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German Pages 204 [244] Year 1996
Ph ilosoghiscne
Thomas von Aquin Die Gottesbeweise in der »Summe gegen die Heiden« und der »Summe der Theologie« Lateinisch- Deutsch
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I.
I.••
THOMAS VON AQUIN
Die Gottesbeweise in der "Summe gegen die Heiden" und der "Summe der Theologie" Text mit Ubersetzung, Einleitung und Kommentar, herausgegeben von HORST SEIDL
Lateinisch- Deutsch
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 330 1982 Erste Auflage 1986 Zweite, verbesserte und erweiterte Auflage 1996 Dritte, unveränderte Auflage
Im Digitaldruck »on demand« hergestelltes, inhaltlich mit der Ausgabe von 1996 identisches Exemplar. Wir bitten um Verständnis für unvermeidliche Abweichungen in der Ausstattung, die der Einzelfertigung geschuldet sind. Weitere Informationen unter: www.meiner.de/bod
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. isbn 978-3-7873-1192-7 ISBN eBook: 978-3-7873-2658-7
© Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 1996. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Gesamtherstellung: BoD, Norderstedt. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruck papier, hergestellt aus 100 % chlorf rei gebleichtem Zellstoff. Printed in www.meiner.de Germany.
Pater Dr. Theophil Tschipke O.P. in verehrendem Gedenken
(t 24. November 1981)
INHALT
VORWORT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . .. .
IX
EINLEITUNG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI I. Kurzer Oberblick über Thomas' Gottesbeweise in den beiden ,Summen'..................... XI II. Die induktive Form der Gottesbeweise bei Thomas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII 111. Thomas' Kritik an Ansehns Argument . . . . . . . . XVII IV. Der ontologische Ansatz in Thomas' Gottesbeweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIV V. Zur Gleichsetzung der metaphysischen, ersten Ursache mit Gott ........................ XXIX THOMAS VON AQUIN Die Gottesbeweise in Summa contra gentiles - Summe gegen die Heiden (Erstes Buch, Kapitel10-13 und 15) Summa theologiae - Summe der Theologie (Erster Teil, Frage 2, Artikel 1-3) KOMMENTAR zu Summe gegen die Heiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (Erstes Buch, Kapitel10-13 und 15) Summe der Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (Erster Teil, Frage 2, Artikel1-3) BEILAGEN I. Thomas' Quellen in Aristoteles' ,Physik' und ,Metaphysik'............................ 1. Die Beweisgänge zu einem ersten, unbewegten Beweger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phys. VII und VIII
1 39
63 87
104 104
VIII
II. III. IV. V.
Inhalt
2. Das Argument vom (analog) höchsten Wahren und Seienden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Metaph. II 1 3. Das Argument vom nicht-unendlichen Regreß in den Ursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Metaph. II 2 4. Der Beweis der ersten, immateriellen, rein aktuellen Substanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Metaph. XII 6 Die gemeinsame Beweisstruktur der "fünf Wege" bei Thomas ...........•............ ~. . . Bemerkungen zu Kants Kritik der Gottesbeweise Zu gegenwärtiger Kritik an Thomas' Gottesbeweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . • . . . . . Zu gegenwärtigen Versuchen symbollogischer Formalisierung von Thomas' Gottesbeweis aus der Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
115 115 116 119 125 136 161
LITERATUR-HINWEISE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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NAMENVERZEICHNIS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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STICHWORTVERZEICHNIS . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VORWORT
Daß die vorliegende Ausgabe der seit langem vergriffenen von E. Rolfes über "Gottesbeweise bei Thomas von Aquin und Aristoteles" (Limburg 2 1927) nunmehr nachfolgen kann, ist der Umsicht des Verlegers Herrn Richard Meiner zu verdanken, der den Titel "Thomas von Aquin, Gottesbeweise" in die Philosophische Bibliothek aufgenommen hat. Verleger und Herausgeber sind dabei übereingekommen, daß die neue Ausgabe nicht nur Thomas' Text mit Übersetzung und Hinweisen auf Aristoteles' Quellen enthalten sollte, sondern auch einen fortlaufenden Kommen· tar sowie die Besprechung kontroverser Interpretation und Kritik zu Thomas' Gottesbeweisen, wie sie gegenwärtig in der zahlreichen Sekundärliteratur zur Sprache kommt. Diese Ausgabe analysiert erstmals vollständig den syllogistischen Aufbau der Beweisgänge in Thomas' Summe gegen die Heiden I 10-13, 15 und Summe der Theologie I q.2 a.1-3, sowie in Aristoteles' Physik VII-VIII und Metaphysik II 1-2, XII 6. Sie möchte damit dem Leser die Möglichkeit geben, sich gegenüber der modernen Kritik ein eigenes Urteil zu bilden, und kann so vielleicht dem vertieften Studium von Thomas' Texten dienen, zu dem das Vaticanum I und II einladen. Der Text ist der der Editio Leonina. Aus den Ausgaben von Marietri (Turin), der Biblioteca de autores cristianos (Madrid) und der des Walberberger Instituts (Prof. P. Engelhardt O.P ., Prof. K. Albert) über die Summe gegen die Heiden sind wichtige Quellenhinweise übernommen. An dieser Stelle sage ich Herrn Richard Meiner und Herrn G. R. Bojanovsky (münchner fotoprint) besonderen Dank für ihre Mühewaltung. Danken möchte ich ferner mei· nem Assistenten, Herrn Raymond Corbey, für seine Hilfe bei der zu beschaffenden Literatur und Herrn cand. med. Franz J. Pohl für die sorgfältigen Schreibarbeiten. Dankbar verbunden weiß ich mich auch Herrn Kollegen Dr. Harrie de Swart von der Abteilung Logik der KathoL Universiteit
Vorwort
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Nijmegen für die klärenden Gespräche über die modernen symbollogischen Formalisierungen von Thomas' Bewegungsbeweis. 7. März 1981, am Gedächtnistag des hl. Thomas
Der Herausgeber
VORWORT ZUR ZWEITEN AUFLAGE Die nach relativ kurzer Zeit notwendig gewordene zweite Auflage der Ausgabe von Thomas' Gottesbeweisen ist gegenüber der ersten Auflage an mehreren Stellen verbessert, durch Literaturangaben ergänzt sowie durch Namen- und Stichwortverzeichnisse erweitert worden. Auf einen die besonderen Probleme der "quarta via" des hl. Thomas behandelnden Aufsatz des Verfassers, der auch Publikationen aus jüngerer Zeit bespricht, sei besonders hingewiesen (s. Literatur-Hinweise). Die Analyse der Beweisgänge hinsichtlich ihrer syllogistischen Struktur hat in Rezensionen Zustimmung gefunden. Auf Kritik geht auf Seite 192 die Anmerkung 65 ein. Januar 1986
Der Herausgeber
EINLEITUNG
I. Kurzer Oberblick über Thomas' Gottesbeweise in den beiden ,Summen' Thomas' Gottesbeweise liegen uns in zwei Fassungen vor, in der Summacontra Gentiles (S.c.G.) von 1259-64 und der Summa theologiae (S.th.) von 1266-72 1 • Beim Vergleich zwischen beiden fällt auf, daß Thomas in dem ersten Werk ausführlich die aristotelischen Quellen heranzieht, während er im zweiten darauf verzichtet und eine straffe Form der Beweisführung anstrebt. Gegenüber der ersten Fassung ist die zweite beträchtlich kürzer, sie bildet früher verwendete Argumente teilweise um und zeigt im ganzen deutlicher Thomas' eigene Leistung, die darin liegt, daß er das überkommene Quellenmaterial in neue Form gegossen und zu seinen "Gottesbeweisen" zusammengefaßt hat. Die S.c.G. I 13 führt die ersten zwei Beweise von der Bewegung der Weltdinge aus. Der erste Beweis schließt auf Beweger zurück, zunächst auf bewegte, dann auf einen ersten unbewegten, Gott. Angefügt werden (aristotelische) Argumente, 1. daß das Bewegte immer von etwas anderem bewegt wird (nicht von sich selbst), und 2. daß die bewegten Beweger nicht unendlich viele sein können. Der zweite Beweis führt (aristotelische) Argumente gegen die Annahme an, daß jedes Bewegende bewegt sei, u. zw. sowohl wenn sie akzidentell, als auch wenn sie an sich wahr sein soll. Der dritte Beweis geht auf eine erste Wirkursache und lehnt sich an die Argumente des ersten Beweises an, wonach es nicht unendlich viele Beweger geben kann. Da bei m'ehreren Wirkursachen zu gegebenen bewegten Dingen eine Hinordnung von mittleren zu einer ersten Ursache vorliegen muß, könnten unendlich viele Wirkursachen nur mittlere sein, ohne erste Ursache, was zu ihrer Aufhebung führen würde; denn die mittleren hängen von der ersten Ur-
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Oberblick über Thomas' Beweise
sache ab und können nicht ohne sie sein. Die erste Wirkursache aller Dinge aber ist Gott. Der vierte Beweis geht vom weniger und mehr Wahr-sein der Dinge aus, das durch ein höchstes Wahres verursacht sein muß (Aristoteles, Metaph. II 1) und d. h. zugleich durch ein höchstes Seiendes, Gott; denn Wahres und Seiendes folgen einander. Der fünfte Beweis schließt von der Zielstrebigkeit der Naturdinge zurück auf eine erste leitende Zweckursache, Gott. Der sechste Beweis, in S.c.G. I 15, setzt beim kontingenten Seienden an, das sowohl sein als auch nicht sein kann und deshalb einer Ursache bedarf, um zu sein. Falls diese wieder kontingent ist, so kann es doch keine unendliche Reihe kontingenter Ursachen geben, vielmehr muß man zu einer notwendigen Ursache kommen. Wenn es hier wieder mehrere abhängige Ursachen gibt, welche die Ursache der Notwendigkeit außerhalb ihrer ~ben, so doch nicht unendlich viele, sondern sie müssen schließlich von einer ersten Ursache abhängen, die aus sich selbst und absolut notwendig ist. Und diese ist Gott. In der S.th. I q.2 a.3, hat der erste Beweis denselben Aufbau wie der erste in S.c.G. Ausgehend von bewegten Dingen in der Welt führt er ihre Bewegung zurück auf Beweger, die selbst auch von anderen bewegt sind, aber letztlich von einem ersten, unbewegten Beweger abhängen müssen. Daß das Bewegte von etwas anderem (nicht von sich selbst) bewegt wird, begrundet Thomas hier mit der aristotelischen Potenz-Akt-Lehre (wonach das Bewegte als Potentielles von einem anderen, schon Aktuellen, dem Bewegenden, aktualisiert wird). Unendlich viele bewegte Beweger sind nicht möglich, weil sie einen ersten unbewegten Beweger aufheben würden. Dieser aber ist Gott. Der zweite Beweis entspricht dem dritten in S.c.G. und hat wie dieser eine Ordnung in den Wirkursachen zur Voraussetzung. Wo mehrere vorliegen, muß es eine erste geben, die allein Ursache im vollen Sinne ist, und von der die anderen als mittelbare abhängen. Ein unendlicher Rückgang würde alle Ursachen zu mittelbaren machen und die
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erste aufheben, wodurchdieübrigen mit aufgehoben würden. Der dritte Beweis (der als Quellen Avicenna, Maimonides und Aristoteles hat) beruht auf dem Gegensatz zwischen dem Möglichen/Kontingenten und Notwendigen: Die kontingenten Weltdinge, mit der Möglichkeit zu sein und nicht zu sein, hängen von Ursachen ab, die sofern sie selbst wieder kontingent, nicht strikt notwendig, sind, auf eine solche notwendige Ursache zurückgeführt werden müssen; andernfalls wäre alles einmal aufgehoben, und würde auch jetzt nichts sein (was falsch ist). Die erste notwendige Ursache aber ist Gott. Der vierte Beweis setzt beim weniger und mehr Wahr-, Seiend-, Gut-sein der Weltdinge an, das (zunächst von immanenten Ursachen, letzdich aber) von einer ersten (transzendenten) Ursache abhängt. Diese muß jene Eigenschaften im höchsten Maße haben/sein und somit auch höchstes Seiendes sein, d. h. Gott. Der fünfte Beweis geht von der zweckvollen Tätigkeit der Naturdinge aus und führt sie zunächst auf ihnen immanente Zweckursachen zurück. Diese müssen aber, da sie selbst unvernünftig sind, letzdich von einer ersten (transzendenten) Zweckursache abhängen, die selbst Vernunftwesen ist, d. h. Gott.
II. Die induktive Form der Gottesbeweise bei Thomas Wie aus dem kurzen Oberblick zu entnehmen ist, haben Thomas' Gottesbeweise induktive Form: Sie gehen von den Erfahrungsdingen in der Welt aus und schließen von ihnen aus auf Ursachen zurück, zunächst auf zweite, dann auf eine erste Ursache. Induktion (epagoge) meint ja in der ursprünglichen, aristotelischen Bedeutung ,,Heranführung", nämlich an die erfahrbaren Einzeldinge, um von ihnen her Allgemeines, Ursächliches, zu erschließen. Dagegen schließen umgekehrt die deduktiven Beweise aus dem Allgemeinen, Ursächlichen (das vorher schon induktiv aufgefunden ist) auf erfahrbare Einzelfälle.
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Induktive Beweisform bei Thomas
Thomas selbst äußert sich ausdrücklich über die induktive Form seiner Gottesbeweise in beiden Summen, wobei er hier Aristoteles' Beweislehre der Zweiten Analytiken (bes. I 13) verwendet. In S.c.G. I 11-12 und S.th. I q.2 a.2 betont er, daß man Gottes Dasein von seinen Wirkungen her beweisen muß, die in der sichtbaren Schöpfung erfahrbar sind, und argumentiert in S.c.G. I 12 mit Aristoteles so: Der Beweis, daß etwas ist, nämlich als Ursache einer gegebenen Wirkung, bringt im Mittelterm nicht die Ursache, sondern die Wirkung, durch welche die Ursache bzw. das Wassein erschlossen wird. Im Gottesbeweis "muß man als Mittelterm nicht die göttliche Wesenheit oder Washeit annehmen ... , sondern man nimmt anstelle der Washeit als Mittelterm die Wirkung, wie dies in den Beweisen, daß (etwas ist), geschieht ... ". In S.th. I 2.2 erwähnt Thomas ebenfalls die aristotelische Unterscheidung zwischen einem "Beweis, daß" (demonstratio quia) und einem "Bew~is, warum" (demonstratio propter quid): Dieser begründet die Wirkungen eines Dinges aus seiner Ursache, die der Mittelterm nennt. Hingegen weist der "Beweis, daß" das Dasein der Ursache des Dinges aus seinen Wirkungen auf, die nunmehr im Mittelterm stehen; denn die Wirkungen sind uns zunächst bekannter als die Ursache. Gottes Dasein muß also aus seinen Wirkungen bewiesen werden, die im Mittelterm des Beweises stehen. Den gegnerischen (zweiten) Einwand, daß der Gottesbeweis im Mittelterm das Was-sein Gottes nennen müßte, weist Thomas mit dem aristotelischen Argument zurück2 , daß der Kenntnis des Was-seins eines Dinges die seines Daß-seins vorhergehen muß. Also kann im Mittelterm des Gottesbeweises nicht das Was-sein Gottes stehen, sondern nur "das, was der Name Gottes bedeutet", sofern nämlich der Name für eine Wirkung Gottes steht; denn die göttlichen Namen sind aus seinen Wirkungen entnommen, und diese sind uns bekannter als Gottes Was-sein. Um die induktive Natur des Beweises, daß Gott ist, besser zu verstehen, muß man den aristotelischen Text in den Zweiten Analytiken I 13 einsehen, der zwischen dem "Be-
Einleitung
XV
weis, daß" und dem "Beweis, warum" unterscheidet, d. h. (nach späterer Terminologie) zwischen induktivem und deduktivem Beweis. Während die deduktiven Beweise in jeder Wissenschaft bestimmte Gegenstand-Eigenschaft-Verbindungen aus ihren Ursachen begründen, wobei die Gegenstände G 1 , G2 , G 3 im kleineren Term, die Eigenschaften oder Wirkungen W im größeren und die Ursache U im mittleren Term stehen:
u
w
U Gt,2,3 W verfahren die induktiven Beweise so, daß sie von gegebenen Eigenschaften, die häufig Wirkungen von Gegenständen sind, auf die Ursache, die in den Gegenständen liegt, zurückschließen, wobei kennzeichnenderweise die Wirkungen im Mittelterm auftreten, die Ursache hingegen im größeren Tenn: G1,2,3 W Gt,2,3
w
G1,2,3
u U
Ein solcher induktiver Beweis stellt die Umkehrung eines deduktiven Beweises dar. Der Grund für das induktive Verfahren, mit der vom deduktiven Beweis verschiedenen Stellung der Terme, liegt darin -wie in I 13 ausgeführt-, daß für uns zunächst die Wirkungen bekannter, augenfälliger, sind als die Ursachen, die erst aufgefunden werden müssen. Aristoteles erläutert dies an zwei hübschen Beispielen aus der Astronomie: Von den Planeten wissen wir aus Erfahrung, daß sie (im Gegensatz zu den Fixsternen) nicht flimmern, und erschließen daraus, daß sie nahe sind. Der Ausgangspunkt ist "durch Induktion oder durch Wahrnehmung angenommen" (78a 35). So erscheint zunächst das Nicht-flimmern als Ursache für das Nahe-sein der Planeten, und es ergibt sich folgender Schluß, der in der Abfolge I11-III einen Beweis der ersten Figur (Barbara) ergibt: II Die Planeten flimmern nicht; I die nicht flimmernden Himmelskörper sind nahe; III die Planeten sind nahe.
Induktive Beweisform bei Thomas
XVI
Doch zeigt sich dann umgekehrt, daß das Nahe-sein die Ursache für das Nicht-flimmern ist, und daß der angeführte Beweis im Mittelterm nicht die Ursache, sondern die Wirkung nennt, die Ursache aber im größeren Term. Von der aus Erfahrung- bekannten Eigenschaft des Mondes, Phasen zu bilden, hat man schon früh, vor Aristoteles' Zeit, auf seine Kugelgestalt geschlossen. Es ergibt sich der induktive Schluß, der in der logischen Folge I-II-III ein Beweis der ersten Figur (Darii) ist: II Der Mond ist phasen-bildend; I phasen-bildende Körper sind kugelförmig; III der Mond ist kugelförmig. Wiederum erweist sich auch in diesem Beispiel, daß der Mittelterm, der die Ursache zu enthalten scheint, in Wirklichkeit die Wirkung nennt, und der größere Term die Ursache; nicht die Phasenbildung ist die Ursache für die Kugelform des Mondes, sondern umgekehrt diese die Ursache für jenel. Hieraus ist zu ersehen, daß das induktive Verfahren einen echten Erkenntnisfortschritt bedeutet: die Auffindung einer bislang als solcher noch nicht erkannten Ursache. Kehren wir zu den Gottesbeweisen bei Thomas zurück, so läßt sich in ihnen - die induktive Schlußform unschwer wiederfmden, die mit der Aufdeckung einer (zunächst) als solcher noch unbekannten Ursache verbunden ist. Die Beweise gehen nämlich zunächst auf immanente Ursachen (u) in den Weltdingen (D), die aber als unzureichende, "zweite" Ursachen befunden werden und sich als Wirkungen (W) einer (transzendenten) "ersten" Ursache (U) erweisen. So geht der 1. Beweis von empirisch gegebenen, bewegten Dingen (D 1, 2 , 3 ) aus und verbindet sie mit Bewegungsursachen (u), die sich jedoch selbst wieder als bewegte, bewirkte (W), zeigen und den Rückgang auf die eigentliche, unbewegte, erste Ursache (U) erfordern. II D1,2,3 ufW I ufW U III
Dl,2,3
U
Denselben Aufbau haben auch die übrigen Beweise (s. u. Kommentarteil und Beilage II, wo sie immer in ihrerinduktiven Entstehung dargestellt sind, beginnend mit Prämisse
Einleitung
XVII
II bei den Erfahrungsdingen). Das Vorgehen ist immer induktiv und bedeutet jedesmal einen echten Erkenntnisfortschritt in dem angegebenen Sinne. Dies zeigt übrigens auch der Begriff der fünf "Wege" an, der wie an die ursprünglich religiöse Weg-Metapher so auch nach philosophischer Tradition an den metaphysischen Erkenntnisaufstieg zum transzendenten Prinzip erinnert4 • Die Beweise beginnen induktiv bei einzelnen Erfahrungsdingen (D 1, 2 , 3 ), vgl. in S.th. I 2. 3: "Es ist sicher und steht durch die Sinneswahrnehmung fest, daß einiges in dieser Welt bewegt ist ... ". So der Anfang des ersten Be~eises, und der .des dritten lautet: "Wir finden unter den Dingen einiges, das die Möglichkeit hat sowohl zu sein als auch nicht zu sein ... ". Der Beweis fährt dann nach dem zitierten Anfangssatz mit der Allaussage fort: "Alles was bewegt wird, wird von etwas anderem bewegt" und begründet ihn induktiv 5 aus den Begriffen Potenz ~d Akt, mit deren Hilfe schon Aristoteles die Bewegung definiert. Doch wird hier allgemein nicht die ursächliche Beziehung als solche zwischen Bewegtem und Bewegendem erschlossen - diese kann nur induktiv, empirisch, erfaßt werden -, sondern eine Eigenschaft dieser Beziehung, wonach nämlich das Bewegende vom Bewegten verschieden ist, um die Selbstbewegung (genauer: die Selbstverursachung) auszuschließen6 •
111. Thomas' Kritik anAnselms Argument Den Texten mit den Gottesbeweisen schickt Thomas in beiden Summen Erörterungen über die Beweisbarkeit Gottes voraus. Zwei entgegengesetzte Ansichten stellen sie in Frage: Die eine hält Gottes Dasein für an sich bekannt, die andere hält es für unerkennbar und nur durch den Glauben annehmbar. Der ersten Ansicht ordnet Thomas Anselms Argument zu: Es geht vom Wesensbegriff Gottes aus als dem, "womit verglichen nichts Größeres gedacht werden kann", um sogleich zu der Einsicht zu gelangen, daß Gott nicht nur im Intellekt, sondern auch in Wirklichkeit dasein muß, "weil dies größer ist": Das "womit verglichen nichts Größeres gedacht werden kann", Gott, könne nicht als
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Thomas' Kritik an Anselms Argument
nicht-daseiend, sondern nur als daseiend gedacht werden. Thomas erwähnt zur erstgenannten Ansicht in S.c.G. I 10 noch weitere Argumente, nämlich daß Prädikate, die vom Subjekt identisch ausgesagt würden, von ihm an sich bekannt seien, so in tautologischen Aussagen (Mensch ist Mensch) und definitorischen Wesensaussagen (Mensch ist Lebewesen), zu welchen auch die gehöre: ,Gott ist', weil Gottes Wesen sein eigenes Sein sei; ferner daß Gottes Dasein natürlicherweise bekannt sei, weil alle natürlicherweise zu ihm hinstrebten, und daß Er das Bekannteste sein müsse, weil alles andere durch Ihn erkannt werde. In S.th. I 2. 1 ist noch das Argument aus der Wahrheit angeführt: Es gebe wahre Aussagen (auch- für den, der dies leugne: denn die leugnende Aussage selbst beanspruche, wahr zu sein). Wenn es aber Wahres gebe, dann auch die Ursache hiervon, die die Wahrheit selbst sei, Gott. Thomas' kritische Stellungnahme in S.c.G. I 11 undS.th. I 2. 1 stützt sich auf die aristotelische Unterscheidung 7 zwischen dem "an sich Bekannten" und dem "an sich und für uns Bekannten": An sich Bekanntes liegt in Aussagen vor, deren Prädikat im Subjekt identischerweise eingeschlossen ist, so bei den definitorischen Wesensaussagen (Mensch ist Lebewesen) in Beweisprämissen der Wi~senschaften. (Auch "für uns" bekannt sind Aussagen, wenn ihre Begriffe allgemein bekannt sind, dagegen lediglich an sich bekannt, wenn sie nur von den Wissenschaftlern eingesehen werden.) Die Aussage ,Gott ist' ist nun zwar an sich bekannt, weil das Prädikat im Subjekt enthalten ist - denn Gottes Wesenheit ist identisch mit seinem Sein -, aber nicht für uns schon bekannt, weil uns Gottes Wesenheit nicht von vomherein einsichtig ist. Deshalb muß erst bewiesen werden, daß Gott ist, u. zw. aus dem für uns Bekannteren, seinen Wirkungen in der Schöpfung. Auch Anselms Wesensbegriff von Gott als dem, "womit verglichen nichts Größeres gedacht werden kann", ist zwar an sich einsichtig, nicht jedoch schon für jedermann8 • Und so ist es möglich, daß Menschen Gottes Dasein leugnen (wiewohl dies der Wesenheit Gottes widerstreitet), wegen der Schwäche der menschlichen Vernunft, die sich zum an sich Bekanntesten (Intel-
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XIX
ligibelsten, Gott) zunächst gleichsam blind verhält (vgl. Aristoteles, Metaph. II 1 )9 • Von Gott haben wir Menschen zwar ein natürliches Wissen, das aber sehr vage, unbestimmt ist (entsprechend dem unbestimmten Streben des Menschen zu Gott hin) und irrtumsfähig (bis zum Zweifel an Gottes Dasein), also keineswegs eine genaue Einsicht in Gottes Wesenheit ist. Thomas' Kritik geht aber noch einen Schritt weiter: Selbst wennjeder Anselms Wesensbegriffvon Gott verstünde, so würde aus ihm doch nur folgen, daß Gott in der Vernunft sei, nicht auch in Wirklichkeit. Dabei beruft sich Thomas in S.c.G. I 11 wieder auf ein aristotelisches Prinzip: "Auf dieselbe Weise muß man ein Ding (seinem Dasein nach) und die Bedeutung seines Namens (d. h. sein Was-sein) annehmen" 10 • Mit "derselben Weise" ist das induktive Erlassen von Dasein und Was-sein eines Dinges gemeint (im Gegensatz zum deduktiv-wissenschaftlichen Beweisen); es betrifft den Inhalt der (nicht.mehr beweisbaren) Beweisprämissen. Dasein und Was-sein sind beide zwei Aspekte desselben einen Seins jedes Dinges und deshalb gleichartig: Wenn das Wesen eines Dinges nur als denkbar angenommen ist, dann auch sein Dasein, und umgekehrt. Es ist daher nicht möglich, wie Anselm will, aus dem nur gedachten Wesensbegriff von Gott sein wirkliches Dasein abzuleiten; denn dazu müßte vorweg schon Gottes Wesenheit als wirklich angenommen werden (was aber die Gottesleugner nicht zulassen). Thomas' Kritik entspricht hier ferner der aristotelischen Lehre, daß wir die Wesenheit von etwas nicht erkennen können, wenn uns nicht zuvor schon sein Dasein bekannt ist11 • Gerade deshalb ist es auch in bezug auf Gott notwendig, vor der Bestimmung seiner Wesenheit erst sein Dasein aufzuweisen. Hinzu kommt schließlich: Wenn das Dasein Gottes aus seiner Wesenheit ableitbar sein soll, weil in Gott Wesenheit und Sein identisch sind, dann ist es überhaupt nicht beweisbar, sondern muß "sogleich" d. h. unmittelbar aus der Wesenheit eingesehen werden. Dies stimmt wiederum mit einem aristotelischen Lehrstück überein, wonach eine Ei-
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Thomas' Kritik an Anselms Argument
genschaft, der größere Term im deduktiven Beweis, nicht von einem Gegenstand, dem kleineren Term, bewiesen werden kann, wenn sie mit seiner Wesenheit identisch oder ein Wesensmerkmal von ihm ist; denn in den (ersten, unmittelbaren) Beweisprämissen muß der Mittelterm Wesensmerkmale vom Gegenstand beinhalten, so daß die Konklusion schon in einer Prämisse vorweggenommen würde, und eine petitio principü vorläge 12 • Vielmehr muß die vom Gegenstand zu beweisende Eigenschaft außerhalb seiner Wesenheit liegen. Wir erwähnen im folgenden Versuche in der jüngsten Literatur, Anselms Argument zu verteidigen und Thomas' Kritik zu entkräften13 • Befürworter von Anselms Argument weisen heute darauf hin, daß es nicht aus einer bloßen Idee, einem reinen Begriff, Gottes auf seine wirkliche Existenz schließe, sondern daß es den christlichen Glauben an Gott voraussetze, auf den sich Anselm ausdrücklich im Proslogion berufe (z. B. Kap. 1: "Wenn ich nichts glaube, werde ich nichts verstehen", mit Anklang an Isaias 7,9). Thomas habe das Argument in Prosl. Kap. 2, herausgelöst aus dem übrigen Kontext, kritisiert. Einige Interpreten sehen in dem zweiten Teil des Beweises (Kap. 3, sc. daß nicht gedacht werden kann, daß Gott nicht existiert) sein eigentliches Herzstück, weil es hier nicht mehr um etwas Unpersönliches (das, womit verglichen nichts Größeres gedacht werden kann) gehe, sondern um den persönlichen Gott14 • Doch sind die Auffassungen über das Verhältnis zwischen dem rational denkenden und dem gläubigen Anselm gegenwärtig noch kontrovers 15 • In der Diskussion heute um Anselms Argument heben sich zwei Richtungen heraus, die als "idealistische" und "realistische" wohl nur unzureichend und mißverständlich charakterisiert wären: Die erste betrachtet den anselmischen Wesensbegriff von Gott formal als Gegebenheit in der Vernunft und schließt, da die Vernunft ihn nicht aus sich haben kann, auf Gott als Ursache (wie dies schon Descartes in seiner 3. Meditation versucht) 16 ; die Gottesidee werde in unserer Vernunft als Wirkung Gottes reflexiv erfahren 17 • Dagegen
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stellt sich aber das Bedenken ein, daß hier cartesianisch das Bewußtsein mit seinen Ideen als in sich geschlossen angenommen wird, die Gottesidee also gleichsam "von außen" verursacht sein muß 18 • Hinzufügen möchte ich noch, daß wir uns zwar der Objekte, die wir erkennen, und ihrer Inhalte in der Vernunft bewußt sind, nichtjedoch ihrer Verursachung in der Vernunft durch die Objekte. Vielmehr wird diese Verursachung in der Erkenntnistheorie bzw. rationalen Psychologie erschlossen (die bereits auf ontologisch-metaphysischen Voraussetzungen beruhen). Gleichwohl muß man einräumen, daß in Anselms Wesensbegriff von Gott als dem, "womit verglichen nichts Größeres gedacht werden karm", eine erkenntnistheoretische und -metaphysische Problematik eingeschlossen ist19 • Die andere Richtung der Interpretation von Anselms Argument betrachtet seinen Gottesbegriff inhaltlich: Er habe einen solchen objektiv-realen Gehalt, daß er notwendig auf eine real existierende Wirklichkeit bezogen werden müsse20 • Um auf Thomas' Kritik zurückzukommen, so scheint sie für die erwähnte Diskussion über Anselms Argument weiter bedeutsam zu bleiben. Dies läßt sich abschließend an folgenden Punkten darlegen: 1. Wenngleich in Anselms Proslogion ein enges Verhältnis zwischen religiöser Glaubenserfahrung und rationaler Erkenntnis von Gott vorliegt, so macht es doch unstreitig in Kap. 2 den Versuch, den Glauben an Gott durch ein Vernunft-Argument zu bestätigen. Insofern ist es auch dem Leser erlaubt, dieses Argument rational zu prüfen, wie dies schon bei Gaunilo, Thomas u. a. geschehen ist. Es fmdet sich in Kap. 2 ein deduktiver Beweis mit drei Termen, von denen der mittlere einen Wesensbegriff von Gott enthält, der kleinere Term Gott und der größere sein Dasein in Wirklichkeit einführt, u. zw. im Gegensatz zur Alternative eines bloß gedachten Daseins in der Vernunft; einer Alternative, die verworfen wird, weil sie dem Wesensbegriff Gottes widerstreitet, wonach Er das Größte, Vollkommenste ist; denn in Wirklichkeit zu sein "ist größer" als nur in der Vernunft gedacht zu sein.
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Thomas' Kritik an Anselms Argument
I Das, womit verglichen nichts Größeres gedacht werden kann, ist entweder nur in der Vernunft oder in der Vernunft und in Wirklichkeit. Es ist aber nicht nur in der Vernunft; denn es kann als in der Vernunft und in Wirklichkeit seiend gedacht werden, was größer ist (potest cogitari esse et in re;
quod maius est).
II Gott ist das, womit verglichen nichts Größeres gedacht werden kann. III Gott ist (existiert) in der Vernunft und in der Wirklichkeit. Es läßt sich nicht leugnen, daß dieser Schluß logisch nicht korrekt ist, da er den größeren Term zweideutig verwendet: Das In-Wirklichkeit-sein, im Gegensatz zum bloß gedachten Sein,ist in der oberen Prämisse eben doch nur ein gedachtes Wirklich-sein, in der Konklusion dagegen ein wirkliches Wirklichsein21 • Der logische Fehler hängt mit der Art dieses Beweises zusammen, der das Dasein Gottes deduktiv beweisen will und deshalb in der oberen Prämisse Gottes wirkliches Dasein nur als gedachtes einführen kann (potest cogitari esse et in re); denn als wirkliches soll es erst in der Konklusion bewiesen werden. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn man das im Mittelteim genannte Wesen Gottes als objektiv-reales versteht. Thomas' Kritik geht nicht auf diesen logischen Fehler ein; denn er sieht in Anselms Argument überhaupt keinen echten Syllogismus, sondern einen unmittelbaren Schluß. Zu Recht; denn wer eine Einsicht in Gottes Wesen hätte, für den ergäbe sich selbstverständlich auch Gottes Dasein. Es ist aber den Menschen nicht schon an sich Gottes Wesen bekannt. Thomas kritisiert nicht die Verbindung zwischen Wesensbegriff und wirklichem Dasein als solche, wohl aber merkt er an, daß das wirkliche Dasein nur mit dem wirklichen Wesen verbunden werden kann, d. h. mit dem Wesen eines wirklich Daseienden. 2. Der grundsätzliche Gedanke dieser Kritik läßt sich vielleicht auch so darstellen: Unzweifelhaft steht für Tho-
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mas fest, was schon für Aristoteles galt, daß die Begriffe in unseren allgemeinen und notwendigen Erkenntnissen objektiv-reale Bedeutung haben, nicht bloß Gedachtes sind. Dies ist aber nach Thomas und Aristoteles deshalb so, weil unsere Erkenntnisse von der Erfahrung mit wirklichen Dingen ausgehen22 . Es gibt keine Wesenserkenntnis von Dingen ohne vorausgehende Erfahrung ihres wirklichen Daseins23. Was das Dasein Gottes betrifft, so ist es uns nach Thomas nur aus seinen Wirkungen (in uns und in den Dingen außer uns) erfahrbar. Unreflektiert erfahren wir es vor allem in religiösem und sittlichem Bereich. Wenn wir es aber reflektieren und erkenntnismäßig verstehen wollen, müssen wir es erschließe:ri:, wie dies in den induktiven Gottesbeweisen geschieht. Thomas' Kritik beruht also le.tztlich auf dem Vorrang des Wirklichen vor dem Möglichen und dem Denken (der die gesamte klassische Metaphysik prägt). Natürlich erkennt auch Anselm diesen Vorrang an; sein Argument ist ja selbst eine Begründung von ihm. Doch wird durch Thomas' Kritik deutlich, daß sich dieser Vorrang nicht mehr deduktiv begründen läßt, sondern für alle beweisende Erkenntnis vorauszusetzen ist. Deshalb ist es auch unmöglich, aus Gottes Wesenheit sein wirkliches Dasein/Sein beweisen zu wollen; denn wer dies versucht, muß Gott mit seiner Wesenheit schon als wirklich seiend voraussetzen. 3. In Fortführung von Thomas' Kritik läßt sich allgemein noch folgendes sagen: Das Sein Gottes, das aus seiner Wesenheit eingesehen werden soll, ist nicht mehr sein bloßes Dasein, sondern auch das mit seiner Wesenheit identische Sosein, vere esse, summum esse 24 . Nach Gottes Dasein kann nur fragen, wer in seine Wesenheit noch keine Einsicht hat. Die Frage kann in zweierlei Weise gestellt sein: (a) Es kannjemand Gott so befragenwiejeden Gegenstand, ob es ihn gibt. Dann verrät die Frage keine Kenntnis von Gott und wird zudem unangemessen gestellt, weil Gott nicht wie ein Ding neben anderen da ist, sondern als Ursache von allen Dingen. (b) Wer aber in dieser Weise nach Gott fragt, nämlich ob Er als Ursache von allen Dingen da ist, stellt zwar eine angemessene Frage, aber ebenfalls ohne
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Thomas' Kritik an Anselms Argument
Einsicht in Gottes Wesenheit; sonst würde er ja verstehen, daß und wie Gott die Ursache von allem ist, und bräuchte die Frage nicht mehr zu stellen. Wer aberdieser Frage nachgeht, strebt einen induktiven Beweis an, der von den Weltdingen als Wirkung auf Gott als Ursache zurückschließt und sich so vergewissert, daß Er die Ursache von allem und als solche da ist. 4. Keine Wissenschaft kann von ihrem Gegenstand das Sein beweisen, weder Dasein noch Sosein, sondern muß es voraussetzen. Das gilt auch flir die christliche Theologie, die Gott als Gegenstand ihrer Untersuchung hat. Es gibt keinen deduktiven Beweis, der den Seinsbegriff im größeren Term führen und mit einem Gegenstand im kleineren Term zur Konklusion verbinden könnte 25 • Tatsächlich stehen Thomas' Gottesbeweise noch im'Vorfeld der christlichen Theologie, gehören ihrer Herkunft nach noch zur ,Physik' (Naturphilosophie) und ,Metaphysik' (bzw. ,Natürlichen Theologie'), die als Gegenstand nicht Gott, sondern alles Seiende, die Weltdinge, hat- sowie deren Dasein voraussetzt - und auf Gott al~ erste Ursache alles Seienden, aller Dinge, zurückschließen soll. Dabei kommt sein Dasein mit zum Aufweis; denn da die Weltdinge wirklich existieren und notwendig, wie bewiesen, mit der ersten Ursache d. h. Gott verbunden sind, muß auch Gott wirklich dasein 26 •
IV. Der ontologische Ansatz in Thomas' Gottesbeweisen Threr Herkunft nach gehören Thomas' Gottesbeweise, wie erwähnt, zur ,Physik' und ,Metaphysik' und haben als Hauptquellen die gleichnamigen Schriften des Aristoteles. Genauer gesagt, verwendet Thomas gewisse Beweisgänge aus Aristoteles' Physik, Bücher VII-VIII, und Metaphysik, Buch II und XII, dem sog. ,Theologie'-Buch, das von der ,göttlichen', immateriellen, abgetrennten (= transzendenten) Substanz handelt. Diese natürliche Theologie hat zur Grundlage die Lehre vom ,Seienden als solchem', die ,Ontologie' nach späterer Benennung.
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Auch die aristotelische Physik beruht auf ontologischen Voraussetzungen, die besonders in den Lehren von den vier Ursachen, von Akt und Potenz und vom ersten, unbewegten Beweger deudich zum Vorschein kommen (und in Metaphysik I-11, IX und XII wieder aufgenommen werden) 27 • Thomas hat die aristotelischen Beweisgänge in die neue Form von "Gottesbeweisen" gegossen und sie hierzu (unvermeidlich) aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang mit dem ,Ontologie'-Teil der aristotelischen Metaphysik herausgenommen, um sie als Einleitung an den Anfang einer neuen Wissenschaft zu stellen, der ,sacra doctrina' der christlichen Theologie. Dies hat sich; historisch gesehen, insofern ungünstig ausgewirkt, als die moderne Kritik an den Gottesbeweisen ihre Verbindung mit der aristotelischen Ontologie weitgehend vernachlässigt, obwohl die Gottesbeweise in der thomasischen Form auf ontologischen Voraussetzungen beruhen. Bleiben diese unberücksichtigt, dann lassen sich die Beweise nicht voll verstehen und gegen Kritik nicht halten28 • Wenn im folgenden der ontologische Ansatz der "fünf Wege" in Thomas' S.th. I 2. 3 aufgezeigt wird, so kann dies nebenbei auch ein Problem klären helfen, das die Einheit der fünf Beweise betrifft; denn sie scheinen von ihrem jeweiligen Ausgangspunkt und ihrer Struktur her sehr ungleichartig zu sein. Äußerlich gesehen, nehmen die fünf Beweise jeweils einen sehr verschiedenen Anfang: - der 1. und 2. Beweis bei der Bewegung der Dinge, - der 3. Beweis bei ihrer Kontingenz, -der 4. Beweis bei gradweise vorkommenden Eigenschaften, -der 5. Beweis bei der Zweckmäßigkeit in der Natur29 • Aus der Sicht der aristotelisch-thomasischen Ontologie jedoch handelt es sich nur um verschiedene Merkmale des Seins der Weltdinge: - "Bewegung" ist nach der aristotelischen Defmition (herangezogen im 1. Beweis) nichts anderes als unvollendeter Seinsakt. - "Kontingent"-sein ist ein Seinsmodus der Weltdinge, der
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Ontologischer Beweisansatz bei Thomas
dem des Notwendig- wie auch des Ewig-seins entgegengesetzt ist, mit der Möglichkeit, "zu sein und nicht zu sein". - Das "Weniger" und "Mehr" ist nicht nach quantitativen oder qualitativen Graden zu verstehen, sondern als Grade des Seins, entsprechend seiner nicht-univoken, sondern analogen, "transzendentalen" Natur 0 (nach der im 4. Beweis zitierten Metaph.-Stelle II 1), der auch die Seinsmerkmale des Wahr- und Gutseins folgen. - Das Zweckhaft-sein der Naturdinge hängt, sofern es auf eine transzendente Zweckursache zurückgeht, mit dem ontologischen (transzendentalen) Seinsmerkmal des Gutseins zusammen. Der Grund, das Dasein Gottes auf mehreren Wegen zu beweisen, liegt darin, daß das Sein der Dinge verschiedene Merkmale hat, von denen die einen näher zur Sinneserfahrung stehen als die anderen und in den ersten Beweisen aufgenommen werden, so daß sich von ihnen zu den übrigen Beweisen hin ein gewisser Fortschritt vom Sinnenfälligeren zum Intelligiblen ergibt. Das Bewegt-sein ist sinnenfälliger31 als das Kontingent-sein und als das weniger und mehr Seiend- bzw. Wahr-sein der Dinge. Thomas bezeichnet deshalb den 1. Beweis als manifestior via (... sensu constat aliqua moveri in hoc mundo ). Aufgrund des gemeinsamen ontologischen Ansatzes haben die fünf Beweise, trotz ihrer verschiedenen Ausgangspunkte, eine gemeinsame Struktur: Sie. schließen vom verursachten Sein der Weltdinge auf Ursachen zurück, zunächst auf mittelbare, "zweite" Ursachen (in. den Dingen) und von ihnen auf eine "erste" (trapo;zendente) Ursache. Es ist deshalb wichtig, die verschiedenen Eigenschaften, von denen, wie oben angegeben, die fünf Beweise ausgehen, als Seinsmerkmale zu erkennen, was beim 3. und 4. Beweis leicht zu sehen ist, etwas schwerer bei den übrigen, besonders beim 1. Beweis, weil wir aus moderner naturwissenschaftlicher Sicht Bewegung nur noch physikalisch verstehen. Bewegung ist jedoch bei Aristoteles und Thomas von Seinspotenz und -akt her definiert und folgt, in gewissem Maße, ihrer analogen und transzendentalen Natur. Aus den
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fünf Beweisen kann man entnehmen: Nur von transzendentalen Seinsmerkmalen der sinnlichen Weltdinge aus führen Wege zu einer transzendenten, ersten Ursache. - Dasselbe gilt auch von den Beweisgängen in S.c.G. I 13, die von denselben Eigenschaften der Weltdinge ausgehen wie die in S.th. Noch deutlicher kommt der ontologische Ansatz der Gottesbeweise in den Blick, wenn man andere Beweisgänge aus S.th. I. 44, S.c.G. II 15 und Depot. Ill5 hinzunimmt, die hauptsächlich davon handeln, "daß Gott für alle Dinge die Seinsursache ist" (quod Deus sit omnibus causa essendi), also nicht mehr vom bloßen Dasein Gottes, das schon als bewiesen gilt, wiewohl sie auch dazu indirekt beitragen. Sie gehen wie die Gottesbeweise induktiv vor und sind eine wichtige Ergänzung zu ihnen. S.c.G. II Kap. 15 führt 7 Argum~nte an, die überwiegend vom Sein der Weltdinge ausgehen: Das 1. Argument stellt fest: Was als gemeinsames Merkll!al mehreren wesensverschiedenen Dingen zukommt, kann seine Ursache nicht in ihrem Wesen (non secundum quod ipsum), sondern muß sie in einer anderen Ursache haben (per aliquam causam). Sein wird aber von allem was ist, ausgesagt (esse autem dicitur de omni eo quod est), u. zw. analog (per analogiam). Also müssen alle Dinge in ihrem Sein von einer (nicht in ihrem Wesen liegenden) transzendenten Seinsursache abhängen, die selbst keine Seinsursache mehr hat und die Gott ist (oportet igitur quod ab illo cui nihil est causa essendi, sit omne illud quod quocumque modo est ... ). 32 Das 2. Argument läuft parallel zum 1. und geht von der Abgestuftheit des Weniger- und Mehr-Seins "der Weltdinge aus, die wiederum wie die analoge Allgemeinheit erkennen läßt, daß das Sein der Weltdinge ihnen nicht wesenseigen ist, also auch nicht von ihrer Natur abhängt (non simpliciter dependet ex illa natura ... ), von ihren immanenten Wesensursachen, sondern von einer anderen Ursache (... sed ex alia causa), die ihnen transzendent ist. Im übrigen verwendet Thomas, wie im 4. Beweis der S.th. (vgl. S.c.G. I 13, zweitletzter Abschnitt), das Argument aus Aristoteles' Metaph. II 1, wonach das im höchsten Grade Wahre und Seiende (maxime ens) Ursache der Dinge ist, denen die
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Ontologischer Beweisansatz bei Thomas
Merkmale wahr und seiend analog zu ihm (als erstem Analogat) zukommen. -Das 3. Argument knüpft an das 1. an mit der analogen Allgemeinheit (Gemeinsamkeit) des Seinsmerkmales (omnibus autem commune est esse) als einer allgemeinen (gemeinsamen) Wirkung, der eine einzige, gemeinsame, transzendente Ursache entsprechen muß. -Das 4. Argument legt . dar, daß Gott seinem Wesen nach das Sein selbst ist (Deus auteni est ens per essentiam suam, quia est ipsum esse) und so Ursache für alle Dinge, die ihr Sein in analoger Abhängigkeit, durch Teilhabe (per participationem) von ihm haben (Deus igitur est causa essendi omnibus aliis). -Das 5. Argument geht, ähnlich wie der 3. Beweis in S.th., vom kontingenten Sein der Weltdinge aus, mit ihrer Möglichkeit zu sein und nicht zu sein, und schließt auf eine notwendige, erste Ursache zurück, welche die Dinge (aus der Möglichkeit/Potenz) zllni (aktualen) Sein bestimmt. Wenn es mehrere Ursachen gibt, so nur endlich viele, nicht absolut an sich notwendige; denn die an sich notwendige muß eine einzige sein (wie S.c.G. I 42 bewiesen). - Das 6. und 7. Argument berühren sich eng mit dem 2., indem sie vom abgestuft weniger und mehr Vollkommen-sein der Dinge auf das im höchsten Grade Vollkommene, Gott, als erste Ursache schließen. Von den in De potentia 111 5 angeführten drei Gründen, daß alle Dinge von Gott geschaffen sind, beinhaltet der 1. Grund dasselbe wie das 1. Argument in S.c.G.: Das Seinsmerkmal fmdet sich in allen Dingen (cum enim esse inveniatur omnibus rebus commune ... ). Ein gemeinsames Merkmal aber an wesensverschiedenen Dingen muß die gemeinsame Wirkung einer einzigen, gemeinsamen Ursache sein, die nicht im Wesen der Dinge selbst liegt, sondern außerhalb von ihnen allen (oportet quod de necessitate eis non ex seipsis, sedaballqua una causaesse attribuatur) 33 • -Der 2. und 3. Grund stimmen mit dem 2. und besonders dem 4. Argument in S.c.G. überein (und beziehen sich wieder zurück auf Aristoteles, Metaph. II 1). Der 3. Grund hebt ausdrücklich hervor, daß sich das erste Analogat, worauf bezogen alles übrige (analog abgestuft) seiend ist, als das Sein selbst erweist.
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Was schließlich den Beweis in S.th. I 44. 1 betrifft, daß "alles, was auf irgendeine Weise ist, von Gott (verursacht) ist", so geht er in gleicher Weise wie der 4. Beweis in I 2. 3 und das 2. bzw. 4. Argument in S.c.G. II 15 vom Seinsmerkmal der Weltdinge aus und führt ihre abgestufte Analogie ("nach Teilhabe") auf ein erstes Analogat zurück, dessen Sein an nichts anderem mehr teilhat, so daß es für sich selbst subsistiert.
V. Zur Gleichsetzung der metaphysischen, ersten Ursache mit Gott 1. Wie sich aus den vorangegangenen Kapiteln entnehmen läßt, sind Thomas' Gottesbeweise metaphysische Beweisgänge. Sie verwenden teilweise solche der aristotelischen Physik und Metaphysik (s. u. Beilage I) und führen wie diese zu einer ersten (Bewegungs-, Seins-, Zweck-) Ursache. Zu "Gottes"beweisen werden sie erst dadurch, daß bei ihnen jeweils am Ende die metaphysische, erste Ursache mit dem religiös verehrten Gott gleichgesetzt wird( ... quod omnes dicunt Deum, u.ä.). Diese Gleichsetzung ist kein Bestandteil der Beweise, sondern eine Hinzufügung zu ihnen, wie auch in keiner Prämisse der Beweise der Begriff Gottes eingeführt wird, sondern der einer ersten Ursache. Mit der Gleichsetzung knüpft Thomas an die Metaphysik-Tradition seit Platon und Aristoteles an, die das notwendige, ewige, transzendente Seiende als "göttlich" bezeichnet. Aristoteles nennt ja daher den abschließenden Teil seiner Metaphysik, der von diesem Seienden handelt, den "theologischen". In Buch XII bringt er nach dem induktiven Schluß auf das Dasein der immateriellen, abgetrennten (=transzendenten) Substanz (Kap. 6), die, selbst unbewegt, "alles übrige wie ein Geliebtes bewegt" (Kap. 7, 1072b 3-4, "wovon der Himmel unddie Natur abhängen", b 13-14), eine erste Wesensbestimmung dieser Ursache, die sich darauf stützt, daß sie reine Seinsaktualität ist. Als solche muß sie reine Vernunft-Aktualität sein - denn sie ist das einzig Vergleichbare aus unserer Erfahrunlf4 - und
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Metaphysische Erstursache und Gott
vollkommenstes Leben. "Die Vernunft-Aktualität ist nämlich Leben ... Wir nennen aber Gott ein ewiges, bestes, lebendes Wesen, so daß dem Gott stetiges und ewiges Leben zukommt; denn dies ist der Gott" (b 27-30). Die Aussage "Wir nennen Gott ... " klingt in der bei Thomas nach: ... quod omnes dicunt Deum, und verweist dort wie hier auf die Gottesvorstellung der Menschen. Hieraus ist übrigens ersichtlich, daß die Gleichsetzung der metaphysischen, ersten Ursache mit Gott auf einer Beziehung zwischen Metaphysik und Religion beruht. über diese Beziehung gibt es schon seit den frühchristlichen Apologeten und Lehrern kontroverse Ansichten: Die einen bringen die griechische Metaphysik mit der christlichen Religion in engste Verbindung; sie sehen in der christlichen Offenbarungslehre die Vollendung der griechischen Weisheit35 , und umgekehrt in dieser die Vorbereitung der christlichen Offenbarungslehre, so daß sie z. B. Platon in eine Reihe mit den Propheten des Alten Testaments stellen36 . Andere hingegen vollziehen eine Scheidung zwischen der griechischen Weltweisheit und dem christlichen Glauben 37 . - In der Neuzeit ist Pascals Unterscheidung (in seinem Memorial, Pensees Nr. 256) zwischen dem "Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs" und dem "Gott der Philosophen und Gelehrten" berühmt geworden. Und nicht weniger bekannt ist Kants scharfe Trennung zwischen Wissen und Glauben, die mit seiner Kritik an den Gottesbeweisen zusammenhängt, wie sie ihm in der vom Rationalismus seiner Zeit geprägten Form vorgelegen haben. In der Gegenwart sprechen sich Theologen gegen einen philosophisch zu beweisenden Gott aus zugunsten einer existentiell-religiösen Erfahrung mit Gott als dem ganz Anderen38. 2. Was Thomas' Gottesbeweise und seine Gleichsetzung der metaphysischen Erstursache mit Gott betrifft, dürfte es wohl dem besseren Verständnis dienlich sein, über das Verhältnis von Metaphysik und Religion kurz folgende allgemeine Bemerkungen zu machen: (a) Unstreitig besteht eine enge Beziehung zwischen Me-
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taphysik und Religion. Historisch gesehen, reichen die Wurzeln der griechischen Philosophie und Metaphysik zurück in religiöse Bereiche39 • Deswegen aber die Metaphysik als Fortsetzung religiöser Mythen oder selbst gar als einen verkapp~en Mythos anzusehen40 , wäre ungerechtfertigt. Vielmehr muß man anerkennen, daß die Metaphysik, sobald sie sich bei Platon und Aristoteles zu einer eigenen Wissenschaft ausgebildet hat. eine selbständige menschliche Tätigkeit ausmacht, die von der religiösen nach Art und Zielsetzung verschieden ist. (b) Zur Verschiedenheit von Religion und Metaphysik: Während die Religion unmittelbar auf Gott rückbezogen ist, hat die Metaphysik als Gegenstanq alles Seiende als solches, dessen Ursachen sie aufsucht. So entspricht auch der Metaphysik eine andere menschliche Haltung, nämlich eine erkenntnismäßige, theoretische, während die religiöse eine praktische ist, nach Thomas ein habitus moralis; ihr Zweck ist nicht Erkenntnis um der Erkenntnis willen, sondern Gottesdienst und -verehrung: cultus Dei. So gesehen, gibt es eigentlich keinen "philosophischen Gott" neben einem religiös verehrten, sondern nur die metaphysische, erste Ursache der Philosophen und den Gott der Gläubigen. Wenn auch beide identisch sind, so richtet sich der Mensch auf diese eine Wirklichkeit doch in zwei verschiedenen Haltungen. Und dementsprechend steht diese Wirklichkeit auch in verschiedenen Bezügen zum Menschen, nämlich allererst als Gott religiöser Erfahrung, dann aber auch als erste Ursache (das Sein selbst), worauf sich theoretische Erkenntnis richtet.41 (c) Wiewohl Metaphysik und Religion zwei verschiedene Tätigkeiten bzw. Haltungen des Menschen sind, haben sie doch auch eine wesentliche Gemeinsamkeit, die darin besteht, daß beide geistige Haltungen sind. Religion ist nicht irrationale Gefühlssache, sondern hat eine ihr eigene Rationalität und Wahrheit42 • Darin liegt auch letztlich der Grund für die Möglichkeit, die metaphysische Erstursache mit dem religiösen Gott gleichzusetzen. Metaphysisch ist diese Gleichsetzung gerechtfertigt durch die (aristotelisch gesprochen) reine Vernunft-Aktualität der ersten Seinsur-
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Metaphysische Erstursache und Gott
sache. Rechtfertigen läßt sie sich aber auch aus religionsgeschichtlichen und -phänomenologischen Gegebenheiten, wonach die religiösen Gottesvorstellungen in historisch gewachsenen Kulturen überwiegend ein "transzendentes", mächtiges Wesen beinhalten, das unsichtbar und selbst von geistiger Natur ist43 • Die christliche Offenbarung kommt der religiösen Natur der Menschen optimal entgegen, da sie in höchstem Maße intelligtbel ist. (Sie beinhaltet ja Gott als dreifaltig personales Geistwesen, und ihre Heilsbotschaft in Christus ist "das Wort Gottes" selbst.) 44 3. Absc~ließend noch ein Wort zu religiöser und theologischer Kritik an den Gottesbeweisen: Kierkegaard verurteilt sie bekanntlich als ein ,,Paradox", eine ,,metaphysische Grille'"' 5 ; denn wer Gott zu beweisen beabsichtige, müsse schon einen Begriff von Ihm äurch religiöse Erfahrung haben, sonst wisse er nicht einmal, worüber er Beweis führen wolle; wenn er hingegen schon eine Gotteserfahrung habe, dann bedürfe er keines Beweises mehr. Oberhaupt sei es widersinnig, das Dasein eines Gegenstandes beweisen (ihn gleichsam aus dem Nichts hervorziehen) zu wollen. -Alledem kann man ohne weiteres zustimmen; es trifft Thomas' Beweise nicht. Diese führen in den Prämissen nicht "Gott", sondern eine "erste Ursache" ein. Ferner gehen sie nicht auf das Dasein eines Gegenstandes neben anderen Gegenständen, sondern auf das Dasein jener "ersten Ursache" aller Gegenstände, die nur als solche aufweisbar ist46 • Wenn wir jedoch Gott unmittelbar als "Gegenstand", d. h. im personalen Gegenüber, erfahren, so geschieht uns dies in einer religiösen Haltung, die von der erkeniltnismäßigen des Metaphysikers verschieden ist und freilich als religiöse nicht nach Beweisen fragt. Neuerlich stellen Barth (in ,,Kirchliche Dogmatik") und Küng (in "Existiert Gott?") wieder den Gegensatz zwischen dem "Gott der Philosophen" und dem "Gott der Bibel" heraus und sprechen sich ungünstig über die ,,Natürliche Theologie" mit ihren Gottesbeweisen aus. Küng sucht auf die Frage, ob Gott existiert, eine Antwort, die, ähnlich wie schon bei Barth, aus der menschlichen Glaubenserfah-
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rung kommt. Doch ist dies m.E. keine rechte Lösung; denn die Frage, ob Gott existiert, stellt sich dem Menschen nicht als Gläubigem, sondern sofern er eine philosophische Erkenntnishaltung einnimmt. Dann muß aber auch eine metaphysische, keine religiös-gläubige Antwort gegeben werden47. Dem entspricht, daß sich Thomas' Gottesbeweise nicht an ungläubige Heiden wenden, um sie zu missionieren, sondern an die Gelehrten unter ihnen, sofern sie eine philosophische und theologische Einstellung haben. Anmerkungen 1. Ober Datierung, Quellen, Ausgaben und Literatur zu Thomas' ·Schriften unterrichtet sehr gut das jüngst erschienene Buch von J. Weisheipl O.P., Thomas v. Aquin. Sein Leben und seine Theologie (Ubers.), Graz-Wien-Köln (Styria) 1980. 2. Anal. Post. II 7-8. 3. Der Beispielsfall mit dem Mond wird auch aus der Philosophie· geschichte bestätigt. So nahm z. B. noch Heraklit den Mond als feuerartig und selbstleuchtend an. Er sprach von einem luftartigen "Mondnachen", der das Feuer mit sich führe, und er· klärte durch seine Drehung die Phasen (D.·Kr., Fr.d.VS., 12 A 1, 9 ff.). Die induktive Erschließung der Natur des Mondes, nämlich daß er nicht feuerartig, von der Sonne beleuchtet und kugelförmig ist, führte auch auf die wahre Ursache der Phasenbildung. In Anal. pr. II 23 führt Aristoteles den induktiven Schluß so an, daß das Subjekt, Erfahrungsdinge (z. B. Lebewesen), die Stelle des Mittelterms einnehmen, die Ursache (das Fehlen der Galle) und die Wirkung (Langlebigkeit) die Stelle der extremen Terme: I Dinge - Wirkung ( II Dinge - Ursache) II' Ursache - Dinge III Ursache - Wirkung. Wie das Schema zeigt, wird der Schluß durch Konversion der Prämisse II in die erste Figur gebracht. Der induktive Schluß führt in der Konklusion zu einer Aussage, die Prämisse eines deduktiven Beweises werden kann. Dieser wird durch Umkehrung des induktiven Schlusses erreicht: 111 Ursache - Wirkung II Dinge - Ursache I Dinge - Wirkung.
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4. 5. 6.
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Anmerkungen
Der in Anal. post. I 13 genannte induktive Schluß I Wirkung Ursache II Dinge - Wirkung 111 Dinge - Ursache läßt sich durch Konversion der Prämisse I so in einen deduktiven umwandeln: I' Ursache Wirkung ·m Dinge Ursache II Dinge Wirkung Dieselbe Umwandlung wäre auch bei den induktiven Gottesbeweisen möglich. Voraussetzung ist, daß die entsprechenden Terme konvertierbar sind, und der partikuläre Term: einzelner Erfahrungsdinge sich induktiv zu einem universalen erweitern läßt. Zum Begriff "via" vgl. auch Fabro [2], S. 53. Vgl. unten den Kommentar und die Analyse in Beilage I. Dadurch, daß unsere Untersuchung dem induktiven Aspekt d& Gottesbeweise bei Thomas nachgegangen ist, hat sie wie von selbst das o. angeg. allgemeine Schema ihrer metaphysischen Beweisgänge gefunden. Wir werden sie unten (im Kommentarteil und in Beilage II) noch ausführlicher hins. der drei Terme analysieren; denn in der Sekundärliteratur wird es entweder als in Thomas' Texten unauffindbar erklärt und gar nicht wiedergegeben oder stattdessen fälschlich in einer deduktiven .Form. An. post. I 2, 7lb 33-72a 5; vgl. Metaph. VII 4,1029b 3-12; Phys. I 1. Tatsächlich ist in ihn schon eine theologische Uberlegung eingegangen. übrigens ist dies nicht nur ein aristotelischer Gedanke, sondern auch ein christlicher, den Anselm selber in Prosl. Kap. 1 ausdrückt: a patria in exsilium, a visione Dei in caecitatem nostram. Anselm meint aber, in Kap. 4, daß auch der Gottesleugner sein Argument unmittelbar verstehen könne. Eine fast wörtliche Wiedergabe von Metaph. VI 1, 1025b 1718, wonach es "dieselbe vernunftmäßige Erfassung ist, das Wassein und das Daß-sein offen zu legen" (vgl. Anal. post. I 1-2, 71b 16-17, 72b 19-25, und II 19). S. S.th. I, 2,2 ad 2; vgl. Aristoteles, Anal. post. II 7-8. Deshalb liegt auch der Definition der Wesenheit eines Dinges die "Hypothese des Seins", d. h. die Voraussetzung seines Daseins zugrunde, Anal. post. I 2. In II 1-2 wird ausgeführt, daß wir erst dann nach der Wesenheit von etwas fragen können, wenn sein Dasein schon feststeht; denn in der Wesenheit liegt eine Ursache des Daseins, und man kann nicht nach der Ursache des Daseins von etwas fragen, wenn nicht einmal feststeht, ob es überhaupt da ist. S. Anal. post. II 4; vgl. 6, 92a 20-27. Der Kontext der Stellen ist dieser, daß sich von der Definition bzw. der Wesenheit eines Dinges kein Beweis führen läßt.
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13. Einen guten Einblick in den Forschungsstand gibt der Sammelband "The Many faced Argument", hrsg. von J.H. Hick und A. C. McGill, New York 1967.- Eine nützliche Textausgabe (zweisprachig mit Einleitung und Wortindex) bietet Fr. S. Schmitt 0. S.B., Anselm v. Canterbury, Proslogion, Stuttgart (Holzboog) 1962. 14. So vor allem K. Barth, Fides quaerens intellectum: Anselms Beweis der Existenz Gottes, 1931, und Ans. Stolz, Vere esse im Proslogion des hl. Anselm, Scholastik (9) 1934, 400-409. 15. S. Hick- McGill, a.a.O., S. 51-69. 16. So bei B. Adlhoch, A. Dyroff und E. Gilson; s. ihre Besprechung bei Hick- McGill, S. 79-83. 17. Bei Ravaisson und Aime Forest, s. Hick- McGill, S. 89-93. 18. So McGill, S. 82, der geltend macht: "It is man's active openness towards reality, toward real entities through ,understanding' and toward possible entities through ,conceiving' ". 19. Vgl. hierzu Hick - McGill, S. 83-89, wonach mit Anselms Gottesbegriff die Grenze menschlichen Denkens bezeichnet wird, das sich auf alles real Mögliche erstreckt,·während Gott als Ursache alles real Möglichen nur wirklich ist, nicht mehr als Mögliches (und möglicherweise Nichtseiendes) gedacht werden kann. Hierzu möchte ich bemerken: Wenn Gott als Grund aller Möglichkeit selbst nicht wieder Möglichkeit ist, sondern notwendige Wirklichkeit, so kann dieses Verständnis nicht ausgehend von allem Möglichen erreicht werden (denn dem Verständnis des Möglichen geht das des Wirklichen' voraus), sondern nur von den wirklich existierenden Dingen aus (der Schöpfung) und durch Rückgang auf ihre Ursache (den Schöpfer). Dann führt dies aber in einen induktiven Gedankengang wie Thomas' Beweise. In eindrucksvoller Weise hat J. Kopper (Reflexion und Raisonnement im ontologischen Gottesbeweis, Köln 1962) gezeigt, daß in Anselms Argument das Begreifenkönnen Gottes durch die Vernunft verbunden ist mit einer Reflexion über die Reichweite ihres Begreifenkönnens selbst. Das Argument ist nicht nur ein Raisonnement über Gottes Dasein, sondern auch über solches Begreifenkönnen selbst. 20. So bei A. Kolping, Beckaert und A. Daniels. Doch bemerkt Mc Gill S. 7 7ff. kritisch zu dieser Interpretation, daß sie die objektive Realität des Gottesbegriffes aus der religiösen Erfahrung schöpfe, ein Gottesbeweis sich aber nicht auf religiöse Erfahrung berufen dürfe; es sei denn, man bestreite, daß bei Anselm überhaupt ein Beweis vorliege. Für K. Barth ist ja bekanntlich Anseims Argument eine theologische Explikation des religiösen Glaubens an Gott. Philosophisch grundlegender ist die Untersuchung von D. Henrich: Der ontologische Gottesbeweis. Sein Problem und sei-
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21. 22.
23. 24.
Anmerkungen
ne Geschichte in der Neuzeit (Tübingen 1960). Er zeigt lehr· reich, wie sich in der Wirkungsgeschichte des anselmischen Arguments bis Hege! ein Problem der abendländischen Metaphysik darstellt, sofern es das Verhältnis von Denken und Sein betrifft: Sie sei eine durchgehende Rechtfertigung des ontologischen Arguments gegen die Kritik, daß es einen unstatthaften Obergang vom bloß gedachten Wesen Gottes zu seinem realen Dasein vollziehe. Vielmehr hätten alle Begriffe notwendiger und allgemeiner Erkenntnisse objektiv-reale Bedeutung, nicht bloß gedachte, und stünden in Bezug zu Realem. Im vielzitierten Beispiel mit dem Dreieck und seiner Eigenschaft, die Winkelsumme von 2 R zu haben, werde diese Eigenschaft nicht bloß von gedachten, sondern von realen Winkeln bewiesen. Diese Widerlegung der Kritik an Anselm scheint mir aber eher auf die Form zuzutreffen, in der E. Gilson Thomas' Kritik wiedergibt, als auf Thomas selbst; denn bei ihm (wie auch bei Aristoteles) findet sich die moderne, scharfe Trennung von Denken und Sein, die Gilson unterstellt, noch nicht. Richtig legt Henrich dar, daß es bei Kants Kritik am ontologischen Argument um mehr gehe, als bloß um die Aufdeckung eines logischen Fehlers. Sie betreffe vielmehr u. a. die Abhängigkeit des Begriffs der Vollkommenheit Gottes von dem seiner Notwendigkeit, den Descartes zum ontologischen Argument hinzugenommen habe. Zur Logik des Arguments und ihrer kritischen Prüfungs. auch McGill, a.a.O., S. 69ff. Auch im o. gen. Beispiel, daß das Dreieck die Winkelsumme von 2 R hat, geht diese geometrische Erkenntnis von der Erfahrung mit anschaulich gegebenen, wirklichen Dreiecken aus. Und gerade dies garantiert auch, daß die geometrischen Figuren mit ihren beweisbaren Eigenschaften nicht nur Ideales bzw. Gedachtes im Geist des Wissenschaftlers sind, sondern auch ein fundiJmentum in re haben. Aristoteles bringt in Anal. post. I 1, 71a 19-24, das Beispiel, wie "einer an dieses (gezeichnete) Dreieck da im Halbkreis herangeführt" erkennt, daß es ein Dreieck ist und diesem deshalb, wie jedem Dreieck, die Eigenschaft der Winkelsumme von 2 R zukommen muß. ,,Herangeführt" ist das Verbum vom Substantiv : epagoge, Heranführung, Induktion, das die Erfahrung am wirklichen, gegebenen Einzelnen bezeichnet. Dies entspricht, wie oben schon gesagt, einem wichtigen Lehrstück von Aristoteles' Wissenschaftstheorie in Anal. post. II 7-8. Hierauf macht besonders A. Stolz aufmerksam: Vere esse im Proslogion des hl. Anselm, in Scholastik (9) 1934, 400-409; und: Zur Theologie Anselms im Proslogion, in Catholica (1) 1939 (Paderborn), 1-24.
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25. wie dies im anselmischen Argument geschieht, sofern man es überhaupt als Syllogismus ansehen will. 26. Auf Gaunilos Kritik bin ich nicht näher eingegangen, weil sie die hier erwähnten Gesichtspunkte nicht trifft, die hingegen aus Thomas' Kritik, im Anschluß an Aristoteles' Wissenschaftslehre, deutlich hervortreten. Gaunilos Einwände richten sich mehr gegen Anselms Wesensbegriff von Gott als dem "womit verglichen nichts Größeres gedacht werden kann": Sie stellen sein Verständnis in Frage und vermuten eine Glaubensvoraussetzung; sie trennen diesen Wesensbegriff als bloß in der Vernunft Gedachtes scharf gegen das real Daseiende ab (wobei sie das unzutreffende Beispiel von einer bloß gedachten, idealen Insel verwenden) und kritisieren seine Formulierung: statt "das womit verglichen nichts Größeres gedacht werden kann" müsse es heißen " ... nichts Größeres eingesehen werden kann" oder noch richtiger: "das größer ist als alle Dinge", um auf diese Weise das Argument zu entkräften und aufzuheben. 27. Vgl. meinen Aufsatz, Zur metaphysischen Voraussetzung in Aristoteles' ,Physica', in: Natur und Geschichte (X. Dt. Kongr. f. Philos. 1972), Harnburg (Meiner) 1973,429-437. Das vorliegende Kapitel wurde als Vortrag auf dem VIII. Congresso Tommistico Internazionale, Rom 1980, am 9. Sept. gehalten. 28. Es ist lehrreich zu sehen, wie Kant seine Kritik der Gottesbeweise (im Dialektik-Teil der K.r.d.r.V.) mit der grundsätzlichen Kritik an der (rationalistischen) Metaphysik und Ontologie (im Analytik-Teil) verbindet. 29. Die Beweise, ihrem Ansatz nach, den vier aristotelischen Ursachen zuzuordnen, wie dies A. Keriny (The Five Ways, S. 34ff.) versucht, geht nur mit gewaltsamer Interpretation, s. u. Beilage
IV.
30. "Transzendental" heißt bekanntlich das Seiende mit seinen Merkmalen, weil es die Gattungen der Kategorien übersteigt. Dabei besteht eine Analogie hin auf eine erste Ursache als erste Instanz. So verhält sich schon das akzidentelle zum substantiellen Sein wie das Weniger- zum Mehr-sein (Metaph. IV 2 und VII 1) und überhaupt das verursachte zum ursächlichen Sein (vgl. Einleitung II meines Metaph.-Kommentars, Bd. 2, XVII ff.). Nach dem 4. Beweis ist (in Anlehnung an Metaph. II 1) das Wenigerund Mehr-sein auf ein Maximum bezogen, das erste Ursache und erstes Analogat f"tir alles weniger und mehr Wahre bzw. Seiende ist. 31. Nach Aristoteles ist die Bewegung einerseits (als unvollendeter Seinsakt, Phys. III 1-2) vernunftmäßig erfaßbar und definierbar, andererseits auch sinnlich erfahrbar, sofern sie (wie Ruhe, Zahl, Gestalt, Größe, Eines, De an. II 6 u. III 2) für den sog.
XXXVIII
Anmerkungen
.,Gemeinsinn" "gemeinsam Wahrnehmbares" ist. Dazu stimmt, daß Aristoteles in Phys. VIII 3 (253a 32-34) den eleatischen Versuch, die Bewegung überhaupt argumentativ zu leugnen, als krankes Verhalten der Vernunft verurteilt, weil er .,die Sinneswahrnehmung beiseite setzt". 32. Zum besseren Verständnis sei angemerkt, daß Sein und Wesen der Weltdinge zwar eng verbunden sind (und auch in Aussagen logischer Identität verbunden werden können), aber ontologisch gesehen nicht in eins zusammenfallen; das Wesen der Weltdinge ist nicht, wie bei Gott, ihr Sein schlechthin, s. S.th. I 3. 4. Sofern Sein von Wesen verschieden ist, betrifft es wohl vor allem den Aspekt des Daseins, wovon die Ursachen erfragt werden. Da bei den Weltdingen ihre immanenten Wesensursachen wiederum .,da sind", in dem gleichen Daseinsakt wie die Dinge selbst, verraten diese ihre radikale Abhängigkeit von einer transzendenten Seinsursache. 33. Der Beweis hat dieselbe induktive Struktur wie die Gottesbeweise in den Summen (s.o. Kap. II, S. XI). Er geht wie jene von einem Merkmal der Weltdinge aus (D 1 2 3) und führt über die Ursächlichkeit (u), die im Wesen der Dhtie liegt, hinaus auf eine transzendente, erste Ursache (U). D1,2,3
u
D1,2,3
u
u u
34. Vgl. De an. III 5 die Feststellung, daß .,unsere Vernunft ihrem Wesen nach in Aktualität ist", 430a 17-18 (mit der Lesart tvep-ye{q. statt tvtp-yeca). 35. Z. B. bei Justin d. Märtyrer, der die christliche Religion als "die einzig wahre Philosophie" bezeichnet. 36. So sieht Clemens v. Alexandrien in Platon .,den philosophischen Schiller des Moses". 3 7. So bei Tertullian im Apologeticum und in De praescriptionibus adv. haereticos (in: De carne Christi, die bekannte Äußerung: certurnest quia impossibile est). 38. Aus dem letzten Jahrhundert ist besonders Kierkegaard zu nennen, aus unserem aber Barthund Bonhoeffer, von dem das zugespitzte Wort stammt (in "Akt und Sein"): "Den Gott, den ,es gibt', gibt es nicht". 39. Die ersten griechischen Philosophen von Thales an sind bei ihrer Frage nach der Arche (Prinzip, Anfang) der Dinge sicherlich noch beeinflußt von den religiösen Mythen (Hesiods u.a.) über den Anfang des Götter- und Menschengeschlechts sowie des Kosmos, wenn auch ihre Frageweise grundsätzlich neu ist und nicht mehr von religiösem, sondern von einem Erkenntnis-Interesse geleitet ist, vgl. bes. W. Capelle, Die Vorsokratiker, Stuttgart (Kröner), 1968, Einleitung.
Einleitung
40.
41.
42. 43. 44.
XXXIX
Begriffe wie "Reinheit" der Erkenntnis (von Sinnlichkeit) und "Anschauung" (Theoria) entstammen wohl ursprünglich der Mysterien-Sprache. So z. B. bei Topitsch, Vom Ursprung und Ende der Metaphysik (dtv, München 1972). - Zu Platon möchte ich ergänzend noch sagen: Wenn er (in Phaedrus und Symposium) den Zugang zur Philosophie mit Weihen zu Mysterien in Beziehung setzt und zur Vertiefung philosophischer Einsichten neue Mythen gestaltet, so geschieht dies nicht mehr in ursprünglich religiösem Denken, sondern in Erinnerung· an religiöse Ursprünge, angesichts einer Philosophie, die inzwischen zu eigenständiger Wissenschaft gediehen ist. Vgl. C.-Fr. Geyer, Einf. i. d. Philosophie d. Antike, Darmstadt 1978, Ka!J. I; anders K. Albert, Griechische Religion und Platonische Philosophie, Harnburg (Meiner) 1980, wonach von Hesiod bis Platon ein religiöses Philosophieren vorliegen soll. Zwischen Metaphysik und Religion als zwei verschiedenen Haltungen des Menschen zu unterscheiden, scheint auch gegenüber der marxistisch-leninistischen Religionskritik notwendig zu sein; sie sieht in den Religionen der Völker (in ihrem geschichtlichen Werdegang) nur primitive Vorstufen der Naturerklärung, die dann durch die sich entwickelnden Naturwissenschaften überholt und durch Kritik der Gottesbeweise beseitigt werden. - Der Fehler liegt darin, daß hier die religiöse Haltung nicht als eigenständig angesehen, sondern auf die erkenntnismäßige zurückgeführt wird. Auch ist es nicht so, daß die religiöse Gottesverehrung mit der Verteidigung oder Kritik der Gottesbeweise steht oder fällt. Ein anderes Mißverständnis, von psychologischer Art, liegt darin, daß man Religion nur als Erziehungsprodukt ansieht. Nun stimmt es zwar, daß das religiöse Vermögen im Menschen wie jedes andere auch (z. B. soziale, musische usw.) einer Erziehung bedarf, d. h. einer Aktualisierung zu einer Haltung (durch Belehrung, Einübung u.a.). Und doch ist Erziehung nicht alles; sie muß beim natürlichen Vermögen anknüpfen. Wenn dieses nicht vorweg im Menschen gegeben wäre, dann ließe sich auch nichts anerziehen. Auf "die Rationalität der religiösen Erfahrung" hat jüngst wieder W. Kluxen nachdrücklich in einem Vortrag in Bonn vom 27.10.1980 aufmerksam gemacht. Vgl. Fr. Heiler, "Erscheinungsformen und Wesen der Religion", Stuttgart 1961,455ff. Das intelligible Wesen der christlichen Offenbarung- Ursache für ihre historische Begegnung mit der griechischen Philosophie und für die Entfaltung der Theologie - haben die Kirchenlehrer immer wieder hervo:rgehoben: so z. B. Augustinus in De vera religione, De utilitate credendi (etpassim), Eusebius in Praepa-
XL
Anmerkungen
ratio evangelica, Gregor v. Nyssa in Oratio catechetica magna (4. Jh.), Joh. Damascenus in Fons scientiae Buch II (8. Jh.). Ubrigens sieht auch der arabische Theologe Averroes (12. Jh.) in: Harmonia·religionis et philosophiae, die Möglichkeit, die is· Iamische Religion rational mit Hilfe der aristotelischen Philosophie zu erschließen. 45. In "Philosophische Brocken", Kap. 3. 46. Auch nach Aristoteles kann keine Wissenschaft über das Dasein ihrer Gegenstände Beweis führen, sondern muß es voraussetzen, s. o. Kap. III, S. XIX. 4 7. Für den religiös Gläubigen als solchen ist es nicht vorrangig, daß der Glaubensinhalt (der seine eigene, spezifisch religiöse Wahrheit hat) theoretisch wissenschaftlich reflektiert wird. Es kann im Gegenteil die natürlich-spontane, religiöse Tätigkeit geradezu behindern, wenn sie ständig durch theoretisch wissenschaftliche Reflexion unterbrochen wird. Darauf weisen u.a. M. Buher und der japanische Religionsphilosoph K. Nishitani hin. Sofern wir über innere religiöse Tätigkeiten kritisch zu r.eflektieren anfangen - und wir können dies freilich hins. aller unserer seelischen Tätigkeiten und ihrer Gegenstände tun -, gehen wir in eine erkenntnismäßige Haltung über, die sich dann zu Wissenschaften ausbilden kann. Mit dem Obergang zur erkenntnismäßigen und wissenschaftlichen Haltung reißt aber im Menschen die Beziehung zur Religion nicht ab. Im Gegenteil: Die Wissenschaften, als Teil ge· samtmenschlichen Lebensvollzuges, können von religiösen Intentionen beflügelt sein und sind dies, historisch gesehen, auch gewesen, so auch die Metaphysik seit Platon und Aristoteles: Die Gleichsetzung der metaphysischen, ersten Ursache mit dem religiös verehrten Gott ist Ausdruck eines religiösen Interesses, den gläubig erfahrenen Gott mit dem obersten Prinzip metaphy· sischer Erkenntnis zu verbinden. Gegenüber der rationalistischen Gotteserkenntnis betont E. Biser wieder den Eigenwert der religiösen Beziehung zwischen Mensch und Gott (s. Glaubensverständnis, Freiburg 1975, bes. S. 6 7 ff.: Evidenzvermittelnde Implikationen).
TEXTE MIT UBERSETZUNG
SUMMA CONTRA GENTILES SUMME GEGEN DIE HEIDEN
( ) = interpretierende Zusätze () = notwendige grammatisch-syntaktische Ergänzungen
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SUMMA CONTRA GENTILES
Liber Primus· Capitulum 10 De opinione dicentium quod Deum esse demonstrari non potest cum sit per se notum Haec autem consideratio qua quis nititur ad demon· strandum Deum esse, superflua fortasse quibusdam videbitur, qui asserunt quod Deum esse per se notum est, ita quod eius contrarium cogitari non possit, et sie Deum esse demonstrari non potest. Quod quidem videtur ex his. lila enim per se esse nota dicuntur quae statim notis terminis cognoscuntur: sicut, cognito quirl est totum et quirl est pars, statim cognoscitur quod omne totum est maius sua parte. Huiusmodi autem est hoc quod dicimus Deum esse. Nam nomine Dei intelligimus aliquid quo maius cogitari non potest. Hoc autem in intellectu formatur ab eo qui audit et intelligit nomen Dei: ut sie saltem in intellectu iam Deum esse oporteat. Nec potest in intellectu solum esse: nam quod in intellectu et re est, maius est eo quod in solo intellectu est; Deo autem nihil esse maius ipsa nominis ratio demonstrat*. Unde restat quod Deum esse per se notum est, quasi ex ipsa significatione nominis manifestum.
I tem. Cogitari quidem potest quod aliquid sit quod non possit cogitari non esse. Quod maius est evidenter eo quod potest cogitari non esse. Sie ergo Deo aliquid maius cogitari posset, si ipse posset cogitari non esse. Quod est
* Anselmus, Proslogion c. 2.
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SUMME GEGEN DIE HEIDEN
Erstes Buch · Kapitel 10 Uber die Meinung derer, die sagen, es könne nicht bewiesen werden, daß Gott ist, weil dies an sich bekannt sei Diese Erwägung aber, auf die sich einer stützt beim Beweis, daß Gott ist, wird vielleicht gewissen (Theologen) überflüssig erscheinen, die behaupten, es sei an sich bekannt, daß Gott ist, deshalb, weil sein Gegenteil nicht gedacht werden kann. Und so kann man niCht beweisen, daß Gott ist. Dies scheint (sich) wenigstens aus folgendem (zu ergeben). Jene (Prinzipien) heißen nämlich an sich bekannt, die sogleich erkannt werden, wenn die Begriffe bekannt sind. Wenn z. B. erkannt ist, was "Gan:z;es" ist und was "Teil", wird sogleich auch erkannt, daß das Ganze größer ist als sein Teil. Von dieser Art ist auch das, was wir (in dem Satz) aussagen: "Gott ist". Denn mit dem Namen Gottes verstehen wir etwas, womit verglichen nichts Größeres gedacht werden kann. Dies bildet aber derjenige in seiner Vernunft, der den Namen Gottes hört und versteht, so daß auf diese Weise Gott wenigstens schon in der Vernunft sein muß. Er kann aber nicht nur in der Vernunft sein; denn was in der Vernunft und in Wirklichkeit ist, ist größer als das, was nur in der Vernunft ist. Daß aber verglichen mit Gott nichts größer sei, beweist die Bedeutung des Namens selbst. Daher ist, so ergibt sich, an sich bekannt, daß Gott ist, als wäre dies gleichsam aus der Bedeutung des Namens selbst offenkundig. Ferner kann sicherlich gedacht werden, daß etwas sei, wovon man nicht denken kann, es sei nicht. Dies ist offensichtlich größer als das, wovon man denken kann, es sei nicht. So könnte etwas Größeres gedacht werden als Gott, wenn man von Ihm denken könnte, Er sei nicht. Dies ist
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eontra rationem nominis*. Relinquitur igitur quod Deum esse per se notum est. Adhue. Propositiones illas oportet esse notissimas in quibus idem de seipso praedieatur, ut: Homo est homo, vel quarum praedieata in defmitionibus subieetorum includuntur, ut: Homo est animal. In Deo autem hoe prae aliis invenitur, ut infra (e.22) ostendetur, .quod suum esse est sua essentia, ae si idem sit quod respondetur ad quaestionem quid est, et ad quaestionem an est. Sie ergo eum dicitur: Deus est, praedieatum vel est idem subieeto, vel saltem in defmitione subieeti includitur. Et ita Deum esse per se notum erit* *.
Amplius. Quae naturaliter sunt nota, per se eognoseuntur: non enim ad ea eognoscenda inquisitionis studio pervenitur. At Deum esse naturaliter notum est***: eum in Deum naturaliter desiderium hominis tendat sieut in ultimum fmem, ut infra (1.3, e.25) patebit. Est ig!.tur per se notum Deum esse. Item. Illud per se notum oportet esse quo omnia alia eognoseuntur. Deus autem huiusmodi est. Sieut enim Iux solis prineipium est omnis visibilis pereeptionis, ita divina Iux omnis intelligibilis eognitionis principium est: eum sit in quo primum maxime Iumen intelligibile invenitur****. Oportet igitur quod Deum esse per se notum sit. Ex his igitur et similibus aliqui opinantur Deum esse sie per se notum existere ut eontrarium mente eogitari non possit.
*
Anselmus, Proslogion c. 3. mascenus, De fide orth. I 1 und 3. I 1, 3.
** Ibid. c. 5. *** Joh. Da**** Augustinus, Soliloquia
Summe gegen die Heiden · I 10
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(jedoch) gegen die Bedeutung seines Names. Es bleibt also nur übrig: Daß Gott ist, ist an sich bekannt. überdies müssen jene Sätze am bekanntesten sein, in denen vom seihen (Subjekt) dasselbe ausgesagt wird, z. B. "Der Mensch ist Mensch", oder (solche Sätze,) in denen die Prädikate in den Defmitionen ihrer Subjekte eingeschlossen sind, z. B. "Der Mensch ist Lebewesen". In Gott findet sich aber dies vor allen anderen (Dingen), wie sich unten zeigen wird (K.22), daß sein Sein seine Wesenheit ist, wie wenn es dasselbe sei, was auf die Frage, was Er ist, und auf die, ob Er ist, geantwortet wird. Wenn man also sagt: "Gott ist", so ist das Prädikat entweder dasselbe wie das Subjekt, oder wenigstens in der Definition des Subjekts eingeschlossen. Und so wird an sich bekannt sein, daß Gott ist. Weiter, was natürlicherweise bekannt ist, wird an sich erkannt; denn man gelangt zu seiner Erkenntnis nicht durch die Mühe der Nachforschung. Doch daß Gott ist, ist natürlicherweise bekannt, da zu Gott hin natürlicherweise das Verlangen des Menschen strebt (tendiert) wie zu seinem letzten Zweck, wie unten deutlich sein wird (Buch III, K.25 ). Also ist an sich bekannt, daß Gott ist. Ferner, jenes muß an sich bekannt sein, wodurch alles andere erkannt wird. Gott aber ist von der Art. Wie nämlich das Sonnenlicht Prinzip aller Gesichtswahrnehmung ist, so ist das göttliche Licht Prinzip aller intelligiblen Erkenntnis, da in Ihm sich in höchstem Grade das erste intelligible Licht findet. Daß also Gott ist, muß an sich bekannt sem. Aus diesen und ähnlichen (Gründen) haben also einige darüber, daß Gott ist, die Meinung, dies sei an sich so bekannt, daß das Gegenteil von der Vernunft nicht gedacht werden könne.
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Summacontra Gentiles· I 11
Capitulum 11 Reprobatio praemissae opinionis et solutio rationum praemissarum Praedicta autem opinio provenit partim quidem ex consuetudine qua ex principio assueti sunt nomen Dei audire et invocare. Consuetudo autem, et praecipue quae est a puero, vim naturae obtinet: ex quo contingit ut ea quibus a pueritia animus imbuitur, ita firmiter teneat ac si essent naturaliter et per se nota. Partim vero contingit ex eo quod non distinguitur quod est notum per se simpliciter, etquod est quoad nos per se notum. Nam simpliciter quidem Deum esse per se notum est: cum hoc ipsum quod Deus est, sit suum esse. Sed quia hoc ipsum quod Deus est mente concipere non possumus, remanet ignotum quoad nos. Sicut omne totum sua parte maius esse, per se notum est simpliciter: ei autem qui rationem totius mente non conciperet, oporteret esse ignotum. Et sie fit ut ad ea quae sunt notissima rerum, noster intellectus se habeat ut oculus noctuae ad solem, ut II Metaphys. dicitur.
Nec oportet ut statim, cognita huius nominis Deus significatione, Deum esse sit notum, ut prima ratio intendebat. - Primo quidem, quia non omnibus notum est, etiam concedentibus Deum esse, quod Deus sit id quo maius cogitari non possit: cum multi antiquarum mundum istum dixerint Deum esse. Nec etiam ex interpretationibus huius nominis Deus, quas Damascenus ponit*, aliquid huiusmodi intelligi datur. - Deinde quia, dato quod ab omnibus per hoc nomen Deus intelligatur aliquid quo maius cogitari non possit, non necesse erit aliquid esse quo maius cogitari non potest in rerum natura. • De fide orth. I 9; Cf. De divinis no.minibus XV Expos.
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Kapitelll Zurückweisung der oben erwähnten Meinung und Auflösung der genannten Gründe Die erwähnte Meinung kommt aber wenigstens teilweise von der Gewohnheit her, mit der sie (d. h. ihre Vertreter) von Anfang an den Namen Gottes zu hören und anzurufen pflegen. Die Gewohnheit aber, besonders die, welche von Kindheit an besteht, erlangt die Kraft einer (zweiten) Natur: Daraus ergibt sich, daß der Geist an dem, womit er von Kindheit an genährt wird, so stark festhält, wie wenn es (ihm) natürlicherweise und an sich bekannt wäre. Teilweise jedoch ergibt sich (die Meinung) daraus, daß nicht zwischen dem an sich Bekannten schlechthin und dem .für uns an sich Bekannten unterschieden wird; denn schlechthin ist freilich an sich bekannt, daß Gott ist, da ebendies, was Gott ist, sein Sein ist. Weil wir aber dies selbst, was Gott ist, mit dem Verstand nicht erfassen können, bleibt es für uns unbekannt. So ist z. B. an sich schlechthin bekannt, daß jedes Ganze größer ist als sein Teil. Dies müßte aber für denjenigen unbekannt sein, der den Begriff des Ganzen mit dem Verstand noch nicht erfaßte. Und so geschieht es, daß sich zu den (Prinzipien), welche die bekanntesten auf seiten der Dinge sind, unsere Vernunft so verhält wie das Auge der Eule zur Sonne, wie es Metaphys. II heißt. Auch muß nicht, wenn die Bedeutung dieses Namens "Gott" erkannt ist, sogleich bekannt sein, daß Gott ist, wie der erste Grund behauptete. - Erstens weil selbst nicht für alle, die zugeben, daß Gott ist, bekannt ist, daß Gott das ist, womit verglichen nichts Größeres gedacht werden könne, da viele von den antiken (Philosophen) behauptet haben, daß diese Welt hier Gott sei. Auch ist nicht aus den Deutungen dieses Namens "Gott", die Damascenus darlegt, (schon die Möglichkeit) gegeben, etwas derartiges einzusehen. - Sodann weil, selbst zugegeben, daß alle durch den Namen Gott etwas erfassen, womit verglichen nichts Größeres gedacht werden kann, es doch nicht notwendig sein wird, daß etwas, womit verglichen -nichts Größeres gedacht werden kann, in Wirklichkeit ist. Man
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Eodem enim modo necesse est poni rem, et nominis rationem. Ex hoc autem quod mente concipitur quod profertur hoe nomine Deus, non sequitur Deum esse nisi in intelleetu. Unde nee oportebit id quo maius cogitari non potest esse nisi in intelleetu. Et ex hoc non sequitur quod sit aliquid in rerum natura quo maius eogitari non possit. Et sie nihil ineonveniens aecidit ponentibus Deum non esse: non enim inconveniens est quolibet dato vel in re vel in intelleetu aliquid maius cogitari posse, nisi ei qui eoneedit esse aliquid quo maius eogitari non possit in rerum natura.
Nee etiam oportet, ut seeunda ratio proponebat, Deo posse aliquid maius eogitari, si potest eogitari non esse. Nam quod possit eogitari non esse, non ex imperfeetione sui esse est vel incertitudine, cum suum esse sit seeundum se manifestissimum, sed ex debilitate nostri intelleetus, qui eum intueri non potest per seipsum, sed ex effeetibus eius, et sie ad cognoscendum ipsum esse ratioeinando perducitur.
Ex quo etiam tertia ratio solvitur. Nam sieut nobis per se notum est quod totum sua parte sit maius, sie videntibus ipsam divinam essentiam per se notissimum est Deum esse, ex hoe quod sua essentia est suum esse. Sed quia eius essentiam videre non possumus, ad eius esse cognoseendum non per seipsum, sed per eius effeetus pervenimus. Ad quartam etiam patet solutio. Sie enim homo naturaliter Deum eognoscit sicut naturaliter ipsum desiderat. Desiderat autem ipsum homo naturaliter inquantum desiderat naturaliter beatitudinem, quae est quaedam similitudo divinae bonitatis. Sie igitur non oportet quod Deus
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muß nämlich auf dieselbe Weise ein Ding und die Bedeutung seines Namens annehmen. Daraus aber, daß man mit dem Verstand erlaßt, was mit dem Namen Gott ausgesprochen wird, folgt noch nicht, daß Gott ist, außer in der Vernunft. Deshalb wird auch das, womit verglichen nichts Größeres gedacht werden kann, nur in der Vernunft sein müssen. Und daraus folgt nicht, daß etwas in Wirklichkeit sei, womit verglichen nichts Größeres gedacht werden könne. Und so ergibt sich für diejenigen nichts Widersprüchliches, die annehmen, daß Gott nicht sei; denn es ist, wenn etwas entweder in Wirklichkeit oder in der Vernunft gegeben ist, nicht widersprüchlich, daß etwas Größeres gedacht werden könne, außer für den, der einräumt, es gebe etwas in Wirklichkeit, womit verglichen nichts Größeres gedatht werden könne. Auch muß man nicht, wie der zweite Grund vorstellte, etwas Größeres als Gott denken können, wenn man (von Thm) denken könne, daß Er nicht sei. Denn daß man (von Ihm) denken könne, Er sei nicht, ist nicht wegen der Unvollkommenheit oder Ungewißheit seines Seins möglich, da sein Sein an sich am offenkundigsten ist, sondern wegen der Schwäche unserer Vernunft, die Thn nicht, wie er durch sich selbst ist, erfassen kann, sondern von seinen Wirkungen her, und so durch Uberlegung (Schließen) zur Erkenntnis des Seins selbst geführt wird. Hierdurch läßt sich auch der dritte Grund auflösen. Denn wie für uns an sich bekannt ist, daß das Ganze größer ist als sein Teil, so ist auch für die, welche die göttliche Wesenheit selbst (ein)sehen, an sich am bekanntesten, daß Gott ist, und zwar deshalb, weil seine Wesenheit sein Sein ist. Da wir aber seine Wesenheit nicht (ein)sehen können, gelangen wir zur Erkenntnis seines Seins nicht aufgrund Seiner selbst, sondern seiner Wirkungen. Auch zum vierten (Grund) leuchtet die Auflösung ein. Der Mensch erkennt nämlich Gott natürlicherweise so, wie er Ihn natürlicherweise ersehnt. Der Mensch ersehnt Thn aber insofern natürlicherweise, als er natürlicherweise die Glückseligkeit ersehnt, die eine gewisse Ähnlichkeit mit der göttlichen Gutheit ist. So muß also Gott nicht, wie Er
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ipse in se consideratus sit naturaliter notus homini, sed similitudo ipsius. Unde oportet quod per eius similitudines in effectibus repertas in cognitionem ipsius homo ratiocinando perveniat. Ad quintam etiam de facili patet solutio. Nam Deus est quidem quo omnia cognoscuntur, non ita quod alia non cognoscantur nisi eo cognito, sicut in principüs per se notis accidit: sed quia per eius influentiam omnis causatur in nobis cognitio*.
Capitulum 12 De opinione dicentium quod Deum esse demonstrari non potest, sed sola fide tenetur Est autem quaedam aliorum opinio praedictae positioni contraria, per quam etiam inutilis redderetur conatus probare intendentium Deum esse. Dicunt enim quod Deum esse non potest per rationem inveniri, sed per solam viam fidei et revelationis est acceptum * *. Ad hoc autem dicendum moti sunt quidam propter debiIitatem rationum quas aliqui inducebant ad probandum Deum esse***. Posset tarnen hic error fulcimentum aliquod falso sibi assumere ex quorundam philosophorum dictis qui ostendunt in Deo idem esse essentiam et esse, scilicet id quod respondetur ad quid est, et ad quaestionem an est. Via autem rationis perveniri non potest ut sciatur de Deo quid est. Unde nec ratione videtur posse demonstrari an Deus sit. Item. Si principium ad demonstrandum an est, secundum artem Philosophi, oportet accipere quid significet nomen, ratio vero significata per nomen
* Cf. Augustinus, De vera reL c. 39. Dux neutr. I 74. ***Cf. ibid. I 70 sqq.
**Cf. Maimonidem,
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an sich betrachtet ist, dem Menschen natürlicherweise bekannt sein, sondern nur eine Ähnlichkeit mit Ihm. Daher muß der Mensch zur Erkenntnis von Ihm überlegend (schließend) durch die Ähnlichkeiten mit Ihm gelangen, die sich in seinen Wirkungen finden. Auch zum fünften (Grund) läßt sich leicht die Auflösung sehen. Denn Gott ist zwar das (Prinzip), wodurch alle (Dinge) erkannt werden, doch nicht so, daß die anderen nur erkannt werden, wenn Er erkannt ist, wie dies bei den an sich bekannten Prinzipien der Fall ist, sondern deshalb, weil durch seinen Einfluß in uns alle Erkenntnis verursacht wird. • Kapitell2 Uber die Meinung derer, die sagen, es lasse sich nicht beweisen, daß Gott ist, sondern allein durch den Glo.uben halfen Es gibt aber eine gewisse Meinung anderer (Theologen), die der oben erwähnten entgegengesetzt ist, wodurch auch der Versuch derer vereitelt wird, die beweisen wollen, daß Gott ist. Sie behaupten nämliCh, es könne nicht durch die Vernunft gefunden werden, daß Gott ist, sondern dies sei allein auf dem Wege des Glaubens und der Offenbarung angenommen. Zu dieser Behauptung wurden aber gewisse (Theologen) wegen der Schwäche der Vernunftgründe veranlaßt, die einige anführten, um zu beweisen, daß Gott ist. Es könnte jedoch dieser Irrtum fälschlich eine Stütze an den Aussagen gewisser Philosophen erhalten, die aufzeigen, daß in Gott Wesenheit und Sein, d. h. das was der WasFrage und der Ob-Frage entspricht, identisch sind. Auf dem Wege der Vernunft aber kann man nicht zum Wissen darüber gelangen, was Gott ist. Deshalb scheint sich auch nicht durch die Vernunft beweisen zu lassen, ob Gott ist. Ferner, wenn man als Prinzip eines Beweises, ob etwas ist, nach der Lehre des Philosophen annehmen muß, was sein Name bedeutet, die durch den Namen bezeichnete Be·
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est definitio, secun,dum Philosophum, in IV Metaph., nulla remanebit via ad demonstrandum Deum esse, remota divinae essentiae vel quidditatis cognitione. I tem. Si demonstrationis principia a sensu cognitionis originem sumunt, ut in Posterionbus ostenditur, ea quae omnem sensum et sensibilia excedunt, videntur indemonstrabilia esse. Huiusmodi autem est Deum esse. Est igitur indemonstrabile. Huius autem sententiae falsitas nobis ostenditur, turn ex demonstrationis arte, quae ex effectibus causas concludere docet; tu~ ex ipso scientiarum ordine; nam si non sit allqua scibilis substantia supra substantiam sensibilem, non erit allqua scientia supraNaturalem, ut dicitur in IV Metaph.; turn ex philosophorum studio, qui Deum esse demonstrare conati sunt.; turn etiam Apostolica veritate asserente, Rom. 1,20: invisibilia Deiper ea quae facta sunt intellecta conspiciuntur.
Nec hoc debet movere, quod in Deo idem est essentia et esse, ut prima ratio proponebat. Nani hoc intelligitur de esse quo Deus in seipso subsistit, quod nobis quale sit ignotum est, sicut eius essentia. Non autem intelligitur de esse quod significat compositionem intellectus. Sie enim esse Deum sub demonstratione cadit, dum ex rationibus demonstrativis mens nostra inducitur huiusmodi propositionemde Deoformare qua exprimat Deum esse.
In rationibus autem quibus demonstratur Deum esse, non oportet assumi pro medio divinam essentiam sive quidditatem, ut secunda ratio proponebat: sed loco quidditatis accipitur pro medio effectus, sicut accidit in demonstrationibus quia; et ex huiusmodi effectu sumitur ratio huius nominis Deus. Nam omnia divina nomina
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deutung aber - nach dem Philosophen in Metaph.IV - die Defmition ist, so wird kein Weg zum Beweis, daß Gott ist, übrig bleiben, wenn die Erkenntnis der göttlichen Wesenheit oder Washeit entfernt ist. Weiter, wenn die Beweisprinzipien von der Sinneserkenntnis ihren Ursprung nehmen, wie in den (Analytica) posteriora gezeigt wird, so scheint das, was alle Sinneswahrnehmung und (alles) Sinnliche übersteigt, unbeweisbar zu sein. Von der Art aber ist dies, daß Gott ist. Also ist dies unbeweisbar. Daß diese Ansicht falsch ist, läßt sich von uns sowohl aus der Disziplin über den Beweis sagen, die lehrt, aus den Wirkungen auf die Ursachen zu schließen, als auch aus .der Zuordnung der Wissenschaften selbst; denn wenn nicht eine erkennbare Substanz über der sinnlichen Substanz wäre, so wird es auch keine Wissenschaft über der Naturphilosophie geben, wie es in Metaph.IV heißt; ferner auch aus dem Bemühen der Philosophen, die zu beweisen versuchten, daß Gott ist; schließlich aus der apostolischen Wahrheit, die sich Röm.l ,20, ·so äußert: "Das Unsichtbare Gottes wird durch das, was geschaffen ist, eingesehen und erlaßt". Auch soll (uns) nicht dies bewegen, daß in Gott Wesenheit und Sein identisch sind, wie der erste Grund vorstellte. Denn dies wird hinsichtlich des Seins eingesehen, durch das Gott in sich selbst besteht (subsistiert), das uns in dem was es ist, wie Gottes Wesenheit, unbekannt ist. Nicht aber wird dies hinsichtlich des Seins eingesehen, das die (Aussagen-)Verbindung der Vernunft bedeutet. So nämlich fällt dies, daß Gott ist, unter den Beweis, indem unser Geist aus Beweisgründen veranlaßt wird, eine solche Aussage über Gott zu bilden, die ausdrückt, daß Gott ist. Bei den Gründen aber, mit denen man beweist, daß Gott ist, muß man als Mittelterm nicht die göttliche Wesenheit oder Washeit annehmen, wie der zweite Grund vorstellte, sondern man nimmt anstelle der Washeit als Mittelterm die Wirkung, wie dies in den Beweisen, daß (etwas ist), geschieht, und aus einer solchen Wirkung entnimmt man die Bedeutung des Namens Gott. Denn alle göttlichen Namen
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imponuntur vel ex remotione effectuum divinorum ab ipso, vel ex aliqua habitudine Dei ad suos effectus. Patet etiam ex hoc quod, etsi Deus sensibilia omnia et sensum excedat, eius tarnen effectus, ex quibus demonstratio sumitur ad probandum Deum esse, sensibiles sunt. Et sie nostrae cognitionis origo in sensu est etiarn de bis quae sensum excedunt.
Capitulum 13 Rationes ad probandum Deum esse Ostenso igitur quod non est vanum niti ad demonstrandum Deum esse, procedarnus ad ponendum rationes quibus tarn philosophi quarn doctores Catholici Deum esse probaverunt. Primo autem ponemus rationes quibus Aristoteles procedit ad probandum Deum esse. Qui hoc probare intendit ex parte motus duabus viis. Quarum prima talis est. Omne quod movetur, ab alio movetur. Patet autem sensu aliquid moveri, ut puta solem. Ergo alio movente movetur. Aut ergo illud movens movetur, aut non. Si non movetur, ergo habemus propositum, quod necesse est ponere aliquod movens immobile. Et hoc dicimus Deum. Si autem movetur, ergo ab alio movente movetur. Aut ergo est procedere in infinitum, aut est devenire ad aliquod movens immobile. Sed non est procedere in infmitum. Ergo necesse est ponere aliquod primum movens immobile*. In hac autem probatione sunt duae propositiones
probandae: scilicet quod omne motum movetur ab alio; et quod in moventibus
* Phys. VII 1, 241b 24-242a 15. VIII 5, 256a 13-21.
Summe gegen die Heiden · I 13
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werden (Gott) zugeschrieben entweder aus der Wegnahme der göttlichen Wirkungen von Ihm oder aus einer Haltung Gottes zu seinen Wirkungen. Daraus leuchtet auch dies ein: Obgleich Gott alles Sinnliche und die Sinneswahrnehmung übersteigt, sind doch seine Wirkungen sinnlich wahrnehmbar, aus denen der Beweis dafür gewonnen wird, daß Gott ist. Und so liegt der Ursprung unserer Erkenntnis in der Sinneswahrnehmung auch von dem, was die Sinneswahrnehmung übersteigt. Kapitell3 Beweisgründe dafür, daß Gott ist Nachdem wir also gezeigt haben, daß es nicht vergeblich ist, sich um den Beweis zu bemühen, daß Gott ist, wollen wir zu den Gründen übergehen, mit denen sowohl die Philosophen als auch die katholischen (Lehrer) bewiesen haben, daß Gott ist. Zuerst werden wir die Gründe darlegen, mit denen Aristoteles vorgeht um zu beweisen, daß Gott ist. Er versucht dies von der Bewegung her auf zwei Wegen zu beweisen. Der erste Weg verläuft so: (a) Alles was bewegt wird, wird von etwas anderem bewegt. Es ist aber für die Sinneswahrnehmung offenkundig, daß etwas bewegt ist, wie z. B. die Sonne. Also wird sie durch ein anderes Bewegendes bewegt. (b) Entweder wird also jenes Bewegende (wieder) bewegt, oder nicht. Wenn es nicht bewegt wird, so haben wir das beabsichtigte Ergebnis, daß es notwendig ist, ein unbewegliches Bewegendes anzunehmen. Und dieses nennen wir Gott. Wenn aber nichts bewegt. Dies hält aber Aristoteles für unmöglich, nämlich daß einmal keine Bewegung sei. Also war das erste (Vorausgesetzte) nicht kontingent, weil aus etwas falschem Kontingenten nicht etwas falsches Unmögliches folgt. Und so war die Aussage: ,Jedes Bewegende wird von etwas anderem bewegt", nicht akzidentell wahr. Ferner, wenn zwei er Aufsatz isteine Antwort auf S. Weber, Der Gottesbeweis aus der Bewegung bei Thomas von Aquin auf seinen Wortlaut untersucht, Freiburg 1902. Thomas' Wiedergabe des aristotelischen Schlusses weicht hier von ihm ab; denn er versteht die Voraussetzung, daß das Sich· selbst-Bewegende primär Bewegtes ist, in dem Sinne, als sei sie von Anstoteies als gegnerische Voraussetzung eingeführt, die dann durch das Argument widerlegt werde. In Phys. VII 1 jedoch ist diese Voraussetzung Aristoteles' eigene, und so läuft dort der Schluß anders: Gerade weil die Voraussetzung gelten soll (242a 44), d. h. das Sich-selbst-Bewegende ,,an sich und
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Kommentar zu S. 3-37 primär" (= als Ganzes) bewegt ist, kann nicht bei Ruhe eines Teiles der andere bewegt bleiben, bzw. bei Bewegung eines Teiles der andere ruhen, sondern muß bei Bewegung eines Teiles auch der andere bewegt werden, und so das Ganze "von etwas" bewegt werden, sc. einem bewegenden Teil. Für Thomas sind die Lebewesen nicht per se, sondern ex se Bewegtes. Doch bei Aristoteles findet sich dieser differenzierte Sprachgebrauch nicht, sondern er bezeichnet das Sich-selbst-Be· wegt:nde durchwegs als an sich bewegt. Die Voraussetzung betrifft bei Aristoteles das an sich Bewegte im Gegensatz zu dem "was bewegt wird, indem etwas von ihm (= ein Teil) bewegt wird" (24lb 38); also im Gegensatz zu dem, was nur in einem Teile bewegt ist, nicht als Ganzes. Thomas aber verschärft den Gegensatz, nämlich zwischen dem, was aufgrund seiner selbst bewegt ist (ratione sui ipsius), und dem, was aufgrund seines Teiles bewegt ist (ratione suae partis). Er denkt an einen Körperteil, z. B. den Fuß. Es ist klar, daß ein Lebewesenaufgrund des bewegten Fußes nur akzidentell als Ganzes bewegt ist, nicht per se. Doch bei Aristoteles läuft das Argument darauf hinaus, daß das Lebewesen in der Tat von einem bewegenden Teil als Ganzes bewegt wird, sc. von dem, der das seelische Bewegungsprinzip enthält. Bei Anstoteies will das Argument nicht beweisen, daß das Sichselbst-Bewegende kein an sich Bewegtes ist, sondern daß es von etwas (= einem Teil) bewegt wird, weil es an sich(= als Ganzes) Bewegtes ist; vgl. vorige Anm. Vgl. meine Erläuterungen in Aristoteles' Metaphysik, Bd. II, Einltg. III, und den Kommentar zu XII 7. - Die Metapher des "Geliebten" ist der Psychologie entnommen und wohl die einzig mögliche, um den metaphysischen Sachverhalt zu verdeutlichen. Sofern deshalb in Phys. VIII 6 schon angedeutet wird, daß der erste unbewegte Beweger nicht nur Ursache der ewigen Bewegung ist, sondern auch des Beharrens im identischen Sein (259b 26), müßte in seiner Bedeutung nicht nur ein erstes Seelenprinzip befaßt sein, sondern darüber hinaus auch ein metaphysisches Seinsprinzip mit impliziert sein. Der Beweis gewinnt von den Naturdingen aus induktiv den allgemc;:inen Gedanken von jedem Gegensätzlichen, das zu einem einheitlichen Zweck zusammenstimmt.
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SUMME DER THEOLOGIE I 2. 1-3
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Frage 2 · Artikel 1 Ob an sich bekannt ist, daß Gott ist Zum ersten... Thomas führt hier drei Gründe (der Anselmianer) an,, die dafür zu sprechen scheinen, daß Gottes Dasein an sich bekannt sei. Thomas referiert sie als Einwände gegen seine eigene Position. 1. Jenes nämlich heißt. . . Der erste Einwand stützt sich auf eine natürliche, "den Menschen eingepflanzte" Kenntnis von Gott und seiner Existenz, nach dem Wort desjoh. Damascenus.
2. Außerdem heißt jenes... Mit dem zweiten Einwand referiert Thomas fast wörtlich Anselms Argument und verbindet es mit einer Hauptbedeutung vom "an sich Bekannten"1, nämlich als dem, was in seinen Begriffen unmittelbar eingesehen wird (z. B. Das Ganze ist größer als sein Teil). Nun wird mit dem Namen (Begriff) Gottes nach Anseim unmittelbar eingesehen, daß Er das ist, "womit verglichen nichts Größeres gedacht werden kann". Und dies schließt sein reales Dasein ein, weil dieses "größer" (mehr) ist als das bloß gedachte. 3. Außerdem... Die Argumentation des dritten Einwandes ist formell dieselbe wie die schon von Platon gegen die Sophisten (Protagoras) in Theaetetus c. 22 {171b) angewandte. Augustinus übernimmt die Argumentation im Zusammenhang seines Gottesbeweises (in Soliloquia und De libero arbitrio ), der vom Wahren auf die Wahrheit selbst, Gott, zurückschließt. Aber dagegen steht... Den Einwänden wird ein Gegeneinwand entgegengestellt2 : daß nämlich nach Aristoteles' Lehre beim an sich Bekannten das Gegenteil nicht denk-
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bar, weil ausgeschlossen ist, während Gottes Nicht-Existenz gedacht werden kann. S.45 Aristoteles lehrt in Metaph. IV 3, daß die allgemeinen Axiome, wie das der Kontradiktion "gewisseste Prinzipien" sind, "worüber es unmöglich ist, sich zu täuschen" (1005b 8 ff.). In den Anal. post. I 2, 72a 15 ff. und 10, 76b 23 ff. werden von den allgemeinen Axiomen, die jeder notwendig annehmen muß (wovon also das Gegenteil unmöglich ist), die speziellen Beweisprinzipien der einzelnen Wissenschaften unterschieden: die Definitionen, Hypothesen und Postulate, die nur für den Kenner der betreffenden Wissenschaft notwendig sind und dem Lernenden teils einsichtig sein müssen, teils nicht (wie die Postulate). Ich antworte... Thomas' Stellungnahmebestehtin einer zweifachen Unterscheidung, die er schon in S.c.G. I 11, der aristotelischen Wissenschaftslehre folgend, gezogen hat: (a) Unterscheidung zwischen dem an sich Bekannten und dem an sich und für uns Bekannten (d. h. also zwischen dem Intelligiblen und Sinnlichen, dem Allgemeinen und Einzelnen, den Ursachen und Wirkungen). Ersteres wird mit dem Beispiel einer Wesensdefmition erläutert: Der Mensch ist ein Lebewesen. Die Aussage: Gott ist, wird im anselmischen Sinn ebenfalls als Wesensaussage verstanden. (b) Unterscheidung beim an sich Bekannten zwischen allgemeinen und speziellen Prinzipien. Die allgemeinen werden nach Aristoteles von allen Wissenschaften vorausgesetzt und vonjedermann als notwendig (bzw. ihr Gegenteil als unmöglich) eingesehen, die speziellen hingegen gehören den Einzelwissenschaften zu und sind nur für die Gelehrten in ihnen notwendig einsehbar. Als Beispiele allgemeiner Prinzipien nennt Thomas Einsichten, die "Seiendes und Nichtseiendes, Ganzes und Teil" betreffen, d. h. das Kontradiktionsprinzip, daß dasselbe nicht in derselben Hinsicht zugleich (etwas) sein und nicht sein kann; ferner das Prin· zip, daß das Ganze größer ist als sein Teil. (c) Auflösung des Problems: Was die Aussage betrifft, daß Gott ist, die anselmisch verstanden nicht nur eine Exi-
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stenzbehauptung, sondern zugleich auch eine Wesenseinsicht von Gott ist, so ist sie einerseits ein an sich bekanntes Prinzip, andererseits kein allgemeines, sondern ein spezielles der Theologie. Und da zwar an sich, aber noch nicht für uns bekannt, muß es erst in dieser Wissenschaft durch Beweis aufgewiesen werden, der vom für uns Bekannteren ausgeht, nämlich von den Wirkungen Gottes in der Schöpfung, wie dies in Thomas' Gottesbeweisen geschieht. Zum ersten . . . Die Einwände beantwortet Thomas so, daß er sie von der (aristotelischen) Unterscheidung zwischen dem an sich Bekannten und dem für uns Bekannten her beurteilt. Antwort auf den ersten Einwand: Zwar ist uns die S. 4 7 Kenntnis von Gottes Sein/Dasein ,,natürlicherweise eingepflanzt" (nach Damascenus' Wort), aber dieses ist dann nicht ein an sich Bekanntes (Gottes wesensmäßiges Sein), sondern nur ein für uns Bekanntes, d. h. Gott wird. hier von uns nur sehr undeutlich und abbildlieh gekannt, sofern Er nämlich die Ursache der in uns erstrebten Glückseligkeit ist. (Daher könnte diese Kenntnis eher zum Ansatz eines induktiven Gottesbeweises dienen als einen solchen ersetzen.) Zum zweiten . . . Thomas' Antwort auf den zweiten Einwand vollzieht sich in denselben zwei Schritten wie in S.c.G. I 11: Erstens verbindet nicht jeder mit dem Namen Gottes bereits den anselmischen Wesensbegriff, daß Er das ist, "womit verglichen nichts Größeres gedacht werden kann", d. h. Gottes Sein/Dasein ist füruns kein an sich Bekanntes. Zweitens, selbst wenn man dies zugäbe, so würde aus dem gedachten Wesen Gottes nur ein gedachtes, kein reales, wirkliches Sein folgen. Wovon das Dasein als wirklich angenommen wird, davon muß auch das Wesen als wirklich angenommen sein, d. h. als Wesen eines wirklich Daseienden. Das wirkliche Dasein Gottes wird aber von einigen geleugnet und muß erst bewiesen werden (vgl. Erläuterungen o. zu S.c.G. I 11).
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Zum dritten . . . Antwort auf den dritten Einwand: "Die erste Wahrheit ist für uns nicht an sich bekannt", da sie mit der ersten Seinsursache zusammengeht und wie diese erst in einem langen metaphysischen :Beweisgang aufgewiesen werdl!n muß. Artikel2 Ob sich beweisen läßt, daß Gott ist
Zum zweiten . . . Thomas referiert zuerst drei Einwände gegen seine eigene Position, daß Gottes Dasein beweisbar ist. Sie entsprechen einem fideistischen Standpunkt, der auch das Dasein Gottes zur Glaubenssache macht. 1. Es ist nämlich . . . Der erste Einwand erklärt Gottes Dasein zu einem Glaubensartikel und stützt sich auf ein S.49 Paulus-W ort im Hebräerbrief.
2. Außerdem... Ein deduktiver Beweis vom Dasein Gottes (wie bei Anselm) erschließt dieses mit einem Wesensbegriff von Gott im Mittelterm. Wir haben aber keine Einsicht in Gottes Wesen. Also ... 3. Außerdem . . . Ein induktiver Beweis aus den Wirkungen Gottes (im Mittelterm) ist ebenfalls nicht möglich, da die Ursache, Gott, unvergleichbar hoch über den Wirkungen steht. Aber dagegen steht... Gegeneinwand, wieder mit Berufung auf ein Paulus-Wort. Ich antworte . . . Thomas begründet seine Position mit der aristotelischen Unterscneidung (Anal. post. I 13) zwischen dem deduktiven und dem induktiven Beweis. Der deduktive begründet einen Sachverhalt an einem Gegenstand aus seiner Ursache, die sein Wesensbegriff beinhaltet. Der induktive Beweis dagegen erschließt aus den Wirkungen das Dasein einer Ursache von etwas. Wirkungen und Ursache verhalten sich zueinander wie
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das Bekanntere für uns, das in die Sinneserfahrung fällt, zum Bekannteren an sich, dem Intelligiblen, das vom Intellekt erschlossen und eingesehen wird. Der Wegvon den Wirkungen zur Ursache ist der induktive, der Weg von der Ursache zu bestimmten Wirkungen der deduktive. Wenn es auch nicht möglich ist, Gottes Dasein deduktiv aus seinem Wesen zu beweisen, so kann es doch induktiv aus seinen Wirkungen in der Schöpfung erschlossen werden. S.51 Zum ersten . . . Dem ersten Einwand begegnet Thomas mit der Unterscheidung zwischen Glaubensartikel im strikten Sinne und anderen, die mehr Präambeln des Glaubens sind und die sowohl im Glauben angenommen, als auch mit der Vernunft erkannt werden können. Zum zweiten . . . Der zweite Einwand geht von einem deduktiven Gottesbeweis aus mit einem Wesensbegriff von Gott im Mittelterm. In einem induktiven Gottesbeweis ist dies aber nicht so; er geht, wie dargelegt, von gewissen Wirkungen Gottes aus, die nunmehr im Mittelterm des Beweises stehen. Zum dritten . . . Der dritte Einwand ist triftig hinsichtlich der Erkenntnis von Gottes Wesen, nichtjedoch von seinem bloßen Dasein. Artikel3 Ob Gott ist Zum dritten . . . Bevor Thomas seine Gottesbeweise im Hauptteil des Artikels dargelegt, nennt er folgende zwei Einwände, die Gott als oberste Zweckursache betreffen. 1. weil von konträr . . . Der erste Einwand aus der ExiS.53 stenz des Ubels in der Welt: Neben Gott, dem unendlich Guten, darf es das übel als Gegensatz nicht geben. 2. Außerdem . . . Der zweite Einwand: Gott ist ein überflüssiges Prinzip: Zur Erk1ärung der Natur und des Men-
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sehen reicht als (Zweck-)Prinzip die Natur selbst und die menschliche Seele (mit Vernunft und Wille) aus.
Aber dagegen... Exodus-Stelle3 •
Der Gegeneinwand beruft sich auf die
Ich antworte . . . Im folgenden legt Thomas fünf Gottesbeweise dar. Der erste argumentiert von der Bewegung in der Welt aus. Wir geben die Beweise, den Texten folgend, in ihrer induktiven Schrittfolge wieder. Die Ziffern I, II, III bezeichnen dagegen die logische Abfolge (nach der ersten Beweisfigur). (a) Die untere Prämisse geht von der Sinneserfahrung zumindest einiger bewegter Weltdinge aus und verbindet diese mit Bewegungsursachen, wie Aristoteles in Phys. VII 1. Die Bewegung ist hier weder bloß als physikalische (im modernen Sinne) zu verstehen4 , noch als metaphysische (etwa als Bewegung von unkörperlichem Seienden). Vielmehr ist es bei den Sinnesdingen ein und dieselbe Bewegung, die sowohl einen physikalischen Aspekt, als auch einen ontologisch-metaphysischen Aspekt hat: als Obergang vom potentiellen zum aktuellen Sein des bewegten Dinges. Dies gilt für die Bewegung nach allen Kategorien: der Substanz, Quantität, Qualität und des Ortes. Doch ist der Bewegungsbeweis schon bei Aristoteles von der Ortsbewegung aus geführt, weil von ihr aus am Lebewesen der Rückschluß auf ein Seelenprinzip als Ursache besonders zwingend ist. Die untere Prämisse wird vom sog. Kausalsatz gebildet: "Alles was bewegt wird, wird von etwas anderem bewegt". Er ist induktiv aus den erfahrbaren Einzelfällen bewegter Dinge gewonnen. Er beinhaltet nicht bloß dies, daß jedes Bewegte iiberhaupt eine Bewegungsursache hat (was ohnehin induktiv eingesehen werden muß), sondern daß vom Bewegten als solchem die Bewegungsursache verschieden ist, daß es also "von etwas anderem bewegt wird" 5 • Bestätigt wird dies aus der Defmition der Bewegung (Arist., Phys. III 1-2), wonach das Bewegte die Aktualität des Potentiellen als solchen ist, d. h. sofern es noch in Potenz, nicht in Akt ist. Und es kann dasselbe nicht in bezugauf dasselbe, d. h.
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auf dieselbe Bewegung, zugleich in Potenz und in Akt sein, S. 55 bewegt und bewegend sein. Potentialität und Aktualität müssen sich in bezug auf dieselbe Bewegung auf zwei verschiedene Prinzipien verteilen. (b) Die obere Prämisse führt hinsichtlich des Bewegen· den eine Disjunktion ein: entweder wird es von anderem bewegt, das selbst immer wieder von anderem bewegt wird in infmitum, oder von einem unbewegten Bewegenden6 • Das erste Glied der Disjunktion, der Regreß in infmitum, scheidet jedoch aus und so folgt (c) die Konklusion, die zur Existenz eines unbewegten Bewegenden führt, indem dieses mit den existierenden bewegten Dingen verbunden wird, von denen die untere Prämisse ausgegangen ist. Das Beweisschema: II Bewegtes wird verursacht durch (bewegtes) Bewegendes. I Bewegtes Bewegendes wird verursacht entweder durch bewegtes Bewegen{des usf. in infmitum oder durch ein unbewegtes Bewegendes. III Bewegtes wird verursacht durch ein unbewegtes Bewegendes. Zu Il: Die Darlegung des sog. Kausalsatzes erfolgt induktiv aus den Begriffen des Potentiellen und Aktuellen: 1 Das Potentielle wird bewegt durch ein Aktuelles, das (entweder identisch ist mit dem {Potentiellen ?der) verschieden vom Potentiellen ISt.
2 Das Bewegte ist ein Potentielles. 3 Das Bewegte wird bewegt durch ein Aktuelles, das von ihm verschieden ist. Zu 1: Der Regreß des bewegten Bewegenden ins Unendli· ehe wird so ausgeschlossen: 1' Bewegt-Bewegendes (als Mittleres zwischen Bewegtem
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als Letztem und unbewegt Bewegendem als Erstem) ohne Erstes bewegt nicht. 2' Unendlich vieles Bewegendes ist Bewegt-Bewegendes ohne Erstes. 3' Unendlich vieles Bewegendes bewegt nicht. Dann gibt es aber auch nichts Bewegtes, was jedoch gegen die Voraussetzung der Prämisse li ist. Diese Argumente klären in induktiver Form die Begriffe des mittleren und ersten Bewegenden. Nur das erste Bewegende ist in vollem Sinne Ursache. S. Beilage li und IV (gegen die Kritik einer petitio principii).
Der zweite Weg. . . Der zweite Beweis ist mit dem ersten sehr verwandt. Dem allgemeinen Begriff des Bewegenden dort entspricht hier der engere Begriff der Wirkursache. Er setzt bei der Erfahrung geordneter Wirkursachen an. (a) Aus der negativen Feststellung, daß nichts Wirkursache seiner selbst ist (nach dem sog. 'Kausalsatz, s. ersten Beweis), ergibt sich positiv die untere Prämisse, daß Weltdinge von einer Wirkursache abhängen. (b) Die obere Prämisse geht dazu über, den drohenden Regreß der Wirkursachen ins Unendliche auszuschalten. Die disjunktive Alternative bei mehreren geordneten Wirkursachen ist die, daß sie von einer ersten abhängen. (c) Die Konklusion kommt schließlich zur Existenz einer ersten Wirkursache. Das Beweisschema: II Weltdinge hängen ab von Wirkursachen. I Wirkursachen hängen ab entweder von Wirkursachen, die immer wieder von anderen bewirkt { sind usf. in infmitum oder von einer nicht bewirkten, ersten Wirkursache. III Weltdinge hängen von einer ersten Wirkursache ab. Zu I: Der Beweis befaßt sich fast gänzlich mit der Widerlegung des unendlichen Regresses in den Wirkursachen. Das Argument ist dasselbe wie im ersten Beweis, s.o. 1 '-3 ',
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nur daß statt des Bewegten-Bewegenden hier die bewirkten Wirkursachen stehen7 • Es ist das Argument aus Aristoteles' Metaph. II 2.
Der dritte Weg. . . Der dritte Beweis geht aus von einzelnen erfahrbaren Weltdingen, die entstehen und vergehen. Unter ontologisch-metaphysischem Aspekt sind sie Mögliches (Kontingente~) zu sein und nicht zu sein8 • (a) Die untere Prämisse verbindet dieses Mögliche, Entstehende und Vergehende, mit Ursachen, die nicht wieder Mögliches, sondern Notwendiges sind. Das erstere wird ausgeschlossen9 durch ein Argument, das in dem Ergebnis endet: ,,Also ist nicht alles Seiende nur Mögliches ... ", und induktiv aus dem Möglichen geführt wird, worunter alles erfahrbare Mögliche fällt: 8.57 1 Was einmal nicht ist/war, ist nicht Ursache für das, was jetzt ist. 2 Das Mögliche ist das, was einmal nicht ist/war10 • 3 Das Mögliche ist nicht Ursache für das, was jetzt ist. Nun existiert jetzt etwas, also konnte es nicht nur Mögliches geben, sondern mußte und muß es auch Notwendiges geben. (b) Die obere Prämisse zeigt wiederum eine Disjunktion an zwischen bedingt notwendigen Ursachen und einer unbedingt notwendigen und eliminiert (wie der erste und zweite Beweis hinsichtlich der Bewegungs-, Wirkursachen) den unendlichen Regreß in den bedingt notwendigen Ursachen. (c) Konklusion zur Existenz einer unbedingt notwendigen (Seins-)Ursache der kontingenten Weltdinge. Vgl. Aristoteles, Metaph. XII 6. Das Beweisschema: II Mögliches (Entstehendes und Vergehendes) ist verursacht durch (bedingt) Notwendiges, nicht wieder durch Mögliches. (Fortsetzung des Schemas S. 96)
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I Das bedingt Notwendige ist verursacht entweder durch immerwieder bedingt { Notwendiges in infmitum oder durch ein unbedingt Notwendiges. 111 Mögliches (Entstehendes u. Vergehendes) ist verursacht durch ein unbedingt Notwendiges. Zu 1: Eliminierung des ersten Gliedes der Disjunktion, wobei das Argument dasselbe ist wie beim ersten und zweiten Beweis, nur daß statt des bewegten Bewegenden bzw. der bewirkten Wirkursache das bedingte Notwendige steht. Dieses verhält sich zum unbedingten Notwendigen wie eine zweite (mittelbare) Ursache zur ersten, die allein Ursache in vollem Sinne ist. Anhang: Parallelstelle aus Maimonides, Dux neutrarum 111
MaimoDides führt in diesem Kapitel vier Beweise für das Dasein Gottes an, von denen die ersten drei aristotelischen Ursprungs sind. Der erste setzt alle materielle Bewegung der irdischen Dinge in Beziehung zur ewigen Bewegung der obersten Himmelssphäre, deren erster Beweger nicht mehr die Seele dieser Sphäre sein kann, sondern ein transzendenter, Gott. Der zweite Beweis geht von bewegtem Bewegenden aus, das ein Mittleres ist zwischen dem nur Bewegten als Letztem und dem ersten, unbewegten Bewegenden, und erschließt, da das Letzte und Mittlere existiert, die notwendige Existenz auch des Ersten. Der dritte Beweis beginnt mit der Unterscheidung von drei möglichen Fällen: (a) Entweder entstehen und vergehen keine Dinge, (b) oder alle Dinge, (c) oder nur ein Teil der Dinge, ein anderer nicht. Die erste Möglichkeit (a) widerspricht der Erfahrung entstehender und vergehender Dinge, die zweite (b) wird durch eine reductio ad absurdum ausgeschlossen, so daß nur die dritte (c) übrig bleibt. Die reductio ist dasselbe Argument, das Thomas in seinem dritten Beweis verwendet und verläuft so: Wenn alle Dinge vergänglich und d. h. nur Mögliches wären, dann müßte alles vergehen und könnte
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auch jetzt nichts sein, was der Erfahrung widerspricht. Also muß es auch Notwendiges geben, u. zw. entweder solches, das aufgrund einer anderen Ursache notwendig ist, oder aufgrund seiner eigenen Wesenheit. In beiden Fällen kommt der Beweis zu einem Ersten, das durch seine Wesenheit notwendig ist, und dieses muß immateriell, eines und einfach sein, Gott. "Das Zweite (sc. dieMöglichkeitb) istgleichfallsundenkbar und der Beweis dafür ist, daß alle seienden Dinge, wenn jedes von ihnen dem Werden und Vergehen unterläge, jedes für sich möglicherweise vergänglich wäre. Was aber der Art (Species) nach möglich ist, inuß, wie du weißt, unbedingt notwendig vorhanden sein. Es müßten also alle seienden Dinge notwendig vergehen. Wenn aber alle vergingen, so wäre es undenkbar, daß irgend ein Ding da sei; denn es bliebe ja nichts übrig, das ein Ding zum Dasein bringen könnte, und somit würde folgen, daß es überhaupt kein seiendes Ding gäbe. Nun sehen wir aber, daß Dinge da sind und wir selber sind ja da. Somit ergibt sich aus dieser Untersuchung unumgänglich, nachdem es, wie wir sehen, seiende Dinge gibt, die werden und vergehen, daß es Ein Seiendes geben muß, welches weder wird noch vergeht, und bei diesem Seienden, das nicht wird und vergeht, gibt es überhaupt keine Möglichkeit des Vergehens, es hat vielmehr ein notwendiges, nicht aber ein mögliches Sein. Er sagt aber noch ferner: Dasjenige, was notwendig vorhanden ist, kann nicht. anders als entweder hinsichtlich seiner Wesenheit oder hinsichtlich seiner Ursache notwendig existieren, so daß sein Sein und sein Nichtsein hinsichtlich seiner Wesenheit möglich, hinsichtlich seiner Ursache aber notwendig ist, dann aber muß, wie wir im neunzehnten Leitsatz sagten, seine Ursache notwendig vorhanden sein. Es ist also bewiesen, daß es, wenn es ein in solcher Weise Seiendes gibt, wie Aristoteles sagt, nämlich ein Seiendes, welches weder wird noch vergeht, da es von einer notwendig seienden Ursache verursacht ist, schlechterdings und unbedingt ein Seiendes geben muß, welches hinsichtlich seiner Wesenheit notwendig da ist, und, wenn dieses nicht da wäre, so gäbe es überhaupt kein Seiendes, weder ein werden-
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des und vergehendes, noch ein solches, das nicht wird und nicht vergeht. Dies ist nun ein Beweis, der jeden Zweifel, jede Zurückweisung und jede Polemik ausschließt, ausgenommen für den, der die Regeln des Beweisverfahrens nicht kennt" (Ubersetzung von A. Weiss, Philosophische Bibliothek Bd. 184b, Harnburg (Meiner) 2 1972, S. 30-31). Das Argument liegt in .dieser geschlossenen Form bei Aristoteles nicht vor, sondern setzt sich aus Gedanken zusammen, die es aus Meta-pb. XII 6, 107lb 3-22, und IX 8, 1050b 6-19, entlehnt. An diesen Stellen fmdet sich auch die reductio ad absurdum wieder, so 107lb 6: Wenn die Substanzen, die das Erste (Prinzipien) von allem Seienden sind, "alle vergänglich wären, dann wäre alles vergänglich", und 1050b 19: Das Notwendig-Seiende ist das Erste von allem Seienden, und "wenn dieses nicht wäre, dann wäre (überhaupt) nichts", was der Erfahrung widerspricht. Avicenna dürfte als Aristoteles-Vermittler, Maimonides' Argument beeinflußt haben, so z. B. in der Zweiteilung des Notwendig-Seienden in bedingtes und absolutes, vgl. die Anmerkungen von Weiss zur Ubersetzung, ferner die Studien von Geny und Bruyges. Verglichen mit Maimonides' Text zeigt Thomas' dritter Beweis manche Abweichungen von ihm. So argumentiert er z. B. nicht mit der Vergänglichkeit alles Seienden als einem Artmerkmal, das ihm notwendig zukäme, wenn alles vergänglich wäre, so daß deshalb dann alles Seiende notwendig vergehen müßte. Vielmehr argumentiert er aus der Natur des Möglichen selbst, dem es eignet, nicht ewig zu sein, sondern nach endlicher Zeit einmal nicht zu sein, s. Beilage IV, S. 150 ff.
Der vierte Weg... Der vierte Beweis geht von bestimmten Eigenschaften aus, die an den Weltdingen in verschiedenen Graden vorkommen, wie: gut, wahr, edel. Man darf sie nicht verwechseln mit Eigenschaften in der Gattung des Quantitativen oder Qualitativen, die auch in Graden vorkommen, z. B. mehr oder weniger lang, rot u.a.m. Im vorl. Beweis handelt es sich um transzendentale Eigenschaften, die in allen Gattungen des Seienden gemeinsam auftreten
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(sie "übersteigen"), aber in verschiedenen Graden. (a) Die untere Prämisse stellt fest, daß die Weltdinge mit solchen gradweisen (transzendentalen) Eigenschaften wie des Guten und Wahren auf ein Maximum bezogen sind dem sie sich mehr oder weniger nähern 11 • Das Maximum ist ein Seiendes, dem jene Eigenschaften im höchsten Grade zukommen, und das selbst in höchstem Grade Seiendes ist, weil Gutes, Wahres und Seiendes, schon nach aristotelischer Lehre (Metaph. II 1, Nikom~ Ethik I 4), vertauschbar {konvertibel) sind. (b) Die obere Prämisse bestimmt das Maximum als Ur· sache der Dinge in ihren auf das Maximum bezogenen Eigenschaften, also auch in ihrem Sein. (c) Die Konklusion führt zur Existenz des Maximunis als höchster Seinsursache der Weltdinge, von deren Existenz die untere Prämisse ausgegangen ist. Das Beweisschema: II Dinge mit gradweisen (transzendentalen) Eigenschaften, wie des Guten und Wahren, hängen ab von einem Maximum dieser Eigenschaften, das zugleich auch in höchstem Grade Seiendes ist. I Das in höchstem Grade Seiende ist höchste Seinsursache. Ill Dinge mit gradweisen Eigenschaften, wie des Guten und Wahren, hängen ab von einer höchsten Seinsursache. Der Beweis ist wie die vorangegangenen von induktiver Form, weicht aber dadurch von ihnen ab, daß er nicht erst über mittelbare Ursachen - die sich leicht ergänzen lassen - zu einer ersten aufsteigt, sondern in der unteren Prämisse sogleich den Bezug der Weltdinge zu einem höchsten Seienden aufstellt, hingegen in einem weiteren Schritt, in der oberen Prämisse, dartut, daß dieses höchste Seiende erste Seinsursache ist. S.59 Der fünfte Weg . . . Der fünfte Beweis geht von der Erfahrung zweckvoller Tätigkeit in Naturdingen aus, die vernunftgemäß ist (d. h. von unserer Vernunft als zweckvoll eingesehen werden kann), wiewohl den Naturdingen selbst Vernunft ermangelt.
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(a) Die untere Prämisse bezieht die zweckvolle Tätigkeit von Naturdingen auf eine immanente Zweckursache, weil sie "wegen eines Zieles tätig sind". Kriterium dafür, daß eine Zweckursache, nicht Zufall vorliegt, ist die Tatsache, daß die Naturdinge "immer oder meistens auf dieselbe Weise" tätig sind (vgl. Aristoteles, Phys. 11). (b) Die obere Prämisse bezieht die vernunftgemäße Tätigkeit der ZweckursaChen auf ein Vernunftprinzip, das den Naturdingen transzendent ist. Die Alternative, daß es ihnen immanent wäre, scheidet aus, da die Naturdinge, wie gesagt, der Vernunft enthebrenn, s. auch Beilage IV, s. 157 ff. (c) So führt die Konklusion zur Existenz eines transzendenten Vernunftprinzips, das transzendentes, umfassendes Zweckprinzip ist. Das Beweisschema: II NatUrdinge mit zweckvoller (vernunftgemäßer) Tätigkeit sind geleitet von (immanenten) Zweckursachen. I Immanente Zweckursachen von zweckvollen (vernunftgemäßen) Tätigkeiten sind geleitet von einem Vernunftprinzip, das den Naturdingen [entweder immanent oder] transzendent ist. 111 Naturdinge mit zweckvoller Tätigkeit sind geleitet von einem transzendenten Vernunftprinzip.
Zum ersten . . . Antwort auf den ersten Einwand: Thomas hält im Anschluß an Augustinus das Böse in der Welt nicht für unverträglich mit der unendlichen Gutheit Gottes. Gerade weil seine Gutheit unendlich ist, läßt er sogar die Möglichkeit des Bösen zu und weiß es dem Guten dienstbar zu machen. Zum zweiten . . . Auch für Thomas gilt der Grundsatz, daß die Prinzipien nicht ohne Notwendigkeit zu vervielfältigen sind. Und so führt er auch die "erste Ursache" nicht neben den Naturursachen und dem menschlichen Geist ein, um mit ihr die Vorgänge der Natur und des menschli-
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eben Handeins zu erklären; hierfür reichen tatsächlich die anderen Prinzipien aus. Wohl aber ist die "erste Ursache" notwendig zur Erklärung dieser Naturursachen und des menschlichen Geistes selbst, da sie sich als unvollkommene, abhängige erweisen. Anmerkungen 1. Nach Aristoteles, Anal. post. I 1-2. Im übrigen s.o. die Erläuterungen zu S.c.G. I 10 und 11. 2. Jeder Artikel in der S. theol. ist so aufgebaut, daß Thomas' eigener Stellungnahme zur jeweiligen Frage im Antwortteil (corpus articuli: respondeo) eine disputatio in utramque partem vorausgeht, mit Einwänden (obiectiones) und Gegeneinwänden (sed contra). Nach dem Antwortteil folgt noch die Stellungnahme zu den Einwänden. S. die Einführungen von Grabmann, Sertillanges und Rolfes-Bormann (Liter.-Verz.). 3. Die moderne Exegese hebt zwar mit Recht hervor, daß die Exodus-Stelle keine metaphysische Aussage ist, ·sondern eine spezifisch religiöse Offenbarung des Bundesgottes an sein Volk: Ich bin der, der mit euch ist. Gleichwohl ist nicht zu leugnen, daß der Name Gottes vom hebräischen Wort "sein" gebildet ist und Gottes Dasein über die Zeiten hinweg mit ausdrückt. Auch darf man nicht von vomherein ausschließen, daß Namen, Wörter und Aussagen .in den verschiedenen Lebensbereichen der Menschen imp~it auch eine metaphysische Bedeutung mit enthalten, die von der Metaphysik expliziert werden kann. Zum Verhältnis von Metaphysik und Religion s.o. Einleitg. V. 4. Vgl. hierzu auch R. Masi (DC.l965, 3-37), der freilich zwei ursächliche Beziehungen hins. der Weltdinge annimmt, eine physikalische und eine metaphysische, die nebeneinander bestehen. ÄhnlichE. Wincance.- S. unten Beilage IV, S.140 ff. 5. Anders wird in der Dt. Thomas-Ausgabe, S. 334 (Anm. 23) interpretiert: Sie geht von dem Kausalsatz als erster Prämisse aus und betont darin die Allheit des Bewegten. "Alles, was in Bewegung ist ... " dies soll besagen: "Die ganze Welt, Schöpfung, ist in Bewegung". Das "andere" ist hiernach Gott gegenüber der Welt: "Also wird sie von einem ,Anderen' bewegt", d. h. Gott. Der Beweis kommt so mit einem "Sprung", über den unendlichen Abstand hinweg, von der Welt zu Gott. -Auf moderne Kritik geht E. Winance ein: Le premier moteur (DC 1954, 427). Er läßt eine zweifache Interpretation des Kausalsatzes zu, eine physikalische und eine metaphysische, erläutert aber die zweite wieder durch physikalische Beispiele, wie mit Neutronenbeschuß und Kernspaltung, Zug und Lokomotive. ·
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Kommentar zu S. 41-59
6. Beim Beispiel mit Stein, Stab und Hand ist zu beachten, daß es sich am Lebewesen, hier am Menschen, orientiert: .Die Bewe· gung ist eine organisch einheitliche, die ihre Ursache in der Seele hat. Die Hand ist Organ der Seele, der Stab gleichsam das verlängerte Organ. 7. S. Beilage IV, S. 147 ff. Die Gedankenschritte des zweiten Beweises analysiert J .B. Lotz, De secunda via S. Thomae Aqu. (DC 1965, 39-40).- R. Garrigou-Lagrange, La deuxieme preuve de l'existence de Dieu (DC 1954, 28-40) erwähnt zwar zum Prinzip des nicht-unendlichen Regresses in den Ursachen die Unterscheidung zwischen akzidentell und essentiell geordneten Ursachen, erläutert aber die letzteren mit unzutreffenden Beispielen wie diesen (33-34): Das Schiff wird getragen vom Ozean, der Ozean vom Erdglobus, dieser wird von der Sonne gehalten, diese von einem anderen Gravitationszentrum, usf. nicht ins Unendliche. Oder: Wärme auf der Erdoberfläche hängt ab von der Sonne, diese von der Wärme eines höheren Wärmezentrums, was wieder nicht ins Unendliche gehen kann. - Die Beispiele zeigen keine Unterordnung von Ursachen, sondern ein Nebeneinander von Dingen, u. zw. im raum-zeitlichen Kontinuum. Die Ursachen sind durchweg die materieller Zweitursachen in den Dingen, die thomasisch gesprochen nur akzidentelle Abhängigkeiten bewirken. Garrigou-Lagrange bedenkt zwar auch eine ,,metaphysische" Abhängigkeit, sc. aus der Moralität und Heiligkeit, die der Mensch nicht aus sich selbst haben kann, die also aus einer ersten Ursache, der Heiligkeit Gottes selbst, bewirkt sein muß (35 ), doch entfernt sich dieser Gedanke wohl zu weit von dem Text der Secunda via, die ja kein moralischer, sondern ein metaphysischer Gottesbeweis sein will. 8. Das .,Mögliche" ist hier nicht bloß ein abstrakt Allgemeines, sondern steht für konkrete Dinge, die entstehen und vergehen. Richtig interpretiert es V. degl'Innocenti, La validita della ,terza via' (DC 1954, 41-70). Beim Vergleich des dritten Beweises mit dem entsprechenden in S.c.G. I 15 stellt er zwei Unterschiede fest, von denen ich den ersten richtig finde: Während der Beweis in S.c.G. den Gedankengang über das possibile esse (= generabile) führt, läuft er in S.th. über das .possibile non esse (= corruptibile). Der zweite Unterschied aber, daß nämlich der Beweis in S.c.G. auf eine erste Wirkursache gehe, in S.th. dagegen auf eine erste Materie, ist m. E. falsch bemerkt. - Ein ausführlicher Vergleich des Kontingenzbeweises beider Summen findet sich bei P. Geny, A propos des preuves thomistes de l'existence de Dieu, wonach die Version in S.c.G. I 15 als Quelle Avicenna hat, die in S.th. hingegen Maimonides (Dux neutrarum, Buch II, 1). M. Bruyges, Exegese de la ,tertia via' de S. Thomas d'Aquin, benennt als Quelle statt Avicenna vielmehr
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Averroi!s. Im übrigen macht er noch auf einen Paralleltext bei Richard v. St. Victor, De Trinitate (lib. I, c.8, MPL t.196, col. 894 D), aufmerksam. Die Dt. Thomas-Ausg. setzt (S. 336, Anm. 25) Thomas' Gedankengang mit Kants ,Einzig möglichem Beweisgrund' in Parallele: Mit der reductio ad absurdum ("und so wäre einmal nichts ... ") wolle Thomas nicht vom Wirklichen auf das Notwendige schließen, sondern bloß vom Begriff des Möglichen aus, wie auch Kant in seinem ,Beweisgrund' nicht von der realf"n Möglichkeit der Dinge, sondern von ihrer rein logischen, inneren Möglichkeit ausgehe. Dagegen ist aber zu sagen, daß Kant vom Begriff gerade des reill Möglichen ausgeht, nicht nur dem logisch Möglichen, und daß Thomas nicht vom Begriff des Möglichen aus, sondern von existierenden Weltdingen aus, die mögliche, kontingente, sind, den Beweis führt, s. Beilage Ill. - Weitere Kontroversen der Interpretation zur Tertia via erörtern M. D. Philippe, La troisieme voie de S. Thomas (DC 1965, 41-47) und C. Giacon, Aleune osservazioni sulla Ill e IV via di S. Tornmaso (ib. 131-145). nach der bessel'en Lesart: impossibile est autem omnia quae sunt talia esse (gegen: talia semper esse). Vgl. J. Stallmach, Zur Problematik der ,tertia via' der Gottesbeweise Thomas' v. Aquin. Eine gute Parallelstelle führt Geny aus S.th. I q.104 a.4 an (Utrum aliquid in nihilum redigatur). S. Beilage IV, S. 150 ff. Eine Kontroverse herrscht zwischen der platonisch und der aristotelisch ausgerichteten Interpretation des vierten Beweises, vgl. C. Fabro, Sviluppo, significato e valore della ,IV via' (DC 1954, 71-109), und 11 fondamento metafisico della IV via (DC 1965, 49-70). S. auch Beilage IV, S. 154 ff .. Zur inhaltlichen Problematik des fünften Beweises s. P. Parente, La quinta via di S. Tommaso. Significato e valore (DC 1954, 110-130), und M. Duquesne, De quinta via. La preuve de Dieu par le gouvernement des choses (DC 1965, 71-92).- S. Beilage IV, S. 157 ff.
BEILAGEN
I. Thomas' Quellen in Aristoteles' Physik und Metaphysik Um den Kommentarteil nicht mit Quellenmaterial zu überlasten, sind die aristotelischen Vorlagen der thomasischen Gottesbeweise hier gesondert in einer Beilage mitgeteilt. Thomas hat als Quelle nicht nur Aristoteles, sondern auch Johanr.es Damascenus, Avicenna, Averroes und Maimonides, wie aus den Angaben im Textteil zu ersehen, dazu wohl auch den auf Proklos zurückgehenden Liber de causis 1 • Wir müssen uns aus Raumgründen auf die aristotelischen Quellentexte beschränken, die ja für das Verständnis von Thomas' Gottesbeweisen von besonderer Bedeutung sind, und werden die jeweiligen Argumente referieren, teilweise auch mit ihren Beweisschemas wiedergeben. Der Leser wird sie dann ohne Mühe mit den im Kommentarteil gebotenen Analysen der thomasischen Beweisgänge vergleichen und die Ähnlichkeit erkennen können. 1. Die Beweisgänge zu einem ersten, unbewegten Beweger Phys. VII und VIII Phys. VI 4, 234b 10-20: Die Stelle betrifft das Argument, daß jedes Veränderliche, Bewegte, teilbar ist. Es setzt voraus, daß sich Bewegung zwischen zwei extrem entgegengesetzten Zuständen A und B vollzieht und somit das Bewegte als solches sich zwischen diesem Anfangs- und Endzustand befmdet. I Was als Ganzes weder im Zustand A, noch im Zustand B ist, noch in beiden, noch in keinem von beiden, ist in einem Zwischenzustand, wo es zum einen Teil noch in Zustand A, zum anderen Teil in Zustand B ist. II Das Bewegte ist als Ganzes weder in Zustand A, noch in Zustand B usw. . ..
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III Also ist das Bewegte zum Teil in Zustand A, zum Teil in Zustand B, d. h. es hat Teile. Da die Zustände A und B als Potenz und Akt gekeinnzeichnet sind (als Mangel und Haben einer Formbestimmung), und Bewegung der Obergang von Potenz zu Akt ist (s. III 1-2), darf man die Teile des Bewegten nicht bloß materiell verstehen, sondern muß sie auch in ihrem Bezug auf ein potentielles und aktuelles Prinzip im Bewegten sehen. In dieser Hinsicht wird ja auf vorliegendes Argument auch in Buch VII 1 verwiesen, das von Teilen des Sich-selbst-Bewegenden (= des Lebewesens) so spricht, daß der eine Teil bewegt (potentiell) ist und der andere bewegend (aktuell, d. h. durch die Seele), durch den das Sich-selbst-Bewegende bewegt wird. Phys. VII 1, 241b 34- 242a 49: Das Buch VII beginnt mit dem Argument für den "Kausalsatz", daß jedes Bewegte von etwas (anderem) bewegt wird (sc. von einem Bewegungsprinzip ), und bezieht sich auf eine gegnerische Annahme, daß das Sich-selbst-Bewegende (= Lebewesen) nicht durch etwas (sc. ein bestimmtes Bewegungsprinzip) bewegt bzw. ruhend sei, 241b 34- 242a 37. Der Text nennt zuerst drei Voraussetzungen des Sichselbst-Bewegenden (die an sich auch für Aristoteles gelten), nämlich 1. daß es nicht von einem äußeren Prinzip bewegt wird, 2. daß es wie jedes Bewegte Teile hat, 3. daß es "an sich", "primär" Bewegtes ist, 241b 31-44, legt dann diese Voraussetzungen im Sinne der gegnerischen Annahme so aus, daß das Sich-selbst-Bewegende als ganzes, d. h. in allen Teilen, bewegt-bewegend sei (ibd.} und fügt eine Erklärung bei, wie es zu solch einer Annahme kommt: Sie entsteht aus der Schwierigkeit, daß "man nicht zu sehen vermag, welcher Teil (im Sich-selbst-Bewegenden) von welchem bewegt werde", 242a 43-44. (Von daher die Annahme, daß es sich in allen Teilen selbst bewege und von sich selbst bewegt werde )2 • Es folgt dann das Argument, das die gegnerische Annahme widerlegt:
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Beilagen
I Was ruhend bzw. bewegt ist, wenn etwas (anderes) ruhend bzw. bewegend ist, ist durch etwas (anderes) ru· hend bzw. bewegt. II Das Sich-selbst-Bewegende ist (als Ganzes AB) ruhend bzw. bewegt, wenn etwas (sc. der eine Teil CB) ruhend bzw. bewegend ist (weil dann auch der andere Teil AC in Ruhe bzw. Bewegung ist). Ill Das Sich-selbst-Bewegende ist durch etwas (sc. einen Teil, mit dem Bewegungsprinzip) ruhend bzw. bewegt3. Die Konklusion bestätigt den ,,Kausalsatz" auch für das Sich·selbst·Bewegende, das Lebewesen. Dieses hat nicht die Eigenschaft, sich in allen Teilen selbst zu bewegen und von sich selbst bewegt zu werden, wie die gegnerische Annahme voraussetzt. Es gibt von ihm als ganzem keine Selbstverursachung der Bewegung. 242a 49 ff. beginnt ein mehrteiliger Beweisgang darüber, daß es ein "erstes Bewegendes" gtbt, das nicht mehr von etwas anderem bewegt wird, d. h. daß es keinen unendli· chen Regreß in den Bewegungsursachen, hins. der Ortsbewegung, gibt4 , 242a 55-62 und 242a 62- b 45: I Dinge, die zugleich bewegen und bewegt werden, sind gleichzeitig in Bewegung. II Eine unendliche Reihe von bewegt Bewegendem sind Dinge, die zugleich bewegen und bewegt werden. Ill Eine unendliche Reihe vori bewegt Bewegendem ist gleichzeitig in Bewegung. 1 Wessen Teilbewegungen numerisch je eine, zeitlich endliche und gleichzeitige sind, das ist in endlicher Zeit bewegt. 2 Die unendliche Reihe von bewegt Bewegendem ist etwas, dessen Teilbewegungen numerisch je eine usw... sind. 3 Die unendliche Reihe von bewegt Bewegendem ist in endlicher Zeit bewegt. Diesem Ergebnis widerstreitet aber folgender Beweisgang, 242b 45 - 242b 53: I Ein unendlich großer Körper ist in unendlicher (unbegrenzter) Bewegung.
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II Die unendliche Reihe von bewegt Bewegendem ist ein unendlich großer Körper. 111 Die unendliche Reihe von bewegt Bewegendem ist in unendlicher (unbegrenzter) BewegungS. Sie vermag dies jedoch nicht in endlicher (begrenzter) Zeit zu sein; also kann sie keine unendliche sein. Prämisse II wird folgenderweise begründet, 242b 53- 243a 32: 1 Bewegende und von ihnen bewegte Dinge sind zugleich durch Kontinuität und Berührung und d. h. ein Körper. 2 Eine unendliche Reihe von bewegt Bewegendem besteht aus bewegenden und von ihnen bewegten Dingen. 3 Eine unendliche Reihe von bewegt Bewegendem ist zugleich durch Kontinuität usw. . .. d. h. ein (unendlicher) Körper. Ergänzend zu dem gegebenen Beweisgang wird in VII 2 dargelegt, daß das Bewegende und Bewegte immer "zugleich" sein müssen, was ftir alle drei Bewegungsarten gilt: des Ortes, der Qualität und Quantität. Das Phys.-Buch VIII bringt in mehNren Schritten den Beweisgang, der vom (leblosen) Bewegten zum Sich-selbstBewegenden (Lebewesen), weiter zu einem (relativ) unbewegt-bewegenden Prinzip in ihm (seiner Seele) und schließlich zu einem ersten (absolut) unbewegten Beweger führt. Dem Hauptbeweis in VIII 5 gehen verschiedene Erörterungen voran, zuerst in Kap. 1-2 über eine ewige Bewegung, sodann in Kap. 3-4 über die Frage, warum Dinge bald in Bewegung, bald in Ruhe sind, und welche Ursache dafür verantwortlich ist. Daß es eine ewige Bewegung gibt, d. h~ daß immer Bewegung in der Welt war, ist und sein wird, legen in Kap. 1 drei Argumente dar: 1. Die Definition der Bewegung als "Akt des Potentiellen, Beweglichen als solchen" setzt Potentielles, bewegungsfähige Dinge voraus, die vor dem Bewegungsbeginn schon entstanden sein müssen, so daß ihrer eigenen Bewegung eine andere vorausging, wodurch sie entstanden. Wenn sie aber ewig waren und aus einem bewegungslosen Zustand eine erste Bewegung anfingen, so erforderte diese Veränderung ihres Zustandes wieder eine vorausgegangene
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Bewegung (251a 8-28). Was als Leidendes und Wirkendes einander zugeordnet ist, muß in einer je bestimmten Disposition sein. Wenn etwas nicht immer in Bewegung war, dann war es eben noch nicht in einer solchen Disposition, sondern mußte noch erst eine Veränderung zu ihr hin erfahren, so daß seiner ersten Bewegung eine andere vorausging (251a 28 - b 10) 6 • 2. Aus der Defmition der Zeit, die "Zahl (Maß) der Bewegung" ist, ergibt sich, daß ,,Prinzip der Zeit" das Jetzt ist, das in sich das Ende vergangener Zeit und den Anfang zukünftiger Zeit beschließt, so daß immer "auf beiden Seiten von ihm Zeit ist" und auch Bewegung. Somit geht jedem Anfang von Zeit/Bewegung eine andere Zeit/Bewegung voraus und folgt jedem Ende eine andere Zeit/Bewegung nach (251b 10-28). 3. Analog zum Entstehenden wird auch zum Vergehenden eine weiterreichende Bewegung erschlossen, da mit dem Aufhören der Bewegung nicht zugleich auch das Bewegliche aufhört zu sein. Für das Vergehen des Beweglichen wird wieder eine nachfolgende Bewegung/Veränderung nötig sein, und für diese wieder eine andere usf. (251b 28- 252a 5) 7 • Im Kap. 2 widerlegt Aristoteles Ansichten, die gegen eine ewige Bewegung und für einen Anfang jeder Bewegung sprechen: 1. Keine Bewegung ist ewig. 2. Wenn es eine ewige Bewegung gäbe, dann müßten die Dinge, die jetzt bewegt sind oder ruhen, immer in Bewegung oder in Ruhe sein. Stattdessen gibt es Dinge, die von Ruhe zu Bewegung übergehen und umgekehrt, u. iw. sowohl bei unbelebten Dingen (mit äußerer Bewegungsursache), als auch bei belebten (mit innerer Ursache), 252b 7-28. - Widerlegungen: 1. Es gibt zwar keine numerisch ein und dieselbe Veränderung zwischen Gegensätzen die ewig wäre, wohl aber eine durch Wiederholung, wenn sie kontinuierlich ist (sc. Orts-, genauer: Kreisbewegung). 2. Daß Dinge bald in Ruhe, bald in Bewegung sind, dies spricht nicht gegen eine ewige Bewegung, sondern erklärt sich daraus, daß die äußere Bewegungsursache einmal da ist, ein andermal nicht. Dabei betont Aristoteles, daß auch bei den belebten Dingen viele Bewegungen sind, die von äußeren Ursachen abhängen; denn die Selbstbewegung der Lebewesen bezieht sich
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nur auf die räumlichen Bewegungen. bes. die Ortsbewegung, 252b 28-253a 21. In Kap. 3 werden folgende einseitige Ansichten abgewiesen: - daß alle Dinge immer in Ruhe seien, - daß alle Dinge immer in Bewegung seien, -daß ein Teil der Dinge immer in Ruhe, der andere Teil immer in Bewegung sei, - daß alle Dinge bald in Ruhe, bald in Bewegung seien. Aristoteles' eigene Ansicht ist die, daß ein Teil der Dinge immer in Ruhe, ein Teil immer in Bewegung und ein Teil bald in Ruhe, bald in Bewegung ist. Solche Dinge der dritten Art schließen also nicht aus, daß es ewige Bewegung gibt. Kap. 4 bringt als weiteres Argument für den Kausalsatz, daß jedes Bewegte von etwas (anderem) bewegt wi:rd (254b 25 ), folgende empirisch gewonnene Einteilung verschiedener Fälle des Bewegten (254b 7-24): akzidentell Bewegtes8 { an sich Bewegtes gewaltsam, naturwidrig { naturgemäß von sich selbst(= Lebewesen) { von etwas anderem (= unbelebte Körper, z. B. Leichtes, Schweres) Am leichtesten läßt sich der Kausalsatz am naturwidrig Bewegten nachweisen, schwerer hingegen am naturgemäß von sich selbst Bewegten, d. h. an den Lebewesen, weil man nicht leicht bei ihnen unterscheiden kann, was das Bewegende und was das Bewegte ist. Doch ist eine Unterscheidung prinzipiell möglich, wie mit dem Analogiebeispiel zwischen Lebewesen und Schiff angedeutet wird. (254b 27-33: Das Bewegte und Bewegende sind hier das Fahrzeug und die Ruderknechte, dort der Leib und die Seele bzw. ihr Hauptorgan.) Es liegt hier eine wichtige Parallelstelle zu der o. Kap. 1, 24lb 28-33, in Frage stehenden Unterscheidung zweier Teile im Sich-selbst-Bewegenden
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vor. Am schwersten erscheint der Nachweis des Kausalsatzes bei dem naturgemäß von anderem Bewegten, z. B. bei leichten Körpern, die aufwärts steigen und schweren Körpern, die abwärts fallen. Was ist hier die Bewegungsursache (254b 24-33)? Die Lösung wird in mehreren Schritten erreicht (254b 33 - 256a 3): Unbelebte Körper, die sich nach ihrer Leichte und Schwere bewegen, sind nicht Sichselbst-Bewegendes. Sie haben eine Bewegungsursache, nämlich die, welche sie aus der bloßen Anlage in eine Disposition (d. h. aus erster Potenz in ersten Akt bzw. zweite Potenz) bringt die zur Bewegung (= zweiten Akt) übergehen kann, "wenn nichts hindert". Die das Hindernis entfernende Ursache ist eine akzidentelle; Ursache an sich ist die, welche die Disposition der Leichte oder Schwere bei den Körpern hervorbringt, so daß sie in Aufwärts- oder Abwärtsbewegung übergehen können9 • Kap. 5 legt den Beweisgang zum unbewegten Bewegenden dar, unter Verwendung des Kausalsatzes und des Arguments vom nicht-unendlichen Rückgang im bewegt Bewegenden. Mit vier Argumenten, 256a 4 - 257a 31, führt Aristoteles zwei Unterscheidungen zum Bewegenden ein, die von verschiedenen Hinsichten aus formuliert, inhaltlich auf dasselbe hinauslaufen: Das Bewegende bewegt entweder mit etwas anderem (als Mittel) oder (als Sich-selbst-Bewegendes) mit sich selbst (als Mittel). Das Bewegende wird entweder von etwas anderem bewegt (wofür es Mittel ist) oder nicht von etwas anderem bewegt (sondern ist Sich-selbst-Bewegendes, das mit sich selbst als Mittel bewegt). Es folgt eine Analyse des Sich-selbst-Bewegenden (Lebewesen), 257a 31 - 258b 4, die es in seine zwei Prinzipien erschließt, ein bewegtes (Leib) und ein unbewegt-bewegendes (Seele). Sie mündet in ein Ergebnis, 258b 4-9, das
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einen Beweis in folgenden induktiven Schritten erkennen läßt (die Zahlen I, II, III bezeichnen die logische Folge nach der ersten Beweisfigur): II Bewegtes wird bewegt von einem Bewegenden. I Bewegendes wird entweder nicht bewegt (weil { selbst unbewegt) oder es wird bewegt entweder von einem bewegt Bewegenden (was aber zu einem unmöglichen Regreß ins Unendliche führt) oder von einem unbewegt Bewegenden. III Bewegtes wird bewegt von einem unbewegt Bewegenden. Vier Argumente, die zum Sich-selbst-Bewegenden führen: 1. Das Bewegende bewegt etwas entweder durch ein fremdes Mittel, oder durch sich selbst als Mittel. Beispiel mit dem Menschen, der mit einem Stab (oder ohne ihn) einen Stein bewegt. Das Mittel kann nicht ohne den Beweger bewegen, wohl aber umgekehrt der Beweger ohne das fremde Mittel, 256a 4-13. - In anderer Formulierung: Das Bewegende wird entweder wieder durch ein anderes bewegt (dessen Mittel es ist) oder nicht, sondern beWegt sich selbst (und bewegt mit sich selbst als Mittel). Im ersten Fall kann es nicht ins Unendliche fortgehen, weil es sonst kein erstes Bewegendes gtbt, a 13-12. 2. Wenn das Bewegende entweder mit einem Mittel bewegt oder mit sich selber als Mittel, und kein Mittel ohne Beweger bewegt, so kann, falls es mehrere Mittel sind, die Reihe der bewegt-bewegenden Mittel nicht ins Unendliche gehen, sondern muß bei einem Sich-selbst-Bewegenden enden, das mit sich selber als Mittel bewegt, 256a 21- b3. 3. Wenn das Bewegende immer nur dadurch bewegte,
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daß es selbst von etwas anderem bewegt würde, so verhielte sich dies entweder (a) akzidentell so, oder (b) an sich. Beide Fälle erweisen sich jedoch als unmöglich: (a) Wenn das Bewegende bewegte, weil es akzidentell bewegt würde, so bräuchte es einmal auch nicht bewegt zu werden und somit auch nicht zu bewegen, so daß einmal nichts bewegt würde. Dem widerspricht jedoch das, was o. bewiesen wurde, daß es immer Bewegung gibt, 256b 3-13. (b) Wenn hingegen das Bewegende immer nur dadurch bewegte, daß es an sich von anderem bewegt würde, dann müßte es entweder dieselbe Bewegungsart erleiden die es selber wirkt, oder eine andere. Der erste Fall liefe auf Widersprüchliches hinaus; denn dasselbe müßte dann zugleich und hinsichtlich derselben Bewegung tätig und leidend sein (z. B. erwärmen und erwärmt werden, !ehren und belehrt werden). Der zweite Fall aber käme, da die Bewegungsarten nur begrenzt viele sind, bald auf frühere Bewegungsarten zurück und damit wieder auf den ersten Fall, 256b 27- 257a 27. Zwischen den Erörterungen der beiden Fälle (a) und (b) steht ein wichtiger Abschnitt (256b 13-27), der die drei Tenne des Beweises in allgemeiner Form angibt als Bewegtes - Mittel - Bewegendes, bzw. als Letztes - Mittleres Erstes, und so kennzeichnet, daß das letzte Bewegte nicht mehr bewegt, das erste Bewegende nicht mehr bewegt wird, das Mittlere hingegen sowohl bewegt, als auch bewegt wird. 4. Im Vergleich zwischen zwei Bewegenden, von denen das eine wieder von anderem bewegt wird, das andere nicht mehr, sondern von sich selbst bewegt wird, versteht jeder das zweite mehr als Bewegungsursache (nach dem Verständnis von Ursache in vollem Sinne), 256b 27-31. Analyse des Sich-selbst-Bewegenden, 256b 31- 258b 4: Es ist teilbar, wie jedes kontinuierliche Körperliche, hat also Teile. (a) Es kann nicht als ganzes, in allen Teilen, sich selbst bewegen; denn dann müßte es als ganzes zugleich z. B. fahren und gefahren werden, oder allgemein: bewegbar und bewegend, potentiell und aktuell sein, was unmöglich ist. Vielmehr muß ein Teil des Sich-selbst-Bewegenden bewegt, ein Teil bewegend sein (mit dem Bewegungsprinzip), 257b 2-13. (b) Das Sich-selbst-Bewegende ist auch
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nicht derart, daß jeder Teil jeden bewegt; denn dann wäre kein Teil erstes Bewegendes, das nicht mehr von anderem bewegt würde, 257b 13-26. (c) Es verhält sich auch nicht so, daß im Sich-selbst-Bewegenden ein oder mehrere Teile sich selbst bewegen, weil dann eben nicht mehr das Ganze das Sich-selbst-Bewegende wäre, sondern diese Teile, die unabhängig vom Ganzen sich selbst bewegen würden, 257b 26 - 258a 5. Es gibt beim Sich-selbst-Bewegenden nur zwei Prinzipien, ein bewegtes und ein unbewegt-bewegendes, dazwischen kein weiteres, drittes, mehr; sonst wäre eben dieses schon das bewegte, zweite, 258a 5-b4. Das Bewegte wird somit von einem unbewegt Bewegenden abhängen, sei es direkt, sei es indirekt über ein Sich-selbst-Bewegendes, b4-9. In Kap. 6 führt Aristoteles zum unbewegten Bewegenden noch weitere disjunktive Unterscheidungen ein und stellt dem nicht-ewigen, unbewegten Bewegenden- d. h. den Seelen der irdischen Lebewesen - ein ewiges gegenüber und dem ewigen, nicht-absolut unbewegten Bewegenden - einigen Seelen der Himmelsgestirne bzw. -sphären ein absolut, in jeder Hinsicht unbewegtes (eine erste Seele?). Dieses ist wohl nur eines, jenes ist mehreres. 1. Argument (258b 16 - 259a 8), daß es ewige, unbewegteBewegergeben muß: denn die nicht-ewigen (Seelen der Lebewesen), die nur eine Zeittang sind und dann nicht mehr- "ohne Entstehen und Vergehen"-, könnten keine ewige Bewegung verursachen10 , auch nicht, wenn sie zahllos viele wären, die nacheinander aufträten und wirkten11 • 2. Argumente (259a 8-20), daß der erste unbewegte Beweger nur einer ist: denn begrenzt viele sind besser als unendlich viele, einer besser als mehrere, wenn anders dasselbe durch wenige oder eine Ursache bewirkt wird, statt durch viele. Ferner ist die ewige Bewegung (sc. des Fixsternhimmels) nur eine und stetig und erfordert somit einen einzigen Beweger. 3. Argument (259a 20-b31), daß die nicht-ewigen unbewegten Beweger, die Seelen der irdischen Lebewesen, welche bald in Bewegung, bald in Ruhe sind, für diesen Wechsel wiederum äußere Bewegungsursachen erfordern
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(bll ff.), schließlich eine erste, ewige: Als Ursache für die Kontinuität des Wechsels und der ewigen Bewegung muß sie an sich unbewegt sein, während die Seelen sowohl der irdischen, als auch von einigen Himmelswesen (in verschiedener Hinsicht) akzidentell bewegt sind (wegen der Körper, die sie bewegen, bl6 ff.). So bestätigt sich, was o. Kap. 3 festgestellt worden ist, daß nicht alles Seiende in Bewegung, oder in Ruhe ist, auch nicht alles bald in Bewegung, bald in Ruhe, sondern ein Teil immer in Bewegung, ein Teil bald bewegt, ~ald ruhend, und ein Teil immer in Ruhe d. h. unbewegt. Vom Bewegten muß es also eine erste Ursache geben, die an sich und in jeder Hinsicht unbewegt ist. Es ergibt sich abschließend folgendes Beweisschema (vgl. auch a27 - bl): II Jedes Bewegte wird bewegt von einem Bewegenden. I Jedes Bewegende wird entweder nicht bewegt { oder es wird bewegt entweder von bewegt Bewegen{ dem oder von Unbewegtem, das entweder nicht-ewig { , oder ewig ist, entweder nicht an sich { unbewegt oder an sich unbewegt ist. 111 Jedes BeWegte wird bewegt von einem ewigen, an sich unbewegt Bewegenden. Die Klammern zeigen disjunktive Gegensätze an, von denen jeweils die eine Alternative ausscheidet. Bei der ersten Disjunktion widerspricht es der Erfahrung, daß Bewegendes nicht bewegt wird: Der Beweis verfährt ja induktiv und geht zunächst von den empirischen Ursachen aus, die selbst wieder bewegt sind. Gerade am Gegensatz zu ihnen kommt
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dann eine erste (trans-empirische) Ursache in den Blick. Die übrigen Alternativen scheiden aus, weil sie dem Begriff einer ersten Ursache nicht voll genügen. 2. Das Argument vom (analog) höchsten Wahren und Seienden Metaph. II 1 Das Argument soll im. Kontext von Metaph. II 1 beweisen, daß die Metaphysik als Wissenschaft, die auf die ersten Ursachen alles Seienden geht, sich zugleich auf die Wahrheit richtet; "denn wir wissen das Wahre nicht ohne die Ursache", 993b 23 12 • Das Argument hat folgende Schlußform, b24-31: I Was die Ursache für alles Wahre ist, ist selber am wahrsten, die Wahrheit selbst. II Die erste Ursache für alles Seiende ist zugleich die Ursache für alles Wahre. III Die erste Ursache für alles Seiende ist die Wahrheit selbst. Also geht die Metaphysik, die Aristoteles in Buch I als die Wissenschaft von den ersten Ursachen alles Seienden eingeführt hat, zugleich auf die Wahrheit selbst. Zu I: Zugrunde liegt der Gedanke, daß in jedem Bereich mit Dingen, denen eine Eigenschaft "synonym" (sinngemäß = analog) zukommt, die Ursache davon jene Eigenschaft in höchstem Maße hat/ist (Beispiel mit den warmen Dingen und dem Feuer als Ursache) 13 • Zu II: Der Grund davon ist der, daß das Seiende und Wahre sich gleich verhalten (b30-31, konvertibel sind, nach späterem scholastischen Ausdruck). 3. Das Argument vom nicht-unendlichen Regreß in den Ursachen Metaph. II 2 Das Metaph.-Kapitel II 2 knüpft an die Erörterung von Buch I 1-2 an, daß die Metaphysik Wissenschaft von den
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ersten Ursachen alles Seienden ist. Es setzt also den Begriff der ersten Ursache schon voraus, wenn es zeigt, daß in den vier Ursachen-Gattungen der Stoff-, Fonn-, Bewegungsund Zweckursache kein unendlicher Rückgang in den Ursachen stattfinden kann. Das allgemeine Argument, 994a 11-19, verwendet die drei Tenne: Letztes - Mittleres Erstes (vgl. o. Phys. VIII 5, 256b 13-27), und bestimmt die von anderen abhängigen Ursachen als mittlere, da sie nicht eigentliche Ursachen im vollen Sinne sind, mögen sie endlich oder unendlich viele sein. Bei unendlich vielen würde aber die erste aufgehoben, und mit ihr auch alle übrigen, da sie nur kraft der ersten wirken. 4. Der Beweis der ersten, immateriellen, rein aktuellen Substanz Metaph. XII 6 Der Beweisgang gliedert sich in zwei Syllogismen, von denen der erste, 107lb 4-11, zur Existenz einer unbewegten (unvergänglichen) Substanz führt, der zweite, b 12-20, zu ihrer reinen Aktualität (und Notwendigkeit): II Die Substanzen sind das Erste, d. h. die Prinzipien von allem Seienden. I (Die Substanzen als) die Prinzipien alles Seienden sind (entweder alle vergänglich oder] nicht alle vergänglich. III Die Substanzen sind nicht alle vergänglich (d. h. einige oder eine ist unvergänglich). Zu 1: Daß alle Prinzipien vergänglich sind, ist unmöglich, weil sonst alles Seiende vergänglich wäre. Es g~bt jedoch etwas Unvergängliches, sc. ewige Bewegung (wie in Phys. VIII 1-2 bewiesen). 2 Die ewige Bewegung ist verursacht durch ein Bewegungsprinzip. 1 Das Bewegungsprinzip ist Jentweder nur in Potenz, nicht in Akt loder in Akt, und dann
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Jentweder der Wesenheit nach in Potenz loder der Wesenheit nach in Akt. 3 Die ewige Bewegung wird verursacht durch ein "Prinzip, dessen Wesenheit Aktualität ist". Zu 1: Das jeweils erste Glied der zwei Alternativen muß ausscheiden, weil der ewigen Bewegung entsprechend die ewige, unbewegte Substanz weder bloß in Potenz (Möglichkeit), noch zwar in Akt (Wirklichkeit), aber seiner Wesenheit nach in Potenz sein kann; denn das der Wesenheit nach Potentielle kann sein und nicht sein, ist nicht aus sich ewig-unveränderlich. Mit dem aristotelischen Beweisgang zeigt der dritte Weg bei Thomas eine gewisse Ähnlichkeit, der ebenfalls vom vergänglichen Seienden aus auf ein unvergänglich-ewiges, absolut notwendiges Prinzip zuriickschließt. Dort wie hier liegt eine reductio ad impossibile vor, doch wirdmitihr auf verschiedene Weise argumentiert. Daß nicht alles Seiende samt seinen Prinzipien vergänglich sein kann, widerlegt Aristoteles mit dem Hinweis auf die für ihn bewiesene, ewige Bewegung, der eine ewige Materie entspricht. Da für Thomas auch die Materie geschaffen ist, argumentiert er anders: Wenn alles vergänglich wäre, dann könnte einmal nichts sein und wäre auch jetzt nichts, was jedoch falsch ist; ergo ... D. h. alles Seiende trägt in sich den Keim ins Nichts zurückzufallen, auch die Materie, wenn man nicht ein unvergängliches, absolut notwendiges Prinzip annimmt.
Anhang: Platons Gottesbeweis in Leges X, 885/f Aus diesem Beweis hat Aristoteles in Phys. VIII wesentliche Gedanken übernommen; er führt zu den Kosmos-, Gestirnseelen, die dem antiken Glauben an die Gestirngötter entsprechen. Der bleibende Wert des Beweises liegt darin, daß er erstmals philosophisch zu einem immateriellen Seelenbegriff kommt. Platon setzt sich hier mit den (materialistischen) Lehren der Sophisten auseinander, wonach die Seele wie alle Naturdinge aus Stoffelementen bestehe (den alleinigen Naturprinzipien) und das Schaffen
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der Seele bzw. Vernunft, wie in Gesetzgebung und Götter· kult, nur ,,Konvention", nicht "von Natur" sei. "Von Natur" sei der Machttrieb der Seele. Platon übt nicht an der Schlüssigkeit dieser Lehren Kritik, sondern an dem Naturprinzip, woraus sie argumentieren. Für ihn ist die Seele nicht Naturprodukt, zusammengesetzt aus Stoffelementen, sondern selbst Inbegriff der Natur, weil Bewegungsprinzip bei allen Zusammensetzungen der Naturdinge aus Elementen. Sie besteht selbst auch aus keinen Elementen mehr, sondern ist immateriell. Und so hat auch das, was die Seele, bes. als Vernunft, ursprünglich hervorbringt, wie Gesetzgebung, Staatskunst, Götterkult u.ä., etwas "von Natur". Daß aber die Seele Inbegriff der Natur als Bewegungsprinzip ist, legt Platon durch einen Beweisgang dar (892 ff. ), der teilweise ähnlich verläuft wie der aristotelische, und sucht mit der Aufdeckung immaterieller Seelenbeweger des Himmels zugleich die Existenz von Göttern zu erweisen: Platon geht von bewegten Dingen aus (wobei er voraussetzt, daß im Kosmos nicht alles immer in Bewegung, noch alles immer in Ruhe ist, sondern einiges teils in Bewegung, teils in Ruhe) und unterscheidet verschiedene Arten von Bewegungen, zusammenfassend zwei: die des von anderem Bewegten und des von sich selbst Bewegten. Die Selbstbewegung zeigt sich allein als unabhängige und muß die erste sein, von. der alte übrigen Bewegungen im Kosmos abhängen. Unendlich viele abhängige Bewegungsursachen sind unmöglich. Und da die Selbstbewegung Leben ist, ist ihre Ursache die Seele, das Sich-selbst-Bewegende (vgl. Phaedr. 245c ff.). Platons Beweis enthält auch einen teleologischen Gedanken: Daß das, was aus der Seele bzw. Vernunft hervorgeht, von Natur ist, soll ja nicht nur für das menschliche Schaffen gelten, sondern auch für alle Naturdinge, den ganzen Kosmos (griech. = schöne Ordnung), der von einer göttlichen Vernunft bewirkt und d. h. bezweckt wird (s. Tim. 28a ff., Phileb. 28d ff.; vgl. auch den Hinweis auf Anaxagoras' Nus im Phaed. 97b ff.). V ergliehen mit dem aristotelischen Beweis bleibt aer pla-
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tonische auf vorletzter Stufe stehen; denn er hält das Sichselbst-Bewegende für die Seele. Dagegen ist das Sich-selbstBewegende für Aristoteles erst das Lebewesen, das aus Leib und Seele zusammengesetzt ist. Die Seele selbst ist unbewegtes Bewegendes.
11. Die gemeinsame Beweisstruktur der .,fünf Wege" bei Thomas Zu den im Kommentarteil aufgezeigten Beweisschemas der Gottesbeweise soll hier noch ihre gemeinsame Grundstruktur wiedergegeben und kurz erläutert werden. Die Grundstruktur ist geprägt von dem induktiven Verfahren der Gottesbeweise14 • Thre unteren Prämissen gehen von erfahrbaren Weltdingen D 1 , D2 , D 3 mit gewissen Eigenschaften aus - Bewegung, Kontingenz (Entstehbarkeit, Vergehbarkeit ), Mehr- und Weniger-Sein, naturhafte Zweckmäßigkeit - und verbindet sie mit ihren nächstliegenden Ursachen: u 1 u 2 u 3 • Die oberen Prämissen zeigen auf, daß diese Urs~ch~n von anderen abhängen und stellt sie als "zweite" Ursachen in disjunktiven Gegensatz zur "ersten", eigentlichen Ursache U. Dabei wird hier das Argument eingefügt, daß die zweiten Ursachen nicht unendlich viele sein können, weil sonst die erste aufgehoben wird, und mit ihr auch die übrigen. (Eine Aumahme bildet der vierte Beweis in S.th., der den Zwischenschritt über die zweiten Ursachen ausläßt.) Die zweiten Ursachen wirken nurkraftder ersten, sie erweisen sich selbst als Wirkungen der ersten und treten im induktiven Heweisschema im Mittelterm auf. Die Konklusion besagt den notwendigen Zusammenhang zwischen den· Weltdingen und der ersten Ursache und beweist damit zugleich deren Existenz; denn da die Weltdinge wirklich existieren, muß dies auch die mit ihnen notwendig verbundene Erstursache, von ~er sie abhängen: II D u 1 u { ~1,2,3 ••• Regreß ins Unendliche] III
D
U
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Der Verbindungsstrich bedeutet die ursächliche Abhängigkeit, die Klammer bezeichnet einen disjunktiven Gegensatz, dessen eine Alternative ausscheidet, nämlich durch das Argument vom nicht-unendlichen Regreß in den zweiten Ursachen. Es folgen hier noch ergänzende Bemerkungen: 1. Der in den unteren Prämissen der Gottesbeweise eingeführte Ursache-Begriff - unter den verschiedenen Aspekten der Bewegungs-, Wirk-, Seins- und Zweckursache - bezeichnet nicht schon von vornherein eine "erste Ursache", wenn er sie auch implizit mit beinhaltet. Expliziert wird diese erst im Zuge des induktiven Beweisganges selbst, nämlich am disjunktiven Gegensatz zu den abhängigen, zweiten Ursachen. Und so führen jeweils die oberen Prämissen die Disjunktion zwischen zweiten Ursachen und einer ersten ein: zwischen bewegt-bewegenden Ursachen und einer ersten, unbedingten, zwischen natur-immanenten Zweckursachen und einer metaphysischen, ersten15 • (Teilweise sind in den Beweisgängen noch weitere, speziellere Disjunktionen eingefügt.) Die erste Ursache ist von den zweiten wesentlich verschieden und steht in ausschließlichem Gegensatz zu ihnen. Die zweiten Ursachen hängen von der ersten ab; sie vermögen ohne diese nicht zu sein und nicht zu wirken. Deshalb können sie auch die erste nicht ersetzen, selbst wenn sie unendlich viele wären. 2. Was die vielumstrittenen Argumente zum Kausalsatz und dem nicht-unendlichen Rückgang in den Ursachen betrifft, ist folgendes zu beachten: Die Argumente zum Kausalsatz wollen nicht beweisen, daß es überhaupt Ursächlichkeit gibt, sondern daß es für Ursachen wesentlich ist, immer vom Verursachten verschieden zu sein. Die Argumente haben induktiven Charakter, ähnlich wie Definitionen in beweishafter Form; denn sie weisen an Hand der Erfahrung etwas vom Wesen der Bewegung und der Bewegungsursache (als Aktprinzips des Potentialen) auf. Die Argumente vom nicht unendlichen Rückgang in den Ursachen sind wohl ebenfalls von induktiv-defmitorischer
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Art: Die Disjunktion zwischen unendlich vielen, zweiten Ursachen und einer ersten läßt sich mit solchen vergleichen zwischen entgegengesetzten definitorischen Wesenseigenschaften (Differenzen). Und wie bei der Defmition schon durch Erfahrung vorausgesetzt ist, daß das Zu-Defmierende existiert, aber noch nicht, mit welchen Eigenschaften denn dies soll sich erst durch die Definition entscheiden -, so setzen zwar auch die vorliegenden Argumente schon voraus, daß es Ursächlichkeit hins. der bewegten Weltdinge gibt, aber noch nicht, in welcher Form, ob in Form unendlich vieler Ursachen oder endlich vieler mit einer ersten. Gerade dies suchen die Argumente zu entscheiden und kommen zu dem Ergebnis, daß es dem Wesen der Ursächlichkeit widerspricht, in unendlich vielen Ursachen vorzuliegen. Vielmehr muß bei mehreren Ursachen eine erste sein, von der die übrigen abhängen, und die allein Ursache im vollen Sinn ist. Daß diese existiert, ergibt sich durch ihre Verbindung mit den erfahrbaren, zweiten Ursachen (in den beiden Prämissen) und mit den verursachten, existierenden Weltdingen (in der Konklusi