieder, die vor den Verwaltungsreformen in Land- und Pfleggerichten bzw. Rentämtern für den Straßen- und Wasserbau zuständig gewesen waren: Solche »Vielwissende« bedächten nicht, dass ihre Ansichten und ihr Bestreben, den Straßen- und Wasserbau wieder zu übernehmen, nur zu großen Kosten und schlechter Bewirtschaftung des Bauwesens führten, da der Wasserbau »großes Studium« der Materie erfordere und deshalb nicht von ihnen besorgt werden könne.418 Im Zusammenhang der Auseinandersetzung um den Wasserbau wurde der Verweis auf die mangelhafte Ausbildung in Mathematik und den die Hydrotechnik betreffenden Wissenschaften zum Argument der Kritik, die mit dem Hinweis auf die Nützlichkeit der Einrichtung einer Polytechnischen Schule verbunden wurde. Letztere könne all das und die Verbindung zur Baupraxis vermitteln und bringe keine Juristen, Philosophen, schöne Geister und Poeten hervor, sondern Bauingenieure, die zur Administration des Staates fähig seien.419 Auch der Expertenstatus wurde in diesem Zusammenhang zum Kampfmittel der Auseinandersetzung, indem Kritik dadurch widerlegt bzw. als unzulässig delegitimiert werden konnte, dass dem Opponenten das nötige Sachwissen, um sich am Wasserbaudiskurs zu beteiligen, und damit der Expertenstatus abgesprochen wurde.420 Die Expertengruppe der Wasserbauer immunisierte sich damit gegen Kritik von außen, indem nur noch auf der Grundlage des für ihren Tätigkeitsbereich relevanten Theoriewissens die Beteiligung am Wasserbaudiskurs möglich war. Den Gedanken einer eigenen Lehranstalt für das Bauwesen hatte hingegen der Bauingenieur Heinrich von Pechmann in seiner wasserbaulichen Abhandlung von 1822 wieder aufgegriffen und die Anstrengungen des 418 BayHStA OBB (Akten) 5: Schreiben der Wasser- und Straßenbau Inspektion Augsburg vom 21. November 1814 an die Königliche Baierische Generaldirektion des Wasser-, Brückenund Straßenbaues. 419 So in der anonymen Kritik am Wuhrbau an der Münchner Isar: [Anonym], Einige Bemerkungen über den Wuhrbau mit Rücksicht auf die neuen Bauten an der Isar. o. O. 1815. 420 Auf diese Weise wies der Wasser- und Straßenbauinspektor Friedrich Fick die Kritik am Wuhrbau an der Isar zurück: Friedrich Fick, Sendschreiben an den ungenannten Verfasser der Schrift: Einige Bemerkungen über den Wuhrbau mit Rücksicht auf die neuen Bauten an der Isar. Nürnberg 1815.

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Finanzministeriums und des Zentral-Bureaus zur Förderung der Ausbildung von Baupraktikanten gewürdigt.421 Adrian Riedls in dieser Hinsicht geleistete Pionierarbeit war da schon der Vergessenheit anheim gefallen.

4.4.3 Systematik des Wasserbaus: Reaktion und Prävention Eng verbunden mit dem Übergang im Wissensregime zur Verwissenschaftlichung lässt sich für das 18. Jahrhundert auch ein Wandel in der Praktik des Wasserbaus selbst in Kurbayern nachvollziehen, der durch Prozesse der Systematisierung und Präventionsorientierung gekennzeichnet ist.422 Wasserbau in der erfahrungsbasierten handwerklichen Tradition war in besonderer Weise eine Reaktion auf eingetretene oder eintretende Ereignisse bzw. Bedrohungsszenarien wie Hochwasser und Überschwemmungen an den Flüssen und Flussbettverlagerungen mit ihren jeweiligen Zerstörungs- und Schadenspotentialen. Wasserbaumaßnahmen waren lokal auf einzelne Flussabschnitte oder -stellen bezogen und auf punktuelle Gefahrenabwehr durch Uferbefestigung und Regulierung des Flussverlaufs gerichtet. Davon zeugt die geschilderte Behandlung von Wasserbausachen im Rahmen der landesherrlichen Verwaltung von Hofkammer bzw. Generalbaudirektorium, die ihre Wasserbauexperten nur bei gemeldeten und jeweils akuten Gefahrenlagen zur Begutachtung und Durchführung von Wasserbauten vor Ort schickten. Auch die von ständischer Seite getragenen Wasserbauten waren von vornherein auf jeweils zu schützende anrainende Gründe und lokale Nutzungsinteressen ausgerichtet, was durch Uferbefestigung und Beeinflussung lokaler Fließbedingungen des Flusses gewährleistet werden sollte. Im wasserbaulichen (wissenschaftlichen) Diskurs des 18. Jahrhunderts und in der landesherrlichen Verwaltung zum Straßen- und Wasserbauwesen wurden jedoch parallel zur vermehrten Gewichtung des Theoriewissens Ansätze zu einer Systematisierung des Wasserbaus entworfen, die dem Präventionsgedanken hinsichtlich Überschwemmungen und des Schutzes anrainender Gründe folgten und besonders auf die langfristige Kostensenkung für Baumaßnahmen und auf die Vermeidung von Schäden abzielten. Der Fokus lag besonders auf den syste 421 Pechmann, Ueber den frühern, 133–136. 422 Für Sachsen im 18. Jahrhundert hat Guido Poliwoda einen solchen durch Katastrophenereignisse angetriebenen Entwicklungsprozess von reaktiv geprägten zu präventiven Maßnahmen gegen Hochwasser bzw. Überschwemmungen ebenfalls nachgewiesen: Poliwoda, Aus Katastrophen lernen. Der Studie liegt jedoch ein problematisches Konzept des Lernens zugrunde, das eher an gegenwartsorientierten Maßstäben und damit letztlich ahistorischen Kriterien eines Lernerfolges ausgerichtet ist; vgl. dazu die Rezension von Uwe Lübken, Rezension von: Guido N. Poliwoda: Aus Katastrophen lernen. Sachsen im Kampf gegen die Fluten der Elbe 1784 bis 1845. Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2007, in: sehepunkte 8 (4), 2008, Online verfügbar unter http://www.sehepunkte.de/2008/04/12472.html.

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mischen Bedingungen des Flusses, die es zu verändern galt, um das Auftreten von Überschwemmungen und die daraus resultierenden Kosten zu minimieren, aber auch Nutzungsinteressen des Flusses wie die Schifffahrt zu bedienen. Dabei bediente man sich auch der physikalischen Bedingungen und Naturgesetzlichkeiten des Flusses selbst, um die Umgestaltung von Flusslandschaften zu bewerkstelligen und die damit verbundenen Zielsetzungen zu erreichen. Der Präventionsgedanke bezüglich Überschwemmungen war jedoch nicht zwangsläufig mit einem Wasserbau gekoppelt, der einem systematischen Ansatz folgte. Er äußerte sich auch in Vorschriften zur Beobachtung sich entwickelnder Hochwasser, um zeitig Maßnahmen zur Evakuierung oder Verminderung eintretender Schäden durchführen zu können. In einer Verordnung aus dem Jahr 1721 wurde daran erinnert, dass bereits ein Generalmandat von 1679 diverse Maßnahmen »zu Vorbieg- und Verhinderung […] der sich immer ergebenden Landschädlichen Wasser-Einbrüch« vorgesehen habe.423 Dieses sei jedoch in Vergessenheit geraten und nicht mehr beachtet worden, so dass durch die Hochwasser Schäden entstanden seien, die eigentlich hätten verhindert werden können. Das ursprüngliche Generalmandat von 1679 wurde daher erneuert und die zuständigen Beamten und Amtsleute, die an den Flüssen lebenden Untertanen im allgemeinen sowie die Schiffer, Flößer und Fischer im besonderen angewiesen, drohende oder bereits erfolgte Wassereinbrüche an den Flüssen unverzüglich den jeweiligen Gerichten anzuzeigen, damit diese die Gefahr an Hofrat, Hofkammer und Regierung zeitig weitermelden könnten.424 Darüber hinaus war die regelmäßige Visitation der Flüsse und Wassergebäude eine Vorgabe, die bereits seit dem erwähnten Generalmandat von 1679 existierte425 und in den Instruktionen für das zweite Generalbaudirektorium explizit wiederholt wurde.426 Wie im Falle des Wandels im Wissensregime hin zur wachsenden Bedeutung des Theoriewissens stellte die Akademie der Wissenschaften auch in Bezug auf die Entwicklung systematischer Ansätze im Wasserbau eine wichtige Institution dar. Sie war sowohl Sammelpunkt von Akteuren der Verwissenschaftlichung 423 BayHStA Staatsverwaltung 2300, Bl. 13: Verordnung vom 25. Oktober 1721; ein Exemplar auch in OBB (Akten) 2134 und abgedruckt in Mayr, Sammlung. Band 3, 381–382. 424 Auch aus Frankreich sind solche Vorgaben und Maßnahmen zur Beobachtung von Flüssen, um zeitig Hochwasser und Überschwemmungen melden zu können, aus dem 18. Jahrhundert bekannt. So ordnete der Vizepräsident des Parlements der Provinz Dauphiné nach dem Hochwasser der Isère von 1764 die Stationierung einer Abteilung Soldaten entlang des Flusses an, um den Flusspegel zu beobachten. Das ermöglichte zum einen Verteidigungsmaßnahmen gegen das Hochwasser und zum anderen eine Vorbereitung der zu leistenden Hilfe im Überschwemmungsfall, da nun ein Zeithorizont zwischen Anstieg des Flusspegels und eintretender Überschwemmung gewonnen war; Coeur, La plaine de Grenoble, 40. 425 Franz, Rechtliche Bestimmungen, 293. 426 BayHStA OBB (Akten) 1/2: Instruktion an den künftigen Generalbaudirektor Baron von Berchem vom 22. Februar 1767.

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und Systematisierung des Wasserbaus als auch selbst Antreiber dieser Entwicklungen durch ihre Forschungsarbeiten und Preisfragen zum Wasserbau.427 Grundlegend für die im Rahmen der Akademie formulierten Wasserbauansätze war dabei das Deutungsmuster vom Fluss als System, in dessen naturräumlichphysikalischen Bedingungen und deren Zusammenhängen die Ursache für Hochwasser und Überschwemmungen zu suchen war. Entsprechend konnten diese Gefahren des Flusses durch die wasserbauliche Beeinflussung und Regulierung dieser systemischen Gegebenheiten und durch die gezielte Nutzung der naturgesetzlichen Abläufe gebannt werden. So entwickelte Clarus Mayr in seiner Arbeit zur Steuerung der Überschwemmungen an den bayerischen Flüssen, die 1773 in den Abhandlungen der Akademie veröffentlicht wurde, einen Ansatz, der auf dem Fließverhalten und den Gesetzmäßigkeiten der Hochwasser und Überschwemmungen an den Flüssen aufbaute. Statt den Hochwassern an den Flussufern durch kostspielige Wasserbauten zu wehren, solle man dem Fluss besser Raum zur Verfügung stellen, in den er sich im Hochwasserfall ergießen könne, da das Wasser des Flusses um so weniger Schäden anrichte, je mehr horizontale Fläche es einnehme.428 Diese für den Überschwemmungsfall vorgesehenen Flächen könnten eigens für diesen Zweck präpariert werden, so dass der Fluss dort keine oder nur minimale Schäden anrichte. Außerdem könne man sich den Geschiebetransport des Flusses gezielt zu Nutze machen, indem man das Sediment des Flusses auf den überfluteten Flächen bei Rückzug des Wassers sich ablagern lasse, deren Böden dadurch wie bei der Nilschwemme an Fruchtbarkeit gewönnen.429 Die bisher zum Uferschutz gebrauchten Schlachten und Wuhrbauten hielt Mayr außerdem für unbrauchbar, da sie durch die Gewalt des Wassers immer wieder unterspült würden.430 Für solche Angriffe des Flusses auf seine Ufer schlug er daher vor, sich die Gesetzmäßigkeiten des Flusses selbst zu Nutze zu machen, indem »wir hier nicht selbst arbeiten, sondern nur [den] Handlanger der Natur machen.«431 Durch das Versenken von Schiffen, die man mit Steinen, Baumstämmen oder Bruchholz fülle, oder durch das Einlegen von Bäumen mit ihrem Wurzelwerk an einer geeigneten Uferstelle könne das dort vom Fluss weggespülte Erdreich allmählich wieder ersetzt werden, indem sich dort Sedimente des Flusses ablagerten.432

427 Zu den entsprechenden Arbeiten der Akademie vgl. Leidel, Der Wasserbau, 297–299. 428 Mayr, Gedanken, 356–357. 429 Ebd., 357–360. 430 Ebd., 360–366. 431 Ebd., 366. 432 Ebd., 366–368. Clarus Mayr erwähnt zwar den Begriff nicht, aber diese von ihm vorgeschlagene Methode entspricht dem Einhängen von Rauchbäumen an gefährdeten Ufern, um sie vor weiterer Erosion zu schützen und sie durch die Anlagerung von Sedimenten zu stabilisieren.

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Auch Johann Evangelist Helfenzrieder entwarf in seiner Preisschrift von 1775 einen Ansatz des Wasserbaus, der die physikalischen Wirkkräfte des Flusses miteinbezog, zugleich aber auf einer systematischen Bestandsaufnahme und genauen Beobachtung des Fließverhaltens der Flüsse bei Hochwasser beruhte. Wie Clarus Mayr problematisierte auch er die Einengung des Flussbettes, wodurch man den Fluss zum Transport größerer Volumina Wassers bei gleichbleibender Breite des Flussbettes zwinge und eventuelle Überschwemmungsschäden um so größer seien.433 Für Helfenzrieder war deshalb entscheidend, dass der durch Regen und Schneeschmelze erhöhte Wasserstand eines Flusses möglichst schnell abfließen könne, was wiederum von der Tiefe und Breite des Flussbettes abhänge. Zur Ermittlung von dessen optimaler Gestalt schlug Helfenzrieder den Einsatz eines Messinstruments vor, das die Fließgeschwindigkeit des Wassers an unterschiedlichen Stellen für jeweils unterschiedliche Höhen und Breiten des Flusses bestimmen sollte.434 Außerdem empfahl er im Hochwasserfall jeweils genau zu beobachten, wie hoch der Pegel des Flusses an bestimmten Punkten ansteige und wie weit sich das Hochwasser an diesen Stellen in die anrainenden Gründe ergieße, um die Daten auf Flurkarten zu vermerken. Dadurch könnten die Pegelhöhe des Hochwassers und die Reichweite der Überschwemmung zueinander in Beziehung gesetzt werden, um auf dieser Grundlage die nötigen schützenden Wasserbauten zu bestimmen, so dass ein optimales Verhältnis von aufzuwendenden Ausgaben und gewährleistetem Schutz erreicht werde.435 Er bezeichnete die nicht auf Dauer angelegten Wasserbauten als einen der großen Fehler des Wasserbauwesens in Kurbayern, da die beständige Erneuerung solcher Bauten letztlich höhere Kosten verursache als die Investition in dauerhafte Anlagen.436 Genau wie Mayr lehnte also auch Helfenzrieder die bisherigen Wasserbauten zum Uferschutz als ineffektiv und zu teuer ab und schlug alternative Maßnahmen zur Sedimentablagerung und Uferstabilisierung vor.437 Außerdem sah er auch das Ausräumen von Flüssen als wichtigen Beitrag zur Stabilisierung des Flussverlaufs, für das er eigene maschinelle Konstruktionen entwarf.438 Auch Rudolph Euckenmayer kritisierte in seiner Preisschrift von 1803 den bisherigen Ansatz im Wasserbau in Praktik und Organisation, der hohe Kosten 433 Helfenzrieder, Beantwortung der Preiß-Frage, 441–444. 434 Ebd., 446–458. Dabei handelte es sich um ein Messinstrument, das der französische Gelehrte Henri Pitot entwickelt hatte und das Helfenzrieder nach der Originalvorlage in Henri Pitot, Description. D’une Machine pour mesurer la vîtesse des Eaux courantes, & le sillage des Vaisseaux, in: Histoire de l’Académie royale des sciences […]. Avec les Mémoires de Mathématique & de Physique […]. Tirés des Registres de cette Académie 1732, 1735, 363–376 beschrieb. Noch heute wird eine nach Henri Pitot benannte Vorrichtung zur technischen Druckmessung eingesetzt. 435 Helfenzrieder, Beantwortung der Preiß-Frage, 458–463. 436 Ebd., 440–441. 437 Ebd., 481–495. 438 Ebd., 495–519.

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verursache. Hierbei betonte er, dass Flüsse nicht plötzlich infolge von Überschwemmungen, sondern aufgrund des langfristigen Prozesses der Verlagerung ihrer Hauptströmung auf ein Ufer hin ihr Bett veränderten, indem sie es angreifen. Wenn man diesen Entwicklungen zeitig begegne, könne man dies zu geringen Kosten tun. Warte man jedoch zu lange, bleibe einem nichts anderes, als das Ufer gegen weiteren Abbruch und das Land dahinter zu hohen Kosten aufwändig zu sichern.439 Den Dammbau gegen Flusshochwasser betrachtete Euckenmayer als eine Maßnahme, die nur bei exakter Planung und Berechnung des auf die Dämme ausgeübten Wasser- und Eisdrucks wirksam bei nicht zu hohen Kosten zu schützen vermöge. Die Begründung dieser Sichtweise des Dammbaus bei Euckenmayer ist insofern bemerkenswert, als sie Kerngedanken des Vulnerabilitätskonzepts vorwegnimmt, da darauf hingewiesen wird, dass das Schadenspotential für Länder mit hoher Landeskultur und größerer Bevölkerung höher sei, als für solche mit nur geringem Bevölkerungsstand und wenig kultivierten Flächen. Bei entwickelter Infrastruktur seien Eisgänge und Fluten gefährlicher und Dämme verursachten ihrerseits höhere Schäden, wenn sie nicht in der Lage seien, das aufgestaute Wasser auch zu halten. Wenn man dem Fluss hingegen die Freiheit ließe allmählich auszubrechen, könne er sich nicht wie beim durch die Dämme angestauten Wasser zu einem reißenden Strom entwickeln, der Verwüstungen anrichtet.440 Zentrales Element eines systematischen Wasserbaus war für Euckenmayer die Zielsetzung, die Hauptströmung des Flusses in seiner Mitte und möglichst weit von den Ufern entfernt zu halten.441 Das könne durch die Begradigung der Flüsse erreicht werden, da dies Ufer vor Abbruch schütze, Eisgänge entschärfe und Schäden durch Überschwemmungen reduziere, da das Wasser schneller wieder abfließe: »[…] kurz, je mehr der Fluß in eine gerade Richtung gebracht werden kann, desto weniger Wasserbäue fodert er, und desto weniger ist er vermögend, Schaden zu verursachen, wobey noch der Vortheil eintritt, daß er bey übrigens gleicher Entfernung den wenigsten Raum fodert.«442 Darüber hinaus sei darauf zu achten, den Flüssen eine ihnen angemessene Breite zu geben, da sie bei zu großer Enge leichter über die Ufer träten und bei ausgedehnter Breite an Fließgeschwindigkeit verlören, so dass Geschiebe und Sedimente nicht mehr abtransportiert würden und sich das Flussbett durch Ablagerungen erhöhe. Als zu bevorzugende Methode des Wasserbaus, um die optimale Flussgestalt zu erreichen und zu erhalten, benannte Euckenmayer den Faschinenbau, der weniger arbeitsaufwändig als andere Bauarten und aufgrund des zumeist direkt am Fluss vorhandenen hölzernen Baumaterials auch am günstigsten sei. Besondere 439 Euckenmayer, Abhandlung, 8–10. 440 Ebd., 11–14. 441 Ebd., 30–46. 442 Ebd., 30.

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Aufmerksamkeit widmete Euckenmayer in diesem Zusammenhang auch den Wildbächen aus dem Gebirge, deren zerstörerisches Potenzial in der Ebene er ebenfalls wasserbaulich behandelt wissen will.443 Bezüglich der durch die Flüsse und Bäche verwüsteten Ebenen schlug er Ähnliches vor wie Clarus Mayr, indem er für die regelmäßige Überspülung dieser Flächen zur Hebung ihrer Fruchtbarkeit für den Ackerbau plädierte. Zur Prävention von Eisgang und Eisstoß hielt er die schon erwähnte Flussbegradigung für das beste Mittel.444 Mit Verweis auf ein so erschreckendes Beispiel wie die Überschwemmungskatastrophe von 1784 diskutierte Euckenmayer auch einige Rettungs- und Hilfsmaßnahmen, die den Aufbau eines Meldesystems durch Dammwachen und Boten, das Stopfen gebrochener Dämme, regelmäßige Pegelmessungen und Wetterbeobachtungen umfassten.445 Systematischer Wasserbau bestand für Euckenmayer aber nicht nur in optimalen Baumaßnahmen, sondern auch in einer zweckmäßig eingerichteten Verwaltung. Dazu entwarf er ein Schema der Behördenstruktur im Wasserbauwesen, das mit einer Gliederung in die Verwaltungsebenen von Provinz und Gesamtstaat, in denen der Wasserbau durch verantwortliche Wasserbauinspektoren unter der Leitung eines Wasserbaudirektors betrieben wird, sowie der strengen Ausrichtung des Wasserbaupersonals an hydrotechnisch relevantem Fachwissen in vielerlei Hinsicht dem entspricht, was Carl Friedrich von Wiebeking mit seinem Amtsantritt als neuer Chef des bayerischen Straßen- und Wasserbauwesens 1805 entwickelte (vgl. Kap. 4.4.1.1).446 Manche der bei Clarus Mayr, Helfenzrieder und Euckenmayer angeführten Elemente eines systematischen, präventiv wirkenden und damit kostengünstigeren Wasserbaus finden sich auch in Adrian Riedls Preisschrift von 1794. Der Donau, die für ihn die Hauptverursacherin der Überschwemmungen in Bayern war, widmete er dabei gesonderte Aufmerksamkeit. Um die Gefahr von Eisgang und Eisstößen auf ihr zu vermindern, sollten einerseits ihre Brücken erweitert werden, um die Angriffsfläche in Form der Brückenpfeiler zu verringern. Andererseits sollte die Donau durch Schleifendurchstiche einen geraden Flussverlauf erhalten, der die Fließgeschwindigkeit erhöhe und so die Eisbildung erschwere und Eisgang vorbeuge. Außerdem werde dadurch die Hauptströmung auf die Mitte des Flusses konzentriert und das Flussbett von selbst vertieft, was den schnelleren Abtransport des Wassers ermögliche.447 Auch über die Donau hinaus sind es nicht nur zu enge Brücken, sondern auch die Wuhrbauten der Wassermühlen, die ungeordneten Flussverläufe, die Krümmungen und Schleifen sowie 443 Ebd., 46–62. 444 Ebd., 100–113. 445 Ebd., 113–125. 446 Ebd., 16–29. Wiebeking könnte Euckenmayers Abhandlung möglicherweise rezipiert haben. 447 Riedl, Beantwortung der Preisfrage, 129–133.

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die »willkürliche Wasserbauart, wodurch ein Nachbar dem andern das Wasser zuwirft«, die Adrian Riedl als Gefahrenpotentiale für Überschwemmungen und Eisstöße ausmachte.448 Um diese Problemfelder bearbeiten zu können, forderte Adrian Riedl die Einrichtung eines Generalbaudirektoriums, das für alle betreffenden Belange auch zuständig sei und auf der Grundlage einer nach wissenschaftlichen Prinzipien entworfenen allgemeinen Wasserbaupolicey­ordnung arbeiten könne.449 Als weitere wichtige Maßnahmen zur Minderung der Gefahr durch Überschwemmungen und sich bildender Eisstöße schlug Adrian Riedl besonders die Einrichtung einer regelmäßigen Stromkorrespondenz vor, wodurch das Steigen und Fallen der Flusspegel, ihre Überschwemmungen und Eisstöße genau erfasst werden könnten, so dass sich daraus Vorhersagen ableiten und zeitige Warnungen an die anliegenden Städte und Orte zur Evakuierung ausgeben ließen. Dazu gehörte für Adrian Riedl auch die Wetterbeobachtung bzw. das Aufstellen von Niederschlagsmessern an den jeweiligen Orten der Stromkorrespondenzen.450 Neben diesen einzelnen Aspekten des systematisch orientierten Wasserbaus war für Adrian Riedl allerdings in erster Linie die Erstellung von Stromkarten und die darauf basierende Aussteckung von Direktionslinien der Flüsse, die ihnen ein zusammengefasstes Flussbett verschaffen sollten, von zentraler Bedeutung. Allein dadurch könnten die Überschwemmungen schon um zwei Drittel verringert werden.451 Dieses Direktionsliniensystem hatte Adrian Riedl allerdings nicht nur in seiner Preisschrift für die Akademie der Wissenschaften als Maßgabe eines systematischen Wasserbaus vorgeschlagen. Als Generalbaudirektor konnte er es am 26. Januar 1790 auch in einer Verordnung umsetzen, die den ersten Ansatz eines systematischen Wasserbaus darstellt, der in seinen verwaltungstechnischen Vorgaben das gesamte Wasserbauwesen Kurbayerns betraf.452 Jeder Fluss wurde in seinem Verlauf durch zwei parallel verlaufende Direktionslinien eingegrenzt, die den abstrakten Raum Fluss umfassten, der »für immer dem Strom zu eigen« sein sollte. Innerhalb dieses so definierten Raumes durften keine Wassergebäude oder sonstigen Bauten mehr von Untertanen, Grundherren oder Gemeinden errichtet werden. Jenseits der Direktionslinien stand es jedoch vorbehaltlich der Genehmigung durch das Generalbaudirektorium jedem frei Wasserbauten zu errichten, um Hochwasser des Flusses abzuwehren und die eigenen Gründe zu schützen. 448 Ebd., 138. 449 Ebd., 133–150. 450 Ebd., 151–154. 451 Ebd., 150. 452 BayHStA Staatsverwaltung 2300, Bl. 56–58; OBB (Akten) 2134; abgedruckt in Mayr, Sammlung. Band  5, 55–56; zusammenfassend zu den Bestimmungen dieser Verordnung Leidel, Der Wasserbau, 305–306.

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Diesen Bestimmungen der Direktionslinien lagen zweierlei Maßgaben zugrunde, die die Kosten im Wasserbauwesen senken, es effizienter gestalten und Überschwemmungsschäden vermeiden sollte. Zum einen griff die Verordnung einen Gedanken auf, der bereits in den behandelten Preisschriften formuliert worden war: Statt den Fluss einzuengen, sollte man ihm lieber Raum lassen, damit er sich im Hochwasserfall allmählich ausdehnen und bei Überschwemmungen keine Verheerungen durch plötzliche Wassereinbrüche anrichten konnte. Ausdrücklich wurde der Raum zwischen den Direktionslinien frei von jedem Wasserbau gehalten, »um den Fluß bey Hochwässern nicht einzusperren« und um ihm die Gelegenheit zu geben, »auch bey Hochwässern sich ausbreiten zu können […].« Damit hielt zum ersten Mal die Idee des Überschwemmungsgebietes in den amtlichen Bestimmungen zum staatlich organisierten Wasserbau Bayerns Einzug. Mit den Direktionslinien war jedoch nicht beabsichtigt, dem Fluss eine gerade, kanalartige Linienführung zu geben. Stattdessen sollte durch das Bauverbot zwischen den Direktionslinien verhindert werden, dass sich benachbarte und gegenüberliegende Anrainer durch Wasserbauten gegenseitig den Fluss in seinem Verlauf zutrieben, dadurch das Strombett in seiner Mitte erhöht und an den Ufern die Gründe beschädigt oder sogar ganze Dörfer weggerissen würden. Das sollte auch teure und unnötige Wasserbauten verhindern, da sich Anrainer im Rahmen dieser Maßgaben mit einfachen und kostengünstigen Wasserbauten gegen Schäden schützen konnten. Darauf zielte die Bestimmung in der Verordnung, dass geplante Wasserbauten jenseits der Direktionslinien nur nach vorheriger Begutachtung und Genehmigung durch das Generalbaudirek­ torium gebaut werden durften. Jeder Fluss sollte durch den Generalbaudirektor und den jeweils zuständigen Wasserbaumeister visitiert werden, um eventuelle Schäden aufzunehmen und die Anlieger entsprechend zu benachrichtigen. Damit wurde eine bestehende Praxis wieder aufgegriffen bzw. bestätigt, die bereits in den Dienstinstruktionen für das zweite Generalbaudirektorium vorgegeben worden war.453 Mit der Wasserbauverordnung von 1790 wurde somit zum ersten Mal der Anspruch des Landesherrn explizit formuliert, durch dieses »allgemeine systematische Wasserbauweesen« die letztliche Kontrollinstanz in allen Wasserbauangelegenheiten des Landes zu sein, ohne jedoch für die Durchführung aller Bauten selbst verantwortlich zu sein. Die Idee der Direktionslinienführung ging jedoch keineswegs allein von Adrian Riedl aus, sondern war bereits im Kontext sowohl der behördeninternen Kommunikation zum Wasserbauwesen als auch in der Wasserbaupraxis entwickelt worden. Dabei kamen auch Verbindungen mit Wasserbauingenieuren und dem praktischen Wasserbau in benachbarten Regionen zum Tragen, was die übergreifenden Beziehungen und Austauschprozesse des Wissens und der 453 BayHStA OBB (Akten) 1/2: Instruktion an den künftigen Generalbaudirektor Baron von Berchem vom 22. Februar 1767.

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Praktiken im Rahmen eines überregionalen Diskursfeldes zum Wasserbau illustriert. So plädierte der Augsburger Ingenieur Lucas Voch in seinem Werk zum Strombau an Lech und Wertach für die Einrichtung von Direktionslinien entlang des Lech, um diesem ein stabiles und dauerhaftes Flussbett als Landesgrenze zu geben, das in der Lage sei, ein Hochwasser aufzufangen, ohne dass es zur Überschwemmung kommen müsse.454 Bereits Castulus Riedl hatte die Direktionslinienführung in seiner praktischen Wasserbautätigkeit angewandt, so bei der Planung einer Flusskorrektion am Inn im Jahr 1757, was einen seit dem 16. Jahrhundert bestehenden Konflikt zwischen Kurbayern und Tirol über den Verlauf des Inn als Landesgrenze beenden sollte.455 In seinem Wasser­baulehrbuch erläuterte Castulus Riedl an diesem Tiroler Beispiel das Direktionsliniensystem als Möglichkeit zur Lösung wasserbaulicher zwischenstaatlicher Konflikte,456 so dass Adrian Riedl über die Ausbildung durch seinen Vater Kenntnisse von dessen Methode gewonnen haben dürfte und sie zur Grundlage seiner eigenen Wasserbausystematik machen konnte. Tatsächlich betont die Wasserbauverordnung von 1790 in der Präambel, dass die im Folgenden vorgeschriebene Wasserbausystematik bereits mit guten Erfolgen an Flussabschnitten angewandt worden sei, die die Grenze Kurbayerns zu benachbarten Landesherrschaften bildeten.457 Aber auch in behördeninternen Memoranden und Denkschriften zum Wasserbau tauchte die Idee der Direktionslinienführung neben anderen Ansätzen zur Systematisierung im Wasserbau auf. So schlug der Generalbaudirektor Joseph Aloys von Hofstetten in seinen »Notizen« zum Straßen- und Wasserbauwesen aus dem Jahr 1785 die Übernahme sämtlicher Wassergebäude an den floß- und schiffbaren Flüssen durch den Landesherrn vor. Das sei mit der Durchsetzung eines systematischen Wasserbaus zu verbinden, der nach physikalischen und hydrotechnischen Grundsätzen verfahren und den jeweiligen Fluss auf einen Raum zwischen zwei festgelegten parallel verlaufenden Linien begrenzen solle.458 Diese Überlegungen lassen sich jedoch weiter zurück­verfolgen, was zeigt, dass diese Ansätze zur Systematisierung des Wasserbaus im Generalbaudirektorium bereits einige Zeit im Schwange waren, bevor sie in der Wasserbauverordnung von 1790 umgesetzt wurden. So fasste ein schon 1783 verfasstes Schreiben der KameralStraßen- und Wasserbau Deputation (also des Generalbaudirektoriums) an Adrian Riedl dessen Überlegungen hinsichtlich der Verursachung der häufigen 454 Voch, Strombau, 10. 455 Vgl. dazu Leidel / Franz, Katalog, 230–234. 456 Riedl, Bericht, 58–60. 457 Wie Adrian Riedl 1806 rückblickend berichtete, handelte es sich dabei um die Isar an der Grenze zum Hochstift Freising, die Salzach an der Grenze zum Erzstift Salzburg und den Inn an der Grenze zur Grafschaft Tirol; vgl. Leidel, Der Wasserbau, 305–306. 458 BayHStA OBB (Akten) 1/1: »Notizen. Von den Kurfürstlich Bayrisch und Oberpfälzischen Cameral Straßen und Waßerbau Directorial Geschäften, und deren Behandlung« vom 12. Dezember 1785.

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Überschwemmungen durch Privatwasserbauten zusammen.459 Dabei spielte zur Lösung des Problems neben der kartographischen Erfassung des Isarverlaufs und des Flussnivellements auch die Einrichtung von Direktionslinien zur Unterbindung künftiger Streitigkeiten und schadhafter Wasserbauten eine Rolle. Wie eine Resolution des Geheimen Rats vom März 1777 bezüglich der Wuhr- und Archgebäude im aiblingischen Gerichtsbezirk belegt, reichen die entsprechenden Überlegungen zur systematischen Erfassung aller Wassergebäude in Kurbayern in Flusskarten und zum damit verbundene Nivellement aller Flüsse noch weiter zurück und sind bereits seit dieser Zeit Bestandteil von Planungen zur systematischen Umgestaltung des Wasserbauwesens.460 Die Notwendigkeit solcher Flusskarten, um das Wasserbauwesen umgestalten und effektiver organisieren zu können, so dass der nötige Kostenaufwand für den Landesherrn gesenkt werden konnte, wurde auch in der bereits beschriebenen Wasserbaukonferenz von 1788 deutlich: In der fünften Sitzung kam man zum Schluss, sich ohne verlässliche Straßen- und Stromkarten von Bayern keinen systematischen Überblick über das Straßen- und Wasserbauwesen verschaffen zu können.461 Auch die Notwendigkeit zur Reform der behördlichen Strukturen des Wasserbauwesens war bereits zuvor betont worden. In einem Bericht Adrian Riedls zur Sossauer Beschlacht, der einem Bericht der Hofkammer an den Kurfürsten vom August 1788 beigefügt war, äußerte er heftige Kritik an der behördlichen Organisation des Wasserbaus, die ineffektiv und kostentreibend sei:462 Der Grund für die oft unnötig hohen Wasserbaukosten in Bayern liege in der Verzögerung der Ent-schlüsse im Rechnungs- und Bauwesen, da der jeweilige Baumeister so viele Vorschläge schreiben könne wie er wolle, es werde doch nicht über sie reflektiert und entschieden. Und währenddessen zerstöre das Wasser jeden verfließenden Tag weiter, so dass sich die nötigen Ausgabensummen zur Schadensbehebung vervielfachten, was am Ende dem Baumeister zur Last gelegt werde. Der trage jedoch gar keine Schuld daran, da die Kostenvermehrung nur durch die behördlichen Streitigkeiten entstünden. Die Wasserbauverordnung von 1790 markierte zwar einen Ansatz zur systematischen Neuorganisation des Wasserbaus in Kurbayern, der auf theoretischen Überlegungen zu hydrotechnischen Erfordernissen aller Flüsse in Kurbayern basierte. Sie hatte jedoch in erster Linie Symbolfunktion für eine systematische Grundlegung des Wasserbaus und führte nicht zu einer grundsätzlichen Umstellung der tatsächlichen Wasserbaupraxis insgesamt. Zwar sind durchaus Ansätze 459 BayHStA OBB (Akten) 2139: Schreiben der Kameral Straßen- und Wasserbau Deputation vom 7. Juni 1783 an Adrian Riedl. 460 BayHStA OBB (Akten) 2139: Extrakt vom 1. April 1777 aus einer Resolution des Geheimen Rats vom 12. März 1777. 461 BayHStA OBB (Akten) 1/1: Protokoll der fünften Konferenzsitzung in Straßen- und Wasserbaufragen vom 3. Mai 1788. 462 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 969.

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für die Festlegung von Direktionslinien und die damit verbundene systematische Aufnahme und Begutachtung von Wasserbauten an den Flüssen durch das Generalbaudirektorium zu belegen. So hatte Adrian Riedl die Mühlwuhren der Auer Wassergenossen bei Harlaching begutachtet und als gemäß der von ihm an der Isar ausgesteckten Direktionslinien befunden.463 Ein anderes Beispiel aus dem Gericht Aibling am Inn zeigt jedoch, dass manche Maßnahme über das Planungsstadium kaum hinauskam. Hier hatte 1793 die Planung zur Direktionsführung des Inn begonnen, nachdem Gründe durch den Inn verheert worden waren: »Man steckte dazu die Parallellinien aus, und wählte statt der vorigen so kostbaren Archgebäude, wo ein Unterthan, eine Gemeinde der andern den Strom zuwarf, und sich und das ganze Land so zu Grunde richtete, einen Faschinenbau.« Zwar wurde der Bau im Frühjahr 1796 in Angriff genommen, danach sei alles aber wieder im Sande verlaufen.464 Dazu passend erging am 5. Dezember 1795 ein Rescript an die Hofkammer, das die Hindernisse beklagte, welche dem Wasserbauwesen durch fortgesetzte Prozesse und dadurch, dass »solch aufgehäufte Acten in allen Collegien herumgezogen wurden,« in den Weg gelegt wurden. Das habe dazu geführt, dass die Bestimmungen der Verordnung vom 26. Januar 1790 immer noch nicht umgesetzt seien.465 Das Riedlsche Vorhaben der Systematisierung des Wasserbaus blieb also größtenteils im bürokratischen Betrieb stecken und kam nicht voran. In seinem »Vorschlag zur Verbesserung des Brücken und Wasserbaues in Bayrn« hatte Adrian Riedl daher wesentliche Elemente der bereits in seiner Preisschrift von 1794 vorgebrachten und in der 1790er Verordnung enthaltenen Inhalte eines systematischen Wasserbaus erneut benannt und durch neue Aspekte ergänzt:466 Zur Übersicht eines Stromes und seiner Ufer müssten genaue Pläne und Stromkarten erstellt werden, weil daraus erst die Flussgestalt zu erkennen und zu treffende Maßnahmen wie die Direktionslinien, Normalbreiten und Brückenanlagen zu beurteilen seien. Adrian Riedl dachte in diesem Zusammenhang aber auch an »zu errichtende Landes-Versicherungen«, also an eine Hochwasserversicherung analog zur Feuerversicherung, die mit der Einrichtung der Brandassekurationsgesellschaft bereits etabliert war.467 Darüber hinaus sei 463 BayHStA GL Fasz. 242 Nr. 69: Schreiben des Gerichts ob der Au vom 12. April 1792 an die Hofkammer. 464 Joseph von Hazzi, Statistische Aufschlüsse über das Herzogthum Baiern, aus ächten Quellen geschöpft. Ein allgemeiner Beitrag zur Länder- und Menschenkunde. Erster Band. 4 Bände. Nürnberg 1801, 265. 465 Mayr, Sammlung. Band 5, 79. 466 BayHStA HR I Fasz. 290 Nr. 22: »Vorschlag zur Verbesserung des Brücken und Wasserbaues in Bayrn« vom 21. März 1804. 467 Verordnung vom 17. September 1799 zur Gründung der Brandversicherungsgesellschaft in Mayr, Sammlung der Churpfalz-Baierischen. Band 1, 228–235. Unter Paragraph 5 wurden ausdrücklich alle anderen Elementarschadensfälle wie Erdbeben, Sturm, Überschwemmungen und dergleichen von der Versicherung ausgenommen.

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ein genaues Nivellement aller Flüsse aufzunehmen, auf dessen Grundlage die zu errichtenden Wasserbauten bestimmt werden könnten und das durch Profilpläne der Flüsse mit Tiefenangaben und Fließgeschwindigkeiten zu ergänzen sei. Die Beschreibungen der Flüsse müssten auch Angaben zum Bestand und zur Finanzierung aller Wassergebäude und Brücken sowie Treppel- (Treidel) oder Schiffreitwege enthalten und wie weit der Fluss bei Hochwasser über seine Ufer trete. Außerdem sei festzuhalten, welche Bodenbeschaffenheit die Ufer und das Flussbett haben und wie es um Bestand und logistische Bedingungen des hölzernen Baumaterials bestellt sei. Auf der Grundlage all dieser Angaben könnten dann alle wasserbaulichen Maßnahmen im Zusammenhang mit den Direktionslinien durchgeführt werden. Adrian Riedl betonte besonders die Einsparung von Ausgaben, die diese Maßnahmen mit sich bringen würden. Zwar verringerten sich die Kosten beim systematischen Wasserbau in der ersten Zeit zunächst nicht. Dafür ließe sich aber leichter voraussehen, wo einer drohenden Gefahr vorgebeugt werden müsse. Es dürfe auch niemandem erlaubt sein, ohne Vorwissen und Genehmigung der Baudirektion an einem Fluss zu bauen, weil durch ungeschickte Bauten der ganze obige Plan der Stromleitung gefährdet werde. Wenn die Flüsse nach diesen Vorschlägen im ganzen Land behandelt würden, seien sie von großem Nutzen, wenn aber nicht, richteten sie Verheerungen an und kosteten viel Geld. Wie in seiner Preisschrift betonte Adrian Riedl auch hier die Bedeutung von Stromkorrespondenzen mit regelmäßigen Pegel- und Niederschlagsmessungen für eine Reform des Wasserbauwesens, um die Fließgeschwindigkeiten der Flüsse bestimmen und rechtzeitige Warnungen an die Anwohner im Hochwasserfall ausgeben zu können. Dieser systematische Wasserbauansatz Adrian Riedls, den er in seiner Preisschrift, in der Wasserbauverordnung von 1790 und in seinen Berichten und Eingaben entwickelte, enthielt einige Elemente, die in der Gegenwart zum Bestandteil des Hochwasserrisikomanagements gehören, wie die Einrichtung von Überschwemmungsgebieten, die Berücksichtigung meteorologischer Messdaten und einen Hochwasserwarndienst für Flussanrainer. Jedoch konnte sich der Riedlsche Wasserbauansatz trotz Versuchen zu seiner Erneuerung und Bestätigung nach 1790468 nicht etablieren und wurde bald durch eine neue Wasserbausystematik abgelöst, die sein Nachfolger Carl Friedrich von Wiebeking durchsetzte. Wiebeking ersetzte die Direktionslinien durch eine Begradigung der Flüsse in Form von Schleifendurchstichen und der Schließung von Nebenarmen der Flüsse durch Faschinaden. Der so erzeugte gerade Verlauf des jeweiligen Flusses, der die Fließgeschwindigkeit erhöhte, sollte es dem Fluss ermöglichen, sich selbst ein 468 So regte das Generalstraßen- und Wasserbaudirektorium im Oktober 1803 die Erneuerung des Verbots ungenehmigter privater Wasserbauten an; Leidel, Der Wasserbau, 307.

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tieferes Flussbett zu graben, was das Risiko von Überschwemmungen vermindern sollte.469 So wird den Wasserbauinspektoren in ihren Dienstinstruktionen vom Oktober bzw. November 1805 explizit die Sperrung von Nebenarmen durch Faschinen vorgeschrieben, was die Verlandung der abgeschnittenen Flussarme befördern sollte.470 Wiebeking selbst bezeichnete diese Methode fälschlicherweise als völlig neu im bayerischen Wasserbau, mit der er die zweckwidrigen und teuren Baukonstruktionen sowie die von ihm hart kritisierten Riedlschen Direktionslinien ersetzt habe.471 Adrian Riedl hatte jedoch ausdrücklich in seiner Preisschrift von 1794 den Einsatz von Faschinen zur Abschneidung von Alt- und Nebenarmen der Flüsse empfohlen, um sie durch Überflutungen verlanden zu lassen und so die Flüsse innerhalb von Direktionslinien in einen annähernd geraden Verlauf zu bringen.472 Wie er in seinem »Vorschlag« vom März 1804 betonte, sei damit jedoch keineswegs beabsichtigt, den Flüssen die Form von Kanälen zu geben. Wohl aber sei es sinnvoll, einem Fluss seine im zukommende Weite zu bemessen, innerhalb derer er in Serpentinen ohne Schaden hindurchfließen könne. Die von Wiebeking in der ersten Dekade des 19. Jahrhunderts durchgeführten Flussbegradigungen an Donau, Inn und Isar473 entsprachen ganz dem neuen Paradigma des Wasserbaus im 19. Jahrhundert, für das die Rektifikation des oberen Rhein als bekanntes Beispiel steht. Auch in Bayern hatte es sich im Gefolge von Wiebeking durchgesetzt, und zwar nicht nur in der wasserbaulichen Theorie der Ingenieure, sondern scheinbar auch in der Akzeptanz der Anlieger. Für den Bauingenieur Heinrich von Pechmann war in seiner Abhandlung von 1822 eindeutig, dass die Ursache für die Überschwemmungen an den Flüssen Bayerns in ihren Krümmungen und Serpentinen lag. Einerseits nage der so ver-

469 Das entsprach ganz dem Ansatz der Flussbegradigung am Oberrhein und der von Johann Gottfried Tulla erhofften Wirkungsweise; vgl. Blackbourn, Die Eroberung, 105–155. 470 Die Dienstes-Instruktionen für das Strassen- und Wasserbau-Personale betreffend, in: Churpfalzbaierisches Regierungsblatt 1805, 18. Dezember (LI . Stück), 1230. 471 Dazu Leidel, Der Wasserbau, 310–312. Entgegen der Behauptung Wiebekings, dass er den Faschinenbau in Bayern eingeführt habe, lässt sich zeigen, dass die Bezeichnung Faschinen bzw. die bayerische Entsprechung Rauchholz bereits seit Jahrhunderten im bayerischen Wasserbauwesen verwendet wurde und Faschinenbau als solcher durchaus praktiziert wurde. 472 Riedl, Beantwortung der Preisfrage, 139. 473 Leidel, Der Wasserbau, 313; Karl Scheurmann, Die Anfänge des Wasserbaus in Bayern unter Carl Friedrich von Wiebeking, in: Bayerisches Landesamt für Wasserwirtschaft und Technische Universität München (Hrsg.), Geschichtliche Entwicklung der Wasserwirtschaft und des Wasserbaus in Bayern. Seminar am 30. April 1981. Teil 1. München 1981 (Informationsberichte des Bayerischen Landesamtes für Wasserwirtschaft, 4/81), 111–119; Wolfgang Heyenbrock, Hochwasserschutz bayerischer Städte, in: Bayerisches Landesamt für Wasserwirtschaft und Technische Universität München (Hrsg.), Geschichtliche Entwicklung der Wasserwirtschaft und des Wasserbaus in Bayern. Seminar am 24. April 1986. Teil 1. München 1986 (Informationsberichte des Bayerischen Landesamtes für Wasserwirtschaft, 86/1), 227.

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laufende Fluss fortwährend an den Ufern »und die fruchtbarsten Fluren werden allmählig sein Opfer«, andererseits verstopften Eisstöße an den Krümmungen die Flüsse und verursachten die verderblichsten Überschwemmungen. Gegen diese Übel helfe nur die Begradigung der Flüsse vermittels des Durchstechens der Krümmungen. Früher habe man viel Geld für kostspielige Schutzbauten verschwendet, da man an die Wirksamkeit der Begradigungen nicht glaubte. Gegenwärtig sei aber an fast allen Flüssen mit Erfolg der Durchstich von Flussschleifen vorgenommen worden, so dass nun selbst Gemeinden, die zuvor Vorbehalte gegen diese Maßnahmen hatten, sich durch die Erfahrung hätten überzeugen lassen.474 Auch die Einschränkung der Flüsse auf ein gerade noch zum Wasserabfluss benötigtes Bett, statt ihm wie im Riedlschen Modell Raum zu geben, war für Pechmann das Mittel der Wahl: »Beschränkung der Flüsse auf die Normalbreite, d. i. jene Breite, welche sie zur Fortschaffung ihrer Wassermasse gerade nur bedürfen, und Durchgrabung der zu großen Krümmungen, sind die beiden vorzüglichsten Mittel um vernachlässigte Flüsse unschädlich zu machen.«475 Was von den Riedlschen Reformvorschlägen nach dem Amtsantritt Wiebekings zunächst übrigblieb, wenn auch nicht in Form der von ihm angeregten Stromkorrespondenzen, war das Bemühen um die Systematisierung des Überblicks in der Bauverwaltung. Die Baubeamten wurden 1805 dazu verpflichtet Reisejournale und Protokolle zu führen, die die Geschäftsführung und den allgemeinen Fortgang im Wasser- und Straßenbau abbilden sollten.476 Auch der Anspruch zur Aufsicht und Kontrolle sämtlichen Wasserbaus in Bayern durch den Landesherrn, wie er in der Wasserbauverordnung von 1790 formuliert wurde, blieb erhalten und verstärkte sich, was sich besonders in den neuen bayerischen Provinzen im Zuge der Napoleonischen Kriege manifestierte.477

4.4.4 Ergebnisse – Die Gouvernementalisierung des Flusses Die Handlungspraktik Wasserbau war im Kurbayern des 18. Jahrhunderts Wandelprozessen unterworfen, die sich mit den drei Entwicklungspfaden der zunehmenden Verstaatlichung bzw. Konzentration in der Hand des Landesherrn, der Verlagerung im Wissensregime vom Erfahrungs- zum Theoriewissen und 474 Pechmann, Ueber den frühern, 28–29. 475 Ebd., 29–30. 476 BayHStA OBB (Akten) 8: Rescript vom 19. Juli 1805 in Abschrift mit beiliegenden Vordrucken für die Protokolle und Journale. 477 So bestimmte eine Resolution an das Generallandeskommissariat in Tirol, dass zukünftig kein Wasserbau mehr an Inn oder Etsch errichtet werden dürfe, der nicht zuvor durch die zuständigen Baudirektionen in Innsbruck oder Trient begutachtet und bewilligt worden war; BayHStA OBB (Akten) 2138: Resolution vom 8. April 1807 an das Generallandeskommissariat von Tirol.

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der Systematisierung mit einhergehender Präventionsorientierung beschreiben lassen. Im Zuge der Verwaltungsreformen des 18. Jahrhunderts war auch der für den Straßen- und Wasserbau zuständige landesherrliche Behördenapparat mehrfachen Umstrukturierungen unterworfen. Zentrales Merkmal war die Einrichtung von Spezialbehörden, in deren alleinigem Zuständigkeitsbereich das Straßen- und Wasserbauwesen liegen sollte. Von hoher Bedeutung für diese Verwaltungsreformen war der allgegenwärtige Kostendruck, da man sich von den Umstrukturierungen eine effizientere Gestaltung der Verwaltungsabläufe und eine allgemeine Hebung der Qualität im Wasserbau versprach, was durch die verbesserte Wirksamkeit und Dauerhaftigkeit der Wasserbauten kostensparende Effekte erbringen sollte. Dass der Wasserbau auch immer eine fiskalische Angelegenheit war, ist daraus zu ersehen, dass die für ihn zuständigen Spezialbehörden – das Hofbauamt, die Straßendirektion und das zweite Generalbaudirektorium – kontinuierlich unter der Aufsicht der Hofkammer als oberster Finanzbehörde standen. Diese Auffassung des Wasserbaus als fiskalische Aufgabe blieb auch im Zuge der Reformen unter Carl Friedrich von Wiebeking weiterhin bestehen, da sein Technisches Geheimes Zentral-Bureau dem Ministerialfinanzdepartement zugeordnet war. Der Wasserbau war jedoch nicht nur eine fiskalische Angelegenheit, sondern auch ein rechtliches Problem. Die rechtlichen Verpflichtungen zum Bau, zur Finanzierung und zum Unterhalt von Wassergebäuden waren trotz vorhandener Bestimmungen im kurbayerischen Landrecht alles andere als eindeutig. Vielmehr waren sie Gegenstand rechtlicher Auseinandersetzungen sowohl zwischen der kurbayerischen Landesherrschaft und ständischen Herrschaften oder Untertanen als auch zwischen Kurbayern und seinen Nachbarstaaten. Zwar hatte der Landesherr formal nur solche Wasserbauten zu betreiben und zu unterhalten, die die Schiff- und Floßfahrt an den größeren Flüssen sicherstellen sollte. Jedoch war diese Bestimmung höchst vage und konnte auch auf alle sonstigen Wassergebäude an den Flüssen angewandt werden, die allein durch ihre Existenz einen mehr oder minder großen Einfluss auf die Schiffbarkeit der Flüsse ausübten. Die Aufteilung der Kosten zu je einem Drittel zwischen Landesherrschaft, Grundherren und Untertanen bei Wasserbauten mit mehreren interessierten Parteien in Form einer Wasserbaukonkurrenz war im Landrecht allenfalls indirekt enthalten und begründete sich vor allem durch gewohnheitsrechtliches Herkommen. Verpflichtungen und Kostenaufteilungen in Wasserbauangelegenheiten waren insgesamt weniger rechtlich eindeutig geregelt als vielmehr durch Gewohnheitsrecht und durch nur für den Einzelfall geltende Verträge und Rezesse bestimmt, so dass jeder Wasserbau von Fall zu Fall beurteilt werden musste. Häufige Konflikte um die Frage der Zuständigkeiten und Kostenübernahmen zwischen Landesherr, Ständen und Untertanen, die besonders Wasserbaukonkurrenzen und das Scharwerk zum Gegenstand hatten, kreisten

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deshalb um die Interpretation bestehender gewohnheitsrechtlicher und schriftlich fixierter Rechtsverhältnisse. So war die Landesherrschaft bemüht, Kosten auf die beteiligten Stände und Parteien abzuwälzen, die wiederum versuchten, Kostenerstattungen und Entlastungen vom Landesherrn zu erhalten und sich den Verpflichtungen zum Wasserbau zu entziehen. Bemühungen der Landesherrschaft im Zuge der Montgelasschen Reformen, diese Finanzierungs- und Rechtsverhältnisse durch eine klare Scheidung landesherrlicher und kommunaler Wasserbauten sowie eine Wasserbaupoliceyordnung zu systematisieren, waren jedoch zunächst kein Erfolg beschieden. Der Kostendruck führte darüber hinaus auch zu wiederholten Auseinandersetzungen im Behördenapparat selbst, bei denen der Generalbaudirektor sich für seine Ausgabenpolitik verteidigen musste. Wichtige Argumente in diesem Zusammenhang waren nicht nur der Verweis auf die Notwendigkeit, auftretende Schäden zu behandeln und nötige Wasserbauten schnellstens zu errichten, um weitere Folgeschäden zu vermeiden, die durch Verzögerungen eintreten würden. Wasserbau wurde auch aus ökonomisch-kameralistischer Perspektive als Investition in die Infrastruktur verstanden, um Handel und Gewerbe zu fördern und damit das Allgemeine Wohl bzw. das Nationalvermögen zu mehren. Dabei war der kurbayerische Wasserbau jedoch chronisch unterfinanziert, da den steigenden und sich in den 1790er Jahren auf einem hohen Niveau einpendelnden Ausgaben zu geringe Einnahmefonds gegenüberstanden. Aufgrund der steigenden Kosten und ihrer zunehmenden Verschuldung konnten besonders die Städte und Märkte ihren Wasserbau immer weniger selbst finanzieren, so dass der Landesherr immer häufiger solche Wasserbauten übernehmen musste, die für den Uferschutz an den großen Flüssen und die Stabilisierung von dessen Verlauf bedeutsam waren. Dabei hatte er nicht nur die Bauleitung des durch Konkurrenzen finanzierten bayerischen Wasserbaus inne, sondern übernahm de facto auch zunehmend die alleinige Finanzierung. Finanzielle Anteile der anderen beteiligten Parteien, die der Landesherr vorgestreckt hatte, wurden entweder nie zurückerstattet oder von vornherein vom Landesherrn gestellt, indem er den Ständen landesherrliche Abgaben zur Finanzierung des Wasserbaus überließ. Welche Ausmaße diese indirekte finanzielle Übernahme durch den Landesherrn angenommen hatte, zeigt der Vorschlag des Hofrats auf der Wasserbaukonferenz von 1782, der Landesherr solle sämtlichen Wasserbau in Kurbayern übernehmen, da die Stände und Untertanen dessen finanziellen Anforderungen nicht mehr gewachsen seien. Parallel zur baulichen und finanziellen Verstaatlichung des Wasserbaus nahm die Bedeutung des Theoriewissens gegenüber dem Erfahrungswissen im Wissensregime des Wasserbaus zu, was auch mit einem Wandel des Expertenstatus einherging. Im Wasserbau der handwerklichen Tradition galt derjenige als Experte, der Erfahrung im Umgang mit einem jeweiligen Fluss in Bezug auf sein Verhalten und seine wasserbauliche Behandlung vorweisen konnte. Das traf zum

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einen auf Handwerker, d. h. Zimmerleute, zu, die auf lokaler Ebene als Wasserbauer für die landesherrliche Verwaltung tätig waren, aber auch auf Berufsgruppen wie Fischer, Schiffer und Müller, die in ihrer alltäglichen Arbeit mit dem Fluss befasst waren und als Experten in Fragen des Wasserbaus zu Rate gezogen wurden. In ähnlicher Weise zeichneten sich auch die von der Münchener Zen­ trale geschickten Wasserbauexperten durch ihr Erfahrungswissen im Wasserbau, ihre Ortskenntnis sowie ihre Verbindung zur handwerklichen Tradition aus, wobei das gesammelte Erfahrungswissen von einer Generation an die nächste weitergegeben wurde. Auf diese Weise etablierten sich regelrechte Wasserbaudynastien, die für den kurbayerischen Wasserbau des 18. Jahrhunderts prägend wurden: Die Vätergeneration erarbeitete sich aufbauend auf erworbenem und institutionalisiertem Spezialwissen eine entsprechende Stellung als kurfürstlicher Landgeometer bzw. Wasserbauer und vererbte sie an die Söhne weiter, die dieses akkumulierte soziale und kulturelle Kapital in das symbolische Kapital des Adelstitels umsetzen konnten. Besonders anhand der Wasserbaudynastie der Riedls wird die zunehmende Bedeutung des Theoriewissens sichtbar, da Castulus Riedl mit seinem Wasserbaulehrbuch noch ganz das Erfahrungswissen im Wasserbau repräsentierte, während sein Sohn Adrian Riedl für den Übergang zum Theoriewissen stand. Zwar wurde Adrian Riedl von seinem Vater ›im Feld‹ als Wasserbauer und Geometer ausgebildet. Er verfasste aber auch für die Akademie der Wissenschaften, die mit ihren Forschungsbeiträgen und Preisfragen eine entscheidende Institution der Verwissenschaftlichung des Wasserbaus in Kurbayern darstellte, eine Preisschrift zur Frage eines systematischen Wasserbaus für ganz Bayern auf wissenschaftlicher Grundlage. Darüber hinaus versuchte Adrian Riedl sich im Projekt einer Hydrotechnischen Bauschule, in der er durch die wissenschaftliche und praxisnahe Ausbildung des wasserbaulichen Nachwuchses die Wissensregime von Erfahrungs- und Theoriewissen vereinen wollte. Mit Übernahme des kurbayerischen Wasserbaus durch Carl Friedrich von Wiebeking wurde dieser Ansatz jedoch aufgegeben und die Grundlegung des Wasserbaus im Theoriewissen stärker betont: Kenntnisse in den für den Wasserbau grundlegenden Wissenschaften (besonders die Rolle der Mathematik) wurden zum wichtigsten Kriterium für den Status als Experte im Wasserbau und zum Distinktionsmerkmal der Bauingenieure als Expertengruppe. Parallel zu diesem Wandel im Wissensregime wurden diverse Konzepte eines systematischen Wasserbaus entwickelt, die von den handwerklichen, nur lokal angewandten Wasserbaumethoden abstrahierten und ein universell gültiges System des Wasserbaus darstellten. Damit ging auch eine Betonung des Präventionsgedankens im Wasserbau einher, der nicht mehr nur auf eintretende Ereignisse reagieren, sondern durch Eingriffe in die Flusslandschaften und die Nutzung der physikalischen Bedingungen des Flusses selbst das Eintreten von Hochwassern und Überschwemmungen verhindern oder zumindest in seinen

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Auswirkungen minimieren sollte. Das Deutungsmuster des Flusses als System, in dem die Hochwasser und Überschwemmungen ihre natürlichen Ursachen haben, bildete dabei die Grundlage dieses Wasserbauansatzes. Auch dieser Entwicklungsprozess hatte seine Verankerung in der Akademie der Wissenschaften, in deren institutionellen Rahmen solche Wasserbausystematiken in Abhandlungen und Preisschriften entworfen wurden. Gleichzeitig wurde eine Systematisierung des Wasserbaus auch in der kurfürstlichen Wasserbauverwaltung angeregt, wobei besonders die Nivellierung und Planaufnahme der bayerischen Flüsse hervorgehoben wurde, da eine kartographische Aufnahme als Voraussetzung für einen strukturierten Wasserbau begriffen wurde. Das von Adrian Riedl in seiner Preisschrift und der Wasserbauverordnung von 1790 entworfene Direktionsliniensystem der Flüsse hatte seine Vorgeschichte im verwaltungsinternen Wasserbaudiskurs und stellte eine Verbindung von wissenschaftlichem Feld und landesherrlicher Verwaltung dar. Die in Teilen erstaunlich modern anmutenden Ansätze im Riedlschen Direktionsliniensystem konnten sich jedoch nicht durchsetzen. Mit dem Wechsel zu Carl Friedrich von Wiebeking als Chef im bayerischen Wasserbauwesen wurden sie durch die Methode der Flussbegradigungen abgelöst, was dem wasserbaulichen Paradigma des 19. Jahrhunderts entsprach, das auch der von Johann Gottfried von Tulla praktizierten bzw. geplanten Korrektion des Oberrheins zugrunde lag. Anhand der drei beschriebenen Veränderungen des bayerischen Wasserbaus im 18. Jahrhundert wird ein sich allmählich vollziehender Wandel der auf dem Wasserbau basierenden Überschwemmungskultur deutlich, der nicht ereignisgetrieben vonstatten ging, sondern entlang langfristiger Entwicklungspfade verlief. Von besonderer Bedeutung ist dabei die erkennbare Herausbildung einer Verbindung des wissenschaftlichen und obrigkeitlichen Feldes, die die Handlungspraktik des Wasserbaus dominiert. Der landesherrliche Zugriff auf den Wasserbau verstärkte sich in organisatorischer und finanzieller Hinsicht, da zum einen die ständischen Wasserbauparteien ihre Bauten dem Landesherrn aufgrund ihres zunehmenden finanziellen Unvermögens zum Wasserbau übertrugen. Zum anderen übernahm der Landesherr immer mehr Wasserbauten, obwohl sie als lästige fiskalische Belastung angesehen wurden, weil man einer grundlegenden Kosten-Nutzen-Analyse folgte: Demzufolge kostete ein systematisch betriebener, nach wissenschaftlichen Prinzipien praktizierter und deshalb dauerhafter Wasserbau, der auch eine Investition in die Infrastruktur des Landes sowie in den Schutz und Erhalt von ›Nationalvermögen‹ darstellte, den Landesherrn langfristig weniger als ein auf möglichst viele Parteien und finanzielle Schultern verteilter, aber deshalb auch ineffizienter Wasserbau. Aufgrund dieser obrigkeitlichen Zielsetzung eines möglichst kostengünstigen und zugleich effektiven Wasserbaus ergab sich die Verbindung zum wissenschaftlichen Feld, in dem die Akademie der Wissenschaften einen Expertenpool darstellte, der das Interesse der landesherrlichen Obrigkeit an einer solchen Wasserbausystematik

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bedienen konnte. Sichtbar wird diese Allianz von Wissenschaft und Herrschaft auch an der Überschneidung beider durch die Präsenz von Akteuren sowohl in der kurfürstlichen Verwaltung als auch in der Akademie der Wissenschaften  – Beispiel dafür sind die Riedls  –, die somit nicht nur Theoriewissen im Wasserbau produzierten, sondern dieses auch unmittelbar in die landesherrliche Verwaltung hineintragen konnten. Die Verbindung von wissenschaftlichem Feld und Obrigkeit erfuhr dann in der Wiebekingschen Wasserbauverwaltung eine Institutionalisierung, insofern wissenschaftliche Expertise zur Grundlage des behördlich organisierten Wasserbaus gemacht wurde. Wiebeking machte nicht nur seine wasserbaulichen Werke zur Basis der bayerischen Wasserbaupraxis, sondern verpflichtete seine Straßen- und Wasserbauer zum Studium des neuesten wissenschaftlichen Standes im Bauingenieurwesen. Der Baubeamte war damit zugleich Bauingenieur, der die staatliche Wasserbaupraxis nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten zu betreiben hatte und sich nicht nur durch verwaltungstechnische, sondern auch wissenschaftliche Expertise auszeichnete. Die in der Verbindung von wissenschaftlichem Feld und Obrigkeit zu verortende Systematisierung und Verwissenschaftlichung im bayerischen Wasserbau bedeutete auch einen Wandel in der Perspektive auf den Naturraum Fluss und auf das wasserbauliche Handeln am Fluss. Im handwerklich orientierten, am Erfahrungswissen ausgerichteten Wasserbau lag der Fokus auf dem jeweiligen Flussabschnitt, wo vereinzelte Gefahrenpotenziale lokal für sich betrachtet und punktuell eingehegt, eingegrenzt und eingedämmt wurden. Die systematischen Wasserbauansätze waren dagegen auf den gesamten Fluss gerichtet, der als systemisch-mechanischer Zusammenhang seiner morphologischen Bedingungen in Gebirge und Ebene, von Gefälle, Zuflüssen, Niederschlagsmengen, Schneeschmelze usw. begriffen wurde. Im Rahmen dieser Auffassung des Flusses als System wollte man sich die durch die Morphologie des Flusses bedingten physikalischen Wirkkräfte selbst zunutze machen. Die hydraulisch-strömungsmechanisch erfassbaren Gesetzmäßigkeiten des Strömungsverhaltens des Flusses in Relation zu dessen räumlichen Gegebenheiten sollten die Basis des wasserbaulichen Handelns bilden. Auf der Grundlage des Wissens um diese Gesetzmäßigkeiten konnte der Wasserbau so ausgeführt werden, dass er auf die Änderung der räumlichen Gegebenheiten des Flusses selbst abzielte, statt ihn an bestimmten Stellen einzudämmen. So erhoffte man sich durch die Regulierung und Begradigung der Flüsse die Erhöhung ihrer Fließgeschwindigkeit, was die Ablagerung von Sedimenten in den Flussbetten unterbinden und sogar die eigenständige Vertiefung des Flusses selbst zur Folge haben sollte. Davon versprach man sich einen erhöhten Wasserabtransport und eine Reduktion der Überschwemmungsgefahr bei Hochwasser. Der Fluss als Ganzes, als ineinander greifende Mechanik, wurde so zum wasserbaulich zu behandelnden Raum, der sowohl im System der Direktionslinien als auch im Ansatz der Flussbegradigung in seiner Gestalt geometrisiert und in seinen Eigenschaften definiert wurde, um von Einzelfällen

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abstrahieren und zu Typisierungen sowie universal anwendbaren wasserbaulichen Methoden gelangen zu können. Hieraus erklärt sich die Bedeutung der Kartographie im systematischen Wasserbau und ihre zweidimensionale Darstellung der physikalischen und räumlichen Eigenschaften des Systems Fluss, was wiederum die Grundlage für das wasserbauliche verwaltungstechnische Handeln am realen Fluss bildet. Sowohl bei der Flussbegradigung als auch bei Adrian Riedls Ansatz der Direktionslinien wurden außerdem die Flussanrainer mit ihren eigenen Bauten und ihrem Nutzungsverhalten des Flusses als Einflussfaktoren berücksichtigt, indem bspw. Mühlen und ihre Stauwerke im Fluss als Mitverursacher von Überschwemmungen oder Brücken als Gefahrenquelle für Eisstöße angesehen wurden. Die Handlungspraktik Wasserbau wurde also im systematischen Ansatz als vernetzt mit der sozialen Sphäre gedacht, was sich auch auf die Finanzierungsfrage und den ökonomischen Mehrwert des Wasserbaus in Verbindung mit den fiskalischen Interessen und dem Wohlstand des Landes erstreckte. Was sich hier bemerkbar macht, ist eine Veränderung der räumlichen Handlungslogik des Wasserbaus als herrschaftlichem Handeln im Naturraum Fluss, das nicht mehr ›nach innen‹ auf die Eindämmung des Flusses gerichtet ist, sondern im Gegenteil ›nach außen‹ wirkt, indem es den Fluss im Rahmen systemischer Zusammenhänge denkt und auch mit der sozialen Sphäre verbindet. Damit lässt sich der Wasserbau in einen Wandel des herrschaftlichen Handelns in der Frühen Neuzeit einordnen, den Michel Foucault im Zusammenhang mit seiner These der Gouvernementalisierung des Staates beschrieben hat: Regierungspraktiken sind nicht mehr auf die Eindämmung, Begrenzung und Einschränkung von Phänomenen gerichtet, sondern behandeln sie zunehmend im Rahmen systemischer Zusammenhänge, die mitbedacht werden müssen, um eine gewünschte Wirkung des Regierungshandelns zu erzielen. Herrschaftliches Handeln wird nicht mehr durch ein disziplinarisches, sondern vermehrt durch Sicherheitsdispositive bestimmt.478 Ein ›nach außen‹ wirkender Wasserbau kann somit im umfassenderen Gouvernementalisierungsprozess des 18. Jahrhunderts verortet werden.

478 Foucault hat diese beiden Dispositive, die herrschaftliches Handeln strukturieren, durch den Rückgriff auf räumliche Metaphern zu charakterisieren versucht: »Die Disziplin ist wesentlich zentripetal. Damit will ich sagen, daß die Disziplin in dem Maße funktioniert, wie sie einen Raum isoliert, ein Segment bestimmt. Die Disziplin konzentriert, sie zentriert, sie schließt ein. […] Sie sehen, daß die Sicherheitsdispositive, wie ich sie versucht habe nachzuzeichnen, im Gegenteil zentrifugal sind und die Tendenz haben, sich auszudehnen.[…] Es handelt sich also darum, immer weiträumigere Kreisläufe zu organisieren oder sich jedenfalls entwickeln zu lassen.« Foucault, Sicherheit, 73.

Innovation durch Katastrophen

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4.5 Innovation durch Katastrophen: Hochwasser und Überschwemmungen als Katalysatoren Die bisher beschriebenen Wandelprozesse im Wasserbau folgten langfristigen Entwicklungspfaden und waren nicht einzelnen Katastrophenszenarien als alleiniger Ursache geschuldet. Dennoch konnten Hochwasser- und Überschwemmungskatastrophen auch die Funktion als Katalysatoren einnehmen, die bestehenden Wandel bestärkten oder als Impulsgeber neue Entwicklungen in Gang setzten, was beides anhand der Überschwemmungsserie der 1780er Jahre zu beobachten ist. Zum einen hatten die enormen Schäden und Folgekosten eine unterstützende Wirkung für die beschriebenen Prozesse der Verstaatlichung, Verwissenschaftlichung und Systematisierung im Wasserbau. Zum anderen führten die Überschwemmungskatastrophe vom Februar / März 1784 und die diesbezüglichen Bitten von Betroffenen um Unterstützung des Landesherrn zu Überlegungen im landesherrlichen Verwaltungsapparat, die Hilfsmaßnahmen für Betroffene der Überschwemmung neu zu gestalten.

4.5.1 Wandel durch Kostendruck In den 1780er Jahren war das Kurfürstentum Bayern von einer Serie von Überschwemmungen betroffen, die wie die Überschwemmung von 1784 überregional in ganz Mitteleuropa Schäden verursachten oder konzentriert im bayerisch-salzburgisch-österreichischen Raum die Flüsse über die Ufer treten ließen, wie im Fall der aufeinanderfolgenden Hochwasser im Jahr 1786 (vgl. Kap. 2.1.3). Bereits die erste dieser Überschwemmungskatastrophen von 1784 hatte enorme Schäden verursacht, über deren Ausmaße die regionalen Land- und Pfleggerichte an die Zentralbehörden in München berichteten. Das Landgericht Landau etwa teilte der Hofkammer mit, dass der am 28. Februar losgebrochene Eisstoß und die daraus folgende Überschwemmung an Isar und Vils die meisten umliegenden Dörfer unter Wasser gesetzt und viele Felder abgeschwemmt habe. Außerdem hätten die Untertanen einiges an ihrem Viehbestand verloren, wobei der Gesamtschaden noch gar nicht absehbar sei, da der inzwischen gefallene Schnee noch auf den Feldern läge und die meisten Untertanen ihre Schäden bisher nicht hätten angeben können.479 Für das Landgericht Haag stellte sich die Situation ähnlich verheerend dar, auch wenn die Überschwemmungen hier nicht so schlimm gewesen seien wie andernorts. Schon im Vorfeld habe es nicht wenige in der hiesigen Gegend gegeben, die beim einsetzenden Tauwetter be 479 BayHStA GL Fasz. 1987 Nr. 194: Bericht des Landgerichts Landau vom 9. März 1784 an die Hofkammer.

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trächtliche Schäden durch Überschwemmungen und Eisstöße im ganzen Land befürchtet hätten, was dann auch leider eingetreten sei: »Einer mit wahrem Menschengefühle begabter Seele müßen Thränen fließen, wenn man so eine Menge gräßlicher Dinge im Tone voll Wehmuth und Herzenleids erzählen hört.« In der Grafschaft Haag seien zwar auch einige Schäden zu verzeichnen gewesen, aber im Vergleich mit den schrecklichen Nachrichten aus auswärtigen Gegenden habe man »so zu sagen ruhig und ungestört im Rosengarten« gesessen.480 Auch in der Lagebeurteilung durch die Hofkammer bzw. die Straßen- und Wasserbau-Deputation wurden die Ausmaße der Überschwemmungskatastrophe und die angerichteten Schäden in ganz Kurbayern deutlich, die sowohl den Besitz der Untertanen vernichtet hätten als auch für den Landesherrn enorme Verluste bedeuteten:481 Nicht nur seien durch die Überschwemmungen an den kleineren und größeren Flüssen in Bayern und der Oberen Pfalz großes und kleines Vieh ersäuft, viele Felder und Wiesen abgeschwemmt und von Einsaat und Erdreich entblößt, Häuser eingestürzt und viele Untertanen, Gemeinden und Partikularherrschaften teilweise oder ganz um ihr Hab und Gut gebracht worden. Auch seien viele steinerne und hölzerne Brücken durch die Eisstöße teilweise oder ganz eingestürzt, Chausseen unterspült und abgerissen, vorrätiges Bauholz für den Brückenbau fortgeschwemmt und das in den Magazinen gelagerte Salz durch Nässe unbrauchbar geworden. Dabei seien wohl noch nicht einmal die Hälfte der Schadensberichte eingegangen. Unter Berücksichtigung dieses vorläufigen Standes der Schadensübersicht schätzte die Hofkammer die Gesamtschäden im Kurfürstentum Bayern auf »weit über eine: zwo: und vielleicht drey Millionen [Gulden]« für die Landesherrschaft und die Untertanen insgesamt. Im Hinblick auf den Wiederaufbau der zerstörten landesherrlichen, gemeindlichen oder privaten Bauten veranschlagte die Hofkammer einen Bedarf von ca. 30.000 Baumstämmen Bauholz, weshalb sie sogar die außergewöhnliche Maßnahme einer Universalausfuhrsperre auf Bauholz vorschlug, um einer entsprechenden Knappheit vorzubeugen. Die Obere Landesregierung unterstützte diesen Vorschlag der Hofkammer und plädierte ebenfalls für die Ausfuhrsperre von Bauholz, um die Reparatur und den Wiederaufbau der zerstörten Brücken und Wassergebäude sicherstellen zu können.482 Auch wenn eine solche Universalsperre letztlich nicht erlassen wurde, illustriert der Vorschlag dennoch, dass Hofkammer und Obere Landesregierung es mindestens für angezeigt hielten, 480 BayHStA GL Fasz. 1242 Nr. 144: Bericht des Landgerichts Haag vom 6. März 1784 an die Haagsche Administration. 481 BayHStA Kurbayern Hofkammer Protokolle Nr. 957, Bl. 81–82: »Protocoll. So bey kurfrtl. Strassen- und Wasserbau Deputation gehalten worden den 8. Merz a[nno] 1784«. 482 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung Protokolle 18: »Raths-Protocoll […] am 16. Märzes 1784 […] 1. Vortrag die lezthin resolvirte Berichtserstattung ad Seren[issi]mum wegen zu verfügender Universalholzsperre und gänzlicher Aufhebung des ottischen Holzausfuhrs-Contracts betr.«

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Krisenkommunikation zu betreiben und mit einer Maßnahme analog zu den Getreidesperren im Falle von Teuerungs- und Hungerkrisen die Handlungsfähigkeit der Landesherrschaft in der Katastrophe zu demonstrieren. Zu diesen Gesamtschäden der 1784er Überschwemmungskatastrophe in Millionenhöhe gesellten sich zwei Jahre später die aufeinanderfolgenden Überschwemmungen im Juni und August 1786. Deren Ausmaße waren so bedeutend, dass sich die Hofkammer im Juli des Jahres zu dem bereits behandelten Vorschlag der Einrichtung eines allgemeinen Scharwerkaufgebots veranlasst sah. Besonders im Rentamt Burghausen waren die Schäden enorm. In einem Circular des angrenzenden österreichischen Land- und Pfleggerichts Schärding wurde hervorgehoben, dass der Inn »Aecker und Wiesen sowohl hierlandes, als in benachbarten Baiern, und zwar meistentheils dortlandes viele Meilen weit zum gänzlichen Ruin ganzer Dörfer, und gänzlicher Verwüstung der heuer so gesegnet dagestandenen Feldfrüchten überschwemmet, viele Häuser, und andre Behältniße weggerissen [hat], und dadurch alle betroffene Menschen in das Nammenloseste Elend gestürzet worden seyen.«483 Aus allen Land- und Pfleggerichten sowie Hofmarken und anderen Herrschaften des Rentamts gingen in Folge dieser Überschwemmungen des Juni und August Schadensberichte auf Anweisung der Regierung Burghausen bei ihr ein, die die angerichteten Schäden monetär bezifferten.484 Je nach Umfang und Exponiertheit des berichtenden Amtsbezirks variierten auch die geschätzten Schadenssummen, wobei die Regierungsstadt Burghausen mit 18.255 fl., das Pfleggericht Reichenhall mit 23.628 fl. und das Pfleggericht Neuenötting mit 20.566 fl. die größten Posten ausmachten.485 Im September berichtete die Regierung Burghausen an den Geheimen Rat über die Überschwemmungsschäden der Monate Juni und August in ihrem Amtsbezirk und gab die Gesamtsumme der Schäden mit 196.948 fl. an.486 Anfang Oktober musste die Regierung in einem weiteren Bericht an den Geheimen Rat ihre Zahlen jedoch deutlich nach oben korrigieren, nachdem bisher noch ausstehende Schadensberichte, unter anderem der Gerichte Griesbach und Hals, eingegangen waren, so dass sich die Gesamtsumme schließlich auf fast 380.000 fl. belief.487 483 BayHStA GR Fasz. 1612 Nr. 1: Circular des Land- und Pfleggerichts Schärding vom 28. Juni 1786. 484 Für das Folgenden BayHStA GR Fasz. 1612 Nr. 1. 485 Vgl. dazu nicht nur die ebd. enthaltenen einzelnen Berichte der Amtsbezirke, sondern auch die tabellarische Übersicht der Burghausener Regierung: »Beschreibung. Der im Rentamte Burghausen durch die den 24. 25. et. 26.ten Juny, dan den 17.ten et. 18.ten Aug[ust] durch Überschwemmung verunglückten Ortschaften [anno] 1786.« 486 BayHStA GR Fasz. 1612 Nr. 1: Bericht der Regierung Burghausen an den Geheimen Rat vom 5. September 1786. 487 BayHStA GR Fasz. 1612 Nr. 1: Schreiben der Regierung Burghausen vom 9. Oktober 1786 an den Geheimen Rat.

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Auch im Folgejahr kam es Ende Oktober nochmals zu Überschwemmungen. Das Pfleggericht Aibling meldete der Oberen Landesregierung, dass die Flüsse und Bäche der Region am 27. Oktober über die Ufer getreten seien, was durch die Verbindung anhaltender Regenfälle und Schmelzwassers aus dem Gebirge verursacht worden sei. Alle Wuhren seien zerstört, Bäume entwurzelt und Hausböden sowie die Viehställe weggeschwemmt worden.488 Die Münchner Zeitung berichtete ebenfalls über Hochwasser der Isar in diesem Zeitraum: Vom 26. Oktober an habe es in der Region München langanhaltend bei stürmischem Wetter geregnet. Am 28. und 29. Oktober sei dann die Hochwassergefahr am größten gewesen, so dass in der Vorstadt Au und anderen an der Isar liegenden Ortschaften die Anwohner die unteren Stockwerke ihrer Häuser hätten verlassen müssen. Flöße seien durch die Fluten weggerissen und Wassergebäude zerstört worden. Ähnlich traurige Nachrichten habe man auch aus den Gegenden an Donau und Inn vernommen. »[…] in Freisingen wurde mit allen Gloken der Stadt Sturm geläutet, Brüken wurden theils beschädigt, theils weggerissen, und ganze Ortschaften unter Wasser gesezt […].« Aus Simbach bei Braunau habe man wiederum erfahren, dass die Braunauer Brücke über den Inn schon zur Hälfte eingestürzt sei.489 Schwer traf es auch wieder die Stadt Burghausen, die laut Bericht in der Münchner Zeitung zu mehr als der Hälfte unter Wasser stand, nachdem die Salzach seit dem 27. Oktober angestiegen war: »Wir hofften, die Wuth der Wellen werde sich legen; allein sie war immer vermehret. Ursache genug für diese vom Wasser so oft heimgesuchte Stadt das Traurigste zu befürchten!« Auch die städtische Brücke über die Salzach, die gerade erst nach der Überschwemmung des Vorjahres wiederaufgebaut worden war, wurde zusammen mit anderen Gebäuden vom Wasser fortgespült. Die Menschen hätten ihre Häuser verlassen und so viel von ihrem Besitz wie möglich in Sicherheit bringen müssen. »Man sieht nun nichts als abgehärmte Gesichter, und hört nichts als Jammern und Wehe­ klagen. Jedermann sieht der kläglichsten Zukunft entgegen.«490 Die enormen Gesamtschäden der Überschwemmungsserie der 1780er Jahre bedeuteten nicht nur für die betroffenen Untertanen, Gemeinden, Städte und Grundherrschaften schwere Verluste an Besitzwerten. Auch für die Landesherrschaft waren sie eine finanzielle Belastung, die sowohl die Beihilfen in Form von Nachlässen an Steuern und Abgaben für die Katastrophenopfer als auch die Kosten für den Wiederaufbau und die Reparatur zerstörter Wasserbauten und Brücken sowie sonstiger Infrastruktur an den Flüssen umfasste. Diese 488 BayHStA GR Fasz. 1612 Nr. 1: Schreiben des Pfleggerichts Aibling vom 31. Oktober 1787 an die Obere Landesregierung. 489 München, in: Kurfürstliche gnädigst privilegirte Münchner-Zeitung 1787, Donnerstag, den 1. Windmonat (November) 1787 (Nr. CLXXI), 685. 490 Burghausen, den 29. Okt., in: Kurfürstliche gnädigst privilegirte Münchner-Zeitung 1787, Sonnabend, 3. Windmonat (November) 1787 (Anhang zur Münchner Zeitung Nro. CLXXII).

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erhebliche Mehrbelastung des Straßen- und Wasserbauetats durch die Überschwemmungskatastrophen von 1784, 1786 und 1787 geht auch aus der für die Wasserbaukonferenz des Jahres 1788 erstellten Aufstellung der Kosten im Straßen- und Wasserbau von 1778–1787 (vgl. Tab. 1) hervor. In den Erläuterungen zu dieser Kostenaufstellung hob der Generalbaudirektor von Hofstetten die Überschwemmungen dieser Jahre als einen Faktor für die Steigerung der Ausgaben im Wasserbau neben der Übernahme zahlreicher Wassergebäude von Städten und Märkten hervor: »Waß die Waßerschäden betrift, sind das Jahre 1784 durch einen allgemeinen außerordentl[ichen] Eißstoß, und die Jahre 1786 und 1787 durch unerhörte Überschwemungen so notorisch, als famos, und überstiegen die samtlichen Straßen und Waßerbaukösten de a[nn]o 1786 jene von a[nn]o 1785, wo keine solche Überschwemungen waren […].«491 Insofern der Kostendruck insgesamt einen wesentlichen Impuls für den Wandel im Wasserbau darstellte, verstärkten die Überschwemmungskatastrophen der 1780er Jahre diesen also noch. Die Überschwemmungen dienten hier nicht nur wie in von Hofstettens Verteidigungsschriften zur Erklärung und Rechtfertigung der steigenden Ausgaben im Straßen- und Wasserbauwesen, sondern auch zur Begründung von Lösungsansätzen eines systematischen Wasserbauwesens, das Überschwemmungen minimieren und Kosten reduzieren sollte. So verweist die Präambel der Wasserbauverordnung von 1790 explizit auf die Überschwemmungsserie der 1780er Jahre als Begründung zur Einführung von Adrian Riedls System der Direktionslinien, »wodurch dem Lande die besten Grundstücke erhalten, kostbare Gebäude entübriget, und den schädlichen Ueberschwemmungen gesteuert« werde.492

4.5.2 Neuansätze in der Katastrophenhilfe Die Überschwemmungskatastrophe von 1784 hatte aber nicht nur einen allgemein verstärkenden Effekt auf die Wandelprozesse im Wasserbau, sondern löste angesichts der verursachten Schäden und der zahlreichen an die landesherrlichen Zentralbehörden gerichteten Bitten um finanzielle Beihilfen auch eine Debatte im landesherrlichen Verwaltungsapparat über die Hilfen für die von der Überschwemmung Betroffenen aus. Die übliche Form der Katastrophenhilfe, Nachlässe an Steuern und Abgaben zu gewähren, was als Bestandteil der Katas 491 BayHStA OBB (Akten) 1/1 und 1/2: »Summarischer Rechnungs Extrakt respective Conspectus. Der Kösten, welche 1mo in Baiern a.) auf Straßen Unterhaltung b.) Erhebung, und c.) auf die Waßer gebäude, dann 2do in der Obern Pfalz a.) auf Straßen Unterhaltung, und b.) auf Erhebung seit 10 Jahren, nemlich von a[nn]o 1778 bis 1787 inclusive erloffen sind. Verfast den 7ten April a[nn]o 1788.« 492 BayHStA OBB (Akten) 2134 und Staatsverwaltung 2300, Bl. 56–58; abgedruckt in Mayr, Sammlung. Band 5, 55–56.

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trophenkultur zu Hochwasser und Überschwemmungen einzuordnen ist, geriet durch die massiven Auswirkungen der Überschwemmungsserie der 1780er Jahre unter Druck. Letztlich konnte sich aber keine der vorgebrachten Alternativen gegen die Nachlasspraxis durchsetzen. So supplizierte in Folge der durch Eisstoß und Überschwemmung verursachten Schäden der Magistrat des Marktes Abbach im März 1784 an den Geheimen Rat und erbat sich sowohl einen Anteil der Abgaben aus dem Salzhandel im Salzamt Regensburg als auch in einer weiteren Eingabe an den Geistlichen Rat die Einnahmen aus einer an zwei Sonntagen abzuhaltenden Kollekte in allen bayerischen Kirchen, um die Hochwasserschäden an der Abbacher Marktkapelle beseitigen zu können.493 Der Pflegkommissar von Abbach hatte daraufhin eine amtliche Begutachtung und Schätzung der Schäden an der Kapelle, für deren Reparatur der Schätzbericht 2.004 fl. und 26 Kr. veranschlagte, vornehmen lassen. Er empfahl in seinem Gutachten an den Geistlichen Rat, der Bitte des Marktes Abbach zu entsprechen, da dessen Begründung für die Notwendigkeit der Kapelle stichhaltig sei.494 Der Geistliche Rat folgte dieser Empfehlung zunächst auch und schickte die entsprechenden Akten an die Obere Landesregierung mit der Bitte, eine entsprechende Ausschreibung zu erlassen. Diese hatte jedoch auch die Akten über Suppliken zweier Bürger aus Stadtamhof erhalten, die ebenfalls um ein sogenanntes Sammlungspatent baten. In ihrer Supplik legte die verwitwete Goldschmiedin Josepha Schlerfin dar, dass die Überschwemmung vom 28. Februar 1784 ihr Haus und Werkzeug zerstört und Schäden in Höhe von 2.630 fl. verursacht habe. Da der Vater als Ernährer fehle, sei sie nun mit vier unmündigen Kindern der Gefahr des Hungers ausgesetzt und müsse außerdem noch die auf das Haus aufgenommenen Schulden von 2.000 fl. abzahlen. Deshalb ersuche sie um ein dreimonatiges Sammlungspatent, gültig im ganzen Land, und um einen 10jährigen Erlass von Abgaben, um das Goldschmiedegewerbe wieder aufnehmen zu können.495 Zur Unterstützung ihres Anliegens konnte sie auch ein Schreiben des Bürgermeisters von Stadtamhof, Johann Michael Hotz, vorweisen, der ihre Verluste bestätigte. Der Bürgermeister begründete die Notwendigkeit eines nicht nur auf den Rentamtsbezirk, sondern auf ganz Bayern bezogenen Sammlungspatentes für Josepha Schlerfin damit, dass die Untertanen im Regierungsbezirk Straubing, sofern sie an der Donau lebten, aufgrund der Überschwemmung selbst hilfsbedürftig seien.496 Dazu erging die Resolution, dass unter Einbeziehung der Landstände Überlegungen 493 Auch für das Folgende BayHStA GR Fasz. 1612 Nr. 1. 494 BayHStA GR Fasz. 1612 Nr. 1: Schreiben des Pflegkommissars in Abbach an den Geistlichen Rat vom 17. April 1784. 495 BayHStA GR Fasz. 1612 Nr. 1: Bittschrift der Maria Josepha Schlerfin an den Geheimen Rat. 496 BayHStA GR Fasz. 1612 Nr. 1: Bestätigung der erlittenen Verluste der Maria Josepha Schlerfin durch den Bürgermeister von Stadtamhof, Johann Michael Hotz, vom 15. Mai 1784.

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anzustellen seien, wie in diesem Fall entschieden werden solle, »da Bey der grossen Anzahl der in gleichen casu sich Befündenden mit der Samlung keinem in particulari geholfen seyn mag.«497 Parallel hatte Ferdinand Sacherbacher, Schlossermeister in Stadtamhof, an den Geheimen Rat suppliziert und ebenfalls aufgrund des Verlustes seines Hauses und Werkzeugs um ein dreimonatiges Sammlungspatent in ganz Bayern ersucht, um seine Schäden von insgesamt 1.675 fl., die auch ihm durch ein »Attestat« des Bürgermeisters Hotz bestätigt wurden, ersetzen zu können.498 Im August 1784 wurden der Gemeinen Landschaft die entsprechenden Suppliken aus Abbach und Stadtamhof zugeschickt, um zur Frage der Unterstützung auch von Seiten der Landschaft für die Betroffenen Stellung zu nehmen. In ihrer Antwort versuchte die Landschaft, sorgfältig jede Verpflichtung ihrerseits zur direkten finanziellen Beihilfe auszuschließen.499 Sie wies darauf hin, dass es bis dato keinen allgemeinen Fundus zur Unterstützung von Überschwemmungsgeschädigten gebe und man bisher auf die allerdings wenig ertragreichen Kollekten zurückgegriffen habe. Von der Landschaft könne man daher auch keine gesonderte Unterstützung im Fall von »Particular-Beschädigungen« erwarten. Direkte Geldzahlungen als Hilfestellung für die Betroffenen seien auch deshalb nicht möglich, weil dies einen mehrere Millionen umfassenden Fond voraussetzen würde. Aus diesem Grund habe man ja auch von Seiten der Landesherrschaft bisher die durch Nachlässe gewährte und nicht an den eigentlichen Schadens­ summen orientierte Hilfe für die Betroffenen immer für angemessen befunden und den Supplikanten auf ihre Bittschriften genau dieses auch mitgeteilt. Die Landschaft bat darum, dass dieses Verfahren auch zukünftig eingehalten werde, und ging auch auf die konkreten Fälle aus Abbach und Stadtamhof ein, indem sie auf ihren, dem Markt Abbach wegen der Überschwemmungsschäden bereits gewährten Nachlass verwies. Für die Kollekte zum Wiederaufbau der zerstörten Marktkapelle in Abbach sei jedoch der Geistliche Rat, als Verwalter der Kircheneinkünfte, eigentlich zuständig. Da die Landschaft dem Magistrat zu Stadtamhof bereits einen Nachlass gewährt habe, sei eine darüber hinausgehende Hilfe an die Bürger Schlerfin und Sacherbacher, auch wegen des Mangels an einem geeigneten Finanzierungsfond, landesverfassungswidrig. Die beiden Supplikanten sollten also an ihren Stadtmagistrat und der Markt Abbach an den Geistlichen Rat verwiesen werden. In der Frage der »dem Publico eben so Beschwerlichen, als am Ende wenig ergiebigen Collecte« wolle man jedoch »keine Maaß geben«. 497 BayHStA GR Fasz. 1612 Nr. 1: Resolution vom 19. Juni 1784. 498 BayHStA GR Fasz. 1612 Nr. 1: Bittgesuch des Ferdinand Sacherbacher, Schlossermeister in Stadtamhof, an den Geheimen Rat und »Attestat« des Bürgermeisters von Stadtamhof, Johann Michael Hotz, vom 27. Mai 1784. 499 BayHStA GR Fasz. 1612 Nr. 1: Schreiben der »Gemeine[n] Landschaft ober und Unterlandes hier versamlete verordnete Comissarii und Rechnungs-Aufnehmer« vom 26. Januar 1785.

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Dadurch hatte die Landschaft deutlich gemacht, dass sie die bisherige Hilfe für Betroffene in Form von Nachlässen und Kollekten zwar ebenfalls für nicht wirkungsvoll hielt, aber auch keine Alternativen vorzuschlagen hatte, außer an der althergebrachten Verfahrensweise festzuhalten, und selbst nicht gewillt war, darüber hinausgehende Geldzahlungen auf sich zu nehmen. Nach dieser ablehnenden Stellungnahme der Landschaft sah sich die Obere Landesregierung genötigt, im März 1785 eine Konferenz mit der Hofkammer und dem Geistlichen Rat einzuberufen, um zu klären, »wie denen voriges Jahr verunglückten, und vielleicht etwa heuer wieder derley Unglück zu [befürchten] habenten Gemeinden, auch einzelnen Unterhanen Hilfe verschaft werden könne  […].«500 Entsprechend stand in dieser Konferenz die Problematik der Finanzierung einer anders gearteten Beihilfe für die Geschädigten der Überschwemmung des vergangenen Jahres im Mittelpunkt.501 Laut Konferenzprotokoll erklärte der Geistliche Rat, zur Einrichtung eines Fonds für eine direkte monetäre Unterstützung der Betroffenen finanziell nicht in der Lage zu sein. Man berief sich daher auf die bisher gängige Verfahrensweise, »verunglickten Unterthanen, und Abbrandlern« (Opfern von Feuersbrünsten) durch Nachlässe an Steuern und Abgaben zu helfen. Was andere Unglücksfälle betreffe, werde für die kurfürstlichen Kirchenuntertanen jedes Jahr von Beamten jeden kurfürstlichen Gerichts eine Nachlasstabelle eingesandt, um die darauf vermerkten Bedürftigen je nach ihren Umständen zu unterstützen. Allein diese jährlichen Nachlässe umfassten schon eine beträchtliche Summe, die sich im letzten Jahr durch den Eisstoß noch vermehrt habe. Für die Hofkammer gelte wohl ein gleiches in der Behandlung der ihr unterstellten Kastengerichtsuntertanen und auch die Landschaft habe sich ja der Nachlassgewährung an Geschädigte nicht entziehen können. Eine darüber hinausgehende Abgabe der Stände zur Unterstützung der Betroffenen halte man auch deshalb nicht für sinnvoll, weil die Städte und Märkte sowie ihre Stiftungen bereits jetzt überschuldet seien. Schlussendlich seien auch die durch Sammlungspatente gewährten Kollekten wenig ergiebig und dem Land allgemein eher beschwerlich. Der Geistliche Rat regte als Alternative die Einrichtung von »Feuer oder Wasserassecuranzen« (Versicherungsgesellschaften) nach dem Vorbild benachbarter Staaten an, um dadurch für die Zukunft den so Verunglückten Hilfe verschaffen zu können. Die Hofkammer stellte sich auf den Standpunkt, dass die gerichtlichen und hofmärkischen Untertanen, die von Eisstoß und Überschwemmung betroffen seien, genauso behandelt werden sollten wie im Fall von Brand, Schauer, Misswachs und Viehfall, d. h. durch entsprechende Nachlässe an Hofanlagen, Steuern und 500 BayHStA GR Fasz. 1612 Nr. 1: Schreiben der Oberen Landesregierung an den Geistlichen Rat vom 28. Februar 1785. 501 BayHStA GR Fasz. 1612 Nr. 1: Protokoll vom 18. März 1785 der Konferenz von Oberer Landesregierung, Hofkammer und Geistlichem Rat.

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grundherrlichen Abgaben. In Bezug auf die Städte und Märkte wisse man keine andere Lösung, als dass die Landschaft ihnen entsprechende Nachlässe auf ihre Abgaben gewähre, so wie sie auch die Hofkammer ihrerseits gewähren werde. Die Sammlungspatente seien hingegen »dem Lande so Lästig, als dem Beschädigten wenig nützlich […].« Ähnlich wie die Landschaft kam man damit zu dem Ergebnis, dass das bisherige Verfahren der Nachlassgewährung an Steuern und Abgaben zwar unzureichend war, aus Mangel an Alternativen und aufgrund fehlender Mittel für eine direkte finanzielle Unterstützung aber daran festgehalten werden musste, obwohl alternative Finanzierungsmodelle wie eine Hochwasserversicherung bereits im Raum standen (Adrian Riedl wird diesen Aspekt der Versicherung in seinen Memoranden zum Wasserbau wieder aufgreifen). Die Frage der landesherrlichen Hilfe für die Überschwemmungsgeschädigten war damit aber keinesfalls endgültig geklärt. Josepha Schlerfin wandte sich erneut an die Hofkammer und supplizierte um ein Sammlungspatent. Die Hofkammer schickte die Supplik zur Begutachtung an das Landgericht Stadtamhof, das hierzu ein Gutachten verfasste.502 Das Landgericht erkannte hierin zwar den erlittenen Schaden der Schlerfin an, verwies allerdings auch auf die Problematik eines fehlenden Fonds für Hilfsleistungen. Diesen Mangel erklärte das Landgericht mit einem neu in die Debatte eingeführten Rechtsgrundsatz, dem Hinweis auf die Eigenverantwortlichkeit von Flussanliegern: Man könne schließlich leicht vorhersehen, dass am Wasser gelegenes Eigentum zu Zeiten Schaden nehmen könne, worauf ja auch jeder Käufer eines dortigen Grundstücks spekuliere.503 Da die Überschwemmungskatastrophe des vorigen Jahres jedoch außergewöhnlich gewesen sei, komme dieser Grundsatz hier nicht zur Anwendung und da es auch keine Wasserassekuranzen gebe, müsse der Schlerfin entweder vom Landesherrn direkt oder durch eine Sammlung geholfen werden. Auch die Bürgerschaft von Stadtamhof hatte eine Stellungnahme zur Supplik der Schlerfin abgegeben, in der sie sich wie das Landgericht für eine landesherrliche Beihilfe oder ein

502 BayHStA GR Fasz. 1612 Nr. 1: Gutachten des Landgerichts Stadtamhof vom 5. September 1785. 503 Die Eigenverantwortlichkeit von Flussanliegern war auch im Rahmen der Finanzierung des Wasserbaus ein nicht unwichtiges Argument. Der Wasser- und Straßenbau-Inspektor A. Pichler betonte in seiner Schrift zur Finanzierungsfrage des Wasserbaus die Bedeutung der Eigenverantwortlichkeit in der Frage des Verhältnisses vom Recht auf Schutz des Eigentums und der Pflicht des Staates zur Schadensabwehr: Grundsätzlich habe zwar jeder Untertan einen Anspruch auf Schutz seines Eigentums. Er könne aber nicht verlangen, dass der Staat Summen für Schutzmaßnahmen ausgebe, die nicht dem Allgemeinwohl zu Gute kommen, sondern nur dem Schutz Einzelner dienten. Auch sei die staatliche Finanzierung von Schutzmaßnahmen gegen weitere Schäden nur dort zulässig, wo erwiesen sei, dass unvorhergesehene Umstände und nicht Nachlässigkeit und Sorglosigkeit die Ursachen für Schäden seien; Pichler, Ueber die Nothwendigkeit, 16–17.

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Sammlungspatent aussprach.504 Die mittellose Stadtkammer könne nicht mehr tun, als ihr die bürgerlichen Abgaben auf drei oder noch mehr Jahre nachzulassen, um ihr und ihren vier unmündigen Kindern zu helfen. In einem dritten Gutachten zur Supplik der Schlerfin plädierte die Rentdeputation Straubing ebenfalls für das Mitleid mit den Betroffenen.505 Dabei argumentierte sie gegen den kalkulierten Risikoansatz der Eigenverantwortung im Gutachten des Landgerichts, das – so die Interpretation der Rentdeputation – die Ansicht geäußert habe, dass der Schadensfall der Schlerfin auf einem zufälligen Unglück basiere, das der Geschädigte erdulden müsse, da man eben »zu Zeiten leiden werde«, wenn man Eigentum am Wasser habe. Die Rentdeputation sprach sich gegen »diesen kaltblütigen Satz« des Landgerichts aus, da zwischen sehr verschiedenen Schadensfällen durch Wasser zu unterscheiden sei. Bei einem vergleichsweise unbedeutenden Schaden möge man einen Supplikanten auf eine so gefühllose Weise ja noch abfertigen können. Bei beträchtlichen Verlusten jedoch, wenn einem Untertan alle Habe und die Wohnung weggeschwemmt werde und die bitterste Not eintrete, verhalte sich die Sache anders und es könne »von der wahren Menschenliebe mit Rechte die würdige Unterstützung erbethen« werden. Zwar wisse die Rentdeputation sehr wohl, dass es keinen Fond für die Unterstützung der durch Feuersbrünste und Wasserfluten Geschädigten gebe. »Aber darum ist der Schluß noch nicht richtig, daß man die unglücklichen, die ganz ohne aller Mitschuld so sehr betroffene Unterthannen ihren unseligen Zufalle ganz ohne Mitleyd überlaßen, und sie die Betrangten in ihren Nothstand Bis zum Letzten Hauch ihres mühseligen Lebens darben laßen sollte.« Weil sie also dem Ansatz des kalkulierten Risikos die unbedingte mitmenschliche Hilfe aus Mitleid gegenüberstellte, sprach sich die Rentdeputation Straubing dafür aus, Josepha Schlerfin ein Sammlungspatent für ganz Bayern zu gewähren. Jene hatte derweil in München eine erneute Supplik eingereicht und nochmals ihre entsetzliche und hilflose Lage geschildert, nachdem ihre Bitte um ein Sammlungspatent zuvor lediglich mündlich mit dem Verweis abgewiesen worden sei, dass Sammlungspatente üblicherweise nicht gewährt würden, außer im Falle von Abbrändlern. Josepha Schlerfin verwies dagegen auf ihr Elend und ihre Notlage, durch den Einbruch ihres Gewerbes mit ihren vier unmündigen Kindern als Bettlerin zu enden und Hungers zu sterben. Die Supplik betonte dabei auch die christlichen Herrschertugenden der landesväterlichen Sorge, Milde und Clementia und griff gezielt auf die rhetorische Strategie der symbolischen Anerkennung kurfürstlicher Herrschaft zurück: »Zu Euer Kurfürstl[ichen] Drtl. g[nä]d[i]gsten Füssen werfe ich mich wiederholter demüthigst, und bitte 504 BayHStA GR Fasz. 1612 Nr. 1: Schreiben der Bürgerschaft von Stadtamhof vom 30. August 1785. 505 BayHStA GR Fasz. 1612 Nr. 1: Stellungnahme der Rentdeputation Straubing vom 8. September 1785.

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mit gefaltenen Händen um Gottes Willen, Höchstdieselbe wollen mein äusserstes Elend beherzigen […].«506 Dieser Appell änderte jedoch nichts am landesherrlichen Beschluss der Konferenz vom März 1785, lediglich Nachlässe an Steuern und Abgaben zu gewähren, so dass auch diese letzte Supplik der Josepha Schlerfin, um keinen Präzedenzfall zu schaffen, abgelehnt wurde.507 Zwei Jahre später im Zuge der Hochwasser im Juni und August 1786 gingen vermehrt Suppliken mit den Bitten um die Erteilung von Sammelpatenten ein,508 die jedoch sämtlich unter Verweis auf die seit der Konferenz vom März 1785 befolgte Praxis, keine Sammlungspatente für Hochwassergeschädigte zu bewilligen, abgelehnt wurden. Die Regierung Burghausen schrieb unter dem Eindruck der zahlreichen mündlichen wie schriftlichen Eingaben um landesherrliche Unterstützung an den Geheimen Rat und bat im Hinblick auf »dieser verunglückten Unterthanen äußerst trostlosen Laage« um Weisung, wie sie mit den Bittschriften verfahren solle, da es bisher keine offizielle Anordnung bezüglich der Unterstützung der Überschwemmungsgeschädigten gebe.509 In ihrer Stellungnahme zur Anfrage der Regierung Burghausen erinnerte die Obere Landesregierung daran, dass sich die Gemeine Landschaft bereits bezüglich der Überschwemmungsschäden des Jahres 1784 geweigert habe, anders als durch Nachlässe an landschaftlichen Abgaben zu helfen. Insofern sei auch jetzt keine andere Position der Landschaft zu erwarten.510 Im März 1787 erging dann schließlich ein Rescript an die Obere Landesregierung, das die seit 1784 in der Schwebe gebliebene Frage der Unterstützung von durch Hochwasser und Überschwemmung Geschädigten dahingehend klärte, dass lediglich durch Nachlässe an grund- und landesherrlichen Steuern und Abgaben geholfen werden könne und die betroffenen Untertanen sich bei den jeweils zuständigen Stellen zu melden hätten.511

506 BayHStA GR Fasz. 1612 Nr. 1: Weitere Supplik der Maria Josepha Schlerfin, möglicher­ weise direkt in München verfasst und aufgegeben. 507 BayHStA GR Fasz. 1612 Nr. 1: Resolution vom 24. September 1785. 508 BayHStA GR Fasz. 1612 Nr. 1: Supplik von Johann Baptist Fröhlich aus Burghausen [August 1786], von Ferdinand Sacherbacher, Schlossermeister aus Stadtamhof, vom 22. Juli 1786, von Johann Wüschhauser, Fischer aus dem Markt Garß, zwei Suppliken von Georg Ehrmair, Bürger und Metzger zu Aibling, Supplik von Joseph Hueber aus dem Kastenamt Wasserburg, von Jakob Wischlburger, bürgerlicher Bierbräuer im Markt Märkl, von Anna Maria Alberer, Witwe des Fischers und Schiffers Georg Alberer; BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1669: Supplik von Joseph Sedlmayr aus der Wolckmansdorfer Au im Gericht Moosburg. 509 BayHStA GR Fasz. 1612 Nr. 1: Schreiben der Regierung Burghausen an den Geheimen Rat vom 18. Dezember 1786. 510 BayHStA GR Fasz. 1612 Nr. 1: Schreiben der Oberen Landesregierung an den Kurfürsten vom 9. Januar 1787. 511 BayHStA GR Fasz. 1612 Nr. 1: Rescript vom 27. März 1787.

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Noch in den 1790er Jahren wiederholte sich das Schema von Suppliken mit den Bitten um Sammelpatente, die durch Teile des kurfürstlichen Verwaltungsapparates auf den Ebenen der Landgerichte und Regierungen unterstützt und schließlich durch die landesherrlichen Zentralbehörden unter Verweis auf die Hilfe durch Nachlässe an Steuern und Abgaben abgelehnt wurden. In diesem Zusammenhang wurde auch eine Konkurrenz von Opfersituationen in Folge von Überschwemmungskatastrophen und Feuersbrünsten konstruiert, die die Zurückweisung von Hilfegesuchen durch die Landesherrschaft erlaubte, da eine Unterstützung von Hochwassergeschädigten durch Sammlungspatente das Publicum zusätzlich beschwere und die Abbrändler benachteilige. In diesem Sinne betonte die Obere Landesregierung in einem Schreiben von 1799, dass, solange die finanzielle Hilfe für die durch Wasser Geschädigten nicht endgültig geklärt und auf solide Grundlage gestellt sei, für diese auch keine Sammlungspatente erteilt werden könnten, weil sonst die Abbrändler durch die eintretende Vermehrung der Sammlungspatente im ganzen Land noch weniger Hilfe erhielten.512 Da diese Klärung der finanziellen Grundlagen einer Hilfe für Hochwassergeschädigte nicht erfolgte, konnte sich die Landesherrschaft einer direkten Hilfsleistung entziehen und es blieb bei der Verfahrensweise der Nachlässe an grund- und landesherrlichen Steuern und Abgaben.

4.6 Innovation durch Konflikt: Streitfall Wasserbau Die Bewältigung von Hochwasser bzw. Überschwemmungen kann das Moment der sozialen Einheit im Katastrophenfall beinhalten, wie das Beispiel nationaler Integrationsprozesse in der Schweiz im 19. Jahrhundert zeigt. Hier dienten Hochwasserkatastrophen und Bergstürze zur Inszenierung nationaler Einheit und Identität in der Form überkantonaler Hilfs- und Spendenaktionen.513 Die Naturgefahr Hochwasser barg jedoch auch immer Konfliktpotenziale bezüglich der Kompetenzverteilung und Finanzierung im Bereich der Vorsorge und hinsichtlich unterschiedlicher Interessenlagen im Umgang mit der Naturkatastrophe insgesamt sowie mit dem jeweiligen Naturraum im Besonderen, in dem die Katastrophe lokalisiert war.514 Wie bereits im Zuge der Behandlung der Inszenierung von Herrschaft im Naturraum Fluss und anhand der Entwicklungen im Wasserbau deutlich wurde, war der Wasserbau in Kurbayern ein beständiges Konfliktfeld unterschiedlicher Parteien und Interessen am Fluss. Dabei zeichnen sich Konfliktmuster und Argumentationsfiguren in der Auseinandersetzung ab, 512 BayHStA GR Fasz. 1612 Nr. 1: Schreiben der Oberen Landesregierung vom 22. April 1799 an die Regierung Straubing. 513 Pfister, Naturkatastrophen als nationale Mobilisierungsereignisse. 514 Lübken, Naturschutz, 282–283.

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die nicht nur für Bayern zu beobachten sind, sondern auch in parallelen Konfliktszenarien sowohl im süddeutschen Raum als auch in anderen europäischen Regionen auftauchten. Die Konflikte um den Wasserbau waren jedoch nicht auf ihren Aushandlungscharakter herrschaftlicher Ansprüche oder unterschiedlicher Interessenlagen der anrainenden Parteien am Fluss beschränkt, sondern konnten auch innovatorische Funktion haben. Einerseits beförderten die zur Konfliktlösung entwickelten Ansätze die Wandelprozesse im Wasserbau und andererseits erhöhte die schiere Anzahl und Dauerhaftigkeit von Konfliktszenarien den Druck zur Entwicklung wasserbaulicher Systematiken, die das Konfliktpotenzial im Naturraum Fluss reduzieren sollten.

4.6.1 Wasserbau als Politikum Allgemein ist der Wasserbau nicht nur im Bayern des 18. Jahrhunderts, sondern auch im süddeutschen und darüber hinaus gehenden europäischen Raum ein Konfliktfeld zwischen Nachbarstaaten gewesen, wenn es um die Frage der durch Flüsse markierten Grenzen und ihre wasserbauliche Sicherung ging. So spielten Konflikte über Grenzverläufe entlang von Flüssen auch im Italien des 17. Jahrhunderts eine Rolle, etwa bei dem Streit zwischen den Gemeinden Monterchi und Citerna über den Verlauf des Flusses Ricianello, der die Grenze zwischen dem Großherzogtum Toskana und dem Kirchenstaat bildete.515 Einerseits war der örtliche Konflikt zwischen beiden Dörfern Ausdruck des Interesses von Grundbesitzern an der Vermehrung des eigenen Besitzes, wurde aber von den staatlichen Akteuren beider Seiten auch als »eine Beeinträchtigung der eigenen staatlichen Integrität und Souveränität« sowie der Freundschaft (amicitia) in den Beziehungen beider Staaten wahrgenommen.516 Durch eine Inszenierung von Herrschaft und diplomatischer Eintracht im Raum des Fluss sollte beides wiederhergestellt werden. Zu diesem Zweck wurde 1614 eine gemeinsame Begutachtung mit Vertretern beider Seiten vorgenommen, die durch den Baumschlag und die Überschwemmungen entstandene Schäden feststellen und dabei besonders die harmonische Zusammenarbeit beider Nachbarstaaten symbolisch darstellen sollte.517 515 Wieland, Grenzen, 149–152. Monterchi hatte durch Eingriffe auf seiner Uferseite Breite und Lauf des Flusses verändert und damit sein Gebiet und das des Großherzogtums Toskana auf Kosten Citernas und des Kirchenstaates erweitert. Zugleich hatte die Gemeinde Monterchi Dämme angelegt, die sie vor den saisonalen Hochwassern im Frühjahr und Herbst schützten, was jedoch für Citerna eine höhere Exponiertheit gegenüber Überschwemmungen bedeutete. 516 Ebd., 150. 517 Dass letzterer Aspekt dabei im Vordergrund stand, wird an der Arbeit der aus Vertretern des Kirchenstaates und des Großherzogtums Toskana zusammengesetzten Expertenkommission deutlich, die Lösungen für den Fluss- und damit Grenzverlauf vor Ort erarbeiten

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Die juristische Variante eines solchen wasserbaulichen Konflikts zwischen Nachbarherrschaften stellt der Streit zwischen dem Fürststift Kempten und der Reichsstadt Kempten um Wasserbau an der Iller und ihre Flussbettführung dar.518 Hier hatte im 17. Jahrhundert, besonders in den 1670er bis 1680er Jahren, ein Streit zwischen beiden Reichsterritorien seinen Ausgang genommen, in dem das Stift die Rückführung der Iller in ein altes Flussbett forderte, was die Reichsstadt ablehnte. Zentral für diesen Konflikt waren die beiden stiftischen Untertanen Kaspar und Johann Georg Rauch, die sich durch einen von der Reichsstadt verantworteten Wasserbau an der Iller geschädigt sahen, der das Bett des Flusses verlegt hatte. Nachdem sie ihrerseits einen Wasserbau in die Iller gesetzt hatten, der sie in ihr altes Flussbett zurückversetzte, strengte die Reichsstadt Kempten einen Kammergerichtsprozess in dieser Sache an. Am 28. April 1681 erging der Bescheid des Reichskammergerichts in Speyer an das Fürststift Kempten, in dem das Gericht zugunsten der klagenden Reichsstadt entschied. Das Fürststift wurde angewiesen, auf seine Kosten oder die seiner beiden Untertanen die schädlichen Wasserbauten an der Iller wieder zu demontieren und dem Fluss seinen »gewöhnlich und natürlichen Lauff« wiederzugeben bzw. diesen unangetastet zu lassen. Der Reichsstadt und ihren Bürgern sei der entstandene Schaden zu ersetzen. Wie im Falle der bereits behandelten Wasserbaukonflikte zwischen Kur­ bayern und seinen Nachbarstaaten waren diese Auseinandersetzungen auch durch den Aspekt der Inszenierung von Herrschaft am und über den Grenzraum Fluss bestimmt, so dass Herrschaft an ihrer Peripherie performativ sichtbar wurde. Allerdings mussten solche Konflikte nicht zwangsläufig konfrontativ geführt werden, sondern konnten auch die Demonstration von Einigkeit zwischen Nachbarstaaten zur Folge haben, wie es der Kirchenstaat und das Großherzogtum Toskana praktizierten. Erkannte Gefahrenquellen an Grenzflüssen wurden von Nachbarstaaten auch in Kooperation mit gemeinsam geplanten und finanzierten Wasserbaumaßnahmen gesichert wie im Falle des Hochstifts Augsburg und des Fürststifts Kempten. Beide einigten sich nach Planungen in den Jahren 1772/73 auf die gemeinsame Finanzierung und Durchführung eines Wasserbaus an der Wertach bei Thalhofen, um eine dortige Viehweide im fürststiftischen Besitz abzusichern.519 Kleinere Territorialstaaten schlossen sich zum Zwecke gemeinsamen, kooperativen Wasserbaus bzw. Hochwasserschutzes auch zu Wassergenossenschaften zusammen, wie das Beispiel der Illsassen an der Ill im Elsass zeigt, die als Zusammenschluss regionaler Herrschaften, Städte und sollte. Ihre Vorschläge fanden in der Folge keinerlei Umsetzung und der Fluss Ricianello änderte im Folgejahr 1615 sein Bett, was die erarbeiteten Projekte der Kommission hinfällig machte. 518 Für das Folgende St AAu Fürststift Kempten Acta Civitatica 91. 519 St AAu Hochstift Augsburg Neuburger Abgabe Akten 1093: »Relation. Über den vorhabenden Wasser Bau in der S. V.  Vich Weyde von Dalhofen /: Welche der Wertach Fluß durchstreichet :/ […].« vom 22. Dezember 1772 bzw. dem 27. Januar 1773.

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Gemeinden seit dem 14. bis ins 17. Jahrhundert hinein ein eigenes Flussregime auf der Ill führten und diverse Maßnahmen zum wasserbaulichen Hochwasserschutz am Fluss und zur Konfliktregelung organisierten.520 Ein solches gemeinsames Naturgefahrenmanagement konnte auch am Ende von Streitigkeiten Kurbayerns mit seinen Nachbarstaaten um Grenzfragen an den veränderlichen Flussverläufen stehen. In Konfliktszenarien mit dem Erzstift Salzburg und der österreichischen Grafschaft Tirol entstanden rechtliche Regelungen und auch gemeinsam durchgeführte Wasserbauansätze als Lösungen, die Teil der Entwicklung zum systematischen Wasserbau in Kurbayern waren und insbesondere den Ansatz der Direktionslinien in der Praxis entwickelten, bevor er in der Theorie ausgearbeitet wurde. Zwischen Kurbayern und dem Erzstift Salzburg entwickelte sich Anfang des 18. Jahrhunderts ein Konflikt über den Wasserbau an der Salzach, deren Verlauf die Grenze zum damals noch kurbayerischen Innviertel bildete. Ende März 1716 berichtete das Pfleggericht Wildhut an die Regierung Burghausen, dass am Seidlgraben an der Salzach, durch den seit jeher die Naufahrt der bayerischen Salzschifffahrt führe, ein Schlachtgebäude errichtet worden sei, das die dortige Fahrrinne versperre und die Salzach in Richtung des bayerischen Ufers ablenke.521 Diese Unternehmung des salzburgischen Pfleggerichts Tittmoning verstoße gegen die geltenden Verträge mit Salzburg in Wasserbauangelegenheiten. Der Wildhuter Pfleger hatte zuvor bereits ein Protestschreiben an das Pfleggericht Tittmoning geschickt und dieses aufgefordert, den Bau zu stoppen und wieder abzureißen, darauf jedoch als Reaktion nur die Ankündigung einer ausführlichen Antwort erhalten. Der Wildhuter Pfleger interpretierte das in seinem Bericht an die Regierung Burghausen als Verzögerungstaktik, um die Angelegenheit zu verschleppen und mit der Errichtung des Schlachtgebäudes Fakten zu schaffen, bevor Kurbayern auf diese Vertragsverletzung und Schmälerung seines Territoriums reagieren konnte. Auch hier spielte also das Moment der Souveränität über das Territorium, wie es sich in den anderen Konflikten Kurbayerns mit seinen Nachbarstaaten artikulierte, von Anfang an eine Rolle.

520 Schenk, Managing, 42–44. In Kurbayern sind ebenfalls Wassergenossenschaften anzutreffen, aber hier als Zusammenschlüsse von nichtstaatlichen Flussanrainern zum gemeinsam finanzierten und unterhaltenen Wasserbau. Das Beispiel der Harlachinger Wassergenossen und denen von der Giesinger Au, beide an der Isar, ist bereits angeführt worden. Dass die Wassergenossenschaften als Zusammenschlüsse von Flussanrainern und -nutzern allerdings keine größere Rolle als Finanzierungsmodell des Wasserbaus im Kurbayern des 18. Jahrhunderts spielen, mag daran gelegen haben, dass mit den Konkurrenzen eine Alternative existierte, bei der die Landesherrschaft nicht außen vor war, sondern die organisatorische und bautechnische Kontrolle hatte, um ihre Vorstellungen von der Gestaltung der Flusslandschaften durchzusetzen. 521 BayHStA Kurbayern Geheimes Landesarchiv 919, Bl. 1–2: Schreiben des Pfleggerichts Wildhut vom 27. März 1716 an die Regierung Burghausen.

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Die Regierung Burghausen wandte sich sofort an den Salzburger Hofrat und trug den Protest des Pfleggerichts Wildhut an die Salzburger Zentralbehörde weiter mit der Bitte um Stillstand der Bauarbeiten, bis eine Inaugenscheinnahme abgehalten werden könne.522 In der Zwischenzeit hatten die beiden Pfleggerichte Tittmoning und Wildhut bereits eine solche gemeinsame Inaugenscheinnahme des Salzburger Wasserbaus an der Salzach vorgenommen. Wie letzteres an die Regierung Burghausen berichtete,523 sei »in der haubtsach aber, ausser vill gschray, nichts anders ausgemacht worden«, als eine Kommission zur Ortsbegehung von höherer Stelle zu erbitten. Die Regierung Burghausen veranlasste daraufhin eine solche Begutachtung durch den Neuenöttingischen Brückenmeister und den Wildhuter Wasserbaumeister, zugleich burghausischer Zimmerpollier. Das Votum dieser kurbayerischen Wasserbauexperten fiel eindeutig aus: Sie empfahlen den unverzüglichen Abriss der Salzburger Beschlacht am Seidlgraben, da sie die Salzach zur bayerischen Seite hin ablenke. Für diesen, notfalls auch ohne Zustimmung der Salzburger Seite durchzuführenden Abriss müsse von der Hofkammer und der Regierung Burghausen eine Kommission eingesetzt werden, zu der nicht nur die beiden Werkmeister, sondern auch fremde unparteiische Bau- und Wasserverständige hinzuzuziehen wären.524 Die Regierung Burghausen schloss sich in ihrem Schreiben an die Hofkammer der Position des Gutachtens an, vor allem um zu verhindern, dass durch die einseitig von Salzburg vorgenommene Wasserbaumaßnahme die Salzach zur bayerischen Seite hinübergetrieben werde, Kurbayern dadurch Land verliere und die Schifffahrt auf der Salzach behindert werde.525 Das Argument der territorialen Souveränität wurde also von der untersten Ebene des Pfleggerichts bis hinauf zur Hofkammer transportiert und bestimmte neben der Gefährdung der bayerischen Salzschiff-fahrt auf der Salzach entscheidend die bayerische Perspektive auf den Wasserbaukonflikt, was sich auch in der diesbezüglichen Kommunikation mit dem Erzstift Salzburg widerspiegelt. In der Folge wurde der Salzburger Wasserbau zwar durch ein Hochwasser stark beschädigt, sollte aber als Beschlacht wieder aufgebaut und noch verstärkt werden. Wie das salzburgische Pfleggericht Tittmoning seinem bayerischen Gegenüber in Wildhut mitteilte, geschehe das vor allem, um einem drohenden Einbruch der Salzach am Seidlgraben vorzubeugen.526 Auch der Salzburger 522 BayHStA Kurbayern Geheimes Landesarchiv 919, Bl. 6–7: Schreiben der Regierung Burghausen an den Hofrat des Erzstifts Salzburg vom 30. März 1716. 523 BayHStA Kurbayern Geheimes Landesarchiv 919, Bl. 8–9: Schreiben des Pfleggerichts Wildhut an die Regierung Burghausen vom 31. März 1716. 524 BayHStA Kurbayern Geheimes Landesarchiv 919, Bl. 18–19: Protokoll der Inaugenscheinnahme vom 7. Mai 1716. 525 BayHStA Kurbayern Geheimes Landesarchiv 919, Bl. 20–27: Bericht der Regierung Burghausen an die Hofkammer vom 12. Mai l716. 526 BayHStA Kurbayern Geheimes Landesarchiv 919, Bl. 30–31: Schreiben des Pfleggerichts Tittmoning an das Pfleggericht Wildhut vom 23. Juni 1716.

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Hofrat betonte gegenüber der Burghausener Regierung die Gefahr durch die Salzach als Grund für den Wasserbau. Um dem Protest des Pfleggerichts Wildhut entgegenzukommen, schlug er jedoch auch die Abhaltung einer Konferenz und gemeinsamen Begutachtung vor.527 In ihrem Bericht an den Geheimen Rat unterstützte die Regierung Burghausen diese Anregung. Sie habe dem Salzburger Hofrat vorgeschlagen, in allen Streitigkeiten zwischen den bayerischen Land- und Pfleggerichten mit ihren salzburgischen Nachbarn alles beim derzeitigen status quo zu belassen, bis die angedachte gemeinsame Konferenz abgehalten werden könne. Man habe den Salzburger Hofrat daher auch gebeten, den Bau der Beschlacht bis zur Konferenz zu stoppen. Der Salzburger Hofrat habe darauf erwidert, dass man mit dem Bau innehalten wolle, um guten Willen zu zeigen, sofern nicht eine dringende Notwendigkeit zur Vermeidung von Hochwasserschäden eine Weiterführung des Baus erforderlich mache.528 Jedoch kam diese Konferenz erst zwei Jahre später zustande. Während die Regierung Burghausen alte Rezessakten sammelte und Relationen zum Wasserbaustreit verfasste, setzten sich die bayerischen Proteste gegen den Salzburger Wasserbau an der Salzach fort, nachdem die Bauarbeiten wiederaufgenommen worden waren, was das Pfleggericht Tittmoning und der Salzburger Hofrat mit der Gefahr von Hochwasserschäden begründeten. Der Salzburger Fürstbischof persönlich wiederholte den Vorschlag zu einer gemeinsamen Konferenz, um die Wasserbaustreitigkeiten beizulegen.529 Auch die an der fraglichen Stelle der Salzach anrainenden, bayerischen bäuerlichen Untertanen des Pfleggerichts Wildhut meldeten sich im Januar 1719 mit einer Supplik an die Regierung Burghausen zu Wort. Sie beschwerten sich darüber, dass der widerrechtliche salzburgische Wasserbau den Fluss zum kurbayerischen Ufer hinübertreibe und ihre Häuser und Gründe der Gefahr aussetze, vom Fluss weggerissen zu werden. Auch die Salztreiber des Pfleggerichts Wildhut wandten sich im Januar 1719 an die Regierung Burghausen. In ihrer Supplik beklagten sie die Sperrung des Seidlgrabens für die Naufahrt, da sie nun gezwungen seien, einen weiten Umweg in Kauf zu nehmen, wodurch sie mindestens zwei Stunden Fahrtzeit verlören, was sich negativ auf ihre Lohnzahlungen auswirke.530

527 BayHStA Kurbayern Geheimes Landesarchiv 919, Bl. 32: Schreiben des Hofrats des Erzstifts Salzburg an die Regierung Burghausen vom 25. August 1716. 528 BayHStA Kurbayern Geheimes Landesarchiv 919, Bl. 57–58 und 59–60: Bericht der Regierung Burghausen an den Geheimen Rat vom 14. Juni 1717. 529 BayHStA Kurbayern Geheimes Landesarchiv 919, Bl. 103–104: Schreiben des Salzburger Fürstbischofs vom 3. Oktober 1718. 530 BayHStA Kurbayern Geheimes Landesarchiv 919, Bl. 118–119: Supplik bäuerlicher Untertanen des Pfleggerichts Wildhut vom Januar 1719 an die Regierung Burghausen, Bl. ­121–122: Supplik der Salztreiber des Pfleggerichts Wildhut vom Januar 1719 an die Regierung Burghausen.

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Nachdem der Geheime Rat die Vorbereitung einer gemeinsamen Konferenz mit dem Erzstift Salzburg angeordnet hatte,531 kam es Ende Januar und Anfang Februar 1719 zu mehreren Konferenzen zwischen dem Hofrat, der Regierung Burghausen und der Hofkammer, die die Zusammenkunft mit Salzburger Vertretern zur Klärung der Wasserbaustreitigkeiten vorbereiteten. Auf der Grundlage einer Relation der Regierung Burghausen und der Durchsicht der im Streitfall mit Salzburg angefallenen Akten legten die Konferenzteilnehmer die bayerische Position in den kommenden Verhandlungen fest: Der Salzburger Wasserbau wurde als widerrechtlich betrachtet und sollte abgerissen werden, um die Beeinträchtigung bayerischer Territorialrechte durch die Verlagerung der Salzach zu beenden. Außerdem müsse der Seidlgraben wieder geöffnet werden, um die Naufahrt nicht mehr zu behindern. Anfang März 1719 sollten sich dann Vertreter des Hofrats, der Regierung Burghausen und der Hofkammer zu einer gemeinsamen Konferenz mit der Salzburger Seite in Wildhut einfinden, um die Beeinträchtigung der Salzschifffahrt und die Schmälerung der kurbayerischen Territorialrechte durch den widerrechtlichen salzburgischen Wasserbau am Seidlgraben zu beenden.532 Zu diesem Zweck sollten die salzburgischen Abgeordneten für diesen Kongress sich bereits frühzeitig am 8. März nach Wildhut begeben, um die Gelegenheit zu nutzen, Präliminarien für eine Lösung des Streits mit den kurbayerischen Vertretern zu erarbeiten, die dann beim stattfindenden Hauptkongress auszuarbeiten wären. Als Leitlinien ihrer Verhandlungen wurde den kurbayerischen Deputierten für diesen Kongress mitgegeben, dass sie besonders unter Aufrechterhaltung gutnachbarschaftlichen Einvernehmens die landesherrlichen Territorialrechte zu verteidigen und zu erhalten sowie Schaden von den kurbayerischen Untertanen abzuwenden hätten. Zentral für den Verhandlungsauftrag war neben der Schadensabwehr für die Flussfahrt und die Flussanrainer also der kurbayerische Souveränitätsanspruch über das eigene Territorium, der gegen die Salzburger Einflussnahme auf die Salzach am Seidlgraben verteidigt werden sollte. Wohlgemerkt ging es dabei nicht in erster Linie um die Aufrechterhaltung des ungeschmälerten Bestandes kurbayerischen Territoriums in seiner räumlichen Ausdehnung. Vielmehr stand die Behauptung der prinzipiellen herrschaftlichen Verfügungsgewalt über den Raum am Fluss im Mittelpunkt, die von der Salzburger Seite durch ihren Wasserbau in Frage gestellt worden war und nun auf dem Verhandlungswege wiederhergestellt werden musste.

531 BayHStA Kurbayern Geheimes Landesarchiv 919, Bl. 107–108: Resolution des Geheimen Rats an den Hofrat vom 22. November 1718. 532 BayHStA Kurbayern Geheimes Landesarchiv 919, Bl. 159–161: Anweisung des Geheimen Rats an die Konferenzteilnehmer aus Hofrat, Regierung Burghausen und Hofkammer vom 27. Februar 1719.

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In tagelangen Verhandlungen vom 4. bis 11. März 1719, deren Ergebnisse in Tagesprotokollen festgehalten wurden,533 entwarfen die kurbayerischen und salzburgischen Deputierten die Grundzüge eines Vertrages, der von beiden Seiten am 11. März unterzeichnet wurde.534 Gemäß ihren Instruktionen bezeichneten die kurbayerischen Vertreter in den Verhandlungssitzungen den Salzburger Wasserbau unter Verweis auf alte Rezesse als rechtswidrig und forderten seinen Abriss. Die Salzburger Seite hielt dem entgegen, dass die Rezesse nur auf die Naufahrt und nicht auf die davon unberührten Wassergräben bezogen seien. Auch seien sie zu diesen Wasserbauten durch die seinerseits von Kurbayern widerrechtlich errichteten Wasserbauten gezwungen worden. Das Diarium der Verhandlungen hielt als Zusammenfassung beider Positionen in bemerkenswerter Offenheit und präziser Analyse fest, dass die beiderseitige Hoffnung auf Vergrößerung oder Erhalt des eigenen Territoriums Ursache des Konflikts sei: So verlaufe die Naufahrt zwischen den beiderseitigen Territorialgrenzen auf einem veränderlichen Fluss, der beständig einem anderen Rinnsal folge. Daraus ergebe sich die Situation, dass sowohl Kurbayern als auch Salzburg aus Furcht, an Territorium zu verlieren, oder in der Hoffnung, das eigene Territorium zu vergrößern, Wasserbauten und Beschlachten anlegten, um dadurch auch den Verlauf der Naufahrt zu verschieben. Die Indienstnahme des Wasserbaus zur Territorialausdehnung auf Kosten des Grenznachbarn wird damit explizit als Ursache benannt. Zur Lösung dieser Konfliktlage setzte man im verabschiedeten Rezess vom 11. März 1719 an dem Punkt der Veränderbarkeit des Flussverlaufes an. Der Flussraum der Salzach sollte nunmehr entlang einer abstrakten geometrischen Mittellinie definiert werden, die als Grundlage der festen Bestimmung der beiderseitigen Landesgrenzen diente. Außerdem wurden in Richtung der Ufer Parallellinien zu dieser Mittellinie gezogen, die einen Raum markierten, innerhalb dessen keinerlei Wasserbau betrieben werden durfte. Jenseits dieser Linien stand es wiederum jeder Seite frei Wasserbauten zu errichten, jedoch nur solche, die zum Uferschutz dienten und nicht die Stromrichtung beeinflussten. Wasserbauverständige beider Seiten hatten dazu Grundrisse anzufertigen, die sowohl die nunmehr festgelegte Mittellinie als beiderseitige Territorialgrenze als auch die beiden Parallellinien beinhalten sollten. Die in den Rissen festgehaltene Grenzscheidung sollte mit nummerierten Markpfählen im Fluss kenntlich gemacht werden, die von Zeit zu Zeit besonders nach Hochwassern beidseitig von den jeweiligen Beamten kontrolliert, bei Bedarf erneuert und somit perpetuiert werden sollten. 533 BayHStA Kurbayern Geheimes Landesarchiv 919, Bl. 172–187: »Diarum respective tägliche Relation«. 534 BayHStA Kurbayern Geheimes Landesarchiv 919, Bl. 188–191: Rezess zwischen dem Erzstift Salzburg und dem Kurfürstentum Bayern vom 11. März 1719.

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Anfang 1720 wurde dieser Vertrag von beiden Seiten ratifiziert und damit der Wasserbaukonflikt zwischen Kurbayern und dem Erzstift Salzburg an der Salzach auf der Grundlage einer rechtlichen Regelung im Prinzip beigelegt. Allerdings waren noch die Fragen des genauen Verlaufs der Mittellinie als Territorialgrenze und der beiden Parallellinien in gemeinsamer Übereinkunft zu klären, was bis zum Ende der 1720er Jahre andauerte. Auch mussten die im Fluss gesetzten Markpfähle immer wieder kontrolliert und nach Beschädigungen durch Hochwasser und sonstige Ereignisse neu gesetzt werden, was wiederum gegenseitige Konsultationen, Begutachtungen und neue Streitigkeiten zur Folge hatte.535 Auch waren damit neue Konfliktszenarien nicht ausgeschlossen, wie die Beschwerde des Pfleggerichts Tittmoning an das Pfleggericht Wildhut im Jahr 1751 über gegen den Rezess verstoßendes Griesscharren (Ausgraben des Flussbettes) zeigt, das jenseits der Territorialscheidungslinie und damit auf salzburgischem Territorium erfolgt sei.536 Wasserbauliches Konfliktpotenzial zwischen Kurbayern und Salzburg an der Salzach war durch den Rezess von 1719 also nicht zur Gänze abgebaut worden, hatte jedoch einen neuen rechtlichen Rahmen erhalten, auf den sich beide Seiten berufen konnten. Diese Übereinkunft stellte außerdem den Grenzverlauf auf eine stabilere Grundlage, indem sie ihn nicht mehr den Wirkkräften des Flusses und seinem veränderlichen Verlauf überließ, sondern abstrakt kartographisch durch gesetzte geometrische Linien definierte, aber auch räumlich im Fluss selbst durch Markpfähle sichtbar machte. Vor allem aber wurde hier eine rechtliche Regelung des Wasserbaus zwischen zwei Nachbarstaaten eingeführt, die in der Praxis vorwegnahm, was Adrian Riedl erst 1794 in seiner Preisschrift mit dem Direktionsliniensystem theoretisch definieren sollte. Der vornehmliche Zweck der Direktionslinien im Rezess von 1719 war jedoch die Konfliktregulierung, so dass hier eine weitere Funktion dieses systematischen Wasserbauansatzes ersichtlich wird, der nicht nur gegen Hochwasser und Überschwemmungen vorbeugen sollte, sondern den Fluss als soziales Objekt, als naturräumlichen Grenzmarker betraf. Auch in einem weiteren wasserbaulichen Grenzkonflikt Kurbayerns mit einem Nachbarstaat, der Habsburger Grafschaft Tirol, wurde die Direktions­ liniensystematik als Lösungsansatz eingesetzt. Seit dem 16. Jahrhundert war hier der Grenzverlauf zwischen Kurbayern und Tirol am Inn im Abschnitt zwischen Ebbs und Erl (auf dem Tiroler Ufer liegend)  umstritten.537 Der Oberlandes­ regierungsrat Josef von Stichaner verfasste 1797 einen Kommissionsbericht über die Grenze des bayerischen Gerichtsbezirks Auerburg zu Tirol, in dem er die Geschichte der dortigen Grenzstreitigkeiten zusammenfasste. Demnach gingen 535 Entsprechende Akten bis ins Jahr 1777 in BayHStA OBB (Akten) 2570. 536 Vgl. dazu BayHStA Erzstift Salzburg Hofrat 964. 537 Für das Folgende Leidel / Franz, Katalog, 219–223.

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die Auseinandersetzungen bis 1540 zurück und führten schon im 16. Jahrhun­ dert zu ersten vertraglichen Übereinkünften, nur im gegenseitigen Einverständnis Wasserbau am Inn zu betreiben. Im 17. Jahrhundert schien der Konflikt daher befriedet, flammte aber Anfang des 18. Jahrhunderts wieder auf. Die Tiroler Gemeinde Ebbs wollte den Inn, der eine zu ihrer Seite gewölbte Flussschleife aufwies, begradigen und seinen Verlauf sogar zum bayerischen Ufer hinüber lenken, so dass eine konvexe Schleife und Bodenzugewinn für Tirol das Resultat gewesen wäre. Darauf reagierte die bayerische Seite wiederum mit eigenen Wasserbauten und ein ›Wasserbaukrieg‹ war die Folge, in dem die tirolsche oder bayerische Seite jeweils eine Arche am Fluss errichtete und die andere Partei wiederum Gegenarchen baute, die die Wirkung des feindlichen Wasserbaus neutralisieren sollte. In seiner »Relation« von 1752 zum Wasserbaukonflikt mit Tirol am Inn beschrieb der kurfürstliche Hofrat Maximilian Gaudenz von Hagenau die Streitigkeiten als eine Abfolge geschlossener und wieder gebrochener Verträge, wobei Tirol als der schuldige Teil präsentiert wird.538 Es habe mehrere Kongresse und Zusammenkünfte in dieser Streitsache gegeben, in denen »besonders […] die Gefahr der yberschwemmung der Aurburgischen Gründe« behandelt worden sei. Ein Einlenken von Seiten Tirols habe man hier erst dadurch erreichen können, dass eine Sperre der Fuggerschen Schmelzwerke auf bayerischem Boden und des davon abhängigen Handels veranlasst worden sei. Daraufhin habe die Tiroler Seite den Hauptvertrag vom 29. August 1718 akzeptiert. Hierin einigte man sich auf eine Beilegung des Konflikts, indem beide Seiten auf den Bau aggressiver, den Flusslauf verändernder Wasserbauten verzichteten und sich darauf verständigten, den Inn so frei laufen zu lassen, »wie Ihn Gott und die Natur anweißen wirdet […].«539 Parallel hatte sich ein zweites Konfliktszenario in der Region zwischen dem bayerischen Niederaudorf und dem tirolschen Erl ergeben, da die bayerische Seite dort ohne Wissen der Tiroler Partei und in Verletzung der alten Rezesse aus dem 16 Jahrhundert eine Arche errichtet und bis 1729 stetig erweitert hatte.540 Die Tiroler Seite reagierte darauf mit der Absperrung eines Wassergrabens, was auf der bayerischen Uferseite die Überschwemmungsgefahr erhöhte. Die Einsetzung einer Kommission im Jahr 1730, die für beide Konfliktherde eine endgültige Lösung entwickeln sollte, führte zu keinem Ergebnis. Die Innsbrucker Regierung machte den bayerischen Wasserbau und die mangelnde Regulierung des Inn für die bedrohliche Lage bei Ebbs und Erl verantwortlich und begann 1732 einseitig mit der Errichtung von Wasserbauten, die den Inn begradigen 538 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 1856: »Relation oder Schrüfftlicher Vortrag. Der zwischen dem Churbayr. Pfleggericht Auerburg, dan dem Tyrol. Landtgericht Kuefstain Strittigen Archengepäuen bey Epps und Erl betr.« 539 Zitiert nach Leidel / Franz, Katalog, 220. 540 Auch hierzu ebd., 219–223.

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sollten. Das veranlasste die bayerische Seite wiederum zu eigenen schützenden Wasserbauten als Gegenmaßnahmen. Der Österreichische Erbfolgekrieg führte hier zeitweise zur einseitigen Durchsetzung der Tiroler Interessen und zur erzwungenen völligen Demontage der bayerischen Archen. Nach dem Friedensschluss 1745 einigten sich kaiserliche und kurbayerische Vertreter in Verhandlungen darauf, dass für den Wasserbau am Inn wieder die Bestimmungen des alten Rezesses von 1718 gelten sollten, der Inn jedoch in einen geraden Verlauf zu bringen wäre. Wie von Hagenau in seiner »Relation« von 1752 ausführte,541 nahmen der tirolsche Wasserbaumeister und Ingenieurleutnant Anton Rangger und sein kurbayerisches Pendant Franz Anton Paur 1746 dieses Projekt in Angriff. Rangger habe hierzu den Vorschlag gemacht, den Inn am fraglichen Abschnitt »in die 3 starckhe stundt lang in grad linie« zu bringen. Paur habe jedoch darauf hingewiesen, dass dadurch dem bayerischen Territorium noch mehr genommen werde als ohnehin schon durch die bereits bestehenden vertragswidrigen Tiroler Wasserbauten. Deshalb habe er sich in seiner Stellungnahme dafür ausgesprochen, die widerrechtlichen Tiroler Wasserbauten wieder abzureißen und auf den wasserbaulichen Stand des Rezesses von 1718 zurückzukehren; ein Standpunkt, den von Hagenau in seiner Relation übernahm. In der Nachfolge Franz Anton Paurs hatte auch der kurbayerische Wasserbaumeister Castulus Riedl eine Aufnahme der Lage am Inn bei Ebbs und Erl vorgenommen und dort 1750 auch eine neue Arche gebaut, die ebenfalls in der Relation von 1752 erwähnt wurde. An von Hagenaus Freude über die gute Wirkung des neuen Wassergebäudes wird auch die Logik des ›Wasserbaukrieges‹ von Archen und Gegenarchen deutlich, in dem es darum ging, die Gebäude der Gegenseite durch die Lenkung des Flusses möglichst zu schädigen oder zu zerstören: Die neue Arche habe »so guetten effect gemacht, das das Thürollerische gegen gepeu selbiges Jahr yber den hauffen gerissen« worden sei.542 In einem erneuten Bericht von 1756 über die Wassergebäude am Inn bei Ebbs und Erl warf Castulus Riedl jedoch einen etwas differenzierteren Blick auf den ›Wasserbaukrieg‹ mit Tirol, der auch die finanziellen und ökonomischen Umstände des Konflikts beleuchtete.543 So war er der Meinung, dass die örtlichen bayerischen Untertanen im Gericht Auerburg dem Tiroler Wasserbau auf die Dauer nicht gewachsen seien, da sie ihre Bauten alleine für viele tausend Gulden finanzieren müssten, die Tiroler Untertanen jedoch die finanzielle Unterstützung der Regierung in Innsbruck hätten. Auch verdingten sich bayerische Untertanen des Gerichts Auerburg beim tirolschen Archenbau jenseits des Inn, da dort mit 17 Kr. ein höherer Tageslohn gezahlt werde als auf der bayerischen Seite mit nur 15 Kr. Deshalb seien die Wasserbauten der Ebbser und Erler auf die Dauer wohl denen 541 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 1856. 542 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 1856. 543 Für das Folgende Leidel / Franz, Katalog, 219–223.

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der Kiefersfeldner und Oberaudorfer überlegen und bayerisches Territorium werde somit verloren gehen. Wenn die Innsbrucker Regierung ihre Haltung nicht ändere, müsse man eben mit Gegenbauten das verlorene Territorium zurückgewinnen und die Tiroler Seite durch Blockierung des Imports von Getreide auf dem Inn und durch den Entzug der Duldung von Tiroler Schmelz- und Hammerwerken auf bayerischem Boden unter Druck setzen. Neben den finanziellen Aspekten und lokal-ökonomischen Bedingungen des Konflikts wird hier eine weitere Technik der ›Wasserbaukriege‹ ersichtlich. Die von Riedl vorgeschlagene Anwendung ökonomischer Druckmittel auf der Grundlage geographischer Abhängigkeiten der Wirtschaftsstruktur stellte eine über das Prinzip von Archen und Gegenarchen hinausgehende Konfliktstufe dar, die bereits im Vorfeld des Rezesses von 1718 zur Anwendung gekommen war. Die Situation änderte sich jedoch grundlegend, als beide Seiten sich im folgenden Jahr 1757 grundsätzlich auf eine Verständigung und den Abschluss eines neuen Rezesses einigten.544 Die bayerische Seite akzeptierte eine Begradigung des Inn zwischen Ebbs und Erl und den damit einhergehenden Landverlust. Im Gegenzug kamen die Tiroler der bayerischen Forderung nach einer Entschädigung für die im Österreichischen Erbfolgekrieg zerstörten Archen in Höhe von 3.000 fl. nach. Die Wasserbaumeister beider Parteien, Castulus Riedl und Anton Rangger, wurden beauftragt, gemeinsam einen Plan für die Direktionslinienführung des Inn an den strittigen Abschnitten zu entwerfen. Auf dieser Grundlage kam dann 1760 ein neuer Rezess zwischen Kurbayern und Tirol in Wasserbausachen am Inn zustande, der die von Rangger und Riedl vorgesehenen Direktionslinien am Inn festlegte und den jahrhundertealten Wasserbaustreit beenden sollte. Auch wenn Josef von Stichaners Kommissionsbericht von 1797 noch weitere Streitfälle zwischen Kurbayern und Tirol in der Nachfolge dieses Rezesses im Hinblick auf die Grenze am Inn behandelt, wird an der Verwaltungskommunikation nach dem Rezess von 1760 deutlich, dass beide Seiten sich bemühten, an den Vorgaben des Rezesses festzuhalten und den Inn als Grenze durch die Direktionslinien zu definieren. Die Direktionsliniensystematik diente also auch in diesem Fall wie im Streit zwischen Kurbayern und dem Erzstift Salzburg der Konfliktlösung und -regulierung. Hier standen nicht der Schutz gegen Hochwasser und Überschwemmungen bzw. gegen Einbrüche des Flusses und lokale Flussbettverlagerungen im Vordergrund, sondern die Funktion des Flusses als räumlicher Grenzmarker. Aufgabe der Direktionslinien war die räumliche abstrakte Definition des Flusses, um die Territorialgrenze von den Unwägbarkeiten der beständigen Veränderlichkeit des Flusses auf seine dauerhafte Stabilisierung hin umzustellen, was Konflikte zwischen den Landesherrschaften um den Grenzverlauf vermeiden

544 Vgl. ebd., 219–223.

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sollte. Diese Betonung der politischen Funktion des Wasserbaus kommt auch in von Stichaners Kommissionsbericht von 1797 zum Ausdruck, in dem er den Wasserbau am Inn zwischen Braunau und Passau als politische Angelegenheit der Grenzregulierung zu Recht bei der Oberen Landesregierung angesiedelt sah. Die Eingliederung des Wasserbaus am Inn zwischen Tiroler Grenze und Rosenheim in den Kompetenzbereich der Hofkammer beurteilte er hingegen kritisch, da es sich auch hier in erster Linie nicht um einen fiskalisch-kameralistischen, sondern um einen politischen Sachverhalt handle.545 Mit dieser politischen Funktion der Direktionslinien als Wasserbausystematik zur Regulierung von Grenzkonflikten wurde das Prinzip der Souveränität über das eigene Territorium, das den Hintergrund der Inszenierung von Herrschaft am Naturraum Fluss in den Wasserbaukonflikten bildete, zugunsten einer wasserbaulichen Kooperation am Grenzfluss aufgegeben, die einer Kosten-Nutzen-Abwägung folgte: Die Kooperation kostete letztlich weniger als die fortgesetzten ›Wasserbaukriege‹ mit ihrer Handlungslogik von Archen und Gegenarchen. In diesem Sinne argumentierte auch Castulus Riedl in seinem Wasserbaulehrbuch von 1777, in dem er ebenfalls das Direktionslinienprinzip beschrieb und seine Entwicklungsgeschichte, an der er selbst beteiligt war, bis zurück zum Konflikt zwischen Kurbayern und dem Erzstift Salzburg um den Wasserbau an der Salzach nachzeichnete.546 Das später von Adrian Riedl in seiner Preisschrift und der Wasserbauverordnung von 1790 ausgearbeitete System der Direktionslinien hatte also eine lange Vorgeschichte in der Wasserbaupraxis, in der es zum Zwecke der Konfliktregulierung entwickelt worden war. Diese Funktion der Direktionslinien sollte auch in Adrian Riedls Wasserbausystematik noch eine Rolle spielen, wie im Folgenden noch gezeigt wird. Der Bruch zwischen dem unter Adrian Riedl betriebenen Wasserbau und der neuen durch Carl Friedrich von Wiebeking eingeführten Systematik der Flussbegradigung war auch deshalb so hart, weil letztere vor allem ökonomisch begründet war: als Investition in die Infrastruktur der Wassertransportwege zur Förderung von Handel und Gewerbe und zugleich als Maßnahme der Landeskultivierung durch den Zugewinn neuer landwirtschaftlicher Flächen und Siedlungsräume. Die politische Dimension der Direktionslinienführung der Flüsse zur Konfliktlösung spielte da schon keine Rolle mehr.

545 Zu Stichaners Bericht ebd., 219–223. 546 Riedl, Bericht, 58–60.

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4.6.2 Wasserbau als Feld sozialer Konflikte Der Wasserbau war aber nicht nur zwischen Kurbayern und seinen Nachbarstaaten ein Anlass beständiger Konflikte, sondern auch zwischen Anrainern, Personengruppen, Gemeinden und Herrschaften, am Fluss. Diese Streitigkeiten folgten dabei Mustern und Argumentationsfiguren, die regelmäßig wiederkehrten und Strukturen des Konfliktfeldes Wasserbau bildeten. Eines dieser Muster waren Nutzungskonflikte zwischen Gruppen und Parteien, die konkurrierende Nutzerinteressen am Fluss hatten. Eine am Inn aber auch den anderen bayerischen Flüssen häufig auftretende Konstellation war der Gegensatz zwischen Schiffern und Flößern einerseits, denen an einer durch wasserbauliche Maßnahmen abgesicherten möglichst breiten und tiefen Fahrrinne im Fluss gelegen war, und Müllern und Fischern andererseits, für die diese Wasserbauten ein Hindernis ihrer Erwerbstätigkeit darstellten.547 Ein solcher Nutzungskonflikt ereignete sich 1773 auf der Isar zwischen Flößern aus Mittenwald und Müllern bei Lenggries, der von Adrian Riedl untersucht wurde.548 Bei der Leimer Mühle nahe Lenggries war ein Senkbaum in die Isar gesetzt worden, der aus einer schräg in das Flussbett hinein gestellten Wand aus Baumstämmen bestand. Er sollte das Wasser des Flusses aufstauen und die erzeugte Stauenergie auf die Mühlräder leiten. Die Mittenwalder Flößer beschwerten sich bei der Hofkammer über diesen Senkbaum, den sie als zu hoch erachteten und der Fracht und Leben der Flößer gefährde, woraufhin die Hofkammer die Entfernung des Senkbaums anordnete. Dagegen legten wiederum die betroffenen Müller, die Gemeinde Hohenburg und der Hofmarksherr Joseph Graf von Hörwarth Protest beim Geheimen Rat ein, woraufhin Adrian Riedl von der Hofkammer zur Begutachtung vor Ort geschickt wurde. In seinem Gutachten vom 23. Dezember 1773 und der dazu erstellten Planzeichnung entschied Adrian Riedl zugunsten der Flößer, die vorgeschlagen hatten, einen niedrigeren Senkbaum in den Fluss zu setzen, der ihnen die gefahrlose Passage ermögliche. Als Entscheidungsgrundlage für die Entfernung des alten Senkbaums zugunsten einer neuen Konstruktion berief sich die Hofkammer gegenüber dem Geheimen Rat auf den Vorrang der Sicherstellung der Schiff- und Floßfahrt gegenüber Wasserbauten mit rein partikularem Nutzen wie dem Senkbaum für die Mühle. In diesem Nutzungskonflikt wurde also der öffentliche dem privaten Nutzen rechtlich vorgezogen und damit der Anspruch der Flößer dem der Müller. Bezog sich dieser Konflikt noch auf die Nutzung des Flusses als Transportweg oder Energielieferant, waren auch Konflikte um die Verteilung der Ressource Wasser, die der Fluss bereitstellte, zu verzeichnen. So beklagte sich die kurfürst 547 Dürr / Gugerbauer / Gugerbauer, Vom Zorn des Inn, 9–10. 548 Leidel / Franz, Katalog, 178–179.

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liche Administration in Schleißheim im Juni 1796 beim General-Straßen- und Wasserbau-Direktorium über den seit zwei Monaten andauernden Wassertiefstand der Würm bei Schleißheim, der den dortigen Mühlen nur noch einen eingeschränkten Betrieb erlaube.549 Seit der Regierungszeit Kurfürst Maximilian Emanuels werde von der Würm durch einen gebauten Kanal Wasser für die Brunnenwerke und Wasserspiele des Schlosses abgezapft und auch die Mühlen hätten immer genug gehabt, obwohl das Hofbauamt vor 25 Jahren beim Dorf Pasing eine Beschlacht angelegt hatte, um auch Nymphenburg mit Wasser aus der Würm zu versorgen. Die Ursache des derzeitigen Wassermangels, den auch das Hofbauamt beklagt habe, müsse also flussaufwärts bei der Wässerung von Wiesen oder der anderweitigen Nutzung durch andere Müller zu suchen sein. Adrian Riedl leitete diese Klage der Schleißheimer Administration an die Hofkammer weiter, wobei er den Wassermangel in Schleißheim und auch in Nymphenburg als dringendes Problem charakterisierte, das behoben werden müsse, damit »die sonst nie aufhörenden Indemnisationen der Mühler unterbleiben, dagegen aber sowohl für Nümpfenburg als Schleißheim hinlänglich Wasser verschaffet werde.«550 Diese Konflikte am Fluss um die Ressource Wasser waren auch mit dem Wasserbau als Handlungspraktik verbunden, wie der lang andauernde Streit zwischen mehreren Parteien um das Wasser der Isar bei München und damit verbundene Wasserbaumaßnahmen verdeutlicht. Dabei handelte es sich zunächst um eine Auseinandersetzung um die Nutzung der Isar zwischen der Stadt München und Müllern im Gericht Au, die als Wassergenossenschaft auftraten. Der Landgeometer und Wasserbaumeister Matthias Paur war dazu beauftragt worden, eine Ortsbegehung zusammen mit den Streitparteien vorzunehmen, worüber er im November 1729 an die Hofratskommission berichtete, die den Streit beilegen sollte.551 Darin schilderte er die Konfliktsituation so, dass die Stadt München vor dem Auerbach, durch den die Auer Müller ihr Wasser für ihre Mühlen aus der Isar bezogen, eine Wuhr in der Isar errichtet habe, um zu verhindern, dass die Isar ihr Hauptrinnsal in den Auerbach und weg von der Stadt München verlege. Problematisch an diesem Bau sei jedoch, dass dadurch der Auerbach unter bestimmten Wasserstandsbedingungen ganz ohne Wasserzufuhr sei. Deshalb sollte seiner gutachterlichen Meinung nach besagter Wuhrbau so durchlässig gemacht werden, dass dem Auerbach genügend Wasser zufließen könne. Andererseits sei dabei zu beachten, dass bei stark ansteigendem Wasser der Hauptfluss der Isar in den Auerbach einfließen werde. Das sei beim Umbau 549 BayHStA HR I Fasz. 229 Nr. 107: Schreiben der kurfürstlichen Administration Schleißheim an das General-Straßen- und Wasserbau-Direktorium vom 28. Juni 1796. 550 BayHStA HR I Fasz. 229 Nr. 107: Schreiben Adrian Riedls an die Hofkammer vom 19. Juli 1796. 551 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 815: Bericht des Geometers und Wasserbau­ meisters Matthias Paur vom 24. November 1729 an die Hofratskommission.

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der Wuhr entsprechend zu berücksichtigen, so dass die Wuhr bei normalem Wasserstand den Zufluss in den Auerbach ermögliche, bei hohem Wasserstand aber verhindere. Die Stadt München wandte sich in Reaktion auf Matthias Paurs Gutachten daraufhin ebenfalls mit einer Eingabe an die Hofratskommission.552 Darin versuchte die Stadt ihre Position zu stärken, indem sie klarstellte, dass nicht nur ihre Interessen, wie die ungefährdete Aufrechterhaltung der Floßfahrt auf der Isar, und die der städtischen Müller, sondern auch die des Landesherrn durch eine drohende Verlagerung der Isar auf dem Spiel stünden, da auch der Kurfürst Pulvermühlen, Kupferhammermühlen, Malzmühlen und Wasserwerke in der Stadt habe, die von der Isar abhingen. Auf diese Verbindung des städtischen und landesherrlichen Interesses gründete die Stadt München auch ihren Anspruch, »daß zur Statt Haubtsächlichen, und ohne allen Disput der Isar fluss selbst gehörig« sei und die Auer Müller sich mit dem Wasserzufluss in den Auerbach zu bescheiden hätten, den die Stadt für deren Mühlbach erübrigen könne. Gegen den Kompromissvorschlag in Matthias Paurs Gutachten wandte die Stadt ein, dass dadurch diese Verhältnisse umgekehrt würden. Statt dass bei Wassertiefstand zuerst die Stadt versorgt werde und dann die Auer Müller an der Reihe seien, laufe Paurs Vorschlag auf das Gegenteil hinaus. Sie legte ihrerseits einen wasserbaulichen Vorschlag zur Regelung des Streits vor, der von Bau- und Wasserverständigen sowie Vertretern der städtischen Müller erarbeitet worden war und der die Wasserversorgung der Stadt sichern sollte, ohne die Auer Müller in ihren Interessen allzu hart zu treffen. Nachdem Vertreter der Stadt und die Auer Müller bei einer Sitzung der Hofratskommission ihre Positionen jeweils dargelegt hatten, erging jedoch die Resolution an den städtischen Magistrat, gemeinsam mit den Auer Wassergenossen den Paurschen Kompromissvorschlag umzusetzen.553 Damit hätte der Konflikt beendet sein können, wenn sich beide Konfliktparteien an die Resolution gehalten hätten. Im März 1730 beschwerten sich die Auer Müller jedoch beim Hofrat, dass die Stadt München neue Wasserbauten in die Isar gesetzt habe, die den Auer Mühlbach so sehr abgeschlossen hätten, dass kaum noch Wasser hindurchfließe und der Betrieb ihrer Mühlwerke beeinträchtigt sei. Auch versuchten die grundbesitzenden Anrainer am Mühlbach, darunter der Landgeometer Franz Anton Paur (der Sohn von Matthias Paur), auf alle erdenkliche Weise Wasser vom Bach um- und abzuleiten und durch eigene Beschlächte den Auer Mühlbach zu hemmen. Deshalb baten die Auer Müller den Hofrat zu verfügen, dass die städtischen

552 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 815: »Underthenigiste Recesschrifft« (undatiert) der Stadt München an die Hofratskommission. 553 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 815: Resolution an den Stadtmagistrat München vom 29. November 1729.

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Wasserbauten in einen Stand zu versetzen seien, der ihre Mühlen nicht in den befürchteten gänzlichen Ruin treibe.554 Bereits im Februar 1730 hatten sich auch die von den Wassergenossen erwähnten Anlieger des Auer Mühlbachs als dritte Konfliktpartei zu Wort gemeldet und beim Hofrat Beschwerde über die Auer Müller und ihre Wasserbauten geführt.555 Dabei stellten sie sich auf die Seite der Stadt München und deren Wasserbaumaßnahmen, die alleine verhindert hätten, dass die Isar ihren Lauf nicht bereits durch den Auer Mühlbach genommen und ihren anrainenden Grundbesitz sowie den des Landesherrn unter Wasser gesetzt habe. Die bereits stattgefundenen kleinen Hochwasser seien auf den widerrechtlichen und eigenmächtigen Wasserbau der Auer Müller zurückzuführen, der die Isar ganz zum Mühlbach gelenkt habe, »wo doch der claren Vernunft gemäss der Isarstromb zur Statt nothwendtig gehörig« sei, den Müllern jedoch nur das für ihre Mahlgänge notwendige Wasser zustehe. Die gegenwärtige Situation helfe weder der Stadt noch den Auer Müllern, da beide Seiten zu beständigem teuren Wasserbau gezwungen seien. Deshalb legten die Anrainer einen eigenen Wasserbauvorschlag vor, der den Bedürfnisse aller drei Parteien Rechnung tragen sollte. Falls die Umsetzung nicht erfolge, werde man sich mit allen zulässigen Mitteln zu schützen suchen und die Auer Müller für alle entstehenden Schäden verantwortlich machen. Am 2. April brachten die Auer Anlieger erneut ihre Beschwerde vor, diesmal sowohl an den Hofrat als auch an die Hofkammer.556 Ein kürzliches Hochwasser habe die von der Stadt errichtete Wuhr eingerissen und nun drohe sich die Isar gänzlich in den Auer Mühlbach zu ergießen. Die Anlieger befürchteten aufgrund dessen für die eigenen, mit großen Kosten erworbenen und bestellten Gründe und Gärten am Auerbach schwere Schäden. Um das zu verhindern, sehe man keine andere Möglichkeit, als die von den Auer Müllern aus Mutwillen und Bosheit errichteten Senkbäume abzureißen sowie deren errichtete Wuhr zu öffnen, um der Isar Platz und ihnen Luft zu verschaffen. Bereits einen Tag zuvor hatte Franz Anton Paur einen Bericht für die Hofkammer verfasst.557 Darin unterstützte er die Ansicht der Auer Anrainer, dass durch die Zerstörungen an der städtischen Wuhr die Gefahr bestehe, dass die Isar ganz in den Auerbach eindringe, was der Stadt mit ihren Anlagen, dem Kurfürsten 554 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 815: Anlangen der sämtlichen Papier-, Hammerschmied- und Mahlmüller und sämtlicher Wassergenossen ob der Au vom März 1730 an den Hofrat. 555 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 815: Remonstrationsschreiben sämtlicher an den Auer Mühlbach angrenzenden Parteien (nicht der Auer Müller!) an den Hofrat vom Februar 1730. 556 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 815: Remonstrationsschreiben vom 2. April 1730 der an dem Auer Mühlbach liegenden Parteien an die Hofkammer (paralleles Schreiben an den Hofrat). 557 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 815: Bericht des Geometers Franz Antoni Paur vom 1. April 1730 an die Hofkammer.

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und der Floßfahrt unersetzlichen Schaden verursachen werde. Er habe jedoch die größten Bedenken dagegen, weiterhin in dieser Sache zu begutachten und Vorschläge zur Behebung der Gefahrenlage zu machen, da die Auer Müller gegen ihn als Sachverständigen bei der letzten Hofratskonferenz protestiert hätten, ohne dass er allerdings wüsste warum. Das Misstrauen der Auer Müller gegen Franz Anton Paur, das dieser angeblich nicht nachvollziehen konnte, gründete sich jedoch auf seine Zugehörigkeit zur Interessenpartei der Anrainer des Auer Mühlbachs, die mit allen Mitteln die dortigen Wasserbauten der Müller zu behindern suchten, wie die Müller in ihrem Schreiben an den Hofrat vom März 1730 betont hatten. Entsprechend mussten die Auer Müller davon ausgehen, von Paur kein neutrales Gutachten in dem Streitfall erwarten zu können. Bezeichnenderweise machte Paur in seinem Bericht trotz seiner artikulierten Bedenken dennoch einen Vorschlag zur Regelung der wasserbaulichen Situation, der denn auch zuungunsten der Auer Müller ausfiel. Die Hofkammer empfahl schließlich dem Hofrat, den Wasserbau der Stadt unter die Aufsicht von Sachverständigen zu stellen und gegen die Auer Müller eine Resolution zu erlassen, dass sie ihre schädlichen Wassergebäude abbauen sollten und künftig nur noch im Einverständnis mit den Auer Anrainern Wasserbauten errichten dürften.558 Am 5. April wandten sich die Auer Müller erneut an die Hofratskommission, wobei sie sich über das aggressive Vorgehen der Anrainer am Auer Mühlbach beschwerten.559 So hätten die beiden kurfürstlichen Hofbeamten Lachermayr und Paur (nicht der Landgeometer Franz Anton Paur) unter Zuhilfenahme vieler Arbeitsleute und ohne vorhergehende Konsultation am 2. April, dem heiligen Palmsonntag, das oberhalb der drei Senkbäume gelegene Wassergebäude niedergehauen. Auch hätten sie einen Durchstich machen wollen, um das Wasser in ein neues Rinnsal zur Stadt hinzuleiten und den Auerbach völlig abzusperren. Weil ihnen das zunächst aufgrund der Bodenverhältnisse nicht gelungen sei, seien sie gestern am 4. April mit Wehr und Waffen, Flinten und Pistolen wieder zurückgekommen und hätten den mittleren der drei Senkbäume herausgerissen, um das Wasser der Isar umzuleiten. Weiterhin berichteten die Auer Müller, dass die beiden Herrn Lachermayr und Paur am 5. April erneut vor Ort erschienen seien, diesmal aber mit einem Trupp Bewaffneter, um die Wuhren am Auerbach zu zerstören. Da man davon ausgehe, dass eine solche nun schon zum zweiten Mal erfolgende bewaffnete Zerstörungsaktion nicht rechtens sei, hege man die Hoffnung, dass solche Angriffe von Privatpersonen nicht zugelassen würden. Wenn 558 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 815: Schreiben der Hofkammer an den Hofrat vom 3. April 1730. 559 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 815: Beschwerdeanlangen der Papier-, Hammerschmied- und Mahlmüller und anderer Wassergenossen ob der Au an die Hofratskommission vom 5. April 1730.

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die beiden Herren Lachermayr und Paur einen Rechtsanspruch bezüglich des Auer­bachs gegen die Wassergenossen ob der Au und einen Grund zur Klage zu haben vermeinten, dann sollten sie ihr Recht bei den zuständigen rechtlichen Instanzen suchen und nicht durch private Gewaltausübung unter Zuhilfenahme einer eigenen Miliz durchsetzen. In Befolgung des geltenden Rechts würden die Auer Müller die gewalttätigen Invasoren nicht mit Gegengewalt vertreiben, sondern ihrerseits die Obrigkeit anrufen. Die Auer Müller stellten hier also geschickt das gewalttätige, Recht brechende Vorgehen der Anrainer am Mühlbach gegen ihr betont auf gewalttätige Gegenmaßnahmen verzichtendes und rechtlich korrektes Verhalten. Die Vorwürfe der Auer Wassergenossen und die Schäden an den städtischen Wuhren sollten in einer erneuten Ortsbegehung untersucht werden, wozu auch das Hofbauamt abgeordnet wurde.560 Das Protokoll der Hofratskommissionssitzung561 hielt als Ergebnis der Begutachtung fest, dass die von den Auer Müllern erbaute Wuhr abgerissen werden müsse, um Schaden von den kurfürstlichen und städtischen Mühlwerken und der Floßfahrt abzuwenden, oder ein neuer Wasserbau dagegen errichtet werden müsse. Ein entsprechender Vorschlag sei Franz Anton Paurs Bericht und seiner zugehörigen Planzeichnung zu entnehmen – den Bedenken hinsichtlich dessen Neutralität als Wasserbauverständiger war man also offensichtlich nicht gefolgt. Die Stadt München warf dazu lediglich die Frage auf, wer die Kosten für diesen Wasserbau zu tragen haben werde. Um finanzielle Verpflichtungen zum Wasserbau zu vermeiden, argumentierte die Stadt mit dem Verursacherprinzip und schob den Auer Müllern die Verantwortung für alle von ihnen verursachten Kosten zu. Die Auer Wassergenossen antworteten darauf mit einer Gegendarstellung, in der sie die Argumentation der Stadt von der alleinigen Verantwortlichkeit der Müller mit einer ausführlichen Schilderung des bisherigen Konfliktverlaufs und unter Bezugnahme auf die abgehaltenen Begutachtungen und Hofratskommissionssitzungen bzw. deren Protokolle widerlegten und im Gegenteil die Stadt für die zu bewältigenden Kosten verantwortlich machten.562 Die Auer Anrainer, vertreten durch den kurfürstlichen Hofrat Baron von Mayr, den geheimen Zahlmeister Gregorius Lachermayer und den Hofkammersekretär Johann Wolfgang Paur, verfassten ihrerseits einen »Antwortts-Recess« zur Hofratskommissionssitzung.563 Darin nahmen sie zu den im Rezess der Auer 560 BayHStA Kurbayern Hofbauamt 344: Schreiben der Hofkammer an das Hofbauamt vom 15. April 1730. 561 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 815: Protokoll der Hofratskommissionssitzung vom 22. April 1730. 562 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 815: »Recess ad Prothocollum«, Beschwerdeschrift der Papier-, Hammerschied- und Mahlmüller und der anderen Wassergenossen ob der Au. 563 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 815: »Antwortts-Recess« der Auer Anlieger vom 22. April 1730.

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Müller vom 5. April gegen sie erhobenen Vorwürfen Stellung, die Wuhr und Senkbäume der Auer Wassergenossen abgerissen zu haben. Sie wiederholten ihre Ansicht, dass nur der Wasserbau der Stadt München ihre Gründe am Bach vor Überschwemmungen gerettet habe und dass es die Wuhr und die Senkbäume der Auer Müller gewesen seien, die diese für sie bedrohliche Situation verursacht hätten. Dazu verwiesen die Auer Anrainer auch auf ihre Ankündigung, selbst gegen den widerrechtlichen Wasserbau der Auer Müller vorzugehen, wenn nicht sofortige Abhilfe geschaffen werde. Den von ihnen durchgeführten Abriss der Senkbäume stellten sie also als einen Akt der Notwehr dar, um ihren Besitz vor dem Ruin zu schützen. So habe man am 4. April, als der Mühlbach bereits über die Ufer getreten war, den von den Auer Müllern so betitelten Wassermeister, »der seine Kunst, als ein vor 5 jahren […] bedient gewesster Paurenkhnecht von sich selbsten gelehrnet hat«, zu den Wassergenossen geschickt und sie durch ihn aufgefordert, sie möchten angesichts der Überschwemmungsgefahr die von ihnen unbefugt gesetzten Senkbäume öffnen. Andernfalls werde man selbst andere Öffnungen machen lassen, um die eigenen Feldgründe vor der Überschwemmung zu bewahren. Da man vergeblich auf eine Antwort durch den »sogetauften Wassermaister« gewartet habe, habe man sich genötigt gesehen, die oberen zwei Senkbäume in Gegenwart der Herrn Lachermayr und Paur am späten Abend des 4. April niederzuhauen. Die Rechtfertigung des eigenen Vorgehens erfolgt hier jenseits der schieren Notwendigkeit des Handelns auch durch die Delegitimierung des Wasserbauexperten der Auer Müller, dessen Status als Experte durch verächtlichen Verweis auf seinen Stand als ehemaliger Knecht, sein autodidaktisches Erfahrungswissen und einen angemaßten Titel zurückgewiesen wird. Der Darstellung der Auer Müller, dass die Senkbäume am Mühlbach mit bewaffneter Gewalt niedergerissen worden seien, widersprachen die Anrainer im Rezess vehement. Man sei nicht mit Wehr und Waffen, also Flinten und Pistolen, ausgestattet gewesen, sondern ein jeder lediglich mit der üblichen Seitenwaffe. Und es befremde sie, die Auer Anrainer, daher nicht wenig, dass sie sich in der Au nicht mehr mit Degen sollten sehen lassen dürfen, während der »heruntere Pappierer« (das bezieht sich auf einen nicht näher bezeichneten Besitzer einer Papiermühle am Auer Mühlbach), der nur ein gemeiner Handwerker sei, mit Degen und Stecken daher zu stolzieren pflege. Wie sich in der Verspottung des Wasserbaumeisters der Auer Müller bereits andeutet, wird hier der Gegensatz zwischen den Auer Anrainern und den Müllern unvermittelt zu einem Standeskonflikt, zu einer Auseinandersetzung um soziale Distinktion, die auch anhand der veräußerlichten Standessymbolik, dem Tragen des standesgemäßen Degens, hergestellt wird. Zumindest die adligen Auer Anrainer begriffen den wasserbaulichen Konflikt also auch vor dem Hintergrund ihres Standes, indem das Verhalten der Auer Müller und ihre Wasserbauten nicht nur als Gefährdung des eigenen Besitzes, sondern auch als

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Infragestellung des Standesunterschiedes und somit als Angriff auf die rechtmäßige gesellschaftliche Hierarchie interpretiert wurden. Das bereits in der polemisch-sarkastischen Herabsetzung der Auer Müller und ihres Wasserbaumeisters erkennbare Konfliktmuster der sozialen Distinktion durch die Betonung der Standesdifferenz setzte sich auch in weiteren Verhöhnungen der Beteiligten und der Klage über verletzte Standesehre fort. Ansatzpunkt war die Widerlegung der Ansicht der Auer Müller, dass die kürzlichen Überschwemmungen lediglich zufällige Ereignisse gewesen seien. In diesem Zusammenhang hinterfragten die Auer Anrainer die Kompetenz des Rezessschreibers der Müller, der wohl in irgendeiner »ochsenschuell« gelernt haben müsse, wenn er tatsächlich der Ansicht sei, dass einerseits die eigenmächtige und widerrechtliche Einleitung der Isar in den Mühlbach und andererseits die Unterlassung der Erbauung von Ablässen und eine für das Abfließen des Hochwassers zu hoch gebaute Wuhr zufällige Ereignisse seien.564 Dieser »Lügenkramer und seine Prinzipalen« hätten hier genauso die Tatsachen verdreht, wie sie auch die brennende Tabakspfeife des Lachermayr für Flinten und Pistolen gehalten hätten. Allein dies werde genauso schwer in Erfahrung zu bringen sein, wie die Ehre des Herrn Paur wiederherzustellen, der bei der Aktion am 5. April so unleidlich und sträflich geschmäht worden sei. Er sei gleichwohl ein kurfürstlicher Beamter und ein so grundehrlicher Mann, dass er einem ungehobelten, impertinenten Müller wohl gewachsen sei. Schlussendlich bitten die Auer Anrainer in ihrem Rezess darum, eine Lösung des Konflikts zu finden, die eine gerechte Verteilung des Wassers für die Stadt und die Auer Müller, aber auch die Verhinderung von Schäden für ihre Gründe sicherstelle. Das Gericht Au erhielt auch tatsächlich die Weisung, dass die Auer Müller zur Beisteuerung von Geld und Bauholz zum Wasserbau anzuhalten seien, um Hochwasserschäden vorzubeugen.565 Die Streitigkeiten hielten jedoch in den folgenden Jahren weiter an, Rezesse und Gegenrezesse der Konfliktparteien wechselten sich ab und es folgten auch weitere Ortsbegehungen und Gutachten. In den Jahren 1752 und 1753 entzündete sich der Konflikt zwischen der Stadt München und den Auer Wassergenossen erneut. Wieder wurden gemeinsame Konferenzen und Begutachtungen abgehalten, bis das Hofbauamt die Hofkammer darauf hinwies, dass es bereits eine Resolution des Hofrates von 1731 zu diesem Konfliktszenario gebe, wonach beide Seiten nur nach gegenseitigen Konsultationen und im Einvernehmen Wasserbau gegen Niedrig- oder Hochwasser betreiben dürften.566 Vier Jahrzehnte später hatte sich die finan­ 564 Nähere Angaben zur Person des Schreibers der Rezessschrift der Auer Wassergenossen ist den Akten nicht zu entnehmen. 565 BayHStA Kurbayern Äußeres Archiv 815: Schreiben an das Gericht ob der Au vom 29. April 1730. 566 BayHStA Kurbayern Hofbauamt 345: Schreiben des Hofbauamtes an die Hofkammer vom 9. Februar 1753.

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zielle Situation der Auer Wassergenossen dann so sehr verschlechtert, dass sie die Hofkammer um die finanzielle Übernahme ihrer Wasserbauten in Form einer Wasserbaukonkurrenz bitten mussten, um ihre Mühlen am Auer Mühlbach noch länger mit Wasser aus der Isar versorgen zu können; eine Bitte, die den Müllern auch gewährt wurde.567 Wasserbaulich fundierte Nutzungskonflikte konnten auch die Form der Auseinandersetzung bzw. Konkurrenz zwischen Expertengruppen für den Umgang mit dem Fluss annehmen. Ein solches bis zum Ende des 18. Jahrhunderts anhaltendes Konfliktpotenzial lässt sich für den Abschnitt der Donau beim oberösterreichischen Grein ausmachen, der heute als Strudengau bezeichnet wird. Hier standen einerseits die Nutzungsinteressen der Schifffahrt auf dem Spiel, die durch Strudel und Stromschnellen an dieser Stelle gefährdet war, und andererseits die Interessen der ortsansässigen Schiffsknechte, die aufgrund ihres Erfahrungswissens zu den Bedingungen an diesem Donauabschnitt als Lotsen die Schiffe durch die Engstelle manövrieren konnten. Den Versuchen auswärtiger Wasserbauingenieure, das Gefahrenpotenzial der Greiner Stromschnellen wasserbaulich zu entschärfen, setzten die lokalen Akteure daher Widerstand entgegen, da dies ihrem Erfahrungswissen, das »an ein bestimmtes, unreguliertes Arrangement des Flusses gebunden« war, die Grundlage entzogen und somit ihren Lebensunterhalt untergraben hätte.568 Das ausführlicher behandelte Beispiel des Konfliktes zwischen der Stadt München, den Auer Wassergenossen und den Anrainern am Auer Mühlbach bildet neben dem Nutzungskonflikt um die Ressource Wasser ein weiteres Konfliktmuster ab, das ebenfalls für wasserbauliche Auseinandersetzungen am Fluss bestimmend war: der Gegensatz zwischen Nutzungs- und Schutz­ interessen. In diesem Kontext wurden Mühlen mit ihrer Nutzung des Flusses als Energielieferant häufig als Mitverursacher von Überschwemmungen und den daraus für die Flussanrainer entstehenden Schäden angesehen, wie es auch im behandelten Konflikt zwischen Auer Wassergenossen und Anrainern des Mühl-

567 BayHStA OBB (Akten) 2410: Supplik der Wassergenossen des Gerichts ob der Au vom Juli 1794 an die Hofkammer, gutachterlicher Bericht Adrian Riedls an die Hofkammer vom 13. März 1795 zur Supplik der Wassergenossen. 568 Schmid, Die Donau, 77. Dieses Angewiesensein lokaler Akteure auf örtliche Fluss­ bedingungen zeigt sich auch am Beispiel der Region Ybbs an der Donau, das Wekhrlin in seinem satirischen Reisebericht zu Oberdeutschland behandelt, wobei er die dortigen Schiffsknechte zusammen mit Bettlern als eine Gemeinschaft charakterisiert, die ihren Verdienst aus dem Fluss zieht: »Der Strudel bey Ips ist ein unbedeutender Fleck, welcher durch die Schiffer und Bettelleute ins Geschrey gebracht worden. Diese, welche auf kleinen Nachen herbeyrudern, fodern den Reisenden ein Allmosen ab, gegen das Versprechen, bey einem gewissen Heiligen, welcher die dortigen Gewässer beschützt, vorzubitten. […] Bey jenen ist es eine Schifferpolitik, den Strohm an einigen Orten verdächtig zu machen, um die Frachttaxen in ihrer Höhe zu erhalten.« Wekhrlin, Anselmus Rabiosus, 6.

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bachs der Fall war.569 Hierbei hatte man besonders Mühlwuhren, Senkbäume und sonstige Wasserbauten im Blick, die in den Fluss hinein gebaut wurden und deren Zweck in der Aufstauung des Wassers bestand, das gezielt in angelegte Mühlbäche und dort auf die Mühlräder als Abnehmer der Bewegungsenergie des Flusses umgeleitet werden sollte. Diese Aufstauungen wurden jedoch für Ablagerungen im Flussbett und damit seine letztliche Erhöhung verantwortlich gemacht, womit auch das Risiko für Überschwemmungen stieg und langfristig die Umgegend versumpfte. Diese Argumentationsfigur findet sich in den akademischen Abhandlungen zum möglichst effizienten und gegen Überschwemmungen schützenden Wasserbau.570 Aber auch im Verordnungswesen spielte dieses Element der Verantwortlichkeit von Mühlen für Überschwemmungen eine Rolle, so in einer Verordnung für das Mühlwesen vom 11. Juni 1770, die die kategorische Bestimmung enthält, dass »bey großen Wassergüssen der Ablaß allemal aufgezogen werden« muss, um die Stauwirkung der Mühlwuhren, an die jeweils Ablässe als Durchlassöffnungen installiert waren, aufzuheben.571 Ein weiteres Konfliktmuster bildete sich für den Gegensatz von Schutzinteressen am Fluss, die wasserbaulich gewährleistet werden sollten, ab. Dabei konnte auch die Verlegung des Flussbettes durch Schleifendurchstiche eine Rolle spielen, wie im Fall des an der Isar liegenden Markts Plattling.572 Hier waren durch einen Einbruch der Isar im November 1779 Schäden entstanden, woraufhin der betroffene Ort um die Entsendung des Wasserbaumeisters Castulus Riedl bat, der bestätigen sollte, dass Plattling ohne eine Beschlächtung der Isar an dieser Stelle durch Hochwasser zugrunde gehen müsse. Statt seines Vaters nahm Adrian Riedl im März 1780 die Lage in Plattling in Augenschein, verfasste Pläne für Wasserbauten und ordnete die Versetzung von Schiffsmühlen an, die seiner Ansicht nach ungünstig positioniert waren. Riedl sah die Anlage von Wuhrbauten vor, um den weiteren Uferabbruch der Isar in Richtung Plattling zu stoppen und die Hochwassergefahr für den Markt zu verringern. Von der möglichen Alternative eines Schleifendurchstichs sah man nach Konsultation des Markts Plattling wegen der hohen Kosten ab. Der kurfürstliche Mautner in Plattling meldete jedoch Bedenken gegen die Riedlschen Pläne an, nachdem ihm erfahrene Wasserverständige, in diesem Fall Müller und Fischer, versichert hätten, dass diese Baumaßnahmen die Gefahrenlage sogar noch verschlimmern würden. Das brachte in den Beratungen der Hofkammer unter Hinzuziehung 569 Das galt jedoch nicht nur für Kurbayern im 18. Jahrhundert, sondern lässt sich auch in anderen europäischen Regionen zu anderen Zeiten nachweisen; so etwa im Florenz des 14. Jahrhunderts, wo ein Flussanrainer einen benachbarten Mühlenbesitzer verklagte, weil dessen Wassernutzung durch die Mühle seinem Besitz Schaden zufüge; Schenk, Managing, 34–35. 570 So bei Riedl, Beantwortung der Preisfrage, 135 und Euckenmayer, Abhandlung, 52–53. 571 Mayr, Sammlung. Band 2, 865. 572 Für das Folgende Leidel / Franz, Katalog, 208–212.

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der Interessenten vor Ort wiederum die Alternative des Schleifendurchstichs auf die Tagesordnung. Nach einem erneuten Hochwasser im Juni 1781 begann man im August mit den Bauarbeiten zum Schleifendurchstich. Dagegen legten im November 1781 jedoch 11 Dorfschaften, die von dieser Verlegung der Isar betroffen waren, Protest beim Geheimen Rat ein, da sie befürchteten, nun ihrerseits der Überschwemmungsgefahr ausgesetzt zu werden. Der parteiische Bericht des Plattlinger Mautners und Adrian Riedls einseitige Begutachtung hätten die Hofkammer über die wahren Verhältnisse getäuscht. Der Mautner berichtete dann seinerseits, dass sich die drei Bauern, die stellvertretend für die 11 Dorfschaften die Beschwerdeschrift in München übergeben hätten, daheim über ihn und Adrian Riedl beleidigend geäußert hätten. Diese mit Animositäten aufgeladene Atmosphäre verschärfte sich noch, als betroffene Bauern mit Hacken und anderen Werkzeugen ausgestattet auf der Baustelle erschienen, um den Schleifendurchstich zu behindern. Die Regierung Straubing erhielt daraufhin am 1. März 1782 die Anweisung, gegen diese Renitenten mit dem Mittel der militärischen Exekution vorzugehen. Aber auch Grundherren beteiligten sich in der Folge am Protest gegen den Schleifendurchstich, so dass die Bauarbeiten schließlich stillstanden. Trotz dass Adrian Riedl noch im August 1783 an den Kurfürsten ein Schreiben bezüglich des Schleifendurchstichs der Isar bei Plattling richtete, blieb das Projekt liegen. Da Flussbegradigungen in Form von Schleifendurchstichen bis zum 19. Jahrhundert nicht zum alltäglichen Repertoire des Wasserbaus in Kurbayern gehörten, waren Konfliktszenarien wie bei Plattling selten. Häufiger waren dagegen Auseinandersetzungen zwischen benachbarten oder sich gegenüberliegenden Flussanrainern, die sich wechselseitig beschuldigten, sich den Fluss durch Wasserbauten gegenseitig zuzutreiben und so Schäden zu verursachen. Diese Argumentationsfigur spielte beispielsweise im Konflikt zwischen den am Inn liegenden benachbarten Klöstern Attel und Altenhohenau eine wichtige Rolle. Beide stritten seit dem 15. bis zum 18. Jahrhundert um Wasserbau am Inn und besonders die Benediktinerabtei Attel beschuldigte das Dominikanerinnenkloster Altenhohenau, den Inn durch sogenannte werfende Wasserbauten – Wuhren, die die Fließrichtung beeinflussen – auf das gegenüberliegende Ufer zu lenken und dadurch Nachteile für das dort sitzende Kloster Attel zu verursachen.573 Diese Argumentationsfigur in Wasserbaukonflikten um Schutzinteressen war zwar nicht nur in Kurbayern geläufig.574 Dort war sie jedoch so bedeutsam, dass Adrian Riedl in seiner Wasserbau-Preisschrift »die willkürliche Wasserbauart, wodurch ein Nachbar dem andern das Wasser zuwirft,« als eine wesentliche 573 Dazu Leidel, Kloster Attel, 279–326. 574 Christian Desplat hat für den Pyrenäenraum – das Beárn im Ancien Régime – gezeigt, dass auch dort Gemeinden sich bei Hochwasserszenarien wechselseitig beschuldigten, den jeweiligen Fluss durch Wasserbauten beeinflusst und damit Überschwemmungsschäden mitverursacht zu haben; Desplat, Pour une histoire, 150–157.

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Ursache für den »unordentliche[n] Lauf« der Flüsse und für die Überschwemmungen beurteilte.575 Die von Adrian Riedl entwickelte Wasserbausystematik der Direktionslinien hatte deshalb, genau wie die vorherigen Anwendungen in der Praxis, die Funktion der Konfliktregulierung. So wurde die Einführung der Direktionslinien in der Präambel der Wasserbauverordnung vom 26. Januar 1790576 einmal mit der Vermeidung von Hochwasserschäden und den entstehenden Kosten begründet. Dadurch sollte jedoch nicht nur den schädlichen Überschwemmungen gesteuert werden, sondern auch »die bey solcher Gelegenheit öfters entstandene Prozeße beyseitiget werden.« Die Direktionslinien sollten dem Fluss nicht nur deshalb einen eigenen Raum geben, um ihm ein Überschwemmungsgebiet zur Verfügung zu stellen, sondern auch, »um zu verhindern, daß nicht ein jeder den Strom mit Gewalt von sich, und seinem Nachbar mit Unrecht zulenke  […].« Diesem Zweck dienten auch die Bestimmungen der Verordnung, dass innerhalb des Raums der Direktionslinien überhaupt nicht und außerhalb nur nach Genehmigung der Hofkammer bzw. des Generalbaudirektoriums Wasserbau betrieben werden durfte. Der Kontrollanspruch des Landesherrn über sämtlichen Wasserbau an den Flüssen in Kurbayern zielte also auch auf die Aushebelung von Konflikten zwischen Flussanrainern über privat errichtete Wasserbauten. Wiederum aus diesem Kontrollanspruch folgende Konfliktpotenziale sollten zumindest nicht in weitere juristische Auseinandersetzungen münden, so dass eine weitere Verordnung vom 26. Januar 1790 einfach dem einzelnen Untertanen jedweden Prozess in Wasserbauangelegenheiten untersagte, wenn diese landesherrlicherseits angeordnet worden waren.577 Wer trotz Anraten und Mahnung der Hofkammer bzw. des Generalbaudirektoriums seinen Privatgrund nicht mit Wasserbauten gegen vorhersehbare Wassergefahren und Hochwasserschäden schützte, musste damit rechnen, dass der Landesherr hier eigenmächtig schützende Wasserbauten am Fluss errichtete, deren Kosten er sich, so die Bestimmung der Verordnung, notfalls auch mit dem Mittel der militärischen Exekution von den Anrainern wiederholen konnte.578 Dies wurde mit dem Status des Wasserbaus als Angelegenheit des Policeywesens begründet und dem einzelnen Untertan blieb in solchen Angelegenheiten lediglich die Appellation an den Landesherrn selbst. Es war das diesen Bestimmungen zugrundeliegende Problem der zahlreichen aufgelaufenen Prozesse in Wasserbauangelegenheiten, das den Hofrat als oberste 575 Riedl, Beantwortung der Preisfrage, 138. 576 BayHStA Staatsverwaltung 2300, Bl. 56–58; OBB (Akten) 2134; abgedruckt in Mayr, Sammlung. Band 5, 55–56. 577 Mayr, Sammlung. Band 5, 12–13. 578 Damit wurden auch die ursprünglichen Bestimmungen zur letztlichen Eigenverantwortlichkeit der Flussanrainer für den Wasserbau, wie sie noch im Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis von 1756 enthalten waren (vgl. Kap. 4.4.1.2), aufgehoben.

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Justizbehörde bereits 1781 zu dem Vorschlag bewogen hatte, der Landesherr solle sämtliche Wasserbauten in Kurbayern mit ihren Kosten übernehmen, um diesen Zustand und dadurch entstehende Folgekosten zu beenden.579 Sowohl in den zwischenstaatlichen wasserbaulichen Konflikten um den Fluss als naturräumlichem Grenzmarker als auch in den Auseinandersetzungen zwischen Interessen- und Nutzergruppen sowie Anrainern am Fluss wird dieser als natürliches und zugleich soziales Objekt sichtbar. Einerseits dient der Naturraum Fluss der performativen Inszenierung von Herrschaft, in dem Konflikte um Souveränität über das Territorium ausgetragen werden. Andererseits wird er zum Raum sozialer Konflikte zwischen Anliegern und Gruppen mit variierenden und gegensätzlichen Nutzungs- und Schutzinteressen. Der Fluss ist aber nicht statische und unveränderlich gegebene Kulisse. Vielmehr ist er teilnehmender Bestandteil dieser Konfliktkonstellationen. Einerseits gestalten und beeinflussen von ihm ausgehende Impulse in Form von Hochwasser und Überschwemmungen und seine sich wandelnden hydromorphologischen Gegebenheiten die Auseinandersetzungen: In den zwischenstaatlichen Konflikten Kurbayerns mit seinen Nachbarstaaten ist die Eigenschaft der Veränderlichkeit des Flussbettes, besonders durch Hochwasserereignisse hervorgerufen, dort von entscheidender Bedeutung, wo der Flussverlauf die Territorialgrenze markiert.580 Andererseits wird der Naturraum Fluss in dieser Funktion als Marker territorialer Strukturen an deren behauptete und immer wieder neu inszenierte Stabilität angepasst, indem sein Charakter der Veränderlichkeit gezielt durch wasserbauliche Maßnahmen aufgehoben und sein Verlauf auf Dauer gestellt werden sollt. Nicht nur durch diese Anpassung an den Souveränitätsanspruch wird der Naturraum Fluss zum sozialen Raum, sondern auch in den Konflikten zwischen Interessen- und Nutzergruppen. Durch die Nutzung des Flusses als Ressourcen- und Energielieferant, Siedlungsraum und Transportweg wird er in soziale und ökonomische Beziehungsgeflechte eingebunden. Diese bauen auf den materiellen Gegebenheiten und Strukturen des Flusses auf, die wiederum durch Arrange 579 BayHStA OBB (Akten) 1/1: Schreiben des Hofrates an die Obere Landesregierung vom 7. Dezember 1781. 580 Dieser Zusammenhang von veränderlichen Flussbedingungen und zwischenstaatlichen Konflikten blieb Zeitgenossen auch nicht verborgen. Friedrich Nicolai verdeutlichte ihn in seinem Reisebericht zu Oberdeutschland am Beispiel der Streitigkeiten der Reichsstadt Augsburg mit Kurbayern: Durch ihre Lage an Lech und Wertach, die wie alle Flüsse aus dem Gebirge schnell und reißend seien, sei die Reichsstadt Augsburg zu beständigem kostspieligen Wasserbau gezwungen. Dadurch sei sie auch »in Abhängigkeit von Bayern [gesetzt], mit welchem Lande die Stadt zwar wegen des Wasserbaus besondere Verträge hat, aber auch bey den oftmaligen hohen Gewässern, und Veränderungen der Flußbette, beständig in beschwerlichen Verirrungen verwickelt wird.« Friedrich Nicolai, Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz, im Jahre 1781. Nebst Bemerkungen ueber Gelehrsamkeit, Industrie, Religion und Sitten. Band 7. 12 Bände. Berlin u. a. 1786, 75.

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ments gestaltet werden, in denen die Praktiken am Fluss, zu denen der Wasserbau gehört, situiert sind. Einerseits sind es diese spezifischen Eigenschaften des Flusses wie seine Veränderlichkeit, bestimmte hydromorphologische Bedingungen, sein Fließverhalten sowie der Wasserdurchfluss, aber auch von ihm ausgehende materielle Impulse wie Hochwasser und Überschwemmungen, die Konflikte am Fluss ermöglichen bzw. auslösen. Andererseits dient der Fluss mit seinen materiellen Gegebenheiten als Raum zur Austragung sozialer Konflikte, die über die Handlungspraktik des Wasserbaus geführt werden und zu denen auch die Abbildung von Standesunterschieden, die Inszenierung sozialer Distinktion, gehören kann, wie im Fall der Streitigkeiten um den Auer Mühlbach an der Isar. Auf diesen Aspekt des Naturraums Fluss als wasserbaulich bestimmtes Konfliktfeld bezog sich die entwickelte Wasserbausystematik der Direktionslinien von Anfang an als Lösungsansatz, um Konflikte zu befrieden bzw. sie gar nicht erst entstehen zu lassen. Da diese Auseinandersetzungen auch immer mit den materiellen Gegebenheiten des jeweiligen Flusses verbunden waren, setzte das System der Direktionslinien genau da an, indem durch die Veränderung der materiellen Bedingungen des Flusses, seines Verlaufs und seiner Gestalt, Konfliktpotenziale ausgeschaltet werden sollten. Wasserbau im Rahmen der Direktionslinien zielte in diesem Sinne nicht nur auf die Gefahrenpotenziale des Flusses, sondern immer auch auf seine Funktion als sozialer Raum.

5. Wetter im Wandel

Während Hochwasser und Überschwemmungen in Flusslandschaften ihren festen sozionaturalen Raum haben, sind Gewitter und Unwetter weniger räumlich verortet als vielmehr von den allgemeinen topographischen Bedingungen Bayerns bestimmt. Bayern gehört aufgrund seiner orographischen Bedingungen zu den hagelintensivsten Regionen Europas, da sich die Gewitter und Hagelschauer an den reichlich vorhandenen Hügeln und Gebirgszügen der bayerischen Landschaft entladen können. Typischerweise wird Bayern daher im Zeitraum von April bis September und gehäuft in den Monaten Juli und August von Gewittern und Hagelunwettern getroffen,1 was auch schon den Zeitgenossen im 18. Jahrhundert nicht verborgen blieb. Der Berliner Aufklärer Friedrich Nicolai hielt in seinem Reisebericht zu Süddeutschland die Beobachtung fest, dass im Österreichischen starke Hagelschauer, die die Ernte beeinträchtigten, nicht ungewöhnlich seien, und er spekulierte über die Ursachen dieser Exponiertheit für Unwetter, die er in der Lage von Bergen und Flüssen, den Wäldern und der Beschaffenheit des Erdreichs vermutete.2 Die von den topographischen Bedingungen Bayerns abhängenden Gewitter und Unwetter waren als Wetterphänomene auch Teil des allgemeinen Wetter-Diskurses im Kurbayern des 18. Jahrhunderts. Im Spannungsfeld von religiöser und verwissenschaftlichter Perspektive sind wiederum die Entwicklungen der Deutungsmuster und Handlungspraktiken zu den Unwetterszenarien zu verorten.

5.1 Religiöse Deutungs- und Handlungsperspektiven Nicht nur zu Unwettern und Gewittern gab es spezifische religiöse Deutungsmuster und Handlungspraktiken, sondern auch das Wetter allgemein war im Fokus religiöser Deutung und praktischer Bewältigung. Denn die Witterungsverhältnisse insgesamt waren für das Gelingen der Ernte von ausschlaggebender Bedeutung. Hier hatte sich die Praktik der öffentlichen Wettergebete oder -andachten etabliert, in denen für gute Witterungsverhältnisse für die Ernte gebetet wurde. Beispielsweise ordnete der Hofrat 1695 die Abhaltung zehnstündiger 1 Oberholzner, Wahrnehmung, 63. 2 Friedrich Nicolai, Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz, im Jahre 1781. Nebst Bemerkungen ueber Gelehrsamkeit, Industrie, Religion und Sitten. Band 6. 12 Bände. Berlin u. a. 1785, 464.

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öffentlicher Wettergebete an, »damit der grundtgüettige Gott mechte versönnet, und die Abwendung dises anhaltenten fast Landtschädtlichen Wetters erbetten werde«, nachdem die »bishero zu erlangung eines schönnen, und fruchtbaren Wetters verrichte andachten, wie es der Effect laider bezaigt, wenig ergeben« haben.3 Dazu sollten in den Münchener Kirchen Prozessionen und Hochämter abgehalten werden. Hauptverantwortliche Zentralbehörde für die Angelegenheit öffentlicher Wettergebete und -andachten war jedoch nicht der Hofrat, sondern der Geistliche Rat. Am 1. August 1729 wurde ihm vom Geheimen Rat mitgeteilt, dass der Kurfürst die Abhaltung öffentlicher Gebete wünsche, weil der anhaltende Regen das Einbringen der Ernte verhindere. Das wiederholte sich drei Jahre später, als der Geistliche Rat am 4. Juni 1732 wegen des seit einigen Tagen anhaltenden kalten und »zum verderblichen schauer« neigenden Wetters die Anweisung erhielt, das in derlei Fällen »gewöhnliche allgemaine Gebett« anzuordnen. Nur einen Monat später, am 9. Juli, wurde dem Geistlichen Rat erneut befohlen, den ganzen Tag andauernde öffentliche Gebete abhalten zu lassen, um den »allgüettige[n] Gott« um den Erhalt des derzeit schönen Wetters für die Ernte zu bitten. Zu jeder Stunde sollte dazu in den Gassen der Stadt München zum Gebet aufgerufen werden. Da es sich um öffentliche Andachten handelte, sei auch darauf zu achten, dass die Gebete nicht in privaten Kapellen und Filialkirchen verrichtet, sondern in den Pfarr- und Hauptkirchen der Jesuiten, Augustiner, Franziskaner und Theatiner gehalten werden. Wettergebete konnten also sowohl zur Abwendung schlechten Wetters als auch zum Erhalt guten Wetters veranlasst werden und waren eine öffentliche Angelegenheit, die von der versammelten Untertanenschaft auf Anordnung der Obrigkeit verrichtet wurde. Solche öffentlichen Gebete waren aber nicht nur auf einen Tag beschränkt, sondern konnten sich auch über Wochen oder mehrere Monate erstrecken: Anlässlich grassierender Viehseuchen in den 1730er Jahren wurden eine ganze Reihe von Anordnungen zu öffentlichen zehnstündigen Gebeten erlassen, die die Viehseuchen in einen Zusammenhang mit anderen Katastrophenszenarien wie Unwettern und Überschwemmungen stellten. In einer dieser als Druck vorliegenden Anordnungen von 1736 wurden öffentliche zehnstündige Gebete für die Sonntage und Feiertage im Zeitraum vom 16. Juni bis zum 23. Dezember angeordnet. Dabei wurden die Viehseuchen und sonstigen Katastrophen als »billiche Straff-Ruthen« der »Gerechtigkeit GO ttes« gedeutet, die als »verdiente Straffen« verhängt worden seien. Sowohl diese straftheologische Deutung als auch die mehrstündige Dauer und Fortführung der Gebete über einen längeren Zeitraum waren auch für weitere Anordnungen zu öffentlichen Gebeten üblich, die sich nur auf eine für die Ernte ungünstige Witterung bezogen. So wurden die anhaltenden Regenfälle in einer entsprechenden Bekanntmachung zum öffentlichen Gebet von 1752 als »gerechte Straffruthen« des »durch unsere vil

3 Auch für das Folgende BayHStA GR Fasz. 1209 Nr. 17.

Religiöse Deutungs- und Handlungsperspektiven

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fälltigen Sünden höchst beleidigte[n] GOTT[es]« verstanden. Zur »Besänfftigung der erzürneden göttlichen Gerechtigkeit« sollten deshalb vom 19. bis 27. August öffentliche Andachten abgehalten werden. In einer weiteren Bekanntmachung von 1743 wurden solche zehnstündigen öffentlichen Gebete mit einem morgendlichen Rosenkranzbeten verbunden und für die Monate August bis Oktober festgesetzt. Die öffentlichen Wettergebete waren dabei nicht auf die Residenzstadt München beschränkt. In einem Schreiben an die Kirchendeputationen der Regierungen Burghausen, Landshut und Straubing vom 24. Oktober 1769 wurde ihnen freigestellt, im Bedarfsfall bei entsprechendem Regenwetter ihrerseits öffentliche Gebete in ihren Amtsbezirken anzuordnen. Auch in den Nachbarstaaten des Kurfürstentums wurden solche öffentlichen Gebete und Andachten abgehalten, um ein der Ernte günstiges Wetter zu erflehen. So hatte der Stadtdechant und Stadtpfarrer Sedlmayr in Freising auf fürstbischöfliche Anweisung vom 19. August 1785 zu verkünden, dass am darauffolgenden Tag ein Bittgang zum Freisinger Dom »zu[r] Erbittung einer günstigen Witterung um Einbringung der lieben Feldfrüchten« abgehalten werden solle.4 Auch im Hochstift Passau wurde im selben Jahr ein mehrstündiges Gebet abgehalten, um für eine günstige Witterung für die Feldfrüchte zu bitten. Wie aus einem Schreiben in dieser Angelegenheit an das Kloster St. Nikola vom 24. August 1785 hervorgeht, hatte dazu die Gemeinde an einem Sonntag möglichst zahlreich zu erscheinen, »damit durch vereinigtes gebett gott desto eher zur Barmherzigkeit, und zur Abwendung, oder Verminderung der zu befürchtenden allgemeinen trancksaalen bewogen, und die Erhörung des vereinigten gebeths desto getröster verhoffet werde.«5 Die Anzahl der versammelten Gemeinde bzw. das von einem möglichst großen Kollektiv gemeinsam und öffentlich gesprochene Gebet sollte also die Erhörung der Bitte garantieren und den göttlichen Adressaten eher zu Milde und Barmherzigkeit bewegen. In den 1770er Jahren setzte dann in Kurbayern beginnend mit der Hungerkrise von 1770/71 eine Häufung von öffentlichen Wettergebeten ein, die fast im alljährlichen Rhythmus angeordnet wurden und eine sich routinierende Handlungspraktik zur Abwendung schlechten Wetters ausbildeten.6 Am 24. April 1770 erging die Anordnung an den Geistlichen Rat, wegen »der annoch anhaltenden nassen und kalten Witterung« öffentliche Gebete für schönes Wetter veranstalten zu lassen. Bereits am 11. Dezember des Jahres wurde er dann erneut angewiesen, ein dreitägiges öffentliches Gebet auszuschreiben, um die befürchtete bevorstehende Teuerung dadurch noch abzuwenden. Außerdem seien die Pfarrer anzuweisen, sich verstärkt gegen den Wucher als Laster, das den

4 BayHStA HL 3 Fasz. 153 Nr. 31. 5 BayHStA Kloster St. Nikola Passau Amtsbücher und Akten (vorläufige Nr. 2677). 6 Für das Folgende BayHStA GR Fasz. 1209 Nr. 17.

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weltlichen und göttlichen Gesetzen zuwiderlaufe, zu wenden. Am 23. März des folgenden Jahres 1771 wurde diese Anweisung zur Predigt gegen den Wucher aus aktuellem Anlass wiederholt, nachdem Fälle von Wucher und gehortetem Getreide bekannt geworden waren. Nach besser ausgefallenen Ernten in diesem Jahr erging am 6. September 1771 die Anweisung an den Geistlichen Rat, ein öffentliches Dankgebet veranstalten zu lassen, was dieser noch durch eine Prozession und eine feierliche Messe ergänzt wissen wollte. Im folgenden Jahrzehnt wurden dann fast jedes Jahr erneut öffentliche Wettergebete ausgeschrieben, die eine für die Ernte günstige Witterung erflehen sollten. Die Anweisung dazu an den Geistlichen Rat vom 14. Februar 1772 verwies als Zweck nicht nur ausdrücklich auf den Segen für die Feldfrüchte, sondern auch auf die Verhinderung zukünftiger Teuerung. Dass es sich dabei um eine sich einspielende Handlungspraktik handelte, zeigt auch die Formelhaftigkeit der Bekanntmachungen des öffentlichen Wettergebets, besonders der Jahre 1776, 1777 und 1778, in denen jeweils auf die Hoffnung einer glücklichen Ernte und auf die Abwendung alles Unglücks und Schadens für das Vaterland verwiesen wird, wozu sechsstündige Gebete mit den festen Bestandteilen des Vaterunser, des Ave Maria und des Glaubensbekenntnisses abzuhalten waren. Die Handlungspraktik der öffentlichen Wettergebete geriet jedoch auch in den Fokus aufklärerischer Kritik, wie ein Schreiben des Geistlichen Rates an die Obere Landesregierung vom 30. Mai 1780 zeigt. Darin wies ersterer darauf hin, dass in regelmäßiger Folge seit der Teuerung der Jahre 1770/71 öffentliche Gebete von der Fronleichnamswoche bis zum Ende der Ernte ausgeschrieben worden seien. Dagegen hätten sich nun besonders die weniger vermögenden Kirchen ausgesprochen, da sie sich die Messen mit der dafür nötigen Kerzenbeleuchtung als alljährliche Dauerausgaben nicht leisten könnten. Bedeutsamer war aber das Argument des Geistlichen Rats, dass »in der Hauptsache unser Religion durch gar zu viele Andachten gewiß mehr verliehrt als gewinnt«, weshalb man vorschlage, »ersagtes Gebeth nicht zur Gewonheit werden zu lassen« und es nur in außerordentlichen Unglücksfällen auszuschreiben. Hier positionierte sich eine an der aufklärerischen Kritik der Barockfrömmigkeit geschärfte Auffassung von einer verinnerlichten Religiosität, die einer auf kollektiven Ritualen basierenden Frömmigkeitspraxis ablehnend gegenüberstand, weil sie diese als nur veräußerlichte, mechanische Religionsausübung, als »Gewonheit«, auffasste, die durch »zu viele Andachten« dem eigentlichen, auf das Innere des Einzelnen gerichteten Anliegen der Religion schadete. Anstelle des öffentlichen Wettergebetes schlug der Geistliche Rat daher vor, alljährlich ein Danksagungsfest für die Ernte mit einer Prozession und einem Te Deum abhalten zu lassen. Zwar wurde diese Anregung insofern aufgegriffen, als eine entsprechende Bekanntmachung zu öffentlichen Gebeten als Danksagung für die Ernte im selben Jahr erschien. Das Wettergebet für das Gelingen der Ernte und zur Abwendung von Schaden blieb jedoch bestehen, da bereits im folgenden Jahr die

Religiöse Deutungs- und Handlungsperspektiven

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Obere Landesregierung den Geistlichen Rat am 27. Juni 1781 anwies, die Gebete erneut wegen Schäden an den Feldfrüchten durch Schauerwetter und Kälte zu veranlassen. Entscheidend war für die Obere Landesregierung dabei, dass es »bei dem Publico ein zimliches Aufsehen machen därfte, wenn nicht um Abwendung fernerer Unglüks fällen offentliche Gebetter angestellt werden.« Man reagierte also auf eine Erwartungshaltung in der Bevölkerung, die das öffentliche Gebet als reguläre Handlungspraktik zur Abwendung von wetterbedingten Schäden an der Ernte voraussetzte. Dass diese Erwartungshaltung durchaus existierte, zeigt eine Supplik von Münchener Bürgern an den Geistlichen Rat, die am 11. Juni 1785 an den Münchener Stadtmagistrat weitergeleitet wurde und in der sie um die Veranlassung eines sechsstündigen öffentlichen Gebetes um gutes Wetter für die Ernte ersucht hatten. Ausdrücklich wurde dem Stadtmagistrat mitgeteilt, dass der Geistliche Rat diesem Anliegen wohlwollend gegenüberstehe, falls auch die Bürgerschaft damit einverstanden sei. Am 3. August 1785 richtete der Geistliche Rat gar ein Patent an die Stadtpfarrer von Unserer Lieben Frau (Frauenkirche) und St. Peter in München sowie an die örtlichen Orden der Augustiner, Franziskaner und Kapuziner mit der Vorschrift, dass nicht nur die öffentlichen Gebete zur Rettung der durch »die außerordentlich kalt- und nasse Witterung […] der außerst und unmittlbaren Verderbungs gefahr ausgesezt[en]« Feldfrüchte fortgesetzt werden sollten. Zur »Abwendung dieses und all ander Übel« und »um eine günstigere Witterung zu Einbringung gedachter Feldfrüchten von Gott dem Allmächtigen zu erbitten«, sollte darüber hinaus am 25. des Monats ein Kreuzgang von der Kirche St. Peter zur Frauenkirche durchgeführt und dort ein feierliches Bitt- und Hochamt abgehalten werden. Trotz Kritik zeigte sich der Geistliche Rat also weiterhin nicht nur für öffentliche Wettergebete, sondern auch für andere Frömmigkeitspraktiken wie Prozessionen prinzipiell offen. Für die folgenden Jahre sowie den gesamten Zeitraum der 1790er Jahre liegen mit nur wenigen zeitlichen Lücken formal identische und annähernd gleichlautende Bekanntmachungen über die Abhaltung öffentlicher Wettergebete vor, die alljährlich um eine günstige Witterung für die Ernte und um die Abwendung allen Unglücks und Schadens für das Vaterland bitten sollten und die teilweise auch mit Prozessionen begleitet wurden. Im Zuge einer Wiederaufnahme verstärkter Reglementierung von Frömmigkeitspraktiken zu Beginn des 19. Jahrhunderts gerieten jedoch auch die religiösen Handlungspraktiken zur Abwendung schlechter Witterung ins Blickfeld der staatlichen bayerischen Religionspolitik. Eine Verordnung vom 4. Dezember 1801 zu den ursprünglich 1773 abgeschafften Feiertagen bestimmte die erlaubten Ausmaße von Frömmigkeitsritualen hinsichtlich der Witterung.7 Von den althergebrachten Kreuzgängen, die mehr als einen Tag in Anspruch nehmen, solle einer 7 BayHStA GR Fasz. 1209 Nr. 17, abgedruckt in Mayr, Sammlung der Churpfalzbaierischen. Band 1, 270–272, vgl. auch Jakubowski-Tiessen, Feiertagsreduktionen.

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Gemeinde nur noch einer pro Jahr erlaubt sein. Bei akuten außerordentlichen Unglücksfällen, »z. B. allgemeinen Krankheiten, Viehfall, länger anhaltenden Regen oder Tröckne,« war zwar zukünftig kein Kreuzgang mehr erlaubt, »jedoch sollen sich die Pfarrer mit ihren Gemeinden vereinigen, damit statt desselben Bethstunden in der ordentlichen Pfarrkirche jeden Orts, am nächst zu erwählenden gebothenen Feyertagen gehalten werden.« Dass die landesherrliche Obrigkeit ein waches Auge auf die Einhaltung dieser Bestimmungen hatte, zeigt der Bericht des Landgerichts Neustadt an die Landesdirektion von Bayern vom 28. Juni 1803. Darin meldete das Gericht, dass die örtliche Pfarrei jeden Tag bis zum Ende der Erntezeit einen Rosenkranz mit der Gemeinde in der Pfarrkirche beten wolle, womit am 24. Juni auch bereits begonnen worden sei, nachdem der Neustädter Bürgermeister Anton Schamburger zusammen mit einem Ratskollegen des Magistrats darum ersucht hatte. Am 25. Juni hatte das Landgericht deshalb bereits die Stadtpfarrei Neustadt mit Nachdruck auf die Bestimmungen der Verordnung vom Dezember 1801 hingewiesen, dass Betstunden anlässlich von Unglücksfällen wie anhaltendem Regenwetter nur an Feiertagen stattzufinden hätten. Das Landgericht unterstrich diesen Standpunkt mit der Versicherung, es habe »alle Achtung für öffentliche Andachtsübungen, wenn sie verordnungsmäßig geschehen […].« Im Bericht an die Landesdirektion beklagte sich das Landgericht nun, dass die Pfarrei trotz der erhaltenen Rüge damit fortfahre, täglich den Rosenkranz für ein besseres Wetter beten zu lassen, was vielleicht auf den möglichen Wunsch der Pfarrei zurückzuführen sei, in keine Zwistigkeiten mit dem Neustädter Magistrat verwickelt zu werden. Auch gegenüber einem bereits bewilligten Kreuzgang der Neustädter Gemeinde zum Wallfahrtsort Bettbrunn zeigte sich das Landgericht in seinem Bericht an die Landesdirektion kritisch, da diese Wallfahrt ausgerechnet zu einem Zeitpunkt stattfinden solle, an dem das sich bessernde warme Wetter das nun schon lange auf den Feldern liegende nasse Heu getrocknet haben werde. An diesem letzten Punkt wird das eigentliche arbeitsökonomische Motiv deutlich, das auch den Hintergrund der Meldung des Landgerichts über das verordnungswidrige Rosenkranzbeten bildete: Die Frömmigkeitspraktiken hinderten die Bevölkerung an der angebrachten sinnvollen Arbeit, weshalb sie gerade auf Sonntage und Feiertage beschränkt waren, an denen sowieso nicht gearbeitet wurde. Dass diese Reglementierungspolitik nicht gegen Frömmigkeitspraktiken an sich, sondern gegen die Einschränkung der Produktivität der Bevölkerung gerichtet war, illustriert wiederum eine Anordnung der Landesdirektion vom 12. Oktober 1803, in der die Ausrichtung eines Erntedankfestes vorgeschrieben wird.8 Aufgrund der besonders gut ausgefallenen Ernte des Jahres sei dem Allmächtigen auch besonderer Dank abzustatten, weshalb alle Pfarreien in allen 8 Das Aerndte- oder Dankfest betreffend, in: Churpfalzbaierisches Regierungsblatt 1803, 19. Oktober (XLII . Stück), 495.

Verwissenschaftlichung des Wetters

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Städten, Märkten und Dörfern Kurbayerns an einem Sonntag oder Feiertag – passend also zu den Bestimmungen der Verordnung vom 4. Dezember 1801 – ein Ernte- oder Dankfest mit Gottesdienst und Predigt abzuhalten hätten. Dieses Fest solle zukünftig jedes Jahr im September vor Michaelis (dem 29. September) gefeiert werden. Damit kehrte man wieder zu dem Vorschlag zurück, den der Geistliche Rat bereits zwei Jahrzehnte zuvor gemacht hatte, statt Wettergebeten, die gutes Wetter für die Ernte garantieren sollten, Dankfeste für die eingefahrene Ernte abzuhalten.

5.2 Verwissenschaftlichung des Wetters Das öffentliche Wettergebet als Handlungspraktik im Umgang mit Wetter in Verbindung mit seiner straftheologischen religiösen Deutung war jedoch nicht die einzige Form des handelnden und deutenden Umgangs mit dem Wetter. Daneben gewann im 18. Jahrhundert eine verwissenschaftlichte Perspektive an Bedeutung, die auf der Grundlage empirischer Beobachtungen Regel- und Gesetzmäßigkeiten des Wetters und Witterungsverlaufs identifizieren wollte, um darauf aufbauend eine optimierte Landwirtschaft zu betreiben, aber auch Einflüsse des Klimas auf die Gesundheit, die allgemeine Bevölkerungsentwicklung sowie die Landeskultur (in Gestalt der Trockenlegung von Sümpfen und Mooren sowie Baumpflanzungen und Wäldern) zu bestimmen. Diese entstehende empirische Wetterbeobachtung drückte sich nicht nur in einem wachsenden meteorologischen Diskurs des wissenschaftlichen Feldes aus, sondern war auch im Rahmen der Volksaufklärung wirksam. Hier avancierte die These vom Kalender als dem hauptsächlichen Lesestoff des gemeinen Mannes auf dem Land zum Topos, mit dem die Reform des Kalenderwesens im volksaufklärerischen Sinne propagiert und vorangetrieben wurde.9 Neben der inhaltlichen Umgestaltung der Kalender, um den bäuerlichen Untertanen in Form der Kalendergeschichten sittliche Werte und agrarökonomisches Wissen zu vermitteln, war auch die Kritik an den Wetterprognosen und Wetterprophezeiungen der Volkskalender von Bedeutung. Gegen die als beliebig und falsch charakterisierten Wetterprognosen wurden empirische Witterungsbeobachtungen und physikalische Kenntnisse des Wetters gesetzt, die mit der Landwirtschaft verbunden in regelhafter Form verschriftlicht werden und dem Landmann so zur Grundlage der Ausrichtung seines Ackerbaus an der Witterung dienen sollten. So argumentierte beispielsweise der Aufklärer Lorenz Westenrieder, der für eine Unterrichtung des Landvolkes über die empirisch bestimmbaren Witterungsregeln auf der Grundlage bereits bestehender Werke zur Wetterbeobachtung plädierte. Statt den »astrologischen Grillen und erdichteten Vorherkündigungen

9 Dazu Masel, Kalender, 55–63.

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des Wetters« in den Kalendern zu folgen, sollten lieber Witterungskunde und Landwirtschaft miteinander verbunden werden, um meteorologische Regeln für die Landwirtschaft aufzustellen. Auf der Grundlage jahrelanger Beobachtungen des Wetters könnten dann die Zusammenhänge von guter Ernte und Witterung bestimmt werden.10 In diesem Sinne wandelten sich dann auch die bayerischen Kalender in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts unter dem Einfluss der Volksaufklärung:11 Waren zuvor astrologische Wetterprophezeiungen und die Wetterprognosen der Bauernregeln fester Bestandteil der Kalendarien und »Praktika«, wurden sie nun zunehmend kritisch in den Kalendern selbst bewertet und verschwanden zugunsten meteorologischer Beobachtungen und Aufforderungen zu eigenständiger Wetterbeobachtung. Auch insgesamt zeigt sich eine Abkehr von religiösen Themen hin zu naturwissenschaftlich geprägten Beiträgen besonders in den Anhängen der Kalender. Waren die kalendarischen Texte zuvor religiös-moralisierend geprägt, hatten sie nun einen ökonomisch, meteorologisch und astronomisch belehrenden Inhalt. Die empirische Wetterbeobachtung als Handlungspraktik zum Umgang mit Wetter war jedoch vor allem im wissenschaftlichen Feld in der Entwicklung einer meteorologischen Forschung bedeutsam, wobei wieder einmal die Akademie der Wissenschaften eine Schlüsselstellung einnahm.12 Bereits in den Anfangszeiten der Akademie hatten der Protagonist der Akademiegründung, Johann Georg Lori, und der Mathematiker und Naturforscher Johann Heinrich Lambert (1728–1777), der Mitglied der Philosophischen Klasse der Akademie war, Pläne zur Wetterbeobachtung entworfen. Ein entscheidender Anstoß zur Durchführung systematischer meteorologischer Beobachtungen in Kurbayern kam jedoch durch die 1780 erfolgte Gründung der Societas Meteorologica Palatina im Rahmen der Mannheimer Kurpfälzischen Akademie der Wissenschaften. Neben der Einrichtung eines internationalen Messnetzwerkes war auch Bayern für die Mannheimer Gesellschaft ein wichtiger Standort für meteorologische Messstationen. Es war der zu den Gründungsmitgliedern der Societas Meteorologica Palatina gehörende kurpfalzbayerische Beamte Stephan von Stengel (1750–1822), der das Beobachtungsnetz in Bayern organisierte, an dem die dortigen Klöster einen entscheidenden Anteil hatten. Der Sekretär der Meteorologischen Gesellschaft, Johann Jakob Hemmer (1733–1790), installierte wiederum die Mannheimer meteorologischen Messinstrumente an den bayerischen Beobachtungsstandorten, also hauptsächlich den Klöstern. In den von der Gesellschaft herausgegebenen Ephemeriden sollten die Ergebnisse der weltweit 10 Lorenz Westenrieder, VI . Hindernisse der Landkultur von Seite des Landvolkes, in: Baierische Beyträge zur schönen und nützlichen Litteratur 1.1. Drittes Stück, März 1779, 280. 11 Für das Folgende Masel, Kalender, 126–129. 12 Zur Geschichte der meteorologischen Forschung in Kurbayern im 18. Jahrhundert unter der Leitung der Kurbayerischen Akademie der Wissenschaften und in Verbindung mit der Societas Meteorologica Palatina vgl. Hammermayer, Geschichte. Band 2, 208–215.

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und in Bayern gesammelten Beobachtungen, zu deren Durchführung und zum Gebrauch der meteorologischen Messinstrumente Hemmer eine Anleitung in die Ephemeriden setzen ließ,13 publiziert werden. Die Bayerische Akademie der Wissenschaften sollte dabei die leitende Institution der meteorologischen Messungen in Bayern sein. Deren Programm zur meteorologischen Beobachtung war jedoch auch eigenständig und ging über die Rolle als Zulieferer zum Messnetzwerk der Mannheimer Gesellschaft hinaus. Bereits 1780, noch vor der Einrichtung des Mannheimer Messnetzwerks, hatte das Akademiemitglied Franz Xaver Epp in einer Festrede das Programm einer durch die Kurbayerische Akademie der Wissenschaften geleiteten meteorologischen Forschung entwickelt. Darin sah er die Vorstellung von der Regelungebundenheit und Unvorhersagbarkeit des Wetters als ein ähnliches Vorurteil an wie die abergläubischen Ansichten über Sonnenfinsternisse und Kometen, die bereits als gesetzmäßige und vorhersehbare Phänomene erkannt worden seien, genau wie zukünftig auch die Witterung.14 Die in der Folge von Epp entfalteten Grund­ linien empirischer meteorologischer Beobachtung beruhten auf der Überzeugung, dass sich hinter dem Chaos der Wetterphänomene und Naturerscheinungen einfache Gesetzmäßigkeiten verbergen: So wie auch viele andere Phänomene im Bereich der Natur – tierische und menschliche Krankheiten, Wachstum und Fortpflanzung der Pflanzen, Ebbe und Flut in ihrer Abhängigkeit vom Mond – zyklisch organisiert seien, könne auch von den Wettererscheinungen gesagt werden, »daß sie periodisch sind, und von periodischen Ursachen abhangen.«15 In diesem Zusammenhang würdigte Epp zwar die historische Bedeutung der astrologischen Wetterprognosen und Bauernregeln in den Kalendern als erste Versuche einer ungenauen Wetterbeobachtung, kritisierte sie aber auch für ihre zahlreichen Fehler, Ungenauigkeiten und Ungereimtheiten. Die meteorologische Wetterbeobachtung zur Identifizierung der Gesetzmäßigkeiten des Wetters auf empirischer Basis wurde bei Epp dagegen zur patriotischen Aufgabe, um den Nachkommen einmal eine Optimierung von Ackerbau und Viehzucht sowie verbesserten Umgang mit Krankheiten zu ermöglichen, da sie dann um die Erfolgsaussichten der Getreide- und Obsternte, um die optimalen Zeitpunkte von 13 Johann Jakob Hemmer, Monitum ad observatores societatis meteorologicae Palatinae, a serenissimo Electore Carolo Theodoro recens institutae, in: Ephemerides Societatis Meteorologicae Palatinae 1781, 1783, 8–14. 14 Franz Xaver Epp, Ueber die Wetterbeobachtung. Eine Rede abgelesen an dem höchsten Namensfest Seiner Churfürstlichen Durchläucht zu Pfalzbaiern etc. Karl Theodor. München 1780, [5]. Epp hatte zwei Jahre zuvor eine Untersuchung über die Sonnenfinsternis vom 24. Juni 1778 veröffentlicht, in der er die astronomischen Ursachen des Himmelsphänomens erläuterte und eine religiöse Deutung von Sonnen- und Mondfinsternissen als Prodigien kommenden Unheils zurückwies; Franz Xaver Epp, Systematische Beschreibung einer sichtbaren Sonnenfinsterniß, Die wir hier zu München 1778. den 24. Brachmonats ungefähr um 4 Uhr 45 M. Nachmittags, wenn das Wetter günstig ist, sehen werden. München 1778. 15 Ebd., [8]–[13].

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Aussaat und Ernte und um mögliche Krankheitsausbrüche wüssten, was alles von Witterungsverhältnissen bestimmt sei: »O daß die Gelehrten unsers Vaterlandes und ächte Patrioten bedacht seyn möchten […] etwas Gewisses in dieser Sache zu bestimmen!  – Nur genaue, und beständig fortgesetzte Beobachtungen sind das einzige Mittel, unsre Nachkömmlinge in Stand zu setzen […], die unwandelbaren Gesetze der Witterungsveränderungen zu erheben, und für die Nachwelt Regeln zu schaffen, die durch fortgesetzte ähnliche Bemühungen bis zur höchsten Stuffe physischer Gewißheit gebracht werden können.«16

Dieses Programm einer Generationen übergreifenden empirischen Beobachtungstätigkeit der Witterung sollte in Epps Vorstellung von allen bayerischen Staatsbürgern getragen werden: Von den Ordensleuten, die schon in der Vergangenheit die Natur in Bayern zum Wohle der Allgemeinheit gebändigt und gestaltet hätten, den akademischen Lehrern, die die meteorologischen Messinstrumente zur Verfügung hätten und sie zu bedienen wüssten, den akademisch ausgebildeten Bürgern, die sich meteorologisches Wissen angeeignet hätten, den Klosterökonomen, die das Wachstum der Pflanzen übers Jahr im Blick hätten, den Ortspfarrern, die im Dienste einer guten Landespolicey Listen zur Bevölkerungsstatistik anlegen könnten, den Landärzten, die die Auswirkung der Witterung auf die Gesundheit beurteilen könnten, bis hin zu den einfachen Bauern, die aus Interesse ebenfalls Wetterbeobachtungen anstellten. Sie alle werden bei Epp zu Trägern des empirischen meteorologischen Programms für Kurbayern, das schließlich die Naturkunde nach generationenlanger Wetterbeobachtung in den Stand versetzen sollte, auf der Basis dieser gesammelten Daten des vergangenen Wetters Vorhersagen für das zukünftige Wetter zu treffen. Dann könne niemand mehr von Wetterpropheten aller Art getäuscht werden.17 Noch weitreichendere Perspektiven der meteorologischen Wetterbeobachtung in Kurbayern entwickelte der Augustiner Maximus Imhof (1758–1817), der am Münchener Lyzeum Mathematik und Physik lehrte und den öffentlichen Lehrstuhl für Experimentalphysik und Chemie an der Akademie der Wissenschaft innehatte,18 in einer Festrede zum Jahrestag der Stiftung der Akademie der Wissenschaften. Darin verband er programmatisch die allgemeine topographische und atmosphärische Beschaffenheit des Landes mit den dort vorherrschenden klimatischen Bedingungen und Wetterphänomenen und definierte für diesen Zusammenhang den Begriff des ›physischen Klimas‹: »Physisches Klima ist also, meiner Meynung zu Folge, die innere Beschaffenheit eines Landes, oder eines gewissen Distriktes in Ansehung der Atmosphäre und ihrer Eigenschaften, 16 Ebd., [27]–[28]. 17 Ebd., [38]–[41]. 18 Zur Person Imhofs: Eberhard Knobloch, Imhof, Maximus (Taufname: Johann Evangelist) von, in: Neue Deutsche Biographie 10, 1974, 153. Online verfügbar unter http://www. deutsche-biographie.de/ppn117129925.html.

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welche dann ihre besondere Wirkung auf Witterung, Temperatur, Wachsthum der Pflanzen, auf die Gesundheit der Menschen, und Thiere äußert.«19 Von der Grundlage ausgehend, dass sich die Art des physischen Klimas an einem Ort aus seiner günstigen oder ungünstigen Lage sowie landschaftlichen Struktur ergebe, leitete Imhof die These seines Vortrags ab, dass die Verbesserung der Lage oder Landeskultur eines Ortes notwendig auch zur Verbesserung des dortigen physischen Klimas führe. Wenn dies bei einer größeren Zahl an Orten gelänge, wirke sich das auch auf das Klima Bayerns im Ganzen positiv aus. Deshalb könne selbst noch das raueste Klima durch menschliche Tätigkeit umgestaltet und verbessert werden. Als Beleg verwies Imhof dabei auf die Veränderung des feuchtkalten deutschen Klimas durch die mittelalterlichen Waldrodungen, die in Bayern durch die Benediktinerklöster vorgenommen worden seien und dort zur Verbesserung des bayerischen Klimas geführt hätten.20 Ein solches Programm der Klimaverbesserung durch Anstrengungen in der Landeskultivierung forderte Imhof nun auch für seine Gegenwart ein. Hier hatte er besonders die Sümpfe und Moore als Verursacher schlechten Klimas ausgemacht, da sie als stehende Gewässer beständig Fäulnis und entsprechende Ausdünstungen produzierten, die sich auf die Witterung ringsherum und damit auch auf das Wachstum von Pflanzen und Tieren auswirkten. Der aufsteigende übelriechende Nebel aus den Mooren zeige überdies ein kommendes Unwetter an, das durch diesen Nebel selbst hervorgerufen werde, da er entzündliche Materie enthalte. Nicht nur indirekt durch die erzeugte nasskalte Witterung wirkten sich die Dünste und Nebel der Moore und Sümpfe negativ auf das Pflanzenwachstum aus, sondern beeinflussten dieses auch direkt, insofern sie den Pflanzen die zur Atmung und Nährstoffaufnahme benötigte Luft benähmen – hier verwies Imhof auf Forschungen zur Pflanzenatmung.21 Im Gefolge der Miasma-Theorie machte Imhof die Moor- und Sumpfdünste auch für Krankheiten an Pflanzen und Menschen verantwortlich. Deshalb seien von Pflanzen und Bäumen unbestandene Ebenen ungesund, weil hier die Funktion der Pflanzen, die Luft zu reinigen, wegfalle. Da die ungesunden Ausdünstungen der Moore und Sümpfe sich durch Winde in moorfreie Regionen Bayerns verteilten, trügen sie auch in diesen Gegenden zu Seuchen und Krankheiten und zu einer

19 Maximus Imhof, Ueber die Verbesserung des physikalischen Klima Baierns durch eine allgemeine Landeskultur. An dem Stiftungstage der Churfürstlichen Akademie der Wissenschaften in einer öffentlichen Versammlung vorgetragen. München 1792, 5. 20 Ebd., 5–7. 21 Es waren vor allem die Forschungen Joseph Priestleys (1733–1804) im Zusammenhang mit seinen Arbeiten zu ›dephlogistierter Luft‹ (Sauerstoff), aber auch von Jan Ingenhousz und anderen, die zur Entdeckung der Photosynthese führten, vgl. Robert E. Schofield, The Enlightened Joseph Priestley. A Study of His Life and Work from 1773 to 1804. University Park, Pennsylvania 2004, 139, 154–155.

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Verschlechterung des Klimas insgesamt in Bayern bei.22 Auf der Grundlage dieser von ihm hergestellten Zusammenhänge von physischem Klima, Gesundheit und Beschaffenheit der Landeskultur rief Imhof zur Urbarmachung von Mooren und Sümpfen sowie zur Trockenlegung der sumpfigen Wallgräben um die Städte und ihre Umwandlung in Alleen auf, wie das in England, Holland, Westfalen, Preußen und Russland bereits geschehen sei. Bayern könne durch eine solche allgemeine Landeskultur sehr viel für sein Klima, den Ackerbau und die Viehzucht, die Bevölkerungsgröße und die Staatseinkünfte gewinnen.23 In einem flammenden Appell stilisierte Imhof die Landeskultivierung zur Klimaverbesserung rhetorisch zur patriotischen Aufgabe, der sich bereits die Vorväter gewidmet hätten, mit deren erreichten Ergebnissen man sich aber in der letzten Zeit träge zufrieden gegeben habe. Im Stile der Herrscherverherrlichung und des Fürstenlobes hob er dann jedoch die Unternehmungen Karl Theodors in der Landeskultur und seine weise Voraussicht, in den zukünftigen Wohlstand Bayerns zu investieren, hervor.24 Was Franz Xaver Epp in seiner Festrede von 1780 angedeutet hatte, baute Maximus Imhof mit seiner Theorie des physischen Klimas also zu einer umfassenden Vernetzung des Wetters mit den Zwecken der Landeskultivierung aus, indem er die Klimaverbesserung mit ihren angenommenen positiven Folgeeffekten für Landwirtschaft und Gesundheit zu einem Ziel der Urbarmachung von Mooren und Sümpfen machte. Imhof diente die meteorologische Wetterbeobachtung zu weitaus mehr als nur zur Erhebung empirischer Daten, um aus ihnen Gesetzmäßigkeiten der Wettervorhersage ableiten zu können. Vielmehr ging es um die Analyse systemischer Zusammenhänge von Wetterphänomenen und dem Klima mit lokalen landschaftlich-topographischen Bedingungen, um durch deren gezielte Gestaltung wiederum das Klima beeinflussen zu können. In diesem Sinne fand das bereits beschriebene aufklärerische Deutungsmuster von der optimierbaren Natur auch Eingang in die Formation des meteorologischen Diskurses und sollte sich ebenfalls in den Deutungsmustern und Handlungspraktiken widerspiegeln, die auf die Unwetter und Gewitter bezogen waren. Das zu diesen Zwecken aufgebaute Netz von Beobachtungsstationen in Kurbayern war zunächst als Ergänzung des weltweiten Messnetzwerkes der Societas Meteorologica Palatina gedacht, sollte jedoch auch eigene Messdaten für Kurbayern produzieren, die von der Churbaierischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben wurden. Franz Xaver Epp trug sie für die Veröffentlichung als meteorologische Ephemeriden in den Abhandlungen der Akademie zusammen. In der Einleitung zum ersten Jahrgang der Ephemeriden gab Epp eine Liste von Beobachtungsdaten an, die zur Veröffentlichung kommen sollten, wobei nicht 22 Imhof, Ueber die Verbesserung, 7–17. 23 Ebd., 17–18. 24 Ebd., 18–21.

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nur Barometerbeobachtungen und Temperaturmessungen sowie allgemeine Angaben zur Witterung gemacht werden sollten, sondern auch genaue Ortsbeschreibungen der Messstationen verbunden mit Geburts- und Sterbelisten.25 Dieser weite Rahmen der meteorologischen Beobachtungsdaten spiegelte die Verbindung des Wetters mit den topographisch-landschaftlichen Bedingungen sowie mit Aspekten der Bevölkerungsentwicklung wieder. Epp führte auch eine Liste der an diesem bayerischen Beobachtungsnetz beteiligten Messstationen auf, an der besonders die überwiegende Anzahl von nieder- und oberbayerischen Klöstern als meteorologischen Standorten auffällig ist. Die bedeutendste dieser klösterlichen Messstationen war wohl der vom Kloster Rottenbuch auf dem Hohenpeißenberg betriebene Standort. So hatte Epp in der Einleitung zu den Ephemeriden als beispielhaftes Vorbild die Orts­ beschreibung vom Hohenpeißenberger Observatorium abgedruckt.26 Darüber hinaus wurden dort bereits seit 1775 meteorologische Beobachtungen durch das Kloster Rottenbuch auf Anregung Johann Georg Loris hin durchgeführt.27 Der Hohenpeißenberg war jedoch gleichzeitig auch ein bedeutender Marianischer Wallfahrtsort in Bayern mit einer ebenfalls vom Kloster Rottenbuch betreuten Wallfahrtskirche, die Anlaufstelle von Wallfahrern war, welche um besseres Wetter für die Ernten oder um die Abwendung von Schauerwetter und Hagel bitten wollten.28 Der Hohenpeißenberg war damit sowohl Sakrallandschaft als auch Standort wissenschaftlicher Forschung, ein Ort des Nebeneinanders von religiöser und naturwissenschaftlicher Naturdeutung, die nicht unbedingt als widersprüchlich und sich gegenseitig ausschließend wahrgenommen werden mussten.29 Das bedeutete jedoch nicht, dass nicht gegensätzliche Wahrnehmungen des Hohenpeißenbergs existierten, die entlang der Bruchlinie von religiöser und naturwissenschaftlicher Deutung verliefen: Für die Wallfahrer war der Hohenpeißenberg in allererster Linie ein Gnadenort, an dem sie heilige Fürsprache für ihre Bitten um ein durch göttlichen Einfluss bewirktes gutes Wetter erhalten konnten. Für Johann Georg Lori, dem als Sohn eines Gastwirts im bayerischen Wallfahrtsort Steingaden das Phänomen der Wallfahrt nicht unbekannt gewesen sein dürfte, war der Hohenpeißenberg allein als Standort 25 Franz Xaver Epp, o.T., in: Meteorologische Ephemeriden auf das Jahr 1781 (1), 1783, 3–10. 26 Ebd., 6–9. 27 Vgl. dazu Hammermayer, Geschichte. Band 2, 208–215. 28 Im Jahr 1767 zählte man auf dem Hohenpeißenberg um die 20.000 Wallfahrer, womit dieser Wallfahrtsort zwar eine gewisse Bedeutung hatte, jedoch nicht den Umfang erreichte wie etwa die Wallfahrten nach Dorfen und Bettbrunn oder auch die Wieswallfahrt bei Steingaden; Habermas, Wallfahrt, 77–78. 29 »Während ein Konventual die meteorologischen Daten notierte, um wissenschaftlich fundierte Berechnungen über die Witterungsverhältnisse zu erhalten, läutete der andere die Glocken zum Wetteramt, um Maria zum Schutze vor Hagel- und Gewitterschauer anzurufen.«; ebd., 113.

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empirischer Wetterbeobachtung relevant, um auf der Grundlage der erstellten Datenreihen zukünftig hilfreiche Wetterprognosen machen zu können.30 Für den Rottenbucher Konventualen Ambrosius Mösmer (seit 1775 Probst seines Klosters) war die meteorologische Forschung auf dem Hohenpeißenberg jedoch vor allem Mittel zum Zweck, um diesen als Standort des Klosters Rottenbuch gegen eventuelle Begehrlichkeiten des Klosters Polling zu erhalten, obwohl er in der Naturwissenschaft durchaus eine Gefahr sah, die »zum Schaden der Kirche und der Seelen« wirken könne.31 Der Hohenpeißenberg mit seiner Doppelfunktion von Wallfahrtsort und meteorologischem Observatorium stand damit stellvertretend für die Wahrnehmung des Wetters im Allgemeinen, aber auch der Katastrophenszenarien von Gewitter und Unwetter im Besonderen: Eine religiöse und eine naturwissenschaftliche Perspektive mit ihren jeweiligen Handlungspraktiken und Deutungsmustern bildeten die beiden argumentativen Pole, zwischen denen sich ein seit dem Ende der 1760er Jahre zunehmend konfliktärer Diskurs um die Deutung von Unwettern bzw. Gewittern und ihre Bekämpfung durch spezifische Handlungspraktiken entspann.

30 Ebd., 110. 31 Ebd., 110.

6. Naturgefahr Gewitter und Unwetter / Hagel

In der Deutung der Gewitter und Unwetter im Kurbayern des 18. Jahrhunderts war der Gegensatz von religiöser und naturwissenschaftlicher Perspektive viel stärker ausgeprägt, als das für den Diskurs um Hochwasser bzw. Überschwemmungen der Fall war. Diese Unterschiedlichkeit der Deutungen machte sich auch in Darstellungsweisen des Naturgeschehens bemerkbar, die divergierenden ästhetischen Modi folgten. Die religiöse Deutung des Gewitters konnte beispielsweise mit einer Naturdarstellung im Modus der Ästhetik der Überwältigung verbunden werden, in der die für den Menschen gewaltigen, bedrohlichen und ängstigenden Naturkräfte im Gewitter den allmächtigen Gott als Urheber erkennen lassen, wie in einer Darstellung des Churbaierischen Intelligenzblattes: »Man darf sich in die Arme GO ttes werfen, seine Allmacht erkennen, und die Größe GO ttes bewundern, denn die Gewalt und die Wege des Donners sind den grösten

Weltweisen noch immer ein ohnauflößlicher Gegenstand gewesen. […] Es dunkelt sich. Ein kaltes Grausen, / Erschüttert Uns mit schneller Macht. / Ich hör ein ängstlichholles Sausen; / Der Donner brüllt; der Sturm erwacht. / Bald bricht er durch die Wolkenfeste, / Und reißet Felsen und Palläste, / Der bangen Welt aus ihrem Schoos. / Ihr ohnmachtsvollen Erdengötter, / Verberget Euch vor diesem Wetter! / Mein Schöpfer ist alleine groß.«1

Anders dagegen die verwissenschaftlichte, säkularisierte Deutung des Gewitters, die nicht nur in der sachlich-neutralen wissenschaftlichen Beschreibung zum Ausdruck kommen konnte, sondern auch in einer ästhetischen Naturwahr­ nehmung im Modus des Erhabenen, wie er sich im 18. Jahrhundert entwickelte und eine eigene Topologie der Natur- und Katastrophendarstellung ausbildete.2 In dieser Weise beschrieb Friedrich Nicolai in seinem Reisebericht über Süddeutschland ein Gewittererlebnis, das er nahe des Klosters Melk hatte:

1 Vermischte Nachrichten, in: Churbaierisches Intelligenzblatt 1767, 17. September (Nr. XVII), 173. 2 Zur Entstehung der Ästhetik des Naturerhabenen, die sich nicht, wie noch Joachim Ritter meinte, erst im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts als eine Kompensation für verlorene metaphysische Deutungsweisen der Natur und die Entzweiung von Mensch und Natur in Folge des sich durchsetzenden naturwissenschaftlichen mechanistischen Weltbildes entwickelte, sondern bereits in vormodernen Zeiten und auch im Rahmen der religiös-metaphysischen Naturwahrnehmung beispielsweise der Physikotheologie zu finden ist, vgl. Groh / Groh, Weltbild, 92–149.

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»Die Sonne, indem sie unterging, vergüldete die Spitzen der Berge, und röthete das Firmament, indeß sich um uns die Dämmerung zu verbreiten anfing. […] Sie vergüldete die rechte Seite des Horizonts noch lange, und röthete eine gerade vor uns hinter dem Berge aufsteigende Masse von Wolken, welche sich ganz bis auf die linke Seite des Horizonts zogen, und daselbst dunkelblau, und oben vom Horizonte abgeschnitten, wie hohe Gebürge aufgethürmt standen. Aus diesen dunkelblauen Wolken schoß, fast alle Minute, ein gewaltiger Blitz, welches, mit der rechts im hellsten Glanz herabsinkenden Sonne, den unbeschreiblich herrlichsten Kontrast machte. Endlich geschahen plötzlich, eben da die Sonne ganz unter dem Horizont sank, zwey große schnelle Donnerschläge, die Wolken waren entladen, und das Gewitter lösete sich in einen sanften balsamischen Regen auf mit dem sich zugleich Dunkelheit und Ruhe über den ganzen Horizont verbreitete.«3

Diese ästhetisierende, die farbliche Gestaltung betonende gemäldeartige Darstellung des Gewitters in der Ferne verband Nicolai jedoch mit einer wissenschaftlichen Sichtweise des Gewitters im Gebirge, da er gerade dieses aufgrund seiner deutlichen Kontraste für das geeignetste wissenschaftliche Studienobjekt hielt: »Die großen Scenen der Natur machen einen Eindruck, den kein menschliches Schauspiel erreicht: nirgends aber sind sie majestätischer, als in bergichten Ländern, und nirgends könnten sie für die Naturwissenschaft lehrreicher werden, als daselbst, weil ihre Würkungen so groß und abstechend sind. Aber, nur wenigen ist das Herz zu Empfindungen geöfnet, und wenigen sind Augen und Geist zu Beobachtungen geschärft.«4 Empfindsame Wahrnehmung des Gewitters als Naturschauspiel und wissenschaftliche Betrachtung erscheinen hier also als miteinander verbunden oder doch zumindest als nicht widersprüchlich. Auf diesen Zusammenhang von ästhetischer Naturwahrnehmung und wissenschaftlicher Perspektive auf das Gewitter wird noch zurückzukommen sein. Auch für das Gefahrenszenario der Unwetter bzw. Gewitter lassen sich also sowohl religiöse als auch naturwissenschaftliche Deutungsperspektiven bestimmen, für die auch Handlungspraktiken identifiziert werden können. Anders als in Bezug auf die Hochwasser und Überschwemmungen vollzieht sich hier jedoch kein allmählicher Wandel, der nur auf eine dominierende Handlungspraktik bezogen wäre. Vielmehr war der Katastrophendiskurs zu Unwettern und Gewittern durch Konfliktlinien konträrer Diskurskoalitionen gekennzeichnet, die sich als Gegensätze religiös oder naturwissenschaftlich begründeter Deutungsmuster und Handlungspraktiken darstellten.



3 Nicolai, Beschreibung. Band 6, 464–465. 4 Ebd., 465.

Von den Deutungsmustern

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6.1 Von den Deutungsmustern In seiner Studie zur Gewissensbildung hatte Heinz-Dieter Kittsteiner eine dreiphasige Abfolge von vorherrschenden Deutungsmustern des Gewitters entwickelt, die er als »Versuch der ›inneren Mission‹, ein Naturphänomen mit einer Gewissensregung zu verbinden,«5 beschrieb: In einer ersten Phase vom 16. bis zum letzten Drittel des 17. Jahrhunderts setzten die Vermittler protestantischen theologischen Gedankenguts (nach Kittsteiner die ›normsetzende Schicht‹) dem mit Dingmagie verbundenen Hexenglauben der Bevölkerung und der Veräußerlichung der Schuldzuschreibung des Gewitters, indem es als Folge von Wetterzauberei und dämonischem Wirken begriffen wurde, eine straftheologische Deutung desselben und die Wortmagie des Wettergebets als Anrufung Gottes im Gewitter entgegen. Darauf folgt eine zweite Phase bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, in der sich das mechanistische Weltbild durchsetzt und das Gewitter physikotheologisch gedeutet wird, was es zum gottgewollten Bestandteil einer Natur macht, die von einem aus der Distanz durch die Naturgesetze regierenden Gott erschaffen ist. In der anschließenden dritten Phase wird dann auch die letzte Vorstellung von göttlichem Beistand im Gewitter zugunsten der technischen Selbsthilfe aufgegeben, die vor dem Hintergrund physikotheologischer Argumentation und der rational erkannten Naturgesetze der Elektrizität zur Verpflichtung wird. Die Erfindung des Blitzableiters entmachtet den strafenden Gott zugunsten des liebenden Gottes, der wiederum einem gewandelten Menschenbild entspricht, in dem der Mensch nicht mehr von Grund auf sündig, sondern mit Anlagen zum Guten ausgestattet ist. Die artikulierte Furcht vor der strafenden Hand Gottes im Gewitter wird jetzt als Projektion des eigenen schlechten Gewissens betrachtet.6 Kittsteiners Phaseneinteilung der Gewitterdeutung in der Frühen Neuzeit ist jedoch hauptsächlich an protestantischen Wettertraktaten orientiert und deshalb nicht unmittelbar auf das katholische Bayern übertragbar. Die dabei postulierte Abfolge der Deutungsmuster einer religiös-magischen Auffassung, einer straftheologischen Deutung, der physikotheologischen und der naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise des Gewitters aus der Elektrizitätsforschung war also für Kurbayern so nicht gegeben. Die Deutungsmuster an sich waren jedoch vorhanden und haben den Gewitterdiskurs im Kurbayern des 18. Jahrhunderts bestimmt. Im Vergleich zu den Hochwassern und Überschwemmungen war der Katastrophendiskurs zu Unwettern bzw. Gewittern jedoch stärker durch Deutungsmuster religiöser Provenienz geprägt, die besonders anhand 5 Kittsteiner, Die Entstehung, 34. 6 Zusammenfassend zu dieser dreiphasigen diskursiven Gewissensbildung im Gewitter ebd., 94–100.

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bestimmter Handlungspraktiken, die im Diskurs mit ihnen verbunden waren, kontrovers verhandelt wurden. Die von Kittsteiner beschriebene religiös-magische Deutung des Gewitters im Rahmen des Hexenglaubens hatte unterschiedliche Ausprägungen.7 In dieser Auffassung wurden das Gewitter und mit ihm verbundener Hagel in erster Linie durch das zauberische Wirken von Hexen ausgelöst. Eng damit verbunden war jedoch die Vorstellung von der Urheberschaft des Teufels, dem die Hexen als Dienerinnen beigesellt wurden. Im Gewitter wirkten Dämonen als teuflische Mächte, derer sich die Hexen bedienen konnten, um ihre Wetterzauberei auszuüben. Durch Spruchbeschwörungen und magische Rituale konnten sie Gewitterwolken aus Gewässern aufsteigen lassen und Hagel herbeirufen. Gegen diese schwarze Magie wurden allerlei Beschwörungs- und Bannungspraktiken eingesetzt, die sich ihrerseits auf der Grenze zwischen kirchlichen Benediktionsformen und magischen Ritualen bewegten. Da die auf solche Weise angerufenen und beschworenen Gegenkräfte Gott und die Gemeinschaft der Heiligen waren, wurde das Gewitter auch als Ort des Kampfes zwischen Gott und dem Teufel aufgefasst. Im Alpenraum existierten dazu viele regionale Sagen und Legenden, die durch diese übernatürlichen Kämpfe im Gewitter die Entstehung ungewöhnlicher geologischer Formationen sowie denkwürdige Ereignisse in der Erinnerungskultur usw. erklären sollten.8 Aber auch andere Personen wie Ärzte, Pfarrer und Studenten sowie vagantes Volk wurden der Wetterzauberei verdächtigt. So gab das Pfleggericht Abensberg in einem Bericht an die Hofkammer vom 18. Mai 1752 an, dass ein Unwetter, das in einigen Dörfern des Gerichtsbezirks durch hühnereigroße Hagelkörner Totalschaden an den Feldfrüchten verursacht hatte, von drei umherziehenden Burschen durch Wetterzauberei ausgelöst worden sei: Diese drei hätten sich »wegen Vnderschidtlich ausgestossener Betrohungen, das man dennenselben nit hinlängl[ich] Allmosen verraichet, dan vorgegebenen Wahrsagereyen, an disen Vnglickh theill zu haben sehr verdächtig gemacht […].«9 Die von der Obrigkeit angenommene Verbreitung dieser Deutungen des Gewitters zeigt sich auch in der Bekämpfung der damit verbundenen Handlungspraktiken, die das Unwetter und den Hagel bannen sollten. In einem Schreiben vom 14. Mai 1770 7 Für das Folgende vgl. die Lemmata »Gewitter« und »Hagel, Hagelzauber« in Hanns Bächtold-Stäubli, Eduard Hoffmann-Krayer, Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Band 3. 10 Bände. Berlin u. a. 1930/1931, 815–833 und 1304–1320. 8 Zu den volkstümlichen Sagen in Verbindung mit dem Hexenglauben und teuflischem Wirken im Gewitter vgl. auch Barbara Haid, Hans Haid, Sindt-Fluss. Eine Kulturgeschichte der Naturkatastrophen im Alpenraum. Innsbruck 2009; speziell zu Tirol Ludwig von Hörmann, Tiroler Volksleben. Ein Beitrag zur deutschen Volks- und Sittenkunde. Stuttgart 1909, 122–127. Nicht nur im Alpenraum, sondern auch in den Pyrenäen war der Glaube an die Wetterzauberei der Hexen und das Wirken des Teufels im Gewitter auch im 18. Jahrhundert verbreitet; vgl. für die Region des Béarn Desplat, Pour une histoire, 146–150. 9 BayHStA GL Fasz. 59 Nr. 102.

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an den Laufener Pfleger beklagte der Salzburger Hofrat, dass in der Gemeinde Tittmoning im Pfleggericht Laufen, aber wohl auch in anderen Landesteilen, »zu Abwendung der Schauer- und Haglwetter viele irrige Meynungen und aberglaubige Missbräuche eingerissen, und diesen sehr hartnäckig angehangen, ja so gar einige hievon zu beobachten bey dem jährl. haltenden Land Recht aufgetragen werden.« Dazu zählte der Hofrat Praktiken wie das Verbot, samstags zu ackern, zu spinnen oder Holz zu tragen, die Vorschrift für werdende Mütter, in der sechsten Schwangerschaftswoche bei bevorstehendem Unwetter nicht in ein anderes Haus zu gehen oder auf dem Feld zu arbeiten, sowie die Vorgabe, an den sogenannten Rauhnächten nicht zu backen. Das seien von Gott und der heiligen Kirche verworfene abergläubische Praktiken, die das Unwetter nicht nur in keiner Weise verhindern, sondern durch diese Aufreizung zum göttlichen Strafgericht sogar noch befördern würden. Die Untertanen seien dagegen zur wirksamen Heiligung der von Gott und der Kirche eingesetzten Sonn- und Feiertage anzuhalten.10 In den mit theologischen Traktaten geführten Wetterdiskursen der Frühen Neuzeit wurde die religiös-magische Unwetterdeutung vor allem ex negativo verhandelt, indem gegen sie straftheologische und physikotheologische Deutungsansätze ins Feld geführt wurden.11 Auch die Volksaufklärung hatte die religiös-magische Unwetterdeutung als Thema entdeckt, anhand dessen abergläubische Auffassungen des Wetters und ein aus Sicht der Traktatenschreiber falsches Religionsverständnis bekämpft werden konnten. In seiner Abhandlung zur Frage der Wirksamkeit des Wetterläutens behandelte Johann Nepomuck Fischer auch den Glauben an die hexenabwehrende Wirkung von Glockengeläut. Diese Vorstellung sei nicht nur durch die Inschriften der geweihten Kirchenglocken seit dem 14. und 15. Jahrhundert belegt, sondern reichte seiner Meinung nach auch in die »mythologischen Zeiten« des Christentums zurück und werde durch missverständliche Auffassungen von der Glockenweihe in der Bevölkerung grundsätzlich bestärkt.12 Durch die Glockenweihe erhalte die Glocke keine ihr selbst innewohnende Kraft zur Abwehr von unnatürlichen, durch Hexen verursachten Unwettern. Vielmehr werde Gott beim Akt der Weihe gebeten, er möge die Gegend, so weit der Glockenschall zu hören sei, von Unwettern verschonen. Die Kraft der geweihten Glocken, die zum Gottesdienst rufen, die Feinde des Guten vertreiben und vor Hagel, Blitz, Sturmwind usw. schützen sollen, resultiere dementsprechend ausschließlich aus den bei der Weihe gesprochenen Gebeten. In diesem Sinne sei die Glockenweihe der 10 BayHStA Erzstift Salzburg Pfleggericht Laufen Akten 2782. 11 Dazu Kittsteiner, Die Entstehung, 49–55 und Oberholzner, Wahrnehmung, 77–88. 12 Johann Nepomuck Fischer, Beweis, daß das Glockenläuten bey Gewitter mehr schädlich als nützlich sey. Nebst einer Untersuchung ächter und unächter Verwahrungsmittel gegen die Gewitter. München 1784, 29–35.

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selbe Vorgang wie die Weihe aller anderen liturgischen Gegenstände, die durch den Weiheakt lediglich symbolisch erhöht würden, um beim Volk Ehrfurcht zu erzeugen.13 Fischer kritisierte die hinter dem Glauben an die unwetterbannende Wirkung der Glocken stehende materielle Auffassung der christlichen Religion – an diesem Punkt kam der Gegensatz vom individualisierten, auf das Innere des Einzelnen gerichteten Religionsverständnis der Aufklärung und einer an Ritualen orientierten, kollektiven Frömmigkeitspraxis zum Tragen (s. Kap. 2.2.3): Er rief die Pfarrer dazu auf, den Gemeinden bei den entsprechenden Gelegenheiten die Rituale und Zeremonien der Kirche, »welche schon zu so viel tausend Alfanzereyen Anlaß gegeben haben,« zu erklären. So könnten sie begreifen, dass die Anliegen der christlichen Religion der Geist, die Wahrheit und die Herzensbesserung seien und nicht äußerliche Rituale aus Schall, Dampf und Lichtstrahlen, um den Satan vermeintlich zu bekämpfen.14 Das Wetterläuten mit geweihten Glocken zur Abwehr von Hexen und zur Unwetterbannung war nur eine der Handlungspraktiken, die mit der religiös-magischen Deutung des Gewitters und des Hagels verbunden waren und die im volksaufklärerischen Diskurs mit dem kritisierten materiellen Religionsverständnis in eins gesetzt wurden. Die Verbreitung des religiös-magischen Deutungsmusters äußerte sich vor allem in diesen korrespondierenden Handlungspraktiken, die in der Folge noch zu behandeln sind. Gegen die religiös-magische Auffassung vom Gewitter war schon in der protestantischen Wettertheologie des 16. und 17. Jahrhunderts die Straftheologie als Deutungsmuster positioniert worden. Bereits Martin Luther hatte sich in seinen Tischreden gegen die Abwehrzauber wie das Ablesen des Johannesevangeliums zur Blitzabwehr gewandt, aber auch verdeutlicht, dass er das Gewitter als von Hexen und dem Teufel verursacht ansah, die Gott im Gewitter wirken ließe, um die Menschen zu strafen.15 In der mit der straftheologischen Deutung des Gewitters korrespondierenden Handlungspraktik des Wettergebets wird der göttliche Herrscher über Wetter und Unwetter angefleht, von seiner Strafe abzulassen. Der Gott des straftheologischen Deutungsmusters ist damit »ein ambivalenter Gott des Zorns und der Gnade«, der einerseits straft und andererseits verzeiht.16 In der protestantischen Wettertheologie des 16. Jahrhunderts ist das Gewitter »ein moraltheologisches Ereignis«, zugleich Strafinstrument und Moment der Gnade Gottes, »eine religiöse Strafinstanz, die aber zugleich auf Gottes zeitliches und ewiges Gnadenhandeln am Menschen verweist.«17 Gemäß des Prinzips der sola scriptura wurde in den entsprechenden theologischen 13 Ebd., 35–39. 14 Ebd., 46–48. 15 Kittsteiner, Die Entstehung, 37–38. 16 Ebd., 45. 17 Ebd., 49.

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Wettertraktaten mit Bezügen zur Bibel argumentiert,18 wobei das Buch Hiob im Zentrum der Begründung der Wetterherrschaft Gottes stand. Die Rolle der Hexen wurde auf ihre Verblendung durch den Teufel reduziert, der ihnen weismache, sie könnten durch Wetterzauberei Gewitter hervorrufen. Entsprechend helfe gegen das Gewitter keine Verfolgung der Hexen, sondern nur die eigene Gewissenserforschung im Gebet und der Buße.19 Im Zuge der physikotheologischen Neuorientierung der Gewittertheologie und der aufklärerischen Kritik, die an den Forschungsergebnissen der empirischen Wissenschaften zur elektrischen Natur des Gewitters und des Blitzes orientiert war, geriet das straftheologische Deutungsmuster unter Druck, was sich besonders in den volksaufklärerischen Schriften äußerte. In seiner Abhandlung gegen das Wetterläuten nahm Johann Nepomuck Fischer auch gegen die straftheologische Auffassung des Gewitters Stellung, die er als Beleidigung der christlichen Religion, Ursprung allerlei Aberglaubens und als unvereinbar mit dem christlichen Gottesbild kritisierte: »Die Meynung, daß Gottes Hand allein die Gewitter walte, benahm uns den Muth gegen die Macht des Allerhöchsten Schadloshaltungsanstalten zu treffen, und stellte uns den Vater der Menschen selbst, wie ihren Würgengel, und den Liebhaber der Menschen, wie einen tollen Jupiter vor, gegen den wir nur Furcht, aber nicht Ehrfurcht haben könnten.«20 Die straftheologische Deutung des Blitzes als göttliche Zuchtrute, mit der soziale und religiöse Frevel wie Kirchenraub, Sonntagsschändung, Meineid, Undank gegen Gott oder Zauberei bestraft wurden,21 blieb aber trotz der volksaufklärerischen Kritik nach wie vor bedeutsam und sollte auch in den Auseinandersetzungen im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts bei den Handlungspraktiken zur Gewitterbekämpfung und Blitzabwehr eine argumentative Rolle spielen. Ähnliches galt auch für den Hagel. Noch im 19. Jahrhundert wurde der Abschluss von Hagelversicherungen in Süddeutschland von den Pfarrern teilweise abgelehnt, weil sie eine Zuwiderhandlung gegen den göttlichen Willen und seine Zuchtrute bedeuteten.22 Ihre eigentliche Präsenz im bayerischen Katastrophendiskurs des 18. Jahrhunderts hatten sowohl die religiös-magische Deutung als auch das straf­t heologische Deutungsmuster jedoch vor allem in ihrer Dekonstruktion als angemessene 18 Im Lemma »Ungewitter, oder Stürmisches Wetter« listete der Zedler die entsprechenden Bibelstellen auf, in denen das Gewitter als Strafinstrument Gottes und Ausweis seiner Macht erkennbar wird; Johann Heinrich Zedler, Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschaften und Künste, Welche bishero durch menschlichen Verstand erfunden und verbessert worden. Band 49. 64 Bände. 4 Supplbde. Leipzig u. a. 1746, 1484–1487. 19 Kittsteiner, Die Entstehung, 51–55. 20 Fischer, Beweis, 28. 21 Vgl. dazu das Lemma »Blitz« in Hanns Bächtold-Stäubli, Eduard Hoffmann-Krayer, Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Band 1. 10 Bände. Berlin u. a. 1927, 1399–1419. 22 Oberholzner, Wahrnehmung, 193–196.

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Deutung des Gewitters bzw. von Blitz, Donner und Hagel. Eine bedeutende Rolle spielte hierbei die physikotheologische Perspektive auf die Natur und das Wetter insgesamt, die sich im Zuge der allmählichen Durchsetzung des mechanistischen Weltbildes etablierte. Die Welt, die von einem ›ent-anthro­pomorphisierten‹ Gott geschaffen worden war, wurde nun im Rahmen immanenter Kausalität und der Naturgesetze gedeutet: »An die Stelle des eschatologischen Denkens, das der hoffnungslos verfallenen Welt die ›Erlösung‹ verheißt, tritt die Hoffnung auf ihre immanente ›Perfektabilität‹. […] Die Natur ist ein sicheres, nach Gesetzen geordnetes Ganzes, deren Betrachtung geradezu auffordert, den Schöpfer zu preisen, der sie so gestaltet hat.«23 Dieses Deutungsmuster fand auch auf das Gewitter und den Blitz seine Anwendung: Anstelle einer straftheologischen Deutung wurden beide in der Physikotheologie als Ausdruck der Liebe Gottes umcodiert. Die Präsenz des Göttlichen im Gewitter, die in der Straftheologie unmittelbar war, wurde in der physikotheologischen Betrachtungsweise auf einen Wirkungszusammenhang der Naturgesetze, die wiederum mit der Liebe und Fürsorge Gottes begründet wurden, reduziert.24 Das für die physikotheologische Deutung grundlegende mechanistische Weltbild, das Resultat der Entwicklung der empirischen Wissenschaften im 16. und 17. Jahrhundert, trieb mit seiner Trennung zwischen Geist und Materie die Dämonologie, die Hexen und Unholde aus dem Gewitter aus und entzog der Vorstellung vom Straf­ instrument den Boden, da beide Ansätze von einer Beeinflussung der Materie in Form von Naturkräften durch göttliches, teuflisches oder hexerisches Wirken ausgingen.25 Der Eintrag in Zedlers Universal-Lexicon zum Blitz beinhaltete denn auch eine unmissverständliche Ablehnung religiös-magischer oder straftheologischer Deutungen, denen eine physikotheologische Sichtweise gegenübergestellt wurde: »Wir als Christliche Weltweisen wissen, daß Gott, als der ersten Ursache aller Dinge, zwar alles zuzuschreiben sey, doch so, daß man, wo die ordentlichen Wege der Natur annoch Statt finden, seinem unmittelbaren Beytrage nichts zuschreiben müsse.«26 Die bekannteste und einflussreichste Ausformulierung der physikotheologischen Deutung des Gewitters lieferte wohl der lutherische Theologe Peter Ahlwardt in seiner »Bronto-Theologie«. Für ihn war die Natur eine Anleitung, die den Menschen zu Gott hinführt, und eine Quelle religiöser Erbauung, die Ahlwardt mit seinem Werk auch für die Gewitter gewährleisten

23 Kittsteiner, Die Entstehung, 71. 24 Schmidt, »Wolken krachen …«, 91–92; dazu auch Schmidt, Gewitter. 25 Zur physikotheologischen Sichtweise auf das Gewitter vgl. Kittsteiner, Die Entstehung, 67–79. 26 Johann Heinrich Zedler, Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschaften und Künste, Welche bishero durch menschlichen Verstand erfunden und verbessert worden. Band 4. 64 Bände. 4 Supplbde. Leipzig u. a. 1733, 166–173.

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wollte.27 Voraussetzung dafür war jedoch die Kenntnis der natürlichen Ursachen des Gewitters, die erst eine tugendhafte und fromme Haltung im Gewitter ermöglichte.28 Blitz und Donner im Gewitter waren für Ahlwardt durch die Naturgesetze bestimmte Phänomene, die ihre letzte Ursache in Gott hatten. Nicht nur deshalb war ihre Herbeirufung durch Teufel, böse Geister und Hexen ausgeschlossen, sondern auch weil das Gewitter mehr nützlich als schädlich sei, da es die Luft von schwefeligen Dünsten reinige und die Erde wiederum durch den Gewitterregen dünge.29 Darüber hinaus seien Blitz und Donner besonders geeignet, die Gedanken der Menschen auf Gott zu lenken und von der Wirklichkeit Gottes zu zeugen: »Wer muß nun nicht unsern Schluß billigen, wenn wir sagen, daß Blitz und Donner uns volkommen und zureichend von dem Daseyn und der Würklichkeit unsers GO ttes überführen können? Wahrhaftig, es muß ein GO tt seyn, der alles gemacht hat. Donner und Blitz als seine Werke, welche von ihm ihren letzten Ursprung haben, bezeugen solches aufs kräftigste.«30 Das physikotheologische Deutungsmuster war auch im bayerischen katholischen Katastrophendiskurs bedeutender Bestandteil in der Debatte um die angemessene Deutung von Blitz und Gewitter, die in Konflikten um die Handlungspraktiken zur Gewitterabwehr und in volksaufklärerischen Traktaten ausgetragen wurde. Gerahmt wurde die physikotheologische Gewitterdeutung gerade in den volksaufklärerischen Schriften mit der grundsätzlichen physikotheologischen Betrachtung von Natur. In seinem »Katechismus der Naturlehre« versuchte Franz Xaver Niedermayer einen Gesamtüberblick über die Phänomene der Natur vorzunehmen.31 Dazu ordnete er die Natur in den Bereich der Himmelskörper und den der vier Elemente von Feuer, Erde, Luft und Wasser, zu denen er das jeweils verfügbare naturkundliche Wissen darstellt. Dabei behandelte er auch immer die Frage des Nutzens der zugehörigen Naturphänomene für den Menschen und die übrige Natur. Ganz im Sinne physikotheologischer Naturdeutung wird der Bezug zur biblischen Überlieferung und zur Vorstellung von Gott als Herrscher der Natur hergestellt, indem Niedermayer darauf verweist, dass Gott sich der natürlichen Gesetze der Natur bediene und nicht unmittelbar in die Schöpfung einzugreifen brauche. Auch zu den Naturübeln der jeweiligen Naturbereiche legt er dar, dass sie für den Menschen und im Rahmen des Naturganzen positive Effekte haben. In der Abhandlung des Gun 27 Vgl. dazu die Vorrede in Peter Ahlwardt, Bronto-Theologie, oder: Vernünftige und Theologische Betrachtungen über den Blitz und Donner, wodurch der Mensch zur wahren Erkenntniß GO ttes und seiner Vollkommenheiten, wie auch zu einem tugendhaften Leben und Wandel geführet werden kan. Greifswalde und Leipzig 1745, 8–9. 28 Ebd., 10–13. 29 Ebd., 30–39, 39–46, 155–158. 30 Ebd., 163. 31 [Franz Xaver Niedermayer], Katechismus der Naturlehre. Für alle diejenigen, welche Gottes Güte und Weißheit aus den Werken der Natur kennen lernen wollen. München 1791.

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zenhausener Kaplans Johann Friederich Luz zum Blitz und zum Blitzableiter wurde diese Betrachtungsweise von Natur, die auf übernatürliche Deutungsansätze zugunsten weltimmanenter kausaler Erklärungen verzichtet, gegen den Vorwurf verteidigt, dass dadurch die göttliche Vorsehung gänzlich überflüssig gemacht werde:32 Gott wirke auf der Welt nicht übernatürlich, sondern nur vermittelt durch die Naturgesetze. Das zeuge von der Weisheit Gottes, der die Welt so eingerichtet habe, dass er sie von Anfang bis Ende der Zeiten nach den Naturgesetzen regieren könne. Müsste er durch Wunder in die Welt eingreifen, würde das hingegen von geringer Weisheit zeugen, ähnlich wie beim Haus- oder Landesvater, der sein Haus- oder Landeswesen nicht nach gut eingerichteten Gesetzen und Anordnungen regiere. Eine Herrschaft Gottes durch Wunder wäre wiederum ein Beleg für die Unvollkommenheit, Unvollständigkeit und Ungeschicktheit der von Gott eingerichteten Naturgesetze. Die Vorstellung von der Strukturierung der Welt durch Naturgesetze sei vollkommen vereinbar mit der Herrschaft Gottes über die Schöpfung, da Gott in seiner Allwissenheit am Anbeginn der Schöpfung die Welt und die Naturgesetze so eingerichtet habe, dass alles zu seinem intendierten Zweck komme. Die so entfaltete physikotheologische Naturdeutung konnte dann auch auf das Gewitter und den Blitz angewendet werden. Niedermayer stellte in seinem Katechismus den Nutzen der Elektrizitätsforschung dar und wie es ihr gelungen sei, die elektrische Natur des Gewitters und des Blitzes zu entschlüsseln.33 So wie der Blitz eine Folge der Elektrizität im Gewitter sei, sei der Donner eine Folge des Blitzes, da sich die Luft um den Blitz herum schlagartig erhitze, ausdehne und wieder zusammenfalle, was das Donnergeräusch verursache. Niedermayer dekonstruierte damit vor dem Hintergrund der naturkundlichen Erklärung die Furcht vor dem Donner als gegenstandslos, da er lediglich das Zeichen für die überstandene Gefahr des Blitzes darstelle. In physikotheologischer Manier weist Niedermayer auch auf die nützlichen Wirkungen des Gewitters hin, wozu die bekannten Argumente der Luftreinigung bzw. Abkühlung, der Boden­ auflockerung und des düngenden Gewitterregens gehören: »Anstatt das Gewitter wegzubethen, wollen wir es also herbeywünschen, oder vielmehr alles demjenigen überlassen, der allein die Welt mit Weißheit und Güte zu regieren weiß.«34 Nach einer solchen Sichtweise werden Gewitter nicht mehr als Strafgerichte Gottes gedeutet, wie etwa auch Johann Friederich Luz darlegte, der in sich in diesem Zusammenhang gegen die Vorstellung vom Blitz als Strafinstrument Gottes wendete und es als Gotteslästerung bezeichnete zu glauben, dass ein Ding von Gott alleine zum Strafen geschaffen worden sei, da es seiner Güte 32 Johann Friederich Luz [Ober Caplan zu Gunzenhausen], Unterricht vom Blitz und den Blitz- oder Wetter-Ableitern zur Belehrung und Beruhigung sonderlich der Ungelehrten und des gemeinen Mannes. Mit einer Kupfertafel. Frankfurt u. a. 1784, 127–136. 33 Auch für das Folgende [Niedermayer], Katechismus, 135–150. 34 Ebd., 150.

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und Weisheit widerspreche.35 In diesem Zusammenhang relativierte er auch den Charakter des Blitzes als Gefahrenquelle, indem er darauf verwies, dass der Blitz im Ganzen doch nur wenig Schaden anrichte: »Unter hundert Blitzen, schlägt kaum einer in die Erde. Und unter zehn Blitzen [sic!] die auf den Erdboden fahren, trift kaum einer einen Menschen oder ein Gebäude.«36 Deshalb sei auch die straftheologisch behauptete Funktion des Blitzes, die Menschen zu erschrecken und sie zur Besserung ihres Verhaltens zu bewegen, nicht gegeben. Im Gegenteil bringe der Blitz mit dem Gewitter viele Wohltaten, da er durch den fruchtbaren Gewitterregen die Erde dünge, und das elektrische Feuer für den tierischen und menschlichen Körper von großer Wichtigkeit sei. Darüber hinaus könnten mit elektrischen Behandlungen medizinische Heilungserfolge erzielt werden. So wie die wohltuenden Elemente von Luft und Wasser mit Stürmen und Wasserfluten auch zerstörerisches Potenzial beinhalteten, sei auch die nützliche Wirkung des Blitzes von seinen schädlichen Folgen nicht zu trennen. Der an der Universität Dillingen lehrende Theologe, Philosoph und Physiker Joseph Weber (1753–1831)37 entwickelte in einem volksaufklärerischen Traktat zum umstrittenen Wetterläuten ebenfalls eine physikotheologische Sichtweise des Gewitters bzw. Unwetters, die er in Abgrenzung zu einer religiös-magischen und einer straftheologischen Deutung präsentierte.38 In dialogischer Form lässt Weber einen Dorfschulzen die Position des Hexenglaubens zum Gewitter und die bannende Wirkung des Glockengeläuts sowie die straftheologische Sichtweise präsentieren, die von einem aufklärerisch gesinnten Pfarrer anhand ihrer inneren Widersprüche widerlegt und mit einer physikotheologischen Deutung kontrastiert wird: »Die ganze Welt ist von unserm lieben Schöpfer sehr weislich zu unserm Besten eingerichtet; alle Aenderungen und Begebenheiten eräugnen sich nach der Ordnung, welche Er ihnen angewiesen, sie folgen auf das genaueste seinem Wink; nichts kann sie aufhalten.«39 Im engen wechselseitigen Zusammenhang mit der physikotheologischen Naturdeutung steht die naturwissenschaftlich-säkulare Erklärung des Gewitters. In der aufklärerischen Sichtweise wird das Gewitter vom moraltheologischen Ort, an dem das schlechte Gewissen durch das göttliche Strafgericht aufgerüttelt 35 Luz, Unterricht, 83–116. 36 Ebd., 85. 37 Zur Person Joseph Webers und seinen naturwissenschaftlichen Forschungen und öffentlichen experimentellen Vorführungen vgl. Oliver Hochadel, Physiker, Volksaufklärer und ›Experte‹ – Joseph Weber an der Universität Dillingen, in: Rolf Kiessling, Rudolf Poppa (Hrsg.), Die Universität Dillingen und ihre Nachfolger. Stationen und Aspekte einer Hochschule in Schwaben. Festschrift zum 450jährigen Gründungsjubiläum. Dillingen u. a. 1999 (Jahrbuch des Historischen Vereins Dillingen an der Donau, 100), 729–752. 38 Joseph Weber, Unterricht von den Verwahrungsmitteln gegen die Gewitter für den Landmann. (im Sokratischen Tone.). Dillingen 1784, 1–14. 39 Ebd., 8.

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und ausgebildet wird, zum rein naturgesetzlich determinierten Ereignis, das mit Gelassenheit erfahren werden kann und soll: »Das Gewitter ist nicht mehr von Gott um unserer Sünden willen verhängt, sondern der Sünder projiziert seine Angst in das Naturereignis und sieht in ihm ein Strafgericht. Er verkennt daher auch die wahre Natur Gottes, die ihn mit nichts dergleichen mehr bedroht.«40 Entsprechend bemühte sich die Aufklärung im 18. Jahrhundert auch um die Reduktion der Furcht vor dem Gewitter. Dazu musste die Aura der Heiligkeit des Gewitters dekonstruiert werden, was durch die Distanzschaffung zwischen Mensch und Natur in der Wissensvermittlung im schulischen Kontext und in der pädagogischen, volksaufklärerischen Literatur hergestellt wurde.41 Für diese Dekonstruktion der Furcht im Gewitter ist die enge Kopplung von physikotheologischer und naturwissenschaftlicher Gewitterdeutung von zentraler Bedeutung. So erläutern die gewitterrelevanten Einträge im Zedler nicht nur die zeitgenössischen naturkundlichen Wissensstände zum Gewitter sowie zu Blitz und Hagel.42 Im Lemma »Blitz« wird darüber hinaus auch »eine moralische Betrachtung« des angemessenen Verhaltens im Gewitter vorgenommen, die für eine ausgewogene Gemütslage plädiert, ohne aufgrund des Wissens um die Natürlichkeit des Gewitters allzu frech und hochmütig oder durch eine falsche Erziehung und Meinung von Gott sowie durch zu große Todesangst und ein schlechtes Gewissen allzu furchtsam zu sein: Der Weise halte das Maß der Mitte, da er weiß, dass das Gewitter zwar natürlichen Ursprungs ist, ihm aber gleichwohl schaden kann. Singen und Beten sei zwar nützlich zur Reduktion der Furcht im Gewitter, »nur muß man nicht meynen, daß ein leeres Geschrey die Wege GO ttes verändern könne.«43 Ein Augsburger »Gewitterkatechismus« von 1794 befasste sich ebenfalls mit der Gewitterfurcht als Quelle des Unglücks von Menschen, die ihre Ursache in der Vorstellung vom Gewitter und dem Blitz als Strafe Gottes habe und das Ergebnis der Erziehung durch die Eltern sei. Zur Bekämpfung dieser Naturfurcht sollten Eltern ihren Kindern stattdessen ein Vorbild durch ihre Gemütsruhe im Gewitter geben und ihnen die natürlichen Ursachen des Wetterphänomens erläutern sowie das Gewitter als ein wohltätiges Ereignis

40 Kittsteiner, Die Entstehung, 89. 41 Schmidt, Gewitter, 286–290. 42 Zur Entstehung der Gewitterwolken im Lemma »Wetter-Scheidung« Johann Heinrich Zedler, Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschaften und Künste, Welche bishero durch menschlichen Verstand erfunden und verbessert worden. Band 55. 64 Bände. 4 Supplbde. Leipzig u. a. 1748, 1074–1075; zum Hagel als gefrorene Wassertropfen im Lemma »Hagel, Lat. Grando«, Johann Heinrich Zedler, Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschaften und Künste, Welche bishero durch menschlichen Verstand erfunden und verbessert worden. Band 12. 64 Bände. 4 Supplbde. Leipzig u. a. 1735, 161–167 und im Lemma »Blitz« die naturkundlichen, auf Aristoteles, Seneca und Cicero zurückgehenden Theorien zur Natur und Entstehung des Blitzes, Zedler, Universal-Lexicon. Band 4, 166–173. 43 Zedler, Universal-Lexicon. Band 4, 171–173.

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der Natur und Beweis der Güte Gottes darstellen.44 Ähnlich argumentierte auch der Nürnberger Instrumentenbauer, Schausteller und Blitzableiterinstallateur Johann Konrad Gütle (1747–1827)45 in seinem Werk zur Gewitterabwehr, in dem er eine unvernünftige Erziehung für die Naturfurcht der Kinder vor dem Gewitter verantwortlich machte, deren Ausbildung durch das positive Vorbild der Eltern, im Angesicht des Gewitters keine Furcht zu zeigen, verhindert werden könne.46 Dass sich auch im Lemma »Gewitter« der Krünitzschen »Oekonomischen Encyklopaedie« ein Abschnitt zum Thema Gewitterfurcht findet, der ebenfalls in der Erziehung Ursache aber auch Abhilfe der Gewitterfurcht sieht,47 verdeutlicht, wie verbreitet diese Ansicht in der physikotheologisch-naturwissenschaftlichen Deutung des Gewitters war. Wie in der physikotheologischen Sichtweise war auch in der säkular-weltimmanenten Deutung des Gewitters die Ablehnung des straftheologischen Deutungsmusters grundlegend. Der Benediktinermönch Placidus Heinrich (1758–1825), der im Reichsstift St. Emmeram zu Regensburg Physik und Mathematik und später an der Universität Ingolstadt Naturkunde, Physik und Witterungskunde lehrte,48 betonte denn auch in seiner Abhandlung zum Wetterschießen, dass nur die Vorstellung vom Blitz als göttlichem Strafgericht die Menschen in der Vergangenheit abgehalten habe, Abwehrmaßnahmen gegen den Blitz zu treffen: »Allein die Wiederherstellung der gesunden Philosophie, und zum Theile die Nothwendigkeit belehrte uns eines beßern. Jene sagte uns, daß die Gewitter eben so gut natürliche Zufälle sind, wie

44 Joseph Kraus, Gewitterkatechismus, oder Unterricht über Blitz und Donner, und die Art und Weise, wie man bey einem Gewitter sein Leben gegen den Blitz schützen und retten kann. Für Vornehme und Geistliche, zunächst aber für gemeine Leute bestimmt. Augsburg 1794, 40–44. Der Katechismus beinhaltete zu diesem Zweck auch eigens zwei Lieder, die der Naturfurcht und der Angst vor göttlicher Strafe das Gottesbild des auch im Gewitter gütigen und fürsorgenden himmlischen Vaters gegenüberstellen: 45–48. 45 Zur Person Siegfried Kett, Er brachte den Blitzableiter nach Nürnberg: Johann Conrad Gütle – Mechanicus, Schausteller, Elektrisierer und Wunderheiler, Physiker, Chemiker, Lehrer, Buchautor und Versandhändler, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 96, 2009, 177–228. 46 Johann Konrad Gütle, Faßlicher Unterricht wie man sich bei Gewittern vor den schädlichen Wirkungen des Blizes an allen Orten ohne Blizableiter verwahren könne. Aus den besten Schriften der Naturforscher und eigener Erfahrung gesammelt, und für den Bürger und Landmann herausgegeben von Johann Konrad Gütle, der Mathematik und Physik Lehrer. Ein Beitrag zu dessen Lehrbuche der theoretisch- und praktischen Blizableitungskunst. Nürnberg 1805, 2–8. 47 Johann Georg Krünitz, Gewitter (das), in: Johann Georg Krünitz (Hrsg.), Oeconomische Encyclopaedie oder Allgemeines System der Land-, Haus- und Staats-Wirthschaft, in alphabetischer Ordnung. Band 18: Von Get bis Glasur. 1. Aufl. Berlin 1779, 237–242. 48 Zur Person Armin Hermann, Heinrich, Placidus (Taufname Joseph), in: Neue Deutsche Biographie 8, 1969, 433–434. Online verfügbar unter http://www.deutsche-biographie.de/ ppn11666634X.html.

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Feuersbrünste und Ueberschwemmungen, und daß es also sehr vernünftig sey, wider das eine so wie wider die andern sich zu schützen.«49 Nachdem sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts durch die expandierende Elektrizitätsforschung die Ansicht von der elektrischen Natur des Blitzes durchgesetzt hatte,50 war die Elektrizität Grundlage der mit der physikotheologischen Argumentation verbundenen naturkundlichen Deutung des Gewitters auch im bayerischen Katastrophendiskurs. Mithilfe der Theorien zur Elektrizität sowie Analogien zu Experimenten mit ›künstlich‹ erzeugter Elektrizität wurde das Gewitter als Ergebnis der Reibung von Wolken51 oder auch des Aufsteigens elektrischer Dünste aus der Erde52 erklärt. Für Johann Nepomuck Fischer war das Gewitter gar eine Folge des Abregnens elektrischer Materie aus der Atmosphäre, was wiederum den Ladungsaustausch zwischen Gewitterwolken und Erde in Form des Blitzes herbeiführte, bis das elektrische Gleichgewicht wieder hergestellt war.53 So wie die Ladungslehre des Gewitters wurden auch Charakteristika des Blitzes wie seine Verlaufsrichtung aus Laborexperimenten mit ›künstlicher‹ Elektrizität hergeleitet.54 Nicht nur zur Ent­schlüsselung der 49 Placidus Heinrich, Abhandlung über die Wirkung des Geschützes auf Gewitterwolken, welche 1788 den Preis erhalten hat, in: Neue philosophische Abhandlungen der Baierischen Akademie der Wissenschaften V, 1789, 1–145, 111–112. Die Kritik an der straftheologischen Deutung des Blitzes vor dem Hintergrund einer säkular-weltimmanenten Naturauffassung konnte sich auch in einer parodistischen Verkehrung der Straftheologie äußern, wie im vom Marquis de Sade verfassten radikalaufklärerischen philosophischen Roman »Justine ou les Malheurs de la Vertu«, in dem die tugendhafte Justine am Ende vom Blitz erschlagen wird, während ihre Peiniger sich ihres Lebens weiterhin erfreuen dürfen. Der Blitz wird hier nicht einfach seiner religiösen Deutung als Strafinstrument zugunsten einer materiellen Sichtweise entkleidet, sondern seine moraltheologische Semantik wird in sein Gegenteil verkehrt: Tugend wird bestraft, das Laster wird belohnt; vgl. dazu Möhring, Eine Geschichte, 188–190. 50 Überblicksdarstellung zur Elektrizitätsforschung in der Aufklärung in Alois Kernbauer, Die Elektrizität: Faszination eines neuen Phänomens, in: Franz M. Eybl, H. Heppner, A. Kernbauer (Hrsg.), Elementare Gewalt – kulturelle Bewältigung. Aspekte der Naturkatastrophe im 18. Jahrhundert. Das achtzehnte Jahrhundert und Österreich. Jahrbuch der österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts 14/15. Wien 2000, 119–134 und in Verbindung mit der Entwicklung des Blitzableiters in Möhring, Eine Geschichte, 18–63, außerdem im Zusammenhang mit der Formierung der Elektrizitätsforschung in der Aufklärung als öffentliche Wissenschaft in Hochadel, Öffentliche Wissenschaft, 42–85. 51 Philipp Peter Guden, Von der Sicherheit wider die Donner-Stralen. Eine Abhandlung, welcher die Chur-Bayerische Akademie der Wissenschaften eine goldne Medaille zuerkannt hat. Göttingen u. a. 1774, 20–22. 52 Joseph von Boslarn, Josephs von Boslarn von Moos […] Kritik über die Wetterableiter. Amberg 1780, 11–14. 53 Fischer, Beweis, 24–27. 54 Der Augsburger Instrumentenbauer Jakob Langenbucher (1738–1791) etwa vertrat auf seine Experimente gegründet die Ansicht, dass der Blitz von der Erde in die Gewitterwolken aufsteige und nicht, wie die Mehrheit der Elektrizitätsforscher meine, auf die Erde niedergehe, womit er bereits Erkenntnisse der modernen Gewitterforschung vorwegnahm; Jakob Langenbucher, Richtige Begriffe vom Blitz und von Blitzableitern. Sammt beigefügten Verhaltungsregeln bei Gewittern. Augsburg 1783, 1–32.

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Gewitterphänomene Blitz und Donner wurde die Elektrizität bemüht, sondern auch Hagel wurde als Folgeeffekt der Verbindung salpetriger elektrischer Materie mit Wassertröpfchen in den Gewitterwolken erklärt.55 Wie bedeutsam das Forschungsparadigma Elektrizität als Lösungsmodell für die aufklärerischen Naturwissenschaften war, illustriert ihre Anwendung auf viele bisher unerklärte und unerklärliche Naturphänomene wie den Höhenrauch im Jahr 1783. Hier vertraten einige Kritiker des Blitzableiters die Ansicht, dieser sei eine Folge der Störung des elektrischen Haushalts und Ladungsaustauschs zwischen Erde und Wolken, die durch die massenhafte Errichtung von Blitzableitern ausgelöst worden sei.56 Auch Lorenz Hübner referierte in seinem »Physikalischen Tagbuch« diese elektrisch inspirierten Erklärungsansätze zum Höhenrauch, wies sie jedoch als »Physikasterei […] ohne gehöriges Fundament« und als »Hypothetisiren ohne ächte Präliminarien« zurück.57 Die naturwissenschaftliche Methode des experimentellen empirischen Beweises diente dabei nicht nur der wissenschaftlichen Theoriebildung zum Gewitter, sondern konnte auch in volksaufklärerischer Intention eingesetzt werden, um Laien von der elektrischen Deutung des Gewitters bzw. des Blitzes als Ladungsaustausch zu überzeugen. So entwarf der an der Salzburger Universität Physik und Mathematik lehrende Benediktiner Dominikus Beck (1732–1791),58 der sich auch sonst um die Popularisierung der Naturwissenschaften bemühte,59 eine Versuchsanordnung für den Privathaushalt, die dem Aufbau ähnelte, mit dem Georg Wilhelm Richmann in St. Petersburg die atmosphärische Elek­trizität untersucht hatte und dabei 1753 vom Blitz erschlagen worden war.60 Beck gab da 55 P. Benedict Arbuthnot, Abhandlung, über die Preisfrage. Ob und was für Mittel es gebe die Hochgewitter zu vertreiben, und eine Gegend vor Schauer und Hagel zu bewahren, in: Abhandlungen der Churfürstlich-baierischen Akademie der Wissenschaften IX , 1775, 409–416. Ein Überblick der naturwissenschaftlichen Forschung zum Hagel, die bis ins 19. Jahrhundert hinein die These einer Verbindung von Elektrizität und Hagelbildung vertrat, in SchmittLermann, Der Hagel, 91–116. 56 Hochadel, Öffentliche Wissenschaft, 147–149. Ausführlicher zum Höhenrauch in Verbindung mit dem Elektrizitätsparadigma und der Kritik am Blitzableiter auch Oliver Hochadel, »In nebula nebulorum«. The Dry Fog of the Summer of 1783 and the Introduction of Lightning Rods in the German Empire, in: Peter Heering, Oliver Hochadel, David J. Rhees (Hrsg.), Playing with Fire. Histories of the Lightning Rod. Philadelphia 2009 (Transactions of the American Philosophical Society held at Philadelphia for promoting useful knowledge, v. 99, pt. 5), 49–51. 57 Lorenz Hübner, Kurzgefasste Uibersicht der Geschichte der neuesten Naturbegebenheiten, in: Physikalisches Tagbuch für Freunde der Natur 1 (1), 1784, 12–27. 58 Zur Person Heilingsetzer, Die Benediktiner, 221. 59 Pezzl etwa berichtet, dass Dominikus Beck öffentliche Vorlesungen für Experimentalphysik abhielt, die von allen Ständen besucht wurden; Pezzl, Reise, 240. 60 Dominikus Beck, Faßlicher Unterricht Gebäude auf eine leichte und sichere Art vor dem Einschlagen des Blitzes zu bewahren. Zum Nutzen und Gebrauch seiner Landsleute. Salzburg 1786, 7–11. Zu Richmann und seiner europaweiten Stilisierung als Märtyrer für die Elektrizitätsforschung aufgrund seines tödlichen Unfalls vgl. Möhring, Eine Geschichte, 67–72.

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mit dem Laien und Privatmann die Möglichkeit an die Hand, sich durch eigene experimentelle Erfahrung von der elektrischen Natur des Blitzes zu überzeugen. Im Glauben an die Überzeugungskraft der Empirie und des experimentellen Versuchs wird der Privatmann in dieser Übertragung der Funktion des Labors als Ort der Wissensproduktion auf das eigene Haus selbst zum Naturforscher und kann sich durch experimentellen Nachvollzug von der Gewitterdeutung der Elektrizitätsforschung selbst überzeugen. Es ist die unmittelbare sinnliche Anschauung oder Erfahrung, die die größte Überzeugungskraft von der elektrischen Deutung des Gewitters entfaltet.61 Für den Rottenbucher AugustinerChorherren Albin Schwaiger, der auf dem Hohenpeißenberg die meteorologische Observationsstation betreute, diente die Erfahrung der Wirk­samkeit des dortigen Blitzmessers geradezu als Bekehrungserlebnis, um den Zweifler vom naturkundlich-physikalischen Weltbild zu überzeugen. Der Blitzmesser wird zum Zeugen der elektrischen Natur des Gewitters und der Wirksamkeit des Blitzableiters, die durch die eigenen Sinne erfahrbar wird: »So kann man also den Elektrizitätsmesser auch als einen Ableiter ansehen, an welchen sich die Wirkung und der Nutzen der Wetterleiter bis zum schmerzhaften Beweis mit Händen greifen, mit Augen sehen, mit der Nase riechen, und mit auch nur kurzem Verstande begreifen läßt. Wenn nun aber doch jemand bey dieser Ueberzeugung sich nicht überzeugen ließ, bey diesen hellen Beweisen nicht glaubte; der würde wohl nicht mehr zu bekehren, dem würde das helle Tageslicht Finsterniß seyn.«62 Darüber hinaus gerät die sinnliche Erfahrung der Elektrizität des Blitzes zur Glaubenserfahrung, die einerseits vom naturkundlich-physikalischen Weltbild überzeugt und andererseits den optimistischen Fortschrittsglauben an die fortschreitende Erforschung und Bändigung einer gesetzmäßig geordneten Natur stärkt, was mit dem Blitzableiter sein nach außen sichtbares Symbol erhält: »Wer hätte es jemals geglaubt, daß man die Theorie des Blitzes entdecken, seine Schädlichkeit abwenden, und diesem Himmelsfeuer eine Bahn auf Erden anweisen könnte? Und doch ist es gelungen das große Unternehmen. Mit dem glücklichsten Erfolge stehen die Triumphszeichen auf den Wohnungen der Sterblichen. – Soll man in andern Begebenheiten, und Ereignißen der Natur nicht eben so glücklich seyn, nicht auch zur Wahrheit kommen?«63

61 Überhaupt ist das anschauliche Experiment am Modell eine wichtige Methode in der Aufklärung, um von wissenschaftlichen Erkenntnissen und neuen Technologien mit Bezug zur Elektrizität zu überzeugen; Oliver Hochadel, Peter Heering, Introduction. Revisiting an Invisible Technology, in: Peter Heering, Oliver Hochadel, David J.  Rhees (Hrsg.), Playing with Fire. Histories of the Lightning Rod. Philadelphia 2009 (Transactions of the American Philosophical Society held at Philadelphia for promoting useful knowledge, v. 99, pt. 5), 12–13. 62 Albin Schwaiger, Versuch einer meteorologischen Beschreibung des hohen Peißenbergs als eine nöthige Beylage zu dessen Prospektskarte. München [1791], 43. 63 Ebd., 43.

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Diese Bandbreite an Deutungsmustern spiegelt sich in der Verwaltungskommunikation zu Unwetterszenarien nur bedingt wieder. Wie im Fall der Hochwasser und Überschwemmungen waren auch die amtlichen Berichte zu Unwetterereignissen durch einen schematischen Textaufbau gekennzeichnet, der sich auf den zeitlichen und ereignishaften Verlauf der Unwetter, die angerichteten Schäden an Feldfrüchten, Gebäuden und Infrastruktur sowie auf Appelle zur Gewährung von Nachlässen für die betroffenen Untertanen konzentrierte.64 Ähnlich gestalteten sich die Kommunikationsstrukturen der Berichte über Unwetterschäden auch in den benachbarten Territorialstaaten Kurbayerns.65 Die in den Berichten der kurbayerischen Land- und Pfleggerichte häufiger anzutreffenden Beschreibungen von hühnereigroßen Hagelkörnern sind dabei nicht nur auf die möglichst vollständige Beschreibung des Unwetterszenarios zurückzuführen, sondern waren im Zusammenhang mit der Darstellung des durch die Unwetterschäden hervorgerufenen Elends der Untertanen und ihrer Mittellosigkeit auch zur rhetorischen Verstärkung der Katastrophenschilderungen gedacht. In einzelnen Fällen taucht hier besonders ein apokalyptisches Deutungsmuster auf, das weniger die tatsächliche Deutung des Geschehens perspektiviert, sondern vielmehr als rhetorische Floskel ebenfalls dieser rhetorischen Verstärkung dient, um die noch nie dagewesenen Ausmaße des jeweiligen Unwetters und der angerichteten Schäden zu betonen. Das Gericht Biburg etwa berichtete am 23. April 1718 an die Regierung in Landshut über ein Schauerwetter, das am Vortag durch den Bezirk des Gerichts gezogen war, wobei Schäden an der Ernte verursacht und Vieh durch Hagel erschlagen worden war sowie die örtlichen Bäche über die Ufer getreten waren.66 Auch habe der Hagel nach dem Unwetter so hoch gelegen, »das man nit anderst vermaint, als es gehe alles under- und ybersich, und seye eines ieden sein Lester67 tag, massen derlei so starckhes schaur wetter 64 Vgl. dazu Kap. 2.2.1. Aufgrund ihrer großen Anzahl können hier die Berichte der Land- und Pfleggerichte im 18. Jahrhundert über Unwetterereignisse und ihre Schäden nicht in ihrer Gesamtheit dargestellt werden. Es werden daher im Folgenden nur diejenigen direkt behandelt, die im Hinblick auf die Deutung der Katastrophenszenarien Relevanz haben, während die restliche Menge im Hinblick auf ihre charakteristischen Merkmale summarisch behandelt wird. Diese hier zusammengefassten Berichte sind zusätzlich zu den im Folgenden behandelten Akten auch aus den hier aufgelisteten Beständen im Bayerischen Hauptstaats­ archiv zu entnehmen: BayHStA GL Fasz. 219 Nr. 127, 647 Nr. 264, 784 Nr. 103, 1109 Nr. 124, 1277, 1390 Nr. 77, 1694 Nr. 118, 1932 Nr. 130, 2058 Nr. 231, 2282 Nr. 43, 2401 Nr. 44, 2422 Nr. 52, 3133 Nr. 58, 3640 Nr. 138, 3701 Nr. 167, 4032 Nr. 134, 4403 Nr. 170, Kurbayern Obere Landesregierung 2488, 2497, I–IV, 2518. 65 Beispielsweise im Salzburgischen, wie ein Bericht des Laufener Pflegers vom 31. Juli 1802 an das Geheime Hofratskanzlei Direktorium über ein schweres Unwetter zeigt: ­BayHStA Erzstift Salzburg Hofrat 1153, oder im Hochstift Augsburg, wie der Beschreibung von Unwetterschäden von Bursamtsuntertanen zu Walkertshofen Ende des 18. Jahrhunderts zu entnehmen ist: St AAu Hochstift Augsburg Neuburger Abgabe Akten 5003a. 66 BayHStA GL Fasz. 365 Nr. 138. 67 Lester=letzter.

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bis Menschen gedenckhen der ohrten weder gesechen noch erhört worden […].« Nicht nur solche rhetorischen Ausgestaltungen vermittels des apokalyptischen Deutungsinventars sind in den Unwetterberichten der Land- und Pfleggerichte gelegentlich zu finden,68 sondern auch das hier auftauchende Muster des Vergleichs des aktuellen Katastrophengeschehens mit dem Erinnerungsrepertoire älterer Generationen;69 manchmal auch beides in Kombination.70 Zu dieser Kommunikationsstrategie der rhetorischen Verstärkung sind auch Kontextualisierungen des Unwetterereignisses in andere die Bevölkerung belastende Zusammenhänge zu zählen. Dazu gehörten Kriege oder durchziehende Truppen, die die Vulnerabilität von Bevölkerungsgruppen gegenüber Unwetterszenarien drastisch erhöhten. So berichtete das Pfleggericht Osterhofen am 31. Mai 1741 an die Regierung Landshut über Unwetterschäden, die mit den Kriegsbelastungen durch den Österreichischen Erbfolgekrieg zusammentrafen:71 Schon seit mehreren Monaten sei die Versorgungssituation im Pfleggericht derart angespannt, dass die Häusler und Tagwerker Kleie, versetzt mit nur ein wenig Linsenmehl, essen müssten, um ihren Hunger zu stillen. Das Betteln sei wegen der großen Menge der Armen so häufig geworden, dass ganze Gruppen von Bettlern zusammen unterwegs seien. Das kürzlich erfolgte Unwetter habe aber das Elend noch dermaßen vergrößert, dass in dieser Gegend eine allgemeine Hungersnot notwendig folgen müsse. Ähnlich belastend konnten sich Truppendurchzüge und Einquartierungen auswirken, die im Zusammentreffen mit Unwetterschäden die Versorgungslage verschlechterten. So im Falle des Pfleggerichts Reichenberg, das am 14. Mai 1734 an die Regierung Landshut über Unwetterschäden am Getreide auf den Feldern berichtete, während die Bevölkerung bereits durch den Durchzug kaiserlicher Truppen aus Ungarn (im Zuge des Polnischen Thronfolgekrieges) belastet sei, für die Mundvorrat und Pferdeverpflegung auf der Etappe gestellt werden müssen.72 Ähnlich verhielt es sich sieben Jahrzehnte später im Landgericht Pfarrkirchen, das am 2. Juni 1806 an das Königliche Bayerische Generallandeskommissariat über ein schweres 68 Beispielsweise im Bericht des Landgerichts Deggendorf vom 29. Juli 1801 an die Generallandesdirektion über Sturm- und Hagelschäden in BayHStA GL Fasz. 685 Nr. 58, im Bericht des Landgerichts Landau vom 16. August 1799 an die Generallandesdirektion über Sturm- und Hagelschäden in BayHStA GL Fasz. 1987 Nr. 194 und im Schreiben des Pfarrers von Mettenbach vom 12. August 1760 an das Pfleggericht Rottenburg über Unwetterschäden an seiner Kirche in GL Fasz. 2228 Nr. 181. 69 So im Bericht des Rentmeisters zu Straubing vom 10. August 1708 an die Hofkammer über ein schweres Gewitter mit Hagel im Pfleggericht Deggendorf in BayHStA GL Fasz. 685 Nr. 58 und im Bericht des Pfleggerichts Landau vom 7. Juli 1763 an die Hofkammer über ein schweres Hagelunwetter in BayHStA GL Fasz. 1987 Nr. 194. 70 Im Bericht des Pflegers von Murnau vom 29. Juli 1729 an die Hofkammer über ein schweres Unwetter mit Überschwemmungsschäden in BayHStA GL Fasz. 4455 Nr. 185. 71 BayHStA GL Fasz. 3193 Nr. 103. 72 BayHStA GL Fasz. 3391 Nr. 149.

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Hagelgewitter berichtete, welches mit seinen walnussgroßen Hagelkörnern bis zu 300 Höfe und 1.500 Familien des Speise- und Samengetreides beraubt habe. Da die Bevölkerung aber auch die Einquartierung französischer Truppen zu tragen habe, seien ihre Geldreserven, mit denen sie sich sonst neues Speise- und Samengetreide hätten kaufen können, erschöpft.73 Deutungsmuster spielten in dieser Verwaltungskommunikation zu Unwetterszenarien eine nur untergeordnete Rolle. Während sich das apokalyptische Deutungsmuster zur eindringlichen Schilderung der Ausmaße eines örtlichen Unwetters eignete, waren straftheologische Deutungen sehr viel seltener und tauchten eher im Zusammenhang mit einem überregionalen Unwetterszenario wie der Unwetterserie von 1767 (s. Kap. 2.1.3) auf. In den amtlichen Berichten wurden zwar vereinzelt regionale Unwetter straftheologisch gedeutet,74 dieses Deutungsmuster wurde aber genauso auch kritisiert. Das Landgericht Neustadt etwa mokierte sich in einer Nachricht an die Generallandesdirektion vom 10. Juli 1801 über die straftheologische Deutung eines Unwetters, das im Verein mit den allgegenwärtigen Kriegslasten die Bevölkerung im gesamten Gerichtsbezirk so schwer getroffen habe, dass mancher Untertan gezwungen sei, Haus und Hof zu verlassen und zu betteln oder sich das Leben zu nehmen. Die Ursache dafür, dass es so heftig geschauert habe, wolle das Publicum nun dem Umstand zuschreiben, dass man die St. Anna Kirche in Neustadt als Hafer- und Stroh-Magazin verwendet und dadurch frevelhaft entweiht habe: »[…] ein schönes resonemente: Auf den Dörfern und auch nicht in Abensberg ist ein Magazin in einer Kirch gelegen. Was werden diese zur Ursach angeben?«75 Eine explizit säkulare Deutung findet sich in den amtlichen Berichten zu Unwetterereignissen ebenfalls selten, wie im Bericht des Landgerichts Neumarkt vom 27. Juli 1801 an die Generallandesdirektion, wo das Unwetter als »ungünstiges Ereignüß der Natur« charakterisiert wird.76 Dazu passend sind auch in den Suppliken – seien sie nun von einzelnen Untertanen oder von ständischen Herrschaften und Korporationen – Deutungsmuster kaum vorhanden. In ihrer Textstruktur sind sie wiederum mit den Bittschriften im Zuge von Hochwasser- und Überschwemmungsszenarien vergleichbar. Im Vordergrund standen die Bitten um Sammlungspatente für einzelne Betroffene, um ihre erlittenen Verluste durch Unwetterschäden bewältigen zu können,77 73 BayHStA GL Fasz. 3391 Nr. 149. 74 So in einem Bericht des Gerichts Wolfratshausen vom 14. Mai 1734 an die Hofkammer über ein Hagelunwetter in BayHStA GL Fasz. 4602 Nr. 224 und in einem Bericht der Stadt Neustadt vom 13. Mai 1791 an die Gemeine Landschaft über die Unwetterschäden an den Feldfrüchten in BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 2496. 75 BayHStA GL Fasz. 59 Nr. 102. 76 BayHStA GL Fasz. 3005 Nr. 141. 77 Beispielsweise in der Supplik des Bauern Michael Pflügler und des Weinlechners Michael Pöchelmayr, beide aus Gammelstorf, an den Geheimen Rat [Eingangsvermerk vom 6. November 1772] BayHStA GL Fasz. 2547 Nr. 167.

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oder die Bitte um Bewilligung von Nachlässen an Steuern und Abgaben bzw. von Freijahren, um die finanzielle Last der Katastrophenbewältigung abzumildern.78 Neben den Nachlässen taucht hier auch das Muster der befristeten Überlassung von Abgaben wieder auf, dessen Rolle für die Finanzierungsfrage des Wasserbaus bereits dargestellt worden ist.79 Ähnlich verhielt es sich in der medialen Berichterstattung zu Unwetter­ ereignissen, in der Deutungsmuster kaum auftauchten. Wenn sie eine Rolle spielten, dann in ihrer rhetorischen Funktion zur möglichst eindrücklichen Schilderung des Katastrophengeschehens, wie in einem Bericht der Münchner Zeitung vom 11. Juli 1783 zu den kürzlich erfolgten Unwettern in Bayern und den angerichteten Schäden. Hier wird ein apokalyptisches Deutungsinventar bedient: »Das Heulen der Winde in das Heulen der Menschen, in das Knallen des Donners, und das Brausen des Wasser gemischt! – und denn die kläglichsten Auftritte für das Aug! Der jüngste Tag schin angebrochen zu sein.«80 Eine straftheologische Deutung eines Unwetterszenarios wie im Bericht der Münchner Zeitung zu einem Unwetter mit schwerem Hagelschauer im Juli 1775 war die absolute Ausnahme: In vielen Dorfschaften seien die Feldfrüchte gänzlich vernichtet worden, Wohnungen zerstört und Bäume umgefallen sowie besonders die Untertanen, die schon letztes Jahr vom Schauer heimgesucht worden waren, in »jammervolle Noth, Elend und Armuth versezt worden […]. Der gütige Himmel sey nun besänftiget, und verschone unser liebes Vaterland hinfüro vor derley schmerzlichsten Strafen.«81 Ansonsten konzentrierten sich die Unwetterberichte eher auf die Darstellung der entstandenen Schäden vor allem an der Ernte. Im Überblick sind es das physikotheologische und das naturwissenschaftliche Deutungsmuster, die den kurbayerischen Katastrophendiskurs zu Gewittern im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts bestimmen. Wie in der Folge noch darzustellen ist, wird dieser Diskurs durch die Auseinandersetzung um die Handlungspraktiken zur Gewitterbekämpfung geprägt. Anhand ihrer Thematisierung werden wiederum die mit ihnen verbundenen Deutungsmuster konfliktär zwischen den Akteuren des Katastrophendiskurses verhandelt.

78 So bat der Magistrat von Murnau in einer Supplik vom 5. Juli 1719 an die Hofkammer um Nachlässe und Freijahre, um die drückende Schuldenlast der Stadt infolge von Kriegs- und Unwetterschäden bewältigen zu können; BayHStA Kurbayern HK Archivalien (vorläufige Nr. 1825). 79 Das Kloster Mallersdorf bat die Hofkammer in einer Supplik vom Januar 1773 um die Erhebung eines Groschens auf jede verkaufte Maß Weißbier, um den Ankauf von Saat- und Speisegetreide sowie Viehfutter finanzieren zu können, was aufgrund von Unwettern im vergangenen Jahr nötig geworden war; BayHStA Kurbayern HK Archivalien (vorläufige Nr. 2165). 80 München, in: Münchner Zeitung 1783, Freitag, den 11. Heumonats (Julius) (CVIII), 426. 81 Igling bey Landsberg am Lechstrom, den 8. July, in: Münchner Zeitung 1775, den 14. July (Num. 112).

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6.2 Von den Handlungspraktiken Wie bei den Deutungsmustern auch gab es eine differenzierte Bandbreite von Handlungspraktiken zur Abwehr von Unwettern und der mit ihnen einhergehenden Blitz- und Hagelgefahr. Zwar sind – wie bereits dargelegt – religiös bestimmte Handlungspraktiken zu Hochwasser und Überschwemmungen vorhanden gewesen, sie wurden jedoch seltener thematisiert als im Katastrophendiskurs zu Unwettern und Gewittern. Hier lässt sich zum einen eine bedeutende Rolle religiös-magisch bestimmter Handlungspraktiken bzw. ihrer Thematisierung ausmachen. Zum anderen sind es die drei Handlungspraktiken des Wetterläutens, des Wetterschießens und des Blitzableiters, die den Katastrophendiskurs in Kurbayern im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts zu Unwettern und Gewittern maßgeblich bestimmen.

6.2.1 Religiös-magische Gewitterabwehr Im »Land-Gebott« von 1746, das sich gegen den Aberglauben und daraus resultierende hexerische Praktiken richtete, spielten auch Handlungspraktiken zur Abwehr von Gewittern und Unwettern eine Rolle.82 Im Artikel 13 des ersten Abschnitts des Landgebots zu den abergläubischen Praktiken im Verbund mit dämonisch-teuflischen Mächten wurden auch diejenigen »Conjurationes und Beschwörungen« verboten, die in Gemeinschaft mit bösen Geistern, Hexen oder Unholden das »Hoch-Wetter« bannen. Das bezog sich auf explizit magische Praktiken als Gegenzauber gegen Unwetter oder Hagel, die durch Spruchzau­ berei hervorgerufen worden waren.83 Solche Beschwörungen konnten sich aber auch liturgischer Praktiken und Segensformeln sowie geweihter Gegenstände als Gegenmaßnahmen zur Wetterbannung bedienen.84 So steckte man geweihte Palmwedel und übriggebliebenes Holz oder Kohle vom Osterfeuer unter die Dachsparren oder legte sie auf die Felder, um das Haus und die Ernte vor Blitz 82 BayHStA Kurbayern Mandatensammlung 1746/IV/13; Maximilian III . Joseph, Erneuerte Land-Gebott. 83 Vgl. dazu die Lemmata »Hagel, Hagelzauber« und »Wetterbeschwörung, -bann« in Bächtold-Stäubli, Hoffmann-Krayer, Handwörterbuch. Band  3, 1304–1320 und Hanns Bächtold-Stäubli, Eduard Hoffmann-Krayer, Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Band 9. 10 Bände. Berlin u. a. 1938/1941, 508–512. 84 Für das Folgende Richard von Strele, Wetterläuten und Wetterschießen. Eine cultur­ geschichtliche Studie. Erweiterter Separatabdruck aus der Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins 29. München 1898, 1–2; Hörmann, Tiroler Volksleben, 127 und das Lemma »Hagel, Hagelzauber« in Bächtold-Stäubli, Hoffmann-Krayer, Handwörterbuch. Band 3, 1304–1320.

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und Hagelschlag zu schützen. Man verbrannte Weihrauch und warf andere Weihkräuter und Palmkätzchen in die Herdglut, um durch den Rauch das Unwetter zu bannen. Als besonders wirksam gegen Hexen wurde im Tirolschen das sogenannte Kapuzinerpulver angesehen, das ins Herdfeuer geworfen durch seinen beißenden Rauch die Hexen und damit das von ihnen erzeugte Unwetter vertrieb. Gerade diese Praktiken waren besonders im Fokus aufklärerischer Kritik. So berichtete Friedrich Nicolai in seiner Rolle als protestantischer Aufklärer, der das seiner Ansicht nach rückständige und abergläubische katholische Süddeutschland durchreist, von seinem Aufenthalt in einer Gaststube im Dorf Neubau bei Linz, deren Fenster und Türen alle mit Segenssprüchen gegen Donnerwetter und Hexen versehen gewesen seien.85 Aber auch bayerische Aufklärer widmeten sich diesen Abwehrpraktiken, die sie als abergläubisch und unvereinbar mit den theologischen Auffassungen der christlichen Religion kritisierten. Johann Nepomuck Fischer listete in seinem Traktat gegen das Wetterläuten einen Katalog von »nichtswürdigen Verwahrungsmittel[n] gegen die Gewitter« auf, die neben dem Wetterläuten einen Großteil des »Gewitterfanatismus« ausmachten. Dazu gehörten nicht nur die Palmzweige vom Palmsonntag und Überreste vom Holz des Osterfeuers, sondern auch Lorettoglocken, geweihte Kerzen sowie Gewitteramulette und sogenannte Gewitterscheiben, mit denen man sich und die Häuser vor Blitzeinschlag schützte.86 Alle diese geweihten Gegenstände hätten keinerlei Wirkung gegen das Unwetter, da bei ihrer Weihe weder Hagel noch Gewitter oder Blitz auch nur erwähnt würden. Er könne sogar von einem Fall berichten, bei dem der Blitz in eine Hostienschale eingeschlagen habe, was wiederum die Wirkungslosigkeit der aufgezählten Schutzmittel belege, wenn sogar die Hostie selbst als heiligster Gegenstand überhaupt nicht vor dem Blitzeinschlag sicher sei. Auch wohne diesen Schutzmitteln trotz ihrer Weihe ähnlich wie den Kirchenglocken keine anhaftende Kraft inne; vielmehr wirkten sie aufgrund ihres Weihestatus lediglich als Gebet.87 Joseph Weber lässt in seinem dialogisch aufgebauten Werk zu den religiösen Schutzmitteln gegen das Gewitter den Pfarrer und den Schulzen in ihrem zweiten Gespräch auch die sogenannten Gewitterscheiben behandeln, die aus kleinen runden Kapseln bestanden, die mit Figürchen aus Wachs oder Erde, Lukaszetteln, Reliquien usw. gefüllt und zum Schutz gegen den Blitz an den Häusern aufgehängt wurden. Hier belehrt der Pfarrer den Schulzen, dass auch die Wetterscheiben trotz ihres Weihestatus wie auch die läutenden Kirchenglocken nur als Gebet funktionieren und daher nicht die Kraft gegen den Blitz haben, die man ihnen zuschreibt. Wirkliche Hilfe gegen das Gewitter

85 Nicolai, Beschreibung. Band 6, 476. 86 Fischer, Beweis, 39–41. 87 Ebd., 41–46.

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sei dagegen nur im Gebet und in der Abkehr von einem sündigen Lebenswandel zu finden: »Mein Schulz! die besten geistlichen Verwahrungs­mittel gegen die Gewitter und andere natürliche Uebel sind eifriges, glaubvolles, und zweifelloses Gebeth, Reue über unsere Sünden, und Herzensbesserung. Diese sind die rechten Gewitteramulete: darab erschrickt der Teufel, und – Gott im Himmel hat Freude darüber. – –«.88 Zu den religiös-magischen Handlungspraktiken der Gewitterabwehr gehörten auch solche, die sich stärker im unscharfen Grenzbereich zwischen magischer Praktik und religiösem Ritual bewegten. Das Land-Gebot von 1746 etwa verurteilte auch Praktiken, die keine unmittelbare Wetterzauberei durch Anrufung böser Mächte waren, sich aber unzulässigerweise liturgischer Segens- und Anrufungsformeln bedienten, um Unwetter zu beeinflussen. Dazu zählte das Land-Gebot im entsprechenden Artikel auch das Segnen von Unwettern durch »Layen-Persohnen«, was die Unwetterwolken vertreiben sollte. Diese Segnungen galten als besonders wirkungsvoll, wenn sie von sogenannten ›Wettergerechten‹ durchgeführt wurden. Auch diese Gruppe von ›Bannungsexperten‹ des Wetters, denen man die Fähigkeit zuschrieb, »den Lauf der Gewitter zu lenken, Blitz und Hagel nach Willkühr abzuhalten, und, mit einem Worte den Gewittern zu gebieten«,89 war von der aufklärerischen Kritik betroffen. Johann Nepomuck Fischer kritisierte die Position von Pfarrhelfern in den Gemeinden, die von den Bauersleuten als wettergerecht angesehen würden, sobald auch nur ein Gewitter über den Ort ziehe und die Pfarre mit dem Pfarrhelfer verschont bleibe.90 Joseph Weber befasste sich ebenfalls mit dem Aberglauben, dass einige Pfarrer nicht nur erfolgreicher das Wetter segnen, indem ihre Gebete besser wirkten als die anderer Geistlicher, sondern auch das Unwetter nach ihren Wünschen lenken können; eine Vorstellung, die er als genauso abergläubisch zurückwies wie die Ansicht, dass Unwetter von übelwollenden Menschen durch Zauberei hervorgerufen werden können.91 Noch 1804 beklagte ein dezidiert volksaufklärerischer Beitrag im »Bairischen neuen Volkskalender« den Aberglauben bezüglich der Unwettersegnungen und der Wettergerechten, der durch Bettelmönche und dumme Geistliche verbreitet worden sei, in den letzten dreißig Jahren allerdings bereits abgenommen habe: »Wenn ein dummer Priester das Wetter segnete, so ließ er sich vom Meßner oder den Bauern fest halten, damit er nicht von den Hexen in die Luft fortgerissen wurde, und hernach erzählte man weit und breit, daß der große Hexenbanner schon 2 oder 3 Schuhe hoch in der Luft schwebte, und nur mit großer Mühe auf die Erde zurück gebracht werden konnte. Es gab 88 Weber, Unterricht, 14–29. 89 Fischer, Beweis, 49. 90 Ebd., 48–49. 91 Dazu das zweite Gespräch zwischen dem Pfarrer und dem Dorfschulzen in Weber, Unterricht, 14–29.

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Pfarrer, welche öffentlich behaupteten, daß sie wettergerecht seyen, und die Schlossen (Rieseln) zu Wasser machen können.«92 Dass diese Segnungen von Unwettern und Gewittern auch in offizieller amtskirchlicher Form durchgeführt wurden, illustriert jedoch, dass sich die Volksaufklärung die Wettersegnungen und die Wettergerechten als besonderes Negativbeispiel der Volksfrömmigkeit herausgriff, um damit ihre Kritik des Hexenglaubens und des allgemeinen Aberglaubens in der Landbevölkerung zu stützen. So war beispielsweise die Benedizierung der Unwetter im Hochstift Freising durchaus üblich. Dabei verwendete man seit dem 17. Jahrhundert ein Teilstück des Hl. Kreuzes als Reliquie. Für diese Aufgabe war Tag und Nacht ein Kanonikus des Domstifts zu Freising abgestellt.93 Suppliken der mit der Benedizierung der Gewitter beauftragten Kanoniki und entsprechende Resolutionen belegen, dass diese Praktik bis zum Ende des 18. Jahrhunderts Bestand hatte und mit einer Entschädigung von 12 fl. vergütet wurde.94 Neben der unmittelbaren Segnung der Gewitter spendete die Kirche auch andere Benediktionen gegen die Unwetter, die eine vorbeugende Wirkung haben sollten. Dazu gehörten Wettermessen oder Wetterämter, in denen zum Ende des Gottesdienstes ein Wetter­ segen zum Schutz vor Unwetter, Hagel und sonstigen Schäden an der Ernte erteilt wurde.95 Hatten diese liturgischen Wettersegen seit dem Mittelalter die Form von Heiligenlitaneien, bildete sich in der Frühen Neuzeit auch die Praxis heraus, die Anfänge der vier Evangelientexte als Wettersegen zu rezitieren, wobei das Johannesevangelium als besonders wirksam galt.96 Die Wettermessen waren auch mit Prozessionen verbunden, bei denen die Felder gegen Hagel und Ernteschäden gesegnet wurden. Diese Flur- oder Feldumgänge wurden besonders als Hagelprozessionen am sogenannten Hagelfreitag (in Bayern auch Schauer­ freitag), dem Freitag nach Christi Himmelfahrt, begangen, wobei diese Praktik 92 [Anonym], Lob und Tadel des bairischen Landvolkes, in: Johann Baptist Strobel (Hrsg.), Bairischer neuer Volkskalender für den Bürger und Bauersmann auf das Jahr 1804. Worinn die wichtigsten Landesherrlichen Verordnungen zum Besten der Landleute, nebst noch vielen andern gemeinnützigen und zweckmässigen Aufsätzen enthalten sind. München 1804, 83. 93 BayHStA HL 3 Fasz. 175 Nr. 26: Signatur der Freisingischen Hofkammer vom 31. Juli 1686. 94 BayHStA HL 3 Fasz. 175 Nr. 26: Supplik des Kanonikus Albertus Antonius Knaupp (undatiert, Resolutionsbescheid vom 24. Februar 1739), Resolution vom 4. März 1739 zur Ablösung des Albrecht Antonius Knaupp in der Benedizierung der Unwetter und Gewitter durch den Kanonikus Johann Öelhard, Supplik des Domvicarius und Beneficianten Johann Kaspar Obermayr vom November 1786 an die Freisingische Hofkammer mit der Bitte um die Gewährung der jährlichen 12 fl. für die Benedizierung der Hochgewitter, Resolution der Freisinger Hofkammer vom 11. November 1786 zur Gewährung der 12 fl. 95 Vgl. dazu das Lemma »Wetterbeschwörung, -bann« in Bächtold-Stäubli, HoffmannKrayer, Handwörterbuch. Band 9, 508–512. 96 Wie bereits erwähnt hatte schon Martin Luther die Rezitation des Johannesevangeliums zum Schutz vor Blitzeinschlag abgelehnt, dazu Kittsteiner, Die Entstehung, 37–38.

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im 18. Jahrhundert zunehmend kritisiert und reglementiert wurde.97 Besonders im Gebirge, aber auch auf den Feldern stellte man Wetterkreuze auf und baute Wetterkirchen, die ihre Umgebung zur Sakrallandschaft machten und dadurch die Unwetter bannen sollten.98 Es ist diese Allgegenwart der religiös-magischen Handlungspraktiken zur Gewitter- und Unwetterabwehr, die sich in Friedrich Nicolais spöttischer Beschreibung dieser Bräuche in seinem Reisebericht zu Süddeutschland spiegelt: »Der gemeine Mann läßt alles segnen, sogar sein Vieh und seine Aecker. Hierinn sind besonders die Bettelmönche sehr stark. Sie umziehen in Procession jeden Acker, besprengen ihn mit Weihwasser, und segnen ihn ein, damit er fruchtbar werde. Am Rogatensonntage reitet der Pfarrer mit den Bauern um die Felder, und hat die geweihte Hostie in einer Büchse anhängen. Er giebt Segen gegen alle vier Hauptwinde; und, fällt nichts destoweniger Hagel, so hats der Pfarrer am großen Kreuztage nicht recht zu machen gewußt, sagt der Bauer.«99 Wiederum mit den unterschiedlichen Formen des Wettersegens verbunden waren Devotionalien wie geweihte Wetterkerzen, die bei Unwetter und Gewitter angezündet wurden in der Hoffnung, dadurch den Blitz zu bannen und andere Schäden abzuwenden. Berühmt waren in diesem Zusammenhang die auch heute noch vertriebenen schwarzen Wetterkerzen der Altöttinger Gnadenkapelle. An ihrem Beispiel lässt sich zeigen, dass die Handlungspraktiken des religiös-magischen Bereichs auch von wirtschaftlicher Bedeutung waren und das Geschäft mit der Gewitterabwehr zum Lebensunterhalt beitragen oder zum Einkommen von Pfarrern, Klöstern und Wallfahrtsorten gehören konnte. Deshalb entwickelten sich auch Konflikte um den Zugang zum Devotionalienmarkt wie im Falle der Altöttinger Wetterkerzen. 1715 beklagte sich der Lebzelter Johann Ignatius Klueghammer aus Landshut mit einer Supplik bei der Regierung Burghausen, dass ihn das Propstei Hofmarksgericht Altötting zu einer Konfiskationsstrafe verurteilt und 40 Pfund seiner Kerzen beschlagnahmt habe, weil er in Altötting Wetterkerzen verkauft hatte, worauf die Altöttinger Gnadenkapelle ein Monopol zu haben meine.100 Von der Regierung dazu aufgefordert stellte die Altöttinger

97 Zu den Hagel- bzw. Schauerfreitagen und allgemein zur zunehmenden Reglementierung vgl. das Lemma »Hagel, Hagelzauber« in Bächtold-Stäubli, Hoffmann-Krayer, Handwörterbuch. Band 3, 1304–1320 und Dülmen, Kultur und Alltag, 72–78. 98 Zu den noch heute vorhandenen Wetterkreuzen Haid / Haid, Eine Kulturgeschichte, 157–158. Zu den Wetterkirchen und -kapellen im Tirolschen, die jeweils Heiligen als Wetterherren oder Wetterfrauen geweiht waren, und auch zu den Wetterkreuzen Hörmann, Tiroler Volksleben, 122–123. 99 Friedrich Nicolai, Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz, im Jahre 1781. Nebst Bemerkungen ueber Gelehrsamkeit, Industrie, Religion und Sitten. Band 5. 12 Bände. Berlin u. a. 1785, 63–64. 100 BayHStA Kollegiatstift Altötting Archivalien 149.

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Propstei ihre Sicht der Dinge in einem Bericht dar.101 Hier war der Weihestatus der Wetterkerzen aus der Marianischen Gnadenkapelle ein wichtiges Argument der Propsteiverwaltung in diesem Streit: Klueghammer habe seinen Käufern wohl nicht mitgeteilt, dass die schwarzen Wetterkerzen der Altöttinger Kapelle geweiht wären, die von ihm zum Verkauf angebotenen jedoch nicht. Ansonsten hätte er für seine Kerzen wohl keine Käufer gefunden. Trotz des Einspruchs der Propsteiverwaltung entschied die Regierung Burghausen zunächst zugunsten des Supplikanten Klueghammer und die beschlagnahmten Wetterkerzen mussten zurückgegeben werden.102 Ein Jahr später änderte die Regierung Burghausen jedoch ihre Haltung in dieser Frage, nachdem die Propsteiverwaltung Altötting sich erneut mit der Bitte um ein Verbot des Verkaufs nichtgeweihter Wetterkerzen an die Regierung Burghausen gewandt hatte,103 und untersagte den Verkauf von Wetterkerzen auf dem Markt in Altötting.104 Die Volksaufklärer positionierten sich gegen diese Ökonomisierung der religiösen Gewitterabwehr, die sie als Ausbeutung der Landbevölkerung durch Pfarrer, Bettelmönche und betrügerische Laien bezeichneten, welche sich des Aberglaubens unwissender Leute bedienten. Franz Xaver Niedermayer kritisierte in seinem »Katechismus der Naturlehre« seine eigenen Standesgenossen, da es immer noch Priester gebe, denen daran gelegen sei, »alberne Volksmeynungen« aufrechtzuerhalten, weil sie dadurch das einträgliche Geschäft der Verteilung von Wetterscheiben, geweihten Pulvern und von Wettermessen weiter betreiben könnten.105 Auch Johann Nepomuck Fischer stellte einen Zusammenhang zwischen der Einnahmenotwendigkeit der Priester, weil der Staat sie nicht genügend monetär unterstütze, und den fortgesetzten Missbräuchen um die Gewitter­ abwehr her: »Bis sich also einmal das große Rad an der Staatsmaschine umgedreht haben wird, durch dessen Wendung die Fonds geistlicher Einkünfte eine andere Verhältniß zu ihren Amtsverrichtungen gewinnen werden; bis dahin wird es immer wettergerechte Geistliche, und Sammler geben, welche Gewitter­ amulete u. s. w. spendieren, und das Geschäft einer allgemeinen Aufklärung gleichsam wider ihren Willen erschweren werden.«106 Neben den Segnungen von Unwettern und den vielfältigen magisch-liturgischen Formen des Wettersegens wandten sich Laien auch direkt an Gott und die 101 BayHStA Kollegiatstift Altötting Archivalien 149: Bericht der Propsteiverwaltung Altötting vom 6. Juli 1715 an die Regierung Burghausen. 102 BayHStA Kollegiatstift Altötting Archivalien 149: Schreiben der Regierung Burghausen vom 9. Juli 1715 an den Propsteiverwalter zu Altötting. 103 BayHStA Kollegiatstift Altötting Archivalien 149: Schreiben der Altöttinger Propstei vom 30. Mai 1716 an die Regierung Burghausen. 104 BayHStA Kollegiatstift Altötting Archivalien 149: Schreiben der Regierung Burghausen vom 5. Juni 1716 an den Propsteiverwalter zu Altötting. 105 [Niedermayer], Katechismus, Vorrede [4]. 106 Fischer, Beweis, 50–51.

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Heiligen, um Schutz vor Unwetter, Blitz, Hagel und Ernteschäden zu erflehen. In der akuten Gefahrensituation im Unwetter konnte der Allmächtige selbst zum unmittelbaren Adressaten des Wettergebets werden. So berichtete der Verwalter der freisingischen Schwaig Erching über ein schweres Hagelunwetter am 10. September 1785, das losbrach, als man gerade die Ernte auf den Feldern einholen wollte.107 Er selbst sei zur Beschleunigung der Erntearbeit auf den Feldern gewesen und habe sich vor dem Sturm in eine Bauhütte flüchten müssen. Dort habe er sich mit anderen aufgehalten, als mit einem Schlag die Fenster durch Hagelkörner zerschmettert worden seien, die dann in der Baustube herumflogen. Alle seien auf die Knie gefallen, hätten Gott um ihr Leben angefleht, dabei geschrien und gebetet. Die direkte Anrufung Gottes stand jedoch hinter der Bitte an die Heiligen um Fürsprache zurück. Bestimmten Heiligen wurde als Wetterherren oder Wetterfrauen die Fähigkeit zugeschrieben, über Hagel, Blitz und Gewitter zu gebieten, wie dem Hl. Columban,108 dem Hl. Donatus109 oder dem biblischen Propheten Elias.110 Im süddeutschen Raum nahmen der Hl. Oswald, der der Reihe der 14 Nothelfer hinzugefügt wurde,111 und auch der Hl. Benno als Stadtpatron Münchens112 eine Sonderstellung ein. Zudem errichtete man für die Wetterheiligen auch Wetterkirchen.113 Die Anrufung der Heiligen war häufig mit einem Gelübde (Verlöbnis) zu Wallfahrt, Messen und Votivgaben verbunden und besonders in den Mirakelbüchern der Marianischen Wallfahrtsorte, vor allem Altötting, finden sich viele Wunderberichte über Rettungen aus Unwettergefahren, was den wichtigen Status Marias als Wetterheilige bezeugt.114 Anders als im Falle der Hochwasser und Überschwemmungen weisen diese Wunderberichte nicht nur das Motiv der Rettung aus persönlicher Lebensgefahr auf, sondern auch den Schutz und Erhalt persönlichen Besitzes bzw. der Ernte auf den Feldern. Wunderberichte zu akuter Lebensgefahr hatten dabei den überstandenen Kontakt mit dem Blitz zum Inhalt. 107 BayHStA HL 3 Fasz. 135 Nr. 14: Bericht des Verwalters der Erchinger Schwaig vom 11. September 1785 an die freisingische Hofkammer. 108 Hanns Bächtold-Stäubli, Eduard Hoffmann-Krayer, Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Band 2. 10 Bände. Berlin u. a. 1929/1930, 100. 109 Ebd., 310–311. 110 Ebd., 781–785. 111 Wolfgang Hartung, Der Heiligenhimmel im Westallgäu, in: Otto Kettemann und Helga Hoffmann (Hrsg.), Droben im Allgäu, wo das Brot ein End’ hat. Zur Kulturgeschichte einer Region. Kronburg-Illerbeuren 2000 (Druckerzeugnisse des Schwäbischen Bauernhofmuseums Illerbeuren, 14), 257–266 sowie Bächtold-Stäubli, Hoffmann-Krayer, Handwörterbuch. Band 9, 54–56. 112 Robert Böck, Die Verehrung des hl. Benno in München. Wallfahrtsgeschichte und Mirakelbücher, in: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 9, 1958, 61. 113 So gab es im Tirolschen Wetterkirchen für die als Wetterherren verehrten St. Peter und Paul, den Hl. Oswald und St. Vigil; Hörmann, Tiroler Volksleben, 122–123. 114 Zur zunehmenden Marianischen Wallfahrt in der Frühen Neuzeit vgl. Dülmen, Kultur und Alltag, 72–78.

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Immer wieder ist es die Anrufung Marias im Augenblick des Blitzeinschlags, die den oder die Getroffene(n) überleben lässt.115 Auch der Bezug zur Herrschaft Marias über die Elemente ist von Bedeutung, wie im Wunderbericht der Elisabetha Köpferlin von Jörgenried aus dem Jahr 1714: Sie sei zusammen mit ihrer Tochter und ihrer Dienstmagd von der Feldarbeit nach Hause gegangen, als ein Hochgewitter ausbrach und die drei von einem Blitz getroffen und zu Boden geschlagen wurden, wobei die Tochter Verbrennungen an Genick und Schulter erlitt, ihr Haar teilweise verbrannte und ihr die Kleider zerrissen wurden. »So kunte man demnach selbe für stein-todt halten / wan wir nit von unser groß-mögenden Gnaden-Mutter zu Alten-Oetting wußten / daß die Element von ihr beherschet werden. Dise Wunder-Mutter hat durch ihr Großmacht den Bliz-Pfeil stumpf gemacht / und dessen Gewalt gebrochen auf das Gebett diser dreyen / eben da sie niderfielen.«116 In den Wunderberichten zur Verschonung von Hagelschlag und der Rettung der Ernte finden sich dagegen häufiger tatsächliche Verlöbnisse. Diese beinhalteten zumeist Messen und Wallfahrten, die während der akuten Bedrohung der Felder der Maria ›verlobt‹ wurden, um die Gottesmutter zum Eingreifen zu bewegen.117 Diese Verlöbnisse wurden für die eigenen Felder geleistet118 oder für die der ganzen Dorfgemeinschaft, woraus dann von der Gemeinde abgehaltene einmalige oder auch wiederkehrende Wallfahrten entstanden.119 Auch die Wunderberichte anlässlich der Verlöbnisse zum Schutz der Ernte vor Schauerschäden betonten die Wetterherrschaft Marias, wie 115 So im Bericht des Andreas Kugler aus dem Jahr 1688 (Schilcher, Historia. Teilband 3.2, 242), im Bericht des Georgius Lechemann von 1713 (Schilcher, Historia. Teilband 4.2, 300), im Bericht der Rosina Oelingerin aus dem Jahr 1717 (ebd., 331) und im Bericht des Adam Loderer von 1713 (ebd., 347). 116 Ebd., 234–235. 117 In ihrem Wunderbericht vom 9. Mai 1736 gab Anna Bayrin von Forst an, dass ihre Felder deshalb von Hagelschlag verschont geblieben seien, weil sie sich auf einer verlobten Wallfahrt nach Andechs befunden habe: [Anonym], Kurtzer Begriff oder Innhalt von dem Gnadenreichen Heiligen Berg Andechs, Des heiligen Vatters Benedicti-Ordens, Augspurger Bistums in Ober-Bayrn, etc. […]. Nebst einigen Gnaden- und Wunder-Zeichen, so allda geschehen. Augspurg 1754, 81. Mathias Unger erwähnte in seinem Wunderbericht vom 23. Juni 1720 hingegen das Verlöbnis einer Messe, das seine Felder vom Schauerschaden gerettet habe: [Anonym], Das anderte Centuplum Marianum. Das ist: Hundert Aus viel Tausenden / Durch Hülff Mariae, Der Wunderbarlichen Mutter Gottes / In ihrem Wunderthätigen Gnaden-Bild / Auff dem Ruprechts-Berg nächst Dorffen / Ihrer Zuflucht ergebenen / andächtigen Dienerund Dienerinen entsprossener Gutthaten. Freysing 1723, 36. 118 So im Bericht der Apollonia Harrainerin aus dem Jahr 1700, die angab, ihre Felder durch das Verlöbnis einer Messe gegen Hagelschlag geschützt und damit »gleichsam den Marianische[n] Schutz-Mantel über ihre Aecker durch ein Gelübd gespannt« zu haben: Schilcher, Historia. Teilband 4.1, 198–199. 119 Ein Wunderbericht im Tuntenhausener Mirakelbuch hält fest, dass Magdalena Macholdin von Macholtzhofen aus Schrecken über einen Hagelschauer und Mitleid für die ganze Gemeinde eine Wallfahrt zu Unserer Lieben Frau von Tuntenhausen gelobt habe, woraufhin weder an den Häusern noch an den Feldfrüchten des ganzen Dorfes Schaden entstanden sei,

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in einem Wunderbericht des Altöttinger Mirakelbuches, in dem die wundersame Rettung der Feldfrüchte des Herrn Alberto Antonio Croneck zu Landau geschildert wird, der während eines Unwetters am 18. Mai 1713 seine Getreidefelder dem Schutz Marias unterstellte und ihr dafür eine Wallfahrt nach Altötting und zwei Messen verlobte: Es habe sich gezeigt, »das Feur / Hagl / Schnee / Eys / Sturmwind / und alles Ungewitter dessen Wort / und Befelch vollziehen / der da gewollt / daß die Element solten unterthänig seyn der mächtigisten SchuzPatronin Mariae seiner liebwertisten Mutter.«120 Die religiös-magischen Handlungspraktiken zur Gewitterabwehr wurden nicht nur im Land-Gebot von 1746, sondern auch im Rahmen sonstiger Verordnungen zur Frömmigkeitspraxis der Bevölkerung beschränkt und verboten. Diese Reglementierung auf dem Wege von Verordnungen und Mandaten ordnete sich dabei in die allgemeine Religionspolitik der Landesherrschaft ein, die an einem aufklärerischen Religionsverständnis von einer ›entmaterialisierten‹ Frömmigkeit orientiert war, die sich nicht in äußerlichen Ritualen erschöpfte, sondern auf eine als christlich verstandene arbeitsame Lebensführung anhand eines bürgerlichen Wertekanons abzielte (s. Kap. 2.2.3). In dieser Perspektive gehörten nicht nur die Wettergebete, mit denen um gute Witterung für die Ernte gebeten wurde (s. Kap. 5.1), sondern auch die religiös-magischen Handlungspraktiken der Gewitterabwehr in eine abergläubische Frömmigkeitspraxis, die der eigentlichen Religion, auch durch ›zu viel Beten‹, schadete. Eine Verordnung vom 31. Januar 1804 verbot entsprechend die »dem christlichen Unterricht sehr nachtheiligen Mißbräuche« von Wettersegen, wobei die Anfänge der vier Evangelien gesungen wurden, und damit verbundener Prozession in der Kirche. Dadurch werde die Andacht des Volkes nicht verbessert und es nehme der Predigt und der allgemeinen christlichen Unterweisung im Gottesdienst Zeit weg.121 Die Reglementierung richtete sich insbesondere auf die Feldumgänge bzw. Prozessionen, Kreuzgänge und Wallfahrten, besonders wenn sie an den seit 1772 abgeschafften Feiertagen im Festkalender abgehalten wurden. Man setzte dabei auf ein Anreizsystem, um die Bevölkerung zur Befolgung der Feiertagsreduktion anzuhalten. Eine Verordnung vom 14. Januar 1785 zu den abgeschafften Feiertagen legte fest, dass kein Untertan, der durch Misswuchs, Hagelschlag und andere Unglücksfälle an der Ernte betroffen worden sei, einen Nachlass an landesherrlichen Abgaben erhalten werde, wenn er nicht durch kumulative Zeugnisse der örtlichen landesherrlichen Beamten oder der Grundherrschaft oder des Gemeindepfarrers nachweisen könne, dass er an den abgeschafften obwohl in den umliegenden Gütern der Hagel die Felder verwüstet habe: [Anonym], Marianischer Gnaden-Psalter, 77. 120 Schilcher, Historia. Teilband 4.2, 169–171. 121 Die Prozeßionen betreffend, in: Churpfalzbaierisches Regierungsblatt 1804, 8. Februar (VI . Stück), 123–124.

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Feiertagen gearbeitet habe.122 Eine weitere Verordnung im folgenden Jahr, die diese Bestimmung wiederholte, bestätigte zwar, dass die althergebrachten Kreuzgänge und Prozessionen, um für gutes Wetter zu beten, auch nach wie vor stattfinden dürften.123 In einer Verordnung vom 4. Dezember 1801 wurden dann jedoch jegliche Kreuzgänge anlässlich außerordentlicher Unglücksfälle, zu denen auch anhaltendes Regenwetter oder Trockenheit gezählt wurden, verboten.124 Die in diesem Anreizsystem, Nachlässe an Steuern und Abgaben nur gegen Arbeitsleistung an den aufgehobenen Feiertagen zu gewähren, deutliche arbeitsmoralische und ökonomische Argumentation findet sich im beschriebenen volksaufklärerischen Diskurs wieder, zu dem auch die aufklärerisch orientierte mediale Öffentlichkeit gehörte. In einer Meldung zu einem schweren Unwetter im Raum Abensberg im Juli 1776 berichtete das Intelligenzblatt nicht nur über die angerichteten schweren Schäden durch den Sturm, Blitzeinschlag und Brände sowie die Gefahr für die am Boden liegenden, nassen Feldfrüchte, sondern verband letzteres auch mit dem Hinweis auf die Arbeitsverweigerung der Bauern an den abgeschafften Feiertagen: »Zu diesen allen hilft noch das Vorurtheil des gemeinen Landmannes, welches bisher noch nicht gänzlich hat abgeschafft werden können, nämlich an den abgeschafften und Bauern-Feyertagen, wo öfters die schönste Witterung einfällt, nichts zu arbeiten.«125 Die Reglementierungsbestrebungen der Frömmigkeitspraktiken zur Gewitterabwehr führten zu Konflikten mit den Gemeinden, die ihre aus Verlöbnissen hervorgegangenen Kreuzgänge, Prozessionen und Wallfahrten weiterhin durchführen wollten, um sich vor Gewitter, Hagelschlag und weiteren Bedrohungspotenzialen ihrer Ernten zu schützen. Dabei standen die Pfarrer nicht nur zwischen den Fronten von Obrigkeit und ihrer jeweiligen Gemeinde,126 sondern konnten auch konfliktverschärfend wirken, wenn sie selbst Vertreter der Aufklärung waren und die Reglementierung der Frömmigskeitspraktiken aktiv vorantrieben; so im Falle von Joseph Ulrich, Pfarrer der Gemeinde Traubing:127 Dieser versuchte im Jahr 1770, also noch vor der Feiertagsreduktion und der offiziellen Einschränkung der relevanten Frömmigkeitspraktiken, die in seiner Gemeinde bisher üblichen Kreuzgänge im Jahr in Zahl und Umfang drastisch zu reduzieren. Ulrich argumentierte, dass die Kreuzgänge bisher vor allem Anlass zu allerlei Unfug, Trinkgelagen, Ehebruch, Müßiggang und Vernachlässigung der Christenlehre gewesen seien. Die Gemeinde beschwerte sich zwar über diese Reduktion der Kreuzgänge bei ihrem Pfarrer, der aber blieb bei seiner Haltung, 122 Mayr, Sammlung. Band 4, 809–812. 123 Ebd., 856–857: Verordnung vom 2. August 1786. 124 Mayr, Sammlung der Churpfalzbaierischen. Band 1, 270–272. 125 Artic. VII . Landwirthschafts-Nachrichten, in: Churbaierisches Intelligenzblatt 1776, 3. August (Nr. 31), 274. 126 Vgl. dazu das exemplarische Fallbeispiel in [Anonym], Der hinkende Both, 15–20. 127 Für das folgende Habermas, Wallfahrt, 131–139.

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obwohl die Gemeinde ihm drohte, keinen Zehnten mehr zu entrichten und auch keine Opfer mehr zu geben, so lange die gewöhnlichen Kreuzgänge nicht mehr durchgeführt würden. Sie organisierte schließlich in Eigenregie die verweigerten Kreuzgänge, worüber es zum offenen Bruch zwischen Ulrich und seiner Gemeinde kam. Die Mehrheit folgte den weiterhin durchgeführten Kreuzgängen und nur eine Minderheit schloss sich dem Pfarrer und seinen Ersatzbittgängen zur Filialkirche an. Ulrich wandte sich daraufhin im Juni 1770 an den Geistlichen Rat, der für ihn Partei ergriff und das Landgericht Weilheim anwies, die Vorfälle zu untersuchen. Das Landgericht ermahnte die Gemeinde daraufhin zum Gehorsam gegenüber ihrem Pfarrer. Diese rechtfertigte ihre Haltung wiederum in einer Entgegnung vom August 1770, in der sie die Kreuzgänge unter anderem mit dem Argument begründete, dass sie geholfen hätten, »Viehseuche, Schauer […] und aller Unglücke der Menschen und Vieh« abzuwenden. Dazu verwies die Gemeinde auf erinnertes Erfahrungswissen mit abgeschafften Kreuzgängen, da es einmal sieben Wochen hintereinander geregnet habe und die Ernte dadurch vernichtet worden sei, als man die Prozessionen nach Ettal und zum Hohenpeißenberg aufgeben wollte. Im Mai 1771 wurde der Streit dann erneut akut, als die Traubinger Gemeinde an den Geistlichen Rat supplizierte und dem Pfarrer Ulrich ein Ultimatum von zwei Wochen stellte, innerhalb derer er die Kreuzgänge wieder aufnehmen sollte. Dieser weigerte sich jedoch und gab an, dass er von Gemeindemitgliedern bedroht worden sei und man versucht habe, ihn zu den Kreuzgängen zu zwingen, indem man zum Beispiel seinen Pflug zerstört habe. Außerdem werde er in der Region verleumdet und als Verbreiter des Luthertums geschmäht. Trotz gegenteiliger Anweisungen des Landgerichts stellte sich schließlich auch der Dorfrichter auf die Seite der Gemeinde und rief dazu auf, dem Pfarrer die Holzabgabe, die Strohabgabe und die Seelenmessen zu verweigern, wenn er nicht bei einer zu veranstaltenden großen Dankprozession mitmache. Der Streit zog sich noch einige Zeit hin, bis dann die Verordnung zur Reduktion der Feiertage erlassen wurde, was dem Pfarrer Ulrich eine rechtliche Unterstützung für seine Verweigerungshaltung brachte. Der Geistliche Rat lobte entsprechend der neu geltenden Gesetzgebung den Pfarrer für seinen »Eyfer, mit dem er wider die unter dem landvolk noch so sehr wütende Schlange des Aberglaubens zu werke gegangen […].« An diesem Konfliktszenario wird nicht einfach nur die Frontlinie zwischen Landbevölkerung und aufklärerischen Bildungs- und Herrschaftseliten in Geistlichkeit und landesherrlicher Obrigkeit sichtbar, sondern auch das Widerstandspotenzial der Gemeinde gegen die Reglementierungspolitik der Obrigkeit in religiösen Angelegenheiten, da sie über den Hebel der Abgabenverweigerung den Pfarrer unter Druck setzen und sich mit örtlichen Vertretern der Obrigkeit wie dem Dorfrichter verbünden konnte. In den noch zu behandelnden Auseinandersetzungen um die Handlungspraktiken des Wetterläutens, Wetterschießens und des Blitzableiters werden ähnliche Konfliktstrategien zu beobachten sein.

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6.2.2 Das Wetterläuten Neben den beschriebenen Praktiken der Gewitterabwehr existierte mit dem Wetterläuten eine weitere Handlungspraktik, die eindeutig einem religiösen Handlungskontext zuzuordnen, aber weniger eindeutig auf ein bestimmtes Deutungsmuster im Katastrophendiskurs festzulegen ist. Das Wetterläuten bewegte sich im Bereich der religiös-magischen Handlungspraktiken und war mit den Lorettoglocken, die in Privathaushalten zur Blitzabwehr geläutet wurden, nicht auf den Kirchturm beschränkt.128 Als apotropäische Praktik zur Gewitterabwehr versprach man sich vom Läuten der geweihten Kirchenglocken hauptsächlich eine bannende Wirkung auf Unwetter und Gewitter, die von Hexen oder teuflischen Mächten erzeugt worden waren.129 In dieser religiösmagischen Deutung des Unwetters, die dem Wetterläuten zugrunde lag, wurde der Weihestatus der Glocken gegen die Wetterzauberei, schwarze Magie und das Wirken des Teufels im Unwetter gesetzt, was sich auch in den Weiheinschriften der Glocken widerspiegelte.130 Bestimmte einzelne Glocken galten dabei als besonders wirksam und hatten den Ruf wetterbannenden Geläuts.131 Mit der Aufgabe des Läutens der Kirchenglocken bei Unwetter waren die Messner betraut, die als Entschädigung eine Abgabe von der Gemeinde, das sogenannte Glockenlehen oder feudum campanarium (in Bayern auch Läutgarben, Wetter 128 Friedrich Nicolai stellte in seinem Reisebericht auch den Gebrauch der Lorettoglocken vor: »Den ersten Tag, da wir in München waren, stieg ein Gewitter am Himmel auf; sogleich ward in jedem Hause ununterbrochen mit einem geweihten Lorettoglöckchen geläutet. Ich wuste nicht was der viele Schellenklang bedeuten sollte, und glaubte, daß in der Nähe eine große Anzahl beladener Maulesel oder Karrengäule vorbey gingen. Man lachte mich aber aus, und versicherte mich, daß so weit der Schall eines solchen Lorettoglöckchens reiche, das Wetter nicht einschlagen könne; schlüge es aber doch ein, so hätte die Familie keinen rechten Glauben und Vertrauen.« Nicolai, Beschreibung. Band 6, 712. 129 Zusammenfassend zu diesen Aspekten des Wetterläutens die Lemmata »läuten«, »Gewitter«, »Blitz« und »Hagel, Hagelzauber« in Hanns Bächtold-Stäubli, Eduard HoffmannKrayer, Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Band 5. 10 Bände. Berlin u. a. 1932/1933, 938–949; Bächtold-Stäubli, Hoffmann-Krayer, Handwörterbuch. Band 3, 815–833; BächtoldStäubli, Hoffmann-Krayer, Handwörterbuch. Band 1., 1399–1419 sowie Bächtold-Stäubli und Hoffmann-Krayer, Handwörterbuch. Band 3, 1304–1320. 130 Beispiele von Weiheinschriften gegen Sturm, Gewitter, Donner und Blitz in Fischer, Beweis, 30–32. Die Weiheinschrift »A FULGURE ET TEMPESTATE LIBERA NOS DOMINE IESU CHRISTE«, die dem katholischen liturgischen Wettersegen entnommen ist, war auch auf im 18. Jahrhundert gegossenen Glocken verbreitet; für Beispiele vgl. Franz Dambeck, Günther Grundmann, Deutscher Glockenatlas. Band 2: Bayerisch-Schwaben. bearbeitet von Sigrid Thurm. München u. a. 1967. 131 Mitunter erhielten diese Glocken Beinamen wie ›Brixener Stier‹, ›Ötzer Stier‹ oder ›Itterer Katze‹, die ihre Wirkmächtigkeit in der Hexen und Unwetterabwehr ausdrücken sollten und die Klangeigenschaften ihres weithin hörbaren Geläuts charakterisierten; Strele, Wetterläuten, 2–4.; Hörmann, Tiroler Volksleben, 123–127.

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garben oder Läutpfennig genannt), erhielten.132 Seit dem Mittelalter bis heute wurde nicht nur im Alpenraum gegen das Wetter geläutet,133 sondern auch in anderen europäischen Regionen, und das sowohl im Gebirge als auch in der Ebene.134 Auch war es nicht auf katholische Gebiete beschränkt. Zwar war das Wetterläuten bereits im Protestantismus des 16. Jahrhunderts als abergläubische weil rein äußerliche und dingmagische katholische Abwehrpraktik bekämpft worden, der die Wortmagie des Wettergebets gegenübergestellt wurde.135 Dennoch wurde es auch im 18. Jahrhundert noch in manchen protestantischen Reichsterritorien praktiziert.136 Das Wetterläuten konnte neben seiner religiös-magischen Funktion auch mit straftheologischen Deutungen verbunden werden, in die seine angenommene Wirksamkeit gegen teuflisch-dämonische Unwetter und von Hexen verursachte Gewitter eingebettet war: So lässt Joseph Weber in seinem Traktat zur Gewitterabwehr den Pfarrer und den Dorfschulzen auch über die Frage des Wetterläutens diskutieren.137 Der Schulze vertritt dabei die religiös-magische Auffassung vom Wetterläuten, da er es für geeignet hält, die bösen Hexen, Wettermacher und den Teufel zu vertreiben. Der Pfarrer macht ihn jedoch auf den Widerspruch dieser Position zu Gottes Wetterherrschaft aufmerksam. Und zum straftheologischen Standpunkt des Schulzen, dass Gott die Menschen damit für ihre Sünden strafe, merkt der Pfarrer an, dass Gott dadurch in seinem Strafhandeln von bösen Menschen wie Hexen und Wettermachern bestimmt sein müsste. Dieser Widerlegung des Dorfschulzen und seiner Auffassungen vom Wetterläuten stellt der Pfarrer eine physikotheologische Deutung des Wetters gegenüber.138

132 Bächtold-Stäubli, Hoffmann-Krayer, Handwörterbuch, Band  5, 938–949; BächtoldStäubli, Hoffmann-Krayer, Handwörterbuch. Band 3, 815–833. 133 Zusammenfassende Hinweise zum Wetterläuten in Reith, Umweltgeschichte, 15–16; insgesamt zum Wetterläuten im Alpenraum als eine religiös-magische Handlungspraktik der Gewitterabwehr Haid / Haid, Eine Kulturgeschichte, 179–195. 134 So ist das Wetterläuten auch im Frankreich des 18. und 19. Jahrhunderts nachweisbar (Walter, Katastrophen, 121), wobei besonders die Pyrenäen mit dem Béarn als Parallelraum zu den Alpen hervorstechen (Desplat, Pour une histoire, 146–150, 158–159). 135 Zur Ablehnung u. a. des Wetterläutens und der Beförderung des Wettergebets im protestantischen Wetterdiskurs vgl. Kittsteiner, Die Entstehung, 55–63. 136 So in den Markgrafschaften Brandenburg-Ansbach und Brandenburg-Bayreuth sowie der Reichsstadt Nürnberg, Kett, Er brachte den Blitzableiter, 182–183. 137 Für das Folgende Weber, Unterricht, 1–14. 138 Auch dem Versagen des Wetterläutens in der Gewitterabwehr konnte eine straftheologische Deutung abgewonnen werden. So berichtete der Konventuale des Rottenbucher Klosters Anselm Greinwald über ein Unwetter im Mai 1769 auf dem Hohenpeißenberg, gegen das er vergeblich die Glocken läutete und das die dortige Wallfahrtskapelle durch Blitz­einschlag beschädigte. Einer der Bauern habe daraufhin den Einschlag als Gnadenerweis Marias gedeutet, da sie den Blitz auf sich gelenkt habe, den doch eigentlich sie aufgrund ihrer Sünden verdient hätten; Habermas, Wallfahrt, 111–113.

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Die aufklärerische Sichtweise auf das Wetterläuten war vor allem von einer breiten Ablehnung dieser Handlungspraktik geprägt, die als abergläubisches und gefährliches Ritual charakterisiert wurde. Das Läuten von Lorettoglocken wurde dabei genau wie andere religiös-magische Handlungspraktiken der Gewitterabwehr als Resultat einer falschen Auffassung religiöser Rituale und Liturgien wie der Glockenweihe verurteilt.139 Kritisiert wurde die beim Wetterläuten angenommene Vorstellung von der Vertreibung des durch teuflisch-dämonische Mächte verursachten Unwetters durch den Klang der geweihten Glocken. Für Johann Nepomuck Fischer konnte das Wetterläuten nichts vorteilhaftes gegen natürliche oder übernatürliche Unwetter bewirken, da der Blitz gleichermaßen in alle Kirchtürme einschlage, egal ob dort gegen das Wetter geläutet werde oder nicht, so wie auch die Felder von Hagelschauer bedroht blieben, selbst wenn über ihnen der Klang geweihter Glocken ertöne.140 In seinem Werk zum Wetterläuten betonte er, dass das Glockenläuten keinerlei Einfluss auf den Verlauf der Gewitter habe, seien diese durch die Hand Gottes oder gar des Satans gelenkt.141 Hier stellte Fischer die Verbindung zur abergläubischen Vorstellung vom durch Wetterzauberei der Hexen verursachten Unwetter her, die sich in den erhaltenen Weiheinschriften der Glocken und den abergläubischen Auffassungen von der Glockenweihe zeige, nämlich dass dem Schall der Glocken aufgrund ihrer Weihe eine eigene magische Kraft zur Vertreibung der Unwetter innewohne.142 In ähnlicher Weise wandte sich auch Joseph Weber gegen das Wetterläuten, das er ebenfalls auf falsche Vorstellungen von der Glockenweihe gegründet sah, da den Glocken dadurch keine eigene Wirkkraft verliehen werde, sondern die Weihe lediglich den Charakter eines Gebets und einer Fürbitte habe.143 In der Dekonstruktion des mit der Glockenweihe verbundenen Aberglaubens schloss sich also der Kreis zur aufklärerischen Kritik am materialistischen Religionsverständnis und einer als oberflächlich angesehenen, auf äußerliche Symbolhandlungen beschränkten Frömmigkeitspraxis, die auch schon in Bezug auf das Wetter allgemein im Fokus der kurbayerischen Aufklärer war. In diesem Sinne erhofften sie sich ein baldiges Ende der Praxis des Wetterläutens, das als Aberglaube der niederen Volksklassen nur aufgrund mangelnder Fortschritte im naturkundlichen Wissen überlebt habe.144 Als ihr gewichtigstes Argument gegen das Wetterläuten führten seine Kritiker ins Feld, dass die Messner während des Läutens einer erhöhten Gefährdung ausgesetzt waren, vom Blitz getroffen zu werden. Für Johann Nepomuck Fischer 139 So bei Fischer, Beweis, 39–41 und Weber, Unterricht, 14–29. 140 Fischer, Beweis, 13–14. 141 Ebd., 28. 142 Ebd., 29–35. 143 Weber, Unterricht, 1–14. 144 So in Luz, Unterricht, 139 und Maximus Imhof, Theoretisch-praktische Anweisung zur Anlegung und Erhaltung zweckmäßiger Blitzableiter. München 1816, 8–9.

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war alleine das ausreichend, das Wetterläuten abzuschaffen.145 Die volksaufklärerische Kritik des Wetterläutens bemühte sich deshalb um eine Herausstellung von Unglücksfällen, bei denen Messner beim Wetterläuten vom Blitz getroffen worden waren bzw. der Blitz in wetterläutende Kirchen eingeschlagen war. Fischer wies in seinem Traktat auf einen nichtbayerischen Zeitungsbericht hin, der behauptete, dass in Deutschland und Frankreich allein im Jahr 1784 an die einhundert Personen beim Glockenläuten während eines Gewitters vom Blitz erschlagen worden seien und in den letzten 33 Jahren 386 Kirchtürme getroffen und 103 Personen beim Wetterläuten erschlagen worden seien. Dazu erwähnte er auch einen Bericht aus der Bretagne, wo im April des Jahres 1718 bei einem Gewitter in 24 Kirchen, in denen gegen das Wetter geläutet wurde, der Blitz eingeschlagen sei, während die benachbarten, nicht gegen das Wetter läutenden Kirchen verschont geblieben seien.146 Johann Konrad Gütle sollte diese Argumentation Fischers dann später in seinen eigenen Werken wieder aufgreifen, um auf die Gefährlichkeit des Wetterläutens hinzuweisen und für seinen Ersatz durch den Blitzableiter zu werben.147 Jakob Langenbucher listete in seinem Werk zum Blitzableiter ebenfalls Beispiele für Blitzeinschläge in Kirchen auf, in denen man gegen das Wetter geläutet hatte.148 Schließlich lieferte auch die aufklärerische mediale Öffentlichkeit in Kurbayern Berichte über Blitzeinschläge in Kirchen, wobei Personen beim Wetterläuten zu Schaden gekommen waren: Die Münchner Zeitung berichtete anlässlich der Sommerunwetter des Jahres 1783 in Bayern, dass am 4. Juli in der Kirche in Issing im Gericht Rauhenlechsberg der Blitz eingeschlagen habe und zwei wetterläutende Personen dabei zu Boden geschlagen worden seien.149 Bereits im Monat zuvor hatte das Blatt einen weiteren Blitzeinschlag in den Kirchturm von St. Peter in Straubing, wobei mehrere Personen durch den Blitz betäubt wurden, zum Anlass genommen, für die Abschaffung des Wetterläutens zu werben: »Könnet ihr, liebe Mitbürger! dise Nachricht lesen, ohne von selbst auf folgende Schlussfolgen zu gerathen: 1) das der Blizstral gar so gewöhnlich in die Türmer einschlage: 2) das er am allermeisten vom Metalle angezogen werde, indem er gerade auf 145 Fischer, Beweis, 13. 146 Ebd., 12–13. Fischer entnahm die Angaben zur Bretagne den Jahresberichten der französischen Akademie der Wissenschaften, in denen André-François Boureau-Deslandes, korrespondierendes Mitglied der Akademie, aus Brest über die Vorkommnisse berichtete. Boureau-Deslandes schlussfolgerte, dass die Kirchenglocken, die ein entferntes Gewitter abwehren könnten, bei einem nahen Gewitter den Blitzeinschlag durch die Lufterschütterungen des Glockenschalls begünstigten: [Anonym], Diverses observations de physique generale, in: Histoire de l’Académie royale des sciences […]. Avec les Mémoires de Mathématique & de Physique […]. Tirés des Registres de cette Académie 1719, 1721, 21–22. 147 Gütle, Faßlicher Unterricht, 74. 148 Langenbucher, Richtige Begriffe, 33–35. 149 München, in: Münchner Zeitung 1783, Freitag, den 11. Heumonats (Julius) (CVIII), 425–426.

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die metallene Orgel zufuhr: und 3) das das Läuten unter dem Hochgewitter sehr gefährlich, und schädlich seie.«150 Die aufklärerische Kritik am Wetterläuten stützte sich dabei auch auf eine zunehmende wissenschaftliche Untersuchung dieser Form der Gewitterabwehr. Hier fand eine Umcodierung des Wetterläutens von seinem religiös-magischen Spenderbereich in eine naturwissenschaftliche Deutung statt, die eine angenommene religiöse Wirkungsweise des Wetterläutens, die in ihrer religiös-magischen Form als abergläubisch zurückgewiesen wurde, ausdrücklich außen vor ließ und sich lediglich einem hypothetischen real-physikalischen Wirkungseffekt des Glockenläutens auf die Gewitter und Unwetterwolken widmete.151 Die ersten Untersuchungen kurbayerischer Naturforscher zu dieser Handlungspraktik kamen zunächst zum Ergebnis, dass das Wetterläuten zwar durchaus eine physikalische Wirkung habe, aber das Gefahrenpotential eines Blitzeinschlags eher erhöhe als verringere. In dieser Weise argumentierte der Benediktinermönch Benedikt Arbuthnot152 in seiner Preisschrift zur Gewitterabwehr, in der er vermittels des aktuellen Forschungsparadigmas Elektrizität versuchte, einen Zusammenhang zwischen der elektrischen Natur des Gewitters und den schwingenden Glocken herzustellen. Er war der Ansicht, dass das Wetterläuten den Blitz vielmehr anziehe, als das Unwetter als solches zu vertreiben, da einmal die metallenen Glocken elektrische Konduktoren für den Blitz seien und zum anderen durch das Läuten und den erzeugten Schall die Luft um die Glocken ihre elektrische und feurige Materie an die Glocken abgebe und dadurch selbst wässrig werde, so dass zu dem Metall der Glocken auch Wasser in der Luft als Konduktor hinzukäme.153 Mit einer anderen Theorie zur Einwirkung des Glockenläutens auf das Gewitter befasste sich Joseph von Boslarn in seinem Werk zum Wetterläuten. Er untersuchte die Frage, ob und in welcher Weise das Gewitter durch den Klang der Glocken beeinflusst werden könne, indem sich der Schall der Glocken als ein Zittern auf die Luftteilchen übertrage, das sich bis in die Unwetterwolken hinein fortsetze. Boslarn ging zwar von einer solchen Bewegungsübertragung bis in die Wolken hinein aus, wies aber die Möglichkeit einer direkten Einwirkung des viel zu schwachen Glockenschalls auf die Wolken zurück, was er mit der Beobachtung begründete, dass das Glockenläuten auch 150 München, in: Münchner Zeitung 1783, Mondtag, den 30sten Brachmonats (Junius) (CI), 397. 151 So in dieser ausdrücklichen Form bspw. bei Joseph von Boslarn: »Da ich diese Materie behandle, lasse ich die Weihe der in den Kirchthürmen aufgehängten Glocken unberührt, und untersuche nur, welche natürliche Kraft diese metallene Körper wider das Gewitter ausüben können.« Joseph von Boslarn, Von dem Glockenläuten beim Gewitter. Amberg 1775, 1. 152 Benedikt Arbuthnot (1737–1820) war Mönch im Regensburger Schottenkloster St. Jakob, wo er es 1776 zum Abt brachte und der seit 1775 ordentliches Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften war; Hammermayer, Geschichte. Band 2, 380–387. 153 Arbuthnot, Abhandlung, 417–428.

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Nebel oder Rauch um einen Kirchturm nicht in Bewegung versetzen könne. Dennoch glaubte er, dass die Luftbewegung unmittelbar bei den läutenden Glocken einen Blitz zum Kirchturm hinziehen und ihn dort zum Einschlag bringen könne.154 Die These einer elektrischen Wirkung des Wetterläutens fand in volksaufklärerischen und wissenschaftlichen Traktaten zum Blitzableiter Unterstützung und Verbreitung.155 So befasste sich Johann Jakob Hemmer in seinem Werk zur Blitzableiterinstallation auch mit dem Wetterläuten als alternativer Handlungspraktik zur Gewitterabwehr, das er als erhöhtes Risiko für Blitzeinschläge in Kirchtürme und als Ursache potenziell tödlicher Verletzungen für läutende Messner bewertete, da sich die Glocken durch das Läuten erhitzten und damit den Blitz anzögen und außerdem die Glockenseile Feuchtigkeit aus der Luft aufnähmen, was sie zu elektrischen Leitern mache.156 Es nimmt nicht wunder, dass solche Thesen zur elektrischen Wirkung des Wetterläutens gerade in Publikationen zum Blitzableiter aufgegriffen wurden, da die Handlungspraktik des Wetterläutens als Konkurrenz begriffen wurde (dazu Kap. 6.3.2). Gegen die Vorstellung einer elektrischen Wirkung des Wetterläutens aber besonders gegen die These einer Einwirkung des Glockenschalls auf die Unwetterwolken wurden jedoch vermehrt Einwände erhoben. Johann Nepomuck Fischer etwa widmete sich in seiner Schrift gegen das Wetterläuten auch der Widerlegung von Kritikern des Wetterläutens, die »ihren Haß […] über die Schranken der Billigkeit hinaus« treiben, indem sie zum Wetterläuten Theorien formulierten, »wie man derer einigemal bey den Krankenbettern zu hören pflegt, über welche sich nicht selten ein gesunder Mensch krank lachen möchte.«157 Er wies sämtliche Theorien zur elektrischen Aufladung von Glocken und sie umgebender Luft durch das Wetterläuten oder sonstige damit verbundene elektrische Phänomene zurück.158 Gleichzeitig wandte er sich gegen die These einer möglichen Einwirkung des Glockenschalls auf die Unwetterwolken, wie sie von Verteidigern des Wetterläutens vorgebracht wurde.159 Zur Widerlegung bemühte Fischer auch die schon von Boslarn verwandte und im aufklärerischen Diskurs zum Wetterläuten bekannte Analogie vom Nebel um den Kirchturm,

154 Boslarn, Von dem Glockenläuten, 1–40. 155 Prominent vertrat auch die Krünitzsche »Oekonomische Encyklopaedie« die Auffassung von der elektrischen Wirkung des Wetterläutens, die das Gefahrenpotenzial für einen Blitzeinschlag erhöhe; Krünitz, Gewitter, 261–264. 156 Johann Jakob Hemmer, Anleitung Wetterleiter an allen Gattungen von Gebäuden auf die sicherste Art anzulegen. Mit einer Kupfertafel. Offenbach am Mayn 1786, 141–142. Gleiches galt auch für den Augsburger Blitzableiterinstallateur Jakob Langenbucher, der die These vertrat, dass das Läuten der Glocken sie elektrisch auflade, so dass sich das Gewitter durch das Wetterläuten sogar noch verstärke, Langenbucher, Richtige Begriffe, 33–37. 157 Fischer, Beweis, 14–15. 158 Ebd., 14–17. 159 Ebd., 18–19.

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der durch das Glockenläuten weder bewegt noch vertrieben werden könne.160 Es sei also lächerlich zu glauben, mit Glockengeläut eine weit entfernte Wolke beeinflussen zu können, wenn man damit nicht einmal den nahen Nebel zerteile: »Ein Unternehmen, welches wahrhaftig der Größe unsers Verstandes so viel Ehre machet, als immer der Einfall, den Höherauch, welcher heuer unsre Luft einnahm, mit Blasebälgen zu vertreiben.«161 In weniger ironischer Manier versuchte sich auch Joseph Weber an einer Demontage der Annahme von der Beeinflussung der Unwetterwolken durch das Wetterläuten. In seinem dialogisch aufgebauten volksaufklärerischen Traktat hatte der abergläubische Dorfschulze noch den Gesprächspartner des aufgeklärten Pfarrers gebildet, als es um die Widerlegung religiös-magischer Auffassungen des Wetterläutens ging. In einem anschließenden Gespräch lässt er den Pfarrer sich mit dem Obervogt über die möglichen physikalischen Wirkungen des Wetterläutens austauschen, wobei der Dorfschulze den Part des wissenschaftlich ungebildeten Laien gibt, dem der Sachverhalt in einfachen Worten und Vergleichen auseinandergesetzt werden muss. Der Obervogt versucht dabei die bekannten gelehrten Gründe für die physikalische Wirkung des Wetterläutens auf die Unwetterwolken anzubringen, die jedoch vom Pfarrer sämtlich widerlegt werden. Schließlich kann er den Obervogt überzeugen, der zugibt, dass das Wetterläuten nichts nütze und nur die Gefahr für den Messner mit sich bringe, vom Blitz erschlagen zu werden.162 Gegen Ende des 18. Jahrhunderts hatten sich diese Ansichten von der völligen physikalischen Wirkungslosigkeit des Wetterläutens in den aufklärerischen Positionen im Katastrophendiskurs durchgesetzt und es galt nurmehr als unbedingt abzuschaffende Handlungspraktik, die lediglich die Messner in Lebens­ gefahr bringe. In aufklärerischer Sicht war das Wetterläuten damit sowohl in religiöser Hinsicht als abergläubische Praxis als auch in naturkundlicher Hinsicht als wirkungslos delegitimiert.

6.2.3 Das Wetterschießen Das Wetterschießen stellte in mancher Hinsicht das Komplement zum Wetterläuten dar. Anders als das Wetterläuten ist es zwar nicht auf einen religiösen Handlungskontext zurückzuführen, bewegte sich aber ähnlich wie die läutende 160 Auch Niedermayer benutzte sie in seinem Katechismus der Naturlehre, um die völlige Wirkungslosigkeit des Wetterläutens auf jedwede Art von Wolken darzulegen: [Niedermayer], Katechismus, 158–160. Bereits Anfang des 18. Jahrhunderts hatte der niederländische Naturforscher Nicolaas Hartsoeker in ähnlicher Weise jegliche Behauptungen von einer physikalischen Einwirkung läutender Glocken auf Nebelschwaden und damit auch Unwetterwolken zurückgewiesen; Nicolaas Hartsoeker, Conjectures Physiques. Amsterdam 1706, 347–348. 161 Fischer, Beweis, 21–23. 162 Weber, Unterricht, 29–43.

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Gewitterabwehr zwischen religiös-magischen und technisch-physikalischen Deutungsmustern im Katastrophendiskurs. Wohl seit dem 17. Jahrhundert in Kurbayern praktiziert163 gehörte das Wetterschießen zu den im Alpenraum verbreiteten Praktiken der Lärmbräuche,164 die zur Unwetterabwehr eingesetzt wurden. Es finden sich jedoch auch Hinweise für seine Verbreitung in anderen Gebirgsregionen wie den Pyrenäen.165 Zielsetzung dieser Handlungspraktik war das Vertreiben oder Auflösen von Gewitterwolken sowie die Verhinderung der mit ihnen einhergehenden Hagelschauer. Zu diesem Zweck wurden diverse Techniken eingesetzt:166 das Abfeuern unterschiedlich großer Pulverwaffen (von Handfeuerwaffen bis zu Artilleriegeschützen) gegen Unwetterfronten, die Zündung von Böllern, um Unwetterwolken zum Abregnen an Berghängen zu veranlassen,167 sowie Raketen, die vom Boden aus in die Wolken geschossen wurden. Das noch heute auch in Bayern praktizierte, aber in seiner Wirksamkeit hoch umstrittene ›Impfen‹ von Wolken mit künstlichen Kristallisationskernen wie Silberjodid, um sie zum Abregnen zu bringen bzw. die Hagelbildung in ihnen zu beeinflussen, hat sich aus diesen älteren Formen des Wetterschießens entwickelt.168 Für seine Preisschrift zum Wetterschießen hatte Placidus Heinrich Informa­ tionen zur näheren Verbreitung und Entwicklung dieser Handlungspraktik zusammengetragen, die Aufschluss darüber geben, dass das Wetterschießen wohl 163 Eine chronologische Darstellung zum Wetterschießen in Bayern in Schmitt-Lermann, Der Hagel, 179–197; Hinweise auch in Reith, Umweltgeschichte, 15–16. 164 Zu diesem Aspekt des Wetterschießens die Lemmata »Gewitter« und »Hagel, Hagelzauber« in Bächtold-Stäubli, Hoffmann-Krayer, Handwörterbuch. Band  3, 815–833 und 1304–1320; das Wetterschießen im Kontext anderer Lärmbräuche wie dem Almschrei in Haid / Haid, Eine Kulturgeschichte, 179–195. 165 In den 1760er Jahren reichte ein Naturforscher namens Candeloup ein Memorandum bei den béarnischen Ständen ein, in dem er als Ersatz für das Wetterläuten im Pyrenäenraum den Einsatz von Artillerie vorschlug, um die Unwetter aufzulösen und zu vertreiben; Desplat, Pour une histoire, 158–159. Tatsächlich scheint das Wetterschießen in den nördlichen Pyrenäen praktiziert worden zu sein, wie Hinweisen in Imhofs Studie zum Wetterschießen zu entnehmen ist; Maximus Imhof, Über das Schiessen gegen heranziehende Donner- und Hagel-Gewitter. Zur zwey und fünfzigsten Wiederkehr der Stiftungsfeyer der königl. bayer. Akademie der Wissenschaften am 28. März 1811. München 1811, 17–18. 166 Ein Überblick der Arten des Wetterschießens in Schmitt-Lermann, Der Hagel, 118. 167 Placidus Heinrich berichtete, dass in Tirol, nachdem dort das Wetterschießen mit Geschützen offiziell verboten worden war, Böller in dieser Weise zum Einsatz kamen: Heinrich, Abhandlung, 114. 168 Das Wolkenimpfen mit Silberjodid wurde in den 1940er Jahren in den USA entwickelt und wird seitdem in Regionen weltweit zur Wetterbeeinflussung betrieben (einen Überblick zur Entwicklung des Wolkenimpfens in Schmitt-Lermann, Der Hagel, 133–141). In Bayern gibt es bis heute eine in Rosenheim stationierte Hagelfliegerstaffel (zur Entwicklung der staatlich unterstützten Hagelabwehr in Oberbayern ebd., 194–197), die die bayerischen Landkreise Miesbach, Rosenheim, Traunstein und das tirolsche Kufstein gegen Hagelschläge schützen soll (Homepage: http://www.hagelabwehr-rosenheim.de/).

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seit dem 17. Jahrhundert praktiziert worden ist.169 Im Laufe des 18. Jahrhunderts sei es dann in vielen Regionen und Städten Deutschlands eingeführt worden und ehemals besonders in Ungarn, der Steiermark und Österreich insgesamt verbreitet gewesen. Heinrich listete darüber hinaus Regionen in Bayern und den angrenzenden Territorialstaaten auf, in denen das Wetterschießen belegt war: einzelne Gerichtsbezirke Tirols, Regensburg, Ortschaften in den Gerichtsbezirken Burghausen und Wasserburg,170 die Grafschaft Cham, die Stadt Salzburg, Würzburg, Schwaben, speziell den Allgäu, Sonthofen und Kempten. Placidus Heinrich stellte auch eine Verbindung des Wetterschießens mit dem Wetterläuten her, indem er es als Ersatzhandlung für das Wetterläuten auf dem Land einordnete, da dort die Kirchenglocken nicht groß genug seien, so dass man vor allem in der Steiermark und in Österreich gegen das Wetter schieße statt zu läuten. Die eigentliche Parallele zum Wetterläuten, verstanden als apotropäische, religiös-magische Handlungspraktik, bestand laut Heinrich darin, dass man zum Wetterschießen auch geweihtes Pulver verwandte, um auch die unnatürlichen, durch Wetterzauberei oder teuflisches Wirken hervorgerufenen Unwetter zu vertreiben.171 Dass der Einsatz geweihten Pulvers beim Wetterschießen im Kurbayern des 18. Jahrhunderts durchaus üblich war, ist einer 1773 vom Policey-Collegium durchgeführten Untersuchung zum Wetterschießen in einigen Gerichtsbezirken zu entnehmen, die nach Beschwerden des Erzstifts Salzburg über bayerisches Wetterschießen eingeleitet worden war:172 Das Landgericht Marquartstein hatte hierzu Protokolle der Vernehmung von Gerichtsuntertanen, die das Wetterschießen durchführten, verfassen lassen, aus denen die Praxis geweihtes Pulver zu benutzen, hervorging.173 Diese Technik des Wetterschießens verdeutlicht, dass es keineswegs als eine im Gegensatz zum religiös-magischen Wetterläuten rein technische Handlungspraktik verstanden werden kann, sondern genauso apotropäischen Charakter 169 Auch für das folgende Heinrich, Abhandlung, 112–119. 170 In einem Schreiben vom 16. Juni 1772 teilte das Landgericht Neumarkt der Regierung in Landshut auf deren Anfrage hin mit, dass in den im Gerichtsbezirk liegenden Hofmarken Egglkofen und Zangberg und außerdem in der salzburgischen Stadt Mühldorf sowie dem Schloss Gutenburg im Rentamt Burghausen gegen das Wetter geschossen werde; BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 5. 171 Heinrich, Abhandlung, 113. Dabei ist der Einsatz geweihten Pulvers zum Wetterschießen keineswegs nur für das 18. Jahrhundert zu beobachten, sondern war auch noch im Tirol des 19. Jahrhunderts gängige Praxis; Hörmann, Tiroler Volksleben, 123. 172 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 5: Anweisung an die Gerichte Traunstein, Aurburg, Rosenham, Reichenhall und Marquartstein vom 6. Februar 1773 über das in ihren Bezirken praktizierte Wetterschießen und seine positiven sowie negativen Auswirkungen zu berichten. Eine kurze Darstellung zu dieser Untersuchung auch in Brittinger, Die bayerische Verwaltung, 21–23. 173 BayHS tA GR Fasz. 1206 Nr. 5: Schreiben des Landgerichts Marquartstein an das ­Policey-Collegium vom 25. Februar 1773, darin das Vernehmungsprotokoll ebenfalls vom 25. Februar 1773.

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haben konnte wie die läutende Gewitterabwehr. Auch aus diesem Grund war das Wetterschießen ob seiner Wirksamkeit und Funktionsweise unter den bayerischen aufklärerischen Naturforschern durchaus umstritten. Für den Dillinger Physikprofessor Joseph Weber war das Wetterschießen von ähnlicher Wirkungslosigkeit wie das Wetterläuten, da beides weder Gewitterwolken aufhalten oder zerstreuen noch den Wind, der das Gewitter herbei treibt, beeinflussen könne. In einem eigenen Traktat zum Wetterschießen stellte er klar, dass keine noch so heftige Kanonade genug Luftmasse in Bewegung versetzen könne, um die Wolken zu beeinflussen, da die durch den Schall ausgelöste Bewegung der Luft mit zunehmender Entfernung abnehme. Die Wirkung des Schießens auf Wolken sei deshalb nicht größer, als wenn jemand versuchen wolle, mit einem Blasebalg einen Nebel zu vertreiben.174 Ähnlich ablehnend wenn auch aufgrund einer anderen Argumentation hatte auch Johann Nepomuck Fischer das Wetterschießen behandelt.175 Entgegen der Position Webers ging Fischer zwar ebenfalls von der Unmöglichkeit aus, durch das Schießen ein Gewitter zerstreuen zu können. Eine Wirkung des Schießens auf den Wind nahm er dennoch an. Dieser Effekt sei jedoch negativ und nicht positiv zu bewerten, da durch das Schießen der Wind zum Stillstand gebracht und das Gewitter über einem Ort gehalten werde. So müsse man »das Schießen als einen gewaltthätigen Eingriff, gleichsam als einen kleinen Krieg wieder die wohlthätige Natur ansehen, welche den Gewitterwolken den Wind als einen Gefährten gegeben hat, damit sie desto geschwinder über unsern Scheitel wegwandern sollten.«176 Für Fischer stellte das Schießen gegen die Wolken also einen unvernünftigen Eingriff, einen regelrecht kriegerischen Akt gegen einen sinnvollen Naturmechanismus dar, der zum Wohl der Menschen wirkt. Neben dieser auffälligen, negativen Kriegsmetaphorik in der Bewertung des Wetterschießens machte sich Fischer auch über den Glauben an die Gewitter vertreibende Wirkung desselben lustig, indem er ihn auf den logischen Fehlschluss zurückführte, aus der Koinzidenz von Schießvorgang und abziehendem Gewitter einen ursächlichen Zusammenhang herzuleiten: »Wir haben geschossen; und die Gewitterwolke hat sich weggezogen: beweiset nichts, und heißt vielleicht nicht mehr als: wir haben gegessen; und die Sonne ist untergegangen […].«177 Auch Joseph Weber hatte in gleichermaßen spöttischer Manier darauf hingewiesen, dass zwei Ereignisse zusammen auftreten könnten, ohne deshalb kausal verbunden zu sein: Gewisse Völker hätten nach dieser Denkart bei Mondfinsternissen klingende Gegenstände aneinander geschlagen, um das schwarze Tier, das den Mond gepackt habe, wieder zu vertreiben und »nach der 174 Joseph Weber, Professor Webers Untersuchung, was das Schießen mit Geschützen auf die Gewitter wirke?. Dillingen 1784, 5–8. 175 Fischer, Beweis, 88–92. 176 Ebd., 90. 177 Ebd., 91.

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Finsterniß sich zu freuen, daß sie diesen Wauwau mit ihrem Gelerme so hübsch zurück gescheucht hätten.«178 Obwohl Joseph Weber seine Thesen zum Wetterschießen auch im Kurpfalzbaierischen Intelligenzblatt publizieren konnte,179 waren Fischer und Weber dennoch Vertreter einer Minderheitenmeinung, da unter den Naturforschern zunächst die Ansicht dominierte, dass das Wetterschießen sehr wohl eine Wirkung auf die Unwetterwolken und den Verlauf des Gewitters habe. Uneinig war sich die Mehrheit hier nur in der Einschätzung, ob diese Wirkung positiv oder negativ war. Prominent war die These der positiven Wirkung des Wetterschießens in der Krünitzschen »Oekonomischen Encyklopaedie« vertreten, die mehrere Beispiele für das Vertreiben von Wolken und Auflösen von Gewittern durch das Schießen anführte.180 Bereits Benedikt Arbuthnot und Philipp Peter Guden hatten in ihren in den 1770er Jahre publizierten Preisschriften für die Churbaierische Akademie der Wissenschaften den möglichen günstigen Einfluss des Wetterschießens auf Unwetterwolken dargelegt. Für Arbuthnot war eindeutig, dass das Wetterschießen einen Einfluss auf die Wolken hatte, da eine gegen Unwetter gerichtete Kanonade vermittels der auf die Luftteilchen aus­geübten Bewegungsenergie einen Wind erzeuge, der die Wolken zerteilen und das Gewitter zur Auflösung bringen könne, wenn die Geschütze unter bestimmten Bedingungen und in einer genauen zeitlichen Abfolge abgefeuert würden. Den Einsatz von Raketen, die erst in großer Höhe explodieren, sah er dabei als noch wirksamer an als das Schießen vom Boden aus.181 Für Guden war das Wetterschießen vor allem eine präventive Praktik, um überhaupt zu verhindern, dass sich genügend Dünste in der Luft zu Wolken zusammenballten, die sich elektrisch aufladen und einen Blitz auslösen. Diesen Lösungsansatz problematisierte er jedoch gleichzeitig, indem er auf die Notwendigkeit verwies, meilenweit im Umkreis Kanonen aufstellen zu müssen, um die Gewitter bekämpfen zu können, und er betonte, dass es sich dabei auch nur um eine durch keine Beobachtungen und Experimente gestützte Vermutung handele.182 Joseph von Boslarn wiederum äußerte sich in seiner Schrift zum Wetterläuten vorsichtig optimistisch über die zerstreuende Wirkung auf Unwetterwolken, die er dem Wetterschießen eher zutraue als dem Glockengeläut.183 Am ausführlichsten hatte sich wohl der Benediktiner Placidus Heinrich mit dem Wetterschießen, das er als von der Naturwissenschaft vernachlässigten Be-

178 Weber, Professor Webers Untersuchung, 14. 179 Joseph Weber, X. Was das Schiessen mit Geschützen auf die Gewitter wirke, in: Kurpfalzbaierisches Intelligenzblatt 1785, 10. April (20. Stück), 154–155. 180 Krünitz, Gewitter, 264–265. 181 Arbuthnot, Abhandlung, 417–428. 182 Guden, Von der Sicherheit, 167–168. 183 Boslarn, Von dem Glockenläuten, 17.

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reich bezeichnete,184 in einer eigenen Preisschrift auseinandergesetzt. Für ihn kamen dabei zwei Arten der möglichen Beeinflussung der Wolken durch das Schießen in Frage: eine chemische oder eine mechanische. Erstere Einwirkung des Schießens auf die Wolken, indem es diese abregnen lasse oder ihnen die Gewittermaterie auf irgendeine Weise entziehe, wurde von Placidus Heinrich jedoch zurückgewiesen, da hierzu der nicht erbrachte Nachweis erforderlich wäre, dass das Schießen die Elektrizität in der Luft bis zu den Wolken hinauf neutralisiere bzw. ableite.185 Die Alternative der mechanischen Einwirkung beurteilte Heinrich dagegen optimistischer. Zwar habe der Schießvorgang nicht auf dem Wege des erzeugten Schalls einen Effekt auf die Wolken, aber durch die dabei freigesetzte und beschleunigte dephlogistierte Luftmasse werde eine windartige Luftbewegung erzeugt, die potenziell durchaus Wolken zerteilen oder vertreiben könne. Die Realisierung dieses Effekts hänge nur von der Menge des Schießpulvers, der Art und Stärke der Zündung, der Anzahl der eingesetzten Kanonen sowie der Anzahl der Schüsse pro gegebener Zeiteinheit ab.186 Dass diese Wirkungsweise des Wetterschießens von den Naturforschern bisher nicht erkannt worden sei, führte Placidus Heinrich darauf zurück, dass man das Wetterschießen immer in Parallele zum Wetterläuten habe erklären wollen, indem die Wirkung des Schießens wie beim Läuten auf den erzeugten Schall reduziert worden sei.187 Er betonte jedoch auch die Notwendigkeit eines sehr präzisen Einsatzes des Wetterschießens, das nur unter bestimmten Bedingungen die erwünschten Ergebnisse erzielen und bei falscher Handhabung negative Effekte wie den unvorhersehbaren Ausbruch eines Gewitters und Blitzentladungen zur Folge haben könne. Korrekt praktiziert helfe das Wetterschießen nicht nur gegen Gewitter, sondern auch gegen Hagel- und Regenwolken.188 Eine allgemeine Einführung des Wetterschießens in Bayern über sinnvolle Einzelfälle hinaus lehnte Heinrich dennoch ab, da nicht genug Kanonen vorhanden seien, um in ganz Bayern Unwetter bekämpfen zu können, und die Wirkung der Böller im allgemeinen eher zu schwach ausfalle. Auch sei das Wetterschießen insgesamt durch den Pulververbrauch recht kostspielig und keineswegs ein unfehlbares Mittel gegen die Gewitter. Entscheidend war für Heinrich in diesem Zusammenhang jedoch die Annahme eines elektrischen Haushalts zwischen Himmel und Erde in Form eines beständigen Ladungsaustausches, der sich günstig auf die 184 Heinrich, Abhandlung, 3–4. Heinrich erwähnt hier Arbuthnots und Gudens Preisschriften als die einzigen Studien, die das Wetterschießen zumindest ansatzweise thematisierten. Johann Nepomuck Fischers Thesen scheint Heinrich nicht rezipiert zu haben und Webers Einwände zum Wetterschießen betrachtete er mit seiner eigenen Abhandlung als widerlegt; ebd., 141. 185 Ebd., 7–23. 186 Ebd., 23–37. 187 Ebd., 59–60. 188 Ebd., 61–92.

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Fruchtbarkeit des Bodens und damit auf das Pflanzenwachstum auswirke.189 Fortgesetztes Schießen könnte diesen elektrischen Haushalt stören und somit das Wachstum der Feldfrüchte beeinträchtigen: »Wir sollen also vielmehr besorgt seyn, diese wohlthätige Materie auf unsere Gegenden hinzuleiten, als davon zu entfernen.«190 Die Unterstützung für die Praktik des Wetterschießens begann im Zuge der Forcierung des Blitzableiters als Praktik der Blitz- aber auch der Hagelabwehr zu schwinden und auch obrigkeitlicherseits wurde das Wetterschießen bekämpft (s. Kap. 6.3.3). Dennoch hielt sich die Ansicht über die Möglichkeit der Beeinflussung von Unwetterwolken durch das Wetterschießen auch noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts. So bei Johann Konrad Gütle, der zwar aufgrund der hohen Kosten eine allgemeine Einführung des Wetterschießens für nicht sinnvoll hielt, aber durchaus die Wirkung von Geschützfeuer auf den Wind und die Wolken anerkannte.191 Mehr als zwei Jahrzehnte nach der letzten Preisfrage der Akademie der Wissenschaften und Placidus Heinrichs ausführlicher Abhandlung hatte Maximus Imhof 1811 eine neue Studie zum Wetterschießen vorgelegt, in der er sich kritisch mit Heinrichs positiver Beurteilung dieser Praktik auseinandersetzte. Er stimmte Heinrich in dessen Widerlegung einer möglichen chemischen Beeinflussung der Wolken durch den Schießvorgang zwar zu, wies jedoch seine Thesen zur mechanischen Einwirkung durch das Schießen zurück. Die angenommene Menge der beim Schießen freigesetzten Luftmasse zur Verdrängung der Wolken sei viel zu groß berechnet gewesen und außerdem breite sie sich nach dem Verlassen des Geschützrohrs nach allen Seiten aus und setze sich nicht linienförmig bis in die Wolken hinein fort.192 Um seine Ansicht von der Zwecklosigkeit des Wetterschießens empirisch zu belegen, ließ Imhof mit einem Geschütz auf eine erzeugte Rauchsäule feuern, die er in ihren physikalisch-mechanischen Eigenschaften als analog zu Wolken ansah. Da keinerlei Effekte auf die Rauchsäule erkennbar waren, sah Imhof die physikalische Wirkungslosigkeit des Wetterschießens als erwiesen an und bezeichnete es als abergläubische Praktik ohne realen Nutzwert.193 Konsequenterweise schlug er es dem Komplex der religiös-magischen Gewitterabwehr durch Wetterläuten und Wettersegen zu, mit denen man sich gegen ein drohendes Verhängnis schützen wollte, indem man übernatürliche Mächte zu Hilfe rief. Aus Theorie und Erfahrung folge, dass das Wetterschießen bisher nichts anderes gebracht habe als Feindseligkeiten, Streitigkeiten und Händel zwischen Nachbarn, die an die Wirkung des Wetterschießens glaubten und die, wenn es an Geld, einem Geschütz und Pulver man 189 Ebd., 135–136. 190 Ebd., 136. 191 Gütle, Faßlicher Unterricht, 80. 192 Imhof, Über das Schiessen, 6–9. 193 Ebd., 9–13.

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gelte, zum Ersatz des Wetterläutens oder gar des Wettersegens als Gegenwehr gegen das Schießen griffen.194 Wütend stürzte sich Imhof daher auf einen Artikel im Königlich-Baierischen Intelligenzblatt, der sich positiv zur hagelabwehrenden Wirkung des Wetterschießens äußerte und sich dabei nach Imhofs Ansicht auf überholte, 20 bis 40 Jahre alte Forschungsmeinungen stützte.195 Dieser Artikel hatte das Wetterschießen als Möglichkeit zur Bewältigung der Hagelgefahr analog zum Blitz­ ableiter als Bändigung des Blitzes bewertet und für seine allgemeine Einführung in Bayern plädiert, was den andauernden Konflikten um das Wetterschießen ein Ende setzen werde.196 Dazu zitierte der Artikel Berichte über die erfolgreiche Anwendung des Wetterschießens in der Bourgogne und anderen französischen Regionen als Belege für die Wirksamkeit der Hagelabwehr,197 die sich auch in Bayern umsetzen ließe, wenn man nur gründliche Versuche mit dem Wetterschießen anstellen und staatlicherseits Ressourcen zu seiner allgemeinen Anwendung in Bayern bereitstellen würde.198 Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die negative Bewertung des Wetterschießens jedoch schon etabliert und trotz der sich weiterhin haltenden Überzeugung von seiner Wirksamkeit gegen Unwetter und Hagel blieb es in Bayern untersagt, nachdem sich die Landesherrschaft in Folge reger behördeninterner Auseinandersetzungen und scharfer Konflikte in der Bevölkerung um das Wetterschießen zu einem endgültigen Verbot durchgerungen hatte.

6.2.4 Der »Wetterableiter« Außer der religiös-magischen Gewitterabwehr, dem Wetterläuten und dem Wetterschießen war es vor allem der Blitzableiter, der den gewitterbezogenen Diskurs in Kurbayern im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts maßgeblich bestimmte. Der Blitzableiter, zeitgenössisch als Wetterableiter bezeichnet, stellte als öffentlich sichtbare technologische Errungenschaft den Erfolg und die Legitimität des Anspruchs der Aufklärung, für das Allgemeine Wohl nützliches, anwendbares Wissen zu produzieren, heraus.199 In dieser Funktion war er im Zentrum des 194 Ebd., 13–16. 195 Ebd., 17–18. 196 B. S. v. R., Was in Frankreich gute Wirkung gegen den Hagel macht, muß sie auch in Baiern machen, in: Königlich-Baierisches Intelligenzblatt. Ein allgemeiner Anzeiger für das Königreich Baiern 1810, Freitag, den 12ten Jänner (IV. Stück), 33–38. 197 Ebd., 35–37. 198 Ebd., 37–38. 199 Eine Einordnung des Ableiters als sichtbare Technologie der Aufklärung zur Bändigung der Natur in Hochadel, Öffentliche Wissenschaft, 140–153 sowie Hochadel / Heering, Introduction, 6–8.

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Gewitterdiskurses die Hintergrundfolie für die Kritik an alternativen Handlungspraktiken der Gewitterabwehr, die dem Ableiter gegenübergestellt wurden. Die Erfindung des Blitzableiters war eine Folge der im 18. Jahrhundert eifrig betriebenen Elektrizitätsforschung, die sich bald auch der Frage nach der elektrischen Natur des Gewitters bzw. des Blitzes zuwandte. Aus der von Naturforschern wie Benjamin Franklin (1706–1790), Jean Antoine Nollet (1700–1770) und Johann Heinrich Winkler (1703–1770) vertretenen Ansicht von der elektrischen Natur des Blitzes und des Gewitters resultierte die Entwicklung des Blitzableiters durch Benjamin Franklin in den 1750er Jahren. Franklin hatte daran den entscheidenden Anteil, da er als Experiment zum Nachweis der Gewitterelektrizität vorschlug, bei stattfindendem Gewitter eine Funkenentladung zwischen aufzustellenden Ableiterstangen und einem durch eine Versuchsperson in ihre Nähe gebrachten Konduktor zu erzeugen (das ›sentry-box experiment‹). Die Identität der so bei Gewitter hervorgerufenen und durch Elektrisiermaschinen im Labor erzeugten Entladung bildete wiederum den Nachweis für die atmosphärische Elektrizität im Gewitter. Aber auch die mit Franklin korrespondierenden Naturforscher wie Thomas François Dalibard in Frankreich, der Franklins Experiment in Marly-la-Ville 1752 zum ersten Mal erfolgreich durchführte, waren an der Entstehung der neuen Technologie beteiligt.200 Franklin hatte mit diesem Experiment nicht nur den Nachweis der elektrischen Natur des Gewitters erbracht, sondern gleichzeitig auch die weiterführende Nutzbarmachung der Versuchsanordnung zur sicheren Ableitung des Blitzes entwickelt. In Europa tat sich der Prämonstratenserpfarrer Prokop Diviš mit einer von ihm konstruierten ›Wettermaschine‹ hervor, die er in seiner eigenen Pfarrei aufstellte.201 Vor allem Diviš’ Wettermaschine aber auch Franklins Ableiterstangen waren zunächst zur passiven Ableitung der Elektrizität aus den Gewitterwolken gedacht, um zu verhindern, dass es überhaupt zur Blitzentladung kam. Der Blitzableiter erhielt dann aber auch die Funktion, den Blitz direkt aufzufangen und abzuleiten. In der Rezeption des Blitzableiters nahm Franklin bald die Rolle des heldenhaften Befreiers ein, der durch seine Erfindung die Menschheit von der Gefahr des Blitzes erlöst hatte. Das kam besonders in einem, vom französischen Physio 200 Zu Franklins Elektrizitätsforschung, seiner transatlantischen Korrespondenz mit europäischen Naturforschern, die ihn im Rahmen der aufklärerischen Gelehrtenrepublik als Mitglied der noch unformierten Gelehrtengemeinde von Elektrizitätsforschern ausweist, und der Durchführung von Franklins Experiment zum Nachweis der Gewitterelektrizität 1752 in Marly vgl. Möhring, Eine Geschichte, 48–63. Im selben Jahr hatte Franklin dann sein Experiment mit einer abgeänderten Versuchsanordnung ebenfalls durchgeführt, indem er einen Drachen zur Ableitung in die Gewitterwolken aufsteigen ließ (das ›kite experiment‹). Einen Überblick zur Erfindung und Einführung des Blitzableiters in Hochadel, Öffentliche Wissenschaft, 140–153 und in Engelhard Weigl, Entzauberung der Natur durch Wissenschaft – dargestellt am Beispiel der Erfindung des Blitzableiters, in: Jahrbuch der Jean-PaulGesellschaft 22, 1987, 8–18. 201 Zu Prokop Diviš und seiner ›Wettermaschine‹ vgl. Möhring, Eine Geschichte, 83–100.

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kraten Turgot auf ihn gedichteten Epigramm zum Ausdruck, in dem Franklins Erfindung mit seiner Rolle bei der Befreiung von tyrannischer Willkürherrschaft im Zuge der Amerikanischen Revolution verglichen wurde: »Eripuit caelo fulmen sceptrumque tyrannis«.202 Diese hervorgehobene Rolle Franklins als wissenschaftlicher Heros in der Heldengeschichte vom Blitzableiter als greifbarer Errungenschaft aufklärerischer Wissenschaft findet sich auch in den entsprechenden Werken zum Blitzableiter wieder, in denen Franklins Genie in der Erfindung des Ableiters gepriesen wird.203 Trotz dieser Begeisterung in der europäischen Gelehrtenrepublik für den Blitzableiter fand die neue Technologie zunächst nur schleppende Verbreitung. In Amerika installierte Franklin auf den Hausdächern Philadelphias schon im Jahr des erfolgreichen Experiments von Marly die ersten Ableiterstangen, während der Blitzableiter in Europa zunächst nur zögerlich angenommen wurde:204 1760 wurde der erste dauerhafte Blitzableiter auf europäischem Boden205 auf einem Leuchtturm in Plymouth installiert, 1766 folgte der erste Ableiter Italiens auf dem Campanile von San Marco in Venedig, 1769 ließ der Abt des Augustiner-Chorherrenstifts zu Sagan in Schlesien, Johann Ignaz Felbiger, einen Ableiter auf der dortigen Pfarr- und Stiftskirche errichten,206 im Jahr 1770 wurde ein Blitzableiter auf dem Turm der Jacobikirche in Hamburg angebracht, was vor allem auf das Wirken von Johann Albrecht Heinrich Reimarus zurückzuführen ist,207 und außerdem einer auf dem Kirchturm in Penzing bei Wien, 1771 wurde der erste Ableiter der heutigen Schweiz auf dem Haus des Naturforschers

202 Er hat dem Himmel den Blitz und das Szepter den Tyrannen entrissen; vgl. ebd., 202. 203 So in Luz, Unterricht, 3–10 und Imhof, Theoretisch-praktische Anweisung, 9–12. 204 Die folgenden Angaben nach Hochadel / Heering, Introduction, 9–10. 205 Vereinzelt sind auch zuvor von Naturforschern, die mit Elektrizität experimentierten, Ableiterkonstruktionen aufgestellt worden. Sie waren jedoch nicht zum Zwecke des Blitzschutzes errichtet worden, sondern für den Nachvollzug des experimentellen Nachweises der Gewitterelektrizität. Dazu gehörten etwa die erste Ableiteranlage in Marly-la-Ville, die von Georg Wilhelm Richmann in St. Petersburg installierte Ableiterkonstruktion, bei deren experimentellem Gebrauch er 1753 zu Tode kam, und die noch im selben Jahr wie Marly durch den Elektrizitätsforscher Giuseppe Veratti auf dem Gebäude des Bologneser wissenschaftlichen Instituts installierte Ableiteranlage, mit der er das Experiment von Marly erfolgreich wiederholte, die er aber nach Beschwerden der örtlichen Anwohner wieder demontieren musste; zu Veratti und seinem Ableiter Paola Bertucci, Enlightening Towers. Public Opinion, Local Authorities, and the Reformation of Meteorology in Eighteenth Century Italy, in: Peter Heering, Oliver Hochadel, David J. Rhees (Hrsg.), Playing with Fire. Histories of the Lightning Rod, Philadelphia 2009 (Transactions of the American Philosophical Society held at Philadelphia for promoting useful knowledge, v. 99, pt. 5), 27–32. 206 Hemmer, Anleitung, 37. 207 Zu Reimarus, der einen 1767 erfolgten Blitzeinschlag in die Jacobikirche zum Anlass nahm, eine eigene Theorie der Elektrizität und der Blitzableitung zu entwerfen und die Einführung des Blitzableiters in Hamburg zu befördern, vgl. Weigl, Entzauberung, 8–18.

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Horace Bénédict de Saussure in Genf errichtet und 1773 wurde das Gebäude der Akademie der Wissenschaften in Dijon mit einer Ableiteranlage ausgestattet. Gründe für diese nur zögerliche Einführung des Blitzableiters in Europa waren unterschiedlicher Natur. So konnte die Gegnerschaft anerkannter Naturforscher für die Blockade der neuen Technologie verantwortlich sein, wie im Falle von Frankreichs führendem Elektrizitätsforscher Jean Antoine Nollet. Zwar war er genau wie Franklin von der elektrischen Natur des Gewitters und des Blitzes überzeugt, hielt Franklins Erfindung aber für gefährlich, da der Ableiter den Blitz vielmehr anziehe und somit das Risiko eines Blitzeinschlages erhöhe, wobei ihm das traurige Beispiel Richmanns als Beleg diente, der durch diesen Vorgang ums Leben gekommen war.208 Darüber hinaus war der Blitzableiter seiner Meinung nach nutzlos, da er die enorme Menge an Elektrizität bei einem Blitzeinschlag nicht ableiten könne – eine Meinung, die auch von einigen anderen französischen Naturforschern geteilt wurde.209 Wohl auch deshalb waren 1781, ein Jahrzehnt nach Nollets Tod, in ganz Frankreich nur 11 Blitzableiter installiert.210 Es überrascht daher nicht, dass die 1773 erfolgte Errichtung des Blitzableiters auf dem Akademiegebäude zu Dijon eine Meldung im Chur­ baierischen Intelligenzblatt wert war, in der beklagt wurde, dass Frankreich in der Verbreitung dieser nützlichen und vorteilhaften Technologie hinter anderen europäischen Staaten wie Großbritannien und Sardinien hinterherhinke.211 Die (volks)aufklärerischen Werber der neuen Technologie versuchten die Gründe für die Behinderung der Verbreitung des Blitzableiters jedoch nicht am gelehrten Widerstand, sondern am Stereotyp der vom Aberglauben geleiteten Bevölkerung festzumachen, die sich aus Angst vor allem Neuen, oder weil sie den Ableiter für einen Eingriff in die göttliche Vorsehung hielt, gegen seine Einführung stellte.212 Der Topos vom abergläubischen Volk, das sich aufgrund seiner 208 Eine Diskussion und Widerlegung dieser Einwände Nollets gegen den Blitzableiter in Guden, Von der Sicherheit, 72–73. 209 Peter Heering, Styles of Experimentation and the Attempts to Establish the Lightning Rod in Pre-Revolutionary Paris, in: Peter Heering, Oliver Hochadel, David J. Rhees (Hrsg.), Playing with Fire. Histories of the Lightning Rod. Philadelphia 2009 (Transactions of the American Philosophical Society held at Philadelphia for promoting useful knowledge, v. 99, pt. 5), 122–124. 210 Ebd., 124. 211 Artic. VI . Zur Polizey, in: Churbaierisches Intelligenzblatt 1776, 14. September (Nr. 36), 322–323. 212 Luz, Unterricht, 10 fasste die gängige Meinung zusammen: »Es würde für ein Staatsverbrechen und für eine Versuchung Gottes angesehen worden seyn, wenn eine Privatperson den Anfang mit Anlegung eines Wetterableiters hätte machen wollen. Die Nachbarn würden schwere Klagen erhoben, und der Pöbel mit Tumult gedrohet haben. Die Gerichte, in denen nicht allezeit Naturforscher präsidiren, würden entweder aus Unwissenheit ein dergleichen Unternehmen als gefährlich verdammt und unterdrückt haben; oder sie würden wenigstens der Raserey eines aufgebrachten blinden Pöbels haben nachgeben müssen.«

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Unwissenheit der Einführung des Blitzableiters, der doch zu seinem eigenen Nutzen ist, in den Weg stellt, lässt sich entsprechend als Argumentationsgrundlage volksaufklärerischer Kampagnen zur Beförderung der neuen Technologie ausmachen. Der Blitzableiter erfuhr erst seit den 1780er Jahren eine verstärkte Verbreitung in Europa, wofür eine Eingewöhnungsphase der neuen Technologie, eine sich im Klerus und den aufklärerischen Obrigkeiten durchsetzende Überzeugung von der Schutzwirkung des Ableiters sowie die fortgesetzten Kampagnen in der aufklärerischen Presse für den Blitzableiter verantwortlich gemacht werden.213 Aber auch zwischen dem 1783 auftretenden, in ganz Europa Aufsehen erregenden Naturereignis des Höhenrauchs und der zunehmenden Installation von Blitzableitern ist ein Zusammenhang hergestellt worden.214 In der Tat ist auffällig, dass in diesem Jahr, dessen Sommer einmal durch den Höhenrauch und zum anderen durch eine ungewöhnliche Anzahl und Stärke von Gewittern und Unwettern gekennzeichnet war, die Installation von Blitzableitern sprunghaft anstieg – das Jahr 1783 markierte in den deutschen Territorien einen Höhe­punkt in der ersten Welle der Blitzableiterinstallationen vom Ende der 1770er bis Mitte der 1780er Jahre.215 Entsprechend konnte Johann Jakob Hemmer in seinem 1786 erschienen Werk zum Blitzableiter dessen allgemeine Verbreitung in Europa triumphierend verkünden: »Amerika und Europa sind voll Wetterleiter. Viele tausend derselben strecken ihre Spitzen auf allen Gattungen von Gebäuden den Wolken entgegen. Engelland, Sardinien, Toskana, die Freistaaten Venedig, Genua, Luka, die österreichischen Lande, Frankreich, Holland, die Schweiz und mehrere Provinzen in Deutschland, als Kurpfalz, Bayern, Zweibrücken, Anspach, Würtemberg und Baden, zeichnen sich darin aus. […] Kuhr-Trier und Fulda folgen mit starken Schritten nach. In mehrern andern Landen Europens sind die Wetterleiter zwar noch nicht so häufig, aber doch nicht unbekannt. Man zählet deren mehrere in Rußland, Polen, Preußen, Dännemark, Neapel, dem Kirchenstaate u. s. w.«216

Im 19. Jahrhundert hatte sich der Blitzableiter dann besonders in Nord-, Mittelund Westeuropa verbreitet, während seine immer noch nur spärliche Anzahl in Süd- und Teilen Osteuropas als Ergebnis kultureller Rückständigkeit kritisiert wurde.217 Der Blitzableiter war von einer Handlungspraktik der Gewitterabwehr zum Ausweis kulturell-zivilisatorischen Fortschritts geworden.

213 Hochadel / Heering, Introduction, 10. 214 Hochadel, »In nebula nebulorum«, 53–55. 215 Ebd., 53–55. 216 Hemmer, Anleitung, 36–37. 217 Schmidt, Gewitter, 281–282.

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Er erfüllte im 18. Jahrhundert jedoch auch eine weitere Funktion, indem er als Instrument zur Bewältigung der Naturfurcht im Gewitter (vgl. Kap. 6.1) diente. Die Erfindung des Blitzableiters trug zur Desakralisierung des Blitzes, der zuvor noch als Ausdruck göttlichen Wirkens gelten konnte, bei, indem er nunmehr technisch kontrollierbar und beherrschbar wurde. Religiöser Kritik am Blitzableiter, dass er einen Eingriff in die Vorsehung und das göttliche Strafgericht darstelle, traten seine aufklärerischen Apologeten deshalb mit dem Argument entgegen, dass technischer Fortschritt gottgewollt und deshalb in die Schöpfungsordnung eingebunden seien.218 Gegen die straftheologisch perspektivierte Kritik des Ableiters wandten seine Verteidiger entsprechend ein, dass er dem Blitz doch nur dazu verhelfe, in die Erde zu gelangen, wo er ja auch hinstrebe. Der Blitzableiter sei also keine gegen die Schöpfung gerichtete Technologie, sondern im Gegenteil ein Hilfsmittel zu ihrer Entfaltung.219 Eine theologische Kritik des Ableiters konnte sich jedoch auch einer naturwissenschaftlichen Sprache bedienen, indem Folgeeffekte seiner Verbreitung für andere Katastrophenszenarien verantwortlich gemacht wurden, was wiederum als göttliche Strafe gegen die Hybris des Menschen, sich durch technische Errungenschaften gegen die strafende Hand Gottes absichern zu wollen, gedeutet werden konnte.220 Auch wegen solcher Kritik widmeten sich volksaufklärerische Traktate zum Blitzableiter wie das von Dominikus Beck der ausführlichen Beschreibung und Erklärung seiner Funktionsweise und Anwendung in allgemeinverständlicher Weise, um »vor den traurigen Wirkungen des Blitzes die möglichste Sicherheit, und bey herannahenden Gewitterwolken Muth und Unerschrockenheit zu verschaffen […].«221 Mit diesen Anstrengungen zur Bewältigung der Naturfurcht durch den Blitzableiter war auch eine veränderte Wahrnehmung des Gewitters selbst verbunden, dessen Gefahrenpotenzial und Bedrohlichkeit durch den Ableiter nunmehr gebändigt war und einem Gefühl der Sicherheit Platz machen konnte, wie es Albin Schwaiger in seiner Beschreibung des Hohenpeißenbergs darstellte: »Allein seit dem die Wetterableiter auf dem Hause prangen, […] ist das ganze Gebäude von den verderblichen Wirkungen des Blitzes unbeschädigt geblieben. Sicher und unerschrocken kann man unter dem Schutze dieser Waffen bey umher schlängelnden Blitzen, und fürchterlichsten Donnerschlägen ruhen und kummerlos seyn.«222 Die Sicherheit und damit auch Distanzierung vom Gewittergeschehen, wie sie in Schwaigers Schilderung zum Ausdruck kommt, ermöglicht wiederum eine ästhetische Sublimierung der Naturgewalt des Gewitters, die es zum Gegenstand der kontemplativen Anschauung und ästhetischen Erfahrung im Modus 218 Walter, Katastrophen, 98–99. 219 Kittsteiner, Die Entstehung, 85–86. 220 Juras, From Acts of God, 396–403. 221 Beck, Faßlicher Unterricht, 3–4. 222 Schwaiger, Versuch, 39.

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des Naturerhabenen werden lassen kann.223 Friedrich Nicolais Darstellung seines Gewittererlebnisses bei Melk (vgl. Kap. 6) ist hierfür beispielhaft. Die ästhetische Wahrnehmung des Gewitters im Modus des Naturerhabenen war jedoch zunächst nur ein Phänomen der Elitenkultur des 18. Jahrhunderts. Nach wie vor bedeutete für viele das Gewitter in erster Linie akute Gefahr für Leib und Leben und vor allem Bedrohung der eigenen Existenzgrundlage durch drohende Blitzeinschläge und Feuergefahr sowie den Verlust der Ernte durch Hagel. Für eine kontemplative Betrachtung des Naturschauspiels Gewitter und Blitz ließ das keinen Raum. In Kurbayern wurde der Blitzableiter erst in den 1780er Jahren auf breiter Front eingeführt bzw. gefördert, so dass sich auch nur wenigen die Möglichkeit zu einer solch distanzierten Anschauung des Gewitters bot. Das Churbaierische Intelligenzblatt berichtete ab Mitte der 1770er Jahre von den ersten Blitzableiterinstallationen im näheren süddeutschen Raum: Die 1775 erfolgte Installation eines Blitzableiters auf dem Pulvermagazin Wiens nach dem Vorbild der mit Ableiteranlagen gesicherten florentinischen Magazine224 und die Installation von Blitzableitern in der Kurpfalz durch Johann Jakob Hemmer, vor allem auf dem Schwetzinger Schloss im Juni 1776.225 Auch für die 1780er Jahre finden sich weitere Nachrichten über Blitzableiterinstallationen in der mit Kurbayern verbundenen Kurpfalz; beispielsweise die Ausstattung sämtlicher öffentlicher Gebäude und Kirchen in Lautern mit Ableitern.226 Seit Mitte der 1780er Jahre wurde die Errichtung von Blitzableitern in Kurpfalzbayern dann durch die landesherrliche Obrigkeit vorangetrieben. Durch Rescript vom 23. Dezember 1784 wurde bestimmt, dass bei Reparatur oder Neubau von Kirchen auf den Kirchtürmen Blitzableiter zu installieren seien.227 Auch die allgemeine Feuerordnung für Kurpfalzbayern vom 30. März 1791 legte fest, dass »zu menschenmöglicher Abwendung des Unglücks, welches Blitzstrahlen öfters verursachen, […] nach und nach wenigstens auf den Hauptgebäuden, Kirchen, Schlössern, Klöstern, Rathhäusern und dergleichen Orten, von geschickten, und in Sachen genugsam erfahrnen Leuten Wetterableiter aufzustellen« seien.228 Allerdings hatten diese Bestimmungen nicht die unmittelbare, flächendeckende Verbreitung von Blitzableitern zur Folge. Noch 1804 beklagte Hazzi in seiner Landesstatistik, dass die 223 Für den Zusammenhang von Bändigung der Naturfurcht, Sicherheit und Distanz im Gewitter und seiner Ästhetisierung als Naturschauspiel vgl. Weigl, Entzauberung, 18–24 und Kittsteiner, Die Entstehung, 84. 224 Artic. IX . Vermischte Nachrichten und Merkwürdigkeiten, in: Churbaierisches Intelligenzblatt 1775, 26. August (Nr. XXIV), 292. 225 Artic. VIII . Gelehrte und Kunstssachen, und Preisaufgaben, in: Churbaierisches Intelligenzblatt 1776, 24. August (Nr. 34), 301; zur Installation von Ableiteranlagen auf dem Schwetzinger Schloss durch Hemmer auch Hochadel, Öffentliche Wissenschaft, 147. 226 X. Blitzableitererrichtung, in: Kurpfalzbaierisches Intelligenzblatt 1787, 31. August (28. Stück), 220. 227 Mayr, Sammlung. Band 4, 674. 228 Mayr, Sammlung. Band 5, 216.

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Stadt München im Hinblick auf ihre Gewitterexponiertheit mit viel zu wenigen Ableiteranlagen ausgestattet sei.229 Die Einführung des Blitzableiters in Kurbayern war von einem breiten naturwissenschaftlich geprägten volksaufklärerischen Diskurs begleitet, der im Besonderen um das Thema der Naturfurcht kreiste und es sich zum Anliegen gemacht hatte, der Bevölkerung die Angst vor der neuen, unbekannten Technologie zu nehmen. Für Johann Jakob Hemmer war es nur folgerichtig, dass der gemeine Mann angesichts des Schreckens von Blitz und Donner auch vor unbekannten Maschinen auf den Dächern, die den Blitz auf unerklärliche Weise aus dem Himmel in die Erde ableiten, Furcht empfinde. Daraus resultiere die Pflicht des Naturforschers auch als Weltweiser, die Unwissenden zu belehren und ihnen so die Angst zu nehmen.230 In Bezug auf den Blitz wird diese Angst wiederum in den Gedanken eines Risikobewusstseins gewendet. Der Blitzableiter erscheint hier als Mittel, gegen Blitzeinschläge als eines der vielen möglichen Risiken, die die eigene Existenz bedrohen können, rechtzeitig Vorsorge zu treffen: »Erfodert nicht die Klugheit, solchen Unglücksfällen zeitlich vorzubeugen? Brauchen wir diese Vorsicht nicht in hundert andern Dingen? Wir versehen unsere Anger mit Dämmen, unsere Häuser mit Brandtmauern, unsere Höfe mit Thoren, uns selbst auf Reisen mit Gewehren u. s. w., obwol wir vielleicht niemal von Ueberschwemmungen, Brandte, Dieben und Straßenräubern etwas gelitten haben.«231 Verbunden damit war der volksaufklärerische Topos von der Erziehung und allmählichen Überzeugung der Bevölkerung, die so ein richtiges Verständnis des Blitzableiters entwickeln sollte. Lorenz Westenrieder gab in diesem Sinne der Hoffnung Ausdruck, dass der gemeine Mann in seinen Ansichten und Kenntnissen hinsichtlich des Blitzableiters belehrt werden könne, indem beständig auf die Vorteile hingewiesen werde, die er mit sich bringe. Dazu müssten jedoch zuerst die diesbezüglichen Ansichten derjenigen, die als Lehrer oder Pfarrer das Volk durch Unterrichtung und ihr tätiges Vorbild belehren und seine Denkweise ändern sollten, geformt werden. Sei diese grundlegende Heranbildung der Jugend gewährleistet, müssten die Früchte dieser Bemühungen zukünftig sichtbar werden.232 Nicht nur Westenrieder hob in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Vorbildfunktion hervor. 229 Joseph von Hazzi, Statistische Aufschlüsse über das Herzogthum Baiern, aus ächten Quellen geschöpft. Ein allgemeiner Beitrag zur Länder- und Menschenkunde. Dritter Band. Erste Abtheilung. 4 Bände. Nürnberg 1804, 311. 230 Johann Jakob Hemmer, Kurzer begriff und nuzen der Wetterleiter, bei gelegenheit derjenigen, di auf dem schlosse, und den übrigen kurfürstlichen gebäuden zu Düsseldorf errichtet worden sind. Düsseldorf 1782, 3–4. 231 Hemmer, Anleitung, 138. 232 Lorenz Westenrieder, Bemerkungen auf einer Reise durch das Landgericht Erding, in: Beyträge zur vaterländischen Historie, Geographie, Statistik und Landwirthschaft, samt einer Uebersicht der schönen Litteratur 2, 1789, 442–446.

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So gab die Regierung Amberg zur Durchsetzung des Rescripts bezüglich der Installation von Blitzableitern zu bedenken, dass die Stände wohl nur schwerlich dazu zu bewegen sein würden, Ableiter zu installieren, wen dem nicht ein Beispiel der Einrichtung von Ableiteranlagen auf kurfürstlichen Gebäuden vorausgehe.233 Auch sonst setzte man im volksaufklärerischen Diskurs auf die rhetorische Strategie, neben der technischen Erläuterung der physikalischen Wirkungsweise des Blitzableiters auch seine Akzeptanz bei hohen und niederen Ständen eine eigene Überzeugungskraft entfalten zu lassen: »Wenn etwa das bisher Gesagte Einigen noch nicht hinreichend scheinen sollte, um sich von der Nutzbarkeit der Blitzableiter zu überzeugen, diese mögen bedenken, daß die Blitzableiter nicht nur von Gelehrten, sondern von Monarchen und Fürsten, von hohen und niedern Einwohnern der Städte, und des Landes als ein sicheres Verwahrungsmittel wider den Donnerschlag schon längstens anerkannt worden sind.«234 Die so erfolgte Belehrung hinsichtlich des Blitzableiters, seiner Funktionsweise und Installation, konnte auf beschreibend-informierende Weise geschehen235 oder »im sokratischen Tone; denn schulgerechte Methode ist einmal für den geradehin denkenden Landmann nicht«,236 wie Joseph Weber meinte. Im Rahmen dieser volksaufklärerischen Überzeugungskampagne und der sich mit dem Gewitter und dem Blitz beschäftigenden naturwissenschaftlichen Werke wurde der Blitzableiter als unfehlbares Mittel der Bändigung des Blitzes angepriesen.237 So kam Benedikt Arbuthnot in seiner Preisschrift zur Abwehr der Hochgewitter zu dem Ergebnis, dass zwar keine Methode zur direkten Auflösung der Gewitter aus der Elektrizitätsforschung ableitbar sei, mit dem Blitzableiter aber bereits ein Mittel zur Unschädlichmachung des Blitzes bestehe. Entsprechend empfahl er die flächendeckende Einführung von Ableitern, um zumindest den Blitz von den Gebäuden fernzuhalten.238 Wie Arbuthnot beurteilte auch Guden in seiner Abhandlung zu derselben Preisfrage die Möglichkeit einer unmittelbaren Einflussnahme auf die elektrischen Dünste des Gewitters negativ. Er hielt jedoch die Sicherung von Städten durch Blitzableiter für sinnvoll, die auf den Stadtwällen aufzustellen und in die Stadtgräben abzuleiten seien, um sich gegen die feindliche Naturgewalt des Gewitters zu verteidigen: »Der Wall wird auf diese Weise in Friedenszeiten zum Schutze wider die Gewitter, und im Kriege wider die Feinde dienen.«239 233 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 3978: Schreiben der Regierung Amberg vom 11. Februar 1785 an die Obere Landesregierung. 234 Beck, Faßlicher Unterricht, 30. 235 So in Luz, Unterricht, 56–76 und in Kraus, Gewitterkatechismus, 21–36 als ein Schutzmittel gegen Gewitter. 236 Weber, Unterricht, [7]–[8]. 237 Bspw. von Dominikus Beck in seiner Elektrizitätslehre; Dominikus Beck, Kurzer Entwurf der Lehre von der Elektricität. Salzburg 1787. 238 Arbuthnot, Abhandlung, 428–436. 239 Guden, Von der Sicherheit, 171–173.

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Guden hatte noch eine vorsichtig-skeptische Haltung zu der von Franklin und anderen angenommenen Wirkungsweise des Blitzableiters, Gewitterwolken passiv entladen zu können, so dass es gar nicht erst zum Blitzausbruch komme, eingenommen.240 Für andere wie Dominikus Beck war genau das jedoch die primäre Wirkung des Ableiters, der entsprechend nicht nur als Mittel zur Bändigung, sondern sogar zur Verhinderung des Blitzes galt.241 Dieses passive Entziehen von Elektrizität war auch mit der These von einer weiteren möglichen Funktion des Blitzableiters neben der Blitzableitung verbunden. Da so bekannte Elektrizitätsforscher wie Pierre Bertholon die Ansicht vom Zusammenhang atmosphärischer Elektrizität und Hagelbildung vertraten,242 geriet der Blitzableiter mit seiner angenommenen Wirkung der Entladung von Gewitterwolken ebenfalls zur Handlungspraktik der Hagelabwehr. Georg Heinrich Seiferheld zeigte sich nicht nur von der Elektrizität als Ursache für das Entstehen von Hagelkörnern überzeugt, was er in eigens durchgeführten Experimenten belegt zu haben glaubte, sondern auch von der Möglichkeit, durch mit Draht umwickelte und in die Erde abgeleitete Stangen auf den Feldern die Hagelbildung zu verhindern. Seiner Ansicht nach handelte es sich dabei lediglich um die Nachbildung eines schon vorhandenen Gestaltungsprinzips in der Natur, da die meisten Pflanzen spitz zulaufende Formen hätten, die sie zu natürlichen Ableitern der atmosphärischen Elektrizität machten.243 Bereits Johann Nepomuck Fischer hatte in seinem Traktat gegen das Wetterläuten die Vermutung geäußert, dass der Blitzableiter auch gegen Hagel helfen könnte, und den Vorschlag gemacht, versuchsweise Ableiterstangen auf den Feldern zu errichten.244 Maximus Imhof war ebenfalls der Ansicht, dass eine größere Menge von Blitzableitern nicht nur vor dem Blitz schütze, sondern auch als Hagelableiter wirke. Als Alternative zum wirkungslosen Wetterschießen und um eine erhöhte Akzeptanz in der Bevölkerung zu erzeugen, schlug er deshalb vor, die traditionell bei Volksfesten aufgerichteten Maibäume mit Kupferspitzen und Ableitungen auszustatten und sie so als Hagelableiter zu nutzen.245 Bei diesen hoffnungsvollen Aussichten zum Blitzableiter war es für eine skeptische Stimme wie die von Guden, der einen ursächlichen Zusammenhang von Elektrizität und Hagel und damit auch die hagelverhindernde Wirkung des Ableiters bezweifelte, schwer Gehör zu finden.246 240 Ebd., 166–170. 241 Beck, Faßlicher Unterricht, 13–17. Auch im Krünitz wurde diese Ansicht zur Wirkung des Blitzableiters vertreten; vgl. dazu den ausführlichen Eintrag zum Blitzableiter im Lemma »Gewitter (das)« Krünitz, Gewitter, 273–329. 242 Heering, Styles of Experimentation, 125–129. 243 G. H. Seiferheld, Electrischer Versuch wodurch Wassertropfen in Hagelkörner verändert worden, samt der Frage an die Naturforscher: Ist eine Hagelableitung ausführbar, und Wie. Altdorf u. a. 1790. 244 Fischer, Beweis, 83–88. 245 Imhof, Über das Schiessen, 18–24. 246 Guden, Von der Sicherheit, 154–156.

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Die eigentliche wissenschaftliche Debatte um den Blitzableiter bestand jedoch in der Frage der optimalen Form seiner Ableiterspitze. Europaweit in der Gelehrtenrepublik rezipiert wurde in diesem Zusammenhang die in der Royal Society ausgetragene Kontroverse um die korrekte Ableiterform. Eine Minderheitenfraktion um den experimentellen Elektrizitätsforscher Benjamin Wilson trat hier für kugelförmige Ableiterspitzen ein, während die Mehrheit der Society der Meinung Benjamin Franklins folgend die spitz zulaufenden Endungen verteidigte.247 Aber auch unter den bayerischen Natur- und Elektrizitätsforschern war die richtige Ableiterform umstritten. Hier drehte sich der Konflikt jedoch nicht um »Points« oder »Knobs« wie im englischsprachigen Raum, sondern um Johann Jakob Hemmers Konstruktion eines mehrspitzigen Ableiters, auch wenn die britische Debatte um die Ableiterform sehr wohl rezipiert wurde.248 Hemmer hatte seinen Ableiter bewusst mit fünf Spitzen und einem waagerechten Spitzenkreuz konstruiert, damit er beim Einschlag eines Blitzes leicht beschädigt würde, was wiederum für alle Kritiker und Skeptiker sichtbar die erfolgreiche Bändigung des Blitzes durch den Ableiter vor Augen stellte.249 Diese öffentlichkeitswirksame Überzeugungsstrategie, die nicht nur einer volksaufklärerischen Intention, sondern wohl auch Werbung in eigener Sache geschuldet war, traf jedoch nicht nur auf Zustimmung bei den bayerischen Aufklärern. In seinem veröffentlichten naturkundlichen Briefwechsel mit Franz von Paula Schrank sprach sich Karl Maria Ehrenbert von Moll gestützt auf Franklins Autorität gegen die mehrspitzige Ableiterform aus, da sie die Ableitung der Elektrizität eher behindere als fördere und außerdem die einspitzige Variante sehr viel einfacher herzustellen und kostengünstiger sei.250 Auch Dominikus Beck bevorzugte den Ableiter mit nur einer spitz zulaufenden Endung, gab aber zu, dass es sinnvoll sein könne, den Ableiter mit mehreren Spitzen zu versehen, was zwar nicht den Elektrizitätsentzug erhöhe, aber es ermögliche, aus allen Himmelsrichtungen herbeiziehenden Wolken eine Spitze entgegenzusetzen.251 Am heftigsten kritisierte Johann Nepomuck Fischer die stark verbreitete Hemmersche fünfspitzige Ableiterkonstruktion, deren Wirkung er für erwiesenermaßen nachteilig hielt. Er äußerte sich in diesem Zusammenhang in bitteren Worten über das Festhalten der landesherrlichen Obrigkeit an dieser irrtümlichen Konstruktion, nur 247 Zusammenfassend zur dieser Kontroverse R. W.  Home, Points or Knobs. Lightning Rods and the Basis of Decision Making in Late Eighteenth Century British Science, in: Peter Heering, Oliver Hochadel, David J. Rhees (Hrsg.), Playing with Fire. Histories of the Lightning Rod. Philadelphia 2009 (Transactions of the American Philosophical Society held at Philadelphia for promoting useful knowledge, v. 99, pt. 5), 97–120. 248 Joseph von Boslarn sprach sich z. B. gegen eine knopfförmige und für die spitze Ableiterendung aus: Boslarn, Kritik über die Wetterableiter, 35–40. 249 Hochadel, Öffentliche Wissenschaft, 146–147. 250 Franz von Paula Schrank, Karl Maria Ehrenbert von Moll, Naturhistorische Briefe über Oestreich, Salzburg, Passau und Berchtesgaden. Band 1. 2 Bände. Salzburg 1785, 135–137. 251 Beck, Faßlicher Unterricht, 39–55.

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um dem Image des Blitzableiters in der Bevölkerung nicht zu schaden: »So sehr ist man an das Nachbeten gewöhnt: und so weit hat mans mit der Politik sogar bey der Gelehrsamkeit gebracht, daß man lieber der Wahrheit einen Mantel umhängen will: als die wirkliche Blöße authentisierter Irrthümer, auch da sie gefährlich werden könnten, entdecken.«252 Johann Evangelist Helfenzrieder war derjenige, der versuchte, wieder eine versachlichende Position in der Debatte einzunehmen: Er selbst votierte für die Errichtung von Ableitern mit einfachen Spitzen, wenigstens solange, bis erwiesen sei, dass die Mehrfachspitze unschädlich sei.253 Diese Debatte um die Blitzableiterform war jedoch vor allem für den süddeutschen Raum kennzeichnend. Der Krünitz beispielsweise orientierte sich in seiner Beschreibung des Blitzableiters einfach an Johann Albrecht Heinrich Reimarus’ Vorgaben.254 Das zentrale Anliegen des wissenschaftlich-volksaufklärerischen Diskurses um den Blitzableiter war dessen Verteidigung gegen Kritik, ob wissenschaftlich oder religiös begründet. Besonders das prominent von Jean Antoine Nollet vorgebrachte technische Gegenargument zum Ableiter, dass er den Blitz anziehe und damit die Gefahr eines Blitzeinschlages noch erhöhe statt sie zu vermindern, wurde argumentativ bearbeitet. Luz widmete sich in seinem volksaufklärerischen Traktat zum Blitz ausführlichst diesem Kritikpunkt am Blitzableiter, den er umfangreich mit Verweisen auf die in der Elektrizitätsforschung bereits durchgeführten und von ihm selbst praktizierten Versuche mit Elektrisiermaschinen behandelte.255 Auch Dominikus Beck setzte sich mit dieser Grundsatzkritik am Blitzableiter auseinander und stellte klar, dass der Ableiter zwar in der Tat elektrische Materie des Blitzes anziehe, deshalb aber nicht den Blitz anlocke und ihn häufiger zum Ausbruch bringe.256 Johann Jakob Hemmer bemühte gar die Analogie zur Newtonschen Himmelsmechanik, um zu illustrieren, dass kleinere Körper niemals größere Körper anziehen und somit auch der Blitzableiter keine Gewitterwolke anziehen und festhalten könne.257 Deshalb sei ein Blitzableiter auch nicht gefährlich für die benachbarten Häuser, die er vielmehr schütze, da er das elektrische Fluidum auf sich ziehe.258 Trotz der Verteidigung des Blitzableiters sollten sich jedoch wissenschaftlich-technische Gegenargumente über seine negative Wirkung auf Naturprozesse im allgemeinen noch bis ins 19. Jahrhundert hinein halten.259

252 Fischer, Beweis, 65–66. 253 Johann Evangelist Helfenzrieder, Verbesserung der Blizableiter. Eichstädt 1785. 254 Krünitz, Gewitter, 273–329. 255 Luz, Unterricht, 13–55. 256 Beck, Faßlicher Unterricht, 32–35. 257 Hemmer, Anleitung, 122–124. 258 Ebd., 124–126. 259 Vgl. dazu Schmidt, Gewitter, 282–283.

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In fast jedem Traktat zum Blitzableiter durfte nicht der Verweis auf religiös und besonders straftheologisch begründete Vorurteile gegen den Blitzableiter fehlen, die mit theologischen Gründen und mit Bezug auf den gesunden Menschenverstand widerlegt wurden. Dabei wurde der Straftheologie eine physikotheologische Argumentation entgegengesetzt und die Vorstellung vom Blitz als Straftinstrument Gottes mit seiner Naturnotwendigkeit gekontert. Für Dominikus Beck war es nicht vermessen, sich mit einem durch Vernunft und Erfahrung bewährten technischen Hilfsmittel gegen den Blitz zu schützen, sondern zu glauben, dass Gott den Blitz nur deshalb geschaffen habe, um die Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen und sie für ihre Sünden zu bestrafen. Die Gewitter hätten vielmehr ihren notwendigen und nützlichen Platz in der Schöpfung, da sie die Luft reinigen, fruchtbaren Regen bringen und Mensch und Tier nach drückender Hitze wieder Erfrischung verschaffen. Mit dieser tradierten physikotheologischen Argumentation begründete Beck auch die Angemessenheit des Schutzes vor dem Blitz: Diejenigen, die sich mit Blitzableitern gegen den Blitzeinschlag schützen, machten sich keines Misstrauens oder einer Vermessenheit gegen Gott schuldig, sondern erfüllten vielmehr den Willen Gottes, da er den Menschen den Verstand gegeben habe, damit diese selbst Mittel zur Besserung ihres Glückes und zur Sicherung gegen Unglücksfälle entwickelten.260 Diese Widerlegung der straftheologischen Kritik des Blitzableiters mit physikotheologischen Argumenten ist in vielerlei Variationen ein Grundthema der volksaufklärerischen Traktate, die sich mit dem Ableiter befassen.261 Ergänzt wurde diese Argumentationsstruktur noch durch Kontextualisierungen mit anderen Gefahrensituationen und deren Schutzvorkehrungen, die die straftheologische Auffassung des Blitzes ad absurdum führen sollten. Hemmer etwa verdeutlichte unterstützend zu seiner Widerlegung der Straftheologie, dass, wenn es frevelhaft sei, den Blitz vom Gebäude abzuleiten, es auch frevelhaft sein müsse, den durch Blitzeinschlag entstandenen Brand zu löschen, dem man vielmehr ruhig zusehen müsse.262 Luz versuchte mit noch detaillierterer Argumentation die straftheologische Kritik am Blitzableiter zu widerlegen. Unter anderem legte er in fünfteiliger Beweisführung dar, dass erstens der Mensch sich gegen den Blitz wie gegen jede andere Gefahrenquelle auch schützen dürfe und sogar solle, da ihm der Schöpfer den Trieb zur Lebenserhaltung mitgegeben habe. Außerdem sei der Christ zweitens verpflichtet, alle Mittel zum Schutz der Seinen und seiner eigenen Person einzusetzen und sich nicht als Ausrede auf die Vorsehung Gottes zu berufen, nur um die Hände in den Schoß zu legen. Drittens habe es mit den Dachrinnen bereits vor dem Blitzableiter provisorische Ableitungen des Blitzes gegeben. Viertens sei der Erfinder des Blitzableiters nicht von Gott zur Strafe 260 Beck, Faßlicher Unterricht, 35–39. 261 So in [Niedermayer], Katechismus, 156–157 und Luz, Unterricht, 77–82. 262 Hemmer, Anleitung, 142–144.

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heimgesucht worden und fünftens seien mit dem Wetterläuten und Wetterschießen bereits vor der Erfindung des Blitzableiters Maßnahmen zum Schutz vor Gewitter und Blitz ergriffen worden, die niemals irgendjemand als Eingriff in Gottes Strafgericht verurteilt habe.263 Noch Anfang des 19. Jahrhunderts verwies Gütle in seinem Lehrbuch zur Blitzableitungskunst darauf, dass man bis vor kurzem noch den Blitzableiter für eine Versündigung an Gott gehalten haben würde, er heute jedoch als bekannte und wohlbegründete Sache angesehen werden könne: »Dieses schöne und herrliche Werk des menschlichen Verstandes, dieser Sieg der Weltweisheit, ist ein Beweis von der Stärke des Forschungsgeistes des menschlichen Wizes, und von der Richtigkeit seiner tiefen Einsichten in die Geseze der Natur. Es steht da, zum Erstaunen der jezigen und künftigen Welt.«264 Was sich in Gütles emphatischer Ausführung bereits ausdrückt, ist ein weiteres Thema des auf den Blitzableiter bezogenen wissenschaftlich-volksaufklärerischen Diskurses: die Sicht auf den Blitzableiter als Handlungspraktik eines naturwissenschaftlich-technologischen Deutungsmusters des Gewitters und der Natur insgesamt, die anhand ihrer erkannten Gesetzmäßigkeiten behandelt und durch entsprechende Technologien wie den Blitzableiter gebändigt werden kann. Hier zeigt sich auch ein Zusammenhang von der Erfindung des Blitz­ableiters und der Depotenzierung des Göttlichen, dem Sieg einer neuen Zeit und Weltordnung. Am Beispiel der Person Franklins und seiner Rolle sowohl bei der Erfindung des Blitzableiters als auch der Amerikanischen Unabhängigkeit vereinen sich die Befreiung von göttlicher, weltlicher und ›natürlicher‹ Herrschaft, so dass Politik und Physik die Bereiche der Befreiung des Menschen im 18. Jahrhundert bilden.265 Das geht bis hin zu einer politischen Kodierung des Blitzes selbst, die ihn als Symbol der Befreiung und des Fortschritts vom Alten und dem Status quo des Ancien Régime versinnbildlichte.266 In Parallele wurde der Blitzableiter zum Symbol des Sieges der Aufklärung über die alten Kräfte und überholten Wissensordnungen, das Zeichen für den Anbruch einer neuen Zeit. Diese Symbolik kam besonders in einer Verteidigungsrede des Anwalts und späteren Revolutionärs Maximilien de Robespierre zum Ausdruck, die er anlässlich eines Prozesses hielt, in dem die Installation eines Blitzableiters auf einem Hausdach in St. Omer verhandelt wurde. Die Nachbarn hatten gegen diese Maß 263 Luz, Unterricht, 116–121. 264 Johann Konrad Gütle, Lehrbuch der praktischen Blizableitungskunst. Nebst den Angaben der neuesten Naturforscher, die Elektrizität der Atmosphäre zu erforschen als Fortsezung der theoretischen Blizableitungslehre. Nürnberg 1804, IX . 265 Vgl. dazu Weigl, Entzauberung, 28–34. 266 Vgl. dazu Christian Fuhrmeister, »Eripuit caelo fulmen sceptrumque tyrannis«. The Political Iconography of Lightning Rods in Europe and North America, 1750–1800, in: Peter Heering, Oliver Hochadel, David J. Rhees (Hrsg.), Playing with Fire. Histories of the Lightning Rod. Philadelphia 2009 (Transactions of the American Philosophical Society held at Philadelphia for promoting useful knowledge, v. 99, pt. 5), 144–163.

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nahme Klage geführt, da sie befürchteten, dass der Ableiter den Blitz anziehen und damit ihre Häuser eher noch gefährden als schützen werde. Für Robespierre war das nur ein Anzeichen dafür, dass die Aufklärung in St. Omer noch nicht angekommen war, für die der Blitzableiter als ihre größte Errungenschaft als sichtbares Zeichen stand. Die Klage führenden Bürger von St. Omer erschienen in seiner Argumentation als sich dem Fortschritt verweigernde Hinterwäldler, die sich dem Sieg der Aufklärung entgegenstellten und in der alten Ordnung verhaftet geblieben waren.267 Der Blitzableiter wurde also zum Triumphzeichen der Aufklärung stilisiert. Wo er auf den Häusern zu sehen war, hatte sich die Aufklärung durchgesetzt und war die Naturgewalt durch menschlichen Erfindungsreichtum und seine Erkenntnis der Gesetze der Natur gebändigt. Der Blitzableiter stellte die Errungenschaften des aufklärerischen Menschen dar, der göttergleich in seinen Fähigkeiten das Feuer des Himmels selbst gebändigt hatte, wie Hemmer es poetisierend in Anspielung auf den Prometheus-Mythos formulierte: »Was die Alten fabelhaft gelehrt haben, daß die verwägene Menschenkinder, Japhets kühnes Geschlecht, das Feuer vom Himmel auf die Erde herab geholet haben, das ist zu unsern Zeiten, in Ansehung des Blitzes, zur Wirklichkeit gekommen. […] Da steht es, das schöne, das herrliche Werk des menschlichen Verstandes, dieser Sieg der Weltweisheit.«268 Lorenz Hübner verfasste gar einen Hymnus auf den Blitzableiter, in der er diesen als Bändigung des Blitzes und seinen Erfinder Benjamin Franklin als göttlich inspirierten Retter der Menschheit pries: »Ein Wink von dir! -- Und der Welten zertrümmende Keil / Aus der Wolken flammendster losgeschleidert / Schmiegt sich ohnmächtig zu dir, und fliesst / Unschädlich, wie Wasser, deiner Leitung folgsam, / Der löschenden Erde zu. / Gesegnet, der dich uns gab! / Ihn hat der Schöpfer aus Tausendtausenden / Zum Menschheitretter gewält. / […].«269 Gegen diese Wunderwaffe der Blitzabwehr und ihre Werbungskampagne waren alle anderen Handlungspraktiken zur Gewitterabwehr letztlich chancenlos. Der Blitzableiter wurde ihnen im volksaufklärerischen Diskurs gegenübergestellt und über alle anderen Praktiken erhoben, die nunmehr nur noch als Ausdruck abergläubisch-unwissender Zeiten erschienen.270 Für Hemmer war klar, dass 267 Zu dem europaweit beachteten Blitzableiterprozess von 1783 und der Verteidigungsrede Robespierres Weigl, Entzauberung, 28–34 und Walter, Katastrophen, 99–100. 268 Hemmer, Anleitung, V–VI . Hemmer spielt hier auf die Sage um Prometheus an, der das Feuer vom Himmel holte, als die Götter es den Menschen verweigerten. 269 Lorenz Hübner, Kurzgefasste Uibersicht der Geschichte der neuesten Naturbegebenheiten, in: Physikalisches Tagbuch für Freunde der Natur 1 (2), 1784, 211–213; Erstdruck in [Lorenz Hübner], Beim Anblike eines Blizableiters, in: Münchner gelehrte Zeitung 1783, Heumonat (VII . Stück), 56. 270 »Es ist also nichts mehr übrig, als daß man endlich das niedrige Vorurtheil, welches man wider die Blitzableiter hat, ablege, und dieses Geschenk des Himmels, durch welches

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man sich im Hinblick auf Naturzusammenhänge nicht nur auf den Segen und das Gebet verlassen könne und der Blitzableiter deshalb dem Wetterläuten vorzuziehen sei.271 Johann Nepomuck Fischer rief dazu auf, statt alljährlich Pulver im Wetterschießen zu verschwenden, das Geld lieber in Blitzableiter zu investieren.272 Und auch Placidus Heinrich plädierte in seiner Abhandlung zum Wetterschießen, trotz seiner Ansicht, dass dieses sehr wohl eine physikalische Wirkung habe, gegen seine flächendeckende Einführung, da man mit dem Blitzableiter ein viel zuverlässigeres und preiswerteres Mittel gegen die Gewitter zur Verfügung habe, das nicht nur gegen den Blitz, sondern vermutlich auch gegen den Hagel wirksam sei.273

6.3 Konflikte um die Gewitterabwehr Der Wandel der Handlungspraktiken zur Gewitterabwehr vollzog sich nicht wie im Fall des Wasserbaus in erster Linie im Rahmen langfristiger Entwicklungspfade, sondern in einem Konfliktfeld, das den Gewitterdiskurs im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts bestimmte. Hier war der Wandel durch Konfliktlinien bestimmt, entlang derer die behandelten Handlungspraktiken zur Gewitterabwehr in unterschiedlichen Diskurskoalitionen und -oppositionen zwischen Akteuren verhandelt wurden. Der von Obrigkeit und Wissenschaft forcierte Blitzableiter stand dabei im Zentrum des Diskurses und wurde gegen das Wetterläuten in Stellung gebracht, das auf dem Verordnungsweg reglementiert und durch mediale volksaufklärerisch-wissenschaftliche Kampagnen dekonstruiert wurde. Unklarer waren die Fronten in Bezug auf das Wetterschießen, das nicht nur zwischen staatlichen und wissenschaftlichen Akteuren, sondern auch in der Bevölkerung umstritten war. Aber auch diese Handlungspraktik wurde letztlich von Obrigkeit und naturkundlichen Gelehrten reglementiert und argumentativ bekämpft. Als Grundstruktur dieses Gewitterdiskurses lässt sich deshalb die ihn bestimmende Koalition von Herrschaft und wissenschaftlicher Expertise ausmachen, die den Blitzableiter als Technologie der Gewitterabwehr beförderte und konkurrierende Handlungspraktiken blockierte.

Gott geholfen seyn lassen will, dankbar annehme, und mit gesammter Hand zum Wohl der Menschheit Ableiter errichte.«; Fischer, Beweis, 110. 271 Hemmer, Anleitung, 141–142. 272 »Baiern! höret mich: Sparet euer Pulver, um es einst wider den Feind eures Vaterlandes zu verschießen; oder es in Luftfeuern abzubrennen: und machet euch Blitzableiter. Die Summe, welche ihr in einem Sommer auf das Schießen zu verwenden habt, gewähret euch, wenn ihr sie auf Ableiter verwendet, ewige Schadloshaltung vor dem Blitze.«, Fischer, Beweis, 91. 273 Heinrich, Abhandlung, 135–144.

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6.3.1 Reglementierung des Wetterläutens Die kurbayerische Landesherrschaft hatte in den 1770er Jahren begonnen, sich mit dem Wetterläuten zu befassen. In einer ersten Verordnung vom 13. Juni 1773 wurden das Wetterläuten und das Wetterschießen noch gemeinsam als durchaus sinnvolle und beizubehaltende Praktiken betrachtet, jedoch unter Beachtung bestimmter Bedingungen ihrer Praktizierung, über die die Bevölkerung zu informieren sei.274 Danach vollzog die kurbayerische Obrigkeit nach behördeninterner Debatte und intensiver aufklärerischer Kampagne gegen das Wetterläuten jedoch einen Schwenk und verbot 1783 erstmals das Wetterläuten.275 Begründet wurde das Verbot in der entsprechenden Verordnung mit den schlechten Erfahrungen mit dieser Handlungspraktik, die eingegangenen amtlichen Berichten und Zeitungsmeldungen zu entnehmen gewesen seien. Zukünftig war daher nur noch das kurze Läuten zum ›Englischen Gruß‹ (Angelusläuten) als Gebetsaufruf kurz vor dem Gewitter und zur Danksagung kurz nach dem Gewitter erlaubt. Den Pfarrern schrieb die Verbotsverordnung eine wichtige Rolle in der Abstellung des Wetterläutens zu, indem sie dazu angehalten wurden, ihre Gemeinden über deren Vorurteile zur läutenden Gewitterabwehr aufzuklären. Dabei sollten sie besonders auf die Gefahr für die läutenden Messner, während des Läutens vom Blitz erschlagen zu werden, hinweisen.276 Im folgenden Jahr wurde das Verbot das Wetterläutens nochmals erneuert und verschärft, indem Verstöße nunmehr mit einer Geldstrafe von 20 Rtl. und unvermögende Delinquenten mit einer Zuchthausstrafe belegt wurden. Wiederholungstäter hatten entsprechend die doppelte Strafe zu tragen. Diejenigen, die Messner mit Drohungen oder Gewalt zum Wetterläuten zwangen oder sich Zugang zu den Glockenhäusern verschafften, um selbst gegen das Wetter zu läuten, sollten gar als Rebellen behandelt und mit dem Tode bestraft werden. Die örtlichen Obrigkeiten bzw. Amtsvertreter und Pfarrer wiederum wurden scharf ermahnt, ihren Pflichten zur Durchsetzung des Wetterläutverbots nachzukommen.277 Bei diesen beiden Verordnungen ließ man es jedoch nicht bewenden, da 1791 eine weitere Erneuerung des Wetterläutverbots erlassen wurde.278 Wie im Verord 274 Diese Verordnung zum Wetterläuten ist wie der größte Teil der in der Folge behandelten auch in BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 5 enthalten. 275 Zusammenfassend wenn auch mit inhaltlichen Lücken zu den Wetterläutverboten in Kurbayern Brittinger, Die bayerische Verwaltung, 15–17; außerdem im Überblick Reith, Umweltgeschichte, 15–16. 276 Verordnung vom 1. August 1783 in Mayr, Sammlung. Band 2, 1163–1164. 277 Verordnung vom 23. Juli 1784 in ebd., 1485–1486. Diese Bestimmungen wurden per Verordnung vom 13. Oktober 1784 auch für das Herzogtum Pfalz-Neuburg erlassen, das in Personalunion mit Kurbayern verbunden war: Mayr, Sammlung. Band 4, 671. 278 BayHStA Kurbayern Mandatensammlung 1791/IV/8 und Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Verordnung vom 8. April 1791; abgedruckt in Mayr, Sammlung. Band 5, 463.

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nungstext selbst betont wird, sei das nötig geworden, weil trotz des bestehenden Verbots seit den 1780er Jahren nach wie vor gegen das Wetter geläutet werde. Die alten Bestimmungen der Verordnung von 1784 wurden erneuert, nur das die Strafen für Verbotsverstöße noch verdoppelt wurden und die Namen der Übeltäter verzeichnet und an die Münchner Zentralbehörden geschickt werden sollten. Wieder wurden örtliche Obrigkeitsvertreter und Pfarrer ermahnt, ihrer Aufklärungspflicht gegenüber dem gemeinen Landvolk nachzukommen. Das Wetterläuten war trotz dieser wiederholten Verbote auch im 19. Jahrhundert noch sehr lebendig, so dass sich die kurbayerische Landesherrschaft genötigt sah, sowohl im Jahr 1800279 als auch 1806280 erneute Verordnungen zu erlassen, wobei in letzterer nun auch das bisher erlaubte Glockenzeichen zum Gebet in Form des Angelusläutens untersagt wurde. Kurbayern war jedoch nicht der einzige Territorialstaat, der seit den 1780er Jahren gegen das Wetterläuten vorging. Sowohl geistliche wie weltliche Nachbarstaaten erließen in dieser Zeit ebenfalls Verordnungen, die diese Form der Gewitterabwehr in der einen oder anderen Form beschränkten oder untersagten. Österreich folgte der bayerischen Initiative im November 1783 mit einer eigenen Verordnung zum Wetterläuten, in der es als gefährliche und kontraproduktive Praktik der Gewitterbekämpfung gänzlich verboten wurde.281 Auch das Hochstift Augsburg erließ im folgenden Jahr 1784 eine Verbotsverordnung zum Wetterläuten, die mit der physikalischen Schädlichkeit dieser Praktik argumentierte und das Läuten ähnlich wie in den bayerischen Verbotsverordnungen auf den Englischen Gruß als Glockenzeichen zu Beginn, während und nach dem Gewitter beschränkte.282 Das Erzstift Salzburg hatte bereits im September 1783 und im April 1784 auf dem Verordnungswege das Wetterläuten einzuschränken versucht, erließ jedoch erst im Februar 1785 ein Verbot desselben.283 Auch hier 279 Verordnung vom 28. Mai 1800 in Mayr, Sammlung der Churpfalzbaierischen. Band 1, 185. 280 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 5: Verordnung vom 24. April 1806. 281 BayHStA Erzstift Salzburg Hofrat 652: Mandat vom 26. November 1783, eine gekürzte Fassung des Mandats in Joseph Kropatschek, Handbuch aller unter der Regierung des Kaisers Joseph des II . für die K. K. Erbländer ergangenen Verordnungen und Gesetze in einer Sistematischen Verbindung. Band 2: Enthält die Verordnungen und Gesetze vom Jahre 1780 bis 1784. Wien 1785, 356. Das Verbot des Wetterläutens in Österreich wurde in einer weiteren Verordnung des innerösterreichischen Guberniums vom 5. Juli 1786 erneuert, in der Übertretern des Verbots nunmehr Leibesstrafen angedroht wurden; Joseph Kropatschek, Handbuch aller unter der Regierung des Kaisers Joseph des II . für die K. K. Erbländer ergangenen Verordnungen und Gesetze in einer Sistematischen Verbindung. Band 10: Enthält die Verordnungen und Gesetze vom Jahre 1786. Wien 1788, 839–840. 282 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Augsburgische Verordnung vom 1. Mai 1784. 283 BayHStA Salzburger Mandatensammlung 1785/II /1 und Erzstift Salzburg Literalien Nr. 809: Verordnung vom 1. Februar 1785; ein Überblick zum Wetterläutverbot im Salzburgischen in Schindler, Die Konflikte, 108–112.

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wurde das Läuten wie in Kurbayern auf ein dreimaliges kurzes Glockenzeichen zu Beginn und zum Ende des Gewitters beschränkt sowie einmalige Übertreter dieser Verfügung mit 12 Rtl. und Wiederholungstäter mit einer Zahlung von 24 Rtl. an die Armenkasse der jeweiligen Gemeinde bestraft. Zum dritten Mal auffällig gewordene Straftäter sollten an den Hofrat weitergemeldet werden, der dann eine verschärfte Strafe zu verhängen hatte. So wie Kurbayern erneuerte auch das Erzstift sein Verbot des Wetterläutens mehrfach. Anlässlich des unverdrossenen Wetterläutens in vier salzburgischen Gerichtsbezirken erging 1787 ein Circularbefehl des Salzburger Hofrates mit einer Erneuerung des Verbots des Wetterläutens wie auch des Wetterschießens.284 Noch 1806 war eine erneute Erinnerung an das Pfleggericht Laufen zur Einhaltung des Wetterläutverbots vonnöten.285 Wie war es zu dem Meinungsumschwung der kurbayerischen landesherrlichen Obrigkeit, die das Wetterläuten 1773 noch erlaubt, zehn Jahre später jedoch untersagt hatte, gekommen und wie wurde das Verbot begründet bzw. welche Motive lagen ihm zugrunde? Ausgelöst durch eine Anfrage des Erzstifts Salzburg hatte der Münchner Hofrat 1773 eine Erhebung zum Wetterschießen in mehreren Pfleggerichten durchführen lassen (s. Kap. 6.2.3). Gleichzeitig hatte er auch ein Gutachten bei der Akademie der Wissenschaften sowie dem Mathematikprofessor am jesuitischen Lyceum in München, Anton Barth, in Auftrag gegeben, die sich der Frage der Nützlichkeit oder Schädlichkeit des Wetterschießens, aber auch des Wetterläutens widmen sollten.286 Der Hofrat fasste die Meinung der beiden Gutachten bezüglich des Wetterläutens so zusammen, dass es bei einem bereits über einem Ort befindlichen Gewitter sehr schädlich, aber bei einem erst aufziehenden Unwetter von besserer Wirkung sei. Der Hofrat war jedoch auch der Ansicht, dass die Untertanen auf dem Land sich durch »keinerley Physic« von der Gefährlichkeit des Wetterläutens bei schon über dem Ort stehenden Gewittern überzeugen lassen würden. Daher empfahl er zu verordnen, dass die Pfarreien nicht erst bei ausgebrochenen, sondern schon bei heraufziehenden Gewittern von den Messnern die Glocken läuten lassen sollten,287 was in der Verordnung von 1773 auch umgesetzt wurde. Diese vorsichtige Haltung der kurbayerischen Landesherrschaft zum Wetterläuten war Anfang der 1780er Jahre deutlich skeptischer und kompromissloser geworden. Die Obere Landesregierung ersuchte erstmals im Oktober 1781 um eine Beschränkung des Wetterläutens auf den Englischen Gruß bei heraufziehendem Gewitter, »ohne Considerierung des gemainen Baurn Volks etwan 284 BayHStA Salzburger Mandatensammlung 1787/I/23: Verordnung vom 23. Januar 1787. 285 BayHStA Erzstift Salzburg Pfleggericht Laufen Akten 3051: Generale der Landesregierung Salzburg vom 18. Juli 1806 an das Pfleggericht Laufen. 286 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 5: Schreiben des Hofrats an das »Collegium Soc[ietas] Jesu« und an die Churfürstliche Akademie der Wissenschaften jeweils vom 6. Februar 1773. 287 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 5: Schreiben des Hofrats »ad intimum« vom 1. Juni 1773.

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widerigen Protestiern«.288 Nachdem auf die Initiative der Oberen Landesregierung keine Resolution erfolgte, wandte sie sich sowohl im Folgejahr 1782 als auch im Juli 1783 erneut an den Kurfürsten und erinnerte in letzterem Schreiben an die Notwendigkeit zur raschen Entscheidungsfindung in dieser Angelegenheit, da »anheur die vielfaltigst und traurigsten Beyspiel im Inn- und Ausland sich an Tag geleget haben, was für Schäden denen Gottshäuseren sowohl, als den wehrenden Hochgewittern zum läutten sich einbefundenen Persohnen hierdurch verursacht worden […].«289 Zur Förderung ihres Anliegens hatte sich die Obere Landesregierung auch der Unterstützung des Geistlichen Rats versichert, der sich in einem eigenen, von Ildephons Kennedy unterzeichneten Schreiben im Juli 1783 ebenfalls an den Kurfürsten wandte, in dem er sich der Meinung der Oberen Landesregierung anschloss. Kennedy betonte hierin, dass schon viele Unglücksfälle beim Wetterläuten mit Verlusten an Menschenleben sowie Schäden an Kirchtürmen und Glocken vorgekommen seien, wobei alleine im Jahr 1783 ein Schaden von mehreren tausend Gulden entstanden sei. Nach den praktischen und theoretischen Grundsätzen der Naturlehre sei es für die Physiker eine ausgemachte Sache, dass das Läuten bei einem schon über dem Ort stehenden Hochgewitter eher schädlich sei, weil das Glockengeläut durch die Erschütterungen der Luft die Gewitterwolken zerteile, wodurch die elektrische Materie freigesetzt werde. Dazu komme noch die Anziehungskraft des Metalls der schwingenden Kirchenglocken auf den Blitz.290 Kennedy verlieh hier einer Ansicht zur schädlichen Wirkungsweise des Wetterläutens Ausdruck, die bereits Benedikt Arbuthnot in seiner Preisschrift von 1775 vertreten hatte (vgl. Kap 6.2.2). Als Sekretär der Akademie der Wissenschaften war Kennedy auch an deren Gutachten von 1773, das die erste Verordnung zum Wetterläuten maßgeblich beeinflusst hatte, beteiligt. Hierin wurde schon dieselbe Position zur Gefährlichkeit des Glockenläutens bei ausgebrochenem Gewitter wie in Kennedys Schreiben zehn Jahre später vertreten. Die Meinung zum Wetterläuten hatte sich in diesem Zeitraum also nicht grundlegend gewandelt, sondern nur die Hoffnung, das Läuten alleine durch die Aufklärung der Bevölkerung auf den Zeitpunkt des erst aufziehenden Gewitters beschränken zu können.291

288 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Schreiben der Oberen Landesregierung vom 15. Oktober 1781 an den Kurfürsten. 289 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Schreiben der Oberen Landesregierung vom 28. Januar 1782 und vom 18. Juli 1783 an den Kurfürsten. 290 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 5: Schreiben des Geistlichen Rates »Ad intimum« vom Juli 1783. 291 Hier ist jedoch auch auf den Zusammenhang der Häufung der Verbote des Wetterläutens mit dem Höhenrauch bzw. dem heißen und gewitterreichen Sommer des Jahres 1783 hinzuweisen; vgl. Hochadel, »In nebula nebulorum«, 51–53.

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Die Begründung in den Verbotsverordnungen zum Wetterläuten konzen­ trierte sich entsprechend auf zwei Hauptargumente: die erwiesene physikalische Schädlichkeit des Wetterläutens, das den Blitz anziehe, und die daraus resultierende Gefährdung für die läutenden Messner, vom Blitz erschlagen zu werden. Schon die erste bayerische Verordnung vom August 1783 begründete das Verbot auf diese Weise292 und in der österreichischen Verbotsverordnung vom November 1783 wurde zum Beleg der Gefährlichkeit des Wetterläutens auf die entsprechenden Erfahrungen des ablaufenden Jahres hingewiesen.293 Dasselbe galt auch für das Salzburgische Wetterläutverbot vom Februar 1785294 und für das des Hochstifts Augsburg vom Mai 1784.295 Als Beleg konnten die Obrigkeiten auf Zeitungsberichte zu den gefährlichen Folgen des Wetterläutens für die Messner verweisen (vgl. Kap. 6.2.2), aber auch auf amtliche Berichte über Blitzeinschläge in Kirchtürme und verletzte oder zu Tode gekommene Messner.296 Die religiöse Begründung des Verbots der Handlungspraktik war dagegen in den bayerischen Verordnungen von nur randständiger Bedeutung. In der Verbotserneuerung vom April 1791 wurde lediglich an die Aufgabe erinnert, das Landvolk darauf hinzuweisen, dass das beste und der Religion angemessenste Hilfsmittel gegen die Gewitter das Vertrauen auf die Gnade Gottes und das gewöhnliche Gebet um Abwendung aller Schäden sei.297 In den Verbotsverordnungen der geistlichen Territorialstaaten Augsburg und Salzburg spielte 292 Mayr, Sammlung. Band 2, 1163–1164. 293 »In diesem Jahr besonders ist diese schädliche Wirkung des Läutens von allen Orten her durch sehr häufige Beyspiele von Menschen, die bey dem Läuten selbst durch den Blitz getödtet, von Thürmen und Kirchen, die vom Donnerstrale gezündet worden, nur zu sehr bestättiget.« BayHStA Erzstift Salzburg Hofrat 652. 294 Insgesamt war man in den salzburgischen landesherrlichen Behörden von der naturwissenschaftlich erwiesenen Gefährlichkeit des Wetterläutens, das den Blitz anziehe statt ihn abzuhalten, überzeugt, was sich auch in der Argumentation der Verbotsverordnung vom 1. Februar 1785 widerspiegelte; vgl. dazu auch Schindler, Die Konflikte, 108–112. In einer Erläuterung des Verbots an das Pfleggericht Laufen vom 10. April 1786 äußerte sich der Hofrat auch zum praktizierten Wetterläuten und Wetterschießen gegen Schnee und Reif, was angesichts der Entstehung beider Phänomene durch in der Atmosphäre herrschende Kälte völlig wirkungslos sei, »wenn man die Sache nach den innerlichen Kräften der Natur beurtheilet«, so dass das Läuten und Schießen »eine eben so vergeblich, und noch vergeblichere Sache [ist], als wenn man solches gegen die Hochgewitter anwendet.« BayHStA Erzstift Salzburg Pfleggericht Laufen Akten 2881. 295 »Es ist eine aus physikalischen Gründen und Erfahrung fast allgemein für wahr angenommene Sache, daß das bisher übliche Wetterläuten sehr selten nutzbar, am öftesten hingegen schädlich seye.« BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323. 296 So berichtete das Landgericht Laufen am 25. Juni 1760 über einen Blitzeinschlag in den Glockenturm der St. Veith Kirche zu Mosen, bei dem der wetterläutende Messner vom Blitz erschlagen und ein außerdem anwesender Dienstbube schwer verletzt worden sei: BayHStA Erzstift Salzburg Pfleggericht Laufen Akten 1619. 297 BayHStA Kurbayern Mandatensammlung 1791/IV/8 und Kurbayern Obere Landesregierung 1323, abgedruckt in Mayr, Sammlung. Band 5, 463.

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die religiöse Argumentation hingegen eine bedeutendere Rolle. Die Augsburger Verordnung betonte, dass das naturkundliche Wissen um die Gefährlichkeit des Wetterläutens und die Notwendigkeit zur Reduktion der daraus entstehenden Schäden mit der bischöflichen Fürsorgepflicht in Einklang zu bringen sei, mit dem Wetterläuten die Verwüstungen durch Gewitter, in denen Gott den Teufel von Zeit zu Zeit gewähren lasse, abzuwenden. Gemäß der kirchlichen Intention sei dazu jedoch ein kurzes Glockenzeichen völlig ausreichend, wie auch Gott »die pur natürlich schädliche Wirkungen der Donnerwetter liebvoll abwende, wenn man ihn mit zerknirschtem Herzen demüthig im wahren Vertrauen darum bittet.«298 Die Salzburger Verbotsverordnung schloss gar mit einer physikotheologischen Einordnung der Gewitter, die »wie alle andere Luft- und Wetterveränderungen zu der allerweisesten Haushaltung Gottes über das Weltall mitgehören […] und daß also die Religion, und die Menschenpflicht einen jeden vielmehr dazu verbinde, bey solchen Fällen sich selbsten mit seinem Hab, und Gut dem Schutz des Allerhöchsten zu empfehlen, treuherzig auf die göttliche Vorsicht zu bauen, und dem Schöpfer der Natur zu überlassen, welche Wirkung er derselben vorgezeichnet habe.«299 Die Verdammung des Wetterläutens als abergläubische Praktik war zwar ein Topos des volksaufklärerischen Diskurses zu dieser Handlungspraktik, hatte aber einen überraschend geringen Stellenwert in der argumentativen Begründungsstruktur der Verbotsverordnungen. Die kurbayerische Verbotserneuerung von 1784 etwa begnügte sich mit einem kurzen Hinweis auf die falsche Auffassung von der Glockenweihe, da das Läuten mit den Glocken, »sohin was Weyhen sie immer haben mögen,« zu nichts anderem als zum Gebetsaufruf tauglich sei.300 Am deutlichsten wurde die Verbotserneuerung von 1806, die gleich in ihrer Präambel eine regelrechte aufklärerische Tirade gegen das Wetterläuten darstellt: »Es gereicht einem Zeitalter, welches sich durch gründlichere Kenntnisse von der Natur, und ihren Wirkungen auszeichnet, zur Schande, wenn sich offenbar zweklose, und selbst schädliche Gebräuche erhalten, welche auf älteren irrigen Vorstellungen von jenen Wirkungen, oder auf damaliger gänzlicher Unwissenheit in Ansehung derselben beruhen.« Es sei im Wetterläuten keinerlei vernünftiger Zweck erkennbar und es gehe »gegen die Gefühle, und Begriffe einer wahren Gottesverehrung, und Frömmigkeit eben so sehr, als gegen die Erfahrung, und die Wissenschaft. […] Allein noch immer weigert sich der Starrsinn des Vorurtheils, diesen gemeinnützigen Verfügungen pflichtmäßig zu gehorchen […].«301 298 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323. 299 BayHStA Salzburger Mandatensammlung 1785/II /1 und Erzstift Salzburg Literalien Nr. 809: Verordnung vom 1. Februar 1785. 300 Mayr, Sammlung. Band 2, 1485–1486. 301 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 5: Verordnung vom 24. April 1806.

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Bei der Vermittlung dieser Gründe zum Verbot des Wetterläutens wurde den Pfarrern die entscheidende Rolle zugewiesen, was bereits in der ersten bayerischen Verbotsverordnung von 1783 deutlich wurde. Auch in allen folgenden Verordnungen fehlte nicht der Verweis auf die Aufgabe der Pfarrer, ihre Gemeinden mit »Beybringung der ächten Begriffe«302 von ihren »vorgefaßten Meynungen und eingewurzelten Vorurtheilen«303 durch Unterrichtung und Predigten abzubringen. Ihnen fiel es zu, nicht nur die Verbotsverordnungen zu verkünden, sondern auch in ihren Gründen bezüglich der physikalischen Schädlichkeit des Wetterläutens sowie der Gefahr für die Messner zu erläutern. Die Salzburger Verordnung bestimmte gar, dass zukünftig jedes Jahr im Frühjahr an einem Sonntag oder zu bestimmenden Feiertag ein Hochamt zur Abwendung aller Gewittergefahr abgehalten werden sollte, in dem der Pfarrer in einer Predigt seine Gemeinde über die obigen Punkte der Verordnung nochmals zu belehren und zu ermahnen habe.304 Besonders diese Verpflichtung der Pfarrer verdeutlicht, dass es sich bei der obrigkeitlichen Reglementierungspolitik zum Wetterläuten nicht nur um reine Verbotshandlungen, sondern auch um auf die Bevölkerung zielende erzieherische Maßnahmen handelte, die im Kontext der aufklärerischen Bekämpfung von als abergläubisch angesehenen Praktiken betrachtet werden müssen. Diese Pädagogik des Wetterläutverbots war natürlich nur dann wirkungsvoll, wenn das Verbot generell durchgesetzt und aufrechterhalten wurde. Aus diesem Grund sprach sich die Obere Landesregierung auch gegen jedwede Ausnahme vom Wetterläutverbot aus, um die in vielen Suppliken ersucht wurde. Anlässlich einer solchen Eingabe der Pfarrgemeinde Schliersee verwies die Obere Landesregierung auf die allgemeine Infragestellung der Reglementierungspolitik zum Wetterläuten, sollten hier Dispense gewährt werden. Jetzt Ausnahmegenehmigungen zu erteilen, werde nichts anderes bewirken, als die Leute in ihrer Dummheit, ihrem Eigensinn und ihrer Widersetzlichkeit zu bestärken und ihren Glauben noch zu schüren, dass das Verbotsmandat zum Wetterläuten wieder aufgehoben werde. Das Ärgste sei aber, dass hierdurch die landesherrliche Autorität untergraben werde und man sich im Ausland, wo diese segensreichen Verbotsverordnungen ebenfalls gelten, lächerlich mache.305 Auf diesen gefährlichen Vorbildcharakter von Ausnahmeregelungen wies die Obere Landesregierung auch anlässlich tatsächlich erteilter Dispense hin, wie im Falle der Untertanen der freiherrlich Hörwarthischen Hofmark Hohenburg, denen er 302 Verordnung vom 1. August 1783 in Mayr, Sammlung. Band 2, 1163–1164. 303 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Verordnung des Hochstifts Augsburg vom 1. Mai 1784. 304 BayHStA Salzburger Mandatensammlung 1785/II /1 und Erzstift Salzburg Literalien Nr. 809: Verordnung vom 1. Februar 1785. 305 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Schreiben der Oberen Landesregierung vom 27. Juni 1788.

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laubt worden war, aufgrund der besonderen Bedingungen ihrer topographischen Lage gegen das Wetter zu läuten, um Hagelschlag zu verhindern.306 Die Obere Landesregierung protestierte gegen diesen Beschluss und verwies unter anderem darauf, dass das Wetterläuten nicht nur völlig wirkungslos gegen Hagelschlag sei, sondern diese Genehmigung zum Läuten auch dazu führen werde, dass in kurzer Zeit in allen anderen Orten das Wetterläuten dem Generalmandat zum Trotz ebenfalls praktiziert werde.307 Der pädagogische Aspekt der Reglementierungspolitik zum Wetterläuten wird ebenfalls in der Indienstnahme der medialen Öffentlichkeit durch die kurbayerische Obrigkeit deutlich, in der regelrechte Kampagnen gegen das Wetterläuten zu beobachten sind. Bereits im Zusammenhang mit der ersten Verordnung zum Wetterläuten von 1773 hatte Ildephons Kennedy die Anweisung erhalten, auf der Grundlage der Gutachten von Anton Barth und der Akademie der Wissenschaften einen Artikel zu verfassen, der die Öffentlichkeit über die physikalischen Aspekte des Wetterläutens und -schießens belehren sollte.308 Kennedy war diesem Auftrag, einen »dem gemeinen Manne […] begreiflichen« Aufsatz zu verfassen, auch nachgekommen,309 der anschließend in Kohl­brenners Intelligenzblatt abgedruckt wurde.310 Kennedy wies in seinem Artikel zunächst auf die naturwissenschaftliche Entschlüsselung des Gewitters auf der Grundlage der Elektrizitätsforschung hin, vor deren Hintergrund wiederum die Praktiken der Gewitterabwehr untersucht worden seien, von denen man einige gänzlich und andere zum Teil verwerfen müsse, wie das Wetterläuten und Wetterschießen. Weil aber die Naturforscher nicht ohne letzten Zweifel diese Praktiken widerlegen konnten, außerdem die Erfahrung als beste Lehrmeisterin teilweise gute Erfolge vorzuweisen scheine und weil der gemeine Mann in seinen Gewohnheiten und Frömmigkeitsansichten beharre, komme es jedoch in erster Linie darauf an, wie beide Praktiken ohne Schaden und mit dem meisten Nutzen einzusetzen wären. Kennedy drückte hier also einen grundlegenden Skeptizismus gegenüber dem Wetterläuten, aber auch -schießen aus, der die Position der Verordnung von 1773 bestimmte. Beide Praktiken waren laut Kennedys Argumentation nur deshalb nicht restriktiver behandelt worden, weil man einerseits nicht aus gesammelten Erfahrungen und mit letzter naturwissenschaftlicher 306 BayHS tA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Kurfürstliche Resolution vom 4. Juni 1792 an die Obere Landesregierung. 307 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Schreiben der Oberen Landesregierung vom 11. Juni 1792. 308 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 5: Schreiben des Policeyrats an Ildephons Kennedy vom 1. Juli 1773. 309 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 5: Schreiben Ildephons Kennedys an den Policeyrat vom 17. Juli 1773. 310 Für das folgende Ildephons Kennedy, Wann ist das Läuten mit den Glocken, und das Schießen aus Stucken bey Hochgewittern zu gebrauchen, und wie weit ist es nützlich oder schädlich, in: Churbaierisches Intelligenzblatt 1773, 21. August (Nr. XVIII), 224–226.

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Sicherheit eine nützliche Wirkungsweise des Läutens und Schießens ausschließen könne und andererseits der gemeine Mann sowieso in seinen Ansichten zu beiden Handlungspraktiken beharren würde. Eine Reglementierung der beiden Abwehrmethoden, die lediglich Rahmenbedingungen für ihre Praktizierung setzte, um ihre Erfolgsaussichten zur Gewitterabwehr zu erhöhen und eventuelle schädliche Folgen zu minimieren, erschien daher als die klügere Variante. Diese Position hatte sich dann zu Beginn der 1780er Jahre grundlegend gewandelt, als die Gefahren des Wetterläutens in den Vordergrund gestellt wurden, um ein Verbot zu legitimieren. Für den erzieherischen Aspekt des Wetterläutverbots konnte sich die Obrigkeit auch des volksaufklärerischen Diskurses ganz direkt bedienen, um die Bevölkerung von der Gefährlichkeit und Schädlichkeit des Wetterläutens zu überzeugen. Im Falle des Salzburger Wetterläutverbots von 1785 legte die entsprechende Verordnung des Erzstifts den eigenen Pfarrern und örtlichen Beamten ausdrücklich Johann Nepomuck Fischers Schrift gegen das Wetterläuten ans Herz, die ihnen bereits im vorigen Jahr zugeteilt worden war, um den gemeinen Mann auf seiner Grundlage über das Wetterläuten zu belehren und auf das Verbot desselben vorzubereiten.311 Tatsächlich hatte das Erzstift bereits Anfang 1784 den größten Teil der ersten Auflage von Fischers Werk beim Verleger Crätz in München aufgekauft und an seine Beamten und Pfarrer verteilt.312 Fischer hatte sein Traktat auch explizit als Informationsquelle für die Beamten und Pfarrer auf dem Land geschrieben, um ihnen Argumente und inhaltliches Wissen zur ›Physik‹ des Wetterläutens an die Hand zu geben, damit sie die Untertanen in ihren Amtsbezirken und Gemeinden desto besser vom Nutzen des Wetterläutverbots vom Vorjahr überzeugen konnten.313 Im Gefolge des volksaufklärerischen Topos vom aufklärungsunwilligen und dumpfen Bauernstand ermunterte er die Pfarrer und Beamten, sich in ihrer Aufklärungsarbeit nicht von Sturheit und trägem Festhalten der Landbevölkerung am Althergebrachten entmutigen zu lassen, indem er auf die erreichten Erfolge verwies, zu denen er das Wetterläutverbot zählte.314 Nicht alle Wortmeldungen im volksaufklärerischen Diskurs gegen das Wetterläuten waren dabei so harsch formuliert wie in Fischers Traktat, der das Wetterläuten mit den Lärmbräuchen heidnischer Völker verglich, »welche bey 311 BayHStA Salzburger Mandatensammlung 1785/II /1 und Erzstift Salzburg Literalien Nr. 809: Verordnung vom 1. Februar 1785. 312 BayHStA GR Faszikel 1206 Nr. 6: Schreiben des Münchner Buchhändlers und Verlegers Crätz vom 18. März 1784 an die Obere Landesregierung. Ein Hinweis dazu findet sich auch im Vorwort der zweiten Auflage des Werks: Johann Nepomuck Fischer, Beweis, daß das Glockenläuten bey Gewittern mehr schädlich als nützlich ist. Nebst einer allgemeinen Untersuchung ächter und unächter Verwahrungsmittel gegen die Gewitter. 2. Aufl. München 1784, 5–6. 313 Fischer, Beweis, 5–10. 314 Ebd., 10.

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Mondesfinsternissen mit Becken, Pfannen, Kesseln, und anderen klingenden Werkzeugen ein Getöse zu machen, und dem Monde zuzurufen pflegen: Mond, siege!«, und seine Verteidiger als »Zelote[n] für das Gewitterläuten« lächerlich machte.315 In anderen medialen Beiträgen wurde die Überzeugung von der Notwendigkeit der Abstellung und Abschaffung des Wetterläutens argumentativ vertreten. So sprach sich ein Beitrag im Intelligenzblatt deshalb für ein Verbot der Handlungspraktik aus, weil das Läuten bei Gewitter erwiesenermaßen den Blitz anziehe und dieser dann durch die Kirchturmspitze, die Glocken und das Glockenseil hinabfahre und alles zerschmettere, was ihm dabei in den Weg komme. Wie in den Verbotsverordnungen auch wurde die Gefährlichkeit des Wetterläutens mit den gemachten schlechten Erfahrungen, »daß in 100 Jahren auf eine Gegend von 18 zusammenhangenden Pfarrbezirken der Donner gewiß 36mal eingeschlagen, und daß er hierunter gewiß 17 Kirchenthürme in 100 Jahren betroffen, die Läuter, die Meßner beschädiget, oder gar getödtet, oder in die Häuser nächst dem Kirchthurm eingeschlagen habe«, begründet.316 Dabei wurde in der medialen Kampagne auch der Bezug zur falschen Auffassung von der Glockenweihe, der bereits in den volksaufklärerischen Traktaten zum Wetterläuten auftauchte, hergestellt und das Verbot des Wetterläutens gegen religiöse Kritik, die sich auf den Weihestatus der Glocken gründete, verteidigt, wie in einem von einem Pfarrer für das Intelligenzblatt verfassten Artikel.317 Zusätzlich zur Erläuterung der kirchlichen Weihe wies der Artikel auch darauf hin, das heilsames und nützliches Glockenläuten im Zusammenhang mit der Gewitter- und Hagelabwehr nicht verboten worden sei: das Läuten bei den Wettersegnungen nach dem gewöhnlichen Gottesdienst, um für die Abwendung von Unwettern zu bitten, das Läuten bei der feierlichen Prozession mit dem hochwürdigsten Gut, wozu mit dem Absingen der Evangelien auch ein Wettersegen gehöre, das Läuten beim Heraufziehen eines Unwetters, um zum Gebet zu mahnen und den Segen des Allmächtigen zu erflehen, sowie das Läuten nach Ende des Unwetters, um zur Danksagung aufzurufen. Der (reale oder fiktive?) Pfarrer klagte in seinem Aufsatz auch über die hartnäckigen Vorurteile seiner Gemeinde, die zu überwinden ihm schwerfalle: »Es ist, wahrlich, für einen Pfarrer eine verdrüßliche Sache, […] daß man euch die eingewurzelten Vorurtheile nicht aus dem Kopfe bringen kann: ihr behar 315 Ebd., 23–24. 316 Patriotische Gedanken über die Oekonomie, Reinigkeit und wahre Schönheit in den Kirchen-Gebäuden. (Fortsetzung), in: Churbaierisches Intelligenzblatt 1774, 13. August (Nr. XVII), 219. 317 VII . Ein Wort an den Landmann über das landesherrliche Verboth des Wetterläutens, in: Kurpfalzbaierisches Intelligenzblatt 1785, 25. Jänner (5. Stück), 35. Dabei sei dahingestellt, ob es sich hier um einen echten Pfarrer handelt oder nur um eine Autorenfiktion des Intelligenzblattes, um dem Artikel den Anstrich von Authentizität und damit Glaubwürdigkeit zu geben.

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ret noch hartnäckig darauf, wenn euch die stärksten Beweggründe, ja selbst die eigene Erfahrung von dem Gegentheil überzeuget.«318 Die Akzeptanz des Wetterläutverbots wird schlussendlich vermittels einer Theologisierung des Gehorsams gegenüber dem Landesherrn als von Gott eingesetzter Obrigkeit begründet, wobei die sonst kritisierte Straftheologie herhalten muss, um die Furcht vor Unbotmäßigkeit gegenüber der Obrigkeit zu begründen: »[L]asset uns seine [Gottes, P. R.] Barmherzigkeit mit kindlicher Zuversicht anrufen, damit Er die Geisel seines Zorns, welche wir mit unsern Sünden verdienen, gnädig abwende. Und damit wir den Allmögenden leichter zum Erbarmen bewegen, lasset uns die heilsamen Verordnungen unsers gnädigsten Landesvaters, ohne Murren, ohne Klagen, ohne Eigensinn, mit kindlicher Unterwirfigkeit vollziehen. […] Aber auch die Strafe von oben wird nicht ausbleiben, wenn ihr hierinn den schuldigen Gehorsam länger widerspenstig verweigeret […].«319

Diese Werbung in der medialen Öffentlichkeit gegen das Wetterläuten und für sein Verbot wurde noch durch Rezensionen der volksaufklärerischen Traktate in der Presse begleitet. Johann Nepomuck Fischers Schrift gegen das Wetterläuten wurde als ausgezeichneter Kommentar zum Wetterläutverbot angepriesen320 und bei Joseph von Boslarns Werk zum Glockenläuten bei Gewitter wurde auf seine hilfreiche Auflistung von Verhaltensregeln im Falle eines Gewitters hingewiesen.321 Das führte bis hin zum Teilabdruck von volksaufklärerischen Traktaten wie Joseph Webers dialogischem Werk zu den Verwahrungsmitteln gegen das Gewitter.322 Selbst Humor kam im Dienste der aufklärerischen Sache zum Einsatz!323 Diese medial geführte und in Traktaten vorgebrachte volksaufklärerische Kampagne gegen das Wetterläuten fand wiederum Unterstützung bei der kurbayerischen Landesherrschaft. So erhielt Johann Nepomuck Fischer zunächst 318 Ebd., 37. 319 Ebd., 37–38. 320 XVII. Literaturkunde, in: Kurpfalzbaierisches Intelligenzblatt 1784, 22. Jenner (4. Stück), 26–27. 321 Artic. VIII . Baierische Litteratur, in: Churbaierisches Intelligenzblatt 1775, 16. December (Nr. XXXIX), 469–470. 322 Joseph Weber, X. Herrn Professor Webers in Dillingen Unterricht von den Verwahrungsmitteln gegen die Gewitter für den Landmann in einem Gespräche zwischen einem Herrn Dorfpfarrer und Schulmeister, in: Kurpfalzbaierisches Intelligenzblatt 1785, 4. Juny (31. Stück), 239–242. 323 »Vor einiger Zeit kamen Deputirte aus dem Unter-Innthal nach I – –, und bathen um die Erlaubniß des Wetterläutens bey Gewittern, welches untersagt worden sey. Man antwortete ihnen: Daß der Kaiser keinen solchen Aberglauben in seinen Staaten dulden wolle. Sie replicirten aber darauf: Vermög des Toleranzedikts müßten alle Glauben in den kaiserlichen Staaten geduldet werden, also auch wohl der Aberglaube!«; XX . Anekdote, in: Kurpfalz­baierisches Intelligenzblatt 1788, 28. December (33. Stück), 264.

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durchaus Zuspruch vom bayerischen Kurfürsten, dass ihn sein »lobenswürdiger patriotischer Eüfer« veranlasst habe, seine Abhandlung gegen das Wetterläuten zu verfassen, und machte ihm Aussicht auf weitere Belohnung in der Zukunft.324 Fischers Verleger, der Münchner Buchhändler Joseph von Crätz, ergriff diese Gelegenheit beim Schopf und supplizierte an die Obere Landesregierung, um die Obrigkeit zum Aufkauf der zweiten Auflage zu bewegen. Er selbst habe die Idee zu dem Werk gehabt, nachdem er über das segensreiche Verbot des Wetterläutens bei der Bevölkerung sowohl in der Stadt als auch auf dem Land »eine Menge schiefer Räsonements« gehört habe, und Fischer habe dann auch glänzend geliefert. Für die sehr aufklärungsbedürftigen Beamten und Pfarrer in Bayern selbst wollte er nun eine zweite Auflage verfertigen und regte an, ob man nicht von Seiten der Regierung einen Schwung an Exemplaren zur Verteilung an die eigenen Beamten aufkaufen wolle, wofür er einen Preisnachlass gewähren wolle.325 Die Obere Landesregierung unterstützte diesen Vorschlag und empfahl dem Kurfürsten auf der Grundlage des Angebots von Crätz den Druck von 4.000 Exemplaren zu gestatten, um sie an die Gerichtsbeamten und Pfarrer zu verteilen, damit »das publicum von den schädlich Vorurtheillen befreyet werde«.326 Der Kurfürst bzw. der Geheime Rat lehnten diesen Vorschlag jedoch ab, und zwar nicht weil man dem Aufklärungsanliegen von Fischers Schrift und seinen Argumenten gegen das Wetterläuten nicht beigepflichtet hätte. Wie bereits behandelt wurde, hatte Fischer in seinem Werk auch den Hemmerschen Blitzableiter bzw. dessen mehrspitzige Form heftig kritisiert. Das wirkte sich nun zu seinem Nachteil aus, da das kurfürstliche Rescript in seiner Begründung der Ablehnung einer Förderung auf genau diese Kritik an Hemmers Blitzableiter verwies: Fischers Werk solle die beantragte obrigkeitliche Förderung deshalb nicht erhalten, »weil durch die darin wegen den Wetterleitern aufgeworfenen blos theoretischen, durch Versuche nicht bestättigten, der bisher in der Ausführung gutgefundenen Erfahrung widersprechenden Sätze und Meynungen nur mehr Verwirrung als Gutes angerichtet werden könnte.«327 324 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 6: Schreiben Kurfürst Karl Theodors an Johann Nepomuk Fischer vom 23. Januar 1784. 325 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 6: Supplik des Joseph von Crätz an die Obere Landesregierung vom 18. März 1784. 326 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 6: Schreiben der Oberen Landesregierung »Ad Manus Serenissimi« vom 31. März 1784. 327 Mayr, Sammlung. Band 4, 668–669. Ein Extract aus dem Rescript vom 9. Juli 1784 auch in BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 6. Inwiefern hier ein Konflikt zwischen Hemmer und Fischer die Ursache für diese Ablehnung obrigkeitlicher Förderung war, muss an dieser Stelle offen bleiben. Möglich scheint es auf jeden Fall, dass Hemmer als Inhaber zahlreicher Hofämter und angesehener, nicht nur in Bezug auf den Blitzableiter, sondern auch als Meteorologe und Sprachforscher tätiger und bestens vernetzter Wissenschaftler ein besseres Ansehen und eine höhere Glaubwürdigkeit als Fischer genoss. Es ist aber genauso denkbar, dass der Geheime Rat tatsächlich befürchtete, dass das Projekt der Blitzableiterförderung in Kurbayern durch

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Dass hier eine, wenn auch nicht systematische und koordinierte, obrigkeitliche Öffentlichkeits- und Publikationsstrategie zur Akzeptanzerhöhung für das Wetterläutverbot zu beobachten ist, lässt sich auch an der landesherrlichen Zensurpolitik zu Werken, die das Wetterläuten betrafen, ersehen. Fischers Werk gegen das Wetterläuten hatte selbstverständlich die Druckerlaubnis erhalten.328 Auch ein zur Veröffentlichung beabsichtigter »Katechismus vom Benediciren, Wetterläuten, Wettersegen und Blitzableitern«, den der Buchhändler Joseph Lindauer beim Bücherzensurkollegium einreichte, erhielt das Imprimatur.329 Anderen Werken, die man als nicht förderlich für die Reglementierungspolitik zum Wetterläuten ansah, wurde die Druckerlaubnis hingegen verweigert. So wurde das Werk des Benefiziaten zu Giebing, Joseph Maximilian Eberle, zum Wetterläuten abgelehnt, weil es dermaßen schlecht geschrieben, aber vor allem »mit so vielen theologischen und physicalischen Fehlern angefüllt, überhaubt ein solch elendes Gewäsch« sei, dass sein Druck weder dem Autor noch dem Zensurkollegium Ehre machen würde.330 Trotz der immer wieder erneuerten Verbotsverordnungen und der fortgesetzten aufklärerischen, medial und durch Publikationen transportierten Kampagnen gegen das Wetterläuten blieben diese Handlungspraktik der Gewitterabwehr und die mit ihr verbundene Vorstellung einer physikalischen Einflussnahme auf das Gewitter, aber auch mit dem Läuten verbundene religiöse Deutungsmuster sehr lebendig. Die kurbayerische Landesherrschaft musste sich nach 1783 mit einer Welle von Suppliken auseinandersetzen, die um Ausnahmen vom Wetterläutverbot oder um dessen gänzliche Aufhebung ersuchten.331 Beispielsweise richteten die Untertanen der Pfarre Au im Pfleggericht Aibling eine Eingabe an den Geistlichen Rat, in der sie Klage darüber führten, dass seit dem Verbot des Wetterläutens ihr Ort sehr viel stärker von Schauerwettern getroffen worden sei als benachbarte Orte, in denen man das Wetterläuten angeblich teilweise wieder erlaubt habe. Im Sinne der »allgemeine[n] gleichheit« müsse das Wetterläuten daher entweder gänzlich und überall untersagt werden oder überall erlaubt sein.332 Aus den Suppliken wird auch deutlich, dass die mit dem Wetterläutverbot einhergehende Aufklärung der Bevölkerung über abergläubische Fischers Kritik an Hemmers Konstruktion leiden könnte, wenn sein Werk eine weite Verbreitung unter den Beamten und Pfarrern erlangen sollte. 328 BayHStA Kurbayern Bücherzensurkollegium 480: Schreiben des Bücherzensurkollegiums an Johann Nepomuck Fischer vom 6. Oktober 1783. 329 BayHStA Kurbayern Bücherzensurkollegium 286: Schreiben des Bücherzensurkollegiums an Joseph Lindauer vom 9. September 1795. 330 BayHStA Kurbayern Bücherzensurkollegium 479: Schreiben des Bücherzensurkollegiums an Joseph Maximilian Eberle vom 8. April 1778. 331 Dasselbe traf auch im Erzstift Salzburg zu, vgl. dazu Schindler, Die Konflikte, 112–114. 332 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 5: Supplik der Untertanen der Pfarre Au im Pfleggericht Aibling an den Geistlichen Rat vom 14. Mai 1790.

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und falsche Ansichten zum Wetterläuten keineswegs so wirksam war, wie sich das die Obrigkeit erhofft hatte. So bat der Stadtpfarrer in München, Fr. Xaver Nepomuk von Scherer, in einem Gesuch an die Obere Landesregierung darum, angesichts der kommenden Gewittersaison mit der großen St. Benno Glocke seiner Kirche im Rahmen der Vorschriften zum Wetterläutverbot bei Gewitter läuten zu dürfen. Da die Stadtbevölkerung zum Hl. Benno als dem Stadtpatron ein hohes Zutrauen habe, könne durch diese Lösung das allenthalben zu hörende Murren gegen das Wetterläutverbot zum Schweigen gebracht und die Situation wieder beruhigt werden.333 Die Obere Landesregierung zeigte sich von dieser und anderen Suppliken zum Wetterläuten alles andere als angetan. In einem Bericht zum Stand des Wetterläutverbots hob sie die zahlreichen Verbotsverstöße hervor und machte auf die hohe Zahl der Eingaben mit der Bitte um eine Genehmigung zum Läuten bei Gewitter aufmerksam. In dieser Sache habe man bereits einige Geldstrafen in Höhe von 20 Rtl. verhängt, was man nun angesichts der vielen Verbotsverstöße wohl generell androhen müsse.334 Am meisten empörte sich die Obere Landesregierung jedoch über die Pfarrer, die entgegen der Bestimmungen der Verbotsverordnung ihre Gemeinden nicht über die Schädlichkeit des Wetterläutens und die mit ihm verbundenen Vorurteile aufklärten.335 Entsprechend warf die Obere Landesregierung dem Münchner Stadtpfarrer Scherer in ihrem Antwortschreiben vor, dass dessen »überflüsige[r] bericht« selbst von jenen Vorurteilen gekennzeichnet sei, die er doch eigentlich bekämpfen sollte. Er solle sich besser durch die Schrift von Fischer gegen das Wetterläuten belehren lassen und im übrigen alle »von irwahn und Vorurtheil eingenomene leuthe, von distinction oder vom Pöbel«, die noch auf dem Läuten der großen Benno-Glocke bestünden, melden und über ihren Irrtum aufklären.336 Für die Obere Landesregierung ging es beim Wetterläutverbot um die Wohlfahrt des ganzen Landes, wie einer gutachterlichen Stellungnahme zu entnehmen ist, die sie zu einer Supplik der Untertanen der preysingischen Herrschaft Hohenaschau mit der Bitte um Erlaubnis zum Wetterläuten verfasste: Es sei allgemein bekannt, dass in der vormaligen Zeit, als beständig gegen das Wetter geläutet wurde, kein Jahr vergangen sei, in dem nicht durch Donner- und Schau 333 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Supplik des Fr. Xav. Nep. von Scherer, Stifts- und Stadtpfarrer in München, an die Obere Landesregierung vom 24. Juni 1784. 334 Dieser Bericht der Oberen Landesregierung wurde kurz vor der Erneuerung des Wetterläutverbots am 9. Juli 1784 verfasst, woraus ersichtlich wird, dass die Strafbestimmungen in der entsprechenden Verordnung auf eine bereits zuvor eingeführte Praxis der Behandlung von Verstößen gegen das Wetterläutverbot zurückgingen. 335 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Bericht der Oberen Landesregierung vom 30. Juni 1784. 336 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Schreiben der Oberen Landesregierung an den Münchner Stadtpfarrer Scherer vom 30. Juni 1784.

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erwetter Schäden an Personen, Häusern und Feldfrüchten entstanden seien. Was die Todesfälle und die Feuersbrünste in den Kirchtürmen angehe, seien diese früher viel häufiger vorgekommen als in der Zeit nach der Abschaffung des Wetterläutens. Die Supplikanten aus Hohenaschau und auch andere Bittsteller mit gleichem Anliegen seien aus diesen Gründen abzuweisen und an das geltende Verbot zu erinnern.337 Von dieser Meinung rückte die Obere Landesregierung auch angesichts bewilligter Ausnahmegenehmigungen zum Wetterläuten nicht ab, wie im Falle der Gemeinde in Königsdorf, der »das Läuten bey Gewitter nach bestehende[m] General Mandat« durch kurfürstliche Resolution erlaubt worden war.338 Das kritisierte die Obere Landesregierung wiederum als missverständliche Auslegung der Verbotsverordnung und sprach sich gegen jede Ausnahmeregelung aus.339 Wie aus den Verbotsverordnungen selbst und den Suppliken sowie der sie betreffenden Verwaltungskommunikation bereits hervorgeht, wurde häufig gegen das Wetterläutverbot verstoßen. Sowohl aus dem Bayerischen als auch aus dem Salzburgischen waren Fälle bekannt, in denen Gemeinden das Wetterläuten erzwangen, indem sie sich Zugang zum Glockenturm verschafften und selbst die Glocken läuteten oder die Messner mit Androhung oder tatsächlicher Ausübung von Gewalt dazu zwangen.340 Eine weniger gewalttätige Form des Widerstandes war der öffentliche Protest gegen das Wetterläutverbot. So beschwerte sich ein Bauer in der Gemeinde Obing im Landgericht Trostberg beim Pfarrer dagegen, dass dieser das Wetterläuten nicht zulassen wollte, und ließ sich auch dadurch nicht überzeugen, dass ihm der Pfarrer die entsprechende Verbotsverordnung aus dem Intelligenzblatt vorhielt. Er schimpfte auch weiterhin öffentlich gegen das Wetterläutverbot und auf den Pfarrer, wofür ihm vom Landgericht Trostberg die Strafe auferlegt wurde, sich beim Pfarrer zu entschuldigen und die Verbotsverordnung zum Wetterläuten öffentlich aus dem Intelligenzblatt zu verlesen.341 Die landesherrliche Obrigkeit versuchte gegen diese Verbotsverstöße wiederum mit Bestrafungen vorzugehen, wie sie in den Verbotsverordnungen vorgesehen waren: Im Juli 1785 wandte sich die Bäuerin Walburga Kranz in einer Supplik an den Fürstbischof von Freising und bat darum, dass ihrem Mann die wegen verbotenen Wetterläutens vom Vizedomamt und Landgericht Freising auferlegte Strafe von 20 Rtl. erlassen werden möge.342 Das Vizedomamt wies zur 337 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Schreiben der Oberen Landesregierung vom 30. September 1788. 338 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Kurfürstliche Resolution an die Obere Landesregierung vom 10. August 1793. 339 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Schreiben der Oberen Landesregierung vom 19. August 1793. 340 Für Salzburg vgl. Schindler, Die Konflikte, 108. 341 Brittinger, Die bayerische Verwaltung, 18–19. 342 BayHStA HL 3 Fasz. 320 Nr. 28.

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Rechtfertigung für die Strafe darauf hin, dass der verurteilte Bauer kurbayerischer Untertan sei und in der freisingischen Hofmark Burg- und Wippenhausen lebe, die dem kurbayerischen Pfleggericht Kranzberg zugehörig sei.343 Deshalb habe es keine andere Wahl gehabt, als den Verbotsverstoß gemäß der geltenden bayerischen Verordnungen zu ahnden. Darüber hinaus habe der Verurteilte die Strafe auch verdient, da er die beiden Messner von Burg- und Wippenhausen mit Drohungen zum Wetterläuten gezwungen habe. Da der Supplikant »aus einen blossen, und widersässigen hochtrabenden Baurn Stolz zum Hohn, und Verachtung der g[nä]di[g]sten Verordnung« das Verbot missachtet und sich als Aufrührer gezeigt habe, sei die Verurteilung gerechtfertigt.344 Die beiliegende Abschrift des Verhörprotokolls enthält die Aussage der Messner von Burg- und Wippenhausen, dass sie gegen das Wetter geläutet hätten, weil ihnen der Bauer Joseph Kranz versichert habe, dass er im Falle einer Bestrafung diese auf sich nehmen werde und ihnen die Läutgarben vorenthalten werde, wenn sie sich weigerten zu läuten. Joseph Kranz selbst scheint diese Vorwürfe auch nicht bestritten zu haben, da er laut Verhörprotokoll sein Tun mit der Aussage rechtfertigte, dass die Untertanen durch Unterlassen des Wetterläutens mehr Schäden zu erleiden hätten als vorher.345 In einer erneuten Supplik an den Freisinger Fürstbischof betonte Joseph Kranz, dass er das Wetterläuten keineswegs aus Verachtung der landesherrlichen Verordnung veranlasst habe. Vielmehr habe er seine auf dem Berghang gelegenen Felder, die den Hochgewittern besonders ausgesetzt seien, schon wegen Schneedrucks und einem Wolkenbruch zum dritten Mal neu bebauen müssen. Er sei daher um seine Feldfrüchte sehr besorgt gewesen und habe deshalb in der Beklemmung seines Herzens auf das von der Römisch-katholischen Kirche seit vielen Jahrhunderten approbierte Läuten der geweihten Glocken bei Hochgewitter sein Vertrauen gesetzt. Deshalb könne dieser Fehler, »wenn es ja im innerlichen Betracht ein Fehler seyn sollte«, unmöglich für so gravierend gehalten werden, dass dafür er, sein Weib und seine Kinder mit einer ruinösen Strafe belegt werden müssten.346 Mit dieser Berufung auf den Traditionscharakter des Wetterläutens und seine Approbiertheit durch die Kirche selbst hatte Kranz jedoch kein Glück, da er mit der Begründung abgewiesen wurde, dass er sich mit seiner Bitte an die kurbayerische Hofkammer wenden müsse.

343 Damit war der Bauer zugleich grundherrlicher niedergerichtlicher Untertan des Fürstbischofs von Freising und hochgerichtlicher landesherrlicher Untertan in Kurbayern. 344 BayHStA HL 3 Fasz. 320 Nr. 28: Schreiben des Vizedoms und Landpflegers zu Freising an den Fürstbischof vom 9. Juli 1785. 345 BayHStA HL 3 Fasz. 320 Nr. 28: Extrakt aus dem Verhörprotokoll des freisingischen Hofmarksgerichts Burg- und Wippenhausen vom 5. Juli 1785. 346 BayHStA HL 3 Fasz. 320 Nr. 28: Supplik des Joseph Kranz vom August 1785 an den Freisinger Fürstbischof.

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So wie bezüglich der Ausnahmegenehmigungen zeigte sich die Obere Landesregierung auch im Falle von Strafnachlässen bei verbotenem Wetterläuten unnachgiebig. Im November 1795 ersuchten die im Pfleggericht Wolfratshausen gelegenen Gemeinden Piesenkam und Bayrawies zum wiederholten Mal in einer Supplik um einen Nachlass der ihnen auferlegten Strafe von insgesamt 45 Rtl. wegen verbotenen Wetterläutens. Sie argumentierten, dass sie das Wetterläuten nicht aus Ungehorsam gegen die landesherrliche Verordnung praktiziert hätten, »sondern vielmehr aus einem wahren Zutrauen auf Gott, und das Gebeth«.347 Bereits im August hatte sich die Obere Landesregierung in einem Gutachten zunächst zum Gesuch der Gemeinde Piesenkam ablehnend geäußert, da keinerlei Umstände erkennbar seien, die einen Strafnachlass rechtfertigen würden.348 Im September wies sie auch das gleiche Bittgesuch der Gemeinde Bayrawies zurück, da die Entschuldigungsgründe der Supplikanten auch aus anderen Fällen hinlänglich bekannt seien. Die Obere Landesregierung äußerte sich hier auch allgemein zur Frage, wie dem gemeinen Landmann seine falschen Ansichten zum Wetterläuten zu nehmen seien. Nur durch die nach und nach erfolgende Erziehung und Unterrichtung der Landjugend, die Belehrung durch aufgeklärte Seelsorger sowie zu verbreitende Volksschriften sei das Vorurteil zum Wetterläuten abzustellen. Diesen langfristigen Erziehungsplan sah die Obere Landesregierung nun durch Strafnachlässe gefährdet: Es sei die Aufgabe der Regierung darauf zu achten, dass das Vorurteil nicht bestärkt, der Ungehorsam bestraft, keine Ausnahmen zugelassen, keine Strafnachlässe bewilligt und das Volk nach und nach durch Befolgung der Verbotsverordnung an die Abschaffung gewöhnt und wenn nicht aus Überzeugung so doch aus Notwendigkeit zur Beachtung gezwungen werde.349 Letztlich ließ sich der Kurfürst jedoch von dieser Argumentation gegen die Strafnachlässe nicht überzeugen und kam dem Ersuchen der beiden Gemeinden Piesenkam und Bayrawies nach.350 Die von der Oberen Landesregierung skizzierte allmähliche Aufklärung der Bevölkerung durch Erziehung und Überzeugung zur Durchsetzung des Wetterläutverbots zeigte jedoch nur wenig Wirkung, wie aus den wiederholten Verbotserneuerungen, den behandelten Suppliken zum Wetterläuten und den Verbotsverstößen ersichtlich wird. Im Jahr 1801 berichtete Lorenz Hübner dem Geistlichen Rat über Regionen in Bayern, in denen nach wie vor gegen das Wetter geläutet werde. Seine Angaben bezögen sich nicht nur auf Bayern, »sondern auch 347 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Supplik der Gemeinden Piesenkam und Bayrawies im Pfleggericht Wolfratshausen [Eingangsdatum 12. November 1795]. 348 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Schreiben der Oberen Landesregierung vom 24. August 1795. 349 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Schreiben der Oberen Landesregierung vom 2. September 1795. 350 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Resolution an die Obere Landesregierung vom 3. Dezember 1795.

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auf das angränzende Tyroll, […] wo ich immer, auch über jedem Wetterregen, sowohl in der Stadt Kufstein selbst, als in den benachbarten Ortschaften alle Glocken über Wetter, wo keines war, brummen hörte.« Hübner listete eine ganze Reihe teilweise von ihm persönlich bereister bayerischer Orte auf,351 in denen gegen das Wetter geläutet werde bzw. in denen es Auseinandersetzungen und Konflikte um das Wetterläuten gegeben habe oder gebe.352 Auch zu Beginn des 19. Jahrhunderts war das Wetterläuten also nicht verschwunden. Im Gegenteil sind auch hier viele Suppliken und Amtsberichte überliefert, die diese Handlungspraktik behandeln.353 Die amtlichen Berichte und Beschwerden führten Klage über das fortgesetzte Wetterläuten und ersuchten darum, »diesen Unfug abzustellen«.354 Dabei war jedoch in der Behandlung des Wetterläutens in den im Zuge der Napoleonischen Kriege neu erworbenen Landesteilen besonderes Fingerspitzengefühl gefragt. Allgemein konnte sich hier der Widerstand gegen das bayerische Besatzungsregime auch in Form des Widerstands gegen die obrigkeitliche Reglementierung von Frömmigkeitspraktiken ausdrücken. In Tirol waren sich die bayerischen Amtsleute und Pfarrer dieser Möglichkeit durchaus bewusst, wie ein Schreiben des Vikars in Going, Maximilian Joseph Kriechbaum, zeigt. Er beschwerte sich hierin nicht nur über die allgemeine Sittenlosigkeit, sondern auch über die bewussten und gezielten Gesetzesübertretungen der Tiroler bezüglich eingeschränkter Frömmigkeitspraktiken: »Die weisesten Gesetze, als Abwürdigung der Feyrtage, Kreutzgänge [etc.] werden von Hausleuten stolz pragend übertretten, und so erlaubt sich der abergläubische dumme Tyroler auf das neue wieder Alles, und glaubet, und setzet auf unsittliche Vorurtheile die Krone seines Sieges, und redet sich stolz in das Ohr, wenigst haben wir hierin das Feld erhalten.«355 Das Generalkommissariat des Salzachkreises reflektierte diese Problematik in einem Bericht vom Mai 1811 an das Ministerium des Inneren:356 Einerseits 351 Lorenz Hübner erwähnt hier vor allem Orte in den alpennahen Gerichtsbezirken Traunstein, Marquartstein und Reichenhall, die in der Folge Weisung erhielten, das in ihren Regionen nach wie vor praktizierte Wetterläuten sofort abzustellen; BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 5: Schreiben an die Landgerichte Traunstein, Marquartstein und Reichenhall vom 26. Oktober 1801. 352 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 5: Schreiben von Lorenz Hübner an den Geistlichen Rat vom 12. Oktober 1801 (Eingangsvermerk). 353 Vgl. dazu den Bestand St AM Generalkommissariat des Salzachkreises GR Fasz. 1206 Nr. 5, in dem Suppliken und Berichte aus den Jahren 1811 bis 1815 enthalten sind. 354 So die Formulierung im Schreiben des Landgerichts Burghausen vom 11. Mai 1811 an das Landgericht Tittmoning mit einer Beschwerde über das dort praktizierte Wetterläuten in St AM Generalkommissariat des Salzachkreises GR Fasz. 1206 Nr. 5. 355 St AM Generalkommissariat des Salzachkreises GR Fasz. 1206 Nr. 5: Schreiben des Vikars zu Going, Maximilian Joseph Kriechbaum, an das Landgericht Kitzbühl vom 30. April 1811. 356 St AM Generalkommissariat des Salzachkreises GR Fasz. 1206 Nr. 5: Schreiben des Generalkommissariats des Salzachkreises vom 13. Mai 1811 an die Kirchensektion im Ministerium des Inneren.

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wolle man den Einwohnern des Kreises nicht durch eine robuste Durchsetzung der geltenden Verordnungen gegen den Aberglauben eine unnötige Veranlassung zu Unzufriedenheit und übler Gesinnung geben, aber andererseits die geltende bayerische Gesetzeslage nicht gänzlich außer Acht lassen. Deshalb plädierte das Generalkommissariat unter anderem dafür, das absolute Verbot des Wetterläutens dahingehend zu modifizieren, dass bei Annäherung eines Hochgewitters ein kurzes Gebetszeichen mit einer Glocke gegeben werden dürfe. Dadurch könnte der allgemeine Zweck der entsprechenden Verbotsverordnungen erreicht und auch ein großer Schritt zur sukzessiven Abstellung des Aberglaubens gemacht werden, um die neuen Landesteile in die älteren allmählich zu integrieren. Allerdings wies das Generalkommissariat auch auf die Problematik einer ›Ansteckungsgefahr‹ der älteren Landesteile durch die neu erworbenen hin, nun ebenfalls wieder gegen das Wetter läuten und andere Frömmigkeitspraktiken ausüben zu wollen. Dadurch stehe man vor einem Dilemma: Da man in den alten Landesteilen den einmal errungenen Standpunkt weiter verfolgen müsse, um sich nicht den Anschein zu geben, man habe die Energie zur Durchsetzung des Verbots verloren oder den diesbezüglichen Zweck aufgegeben, sehe man sich hier bei der Ahndung der Verbotsübertretungen dem Vorwurf der dortigen Untertanen ausgesetzt, dass man nicht strenger behandelt werden könne als die Untertanen der neuen Landesteile. Deshalb erbat sich das Generalkommissariat Anweisungen für das weitere Vorgehen, da auch die dem Kreis unterstellten Landgerichte bisher keine Anhaltspunkte für ihr Vorgehen in dieser Angelegenheit hätten und sich völlig unterschiedlich verhielten. Eine Antwort des Ministeriums des Inneren kam erst nach drei Monaten Ende August und auch dann erst nach erneuter Anfrage durch das Generalkommissariat des Salzachkreises. Der Vorschlag des Generalkommissariats zur Behandlung des Wetterläutens wurde gebilligt und allgemein stimmte das Ministerium des Inneren zu, dass die Verbotsverstöße durch ein kluges und umsichtiges Verhalten allmählich zu beseitigen seien und dass in den älteren und neueren Landesteilen des Kreises je nach Umständen und Ermessen Praktiken zu erlauben oder zu beschränken seien.357 Da dieses Schreiben in seiner unverbindlich gehaltenen Formulierung höchst schwammige Vorgaben machte, wo das Generalkommissariat eindeutige Anweisungen statt der bisherigen provisorischen Maßnahmen erbeten hatte, ist es auch ein Ausdruck der Rat- und Hilflosigkeit. Hier werden die Grenzen der bayerischen Reglementierungspolitik von Frömmigkeitspraktiken am Beispiel des Wetterläutens deutlich, die am sogar nur befürchteten passiven oder aktiven Widerstand größerer Bevölkerungsteile scheitern konnte.

357 St AM Generalkommissariat des Salzachkreises GR Fasz. 1206 Nr. 5: Anweisung des Ministeriums des Inneren vom 29. August 1811 an das Generalkommissariat des Salzachkreises.

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Die bayerische Reglementierungspolitik zum Wetterläuten löste aber nicht nur durch eine ungleiche Behandlung von Bevölkerungsteilen hinsichtlich der Durchsetzung des Verbots – sei es infolge von Ausnahmegenehmigungen zum Wetterläuten oder durch politische Rücksichtnahmen wie im Falle Tirols  – Konflikte aus. Auch die mit dem Verbot getroffenen Regelungen hinsichtlich der Entlohnung der Messner waren nicht dazu angetan, eine größere Akzeptanz zu erzeugen. Diese erhielten für ihr Glockenläuten eine Abgabe ihrer Gemeinden, das Glockenlehen (feudum campanarium) oder auch Läutgarben bzw. Wettergarben genannt. Die erste kurbayerische Verbotsverordnung zum Wetterläuten berücksichtigte das Glockenlehen zwar, legte aber lediglich fest, dass die Messner die Läutgarben auch weiterhin von ihren Gemeinden erhalten sollten, bis man ein geeignetes Abgabenäquivalent für die Messner bestimmen oder eine andere Verfügung erlassen werde.358 Diese Ersatz­entlohnung für die Messner wurde aber nie festgelegt und man beließ es beim Status quo.359 Da das Wetterläuten verboten war, die dafür als Entlohnung gedachte Abgabe an die Messner aber weiter geleistet werden sollte, nimmt es nicht wunder, dass viele Bauern mit dieser Regelung alles andere als einverstanden waren, so dass manchem Messnern die Läutgarben verweigert wurden. So wandte sich der Messner zu Engelsburg im Landgericht Trostberg, Anton Eder, in einem solchen Fall an die Obere Landesregierung und beklagte sich darüber, dass Bauern seiner Gemeinde zwar vom Landgericht Meermosen unter Androhung der erzwungenen Eintreibung angewiesen worden seien, ihm die schuldigen Läutgarben zukommen zu lassen, sich aber weiterhin weigerten dieses zu tun.360 Im Protokoll der Anhörung vor dem Pfleggericht Trostberg, das mit der erneuten Verhandlung des Falls beauftragt worden war,361 sind die jeweiligen Standpunkte der Streitparteien festgehalten. Der für seinen Vater sprechende Sohn des Messners verlangte, dass das Pfleggericht entweder die Abgabe der Läutgarben veranlasse oder den vorherigen Kompromissvorschlag 358 Verordnung vom 1. August 1783 in Mayr, Sammlung. Band 2, 1163–1164. Diese Regelung ging auf einen Vorschlag der Oberen Landesregierung zurück, den sie in einem Schreiben vom 18. Juli 1783 im Zusammenhang mit der Forderung nach Abschaffung des Wetterläutens gemacht hatte; BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323. 359 Lediglich in Bezug auf die Form des Glockenlehens machte man sich Gedanken, da der Geistliche Rat in einem Schreiben an die Obere Landesregierung vom 1. April 1794 vorschlug, dass die Gemeinden sich mit ihren Messnern ins Einvernehmen zu setzen hätten, ob diese ihre Abgabe in Naturalien oder Geld erhalten sollten; BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323. 360 St AM Pfleggericht Trostberg A 215: Duplikat eines Schreibens des Messners Anton Eder in Engelspurg im Landgericht Trostberg [ohne Datum, aber durch zugehörige weitere Akten auf den Oktober 1788 datierbar]. 361 St AM Pfleggericht Trostberg A 215: Schreiben der Oberen Landesregierung vom 14. November 1788 an die Regierung Burghausen und Schreiben der Regierung Burghausen vom 23. Dezember 1788 an das Pfleggericht Trostberg.

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des Landgerichts Meermosen durchsetze, wonach die Bauern dem Messner für ein Jahr eine von ihnen freiwillig vorzuschlagende Abgabenhöhe entrichten sollten und dann im Folgejahr wieder die Abgabenmenge, wie sie dem Messner eigentlich zustünde. Die gegnerische Partei der Bauern bestritt hingegen das Recht des Messners, überhaupt vor dem Pfleggericht wegen der Läutgarben zu prozessieren, da es sich bei ihnen eben nicht um eine Abgabe nach altem Herkommen handele. Sei die Abgabe aber eine freiwillige, so müsse sie es auch hinfort sein. Außerdem hätten sich auch niemals geweigert, dem Messner das nach dem Generalmandat zur Abschaffung des Wetterläutens zustehende Abgabenäquivalent zu leisten. Sie hätten nur die Habsucht des Messners nicht mehr ertragen können, der sich mehr genommen habe, als ihm zustünde.362 Wie der Streitfall sich weiter entwickelte, ist den Akten nicht mehr zu entnehmen. Er steht jedoch stellvertretend für andere Konflikte um die Läutgarben der Messner nach der Abschaffung des Wetterläutens.363 Die bereits erwähnte Praxis der Gewährung von Ausnahmegenehmigungen führte außerdem eine Gerechtigkeitsproblematik in das Konfliktfeld des Wetterläutens ein. Nicht nur durften einige Gemeinden gegen das Wetter läuten, um sich vor Gewittern und Unwettern zu schützen, während ihren Nachbarn diese Handlungspraktik untersagt blieb. Die nicht gegen das Wetter läutenden Gemeinden befürchteten darüber hinaus, dass durch die läutende Gewitterabwehr manch anderer Gemeinde die Unwetter zu ihnen hinüber getrieben würden. Diese Ungleichbehandlung der Gemeinden im Hinblick auf das Wetterläut­ verbot schlug sich wiederum in den Eingaben und Bittschriften an die Obrigkeit nieder. So berichtete beispielsweise das Landgericht Ried im Jahr 1815, dass die Gemeinde Eizing mit einer zahlreichen Abordnung vorstellig geworden sei und darum ersucht habe, ihnen das Wetterläuten zu erlauben, da die Nachbargemeinden Senftenberg und Gueten mit Wissen ihrer landgerichtlichen Obrigkeit auch gegen das Wetter läuten dürften. Die Vertreter der Eizinger Gemeinde hätten sich auch »bitter über das diesgerichtliche Verbot [beschwert], indem die Senftenbacher jedes Wetter ihnen zu läutten, wornach es bey ihnen sitzen bleibe, und so häufig durch Schauer Schaden verursache.«364 362 St AM Pfleggericht Trostberg A 215: Protokoll des Pfleggerichts Trostberg vom 27. Mai 1789. 363 Solche Auseinandersetzungen sind auch aus dem Hochstift Augsburg bekannt. Hier wurden die Läutgarben als Druckmittel im Streit zwischen dem hochstiftischen Gericht Schönegg und dem rechbergischen Oberamt Kellmünz um das untersagte Wetterläuten im Ort Unterroth eingesetzt, dessen Hoheitsrechte zwischen dem Hochstift und den Fürsten von Rechberg aufgeteilt waren. Der Unterrother Messner sollte auf Anweisung des Kellmünzer Oberamtes hin keine Läutgarben mehr erhalten, da er nach den Verordnungen des Hochstifts nicht mehr gegen das Wetter läutete; Akten zu diesem Streitfall aus den Jahren 1794 und 1795 in St AAu Hochstift Augsburg Neuburger Abgabe Akten 736. 364 St AM Generalkommissariat des Salzachkreises GR Fasz. 1206 Nr. 5: Schreiben des Landgerichts Ried vom 11. Juli 1815 an das Generalkommissariat des Salzachkreises.

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Solche Gegensätze zwischen Gemeinden konnten in regelrechte ›Wetterkriege‹ ausarten, in denen man sich wechselseitig das Gewitter bzw. Unwetter durch Wetterläuten vermeintlich zutrieb  – eine Situation, die durch das kurbayerische Wetterläutverbot und die Praxis der Ausnahmegenehmigungen teilweise mit hervorgerufen und auch verstärkt wurde. Die Obere Landesregierung berichtete 1797 in einem solchen Fall zu welchen »tumultuarischen Handlungen« es in der Gemeinde Rohrdorf »durch genzes Stunden langes Läuten« gegen das Wetter gekommen war, als die Gemeinde sich auf diese Art gegen das Wetterschießen angrenzender Gemeinden schützen wollte.365 Der Pfarrer von Rohrdorf hatte sich beim Pfleggericht Rosenheim darüber beschwert, dass sich Bauern seiner Gemeinde miteinander verbunden und verschworen hätten, so lange mit den Glocken gegen das Gewitter zu läuten, wie die jenseits des Inn gelegenen Gemeinden gegen das Wetter schießen würden. An einem Sonntag sei die Gruppe ins Glockenhaus eingedrungen und habe eigenmächtig gegen das Wetter geläutet. Nachdem sie mit seinem Kooperator einen Streit angefangen und von ihm gefordert hätten, dass er das Wetter segnen solle,366 sei die Gruppe dann unter Führung des Rohrdorfer Wirts zu ihm in den Pfarrhof gekommen und habe mit großem Ungestüm von ihm gefordert, dass er dem Kooperator den Wettersegen befehlen solle. Außerdem machten sie ihm insgesamt den Vorwurf, »das es immer in allen Puncten schlechter gehe.« Am Abend danach sei die Gruppe erneut ins Glockenhaus eingefallen und habe wieder die Glocken zwei Stunden lang so stark geläutet, dass man meinte, das neue Glockenspiel müsse zerspringen. Der Pfarrer beklagte sich über das unchristliche Betragen seiner Gemeindemitglieder, die nur lose gekleidet in sein Pfarrhaus eingefallen seien – der Wirt habe gar seinen Hemdkragen wie zu einer Rauferei losgemacht gehabt. Er legte dem Pfleggericht eine Liste mit den Namen der Beteiligten vor und bat das Gericht sie über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu vernehmen sowie das Wetterläuten in seiner Gemeinde abzustellen.367

6.3.2 Blitzableiter vs. Wetterläuten Wie bereits erwähnt hatte die kurbayerische Obrigkeit eine Förderung der Installation von Blitzableitern in die Wege geleitet, als mit dem Rescript vom 24. Dezember 1784 bestimmt wurde, dass zukünftig bei sämtlichen Reparaturen oder Neubauten von Kirchen bzw. Kirchtürmen Blitzableiter auf diesen 365 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Schreiben der Oberen Landesregierung vom 12. Juni 1797. 366 Möglicherweise hatte der Kooperator in der Gemeinde den Ruf eines Wettergerechten (vgl. Kap. 6.2.1). 367 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Schreiben des Pfarrers zu Rohrdorf vom 30. Mai 1797 an das Pfleggericht Rosenheim.

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zu installieren seien.368 Die Obere Landesregierung hatte zuvor die Akademie der Wissenschaften beauftragt, zur Frage des Wetterläutens und vor allem des Wetterschießens eine Stellungnahme zu verfassen. Die Akademie sprach sich in ihrem dazu verfertigten Gutachten nicht nur dafür aus, das Wetterschießen wie schon zuvor das Wetterläuten zu verbieten, sondern auch die Gotteshäuser des Landes anzuweisen, auf ihren Kirchtürmen Blitzableiter zu installieren, wobei die ärmeren Pfarreien von den wohlhabenderen zu unterstützen seien.369 Der Geistliche Rat zeigte sich zwar skeptisch bezüglich der Durchführbarkeit dieses Vorhabens und verwies auf die hohen Kosten von 100.000 fl.370 Die Obere Landesregierung aber plädierte dafür, dass nicht nur die vermögenden Kirchen sogleich Wetterableiter aufzustellen hätten, sondern auch alle in ständischen und städtischen Herrschaften gelegenen.371 Aufgrund der enormen Kosten beschränkte man sich in der Entschlussfassung vom Dezember 1784 dann jedoch auf die Installation bei Reparaturfällen oder Neubauten,372 was sich als Maßgabe auch in benachbarten Territorien etablierte.373 Warum konzentrierte sich die Förderung von Blitzableiterinstallationen gerade auf die Kirchen? Ein Grund dafür ist sicherlich, dass die Kirchtürme in den Dörfern, Märkten und Städten zumeist die höchsten Gebäude waren und damit den wahrscheinlichsten Einschlagsort für den Blitz darstellten, da der Ladungsaustausch zwischen Gewitterwolken und Erdboden meistens den höchsten Erhebungen folgt – eine Eigenschaft des Blitzes, die in der zeitgenössischen Gewitterforschung und im Gewitterdiskurs wohl bekannt war.374 Entscheidend 368 Mayr, Sammlung. Band 4, 674. 369 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 3978:Schreiben der Akademie der Wissenschaften an die Obere Landesregierung vom 15. Juni 1784. 370 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 7: Schreiben des Geistlichen Rats an die Obere Landesregierung vom 10. Juli 1784. 371 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Schreiben der Oberen Landesregierung an den Kurfürsten vom 23. Juli 1784. 372 Die Obere Landesregierung teilte das Rescript den untergeordneten und involvierten Behörden jedoch erst am 19. Januar 1785 mit; BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 3978: Mehrere Schreiben der Oberen Landesregierung vom 19. Januar 1785 an den Hofrat, an die vier Regierungen in Kurbayern, an die Land- und Pfleggerichte des Rentamts München und an die gefreiten gerichtlichen Ortschaften im Rentamt München. 373 BayHStA Erzstift Salzburg Pfleggericht Laufen Akten 2027: Schreiben des kurfürstlichen salzburgischen Geistlichen Administrationsrats vom 8. Mai 1805 an den Pfleger zu Laufen und den Pfarrer zu Salzburghofen wegen der Installation eines Blitzableiters auf der Filialkirche zu Saaldorf; Erzstift Salzburg Pfleggericht Laufen Akten 2032: Schreiben des Pfleggerichts Laufen vom 27. April 1806 an die Landesregierung zu Salzburg wegen der erbetenen Verfügung, dass ein Blitzableiter auf der Kollegiatskirche in Laufen errichtet werden möge. 374 Beispielsweise hob das Landgericht Aibling in einem Schreiben an die Generallandesdirektion vom 23. Oktober 1802 bezüglich der Installation eines Blitzableiters auf dem Aiblinger Pflegschloss hervor, dass es »im Reiche der Erfahrungen ein so zimlich richtiger Satz [sei], daß die elektrische Materie bey Gewittern vorzüglich auf jene Gegenstände sich ergiesse, welche selber am nächsten liegen.« Da der Pulverturm als bisher höchste Erhebung

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für die Konzentration auf die Kirchtürme war jedoch ihr repräsentativer Charakter und ihre weithin gegebene Sichtbarkeit. Mit dem Kirchturm sollte der Blitzableiter genau an dem Ort aufgerichtet werden, an dem zuvor das nun verbotene, als abergläubische Praktik verdammte Wetterläuten praktiziert worden war. In diesem konstruierten Gegensatz der beiden Handlungspraktiken diente das Wetterläuten als Hintergrundfolie, um den Sieg der Aufklärung über den Aberglauben zu inszenieren, für den der Blitzableiter als weithin sichtbares Zeichen stand.375 Nicht nur allein in der landesherrlichen Verwaltung wurde das Verbot des Wetterläutens als eine wichtige Voraussetzung für die Durchsetzung der Blitzableiter betrachtet.376 Auch im Gewitterdiskurs insgesamt wurden das Verbot des Wetterläutens und die Installation von Blitzableitern in einem Zusammenhang gesehen.377 Zugleich war die Errichtung von Blitzableitern auf den Kirchtürmen und die Verdrängung des verbotenen Wetterläutens auch eine Inszenierung der Herrschaft kurbayerischer Obrigkeit, die ihre Durchsetzungsfähigkeit und Superiorität demonstrierte. Widerstände in der Bevölkerung gegen Blitzableiterinstallationen, wie im Falle der Zerstörung von Ableitern in Düsseldorf nach einem Gewitter im Jahr 1783, das als göttliche Strafe für die frevelhafte Installation von Ableitern zwei Jahre zuvor betrachtet wurde,378 bedeuteten entsprechend eine Infragestellung dieses Herrschaftsanspruchs. So empörte sich Johann Jakob Hemmer anlässlich dieser Ereignisse über eine Eingabe des Düsseldorfer Magistrats, der für einen Abbau der Blitzableiter plädierte, weil sie das Gewitter tatsächlich über der Stadt gehalten hätten, statt es abziehen zu lassen. Für Hemmer grenzte das an Majestätsbeleidigung, weil der Magistrat das Urteil des aufgeklärten Landesherrn und damit ihn selbst in Frage stellte.379 Solcher Widerstand war aber besonders dann stark, wenn es um die Blitzableiterinstallationen auf Kirchtürmen ging. Im Landgericht Erding etwa, das später für seine Vielzahl an Blitzableitern im Vergleich zu anderen Landgerichten gelobt wurde,380 regte sich zunächst Protest, als gemäß dem Rescript vom Dezember 1784 auf den Kirchtürmen Blitzableiter errichtet werden sollten. Der abgerissen worden war, komme diese Rolle nun dem Pflegschloss zu, das deshalb besonders vom Blitz gefährdet sei; in BayHStA GL Fasz. 80 Nr. 2. 375 Vgl. dazu auch Hochadel / Heering, Introduction, 10–11. 376 So in einem Schreiben der Oberen Landesregierung vom 15. Oktober 1781 an den Kurfürsten mit der Empfehlung, das Wetterläuten abzuschaffen, da die Blitzableiter sonst nicht eingeführt werde könnten; BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323. 377 So etwa bei Hübner, Physikalisches Tagbuch 1 (2), 210–211 und später auch in Gütle, Faßlicher Unterricht, 74–79. 378 Jakubowski-Tiessen, Kommentar, 266. 379 Hochadel, »In nebula nebulorum«, 61–62. 380 So hob die Obere Landesregierung in einem Schreiben vom 11. April 1788 an den Kurfürsten unter anderem hervor, dass im Landgericht Erding bereits auf 60 Kirchen Blitzableiter installiert seien, in manch anderen Gerichtsbezirken hingegen noch kein einziger; BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323.

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dortige Schulinspektor Pesl, der viele der Ableiter im Gericht installiert hatte, traf in den Dörfern auf energischen Widerstand unter den Bauern, wie Westenrieder berichtet: »Als Hr. Pesl auf dem ersten Dorf erschien, versammelten sich die Bauern mit großer Entschlossenheit um ihn herum, und bewiesen ihm, daß es weit besser wäre, keinen Ableiter auf ihren Kirchthurm zu setzen, weil, wenn dieß gut wäre, schon längst ihre Väter, Großväter, und Urgroßväter dergleichen gesetzt haben würden.« Pesl habe sich daraufhin klugerweise zurückgehalten und erst dann mit der Installation fortgefahren, als einige Soldaten in der Nähe aufgetaucht seien, die sich bereit erklärten, so lange zu warten, bis er die Installation durchgeführt hatte.381 Auch in Rosenheim kam es anlässlich der Installation eines Blitzableiters auf dem Turm der dortigen Pfarrkirche zu Protesten der Stadtbevölkerung.382 Hier hatte der Geistliche Rat zuerst im August 1784 angeordnet, dass bei der Reparatur des Kirchturms, der nach einem Blitzeinschlag beschädigt worden war, ein Ableiter zu installieren sei.383 Fast drei Jahre später berichtete jedoch der Rosenheimer Gerichtsschreiber anlässlich eines erneuten Blitzeinschlages in den Turm der Pfarrkirche, dass entgegen der Anordnung des Geistlichen Rats immer noch kein Blitzableiter installiert worden sei. Er bat jedoch auch darum, seinen Namen aus der Sache herauszuhalten, da er Anfeindungen der örtlichen Bevölkerung, die »über das, was vorhin nie gewesen ist, insgemein grosse Augen zu machen pflegt,« befürchtete.384 Der Pfarrer in Rosenheim hatte im Einvernehmen mit dem Gerichtsschreiber ebenfalls den Geistlichen Rat über die Missachtung seiner Anweisung informiert und erbat eine erneute Anweisung zur Blitzableiterinstallation, um den Stadtmagistrat unter Druck zu setzen. Er selbst habe den Rosenheimer Stadtmagistrat mündlich und schriftlich zur Errichtung eines Blitzableiters auf seiner Kirche gemahnt. Aber die hohen Kosten der Installation bei einem beinahe mittellosen Gotteshaus und das »vorurtheilvolle Murren« der Bürgerschaft hätten die Tätigkeit des Magistrats gehemmt und seine eigenen Bemühungen vereitelt.385 Nachdem eine entsprechende Weisung des Geistlichen Rats ergangen war,386 meldete sich jedoch die gesamte Rosenheimer Bürgerschaft mit einer Supplik zu 381 Westenrieder, Bemerkungen, 442–446. 382 Dass diese Proteste in Niedermayers Katechismus der Naturlehre Erwähnung fanden, zeigt an, dass diese Ereignisse eine gewisse Bekanntheit erlangten; [Niedermayer], Katechismus, Vorrede [1]–[3]. 383 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 7: Schreiben des Geistlichen Rats an den Magistrat von Rosenheim vom 14. August 1784. 384 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 7: Schreiben des Gerichtsschreibers von Rosenheim an den Geistlichen Rat vom 25. April 1787. 385 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 7: Schreiben des Pfarrers zu Rosenheim an den Geistlichen Rat vom 25. April 1787. 386 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 7: Anordnung des Geistlichen Rats an den Stadtmagistrat von Rosenheim vom 1. Mai 1787.

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Wort, in der sie darum baten, von der Anweisung zur Errichtung eines Blitzableiters Abstand zu nehmen. Die Pfarre sei viel zu arm, um die nötigen Ausgaben zu bestreiten, und die Stadtkammer sei wegen kürzlicher Hochwasserschäden (die Hochwasserkatastrophe von 1786) hoch verschuldet, so dass die Kosten für die Blitzableiterinstallation letztlich an der Gemeinde und der Bürgerschaft hängen bleiben würden. Außerdem zeitige der Wetterableiter vielleicht nicht die Resultate, die man sich von ihm erhoffe. Grundsätzlich bezweifele man zwar nicht seine guten Wirkungen. Aber die Kirche liege ungünstig für die übliche Erdung der Ableitungsanlage in ein Gewässer, da das nächste über 60 Schritt entfernt sei, so dass der Ableiter über die Dächer hinweg dorthin geführt werden müsste.387 In Reaktion auf diese Bittschrift erneuerte der Geistliche Rat seine Anweisung zur Setzung eines Blitzableiters. Die Installationskosten von 30 fl. seien lange nicht so hoch, wie der daraus folgende Nutzen zu beziffern sei. Auch sei es nicht zwingend notwendig, den Ableiter bis an ein Gewässer und damit in Rosenheim über die Dächer und Gassen hinweg zu führen, da er auch in die Erde abgeleitet werden könne.388 Damit war die Angelegenheit jedoch noch nicht bereinigt und sollte noch weitere Kreise ziehen und Verwaltungsinstitutionen involvieren. Ein Jahr später beklagte der Rosenheimer Gerichtsschreiber erneut, dass trotz der wiederholten Anordnungen immer noch nichts im Hinblick auf die Installation eines Blitzableiters geschehen sei, und zwar nicht wegen des Stadtmagistrats, sondern weil sich ein Teil der Bürgerschaft dagegen sträube. Auch sei zu befürchten, dass »bey dem Volks-Wiederstreben immer noch ein Böser niedriger Streich zu besorgen wäre […].«389 Daraufhin erteilte der Geistliche Rat dem Münchner Handwerker Lorenz Gerner den Auftrag, sowohl in Rosenheim als auch im nahegelegenen Pfaffenhofen auf den dortigen Kirchtürmen je einen Blitzableiter zu installieren.390 Nun schaltete sich auch das Pfleggericht Rosenheim ein, das in einem Schreiben an den Geistlichen Rat von der Setzung der Blitzableiter abriet.391 Es machte sich dabei außerdem zum Mittler von Bittschriften sowohl des Rosenheimer Stadtmagistrats als auch der Rosenheimer Bürger gegen den Blitzableiter. Der Stadtmagistrat lehnte die Blitzableiterinstallation nicht nur aus Kostengrün 387 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 7: Bittschrift der Bürgerschaft des Marktes Rosenheim an den Kurfürsten (undatiert), Resolution an den Geistlichen Rat vom 19. Juni 1787 zur Ablehnung des Anliegens der Supplikanten. 388 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 7: Erneute Anordnung des Geistlichen Rats an den Magistrat von Rosenheim vom 10. Juli 1787. 389 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 7: Schreiben des Gerichtsschreibers von Rosenheim an den Geistlichen Rat vom 15. Mai 1788. 390 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 7: Anweisung an Lorenz Gerner vom 4. September 1788. 391 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 7: Schreiben des Pfleggerichts Rosenheim an den Geistlichen Rat vom [30.] September 1788 (Datierung des Schreibens ist der 3. September, wobei es sich im Kontext der weiteren Kommunikation jedoch um einen Flüchtigkeitsfehler handeln muss und der 30. September das wahrscheinlich korrekte Datum ist).

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den ab, sondern schloss sich auch den in der Supplik der Rosenheimer Bürger vorgebrachten Gegengründen an.392 Diese brachten in ihrer Eingabe393 nicht nur das bekannte Kostenargument gegen einen Ableiter vor, sondern wiesen auch darauf hin, dass die Wartung der »Machine« wegen der engen und komplizierten Raumverhältnisse auf dem Kirchdach nahezu unmöglich sei. Außerdem betonten sie die Gefahr für die sehr nahe an der Kirche stehenden Wohnhäuser und Kaufmannshäuser durch die Blitzableitung in den Boden, da die Erfahrung gezeigt habe, dass trockener Boden durch einen dort hinein abgeleiteten Blitz in die Luft gehoben werde. Auch sei nicht bewiesen, dass der Blitzableiter tatsächlich alle mit elektrischen Dünsten geladenen Wolken auffangen könne. Solange sich durch die Erfahrung Gegenbeispiele zeigten, könne man das behaupten, ohne sich des sträflichen Starrsinns schuldig zu machen. Einen Seitenhieb auf die Zustände in München, wo auch nicht alle Kirchen mit Blitzableitern versehen waren, konnten sich die Supplikanten nicht verkneifen: Gottes weise Vorsicht, die »zum besten, und nicht zur Bestrafung des auf ihn Vertrauenden den Donner einher und unschädlich hinüberziehen läßt«, werde die Bürger in Rosenheim vor allem Unglück bewahren, wie er auch die nicht mit Wetterableitern versehenen Kirchen in München verschont habe. Bemerkenswert an der Argumentation der Rosenheimer Bürger ist, dass trotz der religiösen Wendung am Schluss der Supplik vor allem technische und wissenschaftliche Argumente gegen den Blitzableiter vorgebracht werden. Damit war die Ablehnung des Blitzableiters durch die Rosenheimer weit davon entfernt, lediglich religiös – in den Augen der Aufklärer abergläubisch – begründet zu sein, wie Niedermayer das in seiner Beschreibung der Vorfälle suggerierte. Wie im Falle des berühmten Blitzableiterprozesses in St. Omer argumentierten die Rosenheimer Bürger mit inhaltlichen Gründen gegen den Blitzableiter, die mit dem wissenschaftlichen Diskurs durchaus kompatibel waren, da sie in dieser oder ähnlicher Form auch von Elektrizitätsforschern (bspw. Nollet) bereits formuliert worden waren. Der Schreiber der Supplik hat sich also sichtlich bemüht, das Anliegen der Supplikanten in einer Weise zu verschriftlichen, dass die vorgebrachten Gründe mit den verwaltungstechnischen Kommunikationsbedingungen kompatibel und für die obrigkeitlichen Behörden akzeptabel waren. Selbst die religiöse Wendung am Schluss bemüht sich um Distanz zur straftheologischen Auslegung des Blitzes, auf die der volksaufklärerische Diskurs so allergisch reagierte. Mit ihrer gezielten Anpassung an die vorherrschenden Sagbarkeitsregeln des Gewitterdiskurses, um das Anliegen der Supplikanten bestmöglich zu befördern, ist die Supplik ein Beispiel für die bereits im Zu 392 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 7: Schreiben des Bürgermeisters und der Räte Rosenheims vom 19. September 1788 an das Pfleggericht Rosenheim. 393 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 7: Supplik der Bürgerschaft von Rosenheim an den Rosenheimer Stadtmagistrat.

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sammenhang der Hochwasser und Überschwemmungen praktizierte Katastrophenkommunikation zwischen Bevölkerung und Obrigkeit, in der bestimmte Darstellungs- und Deutungsweisen eingeübt wurden, die durch verwaltungstechnische Formalia und Opportunitätserwägungen im Rahmen der Suppliken entweder befördert oder blockiert wurden.394 Das Pfleggericht Rosenheim hatte davor gewarnt, dass, auch wenn der Blitzableiter gut installiert werde, immer noch mit dem Widerstand der Rosenheimer Bürgerschaft und der Pfaffenhofener Gemeinde zu rechnen sei, und äußerte sogar die Befürchtung, dass es zu tätlichen Übergriffen kommen könnte.395 Damit sollte es Recht behalten, wie den Berichten des Handwerkers Lorenz Gerner an den Geistlichen Rat über den Fortschritt seiner Arbeit zu entnehmen ist. Er sei bereits auf Widerstand gestoßen, als er seine Ableiteranlagen zur Installation nach Rosenheim verfrachten wollte, da der fahrende Bote sich zunächst geweigert habe den Transport zu übernehmen, als er hörte, dass es sich um Blitz­ ableiteranlagen handelte. In Rosenheim angekommen habe ihm der dortige kurfürstliche Pflegkommissar zu verstehen gegeben, dass er am besten gleich wieder nach München zurückfahre, da der Blitzableiter hier wegen der Gefährdung der umliegenden Häuser nicht installiert werden könne. Wie er feststellen musste, war das jedoch nicht die einzige Warnung, die er vom Pflegbeamten erhielt: Er solle sich nicht zu lange in Rosenheim aufhalten, wenn er »nicht von den aufgebrachten Bürgern wacker abgeprügelt werden wollte.« Darauf schlug Gerner dem Pflegbeamten vor, dass er dann besser den Blitzableiter in Pfaffenhofen installieren werde. »Allein seine Antwort war, er könnte auch dieß nicht erlauben, und die Bauern würden mich, wenn sie so was sehen ohnfehlbar Tod schlagen.« Gerner verlangte daraufhin ein Attest des Gerichts über die Behinderung seiner Tätigkeit in Rosenheim. Der Beamte habe ihm dies nur zögerlich und mit dem Hinweis ausgehändigt, »[w]enn die Wetterableiter so gut wären, so sollte man sie vorher auf den Kirchthürmen zu München setzen.«396 Durch den Bericht Lorenz Gerners alarmiert, wandte sich der Geistliche Rat an die Obere Landesregierung und beschwerte sich darüber, dass die Installation des Blitzableiters in Rosenheim nicht vorankomme, weil sich der örtliche Oberbeamte des Gerichts dem widersetze und offensichtlich mit den Rosenheimer Bürgern unter einer Decke stecke.397 Daraufhin erteilte die Obere Landesregierung dem Rosenheimer Pflegkommissar zwar eine geharnischte Rüge, gemäß

394 Vgl. dazu Lassen / Reinkemeier, Suppliken, 77–79. 395 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 7: Schreiben des Pfleggerichts Rosenheim an den Geistlichen Rat vom [30.] September 1788. 396 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 7: Schreiben Lorenz Gerners an den Geistlichen Rat vom 11. Oktober 1788. 397 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 7: Schreiben des Geistlichen Rats an die Obere Landesregierung vom 13. Oktober 1788.

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der geltenden Verordnungen die örtliche Bevölkerung über ihre dummen und falschen Ansichten aufzuklären und die Arbeit des Handwerkers Lorenz Gerner nach Kräften zu unterstützen statt sie im Verein mit den Rosenheimer Bürgern zu behindern.398 Gerner traf aber dennoch weiterhin auf Widerstand in der Rosenheimer Stadtbevölkerung, der bedrohliche Ausmaße für ihn annahm, wie einem weiteren seiner Berichte zu entnehmen ist. Er bestätigte darin, dass der Rosenheimer Pflegbeamte ihn zwar nunmehr an der Errichtung des Blitzableiters auf der Rosenheimer Kirche nicht mehr gehindert und zusammen mit dem Stadtmagistrat die Bürger zum Gehorsam gegenüber den Anordnungen des Geistlichen Rats gemahnt habe. Die Bürgerschaft habe ihn dennoch fünf Tage lang an der Durchführung der Installationsarbeiten gehindert, indem man ihm angedroht habe, ihn zu erschlagen oder vom Kirchturm herunter­ zuschießen, sollte er es wagen, tatsächlich den Ableiter dort zu errichten. Er wäre wohl gewiss aus der Stadt gejagt worden, wenn er nicht beim Bürgermeister Unterkunft und Unterstützung gehabt hätte.399 Trotz dieser an Gewaltätigkeiten grenzenden Widerstände wurde der Blitzableiter dann dennoch in Rosenheim installiert. So scharf die Proteste gegen den Blitzableiter nun auch waren, sei es im ländlich-bäuerlichen Kontext wie im Landgericht Erding oder im städtisch-bürgerlichen Umfeld wie in Rosenheim, waren sie doch keine rein religiös begründeten Widerstände, wie es die Volksaufklärung im Topos von der in ihrem vorurteilsbehafteten pseudoreligiösen Aberglauben befangenen Bevölkerung behauptete. Die Erdinger Bauern argumentierten laut Westenrieder mit der praktizierten Gewohnheit, in der es keinen Platz für die neue Technologie der Blitzbändigung gab. Die Rosenheimer bemühten sich wie auch die Kläger im Blitzableiterprozess von St. Omer um wissenschaftlich-technische Gegenargumente und äußerten die Befürchtung vor schädlichen Nebenwirkungen der unbekannten »Machine« für ihre Häuser und sogar ihr Leben. Zwar schließt das nicht den Wunsch nach Beibehaltung des Wetterläutens, wie er vielleicht die Erdinger Bauern bewegte, und das Vorhandensein religiöser Bedenken gegen den Blitzableiter, wie sie möglicherweise auch im Hintergrund der Proteste in Rosenheim standen, aus. Es zeigt aber zumindest an, dass religiöse Deutungsmuster in einem obrigkeitlich-wissenschaftlich dominierten Gewitterdiskurs bezüglich des Blitzableiters nicht opportun waren und zugunsten wissenschaftlich-technischer Argumente blockiert wurden. Auch war der Widerstand gegen die neue Technologie auf den Kirchtürmen in Bayern weit davon entfernt, ein geschlossener zu sein. So ersuchte der Bürgermeister der Stadt Friedberg um die Erlaubnis, einen Blitz 398 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 3978: Schreiben der Oberen Landesregierung an den Pflegkommissar zu Rosenheim vom 28. Oktober 1788. 399 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 7: Schreiben Lorenz Gerners an den Geistlichen Rat [November 1788].

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ableiter auf dem örtlichen Kirchturm als höchster Erhebung der Stadt aufstellen zu dürfen,400 was von der Oberen Landesregierung freudig begrüßt wurde.401

6.3.3 Wetterschießen in der Kritik Genau wie das Wetterläuten geriet auch das Wetterschießen im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts in Kurbayern in den Fokus landesherrlicher Reglementierung der Gewitterabwehrpraktiken. Anders als im wissenschaftlichen Diskurs war hier jedoch nicht die Frage der tatsächlichen physikalischen Wirkung des Schießens auf Unwetterwolken maßgebend, sondern Erwägungen hinsichtlich seiner Schädlichkeit oder Nützlichkeit. Bereits Anfang der 1770er Jahre gab es erste Beschwerden aus den Land- und Pfleggerichten über das Wetterschießen, »welches manchmal schädliche Wirkungen auf die Feld Früchten […] machet«, wie ein Bericht des Landgerichts Neumarkt hervorhob.402 Zunächst beschränkten sich die Reaktionen der kurbayerischen Obrigkeit auf die Anordnung weiterer Untersuchungen zum Wetterschießen, um die Ausmaße seiner Praktizierung und die behauptete unwettervertreibende Wirkung tatsächlich festzustellen.403 Das traf auch im Fall der Anfrage aus dem Erzstift Salzburg zu, das Wetterschießen zumindest im angrenzenden bayerischen Grenzbereich zu verbieten. Das veranlasste die kurbayerische Landesherrschaft sowohl zu einer Untersuchung dieser Handlungspraktik in mehreren Landgerichtsbezirken (s. Kap. 6.2.3) als auch zur Anfrage von Gutachten von der Akademie der Wissenschaften und vom Mathematikprofessor am jesuitischen Lyceum in München, Anton Barth,404 um einer Entscheidung zur Behandlung des Wetterschießens Expertenwissen zugrundezulegen; einerseits in Form des Erfahrungswissens aus der unmittelbaren Praxis des Wetterschießens und andererseits in Form von Theoriewissen naturkundlicher Expertise. Als Ergebnis dieser Untersuchungen und Gutachten hielt der Hofrat fest, dass sowohl die Land- und Pfleggerichte als auch die Wissenschaftler geurteilt hätten, dass das Wetterschießen schädlich

400 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 3978: Schreiben des Bürgermeisters von Friedberg, Franz Borgias Zetler, vom 14. Februar 1785 an die Obere Landesregierung. 401 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 3978: Schreiben der Oberen Landesregierung an den Magistrat zu Friedberg vom 14. Februar 1785 mit der Weisung, »daß ihr diesem löblich, und denen Gnädigsten Gesinnung angemessenen Ansuchen von selbsten willfahren, und hierüber das behörige veranstalten sollet.« 402 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 5: Schreiben des Landgerichts Neumarkt an die Regierung Landshut vom 16. Juni 1772. 403 So hatte das Landgericht Neumarkt auf Anweisung der Regierung Landshut vom 5. Juni 1772 über das dort praktizierte Wetterschießen berichtet; BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 5. 404 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 5: Schreiben des Hofrats an das »Collegium Soc[ietas] Jesu« und an die Churfürstliche Akademie der Wissenschaften jeweils vom 6. Februar 1773.

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sei, weshalb es zumindest in den Gebirgsgegenden unverzüglich zu verbieten, im Flachland jedoch einstweilen noch zu dulden sei.405 Auch wenn diese Empfehlung des Hofrats in der ersten Verordnung zum Wetterläuten und Wetterschießen vom Juni 1773 nicht umgesetzt wurde, hielt sich die Skepsis und ablehnende Haltung zum Wetterschießen dennoch im bayerischen Behördenapparat. So forderte die Hofkammer 1776 erneut die Abschaffung des Wetterschießens anlässlich eingehender Berichte aus den Gerichtsbezirken Kraiburg und Mörmoosen.406 Unterstützt wurde diese Position von eingehenden Beschwerden und Suppliken aus den Gerichten, die um Beschränkungen und das Verbot des Wetterschießens ersuchten, da es die Unwetter eher noch verstärke statt zu vertreiben.407 In ähnlicher Weise setzte sich der Verwalter des Pfleggerichts Trostberg 1774 für die Abschaffung des Wetterschießens ein, nachdem er sich von der Argumentation einiger Gemeinden seines Gerichtsbezirks, dass das Schießen an den Unwetterschäden der letzten Jahre Schuld sei, hatte überzeugen lassen. Wenn an mehreren Orten zugleich geschossen werde, breche das Unwetter notwendigerweise aus und diejenigen Gemeinden, die dem kein eigenes Wetterschießen entgegensetzten, weil sie nicht das Geld für das Schießpulver aufbringen könnten, würden dann um so härter getroffen. Wenn hingegen »der Natur sein Lauf würde gelassen worden seyn«, hätte sich das Unwetter allmählich von selbst aufgelöst und nur wenig oder gar keinen Schaden angerichtet. So erwachse den ohnehin schon armen Gemeinden mit der Anschaffung der Böller und des benötigten Pulvers zum Wetterschießen eine neue finanzielle Bürde. Auch komme es durch die Unkenntnis der Bauersleute zu Unfällen beim Schießen auf die Unwetter, wozu mancher Bauer sogar, entgegen der geltenden Generalien, zur Hauswehr bestimmte Pistolen einsetze.408 Während es in Kurbayern noch bei der Kritik am Wetterschießen blieb, ging das Erzstift Salzburg bereits einen Schritt weiter und verbot das Wetterschießen. Das Verbot von 1767409 wurde jedoch von einer Flut an Eingaben und Suppliken zur Beibehaltung des Wetterschießens, vor allem aus dem Pinzgau, begleitet, die darauf verwiesen, dass im benachbarten Tirol das Schießen auch nach

405 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 5: Schreiben des Hofrats »ad intimum« vom 1. Juni 1773. 406 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 5: Schreiben der Hofkammer an den Policey Rath vom 16. Juli 1776. 407 So im Bericht der Gemeinde des Amts Gundertshausen in BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 5: Supplik der Gemeinde des Amts Gundertshausen vom 7. Juni 1773 an die Regierung Burghausen (von der Regierung am 8. Juni an den Geheimen Rat weitergeleitet). 408 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 5: Bericht des Pfleggerichts Trostberg vom 14. April 1774 an die Regierung Burghausen. 409 Allerdings gingen die ersten Bemühungen zur Abstellung des Wetterschießens im Salzburgischen schon auf das Vorjahr zurück. So erhielt der Pfleger im Gericht Laufen bereits am 27. Mai 1766 die Anweisung vom Salzburger Hofrat, das in seinem Pfleggericht praktizierte Wetterschießen einzustellen: BayHStA Erzstift Salzburg Pfleggericht Laufen Akten 2769.

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wie vor erlaubt sei.410 Die mit den Suppliken einhergehenden Verbotsverstöße veranlassten die Salzburger Regierung auch zu wiederholten Erneuerungen desselben. So wurde mit der Verordnung zum Wetterläuten vom Februar 1785 auch die Abstellung des Wetterschießens bestätigt, wobei man der Hoffnung Ausdruck gab, dass die Nachbarstaaten dem in Bälde folgen würden.411 Dass dennoch weiterhin gegen das Wetter geschossen wurde, lässt sich einer nur ein Jahr später erlassenen Anweisung des Salzburgischen Hofrats an das Pfleggericht Laufen entnehmen, in der es ermahnt wurde, die Untertanen im Amtsbezirk darüber aufzuklären, dass nicht nur das Schießen und Läuten gegen Gewitter, sondern auch gegen Schnee und Reif verboten sei, auch weil es völlig wirkungslos sei. Der Hofrat bemühte sich, mit naturkundlichen Gründen darzulegen, dass Schnee und Reif ihre Ursache in der Kälte der Atmosphäre hätten, so dass kein Schießen gegen sie helfe, worüber das Gericht die Untertanen aufzuklären habe.412 In einer nochmaligen Erneuerung des Verbots des Wetterschießens von 1787 betonte die Salzburger Regierung dann explizit die schädlichen Wirkungen des Schießens gegen Gewitter: »Sowohl Erfahrungen verschiedener Landen, als auch die einstimmigen Zeugnisse der berühmtesten Naturforscher« hätten erwiesen, dass sowohl das Läuten als auch das Schießen Gewitter eher verstärke als sie abzuschwächen. Aus der Prämisse, mit Schießen eine Gewitterwolke vertreiben zu können, folge nämlich notwendigerweise die weitere Annahme, eine Gewitterwolke je nach Intensität und Größe des Geschützes »in ihrem natürlichen Zuge« beeinflussen und lenken zu können. Daher würden Gegenden, wo man das Wetterschießen im Verein mit seinen Nachbarn unterlasse, viel seltener von Schauern getroffen.413 In Kurbayern hatte sich die obrigkeitliche Reglementierung von Gewitterabwehrpraktiken derweil auf das Wetterläuten konzentriert. Erst 1784 unternahm vor allem die Obere Landesregierung einen neuen Anlauf, nun auch das Wetterschießen verbieten zu lassen, nachdem im Mai des Jahres das Landgericht Haag in einem Bericht gefordert hatte, nach dem segensreichen Verbot des Wetterläutens im Vorjahr nun auch das Wetterschießen zu untersagen, da hierdurch die Untertanen von ihrer Arbeit abgehalten würden, Pulver verschwendet werde und Unfälle beim Schießen vorkämen. Wenn das Schießen die Wirkung habe, die man sich davon verspreche, sei es höchst unchristlich »mit Hemmung des ordentlich[en] Laufes der Gewitterwolken« auf diese Weise seinen Nach 410 Zum Verbot des Wetterschießens im Salzburgischen vgl. Schindler, Die Konflikte, 108–112. 411 Verordnung vom 1. Februar 1785 in BayHStA Salzburger Mandatensammlung 1785/ II /1 und Erzstift Salzburg Literalien Nr. 809. 412 BayHStA Erzstift Salzburg Pfleggericht Laufen Akten 2881: Schreiben des Salzburger Hofrats vom 10. April 1786 an das Pfleggericht Laufen. 413 BayHStA Salzburger Mandatensammlung 1787/I/23: Zirkularbefehl des Hofrats vom 23. Januar 1787.

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barn Blitz und Hagel zuzuschicken. Wenn es diese Wirkung aber nicht habe, wieso sollte man dann den ganzen Sommer Geld für das benötigte Pulver verschwenden und einen Mann extra zur Beobachtung der Gewitter abstellen, den die Gemeinde auch noch bezahlen müsse?414 Die Obere Landesregierung nahm diesen Bericht zum Anlass, um die naturwissenschaftliche Expertise der Akademie der Wissenschaften zum Wetterschießen einzuholen.415 Das Gutachten der Akademie fiel eindeutig aus: So wie das Wetterläuten bereits als gefährliche Praktik verboten worden sei, müsse auch das Wetterschießen »als eine den benachbarten verdächtige, und wenigst dem gemeinen Wahn nach furchtbare Sache allenthalben abgeschaft werden […].«416 Die Obere Landesregierung machte sich diese Position zum Wetterschießen umgehend zu eigen und vertrat sie in einem Bericht zur Lage des Wetterläutverbots.417 Dazu führte sie jedoch nicht nur das Gutachten der Akademie der Wissenschaften an, sondern verwies auch auf die Gründe gegen das Wetterschießen in Johann Nepomuck Fischers Traktat zum Wetterläuten sowie auf die Korrespondenz mit Johann Jakob Hemmer hinsichtlich der Beurteilung des Wetterschießens,418 die beide zur Installation von Blitzableitern anstelle der schießenden wie auch der läutenden Gewitterabwehr rieten. Die Obere Landesregierung legte ihrem Bericht denn auch einen Verordnungsentwurf bei, der nicht nur Geldstrafen für verbotenes Wetterläuten vorsah, sondern auch das Wetterschießen bei gleichen Strafen untersagte.419 In der am 9. Juli 1784 erlassenen Verordnung, die die Vorschläge der Oberen Landesregierung zur Verschärfung des Wetterläutverbots übernahm, wurde die Frage des Wetterschießens jedoch explizit ausgeklammert, da »der Nutzen des Schießens bey Hochgewittern, so wie dessen Schädlichkeit weder durch hinreichende standhaltende Erfahrungen, noch durch gründliche physikalische Versuche bis jetzt [hat] dargethan, oder erkläret werden können […].«420 Anders als die Obere Landesregierung beurteilte der Kurfürst bzw. der Geheime Rat 414 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 6: Schreiben des Landgerichts Haag vom 18. Mai 1784 an die Haagsche Administration in München. 415 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 6: Zwei Schreiben der Oberen Landesregierung vom 28. Mai und 8. Juni 1784 an die Kurbayerische Akademie der Wissenschaften. 416 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 3978: Schreiben der Akademie der Wissenschaften an die Obere Landesregierung vom 15. Juni 1784. 417 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Bericht der Oberen Landesregierung vom 30. Juni 1784. 418 Dazu auch das Schreiben der Oberen Landesregierung vom 6. Juli 1784, in dem über ein Schreiben Hemmers vom 21. Juni informiert wird, in BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 6 und Kurbayern Obere Landesregierung 1323. 419 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Von der Oberen Landesregierung angefertigter Entwurf einer Verordnung zur Verschärfung des Wetterläutverbots und zum Verbot des Wetterschießens. 420 Mayr, Sammlung. Band 4, 668–669.

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die im Gutachten der Akademie, in Fischers Traktat und in der Korrespondenz mit Hemmer vorgebrachten Gründe gegen das Wetterschießen also als nicht ausreichend. Die Obere Landesregierung warb jedoch weiterhin für ein Verbot des Wetterschießens, indem sie beständig Beschwerden und Suppliken aus den untergeordneten Behörden zum Wetterschießen weiterleitete und für dessen Abstellung argumentierte.421 Dabei spielte auch die Korrespondenz mit dem Erzstift Salzburg um die Abschaffung des Wetterschießens in beiden Territorialstaaten eine Rolle (s. Kap. 6.4.1), da die Obere Landesregierung beständig darauf verweisen konnte, dass ein Verbot des Wetterschießens langfristig unumgänglich sei, um den Beschwerden des Erzstifts über Wetterschießen an der bayerischen Grenze zu Salzburg entgegen zu kommen.422 Im Jahr 1788 startete die Obere Landesregierung einen erneuten Anlauf: Sie verwies darauf, dass vier Jahre zuvor der Landesherr in der entsprechenden Verordnung die bisherigen wissenschaftlichen Gutachten als nicht ausreichend angesehen habe, um die Schädlichkeit des Wetterschießens zu beweisen. Nun habe die Akademie aber eine Preisfrage zu diesem Thema ausgeschrieben423 und die eingereichten Abhandlungen hätten alles das erschöpfend dargelegt, was der Kurfürst zum Wetterschießen noch habe wissen wollen, so dass diese Handlungspraktik nun genau wie das Wetterläuten auch verboten werden könne.424 Wieder fügte die Obere Landesregierung dem einen Verordnungsentwurf an, der nicht nur das Wetterläutverbot erneuerte, sondern auch einen Passus zum Verbot des Wetterschießens enthielt, das mit seiner Sinnlosigkeit und Gefährlichkeit sowie seinem Kostenaufwand für den Landmann begründet wurde.425 Auch diesmal lief die Obere Landesregierung jedoch mit ihrem Vorstoß zum Verbot des Wetterschießens ins Leere, da auf ihre Vorlage keine Resolution erfolgte, obwohl sie noch mehrfach im Jahr 1788 versuchte, bei aktuellen Berichten 421 So in einem Schreiben der Oberen Landesregierung vom 21. Juni 1785, in dem sie einen Bericht des Gerichts Schwaben vom 13. Juni weiterleitete, der über die Absicht von mehreren Dorfgemeinschaften informierte, sich zum Wetterschießen auszurüsten, da sie ja nun nicht mehr gegen das Wetter läuten dürften, in BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323. 422 Bspw. das Schreiben der Oberen Landesregierung vom 5. August 1785 bezüglich erneuter Beschwerden des salzburgischen Hofrats wegen Wetterschießens im ans Salzburgische angrenzenden Pfleggericht Kling, in BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323. 423 Das bezog sich auf die Preisfrage der Philosophischen Klasse der Akademie im Jahr 1785/87: »Was für eine Wirkung hat das Abfeuern des Geschützes auf die Wetterwolken? Was lehret in Rücksicht auf die verschiedenen Lagen die Erfahrung? Ist es als Mittel gegen die Wetter- und Hagelschäden einzuführen? Oder als den eignen oder als den nachbarlichen Fluren gefährlich zu verbieten?« Hammermayer, Geschichte. Band 2, 399–400. Diese Preisfrage lag Placidus Heinrichs Abhandlung zum Wetterschießen zugrunde, für die er den Preis von 50 Dukaten erhielt. 424 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Schreiben der Oberen Landesregierung an den Kurfürsten vom 11. April 1788. 425 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Vorlage einer Verordnung vom 11. April 1788.

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und Eingaben zum Wetterläuten und Wetterschießen den Kurfürsten bzw. den Geheimen Rat zu einer Entscheidung in dieser Frage zu veranlassen.426 Dieses Muster setzte sich in den Folgejahren fort: Anlässlich immer wieder einlaufender Berichte und Beschwerden aus den Land- und Pfleggerichten zum Wetterschießen – darunter auch wieder einer des Landgerichts Haag, das sich schon 1784 zu Wort gemeldet hatte,427 – hielt die Obere Landesregierung ihre Strategie, immer wieder neue Eingaben an den Kurfürsten zu richten, aufrecht. So wandte sich die Obere Landesregierung, nachdem sie Anfang 1791 die Anweisung zur Erneuerung des Wetterläutverbots erhalten hatte, erneut an den Kurfürsten mit der Bitte um die ebenfalls nötige Abstellung des Wetterschießens.428 Dabei verwies sie auf die große Zahl von Beschwerden aus dem In- und Ausland sowie die Meinung der Experten, die bestätigten, dass das Wetterschießen ebenso gefährlich wie das Wetterläuten sei. Aufgrund wechselseitiger Schuldzuweisungen, sich die Unwetter durch Wetterschießen zuzutreiben, so dass der eine Ort das Wetterschießen des Nachbarorts für eigene Unwetterschäden verantwortlich machte, sei es im Land bereits zu größter Unordnung, Feindschaft und selbst Tätlichkeiten gekommen. Auch hier hatte die Obere Landesregierung wieder eine Verordnungsvorlage entworfen, die nicht zur Ausführung kam. Sie erneuerte ihren Vorstoß deshalb im August 1791, nachdem die Regierung Burghausen einen Bericht zum Wetterschießen verfasst hatte, der die Haltung der Oberen Landesregierung zu dieser Handlungspraktik auf eine neue Grundlage stellte.429 Habe man bisher daran gezweifelt, dass das Wetterschießen über 426 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Schreiben der Oberen Landesregierung vom 23. Mai 1788, vom 27. Juni 1788 und vom 5. August 1788. Unklar bleibt an dieser Stelle, warum der Kurfürst und der Geheime Rat eine so große Zurückhaltung in der Frage der Reglementierung des Wetterschießens an den Tag legten, da es doch als mit dem Wetterläuten verbunden angesehen wurde und deshalb mindestens eine ähnliche Aufmerksamkeit hätte genießen sollen. Die erhaltenen Kommunikate und Sitzungsprotokolle des Geheimen Rates geben darüber keinen Aufschluss, so dass hier nur Vermutungen angestellt werden können. Möglicherweise lagen der ablehnenden Haltung des Geheimen Rates persönliche Überzeugungen einzelner seiner Mitglieder zur Nützlichkeit des Wetterschießens zugrunde. Auch machtpolitische Logiken herrschaftlichen Handelns könnten eine Rolle gespielt haben, indem man befürchtete, dass ein Verbot des Wetterschießens massenhaft unterlaufen werden könnte, da man ja bereits andere Praktiken der Gewitterabwehr wie die Wallfahrten, Prozessionen usw. sowie das Wetterläuten eingeschränkt bzw. untersagt hatte, so dass die Bevölkerung keine anderen tradierten Abwehrmittel mehr zur Verfügung gehabt hätte. 427 BayHStA GL Fasz. 1242 Nr. 144: Bericht des Landgerichts Haag vom 20. Juni 1789 an die Haagsche Administration über ein Donner- und Hagelunwetter, in dem das Gericht erneut das zugenommene Wetterschießen für die Schwere der Unwetter verantwortlich macht: »Fast in iedem Dorfe wird nun gelärmt und geschossen, und in der ganzen Refier auf iede schwarze Wolke gepulvert.« 428 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Schreiben der Oberen Landesregierung vom 4. März 1791. 429 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Schreiben der Oberen Landesregierung vom 5. August 1791.

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haupt einen Effekt habe, so hätten die immer wieder einlaufenden Berichte die Obere Landesregierung nun eines besseren belehrt. Diese zeigten nämlich, wie den Ortschaften, die kein Wetterschießen praktizierten, die Gewitter durch das Schießen anderer zugetrieben würden, was dann die übelsten Folgen in Form von Wolkenbrüchen und Hagelschlag für die Benachteiligten habe. Es sei also insgesamt besser, den Gewittern ihren freien, natürlichen Lauf zu lassen und das Schießen ganz zu verbieten. Dadurch könne man die Schäden reduzieren, die durch das Wetterschießen entstandenen Feindschaften zwischen den Orten mildern, das Geld für das Pulver sparen und die Gleichheit im Land wiederherstellen. Auch die nachdrücklichen Beschwerden aus dem benachbarten Ausland würden dann aufhören. Von dieser und anderen Eingaben scheint sich der Kurfürst bzw. Geheime Rat hat erweichen zu lassen, da der Oberen Landesregierung Ende August 1791 mitgeteilt wurde, dass man nun nach ihren wiederholten Gutachten auch das Wetterschießen zu verbieten gedenke.430 Im Mai 1792 erfolgte dann schließlich die Verordnung zum Verbot des Wetterschießens, für das die Obere Landesregierung so ausdauernd geworben hatte.431 Kaum war das Verbot in Kraft gesetzt, gingen wiederum Suppliken mit der Bitte um eine Ausnahmegenehmigung zum Wetterschießen ein. Die Obere Landesregierung wollte diese Bittgesuche zwar ausnahmslos ablehnen,432 aber der Kurfürst bzw. der Geheime Rat verfolgten hier die Politik, die Genehmigung in einigen Fällen zu erteilen, was die Obere Landesregierung zum Widerspruch veranlasste. Nachdem etwa die Gemeinde Perlach die Erlaubnis zum Wetterschießen erhalten hatte,433 protestierte die Obere Landesregierung unverzüglich und wies auf die Gefährdung der landesherrlichen Autorität hin: Wenn man den Perlachern das Schießen erlaube, so könnten zunächst die benachbarten Giesinger und in der Folge eine Menge anderer und schlussendlich alle Gemeinden eine Dispensation vom Verbot fordern, womit das ganze Mandat gegen das Wetterschießen aufhöre zu existieren. Die Bestimmungen zum Wetterschießen müssten ohne alle Ausnahmen gelten, indem entweder das Schießen an allen Orten generell untersagt oder erlaubt und sogar gefördert werde.434 Die Obere Landesregierung befürchtete 430 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Schreiben des Kurfürsten an die Obere Landesregierung vom 27. August 1791. 431 Verordnung vom 4. Mai 1792 in BayHStA Kurbayern Mandatensammlung 1792/V/4 und GR Fasz. 1206 Nr. 5, abgedruckt in Mayr, Sammlung. Band 5, 474. 432 Beispielsweise die Bitte mehrerer Hauptmannschaften im Pfleggericht Aibling, gegen das Wetter schießen zu dürfen: Schreiben der Oberen Landesregierung vom 8. Juni 1792 an mehrere Hauptmannschaften des Pfleggerichts Aibling, in BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323. 433 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Resolution vom 9. Juni 1792 an die Obere Landesregierung. 434 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Schreiben der Oberen Landesregierung vom 15. Juni 1792.

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also einen ›Dominoeffekt‹, dass eine einmal gewährte Ausnahme eine nicht wieder zu schließende Bresche in die Wirksamkeit des Verbots schlagen würde, die sich dann unweigerlich bis zur völligen Wirkungslosigkeit der Verbotsverordnung ausdehnen würde. Diese Befürchtung zeugt auch davon, dass die Obere Landesregierung von einem starken Bedürfnis in der Bevölkerung nach dem Wetterschießen ausging. Die Zentralbehörde sollte mit ihrer Vorhersage auch Recht behalten, da sie sich nur einige Tage nach ihrem Protest mit der Supplik der Giesinger Gemeinde auseinandersetzen musste, die wie befürchtet nun ebenfalls um eine Ausnahmegenehmigung zum Wetterschießen ersuchte. Man bat wie schon zuvor den Kurfürsten in dem zur Supplik verfassten Gutachten eindringlich, eingedenk der üblen Folgen für das Verbot des Wetterschießens mit der Genehmigung von Dispensen innezuhalten.435 Diesen Standpunkt vertrat die Obere Landesregierung auch weiterhin in Gutachten zu Suppliken zum Wetterschießen.436 Die Situation verschärfte sich derart, dass die Obere Landesregierung im August 1793 einen erneuten Appell an den Kurfürsten richtete:437 Sowohl das Wetterläuten als auch das Wetterschießen sei nach genauesten Vernehmungen und Untersuchungen durch Naturkundige verboten worden, was aber durch die gewährten Ausnahmen wieder konterkariert werde. Die Erlaubnis zum Wetterschießen für die Gemeinde Perlach sei dabei am verhängnisvollsten gewesen, da die benachbarten Orte nun glaubten, aus Selbstverteidigung dazu berechtigt zu sein, ebenfalls gegen das Wetter zu schießen, um sich die Gewitter vom Leib zu halten, so dass sich trotz aller wiederholten Verbote das Wetterschießen wieder von Ort zu Ort verbreite. Die eingegangenen Berichte belegten, dass die Ausnahme für die Gemeinde Perlach das Signal für die Gerichte Wolfratshausen, Aibling und Rosenheim war, das Wetterschießen wieder aufzunehmen. Nicht nur die Obere Landesregierung, sondern auch die Land- und Pfleggerichte sähen sich unter diesen Umständen außer Stande, das Verbot des Wetterschießens noch durchzusetzen. Daher müssten entweder sämtliche gewährten Ausnahmen zurückgenommen werden, um das Verbot des Wetterschießens wieder allgemein durchsetzen zu können, oder das Verbot selbst müsse aufgehoben werden. Tatsächlich hatte die Obere Landesregierung bereits ein Jahr zuvor, als das Verbot noch nicht erlassen worden war, vor dieser Entwicklung gewarnt, da durch Ausnahmen einerseits die landesherrliche Autorität untergraben und

435 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Schreiben der Oberen Landesregierung vom 18. Juni 1792. 436 So etwa anlässlich der Bitte der Gemeinden Anzing, Piring und Pürsing aus dem Pfleggericht Schwaben um Erlaubnis zum Wetterschießen; BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Schreiben der Oberen Landesregierung vom 3. Juli 1793. 437 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Bericht der Oberen Landesregierung vom 2. August 1793.

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andererseits im ganzen Land Unordnung und Verwirrung gestiftet werde: »Es ist allzeit besser, und der höchst landesherrl[ichen] authoritet anständiger, eher ein mandat nicht hinausgeben, als darauf nicht halten, dispensation geben, […] oder das Mandat gar aufheben.«438 Mit der gegebenen Situation konfrontiert entschied man sich dennoch für letzteres: Im November 1793 wurde das Generalverbot des Wetterschießens wegen der andauernden Beschwerden über seine Abschaffung und der fortwährenden Bitten um seine Wiedereinführung aufgehoben.439 Die Obere Landesregierung sah die Aufhebung des Generalverbots zum Wetterschießen in Kurbayern jedoch als problematisch an, da sie Auswirkungen auf das Wetterläutverbot befürchtete. So hätten die Ausnahmegenehmigungen und nun die Wiederzulassung des Schießens die Landbevölkerung in ihrem Glauben bestärkt, nun auch wieder gegen das Wetter läuten zu dürfen.440 Dass dies auch mit der angenommenen Notwendigkeit verbunden war, sich mit dem Wetterläuten gegen das Wetterschießen anderer Ortschaften verteidigen zu müssen, zeigt das bereits behandelte Beispiel der Gemeinde Rohrdorf, die das Glockengeläut einsetzte, um die durch das Schießen benachbarter Ortschaften vermeintlich zu ihnen hinüber getriebenen Unwetter abzuhalten (s. Kap. 6.3.1). Im übrigen sah sich nicht nur die kurbayerische Obrigkeit mit dem Druck der Bevölkerung zur Gestattung des Wetterschießens konfrontiert, da auch im Salzburgischen das Verbot des Wetterschießens 1805 zeitweise aufgehoben werden musste,441 um nur ein Jahr später nach der Angliederung Salzburgs an Österreich wieder in Kraft gesetzt zu werden.442 Die Problematik des Wetterschießens blieb trotz der Aufhebung des Verbots 1793 weiterhin virulent, da nach wie vor Gemeinden wegen des Wetterschießens supplizierten und um seine Abschaffung ersuchten, weil sie sich durch das Schießen anderer gegen das Wetter benachteiligt sahen. So reichten sämtliche Untertanen der drei Pfleggerichte Kling, Meermosen und Trostberg eine Supplik zur Wiederabschaffung des Wetterschießens ein, die von 42 Vertretern der Supplikanten (zwei pro Dorf) persönlich in München überbracht wurde.443 Die 438 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Schreiben der Oberen Landesregierung vom 4. März 1791. 439 Mayr, Sammlung. Band 5, 488. 440 So die Obere Landesregierung in einem Schreiben vom 2. September 1795, in BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323. 441 BayHStA Erzstift Salzburg Pfleggericht Laufen Akten 3040/a: Schreiben der kurfürstlichen Landesregierung Salzburg an das Pfleggericht Laufen vom 24. März 1805 mit der Erlaubnis zum Wetterschießen; Erzstift Salzburg Pfleggericht Laufen Akten 3040/b: Schreiben der kurfürstlichen Landesregierung Salzburg vom 13. August 1805 an das Pfleggericht Laufen mit einer Erläuterung zur Erlaubnis des Wetterschießens. 442 BayHStA Erzstift Salzburg Pfleggericht Laufen Akten 3052: Schreiben der K. K. R. Provisorischen Landesregierung vom 13. Juni 1806 an das Pfleggericht Laufen. 443 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Supplik aller Untertanen der Pfleggerichte Kling, Meermosen und Trostberg vom 22. Juni 1796.

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Bittschrift pries das ursprüngliche Verbot des Wetterschießens als eine Wohltat, in der »physische Ursachen und Gründe zum allgemeinen Besten in die Wirklichkeit der Gesetzgebung übergegangen« seien. Die Supplikanten fühlten sich durch die Aufhebung des Generalmandats benachteiligt. So seien sie erst vor kurzem von einem schweren Unwetter getroffen worden, das einen Totalschaden an ihren Feldfrüchten verursacht habe, wofür die supplizierenden Untertanen das Wetterschießen der benachbarten Bezirke verantwortlich machten, das die Unwetterwolken über ihnen zusammengeballt habe. Die Supplik führte dazu eine mit wissenschaftlichen Argumenten operierende Begründung an, die belegen sollte, dass das Wetterschießen einen höchst gefährlichen Einfluss auf die Wolken habe: »[D]enn durch das Schießen kann nur die Bewegung der Luft, und durch diese die Bewegung der Wolken Befördert werden. Keine donner Wolke kann sich aber durch sich selbst Verzehren, sondern muß sich unmittelbar abwärts auf die Erde entladen.« Zwar könne das Schießen die Wolken tatsächlich in ihrer Bewegung befördern, balle sie dafür aber zusammen statt sie zu zerteilen und sorge so dafür, dass das Unwetter mit um so größerer Heftigkeit im nächsten Ort ausbreche. Da auf diese Weise einzelne Orte zwar vor dem Hagel bewahrt werden könnten, dafür aber andere um so stärker getroffen würden, sei das Wetterschießen im ganzen höchst schädlich und ungerecht. Auf die Erneuerung ihres Ansinnens444 erhielten die Supplikanten jedoch nur einen ablehnenden Bescheid.445 Auch wegen dieser Eingabe der drei Pfleggerichte, die als Beleg für die um sich greifende Überzeugung von der Schädlichkeit des Wetterschießens gedeutet wurde,446 unternahm man 1800 unter neuer kurfürstlicher Regierung einen erneuten Versuch zur Abstellung dieser Handlungspraktik, wobei aus­drücklich der Zusammenhang mit dem Wetterläuten hergestellt und auf die Vorgängerverordnungen zum Verbot beider Gewitterabwehrpraktiken verwiesen wurde.447 Auch im 19. Jahrhundert blieb die Konfliktlage zum Wetterschießen jedoch bestehen, wie ein Bericht des Landgerichts Burghausen aus dem Jahr 1813 zeigt, in dem es sich über Wetterschießen im Landgericht Mühldorf, wo sogar ein eigener Turm für das Schießen errichtet worden sei, beschwerte und eine Durchsetzung des

444 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Supplik aller Untertanen der Pfleggerichte Kling, Meermosen und Trostberg vom 26. März 1797. 445 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Resolution vom 31. März 1797 mit Ablehnung des Bittgesuchs (handschriftliche Notiz zur Supplik). 446 So interpretierte es zumindest die Generallandesdirektion in ihrem Schreiben vom 16. April 1800 an das geheime Ministerialdepartement in geistlichen Sachen, was das erneute Verbot von Wetterläuten und Wetterschießen in die Wege leitete, in BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 5. 447 Verordnung vom 28. Mai 1800 in Mayr, Sammlung der Churpfalzbaierischen. Band 1, 185.

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Verbots des Wetterschießens forderte, da das fortdauernde Schießen den Ortschaften im Landgericht Burghausen die Unwetter zutreibe.448 Die obrigkeitliche Reglementierung des Wetterschießens im 18. Jahrhundert traf also auf eine ohnehin schon konfliktgeladene Lage der schießenden Gewitterabwehr in der Bevölkerung. Allerdings war hier nicht wie im Gewitterdiskurs des wissenschaftlichen Feldes die tatsächliche Wirksamkeit des Wetterschießens umstritten, sondern die Frage seiner Nützlichkeit oder Schädlichkeit. Dabei standen Gemeinden gegen Nachbargemeinden in einer Konfliktsituation, die sich in ihrer Grundkonstellation im Rahmen der Nachfolgepraktiken zum Wetterschießen sogar bis in die Gegenwart fortgesetzt hat:449 Diejenigen Ortschaften, die nicht gegen das Wetter schießen konnten, weil sie das Pulver nicht bezahlen konnten oder keinen Experten dieser Handlungspraktik zur Hand hatten,450 sahen sich durch das Schießen von Nachbargemeinden benachteiligt, das ihnen in der verbreiteten Überzeugung die Gewitter und Hagelschauer zu treibe. Zwar waren die landesherrlichen Behörden, allen voran die Obere Landesregierung, von der unmittelbaren Wirksamkeit des Wetterschießens nicht unbedingt überzeugt, zumal sie sich hierbei auf die naturwissenschaftliche Expertise der Akademie der Wissenschaften und anderer Naturforscher und Volksaufklärer wie Johann Jakob Hemmer und Johann Nepomuck Fischer verließen. Sie verschärften den Konflikt aber noch durch eine inkonsequente Reglementierungspolitik, bei der durch die Gewährung von Ausnahmen zum Schießen ein Flickenteppich hinsichtlich der Verbotsgültigkeit entstand. So wurden die Konfliktlinien vertieft und es entstand eine eigene Gerechtigkeitsproblematik, bei der Gemeinden sich der Bedrohung durch Unwetter ausgesetzt sahen, die von ihren Nachbarn, die die Erlaubnis zum Wetterschießen hatten,

448 St AM Generalkommissariat des Salzachkreises GR Fasz. 1206 Nr. 5: Schreiben des Landgerichts Burghausen vom 4. Juni 1813 an das Generalkommissariat des Salzachkreises. 449 So kam es in den 1960er Jahren in Pennsylvania über das Impfen von Wolken mit Silberjodid in den Blue Ridge Mountains zum Konfliktfall, bei dem örtliche Farmer diese Wetterkontrollmaßnahme, die von einer Obstbauernvereinigung in die Wege geleitet worden war, für eine anhaltende Dürre verantwortlich machten; Steinberg, Acts, 132–139. 450 Wie den Berichten, Suppliken und behördlichen Schreiben immer wieder zu entnehmen ist, war mit dem Wetterschießen Wissen um die wirksamste Form des Schießens zur Unwetterabwehr verbunden. Im Bericht des Landgerichts Marquartstein anlässlich der amtlichen Untersuchung von 1773 zum Wetterschießen hatte einer der Befragten zu Protokoll gegeben, dass der richtige Zeitpunkt des Schießens entscheidend sei: Wenn man mit dem Schießen zu lange warte, dränge man das Gewitter lediglich mit Gewalt über die Berge, von wo es dann wesentlich stärker wieder zurückkomme und nicht mehr so leicht vertrieben werden könne; BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 5: Schreiben des Landgerichts Marquarstein an das Poli­ cey-Collegium vom 25. Februar 1773. Auch Placidus Heinrich hatte in seiner Abhandlung zum Wetterschießen bestimmte Vorgaben zum Schießen gemacht, die eingehalten werden müssten, um das gewünschte Ergebnis der Vertreibung oder Zerteilung von Unwettern zu erzielen; Heinrich, Abhandlung, 61–92.

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hinüber geschossen wurden, wogegen sie selbst sich aber nicht mit eigenem Wetterschießen verteidigen durften. Dass es in dieser Situation zu Eskalationen und eklatanten Verbotsverstößen kam, wie im Fall der Gemeinde Rohrdorf, war die logische Folge dieser Reglementierungspolitik.

6.3.4 Zusammenfassung – der Gewitterdiskurs im letzten Drittel des 18. Jh. Wie aus den behandelten Konfliktszenarien zur Gewitterabwehr zu ersehen ist, entwickelte sich ab den 1770er Jahren in Kurbayern ein Diskursfeld um die Gewitter und Unwetter, in dessen Mittelpunkt die Handlungspraktiken des Wetterläutens, Wetterschießens und des Blitzableiters standen. So begann die verwaltungstechnische Auseinandersetzung mit dem Wetterläuten bereits Anfang der 1770er Jahre, als in einer ersten Verordnung zum Wetterläuten und Wetterschießen beide Praktiken noch zurückhaltend behandelt wurden. Die nächste Verordnung zum Wetterläuten von 1783 verbot dann diese Form der Gewitterabwehr und schränkte das Glockenläuten bei heraufziehendem und abziehendem Gewitter auf die kurzen Glockenzeichen des Angelusläutens ein. Eine Erneuerung des Verbots im folgenden Jahr sah dann bereits Geld- und Zuchthausstrafen für Zuwiderhandlungen vor und sogar die Todesstrafe für diejenigen, die das Wetterläuten mit Gewalt erzwingen wollten. Diese Strafandrohungen konnten die läutende Gewitterabwehr jedoch nicht zur Gänze unterbinden, wie die bis Anfang des 19. Jahrhunderts mehrfach erlassenen Erneuerungen des geltenden Verbots und die wiederholten Berichte aus den Landgerichten zu verbotenem Wetterläuten belegen. Kurbayern stand außerdem mit dieser Reglementierungspolitik nicht alleine, da auch in den benachbarten Territorialstaaten wie Österreich, Hochstift Augsburg und Erzstift Salzburg im selben Zeitraum inhaltlich parallele Verbotsverordnungen zum Wetterläuten erlassen wurden. Im engen Zusammenhang mit der Reglementierung des Wetterläutens stand die obrigkeitliche Förderung des Blitzableiters. Hierzu hatte man im Dezember 1784 kurz nach der Erneuerung des Wetterläutverbots die Bestimmung erlassen, dass bei allen Reparaturen und Neubauten von Kirchen auf den Türmen Blitzableiter zu installieren seien. Die Technologie zur Gewitterabwehr sollte repräsentativ dort installiert werden, wo zuvor das Wetterläuten praktiziert worden war, so dass mit dem weithin sichtbaren Ableiter am angestammten Ort der als abergläubisch erachteten läutenden Gewitterabwehr der Sieg der Aufklärung über den Aberglauben inszeniert werden konnte. Zur selben Zeit wie die ersten Verbotsverordnungen zum Wetterläuten kam auch eine innerbehördliche Debatte um das Wetterschießen auf, bei der sich vor allem die Obere Landesregierung für ein Verbot der schießenden Gewitterabwehr einsetzte. Erst nach

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langem Werben der Zentralbehörde wurde das Wetterschießen 1792 verboten. Nachdem der Kurfürst bzw. der Geheime Rat jedoch mehrfach Ausnahmegenehmigungen für supplizierende Gemeinden zum Wetterschießen erteilt hatte, sah sich die Obere Landesregierung außer Stande, das Verbot des Wetterschießens noch länger aufrechtzuerhalten und durchzusetzen, so dass es nur ein Jahr später wieder aufgehoben wurde. Bestimmte Problematiken wie die Aufrechterhaltung der Abgaben des Glockenlehens für die Messner waren zwar spezifisch für das Wetterläuten. Allerdings wiesen die mit dem Wetterläuten und dem Wetterschießen verbundenen Konfliktszenarien durchaus Ähnlichkeiten und Parallelen auf, was die Verbundenheit beider Handlungspraktiken illustriert. Wie beim Wetterschießen gingen auch in Bezug auf das Wetterläuten viele Suppliken bei den landesherrlichen Behörden ein, die um eine Aufhebung der geltenden Verbotsverordnungen ersuchten, weil man sich nur durch diese Praktiken gegen Gewitter und Hagel glaubte schützen zu können. Besonders im Zusammenhang mit der obrigkeitlichen Forcierung der Installation von Blitzableitern auf den Kirchtürmen zeigte sich das Vertrauen in die althergebrachte Praktik des Wetterläutens, die nun von der neuen Technologie mit möglichen unbekannten Nebenwirkungen, die Haus, Besitz und Leben gefährden konnten, verdrängt werden sollte. Der resultierende Protest und in Teilen gewalttätige Widerstand wie im Fall der Stadt Rosenheim illustriert genauso das Misstrauen in die Technik des Blitzableiters wie das Festhalten am vertrauten Läuten der Glocken gegen die Unwetter. Anders als beim Wetterläuten, das in den Bittschriften positiv gesehen wurde, gab es für das Wetterschießen auch Eingaben, die seine gänzliche Abstellung forderten. Diese Kommunikation zwischen Obrigkeit und Bevölkerung auf dem Wege der Suppliken begleitete eine Problematik, die wiederum dem Wetterläuten und Wetterschießen gemeinsam war: Sowohl durch das Läuten als auch das Schießen von Gemeinden konnten sich ihre Nachbarn benachteiligt sehen, da sie befürchteten, dass dadurch die Gewitter und Unwetter zu ihnen abgetrieben werden könnten. Das Resultat konnten ›Wetterkriege‹ zwischen Gemeinden sein, die sich wechselseitig die Unwetter mit Läuten und Schießen zutrieben, wie es die Gemeinde Rohrdorf bei Rosenheim mit ihren Nachbargemeinden tat. Diese Situation konnte speziell für das Wetterschießen noch dadurch verschärft werden, dass einige Gemeinden nicht die Ressourcen zur Verfügung hatten, um sich mit eigenem Schießen gegen die Gewitterabwehr ihrer Nachbarn zu verteidigen. Die Obrigkeit tat durch eine inkonsequente Haltung in der Reglementierungpolitik noch das ihrige, um diese Konfliktsituation bis zur Gerechtigkeitsproblematik zu verschärfen, indem sie einigen supplizierenden Gemeinden Ausnahmegenehmigungen zum Läuten und Schießen erteilte. Das sorgte dafür, dass sich wiederum andere Gemeinden darüber beschwerten, dass ihre Nachbarn nun die eigentlich verbotenen Formen der Gewitterabwehr praktizieren dürften, sie hingegen nicht. Die Obere Landesregierung stellte sich zwar gegen diese Praxis der Dispensatio-

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nen von den geltenden Verboten des Wetterläutens und Wetterschießens, konnte aber letztlich nicht verhindern, dass infolge dieser Politik besonders das Verbot des Wetterschießens nur noch partiell galt oder schlicht ignoriert wurde, so dass es schließlich ganz aufgehoben werden musste. Zu diesen beiden Praktiken kam der Blitzableiter als wissenschaftlich und obrigkeitlich beförderte Technologie der Blitzabwehr hinzu, wobei er im Gewitterdiskurs gegen die anderen Handlungspraktiken positioniert wurde. Dass die schießende und läutende Gewitterabwehr sowie die auf dem Elektrizitätsparadigma aufbauende Technologie des ›Wetterableiters‹ einen Zusammenhang bildeten und im wechselseitigen Bezug zueinander verhandelt wurden, stellte einen wesentlichen Grundzug des bayerischen Gewitterdiskurses im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts dar. Dass in der behördlichen Verwaltungskommunikation ein expliziter Zusammenhang von Wetterläuten, Wetterschießen und Blitzableiter hergestellt wurde, ist besonders aus dem Bericht der Oberen Landesregierung von 1784 zur Lage des Wetterläutverbots zu ersehen, in dem nicht nur eine Verschärfung der Verbotsbestimmungen, sondern auch eine Abschaffung des damit zusammenhängenden Wetterschießens sowie an ihrer Statt die Installation von Blitzableitern gefordert wird.451 Und bereits die ursprüngliche Empfehlung der Oberen Landesregierung zur Abschaffung des Wetterläutens hatte auf die Einführung der Blitzableiter Bezug genommen, da die läutende Gewitterabwehr als eine dem entgegenstehende Handlungspraktik betrachtet wurde.452 Aber auch im volksaufklärerischen Diskurs zur Gewitterabwehr waren die drei Praktiken beständig aufeinander bezogen, was im Titelkupfer der zweiten Auflage von Johann Nepomuck Fischers Werk gegen das Wetterläuten seinen exemplarischen Ausdruck findet (s. Abb. 5): In der oberen rechten Bildhälfte wird ein Geschütz gegen die Gewitterfront abgefeuert, darunter wird die Kirchenglocke gegen das Gewitter geläutet, während sich jemand aus der Kirche in Sicherheit bringt und zwei im Vordergrund der Kirche platzierte Personen vor dem Unwetter fliehen. In den Gewitterwolken in der linken Bildhälfte, aus denen ein Blitz zur Erde fährt, lehnt sich ein Jupiter mit Blitzen in der Hand lässig aufgestützt auf eine Wolke und sieht dem Treiben der Menschen unbeeindruckt zu. Die einzige Person, die ihm in der Unwetterfront zugewandt bleibt, steht dagegen hinter einer Ableiterstange. Die Aussage dieser Bildkomposition ist klar: Alle anderen Praktiken der Gewitterabwehr außer dem Blitzableiter sind wirkungslos. Nur dieser bietet letztlich eine Chance, den Blitz zu bändigen.

451 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Bericht der Oberen Landesregierung vom 30. Juni 1784 an den Kurfürsten. 452 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Schreiben der Oberen Landesregierung vom 15. Oktober 1781 an den Kurfürsten.

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Abb. 5: Titelkupfer aus Fischer, Beweis. 2. Aufl. (Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen)

In diesem von den drei behandelten Handlungspraktiken gekennzeichneten Gewitterdiskurs mit den Feldern von Obrigkeit, Wissenschaft, Religion und Öffentlichkeit bzw. Bevölkerung waren die Argumentationsmuster klar verteilt. Besonders im wissenschaftlichen Diskursfeld dienten religiöse Deutungsmuster vor allem als Hintergrundfolie für die eigene Positionierung. Straftheologie und religiös-magische Deutungsmuster des Gewitters und der mit ihnen verbundenen Abwehrpraktiken waren in erster Linie der Kritik ausgesetzt. Eine Ausnahme bildete die physikotheologische Deutung des Gewitters, die zur Abwehr der als abergläubisch erachteten und auf einer falschen Auffassung von der Religion basierenden Frömmigkeitspraktiken eingesetzt wurde. Bestimmend sind säkular-wissenschaftliche Deutungsansätze, die selbst auf Handlungspraktiken mit einem religiösen Quellbereich wie das Wetterläuten angewendet wurden. In der Bevölkerung hielten sich jedoch noch die Überzeugungen von religiösen Deutungsmustern bzw. religiös konnotierten Handlungspraktiken wie dem Wetterläuten. Teilweise lagen sie den Protesten und Widerständen gegen die Reglementierungspolitik sowie der Ablehnung der Einführung des Blitzableiters zugrunde. Jedoch sind sie gerade am Beispiel der Suppliken nur schwer auszumachen, da sie durch die Sagbarkeitsregeln des Diskurses, der eher wissenschaftlich-technische Deutungen und Argumente beförderte, blockiert wurden und im Rahmen der Kommunikationsform der Suppliken nicht opportun waren. Argumente aus dem wissenschaftlichen Diskursfeld und der auch medialen Volksaufklärung, wie die physikalische Wirkungslosigkeit des Wetterläutens und seine Gefährlichkeit für die Messner, wurden in den obrigkeitlichen Verord-

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nungen übernommen. Physikotheologische Versatzstücke kamen zwar auch in den herrschaftlichen Verlautbarungen vor, spielten aber eine nur untergeordnete Rolle. Die lange zwiespältige Haltung im wissenschaftlichen Feld zum Wetterschießen, ob es überhaupt einen Effekt auf Unwetterwolken habe und ob dieser positiv oder negativ zu beurteilen sei, spiegelte sich auch in der nur zögerlichen Reglementierungspolitik der Landesherrschaft wieder. Hier wurde eine Verbotsverordnung nicht nur sehr viel später als zum Wetterläuten erlassen, sondern diese wurde auch durch die Gewährung von Ausnahmegenehmigungen zum Schießen sogleich wieder zur Makulatur gemacht. In ihrer Reglementierung des Wetterläutens und des Wetterschießens nahm die kurbayerische Obrigkeit nicht nur Argumente und Inhalte des wissenschaftlichen Feldes sowie der durch Publikationen und Presse transportierten Volksaufklärung auf, sondern bediente sich beider auch gezielt selbst, um für ihre Reglementierungspolitik zu werben und eine erhöhte Akzeptanz bei der Bevölkerung zu erzeugen. Hier können in der Förderung volksaufklärerischer Traktate, dem Einsatz der aufklärerischen Presse und der Zensurpolitik Ansätze einer Medien- und Publikationsstrategie der kubayerischen Obrigkeit beobachtet werden, die auf die Beförderung der Reglementierungspolitik der Gewitterabwehr abzielte. Besonders im Zusammenhang mit dem Wetterläuten setzte die Obrigkeit zudem die Pfarrer ein, um ihre Verbotsverordnungen den Gemeinden bekannt zu machen, sie in ihren Gründen zu erläutern und vor Ort durchzusetzen, wobei das Argument, dass dies im Interesse der Bevölkerung selbst geschehe, von nicht geringer Bedeutung war. Die kurbayerische Landesherrschaft gründete ihre Reglementierungspolitik dabei auf wissenschaftliche Expertise. Nicht nur holte man die Meinung anerkannter Naturforscher wie Johann Jakob Hemmer ein und begründete die Verbote und Einschränkungen der Praktiken der Gewitterabwehr mit den Kritiken derselben in volksaufklärerischen Traktaten wie Johann Nepomuck Fischers Werk gegen das Wetterläuten. Man bediente sich auch der Akademie der Wissenschaften als Expertenpool, indem sie mit entsprechenden Gutachten zu den Gewitterabwehrpraktiken beauftragt wurde, die dann als Grundlage der Reglementierung herangezogen wurden. Gleichzeitig wurde die Einführung des Blitzableiters als Technologie der Blitzabwehr auf der Grundlage des Gutachtens der Akademie der Wissenschaften durchgeführt. Im Ergebnis ist trotz ihrer Inkonsistenzen und der besonders bei der Behandlung des Wetterschießens zu beobachtenden unterschiedlichen Positionen im landesherrlichen Behördenapparat als ein wesentlicher Grundzug landesherrlicher Reglementierungspolitik der Gewitterabwehr eine Verbindung von Obrigkeit und wissenschaftlichem Feld auszumachen, die den Gewitterdiskurs im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts prägt. Es etablierte sich eine Sichtweise des Gewitters bzw. des Unwetters, die es als elektrisches Phänomen der Natur begriff, das nach empirisch bestimmbaren, physikalischen Gesetzmäßigkeiten

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verläuft. Diese Deutungsperspektive bestimmte wiederum die Sagbarkeitsregeln in der Verwaltungskommunikation zur Gewitterabwehr, die verwissenschaftlichte Deutungsansätze des Gewitters und des Blitzes beförderte und alternative Perspektiven wie religiöse Deutungsmuster blockierte. Damit reihte sich die wissenschaftliche Dekodierung des Gewitters in die sich entwickelnde meteorologische Deutung des Wetters allgemein ein, das als ein kausaler Mechanismus verstanden wurde, der nach den ihm eigenen Gesetzmäßigkeiten entschlüsselt werden kann. Auch in Bezug auf den Gewitterdiskurs sind also Gouvernementalisierungsprozesse als Verbindung von Regierungstechniken und Wissenschaft zu beobachten, wie sie schon für die Entwicklung des Wasserbaus prägend waren, die sich bis in die Verwaltungskommunikation hinein auswirkten. Der Blitzableiter als Ergebnis der Gewitterforschung vor dem Hintergrund des Elektrizitätsparadigmas erschien hier als die geeignete Technologie, um auf der Basis der erkannten Wirkungsmechanismen des Gewitters sich vor seinen schädlichen Folgen zu schützen. Damit hatten nicht nur die alten Abwehrpraktiken des Wetterläutens und Wetterschießens im von der obrigkeitlich-wissenschaftlichen Allianz bestimmten Gewitterdiskurs ausgedient, sondern auch ihre Experten, die Messner und die im Schießen Kundigen. An ihre Stelle trat eine neue Gruppe von Experten für die Ableitertechnologie, die sich jedoch erst mit der Entwicklung des Blitzableiters finden und in Abgrenzung von anderen bestimmen musste. Mit welchen Distinktionskämpfen die Ausbildung dieser Gruppe vonstatten ging, wird noch zu behandeln sein.

6.4 Gewitterabwehr als Politikum Konflikte um die Handlungspraktiken der Gewitterabwehr gab es nicht nur im innerbayerischen Gewitterdiskurs, sondern auch zwischen Kurbayern und seinen Nachbarstaaten. Dabei wiesen diese zwischenstaatlichen Konflikte durchaus Unterschiede zu den Auseinandersetzungen Kurbayerns mit seinen Nachbarterritorien bezüglich des Wasserbaus auf. Anders als Hochwasser und Überschwemmungen sind Gewitter als Wetterphänomene räumlich unscharf definiert, da Überschwemmungen in den Naturräumen der Flusstäler eine landschaftliche Begrenzung haben, die für die Gewitter und Unwetter so nicht gegeben ist. Im Gegensatz zu den Flüssen und der mit ihnen verbundenen Handlungspraktik des Wasserbaus können Gewitter und Unwetter nicht als Grenzen dienen, so dass erstere die Funktion als naturräumliche Grenzmarker zugewiesen bekommen konnten, während die Gewitter und Unwetter grenzübergreifend sind. Entsprechend formierten sich die zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen und Verhandlungen um die Reglementierung der Praktiken der Gewitterabwehr nicht wie im Fall des Wasserbaus um die Inszenierung

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von Herrschaft und Souveränität über das eigene Territorium an der Grenze. Sie zielten vielmehr letztlich auf die eigene Bevölkerung als Referenzgröße, da durch eine nicht abgestimmte, sich widersprechende Reglementierungspolitik benachbarter Staaten Zweifel an der Sinnhaftigkeit erlassener Verbote in der Bevölkerung geschürt wurden. Die Folge konnten wiederum Nichtbeachtung und Übertretung geltender Verbote sein, was die Durchsetzungsfähigkeit der Obrigkeit und die Gültigkeit der landesherrlichen Gesetzgebung in Frage stellte. Außerdem konnten sich die bekannten Konfliktmuster um die Gewitterabwehr zwischen benachbarten Gemeinden entzünden, nur diesmal über die Grenze hinweg, so dass sich eine Dynamik von Wetterläuten bzw. Wetterschießen zur Abwehr von Unwettern von diesseits und jenseits der Grenze ergab, bei der man sich die Unwetter wechselseitig zuzutreiben vermeinte. Aus all dem resultierte die Gemeinsamkeit der zwischenstaatlichen Konflikte um den Wasserbau und um die Gewitterabwehr: die Herausbildung eines Regelungsbedarfs, der zwischen den Staaten verhandelt werden musste.

6.4.1 Zwischenstaatliches »Naturgefahrenmanagement« Bezüglich der Gewitterabwehr kam es besonders zwischen Kurbayern und dem benachbarten Erzstift Salzburg zu Auseinandersetzungen, die bereits Anfang der 1770er Jahre einsetzten.453 Im April 1771 hatte das Erzstift den Nachbarstaat um eine Reglementierung des Wetterschießens ersucht, das man in Salzburg bereits 1767 untersagt hatte, nachdem es auch in Tirol verboten worden war. Der Salzburger Hofrat regte ein gemeinsames Verbot des Wetterschießens in österreichischen, kurbayerischen und salzburgischen Gebieten an, was die Untertanen vielleicht mehr als alles andere von ihrem »Vorurtheil« zu dieser Form der Gewitterabwehr abbringen werde.454 Die zwei Jahre später erfolgte Erneuerung dieser Anfrage zu einer gemeinsamen Reglementierungspolitik der Gewitterabwehr455 löste die bereits erwähnte Untersuchung zum Wetterschießen in den kurbayerischen Land- und Pfleggerichten aus (s. Kap. 6.2.3). Diese Bemühungen um Klarheit in Bezug auf das Wetterschießen stellte der Münchner Hofrat in seiner Antwort an das Erzstift Salzburg auch dar, konnte aber letztlich nur mitteilen, dass man beschlossen habe, die eigene Bevölkerung in einer Verordnung

453 Eine sehr knappe und inhaltlich lückenhafte Darstellung dieses Konfliktszenarios auch in Brittinger, Die bayerische Verwaltung, 21. 454 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 5: Kopie des Schreibens des Salzburger Hofrats vom 30. April 1771. 455 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 5: Schreiben des Salzburger Hofrats an den kurbayerischen Hofrat vom 18. Januar 1773.

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darüber aufzuklären, dass das Läuten und Schießen nur bei heraufziehendem Gewitter von Nutzen und sonst eher nachteilig sei.456 Diese Haltung Kurbayerns zum Wetterschießen entsprach nun nicht der von Salzburger Seite erhofften Reglementierung. Bereits kurz zuvor hatte der Salzburger Hofrat den an Kurbayern angrenzenden Gerichtsbezirken das Wetterschießen erlaubt, um sich zur Wehr setzen zu können, falls in den benachbarten bayerischen Bezirken nach wie vor gegen das Wetter geschossen werde.457 Die salzburgischen Pfleggerichte tauschten daher untereinander Informationen aus, um in Erfahrung zu bringen, in welchen bayerischen Orten und Bezirken das Wetterschießen betrieben werde, um eine schießende Gegenwehr begründet rechtfertigen zu können.458 Sie nahmen aber auch direkt mit ihren bayerischen Pendants Kontakt auf, um sie auf dieser niedergerichtlich nachbarschaftlichen Ebene zur Abstellung des Wetterschießens zu bewegen.459 Zwei Jahre später war diese Politik Salzburgs, den an Kurbayern angrenzenden Gerichten das Wetterschießen zu erlauben, jedoch gescheitert, da die Gerichtsbezirke diese Erlaubnis zum Wetterschießen ausnutzten, um nicht nur über die Grenze in Richtung Kurbayern, sondern auch gegen benachbarte salzburgische Gerichte gegen das Wetter zu schießen, wie der Salzburger Hofrat in einem Schreiben an das Pfleggericht Laufen beklagte.460 Der Laufener Pfleger rechtfertigte sich damit, dass die Bauernschaft seines Gerichtsbezirks selbst wünsche, dass das Wetterschießen entweder für alle erlaubt oder ohne Ausnahme abgeschafft werde. Der Pfleger sprach sich dafür aus, mit dem Schießen zumindest so lange innezuhalten, bis es gründlicher erforscht und die günstigsten Geschützpositionen entlang der Grenze zu Kurbayern identifiziert seien.461 Der Salzburger Hofrat unternahm daher einen erneuten Versuch, den Nachbarn von einem gemeinsamen Verbot des Wetterschießens zu überzeugen. Der 456 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 5: Schreiben des kurbayerischen Hofrats an den Salzburger Hofrat vom 1. Juli 1773. 457 BayHStA Erzstift Salzburg Pfleggericht Laufen Akten 9898: Schreiben des Salzburger Hofrats vom 17. Mai 1773 an das Pfleggericht Laufen. 458 BayHStA Erzstift Salzburg Pfleggericht Laufen Akten 2804: Schreiben des Pfleggerichts Laufen vom 26. Mai 1773 an die Pfleggerichte Tittmoning, Teisendorf und Waging; BayHStA Erzstift Salzburg Pfleggericht Laufen Akten 2804: Antwortschreiben des Pfleggerichts Tittmoning vom 28. Mai 1773 an das Pfleggericht Laufen. 459 So richtete etwa das salzburgische Pfleggericht Laufen an das kurbayerische Pfleg­ gericht Traunstein eine entsprechende Aufforderung, BayHStA Erzstift Salzburg Pfleggericht Laufen Akten 3939: Schreiben des kurbayerischen Pfleggerichts Traunstein vom 1. Juni 1773 an das salzburgische Pfleggericht Waging. In einem Schreiben des Pfleggerichts Waging vom 2. Juli 1773 an das Pfleggericht Laufen wird letzterem die amtliche Kommunikation mit dem bayerischen Gericht Traunstein übermittelt. 460 BayHStA Erzstift Salzburg Pfleggericht Laufen Akten 2816: Schreiben des Salzburger Hofrats vom 2. Juni 1775 an das Pfleggericht Laufen. 461 BayHStA Erzstift Salzburg Pfleggericht Laufen Akten 2816: Antwortschreiben des Pfleggerichts Laufen vom 4. Juli 1775 an den Salzburger Hofrat.

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salzburgische Hof- und Legationsrat Joseph Ernst Gilowsky von Urazowa verfasste dazu ein »Pro Memoria« für das Policey-Collegium in München, in dem er der Hoffnung Ausdruck verlieh, dass der kurbayerischen Seite »eine denen zusamengränzenden Ländern eben nöthige, als nüzliche Gleichheit in Ansicht des abzuschaffenden Wetterschüssens belieben würde […].« Gilowsky warb in seinem Memorandum für ein Verbot des Wetterschießens in beiden Territorialstaaten, da es nicht alle diejenigen schütze, die es praktizierten, und auch mit der Schädigung eines anderen verknüpft sein könne, der zu arm sei, um sich diese Form der Gewitterabwehr leisten zu können, oder in einer Gegend wohne, wo sich die Unwetterwolken durch das Schießen zusammenballten und mit umso mehr Gewalt ausbrächen.462 Auch dieser erneute Vorstoß Salzburgs erzielte nicht das gewünschte Ergebnis, da sich Kurbayern noch bis Anfang der 1790er Jahre Zeit ließ, das Wetterschießen zu verbieten. Mit Österreich hatte Salzburg dagegen eine Übereinstimmung erzielen können, da hier das Wetterschießen ebenfalls offiziell verboten war und auch weiterhin verboten bleiben sollte, wie dem Erzstift von mehreren Landesregierungen der Provinzen des Habsburgerstaates versichert wurde.463 An einer gemeinsamen Reglementierung des Wetterläutens zeigte sich Kurbayern seit den 1780er Jahren jedoch interessiert. So hatte die Obere Landesregierung das Verbot von 1783 nicht nur den umliegenden Fürstbistümern kommuniziert und diese zu eigenen Verboten gedrängt,464 sondern sich auch an das Erzstift Salzburg mit der Bitte um eine Abstellung des Wetterläutens gewandt. Der Salzburger Hofrat hatte darauf zwar mit der positiven Aussicht auf eine Reglementierung des Wetterläutens geantwortet, sah dafür jedoch auch die gemeinsame Abschaffung des mit der läutenden Gewitterabwehr eng verbundenen Wetterschießens als notwendig an.465 Die Obere Landesregierung äußerte sich dazu wiederum 462 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 5: »Pro Memoria« des Salzburger Hof- und Legationsrats Joseph Ernst Gilowsky von Urazowa vom 9. September 1775 an das kurbayerische PoliceyCollegium. 463 BayHStA Erzstift Salzburg Pfleggericht Laufen Akten 2896: Schreiben des Salzburger Hofrats vom 20. März 1787 an das Pfleggericht Laufen mit der Benachrichtigung, dass die Gubernien in Linz, Graz und Innsbruck bestätigt hätten, dass das Verbot des Wetterschießens im Österreichischen nach wie vor gültig sei. 464 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: In diesem Bestand sind einerseits die Meldungen des Verbots an die im Kurbayerischen gelegenen Kirchsprengel der Bistümer Salzburg, Augsburg, Passau, Regensburg, Eichstätt und Freising enthalten und andererseits deren Vollzugsmeldungen an die Obere Landesregierung. Das Hochstift Passau schaffte daraufhin auch tatsächlich das Wetterläuten selbst ab; BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Schreiben des Bistums Passau vom 21. Juni 1784 an die Obere Landesregierung, das als Reaktion auf ein entsprechendes Ansinnen der Oberen Landesregierung vom 12. Mai über die Abschaffung des Wetterläutens im Hochstift informiert. 465 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Schreiben des Salzburger Hofrats an die Obere Landesregierung vom 21. Juni 1784.

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sehr optimistisch und versicherte, dass eine Entschließung zum Verbot des Wetterschießens demnächst erfolgen werde, auch da nunmehr ein Gutachten der Akademie der Wissenschaften und Johann Nepomuck Fischers Werk zum Wetterläuten die Schädlichkeit des Wetterschießens eindeutig belegten.466 Nach der Verordnung vom 9. Juli 1784 zur Erneuerung des Wetterläutverbots musste sie jedoch kleinlaut eingestehen, dass die kurbayerische Landesherrschaft die dargelegten physikalischen Beweise nicht für ausreichend hielt, um ein Verbot des Wetterschießens zu rechtfertigen.467 Die Beschwerden des Erzstifts Salzburg über das Wetterschießen von bayerischer Seite hielten deshalb an, wobei die Obere Landesregierung diese Eingaben Salzburgs nutzte, um ihrerseits für das Verbot des Wetterschießens in Kurbayern zu werben.468 Als die Obere Landesregierung mit ihren beständigen Memoranden und Eingaben schließlich im Mai 1792 ein Verbot des Wetterschießens erreicht hatte, forderte sie den Salzburger Hofrat unverzüglich auf, in den an Kurbayern angrenzenden Salzburger Gerichtsbezirken ebenfalls das Wetterschießen einzustellen, da eine schießende Gegenwehr nun nicht mehr nötig sei.469 Etwas mehr als ein Jahr später wurde das Verbot jedoch schon wieder aufgehoben, was die Auseinandersetzungen zwischen Kurbayern und Salzburg zur Gewitterabwehr erneut akut werden ließ. So hatte die Regierung Burghausen nunmehr Schwierigkeiten, dem Salzburger Hofrat zu vermitteln, dass das Wetterschießen wieder zugelassen war, da sie erst kurz zuvor zugesichert hatte, dass es in Bayern nach wie vor verboten sei.470 Diese Aussicht behagte den Salzburgischen Pfleggerichten entlang der Grenze zu Kurbayern gar nicht, da sie verstärkte Unwetterschäden durch das bayerische Wetterschießen befürchteten. Der Mühldorfer Pfleggerichtskommissar schlug dem Salzburger Hofrat deshalb vor, dass er sich bei der kurbayerischen Oberen Landesregierung dafür verwenden solle, entweder das Wetterschießen in Kurbayern wieder abzuschaffen oder eine Form der Entschädigung für die durch das 466 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Schreiben der Oberen Landesregierung an den Salzburger Hofrat vom 26. Juni 1784. 467 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Schreiben der Oberen Landesregierung an den Salzburger Hofrat vom 23. Juli 1784. 468 So nutzte die Obere Landesregierung in einem Schreiben vom 5. August 1785 eine Beschwerde des Salzburger Hofrats über Wetterschießen im an das Erzstift angrenzenden Pfleggericht Kling für den Appell, zumindest in den an das Salzburgische grenzenden Ge­ richtsbezirken das Wetterschießen zu verbieten; in BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323. 469 BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323: Schreiben der Oberen Landesregierung vom 8. Juni 1792 an den Salzburger Hofrat. 470 Die Regierung Burghausen legte diese Problematik in einem Schreiben vom 27. März 1794 an die Obere Landesregierung dar und fragte an, ob man trotz der Zusicherung an die Salzburger Seite das Wetterschießen dennoch wieder erlauben solle; BayHStA Kurbayern Obere Landesregierung 1323.

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Schießen entstandenen Unwetterschäden einzurichten.471 Eine Entschädigung für das bayerische Wetterschießen erhielten die Salzburger Gerichte zwar nicht, aber die weiterhin fortgesetzten Beschwerden des Erzstifts über die bayerische schießende Gewitterabwehr hatten Ende der 1790er Jahre schließlich den Erfolg, dass das Verbot des Wetterschießens in Kurbayern erneuert wurde. Im Juli 1799 wandte sich der Salzburger Hofrat an die Generallandesdirektion, um die unaufhörlichen Beschwerden der Salzburgischen Untertanen in den Pfleggerichten Tittmoning und Mühldorf weiterzuleiten, die das bayerische Wetterschießen für die Unwetterschäden an ihren Feldfrüchten verantwortlich machten. Er schlug vor, dem ehemals gemeinsam abgestimmten Verbot der schießenden Gewitterabwehr auch in Bayern wieder zur Gültigkeit zu verhelfen, auch weil man befürchtete, die betroffenen Salzburger Gemeinden könnten sonst eigenmächtig das Wetterschießen wieder beginnen.472 Dieser wiederholte Versuch Salzburgs zur gemeinsamen Reglementierung des Wetterschießens fand diesmal offene Ohren, da die neue kurfürstliche Regierung nunmehr gewillt war, sowohl die läutende als auch die schießende Gewitterabwehr, die beide als schädlich angesehen wurden, endgültig abzustellen. Die Generallandesdirektion versicherte der Salzburger Seite daher, dass man die ans Salzburgische angrenzenden Gerichte angewiesen habe, das Wetterschießen sofort einzustellen.473 Sie betonte aber auch, dass laut den Berichten, die sie von den grenznahen Pfleggerichten erhalten hatte, diese das Wetterschießen erst begonnen hätten, als von Salzburger Seite aus gegen das Wetter geschossen worden sei. Deshalb hätten auch die Salzburger Vertreter ihrerseits die Verpflichtung, »diesen Unfug allenthalben abzustellen«.474 In einem zugehörigen Bericht betrachtete die Generallandesdirektion Wetterläuten und Wetterschießen in einem Zusammenhang als schädlich und interpretierte insbesondere die bereits behandelte Sammelsupplik der Untertanen aus den Gerichten Kling, Meermosen und Trostberg gegen das Wetterschießen als Hinweis auf einen Stimmungswandel in der Bevölkerung. Die erneute Anfrage aus Salzburg zum gemeinsam abgestimmten Verbot des Wetterschießens nahm die Generallandesdirektion als weiteren Beleg für die Notwendigkeit einer Erneuerung des Verbots.475 Auf 471 BayHStA Erzstift Salzburg Pfleggericht Mühldorf 1608: Bericht des Mühldorfer Pfleggerichtskommissars vom 10. April 1794 an den Salzburger Hofrat. 472 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 5: Schreiben des Salzburger Hofrats an die Generallandesdirektion vom 8. Juli 1799. 473 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 5: Schreiben der Generallandesdirektion an das Gericht Trostberg und in gleicher Form an alle an das Erzstift Salzburg angrenzenden Gerichte vom 2. August 1799, Schreiben der Generallandesdirektion gleichen Datums an den Salzburger Hofrat. 474 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 5: Schreiben der Generallandesdirektion an den Salzburger Hofrat vom 21. August 1799. 475 BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 5: Schreiben der Generallandesdirektion an das geheime Ministerialdepartement in geistlichen Sachen vom 16. April 1800.

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dieser Grundlage erging dann schließlich im Mai 1800 das Verbot sowohl der läutenden als auch der schießenden Gewitterabwehr in Kurbayern,476 auch wenn die Auseinandersetzungen um das Wetterschießen zwischen Kurbayern und Salzburg weiterhin anhielten.477 Die schießende Gewitterabwehr blieb also zwischen Kurbayern und dem Erzstift Salzburg bis ins 19. Jahrhundert hinein ein Dauerthema. Geprägt war es dabei einerseits durch das auch in der bayerischen Bevölkerung zu beobachtende Konfliktszenario um das Wetterschießen, bei dem Gemeinden sich gegenseitig beschuldigten, sich durch das fortgesetzte Schießen wechselseitig die Unwetter zuzutreiben. Als zusätzlicher Faktor kam hier die Landesgrenze hinzu, über die hinweg die bayerischen und salzburgischen Ortschaften jeweils das Wetterschießen praktizierten. Durch diesen fortwährenden Konflikt entlang der Landesgrenze wurde die Idee der Grenze als imaginärem Marker von Wetterpolitiken mitkonstruiert und verstärkt,478 während die Unwetter selbst sich der Grenzziehung verweigerten und ihre Abwehr deshalb zwischenstaatlich regulierungsbedürftig war. Die bereits für die inneren kurbayerischen Verhältnisse zu beobachtende Gerechtigkeitsproblematik infolge der Erteilung von Ausnahmegenehmigungen fand hier ihre Fortsetzung in Form der abweichenden Gesetzgebung der beiden Nachbarstaaten zur Gewitterabwehr. Das sich zwischen den Nachbarstaaten Kurbayern und Salzburg entwickelnde zwischenstaatliche Naturgefahrenmanagement, das jedoch weder konsistent war noch einer langfristigen Planung folgte, zielte damit letztlich auf die Handlungspraktiken der Gewitterabwehr und die Regulierung der mit ihnen verbundenen Konflikte ab. Andererseits war die Reglementierungspolitik zur Gewitterabwehr durch die Orientierung an einer Konfliktregulierung auf die eigene Bevölkerung bezogen. Nicht nur wird hier die Inszenierung von Herrschaft über die Durchsetzung einer Wetterpolitik zur Gewitterabwehr deutlich. Darüber hinaus werden hier 476 Verordnung vom 28. Mai 1800 in BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 5 und abgedruckt in Mayr, Sammlung der Churpfalzbaierischen. Band 1, 185. 477 So war es in Salzburg zu einer erneuten Wende in der Reglementierungspolitik gekommen, nachdem das Verbot zum Wetterschießen dort 1805 wieder aufgehoben worden war. Daraufhin beschwerte sich das kurbayerische Landgericht Burghausen beim salzburgischen Landgericht Tittmoning über das dort wieder praktizierte Wetterschießen und drohte damit, das Wetterschießen zur Salzburgischen Grenze hin seinerseits wieder aufzunehmen, und zwar dort, wo es die verheerendsten Wirkungen für die Tittmoninger haben werde; BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 5: Schreiben des bayerischen Landgerichts Burghausen vom 10. Juli 1805 an das salzburgische Landgericht Tittmoning. Das führte wiederum zur Beschwerde der kurfürst­ lichen Landesregierung zu Salzburg, dass sich das Landgericht Burghausen eindeutig im Ton vergriffen habe und dessen Schreiben gutnachbarschaftlichen Beziehungen nicht angemessen gewesen sei; BayHStA GR Fasz. 1206 Nr. 5: Schreiben der kurfürstlichen Landesregierung zu Salzburg an die Generallandesdirektion vom 22. Juli 1805. 478 Dazu auch Schindler, Die Konflikte, 114–116.

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Prozesse der Gouvernementalisierung von Herrschaft und Regierungstechniken sichtbar, die einerseits mit der Naturgefahr der Gewitter bzw. Unwetter verbunden waren, deren schädliche Auswirkungen durch die Abstellung von als nachteilig erachteten Handlungspraktiken minimiert werden sollten. Die Bevölkerung sollte zu einer bestimmten Umgangsweise mit Natur und Katas­ trophenszenarien erzogen werden, was sich besonders im pädagogischen Aspekt der Verbotspraxis und der Erhaltung der Glaubwürdigkeit der eigenen Reglementierungspraxis ausdrückte, wozu der Nachbarstaat auf die Linie der eigenen Wetterpolitik gebracht werden musste.

6.5 Die Gouvernementalisierung des Gewitters Als ein wesentlicher Aspekt des bayerischen Gewitterdiskurses im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts ist bereits die sich entwickelnde Verbindung von Obrigkeit und Wissenschaft ausgemacht worden, die die Sagbarkeitsregeln des Diskurses bestimmte. Diese Diskurskoalition war jedoch nicht nur hinsichtlich der Gewitterabwehrpraktiken des Wetterläutens und Wetterschießens maßgebend. Sie erwies sich auch in Bezug auf den Blitzableiter als bestimmend, indem wissenschaftliche Akteure die neue Technologie der Gewitterabwehr propagierten und die Obrigkeit ihren Einsatz förderte sowie durch gesetzgeberische Maßnahmen vorantrieb. Dieser Zusammenhang der Felder von Wissenschaft und Obrigkeit ist ganz besonders in der Behandlung des Blitzableiters zu beobachten. Es bildete sich eine Gruppe von Experten für die neue Technologie aus, die in ihrer Formierung die Verbindung wissenschaftlicher Expertise und bürokratischer Kon­ trolle erkennen lässt, ohne dabei jedoch den Grad an Institutionalisierung zu erreichen, wie er im Fall des Wasserbaus gegeben war. Für die Herausbildung dieser Expertengruppe war ebenfalls wie beim Wasserbau der Gegensatz von Erfahrungs- und Theoriewissen zentral, entlang dessen die Distinktionskämpfe um die Gruppenzugehörigkeit verliefen. Auch im Umgang mit der Technologie des Blitzableiters sind damit Gouvernementalisierungsprozesse zu beobachten, die Parallelen zur Entwicklung im Wasserbau aufweisen.

6.5.1 Die neue Technologie und ihre Experten Im Zuge der Entwicklung und Verbreitung des Blitzableiters entstand ein Markt für die neue Technologie, auf dem Akteure mit ihrem Wissen und ihren Fähigkeiten zur Elektrizitätslehre, dem aus ihr hervorgegangenen Ableiter und seiner Installation in einen Wettbewerb traten. Das Ergebnis dieser Auseinander­ setzungen war die Herausbildung eines spezifischen Distinktionsschemas einer

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entstehenden Expertengruppe für den Blitzableiter, die sich in drei Akteursgruppen einteilen lässt.479 Die publizistisch und diskursiv einflussreichste Gruppe war die der Akademiegelehrten und Universitätsprofessoren, deren Spezialgebiet die Elektrizitätsforschung war. Hier gewannen einige Naturforscher den Ruf, Experten für den Blitzableiter und seine Installation zu sein. So etwa Johann Jakob Hemmer, der als Sekretär der Societas Meteorologica Palatina nicht nur bekannter Organisator der meteorologischen Forschung der kurpfälzischen Akademie der Wissenschaften war, sondern auch Publikationen zur Elektrizitätslehre und zum Blitzableiter vorgelegt hatte.480 Darüber hinaus galt er für den gesamten kurpfalzbayerischen Raum auch als anerkannter Experte für den Blitzableiter,481 wobei er die von ihm konstruierte fünfspitzige Ableiterform im süddeutschen Raum verbreiten konnte: Hemmer selbst listete in seinem Werk zur Blitzableiterinstallation von 1786 alle Ableiter auf, die in der Pfalz, Bayern, im Württembergischen und in Schwaben von ihm persönlich installiert worden waren, wobei er diejenigen, die lediglich nach seinen Vorgaben durch Handwerker errichtet worden waren, gar nicht mitzählte.482 Allerdings versuchten sich auch andere Naturforscher an der Errichtung von Blitzableitern, wie Johann Nepomuck Fischer, der nicht nur durch sein Werk gegen das Wetterläuten bekannt geworden war, sondern beispielsweise auch eine Ableiteranlage auf den Gebäuden des Klosters Weyarn installiert hatte.483 Im benachbarten Erzstift Salzburg war der an der Salzburger Benediktineruniversität lehrende Mathematiker und Physiker Dominikus Beck ein bekannter Experte für den Blitzableiter. So hatte er nicht nur das erzbischöfliche Sommerschloss Mirabell mit Ableitern ausgestattet,484 sondern auch viele andere Ableitungsanlagen in den 1770er und 1780er Jahren installiert485 und eine eigene Anleitung für die Blitzableiterinstallation verfasst.486 Für den Bereich des Hochstifts Augsburg war wiederum der Dillinger Theologe und Physikprofessor Joseph Weber die maßgebliche Autorität, der bischöfliche Residenzgebäude sowie andere Schlösser und Kirchen mit Blitzableiteranlagen ausstattete487 und dazu von höchster Stelle im Hochstift Augsburg beauftragt

479 Für die Expertengruppe zum Blitzableiter und ihre Akteure, die im folgenden beschrieben werden, vgl. insgesamt auch Hochadel, Öffentliche Wissenschaft. 480 Hier seien nur die beiden Werke von 1782 und 1786 angeführt: Hemmer, Kurzer begriff und Hemmer, Anleitung. 481 Hammermayer, E. I. Die Aufklärung, 1161. 482 Hemmer, Anleitung, VI–XI . 483 X. Der Nutzen und die Unschädlichkeit der Wetterleiter aus einem neulichen Wetterschlage erwiesen, in: Kurpfalzbaierisches Intelligenzblatt 1785, 31. July (42. Stück), 327–328. 484 Beck, Faßlicher Unterricht, 17–18. 485 Ebd., 31–32. 486 Ebd., 56–61. 487 Hochadel, Physiker, Volksaufklärer, 745–749.

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worden war.488 Dass die Verhältnisse in anderen europäischen Regionen ähnlich gelagert waren, zeigt das Beispiel des Turiner Physikprofessors Giambattista Beccaria, der nicht nur Forschungen auf dem Gebiet der Elektrizität und Meteorologie betrieb, sondern auch viele Blitzableiterinstallationen im Piemontesischen Raum durchführte.489 Als eine weitere Akteurskategorie der Blitzableiterinstallateure sind die Amateurgelehrten zu nennen, die ihrerseits Elektrizitätsforschung betrieben und mit dem Blitzableiter vertraut waren. Da auch arrivierte Gelehrte zeitgenössisch zu dieser Gruppe gerechnet werden konnten, ist die Trennung zwischen Amateur- und Akademie- bzw. Universitätsgelehrten nicht absolut, so dass der akademische Titel als symbolisches Kapital hier zwar von großer Bedeutung aber nicht alleine ausschlaggebend war.490 Im Unterschied zu den Akademie- und Universitätsgelehrten genossen die Amateurgelehrten jedoch zumeist keinen überregionalen Bekanntheitsgrad und galten nicht als anerkannte Experten ihres Fachs. Als Beispiel dieses Typs kann der Schulinspektor Pesl aus Erding angeführt werden, der sich laut Westenrieder um die Installation der Blitzableiter im Landgericht Erding verdient gemacht hatte.491 Eine zweite Akteursgruppe ist mit den Instrumentenbauern (den Herstellern wissenschaftlicher Messinstrumente) und umherziehenden ›Elektrisierern‹ auszumachen, die sich der Blitzableiterinstallation widmeten. Sie hatten sich praktisches Erfahrungswissen im Umgang mit dem Blitzableiter angeeignet und sich ins Feld der Elektrizitätslehre eingearbeitet, wobei sie dazu auch publizierten, um Werbung für ihre Messinstrumente zu machen. Zumeist in den Reichsstädten angesiedelt, wurden die Werkstätten der Instrumentenbauer zu einem Nexus der Aufklärung, da ihre Instrumente die wissenschaftlich-empirische Erforschung und Anschaulichmachung der Natur erst ermöglichten. Hier treffen sich der Gelehrte, der Wissenschaftler und der Handwerker, der Mechanikus, als Aufklärer.492 Über die Herstellung von Elektrisiermaschinen und ihrer öffentlichen Vorführung kamen sie häufig zum Blitzableiter. Ein Beispiel dafür war der in Nürnberg ansässige Instrumentenbauer Johann Konrad Gütle (1747–1827).493 Zunächst war er in Schwabach als Buchbinder und Futteralmacher tätig. In den 1770er Jahren fertigte er dann auch elektrische Maschinen zum Verkauf an, darunter Spielzeuge, aber auch Elektrisiermaschinen und Apparaturen zur Demonstration der Wirkungsweise des Blitzableiters. 488 St AAu Hochstift Augsburg Neuburger Abgabe Akten 736: Protokollextrakt vom 3. April 1784 bezüglich der Errichtung von Blitzableitern auf den herrschaftlichen Gebäuden. 489 Zu Giambattista Beccaria vgl. Bertucci, Enlightening Towers, 32–35. 490 Vgl. zum Typus des Amateurgelehrten der Elektrizitätslehre Hochadel, Öffentliche Wissenschaft, 233–248. 491 Westenrieder, Bemerkungen, 442–446. 492 Vgl. zu den Instrumentenbauern Hochadel, Öffentliche Wissenschaft, 220–233. 493 Für das folgende Kett, Er brachte den Blitzableiter.

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Seit den 1780er Jahren führte er an unterschiedlichen Orten seine elektrischen Maschinen vor, die er dann verkaufte. So findet sich 1781 eine Meldung in Regensburger Zeitungen über eine Vorführung von elektrischen Maschinen durch Gütle und eine Anpreisung seiner Person als Mechanikus, der auf Wunsch auch Blitzableiter installiert. 1787 erhielt er vom Markgrafen von Ansbach den Auftrag, die Blitzableiter in seinem Land zu errichten und zu verbessern. Daneben hielt er auch öffentliche Vorträge zur Elektrizität und zum ›Wetterableiter‹ und errichtete 1788 den ersten Blitzableiter in Nürnberg auf dem Haus des aufklärerisch gesinnten Arztes und Freimaurers Philipp Ludwig Wittwer. Außerdem veröffentlichte er Bücher zur Elektrizität und naturwissenschaftlichen Gewitterbeschreibung, die elektrische Maschinen und Blitzableiter behandelten und in denen er auch seine Produkte bewarb. Johann Konrad Gütle war besonders im Fränkischen Raum als Installateur von Blitzableitern und Entrepreneur seiner elektrischen Maschinen erfolgreich. Er versuchte seinen ökonomischen Erfolg sogar in eine Anstellung als Professor für Mathematik und Physik am Nürnberger Gymnasium umzumünzen, was ihm jedoch nicht glückte. Ähnlich verhielt es sich mit dem Augsburger Instrumentenbauer Jakob Langenbucher (1738–1791), der von seiner Ausbildung her Silberdrechsler war, sich aber auch in Mathematik und Instrumentenbau autodidaktisch unterrichtete.494 Er belieferte mit seinen Messinstrumenten Gymnasien und Universitäten und wurde für die Qualität seiner Produkte gepriesen, stieß allerdings mit seinen Veröffentlichungen zur Elektrizität und zum Blitzableiter, die auch der Ankurbelung seines Absatzes dienten, auf Ablehnung und Widerspruch von wissenschaftlicher Seite, da man seine Theorien etwa zur Ladungslehre als Produkt mangelnder Fachkenntnis abtat. Daneben hielt er wie auch Gütle öffentliche Vorträge zur Elektrizität, in denen er anschaulich am Modell die Wirkungsweise des Blitzableiters vorführte. Er versuchte sich auch an der heilenden Anwendung der Elektrizität, was im Rahmen des geltenden Elektrizitätsparadigmas durchaus nicht ungewöhnlich war. 1783 installierte er den ersten Blitzableiter Augsburgs auf dem Haus des Kaufmanns Johann Eitel Wachter, was von Kontroversen um die religiöse Rechtmäßigkeit des Ableiters und die potenzielle Gefahr durch die neue Technologie in der Augsburger Öffentlichkeit begleitet war.495 Im engen Zusammenhang mit den Instrumentenbauern standen die umherziehenden ›Elektrisierer‹, die als wissenschaftliche Schausteller von Ort zu Ort zogen, um auf Märkten und Festen spektakuläre öffentliche Vorführungen von elektrischen Versuchsanordnungen durchzuführen. Damit machten sie auch Werbung für sich, um vor Ort Aufträge zur Verfertigung elektrischer Maschinen oder zur Installation von Blitzableitern zu erhalten, wobei sie von den Ortsobrigkeiten teilweise misstrauisch beäugt und auch mal mit dem Vorwurf 494 Zu Langenbucher vgl. Hochadel, Öffentliche Wissenschaft, 153–159. 495 Ebd., 149–150.

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der Scharlatanerie bedacht wurden.496 Johann Konrad Gütle etwa ist selbst einer dieser umherziehenden Elektrisierer gewesen, der seine elektrischen Maschinen vorführte und seine Kunstfertigkeit als Blitzableiterinstallateur feilbot. Ein weiteres Beispiel ist der fahrende Elektrisierer Martin Berschitz, der zur Beförderung seines Absatzes die Vorgehensweise verfolgte, die Einrichtung der jeweils vor Ort befindlichen Blitzableiter als unsicher zu kritisieren und im Gegenzug eigene Blitzableiter anzubieten. Opfer dieser Verkaufsstrategie wurde auch Jakob Langenbucher in Augsburg, als Berschitz dort Ende der 1780er Jahre eintraf und die Sicherheit von dessen Blitzableitern in Frage stellte, so dass Langenbucher sich sogar vor dem beunruhigten Rat der Stadt für seine angeblich mangelhaften Blitzableiteranlagen rechtfertigen musste. Letztlich wurde er aber entlastet und Berschitz konnte seine Geschäfte in Augsburg wegen seiner Diffamierungskampagne nur noch eingeschränkt betreiben.497 Berschitz machte auch die Bekanntschaft von Georg Christoph Lichtenberg, der ihn zunächst unterstützte, indem er ihm Materialien für seine Darbietungen verschaffte, und sogar für seine öffentlichen Vorführungen warb. Dennoch hielt Lichtenberg Berschitz auch für einen Betrüger und Scharlatan, der bei seinen öffentlichen Versuchen nicht davor zurückschreckte, um des Effekts willen scheinbare elektrische Wirkungen vorzutäuschen, und desavouierte ihn schließlich bei seinen Wissenschaftskollegen.498 Als dritte Akteursgruppe sind die Handwerker zu nennen, die nach Auftrag der gelehrten Experten oder unter ihrer Aufsicht die Installation von Blitzableitern vornahmen. Dabei entwickelten sich auch regelrechte Arbeitsgemeinschaften zwischen den wissenschaftlichen Gelehrten und bestimmten Handwerkern ihres Vertrauens, mit denen sie bei der Installation von Blitzableitern zusammenarbeiteten. So war der ebenfalls an der Salzburger Benediktineruniversität Mathematik und Physik lehrende Professor Ulrich Schiegg (1752–1810)499 mit der Installation eines Blitzableiters auf dem Pflegamtshaus zu Laufen beauftragt worden. In dieser Angelegenheit teilte er dem Laufener Pfleger im November 1794 mit, dass die Installation im kommenden Frühjahr erfolgen werde, weil die momentane Jahreszeit für Installationsarbeiten ungünstig sei und bis dahin 496 Umfänglich zu den Elektrisierern als wissenschaftlichen Schaustellern ebd., 187–220. Zum Typus der umherziehenden Elektrisierer als Popularisierer der Elektrizitätslehre und Elektrizitätsforschung vgl. Oliver Hochadel, Die Fußtruppen der Aufklärung. Umherziehende Elektrisierer im 18. Jahrhundert, in: Ulrich Johannes Schneider (Hrsg.), Kulturen des Wissens im 18. Jahrhundert. Berlin u. a. 2008, 329–338. 497 Zu diesem Vorgehen von Berschitz und seinem Scheitern in Augsburg Hochadel, Öffentliche Wissenschaft, 159–162. 498 Zur Beziehung von Berschitz und Lichtenberg ebd., 250–259. 499 Zu Ulrich Schiegg Daniel Schlögl, Schiegg, Ulrich (Taufname: Josef), in: Neue Deutsche Biographie 22, 2005, 738. Online verfügbar unter http://www.deutsche-biographie.de/ pnd117228516.html.

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der mit ihm zusammenarbeitende Schlossermeister die Anlage vorbereitet haben werde.500 Im April des Folgejahres meldete Schiegg dann nach Laufen, dass der Schlossermeister das Eisenwerk für die Ableitung fertiggestellt habe und er deshalb Mitte des Monats die Installation vornehmen könne. Dazu werde der Schlossermeister mit einem Gesellen bereits einige Tage zuvor in Laufen eintreffen, um alles vorzubereiten und dann den Blitzableiter aufzusetzen.501 Zwischen diesen Akteursgruppen der Blitzableiterinstallation ergaben sich Auseinandersetzungen und Deutungskämpfe, die entlang der Trennlinie von Gelehrten der Elektrizitätsforschung und den praktisch erfahrenen Blitzableiterinstallateuren der Instrumentenmacher und Elektrisierer verliefen. Letztlich ging es hier um soziale Distinktion und die Zugehörigkeit zur Expertengruppe des Blitzableiters. Ein wichtiges Thema der Auseinandersetzung bildete die Technik des Ableiters selbst, dessen Gestalt und die Form der Ableitung. So ergab sich beispielsweise zwischen dem Naturwissenschaftler Maximus Imhof, der sowohl am Münchner Lyceum als auch an der Akademie der Wissenschaften Physik lehrte, und dem Instrumentenbauer Gütle eine publizistische Auseinandersetzung über die Frage der korrekten Ableitungsform. Gütle hatte eine Blitzableitung entwickelt, die auf spitz zulaufenden Endungen der Ableiterstangen und auf miteinander verschraubten, eisernen Stangen zur Ableitung des Blitzes vom Dach in den Boden basierte. Diese Form der Ableitung bewarb er in seinen Publikationen als ›Gütlesche Ableiterspitzen‹ und betonte dabei ihre Vorteile gegenüber anderen Ableiterformen.502 In einer Publikation von 1812 griff Gütle dann die Methode an, die Ableitung des Blitzableiters durch geflochtenen Metalldraht zu bewerkstelligen und als Ableiterspitzen konische Formen zu verwenden. Das Argument, dass der Blitzableiter auf diese Weise kostengünstiger zu errichten sei, lässt er nicht gelten, da seine eiserne Ableitung dauerhafter und damit auf lange Sicht billiger sei als die aus Draht. Die Drähte würden nämlich nach einigen Jahren oxidieren, die konischen Spitzen nach einem Blitzeinschlag zerschmelzen und die dünne Ableitung in die Erde nach einigen Jahren ›verwesen‹.503 Mit dieser Kritik bezog er sich auf die von Maximus Imhof entwickelte Methode der Drahtableitung, den er heftig attackierte, ohne ihn jedoch explizit zu nennen, indem er ihm jedes fachliche Wissen über Elektrizität absprach und

500 BayHStA Erzstift Salzburg Pfleggericht Laufen Akten 11812: Schreiben des Salzburger Professors Ulrich Schiegg an den Pfleger in Laufen vom 6. November 1794. 501 BayHStA Erzstift Salzburg Pfleggericht Laufen Akten 11812: Schreiben des Salzburger Professors Ulrich Schiegg an den Pfleger zu Laufen vom 8. April 1795. 502 So in der Vorrede zu seinem Werk von 1804 zur Blitzableitungskunst: Gütle, Lehrbuch, XI–XXII . 503 Johann Konrad Gütle, Neue Erfahrungen über die beste Art wohlfeile und dauerhafte Blizableiter anzulegen. Nebst Anweisungen, wie man einen Blizableiter angeben, berechnen, und die Aufsicht bei der Errichtung führen kann. Mit 2 Kupfern. Nürnberg 1812, 3–6.

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seine Methode der Ableitung als Bedrohung für Leib und Leben darstellte, womit er ihn als Experten für den Blitzableiter zu diskreditieren versuchte.504 Auf diese Attacke auf seine Glaubwürdigkeit als wissenschaftlicher Experte für den Blitzableiter reagierte Maximus Imhof in seiner eigenen Schrift zur Blitzableiterinstallation, die er auf königliche Anweisung hin 1816 verfasste, um seine kostengünstige Methode der Blitzableitung allgemein bekannter zu machen.505 Hierin entwickelte er ausführlich mit praktischen Anweisungen zur Führung und Befestigung seine Methode der Ableitung mithilfe verflochtener kupferner Metalldrähte und konischer Ableiterspitzen.506 Explizit ging er dabei auch auf Gütles Kritik ein und widerlegte sie mit dem Argument, dass, wenn Gütles Behauptung zuträfe, dass die verflochtenen Drähte durch die Kraft des Blitzes auseinandergesprengt würden, dieses noch viel eher für dessen Methode der aneinander geschraubten eisernen Stangen zur Ableitung der Fall wäre.507 Gütle antwortete darauf seinerseits mit einem Traktat, das zwar in seinem Titel eine erneute Anleitung für die Blitzableiterinstallation versprach, tatsächlich aber einen einzigen Angriff auf die Methode der Drahtableitung darstellte und sich beinahe ausschließlich auf Imhofs Abhandlung von 1816 bezog. Dabei stützte er sich auf die Autorität Hemmers, dessen Ableiterform er Imhofs geflochtenen kupfernen Drähten und konischen Ableiterspitzen gegenüberstellte. Er warf Imhof erneut mangelnde Kenntnisse der Elektrizitätslehre vor und attestierte ihm ungenügenden technischen Sachverstand, da er, Gütle, vielerorts die mangelhaften Imhofschen Blitzableiter durch seine stabile und dauerhafte Ableitung habe ersetzen müssen.508 Diese Auseinandersetzung zwischen Gütle und Imhof illustriert, wie sich der Distinktionskampf um die Herausbildung der Expertengruppe zum Blitzableiter auch als ökonomischer Wettbewerb darstellte, in dem sich Anbieter auf einem Markt der neuen Technologie positionierten und behaupten mussten. Johann Konrad Gütle attackierte zu diesem Zweck Maximus Imhofs Ableitungsmethode, die ein Konkurrenzprodukt zu seinen Ableiterspitzen war. Gütle versuchte dessen Ableiter zu verdrängen, indem er die wissenschaftliche Glaubwürdigkeit des Entwicklers in Frage stellte und sein Produkt als gemeingefährlich charakterisierte. Damit desavouierte er zum einen ein Produkt am Markt, das

504 Ebd., 3–4. 505 So Imhof im Vorwort seines Werks zur Blitzableiterinstallation: Imhof, Theoretischpraktische Anweisung, III–IV. 506 Ebd., 15–41. 507 Ebd., 33–34. 508 Johann Konrad Gütle, Pragmatische Darstellung der praktischen Blitzableitungswissenschaft […]. Für alle diejenigen welche schon Blitzableiter haben, oder noch errichten lassen wollen. Dann für Beamte und Vorsteher öffentlicher Gebäude und Kirchen. […] Als Nachtrag zu seinem größern Werk. Nürnberg [ca. 1822].

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eine Bedrohung seines Geschäftsmodells darstellte, und zum anderen konnte er sich durch den Angriff auf Maximus Imhof publizistisch profilieren und seine eigenen Blitzableiter in Abgrenzung zu Imhofs bewerben. Entscheidend für die Distinktionskämpfe um die Zugehörigkeit zur Gruppe der Experten für den Blitzableiter war jedoch der Gegensatz von Erfahrungsund Theoriewissen, der auch schon im Wandel des Wasserbaus wichtig war. Das Erfahrungswissen war dabei von Bedeutung für die Installation der Ableiter und konnte gegenüber dem Theoriewissen als Vorteil für die Reduzierung von Kosten erachtet werden. Luz hob in seiner Abhandlung zum Blitz und dem Blitzableiter hervor, dass vor allem die hohen Kosten Hausbesitzer davon abhielten, sich einen Wetterableiter aufs Haus zu setzen. Diese Kosten würden aber in erster Linie dadurch verursacht, dass die Ableiter von Gelehrten installiert würden, die sich ihre Dienste teurer bezahlen ließen als einfache Handwerker. Deshalb würde ein Bürger oder Bauer sich wohl schwerlich einen Blitzableiter von einem Gelehrten aufstellen lassen, aber vielleicht von einem Handwerker. Luz forderte deshalb, dass in jeder Stadt ein geschickter Handwerker, vorzugsweise Maurer, in der Fertigkeit der Blitzableiterinstallation unterrichtet werden sollte. Die von ihnen errichteten Ableiter sollten dann von den herrschaftlichen Bau-Deputationen jährlich in Augenschein genommen werden. Durch diese Vermittlung von Erfahrungswissen versprach sich Luz eine Erleichterung der Errichtung von Blitzableitern bei gleichzeitiger Sicherung der Qualität.509 Dass die Kosten für die Installation eines Ableiters vergleichsweise enorm sein konnten, zeigt das bereits angeführte Beispiel der Errichtung eines Blitzableiters auf dem Laufener Pflegamtsgebäude durch den Salzburger Professor Ulrich Schiegg, deren Kosten der Pfleger mit 110 fl. angab.510 Auch für die Durchführung der Blitzableiterinstallation selbst konnte das Erfahrungswissen eine wichtige Rolle spielen, stieß jedoch ohne auf Theoriewissen gegründete Expertise auf nur geringe Akzeptanz, wie das Beispiel einer Blitzableitererrichtung in Otting im Pfleggericht Waging zeigt: Nachdem der dortige Pfarrer den Vorschlag gemacht hatte, auf seiner Kirche einen Blitzableiter zu errichten, sollte der Pfleger des Gerichts Waging dazu eine gutachterliche Stellungnahme verfassen.511 Darin äußerte er seine Bedenken, dass der Ableiter vom örtlichen Schlossermeister errichtet werden solle, der noch nie zuvor einen Blitzableiter aufgestellt habe. Deshalb sollte die Installation besser unter der Leitung des Bruders des Waginger Schlossermeisters erfolgen, der in Trostberg seinerseits Schlossermeister war und auch schon mehrere solche Arbeiten verrichtet habe. 509 Luz, Unterricht, 148–149. 510 BayHStA Erzstift Salzburg Pfleggericht Laufen Akten 11812: Bericht des Laufener Pflegers vom 29. April 1795 an die Hofkammer in Salzburg. 511 BayHStA Erzstift Salzburg Pfleggericht Waging Akten (vorläufige Nr. 514): Bericht des Waginger Pfleger an das Konsistorium in Salzburg vom 18. August 1788.

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Trotz dieser Wertschätzung des Erfahrungswissens meinte man dennoch auch in Waging, nicht ohne die Expertise eines Gelehrten auskommen zu können, auch wenn diese die Baukosten letztlich steigen ließ. So hatte der Trostberger Schlossermeister Bauzeichnungen für die Blitzableiterinstallation angefertigt, die dann vom Pfarrer an Dominikus Beck in Salzburg geschickt wurden, damit er sie begutachte.512 Beck unterbreitete in seiner Antwort einen detaillierten Vorschlag für eine Führung der Blitzableitung, die sowohl Turm als auch Langhaus der Kirche schützen sollte.513 Der Trostberger Schlossermeister hatte diesen Vorschlag Becks wiederum kommentiert und darauf hingewiesen, dass er zwar im Prinzip funktioniere, die Kosten aber um 50 % steigern werde.514 Wie der Pfarrer und der Pfleger berichteten, habe der Schlossermeister daraufhin Beck eine erneute Zeichnung geschickt, die von Beck allerdings so kommentiert wurde, dass man es lieber bei seinem ersten Vorschlag belassen sollte. Dem schloss sich auch das Konsistorium an, das die Errichtung des Blitzableiters nur nach den Plänen von Dominikus Beck genehmigte und betonte, dass es außerdem wünschenswert wäre, wenn der Pfarrer Dominikus Beck einladen würde, damit er zusammen mit den beiden Schlossermeistern aus Trostberg und Waging noch einmal über die Installation des Blitzableiters konferieren könne.515 Das hier zum Ausdruck kommende Misstrauen gegenüber dem auf der Grundlage seines Erfahrungswissens arbeitenden Handwerker äußerte sich auch in offener Kritik der gelehrten Physiker und Elektrizitätsforscher an den tätigen und erfahrenen Blitzableiterinstallateuren, denen sie mangelndes Theoriewissen vorwarfen. Das bekam beispielsweise Jakob Langenbucher in Augsburg zu spüren, der sich in seinem Werk zum Blitzableiter über die Kritik an seiner Blitzableiterinstallation auf dem Wachterschen Haus in Augsburg beklagte. Zum einen seien da die von ihren Vorurteilen besessenen Mitbürger, deren »schiefe[ ] Urtheile« über den Ableiter ihn zu seiner publizistischen Darstellung veranlasst hätten, um Aufklärungsarbeit zu leisten. Zum anderen stieß ihm aber auch die Kritik derer auf, die seine Ableiterführung bemängelten und als Gefahr erachteten. Bitter äußerte er sich zur Autoritätsgläubigkeit seiner Mitmenschen, die jede Ansicht nachplapperten, so sie nur mit genügend Autorität vorgebracht werde: »Es sei jemand im Besitz den Ton anzugeben; er 512 Dem Bericht des Ottinger Pfarrers und des Waginger Pflegers vom 6. Mai 1789 an das Konsistorium in Salzburg zu entnehmen; BayHStA Erzstift Salzburg Pfleggericht Waging Akten (vorläufige Nr. 514). 513 BayHStA Erzstift Salzburg Pfleggericht Waging Akten (vorläufige Nr. 514): Abschrift des Antwortschreibens von Dominikus Beck vom 16. März 1789 an den Pfarrer zu St. Otting. 514 BayHStA Erzstift Salzburg Pfleggericht Waging Akten (vorläufige Nr. 514): Stellungnahme des Trostberger Schlossermeisters Joseph Mayr vom 17. April 1789. 515 BayHStA Erzstift Salzburg Pfleggericht Waging Akten (vorläufige Nr. 514): Befehl des Salzburger Konsistoriums vom 8. Mai 1789 an den Pfleger zu Waging und den Pfarrer von Otting.

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habe den Namen, den Ruf eines Sachkundigen: so sind alle seine Entscheidungen Orakelsprüche; […] der gründlicher belehrte, aber mehr bescheidene, der mehr wissende, aber darum weniger decisive Mann, wag’ es nicht sich mit ihm in Streit einzulassen, er hat keine Authorität, er hat keinen Namen, wie könnt’ er Recht haben?« Außerdem werfe man ihm noch vor, dass er nicht die nötigen Sachkenntnisse zur Blitzableiterinstallation habe, obwohl er »schon mit der Elektricität bereits viele Jahre praktisch umgehe, und […] mich rühmen kann, in dieser Wissenschaft Kenntnisse und Erfahrungen mir eigen gemacht zu haben, die ein bloßer Theoretiker nie erlangen wird.«516 Kritik traf Langenbucher also nicht nur von Seiten derjenigen, die den Blitzableiter nach wie vor für einen Verstoß gegen die Schöpfungsordnung oder für eine Gefahrenquelle hielten, sondern auch von den gelehrten Experten der Elektrizitätsforschung, die seine Eignung zur Blitzableiterinstallation infrage stellten, indem sie nur Theoriewissen als ausreichende Befähigung gelten ließen und seine gesammelten Erfahrungen als nicht entscheidend erachteten. Dieser Standpunkt wurde von den gelehrten Vertretern der Elektrizitätsforschung und den wissenschaftlichen Befürwortern des Blitzableiters wie Johann Evangelist Helfenzrieder und Johann Jakob Hemmer immer wieder in den Diskurs eingebracht. Helfenzrieder war hier der Ansicht, »daß man die Direction eines zu errichtenden Blizableiters nicht Leuten anvertrauen soll, die in der Physik und praktischen Mechanik nicht wohl zu Hause sind.«517 Und Hemmer betonte die Überlegenheit des wissenschaftlichen Expertenwissens und seine Nutzanwendung für den Staat zur Problemlösung, indem er die wissenschaftlichen Experten als Sachverständige vor Ort schicken könne, um Begutachtungen auch im Fall von Blitzableiterinstallationen vorzunehmen.518 Diese Vorrangstellung der auf Theoriewissen basierenden wissenschaftlichen Expertise führte bei Hemmer auch zur Forderung nach einer Examinierung von Blitzableiterinstallateuren, die gründliche Kenntnisse vorweisen müssten. Ein paar elektrische Versuche vorführen zu können, wie einige umherfahrende Künstler dies täten, sei keine hinreichende Qualifikation, da sie bloß bestehende Versuchsanordnungen nachahmten, ohne zu verstehen, was sie da eigentlich täten. Auch reiche es nicht aus, an der Errichtung eines Blitzableiters nur mitgewirkt zu haben, da die gemachten Erfahrungen aufgrund der unterschiedlichen Bedingungen eines jeden Hauses nicht in derselben Weise reproduziert werden könnten. Da die Elektrizitätsforscher das Geschäft der Blitzableiterinstallation jedoch nicht alleine bewältigen könnten, sei es nötig, dass einige Installateure durch geschickte und geübte Naturkundler ausgebildet würden, die dann von der Obrigkeit zum Zwecke der Blitzableitererrichtung angestellt werden könnten. 516 Langenbucher, Richtige Begriffe, [Vorerinnerung]. 517 Helfenzrieder, Verbesserung, 28. 518 Hemmer, Anleitung, 128–131.

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Die ersten Jahre in dieser Tätigkeit sollten die so unterrichteten Installateure noch ihre Entwürfe für zu errichtende Blitzableiter an den Naturforscher schicken, der sie ausgebildet hatte, damit dieser ihre Arbeit begutachte und überprüfe. Nach einigen Jahren und einer hinreichenden Anzahl Begutachtungen könne der Naturforscher dem Blitzableiterinstallateur dann ein Zeugnis ausstellen, dass dieser sein Handwerk beherrsche und alleine ohne Begutachtung Blitzableiter aufstellen könne. Hemmer wollte sich selbst auch für solche Ausbildungsdienste zur Verfügung stellen.519 Diese Forderung nach Examinierung und Kontrolle der Blitzableiterinstallateure durch wissenschaftliche Experten übernahm nun mit Johann Konrad Gütle ausgerechnet ein Akteur aus der Gruppe der Instrumentenbauer und ›Elektrisierer‹, der seine Karriere auf der Akkumulation von Erfahrungswissen aufgebaut hatte. Gütle beklagte, dass zwar insgesamt ein Fortschritt zur fachgerechten Errichtung von Blitzableitern zu verzeichnen sei, es aber dennoch Laien und Handwerker gebe, die ohne ausreichende Sachkenntnis Installationen vornähmen und durch ihre Unwissenheit ganze Städte in Gefahr brächten. Gütle forderte nicht nur, dass dieser Zustand policeylich abgestellt werden müsse, sondern schloss sich auch der Ansicht Hemmers an, dass diese unwissenden Blitzableiterinstallateure durch bekannte Naturforscher zuerst examiniert und einige Jahre begutachtet werden sollten, bevor man sie zu diesem Geschäft zulasse. Er biete sich der guten Sache wegen an, der Obrigkeit einen entsprechenden Examinationsplan vorzulegen sowie zu ihm geschickte Personen in praktischen Unterricht zu nehmen, wobei er seine Lehrbücher zur Blitzableitungslehre zugrunde legen wollte.520 Die hier sichtbare Bedeutung des Theoriewissens betonte Gütle auch in der Durchführung einer solchen Begutachtung von Blitzableiterinstallateuren: Es sei selbstverständlich, dass sich nur Leute mit ausreichenden Fachkenntnissen dieser Sache annehmen könnten, die deshalb keine rein policeyliche Angelegenheit sein könne, da das Studium der naturwissenschaftlichen Belange der Elektrizitätslehre den Mitgliedern der zuständigen staatlichen Behörden nicht auch noch aufgebürdet werden könne. Freilich könne das fehlerhafte und gefährliche Installieren von Blitzableitern nur von der Obrigkeit unterbunden werden, aber es würden sich immer Leute mit genügender Sachkenntnis zur Begutachtung finden.521 Pikant an diesem Angriff Gütles auf die handwerklichen Installateure des Blitzableiters war, dass er selbst auf genau diesem Weg zum Experten für den Blitzableiter geworden war, da auch er sich als Handwerker autodidaktisch entsprechendes Erfahrungswissen angeeignet hatte. Damit zeigt das Beispiel von Gütle, dass die Berufung auf Expertenwissen auch instrumentalisiert wurde, um 519 Ebd., 145–147. 520 Gütle, Lehrbuch, X–XI . 521 Gütle, Neue Erfahrungen, 29.

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sich im Wettbewerb der Wissensträger und Anbieter zur Ableitertechnologie zu behaupten. Gütles Vorschlag einer staatlichen Zulassung der Blitzableiterinstallateure, wobei die Fähigkeiten und die Eignung derselben durch anerkannte Naturforscher überprüft werden sollten, zielte auf die Etablierung einer durch Überprüfung und Examination abgegrenzten Gruppe von Experten für die Installation von Blitzableitern ab. Das Wissen um die Bändigung der Naturgefahr des Blitzes sollte also durch die Scheidung in Laien und in alleine für die Technik des Blitzableiters zuständige Experten monopolisiert und dieses Monopol wiederum durch staatliche Kontrollinstanzen garantiert werden. Dadurch konnte der Zugang zum Expertenkreis derjenigen, die wissend genug für die Installation eines Blitzableiters waren, auch durch die Experten selbst reguliert werden.522 Bei Gütle gewinnt der Appell zur wissenschaftlichen Kontrolle der Blitzableiterinstallateure allerdings anders als bei Helfenzrieder oder Hemmer noch eine ökonomische Qualität. Für Gütle ging es auch darum, Konkurrenz im Feld der Blitzableiterinstallateure zu kontrollieren oder sogar zu blockieren, indem der Weg über das Erfahrungswissen, der ihm selbst die Karriere als Blitzableiterinstallateur ermöglicht hatte, zukünftig ausgeschlossen wurde. Die Forderungen nach obrigkeitlicher Kontrolle im Rahmen einer institutionalisierten wissenschaftlichen Examinierung von Blitzableiterinstallateuren illustriert für die Technologie des Blitzableiters auch den bereits konstatierten engen Zusammenhang von wissenschaftlichem Feld und Obrigkeit, der wie im Fall des Wasserbaus die entsprechende Handlungspraktik im Umgang mit dem Naturgefahrenszenario kontrolliert. Von Hemmers und Gütles Vorschlag einer staatlich geregelten Begutachtung von Blitzableitern bzw. deren Installateuren durch Sachverständige ist es nur ein kleiner Schritt zur Einrichtung einer eigenen staatlichen Behörde oder Kommission, in der solche Sachverständige als Beamte diese Begutachtungen vornehmen. Im Unterschied zum Wasserbau, wo spätestens mit der Einrichtung des Geheimen Technischen Zentral-Bureaus eine Institutionalisierung der Allianz von wissenschaftlichem Feld und Obrigkeit in Form der Verbindung wissenschaftlicher und bürokratischer Expertise erreicht war, kommt dies im Fall des Blitzableiters über Ansätze jedoch nicht hinaus.523

522 Außerdem zur Herausbildung der Expertengruppe für den Blitzableiter auf dem Wege der sozialen Distinktion, bei dem sich die Elektrizitätsforscher von den Instrumentenbauern und umherfahrenden Elektrisierern durch ihr Theoriewissen abgrenzten und letztere durch höfische und akademische Titel Zugang zum Expertenkreis zu erlangen suchten, vgl. umfänglich Hochadel, Öffentliche Wissenschaft, 249–304. 523 Aus einem Schreiben des Ministeriums des Inneren vom 7. Mai 1816 an das königliche Generalkreiskommissariat in Burghausen ist zu ersehen, dass bei den Generalkreiskommissariaten die Bauinspektoren auch für die Frage der Begutachtung von Blitzableitern zuständig waren; St AM Generalkommissariat des Salzachkreises GR Fasz. 1206 Nr. 7.

7. Zusammenfassung

Zum Schluss sollen nun noch einmal die erarbeiteten Gemeinsamkeiten der Fallbeispiele von Hochwasser- bzw. Überschwemmungsgefahr und Gewitter bzw. Unwetter im Zusammenhang dargestellt werden, um die Charakteristika des bayerischen Katastrophendiskurses im 18. Jahrhundert und den zu Beginn der Untersuchung in ihm verorteten Wandel von Deutungsmustern und Handlungspraktiken herauszustellen. Dazu dient auch die Zusammenfassung der einzelnen Schritte und Ergebnisse der Untersuchung. Ausgangspunkt war eine konzeptionelle Betrachtung von Naturkatastrophen, die sie als hybride Gebilde zwischen Sozialität und Materialität verortet. Naturereignisse werden hier in ihrem Zusammentreffen mit sozialen Gefügen und kulturellen Dispositionen selbst zu Akteuren in der diskursiven Aushandlung der Naturkatastrophe. Einerseits werden sie vor dem Hintergrund der tradierten Naturdeutungen eingeordnet, andererseits können sie aber durch ihre gegebenen materiellen Bedingungen wiederum diese Deutungen auch beeinflussen. Die gewählten methodischen Konzepte Deutungsmuster und Handlungspraktik bilden dabei die Ausformung der deutenden und handelnden Bewältigung von Naturkatastrophen, die sich sowohl aus unmittelbaren Katastrophenerfahrungen als auch aus zeitgenössischen Diskursen und den in ihnen verhandelten Welt- und Naturbildern speist. Daraus ergab sich eine Struktur des Katastrophendiskurses im Kurbayern des 18. Jahrhunderts, die sowohl die in ihr involvierten diskursiven Felder ›Obrigkeit‹, ›Wissenschaft‹, ›Religion‹ sowie ›Öffentlichkeit bzw. Bevölkerung‹ als auch die materiellen Umstände von Naturkatastrophenszenarien im Kurbayern des 18. Jahrhunderts umfasste. Für letzteres zeigte sich eine starke Konzentration auf Hochwasser- und Überschwemmungskatastrophen, die zusammen mit Gewitter- bzw. Unwetterereignissen die Überlieferung für das 18. Jahrhundert in Bayern bestimmen. Starke Unwetter in den Sommermonaten und besonders die Überschwemmungsserie der 1780er Jahre prägten die Katastrophenerfahrungen der kurbayerischen Bevölkerung in diesem Jahrhundert. Bezüglich der soziokulturellen Rahmenbedingungen des Katastrophendiskurses waren zum einen die Verwaltungsstrukturen des kurbayerischen Territorialstaates zu berücksichtigen, die in der Katastrophenbewältigung involviert waren und die in erster Linie auf zentralbehördlicher Ebene einem beständigen Reformprozess unterworfen waren. Für den administrativen Umgang mit Unwetter- und Überschwemmungsszenarien und ihren Folgen ließen sich Instanzenzüge zwischen Unter-, Mittel- und Zentralbehörden beobachten, die im

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wesentlichen bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts stabil blieben und in denen amtliche Berichte und Suppliken die Basis für das Handeln der Behörden in Katastrophenfällen bildeten. Im wissenschaftlichen Diskursfeld ließ sich ein seit den 1740er Jahren wachsender Einfluss aufklärerischen Denkens ausmachen, der sich in Kurbayern sowohl in der Entwicklung einer aufklärerisch gesinnten medialen Öffentlichkeit als auch in der Herausbildung aufklärerischer Institutionen wie der Akademie der Wissenschaften und anderer Gelehrtensozietäten niederschlug. Von zentraler Bedeutung waren dabei Ordens- und Weltgeistliche, die vermehrt naturwissenschaftliche Forschung betrieben. Diese Charakteristika des wissenschaftlichen Diskursfeldes erwiesen sich als wichtige Einflussfaktoren im Wandel von Deutungsmustern und Handlungspraktiken zu den untersuchten Katastrophenszenarien, da mit der Akademie der Wissenschaften eine zentrale Institution der Aufklärung in Kurbayern immer wieder ihre wissenschaftliche Expertise in den Katastrophendiskurs einbrachte. Unter den Gelehrten, die diese Expertise beisteuerten und sich auch volksaufklärerisch in der Frage der Katastrophendeutung engagierten, waren wiederum viele Geistliche. Das religiöse Diskursfeld war wiederum durch den starken Einfluss der landesherrlichen Obrigkeit geprägt, die zum einen versuchte, ihren Zugriff auf kirchliche Strukturen zu verstärken, und zum anderen eine auf die Frömmigkeitspraktiken gerichtete Religionspolitik verfolgte. Bei letzterem stieß ein von der Obrigkeit propagiertes und befördertes aufklärerisches Religionsverständnis auf eine in der Bevölkerung vorhandene Frömmigkeitspraxis, die unter den Generalverdacht der Unsittlichkeit sowie des eigensinnigen Festhaltens an abergläubischen Vorstellungen gestellt und als hinderlich für die Mehrung der ökonomischen Kräfte des Landes kritisiert wurde. Diese der landesherrlichen Religionspolitik zugrunde liegende Sichtweise stellte in einer ökonomisch-moralischen Argumentation die Bereiche der Wertschöpfung durch Arbeit und der durch Religion gefestigten bürgerlichen Tugenden in einen Zusammenhang. Die daraus resultierende Kritik sah die zu reglementierenden Frömmigkeitspraktiken als Produkte einer nur äußerlichen, rein materialistischen Religionsauffassung und damit als Aberglauben an; ein Argumentationsschema, das auch in der Debatte um die Handlungspraktiken der Gewitterabwehr im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts von großer Bedeutung war. Seit den 1770er Jahren war schließlich ein merklicher Aufschwung einer publizistischen aufklärerischen Öffentlichkeit in Form eines sich ausdifferenzierenden Zeitungs- und Zeitschriftenmarktes zu beobachten. Ein wichtiges Charakteristikum dieser sich entfaltenden aufklärerischen Öffentlichkeit war ihre strukturelle und personelle Verflechtung mit der obrigkeitlichen Sphäre. Diese Verbindung von Obrigkeit und Öffentlichkeit spiegelte sich auch in den behandelten volksaufklärerischen Themen wieder, die in den Medien verhandelt wurden. Dabei bediente sich die kurbayerische Obrigkeit auch gezielt der

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aufklärerischen Presse, um ihre Reglementierungspolitik von Frömmigkeitspraktiken insbesondere zur Gewitterabwehr in volksaufklärerischer Manier zu kommunizieren. Die eigentliche Katastrophenberichterstattung war dabei einerseits durch die Bedienung der Neugier des Publikums zwischen Sensationslust und Mitgefühl und andererseits durch ihre Funktionalisierung als Anlass zur Reflexion mit vorwiegend volksaufklärerischer Intention gekennzeichnet. Im Rahmen dieses so strukturierten Katastrophendiskurses waren religiöse Deutungen von Hochwasser- und Überschwemmungsszenarien vor allem durch Deutungsmuster der Straftheologie und der Physikotheologie vertreten. Erstere war in ihrer Bedeutung auf den Aspekt der Änderung des sündigen Verhaltens gerichtet, wobei ein Katastrophengeschehen als Strafe für begangene oder Warnung vor zukünftigen Sünden ausgedeutet wurde. Im Katastrophendiskurs war der straftheologische Ansatz jedoch zumeist in Form seiner Kritik präsent, indem er als unmenschlich, unchristlich und abergläubisch abgelehnt und häufig einer physikotheologischen Deutung gegenübergestellt wurde. Dieses Deutungsmuster baute wiederum auf der Vorstellung auf, dass die Natur von Gott nach naturgesetzlichen Prinzipien eingerichtet worden sei und die Naturkatastrophen im Leibnizschen Sinne zur perfekten Schöpfungsordnung notwendig dazugehörten und keine göttlichen Strafgerichte seien. In der naturoptimistischen Sicht der Physikotheologie waren Naturkatastrophen damit nicht nur mechanistisch determinierte Naturereignisse, sondern hatten letztlich auch immer einen positiven Endzweck im Rahmen der göttlichen Weltregierung. Sowohl Straftheologie als auch Physikotheologie wurden als Deutungsmuster vor allem im Zuge der publizistischen Auseinandersetzung mit den Überschwemmungskatastrophen von 1784 und 1786 artikuliert. In Bezug auf die saisonal regelmäßig auftretenden Hochwasser und Überschwemmungsereignisse waren sie jedoch selten und das religiöse Deutungsinventar trat insgesamt wenn überhaupt dann zumeist aus rhetorischen Gründen in Erscheinung, um wie in der behördlichen Kommunikation die Ausmaße eines Katastrophengeschehens und die Hilfsbedürftigkeit der Betroffenen zu unterstreichen. Weitaus häufiger dagegen fanden sich säkular-weltimmanente Deutungen, die auch in größerer Bandbreite als religiöse Vorstellungen Anwendung fanden. Zum einen wurden Hochwasser und Überschwemmungen auf natürliche Ursachen zurückgeführt, wobei der Naturraum Fluss als zusammenhängender, systemischer Komplex begriffen wurde, in dem der Einfluss von Wildbächen, Niederschlägen, Schneeschmelze und Ablagerungen von Sedimenten im Flussbett das Hochwasser hervorriefen. An diese Deutung von Hochwassern und Überschwemmungen, die sie in den naturräumlichen Bedingungen und physikalischen Eigenschaften des Flusses verortete, schloss eine Sichtweise an, die auch anthropogene Ursachen miteinbezog. Hier wurden menschliche Eingriffe in den Fluss und seinen Verlauf und besonders die Abholzung im Gebirge für Überschwemmungen in der Ebene verantwortlich gemacht. Diese Deutungs-

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muster wurden begleitet von einer Sichtweise des Mensch-Natur-Verhältnisses, bei dem die wilde, ungebändigte und auch gefährliche Natur dem menschlichen Kulturraum gegenübersteht. Daraus resultierte ein ›Zivilisierungsauftrag‹ des Menschen gegenüber der Natur, die als beliebig formbar und beherrschbar vorgestellt wurde und den menschlichen Nutzungsbedürfnissen anzupassen war. Besonders im Rahmen dieses Antagonismus von Mensch und Natur wurde eine Metaphorisierung des Sprechens über den Fluss deutlich, die ihn anthropomorphisierte und zum ›wilden‹ und ›reißenden‹ Gewässer werden ließ. Eng verbunden mit dem metaphorischen Sprechen über den Fluss war die Entwicklung von Narrativen der Überschwemmungskatastrophe, die so eine zeitliche und erzählerische Struktur erhielt. Vor allem in der medialen Berichterstattung erlaubte dies eine sprachliche Sinngebung des Katastrophengeschehens, ohne dabei auf explizite Deutungsangebote zurückgreifen zu müssen, die in der medialen Betrachtung von Überschwemmungsereignissen eher selten vorkamen. In der amtlichen Kommunikation zu Hochwasser- und Überschwemmungsereignissen herrschten säkulare Deutungsmuster vor, während religiöses Deutungsinventar zusammen mit dem metaphorischen Sprechen über den Fluss in rhetorischer Funktion präsent war, um den Katastrophenschilderungen eine erhöhte Eindrücklichkeit zu verleihen. Sowohl Berichte als auch Suppliken zu Katastrophen folgten dabei einem Schema des Textaufbaus, in dem die Schilderung des Katastrophenverlaufs und die Darstellung der angerichteten Schäden, aber auch der Einsatz diverser anderer rhetorischer Mittel der Erweckung von Mitleid und dem Appell zur Unterstützung dienten. Dies ist wiederum im Rahmen eines funktionalen Kommunikationszusammenhangs zwischen Obrigkeit und Bevölkerung zu verorten, in dem die Katastrophenkommunikation durch offizielle und inoffizielle Formalia und Sagbarkeitsregeln geprägt war, die bestimmte Darstellungs- und Deutungsweisen der Katastrophe beförderte und andere blockierte. Mit Hochwasser und Überschwemmungsereignissen verbundene religiöse Handlungspraktiken wurden im Kurbayern des 18. Jahrhunderts zwar praktiziert, waren jedoch im betreffenden Katastrophendiskurs weniger präsent. Die Kritik der Aufklärer traf dabei besonders die anlässlich von Überschwemmungskatastrophen praktizierten Wallfahrten und Kreuzgänge sowie die Anrufung von Heiligen zum Schutz vor Wassergefahren. Nicht nur der mit Vorsicht zu interpretierenden volksaufklärerischen Kritik, sondern auch den Wunderberich­ ten in den Mirakelbüchern der Wallfahrtsorte lässt sich eine Praxis der Gelübde von Wallfahrten, Messen und Votivgaben anlässlich der Rettung aus Gefahrensituationen entnehmen. Von größerer Bedeutung im Katastrophendiskurs war dagegen die technische Handlungspraktik des Wasserbaus, die den administrativen Umgang der landesherrlichen Obrigkeit und anderer Herrschaften mit Bedrohungslagen am Fluss und den wissenschaftlichen Diskurs zu Hochwassern und Überschwem-

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mungen bestimmte. Hier wurde auch die enorme Bedeutung sichtbar, die der Wasserbau insbesondere für die bayerischen Städte hatte, da die Flüsse einerseits als wichtige Transportwege für Handel und Verkehr die Existenzgrundlage der an den Flüssen gelegenen Städte bildeten und andererseits eine beständige Gefahrenquelle durch Hochwasser und Überschwemmungen darstellten. Beide Aspekte des Flusses, seine Funktion als bedeutende Einnahmequelle sowie das von ihnen ausgehende permanente Sicherheitsrisiko, mussten unter großen Kosten immer wieder neu wasserbaulich abgesichert werden. Die im Kurbayern des 18. Jahrhunderts eingesetzten wasserbaulichen Techniken folgten dabei den Prinzipien des Uferschutzes, der Lenkung der Stromrichtung eines Flusses und der vereinzelten Flusskorrektion an gefährdeten Stellen. Hierzu bildete sich auch eine um den Wasserbau zentrierte Katastrophenkultur – verstanden als routinierte Anwendung eines Komplexes von Deutungsmustern und Handlungspraktiken – aus, die in der Baupraxis auf bestimmte vorherrschende Techniken des Wasserbaus und im Rahmen eines verwaltungstechnischen Schematismus auf die Visualisierung durch Karten und sogenannte Inaugenscheinnahmen als Formen der administrativen Bewältigung von Hochwasser- und Überschwemmungsrisiken setzte. Diese wasserbauliche Katastrophenkultur war jedoch im 18. Jahrhundert diversen Wandelprozessen unterworfen, die sich entlang dreier Entwicklungspfade als Verstaatlichung, Verwissenschaftlichung und Systematisierung beschreiben lassen und an deren Ende die Entwicklung des professionellen Naturgefahrenmanagements im 19. Jahrhundert stand, das auch gegenwärtig noch den Umgang mit Naturgefahren prägt. Die Struktur des Behördenapparats für die Belange des Wasser- und Straßenbauwesens war im 18. Jahrhundert mehreren Reformen unterworfen, die in erster Linie die Ebene der Zentralbehörden betrafen und die Einrichtung eines eigenen Verwaltungszweiges mit exklusiver Zuständigkeit für das Straßen- und Wasserbauwesen in Gestalt eines Generalbaudirektoriums zum Ziel hatten. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde der bestehende Behördenapparat neu geordnet und in eine an die Montgelasschen Verwaltungsreformen angepasste Struktur überführt. Insgesamt zeigten diese Reformen zur verwaltungstechnischen Spezialisierung des Straßen- und Wasserbauwesens das Bemühen der landesherrlichen Obrigkeit an, das Wasserbauwesen in seiner Effizienz zu steigern, d. h. die Schutzwirkungen des Wasserbaus zu verbessern und gleichzeitig seine Kosten im Verhältnis zu senken. Nominell war der Landesherr dabei nur zum Wasserbau an den größeren Flüssen verpflichtet, um die Floß- und Schifffahrt sicher zu stellen. Darüber hinaus waren die Anlieger selbst für den Erhalt und Schutz ihrer Uferabschnitte verantwortlich. Diese Maßnahmen konnte der Landesherr jedoch anordnen und leiten. Das kam besonders bei Wasserbauprojekten zum Tragen, die in einer sogenannten Konkurrenz durchgeführt wurden, bei der die Kosten zwischen dem örtlichen Grundherrn, den anrainenden Grunduntertanen und dem Lan-

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desherrn aufgeteilt wurden. Der Landesherr setzte die Konkurrenzen ein, um durch die Verteilung der Baukosten auf mehrere Parteien seine eigenen Ausgaben zu reduzieren, während die zur Teilnahme verpflichteten Städte, Märkte und ständischen Parteien sich dem beständig zu entziehen und ihre Kosten auf den Landesherrn abzuwälzen suchten. Als weitere Möglichkeit der finanziellen Lastenverteilung stand der Landesherrschaft das Mittel des Scharwerks zur Verfügung. Hier konnten die landesherrlichen Untertanen zu Frondiensten, die auch dem Straßen- und Wasserbau gelten konnten, verpflichtet werden. Wie die Wasserbaukonkurrenz war aber auch das Scharwerk ein verwickeltes Konfliktfeld uneinheitlicher rechtlicher Regelungen. So blieb der Wasserbau trotz vorhandener Bestimmungen im kurbayerischen Landrecht, vor allem hinsichtlich Scharwerk und Konkurrenzen, eine Gemengelage von Gewohnheitsrecht, vereinzelten Rechtsverträgen zwischen Wasserbauparteien und Einzelfallentscheidungen. Im Zuge der Verwaltungsreformen des Wasser- und Straßenbauwesens Anfang des 19. Jahrhunderts versuchte man vergeblich, eine einheitliche Rechtsgrundlage für die Konkurrenzen und das Scharwerk in Form einer Wasser- oder Flussgesetzgebung bzw. einer Wasserbaupoliceyordnung zu erstellen. Parallel erhöhten sich die Kosten für den Wasserbau im 18. Jahrhundert, vor allem für die Städte, so dass die Konflikte um die Konkurrenzen und das Scharwerk auch als Versuche zur Reduzierung steigender Ausgaben interpretiert werden können. Der Landesherr musste im Rahmen des Wasserbaus finanzielle Beihilfen wie Steuern- und Abgabennachlässe leisten, um die sowohl ständische Herrschaften als auch Städte und Märkte in immer neuen Bittschriften ersuchten. Geleistete Vorschusssummen wurden der Landesherrschaft dabei nur selten zurückgezahlt, so dass sie de facto immer mehr Wasserbauten in Finanzierung und Bauleitung übernahm. Begleitet wurde diese Entwicklung durch stetig erneuerte Bemühungen zur Einsparung von Ausgaben, die mit gleichzeitig wachsenden Anforderungen im Straßen- und Wasserbau einhergingen. Das Straßen- und Wasserbauwesen war daher chronisch unterfinanziert, da die zur Verfügung stehenden Einnahmefonds zu wenig Mittel für das sich stetig erweiternde Aufgabenspektrum der landesherrlichen Straßen- und Wasserbauverwaltung bereitstellten. Diese schwierige Finanzierungssituation führte dann sogar zu Überlegungen, sämtlichen Wasserbau von landesherrlicher Seite zu übernehmen und damit eine schon längst im Gange befindliche Entwicklung auch zu institutionalisieren. Neben diesen Prozessen der zunehmenden Verstaatlichung auf administrativer, organisatorischer und finanzieller Ebene ist für das 18. Jahrhundert ebenfalls ein Wandel der Wissensordnung in der Handlungspraktik Wasserbau zu beobachten. Wurde dieser zunächst auf der Grundlage erfahrungsbasierten, handwerklichen Wissens praktiziert, nahm die Bedeutung von wissenschaftlichem Theoriewissen zu. Damit ging ebenfalls eine Veränderung des Expertenstatus im Wasserbau einher: Zuvor war es der mit einem Fluss und seinen Eigenschaf-

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ten vertraute und in der Errichtung von Wasserbauten erfahrene Handwerker, dessen Expertise in Wasserbaufragen zu Rate gezogen wurde und der als lokaler Wasserbauer tätig war oder von den Zentralbehörden zur Begutachtung und Beaufsichtigung vor Ort geschickt wurde. Dagegen setzte sich jedoch verstärkt der auch durch formale Bildungstitel ausgewiesene Wasserbauexperte durch, der seinen Beruf auf wasserbaulich relevantes wissenschaftliches Fachwissen gründete. Dieser Wandel im Wissensregime und dem Expertenstatus ließ sich auch anhand der Generationenabfolge in den Wasserbauerdynastien nachvollziehen, die sich im Kurbayern des 18. Jahrhunderts ausbildeten und von denen die Riedls die bekannteste und einflussreichste war. Adrian Riedl als Vertreter der zweiten Generation seiner Wasserbauerfamilie stand dabei nicht nur persönlich für die Verbindung von Erfahrungs- und Theoriewissen. Sein allerdings nur kurzlebiges Projekt einer Hydrotechnischen Bauschule stellte darüber hinaus den Versuch dar, Erfahrungs- und Theoriewissen in der Ausbildung von Wasserbauern zu vereinen. Unter seinem Nachfolger Carl Friedrich von Wiebeking vollzog sich dann jedoch auch institutionell der Wandel zum Theoriewissen als Grundlage des kurbayerischen Wasserbaus, der nunmehr von formal ausgebildeten Ingenieuren getragen wurde, die sich auch als eigene Expertengruppe abgrenzten. Eng verbunden mit dem Wandel des Wissensregimes war auch eine erkennbare Verlagerung zu vermehrt präventiv orientierten und systematischen Ansätzen des Wasserbaus. Der Wasserbau des erfahrungsbasierten, handwerklichen Typs reagierte in erster Linie auf eingetretene oder drohende Überschwemmungsgefahren und wirkte durch Uferbefestigung und Regulierungsmaßnahmen punktuell an einzelnen Flussabschnitten. Vor allem im Rahmen der Forschung der Akademie der Wissenschaften wurden dagegen Ansätze entwickelt, die auf der Basis von Theoriewissen Systematiken des Wasserbaus entwarfen, die präventiv wirken und zur langfristigen Kostensenkung sowie Schadensminimierung bei Hochwassern und Überschwemmungen beitragen sollten. Das zentrale Augenmerk lag auf den physikalischen Wirkkräften und landschaftlichen Gegebenheiten des Flusses selbst, die es zu verändern bzw. gezielt einzusetzen galt, um gewünschte Ergebnisse im Zusammenwirken der beeinflussten systemischen Eigenschaften des Flusses, wie etwa der Tiefe seines Flussbetts oder seiner Fließgeschwindigkeit, zu erzielen. Besondere Bedeutung erlangte dabei das Direktionsliniensystem, das auf Ansätze in der Wasserbaupraxis und der wasserbaulichen Literatur zurückging und von Adrian Riedl in seiner Preisschrift zum Wasserbau ausformuliert sowie in seiner Funktion als Generalbaudirektor auf dem Verordnungswege implementiert wurde. Wiebeking ersetzte das Riedlsche Direktionsliniensystem dann durch die Flussbegradigung in Form von Schleifendurchstichen und Abschließung von Nebenarmen, was dem wasserbaulichen Paradigma des 19. Jahrhunderts entsprach. Die beschriebenen Wandelprozesse im Wasserbauwesen konnten aber auch durch eintretende Überschwemmungsereignisse als Innovationsmotoren an-

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getrieben und beschleunigt werden. Besonders die Überschwemmungsserie der 1780er Jahre mit den schweren Schäden der Hochwasserkatastrophe von 1784 hatte eine stärkere Belastung des Wasserbauetats zur Folge, die die Entwicklung systematischer, kostenreduzierender Wasserbauansätze beförderte. Darüber hinaus löste sie im kurbayerischen Beamtenapparat Überlegungen zur Neuregelung der Katastrophenhilfe aus, da viele Suppliken von Betroffenen mit der Bitte um finanzielle Unterstützung eingingen. Zwar stellte sich dabei heraus, dass die bisher befolgte Praxis der Gewährung von Nachlässen an Steuern und Abgaben nicht mehr ausreichend war, um den Opfern der Flutkatastrophe effektiv helfen zu können. Aus Mangel an Alternativen und aufgrund fehlender Mittel für eine unmittelbare finanzielle Beihilfe beließ man es jedoch bei dieser Praxis. Wandel im Wasserbau konnte auch aus den mit ihm verbundenen Konfliktfeldern resultieren. Das hatte zur Voraussetzung, dass der Naturraum Fluss selbst zum Objekt einer administrativen Aneignung in Form einer kartographischen Visualisierung und unmittelbaren Anschauung wurde, die wiederum bürokratischen Vorstellungen der Rationalisierung und verwaltungstechnischen Formalisierung des Erfassten entsprang. Die Naturlandschaft Fluss wurde in dieser Weise zum Konfliktfeld, in dem herrschaftspolitische Interessen über die Handlungspraktik Wasserbau verhandelt wurden. Entscheidend war dabei die Funktion des Flusses als natürlicher Grenzmarker, in dessen Raum die Territorialherrschaft an ihrer Grenze performativ inszeniert werden konnte. Im Rahmen dieser Machtökonomie wurde der Fluss in seinem Gefahrenpotenzial, nicht unähnlich einer die Bevölkerung kontrollierenden und formenden Policeygesetzgebung, durch Wasserbau diszipliniert und gebändigt, was zugleich der Demonstration und Herstellung von Souveränität über das Territorium in den Auseinandersetzungen mit benachbarten Territorialstaaten diente. Im Rahmen dieser herrschaftlichen Logik der Raumaneignung und -behandlung dienten Wasserbauten an den Grenzflüssen einerseits als Kampfmittel in ›Wasserbaukriegen‹ zwischen Nachbarstaaten, die den Verlauf des jeweiligen Grenzflusses zu ihren Gunsten beeinflussen wollten. Andererseits förderten gerade diese Auseinandersetzungen auch den Wandel des Wasserbaus hin zu systematischen Ansätzen, die Konflikte an den Grenzflüssen vermeiden und lösen sollten. Diese gerade in der Direktionsliniensystematik ersichtliche politische Funktion des Wasserbaus zur Konfliktregulierung zeigte auch den Wandel der Machtökonomien an: weg von der Souveränität über das Territorium, die den Grenzfluss und seinen Verlauf eifersüchtig als Primat der jeweiligen Landesherrschaft hütete, hin zu einer gemeinsamen, grenzübergreifenden Flusspolitik, die in wasserbaulicher Kooperation die Kosten der Wasserbaukriege abbauen und den Grenzfluss in seinem Verlauf auf Dauer stellen sollte. Das sozionaturale Objekt Fluss war jedoch nicht nur Gegenstand herrschaftlicher Auseinandersetzungen, sondern wurde auch in Konflikten zwischen

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einzelnen Anrainern verhandelt. Hier standen sich konträre Nutzungs- und Schutzinteressen gegenüber, die mit Hilfe von Wasserbaumaßnahmen verteidigt und durchgesetzt wurden. Genauso wie in den zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen erhielten auch hier Wasserbausystematiken die Funktion der Konfliktregulierung. Der Fluss war dabei aber nicht einfach statische Kulisse zwischenstaatlicher oder sozialer Konflikte, sondern konnte auch durch seine physikalischen Eigenschaften, eintretende Hochwasser- und Überschwemmungsereignisse sowie allgemein seine Hydromorphologie in den konfliktären Beziehungsgeflechten und sozioökonomischen Netzwerken, die um den Fluss herum gewoben waren, Impulse setzen und zum jeweils auslösenden oder gestaltenden Faktor werden. Anders als bei den Hochwasser- und Überschwemmungsszenarien stellten sich die Gegebenheiten von Deutungsmustern und Handlungspraktiken zu den Gewitter- und Unwettergefahren dar. Eingebettet waren diese in einen umfassenderen Diskurs zum Wetter allgemein, in dem sich der Wandel von einer religiös geprägten Deutungsperspektive hin zu einer Verwissenschaftlichung in der Sicht auf das Wetter abzeichnete. Religiös geprägte Handlungspraktiken, wie die bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts in Kurbayern obrigkeitlich verfügten öffentlichen Wettergebete, in denen um gutes Wetter für die Feldfrüchte gebetet wurde, stießen vermehrt auf die Kritik der Aufklärer, die sie als schädlich für das allgemeine religiöse Leben und als hinderlich für die Entfaltung der Produktivität der Bevölkerung ansahen. Gegen das auch straftheologisch begründete Wettergebet gewann mit der sich entwickelnden Meteorologie, die von der Forschung der Akademie der Wissenschaften getragen wurde, eine verwissenschaftlichte Deutung des Wetters an Boden, die vermittels empirischer Beobachtung Gesetzmäßigkeiten von Wetter und Witterung sowie deren Auswirkungen und Nutzbarmachung bezüglich Landwirtschaft, Gesundheit, Bevölkerungsentwicklung und Landeskultur bestimmen sollte. Im eigentlichen Gewitterdiskurs waren religiöse Deutungsmuster und Handlungspraktiken weitaus präsenter, als das bei den Hochwassern und Überschwemmungen der Fall war. Die religiös-magische Perspektive auf das Gewitter sowie die straftheologische Deutung wurden jedoch vor allem in Form ihrer kritischen Ablehnung artikuliert und als Ausweis des in der Volksaufklärung immer wieder kritisierten falschen Religionsverständnisses und eines abzulehnenden Gottesbildes aufgefasst. Dem wurde eine physikotheologische Deutung des Gewittergeschehens gegenübergestellt, die es auf einen natürlichen Prozess zurückführte, in dem Gott nur noch indirekt als Schöpfer und Garant der naturgesetzlichen Ordnung präsent war. Wie die Natur insgesamt wurde auch das Gewitter in dieser Deutung von einem bedrohlichen Ereignis zu einer göttlichen Wohltat, indem seine positiven Folgeeffekte betont wurden. Gleichzeitig wurde die Elektrizitätslehre ab der Mitte des 18. Jahrhunderts zur Grundlage der säkular-naturwissenschaftlichen Deutung des Gewitters, indem alle mit

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ihm verbundenen Erscheinungen wie Blitz und Donner aber auch Hagel als elektrische Phänomene und Folgen von Ladungsverteilungen gedeutet wurden. Das bedeutete nicht nur, dass damit die Vorstellung vom Gewitter als göttlichem Strafgericht widerlegt wurde, sondern auch die im Gewitter empfundene Furcht als ungebührlich zurückgewiesen wurde, womit die naturwissenschaftliche Gewitterdeutung zur Dekonstruktion der Naturfurcht beitrug. Die Vertreter des elektrischen Deutungsmusters setzten dabei ganz auf die Überzeugungskraft des empirischen Beweises und des unmittelbaren sinnlichen Nachvollzugs der entsprechenden wissenschaftlichen Experimente. Die amtlichen Berichte zu Gewitter- und Unwetterschäden gaben diese Bandbreite der Gewitterdeutung nur bedingt wieder. Deutungsmuster insgesamt waren hier selten und das religiöse Deutungsinventar hatte wie im Falle der Hochwasser und Überschwemmungen besonders die Funktion der rhetorischen Verstärkung der Katastrophenbeschreibung, während religiöse Deutungsmuster ansonsten auf Kritik stießen. Insgesamt waren es das physikotheologische Deutungsmuster und die naturwissenschaftliche Deutung des Gewitters als elektrisches Phänomen, die den Gewitterdiskurs bestimmten. Bezüglich der Gewitterabwehr war die Bandbreite der Handlungspraktiken ebenfalls größer als bei den Hochwassern und Überschwemmungen. Einerseits waren hier religiös-magische Handlungspraktiken zu beobachten, die als magische Abwehrhandlungen oder als Praktiken im Grenzbereich zwischen magischem Ritual und religiösem Zeremoniell anzusehen sind. Dazu bildete sich ein eigener Markt an Devotionalien und Ritualgegenständen aus, der die religiös-magische Gewitterabwehr ökonomisierte, aber auch auf die Kritik der Aufklärer stieß. Andererseits gerieten die religiös-magischen Handlungspraktiken wie Wallfahrten oder Wettersegen, Feldumgänge, Prozessionen und Kreuzgänge ins Fadenkreuz einer obrigkeitlichen Reglementierungspolitik, die sie als missbräuchliche Auswüchse eines falschen Religionsverständnisses verurteilte. Die Reglementierung traf jedoch auch auf Widerstand in der Bevölkerung. Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts war der Gewitterdiskurs jedoch vor allem von den drei Handlungspraktiken des Wetterläutens, Wetterschießens und des Blitzableiters bestimmt. Diese Handlungspraktiken wurden wechselseitig aufeinander bezogen verhandelt. Durch das Läuten der geweihten Glocken als apotropäischer Praktik der Gewitterabwehr erhoffte man sich die Vertreibung der durch dämonisch-teuflische oder zaubrische Mittel hervorgerufenen Gewitter und Unwetterwolken. Dieses religiös-magische Verständnis des Wetterläutens stieß auf die scharfe Ablehnung der Aufklärer, die es als abergläubisches und gefährliches Ritual kritisierten. Dabei bezogen sie sich auf ein in ihrer Sicht verfälschtes, materialistisches Verständnis der Glockenweihe und andererseits auf die Gefährdung der wetterläutenden Messner durch Blitzeinschläge. Das bereitete den Boden für eine naturwissenschaftliche Umcodierung des Wetterläutens, wobei eventuelle physikalische Wirkungen des Glockenläutens auf die

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Gewitter- und Unwetterwolken untersucht werden sollten. Das führte zur Delegitimierung des Wetterläutens als physikalisch wirkungslose, abergläubische und gefährliche Praktik der Gewitterabwehr. Das Wetterschießen, bei dem man mit Geschützen und anderen Pulverwaffen auf Unwetterwolken feuerte, um sie zu vertreiben, war in vielerlei Hinsicht das Komplement zum Wetterläuten, da es nicht nur in rein physikalischer Hinsicht verstanden wurde, sondern auch in Verbindung mit religiös-magischen Aspekten, indem man geweihtes Schießpulver benutzte. Unter den Naturforschern war es zunächst hoch umstritten, wobei der dominierende Teil der Forschergemeinde zwar von seiner tatsächlichen physikalischen Wirksamkeit überzeugt war, sich aber hinsichtlich der positiven oder negativen Beurteilung seiner Effekte uneins war. Mit der Einführung des Blitzableiters ging die Unterstützung für das Wetterschießen als Unwetter- und Hagelabwehr jedoch zurück und Anfang des 19. Jahrhunderts galt es für die bayerischen Naturforscher als Teil der zu überwindenden Gewitterabwehrmaßnahmen. Der Blitzableiter oder Wetterableiter war die bestimmende Praktik der Gewitterabwehr im Gewitterdiskurs, die als Technologie der wissenschaftlichen Gewitterbekämpfung offen sichtbar den Erfolg der Aufklärung in ihrem Anspruch, nützliches und anwendbares Wissen zu produzieren, repräsentierte. In dieser Funktion war er der zentrale Bezugspunkt im Gewitterdiskurs, an dem alle anderen Praktiken der Gewitterabwehr gemessen und beurteilt wurden. Die neue Technologie, die aus der Elektrizitäts- und Gewitterforschung des 18. Jahrhunderts hervorgegangen war, stieß jedoch auf Skepsis und verbreitete sich erst ab den 1780er Jahren vermehrt auf den europäischen Hausdächern. Im gleichen Zeitraum fand der Blitzableiter auch in Kurbayern durch seine obrigkeitlich angeordnete Installation auf den Kirchtürmen verstärkte Verbreitung. Begleitet wurde seine Einführung von einem naturwissenschaftlich-volksaufklärerischen Diskurs, der einerseits versuchte, der Bevölkerung die Angst vor der neuen, unbekannten Technologie zu nehmen, und andererseits über die tatsächliche Funktionsweise und die Möglichkeiten des Blitzableiters zur Gewitterabwehr aufklärte. Nicht nur galt er als einziger Schutz vor der Blitzelektrizität, sondern wurde auch als mögliche Praktik der Hagelabwehr gesehen. Inhaltlich stritt man um die optimale Form des Blitzableiters, pries ihn aber vor allem gegen religiös oder wissenschaftlich begründete Kritik emphatisch als Sieg des menschlichen Verstandes über die Kräfte der Natur und machte ihn dadurch zum Triumphzeichen der Aufklärung selbst. Die drei Handlungspraktiken des Wetterläutens, Wetterschießens und des Blitzableiters standen im Zentrum eines Diskurses um die Gewitterabwehr, der sich im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts entspann. Der Wandel der Handlungspraktiken vollzog sich dabei nicht wie im Falle des Wasserbaus in Form langfristiger Entwicklungspfade, sondern im Rahmen des Konfliktfeldes, das der Gewitterdiskurs bildete. Nach anfänglicher Zurückhaltung verbot die

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kurbayerische Obrigkeit das Wetterläuten in den 1780er Jahren und erneuerte dieses Verbot in den Folgejahren mehrfach. Dabei stützte sie sich von Beginn an auf die wissenschaftliche Expertise und Gutachten vor allem der Akademie der Wissenschaften. Die Last der Vermittlung des Wetterläutverbots oblag dabei den Pfarrern, die in den Verbotsverordnungen zur Aufklärung ihrer Gemeinden über deren Vorurteile zum schädlichen Wetterläuten angehalten wurden. Dieser volksaufklärerisch-pädagogische Aspekt des Wetterläutens schlug sich auch in einer Öffentlichkeitsstrategie der Obrigkeit nieder, die gezielt die in der aufklärerischen Presse gegen das Wetterläuten geführten Kampagnen unterstützte und in ihrer Zensurpolitik volksaufklärerische Traktate gegen das Wetterläuten beförderte. Die Reglementierungspolitik stieß jedoch auf Protest und Widerstand in der Bevölkerung, was viele um das Wetterläuten kreisende Konflikte produzierte. Nicht nur wurde in Suppliken die Wiederaufnahme des Wetterläutens erbeten, sondern die läutende Gewitterabwehr auch mit angedrohter oder ausgeübter Gewalt gegenüber den Messnern erzwungen. Die vom Beamtenapparat gehegte Hoffnung zur allmählichen Aufklärung der Bevölkerung über die Schädlichkeit des Wetterläutens erfüllte sich zunächst nicht, da es auch noch im 19. Jahrhundert praktiziert wurde und die Gewährung von Ausnahmegenehmigungen zu einer Ungleichbehandlung der Bevölkerung führte, die den Protest noch beförderte. Das konnte wiederum in regelrechte ›Wetterkriege‹ zwischen Gemeinden münden, die vermeinten, sich mit Wetterläuten die Unwetter gegenseitig zuzutreiben. Außerdem befand sich die Handlungspraktik des Wetterläutens im Gegensatz zur neuen Technologie des Blitzableiters. Dieser wurde auf den Kirchtürmen und damit gerade an dem Ort errichtet, an dem zuvor das nunmehr verbotene Wetterläuten praktiziert worden war. Damit konnte mit dem am repräsentativen Ort installierten Blitzableiter der Triumph der Aufklärung über den Aberglauben vor aller Augen inszeniert werden. Das stieß jedoch auf Widerstand in der Bevölkerung, der sich über Eingaben an die Obrigkeit, öffentlichen Protest und sogar Gewaltandrohungen artikulierte. Dabei zeigte sich auch, dass im Rahmen des Protestes gegen den Blitzableiter religiöse Deutungsmuster im Gewitter­diskurs nicht mehr opportun waren (ob man nun an sie glaubte oder nicht) und stattdessen technisch-wissenschaftliche Argumente den Kampf um den Blitzableiter bestimmten. Das Wetterschießen wurde im Rahmen des gewitterbezogenen Katastrophendiskurses ebenfalls zum Ziel der Kritik und Reglementierung. Umstritten war dabei weniger eine tatsächliche physikalische Einwirkung des Schießens auf Unwetterwolken als vielmehr die Einschätzung dieser Wirkung als positiv oder negativ, mit der Folge, dass man sich um Expertise im Hinblick auf Erfahrungs- und Theoriewissen bemühte. Diese holte man durch Befragungen in den das Wetterschießen praktizierenden bayerischen Land- und Pfleggerichten und durch gleichzeitig in Auftrag gegebene gutachterliche Stellungnahmen

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von Experten und der Akademie der Wissenschaften ein. Die hier erkennbare skeptische Haltung in Wissenschaft und auch Teilen der Bevölkerung gegenüber dem Wetterschießen führte zunächst nicht zum Verbot desselben. Als es nach langem Zögern schließlich erlassen wurde, führte dies wiederum zu einer Welle von Bittschriften für eine Wiederzulassung des Wetterschießens, worauf die Landesherrschaft mit der Erteilung von Ausnahmegenehmigungen reagierte. Das verschärfte eine ohnehin schon in der Bevölkerung vorhandene Konfliktlage zur Gerechtigkeitsproblematik, da sich nun Gemeinden gegen ihre Nachbarn, die das Wetterschießen mit Genehmigung praktizierten, nicht mehr mit eigenem Schießen wehren durften. Diese Situation war wiederum Ursache für das Scheitern des Verbots des Wetterschießens, das aber Anfang des 19. Jahrhunderts im Zusammenhang mit dem erneuerten Vorgehen gegen das Wetterläuten wieder in Kraft gesetzt wurde. Insgesamt zeigte sich ein enger Zusammenhang von Wetterläuten, Wetterschießen und Blitzableiter im bayerischen Gewitterdiskurs. Die hier gegebenen Konfliktfelder bezüglich der läutenden und schießenden Gewitterabwehr waren allerdings auch in zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen Kurbayerns mit seinen Nachbarstaaten wirksam. Die grenzübergreifenden Gewitter und Unwetter verursachten hier einen Regelungsbedarf der Gewitterabwehr, die in den Nachbarstaaten unterschiedlichen Wetterpolitiken unterlag. Diese mussten koordiniert werden, um die Glaubwürdigkeit der eigenen Reglementierungspolitik zu wahren und Konflikte der an der Grenze liegenden Regionen und Gemeinden zu lösen. Damit wurde nicht nur die Idee der Grenze als imaginärem Marker von Wetterpolitiken mitkonstruiert und über die Durchsetzung einer Reglementierungspolitik Herrschaft an der Grenze inszeniert, sondern in einer Pädagogik der Reglementierung der Gewitterabwehr auch die eigene Bevölkerung zu einer bestimmten Umgangsweise mit der Naturgefahr des Gewitters bzw. Unwetters erzogen. Zur Handlungspraktik des Blitzableiters begann sich außerdem eine neue Expertengruppe auf der Grundlage der diskursiven Allianz von Obrigkeit und Wissenschaft herauszubilden. Dazu gehörten die publizistisch aktiven Akademiegelehrten und Universitätsprofessoren sowie Amateurgelehrten, die in der Elektrizitätsforschung tätig waren und sich den Ruf als Experten des Blitzableiters und seiner Installation erworben hatten. Als Multiplikatoren der Technologie des Blitzableiters traten die Instrumentenbauer und wissenschaftlichen Schausteller in Erscheinung, die als umherfahrende Handwerker ihre elektrischen Apparaturen vorführten und ihre Dienste bei der Installation von Blitzableitern anboten. Außerdem von Bedeutung waren örtliche Handwerker, Schlossermeister, die sich Erfahrung in der Errichtung der Ableiteranlagen erworben hatten. Zwischen diesen Akteursgruppen ergaben sich Auseinandersetzungen entlang der Trennlinie von Theorie- und Erfahrungswissen. Dadurch wurde soziale Distinktion hergestellt und die Zugehörigkeit zur Expertengruppe des Blitz­

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ableiters bestimmt, aber auch der Wettbewerb auf dem Wissensmarkt der neuen Technologie um Anteile und Dominanz ausgetragen. Die Distinktionspraxis erstreckte sich dabei so weit, dass Vertreter des Theoriewissens eine theoretische Ausbildung aller Blitzableiterinstallateure und die Begutachtung und Kontrolle ihrer Arbeit durch anerkannte naturkundliche Experten der Elektrizitätslehre sowie staatliche Instanzen forderten, was die Verbindung wissenschaftlicher Expertise und bürokratischer Verwaltung illustriert.

7.1 Die Gouvernementalisierung der Natur Wie sich gezeigt hat, ist die Vorstellung vom paradigmatischen Wandel der religiösen zur naturwissenschaftlich-säkularen Deutung von Naturkatastrophen im 18. Jahrhundert zu einfach gestrickt, um die Veränderungen von Deutungsmustern und Handlungspraktiken im kurbayerischen Katastrophendiskus des 18. Jahrhunderts angemessen beschreiben und verstehen zu können. In Bezug auf die Hochwasser und Überschwemmungen waren religiöse Deutungen vergleichsweise von nur geringer Bedeutung und religiöse Handlungspraktiken spielten im vom Wasserbau geprägten Katastrophendiskurs kaum eine Rolle. Wandel vollzog sich hier vor allem in Bezug auf den Wasserbau selbst und war in vielfältiger Weise mit Fragen der Verwaltungsreformen, der Veränderung des Wissensregimes sowie der allgemeinen Verwissenschaftlichung und Systematisierung des Wasserbaus verbunden und zudem stark von herrschaftspolitischen Logiken des Raums sowie der Konfliktvermeidung und -regulierung zwischen Untertanen und Nachbarstaaten geprägt. Am Beispiel des Gewitterdiskurses, in dem die Handlungspraktiken des Wetterläutens, Wetterschießens und des Blitzableiters verhandelt wurden, zeigte sich wiederum die enge Verbundenheit der diskursiven Auseinandersetzung um die deutende und handelnde Katastrophenbewältigung mit den sie umgebenden weltanschaulichen Diskursen. Die (volks-)aufklärerische Politik des kurbayerischen Staates bildete hier den Bezugspunkt für die Reglementierung der Gewitterabwehr, die von allen als abergläubisch und nutzlos oder sogar als schädlich und gefährlich erachteten Praktiken gereinigt werden sollte. Der sich in diesen Zusammenhängen vollziehende Wandel konnte ganz un­ terschiedliche Strukturen aufweisen. Veränderungen im Wasserbau waren vor allem von langfristigen Entwicklungspfaden geprägt, aber auch von eintretenden Katastrophenereignissen, die als Innovationsmotoren wirken und Entwicklun­ gen anschieben oder verstärken konnten. Den Gewitterdiskurs hingegen bestimmten vor allem die Konfliktfelder zwischen Obrigkeit, Wissenschaft und Bevölkerung, in denen die Gegensätze von Deutungsmustern und Handlungspraktiken, ihre konfliktäre Verhandlung und einseitige Durchsetzung oder Blockierung das Muster des Wandels vorgaben.

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Trotz all dieser Unterschiede in den Wandelprozessen der Deutungsmuster und Handlungspraktiken ergibt sich jedoch auch eine entscheidende Gemeinsamkeit im Katastrophendiskurs zu beiden Naturgefahrenszenarien: die sich herausbildende Allianz von Obrigkeit und Wissenschaft, die den Diskurs regierte. Sie beförderte die Verwissenschaftlichung der Natur- und Katastrophendeutung, welche die Natur als Ganzes und die Hochwasser bzw. Überschwemmungen und Gewitter im Besonderen als Mechanismen ansah, die ausschließlich von Naturgesetzen determiniert waren. Die Naturkatastrophen wurden in dieser Deutung zu vorhersehbaren, regulierbaren und beeinflussbaren Größen, die empirisch analysierbar waren und anhand ihrer innewohnenden Gesetzmäßigkeiten gesteuert bzw. verhindert werden konnten. Diese für das 18. Jahrhundert charakteristische Verbindung von Wissenschaft und Obrigkeit gilt als wichtiges Element des umfassenden Prozesses der Gouvernementalisierung. Er stellte herrschaftliches Handeln im Rahmen eines Sicherheitsdispositivs auf die Grundlage wissenschaftlicher Expertise – vor allem einer politischen Ökonomie – und richtete sich auf die Bevölkerung als neues Objekt staatlichen Handelns, die als nach eigenen Gesetzen funktionierendes System betrachtet wurde und auf der Grundlage der Kenntnis dieser Gesetzmäßigkeiten gesteuert und gelenkt werden sollte.1 Als Ergebnis der Untersuchung des kurbayerischen Katastrophendiskurses im 18. Jahrhundert kann diesem auf die Gesellschaft gerichteten Gouvernementalisierungsprozess ein auf die Natur bezogener zur Seite gestellt werden: So wurden die Prinzipien der ›guten Policey‹ und der Staatswissenschaften zur Leitung und Lenkung der Bevölkerung im Sinne optimaler Staatsführung und gezielter Gesellschaftspolitik im Rahmen der Gouvernementalisierung auch auf die Natur übertragen, indem die ökonomische Verwertung ihrer Ressourcen, aber auch die Gestaltung von Landschaften2 sowie die Sicherung vor Naturgefahren ins Blickfeld einer eigenen Policeygesetzgebung geriet. In Bezug auf Naturkatastrophen bedeutete das in Kurbayern die sich etablierende staatliche, landesobrigkeitliche Kontrolle des Wasserbaus und seine Systematisierung auf dem Verordnungsweg. Außerdem wurden rechtliche Regelungen der Zugriffsund Gestaltungsrechte der Anrainer auf die Naturlandschaft Fluss entwickelt, für die Pläne zu einer eigenen ›Wasser- oder Flusspolicey‹ entworfen werden sollten. Auch die Reglementierung der Handlungspraktiken zur Gewitterabwehr in Kurbayern kann unter den Vorzeichen eines Policeywesens gesehen werden, das einmal erzieherisch auf die Abschaffung von in der Bevölkerung verankerten 1 Zum Begriff der Gouvernementalisierung und der historischen Genese dieser Machtökonomie vgl. Foucault, Sicherheit. Zu einer Kurzdefinition dessen, was Foucault unter Gouvernementalität bzw. dem Gouvernementalisierungsprozess versteht, ebd., 162–163. 2 Als Beispiele seien hier das forstwirtschaftliche und forstwissenschaftliche Arrangement des Waldes und die herrschaftliche Kontrolle über die Ressource Holz sowie die effizienzsteigernde Gestaltung und Neuanlage landwirtschaftlicher Nutzflächen genannt; zu beiden Aspekten vgl. Hölzl, Umkämpfte Wälder und Beck, Ebersberg.

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abergläubischen Ansichten und Praktiken gerichtet war und zum anderen die technologische Kontrolle des Wetters zum Ziel hatte. Aufklärerisch inspirierte und wissenschaftlich begründete Gesellschafts- und Naturpolitik bildeten also zwei aufeinander bezogene Bereiche des umfassenden Gouvernementalisierungsprozesses im 18. Jahrhundert.3 Die Gouvernementalisierung der Natur und der Naturkatastrophen fand ihren Ausdruck wiederum in einem technisch-obrigkeitlichen Komplex. Dieser stellte als »citadel of expertise«4 die Verbindung wissenschaftlicher Expertise und verwaltungstechnischer Kontrolle in Form wissenschaftlich ausgebildeter Experten und bürokratischer Institutionen dar und gab die Handlungspraktiken im Umgang mit Naturgefahren vor. Im Falle des Wasserbaus war es die Akademie der Wissenschaften als Expertenpool, die Theoriewissen entwickelte und zur Verfügung stellte, das in der sich reformierenden Behördenstruktur des Straßen- und Wasserbaus inkorporiert wurde bzw. werden sollte. Ihren institutionellen Ausdruck fand diese Entwicklung im bayerischen Wasserbauwesen Anfang des 19. Jahrhunderts, in dem ausgebildete Ingenieure auf der Grundlage ihres Fachwissens Wasserbau im Rahmen behördlicher Verwaltungsstrukturen planten und ausführten. Für den Blitzableiter wurde diese Verbindung wissenschaftlichen Wissens und bürokratischer Organisation in Form einer staatlichen Kontrolle von Blitzableiterinstallateuren zwar angedacht, aber letztlich nicht durchgeführt. Deutlich sichtbar für beide Handlungspraktiken ist jedoch die Ausbildung eigener Expertengruppen, die die Gefahrenbekämpfung einerseits auf wissenschaftlicher Basis durchführen und andererseits im Rahmen bürokratischer Abläufe organisieren sollten oder wenigstens den Anspruch dazu erhoben. Das Entstehen des technisch-obrigkeitlichen Komplexes mit seiner Ausbildung spezifischer Verwaltungsstrukturen und des kontrollierenden Zugriffs auf den Umgang mit Natur ist deshalb auch als Teil der Herrschaftsverdichtung und Staatsbildung in der Frühen Neuzeit zu betrachten.5 Katastrophendeutung und handelnde Bewältigung werden damit zu Herrschaftspraktiken des sich entwickelnden gouvernementalen Staates.

3 Bereits für das Spätmittelalter ist jedoch schon die Frage nach dem Beginn von Gouvernementalisierungsprozessen anhand des sich entwickelnden behördlichen Naturgefahrenmanagements am Beispiel des Wasserbaus in der Toskana und dem Oberen Rheintal gestellt worden (Schenk, Managing, 45). Fraglich ist hier jedoch die enge Verbindung von Wissenschaft und Obrigkeit sowie die wissenschaftliche Grundlegung herrschaftlichen Handelns, die wesentliche Charakteristika der Gouvernementalisierung ausmachen. 4 Johns, Introduction, xx. 5 Auf das entsprechende Desiderat in der historischen Katastrophenforschung aber auch in der Erforschung der Herrschaftsverdichtung und Staatsbildung, dass die Rolle von Naturkatastrophen in der Entwicklung von Verwaltungsstrukturen und des allgemeinen Staatsverständnisses in der Frühen Neuzeit nahezu unberücksichtigt geblieben ist, hat Franz Mauelshagen hingewiesen: Mauelshagen, Disaster, 56.

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Die Entwicklung des technisch-obrigkeitlichen Komplexes stand somit am Anfang des modernen Naturgefahrenmanagements,6 das den Umgang mit Naturkatastrophen entlang eines technologischen Paradigmas bis in die Gegenwart hinein bestimmt.7 Damit etablierte sich auch eine neue Katastrophenkultur, in der technisch-bürokratisch bestimmte Handlungskomplexe die Umgangsweise mit Naturkatastrophen und Naturgefahren dominieren. Alte Vulnerabilitätsmuster wurden dadurch zwar beseitigt, aber auch neue geschaffen, was besonders an der Anpassung der Flüsse an die Bedürfnisse von neuem Siedlungsraum sowie ökonomisch-industrieller und landwirtschaftlicher Nutzung deutlich wird. Die Folge war, dass die Flüsse zwar seltener über die Ufer traten, im Falle einer tatsächlichen Überschwemmung sich jedoch die Schäden potenzierten.8 Diese erzeugten Vulnerabilitätsmuster wirken wiederum bis in unsere Gegenwart nach. Das heutige Naturgefahrenmanagement steht in der Tradition des im 18. Jahrhundert entstandenen technisch-obrigkeitlichen Handelns, in dem wissenschaftliche Experten im Rahmen bürokratischer Strukturen nach wie vor die Deutungsmacht über Natur inne haben.9 In diesem Sinne werden auch noch gegenwärtig im Rahmen des technologischen Paradigmas vor allem technische Lösungen für die Einhegung von Naturgefahren entwickelt. Die Einsicht in die systemische Verbundenheit von Natur- und Kulturraum durch den menschlichen Verbrauch von Naturlandschaften und Ressourcen, der das Entstehen von Naturkatastrophen begünstigt, hat bislang noch nicht zu einer grundlegenden Neuorientierung des Naturgefahrenmanagements geführt. Ob der technisch-obrigkeitliche Komplex mit seiner Deutungs- und Handlungsmacht hier anpassungs- und lernfähig genug sein wird, um auch die zukünftigen Herausforderungen wachsender Bedrohung durch Naturkatastrophen infolge des Klimawandels bewältigen zu können, muss sich erst noch zeigen. Wie eingangs anhand der literarischen Texte Heinrich von Kleists und Karl August Ragotzkys gezeigt wurde, gewinnen Naturkatastrophen im realhistorischen Katastrophendiskurs eine Akteurskraft, die sowohl Deutungsmuster und Handlungspraktiken beeinflussen als auch die Sinnordnung einer Gesellschaft in ihrer Umgangsweise mit Natur betreffen kann. Es scheint, dass Naturkatastro 6 Eine Zurückführung des modernen Risikomanagements von Naturkatastrophen auf ein einzelnes Katastrophenereignis wie das Lissaboner Erdbeben, wie in Almeida, The 1755 Lisbon Earthquake, greift daher viel zu kurz. 7 Bankoff, The Historical Geography of Disaster, 29. Für die Bedeutung von Experten und des technologischen Paradigmas im Naturgefahrenmanagement des 19. Jahrhunderts im deutschen Kaiserreich vgl. auch Masius, Risiko. 8 Vgl. zu den Vulnerabilitätsmustern des industriellen Zeitalters an den Flüssen, die durch ihre gezielte Umgestaltung erzeugt wurden, Lübken, »Der große Brückentod« und Lübken, Naturschutz. 9 Vgl. dazu auch die Charakterisierung des Verhältnisses von wissenschaftlichen Experten und Laien von Bruno Latour im Rahmen seiner Kritik der politischen Epistemologie der Naturwissenschaften; Latour, Das Parlament, 21–32.

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phen selbst in ihrer destruktiven Wirkung und sogar in der potenziellen Gefahr ihres Ausbruchs letztlich eine schöpferische Kraft innewohnt. Zwar zerstört sie geltende Ordnungen, begünstigt aber auch das Entstehen neuer. Vor dem Hintergrund des aktuellen Problems des globalen Klimawandels ist daher historische Katastrophenforschung wichtiger denn je. Denn es sind ihre Einsichten in den historischen Wandel der deutenden und handelnden Anpassung an Naturkatastrophen im Rahmen der Spielregeln des Katastrophendiskurs, in dem Mensch und Natur in ihrem wechselseitigen Verhältnis zueinander verstanden werden, die es uns ermöglichen, die zukünftigen Herausforderungen durch Naturkatastrophen für unsere Wissens- und Sinnordnungen besser zu bewältigen, indem wir uns bewusst machen, dass unser Verhältnis zur Natur in jeder Epoche neu definiert wurde und werden wird.

Literatur- und Quellenverzeichnis

Ungedruckte Quellen Bayerische Staatsbibliothek (BSB) Cgm 2941: Riedl, Castulus, Bericht von denen Gros- und kleinern Wasserflüssen, dan deren Beschaffenheit, und aigenschafften in Ober- und Niderbajern, nebst der Anweisung von Bruck- und Wassergebäuen, auch Was für eine bauart bey disen, oder jenen Flus bisher üeblich, und wie mit Sparsamkeit zum nuzen eines Landsfürsten, oder dessen unterthonen den schaden vorzubiegen seye, und Was ein Baumaister bey verfassung der Überschläg über einen bruck- oder Wasserbau, auch ansonsten zu beobachten habe. o. O. [1777]. Bayerisches Hauptstaatsarchiv (BayHStA) Erzstift Salzburg Hofrat 652, 964, 1153 Erzstift Salzburg Literalien Nr. 809 Erzstift Salzburg Pfleggericht Laufen Akten 1619, 2027, 2032, 2769, 2782, 2804, 2816, 2881, 2896, 3040/a, 3040/b, 3051, 3052, 3939, 9898, 11812 Erzstift Salzburg Pfleggericht Mühldorf 1608 Erzstift Salzburg Pfleggericht Waging Akten (vorläufige Nr. 514) Gerichtsliteralien (GL) Faszikel 59 Nr. 102, 80 Nr. 2, 219 Nr. 127, 242 Nr. 69, 365 Nr. 138, 647 Nr. 264, 685 Nr. 58, 784 Nr. 103, 1028, 1109 Nr. 124, 1242 Nr. 144, 1277, 1390 Nr. 77, 1475 Nr. 194, 1694 Nr. 118, 1932 Nr. 130, 1987 Nr. 194, 2058 Nr. 231, 2228 Nr. 181, 2282 Nr. 43, 2401 Nr. 44, 2422 Nr. 52, 2547 Nr. 167, 3005 Nr. 141, 3133 Nr. 58, 3193 Nr. 103, 3391 Nr. 149, 3640 Nr. 138, 3701 Nr. 167, 4032 Nr. 134, 4162 Nr. 124, 4403 Nr. 170, 4455 Nr. 185, 4602 Nr. 224 Generalregistratur (GR) Faszikel 1206 Nr. 5, 1206 Nr. 6, 1206 Nr. 7, 1209 Nr. 17, 1390 Nr. 77, 1612 Nr. 1, 1612 Nr. 2 Hochstiftsliteralien (HL) 3 Faszikel 135 Nr. 14, 153 Nr. 31, 175 Nr. 26, 320 Nr. 28 Hofamtsregistratur (HR) I Faszikel 229 Nr. 107, 290 Nr. 22, 523 Nr. 1, 524 Nr. 3 Kloster St. Nikola Passau Amtsbücher und Akten (vorläufige Nr. 2677)

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L iteratur- und Quellenverzeichnis

Kollegiatstift Altötting Archivalien 149 Kurbayern Äußeres Archiv 94, 100, 448, 815, 1819, 1856 Kurbayern Bücherzensurkollegium 286, 479, 480 Kurbayern Geheimer Rat Archivalien (vorläufige Nr. 561), (vorläufige Nr. 565) Kurbayern Geheimes Landesarchiv 347, 348, 767, 919 Kurbayern Hofkammer (HK) Archivalien (vorläufige Nr. 1445), (vorläufige Nr. 1458), (vorläufige Nr. 1825), (vorläufige Nr. 1873), (vorläufige Nr. 1961), (vorläufige Nr. 2165), (vorläufige Nr. 2696), (vorläufige Nr. 3068), (vorläufige Nr. 4033), (vorläufige Nr. 4126) Kurbayern Hofbauamt 332, 335, 336, 338, 339, 344, 345, 358, 363 Kurbayern Hofkammer Protokolle Nr. 957 Kurbayern Mandatensammlung 1730/VI /30, 1736, 1746/IV/13, 1763/IX /7, 1791/IV/8, 1792/V/4 Kurbayern Obere Landesregierung 937, 951, 969, 991, 1323, 1664, 1665, 1669, 1699, 2487, 2488, 2496, 2497 I–IV, 2518, 2668, 2927, 3978 Kurbayern Obere Landesregierung Protokolle 18 Oberste Baubehörde (OBB) (Akten) 1/1, 1/2, 2, 3, 4, 5, 8, 37, 93, 290, 2134, 2135, 2136, 2138, 2139, 2140, 2150, 2410, 2415, 2570, 4347, 4390, 4391 Salzburger Mandatensammlung 1785/II /1, 1787/I/23 Staatsverwaltung 2300 Staatsarchiv Augsburg (StAAu) Fürststift Kempten Acta Civitatica 91 Hochstift Augsburg Neuburger Abgabe Akten 736 Hochstift Augsburg Neuburger Abgabe Akten 1093 Hochstift Augsburg Neuburger Abgabe Akten 5003a

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Gedruckte Quellen Staatsarchiv München (StAM) Generalkommissariat des Salzachkreises GR Fasz. 1206 Nr. 5 Generalkommissariat des Salzachkreises GR Fasz. 1206 Nr. 7 Pfleggericht Trostberg A 215

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L iteratur- und Quellenverzeichnis

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Register

Personenregister A Ahlwardt, Peter  326, 327 Amort, Eusebius  88, 91, 139 Arbuthnot, Benedikt  333, 354, 360, 361, 371, 382 Aretin, Johann Georg von  136–139, 141, 143

Fischer, Johann Nepomuck  97, 323–325, 332, 340, 341, 344, 352, 353, 355, ­359–361, 372, 373, 378, 387, 389–392, 411, 412, 418, 421, 423, 428, 432 Forster, Frobenius  91 Franklin, Benjamin  364–366, 372, 373, 376, 377

B Barth, Anton  381, 386, 408 Beccaria, Giambattista  433 Beck, Dominikus  333, 368, 372–375, 432, 439 Beich, Daniel  231 Berchem, Maximilian Franz Freiherr von ​ 177–181 Berschitz, Martin  435 Bertholon, Pierre  372 Besnella, Franciscus  124–125 Boslarn, Joseph von  354, 355, 360, 373, 389 Boureau-Deslandes, André-François  353 Braun, Heinrich  89, 103

G Gerner, Lorenz  404–407 Guden, Philipp Peter  360, 361, 371, 372 Gütle, Johann Konrad  331, 353, 362, 376, 433–437, 441, 442

C Colloredo, Hieronymus Graf von  87 Crätz, Joseph von  387, 390 Crinelli, Maximilian Freiherr von  230 D Dalibard, Thomas François  364 Diviš, Prokop  364 Drouin, Joseph Ludwig  100 E Ellerstorfer, Joseph  177, 184 Epp, Franz Xaver  313–317 Euckenmayer, Rudolph  161, 239, 250–252 F Finauer, Peter Paul  101

H Hagenau, Maximilian Gaudenz von  287, 288 Haimhausen, Franz Ferdinand Graf von ​ 227, 228 Haller, Albrecht von  37 Hamberger, Joscio  143 Hazzi, Joseph von  156, 369 Heinrich, Placidus  331, 357–362, 378, 412, 418 Helfenzrieder, Johann Evangelist  238, 250, 252, 374, 440, 442 Hemmer, Johann Jakob  312, 313, 355, 367, 369, 370, 373–377, 390, 391, 402, 411, 412, 418, 423, 432, 437, 440–442 Hieber, Gelasius  88 Hierneis, Lorenz Anton  230, 231 Hillesheim, Alois Friedrich Wilhelm von ​ 102, 103 Hofstetten, Joseph Aloys von  172, 179–183, 189, 197, 198, 206–210, 212, 216, 223, 236, 240, 255, 271 Höss (Hess), Philipp  225, 226, 229 Hösse, Quirin  229 Hotz, Johann Michael  272, 273 Hübner, Lorenz  72, 74, 98, 100, 102, 105, 157, 160, 333, 377, 395, 396

494 I Ickstatt, Johann Adam  89 Imhof, Maximus  314–316, 362, 363, 372, 436–438 K Kandler, Agnellus  88 Kant, Immanuel  37 Karl Theodor, Kurfürst  92, 93, 182, 316 Kennedy, Ildephons  71, 77, 382, 386 Kleist, Heinrich von  15–17, 20, 33, 459 Klueghammer, Johann Ignatius  343, 344 Kohlbrenner, Franz Seraph  100, 101, 103, 386 König, Karl  241, 244 Krafft, Johann Ludwig  174, 176, 228 L Lambert, Johann Heinrich  312 Langenbucher, Jakob  332, 353, 355, 434, 435, 439, 440 Legipont, Oliver  88 Leyden, Joseph Ignaz Freiherr von  226 Lichtenberg, Georg Christoph  435 Lori, Johann Georg  77, 89, 312, 317 Luz, Johann Friederich  328, 366, 374, 375, 438 M Max III . Joseph, Kurfürst  92, 102 Mayr, Clarus  145, 164, 249, 250, 252 Mayr, Johann  73 Milbiller, Joseph  101, 102 Moll, Karl Maria Ehrenbert von  168, 373 Montgelas, Maximilian Joseph Freiherr von ​ 80, 171, 184, 203, 245, 262 N Nicolai, Friedrich  303, 305, 319, 320, 340, 343, 350, 369 Niedermayer, Franz Xaver  327, 328, 344, 356, 403, 405 Nollet, Jean Antoine  364, 366, 374, 405 O Oefele, Andreas Felix  88 Ostertag, Johann Philipp  73 Osterwald, Peter von  92, 100 P Paur, Franz Anton von  196, 231, 232, 288, 293–296

Register Paur, Johann  175, 229 Paur, Matthias  229–231, 292, 293 Pechmann, Heinrich von  143, 165, 188, 209, 239, 246, 259, 260 Pichler, A.  203, 209, 275 Pombal, Marquês de  35 Pusch, Franz von  184 R Ragotzky, Karl August  14–17, 20, 459 Rangger, Anton  288, 289 Reimarus, Johann Albrecht Heinrich  365, 374 Richmann, Georg Wilhelm  333, 365, 366 Riedl, Adrian  110, 139, 140, 179–187, 215–218, 222, 223, 233, 236–244, 247, 252–259, 263, 264, 266, 271, 275, 286, 290–292, 299–302, 449 Riedl, Castulus  82, 83, 138, 139, 161–166, 177, 179–183, 222, 228, 232, 233, 235, 236, 255, 263, 288–290, 300 Riedl, Michael  183, 184, 236 Robespierre, Maximilien de  376, 377 Rousseau, Jean-Jacques  18, 37 S Sailer, Johann Michael  130–132 Saussure, Horace-Bénédict de  27, 366 Scheuchzer, Johann Jakob  27, 37 Schiegg, Ulrich  435, 436, 438 Schlerfin, Josepha  272–277 Schmid, Ignaz  101 Schrank, Franz de Paula von  168, 373 Schwaiger, Albin  334, 368 Seiferheld, Georg Heinrich  372 Stengel, Stephan von  312 Stichaner, Josef von  286, 289, 290 Stubenrauch, Johann Nepomuk von ​ ­181–183 Stuber, Joseph  180 T Thurn und Taxis, Karl Anselm von  73, 74 Tulla, Johann Gottfried  108, 259, 264 U Ulrich, Joseph  348, 349 V Veratti, Giuseppe  365 Viscardi, Giovanni Antonio  176

495

Ortsregister Voch, Lucas  163, 166, 255 Voltaire 37 W Wahl, Ferdinand Franz Albrecht Graf von der ​172, 174 Weber, Joseph  329, 340, 341, 351, 352, 356, 359–361, 371, 389, 432 Westenrieder, Lorenz  95, 101, 103, 311, 370, 403, 407, 433

Weydacher, Sebastian  230 Wiebeking, Carl Friedrich von  185–188, 205, 209, 243–245, 252, 258–265, 290, 449 Winkler, Johann Heinrich  364 Wolff, Christian  87, 89, 90 Z Zallinger zum Thurn, Franz von  125, 126, 137–139, 141, 164–166 Zuccalli, Enrico  119

Ortsregister A Abbach  154, 272, 273 Abensberg (Gericht)  322, 337, 348 Aibling (Gericht)  150, 256, 257, 270, 391, 401, 414, 415 Alpen / a lpin  28, 32, 41, 42, 56–58, 61–65, 108–110, 135, 141, 157, 165, 167, 180, 322, 351, 357, 396 Altenhohenau (Kloster)  301 Altötting  132, 157–159, 343–345, 347 Amberg (Rentamt / Regierung)  79, 230, 371 Ammer / A mper  129, 151, 157, 162, 175, 181, 183, 229 Attel (Kloster)  152, 213, 214, 233, 301 Au (Gemeinde / Gericht)  222, 270, 292, 296–299, 391 Au (Kloster)  213, 214 Auerburg (Gericht)  286–288 Augsburg (Hochstift)  58, 166, 191, 192, 280, 335, 380, 383, 384, 399, 419, 427, 432 Augsburg (Reichsstadt)  58, 114–117, 163, 166, 225, 226, 229, 303, 434, 435, 439 B Ba(y/i)rawies 395 Benevent  26, 27 Berchtesgaden (Fürstprobstei)  74 Bettbrunn  310, 317 Biburg (Gericht)  83, 84, 335 Braunau  270, 290 Burghausen (Gericht)  358, 396, 417, 418, 430 Burghausen (Rentamt / Regierung)  70, 79, 202, 269, 277, 281–284, 307, 343, 344, 358, 413, 428 Burghausen (Stadt)  89, 242, 270, 442

C Cham (Grafschaft)  358 D Dijon 366 Dillingen  130, 329 Dingolfing (Gericht)  69, 183, 200, 201 Dingolfing (Stadt)  154, 200, 201 Donau  56, 58, 73, 108–111, 133, 138, 140, 142, 143, 146, 147, 149, 151, 152, 154, 160, 162, 165, 166, 172, 176, 180, 181, 183, 186, 194, 207, 209, 214–219, 226, 231, 238, 252, 259, 270, 272, 299 Donaustauf (Stadt / Gericht)  219, 226 Donauwörth 133 Dorfen  158–160, 317 Düsseldorf 402 E Ebbs 286–289 Ei(t)zing 399 England / Großbritannien  40, 66, 316, 366, 367 Erching  120, 121, 345 Erding (Gericht)  370, 402, 403, 407, 433 Erding (Stadt)  160 Erl  233, 286–289 Ettal (Kloster)  228, 232, 349 F Frankreich  23, 24, 34, 40, 61, 106, 248, 351, 353, 363, 364, 366, 367 Freising (Hochstift)  58, 93, 117–121, 227, 255, 307, 342, 345, 393, 394, 427 Freising (Stadt)  270, 307

496 Friedberg (Gericht)  114–117, 191–193, 225, 226 Friedberg (Stadt)  191–193, 226, 407, 408 G Genf 366 Giesing  82, 83, 222, 281, 414, 415 Glonn 151 Greinegg 118 Grenoble  23, 29, 36 Griesbach (Gericht)  150, 269 Gundertshausen 409 H Haag (Gericht / Grafschaft)  214, 267, 268, 410, 413 Hals (Gericht)  269 Hamburg 365 Harlaching  82, 194, 222, 257, 281 Heiliges Römisches Reich / A ltes Reich  40, 42, 57, 72, 87, 96, 100, 351 Hohenaschau (Herrschaft)  392, 393 Hohenburg (Hofmark)  291, 385 Hohenpeißenberg  317, 318, 334, 349, 351, 368 I Ill  280, 281 Iller  171, 227, 280 Ingolstadt  89, 90, 146, 147, 151, 152, 176, 186, 231, 232, 331 Inn  106, 110, 132, 139, 140, 150, 152, 157, 162, 163, 167, 172, 181, 183, 190, 202, 204, 207, 213, 214, 229, 230, 233, 255, 257, 259, 260, 269, 270, 286–291, 301, 400 Innsbruck  125, 187, 260, 287–289, 427 Isar  69, 74, 82, 83, 110, 117–119, 139, 140, 146, 148, 149, 151, 153, 162, 166, 169, 172, 181, 183, 191, 193–196, 200, 201, 219, 222, 223, 227, 229, 233, 246, 255–257, 259, 267, 270, 281, 291–295, 298–301, 304 Isen 158 Isère  29, 248 Ismaning  118, 120, 121, 227 Italien  23, 40, 61, 279, 365 K Kempten (Fürststift)  58, 88, 280, 358 Kempten (Reichsstadt)  280

Register Kiefersfelden  233, 289 Kirchberg (Gericht)  70 Kissing (Hofmark)  192, 193, 226 Kling (Gericht)  412, 416, 417, 428, 429 Königsdorf 393 Kranzberg (Gericht)  117–120, 151, 169, 227, 394 Krayburg und Meermosen (Gericht)  134, 398, 399, 409, 416, 417, 429 Kufstein 396 L Laine 228 Landau (Gericht)  267, 336 Landau (Stadt)  201 Landsberg 183 Landshut (Rentamt / Regierung)  69, 70, 79, 160, 200, 201, 307, 335, 336, 358, 408 Landshut (Stadt)  219–221, 343 Laufen (Gericht)  98, 323, 335, 381, 383, 401, 409, 410, 426, 427, 435, 436, 438 Lautern 369 Lech  110, 114–117, 139, 140, 162, 163, 166, 172, 181, 183, 186, 191–193, 225–227, 229, 255, 303 Lechhausen  115–117, 192, 226 Lenggries 291 Lilienberg (Kloster)  191 Linz  159, 340, 427 Lissabon  22, 25–27, 35, 37, 42, 105, 106, 124, 459 Loisach  139, 162, 166, 172, 181, 183 M Mallersdorf (Kloster)  338 Mannheim  129, 148, 312, 313 Marly-la-Ville  364, 365 Marquartstein (Gericht)  358, 396, 418 Mehring (Gericht)  191, 192, 226 Melk (Kloster)  319, 369 Mexiko 23 Miesbach (Gericht / Stadt)  134 Mintraching  117–120, 227 Mittenwald 291 Moosburg (Gericht)  153, 232 Mörmosen (Gericht)  201, 202, 409 Mühldorf (Gericht)  417, 428, 429 Mühldorf (Stadt)  186, 201, 202, 358 München (Rentamt / Regierung)  70, 79 München (Stadt)  59, 69, 70, 74, 88, 114, 117, 146, 149, 151, 176, 186, 187, 191, 193, 194,

Ortsregister 202, 227, 231, 232, 263, 267, 270, 276, 277, 292–294, 296–299, 301, 306, 307, 309, 314, 345, 350, 370, 381, 387, 392, 405, 406, 408, 416, 427 Murnau (Gericht)  336 Murnau (Stadt)  338 N Neckar  148, 149 Neumarkt (Gericht)  337, 358, 408 Neuötting 202 Neustadt (Stadt / Gericht)  310, 337 Niederaltaich (Kloster)  142 Niederaudorf / Oberaudorf  287, 289 Nordseeküste  24, 32, 34, 56, 57 Nürnberg (Reichsstadt)  71, 127, 128, 331, 351, 433, 434 Nymphenburg  176, 292 O Oberammergau 228 Osterhofen (Gericht)  336 Österreich  40, 41, 61, 66, 74, 102, 109, 114, 159, 167, 207, 267, 269, 281, 299, 305, 358, 367, 380, 383, 416, 419, 425, 427 P Passau (Hochstift)  74, 93, 290, 307, 427 Perlach  414, 415 Pfarrkirchen (Gericht)  336 Philadelphia 365 Piesenkam 395 Plattling  233, 300, 301 Plymouth 365 Polling (Stift)  91, 139, 318 Pyrenäen  23, 141, 301, 322, 351, 357 R Rauhenlechsberg (Gericht)  353 Redenfelden 190 Regen (Fluss)  140 Regensburg (Hochstift / Fürstentum)  93, 124, 209, 219, 226, 427 Regensburg (Reichsstadt)  73, 77, 128, 146, 149, 209, 238, 354, 358, 434 Reichenberg (Gericht)  336 Reichenhall (Gericht)  269, 358, 396 Rhein  29, 108, 149, 185, 259, 264, 458 Ried (Gericht)  399 Rohrdorf  400, 416, 419, 420

497 Rosenheim (Gericht)  229, 230, 400, 404–407, 415 Rosenheim (Stadt)  213, 229, 230, 290, 357, 403–407, 420 Rott (Kloster)  214 Rottenbuch (Kloster)  317, 318, 334, 351 Rottenburg (Gericht)  69, 70, 336 S Salzach  110, 139, 163, 167, 172, 181, 183, 207, 255, 270, 281–286, 290 Salzburg (Erzstift / Kurfürstentum)  58, 72, 74, 87, 89, 93, 102, 168, 201, 202, 255, 267, 281–286, 289, 290, 323, 333, 335, 358, 380, 381, 383–385, 387, 391, 393, 401, 408–410, 412, 416, 419, 425–430, 432, 435, 438, 439 Sardinien  366, 367 Schärding (Stadt / Gericht)  157, 269 Schleißheim  177, 227, 292 Schlesien  66, 365 Schrobenhausen 149 Schweiz  26, 33, 36, 61, 108, 109, 278, 365, 367 Schwetzing 369 Sonthofen 358 St. Emmeram (Reichsabtei)  91, 331 St. Omer  376, 377, 405, 407 Stadtamhof (Gericht)  275, 276 Stadtamhof (Stadt)  128, 146, 219, 226, 272, 273, 275, 276 Straubing (Rentamt / Regierung)  70, 79, 147, 214–218, 230, 231, 272, 276, 301, 307, 336 Straubing (Stadt)  69, 109, 147, 160, 165, 186, 214–218, 238, 353 T Tirol  74, 106, 125, 136, 137, 141, 143, 149, 163, 164, 166, 183, 187, 188, 207, 213, 233, 255, 260, 281, 286–290, 340, 343, 345, 357, 358, 396, 398, 409, 425 Tittmoning (Gericht)  281–286, 323, 396, 426, 429, 430 (Bad) Tölz  195, 196 Toskana  29, 279, 280, 367, 458 Traubing  348, 349 Traunstein (Gericht)  150, 396, 426 Trostberg (Gericht)  393, 398, 409, 416, 417, 429, 438, 439 Tuntenhausen  158, 346

498 V Venedig  32, 365, 367 Vils 267 Vohburg (Gericht)  156, 194 Vöhring 227 W Waging (Gericht)  426, 438, 439 Wasserburg (Gericht)  213, 277, 358 Weilheim (Gericht)  349 Wertach  163, 166, 255, 280, 303 Weyarn (Kloster)  432

Register Wien  149, 365, 369 Wildhut (Gericht)  281–286 Windberg (Kloster)  214, 217, 218 Wolfratshausen (Gericht)  337, 395, 415 Wörnitz 133 Würm  183, 227, 228, 292 Würzburg 358 Z Ziller  168, 169 Zürich 27 Zusam 133